The Project Gutenberg EBook of Soll und Haben, Bd. 1 (2), by Gustav Freytag

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Title: Soll und Haben, Bd. 1 (2)
       Roman in sechs Büchern

Author: Gustav Freytag

Release Date: June 14, 2016 [EBook #52330]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SOLL UND HABEN, BD. 1 (2) ***




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[S. i]

Soll und Haben.


Roman in sechs Büchern

von

Gustav Freytag.

Der Roman soll das deutsche Volk da suchen, wo
es in seiner Tüchtigkeit zu finden ist, nämlich bei
seiner Arbeit.

Julian Schmidt.

Zwölfte Auflage.

(Sechster Abdruck der Stereotyp-Ausgabe.)

Erster Band.


Leipzig

Verlag von S. Hirzel.

1866.


[S. ii]

Der Verfasser hat sich das Recht der Uebersetzung vorbehalten.


Inhalt

Seite
Widmung

iii

Erstes Buch 3
I. Kapitel 3
II. Kapitel 10
III. Kapitel 21
IV. Kapitel 36
V. Kapitel 54
VI. Kapitel 67
VII. Kapitel 80
VIII. Kapitel 111
IX. Kapitel 131
X.

Kapitel

148

Zweites Buch 157
I. Kapitel 159
II. Kapitel 188
III. Kapitel 211
IV. Kapitel 228
V. Kapitel 253
VI. Kapitel 263
VII. Kapitel 290
VIII. Kapitel 309
IX. Kapitel 332
X.

Kapitel

346

Drittes Buch 363
I. Kapitel 365
II. Kapitel 389
III. Kapitel 418
IV. Kapitel 453
V. Kapitel 477
VI. Kapitel 499
VII. Kapitel 517
VIII. Kapitel 537


[S. iii]

Seiner Hoheit

Ernst II.

Herzoge zu Sachsen-Coburg-Gotha.

Es war ein lachender Maiabend auf dem Kallenberg. Oben um das Schloß blühte und duftete der Frühling und die Blätter der rothen Akazie warfen gezackte Schatten auf den thauigen Rasen. Unten im Dunkel des Thals sprangen die zahmen Rehe aus dem Gehölz und schauten begehrlich nach der hellen Gestalt der Herrin, welche den holden Segen des Gastrechts Jedem ertheilt, der in den Bannkreis des Schlosses tritt, dem Menschen, wie dem Vogel und dem Wild. Die Ruhe des Abends lag auf dem Hügel und Thal, nur aus weiter Entfernung klang zuweilen das Rollen des Donners in die lichtreiche, glückliche Landschaft. An diesem Abend sah Eure Hoheit, an die Steine der alten Schloßmauer gelehnt, sorgenvoll über die fruchtbaren Felder hinein in die dämmrige Ferne. Was mein edler Fürst damals sprach: über die Verwirrung der letzten Jahre, über die Muthlosigkeit und müde Abspannung der Nation, und über den Beruf der Dichter, die grade in solcher Zeit dem Volke einen Spiegel seiner Tüchtigkeit vorhalten sollen zur Freude und Erhebung, — das waren goldene Worte, in denen sich ein großer Sinn und ein warmes Herz offenbarten, und sie werden lange nachklingen in dem Herzen des Hörers. Seit diesem Abend habe ich den Wunsch, mit Eurer Hoheit Namen das Buch zu schmücken, dessen Plan ich damals mit mir herumtrug.

Fast zwei Jahre sind seitdem vergangen, ein furchtbarer Krieg ist entbrannt, und mit finsterer Sorge sieht der Deutsche in die Zukunft seines Vaterlandes.

In solcher Zeit, wo die stärksten politischen Leidenschaften in das Leben jedes Einzelnen dringen, weicht die heitere Ruhe, welche der [S. iv] Schaffende zur künstlerischen Gestaltung braucht, leicht von seinem Arbeitstisch. Ach! sie hat dem deutschen Dichter seit lange gefehlt. Nur zu sehr fehlt das Behagen am fremden und eigenen Leben, die Sicherheit fehlt und der frohe Stolz, mit welchem die Schriftsteller anderer Sprachen auf die Vergangenheit und Gegenwart ihres Volkes blicken; im Ueberfluß aber hat der Deutsche Demüthigungen, unerfüllte Wünsche und eifrigen Zorn. Wer in solcher Zeit Poetisches gestaltet, dem fließt nicht die freie Liebe allein, auch der Haß fließt leicht aus dem schreibenden Rohr, leicht tritt an die Stelle einer dichterischen Idee die praktische Tendenz und statt freier Laune findet der Leser vielleicht eine unschöne Mischung von plumper Wirklichkeit und gekünstelter Empfindung.

Bei solchen Gefahren hat der Dichter doppelt die Pflicht, die Umrisse seiner Bilder rein zu halten von Verzerrung, und seine eigene Seele frei von Ungerechtigkeit. Dem Schönen in edelster Form den höchsten Ausdruck zu geben, ist nicht jeder Zeit vergönnt, aber in jeder soll der erfindende Schriftsteller wahr sein gegen seine Kunst und gegen sein Volk.

Diese Wahrheit zu suchen, und wo ich sie fand, zu vertreten, halte ich für die Aufgabe auch meines Lebens.

Und so sei meinem ritterlichen Herrn ehrfurchtsvoll das leichte Werk gewidmet. Glücklich werde ich sein, wenn Eurer Hoheit dieser Roman den Eindruck macht, daß er wahr nach den Gesetzen des Lebens und der Dichtkunst erfunden und doch niemals zufälligen Ereignissen der Wirklichkeit nachgeschrieben ist.

Leipzig, im April 1855.

Gustav Freytag.


[S. 2]

Erstes Buch.


[S. 3]

I.

Ostrau ist eine kleine Kreisstadt unweit der Oder, bis nach Polen hinein berühmt durch ihr Gymnasium und süße Pfefferkuchen, welche dort noch mit einer Fülle von unverfälschtem Honig gebacken werden. In diesem altväterischen Orte lebte vor einer Reihe von Jahren der königliche Calculator Wohlfart, der für seinen König schwärmte, seine Mitmenschen — mit Ausnahme von zwei Ostrauer Spitzbuben und einem groben Strumpfwirker — herzlich liebte und in seiner sauren Amtsthätigkeit viele Veranlassung zu heimlicher Freude und zu demüthigem Stolze fand. Er hatte spät geheirathet, bewohnte mit seiner Frau ein kleines Haus und hielt den kleinen Garten eigenhändig in Ordnung. Leider blieb diese glückliche Ehe durch mehrere Jahre kinderlos. Endlich begab es sich, daß die Frau Calculatorin ihre weißbaumwollene Bettgardine mit einer breiten Krause und zwei großen Quasten verzierte und unter der höchsten Billigung aller Freundinnen auf einige Wochen dahinter verschwand, grade nachdem sie die letzte Falte zurechtgestrichen und sich überzeugt hatte, daß die Gardine von untadelhafter Wäsche war. Hinter der weißen Gardine wurde der Held dieser Erzählung geboren.

Anton war ein gutes Kind, das nach der Ansicht seiner Mutter vom ersten Tage seines Lebens die staunenswerthesten Eigenheiten zeigte. Abgesehen davon, daß er sich lange Zeit nicht entschließen konnte, die Speisen mit der Höhlung des Löffels zu fassen, sondern hartnäckig die Ansicht festhielt, daß der Griff dazu geeigneter sei, und abgesehen davon, daß er eine unerklärliche Vorliebe [S. 4] für die Troddel auf dem schwarzen Käppchen seines Vaters zeigte und das Käppchen mit Hülfe des Kindermädchens alle Tage heimlich vom Kopf des Vaters abhob und ihm lachend wieder aufsetzte, erwies er sich auch bei wichtigerer Gelegenheit als ein einziges Kind, das noch nie dagewesen. Er war am Abend sehr schwer in's Bett zu bringen und bat, wenn die Abendglocke läutete, manchmal mit gefalteten Händen, ihn noch herumlaufen zu lassen; er konnte stundenlang vor seinem Bilderbuch kauern und mit dem rothen Göckelhahn aus der letzten Seite eine Unterhaltung führen, worin er diesen wiederholt seiner Liebe versicherte und dringend aufforderte, sich nicht dadurch seiner kleinen Familie zu entziehn, daß er sich vom Dienstmädchen braten ließe. Er lief zuweilen mitten im Kinderspiel aus dem Kreise und setzte sich ernsthaft in eine Stubenecke, um nachzudenken. In der Regel war das Resultat seines Denkens, daß er für Eltern oder Gespielen etwas hervorsuchte, wovon er annahm, daß es ihnen lieb sein würde. Seine größte Freude aber war, dem Vater gegenüber zu sitzen, die Beinchen über einander zu legen, wie der Vater that, und aus einem Hollunderrohr zu rauchen, wie sein Herr Vater aus einer wirklichen Pfeife zu thun pflegte. Dann ließ er sich allerlei vom Vater erzählen, oder er selbst erzählte seine Geschichten. Und das that er, wie die Frauenwelt von Ostrau einstimmig versicherte, mit so viel Gravität und Anstand, daß er bis auf die blauen Augen und sein blühendes Kindergesicht vollkommen aussah, wie ein kleiner Herr im Staatsdienst. Unartig war er so selten, daß der Theil des weiblichen Ostrau's welcher einer düstern Auffassung des Erdenlebens geneigt war, lange zweifelte, ob ein solches Kind heranwachsen könne; bis Anton endlich einmal den Sohn des Landraths auf offener Straße durchprügelte und durch diese Unthat seine Aussichten auf das Himmelreich in eine behagliche Ferne zurückhämmerte. Kurz er war ein so ungewöhnlicher Knabe, wie nur je das einzige Kind warmherziger Eltern gewesen ist. Auch in der Bürgerschule und später im Gymnasium wurde er ein Muster für Andere und ein Stolz seiner Familie. Und da der [S. 5] Zeichnenlehrer behauptete, Anton müsse Maler werden, und der Ordinarius von Tertia dem Vater rieth, ihn Philologie studiren zu lassen, so wäre der Knabe seiner zahlreichen Anlagen wegen wahrscheinlich in die gewöhnliche Gefahr ausgezeichneter Kinder gekommen, für keine einzige Thätigkeit den rechten Ernst zu finden, wenn nicht ein Zufall seinen Beruf bestimmt hätte.

An jedem Weihnachtsfest wurde durch die Post eine Kiste in das Haus des Calculators befördert, worin ein Hut des feinsten Zuckers und ein großes Packet Kaffe standen. Gewöhnlichen Zucker ließ der Hausherr durch seine Frau klein schlagen, diesen Zuckerhut zerbrach er selbst mit vielem Kraftaufwand in einer feierlichen Handlung und freute sich über die viereckigen Würfel, welche seine Kunst hervorzubringen vermochte. Der Kaffe dagegen wurde von der Frau Calculatorin eigenhändig gebrannt, und sehr angenehm war das Selbstgefühl, mit welchem der würdige Hausherr die erste Tasse dieses Kaffe's trank. Das waren Stunden, wo ein poetischer Duft, der so oft durch die Seelen der Kinder zieht, das ganze Haus erfüllte. Der Vater erzählte dann gern seinem Sohne die Geschichte dieser Sendungen. Vor vielen Jahren hatte der Calculator in einem bestäubten Actenbündel, das von den Gerichten und der Menschheit bereits aufgegeben war, ein Document gefunden, worin ein großer Gutsbesitzer aus Posen erklärte, einem bekannten Handelshause der Hauptstadt mehrere Tausend Thaler zu schulden. Offenbar war der Schuldschein in kriegerischer und ungesetzmäßiger Zeit in ein falsches Actenheft verlegt worden. Er hatte den Fund am gehörigen Orte angezeigt, und das Handelshaus war dadurch in Stand gesetzt worden, einen verzweifelten Rechtsstreit gegen die Erben des Schuldners zu gewinnen. Darauf hatte der junge Chef der Handlung sich angelegentlich nach dem Finder des Documents erkundigt und demselben einen artigen Brief geschrieben, der Calculator hatte, wie seine Art war, sehr bestimmt allen Dank abgelehnt, weil er nur seine Amtspflicht erfüllt habe. [S. 6] Von da ab erschien an jeder Weihnacht die erwähnte Sendung mit einem kurzen herzlichen Begleitschreiben und wurde jedesmal umgehend durch ein kalligraphisches Kunstwerk des Calculators erwiedert, worin dieser unermüdlich seine Ueberraschung über die unerwartete Sendung ausdrückte und der Firma zum neuen Jahr aus voller Seele Gutes wünschte. Selbst seiner Frau gegenüber behandelte der Herr die Weihnachtsendung als einen Zufall, eine Kleinigkeit, ein Nichts, welches von der Laune eines Commis der Firma T. O. Schröter abhänge, und jedes Jahr protestirte er eifrig, wenn die Frau Calculatorin die zu erwartende Kiste bei ihren Wirthschaftsplänen in Rechnung brachte. Aber im Stillen hing seine Seele an diesen Sendungen. Es waren nicht die Pfunde Raffinade und Cuba, es war die Poesie dieser gemüthlichen Beziehung zu einem ganz fremden Menschenleben, was ihn so glücklich machte. Er hob alle Briefe der Firma sorgfältig auf, wie die drei Liebesbriefe seiner Frau, ja er heftete sie mit dem Ehrwürdigsten, was er kannte, mit schwarz und weißem Seidenfaden in ein kleines Actenbündel; er wurde ein Kenner von Colonialwaaren, ein Kritiker, dessen Geschmack von den Kaufleuten in Ostrau höchlich respectirt wurde; er konnte sich nicht enthalten, den billigen Melis-Zucker und den Brasil-Kaffe als untergeordnete Erzeugnisse der Schöpfung mit einer entschiedenen Verachtung zu behandeln; er fing an, sich für die Geschäfte der großen Handlung zu interessiren, und studirte in den Zeitungen regelmäßig die Marktpreise von Zucker und Kaffe, welche mit merkwürdigen und für Nicht-Eingeweihte ganz unverständlichen Bemerkungen hinter den politischen Nachrichten standen; ja er speculirte in seiner Seele mit als Associé seines Freundes, des großen Kaufmanns, er ärgerte sich, wenn der Kaffe in den Zeitungen flaute, und war vergnügt, wenn der Zucker als angenehm notirt war.

Das war ein unscheinbares, leichtes Band, welches den Haushalt des Calculators mit dem geschäftlichen Treiben der großen Welt verknüpfte; und doch wurde es für Anton ein [S. 7] Leitseil, wodurch sein ganzes Leben Richtung erhielt. Denn wenn der alte Herr am Abend in seinem Garten saß, das Sammtkäppchen in dem grauen Haar und seine Pfeife im Munde, dann verbreitete er sich gern mit leiser Sehnsucht über die Vorzüge eines Geschäftes, welches die Fülle der herrlichsten Sachen gewähre, und frug dann scherzend seinen Sohn, ob er auch Kaufmann werden wolle. Und in der Seele des Kleinen schoß augenblicklich ein hübsches Bild zusammen, wie die Strahlen bunter Glasperlen im Kaleidoskop, zusammengesetzt aus großen Zuckerhüten, Rosinen und Mandeln und goldenen Apfelsinen, aus dem freundlichen Lächeln seiner Eltern und all dem geheimnißvollen Entzücken, welches ihm selbst die ankommende Kiste je bereitet; bis er begeistert ausrief: »ja, Vater, ich will.« — Man sage nicht, daß unser Leben arm sei an poetischen Stimmungen, noch beherrscht die Zauberin Poesie überall das Treiben der Erdgebornen. Aber ein Jeder achte wohl darauf, welche Träume er im heimlichsten Winkel seiner Seele hegt, denn wenn sie erst groß gewachsen sind, werden sie leicht seine Herren, strenge Herren!

So lebte die Familie still fort durch manches Jahr. Anton wuchs heran und lief mit seiner Büchermappe durch alle Klassen des Gymnasiums bis in die stolze Prima. Wenn die Frau Calculatorin ihren Mann bat, über Antons Zukunft einen festen Entschluß zu fassen, erwiederte der Hausherr mit einem siegesfrohen Lächeln: »der Entschluß ist gefaßt, er will ja Kaufmann werden. Erst muß er mit dem Gymnasium fertig sein, dann steht ihm die ganze Welt offen.« Und dann that der Calculator, als ob das Abiturientenzeugniß ein Schlüssel zu allen Ehren der Welt sei. Im Geheimen aber bangte ihm ein wenig davor, den Familientraum der Aufführung näher zu bringen.

Unterdeß kam ein schwarzer Tag, wo die Fensterladen des Hauses lange geschlossen blieben, das Dienstmädchen mit rothen Augen die Treppe auf und ab lief, der Arzt kam und den Kopf schüttelte, und der alte Herr am Lager seiner Frau das [S. 8] Sammtkäppchen in den gefalteten Händen hielt, während der Sohn schluchzend vor dem Bette kniete und seinen Lockenkopf darauf legte, welchen die Hand der sterbenden Mutter noch zu streicheln versuchte. Drei Tage nach diesem Morgen wurde die Frau Calculatorin begraben, und der alte Herr und Anton saßen am Abend nach dem Begräbniß bleich und einsam einander gegenüber. Anton schlich von Zeit zu Zeit hinter die Stachelbeeren, sich dort in der Stille auszuweinen, und der alte Herr stand häufig von seinem Stuhle auf und ging in die Schlafstube, wo die weiße Gardine mit den beiden Quasten hing, und weinte ebenfalls. Der Jüngling erhielt nach langem Weinen die rothen Backen wieder, der alte Herr kam nicht wieder zu Kräften. Er klagte über nichts, er rauchte seine Pfeife wie immer, er ärgerte sich noch immer, wenn der Kaffe flaute, aber es war kein rechtes Rauchen und auch kein rechter Aerger mehr. Oft sah er seinen Sohn nachdenklich und traurig an, und der junge Gesell konnte nicht errathen, was den Vater so besorgt mache. Als der Vater aber an einem Sonnabend den Sohn wieder gefragt hatte, ob er noch Kaufmann werden wollte, und Anton zum hundertsten Male versichert hatte, daß er gerade dies gern wolle, und nichts Anderes, da stand der alte Herr entschlossen auf, rief das Dienstmädchen und bestellte zum nächsten Morgen eine Fuhre nach der Hauptstadt. Er gestand dem fragenden Sohne nicht, weshalb er die unerhörte Expedition vornahm. Und er hatte wohl Grund zum Schweigen, der arme alte Herr! Denn wenn er auch seit zwanzig Jahren stolz gewesen war auf seinen großen Handelsfreund, so hatte ihm doch immer der Muth gefehlt, selbst vor den Kaufmann zu treten und für seinen Sohn einen Platz im Comtoir zu erbitten. Sein Wunsch kam ihm sehr verwegen vor, und seine Ansprüche unermeßlich gering. Oft hatte er sich's vorgenommen und stets hatte er's wieder aufgeschoben, bis die Sorge um seinen Sohn größer wurde, als seine Scheu.

Als er den Tag darauf sehr spät aus der Hauptstadt [S. 9] zurückkehrte, war er in ganz anderer Stimmung, glücklicher als je nach dem Tode der Frau Calculatorin. Er begeisterte seinen Sohn, der ihn in ahnungsvoller Spannung erwartete, durch seinen Bericht von der unglaublichen Annehmlichkeit des großen Geschäftes und der Freundlichkeit des großen Kaufmanns gegen ihn. Er war zu Mittag geladen worden, er hatte Kibitzeier gegessen, er hatte griechischen Wein aus den Kellern seines Freundes getrunken, einen Wein, gegen welchen der beste Wein im Gasthofe zu Ostrau nichtswürdiger Essig war; er hatte das Versprechen erhalten, daß sein Sohn nach Jahresfrist in das Comtoir eintreten könne, und einige Wünsche über die Vorbildung, die dafür wünschenswerth sei. Schon am nächsten Tage saß Anton vor einem großen Rechenbuch und disponirte mit unbeschränkter Vollmacht über Hunderttausende von Pfunden Sterling, welche er bald in rheinische Gulden verwandelte, bald in Hamburger Mark Banko umsetzte, als brasilianische Milreis in die Welt flattern ließ, und zuletzt ruhig in mexikanischen Staatspapieren anlegte, an denen er mit größter Sicherheit alle möglichen Interessen bis zu zehn vom Hundert zog. Hatte er auf diese Weise ein colossales Vermögen zusammengescharrt, so ging er in den Garten, ein kleines dünnleibiges Buch in der Hand, welches auf dem Titel versprach, ihn in vier Wochen zu einem fertigen Engländer zu machen. Dort bemühte er sich zum Entsetzen der deutschen Sperlinge und Finken, das A und andere ehrliche Buchstaben auf jede Weise auszusprechen, welche dem Menschen möglich ist, wenn er einen Buchstaben anders ausspricht, als sich mit der Natur und dem Charakter desselben verträgt.

So ging wieder ein Jahr hin, Anton war gerade achtzehn Jahre alt und hatte seine Abiturientenprüfung bestanden; da wurden wieder einmal an einem Morgen die Fensterladen des Calculators nicht zu gehöriger Zeit geöffnet, wieder rannte das Dienstmädchen mit verweinten Augen durch das Haus, und wieder schüttelte die Nachtlampe unzufrieden und kummervoll ihre feurige Mütze. Diesmal lag der alte Herr selbst im [S. 10] Bett und Anton saß vor demselben, beide Hände des Vaters haltend. Der alte Herr aber ließ sich nicht festhalten, sondern starb so eilig als möglich, nachdem er seinen Sohn vielmal gesegnet hatte. Nach einigen Tagen lauten Schmerzes stand Anton allein in der stillen Wohnung, eine Waise, im Anfange eines neuen Lebens.

Der alte Herr war nicht umsonst Calculator gewesen; sein Haushalt war in musterhafter Ordnung, seine sehr geringe Hinterlassenschaft in der geheimen Schublade des Schreibtisches war auf dem gehörigen Blatt Papier zu Heller und Pfennig aufgezeichnet; Alles, was im letzten Jahre durch das Dienstmädchen zerschlagen oder verwüstet worden war, fand sich an der betreffenden Stelle bemerkt und abgerechnet, über Jedes war Disposition getroffen; auch ein Brief an den Kaufherrn fand sich vor, den der Verstorbene noch in den letzten Tagen mit zitternder Hand geschrieben hatte; ein treuer Hausfreund war zum Vormund Antons bestellt und mit dem Verkauf des Hauses und Gartens und seines ganzen Inhalts beauftragt; und Anton trat, vier Wochen nach dem Tode des Vaters, an einem frühen Sommermorgen über die Schwelle des väterlichen Hauses, legte den Schlüssel desselben in die Hand des Vormundes, übergab sein Gepäck einem Fuhrmann und fuhr durch das Thor des Städtchens auf die Hauptstadt zu, den Brief seines Vaters an den Kaufmann in der Tasche.


II.

Schon welkte das frisch gemähete Wiesengras in der Mittagssonne, als Anton dem Nachbar aus Ostrau, der ihn bis zur letzten Station vor der Hauptstadt mitgenommen hatte, die Hand schüttelte und dann rüstig auf der Landstraße vorwärts schritt. Es war ein lachender Sommertag, auf den Wiesen klirrte [S. 11] die Sense des Schnitters am Wetzstein und oben in der Luft sang die unermüdliche Lerche. Vor dem Wanderer strich die Landschaft in hügelloser Ebene fort, am Horizont hinter ihm erhob sich der blaue Zug des Gebirges. Kleine Bäche von Erlen und Weidengruppen eingefaßt durchrannen lustig die Landschaft, jeder Bach bildete ein Wiesenthal, das auf beiden Seiten von üppigen Getreidefeldern begrenzt wurde. Von allen Seiten stiegen die hellen Glockenthürme der Kirchen aus dem Boden auf, jeder als Mittelpunkt einer Gruppe von braunen und rothen Dächern, die mit einem Kranz von Gehölz umgeben waren. Bei vielen Dörfern konnte man an der stattlichen Baumallee und dem Dach eines großen Gebäudes den Rittersitz erkennen, welcher neben den Dorfhäusern lag, wie der Schäferhund neben der wolligen Heerde.

Anton eilte vorwärts, wie auf Sprungfedern fortgeschnellt. Vor ihm lag die Zukunft, sonnig gleich der Flur, ein Leben voll strahlender Träume und grüner Hoffnungen. Nach langer Trauer in der engen Stube pochte heut sein Herz zum ersten Mal wieder in kräftigen Schlägen; in der Fülle der Jugendkraft strahlte sein Auge und lachte sein Mund. Alles um ihn glänzte, duftete, wogte wie in elektrischem Feuer, in langen Zügen trank er den berauschenden Wohlgeruch, der aus der blühenden Erde aufstieg. Wo er einen Schnitter im Felde traf, rief er ihm zu, daß heut ein guter Tag sei, und einen guten Tag rief jeder Mund dem schmucken Jüngling zurück. Im Getreidefelde neigten sich die Aehren am schwanken Stiel auf ihn zu, sie nickten und grüßten, und in ihrem Schatten schwirrten unzählige Grillen ihren Gesang: Lustig, lustig im Sonnenschein! Auf der Weide saß ein Volk Sperlinge, die kleinen Barone des Feldes flüchteten nicht, als er vor dem Stamm stehen blieb, ja sie beugten die Hälse herunter und schrieen ihn an: »Guten Tag, Wandersmann, wohin, wohin?« Und Anton sagte leise: »Nach der großen Stadt, in das Leben.« »Gutes Glück,« schrieen die Sperlinge, »frisch vorwärts!«

Anton durchschritt auf dem Fußpfad einen Wiesengrund, [S. 12] ging über eine Brücke und sah sich in einem Wäldchen mit gut erhaltenen Kieswegen. Immer mehr nahm das Gebüsch den Charakter eines gepflegten Gartens an, der Wandrer bog um einige alte Bäume und stand vor einem großen Rasenplatz. Hinter diesem erhob sich ein Herrenhaus mit zwei Thürmchen in den Ecken und einem Balcon. Wer auf dem Balcon stand, konnte über den Grasplatz hinüber durch eine Oeffnung in den Baumgruppen die schönsten Umrisse des fernen Gebirges sehn. An den Thürmchen liefen Kletterrosen und wilder Wein in die Höhe, und unter dem Balcon öffnete sich gastlich eine Halle, welche mit blühenden Sträuchern ausgeschmückt war. Es war kein prunkender Landsitz, und es gab viele größere und schönere in der Umgegend, aber es war doch ein stattlicher Anblick, sehr imponirend für Anton, der, in einer kleinen Stadt aufgewachsen, nur selten den behaglichen Wohlstand eines Gutsbesitzers in der Nähe gesehen hatte. Alles erschien ihm sehr prächtig und großartig! Die zierlich geformten Blumenbeete in dem geschorenen Sammt des Rasens, die bunten Gruppen der Glashauspflanzen, der fröhliche Schmuck, den die Hand des Gärtners um das Herrenhaus herum angebracht hatte, das alles sah ihm in dem reinen Lichte und der Ruhe des Sonnentages aus, wie ein Bild aus fernem Lande. Der glückliche Jüngling gerieth in ein so träumerisches Entzücken, daß er sich in den Schatten eines großen Fliederstrauches am Wege setzte und hinter dem Busch verborgen lange Zeit auf das anmuthige Bild hinstarrte. Wie glücklich mußten die Menschen sein, welche hier wohnten, wie vornehm und wie edel! Auf dieser Seite schöne Blüthen und große Bäume, auf der andern Seite wahrscheinlich ein weiter Hofraum mit Scheuern und Ställen, viele Pferde darin, große Rinder und unzählige feinwollige Schafe. Denn schon vor dem Eintritt in den Park hatte Anton auf eingehegtem Wiesenraum eine Anzahl Füllen gesehn und ihre lustigen Sprünge beobachtet. Der Respect vor Allem, was stattlich, sicher und mit Selbstgefühl in der Welt auftritt, war ihm, dem armen Sohn des Calculators, angeboren, und wenn [S. 13] er jetzt in der reinen Freude über die Pracht, welche ihn umgab, an sich selbst dachte, erschien er sich als höchst unbedeutend, als gar nicht der Rede werth, als eine Art gesellschaftlicher Däumling, winzig, kaum sichtbar im Grase. Unwillkürlich fuhr er in die Rocktasche, seine Handschuhe herauszuholen. Sie waren von gelbem Zwirn, und noch seine gute Mutter hatte gesagt, sie sähen ganz aus wie seidene, und seidene Handschuhe galten in Ostrau für den höchsten Luxus. Der arme Junge zog mit ihnen die Ueberzeugung an, daß er durch sie seiner jetzigen Umgebung doch um einige Gran würdiger werde.

Lange saß er in tiefer Einsamkeit, endlich kam Bewegung in das stille Bild. Auf den Balcon des Hauses trat durch die geöffnete Thür eine zierliche Frauengestalt im hellen Sommerkleide mit weiten Spitzenärmeln und einer liebenswürdigen Frisur, wie sie Anton von alten Rococobildern her kannte; er konnte deutlich die feinen Züge ihres Gesichts erkennen und den klaren Blick des Auges, welcher auf dem Rasenplatz unter ihren Füßen ruhte. Die Dame stand auf das Geländer gestützt bewegungslos wie eine Statue und Anton sah ehrerbietig zu ihr hinauf. Endlich flog aus der offenen Thür hinter der Dame ein bunter Papagei, setzte sich auf ihre Hand und ließ sich von ihr liebkosen. Dies glänzende Thier steigerte Antons Bewunderung. Und als dem Papagei ein fast erwachsenes Mädchen folgte, welches schmeichelnd den Hals der schönen Frau umschlang, und als die Dame zärtlich die Wange des Mädchens an die ihre drückte, und als der Papagei auf die Köpfe der beiden Damen flog und laut schreiend von einer Schulter zur andern sprang, da wurde das Gefühl der Verehrung in Anton so lebhaft, daß er vor innerer Aufregung erröthete und sich tiefer in den Schatten des Gebüsches zurückzog.

Er dachte an die beiden schönen Frauengestalten auf dem Balcon und ging mit elastischem Schritt wie Einer, dem etwas Fröhliches begegnet ist, den breiten Weg zurück, um einen Ausgang aus dem Garten zu finden. Da hörte er hinter sich das Schnauben eines Pferdes. Auf einem schwarzen Pony kam [S. 14] die jüngere der beiden Damen in seinem Wege geritten, die schlanke Gestalt saß sicher auf dem Pferde und gebrauchte einen Sonnenschirm als Reitgerte. Die Damenwelt von Ostrau hatte nicht die Gewohnheit, auf kleinen Pferden umherzureiten. Nur einmal hatte Anton eine Kunstreiterin gesehen mit sehr rothen Wangen und einem langen rothen Kleide, welche, begleitet von einem großen schwarzbärtigen Herrn, hinter dem lustigen Bajazzo durch die Straßen ritt und an jeder Straßenecke anhielt, wo ihr Pferd einen Sprung machte, und Bajazzo unerhört lächerliche Worte zu der versammelten Jugend sprach. Schon damals hatte er mit unsäglicher Bewunderung die schöne Reiterin betrachtet, und jetzt war er ganz der Mann, dasselbe Gefühl wo möglich in stärkerem Grade zu empfinden. Er blieb stehen und machte der Reiterin eine ehrfurchtsvolle Verbeugung. Diese erwiederte die Huldigung mit graziösem Kopfnicken, worauf sie plötzlich ihr Pferd anhielt und freundlich frug: »Suchen Sie Jemand hier? Vielleicht wünschen Sie meinen Vater zu sprechen.«

»Ich bitte um Verzeihung,« sagte Anton mit tiefster Ehrerbietung. »Wahrscheinlich bin ich auf einem Wege, der Fremden nicht erlaubt ist. Ich kam den Fußsteig über die Wiesen und sah kein Thor und keinen Zaun.«

»Das Thor ist auf der Brücke, es steht am Tage offen,« belehrte das Fräulein gnädig auf Anton sehend; denn da Ehrfurcht nicht gerade das gewöhnliche Gefühl ist, welches vierzehnjährige Fräulein einflößen, so war ihr die massenhafte Anhäufung dieser Empfindung bei Anton außerordentlich wohlthuend.

»Da Sie im Garten sind, wollen Sie sich nicht darin umsehen? Es wird uns freuen, wenn er Ihnen gefällt,« fügte sie mit Würde hinzu.

»Ich habe mir die Freiheit genommen,« erwiederte Anton wieder mit einer Verbeugung, »ich war bis dort oben am Rasenplatz vor dem Schloß. Er ist prächtig!« rief der ehrliche Junge begeistert aus.

[S. 15]

»Ja,« sagte die Dame, immer noch den Pony anhaltend, »Mama hat selbst dem Gärtner Alles angegeben.«

»Also die gnädige Frau, welche vorhin auf dem Balcon stand, ist Ihre Frau Mutter?« frug Anton schüchtern.

»Ah! Sie haben uns belauscht,« rief die Kleine und sah ihn vornehm an. »Wissen Sie, daß das nicht hübsch war?«

»Seien Sie mir deßhalb nicht böse,« bat Anton demüthig, »ich trat sogleich zurück, aber es sah wunderschön aus. Die beiden Damen neben einander, die Büschel blühender Rosen und das zackige Weinlaub um Sie herum. Ich werde das nicht vergessen,« fügte er ernsthaft hinzu.

»Er ist allerliebst!« dachte das Fräulein. »Da Sie so viel von unserm Garten gesehen haben,« sagte sie herablassend, »so müssen Sie auch auf die Punkte gehen, wo Aussichten sind. Ich reite dahin — wenn Sie mir folgen wollen.«

Anton folgte in der glücklichsten Stimmung. Das Fräulein redete ihrem Pferde zu, im Schritt zu gehen, und machte den Erklärer. Sie zeigte ihm große Baumgruppen und freundliche Aussichten auf die Landschaft, legte dabei einen Theil ihrer Majestät ab und wurde gesprächig. Bald plauderten Beide so ungezwungen, wie alte Bekannte. Endlich stieg das Fräulein ab, als ihr einige Stufen eine schickliche Veranlassung gaben, und führte das Pferd am Zügel; darauf wagte Anton den Hals des Schwarzen zu streicheln, was der Pony wohlwollend aufnahm und seinerseits dem Fremdling die Rocktaschen beroch.

»Er hat Zutrauen zu Ihnen,« sagte das Fräulein, »er ist ein kluges Thier.« Sie warf ihm die Zügel über den Kopf und gab ihm einen Schlag, worauf der Pony in kurzen Sprüngen davonrannte. »Wir kommen in den Blumengarten, da darf er nicht hinein; er läuft zum Stall zurück, er ist's gewöhnt.«

»Dieser Pony ist ein Wunder von einem Pferde,« rief ihm Anton nach.

»Ich bin sein Liebling,« sagte das Fräulein beistimmend, [S. 16] »er folgt mir auf's Wort.« Anton fand die Anhänglichkeit des Pony natürlich, setzte dieselbe Empfindung beim Papagei voraus und war geneigt zu behaupten, daß alle übrige Creatur der Erde eine ähnliche Stimmung gegen seine Führerin haben müsse.

»Ich denke, Sie sind von Familie,« frug die junge Dame plötzlich, stemmte ihren Schirm gegen einen Baumast und sah Anton mit altklugem Blick an.

»Nein,« sagte der Sohn des Calculators traurig, »mein Vater starb vor vier Wochen, es ist ein Jahr, daß meine gute Mutter todt ist, ich bin allein, ich gehe nach der Hauptstadt.« Seine Lippen zuckten bei der Erinnerung an den jüngsten Verlust.

Erschrocken sah das Fräulein den Schmerz im Gesicht des Fremden. »Sie armer, armer Herr!« rief sie gerührt und verlegen. »Kommen Sie schnell, ich will Ihnen noch etwas zeigen. Hier sind die Frühbeete; hier ist das Beet mit Erdbeeren, es sind noch einige darin. — Franz, bringen Sie den Teller mit Beeren,« rief sie dem Gärtner zu. Franz eilte damit herbei. Eifrig ergriff das Fräulein den Teller, und bot die Beeren unserm Helden mit gütigem Lächeln: »Hier, mein Herr! Haben Sie die Güte, dies von mir anzunehmen. Vom Hause meines Vaters darf kein Gast scheiden, ohne von dem Besten zu kosten, das uns die Jahreszeit giebt. Bitte, nehmen Sie,« bat sie dringend.

Anton hielt den Teller in der Hand und sah aus feuchten Augen herzlich nach der jungen Dame.

»Ich esse mit Ihnen,« sagte das Fräulein und faßte zwei Beeren. Darauf leerte Anton gehorsam den Teller.

»Jetzt führe ich Sie noch aus dem Garten,« sprach die Dame. Der Gärtner öffnete respectvoll eine kleine Seitenthür, und das Fräulein geleitete den Reisenden bis an einen Teich, auf dem alte und junge Schwäne ruderten.

»Sie kommen heran,« rief Anton freudig.

»Sie wissen, daß ich etwas für sie in der Tasche habe,« [S. 17] sagte seine Begleiterin und löste die Kette eines Kahns. — »Steigen Sie ein, mein Herr, ich fahre Sie hinüber, dort drüben ist Ihr Weg.«

»Ich darf Sie nicht so bemühen,« sagte Anton und zauderte einzutreten.

»Ohne Widerspruch,« befahl das Fräulein, »es geschieht gern.« Sie setzte sich auf die Steuerbank und drückte das Wasser mit dem leichten Ruder geschickt hinter den Kahn. So fuhr sie langsam über den Teich, die Schwäne zogen ihr nach, sie hielt von Zeit zu Zeit an und warf ihnen einige Bissen zu.

Anton saß ihr selig gegenüber. Er war wie verzaubert. Im Hintergrund das dunkle Grün der Bäume, um ihn die klare Fluth, welche leise an dem Schnabel des Kahns rauschte, ihm gegenüber die schlanke Gestalt der Schifferin, die strahlenden blauen Augen, das edle Gesicht, geröthet durch ein liebliches Lächeln, und hinter ihnen her das Volk der Schwäne, das weiße Gefolge der Herrin dieser Fluth. Es war ein Traum, so lieblich, wie ihn nur die Jugend träumt.

Der Kahn stieß an das Ufer, Anton stieg heraus und rief: »Leben Sie wohl!« und unwillkürlich streckte er ihr die Hand entgegen. »Leben Sie wohl,« sagte die Kleine und berührte seine Hand mit den Fingerspitzen. Sie wandte den Kahn und fuhr langsam zurück. Anton sprang über den Rasen bis auf den erhöhten Weg und sah von dort auf das Wasser. Der Kahn landete an einer Baumgruppe, das Fräulein wandte sich noch einmal nach ihm um, dann verschwand sie hinter den Bäumen. Durch eine Oeffnung des Parkes sah Anton das Schloß vor sich liegen, hoch und vornehm ragte es über die Ebene. Lustig flatterte die Fahne auf dem Thürmchen, und kräftig glänzte im Sonnenschein das Grün der Schlingpflanzen welche den braunen Stein der Mauern überzogen.

»So fest, so edel!« sagte Anton vor sich hin.

»Wenn du diesem Baron aufzählst hunderttausend Thalerstücke, wird er dir doch nicht geben sein Gut, was er hat geerbt von seinem Vater,« sprach eine scharfe Stimme hinter [S. 18] Antons Rücken. Dieser wandte sich zornig um, das Zauberbild verschwand, er stand in dem Staube der großen Landstraße. Neben ihm lehnte an einem Weidenstamm ein junger Bursche in ärmlichem Aufzuge, welcher ein kleines Bündel unter dem Arme hielt und mit ruhiger Unverschämtheit unsern Helden anstarrte.

»Bist du's, Veitel Itzig!« rief Anton, ohne große Freude über die Zusammenkunft zu verrathen. Junker Itzig war keine auffallend schöne Erscheinung, hager, bleich, mit röthlichem krausem Haar, in einer alten Jacke und defecten Beinkleidern sah er so aus, daß er einem Gensdarmen ungleich interessanter sein mußte, als andern Reisenden. Er war aus Ostrau, ein Kamerad Antons von der Bürgerschule her. Anton hatte in früherer Zeit Gelegenheit gehabt, durch tapfern Gebrauch seiner Zunge und seiner kleinen Fäuste den Judenknaben vor Mißhandlungen muthwilliger Schüler zu bewahren und sich das Selbstgefühl eines Beschützers der unterdrückten Unschuld zu verschaffen. Namentlich einmal in einer düstern Schulscene, in welcher ein Knackwürstchen benutzt wurde, um verzweifelte Empfindungen in Itzig hervorzurufen, hatte Anton so wacker für Itzig plaidirt, daß er selbst ein Loch im Kopfe davontrug, während seine Gegner weinend und blutrünstig hinter die Kirche rannten und selbst die Knackwurst aufaßen. Seit diesem Tage hatte Itzig eine gewisse Anhänglichkeit an Anton gezeigt, welche er dadurch bewies, daß er sich bei schweren Aufgaben von seinem Beschützer helfen ließ und gelegentlich ein Stück von Antons Buttersemmel zu erobern wußte, Anton aber hatte den unliebenswürdigen Burschen gern geduldet, weil ihm wohlthat, einen Schützling zu haben, wenn dieser auch im Verdacht stand, Schreibfedern zu mausen und später an Begüterte wieder zu verkaufen. In den letzten Jahren hatten die jungen Leute einander wenig gesehen, gerade so oft, daß Itzig Gelegenheit erhielt, die vertraulichen Formen des Schulverkehrs durch gelegentliche Anreden und kleine Spöttereien aufzufrischen.

»Die Leute sagen, daß du gehst nach der großen Stadt, [S. 19] um zu lernen das Geschäft,« fuhr Veitel fort. »Du wirst lernen, wie man Düten dreht und Syrup verkauft an die alten Weiber; ich gehe auch nach der Stadt, ich will machen mein Glück.«

Anton antwortete unwillig über die freche Rede und über das vertrauliche Du, das der Kamerad aus der Elementarschule immer noch gegen ihn wagte: »So gehe deinem Glück nach und halte dich nicht bei mir auf.«

»Es hat keine Eil',« entgegnete Veitel nachlässig, »ich will warten, bis auch du gehst, wenn dir meine Kleider nicht sind zu schlecht.« Diese Berufung auf Antons Humanität hatte die Folge, daß Anton sich schweigend die Gegenwart des unwillkommenen Gefährten gefallen ließ. Er warf noch einen Blick nach dem Schlosse und schritt dann stumm auf der Landstraße fort, Itzig immer einen halben Schritt hinter ihm. Endlich wandte sich Anton um und frug nach dem Eigenthümer des Schlosses.

Wenn Veitel Itzig nicht ein Hausfreund des Gutsbesitzers war, so mußte er doch zum wenigsten ein vertrauter Freund seines Pferdejungen sein; denn er war bekannt mit vielen Verhältnissen des Freiherrn, der in dem Schlosse wohnte. Er berichtete, daß der Baron nur zwei Kinder habe, dagegen eine ausgezeichnete Schafheerde auf einem großen schuldenfreien Gut. Der Sohn sei auswärts auf einer Schule. Als Anton mit lebhaftem Interesse zuhörte und dies durch seine Fragen verrieth, sagte Itzig endlich: »Wenn du willst haben das Gut von diesem Baron, ich will dir's kaufen.«

»Ich danke,« antwortete Anton kalt; »er würde es nicht verkaufen, hast du mir eben gesagt.«

»Wenn Einer nicht will verkaufen, muß man ihn dazu zwingen,« rief Itzig.

»Du bist der Mann dazu,« sprach Anton.

»Ob ich bin der Mann, oder ob es ist ein Anderer: es ist doch zu machen, daß man kauft von jedem Menschen, was er hat. Es giebt ein Recept, durch das man kann zwingen [S. 20] einen Jeden, von dem man etwas will, auch wenn er nicht will.«

»Muß man ihm einen Trank eingeben,« frug Anton mit Verachtung, »oder ein Zauberkraut?«

»Tausendgüldenkraut heißt das Kraut, womit man Vieles kann machen in der Welt,« erwiederte Veitel, »aber wie man es muß machen, daß man auch als kleiner Mann kriegen kann so ein Gut, wie des Barons Gut, das ist ein Geheimniß, welches nur Wenige haben. Wer das Geheimniß hat, wird ein großer Mann, wie der Rothschild, wenn er lange genug am Leben bleibt.«

»Wenn er nicht vorher festgesetzt wird,« warf Anton ein.

»Nichts eingesteckt!« antwortete Veitel. »Wenn ich nach der Stadt gehe zu lernen, so gehe ich zu suchen die Wissenschaft, sie steht auf Papieren geschrieben. Wer die Papiere finden kann, der wird ein mächtiger Mann: ich will suchen diese Papiere, bis ich sie finde.«

Anton sah seinen Reisegefährten von der Seite an, wie man einen Menschen ansieht, dessen Verstand in der Irre lustwandelt, und sagte endlich mitleidig: »Du wirst sie nirgend finden, armer Veitel.«

Itzig aber fuhr fort, sich vertraulich an Anton drängend: »Was ich dir sage, das erzähle Keinem weiter. Die Papiere sind gewesen in unsrer Stadt, Einer hat sie gekriegt von einem alten sterbenden Bettler, und ist geworden ein mächtiger Mann; der alte Schnorrer hat sie ihm gegeben in einer Nacht, wo der Andere hat gebetet an seinem Lager, ihm zu vertreiben den Todesengel.«

»Und kennst du den Mann, der die Papiere hat?« frug Anton neugierig.

»Wenn ich ihn weiß, so werde ich es doch nicht sagen,« antwortete Veitel schlau, »aber ich werde finden das Recept. Und wenn du haben willst das Gut des Barons, und seine Pferde und Kühe und seinen bunten Vogel, und den Backfisch, seine Tochter, so will ich dir's schaffen aus alter Freundschaft, [S. 21] und weil du ausgehauen hast die Bocher in der Schule für mich.«

Anton war entrüstet über die Frechheit seines Gefährten. »Hüte dich nur, daß du kein Schuft wirst, du scheinst mir auf gutem Wege zu sein,« sagte er zornig und ging auf die andere Seite der Straße.

Itzig ließ sich durch diesen guten Rath nicht anfechten, sondern pfiff ruhig vor sich hin. So schritten die beiden Reisenden in langem Schweigen, welches Itzig unbefangen beim nächsten Dorfe unterbrach, indem er seinem Begleiter wieder Namen und Vermögensverhältnisse des Rittergutes angab. Und diese belehrende Unterhaltung wiederholte sich bei jedem Dorf, bis Anton ganz betroffen wurde über die ausgebreiteten statistischen Kenntnisse seines Gefährten. Endlich verstummten Beide und legten die letzte Meile, ohne ein Wort zu sprechen, neben einander zurück.


III.

Der Freiherr von Rothsattel gehörte zu den wenigen Menschen, welche nicht nur von aller Welt glücklich gepriesen werden, sondern auch sich selbst für glücklich halten. Er stammte aus einem sehr alten Hause. Ein Rothsattel war schon in den Kreuzzügen nach dem Morgenlande geritten. Wenigstens wurde in der Familie ein Rococo-Flacon von buntem Glas als orientalisches Fläschchen aufbewahrt, zum Beweis für die Existenz des Ahnherrn und zur Erinnerung an die schöne Zeit der Kreuzzüge. Ein anderer Rothsattel hatte einen Haufen Bergleute gegen die Hussiten geführt und war mit dem ganzen Haufen zu seiner und des Herrn Ehre erschlagen worden. Wieder einer war Fähnrich in dem Heere des Moritz von Sachsen gewesen, er galt für den Stifter der Linie Rothsattel- Steigebügel, [S. 22] und sein kriegerisches Bildniß hing noch im Thurmzimmer des Schlosses. Ein anderer hatte sich im dreißigjährigen Kriege bei verschiedenen Armeen und auf eigene Faust gerührt; die Familiensage meldete von ihm, er sei ein sehr dicker Herr und ein großer Trinker gewesen, von kräftiger Suade und etwas freien Sitten. Er war als Erster des Geschlechtes in die Gegend gekommen, in welcher diese Erzählung verlaufen soll, und hatte eine Anzahl Landgüter auf irgend eine Weise in Besitz genommen. Unter den Kinderfrauen der Familie bestand seit alter Zeit die düstere Ueberzeugung, daß dieser dicke Herr zuweilen im Keller auf einer großen Krauttonne zu sehen sei, wo er als ruheloser Geist sitze und ächze, zur Strafe für schauderhafte Vergehungen gegen die Tugend seiner weiblichen Zeitgenossen. Wieder ein anderer Vorfahr war kaiserlicher Rath zu Wien gewesen; der Urgroßvater des gegenwärtigen Besitzers war von dem großen König der Preußen starr angesehen und darauf mit Wohlwollen angeredet worden. Auch der Großvater war zu seiner Zeit ein unternehmender und vielbesprochener Cavalier gewesen, der in der Armee keine Lorbeeren gefunden und sich resignirt hatte, dieselben im Boudoir galanter Damen und am grünen Tisch zu suchen. Leider waren ihm dabei seine Güter lästig geworden und aus den Händen geglitten. Sein Sohn endlich, der Vater des gegenwärtigen Besitzers, war ein einfacher Landedelmann von mäßigem Geiste, der nach langen Processen das eine stattliche Gut aus den Trümmern des Familienvermögens rettete und sein Leben damit zubrachte, dasselbe für seine Nachkommen schuldenfrei zu machen. Die Rothsattel haben von je in dem Rufe gestanden, starke Nachkommenschaft zu hinterlassen, und alle ältern Damen aus der Familie erklärten diese Eigenheit — so höchst achtungswerth sie auch sonst sei — doch für den einzigen Grund, daß das berühmte Haus nicht dazu gekommen war, die neunzinkige Grafenkrone oder gar den geschlossenen Reif eines Titularfürstenthums auf dem Wappenhelm seines Seniors zu sehen. Gegenüber dem [S. 23] alten Brauch seines Hauses erwies der Vater auch dadurch seinen bescheidenen Sinn, daß er nur einen Sohn hinterließ.

Der gegenwärtige Besitzer des Gutes hatte in einem Garderegiment gedient, wie dem Sproß eines so kriegerischen Hauses ziemte. Er hatte dort den Ruf eines vollendeten Edelmanns erworben. Er war brauchbar im Dienst und ein vortrefflicher Kamerad gewesen, wohlbewandert in allen ritterlichen Uebungen, zuverlässig in Ehrensachen. Er hatte bei Hofbällen stets schicklich dagestanden, und so oft er von einer Prinzeß befohlen wurde, mit guter Haltung getanzt. Auch als Mann von Charakter hatte er sich gezeigt, da er aus wirklicher Neigung ein armes Hoffräulein heirathete, eine liebenswürdige junge Dame, deren Abgang aus den Quadrillen des Hofes lebhafte Betrübniß in allen Männerherzen hervorrief. Mit seiner Gemahlin hatte sich der Freiherr als verständiger Mann in die Provinz zurückgezogen, hatte durch eine Reihe von Jahren fast ausschließlich für seine Familie gelebt und dadurch den Vortheil errungen, daß seine Regimentsschulden sämmtlich bezahlt und seine Ausgaben nicht größer waren, als seine Einnahmen. Sein Haus war vortrefflich eingerichtet, die geringe Aussteuer seiner Frau war dazu benützt worden, ihr durch Einrichtung des Parks eine große Freude zu machen. Der Freiherr hielt einen Weinkeller von guten Tischweinen, hatte zwei prächtige Wagenpferde und zwei elegante Reitpferde, ging jeden Morgen durch die Wirthschaft und ritt jeden Nachmittag auf's Feld, hielt viel auf seine Schafheerde und setzte einen Stolz darein, seine feine Wolle gut waschen zu lassen. Er war ein durchaus ehrlicher Mann, noch jetzt eine imponirend schöne Gestalt, verstand würdig zu repräsentiren und einen gastfreien Wirth zu machen, und liebte seine Frau wo möglich noch mehr als in den ersten Monaten nach seiner Vermählung. Kurz er war das Musterbild eines adligen Rittergutsbesitzers. Er war kein übermäßig reicher Herr, ungefähr das, was man einen Fünftausendthalermann nennt, und hätte sein schönes Gut in günstigen Zeiten wohl um vieles höher verkaufen können, als der [S. 24] scharfsinnige Itzig annahm. Er hätte das aber mit Recht für eine große Thorheit gehalten. Zwei gesunde und fähige Kinder vollendeten das Glück seines Haushaltes, der Sohn war im Begriff, als Militär die Familiencarriere zu beginnen, die Tochter sollte noch einige Jahre unter den Flügeln der Mutter leben, bevor sie in die große Welt trat.

Wie alle Menschen, welchen das Schicksal Familienerinnerungen aus alter Zeit auf einen Schild gemalt und an die Wiege gebunden hat, war auch unser Freiherr geneigt, viel an die Vergangenheit und Zukunft seiner Familie zu denken. An seinem Großvater war die trübe Erfahrung gemacht worden, daß ein einziger ungeordneter Geist hinreicht, das auseinander zu streuen, was emsige Vorfahren an Goldkörnern und Ehren für ihre Nachkommen gesammelt haben. Er hätte deßhalb gern sein Haus für alle Zukunft vor dem Herunterkommen gesichert, hätte gern sein schönes Gut in ein Majorat verwandelt und dadurch leichtsinnigen Enkeln erschwert, zwar nicht Schulden zu machen, aber dieselben zu bezahlen. Doch die Rücksicht auf seine Tochter hielt ihn von diesem Schritte ab, es kam seinem ehrlichen Gefühl ungerecht vor, dies geliebte Kind wegen künftiger ungewisser Rothsattel zu enterben. Und er empfand mit Schmerz, daß sein altes Geschlecht in der nächsten Generation in dieselbe Lage kommen werde, in der die Kinder eines Beamten oder eines Krämers sind, in die unbequeme Lage, sich durch eigene Anstrengung eine mäßige Existenz schaffen zu müssen. Er hatte oft versucht, von seinen Erträgen zurückzulegen, indeß die Gegenwart war dazu wirklich nicht geeignet; überall fing man an mit einer gewissen Reichlichkeit zu leben, mehr auf elegante Einrichtung und den zahllosen kleinen Schmuck des Daseins zu halten. Und was er in günstigen Jahren etwa gespart hatte, das war auf kleinen Badereisen, welche die zarte Gesundheit seiner Frau nach der Behauptung des Arztes nothwendig machte, immer wieder ausgegeben worden. Der Gedanke an die Zukunft seiner Familie beschäftigte den Freiherrn auch heut, als er auf seinem Halbblut durch die große Kastanienallee [S. 25] dem Schlosse zusprengte. Es war eine sehr kleine Wolke, welche unter dem Sonnenschein seiner Seele dahinfuhr, sie verschwand im Nu, als er Gewänder vor sich flattern sah und seine Gemahlin erkannte, welche mit der Tochter ihm entgegeneilte. Er sprang vom Pferde, küßte sein Lieblingskind auf die Stirn und sagte vergnügt zu seiner Frau: »Wir haben vortreffliches Wetter zur Heuerndte, es wird nach Kräften eingefahren, der Amtmann behauptet, wir hätten noch nie so viel Futter gemacht.«

»Du hast Glück, Oscar,« sagte die Baronin zärtlich zu ihm aufblickend.

»Wie immer seit siebzehn Jahren, seit ich dich heimgeführt habe,« antwortete der Gemahl mit einer Artigkeit, die vom Herzen kam.

»Heut sind es siebzehn Jahr,« rief die Baronin, »sie sind vergangen, wie ein Sommertag. Wir sind sehr glücklich gewesen, Oscar.« Sie schmiegte sich an seinen Arm und sah dankend zu ihm auf.

»Gewesen?« frug der Freiherr, »ich denke, wir sind's noch. Und ich sehe nicht ein, weßhalb es nicht weiter so fortgehen soll.«

»Berufe es nicht,« bat die Baronin. »Mir ist manchmal, als könnte so viel Sonnenschein nicht ewig währen; ich möchte demüthig entbehren und fasten, um den Neid des Schicksals zu versöhnen.«

»Nun,« sagte der Freiherr gutmüthig, »das Schicksal läßt uns auch nicht ungezaust. Die Donnerwetter fehlen uns nicht, aber diese kleine Hand erhebt sich zur Beschwörung und sie ziehen vorüber. Hast du nicht Aerger genug mit dem Haushalt, den Tollheiten der Kinder, und zuweilen mit deinem Tyrannen, daß du dir mehr ersehnst?«

»Du lieber Tyrann!« rief die Baronin. »Dir danke ich dies Glück. Und wie fühle ich es! Nach siebzehn Jahren bin ich immer noch stolz darauf, einen so stattlichen Hausherrn zu haben, ein so schönes Schloß und ein so großes Gut, wo [S. 26] jeder Fußtritt des Bodens auch mir gehört. Als du mich, das arme Fräulein, mit meinen Fähnchen und dem Schmuckkästchen, das ich der Gnade der Herrschaften verdanke, in dein Haus führtest, da erst lernte ich erkennen, welche Seligkeit es ist, im eigenen Hause als Herrin zu regieren, und dem Willen keines Andern zu gehorchen, als dem des geliebten Mannes.«

»Du hast doch Vieles aufgegeben um meinetwillen,« sagte der Freiherr. »Oft habe ich gefürchtet, daß unser Landleben dir, dem Günstling der verstorbenen Prinzeß, zu einsam und klein erscheinen würde.«

»Dort war ich Dienerin, hier bin ich Herrin,« sagte die Baronin lachend. »Außer meiner Toilette hatte ich nichts, was mir selbst gehörte. Immer in den langweiligen Stuben der Hoffräulein umherziehen, an allen Abenden zu der letzten Rolle verurtheilt sein, und dabei die Angst haben, daß das immer so fortgehen soll, bis man alt wird in ewigen Zerstreuungen, ohne eigenes Leben! Du weißt, daß mich das oft traurig gemacht hat. Hier sind die Ueberzüge unserer Möbeln nicht von schwerem Seidenstoff und in unserm Saal steht keine Tafel aus Malachit, aber was im Hause ist, gehört mir.« Sie schlang ihren Arm um den Freiherrn: »Du gehörst mir, die Kinder, das Schloß, unsere silbernen Armleuchter.«

»Die neuen sind nur Composition,« warf der Freiherr ein.

»Das sieht Niemand,« erwiederte seine Gemahlin fröhlich. »Und wenn ich das Porcellan ansehe, und am Rande dein und mein Wappen erblicke, so schmecken mir unsere zwei Schüsseln zehnmal so gut, als die vielen Gänge der Hofküche. Und vollends die großen Hoftage und unsere Marschallstafel, wo Jeder den Andern zum Verzweifeln genau kannte, und Jeder dem Andern zum Verzweifeln gleichgültig war.«

»Du bist ein glänzendes Beispiel von Genügsamkeit,« sagte der Freiherr. »Um deinetwillen und wegen der Kinder wollte ich, dies Gut wäre zehnmal so groß, und unsere Einnahme so, daß ich dir einen Pagen halten könnte, Frau [S. 27] Marquise, und außer der Wirthschafterin ein Paar Hoffräulein.«

»Nur kein Fräulein,« bat die Baronin, »und was den Pagen betrifft, so braucht man keinen, wenn man einen Cavalier hat, der so aufmerksam ist, wie du.«

So schritt der Freiherr behaglich zwischen den beiden Frauen dem Schlosse zu. Lenore hatte sich unterdeß der Zügel seines Reitpferdes bemächtigt und redete dem Pferde freundlich zu, so wenig Staub als möglich zu machen.

»Dort hält ein fremder Wagen, ist Besuch gekommen?« frug der Freiherr, als sie sich dem Hofe näherten.

»Es ist nur Ehrenthal,« antwortete die Baronin, »er wartet auf dich und hat bereits seinen ganzen Vorrath von schönen Redensarten an uns verschwendet; Lenore ließ ihrem Uebermuth die Zügel schießen, und es war hohe Zeit, daß ich sie wegführte; dem drolligen Manne wurde angst bei der Koketterie des unartigen Kindes.«

Der Freiherr lächelte. »Mir ist er immer noch der liebste aus dieser Klasse von Geschäftsleuten,« sagte er; »sein Benehmen ist wenigstens nicht abstoßend, und ich habe ihn in dem langen Verkehr stets zuverlässig gefunden. — Guten Tag, Herr Ehrenthal, was führt Sie zu mir?«

Herr Ehrenthal war ein wohlgenährter Herr in seinen besten Jahren mit einem Gesicht, welches zu rund war, zu gelblich und zu schlau, um schön zu sein; er trug Gamaschen an den Füßen, eine diamantene Busennadel auf dem Hemd und schritt mit großen Bücklingen und tiefen Bewegungen des Hutes durch die Allee dem Baron entgegen.

»Ihr Diener, gnädiger Herr,« antwortete er mit ehrerbietigem Lächeln, »wenn mich auch nichts herführt von Geschäften, so werde ich Sie doch bitten, Herr Baron, daß Sie mir manchmal erlauben, herumzugehen in Ihrer Wirthschaft, damit ich in meinem Herzen eine Freude habe. Es ist mir eine Erholung von der Arbeit, wenn ich komme in Ihren Hof. Alles so glatt und wohlgenährt, und Alles so reichlich [S. 28] und gut eingerichtet in den Ställen und in den Scheunen. Die Sperlinge auf dem Dach sehen bei Ihnen lustiger aus, als die Sperlinge von andern Leuten. Wenn man als Geschäftsmann so Vieles erblicken muß, was einen nicht erfreut, wo die Menschen durch ihr Verschulden in Unordnung kommen und Verfall, da thut's einem wohl, wenn man ein Leben sieht, wie das Ihre; keine Sorgen, keine großen Sorgen zum wenigsten, und so Vieles, was das Herz erfreut.«

»Sie sind so artig, Herr Ehrenthal, daß ich glauben muß, etwas recht Wichtiges führt Sie her. Wollen Sie ein Geschäft mit mir machen?« frug der Freiherr gutmüthig.

Mit einem Kopfschütteln, wie es dem biedern Mann ansteht, wenn er einen ungerechten Verdacht von sich abweisen will, antwortete Herr Ehrenthal: »Nichts vom Geschäft, Herr Baron! Die Geschäfte, die ich mit Ihnen mache, sind solche, wo man sagt keine Artigkeiten. Gute Waare und gutes Geld, so haben wir es immer gehalten, und so wollen wir's mit Gottes Hülfe auch ferner halten. Ich kam nur herein im Vorbeifahren« — dabei bewegte er nachlässig die Hand, um pantomimisch zu bekräftigen, daß er nur im Vorbeifahren sei, — »ich wollte fragen wegen des Pferdes, das der Herr Baron zu verkaufen haben. Es ist Einer im Dorfe daneben, dem ich habe versprochen zu fragen nach dem Preis. Ich kann's eben so gut mit dem Amtmann abmachen, wenn der Herr Baron keine Zeit haben für mich.«

»Kommen Sie mit, Ehrenthal,« sagte der Freiherr, »ich führe mein Pferd selbst in den Stall.«

Herr Ehrenthal machte den Frauen viele Bücklinge, welche von Lenore durch eben so viele Knixe erwiedert wurden, und folgte dem Freiherrn zur Stallthür. Dort blieb er respectvoll stehen und bestand darauf, daß das Pferd des Barons und der Baron selbst vor ihm eintraten. Nach kurzer Besichtigung und den üblichen Reden und Gegenreden führte der Freiherr Herrn Ehrenthal auch in den Kuhstall, worauf Herr Ehrenthal den leidenschaftlichen Wunsch aussprach, auch die Kälber [S. 29] zu sehen, und endlich die Bitte zufügte, auch bei den Zuchtböcken zur Audienz zugelassen zu werden. Er war ein erfahrener Geschäftsmann, und wenn das Entzücken, welches er aussprach, auch etwas handwerksmäßig und überschwänglich klang, so war das, was er lobte, doch wirklich lobenswerth, und der Freiherr hörte das Lob mit Wohlgefallen an.

Nach Besichtigung der Schafe mußte eine Pause gemacht werden, denn Ehrenthal war zu sehr ergriffen von der Feinheit und Dichtigkeit ihres Pelzes. »Nein, dieser Stapel!« seufzte er in träumerischer Begeisterung; »schon jetzt kann man sehen, was er sein wird im nächsten Frühjahr.« Er wiegte den Kopf hin und her und zwinkerte mit den kleinen Augen nach der Sonne. »Wissen Sie, Herr Baron, daß Sie sind ein glücklicher Mann! Haben Sie gute Nachrichten von Ihrem Herrn Sohn?«

»Danke, lieber Ehrenthal, er hat gestern geschrieben und seine Zeugnisse geschickt,« antwortete der Freiherr.

»Er wird werden, wie sein Herr Vater,« rief Herr Ehrenthal aus, »ein Cavalier von erster Qualität, und ein reicher Mann, der Herr Baron weiß zu sorgen für seine Kinder.«

»Ich erspare nichts, lieber Ehrenthal,« erwiederte der Baron nachlässig.

»Was ersparen!« rief der Händler mit Verachtung gegen eine so plebeje Thätigkeit; »was wollen Sie sparen? wenn ich mir erlauben darf, das zu bemerken als ein Geschäftsmann, der schon lange die Ehre hat, Sie zu kennen. Was brauchen Sie zu sparen? Sie werden doch dereinst, wenn der alte Ehrenthal nicht mehr sein wird, auch ohne Sparen hinterlassen dem jungen Herrn das Gut, welches unter Brüdern werth ist ein und ein halbes Hunderttausend, und dem gnädigen Fräulein Tochter außerdem eine Aussteuer von — was soll ich sagen — von funfzigtausend Thalern baar.«

»Sie irren,« sagte der Freiherr ernst, »ich bin nicht so reich.«

»Nicht so reich?« rief Herr Ehrenthal mit sittlicher Entrüstung [S. 30] gegen jeden Menschensohn (den Baron ausgenommen), der so etwas behaupten könnte. »Es hängt doch nur von Ihnen ab, jeden Augenblick so reich zu sein. Wer ein Vermögen hat, wie der Herr Baron, der kann in zehn Jahren verdoppeln sein Capital ohne Gefahr. — Warum wollen Sie nicht Pfandbriefe der Landschaft auf Ihr Gut nehmen?«

Die »Landschaft« der Provinz war damals ein großes Creditinstitut der Rittergutsbesitzer, welches Capitalien zur ersten Hypothek auf Rittergüter auslieh. Die Zahlung erfolgte in Pfandbriefen, welche auf den Inhaber lauteten und überall im Lande für das sicherste Werthpapier galten. Das Institut selbst zahlte die Interessen an die Besitzer der Obligationen und erhob von seinen Schuldnern außer den Zinsen noch einen geringen Zuschlag für Verwaltungskosten und zu allmähliger Tilgung der aufgenommenen Schuld.

»Ich mache keine Geldgeschäfte,« antwortete der Freiherr stolz, aber in seiner Brust klang die Saite fort, welche der Händler angeschlagen hatte.

»Die Geschäfte, welche ich meine, sind so, wie sie heut zu Tage macht jeder Fürst,« fuhr Herr Ehrenthal mit Feuer fort. »Wenn der gnädige Herr Pfandbriefe der Landschaft aufnimmt auf sein Gut, so kann er jede Stunde erhalten funfzigtausend Thaler in gutem Pergament. Sie zahlen dafür der Landschaft vier vom Hundert, und wenn Sie die Pfandbriefe liegen lassen in Ihrer Casse, so erhalten Sie davon Zinsen drei und ein halb vom Hundert. Dann zahlen Sie ein halbes Procent zu an die Landschaft, und durch das halbe Procent wird noch amortisirt das Capital.«

»Das heißt Schulden machen, um reich zu werden,« warf der Gutsherr achselzuckend ein.

»Verzeihen Sie, Herr Baron, wenn ein Herr wie Sie funfzigtausend Thaler liegen hat, welche ihn jährlich kosten ein halbes Procent, so kann er damit kaufen die halbe Welt. Immer giebt es Gelegenheit, Güter zu erwerben zu einem Spottpreise, wenn man baar Geld oder Pfandbriefe hat zu [S. 31] rechter Zeit. Da sind Rittergüter, da sind Waldungen, die man kann kaufen, oder Antheile von Bergwerken, oder Actien von einer soliden Societät. Oder der Herr Baron können selbst anlegen ein Etablissement auf Ihrem Gut, wenn Sie wollen schaffen Zucker aus Rüben, wie der Herr v. Bergen am Gebirge, oder amerikanisches Mehl, wie der Herzog von Löbau, oder bairisches Bier, wie Ihr Nachbar, der Graf Horn. Was ist dabei für eine Gefahr? Sie werden einnehmen zehn, zwanzig, ja funfzig Thaler vom Hundert des Capitals, das Sie geliehen haben von der Landschaft zu vier vom Hundert.«

Der Freiherr sah nachdenklich vor sich hin. Was ihm der Händler sagte, war durchaus nichts Neues und Unerhörtes, er selbst hatte oft Aehnliches gedacht. Es war gerade die Zeit, wo eine Menge von neuen industriellen Unternehmungen aus dem Ackerboden aufschossen, wo durch die hohen Schornsteine der Dampfmaschinen, durch neuentdeckte Kohlen- und Erzlager, durch neue landwirthschaftliche Culturen große Summen erworben und noch größere Reichthümer gehofft wurden. Die vornehmsten Grundbesitzer der Landschaft standen an der Spitze ausgedehnter Actienunternehmungen, welche auf einer Verbindung moderner Industrie und des alten Ackerbaues beruhten. Es war nichts Neues und Auffallendes in den Worten des Händlers, und doch schlugen sie als zündender Blitz in die Seele des Freiherrn. Sie kamen im rechten Augenblick. Herr Ehrenthal bemerkte die Wirkung, welche er hervorgebracht hatte, und schloß mit der Gemüthlichkeit, welche seine Lieblingsstimmung war: »Wo habe ich das Recht, einem Herrn, wie Sie sind, einen Rath zu geben? Aber jeder Gutsbesitzer muß sagen dasselbe, daß ein solches Geschäft mit Pfandbriefen in unserer Zeit die solideste Art ist, wie ein vornehmer Herr kann sorgen für seine Kinder. Wenn einst das Gras wachsen wird über dem Grabe des alten Ehrenthal, dann werden Sie an mich denken und bei sich sagen: der Ehrenthal war nur ein einfacher Mann, aber er hat mir gerathen, was gut war und ein Segen für die Familie.«

[S. 32]

Der Freiherr sah immer noch vor sich hin. Was er lange in sich herumgetragen hatte, das war auf einmal zum festen Entschluß geworden. Dem Händler sagte er mit einer Leichtigkeit, die ihm nicht vom Herzen kam: »Ich will mir's überlegen.« Ehrenthal war damit zufrieden und bat um die Erlaubniß, sich den Damen empfehlen zu dürfen, was er als Mann von Welt und Gemüth selten unterließ.

Es war Schade, daß der Freiherr nicht das Gesicht des Geschäftsmannes sah, als dieser in seinen Wagen stieg und mechanisch die Bourbonrose in's Knopfloch steckte, welche ihm Lenore beim Abschiede mit schalkhafter Artigkeit überreicht hatte. Auch Herr Ehrenthal machte ein lustiges Gesicht, aber nicht aus Freude über die volle Rose. Er ließ den Kutscher langsam durch die Feldmark fahren und sah wohlgefällig auf die Ackerstücke, welche mit reifender Frucht zu beiden Seiten des Weges lagen. In langem Zuge kamen die Heuwagen des Gutes ihm entgegen. So oft er still hielt, um einen Riesenwagen vorbeizulassen, berupften seine Pferde das Heu, und sein Kutscher drehte sich um und rief schnalzend: »Schönes Futter!«

»Ein schönes Gut,« sagte dann Herr Ehrenthal in tiefem Nachdenken.


Unterdeß saß die Baronin in einer Gartenlaube und blätterte in den neuen Journalen, welche der Buchhändler aus der nächsten Kreisstadt zugeschickt hatte. Sie betrachtete prüfend die Modekupfer und genoß die kleinen Nippes der Tagesliteratur: Geschichten von Menschen, welche auf außerordentliche Weise reich geworden, und von andern, welche auf schauderhafte Weise ermordet sind, Tigerjagden aus Ostindien, ausgegrabene Mosaikböden, rührende Schilderungen von der Treue eines Hundes, hoffnungsreiche Betrachtungen über die Unsterblichkeit der Seele, und was sonst das flüchtige Auge eleganter Damen zu fesseln vermag. Die schöne Gemahlin des Freiherrn [S. 33] schaukelte während des Lesens die gestickte Fußbank, ihre Seele war nur halb in den Blättern, sie sah oft über den Rasenplatz nach ihrer Tochter, welche wieder mit dem Pony beschäftigt diesem aus Blumen und Zeitungspapier eine groteske Halskrause und eine gehörnte Mütze zurecht machte, was der Pony vergebens dadurch zu vereiteln suchte, daß er so viel Blüthen und Zeitungspapier wegfraß, als er mit dem Maul erreichen konnte. Als die junge Dame, stolz auf ihr Werk, den Kopf nach der Laube wandte und das Auge der Mutter auf sich gerichtet sah, überließ sie das Pferd dem herzueilenden Bedienten und flog wie eine Libelle zu den Füßen der Mutter. Sie setzte sich auf die Fußbank, zog die Journale auf das Knie der Baronin, und fing an, sich possenhaft mit den Herren und Damen der Modekupfer zu unterhalten. Da die Gesichter dieser Ideale, wie bekannt, den Vorzug haben, allen Menschen ähnlich zu sehen, von denen sie sich durch einzelne charakteristische Eigenheiten, durch merkwürdig kleine Lippen und zuweilen durch ein auf der Stirn oder dem Backen sitzendes Auge unterscheiden, so wurde der jungen Dame nicht schwer, zahlreiche Aehnlichkeiten mit Bekannten des Hauses aufzufinden und die Bilder danach zu behandeln. Die Mutter lächelte über die kindischen Scherze der Tochter und sagte endlich, ihre Gedanken laut fortsetzend: »Lenore, du wirst jetzt ein großes Mädchen und bist noch so sehr Kind. Wir haben dich aufwachsen lassen bei dem Unterricht der Bonne und des Candidaten; es wird Zeit, daran zu denken, daß du etwas Ordentliches lernst, mein armes Kind.«

»Ich dachte, das Lernen sollte jetzt aufhören,« antwortete Lenore schmollend.

»Deine französische Aussprache ist noch schlecht, und dein Vater will, daß du dich im Zeichnen übst, du hast Anlage dazu.«

»Ich zeichne nur Karrikaturen,« rief Lenore, »die sind am leichtesten, man macht eine lange Nase oder kurze Beine, und das Kerlchen sieht lächerlich aus.«

[S. 34]

»Du sollst nicht Karrikaturen zeichnen,« sprach die Mutter, »das verdirbt deinen Geschmack und macht dich spöttisch.« Lenore ließ das Köpfchen hängen. »Und wer war der junge Mann, mit dem du vorhin durch den Garten gingst?« fuhr die Mutter strafend fort. »Du hast ihm die Erdbeeren des Vaters gegeben.«

»Schilt nur nicht immer, liebe Mutter,« rief die Tochter erröthend. »Der Fremde war ein hübscher artiger Junge, er geht nach der Hauptstadt, er hat weder Vater noch Mutter, das that mir leid. Und so bescheiden war er! Sei mir nicht böse,« schmeichelte sie und flog an den Hals der Mutter, in deren Augen mehr Liebe als Zorn zu lesen war.

Die Mutter küßte das Kind auf den Mund und sagte gütig: »Du bist mein gutes, wildes Mädchen, suche mir jetzt den Vater, sein Kaffe wird kalt.«

Als der Freiherr in die Laube trat, noch voll von seiner Unterredung mit Ehrenthal, legte die Baronin ihre Hände in die seinen und sagte: »Oscar, ich habe Sorge um Lenore!«

»Ist sie krank?« frug der Vater betroffen.

»Sie ist gesund und von Herzen gut, aber sie ist kecker und ungebundener, als sich für ihre Jahre paßt.«

»Sie ist auf dem Lande aufgewachsen und eine tüchtige Dirne geworden,« erwiederte der Freiherr beruhigend.

»Es fehlt ihr aber an Form und an Zartgefühl im Umgange mit Fremden,« fuhr die Mutter fort. »Ich fürchte, sie ist in Gefahr, ein Original zu werden.«

»Nun, das Unglück wäre nicht so groß,« sagte der Freiherr lachend.

»Es giebt kein größeres für ein Mädchen aus unserm Kreise. — Was in der Gesellschaft auffällt, wird auch lächerlich; ein kleiner Zug von bizarrem Wesen kann ihre ganze Zukunft verderben. Sie muß genöthigt werden, mehr auf sich zu achten, und ich fürchte, hier auf dem Lande wird sie das nicht lernen.«

»Wir sollen das Kind von uns thun, vielleicht auf Jahre, [S. 35] und unter fremden Menschen aufblühen lassen?« frug der Freiherr unwillig.

»Und doch muß es sein,« sagte die Baronin ernst, »und es kostet mich viel, dir das zu sagen. Sie ist unartig gegen Mädchen ihres Alters, rücksichtslos gegen Frauen, und Männern gegenüber viel zu dreist. — Kannst du dir ein Mädchen von Lenorens Wesen am Hofe denken?« frug die Baronin nach einer Pause.

Der Gemahl konnte sich das nicht denken, vielleicht deßwegen nicht, weil ein Fürstenhof überhaupt nicht der Ort ist, wo schnell aufgeschossene Fräulein die Schulbücher umhertragen und Katze und Maus spielen.

»Sie wird sich ändern,« warf er endlich ein.

»Sie wird sich nicht ändern,« entgegnete die Baronin sanft, die Hand auf seine Schulter legend, »so lange der Liebling mit seinem Vater zu Pferde über Gräben setzt und ihn sogar auf den Pürschgang begleitet.«

»Ich kann mich nicht darein finden, beide Kinder zu entbehren,« sprach der Vater gutmüthig. »Das wäre sehr hart für uns, am schwersten für dich, du strenge Hausfrau.«

»Vielleicht!« sagte die Baronin leise, und ihre Augen wurden feucht. »Aber wir dürfen nicht an uns denken, nur an die Zukunft der Kinder.«

Der Freiherr sah die Bewegung der geliebten Frau, er zog sie an sich und sprach entschlossen: »Höre, Elsbeth, wenn wir in früheren Jahren von dieser Zeit sprachen, da dachten wir uns Lenorens Erziehung anders. Wir wollten die Winter über selbst in der Stadt leben; unter deinen Augen sollte das Kind den letzten Unterricht erhalten und in die Gesellschaft treten. Du sollst dich nicht von ihr trennen. Wir ziehen schon diesen Winter nach der Hauptstadt.«

Ueberrascht erhob sich die Baronin. »Guter Oscar!« rief sie gerührt aus. »Aber — verzeih die Frage, würde ein solcher Aufenthalt nicht in anderer Hinsicht für dich ein großes Opfer sein?«

[S. 36]

»Nein,« sagte der Freiherr fröhlich, »ich habe Pläne, die auch für mich wünschenswerth machen, den Winter in der Stadt zuzubringen.«

Er erzählte; der Umzug nach der Hauptstadt wurde beschlossen.


IV.

Schon stand die Sonne niedrig am Himmel, als die beiden Wanderer bei den ersten Häusern der Hauptstadt ankamen. Erst einzelne kleine Gebäude, dann zierliche Sommerwohnungen mitten in blühenden Gärten; dann rückten die Häuser dichter zusammen, die Straße schloß sich auf beiden Seiten, und mit dem Staube und dem Wagengerassel legte sich bange Sorge um die Brust unseres Helden. In dem Geflecht großer und kleiner Straßen wäre Anton rathlos gewesen, wenn ihn nicht sein Begleiter, der aus Achtung vor dem bessern Rock Antons hinter ihm geblieben war, durch laute Rechts und Links an den Straßenecken gelenkt hätte. Veitel Itzig aber hatte eine merkwürdige Vorliebe für krumme Seitengassen und schmale Trottoirs. Hier und da winkte er hinter dem Rücken seines Reisegefährten mit frecher Vertraulichkeit geputzten Mädchen zu, die an den Thüren standen, oder jungen Burschen mit krummer Nase und runden Augen, welche, die Hände in den Hosentaschen, auf der Straße lungerten. Zuweilen wurde sein Gruß mit nachlässigem Kopfnicken erwiedert, welches ungefähr bedeutete: »er ist ein gutes Geschöpf, aber er hat kein Geld;« in der Regel ward seine Zuvorkommenheit mit kalter Verachtung hingenommen, welche der Pflastertreter der schmutzigen Nebenstraße da, wo nichts zu gewinnen ist, eben so gut zu äußern weiß, als der schnurrbärtige Held der Granitplatten im eleganten Stadttheil. Endlich bogen die jungen Männer [S. 37] in eine Hauptstraße, wo große Häuser mit Säulenportalen, elegante Kaufläden und ein Gewühl gut gekleideter Menschen verriethen, daß hier der Wohlstand einen entschiedenen Sieg über die Armseligkeit davongetragen hatte. In dieser Straße hielten sie vor einem hohen Hause an. Itzig wies auf das Thor mit einer gewissen scheuen Achtung und sagte kurz: »Hier wohnt er, hier wirst du werden bald so stolz, wie diese Gojim sind; wenn du willst wissen, wo ich zu finden bin, so kannst du nachfragen im Geschäft bei Ehrenthal auf der Gerbergasse. Gute Nacht!« Er pfiff vor sich hin und schlenderte die Straße hinab, ohne sich umzusehen.

Anton trat mit klopfendem Herzen in den Hausflur und lockerte den Brief seines Vaters in der Brusttasche. Er war sehr kleinmüthig geworden und sein Kopf war so schwer, daß er sich am liebsten einen Augenblick hingesetzt hätte, um auszuruhen. Aber wie Ruhe sah es in dem Hause nicht aus. Vor der Thür stand ein großer Frachtwagen, in dem Hause mächtige Fässer und Ballen, und riesengroße, breitschultrige Männer mit Lederschürzen und kurzen Haken im Gürtel trugen Leiterbäume, klirrten mit Ketten, rollten die Fässer und schnürten dicke Stricke durch künstliche Knoten zusammen; dazwischen eilten Commis, die Feder hinter dem Ohr, Papier in der Hand, ab und zu, und Fuhrleute in blauen Blousen nahmen die Papiere, die Ballen und die Fässer mit der geschäftlichen Würde in Empfang, welche die Thätigkeit aller verantwortlichen Menschen zu bezeichnen pflegt. Hier war kein Ort der Ruhe, Anton stieß an einen Ballen, fiel beinahe über einen Hebebaum und wurde durch das »Vorgesehen!« welches ihm zwei Enaksöhne mit Lederschürzen zuriefen, noch mit Mühe vor dem Schicksal bewahrt, unter einer großen Oeltonne platt gedrückt zu werden.

Im Centrum der Bewegung, gleichsam als Sonne, um welche sich die Fässer und Arbeiter und Fuhrleute herum drehten, stand ein junger Herr aus dem Geschäft, ein Herr mit entschlossener Miene und kurzen Worten, welcher als Zeichen seiner [S. 38] Herrschaft einen großen schwarzen Pinsel in der Hand hielt, mit dem er bald riesige Hieroglyphen auf die Ballen malte, bald den Aufladern ihre Bewegungen vorschrieb. Diesen Herrn frug Anton mit klangloser Stimme nach dem Prinzipal des Geschäftes und wurde durch eine kurze Bewegung des Pinselstiels in den hintern Theil des Hausflurs nach dem Comtoir gewiesen. Zögernd trat er an die Thür, es kostete ihm einen großen Entschluß, den Griff mit der Hand zu drehen — er hat sich später oft daran erinnert — und als die Thür geräuschlos aufging und er in das Dämmer der großen Arbeitsstube sah, da wurde ihm so angst, daß er kaum über die Schwelle schreiten konnte. Sein Eintritt machte wenig Aufsehen. Ein halbes Dutzend Schreiber fuhr hastig mit den Federn über die blauen Briefbogen, um noch die letzten Züge vor dem Schluß des Comtoirs und der Post zu thun. Nur einer der Herren, welcher zunächst der Thüre saß, erhob sich und frug in kühlem Geschäftston: »Was steht zu Ihren Diensten?«

Auf die schüchterne Erklärung Antons, daß er Herrn Schröter zu sprechen wünsche, trat aus dem zweiten Comtoir ein großer Mann mit faltigem Gesicht, mit stehendem Hemdkragen, von sehr englischem Aussehen. Anton sah schnell auf das Antlitz, und dieser erste Blick, so ängstlich, so flüchtig, gab ihm einen guten Theil seines Muthes wieder. Er erkannte Alles darin, was er in den letzten Wochen ach so oft ersehnt hatte, ein gütiges Herz und einen redlichen Sinn. Und doch sah der Herr streng genug aus, und seine erste Frage klang kurz und entschieden. Anton faßte schnell nach seinem Brief, nannte seinen Namen und erzählte hastig und mit stockender Stimme, daß sein Vater gestorben sei und daß er den Herrn von seinem Todtenbette grüßen lasse.

Wie ein freundliches Licht flog es über das Auge des Kaufmanns, er öffnete den Brief schweigend, las ihn langsam durch, reichte dem bewegten Anton die Hand und sagte: »Seien Sie mir willkommen.« Darauf wandte er sich zu einem von den schreibenden Herren, welcher einen grünen Rock trug und [S. 39] einen grauen Ueberziehärmel um den rechten Arm gebunden hatte: »Herr Anton Wohlfart tritt von heut an in unser Geschäft.« Einen Augenblick hörten die sechs Federn auf zu rennen, und ihre Lenker sahen im Tempo nach Anton hin; der Chef aber fuhr zu Anton gewandt fort: »Sie werden müde sein, Herr Jordan wird Ihnen Ihr Zimmer anweisen, ruhen Sie heut aus, morgen das Weitere.«

Nach diesen Worten wandte er sich mit leichtem Kopfnicken ab und ging nach dem zweiten Comtoir zurück, wo ebenfalls sechs Federn über das blaue Papier fuhren und jetzt mit solcher Schnelligkeit, daß sich der Federbart vor Entsetzen sträubte, denn die alte Wanduhr hatte zum Schlage bereits ausgehoben.

Nur der Herr im grünen Rock streifte den grauen Aermel ab, strich ihn sorgfältig glatt, schloß ihn mit einem Haufen Papiere in das Pult und lud Anton ein, ihm auf das Zimmer zu folgen. Wieder schritt Anton durch die Thür des Comtoirs, in welchem er nur zehn Minuten gewesen war, aber er war ein anderer Mann geworden, sein Schicksal war entschieden, er hatte jetzt eine Heimath, er gehörte in das Geschäft. Deßhalb schlug er im Vorbeigehen herzhaft auf einen großen Ballen, wie man auf die Schulter eines guten Bekannten schlägt, wobei der grüne Herr sich umwandte und mit wohlwollender Herablassung zu ihm sagte: »Baumwolle;« und drei Schritt weiter klopfte Anton Einlaß fordernd an ein riesiges Faß, welches wohlhäbig in einer Ecke stand, wie ein dicker Pächter in seinem hellen Sommerrock; worauf sich wieder der grüne Herr umwandte und ebenso wohlwollend sagte: »Corinthen.« Jetzt stieß unsern Anton kein Hebebaum mehr, ja er selbst schob den einen mit kräftiger Fußbewegung bei Seite, und einen Riesen mit lederner Schürze, der ihm begegnete, grüßte er mit sicherer Vertraulichkeit und fühlte sich behaglich, als der Riese ihm artig dankte, besonders als der grüne Herr wieder herablassend äußerte: »der oberste Auflader.«

Durch den Hofraum gingen sie auf gewundenen Pfaden in ein Hintergebäude und stiegen drei ausgetretene Treppen [S. 40] hinauf. Dort öffnete Herr Jordan ein Zimmer und bemerkte gegen Anton, daß dieß wahrscheinlich seine künftige Wohnung sein werde, es sei die frühere Behausung eines guten Freundes von ihm, der aus dem Geschäft geschieden sei und sich selbst etablirt habe. Es war ein sehr kleines Zimmer, die Möbeln einfach und nicht neu, aber saubere weiße Gardinen und weiße Rouleaux vor den Fenstern und auf dem Schreibtisch eine schöne Katze von Gips, mit gelblicher Lederfarbe lackirt, so daß sie aussah wie eine lebende. Diese Katze hatte der etablirte College zum Besten seines Nachfolgers in der Stube zurückgelassen.

Herr Jordan eilte in das Comtoir zurück, in dem er der Erste und Letzte sein mußte, weil ihm ein Theil der Schlüssel anvertraut war, und Anton blieb allein. Mit Hülfe eines freundlichen Bedienten, welcher ihm schnell das Zimmer wohnlich zu machen suchte, ordnete er seine Toilette und war eben damit fertig, als zahlreiche Tritte auf den Treppen verkündeten, daß seine Collegen aus dem Geschäft in ihre Zimmer eilten.

Wieder erschien der grüne Herr und theilte ihm mit: Herr Schröter sei zu einer Conferenz und heut nicht mehr zu sprechen. Dagegen sei seine Ansicht, daß der Ankömmling den einzelnen Herren Besuch machen müsse, um die Bekanntschaft mit ihnen auf anständige Weise einzuleiten. Ein Frack sei nicht nöthig.

Anton stieg mit seinem Begleiter einige Treppen herunter, und Herr Jordan war im Begriff, an eine Thüre anzuklopfen, als der Bewohner des Zimmers ihm entgegentrat, ein schöner schlanker Mann, von mäßiger Größe und einem Wesen, welches unserm Helden sehr imponirte. Er hatte seinen Anzug gewechselt, trug kurze Beinkleider und Stolpenstiefeln, eine Jokeimütze auf dem Kopf und eine Reitgerte in der Hand, die er unternehmend schwenkte.

»Führen Sie Ihr Füllen schon an der Leine?« sagte der Junker in den Stolpenstiefeln lächelnd zu dem Führer. Herr Jordan stellte sich feierlich auf und präsentirte: »Herr Wohlfart, der neue Lehrling, soeben angekommen. — Herr von Fink, Sohn der großen Firma Fink und Becker in Hamburg.«

[S. 41]

»Erbe des größten Thranvorraths von der Welt und so weiter,« unterbrach ihn Herr von Fink nachlässig. »Jordan, geben Sie mir zehn Thaler, ich will den Reitknecht bezahlen. Schreiben Sie's zu dem Uebrigen.« Jordan holte bereitwillig ein Cassenbillet aus seiner Brieftasche und überreichte es dem Jokei, der es zusammenknitterte und in die Westentasche steckte; worauf er mit einiger Höflichkeit zu Anton sagte: »Wenn Sie mich besuchen wollen, wie ich aus dem festlichen Gesicht Ihres Mercurs merke, so bedaure ich, heut nicht zu Hause zu sein, ich will ein neues Pferd kaufen. Ihren Besuch nehme ich als geschehen an, ich danke Ihnen in aller Feierlichkeit dafür und gebe Ihnen meinen Segen zu Ihrem Eintritt.« Er nickte gleichgültig mit dem Kopf und schritt klirrend die Stufen hinab und über die Steinplatten des Hofes.

Antons Behagen erlitt durch das kühle Benehmen des Herrn einen großen Stoß und er dachte verschüchtert, wenn die andern Herren vom Geschäft eben so sind, so wird es mir sehr schwer werden, mit ihnen umzugehen. Auch Herr Jordan fand nöthig, das auffallende Benehmen des Jokei zu erklären, und sagte mit vertraulicher Wichtigkeit: »Fink gehört nur halb in unser Geschäft, er ist erst seit kurzer Zeit hier, von seinem Vater aus New-York gezogen und hierher versandt worden, um bei uns vernünftig zu werden.«

»Ist er denn nicht vernünftig?« frug Anton neugierig.

»Nur zu wild, liebt den Sport, ist aber sonst ein guter Gesellschafter,« sagte Herr Jordan. »Die andern Herren habe ich zu mir auf die Stube gebeten, um Sie mit Allen bekannt zu machen; wir werden dort eine Tasse Thee trinken. Morgen machen Sie den Einzelnen Besuch auf ihren Zimmern.«

Die Stube des Herrn Jordan war die größte unter den kleinen Wohnungen des Hinterhauses, in welchem die Herren vom Comtoir einzeln oder zu zweien hausten, und wurde deßhalb und wegen der ansprechenden Gemüthsart ihres Bewohners zuweilen als Salon benutzt; sie genoß die Auszeichnung, ein Fortepiano und einige Armstühle zu besitzen. An den [S. 42] Fenstern hingen zahlreiche Biscuitbilder, in denen edle Weiblichkeit durch mittelalterliche Kirchengängerinnen, Loreleys und Madonnen vertreten war. In diesem Zimmer saßen und standen die Herren und erwarteten die Ankunft des Neulings. Anton machte die Massenvorstellung mit Erfolg durch, indem er jedem Einzelnen die Hand schüttelte und hinterdrein Alle zusammen um ihr Wohlwollen und freundliche Hülfe bat, weil er im Geschäft ganz unerfahren und noch gar nicht in der Welt und wenig unter Menschen gewesen sei. Diese Offenheit verfehlte nicht, einen guten Eindruck hervorzubringen. Darauf ging eine friedfertige Unterhaltung an, gewürzt mit kleinen Scherzen und Anspielungen, welche für einen Neuling so unverständlich als möglich waren. Anton verhielt sich schweigend und mühte sich, das Wesen der einzelnen Herren zu erkennen. Da war der Buchhalter Herr Liebold, ein ältlicher kleiner Mann mit einer feinen Stimme und einem bescheidenen Lächeln, durch welches er die Welt um Vergebung bat, daß er sich die Freiheit nehme, zu existiren. Er sprach wenig, hatte aber die Eigenschaft, im Nachsatz das zurückzunehmen, was er im Vordersatz behauptete; z. B.: »ich glaube fast, daß dieser Thee zu schwach ist, aber freilich ist starker Thee sehr ungesund,« und Aehnliches. Ferner war da Herr Pix, der tyrannische Führer des schwarzen Pinsels in dem Hausflur, ein entschlossener Mann, welcher geneigt schien, alle menschlichen Verhältnisse wie Detailgeschäfte zu betrachten; vielleicht respectabel, aber kleinlich. Als ein Stuhl im Zimmer fehlte, rückte er verächtlich einen kleinen Tisch in die Nähe des Thees, schwang sich darauf und blieb den ganzen Abend rittlings darauf sitzen. Ferner war da ein Herr Specht, welcher viel sprach und stark in Behauptungen war, die von Jedermann bestritten wurden. Er behauptete, China werde durch eine Constitution regiert, die von der englischen nur wenig verschieden sei, und verfocht mit Leidenschaft die Ansicht, daß Schneckensuppe das Lieblingsgericht des seligen Kaisers Napoleon gewesen sei. Ferner war da ein schmächtiger [S. 43] Herr Baumann mit kurz geschorenem Haar und sinnigem Wesen, welcher jeden Sonntag in die Kirche ging, allen Missionsvereinen Beiträge zahlte und, wie seine Collegen ihm auf den Kopf zusagten, die Absicht hatte, später einmal Missionär zu werden. Er schob das noch auf aus einer gewissen kindlichen Gewöhnung an Deutschland und die Firma, zu deren Nutzen er gegenwärtig arbeitete. Anton bemerkte mit Freuden, daß im Ganzen ein artiger und rücksichtsvoller Ton unter den Herren herrschte. Da er ermüdet war, empfahl er sich in Kurzem, und weil er Niemandem widersprochen hatte und gegen Alle zuvorkommend gewesen war, so wurde nach seinem Abgange erklärt, er verspreche ein guter College zu werden.


Unterdeß schritt Veitel Itzig mit der Gleichgültigkeit eines Herumtreibers und der Sicherheit eines Eingeborenen durch das Gewirr der Menschen und Straßen. Das röthliche Licht der Abendsonne war von den Steinen der Straße an den Häusern hinaufgestiegen, von einem Fenstersims zu dem andern bis hoch auf die Dächer, und das Dunkel des Abends erfüllte die engen Gassen des alten Stadttheils, welcher am Flusse liegt. In einer solchen Gasse stand ein großes Haus mit breiter Front. Die untern Fenster waren durch Eisenstäbe vergittert, im ersten Stockwerk glänzten die weißen Rahmen, welche große Spiegelscheiben einfaßten, unter dem Dach waren die Fenster blind, schmutzig, hier und da eine Scheibe zerschlagen. Es war kein guter Charakter in dem Hause, wie eine alte Zigeunerin sah es aus, die über ihr bettelhaftes Costüm ein neues buntes Tuch geworfen hat.

In dieses Haus trat Veitel Itzig, indem er einem geputzten Dienstmädchen an der Thür schnalzend einen Kuß zuwarf, den diese wie eine heranfliegende Wespe pantomimisch mit der Hand fortschleuderte. Die unsaubere Treppe führte zu einer weißlackirten Entreethür, auf welcher in großem Messingschild der Name: »Hirsch Ehrenthal« zu lesen war. Veitel [S. 44] faßte den dicken Porcellangriff der Klingel und schellte, ein ältliches Frauenzimmer mit zerknitterter Haube öffnete einen schmalen Spalt und frug, die Nase hinaussteckend, nach seinem Begehr, dann riß sie die Stubenthür auf und rief in das Zimmer: »Es ist Einer da, Itzig Veitel heißt er, aus Ostrau, er will den Herrn Hirsch Ehrenthal sprechen.« Aus der Stube scholl die Stimme des Hausherrn: »Warten soll er!« und das Geklirr von Tellern verrieth, daß der Geschäftsmann erst das Familienglück des Abendessens genießen wollte, bevor er dem künftigen Millionär Audienz gab. Die aufwartende Person warf mit mißtrauischen Blicken auf den Ankömmling die Thür wieder zu und sperrte ihn aus.

Veitel setzte sich auf die Treppe und sah mit starrem Auge auf das Messingschild und die weiße Thür, bewunderte die abgeschrägten Ecken der Messingplatte und versuchte sich vorzustellen, wie der Name Itzig auf einer eben solchen Platte an einer ähnlichen weißen Thüre aussehen würde. Darauf kam er auf gradem Wege zu der Betrachtung, wie viel ihm noch fehle, um so reich zu sein, wie Hirsch Ehrenthal, er fühlte nach einem halben Dutzend Ducaten, welche ihm seine alte Mutter mit einem Lederfleck in das Futter seiner Weste eingenäht hatte, und überlegte, wie viel er alle Tage dazu sparen könnte, vorausgesetzt, daß ihm der reiche Mann Gelegenheit ließe, etwas zu verdienen. Er war tief in Betrachtungen versunken über den Werth von zwei Phantasiestiefeln, welche er sich auf den Beinen eines jungen Elegants vorstellte, und welche nach seiner Annahme den dreifachen Werth des Viergroschenstücks haben mußten, das er dem eleganten Herrn dafür bieten wollte; da wurde die Entreethür mit starker Hand aufgemacht, und Herr Ehrenthal stand vor dem armen Bocher. Das war nicht mehr der Mann von heut Nachmittag, die anschmiegende Freundlichkeit war verschwunden, wie der Duft einer Rose am Ende des heißen Tages, er war ganz Majestät, Selbstgefühl, Despotismus; kein asiatischer Kaiser kann so stolz auf die Creatur vor seinen Füßen heruntersehen, als er auf das [S. 45] Kind von Ostrau zu blicken verstand. Itzig fühlte das Bedeutende in der Stellung des großen Mannes und seine eigene Nichtswürdigkeit trotz der sechs Ducaten im Ledersäckchen, er schnellte in die Höhe und stand demüthig vor seinem Meister. »Hier ist ein Brief von Baruch Goldmann, bei welchem der Herr Ehrenthal mich hat verschrieben für sein Geschäft,« begann Veitel und hielt dem großen Mann einen Brief entgegen.

»Ich habe dem Goldmann geschrieben, er soll mir einen Menschen schicken, den ich mir ansehe, ob ich ihn brauchen kann; abgemacht ist noch nichts,« sprach Ehrenthal vornehm und öffnete das Schreiben.

»Ich bin doch gekommen, damit Sie mich ansehen,« entgegnete Veitel.

»Und was kommst du so spät, junger Itzig? Es ist keine Zeit mehr zur Rede vom Geschäft,« schnarrte ihn der Hausherr an.

»Ich wollte mich melden bei meinem Herrn Hirsch Ehrenthal zum Dienst noch heut Abend, wenn er mir hat zu geben einen Auftrag für morgen früh.«

»Davon ist zu reden morgen früh,« antwortete gereizt der Herr, welcher es für vortheilhaft hielt, dem Neuling zu zeigen, wie wenig ihm an seiner Person gelegen sei. Itzig begriff vollkommen das Zweckmäßige dieses Benehmens, und da er sah, daß seine Stellung bei dem abzuschließenden Geschäftsvertrage bis jetzt keine günstige war, suchte er sie dadurch zu verbessern, daß er tiefer auf die Sache einging und entgegenwarf: »Ich kann vielleicht leisten einen Dienst morgen früh, wo Markttag ist, weil ich kenne die meisten Kutscher von den Herren, welche hereinkommen mit Raps.«

»Was Raps! Was thue ich mit Raps? Was will er reden vom Geschäft?« schleuderte ihm Hirsch Ehrenthal noch grimmiger entgegen.

Aber unerschüttert fuhr Veitel fort sich herauszustreichen, wie ein seidenes Halstuch: »Ich bin auch sonst bekannt in der Stadt, ich kenne die Makler und die kleinen Leut' und [S. 46] kann dem Herrn helfen bei jedem Geschäft, das er machen will im Haus und außer dem Haus.« Und um seinen Selbstverkauf dem Abschluß näher zu bringen, fügte er mit resignirter Miene hinzu: »Ich bin nicht so stolz, daß ich will wohnen in dem Hause bei Herrn Hirsch Ehrenthal; wenn der Herr Ehrenthal für mich nicht hat ein Bett in seinem Hause, so will ich mir suchen mein Lager in der Nähe bei einem Wirth.«

Herr Ehrenthal wurde durch diese Anspruchslosigkeit so weit gerührt, daß er den Burschen noch einmal von oben bis unten ansah und mit mehr Herablassung frug: »Sind deine Papiere in Ordnung, daß du mich in keine Unannehmlichkeiten bringst mit der Polizei?«

Veitel beruhigte ihn über diesen wichtigen Punkt; eine uralte große Brieftasche flog plötzlich auf geheimnißvolle Weise aus den Falten seiner schlottrigen Jacke; aus ihr suchte er seine Legitimation heraus.

Herr Ehrenthal faßte das Papier mit einem geschickt angenommenen Widerwillen gegen die gelbliche Farbe desselben und sah es genau durch, Unterschrift, Siegel und Alles, indem er es sogar gegen das Licht hielt. Veitel wartete gespannt, ob er das Document behalten würde; wenn er es in der Hand behielt, so war das Geschäft zum Abschluß reif.

Als Herr Ehrenthal das Document nachlässig in der Hand wiegte, versuchte Itzig mit unterwürfiger Vertraulichkeit zu lächeln. »Wenn ich dich in meinen Dienst nehme,« sprach der Hausherr, »so wirst du machen Alles in meinem Hause, was ich dir werde auftragen, oder Madame Ehrenthal, oder mein Sohn Bernhard Ehrenthal; du wirst putzen die Stiefeln am Morgen und die Schuhe meiner Frau, du wirst holen in die Küche, was dir die Köchin sagen wird, in meinem Geschäft wirst du machen alle Gänge, die ich habe zu machen, und wirst ausrichten alle Bestellungen.«

»Ich will, Herr Ehrenthal,« sagte Veitel demüthig, »ich will Alles thun, daß Sie seien zufrieden mit mir.«

[S. 47]

»Frühstück und Mittagessen wird dir geben die Köchin, am Abend von sieben Uhr kannst du sein dein eigener Herr.« — Veitel nahm mit derselben Bereitwilligkeit auch diese Bedingung an und bemerkte nur: »Kann ich nicht haben am Morgen ein bis zwei Stunden für mich?«

»Nein,« sprach Ehrenthal ungnädig, »ich kann es nicht leiden, wenn Einer in meinen Diensten ist und macht Geschäfte für eigene Rechnung.«

Da Veitel beschlossen hatte, unter allen Umständen Geschäfte für eigene Rechnung zu machen, und Herr Ehrenthal das eben so gut wußte wie Veitel, so wurde auf diesen zarten Punkt nicht weiter eingegangen.

»Dafür sollst du erhalten alle Monat zwei Thaler, und wenn ich mit deiner Hülfe ein Geschäft mache, erhältst du deinen Antheil davon.«

»Wie groß soll sein dieser Antheil?« rief Veitel schnell.

»Wie groß er soll sein?« frug Herr Ehrenthal unwillig, »was ich dir werde geben, wird sein groß genug.«

»Groß genug für den Herrn, aber nicht für mich,« antwortete Veitel dreist, denn er fühlte, daß bei diesem Hauptpunkt Entschlossenheit nöthig sei.

»Das wird sich finden, wenn du wirst abgedient haben deine Probezeit. Vier Wochen dienst du auf Probe, nach der Zeit werde ich mit dir reden über deinen Verdienst.«

Das war Alles, was Veitel billigerweise verlangen konnte, er hob sein Bündel von den Treppenstufen auf und sagte unterwürfig: »Ich bin's zufrieden, wenn der Herr Ehrenthal mir noch will schenken eine alte Hose und Rock, daß ich ihm keine Schande mache vor den Leuten.«

»Keinen Rock und keine Hose,« antwortete der Herr entschieden.

»Dann geben Sie mir Hose und Rock in vier Wochen, wenn meine Probezeit zu Ende ist.« Diese Forderung war nach dem Cours der Trödlerbörse gleich einem Geschenk von drei bis vier Thalern, und Ehrenthal fand die Forderung mit [S. 48] Recht hoch, er warf noch einen prüfenden Blick auf den Burschen, auf die Demuth seiner Stellung und die ungewöhnliche Frechheit seiner Augen, er schloß, daß der Mensch brauchbar sein werde, und fühlte sich bewogen, Großmuth zu zeigen. »So mag es sein,« schloß er, »in vier Wochen. Dein Nachtquartier kannst du nehmen bei Löbel Pinkus an der Ecke, damit ich weiß, wo du bist zu finden.« Darauf öffnete Herr Ehrenthal die Entreethüre und rief hinein: »Frau, Bernhard, Rosalie, kommt heraus.« Zwei Stubenthüren und die Küchenthür öffneten sich, und die Familie des Hausherrn wurde sichtbar, dahinter die zerknitterte Köchin.

Madame Ehrenthal war eine volle Frau in schwarzer Seide, mit starken Augenbrauen und rabenschwarzen Hängelocken; sie machte noch große Ansprüche zu gefallen und gefiel auch. Wenigstens versicherten ihr das mit mehr oder weniger Anstand junge Herren vom Adel, welche zuweilen in den Morgenstunden Herrn Ehrenthal besuchten, um mit ihm Geschäfte zu machen; und obgleich diese Versicherungen um so wärmer zu sein pflegten, je kühler Ehrenthal sich gegen das abzuschließende Geschäft verhielt, so galt doch, die Wahrheit zu sagen, Madame Ehrenthal auch bei solchen Leuten, welche keine Sola-Wechsel zu prolongiren wünschten, für eine sehr stattliche Dame. Ihre Tochter aber war in der That eine Schönheit, eine große, edle Gestalt mit glänzenden Augen, dem reinsten Teint und einer nur sehr wenig gebogenen Nase. Wie aber kam der Sohn in diese Familie? Er war fast klein, mit einem bleichen, faltigen Gesicht und gebückter Haltung; daß er noch ein Jüngling war, sah man nur an seinem Munde und dem hellen Blick; auch war er nachlässiger gekleidet, als einem Sohn des Herrn Ehrenthal geziemte, und in dem braunen Haar hingen noch jetzt am Abend einige Federn. Die Familie und Veitel sahen einander stumm an, während Herr Ehrenthal mit Selbstgefühl bemerkte: »Dieses ist der Veitel Itzig, ich habe ihn genommen in unsern Dienst.« Der vornehme Stolz der Mutter, der mißfällige [S. 49] Blick der Tochter und das zerstreute Auge des Sohnes wurden von dem armen Bocher eben so gewandt aufgefangen, wie die bunten Strahlen eines Prismas von einem beobachtenden Naturforscher; er beschloß auf der Stelle, gegen die Mutter sehr, sehr unterwürfig zu sein, sich in die Tochter zu verlieben und Bernhards Stiefel schlecht zu putzen und in den Rocktaschen desselben beim Ausbürsten nachzusehen, ob nicht ein Geldstück durch Nachlässigkeit des Besitzers in den Falten sitzen geblieben.

Nach dieser Vorstellung erklärte Herr Ehrenthal, Veitel könne gehen und solle am nächsten Morgen um sechs Uhr im Hause sein. Die Entreethüre schloß sich hinter dem Burschen, auch er stand auf der Treppe, in's Geschäft aufgenommen, ein angehender Kaufmann. Er lächelte vergnügt, als er die Treppe hinunter ging, offenbar war er mit seinem Handel zufrieden. Hatte er sich doch gemessen mit dem großen Herrn im Geschäft und hatte einen Vortheil davongetragen. Denn da er sich auf jede Bedingung auch ohne Garderobenzulage engagirt haben würde, so betrachtete er den alten Rock und Hosen zahlbar in vier Wochen mit Recht als eine angenehme Uebervortheilung seines neuen Prinzipals. Die Ueberlegung: »Es wird nur ein Sommerrock sein,« flog wie ein düsterer Schatten über seine Seele; »aber die Hose wird sein von seinem Bernhard, welcher trägt Tuchhosen auch heut am heißen Sommertage.« So trug er beruhigt sein Bündel um die Ecke zu Löbel Pinkus.

Löbel Pinkus war Hausbesitzer und hielt zu ebener Erde einen kleinen Branntweinladen, welcher zahlreiche Kunden hatte. Doch war ersichtlich, daß weder die starke, wie fettig glänzende Figur des ehrsamen Pinkus selbst, noch die dicke Halskette seiner Frau ihre solide Pracht aus dem Branntweingeschäft allein herleiteten, und die Nachbarn zerbrachen sich manchmal den Kopf darüber, wie Frau Pinkus es durchsetzen könne, immer die theuersten Gänse zu braten, ja zuweilen sogar Truthühner. Indeß da ihr Gemahl ein resoluter Charakter [S. 50] war, in allen seinen Reden grob und entschieden, da er Branntwein verkaufte, was immer für ein Zeichen volksthümlicher Gesinnung gelten wird, und da er außerdem Geld gegen ungewöhnliche Procente auszuleihen wußte, so war er unter den kleinen Handwerkern in der Nachbarschaft doch sehr respectirt und gefürchtet. Seine Reputation war gut. Die Straßenpolizei trank im Vorbeigehen gern in seinem Laden einen Liqueur, für den er das Geld zu nehmen stets verweigerte, er zahlte seine Abgaben pünktlich und galt für einen Freund, ja Vertrauten der executiven Macht. In Wahrheit aber war Herr Pinkus eine von den glücklichen Naturen, welche Honig aus allen Blumen zu saugen wissen, auch aus übelriechenden. Er hielt in dem ersten Stock seines Hauses eine stille Herberge für Männer mit und ohne Bart, welche einen Haß gegen Alles, was von dem Geschlecht der Schweine stammt, nicht überwinden konnten. Diese Männer von uralter Familie schätzten zuweilen ein billiges und verborgenes Nachtlager, bei welchem der Wirth keine hohen Rechnungen machte und keinen Paß abforderte; sie kamen in der Regel am späten Abend in die Herberge und schlichen am frühen Morgen wieder hinaus in die Gassen der Stadt, oder auf die Landstraße, bescheidene Trödler und Schacherer, welche ihren Gewinn nach Groschen und Pfennigen berechneten. Außer diesen Gästen erschienen zuweilen noch andere, unregelmäßig wie Kometen, von jedem Alter, Geschlecht und Glauben, sie verhandelten in größter Stille mit dem Hausherrn und konnten es nicht vertragen, wenn man bei Nacht in der Nähe ihres Gesichtes ein Schwefelholz anzündete. Alte Gastfreunde des Pinkus hatten über solche Eigenthümlichkeit allerdings ihre Ansichten, aber sie fanden es nicht gerathen, darum viele Worte zu verlieren.

In diesem Hause tappte Itzig im Finstern eine Treppe hinauf und unsaubere Wände entlang, stieß an eine schwere eichene Thür mit großem Schloß und trat, als er diese durch einen starken Druck geöffnet hatte, in einen wüsten Raum, der fast die ganze Länge des Hauses einnahm. In der Mitte [S. 51] stand ein alter Tisch mit einer schlechten Oellampe, einige Schemel darum; gegenüber der Thürseite war ein großer Wandverschlag mit vielen kleinen Thüren, welche zum Theil offen standen und verriethen, daß der ganze Verschlag aus schmalen, von einander getrennten Abtheilungen mit hölzernen Kleiderhaken und Fächern bestand. Vor den kleinen Fenstern, welche auf die Straße führten, waren verblichene Rouleaux heruntergelassen, auf der gegenüberliegenden Langseite fiel durch eine offene Thür das Abendlicht in das Zimmer, diese Thür führte auf eine hölzerne Galerie, welche längs der Gaststube an der Außenseite des Hauses fortlief.

Itzig warf sein Bündel in einen Wandschrank und trat auf die Galerie hinaus. Da er auch hier keinen zweiten Gast vorfand, fing er an von der Galerie die Aussicht zu bewundern mit demselben Grad von Interesse, welchen ein niederländischer Architekturmaler gehabt haben würde, nur nicht ganz in derselben Absicht. Unten am Fuß des Hauses wälzte ein Fluß sein lehmiges Wasser eilig vorwärts und bildete eine schmale Wasserstraße, welche auf beiden Seiten mit verfallenen hölzernen Häusern eingefaßt war. Fast an jedem Hause, an jedem Stockwerk waren ähnliche hölzerne Galerien herausgebaut und durch gebräunte Balken gestützt. Manchmal liefen drei, vier Galerien übereinander, dann war der Fußboden der obern das Regendach der untern. In alter Zeit hatte die achtbare Zunft der Gerber diese Straße bewohnt, damals war das Holzwerk glatt und neu gewesen, und helle Lämmer- oder Ziegenfelle hatten an den Geländern gehangen, bis sie weich und geschmeidig geworden waren, um Handschuhe für die Patrizier und Ledertaschen für ihre Frauen zu geben. Jetzt waren die Gerber nach entfernteren Stadttheilen hinabgezogen, und statt der Thierfelle hing die Wäsche armer Leute an den hölzernen Balconen, über dem zerbrochenen Schnitzwerk und den wurmstichigen Balkenköpfen. Noch stach die weiße, rothe und blaue Farbe der Wäsche im Abendlichte seltsam ab von dem schwarzen Holzwerk, und das Licht brach [S. 52] sich auf wunderliche Weise an den Säulen und Vorsprüngen der Galerie, an rohen Arabesken der Einfassung und an den dunkeln Pfählen, welche hier und da aus dem Wasser hervorragten. Es war ein unheimlicher Aufenthalt für jedes Geschöpf, außer für Maler, Katzen oder arme Teufel.

Junker Itzig war schon früher ein und das andere Mal in dem Hause gewesen, aber immer in größerer Gesellschaft. Heut bemerkte er, daß eine lange bedeckte Treppe vom Ende seiner Galerie bis hinunter an das Wasser führte; er sah, daß neben dieser bedeckten Treppe eine ähnliche am Nachbarhause hinablief, und schloß daraus, daß es möglich sein müsse, die eine Treppe hinunter und die andere hinauf zu steigen, ohne sich mehr als die Schuhe naß zu machen; er entdeckte ferner, daß es bei dem niedrigen Wasserstand des Sommers möglich war, längs der Häuserreihe am Wasser weit hin fortzugehen, und er überlegte, ob es Menschen geben könnte, welche bei Tag oder Nacht einen solchen Spaziergang für nützlich hielten. Nachtwächter und Polizeidiener wenigstens waren dort nicht zu befürchten. Durch diese Betrachtungen wurde seine Phantasie so aufgeregt, daß er in das Gastzimmer zurücklief, in die Wandschränke kroch, welche offen standen, und die Holzwände derselben durch Klopfen und Schütteln untersuchte. Mit Erstaunen entdeckte er, daß auch die Rückwand von Holz war und hohl klang. Da an dieser Seite die Mauer laufen mußte, welche dies Haus vom Nachbargebäude trennte, so fand er den hohlen Ton auffällig und nicht in der Ordnung und war eben im Begriff, einen verschlossenen Wandschrank anzugreifen und zu sehen, ob nicht ein Ritz in dem Holze der Rückwand weiteren Aufschluß gebe, als ein dumpfes Knurren seine Hand von der Schrankthür zurückhielt. Er sah sich um und erkannte — ohne große Beschämung — daß er nicht mehr allein war. In einer Ecke des Zimmers lag in seinen Kaftan gewickelt, das schwarze Käppchen im Haar, ein galizischer Handelsmann zusammengekauert auf dem Strohsack. Er hatte seine Sachen in dem angegriffenen Wandschrank verschlossen [S. 53] und hielt für nöthig, gegen die Untersuchung des Wißbegierigen zu protestiren. Itzig versuchte ein Gespräch mit dem Fremden anzuknüpfen; da dieser aber mehr Lust zum Schlafen als zur Unterhaltung zeigte, setzte sich Itzig in die gegenüberliegende Ecke auf einen andern Strohsack und saß dort mit seinem rastlosen Geiste rechnend und Geschäfte ausdenkend, wobei er zuweilen in lebhaftem Sinnen mit Händen und Beinen schlenkerte, bis die Dunkelheit der Nacht durch die Thür eindrang, und die kleine Oellampe zu knistern anfing und Miene machte auszugehen. Noch kam Pinkus der Wirth selbst herauf, ein Licht in der Hand; er untersuchte den Bestand seiner Gäste, setzte einen Krug Wasser auf den Tisch und schloß beim Herausgehen die Thür von außen ab. Im Finstern holte Itzig ein Stück trockenes Brod aus der Tasche und schlief endlich unter dem Schnarchen seines Stubengenossen ein, den Strohsack unter sich, zugedeckt mit seiner alten Jacke.


Zu derselben Stunde wickelte sich sein Reisegefährte im Patrizierhause in die gesteppte Decke seines Lagers, sah noch einmal mit müden Augen in der Stube umher und bemerkte schlaftrunken, daß die gelbe Katze auf dem Schreibtisch ihre Beinchen bewegte, sich mit der Pfote zu strählen anfing und ihm zuletzt sogar mit beiden Pfoten Kußhändchen zuwarf. Bevor er Zeit hatte, über diese ungewöhnliche Freundlichkeit des Gipses nachzudenken, war er eingeschlafen. Vor beiden Jünglingen senkte sich das Gewebe von grauem Flor herab, auf welchem die Traumgöttin ihre bunten Bilder zu zeigen pflegt. Anton sah sich selbst auf einem großen Waarenballen sitzen und durch die Luft fliegen, während eine gewisse junge Dame die Arme nach ihm ausstreckte; und Veitel Itzig entdeckte mit Behagen, daß er ein Baron geworden war, welcher von Hirsch Ehrenthal um ein Almosen angeredet wurde. Er sah, wie er dem alten Ehrenthal seine sechs Ducaten als Geschenk gab [S. 54] und wie dieser sich kläglich bedankte. Ueber diese Großmuth erschrak er im Traume so, daß er mit Händen und Beinen um sich schlug.

Am nächsten Morgen begann jeder der beiden Jünglinge seine Thätigkeit. Anton saß auf seinem Platze im Comtoir und copirte Briefe; und Veitel stand, nachdem er sämmtliche Stiefeln und Schuhe der Familie Ehrenthal gebürstet und die Kleidertaschen Bernhards durchsucht hatte, als Aufpasser vor dem größten Hotel der Stadt, um einen fremden Herrn vom Lande zu beobachten, welcher mit Herrn Ehrenthal unzufrieden geworden war und im Verdacht stand, sich andere Geschäftsfreunde auf sein Zimmer bestellt zu haben. Anton bekam durch das Copiren der Briefe Einsicht in Styl und Sprache seines Geschäfts, und Veitel hatte während seines Lauerns vor dem Gasthofe das Glück, die Adresse eines vorübergehenden Studenten zu erhalten, welcher es für zeitgemäß hielt, seine silberne Uhr zu verkaufen.

In seinen ersten Mußestunden zeichnete Anton das Schloß, die Kletterpflanzen, den Balcon und die Thürmchen aus dem Gedächtniß auf das beste Papier, das ihm die große Stadt liefern konnte. Er ließ das Bild in einen Goldrahmen fassen und hing es über seinem Sopha auf.


V.

Anton hatte in den ersten Wochen Mühe, sich in der neuen Welt zurecht zu finden, in die er versetzt war. Das Gebäude, der Haushalt, das Geschäft waren so alterthümlich, solid und großartig, daß sie auch einem Weltbürger von mehr Erfahrung imponiren mußten.

Das Geschäft war ein Waarengeschäft, wie sie jetzt immer seltener werden, jetzt, wo Eisenbahnen und Telegraphen See [S. 55] und Inland verbinden, wo jeder Kaufmann aus den Seestädten durch seine Agenten die Waaren tief im Lande verkaufen läßt, fast bevor sie im Hafen angelangt sind, so selten, daß unsere Nachkommen diese Art des Handels kaum weniger fremdartig finden werden, als wir den Marktverkehr zu Tombuctu oder in einem Kaffernkral. Und doch hatte dies alte weit bekannte Binnengeschäft ein stolzes, ja fürstliches Ansehen und, was mehr werth ist, es war ganz gemacht, bei seinen Theilhabern feste Gesinnung und ein sicheres Selbstgefühl zu schaffen. Denn damals war die See weit entfernt, die Conjuncturen waren seltener und größer, so mußte auch der Blick des Kaufmanns weiter, seine Speculation selbstständiger sein. Die Bedeutung einer Handlung beruhte damals auf den Massen der Waaren, welche sie mit eigenem Gelde gekauft hatte und auf eigene Gefahr vorräthig hielt. Auf den Packhöfen am Flusse lag in langen Speichern ein großer Theil der fremden Waaren aufgestapelt, ein kleinerer Theil in den Kellern und Gewölben des alten Hauses selbst, viele Vorräthe in Speichern und Remisen der Nachbarschaft. Zahlreiche Kaufleute in der Provinz versorgten sich aus den Magazinen der Handlung mit Colonialwaaren und den tausend guten Erzeugnissen der Fremde, welche uns ein tägliches Bedürfniß geworden sind. Aber auch über die Grenzen des Landes hinaus, nach dem Süden und Osten, bis an die türkische Grenze, saßen die Agenten des Hauses, und dieser Theil des Geschäftes, vielleicht weniger regelmäßig und sicher, galt zur Zeit für die gewinnreichste Thätigkeit der Handlung.

So bot der Verkehr des Tages dem neuen Lehrling eine Menge der verschiedensten Eindrücke, Menschen und Verhältnisse aller Art. Außer den Agenten der Seeplätze, welche fast täglich Waarenproben brachten, und außer den Sensalen der Börse, welche die Geldgeschäfte des Hauses vermittelten, Wechsel anboten und verkauften, zog durch das vordere Comtoir vom Morgen bis zum Abend eine bunte Procession von allerlei Volk. Da kamen Materialhändler aus der Provinz, [S. 56] altväterische Männer mit jeder Art von Mützen und jedem Grade von Bildung und Zuverlässigkeit; sie kauften, drückten die Hände, und verlangten als specielle Freunde des Geschäftes behandelt zu werden; ferner Gutsbesitzer jedes Standes aus der Landschaft, welche die angebauten Handelsgewächse, Farbekräuter, Gewürze u. s. w. anboten; dann polnische Juden, schwarzlockige Gesellen im langen seidenen Kaftan, die zuweilen einkauften, gewöhnlich aber die Producte ihrer Länder Wolle, Hanf, Potasche, Talg verkaufen wollten. Mit ihnen war der Verkehr am wenigsten geschäftsmäßig, ihr Kommen erregte jedesmal unter den jüngern Leuten des Comtoirs stille Heiterkeit. Dazwischen kamen Bettler, Hülfesuchende aller Art, Geschäftsfreunde des Hauses, Fuhrleute, welche ihre Frachtbriefe forderten, Auflader und Hausknechte, welche Aufträge erhielten oder die Aufträge anderer Geschäfte ausrichteten. Anton fand es sehr schwer, bei diesem ewigen Thüröffnen und Durcheinandersprechen seine Gedanken zusammenzuhalten und die einfache Arbeit, welche ihm aufgetragen war, zu vollenden.

Eben war Herr Braun eingetreten, der Agent eines befreundeten Hauses in Hamburg, und hatte aus seiner Tasche eine Anzahl Kaffeproben hervorgeholt. Während diese vom Prinzipal besichtigt wurden, gesticulirte der kleine behende Agent mit seinem goldenen Stockknopf in der Nähe von Antons Augen umher und berichtete von einem Seesturme und dem Schaden, den er angerichtet haben sollte. Da knarrte die Thür, und eine ärmlich gekleidete Frau trat herein. Herr Specht erhob sich und frug: »Was wollen Sie?« Man hörte klägliche Töne, welche mit dem Gepiep eines kranken Huhns Aehnlichkeit hatten, der Kaufmann griff schnell in die Tasche und das Piepen verwandelte sich in ein behagliches Glucksen. »Haushohe Wellen,« ruft der Agent. — »Gott vergelt es tausendmal,« gluckst die Frau. — »Macht 550 Mark zehn Schilling,« sagt Herr Baumann zum Prinzipal.

Jetzt wird die Thür heftig aufgerissen, ein starker Mann, [S. 57] mit einem Geldsacke unterm Arm, tritt ein, er setzt den Geldsack triumphirend auf den Marmortisch und ruft mit dem Ausdruck eines Mannes, der eine gute That vollbringt: »Hier bin ich, und hier ist Geld!« Sogleich erhebt sich Herr Jordan und sagt vertraulich: »Guten Morgen, Herr Stephan, wie geht's in Wolfsburg?« — »Ein furchtbares Loch,« klagt Herr Braun. — »Wo?« frägt Fink. — »Es ist keine schlechte Stadt, aber wenig Nahrung,« sagt Herr Stephan. — »Natürlich im Rumpfe des Schiffes,« antwortet Herr Braun. — »Fünfundsiebzig Sack Cuba,« bemerkt der Prinzipal als Antwort auf die Frage eines Commis.

Während nun Herr Stephan die Neuigkeiten seiner Stadt erzählt, darunter die traurige Geschichte eines Lehrjungen, der sich mit Hülfe einer Schlüsselbüchse erschossen hat, und während Jordan diese nothwendige Einleitung zu dem bevorstehenden Einkauf geduldig durchmacht, öffnet sich wieder die Thür, ein Bedienter tritt ein und ein Jude aus Brody. Der Diener bringt dem Kaufmann die Einladung zu einem Diner, und der Jude schleicht an die Ecke, wo Fink sitzt.

»Wozu kommt Ihr wieder, Schmeie Tinkeles?« frägt Fink kalt, »ich habe Euch schon gesagt, daß wir kein Geschäft mit Euch machen wollen.«

»Kein Geschäft?« ruft der unglückliche Tinkeles krächzend in abscheulichem Deutsch, so daß Anton ihn nur mit Mühe versteht. »Solche Wolle, wie ich bringe, ist noch nicht gewesen im Lande.«

»Wie hoch der Centner?« frägt Fink schreibend, ohne den Juden anzusehen.

»Was ich doch habe gesagt,« antwortete der Jude.

»Ihr seid ein Narr,« sagt Fink, »fort mit Euch!«

»Kein Lootse kann ihm helfen,« sagt Herr Braun.

»Meine Empfehlung an Herrn Commerzienrath,« sagt der Kaufmann.

»Mit einem Schwefelhölzchen hat er den Schlüssel angezündet,« ruft Herr Stephan zum Himmel blickend.

[S. 58]

»Wai!« schreit der Mann im Kaftan, »was ist das: Fort mit Euch? Mit Fort kann man machen keine Geschäfte.«

»Was wollt Ihr also haben für Eure Wolle?«

»412/3,« sagt Tinkeles.

»Hinaus!« bemerkt Fink.

»Sagen Sie doch nicht immer hinaus!« bittet der Jude in Verzweiflung, »sagen Sie, was wollen Sie geben?«

»Wenn Ihr so unverschämt fordert, gar nichts,« sagt Fink, eine neue Seite seines Briefes beginnend.

»Sagen Sie doch nur, was wollen Sie geben?« bittet der Jude wieder.

»Nur wenn Ihr wie ein anständiger Mann redet,« antwortet Fink, den Juden ansehend.

»Ich bin anständig,« sagt der Jude leise, »was wollen Sie geben?«

»39,« sagt Fink.

Jetzt geräth Schmeie Tinkeles außer sich, schüttelt seine schwarzen Locken und verschwört sich bei seiner Seele Seligkeit mit lautem Geschrei, er könne nicht unter 41; worauf Fink ihm bedeutet, er werde ihn von einem Hausknecht hinausführen lassen, wenn er solchen Lärm mache. Darauf geht der Jude entrüstet vor die Thüre, steckt den Kopf wieder herein und ruft: »Also was wollen Sie geben?«

»39,« sagt Fink und sieht der aufgeregten Mimik des Händlers ungefähr mit demselben Interesse zu, mit dem ein Physiker die galvanischen Zuckungen eines Frosches betrachtet. Die Zahl 39 bewirkt in der Seele des Juden eine neue Explosion, er tritt wieder vor, verschwört seine Seele in den tiefsten Abgrund der Hölle und erklärt sich selbst für das nichtswürdigste Scheusal der Welt, wenn er für weniger als 41 ablassen könne. Als er sich auf wiederholte Ermahnungen Finks, ruhig zu werden, dazu nicht entschließen kann, wird der Hausknecht gerufen. Das Erscheinen desselben wirkt so weit beruhigend, daß Herr Tinkeles erklärt, er könne allein gehen und werde allein gehen, worauf er still steht und 40½ sagt. Der Agent, der [S. 59] Provinziale und das Comtoir sind still und hören der Verhandlung neugierig zu, während Fink dem armen Schmeie mit einer gewissen Herzlichkeit den Vorschlag macht, er solle sich ohne Weiteres entfernen, er sei völlig Narr und mit ihm kein Geschäft zu machen. Darauf wendet sich der Jude trotzig ab und geht hinaus. Und wieder fährt Herr Braun fort: »Dieser Sturm war ein seltenes Unglück, der Kaffe muß steigen;« und Herr Stephan beweist, daß die Selbstmorde und andere Unthaten seit Erfindung der Schwefelhölzer zugenommen haben; und Fink sagt zum Prinzipal, der einen unterdeß erhaltenen Brief durchliest: »Er wird's lassen, wenn ich ihm noch einen halben Thaler zulege. Wollen Sie mit 39½ abmachen?«

»Wie viel?« fragt der Kaufmann.

»120 Centner,« sagt Fink.

»Nehmen Sie,« sagt der Kaufmann und liest weiter.

Von Neuem wird die Thür aufgerissen, das Geschwirr geht fort, und Anton müht sich vergebens, zu verstehen, wie man die Wolle kaufen könne, nachdem der Verkäufer in so entschiedener Weise gegangen ist. Da öffnet sich, grade als wieder drei bis vier Stimmen durcheinander sprechen, ganz leise die Thür, Tinkeles schleicht auf den Zehen herein bis hinter Finks Platz und sagt, diesem die Hand auf die Schulter legend, wehmüthig und vertraulich: »Was wollen Sie noch geben?«

Fink wendet sich um und sagt ebenfalls mit vertraulichem Lächeln: »Weil Ihr es seid, Tinkeles, 391/3, aber nur unter der Bedingung, daß Ihr kein Wort weiter sprecht, sonst nehm' ich das Gebot zurück.«

»Ich spreche nichts,« antwortet der Jude, »sagen Sie 40.«

Fink macht eine Bewegung der Entrüstung und weist schweigend nach der Thür. Der Händler geht und dreht an der Thür um.

»Jetzt kommt's,« sagt Fink. Darauf kehrt der Händler zurück und spricht mit mehr Haltung: »39½, wenn Sie es dafür wollen nehmen.«

Nach einigem Zögern bemerkt Fink wie gelegentlich: »Es [S. 60] mag sein.« Worauf Schmeie Tinkeles ganz umgewandelt ist, sich als liebenswürdigen Freund der Handlung erweist und angelegentlich nach dem Befinden des Prinzipals erkundigt.

Und wieder knarrte nach diesem Intermezzo die Thür, neue Käufer und Verkäufer kamen, die Menschen sprachen und Federn knisterten, das Gold rollte unaufhörlich.


Auch der Haushalt, dem Anton jetzt angehörte, erschien ihm sehr fremdartig und mächtig.

Das Haus selbst war ein altes unregelmäßiges Gebäude mit Seitenflügeln, kleinen Höfen und Hinterhäusern, voll von Mauern und kleinen Treppen, von geheimnißvollen Durchgängen, wo kein Mensch welche vermuthete, von Corridoren, Nischen, tiefen Wandschränken und Glasverschlägen. Es war ein durchaus künstlicher Bau, an dem Jahrhunderte gearbeitet hatten, um ihn für späte Enkel so schwierig und unverständlich als irgend möglich zu machen. Und doch sah er im Ganzen betrachtet behaglich aus und umfaßte mit seinen Mauern eine große Welt voll Menschen und Interessen. Der ganze Raum unter dem Gebäude und unter seinen Höfen war zu Kellern gewölbt und bis an die Gewölbgurte mit Waaren gefüllt; das ganze Parterre gehörte der Handlung und enthielt außer den Comtoirzimmern fast nichts als Waarenräume. Darüber lagen im Vorderhause die Säle und Zimmer, in denen der Kaufherr selbst wohnte. Herr Schröter war nur kurze Zeit verheirathet gewesen, in einem Jahr hatte er Frau und Kind verloren, seit dem Tode seiner Eltern war eine Schwester Alles, was er von Familie besaß.

Streng hielt der Kaufmann auf den alten Brauch seiner Handlung. Alle Herren des Comtoirs, welche nicht verheirathet waren, wohnten in seinem Hause, gehörten seinem Haushalt an und aßen alle Mittage Punkt ein Uhr an dem Tische des Prinzipals. Am Morgen nach Antons Eintritt hatte Herr Schröter nur wenige Worte mit ihm gewechselt und ihn darauf [S. 61] Herrn Jordan und dem Provinzialgeschäft übergeben. Jetzt, einige Minuten vor der Mittagsstunde, war Anton in die Zimmer des ersten Stocks bestellt, um der Dame des Hauses vorgestellt zu werden. Erwartungsvoll stieg er die Teppichstufen der breiten Treppe hinauf, der Bediente öffnete und führte ihn durch eine Reihe von Gemächern in das Empfangzimmer. Anton sah auf seinem Wege mit Erstaunen den ruhigen und soliden Glanz der Einrichtung, die großen Wandspiegel, schwere Stoffe, Gemälde, Blumentische, zahlreiche Vasen und Fruchtschaalen von Stein und gemaltem Porcellan. Der Diener schlug eine Portiere zurück, und Anton machte auf dem glatten Parquetboden eine tiefe Verbeugung, als der Prinzipal ihn einer jungen Dame vorstellte und dazusetzte: »Meine Schwester Sabine.«

Fräulein Sabine zeigte über dem eleganten Sommerkleide ein feines bleiches Gesicht, von rabenschwarzem Haar eingefaßt. Sie war nicht älter als Anton, aber sie hatte die Würde und Haltung einer Hausfrau. Sie nöthigte Platz zu nehmen und frug ihn theilnehmend, wie er sich eingerichtet habe und ob er noch irgend etwas vermisse.

»Meine Schwester regiert uns Alle,« sagte der Kaufmann mit einem freundlichen Blick auf die Dame, »machen Sie hier Ihre Bekenntnisse, wenn Sie irgend einen wirthschaftlichen Wunsch haben; sie ist die gute Fee, welche den Haushalt in Ordnung hält.«

Anton sah zu der Fee auf und antwortete schüchtern: »Ich habe bis jetzt Alles weit glänzender gefunden, als ich von Hause aus gewöhnt bin.«

»Ihr Leben wird Ihnen bei alle dem mit der Zeit einförmig erscheinen,« fuhr der Kaufmann fort, »es ist eine strenge Regelmäßigkeit in unserm Hause, Sie haben viele Arbeit und wenig Zerstreuung zu erwarten; meine Zeit ist sehr in Anspruch genommen, auch nach dem Schluß des Comtoirs. Wenn Sie aber in irgend einer Angelegenheit Rath oder Hülfe wünschen, so bitte ich, sich vor Allem an mich zu wenden.«

[S. 62]

Nach dieser kurzen Audienz erhob er sich und führte Anton nach dem Speisezimmer. Auf dem Wege setzte er ihm die Stellung eines Lehrlings im Geschäft auseinander. Anton fand seine Collegen bereits aufgestellt und in bescheidener Toilette das Mahl erwartend; Sabine trat ein und mit ihr eine ältliche Dame, eine entfernte Verwandte der Familie, welche dem Fräulein in der Wirthschaft half und sehr gutmüthig aussah. Die Herren vom Comtoir machten den Damen ihre Verbeugung und Anton erhielt seinen Platz am Ende einer langen Tafel, zwischen den jüngsten seiner Collegen. Ihm gerade gegenüber saß Sabine, neben dieser ihr Bruder, auf der andern Seite die Verwandte, neben dieser Herr von Fink und dahinter alles Uebrige genau nach Rang und Alter im Geschäft. Es war im Ganzen ein stilles Diner, welches eingenommen wurde, Antons Nachbarn sprachen nur wenig und mit gedämpfter Stimme, das Gespräch wurde fast ausschließlich von dem Prinzipal geleitet. Nur der Jokei von gestern benahm sich mit größter Unbefangenheit, erzählte kleine lächerliche Geschichten, wußte andere Leute vortrefflich in Stimme und Haltung nachzuahmen und bewies seiner Nachbarin, der gutmüthigen Tante, eine fast übertriebene Aufmerksamkeit. Kurz Anton, dessen Herz bereits voller Pietät und Ehrfurcht war, sah mit einer Art von frommem Entsetzen, daß Fink den ganzen Tisch so behandelte, als wäre die Tafel nur seinetwegen gedeckt und als hätte der Kaufherr nur deßhalb ein Geschäft, damit Fink, sein Volontair, leichtsinnige Scherze machen und alle Anwesenden dreist anreden könnte. Dabei glaubte er wahrzunehmen, daß der Kaufherr selbst den jungen Herrn mit Kälte behandelte, und ferner, daß Fink sich sehr wenig um dies zurückhaltende Wesen des Kaufherrn kümmerte. Der Diener im schwarzen Frack servirte mit größter Accuratesse, und als sich die Herren vom Geschäft mit einer Verbeugung erhoben und ihre Stühle wegrückten, nahm Anton aus dem Speisesaal die Ueberzeugung mit hinaus, daß er noch nie so vornehm und feierlich sein Mittagsbrod verzehrt habe.

[S. 63]

»Mit Allen werde ich zurechtkommen, nur mit diesem Herrn Fink nicht,« sagte sich Anton den Tag über, »er ist zu dreist und zu stolz. Auch sitzen blieb er, als Alle von unserem Geschäft aufstanden. Er paßt nicht hieher,« entschied der neue Ankömmling mit einer Weisheit, in welcher mehr Instinct als Erfahrung war. Seit der Zeit sah Anton mit einiger Scheu auf Herrn von Fink, er mußte aber oft nach ihm hinsehen und sich viel um ihn kümmern, denn das Wesen des Gentlemans imponirte ihm doch sehr; der edel geformte Kopf, ein schmales Gesicht mit feinen Zügen, die sichere Haltung und die kurze Entschlossenheit in Bewegungen und Worten. Anton getraute sich kaum ihn anzureden, und Fink gab ihm keine Veranlassung dazu, denn er schien von der Anwesenheit des neuen Lehrlings nichts mehr zu wissen. Nur einmal, als Anton zufällig vor Fink die Treppe des Hinterhauses hinauf ging, redete ihn dieser an: »Nun Master Wohlfart, wie gefällt es Ihnen in diesem Hause?«

Anton blieb stehen und sagte, wie sich für einen guten Jungen schickt: »Ausgezeichnet! ich sehe und höre so viel Neues, daß ich noch gar nicht zu mir selbst kommen kann.«

»Sie werden das Alles gewohnt werden,« lachte Fink, »wie an einem Tage geht es das ganze Jahr ohne Veränderung fort. Am Sonntage ein Gericht mehr und ein Glas Wein vor jedem Couvert, und Sie werden gut thun, dazu Ihren Leibrock anzuziehen. Sie sind jetzt als Rad eingefügt in die Maschine, und es wird von Ihnen erwartet, daß Sie das ganze Jahr regelmäßig abschnurren.«

»Ich weiß, daß ich fleißig arbeiten muß, um das Vertrauen Herrn Schröter's zu erwerben,« antwortete der kleine Philister gereizt durch die rebellische Gesinnung des Volontairs.

»Eine tugendhafte Bemerkung,« spottete dieser; »in wenigen Wochen werden Sie sehen, mein armer Junge, welch' ein himmelweiter Unterschied ist zwischen dem Herrn des Geschäfts und den Leuten, welche seine Briefe schreiben und seine Kunden abfertigen. Kein Fürst auf Erden lebt so stolz und einfach [S. 64] unter seinen Vasallen, als dieser Kaffebeherrscher in seinem Reiche. Lassen Sie sich übrigens durch meine Rede nicht stören,« fügte er mit etwas mehr Gutmüthigkeit zu, »das ganze Haus wird Ihnen sagen, daß ich unzurechnungsfähig bin. Da Sie mir aber aussehen, wie ein hoffnungsvoller Comtorist, so will ich Ihnen noch einen ehrlichen Rath geben. Kaufen Sie sich einen englischen Sprachlehrer und machen Sie, daß Sie fortkommen, bevor Sie hier einrosten. Alles, was Sie hier lernen, wird Sie noch nicht zu einem tüchtigen Mann machen, wenn Sie anders das Zeug haben, überhaupt einer zu werden. Guten Abend!« Mit diesen Worten drehte Fink unserm Anton den Rücken und ließ diesen, wieder ärgerlich über den hohen Ton, den der Jokei angenommen hatte, zurück.


Wohl empfand unser Held nach einiger Zeit mitten in dem Rauschen des Geschäftslebens die ewige Gleichförmigkeit der Stunden und Tage; wohl ermüdete ihn das zuweilen, aber es machte ihn nicht unglücklich; denn durch seine Eltern war er an Ordnung und regelmäßigen Fleiß gewöhnt, und diese beiden Tugenden halfen ihm über manche langweilige Stunde hinweg.

Herr Jordan gab sich redlich Mühe, den Lehrling in die Geheimnisse der Waarenkunde einzuweihen, und die Stunde, in welcher Anton zuerst in das Magazin des Hauses trat und hundert verschiedene Stoffe und merkwürdige Bildungen persönlich mit allen Kunstausdrücken kennen lernte, wurde für seinen empfänglichen Sinn die Quelle einer eigenthümlichen Poesie, die wenigstens eben so viel werth war, als manche andere poetische Empfindung, welche auf dem märchenhaften Reiz beruht, den das Seltsame und Fremde in der Seele des Menschen hervorbringt.

Es war ein großes dämmriges Gewölbe im Parterre des Hauses, durch Fenster mit Eisenstäben nothdürftig erhellt, in welchem die Waarenproben und kleinen Vorräthe für den täglichen Verkehr lagen. Tonnen, Kisten und Ballen standen auch [S. 65] hier massenhaft durcheinander, und nur schmale gewundene Pfade führten dazwischen durch. Fast alle Länder der Erde, alle Racen des Menschengeschlechts hatten gearbeitet und eingesammelt, um Nützliches und Werthvolles vor den Augen unsers Helden zusammenzuthürmen. Der schwimmende Palast der ostindischen Compagnie, die fliegende amerikanische Brigg, die alterthümliche Arche der Niederländer hatten die Erde umkreist, starkrippige Wallfischfänger hatten ihre Nasen an den Eisbergen des Süd- und Nordpols gerieben, schwarze Dampfschiffe, bunte chinesische Dschonken, leichte malaische Kähne mit einem Bambus als Mast, alle hatten ihre Flügel gerührt und mit Sturm und Wellen gekämpft, um dies Gewölbe zu füllen. Diese Bastmatten hatte eine Hindufrau geflochten, jene Kiste war von einem fleißigen Chinesen mit roth und schwarzen Hieroglyphen bemalt worden, dort das Rohrgeflecht hatte ein Neger aus Congo im Dienst des virginischen Pflanzers über den Ballen geschnürt; dieser Stamm Farbeholz war an dem Sande herabgerollt, den die Wellen des mexikanischen Meerbusens angeworfen haben, jener viereckige Block von Zebra- oder Jacarandaholz hatte in dem sumpfigen Urwald Brasiliens gestanden, und Affen und bunte Papageien waren über seine Blätter gehüpft. In Säcken und Tonnen lag die grünliche Frucht des Kaffebaumes fast aus allen Theilen der Erde, in rohen Bastkörben breiteten sich die gerollten Blätter der Tabakpflanze, das bräunliche Mark der Palme und die gelblichen Krystalle aus dem süßen Rohr der Plantagen. Hundert verschiedene Pflanzen hatten ihr Holz, ihre Rinde, ihre Knospen, ihre Früchte, das Mark und den Saft ihrer Stämme an dieser Stelle vereinigt. Auch abenteuerliche Gestalten ragten wie Ungethüme aus dem Chaos hervor, dort hinter dem offenen Faß gefüllt mit oranger Masse — es ist Palmöl von der Ostküste Afrikas — ruht ein unförmiges Thier — es ist Talg aus Polen, der in die Haut einer ganzen Kuh eingelassen ist, — daneben liegen, zusammengedrückt in riesigem Ballen, gepreßt mit Stricken und eisernen Bändern, fünfhundert Stockfische, und in der Ecke [S. 66] gegenüber erheben sich über einem Haufen Elephantenzähne die Barden eines riesigen Wals.

Anton stand noch stundenlang, nachdem die Erklärungen seines Lehrmeisters aufgehört hatten, neugierig und verwundert in der alten Halle, und die Gurte der Wölbung und die Pfeiler an der Wand verwandelten sich ihm in großblättrige Palmen, und das Summen und Geräusch auf der Straße erschien ihm wie das entfernte Rauschen der See, die er nur aus seinen Träumen kannte, und er hörte die Wogen des Meeres in gleichmäßigem Tact an die Küste schlagen, auf welcher er so sicher stand.

Diese Freude an der fremden Welt, in welche er so gefahrlos eingekehrt war, verließ ihn seit dem Tage nicht mehr. Wenn er sich Mühe gab, die Eigenthümlichkeiten der vielen Waaren zu verstehen, so versuchte er auch durch Lectüre deutliche Bilder von der Landschaft zu bekommen, aus welcher sie herkamen, und von den Menschen, die sie gesammelt hatten.

So vergingen schnell die ersten Monate seines Lebens in der Hauptstadt, und es war gut für ihn, daß er auch in seinen Freistunden diese lebhafte Unterhaltung mit der ganzen Welt zu führen hatte, denn in Einem hatte Fink Recht gehabt: Anton blieb trotz dem täglichen Mittagstisch in dem parketirten Speisezimmer doch dem Chef des Hauses und der Familie sehr fremd und fühlte bald, daß eine Schranke gezogen sei zwischen den Herren vom Comtoir und den Personen des Hauses, die, so unbemerkbar sie für Fremde sein mochte, doch eisenfest stand. Er war so verständig, daß ihm nicht einfiel, darüber zu murren, aber er wurde doch manchmal dadurch gedrückt, denn mit dem Enthusiasmus der Jugend war er schnell bereit, seinen Prinzipal als das Ideal eines Kaufmanns zu verehren. Die Klugheit, Sicherheit und energische Kürze des Mannes und seine stolze Redlichkeit begeisterten ihn; er hätte sich gar zu gern mit schwärmerischer Innigkeit an ihn geschlossen, aber er sah außer den Geschäftsstunden wenig von ihm. Wenn der Kaufmann am Abend nicht in Conferenzen oder im Club war, so lebte [S. 67] er nur für seine Schwester, an der er mit einer rührenden Zärtlichkeit hing. Für seine Schwester hielt der Kaufmann Wagen und Pferde, die er selbst selten benutzte, ihr zu Liebe besuchte er auch Abendgesellschaften und gab selbst welche, zu denen Anton und seine Collegen nicht zugezogen wurden. Dann rollten die Equipagen vor das Haus, galonnirte Bediente flogen Trepp auf Trepp ab, und bunte Schatten schwebten an den erleuchteten Fenstern des Vorderhauses vorüber, während Anton in seiner Dachstube saß und mit Sehnsucht auf das glänzende Leben des Haushaltes sah, zu dem er doch auch gehörte: mit heißer Sehnsucht, denn unser Held war kaum neunzehn Jahr alt und kannte die geschmückte Geselligkeit eleganter Kreise nur aus den trügerischen Schilderungen der Bücher, welche er gelesen hatte. Dann sagte ihm zwar immer sein Verstand, daß er nicht in das Vorderhaus gehöre, und was daraus werden solle, wenn er mit seinem Dutzend Collegen, die so verschieden an Bildung waren, bei solchen Gesellschaften sich ausbreiten wolle. Aber was der Verstand, dieser alte Herr, sagt, wird von der jungen Dame Begehrlichkeit nicht immer ehrerbietig angehört, und Anton schlich manchmal mit einem leisen Seufzer vom Fenster zu seiner Lampe und den Büchern zurück und bemühte sich, die lockende Musik der Quadrille zu vergessen, indem er auf das Geschrei des Löwen und das Gurgeln des Brüllfrosches in irgend einem tropischen Land lauschte.


VI.

Der Freiherr von Rothsattel hatte sein Quartier in der Hauptstadt selbst eingerichtet. Es war nur von mäßiger Größe, aber die Form der Möbeln, die Arabesken der einfachen Wandmalerei, die Zeichnung auf Vorhängen und Teppichen waren so geschmackvoll zusammengepaßt, daß das Ganze in der guten [S. 68] Gesellschaft als ein Muster von Eleganz und Wohnlichkeit gerühmt wurde. Recht in der Stille hatte er das Alles vorbereitet. Endlich hielt der neugekaufte Wagen vor der Wohnung, der Freiherr hob seine Gemahlin heraus und führte sie durch die Reihe der Zimmer bis zu ihrem kleinen Boudoir, das ganz mit weißer Gaze decorirt war, die Decke eine Sonne von weißen Falten, und an allen Wänden weiß gefältelte Sterne. Da flog ihm die Baronin entzückt über so viel Aufmerksamkeit in die Arme, und der gute Herr fühlte sich zufrieden und stolz wie ein König. Schnell war die Familie eingelebt, die Ackerpferde führten vom Gut die unvermeidlichen Kisten, Truhen und Vorräthe von Lebensmitteln herbei, und nachdem einige Tage hindurch Strohhalme von Treppen, Fußböden und Teppichen abgefegt worden waren, konnte man daran denken, sich außerhalb des Hauses umzusehen und die nöthigen Besuche zu machen.

Ein großer Theil des Landadels pflegte die Wintermonate in der Hauptstadt zuzubringen, und die Rothsattel trafen mehrere Gutsnachbarn, viele Bekannte und Verwandte. Ueberall war man erfreut, die angesehene Familie in der Stadt zu begrüßen, und nach wenigen Wochen fanden sie sich mitten in einem großen Kreise zu fröhlicher Geselligkeit eingelebt. Der niedere Adel mit all seinen Titeln, welche ihm von den deutschen Regenten freigebig ertheilt worden sind, bildete eine stattliche, ziemlich abgeschlossene Corporation, und wenn in dem Völkchen auch nicht gerade ein Ueberfluß von geistreicher Bildung vorhanden war, so war doch das gesellige Behagen, mit dem sie untereinander verkehrten, vielleicht um so größer. Die Baronin wurde durch ihre sichere Liebenswürdigkeit eine Hauptgröße der Frauenwelt; auch ihr Gemahl, der in den ersten Wochen manchmal die Wanderungen durch den Wirthschaftshof und die Spazierritte in seinen Wald vermißt hatte, befand sich bald unter seinen Jugendfreunden nicht weniger wohl. Er wurde Mitglied einer adeligen Ressource, suchte seine alte Virtuosität auf dem Billard hervor, spielte mit Anstand Whist und L'hombre [S. 69] und trieb in müßigen Stunden etwas Politik und ein wenig Kunst. So verlebte die Familie eine behagliche und interessante Wintersaison, und der Freiherr und seine Gemahlin äußerten einander ihre Verwunderung, warum sie ihrem Leben nicht schon in frühern Jahren diese bescheidene und anständige Abwechslung gegönnt hätten.

Nur Lenore war mit dem Umzug nicht ganz zufrieden. Sie fuhr fort, die Befürchtung ihrer Mutter zu rechtfertigen, daß sie ein Original werden könnte. Es wurde ihr schwer, den zahlreichen ältlichen Tanten der Familie eine anmuthige Ehrerbietung zu bezeigen, und noch schwerer wurde ihr, lustige Herren aus der Nachbarschaft, gute Freunde ihres Vaters, die sie vom Gut her kannte, hier in der Stadt nicht zuerst anzureden, wenn sie ihnen auf der Straße begegnete. Auch das Behältniß war ihr peinlich, in dem sie die Bildung aus dem Mädcheninstitut nach Hause tragen mußte. Es war ein Zwitter von Tasche und Mappe, voll von langweiligen Heften und Lehrbüchern. Da die Mutter nicht gern sah, wenn der Bediente ihr die Schulbücher nachtrug, so schlenkerte sie das Ding verächtlich am Arm, so oft sie auf der Straße ging, blieb dabei von Zeit zu Zeit stehen und sah wie eine Juno mit dreistem Blick auf die Gruppen der Marktleute, auf Eckensteher, die sich prügelten, und auf andere Menschenknäuel, welche sich in den Straßen einer großen Stadt zusammenballen. Einst, als sie so auf der Straße stand, die Mappe als Zeichen ihrer Sklaverei am Arme und einen kleinen Regenschirm in der Hand, siehe, da kam ihr auf dem Trottoir der junge Herr entgegen, den sie im Garten umhergeführt und über den Teich gefahren hatte. Sie freute sich darüber; er war ihr eine freundliche Erinnerung an das Gut, an ihren Pony und an das Volk der Schwäne. Noch war er eine Strecke entfernt, als ihre Falkenaugen ihn beobachteten. Er kam näher und sah sie nicht. Da ihr die Mutter verboten hatte, irgend einen Herrn auf der Straße anzusprechen, so blieb sie in seinem Wege stehen und stampfte ihren Schirm befehlend vor ihm auf die [S. 70] Steine. Anton, der im Geschäftstrott war, blickte auf und sah mit der höchsten Freude, daß das schöne Fräulein vom See vor ihm stand. Er zog erröthend seinen Hut, und das Fräulein erkannte aus seinem strahlenden Gesicht mit Befriedigung, daß trotz der Büchertasche ihre Erscheinung noch eben so gewaltig auf ihn wirkte, als früher.

»Wie geht es Ihnen, mein Herr?« frug sie würdevoll, das Köpfchen zurückwerfend.

»Sehr gut,« sagte Anton; »wie bin ich glücklich, Sie hier in der Stadt zu sehen.«

»Wir wohnen jetzt hier,« sprach das Fräulein weniger vornehm, »für den Winter Bärenstraße Nr. 20.«

»Darf ich fragen, wie sich der Pony befindet?« sagte Anton ehrfurchtsvoll.

»Denken Sie, er hat zu Hause bleiben müssen,« klagte die Dame; »und was treiben Sie hier?«

»Ich bin in der Handlung von T. O. Schröter,« antwortete Anton mit einer Verbeugung.

»Also Kaufmann?« sagte das Fräulein, »und womit handeln Sie?«

»Colonialwaaren und Producte; es ist das größte Geschäft in dieser Branche hier am Platz,« antwortete Anton mit Selbstgefühl.

»Und haben Sie gute Menschen gefunden, die auch für Sie sorgen?«

»Mein Prinzipal ist sehr gütig gegen mich,« antwortete Anton, »in Kleinigkeiten muß ich für mich selbst sorgen.«

»Haben Sie auch Freunde hier, mit denen Sie sich amüsiren?« setzte das Fräulein ihr Examen fort.

»Einige Bekannte. Ich habe aber viel zu thun, und in den Freistunden muß ich für mich lernen.«

»Sie sehen auch etwas bleich aus,« sagte das Fräulein, ihn mit mütterlichem Wohlwollen betrachtend. »Sie müssen sich mehr Bewegung machen und fleißig spazieren gehen. — Es ist mir angenehm gewesen, Sie hier zu treffen; ich werde mich [S. 71] freuen, wenn ich höre, daß es Ihnen wohlgeht,« fügte sie, wieder in Majestät übergehend, hinzu. Sie sah ihn noch einen Augenblick an, grüßte mit dem Kopf und verschwand in dem Menschenstrom, während Anton ihr mit abgezogenem Hut nachsah.

Lenore fand nicht für nöthig, über das zufällige Zusammentreffen viele Worte zu verlieren. Nur als einige Tage darauf die Baronin ihren Gemahl frug: »Aus welcher Handlung wollen wir die Waaren nehmen, die der Haushalt braucht?« da sah Lenore von ihrem Buche auf und sagte: »Die größte Handlung hier am Platz ist von T. O. Schröter, Colonialwaaren und Producte.«

»Woher weißt du das?« frug der Vater lachend, »du sprichst ja wie ein gelernter Kaufmann.«

»Das kommt Alles von diesem Mädcheninstitut,« antwortete Lenore trotzig.


Ueber den geselligen Freuden vergaß der Freiherr nicht den Hauptzweck seines Aufenthaltes in der Stadt. Er zog sorgfältige Erkundigungen ein über die technischen Gewerbe, welche andere Gutsbesitzer eingerichtet hatten, er besuchte die Fabriken der Stadt, und bemühte sich, gebildete Techniker kennen zu lernen. Er bekam eine Masse von Nachrichten und erwarb einige Kenntnisse in Maschinen und Fabrikanlagen. Aber die Nachrichten, welche er erhielt, waren so widersprechend, und die Anschauungen, welche er selbst gewann, so unvollständig, daß er zuletzt für das Beste hielt, nichts zu übereilen, und abzuwarten, bis sich ein geschäftliches Unternehmen von besonderer und möglichst sicherer Rentabilität fände.

Es darf nicht verschwiegen werden, daß zu dieser Zeit auch der Familienschatz durch ein schönes mit vergoldetem Messing beschlagenes Kästchen vermehrt wurde. Es war von geflasertem Holz mit Arabesken von mattem Metall und mit einem sehr künstlichen Schloß, welches für einen Spitzbuben gar nicht [S. 72] zu öffnen war und den Dieb in die Nothwendigkeit versetzte, das ganze Kästchen zu stehlen. In diesem Behältniß lagen fünfundvierzigtausend Thaler in neuen weißen Pfandbriefen der Landschaft. Der Freiherr betrachtete die Pfandbriefe mit vieler Zärtlichkeit. Er saß in den ersten Tagen stundenlang vor dem geöffneten Kästchen und wurde nicht müde, die Pergamentblätter nach den Nummern zu ordnen, sich über den reinlichen weißen Glanz derselben zu freuen und die Tilgungspläne für das Capital zu entwerfen. Auch als er das Kästchen der Sicherheit wegen wieder in's Depositum der Landschaft gegeben hatte, war der Gedanke daran eine von den kleinen Freuden, welche der ritterliche Freiherr im Stillen hatte. Ja, der Geist dieses Kästchens spukte in seinem Haushalt fort. Die Baronin war verwundert, wenn ihr Gemahl zuweilen anfing, da zu sparen, wo er es sonst nicht gethan hatte; wenn er einige Male von Logenbilleten abrieth, weil man gute Wirthschaft treiben müsse, oder wenn er ihr mit einer gewissen Freude erzählte, daß er am vergangenen Abend zehn Louisd'or im Spiel gewonnen habe. Die verständige Dame wurde ernstlich besorgt, ob ihr Gemahl nicht durch einen Unfall in Geldverlegenheit gekommen sei; indeß beruhigten sie seine Versicherungen vom Gegentheil und ein zufriedenes Lächeln, welches in solchen Stunden über seinem Gesicht schwebte, sehr bald wieder. In der That waren die kleinen Anfälle von Sparsamkeit nicht consequent und nichts Anderes, als eine unschuldige Laune, denn in allen größeren Dingen hielt der Freiherr in gewohnter Weise auf anständige Repräsentation, und sein Auftreten war durchaus seiner Familie und seinem Wohlstande entsprechend.

Auch war es in der That nicht möglich, gerade jetzt zurückzulegen. Das Leben in der Stadt, die Einrichtung der Wohnung und die unvermeidlichen geselligen Ansprüche verringerten natürlich die Ausgaben nicht.

So kam es, daß der Freiherr, als er zur Abnahme der Winterrechnungen auf sein Gut gereist war, sehr verstimmt nach der Stadt zurückkehrte. Er hatte große Rechnung gemacht, [S. 73] er hatte gesehen, daß die Ausgaben des letzten Jahres größer gewesen waren, als die Einnahmen, daß der Revenüenanschlag des nächsten Jahres keine Deckung des Deficits versprach, daß fast zweitausend Thaler fehlten, welche geschafft werden mußten. Der Gedanke griff ihm an das Herz, daß er dies Geld von den weißen Pergamenten nehmen sollte, und dem Manne, welcher mit dem größten Anstand einen feindlichen Kugelregen ausgehalten hätte, wurde siedend heiß, wenn er dachte, daß er in diesem Falle einige Tausend Thaler wirklicher Schulden auf seinem Gute haben würde. Er war verständig genug, einzusehen, daß in seiner Speculation ein Fehler gewesen war. Wenn man ein Vermögen durch jährliche kleine Ersparnisse erwerben will, muß man seine Ausgaben einschränken; er aber hatte seine Ausgaben bedeutend vermehrt. Ohne Zweifel war diese Vermehrung sehr nothwendig gewesen, aber es war ein unglücklicher Zufall, daß das so zusammentraf. Seit seinen Lieutnanttagen hatte der gute Herr keine so peinliche Unruhe empfunden. Aus der Stadt zurück konnte er nicht, dafür gab es tausend Gründe; er hatte die Wohnung auf eine Reihe von Jahren gemiethet, was würden die Bekannten zu einer plötzlichen Abreise gesagt haben, wie hätte er seiner geliebten Frau und Lenoren das Opfer zumuthen können? So verschloß er den Aerger in sich. Er entschuldigte gegenüber den besorgten Fragen der Baronin seine Verstimmung durch eine Erkältung auf der Reise, aber tagelang nagte der Gedanke an ihm, daß er einen Verlust erlitten habe, daß er zurückgekommen sei; und je sanguinischer er vorher gewesen war, desto niedergeschlagener wurde er jetzt. Ja es geschah, daß er auf einem Spaziergange durch die Stadt bei einem Lotterieeinnehmer eintrat und ein Lotterielos kaufte, damit ein gütiges Geschick das gut machen möge, was schadhaft war. Zuweilen, besonders am Abend, wenn er aus heiterer Gesellschaft kam, lächelte er selbst über diese Verstimmung und schalt sie thöricht. Das ganze Unglück war so unbedeutend, es war ja keine Lebensfrage; in wenigen [S. 74] Jahren konnten seine Angelegenheiten wieder auf's Beste arrangirt sein. Nur an den nüchternen Morgen kam ihm der langweilige Gedanke wieder, und er konnte ihn nicht los werden.

An einem solchen Morgen wurde Herr Ehrenthal gemeldet, der ihm eine Summe für gekauftes Getreide zu zahlen hatte. Den Freiherrn überkam ein peinliches Gefühl, als der Bediente den Namen Ehrenthal aussprach; der Mann hatte ihm den Rath gegeben, Pfandbriefe aufzunehmen. Freilich sagte er sich im nächsten Augenblick, daß derselbe Mann ihm nicht den Rath gegeben hatte, nach der Stadt zu ziehen; aber er grollte ihm doch, und sein Gruß mochte wohl kälter klingen als gewöhnlich. Herr Ehrenthal war ein zu guter Geschäftsmann, um auf die Launen seiner Kunden viel zu geben. Er zählte sein Geld auf und war dabei freigebig mit den Versicherungen seiner Ergebenheit. Der Freiherr blieb unzugänglich, bis Ehrenthal im Abgehen frug: »Und sie sind gekommen, die Pfandbriefe, gnädiger Herr Baron?«

»Ja,« sagte der Herr mürrisch.

»Es ist jammerschade,« rief Ehrenthal, »daß fünfundvierzigtausend Thaler liegen sollen so todt, als ob sie nicht vorhanden wären in der Welt. Dem Herrn Baron ist's gleich, ob er einmal gewinnt ein Paar tausend Thaler oder nicht, aber unser Einem ist es nicht gleich. Ich kann in diesem Augenblick machen ein solides Geschäft und ein sicheres, und mein Geld ist versteckt, ich muß mir entgehen lassen einen baaren Gewinn von viertausend Thalern.«

Der Freiherr hörte aufmerksam zu, der Händler fuhr mit größerm Muthe fort: »Herr Baron, Sie kennen mich seit Jahren als einen ehrlichen Mann, Sie wissen auch, daß ich nicht ohne Mittel bin; ich will Ihnen einen Vorschlag thun: Leihen Sie mir zehntausend Thaler Pfandbriefe auf drei Monat; ich gebe Ihnen für das Capital einen Wechsel auf mich selbst, welcher ist wie baar Geld. Es sind zu gewinnen viertausend Thaler bei dem Geschäft; was gewonnen wird, [S. 75] das theile ich mit dem Herrn Baron statt der Zinsen zu gleichen Theilen. Sie sollen kein Risico haben, und wir machen das Geschäft zusammen. Wenn verloren wird, trage ich's allein und zahle in drei Monaten dem gnädigen Herrn die zehntausend Thaler zurück.«

Diese Worte des Händlers, so wenig aufregend sie wahrscheinlich in das Ohr des Lesers dringen, klangen dem Freiherrn wie ein Alarmsignal beim unbehaglichen Bivouac. Eine heftige Spannung, eine wilde Freude arbeitete in ihm. Kaum hatte er Ruhe genug, zu sagen: »Vor Allem muß ich wissen, von welcher Art das Geschäft ist, das Sie mit meinem Gelde machen wollen.«

Der Geldmann setzte das auseinander. Es war ihm der Antrag gemacht, eine große Quantität Holz zu kaufen. Das Holz lag auf einem Flößplatz im obern Theile der Provinz. Der Händler holte die Berechnung der Holzmasse, der Transportkosten bis zur Hauptstadt und des Werthes, den das Holz in der Hauptstadt haben würde, aus seiner Tasche und bewies dem Freiherrn, daß dabei in sechs bis acht Wochen ein sicherer Gewinn von bedeutender Größe zu machen sei.

Der Freiherr sah mit Aufmerksamkeit die Menge der Zahlen durch; wenn die Berechnung richtig war, so war der Gewinn sonnenklar; er that aber doch die bedächtige Frage: »Wie kommt es, daß der Eigenthümer des Holzes das Geschäft nicht selbst macht, und daß er sich einen so sichern Gewinn entgehen läßt?«

Der Händler zuckte die Achseln. »Wer ein Geschäft macht, kann nicht immer fragen, warum läßt der Andere die Waare so billig? Wer in Verlegenheit ist, kann nicht warten zwei bis drei Monat, das Eis liegt auf dem Fluß, der Mann braucht das Geld binnen hier und zwei Tagen.«

»Sind Sie sicher, daß das Eigenthumsrecht des Verkäufers unbestreitbar ist?« frug der Freiherr.

»Der Mann ist mir sicher,« sagte der Händler; »wenn ich ihm das Geld bis morgen Abend schaffe, ist das Holz mein.«

[S. 76]

Dem Edelmann war es peinlich, die Verlegenheit eines Andern zu benutzen, so sehr sich auch sein Herz nach dem Gewinn sehnte. Er sagte mit Würde: »Ich halte es für unpassend, auf den Verlust eines Andern zu rechnen.«

»Warum soll er haben Verlust?« rief Ehrenthal eifrig. »Er ist Speculant, jetzt braucht er Geld; vielleicht will er machen ein größeres Geschäft; so muß er den Vortheil am kleinern überlassen einem Andern. Er hat sich erboten, gegen Zehntausend baar den ganzen Vorrath zu übergeben. Es ist nicht meine Sache, zu fragen, ob er mehr gewinnen kann mit meinem Gelde, als ich gewinnen kann durch sein Holz.«

Was Herr Ehrenthal sagte, war richtig; er verschwieg nur Einiges. Der Verkäufer des Holzes war ein unglücklicher Speculant, der, von seinen Gläubigern gedrängt, eine Auspfändung fürchtete und die unbescheidenen Hoffnungen derselben dadurch beendigen wollte, daß er seine Vorräthe an einen Fremden schnell und heimlich verkaufte und mit der erhaltenen Summe unsichtbar wurde. Vielleicht wußte Herr Ehrenthal das; vielleicht ahnte auch der Freiherr, daß es bei einem so leichten Gewinn eine Bewandniß haben müsse, wenigstens sagte sein Kopfschütteln, daß ihm die Sache keineswegs ganz klar war. Und doch hatte er wenig zu wagen und nichts zu verantworten; er lieh sein Geld an einen sichern Mann, den er seit vielen Jahren als wohlhabend und pünktlich kannte, und gewann dadurch die Aussicht, in kurzer Zeit einen bösen Geist los zu werden, der ihn rastlos quälte. Er war zu unruhig, um zu überlegen, daß er vielleicht einen Teufel vertreibe durch Beelzebub, der Teufel Obersten. Er klingelte nach seinem Wagen und sagte vornehm: »In einer Stunde sollen Sie das Geld haben.«

Ehrenthal dankte in seiner feurigen Weise für diese große Gefälligkeit, schrieb auf der Stelle einen wohlverclausulirten Sola-Wechsel über die Pfandbriefe und empfahl sich mit einer Unterthänigkeit, die sehr gegen das stolze Kopfnicken des Freiherrn abstach.

[S. 77]

Seit diesem Tage lebte der Freiherr in banger Erwartung. Immer mußte er an die Unterredung mit dem Händler denken. Wenn er am Theetisch neben seiner Gemahlin saß und über Theater und Concert geplaudert wurde, irrte seine Seele ruhelos zwischen den Lücken der Holzklaftern umher oder wurde von langen rollenden Mastbäumen gedrückt; und wenn er die Arbeitsbücher seiner Tochter durchsah, so starrten ihm auf dem Deckel und am Rande zahlreiche Gesichter Ehrenthals entgegen, und jedes lachte ihn höhnisch an. So oft er auf seinem Jagdpferd ausritt, richtete sich der Kopf des Pferdes nach dem Strom, und mit finsterm Blick sah der Reiter auf die gefrorene Fläche hinab, sah die Eisschollen stromabwärts treiben und das hohe Frühlingswasser bis an die Steine des Randes fluthen.

Ehrenthal hatte sich lange nicht sehen lassen. Endlich, an einem sonnigen Morgen erschien er mit seinen unvermeidlichen Bücklingen, zog ein großes Packet aus der Tasche und rief triumphirend: »Herr Baron, das Geschäft ist gemacht! Hier sind die Pfandbriefe zurück und hier sind zweitausend Thaler als der Gewinn, welcher auf Sie fällt.«

Die Hand des Freiherrn griff hastig nach dem Packet. Es waren dieselben weißen Pergamente, die er mit schwerem Herzen aus der Cassette hervorgeholt hatte, und außerdem ein Bündel Cassenscheine. Diesmal hörte der Freiherr kaum auf den Wortschwall des Händlers, eine Last fiel ihm vom Herzen, er hatte seine Pfandbriefe wieder, und der Ausfall in seinen Finanzen war gedeckt. Ehrenthal wurde gnädig entlassen, die Pergamente eingeschlossen, und der Freiherr durfte sich heute keinen Zwang anthun, um ein liebenswürdiger Gesellschafter zu sein. Noch an demselben Tage kaufte er der Baronin einen Schmuck von Türkisen, den sie lange im Stillen gewünscht hatte.

Seit dem Tage war im Hause des Freiherrn heller Sonnenschein, und wenn es eine Erinnerung an die letzten Wochen gab, so äußerte sie sich nur in Kleinigkeiten. Der Kopf des [S. 78] Halbblutes vermied seit diesem Tage den Strom eben so sehr, als er ihn früher gesucht hatte, und wenn der Reiter auf der Straße von Herrn Ehrenthal gegrüßt wurde, so regte sich wieder ein lebhafter Widerwille gegen den glücklichen Geschäftsmann in seiner Seele, und sehr nachlässig war der Gegengruß, welchen er von der Höhe des Rosses zurückgab.

Aber noch ein dunkler Schatten aus der letzten Vergangenheit sollte über den Freiherrn fallen. Er las in dem Zimmer seiner Frau die Zeitung, als sein Auge auf einen Steckbrief fiel, durch welchen ein verschwundener Holzhändler wegen betrügerischen Bankerotts verfolgt wurde. Er legte das Blatt weg, ein kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Und er, der furchtlose Cavalier, nahm das Zeitungsblatt vom Tisch fort und versteckte es tief unter die Bücher seines Arbeitstisches. Wenn der Betrüger derselbe Mann war — Ehrenthal hatte ihm keinen Namen genannt — aber wenn er, der Edelmann, durch sein Geld und seinen Gewinn fremde wohlbegründete Ansprüche verkürzt hatte; wenn er Gehülfe eines Betrugs geworden war, und wenn er für diese Hülfe bezahlt worden war — diese Gedanken waren fürchterlich für sein stolzes Herz. Der Herr ging in der Stube auf und ab und rang die Hände; er eilte zum Schreibtisch, um den Gewinn einzupacken und fortzuschaffen, er wußte selbst nicht wohin, sich von der Seele, weit weg aus seinem Hause. Mit Bestürzung sah er, daß nur noch ein kleiner Theil des Gewinns vorhanden war. Wie gelähmt setzte er sich an den Tisch und legte den Kopf auf seine Hände. Es war etwas in ihm entzwei gegangen, das fühlte er, und er fürchtete, für immer. Heftig sprang er wieder auf, riß an der Klingel und ließ Ehrenthal zu sich fordern.

Zufälliger Weise war der Händler verreist. Unterdeß sprachen dem Freiherrn die freundlichen Stimmen, welche in der Menschenbrust mit klugen und gewählten Worten alles Bedenkliche in ein gutes Licht zu setzen wissen. Wie war die ganze Angst so thöricht! Es gab viele hundert Leute am [S. 79] Oberlauf des Stromes, die mit Holz handelten, es war ja sehr unwahrscheinlich, daß gerade jener Betrüger der Mann Ehrenthals sein sollte. Und selbst in diesem Fall, wie groß war sein eigenes Unrecht bei dem ganzen Ereigniß? Klein, sehr klein, für einen Geschäftsmann nicht zu erkennen. Ja selbst Ehrenthal, was konnte er dafür, wenn der Verkäufer das Geld zu einem Betrug verwandt hatte? Es war doch Alles ehrlich und gesetzlich gekauft worden. — So sprach es fortwährend begütigend in dem Freiherrn, ach, und welche Mühe gab sich der Herr, all diese Stimmen recht deutlich zu hören.

Als Ehrenthal endlich ankam und hastig zum Freiherrn eilte, trat ihm dieser mit einem Gesicht entgegen, das den Händler wirklich erschreckte. »Wie heißt der Mann, von dem Sie das Holz gekauft haben?« frug der Freiherr heftig an der Thür.

Ehrenthal stand betroffen, auch er hatte seine Zeitung gelesen und verstand, was in der Seele des Edelmanns vorging. Er nannte einen beliebigen Namen.

»Und wie hieß der Ort, wo das Holz lag?« klang die zweite Frage etwas ruhiger. Herr Ehrenthal nannte einen beliebigen Ort.

»Ist das Wahrheit, was Sie mir sagen?« frug der Freiherr tief aufathmend zum dritten Mal.

Da Herr Ehrenthal sah, daß er einen Kranken vor sich hatte, so behandelte er ihn mit der Milde, welche dem Arzt so gut ansteht. »Was sich der Herr Baron für Sorge machen!« sagte er kopfschüttelnd. »Ich glaube, der Mann, mit dem ich habe gemacht das Geschäft, hat seinen guten Vortheil dabei gehabt. Es sind große Eichenlieferungen ausgeschrieben, dabei sind für Einen, der dort oben wohnt, hundert Procent zu verdienen. Ich glaube, er wird sie haben verdient. Das Geschäft, welches ich mit ihm gemacht habe, ist gewesen gut und sicher, wie es kein Kaufmann von der Hand weisen wird. Und wenn er auch ein schlechter Mensch wäre, was haben [S. 80] Sie, gnädiger Herr, darum zu sorgen? Ich habe keinen Grund gehabt, Ihnen den Namen des Mannes und des Ortes zu verbergen, ich habe Ihnen doch Beides damals nicht gesagt, weil nicht Sie gemacht haben das Geschäft, sondern ich. Ich bin gewesen Ihr Schuldner, und ich habe Ihnen zurückgezahlt das Geld mit einer Provision. Mit einer guten Provision, das ist wahr. Ich habe seit Jahren Vieles bei Ihnen verdient, warum soll ich nicht zuerst Ihnen den Vortheil gönnen, den ich jedem Andern auch gegeben hätte? Was machen Sie sich Sorgen, Herr Baron, um Dinge, die nicht sind!«

»Das verstehen Sie nicht, Ehrenthal,« sagte der Gutsherr freundlicher; »es ist mir lieb, daß die Sache so steht. Wäre der Betrüger jener Mann gewesen, mit dem Sie gehandelt haben, so hätte ich unser Verhältniß abgebrochen, ich hätte Ihnen nie verziehen, daß Sie mich wider meinen Willen zum Mitschuldigen eines Betrugs machten.«

Ehrenthal wurde entlassen, und der Freiherr war von einer schweren Sorge befreit. Er beschloß, sich näher nach jenem beliebigen Namen und dem unbekannten Dorfe zu erkundigen. Er erkundigte sich aber nicht darnach; durch die überstandene Angst war ihm die Erinnerung an das Geldgeschäft sehr peinlich geworden, und er mühte sich, gar nicht mehr daran zu denken.

Er war ein zartfühlender, guter Herr, und Ehrenthal war derselben Meinung, denn als er die Treppe hinunterging, murmelte er vor sich hin: »Er ist gut, der Baron, er ist gut!«


VII.

Anton stand unter der gemeinsamen Oberhoheit der Herren Jordan und Pix und entdeckte bald, daß er die Ehre hatte, kleiner Vasall eines großen Staatskörpers zu sein. Was die [S. 81] unerfahrene Außenwelt höchst oberflächlich unter dem Namen Commis zusammenfaßt, das waren für ihn, den Eingeweihten, sehr verschiedene, zum Theil Ehrfurcht gebietende Aemter und Würden. Der Buchhalter, Herr Liebold, thronte als geheimer Minister des Hauses an einem Fenster des zweiten Comtoirs in einsamer Majestät und geheimnißvoller Thätigkeit. Unaufhörlich schrieb er Zahlen in ein ungeheures Buch, und sah nur selten von seinen Ziffern auf, wenn sich ein Sperling auf die Gitterstäbe des Fensters setzte, oder wenn ein Sonnenstrahl die eine Fensterecke mit gelbem Glanze überzog. Herr Liebold wußte, daß der Sonnenstrahl nach den alterthümlichen Gesetzen des Universums in keiner Jahreszeit weiter dringen durfte, als bis zur Spitze des Fensterbrets, aber er konnte sich doch nicht enthalten, ihm plötzliche Ueberfälle auf das Hauptbuch zuzutrauen, und beobachtete ihn deßhalb mit argwöhnischen Blicken.

Mit der Ruhe seiner Ecke contrastirte die ewige Rührigkeit in der entgegengesetzten. Dort waltete in besonderem Verschlage der zweite Würdenträger, der Cassirer Purzel, umgeben von eisernen Geldkasten, schweren Geldschränken und einem großen Tisch mit einer Steinplatte. Auf diesem Tisch klangen die Thaler, klirrte das goldene Blech der Ducaten, flatterte geräuschlos das graue Papiergeld vom Morgen bis zum Abend. Wer die Pünktlichkeit als allegorische Figur in Oel malen wollte, der mußte ohne Widerrede Herrn Purzel abmalen und durfte höchstens das antike Costüm dadurch andeuten, daß er mit künstlerischer Licenz Herrn Purzel die Strümpfe über die Stiefeln und das weiße Oberhemd über den Comtoirrock herüber malte. Alles hatte in der Seele des Herrn Purzel eine eisenfeste unveränderliche Stellung, unser Herrgott, die Firma, der große Geldkasten, der Wachsstock, das Petschaft. Jeden Morgen, wenn der Cassirer in seinen Verschlag getreten war, begann er seine Amtsthätigkeit damit, daß er die Kreide ergriff und einen weißen Punkt auf den Tisch malte, um der Kreide selbst die Stelle zu bezeichnen, wo sie sich den Tag [S. 82] über aufzuhalten hatte. Er stand nicht allein in seiner wichtigen Amtsthätigkeit. Ein alter Hausdiener war seine Ordonnanz, die als Ausläufer mit Geldsäcken und Papiergeld den Tag über nach allen Richtungen der Stadt trabte. Es ist wahr, daß die Ordonnanz an der Eigenthümlichkeit litt, gegen Abend sehr feurig auszusehen und in einer persönlichen Abhängigkeit von starkem Getränk zu stehen. Aber diese Eigenschaft vermochte nicht ihre Treue und Besonnenheit zu erschüttern, ja sie schärfte die Erfindungskraft der Ordonnanz, denn nie hat eines Menschen Gewand so viele geheime Taschen mit Knöpfen und Schnallen gehabt, als der Rock des Ausläufers, und nach jedem Glase, das er getrunken, steckte er die Banknoten in einen noch geheimeren Verschluß.

In dem vordern Comtoir war Herr Jordan die erste Person, der Generalstatthalter seiner kaiserlichen Firma. Er war der Aristo der Correspondenten, erster Commis des Hauses, hatte die Procura und wurde von dem Prinzipal zuweilen um seine Ansicht befragt. Er blieb für Anton, was er ihm schon am ersten Tage gewesen war, ein treuer Rathgeber, ein Muster von Thätigkeit, der gesunde Menschenverstand in Person.

Von den Correspondenten des Comtoirs, welche unter Anführung des Herrn Jordan Briefe schrieben und Bücher führten, war für Anton neben Herrn Specht, dem Sanguiniker, am interessantesten Herr Baumann, der künftige Apostel der Heiden. Der Missionär war nicht nur ein Heiliger, sondern auch ein sehr guter Rechner. Er war untrüglich in allen Reductionen von Maß und Gewicht, warf die Preise der Waaren aus und besorgte die Calculatur des Geschäftes. Er wußte mit Bestimmtheit anzugeben, nach welchem Münzfuß die Mohrenfürsten an der Goldküste rechneten, und wie hoch der Curs eines preußischen Thalers auf den Sandwichinseln war. Herr Baumann war Antons Stubennachbar und fühlte sich durch die gute Art unseres Helden so angezogen, daß er ihm in kurzer Zeit seine Neigung zuwandte und in [S. 83] den Abendstunden zuweilen seinen Besuch gönnte. Den Uebrigen stand er fern und ertrug mit christlicher Geduld ihre Spöttereien über seine Pläne.

Auch außerhalb des Hauses hatte die Firma noch einige Würdenträger. Da war Herr Birnbaum, der Zollcommis, welcher nur selten im Comtoir sichtbar wurde und nur des Sonntags am Tische des Prinzipals erschien, ein exacter Mann, der draußen auf dem Packhof herrschte. Er hatte die Zoll-Procura für die Geschäfte nach dem Auslande, das gewichtige Recht, den Namen T. O. Schröter unter die Begleitscheine des Hauses zu setzen. Wenn einer von den Herren der Handlung den Namen eines Beamten verdiente, so war es dieser Herr, er trug auch seinen Rock stets zugeknöpft, wie seine Freunde die Steuerofficianten. Ferner war da der Magazinier des Geschäftes, der die Controlle über die verschiedenen Magazine in der Stadt hatte, die Assecuranzen besorgte und auf dem Markte die großen Einkäufe in Landesproducten machte. Herr Balbus war durchaus kein feiner Mann, er war von Haus aus sehr arm, und seine Schulbildung war mangelhaft, aber der Prinzipal behandelte ihn mit großer Achtung. Anton erfuhr, daß er seine Mutter und eine kranke Schwester durch seinen Gehalt erhielt.

Aber die größte Thätigkeit unter Allen, eine kriegerische, wahrhaft absolute Feldherrnthätigkeit entwickelte Herr Pix, erster Disponent des Provinzialgeschäfts. An der Thür des vordern Comtoirs begann seine Herrschaft und erstreckte sich durch das ganze Haus, bis weit hinaus auf die Straße. Er war der Gott aller Kleinkrämer aus der Provinz, die ihre laufenden Rechnungen hatten, galt bei ihnen für den Chef des Hauses und erwies ihnen dafür die Ehre, sich um ihre Frauen und Kinder zu bekümmern. Er hatte die ganze Spedition der Handlung unter sich, regierte ein halbes Dutzend Hausknechte und eben so viele Auflader, schalt die Fuhrleute, kannte und wußte Alles, war immer auf dem Platz und verstand es, in demselben Augenblick einer Krämersfrau zur Entbindung ihrer [S. 84] Tochter zu gratuliren, einen Bettler gröblich anzufahren, einem Hausknecht Ordre zu geben und das Zünglein an der großen Waage zu beobachten. Wie alle hohen Herren, konnte auch er keinen Widerspruch vertragen und verfocht seine Ansicht selbst gegen den Prinzipal mit einer Hartnäckigkeit, welche unserm Anton einige Male Entsetzen erregte. Außerdem besaß Herr Pix als Geschäftsmann zwei Eigenschaften von wahrhaft wissenschaftlicher Bedeutung: er konnte von jedem Häufchen Kaffebohnen angeben, in welchem Lande dasselbe gewachsen war, und vermochte leere Räume im Hause und dessen Umgegend eben so wenig zu vertragen, wie die Luft und die Philosophie einen leeren Raum vertragen wollen. Wo ein Winkel, eine kleine Kammer, ein Treppenverschlag, ein Kellerloch aufzuspüren war, da siedelte sich Herr Pix mit Tonnen, Leiterbäumen, Stricken und allen erdenklichen Stoffen an, und wo er und seine Bande, die Riesen, sich einmal festgesetzt hatten, vermochte sie keine Gewalt der Erde zu vertreiben, selbst der Prinzipal nicht.

»Wo ist Wohlfart?« rief Herr Schröter aus der Thür des vordern Comtoirs in den Hausflur.

»Auf dem Boden,« antwortete Herr Pix kaltblütig.

»Was thut er dort?« frug der Prinzipal verwundert. — In demselben Augenblick hörte man oben im Hause lebhafte Stimmen, und Anton polterte die Treppe herunter, gefolgt von einem Hausknecht, beide beladen mit Cigarrenkisten, hinter ihnen die Tante, ein wenig erhitzt und sehr ärgerlich.

»Sie wollen uns oben nicht leiden,« sagte Anton eifrig zu Herrn Pix.

»Jetzt kommen sie uns schon auf den Wäschboden,« sagte die Tante eben so eifrig zum Prinzipal.

»Die Cigarren dürfen hier unten nicht stehn bleiben,« erklärte Herr Pix dem Prinzipal und der Tante.

»Unter den Wäschleinen dulde ich keine Cigarren!« rief die Tante; »kein Ort im Hause ist mehr sicher vor Herrn Pix. Auch in die Kammern der Dienstmädchen hat er Cigarren [S. 85] räumen lassen; die Mädchen klagen, daß sie es vor Tabakgeruch nicht mehr aushalten.«

»Es ist trocken dort oben,« sagte Herr Pix zum Prinzipal.

»Können Sie die Cigarren nicht irgend anderswo unterbringen?« frug der Prinzipal Herrn Pix rücksichtsvoll.

»Es ist unmöglich,« antwortete Herr Pix bestimmt.

»Haben Sie den ganzen Bodenraum zur Wäsche nöthig, liebe Tante?« frug der Prinzipal die Dame.

»Ich glaube, die Hälfte wäre genug,« warf Herr Pix dazwischen.

»Ich hoffe, Sie werden sich mit einer Ecke begnügen,« entschied der Prinzipal lächelnd. »Lassen Sie sogleich den Tischler einen Verschlag machen.«

»Wenn Herr Pix erst einmal auf dem Boden ist, so wird er unsere Wäsche ganz verdrängen,« klagte die erfahrene Tante.

»Es soll die letzte Bewilligung sein, die wir ihm machen,« beruhigte sie der Prinzipal.

Herr Pix lachte still, wie die Tante später behauptete, mit einem rebellischen Grinsen, und gab unserm Helden, sobald sich die beiden Autoritäten entfernt hatten, sofort den Befehl, mit den Kisten wieder hinauf zu ziehen.

Am größten aber war Herr Pix, so oft seine Vertrauten, die reisenden Commis des Geschäftes, auf kurze Zeit in die Handlung zurückkehrten. Dann setzte sich das Provinzialgeschäft im Hinterhause zusammen und verarbeitete die Neuigkeiten des Landes. Dann entfaltete Herr Pix seine genaue Bekanntschaft mit allen Geschäftsleuten der Provinz, mit ihren Vermögensverhältnissen und ihrer Gemüthsart und verfügte in kurzen, aber gewichtigen Worten, wie viel an Vertrauen und Credit den kleinen Handlungen zu schenken sei. Dann wurde Punsch getrunken und Solo gespielt, welches Spiel seines monarchischen Charakters wegen von Herrn Pix am meisten geschätzt wurde, doch behandelte er auch hier alle Compagniegeschäfte mit Verachtung.

[S. 86]

Was aber Herrn Pix in dem Auge der Mitwelt das größte Ansehen gab, das waren die Riesen, welche um die große Waage herum nach seinem Befehle schalteten, hohe breitschultrige Männer mit herkulischer Kraft. Wenn sie die großen Tonnen zuschlugen und rollten und mit Centnern umgingen, wie gewöhnliche Menschen mit Pfunden, so erschienen sie dem neuen Lehrling wie die Ueberreste eines alten Volkes, von dem die Mährchen erzählen, daß es einst auf deutschem Boden gehaust und mit thurmhohen Felsblöcken Märmel gespielt habe. Bald merkte Anton, daß sie selbst nicht einem Stamme angehörten. Da waren zuerst sechs Hausknechte, alle von der Natur aus zähem Holz über Lebensgröße ausgeführt. Sie gehörten ganz der Handlung an, waren die regelmäßigen Untergebenen des schwarzen Pinsels, ja mehrere von ihnen wohnten im Hause selbst und hatten allnächtlich der Reihe nach die Wache. Von neun Uhr ab saß dann Pluto, der Newfoundländer des Fräulein, neben einer riesigen Gestalt schweigend im Schatten eines großen Fasses. Diese Hausknechte, wie groß sie auch waren und wie stark, sahen doch den Söhnen sterblicher Menschen noch in manchen Stücken ähnlich. Daneben aber bildeten die Auflader der Kaufmannschaft eine besondere Corporation, welche auf dem Packhof vor dem Thore ihr Hauptquartier hatte und von dort aus die Ladungen nach den großen Waarenhandlungen der Stadt schaffte oder abholte. Diese waren die mächtigsten unter den Riesen, und Einzelne unter ihnen von einer Körperkraft, wie sie in anderm Berufe nicht mehr gefunden wird. Sie hatten mit vielen Handlungen der Stadt zu thun, aber das alte angesehene Haus von T. O. Schröter war die irdische Stätte, auf der sie sich am liebsten herabließen, mit der kleinen Gegenwart zu verkehren. Seit mehr als einem Menschenalter war der Chef dieses Hauses der erste Vorstand ihrer Corporation gewesen. So hatte sich ein Clientenverhältniß zu der Firma gebildet. Herr Schröter empfing am Neujahr als Erster ihren Glückwunsch und wurde Pathe sämmtlicher Riesenkinder, [S. 87] welche im Lauf des Jahres bei ihrer Taufe die Arme der dienstthuenden Hebamme auf das Taufbecken hinunterdrückten und den Geistlichen durch ihre ungeheuren Köpfe so beunruhigten, daß er seine Stimme zur Stärke des Donners erhob, um den Teufel aus ihnen herauszutreiben.

Unter diesen Lederschürzen war Sturm, ihr Oberster, wieder der größte und stärkste, ein Mann, der enge Hintergassen vermied, um seine Kleider nicht auf beiden Mauerseiten zu reiben. Er wurde gerufen, wenn eine Last so schwer war, daß seine Kameraden sie nicht bewältigen konnten, dann stemmte er seine Schulter an und schob die größten Fässer weg, wie Holzklötzchen. Es ging von ihm die Sage, daß er einmal ein polnisches Pferd mit allen vier Beinen in die Höhe gehoben hätte, und Herr Specht behauptete, es gebe für ihn nichts Schweres auf der Erde. Ueber seinem großen Körper glänzte ein breites Gesicht von natürlicher Gutherzigkeit, welche nur durch die Würde gebändigt wurde, die ein Mann von seiner Stellung besitzen mußte.

Er stand zur Firma in einem besonders freundschaftlichen Verhältniß und besaß ein einziges Kind, an dem er mit großer Zärtlichkeit hing. Der Knabe hatte seine Mutter früh verloren, und der Vater hatte ihn als funfzehnjährigen Burschen in der Handlung von T. O. Schröter untergebracht in einer eigenthümlichen Stellung, die er selbst für ihn ausgedacht. Karl Sturm war unter den Hausknechten ungefähr dasselbe, was Fink im Comtoir war, ein Volontair, er trug seine Lederschürze und seinen kleinen Haken, wie der Vater, und war durch eignes Verdienst zu einem ausgedehnten Wirkungskreis gekommen. Er genoß das Vertrauen aller Mitglieder der Handlung, wußte in jedem Winkel des Hauses Bescheid, sammelte alle Bindfaden und Schnüre, alle Nägel und alle Faßdauben, hob alles Packpapier auf, fütterte den Pluto und unterstützte den Bedienten beim Stiefelputzen. Er konnte genau angeben, wo irgend eine Tonne, ein Bret, ein alter Waarenrest lag. Wenn ein Nagel einzuschlagen war, so wurde Karl [S. 88] gerufen; so oft ein Stemmeisen verlegt war, Karl wußte es zu schaffen; wenn die Tante den Wintervorrath von Schinken und Würsten aufhob, so verstand Karl am besten, diese Schätze einzupacken, und wenn Herr Schröter eine schnelle Bestellung auszurichten hatte, so war Karl der zuverlässigste Bote. Zu Allem anstellig, immer guter Laune und nie um Auskunft verlegen, war er ein Günstling aller Parteien, die Auflader nannten ihn »unser Karl,« und der Vater wandte sich oft von seiner Arbeit ab, um einen heimlichen Blick voll Stolz auf den Knaben zu werfen.

Nur in einem Punkt war er nicht mit ihm zufrieden: Karl gab keine Hoffnung, seinem Vater in Größe und Stärke gleich zu werden. Er war ein hübscher Bursch mit rothen Wangen und blondem Kraushaar, aber nach dem Gutachten aller Riesen war für seine Zukunft keine andere als eine mäßige Mittelgröße zu erwarten. So kam es, daß der Vater ihn als eine Art Zwerg behandelte, mit unaufhörlicher Schonung und nicht ohne Wehmuth. Er verbot seinem Sohne, beim Aufladen schwerer Frachtgüter anzugreifen, und wenn er plötzlich von einem Vatergefühl ergriffen wurde, so legte er die Hand vorsichtig auf den Kopf seines Karls in der unbestimmten Furcht, daß die Köpfe von Zwergen nur die Dicke einer Eierschale hätten und bei einem kräftigen Druck zerbrechen müßten.

»Es ist einerlei, was das Ding lernt,« sagte er zu Herrn Pix, als er den Knaben nach der Confirmation im Geschäft einführte, »wenn er nur Zweierlei lernt: ehrlich sein und praktisch sein.« Diese Rede war ganz nach dem Herzen des Herrn Pix. Und der Vater fing seine Lehre auf der Stelle damit an, daß er den Sohn in das große Gewölbe unter die offenen Vorräthe führte und zu ihm sagte: »Hier sind die Mandeln, und hier die Rosinen; diese in dem kleinen Faß schmecken am besten, koste einmal.«

»Sie schmecken gut, Vater,« rief Karl vergnügt.

»Ich denk's, Liliputer,« nickte der Vater. »Sieh, aus allen diesen Fässern kannst du essen, so viel du willst, kein Mensch [S. 89] wird dir's wehren; Herr Schröter erlaubt dir's, Herr Pix erlaubt dir's, ich erlaube dir's. Jetzt merke auf, mein Kleiner. Jetzt sollst du probiren, wie lange du vor diesen Tonnen stehen kannst, ohne hineinzugreifen. Je länger du's aushältst, desto besser für dich; wenn du's nicht mehr aushalten kannst, kommst du zu mir und sagst: es ist genug. Das ist gar kein Befehl für dich, es ist nur wegen dir selber und wegen der Ehre.« So ließ der Alte den Knaben allein, nachdem er seine große dreischalige Uhr herausgezogen und auf eine Kiste neben ihn gelegt hatte. »Versuch's zuerst mit einer Stunde,« sagte er im Weggehen, »geht's nicht, so schadet's auch nicht. Es wird schon werden.« Der Junge steckte trotzig die Hände in die Hosentaschen und ging zwischen den Fässern auf und ab. Nach Verlauf von mehr als zwei Stunden kam er die Uhr in der Hand zum Vater heraus und rief: »Es ist genug.«

»Zwei und eine halbe Stunde,« sagte der alte Sturm und winkte vergnügt Herrn Pix zu. »Jetzt ist's gut, Kleiner, jetzt brauchst du den übrigen Tag nicht mehr in das Gewölbe zu gehen. Komm her, du sollst diese Kiste zusammenschlagen; hier ist ein neuer Hammer für dich, er kostet zehn Groschen.«

»Er ist nur acht werth,« sagte Karl den Hammer betrachtend, »du kaufst immer zu theuer.«

So wurde Karl eingeführt. Am ersten Morgen, nachdem Anton gekommen war, sagte Karl zu seinem Vater im Hausflur: »Es ist ein neuer Lehrling da.«

»Was ist's für einer?« frug der Alte.

»Er hat einen grünen Rock und graue Hosen, es ist Mitteltuch; er ist nur wenig größer als ich. Er hat schon mit mir gesprochen, es scheint ein guter Kerl. Gieb mir dein Taschenmesser, ich muß ihm einen neuen Holznagel in seinen Kleiderschrank schneiden.«

»Mein Messer, du Knirps?« rief Sturm auf seinen Sohn heruntersehend mit tadelnder Stimme, »du hast ja dein eigenes.«

»Zerbrochen,« sagte Karl unwillig.

»Wer hat's gekauft?« frug Sturm.

[S. 90]

»Du hast's gekauft, Vater Goliath; es war ein erbärmliches Ding, wie für ein Wickelkind.«

»Ich konnte dir doch kein schweres kaufen für deine kleine Hand?« frug der Vater gekränkt.

»Da haben wir's,« sagte Karl, sich vor den Vater hinstellend, »wenn man dich hört, muß man glauben, ich wäre eine Kaulquabbe von Gassenjungen, die ihre Hosen noch an die Jacke knöpft und hinten ein weißes Schwänzchen trägt.«

Die Auflader lachten. »Sei nicht aufsätzig gegen deinen Vater,« sagte Sturm und legte seine Hand behutsam auf den Kopf seines Sohnes.

»Sieh, Vater, da ist der Lehrling,« rief Karl und betrachtete Anton, der jetzt für ihn zum Inventarium des Hauses gehörte, mit prüfenden Blicken.

Herr Pix stellte Anton dem Riesen vor, und Anton sagte wieder mit Achtung zu dem Riesen aufsehend: »Ich war noch nie in einem Geschäft, ich bitte auch Sie, mir zu helfen, wo ich nicht Bescheid weiß.«

»Alles Ding will gelernt sein,« erwiederte der Riese mit Würde. »Da ist mein Kleiner hier, der hat in einem Jahre schon hübsch etwas losgekriegt. Also Ihr Vater ist nicht Kaufmann?«

»Mein Vater war Beamter, er ist gestorben,« erwiederte Anton.

»Oh, das thut mir leid,« sagte der Auflader mit betrübtem Gesicht. »Aber Ihre Frau Mutter kann sich doch über Sie freuen.«

»Sie ist auch gestorben,« sagte Anton wieder.

»Oh, oh, oh!« rief der Riese bedauernd und sann erstaunt über das Schicksal Antons nach. Er schüttelte lange den Kopf und sagte endlich mit leiser Stimme zu seinem Karl: »Er hat keine Mutter mehr.«

»Und keinen Vater,« erwiederte Karl ebenso.

»Behandle ihn gut, Liliputer,« sagte der Alte, »du bist gewissermaßen auch eine Waise.«

[S. 91]

»Na,« rief Karl, auf die Schürze des Aufladers schlagend, »wer einen so großen Vater hat, der hat Sorge genug.«

»Weißt du, was du bist? Du bist ein kleines Ungethüm,« sagte der Vater und schlug lustig mit dem Schlägel auf die Reifen eines Fasses.

Seit der Zeit schenkte Karl dem neuen Lehrling seine Gunst. Wenn er am Morgen auf die Stiefelsohlen desselben Nr. 14 geschrieben hatte, so stellte er die Stiefeln mit besonderer Sorgfalt zur Seite; er nähete ihm abgerissene Knöpfe an die Kleider und war, so oft Anton an der Waage zu thun hatte, dienstbeflissen an seiner Seite, ihm etwas zuzureichen und die kleineren Gewichte auf die Waage zu heben. Anton vergalt diese Dienste durch freundliches Wesen gegen Vater und Sohn, er unterhielt sich gern mit dem aufgeweckten Burschen und wurde der Vertraute von manchen kleinen Liebhabereien des Praktikers. Und als die nächste Weihnacht herankam, veranstaltete er bei den Herren vom Comtoir eine Geldsammlung, kaufte einen großen Kasten mit gutem Handwerkszeug und machte dadurch Karl zu dem glücklichsten aller Sterblichen.

Aber auch mit allen gebietenden Herren der Handlung stand Anton auf gutem Fuß. Er hörte die verständigen Urtheile des Herrn Jordan mit großer Achtung an, bewies Herrn Pix einen aufrichtigen und unbedingten Diensteifer, ließ sich von Herrn Specht in politischen Combinationen unterrichten, las die Missionsberichte, welche ihm Herr Baumann anvertraute, erbat sich von Herrn Purzel niemals Vorschüsse, sondern wußte mit dem Wenigen auszukommen, was ihm sein Vormund senden konnte, und ermunterte oft durch seine lebhafte Beistimmung Herrn Liebold, irgend eine unzweifelhafte Wahrheit auszusprechen und dieselbe nicht durch sofortigen Widerruf zu vernichten. Mit sämmtlichen Herren der Handlung stand er auf gutem Fuß, nur mit einem einzigen wollte es ihm nicht glücken, und dieser eine war der Volontair des Geschäfts.

[S. 92]


An einem Nachmittage sah das Comtoir in der Dämmerung grau und unheimlich aus, melancholisch tickte die alte Wanduhr und jeder Eintretende brachte eine Wolke feuchter Nebelluft in das Zimmer, welche den Raum nicht anmuthiger machte. Da gab Herr Jordan unserm Helden den Auftrag, in einer andern Handlung eine schleunige Besorgung auszurichten. Als Anton an das Pult des Procuristen trat, um den Brief in Empfang zu nehmen, sah Fink von seinem Platz auf und sagte zu Jordan: »Schicken Sie ihn doch gleich einmal zum Büchsenmacher, der Taugenichts soll ihm mein Gewehr mitgeben.«

Unserm Helden schoß das Blut in's Gesicht, er sagte eifrig zu Jordan: »Geben Sie mir den Auftrag nicht, ich werde ihn nicht ausrichten.«

»So?« frug Fink und sah verwundert auf: »und warum nicht, mein Hähnchen?«

»Ich bin nicht Ihr Diener,« antwortete Anton erbittert. »Hätten Sie mich gebeten, den Gang für Sie zu thun, so würde ich ihn vielleicht gemacht haben, aber einem Auftrage, der mit solcher Anmaßung gegeben ist, folge ich nicht.«

»Einfältiger Junge,« brummte Fink und schrieb weiter.

Das ganze Comtoir hatte die schmähenden Worte gehört, alle Federn hielten still, und alle Herren sahen auf Anton. Dieser war in der größten Aufregung, er rief mit etwas bebender Stimme, aber mit blitzenden Augen: »Sie haben mich beleidigt, ich dulde von Niemandem eine Beleidigung, am wenigsten von Ihnen. Sie werden mir heut Abend darüber eine Erklärung geben.«

»Ich prügele Niemanden gern,« sagte Fink friedfertig, »ich bin kein Schulmeister und führe keine Ruthe.«

»Es ist genug,« rief Anton todtenbleich, »Sie sollen mir Rede stehen,« ergriff seinen Hut und stürzte mit dem Briefe des Herrn Jordan hinaus.

Draußen rieselte ein kalter Regen herunter, Anton merkte es nicht. Er fühlte sich vernichtet, gehöhnt von einem Stärkeren, [S. 93] tödtlich gekränkt in seinem jungen, harmlosen Selbstgefühl. Sein ganzes Leben schien ihm zerstört, er kam sich hülflos vor auf seinen Wegen, allein in einer fremden Welt. Gegen Fink empfand er etwas, was halb glühender Haß war, und halb Bewunderung; der freche Mensch erschien ihm auch nach dieser Beleidigung so sicher und überlegen. Es wurde ihm schwer um's Herz, und seine Augen füllten sich mit Thränen. So kam er an das Haus, wo er seinen Auftrag auszurichten hatte. Vor der Thür hielt der Wagen seines Prinzipals, er huschte mit niedergeschlagenen Augen vorbei und hatte kaum Fassung genug, in dem fremden Comtoir sein Unglück zu verbergen. Als er wieder herauskam, traf er im Hausflur mit der Schwester seines Prinzipals zusammen, welche im Begriff war, in den Wagen zu steigen. Er grüßte und wollte neben ihr vorbeistürzen, Sabine blieb an dem Hausflur stehen und sah ihn an. Der Bediente war nicht zur Stelle, der Kutscher sprach vom Bock nach der andern Seite herab laut mit einem Bekannten. Anton trat herzu, rief den Kutscher an, öffnete den Schlag und hob das Fräulein in den Wagen. Sabine hielt den Schlag zurück, den er zuwerfen wollte, und blickte ihm fragend in das verstörte Gesicht. »Was fehlt Ihnen, Herr Wohlfart?« frug sie leise.

»Es wird vorübergehen,« erwiederte Anton mit zuckender Lippe und einer Verbeugung und schloß die Wagenthür. Sabine sah ihn noch einen Augenblick schweigend an, dann neigte sie sich gegen ihn und zog sich zurück, der Wagen fuhr davon.

So unbedeutend der Vorfall war, er gab doch den Gedanken Antons eine andere Richtung. Sabinens Frage und ihr Gruß waren in diesem Augenblick eine Beschwörung seiner Muthlosigkeit. In ihrer dankenden Verbeugung lag Achtung, und ein menschlicher Antheil in ihren Worten. Die Frage, der Gruß, der kleine Ritterdienst, den er der jungen Herrin des Hauses geleistet hatte, erinnerten ihn, daß er kein Kind sei, nicht hülflos, nicht schwach und nicht allein. Ja auch in seiner bescheidenen Stellung genoß er die Achtung Anderer, [S. 94] und er hatte ein Recht darauf, und er hatte die Pflicht, sich diese Achtung zu bewahren. Er erhob sein Haupt, und sein Entschluß stand fest, lieber das Aeußerste zu thun, als den Schimpf zu ertragen. Er hielt die Hand in die Höhe, wie zum Schwur.

Als er in das Comtoir zurückkam, richtete er mit entschiedenem Wesen seine Besorgung aus, ging schweigend und unbekümmert um die neugierigen Blicke der Herren an seinen Platz und arbeitete weiter.

Nach dem Schluß des Comtoirs eilte er auf Jordans Zimmer. Er fand bereits die Herren Pix und Specht daselbst vor, in dem gemüthlichen Eifer, welchen jede solche Scene bei Unbetheiligten zu erzeugen pflegt. Die drei Herren sahen ihn zweifelhaft an, wie man einen armen Teufel ansieht, der vom Schicksal mit Fäusten geschlagen ist, etwas verlegen, etwas mitleidig, ein wenig verächtlich. Anton sagte mit einer Haltung, die in Betracht seiner geringen Erfahrung in Ehrensachen anerkennenswerth war: »Ich bin von Herrn von Fink beleidigt worden und habe die Absicht, mir diese Beleidigung nicht gefallen zu lassen. Sie Beide, Herr Jordan und Herr Pix, sind im Geschäft meine Vorgesetzten, und ich habe große Achtung vor Ihrer Erfahrung. Von Ihnen wünsche ich vor Allem zu wissen, ob Sie in dem Streite selbst mir vollkommen Recht geben.«

Herr Jordan schwieg vorsichtig, aber Herr Pix zündete entschlossen eine Cigarre an, setzte sich auf den Holzkorb am Ofen und erklärte: »Sie sind ein guter Kerl, Wohlfart, und Fink hat Unrecht, das ist meine Meinung.«

»Meine Meinung ist es auch,« stimmte Herr Specht bei.

»Es ist gut, daß Sie sich an uns gewandt haben,« sagte Herr Jordan; »ich hoffe, der Streit wird sich beilegen lassen; Fink ist oft rauh und kurz angebunden, aber er ist nicht malitiös.«

»Ich sehe nicht ein, wie die Beleidigung ausgeglichen werden kann, wenn ich nicht die nöthigen Schritte thue,« rief Anton finster.

[S. 95]

»Sie wollen den Streit doch nicht vor den Prinzipal bringen?« frug Herr Jordan mißbilligend, »das würde allen Herren unangenehm sein.«

»Mir am meisten,« erwiederte Anton; »ich weiß, was ich zu thun habe, und wünsche nur vorher noch von Ihnen die Erklärung, daß Fink mich unwürdig behandelt hat.«

»Er ist Volontair,« sagte Herr Jordan, »und hat kein Recht, Ihnen Aufträge zu geben, am wenigsten in seinen Privatgeschäften mit Hasen und Rebhühnern.«

»Das genügt mir,« sagte Anton, »und jetzt bitte ich Sie, Herr Jordan, mich einen Augenblick unter vier Augen anzuhören.« Er sagte das mit so viel Ernst, daß Herr Jordan stillschweigend die Thür seiner Schlafkammer aufmachte und mit ihm eintrat. Hier ergriff Anton die Hand des Procuristen, drückte sie kräftig und sprach: »Ich bitte Sie um einen großen Dienst, gehen Sie hinab zu Herrn von Fink und fordern Sie von ihm, daß er mir morgen, in Gegenwart der Herren vom Comtoir, das abbittet, was er von beschimpfenden Ausdrücken gegen mich gebraucht hat.«

»Das wird er schwerlich thun,« sagte Herr Jordan kopfschüttelnd.

»Wenn er es nicht thut,« sagte Anton heftig, »so fordern Sie ihn von mir auf Degen oder Pistolen.«

Wenn vor Herrn Jordan plötzlich aus seiner Tintenflasche ein schwarzer Rauch gestiegen wäre, wenn dieser Rauch sich zu einem fürchterlichen Geiste zusammengeballt hätte, wie in jenem alten Märchen, und wenn dieser Geist die Absicht ausgesprochen hätte, Herrn Jordan sofort zu erdrosseln, so hätte dieser Herr nicht bestürzter dastehen können, als er jetzt unserm Helden gegenüberstand. »Sie sind des Teufels, Wohlfart,« rief er endlich, »Sie wollen sich mit Herrn von Fink duelliren, und er ist ein toller Pistolenschütz, und Sie sind Lehrling und erst seit einem halben Jahr im Geschäft, das ist ja unmöglich!«

»Ich bin Primaner gewesen, und habe mein Abiturientenexamen [S. 96] gemacht, und wäre jetzt Student, wenn ich nicht vorgezogen hätte, Kaufmann zu werden! — Verwünscht sei das Geschäft, wenn es mich so erniedrigt, daß ich meinen Feind nicht mehr fordern darf. Ich gehe dann noch heut zu Herrn Schröter und erkläre ihm meinen Austritt,« rief Anton mit flammenden Augen.

Herr Jordan sah mit größtem Erstaunen auf seinen gutmüthigen Schüler, der auf einmal als phantastischer Riese vor ihm umher flackerte. »Seien Sie nur nicht so heftig, lieber Wohlfart,« bat er begütigend, »ich werde zu Fink hinuntergehen, vielleicht läßt sich Alles im Guten ausgleichen.«

»Ich verlange Abbitte vor dem Comtoir,« rief Anton wieder, »Abbitte oder Satisfaction.«

Es war wohlthuend, unterdeß die beiden Herren in der Nebenstube zu beobachten. Pix hatte als kluger Feldherr mit einem Ruck seinen Holzkorb in die Nähe der Kammerthür geschoben und saß scheinbar gleichgültig da, nur mit seiner Cigarre beschäftigt, während Herr Specht sich nicht enthalten konnte, das Ohr an die Thüre zu legen. »Sie schießen sich,« flüsterte Herr Specht, entzückt über die großen Empfindungen, welche dieser Streit hervorzurufen versprach. »Passen Sie auf, Pix, es wird ein furchtbares Unglück; wir Alle müssen zum Begräbniß gehen, Keiner darf fehlen. Ich wirke die Erlaubniß aus, daß wir Junggesellen die Leiche tragen dürfen.«

»Wessen Leiche?« frug Herr Pix verwundert.

»Wohlfart muß daran glauben,« rief Herr Specht wieder in dumpfem Flüsterton.

»Unsinn,« sagte Herr Pix, »Sie sind ein Narr!«

»Ich bin kein Narr, und ich verbitte mir alle Anzüglichkeiten,« rief Herr Specht wieder flüsternd und nach dem Beispiel Antons entschlossen, sich nichts gefallen zu lassen.

»Schreien Sie mir nicht so in's Ohr,« sagte Herr Pix unbewegt, »man kann nichts verstehen.« In dem Augenblick öffnete sich die Thür, Herr Specht sprang an ein Fenster und starrte angelegentlich in die finstere Regennacht, während Pix [S. 97] unserm Anton die Hand schüttelte und ihm erklärte, er sei ein tüchtiger Mann und das Provinzialgeschäft sei ganz auf seiner Seite. — Herr Jordan ging zu Fink hinab und kam bald wieder herauf; Herr von Fink war nicht zu Hause. Wahrscheinlich saß der Jokei ahnungslos in irgend einer Weinstube. Anton sagte darauf: »Ich lasse die Sache nicht bis morgen ruhen, ich werde ihm schreiben und den Brief durch den Bedienten auf seinen Tisch legen lassen.«

»Thun Sie das nicht,« bat Herr Jordan, »Sie sind jetzt zu zornig.«

»Ich bin sehr ruhig,« erwiederte Anton mit heißen Wangen; »ich werde ihm nur das Nöthige schreiben. Sie, meine Herren, bitte ich, daß Sie über Alles, was Sie hier gehört haben, gegen die Andern schweigen.«

Das versprachen die Herren. Darauf ging er auf sein Zimmer und schrieb einen Brief, in dem er Herrn von Fink sein Unrecht vorhielt und ihm schließlich die Wahl ließ, ob er durch Schläger oder Pistolen das verletzte Selbstgefühl Antons ausbessern wollte. Der Brief war für einen jungen Gentleman gut genug geschrieben und wurde neben den Wachsstock des Herrn von Fink in dessen Stube niedergelegt, nachdem Herr Specht dem Bedienten noch auf der Treppe eingeschärft hatte, mit Kreide drei große Ausrufungszeichen auf den Tisch zu malen; wahrscheinlich sollten sie die Stelle der Späne vertreten, welche die Boten der heiligen Vehme aus dem Burgthor der Angeklagten zu hauen pflegten. Anton blieb den Rest des Abends auf seinem Zimmer, wo er unruhig auf und ab schritt, bald die Scene der Beleidigung, bald die zu erwartende Scene dramatisch auseinander legte und jede Art von Gefühlen durcharbeitete, welche bei einem armen Jungen vor dem ersten Duell unvermeidlich sind.

Unterdeß wurde im Zimmer des Herrn Jordan große Sitzung des gesammten Geschäfts gehalten. Da Herr Pix und Herr Specht versprochen hatten, zu schweigen, beschränkten sie sich auf so mysteriöse und finstere Andeutungen, daß bei einem Theil [S. 98] der Herren die Ansicht entstand, ein Mord sei entweder schon vollbracht, oder doch jeden Augenblick zu fürchten, bis endlich Herr Jordan das Wort ergriff: »Da die Differenz doch kein Geheimniß ist, und die Sache uns Alle angeht, so ist es am besten, wenn wir sie unter einander besprechen und uns sämmtlich Mühe geben, die nachtheiligen Folgen zu verhüten. Ich werde aufbleiben, bis Fink zurückkommt, und sogleich mit ihm reden. Unterdeß muß ich Wohlfart das Zeugniß geben, daß er sich so gewandt benommen hat, wie bei einem jungen Mann ohne Erfahrung nur möglich ist.« Alle stimmten eifrig bei. Darauf geriethen der Zollcommis Herr Birnbaum und Herr Specht in eine lebhafte Erörterung über die verschiedenen Arten der Duelle, und Herr Specht behauptete, beim Schießen über das Schnupftuch würden den Duellanten mit einem seidenen Taschentuch die Augen verbunden, und dieselben auf ihren Standorten so lange im Kreise herumgedreht, bis der Kampfrichter mit seinem Stock aufklopfe, worauf ihnen frei stehe, hinzuschießen, wohin sie wollten. Herr Baumann stahl sich zuerst aus der Gesellschaft fort und ging zu Anton, drückte diesem herzlich die Hand und bat ihn dringend, nicht um rauher Worte willen zwei Menschenleben auf das Spiel zu setzen. Nachdem er Abschied genommen hatte, fand Anton auf seinem Tisch ein kleines Exemplar des Neuen Testaments aufgeschlagen und darin durch ein großes Ohr den heiligen Spruch bezeichnet: »Segnet, die euch fluchen.« Anton war gerade nicht in der Stimmung, den Sinn dieser Worte zu befolgen. Aber er setzte sich doch vor das Buch und las darin die Sprüche, welche er als Kind seiner guten Mutter so oft aufgesagt hatte. Er wurde weicher und ruhiger und ging in dieser Stimmung zu Bette.

Unterdeß drang das Gerücht von einem furchtbaren Ereigniß durch alle Schlüssellöcher, Ritze und Kammern des alten Hauses.

Sabine war in ihrer Schatzkammer. Dies war ein Raum, unwohnlich für einen Gast, aber für jede Hausfrau ein heimliches, herzerhebendes Zimmer. An den Wänden standen [S. 99] mächtige Schränke von Eichen- und Nußbaumholz mit schöner eingelegter Arbeit, in der Mitte ein großer Tisch mit geschnörkelten Beinen, darum einige alte Lehnstühle. Aus den geöffneten Schränken glänzten im Lampenlicht unzählige Gedecke von Damast, hohe Terrassen von Wäsche, Linnen und bunten Stoffen, Krystallgläser, silberne Pocale, Porcellan und Fayence im Geschmack von mehr als drei Generationen. Die Luft war mit einem kräftigen Duft erfüllt, der aus uraltem Lavendel, Eau de Cologne und frischer Wäsche aufstieg. Hier herrschte Sabine allein. Nur ungern sah sie einen fremden Fuß eintreten; was aus den Schränken genommen wurde und wieder hineinkam, hob sie mit eigenen Händen; nur der treue Diener hatte das Vorrecht, ihr an schweren Tagen zu helfen, und zuweilen Karl Sturm, sein Adjutant, der gewisse rosafarbene Pappkarten zum Zeichnen der Wäsche anfertigte und prachtvolle Zahlen darauf schrieb.

Heute stand Sabine noch spät vor dem Tisch, der mit weißer Wäsche belastet war; sie suchte die Nummern des feinen Damasts zusammen, zählte und sortirte Tischdecken und Servietten, band große Bündel mit rosa Bändern zusammen und hing die Nummerkarten daran. Zuweilen hielt sie ein Stück näher an das Licht und sah mit Behagen auf die weißen Arabesken, welche die Kunst des Webers hineingewirkt hatte. Da flog ein dunkler Schatten über ihr Antlitz und traurig sah sie auf einige wunderfeine Servietten, in welche zahlreiche kleine Löcher gestochen waren, je drei oder vier in einer Reihe. Endlich rief sie den Bedienten. »Es ist nicht mehr auszuhalten, Franz, auch in No. 24 sind wieder drei Servietten mit der Gabel durchstochen. Einer der Herren sticht in das Tischzeug! Das ist bei uns doch nicht nöthig.«

»Nein,« sagte der Vertraute kummervoll; »ich selbst habe ja das Silberzeug unter mir, ich weiß am besten, daß es nicht nöthig ist.«

»Wer von den Herren ist so rücksichtslos?« frug Sabine streng. »Es muß einer der Neuen sein.«

[S. 100]

»Herr von Fink ist es,« klagte der Diener, »er sticht vor jedem Essen zweimal mit der Gabel durch die Serviette; es giebt mir jedesmal einen Stich durch's Herz, Fräulein Sabine. Aber Herrn von Fink kann ich doch nichts sagen.«

Sabine hing den Kopf über die zerstochenen Servietten. »Ich wußte, daß er es war,« seufzte sie. — »Aber das darf nicht so fortgehen. Ich werde Ihnen für Herrn von Fink eine besondere Nummer herausgeben, die müssen wir opfern, bis sich eine Gelegenheit findet, ihn zu bitten, daß er von seinen Angriffen abläßt.« Sie trat zu dem Schrank und suchte lange. Es war eine schwere Wahl. Zwar von den groben konnte sie ohne Schmerz einige Dutzend missen, von den feinen aber war ihr jedes Gedeck an's Herz gewachsen. Eines freilich mehr als das andere. — »Dieses mag hingehen,« sagte sie endlich betrübt, »hier fehlt ohnedies eine Serviette.« Sie sah noch einmal auf das Muster, kleine Pfauen, welche kunstvoll durch Blumengewinde schritten, und legte die Nummer auf den Arm des Dieners. »Herr von Fink bekommt keine andern Servietten, als diese,« befahl sie.

Franz zögerte zu gehen. »Er hat auch in seiner Schlafstube eine Gardine angebrannt,« sagte er unruhig. »Der Flügel wird nicht mehr zu brauchen sein.«

»Und sie war ganz neu,« klagte Sabine. »Morgen früh nehmen Sie die Gardine ab. — Was haben Sie noch, Franz? Ist etwas vorgefallen?« —

»Ach, Fräulein,« erwiederte der Diener geheimnißvoll, »drüben bei den Herren geht Alles durcheinander. Herr von Fink hat Herrn Wohlfart sehr beleidigt, Herr Wohlfart ist wüthend, es wird ein Duell geben, sagt Herr Specht, die Herren fürchten ein großes Unglück.«

»Ein Duell,« rief Sabine, »zwischen Fink und Wohlfart?« — Sie schüttelte den Kopf. »Sie haben wohl Herrn Specht mißverstanden,« fügte sie lächelnd hinzu.

»Nein, Fräulein Sabine, diesmal ist es ernsthaft. — Es wird ein Unglück geben, Herr Wohlfart ging im größten [S. 101] Zorn an mir vorüber, und er hat seinen Thee nicht angerührt.«

»Ist mein Bruder noch nicht zurück?«

»Er kommt heut spät nach Hause, er ist im Comité.«

»Es ist gut,« schloß Sabine. »Sie schweigen gegen Jedermann, Franz, hören Sie?«

Sabine setzte sich wieder an den Tisch, aber ihr Damast war vergessen. Sie blickte starr hinaus in den dunkeln Hof nach den Fenstern des Volontairs. »Er sticht durch die Servietten,« klagte sie leise, »er wird sich auch kein Gewissen daraus machen, eine Menschenbrust zu durchbohren! Das also war der Schmerz des armen Wohlfart! — Er kam zu uns, der wilde Gast, wie ein Wirbelwind über den blühenden Busch; wo er anschlägt, fallen die Blüthen zur Erde. Sein Leben ist Wirrwarr, Aufregung, Getöse. Was ihm nahe kommt, zieht er in seinen tollen Tanz. Auch mich! auch mich! Du stolzer und verwegener Geist, auch mir hast du die Seele aufgeregt. Ich mühe mich, ich ringe Tag für Tag, aber immer wieder erfaßt mich sein Zauber. So schön, so glänzend, so seltsam ist er! Er ärgert mich täglich und alle Tage muß ich an ihn denken, um ihn sorgen, über ihn trauern. O meine Mutter, hier war's, wo ich zum letzten Mal zu deinen Füßen saß, hier übergabst du mir die Schlüssel des Hauses! Du hieltest die Hände segnend auf mein Herz. »Der Himmel behüte dir jeden Schlag,« sagtest du unter Thränen und Küssen. Jetzt schütze die Tochter, Geliebte, du mein Vorbild für alle Ueberlegung, für die Ordnung deines Hauses, für sicheres Pflichtgefühl, behüte mir das laut pochende Herz. Mache mich fest gegen ihn, gegen sein verführerisches Lachen, gegen seinen übermüthigen Spott.«

So betete Sabine. Lange saß sie in feierlicher Berathung mit den guten Geistern des Hauses, dann fuhr sie mit dem Tuch über die Augen, trat entschlossen an den Tisch und fuhr fort, den Damast zu zählen und aufzuheben.

[S. 102]


Anton war bereits ausgekleidet und im Begriff, sein Licht auszulöschen, als kräftig an die Thür geklopft wurde und der Mann eintrat, den er in diesem Augenblick am wenigsten von allen Sterblichen erwartete. Es war Herr von Fink mit seiner Reitpeitsche und seinem nachlässigen Wesen.

»Ah, Sie sind schon zu Bett,« sagte der Jokei und setzte sich rittlings auf einen Stuhl in der Nähe, »lassen Sie sich nicht stören! Sie haben mir einen gefühlvollen Brief geschrieben, und Jordan hat mir das Uebrige erzählt; ich komme, Ihnen mündlich zu antworten.« Anton schwieg und sah von seinem Kopfkissen finster auf den Gegner. »Ihr seid hier alle sehr tugendhafte und sehr empfindliche Leute,« fuhr Fink fort und schlug mit seiner Peitsche an das Stuhlbein. »Es thut mir leid, daß Sie sich meine Reden so zu Herzen genommen haben. Es freut mich aber, daß sie so entschlossen sind. Sie haben den ehrlichen Jordan in einen wahren Wärwolf verwandelt,« fügte er lächelnd hinzu.

»Bevor ich Sie weiter anhöre,« sagte Anton grollend, »muß ich wissen, ob Sie die Absicht haben, mir für Ihre Beleidigung eine Erklärung vor den übrigen Herren zu geben. Ich weiß nicht, ob nach der schweren Kränkung, die Sie mir zugefügt haben, ein Anderer, der mehr Erfahrung in Ehrensachen hat, sich mit einer solchen Erklärung begnügen würde. Ich habe das Gefühl, daß ich damit zufrieden sein müßte.«

»Da fühlen Sie richtig,« sagte Fink kopfnickend; »Sie können damit zufrieden sein.«

»Wollen Sie mir morgen diese Erklärung geben?« frug Anton.

»Warum denn nicht?« sagte Fink gleichgültig; »ich habe keine Lust, mich mit Ihnen zu schießen, ich will Ihnen gern vor sämmtlichen Correspondenten und Procuristen der Firma die Erklärung ausstellen, daß Sie ein verständiger und hoffnungsvoller junger Mann sind, und daß ich Unrecht gethan habe, Jemanden zu kränken, der jünger, und verzeihen Sie den Ausdruck, um Vieles grüner ist, als ich.«

[S. 103]

Unser Held hörte diese Worte mit gemischten Empfindungen; es wurde ihm doch leichter um's Herz; aber die Manier Finks ärgerte ihn wieder sehr und er sagte sich im Bette aufrichtend entschlossen: »Ich bin mit dieser Erklärung noch nicht zufrieden, Herr von Fink.«

»Ei,« sagte Fink, »was verlangen Sie noch?«

»Sie gefallen mir auch in diesem Augenblick nicht,« sprach Anton, »Sie sind wieder rücksichtsloser gegen mich, als gegen einen Fremden schicklich ist. Ich weiß, daß ich noch jung bin und wenig von der Welt kenne, und ich glaube, daß Sie mich in vielen Dingen übersehen, aber eben deshalb wäre es hübscher von Ihnen, wenn Sie freundlich und gütig gegen mich wären.« Anton sagte dies mit einer Bewegung, welche seinem Gegner nicht entging. Fink streckte seine geöffnete Hand gutmüthig über das Bett und sprach: »Seien Sie nur nicht wieder böse und geben Sie mir Ihre Hand.«

»Ich möchte gern,« rief Anton mit hervorbrechender Rührung, »aber ich kann noch nicht; sagen Sie mir zuvor, daß Sie den Streit mit mir nicht deswegen so leicht behandeln, weil Sie mich für zu jung und zu gering halten, oder weil Sie von Adel sind und ich nicht.«

»Hört, Master Wohlfart,« sagte Fink, »Ihr setzet mir das Messer verzweifelt an die Kehle. Weil Ihr aber in Eurem reinen weißen Hemdchen so unschuldig vor mir liegt, so will ich ein Uebriges thun und wegen dieser Punkte mit Euch capituliren. Was meinen deutschen Adel betrifft, so viel darauf!« — hier schnalzte er mit den Fingern, — »er hat für mich ungefähr denselben Werth, wie ein Paar gute Glanzstiefeln und neue Glacéhandschuhe. Was aber meine Scheu vor Ihrer Jugend und der hoffnungsvollen Würde eines Lehrlings betrifft, so will ich mich wenigstens zu dem Bekenntniß verstehen, daß ich nach dem, was ich heut Abend an Ihnen kennen gelernt habe, Ihnen fortan bei jedem neuen Zank, in den wir gerathen werden, mit jedem Mordwerkzeug, das Sie vorschlagen, jede mögliche Genugthuung geben will. Damit können [S. 104] Sie sich begnügen.« — Nach diesem Trost hielt ihm Fink zum zweiten Mal die Hand hin und sagte: »Jetzt schlagen Sie ein, es ist jetzt Alles in Ordnung.«

Anton legte seine Hand in die dargebotene, und der Jokei schüttelte sie ihm kräftig und sagte: »Wir sind heut so offenherzig gegen einander gewesen, daß es gut sein wird, wenn wir eine Pause machen, sonst haben wir einander gar nichts mehr zu erzählen. Schlafen Sie wohl, morgen mehr davon.« Dabei ergriff er seine Mütze, nickte mit dem Kopf und schritt klirrend zur Thür hinaus.

Anton war, die Wahrheit zu gestehen, über diesen unerwartet friedlichen Ausgang so vergnügt, daß er lange nicht einschlafen konnte. Herr Baumann, der in seiner Schlafkammer das Bett an derselben Wand hatte, konnte sich nicht enthalten, nach Finks Abgang seinen Glückwunsch durch Klopfen an der Wand auszudrücken, und Anton beantwortete das Signal sofort durch ein ähnliches Klopfen, welches seinen Dank für die Theilnahme anzeigen sollte.

Am andern Morgen war das Comtoir eine Viertelstunde vor der Ankunft des Prinzipals vollzählig versammelt. Fink erschien als Letzter und sagte mit lauter Stimme: »Mylords und Gentlemen aus dem Export- und Provinzialgeschäft, ich habe gestern Herrn Wohlfart von hier in einer Weise behandelt, die mir jetzt, nach dem, was ich von ihm kennen gelernt habe, aufrichtig leid thut. Ich habe ihm gestern bereits meine Erklärung gemacht und bitte ihn heute in Ihrer Gegenwart freiwillig nochmals um Verzeihung. Zu gleicher Zeit bemerke ich, daß unser Wohlfart sich bei diesem Streit durchaus respectabel benommen hat, und daß ich mich freue, mit ihm in Geschäftsverbindung getreten zu sein.« Das Comtoir lächelte, Anton ging auf Fink zu und schüttelte ihm wieder die Hand, Herr Jordan that mit beiden Parteien dasselbe, und die Sache war abgemacht.

Doch blieb sie nicht ohne Folgen. Auch die Kunde von der ehrlichen Sühne, welche Fink dem Lehrling gab, und von [S. 105] der freundlichen Ausgleichung gelangte in das Vorderhaus. Und als Anton zusammen mit Fink beim Mittagtisch erschien, ruhten die Blicke der Damen mit Theilnahme und Neugier auf ihm, und der Prinzipal verbarg nicht ein freundliches Lächeln. Aber auch auf Fink fiel Sabinens Auge mit freudigem Glanz, und so oft sie zu ihm aufsah, war ihr, als hätte sie ihm etwas Großes abzubitten.


Bei den Herren vom Comtoir war die Stellung Wohlfarts auf einmal eine ganz andere geworden, er wurde von Allen mit einer Achtung behandelt, welche ein Lehrling sonst nicht durchzusetzen pflegt; Herr Specht erklärte ihn bei sämmtlichen Commis seiner Bekanntschaft — und seine Bekanntschaft war groß — für einen modernen Bayard, für den letzten Ritter Europa's, für einen furchtbaren Haudegen im Reiche der Conticurrenten; Herr Liebold wurde wahrhaft kühn in seinen Behauptungen, wenn er merkte, daß Anton auf seiner Seite stand, und sogar Herr Pix gönnte seinem Zögling von diesem Tage an augenscheinliche Hochachtung, er vertraute den Beobachtungen, welche Anton am Zünglein der großen Waage machte, eben so fest, wie seinen eigenen, und überließ ihm zuweilen sogar den schwarzen Pinsel, seinen geliebten Scepter, das Zeichen seiner Herrschermacht.

Die größte Veränderung aber trat in Antons Verhältniß zu Fink ein. Denn einige Tage nach dem Streit, als Anton hinter dem Jokei die Treppe des Hinterhauses hinaufstieg, blieb Fink an seiner Thür stehen und frug: »Wollen Sie nicht bei mir eintreten? Sie sollen mir heut Ihren Besuch machen und meine Cigarren probiren.«

Zum ersten Mal überschritt Anton die Schwelle des Volontairs und blieb verwundert an der Thür stehen, denn das Zimmer sah sehr fremdartig aus. Elegante Möbel standen unordentlich umher, ein dicker Teppich, weich wie Moos, bedeckte den Fußboden, und der ordentliche Anton sah mit Betrübniß, [S. 106] wie rücksichtslos die Cigarrenasche auf die prächtigen Blumen desselben geworfen war. An der einen Wand stand ein großer Gewehrschrank, darüber hing ein ausländischer Sattel und pfundschwere silberne Sporen; die andere Wand verdeckte ein eben so großer Bücherschrank aus kostbarem Holz, voll von Büchern in braunem Lederband, und über dem Schrank reichten riesige Flederwische, die schwarzen Flügel eines ungeheuren Vogels, von einer Stubenwand bis zur andern.

»Welche Menge von Büchern Sie haben!« rief Anton erfreut.

»Es sind Erinnerungen an eine Welt, in der ich nicht mehr lebe,« sagte Fink.

»Und diese Flügel, gehören sie auch zu Ihren Erinnerungen?«

»Ja, Herr, es sind die Fittige eines Condors; Sie sehen, ich bin stolz auf diese Jagdbeute,« antwortete Fink und hielt unserm Anton ein Packet mit Cigarren hin. »Setzen Sie sich, Wohlfart, lassen Sie uns plaudern, und zeigen Sie, ob Herr Specht Recht hat, wenn er Sie als liebenswürdigen Gesellschafter rühmt.« Er schob unserm Helden mit dem Fuße einen großen Fauteuil zu. Anton sank behaglich in die weichen Kissen und blies blaue Wolken nach der Decke, während Fink die Lampe des silbernen Theekessels anzündete. »Sie haben mir neulich gefallen, Wohlfart,« sagte Fink, sich der Länge nach auf dem Sopha ausstreckend, »verstehen Sie sich auf Pferde?«

»Nein,« sagte Anton.

»Sind Sie Jäger?«

»Auch nicht.«

»Treiben Sie Musik?«

»Nur wenig,« sagte Anton.

»Nun also, in Teufels Namen, welche menschliche Eigenschaft haben Sie denn?«

»In Ihrem Sinne wenig,« antwortete Anton ärgerlich. »Ich kann die Leute lieben, welche mir gefallen, und ich glaube [S. 107] ich kann ein treuer Freund sein; wenn mich aber Jemand übermüthig behandelt, so empöre ich mich.«

»Schon gut,« sagte Fink, »von der Seite kenne ich Sie. Für einen Anfänger war Ihr Debut gar nicht übel. Ich sehe, es ist Race in Ihnen. Lassen Sie hören, wer Sie sind. Von welchem Volke der sterblichen Menschen stammen Sie, und welches Schicksal hat Sie hierher geschleudert in dieses traurige Mühlwerk, wo Jeder zuletzt voll Staub und Resignation wird, wie Liebold, oder im besten Fall wie der pünktliche Jordan?«

»Es war doch ein gutmüthiges Schicksal,« antwortete Anton und begann von seiner Heimath und seinen Eltern zu erzählen. Mit Wärme schilderte er den kleinen Kreis, in dem er aufgewachsen war, die Abenteuer seiner Schulzeit und einige närrische Leute aus Ostrau, mit denen er verkehrt hatte. »Und so ist für mich ein großes Glück, was Sie für ein Unglück halten,« schloß er, »daß ich hierher gekommen bin.«

Fink nickte beistimmend und sagte: »Zuletzt ist der größte Unterschied zwischen uns Beiden, daß Sie Ihre Mutter gekannt haben und ich die meine nicht. Uebrigens ist es ziemlich gleichgültig, in welchem Nest Einer aufwächst, man kann fast unter allen Umständen ein tüchtiger Gesell werden. — Ich habe Leute gekannt, die weniger Liebe in ihrem Vaterhause gefunden haben, als Sie.«

»Sie haben so viel von der Welt gesehen,« sagte Anton rücksichtsvoll, »ich bitte Sie, mir zu sagen, wie Sie dazu gekommen sind.«

»Sehr einfach,« begann Fink. »Ich besitze einen Onkel in Newyork, der dort einer von den Aristokraten der Börse ist. Dieser schrieb meinem Vater, als ich vierzehn Jahr war, ich solle eingepackt und herübergeschickt werden, er habe die Absicht, mich zu seinem Erben zu machen. Mein Vater ist sehr Kaufmann, ich wurde emballirt und abgeschickt. In Newyork wurde ich bald ein gottverdammter kleiner Schuft und Taugenichts, ich trieb jede Art von Unsinn, hielt einen Stall [S. 108] von Racepferden in einem Alter, wo bei uns ehrliche Jungen noch auf offener Straße ihre Buttersemmel verzehren und mit einem Papierdrachen spielen. Ich bezahlte Sängerinnen und Tänzerinnen und mißhandelte meine weißen und schwarzen Domestiken so sehr durch Fußtritte und Haarraufen, daß mein Oheim genug zu thun hatte, um Entschädigungsgelder an diese freien Bürger zu bezahlen. Sie hatten mich aus meiner Heimath fortgerissen, ohne sich um meine Gefühle zu bekümmern; ich bekümmerte mich jetzt den Teufel um die ihren. Uebrigens je toller ich's trieb, desto mehr Geld bekam ich in die Hände. Ich war bald der verrufenste unter den jungen Bengeln, welche die vornehmen Unarten jenseit des Wassers cultiviren. Einst an meinem Geburtstage kam ich um sechs Uhr früh aus einem kleinen Souper nach Hause, bei dem ich aus Caprice den Spröden gegen einige zuvorkommende Damen gespielt hatte, und unterwegs fiel mir ein, daß diese Wirthschaft ein Ende nehmen müsse oder ich selbst würde ein Ende nehmen. Ich ging nach dem Hafen statt nach Hause, steckte mich in grobe Matrosenkleider, die ich unterwegs kaufte, und bevor es Mittag war, fuhr ich als Schiffsjunge auf einem dickbäuchigen Engländer zum Hafen hinaus. Wir segelten einige tausend Meilen um Cap Horn herum und auf der andern Seite des Festlandes wieder hinauf. Als wir in Valparaiso ankamen, erklärte ich dem Capitain, daß ich ihm für die Ueberfahrt dankbar sei, tractirte die ganze Mannschaft und sprang an's Land, um mit den zwanzig Dublonen, die ich noch in der Tasche hatte, auf eigene Faust mein Glück zu machen. Ich traf bald einen verständigen Mann, der mich auf seine Hazienda brachte, wo ich als Ochsenhirt und Reitkünstler nicht geringe Lorbeeren erndtete. Ich war etwa anderthalb Jahr dort oben und befand mich sehr wohl, ich wurde als eine Art dienstthuender Gastfreund behandelt, ich war verliebt, ich war bewundert als Jäger und tummelte mich tüchtig im Sattel, was fehlte mir? — Doch alle Freude ist vergänglich. Wir hatten gerade großes Rinderschlachten, und [S. 109] ich war fleißig beschäftigt, von meinem Pferd die Kühe in den Schlachthof zu escortiren, als plötzlich zwei Regierungsbeamte in unser Fest hineinritten. Diese behandelten mich selber mit vieler Artigkeit wie ein junges Rind, nahmen mich sammt meinem Pferd in die Mitte und führten mich zwischen ihren Steigbügeln Trott und Galopp nach der Hauptstadt. Dort wurde ich beim amerikanischen Consul abgeliefert, und da mein Oheim Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatte, mich auszuspüren, und ich aus einem langen Briefe meines Vaters erkannte, daß dieser Herr sich wirklich über mein Verschwinden ängstigte, so beschloß ich, ihm den Gefallen zu thun und zurückzukehren. Ich unterhandelte mit dem Consul und reiste mit dem nächsten Schiff nach Europa ab. Als ich auf diesem bejahrten Erdhaufen ankam, erklärte ich meinem Vater, daß ich nicht Kaufmann werden wolle, sondern Landwirth. Darüber gerieth die Firma Fink und Becker außer sich, aber ich blieb fest. Endlich kam ein Vertrag zu Stande. Ich ging zunächst auf zwei Jahr in eine norddeutsche Wirthschaft, dann sollte ich einige Jahr in einem Comtoir arbeiten, dadurch hoffte man meine Capricen zu bändigen. So bin ich jetzt hier in Clausur. Aber alle Mühe ist umsonst. Ich thue meinem Vater den Gefallen, hier zu sitzen, weil ich merke, daß sich der Mann viel unnützen Kummer um mich macht, aber ich bleibe nur so lange hier, bis er sich überzeugt, daß ich Recht habe. Dann werde ich Landmann.«

»Wollen Sie bei uns ein Gut kaufen?« frug Anton neugierig.

»Nein, Herr,« antwortete Fink, »das will ich nicht. Ich würde es vorziehen, vom frühen Morgen bis gegen Mittag zu reiten, ohne an einen Grenzstein meines Landes zu stoßen.«

»Sie wollen also wieder nach Amerika zurück?«

»Oder anderswohin, ich bin in Erdtheilen nicht wählerisch. Unterdeß lebe ich in diesem Kloster als Mönch, wie Sie sehen,« sagte Fink lachend und goß aus einer großen Flasche eine Menge Rum unter ein geringeres Maß anderer Substanzen, [S. 110] rührte das Getränk um und trank zum geheimen Schreck Antons die feurige Mischung behaglich hinunter. »Frisch, Mann,« rief er, Anton die Flasche zuschiebend, »macht Euren Trank zurecht, und jetzt laßt uns lustig plaudern, wie sich für gute Gesellen und versöhnte Feinde schickt.«

Seit diesem Abend behandelte Fink unsern Helden mit einer Freundlichkeit, welche sehr verschieden war von dem nachlässigen Wesen, das er den übrigen Herren vom Geschäft gönnte. In Kurzem wurde Anton der Liebling des Mönchs in der Clausur, oft rief ihn Fink in sein Zimmer, ja er verschmähte sogar nicht, drei Treppen hoch in das Heiligthum der lederfarbenen Katze hinauf zu steigen, wenn er gerade gelaunt war, einen Abend im Hause zu verleben. Allerdings war das nicht oft der Fall. Anton merkte bald, daß sein neuer Freund eine in der Stadt sehr bekannte und vielbesprochene Person war, daß er unter der eleganten Jugend mit einem wahren Despotismus herrschte, und bei Herrenreiten, Jagdpartien und anderen nützlichen Thätigkeiten Anführer und vielbegehrte Autorität war. Er war jung, gewandt, von Adel, galt für unermeßlich reich und besaß eine Meisterschaft in allen Dingen, die mit einem Pferdehuf, einem Gewehrlauf und einem vergoldeten Theelöffel irgend in Verbindung gedacht werden können, und was über Allem stand, er behandelte Jeden, der in seine Nähe kam, mit der leichten Suffisance, welche von je bei dem großen Haufen unselbstständiger Menschen als Zeichen von überlegener Kraft gegolten hat. Fink war deßhalb viel in Gesellschaft und kam oft erst gegen Morgen nach Hause. Anton hörte ihn zuweilen ankommen, wenn er bereits vor seinem Buche saß; er bewunderte die Lebenskraft seines Freundes, der dann nach einer oder zwei Stunden Ruhe seinen Platz im Comtoir einnahm und während des ganzen Vormittags keine Spur von Mattigkeit zeigte. Gegen die strenge Ordnung des Hauses stach Fink auch dadurch ab, daß er sich die unerhörte Freiheit herausnahm, zuweilen eine Stunde nach Eröffnung des Comtoirs [S. 111] zu erscheinen und sich vor dem Schluß zu entfernen. Anton konnte nicht errathen, ob sein Prinzipal diese gelegentliche Selbstständigkeit für ein großes oder für ein kleines Verbrechen hielt. Jedenfalls schwieg er dazu.

So verging der Winter, und Anton merkte an untrüglichen Zeichen, daß der Frühling und der Sommer über das Land daherzogen. Die Fuhrleute brachten nicht mehr Schneeflocken in's Comtoir, sondern Regentropfen und braune Fußtapfen, zuweilen wagte sich ein Mädchen mit Veilchensträußen in die Nähe der unermüdlichen Wanduhr, dann schien die Sonne Herrn Liebold kriegslustig auf seine Fensterecke, dann kamen die Mäkler und erzählten von der gelben Blüthe der Oelfrucht draußen im Freien, und endlich erschien Herr Braun und trug die erste Rose in der Hand. Ein Jahr war vergangen, seit Anton mit den Schwänen über den See gefahren war. Er hatte das ganze Jahr hindurch an die Fahrt gedacht.


VIII.

Noch immer besaß Veitel Itzig seine Schlafstube in der stillen Caravanserei, wo er sich am Tage seiner Ankunft einquartiert hatte. Wenn nach den Behauptungen der Polizei jeder Mensch irgendwo zu Hause sein muß und nach der Ansicht aller verständigen Frauen vorzugsweise da zu Hause ist, wo sein Bett steht, so war Veitel merkwürdig wenig zu Hause. So oft er aus dem Geschäft des Herrn Ehrenthal entschlüpfen konnte, trieb er sich auf den Straßen umher, sah lauersam auf jeden jungen Herrn, welcher ihm geneigt schien, etwas zu kaufen oder zu verkaufen, und wußte aus der Haltung des Vorübergehenden genau zu erkennen, ob derselbe für die Reize eines kleinen Handels empfänglich sei oder nicht. Stets hatte er einige Paradethaler in der Tasche, mit welchen er in anmuthiger [S. 112] Nachlässigkeit so lockend zu klappern verstand, daß nur ein fühlloser Mensch gleichgültig gegen diese Zahlungsfähigkeit sein konnte. Er wußte mit einem einzigen schnellen Blick die geheimsten Fehler eines Rockes oder einer Weste zu erkennen, er hatte für seine Kunden eine bezaubernde Fülle von verbindlichen Redensarten, er sprach aus Grundsatz zu keinem halbwüchsigen Primaner anders, als: »Wenn der gnädige Herr mir allergnädigst erlauben,« er verstand, was ewig für das Höchste in diesem Geschäft gelten wird, seiner Unterthänigkeit einen scurrilen Anstrich zu geben und war Meister darin, die allerabgeschmacktesten Bücklinge zu machen. Er besaß die Wissenschaft, altes Messing durch Katzensilber blendend zu machen und altem Silber den allerhöchsten Glanz zu geben; er war stets bereit, abgelegte schwarze Fracke zu kaufen, — was von allen Eingeweihten als Symptom einer kühnen und waghalsigen Natur betrachtet wird, — er wußte das fasrige Tuch derselben durch einen eigenthümlichen Bürstenstrich mit einem Schein von Neuheit zu überziehen, der gerade lange genug dauerte, um seine Käufer zu verblenden, welche er in armen Schulmeistern, hoch aufgeschossenen Confirmanden und freigesprochenen Lehrlingen zu finden bemüht war. Mit jedem Gange, welchen er für Herrn Ehrenthal that, suchte er einen andern zu seinem eigenen Nutzen zu verbinden und erwarb dadurch schnell eine Kundschaft, welche den Neid graubärtiger Trödler erregte. Er beschränkte sein Geschäft aber nicht auf gebrauchte Gegenstände, obgleich er hierin seine ersten und zahlreichsten Erfolge durchgesetzt hatte. Er wurde Agent von Pferdehändlern, trat in Verbindung mit verschwiegenen Geldverleihern und trieb solchen Ehrenmännern Kunden zu; ja er lieh sein eigenes Geld aus und hatte das ungewöhnliche Zartgefühl, nie mehr als fünfzig vom Hundert zu nehmen; er lieh aber nur auf kurze Fristen und nahm am Zahlungstermin statt des baaren Geldes mit großer Bereitwilligkeit jede Art von verkäuflichen Dingen zu einer Taxe, welche er als Sachverständiger am besten selbst machte. Dabei hatte er die Tugend, [S. 113] nie zu ermüden, er war den ganzen Tag auf den Beinen, lief um wenige Groschen zehnmal denselben Weg, freute sich wie ein König um einen eroberten Thaler, schüttelte jedes rauhe Wort — und er mußte oft welche hören — ab, wie der Pudel seine Schläge. Er gönnte sich selbst keine Stunde des Genusses, seine einzige Erquickung war, an den Fingern die Geschäfte abzählen, welche er gerade im Gange hatte, und seinen Gewinn berechnen. Es war merkwürdig, wie wenig er brauchte, er aß am Abend ein Stück Brod, welches er zu Mittag aus Ehrenthals Küche in seine Tasche practicirt hatte; ein Glas Dünnbier gönnte er sich im ersten Jahre nur einmal, und zwar an einem heißen Tage, wo er einem Gutsbesitzer behülflich gewesen war, einen Wagen zu verkaufen, und durch eine Thätigkeit von zwei Stunden eben so viel Thaler verdient hatte. Seine Kleider gewährte ihm sein Geschäft. Sommer und Winter ging er deßhalb in schwarzem Frack und den entsprechenden Pantalons; ja er fand es nützlich, über einer schwarzen Sammtweste eine vergoldete Kette zu tragen, und erschien stets als Gentleman unter seines Gleichen, weil er mit Recht behauptete, jeder Geschäftsmann müsse so auftreten, daß sich kein Mensch zu schämen brauche, mit ihm ein Geschäft zu machen. Aus allen diesen Gründen genoß er schon nach Ablauf des ersten Jahres die Freude, seine sechs Ducaten um das Dreißigfache vermehrt zu sehen.

Im Geschäft des Herrn Ehrenthal war er schnell ein unentbehrliches Mitglied geworden, seinem Scharfsinn entging keine Person, kein Pferd, kein Getreidewagen; jedes Gesicht, das er einmal gesehen, erkannte er wieder, jeden Tag wußte er den Courszettel der Börse auswendig, als ob er selbst vereideter Sensal gewesen wäre. Noch bekleidete er die mehr nützliche als erhabene Stelle eines Laufburschen, noch putzte er Bernhards Stiefeln und aß vor der Küchenthür; aber es war ersichtlich, daß ihm ein Schreibepult und ein Lederstuhl in dem kleinen Comtoir, welches Herr Ehrenthal der Form wegen hielt, nicht fehlen würden. Dieser Stuhl war das [S. 114] Ziel seiner Sehnsucht, es war für ihn ein Sitz im Paradiese. Denn noch war er nicht eingeweiht in die Tiefen des Geschäftes, noch wurde er weggeschickt, so oft irgend ein wichtiger Kunde mit Herrn Ehrenthal verhandelte. Sehr bald sah er ein, daß ihm selbst noch Einiges fehle, um dies Glück zu verdienen; er gebrauchte die deutsche Sprache mit vieler Fertigkeit, aber es war ein östlicher Hauch darin, mehr Kehlkopf als höhere Grammatik; er schrieb wohl auch Geschäftsbriefe und Rechnungen, aber es war keine Glätte, kein Strich dabei, die Buchstaben waren so zu sagen widerhaarig, und die Perioden waren löchrig und geflickt; und was vollends die Geheimnisse der Buchhaltung betraf, so war er darin wie ein unschuldiges Kind. Dieser Mangel drückte ihn sehr.

In seiner Herberge war er unterdeß ein angesehener Mann geworden, selbst Löbel Pinkus behandelte ihn mit ungewöhnlicher Vertraulichkeit. Dies schöne Verhältniß verdankte Veitel seinem Scharfblick. Jene Bretterwand in der Gaststube und der hohle Klang des Holzes hatten ihn seit dem Tage seines Einzugs beunruhigt, wochenlang hatte er auf eine Gelegenheit gewartet, seine Untersuchungen fortzusetzen. Endlich an einem Sonnabend schützte er Unwohlsein vor und blieb zu Hause, als der Hauswirth und seine Gäste mit würdigem Schritt nach der Synagoge zogen. Da endlich glückte ihm, einen Ritz in der Hinterwand seines Schrankes zu erweitern und etwas zu erblicken, was ihn auf's Höchste überraschte. Er sah in eine große, schmutzige Stube, welche ganz angefüllt war mit Koffern und Kisten und einem Chaos begehrenswerther Artikel. Herren- und Damenkleider, Betten, Wäsche, Stoffe, bunte Vorhänge lagen in großen Haufen durcheinander, auch metallene Geräthe, ein Crucifix, Kelche, Kronleuchter glänzten in dem Halbdunkel und noch andere lockende Speculationen, welche auch sein scharfes Auge nicht erkennen konnte. Als Aladdin den ersten Schritt in die Zauberhöhle that, gerieth er schwerlich in so große Aufregung, als Junker Itzig bei seiner Entdeckung. Er lief immer wieder zu dem Ritz zurück [S. 115] und starrte in das staubige Dämmerlicht der geheimnißvollen Niederlage, bis die Gäste aus der Synagoge nach Hause kamen. Er behielt die Entdeckung für sich, aber er lag seit dem Tage auf der Lauer, wie das Wiesel vor einem Mauseloch. Einigemal hörte er bei Nacht Geräusch in der geheimnißvollen Stube des Nebenhauses; einmal gelang es ihm, ein Geflüster zu vernehmen, bei welchem die tiefe Stimme des würdigen Pinkus unverkennbar war; einst, als er spät nach Hause kam, sah er am Nachbarhause Fässer, Kisten und Bündel in eine kleine Britschka laden, welche schamhaft mit weißer Leinwand verhüllt war, eine Maßregel, welche schon Sulamith im hohen Liede Salomonis als nützlich empfiehlt, damit man nicht von den Wächtern des Königs in den Weinbergen angehalten werde. In derselben Nacht verschwanden zwei schweigsame Gäste seines Herbergvaters, welche offenbar aus Polen stammten, und kamen nicht wieder. Aus alledem zog er den Schluß, daß sein Wirth eine Art Commissions- und Speditionsgeschäft von allerlei merkwürdigen Waaren hielt, welche er aus guten Gründen lieber am Abend, als bei Tage fortschaffte. — Wie ein Licht ging es unserm Veitel auf. Die Waaren gingen nach dem Osten, wurden über die Grenze geschmuggelt und verbreiteten sich bis tief in das russische Reich, bis an die asiatische Grenze, wo zuletzt der strebsame Kirgise die Hemden und Schnürröcke aufträgt, welche vom deutschen Schneider genäht sind. Alles nach dem Grundsatz, was in Deutschland defect wird, fällt den Russen zu. Veitel benutzte seine Entdeckung mit der Mäßigung eines Geschäftsmannes und machte seinem Hauswirth gerade nur so viel Andeutungen, daß Pinkus sich bewogen fühlte, ihn mit besonderer Rücksicht zu behandeln.

Nach einem thatenreichen Tage schritt Veitel nachdenkend in seine Herberge zurück und betrat mit dem üblichen Gruß die Gaststube. Er setzte sich still in eine Ecke und suchte in seinen Gedanken nach einem Schriftgelehrten, welcher geeignet war, ihn in die Geheimnisse eines guten Styls und der Buchführung [S. 116] einzuweihen, gegen möglichst geringes Honorar, ja vielleicht gegen einen schwarzen Frack, den er durchaus nicht los werden konnte, weil die Schöße desselben — er hatte einem riesigen Leichenbitter gehört — bis auf den Boden hingen, wie die Aeste einer Trauerweide. Als Veitel nach fruchtlosem Ueberlegen aufsah, erblickte er am Tische einen fremden Gast, welcher eine Feder in der Hand hielt und diese zuweilen in ein Tintenfaß tauchte; der Mann sprach leise mit einem Händler und beugte sich von Zeit zu Zeit auf das Papier, wahrscheinlich um die Beschlüsse der geheimen Unterhaltung zu verewigen. Veitel sah sich den Schreiber ahnungsvoll an. Es war klar, daß die Großväter dieses Mannes nicht unter Moses durch das rothe Meer gezogen waren. Der Herr war stark und klein, er hatte eine röthliche aufgeregte Nase und ein rundes ältliches Gesicht, verworrenes Haar und eine alte Stahlbrille, die er zuweilen an den Ohren festdrückte, weil es ihr trotz ihrer langen Dienstzeit ganz unmöglich war, auf der Stumpfnase Schluß zu gewinnen. Veitel bemerkte, daß dieser Mann mit der Brille einen ungewöhnlich schlechten Rock anhatte und zuweilen aus einer Zinndose schnupfte, wobei er jedesmal den Händler mit einem eigenthümlichen Schielblick ansah, mit einer Art von inquisitorischem Blinzeln, welches seinem Gesicht einen gutmüthigen Ausdruck geben sollte, dies aber nicht that. Offenbar war der Mann ein Schriftgelehrter, und Veitel beschloß, abzuwarten, ob er an ihn kommen könne. Endlich war die Verhandlung geschlossen, der Händler empfing ein Papier und legte dafür ein Geldstück, vor Veitels Adleraugen ein Achtgroschenstück, auf den Tisch, welches von dem Herrn mit der Brille nachlässig in die Tasche des Beinkleides versenkt wurde. Der Händler entfernte sich, der Fremde blieb, wie es schien, in gemüthlicher Stimmung sitzen und goß sich aus einer kleinen Flasche Branntwein den letzten Rest in das Glas. Veitel trat auf ihn zu, der kleine Herr blickte mißtrauisch auf, aber als er die verbindliche Stellung Veitels sah, fuhr ein vertrauliches Lächeln über sein rothes Gesicht, [S. 117] und eine scharfe Stimme sprach: »Nur näher, mein junger Freund, Sie wollen mich consultiren, ich stehe zu Diensten.«

Veitel begann zögernd: »Wenn der Herr bekannt ist am Orte, so wollte ich ihn wohl ersuchen um etwas.«

»Immer heraus, mein Sohn,« ermunterte der Andere, indem er sein Glas austrank und Veitel mit seinem gutmüthigen Blick ansah.

»Ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht Jemand wüßten, der gegen eine billige Vergütung einem Manne von meiner Bekanntschaft Unterricht geben würde im Schreiben und in den Aufsätzen, wie man sie braucht zum Geschäft.«

»So?« frug der schäbige Herr, »wie man sie braucht zum Geschäft? — und dieser Mann von Ihrer Bekanntschaft sind Sie selbst, mein Sohn?«

»Was soll ich daraus machen ein Geheimniß?« antwortete Veitel aufrichtig, »ja, ich bin es selbst; aber ich bin noch ein Anfänger und bin nicht im Stande, mehr zu geben als wenig.«

»Wer wenig giebt, erhält wenig, mein Lieber — wie war doch der Name?« frug der Alte gleichgültig dazwischen und drehte die Dose.

»Veitel Itzig heiße ich.«

»Also lieber Itzig,« fuhr der Alte fort, »guter Unterricht kostet gutes Geld. Und was treiben Sie für ein Geschäft?« forschte er mit väterlicher Miene weiter.

»Ich bin im Comtoir bei Hirsch Ehrenthal,« erklärte Veitel mit Selbstgefühl.

Der Fremde wurde aufmerksam. »Herr Ehrenthal ist ein reicher Mann, ein kluger Mann, ich habe seiner Zeit viel mit ihm zu thun gehabt, er hat eine schöne Gesetzkenntniß. Wenn Sie den Geschäftsstyl erlernen wollen und bei Herrn Ehrenthal sind,« fuhr er überlegend fort, »vielleicht kann da Rath werden. Welches Honorar würden Sie zahlen, wenn sich Jemand fände?«

Veitel fand es gewissenlos, etwas zu bieten, er bemerkte [S. 118] zurückhaltend: »Ich weiß doch noch nicht, was er fordern wird für solchen Unterricht.«

»So will ich's Euch gerade heraussagen,« erklärte der Herr mit der Brille. »Ich selbst könnte Euch vielleicht den Unterricht geben, vielleicht auch nicht; man giebt solche Anweisung nicht Jedem, ich müßte mich erst näher nach Euch erkundigen. Wenn ich Euch aber den Gefallen thue, so will ich Euch den Unterricht ertheilen in Erwägung, daß Ihr ein Anfänger seid, in Erwägung, daß Ihr arm seid, und in Erwägung, daß ich jetzt gerade einige freie Zeit habe und aufgelegt bin, mehr Theorie als Praxis zu treiben, wenn Ihr mir funfzig Thaler zahlt; fünfundzwanzig Thaler vor der ersten Lection und fünfundzwanzig Thaler in einem Schuldschein, den ich selbst Euch schreiben werde, binnen vier Wochen.«

»Funfzig Thaler!« rief Veitel entsetzt und sank wie vom Schlag gerührt auf einen Schemel, »funfzig Thaler!« wiederholten mechanisch seine Lippen, als das Räderwerk seines Geistes bereits in's Stocken gerathen war.

»Ist Euch das zu viel,« frug der Herr mit der Brille in scharfem Ton, »so laßt Euch sagen, junger Itzig: Erstens, daß ich mit keinem Gelbschnabel handle, zweitens, daß ich meine Hülfe Andern noch nie so billig gegönnt habe, und drittens, daß ich mich den Teufel mit Euch befassen würde, wenn ich nicht große Lust hätte, einige Wochen in dieser Stube zu verweilen.«

»Funfzig Thalerstücke!« rief Itzig außer sich, »ich habe geglaubt, es würde nicht kosten mehr als zwei, drei Thaler, wenn ich noch vielleicht wollte zugeben eine Weste und ein Paar gute Stiefeln.« Der alte Herr fuhr heftig nach seiner Brille — »und einen Hut, der noch ist wie neu,« fügte Veitel schnell hinzu, weil er einen Sturm herannahen sah und bemerkt hatte, daß der Hut auf dem Tische sehr schadhaft war.

»Scher' dich zum Henker, du Dummkopf,« fuhr ihn der Alte mit einer Ueberlegenheit an, welche Veitel nur von [S. 119] jungen Herren mit großen dänischen Doggen zu ertragen gewohnt war. »Suche dir einen Schulmeister bei der Armenschule.«

»So ist der Herr kein Schreiber?« frug Itzig gedrückt, aber beharrlich.

»Nein, du Narr,« brummte der Alte. »Wie konnte ich denken, daß der Ehrenthal in seinem Geschäft einen solchen Strohkopf hat,« fügte er in lautem Monologe hinzu. »Er hält mich für einen Schreiblehrer.«

»Was sind Sie denn sonst?« frug Itzig gekränkt.

»Etwas, das dich nichts angeht,« sprach der fremde Herr entschieden, stand mit einem durchbohrenden Blick auf den armen Veitel von seinem Platz auf und begab sich auf den Söller des Hauses. Dort drückte er sich in eine Ecke, wo er aussah wie ein Kleiderbündel, zog ein Actenstück aus der großen Rocktasche und las eifrig darin.

Veitel stand noch einen Augenblick verdutzt in dem einsamen Zimmer und faßte endlich den Entschluß, sich bei Pinkus Auskunft über den fremden Mann zu holen. Er trat unter einem Vorwande in den Branntweinladen und frug den Wirth mit möglichster Unbefangenheit nach Namen und Geschäft des kleinen Herrn.

»Ihr kennt ihn nicht?« sprach Pinkus mit ironischem Lächeln, von dem Veitel nicht recht wußte, ob es ihm oder dem Fremden galt. »Nehmt Euch in Acht, daß Ihr diesen Mann nicht mit Schaden kennen lernt. Nach dem Namen fragt ihn selbst, er wird ihn besser wissen als ich.«

»Wenn Sie mir auch kein Vertrauen schenken, so will ich es doch haben zu Ihnen,« antwortete Veitel und erzählte ihm seine Unterredung mit dem Fremden.

»Also er hat Euch Unterricht geben wollen?« sagte Pinkus erstaunt und schüttelte seinen dicken Kopf. »Funfzig Thaler sind viel Geld, aber mancher reiche Mann würde geben hundertmal so viel, wenn er wüßte, was der weiß, das will ich Euch sagen. Uebrigens geht's mich nichts an, ob Ihr was [S. 120] lernt und bei wem,« schloß Pinkus grob und ging zu seinen Liqueurflaschen.

Veitel ging noch verwirrter hinauf, als er herunter gekommen war, und setzte sich wieder grübelnd in seine Ecke, indem er nachdachte, wie man für eine so gewöhnliche Sache, als der Geschäftsstyl ist, so ungewöhnliches Geld fordern könne. Unterdeß war der Wirth heraufgekommen, hatte das Licht auf den Tisch gesetzt und eine einfache Abendkost für den Fremden mitgebracht. Ganz gegen seine Natur war er diesem gegenüber von großer Leutseligkeit, ließ sich von ihm auf den Altan führen und hatte dort im Finstern eine kurze Unterredung, deren Gegenstand, wie Veitel merkte, seine Person war.

Als Pinkus mit dem Fremden wieder in die Stube trat, sagte er zu Veitel: »Dieser Herr wird einige Wochen hier wohnen und will nicht, daß man darüber spricht. Ihr werdet gegen Niemanden sagen, daß er hier ist, wer Euch auch deswegen ausfragen mag.«

»Weiß ich doch gar nicht, wer der Herr ist,« sprach Veitel, »wie kann ich Jemandem sagen, daß er hier wohnt?«

»Sie können sich auf den jungen Menschen verlassen,« bemerkte Pinkus gegen den Fremden, worauf dieser gleichgültig mit dem Kopfe nickte. Der Wirth ließ diesmal das Licht brennend in der Stube zurück und schied mit einem Nachtgruß. Der Herr setzte sich behaglich nieder, aß mit unangenehmem Schmatzen die Abendkost und sah dabei von Zeit zu Zeit auf Veitel, ungefähr wie ein alter Rabe auf das gelbe Küchlein sieht, welches sich mit dem Leichtsinn der Jugend in seine Nähe gewagt hat.

Während der Alte zwinkernd auf seine Beute sah, fuhr dem jungen Itzig plötzlich der Gedanke durch den Kopf, diese geheimnißvolle Person mit den ungeheuren Forderungen ist vielleicht einer von den Auserwählten, ein Besitzer der Recepte, durch welche ein armer Handelsmann unfehlbar Glück, Gold und alle Güter der Erde erwerben kann. Ihm wurde [S. 121] glühend heiß bei dem Gedanken. Zwar sah der Fremde durchaus nicht reich und glücklich aus, aber war es nicht möglich, daß er den alten Rock nur incognito trug, oder daß er übermäßig geizig war, oder daß er selbst aus irgend einem Grunde von den Recepten keinen Gebrauch machen durfte? Vielleicht waren die funfzig Thaler der Preis für das Geheimniß. Veitel hatte jetzt Weltbildung genug, um einzusehen, daß weder durch eine Salbe, noch durch einen Zauberstein solche Wirkungen hervorgebracht werden, sondern daß Wissenschaft dazu nöthig sei. Er merkte, daß es darauf ankomme, schlauer zu sein als andere Leute, und daß solche Schlauheit auch für den Inhaber nicht ohne Bedenken sei; ja es kam ihm allerdings so vor, als ob man durch die Benutzung derselben in Gefahr gerathe, sich dem Satan zu verschreiben. Aber seine Begier, etwas Näheres zu erfahren, war übermächtig. Seine Hände zitterten wie im Fieber, und sein bleiches Gesicht glühte, als er aus seiner Ecke wieder zu dem Fremden trat und mit großem Eifer sagte: »Ich wollte mir noch erlauben eine Frage zu thun an den Herrn. Ich habe gehört, daß man kann lernen die Kunst, wodurch man Glück hat in allen Geschäften, womit man kann machen jede Art von Kauf und Verkauf zu dem besten Preise. Wenn es giebt eine solche Kunst, wie mich hat versichert einer von unsern Leuten, so wollte ich den Herrn nur fragen, ob das dieselbe Wissenschaft ist, die der Herr mich könnte lehren, wenn er wollte.«

Der Alte schob den Teller von sich und sah mit außerordentlichem Augenzwinkern auf den Burschen. »Du bist der merkwürdigste Mensch, der mir in praxi vorgekommen. Du bist entweder sehr dumm, oder der abgefeimteste Schauspieler, den ich je gesehen habe.«

»Nein, ich bin nur dumm, aber ich möchte werden klug,« sagte Veitel Itzig.

»Ein merkwürdiger Kerl,« bemerkte der alte Herr rücksichtslos und rückte an seiner Brille, um Veitel genau anzusehen, dem bei dem kalten Glanz der Brillengläser sehr unheimlich [S. 122] wurde. Nach langer Prüfung sprach der Alte, indem er eine Gönnermiene annahm: »Was du Kunst nennst, mein Sohn, ist weiter nichts, als die Gesetzkenntniß und die Weisheit, das Gesetz zum eignen Vortheil zu benutzen. Wer das versteht, der wird auf Erden ein großer Mann; es hindert ihn nichts daran, denn er kann nicht gehangen werden.« Bei diesen Worten lachte der Alte in einer Weise, die selbst unserm Veitel einen bänglichen Eindruck machte, obgleich dieser auf die mechanischen Bewegungen der Gesichtsmuskeln sonst nicht viel gab.

»Diese Kunst, mit den Gesetzen umzugehen,« fuhr der kleine Herr fort, »ist nicht leicht zu lernen, mein Sohn, es gehört lange Uebung dazu und ein anschlägiger Kopf und Entschlossenheit im richtigen Augenblick und vor Allem das, was die Gelehrten Charakter nennen.« Dabei lächelte er wieder.

Veitel merkte, daß er bei einem wichtigen Punkt seines Lebens angelangt sei, er fuhr mit der Hand in die Jacke nach seiner alten Brieftasche und hielt sie einen Augenblick in der bebenden Hand. Was in diesem Moment durch seine arme Seele fuhr, — und es war nur ein Moment — das waren wilde und schmerzhafte Empfindungen. Schnell wie Blitze zuckten sie durcheinander. Er dachte in diesem Augenblick an seine alte Mutter in Ostrau, ein ehrliches Weib, wie sie ihre goldene Kette verkauft hatte, um ihm die sechs Ducaten in die Ledertasche zu nähen; er sah sie vor sich, wie sie ihn beim Abschiede mit Thränen gebenscht hatte und zu ihm gesagt: »Veitel, es ist eine arge Welt, verdiene dir ehrlich dein Brod, Veitel!« — Er sah seinen grauen Vater vor sich auf dem Todtenbett liegen, wie ihm der weiße Bart herunterhing über den magern Leib — und tief holte er Athem. Auch an die funfzig Thaler dachte er, wie viel Mühe es ihm gekostet hatte, sie im Schacher zu erwerben, wie oft er darum gelaufen war, wie oft man ihn geschmäht, ja als Ueberlästigen mit Schlägen bedroht hatte. Als ihm der letzte Gedanke durch die Seele flog, riß er heftig die Brieftasche aus der Jacke, warf sie auf [S. 123] den Tisch, setzte die geballte Faust darauf und rief mit blitzenden Augen: »Hier ist Geld!« — und während er das aussprach, fieberhaft erregt, in leidenschaftlicher Hast, selbst in diesem Augenblick, fühlte er deutlich, daß er daran sei, etwas Böses zu thun, und er fühlte, wie eine Last sich unsichtbar auf seine Brust senkte. Aber er war entschlossen. Schwerlich hatten die jungen Herren, welche den zudringlichen Judenknaben die Treppe herunterwiesen, daran gedacht, daß ihre höhnenden Worte in der armen verwilderten Menschenseele einen Dämon erwecken würden, der ihnen selbst in spätern Jahren Elend und Verderben heraufbeschwören sollte.

Nach einigen Stunden war das Licht tief herabgebrannt und bei dem rothen Schein saß in dem wüsten Raume noch immer Veitel mit offenem Munde, glänzenden Augen und gerötheten Wangen dem Vortrage des alten Mannes lauschend. Und der Alte sprach doch über Dinge, von denen zu hören den meisten Sterblichen sehr langweilig ist, über gewöhnliche Schuldverschreibungen.

Das Licht war verloschen, der kleine Herr hatte die neugefüllte Branntweinflasche geleert und war ermüdet vom langen Sprechen auf seinem Strohsack eingeschlafen, und noch immer saß Veitel auf dem Schemel. Heute dachte er nicht an seine Kunden, nicht an sein gezahltes Geld, sondern er schrieb Schuldscheine an die schwarzen Wände, in denen sich der Aussteller mit vielen Worten zu so wenig als möglich verpflichtete, und schrieb Empfangscheine über geliehenes Geld, in denen er durch unscheinbare Zusätze die Rückzahlung der Summe von seinem Belieben abhängig machte. So saß er lange in bleischwarzer Finsterniß, und große Schweißtropfen rannen von seinen Schläfen. Dann öffnete er die Thür zur hölzernen Galerie, lehnte sich auf das Geländer und sah durch das Dämmerlicht hinunter in das Wasser, welches wie ein riesiger Strom von Tinte vorbeifluthete. Und wieder schrieb er Schuldscheine in die schwarzen Schatten der gegenüberliegenden Häuser und schrieb Quittungen auf die dunkle Wasserfläche, bis sein [S. 124] müder Leib erschöpft zusammenbrach und er in einer Ecke einschlief, das heiße Haupt an die Holzwand gelehnt. In kaltem Zuge fuhr der Nachtwind über das Wasser und unten gurgelte die Fluth klagend an den Holzpfählen und Vorsprüngen der alten Häuser. Was er in die Schatten gezeichnet, das verrückte sich, und was er auf das Wasser geschrieben, das zerrann, und doch hatte seine Seele einen Schuldschein ausgestellt in dieser Nacht, der einst von ihm eingefordert werden sollte mit Zins und Zinseszins. Der Wind heulte, und der Sturm klagte, wilde Mahner an die Schuld, rächende Boten des Gerichts.


Seit dieser Nacht eilte Veitel alle Abende mit schnellem Schritt nach seiner Herberge, der Unterricht im Geschäftsstyl wurde regelmäßig fortgesetzt. Der Herr mit der Brille war ein gründlicher Lehrer, die tiefsten Geheimnisse des Wechselrechts und der Hypothekenordnung waren ihm offenbar, er kannte jeden Schlupfwinkel, welchen das Gesetz dem gewandten Mann offen läßt, er war mit jedem Schleichwege vertraut, auf welchem man eine gesetzliche Verpflichtung umgehen kann. Seine Methode des Unterrichts war vortrefflich. Er ging bei allen auszustellenden Urkunden und bei jeder geschäftlichen Verpflichtung von der gewöhnlichen Form aus, lehrte seinen Schüler die betreffenden Gesetze kennen und machte seine Lehre durch Beispiele deutlich und angenehm. Dann erst gab er bei jedem Gesetz, bei jedem einzelnen Fall, die kleinen Hülfsmittel an, durch welche man gegenüber der Verpflichtung einen freien Standpunkt gewinnen konnte. Jeden Abend nahm Veitel einige kostbare Recepte in seine Brieftasche auf, Formulare zu Documenten, welche zu nichts verpflichteten, und wieder solche, welche zu weit mehr verpflichteten, als sie den Anschein hatten. Zuweilen schrieb der Alte selbst ein solches Kunstwerk vor, und ließ es den Schüler abschreiben, worauf er seine eigene Handschrift sorgfältig am Licht verbrannte. Wenn fremde Gäste [S. 125] in der Herberge waren, zogen sich Lehrer und Schüler in eine Ecke zurück und verhandelten in einem Flüsterton, welcher von den Anwesenden mit vieler Achtung angehört wurde, denn Veitel pflegte dann zu erklären, daß er von dem Herrn Unterricht in der Buchführung und andern nützlichen Dingen erhalte.

Was Veitel nach und nach über die Person seines Lehrers erfuhr, Namen und Schicksal, sei hier in Kürze berichtet. Herr Hippus hatte bessere Tage gesehen. Er war einst ein vielgesuchter Rechtsanwalt der Hauptstadt gewesen, der es durchgesetzt hatte, in wenig Jahren eine ausgebreitete Praxis zu erwerben. Bei dem Geschäfte treibenden Publicum einer großen Stadt erhält jeder Advocat sehr bald einen bestimmten Ruf, einen Ruf, welcher eben so unsicher sein mag, als der Ruhm einer Sängerin oder Tänzerin, der aber auch durch eine große Classe von Menschen als anziehender Stoff der Unterhaltung benutzt wird. Bei dieser Classe galt Herr Hippus für sehr gewandt und zuvorkommend im Verkehr mit den Parteien und für den entschiedensten und kühnsten Mann, um ein mißliches Recht in ein gutes Recht zu verwandeln. Im Anfang hatte er so wenig, wie der gewissenhafteste Staatsanwalt, den Trieb, seine Carriere dadurch zu machen, daß er Unrecht in Recht verdrehte. Auch er hatte ein peinliches Gefühl von Unsicherheit, wenn er eine Partei vertrat, deren Sache er für schlecht hielt, er war von den ehrenwerthesten seiner Collegen nur sehr wenig verschieden, er hatte einige kleine Scrupel weniger und trank etwas zu gern guten Rothwein. Diese letzte so löbliche Eigenschaft wurde bald eine Schwäche. Er war ein Mann, der mit Geschmack zu frühstücken wußte, ein Herr von kaustischem Witz und ein vortrefflicher Gesellschafter bei der Tafel. Er hatte einen subtilen Geist, freute sich über geistreiche Paradoxien und liebte es die Haare zu spalten, die er seinen Gegnern ausriß. Mit Hülfe des Rothweins erlangte er die Fertigkeit, viel Geld auszugeben, und gerieth in die Lage, viel einnehmen zu müssen. Die eitle Freude an Spitzfindigkeiten [S. 126] verlockte ihn einigemal, die ganze Energie seines glänzenden Geistes einer schlechten Sache dienstbar zu machen und diese zum Siege zu führen. So erlebte er den Fluch, der häufig Advocaten trifft, welche Glück in verzweifelten Processen gehabt haben, es liefen ihm Alle zu, welche eine schlechte Sache zu vertheidigen hatten. Lange Zeit ärgerte er sich darüber, und es fehlte ihm nur ein klein wenig Kraft, um diese Spitzbubenpraxis, wie er selbst sie nannte, los zu werden; allmälig, ganz allmälig wurde er durch die schlechten Sachen, an denen er sein nicht gemeines Talent geltend zu machen suchte, selbst schlecht. Immer größer wurden seine Bedürfnisse, immer lockender die Verführung, immer kleiner sein Gewissen. So war er schon lange von innen ausgehöhlt und mit Giftstaub gefüllt, wie ein Bovist, von außen sah er noch stattlich und glänzend aus, und oft wurde ihm prophezeit, daß er mit der größten Praxis in der Stadt als einer der reichsten Männer seine Laufbahn beschließen werde. Da begegnete ihm, dem Schlauen, dem Gesetzkundigen das Unglück, daß er in eine Untersuchung gerieth, weil er bei einer Sache, welche nur durch verzweifelte Mittel zu halten war, dem Gesetz eine Blöße gegeben hatte. Er wurde verurtheilt, mit Schimpf cassirt und verschwand als ein gefallener Stern aus dem Kreise seiner Amtsgenossen. Was er noch von Bedenken und Rücksichten gehabt hatte, ging seit der Zeit mit reißender Schnelligkeit verloren. Er hatte in Wirklichkeit wenig Vermögen gesammelt, fast nur schlechte Ansprüche an den Besitz Anderer, verzweifelte Schuldverschreibungen und hoffnungslose Documente, deren Erwerb ihm allerdings sehr wenig gekostet hatte. Die Beitreibung derselben machte er jetzt zur Aufgabe seines Lebens, denn noch immer hatte er das Bedürfniß, viel auszugeben. Deßhalb war er durch mehrere Jahre als ewiger Kläger und Quereler eine den Gerichtshöfen wohlbekannte Person. Was er durch Prozessiren erwarb, vergeudete er mit roher Sinnlichkeit in schlechter Gesellschaft, er wurde ein Trunkenbold, ein lüderlicher Schlemmer. Aber auch diese unsicheren Einnahmen [S. 127] hörten endlich auf, sein Name verschwand allmälig aus den Prozeßacten, und seine Person ward auch in den Restaurationen untergeordneten Ranges nicht mehr gesehen. Aber seine Thätigkeit hörte nicht auf. Er sank zum Besucher von Branntweinstuben und zum Winkelconsulenten herab, der andere Leute zu Prozessen aufstachelte und Schwindlern und Gaunern gute Rathschläge ertheilte. In dieser stillen Thätigkeit verlebte er einige Jahre und stiftete so viel Unheil, als nöthig war, um seinen Grimm gegen nicht gefallene irdische Größen und seinen Durst, der sehr gemeiner Natur wurde, zu befriedigen. Leider glückte ihm noch nicht, ganz aus dem Auge des Gesetzes zu verschwinden. Gerade jetzt wurde ihm wegen unbefugter Praxis nachgestellt, und er fand für nöthig, unter dem Vorwand einer längeren Reise auf einige Zeit unsichtbar zu werden. Deßhalb hatte er sich bei Herrn Pinkus, dessen Kunde und Rechtsbeistand er zuweilen gewesen war, einquartiert und so Muße gewonnen, den jungen Itzig seine Receptirkunst zu lehren.

Uebrigens verfuhr Herr Hippus nicht ohne Vorsicht. So oft er seinem Schüler irgend eine Schurkerei beibrachte, welche wie eine Arabeske an die gewöhnliche gerade Linie des Geschäftsstyls angehängt wurde, verfehlte er nie mit einem häßlichen Lächeln zu bemerken: »Dies Alles sage ich dir nur, damit du dich in Acht nimmst.« Diese Phrase wurde stehend und eine anmuthige Quelle der Heiterkeit für Lehrer und Schüler, auch nachdem Veitel einen ungewöhnlichen Scharfsinn gezeigt hatte und alle Erfordernisse des Charakters, welche für einen Apostel dieser Geheimlehre nöthig waren.

Der Unterricht wurde für den alten Mann sehr bald ein Bedürfniß des Herzens. Ja, seines Herzens. Denn er war allerdings ein schlechter Mensch geworden, an dem etwas Gutes nur schwer aufzufinden gewesen wäre, aber die schwarze Schlacke, welche er statt eines warmblütigen Menschenherzens in der Brust trug, war doch noch nicht ganz ausgeglüht; er hatte sehr das Bedürfniß, zu hassen, aber eben so sehr das Bedürfniß, [S. 128] anerkannt zu werden. Nach vielen Jahren fand er jetzt Gelegenheit, sein Wissen in längerer Rede zu entwickeln, Geist zu zeigen und einem andern Menschen eine Art von Verehrung einzuflößen. Einst war er ein gebildeter und scharfsinniger Jurist gewesen; das Gebäude seines Wissens war bei dem wüsten Leben sehr zerfallen, aber es war noch genug vorhanden, was dem jungen Wilden imponiren konnte; und mit einer melancholischen Freude, dem edelsten Gefühl, das der verworfene Mann seit Jahren gehabt hatte, öffnete er vor dem Jünglinge die verschütteten Thüren seines Geistes. Die Aufmerksamkeit Veitels schmeichelte ihm sehr, er fing an, ihn für sein Geschöpf zu halten, und faßte allmälig eine Zuneigung zu dem Judenknaben, über die er selbst cynische Witze machte. Und doch war sie ein Schatz für den Elenden. Denn die Güte der menschlichen Natur ist unzerstörbar, und die größte Corruption eines Menschen vermag nicht Alles in ihm zu verderben. Immer sucht seine Lebenskraft die Stellen, wo sie sich gesund und zum Guten entwickeln kann, aber der Fluch einer verderbten Seele ist, daß auch ein gutes menschliches Empfinden sich ihr zu Unheil und Sünde verkehrt.

Schnell wurde dem alten Mann sein Schüler wichtiger, als irgend eine andere Person auf Erden. Mit Ungeduld wartete er auf die Abendstunde, in welcher der geschäftige Bocher zur Vorlesung kam; ja es begegnete ihm, daß er von seiner Abendkost und seinem Branntwein einige Reste für Veitel übrig ließ, und wenn das Judenkind bei dem trüben Lichte vor ihm saß und mit großem Appetit das kalte Fleisch verzehrte, so konnte der Alte ihn schweigend ansehen und sich darüber freuen. Und einst als Veitel sich bei rauher Witterung verkältet hatte und fiebernd unter dünner Decke auf dem Strohsack lag, da ereignete sich das Unglaubliche, daß der Alte ein Federbett, welches er als privilegirte Person durch den Wirth erhalten hatte, von seinem eigenen Lager trug und über den Burschen breitete; und als Veitel ihn dankbar anlachte, freute sich das alte Geschöpf wieder.

[S. 129]

Veitel verdiente diese Funken von Freundschaft, welche in dem Alten aufstiegen, denn er bezeigte ihm eine Verehrung, wie sie nur irgend ein Schüler gegen seinen berühmten Lehrer gefühlt hat. Er erbot sich, ihm eine neue Garderobe zum Einkaufspreise zu besorgen, und handelte stierköpfig um einen passenden Oberrock, weil er ihn dem alten Mann so billig als möglich verschaffen wollte; er war stets zu der Verschwendung bereit, die Branntweinflasche zu füllen, weil er wußte, daß dies die Schwäche seines würdigen Lehrers war; er machte ihn zum Vertrauten seiner kleinen Geschäfte, ja er brachte ihm zuweilen am Abend Geschenke mit und lief nach einem glücklichen Geschäftstage sogar in einen Fleischladen, um für Herrn Hippus eine verhaßte Zungenwurst einzukaufen. Allerdings war auch diese Herzensfreundschaft nicht ohne kleine Stacheln. Der Alte konnte es nicht lassen, seine gallige Laune an dem Schüler zu üben, und Itzig nannte den Alten, wenn dieser dem Branntwein zu viel einräumte, mit höchst unzierlichen Namen, welche bewiesen, daß das Gefühl der Hochachtung in ihm nicht unerschütterlich war. Im Ganzen aber stimmten die beiden Ehrenmänner doch vortrefflich zusammen und wurden einander unentbehrlich.

Veitel lernte in den Monaten, welche der Alte in seinem Versteck zubrachte, auch noch Anderes als schlechte Handwerkskniffe; er lernte das Deutsche richtiger sprechen und schreiben; ja er las zuweilen in den Büchern, welche er für Hippus aus einer kleinen Leihbibliothek holen mußte, er las mit Vergnügen Abenteuer zu Wasser und zu Lande, die Eroberung Amerikas und andere aufregende Unternehmungen, an welche seine Phantasie allerlei Geschäfte knüpfen konnte. Durch seinen Lehrer erhielt er viele Aufschlüsse über das Leben der Menschen und Völker, auch über den Staat, in dem er selbst existirte und von dem er bis dahin sehr wenig gewußt hatte. So machte er in wenigen Monaten Veränderungen durch, welche dem Blick des Herrn Ehrenthal nicht entgingen.

Dieser bemerkte nach und nach, daß Veitel weniger grotesk [S. 130] aussah, daß er richtiger sprach und schrieb, und vor Allem, daß er in Geschäften unwillkürlich eine Sicherheit und juristische Kenntniß entwickelte, die an einem Lehrling seiner Art sehr ungewöhnlich waren. Herr Ehrenthal besprach diese Veränderung in seiner Familie ungefähr so, wie ein Landwirth das viel versprechende Aussehen eines Zuchtstiers lobt, und kündigte am Ende des Vierteljahrs dem Burschen freiwillig an, daß das Stiefelputzen und das Essen vor der Thür aufhören solle, und daß er bereit sei, ihm einen Platz im Geschäftslocal und außer dem Kostgelde einen kleinen Gehalt zu bewilligen.

Veitel empfing die Ankündigung, auf die er so lange gewartet hatte, mit großer Selbstbeherrschung, er dankte demüthig und versprach alles Mögliche für die Gegenwart und Zukunft: »Noch eine Bitte habe ich an den Herrn, eine große Bitte, die Sie nicht ungünstig aufnehmen möchten. Wenn ich die Ehre haben könnte, einmal in der Woche am Tisch des Herrn Ehrenthal zu essen. Da Sie mir so viele Güte erweisen, so haben Sie auch diese Rücksicht auf mich, damit ich kann sehen in guter Gesellschaft, wie man sich benimmt, wenn man ißt mit vornehmen Leuten. Sie können mir's abrechnen von meinem Kostgeld, das Sie mir geben wollen.«

Ehrenthal schüttelte den Kopf und sagte erstaunt über dies Verlangen: »Zuerst muß ich sprechen mit meiner Frau, ob's ihr wird recht sein, daß du dich bildest in meinem Hause. Du kannst warten, bis ich gesprochen habe.« Er ging zu seiner Frau und trug ihr Veitels Wunsch vor, mit einem kühlen Wesen, welches andeuten sollte, daß ihm als einem Mann von Welt die Forderung ungehörig erscheine. Im Innern freilich wünschte er, daß Itzigs Wunsch zu gewähren sei, denn er hielt es für wichtig, den anstelligen Mann seinem Geschäft zu erhalten. Aber er wagte nicht seiner Hausfrau gegenüber diesen Wunsch zu äußern, denn Madame Ehrenthal hatte noch viel mehr Welt und Bildung, als er selbst, und war ihm in allen Dingen, welche vornehmes Wesen betrafen, eine große Autorität. Sie war die Tochter eines großen Schnittwaarengeschäftes aus der [S. 131] Residenz und hatte Geschmack für das Neueste und einen sehr energischen Willen in Theetrinken, Stutzuhren, Möbelstoffen und anderen Eigenschaften, durch welche sich ein gebildeter Mensch von einem ungebildeten unterscheidet. Wider Erwarten nahm Madame Ehrenthal Veitels Wunsch ohne Ueberraschung auf. Diese Ueberraschung wäre auch unnatürlich gewesen, da Veitel durch wahrhaft unmäßigen Diensteifer, durch Verschwiegenheit in einzelnen kleinen Fällen und durch die größte Höflichkeit das Wohlwollen der vornehmen Dame zu erwerben gewußt hatte: »Wenn der junge Mann sich bilden will in unserer Familie, so kann er keinen bessern Ort finden. Da er brauchbar ist im Geschäft, wie du sagst, so wird es dir von Nutzen sein, wenn er auch zu essen und zu reden weiß mit den Leuten.«

Nach dieser Entscheidung wurde Veitel am nächsten Sonntage, dem Tage einer gebratenen Gans, aufgefordert, in der Familie zu erscheinen. Und als er zu dem gedeckten Tische trat, angethan mit dem besten unter den sechs Leibröcken, welche er auf seinem Lager hatte, einen neuen weißen Hut in der Hand und ein baumwollenes Hemd mit stehendem Kragen unter der ausgeschnittenen Weste, da wurde er von Herrn Ehrenthal mit den würdigen Worten eingeführt: »Der junge Itzig ist aufgenommen in mein Geschäft als Buchhalter. Es ist nicht mehr anständig für ihn, in der Wirthschaft zu helfen, und es wird jetzt anständig sein, daß wir ihn als einen gebildeten Menschen behandeln. Sie können Platz nehmen dort unten am Tisch, lieber Itzig.«


IX.

An einem warmen Sommerabend sprach Fink nach dem Schluß des Comtoirs zu Anton: »Wollen Sie mich heut begleiten? Ich will auf dem Fluß ein Boot probiren, das ich [S. 132] hier habe bauen lassen.« Anton war bereit. Die Jünglinge sprangen in einen Wagen und fuhren an den Fluß oberhalb der Stadt, wo eine Colonie von Schiffern und Fischern in ärmlichen Hütten wohnte. Fink wies auf ein rundes Fahrzeug, welches auf dem Wasser schwamm, wie eine große Kürbisschale, und sagte melancholisch: »Da liegt das Gefäß, es ist ein Scheusal! Ich selbst habe dem Kahnbauer das Modell geschnitzt, denn ein Kielboot bauen, ist hier zu Lande etwas Unerhörtes; ich habe dem Strohkopf alle Verhältnisse angegeben, und er hat ein solches Mövenei zur Welt gebracht.«

»Es ist sehr klein,« erwiederte Anton mit trüben Ahnungen.

»Ich sage Euch,« rief Fink strafend dem Kahnbauer zu, welcher herantrat und respectvoll die Mütze abnahm, »daß unsere Seelen auf Euer Gewissen kommen, wir werden in dem Dinge da unfehlbar ertrinken, und Euer Mangel an Witz wird Schuld sein.«

»Herr,« sagte der Kahnbauer kopfschüttelnd, »ich habe das Boot ganz nach Ihrer Anweisung gemacht.«

»Den Teufel habt Ihr,« schalt Fink, »zur Strafe sollt Ihr mitfahren. Ihr werdet einsehen, daß es billig ist, wenn Ihr mit uns ertrinkt.«

»Nein, das thue ich nicht, lieber Herr,« antwortete der Mann entschieden, »bei dem Winde will ich's nicht wagen.«

»So bleibt am Lande und kocht Euren Kindern Brei von Hobelspänen. Gebt Mast und Segel her.« Fink setzte den kleinen Mast ein, sah nach, ob die Schoten der Segel glatt durch die Löcher liefen und ob das Geitau anzog. Sämmtliche nautische Erfindungen erwiesen sich als befriedigend. Dann hob er Mast und Segel wieder aus, legte sie der Länge nach in das Boot, warf einige Eisenstücke als Ballast auf den Boden, hakte das Steuer ein, ergriff zwei lange Streichruder und wies unserm Helden seinen Platz an. Darauf legte er die Ruder aus und fuhr mit der Kraft eines Matrosen im Doppelschlag vom Ufer ab. Er ließ den Kürbis auf der Wasserfläche tanzen [S. 133] zur großen Belustigung des Zimmermanns und sämmtlicher Nachbarn am Ufer, und äußerte seine Zufriedenheit, daß Anton ihm so zuversichtlich gegenüber saß. »Es ist möglich, in einem Kielboot gegen den Strom zu kommen,« sagte er, »das war's, was ich diesen Nachtmützen beweisen wollte.« Darauf setzte er den Mast wieder ein, löste die Segel, gab seinem Schüler die Schote des Klüvers in die Hand und unterrichtete ihn, wie er anziehen und loslassen sollte. Der Wind blies in unregelmäßigen Stößen, bald blähten sich die kleinen Segel und neigten den Rand des Bootes dem Wasser zu, bald schlugen sie unthätig und rathlos an den Mast. »Es ist ein elender Seelenverkäufer,« rief Fink ärgerlich, »wir treiben unvermeidlich ab und werden nächstens umwerfen.«

»Wenn das ist, so schlage ich vor, umzukehren,« sagte Anton mit erheuchelter Leichtigkeit.

»Es thut nichts,« versetzte Fink kaltblütig, »ich werde uns schon wieder an's Land bringen, so oder so. Sie können doch schwimmen?«

»Wie Blei,« antwortete Anton; »wenn wir umwerfen, gehe ich sicher auf den Grund, Sie werden Mühe haben, mich herauszuziehen.«

»Fassen Sie nur in keinem Falle nach meinem Körper, wenn Sie im Wasser liegen,« belehrte ihn Fink, »das wäre das beste Mittel, uns Beide unten festzuhalten; warten Sie ruhig ab, bis ich Sie in die Höhe hebe. Uebrigens wird es nicht schaden, wenn Sie sich Rock und Stiefeln ausziehen, es ist gemüthlicher im Wasser, wenn man im Negligé ist.« Anton that willig, wie ihm befohlen war.

»So ist's recht,« sprach Fink. »Im Grunde ist's ein erbärmliches Vergnügen, hier herum zu fahren. Keine Wellen, kein Wind, und zuletzt auch kein Wasser. — Da sitzen wir wieder auf dem Grund. Stoßen Sie ab. — He, Bootsmaat, was werden Sie sagen, wenn dies garstige Ufer plötzlich versinkt, und wir auf einem anständigen Meer schaukeln, Wasser bis an den Horizont, Wellen wie der Baum dort und ein [S. 134] herzhafter Wind, der die Ohren abbläst und die Nase schräg an die Backen legt.«

»Ich kann nicht sagen, daß ich es angenehm fände,« erwiederte Anton besorgt.

»Je nachdem,« sagte Fink, »es giebt wenig Lagen, die nicht noch viel schlechter sein könnten. Bedenken Sie, es wäre auch in diesem Fall immer noch ein glückliches Loos, daß wir diese nichtsnutzigen Faßdauben zwischen uns und dem Wasser haben. Wie aber, wenn wir selbst mit unserm Leibe in der Fluth lägen, ohne Kahn, ohne Ufer, zwischen haushohen Wellen?«

»Wenigstens ich wäre verloren,« rief Anton mit aufrichtigem Entsetzen.

»Ich sage Euch aber, ich habe einen Freund, einen guten Freund, auf den ich mich in einer Krisis gern verlasse, dem ist so etwas begegnet. Der Mann schlendert am Strande der See an einem glorreichen Abend, er beschließt zu baden, wirft seine Kleider ab und geht in's Wasser. Lustig schwimmt er in die See hinein. Die Wellen heben ihn und werfen ihn zu Thal, das Wasser ist wohlig warm, um ihn glitzert in der Abendsonne die Fluth von zehntausend bunten Farben, und über ihm lodert das goldene Licht des alten Himmels. Der Mann jauchzt vor Vergnügen.«

»Und Sie selbst waren der Mann?« frug Anton.

»Meinetwegen ja. — So schwamm ich eine Weile fort, bis ich an dem matten Schein des Himmels merkte, daß es Zeit war, mich aus der Wasserschaukel an's Land zu versetzen. Ich wandte mich um und hielt auf das Land zu, und was meint Ihr, Master Wohlfart, das ich sah?«

»Ein Schiff,« rief Anton, »einen Fisch.«

»Nein,« sagte Fink, »nichts sah ich, das Land war verschwunden. Ich spähte nach allen Seiten in die Dämmerung hinein, ich hob mich aus den Wellen, so hoch ich konnte; nichts war zu erblicken, als Wasser und Himmel. Die Strömung, die vom Lande abwärts zog, hatte mich heimtückisch fortgeführt, ich trieb in der hohen See. Ich lag im atlantischen Ocean [S. 135] zwischen Amerika und England. Insofern wußte ich, wo ich war, aber diese geographische Kunde erwies sich in meiner Lage als unbefriedigend. Es wurde dunkler am Himmel, die Thäler der Wellen füllten sich mit schwarzen ungemüthlichen Schatten, die Wasserberge hoben sich höher, ein kalter Luftzug fuhr über mein Haupt. Und nichts war zu sehen, als das röthliche Grau des Himmels und die wilde rollende Fluth.«

»Das war schrecklich!« rief Anton.

»Es war ein Augenblick, wo kein Pfaff einer armen Seele verwehren kann, den Teufel um Hülfe zu bitten. Wo das Land zulag, erkannte ich natürlich am Himmel. Jetzt entstand die Frage, wer stärker war, die Strömung des Meeres, oder mein Arm. Ein mörderisches Ringen mit dem perfiden Schurken von Wassergott begann. Durch die Stöße Eurer Schwimmschule wäre ich nicht weit gekommen, ich rollte wie die Seekälber und die Wilden und griff Hand um Hand vorwärts. So konnte ich's im Nothfall ein Paar Stunden aushalten. Und jetzt arbeitete ich. Es war ein harter Kampf, der mächtigste meines Lebens. Unterdeß wurde es finster, die smaragdgrünen Wellen verwandelten sich in eine Fluth von schwarzem flüssigem Pech, nur ihre Häupter schimmerten noch von weißem Gischt; wie Todtenschädel stiegen sie um mich auf und spuckten mich an. Der Himmel hing bleigrau über mir, zuweilen blinzte ein einzelner Stern hinter dem Wolkenrauch, das war mein einziger Trost. So schwamm ich zwischen Schwarz und Grau in's Endlose hinein, noch immer kein Land zu sehen. Ich wurde matt und die teuflische Schwärze um mich herum gab mir zuweilen den Gedanken ein, die unnütze Arbeit aufzugeben. Die Wolkenbank stieg höher, die Sterne verschwanden, die Richtung wurde zweifelhaft und meine Stellung durchaus unhaltbar. Ich merkte, daß die Sache zum Ende kam; meine Brust keuchte, vor meinen Augen tanzten unzählige Funken, wie Leuchtkäfer auf dem Wege zur Hölle. Da, mein Junge, als ich halb besinnungslos mit einer Welle hinabgeglitten war, da fühlte ich mit dem Fuße etwas, was nicht mehr Wasser war.«

[S. 136]

»Es war Grund,« rief Anton.

»Ja,« nickte Fink, »es war fester Sand. Ich kam eine Meile nördlich von meinen Kleidern an's Ufer und fiel dort hin wie eine erschlagene Robbe.« Er brach ab und sah prüfend auf Anton. »Und jetzt macht Ihr Euch fertig, Maat,« rief er, »nehmt Eure Beine unter der Bank hervor, ich werde einen Schlag machen und zum Ufer wenden. Nur ruhig!«

In diesem Augenblick fuhr ein starker Windstoß über die Wasserfläche, der Mast knarrte, das Boot neigte sich auf die Seite und hörte mit der Schwenkung nicht eher auf, bis sein Kiel in die Höhe stand, wie die Rückenflosse eines Fisches. Anton sank seinem Versprechen getreu ohne weitere Bemerkungen in die Tiefe. Blitzschnell tauchte Fink in die Strömung, stieß ebenfalls, wie er versprochen hatte, seinen Gefährten über sich nach der Oberfläche des Wassers und schob ihn mit großer Anstrengung auf eine seichte Stelle, wo es möglich war, watend das Ufer zu erreichen. »Zum Henker, fassen Sie doch meinen Arm!« rief Fink keuchend.

Anton aber, der gegen die Abrede eine ziemliche Masse Wasser verschluckt hatte, besaß nicht mehr allzu viel Besinnung und machte nur eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

»Ich glaube, er will noch einmal hinunter,« rief Fink ärgerlich, faßte den Kraftlosen um den Leib und schleppte ihn an's Ufer.

Eine Menge Menschen hatte sich hier versammelt und stürzte jetzt an den Rand des Wassers, wo Fink den jungen Matrosen im Arme hielt und ihm lebhaft zuredete, doch wieder zu sich zu kommen. Endlich öffnete Anton die Augen und bezeugte dadurch und durch einige andere Bewegungen die Absicht, seine Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft noch nicht aufzugeben. »Wie geht's, Wohlfart?« sagte Fink und sah ihm besorgt in das bleiche Antlitz. »Sie haben sich die Sache sehr zu Herzen genommen! Poncho y Ponche!« rief er heftig den Leuten zu, »einen Mantel und ein Glas Rum für den Herrn. Das wird Sie am schnellsten curiren.«

[S. 137]

Ein Leiermann zog bereitwillig seinen alten Soldatenmantel vom Leibe, unser Held wurde hineingewickelt und wie ein verwundeter Krieger nach dem Hause des Zimmermanns geführt. Dort setzte man ihn auf einen Lehnstuhl.

»Da geht der Kürbis hin, Segel, Streichruder und Alles,« sagte Fink im Abgehen strafend zum Schiffszimmermann, »und unsere Röcke obendrein. Habe ich's Euch nicht gesagt, daß das Ding nichts taugte?«

Eine Stunde lang pflegte Fink sein Opfer mit der größten Zärtlichkeit, er rührte ihm eigenhändig den Zucker in einem Glas Grog und drückte ihm zuweilen die kalte Hand. Es war bereits dunkel, als Anton so weit hergestellt war, daß er nach Hause gehen konnte. Sie vervollständigten ihre Toilette durch Kleider und Schuhe des Kahnbauers und lachten auf dem Rückwege über ihre Ausrüstung. Fink hatte wieder sein gewöhnliches kühles Wesen angenommen, und unser Held stolperte bleich, aber lustig in hohen Thranstiefeln neben ihm her. »Hören Sie, Fink,« sagte er ermahnend, »wenn Sie mich das nächste Mal zu einer Partie auffordern, so möchte ich Ihnen andeuten, daß ich manches Andere lieber trinke, als dies lehmige Wasser. Ich bin noch voll davon.«

»Wie konnte ich denken,« antwortete Fink, »daß Sie mit solcher Vehemenz den halben Fluß einschlucken würden, Sie Unschuld! Ich habe in meinem Leben noch keinen Menschen mit solcher Kindlichkeit auf den Grund gehen sehen. Sie sind ein mährchenhafter Kerl!«


Der nächste Tag war ein Sonntag und der Geburtstag des Prinzipals. An diesem wichtigen Tage blieben die Herren nach dem Diner einige Stunden in den Zimmern des ersten Stockes, der Bediente präsentirte dann Kaffe und Cigarren. Als man sich zu Tisch setzte, sagte die Tante zu Fink: »Die ganze Stadt ist voll davon, daß Sie und Herr Wohlfart gestern in einer schrecklichen Gefahr gewesen sind.«

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»Es war nicht der Rede werth, gnädige Frau,« antwortete Fink leichtsinnig, »ich wollte nur untersuchen, wie sich Master Wohlfart beim Ertrinken benehmen würde. Ich warf ihn in's Wasser, und er wäre um ein Haar auf dem Grunde liegen geblieben, weil er es für indiscret hielt, mich durch seine Rettung zu belästigen. Einer solchen höflichen Resignation ist nur ein Deutscher fähig.«

»Aber Herr von Fink,« rief die Tante erschrocken, »das heißt ja das Schicksal herausfordern! Es ist schauderhaft, nur daran zu denken.«

»Schauderhaft war nur die Unsauberkeit dieser Lehmrinne, die man hier Fluß nennt. Es müssen sehr schmutzige Nixen sein, die auf dem Grunde dieses Wassers leben. Aber Wohlfart ließ sich durch ihren Lehm nicht stören. Er fiel ihnen begeistert in die Arme, gerade wie es in dem berühmten Liede Sr. Excellenz heißt: »Halb zogen sie ihn, halb sank er hin.« Er warf beide Beine über den Rand des Kahns, noch bevor es nöthig war.«

»Sie hatten mich's so gelehrt, Sir!« rief Anton zu seiner Entschuldigung von unten dazwischen.

»Ja,« fuhr Fink gegen die Tante fort, »ich habe als Freund an ihm gehandelt. Ich trage keine Schuld, wenn er so viel Wasser geschluckt hat, daß der Wasserstand heut unerhört niedrig ist, und die Zinkkähne der Handlung oben im Flusse auf einer Sandbank liegen bleiben. Ich habe ihm vorher noch jede Art von gutem Rath gegeben. Ich habe ihm eine lange Geschichte erzählt, wie man sich im Wasser zu benehmen hat, ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, welche Toilette man braucht, um mit Anstand in's Wasser zu fallen. Man kann gegen einen Bruder nicht sorgsamer sein. Aber es half Alles nichts. Er fuhr wie aus einer Pistole geschossen auf den Grund und bohrte sich dort mit der Behendigkeit eines Karpfens ein. Ich versichere Sie, es war eine mühsame Arbeit, ihn im Schlamm wieder aufzufinden. Ich glaube, er war bereits in zärtlicher Unterhaltung mit einigen Wassergeschöpfen, [S. 139] als ich ihn auffand, denn er winkte mir unwillig mit der Hand, als wollte er sagen: Störe mich nicht, ich gehe hier meinem stillen Vergnügen nach.«

»Der arme Herr Wohlfart,« rief die Tante verwundert. »Aber Ihre Röcke! Heute früh begegnete ich im Hause einem Polizeidiener, der das nasse Bündel auf dem Arm trug, von ihm erfuhr ich zuerst das Unglück.«

»Die Röcke sind heute früh unterhalb der Stadt aufgefischt worden,« sagte Fink, »Karl zweifelt daran, sie je wieder zu trocknen. Unterdeß machen Wohlfarts Stiefeln eine Vergnügungsreise nach dem Weltmeer.«

Anton erröthete vor Aerger über die Weise des Freundes und sah verstohlen nach dem oberen Ende des Tisches. Der Kaufmann blickte finster auf den gemüthlichen Fink, und Sabine saß bleich mit gesenkten Augen, nur die Tante war wortreich in aufrichtigem Bedauern der durchnäßten Röcke.

Das Mittagessen war noch feierlicher als gewöhnlich. Nach dem Braten erhob sich Herr Liebold und verrichtete das schwere Stück Arbeit, wozu er durch seine hohe Stellung verpflichtet war, er brachte die Gesundheit des Prinzipals aus. Er gab sich redlich Mühe, die entschiedenen Wünsche des Vordersatzes nicht durch einen schüchternen Nachsatz zurückzunehmen. Aber selbst sein Toast vermochte nicht, eine gewisse Spannung in den oberen Regionen des Tisches zu beseitigen.

Nach aufgehobener Tafel standen die Herren Kaffe trinkend in Gruppen um den Prinzipal herum, wobei kühne Naturen, wie Herr Pix, auch eine Cigarre anzubrennen wagten. Unterdeß trieb Anton in größter Muße durch die geöffnete Zimmerreihe, bewunderte die Bilder an der Wand, blätterte in einem Album und hielt sich durch solche Thätigkeit die drohende Langeweile tapfer vom Halse. Er beobachtete gerade das Muster eines Teppichs und hoffte im Stillen, daß sich hier oder da ein keckes Fünfeck von dem Zwange des Musters losmachen und eigenwillig an einer unpassenden Stelle erscheinen könnte. So war er an den Eingang des letzten [S. 140] Zimmers gelangt und blieb betroffen stehen. Wenige Schritte vor ihm stand Sabine an einem Blumentisch und hielt sich mit beiden Händen an der Tischplatte fest, während große Thränentropfen aus ihren Augen auf die Blumen herunterfielen. Es war ein lautloses Schluchzen; wie von innerm Kampf wurde die schlanke Gestalt erschüttert; sie bekämpfte den Ausbruch eines tiefen, lange unterdrückten Schmerzes mit einer Energie, welche ihn doppelt rührend machte. Anton war bestürzt über den Zufall, der ihm einen solchen Anblick gestattete, und fühlte doch wieder eine so warme Theilnahme, daß er darüber vergaß, sich zurückzuziehen. Als er sich umwandte, blickte Sabine nach dem Geräusch hin. Sich schnell fassend, drückte sie das Tuch an die Augen und kehrte sich sogleich zu Anton. »Hüten Sie sich, Herr Wohlfart,« sagte sie herzlich, »daß die Tollkühnheit Ihres Freundes Sie nicht in neue Gefahren bringt; meinem Bruder würde es sehr leid thun, wenn der Verkehr mit Herrn von Fink Ihnen Nachtheil brächte.«

»Fräulein Sabine,« erwiederte Anton und sah der Dame mit inniger Hochachtung in die feuchten Augen, »Fink ist eben so edel als rücksichtslos. Er hat mich mit eigener Gefahr aus dem Wasser herausgeholt.«

»O ja,« rief Sabine mit einem Ausdruck, den Anton nicht ganz verstand, »Herr von Fink liebt es, mit Allem zu spielen, was anderen Menschen heilig ist.«

In diesem Augenblicke eilte Herr Jordan herzu und bat das Fräulein, an den Flügel zu kommen. So rauschte sie an Anton vorüber.

Anton war in mächtiger Aufregung. Sabine Schröter stand bei den Herren des Comtoirs in einem Ansehen, welches sie über den Bereich der gewöhnlichen Discussion stellte und in die glückliche Lage brachte, daß im Hinterhaus nur selten von ihr gesprochen ward. Die meisten der Jüngeren waren, wie sich aus den Neckereien ihrer Collegen und gelegentlichen Geständnissen merken ließ, während der ersten Monate ihres [S. 141] Aufenthalts leidenschaftlich in das Fräulein des Hauses verliebt gewesen. Und als die Flamme aus Mangel an Nahrung nach und nach heruntergebrannt war, hatte Jeder ein Häuflein glühender Kohlen vor den Spöttereien der Collegen in den geheimsten Winkel seines Herzens geschoben, wo die Kohlen noch lagen und fortglimmten. Sämmtliche Herren waren bereit, für die Tochter ihres Hauses gegen jeden Feind loszurennen. Allen galt sie für eine kalte Heilige, deren Herz einer leidenschaftlichen Schwäche unzugänglich war. Aber ihre ruhige Haltung that Allen sehr wohl, und wenn Herr Pix sie stolz nannte, so verfehlte er nie, dazuzusetzen: »Aber sie hat ein gutes Herz, sie ist eine tüchtige Wirthin.«

Ob Sabine ganz so war, wie das Comtoir einstimmig annahm, darüber hatte auch Anton kein Urtheil. Auch ihm war die junge Herrin bekannt, und doch fern, wie der Mond, den wir immer nur von einer Seite sehen. Alle Tage saß er ihr gegenüber und sah aus der Ferne auf das feine Oval ihres Gesichts, auf das dunkle Haar und den tiefen Glanz ihrer schönen Augen, täglich hörte er ihre Stimme in dem gleichförmigen Tischgespräch, weiter kannte er nichts von ihr. Jetzt merkte er plötzlich, daß die Heilige nicht so ruhig und so gefühllos lebte, als das Hinterhaus annahm; durch einen Zufall war er Vertrauter ihres stillen Wehes geworden. Ihr Schmerz, so lautlos und so schön getragen, steigerte seine Theilnahme zu leidenschaftlicher Höhe. Er hatte nie eine Schwester gehabt, und sich wohl zuweilen danach gesehnt; heut empfand er eine wahrhaft brüderliche Zärtlichkeit für die Trauernde; er hätte sein Leben hingeben können, um sie von diesem Schmerz zu befreien; er hätte es für das höchste Glück gehalten, ihre Hand zu ergreifen, ihren Kopf an seine Brust zu legen und ihr die weinenden Augen zu küssen. Es wurde ihm auf einmal deutlich, daß ihr Kummer mit Fink in irgend einer Verbindung stand, es war ihm schon lange unzweifelhaft gewesen, daß diese beiden Gestalten zu einander in einer geheimnißvollen Beziehung stehen mußten, und oft hatte er prüfend nach [S. 142] Sabinens Gesicht hingesehen, wenn Fink bei Tisch etwas Liebenswürdiges erzählte. Er hatte nie etwas Anderes entdeckt, als daß ihr Auge den Platz vermied, an welchem Fink saß, und daß sie den Jokei vielleicht noch seltener anredete, als einen der anderen Herren. Jetzt ahnete er allerlei Schmerzliches für die Gebieterin des ersten Stocks, er sah im Geist wilde Leidenschaften über den ruhigen Glanz des Hauses T. O. Schröter heraufstürmen. Wohl empfand er für Fink die hingebende Neigung, welche eine unverdorbene Jugend so gern dem kühnen und erfahrenen Genossen weiht, aber in diesem Falle nahm seine Seele entschiedene Partei gegen den Freund, er beschloß, Fink genau zu beobachten und dem Fräulein irgend etwas zu werden, ein brüderlicher Schutz, ein Vertrauter, Alles, was dazu helfen konnte, sie von einem Schmerz zu befreien, der ihn mit Rührung und heißem Mitgefühl erfüllte.


Einige Stunden darauf saß Sabine in der Fensternische. Die Hände über das Knie gefaltet, sah sie still vor sich hin. Das röthliche Abendlicht goß über ihr Antlitz einen Schimmer von froher Laune, die in ihrem Herzen nicht war. Der Bruder hatte die Zeitung weggelegt und blickte von seinem Armstuhl sorgenvoll auf die Regungslose, endlich trat er leise zu ihr und legte seine Hand auf ihr Haupt. Sabine erhob sich und umschlang den Bruder fest mit beiden Armen. So standen die Geschwister eines an das andere gelehnt, zwei Freunde, welche sich so in einander hineingelebt haben, daß jeder ohne Worte versteht, was den andern bewegt. Der Kaufmann strich zärtlich die Locken seiner Schwester zurecht und sagte bekümmert: »Du weißt, wie groß die geschäftlichen Verpflichtungen sind, welche wir gegen den Vater Finks haben.«

»Ich weiß,« erwiederte Sabine aufblickend, »daß du mit dem Sohne nicht zufrieden bist.«

»Ich konnte nicht vermeiden, die fremdartige Gestalt in [S. 143] unsern Kreis aufzunehmen, aber ich bereue die Stunde, wo dies geschah.«

»Sei nicht hart gegen ihn,« bat die Schwester und küßte die Hand des Kaufmanns. »Denke auch daran, wie viel Edles in seinem Wesen liegt.«

»Ich thue ihm nicht Unrecht. Aber ob sein Leben zum Heil für Andere werden wird, oder zum Unheil, das steht noch dahin. Sein Selbstgefühl, die großen Anlagen, die trotzige Kraft seines Egoismus, das zusammen ist Stoff genug, um einen großen Charakter zu bilden. Aber wozu wird er seine Kraft gebrauchen? Ungeordnet, in wilden Thorheiten hat er bis jetzt seine Tage verbracht, der Zwang unsers Hauses empört ihn innerlich. Noch ist wahrscheinlich, daß ein schlechter Aristokrat aus ihm wird, der seine Lebenskraft in raffinirtem Genuß vergeudet, oder auch ein wucherischer Geldmann, wie sein Verwandter in Amerika, der zum letzten aufregenden Spielzeug das Geld erwählt und mit frevelhaftem Witz die Schwächen Anderer benutzt, um aus den Trümmern ihres Glücks seine Paläste zu bauen.«

»Er ist nicht herzlos,« murmelte Sabine, »auch sein Verhältniß zu Wohlfart beweist das.«

»Er spielt mit ihm, er wirft ihn in's Wasser und zieht ihn wieder heraus.«

»Nein,« rief Sabine, »er achtet den verständigen Sinn Wohlfarts, er fühlt, daß dieser trotz seinem Mangel an Erfahrung ein reicheres Gemüth hat, als er selbst.«

»Täusche dich und mich nicht,« entgegnete der Kaufmann finster, »ich weiß, wie es gekommen ist, wie seine Sicherheit, die Gabe, schön zu sprechen und sich in leichtem Scherz über seine Umgebung zu erheben, dich gefesselt haben. Nicht ohne brüderliche Eifersucht erkannte ich den Zauber, den der fremde Mann auf dich ausübte. Ich schwieg, denn ich konnte dir vertrauen. War ich doch selbst hingerissen von Manchem, was an ihm ungewöhnlich ist. Auch als ich seine Härten unangenehm empfand, schwieg ich, denn ich bemerkte, wie du [S. 144] dich von ihm zurückzogst. Jetzt aber, wo ich sehe, wie sehr seine Art dich noch immer aufregt, ja unglücklich macht, jetzt muß ich seine Entfernung für wünschenswerth halten. Er soll fort aus unserm Hause, fort auch aus deiner Nähe.«

»O mein Gott!« rief Sabine, die Hände ringend. — »Nein, Traugott, das soll, das darf nicht geschehen. Um meinetwillen soll ein Verhältniß nicht gelöst werden, welches zu seinem Nutzen beschlossen wurde. Wenn es ein Mittel giebt, ihn vor den Gefahren zu behüten, die seine Vergangenheit über ihn bringt, so ist es das Leben in deiner Nähe. Deine rastlose Thätigkeit, die hohe Ehre deines Geschäfts, die zu sehen, daran sich zu gewöhnen, das ist Heilung für seine Seele. Ja, Traugott,« fuhr sie fort und faßte seine Hand, »ich habe kein Geheimniß vor dir! Du hast eine thörichte Schwäche meines Gefühls vielleicht eher erkannt, als ich selbst. Aber ich verspreche dir, dies Gefühl soll sein, wie die Erinnerung an ein Buch, das ich gelesen habe. Durch keine Miene, durch kein Wort will ich verrathen, daß ich schwach war. O, zürne ihm nicht, löse ihn nicht aus deinem Kreise, nicht im Zorn, und nicht um meinetwillen.«

»Und darf ich zugeben, daß seine Nähe dich zu einem aufreibenden Kampf verurtheilt?« frug der Bruder. »Unser Verhältniß zu ihm ist ohnedies schwer genug. Er gilt für eine glänzende Partie in jedem Sinne des Wortes. Es ist wahrscheinlich, daß sein Vater bestimmte Pläne mit ihm hat; es ist sicher, daß er selbst für weit hinaus phantastisch über seine Zukunft geträumt hat. Mir hat sein Vater die Aufsicht über ihn, den schwer zu Lenkenden, gegeben, weil er vertraut, daß ich in seinem Sinn handeln werde. Es wäre ein Verrath gegen den Vater, wenn ich eine Annäherung zwischen euch Beiden auch nur durch Stillschweigen zuließe. Leicht wird man uns auch die harmlose Zuvorkommenheit so auslegen, als hätten wir einen Wunsch, den reichen Erben an uns zu fesseln. Und er selbst, der Uebermüthige, an leichte Siege Gewöhnte, er wird zuerst einem solchen Gedanken Raum geben [S. 145] und geneigt sein, über das zu triumphiren, was er deine Schwäche und meine Berechnung nennen mag. Ich höre ihn darüber lachen und witzeln, und sieh, Sabine, dagegen empört sich mein Stolz.«

»Traugott,« rief Sabine mit gerötheten Wangen, »vergiß nicht, daß ich deine Schwester bin. Ich bin ein Bürgerkind, und er wird nie ganz zu uns gehören. Ich bin so stolz wie du. Immer habe ich das Gefühl, daß zwischen ihm und mir eine Kluft liegt, so weit und tief, daß alle Liebe sie nicht auszufüllen vermöchte. Vertraue mir,« bat sie unter Thränen, »ich werde dich nicht mehr durch meine Mienen betrüben. Und gegen ihn, den du nicht liebst, sei gütiger. Ertrage auch du das Lästige in seinem Wesen. Bedenke, wie sein Schicksal war. In der Welt herumgeschleudert, in Lagen, welche jedem Gelüst schmeichelten, immer unter Fremden, ohne Liebe und ohne Heimath, so ist er aufgewachsen, in Manchem verdorben, aber im Grunde seiner Seele hochsinnig und ein Feind jeder Gemeinheit.« Wieder schlang sie den Arm um den Hals ihres Bruders und sah bittend zu ihm auf. »Vertraue mir und gegen ihn sei gütiger.«

»Er soll hier bleiben,« sagte der Kaufmann und blickte gerührt in die feuchten Augen der Schwester. »Aber außer meinem Liebling ist noch Jemand in unserm Hause, der sich vor dem Einfluß seines Wesens zu bewahren hat.«

»Wohlfart,« rief Sabine heiter. »Für den bürge ich.«

»Du übernimmst viel, du Vormund unserer Herren. Also auch er ist ein Günstling?«

»Er ist zartfühlend und ehrlich, er hängt mit ganzer Seele an dir. Wie treuherzig sah er heut darein, als der Andere so ruchlos scherzte. Und er hat Muth! Verlaß dich darauf, er wird auch mit Fink fertig. Zufällig sah ich ihn damals, als ihn Fink so gekränkt hatte. Er sah ordentlich rührend aus. Seit der Zeit habe ich ihn in's Herz geschlossen.«

»Was hat Alles in diesem Herzen Raum!« rief der Kaufmann scherzend. »Zuerst und vor Allem die große Vorrathsstube, [S. 146] die Nußbaumschränke der Großmutter und viele Schock weiße Leinwand. Dann in bescheidener Seitenkammer der gestrenge Bruder, dann« —

»Dann im Vorzimmer alles Uebrige,« unterbrach ihn Sabine.

»Ja, und jetzt finde ich sogar unsern Lehrling dort einquartiert,« fuhr der Bruder fort.

Sabine nickte. »Er ist ja auch mein Lehrling, er ist ja schon von seinem Vater her ein Kind unsrer Handlung. Jetzt wünscht er sich ein Dutzend feiner Oberhemden, Karl hat mir's zugetragen. Die Tante und ich wollen sie besorgen, du mußt sie ihm bei erster Gelegenheit durch die Post senden. Er ist von Haus aus an solche Ueberraschungen gewöhnt. Die Tante soll ihm einen geheimnißvollen Brief dazu schreiben.« Sie lachte herzlich bei dem Gedanken an den Brief der Tante, zog an der Theeserviette und rückte die Tassen zurecht, bis alle drei in einer Reihe standen.

»So ist's recht,« rief der Kaufmann, »jetzt bist du wieder du selbst. Die Linie ist untadelhaft und die Symmetrie der Serviettenzipfel ist außerordentlich.«

»Man muß doch seine Freude haben,« sagte Sabine. »Ihr Männer thut ohnehin nichts Anderes, als uns ängstigen.«


Zu derselben Zeit trat Fink in Antons Zimmer, ein Lied trällernd, ohne eine Ahnung des Unwetters im Vorderhause, und, die Wahrheit zu gestehen, ziemlich unbekümmert um die Gefühle, welche er dort erregte. »Ich bin um Ihretwillen in Ungnade gefallen, mein Sohn,« rief er lustig, »der Souverain hat mich heut mit haarsträubender Gleichgültigkeit behandelt, und der Schwarzkopf hat mir den ganzen Tag keinen Blick gegönnt. Respectable Leute, aber bis zur Verzweiflung hausbacken! Diese Sabine hat im Grunde Feuer, Stolz, gute Qualitäten, aber auch sie verkümmert in dem ewigen Einerlei. Wenn eine Fliege sich im Kopfe kraut, so erregt das Erstaunen, [S. 147] und erregt Scrupel, ob es ihr anständig sei, mit dem rechten oder mit dem linken Beine zu kratzen. — Glück zu, Wohlfart, Sie sind auf dem besten Wege, der Mignon dieses Comtoirs zu werden, und mich betrachtet man als Ihren bösen Genius. Thut nichts! Morgen gehen wir zusammen in die Schwimmschule.«

Und so geschah es. Seit dieser Zeit fand Fink ein Vergnügen darin, den jüngern Freund in seine Künste einzuweihen. Er selbst lehrte ihn schwimmen, er bestand darauf, daß Anton zuweilen ein Pferd bestieg, und zwang ihn durch brüderliche Ermahnungen, auf dem Miethgaul Reitkünste zu üben. Ja, er ging in seiner Freundschaft so weit, daß er sich selbst auf einen Miethklepper setzte, — wogegen er großen Abscheu hatte — und den Lehrling zur Uebung auf seinem eigenen feurigen Pferde reiten ließ. Er schoß mit Anton nach der Scheibe, und drohte sogar, ihm eine Einladung zur Jagd zu verschaffen, wogegen aber Anton auf das Aeußerste protestirte.

Anton lohnte seinem Freunde durch die größte Anhänglichkeit; er war glücklich, einen Genossen zu haben, an dem er so Vieles verehren und bewundern konnte, und es that seinem Selbstgefühl unendlich wohl, daß er als Vertrauter vor vielen Andern ausgezeichnet wurde. Fink gewann vielleicht nicht weniger dabei; was zuerst eine Laune gewesen war, wurde ihm schnell Bedürfniß. Es waren glückliche Abende für Beide, wenn sie im Schatten der großen Condorflügel oder in dem bescheidenen Quartiere der gelblackirten Katze zusammensaßen in seligem Geplauder über die Eindrücke des Tages, über den Weltlauf, oder über nichts; dann erzählte Fink oder trieb Possen, übermüthig, wie ein kleiner Knabe, und Anton folgte mit Entzücken den kräftigen Gedanken und dem kühnen Ausdruck des vielerfahrenen Gefährten; dann klang bei offenem Fenster ihr Lachen bis tief hinab in das Dunkel des Hofes, so daß der alte zottige Pluto, der sich als Vogt des Hauses betrachtete und von Jedermann als ein angesehener Associé der Firma betrachtet wurde, aus seinem leisen Schlummer [S. 148] aufwachte und durch ermunterndes Bellen seine Billigung ihrer guten Laune ausdrückte. Es war eine glückliche Zeit für Beide; aus ihrer Vertraulichkeit blühte, zum ersten Mal für Beide, eine herzliche Jugendfreundschaft auf.

Und doch hörte Anton nicht auf, Fink und das Fräulein mit einer leisen Unruhe zu beobachten, nie sprach er mit seinem Freunde über das, was er ahnend voraussetzte, immer aber erwartete er, daß sich im Vorderhause etwas ereignen würde, eine Verlobung, oder ein Bruch zwischen Fink und dem Kaufmann, oder etwas anderes Außerordentliches. Aber es kam nichts dergleichen, unverändert verliefen die feierlichen Mahlzeiten an der langen Tafel, unverändert blieb das Antlitz und das Benehmen Sabinens gegen den Freund und gegen ihn. Es schien, als wenn die ernste und emsige Thätigkeit des Geschäftes jedes ungewöhnliche Familienereigniß, jede Leidenschaft, jede schnelle Veränderung fern hielte von dem Leben der Hausgenossen. Verstimmung und Hader, Genuß und Schwärmerei, Alles wurde niedergehalten durch den unablässigen gleichmäßigen Fluß der Arbeit.


X.

Wieder war ein Jahr vergangen, das zweite seit dem Eintritt des Lehrlings, und wieder blühten die Rosen. Anton hatte beim Schluß des Comtoirs einen großen Strauß rother Centifolien gekauft und klopfte an die Thür von Herrn Jordan, um diesem, der ein Gefühl für Blumen hatte, den Salon zu schmücken. Mit Ueberraschung sah er, grade wie am ersten Tage seiner Lehrzeit, alle Collegen in dem Zimmer versammelt und erkannte auf den ersten Blick, daß bei seinem Eintreten eine exclusive Feierlichkeit, welche ihn zurückwies, in den Mienen Aller sichtbar wurde. Jordan eilte ihm mit einer leisen [S. 149] Verlegenheit entgegen und bat, er möge auf eine Stunde die Versammlung sich selbst überlassen, es sei etwas Wichtiges zu besprechen, was er als Lehrling nicht hören dürfe. Die gutherzigen Männer hatten ihn bis dahin nur selten empfinden lassen, daß er ihnen an Würden nicht gleichstand, deßhalb demüthigte ihn die Verbannung doch ein wenig. Er trug den Strauß in das eigene Zimmer und stellte ihn resignirt auf den Tisch, ergriff ein Buch und sah zuweilen darüber hinweg auf das Büschel Rosen, welches sogleich eifrig bemüht war, seinen rosigen Schein bis in die Winkel der kleinen Stube auszubreiten.

Unterdeß wurde im Salon feierliche Sitzung gehalten. Der Herr des Salons pochte mit einem Lineal auf den Tisch und eröffnete die Verhandlung: »Wie Sie Alle wissen, hat einer der Collegen das Geschäft verlassen. Herr Schröter hat mir deßhalb heut eröffnet, daß er nicht abgeneigt ist, an Stelle desselben unsern Wohlfart als Correspondenten in das Provinzialgeschäft aufzunehmen. Da aber die herkömmliche Lehrzeit Wohlfarts erst in einem, oder nach dem Uso unserer Handlung sogar erst in zwei Jahren zu Ende geht, so will er eine solche außerordentliche Abweichung von der Ordnung nicht eintreten lassen ohne die Beistimmung des Comtoirs. Deßhalb frage ich Sie, wollen Sie die Rechte, welche Sie an Wohlfart als unsern Lehrling haben, zu seinen Gunsten schon jetzt aufgeben und wollen Sie ihn als Collegen in unser Geschäft aufnehmen? Ich ersuche Sie sämmtlich, mir Ihre Meinung mitzutheilen. Noch fühle ich mich verpflichtet zu bemerken, daß Herr Schröter selbst unsern Wohlfart für vollkommen geeignet hält, die neue Stellung auszufüllen; auch halte ich es für sehr gentil vom Prinzipal, daß er uns die letzte Entscheidung überläßt.«

Nach diesen Worten des Herrn Jordan entstand die imposante Stille, welche jeder Debatte vorhergeht. Nur Herr Pix erhob sich von der Sophalehne, an welcher er gehangen hatte, und sprach: »Vor Allem stimme ich dafür, daß wir [S. 150] ein Glas Grog machen, hole ein Anderer für die Theetrinker den Kessel her, den Grog braue ich.« Nach dieser Erklärung zog sich der Sprecher wieder in seine reitende Stellung zurück und brannte eine Manilla an, eine Art von Cigarren, welche er in stetem Kampf gegen seine Collegen begünstigte.

Die anderen Herren verharrten in genußreichem Schweigen und sahen feierlich der Bereitung des Thees zu, Jeder fühlte die Wichtigkeit seiner bürgerlichen Stellung und seine Würde als Mensch und College.

Als die Spiritusflamme um den Kessel leckte und noch Niemand das Wort ergriff, erkannte der Vorsitzende die Nothwendigkeit, die Debatte auf irgend eine Weise zu fördern, und frug: »Wie wollen wir abstimmen? Wünschen Sie von unten nach oben oder von oben herab?«

»Bei der englischen Marine wird, so viel ich weiß, der Jüngste zuerst gehört,« bemerkte Herr Baumann.

»Wie bei der englischen Marine!« entschied Herr Pix.

Specht war der jüngste der anwesenden Collegen. »Ich muß vor Allem bemerken, daß Herr von Fink nicht anwesend ist,« sprach er und sah sich aufgeregt um.

Ein allgemeines Gemurmel entstand: »Er ist nicht zu Hause! er ist Volontair.«

»Er gehört nicht zu uns,« sagte Herr Pix.

»Er selbst wird es ablehnen, mitzustimmen,« sagte Herr Jordan, »da er keiner von den Engagirten der Handlung ist.«

»In diesem Falle bin ich der Meinung,« fuhr Herr Specht fort, etwas herabgestimmt durch die allgemeine Opposition, welche seine erste Bemerkung erfahren hatte, »daß Wohlfart die Verpflichtung hat, vier Jahre Lehrling zu bleiben, wie ich selbst, oder doch drei Jahre, wie unser Baumann bei C. W. Strumpf und Kniesohl. Da er aber ein guter Kerl und nach Aller Ansicht im Geschäft brauchbar ist, so bin ich auch der Meinung, daß wir einmal eine Ausnahme machen und ihn schon jetzt als Collegen anerkennen. Doch bitte ich Sie, dabei vorsichtig zu sein und ihm bemerklich zu machen, [S. 151] daß er eigentlich noch Lehrling sein sollte. Deßhalb schlage ich vor, daß er verpflichtet wird, uns noch ein Jahr hindurch den Thee zu machen, wie er bis jetzt als Lehrling gethan. Außerdem halte ich für schicklich, daß er zur Erinnerung an seinen früheren Stand jedem der Collegen alle Quartale eine Feder schneidet.«

»Narrheiten,« brummte Herr Pix; »Sie haben immer überspannte Einfälle.«

»Wie können Sie meine Einfälle überspannt nennen,« rief Herr Specht entrüstet, »Sie wissen, daß ich mir von Ihnen nichts gefallen lasse.«

»Ich muß um Ruhe bitten,« sagte Herr Jordan.

Die nächsten Collegen gaben in runder Weise ihre Einwilligung, Herr Baumann mit vieler Wärme. Endlich griff Herr Pix nach dem Hahn des Theekessels und sprach: »Meine Herren, was soll das lange Reden, seine Waarenkenntniß ist nicht schlecht, wenn man berücksichtigt, daß er noch ein junger Kauz ist, sein Benehmen ist coulant, die Hausknechte haben Respect vor ihm, gegen meine Kunden ist er noch zu zartfühlend und umständlich, aber es ist nicht allen Leuten gegeben, andere Leute zu behandeln. Solo spielt er schlecht und sein Punschtrinken ist unbedeutend. So steht es mit ihm. Da diese letztern Qualitäten aber nicht den Ausschlag geben dürfen, so sehe ich nicht ein, weßhalb er nicht vom heutigen Dato ab College werden soll.«

Der Cassirer sprach: »Es ist nicht in der Ordnung, daß Einer mit zwei Jahren seine Lehrzeit abmacht, da es aber der Prinzipal wünscht, so werde ich nicht widersprechen, denn sein Wille muß zuletzt doch respectirt werden.«

Alle sahen auf Herrn Liebold, den diese allgemeine Aufmerksamkeit sehr beunruhigte, weil sie ihn an die Verantwortlichkeit seines Votums erinnerte. Natürlich wollte er beistimmen, aber wenn er nicht beistimmte? wenn er jetzt widerspräche, welcher Scandal würde daraus entstehen? wie würde ihn Wohlfart ansehen, und die Collegen und der Prinzipal [S. 152] selbst? So zog er an seinem Halskragen, lächelte verbindlich nach beiden Seiten und räusperte sich wie vor dem Ausbruch einer kräftigen Rede, worauf er verwirrt durch den Gedanken an die möglichen Folgen seines Veto zurücksank und sich mit Allem einverstanden erklärte, was seine Collegen beschließen würden.

»Abgemacht!« sagte Herr Jordan, »auch ich stimme bei und habe noch den Grund anzuführen, daß Wohlfart bei seinem Eintritt älter war, als ein Anderer von uns, und daß er an Jahren und Bildung nichts zu wünschen übrig läßt. Deßhalb freue ich mich über unsere Einstimmigkeit. Herr Schröter hat mir erlaubt, im Falle unserer Einwilligung den Lehrling vorläufig davon zu benachrichtigen. Ich schlage vor, daß dies auf der Stelle geschieht. Wir wollen ihn herunterrufen.«

»Ja, ja, gut, das wollen wir!« riefen Alle, und Baumann schickte sich an, hinaufzugehen.

Da aber sprang Herr Specht auf und vertrat dem Collegen Baumann den Weg. »Wir sind keine Ferkel,« rief er und streckte die Hand abwehrend an der Thür aus, »wir sind keine wilden Thiere, daß wir so ohne Ordnung durcheinander laufen und einen neuen Collegen aufnehmen, wie ein Stück von einer Heerde. Ich bitte Sie dringend, denken Sie an die Ehre des Geschäfts. Es ist nothwendig, daß zwei von uns als Deputation hinaufgehen, es muß wenigstens ein Punsch gemacht werden, und Jordan muß ihn mit einer Rede begrüßen.«

Dieser Vorschlag fand Beifall, Herr Liebold und Herr Pix wurden erwählt, den Neuling herunterzuführen. Herr Specht aber fuhr mit glänzenden Augen in der Stube umher, er rückte den Tisch zurecht, ordnete die Stühle im Halbkreis zu beiden Seiten, schleppte Gläser und Flaschen herzu und setzte einen grünen Ritter aus Papiermaché, der ein vergoldetes Schwert trug, auf einen Tabakskasten in die Mitte des Tisches. Dann holte er einen Teppich herzu und legte ihn zwischen die Thür [S. 153] und die Versammlung, damit Wohlfart darauf stehe, wie eine Braut vor dem Altare. Darauf erschöpfte er seine ganze Beredtsamkeit, um die Lichter und Lampen aus den Zimmern seiner Collegen auf einen Haufen zu versammeln. Endlich ließ er die Rouleaux herunter, schloß die bunten Gardinen und brachte zunächst eine künstliche Dämmerung und darauf einen ungewöhnlichen Lichterglanz und heftigen Lampengeruch zu Stande. So bewirkte er mit Hülfe der Andern, welche ihm zuerst zusahen und bald, durch seinen Eifer fortgerissen, thätig beistanden, daß der Salon in der That ein fremdartiges und mysteriöses Aussehen erhielt. Jetzt erst ließ er die Deputation hinaufgehen, und da ihm eine dunkle Erinnerung durch den Kopf fuhr von dem imponirenden Aussehen des römischen Senates, welcher lautlos auf Stühlen saß, als die grimmigen Feinde in Rom einzogen, so beschwor er leidenschaftlich alle Zurückgebliebenen, sich stumm und unbeweglich auf den Stühlen in der Runde festzusetzen. Als sich aber die Thür öffnete und der erstaunte Wohlfart, der noch nichts ahnte, in der Mitte seiner beiden Führer erschien, von denen Herr Pix in practischer Umsicht die Zuckerbüchse Antons, Herr Liebold feierlich das große Rosenbouquet getragen brachten, da verblich in der Phantasie des Herrn Specht der römische Senat, und die heiligen drei Könige, welche mit Büchsen und Gaben eintreten, Weihnachtsbescheerung und christliche Feierlichkeit wurden in ihm mächtig. Er sprang in Ekstase von seinem Sitze auf und rief: »Alle müssen stehen!«

Durch diese veränderte Anordnung störte er leider sich selbst die Wirkung, denn nur ein Theil der Herren folgte seinem Beispiel, der Rest blieb sitzen, bis Herr Jordan vor Anton trat und ihm mit aufrichtiger Herzlichkeit sagte: »Lieber Wohlfart, Sie haben zwei Jahre mit uns gearbeitet, Sie haben sich Mühe gegeben, das Geschäft kennen zu lernen, wir Alle haben Sie in dieser Zeit liebgewonnen. Es ist der Wille des Prinzipals und unser Aller Wunsch, daß die herkömmliche Lehrzeit bei Ihnen ausnahmsweise abgekürzt werde. Herr Schröter [S. 154] beabsichtigt, Sie morgen als Comtoiristen aufzunehmen, wir haben die Freude, Ihnen dies schon heute mitzutheilen. Wir wünschen Ihnen von Herzen Glück und bitten Sie, uns dieselbe ehrliche Freundschaft als College zu bewahren, die Sie uns bis jetzt bewiesen haben.« So sprach der gute Herr Jordan und hielt seinem Zöglinge die Hand hin.

Anton stand einen Augenblick starr, dann faßte er mit beiden Händen die dargebotene Rechte und fiel glücklich und gerührt Herrn Jordan um den Hals. Die Collegen drängten sich um ihn, und es entstand ein Händedrücken und Umarmen, welches in der Geschichte des Salons beispiellos war. Immer wieder ging Anton von dem einen zum andern und faßte ihn mit nassen Augen beim Arm. Specht sah ohne Betrübniß sein Ceremoniell durch die lebhafte Empfindung des Aufgenommenen ruinirt, Baumann saß, die Hände über das Knie geschlungen, vergnügt in der Ecke, und Pix bot unserm Helden binnen fünf Minuten zweimal seine Cigarren an und hielt ihm sogar das Licht, als Wohlfart endlich eine davon ansteckte. Alles war in bester Laune, die Collegen freuten sich, weil sie mit Selbstgefühl etwas Bedeutendes schenken konnten, und Anton war selig, so viel Freundlichkeit zu empfangen. Verklärt saß er in einem gepolsterten Sessel, zu dem ihn Freund Specht genöthigt hatte, vor ihm stand der Ritter und salutirte mit seinem goldenen Schwert aus dem Rosenbusch heraus, und um ihn lagerten seine Genossen, heut alle bemüht, ihm Fröhliches zu sagen. Wie ein Heros erhob sich Herr Pix und brachte die Gesundheit Antons aus. Er schilderte mit einer Beredtsamkeit, wie sie vorher und nachher nie wieder an ihm wahrgenommen wurde, daß Anton gewissermaßen als ein Säugling zu ihnen gekommen sei, dem der Unterschied zwischen Pennal und Kanehl eben so unbekannt war, als einem Zeisig das Kaffekochen, und wie mit Hülfe der großen Waage, die als seine Wiege betrachtet werden müsse, und der Auflader, welche Ammendienste an ihm verrichtet hätten, und unter Mitwirkung einiger anderer Personen, die der Sprecher aus Bescheidenheit nicht nenne, in [S. 155] so kurzer Zeit ein so auffallendes Wachsthum des Unmündigen hervorgebracht worden sei. Darauf erhob sich Anton und brachte die Gesundheit seiner Collegen aus. Er erzählte, wie bange ihm damals gewesen war, als er zum ersten Male die Thür des Comtoirs geöffnet hatte. Er erinnerte Herrn Pix an den schwarzen Pinsel, mit welchem er ihm den Weg gewiesen, Herrn Specht an seine stehende Frage: Was steht zu Ihren Diensten? und Herrn Jordan an den Ueberziehärmel, den er damals eingepackt, um den Neuling in sein Zimmer zu führen. Diese Anspielung auf die berühmten Attribute der drei Herren fand den höchsten Beifall. Und jetzt folgte ein Toast auf den andern, und es ergab sich zum allgemeinen Erstaunen, daß der stille Herr Birnbaum, der Zollcommis, von der Natur die außerordentliche Begabung erhalten hatte, nach dem dritten Glas zwei, ja sogar vier Zeilen in Versen zu sprechen. Immer fröhlicher wurde die Gesellschaft, immer festlicher glänzten die Lichter, immer röther leuchteten die Wangen und die Rosen auf dem Tische.

Erst spät trennten sich die Collegen. Anton wollte nicht zu Bett gehen, bevor er seinem Freunde Fink das Glück berichtet hatte. Er eilte dem Ankommenden entgegen und erzählte ihm im Mondenschein auf der Treppe das große Ereigniß. Fink schrieb mit seiner Reitpeitsche eine lustige Achte in die Luft und sagte: »Es ist brav, daß das Vorderhaus auf den Einfall gekommen ist, ich hätte einen solchen Exceß unserm Despoten nicht zugetraut. Jetzt kommst du ein Jahr eher über's Wasser in die große Welt.«

Am nächsten Morgen rief der Prinzipal den neuen Commis in das kleine Zimmer hinter dem letzten Comtoir, in das Allerheiligste des Geschäfts, und hörte lächelnd die Dankesworte Antons an. »Ich habe so gehandelt,« sagte er, »weil Sie tüchtig sind, und weil der Brief, den Sie mir bei Ihrem Eintritt in das Geschäft überbrachten, Ihnen ein Credit bei mir eröffnet hat. Es wird Ihnen Freude machen, daß Sie von jetzt ab durch Ihre eigene Thätigkeit Ihr Leben zu erhalten [S. 156] vermögen. Sie treten von heut in die Stellung, also auch in den Gehalt des Ausgeschiedenen ein.«

Zuletzt bei der Mittagstafel gratulirten auch die Damen dem neuen Geschäftsmann, Sabine kam sogar bis zum untern Ende des Tisches, wo Anton hinter seinem Stuhle stand, und begrüßte ihn dort mit herzlichen Worten, der Bediente setzte jedem der Herren eine Flasche Wein vor das Couvert, und der Kaufmann erhob das Glas und dem glücklichen Anton zuwinkend, sagte er mit gütigem Ernst: »Lieber Wohlfart, dies dem Andenken an Ihren guten Vater!«

[S. 157]


[S. 158]

Zweites Buch.


[S. 159]

I.

An einem Sonntagmorgen las Anton emsig in dem letzten Mohikaner von Cooper, während vor dem Fenster die ersten Schneeflocken ihren Kriegstanz tanzten und sich vergeblich bemühten, in das Asyl der gelben Katze zu dringen. Da trat Fink eilig in das Zimmer und rief schon an der Thür: »Anton, zeige mir deine Garderobe.« Er öffnete den Kleiderschrank, untersuchte den Leibrock und die übrigen Stücke mit großem Ernst, schüttelte den Kopf und schloß seine Musterung mit den Worten: »Ich werde dir meinen Schneider heraufschicken, laß dir ein neues Gewand anmessen.«

»Ich habe kein Geld,« antwortete Anton lachend.

»Unsinn,« versetzte Fink, »der Schneider giebt dir Credit, so viel du willst.«

»Ich möchte aber nichts auf Credit nehmen,« erwiederte Anton und setzte sich behaglich auf dem Sopha zurecht, um gegen seinen mächtigen Rathgeber zu Gunsten guter Wirthschaft zu plaidiren.

»Diesmal mußt du eine Ausnahme machen,« entschied Fink, »es ist Zeit, daß du mehr unter Menschen kommst. Du sollst in die Gesellschaft treten, ich werde dich einführen.«

Anton stand erröthend wieder auf und rief eifrig: »Das geht nicht, Fink, ich bin hier ganz unbekannt und habe noch keine Stellung, welche mir die Sicherheit giebt, in großer Gesellschaft aufzutreten.«

»Eben deßhalb, weil du keine gesellschaftliche Courage hast, [S. 160] sollst du unter Menschen,« sagte Fink strafend. »Diese jammervolle Schüchternheit mußt du los werden, so schnell als möglich; sie ist der dümmste Fehler, den ein gebildeter Mensch haben kann. Verstehst du zu walzen? Hast du eine Ahnung davon, was eine Tour in der Quadrille ist?«

»Ich habe vor einigen Jahren in Ostrau Tanzstunde genommen,« versetzte Anton.

»Einerlei, du sollst noch einmal Tanzstunde nehmen. Frau von Baldereck hat mir gestern vertraut, daß einige Familien für ihre flüggen Märzhühnchen einen Tanzsalon einrichten wollen, damit diese in Sicherheit vor Raubvögeln die Flügel bewegen lernen. Die Tanzstunde soll in dem Hause der gnädigen Frau sein, welche ihr eignes Küchlein darin für den Markt einrichten will. Das ist etwas für dich, ich werde dich dort einführen.«

Antons Seele wurde durch diese Zumuthung heftig alarmirt, er setzte sich erschrocken wieder auf dem Sopha zurecht, und sagte mit aller Ruhe, über die er in diesem Augenblick verfügen konnte: »Fink, das ist einer von deinen tollen Einfällen, es ist unmöglich, daß ich darauf eingehe; Frau von Baldereck gehört zu der hiesigen Aristokratie, und die Tanzgesellschaft bei ihr wird ohne Zweifel aus demselben Kreise sein.«

»Ohne Zweifel,« nickte Fink, »reines blaues Blut, die Urgroßmütter sämmtlicher Damen haben ohne Ausnahme im deutschen Urwald die Ehre gehabt, der Fürstin Thusnelda die Nachtmütze nachzutragen.«

»Siehst du,« sagte unser Held, »wie kannst du den Einfall haben, mich in diese Gesellschaft zu bringen, du würdest mir nur das bittere Gefühl bereiten, zurückgewiesen zu werden, oder, was noch schlimmer wäre, eine übermüthige Behandlung zu erfahren.«

»Soll man da nicht die Geduld verlieren?« rief Fink entrüstet. »Gerade du und deinesgleichen haben mehr Recht, den Kopf hoch zu tragen, als der größte Theil der Societät, welche dort zusammenkommen wird. Und gerade Ihr seid es, die [S. 161] durch ungeschicktes Benehmen, bald durch Schüchternheit, bald durch Kriecherei die Prätensionen der Landjunkerfamilien erhalten. Wie kannst du dich selbst für schlechter halten, als irgend jemand Anderen? Ich hätte nicht gedacht, daß eine solche Niedrigkeit auch in deiner Seele Raum findet.«

»Du irrst,« erwiederte Anton erzürnt, »ich halte mich nicht für geringer, als ich bin, aber es wäre thöricht und anmaßend wenn ich mich in die Gesellschaft Anderer eindrängen wollte, welche mich aus irgend einem Grunde nicht gern sehen. Gerade mein Selbstgefühl verbietet mir, mit Solchen zu verkehren, welche einen Mann deßhalb geringer achten, weil er in einem Comtoir arbeitet.«

»Ich sage dir aber, deine Person wird den guten Leuten nicht unangenehm sein, ich stehe dir dafür,« sagte Fink überredend. »Du kennst die Gesellschaft nicht und denkst dir Alles viel zu schwer. Es ist Mangel an Herren, ich gelte etwas bei der Frau vom Hause — nebenbei gesagt, ich bin nicht stolz darauf; — sie hat mich gebeten, einige junge Männer meiner Bekanntschaft bei ihr einzuführen; ich führe dich ein, die Sache ist ganz in der Ordnung. Sieh das Geschäft doch etwas näher an. Was ist diese Tanzstunde? Es ist eine Art Actienverein zur Verbesserung der Waden aller Theilnehmer, du bezahlst deinen Antheil am Stundengeld wie jeder Andere, und ob du eine junge Comtesse oder ein Bürgermädchen in der Mazurka herumschwenkst, Taille ist Taille, die Bälger tanzen alle gern.«

»Es geht doch nicht,« antwortete Anton kopfschüttelnd, »ich habe das Gefühl, daß es unpassend wäre, und möchte diesem gehorchen.«

»Ich will dir einen Vorschlag thun,« sagte Fink ungeduldig; »du sollst in diesen Tagen mit mir einen Besuch bei Frau von Baldereck machen. Ich werde dich als Anton Wohlfart aus dem Comtoir der Firma »T. O. Schröter« vorstellen; du sollst kein Wort von der Tanzstunde erwähnen; du wirst abwarten, wie die gute Dame dich aufnimmt. Wenn diese Tanzmutter [S. 162] etwas Anderes ist, als eitel Liebenswürdigkeit, wenn sie dir auch nur die geringste Hauteur zeigt, und nicht selbst von der Tanzstunde anfängt, so sollst du vollständige Freiheit haben, bei deiner Weigerung zu beharren. Dagegen kannst du nichts Stichhaltiges einwenden.«

Anton zauderte und überlegte. Die Sache schien ihm keineswegs so einfach, wie Fink sie darstellte, aber er war nicht mehr der Mann, kaltblütig zu prüfen und zu wählen. Seit Jahren verbarg er einen Wunsch im Grund seiner Seele, die Sehnsucht nach dem freien, stattlichen, schmuckvollen Leben der Vornehmen. So oft er die Tanzmusik im Vorderhause hörte, so oft er von dem Treiben der aristokratischen Kreise las, sehr oft, wenn er mit sich allein war, wurde in ihm eine holde Erinnerung lebendig, das hohe Schloß mit Thürmen im Blumenpark und das adlige Kind, das ihn über den Schwanenteich gefahren. Jetzt wieder stieg das Bild in ihm auf, in dem goldenen Licht, das seine Poesie in jahrelanger Arbeit dazugethan. Er sprang auf und willigte in den Vorschlag des erfahrenen Freundes.

Eine Stunde darauf kam der Schneider, von Fink geführt, und Fink bestimmte selbst das Detail der neuen Ausstattung mit einer Sachkenntniß, welche dem Schneider nicht weniger als Anton imponirte.

Am Nachmittag leckte die Novembersonne den Schnee von den Steinen der Straße. Da steckte Fink einige merkwürdig aussehende Papiere in seine Brusttasche, schlenderte als müßiger Wanderer durch die lebhaftesten Straßen der Stadt und sah sich mit scharfem Blick um, wie ein Polizeibeamter, der Beute sucht. Endlich lenkte er mit zufriedenem Gesicht auf das Trottoir der entgegengesetzten Straßenseite und stieß dort auf zwei elegante Herren, welche, wie er, einsam durch das plebeje Treiben der Sonntagsspaziergänger zogen. Es war der Lieutnant von Zernitz und Herr von Tönnchen, beide von großem Unternehmungsgeist und untadelhaften Allüren.

»Teufel, Fink!« —

[S. 163]

»Guten Tag, Ihr Herren!«

»Was treiben Sie so träumerisch auf der Straße?« frug Herr von Tönnchen.

»Ich suche Menschen,« erwiederte Fink melancholisch, »ein paar treue Gesellen, welche verdorben genug sind, an diesem langweiligen Sonntage bei Tageslicht eine Flasche Portwein zu trinken und mir vorher in einem kleinen Geschäft als Zeugen zu dienen.«

»Als Zeugen?« frug Herr von Zernitz. »Wollen Sie sich hinter der Kirche duelliren?«

»Nein, schöner Cavalier,« erwiederte Fink, »Sie wissen, ich habe diese Unart verschworen, seit der kleine Lanzau meiner Pistole den Hahn abgeschossen hat. Gerade jetzt bin ich sehr friedfertig, ein geplagter Geschäftsmann, würdiger Sohn der Handlung Fink und Becker. Ich suche Zeugen für eine notarielle Urkunde, welche eiligst ausgestellt werden muß. Ich finde wohl einen Notar, aber die gewöhnlichen Gerichtszeugen sind heut am Sonntag auf den Kegelschub gelaufen. Es wäre menschlich von Ihnen, wenn Sie mir diesen unglücklichen Nachmittag durchbringen hälfen, eine Viertelstunde beim Notar, den Rest beim Italiener.«

Mit Vergnügen waren die Herren bereit. Fink führte sie zu einem bekannten Notar und bat diesen, vor beiden Zeugen eine Abtretungsurkunde auszustellen, da die Cession sofort erfolgen müsse und die Sache von größter Bedeutung sei. Er überreichte ein ehrwürdiges, in englischer Sprache geschriebenes Document, worin der Generaladvocat irgend einer County im Staat New-York urkundlich offenbarte, daß Herr Fritz von Fink Eigenthümer des Territoriums Fowlingfloor, sowohl des Grund und Bodens, als der darauf befindlichen Gebäude, Bäume, Gewässer und aller daran haftenden Nutzungen sei. Darauf erklärte er vor dem Notar, daß er alle nach dieser Urkunde ihm zustehenden Eigenthumsrechte an Herrn Anton Wohlfart, zur Zeit im Geschäft von T. O. Schröter, cedire. Zahlung dafür sei vollständig geleistet. Endlich bat er den [S. 164] Notar inständig, das Document schleunigst auszustellen und über die ganze Sache Stillschweigen zu beobachten. Der Herr versprach das, und die beiden Zeugen unterschrieben die Verhandlung. Beim Herausgehen bat er diese ebenfalls mit mehr Ernst, als er sonst zu verwenden pflegte, diesen Act als tiefes Geheimniß zu bewahren und vor Allem gegen Herrn Anton Wohlfart selbst ein unverbrüchliches Schweigen zu beobachten. Beide gelobten das mit einiger Neugierde, und Herr von Zernitz konnte nicht umhin, zu bemerken: »Ich will nicht hoffen, Fink, daß Sie hier Ihr Testament gemacht haben, in diesem Falle wäre ich Ihnen dankbar gewesen, wenn Sie mir Ihre Büchse vermacht hätten.«

»Wenn Sie die Büchse von dem lebendigen Fink annehmen wollen,« erwiederte Fink, »so werden Sie ihn sehr glücklich machen.«

»Teufel!« rief der gutmüthige Lieutnant fast erschrocken, »so war es nicht gemeint. Ich weiß doch nicht, ob ich das mit gutem Gewissen annehmen darf.«

»Thun Sie es immerhin,« sagte Fink freundlich, »ich habe das Rohr satt, es wird bei Ihnen in guten Händen sein.«

»Es ist ein kostbares Geschenk,« warf der Lieutnant mit Gewissensbissen ein.

»Es ist ein altes Rohr,« sagte Fink, »und morgen müssen Sie es ohne Widerrede annehmen, denn heut werden Sie mich nicht los, Sie sollen mit mir zu Feroni. Was aber die geheimnißvolle Abtretung der Güter betrifft, so handle ich hier nicht ganz freiwillig. Es ist eine Art politisches Geheimniß dabei, das ich auch Ihnen nicht mittheilen kann, schon deßhalb nicht, weil mir die Sache selbst noch nicht recht klar ist.«

»Ist denn das Gut groß, welches Sie abgetreten haben?« frug Herr von Tönnchen.

»Ein Gut?« frug Fink und sah nach dem Himmel, »es ist gar kein Gut. Es ist eine Bodenfläche, Berg und Thal, Wasser und Wald, ein freilich kleiner Theil von Amerika. Und ob dieser Besitz des Herrn Wohlfart groß ist? Was [S. 165] nennen Sie groß? Was heißt groß auf dieser Erde? In Amerika mißt man die Größe des Landbesitzes nach einem andern Maaß, als in diesem Winkel von Deutschland. Ich für meinen Theil werde schwerlich je wieder eine solche Besitzung mein Eigenthum nennen.«

»Wer ist denn aber dieser Herr Wohlfart?« frug auf der anderen Seite der Lieutnant.

»Sie sollen nächstens seine Bekanntschaft machen,« antwortete Fink. »Er ist ein netter Junge aus der Provinz, über dem ein merkwürdiges Schicksal schwebt, von dem er selbst zur Zeit noch gar nichts weiß und nichts wissen darf. Doch genug von Geschäften. Ich habe für diesen Winter etwas mit Ihnen vor. Sie sind zwei alte Knaben, aber Sie müssen doch noch einmal Tanzstunde nehmen.«

Bei diesen Worten traten sie in die Weinstube des Italieners, wurden von Feroni mit tiefen Bücklingen empfangen und vertieften sich schnell in Untersuchungen über die Reize der schweren Weine von Portugal.


Frau von Baldereck war eine Hauptstütze der allerbesten Gesellschaft, welche durch die Familien des Landadels, einige höhere Beamte und Offiziere gebildet wurde. Es war schwer zu sagen, welche Vorzüge der Dame eine solche Achtung gebietende Stellung verschafft hatten; sie war weder sehr vornehm, noch sehr reich, noch sehr elegant, noch sehr geistreich, noch sehr medisant, aber sie besaß von allen diesen Eigenschaften etwas. Sie hatte in ihrem Privatleben stets so viel als irgend möglich auf Grundsätze gehalten und hatte das Selbstgefühl gehabt, sich den Anspruchsvollen niemals aufzudrängen. Wegen dieser constanten Mäßigung war sie von der öffentlichen Meinung erhöht worden. Sie besaß eine sehr ausgebreitete Bekanntschaft, war vertraut mit allen Heirathen und Verwandtschaften aller Familien der Provinz, stand in allen distinguirten Häusern auf der ersten Seite der Einzuladenden [S. 166] und machte als Wittwe selbst ein mäßiges Haus, welchem der Hahnfederbusch eines Jägers und zwei fette Rappen zu anständigem Schmuck gereichten. Frau von Baldereck war nach alledem eine regelrechte Dame, welche Personen und Ereignisse genau nach den Vorurtheilen der Gesellschaft, in welcher sie lebte, zu beurtheilen wußte; deßhalb wurde ihr Urtheil überall mit großer Achtung angehört. Daß sie außerdem nicht ohne Gutmüthigkeit war, rechnete ihr die Gesellschaft, für welche sie lebte, wahrscheinlich nicht so hoch an, als der alte Engel des Gerichts, welcher im Himmel über die Thaten der Menschen Buch führt, und welcher, nebenbei bemerkt, nach der Usance seines heiligen Geschäfts oben auf die Seiten des Buches statt des irdischen Credit und Debet die Wörter Schaf und Bock zu schreiben pflegt und alle Creditposten auf die rechte Seite, die Böcke aber auf die linke setzt. — Frau von Baldereck hatte eine junge Tochter, welche ihr sehr ähnlich zu werden versprach, und bewohnte einen ersten Stock mit großen Zimmern, worin seit einer Reihe von Jahren häufige Proben von Aufzügen, dramatischen Vorstellungen und lebenden Bildern abgehalten wurden.

Die einflußreiche Dame war gerade in vertraulicher Berathung mit einer Schneiderin, sie überlegte, wie tief der Ausschnitt der Kleider eingerichtet werden dürfe, um die tadellose Büste ihrer Tochter im besten Licht zu zeigen, und doch wieder in der Tanzstunde keinen Anstoß zu erregen, als Fink, ihr Liebling, gemeldet wurde. Eilig schob sie die Tochter, die Schneiderin und die Kleider bei Seite und erschien in dem Besuchzimmer mit der Gemüthlichkeit einer Hausfrau, welche für sich selbst nicht mehr übermäßige Ansprüche macht.

Nach den einleitenden Bemerkungen über die Ereignisse der letzten Abendgesellschaft und die langen Hängelocken der Comtesse Pontak sagte Fink, indem er angelegentlich einen Fußschemel maltraitirte, auf welchem ein schlafender Pinscher, von der Tochter des Hauses gestickt, unter den Fußbewegungen des Gastes stöhnte: »Ich habe Ihren Auftrag ausgerichtet, [S. 167] Lady Patroneß, und bringe Ihnen vorläufig drei Herren.«

»Und wer sind diese?« frug die Dame vom Hause erwartungsvoll, vergaß die Leiden des gestickten Pinschers und rückte näher an ihren Verbündeten.

»Zuerst Lieutnant von Zernitz,« sagte Fink.

»Eine gute Acquisition,« rief die gnädige Frau erfreut, denn der Lieutnant war, was man einen geistreichen Offizier nennt, er machte niedliche Verse in Familienalbums und zu verlorenen Vielliebchen, war unübertrefflich im Arrangement von mimischen Darstellungen und stand in dem Ruf, irgend einmal in ein Taschenbuch eine Novelle geschrieben zu haben. »Herr von Zernitz ist ein liebenswürdiger Gesellschafter.«

»Ja,« sagte Fink, »aber Portwein kann er nicht vertragen. Der Zweite ist Herr von Tönnchen.«

»Eine alte Familie,« bemerkte die Frau vom Hause; »ist er nicht etwas wild?« fügte sie schüchtern hinzu.

»Behüte,« sagte Fink, »die Familie hat immer viel Grundsatz gehabt; er ist gar nicht wild, nur zuweilen hat er die Eigenschaft, Andere wild zu machen.«

»Und der Dritte?« frug die Dame.

»Der Dritte,« sagte Fink, »ist ein Herr Wohlfart.«

»Wohlfart?« frug die gnädige Frau befremdet und sah ihren Besuch unruhig an, »die Familie kenne ich nicht.«

»Das ist sehr möglich,« erwiederte Fink kaltblütig, »es giebt zu viele Leute mit und ohne Namen, als daß man sich um Alle kümmern könnte. Herr Wohlfart ist vor einigen Jahren aus der Provinz hierher gekommen, um vorläufig die Geheimnisse des Handels durch eigene Anschauung kennen zu lernen; er arbeitet im Geschäft des Kaufmann Schröter, gerade wie ich.«

»Aber, lieber Fink!« schaltete die Dame ein.

Fink ließ sich nicht stören, er legte sich in den Armstuhl zurück und blickte nach dem Grau der Arabesken an der Decke. »Herr Wohlfart ist ein merkwürdiger und interessanter Gesell. [S. 168] Es hat mit ihm eine eigene Bewandtniß. Er selbst ist der bescheidenste und bravste Mann, der mir je vorgekommen, er ist hier aus einer Ecke der Provinz, aus Ostrau, der Sohn eines verstorbenen Beamten. Aber es schwebt ein Geheimniß über ihm, von dem er selbst noch nichts weiß.«

»Aber, Herr von Fink,« versuchte die Dame wieder einzufallen.

Fink sah eifrig nach den Schnörkeln der Decke und fuhr fort: »Er ist bereits in diesem Augenblick Eigenthümer eines Landgebietes in Amerika, die Besitzurkunde ist durch meine Hände gegangen, und im Vertrauen, er selbst hat keine Ahnung von diesem Besitz, und die Sache soll ihm auch vorläufig ein tiefes Geheimniß bleiben. Wie ich glaube, hat er alle Aussicht, in Zukunft mehr als Millionen zu besitzen. — Haben Sie den verstorbenen Großfürsten, hier nebenbei, gekannt?« Fink wies mit der Hand bedeutsam nach irgend einer Himmelsgegend.

»Nein,« sagte die gnädige Frau neugierig.

»Es giebt Leute,« fuhr Fink fort, »welche behaupten, daß Anton ihm sprechend ähnlich sieht. Was ich Ihnen sage, ist übrigens mein Geheimniß, mein Freund selbst lebt in vollständiger Unkenntniß aller dieser Beziehungen, durch welche möglicher Weise seine Zukunft bestimmt werden kann. Bekannt ist nur der Umstand, daß der verstorbene Kaiser bei seiner letzten Reise durch diese Provinz in Ostrau angehalten und sich längere Zeit mit dem Geistlichen des Ortes leise und angelegentlich unterhalten hat.«

Diese letzte Mittheilung war in der Hauptsache richtig, denn Anton hatte dasselbe vor einiger Zeit dem Jokei erzählt, wie man eine Erinnerung aus der Kinderzeit zu erwähnen pflegt. Er hatte sogar noch zugesetzt, daß der Geistliche seiner Heimath in dem letzten großen Krieg Feldprediger gewesen war, und daß der Kaiser ihn gefragt: »Sie haben gedient?« und eine Weile darauf: »Bei welchem Corps?«

Fink hatte nicht für nöthig gefunden, das kleine Ereigniß [S. 169] so ausführlich darzustellen. Frau von Baldereck aber war durch diese perfiden Andeutungen in eine gewisse neugierige Stimmung gebracht, sie erklärte sich bereit, Herrn Wohlfart in ihrem Hause zu empfangen.

»Und jetzt noch eine Bitte,« sagte Fink sich erhebend: »Was ich Ihnen über meinen Freund mitgetheilt habe, gütige Fee« — die Fee wog über sieben Stein — »das lassen Sie ein Geheimniß zwischen uns Beiden sein. Ihrem Zartgefühl durfte ich anvertrauen, was ich in jedem fremden Mund als eine Indiscretion gegen mich und Herrn Wohlfart ahnden müßte.« Er sprach den Namen so ironisch aus, daß die Dame fest überzeugt war, der geheimnißvolle, in einem Comtoir verpuppte Herr werde nächstens als Prinz der Aleuten und Kurilen oder in irgend einer andern unerhörten Würde auftreten.

»Wie aber soll ich,« frug sie beim Abschied, »den Herrn bei unsern Bekannten einführen?«

»Nur als meinen besten Freund, ich bürge in jeder Hinsicht für ihn und habe die Ueberzeugung, daß unser Kreis sich selbst den größten Gefallen thut, wenn er den Herrn mit Zuvorkommenheit aufnimmt.«

Als Fink auf der Straße war, murmelte er respectwidrig: »Diese alte Person fuhr wie eine Ente nach dem Köder und tauchte bis zum Steiß in meine Lügen unter. Als ehrlicher Leute Kind wäre der arme Junge von ihnen über die Achseln angesehen worden. Jetzt glauben sie zu wissen, daß irgend ein fremder Potentat, vor dem zu kriechen sie für eine Ehre halten, an dem Jungen Antheil nimmt. Jetzt werden sie ihn mit einer Artigkeit behandeln, die meinen Kleinen bezaubern wird. Ich hätte nicht gedacht, daß das alte Sandloch am Strande von Long-Island und die verfallene Vogelhütte darin mir je in meinem Leben zu einem solchen Spaß verhelfen würden.«

Der Same, welchen Fink ausgestreut hatte, war auf empfänglichen Boden gefallen. Frau von Baldereck hatte als kluge Frau bei der Tanzstunde auch ihre kleinen Privatinteressen [S. 170] im Auge. Sie war doch einmal vor Allem Mutter und hatte es in der That auf niemand Geringeren, als Herrn von Fink selbst abgesehen. Ihre Tochter war fünfzehn Jahr alt, und Fink besaß alle Eigenschaften, welche ihr an dem künftigen Gemahl ihrer Tochter wünschenswerth erscheinen mußten; er war eine in jeder Hinsicht ungewöhnliche Partie, und sie war deßhalb überzeugt, daß er ihre Tochter glücklich machen würde. Aus langer Erfahrung wußte sie, daß solche Privattanzstunden ein vortreffliches Mittel sind, erfahrenen, etwas blasirten Herren sehr junge Damen im besten Licht zu zeigen; die Hauptschwierigkeit dabei ist nur, diese Art Herren überhaupt zur Theilnahme an solchen Vergnügungen heranzuziehen. Sie hatte eine durchaus nicht unnatürliche Angst, daß Fink für die Tanzstunde kein Herz haben würde. Zu ihrer Ueberraschung hatte er sich mit ziemlicher Wärme bereit erklärt, einen ganzen Winter lang in ihrem Hause zu walzen, ja er hatte sogar zur Bedingung gemacht, daß Fräulein Eugenie ihn zum bevorzugten Tänzer im Voraus annehmen solle. Und deßhalb hatte die triumphirende Mutter sich gerade so sorgfältig mit dem Schnitt der Tanzkleider beschäftigt, als Fink seinen Schützling Anton bei ihr empfahl. Vielleicht hätte sie auch ohne seine ungewöhnliche Empfehlung ein Opfer gebracht und das Geschöpf des Comtoirs in ihrer Tanzstunde zu verantworten gesucht, indeß waren ihr die Andeutungen des Schelms doch sehr willkommen. Wahrscheinlich hatte sie selbst einige Zweifel über die abenteuerlichen Verhältnisse, denn Finks Weise war so, daß man ihm niemals recht trauen konnte; aber ihre Mutterliebe trieb sie, auch auf das Dunkle und Ungenügende Gewicht zu legen. Sie eilte in die befreundeten Familien, den Gewinn an Herren mitzutheilen und Herrn Wohlfart durch einige geheimnißvolle Andeutungen auszuschmücken. Als das Wenige, was sie sagen konnte, auf einmal von anderer Seite durch eben so geheimnißvolle Andeutungen zweier Herren von Charakter Bestätigung erhielt, wurde sie selbst in dem Glauben fest, daß hier ein ungewöhnlicher Fall vorliege. Nach [S. 171] wenig Tagen ging ein Summen durch die gute Gesellschaft, daß in der Tanzstunde ein bürgerlicher Herr von ungeheurem Vermögen auftreten werde, für den der Kaiser von Rußland in Amerika unermeßliche Besitzungen gekauft habe.


Einige Tage darauf wurde Anton durch Fink in das Haus der gnädigen Frau geführt, im neuen Frack, in regelrechten Glacéhandschuhen, ein Opferlamm finsterer Mächte, welche im Begriff waren, den Frieden seines Innern zu zerstören. Sie lauerten in dem Hause der gnädigen Frau und schnürten dem eintretenden Anton schon im Hausthor die Brust zusammen. Sie saßen auf der viereckigen Laterne, welche am Gewölbe des Hausflurs baumelte, sie hingen mit ausgebreiteten Händen an dem Holzgeländer der Treppe und steckten durch die großen Bogenlöcher des Geländers ihre Geisterzungen mit höhnischem Lachen gegen ihn aus. Fink sah mit unwilligem Blick, wie sein Opfer den röthlichen Schimmer der Beklommenheit erhielt, er raunte ihm noch zu: »Unterstehe dich nicht, vor diesem Volke roth zu werden,« warf dem Diener herablassend seinen Ueberrock zu und führte den Freund unter die Augen der gnädigen Frau. Diese war wirklich, wie Fink prophezeit hatte, eitel Zuvorkommenheit. Mit Neugierde und einem gewissen menschlichen Antheil sah sie auf den hübschen schüchternen Jungen, der mit seinem treuherzigen Gesicht vor ihr stand und vollständig geneigt schien, ihre Macht auf sich wirken zu lassen.

Anton sagte ihr mit einer tiefen Verbeugung: »Nur die Versicherung meines Freundes, daß Sie, gnädige Frau, mir nicht zürnen werden, hat mir den Muth gegeben, Ihnen persönlich meine Ehrfurcht zu bezeigen.« Und die Dame lächelte holdselig, oder wie der Unhold Fink diese Thatsache auffaßte, sie grinste, und entgegnete: »Herr von Fink hat mir die Hoffnung gemacht, daß Sie diesen Winter ein regelmäßiger Gast bei unsern kleinen Tanzübungen sein werden.«

[S. 172]

Darauf konnte sich Anton nicht enthalten, zu erröthen, sehr glücklich auszusehen und zu versichern: »Ich würde mit Vergnügen theilnehmen, wenn ich die Meinung haben könnte, in der fremden Gesellschaft nicht lästig zu werden.«

Nachdem dies mit Eifer verneint worden war, trat Fräulein Eugenie herein, Anton wurde auch dieser vorgestellt, erhielt einen so schnippischen Knix, als fünfzehnjährige Damen fremden Herren zu machen pflegen, und stieg nach einer Viertelstunde, ganz entzückt über die Anmuth der Familie, mit seinem Mentor Fink die Treppe herab. Der unschuldige Junge hing sich vergnügt an den Arm des Freundes und versicherte diesem auf der Straße ernsthaft: »Ich habe mir nicht vorgestellt, daß es so leicht ist, mit eleganten Leuten zu verkehren.«

Fink brummte etwas in sich hinein, was ebenso gut eine Bestätigung dieser Ansicht als das Gegentheil ausdrücken konnte, und sagte: »Im Ganzen bin ich mit dir zufrieden. Du hast trotz deines neuen Fracks dagesessen, wie ein nackter kleiner Engel in einem durchsichtigen Battistkleide. Indessen das nackte Wesen steht dir nicht ganz schlecht. Nur das verfluchte Erröthen wirst du dir diesen Winter abgewöhnen müssen, bei einer schwarzen Cravatte ist es bekanntlich allenfalls noch zu ertragen, aber über einer weißen Halsbinde sieht es abscheulich aus. Du siehst dann aus, wie ein apoplektischer Amor.«

Frau von Baldereck dagegen fand von ihrem Standpunkt die Anspruchslosigkeit des geheimnißvollen Jünglings wahrhaft rührend, und als ihre Tochter mit Bestimmtheit aussprach: »Fink ist ein ganz anderer Mann und gefällt mir viel besser,« da schüttelte sie den Kopf und sagte lächelnd: »Das verstehst du nicht, mein Kind, es ist ein Adel und eine natürliche Grazie in den Bewegungen des Fremden, ein gewisser Charme, der ganz bezaubernd ist.«


Der große Tag, an welchem die Tanzstunde feierlich eröffnet werden sollte, war gekommen. Hastig kleidete sich Anton [S. 173] nach dem Schluß des Comtoirs an und trat in Finks Zimmer, diesen abzuholen. Der Mentor untersuchte mit prüfendem Blick den Anzug des Novizen. »Zeige dein Taschentuch,« sagte er. »Bunte Seide? Schäm' dich. Hier ist eines von meinen. Gieß dir etwas Parfüm darauf. Wo sind deine Handschuhe?«

Mit solchen Lehren führte er den Freund vor das erleuchtete Haus der Baronin.

Als Anton die Treppe des Hinterhauses hinabschritt, öffnete sich die Thür von Jordans Zimmer, und Herr Specht steckte seinen Kopf am Ende eines langen Halses über die Treppe und sandte dem Collegen seinen neugierigsten Blick nach.

»Er geht,« rief er in die Stube zurück, »es ist unerhört. So etwas hat sich noch nicht ereignet, so lange die Welt steht. Es sind lauter Adlige dort. Das wird eine schöne Geschichte werden.«

»Zuletzt, warum soll er nicht gehen, wenn sie ihn einladen?« sprach der gutmüthige Herr Jordan, um den stummen Vorwürfen der Collegen zu begegnen. Keiner wußte etwas dagegen zu sagen, nur Herr Pix rief ärgerlich vom Sopha: »Mir aber gefällt's nicht, daß er eine solche Einladung annimmt. Er gehört in das Comtoir und zu uns. Etwas Gutes wird er unter den Schwadronirern nicht lernen. Fensterglas in's Auge kneifen und Süßholz raspeln, und das wird noch nicht das Schlechteste sein.«

»Es soll merkwürdig bei diesen Tanzgesellschaften zugehen,« rief Specht. »Aeußerst frivol, Liebesgeschichten und Duelle jeden Tag. Aber Wohlfart hat immer einen Tik auf solche Dinge gehabt. Nächstens wird er an einem Morgen mit seinen Pistolen unterm Arm ausgehen, und wie er zurückkommen wird, das will ich gar nicht sagen. Auf seinen Füßen nicht, das ist sicher.«

»Unsinn,« erwiederte Pix ärgerlich, »es giebt dort nicht mehr Händel, als bei andern Leuten.«

[S. 174]

»Und französisch muß er sprechen,« fuhr Specht unaufhaltsam fort.

»Warum nicht russisch?« rief Herr Pix.

Hier geriethen Herr Pix und Herr Specht in einen Streit über die Sprache, durch welche man sich im Salon der Frau von Baldereck verständlich mache. Aber alle Collegen waren darin einig, daß dieser Besuch der Tanzstunde für Wohlfart ein äußerst gewagter und verhängnißvoller Schritt sei, der unaussprechliches Unheil bereite und die gesammte menschliche Ordnung störe.


»Er ist gegangen,« rief die Tante, von einer Conferenz mit dem Bedienten zurückkehrend.

»Das ist wieder ein Streich seines Freundes Fink,« sagte der Prinzipal.

Sabine sah auf ihre Arbeit nieder. »Mich freut's,« sagte sie endlich, »daß Fink seinen Einfluß dazu benutzt, dem Freunde ein Vergnügen zu machen. Er selbst tanzt nicht gern, und ihm persönlich ist dies Kränzchen gewiß eher ein Opfer, als eine Freude.« Der Bruder sah die Schwester prüfend an, sie nickte ihm leise zu. »Und wie gönne ich's Wohlfart, daß er unter Menschen kommt! Er ist am meisten von allen Herren zu Haus. Fast jeden Abend, wenn ich zu Bette gehe, sehe ich bei ihm die Lampe brennen. Die Andern haben Verwandte oder gute Freunde von früher her, er ist ganz allein, er hat nichts, als was dieses Haus einschließt. Es ist hart, das ganze Jahr so zu leben.«

»Er hat sich bis jetzt brav gehalten,« sagte der Prinzipal, »wollen sehen, ob das Dauer hat.«

»Aber wie war es möglich, daß er in diese Gesellschaft —« rief die Tante. »Bedenkt doch, diese Frau von Baldereck —«

Sabine tippte mit dem Fingerhut auf die Tischplatte. »Fink hat's ihnen befohlen,« sagte sie, »und das war hübsch von ihm. Und zum Dank dafür soll er morgen trotz [S. 175] dem ernsten Gesicht meines Chefs sein Lieblingsgericht erhalten.«

»Also Schinken mit Burgundersauce,« rief die Tante. »Aber ich bitte dich, wie wird sich Wohlfart unter diesen Uniformen ausnehmen? Und wie wird er mit diesen Lebemännern fertig werden? Er kann's ihnen nicht gleich thun. Dazu gehört doch wenigstens Geld.«

»Dafür laß ihn sorgen,« erwiederte Sabine fröhlich. »Um den grämen wir uns nicht.«


»Er ist gegangen,« sagte Karl am Abend zu seinem Vater. »Kleine lackirte Glanzstiefeln, ich habe sie geholt. Herr von Fink verbot ihm, Schuhe anzuziehen. Und ein neuer Hut, Alles vom Kopf bis zu Füßen neu. So also sieht man aus, wenn man bei vornehmen Leuten tanzen will.«

»Du möchtest wohl auch tanzen gehen?« frug der Vater.

»Nein,« erwiederte Karl, »aber ich möchte sehen, wie sie's auf einem Balle machen.«

»Sieh in den blauen Mond nebenan, da kannst du es alle Sonntage sehen; es ist bei den Vornehmen auch nicht anders, nur daß sie einander etwas behutsamer anfassen, und außerdem mit Handschuhen.«

»Na, morgen wird's einen guten Staub in den Kleidern geben,« sagte Karl.

»Es ist ein staubiges Vergnügen,« bestätigte der Riese. »Es besteht im Umwenden, es besteht im Springen, man dreht sich zuerst auf die eine Seite und hernach auf die andere. Man versucht sich selber von der Erde zu heben, was immer unmöglich ist. Man wird heiß, man trinkt ein Glas oder auch mehrere und zuletzt wird eine Kußpolonaise getanzt. Wenn man heirathen will, ist das Ding nothwendig. So weit bist du noch nicht, bis dahin hat's noch manches Jahr Zeit.«

»Aber Herr Wohlfart ist auch noch nicht so weit,« erwiederte Karl. »Das wäre eine schöne Geschichte, wenn der [S. 176] jetzt ein Fräulein heirathete mit zwei Schimmeln und versilbertem Pferdegeschirr.«

»Ja, da wird wohl nichts helfen,« sagte der Vater kopfschüttelnd, »mit Tanzen fängt's an, mit der Hochzeit hört's auf. Es ist mir auch so gegangen.«

»Dich hätte ich auch sehen mögen,« rief Karl.

»Oho,« rief der Riese, »ich habe zu meiner Zeit getanzt wie ein Kreisel, Walzer, Hopswalzer, russischen Walzer und im Großvatertanz hatte ich nicht meines Gleichen.«

Karl sah den Vater mißtrauisch an. »Ja,« fuhr der Riese vergnügt in der Erinnerung fort, »wenn der Fußboden fest ist und gute Kameraden dabei, so lasse ich mir die Arbeit schon gefallen. — Es war großer Ball im Bürgerverein, ich war geladen, der Wilhelm mit, welcher damals noch ein schmächtiger Junge war. Ich gedenke es wie heute, ich hatte einen blauen Rock an mit blanken Knöpfen und stand mitten im Saal und sah auf die Gesellschaft, die sich um mich herumdrehte. Da fiel mir deine Mutter in die Augen, ach, ein niedliches Ding, wie eine Puppe saß sie da; neben ihr saß ihr Vater als Schlossermeister. »Guten Abend, Hans,« rief der Schlosser mich an, »bist du auch da?«

»Ich sollt's denken, Gevatter,« sagte ich und trat näher, und je mehr ich mir die Puppe besah, desto besser gefiel sie mir. »Dies ist meine Tochter,« sagte der Schlosser, »du kennst wohl das Mädel gar nicht mehr? Sie ist zwei Jahre auf dem Lande bei der Muhme gewesen.« »Wie sie hübsch geworden ist!« sagte ich, »sie ist rund und sie ist nett, wie gedrechselt.« Die Kleine wurde roth, und auch ich wurde feurig. »Na,« sagte der Schlosser, »wenn du mit ihr tanzen willst, immerzu! Greif sie nur nicht zu hart an.« »Nur zart,« sagte ich und führte sie zum Tanz. Wir mochten wohl contrair ausgesehen haben, das kleine Blitzmädel und ich, und ich glaube, die Leute lachten.

»Das hättest du nicht leiden sollen,« rief Karl, der sich ihm gegenübergesetzt und die Arme untergeschlagen hatte.

[S. 177]

»Es war nicht böse gemeint,« sagte der Alte, »und deine Mutter gestand mir nach den ersten Tänzen, sie mache sich nichts daraus, wenn auch die Leute lachten. Ja, und sie sagte, es tanze sich gut mit mir. Natürlich tanzte ich den ganzen Abend mit ihr, nun erst recht. Und beim letzten Tanz gab es ihretwillen noch einen Handel mit dem Wilhelm, denn wie er sah, daß ich mit ihr tanzte, wollte er auch mit ihr tanzen, und wie er merkte, daß ich ihr den Hof machte und mich um sie herumdrehte und mir in die Haare fuhr und draußen vor dem Saale beim Blumenmädchen einen Strauß für sie kaufte und einen für mich, da kaufte er auch zwei Sträuße und drehte sich um sie herum wie ein Finkenhahn, bis ich ihn zuletzt bei Seite zog und ihm sagte: »Siehst du, Wilhelm, bei jedem Wagen, und bei jedem Faß, und bei jedem Collo sollst du deine Hand haben, wo ich meine habe, aber hier bei dieser Schlosserstochter nicht rühran!« »Warum nicht?« frug er. »Warum,« sagte ich, »weil wir Freunde sind, Wilhelm, und ich dir keinen Puffer geben möchte, und ich dich nicht abwalken möchte vor den Leuten.« »Weißt du was,« sagte er, »du bist schalu.« Da merkte ich, wie ich daran war. Seit dem Tage war ich verliebt. Auch du wirst merken, wie das thut. Es macht unruhig, und es bringt in Unordnung, und es macht hitzig, und man fängt an zu singen, man schreibt Briefe und kauft sich einen neuen Rock. So treibt's Jeder, und so habe ich's gemacht. Durch sechs Wochen, dann war die Hochzeit. Und dein Großvater bestand darauf, daß alle Auflader dazu geladen wurden. Und beim Polterabend tanzten wir Auflader mit einander eine Kegelquadrille, und ich war der erste Kegel. Das Haus erschütterte sich wohl, aber es ist kein Unglück geschehen, nur der Kronleuchter wurde zerbrochen.

»Potz Wunder!« rief Karl, »das hätte ich sehen mögen; schade, daß ich nicht dabei war!«

»Du ungezogener Knirps,« sagte der Vater, »wie konntest du dabei sein, an dich war damals noch gar nicht zu denken. Natürlich nicht, es war ja erst die Vorbereitung.«

[S. 178]

»Wenn Wohlfart nur nicht zu spät nach Hause kommt, das kann Herr Schröter nicht leiden,« sagte Karl.


Unterdeß öffnete der Bediente die Flügelthüren zum Salon der Frau von Baldereck, und Fink und Anton betraten eine Reihe erleuchteter Zimmer, in denen sich eine große Anzahl eleganter Damen und Herren Thee trinkend, schwirrend und mit den Flügeln schlagend durcheinander bewegte. Die Mütter und Verwandten der jungen Damen waren geladen, um der Eröffnung der Tanzstunde beizuwohnen. Fink raunte dem Freunde noch in's Ohr: »Sei nur so unverschämt, als du kannst, es ist Alles dummes Zeug,« — und führte den Widerstandslosen vor das Angesicht der Frau vom Hause.

Anton wurde huldreich empfangen, machte seine Verbeugung und sah in seiner Angst nicht, daß die Blicke des Kreises, in den er getreten war, sich mit wahrhaft unverschämter Neugierde auf ihn hefteten. »Ich werde Sie der Gräfin Pontak vorstellen,« sagte seine gütige Patronin und führte den Schützling, der tief Athem holte, vor die Füße einer hagern langen Frau von unbestimmtem Alter, welche auf einem erhöhten Platz, von Damen und Herren umgeben, thronte. »Liebe Betty, hier Herr Wohlfart.« Anton sah in dieser Angststunde, daß die liebe Betty eine lange pergamentene Nase, wenig Lippen und ein recht hartes abstoßendes Gesicht besaß, er fühlte zwei stechende Blicke an seinem Gesicht herumpicken und senkte sein Haupt halb zum Gruß, halb mit der Ergebenheit eines Kriegsgefangenen. Die Gräfin saß kerzengerade bei seiner Verbeugung und frug von ihrer Höhe mit gleichgültiger Stimme: »Sie sind ein Freund des Herrn von Fink?«

»Zu Befehl, Frau Gräfin,« antwortete Anton.

»Und Sie leben noch nicht lange hier in der Stadt?« Jedes Gespräch in der Nähe hörte auf, mehr als zwanzig Augen stachen den armen Anton.

»Doch schon einige Jahre,« antwortete Anton wieder.

[S. 179]

»Sie sind ja wohl ein Ausländer?« fuhr Betty in gemüthvoller Conversation fort.

»Ich bin in dieser Provinz geboren und erzogen,« antwortete Anton.

Ein »So?« kam eisig von den Lippen der Dame. »Und woher?«

»Aus Ostrau,« erwiederte Anton schnell das Haupt erhebend. Das Verhör wurde ihm drückend, er wußte selbst nicht, weshalb, und seine Schüchternheit verflog vor dem aufsteigenden Aerger.

»Mein Freund, stolze Herrin, ist ein halber Slave,« sagte Fink, zur rechten Zeit dazwischen tretend, »obgleich er leidenschaftlich dagegen protestirt, wenn man an seiner deutschen Herkunft zweifelt. Dafür macht er Hoffnung, dereinst ein guter Engländer zu werden. In diesem Augenblick theilt er meinen Wunsch, Gnade vor Ihren Augen zu finden. Ich empfehle ihn Ihrer Huld; Sie haben so eben eine Probe von Ihrem Talent gegeben, fremder Menschen Natur zu erforschen; gönnen Sie jetzt meinem Freunde, was wir Alle an Ihnen bewundern, Ihre sanfte Nachsicht mit fremder Unvollkommenheit.« — Die Frauen lächelten, einige der Herren wendeten sich ab, um ihr Lachen zu verbergen, und Betty saß mit gesträubten Federn da, wie ein Raubvogel, dem ein größerer seine Beute abgejagt hat.

Anton eilte, sich dem Blick dieser Gruppe zu entziehen, er schlüpfte in eine andere Ecke und gedachte sich durch ruhiges Beobachten der Gesellschaft von der Anstrengung seiner Präsentation zu erholen. Da schlug ein Battisttuch leicht an seinen Arm und eine dreiste Mädchenstimme frug: »Herr Wohlfart, kennen Sie Ihre alten Freunde nicht mehr? Es ist das zweite Mal, daß ich Sie zuerst grüßen muß.«

Anton wandte sich schnell zur Seite. Vor ihm stand eine hohe schlanke Gestalt mit blondem Haar und großen tiefblauen Augen, welche ihm lächelnd in's Gesicht sah. So sprechend war der Ausdruck des Entzückens auf Antons Antlitz, daß [S. 180] Lenore sich nicht enthalten konnte, ihm freundlich zuzunicken und zu sagen: »Ich freue mich, daß Sie hier sind. Die Herren sind mir alle fremde Gesichter. Aber wie kommen Sie hierher?«

Anton erklärte das in einer Stimmung, welche ihn fast der Herrschaft über seine Worte beraubte, verloren im Anblick des Fräuleins, welches jahrelang, ohne es zu wissen, in seiner Dachstube unumschränkt geherrscht hatte. Wie war sie in der letzten Zeit groß, voll und schön geworden! Und das luftige weiße Kleid und der Blumenkranz von nie dagewesenen Blumen im Haar! Mächtig glänzte das Auge in dem entzückenden Gesicht, und ihre Haltung war die einer Fürstin.

Schnell waren Beide in eifrigem Gespräch, es war zum dritten Mal, daß sie einander sahen, aber sie hatten so viel zu erzählen, als hätten sie Jahre gemeinsam verlebt.

»Wir werden heute Alle durcheinander tanzen und uns um unsern Tanzmeister gar nicht kümmern,« sagte endlich das Fräulein. »So ist mir's am liebsten. — Sie dürfen jetzt nicht länger mit mir allein sprechen, unterhalten Sie sich mit andern Damen. Ich gehe zu meiner Mutter. Wenn die Musik anfängt, kommen Sie zu mir, ich werde Sie der Mama vorstellen.«

So winkte sie ihm gnädig zu und schritt majestätisch durch den Saal in einen Kreis von Frauen.

Jetzt war Anton gefeit gegen alle Schrecken der Gesellschaft, seine Befangenheit war verschwunden, eine angenehme Begeisterung erfüllte ihn. Was konnten ihm doch diese hell gekleideten, buntgebänderten Gestalten sein, welche um ihn hüpften, oder fest gewurzelt standen? Sie waren ihm gleichgültig, wie eine Schaar kleiner Vögel, oder wie die Pflanzen auf der Wiese. Er suchte schnell Fink auf und ließ sich von ihm einem Dutzend Herren vorstellen, ohne irgend einen Namen der Vorgestellten zu behalten. Darauf bat er Fink sofort, ihn zu einzelnen der jungen Damen zu führen.

»Hast du mit der Tochter vom Hause gesprochen?« frug Fink.

[S. 181]

»Nein,« sagte Anton lustig.

»Schnell hin, Unseliger,« ermahnte Fink, »mache dich gefaßt auf schlechte Behandlung.«

»Ist mir ganz gleichgültig,« sprach Anton, den Arm seines Freundes drückend, diesem in's Ohr, während er vor Fräulein Eugenie aufgestellt wurde.

Das Fräulein war so kalt gegen Anton, als sich nach der langen Vernachlässigung nur irgend erwarten ließ. Er hatte Mühe, einige kurze Antworten zu erlangen, und wurde durch den Anblick ihres Hinterzopfes beglückt, sobald Lieutnant von Zernitz an sie herantrat.

Auch diese Niederlage war ihm sehr gleichgültig. In seiner Nähe waltete Frau von Baldereck und beobachtete mit einem Auge die Gesellschaft, mit dem andern ihre Tochter und mit dem unnennbaren sechsten Sinn, welchen die Fledermäuse in so ausgezeichnetem Grade besitzen sollen, Herrn von Fink. Schnell trat Anton an sie heran und bat, ihn mit einem rosafarbenen Wesen, welches braunes Haar und silberne Kornähren zu tragen schien, bekannt zu machen.

»Sie meinen Comteß Lara?« frug die Dame vom Hause.

Natürlich verneigte sich Anton bejahend, Lara, Tara oder Gutgewicht war ihm in diesem Augenblick ganz gleichgültig. Die Comteß sah ihn befremdet an, er aber sprach mit gemüthlicher Wärme in sie hinein, von den Freuden der zu erwartenden Tanzstunde, von der allerliebsten Decoration des Salons, und wie schön man jetzt Säle auszuschmücken wisse, und von dem neuen Wintergarten in Paris, den er am Tage zuvor aus irgend einer Zeitung kennen gelernt hatte. Er schilderte ihr Springbrunnen und Glaskuppeln und vergoldete Gitter und künstliche Felsen mit tropischen Pflanzen und kleine Salamander, welche zur Freude des Publikums dazwischen umherschlüpfen, Alles mit einem Feuer, daß die kleine Dame in Rosa nach und nach aufthaute und endlich, als er bei den Eidechsen angekommen war, ebenfalls beweglich wurde und ihrerseits von zwei Feuermolchen erzählte, die sie einmal auf [S. 182] einem Stein gesehen, und von dem Entsetzen, das sie ihr eingejagt. Wenn sie Anton gesagt hätte, daß die beiden Molche mit untergeschlagenen Beinen auf dem Felsen gesessen und Bier aus einem Deckelglase getrunken hätten, so wäre ihm auch das als ein alltägliches Ereigniß aus dem Nachtgebiete der Natur erschienen. Da gerade, als Anton wieder den Uebergang machte vom Molch zu einer großen Ausstellung von Kürbissen, welche einige Wochen zuvor in der Stadt gewesen war, da dröhnte die Pauke, da schmetterte die Trompete, und das rosafarbene Kleid so wie die silbernen Aehren versanken vor seinen Augen in den Boden, er machte eine kurze Wendung und verließ das betroffene Fräulein, bevor er seine Rede geendet hatte.

Dort stand seine Königin im Gespräch mit ihrer Mutter, welche, jetzt kleiner als die hoch aufgeschossene Gestalt der Tochter, zu dieser aufsehen mußte. Der kriegerische Trotz Antons verschwand, als er vor die Baronin trat. Das waren die feinen Züge, das unaussprechlich vornehme Wesen, welches ihn einst so sehr in Erstaunen gesetzt hatte. Die letzte Vergangenheit hatte die Schönheit der Baronin nicht vermindert, und die Nähe, in welcher Anton sie jetzt betrachtete, erhöhte den Zauber, den ihre Erscheinung auf ihn ausübte. Die erfahrene Frau sah mit dem ersten Blick in Anton einen Neuling der Gesellschaft, seine Annäherung zeigte einen Ueberfluß von Hochachtung, und sein Hut, den er im Arme hielt, war von dem Druck wollig geworden und sah aus, wie mit einem Pudelfell überzogen.

»Dies ist Herr Wohlfart,« sagte Lenore mit einer empfehlenden Handbewegung, »hier ist der Herr, um dessen willen du mich schon einmal ausgescholten hast. Ja, mein Herr, ich habe damals, als ich Sie zuerst sah, von Mama Schelte bekommen, weil ich Sie so lange in unserm Garten aufgehalten hatte.«

»Das macht mich sehr unglücklich,« erwiederte Anton mit dem Ausdruck eines unsäglichen Leidens. »Ach, Sie können [S. 183] nicht ahnen, Frau Baronin, wie glücklich ich damals durch die Theilnahme des gnädigen Fräuleins geworden bin; ich ging zu fremden Menschen und in eine ungewisse Zukunft. Ihre freundlichen Worte haben mir Muth gegeben. Und oft sind sie mir seitdem in einsamen Stunden wieder in die Erinnerung gekommen, als eine gute Prophezeiung für meine Zukunft.«

»Sie wissen das so rührend zu sagen,« rief Lenore ihn unverwandt ansehend.

Die Baronin hörte verwundert den Erguß Antons und betrachtete den gefühlvollen Tänzer mit einer Neugierde, die nicht ohne leises Unbehagen war. Lenore aber unterbrach die beginnende Unterhaltung Antons mit ihrer Mutter, indem sie unruhig sagte: »Man tritt an, wir müssen zum Tanz.« Anton ergriff ihre Hand mit den Fingerspitzen und führte sie in den Kreis der tanzenden Paare.

»Er walzt erträglich, etwas spießbürgerlich, zu viel Zirkel, aber es ist Haltung darin,« brummte Fink.

»Ein distinguirtes Paar,« rief Frau von Baldereck in der Nähe der Baronin von Rothsattel, als Anton und Lenore vorbei walzten.

»Sie spricht zu viel mit ihm,« sagte Frau von Rothsattel zu ihrem Gemahl, welcher in diesem Augenblick zu ihr trat.

»Mit ihm?« frug der Freiherr, »wer ist der junge Mann? Ich habe das Gesicht noch nicht gesehen.«

»Er gehört zu den Poursuivants des Herrn von Fink, er ist nicht von Familie, er soll reiche Verwandte in Amerika oder Rußland haben. Mir gefällt das Entrée für Lenore nicht.«

»Nun,« erwiederte der Freiherr, »er hat das Aussehen eines frischen Jungen. Für dieses Kindervergnügen ist eine solche Gestalt immer noch besser, als die alten Knaben, die ich hier im Kreise sehe. Die Jüngeren amüsiren sich und ihre Tänzerinnen, während Benno Tönnchen sich nur belustigen wird, wenn er die Mädchen roth macht, oder ihnen das Rothwerden abgewöhnt. Lenore sieht recht gut aus. Ich gehe zu meinem Whist, laß mich rufen, wenn du den Wagen befiehlst.«

[S. 184]

Anton hörte nichts von Allem, was über ihn und seine Tänzerin gesprochen wurde, und wenn die Gesellschaft um ihn herum so laut gesummt hätte, wie die große Glocke am höchsten Kirchthurm der Stadt, er hätte nichts gehört. Der Erdball war für ihn sehr klein geworden, nicht größer als der Kreis, den er mit seiner Tänzerin durchmaß, was etwa noch außerhalb existirte, war Finsterniß, Oede, ein Nichts, nur was er im Arm halten durfte, das nahm alle seine Sinne gefangen. Das schöne blonde Haar, so nahe an seinem Haupt, daß er mit seinen Locken die ihren berühren konnte, ihr warmer Athem, der seine Wange streifte, der unsägliche Reiz des weißen Handschuhes, der ihre weiche Hand versteckte, das Parfüm ihres Taschentuches, die rothe Blüthe, welche vorn am Kleide befestigt war, das sah und empfand er, und sonst nichts. Wenn sie im Tanz sich vertrauend von seinem Arm umschlingen ließ, wenn sie ihn fröhlich ansah auch während des Tanzes, wenn er sie athemlos anhielt und sie sich langsam von seiner Hand löste, ein Armband zurecht rückte oder ihr allerliebstes Taschentuch einen Augenblick an den Mund hielt, wie reizend waren nicht alle ihre Bewegungen. Wie bezaubernd der freundliche Gruß ihrer Augen oder ihr leises Lächeln, wenn Anton etwas sagte, was ihr gefiel.

Und er hatte das Glück, ihr zu gefallen; sie sagte ihm, er spreche allerliebst und es höre sich ihm gut zu. Ach, was er plauderte, war gleichgültig, er hätte vielleicht nicht weniger Erfolg gehabt, wenn er von Neuseeländern oder dem Kaiser von Japan gesprochen hätte. Denn nicht was er erzählte, sondern wie er es sagte, die stille Huldigung seiner Augen, der bebende Ton seiner Stimme, das drang schmeichelnd in die Seele seiner Tänzerin.

Die Pauke schwieg, der Trompeter setzte sein Blech ab, der Erdball löste sich auf in ein lichtloses Chaos. »Schade!« rief Lenore, als die letzte Note verklungen war.

»Ich danke Ihnen für dieses Glück,« sagte Anton, als er das Fräulein an ihren Platz führte.

[S. 185]

Als er jetzt unter den fremden Menschen umhertrieb, wie ein steuerloses Schiff unter rauschenden Wellen, trat Fink zu ihm und sagte: »Höre, du Duckmäuser, entweder hast du süßen Wein getrunken, oder du bist ein heimlicher Intrigant. Woher kennst du die Rothsattel? du hast mir ja nie etwas von der Bekanntschaft gesagt. Sie ist eine hübsche Figur und ein classisches Gesicht. Hat sie denn auch Verstand?«

Anton hätte in diesem Augenblick seinem Freund erklären können, daß er ihn auf's Tiefste verachte. Eine solche Rohheit des Ausdrucks konnte nur aus einem ganz entmenschten Gemüth kommen.

»Verstand?« erwiederte er und sah Fink mit einem Blick tödtlicher Feindschaft an; »wer daran zweifeln kann, muß selbst sehr wenig besitzen.«

»Nun, nun,« sagte Fink erstaunt, »ich bin nicht in dieser trostlosen Lage. Ich finde das Mädchen, oder was ihrer würdiger sein wird, das junge Fräulein sehr einnehmend, ja, um in der Sprache eines gebildeten Menschen die Wahrheit zu sagen, ungewöhnlich liebenswürdig, und wenn ich nicht anderweitig kleine Verpflichtungen hätte, so weiß ich nicht, ob ich nicht genöthigt würde, das Fräulein, dessen Namen ich so eben auszusprechen wagte, für die Herrin meines Herzens zu erklären. So freilich darf ich sie nur von fern bewundern.«

Fink war doch nicht so schlecht. Er war in seinen Ausdrücken nicht immer gewählt, aber er hatte im Grunde ein sehr richtiges Gefühl und ein treues Gemüth. Deßhalb faßte Anton seinen Arm, drückte ihn kräftig und sagte: »Du hast Recht.«

»Wirklich?« fuhr Fink wieder in seiner gewöhnlichen Weise fort. »Na! du fängst gut an, ich will mich lieber mit einem Stück brennenden Schwefel in ein Pulverfaß setzen, als mit dir und deinem schüchternen Wesen. Uebrigens vergiß nicht, Fräulein Eugenie zum nächsten Tanz aufzufordern, du wirst einen Korb bekommen, denn sie ist bereits engagirt. Du hast dich bis jetzt gut gehalten, fahr' so fort, mein Sohn.«

[S. 186]

Und Anton fuhr fort, seinem Lehrer Ehre zu machen. Wohl war er berauscht, aber durch einen stärkern Trank, als süßen Wein. Die Musik, die Aufregung des Tanzes und das fröhliche Geschwirr um ihn herum steigerten seine Begeisterung, er fühlte sich den ganzen Abend sicher, ja übermüthig, und betrug sich, einige kleine Verstöße abgerechnet, wie Einer, der täglich von Wachskerzen und servirenden Dienern umgeben ist. Er wurde bemerkt, er machte als Fremder einiges Aufsehen. Dunkle Sagen von seinen geheimnißvollen Verbindungen flogen aus einer Ecke des Saals, wo Mütter prüfend und richtend zusammensaßen, bis in die andere. Es wurde unzweifelhaft, daß dies heitere und harmlose Sichgehenlassen die Folge eines ganz besondern Selbstgefühls war. Er erfuhr Zuvorkommenheit von den älteren Frauen, bald auch von einzelnen Herren.

Und endlich kam der Cotillon. O du längster und merkwürdigster aller Tänze! du halb Spiel und halb Tanz! reizend, wenn du die einzelnen Paare im Kreise umhertreibst, noch reizender, wenn du ihnen erlaubst, ungestört und ein wenig versteckt zu plaudern. Wir hören, daß du dem Geschlecht der Gegenwart für veraltet und spießbürgerlich giltst. Wankelmüthiges Jahrhundert! Wissenschaft und Staatskunst werden nichts Neues erfinden, was so vielfachen Bedürfnissen des Menschengeschlechts Genüge thut, als du. Da ist das kindliche Gemüth, es kann sich als Pyramide aufstellen, es kann sich in Schlangenwindungen umherdrehen, es kann hier und dort hinlaufen, alte Herren vom Spieltisch zu Extratouren holen, es kann auf dem Stuhle sitzend drei bis vier junge Damen verächtlich vor sich stehen lassen, es kann von Tanzlust ergriffen plötzlich aufspringen, irgend eine Dame ergreifen und im Kreise umhertanzen, und kein Mensch kann es ihm verwehren. Da sind höher strebende Naturen, welche Gefühle haben oder Ehrgeiz oder Bosheit und Menschenhaß; allen bist du gefällig. Du giebst jedem Herrn das Recht, sich mehr als einmal eine Tänzerin nach seinem Herzen zu suchen, du erlaubst jeder Dame, in der allerzartesten Weise anzudeuten, welche zwei oder drei [S. 187] Herren ihre höchste Achtung genießen, du vertheilst an strebsame Cavaliere Schleifen und Orden, du heftest massenhafte Blumensträuße vor die Brust der gefeierten Dame. Du läßt aber auch verschmähte Herren zähneknirschend umherlaufen und sich irgend eine Surrogattänzerin suchen; du offenbarst die Lieblinge der Gesellschaft, aber du machst den Unbekannten und Unbeliebten noch einsamer und verlassener. Wenn du beginnst, werden die Blicke der Mütter besorgt, die Nasen vieler Tanten spitz. Du kindischer, lustiger, endloser Tanz! wie viele Glückliche hast du gemacht, wie viele stille Thränen hast du verursacht, wie manches Brautpaar hast du zusammengeführt, und welche Qualen der Eifersucht hast du erregt! Freilich hast du auch endlosen Staub aufgerührt, zahllose Toiletten unscheinbar gemacht, und manche grimmige Feindschaft hervorgerufen. So bist du in deiner Blüthenzeit gewesen, die Freude der Jugend, die große Angelegenheit der Mütter, die Furcht der ermüdeten Väter, ein Greuel nur für die Musiker.

Als dieser vielseitige Tanz herankam, suchte Anton wieder in Lenorens Nähe zu kommen; er bat sie um den Tanz.

»Ich wußte, daß Sie mit mir tanzen würden,« sagte sie aufrichtig; er holte ihr einen Stuhl, schob sich neben sie und war selig. Und als er die Aufgabe hatte, in der Tour eine fremde Dame zu holen, dieser etwas zu schenken, was in einem Körbchen mitten im Kreise aufgestellt war, und darauf mit ihr zu tanzen, da gab er der Welt die energische Erklärung ab, daß für keine andere Dame die Möglichkeit irgend einer Stellung in seinem Herzen vorhanden sei; er holte sein Geschenk aus dem Korbe, wartete, bis seine Tänzerin auf ihren Platz zurückkam, und überreichte dann ihr die rothe Schleife. Das war für Beide der größte Augenblick in dem ganzen großen Abend.

Was darauf folgte, war nur undeutliches Traumgesicht. Er sah sich mit Fink Arm in Arm durch den Saal schlendern, er hörte sich mit ihm und andern Herren über Allerlei [S. 188] sprechen und lachen, er bemerkte sich vor der Dame vom Hause einen Dank murmeln und eine Verbeugung machen; es kam ihm vor, als ob ihm ein Diener den Paletot überreichte, worauf er in die Tasche griff und ihm etwas in die Hand drückte. Schattenhaft und unklar waren alle diese Begebenheiten. Nur Eins sah er noch deutlich, einen weißen Damenmantel mit einem seidenen Capuchon und einer Quaste daran, o diese Quaste, sie war unsäglich entzückend! Noch einmal fiel ein Blick aus den großen Augen voll und glänzend auf ihn, und er hörte von ihren Lippen noch ein leises Flüstern, wie »gute Nacht.« Das Uebrige war wieder ein nichtssagender Traum, daß er neben Fink die Treppe herunterstieg und die spöttischen Reden des Freundes nur mit halbem Ohr hörte, daß er in seiner kleinen Stube ankam, die Lampe anzündete und sich umsah, ob er auch wirklich hier wohne, und daß er sich langsam entkleidete, sich noch in seinem Bett wunderte, daß er all diese Herrlichkeit erlebt hatte, und endlich ermüdet einschlief. Und ein Traum war's, daß sein Hausgeist, die gelbe Katze, sich auf ihrem Postament hoch aufrichtete und den Kopf schüttelte über den langen Zug fremdartiger Bilder und Gefühle, welche in der friedlichen Stube eingekehrt waren.


II.

Seit diesem großen Abend hatte die Tanzstunde regelmäßigen Verlauf. Als Anton das Fegefeuer der Einführung bestanden hatte, fühlte er sich unter den Florkleidern, den vornehmen Namen und den Sophakissen mit gestickten Wappen bald heimisch. Er selbst wurde ein nützliches Mitglied des Kränzchens, und zwar durch die bürgerlichsten aller Tugenden, durch Ordnung und Pflichttreue. Und das ging so zu. Das Kränzchen war keine gewöhnliche Tanzstunde, denn bei sämmtlichen [S. 189] Theilnehmern wurden die ersten Anfänge der Kunst vorausgesetzt; es hatte vielmehr den Zweck, einige neue Tänze einzuüben und nebenbei eine Vereinigung der befreundeten Familien in bequemer Façon hervorzubringen. Nun ergab sich bald, daß die bequeme Façon allerdings nach Finks Herzen war, das Einstudiren neuer Tänze aber von ihm und mehreren seiner Kameraden mit einer sträflichen Lauheit betrieben wurde. Er kam oft gegen Ende der Tanzstunde, er betrachtete den Salon nur als eine Gelegenheit, die jüngeren Damen zu necken und sich mit den reiferen Schönheiten eine Stunde zu unterhalten; er vertrat zum Entsetzen des Tanzmeisters den Grundsatz, wo man im Tanz nicht mit dem gewöhnlichen Schritt fortkomme, sei das einfache Pas des Galopps für alle Fälle gut genug, und das einzige Vergnügen bei unsern Tänzen sei, regelmäßig aus dem Takt und wieder hineinzukommen. »Aber, Herr von Fink,« klagte der Tanzmeister, »das heißt nicht mehr tanzen; dabei ist keine Kunst.«

»Es soll auch keine dabei sein,« sagte Fink, »was hat die Kunst mit unserm Tanzen zu thun? Was Sie die Jugend lehren, ist weiter nichts als eine gesellschaftliche Rotation um einen imaginairen Mittelpunkt. Mir ist das langweilig, ich gehe deßhalb in Kometenbahn.« Und er blieb dieser Ansicht getreu, er zwang die unglücklichen Opfer, welche er zu engagiren sich herabließ, sich quer durch die Reihe der Tanzenden zu stürzen, aus einer Ecke des Saals in die andere, aus dem Takt, wieder in den Takt, wie es seiner Laune passend schien.

Gegenüber dieser excentrischen Auffassung, welche leider in dem Kränzchen zahlreiche Anhänger fand, zeigte Wohlfart die Regelmäßigkeit eines Mannes, der mit Entzücken seine Pflicht thut, er erschien pünktlich, er machte jedes Pas, er tanzte jeden Tanz, er war immer in guter Laune und fand eine Freude darin, vernachlässigte junge Damen zu engagiren. Da bei der Sorglosigkeit Finks und seiner Genossen schnell Mangel an Tänzern eintrat, wurde Anton in Kurzem eine anspruchslose Hauptstütze des Salons, Liebling des Tanzmeisters und ein [S. 190] Vertrauter der jungen Damen, durch welchen heimliche Wünsche von den hellen Rändern des Saals zu der dunklen Mitte getragen wurden. Er selbst war in diesen Stunden ein seliger Mann, und die freudige Verklärung, welche auf ihm lag, fiel jungen wie älteren Damen als etwas Ungewöhnliches auf. Die einen wurden in der Ueberzeugung bestärkt, daß er ein guter Junge sei, und die letzteren in der keineswegs entgegengesetzten Ueberzeugung, daß er ein unbekannter Prinz sei. Er selbst wußte am besten, warum er so glücklich war. Alle seine Gedanken und Bewegungen bezogen sich im Stillen auf sie, die unbestrittene Herrin seines Herzens. Alle andern Tänze und jede Unterhaltung mit einer Dritten betrachtete er nur als gesellschaftliche Schnörkel, die er mit der Feder seines Herzens um den einen Namen beschrieb. Und er diente nicht ohne Erhörung. Er wurde von ihr wie ein alter Freund unter Fremden behandelt. Sie bat ihn leise, einen oder den andern Tanz mit ihr zu tanzen, ja sie bat ihn sogar einmal, zu Gunsten eines neu angekommenen Vetters auf seine Rechte zu verzichten. Und sie freute sich, als Anton über dies Ereigniß grenzenlos betrübt war, keine andere Dame aufforderte, sondern still den Tanzenden zusah. Niemals entfernte er sich eher, bis sie den Saal verlassen hatte, dann stand er unweit der Thür, um noch die letzten Aufträge, einen Gruß, einen Blick ihres glänzenden Auges zu erhalten. Und auch ihr Auge flog, so oft sie in den Saal trat, suchend in den Kreis der schwarzröckigen Herren, bis sie Antons braunen Kopf erkannt hatte, dann erst fühlte sie sich heimisch in dem erleuchteten Raum.

Auch mit vielen der Herren kam Anton in ein freundliches Verhältniß. Fink beeilte sich, ihn bei Feroni einzuführen. Zwar gefiel ihm Manches an seinen neuen Bekannten nicht, ihre Urtheile waren zuweilen roher, als ihm behaglich war, und er hatte mehrere von ihnen bald in Verdacht, herzlich ungebildet zu sein. Aber ihre Art zu sprechen und sich zu geberden imponirte ihm doch, vor Allem eine gewisse ritterliche Atmosphäre, die sie umgab, etwas Salonduft, etwas Stallluft [S. 191] und viel von dem Aroma der Weinstube. Da Anton eine harmlose Laune bewies, der nächste Bekannte des mächtigen Fink war und zuweilen eigenen Willen zeigte, wenn er nach Mitternacht gegen eine vorgeschlagene letzte Flasche protestirte, oder die abwesenden Damen gegen eine übermüthige Kritik mit frommem Ernst vertheidigte, so erhielt er unter den andern Herren der Tanzstunde das Renommée eines guten Kerls.

Gleich in den ersten Wochen hatte Anton Gelegenheit, seine angebetete Tänzerin in einer Situation zu sehen, welche die gewaltigsten menschlichen Leidenschaften aufregte. Die jüngeren Damen des Kränzchens waren natürlich unter einander alle ein Herz und eine Seele, jedoch verstand sich von selbst, daß einige in der Stille andere nicht recht leiden konnten. So entstanden Parteien. Bald bildeten sich zwei große Bundesgenossenschaften, zwischen denen Einzelne hin und her schwankten, die aber im Ganzen fest zusammenhielten und im Geheimen starke Antipathien gegen die Gegenpartei nährten. Es kam so weit, daß an einem Abend sämmtliche Damen der einen Partei eine weiße Camellie in der Mitte ihres Ballstraußes trugen und ein sehr auffallendes hellbraunes Band von dem Strauß herunterhängen ließen; dies hatte zur nothwendigen Folge, daß die Gegenpartei am nächsten Abend mit rothen Camellien im Strauß erschien und ein grünes Band darum wand. An der Spitze der Braunen stand Lenore, das Haupt der Grünen war Eugenie, die Tochter des Hauses. Im Vertrauen gesagt, die Grünen waren unerträglich. Sie machten Ansprüche ohne Berechtigung, sie waren moquant, sie gaben sich das Air, älter zu sein, als die Braunen. Weil Hulda Werner und Mechthild Fiorelli den Winter zuvor in der Residenz gewesen waren und auf den Hofbällen getanzt hatten, und weil Fanny Mareschalk bei einem lebenden Bild die Genoveva dargestellt hatte, mit ihrem kleinen Bruder und einem Rehkalb zur Seite, die durch Bänder an die hölzerne Rasenbank festgebunden waren, deßhalb erhoben sie solche Ansprüche. Zu den Braunen gehörten Theone Lara und die reizende Hildegard Salt, zwei innige [S. 192] Freundinnen, die immer Arm in Arm gingen, gleiche Ballroben trugen, und im Anfange des Winters geschworen hatten, einander nie zu verlassen, ein Schwur, gegen dessen Erfüllung sich die einzige Schwierigkeit erhob, daß ihre Eltern den Sommer über in den beiden entgegengesetzten Ecken der Provinz wohnten. Beide waren schwärmerische Naturen, die alle Gefühle mit einander theilten, Beide sangen, Beide spielten den Flügel, Beide liebten dieselben Dichter, Beide hatten einen unüberwindlichen Abscheu vor Herren mit Kinnbärten, Beide saßen wie zwei Sympathievögel zusammen und fanden ihr höchstes Glück darin, einander die Gefühle in's Ohr zu flüstern, die ihnen das Benehmen eines Herrn erregte, oder das melancholische Vorspiel eines Walzers. Diese Beiden schlossen sich bald innig an Lenore Rothsattel; sie, Valeska Panin und Hortense Leloup bildeten den Mittelpunkt der braunen Partei; Lenorens stattliche Größe ragte aus dem Kreise dieser Getreuen hervor, wie die Gestalt eines Häuptlings unter seinen Kriegern. Wenn ein Tanz beendet war, machte sich's von selbst, daß die Braunen zusammentraten; wenn sie in der Quadrille gegen einander tanzten, so erhoben sie unmerklich ihren Strauß und grüßten einander.

Natürlich war Anton braun, braun vom Kopf bis zum Fuß, und als er über seine Gemüthsstimmung ein offenes Bekenntniß ablegte, indem er an einem Abend in braun und weiß gestreifter Ballweste erschien, wurde er in der ersten Tour des Cotillons von allen Damen der Partei auf Verabredung geholt, ein Ereigniß, welches sogar bei den Ehrendamen am Rande des Salons große Aufregung hervorbrachte. Es thut dem wahrhaftigen Geschichtschreiber leid, zu melden, daß Fink unter die Grünen gerechnet wurde, nicht unbedingt, denn er behandelte, wie die Braunen behaupteten, seine grünen Tänzerinnen sehr nachlässig, aber da Eugenie Baldereck seine Dienste vorzugsweise in Anspruch nahm, so war es, wie Anton entschuldigend sagte, seinem Freunde nicht möglich, sich dem Einfluß dieser Farbe ganz zu entziehen. Nun begab sich Folgendes:

[S. 193]

Theone Lara hatte ein Tagebuch, in das sie ihre Empfindungen mit einer schwarzen Krähenfeder durch winzig kleine Buchstaben einzeichnete. Außer der bereits früher erwähnten Geschichte von den zwei Molchen stand alles Andere darin, was ihr Herz jemals erregt hatte, ihre Ansichten über Natur, die Menschen und das Kränzchen. Es war ihr höchster Schatz. In einer himmlischen Stunde hatte sie Hildegard Salt in die Geheimnisse dieses Buches eingeweiht, Beide hatten einander geküßt und viel geweint und über diesem Buche ewige Freundschaft beschworen. Von da ab führten Beide das Tagebuch gemeinschaftlich. Ihre vertrautesten Gefühle, die allergeheimsten Bemerkungen waren darin aufgezeichnet. Nach einem Kränzchenabend, wo Lenore sehr nett gegen sie gewesen war, schlossen sie ihr Herz auch gegen diese auf und zeigten ihr wenigstens einige Blätter des Buchs. Seit der Zeit hatte auch Lenore zuweilen den Vorzug gehabt, etwas hineinzuschreiben. Da aber ihre Stärke nicht sowohl war, Gefühle aufzuzeichnen, als vielmehr Gesichter und lächerliche Männchen zu malen, so hatte sie einige Karrikaturen hineingesetzt, und Hildegard, welche Gedichte machen konnte, hatte zu jedem Bilde einige Zeilen gedichtet. In dieses theure Buch durfte kein fremdes Auge blicken, Niemand durfte das Heiligthum sehen und berühren. Theone trennte sich niemals davon. Am Tage und in der Nacht trug sie es bei sich. Bei Nacht lag es unter ihrem Kopfkissen, und während die Kammerjungfer sie anzog, steckte sie es heimlich oben in den Schnürleib hinein und trug es an ihrem warmen unschuldigen Herzen. Es war ein ganz kleines dünnes Buch in carmoisine Seide gebunden. Wenn Hildegard sie zärtlich ansah, oder Lenore sie mit dem Ballstrauß auf den Arm schlug, so deutete sie mit dem Finger heimlich auf ihre Brust. An diesem Abend hatte sie das Buch wieder an seine Stelle geschoben, während der ersten Tänze hatte sie es deutlich gefühlt. Nach einer Quadrille fühlte sie danach, das Buch war verschwunden.

Es war verschwunden, es war nicht mehr an ihr, es mußte während des Tanzes hinausgesprungen oder hinabgeglitten sein [S. 194] bis auf den Fußboden. Wie so etwas möglich war, ist ihr selbst und allen Betheiligten ewig ein finsteres Räthsel geblieben. — Sie war einer Ohnmacht nahe; kaum vermochte sie Hildegard bei Seite zu ziehen und ihr das Schreckliche zu klagen. Hildegard rief Lenoren, vernichtet standen die Drei neben einander. Das Bundesheiligthum war verloren, es war in fremde Hände gefallen, ja entsetzlich zu denken, vielleicht sogar in die Hände der Grünen. Auf jeder der letzten Seiten waren schelmische Bemerkungen, sämmtliche Herren waren darin aufgeführt, mit fremden Namen zwar, Fink hieß Zeisig, Tönnchen Nußknacker, aber wer konnte dafür stehen, daß sie nicht diese Chiffresprache herausbrachten? Und was mußte dann geschehen! Es war Untergang! Ruin der Tanzstunde, Familienzwist, Auflösung aller menschlichen Bande. Theone saß verstört, sie dachte einen Augenblick an Gift, dann wieder an Flucht, weit hinweg aus allen Ländern, in denen man tanzte. Lenore faßte sich zuerst. »Laß uns suchen,« rief sie, Hildegard am Arme fassend, »vielleicht liegt's noch irgendwo im Saale. Ich sehe nach der Mitte, den Herren unter die Füße, du unter die Sitze der Damen.«

So zogen sie mit einander durch den Saal, äußerlich lustwandelnd, in dem Herzen die Hölle, scheinbar mit einander plaudernd, innerlich weinend. Zuweilen redete ein langweiliger Herr sie an und zwang sie, still zu stehen und zu antworten, während die fliegende Angst in ihrem Haupte umherraste: »jetzt vielleicht findet's ein Anderer.« Sie kamen durch die Gruppe der Grünen, wo sie nach allen Seiten anhalten mußten, um zu lächeln und Freundliches zu sagen, sie kamen zu Eugenie Baldereck, die sie frug, ob es nicht zweckmäßig sei, noch einen Tanz anzuhängen, während sie daran denken mußten, daß in dem Buch ein unverkennbares Portrait zu sehen war mit der Unterschrift: »Naseweis, gefühllos, keck ist E...... B.......;« sie kamen, wehe, wehe! sogar in Finks Nähe, von dem eine schreckliche Zeichnung war, wie er mit Herrn von Tönnchen in einem Rebenstock saß, mit der Unterschrift:

[S. 195]

Ein Zeisig und Nußknacker tranken sich voll,
Der Zeisig sang: mein Schnabel ist spitz,
Grün sind meine Federn und grün mein Witz:
Der Nußknacker seufzte: ich bin so hohl,
Ich weiß nicht, was das bedeuten soll.

So zogen sie zwei Mal durch den Saal; ein drittes Mal wagten sie's nicht mehr, sie hatten nichts gefunden. Trostlos kamen sie zu Theone zurück.

»Es giebt nur ein Mittel,« rief Lenore. »Wo ist Herr Wohlfart?«

Hildegard hielt sie zurück. »Du willst doch nicht einem Herrn —«

»Ich übernehme die Bürgschaft,« sagte Lenore stolz; »er ist treu, wo steht er?«

»Dort spricht er mit Frau von Baldereck.« Die beiden Suchenden gingen langsam an Anton vorüber, er drehte ihnen zwar den Rücken zu, aber als sie näher kamen, zog es ihn unwiderstehlich, nach der Musik zu sehen. Er wandte sich um, Lenore stand vor ihm, sie sah ihn bedeutsam an, er löste die Unterhaltung mit Frau von Baldereck, er sprach zu ihnen, sie hatten ihn. »Herr Wohlfart, ein kleines Buch in rother Seide, so groß, ist hier im Saale von Theone Lara verloren. Es ist uns unendlich viel daran gelegen, bitte, bitte, schaffen Sie es uns zurück.«

»Ist es gedruckt?«

»Nein, geschrieben, auch Sie dürfen nicht hineinsehen, es sind unsere Geheimnisse darin. Schwören Sie mir, daß Sie mit keinem Auge hineinsehen, wenn Sie es finden.«

»Ich schwöre es Ihnen zu,« erwiederte Anton feierlich.

»Ich danke Ihnen, bitte, seien Sie vorsichtig.«

Anton eilte in das Gewühl und beschäftigte sich die nächste Viertelstunde mit Suchen. Nichts lag auf dem Boden, nichts auf den Plätzen, keiner von den Dienern hatte etwas gefunden, das Buch war verschwunden. In tiefstem Mitgefühl brachte er den Damen die traurige Nachricht. Der Tanz begann. Theone vermochte vor Kopfschmerz nicht sich zu erheben, [S. 196] der innerste Schrein ihres Herzens war geöffnet, sein Inhalt auf den Markt geworfen, alle ihre Gefühle lagen nackt vor Jedermanns Auge, alle ihre Geheimnisse wurden Gemeingut einer rohen Außenwelt. Lenore fühlte das Unglück mehr vom Parteistandpunkt. Die Braunen waren in Gefahr, eine Niederlage zu erleiden, von der sie sich niemals erholen konnten. Und jetzt tanzen! Es war ein Tanz, wie auf einem Vulkan, der Boden war glühende Lava, jeden Augenblick konnte die Explosion erfolgen. Je länger die Verbündeten über ihr Schicksal nachdachten, desto schrecklicher wurden die Aussichten; denn immer noch fielen ihnen neue Gräßlichkeiten ein, die in dem Buche standen.

Als der Tanz beendigt war, begab es sich, daß Fink im Vorbeigehen vor Hildegard mit dem Fuß auf den Boden wippte und zu ihr gewandt sagte: »Dieser Boden klingt so hohl, ich weiß nicht, was das bedeuten soll, vielleicht liegt ein verlorener Schatz unter den Füßen.«

Hildegard stürzte zu Lenore und dem kranken Sympathievogel und rief außer sich: »Herr von Fink weiß es.« Die braunen Bänder flatterten in eine Ecke, die Mädchenköpfe fuhren zusammen und hielten Berathung. Endlich wurde entschieden, daß diese Aeußerung sehr beunruhigend sei, aber keine Gewißheit des Unglücks gebe.

Doch auch diese letzte Unsicherheit sollte verschwinden, denn Finks Benehmen wurde auffallend. Er vernachlässigte heut seine Partei, er suchte alle Braunen auf, er setzte sich zu Theone, welche die Greuel von Juliens Sterbescene und den Untergang des Hauses Capulet bereits drei Mal durchgekostet hatte und ihre Thränen gar nicht mehr zurückhalten konnte; er fing ein Gespräch mit ihr an, er zwang sie zu antworten, er beklagte ihr bleiches Aussehen und schalt auf das heiße Zimmer. Er quälte sie bis zur Ohnmacht und schloß endlich seine teuflische Rache damit, daß er sie auf Hulda Werner aufmerksam machte und frug: »Wie gefällt Ihnen das grüne Kleid? Sieht sie nicht aus wie ein Zeisig?« — Sein nächstes Opfer war Lenore. [S. 197] Sie stand unter ihrer Schaar noch immer mit dem Stolz einer Fürstin, aber einer entthronten. Vor allen ihren Getreuen redete Fink sie an. Sie war artiger gegen ihn, als je in ihrem Leben, sie preßte ihr Taschentuch zusammen, daß die Spitze riß, um sein Lächeln ruhig auszuhalten. Alles ging gut, bis zu dem Augenblick, wo er dem vorübergehenden Herrn von Tönnchen mitten im Gespräch zurief: »Benno, knacken Sie gern Nüsse?«

Benno Tönnchen, der auch ein Grüner war, sagte verwundert: »Nein, wenn Fräulein Lenore uns eine aufgegeben hat, so fürchte ich, wird sie für mich zu hart sein.«

Jetzt war es entschieden, kein Zweifel mehr möglich, Fink hatte das Buch. Die braunen Bänder rauschten auseinander, die Partei glich einem Schwarm entsetzter Küchlein, unter welche der Habicht stößt. Nur Lenore nahm sich zusammen und trat entschlossen auf Fink zu. »Sie haben das Buch, Herr von Fink, eine meiner Freundinnen hat es verloren und ist sehr unglücklich darüber. Sein Inhalt ist nicht für fremde Augen, er kann in dieser Gesellschaft großen Aerger verursachen. Ich bitte, daß Sie mir das Buch zurückgeben.«

»Ein Buch?« frug Fink neugierig, »was für ein Buch?«

»Verstellen Sie sich nicht,« sagte Lenore, »es ist uns Allen deutlich, daß Sie es haben. Ich kann nicht glauben, daß Sie es nach dem, was ich Ihnen über die Folgen gesagt habe, noch einen Augenblick behalten können.«

»Ich könnte es behalten,« nickte Fink. »Sie sind zu gütig, wenn Sie mir ein solches Zartgefühl zutrauen.«

»Das wäre mehr als unartig,« rief Lenore.

»Es würde mir das größte Vergnügen machen, mehr als unartig zu sein, wenn ich das Buch hätte. Ein Buch, das Ihnen, oder einer Ihrer Freundinnen gehört, das möglicher Weise Ihre Handschrift oder eine andere Erinnerung an Sie enthält, das werde ich Ihnen in keinem Fall zurückgeben, wenn ich es finde; und wenn ich erfahre, wo es liegt, werde ich es stehlen. Und wenn ich es habe, werde ich es Zeile für Zeile [S. 198] auswendig lernen. Ich werde Ihnen dadurch zu gefallen suchen, daß ich Ihnen einige Stellen daraus vortrage, so oft ich die Freude habe, Sie zu sehen.«

Lenore trat ihm einen Schritt näher, und ihre Augen flammten. »Wenn Sie das thun, Herr von Fink,« rief sie, »so werden Sie als ein Unwürdiger handeln.«

Fink nickte ihr freundlich zu. »Der Eifer steht Ihnen allerliebst, Fräulein; aber wie können Sie Würde von einem lustigen Vogel verlangen, wie ich bin? Die Natur hat ihre Gaben verschieden ausgetheilt, Manchem hat sie verliehen, Verse zu machen, Andere zeichnen kleine Bilder, ich habe von ihr einen spitzen Schnabel erhalten, den gebrauche ich. Haben Sie je einen würdigen Zeisig gesehen?« Er wandte sich lachend ab, faßte Benno Tönnchen beim Arm und ging mit ihm nach der Thür.

Lenore eilte zu Anton: »Herr von Fink hat das Buch, ich flehe Sie an, schaffen Sie es uns zurück, er hat sich geweigert. Er darf nicht weiter darin lesen, es wäre Theonens Tod.«

Anton ergriff hastig seinen Paletot und sprang dem Freunde nach, der bereits auf der Straße war. »Zu Feroni, Anton!« rief ihm Fink am Arm des Benno Tönnchen zu.

»Ich muß etwas im Vertrauen mit dir sprechen,« sagte Anton an seiner andern Seite.

»Jetzt nicht, du brauner Gesandter,« rief Fink, »ich will nichts mit dir zu thun haben.«

»Ich bitte dich, Fritz,« bat Anton sich an ihn drückend, »gieb das Buch heraus, die Mädchen ängstigen sich bis zum Vergehen.«

»Nur zu!« sagte Fink.

»Keine thut heute Nacht ein Auge zu,« rief Anton.

»Um so besser, wir wollen's auch nicht thun. Sie können sämmtlich zu Feroni kommen, wenn's ihnen zu Haus zu bangsam wird. Wir bleiben bis zum Morgen zusammen. Und du, Anton, wirst dich heut Nacht nicht ohne mich nach Hause [S. 199] schleichen, sondern du wirst aushalten, und zwar in stiller Todesangst.«

»Was ist das für eine Geschichte mit dem Buch?« frug Tönnchen am andern Arme.

»Sage nichts,« bat Anton leise.

»Eine tolle Confusion,« erwiederte Fink, »Sie sollen Alles erfahren.«

»Um Gottes willen, schweig,« bat Anton.

»Ich werde mich nach deinem Benehmen richten,« sagte Fink; »läufst du weg, so lese ich den Andern das ganze Buch vor.«

So kamen sie bei Feroni an. Anton überlegte, ob er sich auf Fink werfen und diesem mit Gewalt das Buch entreißen sollte. Aber der Erfolg war unsicher. Mit Ernst und Bitten war heut vollends nichts auszurichten. Nur List konnte helfen. Während er darüber nachsann, lagerten sich die Herren in dem kleinen Hinterzimmer, ihrer gewöhnlichen Trinkstube. Es waren außer Anton und Fink noch Zernitz und Tönnchen, der kleine Lanzau, ein Werner, ein Cousin Baldereck, (dieser ein junger Herr mit hervorstehenden Augen, der in dem Buch unter dem Namen Laubfrosch angedeutet war) und zwei Tronka, nicht von den Tronka-Hams, sondern aus der andern Linie, in welcher das Majorat ist, Söhne des alten Majoratsherrn.

»Was trinken wir?« frug Fink.

»Jeder seine Flasche,« erwiederte Zernitz.

»Warum nicht gar!« rief Fink.

»Nur nicht Ihren furchtbaren weißen Burgunder,« rief Guido Tronka. »Von unserer letzten Sitzung sind mir noch heute die Adern geschwollen wie Stränge.«

»Dann also Sekt und Porter, ein ehrliches Halb und Halb,« schlug Fink vor.

»Superbos!« rief der kleine Lanzau.

»Das ist eben so ein Höllengetränk,« klagte Zernitz.

»Küfer, Schenk, herbei!« riefen die Herren und die Bestellung wurde gemacht.

[S. 200]

Unterdeß verfiel Anton auf ein verzweifeltes Mittel. Er ging hinaus, gab dem Aufwärter einen Thaler und den Auftrag, den Ofen der kleinen Hinterstube zu überheizen und ohne Rücksicht auf die Klagen der Herren immerfort Kohlen nachzuwerfen. Er selbst setzte sich so weit vom Ofen, als irgend möglich war, und sah mit Freude, daß Fink sich dicht an den eisernen Cylinder gerückt hatte. Bald mußte ihm die Wärme unbequem werden, dann zog er seinen Rock aus, wie er stets in solchen Fällen that, dann war es möglich, das rothe Buch vor seinen Augen aus der Rocktasche zu ziehen.

»Ich nehme mir die Freiheit, Sie von einem großen Ereigniß in Kenntniß zu setzen,« begann Tönnchen. »Haben Sie Tronka's Alice gesehen, Fink?«

»Nein,« sagte Fink eingießend, »ist's ein Pferd oder ein Frauenzimmer?«

»Natürlich ein Pferd!« rief Tönnchen.

»Bah, laßt heut die Stalljacke zu Haus,« sagte Fink.

»Es ist aber verdammter Ernst!« rief Tönnchen. »Guido hat zum Herrenreiten eingesetzt.«

»Zahlen Sie Reugeld,« sprach Fink zu Guido Tronka, »und bleiben Sie zu Haus. Den Ajax schlägt kein Traber in diesem Erdenwinkel.«

»Sehen Sie sich morgen meine Alice an,« bat Tronka wieder, »ich möchte Ihr Urtheil hören.«

»Haben Sie die neue Liebhaberin gesehen?« sprach Zernitz zu Anton, »sie hat brillante Augen.«

»Sie trägt magnifique,« rief der andere Tronka zu Fink herüber.

»Sie hat ja eine Hasenscharte,« rief der Laubfrosch verächtlich dazwischen.

»Wer ist nun das wieder?« frug Fink.

»Die Seppi, ein grünäugiges Scheusal,« schrie wieder der Laubfrosch Baldereck. »Gehen Sie denn gar nicht mehr in's Theater?«

»Nein,« versetzte Fink, »aber ich schicke meinen Reitknecht [S. 201] hinein. Wenn Sie Gefühle haben, bei denen er Sie unterstützen kann, so wenden Sie sich nur an ihn.«

Es wurde warm. Anton fühlte die Verpflichtung, die Herren zu beschäftigen. Er bat Herrn von Zernitz um eine komische Geschichte im Volksdialekt, die ihm der Lieutnant neulich anvertraut hatte, er stimmte laut in das Lachen des Laubfrosches ein, er verführte den ältesten Tronka, ein Abenteuer mitzutheilen, welches den Tod eines Hasen und einer Schnepfe verursacht hatte. Er griff nach der Kelle und goß die Gläser voll.

Es wurde wärmer. Die Herren rückten unzufrieden mit ihren Stühlen und riefen nach dem Aufwärter.

»Es verfliegt sogleich,« tröstete dieser.

»Ich finde es gar nicht warm,« sagte Fink ruhig, »im Gegentheil Sie können noch einlegen.«

Aber die Hitze wurde unerträglich, die Herren geriethen in Zorn, Feroni selbst wurde gerufen. Anton protestirte gegen das Oeffnen des Fensters, weil man vom Tanze noch zu warm sei, Fink erklärte die Temperatur für behaglich und behielt seinen Rock an.

Anton war in Verzweiflung. Endlich ergriff er das letzte Mittel, er zog seinen eigenen Rock aus, um den Freund zu gleichem Entschluß anzuregen. Sofort that Fink dasselbe, legte den Rock sorgfältig über seinem Stuhl zusammen und sah lächelnd auf Anton, der mit großer Aufmerksamkeit seine Bewegungen beobachtete.

»Das Buch steckt nicht im Rock,« nickte Fink ihm zu, »die Mühe war umsonst, denke auf etwas Anderes.«

Anton öffnete das Fenster. »Ich versuche nichts mehr,« sagte er resignirt, »du bist mir zu schlau.«

»Halt aus,« sagte Fink. Zernitz machte niedliche Witze, Tönnchen erzählte lügenhafte Geschichten von Tänzerinnen, der kleine Lanzau betrank sich. Endlich pochte Fink auf den Tisch. »Jetzt merkt auf. Ich wollte es verbergen, aber es ist nicht möglich, es schreit zum Himmel.«

[S. 202]

Anton fuhr auf: »Ich bitte dich, Fritz.«

»Ruhig, Ofenheizer!« rief Fink. »Hört, Ihr Herren, ich habe heut ein geheimes Tagebuch der Braunen gefunden und habe es durchgeblättert.«

»Hurrah, heraus damit!« riefen sämmtliche Herren.

»Es sind gewiß Verse darin,« rief Zernitz.

»Es mag ein schöner Unsinn darin stehen!« rief Tönnchen, »Phantasie und Bosheit Unmündiger.«

Anton war wüthend.

»Allerdings steht Unsinn darin und die Verse scheinen mir schlecht. Hören Sie, Zernitz, was haben Sie mit der kleinen Lara gehabt?«

»Nichts,« sagte der Lieutnant befremdet, »ich habe ein paar Mal mit ihr getanzt, das ist Alles.«

»So muß es gekommen sein,« fuhr Fink nachdenkend fort. »Die arme Theone! Ich habe ein Lied gelesen, das die Comteß auf Sie gemacht hat. Na, zuletzt sind Sie kein übler Bursch, aber ich hätte es niemals für möglich gehalten, daß man mit solcher Schwärmerei von einem Mann sprechen kann.«

»Zeigen Sie her,« bat Zernitz angelegentlich.

»Hier?« frug Fink vorwurfsvoll, »vor dieser wilden Bande? Wenn Sie auch die Lara, die mir heute in ihrer Angst allerliebst vorkam, nicht gerade begünstigen, so haben Sie doch gar keinen Grund, die reine Leidenschaft des armen Mädchens hier zu profaniren.«

»Sie haben Recht,« sagte Zernitz. »Aber unter vier Augen werden Sie mir's zeigen.«

»Gewiß,« versetzte Fink. »Ihr wißt, ich habe kein Gefühl für alle Creatur, welche ihren Rock länger trägt als bis zum Knie, und wenn es etwas auf der Welt giebt, was mich kalt läßt, so sind es Backfische in Butter und in Kleidern. Aber der Wahrheit soll ihr Recht werden, die Mädchen, welche das Tagebuch mit einander geführt haben, sind seelengute Dinger, es ist auch nicht eine unartige Bemerkung darin.«

Er wandte sich zum Cousin Baldereck: »Von Ihrer Cousine [S. 203] ist auf jeder Seite mit einer Liebe und Herzlichkeit gesprochen, die eben so verdient als rührend genannt werden muß. — Das strengste Urtheil wird über mich gefällt, ich werde ein Zeisig genannt.«

»Auf die Art ist das Heft ziemlich langweilig,« sagte Benno Tönnchen.

»Ja,« erwiederte Fink, »wenn Sie nicht interessirt, was Hildegard Salt über Sie hineingeschrieben hat.«

»Viel Gutes wird's nicht sein,« versetzte Benno neugierig.

»Nein,« sagte Fink, »sie spricht von Ihnen in einem Ton, der Ihren Bekannten wahrhaft betrübend vorkommen muß. Sie werden groß und still genannt. Ihr Gesicht ein Muster männlicher Kraft, die Dichterin findet Sie voll Kenntnisse, voll Geist und voll Witz; sie frägt, ob ein solcher Mensch nicht zu bedeutend sei, um sich zu einem weichen Mädchen hinabzuneigen. Nun frage ich Alle, wie kann ein gescheidtes Kind, wie Hildegard Salt, sich so weit verirren, Sie in der Stille anzubeten? Denn Sie sind bei der letzten Flasche ein ziemlich kurzweiliger Gesell, Benno, aber wenn ich ein Mädchen wär' und mir ein Ideal aussuchte, ich würde lieber einen Nußknacker zu meinem Götzen machen, als Sie.«

Tönnchen verzog den Mund.

»Ist von uns auch etwas darin?« frug Herr von Werner, auch einer der Grünen, ein Bruder von vier schönen Schwestern, Nachbar der Rothsattel, von jungem Adel, aber reich, in Familieneifersucht aufgewachsen.

»Von Ihnen wenig,« versetzte Fink, »nur zwei Zeilen.« Er nahm das Buch hervor und sah hinein und suchte. — Anton ballte die Hände unter dem Tisch. — »Schmerzliche Fügung des Himmels, Lenore liebt und sucht vergebens ihr Herz zu verhüllen. Und der Geliebte gehört den Feinden an. O. Georg W. Jetzt kommen Punkte und drei Ausrufungszeichen.« Fink steckte das Buch wieder ein. Anton beruhigte sich, das konnte nicht in dem Buch stehen, auch sah er, daß [S. 204] die Nasenflügel Finks sich heftig bewegten, ein untrügliches Zeichen, daß er Schelmerei trieb.

Zernitz schob das Glas weg und rief: »Es ist indiscret, daß wir uns in diesem Raume über das unterhalten, was die Mädchen gefühlt haben.«

»Ich bin derselben Meinung,« rief Benno Tönnchen eifrig.

»Ich auch,« sagte Georg Werner.

»Sie müssen das Buch versiegeln und zurückschicken,« sprach der Frosch.

»O Ihr gemüthvollen Zettel,« rief Fink in der glücklichsten Stimmung, »weil Eure haarigen Köpfe von feinen Händen gekraut werden, wird Euer Herz zartfühlend. Ich möchte Eure Gesichter sehen, wenn ich aus dem Buche das Gegentheil herausgelesen hätte. — Ei, ei! und Keiner kennt den Shakespeare!«

»Comteß Lara und Hildegard sind zu feinfühlend, um das hineinzusetzen, was Ihre Bosheit gern gesehen hätte,« rief Zernitz.

»Die Rothsattel ist zwar stolz,« rief Werner, »aber sie hat keinen Grund, von mir etwas Anderes zu sagen, als was wahr ist. Ich habe sie immer im Stillen für ein tüchtiges Mädchen gehalten, das wohl verdient, einmal die Frau eines ehrlichen Jungen zu werden.«

Fink nickte ihm billigend zu, dann erhob er das Buch und blickte hinauf an die Decke. »Warum werde ich nicht auf der Stelle von dieser sündigen Erde unter bessere Geschöpfe versetzt? Ich bin ein Seraph, und Niemand merkt es, und Niemand wird es glauben, am wenigsten die Weiber. Hier, Anton, empfange das Buch! Nicht durch Ofenwärme, nicht durch Ueberredung oder Zwang ist es erobert; durch freiwilligen Entschluß der tanzenden Herren wird es ungelesen zurückgeschickt.«

Anton ergriff das Buch, eilte in die Schreibstube von Feroni, schrieb auf einen Zettel: »Fink hat einige Blätter gelesen, er wird schweigen, sonst Niemand eine Zeile,« siegelte [S. 205] Zettel und Buch in ein Couvert und sandte dies durch einen von Feroni's Leuten am späten Abend nach dem Hause der Comteß Lara mit dem ausdrücklichen und durch eine Kette von Versprechungen verstärkten Befehl, der Bote müsse unter allen Umständen durch Nachtwächter und Pförtner in das Haus und bis an die Grenzen des Schlafzimmers dringen, wo, wie er mit Grund annahm, Theone jetzt ihre schwarzen Locken durch Ströme von Thränen in träufelnden Bindfaden verwandelte.

Das Gelag nahm seinen Verlauf. Das heiße Zimmer, der starke Trank und ein gewisses nachdenkliches Wesen der meisten Herren machten der Sitzung früher ein Ende, als Finks Absicht war. Endlich brach er auf, weckte den verschlafenen Küfer und sagte zu Anton: »Bezahle die Rechnung.« Als Fink mit Anton nach Hause ging, begann er: »Sei ruhig, Tony, natürlich war Alles gelogen, was ich aus dem Buch erzählt habe. In Wahrheit war alle Bosheit darin aufgesammelt, deren eine Gesellschaft Turteltauben fähig ist.«

»Ich hab's gemerkt,« sagte Anton vergnügt, »in der nächsten Stunde werden deine Herren schön den Hof machen.«

»Einer oder der Andere soll die Geliebte, die ich ihm heut zugetheilt habe, noch heirathen, ich will mich jetzt auf's Kuppeln legen.«

Anton schwieg gekränkt. »Sei ruhig,« fuhr Fink behaglich fort, »auch du sollst deine Einwilligung zu den Partien geben. Sprich, wie gefallen dir meine Herren?«

»Sieh,« sagte Anton, »was sie sagen, erscheint mir oft gewöhnlich, aber sie haben Selbstvertrauen und eine sichere Haltung, die sie auch dann nicht verlieren, wenn sie sich gehen lassen.«

»Na,« sagte Fink, »es geht; sie sind in ihrer Clique, in dem müßigen Umherlaufen mit Cousinen und Sporen an den Beinen verkümmert, sie sollen im Ganzen genommen ein Beispiel sein, wie man nicht sein muß, wenn man amüsant sein will. Ihre Liederlichkeit ist nicht lustig und ihre Lustigkeit ist [S. 206] kläglich, in ein Paar Jahren sind sie schaal und ungenießbar, wie schlechter Most. Dieses Tönnchen wird schon säuerlich. Ich habe große Lust, sie dir nächstens betrunken zu zeigen.«

»Sprich nicht so liederlich,« bat Anton.

»Ach, du armer Junge,« sagte Fink. »Schließ die Thür auf und gieb mir meine Geldbörse zurück.«

»Du hast heut wieder eine große Rechnung bezahlt,« sagte Anton. »Ich bitte dich, sei nicht so freigebig, du demüthigst ja die Andern.«

»Sei ruhig, Anton,« erwiederte Fink, »ich halte mich über sie auf, folglich ist auch billig, daß ich für sie bezahle.«

»Ich hoffe, du wirst niemals für mich bezahlen,« sagte Anton.

»Nein,« entgegnete Fink, »du sollst das Privilegium haben, dein eigener Cassirer zu sein; ich bin zufrieden, daß du mir den Hausschlüssel trägst und bei mir noch deine Cigarre rauchst, während ich mich ausziehe. — Welche Stunde ist's?«

»Es ist gegen zwei Uhr,« erwiederte Anton vorwurfsvoll.

»Dann sind wir sicher die Letzten. Da ich herkam, konnte das alte Haus solche Excesse nicht vertragen. Als ich das erste Mal beim Frühlicht diesen Riesenschlüssel in's Schloß steckte, fürchtete ich, die alten Mauern würden über mir zusammenbrechen. Jetzt sind sie daran gewöhnt, der Hund, die Hausknechte und der Prinzipal. Oft bleibe ich nur deßhalb länger aus, um diese schauderhafte philiströse Hausordnung umzudrehen.«


Als Hildegard Salt nach einer feuchten Thränennacht gegen Morgen die ersten Anstalten zum Schlafen machte, wurde sie durch einen Brief von Theone Lara geweckt, in dessen vorderem Theile Theone mit schwarzer Krähenfeder die Ansicht aussprach, daß für sie auf dieser Welt kein Raum mehr sei, und in der zweiten Hälfte diese Ansicht dahin berichtigte, daß sie Hildegard und Lenore für nächsten Nachmittag zur Chocolade [S. 207] einlud, um wegen der glücklichen Rettung des Buches eine vertrauliche Festfeier zu begehen.

Auf dieser Conferenz der Braunen wurde die Entweihung des Buches durch Männeraugen lebhaft besprochen. Schrecklich war, daß Fink hineingesehen hatte. Aber auch Wohlfart hatte das Buch in Händen gehabt, und es war sehr zu fürchten, daß auch er es durchgelesen hatte. Lenore war überzeugt, Wohlfart habe nicht darin gelesen. Hildegard dagegen behauptete, er sei ein Mann, und kein Mann, auch der beste nicht, sei einer solchen Discretion fähig. Nach längerer Debatte wurde beschlossen, ihn auf eine Probe zu stellen. »Wenn er hineingesehen hat,« sagte Lenore, »so hat er doch zuerst das Titelblatt angesehen.«

»Das Titelblatt durfte er ansehen,« warf ein brauner Vogel ein.

»Ich hatte ihm verboten, das Buch zu öffnen,« sprach Lenore, »und ich weiß, er hat keine Seite angesehen. Ihr Alle sollt zuhören, wie er meine Fragen beantwortet.«

Als Anton in der nächsten Tanzstunde erschien, trat ihm Lenore an der Spitze der Partei entgegen, ihre Miene war bekümmert, und alle Braunen bemühten sich, die Köpfe zu hängen und eben so traurig auszusehen: »Ach, Herr Wohlfart, was haben Sie gemacht! Das Buch, welches Sie an Theone geschickt haben, war ja nicht ihr Tagebuch, es war das Notizbuch eines Herrn, aus einer fremden Brieftasche.«

»Wie ist das möglich?« rief Anton bestürzt.

»Gleich auf der ersten Seite war eine Rechnung vom 29ten über einen Frack, vom 30ten eine Flasche Rothwein und zwei neue Sporen. Das Buch konnte uns nichts helfen.« Alle Braunen schüttelten den Kopf und sahen betrübt zur Erde.

Anton suchte sich zu entschuldigen. »Fink zog das rothe Buch aus der Westentasche und gab es in meine Hand, ich sandte es sogleich versiegelt ab.«

»Dann muß Herr von Fink das Buch vertauscht haben,« fuhr Lenore fort. »Warum haben Sie denn nicht hineingesehen?« [S. 208] frug sie vorwurfsvoll, »wenigstens auf das Titelblatt.«

»Das durfte ich ja nicht,« rief Anton, »ich hatte Ihnen ja versprochen, keinen Blick hineinzuwerfen. Ich rufe Fink.«

»Halt,« rief Lenore, »noch einen Augenblick! Hat er hineingesehen oder nicht?« frug sie siegreich zu ihrer Schaar gewandt.

Ein bewunderndes »Nein« kam von Aller Lippen. »Bleiben Sie, Herr Wohlfart, es ist das rechte Buch, das Sie zurückgesandt haben. Einige von uns bezweifelten, ob ein Mann, ob selbst Sie das Tagebuch ungelesen aus der Hand geben könnten, ich sagte, Sie wären das im Stande, und habe meinen Freundinnen das so eben bewiesen.«

»Ich danke Ihnen für das gute Zutrauen,« rief Anton erfreut.

»Alles traue ich Ihnen zu, was brav und ehrlich ist,« sagte Lenore und blickte ihn mit herzlichem Vertrauen an.

Das war ein großer Abend im Kränzchen. Anton war bis zum Cotillon von einem Kreis junger Damen umgeben, welche ihn mit rührender Vertraulichkeit behandelten, und als der Augenblick kam, in welchem farbige Schleifen an die Herren ausgetheilt wurden, wurden die Klappen seines Fracks von oben bis unten besteckt, und er sah aus, wie der bunteste Hofmarschall des Continents.

Aber noch Größeres begab sich. Die Partei der Grünen drohte zu zerfallen. Zernitz, Georg Werner und der kleine Lanzau tanzten heut nur mit den Braunen. Hildegard Salt verlebte eine schreckliche halbe Stunde an der Seite des Nußknackers, welcher sie während eines Walzers mit ritterlicher Artigkeit, ja man muß sagen, mit Gefühl behandelte und dadurch in die allergrößte Verlegenheit setzte; Lenore hatte gar von den ehrerbietigen Angriffen des Laubfrosches, des Georg Werner und des kleinen Lanzau zu leiden, welche sämmtlich auf einmal zu der Ueberzeugung gekommen waren, daß Lenore ihrer ernsthaften Huldigungen nicht unwürdig sei. Eugenie [S. 209] selbst war heut gegen die Braunen von aufrichtiger Herzlichkeit, sie hing sich an Lenorens Arm und küßte beim Abschied Theone im überströmenden Gefühl auf beide Wangen. Und Frau von Werner setzte sich neben die Baronin Rothsattel, kündigte für die nächsten Tage ihren und ihrer Töchter Besuch an, bat um die Erlaubniß, ihren Georg mitzubringen, und sprach unaufhörlich davon, wie glücklich ihre Kinder noch im nächsten Sommer darüber sein würden, daß die Tanzstunde sie in ein so intimes Verhältniß zu Lenore gebracht habe. Kurz, das ganze Aussehen der Tanzstunde war verändert. Mit Ausnahme der grünen Damen, welche über die Untreue ihrer Herren zürnten, war Alles in einer gemüthvollen, von Menschenliebe gleichsam überfließenden Stimmung, deren Gegenstand die Damen des braunen Bundes waren. Verlegen erkannten diese die Veränderung ihrer Stellung, die Herzlichkeit der Baldereck, die ernsthaften Huldigungen aller feindlichen Herren, ach, aber zu einem Genuß ihres Glückes konnten sie nicht kommen, in ihrer Brust fühlten sie die Nadelstiche des bösen Gewissens, und um sie herum bewegte sich in weitem Kreise die furchtbare Gestalt Finks, des Wissenden. Durch ein Wort konnte er den unbegreiflichen Zauber zerstören, der sie umgab. — Den ganzen Abend hielt er sich fern von allen Theilnehmern am Tagebuch, erst am Ende der Stunde trat er zu Lenore: »Ist Fräulein Eugenie heut nicht allerliebst? Ich gebe Ihnen zu, daß sie gefühllos ist, aber diese kleine Unart wird sich möglicher Weise im Laufe der Jahre in eine ganz entgegengesetzte Eigenschaft verwandeln.«

Lenore sah ihn verlegen an. »Kommen Sie mit zu Theone Lara,« sagte sie endlich. »Herr von Fink hat ein Recht auf unsern Dank,« rief sie dort, »wir Alle wollen ihn bitten, daß er über das Buch schweigt, wie er bis jetzt gethan.«

»Ich will mich dazu verpflichten,« versetzte Fink, »unter einer Bedingung. Ein Opfer muß ich haben. Ich muß die Dame erfahren, welche den Vers unter einen gewissen Weinstock geschrieben hat. Ich muß Jemand haben, den ich hassen [S. 210] kann, von dem ich bei Gelegenheit alles Schlechte rede, Jemanden, der dafür bezahlt, daß Sie so leichtsinnig waren, die Documente Ihres scharfen Witzes in meine Hände fallen zu lassen. Nennen Sie mir die Eine, und ich gebe Ihnen freiwillig das Versprechen, daß ich gegen Fremde nie ein Wort aus dem Tagebuche citiren werde.«

In der Gruppe entstand eine ängstliche Bewegung, Jede fürchtete die Beute des rachsüchtigen Indianers zu werden. Lenore sah auf Hildegard, welche vor Schrecken erblich, und sagte eifrig: »Ich habe die Zeichnung gemacht und ich habe die Verse darunter meiner Freundin dictirt; da Sie's gesehen haben, so bitte ich Sie um Verzeihung. Mehr kann ich nicht thun; und wenn Sie jetzt die Absicht haben, sich an mir zu rächen, so werde ich Ihren Haß zu ertragen suchen.«

»Schön,« sagte Fink lächelnd, »ich werde mich rächen, ich werde Sie von heut ab hassen. Uebrigens ist mir angenehm zu erfahren, daß auch das vergänglichste aller Gefühle, Mädchenfreundschaft, die Unglücklichen, welche davon befallen werden, zu heldenmüthigen Opfern begeistern kann. — Ah, Fräulein Hildegard, finden Sie nicht, daß Benno Tönnchen ein herzensgutes Kind ist? Auch seine Gestalt ist nicht schlecht. Etwas zu voll, werden Sie sagen, aber gerade dies volle Wesen macht ihn und seine Familie so ansprechend.«

Die letzte Folge dieses glücklichen Abends war, daß auf einer neuen Conferenz der Braunen beschlossen wurde, den treuen Ritterdienst Wohlfarts in außerordentlicher Weise zu belohnen. Nach längerer Ueberlegung wurde man einig, daß Theone gemeinschaftlich mit ihren Freundinnen eine prachtvolle Börse zu häkeln habe. Gleich am nächsten Morgen wurden Seide und Perlen gekauft. Lenore wollte, um sich nicht auszuschließen, die Kunst zu häkeln eigens erlernen. Auch strahlte bereits die erste Kappe der Börse in Braun und Gold, als Ereignisse eintraten, welche die Vollendung hinderten.


[S. 211]

III.

Es ist eine traurige Erfahrung, daß die überirdischen Gewalten dem Menschenkind das Glück einer hochgespannten Empfindung nicht lange unverkümmert lassen. Sie haben die Sache so schlau eingerichtet, daß sich fast immer eine Saite unsers Innern abspannt, so oft sie den Wirbel einer andern zur Höhe herumdrehen. Natürlich entsteht daraus ein Mißklang. Diese schlechte Behandlung erfuhr auch Antons Seele.

Zunächst ereignete sich, daß das Comtoir fortfuhr, die Veränderung in Antons Leben mit kritischem Blick zu beobachten. Jede Art von Befremden herrschte in den verschiedenen Zimmern des Hinterhauses, in allen aber war man einig, daß sich Anton, seit er die Tanzstunde besuche, sehr auffällig und nicht zu seinem Vortheil verändere. In Wirklichkeit war diese Veränderung nicht groß. Es ist wahr, Anton war in den Freistunden weniger mit seinen Collegen zusammen, als sonst, er brachte viele Abende außer dem Hause zu und wenn er einmal in Gesellschaft der Hausgenossen aushielt, so war er wohl zerstreuter, ja vielleicht übte er auch geringere Nachsicht gegen die ihm wohlbekannten kleinen Schwächen der anderen Herren. Sein Verstand bewahrte ihn davor, sich wegen der plötzlichen gesellschaftlichen Erfolge zu überheben und die Collegen durch Erzählung seiner Abenteuer zu langweilen, aber er konnte sich doch nicht enthalten, zuweilen Vergleiche anzustellen zwischen dem Ton und Benehmen seiner Umgebung, die er übersah, weil er sie genau kannte, und dem Ton und Benehmen im Salon der gnädigen Frau, der ihm imponirte, weil er ihm neu war. Das Comtoir erklärte seine größere Schweigsamkeit für Stolz, seine häufige Abwesenheit für unziemlichen Leichtsinn, und er, der sonst ein Liebling des Hauses gewesen war, kam gerade deßhalb in die Lage, jetzt sehr streng beurtheilt zu werden. Er selbst empfand die kühlere Haltung der Gemäßigten, die auffallende Kälte der Entschiedenen als lieblose Behandlung. So kam es, daß er die Abende, an denen [S. 212] er keine Veranlassung hatte, auszugehen, fast nur mit Fink verlebte, und daß Beide zusammen nach wenig Wochen als aristokratische Coterie den andern Herren gegenüberstanden.

Anton wurde durch dies Verhältniß mehr gedrückt, als er sich selbst gestehen wollte; er fühlte es an seinem Arbeitspult, auf seinem Zimmer, sogar beim Mittagessen im Vorderhause. Seltener redete ihn einer seiner Collegen an; wenn Jordan eine Auskunft forderte, wandte er sich nicht mehr an ihn, sondern an Baumann; wenn der Cassirer zur Frühstücksstunde in das vordere Comtoir kam, so trat er nicht mehr an Antons Sitz; und wenn Specht sich von seinem Platz umwandte und mitten in den kaufmännischen Correspondenzen eine auffallende Frage an die Umsitzenden that, so wandte er sich zwar öfter als sonst an Anton, aber es erschien diesem als keine Verbesserung seiner Situation, wenn Specht ihm flüsternd in's Ohr schrie: »Ist es wahr, daß Herr von Berg Apfelschimmel hat?« oder: »Muß man bei Frau von Baldereck lackirte Stiefeln oder Schuhe tragen?« Am gewaltthätigsten wurde Anton von seinem alten Gönner Pix behandelt. Uebergroße Toleranz hatte niemals die Energie dieses Herrn geschwächt, und aus einem nicht recht verständlichen Grunde sah er in dem gegenwärtigen Anton eine Art Verräther am Comtoir, an der großen Waage und am Solo. Es war seine Gewohnheit, den eigenen Geburtstag so feierlich als möglich zu begehen. Er lud dann seine Vertrauten, in deren erster Reihe Anton stand, zum Abend auf sein Zimmer und setzte ihnen an diesem Tage ausnahmsweise Wein auf den Tisch und einen Napfkuchen, den er eigens beim Bäcker bestellte und den er in immer größeren Verhältnissen zu liefern bemüht war. In diesen Wochen kam wieder sein Geburtstag heran, und Anton war, obgleich Herr Pix sich in der letzten Zeit sehr schweigsam gegen ihn verhalten hatte, doch vorbereitet, den Abend bei ihm zuzubringen, er hatte deßhalb eine Einladung des Herrn von Zernitz bereits abgelehnt. Früh vor der Comtoirstunde ging er auf das Zimmer von Herrn Pix [S. 213] und gratulirte diesem. Herr Pix nahm den Glückwunsch sehr kühl auf und gönnte ihm keine Einladung für den Abend. Nach Tische begegnete Anton dem kolossalen Napfkuchen, welcher mit Hülfe eines Bäckerlehrlings mühsam die Treppen des Hinterhauses hinaufstieg, im Comtoir merkte er aus einer Aeußerung des Herrn Specht, daß diesmal sämmtliche Collegen aufgefordert waren, den Tag festlich zu begehen, an welchem Herr Pix durch sein Erscheinen eine Lücke der Schöpfung ausgefüllt hatte. Alle waren geladen, nur Anton und Fink nicht.

Mit Recht empfand Anton diese Zurücksetzung als eine Unart. Er empfand sie aber tiefer, als wohl nöthig gewesen wäre. Und zum Ueberfluß theilte ihm Specht im Vertrauen mit, daß Pix die Erklärung abgegeben habe, ein junger Herr, der mit Lieutnants umgehe und bei Feroni am liederlichen Tische sitze, sei kein passender Gesellschafter für einen soliden Kaufmann. Als er an diesem Abend einsam auf seiner Stube saß und unter sich die lustige Unterhaltung der Collegen hörte, da überkam ihn eine bange und gedrückte Stimmung, und keins von den glänzenden Bildern, welche in der letzten Zeit seine Mußestunden ausgefüllt hatten, auch das holdeste nicht, war mächtig genug, durch die dichte Wolke des Mißmuths durchzudringen, welche ihn umhüllte.

Er selbst war nicht zufrieden mit sich und suchte selbstquälerische Anklagen gegen sich zusammen. Er war ein Anderer geworden. Er war nicht gerade nachlässig in den Arbeitsstunden, aber seine Thätigkeit machte ihm wenig Freude, sie war ihm oft eine Last. Es war ihm begegnet, daß er in seinen Briefen Wichtiges vergessen hatte, ja er hatte sich ein paar Mal sogar in den Preisen verschrieben, und Jordan hatte ihm mit einer kurzen Bemerkung die Briefe zurückgegeben. Es fiel ihm ein, daß der Prinzipal sich in der letzten Zeit gar nicht um ihn gekümmert, und daß Sabine ihn vor einigen Tagen auf der Treppe kälter gegrüßt hatte, als gewöhnlich. Und neulich, als die Tante über Störung ihrer Nachtruhe klagte, weil Jemand so spät und geräuschvoll die [S. 214] Hausthür geöffnet, da hatten alle Collegen vorwurfsvoll auf ihn gesehen. Sogar der treue Karl hatte ihn vor der letzten Tanzstunde, wie Anton jetzt meinte, ironisch gefragt, ob er auch seinen Hausschlüssel bei sich habe. In solcher Stimmung ging Anton an seinen Schreibtisch und fing an, sein kleines Cassenbuch durchzusehen. Er hatte in den letzten Wochen keine Ausgaben eingeschrieben, ängstlich faßte er die Feder und suchte Rechnungen und Erinnerungen zusammen, um das Versäumte nachzuholen. Mit Schrecken entdeckte er, daß seine Schulden zusammen eine Summe ausmachten, welche er nicht tilgen konnte, ohne die kleine Hinterlassenschaft seiner Eltern anzugreifen. Er fühlte sich sehr unglücklich. Hohe Töne hatten lange Zeit in ihm geklungen. Das Schicksal hatte auf einer Saite die feinste Melodie gespielt, jetzt schnurrte die andere. Der Mißton sollte noch größer werden.


An demselben Abend kam der Kaufmann verstimmt aus der Ressource nach Hause, er beantwortete kurz Sabinens Gruß und ging mit starken Schritten im Zimmer auf und ab.

»Was hast du, Traugott?« frug die Schwester.

Der Bruder trat an ihren Stuhl. »Willst du wissen, wie Fink seinen Schützling bei Frau von Baldereck eingeführt hat? Du warst so bereit, dich über seine Freundschaft zu freuen. Er hat ein System von Lügen gesponnen und hat den unerfahrenen Wohlfart zu einem ruchlosen Abenteurer gemacht.« Er erzählte darauf, daß ihn ein älterer Offizier nach den Verhältnissen Antons gefragt hatte, und was dabei zu Tage gekommen war.

»Ist denn auch gewiß, daß Fink diese abgeschmackten Mährchen erfunden, und daß Wohlfart darum gewußt hat?« frug Sabine schüchtern.

»An Finks Betheiligung ist kein Zweifel. Der Streich sieht ihm zu ähnlich. Das ist der leichtsinnige frevelhafte Sinn, der nichts achtet, nicht einmal den Ruf des Freundes.«

[S. 215]

Sabine lehnte sich an den Stuhl und nickte mechanisch mit dem Haupt. Ja, so war er. Wieder einmal empörte sich ihr Herz gegen ihn. »O wie traurig!« sagte sie vor sich hin. »Aber Wohlfart ist unschuldig, Traugott, das weiß ich bestimmt. Eine solche Lüge ist nicht in seinem Wesen.«

»Ich werde es morgen erfahren,« sagte der Kaufmann. »Um seinetwillen wünsche ich, daß du Recht hast.«

Am folgenden Morgen ging der Prinzipal durch das vordere Comtoir und rief Anton zu sich in die kleine Hinterstube. Da dies selten geschah, so folgte Anton mit der Ahnung, daß irgend etwas Unheimliches heranziehe. Der Prinzipal schloß hinter ihm die Thür, setzte sich recht ernsthaft vor ihm auf den Lederstuhl und begann mit strenger Miene: »Lieber Wohlfart, ich halte es für meine Pflicht, mit Ihnen über einige Gerüchte zu sprechen, die sich in der Stadt verbreitet haben. Man hält Sie für einen reichen jungen Mann von geheimnißvoller Herkunft, erzählt sich, daß Sie große Besitzungen in Amerika haben und daß vornehme Personen sich im Stillen lebhaft für Sie interessiren. Ich setze voraus, daß auch Ihnen diese Gerüchte zu Ohren gekommen sind, und wünsche zu wissen, was Sie gethan haben, dieselben zu widerlegen.«

Anton erwiederte erstaunt, aber mit Entschlossenheit: »Ich weiß nichts von einem solchen Gerücht, ich habe einige Male von Fremden sonderbare Anspielungen auf mein Vermögen gehört, ich habe stets widersprochen.«

»Haben Sie mit der nöthigen Entschiedenheit widersprochen?« frug der Kaufmann streng.

»Ich glaube, ja,« antwortete Anton ehrlich.

»Es wäre an dem müßigen Geschwätz wenig gelegen,« fuhr der Prinzipal fort, »wenn nicht Ihr eigener Charakter dadurch verdächtigt würde. Denn die Welt wird geneigt sein, anzunehmen, daß Sie selbst aus irgend einem Grunde bei der Verbreitung dieses Gerüchts thätig gewesen sind; für das Renommée eines Kaufmanns aber giebt es keinen schlimmeren Argwohn, als den, daß er durch niedrige Mittel sich [S. 216] einen Credit geben will, den zu beanspruchen er kein Recht hat.«

Anton stand starr.

Der Kaufmann fuhr fort: »Außerdem wird durch dieses Geschwätz auch der gute Ruf Ihrer Eltern angegriffen, denn man will wissen, daß Sie der heimliche Sohn eines sehr vornehmen Mannes sind.«

»O meine Mutter!« rief Anton, rang die Hände und die Thränen rollten aus seinen Augen. Er war so ergriffen, daß ihm der Prinzipal Zeit lassen mußte, sich zu beruhigen, und endlich begütigend sagte: »Fassen Sie sich, lieber Wohlfart, Sie haben jetzt die Aufgabe, die Unwahrheit dieser Erzählungen nachzuweisen. Sie werden Ruhe und männliche Haltung dazu brauchen.«

»Am schrecklichsten ist für mich der Gedanke,« rief Anton noch immer außer sich, »daß Sie selbst vielleicht glauben, ich hätte diese Unwahrheiten hervorgerufen, oder ich hätte sie mir gefallen lassen, um mich wichtig zu machen. Ich bitte Sie, mir zu glauben, ich habe bis zu dieser Stunde nichts davon gewußt.«

»Ich glaube Ihnen gern,« sagte der Kaufmann freundlicher, »aber Sie haben doch Manches gethan, um solchen Erzählungen Raum zu geben. Sie sind fortwährend in einem Kreise gesehen worden, welcher sich sonst gegen junge Männer in Ihrer Stellung sehr spröde verhält. Sie haben hier und da Ausgaben gemacht, welche Ihre Mittel offenbar übersteigen und jedenfalls unpassend für Sie waren.«

Anton hatte die dunkle Empfindung, daß er sich im Mittelpunkt der Erde viel behaglicher befinden würde, als auf der Oberfläche. »Ja,« sagte er endlich verzweifelnd, »Sie haben Recht, ich habe sehr Unrecht gethan, über meine Verhältnisse hinauszugehen, ich habe das während der ganzen Zeit empfunden; seit einigen Tagen, wo ich Casse gemacht habe und gesehen, daß ich in Schulden gekommen bin« — hier lächelte der Kaufmann fast unmerklich — »ist's mir klar geworden, [S. 217] daß ich auf unrechtem Wege bin, ich habe nur nicht gewußt, wie ich zurück soll. Jetzt werde ich nicht mehr zaudern,« fuhr er sehr traurig fort, »und Sie mögen die Güte haben, zu entscheiden, ob ich mich jetzt verständig benehme.«

»Nicht wahr, Fink hat Sie in die Gesellschaft der Frau von Baldereck eingeführt? Ich dachte es,« sagte der Prinzipal lächelnd, »vielleicht weiß er auch mehr von den Gerüchten, welche Sie gegenwärtig so beunruhigen.«

»Erlauben Sie, daß ich in Ihrer Gegenwart sein Zeugniß fordere, daß ich nichts von allen diesen Nachreden gewußt habe, und daß ich selbst wohl leichtsinnig gewesen bin, aber nicht niedrig. Fink ist mein Freund und kennt mein ganzes Verhalten.«

»Wenn es Sie beruhigt,« sagte der Prinzipal und ließ Herrn von Fink rufen.

Fink sah im Eintreten verwundert auf den aufgeregten Anton und frug, ohne die Gegenwart des Prinzipals sonderlich zu beachten: »Was Teufel, du hast geweint?«

»Ueber Verleumdungen,« sprach der Kaufmann ernst, »welche seine Solidität als Geschäftsmann und die Respectabilität seiner Familie angegriffen haben.« Darauf sagte er kurz, worum es sich handle.

Fink lachte und rief: »Er ist ein Kind; wozu sich um das müßige Geschwätz der Leute kümmern?«

»Er hat kein Recht, dies Geschwätz zu verachten, denn er hat es durch seinen Verkehr in den Kreisen, in die Sie ihn einführten, genährt.«

»Vor Allem bitte ich dich, mir hier vor Herrn Schröter zu bezeugen, daß ich keine Ahnung von alledem gehabt habe; du kennst mich genug, um zu wissen, daß ich keinen Fuß in die Gesellschaft der Frau von Baldereck gesetzt hätte, wenn ich für möglich gehalten, daß so etwas von mir gesagt werden kann.«

»Er ist ganz unschuldig,« sagte Fink mit überzeugender Gutmüthigkeit zum Prinzipal. »Unschuldig und harmlos wie [S. 218] das Veilchen, das still im Verborgenen blüht; wenn irgend Jemand Schuld hat bei dieser lächerlichen Geschichte, so bin ich es und außerdem die thörichten Menschen, welche so etwas verbreitet haben. Gieb dich zufrieden, Anton, wenn dir die Sache leid ist, so wollen wir sie bald wieder in Ordnung bringen.«

»Ich werde noch einmal zu Frau von Baldereck gehen und ihr mittheilen, daß ich die Tanzstunden nicht mehr besuchen kann.«

»Auch ich halte das für das beste Mittel,« sagte der Kaufmann.

»Ich fürchte, es wird nicht viel helfen,« bemerkte Fink weise.

»Dann habe ich wenigstens das Meinige gethan,« rief Anton.

»Wie du willst,« sagte Fink. »Tanzen hast du doch gelernt und deinen Hut verstehst du auch mit Anstand zu bewegen.«

Gegen Mittag sagte der Kaufmann zu seiner Schwester: »Du hast Recht gehabt, Wohlfart war in der Hauptsache unschuldig, Fink hat in seinem Uebermuth die ganze Intrigue angezettelt.«

»Ich wußte es,« rief Sabine und fuhr heftig mit der Nadel in ihre Stickerei. — »Wenn es möglich ist, Traugott, so verhüte jetzt eine neue Unbesonnenheit.«

»Sie müssen die Geschichte selbst abmachen,« antwortete der Kaufmann, »ich bin neugierig, wie sie das zu Stande bringen werden.«


Anton arbeitete den Tag über wie Einer, der sich betäuben will, sprach nur das Nöthige und ging am Abend trotzig die drei Treppen hinauf, sich anzukleiden, als ein Mann, der seinen Entschluß gefaßt hat.

Fink sah ihn den Tag über mißtrauisch an und frug sich [S. 219] selbst: »Was hat der Junge vor? Er geberdet sich, als sollte er das erste Duell abmachen.« Und hätte er in Antons Seele sehen können, vielleicht hätte auch ihn erschüttert, den Schmerz zu erkennen, der in dem jungen Herzen fraß. Es war nicht verletzter Stolz allein, nicht die Scham, wie ein Abenteurer und Betrüger zu erscheinen, denn diese beiden Empfindungen gingen unter in einem größeren Weh, in dem Gedanken an den Abschied von seiner geliebten Tänzerin.

Fink sprang die drei Treppen hinauf in Antons Zimmer, den er bereits angekleidet fand, sah das bleiche Gesicht des Freundes, das heute um ein Paar Jahre älter aussah, als gewöhnlich, und frug, seine Hand ergreifend: »Bist du böse auf mich?«

»Nicht auf dich und auf keinen Andern,« sagte Anton aufgeregt. »Höre mich an; wie das Gerücht entstanden ist, will ich nicht wissen. Es ist möglich, daß du dir einen Scherz mit mir und den Leuten gemacht hast.«

»Mit dir nicht, mein Kind,« sagte Fink.

»Jedenfalls hast du um das Geschwätz gewußt und mir nichts davon gesagt, das war nicht recht von dir, ich sage dir das jetzt und werde dir's nicht nachtragen, und wir wollen mit einander über diese Geschichte niemals wieder reden.«

»Höre,« sagte Fink, »ich habe die Notion, du nimmst das Geschwätz viel zu tragisch.«

»Laß mich,« fuhr Anton fort, »nur heut in meiner Weise handeln.«

»Was willst du denn thun?«

»Frage mich nicht, ich empfinde sehr deutlich, was ich thun muß. Laß uns gehen.«

»So thu', was du nicht lassen kannst,« sagte Fink gutmüthig, »aber vergiß nur Eines nicht, daß jede Art von Scene, die du vor den Leuten aufführst, sie nur amüsiren wird, um so mehr, je aufgeregter du dich zeigst.«

»Vertraue mir,« sagte Anton, »ich werde ruhig sein.«

Es war große Gesellschaft in den erleuchteten Zimmern, [S. 220] kleine Balltoilette, viel Lichterglanz, sämmtliche Familienmütter und mehrere Väter; einige eingeübte Tänze sollten zum Besten gegeben werden. Im Eintreten blickte Fink besorgt auf seinen Freund, Anton sah verstört aus, aber er schritt mit großer Energie vorwärts. Er machte sich von Fink los und trat sogleich zu Lenore, mit der er sich zum ersten Tanz bereits engagirt hatte. Das Fräulein sah heut so reizend aus, als möglich, sie hatte ihr erstes Ballkleid an, und die großen Augen strahlten vor Lust; sie kam ihrem Tänzer einige Schritte entgegen und sagte ihm mit freundlichem Vorwurf: »Sie kommen so spät, der Ball wird gleich anfangen, und ich hatte gehofft, mit Ihnen vorher noch eine Weile zu plaudern. Papa ist auch hier. Ich werde Sie ihm vorstellen. — Aber was haben Sie? — Sie sehen ja so feierlich aus!«

»Gnädiges Fräulein,« erwiederte Anton mit einer Verbeugung, »mir ist heut sehr traurig zu Muthe, ich kann nicht die Ehre haben, den nächsten Tanz mit Ihnen zu tanzen.«

»Und warum nicht?« frug die junge Dame erschrocken.

»Hören Sie mich an, Fräulein, ich werde nicht lange in dieser Gesellschaft bleiben und komme heut nur, mich bei Ihnen und der Dame vom Hause wegen meines Weggehens zu entschuldigen.«

»Aber Herr Wohlfart,« rief Lenore die Hände zusammenschlagend.

»Viel mehr als an der Meinung der Uebrigen liegt mir an Ihrer guten Meinung,« sagte Anton erröthend, »und vor Ihnen will ich mich zuerst rechtfertigen.«

»Sie sollen sich aber nicht rechtfertigen, ich verstehe Sie nicht,« rief die junge Dame.

Anton aber erzählte ihr mit fliegenden Worten, was er heute von seinem Prinzipal gehört, und versicherte sie eifrig, daß er von dem Gerücht nichts gewußt habe. »Das glaube ich Ihnen gern,« sagte Lenore vertrauensvoll, »Papa hat auch gesagt, daß es wahrscheinlich ein müßiges Geschwätz sei.« — Sie hielt inne, denn sie dachte in dem Augenblick daran, daß [S. 221] ihr Vater zugesetzt hatte, dieser Herr Wohlfart möge ein recht guter Mann sein, aber er passe doch nicht in die Gesellschaft. »Und weil Sie erfahren haben, was man sich über Sie erzählt, wollen Sie ganz aus der Tanzstunde ausscheiden?«

»Ja, ich will,« sagte Anton, »denn wenn ich hier bliebe, würde ich mich der Gefahr aussetzen, für einen Eindringling oder gar für einen Betrüger gehalten zu werden.«

Lenore warf das Köpfchen zurück und sagte gekränkt und heftig: »So gehen Sie, mein Herr!«

Dies war das beste Mittel, das Gehen unsers Anton zu verhindern, er blieb stehen und sah seine Tänzerin flehend an.

»Warum gehen Sie nicht?« frug das Fräulein noch heftiger.

Anton wurde sehr bleich; er sah mit tiefem Schmerz in das Gesicht seiner zornigen Dame und sagte mit zitternder Stimme: »Sagen Sie mir wenigstens, daß Sie nicht schlecht von mir denken wollen.«

»Ich werde gar nicht an Sie denken,« rief Lenore mit schneidender Kälte und wandte sich ab.

Der arme Anton stand einen Augenblick wie vernichtet, es war ein bitterer Schmerz, der seine unerfahrene Seele durchbebte. Wäre er zehn Jahre älter gewesen, so hätte er sich diesen heftigen Zorn vielleicht günstiger ausgelegt. Der Gedanke, daß er noch nicht fertig war, gab ihm seine Kraft wieder, er ging aufgerichtet, ja mit stolzem Schritt zu dem Kreise, in welchem Frau von Baldereck die Honneurs machte. Da waren alle die auserwähltesten Damen der Gesellschaft; die lange hagere Gräfin eine Tasse Thee trinkend, Eugeniens Mutter und neben ihr eine große Männergestalt; Anton wußte, ohne daß es ihm Jemand gesagt hatte, daß der stattliche Herr Lenorens Vater sein müsse. In dem Augenblick, wo er vor die Frau vom Hause trat, seine Verbeugung zu machen, flog sein Blick über die ganze Gesellschaft. Noch viele Jahre nachher lebte der Augenblick in seinem Gedächtniß, noch viele Jahre nachher wußte er die Farbe von jedem Kleide, er konnte noch [S. 222] die Blumen aufzählen, welche in dem Strauß der Baronin Rothsattel waren, ja, er erinnerte sich noch an das Bild der gemalten Tasse, aus welcher die Gräfin trank. Die Hausfrau empfing die Verbeugung unsers Helden mit herablassendem Lächeln und war im Begriff, ihm etwas Freundliches zu sagen, als Anton sie unterbrach und mit einer Stimme, die vor Bewegung zitterte, aber laut durch den ganzen Saal tönte, seine Rede begann, so daß nach den ersten Worten eine allgemeine Stille entstand: »Gnädige Frau, ich habe heut erfahren, daß in der Stadt erzählt wird, ich sei reich, ich besitze Güter in Amerika, und vornehme Herrschaften nehmen im Geheimen ein Interesse an mir. Ich erkläre dies Alles für Unwahrheit, ich bin der Sohn des verstorbenen Calculator Wohlfart aus Ostrau; ich habe von meinen Eltern fast nichts geerbt, als einen ehrlichen, unbescholtenen Namen. Ich bin dem Andenken an meine guten Eltern und mir selbst schuldig, das hier öffentlich zu erklären. Sie, gnädige Frau, haben die hohe Güte gehabt, einen fremden und unbedeutenden Menschen so freundlich in Ihrem Hause aufzunehmen und mich zur Theilnahme an den Tanzstunden dieses Winters aufzufordern. Ich darf nach dem, was ich heut gehört habe, nicht mehr daran Theil nehmen, weil mein fernerer Besuch der Tanzstunde den Unwahrheiten, welche man über mich verbreitet hat, Nahrung geben würde, und weil ich gar in den Verdacht kommen könnte, ein Betrüger zu sein, welcher die Gastfreundschaft Ihres Hauses mißbraucht. Deßhalb sage ich Ihnen meinen innigen Dank für Ihre Güte und bitte Sie, mir ein freundliches Gedächtniß zu bewahren.«

Die Rede war etwas zu pathetisch für den Kreis, in welchem sie wirken sollte, aber sie wirkte doch. Es entstand für einige Augenblicke tiefes Stillschweigen; die Gräfin hielt wie erstarrt ihre Tasse in der Luft zwischen Schooß und Mund, und die Frau vom Hause sah verlegen vor sich nieder.

Anton machte eine tiefe Verbeugung und ging zur Thür.

Da eilte aus der starren Gruppe mit beflügeltem Schritte eine helle Gestalt dem Scheidenden nach, faßte mit ihren Händen [S. 223] seine beiden Hände; Anton sah in Lenorens weinende Augen und hörte noch, wie sie mit weicher Stimme unter Thränen zu ihm sagte: »Leben Sie wohl!« Dann schloß sich die Thür hinter ihm, und Alles war vorbei.

Anton ging langsam nach Hause. Es war so ruhig und still in seiner Seele, als wäre er nie in dem Hause hinter ihm gewesen, er sah auf die großen Schneeflocken, welche vor ihm herunterfielen, und freute sich über die Spur, welche die Fußgänger in den weichen Schnee gedrückt hatten. Wenn er Schmerzen fühlte, so waren sie doch ohne Bitterkeit. Er trug sein Haupt stolz und dachte an alles Mögliche, woran ein unbefangener Spaziergänger denkt, an seine Eltern, an die Briefe, die er im Geschäft geschrieben hatte, an seinen Prinzipal und auch an den närrischen Tinkeles, den Fink heut wieder zum Comtoir hinausgewiesen. Aber in seinem Ohr klang fortwährend eine Melodie, die neben allen Gedanken forttönte, es waren die Worte Lenorens: »Leben Sie wohl!«


In dem Salon der gnädigen Frau kehrte das Leben zurück, als er das Zimmer verlassen hatte. Das erste Wort, welches gehört wurde, war der strafende Ruf der Mutter, die ihre Tochter zu sich forderte, welche in der vergangenen Scene eine so auffallende Rolle improvisirt hatte. »Lenore, du hast dich vergessen!« sagte die Mutter leise und bekümmert.

»Laß sie,« sagte der Freiherr mit Geistesgegenwart laut, »die Tochter hat gethan, was der Vater hätte thun sollen, der junge Mann hat sich brav gehalten, und wir werden ihm unsere Achtung nicht versagen.«

Unter den übrigen Gruppen aber erhob sich ein Gemurmel, die Einleitung zu lebhafter Unterhaltung. »Das war ja eine wahre Theaterscene,« sagte die Dame vom Hause mit nicht ganz natürlichem Lächeln; — »aber, wer hat uns denn gesagt —«

[S. 224]

»Ja, wer hat denn gesagt? —« fiel Herr von Tönnchen ein.

Aller Augen richteten sich auf Fink.

»Sie sagten ja doch, Herr von Fink,« — fing Frau von Baldereck wieder an, sich majestätisch erhebend.

»Ja wohl,« fiel Herr von Zernitz ein, »und es ist doch etwas an dem Gerücht, mein Wort darauf! Ich selbst habe bei einem notariellen Act als Zeuge gedient,« fuhr er unvorsichtig heraus. »Erklären Sie doch, Fink.«

»Auch ich muß um Erklärung bitten, Herr von Fink,« fuhr die Hausfrau gereizt fort.

»Mich? gnädige Frau,« sagte Fink mit der Ruhe eines Gerechten, dem ein Unrecht geschieht. »Was soll ich von diesem Gerücht wissen? Ich selbst habe ihm widersprochen, so viel ich nur konnte.«

»Ja, das haben Sie,« ließen einzelne Stimmen sich hören, »aber Sie ließen merken —«

»Sie sagten doch —« fiel Frau von Baldereck ein.

»Was? gnädige Frau,« frug kalt der unerschütterliche Fink.

— »daß dieser Herr Wohlfart auf geheimnißvolle Weise mit dem — dem Kaiser — in Verbindung stehe.«

»Das ist unmöglich,« antwortete Fink mit größtem Ernst. »Das ist ein arges Mißverständniß! Ich habe Ihnen die Person des Herrn beschrieben, der Ihnen damals noch unbekannt war; es ist möglich, daß ich dabei eine zufällige Aehnlichkeit erwähnt habe.«

»Aber was ist das mit den Gütern?« fiel Herr von Tönnchen ein, »Sie selbst haben ja die Herrschaft an ihn cedirt, und dieser Verkauf war von auffallenden Umständen begleitet. Sie forderten von uns, die Sache als tiefes Geheimniß zu bewahren.«

»Da Sie mein Geheimniß so gut bewahrt haben, daß Sie es überall und jetzt hier vor der ganzen Gesellschaft erzählen,« entgegnete Fink lachend, »so tragen Sie und Zernitz offenbar [S. 225] die Schuld, wenn sich dies thörichte Gerücht verbreitet hat. Merken Sie auf, meine theuren Herren. Mein Freund Wohlfart hatte einmal in fröhlicher Stimmung geäußert, er wünsche wohl, Grundbesitz in Amerika zu haben. Ich machte mir einen Scherz und schenkte ihm zu Weihnachten eine Besitzung, die ich auf Long-Island bei Newyork hatte. Diese Besitzung, meine Herren, besteht in einer Sandgrube, welche mit Gesträuch bewachsen ist und in welcher eine breterne Vogelhütte zum Schießen von Strandvögeln steht. Wenn ich Sie gebeten habe, nicht davon zu sprechen, so war das ganz in Ordnung; daß Sie aber aus dieser Kleinigkeit ein Tau gesponnen haben, welches einen liebenswürdigen Mann von unserer Gesellschaft scheiden soll, thut mir sehr leid.« Ein kalter Hohn legte sich auf sein Gesicht, als er fortfuhr: »Mit Freuden sehe ich, wie sehr Sie alle dies Bedauern theilen, und wie stark Sie den gemeinen Bedientensinn verachten, welcher einen Mann deßwegen für salonfähig hält, weil irgend ein fremder Potentat sich um ihn gekümmert haben soll. Da wir aber den heutigen Ball mit Erklärungen angefangen haben, so will auch ich die Erklärung abgeben, daß Herr Anton Wohlfart legitimer Sohn des verstorbenen Herrn Calculator Wohlfart in Ostrau ist, und daß ich jede fernere Erwähnung dieser Mißverständnisse für eine Beleidigung meines nächsten Freundes halten werde. — Und jetzt, gnädige Frau, schenken Sie mir auf's Neue Ihre Huld, ich bin mit Fräulein Eugenie zur ersten Quadrille engagirt und fühle mich außer Stande, länger zu warten.«

In Frau von Baldereck kämpfte eine Weile verletztes Selbstgefühl und mütterliche Sorgfalt, endlich siegte, wie bei einer guten Natur zu erwarten war, die letztere; sie sagte, Fink vorwurfsvoll anblickend, leise: »Ich fürchte, Sie haben Ihr Spiel mit uns getrieben!« — Fink aber schüttelte den Kopf und erwiederte mit großer Aufrichtigkeit: »Man spielt nicht, wo man fühlt.« Darauf führte er Fräulein Eugenie zum Tanze.

Beim Antreten sagte ihm Lieutnant von Zernitz: »Sie [S. 226] haben Ihr Spiel mit uns getrieben, Fink, ich bedaure, darüber noch eine Erklärung von Ihnen fordern zu müssen.«

»Seien Sie verständig und fordern Sie nichts,« entgegnete Fink, »wir haben so oft mit einander um die Wette geschossen, daß es sehr thöricht wäre, wenn wir einer auf den andern zielen wollten.«

Da Fink bei weitem der beste Schütz in der Gesellschaft war, so sah Herr von Zernitz doch zuletzt ein, daß Fink Recht hatte. Und eine kleine Spannung von einigen Wochen abgerechnet, welche an einem stillen Abend bei der zweiten Flasche Burgunder durch Händeschütteln ausgeglichen wurde, hatte die Sache keine weitern Folgen. — Doch erkaltete seit dem Abgange Antons das Interesse, welches Fink an der Tanzstunde genommen, und weder Theone Lara noch Lenore hatten Ursache, seine Anspielungen zu fürchten, denn wenn er im Salon erschien, so begnügte er sich, der Tochter vom Hause und einigen erfahrenen Frauen seine Huldigung darzubringen, um die aufstrebende Jugend kümmerte er sich nicht mehr.

Anton aber war wie ein erlöschender Stern aus der Gesellschaft geschieden. Er wurde nicht wieder darin gesehen. Frau von Baldereck erkannte etwas spät, daß es passend sei, den jungen Mann, der doch einmal in ihrem Hause aufgenommen war, gelegentlich wieder einzuladen, um ihm und Andern zu zeigen, daß man seine Gegenwart nicht bloß deßhalb für anständig halte, weil er — sondern auch um seiner selbst willen. — Und einige andere Familien des Landadels dachten ebenso; da aber, wie bemerkt, alle diese Einladungen etwas spät kamen, und Anton sein Nichterscheinen entschuldigte, so geschah ihm in Kurzem, was viel bedeutenderen Größen der Gesellschaft zu begegnen pflegt, er wurde vergessen. Die früheren Eideshelfer bei der großen Urkunde, Herr von Zernitz und Herr von Tönnchen, redeten ihn noch eine Weile auf der Straße an, wenn er ihnen begegnete, dann grüßten sie ihn noch ein Jahr, und endlich kannten auch sie ihn nicht mehr.

Unserm Anton kam wenig darauf an. Er stürzte sich jetzt [S. 227] mit Leidenschaft in die Arbeiten des Geschäfts. Gleich am andern Morgen klopfte er an die Thür des kleinen Comtoirs und trat in das Allerheiligste des Prinzipals ein. Er erzählte ihm, was er gestern zu Frau von Baldereck gesagt habe, und fügte hinzu: »Ich werde nicht mehr in die Gesellschaft gehen und ich bitte Sie, mir zu verzeihen, wenn ich in der letzten Zeit meine Pflicht nicht vollständig gethan habe, ich werde von heut an sorgfältiger sein.«

»Ich habe keinen Grund, über Sie zu klagen,« erwiederte der Kaufmann freundlich; »geben Sie mir die Summe an, welche Sie bedürfen, um Ihre Verhältnisse in Ordnung zu bringen.« Anton zog einen Zettel aus der Tasche, auf dem er gewissenhaft sein Debet aufgezeichnet hatte, Herr Schröter rief den Cassirer, ließ die Summe an Anton zahlen und diesem zur Last schreiben, und auch das war abgemacht.

Fink sagte am nächsten Tage zu Anton: »Du bist mit einem Knalleffect ausgetreten und hast von den ältern Herren der Gesellschaft das Zeugniß bekommen, daß du dich angemessen benommen hast.«

»Wer hat das gesagt?« Fink erzählte ihm die Aeußerungen des Freiherrn von Rothsattel und that, als bemerke er nicht, daß Antons Gesicht eine tiefe Röthe überflog. »Indeß wäre doch klüger gewesen,« fuhr Fink fort, »wenn du die Angelegenheit nicht so auf die Spitze getrieben hättest. Wozu die ganze Gesellschaft meiden, in der doch Einige sind, die dich persönlich lieb gewonnen haben?«

»Ich habe gehandelt,« sprach Anton, »wie mir mein Gefühl eingab, ein Anderer, der älter ist und mehr Welt hat, wird es vielleicht geschickter anfangen. Du kannst mir nicht zürnen, daß ich in dieser Sache nicht deinem Rath gefolgt bin.«

»Es ist merkwürdig,« dachte Fink, die Treppe hinuntersteigend, »bei welchen Gelegenheiten die verschiedenen Menschen lernen, den eigenen Willen zu gebrauchen. Dieser Knabe ist über Nacht selbstständig geworden, und was ihm das Schicksal [S. 228] jetzt von größeren Dingen bringt, er wird sicher Alles anständig durchmachen.«

Für Anton sowohl, als seinen Freund, war ein gutes Zeichen, daß ihr Verhältniß durch diese Scene nicht gestört wurde. Ja, es gewann an innerem Werth. Fink behandelte seinen jüngern Freund mit größerer Achtung, und Anton bewegte sich mit mehr Freiheit und gewöhnte sich, auch Fink gegenüber einen eigenen Willen zu haben. Und das richtige Urtheil des Jüngern trug allmälig dazu bei, den Aelteren von manchem losen Streich abzuhalten und seinen Uebermuth zu bändigen. Anton erfüllte seine Pflichten im Comtoir mit der größten Pünktlichkeit, sein Diensteifer war unendlich, und seine Zuvorkommenheit gegen die Collegen größer als jemals. Fink gewöhnte sich dadurch, ohne daß er es selbst merkte, auch seinerseits regelmäßiger im Geschäft zu erscheinen und die Arbeitsstunden besser auszuhalten. Nur einen Gegenstand gab es, über den er mit seinem Freunde nie sprach, obgleich er wußte, daß Anton immer an ihn dachte, das war die junge Dame der Tanzstunde, welche so viel Herz und Muth gezeigt hatte.


IV.

Nie hatten die Blumen so reichlich geblüht und nie die Vögel so lustig gesungen, als in diesem Sommer auf dem Gut des Freiherrn. Die Wintersaison hatte die Familie mit einem großen Theil des Landadels verbunden, und die Bekanntschaften des Theetisches und Ballsaales spannen sich jetzt unter dem blauen Himmel weiter. Fast immer war Besuch auf dem Schloß. Aus der Stadt kam Frau von Baldereck mit Eugenie, zuweilen auch der Laubfrosch, Zernitz und Benno Tönnchen, von ihrem Gut Frau von Werner mit einem Sohn und vier Töchtern. Theone und Hildegard waren wochenlang [S. 229] die Gäste Lenorens, sie hatten kein Mittel gefunden, ihren Schwur zu halten, und trafen jetzt wenigstens auf befreundetem Gebiet wieder zusammen. Das Haus schien manchmal zu klein, die Gäste zu fassen. In allen Zimmern des Schlosses und auf dem runden Rasenplatz tummelten sich die zierlichen Gestalten der Mädchen. Sie lasen Theaterstücke mit vertheilten Rollen, sie fühlten mit einander die zartesten und höchsten Gefühle durch, sie tanzten, sie schlugen den Dritten ab, oder ließen sich vom wilden Mann jagen. Und wenn die jungen Herren ja einmal langweilig wurden und die Stimmung der Mädchen nicht verstanden, so bestiegen diese den Kahn, ergriffen die Streichruder und zogen sich vom Festlande zurück in eine unangreifbare Stellung mitten auf dem Wasser. Wie süß wurde dort geschwärmt, wenn das Ruder leise in der Fluth plätscherte und der Mond über den Bäumen des Parks heraufzog. Um den Kahn hoben die Seerosen ihr weißes Haupt aus dem Wasser, erfreut, daß ihre Feinde, die Schwäne, zur Ruhe gegangen waren, das Bild des Mondes zitterte auf dem Kamm kleiner Kreiswellen, die Nachtigall schmetterte im Busch und ein warmer Windeshauch trieb den Duft blühender Sträucher über den See. Dann sangen Theone und Hildegard zweistimmige Lieder, oder Hulda Werner gestand eine holde Erinnerung aus der Residenz, oder Eugenie machte spöttische Bemerkungen über die unglücklichen Herren, welche am Uferrand auf- und abliefen und vergeblich durch List und Gewalt in den Besitz des Kahnes zu kommen suchten.

Aber die prächtigsten Stunden waren am Sonntag Abend; dann wurde das Winterkränzchen fortgesetzt, der Reihe nach im Schloß der Rothsattel, bei Werners, bei Balderecks. Wenn man nicht tanzte, trieb man schelmische Possen. Man verkleidete sich. Mit Mänteln, Shawls und Tüchern drapirte sich die junge Gesellschaft in der lächerlichsten Weise, dann stellte Zernitz, der in solchen Dingen ein Meister war, schnell ein Tableau, und die Väter und Mütter mußten als Publikum zusehen. Oder man führte Charaden in dramatischen [S. 230] Scenen auf, entweder aus dem Stegreif oder so, daß die Rollen der Einzelnen auf kleine Zettel geschrieben wurden, die man während der Aufführung in der Hand hielt. Die ganze Woche hindurch dachten die Mädchen auf hübsche Wörter, und wie man sie darstellen könnte. Classische Wörter wurden dort aufgeführt, zum Beispiel: »Referendarius,« als Reh, als Fee, als Wettrennen und als König Darius, wo Benno Tönnchen als todter Darius auf dem Boden lag, und die schöne Hulda Werner als Alexander der Große mit gerungenen Händen hinter ihm stand, worauf Lenore als Ganzes mit einer Brille auf der Nase und Acten unter dem Arm erschien und über den Laubfrosch, welcher ein Verbrechen begangen hatte, ihr Protokoll aufnahm. —

Und erst als das treffliche Wort Parthenia dargestellt wurde! Zuerst ein feierliches Ehepaar aus der alten Zeit; dann ein langweiliger Thee, dann ein schüchterner Liebhaber, welcher täglich seiner Dame einen Liebesantrag machen will und niemals damit zu Stande kommt, sondern immer sitzen bleibt, so daß die Dame zuletzt mit einem Seufzer die Erklärung ausrufen kann, »nie, nie!« und dann eine andere Brautwerbung, bei der ein verschämtes Bauermädchen ihrem Liebhaber, dem Otto Tronka, zuletzt ein leises Ja zuflüstern muß. — Theone Lara war als Bauermädchen bezaubernd, nur das Ja sprach sie nicht aus, sie schämte sich. — Und am Schluß erschien Lenore wieder als Ganzes, als eine griechische Jungfrau, und der Laubfrosch, der Nußknacker und der kleine Lanzau saßen als Wilde in schwarzhaarigen Schlittendecken um sie herum, und wurden von ihr ach! so schlecht behandelt.

Wie glücklich war Lenore in dieser Zeit! Zwar ein wenig Original war sie geblieben, und die Mutter schüttelte zuweilen den Kopf über einen kecken Einfall oder einen kräftigen Ausruf, der den Lippen des schönen Mädchens entschlüpfte. Natürlich tanzte Lenore immer als Herr, so oft es an Herren fehlte; sie war die Anführerin bei einigen entschlossenen Thaten, welche die Mädchen verübten, sie trieb ihre ganze Gesellschaft [S. 231] einmal wohl eine Meile weit auf einen Punkt, wo eine gute Aussicht sein sollte, sie zwang sie dann, in die Schenke des nächsten Dorfes einzukehren und Milch und Schwarzbrod als Abendkost zu genießen, und brachte die Todtmüden am späten Abend auf einem Leiterwagen zurück, den sie gemiethet hatte und auf dem sie stand und selbst kutschirte. Sie behandelte die jüngeren Herren fortwährend gönnerhaft, wie kleine Jungen, die ein Butterbrod in der Hand halten, sie ließ sich von ihnen Pferdegeschichten erzählen, und trat bei einer dramatischen Scene zum Schrecken der Mutter sogar selbst als Herr auf, mit einer Reitpeitsche und einem kleinen Bart von Wolle, den sie allerliebst zu drehen wußte. Dabei sah sie aber so wunderhübsch aus, daß die Baronin nicht im Ernst zürnen konnte.

Wenn jemand auf dem Gut mit dem neuen Leben der Familie nicht ganz zufrieden war, so war's die Baronin. Ueber ihren Gemahl war Zerstreuung und Geschäftigkeit gekommen, die wolkenlose ruhige Heiterkeit früherer Jahre schien aus seiner Seele verschwunden. Auch jetzt im Sommer fuhr er oft nach der Stadt, manchen Abend brachte er in der Ressource zu, und lustige Regimentskameraden, welche eine Frau zu nehmen vermieden hatten, zogen ihn häufig aus den Zimmern der Hausfrau in ihre Rauchstuben. Er verhandelte mit Ehrenthal und gefiel sich in lauter Gesellschaft, von der er sonst wenig gehalten hatte. Es war eine sehr geringe Veränderung des Freiherrn, nur für das Auge der Gattin erkennbar. Und auch die Baronin sah ein, daß sie Unrecht thue, über diese Veränderung zu trauern.

Aber auch ihr wurde in dieser Zeit große Freude. Eugen bestand sein Offizierexamen und kündigte seinen Besuch an, um die Schnüre auf seinen Achseln zu zeigen. Die Mutter ließ ihm sein Zimmer neu einrichten, und der Vater stellte einen Gewehrschrank und eine neue Jagdausrüstung hinein, die er ihm zum Geschenk bestimmte. Als die Stunde kam, wo Eugen eintreffen sollte, konnte der Freiherr die Ankunft gar nicht erwarten, er ließ satteln und ritt dem Sohn bis [S. 232] zum nächsten Dorf entgegen. Und als eine kleine Staubwolke auf der Landstraße das Nahen des Reiters verkündete und der Vater die schlanke Gestalt des Husarenlieutnants vor sich erblickte, das Gesicht, welches der geliebten Frau so ähnlich sah, da sprang er wie ein Jüngling vom Pferde, der Sohn that im Nu dasselbe, und es war ein guter Anblick, als die beiden ritterlichen Gestalten einander auf der Heerstraße umarmten. Und stattlich anzusehen war's, als sie neben einander dem Schlosse zutrabten.

»Ich bringe dir auch gute Nachricht vom Regiment,« begann Eugen nach dem ersten Austausch freudiger Fragen und Antworten. »Zuerst läßt dich der Oberst grüßen.«

»Er war seiner Zeit ein toller Junge,« sagte der Vater.

»Jetzt ist er ein Brummbär,« sagte der Sohn. — »Unser Avancement wird magnifique. Waldorf wird ausscheiden müssen, weil seine Brust immer schlechter wird; Balduin Tronka will sich versetzen lassen, er hat mit dem Rittmeister einen famosen Streit gehabt, die Geschichte muß ich dir noch erzählen, und Stallinger bekommt das Majorat seines Onkels, der auf dem Tode liegt. Er wird ein fanatisch reicher Kerl. Man sagt, Zwanzigtausend Revenüen.«

»Das ist sehr übertrieben,« sagte der Vater, »das Majorat ist wenig größer, als unser Gut.«

»Jedenfalls wird er seinen Walach dem Wachtmeister schenken,« sagte der Sohn. »Er hat dem Tisch einen süperben Satz versprochen. Wie gefällt dir mein Brauner, Vater?« Sie hielten vor dem Hofe an, der Lieutnant ritt das Pferd vor. Der Freiherr untersuchte als Kenner und sprach im Allgemeinen seine Billigung aus. Vor dem Pferdestall hielten sie noch einmal an. »Wir wollen die Frauen überraschen,« sagte der Freiherr. Als der Reitknecht die Pferde abnahm, konnten Vater und Sohn sich nicht enthalten, auf einen Augenblick in den Stall zu treten. Zuerst prüften sie die Reitpferde des Freiherrn, dann gingen sie die Reihe der Ackergäule durch. Mit Gönnermiene schlug der Lieutnant das eine [S. 233] oder andere, einen persönlichen Bekannten an den Hals und sprach zur Freude des Vaters mit militärischer Kürze entschiedene Urtheile über die Tüchtigkeit aus. Die Knechte standen ehrerbietig herum, Vater und Sohn geriethen in Eifer und theilten einander nicht aufzuschiebende Sportanekdoten mit, der Freiherr mit der Ruhe eines alten Roßbändigers, der Lieutnant mit jugendlichem Feuer, seelenvergnügt, vor der erprobten Weisheit des Vaters auch seine lustig grünende Wissenschaft zu zeigen. Bei Lenorens Pony erinnerten sich Vater und Sohn zu gleicher Zeit an die Frauen des Hauses und eilten schnell aus dem Stall nach dem Schlosse.

In der Rosenlaube hielt die Baronin ihren Sohn umschlungen, während Lenore ihm liebkosend auf die Schultern klopfte. — Jetzt erst begann die rechte Freude auf dem Schloß. — Die Augen der Eltern glänzten, so oft sie auf die hohe Gestalt des Reiters sahen. Wenn einzelne seiner Ausdrücke und Geberden noch an die Reitbahn erinnerten, so ertrug auch die Baronin das mit freundlichem Lächeln. Denn seit alter Zeit ist der Stall die Vorhalle, durch welche der Cavalier zu den gefälligen Formen des Salons hinaufsteigt. Im Kreise der Mädchen eroberte sich Eugen sofort die Herrschaft, wenigstens in allen lustigen Stunden wurde er ihr bevorzugter Gefährte. Er machte seine Besuche in der Umgegend, man lud ein und wurde geladen, ein fröhliches Fest folgte dem andern.


Das Behagen an diesem bunten Treiben wurde dem Freiherrn durch einen Umstand beeinträchtigt: er konnte durchaus nicht mehr mit seinem Gelde auskommen. Was zwanzig Jahre hindurch möglich gewesen war, erwies sich jetzt als völlig unmöglich. Das Winterquartier in der Stadt, die größere Ausdehnung seiner gesellschaftlichen Verbindungen, die Epauletten seines Sohnes, die Florkleider und Spitzen Lenorens, sogar die Zuschüsse, welche er zu den jährlichen Zinsen seiner Pfandbriefe [S. 234] machen mußte, um die Interessen an die Landschaft zu zahlen, das Alles zusammen wurde ihm unbequem. Die Erträge des Gutes wurden zuweilen ungeduldig erwartet und schnell in Anspruch genommen, sie wurden dadurch nicht größer und nicht sicherer; und mancher verständige Vorsatz früherer Zeiten blieb unausgeführt. Der Freiherr hatte den Plan gefaßt, eine sterile Sandfläche an der Grenze seines Gutes mit Kiefern zu besäen, sogar die unbedeutenden Kosten dieser Verbesserung wurden ihm lästig, und der gelbe Sand glänzte ungefurcht das ganze Jahr in der Sonne. Wieder war er mehr als ein Mal in die Lage gekommen, die zierliche Cassette, welche seine geliebten Pfandbriefe beherbergte, zu öffnen und einzelne Nummern des schönen Pergaments herauszunehmen; wieder umwölkte sich seine Stirn, und wieder durchfuhr eine fliegende Unruhe sein in der Regel so würdig gehaltenes Wesen. Aber es war nicht mehr die quälende Angst einer früheren Zeit, er hatte bereits eine kleine Praxis in Geschäften erworben und sah die Sache ein wenig kaltblütiger an. Es mußte einen Weg geben, aus diesen Verlegenheiten herauszukommen, im schlimmsten Falle lebte er noch einen, höchstens zwei Winter in der Stadt, bis Lenorens Erziehung vollendet war, und zog sich dann mit Energie in seine Landwirthschaft zurück. Er fühlte, daß ihn das kein großes Opfer kosten würde. Und dann führte er seine industriellen Projecte aus, als guter Wirth nur auf die Zukunft der Kinder bedacht. Unterdeß beschloß er, sich gelegentlich bei Ehrenthal Rath zu holen. Der Mann war im Ganzen doch wohl ein ehrlicher Mann, soweit ein Negociant einem Edelmann gegenüber so etwas sein kann; und was die Hauptsache war, er kannte die Verhältnisse des Freiherrn ziemlich genau, und der Herr fühlte ihm gegenüber nicht die Scheu, welche ihn abhalten mußte, einem Fremden Bekenntnisse zu machen.

Wie immer, erschien auch diesmal der Händler zu rechter Zeit. Seine diamantene Busennadel blitzte, seine unterwürfigen Complimente gegen die Baronin waren lächerlicher als je, [S. 235] und seine Bewunderung des Gutes zeigte sich wahrhaft grenzenlos. Der Freiherr führte ihn in guter Laune durch die Wirthschaft und sagte endlich: »Sie sollen mir einen guten Rath geben, Ehrenthal.«

Ehrenthal zuckte mit den Augen und sah den Freiherrn schlau an.

Es waren nur wenige Jahre vergangen, seit sie einen ähnlichen Gang durch die Gebäude des Hofes gemacht hatten, und sehr hatten sich die Zeiten geändert! Damals mußte der Händler seinen guten Rath dem stolzen Baron so vorsichtig und in Süßigkeiten eingehüllt anbieten, wie man dem unartigen Kinde eine Arznei einflößt, und jetzt kam derselbe Herr bereits Hülfe suchend zu ihm.

Der Freiherr fuhr mit möglichst leichtem Tone fort: »Ich habe in diesem Jahr größere Ausgaben gehabt, als früher, selbst die Pfandbriefe verlangen Zuschüsse, ich muß darauf denken, meine Einnahmen zu vermehren. Was ist nach Ihrer Meinung für diesen Zweck am besten zu thun?«

Die Augen des Händlers glänzten, aber er erwiederte mit gebührender Demuth: »Was zu thun ist, werden der Herr Baron besser wissen, als ich.«

»Nur keins von Ihren Geschäften, Ehrenthal,« warf der Freiherr vorsichtig ein. »Ich werde mit Ihnen nicht wieder in Compagnie treten.«

Kopfschüttelnd antwortete Ehrenthal: »Es ist auch nicht immer zu machen ein solches Geschäft, welches ich mit gutem Gewissen dem Herrn Baron empfehlen kann. Der gnädige Herr hat fünfundvierzigtausend Thaler liegen in Pfandbriefen. Wozu sich halten die Pfandbriefe, welche so wenig Zinsen geben? Wenn Sie dafür kaufen eine sichere Hypothek zu fünf Procent, so werden Sie davon zahlen vier Procent an die Landschaft und ein Thaler vom Hundert bleibt Ihnen als Vortheil, ein jährlicher Vortheil von vierhundertfünfzig Thalern für Ihre Casse. Und Sie können dabei haben noch einen größeren Vortheil. Manche sichere Hypothek zu fünf [S. 236] Procent wird angeboten zum Kauf mit großem Profit für den Käufer, welcher baar Geld bezahlen kann. Sie werden vielleicht vierzigtausend Thaler zahlen, vielleicht noch weniger, und eine gute Hypothek erhalten, welche Ihnen bringt fünf Procent Zinsen von fünfundvierzigtausend Thalern.«

Der Freiherr antwortete: »So war auch mein Gedanke, aber mit der Sicherheit solcher Hypotheken, welche auf dem Markt in den Händen von Euch Händlern sind, sieht es schlecht aus, und ich kann mich darauf nicht einlassen.«

Ehrenthal wälzte durch eine Handbewegung jeden Bruchtheil dieses Vorwurfs, welcher ihn persönlich hätte treffen können, von sich ab und sagte ärgerlich über den unsoliden Schacher mit solchen Instrumenten: »Ich mache nicht gern Geschäfte mit Hypotheken; was so ist auf dem Markt in den Händen der Händler, das ist nichts für den Herrn Baron; Sie müssen sich wenden an einen zuverlässigen Mann. Sie haben einen Rechtsanwalt, welcher gute Geschäftskenntniß hat, vielleicht kann der Ihnen schaffen eine sichere Hypothek.«

»Sie wissen also keine?« frug der Freiherr prüfend und doch mit dem stillen Wunsche, daß Ehrenthal ihm die Mühe erleichtern möchte.

»Ich weiß keine,« sagte der Händler mit größter Entschiedenheit. »Aber wenn Sie wünschen, will ich mich erkundigen unter der Hand; es sind immer welche zu haben. Auch Ihr Rechtsanwalt wird Ihnen sagen, was er für sicher hält. Solche Herren geben sich nur keine Mühe bei den Verhandlungen vor dem Kauf, und Sie werden beim Rechtsanwalt voll einzahlen müssen die ganze Summe für dieselbe Hypothek, welche Sie durch einen Geschäftsmann können erhalten mit einem Vortheil von einigen Tausend.«

Da in der Seele des Freiherrn dieser Vortheil bereits die größte Wichtigkeit erlangt hatte, so faßte er in der Stille seinen Entschluß. Er wollte sehr vorsichtig sein, aber wo möglich lieber eine bereits vorhandene Hypothek kaufen, als durch seinen Rechtsfreund das Geld anlegen lassen. Und dem [S. 237] Händler sagte er: »Es eilt nicht; falls Sie etwas Passendes finden, benachrichtigen Sie mich.«

»Ich will mir Mühe geben,« sprach der Händler mit Zurückhaltung, »aber es wird am besten sein, wenn auch der Herr Baron bei diesem Geschäft Erkundigungen einziehen, denn ich mache sonst keine Geschäfte mit Hypotheken.«

Wenn diese Aeußerung auch nicht wahrhaftig war, so erfüllte sie doch ihren Zweck, denn die kühle Unschuld des Händlers steigerte das Zutrauen des Freiherrn zu ihm um ein Bedeutendes. Ehrenthal aber suchte eilig von dem Gute wegzukommen; er vernachlässigte diesmal die feinwolligen Sprungböcke, übersah das runde Aussehen der Sperlinge auf dem Dache und grollte seinem Kutscher, weil dieser zu langsam fuhr. »Wenn ich einer Schnecke binde die Zügel an ihre Hörner, so wird sie mich schneller fahren als Ihr,« zankte er ärgerlich und rückte auf seinem Sitze hin und her.

Der Kutscher peitschte verdrießlich die Pferde und warf grob über die Schultern zurück: »Wenn Sie Ihren Pferden mehr Hafer geben, werden sie mehr sein wie die Schnecken. Zwei Metzen Hafer, und er verlangt Galopp auf steinigem Wege!«

Der Freiherr fuhr am nächsten Tage nach der Stadt und ersuchte seinen Rechtsfreund, die nöthigen Anstalten zur Erwerbung einer Hypothek zu machen. Er verbarg ihm nicht, daß er dieselbe gern mit einigem Vortheil erhalten würde.

Der verständige Jurist rieth ihm dringend, auf solchen Vortheil zu verzichten, weil keine Aussicht sei, daß er eine sichere Anlage um weniger als den Nennwerth bewirken werde. Grade dieser Rath machte den Freiherrn nur noch mehr geneigt, sich beim Erwerb der Hypothek seinem eigenen Urtheil zu überlassen.

Einige Tage darauf meldete sich beim Baron ein starker großer Mann mit röthlichem, glänzendem Gesicht, ein Herr Pinkus aus der Hauptstadt. Der würdige Herbergsvater wurde in das Arbeitszimmer des Barons geführt und beeilte [S. 238] sich, sein Erscheinen zu entschuldigen. Er hatte gehört, daß der gnädige Herr Geld anzulegen wünschte, und wußte eine ausgezeichnet sichere, höchst empfehlenswerthe Hypothek von vierzigtausend Thalern auf eine große Herrschaft in der benachbarten Provinz, Eigenthum des reichen Grafen Zaminsky, der im Auslande lebte. Die Güter, auf welchen die Hypothek haftete, hatten alle möglichen Vortheile; es waren drei, vier Güter, es war eine Waldfläche dabei von mehr als zweitausend Morgen, und reiner Urwald war das nach den Schwüren des Berichterstatters. Vier Dörfer waren zu Spann- und Handarbeit verpflichtet, hundert Stellen in vier Dörfern hatten baares Geld an die Herrschaft zu zahlen, kurz es war eine Besitzung, welche dem größten Fürsten keine Schande gemacht hätte. Und diese Hypothek von vierzigtausend Thalern stand mit ihrem Pfandrecht gleich hinter den ersten hunderttausend Thalern. Hinter ihr waren noch fünf oder sechs kleinere, aber immerhin ansehnliche Capitalien eingetragen. Die Hypothek war gegenwärtig im Besitz des Grafen Zaminsky selbst. Er hatte dieselbe seinem Geschäftsträger zum Verkaufe cedirt. Und dieses vortreffliche Instrument war, wie Pinkus geheimnißvoll andeutete, möglicherweise für neunzig Procent, also für sechsunddreißig tausend Thaler zu haben. Es war unbequem, daß die Herrschaft in einer benachbarten Provinz lag, in welcher die Landwirthschaft noch viele alterthümliche Eigenheiten hatte. Aber die Grenze war höchstens zwei Meilen entfernt, die nächste Kreisstadt war durch die Chaussee mit der Welt verbunden, kurz es gab nichts, was nicht bei unbefangener Betrachtung an der Hypothek einnehmend erschienen wäre, und Pinkus würde sich nie entschlossen haben, einen solchen Schatz irgend einem fremden Käufer zu gönnen, wenn dieser nicht in so ausgezeichneter Weise alle Tugenden in seiner Person vereinigte, wie der Freiherr.

Der Gutsherr verhielt sich gegenüber diesen Anpreisungen würdig, wie einem Mann von Erfahrung geziemte. Vor seinem Abgange zog Pinkus ein dickes Actenbündel, welches das [S. 239] Document selbst vorstellte, aus einer Ledertasche hervor und legte dasselbe vertrauensvoll vor dem Freiherrn auf den Tisch, damit dieser mit Muße die Richtigkeit aller Angaben prüfen könne.

Am andern Morgen fuhr der Freiherr mit dem Document zu seinem Rechtsfreund, ersuchte ihn, dasselbe durchzusehen und die nöthigen Ermittelungen anzustellen. Er selbst stieg die schwarze Treppe zur weißlackirten Pforte des Herrn Ehrenthal hinauf.

Ehrenthal war entzückt über das Glück, welches ihm widerfuhr, er warf seinen Schlafrock mit Blitzeseile ab und bestand darauf, der Herr Baron möge ihm die unendliche Ehre erweisen, bei ihm zu frühstücken. Der Freiherr war human genug, das nicht ganz auszuschlagen; er wurde in das distinguirte Putzzimmer des Hauses geführt und sah mit innerer Heiterkeit über die auffallenden Farben der bunten Vorhänge, den rothen Plüsch des Sophas, den unsaubern Fußboden und die zahlreichen schlechten Oelbilder an den Wänden, dicke Farbenmassen, welche wahrscheinlich auf dem Trödel gekauft waren und schwärzlichen Baumschlag aus irgend einem unreinlichen Welttheil darstellten. Die schöne Rosalie trat nach einer Weile selbst herein mit rabenschwarzen Hängelocken, in rauschendem Seidenkleid, machte eine tiefe Verbeugung und besetzte den Frühstückstisch. Es war dem Freiherrn eine stille Unterhaltung, zu beobachten, wie die gezierte Haltung der Tochter mit dem kriechenden Wesen des Vaters contrastirte, und der gute Herr freute sich schon darauf, wie er auf den Abend beim Theetisch der Baronin und seiner Lenore dies wunderliche Gemisch von Luxus und Unbehülflichkeit schildern würde. So saß er auf dem Sopha und sah mit freundlichem Lächeln auf den Händler. Herr Ehrenthal saß ihm gegenüber und freute sich auch und auch sein Mund lächelte verbindlich. Endlich sagte der Freiherr, nachdem er der schönen Tochter des Hauses einige artige Worte gegönnt hatte: »Kennen Sie einen Herrn Pinkus, lieber Ehrenthal?«

[S. 240]

Die Tochter verschwand bei diesen geschäftlichen Andeutungen, der Vater rückte sich auf seinem Stuhle zurecht. »Ja, ich kenne ihn,« sagte er kühl, »er ist ein kleiner Geschäftsmann; ich glaube auch, daß er ist ein ehrlicher Mann. Er ist nicht von Bedeutung, er macht seine Geschäfte nach Polen zu.«

»Haben Sie diesem Herrn etwas von meinem Wunsche gesagt, eine Hypothek zu kaufen?« frug der Freiherr weiter.

»Was sollte ich es ihm sagen?« antwortete Ehrenthal; »ist er gewesen bei Ihnen wegen einer Hypothek,« fuhr er kopfschüttelnd fort, »so hat er es erfahren von einem andern Geschäftsmann, mit dem ich darüber gesprochen. Der Pinkus ist ein kleiner Mann, was kann er bringen eine Hypothek für Sie?« Hier deutete Herr Ehrenthal durch eine Handbewegung an, wie klein Pinkus sei, und hob die Augen in die Höhe, gleichsam um die unermeßliche Höhe des Barons anzudeuten.

Der Baron erzählte ihm darauf, welche Hypothek der Unterhändler ihm angeboten habe, und frug nach den Gütern und Verhältnissen des Grafen.

Herr Ehrenthal wußte nichts Näheres, besann sich aber, daß ein respectabler Geschäftsmann aus jener Gegend in der Stadt sei, und erbot sich, diesen Mann aufsuchen zu lassen und in die Wohnung des Freiherrn zu senden.

Das nahm der Freiherr an und erhob sich. Ehrenthal begleitete ihn die Treppe hinunter bis in den Hausflur und sagte beim Abschiede: »Seien Sie vorsichtig mit der Hypothek, Herr Baron, es ist schönes Geld, und es giebt viele schlechte Hypotheken, aber es giebt auch gute Hypotheken, und es wird viel geschwatzt von manchen Geschäftsleuten zur Empfehlung ihrer Sachen. Und was den Löbel Pinkus betrifft, so ist er nur ein kleiner Mann, er wird nicht viel haben vom Geschäft, aber er ist, so weit ich ihn kenne, ein ehrlicher Mann. Was Sie mir von der Hypothek sagen, scheint gut, aber doch bitte ich unterthänig, Herr Baron, seien Sie vorsichtig.«

Da der Freiherr durch diese wortreiche Rede um nichts klüger geworden war, so ging er in seine Wohnung und erwartete [S. 241] mit Ungeduld die Ankunft des fremden Geschäftsmanns. Dieser ließ nicht lange auf sich warten. Diesmal war es ein Herr Löwenberg, in seiner Erscheinung ein Seitenstück zu Ehrenthal und Pinkus. Nur war er etwas hagerer und trug als Mann aus der Provinz ein schweres spanisches Rohr und in der Hand eine Mütze. Er gab sich als Weinkaufmann zu erkennen und zeigte sich über die betreffenden Güter und die Verhältnisse des Grafen sehr gut unterrichtet. Er erzählte, daß der gegenwärtige Besitzer noch jung sei und im Auslande lebe, daß der verstorbene Vater desselben etwas bunt gewirthschaftet habe, dagegen sei jetzt bessere Ordnung eingeführt, man erzähle Gutes von dem Erben, und wenn auch Capitalien auf den Gütern ständen, so habe die Familie doch so viele Mittel, daß an eine Gefährdung ihres Besitzes gar nicht zu denken sei. Die Güter seien noch nicht auf hoher Culturstufe, jedenfalls sei aber viel daraus zu machen, und er hoffe, der junge Graf werde der Mann dazu sein. Alles, was er sagte, war nicht übertrieben, es klang recht nüchtern und verständig. Das Ganze war entschieden günstig, und als der Fremde den Baron verließ, war dieser fest entschlossen, das Geschäft zu machen. Um nichts zu versäumen, ging er noch zu einem seiner Bekannten und zog Erkundigungen ein. Was er erfuhr, war nicht viel, aber auch nicht ungünstig. Die Hauptsache war, daß die Familie eine sehr alte und in ihrer Provinz angesehene Familie war, und daß der verstorbene Graf Zaminsky wild gewirthschaftet hatte. Bevor er nach Hause fuhr, erhielt er einen Gegenbesuch des Herrn Ehrenthal, welcher ihn benachrichtigte, daß die Wolle der Schafe auf diesen Gütern allerdings nicht fein sei, und dagegen vom Freiherrn erfuhr, daß er vor Allem noch das Gutachten seines Rechtsfreundes abwarten wolle, bevor er sich entschließe.


Das kleine Comtoir Ehrenthals lag im Wohnhaus zu ebener Erde und hatte seinen einzigen Eingang von dem Hausflur. [S. 242] Es war gegen Abend, als Herr Ehrenthal in das Comtoir trat, wo Itzig gelangweilt vor einem Buch weißen Briefpapiers saß und die Ankunft seines Meisters erwartete. Ehrenthal war in großer Aufregung, er legte seinen Stock auf den Tisch, vergaß aber seinen Hut abzunehmen und schritt unruhig in dem Raume auf und ab.

Itzig dachte: »Was thut der Mann? Was hat er, daß er so in Sorgen ist?« Da trat Ehrenthal vor Itzig und sagte mit Eifer: »Itzig, heut werden Sie zeigen, ob Sie verdienen, daß Sie Brod bei mir haben und den Mittagstisch, den ich Ihnen gebe wegen Ihrer Bildung.«

»Was soll ich thun?« sprach Veitel und erhob sich von seinem Sitz.

»Erst werden Sie mir rufen den Löbel Pinkus, dann werden Sie mir bestellen eine Flasche Wein und zwei Gläser, und dann gehen Sie fort, ich brauche Sie heut nicht mehr. Sie sollen mir aber gehen und herausbringen, an wen der Justizrath Horn, welcher wohnt am Markte, heut geschrieben hat nach Rosmin, außerhalb der Provinz, und wenn er heut nicht geschrieben hat, an wen er morgen schreibt. Ich werde Ihnen geben fünf Thalerstücke, damit Sie das können erfahren. Wenn Sie mir heut Abend noch Antwort bringen, so sollen Sie außerdem haben einen Ducaten.«

Veitel erglühte innerlich, entgegnete aber mit dem Schein von Kälte: »Ich kenne keinen von den Schreibern des Justizraths und brauche Zeit, bis ich machen kann ihre Bekanntschaft. Morgen Abend sollen Sie Antwort haben, Sie können mir aufheben den Ducaten auf morgen.«

»Wenn Sie Bescheid bringen, kommen Sie zu jeder Zeit, und wenn es wäre nach Mitternacht,« rief ihm Ehrenthal nach.

Itzig sprang die Treppe hinauf, bestellte in der Küche eine Flasche Wein und lief dann als Spürhund auf die Straßen.

Unterdeß schritt Herr Ehrenthal, den Hut auf dem Kopfe, die Hände auf dem Rücken, immer noch in dem Comtoir auf und ab, und nickte dabei mit dem Haupt wie eine Pagode. [S. 243] So sah er in dem Halbdunkel des Zimmers aus wie ein dickes schwarzes Gespenst, das seinen abgeschlagenen Kopf nicht fest auf den Schultern halten kann.

Veitel führte auf seinem Gange lebhafte Unterhaltung mit sich selbst. »Was ist los?« frug er, »es muß ein großes Geschäft sein und soll mir bleiben ein Geheimniß. Ich soll den Pinkus holen. Der Pinkus ist gewesen vor einigen Tagen beim Ehrenthal, und den Tag darauf ist er gefahren auf's Land zum Baron Rothsattel. Das Geschäft ist also über den Baron. Und der Ehrenthal will Einem vorsetzen ein Glas Wein, der Pinkus bekommt keinen Wein, es muß sein ein Anderer, es wird nicht sein der Baron selbst, denn den Edelmann führt er nicht auf's Comtoir, der muß oben hinauf zum rothen Plüsch. — Wenn der Pinkus zu thun hat bei dem Geschäft mit dem Baron, so kann er nur haben gestellt das Sprenkel für den Rothschwanz, und der jetzt Abends kommt, den ich nicht sehen soll, der muß sein der Treiber, — und der Ehrenthal selber? Als er heut herunter ging mit dem Baron, habe ich gehört, wie er sagte. »Seien Sie vorsichtig!« Folglich ist der Alte der Scheucher. Wenn der Ehrenthal scheucht, so muß es sein ein großes und ein delicates Geschäft.« Bei diesem Punkte seines Monologs war Veitel vor der Herberge angekommen, er bestellte seinen Wirth, der eilig aus dem Laden in seine Stube lief, sich einen besseren Rock anzuziehen, und ging dann im Selbstgespräch weiter. »Wenn der Schreiber, der die Briefe aus dem Geschäft des Justizraths trägt, um sieben Uhr zur Post geht, und ich die Adresse von den Briefen lesen könnte, so würde ich mir ersparen die fünf Thaler,« überlegte er weiter. »Es geht nicht,« setzte er bekömmert hinzu, »er giebt die Briefe in einem Haufen in das Postloch hinein, der Postmann ist zu schnell, ich werde nicht lesen können die verkehrten Adressen. — Vielleicht kann ich's doch möglich machen; der die Briefe auf die Post trägt, ist gewöhnlich ein junger Mensch, vielleicht kann ich über ihn kommen. Und geht's nicht so, so geht's anders, ich kenne [S. 244] einen Schreiber von einem Justizmann, welcher schon manchen Groschen von mir verdient hat. Die Schreiber kennen einander alle. Wenn ich ihm zwei Thaler gebe, besorgt er mir das Verzeichniß der Briefe von seinem Collegen, drei Thaler will ich sparen.«

Nachdem Veitel diesen Entschluß gefaßt hatte, ging er in das Haus des Rechtsanwalts und stellte sich, wie Jemand erwartend, so auf, daß er das Amtslocal im Auge hatte; es war kurz vor dem Schluß der Sprechstunde; mehrere Menschen, welche den vielbesuchten Notar consultirt hatten, kamen die Treppe herab. Endlich polterte ein eiliger Schritt, ein junger Mann stürzte mit einem Packet Briefe zum Hause hinaus. Veitel setzte ihm in langen Schritten nach, machte an der nächsten Ecke eine Schwenkung und stand vor dem Schreiber. Er berührte seinen Hut: »Sie sind aus dem Geschäft des Justizrath Horn?« — »Ja,« sagte der Schreiber eilig und wollte weiter gehen.

»Ich bin aus der Provinz und warte seit drei Tagen auf einen dringenden Brief vom Herrn Justizrath, ich bin heut gekommen, um ihn zu sprechen, vielleicht haben Sie selbst einen Brief an mich aufzugeben auf der Post.«

Mißtrauisch sah der Schreiber ihn an und frug: »Wie heißen Sie?« Veitel griff in die Tasche, holte schnell ein Achtgroschenstück hervor und sagte: »Ich will nichts Unrechtes von Ihnen, junger Mann, ich will nur, daß Sie die Gefälligkeit haben und mich lassen nachsehen, ob ein Brief für mich da ist.«

»Ich kann Ihr Geld nicht nehmen,« erwiederte der Schreiber kurz, im Begriff, weiter zu gehen. »Wie heißen Sie denn?«

»Bernhard Magdeburg aus Ostrau,« sagte Veitel schnell, »es kann aber der Brief auch sein an meinen Onkel.«

»Es ist kein Brief für Sie darunter,« antwortete der Schreiber, flüchtig die Adressen auseinanderhaltend.

Veitels Augen starrten auf die Briefe, als wollten sie das Papier durchbrennen, es war ihm aber nicht möglich, mit den [S. 245] Augen der Handbewegung des Schreibers zu folgen. Er faßte daher mit schnellem Griff das Bündel Briefe, und während der erzürnte Schreiber ihn von der andern Seite packte und rief: »Was fällt Ihnen ein, Herr, wie können Sie sich unterstehen!« las er mit fliegender Eile die Aufschriften, gab die Briefe in einer verzweifelten Ruhe zurück und sagte, an den Hut greifend: »Ich danke Ihnen, es ist nichts für mich darunter.« Der empörte Schreiber wollte ihn halten: »Herr, wie können Sie diese Unverschämtheit haben! —«

»Versäumen Sie nicht die Post,« sagte Veitel gutmüthig, »ich gehe jetzt selbst zum Herrn Justizrath.« Damit drehte er sich schnell auf das Haus zu und entkam dem Schreiber, welcher einen Augenblick ganz erstarrt über die Frechheit dastand und endlich nach der Post stürzte, die versäumte Zeit nachzuholen.

Veitel hatte nur wenig Adressen in seinem Gedächtniß behalten trotz seiner schnellen Beobachtungsgabe. »Vielleicht ist damit der Ducaten verdient,« sagte er; »wo nicht, so schadet's auch nichts.« Er schlich langsam auf Umwegen nach seinem Comtoir zurück, stellte sich an die Thür und horchte. Der würdige Pinkus sprach, aber es wurde leise geredet, und Veitel konnte nur wenig verstehen. Endlich wurden die Stimmen lauter und es klang wie Zank zwischen den beiden Herren.

»Wie können Sie fordern eine so große Summe für den einen Weg?« rief Ehrenthal zornig; »ich habe mich in Ihnen getäuscht, wenn ich Sie habe gehalten für einen zuverlässigen Mann.«

»Ich will zuverlässig sein,« klang die Stimme des Pinkus dazwischen, »aber ich muß vierhundert Thaler haben, oder es wird nichts aus dem Geschäft.«

»Wie können Sie sagen, daß nichts aus dem Geschäft wird? Was wissen Sie von dem ganzen Geschäft? Wer sind Sie, daß Sie etwas davon wissen können?«

»Ich weiß so viel, daß ich mir kann die vierhundert Thaler [S. 246] geben lassen von dem Baron, wenn ich zu ihm gehe und ihm sage, was ich weiß,« schrie Pinkus mit lauter Stimme.

»Sie sind ein schlechter Mensch,« rief Ehrenthal im Zorn. »Sie sind mir verächtlich wie eine Maus, welche piept in ihrem Loch. Wissen Sie, wen Sie so behandeln? Mich behandeln Sie so,« fuhr er immer zorniger fort. »Ich kann Ihnen nehmen Ihren Credit und werde Sie bekannt machen als ein schlechtes Subject bei allen Geschäftsleuten.«

»Und ich will Sie bekannt machen dem Baron, was Sie sind für ein schlechter Mann,« rief seinerseits Pinkus erzürnt.

Bei diesen Worten öffnete sich die Thür, Veitel tauchte mit einem Sprung in den Schatten der Treppe.

»Ich will Ihnen Zeit lassen zur Ueberlegung bis morgen früh,« schrie der abgehende Pinkus in's Comtoir zurück und rannte hinaus.

Veitel trat mit der größten Unbefangenheit in das Comtoir und wurde von seinem Patron, der in dem kleinen Raume auf und ab stürmte, wie ein wildes Thier im Käfig, gar nicht gesehen. »Gerechter Gott, daß dieser Löbel sein kann ein solcher Verräther! Er wird Alles ausschwatzen auf dem Markte, er wird mich ruiniren,« jammerte Herr Ehrenthal und schlug die Hände zusammen.

»Wozu soll er Sie ruiniren?« frug Veitel und warf seinen Hut auf das Pult.

»Was wollen Sie hier? Was haben Sie gehört?« schrie ihn Ehrenthal zornig an.

»Alles habe ich gehört,« sagte Veitel kaltblütig, »Sie haben ja Beide geschrieen, daß man es hören mußte in dem Hausflur. Warum haben Sie mir ein Geheimniß gemacht aus dem Geschäft? Wenn Sie mir gesagt hätten, was Sie vorhaben, ich hätte Ihnen den Löbel billiger verschafft.«

Herr Ehrenthal sah starr auf den kecken Burschen und konnte nichts hervorbringen, als die Worte: »Was ist das?«

»Ich kenne den Pinkus,« fuhr Veitel fort, entschlossen, sich zum Mitspieler in dem Stück zu machen, welches jetzt aufgeführt wurde. »Wenn Sie ihm geben hundert Thaler, so wird [S. 247] er Ihnen als treuer Mann verkaufen eine gute Hypothek an den Baron.«

»Was wissen Sie von der Hypothek?« fuhr Herr Ehrenthal bestürzt heraus.

»Ich weiß genug, um Ihnen dabei zu helfen, wenn ich helfen will,« antwortete Veitel. »Und ich will Ihnen helfen, wenn Sie haben Vertrauen zu mir.«

Herr Ehrenthal starrte immer noch verwundert in das Gesicht seines Buchhalters, es dämmerte ihm die Ansicht, daß sein Gehülfe mehr kaltes Blut und Entschlossenheit haben könnte, als er selbst. Endlich rief er zwischen Freude und Sorge: »Sie sind ein braver Mensch, Veitel, schaffen Sie mir den Pinkus zurück, er soll haben die hundert Thaler.«

»Ich habe auch gelesen die Aufschrift von den Briefen, welche der Justizrath zur Post gegeben hat. Es ist ein Brief darunter an den Justizcommissarius Walther in Rosmin.«

»Ich hab's gedacht,« rief Herr Ehrenthal erfreut; »es ist gut, Itzig, schaffen Sie mir den Löbel.«

»Dem Schreiber des Justizraths habe ich zu zahlen fünf Thaler und ich soll bekommen einen Ducaten, macht acht Thaler 5½,« fuhr Veitel fort, ohne sich von der Stelle zu rühren.

»Es ist schon gut,« beschied ihn Ehrenthal durch eine nachlässige Handbewegung; »Sie sollen haben das Geld, aber vor Allem muß ich haben den Pinkus.«

Veitel eilte hinüber in die Herberge und suchte nach dem entflohenen Geschäftsmann. Dieser hatte sich in seine Stube zurückgezogen, in welcher auch er aufgeregt auf und ab lief und alle Anzüglichkeiten, die ihm Ehrenthal vorgeworfen hatte, mit Ingrimm verarbeitete.

Veitel öffnete die Thür und sagte mit Energie: »Pinkus, ich komme vom Ehrenthal, ich will, daß Sie nehmen hundert Thaler und helfen meinem Rebb; ich will, daß Sie nicht als schlechter Mensch an ihm handeln. Wenn Sie etwas von ihm wissen, was ihm schaden kann bei dem Baron, so weiß ich etwas von Ihnen, was Ihnen schaden wird bei der Polizei.«

[S. 248]

Der Pinkus stand still und unterdrückte einen Fluch, den er gegen Veitel auf seinen Lippen hatte. »Ich bin ein ehrlicher Mann,« rief er trotzig, »und brauche mich vor der Polizei nicht zu fürchten.«

»Sie wird fragen, was Sie für ein Waarenlager halten in dem Hause daneben, und von welchen Leuten Sie gekauft haben Ihre Waaren. Ich will Sie aber nicht zu Schaden bringen; Ehrenthal soll Ihnen geben hundert Thaler, und Sie werden mir geben von jetzt ab in Ihrem Hause eine Stube und ein Bett gegen billige Miethe, und werden mich nicht mehr behandeln als Bocher, sondern als Geschäftsmann, welcher so gut ist wie Sie.«

Pinkus war überrascht, besiegt, gefangen; er sprudelte noch eine Weile auf, focht mit Händen und Füßen gegen eine feindliche Luft, welche ihm keinen Widerstand leistete; er beschwor häufig seine Ehrlichkeit und mischte starke Klagen gegen Ehrenthal hinein, bis die Wellen seiner sittlichen Entrüstung allmälig kleiner und kürzer wurden, und zuletzt in seiner Seele ein anmuthiges Wellengekräusel entstand, als Zeichen, daß sie brauchbar geworden für alle guten Werke des Friedens.

Veitel hatte, an den Ofen gelehnt, diese Umwandlung ruhig abgewartet und führte jetzt den Versöhnten im Triumph zu Ehrenthal zurück. Hier maßen die beiden würdigen Männer einander zuerst mit feindseligen Blicken, dann schüttelten sie einander die Hände und versicherten sich gegenseitig ihrer Hochachtung, während Veitel wieder als Genius des Friedens daneben stand und Beide mit einem Gefühl betrachtete, welches der entschiedenste Gegensatz von Hochachtung war. Pinkus steckte ein Cassenbillet von hundert Thalern ein und empfahl sich, da seine Hülfe bei der großen Operation nicht mehr nöthig schien, und Veitel öffnete kurz darauf die Thür für Herrn Löwenberg, den Geschäftsmann aus der Provinz, und lächelte innerlich, als Ehrenthal fast bittend sagte: »Lieber Itzig, Sie können jetzt gehen.« Er ging diesmal, ohne am Schlüsselloch zu horchen, zufrieden nach Hause und bezog noch [S. 249] denselben Abend ein kleines Zimmer im ersten Stock des Pinkus, trank das Glas Liqueur und aß das Bratenstück, welches Frau Pinkus ihm vorsetzte.

Unterdeß sagte Herr Ehrenthal zu Löwenberg, als Beide bei einem Glas Wein gemüthlich einander gegenüber saßen: »Ich habe erfahren, daß der Justizrath Horn sich Auskunft holt über die Hypothek bei dem Justizcommissarius Walther in Ihrem Orte. Ist etwas zu machen mit diesem Mann?«

»Es ist nichts zu machen mit Geld,« erwiederte der Mann aus der Provinz nachdenklich, »aber es wird etwas zu machen sein auf andere Weise. Er weiß nicht, daß ich selbst von dem Bevollmächtigten des Grafen den Auftrag habe, zu verkaufen diese Hypothek. Ich werde hingehen zu ihm in meinen Geschäften und werde mir einen Vorwand nehmen, ihm zu loben das Gut und die Verhältnisse des Grafen; vielleicht sage ich ihm sogar, daß ich Lust habe zu kaufen diese Hypothek.«

Kopfschüttelnd sagte Ehrenthal: »Wenn er kennt den Grafen und sein Gut, so wird Ihr Lob noch nicht helfen, daß er einen günstigen Brief hierher schreibt.«

»Es hilft doch, diese Justizcommissarien müssen bei uns Erkundigungen einziehen über die Verhältnisse: sie können selbst nicht so gut wissen wie wir, wie es steht mit dem Kauf und Verkauf der Wolle und des Getreides. Wir müssen thun, was wir können, und ich glaube, es wird helfen für das Geschäft.«

Ehrenthal stützte schwermüthig den Kopf auf die Hand und sagte mit einem Seufzer: »Sie können glauben, Löwenberg, es macht mir schwere Sorge.«

»Es wird auch sein ein schöner Vortheil,« tröstete der Andere. »Neunzig Procent zahlt der Käufer, den Sie haben, und dem Grafen werden geschickt nach Paris siebenzig Procent: von den zwanzig Procent Differenz zahlen Sie fünf an den Bevollmächtigten des Grafen, und fünf an mich für meine Bemühung, und zehn Procent bleiben Ihnen. Viertausend Thaler sind ein schöner Gewinn bei einem Geschäft, zu dem man braucht kein Capital.«

[S. 250]

»Aber es macht Sorge,« sprach Herr Ehrenthal gebeugt; »glauben Sie mir, Löwenberg, ich bin so aufgeregt von dem Nachdenken, ich habe keine Nacht, wo ich schlafen kann, wenn ich liege in meinem Bett. Und wenn meine Frau mich frägt: Schläfst du, Ehrenthal? so muß ich ihr immer sagen: Ich kann nicht schlafen, Sidonie, ich muß denken an die Geschäfte.«

Eine halbe Stunde darauf fuhr eine Extrapost zum Thore hinaus. Am nächsten Morgen erhielt der Justizcommissarius Walther einen Geschäftsbesuch des Herrn Löwenberg und wurde durch die kühle und überzeugende Weise dieses Herrn allerdings zu der Ansicht gebracht, daß die Verhältnisse des Grafen Zaminsky doch nicht so zerrüttet waren, als man in der Umgegend erzählte.

Acht Tage darauf empfing der Freiherr von Rothsattel einen Brief seines Rechtsfreundes und darin die Copie eines Schreibens vom Justizcommissarius Walther. Das Gutachten beider Rechtsverständigen stellte den Kauf der Hypothek als ein Geschäft dar, von dem wenigstens nicht unbedingt abzurathen war. Und als den Tag darauf Ehrenthal auf dem Gut seinen Besuch machte, hatte der Freiherr seinen Entschluß gefaßt, die Hypothek zu nehmen. Was ihn lockte, fortwährend, unwiderstehlich, das war der schnelle Gewinn von einigen tausend Thalern. Es war ein Segen der Praxis, die er in dem früheren Geschäft mit Ehrenthal erworben hatte. Er wollte die Hypothek gut finden, und hätte sie vielleicht genommen, auch wenn sein Rechtsfreund ihm entschieden abgerathen hätte.

Ehrenthal erbot sich mit großer Uneigennützigkeit, da er doch eine Geschäftsreise in jene Gegend vorhabe, Vollmacht von dem Freiherrn anzunehmen und für ihn den Kauf mit dem Bevollmächtigten abzuschließen. Der Freiherr war gern damit zufrieden, denn sein Zartgefühl sträubte sich dagegen, daß er in eigener Person eine Zahlung machen sollte, deren Betrag geringer war, als die Summe, welche er durch das Hypothekeninstrument dafür kaufte.

[S. 251]

Acht Tage später war er im Besitz einer Hypothek von vierzigtausend Thalern, für welche er nur sechsunddreißigtausend Thaler gezahlt hatte, und Ehrenthal und seine Freunde hatten obendrein ein schönes Geschäft gemacht, das beste von Allen Itzig, denn er hatte ein Uebergewicht über seinen Meister erhalten und war Rathgeber und Vertrauter geworden bei den geheimnißvollsten Unternehmungen. Alle Parteien waren zufrieden. Der Freiherr holte seine reich ausgelegte Cassette hervor und legte an die Stelle der schönen weißen Pergamente das dicke, gelbliche, durch viele Hände abgerissene Actenbündel, welches von jetzt ab sein Vermögen vorstellte. — Er sah nicht mehr mit der frohen Aufmerksamkeit hinein, welche er früher den Pfandbriefen gegönnt hatte, er warf den Deckel des Kästchens schnell zu und schob es in den Secretär, ganz wie ein alter ermüdeter Geschäftsmann, wie Einer, der froh ist, eine Arbeit hinter sich zu haben. Er eilte in die Zimmer der Damen und beschrieb dort mit Laune die Glückwünsche und Bücklinge Ehrenthals.

»Ich mag ihn nicht dulden,« sagte Lenore, »er sieht aus wie ein kleiner fauchender Hamster.«

»Diesmal wenigstens hat er sich in seiner Weise uneigennützig gezeigt,« antwortete der Vater. »Es ist wahr, alle diese Geschäftsleute haben etwas Karrikirtes, und es ist bei aller Gutmüthigkeit für unser Einen nicht immer möglich, bei ihren Bücklingen das Lachen zu unterdrücken.«

An demselben Abende ging Herr Ehrenthal bei seiner Frau Sidonie im langen Schlafrocke vergnügt auf und ab, er versuchte ein kleines Lied zu singen, klopfte seine Tochter Rosalie auf den weißen Nacken und warf seiner Frau von Zeit zu Zeit einen schlauen und zärtlichen Blick zu, so daß ihn Madame Ehrenthal endlich frug: »Du hast abgemacht dein Geschäft mit dem Baron?«

»Ja,« rief Ehrenthal lustig.

»Er ist ein schöner Mann, der Baron,« bemerkte die Tochter.

[S. 252]

»Er ist ein guter Mann,« sagte Ehrenthal, »aber er hat seine Schwächen. Er ist einer von den Menschen, welche verlangen tiefe Bücklinge und unterthänige Reden und welche Geld bezahlen, damit Andere für sie denken. Er würde lieber verlieren Eins vom Hundert, wenn man nur zu ihm spricht mit gebogenem Rücken, den Hut in der Hand. Es sind auch solche Leute nöthig in der Welt, was sollte sonst werden aus unserm Geschäft? —«

Und an demselben Abend saß auch Veitel in seiner Stube, und der Advocat neben ihm, und Veitel berichtete in der Kunstsprache über das abgeschlossene Geschäft und sagte: »So ist der Rothschwanz gefangen in dem Sprenkel, und der Ehrenthal hat dabei gewonnen viertausend Thaler.«

Hippus hatte seine Brille abgenommen und sah in dem viereckigen Holzkasten, welchen Frau Pinkus ein Sopha nannte, gerade aus wie ein weißer ältlicher Affe, der den Weltlauf verachtet und seinen Wärter in die Beine beißt. Er hörte mit kritischem Ernst auf den Bericht seines Schülers, schüttelte hin und wieder den Kopf, oder lächelte, wenn etwas nach seinem Geschmack war.

Als Veitel seinen Bericht mit den Worten schloß: »Der Ehrenthal hat keine Courage, er verliert den Kopf bei großen Geschäften,« da rief Herr Hippus verächtlich: »Der Ehrenthal ist ein Gimpel. Er setzt nichts Großes durch, er ist ein kleinlicher Mann. Es ist ihm immer so gegangen; wo es darauf ankam, hat er gezaudert und ist stecken geblieben. Wenn er den Edelmann durch Trinkgelder kirren will, die er ihm zukommen läßt, so wird ihn der Freiherr zuletzt die Treppe hinunter werfen.«

»Was soll er aber mit ihm thun?« frug Veitel.

»Sorgen muß er ihm machen,« sprach Hippus im Eifer aufstehend, »Sorgen durch Arbeit. Große Arbeit, immerwährende Unruhe, tägliche Sorgen, die nicht aufhören, das ist das Einzige, was der Freiherr nicht aushalten kann. Diese Leute sind gewöhnt, wenig Arbeit zu haben und viel Vergnügen, [S. 253] Alles wird ihnen zu leicht gemacht im Leben von Klein auf. Es giebt Wenige, die den Kopf nicht verlieren, wenn eine große Sorge das ganze Jahr in ihrem Schädel herum bohrt. Das ruinirt sie. Ist so Einer höchstens zwei Mal im Tage durch seine Wirthschaft gelaufen, so denkt er, er hat gearbeitet, während der Amtmann das Beste thut und manchmal noch die Dummheiten des Herrn ausbessern muß. — Will der Ehrenthal den Baron unter sich bringen, so muß er ihn in große Geschäfte verwickeln, er muß selbst etwas wagen, und dazu hat er keine Entschlossenheit und keinen Verstand, er ist nur ein Gimpel, der sein gelerntes Stückchen pfeift und hinterher mit dickem Kopfe dasitzt.«

So lehrte der Advocat, und Veitel verstand die klugen Worte und sah mit einer Mischung von Achtung und Scheu auf den kleinen häßlichen Teufel, welcher heftig vor ihm gesticulirte. Endlich ergriff Herr Hippus die Branntweinflasche, stampfte sie auf den Tisch und rief: »Heut noch eine Füllung extra! Was ich dir jetzt gesagt habe, du junger Galgenvogel, ist mehr als eine Flasche Doppelten werth.«


V.

»Ich bin heut achtzehn Jahr,« sagte Karl zu seinem Vater, der an einem Sonntag zufrieden in seiner Stube saß und nicht müde wurde, den stattlichen Jüngling anzusehen.

»Das ist richtig,« erwiederte der Vater, »achtzehn Lichter stehen auf dem Kuchen.«

»Also, Vater,« fuhr Karl fort, »es ist Zeit, daß ich etwas werde.«

»Du?« frug der Vater verwundert, »was willst du denn noch anders werden, als du bist? Ein Knirps bist du und wirst in deinem Leben nichts Anderes.«

[S. 254]

»Sei jetzt einmal still mit deinem ewigen Knirps,« entgegnete Karl. »Ich will Auflader werden.«

»Ei so hört doch,« rief der Alte, »also Auflader! warum nicht lieber gar Bürgermeister, oder König oder so etwas?«

»Ich habe Kräfte genug,« fuhr Karl entschlossen fort. »Ich will mir etwas verdienen. Ich will ein ordentlicher Mann werden. Herr Wohlfart ist jetzt schon seit einem Jahre frei geworden und ich bin noch immer ein Junge.«

»Du willst etwas verdienen?« wiederholte der Alte und sah mit immer größerem Erstaunen auf seinen Sohn. »Verdiene ich nicht genug und mehr, als wir brauchen? Wozu willst du als Geizhals an uns handeln?«

»Ich kann doch nicht immer an deiner Lederschürze hängen,« sagte Karl, »und wenn du tausend Thaler verdientest, würde ich dadurch ein ordentlicher Mensch? und wenn ich dich einmal verlieren sollte, was soll dann aus mir werden?«

»Du wirst mich verlieren, Junge,« sagte der Riese mit dem Kopf nickend, »das versteht sich, in einigen Jahren«, setzte er hinzu, »nachher kannst du werden, was du willst, nur nicht Auflader.«

»Aber warum soll ich nicht werden, was du bist? Sei doch nicht so hartnäckig.«

»Das verstehst du nicht. Komm mir nicht mit deinem Ehrgeiz, ehrgeizige Leute kann ich nicht vertragen.«

»Und wenn ich nicht Auflader werden soll,« rief Karl wieder, »so muß ich etwas Anderes lernen, sieh das doch ein, Vater.«

»Du willst nichts gelernt haben?« rief der Alte bekümmert. »Ach, du armes Kind, was haben sie dir nicht Alles in deinen kleinen Kopf hineingetrieben! Da war die Klippschule, zwei Klassen, und die Stadtschule, vier Klassen, und die Gewerbeschule, zwei Klassen, acht Klassen hast du gelernt und kennst alle Waaren so gut wie ein Commis, ist das nichts? Du bist ein nimmersatter Junge!«

»Ja, ich muß doch aber etwas Bestimmtes wissen für einen [S. 255] Beruf,« versetzte Karl, »Schuster, Schneider, Kaufmann oder Mechanikus.«

»Darum mache dir keine Sorge,« sagte der Vater mit Ueberlegenheit, »dafür habe ich bei deiner Erziehung gesorgt, du bist praktisch — und ehrlich,« fügte er hinzu.

»Das denke ich,« sagte Karl, »aber kann ich ein Paar Stiefeln machen? kann ich einen Rock zuschneiden?«

»Du kannst's,« erwiederte der Alte ruhig, »versuch's und du wirst's können.«

»Na, warte, du Brummbär, morgen kaufe ich Leder und nähe dir ein Paar Stiefeln, du sollst fühlen, wie sie drücken.«

»Weißt du was,« entgegnete der Vater, »ich werde diese Stiefeln nicht anziehen, ich werde vielleicht auch die zweiten nicht anziehen, ich werde warten, bis du das dritte Paar gemacht hast, die werden nicht drücken.«

»Mit dir wird man nicht fertig,« sagte Karl ärgerlich, »ich weiß schon, wo ich mir Rath erhole. So kann's mit mir nicht bleiben; ich werde dir Jemand auf den Hals schicken, der dir dasselbe sagen soll.«

»Sei nur nicht ehrgeizig, Karl,« sagte der Alte kopfschüttelnd, »und verdirb mir den heutigen Tag nicht. Jetzt gieb mir die Bierkanne her und sei ein guter Junge.«

Karl setzte die große Kanne vor den Vater, nahm bald darauf seine Mütze und verließ das Zimmer. Der Vater blieb bei seinem Bier sitzen, aber sein Behagen war gestört, er sah immer wieder nach der Thür, zu welcher Karl hinausgegangen war, er sah sich in der Stube um, die ohne das fröhliche Gesicht seines Sohnes so einsam war. Endlich ging er in die Kammer nebenan, setzte sich dröhnend auf dem Bette nieder und zog unter der Bettstelle einen schweren eisernen Kasten hervor. Er öffnete ihn mit einem Schlüssel, den er aus der Westentasche zog, nahm einen Beutel Geld nach dem andern heraus und stellte eine Kopfrechnung an, dann schob er den Kasten wieder unter das Bett und setzte sich beruhigt zu dem Haustrunk.

[S. 256]

Unterdeß ging Karl in seinem Sonntagsstaat mit eiligen Schritten in die Stadt und trat in Antons Zimmer. »Guten Morgen, Karl,« rief ihm Anton entgegen, »was bringst du?«

Karl begann feierlich: »Ich komme, Sie um Rath zu fragen, was aus mir werden soll. Mit meinem Vater ist darüber nicht zu reden. Ich will Auflader werden, und der Alte will's nicht leiden; ich will etwas Anderes werden, und er vertröstet mich auf die Zeit, wo er nicht mehr leben wird. Ein schöner Trost! Er ist gerade wieder ein rechter Goliath. Ich bin heut achtzehn Jahr, und das Ding muß mit mir anders werden, ich greife hier im Hause überall mit an, aber das ist nirgends etwas Ordentliches.«

»Du hast Recht,« sagte Anton verständig. »Vor Allem aber gratulire ich dir zu deinem Geburtstage, und warte, hier ist ein Buch für dich, das nimm zum Angebinde, ich werde dir meinen Namen hineinschreiben.«

»Seinem getreuen Karl, Anton Wohlfart,« las der erfreute Karl. »Ich danke Ihnen, Herr Wohlfart, ich habe schon fünfundsechzig Bücher. Jetzt wird die zweite Reihe voll.«

»Und so setze dich her zu mir und laß uns Rath halten. Vor Allem sage, was kann ich dir helfen? Ist's nicht besser, wenn du mit Herrn Schröter selbst sprichst? Er ist ja dein Pathe.«

»Das wird mir zu groß,« entgegnete Karl ernsthaft, »der Vater könnte denken, ich wollte ihn verklagen. Bei Ihnen ist das freundschaftlicher.«

»Gut,« stimmte Anton bei.

»Und so wollte ich Sie bitten, daß Sie gelegentlich mit meinem Vater über mich sprechen. Er hat zu Ihnen ein großes Zutrauen und er weiß, daß Sie's mit mir gut meinen.«

»Das will ich gern,« sagte Anton, »aber was gedenkst du zu werden?«

»Das ist mir gleich,« erwiederte Karl, »nur etwas Ordentliches.«

[S. 257]


Am nächsten Sonntage ging Anton nach dem Hause des Vaters Sturm.

Die Wohnung des obersten Aufladers war ein kleines Haus am Flusse, unweit des Packhofes; es war sein Eigenthum und zeichnete sich durch die Rosafarbe seines Anstrichs vor den Nachbarhäusern schon von Weitem aus. Anton öffnete die niedrige Thür und wunderte sich, wie dem Riesen überhaupt möglich sei, sich in einen so kleinen Bau einzupacken. Und als der alte Sturm aufstand, ihn zu begrüßen, da wurde ihm klar, daß eine unaufhörliche Geduld des mächtigen Mannes nöthig war, um diese Wohnung zu ertragen. Denn wenn er sich mit aller Kraft ausstreckte, so mußte er unfehlbar Decke und Wände zerreißen und mit Kopf und beiden Fäusten in die freie Luft hineinragen. Der riesige Mann stand vergnügt über den Besuch ohne Rock und Weste vor ihm und hielt ihm grüßend seine Hand entgegen, welche wohl im Stande war, einen Kürbis von mäßiger Größe zu umspannen.

»Ich freue mich sehr, Sie in meinem Hause zu sehen, Herr Wohlfart,« sagte Sturm und faßte so zierlich, als es ihm möglich war, Antons Hand.

»Es ist etwas klein für Sie, Herr Sturm,« antwortete Anton lachend, »Sie sind mir noch nie so groß vorgekommen, als in diesem Zimmer.«

»Mein Vater war noch größer,« antwortete Sturm wohlgefällig und richtete sich hoch auf, so daß sein Kinn auf dem obern Rande des Ofens ruhte, »so groß war mein Vater,« sagte er und wies auf den bunten Farbensaum längs der Decke, an welchem mehrere Marken mit Bleistift gezeichnet waren. »So groß war er und noch breiter. Er war Aeltester der Auflader und der stärkste Mann am Orte, und doch hat ihn ein Faß, nicht halb so hoch als Sie, zu Tode gebracht. Hier nehmen Sie Platz, Herr Wohlfart.« Er rückte ihm einen Stuhl von Eichenholz hin, der so schwer war, daß Anton Mühe hatte, ihn von der Stelle zu heben, und setzte sich mit Geräusch auf eine Bank. »Mein Karl hat mir gesagt, daß [S. 258] er Sie besucht hat, und daß Sie sehr freundlich gegen ihn waren. Er ist ein guter Junge und ich habe meine Freude an ihm, aber er ist doch aus der Art geschlagen. Seine Mutter war eine kleine Frau,« setzte Herr Sturm traurig hinzu und griff nach einem Glase Bier, welches mehr als ein Quart faßte, setzte das Glas an und nicht eher wieder auf den Tisch, bis der letzte Tropfen daraus verschwunden war.

»Es ist Faßbier,« sagte er entschuldigend, »darf ich Ihnen ein Glas anbieten? Es ist Herkommen bei unserm Geschäft, kein anderes zu trinken; dies freilich trinkt man den ganzen Tag, denn unsere Arbeit macht warm.«

»Ihr Sohn hat, wie ich höre, Lust, in Ihre Corporation zu treten,« lenkte Anton ein.

»Unter die Auflader?« frug der Riese. »Nein, dies wird er nicht, niemals.« Er legte seine Hand vertraulich auf Antons Knie. »Er wird es nicht, meine Selige hat mich auf dem Todtenbette darum gebeten. Warum? Darum! Unsere Arbeit ist respectabel, Sie wissen das selbst am besten, Herr Wohlfart. Wir sind Männer, welche ein Vertrauen haben, wie wenig andere. Es ist eine Ehre, Auflader der Kaufmannschaft zu werden, um die sich Hunderte bei mir bewerben, und nicht Einen lassen wir zu. Es giebt Wenige, welche die Kraft haben, und noch Wenigere, welche etwas Anderes haben.«

»Die Ehrlichkeit,« sagte Anton.

»Ganz recht,« nickte Sturm, »daran fehlt's auch den Starken. Alle Tage jede Art Waare in Tonnen und Kisten in größter Quantität vor sich zu haben und darum zu hantieren, wie um eigenthümliche Sachen, und niemals die Hand hineinzustecken, das ist leider nicht Jedermanns Gewohnheit. Also Sie wissen, wir halten auf uns. Und die Einnahmen sind nicht schlecht, ja, sie sind gut. Meine Selige hielt noch auf Sparbüchsen und Strümpfe und solches Zeug. Als sie starb, fand ich den ganzen Grund ihres Kastens mit zugebundenen Strümpfen zugestopft, die neben einander standen, wie die fetten Lerchensteiße in der Schachtel. Alles für unsern Karl, [S. 259] und es war nicht nur Silber, es war auch Gold dabei. Sie war eine sparsame Frau und hob Alles auf. Das ist nun meine Art nicht. Denn warum? — Wer praktisch ist, braucht um das Geld nicht zu sorgen, und der Karl wird ein praktischer Mensch. Aber nicht als Auflader,« fügte er kopfschüttelnd hinzu, »meine Selige wollte das nicht haben, und sie hat Recht.«

»Ihre Arbeit ist sehr anstrengend,« stimmte Anton bei.

»Anstrengend?« lachte Sturm, »sie mag wohl anstrengend sein für Einen, der nicht die Kraft hat, so anstrengend, daß ihm der Rücken darüber zerbrechen kann; aber es ist nicht die Anstrengung, es ist noch etwas Anderes. Dies ist es!« bei diesen Worten holte er einen großen Krug aus der Ecke und goß sein Glas voll. »Das Faßbier ist es.«

Anton lächelte. »Ich weiß, Sie und Ihre Collegen trinken viel von dem dünnen Getränk.«

»Viel,« sagte Sturm mit Selbstgefühl, »es ist bei uns Geschäftsbrauch, es ist Herkommen, es ist von je bei den Aufladern so gehalten worden; sie müssen Kräfte haben, sie müssen treue Männer sein und sie müssen Faßbier trinken. Es ist Bedürfniß bei unserer Arbeit, wer's nicht thut, hält's nicht aus; Wasser trinken macht uns schwach, und Wein und Branntwein gleichfalls, nur Faßbier thut's, dies und Provenceröl. Sehen Sie, Herr Anton, so: —« Der Riese streckte den Arm aus und holte ein kleines Glas von dem Gestell, füllte es zur Hälfte mit feinem Baumöl, zur andern Hälfte mit Bier, that eine Menge Zucker in die Mischung und trank zu Antons Schrecken die widerwärtige Flüssigkeit aus. »Das macht stark,« sagte er, »es ist ein Geheimniß unserer Zunft, es erhält die Kraft und macht solche Arme,« er legte stolz seinen Arm auf den Tisch und versuchte ihn mit seiner Hand vergebens zu umspannen. »Aber es ist ein Haken dabei,« fügte er leiser hinzu. »Es wird Keiner von uns über fünfzig Jahre alt. Haben Sie schon einen alten Auflader gesehen? Sie haben keinen gesehen, denn es giebt keinen. Funfzig Jahre ist das Höchste, was einer erreicht, [S. 260] länger duldet's der Biergeist nicht. Mein Vater war funfzig, als er starb; der, den wir neulich begraben haben, — Herr Schröter war mit beim Begräbniß, — der war neunundvierzig. Ich habe noch ein paar Jahre bis dahin,« setzte er wie zur Beruhigung hinzu.

Anton blickte besorgt in das ehrliche Gesicht des Aufladers. »Aber Sturm, wenn Sie das wissen, warum sind Sie nicht mäßiger?«

»Mäßig?« frug Sturm verwundert, »was ist mäßig? Es steigt Keinem von uns in den Kopf. Vierzig Halbe in einem Tag ist nicht viel, wenn man's nicht merkt.«

Anton sah den Auflader ungläubig an.

»So viel trinke ich,« sagte Sturm. »Der, den wir neulich begraben haben, konnte noch mehr vertragen; er hatte aber auch Wochen, wo er noch stärker war, als ich. Sehen Sie, Herr Wohlfart, deßhalb aber soll mein Karl nach dem Willen der Seligen lieber etwas Anderes werden. Es ist, unter uns Männern gesagt, mit dem ganzen Alter nur dummes Zeug. Auch von den Menschen, welche keine Auflader sind, werden die wenigsten älter als funfzig. Sie sterben an allen möglichen Krankheiten von den Windeln an fortwährend dahin, und an lauter Krankheiten, die wir Auflader nicht kennen. Aber meine Selige hat's einmal so gewollt, und so mag's drum sein.«

»Und haben Sie an etwas Anderes gedacht?« frug Anton weiter. »Karl ist zwar im Geschäft sehr nützlich und wir Alle werden ihn vermissen, wenn er im Hause fehlen sollte.«

»Das gerade ist es,« unterbrach ihn der Auflader, »das war das Richtige, was Sie gesagt haben. Sie werden ihn vermissen, ich auch. Ich bin allein im Hause, seit meine Selige todt ist; wenn ich die rothen Backen meines Kleinen in diesen Wänden sehe, so bin ich zufrieden: wenn ich in Ihrem Hause seinen kleinen Hammer höre, so fühle ich die Lustigkeit in meinem Herzen. Wenn er weggeht von mir, und ich einsam in dieser Stube sitze, ich weiß nicht, wie ich's ertragen soll.«

[S. 261]

Die Züge des Mannes zuckten vor innerer Bewegung. »Aber muß er sich denn ganz von Ihnen trennen?« frug Anton endlich, »vielleicht kann er noch Jahre lang hier wohnen.«

Sturm schüttelte bedeutungsvoll den Kopf. »Ich kenne ihn, er kann's nicht; wenn er erst einmal etwas anfängt, so ist er hinterher, wie ein Teufel, dann denkt er an nichts, als an das eine Ding. Aber ich habe mir's überlegt in den letzten Tagen. Ich will Ihnen sagen,« fuhr er vertraulich fort, »ich habe Unrecht, wenn ich an mich denke. Der Junge hat nicht für mich seinen Kopf in die Welt gesteckt, sondern für sich selber. Er soll etwas werden. Und nun frage ich, was meine Selige sich für den Jungen wünschen würde, wenn sie noch lebte. Diese Frau hatte einen Bruder, welcher mein Schwager ist, und dieser Schwager ist auf dem Lande. Ein Freigut, dort oben, wo das hohe Wasser herkommt; ein gesetzter Mann, er tauscht nicht mit manchem Rittergut. Der besucht mich alle Jahre, wenn sie ihre Wolle geschoren haben. Der kennt mich und kennt den Karl, dem möchte ich meinen Kleinen übergeben, wenn ich ihn nicht behalten soll. Er ist weit von hier,« schloß er traurig, »aber es ist Verwandtschaft.«

»Das ist ein guter Gedanke, Herr Sturm,« sagte Anton, erfreut, auf so wenig Hindernisse zu stoßen, »aber ich habe immer gehört, daß der Landwirth auf eine selbstständige Thätigkeit in der Regel nur dann hoffen kann, wenn er nicht ganz ohne Vermögen ist.«

»Das paßt,« sagte der Riese seinen Finger erhebend geheimnißvoll, »er ist nicht ganz ohne Vermögen. Von seiner Mutter her, und auch etwas von seinem Vater. Er weiß aber von gar nichts, denn ich wollte, er sollte praktisch werden. Und sagen Sie ihm auch nichts.«

»Da Sie so väterlich für Ihren Sohn sorgen,« rief Anton, »so lassen Sie ihn nicht länger in Unsicherheit; es ist brav von ihm, daß er das Ungenügende seiner jetzigen Arbeit empfindet.«

»Er kann es sogleich hören,« sagte der Alte aufstehend, [S. 262] »er steckt im Garten. Sie sollen dabei sein.« Sturm trat in das Haus und rief mit seiner mächtigen Stimme in den Garten. Karl eilte herbei, begrüßte Anton und sah erwartungsvoll bald auf diesen, bald auf den Vater. Der Alte hatte sich wieder ruhig hingesetzt und frug in seinem gewöhnlichen Ton: »Kleiner Knirps, willst du ein Oekonom werden?«

»Landwirth?« rief Karl, »daran habe ich noch gar nicht gedacht. Dann müßte ich ja fort von dir, Vater.«

»Er denkt auch daran,« sagte der Alte, Anton zunickend.

»Ist denn dein Wille, daß ich von dir soll?« frug Karl erschrocken.

»Allerdings, mein Kleiner,« sagte der Vater. »Widerrede nutzt nichts, die Sache ist abgemacht, natürlich vorausgesetzt, daß dich der Onkel haben will. Du sollst Oekonom werden, du sollst etwas Ordentliches lernen, du sollst deinen Vater verlassen.«

»Vater,« sagte Karl niedergeschlagen, »wenn ich von dir weg gehen soll, so ist mir's nicht recht.«

»Es soll dir aber recht sein, du ehrgeiziger Knirps,« rief der Alte.

»Dann komm mit auf's Land,« sagte der Sohn.

»Ich soll auf's Land kommen? ho ho.« Sturm lachte, daß die Stubenthür zitterte. »Mein Knirps will mich in die Tasche stecken und mit sich auf dem Lande herumtragen.« Er lachte so lange, bis er mit der Hand über die Augen fuhr. »Komm her, mein Karl,« sagte er endlich, zog den Sohn an sich und hielt den Kopf desselben lange zwischen seinen großen Händen. »Du bist mein guter Junge, und Trennung muß sein auf Erden, wenn nicht jetzt, dann in ein paar Jahren.«

So schied Karl aus der Handlung. Vergeblich versuchte er in den letzten Tagen seine Bewegung hinter leisem Pfeifen zu verstecken. Er streichelte zärtlich Freund Pluto und die Katze, welche er in das Haus gebracht hatte, er verrichtete seine kleinen Arbeiten mit maßlosem Eifer und hielt sich dabei so viel wie möglich in der Nähe seines Vaters; auch dieser [S. 263] sah den Tag hindurch immer wieder auf seinen Sohn und verließ manchmal seine Tonnen, um langsam auf ihn zuzugehen und ihm die Hand schweigend auf den Kopf zu legen.

»Es ist nicht schwer bei der Landwirtschaft?« sagte Vater Sturm vor der großen Waage zu Anton und blickte ihm fragend in's Gesicht.

»Leicht ist es nicht,« erwiederte Anton, »es ist vielleicht noch mehr dabei zu lernen, als bei unserm Geschäft.«

»Lernen!« rief der Alte, »je mehr er lernen muß, desto lieber ist es ihm, das thut nichts; nur ob es sehr schwer ist?«

»Nein,« sagte Herr Pix, der die Sprache des Riesen besser verstand. »Schwer ist dort nichts: das Schwerste ist der Sack Weizen, hundertundachtzig Pfund, und Bohnen, zweihundert Pfund. Und das braucht er nicht zu heben, das thun die Knechte.«

»Wenn das bei der Landwirtschaft so ist,« rief Sturm verächtlich und richtete sich hoch auf, »so ist mir ganz egal, ob er das hebt. Zweihundert Pfund trägt auch mein Zwerg.«


VI.

Anton war jetzt der pflichtgetreueste Correspondent seines Comtoirs. Gegen die ritterlichen Künste seines Freundes verhielt er sich kühl. Nur selten vermochte ihn Fink, des Sonntags sein Begleiter zu Pferde oder am Pistolenstand zu werden. Dagegen benutzte Anton Finks Bücherschrank mehr als dieser selbst. Es war ihm nach langem Bemühen gelungen, in die Mysterien der englischen Aussprache einzudringen, und eifrig suchte er die Gelegenheit, sein Sprechtalent an Fink zu üben. Da aber dieser den Uebelstand hatte, ein sehr unregelmäßiger und gewissenloser Lehrer zu sein, gab Anton seine Zunge in die Zucht eines gebildeten Engländers.

[S. 264]

Einst sah er von seinem Platze im Comtoir auf, als sich die Thür öffnete, und erkannte mit der größten Verwunderung in dem Eintretenden Veitel Itzig, den Genossen aus der Bürgerschule von Ostrau. Er war bisher nur selten mit ihm zusammengetroffen. Das freche Wesen des Burschen und die Furcht vor dem vertraulichen Du, mit dem dieser ihn leicht anreden mochte, hatten sein Auge auf allerlei andere Gegenstände gelenkt, so oft er Veitels Nasenspitze im Gedränge der Straße erkannte. Noch mehr erstaunte er, als Veitel auf die Frage des Herrn Specht: »Was steht zu Ihren Diensten?« artig erwiederte, er wünsche Herrn Wohlfart zu sprechen.

Anton stieg von seinem Sitze in den freien Raum des Comtoirs, und Veitel redete ihn an: »Sie werden mich doch noch kennen, obgleich Sie oft an mir vorbeigegangen sind, ohne mich zu grüßen.«

»Wie geht es Ihnen, Itzig?« frug Anton mit Kälte.

»Schlecht,« antwortete Itzig, die Achsel zuckend; »es ist kein Verdienst im Geschäft. — Ich soll Ihnen diesen Brief vom Sohn des Ehrenthal übergeben und Sie fragen, zu welcher Zeit Ihnen der Bernhard seinen Besuch machen kann.«

»Mir?« frug Anton und nahm eine Karte und einen Brief aus Veitels Händen. Der Brief war von Antons Sprachlehrer, er enthielt die Anfrage, ob Anton an einer Lehrstunde Theil nehmen wolle, in welcher Herr Ehrenthal ältere englische Schriftsteller in einer literar-historischen Reihenfolge durchzunehmen beabsichtige.

»Wo wohnt Herr Bernhard Ehrenthal?« frug Anton.

»Im Hause bei seinem Vater,« erwiederte Veitel und verzog das Gesicht. »Er sitzt den ganzen Tag auf seiner Stube.«

»Ich werde den Herrn selbst aufsuchen,« sagte Anton. — »Guten Morgen, Herr Anton!« — »Guten Morgen, Itzig.«

Anton empfand keine große Neigung, auf den Antrag des Lehrers einzugehen. Der Name Ehrenthal hatte in seinem Comtoir keinen guten Klang, und das Erscheinen Itzigs trug nicht dazu bei, ihm das Anerbieten annehmlicher zu machen. [S. 265] Doch die ironische Art, in welcher Itzig vom Sohne seines Brodherrn sprach, und Einzelnes, was er auf seine Erkundigungen von Bernhard hörte, bewog ihn, die Sache wenigstens in Erwägung zu ziehen. So suchte er einige Tage darauf nach dem Schluß des Comtoirs das Haus Ehrenthals auf, entschlossen, sich durch den Eindruck, den der Sohn auf ihn mache, bestimmen zu lassen.

Er trat an die weißlackirte Thüre, zog den dicken Porcellangriff und wurde durch eine struppige Köchin ohne weitläufige Anmeldung in die Stube des jungen Ehrenthal geführt. Es war ein langes schmales Zimmer mit alten Möbeln und schmucklosen Büchergerüsten, auf welchen eine Menge großer und kleiner Bücher unordentlich durcheinander lag. Bernhard saß tief über seine Arbeit gebeugt am Schreibtisch und sah erst auf, als Anton bereits im Zimmer stand. Eilig knöpfte er den Hausrock über seinem Hemd zusammen und trat dem Fremden mit der Unsicherheit entgegen, welche Herren mit kurzem Gesicht bei der Begrüßung Eintretender eigen ist. Neugierig sah Anton auf den Sohn des Händlers. Es waren feine Züge und ein zarter Körper, kastanienbraunes krauses Haar und zwei graue Augen von freundlichem Ausdruck. Bernhard nöthigte seinen Gast auf ein kleines Sopha. Anton erwähnte den Zweck seines Besuches, und Bernhard antwortete schüchtern, daß er sich in Allem nach den Wünschen seines Besuches richten wolle. Und als Anton nach dem Preise der Stunden frug, erstaunte er, daß der Sohn Ehrenthals mit einiger Verlegenheit sagte: »Ich weiß es wirklich in diesem Augenblick nicht, wenn Sie aber darauf bestehen, auch den Lehrer zu bezahlen, so will ich mich sogleich darnach erkundigen.« Darauf konnte sich Anton nicht enthalten zu fragen: »Sind Sie nicht im Geschäft Ihres Herrn Vaters?«

»Ach nein,« erwiederte Bernhard, diesen Uebelstand entschuldigend, »ich habe studirt, und da einem jungen Mann von meiner Confession die Anstellung im Staate nicht leicht wird, und ich in meiner Familie leben kann, so beschäftige [S. 266] ich mich mit diesen Büchern.« Dabei warf er einen Blick voll Liebe auf sein Büchergerüst, stand auf und trat in ihre Nähe, als wollte er sie seinem Gast vorstellen. Anton las einige goldene Titel und sagte mit einer Verbeugung: »Das ist für mich zu gelehrt.« Es waren Ausgaben orientalischer Werke.

Bernhard lächelte: »Durch das Hebräische bin ich zu den andern asiatischen Sprachen gekommen. Es ist viel fremdartige Schönheit in dem Leben dieser Sprachen und in den Gedichten der alten Zeit. Ich habe auch Handschriften, wenn es Sie interessirt, diese zu sehen.«

Er schloß einen Schub auf und holte ein Bündel seltsam aussehender Manuscripte heraus. Mit glänzenden Augen öffnete er das oberste, im Einband von grünem Seidenstoff, der mit Goldfaden fremdartig durchwirkt war; er ließ Anton die Schrift betrachten und war vergnügt, als dieser erklärte, er könne nicht einmal angeben, welcher Sprache die Schriftzüge angehörten.

»Es ist arabisch, aber freilich ist gerade diese Handschrift sehr schwer zu lesen. — Und hier ist mein Lieblingsdichter, der Perser Firdusi, ich habe aber nur ein kleines Bruchstück seines Gedichtes in der Handschrift.«

Anton sagte ihm: »Es muß viel Gelehrsamkeit dazu gehören, das Alles zu verstehen.«

»Nur etwas Geduld,« antwortete Bernhard bescheiden, »wer ein Herz hat für das Schöne, der findet es bald überall heraus, auch unter dem fremdartigen Kleide, welches die Sänger aus dem Morgenlande tragen. Ich arbeite an einer Uebersetzung persischer Gedichte; wenn Sie später einmal Muße haben, und Sie so etwas nicht langweilt, möchte ich Sie um Erlaubniß bitten, Ihnen eine kurze Probe vorzulesen.«

Anton hatte die Höflichkeit, sogleich darum zu bitten, der junge Ehrenthal griff nach einem Papier auf seinem Schreibtisch und las schnell und etwas ungelenk ein kleines Liebesgedicht vor. Es war eins von den zahllosen Gedichten, in [S. 267] denen ein weiser Trinker seine Geliebte mit allerlei hübschen Dingen vergleicht, mit Thieren, Pflanzen, der Sonne und andern Weltkörpern, und daneben einem zelotischen Pfaffen Nasenstüber giebt. Dem ehrlichen Anton imponirte die verschlungene Form und der zugespitzte Ausdruck sehr, aber es war ihm doch komisch, als der Vorleser ausrief: »Nicht wahr, das ist schön? Der Gedanke, meine ich; denn die Schönheit der Sprache im Deutschen wiederzugeben, bin ich zu schwach.« Bei diesen Worten sah er begeistert vor sich, wie ein Mann, der alle Tage fünf bis sechs Flaschen Schiraswein trinkt und alle Abend seine Suleika küßt.

»Muß man denn aber trinken, um recht lieben zu können?« sprach Anton, »das ist bei uns doch auch ohne Wein möglich.«

»Bei uns,« erwiederte Bernhard, »ist das Leben sehr nüchtern,« dabei legte er das Blatt ernsthaft auf den Tisch.

»Ich denke, es ist nicht so,« erwiederte Anton eifrig; »ich kenne noch wenig vom Leben, aber ich sehe doch, auch wir haben Sonnenschein und Rosen, die Freude am Dasein, große Leidenschaften und merkwürdige Schicksale, welche von den Dichtern besungen werden.«

»Unsere Gegenwart,« erwiederte Bernhard weise, »ist zu kalt und einförmig.«

»Ich habe das schon einige Male in Büchern gelesen, aber ich kann nicht verstehen, warum, und ich glaube es auch gar nicht. Ich meine, wer mit unserm Leben unzufrieden ist, der wird es mit dem Leben in Teheran oder in Calcutta noch mehr sein, wenn er längere Zeit dort lebt. Es muß dort viel einförmiger und langweiliger sein, als bei uns. Ich lese das auch aus Reisebeschreibungen heraus. Was den Reisenden reizt, ist das Neue; wenn das Fremde alltäglich geworden ist, sieht es gewiß ganz anders aus.«

»Wie arm an großen Eindrücken unser civilisirtes Treiben ist,« entgegnete Bernhard, »das müssen Sie selbst in Ihrem Geschäft manchmal empfinden, es ist so prosaisch, was Sie thun müssen.«

[S. 268]

»Da widerspreche ich,« erwiderte Anton eifrig, »ich weiß mir gar nichts, was so interessant ist, als das Geschäft. Wir leben mitten unter einem bunten Gewebe von zahllosen Fäden, die sich von einem Menschen zu dem andern, über Land und Meer aus einem Welttheil in den andern spinnen. Sie hängen sich an jeden Einzelnen und verbinden ihn mit der ganzen Welt. Alles, was wir am Leibe tragen, und Alles, was uns umgiebt, führt uns die merkwürdigsten Begebenheiten aller fremden Länder und jede menschliche Thätigkeit vor die Augen; dadurch wird Alles anziehend. Und da ich das Gefühl habe, daß auch ich mithelfe, und so wenig ich auch vermag, doch dazu beitrage, daß jeder Mensch mit jedem andern Menschen in fortwährender Verbindung erhalten wird, so kann ich wohl vergnügt über meine Thätigkeit sein. Wenn ich einen Sack mit Kaffe auf die Waage setze, so knüpfe ich einen unsichtbaren Faden zwischen der Colonistentochter in Brasilien, welche die Bohnen abgepflückt hat, und dem jungen Bauerburschen, der sie zum Frühstück trinkt, und wenn ich einen Zimmtstengel in die Hand nehme, so sehe ich auf der einen Seite den Malayen kauern, der ihn zubereitet und einpackt, und auf der andern Seite ein altes Mütterchen aus unserer Vorstadt, das ihn über den Reisbrei reibt.«

»Sie haben eine lebhafte Einbildungskraft und sind glücklich, weil Sie Ihre Arbeit als nützlich empfinden. Aber was der höchste Stoff für die Poesie ist, ein Leben reich an mächtigen Gefühlen und Thaten, das ist bei uns doch sehr selten zu finden. Da muß man wie der englische Dichter aus den civilisirten Ländern hinaus unter Seeräuber gehen.«

»Nein,« versetzte Anton hartnäckig, »der Kaufmann bei uns erlebt ebenso viel Großes, Empfindungen und Thaten, als irgend ein Reiter unter Arabern oder Indern. — Je ausgebreiteter sein Geschäft ist, desto mehr Menschen hat er, deren Glück oder Unglück er mit fühlen muß, und desto öfter ist er selbst in der Lage, sich zu freuen oder Schmerzen zu empfinden. — Neulich hat hier ein großes Haus Bankerott gemacht.«

[S. 269]

»Ich weiß es,« sagte Bernhard, »es war ein trauriger Fall.«

»Wenn Sie die Gewitterschwüle empfunden hätten, welche auf dem Geschäft lag, bevor es fiel, die furchtbare Verzweiflung des Mannes, den Schmerz der Familie, die Hochherzigkeit seiner Frau, welche ihr eigenes Vermögen bis zum letzten Thaler in die Masse warf, um die Ehre ihres Mannes zu retten, Sie würden nicht sagen, daß unser Geschäft arm an Leidenschaften und großen Gefühlen ist.«

»Sie sind mit ganzer Seele Kaufmann,« sagte Bernhard freundlich, »ich möchte Sie beneiden um die reine Freude, die Sie über Ihre Arbeit haben.«

»Ja,« entgegnete Anton. »Auch der Kaufmann hat trübe Erfahrungen in Menge zu machen. Der kleine Aerger fehlt ihm nicht, und vieles Schlechte muß er erleben, aber der ganze Handel ist doch so sehr auf die Redlichkeit Anderer und auf die Güte der menschlichen Natur berechnet, daß ich bei meinem Eintritt in diese Thätigkeit erstaunt war. Wer ein ehrliches Geschäft hat, kann von unserm Leben nicht schlecht denken, er wird immer Gelegenheit haben, Schönes und Großartiges darin zu finden.«

Bernhard hatte mit gesenkten Augen zugehört, jetzt blickte er schweigend zum Fenster hinaus; und Anton bemerkte, daß er verlegen und bekümmert aussah. Endlich wandte sich Bernhard um und sagte, das Gespräch abbrechend, mit bittender Stimme: »Wenn es Ihnen recht ist, Herr Wohlfart, so möchte ich mit Ihnen sogleich zum Sprachlehrer gehen. Es ist ein weiter Weg, wir sprechen im Freien mehr mit einander.«

Wie alte Bekannte traten die beiden Jünglinge aus dem finstern Haus in die warme Abendluft. Und als sie nach einer Stunde von einander schieden, sagte Bernhard angelegentlich: »Ist Ihnen der Verkehr mit mir nicht zu uninteressant, Herr Wohlfart, so besuchen Sie mich doch manchmal in Ihren Freistunden.« Anton versprach das. Beide hatten Behagen an einander gefunden. Anton wunderte sich noch immer, daß [S. 270] ein Sohn Ehrenthals so wenig Geschäftsmann sein konnte, und Bernhard war glücklich, einen Menschen zu treffen, mit dem er über Vieles reden konnte, was er sonst schweigend mit sich herumtrug.


Bernhard trat am Abend vergnügt in die Familienstube und stellte sich hinter den Rücken der Schwester, welche auf einem kostbaren Flügel ein neues Modestück einübte und dabei eine große Fingerfertigkeit entwickelte. Der Bruder küßte sie leise an das Ohr, sie drehte sich schnell um und rief: »Laß mich in Ruh, Bernhard, ich muß das Stück einüben, denn auf den Sonntag ist große Soirée, und sie werden mich auffordern, zu spielen.«

»Ich weiß, daß sie dich auffordern werden,« sagte die Mutter, als Bernhard sich schweigend auf das Sopha niedersetzte und ein aufgeschlagenes Buch in die Hand nahm. »Es ist keine Gesellschaft, wo man nicht das Verlangen hat, die Rosalie zu hören. Wenn du nur einmal dich entschließen könntest, mitzukommen, Bernhard, du bist ein Mann von so viel Geist, du bist gelehrter als Alle aus der ganzen Bekanntschaft. Neulich hat der Professor Starke von der Universität mit großer Hochachtung über dich gesprochen und hat gesagt, du würdest ein Stolz werden für die Wissenschaft. Es ist erfreulich für eine Mutter, wenn sie stolz sein kann auf ihre Kinder. Warum kommst du nicht in die Gesellschaft, sie wird so auserlesen sein, wie sie in unserer Stadt nur sein kann.«

»Du weißt, Mutter, ich gehe nicht gern zu fremden Leuten,« sagte der Sohn.

»Und ich will, daß mein Sohn Bernhard hat seinen eigenen Willen,« rief der Vater aus einer Nebenstube, wo er die letzten Worte Bernhards gehört hatte, da in diesem Augenblicke Rosalie von ihren schweren Passagen ausruhte. Herr Ehrenthal trat in seinem verschossenen Schlafrocke zu der Familie: »Unser Bernhard ist nicht, wie andere Leute, und der [S. 271] Weg, den er geht, wird immer sein ein guter Weg. Du siehst aus so bleich,« sagte er zum Sohne und strich mit der Hand über seine braunen Locken. »Du studirst zu viel, mein Sohn. Denke auf deine Gesundheit, der Doctor hat gesagt, daß dir Bewegung nöthig ist, und hat dir gerathen zu nehmen ein Pferd und darauf zu reiten. Warum willst du nicht nehmen ein Pferd? Ich kann es haben, daß mein Sohn Bernhard auf dem theuersten Pferde reitet, das in der Stadt zu haben ist; thu, was der Arzt sagt, mein Bernhard, ich will dir kaufen ein Pferd.«

»Ich danke dir, lieber Vater,« erwiederte Bernhard, »es würde mir keine Freude machen, und wie ich fürchte, deßhalb nicht viel helfen.« Er drückte dankbar die Hand des Vaters, der ihm wehmüthig in das faltige Gesicht sah.

»Gebt Ihr dem Bernhard auch immer zu essen, was er gern hat? Laß ihm Pfirsichen holen, Sidonie, es sind neue Pfirsichen angekommen beim Fruchthändler, das Stück kostet zwei gute Groschen; oder willst du haben irgend etwas Anderes, so sag's. Du sollst haben, was du gern hast; du bist mein guter Sohn Bernhard, und ich habe meine Freude an dir.«

»Er will ja nie etwas annehmen,« sprach die Mutter dazwischen, »er hat keine andere Freude, als an seinen Büchern; nach Rosalie und mir frägt er manchmal den ganzen Tag nicht.«

»Liebe Mutter,« warf Bernhard bittend ein.

»Er liest zu viel in den Büchern und kümmert sich nicht um die Menschen,« fuhr die erfahrene Frau fort, »deßhalb sieht er aus so bleich und verfallen, wie ein Mann von sechzig Jahren. Warum will er nicht gehen auf den Sonntag in die Soirée?«

»Ich werde mitkommen, wenn du es wünschest,« sagte Bernhard traurig und setzte nach einer Weile hinzu: »Ist Euch ein junger Mann bekannt, ein Herr Wohlfart, der in Schröters Geschäft ist?«

[S. 272]

»Den kenne ich nicht,« sprach der Vater mit bestimmten Kopfschütteln.

»Vielleicht du, Rosalie? Er ist ein hübscher Mann von gentilem Aussehen. Er scheint mir ein guter Tänzer und Gesellschafter zu sein. Bist du nicht irgendwo ihm begegnet? Ich glaube, er müßte dir aufgefallen sein.«

»Ist er blond?« frug die Schwester, indem sie ihr Haar vor einem kleinen Handspiegel zurecht strich.

»Er hat dunkles Haar und blaue Augen.«

»Wenn er aus einem Comtoir ist, werde ich ihn wohl schwerlich kennen,« sagte Rosalie, das Haupt zurückwerfend.

»Unsere Rosalie tanzt meist mit Offizieren und Künstlern,« schaltete die Mutter erklärend ein.

»Er ist ein tüchtiger und liebenswürdiger Mensch,« fuhr Bernhard fort; »ich will mit ihm zusammen Englisch treiben und freue mich sehr, daß ich seine Bekanntschaft gemacht habe.«

»Er soll eingeladen werden zu uns,« decretirte Herr Ehrenthal vom Sopha aufstehend; »wenn er unserem Bernhard gefällt, so soll er willkommen sein in meinem Hause. Laß einen guten Braten machen auf den Sonntag, Sidonie, und laß mir einladen Herrn Wohlfart zum Mittagessen, nicht um ein Uhr, sondern um zwei Uhr! Er soll von jetzt gebeten werden zu allen Gesellschaften, die wir geben; wenn er ein Freund ist von Bernhard, so soll er auch ein Freund sein von unserem Hause.«

»Er hat ja noch nicht seinen Besuch gemacht,« sagte die Mutter wieder, »wir müssen doch abwarten, bis er sein Entrée macht bei der Familie?«

»Wozu Entrée,« fuhr der Vater auf, »wenn er bekannt ist mit unserem Bernhard, wozu soll er erst Entrée machen bei uns?« —

»Ich will noch in dieser Woche zu ihm gehen, und wenn du erlaubst, liebe Mutter, ihn auffordern, auf den Sonntag bei uns zu essen.«

Die Mutter gab ihre Einwilligung, und Rosalie setzte sich [S. 273] jetzt zum Bruder und frug ihn mit größerem Interesse über Person und Wesen des neuen Bekannten aus.

Bernhard schilderte mit Wärme den angenehmen Eindruck, den Anton auf ihn gemacht hatte, so daß die Mutter daran dachte, auf den Sonntag die große Silbervase herauszugeben und aufputzen zu lassen. Rosalie überlegte, in welchem Kleide und durch welche Seite ihrer Bildung sie auf den Fremden Eindruck machen wolle, und der Vater erklärte wiederholt, daß er Herrn Wohlfart zu jeder Tageszeit und bei jedem ausgezeichneten Bratenstück in seinem Hause zu sehen wünsche.

Wie kam es doch, daß Bernhard seiner Familie nicht den Inhalt des Gesprächs mittheilte, welches ihm den neuen Bekannten so lieb gemacht hatte? Wie kam es doch, daß er kurz darauf wieder in trübes Schweigen verfiel und in sein Arbeitszimmer zurückging? daß er dort seinen Kopf über eine alte Handschrift lehnte und lange auf die krausen Züge hinstarrte, bis ihm große Thränen herabfielen, welche die Tusche der Buchstaben, auf die er so viel hielt, auflösten und verdarben, ohne daß er's merkte? Wie kam es doch, daß der junge Mann, auf den die Mutter so gern stolz sein wollte, und den der Vater so sehr verehrte, allein in seiner Stube saß, und die bittersten Thränen vergoß, die ein guter Mensch weinen kann? Und woher kam es, daß er endlich mit rothgeweinten Augen am späten Abend sich zusammenfaßte und eifrig den Kopf in seine Bücher senkte, während seine schöne Schwester in der andern Ecke der Wohnung noch immer mit ihren runden Fingern über die Tasten fuhr und das schwere Stück einübte, welches bestimmt war, bei der nächsten Soirée zu wirken?


Mit diesem Tage begann für Anton und Bernhard ein Verhältniß, welches für Beide Werth erhielt. Bei der Unterhaltung über das Schöne, welches die Kraft eines fremden Volkes geschaffen hatte, genossen sie die Freude, auch das Gute lieb zu [S. 274] gewinnen, das Jeder in dem Andern fand. Bernhards Sprachkenntnisse waren größer, und sein Gefühl für das Reizende in fremder Poesie bis zum Uebermaß fein, in Antons Seele war Alles geordnet und sicher. Wenn Bernhard für Byron kämpfte, so vertrat Anton die ruhige Klarheit Walter Scotts, und Beide waren glücklich, als ihre Begeisterung sich vor dem größten dramatischen Dichter vereinigte.

Anton schilderte die ungewöhnliche Bildung Bernhards dem gleichgültigen Fink. Er freute sich darauf, Beide mit einander bekannt zu machen, und als er einst Bernhard zu sich geladen hatte, bat er auch Fink, heraufzukommen.

»Wenn dir's Spaß macht, Tony,« sagte Fink achselzuckend, »so will ich kommen. Ich sage dir aber im Voraus, daß ich unter allen Creaturen Büchereulen am wenigsten leiden kann. Es giebt kein Volk, welches selbstgefälliger über alles Mögliche aburtheilt, und keines, das sich thörichter benimmt, wenn es selbst etwas thun soll. Und vollends ein Sohn des würdigen Ehrenthal! Nimm mir's nicht übel, wenn ich Euch bald entlaufe.«

Bernhard saß erwartungsvoll auf dem Sopha Antons und sah mit Befangenheit der Ankunft des berühmten Mannes entgegen, über welchen manche Sage sogar in seine stille Studirstube gedrungen war. Als Fink eintrat und die tiefe Verbeugung Bernhards mit einem leichten Kopfnicken beantwortete, sich einen Stuhl zum Tisch zog und den schwachen Thee, den Bernhard so erbeten hatte, durch allerlei Zuthaten trinkbar zu machen suchte, da empfand Anton mit Betrübniß, daß diese Beiden schwerlich zu einander passen würden. Kein größerer Gegensatz war möglich, als ihr Wesen. Die magere durchsichtige Hand Bernhards und der kräftige Fleischton in den Muskeln Finks, die gedrückte Haltung des Einen, die elastische Kraft des Andern, dort ein faltiges Gesicht mit träumerischen Augen, hier stolze Züge mit einem Blick, der dem eines Adlers glich: das paßte nimmermehr zusammen. Doch ging es besser, als Anton gedacht hatte. Bernhard hörte mit Achtung zu, [S. 275] was der Jokei erzählte, und da Anton eifrig bemüht war, das Gespräch auf ein Gebiet zu bringen, wo auch Bernhard Theil nehmen konnte, blieb die Unterhaltung in Fluß.

»Fink hat auch Indianer gesehen,« sagte Anton zu Bernhard.

»Haben Sie etwas von ihren Liedern gehört?« frug der Gelehrte.

»Ich habe sie einige Male gehört. Möglich, daß klügere Leute etwas Erbauliches in ihrem Gesange finden, mir ist er nie anders vorgekommen, als kläglich. Schlagen Sie auf ein altes Buch und singen Sie dazu durch die Nase mit allerlei Nebentönen: »Tum, tum, te — ticke, ticke te, — Och, och, tum, tum, te,« so haben Sie ihren Gesang, der auf Deutsch ungefähr bedeuten würde: »Guter Geist, gieb Büffel, Büffel, Büffel. Dicke Büffel gieb uns, guter Geist.« — Seine Zuhörer lachten. — »Und wozu sollen diese Geschöpfe kunstvolle Lieder machen? Entweder sind sie auf der Jagd, oder sie suchen Scalpe, oder sie essen und schlafen, oder sie halten Parlamentsreden, wozu sie allerdings große Neigung haben.«

»Aber die Frauen?« frug Bernhard lächelnd.

»Wie es bei den mit der Poesie steht, weiß ich nicht, mir rochen sie immer zu sehr nach Fett. Freilich, wenn man nichts Anderes hat, gewöhnt man sich auch daran. Doch ist mit den Männern noch besser zu verkehren. So ein nackter Bursch auf seinem halbwilden Pferde ist kein übler Anblick.«

»Die erste Begegnung muß doch sehr imponiren, ihre auffallende Tracht und ihr stolzes Wesen,« warf Bernhard ein.

»Das kann ich nicht sagen,« versetzte Fink. »Vor Jahren machte ich mit meinem Onkel eine Reise nach der Agentur einer Pelzwaaren-Compagnie, bei der er betheiligt war. Als wir aus dem Dampfer an's Ufer stiegen, fanden wir am Landungsplatz eine Gesellschaft der röthlichen Herren, welche stark betrunken war. Ein langer Schlingel schritt auf meinen Onkel zu und hielt ihm eine Rede, die, wie der Dolmetsch erklärte, die Versicherung enthielt, daß sie sämmtlich große [S. 276] Krieger wären, und nach jedem Satze bellte die Bande ein lautes Hau, hau, das in ihrer Sprache so viel als ja bedeutet. Es war ein Trupp Schwarzfüße.«

»Es waren Sioux,« verbesserte Bernhard bescheiden.

Fink legte den Theelöffel hin und sah Bernhard groß an. »Ich calculire, Herr, es waren Schwarzfüße.«

»Es waren doch wohl Sioux,« wiederholte Bernhard. »Bei den Schwarzfüßen lautet das Ja anders.«

»Wetter,« rief Fink, »wenn Sie mit den rothen Teufeln so bekannt sind, wozu lassen Sie mich hier meine Jagdgeschichten erzählen?«

»Ich habe mich nur ein wenig um ihre Sprache bekümmert,« erwiederte Bernhard, »es ist ein Zufall, daß ich vor Kurzem einige Wörterverzeichnisse verschiedener Stämme durchgesehen habe.«

»Und wozu haben Sie sich die unnütze Mühe gemacht? Es wird dort drüben schnell aufgeräumt; bevor Sie eine Sprache erlernen, ist der Stamm ausgerottet, der sie sprach.«

Jetzt wurde Bernhard beredt. Er sagte, daß die Kenntniß der Sprachen für die Wissenschaft die beste Hülfe sei, um das Höchste zu verstehen, was der Mensch überhaupt begreifen könne, die Seelen der Völker.

Die vom Geschäft hörten aufmerksam zu. Als Bernhard sich entfernt hatte, rief Fink noch immer verwundert: »Er geht mit unserm alten Herrgott um, wie mit einem Dutzbruder, und konnte vorhin rechts und links nicht unterscheiden.«


Die Folge dieses Abends war, daß Bernhard einige Tage später sogar auf den Polsterstuhl Finks zu sitzen kam und daß er selbst den Muth faßte, mit Anton auch Fink zu sich einzuladen. »Es ist keine Gesellschaft,« fügte er hinzu, »ich möchte nur Sie beide einmal auf meinem Zimmer sehen.«

Fink sagte zu.

Darüber entstand in der Familie Ehrenthal große Aufregung. [S. 277] Bernhard stäubte selbst seine Bücher ab und stellte die verkehrten zurecht, und es geschah das Unerhörte, daß er sich um die Wirthschaft kümmerte. »Es muß Thee sein, Abendessen, Wein, auch Cigarren.«

»Du sollst um nichts sorgen,« beruhigte ihn die Mutter; »wenn der Herr von Fink dein Gast ist, so soll er sehen, wie es in unserm Hause zugeht.«

»Die Cigarren werde ich dir kaufen,« rief der Vater, »wie sie rauchen die jungen Herren, etwas Feines, und ich werde dir auch besorgen den Wein. Laß Fasanen holen, Sidonie.«

»Wir wollen einen Lohndiener annehmen,« sagte die Mutter.

»So will ich's nicht,« widersprach Bernhard ängstlich, »die Herren kommen zu mir als gute Freunde, und so sollen sie aufgenommen werden, in meiner Stube und ohne fremden Diener.«

Und als die Stunde des Besuchs herankam, wie wurde da Bernhard eifrig, ja er wurde ärgerlich, nichts war ihm in Ordnung. »Wo ist der Theekessel? Noch steht kein Kessel in meiner Stube,« rief er der Mutter zu.

»Ich werde dir den Thee eingießen und hineinschicken, wie sich's bei Herrengesellschaft paßt,« sagte die Mutter, die im neuen Seidenkleide auf- und abrauschte.

»Nein,« entgegnete Bernhard eigensinnig, »ich selbst will den Thee machen, Wohlfart macht ihn, und Herr von Fink macht ihn.«

»Der Bernhard will selbst den Thee machen!« rief die Mutter verwundert Rosalien zu. »Ein Wunder, er will selbst den Thee machen!« rief Ehrenthal in seiner Schlafstube, in der er gerade unter den Stiefeln klapperte. »Er will Thee machen!« rief die Köchin in der Küche und schlug die Hände zusammen.

Und wieder kam Bernhard in die Wohnstube gerannt, eine geschliffene Flasche in der Hand. »Was ist das hier?« frug er im Eifer.

»Arak,« sagte die Mutter.

»Es muß Rum sein, Fink trinkt keinen Arak im Thee.«

[S. 278]

»Ich werde selbst gehen, Rum holen,« rief Ehrenthal, ergriff seinen Hut und lief mit der Flasche zum Nachbar Goldstein, dem Weinhändler.

Auf dem Wege sagte Anton zu Fink: »Es ist hübsch von dir, Fritz, daß du mitkommst. Bernhard wird eine große Freude darüber haben.«

»Der Mensch muß Opfer bringen,« erwiederte Fink. »Ich habe mir die Freiheit genommen, im Voraus zu Abend zu essen, denn ich habe einen Abscheu vor Gänsefett. Aber das schönste Mädchen der Stadt ist schon eine Entsagung werth. Ich habe sie neulich wieder im Concert gesehen, ein prachtvoller Leib. Und welche Augen! Ihr Vater, der alte Wucherer, hat nie einen Edelstein unter seinen Händen gehabt, der so funkelt.«

»Wir sind zu Bernhard eingeladen,« versetzte Anton mit leisem Vorwurf.

»Jedenfalls wird doch die Schwester zu sehen sein,« sagte Fink; »wo nicht, so zwingen wir ihn, sie vorzuführen.«

»Ich hoffe, sie wird unsichtbar bleiben,« seufzte Anton.

Die Thür öffnete sich, das Entrée war durch zwei prachtvolle Lampen erleuchtet, Bernhards Stube war festlich geschmückt. Eine große Blumenvase stand auf dem Tisch, daneben buntes Porcellan, vergoldete Löffel auf seidener Tischdecke, und ein großes Bund Imperiales von riesigem Format, wahre Stangen, die man ohne Stütze zwischen den Lippen nicht erhalten konnte. Auf dem Boden war ein neuer Teppich ausgebreitet, es war Alles sehr anständig. Und wie liebenswürdig war Bernhard als Wirth. Er machte den Thee. Er bat in rührender Hülflosigkeit Fink um Rath, wie viel Thee er einschütten solle, er drehte den Hahn so künstlich herum, daß lange Zeit gar nichts aus der Oeffnung floß, und dann wieder die Fluth nicht zu bändigen war. Erröthend scherzte er über seine eigene Ungeschicklichkeit, und seine Augen leuchteten vor Freude, als Fink entschied, der Thee sei vortrefflich. Eifrig bot er die Cigarren, andächtig hörte er die Belehrung, die [S. 279] ihm Fink über das schickliche Maß hielt, in welchem diese Erfindung menschlichen Scharfsinnes geformt werden müsse. Und ganz glücklich wurde er, da Anton endlich bat, dem Freund seine Bücherschätze zu zeigen, und da Fink über das Aussehen der fremden Buchstaben humoristische Glossen machte. Als gute Leute saßen die Drei zusammen und plauderten eine Stunde in bester Eintracht. Fink war in der menschenfreundlichsten Stimmung, und Anton bat die Götter im Stillen, die schöne Schwester nur heut von ihrem Tisch fern zu halten.

Doch Punkt neun Uhr öffnete sich die Thür des Nebenzimmers, und Frau Sidonie überschritt majestätisch die Schwelle. »Bathseba tritt ein zu König David,« sagte Fink leise zu Anton; erzürnt drückte ihm Anton den Fuß. Bernhard stellte verlegen vor, die Frau vom Hause lud in das Nebenzimmer, Herr Ehrenthal und Rosalie präsentirten sich. Fink trat zu dem schönen Mädchen, nannte sie gnädiges Fräulein und erzählte ihr, daß er eine alte Bekanntschaft erneuere, da er sie bereits in der Akademie gesehen habe. Er setzte sich zwischen Mutter und Tochter zu Tisch, er sagte ihnen im gleichgültigsten Ton so viele Artigkeiten, daß Beide bezaubert wurden. Er rühmte gegen die Mutter die entfernte Residenz, gegen welche diese Stadt ein kleinlicher Haufe von Ziegelsteinen sei, er ließ sich mit Rosalien in eine lebhafte Unterhaltung über Musik ein, für die er sonst wenig Herz hatte, er versprach ihr beim nächsten Wettrennen einen guten Platz auf der Tribüne, er erzählte kleine Geschichten aus der besten Gesellschaft, in denen er mit Humor die Schwächen derselben karrikirte. Er entzückte dadurch die Frauen, die mit Eifersucht auf die Kreise hinsahen, die sich gegen Leute von Bildung so sehr abschlossen, er erfreute dadurch auch Bernhard, der auf diese Berichte lauschte, wie auf die Kunde aus fremder Welt. Es war von einer Fürstin die Rede, welche für eine berühmte Schönheit galt, Fink war ihr irgend einmal vorgestellt worden und fand, daß sie dem Fräulein vor ihm zum Verwechseln ähnlich sah, etwas kleiner war die Fürstin, die Gestalt weniger edel; er bewunderte dreist eine Mosaikbroche [S. 280] an der Brust von Frau Sidonie und verglich sie mit einem kostbaren Kunstwerk in einem Museum. Nur Vater Ehrenthal war für ihn nicht vorhanden. Nach den ersten Begrüßungen mit Anton machte der Händler einige vergebliche Versuche, mit Fink eine Unterhaltung anzuknüpfen. Aber Fink sprach über ihn weg, als ob ein Stück Luft auf dem Stuhle des Hausherrn sitze. Und doch war er nicht unartig, Jedem war, als müßte es so sein. Ehrenthal selbst fand sich mit Demuth in die bescheidene Rolle, zu der er verurtheilt war, und rächte sich dadurch, daß er einen ganzen Fasan verzehrte.

Als Fink merkte, daß es ein wenig unbequem war, die Frauen zu lebhafter Theilnahme an der Unterhaltung heranzuziehen, fing er an, in seiner Weise mit Worten zu phantasiren.

Die Mutter klagte gegen ihn über Bernhards Stubensitzen.

»Er ist ein Aristokrat,« antwortete Fink gutmüthig. »Der zehnte Mensch ist ihm nicht recht. Die Herren Gelehrten haben alle diese Eigenthümlichkeit. Wenn ich meinem Schöpfer für etwas dankbar bin, so ist es dafür, daß er mich zu einem einfachen bescheidenen Mann gemacht hat, dessen Kopf nicht stark genug ist, große Weisheit zu vertragen. Uns gewöhnlichen Menschen wird es am leichtesten, mit dieser Welt fertig zu werden, wir sind genöthigt, uns in Andere zu schicken. Wer aber berechtigt ist, große Ansprüche zu machen wegen seines Wissens oder wegen seiner Schönheit« — hier neigte er sich mit überzeugender Ehrlichkeit gegen die Tochter vom Hause — »der findet leicht die Welt nicht so, wie er sie fordert, während ich und meines Gleichen die Ueberzeugung haben, daß sie ganz vortrefflich eingerichtet ist.«

»Es ist doch viel Gemeines auf der Erde,« sagte Madame Ehrenthal.

»Daß ich nicht wüßte,« rief Fink lachend. »Ich gebe Ihnen zu, daß einige Insecten einen gemeinen Charakter haben, und daß es gemein ist, sich in Branntwein zu betrinken. [S. 281] Im Uebrigen kommt Vieles auf Ansichten an. Sehen Sie diese Auster. Ich wette, es giebt zahlreiche Fische und Erdbewohner, welche dies holde Geschöpf für etwas Gemeines halten, mir erscheint sie als eine der vornehmsten Erfindungen der Natur. Was verlangen wir von einem Vornehmen? Die Auster hat Alles: sie ist ruhig, sie ist still, sie sitzt fest auf ihrem Grund und Boden. Sie schließt sich ab gegen die Außenwelt, wie kein anderes Geschöpf. Wenn sie ihre Schalen zuklappt, so deutet sie auf das entschiedenste an: Ich bin für Niemand zu Hause; wenn sie ihr perlmutternes Haus öffnet, so zeigt sie den bevorzugten Ebenbürtigen ein zartes gefühlvolles Wesen. Wenn der Mensch das Recht hat, etwas Geschaffenes zu beneiden, so ist es die Auster. Sie werden sagen, daß das Seewasser kein ansprechendes Element ist. Aber da muß ich widersprechen. Wer auf die schlechte Gewohnheit verzichten kann, alle Augenblicke nach Luft zu schnappen, wie wir leider thun müssen, für den muß es dort unten auf dem Meeresgrund sehr gemüthlich sein.« Er wandte sich zu Rosalie: »Nur die musikalische Bildung der Auster ist, wie ich fürchte, ungenügend. Außer dem Heulen des Sturmwinds und dem Gerassel des Dampfschiffs dringen nicht viele Töne in ihre Behausung.«

»Treiben Sie Musik?« frug Rosalie.

»Kaum darf ich das zugeben,« erwiederte Fink verbindlich. »Ich klimpere ein wenig auf dem Flügel herum, und wenn ich zu singen versuche, meide ich Menschenwohnungen. Aber ich stehe zur Musik in dem Verhältniß eines unglücklichen Liebhabers. Ich habe ein Instrument, das ich schwärmerisch verehre, und ich würde viel darum geben, wenn ich im Stande wäre, dasselbe mit Meisterschaft zu spielen.«

»Die Violine?« frug Rosalie.

»Vergebung, die Pauke. Ich frage Sie, was heißt spielen auf den anderen Instrumenten? Es ist ein ewiges unruhiges Umherrasen von der Höhe zur Tiefe und wieder umgekehrt, eine ungemüthliche Anstrengung in allen möglichen Schnelligkeiten, [S. 282] Triolen, Trillern, Tremolo's und wie die Quälereien alle heißen. Nur selten erscheint eine lange, dicke, ruhige Note, ein solider Ton, welcher aushallt und nicht von der nächsten Note seinen Fußtritt bekommt. Nehmen Sie dagegen den Ton der Pauke. Welche Kraft, welche Feierlichkeit und welche Wirkung! Und erst der Glückliche, dem ein solches Instrument anvertraut wird! Man sagt den übrigen Virtuosen nach, daß sie reizbar und empfindlich sind, der Pauker wird ein Held, ein großer Charakter, er bekommt eine Weltanschauung, wie sie nur auf dem erhabensten Standpunkt möglich ist. Er pausirt, dreißig, fünfzig Tacte, unterdeß rennt und quiekt das Volk der übrigen Töne durcheinander, wie die Mäuse, wenn die Katze nicht zu Hause ist. Er allein steht in einsamer Größe, scheinbar mit nichts beschäftigt, er nimmt vielleicht eine Prise oder sucht sich lächelnd die schönsten Damen im Zuhörerraum. Aber innerlich denkt er: 27, wartet nur, ihr ruppiges Notengesindel, 28, ich werde euch sogleich eins auf den Kopf geben, 29, diese Geige wird naseweis, 30, bum! er schlägt auf, und die andern Instrumente fahren aufgeregt zusammen, sie fühlen die Sprache ihres Herrn und Meisters, und alle Zuhörer athmen tief auf, das große Wort ist gesprochen.« — Rosalie lachte.

»Ich lasse mir nächstens ein Paar Pauken bauen und werde mir die Ehre geben, ein Duett für Pauke und Fortepiano zu schreiben und Ihnen, mein Fräulein, zu widmen, am liebsten ein gefühlvolles Notturno. — Beim Apoll, ein vortrefflicher Wein! Was für ein Landsmann? Ich habe noch nicht die Ehre seiner persönlichen Bekanntschaft.«

»Es ist ein Ungarwein, alter Menes,« rief Vater Ehrenthal über den Tisch, »er hat funfzig Jahre gelegen im Keller.«

»Kennen Sie die Sorte, Herr Bernhard?« frug Fink, die Worte des Vaters überhörend.

»Ich verstehe wenig vom Wein,« sagte Bernhard.

»Schade,« erwiederte Fink. »Wer ein Gönner der Poeten ist, wie Sie, der sollte auch etwas auf seinen Weinkeller [S. 283] halten. Aber da wir von Musik sprechen, müssen Sie uns wenigstens sagen, wie Ihre persischen Freunde, die Herren Jussuf und Sadi, ihre Lieder den schwarzäugigen Schönen vorsingen. Bitte, recitiren Sie uns ein Gedicht auf persische Weise.«

Bernhard setzte ernsthaft auseinander, daß die Musik des Orients für unser Ohr manches Auffallende habe, und hatte lange zu thun, um die angelegentlichen Bitten Finks abzuwehren, welcher durchaus einen Vortrag in Originalsprache und Melodie von ihm hören wollte.

So zog Fink die Tafel hin bis nach Mitternacht, zuletzt mußte Rosalie sich an den Flügel setzen, dann fuhr auch er mit den Fingern über die Tasten und sang ein wildes Lied in spanischer Sprache. Als die Gäste sich entfernten, war die Familie entzückt. Rosalie eilte wieder an den Flügel und suchte die Melodie des fremden Gassenhauers zu wiederholen, die Mutter war unerschöpflich im Ruhme des vornehmen Wesens; auch der von den Stühlen der Menschheit gestrichene Vater war über den Besuch des reichen Erben begeistert und wiederholte in angenehmer Weinlaune, daß er über eine Million schwer sei. Selbst Bernhards unschuldige Seele war durch die Art des gewandten Mannes mächtig gefesselt. Wohl hatte er bei den Reden Finks zuweilen ein leichtes Mißbehagen gefühlt, es war ihm vorgekommen, als mache der Fremde sich über ihn und die Seinen lustig, aber er war zu unerfahren, um das vollständig zu übersehen, und beruhigte sich damit, daß solche Gleichgültigkeit zum Wesen der Weltleute gehöre.

Nur Anton war unzufrieden mit dem Freunde und sagte ihm das auf dem Heimwege.

»Du hast gesessen wie ein Stock,« erwiderte Fink, »ich habe die Leute unterhalten, was willst du mehr? Laß dich in eine Maus verwandeln und kriech in die Löcher der aufgeputzten Stube, und du wirst hören, wie sie jetzt mein Lob singen. Kein Mensch kann mehr verlangen, als daß man ihn so behandelt, wie ihm selbst behaglich ist.«

[S. 284]

»Ich meine,« sagte Anton, »man soll ihn so behandeln, wie es der eigenen Bildung würdig ist. Du hast dich benommen, wie ein leichtsinniger Edelmann, der morgen bei dem alten Ehrenthal eine Anleihe machen will.«

»Ich will leichtsinnig sein,« rief Fink lustig, »vielleicht will ich auch eine Anleihe bei dem Hause Ehrenthal machen. Schweig jetzt mit deinen Bußpredigten, es ist ein Uhr vorüber.«


Einige Tage später erinnerte sich Anton nach dem Schluß des Comtoirs, daß er dem jungen Gelehrten die Uebersendung eines Buches versprochen hatte. Da Fink schon vor einer Stunde weggegangen war und, wie er oft that, den Paletot Antons mitgeführt hatte, so wickelte dieser sich in Finks Burnus, der auf seiner Stube lag, und eilte in Ehrenthals Haus. Er trat an die weiße Thür und war nicht wenig verwundert, als die Thür geräuschlos aufging und eine verhüllte Gestalt herausschlüpfte. Ein weicher Arm legte sich in den seinen und eine leise Stimme sprach: »Kommen Sie schnell, ich erwarte Sie schon lange.« Anton erkannte Rosaliens Stimme. Er stand starr wie eine Bildsäule und erwiederte endlich mit dem Erstaunen, das in solcher Lage verzeihlich ist: »Sie verkennen mich, mein Fräulein.« Mit einem unterdrückten Schrei huschte die junge Dame die Stufen hinab, Anton trat kaum weniger erschrocken in Bernhards Zimmer. Er hatte in der Verwirrung den Mantel nicht abgenommen, und erlebte jetzt das Leid, daß der kurzsichtige Bernhard auf ihn zutrat und ihn Herr von Fink anredete. Ein schrecklicher Verdacht stieg in ihm auf, er schützte gegen Bernhard große Eile vor und trug den unglücklichen Mantel schnell nach Hause über einem Herzen voll Schmerz und Aerger. Wenn es Fink war, der von der schönen Tochter Ehrenthals zu so vertraulichem Abholen erwartet wurde! Je länger Anton auf den Abwesenden wartete, desto höher stieg sein Unwille. Endlich hörte er Finks [S. 285] Tritt auf den Steinen des Hofes und eilte mit dem Mantel zu ihm hinab. Er erzählte kurz, was ihm begegnet war, und schloß mit den Worten: »Sieh, ich hatte deinen Mantel um, und es war dunkel, ich habe den häßlichen Verdacht, daß sie mich für dich gehalten hat, und daß du das Vertrauen Bernhards in unverantwortlicher Weise gemißbraucht hast.«

»Ei, ei,« sagte Fink kopfschüttelnd, »da sieht man, wie schnell der Tugendhafte bereit ist, seine Steine auf Andere zu werfen. Du bist ein Kindskopf. Es giebt mehr weiße Mäntel in der Stadt, wie kannst du beweisen, daß es gerade mein Mantel war, der erwartet wurde? Und dann erlaube mir die Bemerkung, daß du selbst dich bei diesem Abenteuer in einer Weise benommen hast, die weder artig, noch entschlossen, noch irgend etwas Anderes war, als täppisch. Warum hast du nicht das Fräulein die Treppe herunter geführt? Und wenn die Verwechselung unten nicht mehr zu verbergen war, konntest du nicht sagen: Zwar bin ich nicht der, für den Sie mich halten, aber ich bin ebenfalls bereit, in Ihrem Dienst zu sterben, und so weiter?«

»Du täuschest mich nicht,« erwiederte Anton. »Ich traue nicht, daß du mir die Wahrheit sagst. Wenn ich mir Alles recht überlege, so kann ich, trotz deinem Leugnen, den Verdacht nicht los werden, daß du doch der Erwartete warst.«

»Du bist ein kleiner Schlaukopf,« sagte Fink gemüthlich, »du wirst mir aber ebenfalls zugestehen, daß ich, da eine Dame im Spiel ist, nichts Anderes thun kann, als leugnen. Denn siehst du, mein Sohn, wenn ich dir Geständnisse machte, so würde ich ja die schöne Tochter des ehrenwerthen Hauses compromittiren.«

»Leider fürchte ich,« rief Anton, »daß sie sich ohnedies compromittirt fühlt.«

»Na,« sagte Fink ruhig, »sie wird's ertragen.«

»Aber Fritz,« rief Anton die Hände ringend, »hast du denn gar keine Empfindung für das Unrecht, was du an Bernhard begehst? Du verleitest die Schwester eines gebildeten [S. 286] und feinfühlenden Menschen zu Thorheiten, die für sie verhängnißvoll werden müssen. Gerade daß sein reines Herz in einer Umgebung schlägt, die er nur ertragen kann, weil er so voll Vertrauen ist und so wenig erfahren, gerade das macht dein Unrecht für mich so bitter.«

»Deßhalb wirst du am klügsten thun, wenn du das große Zartgefühl deines Freundes schonst und seiner Schwester Verschwiegenheit gönnst.«

»Nein,« erwarte Anton zornig, »meine Pflicht gegen Bernhard zwingt mich zu etwas Anderem. Ich muß von dir fordern, daß du dein Verhältniß zu Rosalie, von welcher Art es auch sei, auf der Stelle abbrichst und dich bemühst, in ihr nur das zu sehen, was sie dir immer hätte sein sollen, die Schwester meines Freundes.«

»So?« entgegnete Fink spöttisch, »ich habe nichts dawider, daß du diese Forderung stellst. Wenn ich aber nicht darauf eingehe, wie dann? Immer vorausgesetzt, was ich überhaupt leugne, daß ich der glückliche Erwartete war.«

»Wenn du nicht darauf eingehst,« rief Anton in großer Bewegung, »so kann ich dir diesen Streich niemals verzeihen. Das ist nicht mehr Mangel an Zartgefühl, es ist etwas Schlimmeres.«

»Und was, wenn's beliebt?« frug Fink kalt.

»Es ist schlecht,« rief Anton. »Es war schon schlimm genug, daß du die Koketterie des Mädchens benutztest, aber es ist doppelt schlecht, daß du auch jetzt nicht daran denken willst, wie du sie kennen gelernt hast, nicht an ihren Bruder und nicht an mich, der ich diese unglückliche Bekanntschaft vermittelt habe.«

»Und du laß dir sagen,« erwiederte Fink, die Lampe seiner Theemaschine anzündend, »daß ich dir durchaus nicht das Recht einräume, mir solche Vorträge zu halten. Ich habe keine Lust, mit dir zu zanken, aber ich wünsche über diesen Gegenstand kein Wort weiter von dir zu hören.«

»Dann muß ich dich verlassen,« sagte Anton, »denn es [S. 287] ist mir unmöglich, mit dir über Anderes zu sprechen, so lange ich die Empfindung habe, daß du frevelhaft handelst.« Er ging zur Thür. »Ich lasse dir die Wahl, entweder du brichst mit Rosalie, oder, so furchtbar mir ist, das auszusprechen, du brichst mit mir. Wenn du mir bis morgen Abend nicht die Versicherung giebst, daß deine Intrigue zu Ende ist, so gehe ich zu Rosaliens Mutter.«

»Gute Nacht, dummer Tony,« sagte Fink.

Anton verließ den leichtsinnigen Freund. Es war der erste ernsthafte Streit zwischen ihm und Fink. Er war sehr unglücklich über Finks Leichtsinn und schritt bis tief in die Nacht in seinem Zimmer trostlos auf und ab. Dem harmlosen Bernhard etwas zu sagen, erschien ihm bei der Persönlichkeit des Gelehrten bedenklich, er fürchtete, ihn im tiefsten Herzen zu verwunden, und traute ihm wenig Einfluß auf die Schwester zu. Auch Fink war ärgerlich über den Zufall. Er trank seinen Grog diesmal allein und dachte vielleicht mehr an Antons Groll, als an den Schreck der schönen Rosalie.


Der nächste Tag war grau für Beide. Sonst wenn Fink in's Comtoir trat, nickte er dem Freunde, der ihm seit einiger Zeit gegenüber saß, freundlich zu, und Anton kam dann schnell an den Stuhl des Andern und frug leise, wie Fink den letzten Abend verlebt hatte. Heut saß Anton stumm auf seinem Platz und beugte sich tief auf den Brief hinab, als Fink sich ihm gegenüber setzte. Jeder mußte, wenn er aufsah, in das Gesicht des Andern blicken, heut hatten Beide die Aufgabe, zu thun, als ob ihnen gegenüber ein leerer Raum sei. Es war Fink leicht gewesen, den Vater Ehrenthal als Luft zu behandeln, bei Anton war auch ihm das lästig, und Anton, der keine solche Gewandtheit im Uebersehen fremder Körper hatte, fühlte sich höchst unglücklich, wenn er nach rechts und links ausschauen mußte, bei dem Kopf des Andern vorbei, über ihn weg, immer gleichgültig, wie der Kriegsbrauch zwischen Schmollenden [S. 288] nöthig macht. In der Mitte des Vormittags kam das Frühstück in das Comtoir, dann wurde eine kurze Pause gemacht, die Herren standen von ihren Plätzen auf und traten zusammen. Heut blieb Anton sitzen, weil sein Platz der einzige Ort war, welcher ihn vor der Berührung mit Fink sicherte. Alles verschwor sich, Beiden ihre Rolle schwer zu machen. Schmeie Tinkeles erschien im Comtoir, und Fink hatte wieder eine lächerliche Verhandlung. Alle Herren sahen auf Fink und sprachen mit ihm; sonst hatte Anton dem Freunde fröhliche Zeichen des Einverständnisses gemacht, jetzt starrte er vor sich hin, als ob Tinkeles hundert Meilen entfernt wäre. Herr Schröter gab Anton einen Auftrag, bei dem er Fink um Auskunft fragen mußte. Anton war genöthigt, sich vorher stark zu räuspern, damit seine Stimme nicht gepreßt klang, und als Fink eine kurze Antwort gab, kränkte ihn das, und sein Zorn gegen den Verstockten loderte wieder zu heller Flamme auf. Zum Mittagessen waren die Beiden immer zusammen gegangen, Fink hatte regelmäßig gewartet, bis Anton ihn abholte. Heut kam Anton nicht. Fink ging mit Herrn Jordan in's Vorderhaus, so daß Jordan verwundert frug: »Wo bleibt denn Wohlfart?« und Fink mußte sagen: »Wo er will.«

Am Nachmittag konnte sich Anton nicht enthalten, einige Mal heimlich von seinem Briefe aufzusehen und den Kopf und das stolze Angesicht des Anderen zu betrachten. Dabei mußte er denken, wie fürchterlich es für ihn sei, von jetzt ab dem Manne fremd zu werden, an dem er so sehr hing. Aber er blieb fest. Auch jetzt, wo der erste Zorn verraucht war, fühlte er, daß er nicht anders handeln konnte. Diese Ueberzeugung rührte ihm das Herz. Und in solcher Stimmung vermied er nicht mehr auf den Platz des verlorenen Freundes zu schauen. Als Fink aufblickte, sah er das Auge Antons voll Trauer auf seinem Gesichte ruhen. Der schmerzliche Ausdruck beunruhigte den Rücksichtslosen mehr, als der frühere Zorn. Er erkannte daraus, daß Anton fest war, und die [S. 289] Waagschaale, worin Rosalie saß, fuhr in die Höhe. Wenn Anton in seiner Spießbürgerlichkeit zu Rosaliens Mutter ging, so wurde ihm das Abenteuer doch verdorben. Zwar um den Zorn der Mutter kümmerte er sich wenig, Rosalie mochte sehen, wie sie mit ihr fertig wurde, aber der Gedanke an den harmlosen Bernhard war ihm unbehaglich. Und was das Schlimmste war, sein eigenes Verhältniß zu Anton war für immer zerstört, sobald dieser erst mit einer dritten Person über die Liaison gesprochen hatte. Diese Erwägung zog ihm die Stirn in Falten.

Kurz vor sieben Uhr fiel ein Schatten auf Antons Papier. Anton sah auf, Fink hielt ihm schweigend einen kleinen Brief über das Pult, die Aufschrift war an Rosalie. Anton sprang von seinem Sitz auf.

»Ich habe an sie geschrieben,« sprach der Andere mit eisiger Kälte; »da deine Freundschaft mir nur die Wahl läßt, entweder das Mädchen zu compromittiren oder meine Studien über eine interessante Völkerseele aufzugeben, so muß ich mich zu dem Letzteren verstehen. Hier ist der Brief. Ich habe nichts dagegen, daß du ihn liest. Es ist ihr Laufpaß.«

Anton nahm den Brief aus der Hand des Sünders, siegelte ihn in der Eile mit dem kleinen Comtoirstempel und übergab ihn einem Hausknecht zur schleunigen Abgabe auf der Stadtpost.

So war die Gefahr beseitigt, aber es blieb seit diesem Tage eine Spannung zwischen den beiden Verbündeten. Fink grollte, und Anton konnte nicht vergessen, was er Verrath an seinem Freund Bernhard nannte. Und Fink trank durch einige Wochen seinen Thee nicht in Antons Gesellschaft.


[S. 290]

VII.

Das Haus von T. O. Schröter hatte einen Tag im Jahre, an dem es sich unabänderlich dem Vergnügen ergab. Dies geschah zur Erinnerung an die Stunde, in welcher Herr Schröter als Theilhaber in das Geschäft seines Vaters eingetreten war. Wenn dieser Tag durch die Tücke der Kalendermacher unter die Wochentage gesetzt wurde (und es war sechs gegen eins zu wetten, daß sie dem Geschäft den Possen spielten), so wurde das Fest am nächsten Sonntag gefeiert. Es war keine Festfeier, welche übermäßig aufregte, sie hatte einen ruhigen regelmäßigen Verlauf und einen leisen Anflug von Geschäftlichkeit. Zuerst war großes Diner des Comtoirs beim Prinzipal, dann fuhr die Gesellschaft nach einem nahe gelegenen Dorfe, wo der Kaufmann ein Landhaus besaß, und wo eine Anzahl öffentlicher Gärten und Sommerconcerte die Stadtbewohner anzogen. Dort wurde Kaffe getrunken, Natur genossen, und am Abend zur Bürgerstunde nach der Stadt zurückgefahren.

In diesem Jahr feierte der Kaufmann das fünfundzwanzigjährige Jubiläum seines Eintritts. Schon am Morgen gratulirten Deputationen der Auflader und Hausknechte, an der Mittagstafel waren heut die Collegen im höchsten Staat versammelt, Herr Liebold in einem neuen Frack, den er, wie alle Prachtstücke seiner Garderobe, seit vielen Jahren an diesem Fest zum ersten Mal trug.

Nach dem Mittagessen fuhren einige Wagen vor das Haus, die Gesellschaft in's Freie zu schaffen. Herr Schröter stieg mit Sabine in den ersten Wagen, und da die Tante als Krankenpflegerin einer Verwandten abwesend war, sah sich der Prinzipal unter den Herren um, welche massenhaft um den Wagen standen und das Einsteigen Sabinens durch heftige Dienstbeflissenheit wenigstes moralisch unterstützten. Fink saß bereits auf seinem Reitpferd, und so rief der Prinzipal Herrn Liebold [S. 291] und Herrn Jordan auf den Rücksitz des Staatswagens. Beide Herren verneigten sich, Herr Liebold nahm mit feierlichem Lächeln gegenüber dem Fräulein Platz. Ach, aber seine Freude war nicht ohne den Bodensatz heimlicher Angst. Es war allen Collegen wohl bekannt und ihm am besten, daß er das Rückwärtsfahren durchaus nicht vertragen konnte. Nie hatte er nach Ehrenplätzen gestrebt, sein ganzes Leben durch war er auf der Rückseite von Fortuna's Carrosse fortgeschafft worden, aber in einem gewöhnlichen Wagen empörte sich augenblicklich sein ganzes Innere, wenn er nicht vornehm im Fond saß. Auch heut sah er das Unglück kommen, gerade heut, wo er der angebeteten Herrin des Hauses gegenüber saß. Wie gern hätte er seinen Platz geopfert, aber das war unmöglich, die Ehre war zu groß, und seine Weigerung wäre ihm falsch ausgelegt worden. So saß er als Märtyrer, auf das Aergste gefaßt, dem Fräulein gegenüber, er versuchte vergebens unbefangen auszusehen und auf die Seite zu blicken, wo Häuser und Bäume, Menschen und Hunde bei ihm vorbeitanzten. Dies fürchterliche Tanzen kannte er, das war immer der Anfang. Er mußte also gerade vor sich hin sehen, und da es unpassend gewesen wäre, dem Fräulein in's Gesicht zu blicken, so starrte er über sie weg. Noch lächelte sein Mund, aber sein Auge sah stier und seine Wangen wurden blaß, blutlos, erdfarben. Jordan sah ihn von der Seite an und konnte das Lachen nicht verbergen. Das brachte Sabine zu der besorgten Frage: »Fehlt Ihnen etwas, Herr Liebold?« Da Liebold die Augen nicht vom Himmel wegwenden durfte, so bohrte er sie an einer ruhigen Wolke fest und murmelte die Versicherung, daß ihm sehr wohl sei. Dabei erhielt sein Gesicht aber den Ausdruck stumpfer Verzweiflung, so daß Sabine sich ängstlich an Herrn Jordan wandte.

»Er kann nicht vertragen rückwärts zu sitzen,« sagte dieser.

»Dann wechseln wir die Plätze,« rief Sabine. Herr Liebold schüttelte erschrocken den Kopf und machte schweigend allerlei Bewegungen, um seinen Abscheu gegen eine solche Zumuthung [S. 292] auszudrücken. »Bitte, Herr Jordan, lassen Sie den Kutscher halten,« rief Sabine. Der Wagen stand, das Fräulein erhob sich. »Schnell, Herr Liebold,« rief sie. Dieser versuchte noch zu protestiren, aber Jordan rückte ihn kräftig in die Höhe, und ehe er wußte, wie ihm geschah, saß er im Fond, und das Fräulein ihm gegenüber auf dem Rücksitz. Die Spannung in seinen Zügen ließ nach, eine feine Röthe zog verklärend über sein Gesicht. Aber in welcher Lage war er! Was mußten die Vorübergehenden von ihm und seiner Stellung im Hause denken! Fremde konnten ihn für den Onkel der Dame halten, aber Jeder, der sie kannte, — und wer kannte die schöne Sabine Schröter nicht? — der mußte auf die abenteuerlichsten Gedanken kommen. Daß er mit ihr verlobt sei, war noch viel zu wenig, als Verlobter hätte er nicht im Fond sitzen dürfen, nein, er saß da, wie mit ihr verheirathet. Der Gedanke trieb ihm den Schweiß aus allen Poren, er sah demüthig auf das Fräulein und bat sie mit leiser Stimme um Verzeihung wegen des Scandals, den er verursache. Sabine streckte zur Antwort ihre Hand aus und schüttelte ihm die seine kräftig. Da übermannte ihn die Freude, er beugte sich schon ein wenig herab, in der kühnen Absicht ihr den Handschuh zu küssen. Und in demselben Augenblick fuhren sie bei dem Buchhalter von Strumpf und Kniesohl vorüber, Herr Liebold schnellte stracks in die Höh, jetzt war das Unglück geschehen, Sabine und er waren das Opfer eines unerhörten Irrthums. Es war unnütz, noch gegen das Schicksal anzukämpfen. Er saß fortan verklärt und still selig, bis die Wagen vor der großen Restauration des Dorfes anhielten. Man stieg aus, die Herren sammelten sich um das seidene Gewand ihres Fräuleins, rauschende Musik scholl ihnen entgegen, sie traten in die Buchengänge des geschmückten Gartens, welcher heut mit den glänzenden Toiletten der Städter angefüllt war.

Sabine schwebte in einer Wolke von Herren dahin. Es ist möglich, daß dieser wandelnde Hof mancher Mitschwester [S. 293] größere Freude gemacht haben würde, als ihr. Jedenfalls sah es stattlich aus, als sie am Arm des Bruders durch die Gänge schritt, auf beiden Seiten und hinter ihr diensteifrige Herren, alle bemüht, sich mit ihr als dem Mittelpunkt in Verbindung zu halten, zumal heut, wo das Haus in Masse unter der Fashion der Stadt auftrat, und jeder Einzelne als Mitglied des berühmten Geschäfts zu repräsentiren hatte. Liebold war in einem beständigen Lächeln begriffen, welches er auf der Außenseite seines Gesichts allerdings zu bewältigen suchte, um bei den Vorübergehenden nicht den Argwohn zu erregen, daß er sie auslache. Aber um so stärker arbeitete es in seinem Innern und fuhr zuweilen im gleichgültigen Gespräch wie ein Wetterleuchten über sein Gesicht, dehnte ihm plötzlich Nase und Mund aus, und machte die Augen klein und glänzend. Er trug heut als Bevorzugter den Shawl des Fräuleins, schritt in angemessener Entfernung hinter ihr her und bezeichnete so die zweite von den Linien, welche die Firma im grünen Hauptbuch der Natur einnahm. Durch eine kühne Handbewegung hatte sich Herr Specht in Besitz des Sonnenschirms gesetzt und umgab mit diesem Sabine von allen Seiten, in der Regel marschirte er wie ein Fähnrich voran am Rand des Gehölzes. Mit verlangendem Blick sah er in das Gebüsch, ob ihm nicht eine auffallende Blume oder ein Schmetterling Veranlassung geben könnten, mit dem Fräulein eine Unterhaltung anzufangen. Jedenfalls war das nicht leicht, denn Fink ging neben ihr. Dieser war heut in boshafter Stimmung, und wider Willen lachte Sabine über die unbarmherzigen Glossen, welche er auffallenden Gestalten unter den Spaziergängern gönnte. Auch den massenhaften Aufmarsch der Firma machte er lächerlich, aber er selbst verschmähte nicht, etwas von dem exclusiven Stolz der Handlung zu empfinden.

Um sie herum zogen, trippelten und rauschten die Schwärme der Lustwandelnden. Es war ein unaufhörliches Anstarren, Grüßen, Ausweichen, der Kaufmann mußte immer wieder nach [S. 294] dem Hut greifen, und so oft er grüßte, geriethen die vierzehn Hüte der Collegen ebenfalls in Bewegung und erregten in der Luft zahlreiche kleine Wirbelwinde. Das machte einen großartigen Eindruck.

Als die Hausgenossen einige Zeit in der Strömung fortgeschwommen waren, äußerte Sabine den Wunsch, auszuruhen. Sogleich flogen Tirailleure der Herren unter die Bankreihen und belegten einen Tisch. Man nahm Platz, die Kellner schleppten eine riesige Kaffekanne mit der entsprechenden Anzahl Tassen herbei. Jetzt war eine Freude, der Handlung zuzusehen, wie jeder der Herren bemüht war, dem Fräulein das Eingießen abzunehmen, weil die Kanne für sie zu schwer war, wie Sabine sich Anton zum Adjutanten erwählte, weil er im Salon der Collegen das Geschäft des Eingießens verrichtete, wie die Collegen sich freuten, daß man im Vorderhause auch das von ihnen wußte, ferner, wie verbindlich Sabine jedem der Herren den Kuchen präsentirte, und wie sie immer ein Auge darauf hatte, daß die Zuckerschaale und der Sahntopf in ihrem Laufe um den Tisch nicht unterbrochen wurden, und endlich, wie alle Collegen den braunen Trank des Wirths mit der stillen Ueberlegenheit von Leuten einnahmen, welche besser wissen, was guter Kaffe ist. Es war kein ruhiger Sitz, und Sabine hatte viel zu thun, die vorbeiziehenden Bekannten zu grüßen und den Freunden des Bruders, welche an sie herantraten, Rede zu stehen. Sie war allerliebst in dieser unaufhörlichen Bewegung. Mit einer hausmütterlichen Haltung sprach sie mit den Herren vom Comtoir, und mit einfacher Herzlichkeit erhob sie sich und bewillkommnete die Herantretenden. Sie grüßte, scherzte und waltete über dem Kaffebret, sie sah auf die Spaziergänger und hatte noch Zeit, prüfende Blicke in das Innere der Tassen zu werfen, welche sie Anton zureichte. Anton und Fink, Beide empfanden, wie gut ihr das sichere Wesen stand, und Fink sagte ihr das: »Wenn dies ein Tag der Erholung ist, Fräulein Sabine, so beneide ich Sie nicht um Ihre Arbeitstage. Keine [S. 295] Prinzeß hat im Empfangsaal so viele Rücksichten zu nehmen, so viel mit dem Kopf zu nicken, zu lächeln und Artiges zu sagen, als Sie. Es geht vortrefflich, Sie haben das jedenfalls einstudirt. Da kommt der Bürgermeister selbst, er wird Sie sogleich anreden. Jetzt thun Sie mir leid, mit dem Ohr sollen Sie auf mich hören, in der Hand halten Sie Liebolds Tasse und mit den Augen müssen Sie achtungsvoll den Großwürdenträger empfangen. Ich bin neugierig, ob Sie noch meine Worte verstehen.«

»Nehmen Sie nur den Käfer aus Ihrer Tasse, ich werde Ihnen sogleich eingießen,« sagte Sabine lachend und stand auf, den Bekannten des Hauses zu begrüßen.

Unterdeß belustigte sich Anton, die Urtheile der Vorübergehenden über seine Gesellschaft zu erlauschen. »Da ist Herr von Fink,« wisperte eine junge Dame ihrer Begleiterin zu. »Ein nettes Gesicht, famose Taille,« schnarrte ein Lieutnant. »Was ist ein Fisch unter so viele Hungrige?« brummte ein Ruchloser. »Still, das sind die von Schröters,« stieß ein Commis den andern an. Als er so aufblickte, sah er zwei hohe üppige Gestalten langsam heranziehen. Es waren Dame Ehrenthal und Rosalie, Rosalie ging auf der Seite des Tisches. Ihr Gesicht überzog sich langsam mit einer dunkeln Röthe, als sie in dem Gedränge dicht an seinem und Finks Platz vorüberkam. Unruhig sah er auf Fink, der wieder in lebhaftem Gespräch mit Sabine doch Augen genug hatte, die Nahenden zu bemerken. Anton erhob sich grüßend, der unerschütterliche Fink griff nachlässig an seinen Hut und blickte von seinem Sitze so kalt auf die beiden Frauen, als hätte er nie die Armbänder an dem weißen Arm der schönen Rosalie bewundert. Der Gruß Antons, die auffallende Schönheit Rosaliens, vielleicht einiges Auffallende ihrer Toilette bewirkten, daß auch Sabine die beiden Frauen aufmerksam ansah.

Die Tochter Ehrenthals achtete nicht auf Antons Gruß, ihre dunkeln Augen hefteten sich fest auf Sabine. Ein Flammenblitz voll Haß und Zorn fiel auf das Mädchen, welches [S. 296] sie für ihre glückliche Nebenbuhlerin hielt, so daß Sabine sich erschrocken zurückbeugte, wie um dem Anfall eines Raubthiers zu entgehen.

Mit zusammengepreßten Lippen, unsäglichen Widerwillen auf allen Zügen, fuhr Rosalie vorüber. Finks Lippen kräuselten sich und er zog seine Schultern ein wenig in die Höhe. Als die Frauen vorüber waren, sah Sabine erstaunt auf Anton und Fink, und frug: »Wer war das?«

»Eine von den Bekanntschaften Antons,« sprach Fink höhnend.

»Madame Ehrenthal und ihre Tochter,« erwiederte Anton verlegen, »die junge Dame ist die Schwester des Gelehrten, von dem ich Ihnen neulich erzählt habe.« Aber unwillkürlich sah er auf Fink, während er sprach, und Beide tauschten einen finstern Blick mit einander aus.

Sabine schwieg und rückte sich auf ihrer Bank zurück, ihre frohe Laune war dahin. Die Unterhaltung kam nicht mehr in Fluß, und als der Bruder von einem Besuch bei dem nächsten Tisch zurückkehrte, erhob sich das Fräulein und lud die Herren ein, nach ihrem Garten zu kommen. Von Neuem zog sie mit ihrer Wolke dahin, aber Fink ging nicht mehr an der Seite des Fräuleins. Der glühende Blick voll Haß hatte die grünen Ranken versengt, welche sich wieder von ihr zu ihm gezogen hatten. Sabine wandte sich zu Anton und sprach mit diesem; sie mühte sich, heiter zu sein, aber Anton merkte ihr den Zwang an.

Der große Garten des Kaufmanns mit einem hübschen Gartenhaus und Glashäusern war ein Lieblingsaufenthalt Sabinens. Sommer und Winter fuhr sie hinaus, wenn das Wetter es irgend erlaubte, und besprach mit dem Gärtner alle Einzelnheiten der Einrichtung und Blumenzucht. Die Collegen bestürmten sie daher mit Fragen über Namen und Charakter ihrer Blumen; und während der Kaufmann mit Fink ein benachbartes Grundstück betrachtete, das ihm zum Kauf angeboten war, zeigte Sabine der übrigen Gesellschaft, was sie [S. 297] in der letzten Zeit angelegt hatte. Sie führte die Herren durch die Blumen, die Rasenstücke, in das Warmhaus. Der Bruder hatte ihr eine hohe Palme geschenkt, und die Palme, große Pisangblätter, tropische Farren und blühende Cacteen waren in einer Gruppe zusammengestellt, eine zierliche Bank und ein Tisch standen davor, es war ein allerliebster Wintergarten. Während Sabine erzählte, daß sie hier an sonnigen Wintertagen den Kaffe trinke, und wie schön es sich dann unter den großen Blättern sitze, brachte ihr der Gärtner auf einem Teller Kuchenbrocken und Vogelfutter. »Auch wenn ich nicht so große Begleitung habe, bin ich hier nicht allein,« sagte sie lächelnd.

»Wir bitten, stellen Sie uns den Vögeln vor,« rief Anton.

»Sie müssen aber in das Gartenhaus treten und hübsch still sein,« bat Sabine, »das kleine Volk kennt zwar mich, aber die vielen Herren würden ihm doch Schrecken einjagen.«

Die Collegen zogen nach dem Gartenhaus, Pix lenkte den aufgeregten Specht am hintersten Rockknopf zurück und drehte die Glasthüre herum, Sabine streute das Futter einige Schritt von der Thür auf den Kies und schlug in die Hände. Dem Klatschen antwortete mehrstimmiger Ruf von den nächsten Bäumen und dem Dach des Hauses. Eine Menge kleiner Vögel schoß herzu und hüpfte mit lustigem Geschrei um die Krumen, sie waren so zahm, daß sie bis an die Füße Sabinens herankamen. Es war keine vornehme Gesellschaft, einige Finken, Hänflinge und ein ganzes Volk Spatzen. Sabine trat leise zur Thür und frug durch den Spalt: »Können Sie die einzelnen unterscheiden? so ähnlich auch die Herrschaften einander sehen, sie sind doch verschieden, nicht nur im Kleide, auch in ihrem Wesen. Mehrere davon kenne ich persönlich.« Sie wies auf einen großen Sperling, ein schönes Männchen mit schwarzem Kopf und feurigem Braun auf dem Rücken: »Sehen Sie den dicken Herrn dort?«

»Er ist der größte von allen,« sagte Anton erfreut.

»Er ist mein ältester Bekannter, er hat sich zuerst an mich [S. 298] gewöhnt, von meinem Kuchen ist er so stark geworden. Er ist ausgefüttert und satt. Wie sicher er umherhüpft, und wie vornehm er in die Brocken pickt! Gleich einem reichen Bankier geht er unter den Andern umher. Hören Sie ihn schreien? Seine Stimme klingt wegwerfend und aristokratisch. Er betrachtet dies Ausstreuen als eine Verpflichtung, welche die Welt gegen ihn hat. Da kräht er wieder. Wissen Sie, was er sagt: Mein Kuchenmädel ist da. Dies ewige Gebäck! Was ich nicht aufessen kann, will ich den Andern lassen. Ich glaube, es hängt ihm eine Berlocke an seinem kleinen Bauch herunter.«

»Es ist eine Feder,« flüsterte Herr Specht.

»Ja,« fuhr Sabine fort, »ich fürchte, die hat ihm seine Frau ausgehackt. Denn, so gewichtig er aussieht, er steht unter dem Pantoffel. Das graue Weibchen dort, das hellste von allen, ist seine Frau. Sehen Sie, daß sie ihn weghackt?«

Ein lebhafter Zank unter den Sperlingsleuten begann. Der Bankier, welcher gerade vornehm in einen ungewöhnlich großen Brocken pickte, bekam von seiner Frau einige Hiebe mit dem Schnabel; er fing an zu raisonniren, die Nachbarn flogen herzu, ein heftiges Geschrei begann, der allgemeine Unwille war gegen den Bankier gerichtet. Er wurde aus dem Haufen bei Seite gejagt und hüpfte zerzaust, mit dem Kopfe schüttelnd, einige Schritt von den Brocken auf und ab, während seine Frau über dem eroberten Bissen stand und laut triumphirte.

Die Herren lachten.

»Jetzt kommt mein Kleiner, mein Liebling, jetzt merken Sie auf!« rief Sabine freudig. Unbehülflich, mit ausgebreiteten Flügeln tappte ein kleiner Sperling heran, ganz wie ein Kind, welches Mühe hat, im Gehen das Gleichgewicht zu behaupten. Er flatterte neben die Sperlingsfrau, sperrte den Schnabel weit auf, schrie und schlug mit den Flügeln auf die Erde. Die Mutter zerhackte den großen Bissen, faßte die Theile und steckte sie in den aufgesperrten Schnabel des Kleinen. Mitten unter der schwirrenden, tanzenden, hackenden Gesellschaft fütterte die Mutter den Schreihals. Ein Stück des eroberten Bissens [S. 299] nach dem andern steckte sie ihm in den Hals, während der Vater einige Schritte davon selbstgefällig auf und ab hüpfte und zuweilen von der Seite mißtrauisch auf die energische Hausfrau hinsah.

»Wie allerliebst!« rief Anton.

»Nicht wahr?« sagte Sabine. »Auch bei den Kleinen sind Charaktere und ein Familienleben.«

Aber die Scene wurde auf gewaltsame Weise unterbrochen. Ein leichter Schritt kam um das Haus, die Vögel flatterten auf, nur die Mutter und das Junge waren so eifrig beschäftigt, daß sie zögerten. Endlich zog auch die Sperlingsfrau auf den Baum und rief ängstlich ihr Kind. Doch der Kleine, vom genossenen Kuchen schwer und betäubt durch die Fülle des Genusses, vermochte nicht so schnell die schwachen Flügel zu heben. Ein Schmiß von der Reitpeitsche Finks erreichte ihn, der Körper flog als Leiche in die Blumen. Ein zorniger Ruf von sämmtlichen Herren wurde gehört, und finster blickten alle Gesichter des Comtoirs auf den Mörder. Fink, der auf die Gruppe an der Salonthür nicht geachtet hatte, sah verwundert den Sturm, der gegen ihn hereinbrach. Sabine eilte an ihm vorbei nach dem Beet, auf dem der Vogel lag, ergriff diesen, küßte den kleinen Kopf und sprach mit klangloser Stimme: »er ist todt.« Sie setzte sich auf die Bank an der Thüre und deckte ihr Taschentuch über den Todten.

Ein unbequemes Stillschweigen folgte. »Es war der Lieblingsvogel von Fräulein Sabine, den Sie erschlagen haben,« sagte endlich Herr Jordan vorwurfsvoll.

»Das thut mir leid,« erwiederte Fink und rückte sich einen Stuhl zum Tisch. »Ich habe nicht gewußt, Fräulein, daß Sie Ihre Theilnahme auch auf diese Klasse von Spitzbuben ausdehnen. Ich habe im besten Glauben gehandelt, und dachte den Dank des Hauses zu verdienen, als ich den Dieb aus der Welt schaffte.«

»Das arme Kleine,« sprach Sabine traurig, »die Mutter schreit auf dem Baum, hören Sie?«

[S. 300]

»Sie wird sich trösten,« entgegnete Fink. »Ich halte es für unzweckmäßig, einem Sperling mehr Gemüth zu gönnen, als seine eigene Verwandtschaft hat. Aber ich weiß, Sie lieben, Alles, was Sie umgiebt, mit Rührung und Gefühl zu betrachten.«

»Wenn Sie diese Eigenschaft nicht haben, weßhalb verspotten Sie dieselbe bei Andern?« frug Sabine mit zuckendem Munde.

»Weßhalb?« frug Fink. »Weil ich dieser Gewohnheit überall begegne. Dies ewige Gefühl, mit dem hier Alles überzogen wird, was des Gefühls nicht werth ist, macht zuletzt schwach und kleinlich. Wer seine Empfindung immer an allen möglichen Tand heftet, der hat zuletzt keine, wo eine große Leidenschaft seiner würdig ist.«

»Und wer nie etwas Anderes thut, als mit herber Kälte zu betrachten, was ihn umgiebt, wird dem zuletzt nicht auch die Empfindung fehlen, wo eine große Leidenschaft Pflicht wird?« frug Sabine mit einem schmerzlichen Blick auf Fink.

»Es wäre unartig, wenn ich das nicht zugeben wollte,« sagte Fink achselzuckend. »Jedenfalls wird es einem Mann besser anstehen, hart zu sein, als zu weichlich.«

»Aber sehen Sie das Volk hier an,« fuhr er nach einer unbehaglichen Pause fort. »Das liebt seinen Strickbeutel, den Kupferkessel, in dem die Mutter Würste gekocht hat, es liebt eine zerbrochene Pfeife, einen fadenscheinigen Rock, und ebenso alle Mißbräuche, die zehntausend verrotteten Gewohnheiten seines Lebens; überall liegen phantastische Grillen, Liebhabereien und schwache Gemüthlichkeiten herum und hängen sich wie Blei an die Menschen, wenn es einmal gilt, frisch vorwärts zu gehen. Achten Sie auf die deutschen Auswanderer. Welche Masse unnützen Krames schleppt dies Volk über's Wasser, alte Vogelbauer, zerbrochene Holzstühle, wurmstichige Wiegen und andern Plunder. Ich habe einen Kerl gekannt, der in brennender Sonnenhitze acht Tagereisen machte, um einmal Sauerkraut zu essen. Und wenn sich so ein armer Teufel irgendwo [S. 301] niedergelassen hat und nach einem Jahre entdeckt, daß er in einer Fiebergegend steckt, so hat er seine ganze Umgebung mit Gemüthlichkeit übersponnen wie mit Spinnweben und ist oft nicht mehr aus dem Sumpf zu bringen, und wenn er und Weib und Kind darüber zu Grunde gehen.«

»Da lobe ich mir das, was Sie die Gemüthlosigkeit des Amerikaners nennen. Er arbeitet wie zwei Deutsche, aber er wird sich nie in seine Hütte, seine Fenz, in seine Zugthiere verlieben. Was er besitzt, das hat ihm gerade nur den Werth, der sich in Dollarn ausdrücken läßt. Sehr gemein, werden Sie mit Abscheu sagen. Ich lobe mir diese Gemeinheit, die jeden Augenblick daran denkt, wie viel und wie wenig ein Ding werth ist. Denn diese Gemeinheit hat einen mächtigen freien Staat geschaffen. Hätten nur Deutsche in Amerika gewohnt, sie tränken noch jetzt ihre Cichorie statt Kaffe unter der Steuer, die ihnen eine gemüthliche Regierung von Europa aus auflegen würde.«

»Und fordern Sie von einer Frau denselben Sinn?« frug Sabine.

»In der Hauptsache, ja,« erwiederte Fink. »Keine deutsche Hausfrau, die nicht in ihre Servietten verliebt ist. Je mehr eine von den Lappen hat, desto glücklicher ist sie. Ich glaube, sie taxiren einander in der Stille, wie wir die Leute an der Börse: fünfhundert, achthundert Servietten schwer. Die Amerikanerin ist kein schlechteres Weib, als die Deutsche, aber sie wird über eine solche Liebhaberei lachen. Sie hat, so viel ihr für den täglichen Gebrauch nöthig sind, und kauft neue, wenn die alten zu Grunde gehen. Wozu sein Herz an solchen Tand hängen, der Dutzendweise für etwa vier bis sechs Thaler in jeder Straße zu haben ist?«

»O es ist traurig, das Leben in ein solches Rechenexempel aufzulösen!« erwiederte Sabine. »Was man erwirbt und was man hat, verliert seinen besten Schmuck. Tödten Sie die Phantasie und unsere gute Laune, die auch den leblosen Dingen ihre freundlichen Farben verleiht, was bleibt dann dem Leben [S. 302] des Menschen? Nichts bleibt, als der betäubende Genuß, oder ein egoistisches Princip, dem er Alles opfert. Treue, Hingebung, die Freude an dem, was man schafft, das Alles geht dann verloren. Wer so farblos denkt, der kann vielleicht groß handeln, aber sein Leben wird weder schön, noch freudenreich, noch ein Segen für Andere.« Unwillkürlich faltete sie die Hände und warf einen Blick voll Trauer auf Fink, dessen Gesicht einen trotzigen und harten Ausdruck erhielt.

Die Collegen hatten bis jetzt der Unterhaltung in düsterm Schweigen zugehört und nur durch Mimik ihren Abscheu gegen Finks Behauptungen ausgedrückt. Der Geist des gemordeten Sperlings hob sich vor Aller Augen fortwährend über die Tischplatte neben Finks Stuhl, und sie starrten auf den Macbeth des Comtoirs, wie auf einen verlorenen Mann. Anton ergriff begütigend das Wort:

»Vor Allem muß ich bemerken, daß Fink selbst ein glänzendes Beispiel gegen seine eigene Theorie ist.«

»Wie so, Herr?« frug Fink, von der Seite auf Anton sehend.

»Das wird sogleich offenbar werden, ich will nur erst uns Alle zusammen loben. Wir Alle, die wir hier sitzen und stehen, sind Arbeiter aus einem Geschäft, das nicht uns gehört. Und Jeder unter uns verrichtet seine Arbeit in der deutschen Weise, die du so eben verurtheilt hast. Keinem von uns fällt ein zu denken, so und so viel Thaler erhalte ich von der Firma, folglich ist mir die Firma so und so viel werth. Was etwa gewonnen wird durch die Arbeit, bei der wir geholfen, das freut auch uns und erfüllt uns mit Stolz. Und wenn die Handlung einen Verlust erlitten hat, so ist es allen Herren ärgerlich, vielleicht mehr als dem Prinzipal. Wenn Liebold seine Ziffern in's große Buch schreibt, so sieht er sie mit Genuß an und freut sich über den schönen kalligraphischen Zug, und wenn er Posten einträgt, welche der Handlung besonders vortheilhaft waren, so lacht er in der Stille vor Behagen. Sehen Sie ihn an, wie er's jetzt thut.«

[S. 303]

Liebold sah verlegen aus und rückte an seinem Hemdkragen.

»— Da ist ferner College Baumann, welcher in der Stille Neigung zu einem andern Beruf hat. Er brachte mir neulich einen Bericht über die Greuel des Heidenthums an der afrikanischen Küste und sagte in tiefster Seele erschüttert: »Es wird Zeit, Wohlfart, ich muß hin.« »Wer soll die Calculatur besorgen?« frug ich, »und wie soll es mit dem Krappgeschäft werden, das Sie und Balbus so fest halten, daß Sie keinen Andern darüber lassen?« »Ja,« rief Baumann, »an den Krapp hatte ich nicht gedacht. Ich muß es noch aufschieben.«

Die Herren sahen lächelnd auf Baumann, der leise vor sich hin sagte: »Es ist auch unrecht.«

»— Und von dem Tyrannen Pix will ich gar nicht sprechen, da er selbst in vielen Stunden zweifelhaft ist, ob die Handlung ihm gehört oder Herrn Schröter.«

Alle lachten. Herr Pix steckte wie Napoleon die Hand in seine Brusttasche. — »Du bist ein perfider Advocat,« sagte Fink, »du regst persönliche Interessen auf.«

»Du hast dasselbe gethan,« erwiederte Anton. »Und jetzt will ich von dir reden. Vor etwa einem halben Jahre ist dieser Amerikaner zu Herrn Schröter gegangen und hat ihm gesagt: Ich wünsche nicht mehr Volontair zu sein, ich bitte um eine feste Stellung im Geschäft. Warum? frug Herr Schröter. Natürlich hatte Fink nur die Absicht, so und so viel Thaler festen Gehalt von der Handlung zu beziehen.«

Wieder lächelten Alle und sahen auf Fink; aber die Blicke waren nicht mehr feindlich, es war etwas von Achtung und fröhlicher Billigung darin, denn es war Allen bekannt, daß Fink gesagt hatte: »Ich wünsche einen regelmäßigen Antheil an der Arbeit, und die Verantwortung, welche bei fester Thätigkeit ist; die Arbeit in meiner Branche macht mir Freude.«

»Und ferner,« fuhr Anton fort, »wer einmal das Behagen gesehen hat, mit welchem Fink den Schmeie Tinkeles behandelt, der weiß, wie viel von dem schwächlichen deutschen [S. 304] Gemüth auch bei ihm zu Tage kommt. Es ist so viel drollige Laune in seinem Wesen, daß das Comtoir durch solche Stunden entzückt wird, und, was die Hauptsache ist, Tinkeles selbst ist geradezu in ihn verliebt.«

»Weil er maltraitirt wird, Herr,« versetzte Fink.

»Nein, sondern weil er hinter deinen kräftigen Worten dasselbe behagliche Wohlwollen bemerkt, mit dem ein Anderer sein Hündchen oder seine Vögel liebkost. — Und wenn irgend ein Geschäft des Prinzipals glänzenden Erfolg gehabt hat, so ist Niemand von uns fröhlicher darüber, als Fink selbst. Neulich, als die Krisis im Zinkgeschäft eintrat, und Herr Schröter gegen die stille Ansicht des ganzen Comtoirs, auch gegen Finks Ansicht, noch zu rechter Zeit in Hamburg verkauft und die Handlung dadurch vor einigen tausend Thalern Verlust bewahrt hatte, da triumphirte derselbe Fink lauter, als Einer von uns, und zwang Jordan und mich, denselben Abend in's Weinhaus zu gehen.«

»Weil ich nicht allein trinken wollte, du Narr,« sagte Fink.

»Natürlich,« rief Anton, »deßhalb stießest du auch bei dem ersten Glas auf das Wohl der Handlung an und nanntest sie eine glorreiche Firma.«

Fink sah vor sich nieder. Sabine lächelte mit leuchtenden Augen auf Anton. Wieder lächelten die Herren freundlich und rückten näher heran, die kleine Spannung war gehoben.

»Und,« fuhr Anton siegreich fort, »auch in andern Fällen hat er ganz dieselbe armselige Gemüthlichkeit, die er jetzt so angreift. Er liebt, wie wir Alle wissen, sein Pferd persönlich, es ist ihm durchaus etwas Anderes, als die Summe von fünfhundert Dollar, repräsentirt durch so und so viel Centner Fleisch mit einer Haut überzogen. Er ist besorgt um das Thier, wie um einen Freund.«

»Weil es mir Spaß macht.«

»Versteht sich,« sprach Anton, »die Servietten machen unsern Hausfrauen auch Spaß, das ist's ja eben. Und seine [S. 305] Condorflügel, die Pistolen, Reitpeitschen, die rothe Rumflasche, das sind Alles Dinge, die ihm so gut Spaß machen, wie einem deutschen Auswanderer sein Vogelbauer. Ja er hat mehr grillige Capricen und Liebhabereien, als wir. Um es kurz zu sagen, er ist in Wahrheit eben so sehr ein armer gemüthlicher Deutscher, als irgend Einer.«

Sabine schüttelte leise den Kopf, aber sie blickte jetzt freundlich auf den Amerikaner. Auch Finks Gesicht hatte sich verwandelt. Er sah ernst vor sich hin, und es lag etwas auf seinen stolzen Zügen, was man bei einem Andern Rührung genannt hätte. »Na,« begann er endlich, »das Fräulein und ich, beide haben wir zu sehr auf einer Seite gestanden.« Er wies auf den todten Sperling. »Vor diesem ernsten Fact strecke ich die Waffen und bekenne, daß ich den Wunsch habe, der kleine Herr wäre noch am Leben und erreichte unter den Kirschen und Kuchen der Firma das höchste Greisenalter. Und so sind Sie mir nicht mehr böse, Fräulein.«

Sabine nickte zu ihm herüber und sagte herzlich: »Nein.«

»Du aber, Anton, reiche mir deine Hand. Du hast mit Glanz plaidirt und von der deutschen Jury ein Nichtschuldig erschwindelt. Nimm die Feder und streiche in unserm Kalender vierzehn Tage aus. Du verstehst mich.« Anton drückte ihm die Hand und legte den Arm um seine Schulter.

Wieder war die Gesellschaft in der besten Stimmung, Herr Schröter kam heran, Cigarren wurden angezündet, Jeder bestrebte sich, so unterhaltend als möglich zu sein. Herr Liebold stand auf und erbat sich von dem Fräulein und dem Prinzipal die Erlaubniß, wenn es sie nicht störe, und wenn sie an dem schönen Abend nichts Besseres vorzuschlagen hätten, in welchem Falle er ergebenst bitte, seine Worte als ungesprochen zu betrachten, so wollten er und einige Collegen sich die Freiheit nehmen, vierstimmige Lieder zu singen. Da er seit mehreren Jahren an diesem Tage regelmäßig eine solche Mittheilung machte, und Alles darauf vorbereitet war, so rief ihm Sabine zu: »Das versteht sich, Herr Liebold, wenn [S. 306] das Quartett fehlte, wäre die Freude nur halb.« Die Sänger holten Notenbücher herzu und rückten zusammen, Herr Specht als erster Tenor, Herr Liebold als zweiter, Herr Birnbaum und Herr Balbus als Bässe. Diese vier bildeten den musikalischen Theil des Comtoirs und hielten trotz kleiner Zwistigkeiten, welche durch ihr musikalisches Naturell hervorgerufen wurden, gegen die Uebrigen fest zusammen, Herr Specht krähte etwas zu laut, und Herr Liebold sang etwas zu leise, aber ihr Publikum war dankbar, und der Abend war wunderschön. Im farbigen Licht glänzten die großen Blätter des Nußbaums vor dem Gartenhause, die Grillen schwirrten und die wilden Sänger der Bäume flöteten einzelne Noten herunter, die Natur selbst flüsterte und stimmte, bis die volle Kraft der Menschenstimmen einfiel und die feinen Laute des Gartens übertönte. Dann schwiegen die Vögel, die Heimchen und Mücken, aber so oft die Sänger anhielten, klang das leise Summen der Natur wie zum Wechselgesange wieder durch. Alle hörten erfreut zu. »Wir danken, wir danken!« rief Sabine, als sie aufhörten, und klatschte in die Hände.

»Es ist eine närrische Sache,« begann Fink, »daß eine gewisse Folge von Tönen das Herz erschüttert und Thränen hervorruft auch bei Menschen, welche sonst für weiche Stimmungen abgestorben sind. Jedes Volk hat solche einfache Weisen, bei denen sich Landsleute an dem Eindruck erkennen, den die Melodie auf sie macht. Wenn die Auswanderer, von denen wir vorhin sprachen, Alles verlieren, die Liebe zu ihrem Vaterlande, selbst den geläufigen Ausdruck ihrer Muttersprache, die Melodien der Heimath leben unter ihnen länger, als alles Andere, und mancher Narr, der in der Fremde seinen Stolz darein setzt, ein naturalisirter Fremder zu sein, fühlt sich plötzlich wieder deutsch, wenn er ein Paar Tacte singen hört, die ihm in seiner Jugend bekannt waren.«

Der Kaufmann sagte: »Sie haben Recht. Wer aus seiner Heimath scheidet, ist sich selten bewußt, was er Alles aufgiebt; er merkt es vielleicht erst dann, wenn die Erinnerung [S. 307] daran eine Freude seines späteren Lebens wird. Diese Erinnerung ist wohl auch dem verwilderten Mann ein Heiligthum, das er oft selbst entehrt und verspottet, das er aber in seinen besten Augenblicken immer wieder aufsucht.«

»Mit einiger Beschämung bekenne ich, daß ich selbst von dieser Freude nur wenig empfinde,« sagte Fink. »Ich weiß nicht recht, wo ich zu Hause bin. Wenn ich die Jahre meines Lebens zusammenzähle, so habe ich freilich den größten Theil in Deutschland verlebt, aber die mächtigsten Eindrücke hat mir die Fremde gegeben. Immer hat mich das Schicksal wieder ausgerissen, bevor ich irgendwo festgewurzelt war. Und jetzt in Deutschland fühle ich mich zuweilen fremd. Die Dialekte der Landschaften zum Beispiel sind mir fast ganz unverständlich. Ich habe zu Weihnachten immer mehr Geschenke erhalten, als mir gut war, aber der Zauber der deutschen Weihnachtsbäume hat mich nie berührt; von den Volksliedern, die Sie so rühmen, klingen nur wenige in mein Ohr; noch heut bin ich unsicher, wann man Karpfen essen muß, und Hörner und Mohnkuchen, und ich gestehe einen entschiedenen Mangel an Empfänglichkeit für die Reize des Bleigießens und Pantoffelwerfens. — Und außer diesen Kleinigkeiten giebt es noch Anderes, worin ich mich unter der deutschen Art fremd und arm fühle,« fuhr er ernster fort. »Ich weiß, daß ich zuweilen die Schonung meiner Freunde mehr als billig in Anspruch nehme. Ihrem Hause werde ich zu danken haben,« schloß er, sich gegen den Kaufmann verneigend, »wenn ich von einigen respectablen Seiten der deutschen Natur Kenntniß erhalte.«

Das war ein männliches Bekenntniß, er sprach die letzten Worte mit einem Gefühl, das selten bei ihm durchbrach. Sabine war glücklich, der Sperling war vergessen, sie rief mit überströmendem Gefühl: »Das war edel gesprochen, Herr von Fink.«

Der Diener lud zum Abendessen. Im Saal des Gartenhauses war die Tafel gedeckt. Der Kaufmann nahm in der [S. 308] Mitte Platz, Sabine lächelte, als Fink sich neben sie setzte. »Mir gegenüber, Herr Liebold,« rief der Prinzipal. »Heut muß ich Ihr treues Gesicht vor mir sehen. Heut sind's fünfundzwanzig Jahr, daß wir mit einander in Verbindung stehen. — Herr Liebold trat wenige Wochen vor dem Tage bei uns ein, an dem ich durch meinen Vater als Associé aufgenommen wurde,« erklärte er den Jüngeren. »Und wenn ich allen Mitgliedern des Comtoirs Anerkennung schuldig bin, Ihnen bin ich die größte schuldig. Fünfundzwanzig Jahre im Geschäft, zehn Jahre beim Hauptbuch, stets ein treuer, zuverlässiger Gehülfe!« Er hielt ihm sein Glas über die Tafel entgegen: »Stoßen Sie an, mein alter Freund; so lange unsere Stühle neben einander stehen, nur durch eine dünne Wand getrennt, soll es zwischen uns bleiben wie bisher, ein festes Vertrauen ohne viele Worte.«

Herr Liebold hatte die Anrede des Prinzipals stehend angehört und blieb stehen. Er wollte eine Gesundheit ausbringen, das sah Jeder, aber er brachte kein lautes Wort aus seinem Munde, er hielt sein Glas in die Höhe und sah auf den Prinzipal, und seine Lippen bewegten sich ein wenig. Endlich setzte er sich schweigend wieder hin. Statt seiner erhob sich zu Aller Erstaunen Fink und sprach in tiefem Ernst: »Trinken Sie mit mir auf das Wohl eines deutschen Geschäfts, wo die Arbeit eine Freude ist, wo die Ehre eine Heimath hat; hoch unser Comtoir und unser Prinzipal!«

Ein donnerndes Hoch der Collegen folgte, Sabine stieß mit Allen an, der Kaufmann kam Fink auf allen Wegen entgegen. — Der Rest des Abends war ungestörte Freude. Das Quartett sang noch ein Paar lustige Trinklieder, und es war heut lange nach zehn Uhr, als die Gesellschaft in der Stadt ankam.

An der Treppe des Hinterhauses sagte Fink zu Anton: »Heut, mein Junge, darfst du nicht an meiner Stube vorbei. Es ist mir langweilig genug gewesen, dich so lange zu entbehren.« Und bis spät in die Nacht saßen die versöhnten [S. 309] Freunde bei einander, beide bemüht, einander zu zeigen, wie froh sie über die Versöhnung waren.

Sabine trat in ihr Zimmer. Da überreichte ihr das Mädchen ein Billet von unbekannter Hand. Ein starker Moschusgeruch und die gekritzelten Züge verriethen, daß es von einer Dame kam.

»Wer hat den Brief gebracht?« frug Sabine.

»Ein fremder Mann,« antwortete das Mädchen, »er wollte den Namen nicht nennen und sagte, Antwort sei nicht nöthig.«

Sabine las: »Mein Fräulein, triumphiren Sie nicht zu früh. Sie haben durch Ihre Koketterie einen Herrn an sich gelockt, welcher gewöhnt ist, zu verführen, zu vergessen und die, welche auf seine Worte hören, unverschämt zu behandeln. Vor Kurzem hat er einer Andern Geständnisse gemacht, jetzt hat er Sie bethört. Er wird auch Ihnen heucheln und Sie verrathen.«

Das Billet hatte keine Unterschrift, es war von Rosalie.

Sabine wußte, wer die Schreiberin war. Sie hielt den Brief an die Kerze und schleuderte das brennende Papier in das Kamin. Schweigend sah sie zu, wie die lodernde Flamme kleiner wurde und verlöschte, und wie die glimmenden Punkte auf der verkohlten Fläche umherfuhren, bis auch der letzte verging. Lange stand sie da, ihr Haupt an das Gesims gelehnt, den Blick auf das Häufchen Asche gerichtet. Ohne Thränen, lautlos hielt sie die Hand auf ihr zuckendes Herz.


VIII.

Veitel Itzig war in der größten Aufregung. Er, der Nüchterne, Enthaltsame, glich in allen seinen Freistunden einem Trunkenbold. Seine Lippen bewegten sich in lebhaftem [S. 310] Selbstgespräch, und eine fieberische Röthe lag über seinen spitzen Backenknochen. Auf der Straße war er schon von Weitem kenntlich durch die allerauffälligste Weise der Fuß- und Armbewegungen; ruhiger Schlaf war etwas, das er kaum dem Namen nach kannte. Und das Alles, weil eine verwittwete Geheimräthin ihren Lieblingshund verloren hatte. Dieser Mops war an einem heitern Frühlingsmorgen, verführt durch den Sonnenschein oder durch das Aroma eines Fleischerjungen, mühsam zwei Treppen bis auf die Straße hinabgestiegen. Und dort war er verschwunden, im Wasser ertrunken, von Gaunern gestohlen, von Banditen geschlachtet, kurz er war verschollen; und keine Zeitungsannonce vermochte die runde Gestalt des Flüchtlings in die Räume zurückzuführen, in denen er so lange als Tyrann geherrscht hatte. Aus Aerger über diesen Verlust war die Räthin gefährlich erkrankt, und Veitel nahm einen so lebhaften Antheil an ihrem Leide, daß er selbst in Gefahr kam, seine Gesundheit einzubüßen. Leider waren Veitels Hoffnungen nicht auf das Leben der würdigen Dame gerichtet. Er hatte ein Riesengeschäft gewagt, er hatte es unternommen nach vielen Verabredungen mit seinem Rathgeber Hippus und nachdem er oft in stillen Nächten seine Brieftasche hervorgeholt und sein Vermögen überrechnet hatte. Die Speculation war eine der schönsten, welche ein Mann von Veitels Grundsätzen unternehmen konnte, sie war vielleicht ein wenig gewagt, aber so sauber, wie ein Wickelkind unter dem Badeschwamm.

Ein armer Teufel von Rittergutsbesitzer hatte schlecht gewirthschaftet und war so lange betrogen worden, bis er sein Gut auf dem traurigen Wege der nothwendigen Subhastation verloren hatte. Bei diesem Verkauf war ein Hypothekeninstrument von zwölftausend Thalern ausgefallen. Der Gläubiger, dessen Forderung durch die Verkaufssumme des Gutes nicht gedeckt werden konnte, hatte vergebens versucht, sich an die Person des verarmten Gutsbesitzers zu halten. Der Schuldner war ohne alle Mittel, das Gericht fand nichts, [S. 311] was ihm zu nehmen war. Er war frustra excussus, wie unsere Juristen sagen, und empfand das Behagen des Elends, seine Gläubiger nicht mehr zu fürchten; dies verzweifelte Glück war für ihn nach trüben Jahren eine Art grönländischer Sonnenschein. Der Eigenthümer der Hypothek aber sah wehmüthig auf sein zerschnittenes Document, welches unter solchen Umständen für ihn fast nur den Werth von Maculatur hatte. Den Spüraugen Itzigs blieb dies Sachverhältniß nicht unerforscht. Er stand mit dem Gutsbesitzer wohl ein Jahr lang in inniger Verbindung, er hatte die Gefälligkeit, ihm alte Röcke abzukaufen, ja sogar Geld vorzuschießen, und wurde in manches kleine Geheimniß dieses verfehlten Lebens eingeweiht. So hatte er auch erspäht, daß sein Kunde alles Segelwerk seines lecken Fahrzeugs aufspannte, sich in die Gunst und das Testament einer alten Tante zu setzen, und kam allmälig zu der Ueberzeugung, daß ihm dies gelingen werde. Zwei seidene Halstücher und ein Paar vergoldete Ohrringe mußte Veitel an die Dienstmädchen der Räthin wenden, um genaue Nachrichten zu erhalten. Der Neffe las der Tante Mordgeschichten aus den Zeitungen vor, er wurde eingeladen, wenn die Tante ihr Lieblingsgericht kochen ließ, die Tante sprach davon, ihn zu verheirathen, that es aber nicht, und endlich, als aller Lebensmuth der Tante durch einen vierwöchentlichen Regen fortgeschwemmt worden war, ließ sie Gerichtspersonen kommen, trieb ihren Neffen, der, zum Weinen gerüstet, sein Taschentuch in der Hand hielt, aus dem Zimmer und zwang durch diese auffallenden Maßregeln das Dienstmädchen, an der Kammerthür zu erlauschen, daß sie ihr Testament machte und des armen Neffen darin ehrenvoll gedachte. Als Veitel dies erkundschaftet hatte, that er den zweiten großen Schritt und kaufte dem Besitzer des ausgefallenen Instruments die Urkunde und alle Rechte, welche dieselbe an die Person des Schuldners gab, um vierhundert Thaler ab.

Jetzt war der Mops verschwunden, die schwer geärgerte [S. 312] Tante lag zu Bett, acht Tage darauf war sie gestorben, und der Neffe erbte den größten Theil ihrer Hinterlassenschaft. Veitel unterzog sich übermenschlichen Anstrengungen, um zu verhindern, daß sein Schuldner nicht durch eins von den kleinen Manövern, welche Veitel alle persönlich kannte, die Erbschaft unsichtbar machte. Wie ein Gespenst verfolgte er den unglücklichen Erben; kaum hatte dieser sich in die ersten Träume über sein künftiges Glück hineingelebt, so stand Veitel als unerbittlicher Mahner an eine finstere Vergangenheit vor ihm und schlug durch die eisige Kälte seiner Forderungen allen warmen Dampf nieder, welcher aus der hoffnungsvollen Seele des Erben aufstieg. Es war unmöglich, ihm zu entkommen, mit eisernen Zangen hielt er seinen Schuldner fest, und das Gesetz half ihm so energisch, daß der Erbe nach vielen Winkelzügen capituliren mußte. Durch achttausend Thaler, den größten Theil seiner Erbschaft, kaufte er sich von Veitel frei.

Heut war der glückliche Tag, wo der junge Geschäftsmann sein großes Capital in der Tasche nach Hause trug. Er flog über die Straße, er flog die Treppe hinauf in seine Hinterstube, ganz unsinnig vor Freude. Der Zwang, den er sich lange angethan, kalt zu scheinen, während ihm sein Herz in Angst und Erwartung wie ein Schmiedehammer pochte, war überwunden, er war wie ein Kind, wenn auch nicht so unerfahren; er sprang in der Stube umher, ja er lachte vor Freuden und frug Herrn Hippus, der ihn seit einigen Stunden erwartete: »Welche Sorte Wein wollen Sie trinken, Hippus?«

»Wein allein wird's nicht thun,« erwiederte Hippus vorsichtig. »Indeß ist es lange her, daß ich keinen Ungar gekostet habe. Hole eine Flasche alten Oberungar, oder halt, es ist draußen finster genug, ich will sie selbst holen.«

»Was kostet's?« rief Veitel.

»Zwei Thaler,« antwortete Hippus.

»Das ist viel Geld,« sagte Veitel, »aber es ist einerlei, hier sind sie.«

[S. 313]

Mit kühner Handschwenkung holte er einen Doppelthaler aus der Tasche seines Beinkleides und warf ihn auf den Tisch.

»Schön,« nickte Hippus und griff hastig nach dem Geldstück. »Aber dies allein wird's nicht thun, mein Sohn. Ich verlange Procente von deinem Gewinn. In Erwägung, daß wir alte Bekannte sind, und daß man seine Freunde nicht drücken soll, will ich zufrieden sein mit fünf vom Hundert des Capitals, das du heut eingenommen hast.«

Veitel stand starr, sein strahlendes Gesicht wurde plötzlich sehr ernst, mit offenem Munde sah er auf den schwarzen Mann im Sopha.

»Rede nichts,« fuhr Hippus kaltblütig fort und warf über seine Brille hinweg einen bösen Blick auf Veitel, »untersteh' dich nicht, auch nur ein Wort von deinem Geschacher gegen mich vorzubringen, wir kennen einander; — ich habe gemacht, daß du das Geld gewinnen konntest, ich allein. Du brauchst mich, und du siehst, daß auch ich dich gebrauchen kann. Gieb mir auf der Stelle vierhundert von deinen achttausend.«

Veitel wollte sprechen.

»Kein Wort,« wiederholte Hippus und schlug mit dem Geldstück im Tact auf den Tisch, »gieb her das Geld.«

Veitel sah ihn an, griff endlich schweigend in die Tasche seines Rocks und legte zwei Pergamente vor Hippus auf den Tisch.

»Noch zwei,« fuhr Hippus in demselben Tone fort. Veitel legte hundert Thaler dazu. »Und jetzt das letzte, mein Sohn,« nickte der Alte ermunternd und schlug mit dem Thaler wieder auf den Tisch.

Veitel zögerte einen Augenblick und sah ängstlich auf den Alten, in welchem eine boshafte Freude mächtig geworden war. Auf diesem Antlitz war nichts Tröstendes zu finden; wieder griff Veitel in die Tasche, schob das vierte Pergament auf den Tisch und sprach mit klangloser Stimme: »Ich habe mich in Euch geirrt, Hippus.« Und darauf holte er sein Taschentuch hervor, wandte sich ab, schneuzte sich und wischte sich die nassen Augen.

[S. 314]

Hippus achtete wenig auf die elegische Stimmung seines Schülers. Er befühlte das Pergament, wie man eine Kostbarkeit in der Hand umwendet, die man vor langer Zeit verloren hat und unerwartet wiederfindet. Endlich sagte er, seine Beute einsteckend: »Wenn du dir's ruhig überlegst, wirst du einsehen, daß ich als guter Freund an dir gehandelt habe. Ich hätte viel mehr fordern können.«

Veitel stand noch immer am Fenster und sah in die Nacht hinaus. Ihm war jämmerlich zu Muthe. Gleich auf dem Heimwege vom Notar hatte er an den Alten gedacht und den Entschluß gefaßt, auch diesem eine Freude zu machen; er hatte ihm eine neue Schnupftabakdose von Silber kaufen und zehn Ducaten hineinlegen wollen. Und jetzt kam ihm dieser Hippus so!

Da er vor Schmerz über das Benehmen seines Lehrers kein Wort sprach, stand Hippus gemächlich auf und sagte wohlwollend: »Laß dir's nicht zu Herzen gehen, du Dummkopf, sollte ich eher sterben als du, so mache ich dich zu meinem Erben. Dann wirst du dein Geld wieder bekommen, wenn noch etwas davon übrig ist. Jetzt gehe ich, den Wein kosten. Auf deine Gesundheit werde ich ihn trinken, gefühlvoller Itzig.« Bei diesen Worten schlich der Alte zur Thür hinaus.

Noch einmal fuhr Veitel nach seinem Taschentuch und wischte eine bittere Thräne ab, welche an seiner Wange herunterrann. Seine Freude über den Gewinn war verdorben. Es war eine unklare Empfindung und ein unreines Gefühl, das ihn bewegte, denn es war viel Schmerz um die verlorenen Pergamente dabei. Aber er hatte noch mehr verloren, als sein kostbares Geld. Der einzige Mensch auf Erden, gegen den er eine Anhänglichkeit fühlte und von dem er gute Freundschaft erwartete, hatte sich gefühllos, eigennützig, feindselig gegen ihn benommen. Zu allen andern Menschen stand er auf Kriegsfuß und erwartete auch von ihnen nichts Anderes, als Krieg, nur dem kleinen Mann mit der Brille hatte [S. 315] er sein Herz offen gehalten. Und dies warme Gefühl hatte der Alte durch seine rohe Forderung tödtlich beschädigt. Es war vorbei zwischen ihm und Hippus, er konnte den Mann nicht entbehren, aber von dieser Stunde ab trug er einen Groll gegen ihn mit sich herum, der Alte hatte ihn einsamer und schlechter gemacht. So erfuhr Veitel den Fluch der Argen, daß sie elend gemacht werden nicht nur durch ihre Missethaten, sondern auch durch ihre bessern Neigungen.

Doch nicht lange dauerte die Schwermuth des Geschäftsmannes, bald griff er entschlossen in die Tasche, holte den übrig gebliebenen Schatz hervor, untersuchte jedes einzelne Pergament von allen Seiten und notirte die Nummern zuerst in seine Brieftasche und dann auf einen Zettel. Den Zettel versteckte er in einem Ritz der Diele. Diese Beschäftigung tröstete ihn wieder etwas. Und jetzt wandte er seine Gedanken auf die Zukunft. Wieder rannte er in dem Zimmer auf und ab und machte Pläne. Seine Weltstellung war mit einem Schlage geändert. Als Eigenthümer von baaren achttausend Thalern — ach, es waren nur siebentausend sechshundert — stand er unter den Geschäftsleuten seiner Art da als ein kleiner Crösus. Viele Andere machten Geschäfte mit Hunderttausenden, ohne so viel Vermögen zu besitzen als er; die Welt lag widerstandslos vor ihm, wie eine Perlmuschel auf dem Teller, es kam nur darauf an, mit welchem Hebel er sie öffnen wollte. Wie sollte er sein Capital anlegen, verdoppeln, verzehnfachen? Jetzt mußte er wählen, und er mußte dies allein thun. Es gab wohl zehn verschiedene Wege für ihn: er konnte fortfahren, Geld gegen hohe Interessen zu leihen, er konnte in Actien speculiren, er konnte das Woll- oder Getreidegeschäft betreiben, und mit einem Gefühl von Stolz sagte sich der Schelm, daß er auf jedem von diesen Wegen so gut vorwärts kommen könnte, wie der verschlagenste unter seinen Genossen. Aber jede von diesen Tätigkeiten brachte ihm das geliebte Capital in Gefahr, er konnte dabei ein reicher Mann werden, er konnte aber auch Alles verlieren; und dieser Gedanke war ihm so [S. 316] schrecklich, daß er sofort alle diese Pläne bei Seite warf. Eine Beschäftigung gab es, bei der ein schlauer Mann viel gewinnen konnte, und bei der es wohl möglich war, große Verluste zu vermeiden. Von seiner Heimath aus war er als umherziehender Trödler auf die Höfe der Gutsherren gekommen, zur Zeit des Wollmarktes hatte er in den Straßen der Stadt den vornehmen Herren mit Schnurrbart und Ordensband seine Dienste angeboten, im Comtoir seines Brodherrn hatte er sich unaufhörlich mit dem Vermögen und den Geldgeschäften des Landadels beschäftigt. Wie genau kannte er die stille Sehnsucht des alten Ehrenthal, ein gewisses Rittergut zu besitzen, wie oft hatte ihm der Mann mit der Brille in höhnischem Scherz gerathen, er solle sich zum Rittergutsbesitzer machen. Und wie kam es doch, daß ihm in seinem Schmerz über den Alten plötzlich sein Schulkamerad Anton einfiel und der Tag, wo er zum letzten Male mit diesem verkehrt hatte? Auch damals, als er zur Stadt zog und mit Anton zusammentraf, war er auf dem Gute des Freiherrn umhergestrichen, hatte vor der Thür des Kuhstalls gestanden und die lange Doppelreihe der gehörnten Rinder abgeschätzt, bis die Großmagd ihn herrisch wegwies. Und wie ein heißer Strahl schoß es in seinen Kopf: er selbst konnte der Rittergutsbesitzer werden, so gut wie Ehrenthal, er selbst konnte Andere seine weiße Wolle waschen lassen und mit zwei, ja mit vier Pferden nach der Stadt fahren. Er griff mit den Händen heftig in die Tischplatte und rief laut: »Ich werde es thun!« setzte sich auf dem Stuhl fest und schlug die hagern Arme übereinander. Und von dem Augenblick an wollte er etwas und begann seine Arbeit.

Und er speculirte schlau. Er hatte nach seiner Meinung ein Recht an das Gut des Freiherrn gewonnen durch seinen Entschluß, er wollte dies Recht auch erwerben durch sein Geld, er wollte für sich eine Hypothek auf dem Gute des Barons. So wollte er sein Capital sicher stellen auf Jahre, ruhig wollte er arbeiten, bis der große Tag käme, wo er mit seinem Capital das ganze Gut in seine Hände brächte. Und im schlimmsten [S. 317] Falle, wenn sein Plan nicht gelang, der jetzt der stille Zweck seines Lebens werden sollte, dann war wenigstens sein Geld nicht verloren. Unterdeß wollte er Agent und Commissionair werden, er wollte Käufe und Verkäufe vermitteln, wie so viele Andere thaten, arme Teufel, die einander die halben Procente gegenseitig beneideten, und vornehme Herren mit großen Titeln, welche den Güterschacher in's Große treiben und Hunderttausende dabei gewinnen durch List, Bestechung und Schleichwege. Veitel wußte, daß es wenig Wege gab, auf denen er nicht bekannt war. So wollte er anfangen, zunächst mußte er als Factotum bei Ehrenthal bleiben, so lange er den Alten benutzen konnte. Die Rosalie war schön und sie war reich, denn Bernhard war nicht zu rechnen als Erbe des Vaters. Vielleicht wollte er werden der Schwiegersohn des alten Ehrenthal, vielleicht wollte er auch nicht; dies Geschäft hatte keine Eile. Und noch Einer war, mit dem er sich stellen mußte: der kleine schwarze Mann, welcher jetzt drüben in der Gaststube seinen theuren Wein trank. Auch mit ihm mußte er von heut ab Rechnung halten, er wollte ihn bezahlen für jeden Dienst, den ihm der Alte that, und wollte ihm nur so weit sein Vertrauen geben, als es nöthig war.

Das waren die Entschlüsse, zu denen Veitel kam, und als er seinen Plan überlegt hatte, wie ein Gelehrter das Buch, das er schreiben will, da trug er seine Pfandbriefe unter das Kopfkissen, verschloß seine Thüre, lehnte einen schweren Stuhl dagegen und warf sich erschöpft durch die Anstrengung des Tages auf sein hartes Lager, er, der neue wild aufgeschossene Agnat der Rothsattel, der Mitbesitzer ihres schönen Gutes. Vielleicht war es die aberwitzige Phantasie eines Thoren, was der Händler auf seiner ärmlichen Stube in unruhiger Seele umhergewälzt hatte, vielleicht wurde es der Anfang einer Reihe von entschlossenen und consequenten Thaten, ein finsteres Schicksal für den Freiherrn und seine Familie. Der Freiherr selbst sollte darüber entscheiden.

[S. 318]


An demselben Abend saßen die Baronin und ihre Tochter in der Rosenlaube des Parks, Beide waren allmälig verstummt. Die Mutter sah in tiefen Gedanken auf den Tanz eines Nachtschmetterlings, der mit dem kleinen dicken Kopf durchaus in die Flamme der Kerze fahren wollte und immer wieder an die Glasglocke stieß, welche das Licht vor der Nachtluft schützte.

Lenore beugte sich über ein Buch und warf zuweilen einen forschenden Blick in das ernste Gesicht der Mutter. Da knirschte der Kies, und der alte Amtmann des Gutes trat hastig mit abgezogener Mütze heran und frug nach dem gnädigen Herrn.

»Was bringen Sie?« frug Lenore den Graukopf, »ist etwas vorgefallen?«

»Mit dem alten Rappen geht's zu Ende,« antwortete der Amtmann besorgt, »er hat wüthend um sich geschlagen und in die Krippe gebissen, jetzt liegt er und keucht wie im Sterben.«

»Das wäre der Teufel!« rief Lenore aufspringend.

»Lenore!« schalt die Mutter.

»Ich komme, selbst nachzusehen,« sagte Lenore eifrig und eilte mit dem Alten nach dem Hofe.

Das kranke Pferd lag auf seiner Streu triefend von Angstschweiß, und seine Flanken hoben und senkten sich in keuchendem Athemholen. Beim Schein der Stalllaterne standen die Knechte umher und sahen phlegmatisch auf das leidende Thier. Als Lenore eintrat, wandte das Pferd die Augen Hülfe suchend nach dem Fräulein.

»Es kennt mich noch,« rief sie und winkte den stämmigen Großknecht bei Seite.

»Es hat sich abgearbeitet,« sagte der Mann, »jetzt ist's ruhig.«

»Werft Euch sogleich auf ein Pferd und reitet zum Thierarzt,« befahl Lenore dem Knecht.

Dem Mann war es nicht behaglich, zur Nacht einige Meilen zu reiten, er antwortete zögernd: »Der Doctor ist niemals zu Hause; ehe er kommt, ist's mit dem Pferde zu Ende.«

[S. 319]

»Gehorcht!« befahl Lenore kalt und wies nach der Thüre. Der Knecht ging widerwillig hinaus.

»Was ist das mit dem Großknecht?« frug Lenore, als sie mit dem Amtmann aus dem Stall trat.

»Er thut nicht mehr gut und müßte fort, ich habe es dem gnädigen Herrn schon oft gesagt. Aber gegen den Herrn Baron ist der Schlingel bethulich wie ein Ohrwurm; er weiß, daß er einen Stein im Bret hat; gegen alle andern Leute ist er widerhaarig, und ich habe täglich meinen Aerger mit ihm.«

»Ich will mit dem Vater sprechen,« erwiederte Lenore die Stirn faltend.

Der alte Diener blieb stehen und fuhr zutraulich fort: »Ach, gnädiges Fräulein, wenn Sie sich der Wirthschaft etwas annehmen wollten, das wäre ein wahres Glück für das Gut. Mit dem Kuhstall bin ich auch nicht zufrieden. Die neue Wirthschafterin versteht die Mägde nicht zu tractiren, sie ist zu flatterhaft, Bänder hinten und Bänder vorn. Sonst war's besser im Gange, da kam der Herr Baron manchmal selbst und besah das Butterfaß. Jetzt hat er wohl andere Geschäfte, und wenn die Leute wissen, daß der Herr nachsichtig ist, so spielen sie dem Amtmann Trumpf aus, wenn er sie scharf behandelt. — Sie können scharf sein mit den Leuten, es ist jammerschade, daß Sie kein Herr sind.«

»Ja, Sie haben Recht, es ist jammerschade,« nickte Lenore beistimmend ihrem alten Freunde zu. »Aber man muß es mit Geduld ertragen. Um die Molkerei will ich mich kümmern, ich werde von heut ab alle Tage beim Buttern sein. Wie steht das Korn jetzt? Sie haben ja neulich nach der Stadt gefahren.«

»Ja,« sagte der Alte gedrückt, »der gnädige Herr hatten so befohlen, ich weiß nicht, was er genommen hat. Er hat den ganzen Schüttboden schon im Winter an Händler verkauft auf Lieferung.« »Sehen Sie,« fuhr er bekümmert fort und schüttelte seinen weißen Kopf, »sonst verkaufte ich, und ich schrieb's in's Buch und strich das Geld ein und zählte es dem [S. 320] Herrn Baron auf, jetzt kann ich in meinem Buch die Einnahmen nicht mehr notiren; wenn die Seite zu Ende ist, mache ich einen Strich, aber ich ziehe keine Summe mehr.«

Lenore hörte, die Hände auf dem Rücken, die Klage theilnehmend an. »Hm! Es wird eine von den neuen Einrichtungen sein. Grämt Euch nur nicht darüber, mein Alter. Ich will, so oft Papa nicht da ist, Nachmittags mit Ihnen auf das Feld gehen oder Sie dort aufsuchen. Sie sollen Ihre Pfeife dabei rauchen. Wie schmeckt's in dem neuen Kopf, den ich Ihnen mitgebracht habe?«

»Er ist dick angeraucht,« sagte der Amtmann schmunzelnd und zog zur Bekräftigung seine kurze Pfeife halb aus der Tasche. »Aber um wieder auf den Rappen zu kommen, der Herr Baron wird sehr böse sein, wenn er das Malheur erfährt, und wir können doch nichts dafür.«

»Ei was,« sagte Lenore, »wenn wir nichts dafür können, wollen wir's ruhig abwarten. Gute Nacht, Amtmann. Gehen Sie mir zurück zu dem Pferde.«

»Zu Befehl, gnädiges Fräulein, und gute Nacht auch für Sie,« sagte der Amtmann.

Noch immer saß die Baronin allein unter den schwellenden Knospen der immergrünen Rose, auch sie dachte an ihren Hausherrn, der sonst selten an ihrer Seite gefehlt hatte, wenn sie die warmen Frühlingsabende im Freien zubrachte. Ihr Gemahl war anders geworden. Er war herzlich und liebevoll gegen sie, wie immer, aber er war oft zerstreut und abgespannt und wieder reizbarer und durch Kleinigkeiten verstimmt, seine Fröhlichkeit war lauter, und sein Bedürfniß nach Herrengesellschaft größer als vordem. Sein Haus, ja sie selbst, übte geringere Anziehungskraft aus als sonst, und sie frug sich immer wieder, ob solche Veränderung die trübe Folge davon sein konnte, daß der rosige Hauch der Jugend von ihrer Stirn schwand. Mit diesem Gefühl rang sie und suchte ängstlich nach anderen Gründen für die häufige Abwesenheit des geliebten Mannes.

[S. 321]

»Ist der Vater noch nicht zurück?« frug Lenore zu ihr tretend. »Es fuhr ein Wagen auf der Landstraße.«

»Nein, mein Kind,« sagte die Mutter, »er hat wohl in der Stadt zu thun, es ist möglich, daß er erst morgen zurückkommt.«

»Ich bin nicht zufrieden damit, daß Papa jetzt so viel in der Stadt ist und bei den Nachbarn umherfährt,« sagte Lenore; »es ist lange her, daß er uns des Abends nicht mehr vorgelesen hat.«

»Er will, daß du meine Vorleserin wirst,« sagte die Mutter lächelnd. »Du sollst es auch heut Abend sein, hole ein Buch und setze dich artig neben mich, du Ungeduld.«

Lenore verzog schmollend den kleinen Mund, und statt das Buch zu ergreifen, setzte sie sich neben die Baronin, umschlang sie mit beiden Armen und sagte, das Haupt der Mutter an sich drückend und ihr das Haar streichend: »Liebes Herz, auch du bist traurig, du hast Kummer, hast du Sorge um den Vater? Er ist nicht so, wie er früher war. Ich bin kein Kind mehr, sage mir, was er treibt.«

»Du bist thöricht,« antwortete die Baronin mit ruhiger Stimme. »Ich habe nichts vor dir zu verbergen. Wenn dein Vater wirklich etwas hat, was ihn von uns fortzieht, so dürfen wir Frauen nicht darnach fragen, es ist an uns, zu warten, bis die Stunde kommt, wo der Herr des Hauses uns sein Herz öffnet.«

»Und unterdeß sollen wir uns ängstigen, vielleicht um ein Nichts?« rief Lenore.

»Wir sollen uns mühen, ruhig zu sein, und wenn wir vertrauen, wo wir lieben, ist das nicht schwer,« antwortete die Baronin, sich aus dem Arm Lenorens aufrichtend.

»Und doch sind deine Augen feucht und du verbirgst mir deine Sorge,« sprach die Tochter. »Wenn du schweigen willst, ich werde es nicht thun, ich werde den Vater fragen.«

»Das wirst du nicht,« sagte die Baronin in bestimmtem Ton.

[S. 322]

»Der Vater!« rief Lenore, »ich höre seinen Tritt.« — Die stattliche Gestalt des Freiherrn kam mit schnellen Schritten auf die Laube zu. »Guten Abend, Ihr Heimchen,« rief er schon von Weitem mit heller Stimme. Er schloß Frau und Tochter zugleich in seine Arme und sah ihnen so fröhlich in die Augen, daß die Baronin ihren Schmerz, und Lenore die Frage vergaß. »Es ist hübsch, daß du so früh zurückkommst,« sagte die Hausfrau mit heiterem Lächeln, »Lenore wollte dich heut Abend durchaus neben uns sehen. Der Abend war so schön.«

Der Freiherr setzte sich zwischen die Frauen und frug behaglich: »Kinder, bemerkt Ihr keine Veränderung an mir?«

»Du bist heiter,« sagte die Baronin ihm in's Auge sehend, »sonst wie immer.«

»Du hast deine Uniform angehabt und Besuche gemacht,« sagte Lenore, »ich sehe es an der weißen Cravatte.«

»Ihr habt beide Recht,« antwortete der Baron, »aber ich bringe doch noch etwas: der König hat die Huld gehabt, mir den Orden zu verleihen, den der Vater und Großvater getragen haben; es freut mich, daß das Kreuz in unserer Familie fast erblich wird. Und mit dem Orden kam ein gnädiges Schreiben des Prinzen, worin er mir Glück wünscht und sich sehr freundlich an die Jahre erinnert, die ich in seiner Nähe verlebte, und auch an dich, du vielumworbene Dame des Hofes. Ich wollte, er sähe dich wieder; er wird es für unmöglich halten, daß Jahre vergangen sind, seit er dein Tänzer war.«

»Welche Freude!« rief die Baronin und umschlang den Hals ihres Mannes, »ich habe deiner Toilette den Stern schon seit Jahren gewünscht.« Lenore öffnete unterdeß das Etui und drehte den Orden beim Licht der Kerze hin und her. »Wir machen ihm die Decoration um.« Die Baronin hing ihm das Kreuz um den Hals und küßte loyal erst ihn und dann das Kreuz.

»Nun, wir wissen ja,« sagte der Baron, »was in unserer [S. 323] Zeit von solchem Schmuck zu halten ist. Doch gestehe ich, daß gerade diese Standesdecoration mir die liebste von allen ist. Unsere Familie ist eine der ältesten, und in unserer Linie sind, was freilich ein Zufall ist, niemals Mißheirathen vorgekommen. Dies Kreuz ist gegenwärtig so ziemlich die letzte Erinnerung an die alte Zeit, wo man auf dergleichen noch großen Werth legte. Jetzt tritt eine andere Macht an die Stelle unserer Privilegien, das Geld. Und auch wir sind in der Lage, uns darum bemühen zu müssen, wenn wir unsere Familie in Ansehen erhalten wollen. In dem Briefe des Prinzen ist das Alter der Familie erwähnt und der Wunsch ausgesprochen, daß sie noch viele Generationen, wie bisher, in musterhafter Gentilität, so sind die Worte des Briefes, blühen möge. Du, Lenore, und dein Bruder, Ihr habt dafür zu sorgen.«

»Ich lebe in musterhafter Gentilität,« antwortete Lenore, die Arme übereinanderschlagend. »Und für die Ehre der Familie kann ich nichts thun. Wenn ich heirathe, wozu ich gar keine Lust habe, so muß ich doch einen andern Namen annehmen, und es wird dem alten Ahn in der Rüstung, der oben im Erkerzimmer hängt, ziemlich gleich sein, wen ich zu meinem Herrn mache. Eine Rothsattel kann ich doch nicht bleiben.«

Der Vater lachte und zog die Tochter an sich. »Wenn ich nur wüßte, woher mein Kind diese Ketzereien hat.«

»Sie ist allmählig so geworden,« sagte die Mutter.

»Das wird sich geben,« antwortete der Vater und küßte die Tochter herzlich auf die Stirn. »Hier lies den Brief des Prinzen, ich sehe nach dem Pferde, dann essen wir zusammen im Freien.«


Das Ordenszeichen, eine niedliche Erinnerung an einen gewaltigen Bund geistlicher Ritter, welche Länder erobert und ein eigenes Reich gegründet hatten, warf in die Seele des Freiherrn ein helles Licht, so gleichgültig er sich auch dagegen [S. 324] stellte. Die Glückwünsche seiner zahlreichen Bekannten thaten ihm wohl, und seine Selbstachtung erhielt dadurch eine geheime Stütze, deren sie manchmal bedurfte. So fand ihn nach Verlauf einer Woche auch Ehrenthal, der Händler, als er auf seinem Wege nach einem nah gelegenen Dorfe vorfuhr, nur um dem Freiherrn zu gratuliren. Er hatte bereits seine Abschiedsverbeugung gemacht, als er noch einmal anhielt und die Worte hinwarf: »Der gnädige Herr hatten früher die Idee, eine Zuckerfabrik aus Rüben anzulegen. Ich höre, es ist jetzt im Werk, eine Compagnie zu bilden, welche eine solche Fabrik ganz in Ihrer Nähe bauen will, ich bin aufgefordert worden, an dem Geschäft Theil zu nehmen, und wollte doch erst fragen, wie der Herr Baron es noch gedenken zu halten in dieser Sache.«

Dem Freiherrn war die Nachricht sehr unangenehm. Seit Jahren hatte er sich mit dem Gedanken getragen, eine gleiche Fabrik auf seinem Grund und Boden zu errichten, er hatte eine Anzahl ähnlicher Unternehmungen besucht, hatte sich Anschläge machen lassen, mit Technikern verhandelt, ja er hatte schon den Platz bezeichnet, auf dem das Etablissement am wenigsten unschön gewesen wäre. Er hatte diesen Plan eine Zeit lang mit großem Eifer verfolgt, allmählig war er ihm weniger lockend erschienen. Die Scheu eines vorsichtigen Mannes vor der neuen und noch unsichern Industrie, die Klagen einiger Bekannten über die Menge der Kosten und vor Allem über die Unruhe und vielen Inconvenienzen, die ein solches Unternehmen in das Leben eines Gutsbesitzers und die Verwaltung seines Gutes bringe, das Alles hatte ihn bewogen, das Project liegen zu lassen und für die nächsten Jahre eine ruhige Anlage seines Capitals mit allerdings mäßigem Zinsengenuß vorzuziehen. Jetzt sollte eine Anlage, die er sich doch für die Zukunft vorbehalten hatte, von Andern ausgeführt werden; es war klar, daß sein eigenes Project dadurch zerstört wurde. Denn zwei gleiche Fabriken in unmittelbarer Nähe mußten sich zuverlässig hindern. Geärgert rief er: »Gerade jetzt, wo ich [S. 325] mir auf einige Jahre die Disposition über die Capitalien genommen habe.«

»Herr Baron,« sagte der Händler mit Herzlichkeit, »Sie sind ein reicher Mann und angesehen in der Gegend. Wenn Sie erklären, daß Sie selbst anlegen wollen diese Fabrik, so geht der Actienverein auseinander an demselben Tage.«

»Sie wissen, daß ich das jetzt nicht kann,« erwiederte der Freiherr unwillig.

»Wenn Sie wollen, gnädiger Herr, so können Sie auch,« entgegnete der Händler mit ehrerbietigem Lächeln. »Ich bin nicht der Mann, der Ihnen zuredet zu einer solchen Fabrik. Was haben Sie nöthig, Geld zu verdienen? Wenn Sie aber jetzt zu mir sagen, Ehrenthal, ich will anlegen eine Fabrik, so steht Ihnen Capital zu Gebot, so viel Sie haben wollen. Ich selbst habe eine Summe von sieben-, von zehntausend Thalern vorräthig, Sie können diese erhalten jeden Tag. — Und ich will Ihnen einen Vorschlag thun. Ich schaffe Ihnen das Geld, welches Sie brauchen, zu billigen Zinsen. Für die Summe, die ich selbst Ihnen gebe, lassen Sie mir einen Antheil am Geschäft bis zu dem Tage, wo Sie mir zurückzahlen mein Geld. Für das übrige Geld, das Sie brauchen, bestellen Sie Hypothek auf Ihr Gut bis Sie zurückzahlen in einigen Jahren die ganze Anleihe.«

Der Vorschlag erschien uneigennützig, ja freundschaftlich, aber der Freiherr fühlte zu lebhaft die große Veränderung, welche ein solches Geschäft in seinem ganzen Leben hervorbringen werde, er sah mit banger Sorge und einem Mißtrauen sowohl gegen sich selbst, als gegen Ehrenthal in eine Zukunft von Verwickelungen. Er verhielt sich deßhalb sehr kühl gegen Ehrenthals Antrag. »Ich danke Ihnen für das Zutrauen,« sagte er, »aber ich will nicht mit fremdem Gelde einrichten, was doch nur aus den Ueberschüssen der eigenen Einnahmen mit Segen erbaut wird.«

Ehrenthal mußte sich mit diesem Bescheide entfernen und sagte nur noch an der Thür: »Der gnädige Herr können sich [S. 326] ja die Sache überlegen, ich getraue mir durch vier Wochen das Actiengeschäft aufzuhalten, damit in dieser Zeit nichts weiter geschieht.«

Nur wer einmal in seinem Leben eine gefeierte Sängerin gewesen ist, kann sich eine Vorstellung von der Fülle unbekannter kleiner Briefe, Packete und Sendungen machen, welche der Freiherr in den nächsten vier Wochen aus der Stadt empfing. Zuerst schrieb Herr Ehrenthal: »Ich habe die Actionäre vier Wochen aufgehalten;« dann schrieb Herr Karfunkelstein, ein Actionär: »Ich höre, daß Sie wollen anlegen eine Fabrik, in diesem Falle stehe ich Ihnen nach.« Dann schrieb wieder Herr Ehrenthal: »Hier ist eine Jahresberechnung einer ähnlichen Fabrik, woraus man kann sehen, was zu gewinnen wäre.« Dann schrieb wieder ein Herr Wolfsdorf: »Es verlautet, daß der Herr umgehe mit einer Fabrik: ich habe Capitalien auszuleihen gegen mäßigen Zinsfuß und würde glücklich sein, wenn ich eine Hypothek erhielte oder am liebsten einen Antheil am Geschäft.« Zuletzt schrieb gar ein undeutlicher Herr Itzigveit: »Der Herr Baron soll das Geschäft nicht machen mit Ehrenthal, wie man in der Stadt erzählt, Ehrenthal ist ein reicher, aber ein interessirter Mann, er soll ihn wenigstens nicht annehmen zum Compagnon; ich der Briefschreiber will ihm viel bessere Capitalien verschaffen und ganz andere Theilnehmer,« worauf Herr Ehrenthal wieder genöthigt war, zu schreiben: »Es werden Intriguen gespielt von meinen Gegnern in der Stadt, um dem gnädigen Herrn anderes Geld zu seinem schönen Unternehmen zu verschaffen; Sie können thun nach Gefallen, ich bin ein ehrlicher Mann und dränge mich nicht vor.«

Der Freiherr war erstaunt zu sehen, wie leicht und massenhaft seinem Namen die Capitalien zurollten, und daß ganz unbekannte Menschen bereit waren, das Unternehmen auf seinem Grund und Boden für ein unfehlbares, glänzendes, beneidenswerthes zu halten. Er hatte in seinen Speculationen bis jetzt entschiedenes Glück gehabt, er hatte die Abneigung [S. 327] vor Geldgeschäften ziemlich vollständig überwunden, ja er hatte sich gewöhnt, einen gewissen Anspruch an die Capitalien Anderer zu machen. Jetzt wurde er allmälig mit dem Gedanken vertraut, das Geld zur Anlage seiner Fabrik von Fremden zu nehmen. Nur Eines widerstand seinem Stolz, den zuvorkommenden Ehrenthal als Theilnehmer zu ertragen; so weit wirkte der Brief des undeutlichen Schreibers. Und er beschloß, im Fall das Unternehmen zu Stande kommen sollte, dem Händler für sein geliehenes Geld festen Zinsfuß zu gewähren. Vier Wochen kämpfte der Freiherr mit innerer Unentschlossenheit, oft war seine Stirn umwölkt, oft sah die Baronin wieder mit stillem Schmerz die Aufregung ihres Gemahls, oft fuhr dieser nach der Stadt oder auf die Güter seiner Bekannten, um ähnliche Anlagen zu besichtigen und sich die möglichen Vortheile aus verschiedenen Anschlägen herauszunehmen. Ueber die projectirte Actiengesellschaft konnte er nichts Sicheres erfahren. Die weniger günstigen Nachrichten, welche er über die Erfolge einzelner Fabrikanten einsammelte, schrieb er auf Rechnung einer natürlichen Furcht vor seiner Concurrenz oder auf die unvortheilhafte Anlage ihres Geschäftes.

Vier Wochen vergingen, und ein neuer Brief von Ehrenthal erschien, worin der Baron dringend gebeten wurde, seinen Entschluß mitzutheilen, weil einzelne von den Actionären gar nicht mehr zu halten wären.


Es war der Abend eines heißen Tages, als der Freiherr unruhig aus dem Wirthschaftshof in's Freie trat. Tief unten am Himmel glänzte ein gelbes blendendes Licht hinter schwarzem Dunst hervor, dicht zusammengeballt hingen die Wolken über seinem Scheitel, wie dunkle Felsen der Luft mit eisigen Gipfeln. Rings um den Herrn des Guts war Schwüle, Muthlosigkeit und bange Ahnung. Im Getreide schwirrten die Grillen lauter als sonst, unaufhörlich tönte ihr warnender Ruf in das [S. 328] Ohr des Herrn. Die kleinen Vögel auf den Bäumen der Landstraße kreischten in den Zweigen, flatterten von einem Baum auf den andern und riefen einander zu, daß etwas Furchtbares über ihre Felder hereinbreche: wir Kleinen werden es überstehen, schrieen sie, aber die Großen mögen sich hüten. Die Schwalben strichen tief am Boden hin und flogen dicht an dem Freiherrn vorüber, als sei er nicht mehr vorhanden, und die Stelle leer, wo er stand. Die wilden Blattpflanzen am Wege ließen saftlos ihre Blätter hängen, sie waren mit häßlichem Staub überzogen und sahen aus wie Gewächse einer untergegangenen Welt, die vor vielen Jahren einmal grün war und Blüthen trug. Eine dicke Staubwolke rollte die Landstraße entlang auf den Herrn zu, die heimkehrenden Gespanne zogen an ihm vorüber. Schwerfällig schritten die Pferde vorwärts und senkten ihre Köpfe in den Geschirren. Die häßliche gelbe Wolke wälzte sich mit ihnen fort und verhüllte die Umrisse ihres Leibes, daß nur die Hälse hervorragten und sie dem Freiherrn aussahen wie schattenhafte Gestalten, welche in der Luft dahinfahren. Nach ihnen kam langsam in drei Haufen die Schafheerde, wieder in Wolken des erstickenden Staubes gehüllt. Die Glöckchen der Thiere klangen dumpf in der dicken Luft, und wie aus weiter Entfernung tönte im Wirbel am Boden bald hier bald dort die Stimme eines geisterhaften Schäferhundes. Und als der Schäfer seinen Herrn grüßend vorüberschritt, sah der Mann so grau und schattenhaft aus, wie ein Gespenst aus dem Grabe, das einst auf der grünenden Erde wirkliche Schafe über das Brachfeld getrieben hatte.

Der Gutsherr blieb stehen an den Pferden und Schafen, er stand vor der welken Königskerze am Grabenrand, er hörte auf die Vögel im Laube, es waren unheimliche Gedanken, die sie ihm gaben. Er ging weiter auf dem Damm am Teiche, wo einst Anton den letzten Blick auf das Herrenhaus geworfen hatte. In rothem Feuer stand das Schloß mit seinen Thürmen und Mauern vor dem Freiherrn, helle Flämmchen brannten [S. 329] auf den Spitzen der Thürme in die Wolken hinein, im Brand leuchteten alle Fensterscheiben des Schlosses, und wie Blutstropfen lagen die rosigen Blumenbüschel auf dem schwarzgelben Laub der Kletterpflanzen. Ueber dem Schlosse aber in der Luft ballte und wälzte sich's, und immer näher kam's in schwarzen Massen heran, um mit Nacht den glänzenden Bau zu verhüllen. Kein Blatt der Bäume bewegte sich, keine Kreiswelle furchte die dunkle Wasserfläche, todt lag sie da, wie ein See der Unterwelt. Der Herr beugte sich hinab und suchte ein Zeichen des Lebens, nur eine Wasserspinne, eine Libelle, welche in dem finstern Schweigen um ihn herum sich leibhaftig regte; — da starrte ihm aus der Tiefe ein bleiches Menschengesicht entgegen, daß er zurückfuhr und ein zweites Mal hinsehen mußte, um zu lächeln und zu erkennen, daß es sein eigener Wiederschein war. Auch hier war um den Herrn des Guts Schwüle, Mutlosigkeit und bange Ahnung.

Er lehnte sich an den hohlen Weidenstamm und sah unverwandt auf sein Haus und auf die Fenster, wo seine Lieben wohnten: er suchte nach einem Umriß ihrer Gestalt, er horchte nach einem Ton von dem Flügel der Baronin, er wünschte, daß nur ein helles Band Lenorens niederflattern möchte von dem Balcon ihres Zimmers; aber kein Zeichen des Lebens war in dem Hause zu erspähen, das Schloß war ausgestorben, wüst, wie ein Bau aus uralter Zeit, durch geisterhaftes Licht beleuchtet; — noch wenig Augenblicke, und es mußte verschwinden in dem Boden. Dann konnte das Wasser darüber hinfluthen, und die Leute konnten sich erzählen, daß hier einst ein schönes Schloß war, in dem ein stolzer Baron lebte, das sei aber lange, lange her. —

Ein gefallenes Haus, eine untergegangene Familie! — Wenn die Zeit kam, wo ein fremder Mann an seiner Stelle stand und ein neues Haus ansah, das er sich erbaut, dann lag die Wasserfläche vor dem Fremden, wie jetzt vor ihm, dieselbe Erdscholle, die sein Pflug aufwarf, trug auch dem Spätern bereitwillig Frucht. Dann gaben die Körner aus [S. 330] feinem Korn noch weißes Mehl, die Lämmer von seinen Schafen sprangen um denselben steinernen Wassertrog, die Ackerfläche lag vor dem Neuen da, wie jetzt vor ihm, an derselben Stelle liefen vielleicht die Wasserrinnen durch das Feld, die Binsenwurzel unter ihm trieb ebenso ihren Schaft aus dem Wasser: nur er und sein Geschlecht, die jetzt über Alles geboten, sie sollten dann verschwunden sein, verschwunden bis auf eine gleichgültige Erinnerung!

So stand der Herr des Gutes, gelähmt durch den bösen Zauber, der auf der Erde und auf seiner Seele lag, er holte tief Athem und trocknete den Schweiß von der Stirne, er war rathlos und wie gebrochen. Da fuhr ein scharfer Ton durch die Wipfel der Bäume, es war ein Jagdruf der Lüfte. Noch einmal wurde Alles still, dann raste der Sturmwind plötzlich hernieder von der Höhe, er rauschte durch die Baumwipfel, er zischte über das Wasser; tief beugten die Weiden ihre grauen Aeste, und die Staubwolken der Straße fuhren in tollen Wirbeln nach der Höhe; der gelbe Schein an den Mauern des Schlosses verschwand, bleigraue Dämmerung überzog die Landschaft. Ein zackiger Blitz fuhr durch die Finsterniß, und lang und majestätisch rollte der Donner herauf. Der wilde Jäger der Luft hielt seine Hetzjagd über die Fluren der Menschen.

Der Freiherr richtete sich hoch auf und öffnete seine Brust dem Zuge des Sturmwindes. Blätter und Baumzweige flogen um ihn und große Regentropfen schlugen auf sein Haupt, er aber starrte nach den Wolken in das Wetter hinein und auf die Blitze, welche sich kreuzten, als erwartete er von da oben eine Entscheidung. Da klapperte der Galopp eines Pferdes auf der Straße und eine fröhliche Männerstimme rief von der Höhe herab: »mein Vater!« Ein junger Reiteroffizier hielt auf der Straße.

»Mein Sohn, mein geliebter Sohn,« rief der Vater mit bebender Stimme, »du kommst zur rechten Zeit.« Er drückte den Jüngling fest an sich, und als er ihn aus der Umarmung [S. 331] los ließ, hielt er noch lange seine Hände fest und wurde nicht müde, ihn anzusehen. Auch der Reitersmann vor ihm war mit grauem Staube bedeckt, aber ein jugendliches Gesicht und zwei kecke Augen sprachen in diesem Augenblick entscheidende Worte zu dem Vater. Die Unsicherheit, alle trübe Ahnung war verschwunden, er fühlte sich wieder fest, wie dem Chef seines Hauses geziemte. Vor ihm stand in blühender Jugend die Zukunft seines Geschlechtes. Daß diese Erinnerung ihm gerade jetzt kam, in der Stunde, wo er einen Entschluß fassen sollte, das galt ihm für einen Befehl des Schicksals. »Und jetzt komm nach Haus,« sagte er, »es ist kein Grund mehr, daß wir unsere Begrüßung im Regen abmachen.«

Während die Baronin ihren Sohn auf das Sopha zog und nicht müde wurde, sich über sein männliches Aussehen zu freuen, und während Lenore sogleich mit dem Bruder ein leichtes Wortgefecht begann, ging der Freiherr in der Familienstube auf und ab und sah zuweilen durch den strömenden Regen in die Landschaft hinaus. Immer schneller fuhren die Blitze durcheinander, und immer kürzer wurden die Pausen, in denen der Donner dem Zucken des Feuerstrahls folgte.

»Schließe das Fenster,« bat die Baronin, »das Wetter kommt herauf.«

»Es wird unserm Hause nichts thun,« antwortete der Freiherr beruhigend. »Der Leiter steht oben auf dem Dach, er glänzte vorhin hell wie ein Licht durch die dunkeln Wolken. Sieh dorthin, wo die Wolken am schwärzesten zusammengeballt sind, dort über der hellen Esche.«

»Ich sehe die Stelle,« sagte die Baronin.

»Mache dich gefaßt,« fuhr der Freiherr lächelnd fort, »daß dein blauer Himmel dort für immer durch graue Wolken bedeckt wird, dort wird der Schornstein der Fabrik über die Bäume ragen.«

»Du willst bauen?« fragte die Baronin besorgt.

»Du willst eine Fabrik errichten?« rief der Lieutnant vorwurfsvoll.

[S. 332]

»Ja,« sagte der Freiherr zu seiner Gemahlin, »das Unternehmen wird viel Unangenehmes haben für dich und mich, und wird meine Kräfte in jeder Beziehung in Anspruch nehmen. Wenn ich es doch wage, so geschieht es nicht um unsertwillen, sondern für die Kinder, für die Familie. Ich will das Gut befestigen bei unserm Hause, ich will seine Einkünfte so vermehren, daß der Herr dieses Schlosses in der Lage ist, auch für die Zukunft der Lieben zu sorgen, denen er nach dem alten Recht der Erstgeburt und der männlichen Nachfolge das Gut nicht überlassen kann. Es hat mich langen Kampf gekostet, heut hab' ich mich entschlossen.«


IX.

Der Freiherr trieb mit Feuer die Anlage seiner Fabrik. Er suchte wenigstens einen Theil der Ziegel selbst zu brennen, er bezeichnete die Stämme des Waldes, welche im Winter zu Bauholz geschlagen werden sollten. Ein Baumeister wurde durch Ehrenthal empfohlen, und ein Techniker von dem Freiherrn selbst angeworben. Er erkundigte sich sorgfältig nach der Vergangenheit des Mannes, dem er Einrichtung und Betrieb seiner Fabrik übergeben wollte, und wünschte sich Glück, als er nach langem Suchen einen redlichen Mann fand, der eine ungewöhnliche theoretische Bildung besaß. Vielleicht war gerade diese letztere Eigenschaft vom Standpunkte des Barons nicht ohne Bedenken, denn dem Erwählten wurde von zähen Praktikern nachgesagt, daß er nie eine Fabrik in ruhigem Betriebe lassen könne, sondern durch hastige Einführung neuer Erfindungen die tägliche Arbeit zu oft störe. Daher galt er für kostspielig und unsicher. Dem Freiherrn war die Intelligenz und Redlichkeit des Mannes natürlich die Hauptsache, mehr noch als jedem Andern, weil er im Stillen die Empfindung [S. 333] hatte, daß diese Eigenschaften des Technikers die Mängel seiner eigenen Leitung ausgleichen müßten.

So froh aber diese Aussichten waren, ein Uebelstand war doch dabei. Ordnung und Behagen waren auf dem Gut nicht mehr zu finden, sie waren mitten im Sommer fortgeflogen, wie die Störche, welche seit vielen Jahren hinter der großen Scheuer genistet hatten. Alle Welt wurde durch die neue Anlage belästigt. Die Baronin verlor eine Ecke des Parks, sie erlebte das Herzeleid, daß ihr ein Dutzend mächtiger alter Bäume niederschlagen wurden. Ein Haufe fremder Arbeiter zog mit Hacke, Schaufel und Karren wie ein Heuschreckenschwarm über das Gut. Sie zertraten die Grasplätze des Parks, sie lagerten in ihren Eßstunden in der Nähe des Schlosses und genirten die Frauen oft durch ihren Mangel an Rücksicht. Der Gärtner rang die Hände über die zahlreichen Diebstähle an Obst und Gemüse. Der Amtmann war in lauter Verzweiflung über die Unordnung, welche in seiner Wirthschaft einriß. Die neuen Leute, welche er angenommen hatte, erschwerten ihm die Aufsicht über das Gesinde. Die neuen Zugthiere, in der Eile gekauft, reichten nicht aus. Die Ackerpferde wurden ihm zu Fuhren verwandt, wenn er sie am notwendigsten im Felde brauchte, seine guten Zugochsen waren für ihn gar nicht mehr vorhanden. Der Bedarf der Wirthschaft wurde größer, die Einnahmen drohten geringer zu werden. Auch die Bodenfläche, welche für die Rübencultur bestimmt war, machte dem alten Mann schwere Arbeit. In der Fruchtfolge mußte Vieles geändert, die Taglöhner sollten für den neuen Bau angelernt werden. Lenore hatte viel zu trösten und brachte ihm manches Pfund Tabak aus der Stadt, damit er seinen Kummer mit den blauen Wolken in die Luft blasen konnte. Die schwerste Last trug natürlich der Freiherr selbst. Sein Arbeitszimmer, sonst nur von einzelnen Bittstellern oder dem Amtmann besucht, wurde jetzt ein Gemeinplatz, wie der Laden eines Krämers. Nach zehn Seiten sollte er Rath schaffen, Aufschluß geben, Schwierigkeiten [S. 334] überwinden. Fast täglich jagte er nach der Stadt, und wenn er am Friede bringenden Abend auf dem Gute war, erschien er im Familienkreise sorgenvoll, mürrisch, abgespannt. Es war eine große Hoffnung, die ihn erfüllte, aber es war sehr schwierig, sie in Wirklichkeit zu verwandeln.

Einigen Trost fand der Freiherr in der lebhaften Anhänglichkeit Ehrenthals. Dieser wußte sich überall nützlich zu machen, hatte stets einen guten Rath bei der Hand und war um Auskunft niemals verlegen. Oft besuchte er das Herrenhaus, dem Baron ein willkommener Gast, weniger den Frauen. Diese gönnten ihm den Argwohn, daß seine Beschwörung die Fluth von Geschäften heraufführe, welche sich durch alle Fenster und Thüren des Schlosses ergoß. Glücklicherweise dauerten seine Besuche immer nur kurze Zeit, und wenn man ihm auch ansah, daß er sich auf dem Gut nicht unbehaglich fühlte, so war sein Benehmen in Betreff der Ehrerbietung doch durchaus untadelhaft.

An einem sonnigen Mittag trat Ehrenthal mit Brillantnadel und Busenkrause in das Zimmer seines Sohnes. »Willst du heut mitfahren auf das Gut der Rothsattel, mein Bernhard? Ich habe dem Baron gesagt, daß ich dich mitbringen werde, um dich zu präsentiren der Familie.«

Bernhard sprang von seinem Sitze auf. »Aber Vater, ich bin den Herrschaften ja ganz fremd.«

»Wenn du das Gut gesehen haben wirst, wird es dir nicht mehr fremd sein, und wenn du gesprochen haben wirst den Baron, die Baronin und das Fräulein, so wirst du sie kennen. Es sind gute Leute,« fügte er wohlwollend hinzu.

Der Sohn hatte noch viele schüchterne Bedenken, aber der Vater schlug sie durch die bestimmte Erklärung nieder, daß der Freiherr ihn erwarte.

Bernhard saß im Wagen, über ihm hoch in der Luft flogen die Vögel, die Pappeln an der Landstraße schnurrten wie durch ein Band gezogen hinter ihn, lachend schien die Sonne in sein bleiches Gesicht und frug: wo kommst du her, Mann, [S. 335] dich kenne ich nicht; er rückte sich auf seinem Sitze in unruhiger Spannung zurecht. Seit er Anton kannte, ja länger, seit er seine Dichter las, hatte er von der kleinen einsamen Stube sehnsüchtig auf das fröhliche Treiben Solcher gesehen, welche darauf los leben und unnützes Grübeln hassen. Heut kam ihm vor, als ob er selbst ein wenig darauf los lebe, heut jagte er in die Welt hinein zu einem unbekannten Edelmann in das Haus einer berühmten Schönheit, die er sich ansehen wollte. Er zog seinen Hemdkragen zurecht, drückte den Hut entschlossen in die Stirn und schlug die Arme unter. Mit scharfem Blick musterte er die vorübergehenden Reisenden, und die Frau vom Zollhause, welche das Geld abnahm, fixirte er so unternehmend, daß sie ihr Brusttuch zurecht zog und ihn lächelnd anblinzte. Unterdeß floß das Herz des alten Ehrenthal von Lobreden auf den Freiherrn und seine Familie über. »Noble Leute,« rief er; »wenn du gesehen haben wirst diese Baronin, wie sie ist, wenn sie ist in ihrer Spitzenhaube, Alles so fein und Alles so honett! Zu honett für die Welt, wie diese Welt einmal ist! Die Stücke Zucker sind zu groß, und der Wein, den man bei Tische trinkt, ist zu theuer, aber es ist ihre Qualität, es steht ihnen gut.«

»Fräulein Lenore soll eine große Schönheit sein,« frug Bernhard. »Ist sie so stolz, wie junge Damen von ihrem Stande zu sein pflegen?« — Mein armer Bernhard kannte nicht viele junge Damen, weder aus diesem noch aus einem andern Stande.

»Sie ist stolz,« sagte der Vater, »aber es ist wahr, sie ist schön. Unter uns gesagt, sie gefällt mir besser, als die Rosalie.«

»Ist sie blond?« Herr Ehrenthal dachte nach. — »Was soll sie anders sein, als blond oder braun, freilich hat sie blonde Augen. Du kannst dir auch ansehen die Heerde auf dem Gute und vergiß nicht herumzugehen im Park. Sieh dich um, ob du einen Platz findest, wo du gern sitzen möchtest mit deinem Buche.«

[S. 336]

Der arglose Bernhard schwieg und sah mit glänzenden Augen auf die dunkeln Umrisse des Parks, der am Horizont aufstieg.

Der Wagen hielt vor dem Schlosse. Der Bediente trat an den Schlag. Die Gäste erfuhren, daß der Freiherr in seinem Zimmer und die gnädige Frau im Augenblick nicht zu sprechen war, das Fräulein aber spazierte im Garten. Ehrenthal schritt um das Haus, Bernhard neugierig hinter ihm her. Ueber den Grasplatz kam die hohe Gestalt Lenorens langsam auf die Fremden zu. Ehrenthal stellte sich auf, bog seinen linken Arm zu einem Kreise zusammen, steckte seinen Hut hinein und präsentirte: »Mein Sohn Bernhard, dies ist das gnädige Fräulein.« Bernhard verneigte sich tief. Es war nur ein kühler Gruß, den Lenore dem Gelehrten schenkte. »Wenn Sie zu meinem Vater wollen, er ist oben in seinem Zimmer.«

»Ich werde hinaufgehen,« sagte Ehrenthal gehorsam. »Bernhard, du kannst unterdeß zurückbleiben bei dem gnädigen Fräulein.«

In dem Zimmer des Freiherrn legte der Händler einige tausend Thaler auf den Tisch und sagte: »Hier ist das erste Geld. Und wie wollen der Herr Baron es mit der Sicherheit halten?«

»Nach unserer Verabredung muß ich Ihnen dafür Hypothek auf das Gut geben,« erwiederte der Freiherr.

»Wissen Sie was, Herr Baron, um jedes Tausend Thaler, das ich Ihnen zahle, können Sie mir nicht immer bestellen eine Hypothek, das macht viel Kosten und bringt das Gut in schlechtes Renommée. Lassen Sie vom Gericht ausstellen ein Hypothekeninstrument, welches auf eine große Summe lautet, ich will sagen auf zwanzigtausend Thaler. Lassen Sie es ausstellen auf den Namen der gnädigen Frau Baronin, so haben Sie eine Sicherheit, die Sie jeden Tag verkaufen können, und Ihr Gut wird noch nicht belastet durch ein neues Capital. Und mir geben Sie jedes Mal, so oft ich an Sie [S. 337] zahle, einen einfachen Schuldschein, worin Sie mir auf Ihr freiherrliches Wort versichern, daß ich für den Betrag der Summe, die ich Ihnen zahle, ein Anrecht haben soll an diese Hypothek von zwanzigtausend Thalern, welche im Hypothekenbuche steht zunächst hinter den Pfandbriefen. Das ist einfach, und es bleibt still zwischen uns beiden. Und wenn Sie keine weitern Vorschüsse brauchen, dann machen wir die Sache fest vor dem Notar. Sie cediren mir dann die Hypothek selbst, und ich gebe Ihnen Ihre Schuldscheine zurück und zahle Ihnen nach, wenn noch etwas fehlt an den zwanzigtausend Thalern. Ich verlange nichts von Ihnen, als Ihr Ehrenwort auf einem Blatt Papier, welches nicht größer ist, als dieses Schnitzel. Und wenn das Gericht Ihnen ausgefertigt hat das Hypothekeninstrument von zwanzigtausend Thalern, so wäre mir's lieb, wenn Sie's wollten aufheben in meinem Hause.«

Als der Freiherr bei der letzten Bedingung unwillig aufsah, legte Ehrenthal seine Hand auf den Arm des Herrn und sagte vertraulich: »Seien Sie ruhig, Herr Baron; dagegen, daß ich selbst aufheben will das Hypothekeninstrument, dürfen Sie nichts einwenden. Ich kann keinen Mißbrauch damit treiben, und es ist mir eine Beruhigung. Jeder Jurist wird Ihnen sagen, daß ich in diesen Sachen gegen Sie verfahre, wie es selten vorkommt im Geschäft. Oft wird ein Wort gebrochen, das Einer dem Andern gegeben hat, aber wenn es etwas gibt, was fest ist auf dieser Welt, so ist es für mich, wenn Sie mir geben Ihr Ehrenwort. Ist es nicht geschäftlich, Herr Baron, daß ich so denke, so ist es doch freundschaftlich.«

Ehrenthal sagte das mit einem Ausdrucke von Herzlichkeit, der nicht ganz erlogen war. Was er anbot, zeigte in der That ein großes Vertrauen. Nach vielen Berathungen mit Veitel Itzig war er auf diese Maßregel gekommen. Er wußte, daß der Freiherr außer den zwanzigtausend Thalern noch manches andere Capital für die Fabrik brauchen würde. Es lag im Interesse auch des Händlers, daß der Freiherr noch [S. 338] andere Summen ohne Schwierigkeit erhielt. Und er traute dem Edelmann; er, der durchtriebene Schelm, hatte einen festen Glauben an den adeligen Sinn des Andern. Auch wenn ihn Itzig nicht unaufhörlich auf den ehrenwerthen Charakter des Gutsherrn aufmerksam gemacht hätte, er würde ihm nichts Unehrliches zugetraut haben. Was von achtungsvoller Zuneigung in seiner Seele noch Raum hatte, das war dem Freiherrn zu Theil geworden. Der Herr war seit langer Zeit der Gegenstand seiner Sorge, seiner Arbeit, seiner eifersüchtigen Wachsamkeit. Er war dem Schurken geworden, was dem Landwirth sein Acker, der Hausfrau ihr Lieblingsthier ist. Es war ein allerliebster kleiner Theil von gemüthlicher Zuneigung in dem Verhältniß. Auch die Hausfrau vertritt eifrig die Tugenden ihres vierbeinigen Pfleglings, sie betrachtet ihn mit Freude und findet sein Temperament ungewöhnlich sanft. Sie ist geneigt, ihren Liebling für das vortrefflichste Stück seiner Art zu halten, und wenn der Schlachttag kommt, vergießt sie vielleicht eine Thräne. Aber, beim heiligen Antonius! so leid es ihr auch thut, sie wird das arme Ding doch schlachten.


Unterdeß sagte unten Lenore zu Bernhard: »Ist Ihnen gefällig, in den Park zu gehen?« Bernhard folgte schweigend und sah scheu auf die Aristokratin, welche ihren Kopf trotzig in die Höhe warf und wenig von seiner Anwesenheit erbaut schien. An dem grünen Platz, der einst Anton so entzückt hatte, blieb sie stehen und wies auf den Kiesweg. »Dort hinab geht es zum See, und hier weiter hinein in den Garten.« Sie erhob die Hand zu einer verabschiedenden Bewegung. Bernhard aber sah staunend auf den Platz, auf die Thürmchen des Schlosses, die Schlingpflanzen des Balcons und rief: »Das habe ich schon einmal gesehen, und ich bin doch nie hier gewesen.«

Lenore blieb stehen: »Das Haus ist nicht nach der Stadt [S. 339] gekommen, so viel ich weiß; es mag wohl andere geben, die ähnlich aussehen.«

»Nein,« erwiederte Bernhard sich besinnend, »ich habe das Schloß auf einer Zeichnung im Zimmer eines Freundes gesehen. Er muß Sie kennen,« rief er freudig, »und er hat mir doch nie etwas davon gesagt.«

»Wie heißt dieser Herr, der Ihr Freund ist?«

»Es ist ein Herr Wohlfart.«

Das Fräulein wandte sich lebhaft zu dem Gelehrten: »Wohlfart? Ein Kaufmann bei T. O. Schröter, Colonialwaaren und Producte? Ist's dieser Herr? — Und dieser Herr ist Ihr Freund? Wie kommen Sie zu der Bekanntschaft?« frug sie streng und stellte sich vor Bernhard auf, die Hände auf dem Rücken, wie ein Lehrer, der einen kleinen Dieb wegen gestohlener Aepfel in's Verhör nimmt.

Bernhard erzählte, wie er Anton kennen gelernt hatte und wie lieb ihm der tüchtige Freund geworden war. Darüber verlor er etwas von seiner Befangenheit, und das Fräulein viel von ihrer Strenge.

»Ja, wenn Sie so sind,« sagte Lenore noch immer verwundert. »Also wie geht es Herrn Wohlfart? Erzählen Sie geschwind, wie sieht er aus, ist er lustig? Er hat wohl recht viel zu thun?«

Bernhard erzählte, er wurde immer beredter. Lenore setzte sich in die Rosenlaube und winkte ihm herablassend, gegenüber Platz zu nehmen. Als er geendet hatte, sagte sie freundlich: »Wenn Herr Wohlfart Ihr Freund ist, so gratulire ich Ihnen, er ist ein guter Mensch; ich will hoffen, daß Sie das auch sind.«

Bernhard lächelte: »Unter meinen Büchern habe ich nur wenig Gelegenheit, meinen guten Willen dafür zu erweisen. Ich lebe still vor mich hin und zirpe wie eine Grille; in dem Treiben der Welt komme ich mir oft recht unnütz vor.«

»Das viele Studiren wäre nicht meine Sache,« erwiederte Lenore. »Man sieht Ihnen auch an, daß Sie wenig in der [S. 340] freien Luft leben. Kommen Sie, mein Herr, ich werde Sie herumführen. So setzen Sie doch Ihren Hut auf!«

Der Bediente trat mit dem Theebret aus der Halle. Lenore winkte ihm und sah wohlwollend zu, als Bernhard den heißen Trank so eilig einschlürfte, wie ein Ritter seinen Steigbügeltrunk. »Verbrennen Sie sich nicht,« ermahnte sie.

Sie führte ihn durch den Park, wie sie einst Anton geleitet hatte. Bernhard war ein Sohn der großen Stadt. Nicht die hohen Baumkronen, nicht die blühenden Beete im grünen Rasen, auch nicht die Thürmchen des Herrenhauses waren ihm etwas Ungewöhnliches, sein Auge hing nur an dem Fräulein. Es war ein klarer Abend im September. Das Sonnenlicht fiel schräge durch das Laub, der Kiesweg war gefleckt von gelben Lichtern und dunklen Schlagschatten. So oft ein Sonnenstrahl durch die Blätter auf Lenorens Haupt schoß, glänzte ihr Haar wie Gold. Das stolze Auge, der feine Mund, die schlanken Glieder des kräftigen Mädchens nahmen die Empfindung des Gelehrten gefangen. Sie lachte und zeigte die weißen kleinen Zähne, und er war entzückt; sie brach einen Zweig ab und schlug damit an die Büsche am Wege, und ihm war, als neigten sich die Zweige und Blätter vor ihr auf den Boden.

Sie kamen an die Brücke, an den Ausgang des Parks nach dem Feld. Einige Mädchen liefen an Lenore heran, knixten und küßten ihr die Hände, sie nahm diese Huldigung der Unterthanen wie eine Königin hin. Zwei kleine Dirnen hatten die hohlen Stengel des Löwenzahns in Kettenglieder zusammengebogen und eine lange Kette daraus gemacht, sie stellten sich verschämt vor Bernhard in den Weg und hielten ihm die Kette vor.

»Hinweg, Ihr unartiges Volk!« rief Lenore. »Wie könnt Ihr uns den Weg versperren, der Herr kommt ja aus dem Schloß. — Sie lernen dies Wegelagern von den fremden Arbeitern.« Und Bernhard fühlte mit Stolz, daß er in diesem Augenblicke zu ihr gehörte. Er griff in die Tasche und löste sich von [S. 341] den Mädchen. »Es ist lange her, daß ich eine solche Kette nicht gesehen habe,« sagte er. »Dunkel erinnere ich mich, daß ich als kleiner Knabe auch einmal auf einem grünen Platze saß und die Stiele zusammensteckte.« Er pflückte einige Stengel des Löwenzahns und versuchte die Kinderarbeit.

»Haben die gelehrten Herren auch an solchen Spielen Freude?« frug Lenore lächelnd.

»O ja,« erwiederte Bernhard. »Ich habe auch die spitzen Blüthen von Akley und Rittersporn zu runden Kränzen in einander gesteckt und in meinen Büchern gepreßt, dann trocknete ich Blätter und ganze Blumen, dann legte ich ein Herbarium an. Was uns als Erwachsene interessirt, das knüpft sich häufig an eine kleine Freude der Kinderzeit. Aus dem Kind, das zufällig einige bunte Krystalle in die Hand bekam, wird vielleicht ein Mineralog, und schon mehr als ein berühmter Reisender ist durch den Robinson Crusoe zu seinen Entdeckungen gekommen. Es ist immer eine Freude, zu erfahren, wie ein bedeutender Mann das gefunden hat, was seine Seele erfüllt.«

»Wir Frauen sehen das ganze Leben hindurch die Natur an wie die Kinder,« sagte Lenore, »wir spielen mit den glänzenden Steinen und Blüthen noch in unsern alten Tagen, gerade so wie die Mädchen vor uns. Und die Kunst ist so gefällig, uns Blumen und Steine nachzumachen, damit wir nur niemals das Spielzeug entbehren. — Wenn Sie so gut mit den Kinderspielen Bescheid wissen, dort ist etwas für Sie,« sie wies auf einen großen Klettenstrauch am Weg. »Haben Sie sich jemals eine Mütze aus Kletten gemacht?«

»Nein,« erwiederte Bernhard mit bangen Ahnungen.

»Sie sollen sogleich eine haben,« sagte Lenore. Sie gingen zu dem Klettenstrauch. Bernhard pflückte die runden Köpfe ab und reichte ihr einige Hände voll hin. Sie nestelte die Kletten an einander und machte eine Kappe mit zwei kleinen Hörnern daraus. »Das können Sie aufsetzen,« sagte sie gnädig.

[S. 342]

Bernhard hielt das kleine Monstrum in der Hand. »Allein wage ich's nicht,« sagte er, »die Vögel auf den Bäumen würden mich zu sehr anschreien. Wenn Sie auch eine Haube aufsetzen wollten —«

»Kletten können Sie nicht verlangen,« erwiederte Lenore, »aber Sie sollen den Willen haben. Kommen Sie zurück, ich zeige Ihnen, wie wir als Mädchen unsere Mützen gemacht haben.« Sie führte ihn an eine Stelle, wo eine Gruppe Sonnenrosen mit schwarzen Gesichtern und gelben Strahlen am Rande des Gebüsches stand. Dort schnitt sie mit einem kleinen Trennmesser einige Blumen ab, durchstach die Stengel und band sie zu einem Helm zusammen, den sie sich lachend aufsetzte. Es war ein fremdartiger Schmuck und gab dem schönen Gesicht ein wildes Ansehen. »Jetzt setzen Sie Ihre Kappe auf,« befahl sie. Bernhard gehorchte, und sein ehrbares faltiges Gesicht, der schwarze Frack und die weiße Cravatte erschienen unter der Klettenmütze so abenteuerlich, daß Lenore ihr Lachen nicht bekämpfen konnte und vergebens den Mund hinter ihrem Taschentuch verbarg. »Sie sehen schrecklich aus.« Bernhard nahm den Kopfputz sogleich wieder ab. »Kommen Sie zum Wasser, dort sollen Sie Ihr Spiegelbild sehen.«

Sie führte ihn an die Stelle, wo der Grund des Fabrikgebäudes ausgegraben wurde. Es war ein wüster Platz. Erdhaufen, einige tausend Ziegel, Baumstämme und Balken waren zusammengefahren. Die Arbeiter hatten Feierabend gemacht und den Platz verlassen, nur einige Kinder aus dem Dorfe kauerten unter dem Holz und sammelten die Späne zum Abendfeuer. Wenige Schritte hinter der Baustelle zog sich eine Bucht des See's heran, durch Gebüsch eingefaßt und mit grünen Wasserlinsen überdeckt. »Wie wüst es hier aussieht,« klagte Lenore, »die Zweige der Sträucher sind geknickt, auch die Bäume sind beschädigt. Das Alles macht der Bau. Wir kommen der fremden Arbeiter wegen jetzt nur selten hierher. Auch die Kinder vom Dorfe sind dreist geworden, sie [S. 343] haben hier einen Spielplatz aufgeschlagen, und es ist ihnen gar nicht zu wehren.«

In dem Augenblick fuhr ein Kahn hinter dem Vorsprung des Gehölzes hervor. Ein kleines Bauermädchen, ein bausbäckiges rundes Ding, stand darin und wankte ängstlich bei der raschen Bewegung des Kahnes, den ihr älterer Bruder mit einer Stange vom Ufer abstieß. »Sehen Sie,« rief Lenore ärgerlich, »die Krabben haben auch unsern Kahn genommen. Wollt Ihr sogleich an's Land.« Die Kinder erschraken über den Zuruf, dem Knaben fiel die Stange in's Wasser, das kleine Mädchen schwankte in der Angst des bösen Gewissens an den Rand des Kahnes, sie verlor das Gleichgewicht und fiel in's Wasser. Der Knabe trieb hülflos mitten in der Bucht. Ein lauter Schrei vom Ufer und aus seiner Kehle folgte dem Fall der Kleinen. »Retten Sie das Kind!« rief Lenore außer sich. Bernhard lief gehorsam in den See, ohne daran zu denken, daß er nicht schwimmen konnte, er watete einige Schritt vor und stand gleich darauf hülflos bis unter die Arme in Schlamm und Wasser. Er streckte die Hände nach der Stelle aus, wo das Kind versunken war, aber der Punkt war noch einige Klaftern von ihm entfernt. Unterdeß war Lenore schnell wie der Blitz hinter einen Strauch gesprungen. Nach wenig Augenblicken trat sie hervor und eilte an einen Vorsprung des Ufers. Aus der Tiefe der grünen Wasserlinsen sah Bernhard mit Entsetzen und Wonne auf die hohe Gestalt. Noch haftete die phantastische Blumenkrone auf ihrem Haupt, das luftige Kleid floß jetzt in leichten Falten an ihrem Leibe herunter, aus dem entschlossenen Gesicht starrten die Augen nach der Stelle, wo der Rock des Kindes wieder sichtbar wurde. Sie erhob die Arme hoch über das Haupt und stürzte sich mit einem Sprunge in den See. Der Kranz fiel von ihrem Haupt, in langen Stößen schwamm sie auf das Kind zu. Sie faßte den Rock, noch zweimal griff sie mit der freien Hand aus und hatte den Kahn erreicht. Sie hielt sich daran fest, sie spannte alle Kraft an, das Kind [S. 344] hineinzuheben, sie faßte die Kette des Kahns und zog ihn hinter sich an das Land. Bernhard, der bleich wie der Tod ihrer Anstrengung zugesehen hatte, kämpfte sich an das Ufer zurück, er reichte ihr die Hand und zog den Kahn an's Land. Lenore ergriff das bewußtlose Kind, Bernhard hob den Knaben an das Ufer, und vorwärts eilten Beide zu der nahen Gärtnerwohnung, der Knabe lief mit gellendem Geschrei hinter ihnen her. Das nasse Gewand legte sich dicht an Lenorens Leib, die schönen Formen des Körpers wurden in der raschen Bewegung dem Auge ihres Begleiters fast unverhüllt sichtbar. Sie achtete nicht darauf. Bernhard drang mit ihr in die Stube des Gärtners, aber Lenore trieb ihn hastig wieder hinaus. Mit Hülfe der erschrockenen Gärtnersfrau entkleidete sie das Kind und suchte das bewußtlose durch Reiben in's Leben zurückzubringen. Unterdeß lehnte Bernhard draußen an der Thür vor Kälte klappernd und in einer Aufregung, welche seine Augen glühen machte wie Kohlen. »Lebt das Kind?« rief er durch die Thür.

»Es lebt,« rief Lenore vom Bett zurück.

»Gelobt sei Gott!« rief Bernhard und schlug die Hände zusammen; aber der Gott, an den er in diesem Augenblick dachte, war das schöne Weib dadrin, von dessen Reizen sein Auge mehr gesehen hatte, als irgend ein anderer Mann. Lange stand er so, schauernd und vor sich hin träumend, bis eine hohe Gestalt in wollenem Rock und Mieder aus dem Hause trat. Es war Lenore in den Kleidern der Gärtnerin, noch ergriffen von der Anstrengung, aber mit einem fröhlichen Lachen auf den Lippen. Außer sich griff Bernhard in stürmischer Bewegung nach ihrer Hand und küßte sie mehr als einmal, er hätte vor ihr auf die Knie sinken mögen.

»Sie sehen schön aus, mein Herr,« sagte Lenore heiter, »Sie werden sich verkälten.«

Er stand vor ihr, naß, am ganzen Körper triefend, mit Wasserlinsen und Schwamm überzogen. »Ich fühle nichts von Kälte,« rief er, aber seine Glieder schütterten.

[S. 345]

»Schnell in das Haus,« trieb Lenore. Sie öffnete die Thür und rief der Frau zu: »Geben Sie dem Herrn Kleider des Gärtners zum Wechsel. — Dort in der Kammer machen Sie Ihre Toilette.«

Bernhard lief nach der Kammer, die Gärtnersfrau trug ihm herzu, was sie von Kleidern in der Eile fand. Nach einer Weile trat er, in einen Bauernburschen verwandelt, vor das Haus, wo Lenore in der Abendsonne mit schnellen Schritten auf und ab ging. »Kommen Sie nach dem Schloß,« sagte das Fräulein, welche wieder ihre ruhige Gönnermiene angenommen hatte.

»Noch einmal möchte ich das Kind sehen,« bat Bernhard. Sie traten an das Bett, auf welchem das Mädchen lag; mit müden Augen sah die Kleine auf das faltige Gesicht des Mannes, der sich über das Lager beugte und ihr die Stirn küßte. »Es ist das Kind eines Tagelöhners aus dem Dorfe,« sagte die Frau. Bernhard legte hinter Lenorens Rücken seine Börse auf das Bett.

Eilig schritten Lenore und Bernhard dem Schlosse zu, wo Ehrenthal an seinem Wagen ungeduldig die Rückkunft des Sohnes erwartete und mit maßlosem Erstaunen in dem Gärtnerburschen seinen Bernhard erkannte.

»Geben Sie dem Herrn einen Mantel,« befahl Lenore dem Bedienten, »er friert. Wickeln Sie sich gut ein, Sie könnten sonst lange an Ihren Marsch unter die Wasserlinsen denken.«

Und Bernhard dachte lange daran. Er hüllte sich in den Mantel und drückte sich in eine Ecke des Wagens, dem kalten Bade folgte brennende Gluth, stürmisch rollte sein Blut durch die Adern. Er hatte das schönste Weib der Welt gesehen, er hatte etwas erlebt, was für ihn größer und hinreißender war, als jeder Dichtertraum in seinen Pergamenten. Mit Scham dachte er daran, wie unbehülflich er selbst gewesen war, und wie von seinem tiefen Stand im Wasser sah er zu der Heldin auf, welche so entschlossen und stark gewesen war. [S. 346] Nur kurze Antworten vermochte er auf die Fragen seines Vaters zu geben. So saßen Vater und Sohn neben einander, kalte Arglist und die Gluth der Leidenschaft. Beide hatten auf dieser Fahrt erreicht, wonach sich ihr Herz so lange gesehnt, der Vater ein Anrecht an das schöne Gut, der Sohn ein Abenteuer, das seinem Leben einen neuen Inhalt gab.

Auf dem Gute stieg das Fabrikgebäude langsam in die Höhe, in dem Geldschrank Ehrenthals füllte sich die Cassette des Freiherrn mit seinen Schuldverschreibungen und dem neuen Hypothekeninstrument, und während Bernhards zarter Leib an den Folgen des kalten Bades kränkelte, berauschte sich seine Seele an süßen Phantasien.


X.

An einem Nachmittage brachte der Briefbote einen schwarzgesiegelten Brief an Finks Adresse. Fink öffnete den Brief und ging schweigend auf sein Zimmer. Als er nicht wieder herunterkam, eilte Anton besorgt zu ihm hinauf. Er fand Fink auf dem Sopha sitzend, den Kopf auf die Hand gestützt.

»Du hast eine traurige Nachricht erhalten?« frug Anton.

»Mein Oheim ist gestorben,« erwiederte Fink, »er, vielleicht der reichste Mann der Wallstreet in Newyork, ist auf einer Geschäftsreise mit der Maschine eines Missisippiboots in die Luft geflogen. Er war ein unzugänglicher Mann; mir hat er in seiner Art viel Güte erzeigt, und ich habe ihm als thörichtes Kind mit Undank vergolten. Dieser Gedanke macht mir seinen Tod bitter. Außerdem wird das Fact entscheidend für meine Zukunft.«

»Du willst fort von uns?« fiel Anton erschrocken ein.

»Ich werde morgen abreisen. Mein Vater ist zum Universalerben des Verstorbenen ernannt, mir hat dieser seinen [S. 347] Landbesitz in den westlichen Vereinsstaaten als Legat vermacht. Mein Oheim war ein großer Landspeculant, und es gilt jetzt schwierige und verworrene Verhältnisse zu lösen. Deßhalb will mein Vater, daß ich so schnell als möglich nach Newyork gehe, und auch ich merke, daß die persönliche Anwesenheit der Erben dort nöthig ist. Mein Vater hat auf einmal ein großes Zutrauen zu meiner Umsicht und Geschäftskenntniß bekommen. Lies selbst seinen Brief.«

Anton zögerte den Brief zu nehmen. »Lies, Anton,« sagte Fink mit trübem Lächeln, »in meiner Familie schreiben Vater und Sohn einander keine Geheimnisse.« Anton sah auf eine Stelle: »Die vortrefflichen Zeugnisse, welche Herr Schröter mir über deinen praktischen Sinn und deinen Scharfblick im Geschäft eingesendet hat, veranlassen mich, dich zu ersuchen, daß du selbst hinübergehst. Ich würde dir in diesem Fall Herrn Westlock aus unserem Geschäft zur Hülfe mitgeben.«

Anton legte den Brief schweigend auf den Tisch, und Fink frug: »Was sagst du zu dem Lob, welches mir der Prinzipal so freigebig ertheilt? Wie du weißt, habe ich einigen Grund, zu glauben, daß ich nicht in seiner Gunst stehe.«

»Und doch halte ich das Lob für gerecht und sein Urtheil für richtig,« erwiederte Anton.

»Gleichviel aus welchen Gründen es gegeben ist,« erwiederte Fink, »es entscheidet mein Schicksal. Ich werde jetzt, was ich mir lange gewünscht habe, Grundbesitzer jenseit des Wassers. — Auch wir müssen uns trennen, lieber Anton,« fuhr er fort und hielt dem Freunde die Hand hin, »ich habe nicht geglaubt, daß das so schnell kommen würde. Doch wir sehen uns wieder.«

»Vielleicht,« sagte Anton traurig und hielt die Hand des jungen Erben fest. »Jetzt aber geh zu Herrn Schröter, er hat das erste Anrecht, zu erfahren, daß du uns verlassen willst.«

»Er weiß es bereits,« sagte Fink, »auch er hat einen Brief meines Vaters erhalten.«

[S. 348]

»Um so mehr wird er erwarten, daß du mit ihm sprichst.«

»Du hast Recht, laß uns gehen.«

Anton eilte auf seinen Platz zurück, und Fink trat in das kleine Zimmer des Prinzipals hinter dem zweiten Comtoir. Der Kaufmann kam ihm ernst entgegen und sagte, nachdem er in würdiger Weise seine Theilnahme ausgedrückt hatte: »Es versteht sich, daß von dieser Stunde an Ihr Verhältniß zu meinem Geschäft gelöst ist; während der Tage, welche Sie noch hier zubringen, bitte ich Sie, sich als einen Gast meines Hauses zu betrachten, dem ich für seine Thätigkeit in meinem Interesse zu vielem Danke verpflichtet bin. Nehmen Sie Platz, Herr von Fink, und lassen Sie uns ruhig besprechen, womit ich Ihnen etwa noch dienen kann.«

Fink sagte vom Sopha aus mit ebenso großer Artigkeit: »Die Bestimmungen, welche mein Vater über meine Zukunft getroffen hat, stimmen so sehr mit dem zusammen, was ich mir selbst für meine künftige Thätigkeit gewünscht habe, daß ich Ihnen darüber meinen Dank aussprechen muß. Ihre Urtheile über mich sind günstiger gewesen, als ich es nach Manchem, was vorgefallen ist, erwartet habe. Waren Sie in der That zufrieden mit mir, so wird es mich freuen, wenn ich aus Ihrem Munde dasselbe höre.«

»Ich war es nicht ganz, Herr von Fink,« erwiederte der Kaufmann mit Haltung, »Sie waren hier nicht an Ihrem Platz. Das durfte mich nicht verhindern, zu beurtheilen, daß Sie für eine andere, immerhin größere Thätigkeit vorzügliche Befähigung haben. Sie verstehen ausgezeichnet zu disponiren und die Menschen unter Ihre Herrschaft zu bringen, und besitzen eine ungewöhnliche Energie des Willens. Für solche Natur ist das Pult im Comtoir nicht der rechte Ort.«

Fink verneigte sich. »Es wäre demungeachtet meine Pflicht gewesen, diese Stelle ganz auszufüllen; ich bekenne, daß ich das nicht immer gethan habe.«

»Sie kamen her, ohne an eine regelmäßige Thätigkeit gewöhnt zu sein, und haben sich in den letzten Monaten nur [S. 349] noch sehr wenig von einem fleißigen Comtoiristen unterschieden. Deßhalb und weil ich die Ueberzeugung habe, daß Sie Ihrem Wesen nach nicht sowohl zum Kaufmann als zum Fabrikanten passen, habe ich Ihrem Herrn Vater so über Sie berichtet, wie ich berichtet habe.«

»Sie halten mich für geeignet, Fabrikant zu werden?« frug Fink mit einer Verbeugung, welche für die gute Meinung danken sollte.

»Im weitesten Sinne des Wortes,« erwiederte der Kaufmann. »Jede Thätigkeit, welche neue Werthe schafft, ist zuletzt Thätigkeit des Fabrikanten; sie gilt überall in der Welt für die aristokratische. Wir Kaufleute sind dazu da, diese Werthe populär zu machen.«

»In diesem Sinne lasse ich Ihre Ansicht gern gelten,« antwortete Fink und erhob sich von seinem Platz.

»Ihr Abgang wird für einen unserer Freunde ein großer Verlust sein,« sprach der Kaufmann, den Erben begleitend.

Fink blieb stehen und sagte schnell: »Geben Sie mir ihn mit nach Amerika. Er hat das Zeug, dort sein Glück zu machen.«

»Haben Sie bereits mit ihm darüber gesprochen?« frug der Kaufmann.

»Nein,« sagte Fink.

»So will ich Ihnen mein Bedenken nicht verhehlen; Wohlfart ist jung, und die bescheidene und regelmäßige Thätigkeit des Binnengeschäfts erscheint mir noch auf Jahre hinaus für die Bildung seines Charakters wünschenswerth. Uebrigens wissen Sie, daß ich durchaus kein Recht habe, den freien Entschluß desselben zu bestimmen. Ich werde ihn ungern verlieren; wenn er aber die Ueberzeugung hat, in Ihrer Nähe schneller sein Glück zu machen, so werde ich nichts dagegen einwenden.«

»Gestatten Sie mir, ihn sogleich darüber zu fragen,« sagte Fink.

Er rief Anton in das Comtoir und sagte zu ihm: »Anton, ich habe Herrn Schröter gebeten, dich mit mir zu entlassen. [S. 350] Es würde mir viel werth sein, dich mitzunehmen; du weißt, daß ich an dir hänge, wir werden in den neuen Verhältnissen zusammen tüchtig vorwärts kommen, du selbst sollst die Bedingungen festsetzen, unter denen du mit mir gehst. Herr Schröter überläßt deinem freien Entschluß die Entscheidung.«

Anton stand betroffen und nachdenkend; die Bilder der Zukunft, welche sich so plötzlich vor ihm aufrollten, erschienen ihm sehr lachend, aber er faßte sich schnell, sah auf den Prinzipal und frug diesen: »Sind Sie der Meinung, daß ich gut thue, wenn ich gehe?« —

»Nicht ganz, lieber Wohlfart,« erwiederte der Kaufmann ernst.

»Dann bleibe ich,« sagte Anton entschlossen. »Zürne mir nicht, daß ich dir nicht folge, ich bin eine Waise und habe jetzt keine andere Heimath als dies Haus und dies Geschäft; ich will, wenn Herr Schröter mich behalten will, bei ihm bleiben.«

Durch diese Worte fast gerührt, sagte der Kaufmann: »Denken Sie aber auch daran, daß Sie mit diesem Entschluß Vieles aufgeben. In meinem Comtoir können Sie weder ein reicher Mann werden, noch das Leben in großen Verhältnissen kennen lernen; unser Geschäft ist begrenzt, und es werden wohl die Tage kommen, wo die Beschränkung desselben auch Ihnen peinlich erscheinen wird. Alles, was eine Selbständigkeit Ihrer Zukunft sichert, Vermögen und Bekanntschaften, vermögen Sie drüben leichter zu erwerben, als bei mir.«

»Mein guter Vater hat mir oft gesagt: Bleibe im Lande und nähre dich redlich. Ich will nach seinen Worten leben,« antwortete Anton mit einer Stimme, die vor innerer Bewegung leise klang.

»Er ist und bleibt ein Philister,« rief Fink in einer Art von Verzweiflung.

»Ich glaube, daß dieser Bürgersinn eine sehr respectable Grundlage für das Glück des Mannes ist,« sprach der Kaufmann, und die Sache war abgemacht.

[S. 351]

Fink sprach nicht weiter über den Vorschlag, und Anton bemühte sich, durch zahlreiche kleine Aufmerksamkeiten dem scheidenden Freunde zu zeigen, wie lieb er ihm sei und wie schwer ihm der Abschied werde.

Am Abend sagte Fink zu Anton: »Höre, mein Sohn, ich habe Lust, mir eine Frau mit hinüber zu nehmen.«

Erschrocken sah Anton den Freund an, und wie Einer, der eine mächtige Erschütterung sich und dem Andern verbergen will, frug er in gezwungenem Scherz: »Wie? du willst Fräulein von Baldereck —«

»Nichts da,« rief Fink muthwillig, »was soll ich mit einer Frau machen, die keine anderen Gedanken hat, als sich mit dem Geld ihres Mannes zu amüsiren?«

»An wen denkst du denn sonst? Du willst doch nicht der Tante vom Geschäft deinen Antrag machen?«

»Nein, mein Schatz, aber dem Fräulein vom Hause.«

»Um Alles nicht,« rief Anton bestürzt aufspringend, »das wird eine schöne Geschichte werden.«

»Gar nicht,« versetzte Fink kaltblütig, »entweder nimmt sie mich, und dann werde ich ein wohlberathener Mann, oder sie nimmt mich nicht, dann werde ich ohne Frau abreisen.«

»Du wirst ohne Frau abreisen,« rief Anton. »Hast du denn je daran gedacht, Fräulein Sabine für dich zu wählen?« frug er unruhig.

»Zuweilen,« sagte Fink, »im letzten Jahr oft, sie ist die beste Hausfrau und das edelste uneigennützigste Herz von der Welt.«

Anton sah erstaunt auf seinen Freund. Nie hatte Fink durch eine Andeutung verrathen, daß ihm Sabine mehr gelte als eine andere Dame seiner Bekanntschaft. »Aber du hast mir ja nie etwas davon gesagt?«

»Hast du mir etwas von deinen Empfindungen für eine andere junge Dame erzählt?« antwortete Fink lachend.

Anton erröthete und schwieg.

»Daß sie mich wohl leiden mag, glaube ich,« fuhr Fink [S. 352] fort, »ob sie mit mir geht, weiß ich nicht; dies wollen wir sogleich erfahren; ich gehe jetzt hinunter, sie zu fragen.«

Anton sprang zwischen seinen Freund und die Thür: »Noch einmal beschwöre ich dich, überlege, was du thun willst.« —

»Was ist da zu überlegen, du Kindskopf,« lachte Fink, aber eine ungewöhnliche Hast wurde in seinen Geberden sichtbar.

»Liebst du denn Fräulein Sabine?« frug Anton.

»Das ist wieder eine spießbürgerliche Frage,« versetzte Fink »Meinetwegen ja, ich liebe sie!« —

»Und du willst sie mitnehmen in die Ansiedelungen und Wälder?«

»Gerade deßhalb will ich sie heirathen; sie wird ein hochherziges starkes Weib sein, sie wird meinem Leben Halt und Adel geben. Sie ist nicht liebenswürdig, wenigstens ist nicht so bequem mit ihr zu plaudern wie mit mancher Andern, aber wenn ich mir ein Weib nehme, so brauche ich eins, das mich übersehen kann, und glaube mir, der Schwarzkopf ist dazu gemacht! Jetzt aber laß mich los, ich muß erfahren, wie ich daran bin.«

»Sprich nur erst mit dem Prinzipal,« rief Anton dem Stürmenden nach.

»Zuerst mit ihr,« sagte Fink und sprang die Treppe hinab.

Anton ging mit gefalteten Händen die Stube auf und ab; Alles, was Fink an Fräulein Sabine rühmte, hatte guten Grund, das fühlte er lebhaft; er wußte, daß sie ihn tief im Herzen trug, aber er ahnte auch, daß sein Freund mit unbekannten Hindernissen zu kämpfen habe. Und diese Hast, dies Ueberstürzen war ihm unheimlich, es war zu sehr gegen seine eigene Natur. Und noch etwas mißfiel ihm. Fink hatte nur von sich gesprochen, hatte er denn auch an das Glück des Fräuleins gedacht, hatte er auch Sinn dafür, was es sie kosten würde, den geliebten Bruder zu verlassen, aus der Heimath zu scheiden, sich in ein fremdes Volk, vielleicht in ein wildes Leben zu wagen? Ja, er war überzeugt, Fink war der Mann, alle Blüthen der neuen Welt vor ihre Füße zu streuen, aber [S. 353] er war auch unruhig, stets viel beschäftigt, würde er immer ein Herz haben für die Gefühle seiner deutschen Frau? Unwillkürlich nahm unser Held in Gedanken wieder Partei gegen seinen Freund; es schien ihm, als dürfe Sabine nicht fort aus der Handlung, er fühlte tief die Leere, welche entstehen würde, wenn sie verschwunden wäre, vom Mittagstisch, aus dem Haushalt, und vor Allem aus dem Leben ihres Bruders. So ging er unruhig und kummervoll auf und ab. Es wurde dunkel, aus den gegenüberliegenden Fenstern fiel ein matter Lichtschein in das finstere Zimmer, und immer noch kam Fink nicht zurück.


Unterdeß ward Fink bei Sabine gemeldet. Sie kam ihm hastig entgegen, und ihre Wangen waren geröthet, als sie ihm sagte: »Mein Bruder hat mir gesagt, daß Sie uns verlassen müssen.«

Fink begann in lebhafter Bewegung: »Ich muß, ich kann aber nicht scheiden, ohne offen gegen Sie gewesen zu sein. Ich kam hierher ohne Interesse an dem stillen Leben, welches meinem zerstreuten Geist ungewohnt war; ich habe hier das Glück und die Innigkeit eines deutschen Haushalts kennen gelernt. Sie, mein Fräulein, habe ich immer als den guten Geist dieses Hauses verehrt. Sie haben mich bald nach meinem Eintritt in einer Entfernung zu halten gesucht, welche mir oft schmerzlich war. Ich komme, Ihnen jetzt zu sagen, wie sehr mein Blick und meine Seele an Ihnen gehangen hat; ich fühle, daß mein Leben glücklich sein würde, wenn ich Ihre Stimme immerfort hören, und wenn Ihr Geist den meinen begleiten könnte auf den Wegen meiner Zukunft.«

Sabine wurde sehr bleich und trat zurück. »Sprechen Sie nicht weiter, Herr von Fink,« sagte sie bittend und bewegte halb bewußtlos die Hand, als wollte sie abwehren, was ihr bevorstand.

[S. 354]

»Lassen Sie mich ausreden,« fuhr Fink schnell fort; »ich würde es für mein höchstes Glück halten, wenn ich die Ueberzeugung mit mir nehmen könnte, daß auch ich Gnade vor Ihren Augen gefunden habe. Ich habe nicht die Anmaßung, Sie zu bitten, daß Sie mir jetzt folgen sollen in ein ungewisses Leben, aber geben Sie mir die Hoffnung, daß ich in einem Jahr zurückkehren und Sie bitten darf, mein Weib zu werden.«

»Kehren Sie nicht zurück,« sagte Sabine unbeweglich wie eine Statue mit kaum vernehmbarer Stimme; »ich beschwöre Sie, machen Sie diesem Gespräch ein Ende.«

Ihre Hand faßte krampfhaft die Lehne des nächsten Sessels, sie hielt sich daran fest und stand ohne einen Tropfen Blut in den Wangen vor dem Flehenden, aber sie sah ihn durch ihre Thränen unverwandt an, mit einem Blick so voll Schmerz und Zärtlichkeit, daß der wilde Mann ganz aufgelöst wurde und in der Sorge um ihre Bewegung all sein Selbstvertrauen, ja seine Werbung vergaß und nur die Absicht hatte, sie zu beruhigen.

»Ich fühle großes Bedauern, daß ich Sie so erschreckt habe,« sagte er; »verzeihen Sie mir, Sabine!« —

»Gehen Sie,« sagte Sabine noch unbeweglich mit rührender Bitte.

»Lassen Sie mich nicht ohne einen Trost von Ihnen scheiden, geben Sie mir eine Antwort; auch die schmerzlichste ist besser, als dieses Schweigen.«

»So hören Sie,« sprach Sabine mit einer unnatürlichen Ruhe, während ihre Brust sich hob und ihre Hand zitterte. »Ich bin Ihnen gut gewesen seit dem ersten Tage Ihrer Ankunft; als ein kindisches Mädchen habe ich mit Entzücken auf den Ton Ihrer Stimme gehört und auf das, was Ihr Mund so einschmeichelnd schilderte. Aber ich habe das Gefühl bekämpft. Ich habe es bekämpft,« wiederholte sie. »Ich darf Ihnen nicht angehören, denn es würde mein Unglück sein.« —

[S. 355]

»Weßhalb?« frug Fink in aufrichtiger Verzweiflung. —

»Fragen Sie mich nicht,« sagte Sabine kaum vernehmlich.

»Ich muß aus Ihrem Munde mein Urtheil hören,« rief Fink.

»Sie haben gespielt mit Ihrem eigenen Leben und mit dem Leben Anderer; Sie werden einst schonungslos handeln für Ihre Pläne. Sie werden Großes und Edles unternehmen, das glaube ich; aber die Menschen werden Ihnen dabei nichts gelten. Ich kann einen solchen Sinn nicht ertragen. Sie würden gütig gegen mich sein, das glaube ich, Sie würden mich überall schonen, aber Sie würden mich immer schonen müssen, und das würde Ihnen eine Last werden; und ich, ich wäre in der Fremde allein. — Ich bin weich, ich bin verwöhnt, mit hundert Fäden bin ich festgebunden an den Brauch dieses Hauses, an die kleinen Pflichten des Haushaltes und an das Leben des Bruders.«

Fink sah finster vor sich nieder. »Sie strafen in dieser Stunde streng, was Ihnen an mir mißfallen hat.«

»Nein,« rief Sabine die Hand gegen ihn ausstreckend, »nicht so, mein Freund! Wenn ich Stunden hatte, wo Sie mir Schmerz machten, ich hatte eben so viele, wo ich mit Bewunderung zu Ihnen aufsah. Und sehen Sie, das eben ist es, was uns für immer auseinander hält. Ich kann nicht ruhig werden in Ihrer Nähe, immer fühle ich mich aus einem Gefühl in das andere geschleudert, jetzt in banger Scheu und wieder in mächtiger Freude. Ich bin unsicher Ihnen gegenüber, und das würde ewig so bleiben. Ich müßte diesen Kampf in mir verbergen, in einem Verhältniß, wo ich mich mit all meinem Gefühl an Sie anschließen sollte. Und Sie würden das erkennen und würden mir deßhalb zürnen.«

Sie reichte ihm die Hand hin, Fink beugte sich tief auf die kleine Hand und drückte einen Kuß darauf.

»Segen über Ihre Zukunft,« sagte Sabine am ganzen Körper bebend. »Wenn Sie eine Stunde hatten, wo Sie gern [S. 356] unter uns waren, so denken Sie in der Fremde daran. Wenn Sie in dem deutschen Bürgerhaus, in dem Thun meines Bruders je etwas gefunden haben, was Ihnen ehrenwerth erschien, o so denken Sie in der Fremde daran. In dem großartigen Leben, das Sie erwartet, unter den mächtigen Versuchungen, in dem wilden Kampf, den Sie führen werden, denken Sie niemals gering von unserer Art zu sein.« Sie hielt die Rechte über sein Haupt, wie eine Mutter, welche angstvoll den scheidenden Liebling segnet.

Fink hielt ihre Hand fest. Beide sahen einander stumm in die Augen, Beide mit erblichenen Wangen. Endlich rief Fink mit tiefem Tonfall seiner melodischen Stimme: »Leben Sie wohl!«

»Leben Sie wohl!« sagte das Mädchen leise, so leise, daß Fink kaum die Worte verstand. Er schritt langsam über die Thürschwelle, sie sah ihm unverwandt nach, wie man einer Erscheinung nachsieht. —

Als der Kaufmann nach dem Schluß des Geschäfts in das Zimmer seiner Schwester trat, flog ihm Sabine entgegen, drückte sich fest an ihn und legte ihren Kopf an seine Brust. »Was hast du, Mädchen?« frug der Bruder besorgt und strich ihr das Haar von der feuchten Stirn.

»Fink war bei mir,« rief Sabine sich erhebend, »ich habe mit ihm gesprochen.«

»Worüber? Hat er dir einen Antrag gemacht? Ist er unartig gewesen?« frug der Kaufmann scherzend.

»Er hat mir einen Antrag gemacht,« sagte Sabine.

Der Kaufmann trat erschrocken zurück. »Und du, meine Schwester?«

»Ich habe gethan, was du von mir erwarten konntest; ich werde ihn nicht wiedersehen.« Dabei stürzten ihr die Thränen aus den Augen, sie ergriff die Hand des Bruders und küßte sie: »Sei nicht böse, daß ich weine, ich bin noch angegriffen, es wird vorübergehen.« —

[S. 357]

»Meine holde Schwester, liebe, liebe Sabine!« rief der Kaufmann und umfaßte die gebeugte Gestalt der Weinenden, »ich will nicht fürchten, daß du an mich gedacht hast, als du die Hand des reichen Erben ausschlugst.«

»Ich dachte an dich und dein aufopferndes pflichtgetreues Leben, und seine glänzende Gestalt verlor die schönen Farben, in denen ich sie wohl sonst gesehen hatte.« —

»Sabine, du hast mir ein Opfer gebracht,« rief der Bruder erschrocken. —

»Nein, Traugott, wenn es ein Opfer war, so habe ich es diesem Hause gebracht, in dessen Räumen ich unter deinem Schutze aufgewachsen bin, und dem Andenken an unsere guten Eltern, deren Segen über unserem bescheidenen Leben ist.«


Es war spät, als Fink in Antons Zimmer trat, er sah erhitzt aus, setzte den Hut auf den Tisch, sich auf das Sopha und sagte zum Freunde: »Vor Allem gieb mir eine Cigarre.«

Kopfschüttelnd trug Anton ein Bündel herzu und frug: »Nun, wie sieht's aus?«

»Hochzeit wird nicht,« erwiederte Fink kalt. »Sie erklärte mir, ich sei ein Taugenichts und keine annehmbare Partie für ein anständiges Mädchen. Sie nahm die Sache wieder zu gefühlvoll, versicherte mich ihrer Hochachtung, gab mir eine Silhouette von meinem Wesen und entließ mich.« »Aber der Teufel soll mich holen,« rief er aufspringend und warf die Cigarre in eine Ecke, »wenn sie nicht die beste Seele ist, die je in einem Unterrocke Tugend gepredigt hat: sie hat nur den einen Fehler, daß sie mich nicht heirathen will; und zuletzt hat sie auch darin Recht.«

Das Heftige in der Laune des Freundes machte Anton besorgt. »Wo bist du aber so lange gewesen und woher kommst du jetzt?«

»Nicht aus dem Weinhaus, wie deine Weisheit anzunehmen [S. 358] scheint. Wenn Jemand einen Korb erhält, so hat er doch wohl das Recht, ein paar Stunden melancholisch zu sein; ich habe mich benommen, wie sich Jeder in solchen verzweifelten Fällen benimmt, ich bin einige Zeit umhergelaufen und habe philosophirt. Ich habe mit der Welt gegrollt, d. h. mit mir selbst und dem Schwarzkopf, und habe zuletzt damit aufgehört, daß ich vor einer bunten Lampe stehen blieb und einer Hökerin diese Orangen abkaufte.« Bei diesen Worten zog er einige Früchte aus der Tasche. — »Jetzt aber, mein Sohn, ist die Vergangenheit abgethan, jetzt laß uns von der Zukunft reden, es ist der letzte Abend, den wir mit einander zubringen, an dem soll keine Wolke über unseren Seelen sein. Mache mir ein Glas Punsch und drücke die dicken Geschöpfe hinein. Orangenpunsch ist eine von deinen Forcen, die du mir verdankst. Ich habe dich's gelehrt, und du Schelm machst ihn jetzt besser, als ich. Komm! und setze dich her zu mir.«

Am andern Tage kam Vater Sturm in eigener Person auf das Zimmer des jungen Erben, um seine Reisekoffer in die Droschke zu tragen. Anton hatte den Morgen über mit Fink eingepackt und sich so über die bangen Empfindungen weggeholfen, welche den zurückbleibenden Freund mehr bewegten, als den scheidenden.

Fink faßte Antons Hand und sagte: »Bevor ich das Handschütteln mit den Uebrigen durchmache, wiederhole ich, was ich in den ersten Tagen zu dir gesagt habe: Treibe dein Englisch fort, damit du mir nachkommen kannst. Und wo ich auch sein mag, in einer Cajüte oder im Blockhause, für dich werde ich stets einen Raum offen halten. Sobald dir diese alte Welt mißfällt, komm zu mir! Unterdeß sei überzeugt, daß ich aufhöre, dumme Streiche zu machen. Und jetzt keine Rührung, mein Junge, es giebt keine große Entfernung mehr auf Erden.« Er riß sich los, eilte in das Comtoir, trat noch einen Augenblick vor seinen Prinzipal, und es war für Anton eine Freude, zu sehen, wie die beiden so [S. 359] verschiedenen Männer, die große breitschultrige Gestalt des Bürgers und die zierliche Figur des Aristokraten, neben einander standen. Noch einen Gruß an die Damen warf Fink in das Haus zurück, zog den Freund noch einmal an die Brust und sprang in den Wagen, fort in die neue Welt.

Anton aber ging traurig in sein Comtoir zurück und schrieb einen Brief an Herrn Stephan in Wolfsburg, worin er dem ehrenwerthen Mann eine neue Waarenliste und Zuckerproben übermachte.


Anton fühlte den Verlust seines Freundes lange Zeit sehr schmerzlich. Er blieb in den ersten Tagen vor Finks Thür stehen, weil er das fröhliche Lachen desselben zu hören glaubte, oft sah er im Comtoir von seinem Sitze auf, um sich an Finks spöttischer Miene zu erfreuen und einen schnellen Blick des Einverständnisses mit ihm auszutauschen.

Seine Stellung im Haushalt wurde durch den Abgang des Freundes außerordentlich geändert. Das ging so zu: Herr Liebold hätte jetzt bei Tische neben der Tante sitzen müssen, wenn es nach Rang und Würde gegangen wäre. So war es auch früher gewesen, und Fink war zwischen ihn und die Tante eingeschoben worden. Es ist für einen wahrheitsliebenden Chronisten schmerzlich, zu berichten, daß Herr Liebold über diesen Einschub auf's Höchste erfreut war, indem er behauptete, es sei sehr angenehm, neben Damen zu sitzen, und kein Mensch verstehe besser, weiblichen Umgang zu schätzen, als er; aber zuweilen sei eine nahe Nachbarschaft doch sehr unbequem, zumal alle Tage und besonders beim Essen und außerdem, wenn die Dame über das Zeitalter der jugendlichen Thorheiten hinaus sei. Diesen letzten Grund seiner Abneigung gestand er aber nur seinen vertrautesten Freunden, und seine Gegner, zu denen der Cassirer gehörte, behaupteten, er werde neben der jungen Nichte sich noch viel verlegener und unglücklicher [S. 360] fühlen, als neben der ruhigen Schönheit der Tante. Das Resultat war, daß im Comtoir wegen des Platzes am Mittagstisch eine stille Gährung und ein geheimes Intriguiren entstand, dessen letzter Grund, leider und zur Schande des Männergeschlechts sei es gesagt, der war, daß keiner von den Herren neben der Tante und so nahe am Prinzipal sitzen wollte. Es wurde deßhalb am Abend nach Finks Abreise, während Anton einige Aufträge des Freundes besorgte, im Hinterhause großer Rath gehalten, dem Herr Jordan präsidirte. Herr Specht erklärte sich bereit, überall und neben jeder Tante der Welt zu sitzen, aber der Vorsitzende bemerkte ihm mit vieler Artigkeit, seine Gegenwart sei unten am Tische zur Belebung der Unterhaltung unentbehrlich; denn seinen gewagten Behauptungen zu widersprechen, sei der Hauptspaß seiner Nachbarn. Und als jeder Einzelne der Anwesenden gegen die Ehre protestirt hatte, erklärte Herr Jordan seine Ansicht dahin, daß Wohlfart neben der Tante sitzen solle; dies scheine ihm darum passend, weil er mit Fink am meisten befreundet gewesen sei und ein gutes Temperament für ältliche Damen habe. So wurde Anton am nächsten Tage durch Decret seiner Collegen an den leeren Platz gerückt, nachdem dieser Beschluß durch den Bedienten in das Vorderhaus getragen war und die stille Sanction der Damen erhalten hatte.

Noch eine Veränderung machte Anton durch. Wenige Tage nach Finks Abreise erhielt Herr Schröter einen Brief aus Hamburg, in welchem ein offener Zettel Finks an Anton lag. Fink schrieb: »Die Möbel in der Stube, welche ich bewohnt habe, gehören mir, ich mache dich hiervon, sowie von Allem, was ich sonst hinterlasse, zu meinem Erben.« — Das Wort »Erbe« war unterstrichen. — »Ich habe Herrn Schröter ersucht, dich in meiner Stube wohnen zu lassen.« Anton zog hinunter in das elegante Zimmer des ersten Stocks. In die zweite Stube Finks wurde Herr Baumann befördert, welcher so Antons Stubennachbar blieb. Anton vergaß nicht, [S. 361] die gelbe Katze von seinem Schreibtisch mit hinunter zu schaffen. Die Katze erwies sich übrigens in der ganzen Zeit als verstockt und machte auf ihrem Postament keine nächtlichen Bewegungen. Vielleicht kam das daher, daß Anton bei dem stillen und thätigen Leben, das er führte, nicht mehr träumte.

Seit dieser Zeit wurde er im Comtoir Finks Erbe genannt, und diese Erbschaft wurde für ihn wichtiger, als seine Collegen geglaubt hatten. Er saß jetzt am oberen Theile des Tisches und hatte täglich seinen bescheidenen Theil an der Unterhaltung, welche von der Familie geführt wurde. Die Tante, deren Liebling Fink gewesen war, versöhnte sich bald mit der Aenderung und nahm die kleinen Aufmerksamkeiten Antons gnädig hin, und der Kaufmann richtete oft das Wort an ihn und freute sich über die verständigen, mannhaften Ansichten des Jünglings; auch Sabine gewöhnte sich, mit ihm über die Interessen des Tages zu sprechen, und ihr Auge, welches sonst den Platz hinter der Tante so eifrig gemieden hatte, ruhte jetzt mit freundlichem Glanze auf dem offenen Gesicht unseres Helden. Zwischen Beiden bestand ein stilles Einverständniß, eine von den reizenden leichten Beziehungen, welche das Leben so freundlich schmücken. Sabine sah in Anton den Freund, vielleicht den Vertrauten des Geschiedenen, und Anton fühlte gegen das Fräulein eine unbegrenzte Verehrung, welche sein Benehmen so zart und rücksichtsvoll machte, daß Sabine dies zuweilen mit Rührung empfand. Er sprach bei Tische nie von Fink, obgleich sein Herz voll von ihm war, und wenn die Tante in ihrer gutmüthigen Weise bei hundert kleinen Veranlassungen an Fink zu erinnern wußte, so parirte Anton mit aller Diplomatie, die er aufbringen konnte, ihre Andeutungen und wußte das Gespräch wieder in eine unbedenkliche Richtung zu bringen.

Auch im Geschäft änderte sich die Stellung Antons; er war bis dahin einer der Adjutanten des Herrn Jordan im Provinzialgeschäft gewesen, jetzt erhielt er seinen Platz im [S. 362] auswärtigen Geschäft unter dem Prinzipal selbst. Dieselbe Thätigkeit, welche Fink gehabt hatte, wurde ihm zugewiesen, und er erlangte bald etwas von der Virtuosität Finks, mit Herrn Tinkeles umzugehen und die Zackelwolle aus Ungarn zu beurtheilen.


[S. 364]

Drittes Buch.


[S. 365]

I.

Ein böses Jahr kam über das Land, ein plötzlicher Kriegslärm alarmirte die deutschen Grenzländer im Osten, darunter auch unsere Provinz. Die furchtbaren Folgen eines heftigen Landschreckens wurden schnell fühlbar. Der Verkehr stockte, die Werthe der Güter und Waaren fielen, Jeder suchte das Seine zu retten und an sich zu ziehen, viele Capitalien wurden gekündiget, große Summen, welche in kaufmännischen Unternehmungen angelegt waren, kamen in Gefahr. Niemand hatte Lust zu neuer Thätigkeit, Hunderte von Bändern wurden zerschnitten, welche die Menschen zu gegenseitigem Nutzen durch lange Zeit verbunden hatten. Jede einzelne Existenz wurde unsicherer, isolirter, ärmer. Ueberall sah man ernste Gesichter, gefurchte Stirnen. Das Land war wie ein gelähmter Körper, langsam rollte das Geld, dies Blut des Geschäftslebens, von einem Theile des großen Leibes zu dem andern; der Reiche befürchtete, daß er viel verlieren werde, der Arme verlor die Möglichkeit, sich auch nur wenig zu erwerben. Die Zukunft erschien plötzlich verhängnißvoll, schwarz, verderblich, wie der Himmel vor einem schweren Gewitter.

Das Schreckenswort »Revolution in Polen« brachte so große Wirkungen auch in Deutschland hervor. Das Landvolk jenseit der Grenze, aufgeregt durch alte Erinnerungen und seine Gutsherren, hatte sich erhoben, es zog von fanatischen Geistlichen angeführt längs der Grenze hin und her, hielt Reisende und Waarensendungen an, fiel plündernd und brennend über [S. 366] Edelhöfe und kleine Städte und versuchte sich unter Häuptlingen militärisch zu organisiren, indem es seine Sensen grade schmieden ließ und alte Flinten aus dem Versteck hervorholte. Die Insurgenten nahmen eine große polnische Stadt unweit der Grenze ein, setzten sich dort fest und verkündeten ein Polenreich.

In unserem Staat wurden schleunigst Truppen zusammengezogen und nach der Grenze geschickt, dieselbe militärisch zu besetzen. Unaufhörlich führten die Dampfwagen der neuerbauten Eisenbahn Soldaten ab und zu, überall rasselte die Trommel; die Straßen der Hauptstadt füllten sich mit Uniformen. Die Armee gerieth in die Aufregung, welche bei der Aussicht auf Krieg regelmäßig entsteht. Die Offiziere rannten geschäftig umher, kauften Landkarten und tranken Toaste in jeder Art von Wein, die Soldaten schrieben nach Hause, ließen sich wo möglich etwas Geld schicken und mit mehr oder weniger Gefühl ihre Mädchen grüßen. Zahlreiche Soldatenbräute im Lande wurden durch bleiche Wangen kenntlich und erschreckten ihre Familien durch fürchterliche Träume von ermordeten Musketieren; zahlreiche Mütter kauften sich Wolle und strickten mit trübem Auge Kriegssocken für ihre armen Söhne und suchten vorsichtig alte Leinwand zusammen, um Charpie zu zupfen, was noch vom letzten großen Kriege her als nützliche Beschäftigung in wilder Zeit anerkannt war; zahlreiche Väter sprachen mit unsicherer Stimme von der Verpflichtung eines braven Sohnes, für König und Vaterland in den Krieg zu gehen, und erinnerten sich mit größerer Sicherheit an den Schaden, den sie einst dem argen Napoleon zugefügt hatten.

Es war ein sonniger Herbstmorgen, als die erste Nachricht von dem polnischen Aufstande in der Hauptstadt ankam. Dunkle Gerüchte hatten schon am Abend vorher die Einwohner neugierig gemacht, und Haufen unruhiger Geschäftsleute und erschreckter Müssiggänger standen auf dem Perron des Bahnhofes. Sogleich nach Oeffnung des Comtoirs von [S. 367] T. O. Schröter kam Herr Braun, der Agent, hereingestürzt und erzählte athemlos, aber mit dem innern Behagen, welches der Besitzer auch der unangenehmsten Neuigkeit verspürt, daß ganz Polen und Galizien und viele angrenzende Länder in vollem Aufstande loderten, unzählige fremde Geschäftsreisende und friedliche Beamte seien überfallen und getödtet worden, viele Grenzstädte ständen in Flammen und ein nichtswürdiger Krakuse in rother Mütze habe um einen Vetter von Herrn Braun bereits mit seiner Sense den Kriegstanz getanzt, in der Absicht, ihm den Garaus zu machen, sei aber durch eine Erinnerung, die ihm sein Weib mit der Mistgabel gegeben, wieder so weit zur Besinnung gekommen, daß er nur die Mütze des Vetters, die diesem vor Haarsträuben vom Kopfe gefallen war, durchstochen habe. Darauf sei sein Vetter baarhäuptig die hundert Schritte bis zur Grenzbrücke gelaufen, wo ihn unsere Grenzwache aufgenommen und durch einen Schluck aus der Feldflasche wieder in's Gleichgewicht gebracht habe, während der Krakuse, die gemordete Mütze auf seiner Sense schwenkend, mit Triumphgeschrei abgezogen sei.

Anton gerieth über diese Nachrichten in die größte Bestürzung, und er hatte Grund dazu. Kurze Zeit vorher hatte ein unternehmender Kaufmann aus Galizien eine ungewöhnlich große Sendung von Commissionsartikeln, deren Werth sich auf zwanzigtausend Thaler belief, an die Firma abgesendet und, wie bei solchen Geschäften dort üblich ist, den größten Theil des Werthes bereits in Wechseln gezogen. Die Wagencaravane, welche diesen Transport bringen sollte, mußte grade in dem insurgirten Gebiet sein. Außerdem war eine zweite Caravane mit Colonialwaaren auf dem Wege nach Galizien expedirt und nach der Berechnung jetzt ebenfalls in Feindesland. Und was über dem Allen stand, ein großer Theil der Geschäfte, welche das Haus machte, und ein großer Theil des Credits, welchen dasselbe bewilligte, war in den empörten Landschaften gemacht und bewilligt worden; Vieles, ja Alles, so ahnte Anton, ward durch diesen Krieg in Frage gestellt. Deßhalb [S. 368] stürzte er seinem Prinzipal entgegen, als dieser die Treppe herab kam, und erzählte ihm hastig das Wichtigste der Neuigkeit; während Herr Braun im Comtoir sich beeilte, den anderen Herren die Schauergeschichte vom tanzenden Krakusen in zweiter Auflage mitzutheilen, wobei ihm begegnete, daß diesmal außer der Mütze des Vetters auch noch dessen Rock und Stiefeln an der Sense des Krakusen hängen blieben, so daß der Bedrohte nur mit einem Hemd bekleidet bei der schützenden Grenzwache ankam. Beiläufig sei hier erwähnt, daß der arme Vetter bei der nächsten Wiederholung auch das Hemd hergeben mußte, und daß ihm später noch die Haare abrasirt und sein Leib durch Megären auf die nichtswürdigste Weise zerzwickt wurde. Weiter konnte Herr Braun, ein wahrheitsliebender Mann, nicht gehen, da der Vetter noch als lebender Mensch unter dem Schirm einer neuen Mütze umherwandelte.

Unterdeß vernahm der Prinzipal Antons fliegenden Bericht. Er blieb einen Augenblick stumm auf der Treppe stehen, und Anton, welcher ängstlich in sein Gesicht starrte, glaubte zu bemerken, daß er etwas bleicher aussah als gewöhnlich; aber er mußte sich wohl geirrt haben, denn der Kaufmann sah über Anton hinweg unter die Auflader, welche unruhig in dem Hausflur standen, und rief mit dem kühlen Geschäftston, welcher unserm Helden so oft imponirt hatte: »Sturm, schaffen Sie das Faß bei Seite, es steht mitten im Wege. Rührt Euch, Ihr Leute, in einer Stunde muß der Fuhrmann abgehen!« Worauf Sturm sein breites Gesicht bekümmert nach dem Auge des Kaufmanns richtete und mit der ungeheuren Faust nach draußen weisend, fast muthlos sagte: »Es trommelt, sie schlagen Generalmarsch; es geht los, unsre Leute marschiren. Mein Karl ist mitten darunter, als Husar, mit den Schnüren an seinem kleinen Rock. Es ist ein Unglück! Ach unsre Waaren, Herr Schröter.«

»Eben deßhalb eilt, Ihr Männer,« antwortete der Prinzipal lächelnd. »Der Wagen geht nach der Grenze, es ist Zucker und Rum darauf, unsere Soldaten wollen bei dem [S. 369] kalten Wetter ein Glas Punsch trinken.« Diese humane Rücksicht auf die Kehlen der Vaterlandsvertheidiger brachte das Behagen in die Seelen der Riesen zurück, sie lächelten grimmig und Sturm setzte seinen Haken mit furchtbarer Kraft an den nächsten Ballen und schwang ihn mit einer Verachtung in die Luft, welche bedeuten sollte: »Wir geben nicht so viel auf die ganze Polakenwirthschaft,« während die Uebrigen das Faß aus dem Wege rollten und kurze geschäftliche Späße über Soldatenpunsch machten.

Zu Anton gewandt sprach der Prinzipal: »Die Nachrichten sind nicht gut, aber wir wollen nicht Alles glauben.« Darauf ging er in das Comtoir, grüßte Herrn Braun fast heiterer als sonst und ließ sich von ihm noch einmal die Geschichte seines Vetters und das übrige Unglück erzählen.

Als Braun gegangen war, sagte er beruhigend den Herren vom Comtoir: »Ich hoffe, daß unsere Waaren an der Grenze liegen, Fuhrleute sind ihrer Pferde wegen vorsichtig, sie werden es vermeiden, den Insurgenten in die Hände zu fallen. Sind die Wagen auf feindlichem Gebiet, so müssen wir versuchen, sie heraus zu bekommen.« Zu Anton setzte er leiser hinzu: »Schreiben Sie sogleich an das Grenzzollamt und unsern Spediteur an der Grenze, sicher gehen Extrazüge dahin ab, ein Nachtzug kann Antwort bringen, morgen wissen wir Näheres.«

Damit war für heut die große Frage erledigt, und Alles im Comtoir ging seinen gewöhnlichen Gang. Herr Liebold schrieb seine großen Zahlen in's Hauptbuch, Herr Purzel setzte Häufchen von Thalern zusammen und schob papierne Handschuhhalter um große Bündel von Cassenanweisungen, und Herr Pix ergriff den schwarzen Pinsel, malte neben der großen Waage Hieroglyphen auf Packleinwand und beherrschte die Hausknechte mit gewohnter Entschiedenheit. Der Prinzipal selbst wendete sich an Herrn Jordan, nahm die eingegangenen Briefe, welche zum Theil eine Bestätigung der kriegerischen Nachrichten enthielten, besprach die geschäftlichen Antworten und übergab sie den einzelnen Commis. Darauf erschienen [S. 370] die Mäkler, die Agenten und Sensale, und wie gewöhnlich fielen vom Pult des Prinzipals kurze Bemerkungen, oder ein trockener Scherz, wenn die Geschäftsfreunde sich zu tief in die Schrecken des Bürgerkrieges einließen. Die kleine Nebenunterhaltung im Geschäft war etwas belebter, sonst Alles wie gewöhnlich. Beim Mittagstisch ging das Gespräch so ruhig vorwärts, als hätte nie ein polnischer Bauer seine Sense geschwungen, und nach Tisch fuhr der Prinzipal mit seiner Schwester und einigen Damen ihrer Bekanntschaft spazieren, und die Geschäftsleute, welche ihn sahen, sagten mit Verwunderung: »Er fährt heut spazieren, er hat's wie gewöhnlich vorausgewußt, es ist doch ein kluger Kopf, ein solides Haus. Allen Respect!«

Anton war den ganzen Tag an seinem Schreibpult in einer nervösen Aufregung, wie er bis dahin noch nicht gekannt hatte. Er war beklommen und erwartungsvoll, und doch empfand er diese Stimmung mit Behagen, als ein großes Ereigniß. Er fühlte lebhaft die Gefahr des Geschäftes und seines Prinzipals, aber er war nicht mehr niedergeschlagen und muthlos. Ihm war, als trüge er Sprungfedern an Arm und Bein; seine Feder flog bei den gleichgültigen Geschäftsbriefen, die er zu schreiben hatte; trotz dem Gedanken an die Gefahr, welche in seiner Seele fortwährend Fanfare blies, war seine Fassungskraft nie schneller, sein Styl nie klarer gewesen, nie hatte er so hurtig Provision und Spesen ausgerechnet. Es waren Augenblicke einer erhöhten, fast freudigen Thätigkeit; er bemerkte das selbst und wunderte sich darüber. Bei seinem Prinzipal sah er dieselbe Stimmung, auch dieser schritt mit glänzenden Augen und schnellem Fuß durch die Comtoire.

Nie hatte ihn Anton so verehrt als heut, er sah ihm aus wie verklärt. Mit einer wilden Freude sagte sich Anton: »Das ist Poesie, die Poesie des Geschäfts, solche springende Thatkraft empfinden nur wir, wenn wir gegen den Strom arbeiten. Wenn die Leute sprechen, daß unsere Zeit leer an Begeisterung sei und unser Beruf am allerersten, so verstehen [S. 371] sie nicht, was schön und groß ist. Dem Mann steht in diesem Augenblick Alles auf dem Spiel, woran seine Seele hängt, sein Geschäft, das Resultat eines langen Lebens von rastloser Thätigkeit, seine Freude, sein Stolz, seine Ehre; und er steht kaltblütig an seinem Pult, schreibt Briefe über geraspeltes Farbeholz und giebt sein Urtheil über Kleesamen ab, ja, ich glaube, er lacht innerlich.« So dachte Anton, als er am Abend sein Pult abräumte und mit den übrigen Herren nach dem Hinterhause ging. Auch seine Collegen ließen jetzt ihre innere Aufregung merken, sie setzten sich in Jordans Salon zusammen und besprachen mit gemüthlichem Schauder bei einer Tasse schwarzen Thees die Neuigkeit und den Einfluß derselben auf das Geschäft. Alle waren geneigt, anzunehmen, daß die Firma zwar einigen Verlust erleiden werde, aber sie seien die Männer, mehr zu retten, als irgend ein anderes Geschäft retten werde. Herr Specht bemerkte hoffnungsreich, bei jeder Insurrection würden ungeheure Colonialwaaren verbraucht, und die Firma werde ein glänzendes Geschäft mit allen Flüssigkeiten nach der Grenze machen. Wenn die Insurrection nur ein Vierteljahr anhalte, sei der mögliche Verlust wieder gedeckt; denn trinken thäten sie Alle, Freunde und Feinde. Zuletzt sprach sich Herr Jordan dahin aus, daß man noch gar nicht wissen könne, wie die Sache verlaufen werde. Diese neue und gründliche Ansicht wurde von den Meisten adoptirt, worauf sich die Einzelnen in ihre Zimmer verfügten. In seiner Stube vernahm Anton durch die dünne Wand, wie sein Nachbar, Herr Baumann, beim Zubettegehen für das Geschäft und den Prinzipal betete. Dies ergriff Anton so, daß er mit großen Schritten in seiner Stube auf und ab ging, bis das Licht flackerte und der Gips auf dem Schreibtisch erschrak und in ein krankhaftes Zittern gerieth.

Es war spät geworden, als der Diener geräuschlos in Antons Zimmer trat und halblaut meldete: Herr Schröter wünsche ihn noch heut zu sprechen. Rasch folgte Anton dem Diener in den ersten Stock des Vorderhauses und trat [S. 372] erwartungsvoll in das braune Arbeitszimmer des Prinzipals. Der Kaufmann stand vor dem gepackten Koffer, sein Portefeuille lag auf dem Tisch und daneben das untrügliche Zeichen einer längeren Reise, die große englische Cigarrentasche von Büffelleder. Diese hielt hundert Stück, war seit alter Zeit ein Lieblingsgegenstand für die Bewunderung des Herrn Specht und galt dem ganzen Comtoir für eine Art Kriegsfahne, welche nur dann hervorgeholt und in den Wagen getragen wurde, wenn die Hauptmacht des Geschäfts auf ein außerordentliches Unternehmen auszog. Sabine war an dem Schubladen des Schreibtisches beschäftigt und trug schweigend zu, was ihre Sorgfalt dem Reisenden für nützlich hielt. Sie warf einen schnellen Blick auf Anton und senkte das Haupt, als sie in seinem Gesichte las, was sie selbst mit banger Ahnung erfüllte. Der Prinzipal trat Anton freundlich entgegen. »Ich habe Sie spät herbemüht, glaubte aber nicht, daß Sie noch außer Bett sein würden.«

Als Anton erwiederte: »Die Aufregung ließ mich nicht schlafen,« fiel wieder ein Strahl aus dem Auge der Schwester auf ihn, so sorgenvoll und so dankbar für seine Theilnahme, daß er mächtig gerührt wurde und nicht weiter sprach, um seine Bewegung nicht zu verrathen.

Der Prinzipal aber sagte lächelnd: »Sie sind noch jung, die Ruhe kommt mit den Jahren. Es wird nöthig sein, daß ich selbst morgen nach unsern Waaren sehe. — Ich höre, die Polen zeigen besondere Rücksicht gegen unsere Landsleute, es ist möglich, daß sie sich sogar mit dem Gedanken tragen, unsere Regierung sei ihnen nicht abgeneigt. Diese Täuschung kann nicht lange dauern, es wird kein Unrecht sein, wenn wir davon für unsere Waaren Vortheil zu ziehen suchen. Sie haben die Korrespondenz geführt und wissen selbst, was für mich zu thun ist. Ich werde nach der Grenze reisen und mich dort über die nächsten Schritte entscheiden.«

Mit ängstlicher Spannung hörte die Schwester auf seine Worte, sie suchte in seinen Mienen zu lesen, was er aus [S. 373] Rücksicht gegen sie nicht aussprach. Anton aber verstand, was die Rede bedeutete, sein Chef ging über die Grenze in das insurgirte Land.

Mit bittender Stimme sprach er näher tretend: »Könnte nicht ich an Ihrer Stelle die Reise machen? Ich fühle wohl, daß ich Ihnen noch keine Veranlassung gegeben habe, mir in so wichtiger Sache zu vertrauen. Ich werde mir wenigstens alle Mühe geben, bis zum Aeußersten, Herr Schröter.« Antons Wangen glühten, als er dies sagte, er fühlte in diesem Augenblick entschiedene Neigung, sich mit allen Krakusen um die Waarenballen zu raufen.

»Das ist brav gesprochen und ich danke Ihnen,« erwiederte der Prinzipal, »aber ich kann Ihr Anerbieten nicht annehmen, die Reise könnte Schwierigkeiten haben, und da der Vortheil mein ist, wird auch billig sein, daß ich die Mühe übernehme.« Anton ließ den Kopf hängen. »Ich beabsichtige im Gegentheil, Sie mit bestimmter Ordre hier zu lassen für den Fall, daß ich übermorgen Abend nicht zurück sein sollte.«

Sabine hatte ängstlich zugehört, jetzt faßte sie die Hand des Bruders und sagte leise: »Nimm ihn mit.«

Diese Unterstützung gab Anton neuen Muth. »Wenn Sie mich nicht allein schicken wollen, so erlauben Sie mir wenigstens, Sie zu begleiten, vielleicht kann ich Ihnen doch in Etwas nützlich sein, ich würde es wenigstens sehr gern sein.«

»Nimm ihn mit,« wiederholte Sabine flehend.

Der Kaufmann wandte den Blick langsam von der Schwester auf das ehrliche Gesicht Antons, welches von Diensteifer strahlte, und erfreut über den Eifer der Jugend, erwiederte er: »So mag es sein. Sie begleiten mich morgen früh bis zur Grenze. Sollte meine Abwesenheit für längere Zeit nöthig werden, so wird es vortheilhaft sein, Sie an Ort und Stelle zu informiren. Bis dahin mag Jordan die laufenden Geschäfte besorgen. Es ist nicht nöthig, daß von unserer Reise hier am Ort viel verlautet. Und jetzt schlafen Sie aus, Herr Wohlfart. Einer unserer Hausknechte erwartet auf der Eisenbahn [S. 374] die Nachtzüge; man hat mir versprochen, daß die Conducteure uns Antwort zurückbringen sollen. Ist die Antwort so, wie ich annehme, dann fahren wir mit dem ersten Zug. Schlafen Sie wohl!«

Anton verbeugte sich dankend und sah noch im Hinausgehen, daß Sabine in heftiger Bewegung den Hals des Bruders umschlang. Er ging nach seinem Zimmer, packte geräuschlos eine Reisetasche, holte die damascirten Pistolen heraus, welche ihm Fink hinterlassen hatte, und warf sich halbentkleidet auf das Bett, wo er erst spät den Schlummer fand. Gegen Morgen weckte ihn ein leises Klopfen, der Bediente meldete: »Die Briefe von der Eisenbahn sind gekommen.« Anton eilte in das Comtoir und fand dort bereits Herrn Jordan und den Prinzipal in lebhaftem Gespräch; bei seinem Eintritt rief ihm Herr Schröter aus den geschäftlichen Verhandlungen kurz zu: »Wir reisen!«

»Gut,« dachte Anton. »Wir reisen in Feindesland, wir schlagen uns mit den Sensenmännern und wir zwingen sie, unsere Waaren herauszugeben, denn daß sie uns zwingen könnten, darf nach dem Willen des Prinzipals nicht angenommen werden.«

Nie hatte Anton mehr mit den Thüren geklopft, schneller die Treppenstufen gemessen und kräftiger die Hände seiner Collegen geschüttelt, als in der nächsten Stunde. Als er so geschäftig durch den dunklen Hausflur eilte, hörte er ein leises Rauschen neben sich. Sabine trat schnell an ihn heran und faßte seine Hand: »Wohlfart, schützen Sie meinen Bruder vor Gefahr!« Anton versprach mit maßloser Bereitwilligkeit, dies in jeder Weise zu thun, fühlte nach seinen geladenen Pistolen in der Rocktasche und stieg in den Wagen, selbst geladen mit den edelsten und seligsten Gefühlen, welche je ein junger Held gehabt hat. Er zog auf Abenteuer, er war stolz auf das Vertrauen seines Prinzipals, gehoben durch das zarte Verhältniß, in das er zu der Heiligen des Geschäfts getreten war. Er war glücklich.

[S. 375]

Das Dampfroß schnaubte und raste über die weite Thallandschaft, wie ein Pferd aus Beelzebubs Marstall. In allen Waggons des Zuges saßen Soldaten, sie hingen auf den Frachtstücken, sie guckten aus den kleinen Fenstern der Packwagen; überall glänzten Bajonette und Helme, überall steckten Tornister, Feldkessel und Trommeln. Auf allen Stationen standen die Haufen der Neugierigen, überall hastige Fragen und Antworten, überall aufregende Neuigkeiten, schreckliche Gerüchte und abenteuerliche Erzählungen. Anton war froh, als sie sich am Ende der Bahnstrecke aus der kriegerischen Masse lösten und in einer leichten Chaise mit Courierpferden der Grenze zu rollten. Auf der Landstraße war es still, leerer als gewöhnlich, nur kleine Detachements aus den Garnisonen nahe der Grenze wurden noch von den Reisenden überholt. Die Mannschaft sang lustig, als zöge sie zum Manöver, hier und da machte der Spaßvogel der Compagnie seinen Witz über die schnellfüßigen Civilisten, zuweilen ritt ein Offizier grüßend an den Wagen, wenn er den Prinzipal kannte, oder einen Auftrag für sein Nachtquartier vorauszusenden hatte. Der Kaufmann sprach zu Anton gar nicht vom Geschäft, aber mit großer Heiterkeit von allem Andern, von früheren Erlebnissen, von dem Treiben an der Grenze, von Schmugglern und Zollwächtern, und behandelte seinen Reisegenossen mit der vertraulichen Herzlichkeit, welche ein älterer Kamerad dem jüngern zu zeigen pflegt. Nur gegen die Pistolen bewies Herr Schröter eine Kälte, welche den kriegerischen Muth Antons ein wenig dämpfte, denn als dieser auf der zweiten Station seine Mordwerkzeuge sorgfältig aus einer Wagentasche in die andere trug, sah der Prinzipal mit feindseligem Blick auf die beiden Läufe, und als die Reisenden bei den letzten Häusern des Orts vorübergerollt waren, wies er auf die braunen Kolben, welche brüderlich aus der Tasche hervorragten, und sagte zu Anton: »Ich glaube nicht, daß Ihnen gelingen wird, durch die Puffer unsere Waaren wieder zu erobern. Sie sind geladen?«

[S. 376]

Anton bejahte und erwiederte mit dem letzten Rest seines kriegerischen Selbstgefühls: »Es sind gezogene Läufe.«

»So?« sagte der Prinzipal ernsthaft, nahm die Pistolen aus der Tasche, rief dem Postillon zu, die Pferde anzuhalten, und schoß kaltblütig beide Läufe ab. »Es ist besser, wir beschränken uns auf die Waffen, die wir zu gebrauchen gewöhnt sind,« bemerkte er gutmüthig, indem er Anton die Pistolen zurückgab, »wir sind Männer des Friedens und wollen nur unser Eigenthum zurückhaben. Wenn wir es nicht dadurch erhalten, daß wir Andere von unserem Recht überzeugen, so ist keine Aussicht dazu. Es wird dort drüben viel Pulver unnütz verschossen werden, Alles Ausgaben, welche nichts einbringen, und Kosten, welche Land und Menschen ruiniren. Es giebt keine Race, welche so wenig das Zeug hat, vorwärts zu kommen und sich durch ihre Capitalien Menschlichkeit und Bildung zu erwerben, als die slavische. Was die Leute dort im Müßiggang durch den Druck der stupiden Masse zusammengebracht haben, vergeuden sie in phantastischen Spielereien. Bei uns thun so etwas doch nur einzelne bevorzugte Klassen, und die Nation kann es zur Noth ertragen. Dort drüben erheben die Privilegirten den Anspruch, das Volk darzustellen. Als wenn Edelleute und leibeigene Bauern einen Staat bilden könnten! Sie haben nicht mehr Berechtigung dazu, als dieses Volk Sperlinge auf den Bäumen. Das Schlimme ist nur, daß wir ihre unglücklichen Versuche auch mit unserem Gelde bezahlen müssen.«

»Sie haben keinen Bürgerstand,« sagte Anton eifrig beistimmend.

»Das heißt, sie haben keine Cultur,« fuhr der Kaufmann fort; »es ist merkwürdig, wie unfähig sie sind, den Stand, welcher Civilisation und Fortschritt darstellt und welcher einen Haufen zerstreuter Ackerbauer zu einem Staate erhebt, aus sich heraus zu schaffen.«

»Da ist doch Conrad Günther in der insurgirten Stadt vor uns, dann die Geschäfte der drei Hildebrand in Galizien,« warf Anton ein.

[S. 377]

»Brave Leute,« stimmte der Kaufmann bei, »alle aber eingewandert, und der ehrbare Bürgersinn hat keinen Halt, vererbt sich selten auf die nächste Generation. Was man dort Städte nennt, ist nur ein Schattenbild von den unsern, und ihre Bürger haben blutwenig von dem, was bei uns das arbeitsame Bürgerthum zum ersten Stande des Staates macht.«

»Zum ersten?« frug Anton.

»Ja, lieber Wohlfart, die Urzeit sah die Einzelnen frei und in der Hauptsache gleich, dann kam die halbe Barbarei der privilegirten Freien und der leibeigenen Arbeiter, erst seit unsere Städte groß wuchsen, sind civilisirte Staaten in der Welt, erst seit der Zeit ist das Geheimniß offenbar geworden, daß die freie Arbeit allein das Leben der Völker groß und sicher und dauerhaft macht.«

Im Abendlicht kamen die Reisenden im Grenzort an. Es war ein kleines Dorf, welches außer den Zollgebäuden und den Wohnungen der Grenzbeamten nur ärmliche Hütten und eine Schenke zu zeigen wußte. Auf dem freien Platz zwischen den Häusern und um das Dorf herum bivouakirten zwei Escadronen Reiter, welche ihre Posten längs dem schmalen Grenzfluß aufgestellt hatten und mit einem Detachement Jäger die Grenze bewachten. In der Schenke war ein wildes Treiben, Husaren und Jäger zogen ein und zogen aus, Husaren und Jäger saßen Kopf an Kopf gedrängt in der kleinen Gaststube, bunte Dolmans und grüne Röcke lagerten um das Haus herum auf Stühlen, Tischen, Pferderaufen, wankenden Tonnen und jedem möglichen Geräth, welches irgend eine Methode des Sitzens verstattete. Wie unzählige Herren Pixe kamen sie Anton vor, so entschlossen verfuhren sie mit der Schenke und allem Inhalt derselben, lebendigem und flüssigem. Mit lautem Gruß empfing der jüdische Wirth den wohlbekannten Kaufherrn; durch seinen Diensteifer wurde der letzte Raum des Hauses für die Reisenden freigemacht, ein kleiner Verschlag, in welchem sie die Nacht wenigstens allein verbringen konnten.

Kaum war der Kaufmann vom Wagen gestiegen, als ihn [S. 378] ein halbes Dutzend Fuhrleute mit lebhaftem Freudenruf umringte, die Führer der Wagen, welche vor Kurzem durch das Geschäft expedirt waren. Ganz ohne Unfall war es mit ihnen nicht abgegangen. Wie der Aelteste erzählte, waren sie auf der Straße jenseit der Grenze durch den Anblick eines bewaffneten Bauernschwarms zur eiligen Rückkehr getrieben worden. Beim Umwenden war ein Rad des letzten Wagens zerbrochen, der Fuhrmann hatte in der Angst die Pferde ausgespannt und den Wagen jenseit der Grenze stehen lassen. Während der flüchtige Führer mit dem abgezogenen Hut in der Luft umher focht und seine Entschuldigungen machte, trat der commandirende Rittmeister zu dem Kaufmann und bestätigte die Aussage der Leute.

»Man kann den Wagen etwa tausend Schritt jenseit der Brücke an der Straße hängen sehn,« erklärte er, und als der Kaufmann um Erlaubniß bat, die Brücke zu betreten, sagte er zuvorkommend: »Ich werde Ihnen einen meiner Offiziere mitgeben.«

Ein junger Offizier der Escadron, welcher so eben von einer Patrouille zurückgekehrt war, tummelte sein feuriges Pferd vor der Schenke.

»Lieutnant von Rothsattel,« rief der Rittmeister, »begleiten Sie die Herren auf die Brücke.«

Mit Entzücken hörte Anton den Namen, an welchen sich für ihn so holde Erinnerungen knüpften. Er wußte auf der Stelle, daß der Herr auf dem wilden Pferde Niemand anders sein konnte, als der Bruder des Fräuleins vom See. Der Lieutnant, eine schlanke Gestalt mit kleinem Bart auf der Oberlippe, sah seiner Schwester so ähnlich, wie einem jungen Reiteroffizier in Beziehung auf das allerschönste irdische Fräulein nur möglich ist. Anton fühlte auf der Stelle eine freundschaftliche Hochachtung für ihn, welche der junge Herr aus Antons Gruß wohl herauslesen mochte, denn er dankte durch ein herablassendes Neigen seines kleinen Kopfes. Tänzelnd avancirte sein Pferd neben den Kaufleuten bis zur Brücke. [S. 379] Dort standen die Vedetten, ihre Pistole mit gespanntem Hahn in der Hand, unbeweglich wie Statuen, nur ihre Pferde verriethen manchmal durch eine anmuthige Schweifbewegung, oder ein Stampfen der Füße das muthige Leben. Die Reisenden eilten auf die Mitte der Brückenwölbung und sahen mit spähendem Blick die Landstraße hinab. Vor ihnen in der Ferne lag der riesige Wagen, wie ein weißer Elephant lag er verwundet auf einem Knie.

»Vor Kurzem war noch nicht geplündert,« sagte der Lieutnant, »die Leinwand hing noch dickbäuchig darüber. Ja, sie haben ausgeräumt; dort an der Ecke flattert die weiße Decke.«

»Es scheint nicht arg zu sein,« antwortete der Prinzipal.

»Wenn Sie ein Rad und ein Paar Pferde hinüberschaffen wollen, können Sie das Ding abholen,« bemerkte der Lieutnant nachlässig. »Unsere Leute hatten den ganzen Tag große Lust dazu. Sie hätten gern nachgesehen, ob etwas Trinkbares darin ist. Wir haben aber Befehl, die Grenze nicht zu überschreiten. Sonst ist's eine Kleinigkeit, den Wagen herüber zu schaffen, wenn der commandirende Offizier Ihnen erlaubt, die Posten zu passiren, und wenn Sie mit diesen da fertig werden.« Dabei wies er auf einen Haufen Bauern, welche jenseit der Brücke außerhalb Schußweite hinter einigen verkrüppelten Weiden lagerten und einen bewaffneten Mann als Posten auf die Landstraße vorgestellt hatten.

»Wir wollen den Wagen holen, wenn der commandirende Offizier erlaubt,« sagte der Prinzipal, »ich hoffe, es wird möglich sein, mit den Leuten dort zu unterhandeln.«

Und Anton konnte sich nicht enthalten zu murmeln: »Den ganzen Tag haben die Herren ein paar Tausend Thaler auf der Landstraße liegen lassen, sie hätten Zeit genug gehabt, den Wagen für uns zurückzuschaffen.«

»Man muß keine unbilligen Forderungen an das Heer machen,« antwortete der Kaufmann lächelnd, »wir wollen zufrieden sein, wenn sie uns erlauben, unser Eigenthum aus den Händen der Bauern zu holen.« Die Reisenden eilten zum [S. 380] Rittmeister zurück, und der Kaufmann theilte diesem seinen Wunsch mit.

»Wenn Sie Pferde und Menschen finden, so habe ich nichts dagegen,« erwiederte dieser.

Sogleich wurden die Fuhrleute zusammengerufen, der Prinzipal frug, wer ihn mit den Pferden begleiten wolle, er sei gut für den Schaden an den Pferden. Nach einigem Kratzen des Kopfes und einigem Schütteln der Hüte erklärten Mehrere ihre Bereitwilligkeit. Schnell wurden vier Pferde angeschirrt, ein Kinderschlitten des Schenkwirths hervorgeholt, ein Rad und einige Hebebäume darauf gelegt, und die kleine Caravane zog der Brücke zu, verfolgt von beifälligen Scherzen der Soldaten und begleitet von einigen Offizieren, welche an dem Feldzuge so viel Theilnahme verriethen, als sich mit ihrer kriegerischen Würde irgend vertrug.

An der Brücke sagte der Rittmeister: »Ich wünsche guten Erfolg, leider bin ich außer Stand, Ihnen meine Mannschaft zur Hülfe mitzugeben.«

»Es ist besser so,« antwortete der Prinzipal grüßend, »wir wollen als friedliche Leute unsere Waaren wiederholen und fürchten die Herren dort nicht, wollen sie aber auch nicht reizen. Haben Sie die Güte, Herr Wohlfart, Ihre Pistolen zurückzulassen, wir müssen den Bewaffneten zeigen, daß uns der Kriegsapparat nichts angeht.«

Anton hatte seine Pistolen in die Rocktasche gesteckt, wo sie wieder trotzig hervorsahen, er gab sie jetzt einem Schützen, den der Lieutnant von Rothsattel herbeiwinkte. So zogen sie über die Brücke. Am Ende der Grenzbrücke parirte der Lieutnant unwillig sein Pferd und brummte: »Diese Pfeffersäcke rücken eher ein als wir,« und der Rittmeister rief ihnen noch nach: »Sollten Ihre Personen in Gefahr kommen, so werde ich es für keine Ueberschreitung meiner Ordre halten, wenn ich Ihnen Lieutnant von Rothsattel mit Mannschaft zu Hülfe schicke.« Der Lieutnant stob zurück und commandirte den Zug, welcher in einiger Entfernung hielt, sehr kampflustig: »Still gesessen!« [S. 381] worauf er wieder bis an das Ende der Brücke vorsprengte und mit großem Interesse und kriegerischer Ungeduld den Civilisten nachsah. Zu seiner und des Kriegsheers Ehre muß an dieser Stelle bekannt werden, daß sowohl er, als sein Zug den Einrückenden warmen Empfang und ernste Unbequemlichkeiten herbeiwünschten, damit sie selbst das Recht erhielten, sich hineinzumengen und ein wenig einzuhauen.

Es war kein imponirender Einmarsch in das feindliche Gebiet, den die Kaufleute anführten; mit einer gewissen Gemüthlichkeit im ruhigen Schritt seine Cigarre anzündend ging der Prinzipal voran, ihm dicht zur Seite Anton, dahinter drei stämmige Fuhrleute mit den Pferden. So waren sie ungefähr auf dreißig Schritt einigen Bauern mit weißen Kitteln nahe gekommen, als diese ihre Gewehre anschlugen und durch einen polnischen Schrei Halt geboten. Der Prinzipal rief mit lauter Stimme in ihrer Sprache: »Ruft Euern Anführer.« Gehorsam schrie einer von den Wilden mit heftiger Handbewegung einem entfernten Haufen zu. Die Anderen behielten mit drohender Haltung ihre Gewehre im Anschlag und zielten, wie Anton ohne besonderes Wohlgefallen bemerkte, unter heimtückischem Augenblinzeln sämmtlich grade auf ihn. Unterdeß kam mit langen Schritten der Anführer der Bande heran. Er trug einen blauen Rock mit bunten Schnüren, eine viereckige rothe Mütze mit grauem Pelz besetzt und hielt eine lange Entenflinte in der Hand. Er war im Ganzen betrachtet ein brauner Kerl von gefährlichem Aussehen, verziert mit einem langen schwarzen Schnurrbart, der ihm auf beiden Seiten am Mund herunter hing. Als der Mann herangekommen war, redete ihn der Kaufmann in unvollkommenem Polnisch mit kräftiger Stimme an: »Wir sind Freunde! ich bin der Herr des Wagens dort und will mir ihn herüber holen; sagt Euern Leuten, daß sie mir dabei helfen, Ihr sollt ein gutes Biergeld haben.« Bei dem Wort »Biergeld« senkten sich die Gewehre hochachtungsvoll von selbst. Der Hauptkrakuse aber stellte sich pathetisch in die Mitte der Heerstraße und begann eine lange [S. 382] Rede mit Handbewegungen, von welcher Anton sehr wenig und sein Prinzipal nicht Alles verstand, die aber durch den Fuhrmann dahin erklärt wurde, der Mann bedaure, dem Herrn nicht dienen zu können, er habe Befehl von einem dahinter stehenden Corps, den Wagen zu bewachen, bis die Pferde ankämen, welche ihn nach ihrer Stadt schaffen sollten.

Der Kaufmann schüttelte gemüthlich den Kopf und antwortete im Tone des ruhigen Befehls: »Das geht nicht, der Wagen gehört mir, und ich muß ihn mitnehmen, ich kann nicht so lange warten, bis Euer Führer mir die Erlaubniß giebt.« Dabei griff er in die Tasche und hielt dem insurgirten Bewohner des blauen Rockes ungesehen von den Andern ein halbes Dutzend harte Thaler hin: »So viel für Euch und eben so viel für Eure Leute.« Der Anführer sah auf die Thaler, fuhr mit der Hand nach dem Kopfe, kraute sich heftig und drehte an seiner Mütze, worauf er endlich zu dem Resultat kam: wenn die Sache so sei, möge der gnädige Herr den Wagen nur fortnehmen.

Im Triumph zog die Caravane zu dem Wagen, die Fuhrleute ergriffen die Hebebäume und hoben mit vereinter Kraft die gesenkte Seite in die Höhe, lösten die Trümmer des alten Rades, setzten das neue an und spannten die Pferde vor, Alles unter thätiger Mitwirkung einiger Bauern, brüderlich unterstützt von dem Commandeur, welcher in eigener Person einen Hebebaum regierte. Darauf wurden die Pferde herzhaft angetrieben und der Wagen rollte der Brücke zu unter dem lauten hoi! hoi! des Krakusen, welcher dadurch vielleicht eine dissentirende Stimme in seinem Innern überschreien wollte.

»Gehen Sie mit dem Wagen voraus,« sagte der Kaufmann zu Anton, und da Anton zögerte, seinen Prinzipal allein unter den Bauern zurückzulassen, fügte dieser befehlend hinzu: »Ich will es haben.« So fuhr der Wagen langsam an die Grenze, und schon von Weitem hörte Anton das Lachen und die Grüße der Soldaten.

Unterdeß blieb der Kaufmann in eifrigem Gespräch mit [S. 383] dem Dolmetsch und dem Bandenführer zurück und schied endlich im besten Einvernehmen von dem Insurgenten, welcher mit slavischer Höflichkeit den Hauswirth auf der Landstraße machte und die Reisenden mit abgezogener Mütze bis in Schußweite von dem Militär begleitete. An der Brücke holte der Prinzipal den Wagen ein, machte das Halt! Werda! der Vedetten und das damit verbundene kriegerische Ceremoniell durch und empfing auf heimathlichem Boden den lachenden Glückwunsch des Rittmeisters, während der Lieutnant spöttisch zu Anton sagte: »Sie haben keinen Grund gehabt, die Abwesenheit Ihrer Schlüsselbüchsen zu bedauern.«

»Es ist besser so,« antwortete Anton, »es war ein glattes Geschäft. Die armen Teufel haben nichts gestohlen als ein kleines Faß Rum.«

Eine Stunde darauf saßen die Reisenden mit den Offizieren der Reiter und der Jäger zusammen in dem kleinen Verschlage der Schenke bei einigen Flaschen alten Ungarweins, welche der Wirth aus dem tiefsten Winkel seines Kellers heraufgeholt hatte. Nicht am wenigsten vergnügt war Anton. Er hatte zum ersten Mal in seinem Leben eine kleine anständige Kriegsgefahr durchgemacht und war im Ganzen mit sich zufrieden und jetzt saß er neben einem jungen Krieger, den er hochzuschätzen äußerst bereitwillig war, und hatte die Freude, diesem seine Cigarren anzubieten und von dem Abenteuer dieses Tages zu sprechen.

»Die Bauern haben ja im Anfange auf Sie angelegt,« sagte der junge Herr, nachlässig sein Bärtchen kräuselnd, »das war Ihnen wohl unbequem?«

»Nicht sehr,« erwiederte Anton so kühl als möglich; »einen Augenblick wurde ich stutzig, als die Flinten auf uns gerichtet waren, und hinter den Flinten andere Männer mit ihren Sensen die Pantomime des Kopfabschneidens machten. Es kam mir befremdlich vor, daß die Mündungen alle gerade auf mein Gesicht gerichtet waren. Nachher hatte ich am Wagen zu thun und dachte nicht mehr daran. Und als auf dem [S. 384] Rückwege jeder unserer Fuhrleute behauptete, daß gerade nur auf ihn gezielt worden sei und auf keinen Andern, da kam ich zu der Ansicht, daß diese Vielseitigkeit eine besondere Eigenschaft der Flintenläufe sein muß, eine Art von optischer Ungezogenheit, die nicht viel zu bedeuten hat.«

»Wir hätten Sie schon herausgehauen, wenn die Bauern Ernst gemacht hätten,« antwortete der Lieutnant wohlwollend. »Ihre Cigarren sind übrigens gut.«

Anton freute sich darüber und goß seinem Nachbar das Glas voll. So unterhielt er sich und blickte auf seinen Prinzipal, der heute besonders aufgelegt war, sich mit den bunten Herren über Krieg und Frieden zu unterhalten. Anton sah, daß der Kaufmann die Offiziere mit einer gewissen förmlichen Artigkeit behandelte, welche dem nachlässigen Ton, in welchem die Herren die Trinkgesellschaft begonnen hatten, wirksam steuerte. Bald wurde das Gespräch allgemein, und man hörte mit Aufmerksamkeit dem Kaufmanne zu, welcher von dem insurgirten Gebiet, mit dem er durch frühere Reisen bekannt war, erzählte und einzelne Führer des Aufstandes zu schildern wußte.

Nur der junge Herr von Rothsattel schien zu Antons großer Betrübniß nicht zufrieden mit der Aufmerksamkeit, welche seine Kameraden dem Civilisten gönnten, und mit dem Löwenantheil, den dieser an der Unterhaltung erlangt hatte; er warf sich nachlässig in seinen Stuhl zurück, sah wie zerstreut nach der Decke, spielte mit dem Säbelgriff und warf kurze Bemerkungen von den Lippen, welche eine ennuyirte Gemüthsstimmung andeuten sollten. Als der Rittmeister erwähnte, daß er am nächsten Morgen den Befehlshaber des Grenzcorps erwarte, und der Kaufmann darauf entgegnete: »Ihr Oberst wird vor morgen Abend nicht hier eintreffen, wenigstens hat er mir heut auf der Eisenbahn, wo ich mit ihm zusammentraf, so erzählt,« da kam in dem jungen Offizier der Teufel des Hochmuths zum Durchbruch und er sagte mit unartigem Ton: »Sie kennen unsern Obristen also persönlich? Er nimmt ja wohl seinen Zucker und Kaffe bei Ihnen?«

[S. 385]

»Wenigstens geschah das früher,« sagte der Kaufmann artig, »ich selbst habe als junger Mann einige Mal den Kaffe für ihn abgewogen.«

Unter den Offizieren entstand eine gewisse Verlegenheit und einer der ältern versuchte von seinem Standpunkt aus eine Verbesserung der beabsichtigten Grobheit, indem er etwas von einer höchst respectablen Handlung sprach, bei welcher jeder Militär oder Nicht-Militär seinen Bedarf nur mit Vergnügen entnehmen könnte.

»Ich danke Ihnen für das gute Zutrauen, welches Sie zu meinem Geschäft haben, Herr Capitain,« sagte der Kaufmann lächelnd; »ich bin allerdings stolz darauf, daß mein Geschäft respectabel geworden ist durch meine und meiner Angehörigen angestrengte Thätigkeit.«

»Lieutnant Rothsattel, Sie führen die nächste Patrouille, es ist Zeit, daß Sie aufbrechen,« erinnerte der Rittmeister. Klirrend erhob sich der Lieutnant.

»Hier bringt Herr Warschauer eine neue Flasche, auf welche er große Stücke hält, es ist der beste Wein seines Kellers. Darf Herr von Rothsattel nicht erst den Wein versuchen, bevor er unsere Nachtruhe bewacht?« frug der Kaufmann mit ruhiger Artigkeit zum Rittmeister gewandt. Der junge Herr dankte mit Trotz und ging rasselnd aus der Stube. Anton hätte seinen Liebling prügeln mögen, so zornig war er auf ihn. Der Rittmeister aber beseitigte das kleine Zwischenspiel durch ein lebhaftes Gespräch, welches er einleitete.

Es war spät geworden, und Anton sah mit Verwunderung, daß der Kaufmann fortfuhr, mit ausgesuchter Artigkeit den Wirth zu machen und an dem Prüfen des Ungarweins ein Behagen zu empfinden, welches mit dem Zwecke seiner Reise nicht recht verträglich war. Endlich, nachdem eine neue Flasche entkorkt war, und auch der Rittmeister eine neue Cigarre des Kaufmanns bewundert hatte, warf dieser leicht hin: »Ich wünsche morgen nach der insurgirten Hauptstadt zu reisen und erbitte mir Erlaubniß dazu, wenn diese nöthig ist.«

[S. 386]

»Sie wollen —« riefen die Offiziere rund um den Tisch.

»Ich muß,« sagte der Kaufmann mit Ernst und setzte ihnen kurz auseinander, weshalb er müsse.

Der Rittmeister schüttelte den Kopf: »Zwar läßt der Wortlaut meiner Ordre zweifelhaft, ob ich die Grenze für Jedermann zu verschließen habe, doch ist mir Absperrung des insurgirten Landes als der nächste Zweck unserer Aufstellung angegeben.«

»Dann würde ich meinen Wunsch dem Commandeur vortragen müssen, das würde mich länger als einen Tag aufhalten, und dieser Aufenthalt könnte den Zweck meiner Reise vereiteln. Wie Ihre Güte mir mittheilt, herrscht gegenwärtig unter den Insurgenten noch erträgliche Ordnung, es ist unmöglich, daß diese lange anhält. In den Rücksichten aber, welche ich dort finde, liegt für mich die einzige Möglichkeit, meine Waaren zu retten, denn die Frachtwagen kann ich nur mit Bewilligung der revolutionären Behörde aus der Stadt schaffen.«

»Und hoffen Sie diese zu erlangen?« frug der Rittmeister.

»Es muß versucht werden,« antwortete der Kaufmann. »Jedenfalls werde ich mich der Plünderung und Zerstörung meines Eigenthums dort nach Kräften widersetzen.«

Der Rittmeister überlegte. »Was Sie thun wollen, setzt mich in einige Verlegenheit; wenn Ihnen ein Unglück zustößt, wie ich fast fürchte, so könnte mir ein Vorwurf daraus gemacht werden, daß ich Ihnen gestattet habe, die Grenze zu passiren. Kann Sie denn nichts bewegen, diese Reise zu unterlassen?«

»Nichts,« erwiederte der Kaufmann, »nichts als das Gesetz.«

»Liegt Ihnen denn so viel an den Frachtwagen, daß Sie Ihr Leben dafür in die Schanze schlagen wollen?« frug der Rittmeister nicht ohne inneres Mißfallen.

»Ja, Herr Rittmeister, eben so viel, als Ihnen daran liegt, Ihre Pflicht zu thun; es hängt für mich mehr an dem Besitz dieser Frachtwagen, als ein geschäftlicher Vortheil. Ich [S. 387] muß hinüber, wenn mich nicht ein unbedingtes und unwiderrufliches Verbot der Staatsregierung daran hindert. Diesem würde ich mich zuletzt nicht entziehen, ich werde aber Alles versuchen, für mich eine Ausnahme zu erwirken.«

»Wohlan,« sagte der Rittmeister aufstehend, »ich will Ihrer Reise kein Hinderniß in den Weg legen. Sie werden mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie drüben unter keiner Bedingung etwas über die Stärke dieses Grenzpostens, die Aufstellung unserer Truppen und über das mittheilen, was Sie etwa von unsern projectirten Maßregeln gehört haben.«

»Ich gebe mein Wort,« sagte der Kaufmann.

»Ihre Persönlichkeit bürgt mir zwar dafür, daß Ihre Angaben über den Zweck der Reise die richtigen sind, zu meiner dienstlichen Information wünsche ich aber die betreffenden Papiere zu sehen, wenn Sie solche bei sich haben.«

»Hier sind sie,« sprach der Kaufmann eben so geschäftsmäßig. »Hier mein Paß in's Ausland auf ein Jahr, hier der Verladeschein des polnischen Verkäufers, die Copien meiner Briefe an das Grenzzollamt und den hiesigen Spediteur, und hier die Antworten derselben. Die Beamten des Grenzzollamts und der Spediteur können außerdem die Wahrheit dieser Angaben bezeugen.«

Der Rittmeister durchflog die Papiere und gab sie zurück. »Sie sind ein muthiger Mann, und ich wünsche Ihnen alles Glück,« sagte er mit amtlicher Würde. »Und wie wollen Sie reisen?«

»Mit Postpferden. Im Falle man mir die Pferde verweigert, werde ich sie kaufen und selbst fahren; einen Wagen wird mir unser Wirth überlassen, ich werde morgen bei Tage reisen, weil ich bei Nacht noch mehr Verdacht erwecken würde.«

»Wohlan, morgen mit Tagesanbruch sehe ich Sie wieder. Wie ich annehme, rücken wir selbst spätestens in drei Tagen in Feindes Land; falls ich bis dahin keine Nachricht von Ihnen habe, werde ich Sie in der eroberten Stadt aufsuchen. Wir [S. 388] brechen auf, meine Herren, die Sitzung hat bereits zu lange gedauert.«

So zogen die Herren vom Militär mit geschäftlichem Klirren ab, und Anton und sein Prinzipal blieben mit den leeren Weinflaschen allein in der Kammer. Der Kaufmann öffnete das Fenster und wandte sich dann zu Anton, welcher den letzten Verhandlungen in großer Aufregung zugehört hatte. »Wir werden uns hier trennen, lieber Wohlfart,« fing er an.

Bevor er aussprechen konnte, ergriff Anton seine Hand und sagte mit Thränen in den Augen: »Erlauben Sie mir mit Ihnen zu gehen, schicken Sie mich nicht in das Geschäft zurück. Es würde mir mein ganzes Leben hindurch ein unerträglicher Vorwurf sein, wenn ich auf dieser Reise von Ihnen gegangen wäre.«

»Es ist unnütz, vielleicht unklug, wenn Sie mitreisen. Was dort zu thun ist, kann ich sehr gut allein abmachen; wenn irgend eine Gefahr ist, was ich nicht glaube, so kann Ihre Gegenwart mich nicht davor schützen, ich würde nur das peinliche Gefühl haben, daß ich einen Andern um meinetwillen in Verlegenheit gebracht habe.«

»Ich würde Ihnen doch sehr dankbar sein, wenn Sie mich mitnehmen wollten,« bat Anton flehentlich, immer noch die Hand des Prinzipals haltend. »Auch Fräulein Sabine hat es gewünscht,« fügte er hinzu, indem er in weiser Steigerung den stärksten Ueberredungsgrund zuletzt aus seinem bewegten Gemüth heraufholte.

»Sie ist ein furchtsames Mädchen,« sagte der Kaufmann lächelnd. »Indeß, da Sie so freundschaftlich darauf bestehen, mag es sein. Wir reisen zusammen; rufen Sie den Wirth und lassen Sie uns die Reisegelegenheit besprechen.«


[S. 389]

II.

Es war noch dämmrige Nacht, als Anton vor die Thür der Schenke trat. Ein dichter Nebel hing über der Ebene und bewegte sich unruhig in dem Zwielicht des nahen Tages; unten am Horizont bezeichnete ein rother Feuerschein die Gegend, nach welcher die Reisenden fahren sollten. Mit grauem Schleier verhüllten die Dämpfe der Nacht einen dunklen Haufen an der Erde. Anton trat näher und erkannte eine Anzahl Männer, Weiber und Kinder, sie kauerten am Boden, bleiche, ausgehungerte, tiefgefurchte Gesichter. »Sie sind aus dem Grenzdorf von jenseits,« erklärte ihm ein alter Wachtmeister, welcher in seinem Reitermantel daneben stand. »Ihre Dörfer brennen, sie waren in die Wälder gelaufen, heut Nacht kamen sie an das Wasser, streckten die Hände aus und schrieen jämmerlich nach Brod. Weil es meist Weiber und Kinder sind, hat der Herr Rittmeister ihnen erlaubt, herüber zukommen, und hat ihnen einige Brode zerschneiden lassen. Sie haben einen Mordheißhunger. Nach ihnen kamen größere Banden, alle schrieen: Brod! Brod! und rangen die Hände. Wir haben ihnen einige Pistolenschüsse über die Köpfe gefeuert und sie weggefegt.«

»Ei!« sagte Anton, »das ist keine tröstliche Aussicht für unsere Reise. Was soll hier aus den armen Leuten werden?«

»Es sind Grenzteufel,« sagte der Wachtmeister begütigend, »die Hälfte des Jahres schmuggeln und saufen sie, und die andere Hälfte hungern sie. Diese hier frieren jetzt etwas.«

»Kann man ihnen nicht einen Kessel mit Suppe kochen?« frug Anton mitleidig und griff nach seiner Tasche.

»Wozu Suppe?« sagte der Wachtmeister kaltblütig, »ein Schluck Branntwein wäre der ganzen Gesellschaft lieber; dort trinkt Alles Branntwein, auch was noch Säugling ist; wenn Sie etwas dran wenden wollen, ich will's ihnen austheilen und einen ehrlichen Soldaten nicht vergessen.«

»Ich werde beim Wirth bestellen, daß die Hausmagd [S. 390] etwas Warmes kocht, und Sie, Herr Wachtmeister, haben die Güte, zuzusehen, daß Alles in Ordnung zugeht.« Dabei griff er in die Tasche, und der Wachtmeister versprach bereitwillig, sein kriegerisches Herz dem Mitleid offen zu erhalten.

Eine Stunde darauf rollten die Reisenden in offener Britschka durch die Vorposten, der Kaufmann fuhr, Anton saß hinter ihm und blickte spähend in die Landschaft hinein, in welcher sich aus Finsterniß und Nebel bereits einzelne Gegenstände erkennen ließen. Ungefähr zweihundert Schritt waren sie gefahren, da tönte hinter einem dicken Weidenbaum an der Landstraße ein polnischer Zuruf. Der Kaufmann hielt die Pferde an, ein Einzelner näherte sich vorsichtig dem Wagen. »Kommt herauf, guter Freund,« rief der Kaufmann dem Fremden zu, »setzt euch neben mich.« Höflich nahm der Fremde seine Mütze ab und schwang sich auf den Vordersitz des Wagens. Es war der oberste Krakuse von gestern mit seinem hängenden Schnauzbart. »Haben Sie ein Auge auf ihn,« sagte der Kaufmann in englischer Sprache zu Anton, »er soll uns als Sauvegarde dienen und wird dafür bezahlt; wenn er mir auf den Leib rückt, so fassen Sie ihn von hinten.«

Anton holte die verachteten Pistolen aus einer alten Ledertasche an der Seite des Wagens und steckte sie vor den Augen des Krakusen recht sichtbar in die Taschen seines Paletots. Der Führer im Leinwandrock aber lachte vertraulich und erwies sich bald als ein Geschöpf von freundschaftlicher und geselliger Natur, er nickte verbindlich beiden Reisenden zu, trank Schlucke aus Antons Reiseflasche und machte Versuche, über seine linke Schulter mit diesem eine Unterhaltung anzuknüpfen, indem er ihn in gebrochenem Deutsch Euer Gnaden nannte und ihm offenbarte, er rauche auch Tabak, habe aber keinen. Zuletzt bat er um die Ehre, die Herren fahren zu dürfen.

So waren sie an einer Gruppe zerfallener Häuser vorbeigekommen, welche an einem Sumpf auf kahler Fläche standen, wie riesige Pilze, die an einer vergifteten Stelle in die Höhe geschossen sind; da sahen sie sich plötzlich von einem Haufen [S. 391] Insurgenten umringt. Es war Landsturm, wie sie ihn schon am Tage vorher gesehen hatten, einige Dreschflegel, einige gerade Sensen, alte Musketen, Leinwandkittel, viel Schnapsgeruch und glotzende Augen. Der Haufe fiel den Pferden in die Zügel und schickte sich mit Blitzesschnelle an, dieselben abzuspannen. Da erhob sich der Krakuse von seinem Sitz wie ein Löwe und entwickelte in seinem Polnisch eine ungeheure Beredsamkeit, wobei er mit Händen und Füßen nach allen Seiten hin gesticulirte. Er erklärte, daß diese Herren große Herren der Niemcy seien, welche nach der Hauptstadt reisten, weil sie mit der Regierung sprechen müßten; es werde Jedem den Kopf kosten, der auch nur ein Haar aus dem Schwanze ihrer Pferde ausrisse. Auf diese Rede erfolgten ebenso lebhafte Gegenreden, bei denen ein Theil die Fäuste ballte, ein Theil die Mützen abnahm. Darauf hielt der Führer eine noch stärkere Rede und stellte allen Patrioten ein Zerschnittenwerden in vier Theile in Aussicht, wenn sie wagen würden, auch nur ihre Pferdeköpfe scheel anzusehen. Darauf wurde die Zahl der geballten Fäuste geringer und die Zahl der gezogenen Mützen größer. Endlich machte der Kaufmann dieser Scene ein Ende, indem er die Pferde mit einem kräftigen Peitschenschlag antrieb und den letzten widerspenstigen Patrioten zu einem schnellen Seitensprung veranlaßte. Im Galopp stoben die Pferde vorwärts, einige lebhafte Interjectionen klangen hinter ihnen her, und eine Kugel pfiff unschädlich über die Häupter der Reisenden, wahrscheinlich mehr aus allgemeiner Vaterlandsliebe, als zu einem bestimmten Zweck abgeschossen.

So ging es einige Stunden fort. Nicht selten überholten sie Haufen bewaffneter Landleute, welche entweder schrieen und ihre Knittel schwangen, oder einem Geistlichen mit der Kirchenfahne nachzogen, die Köpfe gesenkt, geistliche Lieder singend. Die Reisenden wurden einige Mal aufgehalten und bedroht, zuweilen auch mit großer Ehrerbietung begrüßt, zumal Anton, der auf seinem Hintersitz für die Hauptperson galt.

Endlich näherten sie sich einem größern Dorf, die Haufen [S. 392] wurden dicker, das Geschrei lauter, unter den Bauernkitteln waren hier und da eine Uniform, Federbüsche und Bajonnette sichtbar. Hier zeigte der Führer Symptome von Unruhe und erklärte dem Kaufmann, weiter könne er sie nicht führen, hier müßten sie sich bei dem Befehlshaber melden. Der Prinzipal zeigte sich damit zufrieden, zahlte dem Führer seinen Lohn aus und ließ den Wagen bei dem ersten Haufen, welcher die Straße besetzt hielt, halten. Ein junger Mann in blauer Pikesche, mit einer roth und weißen Schärpe um den Leib, eilte heran, nöthigte die Reisenden, abzusteigen, und führte sie mit leidenschaftlichem Diensteifer der Hauptwache zu. Der Kaufmann behielt die Zügel der Pferde in der Hand und raunte Anton zu, er sollte den Wagen unter keinen Umständen aus den Augen lassen. Anton heuchelte Unbefangenheit und drückte dem getreuen Krakusen, der hinter dem Wagen herschlich, etwas in die Hand, damit dieser den Pferden einige Bündel Heu verschaffe.

Das Wachlocal war in einem Hause, dessen Strohdach durch den weißen Anstrich der Wände einen vornehmen Schimmer erhielt. Dort standen einige Jagdflinten und Musketen an Holzpfähle gelehnt, bewacht von einem jugendlichen Volontair in blauem Rock und rother Mütze. Daneben saß der commandirende Offizier, ein plattes Gesicht unter einem mächtigen, weißen Federbusch; er war mit einer ungeheuern seidenen Schärpe und einem Säbel mit schöngewundenem Korbgriff geschmückt. Dieser Herr gerieth in nicht gewöhnliche Aufregung, als er die Fremden erblickte, er drückte seinen Hut fest, strich sich grimmig den unordentlichen Bart und begann ein Verhör. Nach früherer Verabredung sagten ihm beide Reisende, daß sie das Obercommando in wichtiger Angelegenheit zu sprechen hätten. Ueber den Zweck ihrer Reise verweigerten sie jede Auskunft. Diese Erklärung kränkte die Würde des Befehlshabers. Er machte lieblose Anspielungen auf verdächtige Menschen und Spione und schrie seiner Wache zu, in's Gewehr zu treten. Fünf junge Männer in blauen [S. 393] Pikeschen stürzten aus dem Hause, stellten sich in Linie auf und wurden mit einem Aufwand von Commandowörtern befehligt, ihre Gewehre bereit zu halten. Anton sprang unwillkürlich zwischen die Blauröcke und seinen Prinzipal. Indeß änderte der Herr mit dem großen Säbel seinen mörderischen Entschluß, als der Kaufmann mit Gemüthsruhe an dem Pfosten stehen blieb, um den er die Zügel geschlungen hatte. Der Befehlshaber begnügte sich, ihm nochmals zu versichern, er halte ihn für höchst gefährlich und sei sehr geneigt, ihn als Verräther zu füsiliren.

Der Kaufmann zuckte mit den Achseln und sagte in ruhiger Höflichkeit: »Sie sind durchaus im Irrthum über den Zweck unserer Reise. Sie können uns nicht im Ernst für Spione halten, denn wir haben uns durch einen Ihrer Landsleute gerade zu Ihnen führen lassen, um durch Ihre Güte ein Geleit nach der Hauptstadt zu bekommen. Ich bitte Sie nochmals, uns nicht aufzuhalten, da unsere Geschäfte bei der Commandantur dringend sind, und ich Sie für jede unnütze Verzögerung unserer Reise verantwortlich machen müßte.« Der Commandeur fing nach dieser Rede von Neuem an zu wettern, er schnaubte heftig gegen den Kaufmann und Anton, trank endlich ein großes Glas Branntwein und faßte einen Entschluß. Er rief drei seiner Leute und befahl ihnen, sich mit den Reisenden aufzusetzen und dieselben nach der Hauptstadt zu transportiren. Ein neues Strohbund wurde in den Wagen geworfen, zwei confiscirte Burschen nahmen mit ihren Gewehren Platz hinter den Reisenden, vor ihnen setzte sich ein weißröckiger Bauer auf den Kutschersitz, ergriff die Zügel und fuhr gleichgültig seine Ladung, Verdächtige, Patrioten und Alles, im Galopp nach der Hauptstadt.

»Unsere Lage hat sich verschlechtert,« sagte Anton, »fünf Mann auf dem kleinen Wagen, und die armen Pferde sind ermüdet.«

»Ich sagte Ihnen, daß unsere Reise einige Unbequemlichkeiten haben würde,« antwortete der Kaufmann. »Die Menschen sind nie lästiger als wenn sie Soldaten spielen. Uebrigens [S. 394] ist diese Bewachung kein Unglück, wir werden wenigstens bei solcher Empfehlung in die Stadt gelassen werden.«

Es war Abend, als sie in der Nähe der Stadt ankamen. Ein röthlicher Schein am Himmel bezeichnete schon aus der Ferne das Ziel ihrer Fahrt, dann zahlreiche bewaffnete Banden, welche in die Stadt hinein oder von ihr her zogen. Darauf folgten ein langer Aufenthalt an dem Thore, ein Durcheinander von Fragen und Antworten, Beleuchtung der Reisenden durch Laternen und brennende Kienspäne, feindselige Blicke und unverständliche Drohungen, endlich eine lange Fahrt durch die Straßen der alten Hauptstadt. Um sie herum bald Todtenstille, bald ein wildes Geschrei zusammengelaufener Menschen, doppelt unheimlich, wenn die Worte den Hörenden unverständlich waren.

Zuletzt lenkte der Kutscher auf einen Marktplatz und hielt vor einem stattlichen Hause. Die Reisenden wurden durch ein Gedränge bunter Uniformen, beschnürter Röcke und heller Kittel gezogen und eine breite Treppe hinaufgedrängt. Dort stieß man sie in ein großes Zimmer und stellte sie einem Herrn mit weißen Glacéhandschuhen gegenüber, welcher in einen schriftlichen Rapport sah und ihnen kurz ankündigte, daß sie nach dem Bericht des Stations-Commandanten der Spionage verdächtig wären und vor einem Kriegsgericht verhört werden sollten. Der Kaufmann antwortete sogleich mit kräftigem Unwillen: »Dann bedaure ich, daß Ihr Untergebener eine große Unwahrheit gemeldet hat, denn wir haben die Reise bei hellem Tage auf der großen Landstraße bis hierher gemacht, in der bestimmten Absicht, Ihren Commandirenden zu sprechen; mein sind die Pferde und mein der Wagen, welche mich vor dieses Haus gebracht haben, und es war eine überflüssige Höflichkeit Ihres Stations-Commandanten, daß er mir solche Begleitung mitgegeben hat. Ich wünsche den Herrn, welcher hier befehligt, so bald als möglich zu sehen, nur ihm werde ich den Zweck meiner Reise mittheilen; haben Sie die Güte, ihm meinen Paß einzuhändigen.«

[S. 395]

Der Herr sah in den Paß und frug mit mehr Rücksicht auf Anton blickend: »Aber dieser Herr? er hat das Aussehen eines Offiziers Ihrer Armee.«

»Ich bin ein Commis des Herrn Schröter,« erwiederte Anton mit einer Verbeugung, »und durch und durch civil.«

»Warten Sie,« sprach der junge Mann von oben herab und ging mit dem Paß in ein Nebenzimmer.

Da er einige Zeit ausblieb und Niemand die Reisenden hinderte, setzten sie sich auf eine Bank und nahmen die sicherste Miene an, welche ihnen möglich war. Anton warf einen besorgten Blick auf seinen Prinzipal, welcher finster vor sich niedersah, und betrachtete dann verwundert seine Umgebung. Es war ein hohes Zimmer, die Decke mit Stuck und Malerei verziert, die Wände verräuchert und beschmutzt, Tische, Stühle und Bänke standen unordentlich umher, sie schienen aus einem Schenkhause herzugeschleppt; an den Tischen beugten sich einige Schreiber über ihre Papiere, und an den Wänden saßen und lagen Bewaffnete, sie schliefen oder sprachen laut mit einander, zum Theil in französischer Sprache. Das heruntergekommene Zimmer in der trüben Beleuchtung machte auf Anton keinen ermuthigenden Eindruck, und leise sagte er zu dem Kaufmann: »Wenn Revolution so aussieht, sieht sie häßlich genug aus.«

»Sie verwüstet immer und schafft selten Neues. Ich fürchte, die ganze Stadt gleicht dieser Stube. Die gemalten Wappen an der Decke, und die schmutzige Bank, auf der wir sitzen, wenn solche Gegensätze zusammenkommen, dann darf ein ehrlicher Mann sein Kreuz schlagen. Der Adel und der Pöbel sind jeder einzeln schlimm genug, wenn sie für sich Politik treiben; so oft sie sich aber mit einander vereinigen, ruiniren sie sicher das Haus, in dem sie zusammenkommen.«

»Die Vornehmen sind uns unbequemer,« sagte Anton, »ich lobe mir unsern Krakusen, der war ein höflicher Insurgent und er hatte ein Herz für ein Achtgroschenstück, die Herren hier aber verfahren durchaus nicht geschäftsmäßig.«

»Warten wir ab,« sprach der Prinzipal.

[S. 396]

Eine Viertelstunde war vergangen, da trat ein junger Mann von schlankem Wuchs und stattlichem Aussehen, gefolgt von dem Herrn mit den weißen Händen, aus dem Nebenzimmer, schritt artig auf den Kaufmann zu und sagte mit lauter Stimme, so daß auch die Schläfer auf den Bänken ihn hören mußten: »Ich freue mich, Sie hier zu sehen, ich habe so etwas erwartet; haben Sie die Güte, mir mit Ihrem Begleiter zu folgen.«

»Wetter! unsere Actien steigen,« dachte Anton. Sie folgten dem majestätischen Redner in ein kleines Eckzimmer, welches gewissermaßen das Boudoir des Hauptquartiers war; denn es stand eine Ottomane darin, weich gepolsterte Sessel, und ein zierlicher Schreibtisch von seltenem Holz. Verschiedene Anzüge und Uniformen hingen unordentlich über den Möbeln, und auf dem Tisch lag neben Papieren ein niedliches, kostbar ausgelegtes Taschenterzerol mit zwei Läufen und ein großes Petschaft von buntem Stein in Gold eingefaßt.

Während Anton die Beobachtung machte, daß es in dem Raum sehr elegant, aber auch sehr unordentlich aussah, sagte der junge Chef mit etwas mehr Haltung und etwas weniger Zärtlichkeit zu dem Kaufmann: »Sie sind durch ein Mißverständniß rauher Behandlung ausgesetzt worden, wie sie in unruhiger Zeit nicht immer zu vermeiden ist; Ihre Begleiter haben Ihre Angaben bestätigt. Ich ersuche Sie, mir mitzutheilen, was Sie zu uns führt.« Der Kaufmann berichtete kurz, aber genau den Zweck seiner Reise, nannte die Namen seiner Geschäftsfreunde am Ort und berief sich auf sie zur Bestätigung seiner Aussage.

»Ich kenne den einen oder andern dieser Herren,« antwortete der Commandant nachlässig. Er fixirte den Kaufmann scharf und frug nach einer Pause: »Haben Sie mir nichts weiter mitzutheilen?«

Der Prinzipal verneinte, aber der Andere fuhr schnell fort: »Ich begreife wohl, daß unsere ungewöhnliche Lage Ihrer Regierung verbietet, direct mit uns in Verbindung zu treten, [S. 397] und daß Sie, falls Sie irgend einen Auftrag an uns haben, die höchste Vorsicht beobachten müssen.«

Lebhaft fiel ihm der Kaufmann in's Wort: »Bevor Sie weiter sprechen, versichere ich nochmals, als Mann von Ehre, daß ich nur in meinen Angelegenheiten herkomme, und daß diese Angelegenheiten nur die angegebenen sind. Da ich aber aus Ihren Worten und aus Manchem, was ich auf dem Wege gehört habe, schließe, daß Sie mich für einen Bevollmächtigten, gleichviel von wem, halten, so fühle ich mich gezwungen, Ihnen zu sagen, daß ich in keinerlei Auftrag hierher hätte reisen können, weil ein Auftrag, wie Sie zu erwarten scheinen, unmöglich ist.«

Der vornehme Häuptling sah sehr ernst vor sich nieder und sagte nach einem Augenblick finstern Schweigens: »Gleichviel, Sie sollen darunter nicht leiden. — Der Wunsch, welchen Sie hier ausgedrückt haben, ist so ungewöhnlich, daß er bei einer regulären Obrigkeit durchaus nicht erfüllt werden könnte; wenn uns nicht vergönnt ist, Sie für einen Freund zu halten, so gebietet uns die Pflicht der Nothwehr, Sie und Ihr Eigenthum als feindlich zu behandeln. Aber die Männer meines Volkes haben, so oft sie zu den Waffen griffen, die verhängnißvolle Tugend gehabt, auch Andern einen großen Sinn zuzutrauen und um ihrer selbst willen auch da edel zu handeln, wo sie auf keinen Dank zu rechnen hatten. Seien Sie überzeugt, daß ich, so viel an mir liegt, dazu beitragen werde, Ihr Eigenthum frei zu machen.«

So sprach der Edelmann mit Selbstgefühl und in prächtiger Haltung, und Anton fühlte lebhaft, daß etwas wahrhaft Edles aus den Worten hervorleuchtete, aber er war schon zu sehr Geschäftsmann, um sich solchem Eindruck ganz hinzugeben und ein recht gemeines Bedenken fiel als Reif auf die aufkeimende Bewunderung. »Er verspricht uns Hülfe und hat sich noch nicht einmal überzeugt, ob das in der That unser Eigenthum ist, was wir aus seiner Stadt herausziehen wollen.«

[S. 398]

»Leider bin ich nicht so souverain,« fuhr der Anführer fort, »daß ich Ihnen ohne Weiteres Ihr Verlangen erfüllen kann. Indeß hoffe ich, Ihnen auf morgen einen Freipaß für Ihre Wagen durchzusetzen. Vor Allem suchen Sie selbst zu ermitteln, wo Ihr Eigenthum sich befindet; ich werde Ihnen einen meiner Offiziere zum Schutz mitgeben. Morgen früh das Weitere.«

Mit diesen Worten wurden die Reisenden huldreich entlassen, und Anton sah beim Herausgehen, wie der Befehlshaber sich ermüdet in einen weichen Sammtstuhl setzte und mit gesenktem Haupte an dem Griff eines schönen Terzerols spielte.

Ein kleiner Herr mit einer großen Schärpe, fast noch ein Kind, aber von zuversichtlichem Wesen, begleitete die Reisenden aus dem Hause. Im Herausgehen wurden sie von mehreren Anwesenden artig gegrüßt, und Anton sah, daß das Vorzimmer sie noch immer für diplomatische Charaktere hielt. Der Offizier frug, wohin er die Herren begleiten solle, sein Auftrag sei, sie nicht zu verlassen.

»Zu unserm Schutz, oder zu unserer Bewachung?« frug Anton heiter, denn er hatte jetzt guten Muth.

»Sie werden mir keine Veranlassung geben, mich als Ihren Aufseher zu betrachten,« antwortete der kleine Krieger in elegantem Französisch.

»Nein,« sagte der Kaufmann, mit Theilnahme auf den Jüngling blickend, »aber wir werden Sie ermüden, denn wir haben noch heut sehr uninteressante und gewöhnliche Geschäfte abzumachen.«

»Ich thue nur meine Pflicht,« antwortete mit stolzer Haltung der Führer, »wenn ich Sie begleite, wohin Sie irgend wünschen.«

»Und wir die unsere, wenn wir eilen,« sagte der Kaufmann.

[S. 399]


So schritten die Reisenden durch die Straßen der Stadt. Die Nacht war eingebrochen, aber unter ihrem Mantel wurde das wüste Treiben noch peinlicher. Haufen des niedrigsten Pöbels, Patrouillen des Heeres, Schaaren von flüchtigen Landbewohnern drängten sich schreiend, fluchend, singend durcheinander; viele Fenster waren erleuchtet, und der Lichterglanz verbreitete über den Straßen ein schattenloses, gespenstiges Licht. Ueber die Häuser wälzten sich dicht geballte, röthliche Wolken, es brannte in einer Vorstadt, und der Wind trieb Schwärme goldener Funken und lohender Holzsplitter über die Häupter der Reisenden. Dazu heulten die Glocken der Thürme mit schauerlicher Stimme eintönigen Klagegesang. Die Reisenden eilten schweigend durch das Gedränge, die trotzigen Worte ihres Begleiters öffneten ihnen einen Weg auch durch drohende Haufen. So kamen sie zu dem Hause, in welchem der Agent der Handlung wohnte. Das Haus war verschlossen, und lange mußten sie pochen, bis ein Fenster geöffnet wurde und eine ängstliche Stimme in den Straßenlärm hinunter rief, wer da sei?

Als sie eintraten, lief ihnen der Agent händeringend entgegen und fiel dem Kaufmann weinend um den Hals. Die Gegenwart des jungen Insurgenten verhinderte ihn, seinen Gefühlen Worte zu geben; er öffnete den Ankommenden seine Zimmer und bat mit kläglicher Stimme um Entschuldigung wegen der übergroßen Unordnung. Koffer und Kisten waren gepackt, Frauen und Dienstboten liefen ängstlich ab und zu, versteckten hier silberne Leuchter und packten dort wieder silberne Löffel aus. Unterdeß rang der Hausherr unaufhörlich die Hände, ging in der Stube auf und ab, beklagte sein Unglück und das Unglück der Handlung, segnete und bedauerte die Ankunft des Chefs in einem Athemzuge und versicherte dazwischen dem jungen Krieger mit gepreßter Stimme, daß auch er ein Patriot sei, und daß nur ein unbegreifliches Versehen des Dienstmädchens die Cocarde von seiner Hausmütze abgetrennt habe. Es war ersichtlich, daß der Mann und seine ganze Familie den Kopf verloren hatten. Mit Mühe und nur durch [S. 400] ernste Worte brachte ihn der Kaufmann so weit, daß er ihm in einer Fensterecke über den Stand der Geschäfte Auskunft gab. Die Frachtwagen waren in der Stadt angekommen, gerade an dem Tage, an welchem der Tumult anfing. Durch die Vorsicht eines Fuhrmanns waren sie in dem großen Hofraum einer entlegenen Herberge untergebracht worden; was seit der Zeit aus dem Transport geworden war, wußte der Agent nicht.

Nach kurzer Unterredung sagte der Kaufmann: »Ihre Gastfreundschaft nehmen wir heut Nacht nicht in Anspruch, wir werden dort schlafen, wo unsere Wagen sind.« Alle Einwendungen des Agenten wurden mit Entschiedenheit zurückgewiesen. Der ehrliche, aber schwache Mann schien wahrhaft bekümmert über die neuen Gefahren, denen sich sein Geschäftsfreund aussetzen wollte.

»In der Frühe hole ich Sie ab,« sagte der Kaufmann beim Scheiden; »ich beabsichtige morgen mit meinen Wagen abzureisen, vorher werde ich bei unsern Kunden einige Besuche machen, die, wie Sie wissen, nothwendig sind, dabei wünsche ich Ihre Begleitung.« Der Agent versprach, bei Tageslicht alles Mögliche zu thun.

So traten die Reisenden wieder in die Nacht hinaus, geleitet von dem Polen, welcher mit Verachtung die halblaute Verhandlung angehört hatte. Auf der Straße sagte der Prinzipal, seine Cigarre unwillig wegwerfend, zu Anton:

»Unser Freund wird uns wenig nützen, er ist hülflos wie ein Kind. Er hat versäumt, im Anfange dieser wilden Tage seine Pflicht zu thun, Gelder einzuziehen und Deckung für unsere Forderungen zu suchen.«

»Und jetzt wird Niemand den Willen haben,« sagte Anton bekümmert, »uns weder Zahlung zu leisten, noch Deckung zu geben.«

»Und doch müssen wir das morgen durchsetzen, und Sie sollen mir dabei helfen. Bei Gott, solche kriegerische Krämpfe sind für den Verkehr ohnedies unbequem genug, sie lähmen [S. 401] jede nützliche Thätigkeit des Menschen, und doch ist's diese allein, welche ihn davor bewahrt, ein Thier zu werden. Wenn aber ein Geschäftsmann sich noch mehr stören läßt, als nöthig ist, so begeht er ein Unrecht gegen die Civilisation, ein Unrecht, das gar nicht wieder gut zu machen ist.«

So kamen sie in einen Stadttheil, in welchem leere Straßen und die Todtenstille um sie herum noch unheimlicher gegen den fernen Lärm und die Röthe am Himmel abstachen. Endlich machten sie Halt vor einem niedrigen Gebäude mit großem Thorwege. Sie traten ein und sahen in die Wirthsstube, einen schmutzigen Raum mit geschwärzten Deckbalken, in welchem sich auf Holzbänken und Tischen schreiende und Branntwein trinkende Patrioten drängten. Der junge Offizier trat auf die Schwelle und rief nach dem Wirth. Eine dicke Figur mit rothglühendem Gesicht tauchte aus dem Dampf eines Schenktisches hervor. »Im Namen der Regierung Zimmer für mich und meine Begleiter,« forderte der Andere. Widerwillig ergriff der Wirth ein verrostetes Schlüsselbund und ein Talglicht und führte die Fremden in den Oberstock, dort öffnete er ein dumpfiges Zimmer und erklärte mürrisch, er habe keine andere Gaststube.

»Schafft uns ein Abendbrod und eine Flasche von Eurem besten Wein,« sagte der Kaufmann, »wir bezahlen Euch gut und auf der Stelle.«

Solche Andeutung verbesserte die Stimmung des dicken Gastwirths sichtlich, er kam sogar auf den unglücklichen Einfall, höflich auszusehen. Jetzt frug der Kaufmann nach den Fuhrleuten und nach den Wagen. Diese Fragen kamen dem Wirthe quer. Zuerst versuchte er gar nichts zu wissen und behauptete, es seien viele Wagen in seinem Hofe aufgefahren, und es seien wohl auch Fuhrleute da, er kenne sie nicht.

Vergebens bemühte sich der Kaufmann, ihm den Zweck seiner Herkunft verständlich zu machen, der Wirth blieb verstockt und verfiel wieder in mürrische Grobheit, bis der junge Pole dazwischen trat und dem Kaufmann bemerkte, mit solchen Leuten müsse man anders reden. Er stellte sich vor den Wirth, [S. 402] bezeichnete ihn mit mehreren Hundenamen und versprach, ihn auf der Stelle arretiren und abführen zu lassen, wenn er nicht die genaueste Auskunft gebe.

Der Wirth sah scheu auf den Offizier und erbot sich endlich, fortzugehen und einen der Fuhrleute heraufzuschicken.

Kurz darauf polterte eine lange Gestalt mit braunem Filzhut die Treppe herauf, stutzte beim Anblick des Kaufmanns und erklärte endlich mit erzwungener Freundlichkeit, er sei da.

»Wo stehn die Wagen, wo sind die Frachtbriefe?«

Die Wagen waren im Hofe der Herberge aufgefahren, die Frachtbriefe kamen zögernd aus der schmutzigen Ledertasche des Fuhrmanns.

»Ihr steht mir dafür, daß Eure Ladung vollständig und unversehrt ist?« frug der Kaufmann.

Mißvergnügt antwortete der Filzhut, er könne dafür nicht stehen. Die Pferde des Transports seien ausgespannt und in einem versteckten Stall verborgen, damit sie nicht von der Regierung mit Beschlag belegt würden; was von den Wagen heruntergekommen sei, könne er nicht wissen und nicht vertreten, jede Verantwortlichkeit höre bei solcher Unordnung auf.

»Wir sind in einer Diebeshöhle,« sagte der Kaufmann zu seinem Begleiter; »ich bitte um Ihre Hülfe, die Leute zur Ordnung zu bringen.«

Andere Leute zur Ordnung zu bringen, war gerade, was der junge Pole für seine Stärke hielt, denn er nahm lächelnd eine Pistole in die Hand und sagte verbindlich zu Anton: »Thun Sie wie ich und haben Sie die Güte, mir zu folgen.« Darauf faßte er den Fuhrmann beim Kragen wie einen erschossenen Hasen und schleppte ihn die Treppe hinunter in den Hausflur. — »Wo ist der Wirth?« rief er mit möglichst furchtbarer Stimme. »Der Hund von Wirth und eine Laterne.« Als die Laterne endlich gebracht wurde, führte er den ganzen Zug, die Fremden, den gefangenen Fuhrmann, den dicken Wirth und was bei dem Lärm sonst zusammengelaufen war, in den Hof. Dort stellte er sich mit seinem Gefangenen als Mittelpunkt [S. 403] eines Kreises auf, widmete dem Wirth noch einige Hundesöhne, schlug seinen Fuhrmann mit dem Kolben der Pistole auf den Kopf und sagte dann dem Kaufmann artig in französischer Sprache: »Der Schädel dieses Burschen klingt merkwürdig hohl, was wünschen Sie zunächst von diesen Tröpfen?«

»Haben Sie die Güte, die Fuhrleute zusammenzurufen.«

»Gut,« sagte der Pole, »und dann?«

»Dann will ich die Ladung der Wagen untersuchen, wenn das in der Finsterniß möglich ist.«

»Möglich ist Alles,« sagte der Pole, »wenn Sie sich die Unbequemlichkeit machen wollen, bei Nacht diese alte Leinwand zu durchforschen. Ich würde Ihnen zu einer Flasche Sauterne rathen und zu einigen Stunden Ruhe. Man muß in solchen Zeiten die Gelegenheit nicht versäumen, sich zu stärken.«

»Ich würde es vorziehn, auf der Stelle die Wagen anzusehen,« antwortete der Kaufmann lächelnd, »wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Ich bin im Dienst,« sagte der Pole, »also frisch an's Werk, es sind Hände genug hier, um Ihnen die Lichter zu halten. — Ihr gottverdammten Schurken,« fuhr er polnisch fort, wieder den Fuhrmann knuffend und den Wirth bedrohend, »ich führe Euch Alle zusammen ab und lasse Standrecht über Euch halten, wenn Ihr nicht auf der Stelle die übrigen Fuhrleute dieses Herrn vor meine Augen schafft. Wie viel sind ihrer?« frug er französisch den Kaufmann.

»Es sind vierzehn Wagen,« erwiederte dieser.

»Vierzehn müssen's sein,« donnerte der Pole wieder die Leute an, »der Teufel soll all Euren Großmüttern das Aergste thun, wenn Ihr Euch nicht auf der Stelle vor diesem Herrn aufstellt.« Mit Hülfe eines alten Hausknechts wurde endlich etwa ein Dutzend der Fuhrleute herbeigeschafft, zwei waren nicht aufzutreiben; der Wirth gestand endlich, sie hätten sich dem Heere der Patrioten angeschlossen.

Der Pole schien nicht viel Werth auf diesen Patriotismus zu legen. Er sprach zum Kaufmann gewandt: »Hier haben [S. 404] Sie die Leute, sehen Sie nach der Ladung; wenn auch nur ein Stück fehlt, lasse ich über die ganze Gesellschaft Standrecht halten.« Dabei setzte er sich nachlässig auf eine Wagendeichsel und drehte die Spitzen seiner beschmutzten Glanzstiefeln beim Licht der Laterne hin und her.

Eine Anzahl von Laternen, auch einige Fackeln wurden gebracht, und auf einige ermuthigende Worte des Kaufmanns stiegen die Fuhrleute in die Wagenburg, welche in dem großen Hofe aufgefahren war, rollten einige leere Wagen bei Seite und eröffneten den Zugang zu ihrer Ladung. Die meisten waren schon früher im Geschäft des Kaufmanns gewesen und kannten ihn und Anton persönlich, einige zeigten sich dienstfertig und gutwillig, und während der Kaufmann den verständigsten unter ihnen vornahm und ausfrug, untersuchte Anton, soweit es in der Eile möglich war, die Beschaffenheit der Ladung, welche zumeist aus Wolle und Talg bestand. Einige Wagen waren unbeschädigt, der eine war ganz abgeladen, mehrere andere ihrer Decken beraubt und theilweise geplündert. Der Kaufmann trat zu dem jungen Polen. »Es ist so, wie wir annahmen,« sagte er; »der Wirth hat einige von den Fuhrleuten überredet, da jetzt Revolution sei, hätten ihre Verpflichtungen aufgehört; sie haben angefangen, die Ladung in einem Nebengebäude abzuladen. Kamen wir einen Tag später, so war Alles ausgeräumt. Der Wirth und einige Spießgesellen waren die Anstifter, ein Theil der Fuhrleute ist durch Drohungen eingeschüchtert worden.«

Auf diesen Bericht folgte eine neue Auflage von Donnerwettern aus dem Munde der kleinen Autorität; der Wirth, von dessen Gesicht alle Röthe verschwunden war, lag vor dem Offizier auf den Knieen und wurde von diesem bei den Haaren festgehalten und in gefährlicher Weise zerzaust. Unterdeß warf sich Anton mit einigen Fuhrleuten gegen die verschlossene Remise, schlug das Thor auf und beleuchtete die Wollsäcke und die übrigen gestohlenen Güter.

»Lassen Sie die Leute aufladen, sie mögen zur Strafe die [S. 405] Nacht arbeiten,« sagte der Kaufmann. Nach einigem Widerspruch fügten sich die Fuhrleute, besiegt durch eine Mischung von Drohungen und Versprechungen. Der Pole trieb die betrunkenen Gäste der Wirthsstube aus dem Hause, ließ das äußere Thor schließen und alles Beleuchtungsmaterial des Hauses in den Hof schaffen. Darauf zog er den Hauswirth unter fortgesetztem freundschaftlichem Haarraufen nach dem obern Stock, ließ ihn dort durch einige hülfreiche Patrioten mit großen Cocarden, welche unter den Gästen der Wirthsstube gewesen waren, an einen Bettpfosten befestigen und kündigte ihm an, daß er diese Nacht auf kein anderes Verhältniß zu seiner Bettstelle Anspruch habe. »Im Fall die Waaren vollständig aufgefunden und aus deinem Hause geschafft werden, wirst du Verzeihung erhalten; im entgegengesetzten Falle werde ich Gericht über dich halten und dich erschießen lassen.«

Unterdeß klirrte und rasselte es im Hofraum, und Menschenstimmen schrieen eifrig durcheinander. Anton ließ die Wagen belasten und die Ladung fest machen. In dem Eifer der Arbeit sah er kaum um sich und dachte nur auf Augenblicke an die fremdartige Umgebung und das Abenteuerliche dieser Scene. Es war ein großer viereckiger Hofraum, von niedrigen verfallenen Holzgebäuden, Ställen und Wagenschuppen eingefaßt, mit zwei Einfahrten, durch die Herberge selbst und ein gegenüberliegendes Thor; ein Raum von mehreren Morgen Ausdehnung, wie sie häufig bei den Herbergen des östlichen Europas zu finden sind, welche an großen Verkehrstraßen liegen und wie die Caravansereien des Morgenlandes bestimmt sind, großen Waarentransporten und einer schnell zusammenströmenden Menge nothdürftigen Schutz zu geben. Alle Arten von Wagen waren in dem Hofe in großem Viereck zusammengefahren, es war ein Gewirr von Leitern, Deichseln, Rädern, von großen geflochtenen Weidenkörben und grauen Leinwanddecken, von Heu- und Strohbündeln, alten Pechbüchsen und tragbaren Futterkrippen. Außer Stalllaternen und lodernden Kienfackeln leuchtete der rothe Himmel, noch immer zogen die Brandwolken, [S. 406] geballter Rauch und glühende Funken über die Häupter der Reisenden. Das fremdartige Dämmerlicht beleuchtete hier wenigstens ein Werk des Friedens. Die Fuhrleute arbeiteten eifrig unter lautem Zuruf, ein Haufen dunkler Gestalten verschwand bald im Schatten der Frachtwagen und Ballen, bald sprang er auf die Höhe der Wagen, und die lebhaften Gesticulationen der Arbeitenden gaben ihnen in dem rothen Licht das Aussehen von Wilden, welche ein unbekanntes nächtliches Werk ausführen.

Der Kaufmann ging zwischen dem Hof und Gastzimmer ab und zu, vergebens bat ihn Anton, sich doch einige Stunden Ruhe zu gönnen. »Für uns ist heut keine Nacht zum Schlafen,« sagte er finster, und Anton sah in dem düstern Blick seines Prinzipals die Entschlossenheit eines Mannes, der bereit ist, Alles daran zu setzen, um seinen Willen durchzuführen.

Es war gegen Morgen, als der letzte riesige Wollsack mit Ketten und Stricken hoch oben auf dem Wagen befestigt war. Anton, der selbst Hand angelegt hatte, glitt herunter und meldete seinem Prinzipal: »Wir sind fertig.«

»Endlich,« antwortete der Kaufmann tief aufathmend und ging hinauf in das Zimmer, um dies seinem freundlichen Begleiter anzuzeigen. Dieser hatte die Nacht auf seine Weise zugebracht; zuerst ließ er sich das Abendbrod und den Wein, welchen entsetzte Dienstmädchen auf seine Forderung heraufschafften, sehr wohl schmecken und behielt noch Zeit, eine wie die andere vornehm um die Taille zu fassen und ihnen einige aufmunternde Worte zu gönnen. Dann betrachtete er die unsaubern Betten und streckte sich endlich mit einem französischen Fluch auf einem derselben aus, sah gleichgültig in das zusammengezogene Gesicht des tückischen Wirthes, der ihm gegenüber auf dem Boden saß, starrte die Zimmerdecke an und sagte dem Kaufmann, welcher einige Male in die Stube trat, schon in halbem Schlummer Artigkeiten über seine Fertigkeit, die Nächte ohne Schlaf hinzubringen. Endlich schlief er fest [S. 407] ein. Wenigstens fand ihn der Kaufmann am Morgen hingestreckt auf der groben Leinwand, das feine Gesicht von langem schwarzen Haar eingefaßt, die kleinen Hände verschlungen, ein freundliches Lächeln um seinen Mund. So war er mit seiner Umgebung kein unpassendes Bild der Aristokratie seines Stammes, er selbst ein vornehmes Kind mit den Leidenschaften und vielleicht mit den Sünden eines Mannes, und ihm gegenüber auf dem Fußboden die rohe Gestalt des gefesselten Plebejers, der sich den Anschein gab, ebenfalls zu schlafen, aber oft mit bösem Blick auf den Liegenden hinschielte.

Der Aristokrat sprang auf, als der Kaufmann an sein Bett trat, er öffnete das Fenster und sagte: »Guten Tag! es ist Morgen, ich habe excellent geschlafen.« Darauf rief er eine vorbeiziehende Patrouille an, erklärte dem Führer kurz das Sachverhältniß, übergab ihm die Reste des Abendessens und den Wirth und befahl ihm ohne Weiteres, mit seinen Leuten im Hause Wache zu halten, bis er selbst zurückkehre. Dann trug er den Fuhrleuten auf, die Pferde anzuschirren, und führte die Reisenden in das Dämmerlicht eines unheimlichen Tages.

Auf dem Wege zum Agenten sagte der Kaufmann zu Anton: »Wir theilen uns in die nöthigsten Besuche; sagen Sie unsern Kunden, daß wir durchaus nicht beabsichtigten, sie zu drücken, daß sie bei Wiederherstellung einiger Ordnung auf die größte Nachsicht und Schonung rechnen können, ja unter Umständen auf eine Erweiterung ihres Credits, jetzt aber und vor Allem verlangen wir Sicherheiten. Wir werden in diesem Wirrwarr nicht viel abmachen, aber daß die Herren heut durch uns selbst an unsere Firma erinnert werden, das ist die Hälfte unserer Außenstände werth.« Leiser fügte er hinzu: »Diese Stadt ist ihrem Schicksal verfallen, wir werden in der nächsten Zukunft hier wenig Geschäfte machen, denken Sie daran und seien Sie fest.« Und zum Polen gewendet sagte er: »Ich bitte Sie, meinem Gefährten zu erlauben, daß er in Begleitung des Agenten einige Geschäftswege gehe.«

[S. 408]

»Wenn Ihr Agent mir mit seiner Person für die Rückkehr dieses Herrn haften will,« erwiederte der Pole zögernd, »so mag es geschehen.«

Das Tageslicht hatte seine schöne Eigenschaft, den Blumen Farbe und den Furchtsamen Muth zu geben, auch an dem Agenten bewährt. Er erklärte sich bereit, mit Anton auszugehen. Unter dem Schutz der großen Cocarde, welche der Agent am Hute trug, eilte Anton von Haus zu Haus, er selbst bleich nach der ruhelosen Nacht, aber mit entschlossenem Herzen. Ueberall wurde er mit Staunen empfangen, welches nicht immer frei von Bestürzung war: Wie man in solcher Zeit daran denken könne, Geschäfte abzuwickeln, zwischen Waffenlärm und Sturmgeläut und in der Todesangst um eine furchtbare Zukunft?

Anton erwiederte kaltblütig: »Unsere Handlung ist nicht gesonnen, sich um den Kriegslärm zu kümmern, wo sie nicht dazu gezwungen wird; jede Zeit ist gut genug, um Verpflichtungen zu erfüllen; wenn für uns die Zeit war, hierher zu kommen, so ist auch für Sie Zeit, mit mir zu verhandeln.« Durch solche und ähnliche Vorstellungen gelang es ihm doch, hier und da ein bestimmtes Versprechen, Anerbietungen, ja sogar einige Deckung zu erlangen.

Nach einigen Stunden angestrengter Arbeit traf Anton in der Wohnung des Agenten wieder mit seinem Prinzipal zusammen. Als er Bericht abgestattet hatte, sagte der Kaufmann, ihm die Hand reichend: »Wenn wir noch unsere Wagen glücklich aus der Stadt bringen, haben wir so viel durchgesetzt, daß wir die unvermeidlichen Verluste an diesem Ort wohl ertragen können. Jetzt auf die Commandantur!« — Er gab dem Agenten noch Instruction und sagte ihm beim Abschied leise: »In wenig Tagen werden unsere Truppen einrücken, ich nehme an, daß Sie bis dahin Ihr Haus nicht verlassen. Dann sehen wir uns wieder.«

Der Agent rief mit aufgehobenen Händen den Schutz aller Himmlischen auf die Reisenden herab, verschloß und verriegelte [S. 409] hinter ihnen die Hausthüre und versteckte seine revolutionäre Cocarde in dem Ofen.

Die Reisenden eilten unter Führung des Polen mit schnellen Schritten durch das Gewühl. Wieder hatten sich die Straßen gefüllt, wieder zogen Schaaren Bewaffneter an ihnen vorüber, der Pöbel war wilder und aufgeregter, und das Geschrei war noch größer, als am Abend zuvor. Es wurde an die Häuser gedonnert und Einlaß verlangt, Branntweinfässer wurden auf die Pflastersteine gerollt und von dichten Haufen trunkener Männer und Weiber umdrängt, Alles kündigte an, daß die befehlende Macht nicht stark genug war, die Straßendisciplin aufrecht zu erhalten. Auch im Hause des Commandirenden war ein unruhiges Treiben, Bewaffnete eilten zu und ab, und die Botschaft, welche sie brachten, mußte ungünstig sein, denn in dem großen Vorzimmer wurde mit halblauter Stimme viel geflüstert, und unruhige Erwartung lag auf allen Gesichtern.

Der junge Pole wurde bei seinem Eintritt von seinen Freunden umdrängt und in eine Ecke gezogen. Nach hastigen Fragen faßte er ein Gewehr, rief Einige beim Namen und verließ das Zimmer, ohne sich weiter um die Reisenden zu kümmern.

Der Kaufmann und Anton wurden in das Nebenzimmer gewiesen. Dort empfing sie der junge Befehlshaber. Auch er war bleich und niedergeschlagen, aber hatte doch die Haltung eines vornehmen Mannes, als er den Kaufmann anredete: »Ich habe Ihren Wunsch bevorwortet, hier ist ein Passirschein für Sie und Ihre Wagen; ich bitte Sie, daraus zu entnehmen, daß wir die Bürger Ihres Staates rücksichtsvoll zu behandeln wünschen, mehr vielleicht, als die Pflicht der Selbsterhaltung rathsam macht.«

Der Kaufmann empfing das verhängnißvolle Papier mit glänzenden Augen: »Sie haben mir eine ungewöhnliche Rücksicht bewiesen,« sagte er, »ich fühle mich Ihnen tief verpflichtet und wünsche, daß es mir einst vergönnt sein möge, meine Dankbarkeit Ihnen zu beweisen.«

[S. 410]

»Wer weiß,« antwortete der junge Befehlshaber mit trübem Lächeln, »wer Alles auf das Spiel setzt, kann auch Alles verlieren.«

»Vieles,« sagte der Kaufmann mit einer höflichen Neigung seines Hauptes, »aber nicht Alles, wenn man sich ehrlich Mühe giebt.«

In diesem Augenblick drang ein dumpfer Ton in das Ohr der Sprechenden, ein Geräusch, wie der Zug des heulenden Windes oder das Brausen der hereinstürzenden Fluth. Der Commandirende stand unbeweglich und horchte. Plötzlich erklang ganz in der Nähe ein mißtönender Schrei aus vielen Kehlen, einzelne Schüsse folgten. Anton, durch Nachtwachen und lange Spannung empfänglich gemacht für einen Schauer, schrak zusammen, er sah, daß die Hand seines Prinzipals, welche den Passirschein festhielt, heftig zitterte. Da wurde die Thür des Kabinets aufgerissen, einige stattliche Männer stürzten herein, mit zerrissenen Kleidern, die Waffen in der Hand, in den verstörten Gesichtern die Spuren des Straßenkampfes, an ihrer Spitze der Führer der Reisenden.

»Empörung!« rief der junge Pole seinem Befehlshaber zu, »sie suchen dich! — Rette dich! — Ich halte sie auf.«

Schnell wie der Gedanke sprang Anton zu seinem Prinzipal, er riß diesen mit sich fort, und beide flogen durch das Vorzimmer die Treppe hinab in den Hausflur. Hier stießen sie auf einen Haufen Bewaffneter, welche sich noch einmal gegen eine andrängende Volksmasse am Eingang des Hauses zu setzen suchten. Aber so schnell auch die Reisenden waren, schneller noch glitt ihr Gefährte der letzten Nacht die Treppe hinunter, flog an die Spitze seiner Freunde und warf sich unter lautem Zuruf mit ihnen einem hereinbrechenden Pöbelhaufen entgegen. Wild flogen die schwarzen Haare um sein entblößtes Haupt, und in seinem schönen, jetzt so farblosen Angesicht glänzten die Augen von der unwiderstehlichen Energie eines tapfern Mannes. »Zurück!« rief er mit heller Stimme dem wüsten Volke zu und sprang wie ein Panther von den [S. 411] Stufen des Portals weit hinein in den Haufen, mit flachen Schlägen seiner Klinge auf die Köpfe der Andrängenden hauend. Die Volksmasse wich zurück, die Gefährten des Tapfern stellten sich kampfbereit hinter ihm auf. Wieder ergriff Anton den Arm seines Prinzipals und zog ihn aus dem Hause mit der Hast, welche dem Menschen nur dann wird, wenn er widerstandslos einem mächtigen Triebe folgt. Schon waren sie hinter einem Vorsprung des Hauses, da fiel ein Schuß, und mit Entsetzen sahen sie noch, daß der junge Pole blutend auf den Rücken fiel, sie hörten seinen letzten Schrei: »Die Canaille!«


»Zu den Wagen!« rief der Kaufmann und warf sich in eine enge Quergasse. Aus der Ferne klangen noch einzelne Schüsse und das Geschrei der Uneinigen; die Reisenden durchbrachen das Gedränge neugieriger und erschreckter Einwohner, welche ihren Lauf durch entlegene Straßen hinderten, und kamen athemlos, das Schlimmste befürchtend, vor der Herberge an.

Auch hier war die Empörung ausgebrochen. Die zurückgelassene Wache hatte den Wirth losgebunden und sich schleunig entfernt, als die Nachricht von dem Tumult zu ihren Ohren gedrungen war. Jetzt füllte den Hof Zank und vielstimmiges Geschrei. Der Wirth, unterstützt von einem Haufen Straßengesindel, verhandelte heftig mit den Fuhrleuten. Ein Theil der Wagen war angespannt und zur Abfahrt bereit, von andern war die Decke wieder heruntergerissen, ein Trupp der Fuhrleute, offenbar die Minderzahl, stand davor und widersetzte sich dem andringenden Wirth und seiner Bande. Es war eine verzweifelte Lage. Der Kaufmann riß sich von Anton los, welcher ihn zurückhalten wollte, stürzte mitten in den Haufen der Streitenden und rief, den Passirschein hoch hebend, in polnischer Sprache: »Haltet ein! Hier ist der Befehl des Commandanten, daß unsere Wagen die Stadt verlassen [S. 412] sollen. Wer sich widersetzt, wird bestraft werden. Wir stehen unter dem Schutz der Regierung.«

»Welcher Regierung? du Schelm von einem Deutschen!« schrie der Wirth mit kirschrothem Gesicht; »die alte Regierung gilt nicht mehr, die Verräther haben ihren Lohn erhalten, und Ihr Spione sollt gleichfalls hängen!« So drang er auf den Kaufmann ein und hieb mit einem alten Säbel nach dem Haupt des Wehrlosen.

Unserm Anton grauste; aber wie der Mensch in den schrecklichsten Momenten von abenteuerlichen Ideenverbindungen befallen wird, welche wie Sternschnuppen durch die Finsterniß eines empörten Gemüthes schießen, so erhielt auch ihm der breite Rücken des Wirthes auf einmal eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Rücken eines dicken Schulkameraden aus Ostrau, eines gutmüthigen Bäckersohnes, an dem er in vielen Balgereien den Knabenkunstgriff geübt hatte, seinen Gegner durch einen gewissen Ruck und Druck von hinten platt auf die Erde zu legen. Er sprang blitzschnell hinter den Wirth, faßte ihn mit der Stärke eines Riesen am Genick, gab ihm den Ruck mit aller Kunst und schrie dabei unwillkürlich: »Du Hanswurst.« — Der niedersausende Säbel verlor seine gefährliche Richtung, er traf den Arm des Kaufmanns, zerschnitt den Rock und drang in das Fleisch ein, das Blut färbte augenblicklich die weiße Leinwand, welche durch den Schnitt bloßgelegt wurde. Als der Dicke, wie ein Käfer zappelnd, auf dem Rücken lag, hielt ihm Anton wieder die treue Pistole vor und schrie in seiner verzweifelten Begeisterung: »Zurück, Ihr Schufte, oder ich schieße ihn todt!«

Diese schnelle Diversion bewirkte für den Augenblick mehr, als nach Lage der Dinge zu hoffen stand: das Gesindel, welches der Wirth aus seiner Schenkstube zusammengeholt hatte und welches zunächst in fremdem Interesse handelte, wich zurück, und ein halbes Dutzend Fuhrleute drängte sich mit Radstangen und andern Angriffswerkzeugen um den Kaufmann und schrie jetzt eben so laut, wie früher die Andern, daß dem [S. 413] fremden Herrn und den Wagen kein Leid geschehen solle. Der Kaufmann rief: »Jagt das fremde Volk hinaus!« faßte selbst den Säbel, welcher dem liegenden Wirth entfallen war, stürmte an der Spitze der Getreuen auf die Helfer des Wirths ein und trieb diese durch den gepflasterten Hausflur. Die Hartnäckigsten machten noch einen vergeblichen Versuch, sich in der Schenkstube festzuhalten, aber einer nach dem andern ward aus dem Hause geworfen, daß sie brüllend und fluchend davonliefen. Darauf wurde die Hausthür geschlossen, und der Kaufmann eilte nach dem Hof zurück, wo Anton noch immer vor dem unverbesserlichen Wirth kniete und diesen am Aufstehen hinderte. Die übrigen Fuhrleute hatten sich scheu zurückgezogen, der Kaufmann rief jetzt alle heran und befahl: »Spannt an!« — Zu Anton sagte er: »Dies Haus müssen wir sogleich verlassen. Besser auf dem Straßenpflaster, als in dieser Höhle.« —

»Sie bluten,« rief Anton, bestürzt zu dem Arm des Kaufmanns aufblickend.

»Es muß unbedeutend sein, ich kann den Arm bewegen,« antwortete der Kaufmann schnell. »Oeffnet das Hinterthor, hinaus mit den Wagen! Vorwärts, Ihr Männer! — Einer der Fuhrleute wird Ihnen helfen, den Wirth festzuhalten.«

»Und wo sollen wir hin?« frug Anton in englischer Sprache. »Sollen wir mit den Wagen hinein in das Blutvergießen der Straße?«

»Wir haben einen Passirschein und werden die Stadt verlassen,« erwiederte der Kaufmann hartnäckig.

»Man wird den Paß nicht respectiren,« rief Anton wieder und hielt dem ungeduldigen Wirth seine Pistole an die Stirn.

»Im schlimmsten Falle giebt es mehrere Herbergen in diesem Theile der Stadt, jede andere wird eine bessere Zuflucht sein.«

»Aber die Fuhrleute sind nicht vollzählig und haben zum Theil bösen Willen.«

»Den bösen Willen Einzelner bezwinge ich,« antwortete [S. 414] der Kaufmann finster; »die Gespanne sind vollzählig, es fehlen nur die Knechte. Wer Pferde besaß, blieb bei seiner Pflicht. — Das Thor ist geöffnet, hinaus mit den Wagen!«

Das hintere Thor führte auf einen offenen Platz, der mit Schutt und Bausteinen bedeckt und von einzelnen ärmlichen Häusern umgeben war. Der Kaufmann eilte an das Thor und trieb zur Abfahrt. Ein stämmiger Bursche kam von seinen Pferden zur Unterstützung Antons herbei. Es waren angstvolle Momente. In der Nähe des Hauses rangen Anton und sein Gehülfe mit dem liegenden Mann, und an der Thür heulten die häßliche Frau des Liegenden und die beiden Dienstmädchen. Als der erste Wagen durch das Hofthor hinausfuhr, wurde das Geschrei der Weiber lauter, die Wirthin rief Mord und Hülfe und die Mädchen ächzten um so herzhafter, je eifriger der junge Fuhrmann ihnen versicherte, dem Herrn Wirth solle kein Leid geschehen, wenn er nur ruhig liegen bleibe; und ihre Zeche würden sie auch bezahlen.

Da donnerten Kolbenschläge an das verschlossene Hausthor, die Weiber stürzten hin und öffneten; und so groß war die hoffnungslose Spannung der letzten Augenblicke gewesen, daß Anton mit einer gewissen Befriedigung ein starkes Commando Bewaffneter in den Hof dringen sah. Er erhob sich vom Boden und ließ den Wirth los. Der Kaufmann aber ging langsam, mit wankendem Schritt als ein gebrochener Mann den Feinden entgegen, welche im entscheidenden Augenblick seinen Willen hinderten.

Der Anführer des Trupps, einer von den Wächtern, welche der junge Pole am Morgen in die Herberge gerufen hatte, sagte zum Kaufmann: »Sie sind Gefangener der Regierung, Sie und Ihre Waaren dürfen die Stadt nicht verlassen.«

»Ich habe einen Passirschein,« antwortete der Kaufmann mit heiserer Stimme und griff nach der Brusttasche.

»Das neue Commando verbietet Ihnen die Abreise,« wiederholte der Bewaffnete kurz.

»Ich muß mich unterwerfen,« sprach der Kaufmann, er [S. 415] setzte sich mechanisch auf eine Deichsel und faßte mit beiden Händen nach dem Wagenkorbe.

Anton hielt den halb Bewußtlosen in seinen Armen und rief in der tiefsten Empörung: »Wir sind in dieser Herberge zwei Mal beraubt worden, wir waren in Gefahr, getödtet zu werden, mein Begleiter ist verwundet, wenn Ihre Regierung uns und die Wagen zurückhalten will, so schützen Sie wenigstens unser Leben und diese Güter, welche uns gehören. In dieser Herberge können die Wagen nicht bleiben, und wenn Sie uns von den Wagen trennen und fortführen, so wird Plünderung und Zerstörung derselben noch schwerer zu verhüten sein.«

Die Bewaffneten traten zusammen und hielten Rath; der Anführer rief endlich auch Anton. Nach langem Verhandeln wurde bestimmt, die Wagen in eine nahe gelegene Herberge von ähnlicher Beschaffenheit, aber etwas besserem Charakter zu geleiten. Anton erhielt die Erlaubniß, mit dem Kaufmann unter Bewachung in demselben Gasthofe zu bleiben, bis Weiteres über sie beschlossen würde. Der Kaufmann hatte unterdeß an die Leinwand des Wagens gelehnt theilnahmlos dagesessen. Anton theilte ihm schnell das Resultat der Unterhandlungen mit.

»Wir müssen es ertragen,« sprach der Prinzipal langsam und versuchte mit Mühe sich zu erheben. »Fordern Sie unsere Rechnung von dem Wirth.«

»Der Wirth wird seine Bezahlung durch uns erhalten,« sagte der Führer des Trupps und stieß den Besitzer des Hofes unsanft zur Seite. »Denken Sie jetzt an sich selbst,« fügte er theilnehmend hinzu und faßte den Arm des Verwundeten, um ihn zu stützen.

»Bezahlen Sie für uns und für die Pferde,« wiederholte der Kaufmann zu Anton gewandt, »wir dürfen hier nichts schuldig bleiben.«

Anton zog seine Brieftasche hervor, rief die Fuhrleute zusammen, übergab vor ihren Augen dem Wirth ein Cassenbillet [S. 416] und sagte ihm: »So zahle ich Euch, bis Eure Forderung festgestellt ist, vorläufig diese Summe. Ihr Männer seid Zeugen.« Die Fuhrleute nickten respectvoll und eilten zu ihren Wagen.

Der Zug setzte sich in Bewegung. Voran ein Theil der Escorte, dann die Frachtwagen, welche langsam und unbehülflich über die Steine der Ausfahrt rasselten, einige ohne Fuhrmann, nur durch die eingeübten Pferde in der Reihe gehalten. Der Kaufmann stand am Thor, auf Anton gelehnt, und zählte leise wie im Traume, so oft ein Wagen durch das Thor fuhr; da der letzte hinausrollte, sagte er: »Abgemacht!« und ließ sich von Anton und dem Polen hinter den Wagen her führen.

In der nächsten Querstraße fuhr der Zug in den weiten Hofraum einer Herberge ein. Als nach langem Aufenthalt der letzte Wagen abgespannt war, und die Wache das Thor von innen verriegelt hatte, sank der Kaufmann ohnmächtig zusammen und wurde in das Haus getragen.

In einem kleinen Zimmer wurde der Verwundete niedergelegt; die Polen stellten eine Wache vor das Zimmer der Reisenden, eine andere in den Hof; Anton blieb mit dem Ohnmächtigen allein. Angstvoll kniete er an dem Lager des Kaufmanns nieder, öffnete ihm die Kleider und benetzte das Gesicht mit kaltem Wasser. Nach einer Weile kehrte Leben in das Angesicht des Prinzipals zurück, er öffnete die Augen, blickte dankend auf Anton und wies auf das Fenster.

Anton sah hinaus und sagte freudig: »Es führt auf den Hof, ich kann die Wagen zählen und übersehen. Hier glaube ich, sind wir in erträglicher Sicherheit; freilich sind wir Gefangene! Vor Allem aber erlauben Sie mir, nach Ihrer Wunde zu sehen, Ihre Kleider sind mit vielem Blut befleckt!«

»Die Schwäche kommt von der Anstrengung mehr, als vom Blutverlust,« antwortete der Kaufmann sich aufrichtend.

Anton öffnete die Thür und bat um einen Wundarzt. Der Wächter war bereit, einen solchen zu holen, und ließ [S. 417] nach Verlauf einer langen ängstlichen Stunde ein schäbiges Subject herein, welches eilig ein Barbiermesser und ein schmutziges Taschentuch hervorholte, das Messer an seinem Aermel strich und das Taschentuch in eine bedenkliche Nähe von Antons Kinn zu bringen wagte. Mit Mühe wurde ihm begreiflich gemacht, weshalb er gerufen sei. Anton schnitt den Rockärmel und das Hemde auf und untersuchte selbst die verwundete Stelle. Es war ein Schnitt in den Oberarm, er schien nicht gerade tief, doch war der Arm steif, und der Kaufmann fühlte heftige Schmerzen. Der Barbier versuchte einen Verband anzulegen und entfernte sich mit dem Versprechen, in den nächsten Tagen wiederzukommen. Der Kaufmann sank erschöpft durch die Schmerzen des Verbandes auf das Lager zurück, und Anton saß den Rest des Tages neben ihm, machte dem Arm Umschläge von kaltem Wasser und beobachtete den fieberhaften Schlummer des Kranken.

Bald versank er selbst in einen Zustand von Halbschlaf, eine dumpfe Abspannung, welche ihn gleichgültig gegen Alles machte, was außerhalb des Zimmers vorging. So kam der Abend und die Nacht, Anton tauchte jede Minute die Fingerspitzen in kaltes Wasser und schlich zuweilen vom Lager des Verwundeten nach dem Fenster, um nach den Wagen zu sehen, oder nach der Thür, um einige halblaute Worte mit der Wache zu wechseln, welche eine gutmüthige Theilnahme bewies. Unterdeß wüthete in der Stadt das Feuer und vor den Thoren donnerte das Geschütz angreifender Truppen. Anton sah gleichgültig auf die glühende Lohe, welche vom Winde getrieben wieder über die unglückliche Stadt flog, er hörte mit einer schwachen Verwunderung, daß der Donner des Geschützes immer stärker rollte und endlich in ein betäubendes Krachen überging, und wenn er Wehgeschrei oder Gebrüll auf der Straße hörte, klang es ihm so unbedeutend, wie das Läuten eines Frühglöckchens, das er von seiner Stube im Hause des Prinzipals hören konnte, und Niemanden aus der Morgenruh aufzustören vermochte, als höchstens einige fromme Mütterchen. [S. 418] Mechanisch griff er die ganze Nacht hindurch mit den Händen in das kalte Wasser und an den Arm des Liegenden und fuhr auf, so oft dieser stöhnte und sich bewegte. Als aber gegen Morgen der Kranke in einen ruhigeren Schlummer sank, vergaß auch Anton seine Arbeit, der Kopf fiel ihm schwer auf die Hände, welche er über den Tisch ausgebreitet hatte; er sah und hörte nichts mehr; er war unter dem Angstgeschrei und Kanonendonner, welche die Eroberung einer hartnäckig vertheidigten Stadt anzeigten, unter allen Gräueln eines blutigen Kampfes fest eingeschlafen, wie ein müder Knabe über seinen Schularbeiten.

Als er nach einigen Stunden erwachte, war der Morgen längst angebrochen, der Kaufmann lachte ihn von seinem Lager freundlich an und reichte ihm die gesunde Hand. Anton drückte sie erfreut und eilte wieder nach dem Fenster, »Alles in Ordnung!« Darauf öffnete er die Thür, die Wache war verschwunden. Und auf der Straße klang Trommelwirbel und der regelmäßige Tritt einziehender Regimenter.


III.

»Wir gaben Sie bereits verloren,« rief der eintretende Rittmeister dem Kaufmann zu. »Es ist hier arg gewirthschaftet worden, und meine Erkundigung nach Ihnen war ohne Erfolg; ein Glück war es, daß Ihr Brief mich in dem Gewirr auffand.«

»Wir haben unsern Willen durchgesetzt,« sagte der Kaufmann, »wie Sie sehen, nicht ohne Hindernisse —« er zeigte lächelnd auf seinen verbundenen Arm.

»Vor Allem lassen Sie mich wissen, welche Abenteuer Sie erlebt haben,« sagte der Rittmeister, sich zu dem Verwundeten setzend; »Sie haben mehr Spuren des Kampfes aufzuweisen [S. 419] als wir.« Der Kaufmann erzählte. Er verweilte mit Wärme bei Antons Heldenthat, dem er seine Rettung zuschrieb, und schloß mit den Worten: »Meine Wunde verhindert mich nicht, zu reisen, und meine Rückkehr ist dringend nothwendig. Die Wagen will ich bis zur Grenze mit mir nehmen.«

»Morgen früh geht ein Zug unsers Trains nach der Grenze zurück, diesem können Sie Ihre Wagen anschließen. Uebrigens ist die große Straße jetzt sicher. Von morgen wird auch der Postenlauf wieder beginnen.«

»Unterdeß erbitte ich Ihre Vermittelung, ich will noch heut durch Estaffette Briefe nach Haus senden.«

»Ich will sorgen,« versprach der Rittmeister, »daß Ihre Rückkehr morgen keine Verzögerung erleidet.«

Als der Offizier das Zimmer verlassen hatte, sagte der Kaufmann zu Anton: »Ihnen, lieber Wohlfart, muß ich jetzt eine Ueberraschung bereiten, die Ihnen, wie ich fürchte, wenig willkommen sein wird. Ich wünsche Sie an meiner Stelle hier zu lassen.« Erstaunt trat Anton an das Lager des Prinzipals. »Auf unsern Agenten ist in dieser Zeit nicht zu bauen,« fuhr der Kaufmann fort; »ich habe in diesen Tagen mit Freuden erkannt, wie sehr ich mich auf Sie verlassen kann. Was Sie noch nebenbei gethan haben zur Rettung meiner Stirnhaut, das bleibt Ihnen unvergessen, so lange ich lebe. — Und jetzt setzen Sie sich mit Ihrer Schreibtafel zu mir, wir überlegen noch einmal, was wir zu thun haben.«

Am nächsten Morgen hielt ein Postwagen vor der Herberge, der Kaufmann wurde von Anton hineingehoben und ließ an der Seite der Straße halten, bis die Frachtwagen einer nach dem andern zum Thore hinausgefahren waren. Dann drückte er noch einmal Antons Hand und sagte: »Ihr Aufenthalt wird Wochen, ja er kann Monate dauern. Ihre Arbeit wird sehr unangenehm und zuweilen ohne Resultate sein. Und ich wiederhole Ihnen, seien Sie nicht zu ängstlich, ich vertraue auf Ihr Urtheil, wie auf mein eigenes. Fürchten Sie nicht, uns einen Verlust zu bereiten, wenn Sie unsichere [S. 420] Schuldner zur Zahlung bringen können. Dieser Ort ist verwüstet und fortan für uns verloren. Leben Sie wohl, auf ein gutes Wiedersehn zu Hause.«

So blieb Anton allein in der fremden Stadt, in einer Stellung, in welcher großes Vertrauen ihm große Verantwortlichkeit auflegte. Er ging in das Zimmer zurück, rief den Wirth und schloß mit ihm auf der Stelle einen Vertrag über seinen ferneren Aufenthalt. Die Stadt war so angefüllt mit Militär, daß er es vorzog, in der kleinen Wohnung, welche er bereits in Besitz hatte, zu bleiben und die Unbequemlichkeiten des dürftigen Quartiers zu ertragen. Er durfte nicht erwarten, es irgendwo wohnlicher zu finden.

Wohl war es eine verwüstete Stadt, welche Antons Fuß durchschritt. Vor wenig Tagen füllte das Gewühl leidenschaftlicher Menschen die Straßen, jede Art von Unternehmungslust war auf den wilden Gesichtern zu lesen. Wo war jetzt der Trotz, die Kampflust, die Begeisterung der vielen Tausende? — Die Haufen der Landleute, Schwärme des Pöbels, Krieger des Patriotenheeres waren zerstoben wie Geister, welche der Sturmschlag fremder Trommeln verscheucht hat. Was von Menschen auf den Straßen daherschritt, das waren fremde Soldaten. Aber die bunten Uniformen der Fremden gaben der Stadt kein besseres Ansehen. Zwar das Feuer war gelöscht, dessen Qualm in den letzten Tagen den Himmel verdunkelt hatte. Aber in dem bleichen Herbstlicht standen die Häuser da, wie ausgebrannt. Die Thüren blieben verschlossen, viele Scheiben zerschlagen, auf den Steinen lag der Unrath, faules Stroh, Trümmer von Hausgeräth, hier mit zerbrochenen Rädern ein Karren, dort eine Montur, Waffen, die Leiche eines Pferdes. An einer Straßenecke standen Schränke und Tonnen, die man aus Häusern zusammengeworfen hatte als einen letzten Wall gegen die eindringenden Truppen, und dahinter lagen mit einem Strohbund nachlässig zugedeckt die Leichen getödteter Menschen. Anton wandte sich mit Grausen ab, als er die blutlosen Köpfe unter den Halmen erblickte. [S. 421] Auf den Plätzen bivouakirten neu eingezogene Truppen, ihre Pferde standen in Haufen zusammengekoppelt, daneben aufgefahrene Geschütze; in allen Straßen dröhnte der Tritt starker Patrouillen, nur selten eilte eine Gestalt in Civilkleidern über das Pflaster, den Hut tief in die Augen gedrückt, mit furchtsamem Blick von der Seite auf die fremden Krieger sehend, zuweilen wurde ein bleicher Mann von Bewaffneten vorübergeführt, und wenn er zu langsam ging, mit dem Kolben vorwärts gestoßen. Die Stadt hatte häßlich ausgesehen während der Aufregung, sie erschien noch häßlicher in der Todtenruhe, welche jetzt auf ihr lag.

Als Anton mit solchen Eindrücken von seinem ersten Gange zurückkehrte, fand er vor seiner Zimmerthür einen Husaren, der wie auf Posten mit dröhnendem Tritt auf und ab ging.

»Herr Wohlfart!« schrie der Husar und stürzte dem Ankommenden entgegen.

»Mein lieber Karl,« rief Anton, »das ist die erste Freude, die ich in dieser traurigen Stadt habe. Aber wie kommen Sie hierher?«

»Sie wissen ja, daß ich jetzt meine Zeit abdiene. Wir stießen zu unsern Kameraden an der Grenze, wenige Stunden, nachdem Sie abgereist waren. Vom Wirth, der mich noch aus dem Geschäft kannte, erfuhr ich Ihre Abreise. Sie können denken, in welcher Angst ich war. Erst heut erhielt ich Urlaub, und es war mein Glück, daß ich einen der Fuhrleute in der Hausthür frug, sonst hätte ich Sie noch nicht gefunden. Und jetzt vor Allem, Herr Wohlfart, was macht unser Prinzipal, wie steht's mit unsern Waaren?«

»Kommen Sie nur erst in's Zimmer,« erwiederte Anton. »Sie sollen Alles hören.«

»Halt,« rief Karl, »noch nicht; erst muß noch etwas in Ordnung gebracht werden. Sie sprechen Sie zu mir, das leide ich nicht. Thun Sie mir den Gefallen und reden Sie zu mir, als wäre ich noch der Karl im Geschäft.«

»Aber Sie sind's ja nicht mehr,« sagte Anton lachend.

[S. 422]

»Dies hier ist nur Maskerade,« sagte Karl auf seine Uniform weisend, »in meinem Herzen bin ich immer noch freiwilliger Auflader bei T. O. Schröter. Wenn mir bei Ihnen wohl sein soll, so führen Sie das alte Du wieder ein.«

»Wie du willst, Karl,« erwiederte Anton, »komm herein und laß dir erzählen.«

Karl gerieth in den heftigsten Zorn gegen den schlechten Wirth. »Dieser diebische Hundsfott! An unserer Firma, an unserm obersten Chef hat er sich vergriffen. Aber morgen führe ich einen ganzen Beritt unserer Jungen in seine Herberge. Ich lasse ihn in seinen eigenen Hof treiben, er wird als hölzernes Pferd aufgestellt und wir springen eine Stunde lang über ihn weg, einer nach dem andern, und bei jedem Sprunge geben wir ihm einen Puff auf seinen boshaften Kopf.«

»Herr Schröter hat ihm die Strafe erlassen,« sagte Anton begütigend, »sei du nicht grausamer. Höre, du bist ein hübscher Junge geworden.«

»Es geht an,« erwiederte Karl geschmeichelt. »Mit der Landwirthschaft habe ich mich ausgesöhnt. Mein Onkel ist ein guter Mann. Wenn Sie sich meinen Alten halb so groß denken, als er ist, und dünn statt dick, und mit einer kleinen Stumpfnase statt einer großen Nase, und mit einem länglichen Gesicht statt einem runden, und mit einem eselsfarbenen Rock und ohne Lederschürze, dafür mit zwei hohen Kniestiefeln, so haben Sie ganz meinen Onkel. Ein prachtvolles kleines Kerlchen. Er meint's gut mit mir. Im Anfange freilich war mir's zu still auf dem Lande, dagegen viel wasserpolackisches Volk in der Nähe; aber es ging mit der Zeit. Man sieht bei der Wirthschaft immer, was man schafft, das ist die größte Freude. Daß ich Soldat werden mußte, war meinem grauköpfigen Onkel ein Strich durch die Rechnung, mir war's recht, daß ich einmal im Ernste auf ein Pferd kam und etwas von der Katzbalgerei mit ansehen konnte. Elende Wirthschaften hier auf dem Lande, Herr Wohlfart. Und dieser Platz, es ist eine gräuliche Verwüstung!« So [S. 423] schwatzte Karl vergnügt fort. Endlich ergriff er seine Mütze: »Wenn Sie jetzt hier bleiben, so erlauben Sie mir, Sie manchmal auf eine Viertelstunde zu besuchen.«

»Du sollst thun, wie zu Hause,« sagte Anton. »Wenn du mich einmal nicht triffst, der Wirth hat den Schlüssel, hier stehen die Cigarren.«

So hatte Anton einen alten Freund wieder gefunden. Aber Karl blieb nicht seine einzige Bekanntschaft in Dolman und Schleppsäbel. Der Rittmeister freute sich über den Landsmann, der sich so wacker gegen die Insurgenten gehalten hatte. Er stellte ihn dem Obersten vor, welcher die Truppenabtheilung befehligte. Anton mußte diesem seine Abenteuer erzählen und wurde in einem großen Kreise von Epauletten höchlich gelobt, darauf lud ihn der Rittmeister an einem der nächsten Tage zu Tische und stellte ihn den Offizieren seiner Escadron vor. Antons bescheidene Ruhe machte einen günstigen Eindruck auf die bunten Herren. In der Garnison wären sie wahrscheinlich durch gewisse Ansichten über Menschengröße verhindert worden, mit einem jungen Kaufmann ungezwungen zu verkehren, hier im Felde waren sie selbst tüchtigere Männer, als in der geschäftigen Langeweile des Friedens, ihre Vorurtheile waren geringer und ihre Anerkennung eines muthigen Mannes unbefangener. So betrachteten sie den Herrn aus dem Comtoir bald als einen verdammt guten Jungen, sie gewöhnten sich, ihn im Scherz bei seinem Vornamen zu nennen, und wenn sie im Kaffehaus ihre Tasse tranken und eine Partie Domino spielten, so riefen sie Anton unfehlbar in ihren Kreis. Eine dunkle Sage von großem Vermögen und von ungewöhnlichen Verbindungen des Civilisten tauchte aus dem Dunkel der Jahre jetzt wieder auf, aber um der Escadron nicht Unrecht zu thun, sie war nicht mehr der Hauptgrund für die rücksichtsvolle Behandlung, die sie ihrem Landsmann gönnte. Anton fühlte sich durch die leichte Verbindung mit den ritterlichen Knaben mehr gehoben, als er sich selbst oder Herrn Pix gestanden hätte. Er genoß jetzt den freien Verkehr mit [S. 424] anspruchsvollen Menschen und erschien sich Manchem ebenbürtig, den er bis dahin von seinem Comtoir aus mit stillem Respect betrachtet hatte. Alte Erinnerungen wurden in ihm mächtig, er fühlte sich auf's Neue hereingezogen in den Zauber eines Kreises, welcher ihm für frei, glänzend und schön galt. Auch der Lieutnant von Rothsattel gehörte bald zu den guten Bekannten Antons. Anton behandelte ihn mit der zartesten Aufmerksamkeit, und der Lieutnant, im Grunde ein verzogener, leichtsinniger, gutmüthiger Mensch, ließ sich die herzliche Neigung Antons gern gefallen und lohnte ihm durch besondere Vertraulichkeit.


Die Geschäfte Antons sorgten dafür, daß er unter den neuen Bekannten seine Selbständigkeit nicht verlor. Wohl war die Stadt ein verwüsteter Ort, der wilde Rausch war verflogen, jetzt lag die Abspannung auf aller friedlichen Thätigkeit. Die täglichen Lebensbedürfnisse waren theuer, und lohnende Arbeit war nur für Wenige vorhanden. Mancher, der sonst Stiefeln getragen hatte, ging barfuß, wer in anderer Zeit einen neuen Rock gekauft hätte, ließ jetzt einen Lappen auf den alten setzen, der Schuster und der Schneider verzehrten zum Frühstück Wassersuppe statt Kaffe und Zucker, der Krämer bezahlte seine Schuld beim Kaufmann nicht, und der Kaufmann vermochte nicht seine Verpflichtung gegen andere Handlungshäuser zu erfüllen. Wer in solcher Zeit sein Geld zurückfordert von Solchen, welche schwere Verluste muthlos beklagen, der hat eine harte Arbeit. Anton empfand das. Ueberall hörte er Klagen, die nur zu sehr begründet waren, an vielen Orten versuchte man seinem Drängen durch allerlei Kunstgriffe zu entgehen. Täglich erlebte er peinliche Scenen, oft mußten beim Advocaten endlose Verhandlungen in polnischer Sprache aufgenommen werden, bei denen er sich wie verkauft vorkam, obgleich der Agent den Dolmetscher machte. Es war ein bunt zusammengewürfelter Handelsstand, in welchem [S. 425] Anton zu verkehren hatte, Männer aus allen Theilen Europa's. Der Verkehr hatte Vieles, was in deutschen Augen als wild und unregelmäßig galt. Und doch übte die Gewohnheit, Verpflichtungen zu erfüllen, einen so großen Einfluß auch auf muthlose Naturen, daß Antons Beharrlichkeit mehr als einmal den Sieg errang.

Die größte Forderung hatte sein Haus an einen Herrn Wendel, einen kleinen trockenen Mann, der stille Geschäfte nach allen Seiten gemacht hatte. Man sagte, er sei reich geworden durch Schmuggel und sei jetzt in großer Gefahr, zu fallen. Er hatte den Prinzipal selbst mit Trotz empfangen und geberdete sich gegen Anton lange wie ein Verzweifelter. Anton hatte wieder einmal wohl eine Stunde lang in den mürrischen Alten hineingesprochen, und wie sehr der Mann sich drehte und wand, er war fest geblieben. Da brach Wendel endlich in die Worte aus: »Es ist genug, ich bin ein ruinirter Mann, aber Sie verdienen, zu Ihrem Gelde zu kommen. Ihr Haus ist gegen mich immer großartig gewesen. Sie sollen Deckung erhalten. Schicken Sie mir noch heut Ihren Agenten, holen Sie mich morgen früh ab.«

Als am nächsten Morgen Anton in Begleitung des Agenten bei dem Schuldner eintrat, ergriff Wendel nach finsterm Gruß einen großen rostigen Schlüssel, zog langsam einen verschossenen Mantel an, auf welchem zahlreiche Kragen übereinander lagen, wie die Schindelreihen auf einem Dach, und brachte die Gläubiger in einen entlegenen Stadttheil vor ein verfallenes Kloster. Sie schritten durch einen langen Kreuzgang. Anton sah bewundernd zu dem kunstvollen Bau der Wölbung auf; die Zeit hatte viele Gurte gesprengt und einige Gewölbkappen ausgebröckelt, die Trümmer lagen auf den großen Steinen des Fußbodens. An der Wand waren die Leichensteine der alten Bewohner eingemauert, verwitterte Inschriften meldeten dem unaufmerksamen Geschlecht der Lebenden, daß einst fromme Slavenmönche in diesen Räumen den Frieden gesucht hatten. In diesem Kreuzgange waren sie täglich, das [S. 426] Brevier in der Hand, auf und ab gegangen, hier hatten sie gebetet und geträumt, bis sie ihre arme Seele der Fürbitte ihres Heiligen übergeben mußten. Im Innern des Gebäudes öffnete Wendel eine verborgene Thür und führte seine Begleiter auf gewundener Steintreppe hinab in ein großes Gewölbe. Einst hatte der Wein des reichen Klosters darin gelegen, und der Bruder Kellermeister war, ach wie oft, dieselben Stufen hinabgegangen; er war zwischen den Reihen der Fässer umhergewandelt, hatte hier und da eine Probe ausgehoben, und wenn das Glöckchen über ihm läutete, hatte er schnell sein Haupt gesenkt und ein kleines Gebet gesprochen und war darauf wieder an das Kosten gegangen, oder in behaglicher Stimmung auf und ab spaziert. Die Betglocken des Klosters waren längst eingeschmolzen, die leeren Zellen der Brüder hatten Risse, und Getreide wurde jetzt aufbewahrt, wo ehemals der Prior an der Spitze der Brüder beim ehrbaren Mahle saß. Alles war verschwunden, nur der Keller hatte sich erhalten, und wie vor vierhundert Jahren, lagen noch jetzt die Kufen des feurigen Ungarweins auf ihren schmalen Kentnern. Noch immer schossen die Strahlen der schönen Wölbung zu großen Sternen zusammen, noch immer war der Raum mit reinem Weiß getüncht, der Boden mit hellem Sand tief bestreut, noch immer war es Brauch, daß der Kellermeister nur mit einem Wachslicht dem edlen Wein nahen durfte. Es waren nicht dieselben Fässer, aus denen die alten Mönche ihren Trunk zogen, aber es war dasselbe Gewächs von den Rebenhügeln der Hegyalla, der rosige Wein von Menes, der Stolz Oedenburgs und der milde Trank der sorgfältigen Lese von Rust.

»Hundert und fünfzig Kufen, die Kufe zu achtzehn, vierundzwanzig, dreißig Ducaten,« sagte der Agent, und die Inventur der Fässer begann. Mit gesenktem Haupt ging Wendel von einem Faß zum andern, die Kerze in der Hand. Vor jedem blieb er stehen und wischte mit einem reinen Leinwandlappen sorgfältig die kleinste Spur des Schimmels ab, die sich an einzelnen Fässern zeigte. »Es war mein liebster Weg hierher,« [S. 427] sagte er zu Anton. »Seit zwanzig Jahren bin ich zu jeder Weinlese hinausgefahren und habe eingekauft. Es waren fröhliche Tage, Herr Wohlfart, das ist jetzt vorbei für immer. Oft bin ich hier auf und ab gegangen und habe mir das Sonnenlicht angesehen, das von oben auf die Fässer fiel, und habe an die gedacht, die vor mir hier gegangen sind. Heut bin ich zum letzten Mal in diesem Keller. Was wird jetzt aus dem Wein werden? Sie werden ihn fortschaffen, man wird ihn in der Fremde ohne Verstand austrinken; in den Keller wird ein Branntweinbrenner seinen Spiritus thun, oder ein neuer Brauer sein bairisches Bier. Die alte Zeit geht zu Ende auch für mich! — Dies hier ist das edelste Gewächs,« sagte er, zu einem Faß tretend. »Ich hätte es ausnehmen können bei unserer Abmachung. Was soll mir das Faß allein? Austrinken? Ich trinke keinen Wein mehr. Es soll fortgehen mit dem Uebrigen. Nur Abschied will ich noch von ihm nehmen.« Er füllte sein Glas. »Haben Sie je so etwas getrunken?« frug er und hielt Anton betrübt das Glas hin. Anton verneinte gern.

Langsam stiegen sie wieder die Stufen hinauf. An der Schwelle hielt der Kaufmann noch einmal an und sah in den Keller hinab eine lange Weile. Dann drehte er sich entschlossen um, schlug die Kellerthür zu, zog den Schlüssel ab und legte ihn feierlich in Antons Hand. »Hier ist der Schlüssel zu Ihrem Eigenthum, unsere Rechnung ist abgemacht. Leben Sie wohl, meine Herren.« Langsam und mit gesenktem Haupt ging er den verfallenen Kreuzgang hinab; in dem Dämmerlicht des trüben Tages glich er einem der alten Kellermeister des Klosters, der noch als Geist durch die Trümmer der vergangenen Herrlichkeit gleitet. Der Agent rief ihm nach: »Aber das Frühstück, Herr Wendel!« Der Alte schüttelte den Kopf und winkte abwehrend mit der Hand.

Ja, das Frühstück! Jedes Abkommen an diesem Orte wurde mit Wein überschwemmt. Diese langen Sitzungen im Weinhause, welche auch in der traurigen Zeit nicht ausgesetzt wurden, [S. 428] waren für Anton kein geringes Leiden. Er sah, daß man in dem Land viel weniger arbeite und viel mehr schwatze und trinke, als bei ihm daheim. So oft es ihm gelungen war, etwas in's Reine zu bringen, konnte auch er sich dem Frühstück nicht entziehen. Dann setzten sich Käufer, Verkäufer, die Helfer, und wer sonst zu den Bekannten gehörte, in einer Weinhandlung am runden Tisch zusammen, man fing mit Porter an, aß Caviar nach Pfunden und zechte dann den rothen Wein von Bordeaux. Gastfrei wurde nach allen Seiten eingeschenkt; wer ein bekanntes Gesicht hatte, mußte am Gelage Theil nehmen, immer zahlreicher wurde die Gesellschaft, oft kam der Abend heran. Unterdeß ließen die Hausfrauen der Männer, an solche Ereignisse gewöhnt, das Mittagessen wohl drei Mal wieder abtragen und hoben es zuletzt gleichmüthig bis zum andern Tage auf. Oft dachte Anton in solcher Zeit an Fink, der ihm, dem Widerstrebenden, wenigstens eine mäßige Fertigkeit beigebracht hatte, dergleichen schwere Geschäfte mit Anstand durchzumachen.


An einem Nachmittag saß Anton beim Domino. Da rief ein älterer Lieutnant von seiner Zeitung den spielenden Offizieren zu: »Gestern Abend sind einem unserer Husaren zwei Finger der rechten Hand zerschmettert worden. Der Esel, welcher mit ihm einquartiert war, hat mit seinem Karabiner gespielt, in dem er den Schuß nicht herausgezogen hatte. Der Doctor hält eine Amputation für unvermeidlich. — Schade um den tüchtigen Mann, er war einer der brauchbarsten Leute in der Escadron. Solch Malheur trifft immer die Besten.«

»Wie heißt der Mann?« frug Herr von Bolling, seinen Stein setzend.

»Es ist der Gefreite Sturm.«

Anton sprang auf, daß die Steine auf dem Tische tanzten. »Wo liegt der Verwundete?«

[S. 429]

Der Leutnant beschrieb ihm die Lage des Lazareths.

In einem finstern Zimmer, voll von Betten und kranken Soldaten, lag der bleiche Karl und streckte seine linke Hand Anton entgegen. »Es ist vorüber,« sagte er, »es hat höllisch weh gethan, aber ich werde die Hand doch wieder gebrauchen. Die Feder kann ich noch führen, und auch das Uebrige will ich versuchen, und ist's nicht mit der Rechten, so ist's mit der Linken. Nur in goldenen Ringen werde ich keinen Staat mehr machen.«

»Mein armer, armer Karl,« rief Anton, »mit deinem Dienst ist's vorbei.«

»Wissen Sie was,« sagte Karl, »das Unglück will ich ertragen, ein ordentlicher Krieg wird doch nicht; wenn's auf das Frühjahr zum Einsäen kommt, bin ich wieder im Stande. Ich könnte schon jetzt aufstehen, wenn nicht der Doctor so streng wäre. Hier ist es nicht schön,« setzte er entschuldigend hinzu, »es sind viele unserer Leute erkrankt, da muß man sich in der fremden Stadt behelfen.«

»Du sollst nicht in dieser Stube bleiben,« sagte Anton, »wenn ich's ändern kann. Es riecht hier so nach Krankheit, daß ein Gesunder schwach wird; ich werde bitten, daß dein Chef dir erlaubt, in meine Wohnung zu ziehen.«

»Lieber Herr Anton,« rief Karl erfreut. »Still,« sagte dieser, »noch weiß ich nicht, ob wir die Erlaubniß erhalten.«

»Noch eine Bitte habe ich an Sie,« sagte beim Abschiede der Kranke, »daß Sie die Geschichte dem Goliath so mittheilen, daß er nicht zu ängstlich wird. Wenn er's durch Zufall von Fremden erfährt, so stellt er sich wie ein Menschenfresser.«

Das versprach Anton und eilte darauf zu dem Escadronarzt und zu seinem Gönner, dem Rittmeister.

»Ich will mich dafür verwenden, daß er jetzt Urlaub erhält,« versprach dieser. »Da mir bei der Beschaffenheit seiner Wunde seine Verabschiedung zweifellos scheint, so kann er ja bei Ihnen abwarten, bis diese erfolgt.«

Drei Tage darauf trat Karl mit seiner verbundenen Hand [S. 430] in Antons Zimmer. »Da bin ich,« sagte er. »Adieu Dolman, adieu Selim, mein Brauner! Eine Woche müssen Sie noch mit mir Geduld haben, Herr Anton, dann hebe ich Ihnen wieder Tisch und Stuhl mit steifem Arm.«

»Hier ist eine Antwort deines Vaters,« sagte Anton, »sie ist an mich gerichtet.«

»An Sie?« frug Karl verwundert, »warum an Sie? warum hat er denn nicht an mich geschrieben?«

»Höre selbst.« Anton ergriff einen großen Bogen, der von oben an mit halbzölligen Buchstaben bemalt war, und las: »Geehrter Herr Wohlfart, das ist ein großes Unglück für meinen armen Sohn! Zwei Finger von zehn bleiben nur acht. Wenn es auch kleine Finger sind, es thut eben so weh. Es ist ein sehr großes Unglück für uns beide, daß wir einander nicht mehr schreiben können. Deßwegen bitte ich, daß Sie die Güte haben, ihm Alles zu sagen, was folgt. Er soll sich nicht sehr grämen. Bohren kann vielleicht noch gehn, auch Manches mit dem Hammer. Und wenn der Himmel wollte, daß dieses nicht möglich wäre, so soll er sich doch nicht sehr grämen. Es ist für ihn gesorgt, durch einen eisernen Kasten. Wenn ich gestorben bin, findet er den Schlüssel in meiner Westentasche. So lasse ich ihn von ganzem Herzen grüßen. Sobald er wieder fahren kann, soll er zu mir kommen, um so mehr, da ich ihm schriftlich nicht mehr sagen kann, daß ich bin ewig sein getreuer Vater Johann Sturm.« — Anton reichte den Brief dem Invaliden.

»Es ist richtig,« sagte Karl zwischen Lächeln und Wehmuth, »er hat sich in der ersten Angst eingebildet, daß auch er mir nicht mehr schreiben kann, weil ich an der Hand blessirt bin. Der wird Augen machen, wenn er meinen nächsten Brief erhält.«

So wohnte Karl mehrere Wochen in dem Zimmer neben Anton. Sobald er seine Hand wieder bewegen konnte, bemächtigte er sich der Garderobe des Freundes, und begann einige der kleinen Dienste, welche er vor Jahren im Hause [S. 431] des Prinzipals übernommen hatte. Anton hatte zu wehren, daß er nicht die unnöthige Rolle eines Bedienten übernahm. »Hast du schon wieder meinen Rock unter der Bürste?« sagte er in Karls Stube tretend, »du weißt, daß ich das nicht leiden will.« — »Es war nur zur Gesellschaft von meinem,« entschuldigte sich Karl, »zwei neben einander halten sich immer besser als einer. Ihr Kaffe ist fertig, aber die Maschine taugt nichts, er schmeckt immer nach Spiritus.« Da er sich für Anton nicht nützlich machen konnte, wie er sagte, so fing er an, für sich selbst zu arbeiten. Bei seiner alten Vorliebe für Handwerkszeug hatte er bald eine Menge verschiedenartiger Instrumente um sich versammelt, und so oft Anton das Haus verließ, begann ein Sägen, Bohren, Hobeln und Raspeln, daß sogar der taube Artilleriecapitän, welcher im Nebenhause einquartiert war, zu der Ansicht kam, ein Tischler sei eingezogen, und seine eingefallene Bettstelle zum Ausbessern herüberschickte. Da Karl die rechte Hand noch schonen mußte, übte er die linke Hand mit allen Werkzeugen nach der Reihe und freute sich wie ein Kind über die Fortschritte, die er machte. Und als ihm der Arzt für die nächsten Wochen auch diese Thätigkeit abrieth, fing er an mit der linken Hand zu schreiben und zeigte Anton täglich Proben seiner Handschrift. »Es ist nur der Uebung wegen,« sagte er, »der Mensch muß wissen, was er vermag. Uebrigens ist es nur eine Angewohnheit, mit den Händen zu schreiben; wer keine hat, thut's auch mit den Beinen; ich glaube, daß auch die nicht einmal nöthig sind, es müßte auch mit dem Kopfe gehen.«

»Du bist ein Narr,« sagte Anton lachend.

»Ich versichere Sie,« fuhr Karl fort, »ein langes Rohr in den Mund gesteckt, mit zwei Drähten, die hinter die Ohren gedrückt werden, um die Schwankung zu verringern, es müßte ganz erträglich gehen. — Da ist die beinerne Einfassung von Ihrem Schlüsselloche abgesprungen, die wollen wir sogleich leimen.«

»Ich wundere mich, daß sie nicht von selbst wieder fest [S. 432] wird,« spottete Anton, »denn aus deiner Stube kommt ein schrecklicher Leimgeruch hereingezogen. Die ganze Luft ist in Leim verwandelt.«

»Gott bewahre,« sagte Karl, »es ist ja geruchloser Leim, den ich habe, eine neue Erfindung.«

Als der treue Mann mit dem Abschied in der Tasche nach der Heimath zurückfuhr, fühlte sich Anton so vereinsamt, als wäre er erst jetzt aus dem Zauberkreise der großen Waage in die Fremde gezogen.


Einst ging Anton an der verhängnisvollen Herberge vorüber, in welcher sein Prinzipal verwundet worden war. Er stand einen Augenblick still und sah mit Neugier auf das alte Haus und den Hofraum, in welchem jetzt weißröckige Soldaten beschäftigt waren, ihr Lederzeug zu färben und zu glätten. Da erblickte er ein Wesen im schwarzen Kaftan, welches wie ein Schatten aus der Schenkstube quer über die Einfahrt hinglitt. Es waren die schwarzen Ohrlocken, es war das kleine Käppchen, es war Figur und Haltung des alten Bekannten Schmeie Tinkeles. Ach, aber es war nicht sein Gesicht. Der frühere Tinkeles war in seiner Art ein hübscher Bursch gewesen. Er hatte seine beiden Locken stets so glänzend und kokett getragen, wie einem Geschäftsmann nur möglich ist, er hatte hübsche rothe Lippen gehabt und einen leichten Rosaschimmer auf seinen gelben Wangen. Der gegenwärtige Schmeie war nur ein Schatten des frühern. Er sah gespenstig bleich aus, seine Nase war spitz und groß geworden, und sein Kopf hing ihm nach vorn, wie der Kelch einer welkenden Blume am Bach Kidron.

Anton rief erstaunt: »Tinkeles, seid Ihr's wirklich?« und trat auf ihn zu. Tinkeles schrak zusammen, wie von einem Blitzstrahl getroffen, und starrte mit aufgerissenen Augen Anton an, ein Bild des Schreckens und der Furcht. »Gott gerechter!« waren die einzigen Worte, welche über seine blutlosen Lippen kamen.

[S. 433]

»Was habt Ihr, Tinkeles? Ihr seht ja aus wie ein armer Sünder! Was treibt Ihr hier am Platz? und wie zum Teufel kommt Ihr grade in dieses Haus?«

»Ich kann doch nichts dafür, daß ich hier bin,« antwortete der Geschäftsmann noch immer in halber Bewußtlosigkeit; »ich kann doch nichts dafür, daß der Prinzipal hat solches Unglück gehabt mit dem Menschen. Sein Blut ist ja geflossen wegen der Waaren, welche der Mausche Fischel hatte abgeschickt und hatte das Geld bereits gezogen. Ich bin unschuldig, Herr Wohlfart, auf meine ewige Seligkeit, ich habe nicht gewußt, daß der Wirth ist ein so schlechter Mensch, und wird die Hand aufheben gegen den Herrn, welcher vor ihm steht ohne Hut, ohne Mütze. — Ohne Mütze,« jammerte er lauter, »in bloßem Kopf, Sie können glauben, es ist mir gewesen, als wenn ein Schwert fiele in meinen Leib, als ich habe gesehen, wie der Wirth sich benommen hat so gewaltthätig gegen einen Mann, der vor ihm stand mit aufgerichtetem Haupt als ein Ehrenmann, was er ist gewesen sein Lebelang.«

»Hört, Schmeie,« sagte Anton, erstaunt auf den Galizier blickend, der immer noch darnach rang, durch Worte seine Fassung wieder zu gewinnen, »hört, mein Bursch, Ihr seid hier in dieser Herberge gewesen, als die Wagen geplündert wurden, Ihr habt aus einem Versteck unsern Streit mit dem Wirth angesehen. Ihr kennt den Wirth und wohnt noch hier, ich will Euch gerade heraus sagen, was Ihr mir zur Hälfte eingestanden habt. Ihr habt von dem Abladen der Wagen gewußt; und ich will Euch noch etwas anvertrauen, Ihr habt ein Interesse daran gehabt, daß die Fuhrleute hier zurückblieben, und Ihr habt mit dem Wirth unter einer Decke gesteckt. Nach dem, was Ihr mir gesagt habt, lasse ich Euch nicht los, bevor ich Alles weiß. Ihr werdet entweder jetzt auf mein Zimmer kommen und mir freiwillig gestehen, was Ihr wißt, oder ich führe Euch zum Militär und lasse Euch von den Soldaten verhören.«

[S. 434]

Tinkeles war vernichtet. »Gott meiner Väter, es ist schrecklich, es ist schrecklich!« wimmerte er leise und klapperte mit den Zähnen.

Anton fühlte Mitleid mit der großen Angst des Mannes und sagte: »Kommt mit mir, Tinkeles; ich verspreche Euch, wenn Ihr ehrlich gesteht, soll Euch nichts geschehen.«

»Was soll ich gestehn dem Herrn,« ächzte Schmeie, »wo ich doch nichts habe zu gestehn?«

»Wenn Ihr nicht gutwillig kommt, so rufe ich die Soldaten,« sagte Anton barsch.

»Nichts von Soldaten,« bat Tinkeles wieder schauernd, »ich will kommen mit Ihnen und will sagen, was ich weiß, wenn Sie mir wollen versprechen, daß Sie mich verrathen gegen Niemanden, nicht an Ihren Prinzipal und nicht an Mausche Fischel, auch nicht an den schlechten Menschen diesen Wirth, und an keinen Soldaten.«

»Kommt,« sagte Anton und wies mit der Hand die Straße hinab. So führte er den Willenlosen wie einen Gefangenen mit sich fort und verwandte kein Auge von ihm, weil er befürchtete, daß Schmeie den Rathschlägen seines bösen Gewissens folgen und in eine Seitengasse entlaufen könnte.

Der Galizier hatte nicht den Muth dazu, er schlich mit gesenktem Haupt neben Anton her, sah ihn zuweilen seufzend an und gurgelte unverständliche Worte vor sich hin. Auf Antons Zimmer fing er aus freien Stücken an: »Es ist mir gewesen eine Last auf meinem Herzen, ich habe nicht können schlafen, ich habe nicht können essen und trinken, und wenn ich gelaufen bin, um zu machen ein Geschäft, so hat es mir in der Seele gelegen, wie ein Stein in einem Glase: wenn man trinken will, fällt der Stein auf die Zähne, und man beschüttet sich mit Wasser. Weh! was habe ich mich beschüttet!«

»So redet,« sagte Anton, wieder erweicht durch die aufrichtige Klage.

»Ich bin hergekommen wegen der Wagen,« fuhr Tinkeles hastig fort und sah Anton furchtsam an. »Der Mausche [S. 435] hatte doch mit Ihnen gehandelt seit zehn Jahren, und immer ehrlich, und Sie haben verdient ein gutes Stück Geld an ihm; und da hat er gemeint, daß jetzt gekommen wäre die Zeit, wo er anfangen könnte ein großes Geschäft und mit Ihnen seine Abrechnung machen.« Und wie losgegangen ist das Geschrei und das Geschmuse, da ist er zu mir gekommen und hat zu mir gesagt: »Schmeie,« sagt' er, »du hast keine Furcht,« sagt' er. »Laß sie schießen und gehe unter sie und sieh, daß du anhältst die Wagen für mich. Vielleicht kannst du sie verkaufen unterwegs, vielleicht bringst du mir sie zurück, es ist immer besser, wir haben sie, als es hat sie ein Anderer.« »So bin ich hergekommen und habe gewartet, bis die Wagen angekommen sind, und habe gesprochen mit dem Wirth, weil die Waaren doch nicht würden kommen in Ihre Hände, wäre es am besten, sie kämen wieder in unsere. Aber daß der Wirth soll sein ein solcher Blutmensch, das habe ich nicht gewollt und habe ich nicht gewußt, und seit ich habe gesehen, wie er Ihrem Herrn hat aufgeschnitten den Rock, habe ich keine Ruhe gehabt, und ich habe immer gesehn vor mir das blutige Hemd und das feine Tuch von seinem grünen Rock, welches entzwei geschnitten war.«

Anton hörte die Geständnisse des Tinkeles mit einem Interesse an, welches den Widerwillen überwog, den er gegen das — nicht seltene — Manöver der galizischen Händler empfand. Er begnügte sich, dem Sünder zu sagen: »Eurer Schurkerei verdankt Herr Schröter seinen wunden Arm, und wären wir Euch nicht in die Quere gekommen, so hättet Ihr uns zwanzigtausend Thaler gestohlen.«

»Es sind nicht zwanzigtausend,« rief Schmeie sich windend, »die Wolle steht schlecht, und mit Talg ist nichts zu machen. Es sind weniger als zwanzig.«

»So,« sagte Anton verächtlich, »und was werde ich jetzt mit Euch thun?«

»Thun Sie nichts mit mir,« bat Schmeie beweglich und legte seine Hand bittend auf Antons Rock. »Lassen Sie [S. 436] schlafen die ganze Geschichte. Sie haben die Waaren, seien Sie damit zufrieden. Es ist ein schönes Geschäft, das der Mausche Fischel nicht hat machen können, weil Sie ihn haben daran gehindert.«

»Es thut Euch noch leid?« erwiederte Anton erzürnt.

»Es ist mir recht so, daß Sie die Waaren haben,« sagte der Jude, »denn Sie haben vergossen Ihr Blut darüber. Und deßhalb thun Sie nichts mit mir; ich will sehen, daß ich Ihnen kann in andern Sachen zu Gefallen sein. Wenn Sie etwas zu thun haben hier am Ort für mich, es wird mir sein eine Beruhigung, daß ich Ihnen kann zu etwas verhelfen.«

Anton antwortete kalt: »Wenn ich Euch auch versprochen habe, Eure Spitzbüberei dem Gericht nicht anzuzeigen, so können wir doch mit Euch kein Geschäft mehr machen. Ihr seid ein schlechter Mensch, Tinkeles, und habt Euch gegen unser Haus unredlich bewiesen. Wir sind von jetzt ab geschiedene Leute.«

»Warum sagen Sie mir, daß ich ein schlechter Mensch bin?« klagte Tinkeles; »Sie haben mich gekannt als ehrlichen Mann seit Jahren, wie können Sie sagen, daß ich schlecht bin, weil ich habe einmal machen wollen ein Geschäft, und habe dabei Unglück gehabt und hab's nicht gemacht? Ist das schlecht?« —

»Es ist genug,« sagte Anton, »Ihr könnt jetzt gehen.« Tinkeles blieb stehen und frug: »Können Sie vielleicht brauchen neue kaiserliche Ducaten? Ich kann sie Ihnen besorgen mit fünf und ein Viertel« — »Ich will nichts von Euch,« sagte Anton, »geht.«

Der Jude ging zögernd bis zur Thür und drehte wieder um. »Es ist zu machen ein schönes Geschäft mit Hafer, wenn Sie wollen mit übernehmen die Lieferung, ich will Ihnen einen Theil verschaffen: es ist dabei zu verdienen ein rares Geld.«

»Ich mache keine Geschäfte mit Euch, Tinkeles; geht in Gottes Namen.«

[S. 437]

Der Jude schlich hinaus: noch einmal kratzte es an der Thür, aber das Gewissen war in dem Schelm so mächtig geworden, daß er sich nicht mehr in das Zimmer traute. Nach einigen Minuten sah Anton, wie er schwermüthig quer über die Straße ging.

Seit diesem Tage wurde Anton durch den reuigen Tinkeles in Belagerungszustand gesetzt. Kein Tag verlief, wo der Galizier sich nicht an Anton herandrängte und in seiner Weise Versöhnung mit ihm suchte. Bald überfiel er ihn auf der Straße, bald störte sein unsicheres Klopfen den Beschäftigten am Schreibtisch, immer aber hatte er etwas anzubieten, oder Neues mitzutheilen, wodurch er Gnade zu erwerben hoffte. Rührend war seine Erfindungskraft, er erbot sich, alles Mögliche für Anton zu kaufen, oder zu verkaufen, jede Art von Geschäftsgängen zu machen, zu spioniren und zuzutragen. Und als er entdeckte, daß Anton auch mit Offizieren verkehrte, und daß besonders ein junger Lieutnant mit zartem Gesicht und einem kleinen Bart zuweilen mit Anton aus der Restauration ging und die Wohnung desselben besuchte, da fing Tinkeles an, auch solche Gegenstände anzubieten, die nach seiner Meinung für einen Offizier angenehm sein mußten. Anton blieb zwar dabei, jedes Geschäft mit dem Sünder zu vermeiden, konnte aber zuletzt nicht mehr über's Herz bringen, den armen Teufel rauh zu behandeln, und Tinkeles erkannte aus manchem unterdrückten Lächeln oder aus kurzen Fragen Antons, daß seine Fürsprache beim Chef des Hauses nicht unmöglich sei. Und er warb darum mit der Ausdauer seines Ahnherrn Jakob.

An einem Morgen klirrte der junge Rothsattel in Antons Zimmer. »Ich werde krank gemeldet, habe starken Katarrh und muß in meinem trostlosen Quartier bleiben,« sagte er, sich auf dem Sopha niederlassend. »Sie können mir heut Abend helfen die Zeit vertreiben. Wir spielen eine Partie Whist. Ich habe noch unsern Doctor und einen und den andern Kameraden dazu aufgefordert. Werden Sie kommen?« — [S. 438] Erfreut und ein wenig geschmeichelt sagte Anton zu. »Gut,« fuhr der junge Herr fort, »dann müssen Sie mir auch die Möglichkeit geben, mein Geld an Sie zu verlieren; das elende Vingt-un hat mir die Taschen rein ausgefegt. Leihen Sie mir auf acht Tage zwanzig Ducaten.« »Mit Vergnügen,« sagte Anton und suchte eilig seine Börse hervor.

Als der Lieutnant das Geld nachlässig in seine Tasche steckte, klang auf der Straße der Hufschlag eines Pferdes; schnell trat er an das Fenster. »Wetter, das ist eine hübsche Katze, polnisches Blut, der Roßkamm hat sie einem der Rebellen gestohlen und will jetzt einen ehrlichen Soldaten damit anführen.«

»Woher wissen Sie, daß das Pferd zu verkaufen ist?« frug Anton, der unterdeß am Schreibtisch einen Brief siegelte.

»Sehen Sie nicht, daß ein Gauner das Thier im Parademarsch vorbeiführt?«

In dem Augenblick klopfte es leise an der Thür, und Schmeie Tinkeles schob zuerst sein lockiges Haupt und darauf den schwarzen Kaftan in die Stube und gurgelte unterwürfig: »Ich wollte die gnädigen Herren fragen, ob sie vielleicht wollen ansehen ein Pferd, welches so viel Louisd'or werth ist, als es Thalerstücke kostet. — Wenn Sie doch nur gehen wollten bis an das Fenster, Herr Wohlfart, Sie sollen es ja nur ansehen; sehen ist nicht kaufen.«

»Ist diese Gestalt einer von Ihren Geschäftsfreunden, Wohlfart?« frug der Lieutnant lachend.

»Er ist es nicht mehr, Herr von Rothsattel,« antwortete Anton in demselben Ton, »er ist in Ungnade gefallen. Diesmal gilt sein Besuch Ihnen. Nehmen Sie sich in Acht, er wird Sie verführen, das Pferd zu kaufen.«

Der Händler hörte aufmerksam der Unterredung zu und heftete seinen Blick neugierig auf den Lieutnant. »Wenn der gnädige Herr Baron will kaufen das Pferd,« sagte er zudringlich zu dem Lieutnant tretend und denselben unverrückt anstarrend, »so wird es ein schönes Reitpferd sein auch auf dem Gut in Ihrer Wirthschaft.«

[S. 439]

»Was zum Henker weißt du von meinem Gut?« sagte der Lieutnant; »ich habe kein Gut!«

»Kennt Ihr diesen Herrn?« frug Anton.

»Warum soll ich ihn nicht kennen, wenn er es ist, welcher das große Gut hat in Ihrem Lande und jetzt gebaut hat eine Fabrik, worin er macht Zucker aus Viehfutter.«

»Er meint Ihren Herrn Vater,« sagte Anton zum Lieutnant; »Tinkeles hat seine Verbindung auch in unserer Provinz und hält sich oft Monate bei uns auf.«

»Was ich höre!« rief der Galizier nachdenkend, »es ist der Vater von dem Herrn Offizier. Um Vergebung, Herr Wohlfart, also Sie sind bekannt mit dem Herrn Baron, welcher ist der Vater von diesem Herrn!« — Um den Schnurrbart des Lieutnant zuckte ein Lächeln.

»Ich habe den Vater dieses Herrn wenigstens gesehen,« antwortete Anton, unwillig über die zudringliche Frage des Händlers und darüber, daß er das Erröthen seiner Wangen fühlte.

»Und um Vergebung, wenn ich fragen darf, Sie kennen den Herrn Offizier genau, wie man kennt einen jungen Freund —«

»Was geht Euch das an, Tinkeles?« frug Anton barsch und erröthete noch tiefer, weil er auf die Frage nicht so recht zu antworten wußte.

»Ja, er ist mein guter Freund, Jude,« sagte der Lieutnant, auf Antons Schulter schlagend. »Er ist mein Cassirer, er hat mir heute erst zwanzig Ducaten geborgt und wird mir kein Geld geben, um dein Pferd zu kaufen. Also geh zum Teufel.«

Der Händler lauschte mit vorgebogenem Hals auf jedes Wort des Offiziers und sah die jungen Männer mit einer Neugierde, und wie Anton zu bemerken glaubte, mit einer Theilnahme an, welche von seinem gewöhnlichen lauernden Wesen verschieden war. »Also zwanzig Ducaten hat er Ihnen geborgt,« wiederholte er mechanisch, »er wird Ihnen auch [S. 440] mehr borgen, wenn Sie mehr von ihm verlangen. Ich weiß,« murmelte er, »ich weiß.«

»Was wißt Ihr?« frug Anton.

»Ich weiß doch, wie es ist unter jungen Herren, welche gut Freund mit einander sind,« sagte der Händler mit einer nachdrücklichen Bewegung des Kopfes. »Also Sie können das Pferd nicht brauchen, Herr Wohlfart? So empfehle ich mich Ihnen, Herr Wohlfart.« Bei diesen Worten kehrte er kurz um und verschwand. Gleich darauf hörte man das Pferd im Trabe fortreiten.

»Ist das ein verrückter Kerl!« rief der Lieutnant, dem Davoneilenden nachsehend.

»Er ist sonst nicht so schnell bereit, sich zu entfernen,« erwiederte Anton, verwundert über das räthselhafte Benehmen des Geschäftsmannes. »Wahrscheinlich hat Ihre Uniform seinen Abgang beschleunigt.«

»Ich hoffe, sie hat Ihnen einen Gefallen gethan. Also heut Abend,« sagte der Lieutnant grüßend und verließ das Zimmer.

Am Nachmittag tönte wieder das leise Klopfen an Antons Thür, Tinkeles erschien auf's Neue. Er sah sich vorsichtig in der Stube um und trat, ohne auf Antons finstere Stirn zu achten, nahe an ihn heran. »Erlauben Sie mir zu fragen,« sprach er mit vertraulichem Kopfschütteln, »ist es in der Wahrheit, daß Sie ihm geborgt haben zwanzig Ducaten, und daß Sie ihm geben würden noch mehr, wenn er mehr haben wollte?«

Anton sah den Händler erstaunt an und sagte aufstehend: »Ich habe ihm das Geld gegeben und werde ihm noch mehr geben. Und jetzt sagt Ihr mir gerade heraus, was Euch im Kopfe herumgeht. Denn ich sehe, Ihr habt mir etwas mitzutheilen.«

Tinkeles machte ein schlaues Gesicht und zwinkerte bedeutungsvoll mit den Augen. »Wenn er auch ist Ihr guter Freund, so nehmen Sie sich doch in Acht, daß Sie ihm borgen [S. 441] kein Geld. Wissen Sie was, borgen Sie ihm keinen Gulden mehr,« wiederholte er nachdrücklich.

»Und weßhalb nicht?« frug Anton. »Euer guter Rath ist mir nichts werth, wenn ich nicht weiß, aus welchen Gründen Ihr mich warnt.«

»Und wenn ich Ihnen sage, was ich weiß, wollen Sie dann sprechen für mich bei Herrn Schröter, daß er nicht mehr denkt an die Frachtwagen, wenn er mich sieht in Ihrem Comtoir?« frug der Jude schnell.

»Ich will ihm sagen, daß Ihr mir seit der Zeit in anderer Weise ehrlich gedient habt. Was er dann thun wird, steht bei ihm,« erwiederte Anton eben so schnell.

»Sie werden sprechen für mich,« sagte der Händler, »das ist mir genug. Und Sie sollen hören, was Ihnen erhalten kann Ihr gutes Geld. — Es steht faul mit dem Rothsattel, dem Vater dieses jungen Menschen, sehr faul; das Unglück hält über ihn eine schwarze Hand. Er ist ein verlorner Mensch. Es ist ihm nicht zu helfen.«

»Woher habt Ihr diese Nachricht?« rief Anton erschrocken. »Es ist unmöglich,« setzte er ruhiger hinzu, »es ist eine Unwahrheit, Geschwätz von Winkelagenten und ähnlichem Volk.«

»Glauben Sie meiner Rede,« sprach der Jude mit einem eindringlichen Ernst, welcher seine Figur größer machte und sogar seine Sprache weniger mißtönend. »Sein Vater ist unter den Händen von Einem, der heimlich wandelt wie ein Engel des Verderbens. Er geht und legt seinen Strick um den Hals der Menschen, die er bezeichnet hat, ohne daß ihn Einer sieht. Er zieht den Strick zu, und sie fallen um, wie die hölzernen Kegel. Warum wollen Sie Ihr Geld verlieren an solche Leute, die schon tragen die Schlinge am Halse?«

»Wer ist der Teufel, den Ihr meint, wer hat den Baron in Händen?« rief Anton in einer Aufregung, welche ihn alle Vorsicht vergessen ließ.

»Was nützt der Name,« erwiederte der Galizier kalt. »Wenn ich auch wüßte den Namen, so würde ich ihn doch nicht sagen, [S. 442] und wenn ich ihn sage, es kann Ihnen nichts helfen und dem Rothsattel auch nicht, denn Sie kennen den Mann nicht, und Ihr Baron kennt ihn vielleicht auch nicht.«

»Ist dieser Mann Ehrenthal?« frug Anton.

»Ich kann den Namen nicht sagen,« wiederholte der Händler mit einem Achselzucken, »aber der Hirsch Ehrenthal ist es nicht.«

»Wenn ich Euren Worten glauben soll, und wenn Ihr mir damit einen Dienst leisten wollt,« fuhr Anton ruhiger fort, »so müßt Ihr mir Genaues mittheilen. Ich muß den Namen dieses Mannes wissen, und ich muß Alles wissen, was Ihr über ihn und den Freiherrn gehört habt.«

»Nichts habe ich gehört,« antwortete der Händler verstockt, »wenn Sie mich fragen wollen, wie die Gerichte fragen. Eine Rede, die gesprochen, verfliegt in der Luft, wie ein Geruch, der Eine fängt das auf, der Andere jenes. Ich kann Ihnen nicht sagen die Worte, die ich gehört habe, und ich will sie nicht sagen um vieles Geld. Ich will nicht die Hand legen an meine Gebetschnüre und vor Gericht zeugen. Was ich spreche, ist gut für Ihr Ohr und für kein anderes. Ihnen aber sage ich, daß Zwei haben zusammen gesessen nicht einen Abend, viele Abende, und nicht in einem Jahre, sondern mehrere Jahre, und sie haben leise mit einander gemurmelt in unserer Herberge hinten an dem Geländer, wo unten das Wasser läuft. Und das Wasser hat gemurmelt unten, und sie haben gemurmelt oben über dem Wasser. Ich lag in der Stube auf meinem Strohsack, daß sie glaubten, ich schliefe. Und oft habe ich gehört aus dem Munde von Beiden den Namen Rothsattel und den Namen von seinem Gute. Und ich weiß, daß ein Unglück über ihm steht, aber weiter weiß ich nichts. Und jetzt ist es gesagt und ich werde gehen. Der gute Rath, den ich Ihnen gegeben habe, soll sein Ihre Bezahlung für den Tag, wo Sie gefochten haben mit einer Pistole für die Wolle und für die Häute. Und Sie werden denken an das Versprechen, das Sie mir gegeben haben.«

[S. 443]

Anton sah besorgt vor sich nieder. Durch Bernhard wußte er, daß der Freiherr mit Ehrenthal in vielfacher Verbindung stand, und dieser Verkehr des Gutsbesitzers mit dem übelberüchtigten Speculanten war ihm schon oft auffallend erschienen. Aber was Tinkeles sagte, klang doch zu unglaublich, er selbst hatte nie etwas Ungünstiges über die Verhältnisse des Freiherrn gehört. »Bei dem, was Ihr mir heut erzählt habt,« sprach er nach einer Weile, »kann ich mich nicht beruhigen. Ihr werdet Euch besinnen, vielleicht erinnert Ihr Euch an die Namen und einzelnen Worte, die Ihr gehört habt.«

»Vielleicht werde ich mich erinnern,« erwiederte der Galizier mit einem eigenthümlichen Ausdruck, der dem bekümmerten Anton entging. »Und so haben wir geschlossen unsere Rechnung, ich habe Ihnen Sorge gemacht und Gefahr, dafür habe ich Ihnen jetzt gethan einen Gefallen. Einen großen Gefallen,« setzte er selbstgefällig in das betroffene Gesicht Antons blickend hinzu. — »Können Sie gebrauchen Louisd'or gegen Banknoten?« frug er plötzlich im Geschäftston; »ich kann Ihnen lassen Louisd'or, wenn Sie mir dafür geben Ducaten oder Banknoten.«

»Ihr wißt, ich mache keine Geldgeschäfte,« antwortete Anton zerstreut. — »Vielleicht können Sie abgeben Wiener Wechsel auf gute Häuser?« — »Ich habe keine Wechsel abzugeben,« sagte Anton ärgerlich.

»Gut,« sagte der Jude, »eine Anfrage beißt Niemanden,« und wandte sich zum Gehen. An der Thür hielt er noch einen Augenblick an. »Dem Seligmann, der das Pferd hat vorgeführt für die Herren und hat auf die Herren gewartet einen ganzen halben Tag, habe ich geben müssen zwei Gulden Münz. Es ist eine baare Auslage, die ich gehabt habe für Sie, wollen Sie mir nicht wiedergeben meine zwei Gulden?«

»Gott sei Dank!« rief Anton wider Willen lächelnd, »jetzt seid Ihr wieder der alte Tinkeles. Nein, Schmeie, die zwei Gulden bekommt Ihr nicht.«

[S. 444]

»Und Sie wollen mir nicht abnehmen die Louisd'or gegen Papier auf Wien?«

»Auch nicht,« erwiderte Anton.

»Adjes,« sagte Tinkeles. »Wenn ich Sie wiedersehe, sind wir gut Freund mit einander.« Er ergriff die Klinke. »Und wenn Sie wissen wollen den Namen von diesem Mann, der den Rothsattel so herunterbringen kann, daß er klein wird, wie das Gras auf der Landstraße, wo Jedermann tritt darauf, so fragen Sie nach dem Buchhalter von Hirsch Ehrenthal, mit Namen Itzig. Veitel Itzig wird sein der Name.« Bei diesen Worten eilte Tinkeles zur Thür hinaus. Anton sprang ihm nach, aber der Händler hörte nicht auf sein Rufen und war aus der Hausthür geschlüpft, bevor Anton ihn einholen konnte. Da gegründete Aussicht war, ihn in Kurzem wieder zu sehen, so ging Anton, sehr beschäftigt durch die Geständnisse des wunderlichen Heiligen, auf sein Zimmer zurück.

Was er gehört hatte, mußte er sogleich dem Sohne des Freiherrn mittheilen. Er sagte sich, daß bei dem großen Zartgefühl seines militärischen Freundes diese Mittheilung schwierig sei. »Aber es muß geschehen, noch heut Abend ziehe ich ihn bei Seite, ich gehe zeitig zu ihm, oder bleibe beim Aufbruch zurück.«


Diesem guten Vorsatz gönnte das Schicksal eine bequeme Ausführung nicht. So früh Anton auch in das Quartier des jungen Rothsattel eilte, er fand doch die Stube bereits durch fünf bis sechs Husarenlieutnants besetzt. Eugen lag in seinem Schlafrock auf dem Sopha, die Escadron lagerte um ihn herum. Gleich nach Anton trat der Doctor ein. »Wie geht's?« frug dieser zum Kranken tretend.

»Gut genug,« erwiederte Eugen; »ich brauche Ihre Giftpulver nicht.«

»Etwas Fieber,« fuhr der Doctor fort, »eingenommener [S. 445] Kopf und so weiter. Es ist zu heiß hier, ich schlage vor, das Fenster zu öffnen.«

»Beim Teufel, das werden Sie nicht, Doctor,« rief ein junger Herr, der sich aus zwei Stühlen eine Art Bank zusammengerückt hatte. »Sie wissen, daß ich außer dem Dienst keinen Zug vertragen kann.« — »Lassen Sie zu,« rief Eugen, »wir sind Homöopathen, die Wärme vertreiben wir durch Wärme. Was trinken wir?«

»Irgend ein Punsch wird für den Patienten immer noch am gesündesten sein,« sagte der Doctor.

»Holen Sie die Ananas, bester Anton, sie liegt mit dem ganzen Apparat hier nebenan,« bat Eugen.

»Ei,« rief der Doctor, als Anton die Frucht und der Bursch einen Korb Wein hereinbrachten, »ein süßer Coloß, ein ausgezeichnetes Exemplar. Mit Verlaub, ich mache den Punsch, die Mischung muß nach dem Zustand des Patienten eingerichtet werden.« Er griff nach seiner Tasche, brachte ein schwarzes Besteck hervor und suchte ein Messer zum Zerschneiden der Früchte.

»Alle Wetter! plagt Sie der Teufel! Zum Henker mit Ihrem Besteck!« riefen sämmtliche Husarenoffiziere aufspringend. Wie Heckenfeuer fuhren die Verwünschungen um das Haupt des Doctors.

»Meine Herren,« rief der Doctor, nur wenig eingeschüchtert durch den Sturm des Unwillens, »hat Einer von Ihnen ein Messer? Sehen Sie nicht erst nach, ich weiß, Keiner hat eins. Spiegel und Bürste, weiter darf man in Ihren Taschen doch nichts suchen. Und versteht Einer von Ihnen eine Bowle zu machen, die ein Mann von Herz und Welt trinken kann? Austrinken, ja, aber machen können Sie nichts.«

»Ich will's versuchen, Doctor,« sagte Bolling aus einer Ecke.

»Ah, Herr von Bolling, Sie auch hier?« erwiederte der Doctor mit einer Verbeugung.

Bolling nahm ihm die Ananas aus der Hand und hielt [S. 446] sie sorgfältig aus dem Bereich des medicinischen Armes. »Kommen Sie, Anton,« rief er, »und verhüten Sie, daß dieses Ungeheuer von Doctor mit seinem Tranchirmesser dem Getränk zu nahe kommt.«

Während Anton mit dem älteren Lieutnant in eifriger Thätigkeit war, zog der Doctor zwei Spiele Karten aus der Tasche und legte sie feierlich auf den Tisch.

»Fort mit Ihren Karten,« rief Eugen, »heut wenigstens wollen wir ohne Sünde beisammen bleiben.«

»Sie können's ja nicht,« spottete der Doctor, »Sie selbst sind der Erste, der darnach greifen wird. Ich beabsichtigte nichts, als ein ruhiges Whist mit stabilem Paré nach rechts und links, ein Spiel für fromme Einsiedler. Was Sie aber mit diesen Karten anfangen, das wird die Zeit lehren. Hier liegen sie beim Leuchter.«

»Hört nicht auf den Versucher,« rief einer der Lieutnants lachend.

»Wer die Karte zuerst anfaßt, zahlt ein Frühstück zur Strafe,« ein anderer.

»Hier ist der Trank,« sagte Bolling und trug die Bowle auf den Tisch. Er goß ein. »Kosten Sie, Blutmensch,« sagte er zu dem Doctor.

»Roh,« entschied dieser, »morgen Abend wird sie trinkbar sein.«

Während die Herren sich über das Getränk stritten, griff Eugen nach einem Spiel Karten und zog es mechanisch in zwei Häufchen ab, die er neben einander legte. Der Doctor rief: »Halt, gefangen! Er selbst zahlt die Strafe.« Alles lachte und drängte an den Tisch. »Die Bank, Doctor,« riefen die Offiziere, sie warfen ihm die Karten zu, schnell kamen einige andere Spiele aus den Taschen der Herren ans Licht, der Doctor legte ein Häufchen Papier und Silber auf den Tisch, das Spiel begann. Man pointirte nicht gerade hoch, kurze Scherze begleiteten den Gewinn und Verlust der Spieler. Auch Anton ergriff eine Karte und setzte ohne Aufmerksamkeit. [S. 447] Er vermochte heut nur mit Mühe an der Unterhaltung Theil zu nehmen und sah mit inniger Theilnahme auf den jungen Rothsattel, der sich ahnungslos über die Karten beugte. Anton gewann einige Thaler, aber mit Mißbehagen bemerkte er, daß Eugen endloses Unglück hatte. Ein Ducaten nach dem andern flog in die Casse des Bankhalters. Da Anton bei dem Verlust seines Wirthes nicht ganz unbetheiligt war, so machte er keine Bemerkung darüber, aber der Doctor selbst sagte zu seinem Patienten, nachdem er wieder einige Ducaten eingestrichen hatte: »Sie sind heiß geworden, Sie haben Fieber, es wäre am klügsten, wenn Sie nicht mehr spielten, ich habe noch nie einen Fieberkranken gehabt, der nicht im Pharao verloren hätte.«

»Das geht Sie nichts an, Doctor,« erwiederte Eugen heftig und setzte wieder.

»Du hast Unglück, Eugen,« rief der gutmüthige Bolling, »du gehst wieder zu sehr ins Geschirr.«

Als der Abzug beendet war, nahm der Doctor die Karten und steckte sie gemüthlich in die Tasche. »Die Bank hat stark gewonnen,« sagte er, »aber ich höre doch auf, es ist genug des Guten.«

Wieder erhob sich ein Sturm unter den Offizieren. »Ich will Bank legen,« rief Eugen, »geben Sie mir Ihre Casse, Wohlfart.«

Der Doctor protestirte, endlich beruhigte er sich mit der Ansicht, »vielleicht hat er Glück als Bankier, man muß dem Menschen nicht die Gelegenheit entziehen, eine Scharte auszuwetzen.«

Anton holte einige Cassenbillets aus der Tasche und legte sie schweigend vor Eugen hin, aber er selbst spielte nicht mehr. Traurig saß er da und sah auf seinen guten Freund, der mit einem Gesicht, das von Wein und Fieber glühte, auf die Karten der Spieler hinstarrte. Wieder flog ein Abzug auf den andern und wieder verlor Eugen, was er vor sich hatte. Die Cassenscheine flogen von ihm weg, kaum einmal fiel ein [S. 448] Blatt zu seinen Gunsten. Verwundert sahen die Offiziere einander an. »Auch ich schlage vor, daß wir aufhören,« rief Bolling, »ein ander Mal geben wir dir Revanche.«

»Ich will sie heut haben,« rief Eugen, sprang auf und verschloß die Thür, »Keiner kommt heraus. Setzt ordentlich und wagt, hier ist Geld.« Er warf einen Haufen Streichhölzer auf den Tisch. »Das Holz einen Champagnerthaler, morgen zahle ich; ich gebe zu, daß das Holz einmal gebrochen wird, unter einem Thaler kein Point.« Wieder fuhren die Karten auf den Tisch und wieder ging das Spiel fort. Anton bemächtigte sich unterdeß des Punschlöffels und beschloß, nichts mehr in die Gläser zu gießen. Eugen verlor immerfort; die Streichhölzer wurden wie durch eine geheime Kraft nach allen Richtungen fortgerissen. Eugen holte neue Bündel und rief: »Beim Abschied machen wir Rechnung.« Da erhob sich Bolling und stampfte mit dem Stuhle auf den Boden.

»Ein Hundsfott, wer die Stube verläßt,« rief Eugen.

»Du bist ein Narr,« sagte der Andere unwillig, »es ist Unrecht, seinem nächsten Kameraden das Geld abzunehmen, wie wir heut mit dir thun. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Wenn hier der Satan sein Spiel hat, ich will ihm nicht helfen.« Er setzte sich vom Tisch ab, Anton trat zu ihm; Beide sahen schweigend dem Uebermuth zu, mit welchem das Geld aus einer Hand in die andere geworfen wurde.

»Auch ich habe genug,« sagte der Doctor und zeigte ein dickes Bund Hölzer in seiner Hand. »Dies ist ein merkwürdiger Abend; seit ich Karten kenne, ist mir so etwas noch nicht vorgekommen. Er vermag kein Paroli abzuschlagen.«

Von Neuem sprang Eugen zu dem Seitentisch, wo die Hölzer lagen, da ergriff Bolling den Rest des Packets, öffnete das Fenster und warf die Hölzer hinunter auf die Straße. »Besser, die Teufelsbolzen verbrennen da unten einen Stiefel, als hier deine Börse,« rief er. Darauf schleuderte er die Karten auf die Erde. »Das Spiel soll aufhören, du hast [S. 449] uns vorhin aufgetrumpft, wie einer aus der Wachtstube des alten Dessauers, ich thue jetzt dasselbe.«

»Ich verbitte mir solche Befehle,« rief Eugen gereizt.

Bolling schnallte seinen Säbel um und griff mit der Hand an das Gefäß. »Du wirst dich heut fügen,« sagte er ernst, »morgen will ich dir vor dem Corps Rede stehen. Macht Eure Rechnung, Ihr Herren, wir brechen auf.«

Die Marken wurden auf den Tisch geworfen, der Doctor zählte.

Eugen riß finster die Brieftafel aus der Tasche und notirte seine Schuld an die Einzelnen. Ohne Behagen, mit kurzem Gruß entfernte sich die Gesellschaft. »Es sind gegen achthundert Thaler,« sagte der Doctor auf dem Wege. Bolling zuckte die Achseln. »Ich hoffe, er kann das Geld schaffen, aber ich wollte doch, daß Sie heut das Stempelpapier in Ihrer Tasche behalten hätten. Wenn von der Geschichte etwas verlautet, so wird Rothsattel keine Ursache haben, sich zu freuen. Wir Alle werden gut thun, über den Vorfall zu schweigen, auch Sie, Herr Wohlfart, bitte ich darum.«

Anton ging in stürmischer Bewegung nach Hause. Den ganzen Abend hatte er wie auf Kohlen gesessen und dem Verschwender in der Stille die bittersten Vorwürfe gemacht. Er schalt sich, daß er ihm Geld geliehen hatte, und fühlte doch, wie unpassend es gewesen wäre, seinen Wunsch nicht zu gewähren.

Als er am nächsten Morgen Eugen aufsuchen wollte, öffnete sich die Thür, und Eugen selbst trat in das Zimmer, verstimmt, niedergeschlagen, unsicher. »Ein nichtswürdiges Malheur gestern,« rief er, »ich bin in arger Klemme; ich muß heut achthundert Thaler schaffen und habe in diesem Unglücksnest Niemand, an den ich mich wenden kann, als Sie. Seien Sie verständig, Anton, und besorgen Sie mir das Geld.«

»Auch mir ist es nicht leicht, Herr von Rothsattel,« erwiederte Anton ernst; »es ist keine unbedeutende Summe, und [S. 450] die Gelder, über die ich hier disponiren kann, sind nicht mein Eigenthum.«

»Sie werden es schon möglich machen,« fuhr Eugen überredend fort; »wenn Sie mir nicht aus der Verlegenheit helfen, so bin ich ganz rathlos. Der Chef versteht keinen Spaß, ich riskire Alles, wenn die Geschichte nicht schnell abgemacht wird.« Er ergriff in seiner Verlegenheit Antons Hand und drückte sie ängstlich.

Anton sah in das verstörte Gesicht dessen, der Lenorens Bruder war, und erwiederte mit innerer Ueberwindung: »Ich habe eine kleine Summe, welche mir gehört, in der Casse unsers Geschäfts, und habe von hier aus Geld an unser Haus zu senden. Es wird möglich sein, daß ich unsern Cassirer auf mein Geld anweise, und die Summe, welche Sie brauchen, zurückbehalte.«

»Sie sind mein Retter,« rief Eugen erleichtert; »in spätestens vier Wochen schaffe ich Ihnen achthundert Thaler zurück,« fügte er hinzu, bei der Aussicht auf das Geld geneigt, das Beste zu hoffen.

Anton ging zum Schreibtisch und zählte dem Lieutnant das Geld auf. Es war ein großer Theil der Summe, die er von seinem Erbtheil noch übrig hatte.

Als Eugen das Papier unter lebhaftem Danke eingesteckt hatte, begann Anton: »Und jetzt, Herr von Rothsattel, wünsche ich Ihnen noch etwas mitzutheilen, was mir gestern den ganzen Abend auf dem Herzen gelegen hat. Ich bitte Sie, mich nicht für zudringlich zu halten, wenn ich Ihnen nicht verschweige, was Sie wissen müssen, und was doch ein Fremder kaum zu sagen das Recht hat.«

»Wenn Sie mir gute Lehren zutheilen wollen, so ist der Augenblick schlecht gewählt,« antwortete der Lieutnant finster, »ich weiß ohnedies, daß ich einen dummen Streich gemacht habe, und bin auf eine Strafrede meines Papa's gefaßt. Was ich von ihm anhören muß, wünsche ich von keinem Dritten zu vernehmen.«

[S. 451]

»Sie trauen mir wenig Zartgefühl zu, Herr von Rothsattel,« rief Anton, aufrichtig bekümmert durch den Aerger des Offiziers. »Ich habe gestern aus einer allerdings wenig lautern Quelle gehört, daß Ihr Herr Vater durch die Intriguen gewissenloser Speculanten in Verwickelungen gekommen ist oder doch kommen soll, welche seinem Vermögen Gefahr drohen. Auch der gefährliche Mensch, welcher die Ränke gegen ihn schmiedet, ist mir genannt worden.«

Der Lieutnant sah verwundert in das ernste Gesicht Antons und sagte endlich: »Teufel, Sie jagen mir einen Schrecken ein. Doch nein, es ist nicht möglich, Papa hat mir nie etwas davon gesagt, daß seine Verhältnisse nicht ganz in Ordnung sind.«

»Vielleicht kennt er selbst nicht die Pläne und die Rücksichtslosigkeit der Menschen, welche die Absicht haben, seinen Credit für ihre Zwecke zu benutzen.«

»Der Freiherr von Rothsattel ist nicht der Mann, sich von irgend Jemand benutzen zu lassen,« entgegnete der Lieutnant mit Stolz.

»Das nehme auch ich an,« räumte Anton bereitwillig ein. »Und doch bitte ich Sie, daran zu denken, daß die letzten großen Unternehmungen des Herrn Barons ihn mehrfach mit schlauen und wenig bedenklichen Händlern in Berührung gebracht haben. Der mir den Rath ertheilte, gab ihn offenbar in guter Meinung. Er sprach eine Ansicht aus, welche, wie ich fürchte, von einer Anzahl untergeordneter Geschäftsleute getheilt wird, daß Ihr Herr Vater in ernster Gefahr sei, große Summen zu verlieren. Und ich fordere Sie auf, mit mir zu dem Mann zu gehen, vielleicht gelingt es uns, mehr von ihm zu erfahren. Es ist derselbe Händler, den Sie gestern bei mir sahen.«

Der Lieutnant sah sehr niedergeschlagen vor sich hin, er faßte, ohne ein Wort zu sagen, seine Dienstmütze, und Beide eilten nach der Herberge, in welcher Tinkeles wohnte.

»Es wird am besten sein, daß Sie selbst nach ihm [S. 452] fragen,« sagte Anton auf dem Weg. Der Offizier ging in das Haus, er frug einen Hausknecht, den Wirth, alle Hausgenossen, welche ihm in den Weg kamen: Schmeie war seit gestern Mittag abgereist. Sie eilten von der Herberge zum Stadtcommando und erhielten nach vielen Fragen die Auskunft, daß dem Tinkeles sein Paß nach der türkischen Grenze visirt worden. So war der Zudringliche plötzlich verschwunden, und durch seine Abreise erhielt die Warnung für Beide noch größeres Gewicht. Je länger sie über seine Bekenntnisse sprachen, desto aufgeregter wurde der Lieutnant und um so weniger wußte er, was zu thun sei. Endlich brach er in großer Bewegung mit der Klage hervor: »Mein Vater ist vielleicht jetzt in Geldverlegenheit. Wie soll ich ihm meine Schuld gestehen? Es ist für mich ein verfluchter Fall. Wohlfart, Sie sind ein honetter Mann, denn Sie haben mir das Geld geliehen, obgleich Sie die Nachrichten dieses unsichtbaren Juden schon im Kopfe hatten. Sie müssen jetzt weiter anständig sein und mir die Summe auf längere Zeit leihen.«

»So lange, bis Sie selbst den Wunsch aussprechen, sie zurückzuzahlen.«

»Das ist gentil,« rief der Lieutnant, »und noch Eins, schreiben Sie selbst an meinen Vater. Sie wissen am besten, was der verrückte Mensch Ihnen gesagt hat, und mir ist es langweilig, so etwas meinem Papa mitzutheilen.«

»Aber Ihr Herr Vater wird die Einmischung eines Fremden mit Recht für zudringlich halten,« entgegnete Anton, befangen durch die Aussicht, mit dem Vater Lenorens in Correspondenz zu treten.

»Mein Vater kennt Sie ja,« sagte Eugen überredend; »ich erinnere mich, daß meine Schwester mir schon von Ihnen erzählt hat. Schreiben Sie nur, ich hätte Sie darum gebeten. Es ist wirklich besser, wenn Sie das übernehmen.« Anton willigte ein. Er setzte sich auf der Stelle hin und berichtete dem Baron die Warnungen des Händlers.

[S. 453]

So kam er in der Fremde mit der Familie des Freiherrn in eine neue Verbindung, welche für ihn und die Rothsattel verhängnißvoll werden sollte.


IV.

Glücklich der Fuß, welcher über weite Flächen des eigenen Grundes schreitet; glücklich das Haupt, welches die Kraft der grünenden Natur einem verständigen Willen zu unterwerfen weiß! Alles, was den Menschen stark, gesund und gut macht, das ist dem Landwirth zu Theil geworden. Sein Leben ist ein unaufhörlicher Kampf, ein endloser Sieg. Ihm stählt die reine Gottesluft die Muskeln des Leibes, ihm zwingt die uralte Ordnung der Natur auch die Gedanken zu geordnetem Lauf. Er ist der Priester, welcher Beständigkeit, Zucht und Sitte, die ersten Tugenden eines Volkes, zu hüten hat. Wenn andere Arten nützlicher Thätigkeit veralten, die seine ist so ewig, wie das Leben der Erde; wenn andere Arbeit den Menschen in enge Mauern einschließt, in die Tiefen der Erde oder zwischen die Holzplanken des Schiffes, sein Blick hat nur zwei Grenzen, oben den blauen Himmel, und unten den festen Grund. Ihm wird die höchste Freude des Schaffens, denn was sein Befehl von der Natur fordert, Pflanze und Thier, das wächst unter seiner Hand zu eigenem frohen Leben auf. Auch dem Städter ist die grüne Saat und die goldene Halmfrucht des Feldes, das Rind auf der Weide und das galoppirende Füllen, Waldesgrün und Wiesenduft eine Erquickung des Herzens, aber kräftiger, stolzer, edler ist das Behagen des Mannes, der mit dem Bewußtsein über seine Flur schreitet, dies Alles ist mein, meine Kraft erschuf es, und mir gereicht es zum Segen. Denn nicht in mühelosem Genuß betrachtet er die Bilder, welche ihm die Natur entgegenhält. An jeden Blick knüpft sich ein Wunsch, an jeden Eindruck ein Vorsatz, [S. 454] jedes Ding hat für ihn einen Zweck, denn Alles, das fruchtbare Feld, das Thier und der Mensch soll Neues schaffen nach seinem Willen, dem Willen des Gebieters. Die tägliche Arbeit ist sein Genuß, und in diesem Genusse wächst seine Kraft. — So lebt der Mann, welcher selbst der arbeitsame Wirth seines Gutes ist.

Und dreimal glücklich der Herr eines Grundes, auf dem durch mehrere Menschenalter ein starker Kampf gegen die rohen Launen der Natur geführt ist. Die Pflugschar greift tief in den gereinigten Boden, anspruchsvolle Culturpflanzen breiten ihre Blätter in üppiger Pracht, auf den Stengeln bräunen sich große Dolden und körnerreiche Schoten, und unten in der Erde rundet sich mächtig die fleischige Wurzel. Dann kommt die Zeit, wo sich kunstvolle Industrie auf den Ackerschollen ansiedelt. Dann ziehen die abenteuerlichen Gestalten der Maschinen nach dem Wirthschaftshof, der ungeheure Kupferkessel fährt mit Blumen bekränzt heran, große Räder mit hundert Zähnen drehen sich gehorsam im Kreise, lange Röhren verschlingen sich in den neugebauten Räumen, und die mechanischen Gelenke bewegen sich rastlos bei Tag und Nacht. Eine edle Industrie! Sie erblüht aus der Kraft des Bodens und vergrößert wieder diese Kraft. Wo der eigene Grund des Gutes seine Früchte der Fabrik reichlich spendet, da arbeiten im Freien die uralte Pflugschar, im gemauerten Haus der neue Dampfkessel brüderlich mit einander, um ihren Herrn reicher zu machen, stattlicher und weiser. So lange er nur die alten Halmfrüchte baute, die grüne Nahrung der Thiere und die runde Knollenfrucht, waren die Preise auf dem nächsten Wochenmarkt vielleicht das, was ihn in der fremden Welt am meisten interessirte; und wenn der Bauer im Dorf gegen ihn auftrumpfte, so war ihm das vielleicht der größte Aerger. Und mit abschließendem Stolz sah er aus seinem umgrenzten Kreise, wie in die blaue Ferne hinein in das geschäftige Treiben der großen Städte, in die verwickelten Verhältnisse, welche durch eine neue Zeit geschaffen sind. Jetzt steht er selbst mitten zwischen [S. 455] den Rädern des modernen Schaffens, er beobachtet viele Strömungen des menschlichen Geistes auch außerhalb seiner Feldmark. Viele Gesetze des Lebens lernt er kennen und viele Gedanken der Menschen, er gewinnt einen andern Maßstab für den Werth des Mannes, jetzt wo er das Gewühl des Marktes, das Arbeitszimmer des Gelehrten auch für sich braucht. Er knüpft seine Fäden an Leute von anderm Beruf, und Fremde freuen sich, ihm die Hand zu reichen und ihren Vortheil mit dem seinen zu verbinden. Immer größer werden die Kreise, in welche ihn sein Interesse zieht, immer mächtiger der Einfluß, den er auf Andere gewinnt.

Neben dem ländlichen Tagelöhner baut ein neues Geschlecht arbeitsamer Menschen seine Hütten auf den Ackerboden, in jeder Abstufung von Wissen und Bildung; allen kann er gerecht und allen zum Heil werden. In starker Zunahme wächst die Kraft seiner Landschaft, der Werth des Bodens steigt von Jahr zu Jahr, die lockende Aufforderung zu größerem Erwerb treibt auch den zähen Bauer aus dem Gleise alter Gewohnheit. Der schlechte Feldweg wird zur Chaussee, der sumpfige Graben zum Kanal. Zwischen den Getreidefeldern fahren die Reihen der Frachtwagen entlang, auf wüsten Stellen erheben sich die rothen Dächer neuer Wohnungen; der Briefbote, der sonst nur zweimal in der Woche seine Ledertasche durch die Fluren trug, erscheint jetzt alle Tage, sein Ranzen ist schwer von Briefen und Zeitungen; und wenn er bei einem neuen Haus anhält, um der jungen Frau, die mit ihrem Manne von fern zuzog, eine Nachricht aus der Heimath zu bringen, da nimmt er dankend das Glas Milch, das ihm die Erfreute an der Thür reicht, und erzählt ihr eilig, wie lang ihm sonst der Weg von einem Dorf zum andern in der heißen Sonne geworden. Dann erwacht auch die Begehrlichkeit, die kindische Base jedes Fortschritts. Die Nadel des Schneiders hat viel an neuen Stoffen zu nähen, zwischen den Bauerhäusern stellt der kleine Kaufmann seinen Kram auf, er legt seine Citronen an das Schaufenster, den Tabak in schönen [S. 456] Packeten, und lockende Flaschen mit silbernen Zetteln. Und die Schullehrer in den Dörfern klagen über die Menge der Schüler, ein zweites Schulhaus wird gebaut, eine höhere Classe eingerichtet; in einem Schrank seiner Wohnstube legt der Lehrer die erste Leihbibliothek an, und der Buchhändler in der Stadt übergiebt ihm neue Bücher zum Verkauf. — So wird das Leben des starken Landwirths ein Segen für die Umgegend, für das ganze Land.

Wehe aber dem Landwirth, dem der Grund unter den Füßen fremden Gewalten verfällt! Er ist verloren, wenn seine Arbeit nicht mehr ausreicht, die Ansprüche zu befriedigen, welche andere Menschen an ihn machen. Die Geister der Natur gönnen ihren Segen nur dem, welcher ihnen frei und sicher gegenüber steht, sie empören sich, wo sie Schwäche, Eile und halben Muth ahnen. Keine Arbeit wird mehr zum Heil. Die gelbe Blüthe der Oelsaat und die blaue Blume des Flachses vertrocknen ohne Frucht, Rost und Brand fallen über das Getreide, in tödtlichem Faulfieber schwindet der kleine Leib der Kartoffel; sie alle, so lange an Gehorsam gewöhnt, wissen so bitter jede Nachlässigkeit zu strafen. Dann wird für den Herrn der tägliche Gang durch die Felder ein täglicher Fluch; wenn die Lerche aus dem Roggen aufsteigt, muß er denken, daß die Frucht schon auf dem Halme verkauft ist, wenn das Gespann der Rinder den Klee nach den Ställen fährt, weiß er, daß der Ertrag von Milch und Fleisch schon von fremden Gläubigern gefordert ist, und er muß zweifeln, ob die Fruchtbarkeit, welche seinem Acker durch das Wiederkäuen der eßlustigen Thiere im nächsten Jahr kommen soll, noch ihm selbst zum Vortheil werden wird. Finster, mürrisch, verzweifelt kehrt er nach dem Hofe zurück. Leicht wird er dann seiner Wirthschaft und den Feldern fremd, er sucht jenseit seiner Flur den lästigen Gedanken zu entfliehen, und durch die Flucht beschleunigt er seinen Untergang. Was ihn vielleicht noch retten könnte, ein vollständiges Hingeben an die Arbeit, das wird ihm unerträglich.

[S. 457]

Und dreimal wehe dem Landwirth, der übereilt in unverständigem Gelüst die schwarze Kunst des Dampfes über seine Schollen führt, um Kräfte aus ihnen hervorzulocken, die nicht darin leben. Ihn trifft der härteste Fluch, der Sterblichen beschieden ist. Nicht er allein wird schwächer, er macht auch viele Andere schlecht, die er zum Dienst an sein Leben gebunden hat. In dem Schwunge der Räder, die er vorwitzig in seinem Kreis aufstellte, wird zerrissen, was in seiner Wirthschaft noch unversehrt war, die Kraft seines Bodens verzehrt sich in fruchtlosen Versuchen, seine Gespanne erlahmen an schweren Fabrikfuhren, seine ehrlichen Landarbeiter verwandeln sich in ein schmutziges, hungerndes Proletariat. Wo sonst ruhiger Gehorsam wenigstens das Nöthige schuf, wuchert jetzt Hader, Widersetzlichkeit und Betrug. Er selbst ist hineingezogen in die Wirbel lästiger Geschäfte, wie brausende Wellen stürzen die Forderungen auf ihn herein, im verzweifelten Kampf, ein Ertrinkender, sucht er ohne Wahl Hülfe bei Allem, was in den Bereich seiner Hände kommt, und ermattet vom fruchtlosen Ringen sinkt er hinab in die Tiefe.


Auf dem Gut des Freiherrn hatte die Saat oft besser gestanden, als bei den Nachbarn, seine Heerden waren als kerngesund in der ganzen Landschaft bekannt, Fehljahre, welche Andere niederdrückten, hatten ihm verhältnißmäßig wenig geschadet; jetzt war das Alles wie durch bösen Zauber verändert. In der Rinderheerde brach eine pestartige Krankheit aus, das Getreide stand hoch im Feld, und als die Garben in der Scheuer zerschlagen wurden, waren der Scheffel nur wenige, die er aufschütten konnte. Ueberall war sein Anschlag größer gewesen, als der Ertrag. Zu anderer Zeit hätte er's ruhig überwunden, jetzt machte ihn das krank. Die Ackerwirthschaft wurde ihm verhaßt, er überließ sie ganz dem Amtmann. Alle seine Hoffnungen flogen jetzt der Fabrik zu, und wenn er seine Feldmark betrat, so geschah es nur, um nach [S. 458] den Rüben zu sehen, auf deren Bau er im letzten Jahr die beste Kraft des Gutes verwandt hatte.

Hinter den Bäumen des Parks erhob sich das neue Fabrikgebäude. Viele Stimmen geschäftiger Menschen schrieen um den neuen Bau durcheinander. Die erste Rübenernte wurde eingebracht und zum Verarbeiten aufgeschüttet. Mit dem nächsten Tage sollten die regelmäßigen Arbeiten in der Fabrik beginnen. Noch immer hämmerte drin der Kupferschmied, an der großen Presse arbeitete der Mechaniker, und emsige Frauen trugen Körbe von Spänen und Kalkbrocken aus den Mauern und säuberten mit Scheuerlappen die Stätte, in der sie fortan handlangen sollten. Der Freiherr stand vor dem Hause; er hörte ungeduldig auf das Klopfen der Hämmer, die so lange die Vollendung des Werkes verzögert hatten. Von morgen begann für ihn eine neue Zeit. Er stand jetzt an der Pforte seines Schatzhauses. Die alten Sorgen konnte er weit hinter sich werfen, in den nächsten Jahren zahlte er ab, was er geliehen hatte, dann sammelte er Geld. Und während er so dachte, sah er auf seine abgetriebenen Pferde und das sorgenvolle Gesicht des alten Amtmanns, und eine unbestimmte Furcht schlich wie ein häßliches Insect über die unruhig flatternden Blätter seiner Gedanken. Er hatte Alles auf diesen Wurf gesetzt, er hatte sein Gut so hoch mit Hypotheken belastet, daß er sich in diesem Augenblick fragen konnte, wie viel davon noch ihm selbst gehöre, Alles, um durch den erhärteten Saft der Ackerfrucht den Wappenschild seines Geschlechts höher zu stellen. Hüte dich, Freiherr! Und wenn du die weißen Krystalle härtest, daß sie klingen wie Stein, sie halten Wind und Wetter nicht aus, sie zerfließen im Regen, sie verwittern in der Luft, und was du darauf gegründet, das stürzt in Trümmer.

Der Freiherr selbst war in den letzten Jahren ein Anderer geworden. Falten auf der Stirn, zwei mürrische Falten um den Mund und graues Haar an den Schläfen, das waren die ersten Resultate der ewigen Sorge um Capital, um die [S. 459] Familie, um die Zukunft des Gutes. Seine Stimme, die sonst kräftig aus der Brust geklungen hatte, war scharf und heiser geworden, und eine zornige Hast war in seinen Geberden. Schwere Sorge hatte der Freiherr in der letzten Zeit gehabt. Was bei einem großen Bau Mangel an Geld heißt, das Elend hatte er gründlich kennen gelernt. Ehrenthal war jetzt ein regelmäßiger Besucher des Schlosses. Seine Pferde hatten in jeder Woche gutes Heu von den Raufen des Freiherrn gerupft, in jeder Woche hatte er seine Brieftasche hervorgezogen und Rechnungen gebracht oder Cassenscheine aufgezählt. Seine Hand, die im Anfange so ehrerbietig nach der Tasche griff, war säumig geworden, und nur langsam lösten sich die flatternden Papiere von seinen Fingern, sein gebeugter Hals war steif, sein unterwürfiges Lächeln hatte sich in einen trockenen Gruß verwandelt, er schritt jetzt mit prüfendem Blick durch den Wirthschaftshof, und statt der feurigen Lobrede kam mancher Tadel aus seinem Munde. Der demüthige Agent war zum anspruchsvollen Gläubiger herangewachsen, und der Freiherr ertrug mit immer steigendem Widerwillen die Ansprüche eines Mannes, den er nicht mehr entbehren konnte. Aber nicht Ehrenthal allein, auch andere fremde Gestalten klopften an das Arbeitszimmer des Gutsherrn und verhandelten mit ihm unter vier Augen. Die breite Figur des rauhen Pinkus schritt alle Vierteljahre aus dem Gasthof des Dorfes auf das Schloß, und jedes Mal, wenn sein schwerer Fuß die Stufen betrat, zog hinter ihm der Mißmuth in das Haus.

Alle Wochen war Ehrenthal auf dem Gute erschienen, jetzt war die schwerste Zeit gekommen, und kein Auge erblickte den Geschäftsmann. Er war verreist, hieß es in der Stadt, und unruhig hörte der Freiherr auf das Geräusch jedes Wagens, ob nicht einer den Säumigen zuführe, den Verhaßten, Unentbehrlichen.

Lenore trat zu dem Vater, eine reife Schönheit von vollen Formen und hohem Wuchs; daß auch sie von dem Ernst des Lebens berührt war, zeigte das sinnende Auge und der [S. 460] besorgte Blick, den sie auf den Freiherrn warf. »Der Bote bringt die Postsachen,« sagte sie, ein Packet Briefe und Zeitungen überreichend. »Es ist gewiß wieder kein Brief von Eugen dabei.«

»Der hat jetzt Anderes zu thun, als zu schreiben,« antwortete der Vater, aber er selbst suchte eifrig die Handschrift des Sohnes. Da sah er ein Schreiben von fremder Hand, mit dem Postzeichen der Stadt, in welche Eugen eingerückt war. Es war Antons Brief. Schnell öffnete er. Als er in der ehrerbietigen Sprache die gute Meinung erkannt und den Namen Itzig gelesen hatte, verbarg er den Brief hastig in seiner Brusttasche. Die geheime Angst, welche jetzt manchmal sein Herz zusammenzog, überfiel ihn wieder und gleich darauf folgte der unwillige Gedanke, daß seine Verlegenheiten ein Gegenstand der Unterhaltung in der Fremde waren. Unbestimmte Warnungen waren das Letzte, was er bedurfte, sie demüthigten ihn nur. Lange stand er in finsterm Schweigen neben der Tochter. Da der Brief aber Nachrichten von Eugen enthielt, so zwang er sich endlich, zu sprechen. »Da hat mir ein Herr Wohlfart geschrieben, der jetzt als Kaufmann jenseit der Grenze umherreist und Eugens Bekanntschaft gemacht hat.«

»Er?« rief Lenore.

»Er scheint ein ordentlicher Mann geworden zu sein,« fuhr der Freiherr mit Ueberwindung fort. »Er spricht mit Wärme von Eugen.«

»Ja!« rief Lenore erfreut, »was gewissenhaft und zuverlässig heißt, das lernt man kennen, wenn man mit ihm umgeht. Welcher Zufall! Die Schwester und der Bruder. Was hat er dir geschrieben, Vater?«

»Geschäftliches, das wahrscheinlich gut gemeint ist, mir aber nicht von wesentlichem Nutzen sein kann. Die thörichten Knaben haben irgend ein Geschwätz aus dritter Hand gehört und haben sich um meine Angelegenheiten unnöthige Sorge gemacht.« Und schwerfällig schritt er nach diesen Worten zu seiner Fabrik.

[S. 461]

Beunruhigt folgte ihm Lenore. Endlich entfaltete er die Zeitung und wandte die Blätter nachlässig um, bis sein Blick auf eine gerichtliche Anzeige fiel. Eine dunkle Röthe stieg ihm langsam über die Wangen, das Blatt fiel zur Erde, er griff mit der Hand an die Breter eines Wagens und legte seinen Kopf darauf. Erschrocken hob Lenore das Zeitungsblatt auf und sah den Namen der polnischen Herrschaft, auf welcher der Vater, wie sie wußte, ein großes Capital stehen hatte. Ein Termin zur Versteigerung der Herrschaft wegen Concurses war angezeigt.

Wie ein Blitzstrahl traf den Freiherrn die Nachricht. Wenn er sein eigenes Gut belastet hatte, war ihm die Summe, die auf fremdem Grunde ruhte, als die letzte Grundlage seines Wohlstandes erschienen. Oft hatte er gedacht, ob es nicht thöricht war, Andern in der Fremde sein Geld zu lassen und daheim fremdes nur zu theuer zu bezahlen, immer hatte er eine Scheu davor gefühlt, auch dies runde Capital in seine Unternehmungen zu werfen, er betrachtete es als das Witthum seiner Gemahlin, als das Erbtheil der Tochter. Jetzt war auch diese Summe gefährdet, die letzte Sicherheit war verschwunden, Alles um ihn wankte. Ehrenthal hatte ihn betrogen, er hatte die Correspondenz mit dem Bevollmächtigten des polnischen Grafen geführt, er hatte ihm am letzten Termin die Zinsen noch vollständig berechnet, es war kein Zweifel, Ehrenthal wußte von den schlechten Verhältnissen des polnischen Gutes und hatte sie ihm verheimlicht.

»Vater,« rief Lenore, ihn von dem Wagen aufrichtend, »fasse dich, sprich mit Ehrenthal, fahr' zu deinem Anwalt, es wird auch gegen dieses Unglück eine Hülfe geben.«

»Du hast Recht, mein Kind,« sagte der Freiherr mit klangloser Stimme, »noch ist möglich, daß die Gefahr nicht so groß ist. Laß anspannen, ich will nach der Stadt. Verbirg der Mutter, was du gelesen hast, und du, liebe Lenore, begleite mich.«

Als der Wagen vorfuhr, fand er den Freiherrn noch auf [S. 462] derselben Stelle, wo die Nachricht in sein Herz gedrungen war. Schweigend saß er während der Fahrt in eine Ecke gedrückt.

In der Stadt brachte er die Tochter vor sein Quartier, das er immer noch nicht aufgegeben, um seinen Bekannten und seiner Frau nicht den Verdacht zu erwecken, als gehe es mit seinem Vermögen zurück. Er selbst fuhr zu Ehrenthal. Zornig trat er in das Comtoir und hielt dem Händler nach rauhem Gruß das Zeitungsblatt entgegen. Ehrenthal erhob sich langsam und sagte mit dem Kopf nickend: »Ich weiß, der Löwenberg hat deswegen an mich geschrieben.«

»Sie haben mich getäuscht, Herr Ehrenthal,« rief der Freiherr, mühsam nach Haltung ringend.

»Wozu?« erwiederte achselzuckend der Händler, »wozu sollte ich Ihnen verstecken, was doch die Zeitung melden muß? Das kommt vor bei jedem Gut, bei jeder Hypothek. Was ist dabei für ein Unglück?«

»Die Verhältnisse der Herrschaft sind schlecht, Sie haben lange darum gewußt,« rief der Freiherr; »Sie haben mich betrogen.«

»Was reden Sie da von Betrug?« fuhr Ehrenthal zornig auf; »nehmen Sie sich in Acht, daß nicht ein Fremder Ihre Worte hört. Ich habe mein Geld bei Ihnen stehen, wie kann ich ein Interesse haben, Sie kleiner zu machen und größer zu machen Ihre Verlegenheiten? Ich selber stecke darin bei Ihnen so tief,« er wies auf die Stelle, wo bei den Menschen das Herz zu sitzen pflegt. »Hätte ich gewußt, daß diese Fabrik wird fressen mein gutes Geld, ein Tausend nach dem andern, wie ein Thier frißt, das hinten offen ist, ich hätte mich bedacht und Ihnen auch nicht gezahlt einen einzigen Thaler. Ich will mit meinem Gelde füttern eine Heerde Elephanten, aber ich will niemals wieder füttern eine Fabrik. Wie können Sie also sagen, daß ich Sie betrogen habe?« schloß er in steigender Hitze.

»Sie haben um den Concurs gewußt,« rief der Freiherr, [S. 463] »und haben mir verheimlicht, wie es mit dem Grafen steht.«

»Bin ich es gewesen, der Ihnen hat verkauft die Hypothek?« frug der entrüstete Ehrenthal. »Ich habe Ihnen alle halbe Jahre die Zinsen eingezogen, das ist mein Unrecht, ich habe Ihnen außerdem gezahlt noch vieles Geld, das ist mein Betrug.« — Versöhnend fuhr er fort: »Sehen Sie die Sache ruhig an, Herr Baron, ein anderer Gläubiger hat angetragen auf den Verkauf der Herrschaft, die Gerichte haben's uns nicht angezeigt, oder sie haben die Anzeige geschickt an eine falsche Adresse. Was thut's? Sie werden jetzt bekommen nach der Subhastation ausgezahlt Ihr Capital, dann können Sie bezahlen die Gläubiger, die Sie auf Ihrem Gut haben. Es sind, wie ich höre, große Güter bei dieser Herrschaft, und Sie haben nichts zu befürchten für Ihr Capital.«

Mit dieser zweifelhaften Hoffnung mußte sich der Freiherr entfernen. Niedergeschlagen bestieg er seinen Wagen; er rief dem Kutscher: »zum Justizrath Horn!« aber mitten auf dem Wege gab er Gegenbefehl und fuhr nach seinem Quartier zurück. Es war zwischen ihm und dem alten Rechtsfreund eine Kälte eingetreten. Er hatte sich gescheut, diesem seine unaufhörlichen Verlegenheiten mitzutheilen, und war durch einige wohlgemeinte Warnungen desselben verletzt worden, so hatte er oft die Hülfe anderer Juristen in Anspruch genommen.


Itzig war in seinem Zartgefühl aus dem Comtoir gestürzt, als er die Pferdeköpfe des Barons auf der Straße erblickte, jetzt steckte er den Kopf wieder herein. »Wie war er?« frug er Herrn Ehrenthal.

»Wie soll er gewesen sein,« antwortete Ehrenthal unwillig, »er war wie ein Fisch, welcher hat viele Gräten; er hat geschlagen mit seinem Kopf in die Luft, und ich habe gehabt meinen Aerger. Mein Geld habe ich gesteckt in das Gut, [S. 464] und Sorgen habe ich um das Gut, so viel als Haare auf dem Kopfe, weil ich gefolgt bin Ihrem Rath.«

»Wenn Sie denken, daß ein Rittergut Ihnen geschwommen kommt, wie ein Fisch mit dem Wasser, daß Sie nur dürfen ausstrecken die Hand und festhalten, so thun Sie mir leid,« entgegnete Veitel ironisch.

»Was thue ich mit der Fabrik?« rief Ehrenthal, »das Gut ist für mich gewesen zwei Mal so viel werth, ohne den Schornstein.«

»So verkaufen Sie die Ziegeln, wenn Sie den Schornstein erst haben,« versetzte Veitel boshaft. »Ich wollte Ihnen noch sagen, daß ich morgen einen Besuch habe von einem Bekannten aus meiner Gegend. Ich kann morgen nicht kommen in Ihr Comtoir.«

»Sie haben in dem letzten Jahr so oft Ihre eigenen Gänge gemacht,« erwiederte Ehrenthal grob, »daß mir nichts daran liegt, wenn Sie auch länger fortbleiben aus meinem Comtoir.«

»Wissen Sie, was Sie gesagt haben?« fuhr Veitel auf. »Sie haben mir gesagt: Itzig, ich brauche dich nicht mehr, du kannst gehen. Ich aber werde gehen, wenn es mir recht ist, und nicht, wenn es Ihnen recht ist.«

»Sie sind ein dreister Mensch,« rief Ehrenthal; »ich will Ihnen verbieten, daß Sie so zu mir reden. Wer sind Sie, junger Itzig?«

»Ich bin der, welcher weiß Ihre ganzen Geschäfte, ich bin der, welcher Sie ruiniren kann, wenn er will, und ich bin der, welcher es gut zu Ihnen meint, besser als Sie selber. Und deßwegen, wenn ich übermorgen in das Comtoir komme, werden Sie zu mir sagen: Guten Morgen, Itzig! Haben Sie mich verstanden, Herr Ehrenthal?« Er ergriff seine Mütze und eilte auf die Straße, dort brach sein unterdrückter Zorn gegen Ehrenthal in helle Flammen aus, er schwenkte heftig die Hände und murmelte drohende Worte. Dasselbe that Ehrenthal in seinem Comtoir.

[S. 465]


Der Freiherr fuhr zu seiner Tochter zurück, er setzte sich niedergeschlagen auf das Sopha, und die liebevollen Worte Lenorens gingen ungehört bei seinem Ohr vorüber. Er hatte nichts, was ihn noch in der Stadt zurückhielt, als seine Furcht, der Baronin die traurige Nachricht mitzutheilen. Er brütete über Plänen, wie er den möglichen Verlust überwinden konnte, und malte sich wieder mit den schwärzesten Farben aus, welche Folgen dies Ereigniß haben mußte. Unterdeß saß Lenore schweigend am Fenster und sah hinunter in das Getümmel der Straße, auf die Lastwagen, welche vorüber rasselten, und auf die Ströme geschäftiger Menschen, die auf dem Trottoir dahin zogen, unaufhörlich, ohne Rast, um Verdienst und Genuß. Und während Lenore sich frug, ob wohl Einer von all den Leuten, die vorüber gingen, den heimlichen Kummer, die Furcht, die Muthlosigkeit gefühlt habe, die in den letzten Jahren über ihr junges Herz gekommen war, da sah zuweilen Einer von unten zu den Spiegelfenstern des stattlichen Hauses auf, dann ruhte sein Auge bewundernd auf dem schönen Mädchen, und er beneidete vielleicht das Glück der Vornehmen, die so ruhig von oben herabsehen auf die Leute, die sich um den Verdienst plagen müssen.

So wurde es dunkel auf der Straße, das Licht der Laternen warf einen matten Schein in das Zimmer, Lenore sah auf die Schatten und Lichtstreifen, welche sich an der Stubenwand bewegten, und mit der steigenden Finsterniß vergrößerte sich das Bangen in ihrer Brust. Vor der Hausthür aber standen zwei Männer in eifrigem Gespräch, der eine trat in das Haus, die Klingel wurde gezogen, ein schwerer Tritt schallte im Vorzimmer. Der Bediente trat ein und meldete Herrn Pinkus. Bei dem Namen fuhr der Freiherr auf, forderte Licht und eilte in das Nebenzimmer.

Der Herbergsvater trat bei dem Freiherrn ein und neigte einige Mal seinen großen Kopf, beeilte sich aber nicht, zu sprechen; der Freiherr stützte sich auf die Tischplatte, wie Einer, der bereit ist, Alles zu hören. »Was bringen Sie mir so spät?«

[S. 466]

»Der Herr Baron weiß, daß morgen der Wechsel fällig ist mit zehntausend Thalern.«

»Können Sie nicht erwarten, daß ich Ihnen bei der Verlängerung Ihre zehn Procent einrechne?« frug der Freiherr mit Verachtung. »Ich glaubte erst morgen das Rechenexempel machen zu müssen.«

»Da es Ihnen nicht recht ist, das Exempel zu machen,« erwiederte Pinkus, »so bestehe ich nicht darauf. Ich komme Ihnen anzuzeigen, daß ich plötzlich in die Lage gekommen bin, Geld zu brauchen; ich werde Sie morgen bitten um die zehntausend.«

Der Freiherr trat einen Schritt zurück. Das war der zweite Schlag, und dieser traf sein Leben. Er hatte geahnt, daß noch etwas kommen würde, ihn zu zermalmen; jetzt wußte er genau, daß Alles unnütz war, was er noch sagen konnte. Sein Gesicht war fahles Gelb, als er mit heiserer Stimme begann: »Wie können Sie diese Forderung stellen, nach dem, was wir mit einander besprochen haben? Wie oft haben Sie mir betheuert, daß diese Wechselform nichts als eine leere Förmlichkeit sei?«

»Es ist gewesen bis heut eine Förmlichkeit,« sagte Pinkus, »jetzt wird's ein Zwang. Ich habe morgen zu zahlen zehntausend Thaler an einen Mann, dem ich verpflichtet bin.«

»Dann sprechen Sie mit dem Mann,« sagte der Freiherr, »ich bin bereit, Ihnen neue Zugeständnisse zu machen, ich bin aber jetzt außer Stande, zu zahlen.«

»Dann, Herr Baron, thut mir's leid, Ihnen zu sagen, daß man gegen Sie verfahren wird nach Wechselrecht.«

Der Freiherr schwieg und wandte sich ab.

»Wann darf ich morgen wiederkommen nach meinem Geld?« frug Pinkus.

»Um diese Stunde,« erwiederte eine Stimme, welche hohl klang, wie die Stimme eines Greises. Mit einem neuen Kopfnicken entfernte sich Pinkus, der Freiherr wankte in sein Zimmer zurück. Sein Kopf sank auf die Lehne des Sophas herab, [S. 467] erstarrt dachte er an das, was jetzt kommen mußte. Lenore kniete neben ihm nieder, sie faßte sein Haupt und legte es auf ihre Schulter, sie nannte ihn mit den zärtlichsten Namen und flehte ihn an, doch wieder zu sprechen. Er hörte nichts und sah nichts, in ihm schlug es wie mit einem Hammer immer stärker und schneller. Die hohlen Gebilde von buntem Glas, die er sich ausgeblasen hatte, zersplitterten in Scherben, er ahnte jetzt die schreckliche Wahrheit, er war ein ruinirter Mann.

So saß er bis zum späten Abend, die Tochter brachte ihn endlich dazu, einen Schluck Wein zu trinken und an die Heimkehr zu denken. »Ja, fort von hier,« rief er, »in's Freie.« Sie fuhren ab. Als die Bäume der Landstraße bei ihm vorbeiflogen, und die frische Luft in sein Gesicht schlug, kam seine Seele wieder in Spannung. Diese Nacht und der ganze nächste Tag gehörten ihm, in dieser Zeit mußte sich Hülfe finden. Es war nicht die erste Verlegenheit, die er empfand, und er hoffte jetzt sogar, es werde nicht die letzte sein. Er war diese Wechselschuld von ursprünglich siebentausend und einigen hundert Thalern eingegangen, weil der Schurke, der ihm heut das Geld kündigte, vor einigen Jahren zu ihm gekommen war und ihm das Geld angeboten, ja aufgedrängt hatte, zuerst mit den niedrigsten Zinsen. In dem sichern Muth eines glücklichen Unternehmers hatte er das Geld angenommen. Es hatte einige Wochen müßig dagelegen, dann hatte er es angegriffen, und Schritt vor Schritt hatte der Gläubiger seine Forderungen gesteigert bis zum Solawechsel und einem übermäßigen Zinsfuß. Jetzt trotzte der Schurke. War er wie die Ratte, welche den bevorstehenden Untergang des Schiffes merkt und sich zu retten sucht? Der Freiherr lachte auf, daß Lenore zusammenfuhr — aber er war nicht der Mann, sich widerstandslos dem Gauner in die Hände zu geben, er wußte, die Nacht und der nächste Tag mußten ihm Hülfe bringen. Ehrenthal konnte ihn nicht im Stiche lassen.

Er fühlte die Nothwendigkeit, sich zu beherrschen, er [S. 468] gewann es über sich, mit seiner Tochter wieder von gleichgültigen Dingen zu sprachen. »Es sind unangenehme Geschäfte, die sich jetzt drängen,« sagte er, »und ich bin durch die vielen Ansprüche, welche man in der letzten Zeit an mich gemacht hat, auch körperlich angegriffen. Es wird vorübergehen, mein Kind. Jedem Unternehmer kommt solche Zeit; ist die Fabrik erst im Gange, so ist das Aergste überstanden.«

Es war Nacht, als sie nach Hause kamen, der Freiherr eilte auf sein Zimmer. Er legte sich zu Bett, aber er wußte, daß das eine Scene war, die er nur seinem Bedienten vorspielte; das war wieder eine Nacht, wo der Schlaf sein Haupt nicht berühren sollte. Vom Thurme der Dorfkirche schlug eine Stunde nach der andern, der Freiherr zählte jeden Schlag, und nach jeder Stunde pochte das Blut stürmischer in seinen Adern, und heißer wurde seine Angst. Wo war Rettung? Es gab für ihn keine andere, als Ehrenthal. Aller Widerwille, den er dagegen empfand, morgen als Bittender vor diesen Mann zu treten, floß dahin mit dem Fieberschweiß, der von seiner Stirn rann. So lag er und rang die Hände; und wenn der Schlummer, das stille Kind der Nacht, sich seinem Lager näherte, immer erhob sich das graue Gespenst der Angst neben seinem Haupt und trieb mit drohender Geberde den hülfreichen Gott aus seiner Nähe. Gegen Morgen erst verlor er die Empfindung seines Elends.

Schneidende Mißtöne drangen aus dem Hofe in sein Zimmer und weckten ihn; die Arbeiter der Fabrik zogen mit der Dorfmusik unter sein Fenster und brachten ihm ein Ständchen. Zu anderer Zeit hätte er sich über den gutwilligen Eifer gefreut, heut hörte er nur die unreinen Klänge, und sie quälten ihn. Hastig kleidete er sich an und eilte in den Hof. Sein Haus war bekränzt, die Arbeiter hatten sich vor der Thür aufgestellt, sie empfingen ihn mit lautem Zuruf, er mußte den Mund aufthun und ihnen sagen, daß er sich dieses Tages freue und daß er viel Gutes von ihm erwarte, und während er sprach, fühlte er, wie unwahr seine Worte waren und wie [S. 469] gebrochen sein Muth. Er ließ anspannen, ehe er noch seine Frau und Tochter begrüßt hatte, und jagte wieder der Stadt zu. Er stand in Ehrenthals Hause und schüttelte an der Thür des Comtoirs; noch war die Thür verschlossen, sein Diener mußte den Händler vom Frühstück herunter holen.

Unruhig über das Außerordentliche des frühen Besuchs erschien Ehrenthal, er hatte sich diesmal nicht beeilt, den alten Schlafrock auszuziehen. Der Freiherr trug sein Anliegen so kaltblütig vor, als ihm nach der schlaflosen Nacht möglich war. Ehrenthal gerieth in die größte Entrüstung. »Dieser Pinkus,« rief er einmal über das andere, »er hat sich unterstanden, Ihnen Geld zu borgen gegen einen Wechsel! Wie kann er Ihnen borgen eine so große Summe? Der Mann hat keine zehntausend Thaler, er ist ein kleiner Mann ohne Mittel.« Der Freiherr gestand, daß die Summe ursprünglich geringer gewesen war, aber dies Geständniß steigerte die Unruhe Ehrenthals.

»Von sieben zu zehn,« rief er und rannte heftig auf und ab, daß der Schlafrock um ihn flog, wie die Flügel einer Eule. »Fast dreitausend Thaler hat er gewonnen! Ich habe immer ein schlechtes Zutrauen zu diesem Menschen gehabt, jetzt weiß ich, was er ist! Er ist ein Spion, ein Achselträger, der auf zwei Schultern trägt! Er hat auch nicht gegeben die siebentausend, sein ganzer Kram ist nicht siebentausend werth.«

Die starke Entrüstung des Händlers warf einen Freudenschimmer in die Seele des Freiherrn; wie Unrecht hatte er dem Mann oft in seinen Gedanken gethan! »Auch ich habe Ursache, den Pinkus für einen gefährlichen Menschen zu halten,« sagte er.

Aber diese Beistimmung gereichte dem Freiherrn zum Unheil, der Zorn Ehrenthals wandte sich jetzt gegen ihn. »Was rede ich von dem Pinkus,« schrie er; »er hat gehandelt, wie ein Mensch von seiner Art handeln muß. Aber Sie, der Sie sind ein Edelmann, wie haben Sie in solcher Weise an mir [S. 470] handeln können? Sie haben hinter meinem Rücken mit einem Andern Geschäfte gemacht und haben ihn in kurzer Zeit verdienen lassen drei von sieben auf Wechsel. Auf Wechsel,« fuhr er fort; »wissen Sie, was das heißt, ein Wechsel?«

»Ich wünschte, daß die Schuld nicht nöthig gewesen wäre,« sagte der Freiherr; »da aber heut der Verfalltag ist, und der Mann in eine Verlängerung nicht willigt, so müssen wir versuchen, Zahlung zu schaffen.«

»Was heißt wir!« fuhr Ehrenthal zornig auf; »Sie müssen Zahlung schaffen, sehen Sie zu, wie Sie Geld schaffen für den Mann, dem Sie dreitausend haben geschrieben in seine Tasche. Sie haben mich nicht gefragt, als Sie ausgestellt haben den Wechsel, Sie brauchen mich nicht zu fragen, wie Sie werden zahlen das Geld.«

In dem Freiherrn lagen Angst und Zorn im Kampfe. »Mäßigen Sie Ihre Sprache, Herr Ehrenthal,« rief er.

»Was soll ich mich mäßigen,« schrie der Händler; »Sie haben sich nicht gemäßigt und der Pinkus hat sich nicht gemäßigt, ich will mich auch nicht mäßigen.«

»Ich werde wiederkommen,« sagte der Freiherr, »wenn Sie die Haltung gewonnen haben, die ich mir gegenüber unter allen Umständen erbitten muß.«

»Wenn Sie Geld von mir wollen, so kommen Sie nicht wieder, Herr Baron,« rief Ehrenthal. »Ich habe kein Geld für Sie; lieber will ich werfen die Thaler auf die Straße, als Ihnen noch zahlen einen einzigen in Ihr Gut.«

Der Freiherr verließ schweigend das Zimmer. Sein Elend war groß, er mußte das Gezänk des gemeinen Mannes ertragen. Jetzt fuhr er in der Stadt bei seinen Bekannten umher und stand die Qual aus, alle Stunden von Neuem um Geld zu bitten und immer abschlägige Antwort zu erfahren. Zum Mittag war seine Kraft gebrochen. Er kehrte in sein Quartier zurück und überlegte, ob er noch einmal zu Ehrenthal gehen, oder ob er die Zahlung des Wechsels wegen wucherischer Zinsen verweigern solle. Da schlich der in sein Haus, [S. 471] welcher bis dahin sein Leben in weitem Kreise umlauert hatte, er, der künftige Besitzer des Gutes, der Erbe der Rothsattel. Der Freiherr wunderte sich, als eine fremde Gestalt, die er kaum ein oder das andere Mal gesehen hatte, in sein Zimmer trat, ein hageres Gesicht von röthlichem Haar eingefaßt, zwei verschmitzte Augen, und um den Mund ein grotesker Zug, wie man ihn auf den lachenden Larven des Carnevals sieht.

Veitel verneigte sich tief und begann: »Gnädigster Herr Baron, haben Sie die Gewogenheit, zu verzeihen, daß ich mit meinem Geschäft zu Ihnen komme. Ich habe den Auftrag von Herrn Pinkus, das Geld einzucassiren für den Wechsel. Ich wollte Sie unterthänigst fragen, ob Sie vielleicht so gnädig sein wollen, mir zu zahlen das Geld.«

Der finstere Ernst der Stunde ging dem Freiherrn verloren, als er die lange Gestalt sah, welche sich krümmte, Gesichter schnitt und in possenhafter Artigkeit zu vergehen bemüht war. »Wer sind Sie?« frug er mit der Würde eines großen Herrn.

»Veitel Itzig ist mein Name, gnädiger Herr, wenn ich mir erlauben darf, Ihnen das zu melden.«

Der Freiherr fuhr zusammen, als er den Namen Itzig hörte. Das war der Mann, vor dem er gewarnt war, der Unsichtbare, Erbarmungslose. Wieder schnürte ihm die Angst das Herz zusammen.

»Ich war bis jetzt Buchhalter bei Ehrenthal,« fuhr Itzig bescheiden fort. »Aber der Ehrenthal wird mir zu groß; ich habe geerbt ein kleines Vermögen, ich habe es übergeben dem Pinkus in sein Geschäft. Jetzt bin ich dabei, mich selbst zu etabliren.«

»Sie können das Geld jetzt nicht bekommen,« erwiederte der Freiherr ruhiger. Diese hülflose Gestalt konnte schwerlich ein gefährlicher Gegner sein.

»Ausgezeichnet,« sagte Veitel, »es ist mir eine Ehre, zu hören von dem gnädigen Herrn, daß Sie mir's zahlen werden [S. 472] im Nachmittag. Ich habe Zeit.« — Er zog eine silberne Uhr heraus. — »Ich kann warten bis gegen Abend. Und damit ich den Herrn Baron nicht incommodire durch Wiederkommen zu einer Stunde, wo ich Ihnen nicht recht bin, oder wo Sie nicht zu Hause sind, so will ich mir die Freiheit nehmen, mich zu stellen auf Ihre Treppe. Ich kann stehen,« sagte er, als wolle er eine Einladung des Freiherrn, sich auf die Treppe zu setzen, im Voraus ablehnen. »Ich halte aus bis heut Abend um fünf. Der gnädige Herr braucht sich meinetwegen gar nicht zu geniren.« Durch die demüthige Fratze Veitels klang es wie Hohn, dem Freiherrn fiel das Schreckliche der Stunde von Neuem auf das Herz. Veitel ging mit Verbeugungen an die Thür und zog sich wie ein Krebs aus der Stube zurück. Da rief der Freiherr ihn zurück. Wie festgezaubert blieb er in gekrümmter Stellung stehen. Er sah in diesem Augenblick vollständig aus, wie ein etwas schwacher und wunderlicher Mensch. Der warnende Brief hatte dem armen Teufel von Buchhalter zur Last gelegt, was vielleicht Ehrenthal selbst gesponnen hatte. Jedenfalls war mit diesem Manne bequemer zu verkehren, als mit einem andern.

»Können Sie mir angeben,« frug der Freiherr mit innerer Ueberwindung, »wie ich Ihnen für Ihre Forderung Deckung geben kann, ohne daß ich heut oder in diesen Tagen die Summe auszahle?«

Veitels Augen blitzten wie die eines Raubvogels, aber er schüttelte den Kopf, und zuckte lange mit den Achseln, während er sich den Schein gab, nachzudenken. »Gnädigster Herr Baron,« sagte er endlich, »vielleicht giebt es ein Mittel, das letzte Mittel. Sie haben eine Hypothek von zwanzigtausend Thalern auf Ihrem Gute, welche Ihnen selber gehört und welche bei Ehrenthal im Comtoir liegt. Ich will machen, daß der Pinkus Ihnen läßt die Zehntausend, und will Ihnen noch schaffen zehn, wenn Sie meinem Freunde cediren diese Hypothek.«

[S. 473]

Der Freiherr horchte auf. »Wahrscheinlich wissen Sie nicht,« entgegnete er streng, »daß ich das Instrument bereits an Ehrenthal cedirt habe.«

»Verzeihen Sie, gnädiger Herr, das haben Sie nicht gethan, es ist keine gerichtliche Cession vorhanden.«

»Aber mein schriftliches Versprechen,« sagte der Freiherr.

Veitel zuckte die Achseln: »Wenn Sie versprochen haben, dem Ehrenthal zu stellen eine Hypothek für sein Geld, warum muß es gerade sein diese? Und was brauchen Sie eine Hypothek für Ehrenthal? In diesem Jahre erhalten Sie Ihr Capital, das Sie haben auf der Herrschaft bei Rosmin, dann können Sie ihn bezahlen mit baarem Geld. Bis dahin lassen Sie ruhig die Hypothek in seinen Händen, es braucht kein Mensch zu wissen, daß Sie uns gemacht haben eine Cession. Wenn Sie die Gnade haben wollen, mit mir zu gehen zu einem Notar und meinem Freunde vor diesem die Hypothek zu verschreiben, so schaffe ich Ihnen noch heute zweitausend Thaler, und an dem Tage, wo Sie das Instrument legen in unsere Hände, zahle ich Ihnen den Rest.«

Der Freiherr hatte sich gezwungen, diesen Antrag mit einem Lächeln anzuhören. Endlich sagte er kurz: »Was Sie mir vorschlagen, kann ich nicht annehmen, denken Sie an einen andern Ausweg.«

»Es giebt keinen,« sagte Veitel, »aber es ist erst Mittag, ich kann warten bis um fünf.« Er machte wieder seine tiefen Bücklinge und wandte sich an der Thür noch einmal um. »Was Sie, gnädiger Herr, jetzt von Geld brauchen,« sagte er ernst, »das sind nicht die zehntausend Thaler allein; Sie werden in den nächsten Monaten noch nöthig haben eben so viel für Ihre Fabrik, und um zu retten Ihr Capital auf der polnischen Herrschaft. Wenn Sie mir cediren die Hypothek, haben Sie das ganze Geld. Und noch eine Bitte habe ich an meinen gnädigen Herrn: Geruhen Sie, nicht gegen Ehrenthal zu sprechen von unserm Geschäft; er ist ein harter Mann und würde mir schaden mein Leben lang.«

[S. 474]

»Seien Sie ohne Sorge,« sagte der Freiherr mit einer verabschiedenden Handbewegung. Veitel entfernte sich.

Der Freiherr ging mit großen Schritten auf und ab. Was der ehrerbietige Mann ihm vorgeschlagen hatte, wühlte sein Inneres auf. Ja, es war Rettung für ihn aus dieser und aus kommenden Verlegenheiten, aber er konnte darauf nicht eingehen, das verstand sich von selbst. Er war lächerlich, der ihm den Antrag machte, und man konnte ihm nicht einmal zürnen, er verstand's nicht anders. Aber der Freiherr hatte sein Wort verpfändet, er durfte an die Sache gar nicht mehr denken.

Und doch, wie gering war für ihn die Gefahr. Die Documente blieben ruhig in Ehrenthals Hand, bis der Freiherr seine polnischen Gelder erhielt, dann zahlte er die Summe baar an Ehrenthal und löste seine Documente ein. Kein Mensch durfte etwas von dem Geschäft erfahren, und wenn es zum Schlimmsten kam, so ließ er eine neue Hypothek für Ehrenthal auf sein Gut ausfertigen, er bewilligte ihm noch eine Entschädigung, und der Geldmann gab sich zufrieden. Immer wies er den Gedanken von sich ab, und unaufhörlich kam er zurück. Es schlug eins, es schlug zwei Uhr; er klingelte dem Bedienten und befahl, anzuspannen, und frug gelegentlich, ob der fremde Mensch noch im Hause sei. Der Kutscher fuhr vor, der Fremde stand unten an der Treppe. Der Freiherr stieg die Stufen hinab, ohne ihn anzusehen, und setzte sich in den Wagen. Als der Diener mit abgezogenem Hut neben ihm stand und frug, wohin der Kutscher fahren solle, da erst fiel ihm ein, daß er es selbst nicht wußte. »Zu Ehrenthal!« sagte er endlich.

Ehrenthal hatte unterdeß einen unruhigen Vormittag verlebt. Der freche Eingriff, den ein Dritter in seine Rechte gewagt, flößte ihm den Argwohn ein, daß außer ihm noch eine andere unbekannte Macht gegen den Baron speculire. Er schickte zu Pinkus, überschüttete diesen mit Vorwürfen und suchte auf jede Weise zu erfahren, woher das Capital gekommen [S. 475] sei. Pinkus aber war auf's Beste geschult, er zeigte eine eherne Stirn und war grob. Darauf schickte Ehrenthal nach Itzig. Itzig war nirgend zu finden.

So war er in unholder Laune, als der Freiherr wieder bei ihm vorfuhr, er wußte am besten, daß diese neue Schuld nicht nöthig war, um den Edelmann im ruhigen Lauf der Jahre aus dem Besitz seines Gutes zu bringen, und zürnte ihm deshalb als einem Thoren, der sich eine so unnöthige Verlegenheit bereitete. Und er sagte ihm mit dürren Worten, daß der Tag gekommen sei, wo die Geldzahlungen aufhören müßten. Es gab wieder eine heftige Scene, der Freiherr ging erbittert aus dem Comtoir, setzte sich in seinen Wagen und beschloß, noch einen letzten Versuch bei einem früheren Kameraden zu machen, der als reicher Mann bekannt war.

Es war vier Uhr vorbei, als er hoffnungslos in seinem Quartiere ankam. An der Treppe lehnte eine hagere Gestalt, welche dem Vorübereilenden eine tiefe Verbeugung machte und ruhig stehen blieb. Die Kraft des Freiherrn war erschöpft. Er setzte sich in die Sophaecke, wie am Tage zuvor, und starrte vor sich hin. Es gab keine Rettung, das wußte er jetzt genau, keine andere als die, welche dort unten im Schatten des Pfeilers auf ihn lauerte. In einer wüsten Abspannung erwartete er, was kommen würde. Unthätig, ohne sein Haupt von der Lehne zu erheben, hörte er die Viertelstunden von vier zu fünf schlagen. Wieder schlug es in seinem Haupt, wie mit einem Hammer, jeder Schlag brachte ihn dem Augenblick näher, wo sein Schicksal zu ihm hereintrat. Der letzte Schlag der fünften Stunde war verhallt, der Klingelzug im Vorzimmer zitterte, der Freiherr erhob sich von seinem Sitz. Itzig öffnete die Thür und hielt zwei Papiere in der Hand.

»Ich kann nicht zahlen,« rief ihm der Freiherr mit heiserer Stimme entgegen.

Itzig verneigte sich wieder und bot ihm das andere Papier: »Hier ist der Entwurf zu einem Vertrage.«

[S. 476]

Der Freiherr ergriff seinen Hut und sagte, ohne den Fremden anzusehen: »Kommen Sie zu einem Notar!«


Es war Abend, als der Freiherr zu dem Schloß seiner Väter zurückkehrte. Das bleiche Mondlicht glänzte auf den Thürmchen und den Vorsprüngen des Baues, schwarz wie Pech war der See, schwarz die Strebepfeiler, welche den Grund des Hauses zusammenhielten. Und farblos wie der Park und das Haus war das Gesicht des Mannes, der sich in dem Wagen zurücklehnte und die Lippen zusammenpreßte, als Einer, der nach einem langen Kampfe zur Entscheidung gekommen ist. Er sah gleichgültig auf das Wasser, auf die Mauern seines Hauses und auf das kalte Mondlicht am Dach, und doch war ihm lieb, daß die Sonne nicht schien, und daß er das Haus seiner Väter nicht im goldenen Licht des Tages anzusehen hatte. Er mühte sich, in die Zukunft zu denken, die ihm jetzt sicherer war, er überlegte alle Vortheile, die er von seiner Fabrik haben mußte, er dachte hinein bis in die Zeit, wo sein Sohn hier wohnen würde als ein befestigter reicher Mann, ohne die Sorgen, die den Vater in die Gemeinschaft mit niedrigen Geldleuten geführt und sein Haar gebleicht hatten. Er dachte an Alles, aber auch die liebsten seiner Gedanken waren ihm gleichgültig geworden, und er mußte sich zwingen, sie festzuhalten. Er stieg ab und griff nach der gefüllten Brieftasche, bevor er seiner Gemahlin die Hand reichte und Lenore mit einem Kopfnicken grüßte, welches ihren ängstlichen Blick beruhigen sollte. Er sprach herzlich zu den Frauen, und es gelang ihm, Scherze über den unruhigen Tag zu machen; aber er fühlte, daß etwas zwischen ihn und seine Liebsten getreten war; auch sie erschienen ihm fremd. Wenn sie sich an ihn lehnten und seine Hand faßten, so zuckte er leise, als müsse er die Hand zurückziehen. Und wenn seine Frau ihn zärtlich ansah, da lag in ihrem Blick, auf den er immer auch im größten Leid als auf die letzte Hülfe hingesehen hatte, jetzt etwas, das [S. 477] er nicht ertragen konnte, und er schlug das Auge zu Boden. Er schritt zu der Fabrik, wo die Leute noch auf die Ankunft des Herrn warteten, und erblickte seinen Namenszug, der aus bunten Lampen zusammengesetzt über der Thür brannte, darüber die siebenzinkige Krone seines Geschlechts; und er wandte die Augen ab, der Glanz der Lampen stach ihn in die Seele.

Um ihn jubelte die Freude, die Arbeiter brachten ihm ein Hoch nach dem andern aus, die Dorfmusik spielte wieder lustige Tänze. Sie spielte auch denselben Marsch, unter dem er einst mit dem Regiment oft vor seinem alten General vorbeimarschirt war, der den jungen Offizier wie ein Vater geliebt hatte. Er dachte an das narbenvolle Gesicht des alten Kriegers und an seine Kameraden, er dachte auch an ein Ehrengericht, das die Offiziere des Regiments einst über einen Unglücklichen gehalten hatten, der sein Ehrenwort leichtsinnig gegeben und gebrochen. Er ging in sein Schlafzimmer, und ihm war wohl, als es um ihn finster wurde und er nichts mehr von Allem sah, nicht sein Schloß und seine Fabrik, nicht den prüfenden Blick seiner Frau. Und wieder hörte er auf dem Lager eine Stunde nach der andern schlagen, und bei jedem Schlage mußte er denken: »Es giebt jetzt einen andern Mann vom Regiment, der mit grauem Haar dasselbe gethan hat, was damals einen Jüngling dazu brachte, sich eine Kugel in den Kopf zu schießen. Hier liegt der Mann und kann nicht schlafen, weil er sein Ehrenwort gebrochen hat.«


V.

Die Frühlingsstürme fuhren über das Flachland, als Anton in das Geschäft zurückgerufen wurde. Der Winter war ihm eine Zeit harter Arbeit, großer Beschwerde gewesen. Aus der fremden Stadt war er mehr als einmal in Kälte [S. 478] und Schnee durch verwüstete Landschaften gereist, weit hinein in den Osten und Süden bis an die Berge Siebenbürgens und in die Weideländer der Magyaren. Er hatte viel Trauriges gesehen, niedergebrannte Edelhöfe, zerstörten Wohlstand, unsichere Menschen, Hunger, Rohheit und brennenden Haß der Parteien.

»Um welche Stunde kommt er?« frug Sabine den Bruder.

»In wenig Stunden, mit dem nächsten Bahnzug.«

Sabine sprang auf und ergriff ihr Schlüsselbund. »Und noch sind die Mädchen nicht fertig, ich muß selbst zum Rechten sehen. Heut Abend soll er bei uns essen, Traugott; auch wir Frauen wollen etwas von ihm haben.«

Der Bruder lachte. »Verzieht ihn nur nicht.«

»Dafür ist gesorgt,« sagte die Tante. »Wenn er einmal wieder im Comtoir sitzt, dann steckt er wie in einer Schublade, man kann ihn, außer Mittags, lange suchen.«

Unterdeß suchte Sabine unter ihren Schätzen, belud den Arm des Bedienten mit allerlei Packeten und sah ungeduldig in den Hof hinab, ob die Herren noch nicht aus dem Hinterhause in das Comtoir gehen wollten. Endlich huschte sie selbst in Antons Stube. Sie warf noch einen prüfenden Blick auf das Sophakissen, das sie für den Abwesenden gestickt hatte, und ordnete in einer Alabasterschaale alle Blumen, welche der Gärtner aufgetrieben hatte. Als sie so über der Schaale stand, fielen ihre Blicke auf die Wände des Zimmers, wo noch die Zeichnung hing, welche Anton in den ersten Wochen nach seinem Eintritt gemacht, und auf den kostbaren Teppich, den noch Fink über den Fußboden gezogen hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit war sie in diesem Raum, den ihr Fuß gemieden hatte, so lange der Andere ein Bewohner des Hauses war. Wo lebte er jetzt? Ihr war heut, als sei sie seit vielen vielen Jahren von ihm getrennt, und die Erinnerung an ihn kam ihr wie das bange Gefühl nach einem schweren Traume. Dem ehrlichen Mann, der jetzt hier wohnte, konnte sie offen sagen, wie werth er ihr geworden war, und freudig durfte [S. 479] sie der Stunde entgegensehen, wo sie ihm danken wollte für Alles, was er ihrem Bruder gethan.

»Aber Sabine!« rief die Tante erschrocken an der Thür. Auch die Tante hatte es leise in das Zimmer ihres Tischnachbars gezogen.

»Was hast du?« rief Sabine aufsehend.

»Aber es sind ja die gestickten Vorhänge, die du aufgezogen hast. Die gehören doch nicht in's Hinterhaus, in diese Herrenwirthschaft!«

»Laß sie hängen,« sagte Sabine lächelnd.

»Und die Ueberzüge, und diese Handtücher, das ist unerhört, es sind ja deine besten Stücke. Mein Gott! Die Ueberzüge mit Spitzen und auch das rosa Futter dazu.«

»Laß dir's gefallen, Tante,« rief Sabine erröthend. »Der heut zurückkommt, hat es wohl verdient, daß er das Beste aus den alten Schränken erhält.«

Aber die Tante fuhr fort, den Kopf zu schütteln. »Wenn ich's nicht selbst sähe, ich hätte es Keinem geglaubt. So etwas für den täglichen Gebrauch zu geben! Ich verstehe dich nicht mehr, Sabine. — Man wird ihn nach und nach um einige Nummern herabsetzen müssen; er merkt's nicht, das ist mein einziger Trost. Nein, daß ich das erleben mußte!« Sie schlug die Hände zusammen und verließ aufgeregt das Zimmer.

Sabine ergriff wieder die Schlüssel und eilte ihr nach. »Sie macht gegen Traugott unnütze Worte,« sagte sie sich leise im Gehen, »ich muß ihr beweisen, daß es nicht anders einzurichten war.«

Unterdeß war auch dem Reisenden zu Muthe wie einem Sohn, der nach langer Abwesenheit in das Vaterhaus zurückkehrt. Auf den letzten Stationen vor der Hauptstadt pochte sein Herz in freudigen Schlägen; das alte Haus und die Collegen, das Geschäft und sein Pult, der Chef und Sabine, alle fuhren in lachenden Bildern vor seinem Auge vorüber. Endlich hielt die Droschke vor der geöffneten Hausthür. Da standen die Frachtwagen, die Tonnen, der Leiterbaum. Da [S. 480] rief Vater Sturm mit einer Stimme, welche hell über die breite Straße klang, seinen Namen, riß den Wagenschlag auf und hob ihn heraus, wie ein Mann sein Kind aus dem Wagen hebt. Da eilte Herr Pix bis auf die Straße, schüttelte ihm lange die Hand und bemerkte in seiner Freude nicht, daß unterdeß sein schwarzer Pinsel diese Bewegungen benutzte, um auf Antons Pelz allerlei Striche und Punkte zu malen. Dann kam Anton bei der großen Waage vorbei und schüttelte mit der Hand vergnügt an den Ketten. Dann trat er in das vordere Comtoir, wo bereits die Lampen brannten, und rief herzhaft seinen Guten Abend! hinein. Mit lautem Ruf erhoben sich die Collegen wie ein Mann und drängten sich um ihn. Herr Schröter eilte aus der Hinterstube herzu, und als er sein »Willkommen!« rief und die Hand entgegenhielt, fuhr ein heller Strahl von Freude über sein ernstes Gesicht. Das waren glückliche Augenblicke, und Anton wurde weicher, als sich für einen gereisten Mann schickt. Und als er nach den ersten Fragen und Antworten aus dem Comtoir nach seinem Zimmer ging, da sprang im Hofe Pluto mit Ungestüm auf ihn zu und wedelte unmäßig mit dem zottigen Schwanze, und Anton hatte Mühe, sich seiner Liebkosungen zu erwehren. Vor seinem Zimmer kam ihm der Diener mit vergnügtem Lächeln entgegen und riß respectvoll die Thüre auf. Ueberrascht sah sich Anton um, der Raum war festlich geschmückt, im Kamin vor dem Ofen brannte ein behagliches Feuer, eine grüne Guirlande hing über der Thür, auf dem Sopha lag ein neues gesticktes Kissen, auf dem Tische stand ein zierliches Theeservice und daneben eine Alabasterschaale mit Blumen. »Das Fräulein hat selbst Alles aufgestellt,« vertraute ihm Franz. Anton beugte sich über die Schaale und betrachtete die einzelnen Blumen auf's Genaueste. Sie waren im Allgemeinen anderen Naturerzeugnissen ihrer Art nicht unähnlich, aber Anton starrte in sie hinein, als hätte er noch nie etwas Aehnliches gesehen. Darauf nahm er das Kissen, befühlte und streichelte die Stickerei und stellte sie voll Bewunderung [S. 481] wieder an ihre Stelle. Zuletzt nahm er auch die Katze in die Hand, klopfte sie auf den Rücken und setzte sie vorsichtig gleich einem lebenden Geschöpf wieder auf den Schreibtisch; und die Katze war nicht unempfänglich für solche Freundlichkeit, denn in dem rothen Scheine des Kaminfeuers glänzte sie hell und lebendig, und es klang durch das Zimmer wie ein leises Schnurren.

Wieder eilte Anton in das Comtoir, dem Chef über seine letzte Thätigkeit Bericht zu erstatten. Der Kaufmann nahm ihn in sein kleines Zimmer und besprach mit ihm die Ereignisse der vergangenen Zeit in so herzlicher Weise, wie man mit einem Freund über wichtige Angelegenheiten verhandelt. Es war doch eine ernste Unterredung. Vieles war verloren und nicht Weniges noch gefährdet. Erst in der Ferne war Anton mit dem ganzen Umfange der Gefahr bekannt worden, welche das Geschäft bedroht hatte. Und er erkannte, daß die Thätigkeit vieler Jahre nöthig sei, um die Verluste wieder auszugleichen und an Stelle der abgerissenen Fäden neue anzuknüpfen. Mit kurzen Worten sagte ihm der Kaufmann dasselbe. »Ihrer Umsicht und Energie verdanke ich viel,« schloß er, »ich hoffe, Sie werden mir helfen, das verlorene Terrain in anderer Weise wieder zu gewinnen; das Unvermeidliche werden wir tragen.« Und als Anton hinausging, rief er ihm lächelnd nach: »Es ist noch Jemand, der Ihnen zu danken wünscht; ich bitte Sie, heut Abend mein Gast zu sein.«

So trat Anton an sein Pult, öffnete das lang verschlossene und legte sich Papier und Feder zurecht. Aber aus dem Schreiben wurde heut nicht viel. Jordan weigerte sich, ihm Briefe zu geben, und in beiden Arbeitsstuben hörte die unruhige Bewegung nicht auf. Einer nach dem Andern verließ seinen Platz und kam zu Antons Stuhl. Herr Baumann klopfte dem Stubennachbar mehrmals leise auf den Rücken und ging dann immer wieder vergnügt auf seinen Platz zurück, und Herr Specht hockte in großer Aufregung an dem Geländer neben Antons Sitz, und seine Fragen und verwunderten Ausrufe [S. 482] schossen wie ein Bach auf Anton nieder. Herr Liebold legte das Löschblatt mehrere Minuten vor der Schlußstunde in das Hauptbuch und zog sich nach dem vordern Comtoir. Sogar Herr Purzel trat, die heilige Kreide in der Hand, aus seinem Verschlage; zuletzt kam auch Herr Pix in das Zimmer, um Anton im Vertrauen zu erzählen, daß er schon seit einigen Monaten keine Solopartie gespielt, und daß Specht unterdeß in einen Zustand gekommen sei, der mit Verrücktheit eine unverkennbare Aehnlichkeit habe.

Am Abend betrat Anton den obern Stock des Vorderhauses. Die Portière rauschte zurück, Sabine stand vor ihm. Ihr Mund lachte, aber ihre Augen glänzten feucht, als sie sich auf die Hand herabbeugte, welche die Todesgefahr vom Haupt des Bruders abgewandt hatte.

»Fräulein!« rief Anton erschrocken und zog die Hand zurück.

»Ich danke Ihnen, o ich danke Ihnen, Wohlfart!« rief Sabine und hielt ihn mit beiden Händen fest. So blickte sie ihn schweigend an, verklärt durch eine Rührung, welche sie nicht bewältigen konnte. Als Anton das Mädchen betrachtete, welches mit gerötheten Wangen, so bewegt und dankbar zu ihm aufsah, da erkannte er, daß seit jenem Streich des slavischen Säbels auch seine Stellung zur Familie und zu ihr geändert war. Die Schranke war gefallen, welche bis dahin den Arbeiter des Comtoirs von dem Fräulein getrennt hatte. Und mit einer stolzen Freude, welche ihm das Herz schwellte, empfand er auch, daß er selbst in dieser Zeit ein Mann geworden war, wohl werth, daß ein Weib seiner Kraft und Ruhe vertraute.

Er erzählte ihr noch einmal, was sie durch viele Fragen aus seinem Mund zu vernehmen suchte, den Kampf um die Wagen, die Schrecken der wilden Zeit. Andächtig lauschte Sabine seinem Wort. Auch er war ihr ein Anderer, seine Züge waren bestimmter, seine Haltung sicherer, seine Rede fest. Ihr Auge suchte den klaren Glanz des seinen, und wenn ein voller Blick freudig auf sie fiel, schlug sie das ihre [S. 483] unwillkürlich nieder. Nie war ihr aufgefallen, wie hübsch und stattlich er war. Heut sah sie auch das. Ein offenes männliches Antlitz, darüber das kastanienbraune lockige Haar, zwei prächtige Augen von dunklem Blau, ein kräftiger Mund und auf den Wangen ein feines Roth, das in der wachsenden Empfindung sich veränderte, wie das Sonnenlicht auf der lachenden Flur. Er war ihr neu geworden und doch wie ein lieber vertrauter Freund.

Die Tante kam herein, die gestickten Vorhänge hatten in ihrer Seele eine Erschütterung hervorgerufen, welche noch anhielt und jetzt durch ein Seidenkleid und eine neue Haube an das Licht trat. Ihre Begrüßung war laut und wortreich und ihre Bemerkung, daß der neue Backenbart Herrn Wohlfart sehr gut stehe, wurde durch ein stilles Kopfnicken der Nichte bestätigt.

»Da habt Ihr den Helden des Comtoirs,« rief der Kaufmann. »Jetzt zeigt, daß Ihr Ritterdienste besser zu lohnen wißt, als durch schöne Worte. Tragt ihm auf, was Küche und Keller hergeben. Kommen Sie, mein treuer Gefährte. Der Rheinwein erwartet, daß Sie nach manchem schweren Polentrunk auch ihm eine Ehre erweisen.«

In dem ruhigen Licht der Lampe strahlte das Zimmer vor Behagen, als die Vier sich zu Tische setzten. Der Kaufmann hielt Anton das Glas über den Tisch: »Willkommen in der Heimath!« »Willkommen im Hause!« rief Sabine. Da sagte er leise: »Ich habe eine Heimath, ich habe ein Haus, in dem ich mich wohl fühle. Durch Ihre Güte habe ich Beides gewonnen. Viele Abende, wenn ich dort draußen in einer schlechten Herberge saß, unter wildfremden Leuten, deren Sprache ich nur unvollkommen verstand, da habe ich an diesen Tisch gedacht, und welche Freude es für mich sein würde, wieder Ihr Angesicht und diese Räume zu sehen. Denn das Bitterste auf Erden ist doch, sich in den Stunden der Ruhe allein zu fühlen, ohne einen guten Freund, ohne eine Stätte, an welcher das Herz hängt.«

[S. 484]

Und als er spät am Abend aufbrach, sagte der Kaufmann beim Nachtgruß: »Wohlfart, ich wünsche Sie noch fester an dies Haus zu fesseln. Jordan verläßt uns mit dem nächsten Vierteljahr, um als Associé in die Handlung seines Oheims zu treten. Ich habe Sie für seine Stelle bestimmt. Ich weiß, daß ich keinen bessern Mann zu meinem Stellvertreter machen kann.«

Als Anton in sein Zimmer zurückkehrte, da fühlte er, was der Mensch nur in wenigen Stunden des Lebens ungestraft fühlen darf, daß er glücklich war, ohne Reue, ohne Wunsch. Er setzte sich auf das Sopha, sah auf das Kissen und die Blumen, und seine Gedanken flogen zurück über die letzten Stunden. Immer wieder sah er Sabine vor sich, wie sie sich auf seine Hand niederbeugte und ihm dankte. Lange saß er so in holdem Traume und legte sein müdes Haupt auf die seidenen Arabesken, welche Sabinens Hand gestickt hatte.

Da fiel sein Auge auf den Tisch, ein Brief lag auf der Decke, das Postzeichen war von Newyork, die Adresse von Finks Hand.

Fink hatte ihm in den ersten Jahren der Trennung einige Mal geschrieben, fast immer nur wenige Zeilen, nie etwas von seinen Geschäften, noch weniger von den Plänen, welche er im Hinterhause für seine Zukunft gemacht hatte. Dann war eine lange Zeit verstrichen, in welcher Anton ohne jede Nachricht vom Freunde geblieben war, er wußte nur, daß Fink viele Zeit auf Reisen im Westen der Union zubrachte, wo er als Bevollmächtigter des Handelshauses, an dessen Spitze sein Oheim gestanden, und im Interesse verschiedener Compagnien, an welchen der Verstorbene Theil hatte, thätig war. Aber mit Bestürzung las Anton heut Folgendes:

»Es muß endlich doch heraus, was ich dir armen Jungen gern verschwiegen hätte. Ich bin unter die Räuber und Mörder gegangen. Wenn du einen harten Kehlabschneider brauchst, wende dich nur an mich. Ich lobe mir einen Burschen, der aus freier Wahl ein Schuft wird; er hat wenigstens das [S. 485] Vergnügen, mit dem Teufel einen klugen Vertrag zu machen, und kann die Classe von Niederträchtigkeiten aussuchen, in der er sich behaglich fühlt. Mein Loos ist weniger angenehm. Ich werde durch den Zwang der Schelmereien, welche Andere ausgedacht haben, auf einem Wege fortgetrieben, welcher eine haarsträubende Aehnlichkeit mit der Chaussee hat, die sich Lawinen auf ihrem Sprunge nach der Tiefe bereiten. Wie das Felsstück in der Schneemasse, so stecke ich, von allen Seiten eingeengt, in der eisigen Kälte der furchtbarsten Speculationen, welche je großartiger Wuchersinn ausgedacht hat. Der Verstorbene hat die Güte gehabt, gerade mich zum Erben seiner Lieblingsprojecte, der Speculationen mit Land, zu machen. Lange vermied ich, mich selbst in die Einzelheiten dieses Geschäfts zu verlieren. Ich ließ ein Jahr lang Westlock diesen Theil der Erbschaft bearbeiten. Wenn das feig war, so fand ich eine Entschuldigung in der Masse von Arbeiten, welche mir die Börsengeschäfte des todten Herrn machten. Endlich wurde die Uebernahme auch dieser Thätigkeit unvermeidlich, und wenn ich schon vorher sehr bestimmte Ahnungen über die weite Ausdehnung des Luftsacks bekommen hatte, den der Todte statt eines Gewissens mit sich herum trug, so ist mir jetzt ganz unzweifelhaft geworden, daß die Absicht seines Testamentes war, sich für die kindischen Bosheiten, die ich gegen ihn geübt, dadurch zu rächen, daß er mich zum Spießgesellen von alten verwitterten Schurken machte, deren Schlauheit so groß ist, daß Satan selbst den Schwanz in die Tasche stecken und ihnen entlaufen würde.

Diesen Brief erhältst du aus einer neuen Stadt in Tennessee, einem anmuthigen Ort, der dadurch nicht besser wird, daß er auf Speculation von meinem Geld gebaut ist. Einige Holzhütten, die Hälfte davon Schenken, bis unter das Dach angefüllt mit einem schmutzigen und verworfenen Gesindel von Auswanderern, von denen die Hälfte an Fäulniß und Fieber darnieder liegt. — Auch was noch umherläuft, ist ein hohläugiges, verkümmertes Geschlecht, alle Candidaten des Todes. [S. 486] Täglich, wenn die armen Tröpfe die aufgehende Sonne erblicken, so oft sie den unbescheidenen Wunsch fühlen, etwas zu essen und zu trinken, täglich vom Morgen bis zum Abend ist ihr Lieblingsgeschäft, auf die Landhaifische zu fluchen, welche ihnen ihr Geld für Transportkosten, für Land und Improvements abgenommen, und sie in diese Gegend geführt haben, welche zwei Monate im Jahre unter Wasser steht und die übrige Zeit einem zähen Brei ähnlicher sieht, als irgend welchem Lande. Die Männer aber, welche sie auf diesem kothigen Weg in's Himmelreich weisen, sind meine Agenten und Bundesgenossen, und ich, Fritz Fink, bin der Glückliche, der hier allstündlich mit jedem Fluch der deutschen und irischen Zunge beworfen wird. Was noch gesunde Beine hat, schicke ich fort, was als Bewohner meines Hospitals umherschleicht, das habe ich mit Welschkorn und China zu füttern. In meiner Stube kriechen, während ich dies schreibe, drei nackte Paddykinder auf der Diele umher, ihre Mütter sind so pflichtvergessen gewesen, dies Jammerthal zu verlassen, und ich genieße den Vorzug, die froschartigen Scheusälchen über den Nachttopf zu halten. Eine angenehme Beschäftigung für meines Vaters Sohn! Wie lange ich hier festsitzen werde, weiß ich nicht, möglicherweise bis der Letzte gestorben ist.

Unterdeß bin ich mit meinen Associés in Newyork zerfallen, ich habe den Vorzug gehabt, eine allgemeine Unzufriedenheit zu erregen, die Theilhaber an der großen Westlandcompagnie sind zusammengekommen, man hat Reden gegen mich gehalten und Beschlüsse gefaßt. Mich würde das wenig kümmern, wenn ich einen Weg sähe, mich von dieser Bande loszumachen. Aber der Todte hat die Sache so schlau eingerichtet, daß ich fest geschnürt bin, wie ein Sklave im Negerschiff. Es sind ungeheure Summen in diese wüste Speculation geworfen. Wenn ich ihnen den Kram kündige, so bin ich sicher, daß sie Mittel finden werden, mich die ganze Summe, die der Todte gezeichnet hat, bezahlen zu lassen, und wie ich das durchsetzen soll, ohne nicht nur mich, sondern vielleicht auch [S. 487] die Firma Fink und Becker zu ruiniren, das sehe ich noch nicht.

Indessen wünsche ich deine Meinung über das, was ich thun soll, nicht zu hören. Sie kann mir nichts nutzen, denn ich weiß sie ohnedies. Ich wünsche überhaupt keinen Brief von dir, du einfältiger, altfränkischer Tony, der du glaubst, ehrlich handeln sei eine so einfache Geschichte, wie ein Butterbrod streichen. Denn habe ich Alles gethan, was ich konnte, die Einen begraben, die Andern gefüttert und meine Compagnons so sehr geärgert, als mir möglich ist, dann ziehe ich auf einige Monate weiter nach Westen, in eine ehrliche Prairie, wo weniger Gekrächz von Alligatoren und Nachteulen, und etwas mehr Aristokratism zu finden sein wird, als hier. Giebt es auf der Prairie Tinte und Stift, so schreibe ich dir wieder. Ist dieser Brief der letzte, den du von mir erhältst, so widme mir eine Thräne und sage in deiner salbungsvollen Art: Schade um ihn, er hatte auch seine guten Seiten!«

Darauf folgte eine genaue Darstellung der Geschäfte Finks und die Statuten der Landcompagnie.

Anton las den unerfreulichen Brief einigemal durch, dann setzte er sich an den Schreibtisch und schrieb an den Freund, trotz dem Verbot desselben, die ganze Nacht hindurch.


Noch in dem ruhigen Licht der nächsten Tage behielt Anton die erhobene Stimmung. Wenn er im Comtoir arbeitete und mit seinen Collegen scherzte, immer fühlte er, wie fest sein Leben in den Mauern des großen Hauses Wurzeln geschlagen hatte. Auch den Andern wurde das bemerkbar. Am Mittagstisch war die Unterhaltung jetzt lebhafter als je. Nicht nur der Prinzipal, auch Anton und Sabine führten das Gespräch. In einer Zeit, wo das Geschäft wenig Freudiges brachte, kam in diese Drei ein neues Leben. Der Kaufmann richtete seine Rede fast ausschließlich an Anton, und wenn Anton erzählte, dann hörte der ganze Tisch aufmerksam zu, [S. 488] und zuweilen klang ein heiteres Lachen aller Collegen um die feierliche Tafel. Auch des Abends war Anton eine bevorzugte Person. Er wurde oft in das Vorderhaus geladen, dann saß er mit den Frauen und dem Prinzipal am kleinen Tisch zusammen, und dem Hausherrn war anzusehen, wie lieb ihm das persönliche Verhältniß zu einem Manne wurde, der so innig mit den Interessen seines Geschäfts verwachsen war und in dessen frischem und geordnetem Sinn er ein Bild seiner eigenen Jugend erblickte.

Für Sabine wurden diese Stunden ein Genuß. Es war ihr ein freudiger Fund, wenn sie im Gespräch über die Neuigkeiten des Tages, über ein gelesenes Buch, über Erlebtes und Gefühltes wahrnahm, daß der Mann, der jahrelang so nahe an ihnen gelebt hatte, in so Vielem mit ihr übereinstimmte. Seine Bildung, sein Urtheil überraschten sie, sie sah ein ehrliches Gemüth plötzlich in glänzenden Farben vor sich stehen, wie der Reisende staunend auf eine reiche Landschaft blickt, die ihm wogender Nebel lange verhüllt hat.

Friedlich fanden sich die Collegen in die ungewöhnliche Stellung ihres Genossen. Daß er dem Prinzipal das Leben gerettet hatte, wußten sie aus dem eigenen Munde des Chefs, und dieser Zufall wurde selbst für Herrn Pix ein Grund, die Einladungen Antons in das Vorderhaus ohne Bemerkung zu ertragen. Anton that das Seine, dem Comtoir seine Persönlichkeit werth zu erhalten. An freien Abenden lud er die Einzelnen auf sein Zimmer, nicht selten kam die ganze Gesellschaft bei ihm zusammen. Jordan beklagte sich lächelnd, daß er schon bei Lebzeiten vergessen sei, und das Comtoir gewöhnte sich, in Anton seinen Nachfolger, den stillen Rathgeber der Jüngeren zu sehen. Am liebsten war Anton mit Baumann zusammen, der in dem letzten halben Jahre wieder einige starke Anwandlungen von Missionsgelüsten gehabt hatte und jetzt nur durch die Ueberzeugung zurückgehalten wurde, daß in der schwierigen Gegenwart ein geübter Calculator nicht fehlen dürfe. Am eifrigsten aber bemühte sich um Antons [S. 489] Gunst der phantasiereiche Specht. Ihm hatte der Reisende einen romantischen Heiligenschein bekommen. Was Anton etwa erfahren hatte, das malte die Phantasie des Herrn Specht mit den grellsten Farben aus. Er war geneigt, anzunehmen, daß der College außer den Abenteuern, welche er eingestand, noch unendlich reizende und furchtbare erlebt hatte, die zu verbergen er durch geheimnißvolle Verhältnisse gezwungen war.

Leider war Specht's eigene Stellung zu den Collegen während Antons Abwesenheit mächtig erschüttert worden. Er war immer der Gegenstand gewesen, an welchem sich die gute Laune der Andern aufzurichten liebte, wie die Schlingpflanze an einem dünnen Bäumchen, und oft war er von den Blüthen fremden Witzes fast erstickt worden. Jetzt sah Anton mit Bedauern, daß der gute Herr Specht in dem Zustand allgemeiner Mißachtung lebte. Sogar sein Quartett hatte ihn aufgegeben, wenigstens schwebte zwischen ihm und den beiden Bässen eine finstere Wolke des Mißmuths. So oft Specht eine Behauptung aufstellte, welche nicht ganz unbestreitbar war, zuckte Pix die Achseln und warf ihm mit Verachtung das ungehörige Wort »Kürbis« entgegen. Fast Alles, was Specht sagte, war »Kürbis«; sogar bei Tische kugelte dieser Pflanzenkörper in den untern Regionen von einem Munde zum andern, und so oft das Wort ausgesprochen wurde, gerieth Herr Specht in leidenschaftlichen Zorn, brach tief gekränkt das Gespräch ab und zog sich aus der Gesellschaft der Andern in sich selbst zurück.

Anton besuchte an einem Abend den Verfehmten auf seinem Zimmer. Schon vor der Thür hörte er die scharfe Stimme des Collegen, welcher das berühmte Lied: »Hier sitz' ich auf Rasen mit Veilchen bekränzt« von dem erhabenen Ort seiner Behausung — Herr Specht wohnte drei Treppen hoch — in das Haus hinunter sang. Als Anton leise die Thür öffnete, saß Specht in kunstvoller Attitude, graziös auf einen Arm gestützt, bei seiner Lampe am Tisch und sang mit so innigem Behagen, daß Anton einige Augenblicke stehen blieb, [S. 490] den Begeisterten nicht zu stören. Es war kein großes Zimmer, welches Specht bewohnte, und die Erfindungskraft des Herrn hatte jahrelang gearbeitet, demselben einen Charakter zu geben, welcher von dem Wesen gewöhnlicher Stuben verschieden war. Es sah in der That keiner andern irdischen Behausung ähnlich. Alle Wände waren mit Bildern überzogen, mit Portraits berühmter Künstlerinnen, viele im Costüm ihrer Rolle, dazwischen ragten zahlreiche Consolen, auf denen kleine Vasen, Muscheln und Thonfiguren und andere Merkwürdigkeiten standen. Da der Consolen mehr waren, als der darauf zu stellenden Gegenstände, so hatte Specht die leeren mit Tassen und Champagnerflaschen interimistisch besetzt. Ueber dem Bett hing ein großer Ritterschild von glänzendem Messingblech, daneben große Fechthandschuhe und ein Köcher mit Pfeilen. Ueber den Pfeilen war ein Zettel an die Wand geschlagen, mit einem gemalten Todtenkopf und zwei gekreuzten Knochen und dem warnenden Wort: »Vergiftet!« Dahinter drei Ausrufungszeichen.

Am auffälligsten aber war die Mitte des Zimmers eingerichtet. Dort schwebte etwas über Manneshöhe ein ungeheurer Reifen, durch Bindfaden an einem Haken der Decke festgehalten. Darunter standen große Thongefäße, mit Erde gefüllt, und von den Gefäßen liefen zahlreich gespannte Schnüre bis zu dem Reifen. Unter dem Reifen stand ein Gartentisch aus knorrigen Baumästen und einige Stühle aus Weidenruthen. Durch diese Vorrichtung erhielt das Zimmer ein durchaus unerhörtes Aussehen, und die freie Bewegung der darin befindlichen Gliedmaßen wurde für jeden Andern, als den erfahrenen Bewohner sehr schwierig. Es war nicht abzusehen, welchen Zweck diese geheimnißvolle Vorrichtung hatte. Allerdings erinnerten der wilde Tisch, die Stühle und Erdtöpfe den menschlichen Geist gewissermaßen an Garten und freie Natur, während wieder die ausgespannten Schnüre eine entfernte Aehnlichkeit mit Strickleitern hatten, welche zum Mastkorb eines Schiffes hinaufführen. Zuletzt neigte sich Anton [S. 491] zu der Ansicht, daß diese Erfindung eine Menschenfalle vorstelle, welche nach dem Muster eines Spinngewebes gebaut und darauf berechnet war, die Köpfe und Beine boshafter Collegen festzuhalten. Wenigstens saß Specht selbst als Dirigent in der Mitte des Netzwerks, und sein Sirenengesang konnte wohl darauf berechnet sein, die Eintretenden durch vorgespiegelten grünen Rasen und falsche Veilchenkränze in's Garn zu locken.

Anton blieb außerhalb der Falle stehen und rief endlich Specht von der Thür an: »Was zum Henker haben Sie in Ihrem Salon für ein Bindfadensystem ausgebreitet?«

Specht sprang auf und versetzte mit glänzenden Augen: »Es ist eine Laube.«

»Eine Laube? Ich sehe ja nichts Grünes.«

»Es kommt,« sagte Specht und führte den Besuch zu seinen Gefäßen.

Bei näherer Betrachtung entdeckte Anton in den Töpfen einige schwache Epheuranken, welche bestäubt und verkommen wie die Ueberreste dämmeriger Traumbilder aussahen, welche dem erwachenden Menschen noch einige Augenblicke an den Fäden seiner Seele hängen, um gleich darauf für immer zu vergehen.

»Aber Specht, dieser Epheu wird's nicht thun,« sagte Anton.

»Er ist auch nicht allein da,« belehrte Specht geheimnißvoll; »sehen Sie, hier kommt noch Anderes.« Er wies auf mehrere magere, spargelähnliche Gebilde, welche sich aus den Töpfen erhoben und mit nichts Anderem zu vergleichen waren, als mit den unglücklichen Versuchen, zu keimen, welche die Kartoffeln zur Zeit des Frühjahrs in einem warmen Keller anstellen.

»Und was sollen diese Keime bedeuten?«

»Es sind Bohnen und Kürbisse,« sagte Herr Specht. »Das Ganze wird eine Kürbislaube; in einigen Wochen werden die Fäden von den Ranken belaufen sein. Denken Sie, Wohlfart, wie famos das aussehen wird! Von allen Seiten die [S. 492] grünen Ranken, die Blüthen und die großen Blätter. Das Ganze wird ein Zelt sein mit zwei Eingängen. Die meisten Kürbisse werde ich abschneiden, damit mir die Last nicht zu schwer wird, einzelne lass' ich hängen, es werden Netze darunter gemacht. Bitte, stellen Sie sich das ganze dicke Grün vor, dazwischen die gelben Blüthen, es wird reizend aussehen! Das wird ein Sitz, mit guten Freunden eine Flasche Wein zu trinken, oder vierstimmig zu singen.«

Ach die guten Freunde hatten Herrn Specht verlassen, er ließ sich aber alle Sonntage vom Bedienten eine halbe Flasche Wein holen, setzte vier Gläser auf den Tisch und trank eines nach dem andern aus.

»Aber Specht,« frug Anton lachend, »können Sie denn im Ernst glauben, daß die Kürbisse in Ihrer Dachstube wachsen werden?«

»Warum sollen sie nicht wachsen?« rief Herr Specht gekränkt. »Sie sind gerade wie die Andern. Die Pflanzen haben ja Sonne, ich sorge für frische Luft, ich gieße mit Rinderblut, sie haben Alles, was sie brauchen.«

»Aber sie sehen verzweifelt kränklich aus.«

»Das ist nur der Anfang, die Luft ist draußen noch kalt, und wir haben einige Wochen gehabt, wo der Sonnenschein fehlte. Später schießen sie auf einmal in die Höhe. Wenn Einer nichts von einem Garten hat, muß er sich zu helfen wissen.« Er sah sich vergnügt in der Stube um. »Sehen Sie, im Decoriren eines Zimmers will ich's mit jedem reichen Mann aufnehmen. Natürlich nach meinen Mitteln. Aus Oelbildern mache ich mir nicht viel, sie werden in der Regel schwarz; meine Bilder hier werden höchstens ein wenig heller. Es hat mich Geld gekostet, dafür ist es hier hübsch geworden. Mein Zimmer ist nicht groß, aber es ist wohnlich.«

»Ja,« entgegnete Anton, »außer für gewisse Unarten unruhiger Menschen, als Geradestehen und Umhergehen. Darauf muß man hier verzichten. Sie können nur solchen Besuch gebrauchen, der sich gleich an der Thür auf den Fußboden setzt.«

[S. 493]

»Ruhig zu sitzen, ist ja eine Hauptregel bei der Unterhaltung,« versetzte Specht. »Leider sind die Menschen oft schlecht und ohne Herz. — Finden Sie nicht auch, Wohlfart, daß in unserm Comtoir einige Collegen gemüthlos sind?« sagte er leise.

»Manchmal etwas kurz,« erwiederte Anton, »aber die Meinung ist gut.«

»Ich finde das nicht,« seufzte Specht. »Ich bin jetzt ganz allein und muß meinen Trost außer dem Hause suchen. Wenn ich kann, gehe ich in's Theater, oder zu den Reitern, und wenn ein Zwerg kommt oder ein Seehund, und natürlich in die Concerte.«

»Aber das hilft doch nicht immer gegen die Einsamkeit.«

»Nein,« versetzte Specht; »denn es kostet Geld, und Sie wissen, ich habe keinen hohen Gehalt, und ich fürchte, ich werde auch nicht viel mehr kriegen, als jetzt. Von Hause aus hatte ich Vermögen,« sagte er wichtig, »aber ein Vetter von mir, der mein Vormund war, hat mich darum gebracht. Hätte ich's noch, könnte ich vielleicht mit Vieren fahren. Glauben Sie nur, ich wäre auch nicht glücklicher. Wenn nur der Pix nicht so grob wäre,« klagte er wieder. »Es ist schauderhaft, Wohlfart, das alle Tage anhören zu müssen. — Ich wollte ihn fordern, während Sie verreist waren,« rief er und wies auf ein altes Rappier, dessen Klinge hinter dem Bett hervorragte. »Aber er benahm sich schlecht. Ich schrieb ihm, daß es mir sehr leid thäte, ihn fordern zu müssen, und es wäre sehr gleichgültig, wo er sich mit mir duelliren wollte. Ich schlug ihm entweder den Berg auf der Promenade vor oder auch unsern Oberboden, wo Raum genug ist, und ersuchte ihn um eine Mittheilung über die Waffen, welche er gebrauchen wollte. Da schrieb er mir unhöflich zurück, er würde sich nur im Hausflur duelliren, wo er sich alle Stunden des Tages aufhielte, und was die Waffen beträfe, so könnte ich fechten, womit ich wollte, seine Waffe wäre der große Pinsel, er sei bereit, mir [S. 494] auf jede Backe eine Signatur zu machen. Sie werden mir zugeben, daß ich darauf nicht eingehen konnte.«

Das gab Anton zu.

»Jetzt hetzt er die andern Collegen wider mich auf,« fuhr Specht kleinlaut fort. »Der Zustand ist für mich unerträglich, ich kann gar nicht mehr mit den Andern zusammen sein, ohne daß ich beleidigt werde. Aber ich weiß, wodurch ich mich räche. Ich spare jetzt. Wenn die Kürbisse erst blühen, dann gebe ich Allen einen Satz, nur Pix lade ich nicht ein; wie er's damals mit Ihnen gemacht hat, Wohlfart. Ich will uns beide an ihm rächen.«

»Gut,« sagte Anton, »das gefällt mir. Aber wissen Sie was: da auch ich den Collegen eine Aufmerksamkeit schuldig bin, so wollen wir beide zusammen das Fest in Ihrer Stube geben.«

»Das ist ausgezeichnet von Ihnen, Wohlfart,« rief Specht glücklich.

»Und wir wollen nicht warten,« fuhr Anton fort, »bis die Kürbisse groß geworden sind, sondern wollen uns unterdeß durch anderes Grün helfen.«

»Gut,« sagte Specht, »vielleicht durch Tannenbäume.«

»Ich werde dafür sorgen,« fuhr Anton fort, »und endlich wollen wir Pix nicht ausschließen, sondern gerade dazu laden. Das ist eine viel feinere Rache, die Ihres guten Herzens am würdigsten ist.«

»Meinen Sie?« frug Specht zweifelhaft.

»Gewiß,« sagte Anton. »Ich schlage nächsten Sonnabend vor, die Einladung machen wir gemeinschaftlich.«

»Schriftlich,« rief Specht vergnügt, »auf rosa Papier.«

»Das ist recht,« sagte Anton. Darauf beriethen die Beiden in der Laube die nähere Einrichtung des Festes.

Die Collegen waren nicht wenig verwundert, als sie einige Tage darauf durch bunte Billete, die Herr Specht geheimnißvoll vor Anfang der Comtoirstunden auf den Platz eines Jeden gelegt hatte, zur Kürbisblüthe in Herrn Specht's Stube [S. 495] eingeladen wurden. Da Antons geachteter Name mit unterzeichnet war, so blieb ihnen nichts übrig, als die Einladung anzunehmen. Unterdeß zog Anton das Fräulein in das Geheimniß und erbat von ihr aus dem Garten einige vorhandene Epheustöcke und was sonst von Blumen gerade entbehrlich war, Specht aber arbeitete die ganze Woche bei verschlossenen Thüren in seiner Stube und am Tage des Festes bezog er mit Hülfe des Bedienten den leeren Bindfaden mit grünen Ranken, stellte einige blühende Sträucher in Gruppen, ließ sich eine Anzahl bunter Glaslampen holen und befestigte an den Ranken trichterförmige Erfindungen aus gelbem und weißem Papier, welche mit Kürbisblüthen ganz besondere Aehnlichkeit hatten.

Durch diese Vorrichtung erhielt das Zimmer das Aussehen, welches Herr Specht in seinen Träumen schon lange geahnt hatte. Am Abend des Festes waren die Collegen höchlich überrascht. Als Letzter trat Herr Pix herein, und auch er vermochte ein erstauntes »Donnerwetter!« nicht zu unterdrücken, als er die unglückliche Laube wirklich umrankt und mit gelben Blüthen bedeckt sah, welche in dem farbigen Lampenlicht schimmerten und von ihrem Draht freundlich herunternickten. Die großen Thongefäße waren durch Sträucher verdeckt, in der Mitte der Laube hing eine rothe Lampe wie ein Glühwurm herab, und auf dem Gartentisch stand ein riesig großer Kürbis. Anton nöthigte das Quartett in die Laube und besetzte mit den Uebrigen alle noch leeren Theile der Stube, auch das Bett war mit Polstern überdeckt und mußte als zweites Sopha dienen.

Als sich Alle gelagert hatten, trat Specht an den großen Kürbis und rief feierlich: »Sie haben mich lange mit dem Kürbis geneckt, hier ist meine Rache. Hier ist der Kürbis.« Er ergriff den kurzen Stiel und hob den obern Theil ab. Der Kürbis war hohl, eine Bowle stand darin.

Die Collegen lachten und riefen »Bravo!« und Specht schenkte die Gläser voll.

Dennoch war im Anfange eine gewisse Spannung zwischen [S. 496] Herrn Specht und den übrigen Herren nicht abzuleugnen. Zwar das verrufene Wort »Kürbis« wurde nicht gehört, aber seine Vorschläge fanden selten bereitwillige Aufnahme. Als Anton ein Bündel türkischer Pfeifen, die er in der Fremde für die Collegen gekauft hatte, herbeitrug und unter die Anwesenden vertheilte, da machte Specht den Vorschlag, daß Alle sich als Türken mit gekreuzten Beinen auf das Bett oder den Fußboden setzen sollten. Und dieser Vorschlag fiel durch. Auch als er die Behauptung aufstellte, daß die tscherkessischen Mädchen, welche bisher von ihren Eltern in die türkischen Familien verkauft worden, bei größerer Ausdehnung unserer Handelsverbindungen mit dem Orient bis zu uns kommen würden, um die Rolle der Kellnerinnen in den bairischen Bierkellern zu übernehmen, da konnte selbst diese Behauptung sich keine Anerkennung erringen. Aber nach und nach wirkte der milde Inhalt des Kürbis auf die strengen Seelen der Collegen.

Zuerst wurde der Zwiespalt unter den musikalischen Naturen des Hauses ausgeglichen. Anton brachte die Gesundheit des Quartetts aus. Das Quartett dankte mit einiger Befangenheit, da es sich gerade vor vier Wochen in Mißklängen aufgelöst hatte. Es ergab sich aus düstern Andeutungen der Bässe, daß Specht eine ungehörige Forderung an sie gestellt hatte. Herr Specht hatte sie benutzen wollen, um einer Roßbändigerin des Circus, der entzückenden Tillebi, ein Ständchen zu bringen. Die Bässe hatten sich geweigert, bei solchem nächtlichen Werk thätig zu werden, und Specht war auf diese Weigerung in heftigen Zorn gerathen und hatte geschworen, keinen Ton mit den Andern zu singen, so lange sie der Unvergleichlichen aus abgeschmackten Bedenken ihre Huldigung verweigerten. »Hätte er das Ständchen noch am Abend bringen wollen,« sprach Balbus, »so wären wir vielleicht um des lieben Friedens willen mit gegangen, aber er behauptete, es müßte um vier Uhr früh geschehen, weil das die Stunde sei, wo die Kunstreiter aufstünden, um ihre Pferde zu füttern. Das war uns [S. 497] doch zu arg. Unterdeß ist das Frauenzimmer mit einem Bajazzo durchgegangen.«

»Das ist nicht wahr,« rief Specht; »der Bajazzo hat sie gewaltsam entführt.«

»Jedenfalls hat er uns dadurch einen Dienst erwiesen,« sagte Anton, »denn er hat den Herren die Erfüllung Ihres kräftigen Schwurs unmöglich gemacht. Und so sehe ich keinen Grund, weßhalb Sie als Künstler und treue Collegen noch länger der Ausübung Ihrer musikalischen Virtuosität entsagen sollen. Wie ich höre, waren Sie, liebster Specht, ein wenig heftig, machen Sie den Herren darüber Ihre Entschuldigung, wie sie einem Mann von Ehre wohl ansteht, alsdann schlage ich den Herren vor, das Quartett auf der Stelle neu zu begründen.«

Da erhob sich Specht und sprach: »Nach dem Rath meines Freundes Wohlfart mache ich Ihnen meine Entschuldigung, bin übrigens bereit, Ihnen in jeder Art Rede zu stehen.« Worauf er sein Glas austrank und den Bässen heftig die Hand schüttelte.

Darauf wurden die Notenbücher gebracht und mit Behagen ließen alle Vier in der Kürbislaube ihre Stimme erschallen.

Noch blieb die Versöhnung mit Pix als das schwerste Werk. Specht sah seinen Gegner den ganzen Abend mißtrauisch an.

Pix saß gefühllos auf dem Bett und streichelte den Pluto, welcher mit ihm zur Abendgesellschaft gekommen war.

Specht goß Pix das Glas voll und stellte es auf den Bettpfosten. Pix trank es schweigend aus. Specht füllte das Glas von neuem und begann in weltmännischem Ton: »Nun Pix, wie finden Sie den Kürbis?«

»Es ist eine verrückte Idee,« sagte Pix.

Gekränkt wandte sich Specht ab und sah wieder unruhig auf seinen Gegner. Nach einer Weile streckte er die Füße mit scheinbarem Behagen aus, verbarg seine Hände in den Hosentaschen, [S. 498] und sprach über die Schulter: »Sie werden mir zugeben, Pix, daß man über manche Dinge verschiedene Ansicht haben kann und deßhalb doch nicht feindlich zu sein braucht.«

»Das gebe ich zu,« sagte Pix.

»Warum also,« fuhr Specht heftig fort und sprang auf, »warum sind Sie mein Feind? warum denken Sie gering von mir? Es ist hart, mit seinen Collegen in Feindschaft leben. Ich will Ihnen nicht verschweigen, daß ich Sie achte und daß mir Ihr Benehmen unangenehm ist. Sie haben mir Genugthuung verweigert und sind doch noch böse auf mich.«

»Erhitzen Sie sich nicht,« sagte Pix, »ich habe Ihnen keine Genugthuung verweigert und ich bin gar nicht böse auf Sie.«

»Wollen Sie mir das vor allen diesen Herren erklären?« rief Specht erfreut, »wollen Sie mit mir anstoßen?« Er holte sein Glas.

»Kommen Sie her,« sagte Pix versöhnlich, »ich habe gar nichts mehr gegen Sie, ich sage nur, das mit den Kürbissen war ein verrückter Einfall.«

»Es ist noch mein Einfall,« rief Specht, das Glas zurückziehend, »ich dünge mit Rinderblut, in einigen Wochen werden sie grün sein.«

»Nein,« sagte Pix, »das ist vorbei für immer, morgen früh werden auch Sie das einsehen. Und jetzt kommen Sie her und stoßen Sie an, von den Kürbissen soll zwischen uns nicht mehr die Rede sein.«

Specht stieß verdutzt an und wurde gleich darauf sehr lustig. Die Last war von ihm genommen, welche ihn lange gedrückt hatte. Er sang, er schüttelte allen Collegen die Hände und wurde groß in gewagten Behauptungen.

Als Anton mit den Collegen die Treppe hinabstieg, bemerkte er, daß Pluto etwas Gelbliches im Maule trug und [S. 499] eifrig daran kaute. »Es sind Specht's Kürbisse,« sagte Pix, »der Hund hat sie für Rindfleisch gehalten und sämmtlich abgebissen.«


VI.

Anton stand vor dem Bett des kranken Bernhard und sah mit innigem Antheil auf die verfallene Gestalt seines Freundes. Das Antlitz des Gelehrten war noch faltiger als sonst, seine Haut durchscheinend wie aus Wachs, unordentlich hing sein lockiges Haar um die feuchte Stirn, die Augen blitzten in fieberhafter Aufregung dem Besuch entgegen. »So lange waren Sie in der Fremde!« rief er klagend; »ich habe mich alle Tage nach Ihnen gesehnt. Jetzt da Sie zurück sind, wird es auch mit mir besser werden.«

»Ich komme oft, wenn ich Sie nicht durch unser Gespräch aufrege,« erwiederte Anton.

»Nein,« sagte Bernhard, »ich will ruhig zuhören, Sie sollen von Ihrer Reise erzählen.«

Anton begann seinen Bericht. »Ich habe in dieser Zeit gesehen, was wir uns oft mit einander gewünscht haben, fremde Menschen und ein stürmisches Treiben. Ich habe gute Gesellen auch in der Fremde gefunden, und doch ist mir bei Vielem, was ich erlebte, die Ueberzeugung gekommen, daß es kein größeres Glück giebt, als sich in seiner Heimath mitten unter seinen Landsleuten tüchtig zu rühren. Manches habe ich erfahren, was auch Sie gefreut hätte, weil es poetisch war und die Seele bewegte, aber zuletzt war das Widerwärtige doch im Vordergrund.«

»Es war dort, wie überall auf der Erde,« sagte Bernhard. »Wo ein großes Gefühl das Herz erschüttert und den Menschen vorwärts treiben möchte, wirft die Erde ihren Schmutz [S. 500] daran, und das Schöne verkümmert, und alles Große wird lächerlich gemacht. Es ist wo anders wohl auch nicht besser, als bei uns.«

»Das ist unser alter Streit,« sagte Anton heiter, »sind Sie noch nicht bekehrt, Ungläubiger?«

Bernhard zupfte mit dem Finger an seiner Bettdecke und antwortete niedersehend: »Vielleicht bin ich's doch, Wohlfart.«

»Ei,« rief Anton neckend, »und wer hat Ihre Bekehrung bewirkt? War's etwas, was Sie erlebt haben? Gewiß, so muß es sein.«

»Was es auch war,« sagte Bernhard mit einem Lächeln, das sein Gesicht wie ein heller Schein überflog, »ich glaube, daß es auch bei uns Schönheit und Liebenswürdigkeit giebt, ich glaube, daß auch bei uns das Leben große Leidenschaften bringen kann, heilige Freuden und bittere Schmerzen. Und ich glaube,« fuhr er traurig fort, »daß man auch bei uns unter dem Druck eines furchtbaren Schicksals untergeht.«

Besorgt hörte Anton diese Worte und sah, wie das große Auge des Kranken begeistert in die Höhe blickte. »Gewiß ist es, wie Sie sagen,« erwiederte er endlich, »aber das Allerschönste, was diesem Leben den höchsten Werth giebt, ist doch, wenn die Kraft des Menschen größer ist, als Alles, was auf ihn eindringt. Ich lobe mir einen Mann, der sich Leidenschaften und ein ernstes Schicksal nicht über den Kopf wachsen läßt, der selbst, wenn er Unrecht gethan hat, sich immer wieder herauszureißen weiß.«

»Wenn es aber zu spät ist und wenn die Macht der Verhältnisse stärker wird, als er?«

»Ich glaube nicht gern an die Macht der Verhältnisse,« sagte Anton. »Ich denke mir, wenn Einer noch so sehr umdrängt ist, und er will nur eine tüchtige Kraft daran setzen, so kann er sich wohl heraushauen; er wird Wunden davon tragen, wie ein Soldat in der Schlacht, aber sie werden ihm gut stehen. Und wenn er die Rettung nicht findet, so kann er wenigstens kämpfen als ein Tapferer. Und wenn er so [S. 501] unterliegt, werden die Augen Aller mit Theilnahme auf ihm ruhen. Nur wer sich ohne Widerstand ergiebt, wenn das Wetter hereinbricht, den verweht der Wind von dieser Erde.«

»Eine Flaumfeder wird durch kein Gebet in Stein verwandelt, sagt der Dichter,« erwiederte Bernhard und schnellte mit dem Finger eine Feder von seinem Kissen in die Luft. »Ich will Sie etwas fragen, Wohlfart,« fuhr er nach einer Weile fort, »kommen Sie näher heran. Denken Sie, ich wäre ein Christ, und Sie mein Beichtvater, vor dem man keine Geheimnisse haben möchte.« Er sah unruhig auf die Thür des Nebenzimmers und frug leise: »Was halten Sie von dem Geschäft meines Vaters?«

Betroffen fuhr Anton zurück, Bernhard sah in ängstlicher Spannung auf den Freund: »Ich verstehe wenig von diesen Dingen, ach, vielleicht zu wenig. Ich will nicht wissen, ob er für reich oder arm gilt, aber ich frage Sie als meinen Freund, was halten fremde Menschen von der Art, wie er sein Geld erwirbt? Es ist schrecklich und vielleicht ein großes Unrecht, daß ich, sein Sohn, so frage, aber mich zwingt etwas, dem ich nicht widerstehen kann. Seien Sie ehrlich gegen mich, Wohlfart.« Er erhob sich in seinem Bett und sagte, den Arm um Antons Hals legend, diesem in's Ohr: »Gilt mein Vater bei Männern Ihrer Art für rechtschaffen?«

Antons Herz zog sich von innigem Mitgefühl zusammen, er durfte nicht sagen, was er dachte, und er durfte nicht lügen. So schwieg er eine Weile, der Kranke sank in seine Kissen zurück und ein leises Stöhnen zitterte durch die Stube.

»Mein theurer Bernhard,« erwiederte Anton, »bevor ich dem Sohn eine solche Frage beantworte, muß ich erst wissen, weßhalb er einen Dritten frägt. Wenn Sie es nur thun, um durch meine Ansicht Ihr Urtheil über die Geschäfte Ihres Vaters zu vervollständigen, so muß ich Ihnen die Antwort verweigern, gleichviel, wie sie ausfallen würde. Denn was [S. 502] ich etwa kenne, sind nur die kalten, vielleicht unfreundlichen Ansichten Fremder, und solche Auffassung soll der Sohn eines Geschäftsmannes niemals zu der seinigen machen.«

»Ich frage,« sagte Bernhard feierlich, »weil ich um das Wohl Anderer in großer Sorge bin, vielleicht kann Ihre Antwort mehreren Menschen Angst und Noth ersparen.«

»Dann,« sagte Anton, »will ich Ihnen antworten. Ich kenne keine einzelne Handlung Ihres Vaters, welche nach kaufmännischen Begriffen unehrenhaft ist. Ich weiß nur, daß er zu der großen Klasse von Erwerbenden gezählt wird, welche bei ihren Geschäften nicht sehr darnach fragen, ob ihr eigener Vortheil durch Verluste Anderer erkauft wird. Herr Ehrenthal gilt für einen vorsichtigen und gewandten Mann, dem die gute Meinung solider Männer weniger gleichgültig ist, als hundert Andern. Er wird vielleicht Manches thun, was ein Kaufmann von sicherem Selbstgefühl vermeidet, aber er wird sicher auch gegen Vieles Widerwillen empfinden, was gewissenlose Speculanten um ihn herum wagen.«

Wieder kam ein zitternder Seufzer von den Lippen des Kranken, ein peinliches Schweigen folgte. Endlich erhob sich Bernhard und sprach so nahe an Antons Ohr, daß dieser den heißen Athem des Kranken auf seiner Wange fühlte: »Ich weiß, Sie kennen den Baron Rothsattel.« Anton sah erstaunt auf. »Das Fräulein hat mir selbst gesagt, daß sie eine Bekannte von Ihnen ist.«

»Es ist so, wie Fräulein Lenore sagt,« erwiederte Anton, mit Mühe seine Aufregung verbergend.

»Wissen Sie etwas von der Verbindung meines Vaters mit dem Freiherrn?« frug Bernhard weiter.

»Nur wenig,« sagte Anton, »nur was Sie selbst mir gelegentlich erzählt haben, daß Herr Ehrenthal dem Freiherrn Geld auf sein Gut geliehen hat. Jetzt in der Fremde habe ich gehört, daß dem Freiherrn irgend eine Gefahr droht, ich habe sogar Veranlassung gehabt, ihn vor einem Intriganten zu warnen.« Bernhard starrte angstvoll auf Antons Lippen, [S. 503] Anton schüttelte den Kopf; »es war aber Jemand,« sagte er, »der Ihrem Hause nicht fremd ist, Ihr Buchhalter Itzig.«

»Er ist ein Schurke,« rief Bernhard heftig und ballte seine magere Hand. »Er ist eine gemeine niederträchtige Natur. Von dem ersten Tage, wo er in unser Haus kam, habe ich einen Abscheu gegen ihn gefühlt, wie gegen ein unreines Thier.«

»Es scheint mir,« fuhr Anton fort, »daß Itzig, den auch ich aus früheren Zeiten kenne, hinter dem Rücken Ihres Vaters gegen den Freiherrn arbeitet. Die Warnung, welche mir im Interesse des Freiherrn kam, war so dunkel, daß ich wenig daraus zu machen wußte; ich konnte nichts thun, als sie dem Freiherrn so mittheilen, wie ich sie selbst erhielt.«

»Dieser Itzig beherrscht meinen Vater,« flüsterte Bernhard; »er ist ein böser Geist in unserer Familie; wenn mein Vater egoistisch gegen den Freiherrn handelt, so trägt dieser Mensch die Schuld.«

Schonend gab Anton das zu. »Ich muß wissen, wie es zwischen dem Freiherrn und meinem Vater steht,« fuhr Bernhard fort; »ich muß wissen, was zu thun ist, um der Familie aus ihrer Verlegenheit zu helfen. Ich kann helfen,« fuhr der Kranke fort, und wieder flog ein matter Strahl von Freude über sein Antlitz. »Mein Vater liebt mich. Er liebt mich sehr, jetzt in meiner Schwäche habe ich empfunden, daß sein Herz an mir hängt. Wenn er des Abends an mein Bett kommt und mit seiner Hand über meine Stirn streicht, wenn er sich mir gegenübersetzt, wo Sie sitzen, und mich stundenlang kummervoll ansieht, — Wohlfart, er ist ja doch mein Vater.« Er schlug die Hände zusammen und verbarg sein Haupt in den Kopfkissen. »Sie müssen mir helfen, mein Freund,« fuhr er wieder fort, »Sie müssen mir sagen, was geschehen kann, den Freiherrn zu retten. Ich fordere das von Ihnen. Ich selbst werde meinen Vater fragen. Ich fürchte mich vor der Stunde, wo ich mit ihm darüber spreche, aber nach dem, was Sie mir gesagt haben, sorge ich, auch er weiß nicht Alles, oder« fuhr er murmelnd fort, »er wird [S. 504] mir nicht Alles sagen. Sie aber müssen den Freiherrn selbst aufsuchen.«

»Vergessen Sie nicht, Bernhard,« erwiederte Anton, »daß es auch dem reinsten Willen nicht erlaubt ist, sich so in die Verhältnisse eines Andern einzudrängen. Wie gut unsere Absicht sein mag, dem Freiherrn bin ich ein Fremder. Mein Vermitteln wird ihm, wie Ihrem Vater, leicht als vorlaute Anmaßung erscheinen, und ich fürchte, wir werden auf diesem Weg wenig erfahren. Ich sage nicht, daß der Schritt unnütz ist, aber ich halte ihn für unsicher. Eher wird es möglich sein, daß Sie selbst auf die Maßregeln Ihres Vaters Einfluß gewinnen.«

»Gehen Sie doch zum Freiherrn,« bat Bernhard dringend, »und wenn er selbst gegen Sie verschlossen bleibt, so fragen Sie das Fräulein. Ich habe sie gesehen,« fuhr er fort, »ich habe es Ihnen verschwiegen, wie der Mensch sein liebstes Geheimniß verhüllt, heut sollen Sie auch das erfahren. Ich weiß, wie schön sie ist, wie stolz ihre Haltung, wie edel ihre Geberde. Wenn sie über den Rasen schritt, war sie wie eine Königin der Natur, ein heller Schimmer glänzte um ihr Haupt; wo sie hinsah, neigte sich Alles vor ihrem Blick — ihre Zähne wie Perlen und ihre Brüste wie Rosenhügel,« sagte er leise und sank in die Kissen zurück mit gefalteten Händen und blitzenden Augen.

»Auch er!« rief es in Anton. »Mein armer Bernhard, Sie schwärmen.«

Bernhard schüttelte den Kopf. »Seit dem Tage weiß ich, daß unser Leben nicht grau ist,« sagte er lächelnd; »es ist nicht grau, aber es ist grausig. Wollen Sie jetzt mit dem Freiherrn und mit seiner Tochter sprechen?«

»Ich will,« sagte Anton aufstehend. »Aber ich wiederhole Ihnen, ich beginne etwas Auffallendes, das leicht neue Verwickelungen herbeiführen kann, auch für uns beide.«

»Wer so daliegt, wie ich, der fürchtet keine Verwickelungen,« sagte Bernhard, »und Sie,« fuhr er fort und sah Anton [S. 505] prüfend an, »Sie werden in Ihrem Leben sein, was Sie mir heut gesagt haben, ein Mann, welcher sich durchschlägt, und wenn er auch Wunden erhält, seine Aufgabe ist, mit dem Geschick zu kämpfen. Mich, Anton Wohlfart, mich wird der Sturmwind verwehen.«

»Kleinmüthiger,« rief Anton weich, »das spricht die Krankheit aus Ihnen. Der Muth wird Ihnen mit der Genesung zurückkehren.«

»Hoffen Sie?« frug der Kranke zweifelnd; »oft thue ich's auch, nur manchmal überfällt mich die Muthlosigkeit. Ja ich will leben, und anders will ich leben, als bisher, ich will alle Mühe daran setzen, stärker zu werden, ich werde nicht mehr so viel träumen als jetzt, mich nicht mehr aufregen und quälen in meiner Kammer. Ich will versuchen, wie man lebt, wenn man ein tüchtiger Mann ist, der jeden Streich zurückgiebt, den er empfängt,« so rief er mit gerötheten Wangen und streckte die Hand dem Freunde entgegen.

Anton beugte sich zu ihm nieder, dann verließ er das Zimmer.


Am Abend trat Ehrenthal zu dem Bett des Sohnes, wie er immer that, wenn er das Comtoir verschlossen und den Schlüssel in seiner Schlafkammer versteckt hatte. »Was hat heut der Doctor gesagt, mein Bernhard?«

Bernhard hatte sich mit dem Kopfe nach der Wand gedreht, jetzt warf er sich plötzlich herum und sagte heftig: »Vater, ich muß etwas mit dir reden, verschließe die Thür, damit uns Niemand stört.«

Erschrocken lief Ehrenthal zu beiden Thüren, verschloß und verriegelte gehorsam, dann eilte er zum Bett des Sohnes zurück. »Was hast du, das dich kümmert, mein Bernhard?« frug er und fühlte mit der Hand auf die Stirn des Kranken. Bernhard entzog ihm sein Haupt, die Hand des Vaters sank auf die Bettdecke. »Setze dich hierher,« sagte der Sohn finster, [S. 506] »und beantworte meine Frage so aufrichtig, als wenn du zu dir selber sprächst.«

Der Alte setzte sich und sagte: »Frage, mein Sohn, ich will dir Alles beantworten.«

»Du hast mir gesagt, daß du dem Baron Rothsattel viel Geld geborgt hast, daß du ihm keines mehr leihen willst, und daß der Edelmann sein Gut nicht wird behalten können.«

»Es ist, wie ich habe gesagt,« erwiederte der Vater, vorsichtig wie in einem Verhör.

»Und was soll jetzt aus dem Baron und seiner Familie werden?«

Ehrenthal zuckte die Achseln. »Er wird herunter von seinem Gut, und wenn der Tag kommt, wo das Gut vom Gericht verkauft wird, so werde ich wegen meinem Geld bieten müssen auf das Gut, und ich hoffe, ich werde es kaufen. Ich habe eine große Hypothek, welche ist sicher, und eine kleine hinten am Ende, welche ist schlecht. Wegen der schlechten Hypothek werde ich erstehen das Gut.«

»Vater,« rief Bernhard mit schneidender Stimme, so daß Ehrenthal zusammenfuhr, »du willst einen Vortheil ziehen aus dem Unglück des Mannes, du willst dich an seine Stelle setzen. Ja, du bist auf das Gut des Barons gefahren und hast mich mitgenommen vielleicht mit dem Gedanken, die Verlegenheit des Edelmanns zu benutzen. Es ist schrecklich, schrecklich!« Er warf sich in die Kissen zurück und rang die Hände.

Ehrenthal rückte unruhig auf seinem Sitz. »Führe nicht solche Reden von Sachen, die du nicht verstehst. Die Geschäfte sind für den Tag; wenn ich Abends zu dir komme, sollst du dich nicht ängstigen um meine Arbeiten. Ich will's nicht haben, daß du die Hände aufhebst und rufst schrecklich.«

»Vater,« rief Bernhard, »wenn du nicht willst, daß ich vergehen soll vor Schaam und Kummer, so wirst du deine Absicht aufgeben.«

»Aufgeben!« rief Ehrenthal entrüstet. »Wie kann ich aufgeben mein Geld? wie kann ich aufgeben das Gut, um das [S. 507] ich mich bemüht habe bei Tag und bei Nacht? wie kann ich aufgeben das größte Geschäft, das ich gemacht habe in meinem Leben? Du bist ein ungehorsames Kind und machst uns Jammer um gar nichts. Was habe ich für ein Unrecht gethan, daß ich dem Baron gegeben habe mein Geld? Er hat's gewollt. Was thue ich für ein Unrecht, wenn ich kaufe das Gut? Ich rette mein Geld.«

»Verflucht sei jeder Thaler, den du darauf gewandt, verflucht der Tag, wo du diesen unglücklichen Entschluß gefaßt,« fuhr Bernhard auf und erhob seine Hand drohend gegen den Vater.

»Was ist das!« rief Ehrenthal aufspringend, »welcher böse Gedanke hat getroffen das Herz meines Sohnes, daß er so spricht zu seinem Vater? Was ich gethan habe, für wen habe ich's gethan? Nicht für mich und meine alten Tage. Ich habe dabei gedacht jeden Tag an dich, mein Sohn, der du bist ein anderer Mann, als dein Vater. Ich werde haben den Kummer, und du sollst gehen aus dem Schloß in den Garten und wieder zurück in das Schloß, und wenn du gehst, soll der Amtmann abziehen seine Mütze, und die Knechte im Hofe abziehen ihre Hüte, und sie sollen zu sich sagen: das ist der junge Herr Ehrenthal, welcher ist unser Herr, der da geht.«

»Ja,« rief Bernhard bitter, »das ist deine Liebe. Mich willst du zum Mitschuldigen machen einer ungerechten That. Du irrst, Vater; niemals werde ich aus dem Schlosse in den Garten gehen mit meinem Buche, eher will ich als armer Bettler mein Essen erbitten von der Gemeinde, als daß ich einen Fuß auf das Gut setze, das durch Sünde erworben ist.«

»Bernhard!« rief der Alte mit gerungenen Händen, »du wirfst die Steine auf mein Vaterherz, daß ich fühle die Last, wie sie mich drückt zu Boden.«

»Und du verdirbst deinen Sohn,« rief Bernhard in auflodernder Leidenschaft. »Sieh zu, für wen du geschachert und gelogen hast; aber so wahr es einen Himmel über uns giebt, du [S. 508] wirst Niemandem sagen, daß es geschehen ist für deinen unglücklichen Sohn.«

»Mein Sohn,« jammerte der Vater, »schlage nicht auf mein Herz mit deinem Fluche. Seit du bist gewesen ein kleiner Bocher, der sein Gebetbüchel in die Schule getragen hat, habe ich gehabt meinen Stolz, wenn ich auf dich gesehen habe. Ich habe dir gelassen allen Willen, zu thun, was dir am liebsten war; ich habe dir gekauft von Büchern, ich habe dir gegeben von Geld mehr, als du hast haben wollen; wo ich dir etwas absehen konnte an deinen Augen, ich habe dir's abgesehen. Wenn ich unten den ganzen Tag mich geärgert habe, mußte ich immer denken, mein Sohn soll lachen, weil ich mich ängstige.« Er nahm den Zipfel seines Schlafrocks und fuhr sich damit über die Augen, vergeblich bemüht, seine Fassung wieder zu gewinnen. So saß er als ein geschlagener Mann dem Sohn gegenüber.

Bernhard sah schweigend auf die gebeugte Gestalt, endlich streckte er die Hand aus: »Mein Vater!« rief er weich. Ehrenthal fuhr schnell mit beiden Händen nach der dargebotenen Rechten und hielt sie fest, als könnte sie ihm wieder entzogen werden, er schob sich näher heran, küßte und streichelte sie. »So bist du wieder mein guter Sohn,« sagte er gerührt. »Jetzt wirst du nicht mehr führen solche lästerliche Reden und du wirst nicht mehr zanken wegen dieses Barons.«

Bernhard zog hastig seine Hand zurück.

»Ich will ihn nicht drücken, ich will Nachsicht mit ihm haben wegen der Zinsen,« fuhr der Vater flehend fort und suchte die Hand des Sohnes.

»O, es ist umsonst, mit ihm zu reden,« rief Bernhard im tiefsten Schmerz, »er versteht meine Rede nicht!«

»Ich will Alles verstehen,« klagte Ehrenthal, »daß du mir wiedergiebst deine Hand.«

»Willst du deine Pläne gegen das Gut aufgeben?« frug Bernhard.

»Sprich nicht von dem Gut,« flehte der Alte.

[S. 509]

»Umsonst!« murmelte Bernhard sich abwendend, und verbarg das Gesicht in seinen Händen.

Ehrenthal saß vernichtet dem Kranken gegenüber, auch er seufzte schwer auf. »Höre mich, mein Sohn,« bat er endlich mit leiser Stimme, »ich will sehen, daß ich ihm schaffe ein anderes Gut, welches er behaupten kann mit seinen Mitteln. Hast du gehört, mein Sohn Bernhard?«

»Geh,« rief Bernhard ohne Härte, aber mit der Energie eines tiefen Schmerzes, »geh, und laß mich jetzt allein.«

Ehrenthal erhob sich und verließ mit gesenktem Haupt das Zimmer, in der Nebenstube ging er heftig auf und ab, rang die Hände und sprach mit sich selbst. Und wieder öffnete er leise die Thür, trat an Bernhards Bett und frug klagend: »Willst du mir nicht geben deine Hand, mein Sohn?« — Bernhard lag abgewandt und rührte sich nicht.


Mit klopfendem Herzen nannte Anton dem Diener des Freiherrn seinen Namen. »Wohlfart?« rief der Freiherr gedehnt, und die Erinnerung an den Brief Antons stach verletzend in seine Seele. »Führe ihn herein.« Mit kühlem Gruß beantwortete er Antons tiefe Verneigung. »Ich bin Ihnen wohl noch den Dank schuldig für Ihr Schreiben von neulich,« sagte er; »daß ich es nicht beantwortet habe, wie die gute Meinung verdiente, müssen Sie mit meinen vielen Geschäften entschuldigen.«

»Wenn ich jetzt in derselben Angelegenheit komme,« begann Anton, »so bitte ich Sie, dies nicht für Zudringlichkeit zu halten. Mich führt der Auftrag eines Bekannten her, der die wärmste Ergebenheit gegen Sie und Ihr Haus empfindet. Es ist der Sohn des Kaufmann Ehrenthal. Er selbst wird durch Krankheit verhindert, Ihnen seine Aufwartung zu machen, er läßt Sie deßhalb durch mich bitten, daß Sie den Einfluß, den er auf seinen Vater hat, benützen möchten. Im Falle [S. 510] Ihnen seine Einwirkung irgend wie brauchbar erscheint, soll ich Sie ersuchen, ihm Ihre Wünsche mitzutheilen.«

Der Freiherr horchte hoch auf. Jetzt, wo ihn Alles verließ, wo er sich selbst aufgegeben hatte, drängten sich fremde Gestalten in sein Leben, dieser Itzig, Wohlfart, der Sohn Ehrenthals. Was ihm Wohlfart anbot, klang abenteuerlich, aber es konnte für ihn eine Hülfe werden gegen das, was unaufhörlich an seinem Herzen fraß, eine Hülfe gegen die Ansprüche Ehrenthals, gegen die furchtbare Gefahr, in der sein guter Name schwebte. »Ich kenne den jungen Mann nur wenig,« sagte er mit Haltung, »ich ersuche Sie, vor Allem zu erklären, wie ich zu der Ehre komme, ein so ungewöhnliches Wohlwollen des Herrn zu erhalten.«

Anton erwiederte warm: »Bernhard Ehrenthal hat ein edles Herz und sein Leben ist rein. Unter seinen Büchern aufgewachsen, versteht er wenig von den Geschäften seines Vaters, aber er hat die Ansicht gewonnen, daß dieser sich durch schlechte Rathschläge verleiten läßt, feindselig gegen Sie aufzutreten. Er hat Einfluß auf seinen Vater, sein feines Ehrgefühl ist sehr beunruhigt, und er wünscht dringend, seinen Vater von Maßregeln abzuhalten, welche er selbst nicht für ehrenhaft hält.«

Hier war Hülfe! Das war ein reiner Luftzug, der in die stickende Atmosphäre eines Krankenzimmers drang, aber dem Kranken machte die frische Luft Mißbehagen. Diese ehrenhaften Leute, die so bereit waren, zu verdammen, was ihnen nicht ehrenvoll erschien, waren ihm peinlich. Und schon jetzt, während er den Werth erkannte, den auch diese unsichere Aussicht für ihn haben konnte, fühlte er in seinem Herzen eine Abneigung, seine Lösung aus der Angst diesen Beiden zu verdanken. Dem eifrigen Wohlfart wenigstens, der Alles sein sollte, was zuverlässig und gewissenhaft heißt, ihm wollte er Näheres nicht mittheilen. Und so erwiederte er mit einer Freundlichkeit, die ihm nicht vom Herzen kam: »Meine Beziehungen zu dem Vater Ihres Freundes sind allerdings von [S. 511] der Art, daß die wohlmeinende Vermittelung durch einen Dritten in unserm beiderseitigen Interesse liegen möchte. Ob der junge Ehrenthal die geeignete Person dafür ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls sagen Sie ihm, daß ich für den Antheil dankbar bin, den er an meinen Angelegenheiten nimmt, und daß ich mir vorbehalte, zu seiner Zeit mit ihm selbst darüber Rücksprache zu nehmen.« Nach diesem Bescheid erhob sich Anton, der Freiherr begleitete ihn bis an die Thür und — merkwürdig, er machte ihm dort eine tiefe Verbeugung.

Es war kein Zufall, daß in dem Augenblick, wo Anton durch das Vorzimmer ging, auch Lenore hereintrat. »Herr Wohlfart,« rief sie freudig und eilte auf ihn zu. »Liebes Fräulein,« rief auch er, und Beide begrüßten einander als alte Freunde.

Sie hatten im Nu die letzten Jahre vergessen, sie waren, wie vor Jahren, Ritter und Dame aus der Tanzstunde. Beide sagten einander, wie sehr sie sich seit der Zeit geändert hätten, und während sie das erzählten, waren sie in Empfindungen und Worten unvermerkt wieder jünger geworden um alle die Jahre, welche seit ihrer letzten Unterhaltung vergangen waren.

»Sie tragen Ihren Halskragen wieder aufrecht!« rief Lenore mit leisem Vorwurf. Anton strich ihn schnell herunter.

»Haben Sie noch den Capouchon von damals? Er war mit rother Seite gefüttert, gnädiges Fräulein?« frug er, »der stand Ihnen reizend.«

»Der jetzige hat blaues Futter,« sagte Lenore lachend. »Und denken Sie, die kleine Comteß Lara heirathet in der nächsten Woche, wir haben erst neulich über Sie und das Tagebuch gesprochen. Auch Eugen hat uns von Ihnen geschrieben. Wie allerliebst, daß Sie den Bruder kennen gelernt haben! Kommen Sie herein, Herr Wohlfart, ich muß wissen, wie es Ihnen seit der Zeit gegangen ist.« Sie führte ihn in ein Gesellschaftszimmer und lud ihn ein, auf dem Fauteuil Platz zu nehmen. Sie saß ihm gegenüber und sah ihn mit lachenden Augen an, deren Gruß ihn einst so glücklich gemacht [S. 512] hatte. Vieles in ihm war anders geworden, ja vielleicht schüttelte jetzt zuweilen ein anderer Mädchenkopf seine Locken in dem Zimmer der gelben Katze, aber als er die Gebieterin seiner jungen Jahre, das wilde ehrliche Mädchen als vornehme Dame sich gegenüber sah, da lebten alle Empfindungen der Vergangenheit wieder auf, und er athmete mit Entzücken den feinen Duft des eleganten Zimmers, in dem sie lebte.

»Da ich Sie sehe,« sagte Lenore, »ist mir, als wäre die Tanzstunde gestern gewesen. Es war eine fröhliche Zeit auch für mich! Seitdem habe ich vieles Ernste erfahren,« fügte sie hinzu und senkte ihr Haupt. Anton bedauerte das mit einem Eifer, der das Fräulein zwang, wieder heiter auszusehen und ihm freundlich in die Augen zu blicken.

»Was hat Sie zu meinem Vater geführt?« frug sie endlich mit verändertem Ton.

Anton sprach von Bernhard, von dem langen Siechthum des Freundes und seinen guten Wünschen für ihre Familie, er verbarg ihr nicht, daß sie selbst einen mächtigen Antheil daran habe, so daß Lenore auf ihr Taschentuch heruntersah und die Zipfel zusammenlegte. Er sagte ihr, wie sehr die Krankheit des Freundes ihn besorgt mache. »Wenn Sie Ihrem Herrn Vater die Vermittelung Bernhards empfehlen können, so thun Sie es. Ich werde eine stille Sorge nicht los, daß in dem Comtoir Ehrenthals eine Verschwörung gegen ihn ausgedacht ist. Vielleicht finden Sie ein Mittel, Bernhard oder mich wissen zu lassen, wie wir dem Herrn Baron von Nutzen sein können.«

Lenore sah ängstlich in Antons Gesicht und rückte ihren Stuhl näher an den seinen. »Sie sind mir wie ein alter Freund, Ihnen kann ich vertrauen, was mich ängstigt. Der Vater verbirgt der Mutter und mir, was ihn quält, ach, aber er selbst ist anders geworden von Jahr zu Jahr. Er hat für die Fabrik viel Geld gebraucht, und es fehlt ihm oft daran, das weiß ich. Alle Tage bitten die Mutter und ich den Himmel, uns den Frieden wieder zu geben; eine Zeit, [S. 513] wie damals, wo ich Sie kennen lernte. — Sobald ich etwas erfahre, sollen Sie es wissen. Ich will Ihnen schreiben,« rief sie entschlossen; »wenn Eugen auf Urlaub herkommt, soll er Sie aufsuchen.«

So verließ Anton die Wohnung des Freiherrn, aufgeregt durch das Wiedersehen der schönen Freundin, voll vom besten Willen, der Familie zu dienen. An der Hausthür stieß er auf Herrn Ehrenthal. Mit kurzem Gruß eilte er an dem gefährlichen Manne vorüber, der ihm die Bitte nachrief, recht bald seinen Sohn Bernhard zu besuchen.


Ehrenthal hatte einige traurige Tage verlebt, er hatte in seinem Leben nicht so viel geseufzt und den Kopf geschüttelt, als jetzt. Vergebens frug seine Frau Sidonie ihre Tochter: »Was hat der Mann, daß er so seufzt?« Vergebens suchte Itzig das gebeugte Gemüth seines Brodherrn durch lockende Bilder der Zukunft aufzurichten. Alle Unzufriedenheit, welche sich in der Seele des Händlers aufgesammelt hatte, entlud sich gegen den Buchhalter. »Sie sind der Mensch, welcher mir hat gerathen zu diesen Schritten gegen den Baron,« schrie er ihn am Morgen nach der Scene mit Bernhard an. »Wissen Sie, was Sie sind? Malhonnet sind Sie.«

Itzig sah erstaunt in das Gesicht ihm gegenüber und zuckte die Achseln. »Wenn Sie weiter nichts wissen,« sagte er, »was ist das für ein Wort »malhonnet«? Soll ich's aufschlagen in dem Buch, wo die fremden Wörter stehen? Reden Sie doch nicht so schwach, Ehrenthal.« Dann seufzte Ehrenthal wieder, sah Veitel böse an und verbarg den Kopf in die Zeitung.

Länger als zwei Tage vermochte er nicht den Schmerz seines Sohnes zu ertragen, welcher zusehends kränker wurde und alles Zureden der Eltern mit kurzen Worten zurückwies. »Ich muß ein Opfer bringen,« sagte Ehrenthal vor sich hin, [S. 514] »ich muß die Ruhe wiedergeben seinen Nächten und machen, daß er aufhört mit seinem Stöhnen. Ich will denken an meinen Sohn, und ich will dem Baron schaffen die andere Herrschaft bei Rosmin, worauf er jetzt stehen hat sein Geld, und wenn nicht, so will ich ihm retten das Geld darauf ohne einen Nutzen für mich. Ich verliere dabei einen Vortheil, den ich machen könnte mit dem Löwenberg von mehr als einem Tausend Thaler. Ich denke, das wird mir bewegen den Bernhard.« So setzte er entschlossen seinen Hut auf, zog ihn tief in die Stirn, um die rebellischen Gedanken, welche immer noch in ihm aufstiegen, kräftig zu unterdrücken, und schritt in die Wohnung seines Schuldners.

Der Freiherr empfing den unerwarteten Besuch mit der Angst, welche ihm jetzt bei jedem Eintritt eines Geschäftsmannes den Athem benahm. »Kaum ist der Warner hinaus, so kommt der Feind selbst. Jetzt wird er die gerichtliche Cession der Hypothek von mir fordern, jetzt kommt, was darauf folgen muß.« Aber freudig erstaunte er, als Ehrenthal mit höflichen Worten aus freien Stücken sich erbot, für ihn nach Rosmin zu reisen und nöthigenfalls von dort aus weiter, um ihn bei dem Verkauf der polnischen Herrschaft zu vertreten. »Ich will mir zu Hülfe nehmen einen sichern Mann, den Justizcommissarius Walther aus Rosmin, damit Sie sehen, daß Alles in Ordnung zugeht. Sie werden mir Vollmacht geben, zu bieten auf das Gut, und die Käufer so weit zu treiben, bis Ihre Hypothek gedeckt ist durch den Kaufpreis, den ein Anderer zahlt.«

»Ich weiß, daß dies nothwendig sein wird,« sagte der Freiherr, »aber um Gottes willen, Ehrenthal! was soll geschehen, wenn die Herrschaft in unsern Händen bleibt?«

Ehrenthal zuckte die Achseln: »Sie wissen, ich habe Ihnen nicht zugeredet zu der Hypothek, ja ich kann sagen, ich habe Ihnen abgeredet, wenn ich mich recht besinne. Wenn Sie mir damals hätten gefolgt, so hätten Sie vielleicht nicht gekauft die Hypothek.«

[S. 515]

»Es ist aber einmal geschehen,« versetzte der Freiherr ärgerlich.

»Erst bitte ich Sie, Herr Baron, zu bezeugen, daß ich unschuldig bin.«

»Das ist ja jetzt gleichgültig.«

»Für Sie ist es gleichgültig,« sagte Ehrenthal, »aber nicht für mich und meine Ehre als Geschäftsmann.«

»Wie meinen Sie das,« fuhr der Freiherr auf, daß Ehrenthal zusammenschrak, »Sie wagen zu behaupten, daß mir etwas gleichgültig ist, was selbst Ihnen keine Ehre bringt.«

»Was werden Sie hitzig, Herr Baron,« rief der Händler; »ich spreche ja nichts gegen Ihre Ehre, soll mich Gott davor bewahren!«

»Sie sprachen doch davon,« sagte der unglückliche Mann.

»Wie können Sie mißverstehen einen alten Bekannten!« klagte Ehrenthal; »ich will nichts, als Ihre Versicherung, daß ich unschuldig bin an dem Kauf der Hypothek.«

»Meinetwegen ja,« rief der Freiherr mit dem Fuße stampfend.

»So ist es recht,« sagte der Händler beruhigt. »Und wenn ein Unglück geschieht, und Sie die Herrschaft behalten müssen, so wollen wir sehen, was dann zu thun ist. Es ist eine böse Zeit zum Geldleihen, aber ich will Ihnen doch vorschießen die Caution und die Gerichtskosten gegen eine Hypothek auf die Herrschaft.«

Darauf besprach er die Ausfertigung der Vollmacht und seine Reise nach der benachbarten Provinz. Als er den Freiherrn verließ, blieb dieser als ein Spielball entgegengesetzter Stimmungen zurück.

War er verloren, war er gerettet? Eine quälende Sorge kam ihm, daß diese Hypothek sein Schicksal entscheiden würde. Er beschloß, selbst hinzureisen und Ehrenthal nichts zu überlassen. Aber wieder überfiel ihn die Angst, daß er dem Mann jetzt ein großes Vertrauen zeigen müsse, damit dieser auch ihm nicht mißtraue. So trieb er kraftlos in einer See [S. 516] von Gefahren. Die Wellen hoben sich und rauschten gegen sein Leben heran.

Am Abend trat Ehrenthal wieder in die Krankenstube des Sohnes und legte eine für ihn ausgefertigte Vollmacht auf die Bettdecke.

»Kannst du mir jetzt geben deine Hand?« frug er seinen Sohn, der finster vor sich hinstarrte, »ich reise für den Baron, ihm zu kaufen ein neues Gut. Wir haben Alles mit einander besprochen. Hier ist die Vollmacht, die er mir ausgestellt hat; ich werde ihm noch vorschießen ein Capital; wenn er es versteht, kann er wieder werden ein angesehener Mann.«

Bernhard sah mit trübem Auge auf seinen Vater und schüttelte den Kopf. »Das ist nicht genug, mein armer Vater,« sagte er.

»Ich habe mich doch versöhnt mit dem Baron, und er hat mir zugestanden, daß ich keine Schuld habe an diesem Unglück. Ist dir das genug, mein Sohn?«

»Nein,« sagte der Kranke. »So lange du in deinem Comtoir den schlechten Menschen, diesen Itzig, duldest, wird kein Friede in mein Leben kommen.«

»Er soll fort,« rief Ehrenthal bereitwillig; »wenn mein Sohn Bernhard es verlangt, soll er fort zum nächsten Quartal.«

»Und du willst den Gedanken aufgeben, das Gut des Barons für dich zu erstehen?« frug Bernhard weiter, sich zu dem Vater wendend.

»Wenn es kommt zum Verkauf, will ich denken an das, was du mir gesagt hast,« erwiederte der Vater ausweichend. »Jetzt rede mir nicht mehr von dem Gut; wenn du wieder wirst sein mein gesunder Sohn, dann sprechen wir darüber.« So ergriff er die Hand, welche Bernhard ihm zu geben zögerte, hielt sie fest in der seinen und saß ihm schweigend gegenüber.

War er einmal in seinem Leben zufrieden, so war er es jetzt, wo er sich die Versöhnung mit seinem Sohn erhandelt hatte.


[S. 517]

VII.

Welle um Welle schlug über das Haupt des Ertrinkenden.

Die Fabrik hatte im Winter einige Monate gearbeitet. Die Rübenernte des Gutes war mißrathen, der Anbau in der Umgegend, von dem der Freiherr Vieles erwartet hatte, war unzureichend gewesen. Manche der kleinen Landwirthe hatten ihre Contracte nicht erfüllt, andere hatten Schlechtes geliefert. Die Rüben fehlten, es fehlte das Capital, die Fabrik stand still, die Arbeiter verliefen sich.

Ehrenthal war in die polnische Landschaft gereist, den Freiherrn schüttelte das Fieber der Erwartung. Er bestellte Postpferde, um seinem Bevollmächtigten nachzureisen, er bestellte sie wieder ab, denn ihm graute vor dem Tage des Termins, vor dem Bieten, dem Schacher und der bebenden Angst bis zum Schluß des Protokolls. Und wenn er dem Händler nicht traute, auf den Anwalt in Rosmin konnte er sich sicher verlassen. So kam der finstre Tag, wo Ehrenthal mit dem Brief des Justizcommissarius Walther vor ihn trat. Das Capital des Freiherrn war nur dadurch zu retten gewesen, daß Ehrenthal die Herrschaft für den Freiherrn erstand. Die Eigenthümer der ersten Hypothek von hunderttausend Thalern hatten ihn hinaufgetrieben bis hundertundviertausend, dann waren sie fortgefahren, kein anderer Käufer war im Termin erschienen. »Die Herrschaft gehört jetzt Ihnen, Herr Baron,« schloß der Händler. »Damit Sie im Stande sind, die Güter zu behaupten, habe ich mit den Eigenthümern der ersten Hypothek verhandelt, sie werden Ihnen die Hunderttausend auf der Herrschaft stehen lassen. Ich habe für Sie erlegt viertausend Thaler und die Gerichtskosten.« Der Freiherr sprach kein Wort, sein Kopf fiel schwer auf das Holz des Schreibtisches. Der Händler erzählte, wie er die Herrschaft für den Freiherrn übernommen hatte. Vor der Thür brummte er: [S. 518] »Es ist vorbei mit ihm. Zum nächsten Quartal verliert er sein altes Gut, und er hat keine Kraft, zu behaupten das neue. Zuletzt werde ich kaufen müssen auch diese Herrschaft.«

Jetzt nahte der Termin, an dem der Freiherr die Interessen aller geliehenen Gelder bezahlen sollte. Er fuhr umher und suchte wieder Geld. Vergebens. Zuletzt kam er zu Georg Werner, der das Gut seiner Mutter übernommen hatte. Befangen empfing ihn der junge Herr, welcher einige Jahre lang Lenoren seine Huldigung gegönnt und sich dann vorsichtig zurückgezogen hatte. Die Verlegenheiten des Freiherrn waren kein Geheimniß mehr. Der Gutsnachbar zeigte den Antheil, der bei solchen Veranlassungen schicklich ist. Er bedauerte sehr, daß dem Freiherrn auf der neugekauften Herrschaft eine so große Hypothek ausgefallen war. »Wen haben Sie zum Termin geschickt?« frug er.

»Den Hirsch Ehrenthal,« erwiederte der Freiherr gedrückt.

Jetzt wurde der Nachbar beredt. »Ich fürchte,« rief er, »der Mensch hat Sie schlecht vertreten. Ich kenne diesen Wucherer. Er hat uns vor Jahren durch seine Schurkerei um eine große Summe gebracht. Mein Vater hatte auf seinem Gut oben in der Provinz einen Wald geschlagen und das Holz an einen Holzhändler abgeliefert. Ehrenthal machte mit diesem Mann ein Gaunergeschäft, er handelte ihm das Holz zu einem Spottpreise ab, der Andere entwich nach Amerika. Die beiden Schurken haben das Geld meines Vaters mit einander getheilt.«

Die Wange des Freiherrn wurde fahl, er stand auf, sprach von seinem Anliegen kein Wort mehr und entwich von der Schwelle des Nachbars wie ein Verbrecher.

Seit dem Tage brütete er in seinem Sessel finster vor sich hin; wenn er ausging, that er es nur, um sich auf Augenblicke zu betäuben. Er war rauh gegen seine Gemahlin, ganz unzugänglich für die Tochter. Die Frauen litten unsäglich.

Noch eine Hoffnung dämmerte ihm, die Vermittlung Bernhards. Und diesmal hatte er Recht, auf dem Wege war [S. 519] noch Rettung zu finden. Aber er ergriff nicht die Hand, die sich ihm uneigennützig darbot, nicht Anton ließ er rufen, sondern einen Andern, der ihm unheimlich war, wenn er ihn nicht sah, und dessen trödelhaftes Wesen ihm wohl that, so oft er ihn erblickte. Noch einmal in der letzten Stunde bot ihm das gnadenvolle Schicksal die freie Entscheidung über seine Zukunft. Ach, aber er selbst war nicht mehr frei. Es war der Fluch einer schlechten That, der jetzt sein Urtheil verwirrte.

Wieder stand Itzig vor ihm, der Freiherr sah die gekrümmte Gestalt von der Seite an: »Der junge Ehrenthal hat sich gegen mich erboten, meine Differenz mit seinem Vater beizulegen.«

Veitel fuhr in die Höhe, wie durch einen Schuß getroffen, »der Bernhard!« rief er heftig.

»So ist ja wohl sein Name, er soll krank sein.«

»Er wird sterben,« erwiederte Veitel.

»Wann?« frug der Freiherr mit seinen Gedanken beschäftigt, er verbesserte sich aber sogleich: »Was fehlt ihm?«

»Es sitzt hier,« sagte Veitel auf die Brust zeigend, »es arbeitet wie ein Blasebalg; wenn ein Loch reißt, hört der Wind auf.«

Der Freiherr zeigte ein bedauerndes Gesicht, aber er dachte nur, daß er selbst Eile habe. »Der Kranke soll so viel Einfluß auf seinen Vater besitzen, daß durch ihn die Einwilligung des Ehrenthal zu hoffen ist.«

»Was versteht der Bernhard von Geschäften, er ist ein Narr,« rief Veitel, unfähig, seinen Aerger zu verbergen. »Wenn man ihm ein altes Leder hinlegt, das mit Buchstaben beschrieben ist, so giebt er dafür jede Hypothek; er ist unwissend.«

»Wie ich sehe, gefällt Ihnen dieser Weg nicht?« frug der Freiherr rathlos.

Bevor Itzig antwortete, stand er lange nachdenkend, unruhig fuhren die Augen von dem Freiherrn in die Ecken des Zimmers. Endlich erwiederte er mit plötzlicher Freundlichkeit: [S. 520] »Der gnädige Herr haben Recht. Es wird am besten sein, wenn Sie und Ehrenthal an das Bett des kranken Bernhard gehen und dort mit einander abmachen Ihr Geschäft.« Wieder schwieg er eine Weile, und sein Gesicht röthete sich von stürmischen Gedanken. »Wollen der gnädige Herr mir überlassen, Ihnen Tag und Stunde anzusagen, wo Sie am besten sprechen den Bernhard Ehrenthal? Wenn Sie eingetreten sind in's Comtoir, dann werde ich schnell hinaufgehen zu Bernhard und ihm sagen, daß Sie gekommen sind. Unterdeß haben Sie die Gnade und warten Sie im Comtoir, und wenn es dauert eine halbe Stunde, bis ich wiederkomme, warten Sie; was auch der Ehrenthal sagt, und wie er auch schreit, warten Sie doch. Wenn ich Sie hinaufhole, wird Alles in Ordnung kommen, denn was der Bernhard von seinem Vater will, das kann er machen.«

»Ich werde Ihre Nachricht erwarten,« schloß der Freiherr, gepeinigt durch die Aussicht auf den schweren Tag.


Itzig verließ den Freiherrn und stürzte in wilder Aufregung nach seinem Lager im Hause des Pinkus. Heftig lief er in dem kleinen Zimmer auf und ab und ballte die Faust gegen Bernhard. Er öffnete den alten Schreibtisch und zog aus einer verborgenen Schublade zwei Schlüssel, die er auf die Tischplatte legte; immer wieder blieb er davor stehen und starrte sie an. Endlich versenkte er sie in die Tasche und sprang hinunter in die Caravanserei. Dort kauerte in einer Ecke der Galerie Herr Hippus, der kluge Freund Veitels. Hippus war in den letzten Jahren durch den Druck der Verhältnisse verhindert worden, stattlicher, jünger und ehrlicher zu werden, er sah vielmehr ungewöhnlich abgenagt und schadhaft aus. Jetzt hatte er sich in einen Winkel gedrückt, in welchen das warme Sonnenlicht fiel, und las in einem schmutzigen Roman. Als Veitel mit schnellem Schritt eintrat, senkte er den Kopf tiefer in sein Buch und schien an jedem Buchstaben [S. 521] mehr Antheil zu nehmen, als an dem jungen Geschäftsmann vor ihm.

»Macht Euer Buch zu und hört mich an,« rief Veitel ungeduldig. »Der Rothsattel wird vom Ehrenthal seine Scheine zurückerhalten, er wird mir die Hypothek geben, und ich werde ihm sollen verschaffen die Achttausend, welche noch Rest sind.«

»Seht doch, seht,« erwiederte der Alte, sein häßliches Haupt wiegend, »was man nicht Alles erlebt! Wenn der Ehrenthal sein Geld an einen Lumpen wegschenkt, der ihm sein Wort gebrochen hat, so wird es Zeit, daß auch wir fromm werden und zur Beichte gehen. Bevor wir weiter reden, kannst du mir etwas heraufbringen, was ich gern esse und trinke. Ich bin durstig und spreche kein Wort mehr.«

Veitel eilte hinab, das Verlangte zu holen, der Alte sah ihm nach und murmelte: »jetzt kommt's,« und starrte kopfschüttelnd über das Buch weg.

Als Veitel die geforderte Mahlzeit vor dem Advocaten aufgestellt hatte, frug er kurz: »Wie viel?«

»Dreihundert,« sagte der Alte, »und dafür muß ich mir's noch überlegen. Es ist nicht mein Genre, holder Itzig. In meinem Beruf stehe ich für weniger zu Dienst, wie du zu deiner Zeit erfahren hast; aber bei einer ehrenwerthen Arbeit im Styl des Herrn Cartouche und anderer Freunde von dir verlange ich eine bessere Bezahlung. Ich bin nur Freiwilliger. Und ich kann nicht sagen, daß ich Vorliebe für solche Geschäfte habe.«

»Hab' ich sie denn?« rief Itzig. »Wenn es ein Mittel giebt, dies zu vermeiden, so sagt's. Wenn Ihr wißt, wie man den Baron und Ehrenthal auseinander halten kann und Jeden ruiniren durch den Andern, so sagt's. Der eigene Sohn Ehrenthals wird Friede machen zwischen den Beiden, er wird zwischen ihnen stehen, wie ein nackter Bocher mit Flügeln auf dem Bilderbogen steht zwischen zwei Verliebten; und wir werden sein die Geprellten.«

[S. 522]

»Wir?« sagte der Alte vergnügt. »Du wirst der Geprellte sein, du Dohle. Was gehn mich deine Geschäfte an?«

»Zweihundert,« rief Veitel sich ihm nähernd.

»Drei,« erwiederte der Alte und trank sein Glas aus, »aber ich thue es nicht allein, du mußt dabei sein.«

»Wenn ich dabei sein will,« sagte Veitel, »so kann ich's allein thun und brauche nichts von Eurer Hülfe. Hört mich an. Ich will machen, daß das Haus leer ist, daß der Ehrenthal und der Baron zu gleicher Zeit aus dem Comtoir hinaufgehn; ich will Euch ein Zeichen geben, ob die Papiere auf dem Tisch liegen, oder im Schrank. Es wird finster sein, Ihr werdet haben die Zeit von einer halben Stunde. Ja, ich will zuschließen; den Ausgang zur Hintergasse, der gewöhnlich verriegelt ist, werde ich aufmachen. Es ist so sicher, daß ein Kind von zehn Jahren könnte machen das Geschäft.«

»Sicher genug für dich,« sprach der Alte mürrisch, »aber für mich nicht.«

»Wir haben doch versucht, was man machen kann mit dem Gesetz, und es ist nicht gegangen,« rief Veitel, »so muß es gehen wider das Gesetz.« Er schlug mit der Faust auf das Geländer und preßte die Zähne zusammen, daß sie knirschten. »Und wollt Ihr's nicht thun, so soll es doch geschehn; obgleich ich weiß, daß aller Verdacht auf mich fällt, wenn ich während der Zeit nicht in der Stube des Bernhard bin.«

»So ist's recht, du lustiger Itzig,« sagte der Alte und rückte an seiner Brille, um die zornige Entschlossenheit des Andern genauer zu betrachten. »Da du so tapfer bist, so will ich dich nicht im Stich lassen; aber Dreihundert.«

Der Handel begann. Die Beiden drückten sich in die Ecke der Galerie und sprachen leise mit einander bis zur Dunkelheit.


Einige Tage darauf saß Anton in der Dämmerstunde am Lager des kranken Bernhard: »Nur im Sprunge bin ich hergekommen, zu sehen, wie es Ihnen geht.«

[S. 523]

»Schwach,« erwiederte Bernhard, »immer noch schwach; das Athmen wird mir schwer. Wenn ich nur in's Freie käme, nur einmal hinaus aus dem dunkeln Zimmer!«

»Erlaubt der Arzt Ihnen nicht, auszufahren? Wenn die Sonne warm scheint, komme ich morgen mit einem Wagen, Sie abzuholen.«

»Ja,« rief Bernhard, »Sie sollen kommen. Dann werde ich Ihnen auch etwas erzählen.« Er sah sich vorsichtig um. »Ich habe heut durch die Stadtpost einen Zettel ohne Unterschrift erhalten.« Er zog unter seinem Kopfkissen einen kleinen Brief hervor und übergab ihn mit geheimnißvoller Miene dem Freund: »Nehmen Sie, vielleicht kennen Sie die Hand.«

Anton ging zum Fenster und las: »Der Baron Rothsattel will Sie heut gegen Abend sprechen. Sorgen Sie dafür, daß Sie mit Ihrem Vater allein sind.«

Als Anton den Brief zurückgab, betrachtete Bernhard das Papier andächtig und steckte es wieder unter die Kissen. »Kennen Sie die Hand?« frug er.

»Nein,« erwiederte Anton, »die Schrift scheint verstellt, die Hand des Fräuleins ist es nicht.«

»Wer auch der Schreiber ist,« fuhr Bernhard kleinlaut fort, »ich hoffe Gutes von dem heutigen Abend. Wohlfart, dieser Streit liegt mir mit Centnerschwere auf der Brust, er nimmt mir den Athem, wie ein Gewicht fühle ich den Druck. Heut soll das besser werden, heut werde ich frei.«

Das Sprechen machte ihm Mühe. Nur in kurzen Sätzen fiel die Rede von seinen Lippen. »Also Wiedersehen auf morgen,« rief Anton. Als er sich erhob, knisterten weiche Damensohlen, die Mutter und Rosalie traten an das Bett des Kranken und begrüßten den Gast. »Wie geht's, Bernhard?« frug die Mutter, »du wirst heut mit deinem Vater allein sein, es ist heut große musikalische Akademie, die Rosalie wird auf dem Flügel spielen. Wir haben den Flügel in die Hinterstube gerückt, Herr Wohlfart, damit sie den Bernhard nicht durch ihre Uebungen stört.«

[S. 524]

»Setze dich noch einen Augenblick zu mir, Mutter,« sagte Bernhard, »ich habe dich lange nicht in deinen schönen Kleidern gesehen. Du siehst heut hübsch aus, ein solches Kleid trugst du, als ich als Knabe das Scharlachfieber bekam. Wenn ich von dir träume, sehe ich dich immer in dem gelben Gewand vor mir. Gieb mir deine Hand, Mutter, und wenn du heut Abend Musik hörst, denke auch an deinen Bernhard, ich werde hier eine stille Musik machen.«

Die Mutter setzte sich zu ihm. »Er hat wieder das Fieber,« sprach sie zu Anton. Anton stimmte schweigend bei.

»Morgen fahre ich in die Sonne,« rief Bernhard aufgeregt, »das wird mein Vergnügen sein.«

»Der Wagen wartet,« erinnerte Rosalie, »wir müssen mit unsern Kleidern durch's Hinterhaus, wo es so unreinlich ist. Der Itzig hat dem Vater eingeredet, daß der Wagen vorn nicht vorfahren darf, weil er den Bernhard stört.«

»Schlaf wohl, Bernhard,« sagte die Mutter und reichte ihm noch einmal die runde Hand. Die Frauen eilten aus dem Zimmer, Anton folgte ihnen.

»Was sagen Sie zu dem Befinden des Bernhard?« frug die Mutter auf der Treppe.

»Ich halte ihn für sehr krank,« erwiederte Anton.

»Ich habe meinem Mann schon gesagt, wenn es weiter in den Sommer kommt, gehe ich mit Rosalie in's Bad, da wollen wir den Bernhard mitnehmen.«

Anton ging mit schwerem Herzen aus dem Hause.

Es wurde still im Hause, in den Zimmern Ehrenthals hörte man nichts, als die schweren Athemzüge des Kranken. Nur unter ihm im Boden rasselte es. Eine Maus nagte am Holz. Unruhig hörte Bernhard ihr zu. »Wie lange wird sie noch nagen, bis sie sich eine Oeffnung ausgehöhlt hat, dann kommt sie zu mir in die Stube.« Ein Frösteln überlief ihn, er warf sich auf seinem Lager herum, die Dunkelheit war ihm heut beengend, die Luft dick. Er klingelte so lange, bis die Aufwärterin kam und die Lampe hereinsetzte. Jetzt sah er sich [S. 525] ermüdet um. Die Stube sah ihm heut alt und verschossen aus, sie kam ihm fremd vor wie ein Gastzimmer, und er sich als ein Fremder, der hier nur zum Besuch war. Theilnahmlos blickte er auf seinen Bücherschrank und auf die Schublade, in welcher die theuren Manuscripte lagen. Den Brandfleck auf der Diele, den Ritz in der Thür, durch den das Licht in der Nebenstube alle Abende durchschimmerte, das Alles wollte er morgen verlassen, um mit Anton aus der engen Stube auszuziehen. Er dachte daran, ob sie nicht auf dem Wege fahren könnten, auf dem das Fräulein nach dem Gute fuhr und wieder zurück. Vielleicht würde er sie treffen. Sein Auge strahlte, er hoffte sicher, daß er das Fräulein auf dem Wege treffen müßte. Sie saß stolz aufgerichtet in ihrem Wagen, der Schleier flog um das blühende Gesicht, ihr weißer Arm hob sich und winkte grüßend zu seinem Wagen herüber. Ja, sie erkennt ihn, sie weiß, daß er ihrem Vater einen Dienst geleistet hat, vielleicht läßt sie stillhalten und frägt herüber in seinen Wagen, wie es ihm ergehe. So wird er mit ihr sprechen und den edlen Klang ihrer Stimme hören. Noch einmal wird sie ihm zunicken, dann werden die beiden Wagen auseinander fahren, einer hierhin und der andere dorthin. — Und wohin würde er fahren? »Hinein in die Sonne,« flüsterte er. — Und wieder lauschte er ängstlich auf das Nagen der Maus.

Ein eiliger Fuß durchschritt den Vorsaal, Bernhard richtete sich auf, und das Blut stieg ihm in's Gesicht. Es war der Vater Lenorens, der zu ihm kam. Leise öffnete sich die Thür, eine häßliche Gestalt schlüpfte herein und sah sich scheu im Zimmer um. Erschrocken rief Bernhard: »Was wollen Sie hier?«

Hastig trat Itzig an sein Bett und sprach mit kurzem Athem und einer Stimme, die eben so gepreßt klang, wie die des Kranken: »Der Baron ist jetzt in das Comtoir gegangen. Er hat mir gesagt, ich soll zu Ihnen gehen und Ihnen zureden, damit Sie die Forderung unterstützen, die er stellt an Ihren Vater.«

[S. 526]

»Ihnen hat er das gesagt?« rief Bernhard. »Wie kann der Freiherr einem Mann, wie Sie sind, einen Auftrag geben?«

»Schweigen Sie still,« entgegnete Veitel rauh, »es ist jetzt keine Zeit für Ihr Gerede. Hören Sie meine Worte. Der Baron hat Ihrem Vater mit seinem Ehrenwort die Sicherheit für zwanzigtausend Thaler versprochen und er kann ihm diese Sicherheit nicht geben, weil er dasselbe Document einem Andern verkauft hat. Er hat sein Wort gebrochen und verlangt jetzt von Ihrem Vater, daß er auf seine gute Sicherheit verzichtet. Können Sie zureden, daß Ihr Vater zwanzigtausend Thaler verliert, so thun Sie es.«

Bernhard zitterte, daß ihm die Hände flogen. »Sie sind ein Lügner,« rief er. »Jedes Wort, das aus Ihrem Munde kommt, ist Betrug und Heuchelei und Hinterlist.«

»Schweigen Sie,« wiederholte Veitel in seiner Fieberangst. »Sie sollen Ihrem Vater nicht reden zu Schaden. Dem Baron ist nicht zu helfen, er ist eine Fliege, welche sich die Flügel am Licht verbrannt hat, er kann nur noch kriechen. Und wenn der Ehrenthal als Narr einem schlechten Rath folgt, den Sie ihm geben, weil Sie nichts verstehen, so kann er doch den Freiherrn nicht erhalten auf seinem Gut. Wenn er ihn nicht wirft, so thut's ein Anderer. Ich habe keinen Vortheil dabei, wenn ich Ihnen das sage,« fuhr er unruhig fort und horchte nach einem Geräusch vor dem Hause, »ich thu' es nur aus Anhänglichkeit an Ihre Familie.«

Bernhard rang nach Luft. »Gehen Sie hinaus,« rief er endlich, »es ist Alles Betrug und Lüge auf dieser Welt.«

»Ich hole den Baron und Ehrenthal herauf,« sprach Veitel und stürzte hinaus.

Laut scholl in dem Hausflur die zornige Stimme Ehrenthals: »Ich werde gehen zu den Gerichten, ich werde Sie anzeigen und Ihre Intriguen.« Veitel riß die Thür auf. Auf dem Lederstuhl saß der Freiherr und verbarg das Gesicht mit der Hand, vor ihm drohte Ehrenthal im Zorn zitternd, auf [S. 527] dem Pult stand die Cassette des Freiherrn mit den verhängnißvollen Schuldscheinen und der Hypothek. Veitel rief in das Zimmer: »Hören Sie auf, Ehrenthal, Ihr Bernhard ist sehr krank, er liegt oben allein und ruft nach Ihnen, und ruft nach dem Herrn Baron, er will Sie Beide haben an sein Bett.«

»Was ist das?« schrie Ehrenthal, »spielen Sie Intrigue hinter meinem Rücken auch mit meinem Sohn?«

»Haben Sie ihm die neue Hypothek gezeigt, die Sie für ihn bestellt haben?« frug Veitel den Freiherrn in fliegender Eile.

»Er hat sie gar nicht sehen wollen,« sagte der Freiherr finster.

»Geben Sie her,« sagte Veitel hastig und legte ein neues Document vor Ehrenthal auf den Tisch.

»Sie wollen mir geben ein Stück Papier für mein gutes Geld, einen Wisch, welcher nicht werth ist, daß ich ihn verbrenne.«

»Halten Sie sich nicht auf,« rief Veitel wieder mit ängstlicher Stimme. »Es ist Niemand oben beim Bernhard, er schreit nach Ihnen und dem Baron, er wird sich einen Schaden thun. Machen Sie, daß Sie hinaufgehen, er hat gestöhnt, ich soll Sie im Augenblick zu ihm schaffen.«

»Gerechter Gott!« rief Ehrenthal und ergriff seinen Hut, »was ist das wieder? Ich kann nicht kommen zu meinem Sohn, ich habe jetzt Sorge um mein Geld.«

»Er wird sich schreien zu Tode,« rief Veitel, »wegen dem Geld können Sie nachher noch genug reden. Machen Sie schnell.«

Der Freiherr und Ehrenthal traten aus dem Comtoir. Itzig folgte. Ehrenthal verschloß die Thür, er legte die eiserne Stange vor und befestigte das Vorlegeschloß. Sie eilten die Treppe hinauf, Veitel als Letzter. Auf den Stufen klang ein Geldstück, Ehrenthal sah sich um. »Es ist mir aus der Tasche gefallen,« sagte Veitel.

Der Freiherr und Ehrenthal traten in das Zimmer des [S. 528] Kranken, hinter ihnen schob sich Itzig herein und fuhr längs der Wand bis an das Fenster, hinter das Haupt Bernhards, damit dieser ihn nicht erblickte. Der Freiherr setzte sich zu Häupten des Lagers, der Vater an das Fußende; aus der Lampe fiel ein mattes Licht auf die Parteien, welche zu dem Todkranken kamen, um über Capital und Sicherheit zu hadern. Der Edelmann begann mit höflicher Rede, er erinnerte sich der frühern Besuche Bernhards und sprach von der Hoffnung, ihn bald wieder auf seinem Gut zu begrüßen, aber seine Augen sahen furchtsam auf das entstellte Gesicht, und in ihm rief eine Stimme: es war die höchste Zeit. Bernhard saß aufgerichtet in seinem Bett, den Kopf zur Brust hinabgeneigt, er erhob die Hand und unterbrach die Rede des Freiherrn: »Bitte, Herr Baron, sagen Sie mir, was Sie von meinem Vater wollen, und nehmen Sie Rücksicht darauf, daß ich kein Geschäftsmann bin.«

Der Freiherr setzte ihm das auseinander, Ehrenthal versuchte oft, ihn zu unterbrechen, aber Bernhard winkte mit der Hand, worauf der Alte wieder abbrach und sich begnügte, heftig den Kopf zu schütteln und vor sich hin zu brummen.

Als der Freiherr geendet hatte, winkte Bernhard seinem Vater: »Komm näher heran, höre ruhig auf meine Worte.« Der Vater fuhr mit seinem Ohre bis nah an den Mund des Sohnes. »Was ich sage,« sprach Bernhard leise, »ist mein fester Wille, und nicht erst heut bin ich zu dem Entschluß gekommen. Wenn du Geld erworben hast, so war dein Gedanke, daß ich dich überleben sollte und nach deinem Tode dein Erbe werden. War's nicht so?« Ehrenthal nickte stark mit dem Kopf. »Wenn du in mir deinen Erben siehst,« fuhr Bernhard fort, »so höre auf meine Worte. Wenn du mich liebst, so handle nach dem, was ich dir sage. Ich verzichte auf mein Erbtheil, während wir beide leben. Was du für mich gesammelt hast, das wirst du umsonst gesammelt haben. Ich verlange nichts für meine Zukunft. Wenn es mir beschieden ist, wieder gesund zu werden, so will ich mir durch [S. 529] meine eigene Arbeit forthelfen, ich will lernen auf mich selbst vertraun; außer deiner Liebe und deinem Segen begehre ich nichts mehr für mich. Daran denke.«

Ehrenthal erhob die Arme und rief: »Was ist das für eine Sprache, mein Bernhard, mein armer Sohn? Du bist krank, du bist sehr krank.«

»Höre mich weiter,« bat Bernhard. »Was du für Recht auf das Gut dieses Herrn hast, das soll hier gleich sein. Du hast lange Jahre mit ihm in Verkehr gestanden, du darfst nicht die Ursache sein, daß seine Familie unglücklich wird. Ich verlange nicht, daß du die große Summe wegschenken sollst, das würde dir zu wehe thun und würde den Herrn demüthigen; aber ich fordere von dir, daß du die Sicherheit nimmst, die er dir anbietet. Hat er dir früher Anderes versprochen, vergiß das; hast du Papiere in Händen, die ihn ängstigen, gieb sie ihm zurück.«

»Er ist krank,« stöhnte der Vater, »sehr krank ist er.«

»Ich weiß, daß dich das schmerzen wird, mein Vater. Seit du aus dem Haus des Großvaters weggingst, als ein armer Judenknabe, barfuß, mit einem Thaler in der Tasche, seitdem hast du an nichts Anderes gedacht, als an Erwerb. Niemand hat dich etwas Anderes gelehrt, dein Glaube hat dich ausgeschlossen von dem Verkehr mit Solchen, welche besser verstehen, was dem Leben Werth giebt. Ich weiß, daß es dir an's Herz geht, eine große Summe in Gefahr zu setzen. Aber du wirst es doch thun, du wirst es thun, weil du mich liebst.«

Ehrenthal rang die Hände und sagte unter strömenden Thränen: »Du weißt nicht, was du forderst, mein Sohn! Was du verlangst, das ist ein Diebstahl an deinem Vater.«

Der Sohn ergriff die Hand des Vaters. »Du hast mich immer geliebt. Du hast gewollt, ich sollte anders werden, als du. Du hast immer auf meine Worte gehört, und ehe ich einen Wunsch aussprach, hast du ihn erfüllt! Was ich jetzt von dir will, das ist die erste große Bitte, die ich an dich thue. Und diese Bitte werde ich dir in's Ohr sprechen, so lange [S. 530] ich lebe, es ist die erste, mein Vater, und es wird meine letzte sein.«

»Du bist ein thörichtes Kind,« rief der Vater außer sich, »du verlangst mein Leben, du verlangst mein ganzes Geschäft.«

»Hole die Papiere,« erwiederte Bernhard. »Ich will mit meinen Augen sehn, wie du dem Herrn zurückgiebst, was er geschrieben hat, und wie du aus seiner Hand empfängst, was er dir noch geben kann.«

Ehrenthal holte sein Taschentuch hervor und weinte laut: »Er ist krank. Ich soll ihn verlieren und ich soll verlieren auch mein Geld.« Der Freiherr saß unterdeß schweigend auf seinem Stuhl und sah vor sich nieder. An dem Fenster aber ballte Itzig krampfhaft die Hand, und ohne daß er es merkte, zerrte er die Gardine von der Stange.

Der Sohn sah unverwandt auf die Windungen des Vaters und rief endlich mit Anstrengung: »Ich will es, Vater, hole die Papiere.« Dann sank er in die Kissen zurück. Der Vater wollte sich auf ihn stürzen, aber mit einer kurzen Geberde des Widerwillens wies Bernhard ihn zurück, und mit Mühe aufathmend, sagte er: »Es ist genug, du thust mir weh.«

Da fuhr Ehrenthal auf, ergriff seinen Comtoirleuchter und wankte aus dem Zimmer. Still war es in dem Raum, nur die ängstlichen Athemzüge der Zurückbleibenden wurden gehört. Immer noch saß der Freiherr gebeugt, aber in der Abspannung fühlte er etwas durch seine Seele zucken, was aussah wie Freude. Er sah eine Stelle an seinem Himmel, wo die Sonne aus den dunkeln Wolken brach. Er war gerettet. Sein Ehrenwort war ihm zurückgegeben, und neue achttausend Thaler von dem Manne am Fenster in Aussicht. Jetzt konnte er wieder aufblicken, er durfte wieder sein Haupt hoch tragen. Er faßte die Hand des Kranken, drückte sie und sagte ihm leise: »Ich danke Ihnen, mein Herr, o wie danke ich Ihnen, Sie sind mein Retter, Sie schützen meine Familie vor Verzweiflung und mich vor der Schande.«

[S. 531]

Bernhard hielt die Hand des Freiherrn fest, und ein seliges Lächeln flog über sein Gesicht. Unterdeß schlug am Fenster Einer mit den Zähnen zusammen in verzweifelter Spannung und preßte seinen Leib fest an die Mauer, um das Fieber zu bändigen, das ihn schüttelte.

So blieb es lange still in der Stube, Niemand sprach, Ehrenthal kam nicht zurück. Plötzlich wurde die Entréethür aufgerissen, in voller Furie stürzte ein Mann in das Zimmer, das Gesicht verstört, die Haare zerrauft. Es war Ehrenthal. — Er hielt das flackernde Licht in der Hand, aber nichts Anderes.

»Verschwunden!« schrie er und schlug die Hände zusammen, daß das Licht auf den Boden fiel. »Alles ist fort, gestohlen ist Alles.« Er stürzte auf dem Bett seines Sohnes nieder und streckte die Arme nach dem Kranken aus, als wollte er von ihm Hülfe erflehen. Der Freiherr sprang auf, nicht weniger entsetzt, als Ehrenthal. »Was ist gestohlen?« rief er den Andern an.

»Fort ist Alles,« stöhnte Ehrenthal, nur auf seinen Sohn blickend, »die Verschreibungen sind fort, die Hypotheken sind fort. Ich bin beraubt,« schrie er aufspringend, »Diebstahl, Einbruch! Schickt nach der Polizei!« und wieder stürzte er hinaus, der Freiherr hinter ihm.

Betäubt, halb ohnmächtig sah Bernhard ihnen nach. Da trat vom Fenster er, der zurückgeblieben war, an das Bett. Der Kranke warf sein Haupt zur Seite und starrte auf den Mann, wie der ermattete Vogel auf die Schlange. Es war das Gesicht eines Teufels, in das er blickte, rothes Haar stand borstig in die Höhe, Höllenangst und Bosheit saß in den häßlichen Zügen. Bernhard schloß die Augen und hielt die Hand vor. Aber das Gesicht kam näher an ihn heran und eine heisere Stimme flüsterte in sein Ohr.

Unterdeß standen unten im Comtoir zwei Männer einander gegenüber und sahen einander mit nichtssagenden Blicken an. Die Cassette mit ihrem Inhalt war verschwunden, was der [S. 532] Freiherr auf das Pult gelegt hatte, war verschwunden. Ehrenthal hatte mit seinen Schlüsseln geöffnet wie immer, nichts an den Schlössern war versehrt, Alles im Comtoir lag an seiner Stelle. Wenn in dem offenen Geldschrank Geld fehlte, so konnte es nur wenig sein. An den wohlverwahrten Fensterladen war keine Spur von Verletzung, es blieb unbegreiflich, wie die Documente genommen waren.

Die beiden Männer liefen in den Hausflur, dort leuchteten sie umher, hinter der Treppe, hinter einer alten Kiste, in dem Eingang zum Keller, in dem schwarzen Hofraum, nirgend war etwas zu sehen. Sogar die Hausthür war verschlossen; sie erinnerten sich, daß der vorsichtige Buchhalter beim Heraufgehen das gethan hatte. Und wieder rannten sie zurück in das Comtoir und durchsuchten jeden Winkel immer hastiger, immer angstvoller. Dann saßen sie einander gegenüber mit blutlosen Wangen in einer Angst, welche mit jeder Minute stieg, Jeder dem Andern mißtrauend, Jeder mit feindlichem Blick auf den Andern schielend, ob nicht ein Zeichen das böse Gewissen verrathe. Und wieder sprangen Beide auf und überschütteten einander mit Vorwürfen, wie sie die Verzweiflung eingiebt, und während sie wie Wilde gegen einander die Hand erhoben, empfanden Beide, daß der Andere ebensoviel verliere, als der Eine, und daß sie Grund hatten, ihre Stimme zu mäßigen, damit kein Fremder ein Zeuge des Auftritts werde.

Aus Ehrenthals Comtoir waren die Papiere verschwunden in dem Augenblick, wo er widerwillig dem Drängen seines Sohnes nachgab, sich mit dem Freiherrn zu versöhnen. Er hatte noch kaum in die Versöhnung gewilligt, er allein war gegangen, die Papiere zu holen. Würde man ihm glauben, daß sie gestohlen waren? Würde sein eigener Sohn ihm glauben?

Und wieder dem Freiherrn hing an den Papieren Alles, o sein Verlust war der größte. Eben erst hatte er sich einer Hoffnung auf Rettung hingegeben, jetzt sank er in einen Abgrund, [S. 533] dessen Tiefe das Auge des Fallenden noch gar nicht ermessen konnte. In fremden Händen waren die Scheine. Wenn der Dieb sie zu benutzen verstand, ja, wenn der Diebstahl nur vor Gericht angezeigt wurde, so war er verloren. Und wenn sie sich nicht wieder fanden, auch dann war er rettungslos verloren. Jahre konnte es dauern, bis ihm die verlorenen Hypotheken vom Gericht neu ausgefertigt wurden, und sein Schicksal mußte sich in Wochen entscheiden. Er war nicht im Stande, sich mit dem feindseligen Ehrenthal auseinanderzusetzen, er war nicht im Stande, andern Gläubigern Deckung zu geben. Jetzt war er unrettbar verloren. Vor ihm lag Armuth, Verfall, Schande. Wieder fiel ihm jenes Ehrengericht ein, seine Kameraden und der unglückliche junge Mann, der sich selbst gerichtet hatte. Er hatte damals den Todten ansehen müssen, er wußte, wie Einer aussah, der so gestorben war. Er wußte jetzt auch, wie man dazu kam, so zu sterben. Sonst hatte ihm gegraut, wenn er an das Bild des Todten dachte, jetzt fühlte er kein Grauen mehr. Seine Lippen bewegten sich, und wie im Traume sprach er zu sich selbst die tröstenden Worte: »Das ist die letzte Hülfe.«

So saßen die beiden Männer einander gegenüber und brüteten vor sich hin, und die Minuten, welche über ihr Haupt zogen, entstellten ihr Antlitz und ihr Urtheil.

Hastiger flackerte das Licht, die Thür wurde aufgerissen, langsam wendeten die Beiden ihr Gesicht dem Eintretenden zu. Ein häßlicher Kopf erschien an der Thür, und ein wilder Ruf wurde gehört: »Hinauf, Hirsch Ehrenthal, Euer Sohn stirbt.« Die Erscheinung verschwand, mit einem lauten Schrei stürzte Ehrenthal nach der Thür, der Freiherr wankte als ein müder Mann zum Hause hinaus.

Als der Vater am Bett seines Sohnes niederfiel, hob sich noch einmal eine weiße Hand drohend in die Höh, dann sank ein todter Leib zurück. Bernhard fuhr nach der Sonne.

[S. 534]

Draußen war ein warmer Abend. Ein leichter Wolkendunst bedeckte die Sterne des Nachthimmels, aber ein heimliches Dämmerlicht erhellte die Erde. Von dem blühenden Gebüsch der öffentlichen Anlagen trieb der Luftzug balsamische Düfte in die Straßen der Stadt. Langsam zogen die heimkehrenden Spaziergänger an den Häusern entlang, es wurde ihnen schwer, die südliche Luft zu verlassen und sich in ihre Mauern einzuschließen. Behaglich dehnte sich der Bettler auf der Schwelle des steinernen Palastes; jeder Gesell, der ein Liebchen hatte, eilte heut zu ihr und führte sie durch die Straßen, wer müde war, heut vergaß er die Arbeit des Tages, wer Kummer hatte, heut fühlte er ihn wenig, wer sonst das ganze Jahr allein stand, heut suchte er den Nachbar auf. Vor den Thüren standen die Leute, plauderten und lachten, die Kinder spielten auf der Straße, sie haschten einander in der Dämmerung und tanzten auf den Granitplatten des Pflasters. Heut schmetterte die Nachtigall im Bauer ihr bestes Lied, sie sang, daß der schöne Frühsommer da sei, die glückliche Zeit, wo das Leben leicht wird und die Hoffnungen sich zur Blüthe entfalten.

Durch die Schwärme der Spaziergänger schritt schwerfällig die hohe Gestalt eines Mannes, den Kopf auf der Brust. Seine Pferde stampften ungeduldig auf das Pflaster und erwarteten die Rückkehr des Herrn, um ihn aus dem Gewühl der Arbeiter in das vornehme Quartier zu führen. Sie warteten umsonst bis in die Nacht hinein; der, dem sie dienten, hatte sie vergessen. Er hörte nichts von dem Ruf der Nachtigall und trat durch den Kreis der tanzenden Mädchen, ohne einen Laut von den fröhlichen Kinderstimmen zu vernehmen. Sein Haupt war ihm schwer, und träge der Zug seiner Gedanken. So kam er aus der Stadt in die Anlagen, er stieg langsam einen blumengeschmückten Hügel hinan und setzte sich dort ermüdet auf eine Bank. Unten vor seinen Füßen zog der dunkle Strom dem Meere zu, ihm gegenüber erhoben sich die gewaltigen Massen des alten Doms. Der Fluß vor ihm [S. 535] war bedeckt mit Holzflößen, welche vom Oberlauf des Stroms herkamen, um weit hinab zu fahren bis in die Nähe der See. Auf den Flößen standen die Hütten der Ruderknechte, daneben loderten kleine Feuer, an denen die Leute ihre Abendkost bereiteten. Durch die stille Luft klang zuweilen das laute Gelächter oder ein roher Schrei der Fährleute zu ihm herauf. Das fluthende Wasser, die kühnen Umrisse der Thürme, den duftigen Wolkenschleier hoch oben sah er wie im Nebel, nur ein Gedanke blitzte in seinem finstern Gemüth auf, wie der feurige Punkt dort unten auf dem Fluß. Auch er hatte mit geflößtem Holz Geschäfte gemacht, und das Geld, das er dabei gewonnen, wurde von Andern ein Sündengeld genannt. Es war fremdes Eigenthum, wie die Summe, die der Mann mit der Pistole genommen hatte. Er stand hastig auf und eilte den Hügel hinab.

In einer Allee hoher Platanen lief er hin und her, und wieder blieb er ermüdet stehen und stützte seinen Rücken an einen Baumstamm. Vor ihm stiegen die Schornsteine des Quartiers auf, in dem sich die Fabrikthätigkeit der Stadt angesiedelt hatte, eine Reihe riesiger Obelisken ragte hoch über die Dächer der Menschenwohnungen. Er wußte, was das bedeutete, eine solche Säule in die Wolken bauen. Auch er hatte in den Grund des Baues Alles hineingeworfen, was ihn bis dahin schützend umgeben hatte, seine Kraft, sein Geld, seine Ehre. Mit schlaflosen Nächten, mit grauem Haar hatte sein Wahnwitz ein solches Monument bezahlt, es war die Leichensäule seines Geschlechts, die er auf seinem Gut aufgebaut hatte. Und was er hier vor sich sah in dem undeutlichen Lichte der Nacht, das war ein ungeheurer Kirchhof, viele schattenhafte Denkmäler, unter welchen der Seelenfrieden glücklicher Menschen eingesargt lag. Und er nickte mit seinem Haupt und sagte, so daß er selbst die Worte vernahm: »Das war das Letzte.« Er richtete sich auf und schritt seinem Hause zu.

Auf dem Wege empfand er, wie behaglich ihm war, an [S. 536] das zu denken, was ihn von solchen häßlichen Bildern befreien konnte. So trat er in sein Haus. Er machte ein freundliches Gesicht, als ihm die Lampe des Flurs auf die Augen schien. Als er in dem Entrée stand, hörte er in dem Zimmer der Baronin sprechen. Lenore las vor. Er hörte zu und merkte, was sie vorlas, war aus einem Roman. Er durfte die Frauen nicht erschrecken. Aber es war ein Hinterzimmer im Hause, abgelegen, die Stube daneben unbewohnt, dorthin mußte er gehen. Als er noch so stand, öffnete sich die Thür, und die Baronin sah heraus. Unwillkürlich fuhr sie zurück, als sie ihn an der Thür erblickte. Er lächelte und trat mit munterm Schritt in das Zimmer. Seiner Frau gab er die Hand, er strich über Lenorens Haupt und beugte sich nieder, um zu sehen, was sie las. Die Baronin klagte, daß sie den Thee ohne ihn getrunken, und er scherzte über ihre Ungeduld, die den Lieblingstrank nicht erwarten konnte. Dabei dachte er, daß es ihm selbst auf eine Stunde durchaus nicht ankomme. Er trat zu dem Bauer, in welchem zwei kleine Vögel aus fremdem Lande schlafend auf der Stange saßen, dicht an einander gedrängt, ein Köpfchen an das andere gelehnt; er steckte den Finger zwischen die metallenen Stäbe, als wollte er sie streicheln, und sagte gedankenlos: »sie sind zur Ruh gegangen.« Dann nahm er die Kerze aus der Hand des Bedienten und schritt nach der Thür seines Zimmers. Als er den Griff anfaßte, bemerkte er, daß das Auge seiner Frau ängstlich auf ihn gerichtet war, er wandte sich noch einmal zu ihr und nickte ihr freundlich zu. Dann schloß er die Thür. Er holte einen polirten Kasten aus seinem Schreibtisch und trug ihn mit dem Licht nach der Eckstube des Hauses. Hier war er sicher, Niemanden zu stören.

Langsam lud er. Während des Ladens sah er auf die eingelegte Arbeit des Kolbens. Es war die mühsame Arbeit eines armen Teufels von Büchsenmacher, seine Bekannten hatten sie oft bewundert; die Pistolen selbst waren ein Geschenk des Generals, der bei seiner Hochzeit den Brautvater seiner elternlosen [S. 537] Gemahlin gemacht hatte. Schnell drückte er den Ladestock in den Lauf; dann sah er hinter sich, wenn er fiel, wollte er nicht auf dem Boden liegen. Er durfte die, welche eintraten, nicht durch den häßlichen Eindruck erschrecken, den ihm der Kamerad auf der Diele gemacht hatte.

Er setzte das Eisen an seine Schläfe. Da wurde der gellende Schrei einer Frau gehört, sein Weib stürzte in das Zimmer; sein Arm wurde mit der Kraft der Verzweiflung gefaßt, er zuckte zusammen, der Finger berührte den Drücker. Ein Feuerstrahl und ein Knall, und er sank in das Sopha zurück und fuhr ächzend mit beiden Händen nach seinen Augen.

Im Hause des Händlers aus dem Zimmer des Todten stieg ein Vater das Licht in der Hand die Treppe hinab in das Comtoir. Aengstlich leuchtete er auf das Pult, in den Schrank, in alle Ecken des Raumes, er setzte sich nieder, schüttelte den Kopf und wunderte sich. Dann verschloß er sein Comtoir, stieg wieder hinauf und fiel mit Stöhnen und Geschrei an dem Bett nieder. So trieb er es die ganze Nacht hindurch, klagend und suchend, ein verstörter, abgelebter, zu Grunde gerichteter Mann.


VIII.

Im Hause des Kaufmanns floß das Leben der Hausgenossen wieder in ebener Strömung dahin. Die kleinen Wirbel, welche der heimkehrende Anton aufgeregt hatte, waren allmählich zerronnen. Die unerhörten Prachtstücke aus dem Nußbaumschrank hatten andern Nummern das Feld geräumt, welche zwar ebenfalls ausgezeichnet, aber für die Tante noch begreiflich waren. Auch darin hatte die Tante recht prophezeit, daß Anton von diesem heimlichen Sieg des ruhigen Verstandes über leidenschaftliche Dankbarkeit gar nichts bemerkte. [S. 538] Nur eine Veränderung war geblieben, die größte, glorreichste: der Bewohner des Hinterhauses behielt einen bevorzugten Platz in dem Herzen der jungen Herrin, und seine stattliche Gestalt erschien jetzt oft unter den Bildern, welche Sabine am Arbeitskorb und in der Schatzkammer um sich versammelte.

Heut schritt Sabine vor dem Mittagstisch unruhig in ihrem Zimmer auf und ab. Die Tante, welche Alles erfuhr, hatte ihr soeben erzählt, daß ein Mädchen aus Ehrenthals Hause in das Comtoir gelaufen war, um Bernhards Tod dem Freunde zu melden. »Wie wird er die Nachricht ertragen?« dachte Sabine. Und bei dem Namen Ehrenthal mußte sie an die Vergangenheit denken, an einen Andern, der jetzt in weiter Ferne lebte, und an die Stunde, wo das Schwanken ihrer Seele durch einen Brief aus dem Hause des Todten zu schnellem Ende gebracht worden war. Und Anton wußte um dies bekämpfte Gefühl, o wie oft hatte sie dies Wissen aus seinem besorgten Blick, aus seiner schonenden Rede erkannt! Wie rücksichtsvoll war seine Haltung ihr gegenüber gewesen, wie ritterlich die stille Hülfe, die er ihr in der Unterhaltung gebracht. Ob er auch eine Ahnung hatte von dem tapfern Sieg, den sie nach und nach über eine Jugendthorheit erkämpft hatte? Sie schüttelte ihr Haupt. »Nein, er weiß nichts davon, noch immer sieht er in mir das Mädchen, das der Schwäche ihrer kindischen Neigung erlag.« Sie blieb vor ihrem Blumentisch stehen. »An dieser Stelle verrieth ihm der Zufall, wie ich damals empfand. Noch heut steht die Vergangenheit als eine dunkle Wolke zwischen ihm und mir. Ueberall fühle ich den Schatten des Geschiedenen an meiner Seite, wenn ich am Abend neben Wohlfart sitze, wenn er mich grüßt und zu mir spricht. Immer sagt sein Ton und seine Haltung: Sie ist nicht allein, er ist bei ihr.« Sie zuckte zusammen und fuhr mit der Hand leise über das luftige Laub, um den Gedanken wegzuwischen, der sie quälte. Sie konnte ihm nicht sagen, daß sie jetzt frei war von dem lange verhohlenen Leid. Aber heut, wo er einen Freund verloren hatte, [S. 539] der ihm so lieb war, mußte sie ihm zeigen, daß er noch andere Herzen besaß, die an ihm hingen. Und wieder ging sie sinnend auf und ab und suchte einen Weg, ihn allein zu sprechen.

Der Diener rief zur Tafel. Anton kam mit den andern Herren und setzte sich sogleich an seinen Platz. Es war keine Gelegenheit, vor Tische mit ihm zu reden. Aber er sah sie mit einem Blick voll Trauer an, daß sie sich nicht enthalten konnte, ihm herzlich zuzunicken. »Er ißt heut nichts,« flüsterte ihr die Tante zu, »auch keinen Braten,« wiederholte sie vorwurfsvoll. Sabine wurde sehr unruhig und besorgt. Jetzt mußten die Herren die Stühle rücken, dann ging er mit ihnen aus dem Saal, und sie sah ihn den ganzen Tag nicht wieder. Schon erhob sich Herr Jordan, da rief sie zu Anton herüber: »Die große Calla ist aufgeblüht, Sie haben sich neulich über die Knospe gefreut, verweilen Sie noch einen Augenblick, ich möchte sie Ihnen zeigen.« Anton verneigte sich und blieb. Noch einige peinliche Minuten, da stand auch der Bruder auf, sie eilte zu Anton und führte ihn in ihr Zimmer vor den Blumentisch.

»Sie haben heut eine schmerzliche Nachricht erhalten,« begann sie leise.

»Die Botschaft selbst hat mich nicht überrascht,« erwiderte Anton bewegt, »der Arzt gab mir keine Hoffnung. Aber ich verliere viel mit ihm.«

»Ich habe ihn nie gesehen,« sagte Sabine, »nur aus Ihrem Munde weiß ich, daß sein Leben einsam war, arm an Freuden und Liebe.«

Sie rückte Anton einen Sessel hin und ließ ihn von dem Freunde erzählen. Mit warmem Antheil lauschte sie auf jedes Wort, liebevoll wußte sie zu fragen und zu trösten. Für Anton war es ein Bedürfniß, von dem Freunde zu sprechen, und beredt schilderte er ihr sein stilles Treiben, seine Gelehrsamkeit und sein enthusiastisches Gefühl. Da nach einer Pause sah ihm Sabine herzlich in die Augen und frug: »Haben Sie Nachricht von Herrn von Fink?«

[S. 540]

Es war das erste Mal, daß sie gegen Anton den Namen über die Lippen brachte. Er fühlte das Rührende des Vertrauens, daß sie gerade in dieser Stunde nach dem Geliebten ihrer Seele frug. In seiner Bewegung faßte er ihre Hand, die vor ihm auf dem Tische lag. Langsam zog sie die Hand zurück und schlug die Augen nieder. Nur einen Augenblick, dann sah sie ihm wieder freundlich in's Gesicht.

»Er fühlt sich in dem neuen Leben nicht glücklich,« sagte Anton ernst. »In seinem letzten Brief war eine grimmige Laune, und ich schließe daraus noch mehr, als aus seinen Worten, daß dort Vieles nicht so ist, wie er es erwartet hat. Die Geschäfte, in welche er durch den Tod seines Onkels hineingeworfen wurde, gefallen ihm nicht.«

»Sie sind unwürdig,« rief Sabine schnell.

»Wenigstens nicht, was in diesem Hause ehrenhaft heißt,« erwiederte Anton. »Fink denkt zu groß und hat zu lange in der Nähe Ihres Bruders gelebt, als daß ihn die wüsten Speculationen erfreuen könnten, welche dort drüben nur zu gewöhnlich sind. Seine Geschäftsfreunde sind zum großen Theil gewissenlose Menschen, und seine Seele empört sich gegen ihre Genossenschaft.«

»Und kann Herr von Fink ein solches Verhältniß auch nur einen Tag ertragen?« frug Sabine.

»Es ist ein merkwürdiges Schicksal,« antwortete Anton, »daß er, der seinen eigenen Willen gegen Andere so souverain geltend macht, gerade er, der so wenig geneigt ist, äußerm Zwang zu gehorchen, doch in seiner gegenwärtigen Thätigkeit überall mit gebundenen Händen arbeitet. Der ganze Mechanismus dieser Speculationen ist in Amerika so fest organisirt, daß ein einzelner Theilhaber wenig daran ändern kann. Und so ist die Lage Finks jetzt, wo er seine Wünsche erreicht hat, große Capitalien, Disposition über viele Quadratmeilen Landes, zweifelhafter als je in seinem Leben. Er war immer in Gefahr, gering von andern Menschen zu denken, jetzt ängstigt mich die herbe Verachtung, mit welcher er von seinem eigenen [S. 541] Leben spricht. Sein letzter Brief schilderte eine unerträgliche Lage und ließ irgend einen gewaltsamen Entschluß ahnen.«

»Es giebt für ihn nur einen Entschluß,« rief Sabine. »Darf ich fragen, was Sie ihm geantwortet haben?«

»Ich habe von ihm gefordert, sich auf der Stelle unter jeder Bedingung von diesen Geschäften zu lösen. Seinem ernsten Willen wird ein Weg dazu sich bieten, auch wenn der Ausweg, den ich ihm vorschlug, unmöglich sein sollte. Und ich habe ihn gebeten, entweder seinen alten Plan auszuführen und ein wirklicher Gutsbesitzer in Amerika zu werden, oder zu uns zurückzukehren.«

»Ich wußte, daß Sie so schreiben würden,« sagte Sabine tief aufathmend. »Ja, er soll zurückkehren, Wohlfart,« wiederholte sie leiser, »aber nicht zu uns soll er kommen.« — Anton schwieg.

»Und glauben Sie, daß Herr von Fink Ihrem Rath folgen wird?«

»Ich weiß es nicht,« erwiederte Anton langsam, »mein Rath war wenig amerikanisch.«

»Aber er war, wie Sie ihn geben mußten,« sagte Sabine mit freudigem Stolz.

»Ein Offizier wünscht Herrn Wohlfart zu sprechen,« unterbrach sie der eintretende Diener. — Anton sprang auf. Sabine trat zu ihren Blumen und beugte sich traurig über die grünen Blätter. Noch schwebte der Schatten des Andern zwischen ihr und ihm.

Die hastigen Worte des Meldenden erfüllten Anton mit einer unbestimmten Angst, er eilte in das Vorzimmer. Dort stand Eugen von Rothsattel. Anton wollte ihm mit warmem Gruß entgegeneilen, da sah er das verstörte Gesicht und trat erschrocken zurück. Eugen aber flüsterte ängstlich wie mit bösem Gewissen: »Meine Mutter wünscht Sie zu sprechen, es ist etwas Schreckliches bei uns vorgefallen.« Anton griff nach seinem Hut und sprang nach dem Comtoir, wo er schnell Baumann bat, ihn beim Prinzipal zu entschuldigen; dann begleitete [S. 542] er den Lieutnant nach der Wohnung des Freiherrn. Vernichtet ging Eugen an Antons Seite, er hatte alle Fassung verloren. Unzusammenhängend und für Anton nicht ganz verständlich war, was er sagte: »Mein Vater hat sich gestern Abend aus Versehen durch einen Schuß verwundet, — ein reitender Bote hat mich aus der Garnison nach der Hauptstadt gerufen — als ich ankam, fand ich die Mutter in Ohnmacht. Wohl eine Stunde hat sie darin gelegen. Ich und die Schwester wissen uns keinen Rath. Lenore hat die Mutter auf den Knieen gebeten, zu Ihnen zu schicken. Sie sind der einzige Mensch, zu dem wir in unserer Noth Vertrauen haben. Ich verstehe nichts von Geschäften, aber es muß mit dem Vater sehr schlecht stehen. Die Mutter ist ganz außer sich. Alles im Hause ist in der größten Unordnung.«

Aus dem, was er sagte und was er zu verschweigen suchte, aus seinen abgerissenen Reden und seinem angstvollen Blick ahnte Anton Einiges von den Schrecken des letzten Abends. In dem Wohnzimmer der Baronin traf er Lenore; verweint, erschöpft wankte sie ihm entgegen. »Lieber Wohlfart,« rief sie, seine Hand fassend; von Neuem begann sie zu schluchzen, und kraftlos sank ihr Haupt an seine Schulter. Unterdeß ging Eugen mit gerungenen Händen in der Stube auf und ab, setzte sich endlich in eine Sophaecke und weinte still vor sich hin.

»Es ist gräßlich, Herr Wohlfart,« klagte Lenore sich aufrichtend. »Niemand darf zum Vater, nicht Eugen, nicht ich, die Mutter allein und der alte Johann sind um ihn. Und heut früh war der Kaufmann Ehrenthal hier, er wollte durchaus mit dem Vater sprechen, er schrie laut gegen die Mama, er schalt den Vater einen Betrüger, so daß die Mutter zu Boden sank. Als ich in das Zimmer stürzte, ging der schreckliche Mensch fort und drohte noch mit der Faust nach uns.«

Anton führte Lenore in einen Sessel und wartete, bis sie sich erholt hatte. Hier zu trösten war unmöglich, ihn selbst erschütterte der Jammer im tiefsten Herzen. »Ruf' die Mutter, Eugen,« sagte Lenore endlich. Der Bruder eilte hinaus. »Verlassen [S. 543] Sie uns nicht,« bat Lenore mit gerungenen Händen. »Es ist zum Aeußersten mit uns gekommen, auch Ihre Hülfe vermochte nicht, das Unglück abzuwenden.«

»Er ist todt, der es vielleicht gekonnt hätte,« erwiederte Anton traurig. »Ob ich Ihnen nützen kann, weiß ich nicht; daß ich den guten Willen habe, daran werden Sie nicht zweifeln.«

»Nein,« rief Lenore, »auch Eugen dachte sogleich an Sie.«

Die Baronin trat herein. Sie ging mühsam auf Anton zu und stützte sich mit der Hand an einen Stuhl, aber sie begrüßte ihn mit Haltung. »Wir sind in eine Lage gekommen, in der uns ein Freund nöthig ist, welcher mit Geschäften mehr Bescheid weiß, als wir Drei. Ein unglücklicher Zufall verhindert den Freiherrn, wahrscheinlich für längere Zeit sich um seine Angelegenheiten zu kümmern, und so wenig ich davon verstehe, so sehe ich doch, daß schnelle Thätigkeit in unserm Interesse nothwendig wird. Meine Kinder haben mir Ihren Namen genannt, ich muthe Ihnen viel zu, wenn ich Sie bitte, unsern Wünschen Ihre Zeit zu opfern.« Sie setzte sich, winkte Anton, Platz zu nehmen, und sagte zu den Kindern: »Verlaßt uns, ich werde Herrn Wohlfart das Wenige, das ich weiß, leichter sagen, wenn ich Euren Schmerz nicht sehe.«

Als sie allein waren, winkte sie Anton näher an sich heran und versuchte zu sprechen, aber ihre Lippe zuckte, und sie verbarg ihr Gesicht hinter dem Taschentuch.

Anton sah gerührt auf den Kampf, den ihr die Mittheilung kostete: »Bevor ich zugeben kann, daß Sie, gnädige Frau, mir ein so ehrenvolles Vertrauen schenken, muß ich Sie in Ihrem Interesse fragen: hat nicht Ihr Herr Gemahl einen Verwandten oder nahen Freund, dem Sie eine discrete Mittheilung leichter machen würden? Ich bitte Sie, daran zu denken, daß meine eigene Geschäftserfahrung nicht groß, und meine Stellung nicht von der Art ist, daß ich für einen geeigneten Rathgeber des Herrn Barons gelten könnte.«

»Ich weiß Niemanden,« sagte die Baronin trostlos und [S. 544] starrte vor sich hin. »Es wird mir leichter, Ihnen zu sagen, was ich nicht verschweigen darf, als einem von den Bekannten unsers Hauses. Betrachten Sie sich als einen Arzt, der zu Kranken gerufen wird. — Der Freiherr hat mir heute früh einige Mitteilungen über seine Vermögensverhältnisse gemacht.«

Und jetzt erzählte sie ihm, was sie von den Verwickelungen ihres Gemahls verstanden hatte, von der Gefahr, in welcher das Familiengut schwebte, von dem Capital, dessen er bedurfte, um die polnische Herrschaft zu übernehmen. Es war unvollständig, was sie zu sagen wußte, aber es reichte hin, Anton mit banger Sorge um die Zukunft der Familie zu erfüllen.

»Mein Mann hat mir den Schlüssel zu seinem Secretair übergeben; er wünscht, daß Eugen mit einem Sachverständigen unsere Angelegenheiten ruhiger, als der Freiherr selbst, berathe. An Sie habe ich die Bitte, daß Sie mit meinem Sohn diese Prüfung vornehmen. Wo Sie Auskunft brauchen, werde ich Ihnen diese von dem Freiherrn zu verschaffen suchen. Es frägt sich nun, ob Sie geneigt sind, für uns, die wir Ihnen doch Fremde sind, diese Mühe zu übernehmen.«

»Gern bin ich dazu bereit,« erwiederte Anton ernst, »und ich hoffe durch die Güte meines Chefs die dazu nöthige Zeit zu erhalten; wenn Sie es nicht für zweckmäßiger finden, dem erfahrenen Anwalt Ihres Gemahls diese Thätigkeit zu überweisen.«

»Es wird ja wohl später Gelegenheit sein, diesen Herrn um seinen Rath zu fragen,« sagte die Baronin abwehrend.

Anton erhob sich. »Wann befehlen Sie, daß wir anfangen?«

»Sogleich,« erwiederte die Dame, »ich fürchte, es ist kein Tag zu verlieren. Ich werde mir Mühe geben, Ihnen bei Durchsicht der Papiere zu helfen.« Sie führte Anton in das Nebenzimmer, rief Eugen herzu und steckte den Schlüssel in das Bureau des Freiherrn. Als sich der Schrank öffnete, verlor auch sie auf einen Augenblick die Selbstbeherrschung, und ihrem Mund entglitten die Worte: »Die Hinterlassenschaft eines [S. 545] Todten!« Sie wankte an das Fenster, und die zitternde Bewegung der Gardine verrieth den Kampf, in dem ihr Körper erbebte.

Die traurige Arbeit begann, Stunde auf Stunde verlief, Eugen war nicht im Stande, die Durchsicht zu ertragen, aber die Mutter reichte Anton die Briefe und Documente zu, welche sie für nützlich hielt, und so oft sie auch ihre Thätigkeit unterbrechen mußte, sie hielt aus. Anton ordnete das Vorhandene und suchte bei flüchtiger Durchsicht einzelner Schreiben wenigstens zu einem oberflächlichen Verständniß zu kommen.

Es war Abend geworden, da öffnete der alte Diener erschrocken die Thür und rief in das Zimmer: »Er ist wieder da.« Die Baronin stieß einen leisen Schrei aus und machte mit der Hand eine abweisende Bewegung.

»Ich habe ihm gesagt, daß Niemand zu Hause ist, er aber läßt sich nicht fortschicken, er lärmt auf der Treppe, ich kann nicht mit ihm fertig werden.«

»Es ist mein Tod, wenn ich ihn wieder höre,« murmelte die Baronin.

»Wenn der Mann Ehrenthal ist,« sagte Anton aufstehend, »so will ich versuchen, ihn fortzuschaffen. Das Nöthigste ist hier geschehen; haben Sie die Güte, die Papiere zu bewahren und mir zu erlauben, daß ich morgen wieder komme.« Die Baronin winkte stumm eine Bejahung und sank in den Stuhl zurück. Anton ergriff seinen Hut und eilte in das Vorzimmer, wo er schon von weitem die lärmende Stimme Ehrenthals vernahm.

Er erschrak über das Aussehen des Händlers. Den Hut weit nach dem Nacken zurückgesetzt, das bleiche Gesicht wie vom Trunk aufgedunsen, die gläsernen Augen geröthet, stand Ehrenthal vor ihm und rief in abgebrochenen Sätzen nach dem Freiherrn, klagte und fluchte. »Er soll kommen,« schrie er, »auf der Stelle soll er kommen, der schlechte Mann. Ein Edelmann will er sein, ein Lump ist er, gegen den ich werde holen die Polizei. Wo ist mein Geld, wo ist meine Hypothek? [S. 546] Ich will wieder haben meine Sicherheit von diesem Mann, welcher nicht ist zu Hause.«

Anton trat dicht an ihn heran und sagte mit fester Stimme: »Kennen Sie mich, Herr Ehrenthal?« Ehrenthal richtete seine verglasten Augen auf ihn, allmählig erkannte er den Freund des verstorbenen Sohnes.

»Er hat Sie lieb gehabt,« rief er kläglich, »er hat mit Ihnen gesprochen mehr als mit seinem Vater. Sie sind gewesen sein einziger Freund, den er gehabt hat auf Erden. — Haben Sie gehört, was geschehen ist im Hause bei Ehrenthal?« fuhr er flüsternd fort. — »Als sie gestohlen haben die Papiere, ist er gestorben. Er ist gestorben mit einer solchen Hand.« Er ballte die Faust und schlug sich vor die Stirn. »O mein Sohn, mein Sohn, was hast du nicht verziehen deinem Vater!«

»Wir gehen zu Ihrem Sohn,« sprach Anton und ergriff den Arm des Händlers. Ehrenthal leistete keinen Widerstand und ließ sich von ihm die Treppe hinunter nach seinem Hause führen.

Von da eilte Anton zur Wohnung des Justizrath Horn und hatte mit diesem eine lange Unterredung.

Leidenschaftlich bewegt kam er am späten Abend nach Hause. In der Sorge um die Menschen, deren sicheres Glück ihm seit Jahren die Phantasie erfüllt hatte, erbebte sein Herz, das Vertrauen, mit dem sie ihn in ihr Unglück eingeweiht hatten, erfüllte ihn mit Stolz. Er brannte vor Begierde, ihnen zu helfen; er hoffte, daß dem treuen Diensteifer gelingen werde, die Wege zur Rettung zu finden. Noch sah er sie nicht. Als er im Mondenschein das große Haus der Handlung vor sich erblickte, die Fenster des untern Stocks vergittert, Gewölbe und Keller mit eisernen Thüren verschlossen, so sicher und fest im Schlummer der Nacht, da wurde ihm klar: wenn ein Mann helfen konnte, so war es sein Prinzipal. Sein Scharfblick wußte in alle dunklen Geheimnisse, denen der Freiherr verfallen war, einzudringen, seiner eisernen Kraft mußten die [S. 547] Schurken erliegen, welche den Gutsbesitzer festhielten. Ja und er hatte ein großes Herz, er fand das Rechte mühelos, ohne Kampf. Anton sah zu dem ersten Stock auf. Die ganze Hausfront war finster, nur in der Eckstube brannte noch ein Licht. Dort war das Arbeitszimmer seines Chefs.

Mit schnellem Entschluß suchte Anton den Bedienten auf und ließ sich zu Herrn Schröter führen. Verwundert sah dieser auf den eintretenden Anton. »Was bringen Sie, Wohlfart? Ist etwas vorgefallen?«

»Ich bitte um Ihren Rath, ich bitte um Ihre Hülfe,« rief Anton.

»Für sich oder für Andere?«

»Für eine Familie, mit welcher ich durch Zufall in Verbindung gekommen bin. Sie geht unter, wenn nicht eine starke Freundeshand das Unheil abwehrt.« Darauf berichtete Anton in fliegender Eile, was er an diesem Nachmittag erlebt hatte, faßte in seiner Bewegung die Hand des Kaufmanns und rief: »Was ich gesehen habe, war schrecklich für mich. Haben Sie Erbarmen mit den unglücklichen Frauen und helfen Sie.«

»Helfen?« frug der Kaufmann ernst — »Wie kann ich das? Haben Sie einen Auftrag, mich dazu in Anspruch zu nehmen; oder ist es nur Ihre warme Empfindung, welche diese Forderung an mich richtet?«

»Ich habe keinen Auftrag,« sagte Anton, »nur der Antheil, den ich an dem Schicksal des Freiherrn nehme, treibt mich zu Ihnen.«

»Und welches Recht haben Sie, mir diese Mittheilung zu machen, die Ihnen selbst doch nur im engen Vertrauen von der Frau des Gutsbesitzers gemacht sein kann?« frug der Kaufmann zurückhaltend.

»Ich begehe keine Indiscretion, wenn ich Ihnen sage, was in wenig Tagen auch für Fremde kein Geheimniß sein wird.«

»Sie sind jetzt in einer ungewöhnlichen Aufregung, sonst würden Sie nicht vergessen, daß unter allen Umständen der Kaufmann, der erste Correspondent meines Comtoirs, solche [S. 548] Mittheilungen nur mit besonderer Erlaubniß der Betheiligten wagt. Es versteht sich von selbst, daß ich keinen Mißbrauch von dem machen werde, was Sie mir gesagt haben, aber es war doch wenig geschäftsmäßig, Wohlfart, daß Sie so offen gegen mich waren.«

Anton schwieg betroffen. Er erkannte, daß sein Prinzipal Recht hatte, aber es schien ihm hart, daß dieser in solcher Stunde den Vertrauenden tadelte. Auch der Kaufmann ging schweigend im Zimmer auf und ab; endlich blieb er vor Anton stehen. »Ich frage Sie jetzt nicht, wie Sie dazu kommen, so warmen Antheil an dem Schicksal dieser Familie zu nehmen; ich fürchte, es ist eine Bekanntschaft, die Sie Fink verdanken.«

»Sie sollen Alles erfahren,« warf Anton ein.

»Noch nicht,« erwiederte der Prinzipal abwehrend. »Jetzt will ich Ihnen nur wiederholen, daß für mich keine Möglichkeit vorhanden ist, ohne directe Aufforderung der Betheiligten in fremde Angelegenheiten einzugreifen. Ich füge hinzu, daß ich diese Aufforderung nicht wünsche. Ich verberge Ihnen nicht, daß ich wahrscheinlich auch dann ablehnen würde, etwas für den Freiherrn von Rothsattel zu thun.«

Antons Gefühl wallte auf. »Es gilt, einen ehrlichen Mann, liebenswürdige Frauen aus den Händen von Gaunern zu retten, welche sie umgarnt haben. Dies scheint mir Pflicht eines jeden Mannes, und vollends ich halte es für eine theure Verpflichtung, der ich mich nicht entziehen darf. Ohne Ihre Unterstützung aber vermag ich nichts.«

»Wie also denken Sie, daß dem verschuldeten Gutsbesitzer geholfen werden kann?« frug der Kaufmann sich niedersetzend.

Mit etwas mehr Ruhe erwiederte Anton: »Zunächst nur dadurch, daß ein erfahrener Geschäftsmann wie Sie die Verwickelungen zu durchschauen sucht. Es muß einen Punkt geben, wo die Schurken zu fassen sind. Ihr Rath, Ihre Einsicht würden ihn finden.«

»Beides besitzt jeder Rechtsanwalt in höherem Grade als ich,« entgegnete der Kaufmann; »ohne Schwierigkeit wird der [S. 549] Baron gescheidte und ehrliche Juristen gewinnen. Wenn die Gegner des Freiherrn dem Gesetz irgend eine Blöße gegeben haben, so wird das Spürauge eines Sachwalters diese am ersten entdecken.«

»Leider giebt der Anwalt des Freiherrn wenig Hoffnung,« erwiderte Anton.

»Dann, lieber Wohlfart, wird auch für Andere schwerlich etwas zu machen sein. Zeigen Sie mir einen Mann, der in Verlegenheit ist und Kraft hat, sich an einer dargebotenen Hand aufzuhelfen, und sagen Sie mir: Hilf ihm! so werde ich, weil ich Ihr Freund und Ihnen zu großem Dank verpflichtet bin, meine Hand dem Gefährdeten nicht verweigern. Ich denke, Sie sind davon überzeugt.«

»Ich bin es,« versetzte Anton kleinlaut.

»So aber steht es nach Allem, was ich höre, mit dem Freiherrn nicht. Soweit ich aus Ihren Worten und dem, was man in der Stadt über ihn erzählt, seine Verhältnisse verstehe, konnte er nur deshalb in die Hände der Wucherer fallen, weil ihm das fehlte, was dem Leben jedes Menschen erst Werth giebt, ein besonnenes Urtheil und eine stetige Arbeitskraft.«

Anton mußte dies mit einem Seufzer zugeben.

»Einem solchen Mann zu helfen,« fuhr der Kaufmann unerbittlich fort, »ist eine mißliche Aufgabe, bei welcher der Verstand wohl das Recht hat, zu widersprechen. Man soll von keinem Menschen die Hoffnung aufgeben, daß er sich ändern kann, aber gerade der Mangel an Kraft wird am allerschwersten gebessert. Unsere Fähigkeit, für Andere zu arbeiten, ist beschränkt, und bevor man einem Schwächling seine Zeit opfert, soll man fragen, ob man sich dadurch nicht selbst der Fähigkeit beraubt, einem bessern Mann zu helfen.«

Anton rief unruhig: »Verdient er nicht einige Rücksicht? Er ist in Ansprüchen an das Leben erzogen, er hat nicht wie wir gelernt, durch eigene Anstrengung sich heraufzuarbeiten.«

Der Kaufmann legte die Hand auf die Schulter des jungen [S. 550] Mannes. »Grade darum. Glauben Sie mir, einem großen Theil dieser Herren, welche an ihren alten Familienerinnerungen leiden, ist nicht zu helfen. Ich bin der Letzte, zu verkennen, wie groß die Anzahl tüchtiger Männer auch in dieser Menschenklasse ist. Und wo ein bedeutendes Talent oder eine edle Persönlichkeit unter ihnen aufschießt, mag sie sich grade in ihrer geschützten Stellung vortrefflich entfalten; aber für den großen Mittelschlag der Menschen ist diese Lage nicht günstig. Wer von Haus aus den Anspruch an das Leben macht, zu genießen und seiner Vorfahren wegen eine bevorzugte Stellung einzunehmen, der wird sehr häufig nicht die volle Kraft behalten, sich eine solche Stellung zu verdienen. Sehr viele unserer alten angesessenen Familien sind dem Untergange verfallen, und es wird kein Unglück für den Staat sein, wenn sie untergehen. Ihre Familienerinnerungen machen sie hochmüthig ohne Berechtigung, beschränken ihren Gesichtskreis, verwirren ihr Urtheil.«

»Und wenn das Alles wahr ist,« rief Anton, »so darf es uns doch nicht abhalten, dem Einzelnen als unserm Mitbruder zu helfen, wo unser Mitgefühl angeregt wird.«

»Nein,« sagte der Prinzipal, »wo es angeregt wird. Aber es glüht im Alter nicht mehr so schnell auf, als in der Jugend. — Der Freiherr soll dahin gearbeitet haben, sein Eigenthum aus der großen Fluth der Capitalien und Menschenkraft dadurch zu isoliren, daß er es auf ewige Zeit seiner Familie verschrieb! Auf ewige Zeit! Sie als Kaufmann wissen, was von solchem Streben zu halten ist. Wohl muß jeder vernünftige Mann wünschen, daß der adelige Schacher mit Grundbesitz in unserm Lande aufhört, Jedermann wird es für vortheilhaft halten, wenn die Cultur desselben Bodens vom Vater auf den Sohn übergeht, weil so die Kräfte des Ackers am ersten liebevoll und planmäßig gesteigert werden. Wir schätzen ein Möbel, was unsere Vorfahren benutzt haben, und Sabine wird Ihnen mit Stolz jeden Raum dieses Hauses aufschließen, zu dem schon ihre Urgroßmutter die Schlüssel getragen hat. [S. 551] So ist es auch natürlich, wenn im Gemüth des Landwirths der Wunsch entsteht, das Stück Natur, welches ihn umgiebt, die Quelle seiner Kraft und seines Wohlstandes, den Menschen zu erhalten, welche ihm die liebsten sind. Aber dafür giebt es nur ein Mittel, und dies Mittel heißt, sein Leben tüchtig machen zur Behauptung und zur Vermehrung des Erbes. Wo die Kraft aufhört in der Familie oder im Einzelnen, da soll auch das Vermögen aufhören, das Geld soll frei dahin rollen in andere Hände, und die Pflugschar soll übergehen in eine andere Hand, welche sie besser zu führen weiß. Und die Familie, welche im Genusse erschlafft, soll wieder heruntersinken auf den Grund des Volkslebens, um frisch aufsteigender Kraft Raum zu machen. Jeden, der auf Kosten der freien Bewegung Anderer für sich und seine Nachkommen ein ewiges Privilegium sucht, betrachte ich als einen Gegner der gesunden Entwickelung unseres Staats. Und wenn ein solcher Mann in diesem Bestreben sich zu Grunde richtet, so werde ich ihm ohne Schadenfreude zusehen, aber ich werde sagen, daß ihm sein Recht geschehen, weil er gegen einen großen Grundsatz unsers Lebens gesündigt hat. Und für ein doppeltes Unrecht werde ich eine Unterstützung dieses Mannes halten, so lange ich befürchten muß, daß meine Hülfe dazu verwandt wird, eine ungesunde Familienpolitik zu unterstützen.«

Anton sah traurig vor sich nieder; er hatte Theilnahme, ein warmes Eingehen in seine Wünsche erwartet, und fand bei dem Mann, der ihm so viel galt, eine Kälte, die er zu überwinden verzweifelte. »Ich kann Ihnen nicht widersprechen,« sagte er endlich, »aber ich kann in diesem Falle nicht so denken wie Sie. Ich habe den ungeheuern Schmerz in der Familie des Freiherrn mit angesehen, und meine ganze Seele ist voll von Wehmuth und Theilnahme und von dem Wunsch, irgend etwas für die Menschen zu thun, welche mir ihr Herz geöffnet haben. Nach dem, was Sie mir gesagt haben, wage ich nicht mehr, Sie selbst zu bitten, daß Sie sich um diese Angelegenheit kümmern. Aber ich habe der Baronin versprochen, [S. 552] ihr, soweit ich mit meiner geringen Kraft vermag und soweit Ihre Güte mir dies erlaubt, beim Ordnen ihrer Verhältnisse behülflich zu sein. Ich ersuche Sie um die Erlaubniß dazu. Ich werde mich bemühen, meine Comtoirstunden regelmäßig einzuhalten, aber wenn ich in den nächsten Wochen zuweilen eine Stunde versäume, so bitte ich Sie, mir dies nachzusehen.«

Wieder ging der Kaufmann schweigend im Zimmer auf und ab, endlich blieb er vor Anton stehen, sah ihm mit tiefem Ernst in das aufgeregte Gesicht, und es war etwas wie Trauer in seinen Zügen, als er mit Ueberwindung erwiederte: »Denken Sie auch daran, Wohlfart, daß jede Thätigkeit, bei welcher das Gemüth aufgeregt wird, leicht eine Macht über den Menschen gewinnt, die sein Leben ebensowohl stören als fördern kann. Dieser Grund ist es, welcher mir die Gewährung Ihres Wunsches nicht leicht macht.«

»Auch ich habe vor Wochen dasselbe wie eine Ahnung gefühlt,« sagte Anton leise. »Jetzt kann ich nicht anders.«

»Wohl, so thun Sie, was Sie müssen,« schloß der Kaufmann finster, »ich werde Ihnen keine Hindernisse in den Weg legen. Und ich wünsche, daß Sie nach einigen Wochen die ganze Angelegenheit ruhiger betrachten mögen!« Anton verließ mit mehr Haltung das Zimmer. Der Kaufmann sah lange mit gefurchter Stirn auf die Stelle, an welcher sein Commis gestanden hatte.

In seinem Innern aber war Anton nicht ruhiger geworden. Die kühle, ja mißfällige Aufnahme seiner Bitte verletzte ihn tief. »So herb, so unerbittlich,« rief er aus, als er sich ermüdet in seinem Zimmer niedersetzte. Aus einem Winkel seiner Seele stieg ihm der Verdacht auf, daß sein Chef doch mehr Egoismus und weniger Gemüth habe, als er ihm zugetraut. Manche Aeußerung Finks fiel ihm wieder ein, jener Abend fiel ihm ein, wo der junge Rothsattel in knabenhaftem Uebermuth gegen den Kaufmann seinen Kamm gesträubt hatte. »Ist es möglich, daß diese Unart von ihm unvergessen ist?« frug er sich zweifelnd. Und hinter den hellen [S. 553] Gestalten der Edelfrauen verblich das scharf gefurchte Gesicht seines Chefs. »Ich thue nicht unrecht,« rief er sich selbst zu; »was er sagen mag, ich habe Recht auch gegen ihn. Und mein Loos wird sein, von heute ab für mich allein den Weg zu suchen, auf dem ich gehen muß.« So saß er lange im Finstern, und düster wie der Raum waren seine Gedanken. Er trat an das Fenster und blickte in den dunkeln Hof hinunter. Da schimmerte in dem matten Schein, der aus den Wolken in sein Zimmer fiel, ein riesiger weißer Kelch neben ihm geisterhaft in der Luft. Erstaunt faßte er darnach. Er machte Licht und sah die prächtige Blüthe der Calla von Sabinens Blumentisch. Sabine hatte ihm die Blume heimlich hereingestellt, jetzt hing sie traurig an dem geknickten Stengel herab. Wie ein trauriges Vorzeichen erschien ihm der kleine Unfall. Er löste die Blüthe, legte sie vor sich auf den Tisch, und lange saß er schweigend und starrte auf das zusammengerollte Blüthenblatt.

Sabine trat, die Kerze in der Hand, in das Zimmer des Bruders. »Gute Nacht, Traugott,« nickte sie ihm zu — »Wohlfart war den Abend bei dir, so spät hat er dich verlassen.«

»Er wird uns verlassen,« erwiederte der Kaufmann finster. Sabine erschrak, der Leuchter klirrte auf den Tisch. »Um Gottes willen, was ist geschehen? Hat Wohlfart gesagt, daß er von uns will?«

»Noch weiß ich es selbst nicht; ich aber sehe es kommen Schritt vor Schritt. Und nicht ich und noch weniger du können etwas thun, um ihn zurückzuhalten. Als er hier vor mir stand und mit glühenden Wangen und bebender Stimme Hülfe für einen ruinirten Mann erbat, erkannte ich, was ihn forttreibt.«

»Ich verstehe dich nicht,« sagte Sabine und sah den Bruder groß an.

»Er hat Lust, der Vertraute eines heruntergekommenen Gutsbesitzers zu werden. Ein Paar Mädchenaugen ziehen [S. 554] ihn von uns ab, es erscheint ihm ein würdiges Ziel seines Ehrgeizes, Geschäftsführer der Rothsattel zu werden. Er heißt im Comtoir Finks Erbe. Diese Verbindung mit dem adeligen Gutsbesitzer ist die Erbschaft, die ihm Fink hinterlassen hat.«

»Und du hast ihm deine Hülfe verweigert?« frug Sabine leise.

»Die Todten sollen ihre Todten begraben,« sagte der Kaufmann rauh und wandte sich ab zu seinem Schreibtisch. Schweigend entfernte sich Sabine. Der Leuchter zitterte in ihrer Hand, als sie durch die lange Zimmerreihe schritt. Aengstlich horchte sie auf ihren eigenen Fußtritt, und ein Schauer überlief sie, ihr war, als glitte eine fremde Gestalt unsichtbar an ihrer Seite hin. Das war die Rache des Andern. Der Schatten, welcher aus der Vergangenheit auf ihr schuldloses Leben fiel, er scheuchte jetzt auch den Freund aus ihrem Kreise. An einer Andern hing Antons sehnendes Herz, sie selbst war ihm eine Fremde geblieben, die einen Entfernten geliebt und verschmäht hatte und jetzt im Wittwenschleier auf das verglühende Gefühl ihrer Jugend zurücksah.


Die nächsten Wochen vergingen Anton in einer aufreibenden Thätigkeit. Er war peinlich bemüht, in den Comtoirstunden seine Pflicht zu thun. Die Abende, jede Freistunde brachte er an dem Actentisch oder in Conferenzen mit dem Rechtsanwalt und mit der Baronin zu. Unterdeß nahm das Unglück des Freiherrn seinen Verlauf. Er hatte die Zinsen der Capitalien, welche auf seinem Familiengut lasteten, am letzten Termin nicht gezahlt, eine ganze Reihe von Hypotheken wurden ihm an einem Tage gekündigt, das Familiengut kam unter die Verwaltung der Landschaft. Verwickelte Processe erhoben sich. Ehrenthal klagte und forderte die erste Hypothek von zwanzigtausend Thalern, und forderte die neue Ausfertigung; er war aber auch geneigt, Ansprüche an die letzte Hypothek zu machen, welche ihm der Freiherr in der unheilvollen [S. 555] Stunde angeboten hatte. Löbel Pinkus forderte ebenfalls die erste Hypothek für sich und behauptete, die volle Summe von zwanzigtausend Thalern gezahlt zu haben. Ehrenthal hatte keine Beweise und führte seinen Proceß unordentlich, er war jetzt wochenlang außer Stande, sich um seine Geschäfte zu kümmern, Pinkus dagegen focht mit allen Ränken, die ein hartgesottener Sünder ausfindig machen konnte, und der Vertrag, welchen der Freiherr mit ihm abgeschlossen hatte, war ein so vortreffliches Meisterstück des schlauen Advocaten, daß der Anwalt des Freiherrn gleich am Anfange des Prozesses wenig Hoffnung gab. Nebenbei bemerkt, Pinkus gewann den Proceß, die Hypothek wurde ihm zugesprochen und neu für ihn ausgefertigt.

Anton hatte nach und nach Einsicht in die Verhältnisse des Freiherrn gewonnen. Nur den doppelten Verkauf der ersten Hypothek verbarg der Freiherr sorgfältig vor seiner Gemahlin. Er nannte die Ansprüche Ehrenthals unbegründet und äußerte den Verdacht, daß Ehrenthal selbst den Diebstahl in seinem Comtoir begangen habe. Das Letztere war in der That seine Meinung geworden. So wurde der Name Itzigs Anton gegenüber gar nicht genannt, und der Verdacht gegen Ehrenthal, den auch der Anwalt theilte, verhinderte Anton, bei diesem Aufklärung zu suchen.

Zwischen Anton und dem Kaufmann war eine Spannung eingetreten, welche das ganze Comtoir mit Erstaunen wahrnahm. Finster sah der Kaufmann auf Antons leeren Sitz, wenn dieser einmal in den Arbeitsstunden abwesend war, und gleichgültig auf das Gesicht seines Comtoiristen, welches in Gemüthsbewegungen und Nachtarbeit erblich. Wie einst für die Unregelmäßigkeit Finks, so hatte er auch jetzt für Antons neue Thätigkeit kein Wort, er schien sie nicht zu bemerken. Selbst der Schwester gegenüber beobachtete er ein hartnäckiges Stillschweigen, Sabinens Versuche, das Gespräch auf Wohlfart zu bringen, wies er mit kurzem Ernst ab. Antons Herz empörte sich gegen diese Kälte. Nach seiner Rückkehr behandelt [S. 556] wie ein Kind vom Hause, gerühmt, gepflegt, gehätschelt, und jetzt wieder gemißhandelt wie ein Lohnarbeiter, der das Brod nicht verdient, welches man ihm hinwirft. Ein Spielzeug unbegreiflicher Launen! Das wenigstens hatte er nicht verdient! So saß er verschlossen neben der Familie, wortkarg vor seinem Pult, aber des Abends, in der Einsamkeit seines Zimmers fuhr ihm oft der Gegensatz zwischen einst und jetzt so schneidend durch das Haupt, daß er heftig aufsprang und mit dem Fuß auf den Boden stampfte.

Nur ein Trost blieb ihm: Sabine zürnte ihm nicht. Er sah sie jetzt wenig. Auch sie war bei Tische schweigsam und vermied Anton anzureden, aber er wußte doch, daß sie ihm Recht gab. Wenige Tage nach jener Unterredung mit dem Kaufmann stand Anton allein an der großen Waage, während die Hausknechte vor der Thür um einen Frachtwagen beschäftigt waren. Da kam Sabine die Treppe herab, sie ging so nahe bei ihm vorüber, daß ihr Kleid ihn berührte. Anton trat zurück und machte eine förmliche Verbeugung. »Mir dürfen Sie nicht fremd werden, Wohlfart,« sagte sie leise und sah ihn bittend an. Es war nur ein Augenblick, ein kurzer Gruß, aber in dem Gesicht Beider glänzte eine frohe Rührung.

So kam die Zeit heran, in welcher Herr Jordan die Handlung verlassen sollte. Der Prinzipal rief Anton wieder in das kleine Comtoir. Ohne Härte, aber auch ohne eine Spur der Herzlichkeit, die er ihm sonst gezeigt hatte, begann er: »Ich habe Ihnen meine Absicht ausgesprochen, Sie an Jordans Stelle zu setzen, um Ihnen die Procura zu übergeben. Ihre Zeit war in den letzten Wochen durch andere Geschäfte mehr in Anspruch genommen, als für meinen Stellvertreter wünschenswerth ist, deßhalb frage ich Sie selbst, sind Sie im Stande, von jetzt ab die Thätigkeit Jordans zu übernehmen?«

»Nein,« erwiederte Anton.

»Können Sie mir eine — nicht zu entfernte — Zeit angeben, in welcher Sie frei von Ihren gegenwärtigen Arbeiten [S. 557] sein werden?« frug der Kaufmann. »Ich würde in diesem Fall für die nächste Zeit eine Auskunft zu treffen suchen.«

Anton erwiederte traurig: »Noch kann ich nicht bestimmen, wann ich wieder Herr meiner ganzen Zeit sein werde; ich fühle, daß ich durch manche Unregelmäßigkeit Ihre Nachsicht ohnedies sehr in Anspruch nehme. Deßhalb bitte ich Sie, Herr Schröter, bei Besetzung der Stelle auf mich keine Rücksicht zu nehmen.« Die Stirn des Kaufmanns zog sich in Falten, und stumm neigte er sein Haupt gegen Anton. Als Anton die Thür des Zimmers hinter sich schloß, fühlte er, daß dieser Augenblick den Bruch zwischen ihm und dem Prinzipal vollendet hatte. Er setzte sich auf seinen Platz und stützte den heißen Kopf mit der Hand. Gleich darauf wurde Baumann zum Prinzipal beschieden, er erhielt die Stelle Jordans. Als er in das vordere Comtoir zurückkehrte, trat er zu Anton und sagte leise: »Ich habe mich geweigert, die Stelle zu übernehmen, aber Herr Schröter bestand darauf. Ich begehe ein Unrecht gegen Sie.« — Und am Abend las Herr Baumann in seiner Stube aus dem ersten Buch Samuelis die Kapitel vom grimmigen König Saul, seinem Prinzipal, und von der Freundschaft zwischen Jonathan und dem verfolgten David, und stärkte dadurch sein Herz.


Den Tag darauf trat Anton in das Zimmer der Baronin. Lenore und die Mutter saßen an einem großen Tisch unter Toiletten und Kästchen von jeder Form; ein Koffer, stark mit Eisen beschlagen, stand zu den Füßen der Edelfrau. Die Vorhänge waren geschlossen, das gedämpfte Sonnenlicht füllte den reichgeschmückten Raum mit mattem Glanz; auf dem Teppich des Fußbodens lagen nimmer welkende Kränze, und lustig tickte die Uhr im Gehäuse von Alabaster. Unter blühender Myrthe saßen zwei Sympathievögel in einem versilberten Käfig, sie schrieen unaufhörlich einander zu, und wenn der eine zur nächsten Stange hinabflatterte, lockte der Genosse ihn ängstlich, bis [S. 558] er zurückflog. Dann saßen beide behaglich dicht an einander gedrückt. Von grünem und rothem Gold schimmerten die zärtlichen Kinder eines wärmeren Himmels, wo nie das weiche Leben im kalten Sturmwind erstarrt. So glänzte und duftete das Zimmer. — »Wie lange noch?« dachte Anton.

Die Baronin erhob sich: »Schon wieder bemühen wir Sie. Wir sind bei einer Arbeit, die uns Frauen viel zu thun macht.«

Auf dem Tische war Frauenschmuck, goldene Ketten, Brillanten, Ringe, Halsbänder in einem Haufen zusammengeschichtet. »Wir haben ausgesucht, was wir entbehren können,« sagte die Baronin, »und bitten Sie, den Verkauf dieser Sachen zu übernehmen. Man hat mir gesagt, daß Einzelnes davon nicht ohne Geldwerth ist, und da jetzt vor Allem Geld nöthig wird, so suchen wir hier eine Hülfe, welche die Sorge unserer Freunde verringert.«

Anton sah betroffen auf den blitzenden Knäuel. »Sprechen Sie, Wohlfart,« rief Lenore ängstlich, »ist das nöthig und kann es etwas nützen? Mama hat darauf bestanden, unsern ganzen Schmuck und alles Silber, das wir nicht täglich gebrauchen, zum Verkauf zurückzulegen. Was ich selbst geben kann, ist nicht der Rede werth, aber der Schmuck der Mutter ist kostbar, es sind viele Geschenke aus ihrer Jugend dabei, Erinnerungen, von denen sie sich nicht trennen soll, wenn Sie nicht sagen, daß es nöthig ist.«

»Ich fürchte, es wird nöthig sein,« erwiederte Anton ernst.

Lenore sprang auf. »Arme Mutter!« rief sie und schlang ihre Arme um den Hals der Baronin.

»Nehmen Sie,« erwiederte die Mutter leise zu Anton, »ich werde ruhiger sein, wenn ich weiß, daß wir das Mögliche gethan haben.«

»Ist es aber gut, Alles hinzugeben?« frug Anton bittend. »Vieles, was Ihnen vielleicht lieb ist, wird dem Juwelier weniger Werth haben.«

»Ich werde keinen Schmuck mehr tragen,« erwiederte die [S. 559] Baronin kalt, »nehmen Sie Alles, Alles.« Sie hielt die Hand vor die Augen und wandte sich ab.

»Wir foltern die Mutter,« rief Lenore heftig, »verschließen Sie, was auf dem Tisch liegt, schaffen Sie es fort aus dem Hause so bald als möglich.«

»Ich kann diese Kostbarkeiten nicht übernehmen,« sagte Anton, »ohne einige Maßregeln, welche meine Verantwortung geringer machen. Vor Allem will ich in Ihrer Gegenwart wenigstens flüchtig aufzeichnen, was Sie mir übergeben wollen.«

»Welch unnütze Grausamkeit!« rief Lenore.

»Es soll nicht lange aufhalten.« Anton riß einige Blätter aus seiner Brieftasche und schrieb Stück für Stück auf.

»Du darfst nicht zusehen, Mutter, ich leide es nicht,« drängte Lenore, sie zog die Mutter aus dem Zimmer, dann setzte sie sich zu Anton und sah ihm zu, wie er die einzelnen Stücke einpackte, mit Nummern versah und zusammen in den Koffer legte.

»Die Vorbereitungen für den Markt sind schrecklich,« klagte Lenore, »das ganze Leben der Mutter wird verkauft, an jedem Stück hängen für sie Erinnerungen. Sehen Sie, Wohlfart, diesen Diamantenschmuck hat sie von der Prinzessin bekommen, als sie den Vater heirathete.«

»Es sind prachtvolle Brillanten,« rief Anton bewundernd.

»Dieser Ring stammt von meinem Großvater, und das hier sind Geschenke meines armen Papa's. — Ach, kein Mann versteht, wie lieb uns diese Schmucksachen sind. Es war jedesmal ein Festtag auch für mich, wenn Mama die Brillanten trug. — Jetzt kommen wir zu meinen Habseligkeiten, sie sind nicht viel werth. Ob dieses Armband gutes Gold sein mag?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wir wollen es doch zu dem Uebrigen thun,« sagte Lenore, streifte den Goldreif vom Arm und legte ihn auf den Tisch. »Ja, Sie sind ein guter Mensch, Wohlfart,« fuhr sie fort und sah ihm treuherzig in die feuchten Augen; »verlassen nur Sie uns nicht. Der Bruder hat keine Erfahrung und ist hülfloser [S. 560] als wir. Es ist eine furchtbare Lage auch für mich. Vor Mama mühe ich mich, gefaßt zu sein, aber ich möchte laut schreien und weinen den ganzen Tag.« Sie sank in einen Stuhl und hielt seine Hand fest. »Lieber Wohlfart, verlassen Sie uns nicht.«

Anton beugte sich über sie und sah in leidenschaftlicher Bewegung auf die schöne Gestalt, die so vertrauend aus ihren Thränen zu ihm aufsah. »Ich will Ihnen nützlich sein, wo ich kann,« sprach er in mächtiger Aufwallung seines Gefühls, »ich will Ihnen nahe sein, so oft Sie mich bedürfen. Sie haben eine zu gute Meinung von meinen Kenntnissen und meiner Kraft, ich kann Ihnen weniger helfen, als Sie glauben. Was ich aber vermag, das werde ich thun, in jeder Thätigkeit und auf allen Wegen.«

Mit einem warmen Druck lösten sich ihre Hände, ein Vertrag war geschlossen.

Die Baronin kam in das Zimmer zurück. »Unser Anwalt war heut Morgen bei mir. Jetzt bitte ich auch Sie um Ihren Rath. Wie der Anwalt mir mittheilt, ist keine Aussicht, das Familiengut dem Freiherrn zu erhalten.«

»In dieser Zeit, wo das Geld theuer und schwer zu haben ist, keine,« erwiederte Anton.

»Und auch Sie sind der Meinung, daß wir Alles anwenden müssen, um die polnische Herrschaft uns zu retten?«

»Ja,« erwiederte Anton.

»Auch dazu wird Geld nöthig sein. Vielleicht vermag ich durch meine Verwandten Ihnen eine, wenn auch geringe Summe zugänglich zu machen; sie soll mit diesem da« — sie wies auf den Koffer — »ausreichen, die Kosten der ersten Einrichtung zu decken. Ich wünsche den Schmuck nicht hier zu verkaufen, auch für die Uebernahme der Geldsumme, welche ich hoffen darf, wird eine Reise nach der Residenz nöthig sein. Der Anwalt des Freiherrn hat mit großer Achtung von Ihrer Umsicht gesprochen. Es ist auch sein Wunsch, der mich bestimmt, Ihnen ein Anerbieten zu machen. Wollen Sie uns für die nächsten [S. 561] Jahre, wenigstens so lange, bis die größten Schwierigkeiten überwunden sind, Ihre ganze Zeit widmen? Ich habe mit meinen Kindern berathen, beide sehen, wie ich, in Ihrer Thätigkeit die einzige Rettung. Auch der Freiherr ist damit einverstanden. Es frägt sich, ob Ihre Verhältnisse Ihnen erlauben, uns Unglücklichen Ihren dauernden Beistand zu gönnen. Unter welchen Bedingungen Sie dies auch thun, wir werden Ihnen dankbar sein. Wenn Sie irgend eine Form finden, in der wir die großen Verpflichtungen, die wir gegen Sie haben, auch in Ihrer äußern Stellung ausdrücken können, so sagen Sie mir das.«

Anton stand erstarrt. Was die Baronin von ihm forderte, war Trennung von dem Geschäft und Trennung von seinem Chef und Sabine. War ihm derselbe Gedanke schon früher gekommen, wenn er vor Lenore stand oder wenn er sich über die Briefe des Freiherrn beugte? — Jetzt, wo das Wort ausgesprochen wurde, erschütterte es ihn. Er sah auf Lenore, welche hinter der Mutter ihre Hände bittend zusammenlegte. »Ich stehe in einem Verhältniß,« erwiederte er endlich, »welches ich nicht ohne Einwilligung Anderer lösen darf, ich bin auf diesen Antrag nicht vorbereitet und bitte Sie, gnädige Frau, mir Zeit zur Ueberlegung zu lassen. Es ist ein Schritt, der über meine Zukunft entscheidet.«

»Ich dränge nicht,« sagte die Baronin, »ich bitte nur. Wie Ihre Entscheidung auch ausfalle, unser warmer Dank wird Ihnen bleiben; wenn Sie außer Stande sind, unsere schwache Kraft zu stützen, so fürchte ich, finden wir Niemanden. Denken Sie auch daran,« bat sie flehend.

Mit glühenden Wangen eilte Anton über die Straße. Der bittende Blick der Edelfrau, die gerungenen Hände Lenorens winkten ihm hinaus aus dem dunkeln Comtoir in größere Freiheit, in eine ungewöhnliche Zukunft, aus deren Dunkel einzelne Bilder leuchtend vor ihm aufblitzten. Mit großem Sinn war eine Forderung an ihn gestellt, und es zog ihn mächtig, ihr gerecht zu werden. Ein unermüdlicher, aufopfernder Helfer [S. 562] war den Frauen nöthig, um sie vor dem letzten Unheil zu bewahren. Und er that ein gutes Werk, wenn er dem Drange folgte, er erfüllte eine Pflicht.

So trat er in das Haus der Handlung. Ach! was hier sein Auge ansah, streckte eine Hand aus, ihn festzuhalten. Er sah in das dämmrige Waarengewölbe, in die treuen Gesichter der Hausknechte, auf die Ketten der großen Waage und über den Farbentopf des ehrlichen Pix, und empfand wieder, daß er hierher gehörte. Der Hund Sabinens küßte seine Hand mit feuchter Schnauze und lief hinter ihm her bis an sein Zimmer. Sein und Finks Zimmer! Hier hatte das kindische Herz des verwaisten Knaben einen Freund gefunden, gute Kameraden, eine Heimath, ein festes ehrenhaftes Ziel für sein Leben. Und er sah durch das Fenster hinab in den Hof, auf die Winkel und Vorsprünge des mächtigen Hauses, auf das Gitterfenster, hinter welchem Herr Liebold am Hauptbuch saß, in das Comtoir, wo sein Pult stand, und auf die kleine Stube, wo Er arbeitete, der ihm jetzt zürnte und der jahrelang sein väterlicher Freund gewesen war. Da fiel sein Blick auch auf das Fenster von Sabinens Vorrathsstube; oft hatte sein Auge dort einen wandernden Lichtschimmer gesucht, der das ganze große Haus erhellte und auch Behagen in sein Zimmer sandte. Und schnell aufgerichtet sprach er zu sich selbst: »Sie soll entscheiden.«

Sabine erhob sich überrascht, als Anton mit schnellem Schritt vor sie trat. »Es treibt mich unwiderstehlich zu Ihnen,« rief er. »Ich soll über meine Zukunft einen Entschluß fassen, und ich fühle mich unsicher und traue meinem Urtheil nicht mehr. Sie sind mir immer eine gütige Freundin gewesen, vom ersten Tage meines Eintritts. Ich bin gewöhnt, auf Sie zu sehen und an Sie zu denken bei Allem, was in diesem Hause mein Herz erregt. Lassen Sie mich auch heut aus Ihrem Munde hören, was Sie für gut halten. Mir ist von Frau von Rothsattel der Antrag gemacht worden, als Bevollmächtigter des Freiherrn in ein festes Verhältniß zu ihm zu treten. Soll ich [S. 563] annehmen oder soll ich hier bleiben? Ich weiß es nicht; sagen Sie mir, was recht ist für mich und für Andere.«

»Nicht ich,« sagte Sabine zurücktretend, und ihre Wange erblich. »Ich darf nicht wagen, darüber zu entscheiden. — Und Sie selbst wollen das nicht, Wohlfart, denn Sie haben bereits entschieden.«

Anton sah vor sich hin.

»Sie haben daran gedacht, dies Haus zu verlassen, und aus dem Gedanken ist ein Wunsch geworden. Und ich soll Ihnen Recht geben und Ihren Entschluß loben. Das wollen Sie von mir,« fuhr sie bitter fort. — »Das aber kann ich nicht, Wohlfart, denn ich traure, daß Sie von uns gehen.«

Sie wandte ihm den Rücken zu und stützte sich auf einen Stuhl.

»O zürnen Sie mir nicht, Fräulein Sabine,« flehte Anton, »das kann ich nicht ertragen. Ich habe in den letzten Wochen viel gelitten. Herr Schröter hat mir plötzlich sein Wohlwollen entzogen, das ich lange für den größten Schatz meines Lebens hielt. Ich habe seine Kälte nicht verschuldet. Nicht unrecht war, was ich in der letzten Zeit gethan habe, und mit seinem Vorwissen habe ich es gethan. Ich war wohl verwöhnt durch seine Güte, ich habe deßhalb auch seinen Unwillen um so tiefer empfunden. Und wenn ich eine Beruhigung hatte, so war es der Gedanke, daß Sie mich nicht verurtheilen. Seien Sie jetzt nicht kalt gegen mich, es würde mich elend machen für immer. Ich habe keine Seele auf Erden, die ich um Liebe bitten darf und um Verständniß für meine Zweifel. Hätte ich eine Schwester, heut würde ich ihr Herz suchen. Sie wissen nicht, was mir, dem Einsamen, Ihr Gruß, Ihr fröhlicher Handschlag bis heut gewesen ist. Wenden Sie sich nicht kalt von mir, Fräulein Sabine.«

Sabine schwieg lange, und von ihm abgewandt frug sie endlich zurück: »Was zieht Sie zu den Fremden — ist's eine frohe Hoffnung — ist's das Mitgefühl allein? — Seien Sie strenger gegen sich selbst, als ich gegen Sie bin, wenn Sie sich darauf antworten.«

[S. 564]

»Was mir jetzt möglich macht, von hier zu scheiden, weiß ich nicht. Wenn ich für die Bewegung in mir einen Namen suche, so ist es heiße Dankbarkeit gegen Eine. — Sie war die Erste, die freundlich zu dem wandernden Knaben sprach, als er allein in die Welt zog. Ich habe sie bewundert in dem ruhigen Glanz ihres vergangenen Lebens. Ich habe oft kindisch von ihr geträumt. Es war eine Zeit, wo eine zärtliche Empfindung für sie mein ganzes Herz erfüllte, damals glaubte ich für immer an ihr Bild gefesselt zu sein. Aber die Jahre zogen ein neues Grün darüber, ich sah die Menschen und das Leben mit andern Augen an. Da fand ich sie wieder, angstvoll, unglücklich, verzweifelt, und die Rührung in mir wurde übermächtig. Wenn ich von ihr entfernt bin, weiß ich, daß sie mir eine Fremde ist, und wenn ich vor ihr stehe, fühle ich nichts, als ihren hinreißenden Schmerz. Damals, als ich aus ihrem Kreise wie ein Uebelthäter ausscheiden mußte, damals eilte sie mir nach, und vor den Augen der spöttischen Gesellschaft reichte sie mir die Hand und bekannte sich zu mir. Und jetzt kommt sie und fordert meine Hand zur Hülfe für ihren Vater. Darf ich sie ihr verweigern? Ist es ein Unrecht, daß ich so fühle? Ich weiß es nicht, und Niemand kann es mir sagen, Niemand, als nur Sie.«

Sabinens Haupt hatte sich herunter geneigt bis auf die Lehne des Sessels. Jetzt erhob sie sich schnell, und mit thränenvollen Augen, mit einer Stimme voll Liebe und Schmerz rief sie: »Folgen Sie der Stimme, die Sie ruft! Gehen Sie, Wohlfart, gehen Sie!«


Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.

Anmerkungen des Bearbeiters:

- Hinzugefügt: Inhaltsverzeichnis inkl. Seitenlinks
- Antiquaschrift im Original wurde durch serifenlose Schrift ersetzt.
- Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
- Altertümliche und verschiedenartige Schreibweisen wurden beibehalten.





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START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
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additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    gbnewby@pglaf.org

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
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Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
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freely shared with anyone. For forty years, he produced and
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