The Project Gutenberg eBook of Der alte Trapper This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Der alte Trapper Author: James Fenimore Cooper Illustrator: Rolf Winkler Translator: Friedrich Meister Release date: December 5, 2015 [eBook #50627] Most recently updated: October 22, 2024 Language: German Credits: Produced by Franz L Kuhlmann and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER ALTE TRAPPER *** +--------------------------------------------------------------------+ | Anmerkungen zur Transkription | | | | Die Markierung mit Gleichheitszeichen (=) zeigt eine "gesperrte" | | Phrase an, das Einfassen mit Unterstrichen (_) die Verwendung | | einer anderen Schriftart (Antiqua) im Original. | | | | Die Korrektur der wenigen typografischen Fehler ist unten | | im Einzelnen aufgeführt. | +--------------------------------------------------------------------+ Der alte Trapper Nach dem englischen Original von J. Fenimore Cooper für die deutsche Jugend bearbeitet von Friedrich Meister Mit 3 bunten und vielen schwarzen Bildern von Rolf Winkler Leipzig / Abel & Müller / Verlag Druck: Josef Hirsch, Leipzig. Inhaltsverzeichnis Seite Erstes Kapitel. Die Auswanderer V/ 3 Zweites Kapitel. Das geheimnisvolle Zelt V/ 23 Drittes Kapitel. Die Erstürmung der Felsenburg V/ 39 Viertes Kapitel. Der Basilisk V/ 51 Fünftes Kapitel. Der Präriebrand V/ 64 Sechstes Kapitel. Hartherz V/ 75 Siebentes Kapitel. Im Dorfe der Sioux V/ 84 Achtes Kapitel. Der Zweikampf der Häuptlinge V/100 Neuntes Kapitel. Das Gericht V/109 Zehntes Kapitel. Wie ein Gerechter zum Frieden einging V/120 Der alte Trapper Erstes Kapitel Die Auswanderer Es war im Herbst des Jahres 1804. Der Wind rauschte durch die Kronen der wenigen, vereinzelt stehenden Bäume und wirbelte die welken Blätter weit hinaus über die unabsehbare, hügelige Ebene. Im Jahre zuvor hatte die Regierung der Vereinigten Staaten den südlichen Teil von Nordamerika, das Land Louisiana, den Spaniern abgekauft, und seitdem ergoß sich ein unaufhörlicher Strom von Auswanderern von Norden her in dieses neu erschlossene Gebiet, um davon Besitz zu ergreifen. Eine Karawane solcher Auswanderer war es, die an dem Herbstnachmittag, an welchem unsere Erzählung beginnt, langsam aus dem hohlwegartigen Bette eines ausgetrockneten Flusses hervorzog und sich über die Prärie bewegte, die sich endlos vor ihr ausdehnte. Die Karawane bestand aus einer Anzahl schwer mit Haushaltungsgegenständen, Ackergeräten und Proviant beladener Wagen und einer kleinen Herde von Schafen, Rindern und Schweinen, die hinter den Fuhrwerken hergetrieben wurde. Unter dem Leinwandplan eines der Wagen schauten einige flachsköpfige junge Mädchen und Kinder hervor; neben dem Zuge schritt eine Anzahl junger Männer dahin, lauter auffallend große und kräftige Gestalten, auch eine Frau und eine Jungfrau konnte man bemerken. Und obgleich die Karawane ersichtlich schon manche lange Meile zurückgelegt und noch nicht die mindeste Aussicht hatte, bald das Ende dieser öden, trockenen Prärie zu erreichen, so war auf den Gesichtern dieser Auswanderer, die zusammen, klein und groß, etwa zwanzig Seelen zählten, doch weder eine Spur von Ermüdung noch von Ungeduld oder Besorgnis wahrzunehmen. Im Gegensatz zu den sonstigen Gepflogenheiten solcher Emigranten hatten diese Leute die fruchtbaren Ebenen der nördlichen Staaten verlassen, um auf mühseligen Pfaden, über Schluchten und Ströme, durch tiefe Moräste und steinige Wüsten einer Gegend zuzuwandern, die weit außerhalb der Grenzen der Zivilisation lag. Vor ihnen erstreckte sich die Prärie bis an den Fuß der Felsengebirge, und hinter ihnen, in weiter Ferne, schäumten die trüben, wirbelnden Fluten des La-Platte-Flusses. In kurzer Entfernung vor der Karawane schritt der Führer derselben, ein hochgewachsener, sonnenverbrannter Mann von schwerem, mächtigem Körperbau, der die Mittagshöhe des Lebens bereits hinter sich hatte. Sein Gang war lässig, fast schleppend, aber wuchtig und energisch; sein breites Gesicht verriet weder große Intelligenz noch edlere Seeleneigenschaften, sein ganzes Wesen erinnerte an die träge, aber wenn es gilt gewaltige und unwiderstehliche Kraft und Entschlossenheit des Elefanten. Die teils aus groben Wollenstoffen, teils aus gegerbtem Leder bestehende Kleidung des Mannes entsprach dem Berufe desselben und verriet zugleich einen Gefallen an buntem Tand und rohem Luxus. An Stelle des Ledergurtes umschloß eine Schärpe von bunter Seide seinen Leib, der Horngriff seines Messers war mit Silberplättchen geziert; um das feine Pelzwerk seiner Mütze hätte ihn eine Königin beneiden dürfen, die Knöpfe des besudelten und schäbigen Rockes bestanden aus mexikanischen Silbermünzen, mit dem gleichen edeln Metall war der Mahagonikolben und Schaft seiner Büchse reich beschlagen, und die Ketten von nicht weniger als drei wertlosen Uhren baumelten ihm am Leibe. Außer dem Gewehr trug er einen großen Packen auf dem Rücken, an der Seite hingen ihm Jagdtasche und Pulverhorn, dazu hatte er eine mächtige Holzaxt über die Schulter geworfen, und trotz dieser Belastung ging er einher, als hätte er nicht das mindeste zu schleppen. Ähnlich wie er waren auch die jungen Leute gekleidet und ausgerüstet; man sah denselben auf den ersten Blick an, daß sie des Führers Söhne waren. Der Jüngste, kaum dem Knabenalter entwachsen, war gleichwohl schon so entwickelt, daß er den anderen an Leib und Gliedmaßen nichts mehr nachgab. In der Frau, auf deren Antlitz die Jahre, die Arbeit und die Sorgen tiefe Spuren zurückgelassen hatten, erkannte man die Mutter der Schar; die Jungfrau jedoch schien, nach Gestalt, Wesen und Kleidung zu urteilen, nur wenig mit den Übrigen gemein zu haben. Langsam, mit knarrenden und quietschenden Rädern, zog die Karawane über das dürre, harte Gras dahin, das die Rinder ab und zu zu fressen versuchten, aber immer wieder als ungenießbar wegwarfen. Als der Abend herniederzusinken begann, richtete der Führer, dessen einziger Wegweiser die Sonne war, seine Gedanken auf die bevorstehende Nachtrast. Auf einer Bodenerhebung angelangt, hielt er die Schritte an und blickte um sich, forschend ausschauend nach einem Orte, der die drei für eine Rast so wichtigen Erfordernisse: Wasser, Feuerholz und Viehfutter, darbieten würde. Da sich noch nichts dergleichen erspähen ließ, setzte er gleichmütig seinen Weg hügelabwärts fort, aber nur eine kurze Strecke; dann brachte ein unerwarteter und seltsamer Anblick den ganzen Zug zu einem plötzlichen Stillstand. Die Sonne war hinter der nächsten Wellenerhebung der Prärie niedergegangen, rot und glühend lag ihr Schein noch über dem dunkeln, scharf von dem feurigen Himmel abstechenden Lande. Im Mittelpunkt dieses brennenden Scheines aber zeigte sich schwarz, schattenhaft und übernatürlich groß eine menschliche Gestalt, regungslos, in sinnender, melancholischer Stellung. Wie angefesselt blieb der Führer stehen und starrte nicht ohne ein Gefühl abergläubischer Furcht die Erscheinung an; hinter ihm sammelten sich die Söhne. Keiner sprach ein Wort, doch ließ sich hier und da das Knacken eines Büchsenhahnes vernehmen. Die Stimme der Mutter unterbrach das Schweigen zuerst. „Laß die Jungen vorgehen, Ismael,“ rief sie laut und scharf. „Asa oder Abner werden bald dahinter kommen, was es mit jener Kreatur für eine Bewandtnis hat!“ „Wollen doch dem Ding eine Kugel zuschicken,“ murmelte ein finster und zugleich hämisch und boshaft dreinschauender Mann, der mitten unter den jungen Leuten stand und dessen Gesicht eine unverkennbare Ähnlichkeit mit dem der Frau zeigte; „die Pawnee Loups jagen zu Hunderten auf der Prärie, sie werden's nicht merken, wenn einer von ihnen fehlt.“ Damit erhob er seine Büchse, die der mit dem Namen Ismael angeredete Führer jedoch sogleich mit einer Gebärde, die keinen Widerspruch zuließ, niederdrückte. „Schieß nicht!“ ertönte zugleich in ängstlichem Rufe die Stimme des jungen Mädchens, „wir sind nicht alle beisammen, es kann auch einer von uns sein!“ Die Schar stand in erwartungsvollem Schweigen. Inzwischen veränderte sich das Licht des Abendhimmels; der blendend leuchtende Schein wurde matter, er wich einem grauweißen Schimmer, und als die untergehende Sonne hinter dem Horizont versunken war, da verlor die Erscheinung ihre übernatürliche Größe und schrumpfte zu einer zwar noch immer langen, aber doch nicht mehr außergewöhnlichen Menschengestalt zusammen. Die Männer traten jetzt näher herzu und sahen nun vor sich einen Greis, der, seinem verwitterten Äußeren nach zu urteilen, mindestens achtzig Winter erlebt haben mußte. Trotzdem war seine Haltung noch aufrecht und fest, seine Gliedmaßen, wenn auch hager und dürr, zeigten noch kräftige Muskeln und Sehnen, so daß es schien, als werde die Altersschwäche noch auf lange hinaus keine Gewalt über ihn erlangen. Seine Kleidung bestand hauptsächlich aus Tierfellen, die Haarseite nach außen gekehrt; Jagdtasche und Pulverhorn hingen ihm zur Seite; er stand auf eine Büchse von ungewöhnlicher Länge gestützt, die, wie ihr Eigentümer, deutliche Spuren langen und harten Dienstes aufwies. Beim Herannahen der Emigranten erhob sich ein großer, alter, zahnloser Hund, der zu des Greises Füßen gelegen hatte, und ließ ein dumpfes Knurren hören. „Still, Hektor, leg' dich!“ gebot sein Herr mit einer Stimme, die hohl und bebend klang. „Was gehen dich die Leute an, die hier ihre rechtmäßige Straße ziehen?“ „Fremder,“ begann der Führer der Emigranten, „seid Ihr hier in dieser Gegend bekannt, so daß wir von Euch erfahren können, wo ein Platz zur Nachtrast zu finden ist? Gebt uns immerhin Euern Rat,“ fuhr er fort, als der Greis die Schar forschend und schweigend musterte, „das kostet Euch nichts und ist nur eine Gabe in Worten.“ „Keine Gabe, sondern eine Schuld der Alten gegen die Jüngeren,“ entgegnete der Angeredete, die klaren, hellblauen Augen forschend auf den Auswanderer heftend. „Folgt mir, Wasser und Weide für Euer Vieh kann ich Euch zeigen.“ Damit warf er die Büchse über die Schulter und schritt ohne weiteres in die jenseits der Bodenerhebung liegende Senkung hinab. Auf einen Wink des Führers folgte ihm die Karawane. Nach kurzem Marsche gelangte man zu einer Quelle, die, am Fuße eines Abhanges sprudelnd, ihr Wasser bald mit dem anderer in der Nähe hervorsickernder Quellen vereinte, so daß ein Flüßchen entstand, dessen Lauf durch die an seinen Ufern wachsenden Sträucher und Bäume weithin zu verfolgen war. Es währte nicht lange, da erreichte man einen Ort, den der Emigrantenführer für zweckentsprechend erklärte. Er warf seine Bürde zur Erde und machte sich unter dem Beistande des Mannes, der vorhin so schnell mit der Büchse bei der Hand gewesen, daran, die Zugtiere auszuspannen, während seine Söhne die Baumwollenbäume niederzuschlagen begannen, bis die Stätte aussah, als sei ein Wirbelwind darüber hingegangen. [Illustration] Auf seine Büchse gelehnt, schaute der Fremde still diesen Verwüstungen zu, ab und zu trübsinnig den Kopf schüttelnd. Er beobachtete, wie die Kinder ein Feuer anzündeten, und richtete dann seine Aufmerksamkeit auf den Führer der Karawane, der, nachdem das Vieh zu grasen begonnen, sich in eigentümlicher Weise mit einem der Planwagen zu schaffen machte. Mit Hilfe einiger der jungen Männer trieb derselbe rings um den Wagen Pfähle in den Boden und erweiterte dann den Leinwandplan bis zu diesen, so daß auf diese Weise ein umfangreiches, dicht verschlossenes Zelt entstand, unter welchem man schließlich den Wagen hervorzog, der nun nichts mehr enthielt als einiges Hausgerät; was er sonst noch beherbergt hatte, war unter dem geheimnisvollen Zelte geblieben, welchem, wie bald ersichtlich wurde, außer dem Führer niemand sich nahen durfte. Mit der unbefangenen Neugierde des Alters trat der Fremde herzu, in der augenscheinlichen Absicht, zu erspähen, was das Zelt in sich barg. Sogleich aber packte der Führer ihn rauh am Arm und hielt ihn fest. „Kümmert Euch nicht um Dinge, die Euch nichts angehen, Freund,“ sagte er grob. Bescheiden und verlegen ging der alte Mann zurück. „Ich meinte es nicht böse,“ antwortete er begütigend; „ich wußte nicht, daß Ihr etwas zu verbergen habt.“ Während er seine Schritte nun langsam der Wagenburg zulenkte, denn zu einer solchen hatte sich das Lager der Emigranten inzwischen gestaltet, hörte er den Führer gebieterisch das junge Mädchen herbeirufen, das, wie er nun vernahm, den Namen Ellen Wade führte. Schnell und leicht wie ein Reh huschte die Jungfrau an ihm vorüber und verschwand hinter den Falten des Zeltvorhanges. Inzwischen hatte die Mutter einen Kessel voll Haferbrei zur Abendmahlzeit gekocht, zu der sie jetzt mit schallender Stimme die Ihrigen herbeirief. Der Vater aber schaute sich nach dem alten Fremdling um und lud denselben, nach der Sitte der Wildnis, kurz und gleichgültig ein, sich mit ihnen an das gastliche Feuer zu setzen. „Ich danke Euch von Herzen,“ antwortete dieser, „ja, von Herzen; aber ich bin für heute bereits gesättigt, und ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich ihr Grab mit den Zähnen graben. Zum Feuer will ich mich jedoch mit Euch setzen, denn es ist lange her, seit ich Menschen von meiner Farbe ihr täglich Brot essen sah.“ Man ließ sich nieder, und die Auswanderer griffen tüchtig zu. „Ihr seid wohl ein Ansiedler in dieser Gegend,“ wendete sich der Vater, mit vollem Munde kauend, an den Alten. „Dick scheinen die Weißen hier nicht zu sitzen, denn außer Euch bin ich auf fünfhundert Meilen keinem begegnet.“ „Einen Ansiedler kann man mich nicht nennen,“ antwortete der Gefragte, „da ich keinen festen Wohnsitz habe und selten länger als einen Monat in einer Gegend verweile.“ „Also ein Jäger,“ sagte der andere, mit einem Blick die Ausrüstung seines neuen Bekannten streifend. „Euer Geschirr scheint mir aber nicht mehr das beste für solch einen Beruf zu sein.“ „Meine Büchse ist alt und hat nahezu ausgedient, ganz so wie ihr Herr,“ versetzte der alte Mann, die Waffe liebevoll und zugleich traurig betrachtend, „aber ich bedarf ihrer auch kaum noch. Ihr irrt, Freund, wenn Ihr mich einen Jäger nennt; ich bin jetzt nichts besseres mehr als ein Trapper, ein Fallensteller. Ein Jäger bin ich gewesen; fünfzig Jahre lang und darüber durchzog ich mit dieser Büchse die Wälder. Damals hätte ich es für Sünde gehalten, einer Kreatur mit Fallen nachzustellen.“ „Einträglich scheint Euer Handwerk nicht gewesen zu sein,“ bemerkte der Emigrant, das Äußere des Alten musternd. „Na, hoffentlich habt Ihr irgendwo tüchtig Felle aufgespeichert.“ Der Trapper schüttelte den Kopf. „In meinem Alter braucht man nur wenig an Kleidung und Nahrung,“ erwiderte er ruhig, „und wenn ich mir ab und zu ein Horn voll Pulver und eine Stange Blei eintauschen kann, dann sind alle meine Bedürfnisse befriedigt.“ „Ihr seid also in dieser Gegend nicht zu Hause?“ fragte der andere, nachdem er eine Weile schweigend gegessen hatte. „Nein, ich bin am Strande der See geboren, den größten Teil meines Lebens aber brachte ich in den Wäldern zu.“ Bei der Erwähnung des Seestrandes schauten die jungen Männer und auch die Mutter den alten Trapper aufmerksam an; ein Mann, der so weit in der Welt herumgekommen war, erregte ihr Interesse. „Wie man mir gesagt hat, ist es eine lange Strecke von den Gewässern des Westens bis an das Meer,“ nahm Vater Ismael nach einer Pause wieder das Wort. „Ja, Freund, eine lange Strecke, und viel habe ich gesehen und erlebt, und viel habe ich zu erleiden gehabt während der fünfundsiebzig Jahre, die ich zu dem Wege brauchte. Aber nur gering ist die Zahl der Meilen auf dieser ganzen Strecke, wo ich nicht Wildbret gegessen, das unter meiner Kugel fiel. Doch das ist eitle Ruhmredigkeit; warum soll ein alter Mann, dessen Ende so nahe ist, noch von den Taten reden, die er einstmals vollbrachte.“ Träumenden Blickes starrte der Trapper ins Feuer; endlich wendete er sich wieder an seinen Gastfreund. „Gedenkt Ihr noch weit gen Westen zu ziehen?“ fragte er. „So weit es mir gefällt,“ antwortete der Emigrant kurz, „vielleicht kehre ich auch wieder um.“ Damit brach er die Unterhaltung ab und stand auf; die übrigen folgten seinem Beispiel. Die jungen Männer errichteten aus Baumzweigen und Decken einige Hütten zum Unterschlupf für die Nacht, dann brachten sie das Vieh in den Mittelpunkt der Wagenburg, die durch passend angebrachtes Pfahlwerk noch mehr befestigt wurde, und schließlich begaben sich zwei von ihnen mit ihrem Schießgewehr an entgegengesetzte Enden des Lagers, um hier Wacht zu halten. Der alte Trapper war während dieser Zeit von einer Stelle zur anderen geschlendert; das ihm angebotene Nachtlager lehnte er ab, und als alles ruhig geworden war, entfernte er sich ohne ein Wort des Abschieds. Langsam schritt er in die Nacht hinaus, die von der Sichel des neuen Mondes nur schwach erhellt wurde. Fern vom Lager, auf einer der wellenähnlichen Bodenerhebungen, blieb er stehen, stützte den Kolben der Büchse auf die Erde und versank in tiefes Grübeln. Der Hund legte sich zu seinen Füßen nieder und schien sogleich einzuschlafen. Nach einer kleinen Weile aber ließ er ein dumpfes Geknurr hören, das seinen Herrn veranlaßte, spähend umherzublicken. In einiger Entfernung gewahrte er eine Frauengestalt, die nicht recht zu wissen schien, ob sie näherkommen sollte oder nicht. „Nur heran!“ rief der Trapper. „Wir sind Freunde, von uns habt Ihr nichts zu fürchten.“ Die Gerufene eilte herzu; es war Ellen Wade. „Oh, Ihr seid es,“ sagte sie, dem Alten ohne Zögern die Hand reichend, dabei aber suchend in die Ferne blickend. „Euch glaubte ich hier nicht zu treffen; die anderen meinten, daß wir Euch wohl nicht mehr zu sehen kriegen würden.“ Ehe der Trapper antworten kannte, begann der Hund wieder laut und drohend zu knurren. „Was gibt's, Hektor?“ forschte der Alte. „Was wittert mein Hundchen? Einen schwarzen Bären aus dem Gebirge? Denn die kommen zuweilen bis hierher. Ich bin nicht mehr so sicher mit meiner Büchse wie in früheren Jahren,“ wendete er sich zu dem jungen Mädchen, „aber zur Not treffe ich schon noch; Ihr braucht daher keine Furcht zu haben.“ Jetzt bellte der Hund kurz und scharf auf, und zugleich sahen der Trapper und das Mädchen eine menschliche Gestalt herankommen, und zwar aus der dem Lager der Emigranten entgegengesetzten Richtung. „Das ist ein Mann,“ sagte der Trapper, „und, seinem schweren Schritte nach, ein Weißer. Wir müssen vorsichtig sein, denn die Weißen, die sich hier herumtreiben, sind in der Regel gefährlicher als die Wilden.“ Damit erhob er seine lange Büchse und untersuchte sorgfältig Stein und Zündkraut. Das Mädchen aber legte hastig die Hand auf seinen Arm. „Um Gotteswillen, seid nicht vorschnell!“ flüsterte sie. „Es kann ein Bekannter, ein Freund sein!“ „Freunde sind hier selten,“ antwortete der Trapper, seinen Arm frei machend. „Aber sie hat recht,“ fügte er im Selbstgespräch hinzu, „warum soll ich, bereits mit einem Fuß im Grabe, noch Menschenblut vergießen? Mag er kommen und mir meine Felle, meine Fallen und meinetwegen auch die Büchse nehmen -- ich will kein Blut mehr vergießen.“ Der Hund aber hatte sich erhoben und schritt nun knurrend dem Herankommenden entgegen. „Ruft Euren Hund zurück!“ gebot dieser mit tiefer, männlicher und keineswegs unfreundlicher Stimme. „Es sollte mir leid tun, wenn ich ihn verletzen müßte.“ „Hörst du, was er sagt, Hektor?“ antwortete der Trapper. „Komm her, du Narr! Der Hund hat keinen Zahn mehr im Maule, Freund, knurren und bellen ist alles, was er noch kann.“ Lang ausschreitend eilte der Fremde herzu und stand gleich darauf an Ellens Seite, die er freundlich und vertraulich begrüßte, worüber der Trapper nicht wenig in Erstaunen geriet. „Von welcher Wolke seid Ihr denn herabgefallen, mein guter Alter?“ wendete sich der Ankömmling, ein stattlicher, kräftiger, junger Mann in der Kleidung der Präriejäger, jetzt an den Trapper. „Wolltet Ihr mit dem jungen Mädchen hier auf der nächtlichen Prärie lustwandeln?“ „Ich bin mit der jungen Person ebenso zufällig zusammengetroffen wie mit Euch,“ antwortete der Alte. „Ich kam aus dem Lager der Emigranten dort unten und konnte nicht wissen, daß ein Paar junger, weißer Leute sich hier in der wilden Einsamkeit ein Stelldichein geben wollte.“ Der junge Mann schickte sich zu einer eifrigen Entgegnung an, das Mädchen aber legte ihm die Hand auf den Mund. „Still, Paul,“ sagte sie, „dieser gute Mann wird unser Geheimnis nicht verraten, dafür bürgt mir sein freundliches Gesicht und sein treues Auge. Von ihm haben wir nichts zu fürchten, er ist ein ehrlicher Fallensteller.“ „Also ein Fallensteller seid Ihr?“ rief der als Paul Angeredete. „Gebt mir Eure Hand, Vater, mein Gewerbe ist dem Euren ähnlich.“ „Und was ist Euer Gewerbe?“ fragte der Trapper. „Ihr scheint mir ein Jäger zu sein.“ „Der bin ich auch, aber mein Wild trägt weder Fell noch Federn. Da, seht her.“ Er hob ein kleines Zinngefäß empor, das ihm auf der Brust hing, ließ den Deckel springen und den Alten hineinschauen. Es enthielt köstlich duftenden Honig. „Ich sehe,“ nickte der Alte, „Ihr seid ein Bienenjäger. Das mag wohl ein einträglicher Beruf sein.“ „So ist es, alter Freund. Aber tut mir auch den Gefallen und geht ein wenig auf die Seite, damit ich dem jungen Frauenzimmer mitteilen kann, wie und warum ich hierhergekommen bin.“ Ellen wollte gegen dieses Verlangen Einspruch tun, aber der Fallensteller entfernte sich ohne ein Wort zu sagen und blieb erst wieder stehen, als er außer Hörweite war. Der Hund folgte ihm langsam, mit erhobener Nase witternd und forschend, als verkünde sein Instinkt ihm das Herannahen noch weiterer Überraschungen. Dumpf grollend setzte sich das Tier zu seines Herren Füßen nieder. „Was, Hektor, schon wieder?“ fragte dieser. „Was ist's denn, Hundchen? Sag' mir's doch, Junge.“ Hektor antwortete mit einem noch lauteren Knurren, dann legte er den Kopf auf die Vorderpfoten, als habe er nunmehr seine Pflicht getan. „Die Warnung eines solchen Freundes ist in der Prärie wertvoller als der Rat eines Menschen,“ murmelte der Trapper, langsam wieder auf das junge Paar zuschreitend. „Hört, Kinder!“ rief er, „wir sind hier in dieser Einöde nicht allein; außer uns treiben sich noch andere hier herum, wir müssen daher auf der Hut sein!“ „Sollte vielleicht einer von Ismaels Söhnen sich unterstehen, mir nahezukommen, so könnte seine Präriefahrt leicht ein vorzeitiges Ende nehmen,“ entgegnete der junge Bienenjäger, nach seiner Büchse greifend. „Ismael Busch und seine ganze Familie schlafen fest in der Wagenburg,“ sagte Ellen schnell, „die beiden Wächter ausgenommen; die aber dürfen das Lager nicht verlassen.“ „Ich höre ein dumpfes Galoppieren in der Ferne!“ rief der Bienenjäger jetzt mit unterdrückter Stimme. „Aha, jetzt weiß ich's; es wird eine Büffelherde sein, hinter der ein Panther her ist!“ „Eure Ohren trügen Euch,“ nahm der Trapper das Wort, nachdem er mit gespanntester Aufmerksamkeit gelauscht hatte, „das sind keine Büffel, wohl aber Indianer. Sie kommen gerade auf uns zu und werden hier sein, ehe wir Deckung gefunden haben.“ „Komm Ellen,“ rief der junge Mann, hastig des Mädchens Hand ergreifend, „vielleicht erreichen wir noch das Lager Ismaels, deines Onkels!“ „Zu spät!“ sagte der Trapper, „zu spät! Ich sehe die Indianer schon; es ist eine Bande von Sioux, ich erkenne die Spitzbuben an der Art ihres Reitens!“ „Mögen's Sioux oder Teufel sein, sie sollen finden, daß wir Männer sind!“ rief der Bienenjäger, Ellen loslassend. „Ihr führt eine Büchse mit Euch, alter Freund, Ihr werdet sie auch in der Verteidigung eines wehrlosen Mädchens zu brauchen wissen.“ „Nieder, nieder ins Gras!“ flüsterte der Trapper, auf einen Fleck deutend, wo Gras und Kraut besonders hoch emporgewachsen waren. „Fliehen könnt Ihr nicht mehr, und zur Gegenwehr sind wir zu wenig. Nieder ins Gras, wenn des Mädchens und Euer Leben Euch lieb ist!“ Die jungen Leute folgten instinktiv seinem Wort und Beispiel, und kaum lagen die drei und auch der Hund im Grase versteckt, da sprengten auch schon die Indianer in aufgelöstem Schwarme heran und vorüber. Vorsichtig hob der Trapper nach einer Weile den Kopf und spähte ihnen nach, schnell aber duckte er sich wieder, denn die nächtlichen Reiter kehrten, nachdem sie augenscheinlich bis in die Nähe der Wagenburg gekommen waren, auf die Bodenerhebung, wo unsere Freunde versteckt lagen, zurück. Schwarz hoben sich die Gestalten der Wilden von dem helleren Nachthimmel ab. Einige stiegen von den Pferden, andere ritten wie suchend hin und her. Noch war keiner von ihnen in die Nähe der im Grase Verborgenen gekommen. „Ich fürchte, daß sie Böses gegen die Auswanderer im Schilde führen,“ flüsterte der Trapper seinen Gefährten zu. „Sie wittern Beute und werden nicht eher ruhen, bis sie solche erlangt haben.“ „Können wir denn den Ahnungslosen keine Warnung zukommen lassen?“ fragte Ellen in Herzensangst. „Das könnten wir schon,“ meinte Paul. „Wenn ich aus voller Kraft rufe, dann hört man's in der offenen Prärie eine englische Meile weit; Ismaels Lager aber ist kaum eine Viertelmeile entfernt.“ Er hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte; erschrocken fuhr er auf und blickte in das wilde Antlitz und die funkelnden Augen eines indianischen Kriegers. Trotz aller Nachteile seiner Lage griff der Jüngling den Sioux bei der Kehle und würde denselben auch erdrosselt haben, wenn der alte Trapper ihn nicht gewaltsam zurückgerissen hätte. Ehe der Bienenjäger noch seinem zornigen Erstaunen über diese anscheinende Verräterei Ausdruck geben konnte, waren die drei umringt und zu Gefangenen gemacht. Ruhig, ja bereitwillig, lieferte der Trapper den Sioux seine Waffen aus; der innerlich vor Wut kochende Paul Hover aber konnte sich erst dazu entschließen, als Ellen ihm unter flehenden Bitten vorstellte, daß der alte, erfahrene Trapper sicherlich das Richtige getan habe und daß er ihr Leben in Gefahr brächte, wenn er diesem Beispiel nicht folgte. Nachdem die Wilden ihren Gefangenen auch noch sonst allerlei Sachen, die ihnen gefielen, abgenommen hatten, ließen sie dieselben, wenn auch streng bewacht, vorläufig unbehelligt. „Soll ich dem Ismael zurufen?“ fragte Paul Hover leise. „Wenn Ihr den Kopf gespalten haben wollt, dann ruft,“ antwortete der Trapper. „Nein, wir müssen versuchen, die Teufel zu überlisten, sonst ermorden sie alles, was dort unten im Lager lebt; denn mit der Wachsamkeit der Emigranten scheint es nicht weit her zu sein. Es sind aber tüchtige Leute, wie ich gesehen habe; meint Ihr, daß sie sich zu schlagen verstehen?“ „Ich will Euch was sagen, alter Trapper,“ antwortete der Bienenjäger, „ich, Paul Hover, habe nicht die mindeste Veranlassung, dem Ismael Busch und seinen sieben hammerfäustigen Schlagetots von Söhnen zugetan zu sein. Aber was wahr ist, bleibt wahr: eine solche Bärenfamilie wie die gibt es in ganz Kentucky nicht zum zweitenmal, und wer einen von den Buschs im Ringen wirft, der muß ein ganzer Kerl sein!“ „Still!“ sagte jetzt der Alte, der inzwischen keinen Blick von den Wilden verwendet hatte. „Die Rothäute haben ihre Beratung geendet und werden nun an die Ausführung ihrer Teufeleien gehen. Wir müssen Geduld haben, vielleicht finden wir noch eine Gelegenheit, Euren Freunden nützlich zu sein.“ „Meine Freunde sind das nicht,“ entgegnete Paul unwirsch. „Wenn ich etwas zu ihren Gunsten sagte, so geschah das, weil ich ein ehrlicher Kerl bin.“ „Ich dachte, das junge Frauenzimmer hier gehöre auch zu der Verwandtschaft,“ meinte der Alte trocken. „Na, nichts für ungut.“ Die Wilden waren jetzt sämtlich abgestiegen und hatten ihre Pferde dreien ihrer Genossen übergeben, denen auch die Bewachung der Gefangenen oblag. Nunmehr scharten sie sich um den, der ihr Häuptling war, um sich gleich darauf geräuschlos und schnell nach allen Richtungen über die Prärie zu zerstreuen. Nach kaum einer Minute war der letzte von ihnen in der Dunkelheit verschwunden. Einer der Wächter, ein großer, halb nackter Krieger, trat an die Gefangenen heran. „Haben die Bleichgesichter ihre eigenen Büffel alle aufgezehrt und auch allen ihren Bibern die Felle genommen, daß sie nun herkommen müssen, um zu sehen, wieviel Büffel und Biber bei den Pawnees noch übrig sind?“ fragte er in den rauhen Kehltönen seiner Rasse. „Die Weißen kommen hierher, um zu kaufen oder zu verkaufen,“ antwortete der Trapper, „sie werden aber zurückbleiben, wenn sie hören, daß die Sioux ihnen feindlich sind.“ „Die Sioux sind Diebe und wohnen im Schnee; warum von einem Volke reden, das so fern ist, wenn wir hier im Lande der Pawnees sind?“ „Gehört dies Land den Pawnees, dann haben Weiße und Rothäute das gleiche Recht daran.“ „Haben die Bleichgesichter den roten Männern nicht schon genug gestohlen? Müssen sie mit ihren Lügen noch bis in die Jagdgründe meines Stammes kommen?“ „Mein Recht ist hier so gut wie das deine,“ entgegnete der Trapper mit unerschütterlicher Ruhe. „Die Pawnees und die Weißen sind Brüder, ein Sioux aber darf sein Gesicht in einem Dorfe der Loups nicht sehen lassen.“ „Die Dakotahs sind Männer!“ rief der Wilde, die angenommene Maske vergessend und sich den Namen zulegend, auf den seine Nation besonders stolz war. „Die Dakotahs kennen keine Furcht. Sprich, was führte dich so weit her aus den Dörfern der Bleichgesichter?“ „Ich habe die Sonne über vielen Ratsversammlungen auf- und niedergehen sehen und stets nur den Worten der Weisen gelauscht. Wenn deine Häuptlinge kommen, wird mein Mund nicht verschlossen sein.“ „Weucha ist ein großer Häuptling!“ rief der Wilde im Tone beleidigter Würde. „Bin ich ein Narr, daß ich einen Teton nicht kennen sollte?“ versetzte der Trapper kalt und fest. „Geh', es ist finster, sonst würdest du sehen, daß mein Haar weiß ist. Aus dem Munde der Siouxkrieger vernahm ich den Namen Mahtoree; nur vor den Ohren eines Häuptlings werde ich reden.“ Der Wilde warf einen giftigen Blick auf den Alten und zog sich zurück. Kaum war er unsichtbar geworden, da trat aus der Dunkelheit ein Krieger von mächtiger Gestalt hervor und stellte sich mit jener vornehmen und stolzen Haltung, die den großen indianischen Häuptlingen von jeher eigen gewesen ist, vor die Gefangenen. Eine Schar Sioux, die mit ihm gekommen war, gruppierte sich in achtungsvollem Schweigen hinter ihm. „Die Erde ist sehr groß,“ begann der Häuptling nach längerem Schweigen. „Warum finden die Kinder meines großen weißen Vaters keinen Raum darauf?“ „Einige von ihnen haben gehört, daß ihre Freunde in der Prärie mancherlei Dinge bedürfen,“ antwortete der Trapper, „sie wollen nun sehen, ob das wahr ist. Andere wieder brauchen Dinge, die von den Rothäuten verkauft werden, und so kamen sie, ihre Freunde mit Pulver und Wolldecken reich zu machen.“ „Seit wann kommen die Händler mit leeren Händen über den großen Fluß?“ „Unsere Hände sind leer, weil deine jungen Männer meinten, wir seien müde; da nahmen sie uns ab, was wir trugen. Sie irrten sich jedoch, ich bin zwar alt, aber es fehlt mir noch nicht an Kräften.“ „Das kann nicht sein. Ihr habt Eure Bürden in der Prärie verloren. Meine jungen Männer sollen danach suchen, ehe die Pawnees sie finden und mitnehmen. Sage mir, weißer Jäger, wer sind jene Männer deiner Farbe, die dort drüben bei den gefällten Bäumen schlafen?“ Der Trapper erkannte aus dieser Frage, daß der Häuptling das Lager der Emigranten entdeckt hatte. Trotzdem bewahrte er seine ganze Ruhe. „Es ist möglich,“ erwiderte er, „daß weiße Männer in der Prärie schlafen. Mein Bruder sagt es, darum wird es wahr sein. Ich aber weiß nicht, was das für Männer sind. Mag mein Bruder seine jungen Krieger hinsenden und fragen lassen; die Bleichgesichter haben Zungen.“ Der Häuptling schüttelte finster lächelnd den Kopf. „Die Dakotahs sind weise,“ sagte er, „und Mahtoree ist ihr Häuptling. Er wird die Fremdlinge nicht rufen, sie könnten ihm sonst mit ihren Büchsen antworten. Aber er wird ihnen leise in die Ohren flüstern.“ Damit wendete er sich und ging, gefolgt von seiner Schar, die bei seinen letzten Worten ein unterdrücktes, beifälliges Lachen hatte hören lassen. Der Trapper zweifelte keinen Augenblick daran, daß der Häuptling einen Handstreich gegen das Lager der Emigranten beabsichtigte. Er lauschte angestrengt, vernahm jedoch keinen Laut. Wußte er doch nicht, daß der kühne Mahtoree seine Krieger zurückgelassen und ganz allein, geräuschlos wie eine Schlange und unbemerkt von den in Schlaf gesunkenen Wächtern, in Ismael Buschs Wagenburg geschlichen war. Sorgenvoll ließ er sein greises Haupt sinken, auch Ellen und Paul redeten kein Wort. Die Gefangenen befanden sich wieder unter der Aufsicht Weuchas und seiner Gefährten. Nachdem der erstere lange mit gespitztem Ohr in die Nacht hinaus gehorcht hatte, neigte er sich mit wildem Grinsen zu dem alten Trapper. „Wenn die Tetons ihren großen Häuptling durch die Hand der Langmesser verlieren,“ raunte er ihm zu, „dann muß der Weißkopf mitsamt den Jungen sterben.“ „Das Leben ist ein Geschenk Wakondahs,“ war die ruhige Antwort. „Die Menschen verlieren es, wenn er dies beschließt, kein Dakotah kann daran etwas ändern.“ „Schau her!“ knirschte der Wilde, sein Messer vor des Alten Gesicht haltend. „Weucha ist der Wakondah für solche Hunde, wie ihr seid!“ Der Trapper zuckte die Achseln und blickte zur Seite. Plötzlich unterbrach ein lauter, gellender Triumphruf die nächtliche Stille, dann schien die ganze Prärie lebendig zu werden; denn von allen Seiten erhob sich als Antwort ein wildes Geheul, als seien sämtliche Dämonen der Hölle losgelassen. Auch Weucha und seine Kameraden stimmten ein, trotzdem sie Mühe hatten, die erschreckten Pferde zu bändigen. Inmitten dieses Geheuls aber wurde noch ein anderes Geräusch hörbar, ein Getöse von vielen stampfenden Hufen, und gleich darauf jagte Ismaels ganzer Viehbestand in wirrem Durcheinander vorüber. Mahtoree hatte die Tiere losgeschnitten und aus dem Lager gejagt, die nun von den beutegierigen Tetons verfolgt wurden. Die indianischen Pferde, durch den Anblick der dahinrasenden Gäule Ismaels auf das höchste erregt, stampften und rissen wütend an ihren Fesseln, so daß ihre Wächter sie kaum noch halten konnten. Diesen Augenblick benutzte der Trapper. Mit einer Gewandtheit und Kraft, die niemand ihm zugetraut hätte, entriß er Weucha das Messer und durchschnitt den langen Riemen, welcher die Pferde aneinander fesselte. Die Tiere schnaubten vor Freude und Schreck, dann aber stoben sie nach allen Richtungen davon. Im ersten Moment wendete Weucha sich wie ein Tiger gegen den Alten; er tastete nach der leeren Messerscheide, dann nach dem Griff des Tomahawks; im nächsten Augenblick aber siegte die Habgier über das Gefühl der Rache, und wie ein Blitz stürzte er mit seinen Gefährten den Tieren nach. Der Alte, der in dem kritischen Moment seinem Feinde fest ins Auge geblickt hatte, lachte jetzt unhörbar vor sich hin. [Illustration] „Die rote Natur bleibt immer dieselbe, im Walde wie auf der Prärie,“ sagte er. „Ein christlicher Wächter hätte mir den Schädel eingeschlagen, dieser Teton aber rennt seinen Pferden nach, als wenn zwei Beine so schnell laufen könnten wie vier.“ Der Bienenjäger schlug jetzt vor, schleunigst Ismaels Lager aufzusuchen. Ellen widersprach heftig. Inzwischen wurde es unten in der Wagenburg lebendig. „Entferne dich, Paul,“ bat das Mädchen, „du weißt, daß sie dich nicht sehen dürfen, und sie kommen gewiß hierher!“ „Ich gehe nicht eher, bis ich dich sicher im Schutze des Lagers weiß,“ entgegnete der junge Mann, „denn die roten Teufel können jeden Augenblick zurückkommen, und was soll dann aus dir werden?“ „Die Rothäute braucht Ihr vorläufig nicht zu fürchten,“ sagte der Trapper. „Ich gebe Euch die Versicherung, daß die Tetons mindestens noch sechs Stunden hinter ihren Tieren herjagen. Horcht doch; jetzt sind sie unten im Weidengrund. Aber still! Nieder ins Gras! Ich hörte ein Gewehrschloß knacken, so wahr ich ein Sünder bin!“ Damit hatte er auch schon die beiden mit sich zu Boden gerissen. Es war kein Augenblick zu verlieren gewesen, denn kaum lagen sie im hohen Grase, als auch schon einige Schüsse krachten und die Kugeln über ihnen dahinpfiffen. Weitere Schüsse folgten, und zwar schon aus geringerer Entfernung. Die Situation wurde gefahrdrohend, um so mehr, als der trotzige Bienenjäger sich anschickte, das Feuer zu erwidern. „Das Ding muß ein Ende nehmen,“ sagte der Trapper endlich, sich mit ruhiger Entschlossenheit wieder vom Boden erhebend. „Es ist mir unbekannt, Kinder, weswegen ihr jene Leute fürchtet, denen ihr doch, wie mir scheint, in Liebe verbunden sein solltet; immerhin aber muß ich für eure Rettung sorgen. Ob ich, der ich so alt geworden bin, ein paar Stunden früher oder später sterbe, darauf kommt es nicht an; ich will daher vorgehen.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, schritt er gemessenen Ganges den leichten Abhang hinab und dem Lager zu. Hell beschien das Mondlicht jetzt seine lange, hagere Gestalt. Von unten her ließ sich eine drohende Stimme vernehmen. „Wer kommt da -- Freund oder Feind?“ „Freund,“ antwortete der Alte; „einer, der zu lange gelebt hat, um den Rest seiner Tage in Unfrieden zu beschließen.“ „Aber nicht lange genug, um die Kniffe seiner jungen Jahre vergessen zu haben,“ entgegnete Ismael, seinen mächtigen Körper hinter einem Gebüsch aufrichtend. „Ihr habt uns die Rothäute auf den Hals geschickt, alter Mann, um morgen die Beute mit ihnen zu teilen.“ „Was habt Ihr verloren?“ fragte der Trapper ruhig. „Acht Pferde und ein Füllen. Meine Frau hat nicht eine Kuh behalten, und auch die Schweine und die Schafe sind fort. Wieviel davon kommt auf Euren Anteil?“ „Nach Pferden hat mich nie verlangt, habe auch niemals auf einem gesessen, obgleich nur wenige das Land Amerika so weit durchstreiften, wie ich getan, so alt und schwach ich heute auch aussehe. Wolle und Milch mag für die Weiber sein, ich frage nichts danach. Das Fell des Wildes kleidet mich, und sein Fleisch genügt mir zur Nahrung.“ Der aufrichtige, ehrliche Ton dieser Rede verfehlte seine Wirkung auf den Squatter nicht. Nach weiterem Hin- und Herreden fragte derselbe endlich: „Aber Ihr habt doch die Indianer gesehen?“ „Gewiß,“ lautete die Antwort, „sie hielten mich gefangen, während sie sich in Euer Lager schlichen.“ „Hättet Ihr uns da kein Warnungszeichen geben können?“ entgegnete der andere finster und noch immer mißtrauisch. „Doch was geschehen ist, ist geschehen ... Kommt hervor, Jungen, aus Eurem Versteck! Hier ist nur ein alter Mann, der von meinem Brot gegessen hat und daher unser Freund sein müßte.“ Auf des Vaters Ruf kamen einige seiner Söhne herbei, die in der Nähe im Hinterhalte gelegen und die drei Gestalten in der nächtlichen Prärie für einen Haufen Sioux gehalten hatten. Sie betrachteten den Alten mit finsterem Argwohn und feindseligen Blicken. Endlich nahm der älteste von ihnen, gerade derjenige, dessen nachlässige Wacht dem Häuptling Mahtoree das Beschleichen des Lagers ermöglicht hatte, das Wort. „Wenn das der einzige ist, der von der Gesellschaft, die wir dort oben sahen, übrigblieb, dann haben wir unsere Munition nicht umsonst verschossen,“ sagte er in roher Genugtuung zu seinem Vater. „Asa, du hast recht,“ erwiderte der Squatter, und sich schnell an den Trapper wendend fuhr er fort: „Wie ist das, Fremder? Ihr wart Euer drei, wenn der Mondschein nicht log; wo sind die anderen?“ „Wenn Ihr die Tetons hinter Eurem Vieh hättet herjagen sehen wie lauter schwarze Teufel, so wäret Ihr bei dem wechselnden Licht und Schatten auch wohl der Meinung gewesen, es seien ihrer Tausend. Die nächtliche Prärie täuscht den Blick, Freund.“ Statt aller Antwort rannten Ismaels Söhne nach der Gegend, aus der der Trapper gekommen war. Sie fanden jedoch nichts und kehrten langsam zurück, worauf sich alle ins Lager begaben. Der Alte folgte auf des Squatters Wink; ehe er aber auf dem Strohlager, das man ihm gastfreundlich anwies, entschlummerte, hatte er noch die Beruhigung, Ellen Wade im Geplauder mit Ismaels Töchtern zu erblicken. Zweites Kapitel Das geheimnisvolle Zelt Ismael Busch, zur Zeit unserer Erzählung ein Mann von weit über fünfzig Jahren, hatte sein ganzes Leben an den Grenzen der Zivilisation zugebracht und seine Wohnplätze immer so gewählt, daß er ungestraft jeden Baum niederschlagen durfte, den er von seiner Haustür aus mit dem Blick erreichen konnte. Hieraus ist ersichtlich, daß er sowohl von Gesetzen und bürgerlicher Ordnung, als auch von dem Klange der Kirchenglocken kaum eine entfernte Ahnung hatte. Kenntnisse, die er bei seinem halbwilden Leben nicht brauchte, flößten ihm auch keinen Respekt ein, und von allen Wissenschaften hielt er nur die des Arztes für berechtigt, weil dieselbe jene körperlichen Schädigungen zu heilen vermochte, denen er mit den Seinen bei dem rauhen Grenzerberuf häufig ausgesetzt war. Aus diesem Grunde hatte er auch einem medizinisch gebildeten Manne gestattet, sich seiner Expedition anzuschließen; derselbe, ein eifriger Naturaliensammler und nebenbei ein Sonderling, führte den Namen Obed Bat; nach der Sitte jener Zeit aber hängte er demselben eine lateinische Endung an und nannte sich Dr. Battius. Dieser Mediziner, ein kleines, dürres Männchen von komischem Äußeren, war es, der in der Morgenfrühe nach der ereignisreichen Nacht den Squatter und dessen Familie aus dem Schlafe erweckte. Er hatte während der vorhergehenden zwei Tage auf dem Rücken seines Reittieres, eines Esels, einen weiten Streifzug nach seltenen Pflanzen unternommen und kehrte nun zurück, um nicht ohne Erschrecken das Vorgefallene zu vernehmen. Das Tageslicht zeigte den Emigranten die ganze Größe ihres Verlustes. Finster rollenden Auges und knirschend vor Ingrimm blickte Ismael auf die schwer beladenen Wagen, deren Gespanne sich jetzt in den Händen der Wilden befanden; dann, als beenge ihn die Luft innerhalb der Wagenburg, trat er langen Schrittes hinaus in die Ebene. Einige seiner Söhne schlenderten hinter ihm drein; auch der Trapper folgte ihm. „Wo sind nun die rothäutigen Schufte, die mir mein Vieh gestohlen haben?“ fragte Busch den letzteren, nachdem lange niemand ein Wort geredet hatte. „Wer kann das wissen?“ antwortete der alte Mann. „Welche Farbe hat der Raubvogel, der dort unter jener weißen Wolke dahinstreicht? Wenn ein Indianer seinen Streich ausgeführt hat, dann wartet er nicht erst, bis ihm der Lohn dafür in Blei ausgezahlt wird.“ „Wird das Gesindel sich zufrieden geben mit dem, was es erbeutet hat?“ „Menschennatur bleibt Menschennatur, stecke sie in roter oder in weißer Haut. Wenn Ihr eine gute Ernte eingeheimst habt, seid Ihr dann für immer damit zufriedengestellt? Wenn das der Fall ist, dann seid Ihr grundverschieden von all den Menschen, die ich in meinem langen Leben kennenlernte.“ „So werden wir uns also noch auf weitere Besuche von den Räubern gefaßt machen müssen?“ „Ohne Zweifel,“ sagte der Trapper. „Und Euer Lager hier gewährt Euch keinen Schutz gegen ihre Kugeln. Ich weiß eine Stunde von hier einen besseren Ort, einen Felsenberg, der, von tapferen Männern verteidigt, eine gute Zuflucht für die Weiber und Kinder wäre.“ Der Squatter horchte auf; er forderte noch nähere Auskunft, und die Beschreibung des Berges gefiel ihm so gut, daß er den sofortigen Aufbruch befahl. Es galt, die Wagen mit den Händen bis an jenen Ort zu ziehen, eine Aufgabe, die für gewöhnliche Menschen fast unausführbar gewesen wäre, an die die starken Söhne des Emigranten jedoch herangingen, als handle es sich um ein Kinderspiel. Schon knarrten und quietschten die Mehrzahl der schwerfälligen Fuhrwerke, von den Männern gezogen und den Weibern geschoben, träge über das Gras, als Ismael und sein Schwager Abiram sich an den kleinen, zu dem Leinwandzelt gehörigen Wagen heranmachten. Der Trapper, der, auf seine Büchse gestützt, den Kraftleistungen der jungen Männer mit beifälligem Nicken zugeschaut hatte, näherte sich jetzt den beiden mit kindischer Neugierde. Das Geheimnis dieses Wagens zog ihn unwiderstehlich an. Nur noch zwei Schritte war er von dem Zelte entfernt, als Ismael unter demselben hervorkam. Beim Anblick des Alten rötete sich sein Gesicht vor Zorn. „Bisher meinte ich immer, daß nur die Weiber sich um Dinge kümmern, die sie nichts angehen,“ sagte er finster. „Was habt Ihr hier zu spionieren? Wem wollt Ihr Eure Neuigkeiten zutragen?“ „Ich stehe nur mit =einem= in Verkehr,“ antwortete der Trapper ruhig, „mit dem dort oben, mit meinem und Eurem Richter. Der braucht meiner nicht, um Neuigkeiten zu erfahren; vor dem könnt Ihr aber auch nichts verbergen, selbst nicht in der Einsamkeit dieser Wüste.“ Jetzt kroch auch Abiram unter der Leinwand hervor. „Vor dem alten Schleicher müssen wir uns hüten,“ rief er, einen giftigen Blick aus seinen falschen Augen auf den Greis werfend. „Wenn der nicht mit den Rothäuten unter einer Decke steckt, dann bin ich ein Sioux!“ Auf diese Worte seines Verwandten musterte der Squatter den Trapper noch einmal scheeläugig und forschend von oben bis unten, er schien sich jedoch nicht zu der Ansicht Abirams bekehren zu können, denn er wendete sich bald ab, brachte den Wagen in Ordnung, spannte sich mit Abiram davor und zog den anderen Fuhrwerken nach. Der Alte folgte ihnen mit den Blicken. Dann schweifte sein Auge über das verwüstete kleine Tal. „Ja, ja,“ murmelte er schwermütig, „das hätte ich wissen können, hab' ich's doch früher schon oft genug erlebt! So treibt's der Mensch. Er zähmt die Tiere des Feldes zu seinem Dienst, raubt ihnen aber ihr natürliches Futter und zwingt sie, das Laub der Bäume zu fressen, die sonst in der mittagsheißen Öde so kühlen Schatten spendeten! Aber warum beklage ich mich? habe ich sie doch selber hierher geführt.“ Ein Geräusch in dem Gebüsch, das der zerstörenden Axt entgangen war, erregte seine Aufmerksamkeit. Blitzschnell, dem alten Jägerinstinkt gehorchend, lag die Büchse schußfertig in seiner Hand. Gleich darauf aber ließ er die Waffe sinken. „Komm hervor,“ sagte er mit trauriger Stimme, „komm hervor, Mensch oder Tier, du hast von meinen alten Händen nichts zu fürchten. Ich bin satt und bedarf keines Wildbrets, warum sollte ich daher Blut vergießen? Es wird nicht mehr lange währen, dann sitzen die Vögel auf meinem Gebein und picken nach meinen Augen; denn der menschliche Leib ist der Vernichtung geweiht, und auch ich werde nicht ewig leben. Also komm getrost hervor, von meinen alten Händen hast du nichts zu fürchten.“ „Dank für die freundliche Gesinnung, alter Trapper,“ rief eine muntere Stimme, und gleich darauf trat Paul Hover aus dem Dickicht ins Freie heraus. „Im ersten Moment erschrak ich wirklich, denn Ihr schlugt an wie einer, dem keine Kugel fehlgehen kann.“ „Da habt Ihr nicht ganz unrecht,“ antwortete der Alte, lautlos in sich hineinlachend, „nicht ganz unrecht, junger Mann. Es gab eine Zeit, wo keiner eine Büchse besser zu handhaben wußte als ich, wo es gefährlich war, in Hörweite von mir ein Blatt rascheln zu lassen, ja, und wo ein roter Mingo tot war, wenn er mir aus seinem Versteck auch das Gefunkel seines Auges zeigte. Ihr habt doch von den roten Mingos gehört?“ „Von Mingos, nein; wohl aber kenne ich die Minks, das sind Tiere mit wertvollem Pelzwerk,“ antwortete der Bienenjäger, vorsichtige Blicke um sich werfend und dann den Trapper sanft mit sich in das Gebüsch hineinziehend. Wieder überließ sich der Alte seinem unhörbaren Lachen. Seine Entgegnung verlor sich jedoch in dem Geraschel des Dickichts, in welchem die beiden im nächsten Augenblick verschwunden waren. * * * * * Seit den geschilderten Ereignissen war eine Woche vergangen. Den Andeutungen des Trappers folgend, hatten die Emigranten den Berg bald gefunden, der ihnen als Zuflucht dienen sollte. Derselbe war eigentlich nichts als ein Felskegel, der, von Gestrüpp umwuchert, steil und fast unzugänglich aus der Ebene emporragt. Auf dem flachen Gipfel desselben errichteten sie einige Hütten aus Baumästen und ähnlichem Material, und unweit des Abhanges, auf erhöhter Stelle, wurde das geheimnisvolle Zelt aufgeschlagen, dessen weiße Leinwand wie ein Schneefleck weit in die Ferne hinaus leuchtete. „Lange können wir hier nicht bleiben,“ sagte Ismael, als er eines Morgens mit seinem Schwager am Fuße des Felskegels stand und mißmutig in die hier sehr dürre und steinige Prärie hinausblickte. „Wenn wir nicht elend verhungern wollen, müssen wir machen, daß wir bald wieder fortkommen. Auch sonst haben wir beide Grund genug, die Gegend zu erreichen, die wir uns als Ziel setzten.“ Abiram sah ihn aus seinen falschen Augen verständnisvoll an, enthielt sich jedoch der Antwort, da jetzt einige der Söhne Ismaels herzutraten. „Ich habe Ellen Wade, die da oben Ausguck hält, angerufen, ob sie etwas sieht,“ bemerkte einer der jungen Männer, „aber sie tat, als hörte sie mich gar nicht. Und doch scheint sie irgend etwas in der Ferne aufmerksam zu betrachten.“ Der Vater schaute in die Höhe. Dort, hundert Fuß über der Ebene, auf einem Felsstück unmittelbar am Abhange und dicht neben dem Zelte, saß Ellen und lugte unbeweglich nach einer Richtung in die Ferne. Plötzlich entfuhr ihm ein Ruf zornigen Schreckens, der blitzschnell nun auch die Blicke aller übrigen nach dem Gipfel des Felskegels lenkte. „Ha!“ rief Abiram, mehr erschrocken als zornig. Die jungen Männer aber standen mit vor Erstaunen weit offenem Munde. Denn neben Ellen war eine zweite Gestalt erschienen, die eines jungen Weibes von wunderbarer Schönheit. Ein dunkles, schimmerndes Seidengewand umflatterte ihre Glieder, und langes, rabenschwarzes Lockenhaar wallte windbewegt um ihr Haupt. Eine Weile standen die Männer in stummem Anschauen dieser Erscheinung, dann aber nahm Asa, der älteste der Söhne, das Wort. „Das also ist das Tier, das ihr angeblich zum Anlocken des Präriewildes mitgenommen habt, und mit dem ihr immer so heimlich getan,“ sagte er voll Hohn zu dem ihn scheu ansehenden Abiram, da er es vorzog, sich nicht direkt an seinen Vater zu wenden. „Daß du es mit der Wahrheit nie genau genommen hast, wußte ich längst, aber solch eine grobe Lüge erwartete ich doch nicht. Die Zeitungen in Kentucky haben dich hundertmal einen Sklavenhändler gescholten; sie ahnten jedoch sicher nicht, daß du den Handel auch auf weiße Menschen ausdehntest.“ „Wen nennst du hier einen Sklavenhändler?“ fuhr Abiram erbost auf. „Sieh dir deine eigene Familie an, mein Junge. Gar manchen Aufruf habe ich an den Häusern und Bäumen angeschlagen gesehen, der eine gute Belohnung denen verhieß, die deines Vaters, deiner Mutter, ja und auch deinen Verbleib so nachweisen konnten, daß das Gericht euch zu fassen imstande war! Reich könnte ich heute sein, wenn ich euch Sippschaft --“ Er redete nicht weiter, denn Asa versetzte ihm mit der verkehrten Hand einen solchen Schlag auf den Mund, daß er fast zu Boden getaumelt wäre. [Illustration] „Du hast den Bruder deiner Mutter geschlagen, Asa!“ sagte der Vater finster und streng. „Den Verleumder unserer Familie habe ich gezüchtigt,“ entgegnete der Sohn heftig, „einen Menschen, der verdiente, daß man ihm die giftige Zunge herausschnitte!“ „Schweig, ich befehle es dir!“ herrschte der Squatter den Zornigen an. „Du kennst mich, also kein Wort weiter. Auch du, Abiram, bist ruhig. Du hast schlimme Dinge gegen mich und die Meinen ausgesprochen. Wenn die Schergen des Gerichts ihre Zettel an die Blockhütten und an die Baumstümpfe in den Lichtungen nagelten, dann geschah das nicht, weil ich unehrliche Handlungen beging, sondern weil ich der Ansicht war und heute noch bin, daß die Erde, der Wald und das Wild freies Eigentum aller Menschen sind. Nein, Abiram, könnte ich meine Hände ebenso leicht von dem reinigen, was ich auf dein Anstiften tat, wie von meinen sonstigen Sünden, dann würde mein Schlaf ruhiger sein, und meine Angehörigen brauchten sich meines Namens nicht zu schämen. Aber nun Friede; machen wir das, was schlimm ist, nicht noch schlimmer.“ Der Streit hatte die Aufmerksamkeit der Männer von der wunderbaren Erscheinung auf der Höhe des Berges abgelenkt; als man jetzt hinaufblickte, war diese nicht mehr sichtbar. Asa, phlegmatisch wie alle Leute von seiner gewaltigen Kraft und Körpergröße, beruhigte sich sehr bald wieder. Nicht so Abiram; man sah es dem tückischen Ausdruck seiner Augen an, daß er von jetzt an einen tödlichen Haß gegen seinen Neffen mit sich herumtragen würde. Ismael aber erstieg das Lager und begab sich in das Zelt, in welchem er einige Zeit verweilte; als er wieder im Freien erschien, war sein Antlitz erregt und finster. Nach kurzer Rücksprache mit seiner Frau stieg er aufs neue zur Ebene hinab, und bald darauf zog er mit seiner ganzen Schar fort zur Jagd; denn die Mutter hatte ihm mitgeteilt, daß das Fleisch für die Kochtöpfe auf die Neige ginge. * * * * * Um die Zeit, als die Emigranten ihre Felsenburg verließen, saßen etwa in Kanonenschußweite von derselben zwei Männer in einer kleinen, von einem Bache durchrieselten Bodensenkung, eifrig beschäftigt, eine herzhafte Mahlzeit einzunehmen. Dieselbe bestand in dem saftigen Fleische eines Büffelhöckers, der sachkundig von dem erlegten Wilde abgelöst und zwischen erhitzten, mit Erde bedeckten Steinen, nach der uralten Sitte der Wildnis, gar gemacht worden war. Die Schmausenden waren der Trapper und der Bienenjäger. Letzterer lobte die Kochkunst seines alten Gefährten mit wahrer Begeisterung, wobei er unermüdlich mit vollen Backen kaute; der Trapper, der bald gesättigt war, hörte lächelnd zu und versorgte dabei seinen treuen Hektor mit den weichsten und leckersten Bissen. Auf ein leises, warnendes Knurren des klugen Tieres blickte er um sich und gewahrte in einiger Entfernung einen kleinen Mann, der frei, wenn auch mit zögernden Schritten, herankam. Als Paul Hover den Fremden erspähte, stopfte er die saftigen Fleischstücke mit verdoppeltem Eifer zwischen seine weißen Zähne, als fürchte er, zu kurz zu kommen, wenn noch ein Dritter einen Anteil an dem Büffelhöcker beanspruchen sollte. Dem Trapper schien jedoch das Erscheinen des Unbekannten ganz willkommen zu sein. „Nur näher, Freund,“ rief er demselben entgegen, „nur näher! Wenn der Hunger Euch führte, dann seid Ihr an den rechten Ort gelangt. Fürchtet Euch nicht, wir sind Christenmenschen und genießen mit Dank, was Gott uns bescherte.“ „Ehrwürdiger Jäger,“ antwortete Obed Bat, der auf einer seiner botanischen Exkursionen an diesen Ort gekommen war, „ich freue mich dieser Begegnung, da ich Euch bereits, wenn auch nur dem Ansehen nach, kennengelernt habe. Wir beide lieben die Natur und ihre wunderbaren Erzeugnisse, wir sollten daher in Freundschaft verbunden sein.“ „Aha, Ihr seid der Doktor, von dem ich in Ismael Buschs Lager reden hörte,“ entgegnete der Trapper. „Setzt Euch her und esset und dann sagt uns, was Ismael unter dem weißen Zelte mit sich führt, das er so scharf und bissig bewacht wie eine Bärin den Ort, wo ihr Junges schläft.“ „Habt Ihr davon auch gehört?“ versetzte der Doktor, den Bissen wieder sinken lassend, den er eben mit lüsterner Miene zum Munde führen wollte, während Paul mit anscheinend immer zunehmendem Appetit dem Fleische zusprach. „Nein, gehört habe ich nichts, aber gesehen habe ich das Zelt, und weil ich nachschauen wollte, was sich darunter verbirgt, hat man mich beinahe gebissen.“ „So, also gebissen!“ sagte der gespannt aufhorchende kleine Mann. „Dann muß es also doch ein Raubtier sein. Ein Bär, ein _Ursus horridus_ ist's nicht, dafür verhält es sich zu ruhig; ein Hund, ein _Canis latans_, kann's auch nicht sein, denn den hätte seine Stimme längst verraten. Andererseits aber kann doch Ellen Wade nicht mit einem Raubtier auf so vertrautem Fuße stehen. Hm, zum Locken anderer Tiere bei der Jagd haben sie's mitgenommen, wie sie sagen ... hm ... Verehrungswürdigster Jäger, ich muß Euch offen gestehen, daß dieses rätselhafte Tier, das tagsüber in einem Wagen und nachts in dem Zelte verwahrt wird, mir bereits mehr Kopfzerbrechen verursacht hat als sämtliche Vierfüßler der Naturgeschichte zusammen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich es noch nicht zu klassifizieren vermochte.“ „Ihr meint also, Ismael führe ein reißendes Tier unter jenem Zelte mit sich herum?“ fragte der Trapper augenscheinlich belustigt. „Ich meine nicht nur, ich weiß es genau,“ versicherte Doktor Battius mit großem Ernste, „denn Ismael Busch selber hat es mir gesagt.“ Paul Hover lachte kauend laut auf. Der Trapper aber schüttelte nachdenklich den Kopf. „Dahinter steckt irgend ein Geheimnis,“ sagte er ruhig. „Ismael läßt keinen Unberufenen dem Zelte nahekommen, ein Tier aber brauchte er nicht so ängstlich zu verbergen. Ein Tier kann's auch gar nicht sein, sonst hätte mein Hektor mir längst davon erzählt, denn seine Nase ist noch so unfehlbar wie einst, in seinen jungen Jahren.“ „Bildet Ihr Euch ein, Euer Hund sei klüger als ein Mann von meinen Kenntnissen?“ rief der Doktor halb unverständlich, da er den Mund voll Büffelfleisch hatte. „Wie soll solch ein Köter zum Beispiel die Klasse, Gattung, Art und Geschlecht eines Tieres feststellen? Wie kann er wissen, was selbst studierten und gelehrten Leuten verborgen ist?“ „Wie er das wissen kann?“ lächelte der alte Trapper. „Gebt acht; hört Ihr nicht ein Geräusch dort in dem Gesträuch am Bache? Seit fünf Minuten schon raschelt und knackt es da. Was für ein Geschöpf mag sich dort wohl regen?“ „Hoffentlich kein Raubtier!“ rief der Doktor erschrocken. „Ihr führt Büchsen mit Euch, Freunde; macht sie schußfertig, denn auf meine kleine Vogelflinte ist nur wenig Verlaß.“ „Die Büchsen können wir immerhin zur Hand nehmen,“ versetzte der Alte, nach der seinen langend. „Hektor, mein Hundchen, wer kommt da? Sollen wir die Kreatur stellen oder laufen lassen?“ Der Hund, der durch die Bewegungen seiner Ohren den erfahrenen Jäger längst von dem Herankommen eines fremden Geschöpfes Kenntnis gegeben hatte, erhob den Kopf, schnüffelte ein wenig, gähnte dann und streckte sich ruhig wieder nieder. „Es ist ein Mensch!“ rief der Trapper, „wenn ich mich noch auf meinen Hektor verstehe.“ Jetzt sprang Paul Hover blitzschnell auf, und sein Gewehr anschlagend, rief er mit drohender Stimme: „Hervor da, Freund oder Feind!“ „Ein Freund bin ich, ein Weißer und ein Christ,“ kam die Antwort aus dem Gebüsch, und im nächsten Augenblick trat ein Mann aus demselben ins Freie. Ruhigen Schrittes kam er heran, forschend und vorsichtig die drei Freunde mit seinen Blicken messend. Er war noch jung; auf dem schwarzlockigen Haupte saß ihm keck eine Soldatenmütze mit verblichener Goldquaste. Über einer blauen Uniform trug er ein dunkelgrünes, gelb eingefaßtes Jagdhemd, dazu hirschlederne Hosen und indianische Mokassins. In der rotseidenen Schärpe steckte ein langer Dolch, am Leibriemen hingen zwei lederne Halfter mit Pistolen darin, und ein schweres Soldatengewehr nebst Pulverhorn und Kugeltasche vervollständigten seine Bewaffnung. Auf dem Rücken führte er einen Tornister mit sich, gezeichnet mit dem Stempel der Vereinigten Staaten, _U. S._ (_United States_), welche Buchstaben den Amerikanern den scherzhaften Beinamen „Onkel Sam“ zugezogen haben. „Ich komme als ein friedlicher Reisender,“ nahm der Fremdling das Wort, als er bei den Dreien angelangt war und sich auf einen freundlichen Wink des Trappers niedergelassen hatte, um gleichfalls dem leckeren Mahle zuzusprechen. „Und da Ihr das Recht habt, zu erfahren, wem Ihr Eure Gastfreundschaft zuteil werden lasset, so seht hier meine Legitimation.“ Damit zog er aus einer inneren Brusttasche ein Pergament hervor und reichte es dem alten Jäger. „Ich kann nicht lesen, Freund,“ lehnte dieser lächelnd ab, „auch genügt mir Euer Antlitz als Legitimation.“ „Gebt her,“ rief jetzt Doktor Battius neugierig, „ich lese alles, und wenn es lateinisch wäre.“ Er nahm das Pergament und entfaltete es. „Ei, ei,“ sagte er, „was haben wir denn hier? Ei, Mann, das ist ja die Unterschrift des Präsidenten Jefferson, gegengezeichnet vom Kriegsminister! Hm! Das ist nichts mehr und nichts weniger als eine Bestallung für den Hauptmann der Artillerie Duncan Unkas Middleton.“ „Was sagtet Ihr da?“ fragte lebhaft der Trapper, der bis jetzt noch keinen Blick von den Zügen des jungen Fremden verwendet hatte. „Wie ist der Name? Nennt ihn noch einmal! War's nicht Unkas? Wie? Unkas sagtet Ihr?“ „Unkas ist mein Name,“ sagte der junge Mann nicht ohne einen Anflug von Stolz. „Ich und ein Onkel von mir tragen ihn zum Gedächtnis eines indianischen Häuptlings und eines großen Dienstes, den ein wackerer Krieger in den alten Kämpfen der Provinzen meiner Familie erwiesen.“ „Unkas! Sagtet Ihr Unkas?“ wiederholte der Trapper, sich schnell erhebend und dem gleichfalls aufstehenden Gaste das dunkle Lockenhaar mit bebender Hand aus der Stirn streichend. „Meine Augen sind alt und nicht mehr so scharf wie damals, als ich selber noch ein Krieger war ... aber ich erkenne doch noch die Züge des Vaters in denen des Sohnes. Ich erkannte das Antlitz sogleich, als Ihr aus dem Gebüsch kamt, aber ich wußte nicht, wo ich die Ähnlichkeit früher gesehen. Sagt mir, Knabe, welchen Namen trägt Euer Vater?“ „Mein Vater führte denselben Namen wie ich; er focht als Offizier im Revolutionskriege; meiner Mutter Bruder hieß Duncan Unkas Heyward.“ „Wieder ein Unkas! Wieder ein Unkas!“ rief der Trapper in zitternder Erregung. „Und dessen Vater?“ „Hieß ebenso, allerdings ohne den Namen des indianischen Häuptlings. Er war es und meine Großmutter, denen jener große Dienst, den ich erwähnte, erwiesen wurde.“ „Ich wußte es! Oh, ich wußte es!“ jubelte der alte Mann mit beinahe versagender Stimme, während eine tiefe Bewegung in seinen sonst so starren Zügen arbeitete. „Oh, ich wußte es! Ob Sohn oder Enkel, es ist gleich; das Blut, die Art lassen sich nicht verbergen! Sagt mir, Knabe -- der, den sie allein Duncan Heyward nennen, lebt der noch?“ Der junge Mann schüttelte traurig den Kopf. „Er starb hochbetagt und hochgeehrt,“ antwortete er. „Hochbetagt,“ murmelte der Trapper, auf seine mageren Hände niederschauend. „Ja, hochbetagt. Aber Ihr habt ihn oft gesehen, Knabe, nicht wahr? Und auch wohl gehört, wenn er von Unkas und von der Wildnis redete?“ „Gar oft hat er mir davon erzählt,“ nickte der junge Mann, der nicht wußte, wo der Trapper mit seinen Fragen hinauswollte. Die Augen des Alten glänzten seltsam. „Kommt,“ drängte er, „setzt Euch hier neben mich und laßt mich wissen, was Euer Großvater gesagt hat, wenn er sich an jene Tage im Urwalde erinnerte.“ Lächelnd folgte der andere dieser Aufforderung, während Paul sich ohne weiteres an seiner freien Seite niederließ. „Tut dem Trapper immerhin den Gefallen, Fremder,“ sagte der Bienenjäger, „alte Leute hören gern von alten Zeiten plaudern, und ich kann wohl sagen, daß auch ich selber Wohlgefallen daran finde.“ „Wenn ich alles berichten wollte, würde Euch die Zeit lang werden,“ versetzte Middleton, „auch ist die Geschichte reich an Blutvergießen und all den anderen Schrecken indianischer Kriegführung.“ „An so etwas sind wir in Kentucky gewöhnt,“ meinte Paul, „außerdem machen ein paar Skalpierungen eine Geschichte nur noch interessanter.“ „Aber er erzählte Euch doch von Unkas, nicht wahr?“ fing der Trapper wieder an. „Und wie dachte und redete er über den Knaben, daheim in seinem reichen, vornehmen Hause und umgeben von allen Bequemlichkeiten der Kolonien?“ „Er sprach, denke ich mir, genau so, wie er gesprochen haben würde, hätte er seinem Freunde Auge in Auge gegenüber gestanden.“ „Was? Nannte er den Wilden seinen Freund? Den armen, nackten, bemalten Krieger des Waldes nannte er seinen Freund? Er war nicht zu stolz, den heidnischen Indianer seinen Freund zu nennen?“ „Nein, im Gegenteil, er rühmte sich mit Stolz dieser Freundschaft. Ich sagte Euch ja bereits, daß er seinem Erstgeborenen den Namen dieses Freundes gab und dabei den Wunsch äußerte, daß der Name wie ein Erbteil für alle Zeit in der Familie bleiben möge.“ „Das war recht gehandelt,“ nickte der Greis in freudiger Rührung, „das war eines Mannes und eines Christen würdig. Er pflegte den Delawaren wegen seiner Schnelligkeit zu bewundern -- sprach er auch davon?“ „Gewiß; er nannte ihn oft den ‚Flinken Hirsch‛, _Le Cerf Agile_; das war ein Beiname, der dem Häuptling gegeben war.“ „Richtig. Und kühn und furchtlos war er, nicht, Knabe?“ fuhr der Trapper fort, ganz glückselig darüber, hier das Lob dessen zu hören, den er in vergangener Zeit allem Anschein nach herzlich geliebt hatte. „Kühn und großherzig, tapfer und ohne Furcht,“ bestätigte Middleton. „Wenn mein Großvater Muster echten Heldenmutes und wahrer Mannestreue anführen wollte, dann nannte er stets den Häuptling Unkas und dessen Vater, einen edeln Krieger, dem wegen seiner Weisheit der Beiname ‚die Große Schlange‛ verliehen worden war.“ „Damit ließ er ihnen nur Gerechtigkeit widerfahren,“ rief der Greis. „Doch war das alles, Knabe? Wußte Euer Großvater nicht noch mehr zu berichten?“ „Doch. Die Erzählungen, bei denen auch meine gute Großmutter --“ „Ha,“ unterbrach ihn der Trapper, dessen Antlitz unter einer neuen Erinnerung förmlich strahlte, „ich weiß, sie hieß Alice! Wie deutlich sehe ich das schöne Kind vor mir! Ihr blondes, lichtes Haar schimmerte wie Gold, ihr Auge war blau wie der Himmel, und ihre Haut so rein wie der Winterschnee auf der Prärie! Hab' ich nicht recht?“ Der junge Offizier zuckte lächelnd die Achseln; als junges Mädchen hatte er seine Großmutter freilich nicht mehr gekannt. „Die Gefahren und Abenteuer, die sie auf jenen Fahrten durch die Urwälder zu überstehen gehabt,“ so fuhr er fort, „hatten sich ihrem Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt, ebenso die Gestalten der Freunde, die sie begleitet und beschützt hatten.“ Der Trapper wendete das Gesicht zur Seite, als kämpfe er mit seinen Empfindungen; nach einer kleinen Weile richtete er seine ehrlichen Augen wieder auf den jungen Gast. „Diese Freunde, Knabe -- sagt, waren das alles nur Rothäute? Waren Duncan Heyward und die Tochter Munros die einzigen Weißen bei dem Zug durch den Urwald?“ fragte er. „Nein, ein weißer Jäger, der zu den Delawaren gehörte, befand sich noch bei ihnen, ein Kundschafter der englischen Armee.“ „Aha, wahrscheinlich einer von jenen betrunkenen Taugenichtsen und Vagabunden, die sich so zahlreich in den Indianerdörfern herumtrieben und ihrer Farbe zur Schande gereichten,“ bemerkte der Alte, die Züge des Offiziers dabei lauernd beobachtend. „Alter Mann,“ entgegnete dieser sehr ernst, „Eure weißen Haare sollten Euch wahrlich von solchen übeln Nachreden abhalten! Es gibt nicht viel Menschen auf der Erde, die an innerem Wert mit jenem Jäger sich messen dürfen. Im Gegensatz zu dem Grenzergesindel, das Ihr erwähntet, vereinigte er in sich alle Vorzüge der weißen wie der roten Rasse. Sein Gemüt war rein wie das eines Kindes, dabei stand er an Mut und Tapferkeit seinen indianischen Gefährten nicht nach und war ihnen an Kriegserfahrung sogar weit überlegen. Mein Großvater bedauerte stets, daß die Tugenden und edeln Charaktereigenschaften dieses Mannes bei der Lebensweise desselben so wenig Beachtung finden konnten; in anderer Stellung hätte er der Mitwelt sicher von großem Nutzen sein können, denn er war einer der besten Männer seiner Zeit.“ [Illustration] Während dieser Rede des jungen Mannes hatten die Augen des Trappers sich zu Boden gesenkt. Wie abwesend spielten seine Finger mit den Ohren des Hundes, auch ließ er zwecklos mehrmals das Schloß seiner Büchse schnappen. „Euer Großvater hatte also den weißen Jäger doch nicht ganz vergessen?“ kam es endlich heiser über seine Lippen. „So wenig hatte er ihn vergessen, daß heute bereits drei seiner Nachkommen auf den Namen des Kundschafters getauft sind.“ „Was? Auf den Namen des armen, ungebildeten Jägers? Die Reichen, die Großen, die Leute in Amt und Ehren und, was noch besser ist, die Gerechten und die Guten führen seinen wirklichen, richtigen Namen?“ „Mein Bruder und zwei meiner Vettern sind stolz darauf, sich nach jenem edeln Manne nennen zu dürfen.“ „Wirklich und wahrhaftig mit dem richtigen Namen, der mit einem N anfängt und mit einem L aufhört?“ „Mit demselben Namen,“ bestätigte der junge Mann lächelnd. „Nein, mein Freund, nicht das Geringste ist vergessen, das dem Gedächtnis des Trefflichen dienen kann. Sogar mein Jagdhund, der gegenwärtig hinter einem Stück Wild streift, stammt von einem Tier ab, das Nathaniel Bumppo einst meinem Großvater als Andenken aus der Ferne sendete, und einen besseren und zuverlässigeren Hund gibt's nicht in den ganzen Vereinigten Staaten.“ „Hektor,“ sagte der Alte mit vor Bewegung erstickter Stimme, „Hektor, mein Hundchen, hast du das gehört? Dein Fleisch und Blut ist in der Prärie!“ Er vermochte nicht länger an sich zu halten. „Knabe,“ rief er, „jener Jäger, jener Kundschafter, bin ich! Ich bin Nathaniel Bumppo! Ein Krieger einst, jetzt ein elender Fallensteller!“ Und aus Quellen, die längst versiegt geschienen, brachen heiße Tränen hervor und strömten unaufhaltsam über seine welken Wangen. Er verbarg das Antlitz auf den Knien und schluchzte laut. Erstaunt, tief gerührt und voll Ehrfurcht blickten die drei anderen auf ihn. Lange vermochte keiner ein Wort hervorzubringen. „Es kann kein Zweifel obwalten,“ begann endlich der junge Offizier, der sich nicht schämte, die Zeichen seiner Ergriffenheit aus den Augen zu wischen, „er ist es, sonst könnte er mit den Einzelheiten der Geschichte nicht so vertraut sein, die fast nur in meinem Verwandtenkreise bekannt ist.“ „Was der sagt, das ist so wahr wie das Evangelium!“ rief Paul Hover heftig, mit dem Ärmel über sein Gesicht fahrend. „Darauf will ich jederzeit meinen heiligen Eid leisten, wenn Ihr's verlangt!“ „Und wir hatten immer gemeint, daß er längst nicht mehr unter den Lebenden sei,“ fuhr der Offizier fort. „Mein Großvater starb in hohem Alter, und der war der Jüngere von beiden.“ Inzwischen hatte der Trapper seine Fassung wiedergewonnen. „Daß ich noch auf Erden lebe, junger Mann,“ sagte er ernst, „ist der Wille des Herrn; achtzig Jahre und darüber hat er nach seinem weisen Ratschluß mich alt werden lassen. Daß ich der Mann bin, der ich sagte, das könnt Ihr mir glauben; warum sollte ich mit einer Lüge meine Tage beschließen?“ „Ich zweifle keinen Augenblick daran, ich bin nur voll vor Erstaunen über diese wunderbare Fügung. Aber sagt mir, ehrwürdiger und teurer Freund meiner Vorfahren, warum finde ich Euch hier in dieser Wüste, fern von den Bequemlichkeiten und der sicheren Ruhe der Zivilisation?“ „Ich kam hierher, um dem Klange der Axt zu entfliehen; dieser Prärie bleibt der Holzfäller fern. Aber laßt mich an Euch dieselbe Frage richten. Gehört Ihr zu dem Kommando, das die Regierung abschickte, die neu erworbenen Ländereien zu besichtigen?“ „Nein, meine Reise hat einen privaten Zweck.“ „Wenn ein Mann, dessen Augen und Körperkräfte zur Ausübung der Jagd nicht mehr hinreichen, mit Fallen und Schlingen in der Nähe der Biberteiche gefunden wird, so ist das nichts Seltsames; verwunderlich aber ist es, wenn ein Hauptmann der Artillerie die Prärie durchstreift, ohne auch nur einen von seinen Untergebenen bei sich zu haben.“ „Ihr werdet meine Gründe hierzu billigen, sobald Ihr sie kennengelernt habt; ich gedenke sie Euch darzulegen, vorausgesetzt, daß Ihr sie wissen wollt. Ich täusche mich wohl nicht, wenn ich alle, die ich hier um mich sehe, für wackere Männer halte, die einem Hilfsbedürftigen gern mit Rat und Tat beistehen werden.“ „Laßt uns hören, wie wir Euch dienen können,“ antwortete der Trapper; Paul und der Doktor gaben ihre Zustimmung zu erkennen und lagerten sich bequem zurecht, den Neuigkeiten in aller Ruhe zu lauschen. Drittes Kapitel Die Erstürmung der Felsenburg Wir kehren zu Ismael Busch und seinen Söhnen zurück, die am Abend dieses Tages von der Jagd ermüdet den Felsenberg und auf demselben ihre Wohnstätten wieder aufgesucht hatten. Nur einer fehlte, Asa, der Älteste. Man wußte nicht, ob er absichtlich sein Heimkommen verzögerte, oder ob er den Weg verloren hatte. Der Vater und die Brüder, überzeugt, daß der junge Riese sich wohlbehalten aus allen Fährlichkeiten ziehen würde, machten sich seinetwegen nicht viel Sorgen, die Mutter nur bangte sich um ihn, und in ihren Befürchtungen wurde sie durch Abiram, ihren Bruder, noch bestärkt, der allerlei von herumstreichenden Indianern vor sich hin murmelte, bis Ismael, die wachsende Angst seiner Frau wahrnehmend, ihm endlich Schweigen gebot. Der Emigrant war übel gelaunt; das Geheimnis des Zeltes war verraten worden, und das beunruhigte ihn weit mehr als Asas Abwesenheit. Er zürnte mit Ellen Wade, die er beschuldigte, die Bewohnerin des Zeltes nicht streng genug bewacht zu haben. Nach einiger Zeit aber verlangte die Natur bei allen ihr Recht, und der Schlaf breitete seine Fittiche über das Lager. Um Mitternacht sah Abner, der Wachthabende, eine dunkle Gestalt den Felsenhang heraufklimmen. Er erkannte in derselben bald den Doktor Obed Bat, der von seinem Ausfluge heimkehrte und unverweilt seine Schlafstätte aufsuchte. Hier lag er jedoch nur so lange, bis er sich überzeugt hatte, daß niemand mehr wachte; dann stand er leise auf und schlich dem Zelte zu. Schon war er demselben ganz nahe, da legte sich eine leichte Hand auf seine Schulter. Erschrocken wandte er sich um, gewahrte aber zu seiner Erleichterung nur Ellen. „Still, Kind,“ flüsterte er. „Ihr kommt mir gerade recht. Aber niemand darf uns sehen und hören. Hier, ich bringe einen Brief für die Dame dort drinnen. Gebt ihn ihr, ich warte hier draußen.“ Ellen nahm das Papier und schlüpfte ins Zelt. Bald darauf schaute sie aus der Türöffnung, winkte den kleinen Mann herbei und zog ihn eilfertig ebenfalls hinein. * * * * * Kaum graute der Morgen über der weiten Ebene, als auch schon Frau Esther mit lautem Ruf die Schläfer erweckte. Böse Träume hatten sie im Schlafe gequält, und als sie auch jetzt ihren Asa, ihren Lieblingssohn, nirgends in der Prärie zu erspähen vermochte, da ruhte sie nicht eher, bis die ganze Schar nach schnell eingenommenem Morgenimbiß sich aufmachte, den Vermißten zu suchen; auch bestand sie darauf, sich an dem Streifzuge zu beteiligen. Abiram machte den Vorschlag, man solle ihn als Wächter der Festung zurücklassen. Darauf ging man jedoch nicht ein; er hatte am Abend zuvor so viel von Indianerspuren geredet, daß er nun zeigen sollte, wo er dieselben wahrgenommen. Mit der Obhut des Lagers wurden die Töchter und Ellen betraut; nachdem man Signale verabredet und am Rande des Felsplateaus große Steine bereitgelegt hatte, die auf etwaige Angreifer hinabgestürzt werden sollten, zog man unter Führung Ismaels davon. Doktor Battius, der sich dem Zuge angeschlossen, blieb nach kurzem Marsche, von einigen Pflanzen angelockt, in denen er botanische Merkwürdigkeiten zu erkennen meinte, hinter den anderen zurück, denen er auch bald aus dem Gesichte kam. Nach Verlauf einiger Stunden langten die Streifenden vor einer sumpfigen Niederung an, die mit dichtem Gehölz und Buschwerk bestanden war. Noch berieten sie, nach welcher Richtung sie sich jetzt wenden sollten, als plötzlich in wildem Lauf ein Hirsch aus dem Dickicht hervorbrach; er war in die offene Prärie hinausgeflohen, ehe die Männer noch ihre Büchsen schußfertig machen konnten. Gleich darauf raschelte es wieder im Unterholz, und jetzt erschienen zwei Hunde, mit Eifer die Fährte des Wildes verfolgend. „Es müssen Jäger in der Nähe sein,“ sagte Ismael, „und wenn ich mich noch auf Jagdhunde verstehe, so haben sie da ein Paar Tiere von allerbester Rasse.“ Der eine der Hunde war augenscheinlich bereits sehr alt, doch zeigte er noch immer ein Feuer, das dem seines Kameraden wenig nachgab. Der letztere wich bei einem Ausläufer des Gehölzes plötzlich von der Fährte ab; er blieb stehen, witterte mit erhobener Nase und ließ dann ein kurzes, unheimlich klagendes Geheul vernehmen, auf welches nun auch der andere Hund eilfertig herbeikam. Der erhob sogleich die Nase, witterte forschend gegen das Dickicht hin, setzte sich dann auf sein Hinterteil und begann so laut, so wehevoll und durchdringend zu heulen, daß Ismael und seine Angehörigen unwillkürlich erschauerten. „Was mögen die Köter haben?“ sagte Abner verwundert. „Es muß etwas ganz Ungewöhnliches sein, das zwei solche treffliche Jagdhunde von ihrer Fährte ablenken kann.“ „Schießt sie tot, die Bestien!“ rief Abiram erbost. „Das alte Vieh da kenne ich, das ist der Hund des Trappers, des schleichenden Halunken, der, wie wir alle wissen, unser heimlicher Feind ist.“ Niemand hörte auf ihn, alle standen vielmehr wie gebannt, wie befallen von einem unerklärlichen Grausen. Endlich nahm Ismael das Wort. „Kommt, Jungen, kommt,“ sagte er; „laßt die Hunde singen, solange es ihnen Spaß macht.“ Seine Frau aber widersprach ihm. „Nein, Kinder,“ rief sie in bebender Erregung, „geht nicht fort, bleibt hier! Das Geheul der Tiere hat mehr zu bedeuten, als wir uns denken, und ich ruhe nicht eher, bis ich die Ursache kennengelernt habe. Mir ahnt Schlimmes, noch aber weiß ich nicht, was.“ Sie war bei diesen Worten näher an die Stelle herangegangen, wo die Hunde jetzt rastlos in kleinem Kreise herumliefen und den Erdboden beschnupperten. „Abner! Abiram! Ismael!“ rief sie jetzt, „Ihr seid Jäger; sagt mir, was für ein Geschöpf es war, das hier seinen Tod fand. Hier sind auch Blutspuren -- rühren die von einem Wolf her, oder von einem Panther?“ „Das muß ein Büffel gewesen sein,“ versetzte der Squatter, ruhig die Spuren betrachtend, die seine Frau in eine so große Aufregung versetzten; „ein starkes, gewaltiges Tier, das sieht man an der von seinen Hufen und Hörnern so tief aufgewühlten Erde.“ „Wer aber hat ihn erlegt?“ fuhr Esther fort. „Mann, wo sind die Überbleibsel? Die Wölfe verschlingen doch nicht auch die Knochen und das Fell? Ist das wirklich nur das Blut eines Tieres? Ich will eine Antwort haben!“ „Beruhige dich doch, Mutter,“ sagte Abner; „der Büffel wird in das Dickicht geflüchtet und dort verendet sein. Sieh nur die Aasvögel dort über den Baumkronen; die wittern bereits ihre Beute.“ „Das Tier muß noch lebendig sein,“ bemerkte der Vater, „sonst hätten die Geier sich darüber hergemacht. Dem Benehmen der Hunde nach zu urteilen, ist es eine gefährliche Bestie, vielleicht ein grauer Bär, und die Sorte hat ein zähes Leben.“ „Dann laß uns umkehren,“ drängte Abiram. „Wir stürzen uns sonst unnütz in Gefahr. Komm, Ismael.“ Die jungen Männer warfen verächtliche Blicke auf ihren Oheim, dessen Furchtsamkeit ihnen längst bekannt war; dann schritten sie vorsichtig noch näher an das Dickicht heran. Ein heulender Wind hatte sich aufgemacht, und finstere Wolken jagten in wild zerrissenen Gebilden unter dem Himmel dahin. Die Aasvögel, die sich in ihrem kreisenden Fluge kaum gegen den Wind zu behaupten vermochten, schossen ab und zu zwischen die Baumwipfel hinab, aber nur, um im nächsten Moment wieder mit schreckensvollem Gekreisch emporzufahren; das gierig ersehnte Mahl war offenbar noch nicht bereit. Die Mutter vermochte ihre Aufregung und Ungeduld endlich nicht mehr zu zügeln. „Schickt die Hunde hinein!“ rief sie. „Enoch, Abner, Gabriel, ihr habt euch doch sonst vor allen Bären diesseits des großen Flusses nicht gefürchtet! Oder gebt mir anstatt dieser meiner Schrotflinte eine Büchse -- ihr da, Ismael und Abiram! -- dann will ich euch allen zeigen, wessen eine Grenzerfrau fähig ist!“ Jetzt zögerten die jungen Männer nicht länger; sie sprangen vorwärts und waren bald in dem Dickicht verschwunden. Der junge Hund folgte ihnen, der alte aber blieb, an allen Gliedern zitternd, am Rande des Buschwerks zurück. Nach einer kleinen Weile erhoben sich die Aasvögel aufgestört mit wildem Geflatter und betäubendem Gekreisch; gleich darauf ertönte aus dem Dickicht ein doppelter Entsetzensschrei. Die Mutter erbleichte. „Kommt zurück, meine Kinder!“ rief sie in Angst; „um Gotteswillen, kommt zurück!“ Und die Gerufenen kamen, aber langsam, mit verstörten Gesichtern und eine Bürde mit sich schleppend, die sie vor der Mutter Füßen niederlegten -- den Körper des vermißten Asa, starr und tot, und mit den unverkennbaren Zeichen eines gewaltsamen Endes auf dem entstellten Angesicht. [Illustration] Noch ein langes, klagendes Geheul stießen die Hunde aus, dann jagten sie auf der Spur des entflohenen Hirsches davon. „Gebt Raum!“ stieß Esther mit heiserer Stimme hervor, indem sie alle anderen zurückdrängte. „Ich bin seine Mutter und habe das größte Recht an ihn! Wer hat diese Tat getan? Ismael! Abiram! Abner! Wer hat meinen Knaben erschlagen?“ Die Männer standen stumm und starr; sie aber setzte sich nieder und nahm das Haupt des Toten auf ihren Schoß. Wortlos und tränenlos blickte sie in ihres Sohnes Antlitz, und ihr Schweigen war beredter als das lauteste Jammern und Klagen. „Das sind die Sioux gewesen,“ murmelte der Squatter nach langer Pause; „aber die Bluthunde sollen meiner Rache nicht entgehen!“ Die Brüder hatten inzwischen die tödliche Wunde gesucht und gefunden. Eine Kugel war dem Erschlagenen in den Rücken gedrungen und vorn auf der Brust wieder herausgefahren. Er mußte sich dann in das Dickicht geschleppt haben, nachdem er mit dem Mörder noch verzweifelt gekämpft hatte, denn die Brüder hatten ihn am Fuße eines Baumes sitzend gefunden, einen abgebrochenen Ast in der erstarrten Rechten. „Er muß mit einem ganzen Haufen von Sioux zu tun gehabt haben,“ meinte Abiram, „denn einer, oder zwei und auch drei hätten ihn nicht bezwungen.“ „So wird's sein,“ nickte der Vater düster; „er war von guter Art und hat niemals einem lebenden Wesen, weder Mann noch Raubtier, den Rücken gewiesen.“ „Seht!“ rief Enoch, aus den Kleiderfalten des Leichnams ein Stück Blei nehmend. „Hier ist die Kugel!“ Ismael ergriff dieselbe und betrachtete sie lange und aufmerksam. „Es kann nicht anders sein,“ sagte er endlich knirschend. „Diese Kugel stammt aus der Tasche des Trappers. Hier ist sein Merkzeichen: sechs kleine Löcher, in Form eines Kreuzes gestellt.“ „Meinen Eid darauf!“ rief Abiram triumphierend. „Kein anderer als der alte, schleichende Mensch ist Asas Mörder! Er hat mir das Merkzeichen selber gewiesen! Glaubst du nun, Ismael, was ich stets behauptet habe, daß der Trapper ein Spion der Rothäute ist?“ Die Kugel ging von Hand zu Hand, und keiner zweifelte länger an der Schuld des alten Jägers. Endlich machte man sich daran, des Toten Grab zu graben. Stumm und tränenlos schaute die Mutter zu; kein Seufzer, kein Schrei entrang sich ihrem zerrissenen Herzen, als man die Grube zuwarf und die Erde festtrat, um zu verhindern, daß Raubtiere den Leichnam wieder ausscharrten. „Esther,“ sagte der Squatter, als alles getan war, „tröste dich. Wir haben den Knaben erzogen, wir haben einen Mann aus ihm gemacht, wie es wenige an den Grenzen gibt, und nun haben wir ihn begraben. Als Eltern konnten wir nicht mehr tun. Laß uns nun gehen.“ Die Frau erhob sich und ließ sich willenlos fortführen. Die Schar machte sich auf den Heimweg. Nach langem Marsche kam endlich der Felskegel in Sicht. Man gab einen Schuß ab, um die Aufmerksamkeit der Mädchen zu erregen. Allein nichts regte sich auf der Höhe. Ein scharfer Windstoß fuhr über die Prärie. Man sah das weiße Zelttuch lose flattern -- die Befestigungen desselben mußten sich gelöst haben -- man sah es sich blähend erheben und dann, vom Winde erfaßt, den jenseitigen Abhang hinabfliegen. „Die Mörder sind auch dort oben gewesen!“ rief die Mutter verzweiflungsvoll. „O meine armen Kinder!“ Ismael aber stürmte ohne ein Wort zu sagen über die Ebene zum Berge und diesen hinauf; seine Söhne folgten ihm in atemloser Hast. * * * * * Ellen hatte inzwischen auf dem Felsen treue Wacht gehalten, dabei aber auch ihren Verkehr mit der Bewohnerin des Zeltes nicht vernachlässigt. Es mochte eine Stunde seit dem Auszuge der Männer vergangen sein, als plötzlich ein halbes Dutzend Mädchenstimmen den Alarmruf erhob. „Sieh, Ellen,“ riefen Ismaels Töchter, „dort zeigen sich fremde Männer in der Prärie! Ob es die Sioux sind?“ Zugleich griffen sie nach ihren Büchsen und den kurzen Hebeln, mit denen sie die Steine den Abhang hinabzustürzen gedachten. Ellen schaute prüfend in die Weite. Aus der kleinen Gruppe von Männern, die sich in der Ferne zeigte, sonderte sich jetzt ein Mann ab und kam auf die Felsenburg zu. Schon legten Phöbe und Hetty, die beiden ältesten der Schwestern, mit geübter Hand ihre Büchsen an, als Ellen ihnen zurief: „Schießt nicht! Das ist kein Feind, das ist ja unser alter Doktor Battius!“ Der kleine Mann kam heran, ein weißes Tuch an seinem Flintenlauf wie eine Parlamentärflagge schwenkend. Die übrigen Männer, drei an der Zahl, folgten ihm in einiger Entfernung. In Rufweite angelangt, erhob der Naturaliensammler seine krähende Stimme. „Holla, da oben!“ rief er. „Im Namen der Vereinigten Staaten von Nordamerika fordere ich euch auf, die Festung zu übergeben!“ „Was redet Ihr da für Unsinn, Doktor?“ entgegnete Ellen. „Seid Ihr denn nicht unser Freund? Reiset Ihr denn nicht mit meinem Onkel auf Grund eines Vertrages --“ „Der Vertrag ist null und nichtig!“ rief Obed zurück. „Ismael Busch hat angegeben, er führe in jenem Zelte ein Tier mit sich, zur Anlockung des Wildes in der Prärie bestimmt. Ismael Busch hat mich belogen; jenes Tier ist kein Tier, sondern ein Frauenzimmer. Daher ist unser Vertrag null und nichtig, und wenn ihr eure Festung nicht sofort übergebt, dann wird sie ohne weiteres mit Sturm genommen!“ „Halt!“ nahm jetzt Paul Hover das Wort, denn er war einer der drei Männer, „der Doktor geht zu weit. Nicht nach eurer Festung gelüstet uns; wir wollen nur das Tier haben, das reißende, gefährliche Tier, das sich dort im Käfig unter jenem Zelte befindet! Das müßt ihr uns ausliefern!“ Ellen trat händeringend an die Brüstung. „Du verlangst Unmögliches von mir, Paul,“ rief sie. „Ich habe Ismael Busch mit heiligem Eide schwören müssen, das Geheimnis des Zeltes keinem Menschen zu verraten, auch jeden Fluchtversuch der Gefangenen nach Kräften zu hindern. Wenn ihr trotzdem das Geheimnis durchschaut habt, so geschah dies nicht durch meine Schuld; meine Pflicht ist es aber, mich eurem Vorhaben zu widersetzen, solange Leben in mir ist!“ Eine kleine Weile noch ging das Parlamentieren hin und her. Auch Middleton und der Trapper beteiligten sich daran, Ellen aber und Ismaels Töchter blieben fest und drohten schließlich mit gewaltsamer Abwehr. „Nun, wenn ihr's denn nicht anders wollt, dann mag's drauf ankommen!“ rief Paul und begann mit der Behendigkeit einer Katze den Felsen zu erklimmen, dabei vorsichtig jede Deckung benutzend, die ihn gegen die Kugeln der jungen Amazonen schützen konnte. „Paul!“ kreischte Ellen angstvoll, „Paul, bleib zurück! Die Mädchen stürzen sonst Felsstücke auf dich hinunter, die dich unfehlbar zerschmettern müssen!“ „So treib das Gesindel doch davon!“ entgegnete der unerschrockene Bienenjäger. „Ich komme hinauf, und wäre der ganze Berg mit Hornissen bedeckt!“ „Ellen soll es nur wagen, uns zu hindern!“ rief jetzt Phöbe. „Wir wissen sehr wohl, daß sie es mit Euch hält; kommt sie uns zu nahe, so soll sie es bereuen. Hinunter mit euren Steinen, ihr Mädchen! Ich will den Mann sehen, der einen Fuß in Ismael Buschs Lager setzt, ohne seiner Töchter Einwilligung zu haben!“ „Ducke dich unter den Vorsprung, Paul!“ schrie Ellen in Herzensangst. In diesem Augenblick öffnete sich der Zeltvorhang, und zum zweitenmal zeigte sich die wunderbare Frauenerscheinung auf dem höchsten Teile des Felsenberges. „Im Namen Gottes beschwöre ich euch, von dem Streit abzulassen,“ rief sie mit wohllautender Stimme den Stürmern wie den Verteidigerinnen zu. „Vernichtet nicht Menschenleben, die ihr doch nie wieder ersetzen könnt!“ Aller Augen waren im Nu auf die Sprechende gerichtet. „Inez, meine Inez!“ rief der Hauptmann Middleton ihr zu. „Habe ich dich endlich gefunden? Mein mußt du nun wieder werden, und wenn tausend Teufel diesen Felsen verteidigten! Vorwärts, braver Bienenjäger, vorwärts und gebt mir Raum!“ Damit sprang auch er den Abhang hinan. Die Mädchen waren durch die plötzliche Erscheinung der schönen, fremden Frau in ihrer Mitte so in Erstaunen gesetzt, daß sie erst an Gegenwehr dachten, als es bereits zu spät war. Wohl stürzten sie einen der Felsblöcke auf die Angreifer hinab, diese aber wichen demselben aus, und im nächsten Augenblick schwang sich Paul auf den flachen Gipfel hinauf, unmittelbar gefolgt von Middleton. Doktor Battius kam erst nachgeklettert, als die kriegerischen Mädchen bereits entwaffnet waren und mit gefesselten Händen und stumm vor Erstaunen zusehen mußten, wie der Hauptmann die ihm jubelnd entgegeneilende schöne Fremde in heller Freude an sein Herz schloß ... Es ist hier am Platze, über diese beiden einige nähere Erklärungen zu geben. Der Hauptmann Middleton gehörte zu dem Truppenkörper, den die Regierung ausgesandt hatte, um das neu erworbene Terrain, den heutigen Staat Louisiana, zu besetzen. Hier kam er in Berührung mit einem der alteingesessenen kreolischen Grundherren, Don Augustin de Certavallos; die Bekanntschaft wurde zur Freundschaft, und als er eines Tages den Don um die Hand seiner Tochter, der schönen Inez, bat, da erfuhr er keine Ablehnung. Die Hochzeit wurde mit jener Pracht gefeiert, die sich für eine reiche kreolische Erbin geziemte. Middletons Glück aber war nur kurz, denn schon am nächsten Tage war seine junge Gattin spurlos verschwunden. Der Schmerz, das Entsetzen des Hauptmanns und des alten Don spotteten jeder Beschreibung. Alles Erdenkbare wurde aufgeboten, das Verschwinden der armen Inez zu erklären und ihre Spur zu entdecken, allein vergebens. Endlich, nach langen Wochen der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, ward dem schwer geprüften Gatten durch einen dem Trunke ergebenen Vagabunden die Nachricht, daß seine Inez durch einen übel berüchtigten Menschen, den ehemaligen Sklavenhändler Abiram White, unter dem Beistande von dessen Schwager Ismael Busch geraubt und davongeführt worden sei. Ein Verwandter Don Augustins, dessen Bewerbungen Inez einst abgewiesen, hatte den zu allen Schandtaten fähigen Abiram mit einer großen Summe zu diesem Menschenraube bestochen. Durch diese Kunde zu neuer Hoffnung erweckt, wählte Middleton eine Anzahl erlesener Männer aus seinem Kommando und machte sich mit diesen ungesäumt an die Verfolgung der Räuber. Es ward ihm nicht schwer, der Fährte des Wagenzuges der Emigranten nachzugehen, wenigstens so lange, bis dieser den harten, trockenen Boden der Prärie erreicht hatte. Hier verschwanden jedoch die Spuren, und er sah sich genötigt, seine Schar zu zerstreuen, damit jeder auf eigene Hand suche, und einen bestimmten Ort und Tag zu verabreden, um wieder zusammenzutreffen. Eine ganze Woche lang hatte er die Prärie bereits allein durchirrt, als er, wie wir gesehen haben, auf unsere drei Freunde stieß, die er durch die Erzählung seines Geschicks gar bald zu seinem Beistande gewonnen hatte ... Die Feste war erstürmt und Frau Inez befreit. Ismaels Töchter lagen gefesselt in einer der Hütten, Paul Hover hatte in lustigem Übermut auf der höchsten Spitze des Felsens, wie ein siegesstolzer Hahn, mit den Armen geschlagen und gereckten Halses ein schmetterndes „Kikeriki“ ertönen lassen. Die wieder vereinigten Gatten stiegen, gefolgt von dem Doktor, in die Ebene hinab, wo der Trapper, des letzteren Esel am Zügel, bereits ungeduldig ihrer harrte, und der Bienenjäger forderte Ellen auf, ihm gleichfalls dorthin zu folgen. [Illustration] Hektor hatte inzwischen Zeichen von Unruhe von sich gegeben, und auch der jüngere Hund erhob seine Nase witternd gegen den Wind. „Was ist's, Hundchen?“ fragte der alte Jäger den treuen Gefährten. „Sag's uns deutlich, Hektor.“ Der Hund knurrte und wies die Zahnstumpfe. Der Trapper verstand ihn. „Wir dürfen nicht länger zögern,“ sagte er zu Middleton. „Hebt Eure Dame auf des Doktors Esel, und dann fort. Der Squatter und seine Brut sind kaum noch eine englische Meile oder zwei entfernt.“ Inez saß im Sattel, da trat Ellen an sie heran. „Gott geleite Euch, Lady Inez,“ sagte sie tränenden Auges, die Hand der anderen ergreifend. „Vergesset das Unrecht, das mein Oheim Euch zugefügt hat --“ „Aber kommt Ihr denn nicht mit uns?“ fragte die junge Frau erstaunt. „Ich kann nicht -- ich darf nicht!“ schluchzte Ellen. „Ich würde in des Oheims Augen dadurch noch mehr als Verräterin dastehen, als dies jetzt schon der Fall sein muß. Ich kam als Waise zu ihm, und er hat in seiner Art gut an mir gehandelt; ich darf ihn in solcher Lage nicht verlassen.“ „Vorwärts!“ drängte der Trapper, „wir dürfen keine Minute mehr verlieren!“ Damit setzte er sich in Marsch; der Hauptmann, der den Esel führte, folgte ihm schnellen Schrittes, ebenso der Doktor. Paul Hover aber blieb, auf seine Büchse gestützt, ruhig stehen. Ellen, die ihr Antlitz in den Händen verborgen hatte, gewahrte ihn erst, als die anderen schon weit weit fort waren. „Um Gotteswillen, Paul, warum fliehst du nicht?“ rief sie in Angst. „Weil ich das Fliehen nicht gewohnt bin.“ „Mein Oheim wird gleich hier sein, und von dem hast du keine Gnade zu erwarten.“ „Von seiner Nichte auch nicht, wie mir scheint. Mag er kommen und mir den Schädel einschlagen.“ „O Paul, wenn du mich lieb hast, dann fliehe!“ „Allein? Nein, eher will ich --“ „Wenn du dein Leben liebst, fliehe!“ „Ohne dich ist mein Leben mir gleichgültig.“ „Paul!“ „Ellen!“ Sie streckte laut aufweinend die Hände nach ihm aus. Da packte er sie um den Leib und riß sie, den anderen nacheilend, über die Prärie mit sich fort. Viertes Kapitel Der Basilisk Zwei Stunden waren vergangen, seit der Trapper mit seiner Gesellschaft dem Felsenberg den Rücken gekehrt hatte. Auf weitem Umwege hatte er, alle Deckungen des welligen Terrains mit kluger Sorgfalt benutzend, die Flüchtlinge bis in die Nähe eines sumpfigen Gehölzes geführt; in kurzer Entfernung von demselben machte Hektor, der, sich ab und zu umschauend, seinem Herrn stets vorangeschritten war, plötzlich halt und setzte sich, ein kurzes, klagendes Geheul ausstoßend, auf sein Hinterteil. „Ja, Hundchen, ja,“ sagte der alte Jäger. „Ich kenne den Ort. Wir haben beide Grund, die Stelle nicht zu vergessen.“ Er war neben Hektor stehengeblieben, um die anderen herankommen zu lassen. „In diesem Dickicht,“ rief er denselben zu, „können wir uns verbergen. Eher wird sich die Prärie in einen Wald verwandeln, als es Ismael und seinen Söhnen einfallen wird, uns hier aufzusuchen.“ „Das ist die Stätte, wo der erschlagene Mann gelegen hat,“ versetzte der Hauptmann, mit innerlichem Grausen die Umgebung betrachtend. „Ganz recht. Unser Freund Bienenjäger mag ins Gebüsch gehen und nachsehen, ob der Leichnam bereits beseitigt ist oder nicht; ich beruhige derweil die Hunde.“ „Was? Ich?“ rief Paul, in sein zottiges Lockenhaar greifend. „Das sollte mir einfallen! Ich will im dünnsten Baumwollenzeug mitten in einen weiserlosen Schwarm hineinspringen -- und ein Mann, der das tut, fürchtet sich wahrhaftig auch vor Ismael und seinen ungeschlachten Söhnen nicht -- aber mit Leichen und Totengebeinen will ich nichts zu tun haben!“ Da trat der kleine Doktor hervor. „Wenn hier eine Leistung erforderlich ist, zu der feste Nerven gehören,“ sagte er ruhig, „so bin ich der Mann dazu.“ Der Trapper schaute ihn an. „Könnt Ihr dem Tode ohne Beben ins Gesicht sehen?“ fragte er. „Oder muß ich selber hingehen, auf die Gefahr hin, daß die Hunde ein Geheul anstimmen, das uns verraten kann?“ „Ihr zweifelt?“ entgegnete der Gelehrte in stolzer Bescheidenheit. „Ehrwürdiger Trapper, Ihr kennt mich noch lange nicht.“ Damit eilte er spornstreichs in das Dickicht. Es vergingen einige Minuten, und schon begann der alte Jäger, der nur mit Mühe die Hunde ruhig erhalten konnte, ungeduldig zu werden, als Doktor Battius eiligst wieder zum Vorschein kam, dabei aber mit allen Zeichen einer großen Erregung unausgesetzt hinter sich blickend. „Irgend etwas hat ihn erschreckt,“ sagte der Trapper. „Nun, Freund, was ist's?“ „Ein Basilisk!“ stammelte der kleine Mann ganz verstört. „Ein Tier von der Ordnung _serpens_! Ich meinte bisher, er lebe nur in der Fabel, allein die Natur übertrifft selbst die kühnsten Phantasien des Menschen!“ „Besinnt Euch, Mann,“ ermahnte der Jäger; „die Furcht läßt Euch Zeug schwatzen, das unsereiner nicht verstehen kann. Was habt Ihr gesehen?“ „Ein Untier, ein _lusus naturae_, ein ganz unerhörtes Geschöpf!“ rief der Doktor. „Ein Tier mit fürchterlichen Augen und von einer Farbe, von einer Farbe, die --“ „Zeigt mir Euer Untier,“ unterbrach ihn der alte Jäger, in das Dickicht eindringend; „wenn's eine Schlange ist, dann wollen wir ihr bald die Wege weisen.“ Der Doktor schlüpfte hinter ihm her. „Da,“ flüsterte er, ängstlich auf einen Blätterhaufen deutend, „da liegt das Tier!“ Ruhig wendete der Alte den Blick nach der angegebenen Richtung. Teilweis von den dürren Blättern verhüllt, zeigte sich dort ein rundlicher Gegenstand, gleichsam ein lebendiger Ball mit unheimlich funkelnden Augen und dabei so bunt, daß er alle Regenbogenfarben aufzuweisen schien. Ein Basilisk war's nicht, auch nicht eine Schlange, das erkannte der Doktor jetzt aus den Worten, die der Trapper an das Wesen mit den glitzernden Augen richtete. „Komm heraus aus deiner Deckung, Freund,“ sagte der Alte, der die Büchse schußfertig in den Händen hielt, in der Dakotasprache, „die Prärie hat Raum auch noch für einen anderen Krieger.“ Die Augen des Balles, der nichts anderes war als der glattgeschorene Kopf eines Indianers, funkelten wilder, aber der am Boden Liegende rührte sich nicht. Der Trapper lächelte still vor sich hin und untersuchte das Pulver auf der Pfanne. Dann erhob er ganz langsam die Waffe, drückte die Wange an den Kolben und zielte auf die glitzernden Augen. „Ich bin für den Frieden, Freund,“ sagte er dabei, „aber auch für Krieg, ganz wie du willst ... Ich sehe, daß ich mich geirrt habe,“ fuhr er fort. „Das ist kein Mensch; na, wenn ich jetzt in den Blätterhaufen hineinfeuere, dann geschieht wenigstens kein Unglück.“ Noch eine Sekunde -- da raschelten die Blätter, und ein hochgewachsener Indianer stand mit einem Sprunge auf seinen Füßen, in der Linken den Bogen, in der Rechten den leichten Speer. „Hugh!“ rief der rote Krieger leise. Der Trapper überzeugte sich mit schnellem Blick, daß nicht noch andere Rothäute in der Nähe waren, dann schritt er mit friedfertig ausgestreckter Hand dem Indianer entgegen, der keine Spur von Erregung zeigte. Derselbe war eine kräftige, männlich schöne Gestalt, nur spärlich bekleidet mit einem Überwurf aus gegerbtem Hirschfell und Hosen aus scharlachrotem Tuchstoff, die vom Knie abwärts bis auf die Mokassins mit menschlichen Skalpen dicht besetzt waren. Die nackten Teile seines Oberkörpers wiesen die Kriegsbemalung auf, ebenso sein Gesicht und der Schädel, von dessen Höhe eine lange Skalplocke stolz und herausfordernd herabfiel. Auf dem Rücken trug er einen Köcher mit Kuguarfell überzogen, an dem noch der Schweif hing, und seine Ausrüstung wurde vervollständigt durch einen Schild aus Tierhäuten, der mit Malerei bunt verziert war. „Ist mein Bruder weit von seinem Dorfe?“ begann der Trapper in der Sprache der Pawnees, denn als einen solchen hatte sein erfahrenes Auge den jungen Krieger an der Malerei erkannt. „Bis zu den Städten der Langmesser ist es weiter,“ lautete die lakonische Antwort. „Was tut ein Pawnee-Loup in solcher Entfernung von seinem Flusse und ohne ein Pferd an einem so öden Orte wie dieser?“ „Können die Weiber und Kinder der Bleichgesichter leben, ohne das Fleisch des Bisons zu essen? Man hungerte in meinem Wigwam.“ „Mein Bruder ist noch zu jung, um schon einen Wigwam versorgen zu müssen,“ entgegnete der alte Jäger, forschend dem anderen in das unbewegliche Antlitz schauend; „ich glaube aber, er ist tapfer, und so wird schon mancher Häuptling ihm seine Tochter zum Weibe angeboten haben. Er hat sich jedoch geirrt,“ fuhr er fort, auf den Pfeil deutend, den des Indianers Hand zugleich mit dem Bogen hielt; „mit solch einer losen und widerhakigen Spitze wird er keinen Büffel töten. Oder wünschen die Pawneekrieger den armen Tieren böse und nie heilende Wunden beizubringen?“ „Den Büffeln nicht, aber den Sioux, die in der Prärie umherschleichen.“ Der Trapper, dem der junge Krieger wohlgefiel, suchte sich die Freundschaft desselben zu sichern; wenn es zum Kampfe mit den Emigranten kommen sollte, dann war der Beistand eines solchen Streiters nicht zu verachten. „Meine Kinder sind müde,“ nahm er wieder das Wort, auf seine in kurzer Entfernung wartenden Begleiter weisend, „wir wollten hier lagern und essen. Nimmt mein Bruder diesen Ort für sich in Anspruch?“ „Vom großen Flusse her kommen Leute und erzählen uns, daß die Prärie jetzt zu den Jagdgründen der Langmesser gehöre.“ „Das habe auch ich von den Jägern und Trappern am La-Platte-Flusse gehört.“ „Auch wird gesagt, daß weiße Krieger den Fluß hinaufziehen, um zu sehen, ob sie bei ihrem Kauf nicht betrogen sind.“ „Das trifft leider gleichfalls zu, und bald werden die verwünschten Holzfäller kommen, um den Wald, der so weit und herrlich an dem westlichen Gestade des Mississippi sich ausbreitet, für immer zu vernichten.“ „Wo waren die Häuptlinge der Pawnee-Loups, als dieser Handel abgeschlossen wurde?“ fragte der junge Krieger, während ein Ausdruck zorniger Wildheit über seine Züge glitt. „Darf man eine Nation verkaufen wie ein Biberfell?“ „Ja, und wo waren Ehrlichkeit und Recht und Wahrheit bei diesem Handel?“ entgegnete der Alte erregt. „Aber die Macht ist Recht heutzutage auf Erden, und was die Gewalthaber tun, das müssen die Schwachen gutheißen. Wenn die Gesetze Wahkondas so viel gälten wie die Gesetze der Langmesser, dann, Pawnee, gehörte euch die Prärie so unbestritten wie dem größten Häuptling der Langmesser sein Wohnhaus!“ Der Indianer legte einen Finger nachdrücklich auf des Trappers runzlige Hand. „Die Farbe des Reisenden ist weiß,“ sagte er; „sind die Gedanken seines Herzens gleich den Worten seines Mundes?“ „Der Wahkonda der Weißen hat Ohren, die sich dem Lügner verschließen. Sieh dir mein Haupt an, es gleicht der schneebedeckten Fichte und wird bald im Grabe ruhen. Warum sollte ich mit einer Unwahrheit vor das Antlitz des Großen Geistes treten?“ Der Pawnee warf den Schild über die Schulter, legte die Hand auf die Brust und neigte sich mit würdevoller Anmut vor dem greisen Haar, das der alte Jäger entblößt hatte. Während Inez vom Esel stieg und Ellen, Middleton und der Bienenjäger sich zum Lagern anschickten, setzten die beiden ihre Unterhaltung fort, in die der Doktor ab und zu in englischer Sprache eine seiner weisen Bemerkungen einzuflechten bemüht war. „Ja, ja,“ nickte der alte Jäger im Laufe des Gesprächs, „die Pawnees sind eine weise und große Nation, und ihre alten Krieger wissen sicherlich viel Herrliches von den Taten der Vorfahren zu berichten. Die Jäger und Trapper, die ich zuweilen sehe, reden oft von einem mächtigen und berühmten Häuptling deines Volkes.“ „Mein Volk besteht nicht nur aus Weibern. Tapfere Krieger sind nicht spärlich in unseren Dörfern.“ „Das glaube ich. Aber der Ruhm des Häuptlings, den ich meine, geht weit über den eines gewöhnlichen Kriegers hinaus; er wäre selbst eine Zierde des einst so mächtigen, jetzt leider verschollenen Delawarenvolkes gewesen.“ „Solch ein Krieger wird auch einen Namen haben.“ „Sie nennen ihn Hartherz, nach der unerschütterlichen Festigkeit seiner Seele, und der Name gebührt ihm, wenn alles wahr ist, was man von ihm erzählt.“ Der Indianer schaute den Alten an, als wolle er die Tiefen seines Herzens erforschen. „Hat das Bleichgesicht diesen Krieger meines Volkes schon gesehen?“ „Nein. Vor vierzig Jahren waren Krieg und Blutvergießen mein Beruf, heute bin ich alt und schwach.“ Ein lauter Ruf des unverwüstlichen Paul unterbrach das Gespräch. Der Bienenjäger kam heran, ein indianisches Streitroß am Zügel führend. „Das ist ein Pferdchen!“ jubelte er. „Kein General in ganz Kentucky kann sich eines solchen Gauls rühmen! Und die Pracht des spanischen Sattels! Und Mähne und Schweif ganz mit Silberkugeln durchflochten! Und solch ein Traber muß aus der Krippe eines Wilden fressen! Ist's nicht ein Jammer, alter Trapper?“ „Sachte, mein Junge, sachte,“ antwortete der Jäger. „Die Loups sind ihrer Pferde wegen berühmt. Das ist in der Tat ein Roß, das nur einem großen Häuptling gehören kann. Der Jüngling hier ist sicher der Sohn eines solchen, vielleicht der des gewaltigen Hartherz selber.“ Der junge Pawnee hatte bei dieser Unterbrechung weder Ungeduld noch Mißfallen gezeigt, und als seiner Meinung nach das Pferd genugsam betrachtet und bewundert worden war, trat er herzu, nahm Paul den Zügel aus der Hand wie ein Mann, der gewohnt ist, daß alles nach seinem Willen geht, und schwang sich mit vollendeter Meisterschaft in den Sattel. Hier fühlte er sich augenscheinlich noch ruhiger und sicherer als zuvor. Er ließ das edle Tier mit graziösestem Hufsatz vor- und rückwärts gehen und musterte dabei angelegentlich und sorgfältig jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft. „Will mein Bruder mir sagen,“ begann der Trapper von neuem, „ob die Häuptlinge der Pawnees fremde Gesichter in ihren Dörfern gern sehen?“ „Wann hat mein Volk je vergessen, dem fremden Wanderer Nahrung zu reichen?“ entgegnete stolz der junge Krieger. „Wenn ich meine Töchter zu den Hütten der Loups führe, werden die Squaws sie bei der Hand nehmen? Und werden die Krieger mit meinen jungen Männern rauchen?“ „Das Land der Bleichgesichter liegt hinter ihnen,“ versetzte der Indianer. „Warum wandern sie der sinkenden Sonne zu?“ „Die weißen und die roten Männer sind Freunde. Kommen nicht auch die Omahaws und die Tetons freundschaftlich in die Dörfer der Loups, wenn das Kriegsbeil zwischen ihnen begraben ist?“ „Die Omahaws sind willkommen, aber die Tetons sind Lügner, die in der Sonne schlafen, weil sie sich fürchten, nachts die Augen zu schließen!“ rief der Pawnee. „Sieh,“ fuhr er fort, auf die grausige Zierde seiner Beinkleider deutend, „ihrer Skalpe sind so viele, daß die Loups darauf treten. Laß die Sioux im Schnee wohnen, die grünen Ebenen und die Büffel kommen Männern zu!“ Jetzt wendete sich der Trapper zu dem Hauptmann Middleton, der die beiden Sprecher bisher aufmerksam beobachtet hatte. „Er hat sein Geheimnis verraten,“ sagte er. „Dieser junge Krieger folgt als Kundschafter der Fährte der Sioux, er ist auf dem Kriegspfade, was ich übrigens sogleich an seinen Pfeilspitzen und seiner Malerei erkannt habe.“ Darauf setzte er das Gespräch mit dem Pawnee fort. „Mein Bruder hat recht,“ nickte er. „Die Sioux sind Spitzbuben, darin sind die Männer aller Farben und Nationen einverstanden. Die Leute aber, die von der aufgehenden Sonne kommen, sind keine Sioux; sie wünschen die Dörfer der Loups zu besuchen.“ „Das Haupt meines Bruders ist weiß,“ versetzte der Indianer mit einem Ausdruck von Mißtrauen in seinem stolzen Blick, „seine Augen haben viel geschaut. Was sieht er dort drüben? Ist es ein Büffel?“ „Das kann eine Wolke sein, die sich am Horizonte zeigt.“ „Nein, es ist ein Berg, und auf ihm stehen die Hütten der Bleichgesichter. Mögen die Töchter meines Bruders ihre Füße bei dem Volke ihrer Farbe waschen.“ „Die Augen der Pawnees sind scharf, da sie auf solche Entfernung eine weiße Haut erkennen.“ Der Indianer wendete sich langsam dem Trapper zu. „Kann mein Bruder jagen?“ forschte er nach einer Pause. „Vor langen Jahren war ich ein Jäger, jetzt bin ich nur noch ein armseliger Trapper.“ „Wenn die Büffel die Prärie bedecken, kann er sie sehen?“ „Ei gewiß; ist's doch leichter, einen Büffel zu sehen, als ihn zu erlegen.“ „Wenn der Schnee fällt und die Hütten der Langmesser bedeckt, kann mein Bruder dann die Flocken sehen?“ „Meine Augen sind nicht mehr die besten, aber es gab eine Zeit, wo die Schärfe und die Schnelligkeit meines Blickes mir einen Namen verschaffte.“ „Die roten Männer finden die Langmesser ebenso schnell, wie die Bleichgesichter den trabenden Büffel gewahren, oder die Flocken des fallenden Schnees. Geh'! Ein Pawnee ist nicht blind, er braucht euer Volk nicht lange zu suchen!“ Der junge Krieger schwieg und wendete, plötzlich aufhorchend, sein Antlitz der offenen Prärie zu. Noch einmal blickte er sich um und musterte, wie mit einem inneren Entschlusse kämpfend, zweifelnd die Gesichter Nathaniel Bumppos und seiner Gefährten, dann jagte er in gestrecktem Galopp davon und war bald hinter der nächsten Bodenerhebung verschwunden. Die Hunde, die seit einigen Minuten eine deutliche Unruhe gezeigt hatten, folgten ihm eine Strecke, dann aber kehrten sie um und setzten sich nieder, aufs neue ihr Geheul anstimmend. In der Ferne aber erhob sich ein donnerndes Getrappel wie von unzähligen Hufen. Eine Staubwolke wälzte sich daher, und bald sahen unsere Abenteurer eine Herde Büffel heranstürmen, die der erfahrene Trapper auf zehntausend Tiere schätzte. Auf des Alten Rat zog man sich in das Sumpfgehölz zurück, da die Büffel gerade auf den Lagerplatz zukamen und jeden niedergetreten haben würden, der ihnen nicht aus dem Wege ging. Gewaltig und unwiderstehlich, wie eine Flutwelle des Meeres, brauste die ungeheure Masse der Büffel vorüber; den Beschluß des Zuges machte eine Menge einzeln dahertrabender Tiere, ganz so, wie auch eine große Armee ihre Nachzügler und Invaliden im Gefolge hat. „Das sind die letzten,“ sagte der Trapper, aus dem Gehölz heraustretend, „und seht, da zeigt sich auch schon ein Rudel hungriger Wölfe, um über diejenigen Tiere herzufallen, die krank sind oder beim Rennen und Springen Verletzungen erlitten haben. Ha! Da sehe ich auch Reiter, so wahr ich ein Sünder bin! Schaut, dort halten sie bei einem gestürzten Büffel, um ihm mit ihren Pfeilen den Garaus zu machen. Unser Pawnee wußte, daß seine Genossen auf der Jagd waren; er wird sich ihnen angeschlossen haben ... Oho! Das sind aber keine Pawnees! ... Sie tragen Eulenflügel am Kopfe ... Feinde sind's, eine Bande der spitzbübischen Sioux! Fort, ins Versteck, Leute! Wenn die Schufte uns sehen, dann ziehen sie uns aus bis auf die Haut, und wenn's ihnen einfällt, nehmen sie uns zum Zeitvertreib auch das Leben. Zurück ins Dickicht!“ Die Gesellschaft folgte dieser Warnung ohne Zögern, wobei jedes Geräusch sorgfältig vermieden wurde. Nur der Esel, den der Naturaliensammler hinter sich herzog, schritt einher, als gäbe es gar keine Sioux in der Welt. „Wir müssen Eurem Reittier den Hals abschneiden, Freund,“ sagte der Trapper, „es könnte uns sonst verraten.“ „Was?“ versetzte der kleine Mann erschrocken, „meinen Asinus wollt Ihr schlachten? Das wäre fürwahr eine unchristliche Grausamkeit!“ „Wollt Ihr lieber, daß sechs Christenmenschen einem Esel zum Opfer fallen?“ entgegnete der Trapper. „Denkt doch, wenn das Tier zu schreien anfinge, dann wär's gerade, als riefen wir mit Trompetenschall die Sioux herbei.“ „So ist's,“ nickte der Bienenjäger. „Der Esel muß sterben.“ „Verehrungswürdigster Jäger und liebe Freunde,“ sagte der Doktor, kummervoll von einem zum anderen blickend, „ich bürge für die Verschwiegenheiten meines Asinus! Schlachtet ihn nicht! Kein zweites Geschöpf hat so viel gute Eigenschaften wie er. Er ist so treu und gelehrig, so unermüdlich, so willig und so geduldig! Wir haben so mancherlei miteinander erlebt und durchgemacht, daß sein Tod mich bitter schmerzen würde! Habt Erbarmen mit ihm, hochgeschätzter Jäger; denkt, wie es Euch ums Herz sein würde, wenn man Euch auf solche Weise von Eurem guten Hektor trennen wollte!“ Dieses Wort gab den Ausschlag. Der Trapper räusperte sich, als sei ihm plötzlich etwas in die Kehle gekommen, dann sagte er: „Das Tier soll nicht sterben, doch müssen wir es stumm machen. Bindet ihm das Maul mit dem Halfter zu, für das übrige wird die göttliche Vorsehung sorgen.“ Paul vollzog des Trappers Gebot, und dieser begab sich zum Rande des Gehölzes, um die Indianer zu beobachten, die inzwischen näher herangekommen waren. Er vermochte einige derselben, darunter Weucha, wiederzuerkennen. Der letztere war mit einem Gefährten bis zu der Stelle gelangt, wo der unglückliche Asa seinen Tod gefunden hatte. Den scharfen, geübten Augen der Wilden blieben die Spuren des grausigen Ereignisses nicht verborgen. Sie untersuchten dieselben, ohne von den Pferden zu steigen, und endlich stießen sie fast zu gleicher Zeit einen Ruf aus, der dem Klagegeheul der Hunde nicht unähnlich war, und der die übrige Schar im Nu um sie versammelte. Angesichts der jetzt so nahe drohenden Gefahr hielten die im Gehölz Verborgenen jetzt leise einen Kriegsrat; Paul war für Kampf auf Leben und Tod, der vorsichtigere Middleton aber, wie auch der Doktor und der Trapper stimmten für friedliche Maßregeln. „Was man mit Gewalt nicht erreichen kann,“ meinte der letztere, „muß man durch seinen Witz zu erlangen suchen. Die Vernunft macht den Menschen stärker als den Büffel, und schneller als den Elchhirsch. Bleibt also hier und haltet euch verborgen. Mein Leben und meine Habseligkeiten gelten weniger als so viele jüngere Menschenleben; überdies weiß ich mich mit der indianischen Verschlagenheit abzufinden. Deshalb will ich allein hinaustreten. Vielleicht kann ich die Aufmerksamkeit der Sioux von diesem Fleck ablenken und euch Gelegenheit zur Flucht schaffen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten warf der Greis seine Büchse über die Schulter und machte sich gemächlichen Schrittes auf den Weg, das Gehölz an einer Stelle verlassend, die den Blicken der Sioux verborgen war, so daß dieselben nicht wissen konnten, ob er überhaupt aus dem Dickicht gekommen war oder nicht. Die Indianer gewahrten ihn bald. Furchtlos und äußerlich ruhig und gleichgültig kam er auf sie zu; als er ihnen nahe genug war, um sich verständlich machen zu können, blieb er stehen, setzte den Kolben seiner Büchse auf die Erde und erhob die mit der Fläche nach außen gekehrte Hand als Zeichen des Friedens. Hektor stand neben ihm, die Indianer mißtrauisch und mit leisem Geknurr beobachtend. Als der alte Jäger sich von den Sioux erkannt sah, schritt er weiter vor, bis er wiederum dem Häuptling Mahtoree Auge in Auge gegenüberstand. „Wo sind die jungen Männer meines Bruders?“ fragte der Teton, finsteren Blickes die unbeweglichen Züge des Trappers durchforschend. „Die Langmesser ziehen nicht in Scharen auf den Biberfang,“ versetzte dieser; „ich bin allein.“ „Dein Haar ist weiß, aber deine Zunge ist gespalten,“ entgegnete der Häuptling. „Mahtoree ist im Lager der Bleichgesichter gewesen, er weiß, daß du nicht allein bist. Wo sind dein junges Weib und der Krieger, den ich auf der Prärie fand?“ „Ich habe kein Weib. Ich sagte meinem Bruder bereits, daß das Frauenzimmer und ihr Freund mir fremd seien. Die Worte eines Greises, der einst ein Krieger war, sollten gehört und nicht vergessen werden.“ „Mein Bruder ist ein Krieger gewesen?“ fragte der Teton, dessen strenge Züge keinen seiner Gedanken verrieten. „Die Dakotas haben nicht so viel lebendige Krieger geschaut, als ich erschlagene gezählt habe. Doch was soll die Erinnerung an vergangene Zeiten, wenn die Glieder steif und die Augen stumpf werden?“ Der Häuptling warf einen durchbohrenden Blick auf des Trappers Antlitz; als er in dessen Auge dem Ausdruck vollster Wahrhaftigkeit begegnete, da faßte er die Hand des Greises und legte sich dieselbe sanft auf das gebeugte Haupt als Zeichen der Achtung, die dem Alter und den Erfahrungen desselben gebühre. Dann aber kam er auf den ersten Gegenstand des Gesprächs zurück. „Wenn mein Vater seine jungen Männer in jenem Gehölz versteckt hat,“ sagte er mit einem kaum merklichen Lächeln, „so möge er sie nun hervorrufen. Ein Dakota fürchtet sich nicht; Mahtoree ist ein großer Häuptling; ein Krieger, dessen Haupt weiß ist und der bald in das Land des Großen Geistes gehen wird, kann keine Zunge mit zwei Enden haben wie eine Schlange.“ „Dakota, ich habe keine Lüge geredet. Seit der Große Geist mich zum Manne machte, lebe ich in der Wildnis ohne Heim und Familie. Ich bin ein Jäger, der einsam seinen Pfad wandelt.“ „Gut. Mein Vater ist ein guter Schütze. Möge er auf jenes Gehölz zielen und Feuer geben.“ Einen Augenblick nur zögerte der alte Mann, dann erhob er die lange Büchse, um den Verdacht des schlauen Häuptlings zu zerstreuen. Sein Blick suchte sich einen Stamm in dem Dickicht aus. Auf diesen richtete er den Lauf und feuerte, dann setzte er mit bebenden Händen das Gewehr ab. Sein angstvoll lauschendes Ohr fürchtete in jedem Moment das Geschrei von Weiberstimmen zu vernehmen. Als jedoch alles ruhig blieb, da atmete er auf, und, den Kolben auf die Erde stoßend, wendete er sich zu Mahtoree. „Ist mein Bruder zufriedengestellt?“ fragte er. „Mahtoree ist ein Häuptling der Dakotas,“ antwortete der verschlagene Indianer, die Hand auf die Brust legend. „Er weiß, daß ein Krieger, der an den Beratungsfeuern geraucht hat, bis sein Haar weiß geworden ist, nicht ein Gefährte der Landstreicher sein kann. Mein Vater ist sehr alt; was er tut ist gut, was er redet ist weise. Jetzt sage er mir nur noch, ob er ganz sicher ist, daß die Langmesser, die in der Prärie herumlaufen und ihr Vieh suchen, ihm ganz fremd sind?“ „Dakota, ich lebe ganz allein; ich habe mit Bleichgesichtern nichts zu schaffen, es sei denn --“ Er unterbrach sich, denn am Rande des Dickichts ward es lebendig, und hervor traten Middleton mit Inez, dahinter Paul Hover mit Ellen, und den Beschluß machten der Doktor Battius und sein Esel. Alle sechs kamen eilig auf die Indianer zu. Aber noch ein anderer Anblick ward ihm. Um eine entfernte Ecke des Gehölzes herum kam ein Zug bewaffneter Männer, der Squatter Ismael Busch und seine reisigen Söhne. Dieselben nahten sich augenscheinlich in der Absicht, den Raub ihres Viehes blutig zu rächen. Mahtorees dunkles, flammendes Auge rollte von der einen Gruppe der Heranziehenden zur anderen. Er war mit den Seinen im ersten Moment eine Strecke zurückgewichen, den alten Jäger zwingend, ihnen zu folgen. Dieser hatte inzwischen schnell erkannt, daß Middleton und seine Gefährten ihre Deckung nur verlassen hatten, um den verzweifelten Versuch zu machen, bei den Sioux Schutz gegen die Emigranten zu finden. Sogleich schickte er sich an, einen günstigen Empfang der Flüchtigen vorzubereiten. „Mein Bruder sieht, daß meine Zunge nicht gespalten ist,“ sagte er, schnell gefaßt. „Die Langmesser senden ihre Weiber nicht auf den Kriegspfad. Ich weiß, daß die Dakotas mit jenen Fremdlingen, die vor den Büchsen der Emigranten Schutz bei dem großen Mahtoree suchen, am Lagerfeuer rauchen werden.“ „Die Langmesser sind willkommen,“ versetzte der Häuptling würdevoll und geschmeichelt. „Die Pfeile meiner jungen Männer bleiben in den Köchern.“ Der Trapper winkte Middleton heran. Die Flüchtlinge beschleunigten ihre Schritte und befanden sich bald in der Mitte der Sioux, von denen einige absaßen, um den Frauen ihre Pferde anzubieten. Bald saß Ellen, von Paul emporgehoben, auf einem der Tiere, und Middleton leistete seiner Inez denselben Dienst. „Kennt mein Bruder Krieger von roter Farbe, deren Herz böse ist?“ begann der Trapper, als auch der Doktor seinen geliebten Esel bestiegen hatte und nun mit einem Gefühl der Sicherheit um sich blickte. „Der Herr des Lebens hat Häuptlinge, Krieger und Weiber geschaffen,“ antwortete der Teton, mit diesen drei Bezeichnungen, seiner Meinung nach, alle Abstufungen des Menschengeschlechts, von der erhabensten bis zur niedrigsten, umfassend. „Ganz recht. Er schuf auch Bleichgesichter, die böse sind; so jene, die mein Bruder dort heranziehen sieht.“ „Wollen die zu Fuß auf ihre schlimmen Taten ausgehen?“ höhnte der Häuptling, während sein funkelnder Blick verriet, daß er sehr wohl wußte, was jene zwang, sich so kümmerlich zu behelfen. „Ihre Reittiere haben sie verloren, aber Pulver, Blei und Decken sind noch genug in ihrem Besitz,“ versetzte der Trapper. „Sieht mein Bruder dort den blauen Punkt am Rande der Prärie? Noch weilt der Strahl der sinkenden Sonne auf ihm.“ „Mahtoree ist kein blinder Maulwurf.“ „Gut. Das ist ein Felsenberg, und auf ihm befinden sich die Güter der Langmesser.“ Des Wilden Auge erschimmerte in freudigem Triumph; er zählte die Gestalten im Zuge Ismaels. „Ein Krieger fehlt,“ sagte er. „Sieht mein Bruder jene Geier? Dort ist sein Grab. Fand er Blut auf der Prärie? Das war das seine.“ „Genug. Mahtoree ist ein weiser Häuptling.“ Auf des Tetons Wink brachte einer der Krieger ein Pferd für den Trapper herbei, das dieser nicht ohne Widerwillen bestieg; dann setzte die Schar sich in Trab und eilte, von Mahtoree geführt, in gerader Richtung dem Felsenberg zu. Ismael und die Seinen feuerten, die Absicht der Sioux erkennend, Salve auf Salve hinter denselben her, bis der zornige Squatter einsah, daß dies nur unnütze Munitionsverschwendung war. So mußten sie sich denn damit begnügen, mit möglichster Geschwindigkeit gleichfalls dem Felsenberge zuzulaufen. Fünftes Kapitel Der Präriebrand Der Abend wurde dunkler, und bald war der einsame Felskegel in der Ferne nicht mehr von dem grauen Gewölk zu unterscheiden. Trotzdem verfolgten die Indianer mit der Sicherheit geübter Spürhunde ihren Weg. Die Gefangenen, denn etwas anderes waren unsere Freunde vorläufig nicht, mußten sich in der Mitte des Trupps halten und konnten sich dabei nicht verhehlen, daß sie auf das schärfste bewacht wurden. Wo es sich jedoch um List und Gegenlist handelte, da war der unter Rothäuten aufgewachsene und alt gewordene Trapper den verschlagenen Sioux völlig gewachsen. Vom Beginn des Rittes an war er fest entschlossen, wenn irgend möglich, mit seinen Schutzbefohlenen nach Einbruch der Dunkelheit die Bande der diebischen Sioux zu verlassen, denn es widerstrebte ihm, sich an einem Raub- und Plünderungszuge zu beteiligen, sei dies auch nur durch bloße Anwesenheit; andererseits aber hatten sie von Ismaels Schar nichts mehr zu fürchten, da sie jetzt beritten waren. Es gelang ihm, sich unauffällig an Middleton heranzumachen. In drei Worten hatte er demselben seine Absicht kundgetan, während er sich äußerlich den Anschein gab, als rede er mit dem Hauptmann über die verschiedenen Pferde der Wilden. Der junge Offizier ging mit Eifer auf den Plan ein. „Klopft Eurem Tier den Hals und lächelt dabei und tut so, als lobtet Ihr die Mähre; neigt Euer Ohr aber dabei näher zu mir herüber,“ fuhr Nathaniel Bumppo fort, seine Verhaltungsmaßregeln zu erteilen. „Schont das Tier nach Möglichkeit, damit es hernach aushält, wenn es gilt. Vor allem achtet auf das Signal: Wenn Ihr meinen Hektor zum erstenmal aufheulen hört, dann haltet Euch bereit; hört Ihr ihn zum zweitenmal, dann schiebt Euch seitwärts aus dem Haufen, beim drittenmal aber jagt Ihr nordwärts querfeldein davon. Habt Ihr mich genau verstanden?“ „Vollkommen,“ versetzte Middleton. „Gebe Gott nur, daß es gelinge!“ Der Bienenjäger, den der Alte demnächst von dem Plan in Kenntnis setzte, war ebenfalls ganz einverstanden mit der Flucht, die seinethalben je eher je lieber unternommen werden konnte. Anders der Doktor. Der kleine Mann schreckte vor dem Wagnis zurück und war erst für dasselbe zu gewinnen, nachdem der Trapper ihm die Schrecknisse angedeutet hatte, die in den Dörfern der Sioux möglicherweise seiner harren könnten, und als deren größtes der zaghafte Naturforscher die Aussicht betrachtete, gewaltsam mit einem halben Dutzend alter, häßlicher und mit reichem Kindersegen behafteter Kriegerwitwen verheiratet zu werden. Darauf wendete der Trapper sich an den ihm zunächst reitenden Indianer, der ihn seit einigen Minuten mit finsterem Argwohn beobachtet hatte. „Kennt mein Bruder das Tier, auf dem dieses Bleichgesicht reitet?“ fragte er, auf des Doktors Asinus deutend, in der Siouxsprache. Der Teton betrachtete den Esel; derselbe war ihm in der Tat eine Erscheinung, die ihm noch nie vorher zu Gesicht gekommen. Mit einem zweiten Blick musterte er lange und eingehend den Doktor selber. „Hält mein Bruder diesen Reiter für einen Krieger der Bleichgesichter?“ fing der Trapper nach einer kleinen Pause wieder an. „Ein Dakota ist kein Narr!“ lautete die kurze Antwort. „Die Dakota sind ein weises Volk, ihre Augen sind immer offen,“ nickte der alte Jäger zustimmend. „Ich bin daher sehr erstaunt darüber, daß sie den großen Medizinmann der Langmesser bisher nicht gesehen haben.“ „Hugh!“ kam es über die Lippen des erstaunten und bestürzten Kriegers. „Der Dakota weiß, daß meine Zunge nicht gespalten ist,“ fuhr der Trapper fort. „Möge er seine Augen weiter auftun. Sieht er nicht einen sehr mächtigen Zauberer?“ Der Wilde hatte sich längst im stillen darüber gewundert, was die Weißen, aller Kriegersitte zuwider, mit ihren Weibern in die Prärie geführt haben konnte. Zum Kampfe konnten sie nicht ausgezogen sein. Er hatte davon gehört, wie die Menahascha oder Langmesser -- die Yankees -- von den Wascheomantiqua oder Spaniern das weite Gebiet gekauft hatten, in welchem sein Volk seit der grauen Vorzeit frei und unbehelligt herumgeschweift war. Seinem einfachen Verstande war es unbegreiflich geblieben, wie es zuging, daß eine Nation eine solche Gewalt über die Besitztümer einer anderen Nation erlangen konnte, und zwar auf friedlichem Wege; daher kam ihm jetzt, bei den Worten des Trappers, der Gedanke, daß Zauberei dabei im Spiel gewesen sein könnte, und daß diese Bleichgesichter sich vielleicht aufgemacht hätten, um durch Anwendung übernatürlicher, unheimlicher Kräfte ihre habsüchtigen Zwecke noch weiter zu fördern. Da er nun aber, wie alle seinesgleichen, im höchsten Grade abergläubisch war, gab er alle Zurückhaltung auf, ließ allen Stolz fahren und zeigte sich als das unwissende Naturkind, das er in Wirklichkeit war. „Möge mein Vater mich anschauen!“ sagte er, bittend die Hände ausstreckend. „Ich bin ein wilder Mann der Prärie, mein Leib ist nackt, meine Hände sind leer, meine Haut ist rot. Ich habe die Pawnees bekämpft, die Omahaws, die Konzas, ja, auch die Langmesser. Unter Kriegern bin ich ein Mann, unter Zauberern aber nur ein Weib. Mein Vater möge reden; die Ohren des Teton sind offen. Er lauscht wie ein Hirsch auf den Tritt des Kuguars.“ „Gott verzeihe mir, daß ich mit der Unwissenheit dieses armen Heiden mein Spiel treibe,“ murmelte der Trapper vor sich hin; „es geschieht aber, um Menschenleben zu retten und die Teufeleien der Bösen zu vereiteln ... Teton,“ fuhr er in der Indianersprache fort, „ich frage dich, ist jener nicht ein großer Zauberer? Wenn die Dakotas weise sind, dann hüten sie sich, seine Kleider anzurühren und dieselbe Luft mit ihm zu atmen. Sie wissen sehr wohl, daß der böse Geist Wakonschecheh seine Kinder liebt und nicht zugibt, daß ihnen ein Leid geschieht.“ Diese mit feierlichem Ernst gesprochenen Worte hatten zur Folge, daß der Krieger nicht nur sogleich sein Pferd aus der gefährlichen Nähe trieb, sondern auch das Gehörte den Genossen mitteilte. Es währte gar nicht lange, da war der ganze Nachtrab, unter dem der Doktor sich befunden hatte, nach vorn geeilt, so daß der große Medizinmann sich mit dem alten Jäger allein befand. „Seht Ihr den funkelnden Stern dort, im Norden, etwa vier Büchsenlängen über dem Horizont?“ sagte jetzt der letztere zu Obed Bat. „Den da? Der gehört zu der Konstellation --“ „Haltet den Mund von Eurer Konstellation, Mann! Ob Ihr den Stern seht, will ich wissen; ja oder nein.“ „Ja.“ „Gut. Sobald ich Euch allein lasse, bleibt Ihr auf dem Flecke halten, bis die Wilden Euch aus dem Gesicht sind. Dann empfehlt Ihr Euch dem Himmel und reitet davon, immer auf jenen Stern zu. Verstanden? Jeder Zoll Weges, den Ihr zurücklegt, bedeutet einen Tag längeres Leben für Euch, vergeßt das nicht.“ Ohne eine Antwort abzuwarten trabte der alte Jäger den anderen nach, und bald befand er sich wieder in der Mitte des Haufens. Kaum hatte Mahtoree ihn erspäht, als er auf ihn zukam. „Wo ist Euer Zauberer?“ fragte der Häuptling in strengem Tone. „Kann ich meinem Bruder die Zahl der Sterne angeben?“ entgegnete der alte Jäger ruhig. „Die Wege eines großen Medizinmannes sind nicht die gewöhnlicher Menschen.“ „Das graue Haupt möge auf meine Worte achten,“ versetzte der andere. „Die Dakotas wählten kein Weib zu ihrem Häuptling. Wenn Mahtoree die Macht eines großen Zauberers spürt, dann wird er zittern; bis dahin aber wird er mit seinen eigenen Augen sehen und nicht die eines Bleichgesichts borgen. Wenn Euer Zauberer nicht am Morgen wieder bei seinen Freunden ist, dann sollen meine jungen Männer ihn suchen. Eure Ohren sind offen; ich habe gesprochen.“ Der Trapper atmete auf; bis zum Morgen war eine lange Frist. Nach einer Weile kam der Felskegel in Sicht; man war demselben in der nächtlichen Finsternis ganz nahe gekommen. Die Indianer machten halt. Schon aber hatte die wachsame Esther auf ihrer hohen Warte das Nahen der Schar wahrgenommen. „Wer ist da unten?“ rief sie mit gellender, furchtloser Stimme. „Sioux oder Teufel, antwortet! Uns ist vor euch nicht bange!“ Die Indianer verhielten sich ganz still. Der Trapper aber hielt diesen Moment für geeignet zur Flucht. Er redete einige freundliche Worte zu dem neben seinem Pferde am Boden liegenden Hektor, und dieses treue Tier antwortete mit einem kurzen Aufheulen. Auch die kriegerische Frau auf der Höhe des Felsens hatte diesen Laut vernommen. „Ja, winselt nur und verstellt eure Stimmen, ihr Höllenhunde!“ rief sie höhnisch herab. „Ich kenne euch! Wartet, ihr sollt gleich Licht haben, damit ihr bei eurem Satanswerk besser sehen könnt! Die Kohlen her, Phöbe! Dein Vater und die Jungen sollen erfahren, daß wir sie hier brauchen, um die Gäste zu empfangen.“ Sie redete noch, da loderte auf des Felskegels höchstem Gipfel auch schon eine mächtige Flamme empor, weit in die Prärie hinausleuchtend. Zugleich hörte man das vielstimmige, trotzige Gelächter der Verteidigerinnen, gefolgt von dem zweiten und gleich darauf auch von dem dritten Aufheulen des Hundes. „Heran, Ismael, mein Mann!“ schrie oben die unverwüstliche Squatterfrau. „Heran, das rothäutige Gesindel zu züchtigen, das dir all dein Eigentum samt Frau und Kindern rauben will!“ Aus der Ferne erscholl ein mächtiger, antwortender Ruf, der weiblichen Besatzung verkündend, daß Hilfe im Anzuge war. Esther erhob mit triumphierendem Geschrei die Arme, deutlich zeichnete sich ihre Gestalt gegen den roten Feuerschein ab -- da tauchte hinter ihr der Häuptling Mahtoree auf, gefolgt von dreien seiner Krieger. Im nächsten Augenblick lagen die mutigen Frauenzimmer gefesselt und wehrlos am Boden, die Schar der Sioux aber brach in ein ohrzerreißendes Freudengeheul aus. Von den Wilden unbeachtet lösten sich zur selben Zeit drei Pferde von dem Reiterknäuel los; sie entfernten sich zuerst im Schritt, bald aber griffen sie aus und jagten mit Sturmeseile über die Ebene dahin; sie trugen unsere Freunde, den Trapper und die beiden Paare, Paul und Ellen, Middleton und Inez. Fort ging es, so schnell die Pferde laufen konnten, immer in der Richtung auf den Nordstern zu. Nachdem man bereits eine tüchtige Strecke hinter sich gebracht hatte, erspähte Pauls scharfes Auge einen dunkeln Gegenstand etwas abseits von der Richtung; er machte den Trapper darauf aufmerksam, in der Meinung, daß es ein kranker Büffel, vielleicht auch ein Stück von Ismaels geraubtem Vieh sei. Man ritt vorsichtig herzu. „Wenn es kein Ding der Unmöglichkeit wäre,“ rief der Trapper plötzlich, „dann würde ich sagen, daß wir hier nichts anderes als den Mann vor uns haben, der nach Insekten und Eidechsen sucht, unseren Freund, den Doktor!“ „Warum ein Ding der Unmöglichkeit?“ fragte Middleton. „Hattet Ihr ihm denn nicht dieselbe Richtung angegeben, die auch wir verfolgen?“ „Freilich, aber ich hieß ihn nicht, aus seinem Esel einen Schnelläufer zu machen, der selbst ein Pferd übertrifft. Was doch die Furcht nicht alles zuwege bringt! Heda, Freund Doktor, wie habt Ihr es fertiggebracht, vor uns hier zu sein? Euer Esel ist wahrhaftig ein Wundertier!“ „Mein Asinus ist hin!“ antwortete Obed Bat trauervoll. „Er ist wahrlich nicht träge gewesen, jetzt aber weigert er sich, auch nur noch einen Schritt zu tun. Da liegt er. Es droht gegenwärtig doch keine Gefahr von seiten der Wilden?“ „Das weiß ich nicht. Die Sache steht schlecht zwischen dem Squatter und den Tetons, auch kann ich keine Bürgschaft für die Sicherheit unserer Skalpe übernehmen. Euer Esel ist über seine Kräfte angestrengt worden, das war weder menschlich noch weise von Euch; was wolltet Ihr beginnen, wenn Euer Leben jetzt von der Fortsetzung des Rittes abhinge?“ „Ihr zeigtet mir doch den Stern --,“ wendete der kleine Mann schüchtern ein. „Sagte ich Euch etwa, Ihr solltet den Stern heute noch erreichen? Geht! Ihr schwatzt viel gelehrtes Zeug über die Geschöpfe Gottes, aber Ihr seid unwissend wie ein Kind, wenn es sich um die Kenntnis ihrer Gaben und Instinkte handelt. Was sagt Ihr, Hauptmann Unkas -- wir müssen entweder diesen Mann im Stich lassen, oder aber so lange Unterschlupf suchen, bis sein Esel sich wieder erholt hat.“ „Ehrwürdigster Jäger!“ rief der geängstigte Obed. „Ich beschwöre Euch bei allem, was uns gemeinschaftlich heilig ist, und das ist doch nicht wenig --“ „Fürchtet nichts,“ unterbrach ihn der Trapper. „So alt ich geworden bin, habe ich noch keinen Bruder in der Not verlassen, und mit Euch werde ich sicherlich nicht den Anfang machen.“ Man überlegte und kam überein, den Esel so zu fesseln, daß er sich nicht entfernen konnte, und ihn dann hier zurückzulassen, wo er Gras in Fülle hatte und sich erholen konnte. Nach des alten Jägers Berechnung war man bis jetzt ungefähr zwanzig englische Meilen geritten, und da Frau Inez über Erschöpfung klagte, so beschloß man, in einiger Entfernung von dieser Stelle, an einem Orte, wo das Gras so hoch stand wie Schilfrohr, und wo der Trapper früher bereits mehrmals ein sicheres Versteck vor den Indianern gefunden hatte, Rast zu machen. Langsam ritten die Flüchtlinge diesem Ziele zu; der alte Jäger war abgestiegen, um die Spuren der Pferde nach Möglichkeit unkenntlich zu machen. Auf dem von ihm bezeichneten Platze angelangt, schaffte man sich durch Entfernung des Grases eine Klärung und richtete auf derselben die Lagerstätten her, die von Middleton, Paul Hover und den Frauen sogleich aufgesucht wurden, während der Trapper und der Doktor sich ein wenig abseits niederließen, um einige Schnitte von dem Reste des Büffelhöckers als Abendmahlzeit zu vertilgen. Am folgenden Morgen ging die Sonne hinter einem seltsamen, dichten und mißfarbenen Dunste auf, dessen Ursache Paul und der Hauptmann sich nicht zu erklären vermochten. Der Trapper jedoch blieb nicht lange darüber im Zweifel. „Das ist Feuer!“ rief er. „Die Prärie brennt! Die roten Teufel haben sie in Brand gesteckt, um uns zu vernichten!“ „Gott sei uns gnädig!“ sagte Middleton entsetzt. „Wir müssen fliehen, wir haben keine Sekunde zu verlieren!“ Damit wollte er auf seine Frau zueilen. Der Alte aber hielt ihn zurück. „Wohin wollt Ihr fliehen?“ versetzte er ruhig. „Selten ist eine Gefahr so dringend, daß man nicht noch Zeit hätte, sie recht zu erwägen und ins Auge zu fassen. Kommt mit mir auf jenen kleinen Hügel, von wo wir die Ebene überschauen können.“ Middleton erkannte, daß er nichts Besseres tun konnte, als sich dem alten, erfahrungsreichen Trapper zu fügen; auch der Bienenjäger war bald zu dieser Ansicht gelangt. Sie ließen den Doktor bei den geängsteten Frauen und folgten ihrem greisen Führer zu der Bodenerhebung. Der Ausblick von hier aus war wohl geeignet, auch das stärkste Herz erbeben zu lassen. Der ganze Horizont war ein Kreis von dichtem Qualm und emporzüngelnden Flammen, die mit reißender Schnelligkeit von allen Seiten herangerückt kamen. „Da haben wir uns getäuscht, als wir meinten, unsere Fährte vor den Sioux verborgen zu haben,“ sagte der Trapper, langsam in die Runde blickend. „Die Teufel haben gleichzeitig auf allen Seiten das Gras in Brand gesteckt, um uns auszuräuchern, als wären wir Panther oder Kuguare. Wie das Wasser eine Insel umfaßt, so sind wir vom Feuer umringt.“ [Illustration] „Laßt uns aufsitzen und reiten!“ rief der Hauptmann in Verzweiflung. „Wohin, Knabe? Sind unsere Tetonpferde Salamander, die unverletzt durch das Feuer laufen können? Und hinter jenen Flammen lauern die Sioux mit ihren Pfeilen und Speeren und Messern. Wenn ich nur wüßte, auf welcher Seite die Schufte liegen!“ „Durch die Sioux schlagen wir uns durch!“ rief Paul, seine Ellen umfassend, denn auch die Frauen und der Doktor waren inzwischen herangekommen. Der Alte schüttelte den Kopf, während sein Blick über den Flammenkreis schweifte. „Mit Gewalt richten wir gegen diese Übermacht nichts aus,“ entgegnete er, „das wißt ihr so gut wie ich. Aber nun ist genug geredet, jetzt müssen wir handeln.“ „Zu spät!“ rief der Offizier. „Die Flammen sind kaum noch eine Viertelmeile entfernt, und der Wind treibt sie gerade auf uns zu!“ „Die Flammen fürchte ich nicht,“ versetzte der Trapper. „Wenn ich den Rothäuten so sicher zu entkommen wüßte wie dem Feuer da, dann könnten wir uns schon jetzt als gerettet betrachten. Wenn Ihr damals dem Waldbrande auf dem Visionsberge beigewohnt hättet -- doch wir müssen die Hände rühren. Greift zu, alle, und reißt das Gras hier ringsherum aus, damit wir auf nackten Erdboden zu stehen kommen!“ „Wollt Ihr dem Feuer durch solche Kinderei Einhalt tun?“ rief Middleton ungeduldig. Ein schwaches Lächeln huschte schattenhaft über des Greises verwittertes Antlitz. „Euer Großvater war ein anderer Mann als Ihr,“ antwortete er. „Der hätte gesagt, daß ein Soldat im Angesicht des Feindes nichts Besseres tun könnte als gehorchen.“ Der Hauptmann fühlte den Vorwurf tief; ungesäumt machte er sich an die Arbeit, dem Beispiel Pauls und der Frauen folgend, und nach wenigen Minuten war ein Fleck von zwanzig Fuß Durchmesser von jeglicher Vegetation entblößt. Jetzt führte der Alte die Frauen an das eine Ende dieses Fleckes und gebot den Männern, die leicht Feuer fangenden Gewänder derselben mit Decken zu verhüllen. Sobald dies geschehen war, begab er sich an den entgegengesetzten Rand des Grases, wählte eine Handvoll der dürrsten Halme und wickelte dieselben um die Pfanne seiner Büchse. Der Schlag des Steines entzündete den trockenen Knäuel; er warf die kleine Flamme in das Gras, trat in die Mitte der ausgerodeten Fläche zurück und wartete ruhig auf die Wirkung. Dieselbe ließ nicht lange auf sich warten. Die Flamme griff schnell um sich und züngelte gefräßig in die Prärie hinaus. Der alte Jäger erhob den Finger und lachte in seiner lautlosen Weise. „Nun sollt Ihr sehen, wie das Feuer durch Feuer bekämpft wird,“ sagte er. „Wie manch liebes Mal habe ich mir auf diese Weise einen Weg durch verwachsene Strecken gebahnt, wenn ich zu träge war, mit den Händen zuzugreifen.“ „Aber bringt Ihr uns dadurch den Feind nicht nur noch näher auf den Leib, anstatt ihn fernzuhalten?“ fragte der Hauptmann erschrocken. „Seid Ihr so leicht zu versengen? Euer Großvater hatte eine festere Haut. Wartet's nur ruhig ab.“ Die Erfahrung des alten Jägers bewährte sich auch hier. Das von ihm entzündete Feuer verbreitete sich schnell nach allen Seiten und erweiterte, dem Präriebrande entgegenlaufend, den freien Raum, in dem unsere Flüchtlinge sich befanden. Derselbe wurde bald so groß, daß sie nur noch wenig von der Hitze spürten. Als die beiden Flammengebiete in der Entfernung aufeinander stießen, da mußte der Brand notwendigerweise erlöschen, denn weder vor sich noch hinter sich fand er noch Nahrung, da die Prärie jetzt nichts weiter als eine geschwärzte, von jeder Vegetation entblößte Fläche war. Der Hauptmann und der Bienenjäger konnten kaum Worte finden, dem Trapper für das so einfache und doch so wirkungsvolle Rettungsmittel zu danken. Der Alte lachte still in sich hinein. „Ja, ja,“ nickte er, „man weiß sich noch immer zu helfen; man ist ja auch alt genug geworden. Aber nun seht nach den Pferden, Freunde. Eine halbe Stunde wollen wir noch warten, um den Boden abkühlen zu lassen, dann aber müssen wir auf und davon. Der Doktor kann meinen Gaul besteigen, sein armer Esel wird, wie ich fürchte, den Brand nicht überlebt haben. Schaut unterwegs nur immer scharf nach Osten aus, dort muß sich der Fluß zeigen; sein blanker Spiegel wird auch trotz des Qualmes, der sich noch stundenlang auf der Prärie hin und her wälzt, bald zu erkennen sein.“ Nach Ablauf der festgesetzten Frist machte die Gesellschaft sich wieder auf den Weg, hastig und lautlos, denn der alte Jäger hatte Schweigen anempfohlen. Der Qualm war allerwärts so dicht, daß auf zweihundert Schritt kein Feind mehr wahrzunehmen gewesen wäre. Nur der Doktor ließ ab und zu leise Klagen über den Verlust seines treuen Esels hören. Man hatte einige Meilen zurückgelegt, als man auf die Überreste eines verbrannten Pferdes stieß. Die Frauen und die jungen Männer erschauderten bei der Betrachtung derselben und bei dem Gedanken, wie leicht auch ihnen solch ein grausiges Geschick hätte zuteil werden können, und inniger wurde das Dankgefühl gegen den greisen Jäger in ihrem Herzen. Der aber betrachtete forschend den Boden rings um den Kadaver. Die Gegend war sumpfig und die Erde daher, trotz der darüber hingeeilten Glut, weich und feucht. „Hier sind die Abdrücke seiner Hufe,“ sagte er, umherspähend; „und hier auch der eines Mokassins, so wahr ich ein Sünder bin! Der Reiter hat alles aufgeboten, sein armes Tier von der Stelle zu bringen, aber es liegt in der Natur eines solchen Geschöpfes, daß es in Feuersgefahr kopfscheu und störrisch wird. Wo mag der Reiter hingekommen sein?“ „Dort drüben liegt noch ein Pferd!“ rief jetzt Paul Hover. Der Trapper blickte nach der angegebenen Richtung. „Meiner Treu,“ sagte er, „der Knabe hat recht. Sollten die Tetons in ihre eigene Falle geraten sein?“ Sie näherten sich dieser zweiten Entdeckung. Schon von weitem begann Hektor zu knurren und seine Zahnstumpfe zu zeigen. „Ruhig doch, Alter,“ ermahnte ihn sein Herr. „Was soll ich denn von dir denken? Schämst du dich nicht, hier ein gebratenes Pferd anzuknurren, gerade als wenn du die Fährte eines grauen Bären gefunden hättest? ... Aber was sehe ich? Das ist kein Pferd, das ist eine Büffelhaut mit den Haaren nach innen ... Das Feuer ist darüber hingelaufen, ohne sie zu verbrennen.“ Er trat hinzu und stieß die Haut mit dem Fuße an. Dieselbe bewegte sich, wurde zur Seite geworfen, und unter ihr sprang mit Blitzesschnelle ein indianischer Krieger hervor. Sechstes Kapitel Hartherz Es war der junge Pawnee, den die erstaunte Gesellschaft so plötzlich und unerwartet vor sich stehen sah. Eine Minute lang musterte man sich gegenseitig, stumm, forschend und mißtrauisch, dann brach der Trapper das Schweigen. „Die Sache ist klar,“ sagte er. „Der Junge ist im Schlaf von dem Feuer überrascht worden und hat, nachdem er sein Pferd verloren, unter der Haut eines frisch geschlachteten Büffels Schutz gefunden. Gar nicht übel, wenn man kein Pulver hat, um ein Gegenfeuer anzuzünden. Ein gescheiter, tüchtiger Bursche, den ich wohl als Reisegefährten haben möchte. Mein Bruder ist willkommen,“ fuhr er in der Pawneesprache fort. „Die Tetons haben ihn geräuchert, als wäre er ein Waschbär.“ „Die Tetons sind Hunde,“ antwortete der junge Indianer rollenden Blickes. „Wenn der Kriegsruf der Pawnees in ihren Ohren ist, dann heult die ganze Nation.“ „So ist es. Die Spitzbuben sind uns auf der Fährte, und ich freue mich, einen Krieger gefunden zu haben, der den Tomahawk zu führen weiß und jene Schufte nicht liebt. Will mein Bruder meine Kinder in sein Dorf geleiten? Wenn die Tetons unserer Spur folgen, werden meine jungen Männer ihm beistehen, sie zu bekämpfen.“ Der Pawnee betrachtete jeden einzelnen der Gesellschaft mit durchdringendem Blick, dann antwortete er: „Mein Vater ist willkommen. Die jungen Männer meines Volkes sollen mit seinen Söhnen jagen, und die Häuptlinge werden am Beratungsfeuer mit dem Graukopf rauchen. Die Pawneemädchen werden seinen Töchtern ins Ohr singen.“ „Und wenn wir den Tetons begegnen?“ fragte der Trapper, der bei diesem neuen Bündnis völlig klar sehen wollte. „Die Feinde der Langmesser sollen die Streiche des Pawnee fühlen.“ „Es ist gut. Möge mein Bruder jetzt mit mir Rat halten, damit unser Weg zu seinem Dorfe nicht gewunden, sondern gerade sei wie der Flug der Tauben.“ Der Pawnee nickte und folgte dem alten Jäger auf die Seite. Die Unterredung, in der bilderreichen und würdevollen Sprache der Indianer geführt, war nur kurz. „Dieser junge Krieger,“ erklärte der Trapper seinen erwartungsvollen Freunden nach dem Schluß der Beratung, „ist auf Kundschaft gegen die Sioux aus. Da seine Begleiter nicht zahlreich genug waren, um es mit den Feinden aufzunehmen, hat er dieselben heimgesandt, um Verstärkung aus den Dörfern zu holen. Der Junge muß ein tapferes Herz haben, da er ganz allein den Spitzbuben auf den Fersen blieb. Aber er hat mir noch mehr mitgeteilt. Der verschmitzte Mahtoree hat, anstatt sich in einen Kampf gegen den Squatter einzulassen, mit ihm Frieden geschlossen, so daß nun die gesamte Halunkenbande, die weiße wie die rote, brüderlich vereint hinter uns her ist.“ Das war eine beunruhigende Nachricht, und es galt nun vor allem, die Flucht so rasch als möglich fortzusetzen. Der Pawnee warf sich die Büffelhaut über die Schultern und übernahm die Führung. Es ging nun geradeswegs zum Flusse, dessen Ufer nach Verlauf einer Stunde erreicht war. Es war einer der hundert Nebenströme des Mississippi, nicht tief, aber wasserreich und reißend. Es galt jetzt, über das breite Wasser hinüberzukommen. „Oft habe ich diesen Fluß durchwatet, ohne das Knie zu netzen,“ sagte der Alte, „jetzt aber ist die Flut durch die Wasser aus den Bergen geschwollen. Unsere Siouxpferde schwimmen jedoch wie die Hirsche.“ „Trotzdem möchte ich Ellen nicht ihrem Rücken in diesem strudelnden und tobenden Hexenkessel anvertrauen,“ entgegnete der Bienenjäger. „Recht, Knabe,“ nickte der Trapper. „Wir müssen auf etwas anderes für die Frauenzimmer denken.“ Er wendete sich zu dem Pawnee und erklärte diesem die entstandene Schwierigkeit. Der junge Pawnee hörte ernst und aufmerksam zu; dann aber warf er seine Büffelhaut auf die Erde und begann sogleich, unter dem Beistande des schnell auf seine Gedanken eingehenden Jägers und mit Hilfe von Riemen und leichten Holzstäben ein Fahrzeug daraus herzustellen, das zwar eher einem umgekehrten Regenschirm als einem Boote glich, dennoch aber sich als durchaus zweckentsprechend herausstellte. Middleton und Paul Hover prüften das Fahrzeug auf seine Sicherheit und Tragfähigkeit, dann stiegen Inez und Ellen hinein. Der Pawnee, der eins der drei Rosse bestiegen hatte, ritt ins Wasser, stieß seine Lanze durch den obersten Rand des Fahrzeugs und bugsierte dasselbe mit großer Kraft und Geschicklichkeit in den Strom hinaus. Der Hauptmann und der Bienenjäger folgten auf ihren Pferden, und alle erreichten glücklich das jenseitige Ufer. Hier löste der Pawnee die das Fahrzeug zusammenhaltenden Bänder, warf sich die Haut wieder über den Rücken, nahm die Holzstäbe in die Hand und ritt in den Fluß zurück, den Doktor und den Trapper zu holen. „Jetzt weiß ich, daß diese Rothaut unser volles Vertrauen verdient,“ sagte der alte Jäger zu seinem Genossen. „Wäre er ein Teton oder ein Mingo, dann hätte er uns im Stich gelassen und wäre mit unserem besten Pferde auf und davon gegangen. Ich fürchtete schon so etwas, als ich ihn das Tier auswählen sah, aber ich tat ihm unrecht. Der Junge ist ehrlich; und hat man solch eine Rothaut erst einmal zum Freunde, dann bleibt er das, solange man ihn offen und aufrichtig behandelt.“ Der Pawnee landete, das Boot wurde wiederhergestellt, und jetzt nahmen der Trapper, sein Hund und der Doktor darin Platz, der letztere freilich nur mit Zittern und Zagen. „Ehrwürdiger Jäger,“ stammelte der kleine Mann, angstvoll auf die wirbelnde Flut blickend, „dieses Fahrzeug ist so gänzlich unwissenschaftlich bereitet, daß eine innere Stimme mich abhält, ihm zu trauen. Das Schiff hat ja weder Form noch Proportionen.“ „So schön wie ein Rindenkanu ist es freilich nicht,“ versetzte der alte Mann lächelnd, „man kann aber Ruhe und Bequemlichkeit ebensogut in einem Wigwam wie in einem Palast finden.“ „Ja, aber ein Machwerk, das so jeglicher Wissenschaft Hohn spricht --“ Der Doktor unterbrach sich mitten im Satze, denn von der Uferseite her, die sie soeben verlassen hatten, ertönte ein Geschrei, so durchdringend und übernatürlich, daß er mit offenem Munde und entsetzten Augen lauschen mußte. Der junge Pawnee spitzte die Ohren wie ein Hirsch, denn der Ton war ihm neu und rätselhaft; der Trapper aber hatte das Geschrei sogleich erkannt. Er schaute zurück und sah des Doktors Esel in gestrecktem Galopp daherkommen, zu übermäßiger Eile angetrieben von Weucha, dem Sioux, der auf seinem Rücken saß. Die Blicke des Tetons und die der Flüchtlinge begegneten sich. Der erstere stieß einen laut gellenden Ruf aus, der im nächsten Augenblick fünfzig seiner Genossen zum Flußufer brachte, die sofort anhuben, einen Hagel von Pfeilen den Entweichenden nachzusenden. Die Geschosse fielen jedoch harmlos ins Wasser, da das Fahrzeug inzwischen bereits über die Hälfte der Strombreite durchmessen hatte. Jetzt erschien auch die hohe Gestalt Mahtorees unter der Schar der Verfolger. Mehr als einmal erhob der Trapper die lange Büchse zum Schusse, aber immer wieder ließ er sie sinken, als widerstrebe es ihm, Menschenblut zu vergießen. Die Augen des jungen Pawnee aber funkelten wie die eines Kuguars bei dem Anblick so vieler Feinde; er schwenkte mit verächtlicher Gebärde die Rechte hoch in der Luft und ließ dabei schallend den Kriegsruf seines Volkes ertönen. Diese Herausforderung war mehr, als die Tetons ertragen konnten; wie Wasserratten stürzten sie sich in den Fluß, der gleich darauf wie besät mit den dunkeln Gestalten der Reiter und der Rosse erschien. Obgleich der Pawnee seine und seines Pferdes Kraft auf das äußerste anstrengte, so verringerte sich die Entfernung zwischen den Flüchtlingen und den Verfolgern dennoch von Minute zu Minute. Am jenseitigen Ufer erschienen jetzt Middleton und der Bienenjäger, die ihre Schutzbefohlenen in einem kleinen Dickicht untergebracht hatten. „Zu Pferde!“ rief ihnen der Trapper zu. „Macht, daß ihr mit den wehrlosen Frauen davonkommt, und laßt uns in der Hand des allmächtigen Gottes!“ „Ei was, bückt Euch lieber, alter Freund!“ rief Paul Hover zurück. „Bückt Euch tief in den Kahn hinein; der rote Satan ist gerade hinter Euch, und Euer Kopf verbirgt mir das Ziel! Bückt Euch, sage ich, und gebt den Weg frei für eine Kentuckykugel!“ Der Greis blickte schnell hinter sich und gewahrte ganz in der Nähe den wilden Mahtoree, der in seiner Ungeduld allen anderen vorausgeeilt war. Er bückte sich, und des Bienenjägers Büchse krachte. In demselben Moment aber hatte der Häuptling sich auch schon vom Pferde herab und ins Wasser geworfen; das Tier aber, von der Kugel getroffen, bäumte sich hoch auf und trieb dann mit dem reißenden Strome fort, das Wasser mit seinem Blute färbend. [Illustration] Wohl schwang sich der Häuptling zu einem seiner Krieger auf das Roß, der Schuß aber hatte den Eifer der Tetons gedämpft; sie kehrten eiligst zum Ufer zurück, so daß die Verfolgten in Ruhe den jenseitigen Strand erreichen konnten. „Schnell zu Pferde!“ war hier des Trappers erstes Wort an Middleton und den seines erfolgreichen Schusses sich höchlichst freuenden Paul. „Reitet nach jenem Hügel; hinter demselben findet ihr einen zweiten Strom, in dessen Wasser ihr den Weg fortsetzen müßt, bis ihr zu einer sandigen Ebene gelangt; dort wartet auf uns. Der Pawnee, mein tapferer Freund Obed Bat und ich, wir halten den Strand hier noch eine Weile schon allein dadurch, daß wir uns und diese lange Büchse den Tetons zeigen.“ Die beiden Männer folgten ohne Einrede; sie saßen auf, nahmen die Frauen hinter sich und waren bald hinter dem Hügel verschwunden. Drüben gewahrte man die Schar der Tetons und in ihrer Mitte den Häuptling Mahtoree, der ab und zu drohend den Arm gegen die drei Wächter auf dem diesseitigen Ufer schüttelte. So vergingen etwa dreißig Minuten, dann erhoben die Tetons ein wildes Jubelgeschrei; sie begrüßten damit ihre neuen Verbündeten, Ismael Busch und seine Mannen, die langsam herangezogen kamen. Der Emigrant nahm die Sachlage mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit in Augenschein und entsendete auch, wie um die Tragweite seiner Büchse zu erproben, eine Kugel gegen seine Feinde, die in bedrohlicher Nähe über die letzteren hinpfiff. „Jetzt laßt uns aufbrechen!“ rief Obed, sich noch nachträglich duckend. „Wir haben lange und mutig genug ausgehalten, und ein Rückzug erfordert nicht weniger Tapferkeit als eine Schlacht.“ Der Trapper machte keine Einwendung; er überließ dem Doktor das dritte Pferd, auf dem dieser sich unverweilt aus dem Staube machte. Er selber und der Pawnee entfernten sich unter geschickter Benutzung der Unebenheiten des Bodens, so daß sie bald den Tetons aus den Augen kamen. Sie erreichten ihre Freunde an der bezeichneten Stelle, und nun machte der alte Jäger den Vorschlag, hier auf einige Stunden zu kampieren. Middleton, Paul und der Doktor waren über dieses Ansinnen ganz erstaunt, da sie meinten, daß es jetzt vor allem auf schleunigste Fortsetzung der Flucht ankommen müsse. „Warum sollen wir fliehen?“ entgegnete der Alte. „Meint ihr, wir könnten zu Fuß und mit unseren schwer belasteten und abgejagten Tieren den schnellen Rennern der Tetons entgehen? Oder meint ihr, daß die Feinde sich schlafen legen werden? Zum Glück liegt der größte Teil unserer Fährte im Wasser, so daß wir immerhin Aussicht haben, vor der Hand unentdeckt zu bleiben. Aber die Prärie ist kein Wald; von jenem Hügel überschaut ein Kundschafter beinahe so viel Land wie ein Habicht aus der Luft. Nein, wir müssen die Nacht abwarten, ehe wir weiterziehen. Hören wir aber noch die Ansicht des Pawnee, der ist ein erfahrener Krieger. Hält mein Bruder unsere Fährte für lang genug?“ fragte er den Indianer in dessen Sprache. „Ist ein Teton ein Fisch, daß er sie im Wasser sehen kann?“ versetzte dieser. „Meine jungen Männer wünschen sie zu verlängern, bis sie über die ganze Prärie reicht.“ „Mahtoree hat Augen; er wird sie sehen.“ „Was rät mein Bruder?“ Der junge Krieger schaute prüfend zum Himmel auf und schien zu zögern. Eine Weile ging er mit sich selber zu Rate, dann aber sagte er mit Festigkeit: „Die Dakotas schlafen nicht; wir müssen uns ins Gras legen.“ Der alte Jäger nickte im Einverständnis, und jetzt fügten sich auch die anderen. Ellen und Inez wurden unter das Büffelfell gebettet; die Pferde band man und warf sie zu Boden, und dann streckten sich auch die Männer nieder. Das Präriegras stand hier so hoch, daß schon aus ganz kurzer Entfernung nichts von diesen Veranstaltungen wahrgenommen werden konnte. Da es galt, hier wenigstens fünf Stunden zuzubringen, so überließ man sich dem Schlaf, der sich nach all den Anstrengungen auch bald einstellte. Stundenlang lag alles in tiefem Schweigen, dann hörten die scharfen Ohren des Trappers und des Pawnee einen leisen Ruf, der aus Inez' Munde kam. Auf alles gefaßt, sprangen sie auf und gewahrten zu ihrem Schrecken, daß die ganze Prärie dicht mit blendend weißem Schnee bedeckt war. „Gott möge uns gnädig sein!“ rief der alte Mann schmerzlich. „Jetzt weiß ich auch, Pawnee, weshalb du die Wolken so genau betrachtetest; aber nun ist's zu spät! Selbst ein Eichhörnchen würde Spuren auf diesem losen Schnee hinterlassen. Ha! Da sind auch schon die roten Teufel! Nieder! Nieder! Zwar wird's nicht viel nützen, man darf aber keine Vorsicht außer acht lassen!“ Alle warfen sich aufs neue platt auf den Boden, jeder aber spähte verstohlen durch das hohe Gras nach den Feinden, die, noch etwa eine halbe englische Meile entfernt, von allen Seiten kreisförmig heranrückten und dem Versteck der Flüchtlinge langsam aber sicher näher kamen. Paul und Middleton machten ihre Büchsen schußfertig, und als Mahtoree, der die Blicke unverwandt suchend auf den Boden geheftet hielt, bis auf fünfzig Schritte herangekommen war, da drückten sie beide fast gleichzeitig auf ihn ab. Allein ein Knipsen der Hähne war die einzige Wirkung dieses voreiligen Tuns. „Genug,“ sagte der Trapper, sich langsam und würdevoll erhebend; „ich war's, der euch das Pulver aus den Pfannen schüttete; eure Schüsse hätten unser aller sicheren Tod zur Folge gehabt. Laßt uns unserem Geschick wie Männer ins Auge sehen. Klagen und bitten würde uns in den Augen der Indianer nur verächtlich machen.“ Ein Geschrei, das sich über die ganze Prärie fortzusetzen schien, begrüßte sein Erscheinen, und im Nu sprengten hundert Wilde herbei. Mahtoree empfing seine weißen Gefangenen mit großer Selbstbeherrschung; erst später richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Pawnee, der stumm und unbeweglich wie eine Statue abseits gestanden hatte, und nun erkannte der Trapper sowohl aus dem unbeschreiblichen Jubelgeheul, das aus hundert Kehlen in die Lüfte stieg, als auch aus dem wie ein Lauffeuer die Runde machenden gefürchteten Namen, daß sein junger Freund kein anderer war als der bisher noch nie besiegte Krieger, der gewaltige Hartherz selber. [Illustration] Siebentes Kapitel Im Dorfe der Sioux Mehrere Tage sind seit der Gefangennahme unserer Freunde verstrichen. Der Schauplatz der Erzählung hat sich verändert. Wir befinden uns auf einer erhöhten Ebene, die, vielfach mit Baumgruppen bestanden und gegen Norden von einer ausgedehnten Waldung begrenzt, an einen jener Flußläufe stößt, die ihr Wasser dem Missouri zuführen. Teils an dem hohen Ufer entlang, teils hier und dort auf der Ebene zerstreut, stets aber in größerer oder geringerer Wassernähe, standen etwa hundert Wigwams der wandernden Sioux. Diese Wigwams waren kegelförmige, aus Stangen und Tierfellen errichtete Zelte, denen man ansah, daß sie ihren Insassen nur vorübergehend Schutz bieten sollten. Vor dem Eingang eines jeden Wigwams war ein Pfosten errichtet, an welchem die Waffen des Besitzers, Schild und Speer, Bogen und Pfeilköcher, im Winde schaukelten. Unachtsam hingeworfen lagen neben diesen Pfosten auch die Hausgeräte, deren sich die Weiber bei ihren wirtschaftlichen Arbeiten bedienten, und hier und da hing überdies ein Säugling, in Rindenstücke geschnürt, zugleich mit den Waffen des Vaters vom Pfosten herab. Während die Weiber und die Jugend dieses Indianerdorfes an den verschiedensten Plätzen zerstreut sich beschäftigten oder vergnügten, hatten sich die Krieger zu einem Kreise versammelt, dessen Mittelpunkt der Häuptling Mahtoree bildete. Ein wenig abseits von dieser Schar gewahrte man einen Haufen von Männern, deren Äußeres von dem der roten Krieger gänzlich verschieden war. Bedeutend höher von Wuchs, breiter in den Schultern und muskulöser an den Gliedern, verrieten sie sich auch durch ihre Gesichtsbildung und Hautfarbe als Angehörige der teutonischen Rasse. Es war dies die Familie des Squatters Ismael Busch. Träge und untätig, wie immer, wenn keine dringende Beschäftigung vorlag, lungerten die gigantischen Gesellen vor einigen Wigwams herum, die ihnen ihre Gastfreunde, die Sioux, zum Aufenthalt angewiesen hatten. In einiger Entfernung weidete das Vieh, das ihnen von ihren neuen Verbündeten als Freundschaftsgabe wieder zugestellt worden war. Noch eine andere Gruppe war an dem einen Ende des Dorfes bemerkbar. Hier lagen auf einer kleinen Erderhöhung zwei gefesselte Männer, der Hauptmann Middleton und Paul Hover, der Bienenjäger. Die Gliedmaßen derselben waren mit Riemen von Büffelhaut so fest verschnürt, daß sie nur mit Stöhnen die Schmerzen dieser barbarischen Fesselung zu ertragen vermochten. Etwa zwölf Schritte von ihnen entfernt war ein starker Pfahl aufgepflanzt, und an diesen festgebunden stand Hartherz, der Pawneehäuptling. Zwischen ihm und den beiden weißen Gefangenen hatte der alte Trapper seinen Platz gewählt; die Wilden hatten ihm seine Büchse und die übrige Ausrüstung genommen, ihm jedoch sonst die völlige Freiheit gelassen. An eine Flucht durfte er freilich nicht denken, denn unweit dieser Stätte stand ein halbes Dutzend junger Krieger, ernst und unbeweglich, aber mit funkelnden Blicken jede Bewegung der Gefangenen beobachtend. „Ich wollte, daß der Himmel meine Artilleristen hierher führte,“ stöhnte der Hauptmann in seiner Pein. „Die würden mit den roten Halunken kurzen Prozeß machen.“ „Und ich wollte, daß diese Wigwams lauter Hornissennester wären,“ knurrte der Bienenjäger, „und daß die lieben Tierchen den halbnackten Schuften aufs Fell kämen; dann wäre uns bald geholfen.“ Der Trapper hatte diese Reden gehört und trat näher. Sein Kopfschütteln ließ erkennen, daß selbst seine Erfahrung keinen Ausweg aus dieser verzweifelten Lage finden konnte. „Es wird nicht mehr lange dauern, dann beginnen die Teufel ihr erbarmungsloses Höllenwerk an unserem Freunde, dem Pawnee,“ sagte er. „Ich sehe es den Augen Mahtorees an, daß er seine Krieger zur äußersten Verschärfung der Tortur aufstachelt.“ „Hört, alter Trapper,“ rief Paul, mühsam seinen Kopf herumwendend, „Ihr versteht Euch auf die Sprache und die Niederträchtigkeiten des Gewürms. Geht hin und sagt den Häuptlingen im Namen eines gewissen Paul Hover aus Kentucky, daß sie ermächtigt sein sollen, besagten Paul nach Herzenslust zu skalpieren und zu martern, soviel und solange sie nur immer mögen, wenn sie dagegen versprechen, das junge Mädchen mit Namen Ellen Wade frei und unverletzt nach den Vereinigten Staaten zurückkehren zu lassen. Wollt Ihr mir den Gefallen tun?“ „Mein guter Freund, das wäre vergebens,“ versetzte der alte Mann, „Ihr liegt wie ein Bär in der Falle, könnt weder fliehen noch Euch wehren, und daher den roten Teufeln auch keine Bedingungen vorschreiben. Aber laßt den Mut deswegen nicht sinken. Die weiße Hautfarbe gereicht ihren Trägern in solcher Lage ebensooft zum Schutz, wie zum Schaden. Unser Geschick ist noch nicht entschieden, warten wir's geduldig ab. Für den Pawnee hege ich allerdings nur wenig Hoffnung.“ Er schritt auf den gefesselten Häuptling zu, dessen freies, leuchtendes Auge unverwandt in die Ferne blickte. „Die Sioux halten Rat über meinen Bruder,“ begann er nach längerem, achtungsvollem Schweigen. „Sie zählen die Skalpe am Wigwam des Harten Herzens,“ antwortete der junge Mann lächelnd. „Ja, sie zählen sie und finden ihre Anzahl zu groß; ihr Eigentümer wird wenig Schonung von ihnen zu erwarten haben. Aber mein Sohn ist kein Weib, er schaut mit festem Blick auf den Pfad, den er wandeln muß. Hat er seinem Volke nichts ins Ohr zu flüstern, ehe er von hinnen geht? Meine Füße sind alt, aber vielleicht tragen sie mich noch einmal an die Gestade des Loupflusses. Ein Elchhirsch soll die Prärie nicht schneller durchmessen als diese alten Füße, wenn der große Pawnee mir eine Botschaft anvertrauen will.“ „Möge das Bleichgesicht seine Ohren auftun,“ antwortete der Häuptling nach einigem Besinnen. „Es wird hierbleiben, bis die Tetons versucht haben, die skalplosen Köpfe von achtzehn Dakotakriegern mit dem Skalpe eines einzigen Pawnees zu bedecken. Es wird seine Augen weit öffnen, damit es sieht, wo man die Gebeine eines Kriegers beerdigt.“ „Das soll geschehen, mein edler Sohn.“ „Alsdann wird mein Vater zu meinem Volke gehen. Sein Haupt ist weiß, seine Worte werden nicht verwehen wie Rauch im Winde. Er wird meinen Wigwam finden und laut den Namen Hartherz rufen. Die Pawnees sind nicht taub. Darauf möge mein Vater nach dem Füllen fragen, das noch nie geritten wurde, das glatter ist als ein Hirsch, und schneller als ein Elch.“ „Ich verstehe, Knabe, ich verstehe,“ unterbrach der aufmerksam lauschende Greis den Sprecher. „Es soll alles ausgeführt werden nach deinem Verlangen, oder aber ich verstehe mich schlecht auf die Wünsche eines sterbenden Indianers.“ „Und will mein Vater dann das Füllen zum Grabe des Harten Herzens bringen?“ „Das will ich, mein braver Knabe. Zu den Häupten der heiligen Stätte will ich es hinstellen, seine Augen gegen die sinkende Sonne gerichtet.“ „Und mein Vater wird zu ihm reden und ihm sagen, daß sein Herr, der es seit seinem ersten Lebenstage gehegt und gepflegt hat, nun seiner bedarf.“ „Meines Sohnes Wille soll geschehen; mit diesen alten Händen werde ich das Tier auf dem Grabe des großen Pawnee schlachten.“ „Es ist gut,“ nickte der junge Krieger, mit dem Ausdruck innerer Genugtuung auf dem ernsten Antlitz. „Hartherz wird auf seinem Rosse in die glücklichen Jagdgründe einreiten und vor dem Großen Geist erscheinen, wie es einem Häuptlinge ziemt.“ In diesem Augenblick löste sich der Kreis der beratenden Krieger, und Mahtoree schritt mit zwei Begleitern dem Orte zu, wo der Marterpfahl aufgerichtet war. Zwanzig Schritte vor demselben blieb er stehen und winkte den Trapper zu sich heran. Als derselbe ihm gegenüberstand, legte er ihm die Hand auf die Schulter und blickte ihm forschend in die Augen. „Hat ein Bleichgesicht zwei Zungen?“ fragte er. „Trägt man das Herz auf der Haut?“ entgegnete der Greis ruhig. „Mein Vater hat recht, er möge mich anhören. Das weiße Haupt hat übel getan. Es ist der Freund eines Pawnee und der Feind meines Volkes.“ „Teton, ich bin dein Gefangener. Tue mit mir nach deinem Gutdünken.“ „Nein, Mahtoree wird das weiße Haupt nicht rot färben. Mein Vater ist frei. Ehe er aber den Sioux den Rücken kehrt, soll er Mahtoree seine Zunge leihen. Ein junges Bleichgesicht wird seine Ohren nicht verschließen, wenn ein alter Mann seines Volkes zu ihm redet. Mein Vater folge mir.“ Und voranschreitend führte er den Trapper zu einem Wigwam, der, größer als alle anderen, als die Wohnung eines Häuptlings erkennbar war. Die Waffenstücke am Pfosten waren reicher gearbeitet als die übrigen, und als besondere Auszeichnung befand sich auch eine Büchse darunter. Sie traten ein. Die Ausstattung des Raumes war die einfachste. Seine einzige Zierde bildete der heilige Medizinbeutel, der, mit Wampum umflochten und mit Stachelschweinstacheln und Glasperlen geschmückt, umgeben von Schilden, Speeren und Pfeilen, unter dem Lieblingsbogen des Häuptlings an der Wand hing. Auf einem aus duftigen Kräutern und darüber gelegten Fellen hergerichteten Sitz saßen Inez und Ellen, bleich und angegriffen, aber ergeben in ihr Geschick. Eine dritte weibliche Gestalt kauerte ein wenig abseits, eine junge Indianerin, Tachechana, bisher das Lieblingsweib Mahtorees. Ohne die letztere zu beachten, trat der Häuptling vor Inez hin und betrachtete die schöne Spanierin mit bewundernden Blicken. Dann wendete er sich an den neben ihm stehenden Trapper. „Singe in das Ohr Dunkelauges,“ begann er. „Sage ihr, Mahtorees Wigwam ist groß, aber er ist nicht voll. Sie soll einen Platz darin haben und die Größte sein. Der anderen, dem Lichthaar, sage, daß auch sie in dem Wigwam des Häuptlings bleiben soll und von seinem Wildbret essen. Mahtoree ist ein großer Häuptling, seine Hand ist stets offen.“ Der Greis zögerte; er fürchtete sich, den armen Geschöpfen eine solche Botschaft zu bringen. Ellen aber hatte aus des Wilden Blicken und Gebärden dessen Absicht halb erraten. „Spart Euren Atem,“ sagte sie schnell, als der Trapper sich eben zu reden anschickte. „Die Worte dieses Heiden sind nicht geeignet für das Ohr einer christlichen Dame.“ „Meine Töchter bedürfen der Ohren nicht, um den großen Dakota zu verstehen,“ sagte der Trapper zu dem Häuptling. „Sie blickten ihn an, und sie verstanden ihn. Sie wünschen über seine Rede nachzudenken; möge Mahtoree sie eine Zeit allein lassen.“ Überzeugt, daß der Bescheid nur zu seinen Gunsten lauten würde, nickte der Häuptling gnädig seine Zustimmung und wendete sich, die Hütte zu verlassen. Da trat ihm mit schmerzbewegtem Antlitz Tachechana entgegen, ihren kleinen Knaben auf dem Arm haltend. Sie blickte ihn flehend an und wollte eben den Mund öffnen; er aber schob sie rauh zur Seite. „Geh!“ sagte er. „Die Krieger rufen nach Mahtoree; er hat kein Ohr für ein Weib!“ Und dem Trapper winkend, schritt er mit stolzem Anstande hinaus. Kaum im Freien angelangt, sah er sich der Hünengestalt Ismaels gegenüber, der mit Esther und Abiram vor dem Wigwam gewartet hatte. „Hört nun auch einmal auf mich, alter Graubart,“ rief der Squatter, den Greis mit Bärenkraft am Arm packend und zu sich heranziehend. „Ich hab's jetzt endlich satt, bloß in der Finger- und Zeichensprache zu den Rothäuten zu reden; jetzt sollt Ihr mein Dolmetscher sein und dem Kerl hier meine Meinung auf gut Indianisch klarmachen, mag ihm die nun gefallen oder nicht.“ „Sprecht, Freund,“ antwortete der alte Mann ruhig. „Freund?“ wiederholte der Squatter, den anderen mit einem nichts weniger als freundschaftlichen Blicke messend. „Doch gleichviel. Sagt diesem spitzbübischen Sioux, daß ich die Bedingungen unseres Vertrages nunmehr erfüllt haben will.“ Als der Trapper dem Häuptling diese Worte verdolmetscht hatte, erwiderte dieser mit sehr deutlichem Erstaunen: „Ist meinem Bruder kalt? Büffelfelle sind in Menge vorhanden. Ist er hungrig? Meine jungen Männer sollen Wildbret in seinen Wigwam bringen.“ Der Squatter schlug mit der geballten Rechten in seine flache Linke. „Sagt dem verlogenen Gesellen,“ rief er zornig, „daß ich nicht als Bettler zu ihm gekommen bin, sondern als ein freier Mann, der sein Eigentum verlangt; und darauf bestehe ich, sagt ihm das ja! Und auch Euch alten, elenden Sünder will ich ausgeliefert haben, damit ich mit Euch abrechnen kann! Also wohlverstanden -- ich verlange meine Gefangene, meine Nichte und Euch, zusammen drei! Die soll er mir herausgeben, wie im Vertrage ausgemacht und beschworen worden ist.“ Der Trapper lachte erst in seiner stillen Weise vor sich hin, ehe er sich an den Häuptling wendete. „Der Dakota möge seine Ohren sehr weit öffnen,“ sagte er zu diesem, „damit große Worte hineingehen können. Sein Freund von den Langmessern kommt mit leeren Händen und verlangt, daß der Teton sie fülle.“ „Hugh! Mahtoree ist ein reicher Häuptling; er ist der Herr der Prärie.“ „Er soll das Dunkelauge zurückgeben.“ Die Brauen des Häuptlings zogen sich finster und drohend zusammen; er beherrschte sich aber und entgegnete mit verräterischem Lächeln: „Ein Mädchen ist zu leicht für die Hand eines solchen Tapfern; Mahtoree wird sie mit Büffeln füllen.“ „Auch das Lichthaar verlangt er; er behauptet, es sei von seinem Blute.“ „Das Lichthaar soll Mahtorees Weib werden; das Langmesser wird dann der Vater eines Häuptlings sein.“ „Und auch mich will er haben,“ fuhr der Trapper fort, dabei auf sich deutend und den Squatter anschauend, damit der erkenne, daß er nicht hintergangen würde, „mich, den alten abgelebten, unnützen Mann.“ „Mein Vater wird bei den Tetons wohnen, damit sie von seiner Weisheit lernen. Nein, Mahtoree will dem Langmesser Felle und Büffel geben, auch die beiden jungen Bleichgesichtkrieger will er ausliefern, aber die Blumen der Prärie, die in seinem Wigwam sind, die bleiben sein eigen.“ Damit wendete er sich würdevoll ab und schickte sich an, zu seinen Kriegern zu gehen; da kam ihm noch ein Gedanke. „Sage dem Großen Büffel,“ -- diese Bezeichnung hatten die Tetons dem Squatter beigelegt -- „daß die Hand Mahtorees stets offen ist. Sieh,“ -- er deutete auf Esthers runzliges Gesicht -- „sein Weib ist zu alt für einen so großen Häuptling. Mahtoree liebt ihn wie einen Bruder. Er will ihm sein eigenes jüngstes Weib geben, Tachechana, das ‚hüpfende Reh‛, den Stolz der Siouxmädchen. Geh; ein Dakota ist großmütig.“ Langsam schritt er davon. Der Trapper übersetzte die Reden des Tetons Wort für Wort. Ismael lauschte mit steigendem Grimm, desgleichen sein Weib. Der Vorschlag, Esther wegzujagen, lockte dem Squatter aber doch ein kurzes Lachen ab. Dadurch aber stieg der Zorn dieser wackeren Dame auf die höchste Spitze. Sie machte ihren beleidigten Gefühlen durch einen Strom von Scheltworten und Schimpfreden Luft, der hier unmöglich wiedergegeben werden kann. Zuletzt rief sie ihre Söhne und befahl ihnen, ungesäumt die Zugtiere vor die Wagen zu spannen. Gehorsam legten auch Ismael und Abiram Hand an, und bald darauf sah man die Karawane der Emigranten das Dorf ihrer bisherigen Verbündeten verlassen. Die Sioux zeigten weder Erstaunen noch Bedauern über die unerwartete Trennung. Mahtoree warf den Abziehenden einen Blick nach, der an den des Tigers erinnerte, wenn dieser König der Wälder ein Wild beobachtet und nicht recht weiß, ob er zuspringen soll oder nicht. Langsam knarrten die Fuhrwerke am Flusse entlang, bis, etwa eine Meile weiter abwärts, halt gemacht und ein neues Lager hergerichtet wurde. Inzwischen hatte Mahtoree seine Krieger zu einer letzten, entscheidenden Beratung über das Schicksal seiner Gefangenen versammelt. Es war eine echt indianische Steigerung der beabsichtigten Grausamkeiten, daß diese Beratung in nächster Nähe des an den Marterpfahl gefesselten Pawnees abgehalten wurde, zu dessen Füßen man jetzt auch die beiden Weißen niedergelegt hatte. Ein alter Krieger zündete die große Pfeife seines Stammes an und blies den Rauch feierlich nach den vier Himmelsrichtungen. Dann reichte er die Pfeife Mahtoree; dieser tat einige Züge und gab sie dem nächsten. Nachdem alle in würdevollem Schweigen diesem uralten Brauch Genüge getan, begann der Austausch der Meinungen. Ein hochbetagter Indianer erhob sich. „Noch lag der Adler an den oberen Fällen des großen Flusses in seinem Ei, da hatte meine Hand schon einen Pawnee erschlagen,“ begann er. „Was meine Zunge spricht, das haben meine Augen gesehen. Bohreechena ist sehr alt. Was er redet, das hören die Tetons. Fällt eins seiner Worte zur Erde, so heben sie es auf und halten es an ihr Ohr. Wird eins vom Winde verweht, so holen meine jungen Männer, die sehr schnell sind, es wieder. Höret mir zu. Seit das Wasser fließt und die Bäume wachsen, findet der Sioux den Pawnee auf seinem Kriegspfad. Wie der Kuguar die Antilope, so liebt der Dakota seinen Feind. Wenn der Wolf das Reh findet, legt er sich dann nieder zu schlafen? Schließt der Panther seine Augen, wenn er das Hirschkalb am Quell sieht? Ihr wißt es sehr wohl, er tut es nicht. Auch er trinkt dann, aber er trinkt Blut! Ein Sioux ist ein springender Panther, ein Pawnee aber ein zitterndes Wild. Mögen meine Kinder mich hören. Sie werden finden, daß meine Worte gut sind. Ich habe gesprochen.“ Ein dumpfes Beifallsgemurmel folgte den Ausführungen dieses Redners, der ganz die Ansichten Mahtorees vertreten hatte. Nach längerer, von der Sitte gebotener Pause erhob sich ein zweiter Krieger, ein Mann in mittleren Jahren. Er begann mit der Erzählung seiner Taten; er zeigte der Versammlung seine Narben. „Was bin ich?“ fuhr er fort. „Ein Dakota! Ihr kennt mich, darum hört auch mich. Das Blut jeder Kreatur auf der Prärie ist rot. Wer kann sagen, hier hat ein Pawnee geblutet, und hier ein Bison? Die Farbe ist die gleiche. So wollte es der Große Geist. Wächst aber das Gras grün an der Stelle, wo ein Bleichgesicht getötet wurde? So zahlreich ist die Nation der Weißen nicht, daß sie nicht merken sollte, wenn einer ihrer Krieger fehlt. Sie ruft dieselben oft mit Namen und fragt: Wo sind meine Söhne? Vermissen sie einen davon, dann senden sie andere hinaus in die Prärie, ihn zu suchen. Und finden sie ihn nicht, dann kommen ihre Läufer zu den Sioux und forschen nach ihm. Meine Brüder, die Langmesser, sind keine Narren. Ein mächtiger Medizinmann ihrer Nation ist unter uns. Wer kann wissen, wie laut seine Stimme ist, oder wie lang sein Arm?“ Hier erhob sich Mahtoree in sichtbarer Ungeduld. „Man bringe den bösen Geist der Bleichgesichter herbei!“ befahl er mit unverhohlenem Spott und Hohn. „Mein Bruder soll den Medizinmann genau betrachten.“ Nach einer erwartungsvollen Pause teilte sich die Menge, und der Doktor Battius wurde, auf seinem Esel sitzend, von Weucha feierlich in den Kreis geleitet. Um den gefürchteten Zauberer in den Augen seiner Krieger lächerlich und verächtlich zu machen, hatte der Häuptling ihn zur Karikatur eines Indianers umgestalten lassen. Obeds Kopf war kahl rasiert bis auf eine Skalplocke auf dem Wirbel. Schädel und Gesicht waren mit schwarzen, roten und weißen Farben dick bemalt. Um den nackten Oberkörper war ein ebenfalls bemaltes Hirschfell gehängt; der seltsamste Zierat aber baumelte von des Naturforschers Skalplocke und Ohren hernieder, nämlich alle die präparierten Kröten, Eidechsen, Frösche und Schmetterlinge, die man in seinem ledernen Schnappsack gefunden hatte. So hielt er, wie eine Vogelscheuche, in der Mitte des Kreises, melancholisch um sich blickend und jeden Augenblick das Todesurteil erwartend. Einen kleinen Trost gewährte ihm die Gegenwart des alten Trappers, der mit in der Reihe der Krieger stand, wie sonst auf seine treue Büchse gelehnt, die Mahtoree ihm als Zeichen der Freundschaft wieder eingehändigt hatte. [Illustration] Mit Ingrimm gewahrte der Häuptling, daß des Doktors lächerlicher Aufzug die Furcht seiner Krieger vor dem mächtigen Zauberer der Langmesser keineswegs beseitigte. Verächtlich zuckte er die Achseln, finster ließ er die Augen in der Runde schweifen, und dann begann er, den Pawnee mit einem Blick tödlichsten Hasses streifend, von neuem zu reden. „Was ist ein Sioux?“ rief er. „Der Beherrscher der Prärie und der Herr aller Tiere darauf. Die Fische in dem Flusse der wirbelnden Wasser kennen ihn und kommen auf seinen Ruf. Er sieht scharf wie ein Adler, im Rate ist er ein Fuchs, ein grauer Bär im Kampfe. Ein Dakota ist ein Mann!“ Ein Beifallsgemurmel wurde laut. „Was ist ein Pawnee?“ fuhr er fort. „Ein Dieb, der nur Weiber bestiehlt; eine Rothaut, die keine Tapferkeit kennt; ein Jäger, der sein Wildbret erbettelt. Er geht nachts in die Prärie wie eine Eule; im Rat ist er ein hüpfendes Eichhörnchen, im Kampfe ein Elch, dessen Beine lang sind. Ein Pawnee ist ein Weib!“ Ein zustimmender Jubelruf folgte diesen Worten, die der Trapper auf einen Wink Mahtorees dem Pawnee verdolmetschen mußte. Hartherz lauschte mit großem Ernst, wendete dann aber seinen Blick schweigend wieder der Ferne zu. „Wenn die Erde mit Ratten bedeckt wäre,“ so fing der Redner wieder an, „mit Ratten, die zu nichts taugen, dann fände sich kein Raum für die Büffel, die den Indianern Nahrung und Kleidung geben. Wenn auf der Prärie nur Pawnees wimmelten, dann wäre für den Fuß eines Dakota kein Platz darauf. Ein Loup ist eine Ratte, ein Sioux ein schwerer Büffel; laßt die Büffel die Ratten zertreten und Raum für sich schaffen!“ Mahtoree setzte sich nieder, von Beifallsgeschrei umtost. Schon meinte er, seine Krieger in der rechten Stimmung zu haben, da trat aus deren Reihen ein uralter Greis hervor. Eine tiefe, ehrfurchtsvolle Stille verbreitete sich in der Menge. Vor einem halben Jahrhundert hatte er von den Franzosen in Kanada wegen seiner Tapferkeit und seines von Narben durchfurchten Gesichtes den Beinamen „Le Balafré“ erhalten, der ihm dann auch unter seinen Stammesgenossen geblieben war. „Die Tage des alten ‚Le Balafré‛ nahen sich ihrem Ende,“ begann der alte Krieger mit kaum hörbarer Stimme. „Er gleicht einem Büffel, auf dem kein Haar mehr wächst. Bald wird er seine Hütte verlassen, um eine andere aufzusuchen, weit von den Dörfern der Sioux. Darum redet er nicht für sich, sondern für die, welche er zurückläßt. Viele Winter sind vergangen, seit Le Balafré auf dem Kriegspfade ging. Sein Blut war sehr heiß, aber es fand Zeit, kühl zu werden. Der Wakonda läßt ihn nicht mehr von Kämpfen träumen; er weiß, daß es besser ist, in Frieden zu leben ... Meine Brüder, Le Balafré wird bald die Fährte von seines Vaters Mokassin in den glücklichen Jagdgründen suchen und finden. Wer aber soll ihm selber folgen? Le Balafré hat keinen Sohn. Sein Ältester hat zu viele Pawneepferde geritten, die Gebeine des Jüngsten benagen die Konzahunde. Le Balafré sucht einen jungen Arm, auf den er sich stützen kann. Tachechana, das hüpfende Reh der Tetons, schaut vor sich, nicht hinter sich; ihr Sinn weilt im Wigwam ihres Gatten.“ Alles hatte schweigend diesen Worten gelauscht, mancher Krieger aber blickte verstohlen nach Mahtoree, zu erspähen, wie der des Patriarchen Entschluß aufnehmen würde, der allerdings völlig den indianischen Gebräuchen entsprach. Des Häuptlings Auge funkelte in verhaltenem Zorn; drohte ihm doch der Verlust desjenigen Opfers, nach dessen Tode er am meisten dürstete. Le Balafré war inzwischen langsam auf den Marterpfahl zugeschritten. Lange musterte er die Gestalt und das Antlitz des jungen Pawnee mit Wohlgefallen; dann winkte er gebieterisch, und einige herzuspringende Krieger befreiten gehorsam den Gefangenen von seinen Banden. Noch einmal betrachtete der Greis mit altersschwachem Auge das prächtige Ebenmaß der geschmeidigen, muskelstarken Glieder; endlich sagte er: „Es ist gut. Redet mein Sohn, der springende Panther, die Sprache der Tetons?“ Der Blick des Pawnee verriet, daß er die Frage wohl verstanden, allein er war zu stolz, sich der Zunge der Feinde zu bedienen. Die Umstehenden belehrten den Alten, daß der Gefangene ein Pawnee-Loup sei. „Mein Sohn öffnete die Augen an den Wassern der Wölfe,“ nahm Le Balafré in der Pawneesprache das Wort, „er wird sie schließen am Flusse der wirbelnden Wasser. Er ist als Pawnee geboren, als Dakota wird er sterben. Ich bin eine entlaubte Sykomore und sehnte mich lange nach einem frischen Schößling; jetzt habe ich ihn gefunden. Le Balafré hat nun einen Sohn. Sein Name wird nicht vergessen sein, wenn er hinwegging; Männer der Tetons, ich nehme diesen Jüngling in meinen Wigwam.“ Er führte den Pawnee in die Mitte des Kreises, um alle Anwesenden mit seiner Wahl bekanntzumachen. Niemand wagte eine Entgegnung, auch Mahtoree schwieg. Da aber erhob Hartherz seine klare, feste Stimme. „Mein Vater ist sehr alt,“ hub er an, „aber alles hat er doch nicht gesehen. Er hat aus einem Büffel noch keine Fledermaus werden sehen. Er wird auch nie sehen, daß aus einem Pawnee ein Sioux wird!“ Ein Ruf der Bewunderung durchflog die Reihen der Sioux bei dieser Rede, die des berühmten Kriegers mit dem „harten Herzen“ so würdig war. Le Balafré aber ließ sich nicht so leicht von seinem Vorsatze abbringen. „Es ist gut,“ versetzte er. „So spricht ein Tapferer, auf daß die Krieger sein Herz erkennen. Es gab eine Zeit, wo Le Balafrés Stimme am lautesten bei den Hütten der Konzas gehört wurde. Mein Kind wird die Feinde der Tetons schlagen und dadurch seinen Mut beweisen. Männer der Dakotas, dieser ist mein Sohn!“ Der Pawnee zögerte einen Augenblick, dann trat er vor den Veteranen hin, faßte dessen dürre Hand und legte sich dieselbe voll Ehrfurcht auf das Haupt. Darauf aber wendete er sich gegen die feindliche Menge, die ihn umringte; blitzenden Auges, voll Stolz und Hoheit und zugleich voll schneidendster Verachtung begann er in der Sprache der Sioux: „Hartherz hat sich von innen und von außen beschaut. Er hat seine Taten im Kriege und auf der Jagd erwogen. Er ist überall derselbe. Er kennt keinen Wechsel. Er ist in allen Dingen ein Pawnee. Er hat so viele Tetons erschlagen, daß er nimmermehr in ihren Wigwams essen darf. Seine Pfeile würden rückwärts fliegen, seine Lanze trüge die Spitze am unrechten Ende. Kennen die Tetons einen Loup? Mögen sie ihn betrachten. Sein Haupt ist bemalt, sein Arm ist Fleisch, aber sein Herz ist Stein. Wenn die Tetons die Sonne im Abend, hinter den Felsengebirgen, aufgehen und im Morgen, über dem Lande der Bleichgesichter, untergehen sehen, dann wird das ‚Harte Herz‛ erweichen und ein Sioux werden. Bis dahin aber wird er als Pawnee leben und sterben!“ Entzücken, Bewunderung, Blutgier und Rachsucht vereinigten sich in dem Geschrei, das aus der Menge der Sioux jetzt emporstieg. Der Pawnee wartete, bis man ihn wieder vernehmen konnte, dann schaute er freundlich den alten Krieger an, der so gern sein Wohltäter geworden wäre. „Möge mein Vater sich auf das Reh der Dakotas lehnen,“ sagte er mit sanfter Stimme. „Noch ist sie schwach, wenn aber ihr Wigwam sich mit Kindern füllt, wird sie Kraft gewinnen. Sieh,“ fuhr er fort, auf den Trapper zeigend, der ein aufmerksamer Beobachter dieses Vorgangs war, „Hartherz ist nicht ohne ein graues Haupt, das ihm den Pfad zu den glücklichen Prärien weisen kann. Hat er jemals einen anderen Vater, so wird dies jener gute und gerechte Krieger sein.“ Enttäuscht wendete Le Balafré sich ab; wankenden Schrittes näherte er sich dem Trapper, denselben genauer zu beschauen. [Illustration] „Das Haupt meines Bruders ist sehr weiß,“ sagte er nach langer Musterung der dunkeln, verwitterten Züge des alten Wald- und Prärieläufers; „das Auge Le Balafrés aber gleicht nicht mehr dem des Adlers. Von welcher Farbe ist die Haut meines Bruders?“ „Der Wakonda schuf mich weiß wie jene dort, die auf den Spruch der Dakotas warten,“ antwortete Nathaniel Bumppo; „das Wetter aller Art aber färbte meine Haut mit der Farbe des Fuchsfells.“ „Mein Bruder ist ein Langmesser! Warum ist er zu den Rothäuten gekommen, sich einen Sohn zu suchen?“ Der Trapper legte einen Finger auf die nackte Brust des alten Kriegers und blickte angelegentlich in das narbenvolle Gesicht desselben. „Das geschah, um dem Knaben Gutes zu erweisen,“ antwortete er, „nicht, um an ihm eine Stütze meines Alters zu haben. Ich machte ihn zu meinem Sohn, ihm selber zum Troste, damit er jemand zurücklasse, wenn deine Genossen, die Sioux, ihre blutgierigen Absichten gegen ihn ausgeführt haben werden ... Ruhig, Hektor, ruhig, Hundchen! Sind das Manieren, zu winseln, wenn Grauköpfe miteinander reden? Der Hund ist alt, Teton, und wenn auch gut erzogen, so vergißt er doch zuweilen, wie wir selber ja auch, das in der Jugend Erlernte.“ Ein jäh ausbrechendes Wutgeschrei der alten Weiber des Stammes ließ ihn nicht weiterreden. Den Megären hatte das Hinausschieben der so gierig erwarteten Folterung des Pawnee von Anfang an nicht gefallen, und als sie den jungen Helden jetzt so stolz und herausfordernd und aller Fesseln ledig dastehen sahen, da vermochten sie ihre wilde, gehässige Rachsucht und ihre Blutgier nicht länger zu bezähmen. Sie durchbrachen den Kreis der Männer und umringten den Pawnee mit erhobenen Fäusten und einer Sturmflut der beleidigendsten Schimpfreden. Es entstand ein allgemeines Getümmel, während dessen Le Balafré sich niedergeschlagen zurückzog, der Trapper sich jedoch in möglichster Nähe seines jungen Freundes zu halten suchte. Mahtoree, der diesen Moment vorausgesehen hatte, ermutigte die wilde Schar durch Blick und Gebärde. [Illustration] Allen voran drängte sich Weucha; er schwang seinen Tomahawk um das Haupt des Pawnee, als sollte jeder Schlag dessen Schädel spalten. Hartherz zuckte jedoch mit keiner Wimper; gleichgültig schaute er jetzt wieder hinaus in die Ferne, obgleich der blinkende Stahl unaufhörlich vor seinen Augen glitzerte. Dem Trapper, der jede Bewegung des Tomahawks beobachtete, wurde dieses höllische Treiben endlich zuviel. „Mein Sohn hat seine Klugheit vergessen,“ rief er dem Pawnee zu. „Dieser Sioux ist töricht und leicht zu vorschneller Tat zu verleiten. Möge der Pawnee durch höhnische Worte einen leichten Tod erkaufen und der Folter am Marterpfahl entgehen.“ Weucha hörte diese Rede, und in schäumendem Zorn bedrohte er jetzt auch den alten Jäger mit seiner Waffe. „Nur zu,“ sagte dieser ruhig. „Ich bin heute so bereit wie morgen. Sieh dir den edeln Pawneehäuptling an; wie viele von den heulenden Sioux hat der in offener Schlacht getötet, während die Pfeile ihn wie Schneeflocken umschwirrten. Geh'! Kann Weucha den Namen eines einzigen Feindes nennen, der von seiner Hand fiel?“ „Hartherz!“ schrie der Sioux, in höchster Wut einen furchtbaren Streich nach dem Haupte des Gefangenen führend. Sein niederfahrender Arm aber wurde von der Hand des letzteren auf- und festgehalten. Einen Moment standen beide regungslos, der Sioux wie versteinert über diesen Widerstand, der Pawnee wie in die Ferne lauschend. Im nächsten Moment aber hatte Hartherz seinem Gegner die Waffe entrissen, und Weucha wälzte sich mit bis auf die Zähne gespaltenem Kopfe am Boden. Dann brach sich der junge Held, hoch das blutige Beil schwingend, Bahn durch die entsetzt aufkreischende Weiberschar und eilte mit der Schnelligkeit des Hirsches zum Dorfe hinaus und dem Abhang am Flusse zu. Ein Geheul der Rache erscholl aus hundert Kehlen, und schon schickten die Krieger sich zur Verfolgung an, da hielt ein befehlender Ruf Mahtorees sie zurück. Mit ausgestrecktem Arm deutete der Häuptling nach dem Flusse. Hartherz hatte bereits das Gestade erreicht. Jenseits des Stromes aber brach hinter einem Hügel ein Haufe berittener Pawneekrieger hervor, die ihren Häuptling, der sich in die Flut geworfen hatte und ihnen zuschwamm, mit jubelndem Triumphgeschrei begrüßten. Achtes Kapitel Der Zweikampf der Häuptlinge In einer Lage, wie der im vorigen Kapitel geschilderten, blieb dem Führer der Sioux nicht viel Zeit zu langer Überlegung. Dennoch zeigte er sich derselben völlig gewachsen. Während die Krieger sich in Eile bewaffneten, sendete er die Knaben aus, die unweit des Dorfes weidenden Pferde herbeizuholen. Zugleich ließ er durch die Weiber die Hütten abbrechen und dieselben den nicht mehr zum Streit geeigneten Tieren aufpacken. Die kleineren Kinder trieb man wie eine Herde Vieh zusammen, und trotz des Gelärms und Getöses, das allenthalben herrschte, wurden diese Anordnungen in kürzester Zeit ausgeführt, und bald saß die waffenfähige Schar der Sioux kampfbereit zu Pferde. Mahtoree blieb nicht lange im Zweifel darüber, daß seine Streitmacht der der Pawnees an Zahl weit überlegen war; allein er konnte sich auch nicht verhehlen, daß die Feinde über bessere Rosse und vollkommenere Bewaffnung verfügten; außerdem war mit Sicherheit anzunehmen, daß jene, die ausgerückt waren, ihren verloren geglaubten Häuptling zu rächen, bis auf den letzten Mann aus den erprobtesten und besten Kriegern bestanden. Die Pawnees hatten das beste Streitroß aus Hartherz' Besitz mitgebracht, um dasselbe, wenn nötig, auf dem Grabe des geliebten Führers zu opfern. Jetzt sollte es bessere Dienste tun. Hartherz schwang sich hinauf, prüfte mit Freude die Waffen, die gleichfalls zu seinem Totenopfer bestimmt gewesen waren, und tummelte dann im Hochgefühl der wiedererlangten Freiheit und des bevorstehenden Rachekampfes das edle Pferd eine Zeitlang auf und ab vor den Augen seiner durch diesen Anblick beglückten Getreuen. Auf der anderen Seite des Flusses führte Mahtoree seine Krieger zum Gestade hinunter. Vorher hatte er noch der weißen Gefangenen gedacht. Gern hätte er dieselben ohne weiteres durch den Tomahawk ins Jenseits befördern lassen, allein im Hinblick auf das nicht ferne Lager Ismaels und auf die Ehrfurcht, die viele seiner Leute vor dem fremden Medizinmann hegten, nahm er davon Abstand. Statt dessen winkte er einen alten Mann herbei, der die Aufsicht über die Nichtkämpfer des Dorfes zu führen hatte. „Wenn meine jungen Männer mit den Pawnees fechten,“ raunte er demselben zu, „dann gib den Weibern Messer. Genug; mein Vater ist sehr alt, er braucht nicht erst von einem Knaben Weisheit zu lernen.“ Der alte Wilde begegnete dem Blick des Häuptlings mit grimmigem Einverständnis, und dieser setzte sich befriedigt an die Spitze seiner Bande. Bald waren die feindlichen Streitkräfte nur noch durch den Fluß voneinander geschieden, der zu breit war, als daß die Schießwaffen der Indianer über ihn hinaus von Wirkung sein konnten. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß der Trapper alle die geschilderten Vorgänge mit gespanntester Aufmerksamkeit verfolgt hatte. Es war ihm auch nicht entgangen, daß Mahtorees Wigwam unberührt stehengeblieben war, und daß unweit desselben zwei Pferde von einigen halberwachsenen Knaben bereitgehalten wurden. Den Zweck dieser Maßregel zu erraten, fiel ihm nicht schwer. Auch der Befehl, den der Häuptling dem alten Wilden erteilt hatte, war ihm nicht entgangen, und seine Erfahrung sagte ihm, daß das Leben des Bienenjägers und des Hauptmanns in höchster Gefahr schwebte. Während er noch darauf dachte, wie eine Rettung derselben zu bewerkstelligen sei, vernahm er eine klägliche Stimme, die ihn anrief. „Verehrungswürdigster Jäger,“ so bat der arme verunstaltete Doktor Battius, „habt Erbarmen und durchschneidet die Riemen, die meine Beine in so schnöder Weise unter dem Bauche meines Asinus fesseln. Ich werde mich dann leichter aus der Gefahr, die uns allen droht, erretten können.“ „Ich weiß nicht,“ entgegnete der Trapper, „ob ich Euch schon jetzt diesen Dienst leisten darf. So wie Ihr da auf Eurem Tiere sitzt, bemalt wie ein Unhold, seid Ihr vorläufig noch unser aller Schutz, denn jene alten Hexen fürchten sich ganz unbändig vor dem großen Zauberer, wenn ich mich noch recht auf Indianerweiber verstehe.“ „Hört, alter Freund,“ schrie jetzt der Bienenjäger, der sich vor Pein und Ungeduld nicht mehr zu lassen wußte, „mir könnt Ihr aber mit einem Messerschnitt zu Hilfe kommen; ich habe mich nun wahrlich genug abgequält, diese Riemen zu zerreißen!“ Middleton äußerte dasselbe Verlangen, der Trapper aber empfahl beiden Geduld und Vorsicht. „Jener verräterische Teton hat den Befehl hinterlassen, uns alle umzubringen, sobald dies ohne Aufsehen und Tumult geschehen kann,“ fügte er hinzu. „Großer Gott!“ rief der Hauptmann. „Wollt Ihr uns hier wie Schafe abschlachten lassen?“ „Ruhig, Hauptmann, nur ruhig. Wir kommen mit Schlauheit weiter als mit Gewalt. Ah, der Pawnee ist wahrlich ein Krieger wie er sein soll! Schade, daß Ihr nicht sehen könnt, wie er sich vom Flusse zurückzieht, um die Feinde zu verleiten, ihm zu folgen, trotzdem zwei Sioux auf einen Loup kommen! Ha -- jetzt -- liegt still!“ Er sprang herzu und durchschnitt gewandt und schnell Paul Hovers Bande. „Das war eine gute Gelegenheit!“ lachte er leise. „Die Hexen horchen auf das Geschrei da unten und lassen uns einen Moment aus den Augen. Aber vorsichtig, Knabe!“ „Dank, alter Trapper,“ murmelte Paul, die geschwollenen Gliedmaßen reibend und streckend, nachdem er das Messer in Empfang genommen, das sein Befreier ihm hinreichte. „Ah! Ah!“ stöhnte er, indem er sich mühsam erhob. „Da stehe ich, soviel ich sehen kann, auf festem Boden, und doch ist mir's, als wären beide Füße noch mindestens sechs Zoll von der Erde entfernt! Nun aber, bester Freund, tut mir noch den Gefallen und haltet uns die verdammten alten Weiber so lange vom Halse, bis ich meine Arme besser rühren und sie mit Höflichkeit und Anstand empfangen kann.“ Der Trapper nickte und ging auf den alten Sioux zu, der die Squaws unter seinem Kommando hatte und eben daran war, Messer unter die Megären auszuteilen, die diese Waffen unter Absingen eines eintönigen Rachechors in Empfang nahmen. Als jede ihr Messer hatte, begann die unheimliche Schar in regelmäßigem Tanzschritt einen Kreis zu bilden, in dessen Mittelpunkt der alte Sioux stand. Gesang und Tanz steigerten sich schnell bis zur Raserei; kreischend, geifernd und mit fliegendem Zottelhaar sprangen die abschreckenden alten Geschöpfe fußhoch vom Boden empor. Da durchbrach der unerschrockene alte Jäger den scheußlichen Ring und näherte sich ruhig dem Indianer. „Warum singen die Mütter der Tetons solche bitteren Worte?“ begann dieser, während er den Weibern Schweigen winkte. „Noch sind die Gefangenen der Pawnees nicht im Dorfe der Sioux, noch haben unsere jungen Männer keine Skalpe erbeutet.“ „Du siehst einen Krieger vor dir,“ antwortete der Trapper, „keinen Läufer der Langmesser, der beim Anblick des Tomahawks erbleicht. Laß die Weiber der Sioux nachdenken; wenn ein Bleichgesicht stirbt, treten hundert an seine Stelle.“ Statt aller Antwort stürzte die älteste der Megären plötzlich mit hochgeschwungenem Messer aus dem Kreise und der Stelle zu, wo die beiden Gefangenen waren; die anderen folgten ihr sogleich unter gräßlichem Geheul. „Mächtiger Zauberer meines Volkes!“ schrie der alte Jäger in der Tetonsprache und mit aller Kraft seiner Lungen, „erhebe deine Stimme und rede, daß die Dakotas dich hören!“ Sei es nun, daß der Anblick der heranstürmenden Furien ihn erschreckte, sei es, daß ein anderer Grund ihn bewegte, genug, der Esel tat, was der Trapper von Obed verlangte, und erhob seine kräftige Stimme zu einem so entsetzlichen und markdurchdringenden Geschrei, daß die erschrockenen Weiber auseinanderstoben wie Aasgeier, die man von ihrer Beute verjagt. Paul hatte sich zur Gegenwehr bereitet, und der Hauptmann, durch ersteren von seinen Fesseln befreit, war gleichfalls aufgesprungen. Hastig gesellte sich jetzt der Trapper zu ihnen. „Jetzt gilt's!“ rief dieser. „Jetzt müssen wir um unser Leben kämpfen! Jetzt --“ Eine mächtige Hand, die sich schwer auf seine Schulter legte, ließ ihn verstummen. Er wendete sich und blickte in das finstere Auge des Squatters Ismael Busch, und zugleich sah er dessen reisige Söhne hinter Mahtorees Wigwam hervorkommen. Auf lange Erklärungen ließ niemand sich ein. Middleton und Paul wurden aufs neue gefesselt, und auch der alte Trapper entging dieser unwürdigen Behandlung nicht. Der Wigwam wurde abgebrochen, Ellen und Inez mußten Pferde besteigen, und dann ging es in Eile der Wagenburg der Emigranten zu, während der alte Sioux mit seinen Megären aus Leibeskräften zum Flusse hinab floh. Die Stätte, wo vor kurzem noch ein lebhaftes Dorf gestanden, war jetzt wieder so öde wie jeder andere Ort der endlosen Ebene. * * * * * Den Fluß noch immer zwischen sich, standen die feindlichen Streitkräfte einander tatenlos gegenüber, da keine den Lockungen der anderen, das Wasser zu kreuzen, folgen mochte. Da beschloß der kühne Hartherz, die Entscheidung durch eine jener Taten persönlichen Mutes herbeizuführen, die so vielen indianischen Helden zu höchstem Ruhme gereicht haben. Eine kurze Strecke flußaufwärts dehnte sich der Wasserlauf zu doppelter Breite und umschloß eine flache Sandinsel, die mitten im Strome lag. Nach kurzer Beratung mit seinen Getreuen sprengte Hartherz am Ufer hin bis an jene Stelle; hier trieb er sein Pferd in die Flut und landete bald darauf auf der sandigen Insel, wo er mit vollendeter Meisterschaft das Roß zu tummeln und herausfordernd die Waffen zu schwingen begann. Die Tetons stießen bei diesem Anblick ein Wutgeheul aus und entsendeten einen Hagel von Pfeilen gegen die Insel. Auch stürzte sich eine Anzahl Krieger in den Fluß, um den kecken Feind zu strafen. Ein Befehl Mahtorees brachte diese Voreiligen jedoch zurück und wies auch die Pfeilschützen zur Ruhe. Der verschmitzte Häuptling hatte schnell einen ganz anderen Plan entworfen. Wie die Schar der Pawneekrieger sich vom Ufer zurückhielt, so hieß er auch die Seinen sich eine Strecke entfernen. Dann ritt er in den Fluß hinein, hielt jedoch einige Pferdelängen vom Ufer still und erhob beide Hände als Zeichen des Friedens, auch warf er von hier aus seine Kugelbüchse an das Land zurück. Darauf trieb er sein Pferd noch eine Strecke weiter vorwärts, um dann, in Erwartung des Benehmens seines Gegners, wiederum stillzuhalten. Der Teton hatte die edle, offene Natur des jungen Pawneehäuptlings sehr richtig beurteilt. Als dieser den großen Dakota gegen sich herankommen sah, da hatte er kampfesfreudig den Kriegsruf seines Volkes erschallen lassen; als Mahtoree aber seine Büchse fortwarf und einen Waffenstillstand verlangte, da mochte er hinter dem Sioux nicht zurückbleiben und warf gleichfalls seine Büchse weit von sich. Die Bewaffnung der Häuptlinge war jetzt dieselbe. Jeder führte Speer, Bogen und Pfeile, Streitaxt, Messer und Schild. Mahtoree zögerte nun nicht länger, und bald hatte auch sein Streitroß auf der Insel festen Fuß gefaßt. Der Pawnee hatte sich auf die andere Seite des kleinen Eilandes zurückgezogen, ruhig und würdevoll den Beginn der Verhandlungen dem älteren Krieger überlassend. Dieser ritt bis in die Mitte des Platzes und lud dann mit höflicher Handbewegung den anderen ein, heranzukommen. Hartherz folgte dieser Aufforderung; in angemessener Entfernung hielt er still, den festen Blick unbeweglich auf das funkelnde Auge des Dakota gerichtet. Es entstand eine lange Pause. Zum erstenmal fanden sich diese beiden Tapferen, die Waffen in der Hand, einander gegenüber; jeder wußte die kriegerischen Eigenschaften des anderen wohl zu schätzen. Endlich, wie um das Vertrauen des Gegners völlig zu gewinnen, warf Mahtoree den Schild über die Schulter und machte eine Gebärde der Begrüßung. „Laß die Pawnees auf die Hügel steigen,“ so begann er. „Sie werden dann sehen, daß die Prärie vom Aufgang bis zum Niedergang sehr groß ist. Warum können die roten Männer mit ihren Dörfern nicht Raum darauf finden?“ „Ist je ein Krieger der Loups zu den Tetons gekommen, um Raum für seinen Wigwam zu erbitten?“ entgegnete der junge Pawnee stolz und verächtlich. „Wenn meine jungen Männer jagen wollen, lassen sie dann erst Mahtoree fragen, ob Sioux auf der Prärie sind?“ „Wenn der Hunger in die Hütte eines Kriegers einkehrt, dann schaut er nach dem Büffel aus, der ihm zur Nahrung gegeben ist,“ versetzte der Teton, mühsam seinen inneren Grimm bekämpfend. „Der Wakonda schuf mehr Büffel als Indianer. Er sagte nicht, dieser Büffel gehört einem Pawnee, der einem Dakota, dieser Biber einem Konza, jener einem Omahow. Nein, er sagte, ihrer sind für alle genug. Ich liebe meine roten Kinder und habe ihnen große Reichtümer gegeben. Das schnellste Pferd braucht viele Tage von den Dörfern der Loups zu denen der Tetons. Die Erde hat Raum für alle, die ich liebe. Warum aber sollen die roten Männer ihre Brüder bekriegen?“ Hartherz, der ebenfalls den Schild zurückgeworfen hatte, setzte seine Lanze auf den Boden und stützte sich leicht auf das obere Ende derselben. „Sind die Tetons der Jagd und des Kriegspfades müde?“ fragte er mit spöttischem Lächeln. „Wollen sie das Wildbret nur essen, nicht auch töten? Wollen sie ihr Haar wachsen lassen, damit der Feind keine Skalplocke mehr findet? Geh'! Ein Pawnee wird sich unter solchen Sioux-Squaws niemals ein Weib suchen!“ Wut und grimmigster Haß leuchteten wie lohende Blitze bei dieser Beleidigung aus Mahtorees Augen, allein noch einmal bezwang sich der tückische Häuptling. „Der große Krieger der Pawnees ist noch jung,“ versetzte er. „Mahtoree hat mehr Winter gesehen als sein Bruder. Wenn die roten Männer einander töten, wer soll später Herr der Prärie sein? Höre die Worte der greisen Krieger. Sie erzählen, wie vor langer Zeit viele Indianer aus den Wäldern unter der aufgehenden Sonne in die Prärie gekommen sind, weil die Langmesser sie aus ihren Jagdgründen vertrieben hatten. Wo ein Bleichgesicht sich zeigt, da muß der rote Mann weichen. Das Land ist zu eng. Die Langmesser sind ewig hungrig. Sieh, dort sind sie schon.“ Er deutete auf die Zelte Ismaels, die auf der jenseitigen Höhe sichtbar waren. Hartherz sann eine Weile nach. „Was denken die weisen Häuptlinge der Sioux zu beschließen?“ fragte er dann. „Sie meinen, daß man die Bleichgesichter verfolgen müsse, wie das Wild. Die Langmesser, die auf die Prärie kommen, dürfen nicht mehr zurück. Dort drüben sind ihrer viele. Sie haben Pferde und Büchsen. Sie sind reich, wir sind arm. Laß die Pawnees mit den Tetons am Beratungsfeuer sitzen, und wenn die Sonne hinter den Felsengebirgen verschwunden ist, dann werden wir sagen: dies für einen Loup, das für einen Teton.“ „Teton -- nein! Hartherz hat nie die Waffe gegen die Fremden erhoben. Sie kommen in seinen Wigwam und essen und gehen ungefährdet von dannen. Der mächtige Pawneehäuptling ist ihr Freund. Nein, Teton, er wird seinen Arm niemals gegen die Fremden erheben.“ „So stirb denn mit leeren Händen, du Narr!“ rief Mahtoree, blitzschnell einen Pfeil auf seinen Bogen legend und gegen die unbeschützte Brust seines arglosen Gegners abdrückend. Es wäre um Hartherz geschehen gewesen, wenn dieser nicht mit bewunderungswürdiger Geistesgegenwart die Gefahr noch rechtzeitig erkannt und sein Roß emporgerissen hätte, so daß es sich hoch aufbäumte und ihm zum Schilde diente. Der Pfeil des Sioux durchbohrte des Tieres Hals, ohne es jedoch zu Falle zu bringen. Mit Gedankenschnelle hatte der Pawnee den Schuß erwidert; sein Pfeil haftete in des Tetons Schild. Während einiger Momente klangen die Bogensehnen, flogen die Geschosse unaufhörlich herüber und hinüber. Bald waren die Köcher geleert; es hatte auch Verwundungen gegeben, jedoch nicht genügend, die Kämpfer zu schwächen oder abzukühlen. Jetzt begann eine Reihe meisterhafter Reitermanöver. Schnell und geschickt wie Schwalbenflug war das Ansprengen, das Ausweichen, das gegenseitige Umkreisen. Lanzenstöße wurden ausgetauscht, der Sand flog unter dem Hufgestampf in Wolken auf, aber noch immer behielten beide Fechter ihren Sitz. Endlich aber mußte der Teton, um einem furchtbaren Stoße des Gegners zu entgehen, sich vom Pferde werfen. Hartherz stieß dem Tiere die Lanze in den Leib, im Vorbeijagen einen Triumphruf hören lassend. Jedoch auch sein Roß hatte seine letzten Schritte getan; vom Blutverlust völlig entkräftet, taumelte es in den Sand, seinen Herrn mit sich niederreißend. Jetzt stürzte Mahtoree rachedurstig herzu, Messer und Tomahawk in den Händen. Hartherz' Lage war verzweifelt, da es ihm trotz seiner außerordentlichen Behendigkeit nicht gelang, sich rechtzeitig unter dem Pferde hervorzuarbeiten. Aber auch jetzt noch wußte er sich zu helfen. Er erwischte sein Messer, faßte die Klinge mit Daumen und Zeigefinger und warf es so ruhig und sicher, als gälte es nur, seine Geschicklichkeit zu zeigen, gegen den Feind. Die Waffe überschlug sich einigemal wirbelnd in der Luft und fuhr dann bis an das Hirschhornheft dem Dakota in die nackte Brust. Mahtoree blieb stehen und faßte nach dem Heft, unschlüssig, ob er die Klinge aus der Wunde reißen sollte oder nicht. Es mochte ihm jedoch einfallen, daß er keine Zeit mehr zu verlieren habe, und wankenden Schrittes eilte er zum Rande des Wassers. „Knabe der Loups!“ rief er, neben dem Ausdruck des alten, wilden Hasses ein Lächeln der Befriedigung auf den dunkeln Zügen. „Der Skalp des mächtigen Dakota soll nimmer im Rauche eines Pawneewigwams trocknen!“ Er riß das Messer aus seiner Brust und schleuderte es verachtungsvoll dem Feinde zu. Dann schwenkte er den Arm mit höhnischer Gebärde und stürzte sich kopfüber in den Strom, der ihn verschlang und fortriß. Hartherz hatte sich inzwischen frei gemacht. Er nahm sein Messer auf, eilte den Strand entlang, und als er auf der Oberfläche der vorüberwirbelnden Flut einen dunkeln Blutfleck erspähte, da sprang er hinein, fest entschlossen, seine Trophäe zu erobern oder im Wasser unterzugehen. Als Hartherz mit seinem Pferde gestürzt war, da hatte es seine Getreuen am jenseitigen Ufer nicht mehr gehalten. In hellen Haufen waren sie in den Fluß geritten, der Insel zu. Bei diesem Anblick blieben auch die Sioux nicht zurück, und nun trafen die beiden feindlichen Scharen auf der Insel zusammen. Ein furchtbarer Kampf begann, der lange hin und her wogte, bis die Sioux endlich von den Pawnees durch den Fluß zurückgetrieben wurden. Hier eilten jedoch die unberittenen Sioux ihren Genossen zu Hilfe, so daß die Pawnees in harte Bedrängnis gerieten. Schon begannen sie dem Wasser zu zu weichen, da erscholl der wohlbekannte Kriegsruf ihres Häuptlings, und Hartherz erschien auf dem Plan, den Skalp Mahtorees als Siegesbanner schwingend. Mit neuem Mute drangen die Pawnees nun gegen die Übermacht vor, und wütender als je entbrannte der Kampf. Trotz der großen Tapferkeit der Loups aber wäre das Gefecht für sie vielleicht verhängnisvoll geworden, wenn nicht plötzlich eine Gewehrsalve in den dicksten Haufen der Feinde hineingeschmettert und dort Verwirrung und Schrecken verbreitet hätte. Im nächsten Augenblick brach Ismael Busch mit seinen gigantischen Söhnen aus einem nahen Dickicht hervor, und als der ersten Salve noch ein zweite folgte, da war das Geschick des Tages entschieden. In wilder Flucht jagten die Sioux davon, verfolgt von den racheglühenden Loups. Erst der Anbruch der Nacht machte der erbarmungslosen Jagd und der grausen Tätigkeit der Lanze und des Messers ein Ende. Neuntes Kapitel Das Gericht Die Sonne des nächsten Morgens beschien im Lager der Emigranten eine eigentümliche Szene. Ismael Busch hatte seine Gefangenen auf den freien Platz in der Mitte der Wagenburg führen lassen und schritt nun vor denselben finster und nachdenklich auf und ab. Es war etwas Außergewöhnliches, etwas Unheimliches im Werke, das merkten auch die Kinder, die scheu und erwartungsvoll zwischen den Rädern der Wagen kauerten; selbst die sonst so unermüdlich tätige Esther hatte ihre Wirtschaftsarbeiten liegen lassen, um bei dem, was vorgehen sollte, nicht zu fehlen. Von den Pawnees war Hartherz allein zugegen; er stand auf seine Lanze gelehnt, und unweit von ihm graste sein Pferd, dessen erhitzter Zustand Zeugnis ablegte von dem langen und anstrengenden Ritt, den sein Herr unternommen, um bei dem sich hier entwickelnden Ereignisse gegenwärtig sein zu können. Ismael war endlich mit sich einig geworden. Er blieb stehen und sah die Gefangenen -- den Trapper, den Hauptmann Middleton, den Bienenjäger und Obed Bat -- der Reihe nach an. Dann räusperte er sich und begann mit dröhnender Stimme: „Was ich jetzt verrichten muß, ist in den Ansiedlungen Sache der Richter, die verordnet sind, zu entscheiden zwischen Mann und Mann. Von den Gebräuchen der Gerichtshöfe kenne ich wenig, aber ich weiß einen Spruch, der da heißt: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut, Tod um Tod. Das ist ein guter Spruch, nach ihm werde ich heute richten und jedem zuerteilen, was ihm gebührt.“ Wieder schweifte sein Auge über die vor ihm Stehenden; als es dem Blick des Hauptmanns begegnete, nahm dieser das Wort: „Wenn der Übeltäter bestraft, und der, welcher nichts verbrach, freigelassen werden soll, dann dürftet Ihr nicht Richter sein, sondern müßtet an meiner Statt hier stehen.“ „Ihr wollt damit sagen, daß ich Euch Unrecht tat, weil ich jene Lady aus ihres Vaters Hause in diese Wildnis entführen half,“ versetzte der Squatter. „Ich will die Tat nicht leugnen und das Unrecht durch eine Lüge nicht noch größer machen. Ich habe über die Sache nachgedacht und beschlossen, die Lady sicher und unangefochten ihrem Vater wiederzugeben. Auch Ihr, Hauptmann, seid frei, obgleich Ihr gewaltsam in mein Lager gedrungen seid; das sei Euch verziehen, weil Ihr Euer Weib zu befreien suchtet und dazu jeder Mann verpflichtet ist. Nimm dem Offizier die Fesseln ab, Sohn Abner. Wenn Ihr so lange bei uns bleiben wollt, Hauptmann, bis wir wieder in die Nähe der Ansiedlungen kommen, so soll mir das lieb und recht sein und Euch auch ein Wagen gegeben werden; wenn nicht, so geht nicht hin und sagt, man sei Euch hier nicht freundlich entgegengekommen.“ Middleton dankte dem Squatter mit warmen Worten und umarmte seine Gattin, die sich mit Tränen an seine Brust geworfen hatte. Ismael aber wendete sich jetzt dem Naturforscher zu. „Jetzt soll die Rechnung zwischen uns beglichen werden, Doktor,“ sagte er. „Ich habe mit Euch einen ehrlichen Vertrag abgeschlossen; wie habt Ihr den gehalten?“ Dem kleinen Manne, der sich die Kriegsmalerei abgewaschen und den Filzhut auf den geschorenen Kopf gesetzt hatte, wurde bei dieser Frage nicht ganz wohl zumute. Er stammelte etwas von Verjährung und abgelaufener Kontraktsfrist, kam aber nicht weit, da Frau Esther ihm ins Wort fiel. „Ismael,“ rief sie ihrem Manne zu, „laß den Giftmischer laufen und sei froh, daß du ihn los bist. Der unheimliche Kerl kann uns etwas antun, ohne daß wir uns dagegen wehren können. Laß ihn laufen, Mann, laß ihn laufen!“ Ismael nickte und trat vor den Bienenjäger hin. „Mit Euch, junger Mann, ist die Abrechnung nicht so leicht,“ redete er diesen an. „Ihr habt Euch ehemals oft genug heimlich auf meine Farm und später auch in mein Lager geschlichen, um uns ein Mädchen abwendig zu machen, die eine Verwandte meiner Frau ist und die einmal meine Schwiegertochter werden sollte.“ „Ich will Euch was sagen, Freund Ismael Busch,“ entgegnete Paul ganz munter, „verschiedene Leute haben über das Heiraten auch verschiedene Ansichten. Ellen zum Beispiel denkt über ihren zukünftigen Mann sicher ganz anders als Ihr --“ „Ellen,“ unterbrach ihn der Squatter, zu seiner Nichte gewendet, „ein ganzes Jahr lang hast du mit uns im Lager gewohnt wie eine meiner Töchter; ich hatte gehofft, daß du für immer bei uns bleiben würdest.“ „Laß ihr ihren Willen, Vater,“ raunte Esther ihm zu. „Er, der sie vielleicht zum Bleiben bewogen hätte, schläft im kühlen Grunde.“ „Ellen mag selber entscheiden,“ versetzte der Squatter. Das junge Mädchen trocknete die Augen. „Ihr habt mich aufgenommen, als sonst niemand von der vaterlosen Waise etwas wissen wollte, und dafür erflehe ich für Euch des Himmels reichsten Segen,“ sagte sie innig. „Ich kann Eure Güte niemals vergelten. Das wilde Leben der Grenzer wird mir nie zusagen; dennoch hätte ich freiwillig bei Euch ausgehalten, wenn Ihr diese arme Lady ihren Angehörigen nicht geraubt hättet. Seit der Zeit --“ „Das war eine schlechte Tat, die nun gesühnt werden soll und die ich bereue,“ erwiderte der Emigrant. „Nun sage mir aber, willst du hierbleiben oder nicht?“ „Ich habe der Lady Inez versprochen, sie zu begleiten; nach allem, was sie erleiden mußte, hat sie wohl das Recht, zu verlangen, daß ich ihr mein Wort halte,“ antwortete Ellen mit niedergeschlagenen Augen. „Nehmt dem jungen Mann die Fesseln ab,“ befahl Ismael. Dann rief er alle seine Söhne heran. „Da, Ellen,“ sagte er, auf die jungen Riesen deutend, „wähle; mehr habe ich dir nicht anzubieten.“ Ellens Blick glitt scheu über die Gesichter ihrer Vettern, auf dem Antlitz des ganz verdutzt dreinschauenden Paul aber blieb er haften. Im nächsten Moment lag sie an des Bienenjägers Brust. „Na, meinetwegen,“ brummte der Squatter, seine Söhne zur Seite winkend. „Nimm ihn in Gottes Namen und meinen Segen dazu. Ihr aber, junger Mann, sorgt dafür, daß ich keine Klage von ihr über Euch höre ... Ich hoffe nun, alles zur Zufriedenheit eines jeden erledigt zu haben. Nur noch eine Frage habe ich an den Hauptmann. Wollt Ihr mit mir nach den Ansiedlungen ziehen oder nicht?“ „Ich höre, daß meine Soldaten bei den Pawneedörfern nach mir suchen,“ antwortete der Offizier. „Ich beabsichtige daher, diesen Häuptling dorthin zu begleiten.“ „Gut; macht Euch auf den Weg, und je eher je besser. Da unten im Grunde sind Pferde in Menge; wählt Euren Bedarf aus.“ „Ich kann mich nicht eher von hier entfernen, bis jener alte Mann, der fast ein halbes Jahrhundert hindurch der Freund meines Hauses war, ebenfalls in Freiheit gesetzt ist,“ antwortete Middleton. „Was hat er verbrochen, daß Ihr ihn so in Banden haltet?“ „Mit dem Alten habe ich mich in einer Angelegenheit abzufinden, in die sich ein Offizier der Staaten am besten nicht einmischt,“ entgegnete der Squatter finster und abweisend. „Macht, daß Ihr fortkommt, solange der Weg Euch noch offen ist.“ „Der Mann gibt Euch ehrlichen Rat,“ nahm jetzt der Trapper das Wort. „Die Sioux sind zahlreich und blutgierig, und niemand kann wissen, wie bald sie wieder ausschwärmen, um Rache zu nehmen. Darum rate auch ich Euch, geht so bald als möglich, ehe die Gefahren der Prärie Euch in Not bringen.“ „Ich handelte nicht nur undankbar, sondern auch gegen Pflicht und Gesetz, wenn ich den Trapper in Euren Händen ließe, selbst wenn er selber damit einverstanden wäre,“ sagte Middleton zu Ismael. „Nennt mir sein Verbrechen.“ „Genügt Euch nicht, wenn ich sage, daß er reichlich verdient hat, was ihm zugedacht ist?“ „Ich kann ihm nichts Böses zutrauen.“ „Nun, so seht her!“ rief der Squatter, dem Hauptmann die Kugel hinhaltend, die man am Leibe des toten Asa gefunden hatte. „Mit diesem Stückchen Blei hat er meinen ältesten Sohn hinterrücks niedergestreckt und ermordet!“ „Das glaube ich nimmermehr!“ versetzte der Hauptmann in heftigem Unwillen. „Es sei denn, daß er in der Notwehr handelte. Er wußte um den Tod Eures Sohnes, wie ich bezeugen muß; daß er an dem jungen Manne aber ein Verbrechen begangen, das kann ich nur glauben, wenn er selber sich dazu bekennt.“ „Ich habe lange gelebt,“ begann der Trapper, als keiner der anderen mehr redete, „und viel Böses mußte ich mit ansehen. Aber ich denke, es ist keine Prahlerei, wenn ich sage, daß, obgleich meine Hand oft gezwungen war, gegen Bosheit und Unterdrückung zu kämpfen, sie doch nie einen Streich geführt hat, dessen ich mich dereinst vor dem ewigen Richter, der doch weit mächtiger ist als dieser hier, zu schämen hätte.“ „Wenn mein Vater einem seines Stammes das Leben genommen hat,“ nahm der junge Pawnee das Wort, dessen schneller Blick bald erkannt hatte, um was es sich handelte, „dann möge er sich wie ein Krieger dem Freunde des Gefallenen ausliefern. Er ist zu gerecht, um gebunden zur Sühne geführt zu werden.“ „Mein Sohn denkt ehrenvoll von mir, ich danke ihm,“ antwortete der alte Jäger in der Sprache des Indianers. „Hätte ich die schändliche Tat begangen, deren man mich beschuldigt, so wäre ich Mannes genug gewesen, selber mein Haupt der Strafe darzubieten, wie auch alle guten und ehrenhaften roten Krieger tun.“ Dann fuhr er gegen die übrigen Anwesenden in englischer Sprache fort: „Ich habe nur wenig zu berichten. Wir lagen im Hinterhalt und belauerten Euch, Freund Squatter, weil wir in Erfahrung gebracht hatten, daß Ihr dieses jungen Offiziers Ehefrau als Gefangene mit Euch führtet. Ich, als der im Kundschaften Geübteste, lag am weitesten draußen in der Prärie und beobachtete alle Bewegungen Eurer Schar bei der Jagd. Und keiner von euch allen hatte eine Ahnung davon. Haha, Squatter, als ich noch jung war, da habe ich den schlafenden Feinden in die Zelte geguckt, ja, und --“ „Schweift nicht ab, alter Freund,“ unterbrach der Hauptmann ihn ungeduldig. „Gut, gut. Ich lag im hohen Grase; da begegneten sich zwei der Jäger abseits von den übrigen. Sie zeigten einander wenig Freundlichkeit, ich meinte aber, sie würden in Frieden auseinandergehen; da schoß der ältere den jungen ganz unerwartet meuchlings in den Rücken. Eine grausam schändliche, verräterische Tat! Und der arme Junge, was für ein ganzer Mann war das! Obgleich das Pulver seinen Rock versengte, so hielt er doch dem Stoß stand, und es dauerte wohl eine Minute, ehe er niedersank, aber nur auf die Knie. Und mit welcher gewaltigen Anstrengung er sich in das Dickicht schleppte, wie ein verwundeter Bär -- es war ein Anblick zum Erbarmen!“ „Aber warum, im Namen der himmlischen Gerechtigkeit, habt Ihr uns kein Wort davon gesagt?“ rief Middleton in höchstem Erstaunen. „Meint Ihr, Hauptmann, ein Mann, der über sechzig Jahre in der Wildnis lebte, habe den Wert der Verschwiegenheit nicht kennengelernt? Welcher rote Krieger läuft und erzählt, was er gesehen, ehe die rechte Zeit gekommen ist? Ich führte den Doktor an die Stätte, ob er vielleicht noch helfen könne, und auch der Bienenjäger wußte, daß der Leichnam in jenem Dickicht lag.“ „Und wer war der Mörder?“ forschte Middleton gebieterisch. „Der steht dort. Eine Schmach und Schande für unsere Farbe ist es, daß er ein Fleisch und Blut ist mit der Familie des Toten.“ „Er lügt!“ schrie Abiram, denn auf ihn hatte der Trapper gewiesen. „Er lügt! Ermordet habe ich ihn nicht! Ich wehrte mich nur meines Lebens!“ „Es ist genug,“ sagte Ismael mit tiefer, ganz veränderter Stimme. „Laßt den alten Mann frei, ihr Knaben; bringt den Bruder eurer Mutter an seine Stelle.“ „Rührt mich nicht an!“ kreischte Abiram. „Gottes Fluch soll jeden treffen, der mir nahekommt!“ Abner, jetzt der älteste der Söhne, ließ sich dadurch nicht abhalten; als er jedoch die starken Hände nach dem Verbrecher ausstreckte, da wandte sich dieser zur Flucht, fiel aber nach wenigen Schritten wie tot zur Erde. Ismael befahl durch eine Gebärde, ihn in eins der Zelte zu schaffen. „Jetzt bleibt nur noch übrig,“ sagte er darauf zu denen, die nicht zu seinem Lager gehörten, „daß jeder seine Straße zieht. Ich wünsche allen das Beste; dir Ellen, sage ich: Gott segne dich!“ Schweigend und ergriffen ging der Hauptmann an seine Vorbereitungen, die bald getan waren. Schweigend verabschiedete man sich von dem Squatter und dessen Angehörigen, die dem von dem Pawneehäuptling geführten Zuge, der sich still über die Prärie entfernte, noch lange nachschauten. * * * * * Etwa zwei Stunden später befand sich auch die Karawane der Emigranten wieder auf der Fahrt, diesmal aber in der Richtung von Westen nach Osten. Der kleine Planwagen, der vor kurzem noch Inez beherbergt hatte, wurde jetzt von Abiram eingenommen, der aus seiner todesähnlichen Ohnmacht wieder erwacht war und nun mit Zähneklappen seinem Geschick entgegensah. Langsam und träge bewegte sich die Karawane über die dürre Prärie. Finster und schweigend schritt Ismael als Führer voran, finster und schweigend schritten auch seine Söhne neben den Wagen und dem Vieh dahin. Gramvoll und in sich versunken saß Mutter Esther in dem Wagen bei ihren Töchtern. Die Erwartung des Bevorstehenden lag wie eine dumpfe, schwere Wolke über allen. [Illustration] Der lange Tag verstrich, und der Zeitpunkt kam, wo für Mensch und Tier Rast und Erholung nötig wurden. Ismael wählte als Ruheort eine mit saftigem Grase bestandene Niederung, von einer Quelle bewässert, die am Fuße eines etwa vierzig Fuß hohen Felskegels aus dem Boden sprang. Ein einsamer Weidenbaum von gewaltiger Größe stand unweit des Felsens, dessen Gipfel seine Zweige einst beschattet hatten; jetzt spendete der alte Baum keinen Schatten mehr; nur noch wenige knorrige, phantastisch gestaltete Äste reckten sich hier und da empor, dürr und tot; und morsch, abgestorben und von der Witterung gebleicht war auch der Stamm, ein ödes Denkmal der Vergänglichkeit. Die Zugtiere wurden ausgespannt, und Esther bereitete das Mahl, von welchem auch Abiram seinen Teil erhielt. Der Elende, dem bisher niemand mit Wort oder Blick zu nahe getreten war, begann wieder Hoffnung zu hegen; er rechnete darauf, daß man, um nicht noch mehr Schande über die Familie zu bringen, die ganze Sache im Sande verlaufen lassen würde. Nach dem Mahle hatte Ismael abseits vom Lager mit seinem Weibe eine lange und ernste Unterredung. Die Frau trocknete dabei häufig die verweinten Augen, und beide schauten ab und zu in eine kleine, vergilbte Bibel, die aufgeschlagen auf ihrem Schoße lag. „Und dennoch, Ismael,“ schluchzte die arme Frau, nachdem sie lange Rede und Gegenrede mit ihrem Manne gewechselt hatte, „und dennoch -- er hat mein Blut und das Blut unserer Kinder in seinen Adern! Kannst du nicht Gnade walten lassen?“ „Weib,“ entgegnete der Squatter finster, „als wir noch meinten, daß der alte Trapper unsern Sohn erschlagen habe, da war von Gnade keine Rede.“ Esther ließ den Kopf auf die Brust sinken. Sie wußte nun, daß das Geschick ihres Bruders besiegelt war. Noch einmal begegneten sich beider Augen, dann standen sie auf und gingen zum Lager zurück, wo die Söhne sie in anscheinend träger Gleichgültigkeit erwarteten. „Abner,“ sagte der Vater, „hole den Bruder deiner Mutter aus dem Wagen und laß ihn hier auf der Erde stehen.“ Scheu und zitternd, aber nicht ohne eine gewisse freche Zuversichtlichkeit kroch Abiram vom Wagen herab. „Bruder,“ wendete er sich sogleich mit aufdringlicher Geschwätzigkeit an den Squatter, „das Vieh ist müde, wir haben einen tüchtigen Marsch hinter uns und werden nicht leicht wieder einen so guten Lagerplatz finden; wollen wir nicht gleich für die Nacht hier kampieren?“ „Es ist gut, daß der Ort dir gefällt,“ entgegnete der andere dumpf. „Du wirst ihn nicht wieder verlassen. Tretet heran, meine Söhne, und höret! Abiram White,“ fuhr er langsam und feierlich fort, indem er dabei seine Kappe lüftete, „du hast meinen Erstgeborenen erschlagen; nach den Gesetzen Gottes und der Menschen spreche ich dein Urteil: du mußt sterben!“ Ein fürchterlicher Schreck durchzuckte den Mörder. „Sterben?“ kreischte er. „Soll man nicht einmal unter seinen nächsten Verwandten seines Lebens sicher sein?“ „So dachte auch mein Sohn Asa,“ versetzte der Squatter, indem er zugleich durch eine Gebärde den Wagen, der seiner Frau und den Mädchen zum Aufenthalt diente, weiterfahren hieß. Darauf untersuchte er bedächtig das Pulver auf der Pfanne seiner Büchse. „Mit dem Schießgewehr hast du meinen Sohn ermordet, es ziemt sich daher, daß du mit derselben Waffe gerichtet wirst.“ Wild, halb blödsinnig vor Entsetzen, starrte Abiram um sich. Keine Miene auf den Gesichtern der jungen Männer verriet deren innere Empfindungen; auf den Zügen seines Schwagers gewahrte er nur kalte, furchtbare Entschlossenheit. „Bruder,“ stieß er heiser hervor, „habe ich recht gehört?“ „Meine Worte waren verständlich, Abiram White. Du hast einen Mord begangen und dafür mußt du sterben.“ „Wo ist Esther?“ schrie jetzt der Elende. „Schwester! Schwester! Wo bist du? O Schwester, komm mir zu Hilfe!“ „Ich höre eine Stimme aus dem Grabe!“ entgegnete Esther tonlos, während der Wagen an der Gruppe der Männer vorbeifuhr. „Es ist meines Sohnes Stimme, die Gerechtigkeit fordert. Gott sei deiner Seele gnädig!“ Verzweifelnd sank Abiram auf die Knie; wahnwitzig vor Angst winselte er um Aufschub, erst um eine Woche, dann um einen Tag, endlich nur um eine Stunde. Der Vorsatz des Squatters wurde endlich wankend. „Abner,“ gebot er, „steige auf den Felsen und schau dich um, ob Menschen in der Nähe sind.“ Während der junge Mann diesen Befehl ausführte, kam eins der Mädchen herbeigelaufen und brachte einen Teil des heiligen Buches, das Esther so sorgsam aufbewahrt hatte. Der Squatter schickte das Kind zurück und legte die Blätter in die Hände des Verurteilten. „Das sendet deine Schwester,“ sagte er, „damit du in deinen letzten Augenblicken dich deines Herrgottes erinnern mögest.“ „Segen über sie!“ rief Abiram schluchzend. „Sie war mir immer eine gute, treue Schwester! Aber zum Lesen brauche ich Zeit, Bruder, Zeit!“ „Zeit soll dir werden. Du wirst dein eigener Henker sein.“ Abner berichtete, daß die Prärie menschenleer sei, und nunmehr schritt man zur Ausführung des neuen Planes des Squatters. Unter einem der Äste des Baumes ragte hoch über der Erde eine Steinstufe aus der Felsenwand. Auf diese Stufe stellte man den Delinquenten, dem man die Arme an den Ellenbogen hinter dem Rücken gefesselt hatte. Vom Aste herab legte sich eine Schlinge um seinen Hals, und zwar so, daß er, wenn er hing, die Stufe mit den Füßen nicht mehr erreichen konnte. Das Fragment der Bibel hatte man ihm in die Hände gegeben. „Abiram White,“ sagte Ismael, als seine Söhne nach Beendigung aller dieser Vorbereitungen wieder von dem Felsen herabgestiegen waren, „noch eine letzte Frage richte ich an dich. Noch kannst du wählen zwischen einer Kugel aus dieser Büchse, die dich schnell allen Elends enthebt, und jenem Strick, der dich früher oder später zum Tode bringt.“ „Laß mich noch leben, Ismael! O, du weißt nicht, wie süß das Leben ist, wenn der letzte Augenblick so nahe bevorsteht!“ „Es sei,“ versetzte der Squatter, zugleich den Söhnen winkend, den Wagen zu folgen. „Und nun, unglücklicher Mann, möge dir zum Trost bei deinem Ende gereichen, daß ich dir das Leid, das du mir angetan, von Herzen vergebe. Gott sei dir ein gnädiger Richter.“ Damit wendete er sich um und schritt in seiner gewöhnlichen, schwerfälligen Art davon. Nach längerem Marsche hatte er die Karawane eingeholt, die, da die Sonne inzwischen untergegangen war, sich zur Nachtrast anschickte, was der Führer stillschweigend billigte. Mit dem aufsteigenden Monde machte sich auch der Wind auf. Klagende, geisterhafte Laute ertönten leise hier und dort in der Stille der Nacht und erfüllten das Herz des einsam auf der Wacht stehenden Squatters mit fröstelnden Schauern, die nach den Vorgängen des verflossenen Tages wohl erklärlich waren. Einem inneren Drange folgend, verließ er das Lager, wo alles schlief, und wanderte zu einer fernen Bodenerhebung, von welcher der Blick bis zu der Richtstätte schweifen konnte. Hier stand er eine lange Weile, dem Winde lauschend, der im hohen Grase rauschte, bis das Getön seinem Ohr erschien wie das Flüstern abgeschiedener Seelen. Plötzlich gellte aus der Ferne ein schrecklicher Schrei über die Prärie. Er fuhr auf den Schwingen des Windes daher wie der Ruf eines grausen Nachtgespenstes. Ismaels Haar sträubte sich; unwillkürlich krampfte sich seine Hand um den Lauf der Büchse. Ein neuer Windstoß brachte einen zweiten Schrei. Wider seinen Willen mußte er mit einem lauten Ruf antworten; dann, obgleich von kaltem Grausen gepackt, warf er die Büchse über die Schulter und ging, gewaltig ausschreitend, dem Felsen zu. Noch einen dritten Schrei hörte er, so gräßlich, daß keine Einbildungskraft einen ähnlichen schaffen könnte. Erschüttert blieb der Squatter stehen und verschloß die Ohren mit den Händen. Als er diese wieder sinken ließ, sagte eine leise, heisere Stimme unmittelbar hinter ihm: „Ismael, Mann, hörtest du etwas?“ „Still!“ entgegnete er, den Arm um seine Frau legend. Aber sie vernahmen nichts mehr als das dröhnende Sausen des stärker werdenden Windes. „Komm,“ drängte Esther, „man hört nichts mehr.“ „Was brachte dich hierher?“ fragte jetzt Ismael, dessen Blut wieder ruhig geworden war. „Er hat unseren Erstgeborenen erschlagen,“ antwortete die Frau, „aber ich kann nicht zugeben, daß der Sohn meiner Mutter unter freiem Himmel liegenbleibt wie der Kadaver eines Hundes. Schau her, Picke und Spaten habe ich mitgebracht. Wo ist er?“ Der Mond trat hinter den treibenden Wolken hervor, so daß Esthers Auge dem ausgestreckten Finger ihres Mannes folgen konnte. Derselbe deutete auf eine menschliche Gestalt, die unter einem der Aste des Weidenbaumes im Winde hin und her schwang. Die Frau verhüllte ihr Gesicht, er aber trat herzu und betrachtete eine Zeitlang sein Werk. Dann hob er die Büchse und zielte sorgfältig; der Schuß krachte, die Kugel durchschnitt den Strick, und der Leichnam schlug dumpf auf den Erdboden, wo die Bibelblätter zerstreut umherflatterten. Sie gruben sein Grab und legten ihn hinein. Ismael stand barhäuptig, während seine Gattin kniend ein letztes Gebet sprach. Dann kehrten sie zum Lager zurück. Am folgenden Morgen setzte die Karawane die Rückfahrt nach den Ansiedlungen fort. Zehntes Kapitel Wie ein Gerechter zum Frieden einging Die Schützlinge des Pawneehäuptlings fanden in der Niederlassung seines Stammes die gastlichste Aufnahme. Die Artilleristen hatten ihren Hauptmann bereits erwartet, und wenn ihre Zahl auch nicht groß war, so verlieh doch die Anwesenheit und Dienstergebenheit so wohldisziplinierter und gut bewaffneter Männer dem Offizier und seinen Gefährten ein Gefühl größter Sicherheit; auch wurde die unangefochtene Rückkehr derselben nach den Ansiedlungen dadurch gewährleistet. Und dorthin machten Middleton und Inez, Paul und Ellen und auch der Naturforscher sich bald auf den Weg, und zwar in einem großen Boote, das die Artilleristen von einem den Fluß heraufkommenden Händler zu diesem Zweck erstanden hatten. Von Hartherz und den Seinen verabschiedeten sie sich voll Dank und mit gegenseitiger, aufrichtiger Herzlichkeit. Ganz zuletzt stieg der Trapper mit seinem treuen Hektor in das Boot. Er trug, wie immer, einen kleinen Packen auf dem Rücken. Nachdem man unter allerlei Gesprächen über die Eigenarten der verschiedenen Indianerstämme eine längere Strecke zurückgelegt hatte, wendete der Alte sich an den das Boot steuernden Soldaten mit der Aufforderung, auf das Ufer abzuhalten. „Aber warum, alter Freund?“ fragte Middleton erstaunt. „Ihr sollt nicht lange aufgehalten werden,“ versetzte der Trapper, und selbst mit Hand anlegend, lenkte er das Fahrzeug an eine zum Aussteigen geeignete Stelle. Als er daselbst festlag, öffnete er seinen Packen und begann darin herumzukramen. „Ehe wir scheiden, Hauptmann,“ sagte er, „möchte ich Euch noch bitten, mir einen Dienst zu erweisen, der Euch nur wenig Mühe machen soll --“ „Scheiden?“ unterbrach ihn Middleton bestürzt. „Wollt Ihr uns denn verlassen?“ „Was?“ rief auch der Bienenjäger, als wäre er aus den Wolken gefallen. „Ihr werdet doch nicht zu Fuß nach den Ansiedlungen wandern?“ „Nein, mein Junge,“ lächelte der Alte, „nach den Ansiedlungen zieht mein Herz mich nicht; ich denke in Gottes Wildnis meine Tage zu beschließen.“ „Freund, Ihr habt mich tief erschreckt!“ nahm Middleton wieder das Wort. „Nimmermehr hätte ich gedacht, daß ich mich in diesem Leben wieder von Euch trennen sollte! Ich war schon so glücklich in dem Gedanken, Euch in meinem Heim ein Ruheplätzchen bereiten und wie ein treuer Sohn Eure letzten Lebensjahre zu recht angenehmen und friedlichen gestalten zu können. O, bleibt bei uns, ich bitte Euch so sehr ich kann!“ „Ich weiß, Knabe, ich weiß, Ihr meint es gut, Ihr seid wie Euer Großvater. Aber es kann nicht sein. Seht --“ „Alter Trapper,“ unterbrach ihn der ungestüme Paul, dem seine sonst so kräftige Stimme jetzt beinahe den Dienst versagte, „ich mache Euch einen Vorschlag. Ich biete Euch die Hälfte meines Wigwams, dazu den allerbesten Honig und das beste Büffelfleisch, ausschließlich vom Höcker, versteht sich, und von Frau Ellen Hover großartig zubereitet, wenn Ihr zu uns ziehen wollt. Ihr sollt geliebt und geehrt werden wie ein Vater. Schlagt ein, mehr kann ich nicht sagen!“ „Dank Euch, Knabe, dank Euch,“ antwortete der alte Mann, tief über seinen Packen geneigt; „aber es kann nicht sein, es kann nicht sein.“ Auch Doktor Battius versuchte seine Überredungskunst, allein ebenfalls vergeblich. „Genug,“ sagte endlich der Hauptmann, „laßt ihm seinen Willen. Soviel ich von diesem außerordentlichen Manne gehört und nun auch gesehen habe, läßt er sich von einem einmal gefaßten Entschlusse nicht abbringen. Teilt uns nun mit, lieber Freund, was wir für Euch tun können.“ „Das soll Euch nicht viel Mühe verursachen, Hauptmann,“ versetzte der Trapper, der endlich mit seinem Kramen fertiggeworden war. „Hier habe ich vier Biberfelle, und da noch eins vom Waschbären; viel wert sind sie ja nicht, aber ein paar Fallen gibt's schon dafür. Die Sioux haben mir nämlich meine besten Fallen gestohlen, und die muß ich ersetzt haben, wenn ich im kommenden Winter nicht in Not geraten soll. Tauscht mir also gegen dies Pelzwerk zwei gute Fallen ein und schickt sie mit einem der Händler nach dem Dorfe der Pawnees. Vergeßt aber nicht, mein Zeichen auf den Packen zu malen -- den Buchstaben _N_, ein Hundeohr und ein Büchsenschloß; dann wird mir keine Rothaut mein Recht daran streitig machen. Freilich kann ich Euch als Entgelt dafür nichts geben als meinen Dank, es sei denn, daß Ihr das Waschbärenfell --“ „Euer Wunsch soll erfüllt werden,“ sagte der Hauptmann schnell. „Wollte Gott nur, daß ich noch mehr für Euch tun könnte.“ Der Trapper schwieg eine kleine Weile, dann blickte er auf den jungen Jagdhund des Offiziers und begann: „Diesmal rede ich nicht für mich selber, sondern für einen anderen. Da ist mein Hektor; wie sein Herr, so hat auch er schon lange die Grenze überschritten, die Gott sonst dem Leben von seinesgleichen gesetzt hat. Solch eine Kreatur hat ihre Empfindungen und Gefühle ebensogut wie ein Christenmensch. Nun ist ihm in dieser letzten Zeit Euer Tier da ein lieber Kamerad und Freund geworden, und ich muß sagen, daß es mir nahegeht, daß er sich nun von ihm trennen soll. Ich frage Euch daher, ob Ihr mir den Hund überlassen, oder, wenn er Euch zu wertvoll ist, ob Ihr ihn mir bis zum Frühjahr leihen wollt, denn länger wird mein Hektor nicht mehr am Leben sein.“ „Nehmt ihn!“ rief Middleton. „Nehmt alles, was Euch sonst noch gefällt!“ Der alte Mann stieg ans Land und pfiff den Hunden, die ihm beide bereitwilligst folgten. Dann nahm man Abschied. Nur wenig wurde dabei gesprochen. Der Trapper reichte jedem mit mildem, feierlichem Ernst die Hand. Middleton vermochte vor Ergriffenheit kein Wort zu äußern, ebenso Paul, der statt dessen zu pfeifen versuchte, was ihm jedoch jämmerlich mißlang. Auch Doktor Battius war tief gerührt; die Frauen schluchzten. Als die letzte Hand gedrückt war, schob der alte Mann selber das Boot ins tiefere Wasser zurück, wo es sogleich von der Strömung erfaßt wurde. Alle saßen schweigend, auch kein Ruder wurde ausgelegt, bis das Fahrzeug einen Hügel umschifft hatte, der seinen Insassen den Trapper aus den Augen brachte. Zuletzt sahen sie ihn, wie er regungslos auf seine lange Büchse gelehnt stand; Hektor lag zu seinen Füßen, und der jüngere Hund sprang lustig auf dem Sande umher. [Illustration] * * * * * Ein Jahr war vergangen, und der Herbstwind strich über die Prärie. Die Sonne neigte sich bereits zum Untergang, als eine kleine Schar von Reitern von der Hochebene, die sie bisher, vom Missouriflusse kommend, durchkreuzt hatten, in den noch immer mit üppigem Grase bestandenen weiten Grund hinunterritt, in dem das Dorf der Pawnee-Loups sich ausbreitete. Der Führer der Schar war Middleton; unter den Begleitern desselben machte Paul Hover sich durch sein munteres Wesen am meisten bemerkbar. Der letztere hatte die Bienenjägerei aufgegeben und betrieb daheim die Landwirtschaft; sein Weib Ellen hatte dies verlangt und auch durchgesetzt. Middleton hatte zum Zweck der Landesaufnahme gewisse Gebietsteile zu bereisen und die Gelegenheit benutzt, den alten Freunden einen Besuch abzustatten. Auf dem Grunde zerstreut grasten, von indianischen Knaben gehütet, die Rosse der Pawnees; unter ihnen befand sich auch der Asinus des Doktor Battius, den der letztere damals seinen Gastfreunden als Geschenk belassen hatte. Der ehrliche Graue war dick und fett geworden und wurde von Paul mit fröhlichem Lachen begrüßt. Middleton hatte, ehe er das Dorfgebiet betrat, einen Boten vorausgesandt, der sein Kommen den Häuptlingen melden sollte. Vergeblich aber wartete er auf eine Antwort, auf ein Zeichen des Willkommens, wie es dem indianischen Brauche entsprochen hätte. Er vermochte sich diese Unterlassung nicht zu erklären. Unweit des Dorfes kam man an einer der ausgestellten Schildwachen vorbei; der junge Krieger schaute sich nach ihnen um, wendete dann aber, ohne sich zu rühren, sogleich seinen Blick wieder dem Dorfe zu. „Da muß etwas Außergewöhnliches vorgehen,“ sagte Middleton kopfschüttelnd. „Seht nach den Waffen, Leute, damit wir auf alle Fälle bereit sind.“ „Sachte, Hauptmann,“ entgegnete Paul. „Wenn's auf der Prärie noch einen ehrlichen Kerl gibt, so ist das unser Freund Hartherz, darauf will ich leben und sterben! Seht, da kommen auch schon die Abgesandten -- allerdings sehen sie eher kopfhängerisch und mattherzig, als ‚hartherzig‛ aus.“ Paul hatte recht. An der Spitze eines Trupps von etwa zwölf Reitern kam Hartherz selber ihnen entgegen. Aber des Hauptmanns Erstaunen wuchs noch mehr. Keiner der Indianer trug Waffen, keiner wies auch nur den geringsten Schmuck an seinem Körper auf. Langsam und feierlich zogen sie heran, und die gegenseitige Begrüßung war ernst und gleichsam bedrückt. Da Hartherz nur die allernötigsten Worte geredet hatte, so verhielt sich auch Middleton zurückhaltend und schweigsam, und so rückte man lautlos und in gepreßter Stimmung in das Dorf ein. Hier sah des Hauptmanns unruhig umherschweifendes Auge auf dem freien Platze inmitten der Wigwams die ganze Bewohnerschaft versammelt. Dieselbe bildete, nach Rang, Alter und Geschlecht geordnet, einen weiten Kreis. Auf einen Wink des Häuptlings öffnete sich derselbe; die Gäste ritten hinein und stiegen von den Pferden, die sogleich fortgeführt wurden. Jetzt nahm Hartherz den Hauptmann und Paul bei den Händen und geleitete sie noch feierlicher als zuvor zu einer kleinen Gruppe, die des Kreises Mittelpunkt bildete. Hier zeigte sich des Rätsels Lösung. Auf einem rohgezimmerten, aber augenscheinlich mit liebevollster Sorgfalt hergestellten, bequemen Sessel saß der Trapper, der greise Nathaniel Bumppo. Die Herzutretenden erkannten auf den ersten Blick, daß er im Begriff war, die letzte lange Reise anzutreten. Sein Blick war gläsern, seine Züge ein wenig hagerer als sonst, weiter aber zeigte sein Äußeres keine Veränderung. Man hatte ihn so gesetzt, daß der Schein der sinkenden Sonne voll auf ihn fiel. Er war barhäuptig; die dünnen, weißen Locken wehten leise im sanften Abendwinde. Auf seinen Knien lag die lange Büchse, die übrigen Jagdgeräte befanden sich im Bereich seiner Hand. Zu seinen Füßen sah man die Gestalt eines ruhenden Hundes, Middleton aber erkannte bald, daß dies nur noch das von liebenden Händen ausgestopfte Fell des treuen Hektors war. Sein eigener Hund spielte in der Nähe mit dem Kinde des gefallenen Mahtoree, denn Tachechana hatte unter den Weibern der Pawnees eine Zuflucht gefunden. In des Sterbenden Nähe standen einige greise Indianer, um Zeugen zu sein, wie ein gerechter und furchtloser Krieger den Weg nach den glücklichen Gefilden des Jenseits antrat. Hartherz neigte sich zu dem Sterbenden. „Hört mein Vater die Worte seines Sohnes?“ „Rede,“ antwortete der Trapper leise und hohl, aber deutlich, während atemloses Schweigen in der Runde herrschte. „Ich verlasse das Dorf der Loups und werde bald aus dem Bereich deiner Stimme sein.“ „Möge der weise Häuptling sich wegen seiner Reise keine Sorge machen,“ fuhr der Pawnee fort. „Hundert Loups sollen ihm den Pfad von Dornen säubern. Mein Vater wird jetzt meinen jungen Männern erzählen, wieviel Mingos er tötete, und welche kühnen und gerechten Taten er getan, damit sie ihm nachahmen können.“ „Eine prahlende Zunge findet im Himmel der weißen Männer kein Gehör,“ antwortete der alte Mann. „Was ich tat, hat Gott gesehen; Seine Augen sind immer offen. Nein, mein Sohn, ein Bleichgesicht kann sein eigenes Lob nicht singen.“ Bescheiden, wenn auch ein wenig enttäuscht, trat der junge Häuptling zurück, um dem Hauptmann Raum zu geben. Dieser nahm eine Hand des Sterbenden in seine beiden und gab sich mit mühsam beherrschter Stimme zu erkennen. Ein Schimmer der Freude flog über des Greises Züge. „Ich habe nichts vergessen,“ sagte er leise. „Ich erinnere mich Eurer und Eurer ganzen Gesellschaft, ja, und auch Eures Großvaters erinnere ich mich. Ich freue mich, daß Ihr wiedergekommen seid, weil ich englisch mit Euch reden kann; denn auf die Händler ist kein Verlaß. Wollt Ihr einem sterbenden Manne einen Gefallen erweisen?“ „Von Herzen gern, mein lieber, guter Freund!“ „Es ist weit, sehr weit,“ fuhr der Greis fort, sich oft unterbrechend und nach Atem ringend, „aber wenn einem Liebe und Freundschaft erwiesen wurde, soll man das nimmer vergessen. Da ist eine Niederlassung in den Otsegobergen --“ „Ich kenne den Ort,“ sagte der Hauptmann. Dem Sterbenden wurde das Sprechen immer schwerer. „Nehmt diese Büchse, auch diese Tasche und das Pulverhorn, und sendet alles dem, dessen Namen auf dem Kolben zu lesen steht. Ein Händler schnitt denselben mit seinem Messer ein.“ „Es soll geschehen, wie Ihr wünscht. Kann ich noch mehr für Euch tun?“ „Viel mehr habe ich nicht zu hinterlassen. Meine Fallen bleiben meinem indianischen Sohne; er hat mir ehrlich und liebevoll die Treue gehalten. Wo ist er?“ Middleton winkte, und der Häuptling trat ehrfurchtsvoll vor seinen Vater. „Pawnee,“ redete der Greis in der Sprache der Loups weiter, „unter meinem Volke ist es Sitte, daß der Vater, ehe er aus dieser Welt scheidet, dem Sohne seinen Segen erteilt. Ich will auch dich segnen: Möge der Gott der Weißen mit gütigem Auge deine Taten schauen, mögest du nie etwas begehen, darob er sein Antlitz verdüsterte. Ich meine und hoffe, daß wir uns dereinst wiedersehen werden; wir werden miteinander vor dem Angesicht deines Wakonda stehen, der dann kein anderer sein wird als mein Gott ...“ Dann wanderten seine Gedanken zu seinem Hunde. Er beugte sich nach vorn und fühlte nach den Ohren des Tieres. „Ja, Hundchen,“ sagte er, „wir müssen uns trennen. Du bist redlich, kühn und treu gewesen ... Sei gut zu ihm, Pawnee, um der Liebe willen, die du mir erwiesen.“ „Die Worte meines Vaters sind in meinen Ohren,“ antwortete Hartherz ernst. „Hörst du, Hundchen, was der Häuptling versprochen hat?“ fuhr der Greis fort, bemüht, die Aufmerksamkeit der ausgestopften Nachbildung zu erregen. Er berührte die Lippen derselben mit den Fingern -- da erkannte er die Wahrheit, wenngleich die Täuschung in ihrer ganzen Ausdehnung ihm verborgen blieb. Er lehnte sich zurück und senkte das Haupt auf die Brust. „Der Hund ist tot!“ murmelte er nach einer langen Pause. „Hauptmann, wollt Ihr das Tier, das mir so lange und so treu gedient hat, mir zu Füßen in mein Grab betten?“ „Es soll geschehen,“ antwortete Middleton. Wieder versank der Sterbende gleichsam in sich selber. Während alles regungslos umherstand, beseitigten zwei junge Krieger vorsichtig den ausgestopften Hund. Middleton und Hartherz setzten sich zur Rechten und zur Linken des Greises und beobachteten aufmerksam und traurig die Todesanzeichen auf dessen Antlitz. So saßen sie zwei lange Stunden. Ab und zu redete er noch einige Worte, als wolle er denen, die er liebte, noch Rat erteilen, sie wissen lassen, daß er ihrer gedachte. Dann lauschte der ganze Stamm mit gespanntester Aufmerksamkeit, um von den letzten Gedanken dieses Weisen noch zu lernen. Dann kam das Ende. Middleton fühlte seine Hand von der des Sterbenden plötzlich mit unglaublicher Kraft erfaßt; der Greis erhob sich und stand, von Hartherz und dem Hauptmann unterstützt, aufrecht auf seinen Füßen. Hoch erhob er das Haupt, hellauf funkelte sein Auge im Abendsonnenstrahl, und wie er einst in seinen jungen Jahren auf den Ruf der militärischen Führer geantwortet hatte, so entrang sich auch jetzt laut und weit vernehmbar seiner Brust ein letztes, bereitwilliges „Hier!“ Seine Seele war entflohen. Sanft ließen sie den Leib wieder in den Sitz zurücksinken. Der älteste der anwesenden Häuptlinge -- der greise Le Balafré war's, der Sioux, den der großmütige Hartherz nach jenem Gemetzel am Flusse bei sich aufgenommen hatte -- er nahm jetzt das Wort. „Ein tapferer, ein gerechter und ein weiser Krieger ist nach den glücklichen Jagdgründen seines Volkes gegangen!“ so verkündete er der lauschenden Menge. „Als die Stimme Wakondas ihn rief, da war er bereit mit der Antwort. Geht, meine Kinder, gedenket des gerechten Häuptlings der Bleichgesichter und räumt die Dornen von euren Pfaden!“ Im Schatten einiger mächtigen Eichen gruben sie sein Grab. Bis auf den heutigen Tag wird dasselbe von den Pawnee-Loups sorgsam gehütet, und oft zeigen sie den Reisenden die Stätte, wo ein guter weißer Mann seinen letzten Schlaf schläft. Der Hauptmann Middleton hatte einen Stein zu Häupten des Grabes aufrichten lassen. Darauf las man Nathaniel Bumppos Namen, sein Alter, einen Spruch aus der Bibel und die Mahnung: „Möge nie eine frevelnde Hand seine Gebeine stören!“ +--------------------------------------------------------------------+ | Berichtigungen | | | | Auf Seite steht im Original jetzt geändert in | | | | 32 5. Absatz "Doktor Battium" "Doktor Battius" | | 32 5. Absatz "... wäre. " "... wäre.“" | | 85 2. Absatz "diese barbarische" "dieser barbarischen" | | 86 6. Absatz "tragen sich mich" "tragen sie mich" | +--------------------------------------------------------------------+ End of Project Gutenberg's Der alte Trapper, by James Fenimore Cooper *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER ALTE TRAPPER *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. 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