The Project Gutenberg eBook of Sämmtliche Werke 3: Abende auf dem Gutshof bei Dikanka; Phantastische Novellen

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Title: Sämmtliche Werke 3: Abende auf dem Gutshof bei Dikanka; Phantastische Novellen

Author: Nikolai Vasilevich Gogol

Commentator: B. Schenrock

Editor: Otto Buek

Translator: Frieda Ichak

Alexandra Ramm

Ludwig Rubiner

Release date: July 2, 2017 [eBook #55026]

Language: German

Credits: Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 3: ABENDE AUF DEM GUTSHOF BEI DIKANKA; PHANTASTISCHE NOVELLEN ***

Nikolaus Gogol
Abende auf dem Gutshof bei Dikanka

Nikolaus Gogol
Sämmtliche Werke
In 8 Bänden

Herausgegeben
von
Otto Buek

Band 3

München und Leipzig
bei Georg Müller
1910

Nikolaus Gogol

Abende auf dem Gutshof bei Dikanka

Phantastische Novellen

Deutsch
von
Ludwig Rubiner
und
Frida Ichak.

München und Leipzig
bei Georg Müller
1910

Inhalt

Abende auf dem Gutshof bei Dikanka I 1
Vorrede 3
Der Jahrmarkt in Sorotschintzy 11
Die Johannisnacht 55
Mainacht oder die Ertrunkene 83
Der verschwundene Brief 133
Abende auf dem Gutshof bei Dikanka II 155
Vorrede 157
Die Nacht vor dem Weihnachtsfest 163
Schreckliche Rache 239
Iwan Fjodorowitsch Schponjka und seine Tante 311
Der verhexte Ort 355
Biographische Skizze von B. Schenrock 373
Anhang 399

Abende auf dem Gutshof bei Dikanka.
Erster Teil

Erzählungen
Herausgegeben von Rotfuchs Panjko, Bienenzüchter.

Übersetzt von Ludwig Rubiner
und Frida Ichak

Vorrede

Was ist denn das wieder für ein Ding: Abende auf dem Gutshof bei Dikanka? Was für „Abende“ sind denn das? Und die dazu gar noch ein Bienenzüchter in die Welt gesetzt hat! Gott bewahr’ uns! Hat man etwa noch zu wenig Gänsefedern gerupft und allzu wenig Lumpen zu Papier verarbeitet! Hat etwa noch zu wenig Pack, haben etwa noch zu wenig Leute von jeglichem Stand ihre Finger mit Tinte bekleckst! Da muß der Teufel nach all dem anderen Volk auch noch einen Bienenzüchter reiten, es den andern nachzumachen! Wahrhaftig! Es gibt doch schon so viel bedrucktes Papier, daß man bald nicht mehr recht weiß, was alles man hineinwickeln soll!

All diese Reden hat meine Prophetie schon gehört, schon vor einem Monat gehört! Ich will nämlich sagen, daß es für unsereins, daß es für uns Vorwerksbesitzer genau dasselbe ist, wenn man — o du grundgütiger Himmel —, die Nase aus seinem Loch in die große Welt steckt, als wenn man in die Gemächer eines feinen Herrn tritt: alle bilden einen Kreis um einen, und der Schabernack geht los; derartiges könnte man sich am Ende noch von besseren Lakaien gefallen lassen, — aber nein, irgend so ein zerlumpter Junge, irgendein Lümmel, der sich im Hinterhof herumdrückt, auch so einer traut sich heran. Da stampfen sie mit den Füßen und rufen einem von allen Seiten zu: „Wohin willst du? Zu wem? Pack dich du Bauernkerl! Scher dich zum Teufel!“ ..... Ich kann euch sagen .... Aber was sollen alle Worte! Mir fällt’s wahrhaftig leichter, zweimal im Jahr nach Mirgorod zu reisen, wo mich schon seit fünf Jahren weder der Schreiber vom Landgericht noch seine Hochwürden zu Gesicht bekommen haben, als zu den großen Leuten zu steigen; tu ich’s aber mal, dann heißt’s, ob’s dir nun paßt oder nicht, Rede und Antwort stehen.

Nichts für ungut, meine lieben Leser (und ihr nehmt’s vielleicht übel, daß ein einfacher Bienenzüchter zu euch redet wie zu seinem Gevatter oder Ehestifter), wir Vorwerksleute haben von jeher solche Bräuche: sowie die Feldarbeiten zu Ende sind, der Bauer übern Winter zur Ruh’ hintern Ofen kriecht und unsereins seine Bienen in den dunklen Keller steckt; sowie es keinen Kranich mehr am Himmel und auf dem Baum keine Birne mehr gibt, da kann man, wenn es Abend wird, sicherlich irgendwo am Ende der Dorfstraße ein Licht blinken sehen; von ferne hört man lachen und singen, die Balalaika klimpert, oft auch vernimmt man Geigenklänge, lauten Schwatz und Lärmen .... Das sind die Unterhaltungen unserer Abende! Sie ähneln sozusagen euren Bällen, aber doch nicht ganz. Wenn ihr auf einen Ball fahrt, so geschieht’s doch nur, um herumzuspringen und in die hohle Hand zu gähnen. Bei uns dagegen, wenn da in einer Stube ein Haufen Mädchen mit Spinnrocken und Spindelkamm zusammenkommt, so ist das durchaus kein Ball. O nein! — Zuerst sieht’s aus, als ob sie ernstlich an die Arbeit gehen wollten. Die Spindeln surren, die Lieder schwirren, und keine wagt es, zur Seite zu blicken. Kaum aber kommen die Burschen mit dem Fiedelmann in die Stube, da beginnt ein Toben und Schreien, es wird getanzt, und solche Streiche geschehen da oft, daß man’s gar nicht erzählen kann.

Aber am schönsten ist’s doch, wenn alle sich zu einem Haufen zusammentun, und man beginnt, Rätsel zu raten, oder ganz einfach — zu schwatzen. O mein Gott! Was wird da nicht alles erzählt! Was wird da nicht für alter Kram ausgegraben! Was für Gruselzeug wird da nicht herangeschleppt! Aber nirgends ward wohl soviel Wunderliches erzählt wie an den Abenden beim Rotfuchs Panjko, dem Bienenzüchter. Warum mich die Leute den „Rotfuchs Panjko“ nennen, das vermag ich, weiß Gott, nicht zu sagen. Auch ist ja mein Haar, sollt’ ich wohl glauben, eher grau als rot. Aber das ist bei uns nun eben, mit Verlaub zu sagen, so Sitte: haben die Leute einem mal ’nen Spitznamen gegeben, so behält er ihn in alle Ewigkeit. Oft kamen am Vorabend hoher Feiertage allerlei brave Leute in die Hütte des Bienenzüchters zu Gaste, und wenn die sich erst an den Tisch gesetzt hatten, da gab’s dann was zu hören. Das waren nicht etwa Leute aus den einfachen Ständen, nicht etwa Bauern aus einem Vorwerk; manch einem, der mehr als Bienenzüchter ist, würde ihr Besuch Ehre machen. Kennt ihr zum Beispiel Foma Grigorjewitsch, den Küster an der Kirche zu Dikanka? Das ist ein Kopf, sag’ ich euch! Was konnte der nicht für Geschichten erzählen! Zwei davon sollt ihr in diesem Büchlein finden. Nie hat der einen Kittel aus Bast getragen, wie ihr ihn bei so vielen Küstern auf dem Lande findet; ja, kamt ihr selbst an Werkeltagen zu ihm, so empfing er euch immer in einer Joppe aus feinem Tuch von einer Farbe wie die von kaltem Kartoffelbrei, für das er in Poltawa fast sechs Rubel die Elle bezahlt hat. Von seinen Stiefeln wird niemand auf dem ganzen Weiler behaupten können, sie hätten nach Teer gerochen; jeder weiß, daß er sie mit dem allerfeinsten Schmalz geschmiert hat, das, glaub’ ich, mancher Bauer sich wohl mit Freuden in den Brei getan hätte. Auch wird niemand zu sagen wagen, daß er sich je die Nase mit dem Rockschoß gewischt hat, wie es manche Leute seines Standes zu tun pflegen; nein, er zog ein weißes, säuberlich gefaltetes Tüchlein aus dem Busen, dessen Bänder mit rotem Zwirn bestickt waren, verrichtete sein Bedürfnis, faltete es nach seiner Gewohnheit zwölffach zusammen und barg es wieder im Busen. Und ein anderer Gast .... je nun, das war solch ein feines Herrchen, daß man ihn stracks zum Präsidenten oder Exekutor hätte machen können. Er pflanzte seinen Finger vor der Nase auf, und dann blickte er die Spitze an und erzählte so spitzfindig durch die Blume, akkurat wie es in den gedruckten Büchern steht! Wenn ihn unsereiner manchmal so hörte, da mußte man ja ganz nachdenklich werden. Kein Sterbenswörtchen war zu verstehen. Wo hat der bloß solche Worte hergenommen? Diesbezüglich hat Foma Grigorjewitsch einmal eine treffliche Schnurre erdacht: er erzählte ihm eine Geschichte von einem Schüler, der einst bei einem Küster zur Schule ging; als der wieder zu seinem Vater kam, da war er ein solcher Lateiner geworden, daß er sogar unsere rechtgläubige Sprache vergessen hatte — alle Worte ließ er auf „us“ endigen: statt Schaufel sagte er „Schaufelus“, statt Weib „Weibus“ usw. Einmal ging er mit seinem Vater über Feld. Der Lateiner erblickt eine Harke und fragt: „Wie nennt man das bei euch, Vater?“ und dabei sperrte er das Maul weit auf und trat der Hacke auf die Zähne. Der Vater hatte kaum antworten können, da flog der Griff der Harke dem Sohne mit einem Schwung gegen die Stirn. „Die verdammte Harke!“ schrie der Schuljunge, fuhr sich mit der Hand an den Kopf und sprang eine Elle hoch in die Luft. „Der Satan soll den Mann holen, der das Harkenzeug gemacht hat! Sie tut so weh!“ „So, bist du endlich auf den Namen gekommen, mein Täubchen?“ — Dieses Märchen wollte dem verblümten Erzähler nicht besonders gefallen. Ohne ein Wort zu sagen, stand er von seinem Platze auf, stellte sich breitbeinig mitten im Zimmer hin, neigte den Kopf etwas vor, schob die Hand in die Seitentasche seines erbsengrauen Rockes, holte seine runde lackierte Tabakdose hervor, schnippte mit dem Finger über das draufgemalte Gesicht eines ausländischen Generals, nahm eine ziemlich große Prise seines mit Asche und Liebstöckelblättern vermischten Tabaks, führte sie weit ausholend an die Nase und sog im Nu das ganze Häufchen ein, ohne auch nur den Daumen zu streifen, und dabei sprach er keine Silbe. Erst als er in die andere Tasche griff und ein blaukariertes Baumwollentuch hervorholte, da murmelte er etwas vor sich hin, wie: „Man darf seine Perlen nicht vor die Säue werfen!“ ..... „Da gibt’s einen Krach,“ dachte ich, als ich sah, wie Foma Grigorjewitschs Finger sich zu einer Ohrfeige zusammenballten; zum Glück hatte meine Alte die gute Idee gehabt, gebackenes Weißbrot mit Butter auf den Tisch zu stellen. So machten sich denn alle daran; auch Foma Grigorjewitschs Hand griff, statt dem andern eine Nase zu drehen, danach, und alle begannen, wie üblich, die tüchtige Hausfrau zu loben. Dann gab’s bei uns noch einen, der zu erzählen verstand; aber der (nie zur Nacht sei dran gedacht!) der erzählte so gruselige Geschichten, daß einem die Haare zu Berge standen. Ich habe sie absichtlich nicht hier hereingebracht: die guten Leute könnten gar noch solche Angst vor dem Bienenzüchter bekommen, wie — Gott bewahre mich — vor dem Teufel. Lieber will ich, wenn’s Gott gefällt, bis Neujahr warten, und gebe dann noch ein Büchlein heraus. Da sollen uns meinetwegen Gestalten aus jener anderen Welt entsetzen, und Mirakel, die sich in alten Zeiten in unserem rechtgläubigen Lande zugetragen haben. Ihr werdet darunter vielleicht auch einige Parabeln vom Bienenzüchter selbst finden, wie er sie seinen Enkeln erzählt hat. Ihr braucht nur die Ohren zu spitzen. Ich hab’ nur keine Lust herumzukramen, sonst könnte ich wohl noch zehn solche Büchlein zusammenbringen.

Doch halt — ich habe ja die Hauptsache vergessen: Wenn Ihr, lieben Herren, zu mir fahrt, dann schlagt die gerade Poststraße nach Dikanka ein. Ich hab’ mit Fleiß den Ort an die erste Seite gestellt, damit Ihr den Weiler schneller zu erreichen wißt. Doch Ihr habt wohl schon zur Genüge von Dikanka gehört. Wahrlich, dort sind die Häuser stattlicher als die Strohbude eines bescheidenen Bienenzüchters. Ganz zu schweigen vom Garten: dergleichen findet ihr wohl nur noch in eurem Petersburg. Wenn ihr nach Dikanka kommt, so fragt bloß den ersten besten Jungen, der im schmierigen Hemde seine Gänse hütet: „Wo wohnt hier der Bienenzüchter Panjko?“ — „Da hier,“ wird er sagen, und zeigt’s euch mit dem Finger, und wenn ihr wollt, so bringt er euch sogar bis vors Haus. Doch bitte ich euch, legt nur nicht zu gemächlich die Hände auf den Rücken und springt mir nicht zu unbedacht herum, denn unsere Landstraßen sind nicht so glatt wie die vor euren feinen Häusern. Als Foma Grigorjewitsch vor zwei Jahren aus Dikanka hinausfuhr, geriet er mit seinem Wägelchen mitsamt dem vorgespannten Braunen in den Graben, obwohl er selbst die Zügel führte und sich zu seinen eignen Augen noch manchmal gekaufte aufsetzte.

Wenn ihr nun aber doch zu Gaste kommt, so sollt ihr solche Melonen kriegen, wie ihr sie euer Lebtage noch nicht gegessen habt; und besseren Honig, das schwör’ ich euch, werdet ihr auf keinem Vorwerk finden: stellt euch vor, wenn man so eine Wabe hereinbringt, da strömt euch ein Geruch durchs ganze Zimmer — es läßt sich gar nicht ausdenken, was für ein Geruch! Klar wie eine Träne oder wie teures Kristall, das man in den Ohrringen trägt! Und was für Pasteten euch meine Alte vorsetzt! Was für Pasteten! Wenn ihr das wüßtet: Zucker, der reine Zucker! Und die Butter läuft einem beim Essen nur so über die Lippen. Es ist nicht zu glauben, was diese Weiber alles können! Habt ihr schon je Birnenmost mit Schlehdornbeeren gekostet, meine Herren? Oder Bier mit Rosinen und Pflaumen? Oder Gekröse in Milch? O Gott, was es alles für Gerichte in der Welt gibt! Man kann kaum genug bekommen. O, es ist ein Genuß: zum Fingerablecken! Im vergangenen Jahr ..... Aber was schwatz’ ich da zusammen ..... kommt nur, kommt recht bald; ihr sollt so bewirtet werden, daß ihr’s ganz sicher weit und breit erzählen werdet.

Rotfuchs Panjko.
Bienenzüchter.

Der Jahrmarkt in Sorotschintzy

I.

Trüb wird mir in dieser Hütte,

O so führ mich aus dem Haus!

Führ mich hin zu Lärm und Braus,

Dorthin, wo die Mädel springen

Und die Burschen Gläser schwingen!

Aus einer alten Legende.

Wie köstlich und erquickend ist doch ein Sommertag in Kleinrußland! Wie schmachtend heiß sind jene Stunden, da der Mittag in Stille und Glut erstrahlt, der unermeßliche blaue Ozean wie eine Kuppel der Wollust über der Erde hängt und wie ein Schlafender, ganz versunken in Wonne, seine luftigen Arme um die Schöne schlingt! Keine Wolke steht am Himmel, kein Laut ist im Felde zu hören. Alles liegt da wie tot; nur oben in der Tiefe des Himmels schwirrt eine Lerche, silberne Lieder fliegen die luftigen Stufen herab zur verliebten Erde, und ab und zu hallt der Schrei einer Möve oder der gellende Ruf einer Wachtel durch die Steppe. Träg und allen Denkens bar, wie Lustwandelnde ohne Ziel, stehen bis zu den Wolken ragend die Eichen, und die blendende Glut der Sonnenstrahlen entzündet ganze Haufen von Laub, die malerisch daliegen, während sie andere in nachtschwarze Schatten hüllt, die nur bei starkem Winde wie Gold aufleuchten. Smaragde, Topase und Saphire ätherischer Insekten regnen auf die bunten Farben der Gärten herab, die von steilen Sonnenblumen geschirmt werden. Graue Heuschober und goldene Garben malen ein Kriegslager auf das Feld und wandern weit hinaus über den unermeßlichen Raum. Breite Zweige, die unter der Schwere der Früchte herabsinken, Kirschbäume, Pflaumen, Äpfel, Birnenbäume; der klare Himmel und sein heller Spiegel, der Fluß in grünem, stolz erhöhten Rahmen ..... wie voll Wonne und Lust ist doch der kleinrussische Sommer!

In solcher Pracht erglänzte einer der heißen Augusttage des Jahres achtzehnhundert ..... achtzehnhundert .... es werden wohl etwa dreißig Jahre her sein, — da die Straße schon zehn Werst vorm Städtchen Sorotschintzy ganz schwarz von wimmelndem Volke war, das von allen nahen und fernen Vorwerken der Umgebung auf den Jahrmarkt eilte. Seit dem frühen Morgen zog sich eine endlose Reihe Wagen mit Salz und Fisch dahin. Ganze Berge von Töpfen, die in Stroh gewickelt waren, schwankten langsam hin und her und schienen sich höchlich zu langweilen über das Dunkel ihrer Verkerkerung; nur stellenweise guckte eine buntbemalte Schüssel oder ein tönerner Mörser prahlerisch unter dem hoch überm Wagen aufgespannten Schutznetz hervor und lenkte die entzückten Blicke aller Verehrer von Prunk und Luxus auf sich. Viele von den Vorübergehenden blickten neidisch auf den hochgewachsenen Töpfer, den Besitzer dieser Kostbarkeiten, der langsamen Schrittes hinter seiner Ware einherging, und seine tönernen Gecken und Koketten sorgfältig in das ihnen so verhaßte Stroh einwickelte.

Ein einsamer Wagen schleppte sich abseits hinter müden Ochsen einher. Er war mit Säcken, Hanf, Flachs und allerhand Häuslichkeit beladen, und hinter ihm trollte sich der Besitzer in reinem Leinwandhemd und schmutzigen Hosen einher. Mit träger Hand wischte er den herabrieselnden Schweiß vom braunen Gesicht und dem langen Schnurrbart, der von jenem unerbittlichen Barbier gepudert war, der ebenso ungerufen, zum schönsten Mädchen wie zum Krüppel kommt und seit Tausenden von Jahren das ganze menschliche Geschlecht wider seinen Willen mit Puder bestreut. An der Seite des Mannes trottete eine an den Wagen gebundene Stute, deren demütiges Äußere ihr hohes Alter bezeugte. Viele Fußgänger, besonders die jungen Burschen, griffen an ihre Mütze, wenn sie den Bauer einholten. Allein es war weder sein Schnurrbart, noch sein stolzer Gang, was sie zu diesem Gruße veranlaßte; man brauchte nur die Augen etwas zu heben, um den Grund dieser Hochachtung wahrzunehmen: Oben auf dem Wagen saß sein hübsches Töchterlein mit rundem Gesichtchen, schwarzen Augenbrauen, die sich wie steil geschwungene Bögen über den hellgrauen Augen abzeichneten, und sorglos lächelnden rosigen Lippchen; sie hatte den Kopf mit roten und blauen Bändern umwunden, die zusammen mit den langen Zöpfen und einem Strauß aus Feldblumen wie eine prächtige Krone auf ihrem entzückenden Köpfchen ruhten. Alles schien sie zu locken; alles war ihr so seltsam neu .... Und die hübschen Äuglein sprangen unablässig von einem Ding zum anderen hinüber. Wie sollten sie auch nicht! War sie doch zum ersten Male auf dem Jahrmarkt! Ein Mädchen von achtzehn Jahren und das erstemal auf dem Jahrmarkt! ..... Aber keiner der Vorbeiziehenden und Vorüberwandernden konnte wissen, wieviel Mühe es sie gekostet hatte, ihren Vater zu erweichen, der es ja von Herzen gern getan hätte, wäre nicht die böse Stiefmutter dagewesen. Die verstand’s nämlich, ihn ebenso geschickt zu lenken, wie er seine alte Stute, die er jetzt am Zügel hielt und nach langem Dienste zum Verkauf mit sich führte. Diese ruhelose Ehegattin ..... Aber wir haben ganz vergessen, daß sie ja auch da oben auf dem Wagen dasaß in einer schmucken, grünen Wolljacke, auf die, wie beim Hermelin, kleine Schwänzchen aufgenäht waren; allerdings waren es nur solche von roter Farbe. Das reiche Tuch sah fast so bunt aus wie ein Schachbrett, und das bunte baumwollene Häubchen verlieh ihrem hübschen runden Gesicht eine ganz besondere Würde. Aber ihre Züge hatten etwas so Unangenehmes und Wüstes an sich, daß jeder sich sofort beeilte, seinen erschreckten Blick dem heiteren Gesichtchen der Tochter zuzuwenden.

Doch jetzt leuchtete vor den Augen unserer Reisenden bereits der Psjoll-Fluß auf; schon wehte aus der Ferne eine frische Kühle herüber, die nach der ermattenden, zehrenden Hitze um so deutlicher spürbar war. Durch das Dunkel und Hellgrün des Laubs schwarzer und schlanker Pappeln und Birken, die hie und da auf der Wiese verstreut waren, leuchteten feurige in schattige Kühle gehüllte Funken auf, und der Strom entblößte blitzend, wie ein schönes Weib, seine silberne Brust, auf die die dichten grünen Locken der Bäume üppig herabsanken.

In jenen köstlichen Stunden, wo der treue und beneidenswerte Spiegel den stolzen und blendenden Glanz von des Flusses Stirn, seine lilienweißen Schultern und seinen Marmorhals, der von einer dunkel vom blonden Haupte fallenden Flut überschattet ist, in sich aufnimmt, wo der Strom verächtlich den einen Schmuck von sich streift, um ihn durch einen anderen zu ersetzen, und seine Launen kein Ende finden wollen, — in diesen Stunden wechselt er mutwillig, wie er ist, fast jedes Jahr seine Umgebung, wählt sich einen neuen Weg und umgibt sich mit neuen, mannigfaltigen Landschaften. Die langen Reihen der Mühlen hoben die breiten Wellen auf ihre schweren Räder und warfen sie mächtig zurück, zerstäubten sie, ließen sie über die ganze Umgebung herabsprühen und erfüllten ringsherum alles mit Lärm. Um diese Zeit fuhr der Wagen mit den uns schon bekannten Passagieren über die Brücke, und nun streckte sich vor ihnen der Strom in seiner ganzen Pracht und Schönheit hin, wie eine riesige Fläche von Glas. Der Himmel, die grünen und blauen Wälder, die Menschen, die Wagen mit den Töpfen, die Mühlen — alles schien umgestürzt, zog vorüber und stand auf dem Kopfe, ohne doch in den schönen, blauen Abgrund herabzufallen. Das schöne Mädchen wurde bei der Herrlichkeit der Aussicht ganz nachdenklich und vergaß sogar, an ihren Sonnenblumenkernen zu knabbern, was sie während des ganzen Weges getan hatte, als ihr auf einmal die Worte: „Ei was für ein Mädel!“ ans Ohr drangen. Sie schaute sich um und sah auf der Brücke einen Haufen Burschen stehen, deren einer etwas feiner gekleidet war als die anderen; er hatte eine weiße Bluse an und eine graue Lammfellmütze auf dem Kopf, stützte die Hände auf die Hüften und sah sich keck die Vorüberfahrenden an. Die Schöne konnte ihn unmöglich nicht bemerken, ihr Blick streifte sein braungebranntes, doch angenehmes Gesicht und seine feurigen Augen, die sie gleichsam durchbohren wollten, aber sie senkte ihn wieder bei dem Gedanken, das Wort, das sie vernommen hatte, sei von ihm gekommen. „Ein prächtiges Mädel!“ fuhr der Bursch in der weißen Bluse fort, ohne seine Augen von ihr abzuwenden. „Ich würde mein ganzes Hab und Gut darum geben, wenn ich sie einmal küssen könnte. Aber da vorne sitzt der Teufel!“ Von allen Seiten erhob sich Gelächter, allein der geputzten Gefährtin des langsam voranschreitenden Gemahls war diese Begrüßung doch zu stark: ihre roten Backen wandelten sich in lauter Feuer, und eine Salve ausgesuchter Flüche regnete auf den Kopf des ausgelassenen Jungen herab:

„Daß du erstickst, nichtsnutziger Kerl! Ein Topf möge deinem Vater den Schädel einschlagen! Er soll sich auf dem Eise die Beine brechen, der verdammte Antichrist! Möge ihm doch der Teufel in jener Welt den Bart verbrennen!“

„Was die nur schimpfen kann,“ sagte der Bursche die Frau anstarrend und gleichsam verblüfft durch dies Geknatter unerwarteter Begrüßungen: „Daß der hundertjährigen Hexe bei solchen Worten nicht die Zunge weh tut!“

„Hundertjährig! ....“ fiel die alte Schöne ein. „Du Heidendreck, geh, wasch dich mal zuerst! So ein unnützer Tunichtgut! Ich habe deine Mutter nie gesehen, aber das weiß ich, daß sie nichts taugt! Auch dein Vater ist ein Nichtsnutz, und deine Muhme ist es auch! ...... Hundertjährig! ..... Der ist ja noch grün hinter den Ohren ...“

Hier begann der Wagen von der Brücke herunterzufahren, und man konnte die letzten Worte nicht mehr hören; aber der Bursche wollte offenbar noch nicht Schluß machen: ohne sich lange zu besinnen, packte er einen Haufen Schmutz und warf ihn hinter ihr her. Der Wurf war geschickter, als man erwarten konnte: das ganze neue baumwollene Häubchen wurde mit Dreck bespritzt, und so das Gelächter der ausgelassenen Windbeutel nur noch doppelt angefacht. Die wohlbeleibte Kokette entbrannte vor Zorn; aber der Wagen war schon ziemlich weit davongefahren, und ihre Rache sprang auf die unschuldige Stieftochter und den langsamen Ehemann über, der, schon lange an solche Vorkommnisse gewöhnt, hartnäckig Schweigen bewahrte und die tobenden Reden der erzürnten Gemahlin kaltblütig aufnahm. Trotzdem knarrte und zappelte ihre unermüdliche Zunge so lange im Munde herum, bis sie endlich in der Vorstadt, bei ihrem alten Bekannten und Gevatter, dem Kosaken Zybulja, dem „Zwiebelmann“, anlangten. Die Begegnung mit den Gevattersleuten, die sie lange nicht mehr gesehen hatten, verscheuchte für eine Zeitlang die Erinnerung an diese unangenehme Begebenheit aus ihrem Kopfe. Sie sprachen erst ein wenig über den Jahrmarkt und ruhten sich dann von der langen Reise aus.

II.

Ach du lieber Herrgott! Was gibt es nicht alles auf diesem Jahrmarkt! Räder, Glas, Teer, Tabak, Riemen, Zwiebel, Ware aus aller Welt ..... Und wenn man selbst dreißig Rubel in der Tasche hätte, man könnte noch lange nicht den ganzen Jahrmarkt aufkaufen.

Aus einem kleinrussischen Schwank.

Ihr habt wohl schon einmal einen Wasserfall in der Ferne sich herabwälzen hören? Die aufgestörte Gegend ist voller dröhnenden Getöses, und ein Chaos wundersamer und unbestimmter Geräusche braust im Wirbel an euch vorüber. Nicht wahr? Es sind dieselben Empfindungen, die euch plötzlich im Trubel eines ländlichen Jahrmarktes erfassen, wenn das ganze Volk zu einem riesigen Ungeheuer zusammenwächst und sich mit seinem riesigen Leibe über den Platz und durch die engen Straßen schiebt, schreit, johlt und tobt. Lärmen, Schimpfen, Meckern, Blöken, Brüllen — alles verschmilzt zu einem verwirrenden Mißklang. Stiere, Säcke, Strohbündel, Zigeuner, Geschirr, Weiber, Lebkuchen, Mützen — all dies Grelle, Bunte, Mißklingende wühlt und wimmelt haufenweise herum und schwirrt einem vor den Augen. Vielstimmige Reden verschlingen einander, und in dieser Sintflut läßt sich kein Wort retten und ist kein Ruf mehr deutlich zu vernehmen. Der Handschlag der Händler beim Kaufe ist noch das einzige, was man auf allen Seiten des Jahrmarktes hört. Wagen krachen, Eisenstangen klirren, Bretter fallen lärmend zur Erde nieder, und der schwindelnde Kopf weiß nicht, wohin er sich wenden soll. Unser zugereister Bauer mit dem schwarzbrauigen Töchterchen drückte sich schon lange unter dem Volk herum: bald trat er an einen Wagen heran, bald befühlte er den anderen und fragte nach den Preisen, unterdessen aber kreisten seine Gedanken unaufhörlich um die zehn Säcke Weizen und die alte Stute, die er zum Verkauf mitgebracht hatte. Aus dem Gesichte seiner Tochter konnte man ersehen, daß es ihr nicht besonders angenehm war, neben dem mit Mehl und Weizen beladenen Wagen herumlungern zu müssen. Sie hätte lieber dahin gewollt, wo unter Leinwandzelten rote Bänder, Ohrringe, Kreuze von Zinn und Messing und Schmuckdukaten kokett aufgehängt waren. Aber auch hier fand sie viel Dinge zu beobachten: es ergötzte sie höchlich, wie ein Zigeuner und ein Bauer einander den Handschlag gaben und dabei selbst vor Schmerz aufschreien mußten; wie ein betrunkener Jude einem Frauenzimmer von hinten Püffe versetzte; wie zankende Händlerinnen einander mit Schlägen und Schimpfworten überschütteten; wie ein Moskowiter sich mit der einen Hand sein Ziegenbärtchen strich und mit der anderen ...... Aber da fühlte sie, wie sie jemand am gestickten Ärmel zupfte. Sie wandte sich um — und der Bursche im weißen Kittel und mit den hellen Augen stand vor ihr. Sie erbebte, ihr Herz schlug so heftig, wie es noch nie, bei keiner Freude und keinem Schmerz geschlagen hatte: Wunderlich und lieblich zugleich ward ihr zumute, und sie konnte sich selbst nicht erklären, was mit ihr geschah.

„Fürchte dich nicht, Herzchen, fürcht’ dich nicht!“ sprach er halblaut zu ihr und ergriff ihre Hand: „Ich will dir nichts Schlimmes sagen!“

„Es mag schon sein, daß du mir nichts Schlimmes sagen willst,“ dachte die Schöne bei sich, „aber mir ist so wunderlich zumute ... das ist sicher der Satan! Ich weiß ja selbst, daß sich’s nicht schickt ... aber mir fehlt die Kraft, meine Hand fortzuziehen.“

Der Bauer drehte sich um und wollte seiner Tochter etwas sagen, aber da hörte er plötzlich aus nächster Nähe das Wort: „Weizen!“ fallen. Dieses magische Wort veranlaßte ihn im Nu, sich an zwei laut miteinander sprechende Handelsmänner zu wenden, und seine Aufmerksamkeit konnte nun durch nichts mehr abgelenkt werden. Die Handelsmänner unterhielten sich über den Weizen und sprachen folgendermaßen.

III.

Schau, was für ein Kerl da steht!

So gibt’s wenige auf der Welt.

Schnaps säuft der wie süßen Meth!

Kotljarewski „Äneas“.

Du glaubst also, daß unser Weizen sich schlecht verkaufen wird, Landsmann,“ sagte der eine Mann, nach seinem Äußeren zu urteilen ein zugereister Kleinbürger, in geteerten, fettigen und fleckigen Hanfleinwandhosen, offenbar der Bewohner irgendeines winzigen Städtchens, zu dem anderen, der einen blauen, stellenweise etwas geflickten Kittel trug, und dessen Stirn eine riesige Beule schmückte.

„Was soll ich da groß von denken: ich will mir ’ne Schlinge um den Hals legen und an diesem Baum hier hin und her baumeln wie die Wurst vor Weihnachten in der Stube, wenn wir auch nur ein Maß verkaufen!“

„Was schwatzst du da, Landsmann? Wir sind doch hier die einzigen Weizenleute,“ erwiderte der Mann mit den Leinwandhosen.

„Ihr könnt reden, was ihr wollt!“ dachte der Vater unserer Schönen, der sich kein Wort vom Gespräch der beiden Handelsleute entgehen ließ: „Ich habe meine zehn Säcke im Vorrat!“

„Das stimmt ja, aber wenn der Teufel sich ins Spiel mischt, richtet man gerad so viel aus, wie bei einem hungrigen Moskowiter,“ sprach der Mann mit der Beule auf der Stirn bedeutungsvoll.

„Was für ein Teufel?“ fragte der Mann mit den Leinwandhosen.

„Hast du nicht gehört, was die Leute da reden?“ fuhr der mit der Beule auf der Stirne fort und sah ihn mit seinen mürrischen Augen von der Seite an.

„Nun?“

„Nun? Was ‚nun‘? Der Präsident — möge er sich doch nach der Rahmspeise die Lippen nicht mehr wischen können! — Der Präsident hat einen ganz verdammten Ort für den Jahrmarkt ausgesucht, auf dem wird man kein Körnchen los, und wenn man platzt! Siehst du dort am Berge die verfallene Scheune?“ (Hier rückte der neugierige Vater unserer Schönen noch näher und wurde ganz Ohr.) „In dieser Scheune treibt der Teufel sein Spiel, und an diesem Ort verläuft kein Jahrmarkt ohne Unglück. Gestern geht da spät abends der Gemeindeschreiber vorbei und plötzlich sieht er — aus der Luke ein Schweinemaul herausgucken: das grunzte so, daß es ihn ganz kalt überlief. Bald wird uns noch der rote Kittel heimsuchen.“

„Was für ein roter Kittel?“

Hier sträubten sich unserem aufmerksamen Zuhörer die Haare. Voller Angst drehte er sich um und sah, wie sein Töchterchen und der Bursche ruhig dastanden, sich umarmt hielten, ein Liebesliedchen sangen und alle Kittel der Welt vergessen hatten. Das zerstreute seine Angst und gab ihm seine frühere Sorglosigkeit wieder.

„Hehe! Landsmann! Du verstehst dich aber aufs Küssen! Ich habe es erst drei Tage nach der Hochzeit gelernt, meine selige Chwesjka zu küssen, und auch das nur dank dem Gevatter: der hat’s mich als Brautführer gelehrt!“

Der Bursche merkte sofort, daß der Vater seiner Liebsten da stand, und begann in Gedanken Pläne zu schmieden, wie er ihn für sich gewinnen könne.

„Du bist sicher ein guter Mensch, du kennst mich zwar nicht, aber ich habe dich gleich erkannt!“

„Kann schon sein.“

„Wenn du willst, kann ich dir deinen Vor- und Zunamen nennen und dir auch alles andere sagen: du heißt Solopi Tscherewik!“

„Stimmt!“

„Sieh mich mal recht an, erkennst du mich nicht wieder?“

„Nein. Nimm’s mir nicht übel, ich erkenne dich nicht! Ich habe mein Lebtage so viel Fratzen gesehen, daß nur der Teufel sich auf alle besinnen könnte!“

„Schade, daß du dich nicht mehr auf Golupupenkos Sohn besinnst!“

„So bist du der Sohn des Achrim?“

„Wer denn sonst? Bin ich etwa der kahlköpfige Satan?“

Da faßten beide an die Mütze, und es begann ein gegenseitiges Abschmatzen; Golupupenkos Sohn beschloß sofort, ohne viel Zeit zu verlieren, seinen neuen Bekannten zu überfallen.

„Sieh mal, Solopi, deine Tochter und ich, wir lieben uns und wollen immer beieinander bleiben!“

„Nun, Paraßka,“ sagte Tscherewik zu seiner Tochter und lachte, „vielleicht solltet ihr wirklich, wie man so sagt, gemeinsam ..... auf einer Weide grasen! Nun, schlag ein! Trinken wir eins darauf, mein Herr nagelneuer Schwiegersohn!“

Und alle drei zogen miteinander zur wohlbekannten Jahrmarktsschenke — in die Bude des Judenweibes — die mit einer zahlreichen Flotille von Kruken und Flaschen jeder Art und jeden Alters angefüllt war.

„Brav, brav — alle Achtung!“ rief Tscherewik lustig, als er sah, wie sein künftiger Schwiegersohn sich ein Glas, das ein Viertelmaß faßte, vollschenkte, es, ohne eine Miene zu verziehen, auf einen Zug hinuntergoß und dann das Glas in Stücke schmiß. „Nun, was sagst du, Paraßka? Was ich dir für einen Bräutigam ausgesucht habe! Schau, schau, der säuft wie ein Held! ...“

Und lachend und sich hin und her wiegend, schwankte er mit ihr bis zu seinem Wagen. Unser Bursche strich die Budenreihen ab, vor denen sogar Kaufleute aus Gadjatsch und Mirgorod, jenen beiden so berühmten Städten des Gouvernements Poltawa, standen; er wollte sich eine Holzpfeife mit Messingbeschlag, ein rotgeblümtes Tuch und eine Mütze kaufen; als Hochzeitsgeschenke für den Schwiegervater und die anderen, wie es sich nun einmal gehörte.

IV.

Hältst dich wohl für einen Mann,

Aber rückt ein Weibsbild an,

Dann setzt’s Senge .......

Kotljarewski.

He, Frauchen, ich habe einen Bräutigam für unsere Tochter gefunden!“

„’s ist wohl gerad die rechte Zeit, sich einen Bräutigam zu suchen! Du Dummkopf du, mußt wohl dein Leben lang ein Dummkopf bleiben! Wo hast du gesehen oder wo hast du gehört, daß ein anständiger Mensch jetzt hinter einem Bräutigam herläuft? Hättest du doch lieber daran gedacht, den Weizen loszuwerden. Das wird ein schöner Bräutigam sein! Sicher ist’s der zerlumpteste aller Habenichtse!“

„Ach was, davon ist keine Rede! Du solltest nur mal sehen, was das für ein Bursche ist! Sein Kittel allein kostet mehr als deine grüne Jacke und die roten Stiefel zusammengenommen. Und wie der großartig Schnaps saufen kann! ..... Der Teufel hole mich mit dir zusammen, wenn ich je gesehen habe, daß ein Bursche ein halbes Maß hinuntergießt, ohne mit der Wimper zu zucken .....“

„Ei freilich, also ein Trunkenbold und ein Landstreicher wie du! das würde dir so passen! Ich möcht’ darauf wetten, daß es derselbe Lümmel ist, der uns auf der Brücke angerempelt hat. Schade, daß ich ihn bis jetzt noch nicht erwischt habe — ich hätte ihm schon was gezeigt!“

„Und wenn’s nun wirklich derselbe wäre, Chiwrja? Warum soll er denn ein Lümmel sein?“

„Warum soll er kein Lümmel sein? Ach du hirnloser Schädel! So hör doch — warum soll er denn kein Lümmel sein! Wo hattest du denn deine kreuzdummen Augen versteckt, als wir an den Mühlen vorbeifuhren? So einem Mann kann man wahrhaftig geradeswegs vor seiner, mit Tabak beschmutzten Nase die eigene Frau beleidigen, und er kümmert sich nicht drum!“

„Ich kann nichts Schlimmes dabei sehen: der Junge ist großartig! Höchstens, daß er dir die Fratze mit Mist vollgekleistert hat!“

„Aha! Ich sehe schon, du willst mich nicht mehr zu Worte kommen lassen! Das wär’ mir noch was Neues! Du hast wohl einen zu viel getrunken, noch bevor du überhaupt etwas verkauft hast!“

Unser Tscherewik merkte jetzt selbst, daß er in seiner Rede zu weit gegangen war, und bedeckte schnell den Kopf mit den Händen, da er annehmen mußte, daß die erzürnte Gattin es nicht unterlassen würde, ihre ehelichen Tatzen in sein Haar zu krallen.

„Den Teufel auch, da hast du deine Hochzeit!“ dachte er bei sich, während er die heftig vordringende Gattin abwehrte. „Ich werde dem lieben Kerl ohne allen Grund eine Absage erteilen müssen. Himmel, Herrgott! Wofür strafst du uns arme Sünder so? Es gibt doch schon soviel Unrat, mußtest du auch noch die Weiber in die Welt setzen.“

V.

Bäumlein, Bäumlein, bück dich nicht,

Weil du noch zu fein bist!

Sei nicht bös, Kosakenbursch,

Weil du noch zu klein bist!

Kleinrussisches Lied.

Zerstreut saß der Bursch im weißen Kittel neben seinem Wagen und blickte auf das rings um ihn dumpf rauschende Volk. Die müde Sonne, die Morgen und Mittag ruhig über den Himmel dahingeglüht hatte, verließ nun die Welt, und der erlöschende Tag bemalte sich in berückender Helligkeit mit rotem Gold. Blendend blitzten die Spitzen der weißen Zelte und Buden, von einem kaum merkbaren feurig rosigen Glanz überstrahlt; die Scheiben des zu Haufen aufgestapelten Fensterglases glühten; die grünen Flaschen und die Gläser auf den Tischen der Schankweiber verwandelten sich in Feuer; die Berge von Kürbissen und Melonen schienen aus Gold und dunklem Kupfer gegossen zu sein. Die Gespräche wurden merkbar leiser und dumpfer, und die müden Zungen der Händler, Bauern und Zigeuner regten sich träger und langsamer. Irgendwo glomm ein Feuerchen auf, und ein würziger Dampf von gekochten Klößen verbreitete sich in den immer stiller werdenden Gassen.

„Was sinnst du, Grytzko?“ rief ein hochgewachsener brauner Zigeuner, und schlug unserem Burschen auf die Schulter. „Also gibst du die Bullen für zwanzig her?“

„Du denkst an nichts als an Bullen und wieder Bullen! Ihr Leute wollt nur immer Geschäfte machen und einen ehrlichen Menschen übers Ohr hauen!“

„Pfui Teufel! Im Ernst, bei dir rappelt’s wohl! Vielleicht gar aus Ärger, daß du dir selbst eine Braut zugelegt hast?“

„Nein, so bin ich nicht: ich halte mein Wort. Was ich einmal getan habe, das bleibt ewig bestehn. Aber dieser alte Knaster, der Tscherewik, hat auch nicht für einen halben Heller Gewissen: erst versprochen, dann gebrochen .... Na, ihm kann man keine Schuld geben: der ist ein Klotz und nichts weiter. Das sind alles die Streiche der alten Hexe, die wir Jungen heut auf der Brücke so recht nach Noten ausgeschimpft haben. Ach, wenn ich ein König oder ein großer Herr wäre, ich wär’ der erste, der alle die Dummköpfe an den Galgen brächte, die sich von Weibern in die Kandare nehmen lassen ....“

„Gibst du uns die Bullen für zwanzig, wenn wir Tscherewik zwingen, dir Paraßka zu geben?“

Ganz erstaunt blickte ihn Grytzko an. Die braunen Züge des Zigeuners hatten etwas Boshaftes, Grausames, Niedriges und zugleich Hochmütiges an sich: jeder, der ihn ansah, mußte gestehen, daß in dieser seltsamen Seele große Gefühle brodelten, für die es jedoch nur einen Lohn auf Erden gibt — den Galgen. Den Mund, der zwischen der Nase und dem spitzen Kinn wie eingefallen erschien, umspielte ewig ein giftiges Lächeln, kleine Augen, die lebhaft wie Feuer waren, und ein ewig wechselndes Aufleuchten von Unternehmungen und Plänen im Gesicht, — zu alledem schien nur ein ganz besonderes Kostüm zu passen und zwar gerad ein so sonderbares, wie er es trug. Dieser dunkelbraune Kaftan, der sich bei der geringsten Berührung sicherlich in Staub verwandelt hätte; das lang in Strähnen über die Schultern fallende Haar, die Schuhe an den nackten braunen Füßen, — all das schien mit ihm verwachsen zu sein und seine eigentliche Natur auszumachen.

„Nicht nur für zwanzig, ich geb’ sie dir für fünfzehn, wenn du Wort hältst!“ antwortete der Bursche, ohne seine prüfenden Augen von ihm abzuwenden.

„Für fünfzehn? — Gut! Paß auf und vergiß nicht: für fünfzehn! Hier hast du einen Blauen als Handgeld!“

„Und wenn du lügst?“

„Wenn ich lüge, ist das Handgeld wieder dein!“

„Gut! Also schlag ein!“

„Nun gut, ’s ist recht!“

VI.

Welch ein Malheur: da seh ich Roman kommen, der bringt mir gewiß Schlimmes, aber auch Sie, Herr Choma, kriegen was ab!

Aus einem kleinrussischen Schwank.

Hier, Afannassi Iwanowitsch! Da ist der Zaun etwas niedriger, steigt nur hinüber und habt keine Angst: mein Tölpel ist mit dem Gevatter zu den Wagen gegangen, um dort zu übernachten, damit die Moskowiter nichts stibitzen!“

So ermutigte Tscherewiks gestrenge Herrin freundlich den Popensohn, der sich ängstlich an den Zaun quetschte. Eilig kletterte er hinauf und hing lange und unschlüssig dort oben, wie ein hageres schreckliches Gespenst, mit den Augen abmessend, wo er wohl am besten abspringen könne; endlich plumpste er mit viel Lärm ins Gras.

„O jemine! Habt Ihr Euch nicht weh getan? Habt Ihr Euch nicht am Ende, was Gott verhüte, noch gar das Genick gebrochen?“ jammerte Chiwrja besorgt.

„Pst! es ist nichts passiert, meine Liebe!“ sprach der Popensohn schmerzbewegt im Flüsterton, und sprang wieder auf die Füße: „abgesehen von der Blessur durch die Nesseln, dieses schlangengleiche Kraut, wie unser hochseliger weiser Protopope zu sagen pflegte.“

„Kommt nur in die Stube, es ist niemand da. Ich habe schon gedacht, was hat bloß mein Afannassi Iwanowitsch? am Ende hat er gar das Reißen oder das Magendrücken, er kommt und kommt nicht! Wie geht es Euch? Ich habe gehört, Euer Herr Vater hat jetzt mancherlei schöne Dinge bekommen!“

„Ach, ’ne reine Kleinigkeit, Chawronja Nikiforowna: Väterchen hat während der ganzen Fasten nur etwa fünfzehn Sack Korn, vier Sack Hirse und etwa hundert Laib Brot bekommen; was die Hühner betrifft, so waren’s alles in allem höchstens fünfzig Stück; und die Eier waren zum größten Teil faul. Wahrhaftig, gute Gaben sind nur von Euch zu erwarten, meine Liebe!“ fuhr der Popensohn fort, indem er sie süß ansah und näher rückte.

„Da sind meine Gaben, Afanassi Iwanowitsch!“ sprach sie, während sie die Schüsseln auf den Tisch stellte und geziert ihre Jacke zuknöpfte, die wie zufällig aufgegangen war, „da sind Zuckerfrüchte, Weizenklöße, Krapfen und Strizel!“

„Ich wette darauf, daß dies hier die flinksten Hände aus Evas Geschlecht hergerichtet haben!“ sprach der Popensohn, indem er sich an die Strizel machte und mit der anderen Hand die Krapfen zu sich heranzog. „Aber mein Herz schmachtet nach einer anderen Speise, die süßer ist, als alle Klößchen und Kräpfchen.“

„Ich weiß nicht, was für eine Speise Ihr meint,“ antwortete die wohlbeleibte Schöne, die so tat, als ob sie nicht verstände.

„Natürlich Eure Liebe, meine unvergleichliche Chiwrja!“ sagte der Popensohn im Flüsterton, indem er mit der einen Hand einen Krapfen ergriff und die andere um ihre breiten Hüften legte.

„Weiß Gott, was Ihr Euch nur alles ausdenkt, Afanassi Iwanowitsch,“ sagte Chiwrja, schämig die Augen senkend. „Am Ende wollt Ihr mich gar noch küssen!“

„Was das anbetrifft, so will ich Euch sagen,“ fuhr der Popensohn fort, „als ich gewissermaßen noch auf dem Seminar war — ich erinnere mich noch als wär’ es heute, da ....“

Hier wurde auf dem Hof ein Bellen laut, und jemand klopfte ans Tor. Chiwrja lief eilig hinaus und kam ganz bleich zurück.

„Wir sind verloren, Afanassi Iwanowitsch: ein ganzer Haufen Leute klopft ans Tor, und ich glaube, ich habe die Stimme des Gevatters gehört ....“

Der Krapfen blieb dem Popensohn im Halse stecken .... Seine Augen quollen heraus, als ob eine Erscheinung aus jener Welt ihm soeben ihre Visite abgestattet hätte.

„Kriecht hier herauf!“ rief die erschrockene Chiwrja und zeigte auf die Bretter, die dicht unter der Stubendecke über zwei Balken angebracht waren, und auf denen allerlei Hausgerümpel herumlag.

Die Gefahr verlieh unserem Helden Mut. Er kam wieder zur Besinnung, sprang auf die Ofenbank und kletterte von dort vorsichtig auf die Bretter; unterdessen lief Chiwrja ganz außer sich ans Tor, denn das Klopfen wiederholte sich mit immer größerer Kraft und Ungeduld.

VII.

Das ist ja ein Wunder, mein Herr!

Aus einem kleinrussischen Schwank.

Auf dem Jahrmarkt hatte sich ein sonderbares Ereignis zugetragen: alles war von dem Gerüchte erfüllt, daß irgendwo unter den Waren der rote Kittel aufgetaucht sei. Die Alte, die Brezeln verkaufte, behauptete, den Satan in Gestalt eines Schweines gesehen zu haben, das unaufhörlich unter den Wagen umherschnüffelte, als ob es da irgend etwas suchte. Das Gerücht verbreitete sich schnell an allen Ecken und Enden des nun schon stillen Lagers, und jeder hätte es für ein Verbrechen gehalten, nicht daran zu glauben, obgleich die Brezelverkäuferin, die ihren Stand neben der Bude des Schankweibes aufgeschlagen hatte, den ganzen lieben Tag ohne jeglichen Grund Verbeugungen machte und mit den Füßen ähnliche Linien beschrieb wie ihre leckere Ware. Dazu kamen noch die übertriebenen Gerüchte von dem Mirakel, das der Gemeindeschreiber angeblich nachts in der verfallenen Scheune gesehen hatte, so daß sich alle, als es Nacht wurde, eng aneinander drängten; die Ruh war gestört, und die Angst ließ keinen ein Auge zutun. Die, welche ein Nachtlager in den Häusern haben konnten und nicht sehr wagemutig waren, zogen unter Dach und Fach. Zu diesen letzteren gehörten auch der Gevatter und Tscherewik mit seiner Tochter, die zusammen mit den Gästen, welche ebenfalls ins Haus drängten, das Gepolter verursacht hatten, das unsere Chiwrja so sehr erschreckte. Der Gevatter hatte schon etwas geladen. Das konnte man daraus ersehen, daß er bereits zweimal mit dem Wagen den Hof abgefahren hatte, bevor er sein Haus fand. Die Gäste waren ebenfalls alle schon sehr heiter und traten ganz ohne Umstände vor dem Wirt ins Haus. Die Frau unseres Tscherewik saß wie auf Nadeln, als sie in allen Ecken der Stube umherzuscharren begannen.

„Nun, Frau Gevatter,“ rief der eintretende Hausherr, „wirst du immer noch vom Fieber geschüttelt?“

„Ja, mir ist nicht wohl!“ antwortete Chiwrja, unruhig auf die Bretter unter der Decke blickend.

„So, Frau, hole uns doch das Fäßchen dort vom Wagen!“ sprach der Gevatter zu seiner Frau, die mit ihm gekommen war, „wir wollen eins mit den guten Leuten trinken, die verfluchten Weiber haben einem solche Angst eingejagt, daß es einfach eine Schande ist! Bei Gott, Brüder, wir sind ganz umsonst hierhergekommen!“ fuhr er, aus dem Tonkrug schlürfend, fort. „Ich setz’ eine neue Mütze zum Pfand, daß die Weiber uns zum besten gehalten haben. Und wenn es auch Satan wäre, — was ist denn das, der Satan? Spuckt ihm auf den Kopf! Wenn er, beispielsweise jetzt im Augenblick hier vor mir erschiene: ich will ein Hundesohn sein, wenn ich ihm nicht einen Nasenstüber versetze!“

„Warum bist du denn auf einmal so bleich geworden?“ rief einer der Gäste, der alle anderen einen Kopf hoch überragte und sich stets als Held aufspielte.

„Ich? ..... Was fällt dir ein! Du träumst wohl!“

Die Gäste lachten. Ein zufriedenes Lächeln glitt über das Gesicht des prahlmutigen Helden.

„Warum soll denn der bleich werden!“ fiel da ein anderer ein: „seine Backen blühen ja wie Mohn; jetzt sieht Zibulja nicht mehr wie eine Zwiebel aus, sondern wie eine rote Rübe, oder richtiger wie der rote Kittel selbst, der die Leute so erschreckt hat!“

Das Fäßchen wurde auf den Tisch gerollt und machte die Gäste noch lustiger. Unser Tscherewik, der schon lange von dem Gedanken an den roten Kittel gequält wurde, und dessen neugieriger Geist keinen Augenblick Ruhe fand, machte sich an den Gevatter heran.

„Sag mir doch, Gevatter, sei so gut, ich frage und frage und kann’s nicht herausbekommen, was für eine Bewandtnis es mit dem verdammten Kittel hat!“

„He, Gevatter! Das sollte man eigentlich nicht zur Nacht erzählen; aber um dir einen Gefallen zu tun und den guten Leuten da (dabei wandte er sich zu den Gästen), die, wie ich merke, die Geschichte genau so wie du kennen lernen wollen — Meinetwegen, also hört!“

Er kratzte sich die Schulter, wischte sich am Rockschoß ab, legte beide Arme auf den Tisch und begann:

„Einst wurde — ob er nun etwas verschuldet hatte oder nicht, das weiß ich bei Gott nicht — ein Teufel aus der Hölle gejagt .....“

„Wieso denn, Gevatter?“ unterbrach ihn Tscherewik. „Wie ist das bloß möglich, daß ein Teufel aus der Hölle gejagt wird?“

„Was kann man da machen, Gevatter! Man jagt ihn heraus und fertig! — wie ein Bauer seinen Hund aus der Stube jagt. Vielleicht hatte ihn die Lust überkommen, eine gute Tat zu tun: nun, da hat man ihn eben hinausgeworfen. Da ward dem armen Teufel so bang zumute, und er begann sich so nach der Hölle zu sehnen, daß er sich am liebsten aufgehängt hätte. Was war zu machen? Vor Kummer warf er sich aufs Saufen, er nistete sich in der verfallenen Scheune ein, die du dort am Berge gesehen hast, und an der jetzt kein guter Mensch vorübergeht, ohne vorher das Zeichen des heiligen Kreuzes zu machen, und der Teufel wurde zu so einem Säufer, wie man ihn selbst unter den Burschen kaum finden kann: vom frühen Morgen bis zum späten Abend saß er nur immer in der Schenke ......“

Hier unterbrach der gestrenge Tscherewik wiederum unseren Erzähler:

„Gott, was du da redest, Gevatter! Wie ist denn das möglich, daß jemand den Teufel in die Schenke hineinläßt? Er hat doch, Gott sei gelobt, Krallen an den Tatzen und Hörner auf dem Kopf.“

„Das ist’s ja eben! er hatte eine Mütze aufgesetzt und Däumlinge angezogen. Wie sollte man ihn da wohl erkennen? Er fing an, ein lustiges Leben zu führen und endlich kam es so weit, daß er alles versoffen hatte, was er bei sich trug. Der Schankwirt gab ihm längere Zeit Kredit, aber endlich hörte er damit auf. Da war der Teufel gezwungen, seinen roten Kittel fast für ein Drittel des Wertes bei dem Juden zu versetzen, der damals auf dem Jahrmarkt zu Sorotschintzy den Schnapsausschank in Besitz hatte. Er versetzte ihn also und sprach: „Gib acht, Jude, genau nach einem Jahre hole ich mir den Kittel wieder, heb ihn wohl auf!“ — und weg war er, wie in die Erde gesunken. Der Jude sah sich den Kittel genau an: solches Tuch war in Mirgorod nicht zu bekommen, und die rote Farbe brannte wie Feuer, daß man sich an ihr gar nicht satt sehen konnte. Nun wurde es dem Juden aber zu viel, den Termin abzuwarten. Er kratzte sich die Schläfenlöckchen, und nahm einem zugereisten Pan ganze fünf Dukaten für den Kittel ab! denn den Termin hatte der Jude schon längst vergessen. Einmal, so gegen Abend, kam da ein Mensch angerückt: „Nun Jude, gib mir meinen Kittel!“ Der Jude erkannte ihn zuerst nicht, aber dann tat er so, als ob er ihn nie gesehen hätte: „Was für einen Kittel? Ich weiß von keinem Kittel!“ Jener ging seiner Wege, aber gegen Abend, als der Jude, der seine Bude schon geschlossen und das Geld in den Kästen gezählt hatte, ein Bettuch umnahm und nach Judenart zu Gott zu beten anfing, — da hörte er ein Geräusch .... Sieh da — aus allen Fenstern gucken Schweineschnauzen herein .....“

Hier wurde tatsächlich ein undeutlicher Laut hörbar, der dem Grunzen eines Schweines sehr ähnlich war; alle erbleichten ... Der Schweiß trat dem Erzähler auf die Stirn.

„Was gibt’s!“ fragte Tscherewik ganz erschrocken.

„Es ist nichts!“ .... antwortete der Gevatter, der am ganzen Leibe zitterte.

„Ah!“ rief einer der Gäste.

„Hast du was gesagt?“ ......

„Nein!“

„Wer hat da gegrunzt?“

„Ach Gott, warum sind wir nur so erschrocken? Es war ja nichts!“

Alle begannen sich scheu umzusehen und die Winkel abzusuchen. Chiwrja war mehr tot als lebendig. „Ach was seid ihr doch für Weiber, was seid ihr für Weiber!“ rief sie laut aus: „Ihr wollt Kosaken und Männer sein! Man sollte euch ein Spinnrad in die Hände geben und an den Rocken setzen! Einem von euch ist wohl, mit Verlaub zu sagen, eine Sünde entfahren, oder die Bank hat unter jemandem geknarrt, und ihr springt in die Höhe, als ob ihr halb toll seid!“

Das beschämte unsere Helden und gab ihnen neuen Mut. Der Gevatter schlürfte aus dem Krug und erzählte weiter: „Der Jude war fast tot vor Schreck; aber die Schweine krochen auf ihren Beinen, die so lang wie Stelzen waren, in die Fenster, machten ihn im Nu mit dem dreischwänzigen Kantschu wieder lebendig und ließen ihn höher springen, als dieser Balken da oben ist. Der Jude fiel auf die Knie und gestand alles ein. Aber der Kittel war nicht so schnell wieder zu finden. Der Pan war unterwegs von einem Zigeuner bestohlen worden, der den Kittel an eine Händlerin verkauft hatte. Die brachte ihn wieder auf den Jahrmarkt von Sorotschintzy, aber von Stund an wollte niemand etwas bei ihr kaufen. Die Händlerin wunderte sich lange Zeit, aber endlich kam sie der Sache auf den Grund. Sicher hatte der rote Kittel an allem schuld; daher fühlte sie auch immer, wenn sie ihn anzog, daß sie etwas drückte. Ohne lange zu überlegen, warf sie ihn ins Feuer — aber der Teufelsrock wollte nicht brennen! .... „Ah so, das ist also ein Teufelsgeschenk!“ Die Händlerin war so klug, ihn einem Bauern unter den Wagen zu schieben, der Butter zum Verkauf brachte. Der Dummkopf war hocherfreut, aber niemand fragte mehr nach seiner Butter. „O weh, da haben mir böse Hände den Kittel da unter den Wagen gesteckt!“ Er ergriff eine Axt und hackte ihn in Stücke; aber sieh da, ein Stück kriecht zum andern, und wieder ist’s ein ganzer Kittel! Er bekreuzigte sich, schlug noch mal darauf, streute die Stücke auseinander und machte sich davon. Und seit jener Stunde geht jedes Jahr, pünktlich zur Jahrmarktszeit, der Teufel in Gestalt eines Schweines auf dem Platze um, grunzt und sucht die Stücke seines Kittels zusammen. Jetzt soll ihm nur noch der linke Ärmel fehlen. Die Leute hüten sich seitdem vor jenem Orte, und bald werden es zehn Jahre sein, daß dort kein Jahrmarkt mehr gewesen ist. Da muß nun der Böse den Präsidenten reiten, daß er gerade hier den Jahr......“

Die andere Hälfte des Wortes erstarb dem Erzähler auf den Lippen: krachend sprang das Fenster auf; klirrend flogen die Scheiben herum, und eine schreckliche Schweinsfratze erschien in der Öffnung, die Augen rollend, als ob sie fragen wollte: „Was treibt ihr hier, ihr lieben Leute?“

VIII.

Dem Hunde gleich, dem man den Schwanz geklemmt,

So steht dies Jammerbild, wie Kain zitternd,

Und aus der Nase tropft Tabak aufs Hemd.

Kotljarewski: „Äneas“.

Entsetzen packte alle in der Stube. Der Gevatter saß offenen Mundes da und schien zu Stein erstarrt; seine Augen krochen hervor, als ob sie schießen wollten, und die Finger blieben regungslos in der Luft gespreizt. Der lange Kerl, der so mutig getan hatte, sprang in unverkennbarer Angst bis zur Decke und stieß mit dem Kopf gegen den Balken; die Bretter klafften auseinander, und der Popensohn flog Knall und Fall zu Boden.

„Au! au! au!“ schrie der eine verzweifelt, fiel entsetzt auf eine Bank und zappelte mit Armen und Beinen.

„Hilfe!“ brüllte ein anderer und zog sich schnell seinen Pelz über die Augen.

Der Gevatter, den dieser zweite Schreck aus seiner Erstarrung geweckt hatte, kroch, an allen Gliedern zitternd, seiner Ehefrau unter den Rock. Der lange Maulheld kroch, trotz der kleinen Öffnung, in den Ofen und schlug selbst die Klappe zu. Tscherewik stülpte sich, wie von brühheißem Wasser begossen, statt der Mütze einen Topf über den Kopf, stürzte zur Tür hinaus und rannte besinnungslos, ohne auf den Weg zu achten, wie ein Wahnsinniger durch die Straßen; erst die Ermüdung zwang ihn, seinen schnellen Lauf zu hemmen. Sein Herz ratterte wie eine Mühlenstampfe, und die Schweißtropfen rollten an ihm herunter wie die Hagelkörner. Ganz erschöpft wäre er fast zu Boden gesunken, als er auf einmal hörte, wie jemand hinter ihm herjagte .... Sein Atem stockte ....

„Der Teufel! der Teufel!“ schrie er ganz außer sich, seine Kräfte verdreifachend, und einen Augenblick später stürzte er besinnungslos zu Boden.

„Der Teufel! der Teufel!“ schrie es hinter ihm her: er hörte nur noch, wie etwas lärmend auf ihn herabstürzte; aber da verließ ihn die Besinnung, und er blieb wie der grausige Bewohner eines engen Sarges stumm und reglos mitten auf dem Wege liegen.

IX.

Vorne geht die Sache noch halbwegs,

Aber hinten ist’s der ganze Teufel!

Aus einem Volksmärchen.

Hörst du, Wlas!“ sprach einer von den Leuten, die im Freien geschlafen hatten, nachts aus dem Schlafe auffahrend. „Jemand in der Nähe hat hier ‚Teufel‘ geschrien.“

„Was geht mich das an?“ brummte der neben ihm liegende Zigeuner, sich räkelnd. „Mag er doch nach der ganzen Sippe schreien!“

„Aber er hat doch so geschrien, als ob man ihn abwürgte!“

„Was schreit ein Mensch nicht alles im Schlaf!“

„Na, wie du meinst. Ich geh’ nachsehen. Mach mal Feuer!“

Der andere Zigeuner stand brummend auf, ließ ein paar Funken wie Blitze vor sich aufstieben, blies den Zunder mit dem Munde an und ging mit seinem Lämpchen in der Hand — einer der üblichen kleinrussischen Lampen, die aus einem zerbrochenen Scherben, der mit Hammelfett gefüllt ist, bestehen — die Straße hinunter.

„Halt, hier liegt jemand! Komm her und leuchte mir!“

Noch einige Menschen schlossen sich ihm an.

„Was liegt da, Wlas?“

„Es sieht ganz nach zwei Menschen aus: der eine liegt oben, der andere unten; wer von ihnen der Teufel ist, weiß ich nicht!“

„Wer liegt oben?“

„Ein Frauenzimmer!“

„Dann ist das der Teufel!“

Ein allgemeines Gelächter weckte fast die ganze Straße.

„Ein Frauenzimmer ist auf einen Kerl raufgekrochen, na, die versteht das Kutschieren!“ sprach einer aus der herumstehenden Menge.

„Seht doch bloß, Brüder!“ sprach ein anderer und hob einen Scherben des Topfes auf, von dem nur noch die eine Hälfte auf dem Kopfe Tscherewiks ganz geblieben war. „Was der gute Mann sich für eine Mütze aufgesetzt hat!“

Der Lärm und das Gelächter, die immer mehr anschwollen, riefen unsere beiden Toten wieder ins Leben zurück, Tscherewik und seine Frau, die voll Entsetzen über den überstandenen Schreck, mit starrem Blick in die braunen Gesichter der Zigeuner schauten. Beim unsicheren Flackern des Lichts erschienen sie wie ein Haufen Gnomen, umhüllt von einem unterirdisch schweren Qualm in der Finsternis einer tiefen Nacht.

X.

Packe dich, Satansbrut!

Aus einem kleinrussischen Schwank.

Die Frische des Morgens wehte über der erwachten Stadt. Aus allen Schloten stiegen Rauchsäulen der Sonne entgegen. Auf dem Jahrmarkt wurde es wieder lebendig. Schafe blökten, Pferde wieherten, das Schnattern der Gänse und der Händlerinnen erfüllte wieder das ganze Lager — und die schrecklichen Gerüchte vom roten Kittel, die in der geheimnisvollen Stimmung der Dämmerstunde die Menschen in eine solche Angst versetzt hatten, waren mit dem Heraufkommen des Morgens verschwunden.

Gähnend und sich räkelnd schlummerte Tscherewik in der strohgedeckten Scheune seines Gevatters unter Ochsen, Mehlsäcken und Weizen weiter und schien gar keine Lust zu haben, sich von seinen Träumen zu trennen, als er auf einmal eine Stimme vernahm, die ihm ebenso vertraut vorkam, wie der gesegnete Ofen seiner Stube oder die Kneipe einer entfernten Verwandten, die keine zehn Schritt von der Schwelle seines Hauses entfernt war, diese Zufluchtsstätten seiner großen Faulheit.

„Steh auf! Steh auf!“ knurrte die zärtliche Gattin, die ihn aus aller Kraft am Arm zerrte, über seinem Ohre.

Statt jeder Antwort blies Tscherewik die Backen auf und begann mit den Armen zu fuchteln wie ein Trommelschläger.

„Du verrückter Kerl!“ schrie sie und prallte vor dem Schwung seiner Hand, die ihr beinahe ins Gesicht gefahren wäre, zurück.

Tscherewik erhob sich, rieb sich die Augen und sah sich um.

„Hol’ mich der Henker! Aber deine Fratze kam mir wie eine Trommel vor, auf der ich den Zapfenstreich schlagen mußte, mein Täubchen. Akkurat wie die Moskowiter! diese Schweinsfratzen, von denen der Gevatter sagt ....“

„Laß das Tratschen! Geh, führ die Stute auf den Markt. Es ist einfach zum Lachen. Wir sind auf den Jahrmarkt gekommen, und bisher ist noch keine Handvoll Hanf verkauft ....“

„Ja, Frauchen,“ sagte Tscherewik, „jetzt wird man schön über uns lachen!“

„Geh, geh! Man lacht ohnehin über dich!“

„Du siehst ja, ich habe mich noch nicht gewaschen!“ fuhr Tscherewik gähnend und sich den Rücken kratzend fort, um Zeit für seine Faulheit zu gewinnen.

„Du hast dir ja eine recht passende Zeit für deine Reinlichkeit gewählt! Wann war sowas bei dir Sitte? Da ist ein Handtuch für dich, wisch dir deine Fresse ab.“

Sie ergriff etwas, das zu einem Knäuel geballt dalag, und — schleuderte es entsetzt von sich: es war der Ärmelaufschlag eines roten Kittels.

„Geh schon, geh an deine Sachen!“ wiederholte sie, bereits wieder ermutigt, als sie sah, daß ihm vor Angst die Beine gelähmt waren und die Zähne klapperten.

„Das wird ja jetzt ein schönes Geschäft werden!“ brummte er bei sich, während er die Stute losband und sie auf den Platz führte. „Nicht ohne Grund also lag mir’s, als ich zu diesem verfluchten Jahrmarkt fuhr, so schwer auf der Seele, als hatte mir jemand eine krepierte Kuh aufgeladen; und die Ochsen sind ja auch zweimal von selbst mitten auf dem Wege umgekehrt. Und da fällt mir ein, wir sind ja auch am Montag abgereist. Da haben wir die Bescherung! .... Ein schöner Störenfried ist mir dieser verdammte Teufel: Kann er nicht seinen Kittel ohne den einen Ärmel tragen! Aber nein, er gönnt den Leuten ihre liebe Ruhe nicht. Wenn ich beispielsweise, was Gott bewahre, der Teufel wäre, — hätte ich mich da um solch einen verfluchten Fetzen herumgetrollt?“

Hier wurde unser Tscherewik durch eine fette und schrille Stimme in seinem Philosophieren unterbrochen. Vor ihm stand ein großer Zigeuner.

„Was hast du zu verkaufen, guter Mann?“

Der Händler blieb eine Weile stumm, sah ihn vom Kopf bis zu den Füßen an und sagte dann mit ruhiger Miene, ohne stehen zu bleiben oder die Zügel aus der Hand zu lassen: „Du siehst ja selbst, was ich zu verkaufen habe!“

„Riemen?“ fragte der Zigeuner und blickte auf die Zügel in Tscherewiks Hand.

„Jawohl, Riemen — wenn eine Stute ’nem Riemen ähnelt!“

„Potztausend, Landsmann! Du hast sie wohl mit Stroh gefüttert!“

„Mit Stroh?“

Tscherewik wollte eben die Zügel anziehen, um seine Stute vorzuführen, und den schamlosen Beleidiger Lügen zu strafen; aber seine Hand fuhr ihm mit ungewöhnlicher Leichtigkeit ans Kinn. Was sah er! — Die Zügel waren durchgeschnitten, und daran gebunden sah man — oh Entsetzen! Seine Haare standen ihm zu Berge! — den Ärmelfetzen eines roten Kittels! .... Ausspuckend, sich bekreuzigend, und mit den Armen fuchtelnd floh er von dannen vor diesem unerwarteten Geschenk, und verschwand flinker als irgendein junger Bursch in der Menge.

XI.

Wes das Korn, des die Prügel.

Sprichwort.

Haltet ihn! Haltet ihn!“ so schrien einige Burschen am schmalen Ende der Straße, und Tscherewik fühlte, wie er plötzlich von festen Händen gepackt wurde.

„Bindet den Kerl! ’s ist derselbe, der dem guten Mann die Stute gestohlen hat!“

„Gott mit euch, warum wollt ihr mich denn binden?“

„Er fragt noch! Und warum hast du dem fremden Bauern, dem Tscherewik, seine Stute gestohlen?“

„Seid ihr bei Sinnen, Leute? Wo hat man denn je gesehen, daß einer sich selbst etwas stiehlt?“

„Alte Possen, alte Possen! Warum bist du denn so atemlos davongelaufen, als wenn der Satan selbst dir auf den Fersen wäre?“

„Soll man denn nicht laufen, wenn einem der Teufelsrock .....“

„He, Bester, das lüg’ du anderen vor. Du wirst noch was Schönes vom Präsidenten erleben, weil du die Leute mit Teufelsgeschichten erschreckst!“

„Haltet ihn, haltet ihn!“ ertönte da ein Ruf am anderen Ende der Straße, „da ist der Ausreißer!“

Und vor unserem Tscherewik erschien der Gevatter im allerjämmerlichsten Aufzuge, er hielt die Arme auf dem Rücken und wurde von einigen Burschen vorwärts gestoßen.

„Wunder über Wunder,“ rief einer von ihnen.

„Ihr solltet nur hören, was dieser Halunke erzählt. Man braucht ihm doch nur ins Gesicht zu schauen, und man sieht ihm den Dieb an! Als man ihn fragte, warum er so wahnsinnig davonrannte, da sagte er: ‚Ich steckte die Hand in die Tasche, um eine Prise zu nehmen, aber statt der Tabaksdose zog ich ein Stück von dem teuflischen Kittel heraus, und eine rote Flamme sprang auf.‘ — Darum sei er davongerannt!“

„He he! Es sind also beides Vögel aus demselben Nest! Bindet sie alle beide!“

XII.

„Was hab’ ich denn getan, ihr lieben Leute?

Was glotzt ihr mich so an?“ sprach unser Bursche,

„Was spottet ihr und höhnt ihr denn mich Armen?

Warum, warum?“ so ruft er aus und flennt,

Daß ihm die Träne auf der Backe brennt.

Artemowski-Gulak: „Der Herr und der Hund“.

Gevatter, vielleicht hast du in der Tat etwas stibitzt?“ fragte Tscherewik, der zusammen mit seinem Gevatter gebunden in einer Strohhütte lag.

„Also auch du, Gevatter! Hände und Füße sollen mir verdorren, wenn ich je etwas gestohlen habe, höchstens Krapfen mit Rahm bei meiner Mutter, aber auch das nur, als ich erst zehn Jahr alt war.“

„Wofür werden wir denn so gestraft, Gevatter? Bei dir ist’s ja noch nicht schlimm: du wirst doch wenigstens nur beschuldigt, einen anderen bestohlen zu haben; aber mich Unglücksmenschen verleumdet der Satan: ich soll mir selbst ’ne Stute gestohlen haben. Es ist uns wohl nicht beschieden, auch mal ein bißchen Glück zu haben, Gevatter!“

„O weh uns armen Waisen!“

Und die beiden Gevatter fingen heftig an zu schluchzen.

„Was hast du, Tscherewik?“ fragte da Grytzko, der in diesem Augenblicke eintrat. „Wer hat dich gebunden?“

„Ach, Golupupenko, Golupupenko!“ schrie Tscherewik freudig. „Gevatter, das ist der, von dem ich dir erzählt habe. O, das ist ein tüchtiger Kerl! Gott soll mich hier auf der Stelle töten, wenn er nicht einen Krug ausgelutscht hat, so groß wie dein Kopf; und dabei verzog er keine Miene!“

„Nun, Gevatter, und warum hast du einen solchen Prachtkerl abgewiesen?“

„Sieh,“ fuhr Tscherewik zu Grytzko gewandt fort: „Gott straft mich wohl, weil ich mich gegen dich versündigt habe. Vergib mir, lieber Junge! Bei Gott, ich hätte ja alles für dich getan .... Aber was soll man da machen! Der Satan sitzt in meiner Alten!“

„Ich trage nie jemandem Böses nach! Wenn du willst, so befreie ich dich!“

Er winkte den Burschen, und dieselben jungen Leute, die Tscherewik bewacht hatten, eilten herbei, ihn zu entfesseln.

„Nun aber wird Hochzeit gemacht, wie’s sich gehört! Und wir wollen tanzen, daß uns vom Hopsen die Beine ein ganzes Jahr lang weh tun!“

Recht so!“ rief Tscherewik und klatschte in die Hände. „Nun bin ich wieder so vergnügt, als ob meine Alte von den Moskowitern geholt worden wäre! Was ist da viel zu bedenken! Ob’s nun recht ist oder nicht — heute ist Hochzeit und damit Schluß!“

„Nur sieh zu, Tscherewik, in einer Stunde komm’ ich zu dir, und jetzt geh nach Hause, dort warten Käufer auf dich, die deine Stute und den Weizen haben wollen.“

„Wie? Hat sich die Stute gefunden?“

„Ja, sie hat sich gefunden!“

Tscherewik blickte dem Grytzko starr vor Freude nach.

„Na, Grytzko, haben wir unsere Sache gut gemacht?“ fragte der lange Zigeuner den vorübereilenden Burschen. „Jetzt kriege ich doch die Bullen?“

„Ja, ja, du sollst sie haben!“

XIII.

Fürcht dich nicht, lieb Mütterchen,

Zieh die roten Schühchen an.

Tritt mit Füßen

Deine Feinde.

Wenn die Schuh’

Von Eisen klirren,

werden alle Feinde schweigen.

Hochzeitslied.

Das liebliche Kinn auf die Hand gestützt saß Paraßka sinnend allein im Zimmer. Mancherlei Träume umschwirrten ihr blondes Köpfchen. Manchmal berührte plötzlich ein leichtes Lächeln ihre rosigen Lippen, und ein freudiges Gefühl ließ sie die dunklen Brauen emporheben, bald aber senkte sich wieder ein Sinnen wie eine Wolke auf ihre grauen klaren Augen.

„Wie wenn es nun doch nicht so käme, wie er gesagt hat!“ flüsterte sie mit einem Ausdruck des Zweifels. „Wenn er mich nun aber doch nicht bekommt? Wenn .... Nein, nein! Das kann nicht sein! Die Stiefmutter tut alles, was sie will! Kann ich nicht auch tun, was ich will? Mein Trotz ist groß genug! Wie schön ist er doch! Wie wunderbar glühen seine schwarzen Augen! Wie lieb kann er sagen: ‚Paraßja, mein Täubchen!‘ — Wie gut steht ihm der weiße Kittel! Wenn er noch dazu einen hellen Gürtel .... Ja ich will ihm einen machen, wenn wir zusammen in die neue Wohnung ziehen. O wie ich mich darauf freue!“ fuhr sie fort, indem sie ein kleines, mit rotem Papier beklebtes Spiegelchen aus dem Busen zog, das sie auf dem Jahrmarkt gekauft hatte, und in das sie mit geheimem Vergnügen hineinschaute. „Wenn ich ihr später begegne, so grüße ich sie nicht, und wenn sie platzt! Nein, Stiefmütterchen, du hast deine Stieftochter genug geprügelt! Eher wächst Sand auf Steinen, und neigt sich die Eiche wie eine Weide zum Wasser herab, als daß ich mich vor dir neige! Aber ich habe ja ganz vergessen .... ich will doch das Häubchen umbinden; ob es mir wohl gut steht; wenn’s auch der Stiefmutter gehört.“

Sie stand auf, den Spiegel in der Hand und den Kopf über ihn geneigt, und ging behutsam durch die Stube, als fürchtete sie sich hinzufallen; denn statt des Fußbodens sah sie die Decke mit den Brettern, von denen neulich der Popensohn heruntergefallen war, und die Wandborde mit den Töpfen drauf vor sich.

„Ich bin doch wirklich wie ein Kind!“ rief sie lachend aus, „ich hab Angst, einen Fuß vor den andern zu setzen!“

Und sie begann laut mit den Füßen aufzustampfen, immer mutiger und mutiger. Endlich sank ihre linke Hand herab und stemmte sich auf die Hüfte, und sie tanzte, mit den Sporen der Stiefelchen klirrend, drauf los, hielt sich den Spiegel vor und sang ihr Lieblingsliedchen:

Grüne Gräser, grüne Auen,

Wachset nicht zu sehr!

Liebster mit den schwarzen Brauen,

Schmieg dich zu mir her!

Grüne Gräser, grüne Auen,

Wachset nimmermehr!

Liebster mit den schwarzen Brauen,

Schmieg dich näher her!

In diesem Augenblicke blickte Tscherewik durch die Türöffnung, und als er seine Tochter vor dem Spiegel tanzen sah, blieb er stehen. Lange sah er ihr zu, über die seltsame Laune des Mädchens lachend, das ganz in Gedanken versunken, nichts um sich herum zu bemerken schien; als er aber die bekannten Laute des Liedes hörte, da wurde es ihm heiß ums Herz; stolz die Hände auf die Hüften gestemmt, sprang er vor und begann so zu hopsen, daß er all seine andern Geschäfte vergaß. Das laute Lachen des Gevatters ließ beide auffahren.

„Großartig! Vater und Tochter feiern hier selber Hochzeit! Kommt! kommt! der Bräutigam ist da!“

Bei den letzten Worten glühte Paraßka in einem Rot auf, das tiefer war als das, welches das leuchtende Band auf ihrem Kopfe färbte. Dem sorglosen Vater fiel es erst jetzt ein, warum er eigentlich hierher gekommen war.

„Töchterchen, komm schnell! Chiwrja ist vor Freude, daß ich die Stute verkauft habe, fortgelaufen, um sich feine Tücher und allerhand Schmucksachen zu kaufen!“ sprach er und sah sich dabei ängstlich nach allen Seiten um. „Bis zu ihrer Rückkehr wollen wir alles erledigt haben!“

Kaum hatte Paraßka die Schwelle des Hauses überschritten, da fühlte sie sich schon in den Armen des Burschen im weißen Kittel, der sie inmitten einer Menge von Leuten auf der Straße erwartete.

„Gott segne euch!“ sagte Tscherewik, ihre Hände vereinend. „In Glück und Glanz haltet fest wie ein Kranz!“

Da gab’s plötzlich einen Lärm.

„Eher will ich zerspringen, als daß ich das zulasse!“ schrie Tscherewiks Ehehälfte, die von der lachenden Menge zurückgedrängt wurde.

„Wüt nicht so, wüte doch nicht!“ sprach Tscherewik kaltblütig, als er sah, wie ein paar handfeste Zigeuner sich ihrer Arme bemächtigten. „Geschehen ist geschehen! Ich bin nicht für Änderungen!“

„Nein, nein, das darf nicht sein!“ schrie Chiwrja, aber niemand hörte auf sie; ein paar lustige Leute umringten das junge Paar und bildeten eine undurchdringliche, tanzende Mauer um sie.

Ein sonderbares unsagbares Gefühl mußte einen Zuschauer ergreifen, der mit ansah, wie beim ersten Bogenstrich des Fiedelmanns in dem groben Rock, mit dem langgeschweiften Schnurrbart, alles unwillkürlich ein einiges Ganzes bildete und zu friedlicher Eintracht überging. Leute, deren mürrische Gesichter offenbar ihr Lebtag niemals ein Lächeln erhellt hatte, stampften mit den Füßen und warfen die Schultern empor. Alles wirbelte im Tanze durcheinander. Aber ein noch sonderbareres, noch unsagbareres Gefühl mußte in der Tiefe der Seele beim Anblick jener Greisinnen erwachen, über deren uralten Gesichtern schon die Gleichgültigkeit des Grabes wehte — und die sich unter die neuen Menschen drängten, die dem Leben angehörten und dem Lachen. Die Sorglosen! Selbst sie, die keine kindliche Freude und keinen Funken des Mitgefühls kannten, die erst der Rausch, wie ein Mechaniker seine leblosen Automaten, zu einer menschlichen Äußerung zwingt, — selbst sie nickten leise mit den berauschten Köpfen und hüpften ein wenig hinter der lustigen Menge her, ohne auf das junge Paar zu achten.

Das Lärmen, Lachen, Singen verklang zu einem leisen und immer leiseren Summen. Die Fiedel erstarb, ertönte schwächer und schwächer und ließ nur noch ein paar undeutliche Töne durch die leere Luft zittern. Noch hörte man hie und da ein Stampfen, gleich dem Tosen des fernen Meeres, aber bald lag alles wieder öde und stumm da.

Fliegt uns nicht so auch die Freude davon, die schöne und flatterhafte Freundin? Vergeblich sucht ein einsamer Klang, von Lust und Seligkeit zu singen. Im eignen Echo schon vernimmt er die Laute der Trauer und Einsamkeit, und er lauscht ihnen voller Schrecken. Stieben nicht so auch die ausgelassenen Freunde der freien stürmischen Jugend einer nach dem andern in alle Winde und lassen ihren alten Herzensbruder allein? Bang wird dem Verlassenen! Voller Schwermut und Traurigkeit ist sein Herz, doch für ihn gibt es keine Hilfe!

Die Johannisnacht

Eine Sage
Erzählt vom Küster an der —Kirche zu ***

Foma Grigorjewitsch hatte eine merkwürdige Eigentümlichkeit: Er konnte es auf den Tod nicht leiden, ein und dieselbe Geschichte mehrmals erzählen zu müssen. Gab er aber schon einmal den Bitten nach und erzählte etwas zum zweiten Male, dann fügte er entweder hier eine neue Wendung hinzu, oder änderte dort etwas, so daß man die Geschichte kaum wiedererkennen konnte. Einmal hatte einer jener Herren — wir einfachen Leute wissen nicht recht, wie wir sie nennen sollen: Schreiber oder dergleichen, so was ähnliches wie die Makler auf unseren Jahrmärkten; sie kramen, betteln und stehlen sich allerhand Zeug zusammen und senden dann jeden Monat oder gar jede Woche ein Büchelchen so dick wie eine Fibel in die Welt hinaus, — einmal also hatte einer jener Herren unserem Foma Grigorjewitsch die folgende Geschichte hier abgeluchst, und der hatte das ganz vergessen. Aber eines Tages kommt dasselbe Herrchen im erbsengrauen Kaftan aus Poltawa, von dem ich schon einmal sprach, und von dem ihr wohl die eine Geschichte schon gelesen habt, — er kommt also, bringt ein kleines Büchelchen mit, schlägt’s in der Mitte auf und zeigt uns die Sache. Foma Grigorjewitsch war schon im Begriff, seine Nase mit der Brille zu besatteln, aber da fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, ein Stück Faden um sie zu wickeln und Wachs drauf zu kleben, und so gab er denn mir das Buch. Ich verstehe mich nun mal leidlich aufs Lesen und brauche keine Brille, und so begann ich denn. Aber ich hatte noch keine zwei Seiten umgewendet, als er mich fest bei der Hand nahm und unterbrach.

„Halt, sagt mir zuerst, was Ihr da lest?“

Ich muß gestehen, diese Frage verblüffte mich ein wenig.

„Wie, Foma Grigorjewitsch? Was ich da lese? Das ist doch Eure Geschichte, es sind Eure eigenen Worte!“

„Wer hat Euch das erzählt, daß das meine Worte sind?“

„Was wollt Ihr denn noch mehr? Da steht’s doch gedruckt. Erzählt von dem Küster Soundso.“

„Spuckt dem Jungen auf den Kopf, der das darauf gedruckt hat! Er lügt, der Saukerl! Das soll ich gesagt haben? Das ist ja fast so, als hätte der Satan einen Sparren! Hört zu, die muß ich Euch selbst erzählen!“

Wir rückten am Tische zusammen, und er begann.


Mein Großvater (Gott hab’ ihn selig! Möge er in jener Welt nur Weizenbrot und Mohnkuchen mit Meth zu essen bekommen!) mein Großvater verstand es wunderbar zu erzählen. Wenn der erst einmal damit anfing, so mochte man sich am liebsten den ganzen lieben Tag nicht vom Platze rühren und nur immer zuhören. Und er redete nicht etwa wie einer von den heutigen Faselhänsen; wenn so einer anfängt, sein Garn herunter zu spinnen, und dabei noch mit einem Maul, als hätte er drei Tage lang nichts zu essen gekriegt, dann möchte man am liebsten nach der Mütze greifen und davonlaufen. Ich erinnere mich noch, wie wenn es heute wäre, — meine Mutter selig war noch am Leben, — an die langen Winterabende, wenn draußen heftiges Frostwetter herrschte und das schmale Fensterchen unserer Stube dicht mit Schnee verklebte, wie sie da am Spinnrocken saß, mit der Hand den langen Faden zog, mit dem Fuß die Wiege schaukelte und ein Lied dazu sang, das ich jetzt noch im Ohr habe. Das Lämpchen beleuchtete zitternd und wie im Schreck aufflackernd die Stube. Die Spindel surrte; und wir Kinder hörten alle, zu einem Haufen zusammengedrängt, dem Großvater zu, der vor Alter schon über fünf Jahre nicht mehr hinterm Ofen hervorgekrochen war. Aber keiner der wundersamen Berichte aus den alten Tagen von den Ritten der Saporoger, von den Polen, von den kühnen Taten des Podkowa, des Poltora-Koschucha oder des Sagajdatschny ergriffen uns so stark wie die Berichte über eine alte, sonderbare Begebenheit, bei der einem ein Schauer über den Leib lief und das Haar sich sträubte. Manchmal kam eine solche Angst über einen, daß man abends Gott weiß was für Ungeheuer zu sehen meinte. Hattest du mal nachts die Stube verlassen, um etwas zu besorgen, so glaubtest du sicher, es habe sich ein Fremdling aus jener Welt in dein Bett gelegt, um zu schlafen. Ich will auf der Stelle sterben, wenn ich nicht oft meinen eignen Kittel am Kopfende des Bettes für einen zusammengekauerten Teufel hielt. Aber die Hauptsache an den Erzählungen des Großvaters war, daß er sein Lebtag nie gelogen hat, und wie er’s sagte, genau so war es auch.

Eine von seinen sonderbaren Geschichten will ich euch jetzt erzählen. Ich weiß wohl, es werden sich schon etliche Klüglinge finden, die Gerichtsschreiber sind oder gar neumodische Schriften lesen, — welche zwar keinen Deut verstehen, wenn man ihnen ein Stundenbuch in die Hand drückt, — aber dafür um so besser die Zähne zu fletschen wissen. Was man denen auch erzählen mag, sie lachen ja doch. Was hat sich doch jetzt für ein Unglaube in der Welt verbreitet! Gott und die unbefleckte Jungfrau mögen mir beistehen — ihr werdet’s vielleicht nicht glauben: als ich einmal von Hexen sprach — da fand sich doch wahrhaftig so ein Springinsfeld, der nicht an Hexen glauben wollte! Gott sei Dank, ich lebe schon viele Jahre; ich habe schon Menschen gesehen, die solche Heiden waren, daß es ihnen leichter wurde, in der Beichte zu lügen, als unsereinem, eine Prise zu nehmen; aber auch die schlugen vor einer Hexe das Kreuz. Wenn denen einmal im Traum .... na, ich will’s gar nicht erst über die Zunge bringen .... was soll man über sowas noch Redens machen.

Vor vielen vielen Jahren, ’s werden wohl sicher über hundert sein, — erzählte mein Großvater selig — war unser Dorf noch etwas ganz anderes als jetzt! Da war’s noch ein Weiler, der allerärmste Weiler! Zehn ungetünchte und ungedeckte Hütten lagen mitten im Felde verstreut, und es gab weder einen Zaun, noch einen anständigen Schuppen, in dem man Vieh oder einen Wagen hätte unterstellen können. Und die, die so lebten, das waren noch die Reichen, was aber erst unsereiner von der Brüderschaft der Habenichtse für ein Leben hatte, das läßt sich kaum beschreiben! Ein Loch in der Erde — das war das ganze Haus! Nur an dem Rauch konnte man merken, daß da ein Menschenkind unseres lieben Herrgotts hauste. Ihr werdet nun fragen, warum lebten die wohl so? Armut allein war’s nicht, denn damals war fast jeder ein freier Kosak und hatte sich in fremden Ländern nicht wenig Reichtümer erbeutet; nein, man sehnte sich gar nicht nach einem richtigen Hause. Was trieben sich damals nicht allerorts für Menschen herum: Leute aus der Krim, Polen, Litauer usw. Oft geschah es auch, daß man von den eigenen Landsleuten geschunden wurde. Ja ja, da kam mancherlei vor.

In diesem Weiler nun tauchte zuweilen ganz plötzlich ein Mensch oder richtiger gesagt, ein Teufel in Menschengestalt auf. Woher er kam und zu welchem Zwecke — das wußte niemand. Er soff, vergnügte sich, — und auf einmal war er verschwunden, wie wenn er in die Erde gesunken wäre. Dann kam er wieder, wie vom Himmel gefallen, trieb sich auf den Straßen des Dorfes umher, von dem jetzt keine Spur mehr übrig ist, und das vielleicht nicht mehr als hundert Schritte von Dikanka entfernt war, sammelte die ersten besten Kosaken um sich, und dann ging ein Lachen und Singen an: das Geld wurde nur so ausgeschüttet, und der Schnaps rann dahin wie Wasser. Dann ging er zu den Mädchen und schenkte ihnen Bänder, Ohrringe und Perlen — in vollen Haufen! Freilich, so manches Mädel wurde bedenklich bei diesen Geschenken: Weiß Gott, am Ende waren sie in der Tat durch unreine Hände gegangen. Die leibliche Tante meines Großvaters, die damals auf der heutigen Landstraße von Oposchnjani einen Ausschank hatte, in dem Bassawrjuk (so hieß dieser Teufelskerl) oft zechte, pflegte zu sagen, sie würde um keinen Preis in der Welt ein Geschenk von ihm annehmen. Aber wie konnte man wiederum etwas zurückweisen? — Jedem wurde gruselig zumute, wenn er seine borstigen Brauen runzelte und einen finstern Blick auf einen warf, daß man am liebsten ausgerissen wäre; nahm man aber das Geschenk an, so konnte man schon in der nächsten Nacht einen Gast aus dem Moor, einen mit Hörnern auf dem Kopfe, erwarten. Und der würgte einen, wenn man Perlen am Halse trug, biß einen in den Finger, wenn ein Ring darauf steckte, oder riß einer Frau fast den Zopf aus, wenn sie ein Band darein geflochten hatte. Zehn Schritt vom Leibe mit solchen Geschenken! Eine neue Not aber war es, sie los zu werden: Man wirft sie ins Wasser — aber der teuflische Ring oder die Perlen schwimmen oben auf und springen einem wieder in die Hand zurück.

Im Dorfe stand auch eine Kirche, die, wenn ich mich recht besinne, dem heiligen Pantelej angehörte. Damals nun waltete in ihr ein Priester namens Vater Afanassi, seligen Angedenkens. Als er gewahrte, daß Bassawrjuk sogar am Ostersonntag nicht in die Kirche kam, wollte er ihn ausschelten und ihm eine Kirchenbuße auferlegen; aber sieh da, er kam kaum mit heiler Haut davon. „Hör mal, Herr!“ brüllte ihn jener an, „kümmere dich lieber um deine Geschäfte, anstatt dich in fremde zu mischen, wenn du nicht willst, daß dir dein Ziegenhals mit einem heißen Sterbekuchen verkleistert wird!“ Was konnte man mit diesem Gottverdammten anfangen? Vater Afanassi erklärte nun jeden, der mit Bassawrjuk verkehren würde, für einen Römling, und für einen Feind der Christenkirche und des ganzen Menschengeschlechts.

In demselben Dorfe hatte auch ein Kosak namens Korsch einen Arbeiter, den die Leute Peter Heimatlos nannten, vielleicht deshalb, weil er weder seinen Vater noch seine Mutter kannte. Der Kirchenvorstand hatte zwar gesagt, die wären schon in seinem zweiten Lebensjahr an der Pest gestorben; aber die Tante meines Großvaters wollte es nicht wahrhaben und war aus aller Kraft bemüht, ihm Eltern aufzudrängen, obgleich der arme Peter sich geradesoviel um diese Frage kümmerte, wie wir um den vorjährigen Schnee. Sie behauptete, sein Vater befinde sich jetzt noch in der Saporoger Gegend, sei in Gefangenschaft bei den Türken gewesen, habe Gott weiß welche Qualen erdulden müssen, und habe nur durch ein Wunder, als Eunuch verkleidet, Reißaus nehmen können. Die schwarzbrauigen Mädels und die jungen Weibsleute scherten sich wenig um seine Verwandtschaft. Sie äußerten nur, wenn man ihm einen feinen Rock — etwa einen neuen Schupan — anzöge, einen roten Gürtel umlegte, eine neue Mütze aus schwarzem Lammfell mit einer schmucken blauen Kappe aufsetzte, ihm einen türkischen Säbel an die Seite schnallte, und in die eine Hand einen langen Degen und in die andere eine hübsch eingefaßte Pfeife gäbe — dann würde er alle andern Burschen in die Tasche stecken. Aber der arme Petrusj besaß alles in allem nur einen einzigen grauen Kittel, der mehr Löcher hatte, als mancher Jude Dukaten in der Tasche. Doch das wäre noch nicht schlimm gewesen, was schlimm war, war vielmehr dies: der alte Korsch hatte ein Töchterchen, eine Schönheit, wie ihr sie wohl kaum je gesehen habt. Die Tante des seligen Großvaters pflegte zu erzählen, — und ihr wißt ja, ein Weib wird, mit Verlaub zu sagen, eher den Teufel küssen, als eine andere schön nennen, — daß die runden Bäckchen des Kosakenmädchens so frisch und glänzend waren wie die allerzarteste rote Mohnblume, die sich in Gottes Tau gebadet hat und nun aufleuchtet, ihre Blättchen ausbreitet und sich vor der aufgehenden Sonne putzt. Wie schwarze Schnürchen, die die Mädchen heutzutage bei den Hausierern in den Dörfern für ihre Kreuze und Schmuckdukaten kaufen, so zart schwangen sich die Brauen über ihren Augen, als spiegelten sie sich in ihrem klaren Kristall. Ihr Mündchen, nach dem der ganzen jungen Welt von damals der Mund wässerte, schien wie geschaffen für die Gesänge einer Nachtigall. Ihr Haar, schwarz wie Rabenfittiche und weich wie junger Flachs (denn damals flochten es die jungen Mädchen noch nicht zu kleinen Zöpfchen, durch die sie sich jetzt hübsche bunte Bänderchen ziehen) fiel in vollen Locken auf den goldbestickten Überwurf herab. Ei, da soll mich doch Gott von der Kanzel nie wieder das Hallelujah singen lassen, wenn ich sie nicht auf der Stelle abküssen möchte, und wenn auch der alte Wald auf meinem Schädel schon so ziemlich grau ist, und meine Alte sich mir an die Seite heftet, wie ein Star ins Auge. Na, wenn ein Bursch und ein Mädel nah beieinander wohnen .... ja, da wißt ihr schon, was draus wird. Man konnte stets in aller Herrgottsfrühe den Abdruck der Stiefeleisen auf der Stelle sehen, wo Pidorka mit ihrem Petrusj gestanden hatte. Korsch hätte immer noch nichts Schlimmes geahnt, aber einst, — und das kam durch nichts anderes als durch die List eines Teufels — da fiel es Petrusj ein, ohne sich genauer im Flur umzusehen, sozusagen von ganzer Seele einen Kuß auf die rosigen Lippen des Kosakenmädchens zu pressen. Und dieser selbe Teufel, — mag doch der Hundesohn vom heiligen Kreuz träumen! — ritt den alten Knasterbart, daß er gerade zu dieser Zeit die Tür öffnete. Korsch stand da wie ein Holzklotz, sperrte den Mund auf und mußte sich an die Tür lehnen. Der verdammte Kuß schien ihn vollkommen betäubt zu haben. Er kam ihm lauter vor als der Schlag eines Mörserstößels auf ein Brett, mit dem zu unserer Zeit die Bauern in Ermangelung von Pulver und Flinte den Festschmaus zu Ehren Johannes des Täufers begleiten. Als er wieder zu sich gekommen war, nahm er seine Nagaika aus Urväter Zeiten von der Wand und wollte sie schon auf den Rücken des armen Peter niedersausen lassen, da erschien auf einmal Pidorkas sechsjähriges Brüderchen Iwasj, kam erschreckt herbeigelaufen, umschlang seine Beine mit den Händchen und schrie: „Vater, Vater, schlag den Petrusj nicht!“ Was war da zu machen? Ein Vaterherz ist nicht von Stein: er hing die Nagaika an die Wand und führte ihn leise aus dem Zimmer hinaus. „Wenn du dich jemals wieder hier im Hause sehen läßt oder auch nur am Fenster, so höre, Petrusj: Bei Gott, dein schwarzer Schnurrbart ist dahin und auch deine Kosakenlocke, die du dir doppelt ums Ohr wickelst, — ich will nicht Terenti Korsch sein, wenn sie nicht von deinem Schädel Abschied nimmt!“ Bei diesen Worten versetzte er ihm einen leichten Stoß in den Nacken, so daß Petrusj Hals über Kopf hinausflog. So weit hatten sie es mit dem Küssen gebracht. Ein schwerer Kummer überfiel unser Täubchen; dazu ging noch im Dorfe das Gerücht um, zu Korsch ins Haus käme ein goldbeladener Pole mit Schnurrbart, Säbel und Sporen, dessen Taschen so klirrten wie der Klingelbeutel, den unser Meßner Taras täglich in der Kirche umgehen läßt. Nun man weiß ja, wozu man einen Vater besucht, der eine schwarzäugige Tochter hat. Einmal schlang Pidorka die Arme um ihren Bruder Iwasj: „Iwasj, mein Liebling, bester Iwasj! Lauf zu Petrusj, mein goldenes Kind, rasch wie ein Pfeil vom Bogen schnellt, und erzähl ihm alles: ich möchte seine grauen Augen liebkosen und sein weißes Antlitz küssen, aber das Schicksal will es nicht. Manches Tuch habe ich mit meinen heißen Tränen benetzt, mir ist so bang und so schwer ums Herz. Mein eigner Vater ist mir feind und zwingt mich, dem ungeliebten Polen in die Ehe zu folgen. Sag ihm, man bereite schon die Hochzeit vor, doch es soll keine Musik auf unserer Hochzeit geben, und nur die Küster werden plärren, statt daß Zither und Schalmei erklingen. Und nicht werde ich mit meinem Gemahl zum Tanze gehen, sondern hinaustragen wird man mich aus dem Hause. Dunkel und düster wird mein enges Haus sein — aus Ahornbrettern wird es gezimmert sein, und statt eines Schlotes wird ein Kreuz auf dem Dache stehn!“

Wie versteinert und ohne sich von der Stelle rühren zu können, hörte Petrusj das unschuldige Kind Pidorkas Worte nachlallen. „Dacht’ ich Unglücklicher nicht schon daran, in die Krim oder ins Türkenland zu ziehen, mir Gold zu erbeuten und mit vielen Gütern beladen zu dir zurückzukehren, du meine Schönste? Doch es sollte nicht sein. Ein böser Blick hat uns getroffen. Wohl werden wir Hochzeit feiern, mein teures Fischlein du, aber kein Küster wird auf unserer Hochzeit singen — statt eines Popen krächzt mir zu Häupten ein schwarzer Rabe, das weite Feld wird mein Haus und die graue Wolke mein Dach sein; meine grauen Augen hackt der Adler aus; der Regen wird mir die Kosakenknochen bleich waschen, und der Sturmwind wird sie austrocknen. Doch was tu ich? Wem klag’ ich was vor? Gott hat’s wohl so angeordnet! Verloren ist verloren!“ — Und stracks zog er in die Schenke.

Die Tante meines seligen Großvaters war nicht wenig erstaunt, als sie Petrusj in der Schenke sah, und dazu noch zu einer Zeit, wo ein braver Mensch zur Frühmesse geht. Sie glotzte ihn mit ihren Augen an, wie wenn sie noch im Schlafe läge, als er einen Krug — oder richtiger fast einen halben Eimer voll Branntwein bestellte. Allein vergebens suchte der Ärmste seinen Kummer zu ertränken. Der Schnaps brannte ihm auf der Zunge wie Nesseln und dünkte ihn bitterer als Wermut. Weit von sich warf er den Krug zu Boden. Da dröhnte es im Baß über seinem Kopfe: „Laß doch das Trauern, Kosak!“ Er schaut auf: Es war Bassawrjuk! Uh, welche Fratze! Der hatte Haare wie ein Borstenvieh und Augen wie ein Bulle! „Ich weiß, was dir fehlt: das da!“ rief er und klirrte teuflisch grinsend mit seiner ledernen Geldkatze, die ihm am Gürtel hing. Petrusj erbebte. „Hehe, wie die glühen!“ brüllte er und schüttete sich die Dukaten auf die Hand. „Hehe, die klimpern! Und doch heißt’s nur eine einzige Tat vollbringen, um einen ganzen Berg solcher Schnipsel!“ — „Satan!“ schrie da Petrusj. „Her damit! Ich bin zu allem bereit!“ Beide gaben sich den Handschlag und waren einig. „Sieh, Petrusj, du kommst gerade zur rechten Zeit: morgen ist Johannistag. Nur in dieser einen Nacht des Jahres treibt das Farnkraut Blüten. Du darfst es nicht verpassen. Ich erwarte dich um Mitternacht in der Bärenschlucht.“

Ich glaube, die Hühner warten nicht so auf den Augenblick, wo ihnen die Hausfrau Krumen streut, wie Petrusj auf den Abend wartete. Immerwährend blickte er aus, ob die Baumschatten nicht länger würden, ob nicht die tief herabgesunkene Sonne in Purpur erglömme, und je länger er wartete, um so ungeduldiger wurde er. Wie lange dauerte das doch! Gottes Tag konnte wohl kein Ende finden. — Nun ist die Sonne fort. Nur noch auf einer Seite rötet sich der Himmel noch. Und schon erlischt er. Es wird kälter im Felde; dunkler und dunkler wird’s, und alles liegt in nächtlicher Finsternis da. Endlich! Das Herz wollte ihm schier aus der Brust springen, als er sich auf den Weg machte und mit Vorsicht durch den dichten Wald zu dem tiefen Grunde herabstieg, der Bärenschlucht genannt wurde. Bassawrjuk wartete schon auf ihn. Es war so finster, daß man die Hand vor den Augen nicht sah. Hand in Hand schlichen sie durch die Sümpfe des Moors, verfingen sich im dichten Gestrüpp und strauchelten fast bei jedem Schritte. Endlich fanden sie einen ebenen Platz. Petrusj sah sich um: Er war noch nie hier gewesen. Auch Bassawrjuk blieb stehen.

„Siehst du: da vor dir liegen drei Hügel. Viel mannigfache Blumen wachsen dort; doch alle Mächte der Welt mögen dich bewahren, auch nur eine zu pflücken. Kaum aber erblüht der Farn, so greif nach ihm und blick dich nicht um, was du auch hinter dir dünken magst.“

Petrusj wollte noch etwas fragen .... aber jener war verschwunden. Er ging auf die Hügel zu: wo waren die Blumen? Es war nichts zu sehen. Schwarz lag das wilde Steppengras da und überwucherte alles mit seinem Gestrüpp. Da blitzte ein Wetterleuchten auf, und vor ihm erschien ein ganzes Beet voll wundersamer und nie gesehener Blumen; darinnen sah er auch die einfachen Blätter des Farnkrautes. Voller Zweifel stemmte Petrusj beide Hände in die Hüften und stellte sich nachdenklich vor sie hin.

„Was ist denn Wunderbares dabei? Zehnmal des Tages sehe ich solches Kraut: was ist denn das für ein Mirakel? Am Ende macht sich die Teufelsfratze nur über mich lustig!“

Auf einmal aber glüht ein kleines Knöspchen rot auf und rührt sich wie wenn es lebendig wäre. Seltsam fürwahr! Rührt sich, wird immer größer und größer und glüht heiß wie eine rote Kohle. Da flammte ein Sternchen auf, etwas knisterte leise, und vor seinen Augen entfaltet sich die Blume wie eine Flamme, loht leuchtend auf und überstrahlt alles rings herum.

„Jetzt ist’s Zeit,“ dachte Petrusj und streckte die Hand aus. Aber siehe, da strecken sich noch hundert andere zottige Hände nach der Blume aus, und hinter ihm läuft raschelnd etwas von Ort zu Ort. Er drückte die Augen zu, riß am Stengel, und die Blume blieb in seiner Hand. Alles verstummte. Da tauchte Bassawrjuk, auf einem Baumstumpf sitzend, empor: ganz bläulich wie eine Leiche. Er rührte keinen Finger, seine Augen waren starr auf etwas gerichtet, das nur ihm allein sichtbar war; sein Mund stand halb offen, aber er sprach nichts. Ringsum rührte sich nichts. Wie furchtbar war Petrusj zumute! .... Aber nun vernahm Petrusj ein Pfeifen, daß ihm das Herz im Leibe erstarrte, und es kam ihm so vor, als ob das Gras summe, und die Blumen sich mit dünnen Stimmchen unterhielten, die wie silberne Glöcklein klangen. Die Bäume donnerten grollend durcheinander .... Bassawrjuks Antlitz wurde auf einmal lebendig. Seine Augen funkelten. „Endlich ist sie da, die Hexe,“ grunzte er durch die Zähne. „Petrusj schau, bald wird dir eine schöne Frau erscheinen: Tu alles, was sie dir befiehlt, sonst bist du auf ewig verloren!“ Er zerteilte das Dickicht mit einem Knotenstock, und vor ihnen erschien ein Häuschen, das auf Hühnerfüßchen stand, wie es im Märchen heißt. Bassawrjuk schlug mit der Faust dagegen, und die Wand wankte. Ein großer, schwarzer Hund kam winselnd herausgelaufen, verwandelte sich plötzlich in eine Katze und warf sich ihnen entgegen. „Tobe nicht, wüte nicht, alte Teufelin,“ rief Bassawrjuk und würzte seine Rede mit so einem Wörtlein, daß sich ein rechtschaffener Mensch dabei die Ohren zugestopft hätte. Da wurde die Katze zu einem alten Weibe mit einem so runzligen Gesicht wie ein gebratener Apfel, und krümmte sich wie ein Bogen; Nase und Kinn glichen einem Nußknacker. „Welch herrliche Schönheit!“ dachte Petrusj, und es überlief ihn kalt. Die Hexe riß ihm die Blume aus der Hand, beugte sich über sie, flüsterte einen langen Spruch vor sich hin und besprengte sie mit einer unbekannten Flüssigkeit. Funken stoben aus ihrem Munde, und Schaum trat ihr auf die Lippen. „Wirf sie hin“, rief sie, indem sie ihm die Blume reichte. Petrusj warf die Blume hin, aber — o Wunder: die Blume fiel nicht gleich zur Erde, sondern leuchtete lange wie eine Feuerkugel mitten im Dunkel und segelte wie ein Kahn durch die Luft; endlich begann sie sich leise zu senken und fiel so fern von ihnen herab, daß das Sternchen kaum mehr zu sehen war und nicht größer erschien, denn ein Mohnkorn. „Hier!“ krächzte die Alte dumpf, und Bassawrjuk reichte ihm einen Spaten hin und rief: „Grabe hier nach, Petrusj! Da wirst du so viel Gold finden, als weder du noch Korsch je geträumt haben!“ — Petrusj spie sich in die Hände, ergriff den Spaten, trat mit dem Fuß darauf und wühlte die Erde auf, einmal, noch einmal, ein drittes Mal, noch einmal .... Da stieß er auf etwas Hartes! .... Der Spaten klirrte und wollte nicht tiefer in die Erde hinein. Jetzt begannen seine Augen plötzlich ganz deutlich eine kleine, eisenbeschlagene Kiste wahrzunehmen. Schon wollte er sie mit der Hand erfassen, aber die Kiste begann immer tiefer und tiefer in die Erde zu sinken, und hinter sich vernahm er ein Lachen, das dem Zischen von Schlangen glich. „Nie sollst du das Gold erschauen, ehe du nicht Menschenblut herbeischaffst!“ rief die Hexe und führte auf einmal ein etwa sechsjähriges Kind vor ihn hin, das mit einem weißen Tuch bedeckt war; sie deutete ihm mit Zeichen an, er müsse dem Kinde den Kopf abhacken. Petrusj erstarrte. Ist’s denn eine Kleinigkeit, so mir nichts, dir nichts einem Menschen den Kopf abzuhacken, und dazu noch einem unschuldigen Kinde! Wütend riß er das Tuch vom Kopfe, und was sah er? Vor ihm stand Iwasj! Das arme Kind stand mit gekreuzten Händchen und gesenktem Köpfchen da .... Wie ein Rasender sprang Petrusj mit dem Messer auf die Hexe los und erhob die Hand ....

„Was versprachst du, für das Mädchen zu tun?“ donnerte ihn Bassawrjuk an, und versetzte ihm einen Schlag in den Rücken, der ihn traf wie ein Schuß. Die Hexe stampfte mit dem Fuße, und eine blaue Flamme sprang aus dem Boden. Das Innere der Erde strahlte auf und war wie aus Glas, und alles in der Erde wurde so deutlich sichtbar, gleich als läge es auf der flachen Hand! In Kisten und Kesseln waren Dukaten und Edelsteine haufenweise aufgestapelt, genau unter der Stelle, auf der sie standen. Des Petrusj Augen brannten, .... sein Verstand verfinsterte sich .... wie ein Toller packte er das Messer, und das unschuldige Blut spritzte ihm in die Augen. Ein teuflisches Gelächter toste auf allen Seiten. — Widerwärtige Ungeheuer sprangen scharenweise vor ihm auf und ab. Wie ein Wolf, die Hände in den enthaupteten Leichnam gekrallt, sog die Hexe das Blut. In Petrusj Kopf kreiste alles, und mit dem Aufwand seiner letzten Kräfte begann er zu laufen. Alles vor ihm versank in rotes Licht. Alle Bäume brannten in rotem Blut und stöhnten. In Rotglut getaucht wankte der Himmel hin und her. Feuerflecke zuckten glimmend vor seinen Augen auf. Entkräftet lief er bis in seine Hütte, sank dort zu Boden wie eine Ähre und ein totenähnlicher Schlaf umfing ihn.

Zwei Tage und zwei Nächte schlief Petrusj, ohne zu erwachen. Als er am dritten Tage wieder zu sich kam, betrachtete er lange alle Ecken und Winkel seiner Stube, doch vergeblich suchte er sich an die Begebenheiten der letzten Zeit zu erinnern: sein Gedächtnis glich der Tasche eines alten Geizhalses, aus der man keinen Heller herauslocken kann. Nachdem er sich ein wenig gereckt hatte, vernahm er plötzlich zu seinen Füßen ein Klirren. Sieh da: vor ihm lagen zwei Säcke voll Gold. Erst jetzt erinnerte er sich wie in einem Träume, daß er einen Schatz gesucht hatte, und wie es grausig im Walde gewesen war .... Aber um welchen Preis er ihn erhalten hatte, darauf konnte er sich durchaus nicht mehr besinnen.

Sowie Korsch die Säcke erblickte, da wurde er seidenweich. „Petrusj, so ein Herzensjung’, den sollt’ ich nicht lieben? Der war mir doch stets wie mein eigner Sohn!“ Und der alte Knurrhahn begann so zu schwefeln, daß dem Petrusj die Tränen in die Augen kamen. Da lief Pidorka bestürzt herbei und begann zu erzählen, Iwasj sei von vorbeiziehenden Zigeunern gestohlen worden. Aber Petrusj konnte sich nicht einmal mehr auf ihn besinnen, so sehr stand er im Banne des verdammten Teufelsspukes! Nun war keine Zeit mehr zu verlieren. Der Pole wurde vor die Tür gesetzt, und man feierte Hochzeit: da wurden Kuchen gebacken, Wäsche genäht, man rollte ein Fäßchen Schnaps herbei, das junge Paar ward an den Tisch gesetzt, das Hochzeitsgebäck aufgeschnitten, da klimperten Harfen und die Saiten des Zymbals, es kreischten die Schalmeien und die Zithern summten — und die Lustbarkeit begann ....

Ein Hochzeitsfest aus alten Tagen ist nicht mit einem in unserer Zeit zu vergleichen. Die Tante meines Großvaters erzählte — hei juchhei! Ei wie da die Mädels im prächtigen Kopftuch mit den gelben, blauen und rosa Bändern und der Goldtresse daran darauf lossprangen. Sie hatten feine Hemden an, deren Nähte mit roter Seide bestickt waren und die kleine silberne Blümchen zierten, und hohe Saffianstiefelchen, die mit Hufeisen beschlagen waren; stolz wie Pfauen flogen sie gleich einem Wirbelwind rauschend durchs Zimmer. Wie da die jungen Frauen eine nach der anderen hervortraten mit ihrem bootsartigen Kopfputz, dessen Kappe aus Brokat gewirkt war, mit einem Nackenausschnitt, durch den das goldene Häubchen mit den zwei herabbaumelnden Zipfelchen aus feinstem schwarzen Lammfell hervorguckte, in ihren blauen Ueberwürfen aus herrlichstem Seidenstoff mit roten Aufschlägen — ei wie sie da gar würdig, die Hände auf die Hüften gestützt, eine nach der anderen hervortraten, und im Takt ihren Hopak tanzten. Wie da die Burschen in ihren hohen Kosakenmützen, in feinen Tuchkitteln mit silbergesticktem Gürtel, und die Pfeife zwischen den Zähnen um sie herum scharwenzelten und ihr Licht durchaus nicht unter den Scheffel stellten! Korsch selbst konnte beim Anblick des jungen Volkes nicht mehr an sich halten und legte los wie in alten Tagen. Mit der Harfe in der Hand, aus der Pfeife paffend und ein Lied vor sich hin singend, so begann der Alte, mit dem Schnapsglas auf dem Kopf, beim lauten Geschrei der lustigen Kumpanei seinen Hopser herunter zu stampfen. Was die nicht alles in ihrer Lustigkeit anstifteten! Schon wenn man anfing, Mummenschanz zu treiben, Gott, was gab’s da nicht alles. Das war eine ganz andere Mummerei als auf unseren heutigen Hochzeiten. Was macht man denn heute? Man verkleidet sich als Zigeunerinnen und Moskowiter, das ist alles! Nein, damals verkleidete sich einer als Jude und der andere als Teufel; erst küßte man sich, und dann packte man einander beim Schopf .... Ich bitt’ euch, das gab ein Lachen, daß man sich den Bauch halten mußte. Oder man legte türkische und tatarische Gewänder an, die da glühten wie das reine Feuer .... Und wenn man erst wirklich anfing, Unsinn und Schabernack zu treiben .... das war geradezu zum Platzen! Mit der Tante meines verstorbenen Großvaters, die mit auf dieser Hochzeit war, begab sich eine drollige Geschichte. Sie trug damals ein weites tatarisches Kleid und ging mit dem Schnapsglas in der Hand umher, um alle wohl zu versorgen. Da mußte einen der Teufel reiten, daß er sie von hinten mit Branntwein begoß, ein anderer mußte gerade in diesem Augenblick Feuer schlagen, und so setzten sie sie denn lichterloh in Brand. Die Flammen flackerten im Nu hoch auf: die arme Tante begann sich voller Schrecken in aller Gegenwart die Kleider vom Leibe zu reißen .... Was sich da für ein Lärm, Gelächter und ein wildes Durcheinander erhob, rein wie auf einem Jahrmarkt! Kurz, die ältesten Leute konnten sich nicht auf eine so lustige Hochzeit besinnen.

Pidorka und Petrusj begannen ein Leben miteinander wie die feinsten Herrschaften. Alles war in Hülle und Fülle vorhanden, alles blinkte und funkelte nur so .... Doch die lieben Nachbarn, die ihren Wohlstand mitansahen, schüttelten nur den Kopf. „Vom Teufel kommt nichts Gutes!“ sagten sie alle einstimmig. „Woher hat er denn den Reichtum, wenn nicht vom Versucher aller rechtgläubigen Christen? Wo hätte er einen solchen Haufen Goldes wohl hergenommen? Warum ist Bassawrjuk gerade an demselben Tage verschwunden, als Petrusj zu seinem Reichtum kam?“ — Und was die Leute noch alles redeten. Und in der Tat; es war noch kein Monat vergangen, da war Petrusj nicht mehr wiederzuerkennen. Was mit ihm geschehen war, das weiß Gott allein. Sitzt immer auf ein und derselben Stelle fest und redet kein Wort; er grübelt nur immer, als wollte er sich auf etwas besinnen. Wenn es Pidorka gelang, ein Wort aus ihm herauszupressen, sodaß er sich vergaß, ins Gespräch kam und sogar ganz heiter wurde, dann brauchte er nur wie zufällig auf die Geldsäcke zu blicken, und sofort schrie er los: „Halt, halt, ich hab’s vergessen!“ Und wieder verfiel er in Sinnen und quälte sich ab, eine Erinnerung heraufzurufen. Manchmal, wenn er lange Zeit still auf einem Flecke saß, kam es ihm so vor, als ob etwas Längstvergangenes wieder in sein Gedächtnis zurückkehrte .... aber gleich darauf verschwand alles wieder. Es dünkt ihn, er sitzt in der Schenke, man bringt ihm Schnaps, der Schnaps brennt ihm auf der Zunge und widert ihn an; jemand tritt zu ihm — schlägt ihm auf die Schulter, und er .... Aber dann schien alles vor ihm in einen Nebel zu sinken, der Schweiß rann ihm vom Gesicht, und er sank erschöpft wieder auf seinen Platz zurück.

Was auch Pidorka tun mochte: Kluge Frauen befragen, Zinndeuten, Wasser besprechen — nichts wollte helfen. So verging der Sommer. Manch ein Kosak hatte schon sein Korn abgemäht und sein Heu geschnitten; manch kühnerer Kosak war ins Feld gezogen. Schwärme von Enten drängten sich auf unseren Weihern, und der Zaunkönig war schon längst verschwunden. Die Steppen färbten sich rot, Getreidehaufen lagen hie und da verstreut wie Kosakenmützen auf dem Felde. Auf den Wegen konnte man schon Wagen begegnen, die mit Reisig und Holz beladen waren. Die Erde wurde hart, und zeitweise gab es schon Frost. Schon rieselte der Schnee vom Himmel herab, und die Zweige der Bäume waren mit Rauhreif verziert wie mit Hasenpelzchen. Schon stolzierte in klaren Wintertagen der rotbrüstige Gimpel wie ein eitler, polnischer Schlachziz auf den Schneehaufen umher und suchte sich Körner, und die Kinder trieben mit Riesenstäben hölzerne Bälle übers Eis, während ihre Väter ruhig hinter den Öfen lagen und nur ab und zu mit der brennden Pfeife im Munde vors Haus gingen, um tüchtig auf den russischen Frost zu schimpfen, um sich mal auszulüften, oder weil sie das Korn in den Schobern noch einmal durchdreschen wollten. Endlich begann der Schnee zu schmelzen, und der Hecht schlug mit dem Schwanze das Eis auf; Petrusj aber war derselbe geblieben, und nur um so düsterer geworden, je weiter die Zeit vorrückte. Wie angeschmiedet saß er mitten im Zimmer, die Säcke mit dem Golde zwischen den Beinen. Er verwilderte, war ganz und gar mit Haaren bewachsen, und wurde ein wahres Schreckbild; immer denkt er an ein und dasselbe, will sich etwas ins Gedächtnis zurückrufen, grollt mit sich und wütet, daß es ihm nicht gelingt. Oft springt er wild von seinem Sitze auf, fährt mit den Händen umher und heftet seine Augen auf etwas, als ob er es festhalten wollte; seine Lippen bewegen sich, als wollten sie ein längst vergessenes Wort aussprechen und — erstarren ...... Tobsucht packt ihn; wie toll nagt und beißt er an seinen Händen, und voll Grimm reißt er sich ganze Büschel von Haaren aus, bis er wieder still wird, bewußtlos hinsinkt, wieder zu sinnen anfängt; und dann wieder dieselbe Wut, und dieselbe Qual ..... Was für eine Strafe Gottes war das! Was Pidorka durchmachen mußte, das war kein Leben mehr! Zuerst graute sie’s, allein im Hause zu bleiben, aber dann gewöhnte sich die Ärmste an ihr Unglück. Die Pidorka von einst war nicht mehr wiederzuerkennen. Ihr Gesicht hatte weder Farbe noch ein Lächeln mehr; abgehärmt und abgezehrt war’s, ausgeweint waren die klaren Augen. Einst gab ihr jemand aus Erbarmen den Rat, sie solle zu der Zauberin gehen, die in der Bärenschlucht hauste, und von der der Ruf ausging, sie könne alle Gebreste der Welt heilen. Sie beschloß, dies letzte Mittel zu versuchen. Nach vielem Hin und Her überredete sie endlich die Alte, mit ihr mitzugehen. Es war gegen Abend und gerade vor Johannisnacht. Petrusj lag besinnungslos auf der Bank und nahm den neuen Gast gar nicht wahr. Doch bald begann er sich nach und nach aufzurichten und um sich zu blicken. Plötzlich erbebte er wie auf dem Schafott; sein Haar sträubte sich .... und er brach in ein solches Lachen aus, daß die Angst Pidorka ins Herz schnitt. „Ich hab’s, ich hab’s!“ schrie er in fürchterlicher Lustigkeit, schwang das Beil hoch empor und ließ es aus aller Leibeskraft auf die Alte fallen. Das Beil sauste zwei Zoll tief in die Eichentür hinein. Die Alte war verschwunden, und mitten in der Stube stand ein Kind von sieben Jahren in weißem Hemdchen mit verhülltem Haupte .... Das Tuch flog herunter. „Iwasj!“ schrie Pidorka und stürzte auf ihn zu; doch das Gespenst war vom Kopf bis zu Füßen mit Blut bedeckt und erglühte in rotem Lichte, das die ganze Stube in brennendes Rot tauchte. Voller Angst lief sie auf den Flur; als sie wieder ein wenig zu sich gekommen war, wollte sie ihm helfen; aber vergebens! Die Tür war so fest hinter ihr zugeschlagen, daß man nicht imstande war, sie wieder zu öffnen. Die Leute liefen zusammen, begannen zu klopfen, schlugen die Tür ein: Keine Seele war da! Die ganze Stube war voll Rauch, nur in der Mitte, wo Petrusj gestanden hatte, lag ein Haufen Asche, von dem hie und da ein Qualm aufstieg. Man eilte zu den Säcken, darin lagen statt der Dukaten nur zerbrochene Scherben. Mit glotzenden Augen, aufgesperrten Mäulern, und ohne den Mut, sich zu regen, standen die Kosaken wie angewurzelt da. In solche Angst hatte sie dies Wunder versetzt.

Was weiter geschah, das weiß ich nicht. Pidorka legte das Gelübde ab, eine Pilgerfahrt zu machen; sie suchte ihr Hab und Gut zusammen, das ihr vom Vater übrig geblieben war, und war in der Tat einige Tage später aus dem Dorfe verschwunden. Wohin sie sich begeben hatte, das wußte niemand zu sagen. Geschwätzige alte Weiber wollten wissen, sie sei dort, wo auch Petrusj sei; aber ein Kosak, der aus Kiew kam, erzählte, er habe im Kloster eine zum Skelett abgemagerte Nonne gesehen, die immerwährend betete und in der ihre Landsleute allen Anzeichen nach Pidorka wiedererkannt hätten. Bis jetzt, hieß es, habe noch niemand von ihr ein einzig Wörtlein gehört, sie solle allein zu Fuß gekommen sein und habe eine Fassung für das Heiligenbild der Mutter Gottes mitgebracht, eine Fassung, die mit solchen bunten Steinen besetzt gewesen sei, daß allen die Augen flimmerten, wenn sie sie ansähen.

Mit Verlaub, aber damit war noch nicht alles zu Ende. An demselben Tage, als der Böse Petrusj zu sich genommen hatte, tauchte auch Bassawrjuk wieder auf; aber alle mieden ihn von nun ab. Man wußte jetzt, was das für ein Vogel war: niemand anders als der Satan war’s, der Menschengestalt angenommen hatte, um Schätze zu heben; und da unreine Hände nicht Schätze heben können, so lockte er brave Burschen an sich. Noch in demselben Jahre ließen alle ihre Lehmhütten stehen und liegen und zogen ins Kirchdorf; aber auch dort hatte man keine Ruhe vor dem verfluchten Bassawrjuk. Die Tante meines verstorbenen Großvaters erzählte, er habe eine besondere Wut auf sie gehabt, weil sie ihre alte Schenke auf der Landstraße nach Oposchnjany aufgegeben hatte, und er habe mit allen Mitteln versucht, seinen Zorn an ihr auszulassen. Einst waren die Dorfältesten in der Schenke beieinander; sie saßen und unterhielten sich, wie man so sagt, nach Amt und Würden am Tisch, auf dessen Mitte ein gewiß nicht allzu kleiner gebratener Hammel stand. Man schwatzte über dies und jenes, auch über mannigfache Wunder und Ungeheuerlichkeiten. Auf einmal schien’s, und nicht nur einem, — was ja nichts bedeuten würde, — sondern allen, als ob der Hammel den Kopf erhob, die gebrochenen Augen wie lebendig leuchteten, und als ob plötzlich ein borstiger schwarzer Schnurrbart sich auf die Anwesenden zubewegte. Alle erkannten in dem Hammelkopf sofort die Fratze Bassawrjuks, und die Tante meines Großvaters dachte schon, er würde gleich Schnaps bestellen! .... Die guten Leutchen griffen nach ihren Mützen und zogen ihres Weges. Ein anderes Mal sah der Kirchenvorstand in eigener Person, der es liebte, ab und zu ein Stündchen bei Großvaters Schnapsglas zu verbringen, noch ehe er zum zweiten Male das Glas geleert hatte, auf einmal, wie das Glas anfing, sich ehrerbietigst vor ihm bis zur Erde zu verneigen. „Hol’ dich der Teufel!“ rief er und begann sich zu bekreuzigen ..... Aber da widerfuhr seiner Ehehälfte gleichfalls ein Wunder: sie hatte gerade begonnen, Teig in einem mächtigen Trog zu kneten, da sprang der Trog auf einmal in die Höhe. „Halt! Halt! Wohin willst du?“ rief sie. Aber da begann er, die Henkel in die Hüften gestemmt, ehrwürdig in der Stube umherzutänzeln ..... Ja lacht nur! Aber unserem Großvater war’s nicht zum Lachen zumute. Vergeblich ging Vater Afanassi im ganzen Dorfe mit Weihwasser umher und suchte den Teufel durch Besprengen aller Straßen zu vertreiben. Es half nichts. Noch lange klagte die Tante meines verstorbenen Großvaters darüber, daß, sobald es Abend wurde, jemand aufs Dach klopfte und an den Wänden kratzte.

Aber das ist noch nicht alles! Jetzt scheint ja auf der Stelle, wo unser Dorf steht, alles ruhig zu sein; aber es ist noch garnicht so lange her, — mein verstorbener Vater und ich haben es noch erlebt — daß kein ehrenwerter Mensch an der verfallenen Schenke, die noch lange Zeit danach immer wieder von den unreinen Geistern ausgebessert wurde, ohne Furcht vorbeigehen konnte. Aus dem rußigen Schlot schlugen Säulen Qualms empor, die so hoch in die Luft stiegen, daß einem beim Hinaufsehen die Mütze herunterfiel, und aus dem Qualm fielen glühende Kohlen über die ganze Steppe. Und der Teufel — gar nicht nennen dürft’ man den Hundesohn — schluchzte so jämmerlich in seiner Kammer, daß die Aasgeier erschreckt in ganzen Scharen aus dem nahen Eichenwäldchen emporstießen und mit wildem Geschrei am Himmel umherschossen.

Mainacht
oder
Die Ertrunkene

Der Teufel mag wissen wie’s kommt! Machen sich ehrliche getaufte Leute an irgend etwas, so müssen sie sich abrackern, wie der Windhund hinterm Hasen, und kriegen’s doch nie zu fassen. Kommt aber der Böse und wackelt bloß mit dem Schwänzchen — da geht’s auf einmal wie vom Himmel gefallen.

I.
Hanna

Hell wie ein leuchtender Strom ergoß sich ein Lied durch die Straßen des Dorfes ***. Es war die Stunde, da Burschen und Mädchen, matt von des Tages Müh und Sorge, sich lärmend im Kreise versammeln, um im Glanz des reinen Abends ihre Lust in Klängen hinauszujubeln, in denen stets etwas wie eine geheime Trauer mitschwingt. Ganz in Sinnen versunken umschlang der Abend träumerisch den blauen Himmel und wandelte alles in Ungewißheit und Ferne. Schon begann es zu dämmern, aber die Lieder verstummten dennoch nicht. Mit der Harfe in der Hand zieht Lewko einher. Er hat sich von den Sängern weggeschlichen, der junge Kosak, des Dorfamtmanns Sohn. Mit seiner hohen Kosakenmütz’ auf dem Kopfe zieht der Kosak durch die Gasse, zupft mit der Hand die Saiten und tänzelt dazu. Doch nun blieb er vor der Tür eines Häuschens stehen, das niedrige Kirschbäume umstanden. Wes Haus ist dieses? Und wes die Tür? Nach kurzem Verweilen spielte er und sang:

Sonne sinkt, Abend winkt,

Komm zu mir, mein Herzenskind!

„Nein, mein helläugiges Liebchen schläft wohl schon fest,“ sprach der Kosak, indem er sein Lied beendete und ans Fenster trat. „Halja, Halja! Schläfst du, oder willst du nicht zu mir kommen? Du fürchtest gewiß, es könnt’ uns jemand erblicken, oder will sich am Ende gar dein weißes Gesichtchen nicht in die Kälte hinauswagen? Fürcht’ dich nicht, niemand ist in der Nähe; der Abend ist warm. Ja, käm’ auch jemand, ich deck’ dich mit meinem Kittel zu, ich will dich mit meinem Gürtel umwinden, mit meinen Händen bedecken, — und niemand wird uns sehen. Und wehte es selbst eisig kalt, ich drück’ dich noch näher an mein Herz, ich wärm’ dich mit Küssen und zieh meine Mütze über deine weißen Füßchen. Mein Herz, mein Fischchen, mein Kleinod! Schau nur einen Augenblick heraus. Steck nur dein weißes Händchen durchs Fensterchen ... Nein, du schläfst nicht, stolzes Mädchen!“ rief er lauter und in einem Ton, wie ihn wohl jemand findet, der sich über einen Augenblick der Erniedrigung schämt. „Dir gefällt’s, mich zu verhöhnen. Leb’ wohl!“

Er wandte sich ab, schob die Mütze schief aufs Ohr und zog stolz davon, leis die Saiten der Harfe zupfend. Da drehte sich der Holzgriff der Tür, knarrend öffnete sich die Pforte, und ein Mädchen, das etwa siebzehn Lenze zählte, trat, von Dämmerung umwoben, über die Schwelle; scheu sah sie sich um, ohne den hölzernen Griff aus der Hand zu lassen. Ihre hellen Augen leuchteten im ungewissen Dunkel freundlich wie Sternlein; die rote Korallenkette blinkte, und vor den Adleraugen des Burschen blieb nicht einmal die Röte verborgen, die ihr schamhaft über die Wangen flammte.

„Wie ungeduldig du bist!“ sprach sie halblaut zu ihm. „Gleich bist du böse! Warum hast du denn gerade diese Zeit gewählt? Eine Unmenge von Leuten lungert auf den Straßen umher .... ich zittere am ganzen Leibe.“

„O zittere nicht, mein Knöspchen! Drück dich recht fest an mich!“ sprach der Bursch, umarmte sie, streifte die Harfe ab, die ihm an einem langen Riemen um den Hals hing, und ließ sich neben ihr vor der Türe nieder. „Du weißt: dich auch nur eine Stunde nicht zu sehen, ist so bitter für mich!“

„Weißt du, was ich glaube?“ unterbrach ihn das Mädchen und richtete sinnend die Augen auf ihn. „Mir ist’s, als raunte mir jemand ins Ohr, daß wir uns in Zukunft nimmer so oft mehr sehen werden. Die Menschen sind bei euch so schlimm, die Mädchen sehen mich so neidvoll an, und die Burschen .... Fühl’ ich’s doch gar, daß mich die Mutter seit einiger Zeit noch strenger bewacht. Ich will dir’s gestehen, fröhlicher war’s in der Fremde!“

Bei den letzten Worten huschte ein schmerzlicher Zug über ihr Gesicht.

„Du bist kaum zwei Monate in der Heimat, und schon wird dir’s zu lang; bin ich dir vielleicht auch schon zuwider?“

„O nein, du bist mit nicht zuwider!“ sagte sie lächelnd, „ich liebe dich doch, du schöner Kosak! Ich liebe dich um deiner klaren Augen willen, und wenn du mit ihnen auf mich blickst, so lächelt alles in meiner Seele, und ihr wird so wohl und so heiter; ich liebe dich, weil du so freundlich mit dem schwarzen Schnurrbart zuckst, weil du auf der Straße singst und spielst, und lieblich ist’s, dir zuzuhören.“

„O meine Halja!“ rief der Bursch, und drückte sie unter Küssen noch fester an seine Brust.

„Halt ein, Lewko! Sag mir zuerst, hast du mit deinem Vater gesprochen?“

„Was?“ rief er, wie aus dem Schlafe auffahrend, „daß wir uns heiraten wollen? Ich habe mit ihm gesprochen.“ Doch das Wort „gesprochen“ klang voller Bitterkeit in seinem Munde.

„Und nun?“

„Was soll man mit ihm machen? Der alte Tropf stellt sich nach seiner Gewohnheit taub, will nichts hören, und schilt noch, daß ich mich, weiß Gott wo, umhertreibe und mich mit den Burschen in den Straßen vergnüge. Doch verzage nicht, meine Halja! Da hast du mein Kosakenwort drauf, daß ich ihn doch beuge!“

„Ja, Lewko, du brauchst nur ein Wörtlein zu sagen, und alles geschieht nach deinem Willen. Weiß ich es doch von mir: Ich möchte mich dir so manches Mal widersetzen, doch du sagst nur ein Wort, und wider die eigene Absicht tu ich, was du willst. Sieh nur, sieh —“ fuhr sie fort, indem sie den Kopf an seine Schultern lehnte und ihre Augen zur Höhe erhob. Dort blaute der warme unermeßliche Himmel der Ukraine, der unten von den krausen Zweigen der Kirschbäume verhängt war. „Sieh dort, — weit, weit, da blinken Sternchen: eins, zwei, drei, vier, fünf .... Nicht wahr, das sind doch Gottes Engel, die die Fensterchen ihrer hellen Himmelsstübchen aufmachen und uns ansehen? Sie blicken doch auf unsere Erde herab? O, wenn die Menschen doch Flügel hätten wie die Vögel, — und so hinauffliegen könnten, hoch, hoch in die Höhe .... O, wie schrecklich! Keine Eiche ragt bei uns in den Himmel. Aber es soll irgendwo in einem fernen Lande solch einen Baum geben, dessen Wipfel in den Himmel hineinrauscht, und Gott soll auf ihm in der Osternacht zur Erde herabsteigen.“

„Nein, Halja, Gott hat eine lange Leiter, die vom Himmel bis zur Erde reicht. Am Ostersonntag wird sie von den heiligen Erzengeln aufgerichtet, und sowie Gott auf die erste Stufe tritt, da schwirren alle unreinen Geister empor und stürzen zu Haufen herab in die Hölle. Und darum ist zum Fest Christi kein böser Geist auf der Erde.“

„Wie sanft wiegt sich das Wasser hin und her, wie ein Kind in der Wiege,“ fuhr Hanna, auf den Teich weisend, fort, der mürrisch von dunklem Ahorngehölz umstanden war und von den Weiden beweint wurde, die ihre trauernden Zweige in ihn versenkt hatten. Wie ein kraftloser Greis hielt er den ferndunklen Himmel in seinen kalten Armen, überschüttete mit frostigen Küssen die brennenden Sterne, die trübe mitten im warmen Meer der nächtlichen Luft glimmten, in ängstlicher Vorahnung, daß bald der König der Nacht in blendendem Glanz aufleuchten würde. Auf dem Berge schlummerte neben dem Walde ein altes hölzernes Haus mit geschlossenen Läden; Moos und Unkraut bedeckten sein Dach; krausgelockte Apfelbäume wucherten vor den Fenstern, der Wald umarmte es mit seinen Schatten und warf eine wilde Düsternis darauf, und vor ihm breitete sich ein Nußbaumhain aus und glitt zum Teiche herab.

„Ich erinnere mich wie im Traume,“ sagte Hanna, ohne die Augen von ihm abzuwenden. „Vor langer, langer Zeit, als ich noch klein war und bei meiner Mutter lebte, da wurde gar Schreckliches von diesem Hause gesprochen. Lewko, du weißt es sicher, erzähle!“

„Da sei Gott vor! Liebste! Was doch die Weiber und Dummköpfe nicht alles erzählen. Du bringst dich nur um deine Ruhe, du könntest dich ängstigen und nachher nicht gut schlafen!“

„Erzähl, erzähl, liebster, schönster Junge!“ rief sie, preßte ihr Gesicht an seine Wange und umschlang ihn fest. „Nein, du liebst mich nicht! Sicher liebst du noch ein anderes Mädchen! Ich ängstige mich doch nicht — ich schlafe die Nacht über ganz ruhig. Aber wenn du mir’s nicht erzählst, werde ich nicht einschlafen können. Ich werde mich quälen und werde grübeln .... erzähle, Lewko!“

„Die Leute sprechen wohl die Wahrheit, die da sagen, daß ein Teufel in den Mädchen sitzt und beständig ihre Neugier reizt. So höre denn. Vor langer Zeit, mein Herz, da lebte ein Hauptmann in diesem Hause. Dieser Hauptmann hatte ein Töchterlein, ein hübsches Fräulein, so weiß wie Schnee, ganz so wie dein Gesichtchen. Des Hauptmanns Weib war schon lange tot, und der Hauptmann gedachte nun, sich eine andere Frau zu nehmen. ‚Wirst du mich auch liebkosen wie früher, Väterchen, wenn du dir eine andere Frau nimmst?‘ — Freilich, mein liebes Töchterchen, noch fester als früher werd’ ich dich an mein Herze drücken! Glänzendere Ohrringe noch und Perlen werd’ ich dir schenken!“

„Der Hauptmann brachte das junge Weib in sein Haus. Schön war das junge Weib, rosig und weiß war das junge Weib, und doch blickte sie so furchtbar auf ihre Stieftochter, daß die aufschrie bei ihrem Anblick, die strenge Stiefmutter aber sprach den ganzen Tag über kein Wort. So kam die Nacht heran. Der Hauptmann begab sich mit seinem jungen Weibe ins Schlafgemach; und auch das schneeweiße Fräulein schloß sich in ihre Kammer ein. Bitter ward ihr zumute und sie begann zu weinen. Plötzlich sieht sie, wie eine schreckliche Katze auf sie zuschleicht; ihr Fell glüht, und ihre eisernen Krallen schlagen laut auf die Diele. Voll Angst springt sie auf die Bank, — die Katze ihr nach; sie springt auf die Ofenbank, die Katze folgt ihr dort hinauf, und mit einem Male springt sie dem Mädchen an den Hals und beginnt sie zu würgen. Mit einem Schrei riß das Mädchen sie von sich los und schleuderte sie zu Boden. Und wieder schleicht die schreckliche Katze heran. Ein Grausen erfaßt das Mädchen. An der Wand hing ihres Vaters Säbel. Sie packte ihn, und sausend fiel der Hieb, — die Tatze mit den Eisenkrallen flog ab, und die Katze verschwand winselnd in der dunklen Ecke. Den ganzen Tag über verließ die junge Frau ihr Gemach nicht, erst am dritten Tage erschien sie wieder mit einer verbundenen Hand. Da ging dem armen Fräulein eine Ahnung auf, daß ihre Stiefmutter eine Hexe war, und daß sie ihr die Hand abgehauen hatte. Am vierten Tage befahl der Hauptmann seiner Tochter, Wasser herbei zu tragen und das Haus zu fegen wie eine gemeine Magd, und verbot ihr, sich in den herrschaftlichen Gemächern zu zeigen. Der Ärmsten ward so schwer ums Herz, doch was konnte sie tun, sie mußte ja den Willen des Vaters erfüllen. Am fünften Tage jagte der Hauptmann seine Tochter barfuß aus dem Hause, und gab ihr nicht einmal ein Stückchen Brot mit auf den Weg. Da schlug das Fräulein die Hände vor das Gesicht und begann bitterlich zu schluchzen. ‚O mein Vater, in Verderben gestürzt hast du deine eigne Tochter. Die Hexe hat deine sündige Seele ins Verderben gestürzt! Möge Gott dir verzeihen, mir hat Er wohl nicht länger zu leben beschieden ....‘ — Siehst du da ....?“ wandte sich Lewko an Hanna und wies mit dem Finger auf das Haus, „schau hin: dort hinter dem Hause ist das Ufer am steilsten. Von diesem Ufer stürzte sich das Fräulein ins Wasser, und ward seit dem Tage nicht mehr gesehen ....“

„Und die Hexe?“ unterbrach ihn Hanna ängstlich und richtete ihre tränenschweren Augen auf ihn.

„Die Hexe? Alte Weiber haben das Märchen ersonnen, daß seit jener Zeit in mondhellen Nächten alle ertrunkenen Mädchen in den Garten des Hauptmanns kamen, um sich im Mondlicht zu wärmen, und des Hauptmanns Töchterlein war die erste unter ihnen. Eines Nachts erblickte sie ihre Stiefmutter neben dem Teich, fiel über sie her und schleppte sie mit Geschrei ins Wasser. Aber auch diesmal ließ sich die Hexe nicht aus der Fassung bringen, sie verwandelte sich unter dem Wasser in eine von den Ertrunkenen und entkam so der Peitsche aus grünem Schilf, mit der die Ertrunkenen sie schlagen wollten.

Glaub’ einer den Weibern! — Man erzählt auch noch, daß das Fräulein seit jener Nacht die Ertrunkenen um sich sammelt, jeder einzelnen ins Gesicht blickt, und sich abmüht, zu erkennen, welche von ihnen die Hexe sei; aber bis jetzt hat sie es noch nicht erfahren. Und wenn sie einen Menschen in die Hände bekommt, so zwingt sie ihn, die Hexe zu suchen, und droht ihm, ihn sonst zu ertränken. So erzählen die alten Leute, liebe Halja! .... Unser jetziger Pan aber will an dieser Stelle eine Schnapsbrennerei errichten und hat schon eigens dazu einen Brennmeister hergeschickt .... Doch ich höre reden. Die Unsrigen kommen vom Singen zurück. Leb’ wohl, Halja! Schlafe ruhig und denk nicht an diese Weibermärchen.“ —

Mit diesen Worten umschlang er sie noch fester, küßte sie und ging.

„Leb’ wohl, Lewko!“ sprach Hanna und richtete sinnend ihre Augen auf den dunklen Wald.

In diesem Augenblicke begann ein riesenhafter Feuer-Mond majestätisch aus der Erde zu wachsen. Noch lag die eine Hälfte unter der Erde, aber schon erfüllte sich die ganze Welt mit einem feierlichen Lichte. Der Teich sprühte Funken. Der Schatten der Bäume löste sich scharf vom dunklen Grün.

„Leb’ wohl, Hanna!“ tönt es hinter ihr, und ein Kuß begleitete diese Worte.

„Du bist wieder zurückgekehrt?“ sagte sie und schaute sich um. Aber als sie einen unbekannten Burschen sah, wandte sie sich zur Seite.

„Leb’ wohl, Hanna!“ ertönte es da wieder, und wieder küßte sie jemand auf die Wange.

„Hat der Teufel noch einen hierhergeführt!“ rief sie voller Zorn.

„Leb’ wohl, liebe Hanna!“

„Ein Dritter!“

„Leb’ wohl, leb’ wohl, leb’ wohl, Hanna!“ Und von allen Seiten regneten Küsse auf sie herab.

„Das ist ja eine ganze Horde!“ schrie Hanna und mußte sich gewaltsam aus einem großen Haufen von Burschen losreißen, die sie um die Wette umarmten. „Wie ist ihnen nur das ewige Küssen nicht zuwider! Bei Gott, bald darf man sich nicht mehr auf der Straße zeigen!“

Nach diesen Worten schlug die Türe zu, und man hörte nur noch, wie der eiserne Riegel sich klirrend vorschob.

II.
Der Dorfamtmann

Kennt Ihr die Nächte der Ukraine? O Ihr kennt die Nächte der Ukraine nicht. Blickt nur recht tief in sie hinein, versenkt Euch tiefer in ihre Wunder. Mitten vom Himmel herab blickt der Mond; noch gewaltiger als sonst ist die unermeßliche Wölbung des Himmels, dehnt sich noch weiter in unermeßlichen Fernen und scheint brennend und lohend zu atmen. Die ganze Erde liegt in silbernem Lichte da, die wundersame Luft ist von einer schwülen Kühle und Wonne erfüllt, und strömt einen Ozean von Wohlgerüchen aus. Göttliche Nacht! Berückende Nacht! Regungslos und wie begeistert stehen die Wälder in tiefer Finsternis und werfen ungeheure Schatten. Still liegen die Teiche ruhend da; die Kälte und die Finsternis sind düster verkerkert in die dunkelgrünen Mauern der Gärten. Die jungfräulichen Hecken aus Faulbeer und Kirschbäumen strecken scheu ihre Wurzeln in die kühle Flut der Quellen, und ihre Blätter lispeln ab und zu, als ob sie zürnten oder sich empörten, wenn der schöne, flatterhafte Nachtwind schnell herangeschlichen kommt und sie küßt. Die ganze Natur schläft. Oben aber lebt und webt alles in herrlicher Feier. Und auch die Seele breitet sich herrlich aus ins Unermeßliche, und Reigen silberner Visionen steigen aus ihrer Tiefe auf. Göttliche Nacht! Berückende Nacht! Mit einemmal aber wird alles lebendig: Wälder, Teiche und Steppen. Majestätisch rollt das Schmettern der ukrainischen Nachtigall dahin, und man meint, selbst der Mond lausche ihr aus der Mitte des Himmels .... Wie verzaubert schlummert das Dorf auf der Anhöhe. Noch weißer und prächtiger strahlen die Haufen der Häuschen im Mondlichte, noch blendender heben sich ihre niederen Mauern von der Dunkelheit ab. Die Lieder sind verstummt. Alles ist still. Die frommen Leute schlafen schon. Nur hie und da leuchtet ein schmales Fensterchen auf. Auf den Schwellen einzelner Hütten sitzt noch eine Familie und verzehrt ihr spätes Nachtmahl.

„I wo, ein Hopser wird ganz anders getanzt! Also darum ging’s nicht vom Fleck! — Was erzählt der Gevatter da? .... Nun also: Hop, trala! — hop, trala! — hop, hop, hop!“ So sprach ein angeheiterter Bauer mittleren Alters zu sich selbst und begann mitten auf der Straße zu tanzen. „Bei Gott, so wird kein Hopser getanzt! Was soll ich schwindeln? Bei Gott! So nicht! Nun also: Hop trala! — Hop trala! — hop, hop, hop!“

„Der Mensch ist ja ganz närrisch. Wenn’s noch ein junger Kerl wäre, aber so ein alter Bär .... der tanzt bloß den Kindern zum Spott hier nachts auf der Straße!“ rief eine ältere Frau im Vorübergehen, die Stroh in der Hand trug. „Geh nach Haus! Es ist schon längst Schlafenszeit!“

„Ich gehe ja schon,“ sagte der Bauer und blieb stehen. „Ich geh’ ja schon. Ich pfeife auf den Amtmann. Was denkt er sich denn. Der Teufel soll seinen Vater holen. Wenn er Amtmann ist und die Leute bei stärkstem Frostwetter noch mit kaltem Wasser begießt, hat er darum etwa das Recht, so hochnäsig und wichtig zu tun? Ei, ist das mir ein Amtmann! Ich bin mein eigner Amtmann! Gott soll mich schlagen — ich bin mein eigner Amtmann! Jawohl,“ fuhr er fort, „und nicht etwa ....“ Er trat ans erste beste Häuschen heran, blieb vor dem Fenster stehen, und bemühte sich, mit den Fingern über die Scheibe gleitend, den hölzernen Griff zu finden. „Weib, mach auf! Schnell, Weib, ich sage dir, mach auf! Der Kosak will schlafen!“

„Wo willst du hin, Kalenik? du bist an ein fremdes Haus geraten!“ schrien lachend die Mädchen hinter ihm her, die vom fröhlichen Sang heimkehrten. „Sollen wir dir dein Haus zeigen?“

„Zeigt mir’s, meine lieben jungen Damen!“

„Damen? Hört ihr’s?“ rief die eine, „wie artig Kalenik ist! Dafür müssen wir ihm sein Haus zeigen ....! Aber nein, erst tanz uns mal eins vor!“

„Tanzen? .... Ah, ihr schlauen Mädel!“ rief Kalenik gedehnt lachend, mit dem Finger drohend und stolpernd, denn er war etwas unsicher auf den Beinen. „Laßt Ihr euch auch küssen? Ich will euch alle küssen — alle .... alle!“ Und mit wankenden Schritten jagte er hinter ihnen her. Die Mädchen schrieen alle durcheinander; aber bald faßten sie Mut und liefen auf die andere Seite der Straße, als sie merkten, daß Kalenik nicht allzu flink auf den Beinen war.

„Da ist dein Haus!“ schrien sie ihm beim Fortgehen zu und zeigten auf ein Haus, das größer war als die übrigen und dem Dorfamtmann gehörte. Kalenik wankte gehorsam auf jene Seite hinüber und begann dann von neuem auf den Amtmann zu schimpfen.

Wer aber ist denn eigentlich dieser Amtmann, der so böses Gerede über sich erregt? O, dieser Amtmann ist eine wichtige Person auf dem Lande. Bis Kalenik das Ende seines Weges erreicht hat, werden wir wohl Zeit finden, einiges über ihn zu sagen. Alle im Dorfe greifen bei seinem Anblick an die Mütze, und selbst die allerjüngsten Mädchen sagen ihm Guten Tag. Wer im Dorfe möchte nicht Amtmann sein? Dem Amtmann ist der Weg zu allen Tabaksdosen offen, und der kräftige Bauer steht die ganze Zeit über ehrfurchtsvoll mit der Mütze in der Hand da, solange jener seine dicken und groben Finger in seine Tabatiere von Bast steckt. Im Gemeinderat hat der Amtmann immer die Oberhand, obgleich seine Macht noch durch andere Stimmen beschränkt wird, und er heißt fast ganz nach seiner Willkür jeden, der ihm gerade paßt, den Weg ebnen oder einen Graben anlegen. Der Amtmann ist mürrisch, von plumpem Äußeren und redet nicht gern. Vor langer, langer Zeit, als noch die große Zarin Katharina seligen Angedenkens einmal in die Krim reiste, war er auserwählt worden, an ihrem Gefolge teilzunehmen; er bekleidete dieses Amt ganze zwei Tage und hatte sogar die Ehre, auf dem Bock neben dem Kutscher der Zarin sitzen zu dürfen. Seit dieser Zeit weiß der Amtmann würdevoll und sinnend den Kopf zu senken, seinen langen und an der Spitze etwas krausen Schnurrbart zu glätten und drohende Falkenblicke um sich zu werfen. Seit dieser Zeit weiß er auch, worüber man immer mit ihm sprechen mag, stets die Rede darauf zu bringen, daß er die Zarin begleitet und auf dem Kutschbock des kaiserlichen Wagens gesessen habe. Der Amtmann beliebt nur manchmal, sich taub zu stellen, besonders wenn er etwas hören muß, was er nicht gerne hört. Er liebt es nicht, Staat zu machen, trägt stets einen Kittel aus schwarzem Haustuch, umgürtet sich mit einem bunten Wollgürtel, und noch nie hat ihn jemand in einem anderen Kostüm gesehen, ausgenommen vielleicht in der Zeit, wo die Zarin in die Krim reiste, und wo er einen blauen Kosakenrock, den Schupan, trug. Aber auf diese Zeit kann sich wohl kaum jemand aus dem ganzen Dorfe besinnen; den Schupan aber bewahrt er in einem Kasten unter Schloß und Riegel. Der Amtmann ist Witwer; aber in seinem hause lebt eine Schwägerin, die ihm Mittag- und Abendbrot kocht, die Bänke scheuert, die Stube weißt, ihm Hemdentuch webt und sein ganzes Hauswesen leitet. Im Dorfe heißt es, sie sei nicht richtig mit ihm verwandt; aber wir haben ja schon gesehen, daß der Amtmann viele Feinde hat, die ihn gern ein wenig verleumden. Übrigens hat vielleicht der Umstand Anlaß dazu gegeben, daß es der Schwägerin immer mißfiel, wenn der Amtmann aufs Feld ging, wo die Schnitterinnen an der Arbeit waren, oder zu einem Kosaken, der ein junges Töchterchen hatte. Der Amtmann ist einäugig, dafür aber ist sein einsames Auge ein Schelm und kann schon von fern ein hübsches Bauernmädchen erkennen. Doch bevor er sein Auge auf ein niedliches Gesichtchen richtet, sieht er sich erst sorgfältig um, ob ihm die Schwägerin auch nicht zuschaut.

Nun haben wir schon fast alles Notwendige vom Amtmann erzählt, und der betrunkene Kalenik hat noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt. Noch lange traktierte er den Amtmann mit den ausgesuchtesten Worten, die ihm auf seine faule und zusammenhangloses Zeug lallende Zunge kamen.

III.
Ein unerwarteter Nebenbuhler
Die Verschwörung

Nein, Burschen, nein! Ich will nicht! Was soll diese Ausgelassenheit? Wie, wird euch das Tollen nicht zuwider? Wir gelten ohnehin schon für Gott weiß was für Raufbolde. Geht lieber schlafen!“ So sprach Lewko zu seinen fröhlichen Kumpanen, die ihn zu neuen Streichen überreden wollten. „Lebt wohl, Brüder! Gute Nacht!“ Und schnellen Schrittes eilte er davon.

„Schläft meine helläugige Hanna?“ dachte er, als er an das uns schon bekannte, von Kirschbäumen umstandene Häuschen trat. Mitten in der Stille vernahm er ein leises Gespräch. Lewko blieb stehen. Durch die Bäume schimmerte ein weißes Frauengewand .... „Was soll das?“ dachte er, schlich näher heran und versteckte sich hinter einem Baum. Der Mondschein erhellte das Gesicht des vor ihm stehenden Mädchens.

„Hanna?“ Aber wer war der hochgewachsene Mann, der mit dem Rücken zu ihm stand? Vergeblich blickte er nach ihm hin: Der war vom Kopfe bis zu den Füßen in Schatten gehüllt. Nur von vorn fiel etwas Licht auf ihn, aber schon der kleinste und leiseste Schritt setzte Lewko der Unannehmlichkeit aus, entdeckt zu werden. Still an einen Baum gelehnt, blieb er stehen. Das Mädchen hatte ganz deutlich seinen Namen ausgesprochen.

„Lewko? Lewko ist noch ein Milchbart!“ rief der große Mann. „Wenn ich ihn bei dir treffe, reiße ich ihm den Schopf aus ....“

„Ich möchte wohl wissen, welcher Lump damit prahlt, er werde mir meinen Schopf ausreißen!“ sagte sich Lewko still und reckte den Hals empor, um ja kein Wort zu verlieren. Aber der Unbekannte fuhr so leise fort, daß man nichts mehr hören konnte.

„Schämst du dich denn gar nicht!“ sprach Hanna, als er zu Ende geredet hatte. „Du lügst, du willst mich betrügen. Du liebst mich nicht, ich werde dir nie glauben, daß du mich liebst!“

„Ich weiß,“ erwiderte der große Mann, „Lewko hat dir viel unsinniges Zeug vorgeschwatzt und dir den Kopf verdreht!“ (Hier kam es dem Burschen so vor, als sei die Stimme des Unbekannten ihm nicht ganz fremd, und als habe er sie schon einmal gehört.) „Aber ich werd’ es dem Lewko schon zeigen!“ fuhr der Unbekannte fort. „Er glaubt, ich sehe alle seine Streiche nicht, er soll meine Fäuste schon zu kosten bekommen, der Hundesohn!“

Bei diesen Worten konnte Lewko seinen Zorn nicht länger unterdrücken. Er schlich bis auf drei Schritte an ihn heran und holte aus aller Kraft aus, um ihm einen Hieb zu versetzen, dem der Unbekannte trotz seiner offenbaren Stämmigkeit vielleicht nicht standgehalten hätte; aber in diesem Augenblicke fiel das Licht auf des Unbekannten Antlitz, und Lewko erstarrte — er sah seinen eigenen Vater vor sich. Nur ein unwillkürliches Kopfschütteln und ein leises Pfeifen durch die Zähne verrieten seine Verblüffung. Dann vernahm man ein feines Rascheln, Hanna floh eiligst ins Haus und schlug die Tür hinter sich zu.

„Leb wohl, Hanna!“ rief in diesem Augenblick einer der Burschen, der leise herangeschlichen war, und umarmte den Amtmann, aber er prallte entsetzt zurück, als er den struppigen Schnurrbart berührte.

„Leb wohl, mein schönes Kind!“ rief ein anderer, aber dieser flog Hals über Kopf, von einem schweren Stoß des Amtmanns getroffen, zur Erde.

„Leb wohl, leb wohl, Hanna!“ riefen einige Burschen und hingen sich ihm an den Hals.

„Fahrt doch zur Hölle, ihr verdammten Lümmel!“ schrie der Amtmann, indem er sie von sich abwehrte, und stampfte voller Wut mit den Füßen. „Bin ich etwa Hanna? Schert euch hinter euren Vätern her; an den Galgen mit euch, ihr Teufelsbrut! Kleben die fest an einem, rein wie die Bienen am Honig! Ich will euch schon zeigen wer Hanna ist ....“

„Der Amtmann, der Amtmann! ’s ist der Amtmann!“ schrien die Burschen und liefen nach allen Seiten auseinander.

„Ei, ei, Väterchen!“ sprach Lewko, als er sich wieder von seinem Staunen erholt hatte, und blickte dem schimpfend davonziehenden Amtmann nach. „Solche Streiche machst du also? Großartig! Und ich habe mich noch gewundert und immer gedacht, was mag das nur bedeuten, daß er sich immer taub stellt, sobald ich mit ihm von dieser Sache zu sprechen anfange. Halt, alter Graubart, ich will dir schon beibringen, was das heißt, sich vor den Fenstern junger Mädchen herumzudrücken; fremde Bräute abspenstig machen? — na, ich will dir’s schon zeigen! Hollah, Jungens, hierher!“ schrie er, mit der Hand die Burschen zu sich heranwinkend, die sich wieder versammelt hatten und in einem Haufen zusammenstanden. „Kommt doch her! Ich hab’ euch zwar ermahnt, schlafen zu gehen, aber ich hab’s mir wieder überlegt und will gern die ganze Nacht mit euch verbummeln.“

„Das laß ich mir gefallen!“ rief ein breitschultriger und stattlicher Bursche, der als der erste Herumstreicher und Wildfang im Dorf galt. „Mir ist nicht wohl zumute, wenn ich keine Gelegenheit habe, ein paar Streiche zu machen und mich ordentlich auszutoben. Mir ist, als fehlte mir etwas, es kommt mir dann so vor, als hätte ich die Mütze oder die Pfeife verloren, kurz, ich fühle mich nicht mehr als rechter Kosak!“

„Wollt ihr heute den Amtmann mal tüchtig ärgern?“

„Den Amtmann?“

„Ja, den Amtmann. Wahrhaftig! Was denkt sich denn der? Der kommandiert bei uns herum wie ein Hetman! Nicht genug, daß er uns hin und her hetzt wie seine Knechte, nein, er macht sich auch noch an unsere Mädchen heran! Ich glaube, im ganzen Dorfe gibt’s auch nicht ein hübsches Mädchen, mit dem der Amtmann nicht anbändelte.“

„’s ist wahr, ’s ist wahr!“ riefen alle Burschen wie aus einer Kehle.

„Aber, Kinder, was sind wir denn für Kerle? Sind wir nicht Männer von altem Stamm wie er? Wir sind doch gottlob freie Kosaken! Jungens, zeigen wir ihm, daß wir freie Kosaken sind!“

„Ja, ja, wir wollen’s ihm zeigen!“ riefen die Burschen. „Und kommt erst der Amtmann an die Reihe, so wollen wir auch den Schreiber nicht vergessen!“

„Freilich, wir wollen auch den Schreiber nicht vergessen. Gerade eben ist mir so ein hübsches Liedchen auf den Amtmann eingefallen. Kommt, ich will es euch lehren,“ fuhr Lewko fort und schlug mit der Hand die Saiten der Harfe an. „Aber hört: jeder muß sich verkleiden wie sich’s gerad trifft!“

„Los, Kosaken!“ rief der wilde, stämmige Mensch, schlug die Beine zusammen und klatschte in die Hände. „Ist das eine Freude! Das nenn’ ich Freiheit! Wenn das Toben beginnt, so möcht’ ich fast glauben, die alten Tage erständen aufs neue. So herrlich und frei wird einem ums Herz und die Seele fühlt sich wie im Paradies. He, Jungens! Auf, drauf los!“ ....

Und die Menge zog lärmend durch die Straßen. Die frommen alten Frauen, die vom Geschrei geweckt wurden, schoben die Fenster in die Höhe, bekreuzigten sich mit ihren schläfrigen Händen und sprachen: „Ja, ja, jetzt gehen die Burschen bummeln!“

IV.
Die Burschen bummeln

Nur in einem Hause, am Ende der Straße brannte noch Licht. Das war das Haus des Amtmanns. Der Amtmann hatte schon längst sein Nachtmahl beendet und wäre zweifellos schon lange schlafen gegangen, aber er hatte noch einen Gast, den Branntweinbrenner, der von einem Gutsbesitzer, welcher mitten im Kosakenlande ein kleines Gut besaß, hierher geschickt worden war, um eine Schnapsbrennerei zu errichten. Obenan auf dem Ehrenplatze unterm Heiligenbilde, saß der Gast — ein kurzes, dickes Männchen mit ewig lachenden Äuglein, die das ganze Behagen wiederzuspiegeln schienen, mit dem er seine Pfeife rauchte; er spuckte jeden Augenblick zur Seite und preßte den aus der Pfeife kriechenden Tabak, der sich schon zu Asche verwandelt hatte, mit dem Daumen wieder hinein. Dichte Rauchwolken türmten sich schnell über ihm auf und hüllten ihn in ein Kleid von blauem Nebel. Es schien, als ob der breite Schlot einer Schnapsfabrik herunterspaziert wäre, weil er es überdrüssig geworden war, ewig auf seinem Dache zu hocken, und nun artig in der Stube des Amtmanns bei Tisch säße. Dicht unter seiner Nase befand sich ein kurzer dichter Schnurrbart; aber dieser Schnurrbart guckte so undeutlich aus der Tabaksluft hervor, als wäre er eine Maus, die der Branntweinbrenner gefangen hätte und nun im Munde hielte; wie wenn jener die Absicht hätte, das Monopol des Katers auf dem Speicher zu untergraben. Der Amtmann saß als Hausherr in bloßem Hemd und in einer Leinwandhose da; sein Adlerauge begann allmählich zu blinzeln und zu erlöschen wie die Abendsonne. Am Ende des Tisches rauchte einer der Dorfbüttel, die das Kommando des Amtmanns bildeten ein Pfeifchen; er saß aus Respekt vor dem Hausherrn im Kittel da.

„Gedenkt ihr,“ sprach der Amtmann zum Brennmeister gewandt, indem er ein Kreuz über seinen gähnenden Mund machte, „gedenkt ihr die Brennerei bald zu eröffnen?“

„Mit Gottes Hilfe werden wir vielleicht schon in diesem Herbst zu brennen anfangen. Ich wette, zu Mariä Geburt werden der Herr Amtmann schon auf der Straße mit den Beinen die Linien von deutschen Bretzeln beschreiben!“

Bei diesen Worten verschwanden die Augen des Branntweinbrenners, und an ihrer Stelle zogen sich lange Strahlen bis zu den Ohren hin. Der ganze Körper schüttelte sich vor Lachen, und seine lustigen Lippen trennten sich für einen Augenblick von der paffenden Pfeife.

„Das gebe Gott!“ sprach der Amtmann und drückte auf seinem Gesicht so etwas wie ein Lächeln aus. „Jetzt gibt’s Gottlob, wenig Schnapsbrennereien. Aber in alten Zeiten, als ich die Zarin auf der Landstraße von Perejaslawl geleitete, und der verstorbene Besborodko ...“

„An was für Zeiten du auch denkst, Gevatter! Damals konnte man auf dem ganzen Wege von Krementschug nach Romny noch nicht eine Schnapsbrennerei finden. Jetzt dagegen .. hast du gehört, was sich diese verdammten Deutschen ausgedacht haben? Bald wird man, wie es heißt, den Schnaps nicht mehr mit Holz brennen, wie das alle ehrlichen Christen tun, sondern mit irgend einem verteufelten Dampfe!“ ... Bei diesen Worten blickte der Brandmeister nachdenklich auf seine Ellbogen, die er auf den Tisch stützte. „Wie das mit Dampf gemacht werden soll, das weiß ich bei Gott nicht!“

„Was für Narren doch diese Deutschen sind! Lieber Gott erbarme dich!“ sagte der Amtmann. „Die sollten den Knüppel zu kosten kriegen, diese Hundesöhne! Wo hat man je gehört, daß man mit Dampf kocht? Auf diese Art könnte man ja keinen Löffel Borschtschsuppe in den Mund nehmen, ohne sich die Lippen zu verbrühen und auch kein junges Ferkel ....“

„Gevatter,“ rief da die Schwägerin, die mit übereinandergeschlagenen Beinen auf der Ofenbank saß: „Wirst du denn die ganze Zeit über ohne deine Frau bei uns leben?“

„Wozu brauche ich die? Wenn’s noch was Rechtes wär’!“

„Ist sie nicht nett?“ fragte der Amtmann, sein Auge auf ihn richtend.

„Gott bewahre, nett! Die ist so alt wie der Teufel! Und hat die Fratze voller Runzeln wie ein leerer Beutel!“ Und die gedrungene Gestalt des Branntweinbrenners fing wieder an zu wackeln, so laut lachte er.

In diesem Augenblick scharrte jemand an der Tür; die Tür ging auf — ein Bauer trat über die Schwelle, ohne die Mütze abzunehmen, und pflanzte sich mitten in der Stube auf, wie nachdenklich, mit aufgesperrtem Munde die Decke musternd. Es war der uns schon bekannte Kalenik.

„So, nun bin ich zu Hause!“ rief er aus und setzte sich auf eine Bank neben der Tür, ohne im geringsten auf die Anwesenden zu achten. „Wie lang mir der Sohn des Bösen den Weg gemacht hat! Man geht und geht, und es nimmt kein Ende! Die Beine sind einem wie zerschlagen. Weib, gib mir doch den Schafspelz als Unterlage. Weiß Gott, ich kriech’ nicht zu dir auf den Ofen, dazu tun mir die Beine zu weh! Gib ihn mir her. Dort liegt er neben dem Heiligenbilde, aber sieh zu, wirf den Topf mit dem geriebenen Tabak nicht um. Oder nein, laß ihn lieber! Du bist heute vielleicht betrunken .... ich hol ihn mir schon lieber selbst.“

Kalenik wollte sich aufrichten, aber eine unüberwindliche Macht fesselte ihn an die Bank.

„Das gefällt mir,“ sagte der Amtmann, „der kommt in fremde Stuben und benimmt sich ganz wie zu Hause! Schafft ihn nur in Frieden wieder hinaus! ....“

„Laßt ihn ausruhen, Gevatter,“ sprach der Branntweinbrenner, den Amtmann an der Hand zurückhaltend. „Das ist ein nützlicher Mensch: noch mehr solche Leute — und unsere Brennerei geht großartig!“

Es war jedoch nicht Gutmütigkeit, die ihn zu diesen Worten veranlaßte. Der Branntweinbrenner glaubte an allerhand üble Vorzeichen, und einen Menschen, der sich schon gesetzt hatte, davonjagen, das hieß für ihn so viel wie ein Unglück heraufbeschwören.

„Ach ja, das Alter rückt heran ....“ brummte Kalenik und streckte sich auf die Bank hin. „Wäre ich noch wenigstens betrunken! Aber bei Gott, nein, ich bin nicht betrunken! Wozu sollte ich denn flunkern? Und das will ich auch dem Amtmann selbst sagen, wenn’s sein muß! Was ist mir denn der Amtmann? Mag er verrecken, der Hundesohn. Ich spucke auf ihn. Ein Wagen soll ihn überfahren, den einäugigen Teufel! Was hat er den Leuten Wasser auf den Kopf zu gießen, wenn’s friert! ....“

„Oho! Kommt einem so ein Schwein ins Haus gekrochen und legt auch noch die Pfoten auf den Tisch!“ sagte der Amtmann und stand zornig von seinem Platze auf; aber in diesem Augenblicke flog ein gewichtiger Stein, der die Fensterscheibe zerschmetterte, ihm vor die Füße. Der Amtmann blieb stehen. „Wenn ich wüßte,“ sagte er, und hob den Stein auf, „welcher Galgenstrick den Stein da hereingeworfen hat, dem würde ich schon zeigen, was das heißt, Steine werfen! Was für Streiche!“ fuhr er fort, indem er den Stein in die Hand nahm und mit brennendem Blicke musterte. „Er soll ersticken an diesem Stein! ....“

„Halt, halt! Behüt dich Gott, Gevatter!“ fiel der Branntweinbrenner mit bleichem Gesichte ein. „Behüt dich Gott in dieser und jener Welt, jemand mit einem solchen Fluch zu bedenken!“

„Oho, der hat ja einen schönen Beschützer gefunden! Krepieren soll er ....“

„Hör auf, Gevatter! Du weißt wohl nicht, was meiner seligen Schwiegermutter widerfahren ist?“

„Deiner Schwiegermutter?“

„Ja, meiner Schwiegermutter! Eines Abends, es war ein bißchen früher als heute, setzten sie sich zum Abendessen hin: meine verstorbenen Schwiegereltern, der Knecht, die Magd und fünf Kinder. Die Schwiegermutter schüttete ein paar Knödel aus dem großen Kessel in die Schüssel, damit sie ein wenig abkühlten, denn nach der Arbeit waren alle hungrig und wollten nicht warten, bis die Knödel kalt waren. Sie steckten ihre langen Holzstäbe hinein und begannen zu essen. Auf einmal taucht da ein Mann auf und bittet, ihn auch mitessen zu lassen; wer das war, mag Gott wissen. Nun, soll man etwa einem hungrigen Menschen nicht zu essen geben? Man reicht ihm also auch ein Stäbchen. Aber der Gast räumt mit den Knödeln auf wie die Kuh mit dem Heu. Bis jene einen Knödel gegessen und den Stab nach einem zweiten ausgestreckt hatten, war der Boden der Schüssel schon so glatt wie die Diele eines Herrenhauses. Die Schwiegermutter tat noch Klöße hinein; denn sie dachte, nun hat der Gast sich satt gegessen und wird nicht mehr so stark zugreifen. Aber ganz im Gegenteil: er schlang und schlang noch immer gewaltiger, und leerte auch die zweite Schüssel. „Daß du an den Knödeln ersticktest!“ dachte die hungrige Schwiegermutter; aber da drehte sich jener auf einmal um und sank zu Boden. Man stürzte zu ihm hin — aber sein Geist war schon entflohen. Er war erstickt!“

„Geschah ihm ganz recht, dem verdammten Freßsack!“ sagte der Amtmann.

„Schon recht, aber es kam ganz anders: Seit jener Zeit hatte die Schwiegermutter keine Ruhe mehr. Kaum wird’s Nacht, sofort kommt der Tote angerückt. Sitzt rücklings auf dem Schornstein, der Verdammte, und hält einen Knödel zwischen den Zähnen. Am Tage ist alles ruhig, er läßt weder etwas von sich sehen noch hören; kaum aber dämmert es, so braucht man nur auf’s Dach zu blicken und schon reitet der Hundesohn da oben auf dem Schornstein!“

„Mit einem Knödel zwischen den Zähnen?“

„Ja mit einem Knödel zwischen den Zähnen!“

„Wie wunderlich, Gevatter! Ich habe ja auch so was Ähnliches von meiner Seligen gehört ....“

Da aber hielt der Amtmann inne. Vor dem Fenster wurde Geräusch, ein Stampfen und Tanzen laut vernehmbar. Zuerst hörte man die Harfensaiten leise klimpern und dann fiel eine Stimme ein. Die Saiten erklangen stärker, mehrere Stimmen fielen ein — und wie ein Wirbel ertönte rauschend das Lied:

Burschen, habt ihr schon vernommen?

Sind wir wirklich solche Narren?

Unser Amtmann hat bekommen

In dem Schädel einen Sparren!

Böttcher, schlag um unsern Amtmann

Deine festen Eisenreifen!

Böttcher, laß um unsern Amtmann

Ruten, Ruten, Ruten pfeifen!

Unserm Amtmann alt und grau,

Fehlt ein Auge in dem Kopf!

Unser Amtmann ist ’ne Sau,

Schleicht zu Mädels, dieser Tropf!

Läufst du zu den jungen Leuten,

Bleib nur lieber fein zu Haus!

Denk’ mal: wenn sie dich verbläuten

Und den Schopf dir rissen aus! ....

„Ein ausgezeichnetes Lied, Gevatter!“ sagte der Branntweinbrenner, indem er den Kopf etwas auf die Seite neigte und sich an den Amtmann wandte, der bei dieser Frechheit ganz starr vor Staunen geworden war. „Ausgezeichnet! ’s ist nur schade, daß man in nicht ganz anständigen Worten vom Amtmann spricht ...“

Und wieder stützte er mit einer süßlichen Rührung in den Augen die Arme auf den Tisch und bereitete sich vor, weiter zuzuhören, denn vor dem Fenster erdröhnte ein Gelächter, und man vernahm den Ruf: „Noch einmal, noch einmal!“ Ein scharfes Auge hätte jedoch sofort bemerkt, daß nicht das Staunen allein den Amtmann so lange auf einem Fleck festhielt. So läßt oft ein alter erfahrener Kater die junge unerfahrene kleine Maus rings um seinen Schwanz herumlaufen, während er Pläne schmiedet, wie er ihr am besten den Rückzug in ihr Mauseloch abschneiden kann. Noch war das einsame Auge des Amtmanns auf das Fenster gerichtet, aber schon lag seine Hand, die dem Büttel ein Zeichen gegeben hatte, am Holzgriff der Tür; auf einmal erhob sich auf der Straße ein lautes Geschrei ..... Der Branntweinbrenner, zu dessen zahlreichen Vorzügen auch eine gewisse Neugierde gehörte, stopfte rasch den Tabak wieder in seine Pfeife und lief auf die Straße hinaus. Aber die Taugenichtse waren schon auseinandergestoben.

„Nein, du wirst mir nicht entwischen!“ schrie der Amtmann und zerrte einen Menschen in einem schwarzen Schafspelz hinter sich her, dessen Fell nach außen gekehrt war. Der Branntweinbrenner benutzte die Zeit und eilte herzu, um dem Friedensstörer ins Gesicht zu schauen; aber er wich angstvoll zurück, als er einen langen Bart und eine schreckhaft ausgemalte Fratze erblickte. „Nein, du wirst mir nicht entwischen!“ schrie der Amtmann und schleppte seinen Gefangenen in den Flur; ruhig und ohne den geringsten Widerstand zu leisten, folgte ihm der Gefangene, als ob’s sein eignes Haus wäre. „Karpo, mach’ die Kammer auf!“ rief der Amtmann dem Büttel zu. „Wir sperren ihn in die dunkle Kammer! Dann wecken wir den Schreiber, holen die Büttel herbei, fangen all diese Raufbolde ein und urteilen sie heute noch ab!“

Der Büttel klapperte im Flur am Hängeschloß und öffnete die Kammer. In diesem Augenblick machte sich der Gefangene die Dunkelheit im Flur zunutze und riß sich plötzlich mit ungewöhnlicher Kraft aus den Händen, die ihn hielten.

„Wohin?“ rief der Amtmann und packte ihn noch fester am Kragen.

„Laß los, ich bin’s ja!“ hörte man ein dünnes Stimmchen rufen.

„Das nützt dir nichts, das nützt dir gar nichts, Brüderchen! Quiek du nur wie ein Weib oder wie ein Teufel! Mich wirst du nicht übertölpeln!“ Und der Amtmann stieß ihn in die dunkle Kammer, so daß der arme Gefangene aufstöhnend zu Boden fiel. Er selbst begab sich in Begleitung des Büttels ins Haus des Schreibers, und hinter ihnen kam der Branntweinbrenner wie ein Dampfschiff dahergeraucht.

Nachdenklich schritten alle drei mit gesenktem Kopfe dahin, doch auf einmal stießen sie beim Einbiegen in ein dunkles Gäßchen einen Schrei aus — jeder hatte einen mächtigen Schlag vor die Stirn bekommen, und eben solch ein Schrei hallte ihnen zur Antwort entgegen. Der Amtmann kniff sein Auge zu und sah erstaunt den Schreiber mit zwei Bütteln vor sich.

„Ich will gerade zu dir, Herr Schreiber!“

„Und ich wollte gerade zu dir, Herr Amtmann!“

„Es geschehen Wunder, Herr Schreiber!“

„Ja, es gehen Wunderdinge vor, Herr Amtmann!“

„Was denn?“

„Die Burschen toben! In ganzen Scharen treiben sie Unfug auf den Straßen. Sie benennen Euer Gnaden mit solchen Worten .... Man schämt sich, eins davon zu nennen; selbst ein betrunkener Moskowiter würde sich hüten, mit seiner unreinen Zunge sowas auszusprechen! (All diese Worte begleitete der dürre Schreiber, der eine Hanfpluderhose und eine hefenfarbene Weste anhatte, mit einem Vorstrecken und schleunigem Zurückziehen des Halses.) Ich wollte gerade einnicken, da schleppten mich die verdammten Lümmel mit ihren unflätigen Liedern und ihrem Gepolter aus dem Bett! Ich wollte ihnen eine ordentliche Lehre geben, aber bis ich die Hose und Weste angezogen hatte, waren sie wieder nach allen Seiten auseinandergelaufen. Der Rädelsführer ist uns aber nicht entwischt. Jetzt brummt er in der Stube, wo man die Häftlinge festhält. Ich brannte darauf, zu erfahren, was das für ein Vogel sei, aber seine Fratze ist mit Ruß beschmiert, wie bei einem Teufel, der die Nägel für die Sünder schmiedet.“

„Und wie ist er angezogen, Herr Schreiber?“

„Er trägt einen schwarzen, nach außen gekehrten Pelz, der Hundesohn, Herr Amtmann!“

„Lügst du auch nicht, Herr Schreiber? Wie, wenn nun dieser Taugenichts bei mir in der Kammer säße?“

„Nein, Herr Amtmann, sei nicht böse, aber da irrst du dich selbst ein wenig.“

„Macht einmal Licht, wir wollen doch nachsehen!“

Man holte Licht herbei, machte die Tür auf — und der Amtmann stieß vor Verwunderung ein lautes „Ah!“ aus, als er seine Schwägerin vor sich sah.

„Nun sag mir doch, bitte, bist du denn ganz von Sinnen!“ rief sie und ging mit diesen Worten auf ihn zu. „Wäre auch nur ein Quentchen Gehirn in deinem einäugigen Schädel, — hättest du mich wohl dann in die dunkle Kammer hineingepufft? Noch ein wahres Glück, daß ich mir nicht den Kopf an der eisernen Türangel zerschlagen habe! Hab’ ich dir nicht zugerufen, daß ich es bin? — Muß mich dieser verfluchte Bär mit seinen eisernen Tatzen packen und mich herumstoßen. Daß dich in jener Welt der Teufel so stoßen möge! ....“

Die letzten Worte sagte sie schon auf der Gasse, denn sie mußte aus gewissen Gründen hinausgehen.

„Freilich sehe ich, daß du es bist!“ sagte der Amtmann, der unterdes wieder zu sich gekommen war.

„Was sagst du dazu, Herr Schreiber! Ist dieser verdammte Windbeutel nicht ein Schelm?“

„Wahrhaftig, ein Schelm; Herr Amtmann!“

„Wäre es nicht Zeit, alle diese Taugenichtse einmal tüchtig ins Gebet zu nehmen, damit sie an ihre Arbeit gehen?“

„Es wäre schon Zeit, höchste Zeit, Herr Amtmann!“

„Diese Narren haben .... Was Teufel? Ich glaube, ich höre meine Schwägerin auf der Straße schreien .... diese Narren haben sich in den Kopf gesetzt, ich sei ihresgleichen. Sie glauben offenbar, ich sei nur ein einfacher Kosak!“ .... Aus dem nun folgenden Hüsteln und Blitzen des Auges, das er im Kreise umherschweifen ließ, konnte man erraten, daß der Amtmann vorhatte, etwas Wichtiges zu sagen. „Im Jahre Eintausend, .... Gott töte mich, ich kann diese verdammten Jahreszahlen nicht behalten .... Also im Jahre .... erhielt der damalige Kommissär Ledatschi den Befehl, einen Kosaken auszuwählen, der gescheiter sei, als die anderen. O, (der Amtmann sprach dieses „O“ mit erhobenem Finger) gescheiter als die anderen, um der Zarin das Geleit zu geben. Ich bin damals ....“

„Was ist da viel zu reden? Jeder kennt die Geschichte schon, Herr Amtmann! Alle wissen doch, daß du dir die Gnade der Zarin verdient hast. Gesteh jetzt, hatte ich nicht recht? Hast du dich nicht doch etwas geirrt, als du sagtest, du habest diesen Kerl im Pelz erwischt?“

„Was diesen Teufel im Pelz betrifft, so soll er zur Lehre für die anderen in Ketten geschmiedet und tüchtig abgestraft werden. Sie sollen schon merken, was das heißt, Obrigkeit! Wer hat denn den Amtmann eingesetzt, wenn nicht der Zar? Und dann wollen wir uns um die anderen Lausbuben kümmern. Ich habe noch nicht vergessen, wie diese verfluchten Lümmel eine Schweineherde in meinen Gemüsegarten getrieben haben, die mir den ganzen Kohl und alle Gurken wegfraß. Ich habe auch nicht vergessen, wie diese Teufelskinder sich weigerten, mir mein Korn zu dreschen; o nein, ich hab’s nicht vergessen! .... Aber sie sollen verrecken, ich muß auf jeden Fall erfahren, wer der Schelm im Pelz ist!“

„Man merkt’s, das ist ein flinker Vogel!“ sagte der Branntweinbrenner, der sich während dieses ganzen Gespräches fortwährend die Backen mit Rauch vollpumpte, wie ein Belagerungsgeschütz, und dessen Lippen eine ganze Rauchfontäne ausstießen, wenn sie sich von der kurzen Pfeife trennten.

„Es wäre auf jeden Fall nicht übel, diesen Menschen in der Brennerei zu haben, noch besser wär’s freilich, ihn an einem Eichenwipfel aufzuhängen, wie einen Kirchenkronleuchter.“

Dieser Witz kam dem Branntweinbrenner nicht ganz dumm vor, und er beschloß sofort, ohne erst die Billigung der anderen abzuwarten, sich selbst mit einem heiseren Lachen zu belohnen.

In diesem Augenblick näherten sie sich einer kleinen, halb in die Erde gesunkenen Hütte. Die Neugierde unserer Wanderer hatte sich noch vergrößert; alle drängten sich vor der Türe zusammen. Der Schreiber nahm einen Schlüssel heraus und das Schloß klirrte; aber dieser Schlüssel gehörte zu seinem Spind. Die Ungeduld stieg. Er begann in der Tasche herumzuwühlen, fand jedoch den Schlüssel nicht.

„Da!“ sagte er endlich, und holte ihn aus der Tiefe seiner gewaltigen Tasche hervor, die sich in seiner Hanfpluderhose befand.

Bei diesem Laut schienen die Herzen unserer Helden zu einem einzigen Herz zu verschmelzen, und dieses Riesenherz schlug so heftig, daß sein unregelmäßiges Hämmern nicht einmal von dem Klirren des Schlosses übertönt wurde. Die Tür ging auf, und .... der Amtmann wurde bleich wie ein Stück Leinwand; den Branntweinbrauer überlief’s kalt, und sein Haar wollte gen Himmel fliegen. Entsetzen malte sich auf dem Gesicht des Schreibers; die Büttel wuchsen fest an die Erde und waren nicht einmal imstande, ihre aufgesperrten Mäuler zu schließen: vor ihnen stand die Schwägerin.

Sie war nicht weniger betroffen als die anderen, aber bald erholte sie sich etwas und wollte gerade auf sie zugehen.

„Halt!“ schrie da der Amtmann mit wilder Stimme und schlug die Türe zu. „Leute, das ist der Satan!“ rief er dann. „Feuer! Schnell Feuer her! Es ist nicht Schade um das Kronshaus! Steckt es an, damit die Satansknochen nicht länger auf dieser Erde bleiben!“

Die Schwägerin schrie entsetzt auf, als sie hinter der Tür von der fürchterlichen Absicht vernahm.

„Was macht ihr da, Brüder?“ rief der Branntweinbrenner. „Euer Haar ist gottlob fast so weiß wie Schnee, trotzdem aber scheint’s euch noch am Verstand zu fehlen: ein einfaches Feuer kann doch der Hexe nichts anhaben! Nur das Feuer aus einer Pfeife kann einen Werwolf in Brand stecken! Halt, ich mach gleich welches an!“

Bei diesen Worten schüttete er die Glut aus der Pfeife auf ein Heubündel und begann zu blasen. Aber die Verzweiflung der armen Schwägerin verlieh ihr einen ungeahnten Mut; sie begann laut um Hilfe zu flehen und die Männer zu beschwichtigen.

„Haltet ein, Brüder! Warum wollt ihr euch grundlos einer Sünde schuldig machen. Vielleicht ist’s wirklich nicht der Satan,“ rief der Schreiber. „Vielleicht kann das Wesen, das da drinnen in der Stube sitzt, doch das Zeichen des heiligen Kreuzes machen, und das bedeutet dann, daß es nicht der Teufel ist!“

Der Vorschlag wurde angenommen.

„Packe dich, Satanas!“ fuhr der Schreiber fort und legte die Lippen an die Türspalte. „Wenn du dich nicht vom Platze rührst, machen wir dir die Tür auf.“

Die Tür wurde aufgemacht.

„Bekreuzige dich!“ rief der Amtmann, und sah sich um, wie wenn er für den Fall des Rückzuges einen Zufluchtsort suchte.

Die Schwägerin schlug ein Kreuz.

„Was Teufel! Das ist wirklich die Schwägerin!“

„Welche unsaubere Macht hat dich bloß in diese Kammer gebracht, Gevatterin?“

Die Schwägerin erzählte schluchzend, wie die Burschen auf der Straße sie gepackt und sie trotz ihres Widerstandes durch das breite Fenster in die Hütte hineingeschoben und die Fensterläden geschlossen hatten. Der Schreiber sah sich die Sache an. Die Angeln waren heruntergerissen, und der breite Laden war oben nur mit einem Holzbalken festgerammelt.

„Du bist mir ein feiner Kerl, du einäugiger Satan du,“ schrie sie und ging auf den Amtmann zu, der zurückwich und sie immer noch mit seinem Auge maß. „Ich kenne deine Absichten schon, du hättest mich wohl am liebsten aufgefressen, damit du dann ungestört jeder Schürze nachlaufen kannst, und keiner mehr weiß, wie der Jammergreis sich selbst zum Narren macht. Du meinst, ich weiß nicht, was du heute abend mit Hanna gesprochen hast? O, ich weiß alles! Mich kann keiner so leicht betrügen, nicht einmal einer, der weniger blöd ist als du! Ich habe lange Geduld, aber dann: nimm dich in acht ....!“

Bei diesen Worten ballte sie die Faust, machte sich rasch davon; und ließ den Amtmann in völliger Erstarrung zurück.

„Nein, da ist der Satan ernsthaft mit im Spiel!“ dachte er, sich den Kopf kratzend.

„Wir haben ihn!“ riefen die eintretenden Büttel.

„Wen habt ihr?“ fragte der Amtmann.

„Den Teufel im umgewendeten Pelz!“

„Bringt ihn her!“ rief der Amtmann und packte den hereingeführten Gefangenen an der Hand. „Seid ihr verrückt geworden? — Das ist doch der besoffene Kalenik!“

„Pfui Teufel, wir hielten ihn doch schon fest, Herr Amtmann!“ antworteten die Büttel. „In dem einen Gäßchen umringten uns die verdammten Kerls, fingen an zu tanzen und uns hin und her zu zerren, steckten die Zunge raus und rissen ihn uns aus den Händen. .... Der Henker soll sie holen! .... Aber wie wir statt seiner zu dieser Krähe hier gekommen sind, das mag Gott wissen!“

„Kraft meiner Vollmacht und im Namen der ganzen Gemeinde ergeht die Verfügung, diesen Räuber unverzüglich gefangen zu nehmen,“ sprach der Amtmann; „desgleichen alle anderen, die ihr auf den Straßen antrefft, und sie mir zur Aburteilung vorzuführen! ....“

„Erbarm dich doch, Herr Amtmann!“ riefen da einige Büttel und verneigten sich tief bis zur Erde vor ihm. „Hättest du nur gesehen, was das für Fratzen sind! Gott straf uns, aber seit unserer Geburt und Taufe haben wir keine so abscheulichen Larven gesehen. Wie leicht verfällt man der Sünde, Herr Amtmann! Die können einen rechtschaffenen Menschen so erschrecken, daß einem nachher kein Weib mehr ein Gebreste besprechen kann!“

„Ich will euch schon zeigen, was ein Gebreste ist! Was? Ungehorsam? Ihr zieht wohl mit ihnen am selben Strang, ihr Rebellen! Was soll denn das? .... Ihr werdet sie noch zum Mord anstiften! .... ihr .... ihr .... Ich werde das dem Kommissär melden! Auf der Stelle, hört ihr, auf der Stelle! Lauft, fliegt schnell wie die Vögel! Ich werde euch schon .... Ihr sollt mir ....!“

Alle stoben auseinander.

V.
Die Ertrunkene

Unbekümmert, und ohne auf die abgesandten Verfolger zu achten, näherte sich der Urheber dieses ganzen Wirrwarrs dem alten Hause am Teich. Ich glaube, man braucht wohl nicht weiter hervorzuheben, daß es Lewko war. Sein schwarzer Pelz war aufgeknöpft, er hielt seine Mütze in der Hand, und der Schweiß rann ihm von der Stirn. — Düster und hehr stand der schwarze Ahornhain da, und nur auf der Seite, die dem Monde zugewandt war, lag ein feiner Silberstaub über ihm ausgestreut. Vom regungslosen Teich wehte eine kühlende Frische dem müden Fußgänger entgegen und lud ihn ein, an seinen Ufern auszuruhen. Alles war still; nur im tiefen Dickicht des Waldes hörte man das Schmettern der Nachtigall. Ein unüberwindlicher Schlaf senkte sich rasch auf Lewkos Lider. Die ermatteten Glieder lösten sich und erschlafften; der Kopf suchte eine Stütze .... „Nein, auf die Art schlafe ich hier noch ein!“ sprach er, stand auf und rieb sich die Augen. Er blickte um sich: die Nacht lag noch leuchtender vor ihm. Eine seltsam berauschende Helle mischte sich in den Glanz des Mondes. Noch nie hatte er etwas Ähnliches gesehen. Silberne Nebel senkten sich aufs Land. Ein Duft von blühenden Apfelbäumen und Nachtblüten war über die ganze Erde ausgegossen. Mit Verwunderung blickte er in die regungslosen Wasser des Teiches; das alte Herrenhaus spiegelte sich in ihm umgestürzt, klar und in lichter Erhabenheit. Statt der düsteren Fensterläden blinkten einem lustige Glasfenster und Türen entgegen und das Gold schimmerte durch die klaren Scheiben. Auch schien es ihm, als habe sich ein Fenster geöffnet. Er hielt den Atem an, regte sich nicht und glaubte sich in die Tiefe des Teiches versetzt. Und siehe: zuerst schob sich ein weißer Ellenbogen aus dem Fenster, dann schaute ein liebliches Köpfchen heraus mit glänzenden Augen, die sanft durch dunkelblonde Haarwogen hindurch leuchteten, und stützte sich auf den Ellenbogen. Lewko sah, wie sie leise den Kopf schüttelte, wie sie winkte und lächelte .... Sein Herz fing plötzlich an heftig zu pochen .... das Wasser erzitterte, und das Fenster schloß sich wieder. Leise ging er vom Teiche fort und sah das Haus unverwandt an: Die düsteren Fensterläden standen weit offen, und die Scheiben funkelten im Monde. „Wie wenig darf man doch auf das Gerede der Menschen geben!“ dachte er bei sich. „Das Haus ist nagelneu, und die Farben sind frisch, als ob sie erst heute aufgetragen wären. Hier muß doch jemand wohnen!“ Und er trat schweigend näher, aber im Hause war alles still. Mächtig und klingend tönten die leuchtenden Lieder der Nachtigall durcheinander, und wenn sie schmachtend wie in Wonne zu ersterben schienen, vernahm man das Rascheln und Zirpen der Heimchen oder das Schnarren eines Sumpfvogels, der mit seinem glatten Schnabel auf den weiten Wasserspiegel aufschlug. Lewko empfand eine süße Stille in seinem Herzen, es schien sich zu weiten und schlug so leicht und frei. Er stimmte seine Harfe und fing an zu spielen und zu singen:

Du mein helles Licht der Nacht,

Du mein Mond, ach bester Mond!

Leucht mir über Haus und Hof,

Wo mein liebstes Mädchen wohnt!

Ein Fenster tat sich leise auf, und dasselbe Köpfchen, dessen Spiegelbild er im Teiche gesehen hatte, guckte heraus und lauschte aufmerksam dem Sang. Ihre schweren Lider waren halb über die Augen gesenkt. Sie war bleich wie Linnen, bleich wie der Mondenschein, aber wie köstlich und wundersam! Sie lachte! .... Lewko erschauerte. „Sing mir ein Lied, junger Kosak!“ sprach sie leise, neigte den Kopf etwas zur Seite und senkte die dunklen Lider ganz über die Augen.

„Was für ein Lied soll ich dir singen, du mein strahlendes Fräulein?“

Stille Tränen flossen über ihr bleiches Antlitz. „Jüngling,“ sprach sie, und etwas unsäglich Rührendes klang aus ihren Worten, „Jüngling, finde mir meine Stiefmutter! Nichts soll mir zu schön für dich sein. Ich will dich belohnen. Ich will dich reich und herrlich belohnen! Ich habe mit Seide bestickte Gewänder, Korallen und Kleinode, ich will dir einen Gürtel schenken, der mit Perlen besät ist. Ich habe Gold .... Jüngling, finde mir meine Stiefmutter. Sie ist eine furchtbare Hexe: ich hatte keine Ruh’ vor ihr auf Gottes Erde. Sie hat mich gemartert, und ließ mich schaffen wie eine niedrige Magd. Blick in mein Angesicht: sie ließ die Röte von meinen Wangen schwinden mit ihrer unreinen Zauberkunst. Blick auf meinen weißen Hals: kein Wasser wäscht die blauen Flecke fort, keines wird sie je fortwaschen, die von ihren eisernen Krallen stammen! Sieh meine weißen Füße an, weit sind sie gewandert, und nicht nur auf Teppichen, auch über heißen Sand, durch sumpfiges Feld, durch stechende Nesseln sind sie gewandert! Und meine Augen! Blick in meine Augen: sie sehen nichts mehr vor Tränen! .... Finde sie mir, Jüngling, find mir die Stiefmutter! ...“

Ihre Stimme, die immer mehr und mehr angeschwollen war, stockte auf einmal. Tränenströme flossen über ihr bleiches Antlitz. Ein drückendes Gefühl des Mitleids und der Trauer schnürte dem Burschen das Herz zusammen.

„Zu allem bin ich für dich bereit, mein herrliches Fräulein,“ rief er in tiefster Erregung. „Doch sag mir nur, wo soll ich sie finden?“

„Sieh, sieh!“ rief sie schnell, „sie ist hier! Sie tanzt am Wasser mit meinen Mädchen den Reigen und wärmt sich im Mondenlichte. Sie ist schlau und voller List: sie hat die Gestalt einer Ertrunkenen angenommen; aber ich weiß, ich hör’ es, sie ist hier! Sie macht, daß mir so drückend schwer, so dumpf zumute wird. Durch sie ward mir’s verwehrt, so leicht und frei dahin zu schwimmen wie ein Fisch. Ich sinke, versinke und falle zu Boden wie ein Schlüssel. Find sie mir, Jüngling!“

Lewko blickte aufs Ufer: Im zarten Silbernebel sah man etwas schimmern. Eine Schar Mädchen tummelte sich, leicht wie ein Schatten, in lichten Gewändern, die so hell waren, wie die Maiglöckchen auf der Wiese; goldene Spangen, Perlenketten und Dukaten glänzten an ihren Nacken; allein sie waren bleich: ihr Leib war wie aus durchscheinenden Wolken gewoben und schimmerte durchsichtig im silbernen Mondenlicht. Spielend und tanzend näherte sich der Mädchenreigen und man hörte schon ihre Stimmen.

„Laßt uns das Rabenspiel spielen, das Rabenspiel,“ säuselten alle durcheinander, wie das Schilf am Flusse, das der Wind in stiller dämmernder Stunde mit seinen lustigen Lippen berührt.

„Wer soll Rabe sein?“

Das Los ward geworfen — und ein Mädchen trat aus der Menge hervor. Lewko betrachtete sie aufmerksam. Ihr Gesicht und ihr Kleid war ganz so wie bei allen anderen. Man merkte ihr nur an, daß sie ihre Rolle nicht gern spielte. Die Menge bildete eine lange Reihe und wich behend den Angriffen des räuberischen Feindes aus.

„Nein, ich will nicht Rabe sein!“ rief das Mädchen, ganz schlaff vor Müdigkeit. „Es tut mir so leid, der armen Henne die Küken zu rauben.“

„Du bist nicht die Hexe!“ dachte Lewko.

„Wer soll Rabe sein?“

Die Mädchen wollten wiederum losen.

„Ich will Rabe sein!“ rief da eine aus ihrer Mitte.

Lewko begann ihr Gesicht scharf zu mustern. Schnell und kühn machte sie Jagd auf die Schar und stürzte nach allen Seiten, um ihr Opfer zu fangen. Da sah Lewko, daß ihr Leib nicht so leuchtete, wie der der anderen: mitten im Innern gewahrte er etwas Dunkles. Plötzlich ertönte ein Schrei: der Rabe stieß auf ein Mädchen herab, fing es ein, und es deuchte Lewko, als habe sie ihre Krallen gezeigt, und als blitze in ihrem Gesicht eine boshafte Freude auf.

„Hexe!“ rief er, und zeigte, nach dem Hause gewandt, mit dem Finger auf sie.

Das holde Fräulein lachte auf, und die Mädchen führten die, welche den Raben gespielt hatte, schreiend mit sich fort.

„Womit soll ich’s dir lohnen, Jüngling? Ich weiß, du brauchst kein Gold, du liebst Hanna. Doch der gestrenge Vater will dir’s nicht erlauben, sie zu heiraten. Nun wird er dich nimmer hindern; nimm dies Briefchen und gib es ihm ...“

Sie streckte ihm ihr weißes Händchen hin, ihr Antlitz leuchtete wundersam und erstrahlte .... Mit einem nie geahnten Schauer und sehnsüchtigen Pochen des Herzens griff er nach dem Briefchen und .... erwachte.

VI.
Erwachen

Hab’ ich wirklich geschlafen?“ sprach Lewko zu sich selbst, als er sich von der kleinen Böschung erhob. „Alles war doch so lebendig wie in Wirklichkeit“ .... „Seltsam, seltsam!“ wiederholte er, indem er sich umsah. Der Mond stand gerade über seinem Kopfe und wies auf Mitternacht. Alles war still; vom Teich wehte es kühl her; über ihm stand traurig das verfallene Haus mit den geschlossenen Läden; Moos und wildes Steppengras ließen erkennen, daß sich die Menschen schon lange von ihm getrennt hatten. Lewko öffnete seine Hand, die er während des Schlafes krampfhaft geballt hatte, und stieß einen Schrei der Verwunderung aus; er hatte einen Zettel in ihr entdeckt. „Ach, wenn ich doch lesen könnte!“ dachte er, indem er ihn vor seinen Augen hin und her wandte. In diesem Augenblick vernahm er hinter sich ein Geräusch.

„Fürchtet nichts! Packt ihn nur! Vor wem habt ihr Angst? Wir sind ja zu zehn! Ich will darauf wetten, das ist ein Mensch und kein Teufel! ....“

Es war der Amtmann, der diese Worte seinen Begleitern zuschrie, und Lewko fühlte sich von mehreren Händen gepackt, von denen einige vor Furcht zitterten. „Nun Freundchen, wirf mal endlich deine schreckliche Maske ab, du hast die Leute schon genug in die Irre geführt!“ rief der Amtmann und packte ihn am Kragen. Aber da glotzte er ihn voller Schreck mit seinem einzigen Auge an: „Lewko, mein Sohn!“ schrie er zurückweichend, und ließ vor Staunen die Hände herabsinken. „Du bist’s? Du Hundesohn! So eine Ausgeburt der Hölle! Ich denke: was für ein Schelm, was für ein verkleideter Teufel treibt da sein Unwesen? Und nun stellt sich heraus, daß du es bist. — Der ungekochte Mehlbrei soll deinem Vater im Halse stecken bleiben! — Du treibst böse Streiche auf den Straßen, du dichtest Lieder ....! Oho, Lewko! Was soll das? Dich juckt wohl der Rücken? Bindet ihn!“

„Halt Vater! Ich hab’ dir einen Zettel zu geben!“ sagte da Lewko.

„Jetzt ist keine Zeit für Zettel, mein Täubchen! Bindet ihn!“

„Halt ein, Herr Amtmann!“ sagte der Schreiber und entfaltete den Zettel. „Das ist ja die Handschrift des Kommissärs!“

„Des Kommissärs?“

„Des Kommissärs?“ wiederholten die Büttel mechanisch.

„Des Kommissärs? Wunderlich! Das ist noch unbegreiflicher!“ dachte Lewko bei sich.

„Lies, lies!“ sagte der Amtmann, „was schreibt denn der Kommissär da?“

„Hören wir, was der Kommissär schreibt,“ sprach der Branntweinbrenner, mit der Pfeife in den Zähnen, und schlug Feuer.

Der Schreiber hüstelte und begann zu lesen:

„Verfügung: An den Amtmann Jewtuch Makohonenko. Wir haben vernommen, daß du alter Tropf statt die alten Steuerschulden einzutreiben und die Ordnung in dem Dorfe aufrecht zu erhalten, närrisch geworden bist und Unzucht treibst ....“

„Bei Gott!“ unterbrach der Amtmann die Verlesung, „ich kann nichts hören!“

Der Schreiber begann von neuem.

„Verfügung: An den Amtmann Jewtuch Makohonenko. Wir vernehmen, daß du alter Tro....“

„Halt, halt, es ist nicht nötig,“ schrie der Amtmann, „ich habe zwar nichts gehört, aber ich weiß, daß die Hauptsache noch kommt. Lies schnell weiter!“

„Infolgedessen tu ich dir den Befehl kund und zu wissen, deinen Sohn Lewko Makohonenko alsogleich mit der Kosakentochter aus Eurem Dorf, Hanna Petrytschenkowa, zu verehelichen, insgleichen auf der Landstraße die Brücke instand zu setzen und ferner die Gutspferde nicht den Herren vom Gericht zu geben, selbst dann nicht einmal, wenn sie von einer Kronsitzung kommen. So ich bei meiner Ankunft obige Verfügung nicht erfüllt finden sollte, wirst du allein zur Verantwortung gezogen. Kommissär und Leutnant außer Diensten Kosjma Dergatsch-Drischpanowski.“

„So?“ meinte der Amtmann mit offenem Munde. „Hört ihr, hört ihr, für alles macht man den Amtmann verantwortlich. Da heißt’s gehorchen, gehorchen ohne Widerrede! Sonst, mit Verlaub zu sagen .... Und du,“ fuhr er, zu Lewko gewandt, fort, „sollst auf Befehl des Kommissärs verheiratet werden — wenn’s mich auch sonderbar dünkt, wie er das wohl erfahren haben mag! Aber vorher sollst du noch die Nagaika zu kosten bekommen! Kennst du die, die bei mir neben dem Heiligenbilde an der Wand hängt? Ich werde sie mal morgen frisch in Gang bringen .... Wo hast du diesen Zettel her?“

Trotz seines Staunens über diese unerwartete Wendung der Sache, war Lewko so vernünftig gewesen, sich im Kopfe eine Antwort zurecht zu legen und die Wahrheit, wie er zu dem Zettel gekommen war, zu verschweigen.

„Ich war gestern abend noch in der Stadt,“ sagte er, „und da begegnete ich dem Kommissär, der gerade aus seinem Wagen stieg. Als er erfuhr, daß ich aus unserem Dorfe stamme, gab er mir diesen Zettel da und hieß mich, dir mündlich ausrichten, er würde auf dem Rückwege bei uns zu Mittag essen, Vater.“

„Hat er das gesagt?“

„Ja, das hat er gesagt!“

„Hört ihr’s,“ sprach der Amtmann, sich mit wichtiger Gebärde an seine Begleiter wendend, „der Kommissär kommt in eigner Person zu unsereinem, das heißt zu mir, zur Tafel. Oh ....“ Dabei hob der Amtmann den einen Finger in die Höhe und gab seinem Kopf eine Haltung, als ob er auf etwas lausche. „Der Kommissär, hört ihr’s, der Kommissär kommt zu mir zu Tisch! Wie denkst du, Herr Schreiber, und du, Gevatter, ist das etwa eine kleine Ehre, wie?“

„Noch nie hat, so viel ich mich besinne,“ fiel hier der Schreiber ein, „je ein Amtmann einem Kommissär mit einer Mahlzeit aufgewartet.“

„Es gibt eben Amtmänner und Amtmänner!“ sprach der Amtmann mit selbstzufriedener Miene. Sein Mund verzog sich, und etwas wie ein dumpfes, heiseres Lachen, das mehr dem Grollen eines fernen Donners glich, kam über seine Lippen.

„Wie denkst du, Herr Schreiber? Müßte man nicht eigentlich zu Ehren des hochgestellten Gastes den Befehl erlassen, daß jedes Haus wenigstens ein Hühnchen, ein bißchen Leinwand oder dergleichen spendet .... was? ....“

„Ja, das müßte man eigentlich, das müßte man, Herr Amtmann!“

„Und wann ist die Hochzeit, Vater?“ fragte Lewko.

„Die Hochzeit? Ich möchte dir schon eine Hochzeit zeigen! .... aber, dem hochgestellten Gaste zu Ehren .... Morgen soll euch der Pope trauen. Der Teufel mag euch holen! Der Kommissär soll sehen, was Pünktlichkeit ist! Nun aber, Kinder, geht zu Bett! Geht jetzt heim! .... Der heutige Vorfall hat mich an die Zeit erinnert, wo ich ....!“

Bei diesen Worten blickte der Amtmann nach alter Gewohnheit würdig und bedeutungsvoll drein.

„Jetzt wird der Amtmann zu erzählen anfangen, wie er die Zarin begleitet hat!“ sagte Lewko, und eilte schnellen Schrittes zu dem wohlbekannten Häuschen, das von niedrigen Kirschbäumen umstanden war. „Gott schenke dir die ewige Seligkeit, schönes gutes Fräuleinchen!“ dachte er sich. „Mögen dir in jener Welt alle heiligen Engel zulächeln! Niemand soll je aus meinem Munde von dem Wunder hören, das in dieser Nacht geschah. Nur dir allein, Hanna, will ich’s erzählen, du allein wirst mir glauben und wirst mit mir für die Seele der unglücklichen Ertrunkenen beten!“

Und er näherte sich dem Häuschen; das Fenster stand offen, die Mondstrahlen fielen durchs Fenster auf die schlafende Hanna, ihr Kopf lag auf den Arm gestützt, ihre Wangen glühten sanft, und ihre Lippen bewegten sich und sprachen halblaut seinen Namen. „Schlaf, mein schönstes Mädchen! Mögest du träumen von dem Herrlichsten, was es auf der Welt gibt; doch unser Erwachen soll noch herrlicher sein!“

Er schlug ein Kreuz über sie, schloß das Fenster, entfernte sich leise, und wenige Augenblicke später schlief alles im Dorfe. Der Mond allein segelte voller Glanz und Wunder durch die unermeßlichen Fernen des prunkenden Himmels der Ukraine. In hehrer Feier webten die Höhen dort oben, und die Nacht, die göttliche Nacht glomm majestätisch ihrem Ende entgegen. Und auch die Erde lag so voll Schönheit da, in ihrem wundervollen Glanz von Silber; aber es war niemand mehr, der es genießen konnte; alles war in Schlaf versunken. Nur ab und zu wurde das Schweigen für einen Augenblick von Hundegebell unterbrochen, und noch lange tappte der betrunkene Kalenik durch die schlafenden Gassen herum und suchte sein Haus.

Der verschwundene Brief

Eine Sage
Erzählt vom Küster der — Kirche zu ***

Ihr möchtet also, daß ich euch noch mehr vom Großvater erzähle? — Meinetwegen. Warum soll ich euch nicht mit einer Schnurre einen Spaß machen? O ihr Tage der Vergangenheit! Welche Freude und Lust überkommt doch das Herz, wenn man vernimmt, was vor langer, langer Zeit einmal in der Welt geschah, und niemand weiß mehr Jahr noch Tag. Und wenn erst so ein Alter aus unserer Verwandtschaft mit im Spiel ist, irgendein Großvater oder ein Urgroßvater, — dann ist’s ganz um mich geschehen: Ich will beim Lobsingen auf die heilige Märtyrerin Barbara den Schlucken kriegen, wenn es mir nicht immer so vorkommt, als ob ich das alles selbst durchgemacht hätte: gerad als wenn ich in des Großvaters Seele hineingekrochen wäre, oder als wenn die Seele des Großvaters in mir selbst rumorte .... Nein, aber am ärgsten sind die Mädels und die jungen Weiber dahinter her; kaum erblicken sie einen, gleich heißt es: „Foma Grigorjewitsch, Foma Grigorjewitsch! Schnell ein Märchen recht zum Gruseln, bitte, bitte, ein Märchen zum Gruseln ....!“ Taratata — taratata! Und los geht es .... Warum sollt man ihnen auch nicht ein Märchen erzählen, aber paßt mal auf, was nachher mit ihnen im Bett geschieht. Ich weiß doch, daß jede unter der Decke zittert, als wenn sie das Fieber hätte, und am liebsten den Kopf unter den Pelz stecken möchte. Da braucht nur eine Ratte an einem Topf zu scharren, oder sie gerät selbst mit dem Fuß an den Feuerhaken, Gott bewahre, — gleich fliegt die Seele bis in die Strümpfe. Am anderen Tage aber ist alles vergessen; und sie drängen einen von neuem: man soll ihnen doch nur ein recht grusliges Märchen erzählen! Was soll ich euch nun erzählen? Es fällt mir gerade nichts ein .... Ach ja, ich will euch das erzählen, wie die Hexen mit meinem seligen Großvater Schafskopf gespielt haben. Aber darum muß ich im Voraus bitten, meine Herren, bringt mich nicht aus dem Geleis, sonst giebt’s so einen Brei, daß man sich schämen muß, ihn ins Maul zu nehmen. Also mein seliger Großvater war, wie ich euch bemerken muß, durchaus nicht einer von den gewöhnlichen Kosaken. Der verstand’s, auf jeden Topf seinen Deckel zu setzen. An Feiertagen konnte er seine Apostel so herunterschnurren, daß sich auch jetzt noch mancher Popensohn vor ihm verstecken könnte. Na, und das wißt ihr ja selbst, wenn man in der damaligen Zeit die Schriftkundigen aus ganz Baturin zusammentrommeln wollte, da brauchte man nicht erst die Mützen bereitzuhalten, — die offene Hand hätte schon vollständig genügt. Was Wunder, daß jeder, der am Großvater vorüberging, sich tief vor ihm verneigte.

Eines Tages fiel es dem hochwohlgeborenen Herrn Hetman ein, aus irgendeinem Grunde ein Schreiben an die Zarin zu senden. Der damalige Regimentsschreiber (daß dich der Geier hole, ich kann mich nicht auf seinen Namen besinnen .... hieß er Wisrjak oder Motusotschka oder Goloputzek .... ich weiß nur, daß er einen sehr komischen Namen hatte, der ganz absonderlich anfing) er ließ also den Großvater zu sich kommen und sagte ihm: so und so, der Hetman wolle ihn als Kurier mit einem Briefe zu der Zarin senden. Mein Großvater liebte die langen Vorbereitungen nicht, nähte den Brief in die Mütze ein, führte sein Pferd aus dem Stall, schmatzte seine Frau und seine zwei Ferkelchen (wie er sie selbst nannte) — einer von ihnen war mein leiblicher Vater — ordentlich ab, und hinter ihm erhob sich eine solche Staubwolke, als ob fünfzehn Jungen auf der Straße Schlagball spielten. Am andern Tage hatte der Hahn noch nicht zum vierten Male gekräht, als der Großvater schon in Konotop war. Dort war gerade Jahrmarkt; und es wimmelten so viel Leute auf den Straßen herum, daß es einem vor den Augen flimmerte. Weil es aber noch früh am Morgen war, so schlief alles lang hingestreckt auf der Erde. Neben einer Kuh lag ein versoffener Kerl mit einer roten Nase, der wie ein Gimpel aussah; etwas weiter schnarchte eine Händlerin im Sitzen mit Feuersteinen, Waschblau, Schrot und Brezeln; unter einem Wagen lag ein Zigeuner; auf einem andern Wagen mit Fischen ein Frachtfuhrmann, mitten auf dem Wege lag mit gespreizten Beinen ein bärtiger Moskowiter mit Gürteln und Däumlingen .... mit einem Wort: allerhand Pack, wie man’s auf den Jahrmärkten trifft. Der Großvater machte Halt, um sich’s anzusehen. Unterdessen aber wurde es nach und nach in den Buden lebendig: die Judenweiber begannen mit ihren Flaschen zu klappern; der Rauch stieg hie und da in Ringen empor, und ein Duft von heißen Buchteln zog übers ganze Lager. Da fiel es dem Großvater ein, daß er weder Zunder noch Tabak vorrätig hatte, und so fing er denn an, auf dem Jahrmarkt herumzustreichen. Er hatte noch keine zwanzig Schritt gemacht, da kommt ihm ein Saporoger entgegen. Ein Draufgänger, man sieht’s ihm schon am Gesicht an! Glutrote Pluderhosen, ein blauer Schupan, ein grellbunter Gürtel, ein Säbel an der Seite und ’ne Pfeife mit einer Messingkette, die bis zu den Fersen reicht — mit einem Wort, ein Saporoger vom Kopf bis zu den Füßen! Ist das ein Völkchen! Wie der so dasteht, sich reckt, sich den prächtigen Schnurrbart streicht, mit den Hufeisen klirrt — und dann loslegt! Ja, sag’ ich euch, wie der loslegt: Die Beine schwirren nur so hin und her wie eine Spindel in Weiberhänden; wie ein Wirbelwind saust seine Hand über alle Saiten der Harfe, er stemmt sie in die Hüften, schnellt in Kniebeugestellung die Beine von sich und stimmt ein jauchzendes Lied an — daß einem die Seele erzittert! .... Ja diese Zeiten sind vorbei; jetzt gibt’s keine Saporoger mehr! Ja, ja. Sie trafen sich also, machten Bekanntschaft, begannen miteinander zu schwatzen, und der Großvater hatte bald seine Reise vergessen. Es ging ein Saufen an wie auf ’ner Hochzeit vor den großen Fasten. Endlich aber kriegten sie’s satt, Töpfe zu zerschmeißen und Geld unters Volk zu werfen, und dann kann man ja auch nicht ewig auf dem Jahrmarkt bleiben! So verabredeten sich denn die neuen Freunde, sie wollten sich nicht mehr trennen und den Weg zusammen zurücklegen. Es war schon gegen Abend, als sie sich aufmachten und ins freie Feld hinausritten, die Sonne war schon zur Ruhe gegangen und nur hie und da flammten dort, wo sie noch vor kurzem gestanden hatte, ein paar rötliche Streifen auf. Bunte Saatwiesen lagen ausgestreut da wie die Sonntagstücher schwarzbrauiger, junger Frauen. Unsern Saporoger packte ein schrecklicher Drang zum Schwatzen. Mein Großvater und noch ein anderer Kumpan, der sich zu ihnen gesellt hatte, fragten sich schon, ob er nicht vom Teufel besessen sei: Wo hatte er bloß all das Zeug her, all diese Geschichten und Mären so verwunderlicher Art, daß der Großvater sich die Seiten halten mußte, um nicht vor Lachen zu platzen. In der Steppe aber ward es immer düsterer, je weiter man kam, und die Reden des Braven wurden immer unzusammenhängender. Endlich aber verstummte unser Erzähler und fing beim leisesten Geräusch an zu zittern.

„Hoho, Landsmann! Du scheinst mir die Eulen zu zählen! Du möchtest wohl heim, hinter den Ofen?“

„Ich will nichts vor euch verbergen,“ sprach er, sich auf einmal umwendend, und seine Augen blickten starr. „Wißt ihr, daß ich meine Seele schon lange an den Bösen verkauft habe?“

„Ei potztausend! Wer hat nicht schon mit dem Bösen zu tun gehabt? In solchen Fällen ist’s das Beste, man ist lustig und geht lumpen.“

„O je, Jungens, lumpen möcht ich schon gern, aber heut ist mein Termin! O je, Brüder!“ sprach er und schüttelte ihnen kräftig die Hände. „O je, gebt mich nicht preis, schlaft nur diese eine Nacht nicht! Mein Lebtage will ich eure Freundschaft nicht vergessen!“

Warum sollte man einem Menschen in so einem Unglück nicht beistehen? Der Großvater erklärte glattweg, er würde sich eher sein Kosakenhaar vom eignen Kopf scheren, als den Teufel mit seiner Hundeschnauze eine christliche Seele beschnüffeln lassen. Unsere Kosaken wären vielleicht noch weiter geritten, wenn nicht die Nacht den ganzen Himmel umwoben hätte, wie ein schwarzes dichtes Netz; im Feld war es so dunkel geworden wie unter einem Schafspelz. Nur von ferne blinkte ihnen ein Lichtschein entgegen, und die Pferde, die die nahe Krippe ahnten, sputeten sich, und starrten mit gespitzten Ohren in die Finsternis. Der Lichtschein schien ihnen entgegen zu eilen, und vor den Kosaken tauchte eine Schänke auf, die ganz morsch und auf die Seite geneigt war, wie ein Frauenzimmer, das von einer fröhlichen Taufe heimgeht. Zu jener Zeit war eine Schänke etwas ganz anderes wie heutzutage. Nicht nur, daß man nicht ordentlich losgehen und drinnen kein Tänzchen oder ’nen Hopser machen konnte, es gab nicht einmal Platz genug zum Hinlegen, wenn einen ein Rausch überkommen hatte, und die Füße von selbst anfingen, Zeichen in die Luft zu schreiben. Der Hof war mit Frachtfuhren vollgepfropft; in den Scheuern und den Krippen und auf dem Flur lagen Leute: der eine zusammengekrümmt, ein anderer lang ausgestreckt, und schnarchten wie die Kater. Nur der Wirt saß vorm Lämpchen und schnitt Kerben in einen Stock, um sich’s zu merken, wieviel Viertel und Achtel die Fuhrleute ausgepfiffen hätten. Der Großvater bestellte ein drittel Eimer für drei Mann, ging in die Scheune, und alle drei legten sich nebeneinander nieder. Kaum aber hatte er sich auf die Seite gelegt, als er merkte, daß seine Landsleute schon in einen wahren Totenschlaf versunken waren. Der Großvater weckte den dritten Kosaken, der zu ihnen gestoßen war, und erinnerte ihn an das Versprechen, das sie ihrem Kameraden gegeben hatten. Jener richtete sich ein wenig auf, rieb sich die Augen und schlief wieder ein. Es war nichts zu machen, er mußte also allein Wache halten. Um den Schlaf zu verscheuchen, besah er sich alle Wagen, beguckte die Pferde, steckte sich eine Pfeife an, kam wieder zurück und setzte sich neben die Seinen. Alles war so still, daß man eine Fliege hätte hören können. Auf einmal war es ihm, als wenn ihm ganz in der Nähe, hinter einem Wagen, etwas Graues die Hörner zeigte .... Seine Augen begannen zuzufallen, und er mußte sie jeden Augenblick mit den Fäusten wach reiben und mit dem Rest vom Schnapse waschen. Kaum aber konnten sie wieder scharf blicken, da war alles wieder verschwunden. Nach einer kleinen Weile zeigte sich das Ungetüm von neuem hinterm Wagen .... Der Großvater riß die Augen auf, so weit er konnte; aber die verdammte Schlaftrunkenheit umnebelte alles vor ihm, seine Hände wurden steif, der Kopf sank hintenüber, und ein fester Schlaf übermannte ihn, so daß er hinfiel wie ein Toter. Der Großvater mußte wohl recht lange geschlafen haben, denn erst als die Sonne ihm tüchtig auf den Schädel brannte, sprang er auf die Beine. Er räkelte sich, kratzte sich den Rücken und merkte, daß schon nicht mehr so viele Wagen dastanden wie gestern. Die Fuhrleute waren also bereits vor Tagesanbruch davon gefahren. Was jedoch seine Leute anging, so schlief der Kosak noch, der Saporoger aber war weg. Er fragte herum, aber niemand wußte was. Nur sein Kittel lag noch auf demselben Platze. Mein Großvater wurde von Angst ergriffen und fing an zu grübeln. Er sah nach den Pferden — sie waren fort, sowohl seins, wie das des Saporogers! Was hatte das zu bedeuten? Gesetzt, der Gottseibeiuns hatte den Saporoger geholt, wer aber hatte die Pferde mitgenommen?

Nach reiflicher Überlegung kam der Großvater zum Schluß, daß der Teufel sicherlich zu Fuß herbeigelaufen sei; und da es gar weit bis zur Hölle wäre, hatte er das Pferd gestohlen. Es schmerzte ihn sehr, daß er sein Kosakenwort nicht gehalten hatte. „Nun,“ dachte er, „da ist nichts zu machen. Ich gehe zu Fuß; am Ende treff’ ich unterwegs einen Pferdehändler, der vom Jahrmarkt zurückkehrt, und dann kaufe ich mir bei dem ein Pferd.“ Wie er aber nach der Mütze griff, war auch die Mütze fort. Da schlug mein seliger Großvater die Hände überm Kopf zusammen, denn er erinnerte sich, daß er ja gestern mit dem Saporoger die Mützen getauscht hatte! Wer konnte also wohl sonst der Dieb sein, wenn nicht der Unreine! Na, das war eine schöne Hetmans-Post! Da hatte er den Brief an die Zarin! Und der Großvater begann den Teufel mit solchen Namen zu traktieren, daß es dem in seiner Hölle wohl mehr als einmal in den Ohren klingen mochte. Aber alles Schimpfen hilft wenig, und so viel sich der Großvater auch den Kopf kratzte, es wollte ihm nichts einfallen. Was war da zu tun? Er suchte sich also eilig einen fremden Verstand zu borgen: sammelte all die guten Leute, die in der Schänke waren, die Fuhrleute und die anderen Reisenden, um sich und erzählte ihnen alles: so und so, und dies Malheur sei ihm geschehen. Die Fuhrleute saßen lange, das Kinn auf den Peitschenstiel gestützt, da, sannen nach, schüttelten die Köpfe und meinten, von so einem Wunder hätten sie wahrhaftig in Gottes getaufter Welt noch nie vernommen, daß ein Hetmans-Brief vom Teufel geholt worden sei. Andere fügten noch hinzu, wenn der Teufel oder ein Moskowiter etwas stibitzten, dann könne man hinterher nur noch drei Kreuze machen. Der Schankwirt allein saß schweigend in seinem Winkel. Der Großvater machte sich an ihn heran. Wenn ein Mensch schweigt, so bedeutet das, er hat’s dick hinter den Ohren. Aber der Wirt war sehr wortkarg, und hätte der Großvater nicht fünf Gulden aus der Tasche geholt, so hätte er bis an sein Lebensende vor ihm stehen können.

„Ich will’s dir sagen, wie du wieder zu deinem Briefe kommen kannst,“ sprach er endlich und führte ihn auf die Seite. Dem Großvater wurde bedeutend leichter ums Herz. „Ich sehe dir’s an deinen Augen an, daß du kein Weib bist, Kosak! Gib acht: unweit von der Schänke führt ein Pfad rechts nach dem Walde. Sobald die Dämmerung sich über’s Feld senkt, sei bereit. Im Walde da leben Zigeuner. Die kommen dann in solchen Nächten, wo sich keine Menschenseele zeigt, und nur die Hexen auf ihren Ofengabeln reiten, aus ihren Höhlen gekrochen, um Eisen zu schmieden. Was sie aber in Wahrheit treiben und womit sie handeln, das braucht dich nicht zu kümmern. Da wird’s im Wald ein gewaltiges Getöse geben. Aber geh du nicht dahin, woher der Lärm kommt; ein enger Pfad wird vor dir liegen, der an einem verkohlten Baumstamm vorbeiführt: auf diesem Wege geh’ weiter und immer weiter .... die Dornen werden dich stechen, und dichtes Gestrüpp versperrt dir den Weg, — aber geh du nur immer weiter! Erst wenn du an einen kleinen Bach kommst, dann darfst du Halt machen. Dort wirst du finden, was du brauchst. Doch vergiß ja nicht, deine Taschen damit zu füllen, wofür die Taschen gemacht sind .... Du verstehst mich, diese Ware lieben die Teufel nicht weniger als die Menschen!“ Nach diesen Worten zog sich der Wirt in seinen Verschlag zurück und wollte nichts weiter sagen.

Mein Großvater seligen Angedenkens war ein Mann, der sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen ließ; wenn er einem Wolf begegnete, so packte er ihn stracks am Schwanze; und machte er mal mit seinen Fäusten einen Gang durch die Kosaken, so sanken sie zu Boden, wie Birnen, die man vom Baum schüttelt. Als er aber in der stockfinsteren Nacht in den Wald kam, da überlief’s ihn denn doch kalt. Kein Sternchen stand am Himmel und es herrschte eine düstere Finsternis, wie in einem Weinkeller; nur ganz hoch oben über dem Kopfe, da hörte man den kalten Wind durch die Baumwipfel streichen, und die Bäume wackelten wie berauschte Kosakenköpfe und die Blätter flüsterten sich trunkene Reden zu. Auf einmal wehte eine solche Kälte daher, daß der Großvater an seinen Schafpelz denken mußte; und plötzlich fing’s an zu hämmern, wie wenn hundert Hämmer herunterfielen, und es ging so ein Riesenlärm durch den Wald, daß es ihm fürchterlich im Kopfe dröhnte. Der ganze Wald wurde auf einen Augenblick ganz hell wie bei einem Wetterleuchten. Der Großvater erspähte sogleich den Pfad, der zwischen niedrigem Gebüsch dahinführte: da war auch der verkohlte Baumstamm und das Dornendickicht! Alles genau so, wie’s ihm gesagt worden war. Nein, der Schankwirt hatte ihn nicht betrogen. Aber besonders heiter war es doch nicht, sich durch das dastehende Gestrüpp hindurcharbeiten zu müssen. Sein Lebtag hatte er noch nie gespürt, daß die verfluchten Äste und Dornen so schmerzhaft stechen können: fast bei jedem Schritte wollte er aufschreien.

Nach und nach hatte er sich auf einen freien Platz hinausgewunden. Er gewahrte, daß die Bäume seltener wurden, und als er weiter zusah, da waren sie so dick, wie er’s nicht einmal jenseits vom Königreich Polen gesehen hatte. Bald schimmerte auch das Bächlein zwischen den Bäumen auf: schwarz wie eine Damaszener Klinge. Lange stand der Großvater am Ufer und spähte nach allen Seiten aus. Am anderen Ufer brennt ein Feuer. Schon will es erlöschen, da fällt sein Wiederschein aufs neue ins Bächlein, das aufzuckt wie ein polnischer Schlachziz unter einer groben Kosakenfaust. Da ist auch eine winzige Brücke! „Da drüber kann doch höchstens ein Teufelswägelchen fahren!“ dachte der Großvater, aber er betrat sie schnell, und schneller noch als mancher die Dose aus der Tasche holt, um eine Prise zu nehmen, war er am anderen Ufer. Jetzt erst nahm er wahr, daß Leute am Feuer saßen; aber die hatten solche garstige Fratzen, daß er zu andern Zeiten Gott weiß was drum gegeben hätte, ihrer Bekanntschaft entgehen zu dürfen. Jetzt aber war ihm nicht zu helfen: Er mußte schon mit ihnen anbändeln. Der Großvater verneigte sich tief bis zur Erde vor ihnen. „Grüß Gott, gute Leute!“ Aber auch nicht einer nickte mit dem Kopfe: sie saßen stumm da, schwiegen und streuten etwas ins Feuer. Da der Großvater fand, daß noch ein Platz frei war, so setzte er sich denn ohne weitere Umschweife. Die widerlichen Fratzen sprachen nichts, und auch der Großvater sagte nichts. Lange saßen sie schweigend so da, und der Großvater bekam die Sache schon satt; er griff in die Tasche, zog die Pfeife raus, blickte um sich — aber keiner sah nach ihm hin. „Wollten Euer Gnaden mit Verlaub die hohe Güte haben, sozusagen“ .... (Mein Großvater war ein vielerfahrener Mann, er verstand es, am rechten Fleck ein höfliches Wörtlein anzubringen; selbst vor dem Zaren hätte er, wenn’s drauf ankam, in Ehren bestehen können.) .... „sozusagen, um weder von mir, noch von euch zu schweigen: ein Pfeifchen hab’ ich wohl, aber wo soll ich Feuer herkriegen?“ Auch auf diese Rede erfolgte keine Antwort. Nur eine von den Mißgestalten ergriff ein brennendes Holzscheit und stieß es dem Großvater geradewegs gegen die Stirn, und wenn er nicht etwas zurückgefahren wäre, hätte er auf ewig von seinem einen Auge Abschied nehmen müssen. Als er endlich sah, daß die Zeit unnütz verrann, beschloß er — ob’s die unreine Brut nun anhören wollte oder nicht — ihnen seine Sache zu erzählen. Jene spitzten die Ohren und streckten die Pfoten vor. Der Großvater begriff, was sie wollten; nahm sein ganzes Geld und warf es mitten vor sie hin, wie man Hunden etwas vorwirft. Kaum hatte er das Geld hingeschmissen, da schien alles vor ihm durcheinanderzugehen, die Erde erzitterte, und er geriet — wie, das konnte er selbst nicht erzählen — schier in die Hölle. „Mein Gott!“ schrie der Großvater auf, als er sich wieder umsah. Was für Ungeheuer! Fratze neben Fratze! Da gab’s Hexen in so ungeheuerer Menge, wie die Schneeflocken, die zuweilen auf Weihnachten fallen, und alle so aufgeputzt und angemalt, wie die Fräulein auf dem Jahrmarkt. Sie alle begannen, soviel ihrer da waren, einen teuflischen Hopser zu tanzen. Der Staub wirbelte in die Höhe, — Gott bewahr, welch ein Staub! Einen ehrlich getauften Menschen hätte ein Zittern erfassen müssen, wenn er gesehen hätte, wie hoch diese Teufelsbrut sprang. Aber den Großvater überkam, trotz seiner Angst, ein Lachen, als er sah, wie die Teufel mit ihren Hundeschnauzen zierliche Schritte machten und mit wedelnden Schweifchen um die Hexen herumscharwenzelten, wie junge Burschen um die hübschen Mädchen; und die Musikanten paukten auf ihren eignen Backen herum wie auf Trommeln, und pfiffen durch die Nasen wie auf Flöten. Kaum aber hatten sie den Großvater erblickt, da stürzten sie sich wie ein ganzes Heer auf ihn: Schweinemäuler, Hundemäuler, Bocksmäuler, Gänsemäuler, Pferdemäuler — sie alle reckten sich vor und wollten, kam’s wie’s kam, von ihm geküßt werden. Der Großvater mußte ausspucken, so ein Ekel überkam ihn! Endlich aber wurde er gepackt und an einen Tisch gesetzt, der vielleicht so lang war, wie der Weg von Konotop nach Baturin. „Na, das ist wenigstens nicht übel,“ dachte der Großvater, als er Schweinefleisch, Würste, Kohl mit Zwiebeln und noch viele andere Leckerbissen auf dem Tische stehen sah. „Das Satanspack hält wohl die Fasten nicht!“ Der Großvater ließ die Gelegenheit, einen guten Bissen zu nehmen, nie außer acht. Er hatte stets Appetit, und darum rückte er ohne viel Federlesens die Schüssel mit dem angeschnittenen Speck und einen Schinken zu sich heran, ergriff eine Gabel, die nicht viel kleiner war als die Gabeln, mit denen die Bauern Heu aufladen, spießte ein riesiges Stück Fleisch auf, nahm noch ein mächtiges Stück Brot dazu und schob es geradewegs in — einen fremden Mund, der eben neben seinen Ohren aufgetaucht war, er hörte sogar noch, wie das Maul kaute und über den ganzen Tisch hin mit den Zähnen klapperte. Der Großvater muckste nicht, gabelte ein anderes Stück auf, und schon glaubte er es auf seinen Lippen zu spüren, aber da geriet es wieder in einen fremden Rachen. Er versuchte es ein drittes Mal — und wieder traf er vorbei. Der Großvater raste vor Wut. Er vergaß all seine Angst und in wessen Händen er sich befand, und sprang auf die Hexen los: „Was, ihr Herodesbrut, ihr! wollt ihr euch vielleicht über mich lustig machen? Wenn ihr mir nicht auf der Stelle meine Kosakenmütze herausgebt, so will ich ein Römling sein, wenn ich euch nicht die Schweineschnauzen auf den Nacken drehe!“ Noch hatte er die letzten Worte nicht ausgesprochen, als alle Ungeheuer die Zähne zu fletschen begannen und ein solches Gelächter aufschlugen, daß dem Großvater die Seele zu Eis erstarrte.

„Gut!“ winselte eine der Hexen, die der Großvater für das Oberhaupt der anderen hielt, denn ihr Lärvchen war vielleicht noch wundervoller als die Fratzen der anderen. „Die Mütze wollen wir dir geben, aber nicht eher, als bis du dreimal mit uns Schafskopf gespielt hast.“

Was war da zu machen? Soll etwa ein Kosak mit Weibern zusammen sitzen und Schafskopf spielen? Der Großvater weigerte und weigerte sich immer wieder. Endlich aber ließ er sich doch dazu herbei. Man brachte Karten, und zwar so schmierige wie die, aus denen sich bei uns die Popentöchter wahrsagen, wenn sie wissen wollen, was für Bräutigams sie bekommen werden.

„Hör’!“ bellte die Hexe wieder los, „wenn du auch nur ein einziges Mal gewinnst, so ist die Mütze dein. Wenn du aber alle dreimal Schafskopf bleibst, so nimm’s mir nicht übel, dann wirst du nicht bloß deine Mütze, sondern vielleicht auch die Welt nie mehr wiedersehen!“

„Gib her, alte Vettel! Komme, was kommen mag!“

Die Karten wurden verteilt und der Großvater nahm die seinen in die Hände. Nicht hinblicken mochte er auf den Schund! wenn auch bloß zum Scherz nur ein einziger Trumpf darunter gewesen wäre! Bei einer Farbe war die Zehn schon der höchste Stich, und nicht einmal ein Paar hatte er; die Hexe aber spielte immer Fünfer aus. So blieb er denn Schafskopf!

Kaum war der Großvater Schafskopf geworden, so begannen die Mäuler von allen Seiten zu wiehern, zu bellen und zu grunzen: „Schafskopf, Schafskopf, Schafskopf!“

„Mögt ihr doch platzen, ihr Satansbrut!“ schrie der Großvater und stopfte sich mit dem Finger die Ohren zu. „Na,“ denkt er, „die Hexe hat wohl falsch gemischt! Jetzt werde ich mal mischen!“ Er gab also die Karten, sagte Trumpf an und blickte in die Karten: waren das großartige Karten, auch Trümpfe waren dabei! Zuerst ging die Sache, wie’s nicht besser gehen konnte; aber die Hexe hatte eine Fünf und alle Könige! Der Großvater jedoch hatte lauter Trümpfe in Händen! Ohne da groß zu überlegen, deckte er, bumms, alle Könige mit Trümpfen!

„Oho, das ist nicht Kosakenart! Womit deckst du denn da, Nachbar?“

„Was da — womit? Mit Trümpfen natürlich!“

„Das sind vielleicht bei euch Trümpfe, bei uns aber nicht!“

Sieh mal an — es war in der Tat nur eine einfache Farbe. So eine hundsföttische Zauberei! Er mußte zum zweitenmal Schafskopf werden, und das Teufelspack brüllte von neuem: „Schafskopf, Schafskopf!“ so daß der Tisch wackelte und die Karten auf dem Tische herumhüpften. Der Großvater geriet in Hitze; er gab zum letzten Male Karten. Wieder ging es schlecht und recht. Die Hexe spielte wieder eine Fünf aus; der Großvater deckte sie und kaufte eine ganze Hand voll Trümpfe.

„Trumpf!“ schrie er und schlug mit der Karte so mächtig auf den Tisch, daß sie sich krumm bog. Jene deckte, ohne ein Wort zu sagen, mit einer Acht. „Und womit stichst du, alter Teufel?“ Die Hexe hob die Karte auf, unter der eine einfache Sechs lag. „Ach verdammtes Satansgeflunker!“ rief der Großvater und schlug vor Ärger aus aller Leibeskraft mit der Faust auf den Tisch. Ein wahres Glück, daß die Hexe schlechte Karten hatte; der Großvater hatte wie zu Fleiß lauter Paare in seiner Hand. Er begann zu kaufen, aber er war schon mit seiner Kraft zu Ende: er bekam so schlechte Karten, daß er die Hände sinken ließ. Es gab keine Karten mehr zu kaufen und nun ging er schon, ohne viel hineinzublicken, mit einer einfachen Sechs los. Die Hexe nahm sie auf. „Da hast du die Bescherung! Was sollte das bedeuten? Oho, da stimmt sicher etwas nicht!“ Der Großvater nahm also heimlich die Karten unter den Tisch und schlug ein Kreuz über sie; und auf einmal hatte er Trumpf-Aß, Trumpf-König und Trumpf-Bube in Händen, und statt seiner Sechs hatte er Dame gespielt. „Ein schöner Narr bin ich gewesen,“ dachte er sich. — „Trumpf-König! Was? Hast du das? Du Katzenbrut! Willst du vielleicht ein Aß? Ein Aß! einen Buben! ....“ Ein donnerndes Dröhnen rollte durch die ganze Hölle; die Hexe verfiel in Krämpfe, und auf einmal flog dem Großvater — patsch! — die Mütze ins Gesicht. „Nein, das ist zu wenig!“ schrie der Großvater schon viel dreister, als er erst seine Mütze aufgesetzt hatte. „Wenn nicht mein braves Pferd auf der Stelle vor mir erscheint, so soll mich an diesem unreinen Ort gleich der Donner treffen, oder ich schlage wahrhaftig das heilige Kreuz über euch alle!“ Und schon erhob er die Hand, als er auf einmal Pferdeknochen vor sich klappern hörte.

„Da hast du dein Pferd!“

Der Ärmste brach bei diesem Anblick in Tränen aus, wie ein törichtes Kind. Schade um den alten Freund! „Gebt mir nur irgend ein Pferd, damit ich aus eurem Nest herauskomme!“ Der Teufel knallte mit seiner Hetzpeitsche, — ein Pferd sauste wie ein Feuer unter dem Großvater herauf, und er flog wie ein Vogel in die Höhe. Aber mitten im wilden Ritt ergriff ihn eine mächtige Angst, als das Pferd ohne auf seine Rufe oder auf die Zügel zu achten, über Gräben und Sümpfe dahinjagte. An was für Orten war er damals nicht überall gewesen! schon beim bloßen Erzählen überkam ihn ein Zittern. Er blickte vor sich hinab und erschrak: vor ihm lag ein Abgrund, eine furchtbare Schlucht! Doch das Satansvieh machte sich nichts daraus und setzt einfach drüber weg! Der Großvater wollte sich festhalten, aber es gelang ihm nicht. Hals über Kopf, durch Gestrüpp und über Felsen flog er hinab in den Schlund und prallte tief unten am Grunde so gewaltig auf, daß ihm der Atem verging. Wenigstens konnte er sich später auf nichts mehr besinnen, was damals mit ihm vorgegangen war; und als er wieder zu sich kam und sich umsah, da war es schon ganz hell geworden. Vor ihm schimmerte eine wohlbekannte Gegend, und er lag auf dem Dache seines eigenen Hauses.

Als der Großvater heruntergeklettert war, schlug er ein Kreuz. „Teufelszeug! Was zum Henker einem Menschen nicht für Wunderdinge widerfahren können!“ Er sah seine Hände an. Sie waren voll Blut; er sah in das vor ihm stehende Wasserfaß — auch sein Gesicht war voller Blut. Er wusch sich gründlich, um die Kinder nicht zu erschrecken, trat leisen Schrittes in die Stube, und was sieht er da? Die Kinder gehen rücklings auf ihn zu, strecken die Finger aus und sagen: „Sieh doch, sieh — die Mutter springt herum wie verrückt!“ Und wahrhaftig: sein Weib sitzt eingeschlafen vorm Spinnrocken, hält die Spindel in der Hand und hüpft im Schlaf auf der Bank hoch und nieder. Der Großvater nahm sie sanft bei der Hand und weckte sie. „Grüß Gott, Frau, bist du auch ganz wohl?“ Jene starrte ihn lange an. Endlich erkannte sie den Großvater und erzählte, sie habe geträumt, der Ofen sei in der Stube herumgefahren, habe mit der Schaufel alle Töpfe und Schüsseln hinausgejagt ... und der Teufel weiß, was noch alles! „Na ja,“ sagte der Großvater, „dein Traum war meine Wirklichkeit, ich sehe schon, man muß unser Haus mit Weihwasser besprengen — aber jetzt darf ich keine Zeit mehr verlieren.“ So sprach der Großvater, und als er sich etwas ausgeruht hatte, holte er das Pferd und machte nicht eher Halt, weder bei Tag noch bei Nacht, als bis er sein Ziel erreicht und der Zarin selbst den Brief übergeben hatte. Da bekam der Großvater solche Wunderdinge zu sehen, daß er noch lange nachher davon erzählen konnte: wie er in ein Schloß geführt wurde, welches so hoch war, daß man zehn Häuser hätte übereinander bauen können, und es hätte noch nicht gereicht; wie er in ein Gemach hineinblickte — die Zarin war nicht drin, — dann in ein zweites — auch da war sie nicht, in ein drittes — auch da nicht, — in ein viertes — sie war immer noch nicht da. Erst im fünften Zimmer saß sie selbst, mit einer goldenen Krone auf dem Haupte, in einem grauen, funkelnagelneuen Kittel und mit roten Stiefelchen, und aß goldene Knödel. Sie ließ ihm die ganze Mütze mit blauen Scheinen vollstopfen, und ihm .... aber man kann sich doch nicht an alles erinnern! Der Großvater hatte sogar die Plackerei mit den Teufeln ganz vergessen, und wenn es geschah, daß ihn jemand daran erinnerte, so schwieg er, als ginge ihn das nichts an, und es kostete gar viele Mühe, ihn so weit zu bringen, daß er’s erzählte. Aber wohl zur Strafe dafür, daß er damals das Haus nicht sofort mit Weihwasser besprengt hatte, widerfuhr der Frau jedes Jahr, und zwar immer um dieselbe Zeit, das Wunder, daß sie immerzu tanzen wollte. Was sie auch beginnen mochte, die Beine taten das ihrige und zwangen sie förmlich, ein Tänzchen aufzuführen.

Ende des ersten Teils.

Abende auf dem Gutshof bei Dikanka.
Zweiter Teil

Vorrede

Hier habt ihr das zweite Büchlein, oder richtiger gesagt, das letzte. Erst wollt’ ich’s ja nicht, nein, ich wollt’ es ganz und gar nicht herausgeben. Wahrhaftig, man muß auch mal ’nen Schlußpunkt setzen können. Und ich kann euch nur mitteilen: auf dem Vorwerk fängt man schon an, über mich zu lachen. „Sieh mal einer an!“ sagt man, „der alte Toback ist ja schon ganz närrisch: der amüsiert sich auf seine alten Tage noch mit Spielereien!“ Ja wirklich, ’s wäre doch längst Zeit, zur Ruhe zu gehen. Ihr, lieben Leser, glaubt natürlich, ich tue nur so, als ob ich schon so alt sei. Ach du lieber Gott, was heißt da Verstellung, wenn einem kein Zahn mehr im Munde sitzt! Was Weiches kann ich ja noch irgendwie kauen, aber Hartes kann ich nun schon gar nicht mehr beißen. Hier habt ihr also noch ein Büchlein! Bloß eins, aber schimpft nicht! ’s ist nicht recht, beim Abschied zu schimpfen, besonders auf einen Menschen, den man Gott weiß wann wiedersieht. In diesem Büchlein werdet ihr Erzähler zu hören bekommen, die euch fast alle unbekannt sind, ausgenommen etwa Foma Grigorjewitsch. Was aber jenes erbsengraue Herrchen angeht, das immer so verblümt zu erzählen pflegte, so daß ihn selbst irgend so ein pfiffiger Moskowiter nicht recht verstehen konnte, — der ist schon lange nicht mehr da. Erst hat er sich gründlich mit uns allen verkracht, und dann ließ er sich überhaupt nicht mehr blicken. Ja, hab’ ich euch denn diesen Fall nicht erzählt? Hört doch nur, es war wirklich eine höchst possierliche Geschichte. Im vorigen Jahr, es war gegen Anfang des Sommers, — ich glaube beinahe am Namenstage meines Schutzheiligen, — kamen einige Gäste zu mir .... (Das muß ich euch sagen, lieben Leser; meine Landsleute — Gott schenke ihnen ein langes Leben und eine gute Gesundheit — haben mich alten Mann nicht vergessen. Es geht schon ins fünfzigste Jahr, daß ich mich auf meinen Namenstag besinne; aber wie alt ich nun genau bin, das kann weder ich euch sagen, noch meine Alte. Wahrscheinlich so gegen siebzig. Der Pope von Dikanka, Vater Charlampi, hat’s gewußt, wann ich geboren bin; aber leider sind’s schon fünfzig Jahr, daß er tot ist.) Also es kamen Gäste zu mir: Sachar Kirilowitsch Tschuchopupenko, Stepan Iwanowitsch Kurotschka, Taras Iwanowitsch Smatschnenjki, und der Assessor Charlampi Kirilowitsch Chlosta; dann war noch .... sieh mal einer an, da hab’ ich doch wahrhaftig seinen Vor- und Zunamen vergessen .... Ossip .... Ossip .... mein Gott, ganz Mirgorod kennt ihn ja! Wenn er redet, schnippt er zuerst mit den Fingern, und dann stemmt er die Hände in die Hüften .... Na, Gott helf’ ihm! ’s wird mir ein andermal einfallen. Ferner war auch der euch schon bekannte junge Herr aus Poltawa gekommen; Foma Grigorjewitsch rechne ich übrigens nicht mit; der gehört schon zur Familie. Man kam ins Gespräch (ich muß schon wieder was einschalten! Bei uns wird nämlich nie Firlefanz geredet: ich kann nur höchst anständige Gespräche leiden, damit, wie man so zu sagen pflegt, zugleich dem Vergnügen, und der Erbauung Genüge geschieht). — Man kam also ins Gespräch darüber, wie man wohl am besten Äpfel einlegt. Meine Alte sagte, man müsse die Äpfel zuerst gut waschen, dann in Sauerbier einweichen, und dann erst .... „Aber kein Gedanke!“ fiel das Herrchen aus Poltawa ein, schob die Hand in seinen erbsengrauen Kaftan und stolzierte würdevoll im Zimmer auf und ab. „Aber kein Gedanke! Erst muß man Minze auf sie streuen, und dann erst ....“ Ich muß euch zu Zeugen aufrufen, liebe Leser, sagt mal ganz ehrlich: habt ihr je gehört, daß man Minze auf die Äpfel streut? Freilich legt man Johannisbeerblätter, Nagelkraut und Kleeblatt hinein, aber daß man Minze einlegte .... nein, das habe ich noch nie gehört. Besser als meine Alte weiß wohl niemand Bescheid mit solchen Sachen. Seht, nun sagt ihr’s selbst! Ich führte ihn also, als honetten Menschen, ein wenig zur Seite und sagte: „Höre, Makar Nasarowitsch, treib doch keine Narrenspossen! Du bist doch ein feiner Herr: hast doch, wie du selber sagst, einmal am Gouverneurstische mit gegessen. Wenn du da so etwas sagst, da werden dich ja alle auslachen!“ Und was glaubt ihr nun, hat er drauf gesagt? — Nichts! Er hat auf den Boden gespuckt, hat seine Mütze genommen und ist gegangen. Nicht einmal Abschied hat er von irgendeinem genommen, ja nicht einmal jemandem zugenickt; wir hörten bloß, wie sein Wägelchen mit den Schellen am Tore vorfuhr; und schon saß er drin und fuhr davon. Na, um so besser! Solche Gäste können wir nicht brauchen! Ich will euch nur sagen, meine lieben Leser, es gibt gar nichts Schlimmeres auf der Welt, als diese Ritter vom hohen Roß. Weil sein Ohm mal Kommissär war, muß er drum die Nase rümpfen? Als ob Kommissär schon so ein Rang wäre, daß es gar nichts Höheres auf der Welt gibt! Gott sei Dank, es gibt noch höhere Tiere, als so ein Kommissär. Nein, diese Vornehmtuerei kann ich nicht ausstehen! Nehmt doch zum Beispiel Foma Grigorjewitsch; das ist doch kein feiner Herr, aber seht ihn mal an: in seinem Gesicht glänzt stets eine gewisse Würde; sogar wenn er seinen gewöhnlichen Tabak schnupft, da hat man unwillkürlich Respekt. Und erst in der Kirche; wenn er da oben auf dem Chore steht und singt, — da kommt es ordentlich wie Rührung über einen! Man möchte am liebsten vergehen! .... Aber jener .... na, Gott mit ihm! Der glaubt ganz gewiß, ohne seine Geschichten könne man gar nicht auskommen. Je nun, auch ohne ihn hat sich ein Büchelchen zusammengefunden.

Ich habe euch, glaub’ ich, versprochen, daß in diesem Büchlein auch ein Märchen von mir sein wird. Ich wollt’ es auch wirklich so machen, aber da hab’ ich gemerkt, daß man für meine Geschichte wenigstens drei solcher Büchelchen brauchte. Ich gedachte zuerst, es besonders drucken zu lassen, aber dann hab’ ich mir’s überlegt. Ich kenne euch ja: ihr werdet noch über mich alten Mann lachen. Nein, ich mag’s nicht! Gehabt euch wohl! Wir sehen uns lange Zeit nicht wieder, oder vielleicht auch nie. Aber was ist daran gelegen? Euch kann’s ja gleich sein, auch wenn ich gar nicht auf der Welt wäre. Ein Jahr wird dahingehn und noch eins — und ich bin sicher, niemand von euch besinnt sich mehr auf mich, oder denkt mit Bedauern an den alten Bienenzüchter

Rotfuchs Panjko.

Die Nacht vor dem Weihnachtsfest

Der letzte Tag vor dem Weihnachtsfeste war verstrichen. Klar brach die Winternacht an, die Sterne schauten hervor, der Mond stieg majestätisch am Himmel empor, um allen guten Leuten und der ganzen Welt zu leuchten, damit allen fröhlich ums Herz sei, wenn nach dem Weihnachtsbrauch unter den Fenstern zu Christi Lob und Preis gesungen würde. Der Frost war noch schneidender als am Morgen; aber dafür war es so still, daß man das Knirschen des Schnees unter den Stiefeln eine halbe Werst weit hören konnte. Noch war unter keinem Fenster eine einzige Schar von Burschen zu sehen; allein der Mond blickte verstohlen durch die Scheiben, als wollte er den sich putzenden Mädchen zuwinken, sie sollten schneller hinauslaufen in den knisternden Schnee. Da wälzten sich dichte Ballen von Qualm aus dem Schornstein einer Hütte und stiegen wie eine Wolke zum Himmel auf, und zugleich mit dem Rauch ritt eine Hexe auf einem Besenstiel in die Höhe.

Wenn in diesem Augenblick der Herr Assessor aus Sorotschintzy in einem mit Gutspferden bespannten Dreispänner vorbeigefahren wäre, die Mütze mit der Hammelfellborde, wie sie die Ulanen tragen, auf dem Kopf, in seinem blauen, mit schwarzem Lammfell gefütterten Pelz, und mit seinem Teufelsding, der geflochtenen Peitsche, mit der er gewöhnlich seinen Kutscher anfeuerte, so hätte er sie bestimmt gesehen; denn dem Assessor von Sorotschintzy kann keine Hexe entgehen. Er kann sich’s nämlich von jedem Frauenzimmer an den Fingern abzählen, wieviel Ferkelchen ihre Sau wirft, wieviel Leinwand in ihrem Kasten liegt, und er weiß aufs Tüpfelchen, was ein wackerer Mann an einem Sonntag in der Schenke an Kleidern und Wirtschaftssachen versetzt. Aber der Assessor von Sorotschintzy kam nicht vorbeigefahren, und dann kümmerte er sich auch nicht um fremde Leute — er hatte ja seinen eigenen Bezirk. Unterdessen aber stieg die Hexe so hoch empor, daß sie da oben nur noch wie ein schwarzes Pünktchen aussah. Aber wo dies Pünktchen sich zeigte, dort verschwand ein Stern nach dem andern vom Himmel. Bald hatte die Hexe einen ganzen Ärmel voll von ihnen heruntergeholt. Nur noch drei oder vier blinkten so herum. Auf einmal jedoch tauchte an der entgegengesetzten Seite ein andres Pünktchen auf, wurde immer größer, dehnte sich in die Breite, und bald war es kein Pünktchen mehr. Ein Kurzsichtiger hätte sogar statt einer Brille die Räder vom Wagen des Kommissärs auf die Nase setzen können, aber auch dann hätte er nicht genau erkennen können, was das für ein Ding war. Von vorne sah es sich ganz an wie ein Welscher: das spitzige Mäulchen, das sich fortwährend bewegte und alles und alle beschnüffelte, lief in ein rundes Fünfkopekenstück aus, wie bei unsren Schweinen; die Beine waren so dünn, daß sie auch dem Jereskower Amtmann, wenn er solche gehabt hätte, schon beim ersten Sprung im Kosakentanz gebrochen wären. Dafür aber war’s von hinten ein waschechter Gouvernementsprokurator in Uniform, denn ihm baumelte ein Schwanz herunter, der so lang war und so spitz zulief wie die Schöße an den neumodischen Uniformen; höchstens aus dem Bocksbart unterm Maul, aus den kleinen Hörnerchen auf dem Kopfe und daraus, daß er nicht viel weißer war als ein Schornsteinfeger, konnte man erraten, daß das weder ein Kerl aus dem Auslande, noch ein Gouvernementsprokurator war, sondern ganz einfach der Teufel in eigener Person, für den die letzte Nacht gekommen war, wo er sich in Gottes weiter Welt umhertreiben und die guten Menschen zu allerlei Sünden verführen durfte. Denn morgen schon sollte er beim ersten Glockenschlage der Frühmesse mit eingezogenem Schwanz zur Hölle fahren.

Indessen aber schlich sich der Teufel leise an den Mond heran und streckte die Hand aus, um nach ihm zu greifen; plötzlich jedoch riß er seine Hand zurück, als wenn er sich verbrannt hätte, sog an den Fingerspitzen, schlenkerte mächtig mit dem einen Bein und schlüpfte dann auf die andere Seite; aber da prallte er wiederum zurück und zog schleunigst die Hand weg. Trotz dieser Mißerfolge ließ jedoch der listige Teufel nicht von seinen bösen Streichen. Mit einem Anlauf rannte er heran und packte den Mond mit beiden Händen; er krümmte sich hin und her, blies aus vollen Backen auf ihn und warf ihn aus einer Hand in die andere, wie ein Bauer, der sich mit bloßen Händen Feuer für seine Pfeife holt; endlich steckte er ihn rasch in seine Tasche und sauste weiter, als ob ganz und gar nichts geschehen wäre.

In Dikanka hatte niemand gemerkt, daß der Teufel den Mond gestohlen hatte. Freilich, als der Gemeindeschreiber, übrigens auf allen Vieren, die Schänke verließ, sah er, daß der Mond plötzlich am Himmel umhertanzte, und er beschwor das bei allen Heiligen vor dem ganzen Dorfe; aber die Leute im Dorfe schüttelten nur die Köpfe und lachten ihn einfach aus. Doch was hatte den Teufel eigentlich zu einer so schändlichen Tat veranlaßt? Der Grund war folgender: er wußte, daß der reiche Kosak Tschub vom Küster zum Weihnachtsschmaus eingeladen war, und daß außerdem noch der Amtmann, ein Anverwandter des Vorsängers von der Bischöflichen Sängerkapelle, ein Mann im blauen Rock, der die tiefsten Baßtöne mühelos hervorbrachte, ferner der Kosak Swerbygus und noch dieser und jener da sein würden. Da würde es außer dem Weihnachtskuchen noch süßen Branntwein, Safranschnaps und noch allerhand Gutes zum Essen und Trinken geben. Unterdessen würde aber sein Töchterchen, die erste Schöne im ganzen Dorf, allein zu Hause bleiben; und dann würde sicher der Schmied zu dem Mädel kommen, ein handfester, kräftiger Bursch, ein Mordskerl, der dem Teufel noch widerwärtiger war als die Predigten des Vaters Kondrat. In seinen Mußestunden pflegte der Dorfschmied sich nämlich mit der Malerei zu beschäftigen, und er galt als der beste Maler in der ganzen Umgegend. Der Kosaken-Hauptmann L...ko, der damals noch lebte, hatte ihn sogar eigens dazu nach Poltawa kommen lassen, um den Bretterzaun vor seinem Hause zu tünchen. Alle Schüsseln, aus denen die Kosaken in Dikanka ihren Borschtsch schlürften, waren von ihm bemalt. Der Schmied war ein gottesfürchtiger Mann, malte oft Heiligenbilder, und man kann jetzt noch in der Kirche zu T..... einen Evangelisten Lukas von seiner Hand sehen. Aber der Triumph seiner Kunst war ein Bild, das er an die Wand der rechten Kirchenvorhalle gemalt hatte; da hatte er den heiligen Petrus dargestellt mit Schlüsseln in der Hand, wie er am jüngsten Tage den bösen Geist aus der Hölle vertreibt: der erschrockene Teufel rennt, seinen Untergang vorausahnend, hin und her, und die Sünder, die einst in die Hölle gesperrt waren, prügeln mit Knuten, Holzscheiten und allem, was ihnen unter die Hände kommt, auf ihn los. Zur Zeit, als der Maler an diesem Bilde arbeitete — er malte es auf ein großes Brett — hatte sich der Teufel aus aller Kraft bemüht, ihn dabei zu stören: er puffte ihn unsichtbar am Arm, holte Asche aus der Schmiede-Esse und streute sie auf das Bild; aber trotz alledem wurde das Werk zu Ende geführt, das Brett wurde in die Kirche gebracht, an der Wand der Vorhalle angenagelt, und seitdem hatte der Teufel dem Schmied Rache geschworen.

Nur noch eine Nacht war ihm nun geblieben, durch die Welt zu ziehen; in dieser Nacht aber wollte er seine ganze Wut an dem Schmied auslassen, und darum beschloß er, den Mond zu stehlen; er hatte es sich nämlich folgendermaßen ausgedacht: der alte Tschub ist träge, und schwer auf die Beine zu kriegen, und dann ist es auch von seinem Hause bis zum Küster nicht sehr nahe. Der Weg zu ihm führte hinterm Dorfe an Windmühlen und am Friedhof, an einem Abgrund vorüber, und dann konnten bei hellen Mondnächten auch noch der süße Branntwein und der Safranschnaps den Tschub locken; aber bei dieser Finsternis konnte es wohl kaum jemandem gelingen, ihn von seinem Plätzchen hinterm Ofen hervor und auf die Straße hinaus zu lotsen. Und da würde der Schmied, der schon lange nicht im besten Einvernehmen mit ihm lebte, es sicher nicht wagen, seine Tochter aufzusuchen, und wenn er auch noch so kräftig war.

Und so kam es, daß der Teufel kaum den Mond in die Tasche gesteckt hatte, als es plötzlich in der ganzen Welt so stockfinster wurde, daß manch einer den Weg ins Wirtshaus nicht gefunden hätte, geschweige denn den in des Küsters Haus. Die Hexe fand sich auf einmal im Dunkeln und stieß einen Schrei aus. Da scharwenzelte der Teufel auf sie zu, faßte sie flink unterm Arm und begann ihr allerhand schöne Dinge ins Ohr zu flüstern, wie man sie den Weibern gewöhnlich zuzuraunen pflegt. Es geht doch recht wunderlich zu in unserer Welt! Alles was in ihr leibt und lebt, alles ist bemüht, einander was abzugucken und andere Leute nachzuäffen. Früher gab’s einmal eine Zeit, da trugen in ganz Mirgorod nur der Richter und der Bürgermeister im Winter Pelze, die mit Tuch überzogen waren, während die übrigen Unterbeamten gewöhnlich die Pelze mit dem Fell nach außen trugen; jetzt dagegen haben sich der Assessor und der Unterrendant neue Pelze aus feinem Lammfell mit Tuchbezügen zugelegt. Vor zwei Jahren kauften der Kanzlist und der Gemeindeschreiber Nanking zu sechzig Kopeken die Elle, und der Kirchendiener hat sich zum Sommer gar eine Pluderhose aus Nanking und sogar eine Weste aus Kammgarn machen lassen. Kurz, alles will zur feinen Welt gehören! Wann werden die Menschen endlich einmal von ihrer Eitelkeit ablassen! Nun könnte man wetten, manchem kommt der Gedanke sonderbar vor, daß der Teufel sich ebenso benimmt. Am ärgerlichsten ist’s aber, daß er sich am Ende gar noch auf seine Schönheit was zugute tut, und dabei hat er doch eine Fratze, daß es eine wahre Schande ist. Geradezu eine Fresse, wie Foma Grigorjewitsch zu sagen pflegt, das Garstigste vom Garstigen, und so einer geht auch noch auf Liebschaften aus! Aber am Himmel war es so stockfinster geworden, daß man durchaus nichts mehr von dem sehen konnte, was sich zwischen dem Pärchen weiter abspielte.


„Also, Gevatter, du bist noch nicht beim Küster in der neuen Hütte gewesen?“ sprach der Kosak Tschub, trat aus der Tür seines Hauses und ging auf einen hageren, baumlangen Bauer in kurzem Schafspelz zu, mit einem dichten Bart, der davon Zeugnis ablegen konnte, daß dies Kinn schon über vierzehn Tage lang nicht mehr von dem Sensenstück berührt worden, mit dem sich die Bauern in Ermanglung eines Rasiermessers ihren Bart schaben. „Dort wird es jetzt ein schönes Gelage geben!“ fuhr Tschub, übers ganze Gesicht schmunzelnd, fort. „Daß wir nur nicht zu spät kommen!“

Dabei rückte Tschub seinen Gurt zurecht, der seinen Pelz fest zusammenzog, schob die Mütze tief in die Augen und nahm die Knute — den Schrecken und die Angst aller lästigen Hunde — fester in die Hand. Als er jedoch nach oben blickte, hielt er inne ....

„Teufel noch einmal! Schau! schau nur, Panas! ....“

„Was denn?“ sprach der Gevatter und hob ebenfalls seinen Kopf.

„Was? Der Mond ist fort!“

„Verflucht! Wahrhaftig, der Mond ist fort!“

„Das ist es ja eben,“ rief Tschub, einigermaßen ärgerlich über die unerschütterliche Teilnahmslosigkeit des Gevatters. „Du scherst dich wohl wenig drum!“

„Ja, was soll ich denn dabei machen?“

„Mußte sich da gerad so ein Teufel,“ fuhr Tschub fort und wischte sich mit dem Ärmel den Schnurrbart, „grad so ein Teufel hineinmischen! So ein Hundsfott! Daß er morgens doch nie wieder sein Glas Schnaps zu trinken kriegte! .... Wahrhaftig! Es ist zum Lachen .... Als ich in der Stube saß, da sah ich zu meinem Vergnügen zum Fenster hinaus: die Nacht war ein reines Wunder! Es war ganz hell, der Schnee leuchtete im Mondlichte und alles war so klar zu sehen wie am lichten Tag; kaum aber trete ich aus der Tür — da herrscht eine Dunkelheit, daß man die Hand vor den Augen nicht sieht! Mag er sich doch alle Zähne an hartem Buchweizenbrot ausbrechen!“

Lange noch brummte und schimpfte Tschub, zugleich aber überlegte er, wozu er sich entschließen solle. Für sein Leben gern hätte er beim Küster über dies und jenes schwatzen mögen; denn sicher saßen dort schon der Amtmann, der zugereiste Baß und der Teersieder Mikita, der alle vierzehn Tage zum Markt nach Poltawa zu fahren pflegte und solche Possen trieb, daß die Leute auf dem Dorf sich den Bauch vor Lachen hielten. Schon sah Tschub in Gedanken den süßen Branntwein auf dem Tische stehn. Freilich, all das war verlockend, aber die Dunkelheit der Nacht lockte wieder zu jenem Faulenzerleben, das jedem Kosaken so lieb ist. Wie gut wäre es jetzt, mit untergeschlagenen Beinen auf der Ofenbank zu sitzen, seine Pfeife zu rauchen und in süß umnebelndem Schlummer den lustigen Burschen und Mädeln zuzuhören, die in Scharen vor den Fenstern ihre Lieder singen und die Weihnacht preisen! Ohne Zweifel hätte er sich auch für das letztere entschieden, wenn er allein gewesen wäre; aber zu zweit war es jetzt nicht mehr so langweilig und so gruselig, mitten durch die Nacht zu gehen, auch wollte er vor dem andern nicht faul und feige erscheinen. Als er mit dem Schimpfen fertig war, wandte er sich an den Gevatter.

„Der Mond ist also weg, Gevatter?“

„Ja, er ist weg!“

„Wirklich sonderbar! Gib mir mal eine Prise! Du hast einen vortrefflichen Tabak, Gevatter! Wo hast du ihn her?“

„Vortrefflich? Ei, da soll mich doch der und jener —“ antwortete der Gevatter, indem er seine Dose aus Baumrinde mit den eingeritzten Mustern zuklappte. „Nicht einmal ein altes Huhn würde bei diesem Tabak niesen!“

„Ich erinnere mich,“ fuhr Tschub in demselben Tone fort, „der verstorbene Schankwirt Susulja hatte mir einmal etwas Tabak aus Njeschin mitgebracht. O, war das ein Tabak! Also, Gevatter, was machen wir nun? Es ist ja mächtig dunkel.“

„So bleiben wir meinetwegen zu Hause!“ rief der Gevatter und griff schon nach der Türklinke.

Hätte der Gevatter das nicht gesagt, so hätte Tschub sich wohl entschlossen, zu Hause zu bleiben; jetzt aber schien ihn geradezu etwas zum Widerspruch zu reizen. „Nein, Gevatter, wir wollen gehen! Unmöglich! Wir müssen gehen!“

Kaum hatte er das gesagt, so ärgerte er sich schon über seine eigenen Worte. Es war ihm höchst unangenehm, sich in solcher Nacht herumtreiben zu müssen, aber der Gedanke tröstete ihn, daß er es selbst so gewollt, und daß er wider den Ratschlag eines anderen gehandelt hatte.

Der Gevatter ließ auch nicht die leiseste Regung von Verdrießlichkeit auf seinem Gesichte erkennen. Er war ein Mann, dem es durchaus gleich war, ob er zu Hause saß, oder ob er sich draußen umhertrieb. Er sah sich nur noch einmal um, kratzte sich mit dem Stiel der Knute die Achseln — und die beiden Gevattern machten sich auf den Weg.


Doch sehen wir nun zu, was seine schöne Tochter trieb, die allein zu Hause geblieben war. Oxana war noch nicht ganz siebzehn Jahre alt, als man schon beinah in der ganzen Welt, sowohl diesseits wie jenseits von Dikanka, von nichts anderem sprach als von ihr. Die Burschen erklärten einstimmig, ein herrlicheres Mädchen gäbe es im ganzen Dorfe nicht, habe es noch nie gegeben und werde es auch niemals geben. Oxana hörte und wußte alles, was über sie geredet wurde, und sie war so eingebildet, wie ein schönes Mädchen es eben ist. Hätte sie nicht ein Kopftuch und die Jacke einer Bäuerin getragen, sondern ein Stadtkleid, so hätte sie sicher alle Mädchen in den Schatten gestellt. Die Burschen liefen ihr scharenweise nach; aber sie verloren allmählich die Geduld, verließen nach und nach die eigensinnige Schöne und wendeten sich anderen, weniger verwöhnten Werbern zu. Nur der Schmied blieb hartnäckig und hörte nicht auf, sie zu umwerben, obwohl er keineswegs besser behandelt wurde als die anderen. Sobald nun der Vater fortgegangen war, putzte und schmückte sich Oxana noch lange vor dem kleinen Spiegel im Bleirahmen. Sie konnte sich nicht satt sehen an ihrer Schönheit.

„Was fällt den Leuten nur ein, mich zu rühmen, ich sei schön?“ sprach sie mit zerstreuter Miene, nur um einen Vorwand zu haben, mit sich selbst zu plaudern. „Die Leute lügen, ich bin gar nicht schön!“

Aber das frische, lebhafte, kindlich jugendliche Gesicht im Spiegel, mit den strahlenden schwarzen Augen und dem unsagbar anmutigen Lächeln, das die Seele erglühen machte, bewies das Gegenteil.

„Sind denn meine schwarzen Brauen und meine Augen in der Tat so schön?“ fuhr sie fort, ohne den Spiegel aus der Hand zu legen, „daß sie nicht ihresgleichen in der Welt haben? Was ist nur Schönes an dieser Stumpfnase? an meinen Wangen? an meinen Lippen? Meine schwarzen Zöpfe sollen schön sein? O jeh, am Abend können sie einem Menschen einen ordentlichen Schreck einjagen: wie lange Schlangen winden und schlingen sie sich um meinen Kopf. Ich sehe jetzt, daß ich gar nicht schön bin!“ Und sie rückte den Spiegel etwas von sich fort und rief: „Nein, ich bin doch schön! Ach, wie ich schön bin! Wundervoll! Welch eine Freude werde ich einst dem bereiten, dessen Frau ich werde. Wie wird mein Gemahl entzückt von mir sein! Er wird außer sich sein vor Freude. Er wird mich zu Tode küssen!“

„Wunderbares Mädchen!“ flüsterte der Schmied, der leise eingetreten war. „Aber sie ist nicht wenig eitel! Schon eine Stunde lang steht sie da, besieht sich im Spiegel und kann sich nicht satt sehen an sich selbst, und dazu lobt sie sich noch ganz laut!“

„Ja, ihr Burschen, ich bin nicht euersgleichen, seht mich an,“ fuhr die reizende Kokette fort. „Wie ist mein Gang so geschmeidig. Mein Hemd ist mit roter Seide genäht. Und was für Bänder ich auf dem Kopf habe! Euer Lebtag werdet ihr nicht mehr solche Goldborden sehen! All das hat mit mein Vater gekauft, damit mich der schönste Bursch der Welt zur Frau nimmt.“ Sie lächelte, wandte sich um und erblickte den Schmied ....

Sie schrie auf und blieb mit strenger Miene vor ihm stehen.

Der Schmied ließ die Hände herabsinken.

Es wäre schwer zu sagen, was das braune Gesicht des wundervollen Mädchens ausdrückte: ein strenger Ausdruck spiegelte sich in ihm und durch die Strenge hindurch blickte ein gewisser Hohn über den verblüfften Schmied, und eine kaum merkliche Röte, die ihr der Ärger ins Gesicht getrieben hatte; all das zusammen war so unbeschreiblich schön, daß das Beste, was man hier hätte tun können, dies gewesen wäre: — sie eine Million Mal abzuküssen.

„Wie bist du hierhergekommen?“ begann Oxana. „Willst du denn, daß ich dich mit der Schippe davonjage? Ihr versteht euch meisterhaft darauf, euch an uns heranzumachen. Im Nu schnüffelt ihr aus, wann die Väter aus dem Hause sind. O, ich kenne euch schon! Nun, ist meine Truhe fertig?“

„Sie ist bald fertig, mein Herzchen; nach den Feiertagen wird sie fertig. Wenn du wüßtest, wieviel Mühe ich mir gegeben habe: zwei Nächte lang habe ich die Schmiede nicht verlassen. Dafür soll aber auch keine Popentochter so eine Truhe haben. Ich habe Eisenbeschläge darauf getan, wie ich sie nicht einmal für den Wagen des Hauptmanns nahm, als ich noch in Poltawa auf Arbeit war. Aber wie wird sie erst bemalt sein! Und wenn du die ganze Umgegend mit deinen weißen Füßchen abläufst, du findest solch eine Truhe nicht mehr! Über den ganzen Grund werden rote und blaue Blumen verstreut sein, und es wird so leuchten wie Feuer. Zürne mir nicht! Erlaube mir wenigstens, zu dir zu reden und dich nur anzuschauen!“

„Wer verbietet dir das? Rede und schau!“

Und sie nahm Platz auf der Bank, blickte wieder in den Spiegel und begann ihre Flechten auf dem Kopfe zu ordnen. Sie blickte auf ihren Hals, auf das neue seidenbestickte Hemd, und ein leises Gefühl der Selbstzufriedenheit spiegelte sich auf ihren Lippen und auf ihren frischen Wangen und leuchtete aus ihren Augen.

„Erlaube mir, daß ich neben dir Platz nehme!“ sagte der Schmied.

„Setze dich,“ sprach Oxana immer noch mit demselben selbstzufriedenen Ausdruck auf den Lippen und in den Augen.

„Wundervolle, herzallerliebste Oxana, erlaube mir nur, daß ich dir einen Kuß gebe!“ sagte der Schmied ermutigt und preßte sie an sich, in der Hoffnung, ein Küßchen von ihr zu erwischen. Doch Oxana wandte ihre Wangen ab, die sich schon in erreichbarer Nähe von den Lippen des Schmiedes befanden, und stieß ihn von sich. „Was du nicht alles möchtest! Kaum hat er den Honig, so braucht er gleich auch noch einen Löffel dazu! Geh doch, deine Hände sind noch härter als Eisen. Auch riechst du nach Rauch. Ich glaube gar, du hast mich ganz mit deinem Ruß beschmiert.“

Sie nahm den Spiegel und begann sich von neuem zu putzen.

„Sie liebt mich nicht!“ dachte der Schmied bei sich und ließ den Kopf hängen. „Für sie ist alles nur Spielerei; und ich stehe vor ihr da wie ein Narr, und kann meine Augen nicht von ihr wenden. Ja, ich möchte immer so vor ihr stehen und meine Augen nicht von ihr wenden. Welch herrliches Mädchen! Was würde ich alles darum geben, zu erfahren, was in ihrem Herzen vorgeht und wen sie eigentlich liebt. Aber nein, sie kümmert sich um niemand. Sie freut sich nur ihrer Schönheit, quält mich Armen, und ich bin so traurig, daß mir alles trüb und dunkel erscheint. Und dabei liebe ich sie doch so, wie kein Mensch in der Welt sie je geliebt hat oder lieben wird.“

„Ist es wahr, daß deine Mutter eine Hexe ist?“ fragte Oxana und brach in lautes Lachen aus; auch der Schmied fühlte, wie alles in seinem Innern auflachte. Dieses Lachen schien plötzlich in seinem Herzen wiederzuhallen und in den leise erschauernden Adern, aber gleich darauf erwachte ein Ärger in seiner Seele, weil er nicht die Macht hatte, dieses so anmutig lachende Antlitz zu küssen.

„Was geht mich meine Mutter an? Du bist mir Mutter und Vater und alles, was es auf der Welt an Teurem für mich gibt! Wenn mich der Zar zu sich rufen ließe und zu mir sagte: „Wakula, du darfst mich um alles bitten, was es Schönes in meinem Reiche gibt, ich will dir alles geben. Ich will dir eine Schmiede aus purem Golde bauen lassen, und du sollst silberne Hämmer zum Schmieden bekommen,“ — dann würde ich zu dem Zaren sagen: „Ich will weder kostbare Edelsteine, noch eine goldene Schmiede, noch dein ganzes Reich. Gib mir lieber meine Oxana!“

„Schau, schau, so einer bist du also! Aber mein Vater ist auch nicht auf den Kopf gefallen. Paß auf, er heiratet noch deine Mutter!“ sagte sie und lächelte listig. „Aber, wo bleiben nur die Mädchen? .... Was soll das bedeuten? es ist schon höchste Zeit, daß man vor den Fenstern zu singen beginnt. Ich fange an, mich zu langweilen.“

„Mögen sie nur bleiben, wo sie sind, du meine Holde!“

„Warum nicht gar! Mit den Mädchen werden auch wohl die Burschen mitkommen. Da wird’s was geben. Ich stell’ mir vor, was für putzige Sachen sie da erzählen werden!“

„Du sehnst dich also wohl nach ihrer Gesellschaft?“

„Sicherlich mehr als nach dir. Ah! Jemand hat geklopft. Das sind wohl die Mädchen und Burschen.“

„Worauf soll ich noch länger warten?“ sprach der Schmied zu sich selbst. „Sie macht sich über mich lustig. Ich bin ihr ebensoviel wert, wie ein verrostetes Hufeisen. Wenn das aber wirklich so ist, dann soll wenigstens kein anderer über mich lachen. Sobald ich merke, daß ein anderer ihr besser gefällt als ich, dem will ich doch gleich ....“

Hier wurden seine Gedanken durch ein Pochen an die Tür unterbrochen, und eine Stimme, die bei dem kalten Frost ziemlich scharf klang, rief: „Mach auf!“

„Warte, ich mache schon selbst auf,“ sagte der Schmied und trat in den Flur hinaus mit dem Vorsatz, dem ersten, der hereinkäme, aus Ärger die Rippen einzuschlagen.


Der Frost nahm zu, und oben in der Höhe wurde es so kalt, daß der Teufel von einem Huf auf den anderen hüpfte und sich in die Fäuste blies, um nur einigermaßen seine frierenden Hände zu erwärmen. Es war auch kein Wunder, wenn’s einen fror, der sich Tag für Tag in der Hölle herumdrückte. Dort ist’s bekanntlich längst nicht so kalt wie bei uns im Winter, er aber steht da unten vor dem Feuer, mit einer Zipfelmütze auf dem Kopf, akkurat wie ein wirklicher Küchenmeister, und brät die Sünder mit solchem Vergnügen, wie wohl die Weiber zu Weihnachten Wurst braten.

Selbst die Hexe litt unter der Kälte, trotzdem sie recht warm angezogen war; daher hob sie die Arme in die Höhe, schob ein Bein vor, gab ihrem Körper die Haltung eines Schlittschuhläufers und sauste, ohne ein Glied zu rühren, durch die Luft, wie wenn’s einen steilen Eisberg hinabginge, geradeswegs in den Schornstein hinunter.

Der Teufel folgte ihr auf dieselbe Art. Da dieses Vieh aber viel gewandter ist als so mancher Geck in Seidenstrümpfen, so ist’s kein Wunder, daß er gerad am Eingang zum Schornstein seiner Geliebten auf den Hals flog, und schnell sahen sich die beiden in dem geräumigen Ofen mitten unter den Töpfen.

Die Besenreiterin schob leise das Ofentürchen auf, um zu sehen, ob ihr Sohn Wakula nicht die Stube voller Gäste geladen hatte; als sie aber sah, daß niemand da war außer etwa ein paar Säcke, die in der Stube umher lagen, so kroch sie aus dem Ofen, warf den warmen Pelz ab, ordnete ihre Kleidung, und niemand hätte ihr mehr ansehen können, daß sie noch vor einer Minute auf einem Besenstiel geritten war.

Die Mutter des Schmieds Wakula war nicht mehr als vierzig Jahre alt und war weder schön noch häßlich. Es ist ja auch ziemlich schwer, in diesen Jahren schön zu sein. Sie verstand es aber, selbst die gesetztesten und würdigsten Kosaken an sich zu fesseln (denen es, nebenbei bemerkt, auch wenig um die Schönheit zu tun war), so daß sie ebensowohl der Amtmann, wie der Küster Ossip Nikiforowitsch (natürlich, wenn die Frau Küsterin nicht zu Hause war), der Kosak Korni Tschub und der Kosak Kassjan Swerbygus aufzusuchen pflegten. Zu ihrer Ehre muß übrigens gesagt werden, daß sie es vorzüglich verstand, mit ihnen umzugehen: keinem einzigen von ihnen kam es auch nur von ferne in den Sinn, er könne einen Nebenbuhler haben. Ging ein frommer Bauer oder ein „Edelmann“, wie die Kosaken sich selbst zu nennen pflegen, am Sonntag in seinem Mantel mit der Kapuze zur Kirche, oder — wenn das Wetter schlecht war — ins Wirtshaus, so ließ er sich’s nicht nehmen, bei der Solocha vorzusprechen, um ein paar fette Käsekrapfen mit Rahm zu essen und ein Weilchen mit der gesprächigen und gefälligen Hausfrau in der warmen Stube zu schwatzen. Der Edelmann machte eigens zu diesem Zweck einen großen Umweg, bevor er im Wirtshaus anlangte — und nannte das „unterwegs mal vorsprechen“. Oder ging die Solocha einmal an einem Festtag, in ihrem grellen Kopftuch und ihrem Nankingkittel und dem blauen Rock darüber, der hinten mit goldenen Bändern benäht war, zur Kirche, und stellte sie sich gerade neben dem rechten Chor auf, so fing der Küster sicherlich an zu hüsteln und blinzelte unwillkürlich nach jener Seite hinüber; der Amtmann aber strich sich den Schnurrbart, wickelte sich seine Kosakenlocke ums Ohr und sprach zu dem neben ihm stehenden Nachbar, „Ei, ei, das ist mir ein Weibsbild! Ein ganz verteufeltes Weib!“ Die Solocha pflegte denn auch jeden Menschen zu grüßen, und jeder glaubte, sie grüße ihn allein.

Aber wer es liebte, sich in fremde Angelegenheiten zu mischen, der konnte sofort merken, daß die Solocha am freundlichsten gegen den Kosaken Tschub war. Tschub war Witwer. Vor seinem Hause standen stets acht Schober Getreide, zwei Paar mächtige Ochsen streckten beständig ihre Köpfe durch das Geflecht des Schuppens auf die Straße hinaus und brüllten jedesmal, wenn sie eine Muhme oder einen Ohm, das heißt eine Kuh oder einen dicken Bullen kommen sahen. Ein bärtiger Bock kletterte hoch auf das Dach hinauf und meckerte mit einer gerad so schrillen Stimme von dort herab wie der Bürgermeister, um die auf dem Hofe umher stolzierenden Truthähne zu reizen, oder er kehrte seinen Hintern hervor, wenn er seine Feinde, die Dorfjungen, erblickte, die sich über seinen Bart lustig zu machen pflegten. In Tschubs Truhen lagen viele Ellen Leinwand, teure Schupans und altertümliche Röcke mit Goldborden: seine verstorbene Frau war nämlich sehr putzsüchtig gewesen. In seinem Gemüsegarten gab es außer Mohn, Kohl und Sonnenblumen auch noch zwei Beete mit Tabak. Von all dem, meinte die Solocha, wäre es ganz nett, wenn es ihrer eigenen Wirtschaft einverleibt würde; sie rechnete schon im voraus damit, welche Ordnung sie einführen wollte, wenn all das in ihre Hände gelangen würde, und daher verdoppelte sie ihr Wohlwollen gegen den alten Tschub. Damit aber ihr Sohn Wakula sich nicht an seine Tochter heran machte, alles Hab und Gut selbst einheimste, und ihr dann am Ende nicht mehr erlaubte, sich in irgend etwas einzumischen, so griff sie nach dem üblichen Mittel aller vierzigjährigen Weiber, das heißt, sie säte möglichst viel Fehde zwischen Tschub und dem Schmied. Vielleicht waren gerade diese Ränke und Listen der Grund davon, daß die alten Weiber, besonders wenn sie in fröhlicher Gesellschaft zusammen saßen und etwas über den Durst getrunken hatten, davon munkelten, die Solocha sei wirklich eine Hexe: der Bursche Kisjakolupenko habe hinten bei ihr einen Schwanz gesehen, der ungefähr so lang gewesen sei wie eine Weiberspindel; am verflossenen Donnerstag erst sei sie in Gestalt einer schwarzen Katze über die Straße gelaufen; auch sei einmal eine Sau zur Popenfrau gerannt gekommen, habe wie ein Hahn gekräht, dann sich die Mütze des Vaters Kondrat aufgesetzt und darauf sich wieder davongemacht ....

Der Zufall wollte es, daß gerade zu der Zeit, als die alten Weiber über diese Dinge redeten, ein gewisser Kuhhirt namens Tymisch Korostjawi bei ihnen erschienen war. Er versäumte nicht, zu erzählen, wie er einmal im Sommer, kurz vor Peter und Paul, gerade als er sich im Stall schlafen gelegt und sich ein Bündel Stroh unter den Kopf gebettet hatte, mit eigenen Augen gesehen habe, wie eine Hexe mit aufgelöstem Haar und in bloßem Hemde angefangen habe, die Kuh zu melken; er habe sich nicht vom Fleck rühren können, so behext habe sie ihn, auch habe sie ihm die Lippen mit einem so widerlichen Zeug beschmiert, daß er noch einen ganzen Tag danach immer ausspucken mußte. Doch all das war immerhin zweifelhaft, denn nur der Assessor von Sorotschintzy kann eine Hexe sehen. Und daher wehrten sich alle Kosaken von Ansehen und Würden mit Händen und Füßen dagegen, wenn sie solche Reden mit anhören mußten. „Sie lügen, die hundsföttischen Weiber!“ war gewöhnlich ihre Antwort.

Kaum war die Solocha aus dem Ofen gekrochen und hatte sich ihre Kleider wieder ein wenig in Ordnung gebracht, so begann sie sofort als gute Wirtin die Stube aufzuräumen und alles auf seinen Platz zu stellen. Die Säcke aber rührte sie nicht an. „Die hat Wakula gebracht, mag er sie doch auch selbst wieder hinaustragen!“ Der Teufel aber hatte sich, als er in den Schornstein hineinflog, zufällig umgeschaut, und da hatte er ganz nahe am Hause den Tschub Arm in Arm mit seinem Gevatter erblickt. Im Nu flog er wieder aus dem Ofen, rannte ihnen auf ihrem Wege voran und begann von allen Seiten Haufen hartgefrorenen Schnees aufzuwirbeln. Es erhob sich ein richtiges Schneegestöber, in der Luft flimmerte es nur so weiß durcheinander. Der Schnee wogte hin und her wie ein Netz und drohte, den Fußgängern Augen, Mund und Ohren zu verstopfen. Der Teufel aber flog wieder in den Schornstein hinein, fest davon überzeugt, daß Tschub und der Gevatter umkehren würden; dann würde Tschub den Schmied bei sich im Hause treffen und ihn sicherlich so traktieren, daß der auf lange Zeit nicht mehr imstande sein sollte, einen Pinsel in die Hand zu nehmen und Spottbilder zu malen.


Und in der Tat, kaum hatte sich das Schneegestöber erhoben und kaum fing der Wind an, ihnen gerade ins Gesicht zu fegen, so äußerte Tschub schon Reue. Er schob sich die Mütze tiefer über die Ohren und regalierte alle, sich selbst, den Teufel und den Gevatter mit Schimpfworten. Übrigens war diese Wut nur geheuchelt. Tschub war sehr froh über das Unwetter. Bis zum Hause des Küsters war es ungefähr achtmal so weit, wie die Strecke, die sie schon zurückgelegt hatten. Die Wanderer kehrten also um. Der Wind blies ihnen zwar in den Nacken, aber es war gänzlich unmöglich, in diesem Schneegestöber auch nur das geringste zu sehen.

„Halt, Gevatter! Ich glaube, wir gehen falsch,“ sagte Tschub nach einer kurzen Weile. „Ich sehe keine einzige Hütte. He, ist das ein Schneegestöber! Bieg doch mal etwas zur Seite, Gevatter, vielleicht findest du da einen Weg, unterdessen will ich hier nach ihm suchen. Mußte uns auch der Gottseibeiuns bei solchem Unwetter aus dem Hause locken! Vergiß nur nicht zu rufen, wenn du den Weg gefunden hast. Herrgott, was für einen Haufen Schnee hat mir der Satan in die Augen gejagt!“

Der Weg war jedoch noch immer nicht zu sehen. Der Gevatter schlug einen Seitenweg ein und irrte in seinen langen Stiefeln hin und her, bis er endlich auf das Wirtshaus stieß. Diese Entdeckung freute ihn dermaßen, daß er alles vergaß, den Schnee von sich abschüttelte und ins Wirtshaus trat, ohne sich im Geringsten um seinen Gevatter auf der Straße zu scheren. Unterdessen war es Tschub so vorgekommen, als ob er den richtigen Weg gefunden hätte. Er machte Halt und schrie aus voller Kehle, als er aber sah, daß der Gevatter nicht zum Vorschein kam, beschloß er, den Weg allein fortzusetzen. Etwas weiter erblickte er sein Haus. Vor dem Hause und auf dem Dache lagen ganze Berge von Schnee. Er klatschte in die vor Kälte erstarrten Hände und begann, an die Tür zu klopfen und seiner Tochter gebieterisch zuzurufen, sie solle aufmachen.

Da trat der Schmied aus dem Hause und schrie ihn grob an: „Was willst du?“

Tschub erkannte die Stimme des Schmieds und wich etwas zurück. „Hm, nein, das ist nicht mein Haus,“ sagte er sich, „in mein Haus würde sich der Schmied doch nicht hineinwagen, aber wenn ich’s mir wiederum genauer ansehe, so ist’s auch nicht das Haus des Schmieds. Wessen Haus könnte das bloß sein? Holla! Daß ich’s nicht gleich erkannt habe! Das ist ja das Haus des lahmen Lewtschenko, der sich erst vor kurzem eine junge Frau genommen hat. Nur sein Haus sieht dem meinen so ähnlich. Daher kam es mir doch auch gleich etwas sonderbar vor, daß ich schon so schnell zu Hause war! Aber Lewtschenko sitzt jetzt ja beim Küster, das weiß ich genau. Was hat nur der Schmied hier zu suchen? .... Hahaha! Er besucht seine junge Frau. Das ist’s also! Schön! .... Jetzt verstehe ich alles.“

„Wer bist du und was treibst du dich vor fremden Türen herum?“ rief der Schmied noch gröber als früher und rückte näher.

„Nein, ich sag’ ihm nicht, wer ich bin,“ dachte sich Tschub, „am Ende krieg ich noch Hiebe von ihm, diesem verfluchten Bastard!“ Und er antwortete mit verstellter Stimme: „Ich bin doch ein anständiger Mensch! Ich will euch nur ein paar Weihnachtslieder vorsingen, um euch einen kleinen Spaß zu machen!“

„Scher’ dich zum Teufel mit deinen Weihnachtsliedern,“ schrie Wakula wütend. „Was stehst du noch da? Hörst du! Packe dich auf der Stelle!“

Tschub hatte diesen vernünftigen Vorsatz schon selbst gefaßt; es war ihm nur unangenehm, dem Befehle des Schmieds folgen zu müssen. Es schien ganz so, als ob ihn ein böser Geist vorwärts stieß und ihn zum Widerstand nötigte. „Was schreist du da so?“ rief er mit derselben Stimme. „Ich will euch Weihnachtslieder vorsingen und sonst nichts!“

„Aha! du hast also wohl an Worten noch nicht genug?“ rief der Schmied, und Tschub fühlte einen höchst schmerzhaften Schlag auf der Schulter.

„Du bist gleich mit Prügeln bei der Hand, wie ich sehe!“ sagte er und wich etwas zurück.

„Pack’ dich, marsch!“ schrie der Schmied und regalierte ihn mit einem zweiten Schlag.

„So!“ rief Tschub mit einer Stimme, in die sich Schmerz, Ärger und Furcht mischten. „Wie ich sehe, machst du keinen Spaß, deine Prügel tun ja ordentlich weh!“

„Marsch, vorwärts!“ rief der Schmied und schlug die Türe zu.

„Schau einer an, wie tapfer der tut!“ sprach Tschub, als er nun allein auf der Straße stand. „Versuch’s nur und komm bloß heran! He, wer bist du denn? Etwa ein großes Tier, was? Du glaubst wohl, ich kann dir nichts anhaben? Nein, mein Täubchen, ich gehe geraden Wegs zum Kommissär, da sollst du was von mir erleben! Ich werde keine Rücksicht darauf nehmen, daß du ein Schmied bist und noch ein Maler dazu. Hm, wenn ich mir meinen Rücken und meine Schultern ansehe, so werde ich wohl sicher blaue Flecken finden. Er hat mir tüchtig zugesetzt, der hundsgemeine Lümmel. Schade nur, daß es so kalt ist, ich möchte nämlich nicht gern den Pelz ausziehen. Warte nur, du Teufelsschmied! Der Satan soll dich und deine Schmiede in Stücke schlagen. Du sollst noch ein Tänzchen bei mir erleben! Verfluchter Hallunke! — Also ist er jetzt nicht zu Hause? Solocha ist wohl allein! Hm .... Es ist ja nicht weit. — Ob ich am Ende hingehe! Um diese Zeit wird uns niemand überraschen. Vielleicht hab’ ich auch Glück und .... Seine Hiebe tun aber weh .... O, dieser gottsverdammte Schmied!“

Und Tschub kratzte sich den Rücken und schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Die Genüsse, die seiner bei der Solocha harrten, verringerten einigermaßen den Schmerz, und machten Tschub sogar weniger empfindlich gegen den Frost, der auf den Straßen knirschte, und der nicht einmal vom Sausen des Windes übertönt wurde. Eine sauersüße Miene erschien manchmal auf seinem Gesicht, dessen Kinn und Schnurrbart das Unwetter schneller mit Schnee eingeseift hatte, als irgendein Barbier, der sein Opfer tyrannisch an der Nase packt. Wäre jedoch der Schnee einem nicht kreuz und quer vor den Augen herumgewirbelt, so hätte man noch lange sehen können, wie Tschub immer wieder stehen blieb, sich den Rücken kratzte, ausrief: „Die Hiebe von diesem verfluchten Schmied tun aber mächtig weh!“ und dann weiter zog.


Während der flinke Stutzer mit Schwanz und Bocksbart aus dem Schornstein und wieder in den Schornstein zurückflog, blieb ihm zufällig seine Tasche, die ihm an der Seite hing und in die er den gestohlenen Mond hineingesteckt hatte, im Ofen hängen und ging auf. Der Mond benutzte diese Gelegenheit, flog aus dem Schornstein des Hauses der Solocha in die Freiheit hinaus und stieg flugs zum Himmel empor. Alles wurde hell! das Schneegestöber war wie weggeblasen, der Schnee dehnte sich weit in die Ferne wie ein großes silbernes Gefild, über das kristallene Sterne ausgestreut waren. Selbst der Frost schien etwas nachgelassen zu haben. Burschen und Mädchen kamen in Scharen mit ihren Säcken herbei. Die Lieder schwirrten durcheinander, und beinahe vor keinem Fenster fehlten Sänger, die den heiligen Christ besangen.

Der Mond leuchtet wundersam vom Himmel herab! Es ist schwer zu beschreiben, wie schön es ist, sich in solcher Nacht unter die Scharen laut lachender Mädchen und Burschen zu mischen, die zu allen Späßen und losen Streichen aufgelegt sind, wie sie nur eine lustig verbrachte Nacht eingeben kann. Unter dem dicken Pelze ist’s warm; die Backen glühen nur noch lebhafter vor Kälte, und der Teufel scheint einen hinterrücks nur so zu mutwilligen Stückchen zu treiben.

Scharen von Mädchen brachen mit Säcken in Tschubs Haus ein und umringten Oxana. Das Geschrei, das Gelächter und die Erzählungen betäubten den Schmied. Alle beeilten sich, der Schönen etwas Neues zu erzählen, sie luden ihre Säcke aus und prahlten mit dem Kuchen, den vielen Würsten und Krapfen, die ihnen ihr Straßengesang bereits eingebracht hatte. Oxana schien sehr vergnügt und fröhlich zu sein, schwatzte bald mit der einen, bald mit der anderen und lachte ohne Ende.

Der Schmied sah dieses fröhliche Treiben voller Neid und Ärger an, und verfluchte diesmal das ganze Christsingen, obwohl er sonst wie besessen darauf war.

„Du, Odarka!“ rief die Schöne lustig, zu einem der Mädchen gewandt, „du hast ja neue Schuhe an. Ach, wie reizend! Mit Goldstickerei! Du hast es gut, Odarka, du hast jemand, der dir alles kauft, mir kauft niemand so entzückende Schuhe.“

„Gräm dich nicht, meine herzallerliebste Oxana!“ unterbrach sie der Schmied. „Ich will dir solche Schuhe schenken, wie sie selbst ein Edelfräulein selten trägt!“

„Du?“ rief Oxana sofort und blickte ihn stolz an. „Ich möchte doch sehen, wo du solche Schuhe herkriegen willst, die an meine Füße passen. Ja, wenn du mir die Schuhe brächtest, die die Zarin trägt ....!“

„Sieh einer an, was die will!“ riefen die Mädchen lachend.

„Ja!“ fuhr die Schöne stolz fort. „Seid ihr meine Zeugen: wenn mir der Schmied Wakula die Schuhe bringt, die die Zarin trägt, so habt ihr mein Wort darauf, daß ich sofort seine Frau werde.“

Die Mädchen führten die launische Schöne mit sich fort.

„Lache nur, lache!“ sprach der Schmied, der gleich nach ihnen das Haus verließ. „Ich lache selbst über mich! Ich grüble und grüble und kann’s nicht fassen, wo mein Verstand geblieben ist. Sie liebt mich nicht — nun, da ist nichts zu ändern! Als ob’s in der Welt nur die eine Oxana gäbe. Gott sei Dank, es gibt auch außer ihr noch viele nette Mädchen im Dorfe. Was soll ich denn überhaupt mit der Oxana? Sie wird ja doch nie eine gute Hausfrau; sie versteht es nur, sich zu putzen. Nein, nun ist’s genug! Nun soll die Narretei aufhören!“

Aber gerade zur selben Zeit, als der Schmied diesen Entschluß fassen wollte, führte ihm ein böser Geist Oxanas lachendes Antlitz vor Augen, und das sprach höhnisch: „Schmied, hol mir die Schuhe der Zarin, und ich bin deine Frau!“ Und alles in ihm geriet in Wallung, und er dachte nur noch an Oxana.

Scharen von Sängern: Burschen und Mädchen in getrennten Trupps eilten aus einer Straße in die andere. Aber der Schmied schritt dahin, ohne etwas zu sehen, und teilnahmslos gegen die Lustbarkeit, die er einst mehr geliebt hatte, als alle andern Burschen.


Unterdessen wurde der Teufel allen Ernstes zärtlich gegen Solocha: er küßte ihr die Hand mit denselben Fratzen, mit denen der Assessor der Popentochter die Hand zu küssen pflegt, legte seine Hand aufs Herz, stöhnte und erklärte geradeheraus, wenn sie nicht seine Leidenschaften stillen und ihn nach Brauch und Sitte erhören würde, wäre er zu allem fähig: er würde sich ins Wasser stürzen und seine Seele geradeswegs in die Hölle schicken. Solocha war nicht so hartherzig; und dann unterhielt der Teufel ja bekanntlich auch mit ihr eine alte Freundschaft. Sie liebte es, sich von Anbetern umringt zu sehen, und selten war sie ohne Gesellschaft. Diesen Abend gedachte sie jedoch allein zu verbringen, denn alle angesehenen Bewohner des Dorfes waren zum Weihnachtsschmaus beim Küster geladen. Aber es kam alles anders: Kaum hatte der Teufel seine Werbung vorgebracht, da vernahmen sie plötzlich ein Klopfen und die Stimme des beleibten Amtmanns vor der Türe. Solocha lief hin, um ihm aufzumachen, der flinke Teufel aber sprang hurtig in einen der Säcke.

Nachdem der Amtmann den Schnee von sich abgeschüttelt und ein Gläschen Schnaps aus Solochas Hand entgegengenommen und ausgetrunken hatte, erzählte er, er sei nicht zum Küster gegangen, denn es habe sich ein Schneegestöber erhoben; da habe er in ihrer Stube Licht gesehen und sei bei ihr eingekehrt, um den Abend mit ihr zu verbringen.

Kaum aber hatte der Amtmann das gesagt, als an die Türe geklopft wurde und sich die Stimme des Küsters vernehmen ließ. „Versteck mich irgendwo,“ flüsterte der Amtmann, „ich möchte jetzt nicht mit dem Küster zusammentreffen.“

Solocha überlegte lange, wo sie einen so dicken Gast verstecken könnte; endlich wählte sie einen der größten Kohlensäcke, schüttete die Kohlen in einen Zuber, und der feiste Amtmann kroch mitsamt seinem Schnurrbart, Kopf und Mütze in den Sack.

Der Küster kam ächzend und sich die Hände reibend, herein, und erzählte, es sei niemand zu ihm zum Essen gekommen, er sei aber herzlich froh über die Gelegenheit, sich mit ihr unterhalten zu können, und habe sich nicht einmal durch das Schneegestöber davon abhalten lassen. Dann trat er näher auf sie zu, räusperte sich, grinste, tippte mit seinen langen Fingern auf ihren nackten vollen Arm und sagte mit einer Miene, in der Schlauheit und Selbstzufriedenheit lagen: „Was habt Ihr denn da, reizende Solocha?“ Und indem er das sagte, sprang er etwas zurück.

„Was kann das wohl sein! Ein Arm, Ossip Nikiforowitsch!“ antwortete Solocha.

„Hm! Ein Arm! Hähähä!“ rief der Küster herzlich zufrieden über diesen Anfang und ging im Zimmer auf und ab.

„Und was habt Ihr hier, teuerste Solocha?“ sprach er mit derselben Miene, ging wieder auf sie zu, betappte ihren Hals mit seiner Hand und sprang ganz so wie vorher wieder zurück.

„Als ob Ihr das nicht seht, Ossip Nikiforowitsch,“ erwiderte die Solocha, „mein Hals ist es, und dies hier ist ein Halsband!“

„Hm! Ein Hals mit einem Halsband! Hähähä!“ und der Küster ging wieder ein paarmal im Zimmer auf und ab und rieb sich die Hände.

„Und was habt Ihr hier, unvergleichliche Solocha? ....“ Es ist nicht ganz sicher, was der Küster jetzt mit seinen langen Fingern berührt hätte, denn auf einmal ertönte ein Klopfen an der Tür, und die Stimme des Kosaken Tschub ließ sich vernehmen.

„Oh Gott, ein Fremder!“ rief der Küster erschrocken. „Das soll nur werden, wenn man eine Person meines Standes hier antrifft .... Vater Kondrat wird es noch erfahren! .....................“

Aber die Befürchtungen des Küsters lagen auf anderem Gebiet; am meisten fürchtete er, seine Ehehälfte könnte es erfahren, deren schreckliche Hand ohnehin aus seinem dicken Priesterzopfe ein dünnes Mauseschwänzchen gemacht hatte. „Um Gottes willen, tugendhafte Solocha!“ sprach er, am ganzen Leibe zitternd. „Eure Güte, wie es im Evangelium Lucae heißt, Kapitel dreiz.... dreiz.... Man klopft, bei Gott, man klopft! Versteckt mich doch nur irgendwo!“

Solocha schüttete die Kohlen aus noch einem Sack in den Zuber, und der nicht besonders umfangreiche Küster kroch hinein und kauerte sich ganz am Boden des Sacks zusammen, so daß man noch einen halben Sack voll Kohlen über ihn hatte ausschütten können.

„Grüß Gott, Solocha!“ sagte Tschub, der jetzt in die Stube trat. „Du hast mich vielleicht nicht erwartet, was? Nicht wahr, du hast mich nicht erwartet? Vielleicht störe ich?“ .... fuhr Tschub fort und ließ auf seinem Gesichte eine verschmitzte und vielsagende Miene sehen, aus der man von vornherein erkennen konnte, wie sehr sein schwerfälliger Kopf sich abmühte, etwas recht Spitzes und Schelmisches zu sagen. „Vielleicht hast du dir gerade mit jemandem die Zeit vertrieben. Vielleicht hast du doch jemanden versteckt, was?“ Und entzückt über diese Bemerkung brach Tschub in ein Gelächter aus, innerlich darüber triumphierend, daß nur er allein Solochas Gunst genieße. „Nun, Solocha, trinken wir jetzt ein Schnäpschen. Ich glaube, mir ist die Kehle ganz eingefroren von der verfluchten Kälte. Mußte uns Gott gerad zu Weihnachten solch eine Nacht schicken! Was das für ein Schneetreiben war! hörst du, Solocha, was das für ein Schneetreiben war .... Mir sind die Hände ganz steif geworden: ich kann nicht einmal den Pelz aufknöpfen! Wie das Schneegestöber losging ....“

„Mach auf!“ ertönte in diesem Augenblick eine Stimme von der Straße her, die von einem Stoß gegen die Tür begleitet wurde.

„Es klopft jemand,“ sagte Tschub und hielt inne.

„Mach auf!“ schrie es noch lauter.

„Das ist der Schmied!“ rief Tschub und griff rasch nach der Mütze. „Hörst du Solocha, versteck mich, wo es auch sei, um keinen Preis der Welt will ich mich hier vor dieser gottverdammten Mißgeburt sehen lassen. Diesem Satanskind sollen doch gleich unter beiden Augen Blasen anlaufen: so groß wie zwei Heuschober!“

Solocha erschrak gleichfalls und rannte umher, als ob sie nicht ganz gescheit wäre. Ohne sich viel zu besinnen, machte sie Tschub ein Zeichen, er solle in denselben Sack hineinkriechen, in dem bereits der Küster steckte. Der arme Küster konnte nicht einmal durch Husten oder Ächzen seinen Schmerz kundgeben, als sich der schwere Mann ihm beinah auf den Kopf setzte und ihm seine hartgefrorenen Stiefel gegen die Schläfen drückte.

Der Schmied trat ein und ließ sich, ohne ein Wort zu reden, und ohne die Mütze abzunehmen, auf eine Bank sinken. Er war ersichtlich schlechter Laune.

Zur selben Zeit, als Solocha die Tür hinter ihm zumachte, ertönte ein neues Klopfen. Es war der Kosak Swerbygus. Aber den hätte man schon nicht mehr in einem Sack verstecken können, denn ein solcher Sack war nirgends mehr zu finden. Er war noch beleibter als selbst der Amtmann und höher von Wuchs als Tschubs Gevatter. Daher führte ihn Solocha in den Gemüsegarten, um alles von ihm zu hören, was er ihr zu sagen hatte.

Der Schmied blickte zerstreut in alle Winkel seiner Stube und lauschte ab und zu den weit vom Dorfe herüber hallenden Liedern der Sänger; endlich blieben seine Augen an den Säcken haften. „Wozu liegen diese Säcke hier? Man hätte sie schon längst wegräumen sollen. Die dumme Liebe hat mich ganz wirr gemacht. Morgen ist Feiertag, und in der Stube liegt noch immer aller mögliche Plunder herum. Ich trage sie gleich in die Schmiede!“

Der Schmied kauerte sich neben den riesigen Säcken hin, band sie fest zusammen und machte sich daran, sie auf seine Schultern zu heben. Aber es war ersichtlich, daß seine Gedanken Gott weiß wo herumspazierten; sonst hätte er hören müssen, wie Tschub keuchte, als ihm das Haar auf dem Kopfe vom Strick festgeklemmt wurde, und wie der feiste Amtmann ziemlich deutlich den Schlucken bekam.

„Will mir diese abscheuliche Oxana denn gar nicht aus dem Sinne?“ sprach der Schmied. „Ich will nicht an sie denken; und doch kreisen meine Gedanken, immerfort und wie zu Fleiß allein um sie. Wie kommt es, daß man wider Willen an etwas denken muß? Verflucht! Die Säcke scheinen ja schwerer geworden zu sein! Sicher hat man zu den Kohlen noch etwas hinein gestopft. Ich Dummkopf. Ich vergesse ja ganz, daß mir jetzt doch alles schwerer erscheint. Früher konnte ich mit einer Hand eine Fünfkopekenmünze und ein Hufeisen zusammen- und wieder auseinanderbiegen, und jetzt kann ich nicht einmal mehr ein paar Kohlensäcke aufheben. Bald wird mich noch ein Windhauch umblasen .... Nein!“ rief er nach einem kurzen Schweigen und faßte Mut. „Was bin ich doch für ein Frauenzimmer! Ich erlaube niemandem, über mich zu lachen! Und wenn es auch zehn solche Säcke wären, — ich trag sie alle weg!“ Und rüstig warf er sich die Säcke über die Schultern, diese Säcke, die nicht einmal zwei kräftige Männer hätten aufheben können. „Ich nehme auch den da noch mit,“ fuhr er fort und hob den kleinen Sack in die Höhe, auf dessen Boden der Teufel zusammengekauert lag. „Da hab ich meine Werkzeuge hineingetan.“ Mit diesen Worten verließ er das Haus, und vor sich her summte er das Liedchen:

„Ach vom Weibe sollt ich lassen!“


Immer lauter und lauter erklangen die Lieder und das Gelächter auf den Straßen. Den Scharen der umherziehenden Leute schlossen sich auch noch solche an, die aus den kleineren Nachbardörfern herbeigekommen waren. Die Burschen tobten umher und verübten nach Herzenslust allerhand Streiche. Oft auch klang in die Weihnachtsgesänge ein lustiges Liedchen hinein, das einer der jungen Kosaken eben erst verfaßt hatte. Oder plötzlich sang einer aus der Menge statt eines Weihnachtsliedes ein Silvesterliedchen und brüllte aus vollem Halse:

Silvester, Bester!

Will lecken ’nen Wecken!

Will papfen ’nen Krapfen!

Will Wurst nach’m Durst!

Lautes Lachen belohnte den Spaßvogel. Die kleinen Fenster wurden zurückgeschoben, und die dürren Arme einer alten Frau, die allein mit den würdigen Vätern des Hauses daheimgeblieben war, streckten sich, mit einer Wurst oder einem Stück Kuchen in der Hand, hervor. Die Burschen und Mädchen hielten um die Wette ihre Säcke unter und fingen die Beute auf. An einer andern Stelle umringte ein Haufen von jungen Burschen mehrere Mädchen. Da gab es Lärm und Geschrei; der eine warf einen Schneeball, und ein anderer raubte einen Sack, der mit allerhand Kram angefüllt war. Wieder an einer anderen Stelle haschten Mädchen nach einem Burschen, sie stellten ihm ein Bein, und er flog mitsamt seinem Packen Hals über Kopf zu Boden. Es schien, als ob sie die ganze Nacht hindurch in toller Lust verbringen wollten. Die Nacht war, wie mit Absicht, so herrlich und milde! Und noch heller und weißer erschien der Mondschein vom Leuchten des Schnees!

Der Schmied machte mit seinen Säcken halt. Er glaubte die Stimme und das feine Lachen Oxanas in der Mädchenschar vernommen zu haben. Er fühlte, wie ihm ein Schauder durch alle Adern rann, warf die Säcke zu Boden, so daß der Küster im Sack aufstöhnte und der Amtmann aus vollem Halse aufschluckte, und schloß sich mit dem kleinen Sack über der Schulter dem Haufen der Burschen an, die hinter der Schar der Mädchen herzogen, in der er die Stimme Oxanas vernommen zu haben glaubte.

„Sie ist es! Steht da wie eine Zarin, und ihre schwarzen Augen leuchten. Ein stattlicher Bursch erzählt ihr etwas; sicher etwas Ergötzliches, denn sie lacht. Aber sie lacht ja immer.“ Und unwillkürlich und ohne zu begreifen, wie es geschah, drängte sich der Schmied durch die Menge hindurch und stellte sich an ihre Seite.

„Ah, Wakula, du bist hier! Grüß Gott!“ rief die Schöne mit jenem Lächeln, das Wakula beinah wahnsinnig machte. „Nun, hast du dir viel ersungen? He, was hast du denn da für einen kleinen Sack bei dir! Und die Stiefelchen der Zarin? hast du mir die schon gekriegt? Schaff mir die Stiefelchen, so heirate ich dich“ .... Und lachend lief sie mit einem Trupp Mädchen davon.

Der Schmied stand wie angewurzelt auf einem Fleck. „Nein, ich kann nicht; ich hab keine Kraft mehr“ .... rief er endlich. „Himmel Herrgott, warum ist sie nur so verteufelt schön? Ihr Blick, ihre Rede, alles brennt in mir, glüht und brennt! Nein, ich kann mich nicht mehr überwinden. Es muß ein Ende gemacht werden. So geh denn zugrunde, meine Seele! Ich will mich in einem Eisloch ertränken, dann ist alles aus!“

Er eilte entschiedenen Schritts voraus, holte die Mädchen ein, erreichte Oxana und rief mit fester Stimme: „Leb wohl, Oxana! Suche dir einen Bräutigam, wie du ihn haben magst, halte zum Narren, wen du willst; mich wirst du nie mehr auf der Welt erblicken.“

Die Schöne schien erstaunt und wollte etwas sagen, aber der Schmied wehrte mit der Hand ab und rannte davon.

„Wohin, Wakula?“ schrien die Burschen, als sie den Schmied davonlaufen sahen.

„Lebt wohl, Brüder!“ rief ihnen der Schmied zu. „Wenn Gott will, sehn wir uns in jener Welt wieder, in dieser werden wir uns nie mehr zusammenfinden. Lebt wohl! Gedenkt meiner nicht in Bösem! Sagt dem Vater Kondrat, er möge eine Totenmesse für meine sündige Seele lesen. Ich weiß es, ich bin schuldig und habe die Kerzen an den Bildern des heiligen Wundertäters und der Mutter Gottes nicht bemalt, ich war zu sehr in irdischen Dingen befangen. Mein ganzes Hab und Gut und alles, was sich in meinem Kasten findet, vermach’ ich der Kirche. Lebt wohl!“

Nach diesen Worten lief der Schmied mit dem Sacke auf dem Rücken weiter!

„Er ist von Sinnen!“ sprachen die Burschen.

„Eine verlorene Seele!“ murmelte fromm eine vorübergehende Alte. „Ich muß doch gleich herumgehen und allen erzählen, wie sich der Schmied erhängt hat!“


Unterdessen lief Wakula durch die Straßen; endlich blieb er stehen, um Luft zu schöpfen. „Wohin renne ich eigentlich so?“ dachte er. „Als ob wirklich alles verloren wäre. Ich will noch das letzte Mittel versuchen. Ich gehe zum Saporoger, zu Patzjuk Schmerbauch. Der soll doch alle Teufel in der Welt kennen und alles machen können, was er will. Ich geh zu ihm, meine Seele ist ja ohnehin verloren!“

Der Teufel, der lange regungslos dagelegen war, hüpfte im Sack vor Freude; der Schmied aber glaubte, er selbst hätte den Sack irgendwie mit der Hand berührt und diese Bewegung hervorgerufen, schlug mit seiner mächtigen Faust auf den Sack, rüttelte ihn und begab sich zu Patzjuk Schmerbauch.

Dieser Schmerbauch Patzjuk war in der Tat vormals ein Saporoger Kosak gewesen; aber niemand wußte, ob er aus der Gemeinschaft vertrieben oder von selbst davongelaufen war. Er lebte schon seit langem in Dikanka, vielleicht an die zehn oder gar fünfzehn Jahre. Zuerst führte er den Lebenswandel eines echten Saporogers: arbeitete nicht, schlief dreiviertel des Tages, aß wie sechs Drescher und trank einen ganzen Eimer voll auf einen Zug; übrigens hatte der auch bequem Platz, denn obwohl Patzjuk klein von Statur war, war er doch recht stark in die Breite gegangen. Dazu trug er so weite Pluderhosen, daß seine Beine, so lang er auch ausschreiten mochte, kaum zu sehen waren, und daß es den Eindruck machte, als ob sich eine Branntweinkufe die Straße entlang bewege. Daher mochte wohl auch sein Spitzname Schmerbauch stammen. Noch waren keine vierzehn Tage seit seiner Ankunft im Dorfe verstrichen, da wußte schon jedermann, daß er ein Hexenmeister sei. Hatte jemand irgend eine Krankheit, sogleich wurde Patzjuk gerufen, Patzjuk brauchte nur ein paar Worte zu murmeln und das Gebrechen war wie mit der Hand weggewischt. Oder geschah es, daß einem unmäßigen Edelmann eine Fischgräte in der Kehle stecken geblieben war, so verstand es Patzjuk, den Rücken des Herrn so geschickt mit der Faust zu beklopfen, daß die Gräte den rechten Weg einschlug, ohne der adligen Kehle auch nur den leisesten Schaden zuzufügen. In der letzten Zeit hatte man ihn wenig gesehen. Der Grund davon lag vielleicht in seiner Faulheit, vielleicht aber auch in dem Umstande, daß es ihm mit jedem Jahre schwerer wurde, durch die Tür zu kommen. Und so mußten denn die Leute zu ihm in sein Haus kommen, wenn sie seiner bedurften.

Nicht ohne Furcht öffnete der Schmied die Tür und erblickte Patzjuk, der wie ein Türke auf dem Boden und vor einem kleinen Fasse saß, auf dem eine Schüssel mit Klößen stand. Diese Schüssel stand wie mit Absicht gerade vor seiner Nase. Ohne auch nur einen Finger zu rühren, neigte er bloß den Kopf leise über die Schüssel und schlürfte die Brühe ein, ab und zu schnappte er auch mit den Zähnen nach einem Kloß.

„Nein,“ dachte Wakula bei sich, „der da ist noch fauler als Tschub: jener ißt doch wenigstens noch mit einem Löffel, dieser aber mag nicht einmal die Hand aufheben!“

Patzjuk war sicherlich mächtig mit seinen Klößen beschäftigt, denn er schien das Kommen des Schmiedes gar nicht bemerkt zu haben; kaum aber war dieser über die Schwelle getreten, so machte er eine tiefe Verbeugung.

„Ich komme zu Euer Gnaden, Patzjuk!“ sagte Wakula und verbeugte sich von neuem.

Der dicke Patzjuk erhob den Kopf und begann wieder die Kloßbrühe zu schlürfen.

„Die Leute sagen, — nimm es mir nicht übel ....“ sagte der Schmied, indem er sich selbst Mut zusprach, „ich sag’s nicht, um dich zu beleidigen — die Leute sagen, du bist mit dem Teufel verschwägert!“

Kaum hatte Wakula diese Worte gesprochen, so erschrak er schon, denn er dachte, er hätte sich zu eindeutig ausgedrückt und die herben Worte nicht genügend gemildert. Er erwartete, daß Patzjuk das Faß mitsamt der Schüssel packen und ihm an den Kopf werfen würde; darum wich er etwas zur Seite und hielt sich den Arm vor, damit die heiße Kloßbrühe ihm nicht das Gesicht bespritze.

Aber Patzjuk blickte ruhig vor sich hin und aß weiter.

Der Schmied entschloß sich ermutigt, fortzufahren: „Ich komme zu dir, Patzjuk; Gott schenke Dir viel Reichtum, gebe dir alles in Hülle und Fülle, und auch Brot in Proportion!“ Der Schmied verstand es sehr wohl, ab und zu ein neumodisch Wörtchen in seine Rede einzuflechten. Das hatte er sich während seines Aufenthaltes in Poltawa angewöhnt, als er den Bretterzaun des Hauptmanns tünchte. „Ich armer Sünder muß zugrunde gehen!! Nichts in der Welt kann mir mehr helfen! Komme, was kommen mag. Es bleibt mir nichts mehr übrig, als den Teufel selbst um Beistand zu bitten. Also, Patzjuk,“ rief der Schmied, als er bemerkte, daß jener unerschütterlich schwieg, „was soll ich anfangen!“

„Wenn du den Teufel brauchst, so scher dich doch auch zum Teufel!“ antwortete Patzjuk, richtete nicht einmal die Augen auf ihn, und fuhr fort, seine Klöße zu vertilgen.

„Deshalb komme ich ja eben zu dir,“ erwiderte der Schmied mit einer Verbeugung, „außer dir, glaube ich, weiß niemand den Weg zu ihm.“

Patzjuk sprach kein Wort — und aß seine Klöße zu Ende. „Erbarm dich, guter Mensch, schlag mir die Bitte nicht ab!“ drängte der Schmied. „Ob Schweinefleisch oder Wurst, ob Leinewand oder Hirse, — oder Buchweizenmehl, und alles, was du brauchst .... wie es so unter guten Leuten Sitte ist .... es soll dir an nichts fehlen. Sage mir doch nur so beispielsweise, welcher Weg zu ihm führt?“

„Der braucht nicht weit zu gehen, der den Teufel auf dem Buckel hat,“ sprach Patzjuk gleichgültig, ohne seine Stellung zu verändern.

Wakula starrte ihn an, als stände die Erklärung dieser Worte auf seiner Stirne zu lesen. „Was spricht er?“ schien seine Miene stumm zu fragen; und sein halbgeöffneter Mund bereitete sich vor, das erste Wort, das er sagen würde, zu verschlingen wie ein Klößchen. Aber Patzjuk schwieg.

Da merkte Wakula, daß weder Klöße noch ein Faß vor Patzjuk standen; statt dessen aber standen zwei Holzschüsseln auf dem Boden: die eine war mit Krapfen, die andere mit Rahm gefüllt. Seine Gedanken und seine Augen wandten sich unwillkürlich diesen Gerichten zu. „Sehn wir mal zu, wie Patzjuk die Krapfen essen wird,“ sagte er zu sich selbst. „Er wird sich sicher nicht bücken wollen, um sie mit dem Mund einzuschlürfen, wie die Klöße; es geht ja auch gar nicht: man muß den Krapfen ja zuerst in den Rahm tunken!“

Doch kaum hatte er dies gedacht, da sperrte Patzjuk seinen Mund weit auf, blickte auf die Krapfen und riß dann den Mund noch weiter auf. Da plantschte ein Krapfen aus der Schüssel, fiel klatschend in den Rahm, drehte sich auf die andere Seite, hüpfte hoch empor und fiel ihm stracks in den Mund. Patzjuk verzehrte den Krapfen, machte den Mund wieder auf, und mit einem anderen Krapfen geschah dasselbe. Er selbst mußte sich nur die Mühe nehmen, zu kauen und ihn zu verschlucken.

„Potztausend!“ dachte der Schmied und machte vor Verwunderung den Mund weit auf; aber da merkte er, daß auch ihm ein Krapfen in den Mund hineinspazierte, und schon waren seine Lippen mit Rahm beschmiert. Der Schmied stieß den Krapfen verwirrt von sich, wischte sich die Lippen und begann darüber nachzudenken, was für Wunder es doch in der Welt gäbe, und bis zu welchen Spitzfindigkeiten des Satans Macht einen Menschen gelangen ließe; und er sagte sich beiläufig, daß nur Patzjuk imstande sei, ihm zu helfen.

„Ich will mich noch einmal verbeugen, vielleicht sagt er’s mir .... Aber, Teufel! Morgen ist ja Weihnachten, und er ißt Krapfen — das ist doch kein Fastenessen! Was bin ich doch für ein Dummkopf: steh da und belade mich mit Sünde! Zurück! ....“ Und der gottesfürchtende Schmied stürzte aus dem Hause.

Da aber konnte der Teufel, der im Sack saß und sich schon im Voraus gefreut hatte, vor Angst, es könne ihm eine so großartige Beute entgehen, nicht mehr an sich halten. Kaum ließ der Schmied den Sack zu Boden gleiten, so sprang er flugs hinaus und setzte sich rittlings auf seinen Hals.

Den Schmied überlief es kalt; er erschrak, wurde totenbleich, und wußte einfach nicht, was er tun sollte; schon wollte er sich bekreuzigen .... Aber der Teufel neigte sein Hundeschnäuzchen an Wakulas rechtes Ohr und sagte: „Ich bin’s, dein Freund; ich werde alles für meinen Kameraden und Genossen tun! Ich gebe dir Geld, soviel du willst,“ murmelte er ihm ins linke Ohr. „Oxana wird heute noch die Unsere sein,“ flüsterte er, sein Maul wieder zum rechten Ohr neigend. Der Schmied stand da und sann. „Schön,“ sagte er endlich, „um diesen Preis bin ich bereit, dir anzugehören!“

Der Teufel schlug die Hände zusammen und begann vor Freude auf dem Halse des Schmiedes auf und ab zu hüpfen. „Jetzt habe ich den Schmied!“ dachte er bei sich. „Gut, mein Täubchen, du sollst mir all deine Malereien und Schmierereien, mit denen du den Teufel verspottet hast, bezahlen! was werden meine Genossen dazu sagen, wenn sie erfahren, daß der frömmste Mann des Dorfes in meinen Händen ist?“

Und der Teufel lachte und stellte sich vor, wie er in der Hölle die geschwänzte Rotte necken werde; und wie der hinkende Teufel, der als Meister aller satanischen Streiche galt, Wut schnauben würde.

„Na Wakula!“ piepste der Teufel, der den Hals des Schmiedes immer noch nicht verlassen hatte, gerade als ob er befürchtete, jener könne ihm entwischen. „Du weißt ja, daß ohne Vertrag nichts unternommen wird.“

„Ich bin bereit!“ sagte der Schmied. „Wie ich gehört habe, unterzeichnet man bei euch die Verträge mit Blut; halt, ich hol mir nur einen Nagel aus der Tasche!“

Dabei griff er mit der Hand nach hinten — und siehe — er hatte den Teufel am Schwanze gepackt.

„Ei ei, du Schäker!“ rief der Teufel lachend, „jetzt aber laß los, genug der Schelmenstreiche!“

„Nein, warte mein Täubchen!“ schrie der Schmied. „Und was sagst du dazu?“ Dabei machte er das Zeichen des Kreuzes, und der Teufel wurde lammstill. „Warte mal!“ rief er und zerrte ihn am Schwanze zu Boden. „Ich will dich lehren, ehrliche Leute und anständige Christenmenschen in Sünden zu stürzen.“

Und der Schmied sprang rittlings auf ihn und hob die Hand empor, um das Zeichen des Kreuzes zu machen.

„Hab Erbarmen, Wakula!“ stöhnte der Teufel kläglich. „Ich tue ja alles, was du willst; nur verschone mich; lege mir nur nicht dies furchtbare Kreuz auf.“

„Jetzt singst du schon ein andres Lied, du gottverdammter Welschling du! Nun weiß ich, was ich zu tun habe. Führe mich sofort im Ritt auf und davon. Hörst du? eile dahin wie ein Vogel!“

„Wohin?“ rief der Teufel traurig.

„Nach Petersburg, geradewegs zu der Zarin!“ Aber da erstarrte der Schmied vor Schreck, denn er fühlte, wie er in die Lüfte emporgehoben wurde.


Noch lange stand Oxana da und dachte an die sonderbaren Reden des Schmieds. Schon regte sich etwas in ihrem Innern und raunte ihr zu, sie habe ihn zu hart behandelt. „Und wenn er sich wirklich etwas Schreckliches antut? Nichts ist unmöglich! Vielleicht verliebt er sich noch am Ende aus Kummer in eine andere und wird sie aus lauter Aerger für die Schönste im Dorfe erklären. Aber nein, er liebt mich. Ich bin ja auch so schön! Er wird mir keine andere vorziehen; er treibt nur Unsinn und tut nur so. Es werden noch keine zehn Minuten verstreichen, und er wird wiederkommen, um mich zu sehen. Ich bin wirklich zu hartherzig. Ich muß mich einmal scheinbar widerwillig von ihm küssen lassen. Das wird eine Freude für ihn sein!“ Und die leichtsinnige Schöne fing schon wieder an, mit ihren Freundinnen zu scherzen.

„Halt!“ rief die eine von ihnen, „der Schmied hat seine Säcke vergessen; o schaut nur, was für gräßliche Säcke das sind! Er hat ganz andre Geschenke für seinen Gesang bekommen als wir; ich glaube, man hat ihm ein ganzes Viertel von einem Hammel geschenkt, und sicherlich Würste und Brote ohne Zahl. Prächtig! Da kann man die ganzen Feiertage davon essen.“

„Sind das die Säcke des Schmiedes?“ rief Oxana. „Schleppen wir sie doch zu mir in die Stube und sehn wir zu, was er alles drin hat.“

Alle billigten lachend diesen Vorschlag.

„Aber wir können sie nicht in die Höhe heben!“ rief auf einmal die ganze Schar, die bemüht war, die Säcke vom Platze zu rücken.

„Halt,“ meinte Oxana, „holen wir einen Schlitten und schleppen wir sie auf dem Schlitten zu mir!“

Und die ganze Schar lief fort, um einen Schlitten zu holen.

Den Gefangenen wurde indessen in den Säcken die Zeit gewaltig lang, wenn auch der Küster sich ein tüchtiges Loch in den Sack gebohrt hatte. Wären keine Leute dagewesen, so hätte er vielleicht auch noch ein Mittel gefunden, herauszukriechen; aber in Gegenwart aller aus dem Sack zu kriechen, sich lächerlich zu machen .... dieser Gedanke hielt ihn zurück, und er beschloß daher, zu warten; und nur hie und da stöhnte er unter Tschubs unhöflichen Stiefeln schmerzlich auf. Tschub selbst aber sehnte sich nicht minder nach Freiheit, denn er fühlte, daß ein gewisses Etwas unter ihm lag, auf dem ganz grauenhaft unbequem zu sitzen war. Sobald er aber vom Entschluß seiner Tochter vernahm, beruhigte er sich und wollte jetzt schon selbst nicht mehr zum Vorschein kommen, denn er dachte daran, daß es bis zu seinem Hause noch mindestens hundert Schritt oder gar noch mehr waren; hätte er aber hinauskriechen wollen, so hätte er seine Kleidung ordnen, den Pelz zuknöpfen, und sich den Gurt umbinden müssen — welche Arbeit! Und dann war auch seine Mütze bei der Solocha geblieben. Da sollten ihn doch lieber die Mädel nach Hause fahren! Es kam jedoch ganz anders, als Tschub erwartet hatte. Während die Mädchen davonliefen, um einen Schlitten zu holen, trat der hagere Gevatter verstört und mißgestimmt aus dem Wirtshaus. Die Schankfrau hatte sich durchaus nicht entschließen können, ihm zu borgen. Er wollte im Wirtshause abwarten, ob nicht irgendein frommer Edelmann kommen und ihm was vorsetzen würde; aber wie zum Trotz waren alle Edelleute zu Hause geblieben und verzehrten als ehrliche Christen ihren Weihnachtskuchen inmitten ihrer Familie. Wie nun der Gevatter so über die allgemeine Sittenverderbnis und das steinerne Herz des Judenweibs, das den Schnaps feilhielt, nachdachte, stieß er plötzlich auf die Säcke und blieb erstaunt stehen. „Schau, schau, hier hat jemand Säcke auf die Straße geworfen!“ sagte er und sah sich um. „Wahrscheinlich ist Schweinefleisch drin. Es gehört doch ein großes Glück dazu, sich so viel zu ersingen! Was für riesige Säcke! Angenommen selbst, sie wären nur mit Buchweizenbroden und Brezeln gefüllt, das wär’ auch gar nicht übel, aber selbst wenn nur einfaches Brot darin wäre, so ließe ich mir auch das gefallen: die verfluchte Jüdin gibt ein Achtel Schnaps für jeden Laib. Ich will sie rasch fortschleppen, so daß niemand es sieht.“

Da wälzte er sich den einen Sack, gerade den mit Tschub und dem Küster, auf die Schulter, fühlte jedoch, daß er zu schwer sei. „Nein, für mich allein ist der zu schwer,“ rief er. „Aber da kommt ja gerad wie gerufen der Weber Schapuwalenko. Grüß Gott, Ostap!“

„Guten Abend!“ erwiderte der Weber und blieb stehen.

„Wohin gehst du?“

„Ganz ohne Ziel, wohin mich gerad die Füße tragen.“

„Hilf mir doch die Säcke forttragen, lieber Mensch, da hat jemand seine Weihnachtsgeschenke hergeschleppt und sie mitten auf der Straße hingeschmissen. Wir wollen das Gut redlich unter uns teilen.“

„Die Säcke? Und was ist drin? Kuchen oder Brot?“

„Ich glaube, es ist von allem etwas drin.“

Sie rissen schnell eine Latte vom Zaun, legten die Säcke darauf und trugen sie auf den Schultern fort.

„Wohin wollen wir sie tragen? Ins Wirtshaus?“ fragte der Weber unterwegs.

„Ich hab’s mir auch gedacht; aber die verdammte Jüdin wird uns am Ende nicht recht trauen, sie wird glauben, wir hätten sie gestohlen, und außerdem komme ich gerade aus dem Wirtshaus. Tragen wir den Sack zu mir. Niemand wird uns stören: meine Frau ist nicht zu Hause.“

„Ist sie auch sicher nicht zu Hause?“ fragte der vorsichtige Weber.

„Wir sind ja, Gott sei Dank, noch bei vollem Verstande,“ sagte der Gevatter, „nur der Teufel könnte mich dorthin bringen, wo sie jetzt ist. Ich glaube, sie wird sich bis morgen früh mit den Weibern herumtreiben.“

„Wer ist da?“ rief die Frau des Gevatters, als sie den Lärm hörte, den die beiden Freunde im Flur mit dem Sack machten, und öffnete die Tür.

Der Gevatter war starr vor Schrecken.

„Na, da haben wir die Bescherung!“ rief der Weber und ließ die Arme sinken.

Des Gevatters Frau war so ein Juwel, wie es deren durchaus nicht wenige in der Welt gibt. Genau wie ihr Gemahl saß sie fast niemals zu Hause und schmarotzte fast den ganzen Tag lang bei allerhand Basen und wohlhabenden Muhmen umher, schmeichelte sich bei ihnen ein, aß mit vielem Appetit und prügelte sich nur am Morgen mit ihrem Manne herum, denn bloß um diese Tageszeit pflegte sie ihn zuweilen zu sehen. Ihre Hütte war doppelt so alt wie die Pluderhosen des Gemeindeschreibers. Das Dach hatte an manchen Stellen gar kein Stroh mehr, und vom Zaun waren nur noch ein paar klägliche Überreste übrig, denn kein Mensch pflegte beim Ausgehen noch einen Stock zur Abwehr der Hunde mitzunehmen, weil jeder hoffte, am Gemüsegarten des Webers vorüberzugehen und sich da einen Knüppel aus seinem Zaun reißen zu können. Der Ofen wurde oft drei Tage lang nicht geheizt. Alles, was die zärtliche Gattin bei gutherzigen Leuten zu erbetteln pflegte, verbarg sie möglichst vor ihrem Manne, und manchmal nahm sie sogar Sachen als Beute an sich, die ihm gehörten, falls er sie noch nicht in der Schenke versoffen hatte. Der Gevatter wollte ihr trotz seiner ewigen Gleichgültigkeit doch nicht nachgeben, daher verließ er auch das Haus fast immer mit ein paar Beulen unter beiden Augen, und die geschätzte Ehehälfte trollte sich ächzend zu ihren alten Weibern, um ihnen von der Lüderlichkeit ihres Mannes und von den Schlägen vorzuklatschen, die sie zu ertragen hatte.

Man kann sich ausmalen, wie verblüfft der Weber und der Gevatter durch ihr unerwartetes Erscheinen waren. Sie ließen den Sack zu Boden sinken, stellten sich vor ihn hin und bedeckten ihn mit ihren Rockschößen; aber schon war es zu spät; des Gevatters Frau hatte den Sack schon erblickt, obwohl ihre alten Augen nur noch schlecht sahen. „Das ist aber fein!“ sagte sie mit einer Miene, in der die Freude eines Habichts aufzuckte. „Das ist fein, daß ihr euch so viel zusammengesungen habt! Anständige Leute machen es immer so. Aber nein, ich glaube doch, ihr habt es irgendwo stibitzt. Zeigt mir’s sofort, hört ihr, zeigt mir sofort, was ihr in eurem Sacke habt!“

„Vielleicht zeigt dir’s ein kahlköpfiger Teufel, aber nicht wir,“ sagte der Gevatter und stellte sich in Positur.

„Was geht dich das an?“ sagte der Weber, „wir haben das für unseren Gesang bekommen und nicht du!“

„Nein, du sollst es mir zeigen, du nichtsnutziger Trunkenbold!“ rief die Frau, versetzte dem langaufgeschossenen Gevatter einen Schlag unters Kinn und drängte sich an den Sack heran. Jedoch der Weber und der Gevatter verteidigten den Sack tapfer und nötigten sie zum Rückzuge. Kaum aber hatten sie Zeit, sich recht zu besinnen, als die Gattin schon mit einem Feuerhaken in der Hand wieder auf den Flur herausgerannt kam. Sie schlug ihrem Mann flink mit dem Haken auf die Hände und dem Gevatter übern Rücken, und schon stand sie neben den Säcken.

„Warum haben wir sie herangelassen?“ rief der Weber, als er wieder zu sich gekommen war.

„Ja, warum haben wir sie herangelassen! Warum hast du sie herangelassen?“ sagte der Gevatter kaltblütig.

„Ihr habt wohl einen eisernen Ofenhaken!“ sagte der Weber nach kurzem Schweigen, indem er sich den Rücken kratzte. „Meine Frau hat im vorigen Jahr auf dem Jahrmarkt einen Ofenhaken gekauft und ein halb Schock Eier für ihn gegeben: der ist besser ..... er tut nicht so weh ......!“

Unterdessen stellte die triumphierende Gattin ihr Lämpchen auf den Boden, band den Sack auf und blickte hinein.

Aber ihre alten Augen, die den Sack doch so gut wahrgenommen hatten, täuschten sie wohl diesmal. „He, da liegt ja ein ganzer Eber!“ rief sie, vor Freude in die Hände klatschend.

„Ein Eber! Hörst du, ein ganzer Eber!“ rief der Weber und puffte den Gevatter in die Seite, „du allein hast an allem schuld!“

„Was ist da zu machen!“ rief der Gevatter achselzuckend.

„Was? Warum stehen wir auch so ruhig da? Nehmen wir ihr doch den Sack ab! Pack dich!“

„Vorwärts marsch, du Teufelsweib! Der Eber gehört uns!“ rief der Gevatter und rückte vor. Seine Gattin griff wieder zum Ofenhaken, aber in diesem Augenblick kroch Tschub aus dem Sack und stellte sich breitbeinig mitten im Flur hin, indem er sich dehnte und reckte, wie ein Mensch, der soeben aus einem langen Schlafe erwacht ist.

Des Gevatters Frau stieß einen Schrei aus, schlug die Hände zusammen, und alle miteinander sperrten unwillkürlich die Mäuler auf.

„Was faselt sie da von einem Eber, diese Närrin! Das ist doch kein Eber,“ sagte der Gevatter, die Augen weit aufreißend.

„Sieh einer an, was für einen Kerl sie da in den Sack gesteckt haben!“ rief der Weber, vor Schreck zurückweichend. „Sag, was du willst, ich will auf der Stelle platzen, wenn da nicht der Böse seine Hand im Spiel hat. Der da kann doch durch kein Fenster, geschweige denn in einen Sack geraten!“

„Das ist ja Gevatter Tschub!“ rief der Gevatter, als er näher zusah.

„Und was dachtest du?“ rief Tschub schmunzelnd. „Was? habe ich euch einen Schabernack gespielt? Ihr wolltet mich wohl schon gar verspeisen, wie ein Stück Schweinefleisch? Wartet nur, ich will euch noch eine Freude bereiten: im Sacke liegt noch etwas, wenn das kein Eber ist, so ist’s sicher ein Ferkel oder irgendein anderes Vieh. Es hat fortwährend unter mir gezappelt.“

Der Weber und der Gevatter stürzten sich auf den Sack, die Hausfrau klammerte sich auf der anderen Seite an ihn und das Gefecht wäre wieder losgegangen, wenn nicht der Küster, der einsah, daß er sich nirgends mehr verbergen konnte, von selbst aus dem Sacke herausgekrochen wäre.

Die Frau des Gevatters wurde starr wie Stein und ließ den Fuß los, an dem sie den Küster bereits aus dem Sacke ziehen wollte.

„Also noch einer!“ rief der Weber in heller Angst. „Der Teufel mag wissen, was in der Welt los ist .... Der Kopf dreht sich mir im Kreise herum .... Weder Würste noch Brot, sondern lauter Menschen wirft man jetzt in die Säcke!“

„Das ist der Küster!“ rief Tschub, der noch mehr erstaunt war, als die anderen. „Da haben wir’s! Ei, ei, die Solocha! Die Menschen in einen Sack zu stecken .... Ich dachte mir gleich: warum ist nur die Stube voller Säcke .... Jetzt weiß ich alles: bei ihr saßen zwei Kerle in jedem Sacke. Und ich glaubte, daß sie mir allein .... Ei, ei! diese Solocha!“


Die Mädchen waren einigermaßen erstaunt, als sie den einen Sack nicht mehr fanden.

„Nun, da ist nichts zu machen, wir werden auch an dem anderen genug haben!“ meinte Oxana.

Alle ergriffen den Sack und wälzten ihn auf den Schlitten. Der Amtmann beschloß zu schweigen, denn er bedachte die Folgen, wenn er schrie, man solle den Sack aufbinden; die dummen Mädel würden auseinanderlaufen, würden glauben, im Sacke sitze der Teufel, und er müßte dann vielleicht bis morgen auf der Straße bleiben.

Indes flogen die Mädchen, Hand in Hand, wie der Sturmwind mit dem Schlitten über den knisternden Schnee. Einige von ihnen setzten sich mutwillig auf den Schlitten; und manche setzten sich sogar auf den Amtmann selbst. Der Amtmann aber war entschlossen, alles zu ertragen.

Endlich waren sie angekommen, sie rissen die Türen zum Flur und zur Stube weit auf und schleppten den Sack unter lautem Gelächter hinein.

„Sehn wir zu, was drin ist,“ riefen alle auf einmal und beeilten sich, ihn aufzubinden.

Da aber wurde der Schlucken, der nicht aufgehört hatte, den Amtmann während der ganzen Zeit seines Aufenthalts im Sack zu quälen, so arg, daß der laut aufzuschlucksen und zu husten begann.

„Ach, da sitzt ja jemand drin!“ schrien alle, und stürzten erschrocken zur Tür.

„Was Teufel! Wohin rennt ihr denn alle, als ob ihr nicht gescheit seid?“ fragte Tschub, der in die Türe trat.

„O, Vater!“ rief Oxana, „im Sacke sitzt jemand!“

„Im Sacke? Wo habt ihr diesen Sack her?“

„Der Schmied hat ihn mitten auf die Straße hingeschmissen,“ riefen alle zugleich.

„Na also; hab ich’s nicht gleich gesagt? ....“ dachte Tschub bei sich. „Worüber seid ihr so erschrocken? Wir wollen doch mal nachsehn. Holla, Menschenskind — nimm’s mir nicht übel, daß ich dich nicht bei deinem Vor- und Zunamen rufe — kriech mal aus dem Sack heraus!“

Der Amtmann kroch heraus.

„Ah!“ riefen die Mädchen.

„Auch der Amtmann war also dabei,“ sprach Tschub verblüfft zu sich, und maß ihn vom Kopfe bis zu den Füßen. „So so? .... Hehe! ....“ Mehr konnte er nicht hervorbringen.

Der Amtmann selbst war nicht minder verlegen und wußte nicht, was er anfangen sollte. „Es ist wohl recht kalt draußen?“ fragte er, zu Tschub gewandt.

„Ein mächtiges Frostwetter,“ antwortete Tschub. „Darf ich dich fragen: womit schmierst du eigentlich deine Stiefel: mit Schmalz oder mit Teer?“ Er hatte natürlich etwas ganz andres sagen wollen, und fragen wollen: „Wieso kommst du, der Amtmann, in den Sack?“ und er wußte selbst nicht, wie es kam, daß er etwas ganz anderes gesagt hatte.

„Mit Teer ist’s besser,“ erwiderte der Amtmann. „Leb wohl, Tschub!“ Und er drückte die Mütze in die Stirn und verließ die Stube.

„Warum habe ich so dumm gefragt, womit er seine Stiefel schmiert!“ rief Tschub, auf die Tür blickend, durch die der Amtmann hinausgegangen war. „Ei, ei, diese Solocha! Solch einen Herrn in den Sack zu stecken! Dieses Teufelsweib! Und ich Dummkopf .... Aber wo ist nur der verfluchte Sack geblieben?“

„Ich habe ihn in die Ecke geschmissen, es ist nichts mehr drin,“ sagte Oxana.

„Ich kenne diese Scherze schon. Nichts drin! Gib ihn mal her: dort sitzt doch noch jemand! Schüttelt ihn nur mal ordentlich. Wie? ist wirklich nichts drin? Ei, so ein verfluchtes Weibsbild! Und dabei ist sie von Aussehen die reinste Heilige, als ob sie noch nie was anderes als Fastenspeisen gekostet hätte .....!“

Aber lassen wir Tschub in aller Gemütlichkeit seinen Ärger verpuffen und kehren wir zu dem Schmied zurück; denn es geht gewiß schon in die neunte Stunde.


Zuerst war’s Wakula sehr unheimlich zumute, besonders als er so hoch oben schwebte, daß er unten auf der Erde nichts mehr unterscheiden konnte, und als er wie eine Fliege hart am Monde vorbeigeflogen kam, so daß er, hätte er sich nicht etwas gebückt, den Mond mit der Mütze gestreift hätte. Bald darauf faßte er jedoch Mut, und begann wieder über den Teufel zu scherzen. Es ergötzte ihn außerordentlich, wie der Teufel jedesmal, wenn Wakula sein Kreuz aus Zedernholz vom Halse nahm und es ihm vor die Nase hielt, niesen und prusten mußte. Absichtlich erhob er die Hand, um sich den Kopf zu kratzen, aber der Teufel dachte, er greife nach dem Kreuze und flog noch rascher dahin. Alles in der Höhe leuchtete hell. Die Luft schimmerte durchsichtig in dem sanften silbernen Nebel. Alles war klar zu sehen und man konnte sogar wahrnehmen, wie ein Zauberer rittlings auf einem Topfe sitzend an ihnen vorüberjagte, wie die Sterne, zu einem Haufen geballt, Blindekuh spielten, wie ein ganzes Rudel Geister sich gleich Wolken dahin wälzte, wie ein im Mondschein tanzender Teufel beim Anblick des daherreitenden Schmiedes die Mütze zog, und wie ein Besen, auf dem offensichtlich soeben eine Hexe zu ihrem Ziel geritten war, heimwärts flog ......! Und noch vieles andere und mancherlei böses Gesindel trafen sie auf ihrem Wege. Beim Anblick des Schmiedes machten alle halt, um ihn anzusehen, und dann rasten sie zu ihren Verrichtungen weiter; der Schmied flog immer weiter und weiter, und auf einmal leuchtete Petersburg ganz in Feuer gehüllt vor ihm auf. (Damals fand dort aus irgend einem Anlaß gerade eine Illumination statt.) Der Teufel flog über den Schlagbaum hinweg, verwandelte sich in ein Roß, und der Schmied fand sich plötzlich mitten auf der Straße auf einem hitzigen Renner wieder.

Himmel Herrgott! War das ein Lärmen, Rasseln und Funkeln; auf beiden Seiten ragten vier Stockwerk hohe Mauern in die Höhe; das Stampfen der Pferdehufe und das Rollen der Wagenräder hallte donnernd aus allen vier Himmelsrichtungen wider; da schossen Häuser empor und schienen auf Schritt und Tritt der Erde zu entsteigen; Brücken bebten; Equipagen flogen dahin, Kutscher und Vorreiter brüllten; der Schnee pfiff unter den tausenden, von allen Seiten vorbeifliegenden Schlitten; die Fußgänger drückten sich ängstlich an die Häuser, die mit Lämpchen übersät waren; und ihre riesigen Schatten huschten über die Wände und reichten mit den Köpfen bis an die Dächer und Schornsteine.

Voller Staunen sah sich der Schmied nach allen Seiten um. Es schien ihm, als ob alle diese Häuser ihre zahllosen Feueraugen auf ihn richteten und ihn anschauten. Soviel feine Herren in ihren mit Tuch überzogenen Pelzen erblickte er, daß er nicht wußte, vor wem er zuerst die Mütze ziehen sollte. „O Gott, wieviel Herrschaften es hier gibt!“ dachte der Schmied. „Ich glaube, hier ist jeder, der einem auf der Straße in einem Pelz begegnet, Assessor und wieder Assessor! Und die, die in diesem wunderbaren Wagen mit Glasscheiben dahinfahren, sind, wenn nicht Bürgermeister, so doch sicherlich Kommissäre oder vielleicht sogar noch mehr.“ Hier wurden seine Betrachtungen durch eine Frage des Teufels unterbrochen: „Soll ich gradeswegs zur Zarin?“ — „Nein, ich habe Angst!“ dachte der Schmied. „Ich weiß nicht, hier sind doch irgendwo die Saporoger Kosaken abgestiegen, die im Herbst durch Dikanka gekommen sind. Sie fuhren mit einem Schreiben zur Zarin; nicht übel wäre es, sie um Rat zu fragen. He, Satan! kriech mir in die Tasche und führe mich zu den Saporogern!“

Im Nu magerte der Teufel ab und wurde so klein, daß er ohne Müh zu ihm in die Tasche hineinhüpfen konnte. Noch bevor Wakula sich umzusehen vermochte, stand er schon vor einem riesigen Hause und, ohne selbst zu wissen wie, stieg er die Treppe empor, machte die Türe auf und prallte ein wenig zurück vor dem blendenden Glanze, als er das geschmückte Gemach erblickte; doch er faßte wieder etwas Mut, als er die Saporoger erkannte, die durch Dikanka gekommen waren, und die nun auf seidenen Sofas saßen: mit geteerten Stiefeln an den übereinandergeschlagenen Beinen, und den allerstärksten Tabak rauchten, jenen Tabak, den man gewöhnlich Wurzeltabak nennt.

„Grüß Gott, Herrschaften! Helf euch Gott! Wo wir uns wiedersehn!“ sprach der Schmied, trat näher und verbeugte sich tief bis zur Erde.

„Was ist das für ein Mensch?“ fragte der dem Schmied zunächst Sitzende einen andern, der etwas abseits saß.

„Habt ihr mich nicht wiedererkannt?“ rief der Schmied. „Ich bins ja, der Schmied Wakula! Als ihr im Herbst durch Dikanka kamt, da wart ihr ja zwei Tage lang bei mir zu Gaste, Gott schenke euch Gesundheit und langes Leben. Ich hab euch doch noch damals einen neuen Reifen ans Vorderrad eures Wagens geschlagen!“

„Ah!“ rief da der Saporoger, „das ist ja derselbe Schmied, der so großartig malt. Gott zum Gruß, Landsmann! Was führt dich hierher?“

„Ich wollte mich nur ein wenig umsehen .... Man sagt ja ....“

„Nun, Landsmann,“ rief der Saporoger wichtig und da er zeigen wollte, daß er nicht bloß seine Kosaken-Mundart, sondern auch reinstes Russisch sprechen konnte, sagte er: „Eine gewoltige Stadt, wie?“

Der Schmied wollte sich auch nicht bloßstellen und als Neuling zeigen, außerdem verstand er sich auch selbst auf die Schriftsprache, wie wir bereits oben zu bemerken Gelegenheit hatten, und so antwortete er ruhig: „Eine mächtige Goubernie! Hier gibt’s unstreitig große Häuser, und meisterhafte Bilder hängen darin. Gar viele Häuser sind mit köstlichen Lettern aus Blattgold bemalt. Man muß zugeben, eine herrliche Proportion!“

Als die Saporoger den Schmied so frei sich ausdrücken hörten, bekamen sie die günstigste Meinung von ihm.

„Wir wollen uns später weiter unterhalten, Landsmann: Jetzt müssen wir gleich zur Zarin fahren.“

„Zur Zarin? O seid so lieb, meine Herren, nehmt mich auch mit!“

„Dich?“ rief der Saporoger in einem Ton, wie etwa ein Kinderwärter zu seinem vierjährigen Zögling redet, der bittet, ihn auf ein großes Pferd zu setzen.

„Was willst du denn dort? Nein, das geht nicht.“ Dabei nahm sein Gesicht eine wichtige Miene an. „Wir müssen mit der Zarin über unsere eigenen Angelegenheiten reden, Bruder!“

„Nehmt mich doch mit!“ drängte der Schmied. „Bitte du sie!“ flüsterte er dem Teufel leise zu, indem er mit der Faust auf seine Tasche schlug.

Kaum aber hatte er das gesagt, als ein anderer Saporoger ausrief: „Nehmen wir ihn doch wirklich mit, Brüder!“

„Uns ist’s recht, nehmen wir ihn mit!“ sprachen die Anderen.

„So leg ein Kleid an, wie wir es tragen.“

Der Schmied beeilte sich, einen grünen Schupan anzuziehen, als auf einmal die Tür aufging und ein Mann mit Tressen am Rock eintrat und sagte, es sei die höchste Zeit, abzufahren.

Dem Schmied war es wieder wunderlich zumute, als er in der riesigen Kalesche dahinfuhr, die auf Sprungfedern hin und her schaukelte; und als die vierstöckigen Häuser auf beiden Seiten an ihm vorbeirannten, und das Pflaster mit Gepolter wie von selbst unter den Füßen der Pferde dahinzurollen schien.

„O Gott, wie hell es ist!“ dachte der Schmied bei sich, „bei uns ist es nicht einmal am Tage so hell!“

Die Wagen hielten vor einem Palaste. Die Saporoger stiegen aus, traten auf den prächtigen Vorplatz und begannen die blendend beleuchtete Treppe hinaufzusteigen.

„Was für eine Treppe!“ flüsterte der Schmied vor sich hin, „es wäre doch schade, mit den Füßen drauf zu treten. Welch ein Schmuck! Und da sage noch einer: die Märchen lügen! Wahrlich, die lügen nicht! O Gott, mein Gott, was für ein Geländer! Was für eine Arbeit! Da hat man allein fürs Eisen mindestens fünfzig Rubel ausgegeben!“

Oben angelangt, durchschritten die Saporoger den ersten Saal. Scheu folgte ihnen der Schmied, voller Angst, er könnte bei jedem Schritt auf dem Parkett ausgleiten. Drei Säle durchschritten sie und der Schmied war noch immer nicht aus seiner Verwunderung herausgekommen. Wie sie in den vierten Saal traten, ging er unwillkürlich an ein Gemälde heran, das an der Wand hing. Es war ein Bild der heiligen Jungfrau mit dem Sohne auf dem Arm.

„Was für ein Bild! Was für eine wunderbare Malerei!“ dachte er und stellte seine Betrachtungen an. „Es sieht aus, als wollte es reden! Wie lebendig es ist! Und das Christkind! Wie es die Händchen faltet und lächelt, das Ärmste! Und diese Farben! O Gott! Welche Farben! Da hat man wohl auch nicht für eine Kopeke Ocker gebraucht, glaub ich, sondern nichts als Karmin und Grünspan. Und wie das Blau leuchtet! Eine meisterhafte Arbeit. Der Grund ist wahrscheinlich mit dem kostbarsten Bleiweiß angelegt. Aber wenn diese Malerei wunderbar ist, so ist doch dieser Messinggriff noch mehr der Bewunderung würdig,“ fuhr er fort, indem er an die Tür trat und das Schloß betastete. „Was für eine saubere Arbeit! Ich bin sicher, das alles ist von ausländischen Schmieden gemacht und die haben sich sicherlich die höchsten Preise dafür zahlen lassen.“

Der Schmied wäre vielleicht noch lange in seinen Betrachtungen fortgefahren, wenn ihn nicht ein betreßter Lakai am Arm gepufft und ermahnt hätte, nicht hinter den anderen zurückzubleiben. Die Saporoger durchschritten noch zwei Säle und machten dann halt. Da hieß man sie warten. Im Saale standen einige Generäle in goldbestickten Uniformen. Die Saporoger verbeugten sich nach allen Seiten und traten zu einer Gruppe zusammen.

Einen Augenblick später kam, begleitet von einem ganzen Gefolge, ein korpulenter Mann von majestätischer Statur, in Hetmansuniform und mit feinen gelben Stiefeln herein. Sein Haar war wirr, das eine Auge schielte etwas, das Gesicht drückte Stolz und Erhabenheit aus, allen seinen Bewegungen merkte man die Gewohnheit, zu befehlen, an. Alle Generäle, die in ihren goldenen Uniformen umherstolzierten, gerieten in Bewegung und schienen jedes seiner Worte, ja die leiseste Bewegung von ihm unter tiefen Verbeugungen auffangen zu wollen, um alles schleunigst auszuführen. Aber der Hetman achtete nicht einmal darauf, nickte kaum mit dem Kopfe und ging auf die Saporoger zu.

Sämtliche Saporoger verbeugten sich tief.

„Seid ihr alle hier?“ fragte er gedehnt und mit etwas näselnder Stimme.

„Alle, alle miteinander, Väterchen!“ antworteten die Saporoger und verbeugten sich von Neuem.

„Vergeßt nicht, zu reden, wie ich’s euch gelehrt habe!“

„Nein, Väterchen, wir werden’s nicht vergessen!“

„Ist das der Zar?“ fragte der Schmied den einen Saporoger.

„Der Zar? Warum nicht gar! Das ist doch Potemkin in eigener Person!“ antwortete jener.

Im Nebenzimmer wurden Stimmen laut, und der Schmied wußte nicht, wo er seine Augen lassen sollte, soviel Damen in Atlaskleidern mit langen Schleppen und Höflinge in goldgewirkten Kaftans und mit steifen Zöpfchen traten jetzt herein. Er sah nur ein Aufleuchten — sonst nichts.

Auf einmal fielen alle Saporoger zu Boden und schrien wie ein Mann: „Gnade, Mütterchen! Erbarmen!“

Der Schmied, der schon gar keine Ahnung mehr hatte, was da eigentlich vorging, streckte sich in seinem Eifer auch lang auf den Boden hin.

„Steht auf!“ erklang über ihnen eine gebieterische, aber zugleich angenehme Stimme. Einige Höflinge gaben den Saporogern geschäftig ein paar Rippenstöße.

„Wir stehen nicht auf, Mütterchen! Wir wollen nicht aufstehen! Wir sterben lieber, als daß wir aufstehen!“ schrien die Saporoger.

Potemkin biß sich auf die Lippen; endlich trat er selbst zu ihnen und flüsterte dem einen Saporoger gebieterisch etwas zu. Die Saporoger erhoben sich sofort.

Da wagte es auch der Schmied, den Kopf zu erheben und erblickte eine — etwas beleibte — Frau von mittlerer Größe vor sich; sie war gepudert, hatte blaue Augen und jene erhaben lächelnde Miene, die es so gut verstand, sich alles untertan zu machen, und nur einem königlichen Weibe angehören konnte.

„Durchlaucht haben mir versprochen, mich heute mit meinem Volke bekannt zu machen, das ich bisher noch nicht gesehen habe,“ sprach die Dame mit den blauen Augen, während sie die Saporoger neugierig musterte. „Seid ihr hier gut aufgehoben?“ fuhr sie fort und trat näher.

„Danke, Mütterchen! Die Kost ist gut, obwohl die Hammel hier lange nicht so gut sind — wie bei uns daheim — aber es läßt sich leben! ....“

Potemkin runzelte die Stirn, als er sah, daß die Saporoger keineswegs sagten, was er sie gelehrt hatte ....

Ein Saporoger gab sich nun ein Ansehen und trat vor: „Erbarmen, Mütterchen! Womit hat dein treues Volk dich erzürnt? Haben wir etwa dem heidnischen Tatarenvolke beigestanden, haben wir gemeinsame Sache mit den Türken gemacht, haben wir dir in Wort oder Tat die Treue gebrochen? Womit haben wir deine Ungnade verdient? Erst hörten wir, du ließest überall Festungen gegen uns bauen; nachher vernahmen wir, du wollest Scharfschützen aus uns machen; jetzt hören wir von neuem Unheil. Welche Schuld trifft das Heer der Saporoger? Ist’s etwa die, daß sie deine Armee über den Perekop geführt und deinen Generälen geholfen haben, die Männer der Krim niederzuwerfen? ....“

Potemkin schwieg und putzte mit einem kleinen Bürstchen lässig die Brillanten, mit denen seine Hände besät waren.

„Was wünscht ihr also?“ fragte Katherina freundlich.

Die Saporoger sahen einander vielsagend an.

„Jetzt ist’s Zeit! Die Zarin fragt, was wir wünschen,“ sagte der Schmied zu sich selbst, und auf einmal stürzte er zu ihren Füßen nieder.

„Eure kaiserliche Hoheit, straft mich nicht, sondern schenkt mir Eure Gnade! Mögen meine Worte Eure kaiserliche Hoheit nicht erzürnen: woraus sind die Schuhe gemacht, in denen Eure Füßchen stecken? Ich glaube, kein Schuster in der Welt vermag je wieder solche Schuhe zu machen. O Gott! Wenn mein Frauchen nur solche tragen könnte!“

Die Kaiserin brach in Lachen aus. Die Höflinge lachten ebenfalls. Potemkin ärgerte sich, aber er lächelte gleichfalls. Die Saporoger glaubten, der Schmied sei verrückt geworden und begannen ihm Rippenstöße zu geben.

„Steh auf!“ sagte die Kaiserin freundlich. „Du willst durchaus solche Schuhe haben? Nun wohl, das hat keine Schwierigkeiten. Bringt ihm sofort die kostbarsten, mit Gold bestickten Schuhe. Wahrlich, diese Einfalt gefällt mir sehr! Da habt Ihr,“ fuhr die Kaiserin fort, indem sie ihre Augen auf einen abseits stehenden Herrn mit einem vollen aber ein wenig bleichen Gesicht richtete, dessen bescheidener Kaftan mit den großen Perlmuttknöpfen erkennen ließ, daß er nicht zu den Höflingen gehörte, „da habt Ihr ein Sujet, das Eurer geistvollen Feder würdig ist!“

„Majestät sind allzu gnädig. Dazu bedürfte es mindestens eines Lafontaine!“ erwiderte der Mann mit den Perlmutterknöpfen, der Dichter Von Wisin, indem er sich verneigte.

„Auf Ehre und Gewissen: ich muß sagen: ich bin jetzt noch von Eurem „Brigadier“ in hellem Entzücken. Ihr lest aber auch ganz wunderbar vor.“ Dann wandte sich die Kaiserin wieder dem Saporoger zu. „Ihr habe übrigens gehört, bei Euch in der Ssjetsch soll kein Kosak heiraten dürfen!“

„Was sagst du, Mütterchen! Du weißt doch selbst: kein Mensch kann ohne ein Frauchen leben,“ antwortete der Saporoger, mit dem der Schmied gesprochen hatte, und der Schmied mußte staunen, als er hörte, daß dieser Saporoger, der die Schriftsprache so gut beherrschte, gerade, wie absichtlich, mit der Zarin in der gröbsten Mundart redete, jener Mundart, die man gewöhnlich die Bauernsprache nennt. „Schlaue Leutchen!“ dachte er bei sich, „sicher tut er es nicht ohne Absicht.“

„Wir sind doch keine Mönche,“ fuhr der Saporoger fort, „wir sind ja nur sündige Menschen. Wir sind, wie die ganze ehrliche Christenheit, der Fleischeslust verfallen. Es gibt nicht wenige unter uns, die Frauen haben, nur wohnen die Frauen nicht in der Ssjetsch. Es gibt auch solche, die ihre Frauen im Polenlande und in der Ukraine haben; es gibt aber auch solche, deren Frauen in der Türkei leben.“

Unterdessen hatte man dem Schmied die Schuhe gebracht.

„O Gott, was für eine Zier!“ rief er freudig und ergriff die Schuhe. „Kaiserliche Hoheit! Wenn Ihr solche Schühchen anhabt und darin einhergeht, Euer Gnaden, oder gar noch übers Eis mit ihnen gleiten könnt — wie müssen da die Füßchen selbst sein? Ich glaub’, wahr und wahrhaftig, sie sind von reinstem Zucker.“

Die Kaiserin, die in der Tat die zierlichsten und reizendsten Füßchen besaß, mußte lächeln, als sie ein solches Kompliment aus dem Munde eines einfältigen Schmiedes vernahm, der trotz seines braunen Gesichtes in seinem Saporogergewand für einen wirklich schönen Mann gelten konnte.

Hocherfreut über diese wohlwollende Aufmerksamkeit wollte der Schmied die Zarin schon über alles ordentlich ausfragen: ob’s wahr sei, daß die Zaren nichts wie Honig und Speck äßen und ähnliches mehr. Da aber fühlte er, wie die Saporoger ihn in die Rippen pufften, und er beschloß, zu verstummen. Und als die Zarin sich den alten Leuten zuwandte und sie über ihr Leben und Treiben in der Ssjetsch auszufragen begann, trat er zur Seite, neigte sich zu seiner Tasche hinab, sagte leise: „Bring mich schnell von hier weg!“ Und auf einmal befand er sich wieder hinter dem Schlagbaum.


„Ertrunken! Bei Gott, er ist ertrunken! Ich will mich nicht mehr vom Fleck rühren, wenn er nicht ertrunken ist!“ murmelte die dicke Webersfrau, die mitten auf der Straße in einem Haufen von Weibern stand.

„Was, ich bin also eine Lügnerin? Hab’ ich etwa jemandem eine Kuh gestohlen? Oder hab’ ich jemand böse angesehen, daß ihr mir nicht trauen wollt?“ schrie eine Frau mit violetter Nase und in einem Kosakenkittel, indem sie mit ihren Armen hin und her fuchtelte. „Ich will nie wieder Wasser trinken, wenn die alte Perepertschicha nicht mit eigenen Augen gesehen hat, wie der Schmied sich erhängt hat!“

„Der Schmied hat sich erhängt? Eine schöne Bescherung!“ rief der Amtmann, der eben aus dem Hause Tschubs kam; er blieb stehen und drängte sich unter die Keifenden.

„Sage lieber, du willst keinen Schnaps mehr trinken, du alte Sauftrine du!“ antwortete die Webersfrau. „Da müßte man ja gerad’ so blöde sein, wie du, um sich aufzuhängen! Er ist ertrunken, er ist im Eisloch ertrunken! Das weiß ich so gewiß, wie daß du soeben im Wirtshaus gewesen bist.“

„Was, du freches Frauenzimmer? Sieh mal einer an, was die mir vorwirft!“ entgegnete wütend die Frau mit der violetten Nase. „Du hättest doch lieber das Maul halten sollen, du Weibsstück du! Als ob ich nicht wüßte, daß jeden Abend der Küster zu dir kommt!“

Die Webersfrau geriet außer sich.

„Was tut der Küster? Zu wem kommt er? Was faselst du da?“

„Der Küster?“ krähte die Frau des Küsters, sich in ihrem Hasenpelz, der mit blauem Nanking bezogen war, an die Streitenden herandrängend. „Ich will dir schon zeigen, was es heißt, so vom Küster zu reden! Wer sagt da was vom Küster?“

„Man weiß ja doch, wen der Küster besucht!“ schrie die Frau mit der violetten Nase und zeigte auf die Weberin.

„Du also bist’s, du Hündin“, rief die Frau des Küsters und ging auf die Webersfrau los, „du bist’s, du Hexe, die ihn umnebelt und ihn mit Satanskräutern behext, daß er zu dir kommt?“

„Pack dich fort, du Satan!“ sprach die Webersfrau zurückweichend.

„Sieh mal einer die verdammte Hexe an, du sollst’s nicht mehr erleben, daß du deine Kinder jemals wiedersiehst! Du niederträchtiges Weib! Pfui!“ Und dabei spuckte die Küsterin der Webersfrau gerade in die Augen.

Die Webersfrau wollte dasselbe tun, aber statt dessen spuckte sie dem Amtmann, der näher an die Streitenden herangekommen war, um alles besser zu hören, in seinen unrasierten Bart.

„Ah, du garstiges Weibsbild, du!“ rief der Amtmann, wischte sich mit dem Rockschoß das Gesicht ab und schwenkte seine Knute.

Diese Bewegung veranlaßte alle, schimpfend nach allen Seiten auseinanderzustieben. „So was Ekelhaftes!“ wiederholte der Amtmann und wischte sich wieder ab. „Der Schmied ist also ertrunken! O du meine Güte! Was war das für ein großartiger Maler! Was für starke Messer, Sensen und Pflüge konnte der schmieden! Und wie kräftig der war! Ja, ja,“ fuhr er nachdenklich fort, „bei uns im Dorfe haben wir wenig solche Leute. Ich hab’s ja gleich gemerkt, als ich noch in diesem verfluchten Sacke saß, daß der Aermste ganz bedrückt und traurig war. Ja, da haben wir nun den Schmied! Einst war er, und nun ist er nicht mehr! Ich wollte doch gerade noch meine scheckige Stute beschlagen lassen! ....“ Und solcher christlicher Gedanken voll, trottete der Amtmann langsam seinem Hause zu.

Oxana war ganz bestürzt, als diese Gerüchte zu ihr drangen. Sie traute zwar den Augen der Perepertschicha und dem Weibergetratsch nur wenig, denn sie wußte, daß der Schmied fromm genug war, seine Seele nicht ins Verderben zu stürzen. Wie aber, wenn er in der Tat mit der Absicht davongegangen war, nie wieder ins Dorf zurückzukehren? Schwerlich konnte man wo anders einen so schmucken Burschen finden, wie der Schmied einer war. Und dann liebte er sie doch so sehr! Er ertrug auch ihre Launen länger als alle anderen ... Die Schöne drehte sich die ganze Nacht hindurch unter ihrer Decke von der rechten Seite auf die linke, und von der linken auf die rechte, und konnte doch nicht einschlafen. Bald warf sie sich in ihrer berückenden Nacktheit, die das nächtliche Dunkel sogar vor ihr selbst verbarg, hin und her, und schalt laut auf sich, bald verstummte sie, faßte den Entschluß, an nichts mehr zu denken — und grübelte doch weiter und weiter. Sie lag da wie in lohendem Feuer, und gegen Morgen war sie bis über die Ohren in den Schmied verliebt.

Als Tschub den Tod Wakulas vernahm, ließ er weder Freude noch Trauer erkennen. Seine Gedanken waren nur mit einer Sache beschäftigt: er konnte Solochas Treubruch nicht vergessen, und ließ sogar im Schlafe nicht davon ab, auf sie zu schimpfen.

Der Tag brach an. Die Kirche war schon vor Morgengrauen voll von Menschen. Die alten Frauen in ihren weißen Kopftüchern und Tuchkitteln standen ganz nahe am Eingang und bekreuzigten sich fromm. Vor ihnen standen die adligen Damen in grünen und gelben Jacken, ja manche sogar in blauen Überwürfen, die hinten mit Brokatschleifen versehen waren. Die Mädchen, die einen ganzen Laden von aufgewickelten Bändern auf dem Kopfe und ebensoviel Perlenbänder, Kreuze und Dukaten um den Hals trugen, suchten so nahe als möglich an den Altar heran zu kommen. Ganz vorne aber standen die Edelleute und die einfachen Bauern mit Schnurrbärten, Haarschöpfen, mit dickem Hals und frisch rasiertem Kinn, die meisten in Mänteln, unter denen ein weißer, oder bei manchen auch ein blauer Kittel hervorguckte. Wohin man auch blicken mochte, auf allen Gesichtern spiegelte sich die Feiertagsstimmung wieder. Der Amtmann leckte sich schon die Lippen, wenn er an die Wurst dachte, mit der er die Festtage beschließen würde; die Mädel dachten daran, wie sie mit den Burschen auf dem Eise schlittern würden, und die alten Frauen murmelten eifriger denn je ihre Gebete. Durch die ganze Kirche konnte man hören, wie der Kosak Swerbygus niederkniete. Nur Oxana stand wie abwesend da: sie betete und betete doch auch nicht. Ihr Herz bestürmten so viele und mannigfaltige Empfindungen, von denen eine immer peinlicher war, als die andere, daß ihr Gesicht nichts wie eine starke Verwirrung ausdrückte, und in ihren Augen zitterten Tränen. Die Mädchen konnten natürlich den Grund davon nicht erkennen, und ahnten nicht, daß der Schmied daran schuld war. Jedoch der Schmied beschäftigte nicht nur Oxana allein. Alle Bewohner des Dorfes fühlten, daß der Feiertag kein rechter Feiertag war, und daß gewissermaßen etwas fehlte. Unglücklicherweise war auch der Küster nach seiner Reise im Sack vom Abend vorher noch heiser geworden, und sang seine Lieder mit kaum hörbarer krächzender Stimme; wohl brachte der zugereiste Sänger ein paar prächtige Baßtöne hervor, aber wieviel besser wäre es gewesen, wenn man auch noch den Schmied dagehabt hätte, der jedes Mal, wenn man das „Vaterunser“ oder die „Himmlischen Heerscharen“ sang, auf den Chor stieg und so schön sang, wie man es sonst nur in Poltawa hören konnte. Dazu kam noch, daß er ganz allein sich um das Amt des Kirchenvorstands kümmerte. Schon war die Frühmesse zu Ende und nach der Frühmesse war bald auch das Hochamt vorbei ..... In der Tat, wo war nun der Schmied geblieben?


Noch rascher fast flog der Teufel in den letzten Stunden der Nacht mit dem Schmied auf dem Rücken heimwärts, und im Nu befand sich Wakula vor seiner Hütte. In diesem Augenblick krähte der Hahn.

„Wohin?“ rief der Schmied und ergriff den Teufel, der ausreißen wollte, am Schwanz. „Halt, Freundchen, das ist noch nicht alles: ich hab mich noch nicht bei dir bedankt.“

Und er ergriff eine Gerte und versetzte ihm drei mächtige Hiebe, daß der arme Teufel davonrannte wie ein Bauer, dem der Assessor eben tüchtig eingeheizt hat. Und so geschah’s, daß der Erzfeind des Menschengeschlechts, statt andere Leute zu foppen, zu versuchen und zu narren, selbst genarrt wurde.

Hierauf trat Wakula in den Flur seines Hauses, warf sich auf ein Heubündel und schlief bis spät in den Mittag hinein. Als er erwachte, erschrak er heftig, denn er sah, daß die Sonne schon hoch am Himmel stand. „Ei, Herrjeh, ich habe ja die Frühmesse und das Hochamt verschlafen!“ rief er aus.

Und der gottesfürchtige Schmied verfiel in eine tiefe Zerknirschung, denn er vermeinte, Gott habe zur Strafe für sein schlimmes Vorhaben, und um seine Seele zu verderben, einen Schlaf auf ihn herabgeschickt, der ihn verhindert habe, an einem so großen Feiertag die Kirche zu besuchen. Er beruhigte sich jedoch bald, nachdem er den Beschluß gefaßt hatte, in der künftigen Woche alles dem Popen zu beichten und von da ab ein ganzes Jahr lang täglich fünfzig Kniefälle zu machen. Er blickte in die Stube hinein: es war niemand da. Die Solocha war offenbar noch nicht zurückgekehrt.

Behutsam zog er die Schuhe aus dem Busen, staunte von neuem die kostbare Arbeit an, und wunderte sich über die sonderbaren Ereignisse der vergangenen Nacht; er wusch sich, kleidete sich an, so gut er nur konnte, zog das Gewand an, das er von den Saporogern bekommen hatte, holte seine neue Lammfellmütze mit dem blauen Dach, die er, seit er sie seinerzeit in Poltawa gekauft, noch niemals aufgesetzt hatte, aus der Truhe; holte auch einen neuen, vielfarbigen Gurt hervor, packte alles, zusammen mit einer Nagaika, in ein Tüchlein ein und begab sich gradewegs zu Tschub.

Tschub machte große Augen, als der Schmied eintrat und wußte nicht, worüber er mehr staunen sollte: darüber, daß der Schmied von den Toten auferstanden war, daß er es wagte, zu ihm zu kommen, oder darüber, daß er so stutzerhaft herausgeputzt und wie ein echter und rechter Saporoger angezogen war. Noch mehr aber staunte er, als Wakula das Tuch aufband, die funkelnagelneue Mütze nebst einem Gurt, wie man ihn noch niemals im Dorfe gesehen hatte, vor ihm auf den Tisch legte, ihm zu Füßen fiel und flehentlich ausrief: „Hab’ Erbarmen, Väterchen! Zürne mir nicht! Da hast du eine Peitsche: schlag zu, soviel deine Seele verlangt. Ich gebe mich selbst in deine Hand, ich bereue ja alles; schlage mich, aber zürne mir nicht. Du warst ja vormals meinem seligen Vater wie ein Bruder, ihr habt doch zusammen gegessen und getrunken!“

Nicht ohne heimliche Freude sah Tschub, wie der Schmied, der sich den Teufel um jemand im Dorfe scherte und der Fünfkopekenstücke und Hufeisen mit der Hand zusammendrückte wie Buchweizenflinsen, wie dieser selbe Schmied jetzt zu seinen Füßen lag. Um sich nichts zu vergeben, ergriff Tschub die Peitsche und schlug ihn dreimal auf den Rücken. „Nun ist’s aber genug, steh auf! Hör stets auf die Alten! Wir wollen alles vergessen, was zwischen uns vorgefallen ist. Und nun sag, was du möchtest?“

„Väterchen, gib mir Oxana zur Frau!“

Tschub überlegte einen Augenblick und sah sich die Mütze und den Gurt an: die Mütze war wunderbar und der Gurt nicht minder; dabei fiel ihm auch noch die treulose Solocha ein, und er rief entschlossen: „’s ist recht! Schicke deine Brautwerber her!“

„Ah!“ schrie Oxana auf, die über die Schwelle getreten war und den Schmied erblickt hatte, und sie richtete freudig und ganz erstaunt ihre Blicke auf ihn.

„Schau mal, was ich dir für kleine Schuhe mitgebracht habe!“ sagte Wakula, „dieselben sind’s, die die Zarin trägt.“

„Nein, nein! Ich brauche keine Schuhe!“ rief sie, ihn mit den Händen abwehrend und ohne ihre Augen von ihm abzuwenden; „ich bin auch ohne Schuhe ....“ Und sie sagte nichts weiter, sondern errötete nur.

Der Schmied kam näher heran, ergriff sie bei der Hand, und die Schöne schlug die Augen nieder. Noch nie hatte sie so wunderbar schön ausgesehen. Der Schmied küßte sie voller Entzücken auf die Lippen, ihr Antlitz verfärbte sich noch tiefer, und sie wurde nur noch schöner.


Der Bischof seligen Angedenkens kam einmal durch Dikanka, lobte die schöne Lage des Dorfes und hielt, als er die Straße herunterfuhr, vor einer der Hütten an.

„Wem gehört diese schön bemalte Hütte?“ fragten Seine Hochwürden die hübsche Frau, die mit einem Kinde auf dem Arm vor der Türe stand.

„Dem Schmied Wakula!“ antwortete ihm mit einer Verbeugung Oxana, denn sie war es.

„Großartig! Eine wundervolle Arbeit!“ sprachen Seine Hochwürden, als sie sich Türen und Fenster ansahen. Die Fenster waren ringsherum mit roter Farbe bestrichen und auf den Türen waren überall Bildnisse von reitenden Kosaken mit Pfeifen in den Zähnen aufgemalt.

Noch mehr aber lobten Seine Hochwürden den Schmied Wakula, als sie erfuhren, daß er eine Kirchenbuße eingehalten, die er sich selbst auferlegt, und in der Kirche den ganzen linken Chor mit grüner Farbe gestrichen und mit roten Blumen bemalt habe.

Das ist jedoch noch nicht alles. An die Wand, die, wenn man die Kirche betritt, sich gleich zur Linken befindet, hatte Wakula einen in der Hölle sitzenden Teufel gemalt und zwar einen so abscheulichen Teufel, daß jedermann, der vorbeiging, ausspeien mußte, und wenn einer Frau das Kind auf dem Arme zu weinen anfing, so trug sie es ans Bild und sprach: „Schau, schau, hu, hu, was da hingemalt ist!“ Und das Kind verschluckte seine Tränen, schielte scheu nach dem Bilde und schmiegte sich enger an die Brust der Mutter.

Schreckliche Rache

I.

Dröhnend braust’s dahin durch Kijews Vorstadt: Da feiert Gorobetz, der Kosakenhauptmann, den sie Jessaul nennen, die Hochzeit seines Sohnes. Viel Leute sind beim Jessaul zu Gast. In alten Zeiten liebte man’s wohl, gut zu essen, gut zu trinken und noch lieber mocht’ man lustig sein. Auf braunem Roß kam Mikitka, der Saporoger Kosak, stracks vom gewaltigen Zechgelag auf dem Pereschlaj-Gefilde, allwo er sieben Nächte und sieben Tage des Königs Schlachta mit rotem Weine bewirtet hatte. Auch der Kriegskamerad des Jessaul, Danilo Burulbasch kam angefahren vom anderen Ufer des Dnjepr, wo zwischen zwei Bergen sein Landgut lag; er kam mit seinem jungen Weibe Katerina und seinem einjährigen Sohne. Die Gäste staunten über das weiße Gesicht der Pani Katerina, über die Brauen, die schwarz wie deutscher Sammet waren, über den prächtigen Rock und die Jacke aus altertümlich blauer Seide, und über die Stiefel mit den silbernen Hufen; aber mehr noch nahm sie’s wunder, daß der alte Vater nicht mit ihnen zusammen gekommen war. Der lebte seit einem Jahr in dem Landstrich hinterm Dnjepr, einundzwanzig Jahre war er verschollen gewesen und erst zu seinem Töchterchen zurückgekehrt, als es vermählt war und einen Sohn geboren hatte. Gewiß hätt’ er viel Wunderliches erzählen können. Ja, wie hätte er auch nicht erzählen können, da er doch so lange im fremden Lande geweilt! Dort ist doch alles so anders wie hier: die Menschen sind anders, und dort gibts auch keine christlichen Kirchen ..... Allein er war nicht gekommen.

Den Gästen ward Schnaps mit Rosinen und Pflaumen und auf einer großen Schüssel Hochzeitsbrot gereicht. Die Musikanten griffen tief in den Brotlaib hinein, wo Geld eingebacken war; verstummten eine kurze Zeit lang und legten die Zymbeln, Geigen und Pauken beiseite. Indes wischten sich die jungen Frauen und die Mädchen mit gestickten Tüchern den Mund und traten wieder aus ihren Reihen hervor, während die Burschen, die Hände in die Hüften gestützt, stolz zur Seite blickend, gerad ihnen entgegen wollten, als der alte Jessaul zwei Heiligenbilder herbeitrug, um das junge Paar zu segnen. Er hatte diese Bilder von einem würdigen Eremiten, dem greisen Bartholomäus erhalten. Ihr Zierat war nicht reich, weder Silber noch Gold funkelte auf ihnen, und doch hätte keine unreine Macht es gewagt, den zu berühren, in dessen Haus sie sich befanden. Der Jessaul hob die Bilder in die Höhe und schickte sich an, ein kurzes Gebet zu sprechen ...... da schrien die Kinder, die am Boden spielten, auf einmal in hellem Schreck auf, das Volk wich zurück hinter ihnen, und alle wiesen voll Angst auf einen Kosaken, der in ihrer Mitte stand. Wer er war, das wußte niemand zu sagen, aber schon fing er wacker an, seinen Kosakentanz zu tanzen und ergötzte die Menge, die ihn umringte und brachte sie zum Lachen. Als jedoch der Jessaul die Heiligenbilder emporhob, da verwandelte sich auf einmal das Antlitz des Kosaken: die Nase fing an zu wachsen, wurde größer und größer und krümmte sich zur Seite; grüne Äuglein blitzten anstelle der grauen hervor, die Lippen wurden blau, das Kinn fing an zu zittern und wurde spitz wie ein Speer, aus dem Mund entsprangen zwei Hauer, hinter dem Kopfe wölbte sich ein Buckel empor, und der Kosak wurde zum Greise.

„Das ist er! Das ist er!“ schrien die Menschen, sich eng aneinander drängend.

„Der Zauberer ist wieder da!“ schrien die Mütter und faßten ihre Kinder schnell bei der Hand.

Würdig und stolz trat der Jessaul vor, und während er die Heiligenbilder vor sich hinhielt, sprach er mit lauter Stimme:

„Verschwinde, Satansbild! Für dich ist kein Platz hier!“

Und siehe da, der seltsame Greis knirschte zischend mit den Zähnen wie ein Wolf, und verschwand.

Da erhob sich ein Raunen und Reden unter dem Volke, schwoll immer mehr an und rollte dahin wie das Brausen des Meeres im Ungewitter.

„Was ist das für ein Hexenmeister!“ fragten die Jungen und Unerfahrenen.

„Ein Unheil zieht herauf!“ sprachen die Alten kopfschüttelnd, und überall im weiten Gehöfte des Jessaul lauschten die Haufen des Volkes den Geschichten von dem unheimlichen Zauberer. Doch beinahe alle wußten Verschiedenes zu erzählen, und niemand konnte etwas Sicheres von ihm berichten.

Ein Faß Meth ward auf den Hof gerollt und nicht allzuwenige Eimer voll griechischen Weines stellte man hin. Und wiederum tobte es lustig weiter. Die Musikanten spielten drauf los — und die Mädchen, die jungen Frauen und die noblen Kosaken in blanken Schupans wirbelten wild durcheinander. Das Greisenvolk der Neunzig- und Hundertjährigen wagte, auch schon bezecht, ein Tänzchen und gedachte so mancher Jahre, die nicht ganz tatenlos verflossen waren. Bis zur späten Nacht wurde gezecht und so wurde gezecht, wie man’s jetzt nimmermehr tut. Dann strömten die Gäste auseinander, aber nur wenige gingen ihres Weges: viele blieben in dem weiten Hofraume des Jessaul über Nacht, und noch viel mehr Kosaken schliefen von selbst ein, ungebeten, unter den Bänken, auf dem Fußboden, neben den Rossen oder vor den Ställen: und wo ein rechter Kosak im Rausche hintaumelte, da lag er auch schon und schnarchte laut über ganz Kijew.

II.

Still leuchtete es über dem Weltall auf: der Mond schien hinterm Berg empor. Mit einem kostbaren Schleier aus schneeweißem Damast verhüllte er des Dnjepr gebirgiges Ufer und sein Schatten schlich weit zurück bis ins Dickicht der Fichten.

Inmitten des Dnjepr schwimmt ein eichener Kahn, vorn sitzen zwei Burschen, die schwarzen Kosakenmützen schief in die Stirn gedrückt, und von ihren Rudern sprühen Wasserstrahlen nach allen Seiten auf, wie aus dem Feuerstein Funken.

Warum singen die Kosaken nicht? Warum sprechen sie nicht davon, daß die römischen Pfaffen die Ukraine durchwandern, die Kosaken umzutaufen und zu Katholiken zu machen, und auch nicht davon, wie ihre Horde zwei ganze Tage lang am Salzsee gekämpft. Wie sollten sie auch singen und sagen von kühnen Taten? Pan Danilo, ihr Herr, war in Gedanken versunken, ein Ärmel seines rostroten Schupans glitt aus dem Boot und sank ins Wasser, aber ihre Herrin, Pani Katerina, wiegte leise das Kind und wendete kein Auge von dem Manne, und auf ihren festlichen Rock, der nicht von schützender Leinwand bedeckt war, sprühte das Wasser herab wie grauer Staub.

Köstlich ist von der Mitte des Dnjepr die Schau auf die hohen Berge, die weiten Wiesen und die Wälder im Grün! Das sind nicht Berge wie andere auch: ihr Fuß ist nicht zu sehen, nach oben wie nach unten ragen die spitzen Gipfel empor, sich im Wasser spiegelnd, und über und unter ihnen dehnt sich hoch und weit der Himmel. Auch auf den Hügeln die Wälder sind keine Wälder: das sind Haare auf des Waldgreises zottigem Haupte. Unten umspült ihm das Wasser den Bart, und ganz hoch über dem Barte und über den Haaren erhebt sich der hohe Himmel. Auch die Wiesen sind keine Wiesen: ein grüner Gürtel ist’s, der den runden Himmel in der Mitte umgürtet, und auf seiner oberen wie auf der unteren Hälfte lustwandelt der Mond.

Pan Danilo blickt nicht zur Seite, er blickt auf sein junges Weib. „Warum versankst du in Gram, mein junges Weib, meine goldene Katerina?“

„Nicht bin ich in Gram versunken, mein Herr Danilo! Mich erschreckten nur die seltsamen Sagen vom zaubernden Mann. Man sagt doch, gar furchtbar an Gestalt sei er zur Welt gekommen ..... und von klein auf wollte kein Kind mit ihm spielen. Hör’, Pan Danilo, wie schrecklich das ist, was man erzählt: man sagt, es dünkte ihn stets, daß ihn alle verhöhnten. Geschieht’s, daß abends, wenn’s dunkelt, ein Mensch ihm begegnet, so meint der gleich zu sehen, wie jener den Mund auftut und die Zähne fletscht. Und dann ist der Mensch am folgenden Tage tot. Es ward mir so sonderbar, so grauenvoll ward mir zumute, als ich die Mären vernahm,“ sprach Katerina, und sie nahm ein Tuch und wischte damit ihrem Kinde, das ihr in den Armen schlief, das Gesicht. Dies Tuch war mit Blättern und Beeren geziert, die mit roter Seide darauf gestickt waren.

Pan Danilo sprach kein Wort. Er blickte ins Dunkel der Schatten hinüber, wo in der Ferne sich hinter dem Wald ein Erdwall gleich einem schwarzen Streifen dahinzog, und wo hinter dem Walle ein altes Schloß in die Höhe starrte. Da zeichneten sich in Danilos Antlitz drei Falten über den Brauen ab, und die linke Hand spielte mit dem kecken Schnurrbart. „Nicht das ist schrecklich, daß er ein Zauberer ist,“ sprach er, „schrecklich ist’s, daß er ein schlimmer Gast ist. Was fiel ihm ein, hierher zu kommen? Ich hörte, die Polen wollen eine Festung bauen, um uns den Weg zu den Saporogern abzuschneiden. Mag’s wahr sein ..... Dies Teufelsnest will ich vernichten, sobald nur das Gerücht umzugehen beginnt, daß das ein Schlupfwinkel sei! Ich will den alten Zauberer verbrennen, daß selbst den Raben nichts zu picken mehr bleibt. Doch ich denke mir, er besitzt wohl nicht wenig Gold und allerhand Gut. Hier ist’s, wo dieser Satan wohnt! Wär’ Gold bei ihm zu finden, so ...... Wir rudern sogleich bei den Kreuzen vorbei — da ist der Friedhof, wo das unreine Gebein seiner Ahnen modert. Sie alle, sagt man, waren bereit, sich für einen Groschen dem Satan zu verkaufen, mitsamt ihrer Seele und ihrem zerlumpten Schupan. Doch besitzt er in Wahrheit soviel Gold, dürfte man jetzt nicht lange mehr zögern, nicht immer kann man’s im Kriege da erbeuten.“

„Ich kenne dein Vorhaben wohl: nichts Gutes verkündet mir die Begegnung mit ihm. Du atmest so schwer, du blickst so rauh, deine Brauen sind so finster über den Augen geballt! ....“

„Schweig, Weib!“ rief Danilo wütend, „wer sich mit euch verbindet, wird selbst zum Weibe. Gib mir Feuer für meine Pfeife, Junge!“

Er wandte sich an einen der Ruderer, der klopfte glühende Asche aus seiner Pfeife und tat sie in die Pfeife des Herrn.

„Sie schreckt mich mit dem Zauberer!“ fuhr Pan Danilo fort. „Der Kosak fürchtet, Gott Lob und Dank, weder Teufel, noch römische Priester. Das wär’ was Rechtes, wenn wir auf die Weiber zu hören anfingen. Nicht wahr, Burschen? Unsere Frau ist die Pfeife und die Schärfe des Schwerts!“

Katerina verstummte und ließ die Augen über das träge Wasser gleiten; der Wind kräuselte die stille Flut, und der ganze Dnjepr schimmerte silbern wie ein Wolfsfell zur Nacht.

Der Kahn machte eine Wendung und glitt am waldigen Ufer entlang. Jetzt wurde der Friedhof am Ufer sichtbar. Haufen morscher Kreuze drängten sich da aneinander. Da blühte kein Wachholder zwischen ihnen, da grünte kein Moos, und nur der Mond schien von seiner himmlischen Höhe wärmend auf sie herab.

„Hört ihr das Schreien, ihr Burschen? Jemand ruft uns zu Hilfe!“ sprach da Pan Danilo, indem er sich an seine Ruderer wandte.

„Ja, wir hören jemand rufen, und dort von jener Seite her, scheint’s!“ riefen alle Burschen zugleich und wiesen nach dem Friedhof. Doch es war schon wieder alles still. Der Kahn wendete nun und fuhr um eine Landzunge herum. Plötzlich ließen die Leute ihre Ruder sinken und blickten starr zum Ufer hinüber. Auch Pan Danilo hielt inne: Angst und kaltes Grauen rannen durch der Kosaken Adern.

Das Kreuz auf einem der Gräber wankte, und plötzlich erhob sich daraus ganz leise ein vertrockneter Leichnam. Er hatte einen Bart, der bis auf den Gürtel reichte, und lange Krallen an den Fingern, die noch länger waren als die Finger. Leis erhob er die Arme, sein Gesicht erschauerte und verzerrte sich. Man sah ihm an, daß er entsetzliche Qualen litt.

„Mir ist so schwül, so schwül!“ stöhnte er mit wilder unmenschlicher Stimme. Seine Stimme bohrte sich einem ins Herz wie ein Messer. Aber plötzlich war der Leichnam wieder in der Erde verschwunden. Dann wankte ein anderes Kreuz, und wiederum entstieg ein Leichnam dem Grabe, noch schrecklicher und noch größer als jener: er war ganz von Haar überwachsen, sein Bart ging bis an die Knie und die Krallen an den Knochen waren noch länger. Er rief noch wilder: „Mir ist so schwül!“ und sank in die Erde zurück. Jetzt wankte ein drittes Kreuz, und ein dritter Leichnam stand auf. Da schien’s, als wenn ein riesenhaftes Knochengerüst sich hoch über die Erde erhob. Der Bart floß bis zu den Fersen herab, die Finger mit den riesigen Krallen gruben sich tief in die Erde, furchtbar warf er die Arme empor, als ob er bis an den Mond langen wollte, und er begann zu schreien, wie wenn ihm einer seine gelben Knochen zersägte ....

Das schlafende Kind, das in Katerinas Armen lag, stieß einen Schrei aus und erwachte; die Pani selbst schrie auf, die Ruderer ließen die Mützen in den Dnjepr fallen, und auch der Pan erschauerte.

Auf einmal aber war alles verschwunden, als wär’ es überhaupt nie gewesen, doch die Burschen griffen noch lange nicht zu den Rudern. Besorgt blickte Burulbasch auf seine junge Frau, die das schreiende Kind voller Schrecken in ihren Armen in Schlaf wiegte; er drückte sie an sein Herz und küßte sie auf die Stirn. „Fürchte dich nicht, Katerina! Schau: es ist ja nichts!“ sprach er und wies nach allen Seiten. „Der Zauberer will den Menschen nur Schrecken einjagen, damit ihm niemand bis an sein unsauberes Nest gelange. Nur Weiber kann er damit schrecken! Gib mir den Sohn doch herüber!“

Bei diesen Worten hob Pan Danilo seinen Sohn in die Höhe und drückte ihn an seine Lippen. „Nun, mein Iwan, fürchtest du dich vor Zauberern? — Sag: ‚nein, Vater, ich bin ein Kosak!‘ Doch genug, hör auf zu weinen! Wir fahren nach Hause! Gleich sind wir wieder zu Haus, dann kocht Mutter dir Brei, legt den Iwan in die Wiege und singt ihm das Lied:

Lulli, lulli, lulli, lulli!

Schlaf, mein Söhnchen, schlafe ein!

Bleib gesund und wachs mir fein!

Bring Kosaken Ruhm und Freud,

Und den Feinden Schmerz und Leid!

Hör’, Katerina, ich glaube, dein Vater will nicht in Frieden mit uns leben. So mürrisch kam er hier an und so verdrießlich, als zürnte er uns ... Wenn er nicht zufrieden ist — wozu kam er denn her? Er wollte nicht mit uns trinken auf die Kosakenfreiheit und hat nicht einmal das Kind in den Armen gewiegt! Zuerst wollte ich ihm alles anvertrauen, was mir das Herze beschwert, doch etwas hielt mich zurück, und meine Rede stockte. Nein, er hat kein Kosakenherz! Ein Kosakenherz fängt gleich laut in der Brust an zu schlagen, wenn’s einem andern begegnet! Nun, liebe Burschen, ist das Ufer schon nah? Ihr sollt auch neue Mützen bekommen. Du, Stetzko, kriegst eine, die mit Sammet und Gold verziert ist. Ich hab’ sie dereinst einem Tataren mitsamt seinem Kopfe genommen; auch sein ganzes Rüstzeug fiel mir damals zu, nur seine Seele allein ließ ich frei. Legt an! Siehst du, Iwan, da sind wir schon, und du weinst noch immer! Nimm ihn, Katerina!“

Alle gingen ans Land. Hinter dem Berge stieg ein Strohdach auf, das war Pan Danilos Erbsitz. Dahinter lag noch ein anderer Berg, dann kam gleich freies Feld, und hundert Werst weit konnte man laufen, ohne auf eine Kosakenseele zu stoßen.

III.

Das Landgut Pan Danilos liegt zwischen zwei Bergen in einem engen Tal, das auf den Dnjepr hinausgeht. Das Haus ist nicht hoch, gleicht von außen der Hütte eines einfachen Kosaken, und bloß eine Stube ist drin; doch ist Raum darinnen genug für ihn, wie für sein Weib und für die alte Magd und zehn auserlesene Burschen. An den Wänden entlang laufen oben eichene Bohlen. Dort stehen zahlreiche Schüsseln und Töpfe für die Mahlzeiten, darunter auch Pokale von Silber, in Gold gefaßte Becher, die der Pan zum Geschenke erhielt oder im Kriege erbeutete. Kostbare Musketen hängen von den Wänden herab, Säbel, Feuergewehr und Lanzen; freiwillig oder mit Gewalt nahm man sie aus Tatarenhänden oder von Türken und Polen, und darum haben sie auch so viele Scharten. Ihr Anblick gemahnte Pan Danilo gar oft wie Merkzeichen an seine vielen Gefechte. An den Wänden ziehen sich glatte, gehobelte Eichenbänke hin und daneben, vor der Ofenbank, hängt die Wiege an ein paar Stricken, die man durch einen Ring an der Zimmerdecke oben gezogen hat. In der ganzen Stube ist der Fußboden glatt gestampft und mit Lehm überstrichen. Auf den Bänken schläft Pan Danilo mit seiner Frau, auf der Ofenbank die alte Dienerin; in der Wiege spielt und schaukelt das kleine Kind, und auf dem Fußboden schlafen die Burschen. Doch ist’s dem Kosaken lieber, auf nackter Erde unter dem freien Himmel zu schlafen, da braucht er weder Kissen noch Federbett: er bettet sich frisches Heu unter den Kopf und streckt sich wohlig hin aufs Gras. Dann freut’s ihn wohl, wenn er mitten in der Nacht erwacht, nach dem hohen, von Sternen besäten Himmel zu sehen, und in der nächtlichen Kälte, die doch den Kosakenknochen soviel Frische verleiht, zu erschauern; er dehnt sich, murmelt schlaftrunken etwas, steckt seine Pfeife an und hüllt sich fester in seinen warmen Pelz.

Es war nicht mehr ganz früh, als Burulbasch nach dem gestrigen Fest erwachte; er setzte sich auf eine Bank in der Ecke und begann seinen neu eingetauschten türkischen Säbel zu schleifen, Pani Katerina aber machte sich dran, ein seidenes Tuch mit Gold zu besticken.

Auf einmal trat Katerinas Vater ein, griesgrämig und mürrisch, mit einer fremdländischen Pfeife zwischen den Zähnen. Er ging auf seine Tochter zu und begann streng sie auszuforschen, was wohl der Grund sei, daß sie so spät nach Hause gekommen.

„Nach solcherlei Dingen hast du, Schwäher, nicht sie zu befragen, sondern mich! Nicht der Frau steht die Antwort zu, sondern dem Manne. So ist es nun einmal Sitte bei uns, nehmt es nicht übel!“ sprach Danilo, ohne von seiner Arbeit zu lassen, „vielleicht ist es in manchen Ländern, wo Ungläubige wohnen, anders — das freilich weiß ich nicht!“

Das rauhe Gesicht des Schwiegervaters verfärbte sich, und seine Augen blitzten wild auf. „Wer hat denn sonst nach seiner Tochter zu sehen wenn nicht der Vater!“ murmelte er vor sich hin. „Nun denn, so frage ich dich: wo bist du herumgestrichen bis spät in die Nacht?“

„Das hört sich schon anders an, lieber Schwäher. Darauf will ich dir antworten, daß ich schon lange nicht mehr zu denen gehöre, die von einem Weib in Windeln gewickelt werden. Ich weiß wohl, hoch zu Pferde zu sitzen und in der Hand den scharfen Säbel zu schwingen; auch manches andere noch versteh’ ich ... Ich versteh es auch, niemandem Rechenschaft zu geben über das, was ich treibe!“

„Ich seh’ es, Danilo, ich weiß, du suchst Hader! Wer Heimliches tut, der führt sicher nichts Gutes im Schilde.“

„Denk doch, was dir beliebt,“ sagte Danilo, „auch ich denke das Meine. Noch war ich nie in einen schändlichen Handel verwickelt, stets stand ich für rechten Glauben und das Vaterland ein, nicht so wie mancher Landstreicher, der sich, Gott weiß wo, umhertreibt, wenn rechtgläubige Leute sich bis aufs Blut schlagen müssen; der will dann das Korn ernten, das nie er gesät. Die gleichen nicht einmal den Unierten: nicht einmal in Gottes Kirchen schauen sie hinein. Diese Leute sollte man befragen, wo sie sich umhertreiben!“

„Holla, weißt du wohl, Kosak!“ rief jener .... „Ich schieße ja nicht gut, höchstens bis auf hundert Klafter trifft meine Kugel ins Herz, auch bin ich kein allzu starker Fechter: die Stücke, in die ich die Menschen schlage, sind kleiner als die Körner, draus man Brei kocht!“

„Ich bin bereit,“ rief Pan Danilo und schlug flink mit dem Schwert ein Kreuz in der Luft, als hätt’ er gewußt, wozu er’s geschliffen.

„Danilo!“ schrie Katerina laut, ergriff ihn beim Arm und hing sich an ihn, „du Wahnwitziger, bedenke doch, gegen wen du den Arm erhebst! Vater, dein Haar ist so weiß wie Schnee, und doch erhitzest du dich wie ein törichter Knabe!“

„Weib!“ rief Danilo streng, „du weißt, das leide ich nicht, bleibe bei deinen Weibergeschäften!“

Furchtbar erklirrten die Säbel; Eisen schlug Eisen, und die Kosaken wurden von Funken besprüht wie von Staub. Weinend lief Katerina in eine gesonderte Kammer, warf sich aufs Bett und hielt sich die Ohren zu, um nichts von den Säbelhieben zu hören.

Doch so schlecht kämpften die Kosaken nicht, daß man ihren Hieb überhören konnte. Das Herz wollte ihr springen, sie hört’ es in ihrem ganzen Leibe erzittern bei den klirrenden Lauten: Klick — klack!

„Nein, ich halt es nicht aus, ich halt’s nicht aus ... vielleicht sprudelt schon purpurnes Blut aus dem weißen Leibe, vielleicht hat meinen Liebsten schon seine Kraft verlassen, und ich liege noch hier!“ Und bleich, und kaum atmend schlich sie in die Stube.

Gleichmäßig und furchtbar schlugen sich die Kosaken, nicht der, noch jener hatte einen Vorteil errungen. Bald drang Katerinas Vater vor und Pan Danilo wich zurück oder Pan Danilo griff an, und der Vater wehrte sich finster, und dann standen beide wieder gleich. Die Wut kocht in ihnen. Sie holten aus .... hui! wie die Säbel schmettern .... und tosend fliegen die Klingen zur Seite.

„Ich danke dir, Gott!“ rief Katerina, doch tat sie gleich einen neuen Schrei, als sie sah, wie die Kosaken nach den Musketen griffen; sie richteten die Feuersteine und spannten die Hähne.

Pan Danilo feuerte ab und traf nicht. Jetzt zielte der Vater. Er war alt, er sah nicht so scharf wie ein Junger und doch zittert ihm die Hand nicht. Da krachte der Schuß ..... Pan Danilo wankte, und rot lief sein helles Blut in den linken Ärmel des Kosakenschupans.

„Nein!“ rief er, „so billig verkauf ich mich nicht! Nicht der linke Arm ist der Herr, ’s ist der rechte! Bei mir an der Wand hängt eine türkische Pistole: noch nie in meinem Leben ist sie mir untreu geworden. Komm von der Wand herab, alter Genosse! Erweis dem Freund deinen Dienst!“ Und Danilo streckte die Hand aus.

„Danilo!“ schrie Katerina verzweifelt, packte ihn am Arm und warf sich vor ihm auf die Knie, „nicht meinetwegen fleh ich dich an. Dein Ende ist auch das meine: unwürdig ist die Frau, die ihren Mann überlebt; der Dnjepr, der kalte Dnjepr wird mein Grab sein .. Aber siehe deinen Sohn an, Danilo, sieh deinen Sohn! Wer wird das arme Kind beschirmen? Wer wird es hätscheln? Wer wird es lehren, auf rabenschwarzem Rosse dahinzufliegen, für Freiheit und Glauben zu kämpfen, nach Kosakenart zu trinken und zechen? Mein Sohn, geh dahin und verdirb! Dein eigner Vater will dich nicht mehr kennen! Schau, wie er sein Gesicht von dir abwendet. Oh, jetzt kenn ich dich erst! Du bist ein Tier und kein Mensch! Du hast das Herz eines Wolfs und den Sinn einer listigen Schlange! Glaubt’ ich denn nicht, du hegest ein Tröpflein Erbarmen in deinem Herzen, und in deinem steinernen Leibe brenne ein menschlich Gefühl? Wie töricht täuschte ich mich. Ja, das bereitet dir Freude. Deine Knochen werden im Grabe vor Freude springen, wenn sie vernehmen, wie diese ungläubigen Tiere, die Polen, deinen Sohn in die Flamme werfen, wenn dein Sohn dann unter dem Messer und im siedenden Wasser liegt und schreit! Oh, ich kenne dich! Froh wärest du wahrlich, aufzustehn aus dem Grabe und das Feuer mit der Mütze zu schüren, das unter ihm lodert!“

„Halt, Katerina! Komm her zu mir, lieber Iwan, ich will dich küssen! Nein, mein Kind, niemand soll dir ein Härchen krümmen. Du wirst aufwachsen zum Ruhm deines Vaterlands, wie im Sturm rasest du dereinst vor den Kosaken dahin, mit einer Sammetmütze auf dem Kopfe und mit dem scharfen Schwert in der Hand! Vater, reich mir die Hand! Wir wollen vergessen, was zwischen uns vorfiel. Hab’ ich dir Unrecht getan, nun so gesteh’ ich meine Schuld ein. Warum gibst du mir nicht deine Hand?“ sprach Danilo zu Katerinas Vater, der immer noch auf seinem alten Platze dastand und dessen Gesicht weder von Zorn noch von Versöhnung sprach.

„Vater!“ rief Katerina, umarmte und küßte ihn, „laß dich erbitten. Vergib Danilo, er wird dich nimmermehr kränken!“

„Nur deinetwegen vergebe ich ihm, meine Tochter,“ erwiderte jener, küßte sie und seine Augen glänzten absonderlich auf.

Katerina schrak leise zusammen: so seltsam erschien ihr der Kuß, so seltsam der Glanz seiner Augen. Sie stützte sich mit der Hand auf den Tisch, auf dem Pan Danilo seinen verwundeten Arm verband. Indessen sann Danilo darüber nach, daß er falsch gehandelt, und nicht nach rechter Kosakenart, als er um Vergebung gebeten, obwohl er sich keiner Schuld bewußt war.

IV.

Ein Tag kam herauf, doch ein Tag ohne Sonne: der Himmel war finster, und ein feiner Regen rieselte über die Felder und Wälder und über den breiten Dnjepr hernieder. Pani Katerina war aufgewacht, aber ihr war nicht recht froh zumute: ihre Augen waren verweint, und sie war wirr und ruhelos. „Geliebter Mann, teurer Mann,“ sprach sie, „ich hab’ einen wunderlichen Traum geträumt!“

„Was für einen Traum, meine liebe Pani Katerina?“

„Mir träumte etwas so Wunderliches, und wahrlich so lebensvoll, als ob ich wachte, mir träumte, mein eigner Vater sei jenes selbe Ungeheuer, das wir beim Jessaul geschaut. Doch ich bitt’ dich, trau’ dem Traume nicht: was träumt man nicht alles für Torheit! Mir war’s, als stände ich vor ihm und zitterte, und bei jedem Wort von ihm stöhnte es auf in meinen Adern. O hättest du gehört, was er gesprochen ....“

„Was sprach er denn, meine goldene Katerina?“

„Er sprach: „Schau mich an, Katerina, ich bin schön! Zu Unrecht sagen die Leute, daß häßlich ich sei. Doch werde ich dir ein trefflicher Mann sein. Sieh, wie mein Auge glüht!“ — Da warf er einen flammenden Blick auf mich, und ich schrie auf und erwachte!“

„Ja, vieles Wahre sagen die Träume. Ist es dir auch bekannt, daß hinter den Bergen nicht alles mehr ruhig ist? Die Polen sollen sich wieder gezeigt haben. Gorobetz ließ mir verkünden, ich solle nicht schlafen; doch seine Sorge ist grundlos: auch ohne dies bin ich kein Schläfer. Meine Burschen schlugen heut Nacht zwölf Schanzen auf. Wir wollen den Herren vom Polenreich mit Bleipflaumen aufwarten, und die Schlachzizen sollen unter der Zuchtrute tanzen lernen!“

„Und weiß mein Vater das?“

„Dein Vater sitzt mir auf dem Halse! Er blieb mir ein Rätsel bis zur Stunde. Er hat wohl viel gesündigt im fremden Lande. Wahrlich, was mag das für einen Sinn haben — schon einen Monat fast lebt er hier, und noch nie war er lustig und froh, wie ein rechter Kosak! Er weigert sich, Meth zu trinken! Hörst, Katerina, weigert sich Meth zu trinken, den ich herausgesackt habe von den Brester Juden! Heda, Bursche!“ rief Pan Danilo, „lauf schnell in den Keller, Junge, und hol mir Judenmeth! Auch trinkt er keinen Schnaps! Hölle und Teufel! mir scheint fast, Pani Katerina, er glaubt wohl auch nicht an Christus, unseren Herrgott! Was dünkt dir?“

„Weiß Gott, was alles du sprichst, Pan Danilo!“

„’S ist wunderlich, Pani,“ fuhr Danilo fort und nahm den Tonkrug aus der Hand des Kosaken entgegen. „Selbst die Katholiken im heidnischen Rom sind Freunde des Schnapses. Nur die Türken trinken ihn nicht. Nun, Stetzko, hast du im Keller tüchtig vom Meth geschluckt?“

„Ich habe nur gekostet, Pan!“

„Du lügst, Hundesohn! Sieh nur, wie sich die Fliegen auf deinen Schnurrbart stürzen! Ich seh’s an deinen Augen, daß du einen halben Kübel ausgesoffen hast. Hei, ihr Kosaken! Was für ein tolles Volk seid ihr doch! Ihr seid bereit, alles dem Freunde hinzugeben, doch wenn’s gilt zu saufen, dann schluckt ihr’s selbst herunter. Ich war schon lange nicht mehr betrunken, wie, Katerina?“

„Ei, warum lange! Erst am letzten .....“

„Fürchte dich nicht, fürchte dich nicht! Ich trink nicht mehr, als einen Krug! Da kommt der türkische Abt durch die Tür geschlichen!“ murmelte er durch die Zähne, als er den Schwiegervater erblickte, der sich bückte, um durch die Tür zu kommen.

„Nun, meine Tochter,“ sagte der Vater, nahm die Mütze vom Kopf und ordnete seinen Gürtel, an dem ein Säbel mit wundersamem Gestein hing, „die Sonne steht schon hoch, und noch ist das Mittagsmahl nicht bereitet.“

„Das Mahl ist bereit, Herr Vater, bald wird es gerichtet sein! Nimm den Topf mit den Klößen vom Feuer!“ fuhr Pani Katerina zu der alten Dienerin gewandt fort, die das Holzgerät abwischte. „Nein, warte, ich tu’ es lieber selbst, ruf mir die Burschen!“

Alle ließen sich im Kreis auf die Erde nieder, der Vater gegenüber dem Heiligenbild, ihm zur Linken Pan Danilo, ihm zur Rechten Pani Katerina und zehn der allertreuesten Burschen in blauen und gelben Schupans.

„Ich mag diese Klöße nicht!“ sprach der Herr Vater; er aß nur wenig und legte den Löffel hin, „sie schmecken nach nichts!“

„Ich weiß, besser schmecken dir Judennudeln!“ dachte Danilo bei sich. „Warum, meinst du, die Klöße schmeckten nach nichts, Herr Schwäher?“ fuhr er laut fort. „Oder sind sie vielleicht schlecht bereitet? Meine Katerina macht so gute Klöße, wie sie selbst der Hetman selten zu essen bekommt. So was verschmäht man nicht: ’s ist ein christlich Gericht! Alle heiligen und gottesfürchtigen Männer haben stets Klöße gegessen!“

Der Vater sagte kein Wort, und auch Pan Danilo verstummte. Hierauf wurde ein gebratener Eber mit Kohl und Pflaumen gebracht. „Ich mag das Schweinefleisch nicht!“ sprach Katerinas Vater und steckte den Löffel in den Kohl.

„Wie kann man Schweinefleisch verschmähen?“ sagte Danilo: „nur Türken und Juden essen kein Schweinefleisch.“

Des Vaters Stimmung wurde noch finsterer und düsterer; nichts als Mehlbrei mit Milch aß der Alte, und statt des Schnapses trank er nur dann und wann eine dunkle Flüssigkeit aus einer Flasche, die er im Busen verwahrt hielt.

Nach dem Mahl legte sich Danilo zu einem kräftigen Schläfchen nieder und wachte erst gegen Abend auf. Er setzte sich hin, Sendbriefe zu schreiben an das Heer der Kosaken. Pani Katerina aber saß währenddessen auf der Ofenbank und schaukelte die Wiege mit ihrem Fuße. Pan Danilo sitzt da, blickt mit dem linken Aug’ auf die Schrift und mit dem rechten nach dem Fenster. Und ins Fenster leuchten die Berge und glänzt der Dnjepr von ferne herein; hinter dem Dnjepr blauen die Wälder, und von oben glimmt der geklärte Himmel der Nacht. Doch nicht auf dem fernen Himmel noch auf dem blauen Walde ruht Danilos Blick; er schaut nach der vorspringenden Landzunge. Schwarz erhebt sich darauf das alte Schloß. Ihn deuchte, es blitzte im Schlosse ein schmales Fensterchen auf. Doch alles blieb still; gewiß hatte es ihm nur so geschienen. Unten hörte man nur den Dnjepr dumpf rauschen und von drei Seiten das Tosen der jäh erwachten Wogen herüber hallen. Nicht Aufruhr war’s oder Empörung: der Dnjepr murrte und grollte wie ein Greis; nichts wollte ihm gefallen, denn alles um ihn herum war verändert; er führte einen heimlichen Krieg mit den Bergen, den Wäldern und den Wiesen am Ufer und Klage trägt er ob ihrer zum Schwarzen Meere hin.

Da erschien plötzlich ein Kahn wie ein schwarzer Fleck auf dem breiten Spiegel des Dnjepr, und im Schlosse flammte es von neuem auf. Leise pfiff Danilo, und auf den Pfiff lief der treue Bursche herzu: „Nimm schnell den scharfen Säbel und das Gewehr, Stetzko, und folge mir!“

„Du gehst?“ fragte Pani Katerina.

„Ja, Frau, ich gehe. Ich muß überall hingehen, zu sehen, ob alles in Ordnung ist.“

„Ich fürchte mich so, allein zu bleiben. Der Schlaf kommt über mich. Wie, wenn ich heute wieder dasselbe träumte? Ich bin nicht gewiß, ob es auch wirklich nur ein Traum war, — so lebendig stand alles vor mir!“

„Die Alte bleibt bei dir, und auf der Diele und im Hof schlafen die Kosaken!“

„Die Alte schläft auch schon, und auf die Kosaken vertrau ich nicht sehr. Hör, Pan Danilo: Schließ mich im Zimmer ein und nimm den Schlüssel mit dir. Dann ist mir nicht so schrecklich zumute, und die Kosaken laß vor der Tür schlafen.“

„Sei’s denn so,“ sagte Danilo, wischte den Staub von der Flinte und schüttete Pulver auf.

Der treue Stetzko stand schon angekleidet da in seiner ganzen Kosakenausrüstung. Danilo setzte die Lammfellmütze auf, machte das Fenster zu, schob den Riegel vor die Tür, schloß sie ab und ging zwischen den schlafenden Kosaken hindurch auf den Hof und in die Berge hinaus.

Der Himmel war jetzt schon fast völlig klar. Ein frischer Wind wehte leise vom Dnjepr herüber. Und hätte man nicht von ferne den Schrei einer Möwe gehört, so wäre alles tot und starr erschienen. Doch jetzt vernahm man ein Rascheln ..... Burulbasch versteckte sich leise mit seinem treuen Diener hinter dem Gestrüpp, das einen Verhau verdeckte. Vom Berge kam jemand herabgeschritten, mit zwei Pistolen im roten Schupan, und an der Seite den Säbel. — „Das ist der Schwäher!“ sagte Pan Danilo, während er ihn hinterm Busch beschaute. „Wohin nur geht er zu dieser Stunde und wozu? — Gähne nicht, Stetzko, und gib acht, welchen Weg der Herr Vater einschlägt!“ Der Mann im roten Schupan schritt zum Ufer hinab, machte eine Wendung und ging auf die Landzunge zu: „Ah, dahin geht’s also!“ sprach Pan Danilo. „Wie, Stetzko, ist er nicht geradeswegs in die Höhle des Zaubrers geschlichen?“

„Ja, sicher an keinen anderen Ort, Pan Danilo, sonst würden wir ihn auf jener Seite sehen, aber er ist vor dem Schlosse verschwunden.“

„Halt, kriechen wir aus dem Verhau und gehen wir seinen Spuren nach. Dahinter steckt etwas. Nein, Katerina, hab’s dir wohl gleich gesagt, daß dein Vater kein guter Mensch sei; sein Tun ist nicht das eines Rechtgläubigen!“

Schon standen Pan Danilo und sein getreuer Bursch auf der Landzunge. Schon waren sie nicht mehr zu sehen, denn der dichte Wald, der das Schloß rings umgab, ließ nichts von ihnen gewahr werden. In der Höhe leuchtete schwach ein Fensterchen auf. Unten standen die Kosaken und trachteten hineinzukommen: doch waren weder Tor noch Tür zu sehen; vom Hof aus gab’s sicher einen Zugang, aber wie sollte man dort hingelangen? Von ferne hörte man Ketten rasseln und Hunde herumlaufen.

„Was grüble ich noch lange!“ sprach Pan Danilo, als er eine hohe Eiche vor dem Fenster erblickte. „Bleib hier, mein Junge! Ich steig’ auf die Eiche: von hier aus kann ich gerad ins Fenster schauen.“

Da nahm er seinen Gürtel ab, legte den Säbel nieder, damit er nicht klirrte, griff in die Zweige und schwang sich hinauf. Das Fenster war immer noch hell. Dicht davor klammerte er sich mit einer Hand, auf einem Aste zusammengekauert, am Baum fest, und was sah er? Im Zimmer brannte kein Licht, doch es leuchtete ganz. Die Wände waren mit wunderlichen Zeichen bedeckt und mit Waffen behängt; doch war es höchst seltsames Gewaffen: solches tragen weder die Türken noch die Bewohner der Krim, weder Polen noch Christen, noch das wackere Schwedenvolk. Unter der Decke flogen Fledermäuse hin und her, und ihr Schatten huschte über die Wände, die Türen und die Diele. Doch da öffnete sich ganz leise und ohne zu knarren die Tür. Ein Mann im roten Schupan trat herein und ging geradewegs auf den Tisch zu, der mit einem weißen Tuche bedeckt war. „Er ist’s! Es ist der Schwiegervater!“ Pan Danilo kauerte sich noch mehr zusammen und drückte sich noch fester an den Baumstamm.

Doch der Schwiegervater hatte nicht Zeit darnach zu sehen, ob ihm jemand ins Fenster guckte oder nicht. Finster trat er herein und zornig riß er die Decke vom Tisch herab — und plötzlich ergoß sich fast unmerklich ein blau durchsichtiges Licht übers Zimmer, und nur die Wellen des alten bleichgoldigen Lichtes, die sich noch nicht mit dem neuen vermischt hatten, fluteten auf und ab wie ein azurenes Meer und zogen sich, wie ein buntscheinendes Aderngeflecht im Marmor, durch die Luft. Da stellte er einen Topf auf den Tisch und begann Kräuter hineinzuwerfen.

Pan Danilo sah genauer hin, doch jetzt gewahrte er schon den roten Schupan nicht mehr; statt dessen hatte jener weite Pluderhosen an, wie sie die Türken tragen, in seinem Gürtel steckten Pistolen, und auf dem Kopfe hatte er eine wunderliche Mütze, ganz mit Zeichen bemalt, die aber weder dem russischen, noch dem polnischen Alphabet angehörten. Er sah ihm ins Antlitz — und auch das Gesicht begann sich zu verwandeln: die Nase fing an sich zu dehnen und hing ihm bald über die Lippe herüber; der Mund breitete sich bis an die Ohren, ein Hauer kroch aus ihm hervor und bog sich zur Seite — vor ihm stand derselbe Zauberer, der einst beim Jessaul auf der Hochzeit erschienen war. „Dein Traum ist wahr, Katerina!“ dachte Burulbasch.

Der Zauberer fing an, den Tisch schneller zu umkreisen, die Zeichen an der Wand begannen sich rascher zu ändern und Fledermäuse flatterten wilder herauf und herab, hin und her. Das blaue Licht ward milder und milder und schien ganz zu verlöschen. Und schon hellte die Kammer sich auf von sanft rosigem Licht. Wie ein zarter Klang, so floß das wundersame Licht in alle Winkel, doch plötzlich schwand es dahin, und es wurde ganz dunkel. Nur ein Geräusch war noch zu hören, wie wenn zur stillen Abendstunde der Wind kreisend auf dem Wasserspiegel spielt und die Silberweiden noch tiefer zum Wasser biegt. Und Pan Danilo ist’s, als ob im Gemach ein Mond aufglänzte, Sterne auf und ab wandelten und ein dunkelblauer Himmel darüber aufleuchtete, ja sogar die Kühle der Nachtluft hauchte ihm ins Gesicht. Dann aber ist’s Pan Danilo plötzlich so (er zupfte sich gar am Schnurrbart, ob er nicht schliefe), als breite sich im Gemach schon kein Himmel mehr aus, sondern als sei dies seine eigene Schlafkammer: an den Wänden hängen seine Säbel von Tataren und Türken; längs der Wände Bretter mit allerhand Geschirr und Hausgeräten; auf dem Tische Brot und Salz, und dort hängt die Wiege. Doch statt der Heiligen blickten schreckliche Larven aus den Bilderrahmen hervor, und auf der Ofenbank ..... aber nun sank ein Nebel hernieder und legte sich auf alles, und es wurde wieder dunkel. Und wieder erfüllt sich der Raum in wunderbarem Klingen mit rosigem Lichte und wieder steht der Zauberer regungslos da in seinem sonderbaren Turban. Die Klänge werden immer stärker und tiefer, das sanfte Rosenlicht wird immer heller, und etwas wie eine weiße Wolke strich durch das Zimmer. Und es kam Pan Danilo so vor, als sei die Wolke keine Wolke, sondern eine Frau; doch was war das, war sie gar aus Luft gewebt? Wie stand sie denn da, ohne die Erde zu berühren? Sie stützte sich auf nichts, und das rosige Licht und die Zeichen an der Wand schimmerten durch sie hindurch. Doch jetzt bewegte sie den durchsichtigen Kopf: die blaßblauen Augen leuchteten still auf, das Haar fiel ihr kraus wie ein fahlgrauer Nebel über die Schultern, ein blasses Rot färbte ihre Lippen, wie wenn in der Frühe das junge Morgenrot kümmerlich durch den bleichen durchsichtigen Himmel hindurchschimmert, ganz wie ein schwacher Schatten leuchteten ihre Brauen. „Ah! es ist Katerina.“ Und Danilo fühlte, wie ihm die Glieder erstarrten; er wollte sprechen, doch seine Lippen bewegten sich lautlos.

Der Zauberer stand regungslos auf seinem Platze. „Wo bist du gewesen?“ fragte er, und sie, die vor ihm stand, erschauerte.

„Oh, warum hast du mich gerufen?“ stöhnte sie leise. „Ich war so froh. Ich befand mich an jenem Ort, wo ich geboren ward, und ich lebte fünfzehn Jahre lang dort. O, wie herrlich ist’s da! Wie grün und duftig ist diese Wiese, auf der ich in meiner Kindheit spielte! Auch die Feldblümelein sind noch dieselben, und das Haus und der Garten auch! Wie zärtlich umarmte mich die gute Mutter! Wieviel Liebe ist in ihren Augen! Sie hat mich geherzt und auf Wange und Mund geküßt und meine blonden Flechten mit dem dichten Kamme gekämmt. Vater!“ Sie heftete ihre bleichen Augen auf den Zauberer. „Warum hast du meine Mutter ermordet?“

Der Zauberer drohte zornig mit dem Finger. „Hab’ ich verlangt, du sollest davon sprechen?“ Und die aus Luft gewobene Schöne erbebte.

„Wo ist deine Herrin jetzt?“

„Meine Herrin, Pani Katerina, ist jetzt eingeschlafen. Ich freute mich des, flatterte empor und flog von hinnen. Ich wollte meine Mutter schon lang wieder sehen. Auf einmal war ich wieder fünfzehn Jahre alt und so leicht wie ein Vogel. Warum hast du mich gerufen?“

„Denkst du noch an all das, was ich dir gestern gesagt?“ fragte der Zauberer so leise, daß man’s kaum hören konnte.

„Gewiß denk’ ich dran, gewiß. Aber was würd’ ich darum geben, es zu vergessen. Arme Katerina! Sie weiß gar manches von dem nicht, was ihre Seele weiß.“

„Das ist die Seele Katerinas!“ dachte Pan Danilo, aber er wagte es noch immer nicht, sich zu bewegen.

„Tu Buße, Vater! Ist’s dir denn nicht fürchterlich, wenn nach jedem deiner Morde die Toten aus den Gräbern steigen?“

„Schon wieder die alten Reden!“ unterbrach sie der Zauberer streng „Ich setz’ meinen Willen durch, ich werde dich zwingen, mir zu gehorchen. Katerina wird mich lieben lernen!“

„Oh, ein Ungeheuer bist du, du bist nicht mein Vater!“ stöhnte sie auf. „Nein, nicht sei es so, wie du willst! Hast dir freilich mit unreinen Zauberkünsten die Macht erworben, meine Seele heraufzubeschwören und sie zu martern. Doch Gott allein kann sie zwingen, ihm den Willen zu tun. Nein, nie wird Katerina, solange ich in ihr lebe, die gottverfluchte Tat vollbringen. O, Vater! Das jüngste Gericht ist nahe! Und wärst du auch nicht mein Vater, nie würdest du mich zwingen können, meinen treuen, geliebten Gatten zu betrügen. Ja, wär’ mir mein Gemahl auch nicht so lieb und so treu, ich würd’ ihn dennoch nie betrügen; denn Gott liebt die meineidigen und treulosen Seelen nicht!“

Da heftete sie ihre bleichen Augen auf das Fenster, vor dem Pan Danilo saß, und hielt starr inne ....

„Wohin blickst du? Was siehst du dort?“ schrie der Zauberer auf.

Die luftgewobene Katerina erzitterte. Aber Pan Danilo war schon längst wieder unten auf der Erde und zog mit seinem getreuen Stetzko in die Berge.

„Furchtbar, furchtbar!“ sprach er bei sich selber und Angst umfing sein Kosakenherz.

Bald war er wieder auf seinem Hofe, wo die Kosaken noch immer fest schliefen; nur der eine saß da, hielt Wache und rauchte sein Pfeifchen.

Der Himmel war ganz mit Sternen besät.

V.

Wie gut tatest du, daß du mich wecktest!“ sprach Katerina, und während sie sich mit dem gestickten Ärmel ihres Hemdes die Augen rieb, betrachtete sie ihren Mann, der vor ihr stand, vom Kopf bis zu Füßen. „Welch schrecklichen Traum ich gehabt! Wie schwer atmete meine Brust! Oh! .... mir war’s als stürbe ich ....“

„Was war das für ein Traum? Vielleicht dieser?“ und Burulbasch erzählte seinem Weibe alles, was er geschaut.

„Wie konntest du das nur erfahren, mein Gemahl?“ fragte Katerina erstaunt. „Doch, nein. Gar vieles, was du erzählt hast, ward mit nicht bekannt. Nein, mir hat nicht geträumt, der Vater habe meine Mutter getötet; auch hab’ ich keine Toten gesehen, ich habe nichts gesehen. Nein, Danilo, es war ganz anders, wie du’s erzählst. O, wie furchtbar ist doch mein Vater!“

„Das ist fürwahr auch kein Wunder, daß du gar vieles davon nicht sahest! Du weißt doch nicht den zehnten Teil von dem, was deine Seele weiß. Weißt du — dein Vater — das ist der Antichrist! Erst im vorigen Jahr, als ich mich mit den Polen zum Feldzug in die Krim aufmachte (damals hielt ich’s noch mit diesem Heidenvolk), da hat der Abt des Bruderklosters zu mir gesagt (und das ist ein heiliger Mann, Weib!), der Antichrist habe die Macht, jedes Menschen Seele zu beschwören; die lustwandle dann nach eigenem Willen, wenn er einschläft, und fliege zusammen mit den Erzengeln um Gottes Gemach herum. Schon auf den ersten Blick wollt’ mir deines Vaters Gesicht nicht recht gefallen. Hätt’ ich geahnt, daß du solch einen Vater hast, nie hätt’ ich mich mit dir vermählt; ich hätt’ dich verlassen und der Seele nimmer die Sünde aufgebürdet, mich der Sippe des Antichrist zu verschwägern.“

„Danilo!“ rief Katerina, verbarg ihr Gesicht in den Händen und schluchzte auf. „Hab’ ich je eine Schuld gegen dich auf mich geladen? Ward ich dir je untreu, geliebter Gemahl? Womit hab’ ich deinen Zorn auf mich gelenkt? Hab’ ich dir nicht treu gedient? Hab’ ich denn je ein widriges Wort gesprochen, wenn du angezecht vom lustigen Schmaus heimkamst? Gebar ich dir nicht einen schwarzbrauigen Sohn? ...“

„Weine nicht, Katerina, jetzt kenne ich dich, und ich werde dich nie verlassen. Alle Sünden liegen bei deinem Vater!“

„Nein, nenne ihn nicht meinen Vater! Er ist nicht mein Vater! Gott ist mein Zeuge, ich sage mich von ihm los! Er ist der Antichrist und ein Gottesverächter! Mag er verderben, mag er ersaufen, nie biet’ ich die Hand ihm zur Rettung. Und wenn er dahinsiecht an einem todbringenden Kraut, so will ich ihm kein Wasser zum Trinken reichen. Du bist mir mein Vater!“

VI.

In Pan Danilos tiefem Verließe sitzt der Zauberer in eiserne Ketten geschmiedet; fern über dem Dnjepr brennt sein satanisches Schloß, und blutrote Wellen gurgeln und lecken an den uralten Mauern empor. Nicht wegen Hexerei, noch um gottwidrige Taten sitzt der Zauberer im tiefen Verließ: die richtet nur Gott; um eines geheimen Verrates willen sitzt er dort, und wegen seines Bundes mit den Feinden des rechtgläubigen Russenlands — den er mit den Römlingen eingegangen, um ihnen das ukrainische Volk zu verschachern und die christlichen Kirchen niederzubrennen. Gar finster und grimmig ist der Zauberer; nachtschwarzes Sinnen zieht durch seinen Kopf; nur ein Tag noch bleibt ihm zu leben, und morgen gilt’s, Abschied zu nehmen von der Welt: morgen erwartet ihn Tod. Kein leichter Tod wartet auf ihn: es ginge noch gnädig ab, wenn er lebendig im Kessel gekocht oder wenn ihm die sündhafte Haut abgezogen würde. Düster und grimmig ist der Zauberer, und er läßt den Kopf hängen. Vielleicht geht er vor seiner Sterbestunde noch in sich; doch sind seine Sünden nicht so, daß Gott ihm verzeihen könnte. Hoch oben vor ihm ist ein schmales Fenster, das Eisenstäbe vergittern. Mit seinen klirrenden Ketten hat er sich bis zum Fenster emporgehoben, um zu schauen, ob seine Tochter nicht vorbeiginge. Sie ist mild wie ein Täubchen und nicht rachesüchtig. Würde sie sich nicht des Vaters erbarmen? ... Aber es war niemand da. Tief unten zieht der Weg sich hin, aber niemand wandert auf ihm. Und tiefer noch zieht der Dnjepr vorbei; aber der achtet auf niemand: er tost dahin, und schmerzlich ist’s dem Gefesselten, seinem dumpfen Rauschen zu lauschen.

Da erschien jemand auf dem Wege — es war ein Kosak! Schwer seufzte der Gefangene auf, und wieder ward alles tot und leer. Doch dort in der Ferne kam jemand herab ...... Ein grüner Überwurf flatterte empor, ein goldener Kopfschmuck glänzte auf dem Haupte. Das war sie! Noch enger preßte er sich ans Fenster. Sie kam näher und immer näher ...

„Katerina! Meine Tochter, erbarme dich! Hab’ Mitleid mit mir! .......“

Aber sie blieb stumm, sie wollte ihn nicht hören. Sie wendete nicht einmal die Augen nach dem Gefängnis, und schon war sie vorbei und wieder verschwunden. Leer wird die Welt, wehmütig rauscht der Dnjepr; hoffnungslose Trauer und Wehmut umfängt das Herz; aber wußte wohl der Zauberer, was Wehmut ist?

Der Tag ging zur Neige. Schon sank die Sonne hinab, schon ist sie nicht mehr. Schon war es Abend. Kühl ward es, irgendwo brüllte ein Stier, von irgendwo tönten verwehte Klänge herüber; sicherlich kamen jetzt die Menschen von ihrer Arbeit, um auszuruhen und fröhlich zu sein: über den Dnjepr glitt ein Kahn ...... aber wer kümmerte sich um den Gefangenen? Die silberne Sichel leuchtet am Himmel auf; da schreitet jemand von der anderen Seite den Weg empor; schwer war’s, im Dunkeln zu erkennen, wer das war: Es war Katerina, die jetzt zurückkehrte.

„In Christi Namen, Tochter! Selbst das grausame Junge des Wolfes zerfleischt seine Mutter nicht! Tochter, so wirf doch nur einen Blick auf deinen sündigen Vater!“

Aber sie hörte ihn nicht und ging weiter.

„Tochter, im Namen deiner unglücklichen Mutter ...“ Sie blieb stehen.

„Komm und vernimm mein letztes Wort!“

„Wozu rufst du mich, Gottesverächter? Nenn’ mich nicht Tochter! Zwischen uns ist keine Verwandtschaft! Was willst du von mir im Namen meiner unglücklichen Mutter?“

„Katerina, mein Ende ist nahe! Ich weiß, dein Mann gedenkt, mich an den Schweif eines Rosses zu binden und übers Feld zu schleifen, oder vielleicht erfindet er einen noch grauenvolleren Tod für mich ...“

„Gibt es denn auf der Welt einen Tod, der deinen Sünden gleichkommt? Mach dich darauf gefaßt, für dich wird niemand bitten!“

„Katerina, mich schreckt nicht der Tod, mich schrecken die Qualen in jener Welt! ...... Du bist frei von Schuld, Katerina: deine Seele wird im Paradies in Gottes Nähe weilen, aber die Seele deines gottlosen Vaters wird im ewigen Feuer brennen, und nimmer wird dieses Feuer erlöschen, nur noch höher und höher wird es emporlodern. Kein Tautropfen wird auf ihn herabfallen, und kein Wind wird ins Feuer hauchen.“

„Ich habe nicht die Macht, deine Strafe durch Gebet zu mindern!“ sprach Katerina und wandte sich ab.

„Katerina, warte, noch ein Wort: Du kannst meine Seele erretten. Du weißt noch nicht, wie gut und gnädig Gott ist. Hast du je vom Apostel Paulus gehört, der voller Sünden war und dann in sich ging — und ein Heiliger wurde?“

„Was kann ich tun, deine Seele zu retten?“ sprach Katerina. „Sollte ich, ein schwaches Weib, daran denken können?“

„Wenn es mir gelänge, von hier zu entfliehen, so würde ich mein ganzes altes Leben aufgeben! Ich würde Buße tun, in die Wüste gehen, ein härenes Hemd anlegen und Tag und Nacht beten! Ja, nicht einmal Fastenkost und keinen Fisch soll mein Mund mehr berühren! Kein Gewand breit’ ich mir hin, wenn ich mich zum Schlaf niederlege! Und immer nur werde ich beten und beten! Und wenn Gottes Gnade auch nicht den hundertsten Teil meiner Sünden von mir nimmt, dann will ich mich bis an den Hals in die Erde vergraben oder eine Wand von Stein um mich aufmauern, nicht Speise noch Trank will ich mehr zu mir nehmen und sterben, und all mein Hab und Gut will ich den Mönchen vermachen, auf daß sie vierzig Tage und vierzig Nächte lang Seelenmessen für mich lesen!“

Katerina sann nach. „Selbst wenn ich dir das Tor aufschlösse, ich kann dir doch die Ketten nicht aufschmieden!“

„Die Ketten fürchte ich nicht. Du meinst wohl, sie hätten mir Hände und Füße zusammengeschmiedet? O nein, ich senkte Nebel auf die Augen der Menschen und hielt ihnen statt der Hände ein trockenes Holz hin. Schau, hier bin ich: jetzt trag’ ich keine Kette mehr!“ sagte er und trat frei in die Mitte des Raumes. „Ich hätte ja auch die Wände nimmer gefürchtet und wäre hindurchgeschritten; aber dein Mann weiß nicht, was das hier für Mauern sind: Ein heiliger Anachoret hat sie einst errichtet und keine unreine Macht ist imstande, den Gefangenen zu befreien, ohne die Zelle mit jenem Schlüssel aufzuschließen, mit dem der Heilige sie verschloß. Solch eine Zelle will ich, schrecklichster aller Sünder, auch mir erbauen, wenn ich nur frei bin!“

„Nun wohl, so höre: ich lass’ dich hinaus, doch, wie wenn du mich trügst,“ sprach Katerina und blieb vor der Tür starr stehen. „Wenn du, statt in dich zu gehen, wieder des Teufels Bruder wirst?“

„Nein, Katerina, ich hab’ nicht mehr lange zu leben; auch ohne diese Marter ist mein Ende nahe. Glaubst du denn, daß ich mich selbst zu ewigen Qualen verurteilen will?“

Die Schlösser klirrten. „Leb’ wohl, der barmherzige Gott behüte dich, mein Kind!“ sprach der Zauberer und küßte sie.

„Rühr mich nicht an, schrecklichster aller Sünder! Geh schnell von hinnen!“ rief Katerina.

Doch er war schon verschwunden.

„Ich hab’ ihn befreit!“ flüsterte sie und blickte voller Schrecken wie irr auf die Mauern. „Was soll ich jetzt meinem Manne sagen? Ich bin verloren! Ich kann mich nur noch lebendig ins Grab legen.“ Und sie sank schluchzend auf den Klotz, auf dem der Gefangene gesessen hatte. „Aber ich habe eine Seele gerettet!“ sagte sie leise. „Ich tat ein Gott wohlgefälliges Werk. Jedoch mein Mann ...... Ich hab’ ihn zum ersten Male betrogen. O, wie furchtbar, wie schwer wird mir’s werden, ihm die Unwahrheit zu sagen! Da kommt jemand! O, er ist es! es ist mein Mann!“ rief sie verzweifelt, und besinnungslos fiel sie zu Boden.

VII.

Ich bin’s, meine liebe Tochter, ich bin’s, mein Herzchen!“ hörte Katerina jemand sagen, als sie wieder zu sich kam; sie sah ihre alte Dienerin vor sich. Die Alte beugte sich über sie, schien ihr etwas zuzuflüstern, und ihre vertrocknete Hand bespritzte sie mit kaltem Wasser.

„Wo bin ich?“ sagte Katerina, indem sie aufstand und um sich blickte. „Vor mir rauscht der Dnjepr und hinter mir liegen die Berge ... Wohin hast du mich geführt, Weib?“

„Ich hab’ dich nicht weggeführt, sondern hinausgetragen; auf meinen Armen trug ich dich aus dem dumpfen Gewölbe. Ich habe die Tür mit dem Schlüsselchen zugeschlossen, damit dich Pan Danilo nicht findet und bestraft!“

„Wo ist der Schlüssel?“ sprach Katerina und blickte auf ihren Gürtel, „ich seh’ ihn nicht!“

„Dein Mann hat ihn abgebunden, um nach dem Zauberer zu sehen, mein Kind!“

„Um nach ihm zu sehen? .... Weib, ich bin verloren!“ rief Katerina.

„Davor mag Gott uns bewahren, mein Kind! Schweig du nur, liebe Herrin. Niemand wird etwas erfahren!“

„Er ist entflohen, der verfluchte Antichrist! Hast du gehört, Katerina? Er ist entflohen!“ rief Pan Danilo, der auf seine Frau zutrat. Seine Augen sprühten Feuer, und sein Säbel schüttelte sich klirrend an seiner Seite. Sein Weib erstarrte.

„Es hat ihn wohl jemand befreit, lieber Mann?“ sprach sie zitternd.

„Befreit! Du hast recht. Aber der Teufel hat ihn befreit. Schau hin! Statt seiner liegt ein in Eisen geschmiedeter Klotz da. Gott hat’s nun einmal so eingerichtet, daß der Teufel sich nicht vor Kosakenfäusten fürchtet! Wenn einer von meinen Kosaken auch nur von fern daran gedacht haben sollte, und ich erfahre es ..... O, ich würde keine Strafe ausdenken können, die schwer genug für ihn wäre!“

„Und wenn ich es wäre?“ sprach Katerina unwillkürlich und hielt erschrocken inne.

„Wenn du’s getan hättest, so wärest du mein Weib nicht mehr! Ich würde dich in einen Sack einnähen lassen und mitten im Dnjepr ertränken! ....“

Katerina stockte der Atem und ihr war, als lösten sich ihr die Haare vom Haupte.

VIII.

In einer Schänke am Grenzwege sind die Polen versammelt und zechen schon zwei Tage lang. Nicht wenig Gesindel sitzt da beisammen. Sie sind wohl zusammengekommen, um einen Überfall auszuhecken! Manche von ihnen haben Musketen, die Sporen klirren und die Säbel rasseln. Die polnischen Herren sind lustig, schneiden auf und reden prahlerisch von unerhörten Taten, sie spotten über den rechten Glauben, nennen das Volk der Ukraine ihre „Knechte“, zwirbeln stolz den Schnurrbart in die Höhe, und mit hochmütig zurückgeworfenen Köpfen recken sie sich auf den Bänken. Auch ihr Priester ist bei ihnen; doch auch der ist vom selben Schlage wie sie. Er gleicht nicht einmal dem Äußern nach einem christlichen Priester, denn er schmaust und zecht mit ihnen, und seine unreine Zunge führt unzüchtige Reden. Auch das Gesinde gibt ihnen in nichts nach: sie haben die Ärmel der schäbigen Schupans aufgestreift und stolzieren so aufrecht einher, als wären sie was Rechtes! Sie spielen und hauen einander mit den Karten auf die Nasen. Dann haben sie fremde Weiber bei sich und das gibt ein Geschrei und ein Raufen! ... Die polnischen Herren toben nur so und treiben Schabernack mit den Leuten; sie packen einen Juden am Bart, malen ihm ein Kreuz auf seine gottlose Stirn, schießen mit blind geladenen Pistolen nach dem Weibsvolk und tanzen einen Krakowiak mit ihrem schändlichen Priester. Gab’s doch nicht einmal von den Tataren solch Ärgernis im russischen Lande: Gott hat es ihm wohl beschieden, solche Schmach für seine Sünden zu erdulden. Und mitten in diesem Sodom hört man sie vom Gutshof des Pan Danilo am Dnjepr und von seinem schönen Weibe sprechen ..... Wahrlich, nichts Gutes sinnt die Rotte, die hier versammelt ist!

IX.

Pan Danilo sitzt in seiner Stube am Tisch, das Haupt auf den Ellenbogen gestützt, und sinnt nach. Auf der Ofenbank aber sitzt Pani Katerina und singt ein Lied.

„Mir ist so traurig zumute, Weib!“ spricht Pan Danilo, „der Kopf tut mir weh und das Herze auch. Es lastet etwas auf mir! Mein Tod ist wohl nicht mehr fern.“

„O, mein herzliebster Gemahl, neig deinen Kopf zu mir her! Warum hegst du so schwarze Gedanken in deiner Brust?“ dachte Katerina, wagte es aber nicht auszusprechen. Ihr, der Schuldbewußten, wurde es schwer, des Mannes Liebkosungen entgegenzunehmen.

„Hör, liebes Weib!“ sagte Danilo, „verlaß meinen Sohn nicht, wenn ich einst tot bin! Gott wird kein Glück auf dich herabsenden, weder in dieser, noch in jener Welt, wenn du ihn von dir stößt. Schwer würde es meinen Knochen werden, in der feuchten Erde zu verfaulen, und noch trauriger wär’ meine Seele!“

„Was sprichst du, mein Gemahl? Warst du es nicht, der uns schwache Frauen einst auslachte? Und jetzt redest du selbst wie ein schwaches Weib. Du wirst noch lange leben!“

„Nein, Katerina, meine Seele ahnt schon den nahen Tod. Es wird so traurig in der Welt und schlimme Zeiten brechen an. Oh! ich besinne mich wohl auf die vergangenen Jahre; die kehren wohl nimmer wieder! Damals war noch der alte Konaschewitsch am Leben, der Ruhm und die Ehr’ unseres Heeres! Und all die Kosakenregimenter ziehen wieder an meinen Augen vorüber. Ja, es war eine goldene Zeit, Katerina! Der alte Hetman saß auf seinem Rappen und in seiner Hand glänzte der Hetmansstab; rings um ihn standen die Führer, und auf den Seiten wogte das rote Meer der Saporoger. Und wenn der Hetman zu sprechen begann, dann stand alles da wie erstarrt. Der Alte weinte, als er der früheren Taten und Gefechte gedachte. Ach, wenn du wüßtest, Katerina, wie wir damals uns mit den Türken schlugen: Noch heute sieht man die Narbe auf meinem Haupte. Vier Kugeln durchbohrten mich an vier Stellen, und keine der Wunden ist je vollständig geheilt. O, wieviel Gold wir damals erbeuteten, und die Edelsteine schöpften die Kosaken wie Wasser mit ihren Mützen. Und was für Pferde, wenn du wüßtest, was für Pferde wir damals raubten, Katerina! Nein, solche Kriege erleb’ ich nie wieder! Noch bin ich ja nicht alt, ich bin noch rüstig, doch das Kosakenschwert entsinkt meiner Hand, ich lebe tatenlos dahin und weiß selbst nicht, wozu ich lebe. In der Ukraine herrscht keine Ordnung mehr: die Feldherrn und Jessauls beißen sich herum wie die Hunde; ’s ist keiner da, dem alle gehorchten und der ihr Haupt wäre. Unsere Schlachzizen haben alles geändert und polnische Sitten eingeführt, sie sind so schlau und so tückisch geworden und haben ihre Seelen verkauft, indem sie die Union annahmen und einen Bund mit dem Papst schlossen. Die Juden knechten das arme Volk. O Zeiten, Zeiten, vergangene Zeiten! Wo seid ihr geblieben, ihr, meine vergangenen Jahre? Geh ins Gewölbe hinab, Bursch, und hol mir einen Krug mit Meth! Ich will trinken auf unser altes Leben und die vergangenen Zeiten!“

„Womit sollen wir die Gäste empfangen, Pan? Die Polen kommen von der Wiese her!“ rief Stetzko, der in diesem Augenblick ins Zimmer hereinstürzte.

„Ich weiß wohl, wozu sie kommen!“ sprach Danilo, sich von seinem Platze erhebend. „Sattelt die Pferde, meine treuen Knechte! Schirrt sie rasch an und heraus mit den Säbeln! Vergeßt auch die blauen Bohnen nicht! Die Gäste sollen mit Ehren empfangen werden!“

Kaum hatten die Kosaken ihre Pferde bestiegen und die Musketen geladen, da überschwemmten die Polen schon den Berg wie Laub, das im Herbst von den Bäumen fällt.

„Hehe, da gibt’s eine feine Gesellschaft!“ rief Danilo und blickte auf die dicken Pans, die sich würdevoll auf ihren goldgeschirrten Rossen schaukelten. „Wohl denn, so werden wir uns einmal noch herrlich tummeln! Freu dich zum letzten Male, Kosakenseele. Wohlauf, ihr Burschen, das Fest hat begonnen!“

Und auf den Bergen ward es fröhlich, und das Fest hub an: da schwirren die Säbel, da fliegen die Kugeln, da wiehern und trampeln die Pferde. Die Schädel dröhnen vom Rufen und Schreien, und der Rauch blendet die Augen. Alles geht wild durcheinander, aber der Kosak ahnt wohl, wo Freund und Feind ist. Eine Kugel kommt gepfiffen, und ein tapferer Reitersmann stürzt vom Roß; ein Säbel klirrt — und ein Kopf wälzt sich, zusammenhanglose Reden lallend, am Boden.

Aber mitten im Haufen, da sieht man die rote Kosakenmütze des Pan Danilo, und wie ein Blitz trifft das Auge das Gefunkel des goldenen Gürtels auf dem blanken Schupan; wie ein Wirbelwind flattert die Mähne des Rapphengstes daher; gleich einem Vogel eilt er bald hier hin, bald dort hin, schreit laut auf, schwenkt den Damaszener-Säbel und schlägt rechts und links um sich. Hau zu, Kosak! Frisch drauf und los, Kosak! Erfreu dein mutiges Herz, aber verguck dich nicht in das Gold der Gespanne und Schupans; tritt Gold und Edelsteine mit den Füßen! Stich zu, Kosak! Frisch drauf los, Kosak! Aber sieh dich nicht um: schon stecken die frevelnden Polen die Hütten in Brand und treiben das ängstliche Vieh fort. Wie ein Sturm wirbelt Pan Danilo zurück, die Mütze mit dem roten Dach blitzt schon dicht neben den Häusern auf, und rings um ihn wird der Haufen geringer.

Nicht nur eine Stunde oder zwei kämpften die Kosaken und Polen. Immer weniger wurden ihrer auf beiden Seiten; doch Pan Danilo ermattete nicht: mit seiner langen Lanze hob er die Feinde aus dem Sattel, und trat mit seinem tapferen Roß das Fußvolk nieder. Schon leert sich der Hof, schon fliehen die Polen, schon reißen die Kosaken die goldenen Schupans und die reiche Rüstung von den Gefallenen herab. Schon will Pan Danilo zur Verfolgung aufbrechen, schon blickt er sich um, die Seinen zu sammeln ..... doch da kocht in ihm die Wut, vor ihm taucht Katerinas Vater auf. Nun steht er auf dem Berge und zielt mit seiner Muskete nach ihm. Danilo treibt sein Pferd grad auf ihn los .... Kosak, du eilst ins Verderben! Da kracht die Muskete, und der Zauberer ist hinter dem Berge verschwunden. Nur der getreue Stetzko hat noch gesehen, wie das rote Gewand und die seltsame Mütze im Husch vorbeiflogen. Danilo schwankt und stürzt zu Boden. Der treue Stetzko eilte zu seinem Pan: sein Herr liegt ausgestreckt auf der Erde, und hat die hellen Augen geschlossen, und das hellrote Blut quillt aus seiner Brust. Aber er erkannte den treuen Diener noch, leis hob er die Lider und blitzte ihn mit den Augen an: „Leb wohl, mein Stetzko! Sag Katerina, sie soll meinen Sohn nicht verlassen! Verlaßt auch ihr ihn nicht, ihr meine treuen Diener!“ und er verstummte. Die tapfere Kosakenseele war aus dem adligen Leibe entflohen; blau sind seine Lippen, der Kosak schläft einen Schlaf, aus dem es kein Erwachen gibt.

Da schluchzte der getreue Diener auf und winkte Katerina mit der Hand: „Komm, komm schnell herbei, Pani! Dein Pan hat ausgetobt; sieh, da liegt er, trunken auf feuchtem Erdreich; nimmer wird der aus seinem Rausche erwachen!“

Da schlug Katerina die Hände zusammen und sank über den Leichnam hin wie eine Garbe. „O mein Gemahl, du mein Gemahl! Bist du’s, der geschlossenen Auges daliegt? Steh auf, mein herzallerliebster Falke, rühr deine süße Hand! Erhebe dich doch! O, schau sie nur einmal noch an, deine Katerina, reg deine Lippen und sprich nur ein einziges Wörtlein! ... Doch ach, du schweigst, du schweigst, mein lieber herrlicher Pan! Bläulich wardst du wie das Schwarze Meer, und dein Herz schlägt nicht! Warum bist du so kalt, mein Pan? O, ich seh’s, meine Tränen sind nicht heiß genug, sie können dich nicht erwärmen! Ich seh’s, nicht laut genug ist meine Klage, denn sie kann dich nicht erwecken! Wer wird jetzt deine Heere anführen? Wer wird nun auf deinem Rappen dahinjagen und laut jauchzend vor den Kosaken den Säbel schwingen? Kosaken, Kosaken! Wo ist eure Ehre und euer Ruhm? Da liegt eure Ehre und euer Ruhm geschlossenen Augs auf der feuchten Erde. O, begrabt nun auch mich, begrabt mich zusammen mit ihm! Streut mir Erde auf die Augen, preßt die Bretter von Ahorn mir auf die weißen Brüste! Ich brauche meine Schönheit nicht mehr!“

Und Katerina weinte und klagte bitterlich, da aber steigt eine Staubwolke in der Ferne auf: Gorobetz, der alte Jessaul, sprengt zu Hilfe heran.

X.

Voller Wunder ist der Dnjepr bei heiterem Wetter, wenn er frei und ungehemmt durch Gebirg und Wälder seine reichen Wasser trägt. Da ertönt kein leises Rauschen und kein mächtiger Donnerlaut. Du blickst hin und weißt es kaum, ob sich sein hehrer breiter Rücken regt, ob nicht; ganz aus Glas gegossen scheint die Flut und sein blauer Spiegelweg windet sich, breit ohne Maßen, lang ohn’ Ende, in verschlungenen Bahnen durch die grüne Welt. Dann blickt auch die heiße Sonne selig von der Höhe herab und taucht ihre Strahlen in die kühlen gläsernen Wässer, und selig spiegeln sich die Wälder am Ufer in den klaren Fluten. O, ihr Grüngelockten! Ihr drängt euch mit den Feldblumen zum Wasser hin, beugt euch hinab, schaut hinein und könnt euch nicht satt sehen an eurem klaren Angesicht und ihr lächelt ihm zu und grüßt es, indem ihr die Zweige schüttelt. Aber in die Mitte des Dnjepr wagt ihr doch nicht zu blicken: in sie hinein blickt nur die Sonne und der blaue Himmel, und selten nur kommt ein Vogel bis mitten über den Dnjepr geflogen. O, du herrlicher Fluß! Kein Strom in der Welt kommt dir gleich. Voller Wunder ist auch der Dnjepr in einer stillen Sommernacht, wenn alles in Schlummer sinkt: Mensch und Tier und Vogel. Nur Gott allein blickt majestätisch auf Himmel und Erde und schüttelt gewaltig sein wunderbares Ornat. Und von dem Kleide regnen Sterne herab; die Sterne aber glühen und leuchten über die Welt, und spiegeln sich alle im Dnjepr wieder. Der Dnjepr birgt sie alle in seinem dunklen Schoße, und kein einziger kann ihm entrinnen — es sei denn, daß er am Himmel erlischt. Der schwarze Wald mit seinen Reih an Reih schlafenden Raben und die in grauer Urzeit geborstenen Berge beugen sich vor und suchen ihn wenigstens mit ihren langen Schatten zu bedecken — vergebens! Es gibt nichts auf der Welt, das den Dnjepr überdecken könnte. Azurblau fließt er gemessen dahin, und bei Nacht wie bei Tage sieht man ihn so, wie nur ein Menschenauge sehen kann. Wenn er sich wiegt und wie ein verzärteltes Kind bei der nächtlichen Kühle ans Ufer schmiegt, dann wird er zur silbernen Flut und die flammt auf, wie die stählerne Schneide einer Damaszenerklinge und dann liegt er wieder tiefblau da und schlummert. Und auch dann ist der Dnjepr voller Wunder und kein Fluß in der Welt kommt ihm gleich! Doch wenn sich am Himmel die blauen Wolken zu Bergen ballen, der schwarze Wald bis auf die Wurzeln bebt, die Eichen krachen und der Blitz, aus den Wolken splitternd, plötzlich die ganze Welt erhellt — o, dann ist der Dnjepr schrecklich! Die Wasserhügel tosen, wenn sie gegen die steinigen Felsen anprallen, sinken blitzend und stöhnend zurück und ächzen und heulen in der Ferne. So jammert wohl die alte Kosakenmutter, wenn sie ihren Sohn ins Kriegslager geleitet: frei und kühn reitet er auf seinem rabenschwarzen Roß dahin, die Hand in die Hüfte gestemmt und die Mütze keck aufs Ohr geschoben, sie aber läuft schluchzend hinter ihm her, hängt sich an den Steigbügel, greift ihm in die Zügel, ringt die Hände und zerfließt in heißen Tränen.

Wild und schwarz ragen zwischen den kämpfenden Wellen auf der Landzunge verkohlte Baumstümpfe und Steine in die Luft. Ein Boot, das landen will, wird ans Ufer geworfen, schießt hoch empor und sinkt dann wieder tief abwärts. Wer ist der Kosak, der sich in den Kahn gewagt, zu einer Zeit, da der alte Dnjepr grollt? Der weiß nicht, daß der Dnjepr die Menschen hinabschlingt wie Fliegen!

Doch nun landete das Boot, und der Zauberer entstieg ihm. Ihm ist nicht heiter zumute. Er grollt über den Totenschmaus, den die Kosaken ihrem erschlagenen Herrn zu Ehren abhielten. Die Polen mußten ihn teuer bezahlen, vierundvierzig vornehme Herren in schönen Schupans, ihr ganzes Pferdegeschirr und dreiunddreißig Knechte dazu wurden in Stücke gehauen, und die übrigen saßen mit ihren Rossen gefangen und sollten an die Tataren verkauft werden.

Er stieg die steinernen Stufen zwischen den verkohlten Baumstümpfen hinab, wo sich tief unten im Erdreich seine Hütte befand. Leise und ohne mit der Türe zu knarren, trat er ein, stellte einen Topf auf den gedeckten Tisch und begann mit seinen langen Armen unbekannte Kräuter in ihn hineinzuwerfen, dann holte er einen Krug herbei, der aus einem merkwürdigen Holz geschnitzt war, schöpfte Wasser und begann es wieder auszugießen, während seine Lippen Beschwörungen murmelten.

Rosiges Licht erhellte die Kammer, und schrecklich war es, sein Gesicht zu schauen: es sah ganz blutig aus, tiefe schwarze Furchen gruben sich drein, und die Augen glühten wie ein Feuer. Schrecklicher Sünder! Der Bart war ihm längst ergraut, und das Gesicht von Runzeln durchfurcht, schon ist er fast gänzlich verdorrt, und noch immer trachtet er nach gottlästerlichen Taten. Inmitten des Raumes erhob sich jetzt eine weiße wehende Wolke, und etwas wie Freude huschte über des Zaubrers Gesicht. Doch warum stand er plötzlich regungslos mit weitgeöffnetem Munde da, warum wagte er es nicht, sich zu bewegen? Und warum sträubten sich die Haare wie Borsten auf dem Haupte? In der Wolke erschien ihm ein sonderbares Gesicht. Ungebeten und ungerufen kam es zu Gaste; immer deutlicher trat es hervor und bohrte die starren Augen in ihn hinein. Die Züge, die Brauen, die Augen, die Lippen — alles war ihm unbekannt und noch nie in seinem Leben hatte er es gesehen. Auch war nichts eigentlich Grauenhaftes an ihm, und doch packte ihn ein unüberwindliches Entsetzen. Das seltsame unbekannte Haupt blickte ihn noch immer starr durch die Wolke an. Doch nun war die Wolke verschwunden, aber das unbekannte Gesicht hing noch klarer vor ihm, und die scharfen schneidenden Blicke wollten sich nicht von ihm wenden. Der Zauberer wurde so weiß wie Leinen; mit einer furchtbaren Stimme, die ihn selber fremd dünkte, schrie er auf, warf den Topf um. Alles war verschwunden.

XI.

Sei ruhig, liebe Schwester!“ sprach der alte Jessaul Gorobetz. „Träume reden selten die Wahrheit.“

„Leg dich doch hin, Schwesterchen!“ sagte seine junge Schwiegertochter. „Ich werde die alte Wahrsagerin rufen: ihr kann keine Macht der Welt widerstehen: sie wird deine Unruhe bannen.“

„Fürchte nichts!“ rief der Sohn und griff nach dem Säbel, „niemand soll dir etwas zuleide tun.“

Mit trüben und düsteren Augen blickte Katerina sie alle an und fand kein Wort zur Antwort. „Ich habe mir selbst mein Verderben bereitet: ich hab ihn befreit!“ Endlich aber sprach sie: „Ich habe keine Ruhe vor ihm. Schon sind’s zehn Tage, daß ich bei euch in Kijew bin, und mein Schmerz ist um keinen Tropfen geringer. Ich hab mir gedacht, ich will nun in aller Stille mein Söhnchen als Rächer aufziehen ...... O, furchtbar, furchtbar war er, wie er mir im Traume erschien. Behüt euch Gott davor, ihn je zu erblicken! Mein Herz pocht noch immer!“ — „Ich hack dir dein Kind in Stücke, Katerina!“ schrie er, „wenn du nicht mein Weib sein willst! ....“ Schluchzend stürzte sie sich auf die Wiege, daß das erschrockene Kindlein die Hände ausstreckte und zu schreien begann.

Des Jessauls Sohn brauste zornig auf, als er diese Rede hörte.

Auch Gorobetz, der Jessaul, raste vor Wut: „Mag er’s nur wagen, hierher zu kommen, der gottlose Antichrist — er soll die Kraft meiner alten Kosakenarme kosten. Gott ist mein Zeuge!“ rief er und hob die scharf blickenden Augen gen Himmel empor. „Bin ich denn Bruder Danilo nicht zu Hilfe geeilt? Doch es war Gottes heiliger Wille! Ich traf ihn schon auf dem kalten Lager, darauf schon so viel Kosakenvolk sich gebettet. Hat man ihm zu Ehren nicht dafür einen prächtigen Leichenschmaus gefeiert? Ist etwa auch nur ein Pole lebend entkommen? Sei ruhig, mein Kind! Niemand wird es wagen, dich zu berühren, solange wir leben, ich und mein Sohn!“

Mit diesen Worten trat der alte Jessaul an die Wiege. Das Kindchen erblickte die rote Pfeife mit der silbernen Fassung am Riemen und den Beutel mit dem glänzenden Feuerstein, streckte die Händchen zu ihm hin und lachte. „Der wird ganz wie der Vater!“ sprach der alte Jessaul, nahm die Pfeife aus dem Munde und reichte sie dem Kinde hin. „Noch hat er die Wiege nicht verlassen und schon will er ein Pfeifchen rauchen!“

Katerina seufzte leise auf und begann die Wiege zu schaukeln. Man verabredete sich, die Nacht gemeinsam zu verbringen; nach einer kurzen Weile schliefen alle, und auch Katerina schlummerte bald ein.

Im Hofe und in der Stube war alles still, nur die Kosaken, die Wache hielten, schlummerten nicht. Plötzlich wachte Katerina mit einem Schrei auf, und mit ihr erwachten alle aus ihrem Schlummer. „Er ist tot, man hat ihn ermordet!“ schrie sie und stürzte zur Wiege hin ..... Alle umringten die Wiege und waren starr vor Entsetzen, als sie das leblose Kind daliegen sahen. Keiner sprach ein Wort und niemand wußte, was er von dem unerhörten Frevel denken sollte.

XII.

Fern vom Lande der Ukraine, wenn man das Polenreich durchreist und schon die volkreiche Stadt Lemberg hinter sich hat, stößt man auf eine Gebirgskette mit hohen Gipfeln. Berg an Berg umklammern hier von rechts und links wie mit steinernen Ketten die Erde und schmieden sie in einen Felsenring, damit das brausende tosende Meer nicht hereinbreche. Die Felsenketten ziehen sich bis in die Wallachei und das Siebengebirge hinein, und ragen wie ein gigantisches Hufeisen zwischen Galiziens und Ungarns Völkern empor. Solche Berge gibt’s in unserer Gegend nicht, und das Auge wagt es nicht, sie zu umspannen. Einige von diesen Gipfeln hat noch kein menschlicher Fuß betreten. Wie ein Mirakel sind sie zu schauen: gleich als wäre ein trotziges Meer während eines Sturmes seinen weiten Ufern entflohen und als hätte es mißgestalte Wogen aufgetürmt, die dann zu Stein geworden, steil in der Luft emporstarrten. Oder sind es schwarze Wolken, die vom Himmel herabgestürzt sind und den Weg zur Erde versperrt haben? Denn ihre Farbe ist ebenso grau wie die der Wolken, und der weiße Gipfel blitzt und funkelt in der Sonne. Bis zu den Karpathen hin hört man die russische Zunge, und auch hinter den Bergen hallt’s hie und da wieder wie ein Klang aus der Heimat; doch dann kommen Menschen mit einem andern Glauben und einer fremden Sprache. Hier lebt das zahlreiche Volk der Ungarn; die reiten, fechten und trinken nicht schlechter als die Kosaken und kargen nicht, wenn’s gilt, goldene Dukaten für Pferdegeschirr und kostbare Kaftans aus dem Beutel zu holen. Groß und frei liegen ihre Seen zwischen den Bergen. Unbeweglich wie Glas sind sie, und wie ein Spiegel werfen sie die nackten Gipfel der Berge und die grünende Sohle zurück.

Doch wer kommt dort inmitten der Nacht — bei Finsternis oder Sternenglanz — auf dem riesigen Rappen daher geritten? Welch ein Recke von übermenschlichem Körpermaß fegt die Berge entlang und über die Seen dahin und spiegelt sich samt seinem Riesenroß in den leblosen Gewässern, daß sein unermeßlicher Schatten furchtbar über die Berge hinhuscht? Es glänzt der Harnisch von herrlichem Schmiedeeisen; er trägt eine Pike auf der Schulter, am Sattel rasselt der Säbel, das Visier ist niedergelassen, schwarz hängt ihm der Schnurrbart herab, die Augen sind geschlossen, und die Lider gesenkt. — Er schläft und hält im Schlafe die Zügel fest, hinter ihm auf demselben Roß sitzt der junge Page und auch er schläft und klammert sich schlafend an den Ritter. Wer ist er, wo reitet er hin und zu welchem Ziele? Wer weiß etwas von ihm? Nicht einen Tag nur oder zwei reitet er schon über die Berge dahin. Der Tag bricht an, die Sonne geht auf, aber er ist nicht zu erblicken. Nur selten sehen die Bergbewohner einen langen Schatten durch die Berge huschen — und doch ist der Himmel ganz klar, und keine Wolke zieht über ihn hin. Aber kaum bricht die Nacht an und mit ihr die Finsternis, so läßt er sich wieder sehen; dann spiegelt er sich in den Seen, und hinter ihm kommt zitternd sein Schatten einher gesprungen. Schon ist er an vielen Bergen vorbeigekommen und selbst auf den Kriwan ist er hinaufgeritten. Und doch ist in den Karpathen kein Berg höher als dieser, denn einem Könige gleich erhebt er sich über die andern. Da machte Roß und Reiter Halt; tiefer noch sank er in Schlaf, und herabsinkende Wolken bedeckten ihn.

XIII.

Pst ... still doch, Weib! Lärme nicht so! Mein Kind ist eingeschlafen. Lang hat mein Kindchen geschrien, jetzt aber schläft es. Ich geh’ in den Wald, Weib! Was siehst du mich denn so an? Du bist fürchterlich: eiserne Zangen strecken sich aus deinen Augen hervor — — oh, und wie lang sie sind, und brennen wie Feuer! Du bist gewiß eine Hexe! Hör, wenn du eine Hexe bist, so verschwinde! Du willst mir meinen Sohn stehlen! Wie töricht ist doch dieser Jessaul: er glaubt, es machte mir Vergnügen, in Kijew zu leben; doch nein, mein Mann und mein Sohn sind hier, wer soll denn das Haus überwachen? Ich bin so leise davongeschlichen, daß weder Katze noch Hund es hören konnten. Weib, du willst wieder jung werden? O, das ist garnicht so schwer: man muß nur recht viel tanzen. Schau, wie ich tanze .....“ Und nachdem sie diese zusammenhanglosen Worte gesprochen hatte, fing Katerina an zu tanzen, sie drehte sich wie ein Wirbel herum — blickte stier nach allen Seiten, stemmte die Arme in die Hüften, und ihre silbernen Hufeisen klirrten regellos und ohne Takt. Ihre schwarzen aufgelösten Flechten hingen ihr über den weißen Hals hinüber, sie schwirrte wie ein Vogel dahin, weiter und immer weiter ohne Halt, schwang die Arme im Kreise, schüttelte den Kopf, und es schien so, als müßte sie gleich matt zu Boden sinken oder weit hinausfliegen aus dieser Welt.

Traurig stand die alte Amme vor ihr, und die Tränen strömten ihr über die tiefen Runzeln hinab, schwer wie ein Stein lastete es auf dem Herzen der treuen Burschen, die zusehen mußten, wie ihre Herrin tanzte. Doch schon fing sie an, müde zu werden, träg stampfte sie mit den Beinen auf ein und derselben Stelle herum und glaubte doch, sie tanze den Lachtaubentanz. „Ah, ich hab’ auch ein Perlenhalsband, ihr Burschen!“ rief sie endlich aus und hielt inne. „Ihr aber habt keins! .... Wo ist mein Mann?“ schrie sie plötzlich auf und zog rasch einen Türkendolch aus dem Gürtel. „Oh, das ist kein Messer, wie ich es brauche!“ und dabei flossen ihr die Tränen über ihr schmerzbewegtes Gesicht. „Das Herz meines Vaters ist weit, weit von hier, und dieses Messer wird’s nicht erreichen. Sein Herz ist von Eisen, eine Hexe hat es ihm auf dem höllischen Feuer geschmiedet. Warum erscheint mein Vater nur nicht? Weiß er denn nicht, daß die Zeit gekommen ist, wo ich ihn töten muß? Er will wohl gar, daß ich selbst zu ihm komme ....“ Und ohne ihre Rede vollendet zu haben, lachte sie seltsam auf. „Eine komische Mär kam mir in den Sinn: Ich erinnerte mich, wie sie mir den Gemahl begruben. Sie haben ihn lebendig begraben ... O, wie mußte ich lachen! ...... Hört, hört!“ und statt weiterzureden, begann sie ein Lied zu singen:

Da fährt ’ne Karre im Blut .....

’S liegt ein Kosak im Wagen

Zerschossen und zerschlagen,

Hält in der Rechten einen Spieß,

Und von dem Spieß läuft soviel Blut

Soviel Blut,

Daß es ’nen Blutstrom wies.

Überm Bach da steht ein Ahornschragen

Und ein Rabe krächzt darüber her.

Vom Kosaken will die Mutter klagen,

Wein nicht, Mutter, gräm dich nicht zu sehr!

Dein Sohn hat wohl genommen

Ein Fräuleinchen gar fein,

Drum soll er auch bekommen

Ein Stübchen eng und klein,

Ohne Fenster, ohne Tür,

So geht’s immer für und für.

Ging ein Fisch mit ’nem Krebs zu Tanz ...

Wer mich nicht leiden mag, den soll der Kuckuck ..

So wirrten sich bei ihr alle Lieder durcheinander. Schon einen oder zwei Tage lang lebte sie in ihrem Hause und wollte nichts von Kijew hören; sie betete nicht, sie floh vor den Menschen und vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein streifte sie im dunklen Eichwald umher. Spitzige Äste ritzten ihr weißes Gesicht und ihre Schultern, der Wind zerzauste ihr die aufgelösten Flechten, das Herbstlaub raschelte unter ihren Füßen — sie aber achtete es nicht. Zu der Stunde, da das Abendrot erlischt, die Sterne noch nicht vom Himmel herab blinken und der Mond noch nicht leuchtet, ist es voll Grauen, durch den Wald zu wandern. Die ungetauften Kinder kratzen an den Baumstämmen, hangen an den Zweigen, heulen, lachen gellend auf und wälzen sich wie ein Knäuel über die Wege und durch das dichte Dornengestrüpp; den Fluten des Dnjepr entsteigt ein Reigen von Jungfrauen, die selbst ihre Seele verderbten, die Haare rieseln ihnen vom grünlichen Haupte auf die Schultern herab; das Wasser rinnt laut glucksend vom langen Haare hinunter, und der Leib der Jungfrau schimmert durchs Wasser hindurch wie durch ein gläsernes Hemd, seltsam lächeln die Lippen, die Wangen glühen, die Blicke locken einem die Seele aus dem Leibe .... sie möchte in Liebe entbrennen, sie sehnt sich nach heißen Küssen .... Fliehe, der du ein Mensch bist und ein Christ, ihre Lippen sind Eis, ihr Bett ist das kühle Wasser, sie wird dich zu Tode kitzeln und dich mit in den Fluß schleifen. Katerina aber blickt niemanden an. Sie, die Wahnsinnige, fürchtet die Waldgeister und Wasserjungfrauen nicht; zu später Stunde läuft sie umher mit dem Dolche im Busen und sucht nach dem Vater.

Ganz früh am Morgen kam ein stattlicher Gast in rotem Schupan angeritten und fragte nach Pan Danilo; als er die traurige Kunde vernahm, wischte er sich die weinenden Augen mit dem Ärmel und zuckte die Achseln. Er habe manch einen Feldzug mit dem verstorbenen Burulbasch gemacht, und sie hätten gemeinsam gegen die Krimschen Tataren und Türken gefochten; wie hätt’ er erwarten können, daß Pan Danilo so enden würde! Und noch von manchem anderen wußte der Gast zu berichten, und dann wünschte er Pani Katerina zu sehen.

Katerina achtete zuerst nicht darauf, was der Gast erzählte; schließlich aber begann sie dennoch, seinen Reden zu lauschen, ganz als ob sie bei Vernunft wäre. Er sprach davon, daß er und Danilo miteinander wie Brüder gelebt, wie sie sich einst hinter einem Damm vor den Krimschen Tataren versteckt hielten und mehr dergleichen ....... Katerina hörte dies alles und wandte keinen Blick von ihm ab.

„Sie kommt wieder zu sich,“ dachten die Burschen, die sie aufmerksam beobachteten. „Der Gast wird sie heilen! Schon hört sie ihm zu wie ein vernünftiges Wesen!“

Unterdessen aber begann der Gast zu berichten, wie Pan Danilo ihm in vertraulicher Stunde gesagt hatte: „Sieh, Bruder Koprian: ist es einmal Gottes Wille, und ich bin nicht mehr unter den Lebenden, dann nimm mein Weib zu dir, und sie soll deine Gattin sein ....“

Da heftete Katerina die Augen mit einem fürchterlichen Ausdruck auf ihn. „Ah!“ rief sie, „er ist es, er ist es. Es ist mein Vater!“ und sie stürzte sich mit einem Messer auf ihn.

Lange rang jener mit ihr und wollte ihr das Messer entwinden; endlich riß er ihr’s aus den Händen, holte aus — und die schaurige Tat geschah: der Vater erstach seine wahnsinnige Tochter.

Entsetzt stürzten sich die Kosaken auf ihn, aber der Zauberer schwang sich aufs Pferd und war aller Blicken entschwunden.

XIV.

Vor Kijew begab sich ein unerhörtes Wunder. Alle hohen Herren und Hetmans kamen zusammen, dies Wunder anzustaunen, und plötzlich war es weithin zu sehen bis an alle Enden der Welt. Weit in der Ferne blaute die breite Mündung des Stroms, und hinter ihr rollte das Schwarze Meer. Weltkundige Leute wollten auch die Krim erkennen, die wie ein Berg aus dem Meere emporstieg, und auch den sumpfigen Siwasch erkannten sie. Zur Linken aber sah man das galizische Land.

„Und was ist das?“ fragte das versammelte Volk die großen Männer, und alle wiesen auf die fern am Himmel leuchtenden mächtigen weißen Spitzen, die grauen Wolken glichen.

„Das sind die Karpathen!“ sprachen die alten Männer. „Da gibt’s auch solche darunter, von denen der Schnee nie verschwindet; dort landen und übernachten die Wolken.“

Und nun geschah ein neues Wunder: die Wolken senkten sich vom höchsten Berggipfel herab, und auf seiner Spitze erschien ein Recke zu Roß und in voller Ritterrüstung; seine Augen waren geschlossen, und er war zu schauen, als ob er ganz in der Nähe vor allen dastände.

Da sprang einer von der schreckvoll staunenden Menge aufs Pferd und jagte eilig und so schnell er konnte, fort.

Er blickte wild um sich, als wollte er mit seinen Augen prüfen, ob nicht jemand ihm nachsetzte. Es war der Zauberer! Doch was hatte ihn so in Schrecken gesetzt? Als er den wunderbaren Ritter betrachtete, hatte er plötzlich dasselbe Gesicht erkannt, das ihm damals bei seinen schwarzen Künsten so ungerufen erschienen war. Er konnte es selbst nicht begreifen, warum bei diesem Anblick alles in ihm zusammenschrak, und er raste, scheu um sich blickend, auf seinem Rosse dahin, bis ihn der Abend überraschte und die Sterne am Himmel erschienen. Da erst machte er kehrt und floh heimwärts, vielleicht um die unreinen Mächte zu befragen, was dies Wunder wohl zu bedeuten hatte. Schon wollte er mit dem Roß über den schmalen Bach setzen, der wie ein Ärmel sich mitten über den Weg dahinzog, als sein Roß mit einem Male gerad vor dem Sprunge anhielt, das Maul zu ihm wandte, und — o Wunder! — zu lachen begann. Zwei Reihen weißer Zähne grinsten ihm aus der Dunkelheit entgegen. Das Haar sträubte sich auf dem Haupte des Zauberers, er schrie wild auf, kreischte laut wie ein Besessener und spornte sein Pferd stracks auf Kijew zu. Es war ihm, als ob jemand von überall her nach ihm haschte: die Bäume schienen zu einem dichten Wald zusammenzulaufen und ihn einzuschließen, sie schüttelten ihre schwarzen Bärte und reckten ihre langen Zweige heraus, als ob sie lebendig wären und ihn erdrosseln wollten. Die Sterne schienen ihm vorauszueilen und vor der ganzen Welt auf den Sünder zu weisen; selbst die Landstraße, schien ihm, jagte auf seinen Spuren hinter ihm her.

Und der Zauberer floh voller Verzweiflung nach den heiligen Wallfahrtsorten der Stadt Kijew.

XV.

Ein Anachoret saß einsam in seiner Höhle vor einer Leuchte und wandte seine Blicke nicht von dem heiligen Buche ab, das vor ihm lag. Seit vielen Jahren schon hatte er sich in der Höhle eingeschlossen und schon hatte er sich den hölzernen Sarg gezimmert, in dem er zu ruhen pflegte, wie in einem Bett. Der heilige Greis schloß eben das Buch und begann zu beten .... Da stürzte plötzlich ein Mann von seltsamem und schrecklichem Äußeren herein. Zum ersten Male erstaunte der heilige Einsiedler und trat einen Schritt zurück vor diesem Menschen. Der aber bebte am ganzen Leibe wie Espenlaub, seine Augen irrten wild umher; ein schreckliches Feuer glomm furchtsam in ihnen, und sein verzerrtes Gesicht machte die Seele erschauern.

„Bete, Vater! So bete doch!“ schrie er verzweifelt. „Bete für eine verlorene Seele!“ Und er stürzte zu Boden.

Der heilige Anachoret machte das Zeichen des Kreuzes, holte das Buch hervor, schlug es auf, aber er wich entsetzt zurück und ließ das Buch wieder herabsinken. „Nein, du unerhörter Sünder! Es gibt keine Gnade für dich! Flieh von hinnen! Nie vermag ich für dich zu beten!“

„Nie!“ schrie der Sünder wie toll.

„Blick hin: die heiligen Lettern dieses Buches sind blutüberströmt .... noch niemals hat die Welt einen solchen Sünder gesehen.“

„Vater! Du spottest über mich!“

„Geh, du gottverdammter Sünder! Ich spotte nicht. Angst ergreift mich. Nichts Gutes bedeutet es für einen Menschen, in deiner Nähe zu weilen.“

„Nein, nein! Du spottest, rede nicht .... Ich sehe, wie dein Mund sich öffnet und mich die weißen Reihen deiner alten Zähne spöttisch anblicken!“

Und er sprang rasend vor — und erschlug den heiligen Einsiedler.

Da stöhnte etwas schwer auf, und das Stöhnen hallte durch Feld und Wald weiter. Hinter dem Walde streckten sich ein Paar dürre hagere Hände mit langen Krallen hervor, fingen an zu beben und verschwanden wieder.

Und schon war keine Angst mehr da, und er fühlte nichts mehr. Alles erschien ihm verschwommen: in seinen Ohren sauste es, es rauschte ihm im Kopfe wie wenn er trunken wäre. Er sprang aufs Roß und ritt gen Kanew, von dort gedachte er seinen Weg über Tscherkany geradeaus zu den Tataren und nach der Krim zu lenken, doch wußte er selbst nicht, zu welchem Zweck er es tat. Er ritt einen Tag lang und ritt einen zweiten, aber Kanew wollte sich immer noch nicht sehen lassen. Es war der richtige Weg, und er hätte schon längst in Kanew sein müssen, aber die Stadt wurde und wurde nicht sichtbar. Da leuchteten plötzlich in der Ferne die Kuppeln von Kirchen auf, aber es war nicht Kanew, sondern Schumsk. Der Zauberer war aufs höchste betroffen, als er sah, daß er eine falsche Richtung eingeschlagen hatte; er jagte sein Roß zurück auf Kijew zu, und einen Tag später tauchte eine Stadt vor ihm auf, aber es war wieder nicht Kijew, sondern Halitsch, eine Stadt, die noch weiter von Kijew entfernt ist als selbst Schumsk und schon nahe bei Ungarn liegt. Ohne zu wissen, was er tun sollte, riß er sein Pferd wieder herum. Aber wiederum fühlte er, daß er in der entgegengesetzten Richtung dahinritt, und immer weiter und weiter. Kein Mensch in der Welt hätte sagen können, was in der Seele des Zauberers vorging; und hätte jemand hinein geblickt und gesehen, was dort geschah, so hätte er keine Nacht mehr ruhig geschlafen, und nie hätt’ er mehr gelacht. Das war nicht Wut, nicht Furcht noch wilder Groll. Es gibt kein Wort dafür in der Welt. Es glühte und siedete in ihm, die ganze Welt hätte er mit seinem Rosse zerstampfen, die ganze Erde von Kijew bis Halitsch mitsamt all den Menschen und allem, was drauf lebte, packen, und sie im Schwarzen Meere ertränken mögen. Doch war es nicht Grimm, warum er dies tun wollte, er wußte selbst nicht warum. Und er erbebte, als ganz nahe vor ihm die Karpathen und der hohe Kriwan erschienen, der sich eine schwarze Wolke wie eine Mütze auf seinen Schädel gestülpt hatte; aber das Roß jagte immer weiter dahin und trabte schließlich bis ins Gebirge. Plötzlich verschwanden die Wolken und vor ihm erschien in furchtbarer Erhabenheit der Reiter ..... Der Zauberer mühte sich, Halt zu machen und zog die Zügel straff, aber das Roß wieherte wild, warf den Kopf empor und raste dem Ritter entgegen. Da ward dem Zauberer zumute, als ob alles in ihm erstarrte und ihm schien, der regungslose Ritter rührte sich vom Fleck; er machte auf einmal die Augen weit auf, sah den ihm entgegeneilenden Zauberer an und lacht laut auf. Wie ein Donner rollte das wilde Gelächter durchs Gebirge, hallte dröhnend im Herzen des Zauberers wieder und erschütterte sein ganzes Innere. Es schien ihm, als ob ein furchtbares, gewaltiges Wesen in ihn hineingekrochen wäre und in seinem Inneren umherwandere, auf sein Herz und alle seine Sehnen loshämmerte, so gewaltig hallte das Gelächter in ihm wieder!

Der Reiter packte den Zauberer mit seiner schrecklichen Hand und hob ihn hoch in die Lüfte, und im Nu war der Zauberer tot, doch er öffnete nach dem Tode noch die Augen; aber schon war er ein Leichnam und sah wie ein Toter vor sich hin. So fürchterlich blickt kein Lebender und auch kein Auferstandener. Er rollte die blinden Augen nach allen Seiten, und er sah, wie sich die Toten in Kijew, Galizien und in den Karpaten erhoben, und sie alle glichen ihm von Angesicht, wie zwei Tropfen Wasser einander gleichen.

Bleich, totenbleich, der eine den anderen an Größe überragend, und der eine knochiger als der andere, so drängten sie sich um den Ritter, der seine furchtbare Beute in der Hand hielt. Noch einmal lachte der Ritter auf und dann schleuderte er sie in den Abgrund. Und alle Toten sprangen in den Abgrund herab, fingen den toten Zauberer auf und bohrten ihre Zähne in ihn hinein. Aber da war noch einer, der größer und furchtbarer war als alle; der wollte sich auch aus der Erde erheben, doch er vermochte es nicht, er hatte nicht mehr die Kraft, es zu tun. — So riesengroß war er geworden in seiner Erdengrube; hätte er sich erhoben, so hätte er die Karpathen umgestürzt und das Siebengebirge und das Türkenreich dazu. Ein wenig nur rührte er sich im Grabe — und es ging ein Beben über die ganze Erde, viele Häuser wurden allerorten umgeworfen, und viele Menschen erstickten.

Oft hört man in den Karpathen ein Schnauben, wie wenn das Wasser über tausend Mühlräder dahinrauscht: das sind die Toten, die in einem Abgrund, dem man nicht entrinnen kann und den noch nie ein Mensch gesehen hat, an einem Leichnam nagen, und jeden graut es, vorbeizugehen. Gar oft geschieht es, daß die Erde von einem Ende bis zum andern erbebt: das kommt, wie die Schriftgelehrten sagen, daher, daß irgendwo, in der Nähe des Meeres ein Berg steht; aus dem schlagen Flammen und fließen brennende Ströme hervor. Aber die greisen Männer im Ungarlande und auch in Galizien wissen es besser und erzählen von dem ungeheueren Toten, der in die Erde hineinwuchs, sich erheben will und so das Weltall erschüttert.

XVI.

In der Stadt Gluchow hatte sich das Volk um einen greisen Harfenspieler geschart und lauschte wohl schon eine Stunde lang dem Spiele des Blinden. Kein Harfenspieler hatte je so wundersame Lieder, so herrlich hatte noch nie ein Harfenspieler gesungen. Er sang von den Hetmans der alten Zeiten: von dem Sagajdatschny und von Chmelnitzki. Ja, das war eine andere Zeit: weit berühmt und geehrt waren damals die Kosaken; sie zertraten ihre Feinde mit den Hufen ihrer Rosse, und niemand wagte es, ihrer zu spotten. Aber der Greis sang auch lustige Lieder und er ließ seine Augen im Kreise umherwandern wie ein Sehender, und die Finger mit den Knochenstäbchen flogen wie Fliegen über die Saiten, sodaß die Saiten von selbst zu spielen schienen; und ringsherum stand das Volk, — die Greise gesenkten Hauptes, und die Jungen, die Augen zum Sänger erhoben, und wagten es nicht einmal, untereinander zu flüstern.

„Wartet einmal!“ sprach der Alte. „Ich will euch singen von einer längstvergangnen Begebenheit.“

Die Leute drängten sich noch enger zusammen, und der Blinde begann:

Zur Zeit Pan Stephans, des Fürsten von Siebenbürgen (der Fürst von Siebenbürgen war auch König der Polen), da lebten einmal zwei Kosaken: Iwan und Petro. Sie lebten wie zwei Brüder. „Hör, Iwan,“ sagte Petro einst, „alles, was wir erbeuten, — sei zu gleichen Teilen unter uns geteilt; des einen Freude sei des andern Freude und des einen Kummer sei des andern Schmerz; des einen Beute soll auch dem anderen zukommen, und wenn der eine in Gefangenschaft gerät, soll der andere alles verkaufen und Lösegeld zahlen, oder selbst in Gefangenschaft gehen.“ Und so geschah’s auch, alles, was die Kosaken erbeuteten, teilten sie untereinander: ob sie nun fremdes Vieh wegtrieben oder Pferde — sie teilten alles zu gleichen Teilen unter sich.


Einst führte König Stephan Krieg mit dem Türkenvolk. Drei Wochen schon focht er gegen den Türken und konnte ihn immer noch nicht vertreiben. Die Türken aber hatten einen Pascha, der ganz allein mit zehn Janitscharen ein ganzes Heer in die Flucht schlagen konnte. Da tat König Stephan kund, wenn sich ein Wagehals fände, der ihm den Pascha lebend oder tot brächte, so wolle er ihm allein einen so hohen Lohn bezahlen, wie den, den er seinem ganzen Heere zukommen ließ. Da sprach Iwan zu Petro: „Komm, Herzensbruder, wir wollen den Pascha fangen!“ Und die Kosaken ritten davon: der eine hierhin, der andere dorthin.


Ob ihn Petro nun gefangen hätte oder nicht, das läßt sich nicht sagen, doch schon führt Iwan den Pascha an einem Strick um den Hals vor den König. „Tapfrer Kosak,“ sprach König Stephan und ließ ihm allein soviel Lohn ausbezahlen, als sonst sein ganzes Heer erhielt; und er hieß ihm Land zuzuteilen, wo er welches haben wollte, und Vieh schenken, soviel er nur wünschte. Wie Iwan nun den Lohn vom König erhalten hatte, teilte er ihn noch am selbigen Tage zu gleichen Teilen unter sich und Petro. Petro bekam die Hälfte vom Lohne des Königs, aber der konnte es nicht verwinden, daß Iwan vom Könige solche Ehren zuteil geworden waren, und in den Tiefen seiner Seele regten sich Rachegedanken.


Einst ritten die beiden Ritter jenseits der Karpathen durch das Land, das der König ihnen geschenkt hatte, und der Kosak Iwan hatte auch seinen Sohn neben sich auf dem Roß sitzen und ihn fest an sich gebunden. Schon senkte sich die Dämmerung aufs Land herab — sie aber ritten immer weiter und weiter. Der Knabe schlief, und auch Iwan fing an einzuschlummern. „Schlaf nicht, Kosak, denn gefahrvoll sind die Pfade in den Bergen!“ .... Doch der Kosak hatte ein Pferd, das alle Wege kannte, und nie stolperte oder strauchelte es. Ein Abgrund lag tief zwischen den Bergen versenkt, und noch niemand hatte den Grund des Schlundes gesehen, denn so hoch es von der Erde bis zum Himmel ist, so tief ist es bis zum Grunde jener Schlucht. Über den Abgrund führte ein Steg — über dem noch gerade zwei Menschen hinweg reiten konnten, nicht aber drei. Behutsam schritt das Roß mit dem schlummernden Kosaken über den Steg. An seiner Seite aber ritt Petro, er bebte am ganzen Leibe und hielt vor Freude den Atem an, und nun blickte er um sich, stieß seinen selbst erkorenen Bruder in den Abgrund hinab, und das Roß stürzte mitsamt dem Kosaken und dem Kinde in die Tiefe.


Doch der Kosak vermochte noch einen Ast zu erfassen, und das Pferd stürzte allein hinab. So begann er denn, mit seinem Sohne auf dem Rücken, in die Höhe zu klimmen; und er war schon beinahe ganz oben, da erhob er die Augen und sah, wie Petro mit seiner Pike nach ihm zielte, um ihn wieder hinabzustoßen. „O, du gerechter Gott! Hätte ich doch lieber nicht die Augen erhoben; warum muß ich jetzt sehn, wie mein erkorener Bruder mit der Pike nach mir zielt, um mich wieder hinabzustoßen. O, lieber Bruder! Stich zu mit der Pike, wenn’s mir denn schon so beschieden ist, nur nimm meinen Sohn zu dir: was hat das unschuldige Kind denn getan, daß es solch grimmen Tod erleiden soll?“ Da lachte Petro, stieß mit der Pike nach ihm, und der Kosak flog samt dem Knaben in den Abgrund hinab. Und Petro nahm all sein Hab und Gut an sich, und lebte dahin wie ein Pascha. Niemand hatte solche Viehherden wie Petro, und nirgends gab’s so viel Schafe und Hammel, wie er besaß. Doch eines Tages starb Petro.


Als Petro tot war, rief Gott die Seele der beiden Brüder, Petro und Iwan, vor Gericht. „Dieser Mensch ist ein großer Sünder!“ sprach Gott. „Iwan! Ich weiß keine Strafe, die groß genug für ihn wäre; wähle du sie!“ Lang grübelte Iwan nach, um eine Strafe zu ersinnen, und endlich sprach er: „Dieser Mensch hat mir einen großen Schmerz zugefügt: er hat seinen Bruder verraten wie ein Judas, und er hat mich meines edlen Geschlechts beraubt und meiner Nachkommenschaft auf Erden, und ein Mensch ohne ehrlich Geschlecht und ohne Nachkommen ist wie ein Getreidekorn, das man auf die Erde wirft, und das in der Erde umkommt. Da gibt’s keine Saat, und niemand erfährt je, daß ein Same ausgesät ward.“


„So tu denn also, o Gott, daß sein ganzes Geschlecht auf Erden kein Glück habe und daß der letzte seines Geschlechts solch ein Bösewicht werde, wie es noch nie einen in der Welt gab: seine Ahnen und Urahnen mögen durch jede seiner Freveltaten aus der Ruhe ihrer Gräber aufgestört werden, und in Qualen, wie die Welt sie nicht kennt, ihren Gräbern entsteigen! Der Judas Petro aber soll nicht die Kraft haben, sich zu erheben, auf daß noch viel größere Martern ihn peinigen; wütend soll er Erde fressen und sich wie ein Rasender unter der Erde winden!“


„Und wenn das Maß der Freveltaten jenes Menschen voll ist, Gott, so erhebe mich mitsamt meinem Roß aus jenem Schlunde bis auf den höchsten Berg, dann soll jener zu mir kommen, und ich will ihn von dem Berge in den tiefen Abgrund stürzen, und alle Toten, seine Ahnen und Urahnen, sie sollen herbeieilen von allen Enden der Welt, wo sie auch bei Lebzeiten geweilet haben mögen, und an ihm nagen zum Dank für die Qualen, die er ihnen zugefügt; ewiglich sollen sie an ihm nagen, ich aber werde mich freuen beim Anblick seiner Qualen. Der Judas Petro aber soll sich nicht aus der Erde erheben können, er soll auch den Wunsch haben, an dem andren zu nagen, aber er mag an sich selbst nagen, und seine Knochen sollen immer größer werden und höher empor wachsen, auf daß darob seine Qual noch stärker werde. Diese Qual ist die fürchterlichste von allen; denn es gibt keine größere Folter für den Menschen, als sich rächen zu wollen und nicht rächen zu können.“


„Furchtbar fürwahr ist die Strafe, die du ersonnen, o Mensch!“ sprach da Gott. „Und alles möge so geschehen, wie du es gesprochen; aber auch du sitze nun ewiglich dort zu Pferde, und das Himmelreich sei dir nicht beschieden, solange du noch dort auf deinem Rosse sitzen mußt!“ Und alles geschah, wie es gesagt ward: auch heute noch steht der wunderbare Ritter auf dem Karpathenberge und sieht im bodenlosen Schlunde die Toten an einem Leichnam nagen, und er fühlt, wie der Leichnam unter der Erde wächst, wie er in furchtbarer Pein an den eigenen Knochen nagt und schrecklich die Erde erschüttert ........

Der Blinde hatte sein Lied beendet, schon fing er von neuem an, die Saiten zu zupfen und schon begann er wieder ergötzliche Märlein von Choma und Jerjoma, und von Stkljar Stokosa zu singen ... aber Alt und Jung konnten noch immer nicht zu sich kommen, und lange noch standen sie mit gesenktem Haupte da, in tiefes Sinnen versunken über die schreckliche Tat aus vergangenen Zeiten.

Iwan Fjodorowitsch Schponjka
und seine Tante

Mit dieser Geschichte ist selbst eine Geschichte passiert: erzählt hat sie uns Stepan Iwanowitsch Kurotschka aus Gadjatsch. Nun muß ich euch vermelden, daß mein Gedächtnis ganz unmöglich schlecht ist: ob mir einer was sagt oder nicht, das kommt ganz auf dasselbe hinaus, es ist genau so, als wenn man Wasser in ein Sieb gießt. Weil ich aber meinen Fehler kenne, so habe ich ihn gebeten, die Geschichte in ein Heftchen einzutragen. Gott schenke ihm ein langes Leben, er hat sich mir gegenüber immer als guter Mensch erwiesen, und so hat er die Geschichte denn auch wirklich aufgeschrieben. Nun gut. Ich legte also das Heftchen in das kleine Tischchen: — Ich glaube, ihr kennt es alle, es steht gleich in der Ecke, wenn man zur Tür hereinkommt ..... Ja, da hab’ ich richtig vergessen, daß ihr noch niemals bei mir wart! Meine Alte, mit der ich schon an die dreißig Jahre zusammen lebe, hat, — was soll ich ein Hehl daraus machen, — ihr Lebtag nichts vom Lesen verstanden. Einmal bemerkte ich nun, wie sie Küchel auf Papier bäckt. Diese Küchelchen kann sie nämlich ganz wunderbar backen, lieber Leser; bessere Küchel bekommt ihr sicherlich nirgends zu essen. Wie ich mir nun so den Boden eines Küchelchens anschaue, da finde ich plötzlich geschriebene Worte! Ich laufe zum Tischchen, als ob mein Herz es geahnt hätte: — vom Hefte ist kaum mehr als die Hälfte übrig! Sie hatte sich alle übrigen Blätter für ihre Kuchen weggeschleppt! Was sollte man da machen? Man kann sich doch nicht auf seine alten Tage noch raufen! Nun reiste ich aber im vorigen Jahre so einmal durch Gadjatsch hindurch: noch, bevor ich in die Stadt kam, hatte ich mir absichtlich einen Knoten ins Taschentuch gemacht, um nicht zu vergessen, daß ich Stepan Iwanowitsch meine Bitte vortragen wollte. Mehr noch, ich nahm mir selbst das Versprechen ab: mich, sobald ich in der Stadt niesen würde, daran zu erinnern. Aber es war alles vergebens. Ich kam durch die Stadt, nieste auch, schneuzte mich in mein Taschentuch und vergaß es dennoch; erst als ich schon sechs Werst hinterm Tor war, da fiel es mir wieder ein. Na, da war nichts mehr zu machen, und so mußte die Geschichte denn notgedrungen ohne Schluß abgedruckt werden. Übrigens, wenn jemand unbedingt wissen will, wie diese Geschichte weitergeht, braucht er nur nach Gadjatsch zu fahren und bei Stepan Iwanowitsch vorzusprechen. Der wird sie ihm mit dem größten Vergnügen von Anfang bis zu Ende erzählen. Stepan Iwanowitsch wohnt nicht weit von der steinernen Kirche. Da ist gleich so ein kleines Gäßchen: sobald ihr in dies Gäßchen einbiegt, ist’s der zweite oder dritte Torweg. Oder noch besser: wenn ihr im Hofe eine lange Stange mit einer Wachtel erblickt und euch ein dickes Weibsbild in einem grünen Rocke entgegenkommt (nebenbei bemerkt, er führt ein Junggesellenleben), so ist das sein Hof. Ihr könnt ihm übrigens auch auf dem Markt begegnen, wo er jeden Morgen bis gegen neun Uhr Fische oder Gemüse für seinen Tisch einkauft und sich mit Vater Antip oder mit dem jüdischen Händler unterhält. Ihr werdet ihn sofort erkennen, denn niemand außer ihm trägt Hosen aus bedruckter Leinewand oder einen gelben Nankingrock. Oder, da habt ihr noch ein gutes Merkzeichen: wenn er geht, so schlägt er mit den Armen um sich. Der Assessor am Ort, Denis Petrowitsch, pflegte immer zu sagen, wenn er ihn von ferne herankommen sah: „Seht, seht doch, da kommt die Windmühle!“

I.
Iwan Fjodorowitsch Schponjka

Es ist schon vier Jahre her, daß Iwan Fjodorowitsch Schponjka Abschied vom Militär genommen hatte und auf seinem Gutshof Wytrebenjki hauste. Als er noch der kleine Iwan hieß, besuchte er die Kreisschule zu Gadjatsch, und das muß man sagen, er war ein höchst sittsamer und fleißiger Junge. Sein Lehrer in der russischen Grammatik, Nikifor Timofejewitsch Dejepritschastje, behauptete immer, wenn alle so fleißig gewesen wären wie Schponjka, dann hätte er das Ahornlineal nicht in die Klasse mitzunehmen brauchen, denn er war, wie er selbst eingestand, es schon müde, den Faulen und Mutwilligen immer auf die Finger zu klopfen. Iwans Heftchen war stets sauber; es war rings herum mit einem Rande versehen, und nirgends war ein Fleckchen zu entdecken. Er saß stets still mit gefalteten Händen und die Augen auf den Lehrer gerichtet, da; nie heftete er einem vor ihm sitzenden Kameraden einen Zettel auf den Rücken, schnitzte nie Buchstaben oder Zeichen in die Bank und spielte auch nie „Drängeln,“ bevor der Lehrer in die Klasse trat. Wenn jemand ein Messer brauchte, um sich eine Feder zu schneiden, so wandte er sich sofort an Iwan Fjodorowitsch, da jeder wußte, daß er stets ein Messerchen bei sich hatte; und Iwan Fjodorowitsch, der damals noch einfach „Wanjuscha“ genannt wurde, holte das Messer aus dem kleinen Ledertäschchen, das am Knopfloch seines grauen Rockes hing, und bat nur darum, man möchte die Feder nicht mit der scharfen Seite des Messers schaben, denn er behauptete, daß die stumpfe Seite dazu da sei.

Diese Sittsamkeit lenkte bald sogar die Aufmerksamkeit des lateinischen Lehrers auf ihn, der schon im Korridor durch sein Husten, und noch bevor sein Friesmantel und sein blatternarbiges Gesicht in der Tür erschien, die ganze Klasse in Angst und Schrecken jagte. Dieser fürchterliche Lehrer, auf dessen Katheder stets zwei Rutenbündel prangten, und bei dem die Hälfte aller Schüler auf den Knien stehen mußten, machte Iwan Fjodorowitsch zum Auditor der anderen, obwohl es in der Klasse viele Schüler gab, die bedeutend begabter waren als er. Hier darf ein Fall nicht übergangen werden, der einen gewissen Einfluß auf Iwans Leben gewann. Einer der ihm anvertrauten Schüler, der den Auditor bewegen wollte, ihm ein „Scit“ ins Klassenbuch zu schreiben, obgleich er keine blasse Ahnung von seiner Lektion hatte, brachte einen in Papier eingewickelten und mit Butter übergossenen Eierkuchen in die Klasse mit. Trotzdem Iwan Fjodorowitsch sonst stets gerecht war, war er doch gerade in diesem Augenblick sehr hungrig und daher konnte er der Versuchung nicht widerstehen. Er nahm den Eierkuchen, pflanzte ein Buch vor sich auf und begann ihn zu verzehren. Er war so damit beschäftigt, daß er nicht einmal merkte, wie es plötzlich in der Klasse totenstill wurde. So kam er erst wieder zu sich, als sich eine schreckliche Hand aus dem Friesmantel hervorstreckte, ihn beim Ohr packte und mitten in die Klasse zerrte. „Gib den Eierkuchen heraus, gib ihn heraus! sagt man dir, du Taugenichts!“ rief der schreckliche Lehrer, ergriff den fettigen Eierkuchen mit den Fingern und warf ihn durchs Fenster, wobei er es übrigens nicht vergaß, den im Hofe herumlaufenden Schuljungen aufs strengste zu verbieten, ihn aufzuheben. Darauf schlug er Iwan Fjodorowitsch gleich an Ort und Stelle kräftig auf die Finger, und das mit Recht: denn die Finger waren ja gerade die Schuldigen, sie hatten sich ja den Eierkuchen genommen und kein anderer Körperteil. Wie dem auch sei, genug, seitdem wurde Iwans Schüchternheit, die aufs engste mit seiner Person verwachsen war, nur noch größer. Vielleicht war eben dieses Geschehnis der Grund davon, daß er später nie Lust hatte, in den Zivildienst einzutreten; hatte er doch aus eigener Erfahrung erkannt, daß es uns nicht immer gelingt, unsere Sünden zu verbergen.

Er war nicht weniger als fünfzehn Jahre alt, als er in die zweite Klasse versetzt wurde, wo er vom kleinen Katechismus und den vier Spezies in der Arithmetik, zum großen Katechismus, zum Buch von den Pflichten des Menschen und zu den Brüchen überging. Aber da er merkte, daß, je größer der Wald, um so dichter die Baumstämme beieinander ständen, und als er die Nachricht erhielt, daß sein Vater das Zeitliche gesegnet habe, blieb er nur noch zwei Jahre dort und trat dann mit Einwilligung seiner Mutter in das P—er Infanterieregiment.

Das P—er Infanterieregiment war nun keineswegs von der Sorte, zu der die meisten Infanterieregimenter gehören; und obwohl es gewöhnlich nur in Dörfern lag, lebte es doch auf großem Fuße, so daß es manchem Kavallerieregiment nichts nachgab. Der größte Teil der Offiziere trank den stärksten Schnaps, den man nur durch Gefrierenlassen gewinnt, und verstand es nicht schlechter als die Husaren, die Juden bei den Schläfenlöckchen zu packen und nach sich zu ziehen; einige von den Offizieren konnten sogar Mazurka tanzen, und der Oberst des P—schen Regiments ließ sich in Gesellschaft nie die Gelegenheit entgehen, dies besonders zu betonen. „Bei mir,“ sagte er gewöhnlich und tätschelte sich bei jedem Wort seinen Bauch, „bei mir im Regiment tanzen viele Mazurka, jawohl viele, sogar sehr viele!“ Um dem Leser den Grad der Bildung, der im P—er Infanterieregiment herrschte, noch deutlicher vor Augen zu führen, wollen wir noch hinzufügen, daß zwei seiner Offiziere ganz schreckliche Spielratten waren und Uniform, Mütze, Mantel samt ihrer Troddel und ihrer Unterkleidung im Bankspiel verloren, und das kommt ja selbst bei den Kavalleristen nicht immer vor.

Der Umgang mit solchen Kameraden hatte jedoch nicht im geringsten dazu beigetragen, die Schüchternheit von Iwan Fjodorowitsch zu vermindern, und da er nur einfachen Schnaps trank, und zwar ein Gläschen vor dem Mittag- und ein Gläschen vor dem Abendessen — weder Mazurka tanzte noch Karten spielte, so blieb er natürlich immer allein. Auf diese Art pflegte er, während die anderen auf Gutspferden zu den kleineren Grundbesitzern zu Besuch fuhren, in seiner Wohnung zu sitzen und sich Beschäftigungen zu widmen, die nur zu einer sanften und gütigen Seele passen: bald putzte er seine Knöpfe, bald las er im Wahrsagebuch, bald stellte er in allen Winkeln seines Zimmers Mausefallen auf, und bald warf er endlich die Uniform ab und lag dann lang ausgestreckt auf dem Bette.

Dafür aber gab es niemand im Regiment, der zuverlässiger gewesen wäre, als Iwan Fjodorowitsch, und er befehligte seine Korporaltruppen so gut, daß der Kompagniechef ihn den andern immer zum Vorbild aufstellte. Dafür wurde er auch, kaum elf Jahre, nachdem er die Fähnrichscharge erhalten hatte, zum Sekondeleutnant ernannt.

Während dieser Zeit erhielt er die Nachricht, seine Mutter sei gestorben und seine Tante, die leibliche Schwester seiner Mutter, eine Tante, die er nur daher kannte, weil sie ihm in seiner Kindheit einmal getrocknete Rosinen und äußerst schmackhafte, selbst gebackene Bretzeln mitgebracht hatte und die ihm später dergleichen schöne Dinge sogar nach Gadjatsch schickte (sie war mit seiner Mutter verfeindet, und daher bekam sie Iwan Fjodorowitsch später nicht mehr zu sehen), — diese Tante habe aus reiner Gutherzigkeit die Verwaltung seines kleinen Gutes übernommen, wovon sie ihm rechtzeitig in einem Briefe Mitteilung machte.

Iwan Fjodorowitsch, der von dem verständigen Sinn seiner Tante vollkommen überzeugt war, verrichtete indes seinen Dienst weiter wie früher. Manch einer an seiner Stelle wäre, wenn er solch einen Rang erklommen hätte, stolz geworden; aber jeglicher Stolz war ihm völlig fremd, und auch als Sekondeleutnant blieb er ganz derselbe Iwan Fjodorowitsch, der er auch als Fähnrich gewesen war. Er brachte nach diesem für ihn so denkwürdigen Ereignis noch weitere vier Jahre so zu, und war gerade im Begriff, mit seinem Regiment aus dem Gouvernement Mohilew nach Großrußland zu ziehen, als er einen Brief folgenden Inhalts erhielt:

„Mein lieber Neffe Iwan Fjodorowitsch!

Ich schicke Dir Wäsche: fünf Paar Zwirnsocken und vier feine Leinenhemden; auch möchte ich geschäftlich mit Dir reden: da Du ja schon einen nicht geringen Rang erklommen, und, wie ich glaube, ein Alter erreicht hast, wo man weiß, daß es an der Zeit ist, sich mit der Landwirtschaft zu beschäftigen, so solltest Du nicht länger noch beim Militär bleiben. Ich bin schon alt und kann auf Deinem Besitztum nicht alles selbst besorgen; auch muß ich Dir vieles persönlich mitteilen. Komm, mein Lieber. Indem ich sehnsüchtig auf das Vergnügen warte, Dich wiederzusehen, verbleibe ich Deine Dich innig liebende Tante

Wassilissa Zuptschewska.

P. S. Bei uns im Garten gibt’s jetzt herrliche Rüben: sie gleichen schon mehr Kartoffeln als Rüben.“

Acht Tage nach Empfang des Briefes erhielt Iwan Fjodorowitschs Tante folgende Antwort:

„Liebe Tante Wassilissa Kaschparowna!“

„Vielen Dank für die Wäschesendung. Besonders meine Socken sind schon sehr alt, so daß der Bursche sie bereits viermal stopfen mußte; dadurch sind sie mir auch zu eng geworden. Was Ihre Ansicht über den Dienst anbelangt, so bin ich ganz mit Ihnen einverstanden, und habe daher vorgestern meinen Abschied eingereicht. Sobald ich den Dispens erhalte, nehme ich mir sogleich einen Wagen. Ihren früheren Auftrag, Ihnen sibirischen Weizensamen zu besorgen, konnte ich leider nicht ausführen: im ganzen Gouvernement Mohilew gibt es keinen solchen Samen. Schweine werden hier meistenteils mit Mais gemästet, wobei man etwas gegorenes Bier hinzutut.

Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich
Ihr Neffe
Iwan Schponjka.“

Endlich erhielt Iwan Fjodorowitsch seinen Abschied, und wurde dabei zum Oberleutnant befördert; mietete sich für vierzig Rubel einen jüdischen Fuhrmann von Mohilew bis Gadjatsch und nahm im Wagen Platz, just zu der Zeit, da die Bäume sich mit den ersten jungen Blättern schmückten, die Erde in frischem Grün prangte, und alle Felder einen herrlichen Frühlingsduft ausströmten.

II.
Die Reise

Unterwegs passierte nichts besonders Bemerkenswertes. Man reiste etwas über vierzehn Tage lang. Vielleicht wäre Iwan Fjodorowitsch noch früher angekommen, wenn der fromme Jude nicht seinen Sabbath eingehalten und nicht den ganzen Tag über, in seine Pferdedecke gehüllt, gebetet hätte. Wie ich übrigens schon gelegentlich bemerkt habe, war Iwan Fjodorowitsch ein Mensch, der keine Langeweile aufkommen ließ. Während dieser Zeit schnallte er seinen Koffer auf, nahm seine Wäsche heraus, musterte sie, ob sie auch gut gewaschen und richtig zusammengelegt sei, entfernte behutsam ein Federchen von seiner Uniform, die schon keine Epauletten mehr zierten, und legte alles wieder in schönster Weise zusammen. Er liebte im Allgemeinen das Bücherlesen nicht; und wenn er auch hie und da in das Wahrsagebuch hineinblickte, so geschah es nur deshalb, weil er es gern hatte, bekannten Dingen, die er schon einige Male gelesen, wieder einmal zu begegnen. Genau so besucht der Städter seinen Klub, nicht etwa um irgend etwas Neues zu hören, sondern um dort Freunde zu treffen, mit denen er seit unvordenklichen Zeiten im Klub zu plaudern gewohnt ist. Oder so liest ein Beamter ein paarmal täglich mit viel Genuß das Adreßbuch, nicht etwa um irgendwelcher tiefer diplomatischer Pläne willen, sondern weil ihn die gedruckten Namen amüsieren. „Ah! Das ist Iwan Gawrilowitsch so und so! ....“ murmelt er dumpf vor sich hin. „Ah! Da bin ich! hm! ....“ Und am folgenden Tage liest er’s wieder, wobei er seine Lektüre mit denselben Interjektionen begleitet.

Nach einer vierzehntägigen Fahrt erreichte Iwan Fjodorowitsch ein Dörfchen, das hundert Werst von Gadjatsch entfernt war. Es war gerade ein Freitag und die Sonne war schon längst untergegangen, als er samt seinem Wagen und dem Juden in den Hof des Gasthauses einfuhr.

Dieses Gasthaus unterschied sich durch nichts von allen andren Gasthäusern, die man in kleinen Dörfern vorfindet. Dort bringt man dem Fremden zumeist mit viel Eifer Heu und Hafer entgegen, gleich als ob er ein Postgaul wäre. Will er dagegen frühstücken, wie anständige Leute es gewöhnlich zu tun pflegen, so soll er sich seinen Appetit ruhig und unversehrt bis zu einer anderen Gelegenheit aufsparen. Indessen, da Iwan Fjodorowitsch all das wußte, hatte er sich rechtzeitig zwei Bündel Brezeln und Wurst besorgt, bestellte sich jetzt nur einen Schnaps, an dem es in keinem Wirtshaus fehlt, und begann sein Abendmahl, indem er auf der Bank vor dem Eichentisch Platz nahm, der fest in den Lehmboden eingegraben war.

Währenddessen kam unter mächtigem Gerassel ein Wagen heran. Das Tor knarrte, aber der Wagen fuhr noch lange nicht in den Hof hinein und man hörte jemand mit lauter Stimme auf die Alte losschimpfen, der das Wirtshaus gehörte. „Gut, ich steige hier ab,“ hörte Iwan Fjodorowitsch den Fremden rufen, „wenn mich aber auch nur eine Wanze beißt, so prügle ich dich durch, bei Gott, du alte Hexe, ich prügle dich durch, und bezahle dir nichts für dein Heu!“

Einen Augenblick später ging die Tür auf, und herein trat, oder richtiger gesagt, kroch ein dicker Mann in einem grünen Rock. Sein Kopf saß unbeweglich auf dem kurzen Halse, der infolge des Doppelkinns noch dicker erschien. Schon nach dem bloßen Äußeren hätte man glauben können, einen Mann vor sich zu haben, der sich nie den Kopf über Alfanzereien zerbrach, und dessen Leben ruhig dahinglitt wie Öl.

„Ich wünsche Ihnen eine gute Gesundheit, mein Herr!“ rief er, als er Iwan Fjodorowitsch erblickte.

Iwan Fjodorowitsch verneigte sich stumm.

„Darf ich fragen, mit wem habe ich die Ehre, zu sprechen?“ fuhr der dicke Fremde fort.

Bei diesen Fragen erhob sich Iwan Fjodorowitsch unwillkürlich von seinem Platze und richtete sich stramm auf, wie er es zu tun pflegte, wenn sein Oberst sich bei ihm nach irgend etwas erkundigte. „Leutnant außer Diensten Iwan Fjodorowitsch Schponjka,“ antwortete er.

„Darf ich fragen, wohin Sie zu fahren belieben?“

„Auf mein Gut Wytrebenjki“.

„Wytrebenjki!“ rief der gestrenge Frager. „Gestatten Sie, mein Herr, gestatten Sie!“ rief er, indem er auf ihn zutrat und mit den Armen um sich schlug, gleich als ob er sich gegen jemanden wehren, oder sich durch eine Menschenmenge hindurchdrängen wollte. Dann aber trat er auf ihn zu, schloß Iwan Fjodorowitsch in die Arme und küßte ihn zuerst auf die rechte, dann auf die linke und dann wieder auf die rechte Wange. Iwan Fjodorowitsch fand Gefallen an diesem Zärtlichkeitsausbruch, denn die großen Wangen des Fremden erschienen seinen Lippen wie zwei weiche Kissen.

„Erlauben Sie, mein Herr, daß wir einander kennen lernen!“ fuhr der Dicke fort. „Ich bin Gutsbesitzer, und zwar ebenfalls im Kreise Gadjatsch; ich bin Ihr Nachbar, wohne höchstens fünf Werst von Ihrem Gutshof Wytrebenjki entfernt auf meinem Gute Chortystsche, und heiße Grigori Grigorjewitsch Stortschenko. Nein, unbedingt, mein Herr, unbedingt .... ich will nichts von Ihnen wissen, wenn Sie nicht zu mir nach Chortystsche zu Besuch kommen. Jetzt muß ich eilig in Geschäften weiter .... Was soll denn das da bedeuten?“ sprach er mit sanfter Stimme zu seinem Reitknecht, einem Knaben in einem Kosakenkittel mit geflickten Ellenbogen und verwunderter Miene, der allerhand Pakete und Schachteln auf den Tisch stellte. „Was soll das? Wie?“ — und Grigori Grigorjewitschs Stimme wurde zusehends strenger und strenger. „Habe ich dir etwa befohlen, das hierher zu stellen, du Schurke? Habe ich dir nicht befohlen, zuerst das Huhn warm zu machen, Halunke du? Pack dich!“ rief er und stampfte mit dem Fuße auf. „Halt, du Fratz du! Wo ist denn das Kästchen mit den Flaschen? Iwan Fjodorowitsch!“ fuhr er fort, indem er ein Gläschen Kräuterschnaps einschenkte, „bitte ergebenst: ärztlich empfohlen!“

„Bei Gott, ich kann nicht .... ich hatte schon Gelegenheit ....“ sagte Iwan Fjodorowitsch stockend.

„Nein, ich will nichts hören, mein Herr!“ rief der Gutsbesitzer mit erhobener Stimme, „ich will nichts hören! Ich rühr’ mich nicht vom Fleck, bis Sie getrunken haben ....“

Iwan Fjodorowitsch sah ein, daß hier eine Weigerung unmöglich war, und trank den Schnaps nicht ohne Vergnügen.

„Hier ist Huhn, mein Herr,“ fuhr der dicke Grigori Grigorjewitsch fort, indem er das Huhn in seinem Holzkästchen mit dem Messer zerlegte. „Ich muß Ihnen sagen, meine Köchin Jawdocha liebt es manchmal, ein Gläschen hinter die Binde zu gießen, und daher macht sie’s zuweilen zu trocken. He, Junge!“ und hierbei wandte er sich an den Knaben im Kosakenkittel, der gerade ein Federbett und ein Kissen hereinbrachte, „mach mir das Bett auf dem Fußboden, mitten in der Stube! Paß aber auch gut auf, lege recht viel Heu unter das Kopfkissen! Und reiße dem Frauenzimmer ein bißchen Hanf aus der Decke, damit ich mir zur Nacht die Ohren zustopfen kann! Sie müssen nämlich wissen, mein Herr, daß ich die Gewohnheit habe, mir nachts die Ohren zuzustopfen, seit jener verfluchten Geschichte, wo mir einmal in einer großrussischen Kneipe eine Schwabe ins Ohr gekrochen ist. Wie ich später erfahren habe, essen diese verdammten Russen sogar Kohlsuppe mit Schwaben. Es ist unmöglich zu beschreiben, was damals mit mir vorging: es kitzelte und kitzelte mir nur so im Ohr ... na, um auf die Wände zu klettern! Schließlich hat mir ein einfaches altes Weib geholfen, aber das war schon hier in unserer Gegend, und womit glauben Sie? Ganz einfach, indem sie mich besprach. Was denken Sie über die Ärzte, mein Herr? Ich meine, die foppen uns nur und halten uns zum Besten; manche alte Frau weiß zwanzigmal mehr, als all diese Ärzte.“

„In der Tat, was Sie da zu sagen belieben, ist vollkommen richtig. In der Tat, es gibt ....“ Und Iwan Fjodorowitsch hielt inne, als ob er kein passendes Wort finden konnte. An dieser Stelle muß ich sagen, daß er überhaupt ziemlich wortkarg war. Vielleicht rührte das von seiner Schüchternheit her, vielleicht aber entsprach es auch nur dem Wunsche, sich möglichst hübsch auszudrücken.

„Schüttle das Heu nur recht tüchtig; tüchtig, hörst du!“ rief Grigori Grigorjewitsch seinem Lakai zu. „Hier ist das Heu so abscheulich, daß man nur allzuleicht auf ein Ästchen stoßen kann. Ich erlaube mir, Ihnen eine gute Nacht zu wünschen, mein Herr! Morgen werden wir uns wohl nicht mehr sehen: ich fahre noch vor Tagesanbruch weiter. Ihr Jude wird hier wohl seinen Sabbath halten, morgen ist nämlich Sonnabend; da brauchen Sie nicht so früh aufzustehen. Vergessen Sie nur meine Bitte nicht, ich will einfach nichts von Ihnen wissen, wenn Sie nicht nach Chortystsche kommen.“

Der Kammerdiener zog dem Grigori Grigorjewitsch Rock und Stiefel aus, half ihm statt dessen in einen Schlafrock hinein, und Grigori Grigorjewitsch warf sich auf sein Bett, was genau so aussah, wie wenn ein riesiges Federbett sich auf ein anderes gelegt hätte.

„He, Bursche! Wo steckst du nur, du Schuft? Komm her, leg mir die Decke zurecht! He, Junge, lege mir noch Heu unter den Kopf! Wie? sind die Pferde schon getränkt? Noch mehr Heu! Hierher, da unter die Seite! Aber so lege mir doch die Decke zurecht, du Schurke! So! Besser, noch besser .... Oh! ....“

Und Grigori Grigorjewitsch seufzte noch ein paarmal tief auf, und erfüllte das ganze Zimmer mit einem fürchterlichen Pfeifen, das aus seiner Nase hervordrang; er schnarchte zuweilen so laut, daß die alte Frau, die auf der Ofenbank schlummerte, aufwachte, verwundert in alle Ecken und Winkel guckte, und erst, als sie nichts besonderes bemerkte, beruhigt wieder einschlief.

Als Iwan Fjodorowitsch am nächsten Morgen erwachte, war der dicke Gutsbesitzer nicht mehr da. Das war das einzige merkwürdige Ereignis, das sich während seiner Reise zugetragen hatte. Zwei Tage darauf näherte er sich seinem Gutshof.

Er fühlte, wie sein Herz heftig zu schlagen begann, als die Windmühle, ihre Flügel schwenkend, hervorschaute, und als in dem Maße, wie der Jude seine Stuten den Berg hinaufjagte, unten eine Reihe von Weiden auftauchte. Hell und lebhaft schimmerte der Teich zwischen ihnen auf und strömte eine kühlende Frische aus. Hier pflegte er früher zu baden; und in demselben Teiche war er einstmals mit den Dorfjungen, bis zum Halse im Wasser, herumgewatet, um Krebse zu fangen. Das Wägelchen fuhr den Damm hinauf, und jetzt erblickte Iwan Fjodorowitsch das alte mit Schilf gedeckte Häuschen, und die alten Äpfel- und Kirschbäume, auf denen er einstmals heimlich herumgeklettert war. Kaum war er in den Hof eingefahren, so kamen von allen Seiten Hunde aller möglichen Rassen herbeigelaufen: schwarze, dunkelbraune, graue, scheckige. Die einen warfen sich den Pferden bellend vor die Füße, die anderen liefen hinterdrein, da sie merkten, daß die Achse mit Fett eingeschmiert war; ein Hund stand neben der Küche, hatte die Pfote auf einen Knochen gelegt und kläffte aus Leibeskräften; ein andrer bellte von ferne, rannte hin und her, und wedelte mit dem Schweif, gleich als ob er sagen wollte: „Seht, ihr Christenmenschen, was ich noch für ein Jüngling bin!“ Mehrere Jungen in schmutzigen Hemden kamen herausgelaufen, um zu gaffen. Eine Sau, die mit sechzehn Ferkeln im Hofe herumpromenierte, hob ihre Schnauze mit prüfender Miene in die Höhe und grunzte noch lauter als sonst. Im Hofe lag auf einem Stück grober Leinwand eine Unmenge Weizen, Gerste und Buchweizen, und all dieses trocknete in der Sonne. Auch auf dem Dache lagen allerhand Kräuter zum Trocknen: Nagelkraut, Grindkraut und mehr dergleichen.

Iwan Fjodorowitsch war dermaßen in Betrachtung all dieser Herrlichkeiten versunken, daß er erst wieder zu sich kam, als ein scheckiger Hund den vom Bock herunterkriechenden Juden in die Wade biß. Das Gesinde, das auch herbeigeeilt war und aus einer Köchin, einer Frau und zwei Mädeln in wollenen Röcken bestand, meldete ihm, nachdem alle laut ausgerufen hatten „Da ist ja der junge Herr!“, daß sich die Tante im Gemüsegarten befände und zusammen mit der Dienstmagd Paloschka und dem Kutscher Omeljka, der manchmal auch das Amt eines Gärtners und Wärters versah, Weizen säe. Aber die Tante, die den Wagen von ferne erblickt hatte, war schon selbst erschienen. Iwan Fjodorowitsch erstaunte, als sie ihn fast in ihren Armen in die Höhe hob, und er fing beinahe an zu zweifeln, ob das auch wirklich dieselbe Tante sei, die ihm so viel von ihrer Gebrechlichkeit und Kränklichkeit geschrieben hatte.

III.
Die Tante

Tante Wassilissa Kaschparowna war damals gegen fünfzig Jahre alt. Sie war nie verheiratet gewesen, und sie behauptete, das jungfräuliche Leben sei ihr wertvoller als alles auf der Welt. Übrigens hatte — so viel ich mich besinnen kann, — auch nie jemand um ihre Hand angehalten. Das kam daher, daß alle Männer ihr gegenüber eine gewisse Schüchternheit empfanden und nicht den Mut hatten, ihr ihre Gefühle zu erklären. „Wassilissa Kaschparowna hat sehr viel Charakter,“ sagten die Freier, und sie hatten recht, denn Wassilissa Kaschparowna verstand es, einen sammetweich zu machen. Aus dem versoffenen Müller, der zu gar nichts mehr zu gebrauchen war, hatte sie ohne Anwendung irgendwelcher äußerer Mittel und nur indem sie ihn täglich ein paarmal am Schopfe rupfte, verstanden, einen ganzen Menschen, ja, mehr noch, geradezu einen Goldklumpen zu machen. Ihr Wuchs ging ins Riesenhafte, und ihre Beleibtheit und Kraft entsprachen ihm. Es hatte den Anschein, als ob die Natur einen unverzeihlichen Fehler begangen habe, als sie es ihr zum Schicksal bestimmte, an den Werktagen ewig einen dunkelbraunen Morgenrock mit kleinen Säumchen und am Ostersonntag und an ihrem Namenstage einen roten Kaschmir-Schal zu tragen, während ihr ein Dragonerschnurrbart und lange Schaftstiefel am besten gestanden hätten. Dafür aber entsprach ihre Beschäftigung vollkommen ihrem Charakter, sie konnte rudern, und zwar besser als irgend ein Fischer; sie ging auf die Jagd; sie beaufsichtigte die Schnitter, sie kannte die Zahl der Kürbisse und Melonen auf dem Felde auswendig; sie erhob eine Steuer von fünf Kopeken von jedem Wagen, der über ihren Damm fuhr; sie kletterte auf die Bäume und schüttelte die Birnen herunter; sie prügelte eigenhändig ihre faulen „Vasallen“ mit ihrer schrecklichen Hand und belohnte die Würdigen mit einem Schnaps aus derselben gestrengen Hand. Und fast zur gleichen Zeit konnte sie schimpfen, Leinwand färben, in die Küche rennen, Kwas bereiten, und Honig einmachen; sie machte sich den ganzen lieben Tag zu schaffen und versäumte nichts. Die Folge davon war, daß Iwan Fjodorowitschs kleines Gut, das nach der letzten Revision achtzehn Leibeigene gezählt hatte, förmlich aufblühte, und zwar im vollen Sinne dieses Wortes. Übrigens liebte sie auch ihren Neffen viel zu sehr und hob sorgsam jede Kopeke für ihn auf.

Seit Iwan Fjodorowitsch wieder zu Hause war, ging eine große Veränderung in seinem Leben vor und es schlug völlig neue Bahnen ein. Es schien so, als ob die Natur ihn geradezu dazu geschaffen hätte, ein Gut mit achtzehn Leibeigenen zu beaufsichtigen. Sogar die Tante merkte, daß er einen guten Landwirt abgeben würde, obwohl sie ihm übrigens nicht gestattete, sich in alle Fragen der Wirtschaft einzumischen. „Der Junge ist noch nicht alt genug!“ pflegte sie gewöhnlich zu sagen, trotzdem Iwan Fjodorowitsch mindestens vierzig Jahre alt war; „woher soll er auch alles wissen!“

Er wich jedoch auf dem Felde keinen Schritt von den Schnittern und Mähern, und dies bereitete seiner sanften Seele einen unaussprechlichen Genuß. Ein Dutzend glänzender Sensen und mehr fliegen einmütig in einem Schwunge in die Höhe; das Gras sinkt rauschend in harmonischen Reihen zur Erde; und nun erklingen die Lieder der Schnitterinnen, bald lustig, wie beim Empfang von Gästen, und bald wehmütig, wie bei einer Trennung; der Abend ist still und die Luft ist rein! — O wie köstlich ist solch ein Abend! Wie leicht und frisch ist die Luft! wie erscheint dann alles belebt: die Steppe rötet sich, blaut und glüht in allen Farben auf; Wachteln, Trappgänse, Möwen, Heimchen und tausende von Insekten: sie alle pfeifen, summen, knarren, schreien, und auf einmal ist’s ein harmonischer Chor; und nichts verstummt auch nur für einen Augenblick. Schon senkt sich die Sonne herab und versteckt sich. Ah! wie frisch und wohlig wird einem da! Auf dem Felde werden hie und da Feuer entzündet und Kessel aufgestellt, und die schnauzbärtigen Schnitter setzen sich rings um die Kessel herum; von den brodelnden Klößen steigt ein Dampf auf; der Abend graut .... Es wäre schwer zu sagen, was dann in Iwan Fjodorowitsch vorging. Er vergaß es, wenn er sich zu den Schnittern gesellte, von ihren Klößen zu kosten, obwohl er sie doch so gerne aß, stand regungslos auf einem Fleck da, verfolgte eine hoch im Himmel schwirrende Möwe mit den Augen oder zählte die Garben des abgemähten Kornes, die das Feld überfluteten.

Bald erzählte man überall von Iwan Fjodorowitsch, er sei ein großer Landwirt vor dem Herrn. Die Tante konnte sich nicht genug über ihren Neffen freuen und ließ sich keine Gelegenheit entgehen, mit ihm zu prahlen und wichtig zu tun. Eines Tages aber — es war am Ausgang des Juli und schon nach Beendigung der Ernte — faßte Wassilissa Kaschparowna ihren Neffen mit geheimnisvoller Miene bei der Hand und erklärte ihm, sie wolle mit ihm über etwas sprechen, was sie schon seit langem beschäftigte.

„Es ist dir wohl bekannt, lieber Iwan Fjodorowitsch,“ begann sie, „daß dein Gutshof achtzehn Leibeigene zählt; übrigens nur laut der letzten Revision, in Wirklichkeit werden’s vielleicht noch mehr sein, vielleicht gar bis an die vierundzwanzig. Doch es handelt sich nicht darum, du kennst wohl das Wäldchen, das sich hinter unserer Trift befindet, und wohl auch die breite Wiese hinter diesem Walde: sie ist mindestens zwanzig Deßjatin groß, und es wächst so viel Gras darauf, daß man jedes Jahr für mehr als hundert Rubel davon verkaufen kann, besonders wenn, wie man erzählt, ein Kavallerie-Regiment in Gadjatsch stehen wird.“

„Gewiß, liebe Tante; das Gras ist sehr gut!“

„Ich weiß selbst, daß es sehr gut ist; aber weißt du auch, daß dieses ganze Land eigentlich von Rechts wegen dir gehört? Was siehst du mich so groß an? Hör mich an, Iwan Fjodorowitsch! Erinnerst du dich noch an Stepan Kusmitsch? Warum sage ich eigentlich: erinnerst du dich? Du warst ja damals noch so klein, daß du nicht einmal seinen Namen aussprechen konntest. Wie solltest du dir da noch eine Erinnerung bewahrt haben! Ich weiß noch: als ich grad vor Philippi zu euch kam und ich dich auf die Arme nahm, da hättest du mir beinahe das ganze Kleid verdorben; zum Glück konnte ich dich noch der Amme Matrjona übergeben, so abscheulich warst du damals .... Aber es handelt sich ja nicht darum. Das ganze Land, das sich hinter unserem Gutshof befindet, und selbst das Dorf Chortystsche gehörte damals Stepan Kusmitsch. Und da muß ich dir sagen — denn damals warst du noch nicht auf der Welt — der kam zu jener Zeit oft zu deiner Mutter zu Besuch, — freilich zu einer Zeit, da dein Vater nicht zu Hause war. Ich sag’ es jedoch nicht, um ihr einen Vorwurf daraus zu machen. — Gott sei ihrer Seele gnädig! Obwohl die Selige mir gegenüber im Unrecht war. Aber es handelt sich jetzt nicht darum. Wie dem auch sei, genug, Stepan Kusmitsch setzte eine Schenkungsurkunde auf, in der er dir das Gut vermachte, von dem ich dir eben sprach. Deine selige Mutter hatte jedoch, — unter uns gesagt, einen ganz wunderlichen Charakter. Selbst der Teufel (Gott verzeih mir dies häßliche Wort!) hätte sie nicht verstehen können. Wohin sie diese Urkunde gesteckt hat — das weiß der liebe Himmel. Ich glaube einfach, sie befindet sich in den Händen des alten Junggesellen, Grigori Grigorjewitsch Stortschenko. Und nun ist alles diesem dickbäuchigen Schurken zugefallen. Bei Gott, ich wäre bereit, um alles in der Welt zu wetten, daß er die Urkunde einfach unterschlagen hat.“

„Darf ich fragen, liebe Tante, ob das derselbe Stortschenko ist, den ich auf der Station kennen gelernt habe?“ Und Iwan Fjodorowitsch erzählte ihr von seiner Begegnung.

„Wer weiß!“ antwortete die Tante nach kurzem Nachdenken. „Vielleicht ist er doch kein Schuft. Es ist wahr, er lebt erst ein halbes Jahr lang hier, und in so kurzer Zeit kann man einen Menschen nicht genau kennen lernen. Die Alte, das heißt seine Mutter, soll, wie ich gehört habe, eine sehr vernünftige Frau sein und sich meisterlich darauf verstehen, Gurken einzulegen, und ihre Mägde sollen großartige Teppiche weben. Da er dich, wie du sagst, so freundlich empfangen hat, so fahre nur zu ihm hin: vielleicht wird der alte Sünder auf sein Gewissen hören und zurückgeben, was ihm nicht gehört. Du kannst meinetwegen die Kalesche nehmen, nur haben die verdammten Kinder hinten alle Nägel herausgezogen; man muß vorher dem Kutscher Omeljko sagen, daß er das Leder festnageln soll.“

„Wozu nur, liebe Tante? Ich nehme lieber das Wägelchen, in dem Sie auf die Jagd fahren.“

Damit schloß das Gespräch.

IV.
Das Diner

Iwan Fjodorowitsch kam um die Mittagszeit im Dorfe Chortystsche an, und wurde etwas unruhig, als er sich dem Herrenhause näherte. Dieses Haus war sehr lang und nicht mit Schilf gedeckt, wie die Häuser so vieler Gutsbesitzer in der Umgegend, sondern hatte ein Holzdach. Die zwei Schuppen im Hofe waren ebenfalls mit Holzdächern versehen; und das Tor war aus Eichenholz. Iwan Fjodorowitsch glich einem jener Stutzer, die auf einen Ball kommen und plötzlich bemerken, daß, wohin sie auch blicken mögen, alle Leute feiner gekleidet sind als sie selbst. Er ließ sein Wägelchen respektvoll neben einem Schuppen halten und ging zu Fuß auf die Freitreppe zu.

„Ah! Iwan Fjodorowitsch!“ rief der dicke Grigori Grigorjewitsch, der gerade im Hof herumspazierte; er hatte einen Rock an, aber keine Kravatte, keine Weste und keine Hosenträger. Aber auch dies Kostüm schien ihn bei seiner Leibesfülle noch zu belästigen, denn der Schweiß rieselte ihm nur so vom Gesicht herunter.

„Sie sagten doch, daß Sie sofort kommen würden, sobald Sie Ihre Tante gesehen hätten; warum sind Sie denn dann nicht früher gekommen?“ Und bei diesen Worten berührten die Lippen Iwan Fjodorowitschs die ihm wohlbekannten Kissen.

„Ich war meist in der Wirtschaft beschäftigt .... Ich komme auch nur auf einen Augenblick zu Ihnen, eigentlich sogar in Geschäften ....“

„Was, nur für einen Augenblick? Nein, das gibt’s nicht. He, Junge!“ rief der dicke Hausherr, und der Bursche im Kosakenkittel, den Iwan schon kannte, kam aus der Küche gelaufen. „Sage dem Kaßjan, er solle sofort das Tor schließen, — hörst du! — fest zuschließen! Und die Pferde dieses Herrn sollen auf der Stelle ausgespannt werden. Bitte, kommen Sie mit mir ins Haus: hier ist es so heiß, daß mein Hemd schon ganz naß ist.“

Im Zimmer angelangt, beschloß Iwan Fjodorowitsch, keine Zeit zu verlieren, und trotz seiner Schüchternheit, mit aller Entschiedenheit vorzugehen.

„Meine Tante hatte die Ehre .... Meine Tante hat mir gesagt, daß die Schenkungsurkunde des verstorbenen Stepan Kusmitsch ....“

Es ist schwer zu beschreiben, welch unangenehmen Ausdruck das breite Gesicht Grigori Grigorjewitschs bei diesen Worten annahm. „Bei Gott, ich höre rein gar nichts!“ antwortete er. „Ich muß Ihnen sagen, daß eine Schwabe in mein linkes Ohr hineingekrochen ist, (bei diesen verfluchten Russen gibt’s überall Schwaben in den Häusern); keine Feder kann Ihnen beschreiben, was das für eine Qual war — es kitzelte so fürchterlich, sage ich Ihnen, — es kitzelte und krabbelte ....! Aber eine kluge Frau hat mir mit einem ganz einfachen Mittel geholfen ....“

„Ich wollte nur sagen ....“ wagte Iwan Fjodorowitsch ihn zu unterbrechen, als er sah, daß Grigori Grigorjewitsch das Gespräch absichtlich auf ein andres Thema lenken wollte, „daß im Testament des verstorbenen Stepan Kusmitsch die Rede von .... sozusagen die Rede von einer Schenkungsurkunde ist .... nach der ich ....“

„Ich weiß schon, was Ihre Tante Ihnen eingeredet hat. Das ist alles erlogen, bei Gott, es ist erlogen! Mein Onkel hat nicht die geringste Schenkungsurkunde hinterlassen. Im Testament ist allerdings von einer Urkunde die Rede, aber wo ist sie? Niemand hat sie vorlegen können. Ich sage Ihnen das nur deshalb, weil ich Ihnen von Herzen wohl will. Bei Gott, es ist erlogen!“

Iwan Fjodorowitsch verstummte, da ihm der Gedanke kam, es könnte der Tante vielleicht in der Tat nur so vorgekommen sein.

„Ah, da kommen ja auch meine Mutter und meine Schwestern!“ rief Grigori Grigorjewitsch. „Das Mittagessen ist also schon fertig; gehen wir!“

Und er zog Iwan Fjodorowitsch am Ärmel ins Zimmer, wo bereits allerhand Schnäpse und eine kalte Platte auf dem Tische standen.

In demselben Augenblick trat eine alte Frau herein; sie war sehr klein und glich einer Kaffeekanne, die mit einer Haube bedeckt ist; zwei junge Mädchen, ein blondes und ein brünettes, begleiteten sie. Als wohlerzogener Kavalier küßte Iwan Fjodorowitsch erst der Alten und dann den beiden Fräuleins die Hand.

„Das ist unser Nachbar, Iwan Fjodorowitsch Schponjka, Mütterchen!“ sagte Grigori Grigorjewitsch.

Die Alte sah Iwan Fjodorowitsch scharf an oder gab sich vielleicht auch nur den Anschein, als ob sie ihn anblickte. Übrigens war sie die Güte selbst; es schien, als ob sie Iwan Fjodorowitsch gleich hätte fragen wollen: „Wie viel Gurken machen Sie zum Winter ein?“

„Haben Sie schon einen Schnaps genommen?“ fragte die Alte.

„Sie haben wohl nicht ausgeschlafen, Mütterchen,“ meinte Grigori Grigorjewitsch. „Wer wird denn einen Gast fragen, ob er schon einen Schnaps getrunken hat? Reden Sie dem Gast nur zu; ob wir aber trinken oder nicht, das ist schon unsere Sache. Iwan Fjodorowitsch, bitte: Wollen Sie Tausendgüldenkräuterlikör oder diesen Schnaps? Welchen ziehen Sie vor? Iwan Iwanowitsch! Nun, was stehst du so da?“ rief Grigori Grigorjewitsch, indem er sich rückwärts wandte, und Iwan Fjodorowitsch sah den soeben erwähnten Iwan Iwanowitsch auf den Schnaps zugehen; dies war ein Mann in einem Rock mit langen Schößen und mit einem riesigen Stehkragen, der seinen ganzen Nacken bedeckte, so daß sein Kopf ganz im Kragen steckte, wie in einer Kutsche.

Iwan Iwanowitsch trat an den Schnaps heran, rieb sich die Hände, sah sich das Glas genau an, schenkte ein, hielt es gegen das Licht, und goß den Schnaps mit einem Male aus dem Glase in den Mund, aber er schluckte ihn nicht herunter, sondern spülte sich erst ordentlich den Mund, schluckte ihn erst darauf herunter, nahm etwas Brod und gesalzene Eierschwämme, und wandte sich dann an Iwan Fjodorowitsch.

„Habe ich die Ehre, mit Herrn Iwan Fjodorowitsch Schponjka zu sprechen?“

„Jawohl,“ antwortete Iwan Fjodorowitsch.

„Sie beliebten sich seit der Zeit, wo ich Sie kenne, sehr zu verändern. O ja!“ fuhr Iwan Iwanowitsch fort: „ich kannte Sie, als Sie noch so groß waren!“ Dabei hielt er die Hand eine halbe Elle weit über den Boden. „Ihr seliger Vater — Gott schenke ihm die ewige Seligkeit — war ein seltener Mann. Er hatte solche Kürbisse und Melonen, wie man sie jetzt nirgends mehr findet. Hier zum Beispiel“, fuhr er fort, indem er ihn zur Seite führte, „werden Ihnen auch Melonen vorgesetzt werden — aber was sind das für Melonen? Nicht ansehen möchte man sie. Glauben Sie mir’s, seine Melonen waren ....“ rief er mit geheimnisvoller Miene und spreizte die Arme, als ob er einen dicken Baum umschlingen wollte, „bei Gott, seine Melonen waren so dick!“

„Gehn wir zu Tisch!“ sagte Grigori Grigorjewitsch und faßte Iwan Fjodorowitsch rasch unterm Arm.

Grigori Grigorjewitsch ließ sich auf seinen üblichen Platz am Ende des Tisches nieder; er band sich seine riesige Serviette vor und glich so einem jener Helden, wie sie sich die Barbiere auf ihre Schilder malen lassen. Iwan Fjodorowitsch setzte sich errötend auf den ihm zugewiesenen Platz, den beiden Fräuleins gegenüber, und Iwan Iwanowitsch versäumte nicht, an seiner Seite Platz zu nehmen, innerlich hocherfreut, daß er jemanden hatte, dem er seine Kenntnisse mitteilen konnte.

„Nehmen Sie doch lieber kein Bürzelbein, Iwan Fjodorowitsch! Da ist ja noch ein Truthahn!“ rief die Alte, zu Iwan Fjodorowitsch gewandt, dem der Diener vom Lande in einem grauen Frack mit schwarzem Flicken gerade eine Schüssel reichte. „Nehmen Sie doch ein Stück vom Rücken!“

„Mütterchen! Es hat Sie doch niemand gebeten, sich in fremde Angelegenheiten zu mischen!“ rief Grigori Grigorjewitsch. „Seien Sie versichert, unser Gast weiß selbst, was er nehmen soll! Iwan Fjodorowitsch, nehmen Sie doch ein Flügelchen und noch dies zweite und den Magen dazu! Warum haben Sie sich nur so wenig genommen? Nehmen Sie noch ein Beinchen! Was stehst du mit der Schüssel da und sperrst den Mund auf? Du sollst ihn sofort darum bitten, auf die Knie, du Schurke und sag sofort: ‚Iwan Fjodorowitsch, nehmen Sie doch ein Beinchen!‘“

„Iwan Fjodorowitsch, nehmen Sie doch ein Beinchen!“ brüllte der Diener, mit der Schüssel in der Hand, und kniete nieder.

„Hm! Was sind denn das für Truthähne!“ sagte Iwan Iwanowitsch halblaut und mit verächtlicher Miene zu seinem Tischnachbar. „Darf denn ein Truthahn so sein, wie der da? Sie hätten mal meine Truthähne sehen sollen! Ich versichere Ihnen, jeder einzelne hatte mehr Fett an sich, als zehn solche, wie die da. Glauben Sie mir, mein Herr, man mag gar nicht ansehen, wie sie bei mir auf dem Hof herumspazieren — so fett sind sie! ....“

„Du lügst, Iwan Iwanowitsch!“ schrie Grigori Grigorjewitsch, der zugehört hatte.

„Ich will Ihnen was sagen,“ fuhr Iwan Iwanowitsch zu seinem Nachbar gewandt fort, indem er so tat, als ob er Grigori Grigorjewitschs Worte gar nicht gehört hätte. „Als ich sie im vorigen Jahre nach Gadjatsch brachte, da bot man mir fünfzig Kopeken pro Stück, und doch wollte ich sie nicht dafür hergeben.“

„Ich sage dir, du lügst, Iwan Iwanowitsch!“ rief Grigori Grigorjewitsch, hierbei betonte er, um noch deutlicher zu sein, jede Silbe und sprach noch lauter als vorher.

Aber Iwan Iwanowitsch tat so, als ob ihn das gar nicht anginge und fuhr in seiner Rede fort, nur sprach er jetzt bedeutend leiser als früher. „Ja, mein Herr, ich wollte das Geld nicht nehmen. In Gadjatsch hatte kein Gutsbesitzer ....“

„Iwan Iwanowitsch! du bist ganz dumm und weiter nichts,“ rief Grigori Grigorjewitsch laut. „Iwan Fjodorowitsch weiß doch das alles besser als du und glaubt dir sicher nicht!“

Da aber fühlte sich Iwan Iwanowitsch verletzt; er verstummte und begann, mit dem Truthahn aufzuräumen, trotzdem dieser lange nicht so fett war, wie die Truthähne, die man „gar nicht ansehen“ mochte.

Eine Zeitlang ersetzte das Klappern der Messer, der Löffel und Teller das Gespräch; am lautesten aber hörte man, wie Grigori Grigorjewitsch das Mark aus einem Hammelknochen aussog.

„Haben Sie schon gelesen,“ fragte Iwan Iwanowitsch nach einigem Stillschweigen, steckte den Kopf aus seinem Wagen und wandte ihn Iwan Fjodorowitsch zu, „haben Sie das Buch: ‚Korobejnikows Reise ins heilige Land‘ gelesen? Ein wahrer Genuß für Seele und Leib! Jetzt werden keine solchen Bücher mehr gedruckt. Leider habe ich nicht nachgesehen, aus welchem Jahre es stammt.“

Als Iwan Fjodorowitsch hörte, daß es sich um ein Buch handelte, begann er, eifrig seine Sauce aufzulöffeln.

„Ein wahres Wunder, mein Herr, wenn man bedenkt, daß ein einfacher Kleinbürger all diese Länder durchwandert hat: über dreitausend Werst, mein Herr! Über dreitausend Werst! Wahrlich, Gott selbst hat ihn würdig befunden, bis nach Palästina und Jerusalem zu kommen.“

„Sie sagen, daß er auch in Jerusalem war,“ rief Iwan Fjodorowitsch, der noch als Soldat von seinem Burschen viel über Jerusalem gehört hatte.

„Worüber sprechen Sie, Iwan Fjodorowitsch?“ rief Grigori Grigorjewitsch vom Ende des Tisches herüber.

„Ich habe, das heißt, ich bemerkte gelegentlich, daß es in der Welt ferne Länder gibt!“ antwortete Iwan Fjodorowitsch, innerlich hochbefriedigt, daß es ihm gelungen war, einen so langen und schweren Satz zu Ende zu bringen.

„Glauben Sie ihm nicht, Iwan Fjodorowitsch!“ sagte Grigori Grigorjewitsch, ohne genauer hinzuhören, „alles ist gelogen!“

Das Diner war zu Ende. Grigori Grigorjewitsch zog sich nach seiner Gewohnheit zurück, um ein Nickerchen zu machen; und die Gäste folgten der alten Hausfrau und den jungen Mädchen ins Gastzimmer, wo derselbe Tisch, auf dem sie den Schnaps stehen gelassen hatten, als sie sich zum Mittagsmahl begaben, sich wie auf einen Wink verwandelt und mit Schälchen voll verschiedener Konfitüren und Schüsseln mit Melonen, Kirschen und Zuckerkürbissen bedeckt hatte.

Grigori Grigorjewitschs Abwesenheit machte sich an allem bemerkbar: die Hausfrau wurde gesprächig und teilte ganz von selbst, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, mancherlei Geheimnisse über die Zubereitung von Marmelade und das Trocknen von Birnen mit. Selbst die jungen Mädchen begannen zu sprechen, doch blieb die Blonde, die sechs Jahre jünger aussah als ihre Schwester und von Ansehen etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte, etwas schweigsam.

Am meisten aber redete und betätigte sich Iwan Iwanowitsch. Da er sicher war, daß ihn nun niemand mehr unterbrechen und in Verlegenheit bringen würde, redete er von allem möglichen: von Gurken und Kartoffelsaat, davon, wie gescheit die Leute früher waren — was wären die Heutigen dagegen? — und davon, wie jetzt alle immer klüger würden, je weiter man komme, wie man noch die allergescheitesten Dinge ersinnen würde; kurz er war einer von den Menschen, die sich mit dem größten Vergnügen erbaulichen Gesprächen hingeben und über alles reden, worüber man nur reden kann. Wenn das Gespräch wichtige und heilige Gegenstände berührte, seufzte Iwan Iwanowitsch nach jedem Worte auf und nickte leise mit dem Kopfe; wenn es sich um Wirtschaftsangelegenheiten handelte, so steckte er den Kopf aus seinem Wagen hervor und schnitt seltsame Gesichter, aus denen man ganz deutlich entnehmen konnte, wie man den Birnenmost zubereiten müsse, wie groß die Melonen seien, von denen er sprach, und wie fett die Gänse wären, die bei ihm im Hofe herumliefen.

Endlich gelang es Iwan Fjodorowitsch mit vieler Mühe und erst gegen Abend, sich zu verabschieden; aber obwohl er leicht zu überreden war und man ihn geradezu zwingen wollte, über Nacht dazubleiben, bestand er doch auf seiner Absicht, nach Hause zu fahren — und fuhr richtig davon.

V.
Der neue Plan der Tante

Nun? Hast du die Urkunde von dem alten Schelm herausgelockt?“ Dies war die erste Frage, mit der Iwan Fjodorowitsch von seiner Tante empfangen wurde, die ihn bereits seit einigen Stunden voller Ungeduld an der Freitreppe erwartete, und sich schließlich kaum hatte überwinden können, nicht bis vors Tor zu laufen.

„Nein, liebe Tante!“ sagte Iwan Fjodorowitsch indem er ausstieg. „Grigori Grigorjewitsch hat gar keine Urkunde.“

„Und du hast ihm geglaubt? Er lügt, der verdammte Kerl! O, ich bekomme ihn noch eines Tages zu sehen, wahrhaftig, und dann prügle ich ihn mit meinen eigenen Händen durch. Oh, ich werde ihm schon etwas von seinem Fett abzapfen! Übrigens wollen wir zuerst mit unsrem Gerichtsschreiber reden, ob man vielleicht auf gerichtlichem Wege .... Aber es handelt sich jetzt ja nicht darum. Nun, war das Diner gut?“

„Sehr gut! .... sehr gut, liebe Tante!“

„Nun, und was gab’s dort zu essen? Erzähle! ich weiß schon, die Alte versteht sich gut auf die Küche.“

„Käsekuchen mit Rahm, liebe Tante; Sauce mit gefüllten Tauben ....“

„Und gab es auch einen Truthahn mit Pflaumen?“ fragte die Tante, denn sie selbst verstand es meisterhaft, dieses Gericht zuzubereiten.

„Es gab auch Truthahn! .... Die Schwestern von Grigori Grigorjewitsch sind sehr hübsche junge Mädchen, besonders die Blonde!“

„Ah!“ rief die Tante und sah Iwan Fjodorowitsch scharf an, er errötete und ließ die Augen sinken. Ein neuer Gedanke blitzte in ihr auf. „So?“ fragte sie voll Neugierde, „und was für Augenbrauen hat sie?“ Hier ist es nicht überflüssig zu bemerken, daß für die Tante das Schönste an der Frau die Augenbrauen waren.

„Das Fräulein hat genau solche Augenbrauen, liebe Tante, wie Sie sie nach Ihren Erzählungen in Ihrer Jugend gehabt haben müssen, und ihr ganzes Gesicht ist voller Sommersprossen.“

„Ah!“ rief die Tante, äußerst befriedigt über Iwan Fjodorowitschs Bemerkung, der allerdings nie daran gedacht hatte, der Tante ein Kompliment machen zu wollen. „Und was für ein Kleid hatte sie an? Man findet zwar heutzutage keine solchen haltbaren Stoffe mehr wie zum Beispiel den, aus dem dieser Morgenrock gemacht ist. Aber es handelt sich jetzt nicht darum. Und hast du dich gut mit ihr unterhalten?“

„Das heißt, wie meinen Sie .... liebe Tante? Sie glauben vielleicht schon ....“

„Was denn? Was ist denn Wunderbares dabei? Das ist nun mal Gottes Wille! Vielleicht ist’s euch beiden noch beschieden, einmal ein Paar zu werden.“

„Ich verstehe nicht, liebe Tante, wie Sie nur so reden können. Das beweist doch nur, daß Sie mich absolut nicht kennen ....“

„So, nun fühlt er sich richtig beleidigt!“ sagte die Tante. „Der Junge ist noch nicht alt genug!“ dachte sie bei sich. „Er weiß noch von nichts! Ich werde die beiden mal zusammenbringen, sie sollen einander näher kennen lernen!“

Und die Tante ging nach der Küche und ließ Iwan Fjodorowitsch allein. Aber seit der Zeit dachte sie an nichts anderes, als daran, ihren Neffen möglichst bald zu verheiraten und seine kleinen Enkelkinder zu wiegen. Ihr Kopf war nur noch von Gedanken an die Vorbereitungen zur Hochzeit erfüllt, und man sah ganz deutlich, daß sie noch viel emsiger war als vorher, obwohl alles eher schlimmer als besser ging. Wenn sie jetzt einen Kuchen zubereitete, den sie übrigens niemals der Köchin anzuvertrauen pflegte, versank sie häufig in Gedanken, bildete sich ein, neben ihr stehe ein kleines Enkelchen, das ein Stückchen Kuchen haben wollte, und streckte zerstreut die Hand mit dem besten Stücke aus; der Hofhund machte sich das gewöhnlich zunutze, packte den leckeren Bissen und weckte sie durch sein lautes Schmatzen aus ihrer Nachdenklichkeit, wofür der Hund übrigens immer Schläge mit dem Ofenhaken bekam. Sie gab sogar ihre Lieblingsbeschäftigung auf und fuhr nicht mehr zur Jagd, besonders seitdem sie einmal statt eines Truthahns eine Krähe geschossen hatte, was ihr früher niemals widerfahren war.

Vier Tage später sah man endlich die Kalesche aus dem Schuppen in den Hof fahren. Der Kutscher Omeljko, der gleichzeitig auch Gärtner und Aufseher war, fing schon seit dem frühen Morgen an zu hämmern und das Leder anzunageln, während er immerzu die Hunde davonjagen mußte, die herankamen und an den Rädern leckten. Hier halte ich es für meine Pflicht, dem Leser zu berichten, daß dies dieselbe Kalesche war, in der schon Adam gefahren ist, und sollte daher jemand eine andere für die Adams ausgeben, so wäre das sicherlich eine freche Lüge, und die Kalesche wäre unecht. Es ist nicht genau bekannt, wie sie der Sintflut entronnen ist, man kann nur annehmen, daß in der Arche Noah ein besonderer Schuppen für sie vorhanden war. Es ist sehr schade, daß ich dem Leser ihre Gestalt nicht lebendig vor Augen führen kann. Es genüge daher zu sagen, daß Wassilissa Kaschparowna mit ihrer Bauart äußerst zufrieden war und es stets bedauerte, daß die alten Equipagen aus der Mode gekommen seien. Selbst das, daß die Kalesche etwas schief, und daß die rechte Seite etwas höher war, als die linke, erregte ihren Beifall, denn so konnte von der einen Seite, wie sie behauptete, ein Mensch von kleinem Wuchse, und von der anderen ein großer aussteigen. Im übrigen konnte die Kalesche etwa fünf Personen von kleiner Statur und drei solche, wie die Tante, in ihrem Inneren aufnehmen.

Als er mit der Kalesche fertig war, führte Omeljko gegen Mittag drei Pferde aus dem Stall, die etwas jünger waren als die Kalesche und band sie mit einem Strick fest an die majestätische Equipage. Iwan Fjodorowitsch und die Tante stiegen ein, er von der einen, sie von der anderen Seite, und die Pferde zogen an. Alle Bauern, die ihnen begegneten, blieben beim Anblick dieser vornehmen Equipage (die Tante pflegte nämlich nur selten in ihr auszufahren) respektvoll stehen, nahmen die Mützen ab und verbeugten sich bis zur Erde.

Nach etwa zwei Stunden machte der Wagen vor der Freitreppe Halt; ich glaube, es ist hier nicht erst nötig zu sagen, vor wessen Freitreppe er hielt. Grigori Grigorjewitsch war nicht zu Hause; und die Alte und die Fräuleins empfingen die Gäste im Speisezimmer; die Tante näherte sich ihnen mit majestätischen Schritten, stellte mit viel Geschicklichkeit einen Fuß vor und sagte laut:

„Gnädige Frau, ich freue mich, daß ich die Ehre habe, Ihnen persönlich meine Hochachtung ausdrücken zu dürfen, zugleich erlaube ich mir mit Respekt, Ihnen meinen Dank für die gastfreundliche Aufnahme meines Neffen Iwan Fjodorowitsch auszusprechen, der Ihres Lobes voll ist. Sie haben einen wundervollen Buchweizen, gnädige Frau, das habe ich bemerkt, als ich mich dem Dorfe näherte. Darf ich fragen, wieviel Sie pro Deßjatin ernten?“

Hierauf küßten alle einander aufs herzlichste ab und erst als man im Gastzimmer Platz genommen hatte, begann die Alte:

„Was den Buchweizen anbetrifft, so kann ich Ihnen nichts Genaues darüber sagen. Das ist Grigori Grigorjewitschs Ressort; ich beschäftige mich schon längst nicht mehr damit, auch könnte ich’s nicht, selbst wenn ich wollte: ich bin schon zu alt dazu! In früheren Zeiten wuchs, wie ich mich besinne, der Buchweizen bei uns so hoch, daß er einem bis an den Gürtel reichte, jetzt ist das nicht mehr so, obwohl man stets behauptet, es werde jetzt alles immer besser.“ Die Alte stieß einen Seufzer aus, und ein aufmerksamer Beobachter hätte in ihm das Aufseufzen des alten achtzehnten Jahrhunderts vernehmen können.

„Ich habe gehört, daß bei Ihnen im Hause großartige Teppiche gemacht werden, gnädige Frau,“ sagte Wassilissa Kaschparowna und berührte damit die empfindlichste Seite der Alten: bei diesen Worten lebte jene auf, und nun strömten ihre Reden nur so hin: wie man das Gewebe färben, welchen Faden man dazu nehmen müsse und was dergleichen mehr ist.

Von den Teppichen ging die Unterhaltung bald aufs Gurkeneinlegen und Birnentrocknen über. Kurz, es war noch keine Stunde verflossen, da unterhielten sich die beiden Damen schon so lebhaft, als ob sie ihr Lebtag miteinander bekannt gewesen wären. Ja, Wassilissa Kaschparowna sprach sogar über viele Dinge so leise mit der Alten, daß Iwan Fjodorowitsch nichts mehr hören konnte.

„Wollen Sie nicht selbst sehen?“ sagte die greise Hausfrau und erhob sich.

Die Fräuleins und Wassilissa Kaschparowna erhoben sich mit ihr und begaben sich ins Mädchenzimmer. Die Tante machte Iwan Fjodorowitsch ein Zeichen, er solle zurückbleiben und flüsterte der alten Dame etwas zu.

„Maschenjka!“ sagte die Alte zu dem blonden Fräulein, „bleibe bei unserem Gaste und unterhalte ihn, damit ihm die Zeit nicht zu lang wird!“

Das blonde Fräulein blieb zurück und setzte sich auf das Sofa. Iwan Fjodorowitsch saß auf seinem Stuhle wie auf Nadeln, errötete und schlug die Augen nieder; aber das Fräulein schien dies gar nicht zu bemerken, saß gleichgültig auf dem Sofa, beobachtete fleißig die Fenster und die Wände, oder verfolgte die Katze, die scheu unter den Stühlen umherlief, mit den Augen.

Iwan Fjodorowitsch wurde etwas mutiger und wollte schon ein Gespräch anknüpfen, es war ihm aber so, als ob er unterwegs alle Worte verloren hätte. Es wollte ihm kein einziger Gedanke in den Sinn kommen.

Dieses Schweigen dauerte eine Viertelstunde lang, aber das Fräulein saß noch immer ebenso da wie früher.

Endlich faßte Iwan Fjodorowitsch sich ein Herz. „Im Sommer gibt’s so viel Fliegen, gnädiges Fräulein!“ rief er mit einer Stimme, die vor Erregung zitterte.

„Ja, außerordentlich viele Fliegen!“ versetzte das Fräulein. „Mein Bruder hat eigens deswegen aus Mamas altem Schuh eine Fliegenklappe hergestellt, aber es bleiben doch noch immer sehr viele übrig.“

Hier stockte die Unterhaltung, und Iwan Fjodorowitsch wollte durchaus kein Wort mehr einfallen.

Endlich kamen die Alte, die Tante und das dunkle Fräulein zurück. Nachdem man sich noch etwas unterhalten hatte, nahm Wassilissa Kaschparowna Abschied von der Dame und den Fräuleins, obwohl sie dringend gebeten wurde, über Nacht da zu bleiben. Die Dame und die Fräuleins begleiteten die Gäste bis zur Freitreppe und winkten der aus der Kalesche hinausblickenden Tante und ihrem Neffen noch lange zu.

„Nun, Iwan Fjodorowitsch, worüber hast du dich mit dem Fräulein unterhalten?“ fragte die Tante unterwegs.

„Marja Grigorjewna ist ein sehr bescheidenes und sittsames Fräulein!“ sagte Iwan Fjodorowitsch.

„Höre, Iwan Fjodorowitsch: ich will ernst mit dir reden. Du bist, Gott sei Dank, schon fast achtunddreißig Jahre alt; und einen schönen Rang hast du auch schon: es wird nun bald Zeit, an die Kinder zu denken! Du brauchst unbedingt eine Frau ....“

„Wie, liebe Tante!“ rief Iwan Fjodorowitsch ganz erschrocken: „Wie? Eine Frau! Nein, liebe Tante, seien Sie doch so lieb .... Sie beschämen mich .... Ich bin noch nie verheiratet gewesen .... Ich weiß ja gar nicht, was ich mit einer Frau anfangen soll!“

„Du wirst’s schon lernen, Iwan Fjodorowitsch, du wirst es schon lernen,“ rief die Tante lächelnd und dachte bei sich: ‚Kein Gedanke! Der Junge ist noch ein richtiges Kind: er weiß ja von gar nichts!‘ — „Ja, ja, Iwan Fjodorowitsch!“ fuhr sie laut fort, „eine bessere Frau als Marja Grigorjewna wirst du wohl nie finden. Außerdem hat sie dir ja doch gut gefallen. Die Alte und ich haben schon viel darüber gesprochen: sie wäre sehr froh, dich zum Schwiegersohn zu bekommen. Freilich weiß man noch nicht, was dieser alte Sünder Grigori Grigorjewitsch dazu sagen wird; aber wir werden nicht darauf achten, und sollte er dir etwa die Mitgift nicht herausgeben wollen, so würden wir ihn auf gerichtlichem Wege ....“

In diesem Augenblick fuhr der Wagen in den Hof und die uralten Stuten lebten auf, als sie die Nähe des Stalles witterten.

„Höre, Omeljko! laß die Pferde zuerst gut ausruhen und führe sie nicht gleich zur Tränke. Die Pferde sind ja noch ganz heiß. — Also, Iwan Fjodorowitsch, ich rate dir, dir die Sache gründlich zu überlegen. Ich muß noch etwas in der Küche nachschauen: ich habe vergessen, das Abendbrot bei der Solocha zu bestellen und das nichtsnutzige Weib hat sicher nicht von selbst daran gedacht.“

Iwan Fjodorowitsch stand da wie vom Donner gerührt. Marja Grigorjewna war zwar ein sehr nettes Fräulein: aber heiraten! .... Das erschien ihm so sonderbar und wundersam, daß er nicht ohne Schreck daran denken konnte. Mit einer Frau zusammen leben! .... das war doch ganz unbegreiflich! Er sollte nicht mehr allein in seinem Zimmer sein können, sondern sie würden immer zu zwei sein! .... Und der Schweiß trat ihm auf die Stirn, je mehr er sich in die Betrachtung vertiefte.

Früher als sonst ging er zu Bett, aber trotz aller Bemühungen konnte er nicht einschlafen. Endlich suchte ihn der ersehnte Schlaf, dieser Ruhebringer und Tröster aller Menschen auf. Aber was war das für ein Schlaf! Unzusammenhängendere Träume hatte er noch niemals gesehen. Bald träumte er, rings um ihn rausche und drehe sich alles, und er selbst laufe und laufe atemlos dahin .... Schon verließen ihn die Kräfte .... Plötzlich aber packte ihn jemand am Ohr. „O je! Wer ist das?“ — „Das bin ich, deine Frau!“ sprach eine lärmende Stimme zu ihm — und er erwachte. Bald schien es ihm, er sei schon verheiratet und alles in dem Häuschen sei so absonderlich und so merkwürdig; in seinem Zimmer stehe statt eines einfachen Bettes ein Doppelbett und auf dem Stuhle sitze seine Frau. Es war ihm ganz eigentümlich zumute: er wußte nicht, wie er an sie herantreten, worüber er mit ihr sprechen sollte, und nun erst merkte er, daß sie das Gesicht einer Gans hatte. Zufällig drehte er sich um und sah eine zweite Frau, die ebenfalls einen Gänseschnabel hatte, er drehte sich auf die andere Seite um — da stand eine dritte Frau, er wandte sich nach hinten — da stand noch eine Frau. Da erfaßte ihn eine wilde Angst; er stürzte in den Garten, aber im Garten war es heiß, er nahm den Hut ab, und siehe: auch im Hute saß eine Frau. Schweiß bedeckte sein Gesicht; er wollte das Taschentuch aus der Tasche holen — aber auch in der Tasche saß eine Frau; er zog sich die Watte aus dem Ohre — auch da saß eine Frau .... Dann hüpfte er wieder auf einem Bein, und die Tante sah zu und sprach mit würdevoller Miene: „Ja, jetzt kannst du hüpfen und springen, denn du bist ja jetzt ein verheirateter Mann.“ Er eilte auf sie zu; aber die Tante war nicht mehr die Tante, sondern ein Glockenturm. Und er fühlte, wie jemand ihn an einem Strick auf den Glockenturm hinaufzog. „Wer zieht mich da hinauf?“ fragte Iwan Fjodorowitsch klagend. „Ich ziehe dich, ich, deine Frau, denn du bist eine Glocke!“ „Nein, ich bin keine Glocke, ich bin Iwan Fjodorowitsch!“ schrie er. „Nein, du bist eine Glocke!“ sprach der Oberst des P—er Infanterieregiments im Vorübergehen.

Oder er träumte, seine Frau sei gar kein Mensch, sondern ein wollener Stoff; er käme nach Mohilew in einen Laden, und der Kaufmann fragte ihn: „Was für einen Stoff wünschen Sie? Nehmen Sie doch Frau, das ist der modernste Stoff! Er ist sehr haltbar! Man macht jetzt Röcke daraus.“ Und der Kaufmann maß und schnitt ein Stück von der Frau ab. Iwan Fjodorowitsch nahm sie unter den Arm und ging damit zum jüdischen Schneider. — „Nein,“ meinte der Jude, „das ist ein schlechter Stoff! Daraus läßt sich doch niemand einen Rock machen ....!“

Voller Angst und ganz außer sich erwachte Iwan Fjodorowitsch; der kalte Schweiß troff nur so von ihm herunter wie ein Platzregen.

Kaum war er aufgestanden, so wandte er sich sofort an sein Wahrsagebuch, dem ein tugendhafter Buchhändler in seiner seltenen Güte und Uneigennützigkeit noch einen kurzen Traumdeuter angehängt hatte. Aber dort stand nichts, was diesem sinnlosen Traume auch nur einigermaßen entsprochen hätte.

Indessen aber reifte im Kopfe der Tante ein ganz neuer Plan, von dem Sie im nächsten Kapitel hören sollen.

Der verhexte Ort

Sage
Erzählt vom Küster an der Kirche zu ***

Bei Gott, ich hab’ das Erzählen satt! Was glaubt ihr denn? Es ist wahrhaftig auch zu langweilig: man erzählt und erzählt, und kommt nie wieder davon los! Na, meinetwegen, ich will euch noch was erzählen, aber gebt acht, es ist das letztemal. Ja, ihr habt also davon gesprochen, daß ein Mensch mit dem unreinen Geiste fertig werden könne. Gewiß, das heißt, wenn man genauer zusieht, dann merkt man dennoch, daß es in der Welt allerhand sonderbare Vorfälle gibt .... Indessen sagt das nicht: will einen die Teufelsmacht blenden, so tut sie es, bei Gott, sie tut es! ..... Nun also, mein Vater hatte im ganzen vier Kinder; ich war damals noch ein Grünschnabel, und war erst elf Jahre alt ... Doch nein, ich war noch nicht elf Jahre alt, ich erinnere mich, wie wenn’s heute wäre, daß ich einmal auf allen Vieren herumkroch und wie ein Hund zu bellen anfing, und wie da mein Vater den Kopf schüttelte und mich anschrie: „Ei, Foma, Foma! Es ist Zeit, daß man dich verheiratet, sonst wirst du noch so närrisch wie ein junges Maultier!“

Mein Großvater war damals noch gesund und — mag ihm in jener Welt der Schluckauf leicht werden — noch ziemlich gut auf den Beinen. Wenn der nun manchmal so ..... Aber wozu erzähle ich euch das eigentlich? Der eine von euch wühlt schon seit einer Stunde im Ofen herum und sucht nach einer Kohle für seine Pfeife, und ein anderer ist in die Kammer gelaufen, um sich was zu holen ... Ach was! Wenn ich mich euch noch aufgedrängt hätte — aber ihr habt ja selbst darauf bestanden .... Man hört entweder ordentlich zu oder gar nicht.

Mein Vater war schon im Anfang des Frühlings in die Krim gefahren, um Tabak zu verkaufen. Ich kann mich nun nicht mehr daran erinnern, ob er zwei oder drei Wagen ausgerüstet hatte; aber der Tabak stand damals hoch im Preise. Er nahm meinen dreijährigen Bruder mit sich, um ihn frühzeitig an das Handwerk zu gewöhnen; wir dagegen: der Großvater, die Mutter, ich, ein Bruder und noch ein zweiter Bruder blieben zu Hause. Der Vater hatte dicht an der Landstraße ein Stück Land, das er bebaut hatte; er siedelte daher in seine Hütte auf dem Felde über, und nahm auch uns mit, um ihm die Spatzen und die Elstern von den Feldern verscheuchen zu helfen. Man kann nicht sagen, daß es uns gerade schlecht ging. Den Tag über aß man sich so sehr an Gurken, Melonen, Rüben, Zwiebeln und Erbsen voll, daß es einem zumute war, als ob einem die Hähne im Bauche krähten. Dazu brachte es auch noch etwas ein: manch ein Reisender zog auf der Straße vorbei, und da wollte jeder gerne eine Wassermelone oder eine Zuckermelone kosten, oder man brachte von den umliegenden Vorwerken Hühner, Eier und Truthähne herbei und tauschte sie ein. Das war ein schönes Leben.

Am meisten aber freute sich der Großvater, wenn jeden Tag an die fünfzig Frachtfuhrleute vorbeigezogen kamen. Das sind meist Leute, die was erlebt und erfahren haben: und dann ging ein Erzählen los, daß man nur so die Ohren aufsperren mochte! Für den Großvater aber war das halt, so wie Knödel für einen Hungrigen. Manchmal stieß er auf alte Bekannte, — denn meinen Großvater kannte jedermann, — na, ihr könnt euchs ja wohl selbst denken, wie das ist, wenn die alten Leute zusammensitzen: dann geht’s taratata und taratata, über dies und jenes, diese und jene Zeiten, da floß ihnen wohl der Mund über, wenn sie so anfingen, sich auf Anno dazumal zu besinnen.

Einst ging der Großvater über Feld — ’s ist mir wahrhaftig, als wär’s jetzt eben geschehen —; die Sonne war im Begriff unterzugehen, und Großvater war damit beschäftigt, die Blätter von den Zuckermelonen abzunehmen; er pflegte die Melonen nämlich den Tag über mit Blättern zu bedecken, damit sie nicht so in der Sonne brieten.

„Schau, Ostap!“ sagte ich zu meinem Bruder, „da kommen Frachtfuhrleute angefahren!“

„Wo sind die Fuhrleute?“ fragte der Großvater und machte ein Zeichen auf einer großen Melone, damit sie ihm die Buben nicht gelegentlich wegäßen.

Und in der Tat, auf der Landstraße kamen so an die sechs Wagen dahergezogen. Vorn schritt ein Fuhrmann mit einem angegrauten Schnurrbart. Er kam uns — nun, wie soll ich sagen, — so etwa bis auf zehn Schritte nah’ und blieb dann stehen.

„Guten Tag, Maxim! Sieh nur, wo Gott uns wieder zusammengeführt hat!“

Der Großvater kniff die Augen zusammen: „Ah! Guten Tag! Guten Tag! Woher des Wegs? Ist Boljatschka auch da? Grüß Gott, Bruder! Was Teufel! Da sind ja alle miteinander: Krutotrystschenko! Und Petzcherytzja, Kowelek und Stetzko! Grüß euch Gott! Haha, hoho! ...“ Und alle umarmten und küßten sich.

Die Ochsen wurden ausgespannt und auf die Wiese getrieben, die Wagen aber blieben auf der Landstraße stehen; alle setzten sich in einen Kreis zusammen und steckten sich ihre Pfeifchen an. Aber da kam keiner recht zum Rauchen! Vor lauter Erzählen und Klatschen kam kaum ein Zug auf jeden. Nach dem Essen begann der Großvater, die Gäste mit Melonen zu bewirten. Jeder nahm eine Melone und putzte sie hübsch mit dem Messerchen ab (das waren alles gerissene Kerle, die waren weit in der Welt herumgekommen, und hatten mancherlei erfahren, daher wußten sie auch, wie man in der vornehmen Welt ißt — man hätte sie geradezu an einen herrschaftlichen Tisch setzen können), sie putzten die Melonen also hübsch ab, bohrten mit dem Finger ein Löchelchen in sie hinein, sogen den Saft raus, zerschnitten sie in Stücke und schoben sie in den Mund.

„Und ihr, Jungens!“ rief der Großvater uns zu, „was haltet ihr Maulaffen feil? Tanzt doch los, ihr Hundesöhne! Ostap, wo ist deine Schalmei? Nun also, einen Kosakentanz! Foma, die Hände auf die Hüften! Recht so! hei, hopp!“

Ich war damals noch ein beweglicher Bursche. Ach ja, dieses verdammte Alter! Jetzt kann ich’s nicht mehr so: anstatt zierliche Sprünge zu machen, stolpere ich über meine eigenen Beine. Lang schauten der Großvater und die Fuhrleute uns zu, und ich merkte, daß seine Beine nicht mehr ruhig bleiben wollten, gleich als ob jemand an ihnen zupfte.

„Schau, Foma!“ sagte Ostap, „der alte Knaster tritt wohl selbst noch zum Tanze an!“

Was glaubt ihr? Kaum hatte er das gesagt, da konnte das Großväterchen wirklich nicht mehr an sich halten! Der wollte den Fuhrleuten nämlich zeigen, was er konnte. „Was, ihr Teufelskinder? tanzt man denn so? So tanzt man!“ rief er, sprang auf die Beine, streckte die Arme vor und stampfte mit dem Hacken auf.

Und in der Tat, man konnte nichts dawider sagen, er tanzte wahrhaftig so gut, daß er auch mit der Hetmansfrau hätte tanzen können. Wir traten ein wenig zur Seite, und nun begann der alte Knasterbart seine Beine auf dem glatten Plätzchen, das sich neben dem Gurkenbeet befand, in die Luft zu werfen. Kaum war er jedoch bis in die Mitte des Platzes gelangt — und wollte nun erst richtig losgehen, wie ein Wirbel mit den Füßen dahinfahren und uns ein besonderes Kunststückchen zeigen — da wollten die Beine plötzlich nicht vom Fleck und aus war es! War das ein sonderbarer Teufelsspuk! Er fing noch einmal an, gab sich einen Schwung, kam wieder bis zur Mitte, aber wieder ging es nicht weiter! Tu einer, was er will — es ging und ging nicht! Die Beine waren plötzlich so steif wie ein Stück Holz. „So eine verteufelte Stelle, so ein Satansspuk! Da ist wohl gar der Herodes, dieser Feind des Menschengeschlechts mit im Spiel!“ Und nun gar noch diese Schmach vor den fremden Lastführern! Er fing aber wiederum an, und begann von neuem mit ganz kleinen Schritten im Takt herumzuhüpfen, daß es nur so eine Freude war, es mit anzusehen; aber wie er bis zur Mitte kam, ging’s wieder nicht weiter, und der Tanz wollte ihm durchaus nicht gelingen! „Ah, verdammter Satan! Daß du doch an einer faulen Melone erstickest! Als Kind schon sollst du krepieren, du Hundesohn! Mir in meinen alten Tagen noch eine solche Schmach anzutun ....“ Und in der Tat, hinter ihm lachte jemand laut auf.

Er sah sich um, das Feld und die Fuhrleute waren verschwunden, hinter ihm, vor ihm, und zu beiden Seiten sah man nichts als flaches Land. „He ... da haben wir die Bescherung!“ Er begann mit den Augen zu blinzeln, der Ort kam ihm nicht unbekannt vor: auf der einen Seite lag ein Wald, und hinter dem Wald ragte eine hohe Stange empor, die bis weit in der Ferne zu sehen war. Was Teufel! Das ist ja der Taubenschlag im Gemüsegarten des Popen! Auch von der anderen Seite schimmerte etwas grau herüber; er sah näher hin. Es war die Scheune des Gemeindeschreibers. Teufel auch, wohin einen die unreine Macht forttragen kann! Er lief ein paarmal hin und her und im Kreise herum und entdeckte endlich einen kleinen Pfad. Der Mond war unsichtbar, und an seiner Stelle blinkte ein weißer Fleck durch eine Wolke. „Morgen wird’s sehr windig sein!“ dachte der Großvater, da leuchtete plötzlich, etwas abseits vom Wege auf einem kleinen Grabe, ein Flämmchen auf. „Sieh mal an!“ und der Großvater blieb stehen, stemmte die Hände in die Hüften und sah näher hin: nun war das Flämmchen erloschen, aber weiter und noch etwas weiter, da flackerte ein anderes auf. „Ein Schatz!“ schrie der Großvater, „bei Gott, ich möchte alles darum geben, daß das ein Schatz ist!“ Und schon wollte er sich in die Hände spucken, um nach dem Schatz zu graben, da fiel ihm ein, daß er ja weder Schippe noch Spaten bei sich hatte. „Schade, schade! Aber wer weiß? Vielleicht braucht man nur den Rasen wegzuräumen, und der Herzensschatz liegt gleich darunter! Na, da ist eben nichts zu machen! Merken wir uns wenigstens den Platz, daß wir’s später nicht vergessen.“

Er nahm einen mächtigen Ast, der offenbar vom Sturm zerbrochen worden war, wälzte ihn auf das Grab, auf dem das Licht gebrannt hatte, und ging seines Weges. Der junge Eichenwald lichtete sich; und ein geflochtener Zaun tauchte vor ihm auf. „Na also, hab’ ich’s nicht gleich gesagt, daß es die Trift des Popen ist!“ dachte der Großvater, „da ist ja auch sein Zaun. Jetzt ist’s keine ganze Werst mehr bis zu meinem Melonenfeld.“

Er kam aber erst spät am Abend heim und wollte nicht einmal von den Klößen kosten. Er weckte meinen Bruder Ostap, fragte nur, ob die Fuhrleute schon lange fort seien, und wickelte sich dann in seinen Schafspelz. Mein Bruder wollte ihn ausfragen. „Wo haben dich denn heute die Teufel hingebracht, Großvater?“ begann er.

„Frage nicht,“ sagte dieser, sich noch fester in seinen Pelz hüllend, „frage nicht, Ostap, vom vielen Fragen kriegt man graue Haare!“ Und er fing so an zu schnarchen, daß die Sperlinge, die sich im Melonenfelde niedergelassen hatten, vor Schreck in die Luft aufflogen. Aber in Wahrheit schlief er gar nicht! Es ist nicht zu sagen, was das für eine schlaue Bestie war — Gott hab ihn selig — aber er verstand es vorzüglich, sich mit allem abzufinden. Manchmal konnt’ er einem ein Liedchen singen, daß man sich nur so in die Lippen biß.

Kaum aber brach der nächste Tag an, und kaum begann es im Felde zu dämmern, da zog der Großvater seinen Kittel an, legte den Gürtel um, nahm einen Spaten und eine Schaufel unter den Arm, setzte die Mütze auf, trank einen Krug Brotkwas, wischte sich die Lippen mit dem Rockschoß und ging geradewegs in des Popen Gemüsegarten. Er war schon am Zaun und an dem niedrigen Eichenwäldchen vorbei. Da schlängelte sich zwischen den Bäumen ein Pfad hin, der gerad ins Feld führte; offenbar derselbe, den er gestern entdeckt hatte. Er betrat das Feld — es war dieselbe Stelle, wo er gestern gewesen war. Da ragte auch der Taubenschlag in die Höhe, aber die Scheune war nicht zu sehen. „Nein, das ist nicht der rechte Ort. Der liegt also etwas weiter; ich muß offenbar umkehren und auf die Scheune zugehen!“ Er kehrte also um, und ging auf einem andern Wege weiter: jetzt war die Scheune zu sehen, aber nun war der Taubenschlag fort! Er kehrte also wieder um und näherte sich dem Taubenschlag, doch nun war wieder die Scheune verschwunden. Und nun begann, wie zu Fleiß, noch ein Regen herunterzurieseln. Er lief wieder nach der Scheune — aber der Taubenschlag war fort; oder zum Taubenschlag — dann war die Scheune fort.

„Verfluchter Satan, daß du es nie mehr erlebtest, deine Kinder zu sehen!“ Der Regen aber rauschte in Strömen herab. Der Großvater zog sich die neuen Stiefel aus, wickelte sie in ein Tüchlein ein, damit sie sich nicht vor Nässe zusammenzögen und gab Fersengeld wie ein herrschaftlicher Renner. Er kroch, ganz durchnäßt bis auf die Knochen, in die Hütte, bedeckte sich mit dem Schafspelz und begann etwas durch die Zähne zu murmeln und den Teufel mit so lieblichen Worten zu traktieren, wie ich sie mein Lebtag noch nicht gehört habe. Ich gestehe, ich wäre ganz rot geworden, wenn so etwas am helllichten Tage geschehen wäre.

Am anderen Morgen erwache ich und sehe: der Großvater zieht auf dem Felde umher, als ob nichts geschehen wäre und bedeckt die Wassermelonen mit Blättern von Kletten. Beim Essen wurde der Alte erst wieder gesprächig und begann meinen jüngeren Bruder damit zu schrecken, daß er ihn gegen ein Paar Hühner umtauschen werde wie eine Wassermelone; nach Tisch schnitt er sich selbst eine Flöte aus Holz und fing an, auf ihr zu blasen; dann gab er uns eine Melone zum spielen, die ganz zusammengeschrumpft war wie eine Schlange, und die er eine türkische Melone nannte. Ich habe nie wieder eine solche Melone gesehen; er hatte den Samen von weit her gesandt bekommen.

Abends, nach dem man gevespert hatte, ging der Großvater mit dem Spaten ins Feld, um ein neues Beet für die späten Kürbisse zu graben. Wie er nun an der behexten Stelle vorüberkam, da konnte er nicht an sich halten und murmelte durch die Zähne: „Verfluchter Ort!“, er trat in die Mitte des Platzes, wo er tags zuvor nicht hatte zu Ende tanzen können, und schlug wütend mit dem Spaten auf die Erde. Da lag plötzlich wieder dasselbe Feld vor ihm: auf der einen Seite ragte der Taubenschlag empor, auf der anderen stand die Scheune. „Noch gut, daß ich so klug war, einen Spaten mitzunehmen,“ dachte er: „Da ist auch der Pfad, da ist das Grab, und da liegt noch der Ast! Sieh, da brennt ja auch das Flämmchen! Daß ich mich nur nicht irre!“

Leise lief er herzu, hob den Spaten in die Höhe, als ob er einem Eber, der sich bis ins Feld verirrt hatte, einen Schlag versetzen wollte, und blieb vor dem Grabe stehen. Das Flämmchen war erloschen und auf dem Grabe lag ein mit Gras bewachsener Stein. „Diesen Stein muß ich heben!“ dachte der Großvater und begann rings um ihn herum die Erde aufzugraben. Der verfluchte Stein war verdammt groß! Doch, nun stemmte er die Füße fest gegen die Erde und stieß ihn vom Grabe herab. „Bums —!“ dröhnte es weit durch’s Tal. „Nun sind wir dich los! Jetzt wird die Arbeit schneller gehen!“ dachte der Großvater.

Und der Alte machte ein wenig Halt, holte seinen Tabaksbeutel hervor, schüttete sich etwas Tabak auf die Faust und wollte ihn an die Nase bringen, als plötzlich über seinem Kopfe ein „Pschü!“ ertönte und jemand so laut nieste, daß die Bäume zu schwanken begannen und das ganze Gesicht des Großvaters bespritzt wurde. „Du könntest dich doch auch abwenden, wenn du niesen willst!“ rief der Großvater und rieb sich die Augen. Er sah sich um, aber es war niemand da. „Der Teufel liebt wohl den Tabak nicht!“ fuhr er fort, steckte den Beutel wieder in die Brust und nahm den Spaten wieder in die Hand. „Er ist wirklich dumm genug dazu! Solch einen Tabak hat weder sein Großvater noch sein Vater je geschnupft!“ Und er begann zu graben. Die Erde war weich, und der Spaten versank nur so in ihr. Jetzt klirrte etwas. Er schaufelte die Erde weg und erblickte einen Kessel.

„Ah, Täubchen, hier also bist du!“ rief der Großvater und schob den Spaten unter den Kessel.

„Ah, Täubchen, hier also bist du!“ piepte ein Vogel und pickte auf den Kessel.

Der Großvater wich zur Seite und ließ den Spaten fallen.

„Ah, Täubchen, hier also bist du!“ blökte ein Hammelkopf von einem Baumwipfel herab.

„Ah, Täubchen, hier also bist du!“ brüllte ein Bär, seine Schnauze hinter dem Baum hervorschiebend.

Den Großvater überlief es kalt. „Hier hat man ja rein Angst, noch ein Wort zu sagen“, brummte er vor sich bin.

„Hat man ja rein Angst, ein Wort zu sagen!“ piepte der Vogelschnabel.

„Angst, ein Wort zu sagen!“ blökte der Hammelkopf.

„Wort zu sagen!“ brüllte der Bär.

„Hm ....“ machte der Großvater, und schrak zusammen.

„Hm!“ piepte der Vogel.

„Hm!“ blökte der Hammelkopf.

„Hum!“ brüllte der Bär.

Voll Angst blickte der Großvater um sich: O Gott, was für eine Nacht! Weder Mond, noch Sterne; und ringsumher nichts wie Schluchten; ihm zu Füßen lag ein schier bodenloser Abgrund, ihm zu Häupten hing ein Fels herab, der gerade auf ihn herunterstürzen wollte! Und es deuchte den Großvater, als blinzelte ihn hinter dem Felsen eine Fratze an: Hu! Hu! Die hatte eine Nase wie der große Blasebalg in der Schmiede; die Nüstern waren so groß, daß man einen Eimer Wasser in jede hinein gießen konnte, und zwei Lippen hatte sie, bei Gott, rein wie zwei Holzklötze! Die roten Augen glotzten nach oben und dazu steckte sie noch die Zunge heraus und bläkte ihn an! „Hol dich der Teufel!“ rief da der Großvater und warf den Kessel hin. „Da hast du deinen Schatz! Solch eine widerwärtige Fratze!“ Und schon wollte er Reißaus nehmen, aber da sah er sich um, und siehe da, es war alles wie früher. „Der Satan will mich nur schrecken!“ dachte er sich.

Er ging wieder daran, den Kessel auszugraben — doch nein, er war zu schwer! Was war da zu machen? Er konnte ihn doch nicht etwa da lassen! So nahm er denn alle Kraft zusammen und packte ihn mit beiden Händen: „Nun also, eins — zwei, drei!“ und er hatte ihn emporgehoben. „So, jetzt nehmen wir mal erst eine Prise!“ dachte er sich.

Er holte den Tabaksbeutel hervor. Zuerst aber sah er sich um, ob auch niemand da war. Nein, es war niemand da, so schien es wenigstens! Aber auf einmal kam es ihm so vor, als ob der Baumstamm ihn anfauchte und sich aufblies, zwei Ohren traten hervor, ein Paar rote Augen quollen heraus, die Nüstern bliesen sich auf und eine Nase zog sich kraus, als wollte sie niesen. „Nein, ich will lieber doch nicht schnupfen!“ dachte der Großvater und steckte den Tabak wieder ein. „Sonst spuckt mir der Satan wieder in die Augen!“ Er ergriff also schnell den Kessel und begann aus allen Leibeskräften zu laufen, da fühlte er, wie ihm von hinten jemand wie mit Ruten auf die Beine schlug ..... „O je, o je!“ schrie der Großvater und rannte weiter, als ob er nicht gescheit wäre; erst als er an des Popen Gemüsegarten vorbeikam, schöpfte er wieder ein wenig Atem.

„Wo mag nur der Großvater geblieben sein?“ dachten wir, nachdem wir drei Stunden auf ihn gewartet hatten. Die Mutter war schon längst vom Vorwerk zurückgekommen und hatte einen Topf mit heißen Klößen mitgebracht. Der Großvater aber kam und kam nicht! Wir setzten uns also allein hin, um zu vespern. Nach dem Abendessen wusch die Mutter den Topf und suchte mit den Augen nach einer Stelle, wo sie das Spülicht ausgießen konnte; denn ringsum gab es nichts als Beete, da sieht sie auf einmal, wie ihr eine Tonne entgegengerollt kommt. Es war ziemlich dunkel. Sicherlich hatte sich jemand von den Burschen mutwillig hinter die Tonne gesteckt und schob sie vor sich hin. „Ei, da kann ich ja das Spülicht in die Tonne gießen,“ sagte sie und goß das heiße Spülicht hinein.

„O weh!“ schrie da eine tiefe Baßstimme auf. Sieh da. Es war der Großvater! Ja, wer konnte denn das wissen! Bei Gott, wir dachten einfach, ein Faß käme herangerollt! Offen gestanden, wenn’s auch eine Sünde ist, aber es war wirklich furchtbar komisch, als der graue Kopf des Großvaters ganz von Spülicht triefend und mit Melonenschalen behängt hervorschaute.

„So ein Teufelsweib!“ rief der Großvater und wischte sich den Kopf mit dem Rockschoß ab. „Wie die mich verbrüht hat, rein wie ein Schwein vor Weihnachten! Na, Jungens, jetzt sollt ihr aber Bretzeln bekommen. Ihr sollt nur in goldenen Schupans herumlaufen, ihr Hundesöhne. Seht her! Seht, was ich euch mitgebracht habe!“ rief der Großvater und deckte den Kessel auf.

Und was glaubt ihr wohl, was drin war? Überlegt’s euch wohl, hört ihr — ihr denkt wohl: Gold? Aber das ist’s ja eben, daß es kein Gold war: Mist, Unrat und sowas ..... Es ist eine Schande zu sagen, was alles da drin war. Der Großvater spuckte aus, warf den Kessel hin und wusch sich die Hände.

Und seit der Zeit beschwor uns der Großvater, niemals dem Teufel zu trauen. „Denkt lieber gar nicht dran!“ sagte er oft zu uns. „Alles, was der Feind Jesu Christi spricht, hat er erlogen, dieser Hundesohn! Der hat auch nicht für einen Deut Wahrheitsliebe!“ Und kaum vernahm der Alte, daß es irgendwo rumore, so rief er uns schon zu: „Schnell Kinder, machen wir ein Kreuz darüber! So, so, so geschieht’s ihm recht! Tüchtig soll er’s kriegen!“ und dann legte er los mit dem Kreuzschlagen. Jenen verhexten Ort aber, an dem er nicht zu Ende tanzen konnte, ließ er umzäunen und ließ von da ab alles, was man nicht brauchen konnte, also den ganzen Schutt und Unrat, den er auf dem Felde ausgrub, dort hinwerfen.

So also foppte des Satans Macht den Menschen! Ich kenne diesen Ort sehr gut: später haben ein paar Kosaken aus der Nachbarschaft ihn von meinem Vater gepachtet, um ihn zu bebauen. Der Boden ist prachtvoll, und die Ernte war immer ganz herrlich; aber von einem behexten Orte kann ja nie Gutes kommen. Man sät etwas, was man braucht, dann aber geht etwas auf, wovon nur der Teufel weiß, was es ist: Es ist kein Kürbis, keine Melone und auch keine Gurke ..... Weiß der Teufel, was es ist.

Biographische Skizze von B. Schenrock

Übersetzt von Alexandra Ramm

Nikolaj Wassiljewitsch Gogol, der mit vollem Recht als einer der großen schöpferischen Geister im Gebiete der Wortkunst anerkannt wird, hat sich, wie bekannt, seinen Anspruch auf Unsterblichkeit nicht nur durch die großen Qualitäten seiner Werke, sondern auch durch die entscheidende Wirkung erworben, die er als richtunggebende Kraft auf die gesamte Entwicklung des russischen Schrifttums ausübte. Als ein Schriftsteller, der der Literatur unschätzbare Dienste erwies: indem er sie von der Nachahmung befreite und sie endgültig auf die Darstellung des wirklichen Lebens richtete, hat Gogol sich für immer einen der ersten Plätze in der Literaturgeschichte gesichert, wie groß auch die Verdienste seiner Nachfolger sein mögen.

Die persönlichste Note Gogols, des Menschen wie des Dichters, ist die unbezweifelbare Eigenart seiner Erscheinung, dies Wort in seinem höchsten Sinne genommen. Ihr hat er es zu verdanken, daß er fast allein durch sein natürliches Temperament die hohe Vollkommenheit erreichte, die seine Werke auszeichnet. Es ist kaum möglich, einen ähnlich bedeutsamen Vertreter der russischen Literatur zu nennen, der in gleich geringem Maße fremden Einflüssen verpflichtet ist.

Gogol war ein echter Kleinrusse. Im Gegensatz zu der Mehrzahl der großen russischen Dichter war er sowohl seiner Abstammung wie seiner Erziehung nach fast gänzlich frei von jeder Beimischung fremder Einwirkungen. Mit den frühesten Eindrücken seiner Kindheit sog er zugleich alle nationalen Eigenheiten des Kleinrussentums ein, als er noch die Luft seiner heimatlichen, so inniggeliebten Ukraine atmete. Immer blieb ihm Kleinrußland, das der Gegenwart wie der Vergangenheit, teuer und er forschte lebhaft nach seinen Ahnen, wenn auch nicht in dem Sinne genealogischen Nachspürens. Im Gegenteil: Gogol empfand aufs tiefste den dichterischen Zauber der Erinnerung an die Ahnen, dem er in folgenden tief gefühlten Zeilen Ausdruck gab: „O Vergangenheit, Vergangenheit! Welch ein Jubel, welch eine Befreiung erfüllt unsere Seele, wenn wir von dem hören, was vor langer, langer Zeit, vor Jahr und Tag einmal in der Welt geschah! Und wenn nun noch ein Blutsverwandter, ein Großvater oder Urgroßvater an jenen Ereignissen teilnahm, ah — dann verstummt der sonst so beredte Mund.“ Wir wollen hier nicht die Geschichte Ostaps erzählen, der vermutlich ein Ahne Gogols war und bemerken nur, daß diese echt kleinrussische Familie, wenn auch nur für kurze Zeit, mit zweien ihrer Mitglieder in die Reihen der polnischen Schlachta eingetreten war, was eine Erklärung für den zweiten polnischen Namen liefert, dem die Gogols dem ihren anfügten: Gogols Urgroßvater hieß Jan, nach ihm nannten sie sich auch Janowski, und ihr Erbgut im Kreise Mirgorod, Regierungsbezirk Poltawa, erhielt den Namen Janowschtschina (wie ein anderes Gut, Wassiljewka, seinen Namen nach Gogols Vater Wassilij erhalten hatte). Später war Gogol bemüht, diesen zweiten Namen abzulegen, denn er behauptete, daß „die Polen“ dieses Anhängsel erfunden hätten.

Und doch war Gogol den Professoren und Mitschülern fast ausschließlich unter dem Namen Janowski bekannt. Schon der Sohn Jan Gogols war griechisch-katholisch geworden; er wurde in der Kiewer Akademie erzogen und trat sogar in den geistlichen Stand ein; sein Enkel, der Großvater unseres Dichters, war den Zeugnissen nach, die sich erhalten haben, ein echter Kleinrusse. Für uns hat die Bekanntschaft mit den Ahnen Gogols vor allem die Bedeutung, daß sie uns von der Überlieferung alle als hochbegabte Menschen geschildert werden — jedenfalls waren sie keine gewöhnlichen Erscheinungen. Auch der Vater Gogols, Wassilij Afanaßjewitsch, war ein außerordentlich begabter und herzensguter Mensch, mit einem lebendigen und wißbegierigen Verstand, literarischen Neigungen und einem ausgesprochenen Erzählertalent. Sorglos und geliebt von Nachbarn und Freunden begnügte er sich mit seinem bescheidenen Familienglück und träumte nie von dem lockenden Ruhm des Dichters. Ein Zufall, die Übersiedelung nach dem Gute des bekannten kleinrussischen Magnaten Troschtschinsky, einem Verwandten seiner Frau, Kibinzu, erschloß der dichterischen Begabung Wassilij Afanaßjewitschs ein würdigeres Feld. Dank der weitherzigen Gastfreundschaft Troschtschinskys war dieser immer von Freunden umringt: stets standen Zimmer und ganze Flügel für die Ankömmlinge bereit. In seinem Hause herrschte ewiger Feiertag: man musizierte, spielte Theater, arrangierte Feste — und alles war immer von einer erregten Atmosphäre von Freude und Glanz umgeben. Nicht minder hing man in diesem Schlosse geistigen Interessen nach: selbst bloße Vergnügungen trugen das Merkmal vollendeten Taktes und Geschmacks, und keiner widerstand dem bezaubernden Eindruck des Ganzen. Gogols Eltern wurden hier gern gesehen, und man schien in diesem zeitgenössischen Athen dem alltäglichen Leben ganz entrückt zu sein.

Am 19. März 1800 wurde W. A. Gogol, das ältere von den zwei am Leben gebliebenen Kindern, unser Dichter, geboren. Von dem ersten Tag an war er der Abgott der Familie, vor allem der Mutter, deren Güte und Freundlichkeit allgemein hochgeschätzt wurde. Es ist selbstverständlich, daß der Knabe von seinen Eltern mit zartester Sorgfalt behütet wurde, und so wuchs er mitten unter Gutsherrn und Bauern alten Schlages auf. Schon als Kind hatte ihm die Natur eine außerordentliche Beobachtungsgabe verliehen, und so prägte sich ihm von früher Jugend an das Bild eines kleinrussischen Dorfes ein: unmerklich schleichen sich die kleinrussischen Sagen, Sitten und Tänze in sein Herz. Auf dem Gute Troschtschinskys lernt er vieles kennen, was ihm in der Enge seines väterlichen Hauses ewig unbekannt geblieben wäre. Und hier erlebte er seinen ersten künstlerischen Genuß: als er bezaubert den Dramen Kotlarewskis zuschaute, die von Leibeigenen auf dem Haustheater gespielt wurden. Mit zehn Jahren brachte man ihn nach Poltawa, um ihn dort für sein späteres Studium vorbereiten zu lassen; bald jedoch wurde er nach Njäschin geschickt in das „Gymnasium der höheren Wissenschaften,“ wo er vom Mai 1821 bis Juni 1828 als Schüler verblieb. In der Schule machte der kränkliche, nicht allzufleißige Knabe, der seine geringe Zuneigung zu den Wissenschaften durch eine innige Hingabe an allerlei kleine Streiche und Neckereien ersetzte, weder auf seine Altersgenossen noch auf die älteren Schüler einen besonders guten Eindruck: die einen lachten ihn als einen Spaßmacher aus, die andern verachteten ihn als einen Faulenzer. Der natürlichen Begabung des Knaben, die sich vorläufig nur dadurch kundgab, daß er den Lehrern treffende Spitznamen gab und ihre Eigenheiten geschickt nachahmte, schenkte keiner irgendwelche ernstere Beachtung: aber die von ihm erfundenen Spitznamen werden von den andern sogleich aufgegriffen, und alles belacht seine närrischen Streiche, wenn auch keiner glaubt, daß sich hierin irgend etwas ungewöhnliches ausdrückt. In dieser Zeit faßt er plötzlich eine leidenschaftliche Hinneigung zur Malerei, wohl auch zu Büchern: aber bald beherrscht das Theater widerspruchslos seine Sehnsucht. Er bemüht sich, im Njäjiner Lyzeum kleine Aufführungen zu arrangieren und als Schauspieler gelingen ihm vor allem die Rollen der komischen Alten. Seine Leidenschaft entflammte auch seine Kameraden. Bald gibt er eine Schülerzeitschrift heraus und träumt von seiner Zukunft, die sich in lichten Farben vor ihm eröffnet. Als er sechzehn Jahre alt ist, stirbt sein Vater plötzlich. Dadurch wird seine Entwicklung entscheidend in eine andere Bahn gelenkt. Aus dem spielerischen Knaben wird unversehens ein Jüngling. Sein und seiner Angehörigen Schicksal, dem er sich ganz widmen will, bemächtigt sich seiner Phantasie: vor allem will er der jüngeren Schwester den Vater ersetzen. Noch immer sind seine Fortschritte in der Schule gering, nur für Geschichte wird ein größeres Interesse bei ihm bemerkbar, ebenso für die Poesie, wenn ihn auch der Literaturunterricht im Gymnasium wenig anzieht. Er macht sich über den Professor, dessen vorsintflutliche Anschauungen noch in der „guten alten Zeit“ wurzeln und der Puschkin verachtet, lustig ... Und dann erwacht die jugendliche Sehnsucht nach Freundschaft in ihm. Außer seiner Knabenfreundschaft mit Danilewski, dem Sohne des Gutsnachbars, gewinnt er noch Wyssozki und die Brüder Prokopowitsch zu Freunden. Die letzten Jahre der Schulzeit eilen schnell vorüber; Wyssozki, der die Schule absolviert hat, reist nach Petersburg, und Gogol, der oft mit dem Freunde von der Hauptstadt im Norden geträumt hat, sehnt sich heiß nach den Ufern der Newa. Seine Träume zaubern ihm das herrliche Leben in Petersburg vor, wo die großen Ziele locken: gereizt empfindet er das Provinzielle seiner Umgebung. Seine scharfe Beobachtungsgabe verbindet sich mit schneidendem Humor zu bissigen Ironien. Aus den kühnen Träumen der Jugend gestaltet sich das Idyll „Hans Küchelgarten“. Endlich naht die Zeit der Abschlußprüfung. Gogol fühlt, daß er noch große Lücken auszufüllen hat und beginnt angestrengt zu arbeiten. In den Briefen an seine Mutter, die in dieser Zeit geschrieben sind, macht er der Schule bittere Vorwürfe, daß sie ihn so lange aufgehalten hat, ohne ihm sichere Kenntnisse beizubringen. Aber endlich besteht er die Prüfling.

Er kehrte auf kurze Zeit in seine Heimat zurück, um dann mit seinem treuen Kameraden Danilewski nach Petersburg zu fahren. Bald enttäuscht die grausame Wirklichkeit die großartigen Träume der Jugend: statt in einem großen Zimmer mit hohen Fenstern auf die Newa hinaus zu wohnen, muß er sich mit einem Raum in einer höheren Etage in einer viel prosaischeren Gegend begnügen; die hohen Preise machen ihn niedergeschlagen. Die Empfehlungsbriefe, mit denen ihn die sorgliche Mutter ausgerüstet hatte, öffnen ihm zwar die Häuser einiger angesehener Personen, bleiben aber ohne jegliches praktisches Resultat. Er leidet Not und muß im Winter mit einem Sommermantel herumlaufen. Er muß allen Vergnügungen entsagen: nicht einmal das heißgeliebte Theater kann er besuchen ... Er fühlt sich tief unglücklich und mit fieberhafter Eile unternimmt er einen Versuch nach dem andern; aber alles mißglückt ihm. Er erinnert sich der Erfolge, die er auf der Bühne des Schultheaters errungen hatte und läßt sich als Schauspieler prüfen: aber sein Organ, klar und jeder Übertreibung bar, macht auf die zeitgenössischen Theateraristarchen einen ungünstigen Eindruck. Er selbst bemerkt es während der Probe und entfernt sich heimlich, ohne das Resultat abzuwarten. Dann fiel es ihm ein, sein Idyll „Hans Küchelgarten“ drucken zu lassen, aber die Kritik nahm es kühl auf, und der gekränkte Dichter warf eiligst seinen Erstling in die Flammen. Inzwischen war ihm aber das Interesse der Petersburger für alles Kleinrussische aufgefallen, und der unternehmungslustige Jüngling beschäftigt sich mit dem Plan, die Komödien seines Vaters aufzuführen. Ebenso beginnt er, mit Hilfe der Mutter und seiner Freunde näheres Material für einige geplante kleinrussische Erzählungen zu sammeln, die er auch wirklich niederschreibt und die unter dem Namen „Abende auf dem Gutshof bei Dikanka“ bald eine umfassende Popularität erlangten. Über seine Stimmung zu dieser Zeit mögen einige Zeilen Auskunft geben, die einem gleichzeitigen Brief an seine Mutter entnommen sind: „Ist das eine ein Mißerfolg, kann man zum andern greifen, und mißglückt das auch — dann zum dritten usw. Das Kleinste kann manchmal eine große Hilfe bedeuten.“ In dieser Stimmung reifte plötzlich der Plan in ihm, ins Ausland zu reisen — in das Ausland, von dem er seit seiner Schülerzeit zu Njäschin geträumt hatte! Er sehnte sich nach einem phantastischen Land des Glücks und der schöpferischen Arbeit. Aber auch diesmal enttäuschte die Wirklichkeit die farbige Glut seiner Jugendträume. In der „Beichte des Dichters“ bekannte er, daß „er sich kaum auf dem Meere, auf dem Dampfer, unter fremden Menschen“ befand, als schon die frohen Träume von einem glücklichen exotischen Leben in nichts zerflossen. Kaum hatte er sich flüchtig umgesehen, kaum hatte er Lübeck, Travemünde, Hamburg kennen gelernt, als er schon zurück nach Petersburg eilte. (Nach A. S. Danilewskis Angabe war Gogol aus Petersburg fortgefahren, um sich in Amerika anzusiedeln.) Bald nach seiner Rückkehr erhielt er eine Stellung im Apanagen-Departement. So kläglich hatten seine herrlichen Dichterträume geendet. Und gerade diesen Ausgang hatte er wie das Feuer gefürchtet, und mit allen Kräften sträubte er sich gegen den Gedanken, daß „das Schicksal ihm ein düsteres Heim des Ungekanntseins zugedacht hätte“.

Inzwischen aber gediehen die „Abende auf dem Gutshof bei Dikanka“ fleißig weiter; außerdem begann Gogol seine ersten literarischen Versuche in Zeitschriften zu veröffentlichen und Beziehungen zu Schriftstellern anzuknüpfen. So war er endlich auf der Bahn, die zu einer Verwirklichung seiner Träume führen konnte. Delwig, Schukowski, Pletniew — vor allem der letztere — erkannten seine glänzende Begabung und entwickelten für seine Zukunft eine geradezu väterliche Besorgnis. Pletniew verschaffte ihm eine Stellung als Geschichtslehrer am „Patriotischen Institut,“ wo er selbst Geschichtsunterricht erteilte, und ebenso einige Stunden in vornehmen Häusern. Er war es auch, der ihn mit Puschkin bekannt machte. Noch ein paar Mißerfolge hatte Gogol zu überwinden, und dann erhaschte er das Glück, das phantastische, zauberhafte Glück ... Plötzlich fühlte er sich in die Sphäre der höheren literarischen Welt gehoben ... aussichtsreiche Beziehungen eröffneten sich ihm. Vor allem befreundete er sich mit dem vielumworbenen Fräulein A. O. Rosset, der späteren Frau Smirnowa. Ihre gemeinsame heiße Liebe zur Ukraine hatte sie zusammengeführt, und das war für ihn um so bedeutungsvoller, als sich sein Verhältnis zur Heimat in den seelischen Erschütterungen der letzten Jahre wesentlich verändert hatte. War es früher seine leidenschaftliche Sehnsucht, nur schnell in die Hauptstadt zu kommen, so sehnte er sich jetzt aus den schweren Enttäuschungen der großen Stadt in seine geliebte Ukraine zurück, obwohl er die Bedeutung Petersburgs für seine Zukunft wohl erkannt hatte. Im Jahre 1831 gab er unter dem ihm von Pletniew empfohlenem Pseudonym Rudy Panjko die „Abende auf dem Gutshof bei Dikanka“ heraus. Den Sommer verbrachte er in Zarskoje Selo, in glücklicher Gemeinschaft mit Puschkin und Schukowski. (Nunmehr war er überhaupt einer „derer um Puschkin“ geworden.) Erst im Sommer 1832 benutzte er seine Ferien, um die Heimat aufzusuchen. Eine neue Idee hatte sich um diese Zeit seiner bemächtigt: er wollte eine Komödie schreiben, deren Stoff dem alltäglichen Leben entnommen sein sollte. Seine eminente Beobachtungsgabe mußte einmal einen solchen Gedanken gebären, um sich vollkommen entladen zu können: durch sie wurden Züge seiner Umgebung hell bestrahlt, die dem gewöhnlichen Blick für immer verborgen bleiben, obwohl sie in Wahrheit die am tiefsten charakteristischen sind. Das zeitgenössische Repertoire bestand in der Mehrzahl aus affektierten Dramen und Tragödien: teils waren es lärmende Trauerspiele im pseudoklassischen Geschmack, teils anspruchslose Komödien, die, ohne jede Bedeutung, nur der Abwechslung dienten. Es kann nicht stark genug betont werden, daß in dieser Lage Gogols Plan geradezu eine Offenbarung bedeutete: und wenn um Gogols schöpferischer Stellung in der Literatur vielleicht gestritten werden kann, so kann über seine Bedeutung für die dramatische Kunst nicht der geringste Zweifel herrschen. Denn die Entwicklung des russischen Dramas kann selbst durch so starke ästhetische Schöpfungen wie Puschkins „Geizige Ritter“, „Mozart und Salieri“ oder „Der steinerne Gast“ nicht erklärt werden: überall wird man der entscheidenden Einwirkung Gogols begegnen. Seine Ansicht von der Bedeutung des Dramas, die ihm aus tiefstem Innern zugeflossen war, war so selbstständig und neu, daß sie ihm bei einem vorübergehenden Aufenthalt in Moskau die gerühmten Produkte der zeitgenössischen dramatischen Literatur ganz bedeutungslos erscheinen ließ; diesen Aufenthalt in Moskau — übrigens auf seiner Reise in die Heimat — benutzte er, um literarische Beziehungen anzuknüpfen, die er sich vorher sorgfältig ausgewählt hatte und von denen er eine Förderung seiner dramatischen Absichten erwarten konnte, oder die ihm bei einer praktischen Ausnutzung seiner Geschichtsstudien behilflich sein konnten. Gogols Ansichten frappierten allgemein und selbst ein so kultivierter Kenner des Theaters wie S. T. Aksakow war von einigen gelegentlichen Äußerungen aufs tiefste überrascht, deren tiefe Wahrheit er trotz ihrer scheinbaren Seltsamkeit sofort einsah. In Moskau kam Gogol mit M. P. Pogodin und seinen Landsleuten Maximowitsch und dem Schauspieler Schtschepkin in nähere Berührung. Seine Rückkehr in die Heimat bereicherte ihn um viele trostlose Erfahrungen: er kehrte ja nicht mehr als der glückliche, von lichten Träumen erfüllte Jüngling zurück, als der er vor drei Jahren mit Danilewski fortgezogen war. In diesen drei Jahren hatte er etwas köstliches verloren: die frohen Träume der Jugend. Die Träume der Jugend, die voll blühender Sehnsucht die Welt als einen Triumphpfad träumt, mit bunten Blumen überschüttet. Aber der rosa Vorhang ist gesunken, und nackt starrt vor dem bestürzten Auge die kahle Mittelmäßigkeit des Alltags. Und Gogol erfüllt die ernste Tragik des Lebens, die sich unter dem grauen Einerlei des Weltlaufs verbirgt. Alles, was ihm der Traum in verlockenden Bildern gemalt hat, was in der Ferne ihm begehrenswert erschienen war — alles zeigte sich noch nichtiger und trostloser, als es ihm vor drei Jahren erschienen war. Und in der Nähe wartete das gleiche Petersburg auf ihn: aber ohne die magische Aureole, die es ihm vor drei Jahren verklärt hatte. Das alles drückt sich in der veränderten Stimmung seiner nächsten Werke aus: deutlich scheidet sich schon „Mirgorod“ hierin von den „Abenden auf dem Gutshof bei Dikanka,“ die in allem die zärtliche Verklärung der Jugend atmen. Aber kaum ist er wieder in Petersburg angelangt, als er sich schon den Traum einer neuen glücklichen Zukunft ausmalt: er will nach Kiew gehen, um sich dort um die Geschichtsprofessur an der eben eröffneten Universität zu bewerben. Erfüllt von dem Gefühl seiner reichen inneren Kräfte, durchdrungen von der Überzeugung, die im Kreise Puschkins alle beherrschte, daß das Genie der Masse und ihrer Meinung absolut überlegen sei — hatte er sich nie ernste Gedanken über die Verantwortlichkeit einer akademischen Stellung gemacht. Er war fest überzeugt, daß allein durch die Kraft der lebendig-bildlich-bewegten Vorstellung die Künste der „welken Schulmeister“ in Schatten gestellt würden. Nachdem er sich mit Puschkins und Schukowskis Hilfe den Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte an der Petersburger Universität erobert hatte, hielt er es natürlich auch nicht für nötig, sich für die bevorstehenden Vorlesungen ernsthaft vorzubereiten: statt dessen überläßt er sich der geliebten Arbeit des dichterischen Schaffens. In dieser Zeit schreibt er den „Revisor.“ Sein Selbstvertrauen wächst maßlos: er denkt daran, eine Geschichte Kleinrußlands im Mittelalter zu schreiben. Das Resultat ist nicht anders, als man erwarten konnte: in seiner Universitätszeit entstehen dichterische Schöpfungen von hohem Werte, würdig seines Talents — aber seine wissenschaftlichen Pläne scheitern jammervoll, und seine Vorlesungen sind, wenn man von einigen wirklich glänzenden absteht, flüchtig und mittelmäßig. Die Hörer verlieren Achtung und Vertrauen vor ihrem Professor, und wenn sie ab und zu in sein Auditorium hineinsehen, geschieht es nur, um sich „durch seine phantastische Diktion unterhalten zu lassen.“ Gogols Professur endete mit einem vollständigen Fiasko, zumal er seine Vorlesungen bald aus Mangel an gelehrtem Material ausfallen lassen mußte. Und da gerade zu dieser Zeit die Anforderungen an die Professoren erhöht wurden, blieb ihm nichts anderes übrig, als seinen Abschied zu nehmen. Kurz vorher hatte er auch die Stunden im „Patriotischen Institut“ verloren.

Nach diesen Mißerfolgen richtete er all seine Kraft auf die Aufführung des „Revisors“. Am 19. April 1836 wurde dieses große Werk, das bis heute noch eine hohe Zierde der russischen Bühne ist, endlich zum erstenmal gegeben. Anders als jene Dutzendautoren, deren kühnste Hoffnung nur bis zum freundwilligen Applaus des Publikums reicht, blickte Gogol auf die Bühne: mit tiefer Angst und Wehmut verfolgte er das Schicksal seines Werkes, in das er seine ganze Seele, seine edelsten Kräfte gelegt hatte. Die Pfeile der Komödie trafen scharf ins Ziel, und im Publikum wogte eine außerordentliche Erregung gegen das Werk. Kaiser Nilolaj Pawlowitsch, der bei der ersten Vorstellung des Revisors anwesend war, entschlüpften folgende denkwürdige Worte: „Das ist ein Stück! Alle haben ihr Teil bekommen — aber ich am meisten!“ Von tiefer Anteilnahme für die schonungslose Entblößung sozialer Schäden erfüllt, ebnete der Kaiser durch seine Protektion dem Werk den Weg zur Bühne. Aber statt daß der Dichter über eine so offensichtliche Wirkung erfreut ist, ist er überrascht und niedergeschlagen und wehmütig ruft er aus: „Herrgott, wenn nur einer oder zwei geschimpft hätten — Gott segne sie. Aber alle ... alle!“ Bitter beklagt er sich bei seinen Freunden, daß alle das Werk schmähten und doch abends in die Vorstellung liefen. Die Aufführungen werden durch die üblichen Schikanen und Intriguen der Theaterbehörden immer wieder gestört: und das alles bringt den Kelch schließlich zum Überlaufen. Von den schweren Erlebnissen der letzten Jahre gequält und zerrüttet, reist er mit seinem unzertrennlichen Freunde Danilewski ins Ausland, um dort Ruhe und Zerstreuung zu finden.

Trotz der vielen Mißerfolge blickt er mit unzerstörbarer Heiterkeit in sein zukünftiges Leben. Und so reisten beide Freunde in die Welt hinaus, jung, frei, und fortgerissen von dem Drange, sich in das lockende, fremde, westeuropäische Leben zu stürzen. Fröhlich, als hätten sie die Last düsterer, ewig gleicher Eindrücke für immer abgeworfen, eilten sie einer hellen, rosigen Zukunft entgegen. Die goldenen Träume der Jugend schwebten noch über ihnen, und vor ihnen erhob sich die Morgenröte eines besseren poetischeren Lebens, erfüllt von Jubel und lichtem Glück.

Mit dieser Reise in das Ausland begann für Gogol eine neue Epoche seines Lebens. Von allen Interessen der offiziellen Petersburger Welt getrennt, gab er sich ungehemmt der ihm entgegenbrausenden neuen Welle hin. Er schließt neue Bekanntschaften, und die Distanz zwischen ihm und seiner Vergangenheit wird mit jedem Tage größer, entscheidender. Ein, zwei Monate vergehen — und er fühlte sich allen ehmaligen Sorgen und Ärgernissen entfremdet. Nur die innige Liebe zur Heimat erwacht wieder: und jede Erinnerung wird ihm zu einem sorgsam gehegten Schatz. Aber die Bitterkeit, mit der sie die schönste Zeit seines Lebens erfüllt hatte, ließ sich doch nicht ganz vergessen, und in seinen intimen Bekenntnissen stehen neben begeisterten Hymnen auf die Heimat bittere Klagen über ihre Schattenseiten. Beides ist gleichbezeichnend für des Dichters unübertroffene Aufnahmefähigkeit. Mit der Hingabe eines Jünglings weiß er die zahllosen neuen Eindrücke zu genießen, er reist von einem Land in das andere, um sich endlich für längere Zeit in Italien niederzulassen, das er später seine „zweite Heimat“ nennt. Die Wunder der italienischen Natur und Kunst, die große Eigenart Roms, die Lebensführung, die allem früher Gesehenen nur allzu Gewohntem direkt widersprach — wie stark mußte das alles auf die empfängliche Seele des Künstlers wirken! Und gierig schlürft Gogol den Kelch dieses erregten Lebens, oft mit seinem Freund Danilewski, oft auch mit einem andern Enthusiasten, dem edlen und reinen Maler A. A. Iwanow. In einer glücklichen poetischen Umgebung geben sie sich bis zur Selbstvergessenheit dem ästhetischen Genießen der Natur hin, und voll tiefer Seligkeit empfinden sie sich als freie Menschen, unendlich fern von allem Kalten und Offiziellen, von allen materiellen Ablenkungen. Hier in Italien berührten alle Dinge die Seele unserer Einsiedler zärtlich: das stille Genießen der Kunst, der Zauber der wundervollsten Sprachmelodie, das Ergreifende überraschender Farbenwechsel und die mit nichts zu vergleichende Pracht des südlichen Himmels. Jede durchkreuzte Straße dieser hingebend geliebten Stadt, jeder unbedeutende Winkel in den dunklen und nicht immer ganz sauberen Osterien wird ihnen teuer. Eine besondere Freude war es für Gogol, hier in der Fremde Seelenverwandte zu treffen, und er fand ihrer viele. Mit einem Wort: es war die glücklichste, hellste Zeit seines Lebens.

Aber wie es immer im Leben geht, diese Zeit war nicht von langer Dauer, und ihr Glück mußte hart gebüßt werden. Das Schicksal ist nicht freigiebig mit solchen Geschenken, und es war Gogol nicht lange beschieden, in dieser Hochflut ästhetischer Genüsse zu leben. Allein in dieser Zeit hatte er den ersten Band der „Toten Seelen“ geschrieben, eines Werkes, das nunmehr zu seiner Lebensaufgabe heranwächst. Das glückliche Leben verdüsterte sich durch materielle Sorgen, und auch Wolken anderer Art bedrohten seinen heiteren Horizont. Bald mußte er eine kostspielige Reise nach der Heimat machen, um seine Schwestern aus dem Institut zu nehmen und die jungen unerfahrenen Mädchen wenigstens nach Moskau zu begleiten, und die Rückreise brachte neue Sorgen, die eine erhebliche Anleihe verlangten. Bald vergifteten Krankheiten sein Leben; im Jahre 1840 überstand er nacheinander in Wien und Rom zwei schwere Krankenlager. Eine Zeitlang glaubte er sich sogar am Rande des Grabes. Jede Genesung empfindet der von Kindheit an religiös gestimmte Gogol als eine göttliche Erlösung von dem Tode, die ihm das Schicksal nur gewährt hat, um durch neue Schöpfungen dem Nutzen der Menschheit in einem höheren Sinne dienen zu können oder, wie er sich später äußerte, „um einen Hymnus auf die göttliche Schönheit zu singen“.

Das alles geschah an der Grenze der dreißiger und vierziger Jahre. Die sensible Natur des Künstlers hatte sich der schweren Anfechtungen zu erwehren, die unbarmherzig auf ihn niederprasselten. Einer der schwersten Schicksalsschläge, die ihn betroffen hatten, war der frühe Tod des jungen Josef Wielgorski, an dem er während der letzten Monate seines langsamen Dahinschwindens mit ganzer Seele gehangen hatte. Gogol war für die Freundschaft aufs äußerste empfindlich, und gerade darum blieb der Kreis seiner Freunde immer sehr klein. Aber nicht minder zerrütteten ihn die kleinlichen Sorgen des Alltags. Fern von den aktuellen Tagesfragen und den Interessen der zeitgenössischen literarischen Welt, beschränkt durch seine persönlichen Beziehungen und materiellen Verpflichtungen, konnte er seinen Freunden kaum etwas recht tun. Unter dem Kreuzfeuer ihrer Ansprüche und gegenseitiger Gereiztheiten geriet er unwillkürlich in eine unangenehme und unbequeme Lage, da sie sich alle für berechtigt hielten, eine Unterstützung ihrer zahlreichen Zeitschriften durch Arbeiten aus seiner Feder zu verlangen. So entzweite er sich mit dem ihm einst in Moskau (1841) sehr nahestehenden Pogodin, der ihm Geld geliehen hatte und sich berechtigt fühlte, Arbeiten von ihm zu verlangen. Pletniew und seinen andern Petersburger Freunden gefiel wiederum seine Annäherung an die Moskauer nicht, und die Aksakows mit ihrer aufrichtigen, aber wie Gogol selbst sagte, übertriebenen Liebe zu ihm waren durch seine Anhänglichkeit an Italien verletzt. Die Mühen, die das Erscheinen der „Toten Seelen“ im Jahre 1842 verursachte, machten in Gogol die Erinnerung an die schrecklichen Seelenqualen lebendig, die er bei der Aufführung des Revisors erlitten hatte. Wieder die gleichen offiziellen Scherereien, vor allem mit der Zensur, die Meinungen äußerte wie folgende: der Titel „Tote Seelen“ schon könne nicht zugelassen werden, da die Seele unsterblich sei! Besonders hatte die Erzählung vom Kapitän Kopeikin darunter zu leiden. Wieder war Gogol gezwungen, durch Bitten und Besuche hochgestellte Persönlichkeiten zu interessieren, wieder allerlei quälende Intrigen. Und waren es früher nur die Intrigen im Theater, die ihn marterten, so bereiteten ihm jetzt seine Freunde allerlei Schwierigkeiten: vor den Aksakows mußte er seine Beziehungen zu Belinski[1] verbergen, und bei Pogodin war es ihm unangenehm, daß er mit dem von ihm erborgten Gelde dem Maler Iwanow geholfen hatte. Zu gleicher Zeit beunruhigten ihn die finanziellen Verhältnisse seiner Familie auf das äußerste, und er durfte nicht einmal daran denken, zu helfen, da seine eigene materielle Lage eher alles andere als glänzend war. Noch während seines Petersburger Aufenthaltes hatte er in dieser Beziehung allen Boden unter den Füßen verloren. Nachdem er seinen früheren Beruf aufgegeben hatte, war es ihm nie wieder in den Sinn gekommen, zu einer bestimmten Tätigkeit zurückzukehren — ausgenommen natürlich die Arbeit an seinen Dichtungen. Wiederholt wandte er sich an die Regierung mit der Bitte um eine Subvention, wobei er immer wieder darauf hinwies, daß es sein heißer Wunsch sei, dem Vaterlande zu nützen, und daß er, da er sich in keiner Stellung befände, ohne bestimmte Einnahmen sei. Gleichzeitig befestigt sich in ihm die Überzeugung, daß er sich ganz dem heiligen Werk der Arbeit an den „Toten Seelen“ widmen müsse. Er glaubt sich von Gott dazu berufen, in den folgenden Bänden die Ganzheit des russischen Menschen darzustellen und die besseren helleren Seiten seiner Natur. Für Gogol beginnt sich nunmehr die Frage nach der Fortsetzung seiner Arbeit immer stärker mit dem Problem der Rettung seiner Seele zu verknüpfen; und um die ihm gestellte Aufgabe würdig lösen zu können, glaubt er sich geistig ganz neu gebären zu müssen. Er bittet Gott, ihm Kraft zu verleihen, die ihm bevorstehende heroische Tat vollbringen zu können. Inzwischen geht er immer mehr in sich und verschließt seine Seele vor den andern. Er beginnt, seinen früheren Arbeiten wenig Bedeutung beizulegen, er findet sie leer, und mit der ganzen Kraft seiner Seele geht er in dem innig gehegten Traum auf, seinem Volke das ihm so nötige, noch nie gesagte Wort zu verkünden. Grandiose Perspektiven eröffnen sich vor seinem Auge, und unwillkürlich drängt sich ihm die Empfindung auf, daß der erste Teil der „Toten Seelen“ nur die Vorhalle zu einem mächtigen, noch im Bau befindlichen Palast sei. In dieser Stimmung schreibt er Zeilen, wie jene über Rußland, die tiefster Inspiration entsprungen sind und die ihn den von diesem Anspruch gereizten Zeitgenossen als mehr denn anmaßend erscheinen ließen. Tönend verkündet er in diesen Zeilen, daß nunmehr aller Augen auf ihn gerichtet seien und daß er der Sendbote einer anderen neuen Zeit sei, „wo aus einem anderen Quell ein furchtbarer Sturm der Begeisterung sich erheben wird, aus einem Haupte, das von heiligem Schrecken und strahlendem Glanz umweht ist: und in verwirrtem Zittern wird man den erhabenen Donner anderer Reden hören“. Gogol träumt von seiner messianischen Sendung: wenn er auch nicht, wie es der Traum seiner Jugend war, der ganzen Menschheit Segen bringen könne, so doch zumindest seinem geliebten Vaterlande. Er vergißt seine Bitterkeit und die tiefen Wunden, dankbar segnet er die Vorsehung für sein hohes, über der Ebene des gewöhnlichen Lebens gelegenes Schicksal, und er heißt alle Prüfungen willkommen: selbst die Armut, die er nach seinen eigenen Worten liebgewonnen hat, wie der Liebhaber seine Geliebte. Mit starrer Entschlossenheit beschränkt er seine Habe auf ein „Köfferchen“ mit den Handschriften seiner Werke und einigen Büchern religiösen Inhalts; und zuletzt sucht er Tröstung selbst in den physischen Leiden, die seinen von Natur schwachen Körper mehr und mehr untergraben. Diese Idee, an die er sich klammert und die sein ganzes sittliches Sein erfüllt, wandelt seine moralische Persönlichkeit vollkommen um, obschon es keine wurzelhafte Veränderung ist, vielmehr erhalten einige Seiten seiner moralischen Konstitution, die in der Jugend durch Sehnsucht, Lebensfrische, Gestaltungslust im Gleichgewicht gehalten wurden, jetzt mehr und mehr das Übergewicht. Dieser Prozeß beginnt Ende der dreißiger Jahre und erfüllt das ganze nächste Jahrzehnt, er spiegelt sich deutlich in den Briefen dieser Periode, und wenn er mitunter so abweichende, leidenschaftlich vertretene Beurteilungen findet, so ist dies eine Folge der Verschiedenheit des Gesichtswinkels, unter dem man ihn betrachtet; ob man auf das stürmische Wachsen des inneren Menschen in Gogol achtet, der sich bis zum reinsten Idealismus läutert, oder ob man die seelische Krise Gogols vom Standpunkt des Ästhetikers bewertet, der ihren zerstörenden Einfluß auf seine schöpferische Kraft betrachtet. Unter diesem ästhetischen Gesichtspunkt ergibt sich diese Wandlung als notwendige Folge des Zwiespaltes, in den die freie schöpferische Kraft durch ihre Bindung mit — wenn auch zweifellos idealen — religiösen Motiven geraten muß. Eines aber ist unzweifelhaft: das letzte Jahrzehnt des Dichters stellt einen schmerzlichen und langwierigen Auflösungsprozeß seiner physischen Kräfte dar und ihm parallel einen stetigen Niedergang seiner ästhetischen Schöpfungskraft und eine sich bis zum Krankhaften steigernde religiöse Ekstase. Aber trotz der hartnäckigen Gerüchte, die sich bis über seinen Tod hinaus erhielten, hat keiner seiner Freunde je bei ihm eine geistige Störung festgestellt. Andererseits hat jeder von der äußerst schroffen Umwandlung Gogols während seiner letzten Jahre berichtet, und dieser Eindruck, der von seiner Familie wie von seinem Vertrauten Danilewski bestätigt wird, muß bei der Beurteilung dieser Epoche Gogols durchaus mit berücksichtigt werden. Keime der mystischen Stimmung, die Maximowitsch schon 1835 bei Gogol beobachtet hat, und nach ihm — aber immer noch früher als die andern Freunde — S. T. Aksakow, sind unter dem Eindruck der überstandenen Qualen und der ewigen Angst vor der Not der Todesstunde schnell gereift, außerdem fanden sie auch einen günstigen Boden in der Umgebung, in der Gogol sich während seines Lebens im Auslande befand. Die Gesellschaft der Schukowski, Frau Smirnowas, A. P. Tolstois und des kranken Dichters Jasykow schien geradezu auserwählt zu sein, um Gogol, der von der Heimat getrennt und von allen Einflüssen des westeuropäischen Lebens ganz abgeschlossen war, immer tiefer und hemmungsloser in einen bodenlosen Mystizismus versinken zu lassen. Gogols Umwandlung in seinen letzten Lebensjahren war eine endgültige: mitgerissen von seelischen Entdeckungen, Prophetien, und zermarternden Selbstbespiegelungen und bestürmt von grausamen unablässigen Leiden zerrann ihm sein früheres Dasein in nichts. Seine Verschlossenheit und innere Einsamkeit wuchs: seine Zuneigung zu seinen Jugendfreunden verwandelte sich in eine mißtrauische Gespanntheit, seine dichterische Schöpfungskraft nahm an Umfang und Wert ab. Lange noch lebte Gogol im Ausland, mitunter auch in dem von ihm so innig geliebten Italien, aber er ist nicht mehr der frühere Enthusiast, der sich vor der wundervollen italienischen Landschaft begeistert. Immer ausschließlicher beschränkten sich seine Gedanken auf das Religiöse: es zieht ihn nach Palästina, und eine Zeitlang läßt er sogar die Arbeit an den „Toten Seelen“, um die „Ausgewählten Stellen aus dem Briefwechsel mit meinen Freunden“ zu schreiben. 1847 erscheint der Briefwechsel: es entspinnen sich leidenschaftliche Diskussionen, und vor allem gefällt er in seiner von der Zensur entstellten und verkürzten Gestalt dem Autor nicht. Gogol ist bis zum Äußersten gequält und niedergedrückt.

Der bekannte Brief Belinskis und eine andere Äußerung seiner Freunde, verstärkt durch eine Anzahl Kritiken zerrütteten Gogol endgültig. Er fühlt sich zu einer Gegenäußerung gezwungen und schreibt die „Beichte des Dichters“. Und Anfang 1848 gibt er seiner heißen Sehnsucht nach und reist nach Jerusalem. Nach seiner Rückkehr bleibt er in der Heimat, langsam nur schreitet die Arbeit an den „Toten Seelen“ vorwärts. Sein Lebensmut sinkt und allmählich unterliegt er in dem schweren Kampfe zwischen der ungeheuren Aufgabe, die er sich gestellt hat, und seinen immer schwächer werdenden geistigen und körperlichen Kräften. In dieser Zeit gewinnt der Geistliche von Rschew, Pater Mathäus, einen tiefgehenden Einfluß auf ihn, und seine strengen asketischen Worte peinigen die kranke Seele des Dichters so, daß er die Predigt des Geistlichen einmal mit dem Angstschrei unterbricht: „Genug, genug, es ist furchtbar!“ Hier soll bemerkt werden, daß ein starker Bestandteil von Gogols Religiosität die Furcht vor dem Jenseits war.

Kurz vor seinem Tode verbrannte er den zweiten Teil der „Toten Seelen“. Hartnäckig verweigert er die Annahme von Nahrung: er will sterben. Beides, Verzweiflung und Todessehnsucht, erklärt sich aus der peinigenden Ungewißheit des Dichters, ob seine Werke Gutes stiften würden oder nicht: bis zu seinem Tode kämpften in Gogol flammende Hoffnung und dumpfes Verzweifeln. Und hinzu kommt die unerträgliche Angst vor der Qual der Todesstunde, die nur einen Wunsch gestattet, sich so weit wie möglich auf den furchtbaren Augenblick der Abrechnung mit dem Irdischen vorzubereiten, um die Seele vor der ewigen Verdammnis zu retten.

Gogol starb in Moskau am 21. Februar 1852. Zu seinem Begräbnis erschienen die Spitzen der Stadt, die Leichenfeier fand in der Universitätskirche statt. Eine große Menge Volk hatte sich eingefunden, um dem Dichter die letzte Ehre zu erweisen.

Die feindlichen Stimmen verstummen, und die große Bedeutung Gogols stellt sich immer klarer, wahrnehmbarer heraus. Und in unsern Tagen wird keiner versuchen, an der Bedeutung seiner gewaltigen Dichtungen zu zweifeln, an diesem starken Darsteller der Wirklichkeit — dem ersten, den Rußland aus eigener Kraft hervorgebracht hat.

Anhang

Abende auf dem Gutshof bei Dikanka
(Erster Teil.)

Der erste Teil der in diesem Bande vereinigten Erzählungen erschien im September des Jahres 1831. Die Unterschrift des Zensors trägt das Datum „den 26. Mai 1831.“

I. Der Jahrmarkt in Sorotschintzy stammt aus dem Jahre 1830. 1851 wurde diese Novelle mit unwesentlichen stilistischen Änderungen in der Gesamtausgabe von Gogols Werken wieder abgedruckt.

II. Die Johannisnacht. Diese Erzählung erschien zuerst im Februar- und Märzheft der „Vaterländischen Annalen“ (Otetschestwennye Sapiski), Jahrgang 1830 und zwar anonym unter dem Titel: „Basawrjuk oder die Johannisnacht“. Eine kleinrussische Novelle (nach einer Volkssage), erzählt vom Küster an der Kirche zu Pokrowsk. Gogol arbeitete die Novelle später für die „Abende auf dem Gutshof bei Dikanka“ um. Hierbei beseitigte er einige Änderungen, die Swinjin bei der Drucklegung in den Vaterländischen Annalen eingefügt hatte, und schickte der Erzählung eine kleine Vorrede voraus, in der er auch auf Swinjins Änderungen hinwies.

III. Mainacht oder die Ertrunkene. Ist im Jahre 1829 entworfen und dann für die „Abende“ neu bearbeitet worden. 1851 fügte Gogol noch einige kleine Änderungen ein.

IV. Der verschwundene Brief. Stammt wahrscheinlich aus dem Jahre 1831, und wurde von Gogol für die Gesamtausgabe (II. Aufl.) noch einmal durchgesehen.

Abende auf dem Gutshof bei Dikanka
(Zweiter Teil.)

Der zweite Teil der „Abende“ erschien Anfang März 1832; die Unterschrift des Zensors trägt das Datum: „den 31. Januar 1832.“

I. Die Nacht vor dem Weihnachtsfest wurde 1831 niedergeschrieben und 1851 noch einmal durchgesehen.

II. Schreckliche Rache stammt wahrscheinlich aus dem Jahre 1831. In der ersten Ausgabe der „Abende“ lautete der Titel dieser Novelle „Schreckliche Rache“ („eine alte Sage“). In der zweiten und den folgenden Auflagen der „Abende“ vom Jahre 1836 wurde der Untertitel („eine alte Sage“) fortgelassen.

III. Iwan Fjodorowitsch Schponjka und seine Tante. Die Zeit der Entstehung dieser Novelle ist unbekannt.

IV. Der verhexte Ort. Auch über die Entstehungszeit dieser Erzählung liegen keine Nachrichten vor.

Der Herausgeber.


Druck von Mänicke und Jahn, Rudolstadt.

Fußnoten

[1] berühmter russischer Kritiker.

Anmerkungen zur Transkription

Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Auch Variationen in der Transliteration der russischen Namen wurden nicht verändert.

Offensichtliche Fehler wurden, teilweise unter Zuhilfenahme des russischen Originaltextes, korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):