The Project Gutenberg EBook of Ligeia und andere Novellen / Sieben Gedichte, by 
Edgar Allan Poe

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Title: Ligeia und andere Novellen / Sieben Gedichte
       Ligeia / Berenice / Morella / Eleonora / Die Insel der Fee
              / Landors Landhaus / Der Herrschaftssitz Arnheim / Der
              Rabe / Annabel Lee / Ulalume / Die Glocken / Tamerlan /
              Das Kolosseum / Die Stadt im Meer

Author: Edgar Allan Poe

Illustrator: Alfred Kubin

Translator: Gisela Etzel
            Theodor Etzel

Release Date: January 10, 2016 [EBook #50887]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LIGEIA UND ANDERE NOVELLEN ***




Produced by Jens Sadowski





EDGAR ALLAN POE
LIGEIA
UND ANDERE NOVELLEN
SIEBEN GEDICHTE

EDGAR ALLAN POE

LIGEIA
UND ANDERE NOVELLEN
ÜBERSETZT VON GISELA ETZEL
SIEBEN GEDICHTE
ÜBERSETZT VON THEODOR ETZEL

MIT VIERZEHN BILDBEIGABEN
VON
ALFRED KUBIN

BERLIN / IM PROPYLÄEN-VERLAG

Alle Rechte vorbehalten

Copyright 1920 by Propyläen-Verlag G. m. b. H. in Berlin

LIGEIA

Und es liegt darin der Wille, der nicht stirbt. Wer kennt die Geheimnisse des Willens und seine Gewalt? Denn Gott ist nichts als ein großer Wille, der mit der ihm eignen Kraft alle Dinge durchdringt. Der Mensch überliefert sich den Engeln oder dem Nichts einzig durch die Schwäche seines schlaffen Willens.

Joseph Glanvill

Bei meiner Seele! ich kann mich nicht erinnern, wie, wann und wo ich die erste Bekanntschaft machte — der Lady Ligeia. Lange Jahre sind seitdem verflossen, und mein Gedächtnis ist schwach geworden durch vieles Leiden. Vielleicht auch kann ich mich dieser Einzelheiten nur darum nicht mehr erinnern, weil der Charakter meiner Geliebten, ihr umfassendes Wissen, ihre eigenartige und doch milde Schönheit und die überwältigende Beredsamkeit ihrer sanft tönenden Stimme — weil dies alles zusammen nur ganz allmählich und verstohlen den Weg in mein Herz nahm, zu allmählich, als daß ich daran gedacht hätte, mir jene äußeren Umstände einzuprägen.

Ich habe jedoch das Empfinden, als sei ich ihr zum ersten Mal und hierauf wiederholt in einer altertümlichen Stadt am Rhein begegnet. Und eins weiß ich bestimmt: sie erzählte mir von ihrer Familie, die sehr alten Ursprungs war. — Ligeia! Ligeia! — Trotzdem ich in Studien vergraben bin, deren Art mehr noch als alles andre dazu angetan ist, mich von Welt und Menschen abzusondern, genügt dies eine süße Wort „Ligeia“, um vor meinen Augen ihr Bild erstehen zu lassen — das Bild von ihr, die nicht mehr ist. Und jetzt, während ich schreibe, überfällt mich urplötzlich das Bewußtsein, daß ich von ihr, meiner Freundin und Verlobten, der Gefährtin meiner Studien und dem Weib meines Herzens, den Namen ihrer Familie nie erfahren habe. War es ein schalkhafter Streich, den Ligeia mir gespielt hatte? War es ein Beweis meiner bedingungslosen Hingabe, daß ich nie eine Frage danach tat? Oder war es meinerseits eine Laune, ein romantisches Opfer, das ich auf den Altar meiner leidenschaftlichen Ergebenheit niedergelegt hatte? Der bloßen Tatsache sogar kann ich mich nur unklar erinnern — was Wunder, daß ich die Gründe dafür vollständig vergessen habe! Und wirklich, wenn jemals der romantische Geist der bleichen und nebelbeschwingten Aschtophet des götzengläubigen Ägyptens, wie die Sage meldet, über unglückliche Ehen geherrscht hat, so ist es gewiß, daß er meine Ehe stiftete und beherrschte.

Immerhin hat mich wenigstens in einem Punkt meine Erinnerung nicht verlassen: die Persönlichkeit Ligeias steht mir heute noch klar vor Augen. Sie war von hoher, schlanker Gestalt, in ihren letzten Tagen sogar sehr hager. Vergebliches Bemühen wäre es, wenn ich eine Beschreibung der Erhabenheit, der würdevollen Gelassenheit ihres Wesens oder der unvergleichlichen Leichtigkeit und Elastizität ihres Schreitens versuchen wollte. Sie kam und ging wie ein Schatten. War sie in mein Arbeitszimmer gekommen, so bemerkte ich ihre Anwesenheit nicht eher, als bis ich den lieben Wohlklang ihrer sanften, süßen Stimme vernahm oder ihre marmorweiße Hand auf meiner Schulter fühlte. Kein Weib auf Erden trug solche Schönheit im Antlitz wie sie! Strahlend schön war sie, wie die Erscheinung eines Opiumtraumes, wie eine göttliche, beseligende Vision — göttlicher noch als die Traumgebilde, die durch die schlafenden Seelen der Töchter von Delos wehen. Doch waren ihre Züge keineswegs von jener Regelmäßigkeit, wie die klassischen Bildwerke des Heidentums sie aufweisen und die man mit Unrecht so übertrieben bewundert. „Es gibt keine auserlesene Schönheit“, sagt Bacon Lord Verulam da, wo er von allen Formen und Arten der Schönheit spricht, „ohne eine gewisse Seltsamkeit in der Proportion.“ Aber wenn ich auch sah, daß die Züge Ligeias nicht von klassischer Regelmäßigkeit waren, wenn ich auch feststellte, daß ihre Schönheit in der Tat „auserlesen“ war, und fühlte, daß viel „Seltsamkeit“ in ihren Zügen lag, so habe ich doch vergebens versucht, dieser Unregelmäßigkeit auf die Spur zu kommen und meine Feststellung des „Seltsamen“ zu begründen. Ich prüfte die Kontur der hohen und bleichen Stirn — sie war fehlerlos. Wie kalt klingt doch dies Wort für eine so göttliche Majestät, für die wie reinstes Elfenbein schimmernde Haut, die gebieterische Breite und ruhevolle Harmonie dieser Stirn, die sanfte Erhöhung über den Schläfen, die eine üppige Fülle rabenschwarzer glänzender Locken umschmiegte — Locken, die das homerische Epitheton „hyazinthen“ so wunderbar ausfüllten! — Ich prüfte die feinen Linien der Nase: nirgends anders als auf althebräischen Medaillons hatte ich ebenso vollkommen Schönes gesehen; nur dort hatte ich eine gleich wundervolle Zartheit und dieselbe kaum wahrnehmbare Neigung zu sanfter Krümmung, dieselben harmonisch geschweiften Nasenflügel, die einen freien Geist verrieten, gefunden. — Ich betrachtete den süßen Mund. Hier feierten alle Himmelswonnen ihr triumphierendes Fest: dieser entzückende Schwung der kurzen Oberlippe, diese weiche, wollüstige Ruhe der Unterlippe, diese tändelnden Grübchen, diese lockende Farbe, diese schimmernden Zähne, die jeden Strahl des heiligen Lichtes widerspiegelten, mit dem ihr heiteres und ruhevolles und gleichwohl frohlockendes Lächeln sie blendend schmückte. — Ich prüfte die Form des Kinns und fand auch hier in seiner sanften Breite Majestät, Fülle und griechischen Geist — fand die Kontur, die der Gott Apoll dem Kleomenes, dem Sohn des Atheners, im Traume nur enthüllte. — Und dann vertiefte ich mich in Ligeias große Augen.

Für Augen finden wir im fernen Altertum kein Vorbild. Es mochte sein, daß eben hier — in den Augen meiner Geliebten — das Geheimnis lag, von dem Lord Verulam spricht. Sie schienen mir weit größer als sonst die Augen unsrer Rasse. Sie waren üppiger als selbst die üppigsten Augen der Gazellen vom Stamme des Tales Nourjahad. Doch geschah es nur zuzeiten — in Augenblicken tiefster Erregung —, daß diese „Seltsamkeit“, von der ich vorhin sprach, deutlicher bei ihr wahrnehmbar wurde. Und in solchen Augenblicken war Ligeias Schönheit — vielleicht kam es auch nur meiner erglühten Phantasie so vor — die Schönheit von überirdischen oder unirdischen Wesen, die Schönheit der sagenhaften Huri der Türken. Von strahlendstem Schwarz waren ihre Pupillen und waren tief beschattet von sehr langen, jettschwarzen Wimpern. Die Brauen, deren Linien kaum merklich unregelmäßig waren, hatten die gleiche Farbe. Die Seltsamkeit aber, die ich in den Augen fand, lag nicht in Form, Farbe oder Glanz, sie muß wohl in ihrem Ausdruck gelegen haben. Ach, bedeutungsloses Wort! Leeres Wort, hinter dessen bloßem Klang wir uns mit unsrer Unkenntnis alles Geistigen verschanzen.

Der Ausdruck von Ligeias Augen! O, wie viele Stunden habe ich ihm nachgesonnen! Wie habe ich eine ganze Mittsommernacht lang gerungen, ihn zu ergründen! Was war es, dies Etwas, das tief innen in den Pupillen meiner Geliebten verborgen lag, das unergründlicher war als die Quelle des Demokritos? Was war es? Ich war wie besessen von dem Verlangen, es zu entdecken. Diese Augen! Diese großen, diese schimmernden, diese göttlichen Augen! Sie wurden für mich die Zwillingssterne der Leda, und ich war ihr andächtigster Astrologe.

Es gibt in der Psychologie viele unlösbare Rätsel, das unheimlichste aber und aufregendste von allen erschien mir stets die Tatsache — die übrigens von den Psychologen kaum je erwähnt worden ist —, daß wir oft, wenn wir etwas längst Vergessenes wieder in unser Gedächtnis zurückrufen wollen, bis an die Schwelle des Erinnerns gelangen, ohne doch das, was sozusagen schon vor uns steht, wirklich festhalten zu können. Und wie oft, wenn ich den Augen Ligeias nachsann, fühlte ich mich der vollen Aufklärung über die Bedeutung ihres Ausdrucks ganz nahe: ich fühlte, diese Aufklärung war da — gleich, gleich würde ich sie erfassen — und da entschwebte sie wieder, noch ehe ich sie hatte festhalten können. Und — sonderbares, o sonderbarstes Mysterium! — ich fand in den gewöhnlichsten Dingen von der Welt eine Reihe von Analogien zu diesem Ausdruck. Ich will damit sagen: nachdem Ligeias eigenartige Schönheit mir bewußt geworden war und nun im Altarschrein meines Herzens ruhte, lösten viele Erscheinungen der realen Welt dasselbe Empfinden in mir aus wie der Blick aus Ligeias großen, leuchtenden Augen. Trotzdem aber wollte es mir nicht gelingen, dies Empfinden zu ergründen oder zu zergliedern; auch überkam es mich nicht stets in der gleichen Stärke. Um mich näher zu erklären: jenes Gefühl erfüllte mich zum Beispiel beim Anblick einer schnell emporschießenden Weinrebe, bei der Betrachtung eines Nachtfalters, einer Schmetterlingspuppe, eines eilig strömenden Wasserlaufes. Ich habe es im Ozean gefunden und beim Fallen eines Meteors, sogar im Blick ungewöhnlich alter Leute. Und es gibt am Firmament ein paar Sterne, vor allem ein veränderliches Doppelgestirn sechster Größe nahe beim großen Stern der Leier, bei deren Betrachtung durch das Teleskop ich mich des nämlichen Gefühls nicht erwehren konnte. Gewisse Töne von Saiteninstrumenten und bestimmte Stellen in Büchern durchschauerten mich in ähnlicher Art. Unter zahllosen andern Beispielen erinnere ich mich besonders eines Ausspruchs, den ich bei Joseph Glanvill fand und der — vielleicht nur wegen seiner Wunderlichkeit — immer wieder diese Stimmung in mir erweckte: „Und es liegt darin der Wille, der nicht stirbt. Wer kennt die Geheimnisse des Willens und seine Gewalt? Denn Gott ist nichts als ein großer Wille, der mit der ihm eignen Kraft alle Dinge durchdringt. Der Mensch überliefert sich den Engeln oder dem Nichts einzig durch die Schwäche seines schlaffen Willens.“

Eifriges Nachdenken lange Jahre hindurch hat mir nun wirklich gewisse leise Beziehungen gezeigt zwischen diesem Ausspruch des englischen Philosophen und einem Teil von Ligeias Wesen. Es lebte in ihr ein unerhört starker Wille, der während unseres langen Zusammenlebens nie spontan zutage trat, sondern sich nur in einer unglaublichen Anspannung des Denkens, Tuns und Redens zu erkennen gab. Von allen Frauen, die ich je gekannt, war sie, die äußerlich ruhevolle, die stets gelassen milde Ligeia, wie keine andre die Beute der tobenden Geier grausamster Leidenschaftlichkeit. Und diese Leidenschaftlichkeit enthüllte sich mir nur im wundervollen Strahlen ihrer Augen, die mich gleichzeitig entzückten und entsetzten, in der fast zauberhaften Melodie, Weichheit, Klarheit und Würde ihrer sonoren Stimme und in der flammenden Energie, die in ihren seltsam gewählten Worten lag und die im Kontrast mit der Ruhe, mit der sie gesprochen wurden, doppelt wirkungsvoll war.

Ich erwähnte schon das umfassende Wissen Ligeias: ihre Kenntnisse waren unermeßlich — für eine Frau ganz unerhört. In allen klassischen Sprachen war sie Meister, und auch in den modernen Sprachen des Kontinents habe ich ihr, soweit ich selbst mit diesen Sprachen vertraut war, nie einen Fehler nachweisen können. Und gab es denn überhaupt irgendein Thema aus den Gebieten der höchsten und schwierigsten Wissenschaften, bei dem ich Ligeia jemals auf Unkenntnis oder Irrtum ertappt hätte? Wie sonderbar, wie schauerlich! Diese eine Seite nur vom Wesen meiner Frau ist meinem Gedächtnis heute noch erinnerlich. Ich sagte, an Wissen überragte sie weit alle anderen Frauen — doch wo lebt der Mann, der die philosophische, physikalische und mathematische Wissenschaft in ihrer ganzen unermeßlichen Ausdehnung so verständnisvoll beherrscht hätte?! Damals sah ich noch nicht, was ich jetzt klar erkenne, daß dies Wissen Ligeias unglaublich, daß es gigantisch war. Doch blieb ich mir ihrer unendlichen Überlegenheit genügend bewußt, um mich mit kindlichem Vertrauen ihrer Führung durch die chaotische Welt metaphysischer Probleme, mit denen ich mich während der ersten Jahre unserer Ehe eifrig beschäftigte, zu überlassen. Mit welch ungeheurem Triumph — mit welch lebhaftem Entzücken — mit welch himmlischer Hoffnung konnte ich, wenn sie in diesem so unbekannten, so wenig gepflegten Studium sich helfend zu mir neigte, fühlen, wie vor mir der herrlichste Ausblick sich öffnete und ein in diese glänzenden Höhen führender, langer, köstlicher und noch ganz unbetretener Pfad sichtbar wurde, auf dem ich wohl endlich empor ans Ziel einer Weisheit gelangen durfte, die zu göttlich erhaben ist, um nicht verboten zu sein!

Wie heftig muß da der Gram gewesen sein, mit dem ich einige Jahre später meine so festgegründeten Hoffnungen Flügel nehmen und sich davonschwingen sah! Ohne Ligeia war ich nichts als ein durch Dunkel tastendes Kind. Nur ihre Gegenwart, ihr Erklären brachte helles Licht in die vielen Mysterien des Transzendentalen, in die wir eingedrungen waren. Wenn den golden züngelnden Schriftzeichen der leuchtende Glanz ihrer Augen fehlte, wurden sie matter als stumpfes Blei. Und seltener und seltener fiel nun der Strahl dieser Augen auf die Blätter, über deren Inhalt ich brütete. Ligeia wurde krank. Die herrlichen Augen strahlten in übernatürlichen Flammen, die bleichen Hände wurden wachsfarben wie bei einem Toten, und die blauen Adern auf der hohen Stirn hoben sich und pochten ungestüm bei der geringsten Aufregung. Ich sah, daß sie sterben mußte — und mein Geist rang verzweifelt mit dem grimmen Azrael.

Noch angestrengter als ich — rang zu meinem Erstaunen das leidenschaftliche Weib. So manches in ihrer ernsten Natur hatte in mir den Glauben gezeitigt, daß für sie der Tod keine Schrecken haben werde — doch dem war nicht so. Es gibt keine Worte, die auch nur annähernd die Wildheit ihres Widerstandes beschreiben könnten, den sie dem Schatten Tod entgegensetzte. Ich stöhnte gequält bei diesem mitleiderregenden Anblick. Ich wollte besänftigen, aber gegenüber der unheimlichen Gewalt, mit der sie nur leben — nur leben — nichts als leben wollte, schienen Trost und Zuspruch unsäglich albern. Aber trotzdem sich ihr feuriger Geist so wild gebärdete, bewahrte sie die Hoheit ihres äußeren Wesens bis zum letzten Augenblick, dem Augenblick des Todeskampfes. Ihre Stimme wurde noch sanfter — wurde noch tiefer — dennoch möchte ich jetzt bei dem grausigen Sinn der Worte, die sie in aller Ruhe sprach, nicht nachdenkend verweilen. Mein Geist, der diesen überirdischen Tönen hingerissen lauschte — diesem Hoffen und Ringen, dieser gewaltigen Sehnsucht, wie nie zuvor ein Sterblicher sie fühlte — taumelte und verwirrte sich.

Daß sie mich liebte, daran hatte ich nie gezweifelt, auch konnte ich mir wohl sagen, daß die Liebe eines solchen Herzens nicht mit gewöhnlichem Maß zu messen sei. Aber erst in ihrem Sterben erhielt ich von der wahren Kraft ihrer Liebe den vollen Eindruck. Lange Stunden hielt sie meine Hand und schüttete vor mir das Überfluten eines Herzens aus, dessen mehr als leidenschaftliche Ergebenheit an Anbetung grenzte. Wie hatte ich es verdient, mit solchen Bekenntnissen gesegnet zu werden? Und wie hatte ich es verdient, durch den Verlust der Geliebten verdammt zu werden — in der nämlichen Stunde, da sie mir diese Bekenntnisse machte? Doch ich kann es nicht ertragen, von diesen Dingen zu sprechen. Nur eines laßt mich sagen: ich erkannte in Ligeias mehr als weiblicher Hingabe an eine Liebe, die ich, ach, gar so wenig verdiente, den wahren Grund für ihr so tiefes, so wildes Begehren nach dem Leben — dem Leben, das jetzt so eilend entfloh. Für dies wilde Sehnen, für diese Gier und Gewalt des Verlangens nach Leben — nur nach Leben — finde ich keine Ausdrucksmöglichkeit; keine Worte gibt es, die es sagen könnten.

In der Nacht ihres Scheidens ließ sie mich nicht von ihrer Seite. In tiefster Mitternachtsstunde bat sie mich, ihr einige Verse herzusagen, die sie selbst wenige Tage vorher verfaßt hatte. Ich gehorchte. Hier sind sie:

O schaut, es ist festliche Nacht

Inmitten einsam letzter Tage!

Ein Engelchor, schluchzend, in Flügelpracht

Und Schleierflor, sieht zage

Im Schauspielhaus ein Schauspiel an

Von Hoffnung, Angst und Plage,

Derweil das Orchester dann und wann

Musik haucht: Sphärenklage.

Schauspieler, Gottes Ebenbilder,

Murmeln und brummeln dumpf

Und hasten planlos, immer wilder,

Sind Puppen nur und folgen stumpf

Gewaltigen, düsteren Dingen,

Die umziehn ohne Form und Rumpf

Und dunkles Weh aus Kondorschwingen

Schlagen voll Triumph.

Dies närrische Drama! — O fürwahr,

Nie wird’s vergessen werden,

Nie sein Phantom, verfolgt für immerdar

Von wilder Rotte rasenden Gebärden,

Verfolgt umsonst — zum alten Fleck

Kehrt stets der Kreislauf neu zurück —,

Und nie die Tollheit, die Sünde, der Schreck

Und das Grausen: die Seele vom Stück.

Doch sieh, in die mimende Runde

Drängt schleichend ein blutrot Ding

Hervor aus ödem Hintergrunde

Der Bühne — ein blutrot Ding.

Es windet sich! — windet sich in die Bahn

Der Mimen, die Angst schon tötet;

Die Engel schluchzen, da Wurmes Zahn

In Menschenblut sich rötet.

Aus — aus sind die Lichter — alle aus!

Vor jede zuckende Gestalt

Der Vorhang fällt mit Wetterbraus,

Ein Leichentuch finster und kalt.

Die Engel schlagen die Schleier zurück,

Sind erbleicht und entschweben im Sturm;

„Mensch“ nennen sie das tragische Stück,

Seinen Helden „Eroberer Wurm“.

„O Gott!“ schrie Ligeia, sprang vom Bett auf und reckte die Arme empor. „Gott! Gott! O göttlicher Vater! Muß das immer unabänderlich so sein? Soll dieser Sieger nie, niemals besiegt werden? Sind wir nicht Teil und Teile von dir? Wer — wer kennt die Geheimnisse des Willens und seine Gewalt? Der Mensch überliefert sich den Engeln oder dem Nichts einzig durch die Schwäche seines schlaffen Willens.“

Und nun, wie von innrer Bewegung überwältigt, ließ sie die weißen Arme sinken und kehrte feierlich auf ihr Sterbebett zurück. Und als sie die letzten Seufzer hauchte, kam gleichzeitig ein leises Murmeln von ihren Lippen. Ich legte das Ohr an ihren Mund und vernahm wieder die Schlußworte des Glanvillschen Ausspruchs: „Der Mensch überliefert sich den Engeln oder dem Nichts einzig durch die Schwäche seines schlaffen Willens.“

Sie starb. Und ich, der vom Gram völlig zermalmt war, konnte nicht länger die einsame Verlassenheit meiner Behausung in der düsteren und verfallenen Stadt am Rhein ertragen. Ich hatte keinen Mangel an dem, was die Welt „Besitz“ nennt; Ligeia hatte mir viel mehr, o sehr viel mehr gebracht, als für gewöhnlich einem Sterblichen zufällt. So kam es, daß ich nach einigen Monaten planlosen und ermüdenden Umherwanderns in einer der wildesten und abgelegensten Gegenden des schönen England eine alte Abtei, deren Namen ich nicht nennen möchte, käuflich erwarb und instand setzte. Die düstre und traurige Majestät des Gebäudes, die unglaubliche Verwilderung der Ländereien, die vielen melancholischen und altehrwürdigen Erinnerungen, die sich an beide knüpften, hatten viel gemein mit dem Gefühl äußerster Verlassenheit, das mich in jenen entlegenen und unwirtlichen Teil des Landes getrieben hatte. An dem Abteigebäude selbst mit seinem verwitterten, unter blühendem Grün verborgenen Mauerwerk nahm ich keine Veränderungen vor, dagegen widmete ich mich mit kindischem Eigensinn und wohl auch in der schwachen Hoffnung, meinen Kummer dadurch zu zerstreuen, der Ausstattung der Innenräume und entfaltete hier eine ganz ungewöhnliche Pracht. Ich hatte schon als Kind Geschmack an solchen Torheiten gefunden, und jetzt, da mich mein Kummer wieder hilflos machte, stellte sich jener kindliche Trieb von neuem ein. Ach, ich fühle, wieviel Spuren von Geistesverwirrung sogar in den prunkhaften und phantastischen Draperien, in den feierlichen ägyptischen Schnitzereien, in den grotesken Möbeln, in den tollen Mustern der goldgewirkten Teppiche zu finden waren. Ich lag, ein gefesselter Sklave, in den Banden des Opiums, und meine Handlungen und Anordnungen hatten den Charakter meiner Träume angenommen. Doch ich will nicht bei der Beschreibung dieser Torheiten verweilen, laßt mich nur von jenem einen verfluchten Gemach sprechen, in das ich in einem Anfall von geistiger Umnachtung sie als mein angetrautes Weib führte — als die Nachfolgerin der unvergessenen Ligeia — sie, die blondhaarige und blauäugige Lady Rowena Trevanion of Tremaine.

Selbst die unbedeutendste Einzelheit in Architektur und Ausstattung dieses Brautgemachs steht mir noch jetzt deutlich vor Augen. Was dachten sich nur die goldgierigen, hochmütigen Angehörigen meiner Braut, als sie einem so geliebten Mädchen, einer so geliebten Tochter gestatteten, die Schwelle eines derart ausgeschmückten Brautgemachs zu überschreiten.

Trotzdem leider so manche tief bedeutsamen Dinge meinem Gedächtnis entschwanden, so sind mir doch, wie ich schon sagte, die geringsten Einzelheiten dieses Zimmers gegenwärtig; ich erinnere mich ihrer, obgleich in diesem phantastischen Prunk kein System, kein Halt war, an die mein Erinnern sich hätte klammern können. Das Zimmer lag in einem hohen Turm der burgartig gebauten Abtei; es war ein fünfeckiger Raum von beträchtlicher Größe. Die ganze Südseite des Fünfecks nahm das einzige Fenster ein, eine ungeteilte, riesige Scheibe venezianischen Glases von bleifarbener Tönung, so daß Sonnenlicht wie Mondglanz über die Gegenstände des Zimmers nur einen gespenstischen Schein gossen. Der obre Teil dieser ungeheuren Fensterscheibe wurde durch das Rankenwerk eines uralten Weinstocks, der an den massigen Mauern des Turmes emporkletterte, dunkel beschattet. Das düstere Eichenholz der außerordentlich hoch gewölbten Zimmerdecke war mit Schnitzereien in halb gotischem, halb druidenhaftem Stil überladen. Genau aus dem Mittelpunkte dieser melancholischen Wölbung hing an einer einzigen goldenen, langgegliederten Kette ein mächtiger, goldener Kronleuchter in Form eines Weihrauchbeckens, mit sarazenischem Bildwerk geschmückt. Dieser Kronleuchter hatte rundum viele Öffnungen, aus denen wie lebhafte Schlangen fortwährend die buntesten Flammen züngelten.

Ein paar Ottomanen und goldene orientalische Kandelaber waren im Raum verteilt. Und da stand auch das Lager, das Brautbett! Es war nach einem indischen Modell gearbeitet; es war niedrig und aus massivem Ebenholz geschnitzt und von einem Baldachin, der einem Bahrtuch glich, überdacht. In jeder Ecke des Zimmers stand aufrecht ein riesiger, schwarzgranitener Sarkophag, den unsterbliche Skulpturen schmückten. Diese Sarkophage stammten aus den Königsgräbern von Luxor. Aber noch mehr als in allem andern waltete meine unheimliche Phantasie in der Wandverkleidung des Gemachs. Die unverhältnismäßig hohen Wände waren von der Decke bis zum Fußboden mit faltenreichem schwerem Goldstoff verhangen — demselben Stoff, der als Fuß- und Ottomanenteppich, als Bettdecke und Baldachin sowie als prunkhafter Überhang der einen Teil des Fensters überschattenden Vorhänge Verwendung gefunden hatte. Dieser Goldstoff trug in unregelmäßigen Zwischenräumen arabeskenartige Figuren von einem Fuß Durchmesser, die aus tiefschwarzem Stoff gearbeitet waren. Aber nur von einer einzigen Stelle aus betrachtet schienen diese Figuren nichts als Arabesken zu sein. Infolge eines heute allgemein bekannten Verfahrens, das man jedoch schon im frühen Altertum anwendete, boten sie dem Beschauer von jeder Seite ein andres Bild. Wenn man das Zimmer betrat, erschienen sie einfach nur wie Monstrositäten, je mehr man sich ihnen aber näherte, desto bestimmtere Gestalt nahmen sie an, und Schritt für Schritt, je nach dem vom Beschauer gewählten Standpunkt, sah man sich von einer wechselnden Prozession gespensterhafter Wesen umringt, wie etwa der Aberglaube der Normannen sie ersonnen hat oder ein Mönch in sündenhaftem Traum sie erschauen mag. Der gespenstische Eindruck wurde noch erhöht durch einen künstlich hinter die Draperien geführten ununterbrochenen Luftzug, der dem Ganzen eine rastlose und abscheuliche Lebendigkeit verlieh.

In solchem Raum also, in solchem Brautgemach verlebte ich mit Lady Rowena of Tremaine die gottlosen Stunden unsres Honigmonds — ohne viel Aufregung. Daß mein Weib vor meiner Übellaunigkeit Furcht hatte, daß sie mir aus dem Wege ging und mir nur wenig Liebe entgegenbrachte, konnte mir nicht entgehen, aber gerade dies freute mich mehr, als wenn es anders gewesen wäre.

Ich verabscheute sie, ich haßte sie, mit einer Inbrunst, die geradezu teuflisch war. Mein Erinnern floh, o, mit welch tiefem Leidgefühl! zu Ligeia zurück, der Geliebten, der Hehren, der Schönen, der Begrabenen! Ich schwelgte im Gedenken ihrer Reinheit und Weisheit, ihres erhabenen, ihres himmlischen Wesens, ihrer leidenschaftlichen, ihrer anbetenden Liebe. Jetzt lohte in meiner Seele noch wildre, noch heißere Flamme, als sie in ihr, in Ligeia, gebrannt hatte. In den Ekstasen meiner Opiumträume — ich lag fast immer im Bann dieses Giftes — rief ich wieder und wieder ihren Namen durch das Schweigen der Nacht oder bei Tag durch die schattigen Schluchten der Landschaft. Es war, als ob das wilde Verlangen, die tiefernste Leidenschaft, das verzehrende Feuer meiner Sehnsucht nach der Dahingegangenen sie auf den irdischen Pfad zurückführen müßten, den sie — ach konnte es denn für ewig sein? — verlassen hatte.

Gegen Beginn des zweiten Monats unsrer Ehe wurde Lady Rowena plötzlich von einer Krankheit befallen, von der sie nur langsam genas. Zehrendes Fieber machte ihre Nächte unruhig, und in ihrem aufgeregten Halbschlummer redete sie von gespenstischen Lauten und Schatten, die im Turmzimmer und in seiner nächsten Umgebung sich vernehmen, sich sehen ließen. Ich hielt diese Äußerungen natürlich für Einbildungen einer kranken Phantasie, die allerdings durch das unheimliche Zimmer geweckt sein konnte. Sie erholte sich schließlich wieder — und genas endlich völlig. Doch nur für kurze Zeit; denn bald warf ein zweiter, heftigerer Anfall sie von neuem aufs Krankenlager. Und von diesem Rückfall erholte sie, die ohnedies von zarter Gesundheit war, sich nie mehr vollständig. Die Krankheitserscheinungen, die dem zweiten Anfall folgten, waren sehr beunruhigend und spotteten aller Wissenschaft und allen Bemühungen der Ärzte. Mit dem Anwachsen ihres chronischen Leidens, das ersichtlich schon tiefer wurzelte, als daß man ihm mit Medikamenten erfolgreich hätte beikommen können, bemerkte ich auch eine Steigerung ihrer nervösen Reizbarkeit und ihres schreckhaften Entsetzens bei ganz nichtigen Anlässen. Sie sprach wieder — und häufiger und hartnäckiger jetzt — von den Lauten, den ganz leisen Lauten, und von den seltsamen Schatten, die sich an den Wänden regten.

In einer Nacht, es war gegen Ende September, wies sie meine Aufmerksamkeit mit mehr als gewöhnlichem Nachdruck auf diese peinigenden Ängste hin. Sie war soeben aus unruhigem Schlummer erwacht, und ich hatte — halb in Besorgnis und halb in Entsetzen — das Arbeiten der Muskeln in ihrem abgemagerten Gesicht beobachtet. Ich saß seitwärts von ihrem Ebenholzbett auf einer der indischen Ottomanen. Sie richtete sich halb auf und sprach in eindringlichem leisen Flüstern von Lauten, die sie jetzt vernahm, die ich aber nicht hören konnte — von Bewegungen, die sie jetzt sah, die ich aber nicht wahrnehmen konnte. Der Wind wehte hinter der Wandverkleidung in hastigen Zügen, und ich hatte die Absicht, ihr zu zeigen (was ich allerdings, wie ich bekenne, selbst nicht ganz glauben konnte), daß dieses kaum vernehmbare Atmen, daß diese ganz geringen Verschiebungen der Gestalten an den Wänden nur die natürliche Folge des Luftzuges seien. Doch ein tödliches Erbleichen ihrer Wangen ließ mich einsehen, daß meine Bemühungen, sie zu beruhigen, fruchtlos sein würden. Sie schien ohnmächtig zu werden, und keiner der Dienstleute war in Rufnähe. Da erinnerte ich mich einer Flasche leichten Weines, den die Ärzte ihr verordnet hatten, und eilte quer durchs Zimmer, um sie zu holen. Doch als ich unter den Flammen des Weihrauchbeckens angekommen war, erregten zwei sonderbare Umstände meine Aufmerksamkeit. Ich fühlte, daß ein unsichtbares, doch greifbares Etwas leicht an mir vorbeistreifte, und ich sah, daß auf dem goldenen Teppich, genau in der Mitte des reichen Glanzes, den die Ampel darauf niederwarf, ein Schatten — ein schwacher, undeutlicher, geisterhafter Schatten lag; so zart war er, daß man ihn für den Schatten eines Schattens hätte halten können. Aber ich war infolge einer ungewöhnlich großen Dosis Opium sehr aufgeregt und achtete dieser Erscheinungen kaum, erwähnte sie auch Rowena gegenüber nicht.

Ich fand den Wein, schritt quer durchs Zimmer ans Bett zurück, füllte ein Kelchglas und brachte es an die Lippen der nahezu ohnmächtigen Kranken. Sie hatte sich ein wenig erholt und ergriff selbst das Glas; ich sank auf die nächste Ottomane und sah gespannt zu meinem Weib hinüber. Da geschah es, daß ich deutlich einen leisen Schritt über den Teppich zum Lager hinschreiten hörte, und eine Sekunde später, als Rowena den Wein an die Lippen führte, sah ich — oder träumte, daß ich es sah —, wie, aus einer unsichtbaren Quelle in der Atmosphäre des Zimmers kommend, drei oder vier große Tropfen einer strahlenden, rubinroten Flüssigkeit in den Kelch fielen. Ich nur sah dies — Rowena sah es nicht. Sie trank den Wein ohne Zögern, und ich unterließ es, ihr von der Erscheinung zu sprechen, die, wie ich mir nach reiflicher Überlegung sagte, vielleicht nur eine Vorspiegelung meiner lebhaften Einbildungskraft gewesen sein mochte, die durch die Äußerungen der Leidenden, durch das Opium und durch die späte Nachtstunde krankhaft erregt sein mußte.

Dennoch konnte ich mir nicht verhehlen, daß die Krankheit meiner Frau, nachdem sie den Becher geleert hatte, eine rapide Wendung zum Schlimmsten nahm. Und in der dritten Nacht darauf kleideten die Dienerinnen Lady Rowena in das Leichengewand — und in der vierten Nacht saß ich allein bei ihrem Leichnam in dem seltsamen Gemach, in das sie als meine Braut eingetreten war.

Wilde Visionen, eine Folge des Opiumgenusses, umschwebten mich wie Schatten. Meine Blicke musterten unruhig die in den Ecken des Zimmers aufgestellten Sarkophage, die veränderlichen Gestalten des Wandteppichs und die züngelnden, buntfarbigen Flammen des Weihrauchbeckens mir zu Häupten. Ich erinnerte mich der sonderbaren Erscheinungen jener Nacht, in der über Rowenas Leben entschieden worden war, und blickte unwillkürlich auf die vom Ampellicht bestrahlte Stelle des Teppichs, wo ich damals den schwachen Schein eines Schattens bemerkt hatte. Es ließ sich jedoch nichts mehr sehen, und ich wandte mich aufatmend ab und heftete meine Blicke auf das bleiche und starre Antlitz der Aufgebahrten. Da überfielen mich tausend liebe Erinnerungen an Ligeia, und über mein Herz stürzte mit der Wucht eines Gießbaches das ganze unsagbare Weh, mit dem ich sie im Leichentuch gesehen hatte. Die Stunden gingen, und immer noch saß ich und starrte Rowena an, das Herz geschwellt vom Gedenken an die eine Einzige, die himmlisch Geliebte.

Es mochte gegen Mitternacht sein — vielleicht etwas früher oder später, ich hatte der Zeit nicht geachtet —, als ein leiser, zarter, aber deutlich wahrnehmbarer Seufzer mich aus meinen Träumen aufschreckte. Ich fühlte, daß er vom Ebenholzbett her kam — vom Totenbett. Ich lauschte in angstvollem, abergläubischem Entsetzen — aber der Laut wiederholte sich nicht. Ich strengte meine Augen an, um irgendeine Bewegung des entseelten Körpers wahrzunehmen — nicht die mindeste Regung war zu entdecken. Dennoch konnte ich mich nicht getäuscht haben. Ich hatte das Geräusch, wie schwach es auch gewesen sein mochte, tatsächlich vernommen, und meine Seele war erwacht und lauschte. Ich heftete meine Augen durchdringend und mit aller Willenskonzentration auf den Totenleib. Viele Minuten vergingen, ehe sich auch nur das geringste ereignete, das Licht in dies Geheimnis bringen konnte. Endlich sah ich ganz deutlich, daß ein leiser, ein ganz schwacher und kaum wahrnehmbarer Hauch sowohl die Wangen wie auch die eingesunkenen feinen Adern der Augenlider gerötet hatte. Ein namenloses Grausen, eine wahnsinnige Furcht, für die es keine Worte gibt, ließ mich auf meinem Sitz zu Stein erstarren und lähmte das Pulsen meines Herzens. Und doch gab mir schließlich ein gewisses Pflichtgefühl meine Selbstbeherrschung zurück. Ich konnte nicht länger daran zweifeln, daß wir in unserm Vorgehen allzu voreilig gewesen waren, ich konnte nicht länger daran zweifeln — daß Rowena lebte. Man mußte sofort Wiederbelebungsversuche anstellen. Doch der Turm lag ganz abseits von den andern Gebäuden, in denen die Dienerschaft untergebracht war — keiner der Leute befand sich in Hörweite — wollte ich sie zu meiner Hilfe herbeiholen, so hätte ich das Zimmer auf viele Minuten verlassen müssen — das aber durfte ich nicht wagen. Ich bemühte mich daher allein, die Seele, die noch nicht ganz entflohen schien, wieder ins Leben zu rufen. Aber schon nach kurzer Zeit war ersichtlich ein Rückfall eingetreten; die Farbe verschwand von Wangen und Augenlidern, die nun bleicher noch als Marmor erschienen. Die Lippen schrumpften ein und kniffen sich zusammen und trugen den gräßlichen Ausdruck des Todes; eine widerliche, klebrige Kälte breitete sich schnell über den ganzen Leib, der überdies vollständig steif und starr wurde. Schaudernd sank ich auf das Ruhebett zurück, von dem ich in so fassungslosem Schreck aufgescheucht worden war, und gab mich von neuem leidenschaftlichen, wachen Visionen hin, in denen ich Ligeia vor mir sah.

So war eine Stunde verstrichen, als ich — konnte es möglich sein? — ein zweites Mal von der Gegend des Bettes her einen schwachen Laut vernahm. Ich lauschte in höchstem Grauen. Der Ton wiederholte sich — es war ein Seufzer. Ich eilte zur Leiche hin und sah — sah deutlich —, daß die Lippen zitterten. Eine Minute später öffneten sie sich und legten eine Reihe perlenschöner Zähne bloß. Zu der tiefen Furcht, die mich bis jetzt gebannt hielt, gesellte sich nun auch Bestürzung. Ich fühlte, wie es dunkel vor meinen Augen wurde, wie meine Gedanken wanderten, und nur durch ganz gewaltige Anstrengung gelang es mir, mich für die Aufgabe, auf die mich die Pflicht nun wiederum hinwies, zu stählen. Sowohl auf der Stirn wie auf Wangen und Hals war jetzt ein sanftes Glühen zu bemerken, eine fühlbare Wärme durchdrang den ganzen Körper, am Herzen ließ sich sogar ein leichter Pulsschlag spüren. Die Tote lebte, und mit doppeltem Eifer unterzog ich mich den Wiederbelebungsversuchen. Ich rieb und benetzte die Schläfen und die Hände und wendete alles an, was Erfahrung und eine gute Belesenheit in medizinischen Dingen erdenken konnten. Doch vergeblich. Plötzlich verschwand die Farbe, der Pulsschlag hörte auf, die Lippen nahmen wieder den Ausdruck des Todes an, und einen Augenblick danach hatte der Körper die frostige Eiseskälte, den bleiernen Farbton, die vollkommene Starre, die eingesunkenen Formen und all die widerlichen Eigenschaften dessen, der schon seit vielen Tagen ein Bewohner des Grabes gewesen war.

Und wieder sank ich in Träume von Ligeia — und wieder — was Wunder, daß ich beim Schreiben jetzt noch schaudre — wieder drang vom Ebenholzbett her ein leiser Seufzer an mein Ohr. Aber warum soll ich die unaussprechlichen Schrecken jener Nacht in allen Einzelheiten schildern? Warum soll ich darüber nachsinnen, wie ich es ausmalen könnte, wie bis zur Morgendämmerung dies fürchterliche Drama des Wiederbelebens und des Wiederabsterbens sich fortsetzte, wie jeder schreckliche Rückfall einen tiefren, unlöslicheren Tod bedeutete, wie jede Agonie wie ein Ringen mit einem unsichtbaren Feind erschien und wie jeder Kampf ich weiß nicht was für eine gräßliche Veränderung in der Erscheinung des Körpers nach sich zog? Laßt mich zum Schluß eilen.

Der größte Teil der furchtbaren Nacht war dahingegangen, und sie, die tot gewesen, rührte sich wieder. Und die Lebenszeichen waren jetzt kräftiger als bisher, obgleich sie kurz zuvor in eine Auflösung gesunken war, die gräßlicher schien als alle früheren. Ich hatte es schon längst aufgegeben, mich zu bemühen, mich überhaupt noch zu rühren. Ich saß erstarrt auf der Ottomane — eine hilflose Beute wilder Aufregungen, deren am wenigsten schreckliche, am wenigsten aufreibende wohl eine maßlose Angst war. Der Leichnam, ich wiederhole es, rührte sich, und zwar lebhafter als bisher. Die Farben des Lebens schossen mit unglaublicher Energie ins Antlitz, die Glieder wurden wieder beweglich, und wenn die Augenlider nicht noch immer fest geschlossen geblieben wären, wenn der Leib nicht noch immer still in seinen Grabtüchern und Bändern dagelegen hätte, so hätte ich glauben müssen, daß Rowena sich endgültig aus den Fesseln des Todes befreit habe. Doch wenn bis dahin dieser Gedanke noch entschieden zurückgewiesen werden mußte, so schwanden alle Zweifel, als nun das leichentuchumhüllte Wesen vom Bette aufstand und schwankend, unsicheren Schrittes, mit geschlossenen Augen und mit dem Gebaren eines Traumwesens, doch körperlich sichtbar und fühlbar, sich in die Mitte des Zimmer vorbewegte.

Ich zitterte nicht — ich rührte mich nicht — denn eine Fülle unaussprechlicher Empfindungen, die sich an das Aussehen, die Gestalt und ihre Bewegungen knüpften, hatte mein Hirn überfallen und mich ganz gelähmt. Ich rührte mich nicht — doch meine Blicke hingen an der Erscheinung. Meine Gedanken taumelten wie im Wahnsinn — tobten und ließen sich nicht halten und bändigen. Konnte das wirklich die lebende Rowena sein, die mir da gegenüberstand? Konnte es überhaupt Rowena sein — die blondhaarige, blauäugige Lady Rowena Trevanion of Tremaine? Warum, warum sollte ich es bezweifeln? Die Binde lag fest um den Mund — aber warum sollte es nicht der Mund, der atmende Mund der Lady of Tremaine sein? Und die Wangen — sie trugen Rosen wie im Mittag ihres Lebens — ja, das waren wohl sicher die schönen Wangen der lebenden Lady of Tremaine. Und das Kinn, das Kinn mit den Grübchen der Gesundheit, war es nicht das ihre? — Aber war sie denn in ihrer Krankheit gewachsen? Welch unaussprechlicher Wahnsinn faßte mich bei dem Gedanken? Ein Sprung, und ich lag zu ihren Füßen! Sie wich meiner Berührung aus, und die gräßlichen Leintücher, die den Kopf umschlossen hatten, lösten sich und fielen nieder — und in die wehende Atmosphäre des Gemachs strömten gewaltige Wogen aufgelösten Haares: es war schwärzer als die Rabenschwingen der Mittnacht! Und nun öffneten sich langsam die Augen der Gestalt, die dicht vor mir stand. „Hier, hier endlich“, schrie ich laut, „kann ich mich niemals — niemals irren: dies sind die großen und die schwarzen und die wilden Augen — meiner verlorenen Geliebten — die Augen der Lady — der Lady Ligeia!“

BERENICE

Dicebant mihi sodales, si sepulcrum amicae visitarem, curas meas aliquantulum fore levatas.

Ebn Zaiat

Mannigfach sind Trübsal und Not. Unglück und Gram sind vielgestaltig auf Erden. Gleich dem Regenbogen spannt sich das Unglück von Horizont zu Horizont, und gleich den Farben des Regenbogens sind seine Farben vielfältig und scharf abgegrenzt und dennoch innig miteinander verwoben. Wie kommt es, daß Schönheit mir zum Kummer wurde, daß selbst aus Friedsamkeit ich nur Gram zu schöpfen wußte? Doch wie die Ethik lehrt, daß das Böse eine Konsequenz des Guten sei, so lehrt uns das Leben, daß die Freude die Trauer gebiert. Entweder ist die Erinnerung vergangener Seligkeit die Pein unseres gegenwärtigen Seins, oder die Qualen, die sind, haben ihren Ursprung in den Wonnen, die gewesen sein könnten.

Mein Taufname ist Egäus, meinen Familiennamen will ich verschweigen. Doch gibt es keine Burg im Lande, die stolzer und ehrwürdiger wäre als mein Stammschloß mit seinen düstern, grauen Hallen. Man hat unser Geschlecht ein Geschlecht von Hellsehern genannt. Und dieser Glaube wurde bestärkt durch allerlei Sonderlichkeiten im Baustil des Herrenhauses, in den Fresken des Hauptsaales, in den Wandteppichen der Schlafgemächer, in den Ornamenten einiger Gewölbepfeiler der Waffenhalle, besonders aber in der Galerie alter Gemälde, in Form und Ausstattung des Bibliothekzimmers und schließlich auch in seinen äußerst seltsamen Bücherschätzen selbst.

Die Erinnerung an meine frühesten Lebensjahre ist mit jenem Zimmer und seinen Büchern, von denen ich nichts Näheres mehr sagen will, innig verknüpft. Hier starb meine Mutter. Hier wurde ich geboren. Doch es ist überflüssig, zu sagen, daß ich schon früher gelebt, daß meine Seele schon ein früheres Dasein gehabt hatte. Ihr leugnet es? Nun, wir wollen nicht streiten. Selbst überzeugt, suche ich nicht zu überzeugen. Jedoch — ich habe ein Erinnern an luftzarte Gestalten, an geisterhafte, bedeutsame Augen, an harmonische, doch trauervolle Laute; ein Erinnern, das sich nicht bannen läßt, ein Erinnern, das einem Schatten gleich sich nicht von meiner Vernunft loslösen läßt, solange ihr Sonnenlicht bestehen wird.

In jenem Zimmer also wurde ich geboren. Da ich solcherweise, aus der langen Nacht des scheinbaren Nichts erwachend, in ein wahres Märchenland eintrat, in einen Palast von Vorstellungen und Träumen, in die wunderlichen Reiche klösterlich einsamen Denkens und Wissens, so ist es nicht erstaunlich, daß ich mit überraschten, brennenden Blicken in diese Welt starrte, daß ich meine Knabenjahre im Durchstöbern von Büchern vergeudete, meine Jünglingszeit in Träumen verschwendete. Erstaunlich aber ist es, welch ein Stillstand über die sprudelnden Quellen meines Lebens kam, als die Jahre dahingingen und auch mein Mannesalter mich noch im Stammhaus meiner Väter sah; erstaunlich, welch vollständige Umwandlung mit meinem Wesen, mit meinem ganzen Denken vor sich ging. Die Realitäten des Lebens erschienen mir wie Visionen und immer nur wie Visionen, während die wunderlichen Ideen aus Traumlanden nicht nur meinem täglichen Leben Inhalt gaben, sondern ganz und gar zu meinem täglichen Leben selber wurden.

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Berenice war meine Kusine, und wir wuchsen zusammen in den Hallen meiner Väter auf. Doch wir entwickelten uns sehr verschieden: ich schwächlich von Gesundheit und dem Trübsal verfallen, sie ausgelassen, anmutig und von übersprudelnder Lebenskraft; ihrer warteten die spielenden Freuden draußen in freier Natur, meiner die ernsten Studien in klösterlicher Einsamkeit. Ich lauschte und lebte nur meinem eignen Herzen und ergab mich mit Leib und Seele dem angestrengtesten und qualvollsten Nachdenken; sie schlenderte sorglos durchs Leben und achtete nicht der Schatten, die auf ihren Weg fielen, und nicht der rabenschwarzen Schwingen, mit denen die Stunden schweigend entflohen. Berenice! Ich beschwöre ihren Namen herauf — und aus den grauen Trümmern des Gedenkens erheben sich jäh tausend ungestüme Erinnerungen! Ah, leibhaftig steht ihr Bild jetzt vor mir, so wie in den jungen Tagen ihrer Leichtherzigkeit und ihres Frohsinns! O wundervolle, himmlische Schönheit! O Sylphe, die durch die Gebüsche Arnheims schwebte! O Najade, die seine Quellen und Bäche belebte! Und dann, dann wird alles grauenvolles Geheimnis, wird zu seltsamer Spukgeschichte, die verschwiegen werden sollte. Krankheit, verhängnisvolle Krankheit befiel ihren Körper; plötzlich — vor meinen Augen fast — brach die Zerstörung über sie herein, durchdrang ihren Geist, ihr Gebaren, ihren Charakter und vernichtete mit schrecklicher, unheimlicher Gründlichkeit ihr ganzes Wesen, ihre ganze Persönlichkeit! Weh! Der Zerstörer kam und ging! Und das Opfer — wo blieb es? Ich kannte es nicht mehr — erkannte es nicht mehr als Berenice!

Unter der Gefolgschaft dieser ersten verderbenbringenden Krankheit, die eine so gräßliche Umwandlung in Körper und Seele meiner Kusine herbeiführte, ist als quälendste und hartnäckigste Erscheinung eine Art Epilepsie zu nennen, die nicht selten in Starrsucht endete — in Starrsucht, die endgültiger Auflösung täuschend ähnlich sah. Das Erwachen aus diesem Zustand war in den meisten Fällen erschreckend jäh.

Inzwischen nahm meine eigne Erkrankung — denn als solche, sagte man mir, sei mein Zustand anzusehen — mehr und mehr Besitz von mir und entwickelte sich zu einer neuartigen und äußerst seltsamen Monomanie, die von Stunde zu Stunde an Stärke zunahm und schließlich unerhörte Macht über mich gewann. Diese Monomanie — wenn ich so sagen muß — bestand in einer krankhaften Reizbarkeit jener geistigen Eigenschaft, die man mit Auffassungsvermögen bezeichnet.

Es ist mehr als wahrscheinlich, daß ich nicht verstanden werde; aber ich fürchte in der Tat, daß es ganz unmöglich ist, dem Verständnis des Durchschnittslesers einen auch nur annähernden Begriff davon zu geben, mit welcher nervösen interessierten Hingabe bei mir die Kraft des Nachdenkens (um Fachausdrücke zu vermeiden) sich eifrig betätigte, sich verbiß und vergrub in die Betrachtung sogar der allergewöhnlichsten Dinge von der Welt.

Ich konnte stundenlang von der belanglosesten Textstelle oder Randglosse eines Buches gefesselt werden; ich konnte den größten Teil eines Sonnentages damit zubringen, irgendeinen schwachen Schatten zu beobachten, der über eine Wand oder den Fußboden hinzog; ich konnte eine ganze Nacht lang das stille Lampenlicht betrachten oder dem Flammenspiel des Kaminfeuers zuschauen; ganze Tage verträumte ich über dem Duft einer Blüte, oder ich sprach irgendein monotones Wort so lange vor mich hin, bis es keinen Sinn mehr hatte und nur noch Klang zu sein schien; ich verlor jedes Bewußtsein meiner physischen Existenz, indem ich mich vollkommner Ruhe hingab, mich nicht rührte und regte und halsstarrig stundenlang so verweilte. Dies sind einige der häufigsten und harmlosesten Grillen, die mich plagten — die Folge eines Geisteszustandes, der vielleicht gar nicht so selten ist, sicherlich aber jeder Analyse oder Erklärung spottet.

Doch man darf mich nicht mißverstehen. Die an so nichtige Dinge gehängte, tief ernste, krankhaft übertriebne Aufmerksamkeit ist nicht mit jenem Hang zu Grübeleien zu verwechseln, den mehr oder weniger wohl alle Menschen besitzen und der besonders Leuten von starker Einbildungskraft eigentümlich ist. Es war nicht einmal, wie man leichthin hätte annehmen können, ein besonders übertriebnes Stadium dieses Hinträumens, sondern etwas ganz und gar anderes. Jene Träumer und Phantasten, die von irgendeinem meist wirklich interessanten Gegenstande angezogen werden, verlieren dieses ursprüngliche Objekt bald aus den Augen, weil sein Anblick eine ganze Gedankenkette in ihnen aufrollt und eine Unzahl von Folgerungen und Betrachtungen in ihnen erweckt, und wenn sie dann aus solchen — meist angenehmen — Träumereien erwachen, so ist der Gegenstand, der diese Träumereien veranlaßte, ihrem Bewußtsein völlig entschwunden. In meinem Falle jedoch war es stets ein ganz nichtiger Gegenstand, an den meine Betrachtung sich knüpfte, wenngleich er infolge meines krankhaft intensiven Anschauungsvermögens vielfältige und übertriebne Bedeutsamkeit bekam. Meine Gedanken schweiften nur wenig ab und kehrten stets eigensinnig wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Diese Grübeleien waren niemals angenehm, und wenn sie endeten, so hatte der Gegenstand, von dem sie ausgingen, für mich ein unnatürlich gesteigertes Interesse bekommen, und eben dies war es, was den charakteristischen Zug meines Übels ausmachte. Kurz gesagt: in meinem Fall handelte es sich um ein abnorm konzentriertes Anschauungsvermögen, während das Wachträumen normaler Menschen auf ein Analysieren und Folgern hinausläuft.

Wenn auch die Bücher, mit denen ich mich damals beschäftigte, diesen krankhaften Zustand nicht gerade hervorgerufen hatten, so trug ihr phantastischer und oft unlogischer Inhalt immerhin viel dazu bei, mein Leiden so eigenartig auszubilden. Ich erinnere mich unter anderm gut der Abhandlung des edlen Italieners Coelius Secundus Curio „De Amplitudine Beati Regni Dei“, des großen Werkes des heiligen Augustinus „Die Stadt Gottes“ und ferner des Tertullian „De Carne Christi“, in welchem der paradoxe Satz: „Mortuus est Dei filius; credibile est quia ineptum est; et sepultus resurrexit; certum est quia impossibile est“, mich zu tiefem, fruchtlosem Nachsinnen veranlaßte und viele Wochen lang meine Zeit gänzlich in Anspruch nahm.

So konnte mein Verstand, den nur die trivialsten Dinge aus dem Gleichgewicht brachten, mit jenem Meeresfelsen verglichen werden, von dem Ptolomäus Hephästion sagt, daß er allen menschlichen Angriffen widerstand, ja selbst der heftigen Wut von Wind und Wellen trotzte, der aber erbebte, sobald er mit der Blume Asphodelos berührt wurde. Ein oberflächlicher Beurteiler möchte wohl nun mit Bestimmtheit annehmen, daß die Veränderung, die Berenices unglückselige Krankheit in ihrem Seelenzustand hervorgerufen hatte, mir häufig Gelegenheit für dies intensive und anormale Nachsinnen gegeben hätte, das ich soeben nach bestem Können zu beschreiben versucht habe — aber nein, dies war in keiner Weise der Fall. In meinen klaren Stunden bereitete mir ihr Leiden allerdings Schmerz, denn dieser völlige Zusammenbruch ihres heitren und edlen Lebens ging mir tief zu Herzen, und ich fragte mich oft bekümmert, welch grauenhafte Mächte einen so unerhörten Umsturz hatten herbeiführen können. Aber solche Betrachtungen hingen mit meiner Idiosynkrasie nicht zusammen, sie waren ganz so, wie sie unter analogen Umständen weitaus die meisten Menschen würden angestellt haben. Es ist vielmehr bezeichnend für die Eigenart meines Übels, daß mich die unwichtigere, doch augenfälligere Wandlung in Berenices physischem Zustand — diese sonderbare und grauenhafte Vernichtung ihrer wirklichen, sichtbarlichen Persönlichkeit — weit mehr fesselte.

Sicherlich habe ich sie in den strahlenden Tagen ihrer unvergleichlichen Schönheit nie geliebt. Infolge meiner seltsamen Anomalie waren meine Gefühle nie vom Herzen — waren meine Neigungen stets vom Verstand ausgegangen. Im frühen Morgengrau — im schattigen Gitterwerk des mittäglichen Waldes — nächtens in der Stille meines Studierzimmers — wann und wo sie mir je vor Augen trat, immer war es mir, als sei sie nicht die lebende, atmende Berenice, sondern eine Traumgestalt; sie erschien mir nicht als ein irdisches Geschöpf, sondern als die Abstraktion eines solchen — nicht als etwas, das man bewundern, sondern als etwas, dem man nachsinnen müsse — nicht als ein Wesen zum Lieben, sondern als ein Thema zu tiefgründigem Erforschen. Und jetzt — jetzt schauderte ich bei ihrem Nahen und erbleichte bei ihrem Anblick. Aber ich beklagte ihren Verfall bitter, und ich erinnerte mich, daß sie mich seit langem liebte, und so kam es, daß ich ihr in einer schlimmen Stunde von Heirat sprach.

Und als die Zeit nahte, da wir Hochzeit halten wollten, saß ich an einem Winternachmittag eines jener wunderbar warmen, stillen und umschleierten Tage, die man die Amme des schönen Eisvogels nennt[1], wie ich vermeinte ganz allein im innern Gemach der Bibliothek; aber als ich aufblickte, sah ich Berenice vor mir stehen.

War es meine eigne fiebernde Einbildungskraft oder eine Wirkung der dunstigen Atmosphäre oder das trübe Dämmerlicht im Zimmer oder der Faltenfluß ihres grauen Gewandes, was ihr so verschwommene Konturen gab? Ich konnte es nicht sagen. Sie sprach kein Wort, und ich — nicht um alles in der Welt hätte ich ein Wort hervorbringen können. Ein eisiger Frost durchrieselte mich; eine unerträgliche Angst befiel mich; eine verzehrende Neugier durchdrang meine Seele; ich sank in meinen Sitz zurück und verharrte regungslos und hielt den Atem an und heftete meine Augen durchdringend auf ihre Gestalt. Ach, sie war entsetzlich abgemagert! Nicht eine einzige Linie, nicht eine einzige Kontur verriet noch eine Spur ihrer früheren Persönlichkeit. Meine brennenden Blicke fielen schließlich auf ihr Antlitz.

Die Stirn war hoch und sehr bleich und sonderbar starr, und war über den hohlen Schläfen von zahllosen Löckchen des einst pechschwarzen Haares beschattet, das jetzt von lebhaftem Gelb war und dessen phantastische Ringel mit der souveränen Melancholie des Antlitzes seltsam kontrastierten. Die Augen waren ohne Leben und ohne Glanz und anscheinend ohne Pupillen, und ich schauderte unwillkürlich vor ihrem glasigen, starren Ausdruck zurück und wandte mich der Betrachtung der dünnen und eingesunkenen Lippen zu. Sie teilten sich zu einem sonderbar bedeutungsvollen Lächeln und enthüllten meinem Blick langsam der veränderten Berenice Zähne. Wolle Gott, daß ich sie nie gesehen hätte oder daß ich, nachdem ich sie sah, gestorben wäre!

*                *
*

Das Schließen einer Tür schreckte mich auf, und aufblickend bemerkte ich, daß meine Kusine das Gemach verlassen hatte. Aber in der wüsten Kammer meines Gehirns war etwas zurückgeblieben: das weiße Gespenstbild ihrer Zähne — und das ließ sich nicht mehr vertreiben. Das flüchtige Lächeln von Berenices Lippen hatte genügt, jedes Schattenfleckchen auf dem schimmernden Email, jede Einkerbung der Schneiden — kurz jedes kleinste Merkmal ihrer Zähne tief in mein Gedächtnis einzubrennen. Ich sah sie jetzt sogar deutlicher als vorhin, da ich sie wirklich vor Augen hatte. Die Zähne! — Die Zähne! — Sie waren hier, waren dort, waren überall — sichtbar und greifbar vor mir; lang, schmal und übermäßig weiß, umwunden von den bleichen Lippen — ganz so, wie in jenem Augenblick, da jenes verhängnisvolle Lächeln sie zuerst enthüllte.

Dann kam meine Monomanie mit voller Wut über mich, und ich wehrte mich vergeblich gegen ihre unerklärliche, bezwingende Gewalt. Alle Gegenstände und Ereignisse um mich her schienen zu versinken — ich hatte nur noch Gedanken für diese Zähne. Nach ihnen trug ich ein wahnsinniges Verlangen. Die Welt und alles, was mich mit ihr verband, schwanden hin vor diesem einen, einzigen Bild. Sie, die Zähne, sie allein waren meinem geistigen Auge gegenwärtig — und sie, in ihrer ausgesprochenen Individualität, wurden zum einzigen Gedanken meines Geistes. Ich hielt sie in jede Beleuchtung. Ich betrachtete sie von allen, allen Seiten. Ich studierte ihren Charakter. Ich verweilte bei ihren einzelnen Eigentümlichkeiten. Ich vertiefte mich in die Übereinstimmungen und Abweichungen, die die Zähne in ihrer Formbildung aufwiesen. Ich entsetzte mich, als ich ihnen in Gedanken die Fähigkeit sinnlichen Empfindens und, auch ohne daß die Lippen sie unterstützen, seelisches Ausdrucksvermögen zuschrieb. Von Mademoiselle Salle hat man mit Recht gesagt: „que tous ses pas étaient des sentiments“, und von Berenice glaubte ich weit überzeugter: que tous ses dents étaient des idées. Des idées! — ah, war dies der idiotische Gedanke, der mich zugrunde richten sollte? Des idées — ah, das war es, weshalb ich diese Zähne so wahnsinnig begehrte! Ich fühlte, daß einzig ihr Besitz mir Frieden bringen — mich der Vernunft zurückgeben konnte.

Und so wurde es Abend — und Nacht kam und verweilte und ging — und wieder dämmerte der Tag — und die Nebel einer zweiten Nacht sammelten sich rings — und immer noch saß ich regungslos in jenem einsamen Zimmer — und immer noch saß ich in Betrachtungen vergraben — und immer noch übte das Gespenst der Zähne, das da mit lebhafter und gräßlicher Deutlichkeit im Wechsel von Licht und Schatten durchs Zimmer schwebte, seine schreckliche Gewalt.

Da brach in meine Traumversunkenheit ein Ruf voll Grausen und Bestürzung, und nach einer Pause vernahm ich Geräusch banger Stimmen, untermischt mit Klagelauten des Schmerzes. Ich erhob mich von meinem Sitz, und als ich die Tür zum Vorzimmer aufwarf, fand ich dort eine Magd, die mir in Tränen aufgelöst berichtete, daß Berenice nicht mehr sei! Sie war am frühen Morgen einem Anfall von Epilepsie erlegen, und jetzt, beim Hereinbrechen der Nacht, wartete das Grab auf seinen Bewohner; alle Vorbereitungen zur Bestattung waren beendet.

*                *
*

Ich fand mich im Bibliothekzimmer sitzend — und wieder allein dort sitzend. Es schien, als sei ich wiederum aus einem wirren und aufregenden Traum erwacht. Ich wußte, daß jetzt Mitternacht war, und ich wußte recht gut, daß man Berenice bei Sonnenuntergang in die Erde gebettet hatte. Doch von den nachfolgenden dunklen Stunden hatte ich keine bestimmte und klare Erinnerung. Dennoch gedachte ich ihrer voll Grauen — einem Grauen, das um so entsetzlicher war, als ich es nicht an bestimmte Vorgänge zu binden vermochte. Es war in den Aufzeichnungen meines Lebens das furchtbarste Blatt, über und über mit dunklen, gräßlichen und unfaßbaren Erinnerungen bekritzelt. Ich versuchte, sie zu entziffern, aber es war unmöglich, und zwischendurch — wie das Gespenst eines verklungenen Rufes — gellte hin und wieder der schrille und durchdringende Schrei einer weiblichen Stimme mir in die Ohren. Ich hatte irgend etwas getan — was war es? Ich stellte mir laut diese Frage, und die flüsternden Echos des Zimmers antworteten mir — „was war es?“

Auf dem Tisch neben mir brannte eine Lampe, und daneben lag eine kleine Schachtel. Sie hatte durchaus nichts Auffallendes, und ich hatte sie schon manchmal gesehen, denn sie war Eigentum des Hausarztes; wie aber kam sie hier auf meinen Tisch, und warum schauderte ich, wenn ich sie ansah? Diese Fragen wollten sich in keiner Weise beantworten lassen. Meine Blicke fielen schließlich auf den unterstrichenen Satz eines offen vor mir liegenden Buches. Es waren die sonderbaren, doch einfachen Worte des Dichters Ebn Zaiat: „Dicebant mihi sodales, si sepulcrum amicae visitarem, curas meas aliquantulum fore levatas.“ — Warum nur standen mir die Haare zu Berge, als ich dies las, warum erstarrte mir das Blut in den Adern?

Es wurde leise an die Tür geklopft, und bleich wie der Tod trat ein Diener auf Zehenspitzen herein. Seine Blicke waren voll wahnsinnigen Entsetzens, und er sprach bebend zu mir mit gedämpfter, heiserer Stimme. Was sagte er? Einige abgerissene Sätze hörte ich. Er sprach von einem wilden Schrei, der das Schweigen der Nacht gebrochen habe — daß das Hausgesinde zusammengeströmt sei — daß man in der Richtung des Schreies auf die Suche gegangen sei; und dann wurde seine Stimme unheimlich deutlich, als er von Grabschändung redete — von einem aus dem Sarg gerissenen, entstellten Körper, der noch atmete — noch pulste — noch lebte!

Er deutete auf meine Kleider: sie waren von Erde beschmutzt und mit Blut bespritzt. Ich sagte nichts, und er ergriff sanft meine Hand: sie trug frische Kratzwunden von Fingernägeln. Er lenkte meine Aufmerksamkeit auf einen an die Wand gelehnten Gegenstand: es war ein Spaten. Mit schrillem Aufschrei sprang ich an den Tisch und riß die Schachtel an mich, die dort lag. Aber es wollte mir nicht gelingen, sie zu öffnen. Und sie entglitt meinen zitternden Händen und schlug hart zu Boden und sprang in Stücke. Und heraus rollten klappernd zahnärztliche Instrumente und zweiunddreißig kleine, weiße, elfenbeinschimmernde Dinger und verstreuten sich rings auf den Fußboden ...


[1] Denn da Jupiter während der Winterzeit zweimal sieben Tage Wärme schenkt, so haben die Menschen diese milde und gemäßigte Zeit die Amme des schönen Eisvogels genannt. — Simonides

MORELLA

Αυτο καθ’ αυτο μεθ’ αυτου, μονο ειδες αιει ον.

Plato, Symposion

Ein Gefühl tiefer, jedoch höchst seltsamer Zuneigung verband mich mit meiner Freundin Morella. Ein Zufall war’s, der mich vor vielen Jahren mit ihr zusammenführte, aber seit unserer ersten Begegnung brannte meine Seele in fremder, entfesselter Glut. Das war nicht die Flamme des Eros, das war ein seltsam wilder Seelenbrand, und bitter und qualvoll war meinem Geist die wachsende Überzeugung, daß ich das rätselhafte Wesen dieser Gluten auf keine Weise zu ergründen noch ihr Aufflammen und Niedersinken zu beherrschen vermochte.

Und das Schicksal, das uns zueinander geführt hatte, band uns am Altar zusammen. Doch sprach ich nie ein Wort, das Leidenschaft gewesen wäre, dachte nie einen Gedanken, der Liebe bedeutet hätte. Morella aber floh jede Geselligkeit und schloß sich innig an mich an und machte mich glücklich — denn Staunen und Träumen ist Glück.

Morellas Gelehrsamkeit war unergründlich. Bei meinem Leben! ihre vielseitige Begabung war geradezu übernatürlich — ihre Verstandeskräfte waren gigantisch! Ich wußte das und wurde in vielen Dingen ihr Schüler. Es begann damit, daß sie mir eine Anzahl jener mystischen Schriften vorlegte, die man gemeiniglich nur als den Abschaum der frühen deutschen Literatur ansieht. Das Studium dieser Werke bildete — aus mir unverständlichen Gründen — ihre liebste und andauernde Beschäftigung, und daß es auch die meine wurde, ist einfach dem unwiderstehlichen Einfluß von Beispiel und Gewohnheit zuzuschreiben.

Mit alledem hatte, wenn ich nicht irre, mein Verstand wenig zu schaffen. Soviel ich weiß, stimmte meine Weltanschauung durchaus nicht mit den Idealen dieser Leute überein, und auch in meinem Tun und Denken war keine Spur von ihrem Mystizismus zu entdecken. Ich wenigstens hatte diese Überzeugung und überließ mich daher ruhig und blindlings der Führung meiner Frau, der ich unerschrocken in allen ihren Studien folgte. Und dann — dann, wenn ich, über geächtete, verderbliche Blätter gebeugt, fühlte, wie ein verderblicher Geist sein Feuer in mir entzündete, kam Morella und legte ihre kalte Hand auf meine heiße Hand und entfachte aus der Asche einer toten Philosophie irgendwelche fast bedeutungslosen, doch eigentümlichen Worte, deren seltsamer Sinn sich flammend in mein Gedächtnis grub. Und dann — dann ging ich Stunde um Stunde nicht von ihrer Seite und berauschte mich am Wohlklang ihrer Stimme, bis diese mir zum Überdruß und schließlich zum Entsetzen wurde und schwarze Schatten sich auf meine Seele lagerten und bis ich erbleichte und tief im Innern vor den fast überirdischen Lauten schauderte. Und so wurden plötzlich Glück und Freude zu Entsetzen und namenlosem Abscheu, und Schönheit weckte Grauen, so wie einst aus dem Tale Hinnom das Gehenna geworden war.

Es ist unnötig, über die einzelnen Probleme, die jene alten Bücher in uns anregten und die lange, lange Zeit fast das einzige Thema unserer Gespräche bildeten, viel zu sagen. Alle die, welche etwas von „theologischer Moral“ verstehen, kennen diese Fragen gut, und jene, die darin unerfahren sind, würden mich sicherlich kaum verstehen. Der wilde Pantheismus Fichtes, die gemäßigtere Lehre der Pythagoräer von der Wiederkunft und vor allem die Identitätsdoktrinen, wie Schelling sie aufstellte, bildeten den hauptsächlichsten Stoff für unsere Diskussionen und schienen die phantasievolle Morella am tiefsten und schönsten anzuregen. Jene sogenannte persönliche Identität definiert Locke, wie ich glaube, als das dauernde Bestehen eines jeden vernunftbegabten Daseins. Und da wir unter „Person“ ein intelligenz- und vernunftbegabtes Wesen verstehen und da alles Denken stets von Bewußtheit begleitet ist, so formt dieses beides gemeinsam unser „Ich“ und unterscheidet uns durch Verleihung unserer „persönlichen Identität“ von anderen denkenden Wesen. Doch das „principium individuationis“, der Begriff dieser Identität, die mit dem Tode verloren oder nicht verloren geht, war mir stets ein Problem von außerordentlicher Bedeutung, nicht allein wegen seiner verwirrenden und aufregenden Konsequenzen, sondern auch wegen der sonderbaren und eifrigen Art und Weise, in der Morella es behandelte.

Doch die Zeit war gekommen, in der das Geheimnisvolle im Wesen meines Weibes mich wie ein Alp, ein Zauber bedrückte. Ich konnte die Berührung ihrer bleichen Finger nicht ertragen, ich konnte den sanften Klang ihrer tönenden Sprache, den Glanz ihrer melancholischen Augen nicht ertragen. Und sie wußte all dies und hielt es mir doch niemals vor. Sie schien meine Schwäche, meine Manie zu kennen und nannte es lächelnd „Schicksal“. Selbst die mir unbekannte Ursache für meine sich steigernde Abneigung schien sie zu kennen, doch machte sie nie eine Andeutung, die mir auf die Spur geholfen hätte. Aber sie war Weib und härmte sich und schwand hin und welkte von Tag zu Tag. Mit der Zeit erschien und blieb auf ihren Wangen eine bedeutungsvolle Röte, und die blauen Adern auf ihrer bleichen hohen Stirn schwollen an. Und wenn mein Wesen für einen Augenblick in Mitleid schmolz, so traf mich im nächsten das Aufleuchten ihrer bedeutsamen Augen — und meine Seele entsetzte sich und wurde von einem Schwindel ergriffen, wie er uns befällt, wenn wir hinab in einen grausig düsteren, unergründlichen Abgrund spähen.

Muß ich noch sagen, daß ich mit tiefem, aufreibendem Verlangen die Stunde von Morellas Ableben herbeiwünschte? Ich tat es. Aber der schwache Geist klammerte sich noch Tage, Wochen, Monate an seine zerbrechliche Hülle, und es kam so weit, daß meine gemarterten Nerven Herrschaft über mich gewannen. Dies Hinzögern machte mich rasend, und mein teuflisches Herz verfluchte die Tage und die Stunden und die bitteren Minuten, die länger und länger zu werden schienen, je mehr ihr zartes Leben dahinschmolz, wie Schatten länger und länger werden im sterbenden Tag.

Aber eines Herbstabends, als alle Winde im Himmelsraum schliefen, rief mich Morella an ihr Bett. Ein trüber Nebel lagerte über der Erde und ein warmer Glanz auf den Wassern, und die Farben des herbstlichen Waldes glühten so bunt, als sei ein Regenbogen vom Firmament herabgefallen und in Millionen bunte Scherben zersplittert. „Dies ist der Tag der Tage“, sagte sie, als ich zu ihr trat. „Der Tag der Tage — sei es zum Leben oder Sterben. Ein schöner Tag für die Söhne der Erde und des Lebens — ah, schöner noch für die Töchter des Himmels und des Todes!“

Ich küßte sie auf die Stirn, und sie fuhr fort:

„Ich sterbe, dennoch werde ich leben!“

„Morella!“

„Die Tage, da du mich lieben konntest, sind nie gekommen — doch sie, die du im Leben verabscheutest — im Tode sollst du sie anbeten.“

„Morella!“

„Ich wiederhole es — ich sterbe. Doch in mir lebt ein Unterpfand der Neigung, die du — ach wie gering! — für mich, Morella, fühltest. Und wenn mein Geist entflieht, wird das Kind leben — dein Kind und meines, Morellas! Doch deine Tage werden Tage der Sorge sein — der Sorge, die beständiger ist als alles andere, gleichwie die Zypresse ausdauernder ist als alle anderen Bäume. Denn die Stunden deines Glückes sind vorüber, und Freude erblüht nicht zweimal im Leben, nicht zweimal, wie die Rosen von Paestum zweimal blühen im Jahre. Rebe und Myrte werden dir unbekannt sein, und du wirst, gleich den Moslemin in Mekka, auf Erden schon dein Leichentuch mit dir herumtragen.“

„Morella!“ schrie ich auf, „Morella! Wie kannst du das wissen?“

Aber sie wendete das Gesicht ab, und ein leises Zittern überlief ihre Glieder. Sie starb, und ihre herrliche, ihre entsetzliche Stimme war tot.

Doch wie sie es vorausgesagt hatte, geschah es. Ihr Kind, das sie sterbend geboren hatte und das den ersten Atemzug tat, als seine Mutter den letzten tat, dies Kind, ein Mädchen, lebte. Und es entwickelte sich geistig und körperlich außerordentlich schnell und war das vollkommene Ebenbild von ihr, die dahingeschieden war, und ich liebte es mit einer Liebe, deren Glut und Innigkeit mir oft wie eine Kraft aus einer anderen Welt erschien.

Doch nicht lange, da verdunkelte sich der Himmel dieser reinen Zuneigung, denn Grausen und Kummer jagten wie ungeheure verderbenbringende Wolken darüber hin. Ich sagte schon, das Kind entwickelte sich außerordentlich früh an Körper und Geist. Und in der Tat, sein schnelles leibliches Wachstum war geradezu befremdend. Aber schrecklich, o, schrecklich waren die tobenden Gedanken, die mich überstürzten, wenn ich des Kindes geistiger Entwicklung folgte. Wie konnte es anders sein? Entdeckte ich doch täglich in den Vorstellungen der kindlichen Seele die abnorme Begabung und das ausgereifte Wissen des Weibes, vernahm aus dem kindlichen Munde die genialsten Erfahrungssätze, die Menschen jemals aufgestellt haben, und sah im Auge des Kindes die Weisheit und Leidenschaftlichkeit vollkommener Reife glühen.

Als alle diese Erscheinungen meinen erschreckten Sinnen offenbar wurden, als meine Seele sie in sich aufgenommen hatte — war es da zu verwundern, daß ein entsetzlicher Argwohn mich befiel in der quälenden Erinnerung an die grausigen Phantasien und unerhörten Theorien der verstorbenen Morella?

Und ich verbarg dies junge Wesen, das ich anbetete, vor den Blicken und Einflüssen der Welt, und in der vollständigen Abgeschlossenheit meines Heims wachte ich mit aufreibender Sorge über alles, was dieses geliebte Wesen betraf.

Und wie die Jahre dahinflossen und ich Tag um Tag in ihr heiliges und mildes und beredtes Antlitz spähte und ihr Wachsen und Reifen bemerkte, Tag um Tag, geschah es, daß ich Tag um Tag neue Dinge fand, in denen die Tochter vollständig ihrer Mutter — der schwermütigen und toten — glich. Und stündlich verdichteten sich diese Schatten einer unnatürlichen Ähnlichkeit und wurden immer tiefer und immer bestimmter und immer beängstigender — und immer grauenvoller anzusehen. Daß ihr Lächeln dem Lächeln ihrer Mutter vollkommen glich, das hätte ich ertragen können; aber dann, plötzlich, schauderte ich, denn ihr Lächeln war nicht nur dem Morellas gleich — es war mit ihm identisch! Daß ihre Augen den Augen Morellas glichen, konnte ich hinnehmen, aber manchmal, oft, drang der Tochter Blick in die Tiefen meiner Seele mit einer verwirrenden Eindringlichkeit, wie sie eben nur Morella eigen sein konnte. Und in den Umrissen der hohen Stirn und in den seidigen Locken ihres Haares, in den bleichen Fingern, die mit diesen Locken spielten, und in der klagenden Musik ihrer Stimme und vor allem — o! vor allem in den Redewendungen der Toten, die von den Lippen der Lebenden und Geliebten flossen, fand ich Nahrung für die aufreibendste Gedankenarbeit und für das rastloseste Entsetzen — für den Wurm, der niemals sterben wollte!

So vergingen die ersten zehn Jahre ihres Lebens, und noch immer hatte meine Tochter keinen Taufnamen. „Mein Kind“ und „mein Liebling“ sind ja übliche Benennungen, wie Vaterliebe sie findet, und die strenge Abgeschlossenheit, in der sie lebte, schloß jeden weiteren Verkehr aus und machte einen anderen Namen überflüssig. Morellas Name war mit ihr gestorben. Ich hatte der Tochter niemals von der Mutter gesprochen; es war unmöglich, von ihr zu sprechen. Tatsächlich hatte also das Kind in seinem jungen Leben keine anderen Eindrücke empfangen als diejenigen, die sich ihm in den engen Grenzen unserer Zurückgezogenheit bieten konnten.

Doch schließlich vermeinte mein abgehetzter Geist durch die Zeremonie der Taufe Erlösung zu finden. So führte ich also das Kind zur Taufe. Und als ich vor dem Taufbecken stand, suchte ich nach einem Namen. Viele Namen voll Weisheit und Schönheit, aus alter und neuer Zeit, aus meiner Heimat und aus fremden Ländern, drängten sich mir auf die Lippen, und viele, viele Namen für Sanftes und Frohes und Gutes. Was trieb mich nur dazu an, die Ruhe der Toten und Begrabenen zu stören? Welcher Dämon veranlaßte mich, jenen Namen zu flüstern, bei dessen Erinnerung schon das Blut mir stürmisch zum Herzen schoß? Welcher Unhold sprach aus den Tiefen meiner Seele, als ich in schweigender Nacht mitten im düsteren Kreuzgang in das Ohr des heiligen Mannes die Silben flüsterte: „Morella!“ Und wer anders als Satan selbst veranlaßte mein Kind, bei diesem kaum vernehmbaren Laut zusammenzuschrecken, die verglasten Blicke gen Himmel zu heben und mit zuckendem Gesicht, auf dem die Schatten des Todes kämpften, auf die schwarze Marmorplatte unserer Familiengruft niederzusinken und zu antworten: „Hier bin ich!“

Klar, kalt und vollkommen deutlich trafen diese einfachen Worte mein Ohr und rollten von da wie geschmolzenes Blei zischend in mein Gehirn. Jahr um Jahr kann dahingehen, doch niemals die Erinnerung an diesen Augenblick! Wahrlich, noch wußte ich nichts von Blumen und Reben — doch Zypresse und Schierling umdrohten mich Tag und Nacht. Und ich wußte nichts mehr vom Wandel der Zeit, und der Stern meines Schicksals losch aus am Firmament, und die Erde verlor ihr Licht, und die Gestalten, die sie belebten, glitten an mir vorbei wie Schatten, und mitten unter ihnen sah ich nur — Morella! Die himmlischen Winde atmeten nur einen Laut, und die rieselnden Wellen der ewigen Wasser murmelten immerfort — Morella! Aber sie starb, und mit meinen eigenen Händen trug ich sie zu Grab. Und ich lachte ein langes, bitteres Lachen, als in der Gruft, in die ich die zweite bettete, nicht eine Spur zu finden war von der ersten — Morella.

ELEONORA

Sub conservatione formae specificae salva anima.

Raymond Lully

Ich entstamme einem Geschlecht, das dafür bekannt ist, eine flammende Leidenschaftlichkeit und eine zügellose Phantasie zu besitzen. Von mir sagt man, daß ich wahnsinnig sei; aber noch ist die Frage nicht gelöst, ob Wahnsinn nicht etwa erhabenste Erkenntnis ist, ob vieles, was herrlich, ob alles, was vollkommen ist, nicht vielleicht einer Krankhaftigkeit des Denkens entspringt, einer durch Überanstrengung des normalen Intellekts hervorgerufenen Reizbarkeit des Geistes. Alle, die bei Tage träumen, wissen von vielen Dingen, die denen entgehen, die nur den Traum der Nacht kennen. Visionen lassen sie den Glanz der Ewigkeiten schauen, und in ihr Wachsein nehmen sie das erschütternde Bewußtsein mit, an der Schwelle der Erkenntnis des großen Rätsels gestanden zu haben. Augenblicke offenbaren ihnen mit Blitzesgrelle viel von der Weisheit des Guten, mehr noch von der bloßen Kenntnis des Bösen. Sie haben nicht Ruder noch Kompaß und dringen dennoch in das unendliche Meer des ewigen Lichtes vor — und weiter, gleich den Fahrten des nubischen Geographen, bis ins Meer der Schatten: „aggressi sunt mare tenebrarum, quid in eo esset exploraturi.“

Nehmen wir also an, ich sei wahnsinnig. Ich gebe zum wenigsten zu, daß mein Geistesleben aus zwei ganz verschiedenen Zuständen besteht: dem Zustand klarer, nicht anzuzweifelnder Vernunft, der die Erinnerung an die Begebenheiten der ersten Epoche meines Lebens umfaßt, und einem Zustand voller Schatten und Zweifel, dem die Gegenwart gehört und die Erinnerung an die Geschehnisse der zweiten großen Epoche meines Lebens. Darum könnt ihr dem, was ich von meinem ersten Lebensabschnitt sagen werde, Glauben schenken; von dem aber, was ich von der späteren Zeit berichte, glaubt nur so viel, als euch glaubwürdig erscheint — oder bezweifelt das Ganze. Doch falls ihr nicht zweifeln könnt, so mögt ihr vor den Rätseln meiner Seele den Ödipus spielen.

Sie, die ich in meiner Jugend liebte und von der ich jetzt kühl und klar das Folgende berichte, war die einzige Tochter der einzigen Schwester meiner früh verstorbenen Mutter. Eleonora war der Name meiner Kusine. Wir hatten immer zusammengewohnt — im „Tale des vielfarbigen Grases“ — unter tropischer Sonne. Kein fremder Fuß betrat jemals dies Tal, denn es lag weit weit droben inmitten gigantischer Berge, die es ragend umstanden und seinen lieblichen Gründen Schatten spendeten. Kein Pfad führte dorthin, und um in unser seliges Heim zu gelangen, hätte man das Gezweig von vieltausend Waldbäumen gewaltsam durchbrechen und die Herrlichkeit von viel Millionen duftender Blumen zertreten müssen. So lebten wir also ganz einsam und kannten nichts von der Welt außerhalb des Tales — ich und meine Kusine und ihre Mutter.

Aus den nebelhaften Regionen der höchsten Berge, die unser Reich umschlossen, kam ein Fluß daher, schmal und tief, und seine Flut war glänzender als alles — ausgenommen Eleonoras Augen. Er wand sich in verstohlenen Krümmungen durchs Tal und tauchte dann in eine dunkle Schlucht, zwischen Bergen, die noch düsterer und geheimnisvoller waren als jene, aus denen er gekommen war. Wir nannten ihn den „Fluß des Schweigens“, denn es war, als ob sein Fluten alles beruhige und stille mache. Kein Murmeln klang aus seinen Tiefen, er ging so sanft dahin, daß die beperlten Kiesel auf seinem Grunde, die wir oft bewunderten, sich niemals rührten — in regungsloser Ruhe lagen sie, jeder funkelte ewig am alten Platz.

Das Ufer des Flusses und der vielen glitzernden Bächlein, die ihm auf allerlei Umwegen zuströmten, und ebenso alle Flächen, die von den Ufern sich ins Wasser bis zum Kieselgrund hinuntersenkten, waren von kurzem, dichtem, gleichmäßigem Rasen bedeckt, der lieblich duftete. Und weiter noch dehnte sich dieser sanfte grüne Teppich — durchs ganze Tal, vom Fluß bis an den Fuß der Höhen, die es umgürteten. Diese wundervolle weite Grasfläche war über und über mit gelben Butterblumen, weißen Gänseblümchen, blauen Veilchen und rubinroten Asphodelen besprenkelt, und ihre unbeschreibliche Schönheit redete laut zu unsern Herzen von der Liebe und der Herrlichkeit Gottes.

Und hie und da erhoben sich im Grase wie seltsam verschlungene Traumgebilde Gruppen phantastischer Bäume, deren Stämme nicht senkrecht aufragten, sondern in anmutigen Biegungen dem Licht entgegenstrebten, das um Mittag in die Mitte des Tales hereinleuchtete. Ihre Rinde war ebenholzschwarz und silbern gefleckt und war zarter als alles — ausgenommen Eleonoras Wangen. Ja, man hätte diese Bäume für gigantische Schlangen halten können, die der Sonne, ihrer Gottheit, huldigten, wären nicht die glänzend grünen, großen Blätter gewesen, die von ihren Gipfeln in langen, bebenden Reihen niederhingen und mit dem Zephir tändelten.

Lange Jahre durchstreifte ich Hand in Hand mit Eleonora das Tal, ehe die Liebe in unsere Herzen einzog. Es war an einem Abend in Eleonoras fünfzehntem und meinem zwanzigsten Lebensjahre, da saßen wir, einander eng umschlungen haltend, unter den Schlangenbäumen und blickten hinab in den Fluß des Schweigens und auf unser Bild, das sich in seinen Wassern spiegelte.

Wir sprachen nichts mehr an diesem süßen Tage, und selbst am andern Morgen fand unsere Rede nur wenige zitternde Worte.

Wir hatten in den Wassern Gott Eros gefunden und ihn in uns aufgenommen, und wir fühlten nun, daß durch ihn die feurigen Seelen unserer Vorfahren in uns entzündet waren. Alle Leidenschaftlichkeit und blühende Phantasie, die Jahrhunderte lang unser Geschlecht auszeichneten, ergriffen unsere Herzen wie ein Rausch und hauchten in das Tal des vielfarbigen Grases eine wahnsinnige Seligkeit. Alle Dinge veränderten sich. Die Bäume, die nie vordem ein Blühen gekannt hatten, entfalteten seltsame, sternförmige, strahlende Blüten. Das Grün des Rasenteppichs vertiefte sich, und als — eine nach der andern — die weißen Gänseblümchen dahinschwanden, brachen an ihren Orten rubinrote Asphodelen auf — zu zehn auf einmal. Und Leben regte sich auf unseren Pfaden, denn der hohe, schlanke Flamingo, den wir bis dahin noch nie gesehen, entfaltete vor uns sein scharlachfarbenes Gefieder, und mit ihm kamen und glühten alle heiteren Vögel. Gold- und Silberfische belebten den Fluß, und aus seinen Tiefen hob sich leise, doch lauter und lauter werdend, ein Murmeln, das schließlich zu einer sanften, erhabenen Melodie anschwoll, erhabener als der Sang aus des Äolus Harfe und süßer als alles — ausgenommen Eleonoras Stimme.

Und eine schwere, mächtige Wolke, die wir seit langem in den Regionen des Abendsterns beobachtet hatten, setzte sich gemächlich in Bewegung. Und durch und durch karmin- und golderglänzend lagerte sie sich über unser Tal und sank Tag um Tag friedvoll tiefer und tiefer, bis ihre Ränder auf den Gipfeln der Berge ruhten, deren nebelhaftes Grau sie in Glanz und Pracht verwandelte. Und sie lagerte über uns und schloß uns ein wie in ein zauberhaftes Gefängnis von seltsamer Herrlichkeit.

Der Liebreiz Eleonoras war der der Seraphim; aber sie war so schlicht und unschuldig wie das kurze Leben, das sie inmitten der Blumen gelebt hatte. Keine Arglist lehrte sie, die Inbrunst, die ihr Herz entflammte, zu verbergen, und während wir miteinander im Tale des vielfarbigen Grases wandelten und über all seine Veränderungen sprachen, enthüllte sie mir die geheimsten Tiefen ihrer Seele.

Und eines Tages sprach sie unter Tränen von jener letzten traurigen Veränderung, der alle Menschen unterworfen sind, und von nun an weilte sie nur bei diesem einen schmerzvollen Thema, das sie in jedes unserer Gespräche einflocht, so wie die Sänger von Schiras in ihren Liedern dieselben Bilder wieder und wieder anwenden.

Sie hatte die Hand des Todes auf ihrer Brust gefühlt, sie wußte, daß sie in so vollkommener Schönheit erschaffen worden war, nur um — gleich der Eintagsfliege — früh zu sterben. Doch alle Schrecken des Todes waren für sie in dem einen Gedanken vereint, von dem sie mir in abendlicher Dämmerstunde am Fluß des Schweigens sprach. Es bekümmerte sie, zu denken, ich könne, nachdem ich sie im Tale des vielfarbigen Grases begraben hätte, seine selige Verborgenheit verlassen und die Liebe, die jetzt ganz ihr gehörte, irgendeinem Mädchen der Alltagswelt da draußen schenken. Und damals und dort warf ich mich ohne Besinnen Eleonora zu Füßen und tat ihr und dem Himmel den Schwur, daß ich mich niemals mit einer Tochter der Welt in Ehe verbinden — daß ich niemals ihrem geliebten Andenken, dem Andenken der innigen Zuneigung, mit der sie mich segnete, untreu werden wollte. Und ich rief den allmächtigen Herrn des Weltalls zum Zeugen für meines Schwurs aufrichtigen Ernst. Und der Fluch, den ich von ihm und von ihr, der Heiligen im Paradiese, für den Fall meines Treubruches auf mich herabrief, schloß eine so entsetzliche Strafe in sich, daß ich hier nicht davon sprechen kann.

Und die strahlenden Augen Eleonoras erstrahlten noch heller bei meinen Worten. Und sie seufzte, als sei eine tödliche Last ihr vom Herzen genommen, und sie zitterte und weinte bitterlich. Aber sie nahm meinen Schwur an — denn was war sie anderes als ein Kind —, und er ließ sie erleichtert dem Sterben entgegensehen. Und als sie einige Tage später friedvoll entschlief, sagte sie zu mir, sie wolle um deswillen, was ich für den Frieden ihrer Seele getan habe, mit dieser Seele über mich wachen; sie wolle, sofern es möglich sei, in den wachen Stunden der Nacht mir sichtbarlich erscheinen. Wenn aber dies außerhalb der Macht der Seelen im Paradiese läge, so wolle sie mir ihr Gegenwärtigsein wenigstens durch allerlei Zeichen kund tun. Sie werde mit den Abendwinden mich umkosen und die Luft um mich her mit dem Duft der Weihrauchschalen erfüllen. Mit diesen Worten auf den Lippen gab sie ihr junges, reines Leben auf, und mit ihr endete die erste Epoche meines eigenen Lebens.

Bis hierher habe ich wahrheitsgetreu berichtet. Doch wenn mein Denken auf dem Wege der Vergangenheit die Grenze, die der Tod meiner Geliebten gezogen, überschreitet und in die zweite Periode meines Lebens eintritt, dann sammeln sich Schatten um mein Hirn, und ich fühle, daß ich an meinem gesunden Gedächtnis zweifeln muß. Doch ich will fortfahren.

Die Jahre schleppten sich träge dahin, und immer noch wohnte ich im Tale des vielfarbigen Grases. Aber wiederum hatte eine Veränderung alle Dinge befallen. Die sternförmigen Blüten krochen zurück in die Stämme der Bäume und kamen nie wieder zum Vorschein. Das tiefe Grün des Rasenteppichs verblaßte, und die rubinroten Asphodelen welkten hin, eine nach der andern. Und an ihren Orten brachen — zu zehn auf einmal — dunkle, blauäugige Veilchen auf, und ihre Augen standen immer voll Tau und blickten kummervoll. Und Leben entschwand von unsern alten Pfaden; denn der hohe, schlanke Flamingo entfaltete nie mehr sein scharlachrotes Gefieder, trauernd flog er aus unserm Tale fort, den Bergen zu, und mit ihm zogen alle heiteren Vögel, die ihn begleitet hatten. Und die Gold- und Silberfische schwammen davon durch die Schlucht, die an der einen Seite unser Reich begrenzte, und zierten nie wieder den lieblichen Fluß. Und die sanfte Melodie, die erhebender gewesen war als der Sang aus des Äolus Harfe und süßer als alles — ausgenommen Eleonoras Stimme, sie sank wieder zu leisem Murmeln herab und wurde leiser und leiser, bis sie erstarb und der Fluß wieder in seinem vormaligen feierlich-düsteren Schweigen dahinfloß. Und dann — zuletzt — hob sich die mächtige Wolke von den Gipfeln der Berge, die wieder in ihr nebelhaftes Grau zurücktauchten, und schwamm gemächlich davon, den fernen Regionen des Abendsternes zu, und mit ihr verschwand das strahlende Gold und all die glänzende Pracht, mit der sie das Tal des vielfarbigen Grases überschüttet hatte.

Jedoch was Eleonora versprach, erfüllte sich. Denn ich hörte um mich das Schwingen der himmlischen Weihrauchschalen, und Ströme himmlischer Düfte durchfluteten immer und immer das Tal. Und in einsamen Stunden, wenn mein Herz in heftigem Pulsschlag erbebte, umschmeichelten sanfte Winde mit süßem Seufzen meine Stirn. Die dunklen Nächte füllte oft ein schwaches Flüstern, und einmal — o, einmal nur! — weckte mich aus einem todähnlichen Schlafe der Kuß geisterhafter Lippen, die meinen Mund berührten.

Aber all dies vermochte nicht die Leere meines Herzens auszufüllen, und grenzenlos wuchs sein Verlangen nach jener Liebe, von der es vordem so übervoll gewesen war. Und endlich kam es soweit, daß mir das Tal des vielfarbigen Grases, durch das mich die Erinnerungen hetzten, zur Qual wurde, und ich vertauschte es für immer gegen die Eitelkeiten und das friedelose Glück der Welt.

*                *
*

Ich fand mich in einer fremden Stadt, in der alle Dinge nur dazu dienten, die Erinnerung an die süßen Träume, die ich so lange Jahre im Tal des vielfarbigen Grases geträumt hatte, aus meinem Gedächtnis auszulöschen. Ein prächtiges Hoflager mit Pomp und Festen, betäubendes Waffengeklirr und strahlende Frauenlieblichkeit verwirrten und berauschten mein Hirn. Doch bis jetzt war meine Seele ihrem Schwur treu geblieben, und immer noch verkündete mir Eleonora in den stillen Stunden der Nacht ihr Gegenwärtigsein.

Plötzlich aber hörten diese Anzeichen auf, und die Welt wurde schwarz vor meinen Augen, und ich stand in atemlosem Schreck vor dem glühenden Gedanken — der grauenhaften Versuchung, die mich befallen hatte. Denn an den fröhlichen Hof des Königs, dem ich diente, kam aus irgendeinem fernen, fernen, unbekannten Lande ein Mädchen, von deren Schönheit mein ganzes ruchloses Herz entflammt und hingerissen ward — zu deren Füßen ich mich ohne Sträuben niederwarf in wehrloser, abgöttischer Liebe. Ach, wie armselig war die Leidenschaft, die ich dem jungen Kinde im Tale des vielfarbigen Grases geschenkt hatte, wenn ich sie mit der Glut und dem Wahnwitz und den beseligenden Ekstasen verglich, in denen jetzt meine Anbetung emporjauchzte, mit dem trunkenen Schluchzen, in dem meine Seele zu Füßen der himmlischen Ermengard dahinschmolz! O, herrlich war der Engel Ermengard! Und vor dieser Erkenntnis versank alles andere. — O, göttlich war der Engel Ermengard! Und ich ertrank im Blick ihrer unergründlichen Augen und sah und suchte nur sie.

Ich vermählte mich mit Ermengard — und fürchtete nicht den Fluch, den ich auf mich herabgeschworen hatte, und seine Schrecken suchten mich nicht heim. Da kam noch einmal — ein einziges Mal — durch das Schweigen der Nacht das süße Seufzen wieder zu mir, und es formte sich zu einer wohlbekannten, inbrünstigen Stimme:

„Schlafe in Frieden! Denn der Geist der Liebe lebt und herrscht. Und wenn du glühenden Herzens Ermengard umarmst, bist du — aus Gründen, die dir dereinst im Himmel offenbar werden sollen — deines Gelübdes an Eleonora entbunden.“

DIE INSEL DER FEE

Nullus enim locus sine genio est.

Servius

La musique,“ sagt Marmontel in seinen „Contes Moreaux,“ die wir in allen unsern Übersetzungen beharrlich als „Moralische Geschichten“ bezeichnet finden, als ob man ihren Sinn verhöhnen wollte — „la musique est le seul des talents qui jouisse de lui-même: tous les autres veulent des témoins.“ Er verwechselt hier die Freude an schönen Klängen mit der Fähigkeit, sie hervorzurufen. Die musikalische Begabung ist ebensowenig wie jedes andere Talent da, wo kein zweiter ihre Äußerungen würdigt, zur Gewährung eines vollkommenen Genusses befähigt, und nur in Verbindung mit andern Begabungen bringt sie die Wirkungen hervor, die erst in der Einsamkeit ganz genossen werden mögen. Der Gedanke, den der „raconteur“ entweder nicht klar genug dargestellt oder dessen Darstellung er einer nationalen Vorliebe für Pointierung geopfert hat, ist zweifellos der sehr begründete, daß wir gute Musik am tiefsten zu würdigen verstehen, wenn wir einsam sind. Der Gedanke in dieser Form wird ohne weiteres jedem richtig erscheinen, der die Musik um ihrer selbst und ihrer seelischen Wirkung willen liebt. Doch noch eine Freude ist den verstoßenen Sterblichen vergönnt, eine, die vielleicht mehr noch als die Musik der gesteigerten Einsamkeit bedarf. Ich meine den Genuß, den die Naturbetrachtung bietet. Wahrlich, wer Gottes Herrlichkeit auf Erden recht gewahren will, der muß diese Herrlichkeit in Einsamkeit betrachten. Mir wenigstens erscheint die Anwesenheit nicht nur menschlicher, sondern überhaupt lebendiger Wesen jeder Art, außer den grünen Dingen, die aus dem Boden wachsen und keine Stimme haben, als Befleckung der Landschaft, als etwas, was der seelischen Harmonie des Bildes zuwiderläuft.

In Wahrheit! ich liebe die Vorstellung, daß die dunklen Täler und grauen Felsen und die schweigsam lächelnden Wasser und die Wälder, die in unruhigem Schlummer seufzen — und die stolzen wachsamen Berge, die auf alles herunterblicken —, daß alles dies nur ungeheure Gliedmaßen eines gewaltigen lebendigen und empfindenden Ganzen sind — eines Ganzen, dessen Gestalt (die Kugel) die vollkommenste und umfassendste ist, die es gibt; dessen Weg den andern Planeten zugesellt ist, dessen zarte Magd der Mond[2], dessen mittelbarer Herr die Sonne ist; dessen Lebensdauer Ewigkeit, dessen Sinn der Wille Gottes ist; dessen Freude Wissen ist; dessen Geschicke sich in Unendlichkeit verlieren; dessen Kenntnis seiner selbst etwa unsrer Kenntnis der mikroskopischen Kleinwelt gleichkommt — eines Daseins, das wir als völlig unbelebt und rein stofflich ansehen, ähnlich, wie diese winzigen Wesen uns betrachten mögen.

Unsre Teleskope und unsre mathematischen Entdeckungen geben uns trotz des scheinheiligen Geredes der Geistlichkeit überall die Gewißheit, daß Raum und also Masse in den Augen des Allmächtigen eine große Bedeutung hat. Die Kreise, darin die Sterne sich bewegen, sind als die besten befunden worden für eine ungehinderte Bewegung der größtmöglichen Anzahl Körper. Die Form dieser Körper ist gerade so, daß sie bei einer gegebenen Oberflächengröße die größtmögliche Anhäufung von Materie gestattet, während die Oberfläche selbst so beschaffen ist, daß sie eine größere Zahl von Bewohnern aufnehmen kann, als wenn sie irgendeine andre Gestalt hätte. Auch ist die Tatsache, daß der Raum selbst unendlich ist, kein Argument dagegen, daß die Masse ein Zweck Gottes ist; denn eine unendliche Materie mag vorhanden sein, um ihn zu füllen, und da wir deutlich sehen, daß die Materie grundsätzlich von Leben erfüllt ist — in der Tat, soweit unser Urteil reicht, ein leitender Grundsatz in den Maßnahmen der Gottheit — so ist es kaum logisch, dieses Leben auf die Regionen des Kleinen, wo wir es täglich nachweisen können, zu beschränken und nicht auf die des Erhabenen auszudehnen. Da wir ohne Ende Kreis in Kreise laufen sehen, alle aber sich um eine ferne Mitte drehen, um die Gottheit, sollten wir da nicht gleicherweise Leben in Leben vermuten, das kleinere im größeren und alle im göttlichen Geiste? Kurz, wir sind infolge unsrer Selbstüberhebung in einem gewaltigen Irrtum, wenn wir annehmen, der Mensch sei in seiner zeitlichen oder zukünftigen Bestimmung von größerer Wichtigkeit für das Universum als der gewaltige Talkörper, den er beackert und verachtet und dem er eine Seele abspricht, aus keinem tieferen Grunde, als weil er sie nicht in Tätigkeit sieht[3].

Solche und ähnliche Vorstellungen haben meinen Betrachtungen in den Bergen und Wäldern, an den Flüssen und am Meere eine Beimischung gegeben, die von der Alltagswelt zweifellos als „phantastisch“ bezeichnet werden würde. Meine zahllosen, meist einsamen Wanderungen in solchen Gegenden pflegten meinen Geist ungewöhnlich lebhaft zu beschäftigen, und die Hingabe, mit der ich manchen düstern Talgrund durchstreifte oder in die Himmelsspiegelung manches strahlenden Sees blickte, wurde sehr vertieft durch das Bewußtsein, daß ich allein wanderte und Umschau hielt. Welcher geschwätzige Franzose[4] war es doch, der mit Beziehung auf das Werk von Zimmermann sagte: „la solitude est une belle chose; mais il faut quelqu’un pour vous dire que la solitude est une belle chose“? Dem Epigramm ist nicht zu widersprechen; aber dies „il faut“ — diese Notwendigkeit ist doch ein Unding.

Es war auf einer meiner einsamen Wanderungen in weit entfernten Gegenden, wo Berg an Berg geschlossen war und trauervolle Flüsse und schwermütige Sümpfe sich einherwanden oder schlummernd lagen, als ich an einen kleinen Fluß mit einer Insel kam. Es war im laubreichen Juni. Ich warf mich auf den Rasen unter die Zweige eines unbekannten duftenden Gesträuches, um in Betrachtung des Bildes versunken zu ruhen. Ich fühlte, nur so sollte ich es ansehen, dies entsprach seinem Charakter.

Auf allen Seiten — außer gen Westen, wo die Sonne im Untergehen war — erhoben sich grüne Waldesmauern. Der Fluß, der in seinem Lauf eine scharfe Wendung machte und sich so plötzlich den Blicken entzog, schien aus seinem Gefängnis keinen Ausweg zu haben, sondern vom grünen Laub der Bäume im Osten aufgesogen zu werden, während auf der anderen Seite (so erschien es mir, als ich da lag und nach oben sah) geräuschlos und unaufhaltsam ein gold- und purpurroter Wasserfall aus den Abendrotquellen des Himmels ins Tal herniedersprühte.

Etwa in der Mitte des beschränkten Ausschnitts, den mein träumerisches Auge faßte, ruhte eine kleine runde, üppig begrünte Insel auf der Brust des Wassers,

Und Licht und Schatten woben Duft,

Als hänge sie schwebend in der Luft.

So spiegelglatt war das glasige Wasser, daß sich kaum erkennen ließ, an welcher Stelle des grünen Rasenhanges sein Reich begann.

Meine Lage gestattete mir, mit einem einzigen Blick sowohl das östliche wie das westliche Ende der Insel zu umfassen, und ich bemerkte eine eigentümliche Verschiedenheit an ihnen. Das Westende war wie ein strahlender Harem von Gartenschönheiten. Es glühte und errötete unter den schrägen Blicken der Sonne und lachte mit heiteren Blumen. Das Gras war kurz, feucht, süß duftend und von Goldwurz durchblüht. Die Bäume waren geschmeidig, heiter, aufrecht, hell, schlank und anmutig, von morgenländischem Bau und Laub, mit sanfter, glänzender und buntfarbiger Rinde. Alles schien gesättigt von einem tiefen Bewußtsein von Leben und Lust, und obgleich vom Himmel keine Winde bliesen, so war doch alles bewegt durch das leichtbeschwingte Gaukelspiel unzähliger Schmetterlinge, die man für beflügelte Tulpen hätte halten können.[5]

Das andre oder östliche Ende der Insel war in schwärzeste Schatten gehüllt. Eine traurige, doch schöne und friedvolle Dunkelheit durchdrang hier alle Dinge. Die Bäume waren von düsterer Farbe und trauernd in Gestalt und Haltung; — wie sie sich da in trübe, feierliche und gespenstische Formen hüllten, erweckten sie eine Vorstellung von tödlichem Leid und frühzeitigem Tod. Das Gras hatte den dunklen Farbenton der Zypresse, und seine Halme ließen die Köpfe hängen, und hier und dort sah man im Grase viele kleine häßliche Hügel, schmal und niedrig und nicht sehr lang, die wie Gräber aussahen und doch keine waren, obgleich Raute und wilde Rosen sie ganz und gar überwucherten. Der Schatten der Bäume sank schwer aufs Wasser nieder, als wolle er sich darin begraben, die Tiefen des Elementes mit Dunkelheit sättigend. Ich bildete mir ein, wie die Sonne tiefer und tiefer sank, löse sich Schatten um Schatten trübe vom Stamme, der ihm Leben gegeben hatte, und werde vom Strome aufgetrunken, während jeden Augenblick neue Schatten aus den Bäumen hervortraten, um die Stelle ihrer eingesargten Vorgänger einzunehmen.

Als dieser Gedanke meine Phantasie erfaßt hatte, regte er sie weiter und weiter an, und ich versank in Träumerei. „Wenn je eine Insel verzaubert war,“ sprach ich bei mir selbst, „so ist es diese. Hier ist der Zufluchtsort der wenigen gütigen Feen, die noch vom Untergang verschont geblieben sind. Sind jene Hügel ihre grünen Gräber? — Oder geben sie ihr Leben auf, wie Menschen ihr Leben dahingeben? Ist ihr Sterben nicht vielmehr ein trauervolles Hinschwinden, so daß sie nach und nach ihr Dasein an Gott zurückgeben, wie diese Bäume Schatten um Schatten hingeben, ihr Wesen verhauchen und auflösen? Was der vergehende Baum dem Wasser ist, das seinen Schatten einsaugt und schwärzer wird von jeder solchen Beute, mag nicht das Leben der Fee für den Tod, der es verschlingt, das gleiche sein?“

Als ich so mit halbgeschlossenen Augen sann, indes die Sonne eilig zur Rüste ging und wirbelnde Strömungen rund und rund um die Insel jagten, mit tanzenden weißen Streifen der Rinde des Feigenbaumes auf den Wellen, Streifen, die in ihrer wechselvollen Lage auf dem Wasser von einer lebendigen Phantasie mit allem Erdenklichen zu vergleichen gewesen wären — während ich so sann, war mir, als nehme die Gestalt einer solchen Fee, über die ich nachgesonnen hatte, langsam aus dem Glanze der Westseite der Insel ihren Weg ins Dunkel. Sie stand aufrecht in einem seltsam gebrechlichen Kahn, den sie mit dem Schatten eines Ruders lenkte. Solange sie unter dem Einfluß der zögernden Sonnenstrahlen blieb, schien ihre Haltung Freude auszudrücken, aber Trauer wandelte sie an, als sie der Schatten berührte. Langsam glitt sie dahin und hatte schließlich die Runde um die Insel gemacht und erschien wieder auf der Lichtseite. „Der Zirkel, den die Fee soeben vollendet hat,“ sinnierte ich weiter, „ist der Kreislauf ihres kurzen Lebensjahres. Sie ist durch ihren Winter und ihren Sommer geflutet. Sie ist dem Tode um ein Jahr näher: denn es ist meinen Blicken nicht entgangen, daß, als sie in die Dämmerung kam, ihr Schatten von ihr abfiel und vom dunklen Wasser verschlungen ward, dessen Schwärze noch schwärzer davon wurde.“

Und wieder erschien das Boot mit der Fee, doch in ihrer Haltung war mehr Sorge und Unsicherheit und weniger biegsame Lust. Sie flutete wiederum aus dem Licht und ins Dunkel (das sogleich tiefer wurde), und wiederum fiel ihr Schatten von ihr ab ins ebenholzschwarze Wasser und wurde von seiner Schwärze verschlungen. Und wieder und wieder machte sie die Runde um die Insel (indessen die Sonne zu ihrer Schlummerstätte eilte), und bei jedem Heraustreten ins Licht lag mehr Trauer auf ihrer Gestalt, die schwächer und feiner und unbestimmter wurde, und bei jedem Übergang ins Dunkel sank ein tieferer Schatten von ihr ab, der von immer düstererem Schwarz verschlungen wurde. Endlich aber, als die Sonne gänzlich verschwunden war, glitt die Fee, jetzt nur noch wie das Gespenst ihres früheren Seins, mit ihrem Boot trostlos in das Bereich der ebenholzschwarzen Flut, und ob sie daraus wieder zum Vorschein kam, kann ich nicht sagen, denn Finsternis deckte alle Dinge, und ich gewahrte ihre zauberhafte Gestalt nicht mehr.


[2] Mond im Englischen weiblich, Sonne männlich. A. d. Üb.

[3] Wo Pomponius Mela in seiner Abhandlung „De Situ Orbis“ von Flut und Ebbe spricht, sagt er: „Entweder ist die Welt ein großes Tier, oder“ usw.

[4] Balzac, dem Sinne nach; ich weiß nicht mehr die Worte.

[5] Florem putares nare per liquidum aethera. — P. Commire

LANDORS LANDHAUS

Während einer Wanderung, die mich letzten Sommer durch einige der Flußtäler der Grafschaft Neuyork führte, sah ich mich, als der Tag zur Neige ging, in gewisser Verlegenheit, welchen Weg ich einschlagen sollte. Das Land war auffallend hügelig, und in der letzten halben Stunde hatte mich der Pfad, bei meinem Bemühen, mich in den Tälern zu halten, so verwirrend um und rundum geführt, daß ich nicht mehr ahnte, in welcher Richtung das reizende Dorf B... lag, wo ich die Nacht zu bleiben gedachte. Es hatte, genau genommen, den Tag über eigentlich keinen Sonnenschein gegeben, dennoch war es ungewöhnlich warm gewesen. Ein Nebelschleier, wie lauter Altweibersommer, verhängte alle Dinge und vermehrte natürlich meine Unsicherheit. Nicht daß ich die Sache sehr wichtig nahm. Sollte ich nicht vor Sonnenuntergang, selbst nicht vor Einbruch der Dunkelheit auf das Dorf stoßen, so war es doch mehr als wahrscheinlich, daß irgendein kleines Farmhaus oder dergleichen auftauchen würde, wenn auch die Gegend (vielleicht weil sie sich mehr malerisch als fruchtbar erwies) nur spärlich bewohnt war. Jedenfalls wäre ein Biwak im Freien, mit meinem Rucksack als Kissen und meinem Jagdhund als Wächter, so recht nach meinem Geschmack gewesen. Ich schlenderte daher wohlgemut weiter und hatte meine Flinte Ponto aufgeladen, als ich schließlich, da ich eben Betrachtungen darüber anstellte, ob die zahlreichen kleinen Lichtungen, die hier- und dorthin führten, überhaupt Pfade vorstellen sollten, auf dem verlockendsten von ihnen zu einem richtigen Fahrweg geriet. Jeder Irrtum war ausgeschlossen. Leichte Räderspuren waren sichtbar, und obgleich das hohe Strauchwerk und das aufgeschossene Unterholz sich oben zusammenschlossen, gab es am Boden nicht das geringste Hemmnis, selbst nicht für ein virginisches Berggefährt, meiner Meinung nach das anspruchsvollste, hochfahrendste Vehikel seiner Art. Abgesehen davon, daß der Weg frei in den Wald führte (wenn die Bezeichnung Wald nicht allzu wuchtig ist für dieses Beieinander lichter Bäume) und daß er deutliche Räderspuren aufwies, glich er auch nicht entfernt irgendeinem der Wege, die ich je gesehen hatte. Die besagten Spuren waren kaum wahrnehmbar auf einer Fläche, die eine lebhafte Ähnlichkeit mit grünem Genueser Samt besaß. Es war Gras, gewiß, aber Gras, wie wir es außer in England selten sehen, so kurz, so dicht, so eben und von so leuchtender Farbe. Nicht das geringste Hindernis fand sich in der Radspur, nicht einmal ein Span oder ein dürrer Zweig. Die Steine, die einst den Weg gehemmt hatten, waren zur Seite der Rasenfläche sorgsam niedergelegt, nicht geworfen worden, so daß sie diese mit einer sozusagen nachlässigen Sorgsamkeit malerisch abgrenzten. Büsche wilder Blumen wuchsen in den Zwischenräumen in verschwenderischer Fülle.

Was ich aus alledem machen sollte, wußte ich natürlich nicht. Hierin lag unzweifelhaft Kunst. Das überraschte mich nicht; alle Wege sind im herkömmlichen Sinne Kunstwerke; auch kann ich nicht sagen, daß lediglich die Übertreibung des Künstlerischen so wundersam erschien; alles, was hier geschehen war, mochte hier, wo soviel natürliche „Anlage“ vorlag (wie man das in Büchern über Landschaftsgärtnerei findet) mit sehr wenig Arbeit und Ausgaben getan worden sein. Nein, es war nicht die Fülle, sondern der Charakter des Künstlerischen, was mich veranlaßte, mich auf einen der umblühten Steine niederzulassen und wohl eine halbe Stunde oder länger diese feenhafte Allee voll staunender Bewunderung hinauf und hinunter zu blicken. Eines wurde mir, je länger ich schaute, mehr und mehr deutlich: ein Künstler, und zwar ein Künstler mit außerordentlich scharfem Blick für Formen, hatte alle diese Anordnungen im voraus überlegt. Man war mit größter Sorgfalt bedacht gewesen, zwischen dem Hübschen und Anmutigen einerseits und dem „Pittoresken“, im wahren Sinne der italienischen Bezeichnung, andrerseits die rechte Mitte zu halten. Es gab wenig gerade und keine auf die Länge ungebrochene Linie. Dasselbe Bild in Krümmung oder Farbe bot sich, soweit das Auge reichte, meist zweimal, doch nicht öfter. Überall in der Einförmigkeit war Abwechslung. Es war ein Stück „Komposition“, in der selbst der anspruchsvollste kritische Geschmack kaum eine Verbesserung hätte vorschlagen können.

Als ich diesen Weg betrat, hatte ich mich nach rechts gewandt, und nun erhob ich mich und verfolgte dieselbe Richtung. Der Pfad war so gewunden, daß ich seinen Lauf nie mehr als zwei, drei Schritte weit vor mir sah. Seine Anlage erfuhr nicht die geringste Wandlung.

Plötzlich traf das sanfte Murmeln eines Wassers mein Ohr, und einige Augenblicke später, als der Pfad mich noch überraschender als bisher um die Ecke führte, gewahrte ich, daß am Fuße eines gerade vor mir liegenden sanften Hanges irgendein Gebäude lag. Ich konnte infolge des Dunstschleiers, der das ganze kleine Tal drunten erfüllte, nichts deutlich erkennen. Jetzt erhob sich jedoch ein leichter Wind, denn die Sonne war am Untergehen, und während ich auf dem Hügelkamm stehen blieb, zerteilte sich der Nebel in krause Fetzen und flutete über die Szene.

Wie die Dinge so allmählich zum Vorschein kamen, Stück um Stück, hier ein Baum, da ein Wasserblinken und hier wieder ein Stück Schornstein, war mir nicht anders zumute, als sei das Ganze eines jener geschickten Trugbilder, wie sie zuweilen unter der Bezeichnung „Vexierbilder“ dargeboten werden.

Mit der Zeit jedoch, als der Nebel sich völlig verzogen hatte, war auch die Sonne hinter die sanften Hänge hinabgesunken, kam nun aber, als habe sie ein leichtes „chassez“ nach Süden gemacht, wieder in volle Sicht, indem sie in purpurnem Glanz durch eine Kluft im Westen des Tales hereinschimmerte. Plötzlich also und wie mit Zauberhand wurde dieses ganze Tal und alles, was darin war, strahlend sichtbar.

Der erste „coup d’œil“, als die Sonne in die angegebene Stellung glitt, machte mir einen ähnlichen Eindruck, wie ihn mir in meiner Knabenzeit das Schlußbild eines gut inszenierten Schauspiels oder Melodramas hervorrief. Nicht einmal die Ungeheuerlichkeit in der Farbengebung fehlte, denn die Sonne drang durch die Kluft in sattem Orangerot und Purpur, während das lebhafte Grün des Grases im Tal durch den Dunstschleier, der noch immer darüber schwebte, als widerstrebe ihm die Trennung von einem so zauberhaft schönen Bild, mehr oder weniger auf alle Dinge zurückgestrahlt wurde.

Das kleine Tal, in das meine Blicke so unter der Nebelschicht hinabtauchten, konnte nicht mehr als vierhundert Meter Länge haben, die Breite wechselte von fünfzig zu hundertundfünfzig oder auch zweihundert Metern. An seinem Nordende war es außerordentlich schmal und verbreiterte sich, aber nicht gerade regelmäßig, nach Süden hin. Die größte Breite erreichte es ungefähr achtzig Meter vor dem südlichen Ende. Die Hänge, welche das Tal umgaben, konnten nicht eigentlich Hügel genannt werden, höchstens an ihrer Nordseite. Hier erhob sich eine steile Felswand bis zu einer Höhe von neunzig Fuß und mehr, und wie ich schon sagte, war das Tal hier nicht breiter als fünfzig Meter. Wer sich aber von diesem Felsenriff nach Süden wandte, der fand zur Rechten und Linken Abhänge, die sowohl weniger hoch wie auch weniger steil und weniger felsig waren. Mit einem Wort, nach Süden hin wurde alles schräger und sanfter, und doch war das ganze Tal von mehr oder weniger hohen Erhebungen umgürtet, abgesehen von zwei Punkten. Von einem derselben habe ich schon gesprochen. Er lag gegen Nordwesten, und hier war es, wo die Sonne in der geschilderten Weise in das Amphitheater ihren Weg fand, durch eine sauber geschnittene natürliche Kluft in der granitenen Umfassung. Dieser Einschnitt mochte an seiner breitesten Stelle zehn Meter betragen — soweit das Auge das zu schätzen vermochte. Er schien wie eine natürliche Chaussee sachte aufwärts zu führen, in die Gründe noch undurchforschter Berge und Wälder. Die andere Öffnung befand sich genau am südlichen Talende. Hier waren die Hügel im allgemeinen kaum mehr als sanfte Wellungen, die von Osten nach Westen in einer Breite von etwa hundertundfünfzig Metern verliefen. In der Mitte dieser Strecke lag eine Senkung, die bis auf die Bodenhöhe des Tales herabging. Wie in allem andern, so bot die Szene auch hinsichtlich der Vegetation ein nach Süden hin niedrigeres und sanfteres Bild. Nach Norden, an dem steilen Felshang, erhoben sich nicht weit vom Gipfel die prächtigen Stämme vom weißen und schwarzen Walnußbaum, vom Kastanienbaum und vereinzelten Eichen, und die besonders von den Walnußbäumen streng wagerecht gebreiteten Äste sprangen weit über den Felsrand vor. Nach Süden fortschreitend sah man zunächst dieselben Baumarten, nur weniger hochgewachsen und majestätisch; dann begegnete man der schlankeren Ulme, dem Sassafras und der Robinie — diesen folgte die sanftere Linde, der Judasbaum, Trompetenbaum und Ahorn — und schließlich kamen noch anmutigere und bescheidenere Arten. Die ganze südliche Hügelwelle war nur mit wildem Strauchwerk bedeckt bis auf ein paar vereinzelte Silberweiden und Silberpappeln. Drunten im Tale selbst (denn man muß beachten, daß die genannte Vegetation nur auf den Felsen oder Hügelwänden wuchs) sah man drei einzeln stehende Bäume. Der eine war eine Ulme von schöner Größe und herrlicher Gestalt; sie stand als Wächter am südlichen Eingang des Tales. Der zweite war ein Nußbaum, viel größer als die Ulme und alles in allem ein viel edlerer Baum, wenngleich beide ausnehmend schön waren. Er schien den nordwestlichen Zutritt zu bewachen, wie er da aus einer Felsengruppe seine vornehme Gestalt mitten in den offenen Rachen der Schlucht hinausreckte, in einem Winkel von fast fünfundvierzig Grad, weit hinaus in den Sonnenschein des Amphitheaters.

Etwa dreißig Meter östlich von diesem Baum stand jedoch der Stolz des Tales und ohne Frage der prächtigste Baum, den ich je gesehen habe, ausgenommen vielleicht die Zypressen von Itchiatuckanee. Es war ein dreistämmiger Tulpenbaum — ein Liriodendron tulipiferum — eine der wilden Magnolienarten. Die drei Stämme trennten sich vom Mutterstamm in etwa drei Fuß Höhe, strebten nur ganz allmählich auseinander und waren dort, wo der breiteste Stamm Laub ansetzte, nicht mehr als vier Fuß auseinander. Das war in einer Höhe von ungefähr achtzig Fuß. Die ganze Höhe des Baumes betrug einhundertundzwanzig Fuß. Nichts kommt an Schönheit dem leuchtkräftigen Grün der Blätter des Tulpenbaumes gleich. Gegenwärtig waren sie volle acht Zoll breit; ihre Pracht aber wurde übertroffen von dem schwellenden Prunk üppiger Blüten. Man stelle sich eine Million dicht zusammengedrängter strahlendster Tulpen vor! Nur so kann sich der Leser eine Ahnung von dem Bilde machen, das ich ihm vermitteln möchte. Und dann die stolze Anmut der sauberen, zart gekerbten säulenartigen Stämme, deren größter zwanzig Fuß vom Boden einen Durchmesser von vier Fuß hatte. Die unzähligen Blüten erfüllten im Verein mit den Blüten anderer, kaum weniger schöner, allerdings weit weniger majestätischer Bäume das Tal mit Wohlgerüchen, die köstlicher waren als die Wohlgerüche Arabiens.

Den eigentlichen Boden des Amphitheaters bildete Gras von derselben Beschaffenheit, wie ich es auf dem Weg gefunden hatte, höchstens noch weicher, üppiger und von einem noch wundervolleren sammetartigen Grün. Es war schwer zu fassen, wie all diese Schönheit erzielt werden konnte.

Ich habe von den zwei Öffnungen im Tal gesprochen; aus der ersten gen Nordwesten ergoß sich ein Bächlein, das mit sanftem Murmeln und einigem Schäumen die Schlucht herunterkam, bis es gegen die Felsengruppe prallte, aus der der einzelstehende Walnußbaum aufschoß. Hier umkreiste es den Baum und wandte sich dann etwas nach Nordwesten, den Tulpenbaum einige zwanzig Fuß südlich lassend; nun veränderte es seinen Lauf nicht eher, als bis es etwa die Mitte zwischen der östlichen und westlichen Grenze des Tales erreicht hatte. An dieser Stelle bog es nach mehreren Krümmungen im rechten Winkel ab und verfolgte eine im allgemeinen südliche Richtung, bis es sich eilig in einem kleinen See von unregelmäßiger, aber ziemlich ovaler Form verlor, der schimmernd nahe am südlichen Talausgang lag. Dieser See hatte vielleicht an seiner breitesten Stelle hundert Meter Durchmesser. Kein Kristall konnte klarer sein als seine Wasser. Sein Grund, den man deutlich sehen konnte, bestand überall aus strahlend weißen Kieseln. Seine Ufer, von besagtem Smaragdgrün, rundeten sich in den klaren Himmel hinunter, und so klar war dieser Himmel, so vollkommen spiegelte er zuzeiten alle Gegenstände von oben, daß es schwer festzustellen war, wo das wirkliche Ufer aufhörte und das widergespiegelte begann. Die Forelle und einige andre Fischarten, von denen es im Weiher wimmelte, erweckten alle den Anschein von fliegenden Fischen. Es war schwer, nicht anzunehmen, daß sie einfach in der Luft hingen. Ein leichtes Birkenboot, das friedlich auf dem Wasser lag, wurde von dem so köstlich polierten Spiegel bis in seine feinsten Rippen mit unerhörter Treue wiedergegeben. Eine kleine Insel im heitern Schmuck vollerblühter Blumen und nur gerade groß genug, um ein malerisches kleines Bauwerk zu tragen, offenbar ein Wasservogelhaus, erhob sich im See, nicht weit von seinem nördlichen Ufer — mit dem es durch eine unbegreiflich zierlich wirkende und doch ganz primitive Brücke verbunden war. Sie bestand aus einer einzigen breiten und dicken Planke aus Tulpenholz. Sie war vierzig Fuß lang und überspannte den Raum zwischen Ufer und Ufer in leichtem, doch gut wahrnehmbarem Bogen, der jede Schwankung ausschloß. Aus dem Südende des Sees ergoß sich wieder der Bach, der sich ungefähr dreißig Meter in Windungen ergötzte und dann schließlich durch die (schon beschriebene) Niederung inmitten der südlichen Hänge hindurchfloß und, in eine Tiefe von hundert Fuß hinuntertaumelnd, seinen vielfach gewundenen Weg zum Hudson nahm.

Der See war tief — an manchen Stellen bis zu dreißig Fuß, der Bach aber hatte selten mehr als drei, während seine größte Breite etwa acht betrug. Sein Bett und die Ufer glichen denen des Weihers — wenn etwas daran auszusetzen war, so war es dies, daß die malerische Wirkung vielleicht durch übertriebene Sauberkeit beeinträchtigt wurde.

Die Weite des grünen Feldes wurde gelegentlich durch einen Zierstrauch unterbrochen, wie Hortensie, Schneeball oder duftendes Jasmingesträuch; häufiger noch durch eine Geraniumgruppe, die in allen Varietäten üppig blühte. Diese letzteren standen in Töpfen, die sorgfältig in die Erde gegraben waren, um den Eindruck wildwachsender Pflanzen hervorzurufen. Überdies war der Wiesensammet anmutig von Schafen belebt, die als stattliche Herde das Tal durchstreiften, in Gesellschaft dreier zahmen Rehe und einer beträchtlichen Anzahl strahlendgefiederter Enten. Ein sehr großer Bullenbeißer schien allen diesen Tieren, dem einzelnen wie der Gesamtheit, eine wachsame Aufmerksamkeit zu widmen.

An den östlichen und westlichen Felsen — dort, wo die Begrenzung nach den höhergelegenen Teilen des Amphitheaters hin mehr oder weniger steil war — zog sich in verschwenderischer Fülle Efeu hin, so daß man nur hie und da ein Fleckchen vom nackten Fels hindurchschimmern sah. Der Westabhang war gleicherweise fast vollständig mit selten prächtigen Reben bedeckt, die zum Teil vom Fuße des Felsens aufstrebten, zum Teil am Hange selbst hervorwuchsen.

Die geringe Erhebung, welche die untere Abgrenzung dieser kleinen Besitzung bildete, wurde von einer sauberen Steinmauer gekrönt, deren Höhe genügte, das Entweichen des Wildes zu verhindern. Nirgends sonst war eine Einfriedigung zu bemerken; denn nirgends sonst war ein künstlicher Abschluß nötig. Würde zum Beispiel ein versprengtes Schaf versuchen, sich durch die Schlucht aus dem Tal zu entfernen, so würde es sein Vorwärtskommen nach wenigen Schritten durch den steilen Felsenvorsprung gehemmt sehen, über den der Wasserfall herabstürzte, der gleich, als ich mich der Ansiedlung näherte, meine Aufmerksamkeit erregt hatte. Kurz, der einzige Ein- und Ausgang bestand in einem Tor, das einen Felspfad sperrte, wenige Schritte unterhalb der Stelle, auf der ich stehen blieb, um die Szene zu betrachten.

Ich habe geschildert, wie der Bach in seinem Laufe viele unregelmäßige Windungen machte. Seine beiden Hauptrichtungen liefen, wie ich sagte, zuerst von West nach Ost und dann von Norden nach Süden.

Da, wo die Strömung den Bogen machte und wieder nach rückwärts lief, schloß sie eine fast kreisrunde Schlinge, so daß eine Halbinsel entstand, die beinahe eine Insel war. Auf dieser Halbinsel stand ein Wohnhaus — und wenn ich sage, daß dieses Haus, gleich der Höllenterrasse, die Vathek sah, „était d’une architecture inconnue dans les annales de la terre“, so meine ich lediglich, daß das Ganze mich durch seine Eigenart wie auch durch seine Zweckmäßigkeit ungemein verblüffte — mit einem Wort, durch „Poesie“ — (denn ich könnte kaum mit anderen Bezeichnungen, als den vorstehend gewählten, eine genaue Definition für abstrakte Poesie geben) — und ich meine nicht, daß das „outre“ in irgendeiner Hinsicht bemerkenswert war.

In der Tat, nichts hätte wohl einfacher — unaufdringlicher wirken können als dieses Landhaus. Sein wundersamer Eindruck lag ausschließlich in seiner künstlerischen bildhaften Anlage. Während ich hinsah, hätte ich mir vorstellen können, ein hochbedeutender Landschaftsmaler habe es mit seinem Pinsel hergestellt.

Der Aussichtspunkt, von dem aus ich das Tal zum ersten Male sah, war zur Betrachtung des Hauses nicht der beste, aber doch fast der beste Platz. Ich will es daher so beschreiben, wie es sich mir später bot — von dem Steinwall am Südende des Amphitheaters aus gesehen.

Das Hauptgebäude hatte eine Länge von ungefähr vierundzwanzig Fuß und eine Breite von sechzehn — sicher nicht mehr. Seine Gesamthöhe vom Boden bis zur Dachspitze konnte nicht mehr als achtzehn Fuß betragen. An der Westseite dieses Bauwerks war ein zweites angefügt, das in allen seinen Teilen etwa ein Drittel kleiner war: — seine Vorderseite stand etwa zwei Meter hinter der des größeren Hauses zurück, und sein Dach verlief natürlich beträchtlich niedriger als das benachbarte. In rechtem Winkel zu diesen Gebäuden und am Ende des Hauptbaues — der nicht genau die Mitte einnahm — erstreckte sich ein dritter, sehr kleiner Bau — im Ganzen ein Drittel kleiner als der westliche Flügel. Die Dächer der beiden größeren Bauten waren sehr steil — glitten in einer langen konkaven Kurve vom First hernieder und griffen mindestens vier Fuß über die Frontmauern hinaus, so daß sie noch die Bedachung zweier Laubengänge bildeten. Als solche bedurften sie selbstredend keiner Stützen; da sie aber dem Anschein nach Stützen brauchten, so waren nur an den Ecken leichte und völlig glatte Säulen eingeschaltet worden. Das Dach des nördlichen Flügels war nur eine Verlängerung des Hauptdaches. Zwischen dem Hauptgebäude und dem westlichen Flügel erhob sich ein sehr hoher und ziemlich schlanker viereckiger Schornstein aus harten schottischen Ziegeln, abwechselnd schwarzen und roten — mit einer schmalen Kranzleiste ausladender Ziegel am oberen Ende. Auch über die Giebel sprangen die Dächer sehr weit vor — am Hauptbau etwa vier Fuß nach Osten und zwei nach Westen. Die Eingangstür befand sich nicht genau in der Mitte, sondern etwas mehr östlich, während die beiden Fenster westlich davon lagen. Sie reichten nicht bis zur Erde, waren aber viel länger und schmaler als üblich — sie hatten einflügelige Fensterladen, die wie Türen aussahen — die Glasscheiben hatten Rautenform, aber von ziemlicher Größe. Die Tür selbst bestand in ihrem oberen Teil aus Glas, ebenfalls in Rautenform — durch einen beweglichen Schalter nachts verschließbar. Die Tür für den Westflügel befand sich in der Giebelseite und war sehr einfach — ein einziges Fenster wies hier nach Süden. Am Nordflügel gab es keine Außentür, und er hatte auch nur ein Fenster nach Osten.

Die nackte Wand des östlichen Giebels wurde durch eine Treppe (mit Geländer) gehoben, die schräg daran emporlief — der Aufstieg begann von Süden. Unter dem Schutz des weit vorspringenden Dachbogens führten diese Stufen zu einer Dachkammer, mehr einem Bodenraum — denn er erhielt sein Licht nur durch ein einziges Fenster nach Norden und schien als Speicher gedacht zu sein.

Die Vorplätze des Hauptgebäudes und westlichen Flügels waren nicht, wie sonst üblich, gepflastert. Aber an den Türen und vor jedem Fenster lagen große, flache, unregelmäßige Granitplatten im herrlichen Grasteppich, die ein angenehmes Gehen bei jeder Witterung ermöglichten.

Prächtige Pfade aus dem gleichen Material — nicht zierlich ausgeführt, sondern von dem samtenen Grün unterbrochen, das in Abständen zwischen den Steinen hervorquoll, führten vom Hause hierhin und dorthin, zu einer kristallenen Quelle in fünf Schritt Entfernung, zu dem Weg oder ein paar Nebengebäuden, die hinter dem Bach nach Norden lagen und durch ein paar Akazien- und Trompetenbäume völlig verborgen wurden.

Nicht mehr als sechs Schritt vom Haupteingang des Landhauses erhob sich der tote Strunk eines phantastischen Birnbaumes, so ganz von Kopf zu Fuß in üppige Bignoniablüten gehüllt, daß es keine Kleinigkeit war, zu ergründen, woraus diese wunderschöne Sache eigentlich bestand. An verschiedenen Ästen dieses Baumes hingen Käfige aller Art. In einem großen, zylinderförmigen Weidengeflecht vergnügte sich ein Spottvogel, in einem andern ein Pirol, in einem dritten die dreiste Reisammer — während aus drei bis vier zierlicheren Zellen der Gesang von Kanarienvögeln erschallte.

Die Pfeiler der Vorplätze waren von Jasmin und Geisblatt umrankt, und im Winkel, wo Hauptbau und Westflügel sich trafen, erhob sich ein Weinstock von unvergleichlicher Pracht. Alle Hindernisse nehmend, hatte er erst das tiefer liegende Dach erklommen, dann das höhere, und am Rande des letzteren wand er sich weiter, nach rechts und nach links Ranken aussendend, bis er schließlich glücklich den Ostgiebel erreichte und sich die Treppe herunter wand.

Das ganze Haus samt seinen Flügeln war mit den altmodischen schottischen Schindeln, die breit und eckig sind, belegt. Es ist eine Eigenart dieses Materials, daß es die Häuser unten breiter als oben erscheinen läßt, gleich den ägyptischen Bauwerken, und hier wurde dieser außerordentlich malerische Eindruck durch zahlreiche Töpfe voll prächtiger Blumen unterstützt, die beinahe den gesamten Bau umringten.

Die Schindeln hatten einen mattgrauen Anstrich, und die glückliche Kontrastwirkung dieser neutralen Tönung zu dem lebhaften Grün der Blätter des Tulpenbaumes, der das Landhaus teilweise überschattete, wird jeder Künstler begreifen.

Von einem Platz am Steinwall aus war der Anblick der Gebäude am vorteilhaftesten, denn der südöstliche Flügel sprang vor, so daß das Auge gleichzeitig die beiden Fronten mit dem malerischen östlichen Giebel umfaßte und noch ein Stückchen vom Nordgiebel dazu, ferner etwa die Hälfte einer leichten Brücke, die sich in nächster Nähe des Hauptgebäudes über den Bach spannte.

Ich blieb nicht sehr lange auf dem Hügelkamm, wenngleich lange genug, um das Bild zu meinen Füßen gründlich in mich aufzunehmen. Es war klar, daß ich vom Weg zum Dorf abgekommen war, und ich hatte daher die gute Berechtigung des Wanderers, das Tor vor mir zu öffnen und jedenfalls meinen Weg zu erfragen; so trat ich ohne viel Umstände näher.

Der Pfad schien hinter dem Tor einem natürlichen Felsensteig zu folgen und schlängelte sich allmählich an den nordöstlichen Klippen hinunter. Er führte mich an den Fuß des nördlichen Abhangs hinab und dann über die Brücke, um den östlichen Giebel herum zum Haupteingang. Dabei stellte ich fest, daß von den Nebengebäuden nichts zu sehen war.

Als ich um die Ecke der Giebelseite kam, lief der Bullenbeißer in Sätzen auf mich zu, stumm, aber mit dem Blick und dem Gebaren eines Tigers. Ich streckte ihm jedoch meine Hand hin, als Freundschaftszeichen, und ich habe noch keinen Hund gekannt, der solch einem Appell an seine Höflichkeit widerstanden hätte. Er schloß nicht nur den Rachen und wedelte mit dem Schwanz, sondern bot mir eindringlich die Pfote, um dann auch Ponto seine Begrüßung zu erweisen.

Da keine Klingel zu entdecken war, pochte ich mit dem Stock an die Tür, die halb offen stand. Sogleich näherte sich eine Gestalt — die eines jungen Weibes von ungefähr achtundzwanzig Jahren — schlank und etwas über Mittelgröße. Als sie mit einem gewissen nicht zu beschreibenden Schritt von bescheidener Entschiedenheit herantrat, sagte ich zu mir selbst: „Hier habe ich nun die Vollendung der natürlichen im Gegensatz zur künstlerischen Anmut gefunden.“ Der zweite Eindruck, den sie in mir hervorrief, der aber weit lebhafter war als der erste, war Begeisterung. Ein so intensiver Ausdruck von Romantik — so sollte ich es vielleicht nennen — oder von Unweltlichkeit, wie er aus ihren tiefliegenden Augen schimmerte, war mir nie vorher ins innerste Herz gedrungen. Ich weiß nicht, wie das ist, aber dieser besondere Ausdruck im Auge, der gelegentlich auch den Mund kräuselt, ist der mächtigste, wenn nicht der durchaus einzige Zauber, mit dem ein Weib mich fesseln kann. „Romantik“ — vorausgesetzt, daß meine Leser begreifen, was ich hier mit dem Wort besagen will — „Romantik“ und „Weiblichkeit“ sind für mich dieselben Begriffe, und was schließlich der Mann im Weibe wirklich liebt, ist einfach ihre Weiblichkeit. Annies Augen (ich hörte, wie jemand von drinnen rief „Annie, Liebes!“) waren „geistvoll grau“, ihr Haar war ein lichtes Kastanienbraun; das war alles, was ich beobachten konnte.

Ihrer sehr artigen Einladung folgend, trat ich ein und durchschritt zunächst eine ziemlich weite Diele. Da ich hauptsächlich gekommen war, um zu beobachten, stellte ich fest, daß sich rechts von mir ein solches Fenster befand, wie sie von außen zu sehen gewesen waren, links eine Tür, die in das Hauptgemach führte, während gegenüber eine offene Tür mir Einblick in ein kleines Zimmer gestattete, das, von derselben Größe wie die Diele, als Arbeitszimmer eingerichtet war und ein großes Bogenfenster nach Norden hatte.

Ich trat ins Wohnzimmer und sah mich Mr. Landor gegenüber, denn dieses war, wie ich später erfuhr, sein Name. Er war höflich, ja kordial von Wesen, aber ich war eben jetzt eifriger bedacht, die Einrichtung des Hauses, das mich so ungemein interessierte, zu betrachten, als die persönliche Erscheinung des Besitzers.

Der Nordflügel, den ich nun sah, bestand aus einem Schlafzimmer, dessen Tür in das Wohnzimmer führte. Den Boden bedeckte ein Teppich von prächtigem Gewebe: kleine, grüne, kreisende Figuren auf weißem Grunde. An den Fenstern befanden sich Vorhänge aus schneeweißem Jakonettmusselin; sie waren ziemlich schwer und hingen genau, vielleicht etwas steif, in strengen, gleichmäßigen Falten bis auf den Boden — genau bis auf den Boden. Die Wände waren mit einer sehr zarten französischen Tapete bekleidet, auf deren silbernem Grund ein blaßgrüner Faden in Zickzacklinien hindurchlief. Sie wurde in ihrer ganzen Ausdehnung nur von drei kostbaren Lithographien Juliens „à trois crayons“ unterbrochen, die ungerahmt an der Wand befestigt waren. Eine der Zeichnungen war eine Szene voll orientalischer Pracht oder besser Üppigkeit, eine andere ein Karnevalsbild, unvergleichlich geistvoll, die dritte bot den Kopf einer Griechin: ein so göttlich schönes und dabei so herausfordernd unentschiedenes Antlitz hatte ich nie vorher gesehen.

Die gegenständliche Einrichtung bestand aus einem runden Tisch, ein paar Stühlen (darunter ein großer Schaukelstuhl) und einem Sofa oder besser einem „Kanapee“; es war aus glattem, gelblich-weiß lackiertem Ahornholz mit zarten grünen Streifen, der Sitz war Rohrgeflecht. Die Stühle und der Tisch „paßten“ dazu, aber ganz offenbar war die Form eines jeden Gegenstandes von demselben Kopf entworfen, der „die Landschaft“ angelegt hatte — man kann sich nichts Anmutigeres denken.

Auf dem Tisch lagen ein paar Bücher, stand eine große, eckige Kristallflasche mit einem eigenartigen Parfüm, eine Astral- (nicht Solar-) Lampe aus glattem Milchglas mit einer italienischen Glocke und eine große Vase strahlend blühender Blumen. Blumen in verschwenderischer Farbenpracht und zarten Düften bildeten tatsächlich den einzigen Schmuck des Zimmers. Der Kamin war fast ausgefüllt von einer Vase mit leuchtenden Geranien. Ein dreieckiges Wandbrett in jeder Zimmerecke trug je eine ähnliche Vase, nur ihr lieblicher Inhalt wechselte. Ein paar kleinere Sträuße zierten den Kaminsims, und späte Veilchen umdrängten die offenen Fenster.

Es liegt nicht in der Absicht dieser Erzählung, mehr zu geben, als eine eingehende Schilderung von Mr. Landors Wohnsitz, so wie ich ihn fand.

DER HERRSCHAFTSSITZ ARNHEIM

Von der Wiege bis zum Grabe wurde mein Freund Ellison von der Woge des Erfolges emporgehoben. Ich gebrauche aber nicht das Wort Erfolg im landläufigen Sinne; ich gebrauche es als Synonym für Glück. Der Mensch, von dem ich rede, schien geboren, um die Doktrinen eines Turgot, Price, Priestly und Condorcet zu verwirklichen — durch persönliches Beispiel den Beweis zu erbringen für das, was man eine Schimäre der Puritaner genannt hat. Ich vermeine in dem kurzen Dasein Ellisons das Dogma widerlegt gesehen zu haben, daß in der Natur des Menschen etwas verborgen sei, das ihn der Seligkeit entziehe. Eine eingehende Prüfung seiner Laufbahn hat mir zu verstehen gegeben, daß im allgemeinen das Unglück der Menschheit von der Verletzung einiger weniger einfacher Menschengesetze abzuleiten ist — daß wir die Elemente zu heiterer Genüge bis jetzt ungenutzt in unserer Macht haben — und daß selbst jetzt in der gegenwärtigen Finsternis und Tollheit, da alle Gedanken auf die große Frage der sozialen Lage gerichtet sind, es nicht ausgeschlossen ist, daß der Mensch, das Individuum, unter gewissen ungewöhnlichen und rein zufälligen Umständen glücklich sein kann.

Auch mein junger Freund war von derartigen Ansichten ganz erfüllt, und es ist daher bemerkenswert, daß der ununterbrochene Genuß, den das Leben ihm brachte, zum großen Teil die Folge weiser Voraussicht war. Ja, es ist klar, daß Mr. Ellison, hätte er weniger instinktive Philosophie besessen, die gelegentlich so gut die Stelle der Erfahrung zu ersetzen weiß, sich durch den so außerordentlichen Erfolg, den das Leben ihm brachte, in den üblichen Strudel des Unglücks hinabgezogen gesehen hätte, der das Los aller hervorragend begünstigten Leute ist. Doch es ist keineswegs meine Absicht, ein Essay über das Wesen des Glücks zu schreiben. Die Gedankengänge meines Freundes seien nur in kurzen Worten geschildert. Er gab nicht mehr als vier Elementarsätze oder, genauer gesagt, Bedingungen für die Freude zu. Die Hauptsache war ihm (seltsam genug!) der einfache und rein physische Grundsatz der Bewegung im Freien. „Was man an Gesundheit“, sagte er, „auf anderm Wege erreichen kann, ist dieses Namens kaum wert.“ Als Beispiel führte er die Wonnen des Fuchsjägers an und wies auf die Ackerbauern hin, die einzigen Leute, die man, als Klasse betrachtet, glücklicher erachten kann als andre. Seine zweite Bedingung war Weibesliebe. Seine dritte und sehr schwer zu verwirklichende war die Verachtung des Ehrgeizes. Seine vierte ein rastlos gesuchtes Ziel. Und er behauptete, da andre Dinge gleichgültig seien, so stehe das Maß des erreichbaren Glücksgefühls im Verhältnis zu der Geistigkeit dieses Gegenstandes.

Ellison zeichnete sich durch eine Fülle guter Gaben aus, die das Glück ihm in den Schoß geworfen hatte. An Schönheit und Anmut überstrahlte er alle Männer. Sein Verstand war von der Art jener, denen das Erwerben von Kenntnissen weniger Anstrengung als Intention und Bedürfnis ist. Seine Familie gehörte zu den erlauchtesten im Reich. Seine Braut war die lieblichste und treu ergebenste aller Frauen. Er hatte stets über reichliches Besitztum verfügt; als er aber mündig wurde, stellte es sich heraus, daß das Schicksal ihm einen der seltenen Streiche gespielt hatte, wie sie die ganze soziale Welt, in der sie sich ereignen, zuweilen in Verblüffung versetzen und selten verfehlen, die Geistesverfassung derer, denen sie gelten, völlig umzustoßen.

Es fand sich, daß etwa hundert Jahre vor Mr. Ellisons Mündigwerdung in einer entfernten Provinz ein Mr. Seabright Ellison gestorben war. Dieser Herr hatte ein fürstliches Vermögen zusammengerafft, und da er keine direkten Nachkommen hatte, packte ihn die Grille, das Vermögen sich bis hundert Jahre nach seinem Tode weiter aufstapeln zu lassen. Indem er die Anlage des Kapitals eingehend und scharfsinnig bestimmte, vermachte er die aufgehäufte Summe demjenigen nächsten Blutsverwandten des Namens Ellison, der nach Ablauf von hundert Jahren am Leben wäre. Viele Versuche waren gemacht worden, diese eigenartige Bestimmung zu umgehen; ihr Ex-post-facto-Charakter ließ sie fehlschlagen; man lenkte aber die Aufmerksamkeit einer habgierigen Regierung darauf und erlangte eine gesetzliche Verfügung, die alle derartigen Geldanhäufungen untersagte. Das hinderte freilich den jungen Ellison nicht, an seinem einundzwanzigsten Geburtstag als der Erbe seines Ahnherrn Seabright in den Besitz eines Vermögens von vierhundertundfünfzig Millionen Dollar zu kommen.

Als es bekannt wurde, welch ungeheuerliche Summe die Erbschaft ausmachte, gab es natürlich viele Vermutungen über die Art, wie sie anzulegen sei. Die Höhe und die sofortige Greifbarkeit der Summe verwirrte alle, die sich mit der Sache befaßten. Für den Besitzer irgendeiner übersehbaren Geldmenge hätte man sich irgendeinen von tausend Plänen ausgedacht. Wäre er mit Gütern gesegnet worden, die lediglich die der andern Bürger überstiegen, so hätte man sich unschwer vorgestellt, er werde die beliebten Extravaganzen seiner Zeit in unerhörtester Weise übertreiben — oder sich mit politischen Umtrieben befassen — oder nach der Machtstellung eines Ministers streben — oder sich den höheren Adel kaufen — oder große Museen der schönen Künste anlegen — oder den freigebigen Mäzen in Wissenschaft, Literatur und Kunst spielen — oder seinen Namen in ausgedehnten Wohlfahrtseinrichtungen verewigen. Bei dem unfaßlichen Vermögen jedoch, in dessen unumschränktem Besitz der Erbe sich befand, empfand man diese und alle gewöhnlichen Ziele als ein allzu begrenztes Feld. Man nahm zu Zahlen seine Zuflucht, und auch diese verwirrten noch mehr. Es stellte sich heraus, daß selbst bei nur drei Prozent das Jahreseinkommen der Erbschaft nicht weniger als dreizehn Millionen fünfhunderttausend Dollar betrug, was eine Million einhundertundfünfundzwanzigtausend Dollar im Monat ausmachte; oder sechsunddreißigtausendneunhundertundsechsundachtzig am Tag; oder sechsundzwanzig Dollar für jede entfliehende Minute. So wurde natürlich der übliche Weg der Mutmaßungen völlig umgestoßen. Die Leute wußten nicht, was sie ersinnen sollten. Einige meinten sogar, Mr. Ellison werde sich mindestens der Hälfte seines Vermögens als völlig überflüssig entledigen — und die ganze Sippe seiner Verwandtschaft durch Verteilung dieses Überflusses bereichern. Den nächsten Verwandten überließ er tatsächlich die ungewöhnlich großen Reichtümer, die ihm bereits vor der Erbschaft gehörten.

Ich war jedoch gar nicht überrascht, als ich merkte, daß er schon längst seinen Entschluß über einen Punkt gefaßt hatte, der von seinen Freunden soviel erörtert worden war. Auch war ich über die Art dieses Entschlusses nicht allzusehr erstaunt. Hinsichtlich der persönlichen Wohltätigkeit hatte er sein Gewissen beruhigt. Von der Möglichkeit irgendeines wesentlichen Dienstes, den der Mensch, wie man so zu sagen pflegt, der Menschheit erweisen könnte, war er (wie ich leider gestehen muß) wenig überzeugt. Kurz und gut, glücklich oder nicht glücklich, er war so ziemlich ganz auf sich selber angewiesen.

Er war im weitesten und edeln Sinne ein Dichter. Er erfaßte überdies den wahren Charakter, die erhabenen Ziele, die herrliche Majestät und Würde der poetischen Empfindung. Er fühlte instinktiv, daß die vollste, wenn nicht die einzige Befriedigung in der Erschaffung neuer Schönheitsformen lag. Eine gewisse Eigenart, eine Folge seiner Erziehung oder seines Intellekts, gab allen seinen ethischen Betrachtungen eine materialistische Färbung, und dieser Hang vielleicht war es, der ihn zu der Ansicht führte, das vorteilhafteste, wenn nicht das einzig rechtmäßige Feld für angewandte Poesie biete die Schöpfung neuer Formen von natürlicher, rein physischer Schönheit. So kam es, daß er weder Musiker noch Dichter wurde — wenn wir diese letztere Bezeichnung in ihrer gewöhnlichen Bedeutung fassen. Mag aber auch sein, daß er beides nicht werden wollte — lediglich in Verfolgung seiner Idee, daß die Verachtung jeglichen Ehrgeizes eine der wesentlichen Wurzeln des irdischen Glückes sei. Ist es nicht tatsächlich möglich, daß, während ein großes Genie naturgemäß ehrgeizig ist, noch ein größeres über dem steht, was wir Ehrgeiz nennen? Kann es nicht sein, daß viele, die weit größer sind als Milton, sich begnügt haben, „stumm und unberühmt“ zu bleiben? Ich glaube, die Welt hat auf dem Gebiet der Kunst die ganze erschöpfende Fülle prachtvoller Leistungen, deren die menschliche Natur unbedingt fähig ist, nie gesehen und wird sie nie sehen — es sei denn, daß allerlei Zufälle einmal eines jener größeren Genies, entgegen seiner eigenen Anschauung, zu Taten veranlassen.

Ellison wurde weder Musiker noch Dichter, obgleich man Musik und Poesie nicht inniger lieben konnte als er. Es ist nicht ausgeschlossen, daß er unter andern Lebensbedingungen Maler geworden wäre. Die Bildhauerkunst war trotz ihres stark poetischen Gehalts zu begrenzt in Form und Wirkung, um jemals seine Aufmerksamkeit lange fesseln zu können. Und ich habe nun alle Gebiete aufgezählt, in denen nach allgemeinen Begriffen die poetische Empfindung sich ausbreiten kann. Ellison aber behauptete, das reichste und echteste, das natürlichste und wohl auch umfassendste Gebiet sei unverantwortlicherweise übersehen worden. Kein Deuter habe je den Landschaftsgärtner als Künstler erwähnt; dennoch, so meinte mein Freund, biete der Landschaftsgarten der wahren Muse die edelsten Möglichkeiten. Hier sei wirklich das schönste Feld zur Entfaltung der Phantasie in immer neuer Gestaltung neuer Schönheitsformen, da die zur Zusammenstellung vorhandenen Elemente bei weitem die herrlichsten seien, die die Erde zu bieten habe. In den zahllosen Formen und Farben der Blumen und Bäume erkannte er den ausgesprochensten und kraftvollsten Drang der Natur nach körperlicher Schönheit. Und in der Anordnung oder Vereinigung dieser Bemühungen — oder richtiger, in ihrer Anpassung an die Augen, die sie auf Erden würdigen sollten — glaubte er auf die beste Art — und mit erfolgreichsten Leistungen — der Erfüllung nahe zu kommen, nicht nur seiner eigenen Bestimmung als Künstler, sondern auch den erhabenen Zielen, um deretwillen die Gottheit dem Menschen das künstlerische Empfinden eingeimpft habe.

„Ihre Anpassung an die Augen, die sie auf Erden würdigen sollten ...“ In seiner Erläuterung dieses Ausdrucks trug Mr. Ellison viel zur Lösung dessen bei, was mir immer als Rätsel erschienen war: — ich meine die (nur von Unwissenden bestrittene) Tatsache, daß es in der Natur keine solchen Szenerien gibt, wie der geniale Maler sie zu schaffen weiß. Keine solchen Paradiese sind in der Wirklichkeit zu finden, wie sie auf der Leinwand Claudes erglühen. In den bezauberndsten natürlichen Landschaften wird stets ein Mangel oder ein Unmaß zu finden sein — viele Mängel und viele Unmäßigkeiten. Während die gegebenen Bestandteile im einzelnen das größte Können des Künstlers übertreffen mögen, so wird die Anordnung dieser Teile stets noch der Vervollkommnung bedürftig sein. Kurz, in der ganzen weiten natürlichen Landschaft auf Erden gibt es keinen Betrachtungspunkt, von dem aus ein Künstlerauge bei längerem Zusehen nicht einen Verstoß gegen das fände, was man die „Komposition“ der Landschaft nennt. Und wie unbegreiflich ist das doch! In allen andern Dingen sind wir richtig belehrt, die Natur als überlegen anzusehen. Wir scheuen den Wettbewerb mit ihren Einzelschöpfungen. Wer wollte es fertigbringen, die Farben der Tulpe wiederzugeben oder die Gestalt des Maiglöckchens zu verbessern? Die Kritik, die von der Bildhauerei oder der Porträtkunst sagt, daß hier die Natur nicht nur erreicht, sondern übertroffen oder idealisiert sei, befindet sich im Irrtum. Kein malerisches noch bildhauerisches Zusammenwirken von Einzelheiten menschlicher Schönheit kann mehr, als der lebendigen, atmenden Schönheit nahe kommen. Nur in der Landschaft ist jener Standpunkt des Kritikers im Recht, und da er seine Wahrheit hier empfand, so ist es nur die unüberlegte Vorliebe zur Verallgemeinerung, die ihn dahin führte, ihn auf allen Gebieten der Kunst als richtig aufzustellen. Ich sage, seine Wahrheit hier empfand; denn die Empfindung ist keine Einbildung, keine Schimäre. Die Mathematiker liefern keine exakteren Beweise, als sie dem Künstler in seiner Kunst das Gefühl bietet. Er glaubt nicht nur, sondern er weiß positiv, daß die und die scheinbar willkürliche Anordnung der Dinge die wahre Schönheit ausmacht — sie ganz allein ausmacht. Seine Gründe aber sind noch nicht zum Ausdruck gereift. Es bleibt einer gründlicheren Analyse, als die Welt sie bisher gesehen hat, überlassen, diese Gründe voll zu erforschen und darzutun. Dessenungeachtet wird er in seiner instinktiven Ansicht durch die Stimme aller seiner Brüder unterstützt.

Nehmen wir an, eine „Komposition“ sei mangelhaft; sie solle lediglich in ihrer Zusammensetzung umgearbeitet werden; nun möge man die Frage nach der Notwendigkeit dieser Umarbeitung jedem Künstler, den es nur gibt, vorlegen, von jedem wird die Notwendigkeit zugegeben werden. Und sogar weit mehr als das: zur Behebung der fehlerhaften Komposition würde jedes einzelne Glied dieser Bruderschaft die nämliche Änderung vorgeschlagen haben.

Ich wiederhole, daß nur bei Landschaftsbildern die Schönheit der Natur eine Steigerung zuläßt und daß daher die Fähigkeit zu ihrer Vervollkommnung in gerade diesem einen Punkte ein Geheimnis war, das ich nicht zu lösen wußte. Meine eigenen Anschauungen über den Gegenstand gingen dahin, die Natur habe in ihrer ursprünglichen Absicht die Erde so gebildet, daß sie in allen Punkten der menschlichen Auffassung von vollendeter Schönheit oder Erhabenheit entsprach; aber diese ursprüngliche Absicht sei durch die bekannten geologischen Störungen vernichtet worden — Störungen in Form und Farbengruppierung, in deren Verbesserung oder Abschwächung die Seele der Kunst beruht. Die Kraft dieses Gedankens wurde jedoch sehr abgeschwächt durch die in ihm verborgene Notwendigkeit, die Störungen als anormal und durchaus unzweckmäßig zu betrachten. Ellison war es, der die Vermutung aussprach, sie seien ein Anzeichen des Todes. Er erklärte das so: — Angenommen, die ursprüngliche Absicht sei die irdische Unsterblichkeit des Menschen gewesen. Dann finden wir die ursprüngliche Bildung der Erde seinem seligen Zustand angepaßt — zwar nicht bestehend, aber beabsichtigt. Die Umwälzungen waren die Vorbereitungen für seine später beschlossene Bestimmung zum Tode.

„Nun könnte aber“, sagte mein Freund, „das, was wir als Steigerung der landschaftlichen Schönheit empfinden, eine lediglich menschliche Anschauungsweise sein. Jede Veränderung der natürlichen Szenerie würde das Bild vielleicht verunstalten, wenn wir es uns von weitem — als große Masse gesehen — denken, von einem der Erdoberfläche fernen Punkt, wenngleich nicht hinter den Grenzen ihrer Atmosphäre. Es ist leicht begreiflich, daß das, was einem nah besehenen Detail zum Vorteil gereichen mag, gleichzeitig eine allgemeine oder entferntere Wirkung beeinträchtigen kann. Es könnte doch eine Art vordem menschlicher, nun aber der Menschheit unsichtbarer Wesen geben, denen aus der Ferne unsre Wirrnis als Ordnung erscheint — unser Unmalerisches als malerisch; mit einem Wort, ich meine die Erdengel, für deren Betrachtung mehr als für unsere und für deren durch den Tod veredelte Bewertung des Schönen die weiten Landschaftsgärten der Hemisphären von Gott aufgestellt worden sein mögen.“

Im Laufe des Gespräches führte mein Freund einige Zitate eines Beurteilers der Landschaftsgärtnerei an, der, wie man sagt, sein Thema gut behandelt haben soll:

‚Es gibt eigentlich nur zwei Richtungen in der Landschaftsgärtnerei, die natürliche und die künstliche. Man versucht die ursprüngliche Schönheit der Landschaft wiederherzustellen, indem man ihre eigenen Mittel auf die Umgebung anwendet: Bäume anpflanzt, die sich den benachbarten Hügeln oder Flächen harmonisch anpassen; jenen reizvollen Einklang von Größe, Form und Farbe entdeckt und anwendet, der, dem gewöhnlichen Beschauer verborgen, sich erfahrenen Naturbeobachtern überall enthüllt. Das Resultat der natürlichen Richtung in der Gärtnerei zeigt sich mehr in der Vermeidung aller Mängel und Mißverhältnisse — in der Pflege einer gesunden Harmonie und Ordnung —, als im Hervorbringen von Wundern oder Besonderheiten. Die künstliche Richtung hat soviele Abstufungen, als es Geschmacksverschiedenheiten zu befriedigen gibt. Sie hat eine gewisse allgemeine Verwandtschaft mit den verschiedenen Baustilen. Da gibt es die pomphaften Alleen und Boskette Versailles, italienische Terrassen und ein vielfach gemischter altenglischer Stil, der eine gewisse Ähnlichkeit mit der profanen Gotik oder der englischen elisabethanischen Architektur zeigt. Was auch gegen den Mißbrauch der künstlichen Landschaftsgärtnerei gesagt worden sein mag, so gibt doch eine Beimischung reiner Kunst einer Gartenszene große Schönheit. Teils erfreut es das Auge, daß es eine Ordnung und Planmäßigkeit wahrnimmt, teils ist es ein geistiges Genießen. Eine Terrasse mit einer alten moosbewachsenen Balustrade ruft uns sofort die reizenden Gestalten ins Gedächtnis, die hier in früheren Tagen gewandelt sind. Die kleinste Darbietung von Kunst ist ein Beweis der Sorgfalt und menschlicher Selbstliebe.‘

„Aus meinen bisherigen Bemerkungen werden Sie begreifen,“ sagte Ellison, „daß ich den Gedanken verwerfe, die ursprüngliche Schönheit der Landschaft wieder herstellen zu wollen. Die ursprüngliche Schönheit ist nie so groß, wie die, welche man hervorrufen könnte. Allerdings liegt alles an der Wahl eines geeigneten Platzes. Was oben über die Entdeckung und praktische Anwendung hübscher Beziehungen in Größe, Gestalt und Farbe gesagt ist, ist nichts als eine hohle Redensart, um unklare Gedanken zu bemänteln. Der genannte Ausspruch kann alles und nichts besagen und gibt keinerlei Anweisung. Daß der wahre Erfolg des natürlichen Stils in der Gärtnerei mehr in der Vermeidung aller Mängel und Mißverhältnisse, als in der Erschaffung irgendwelcher Wunder und Besonderheiten zu suchen sei, ist ein Vorschlag, der besser zu dem niedrigen Begriffsvermögen der Herdenmenschen paßt als zu den feurigen Träumen eines genialen Mannes. Der befürwortete negative Vorzug gehört zu den hinkenden Beurteilungen, die in der Literatur zum Beispiel einem Addison eine Apotheose bereiten würden. Ja, während jene Tüchtigkeit, die lediglich in der Vermeidung von Fehlern besteht, sich direkt an unsere Einsicht wendet und daher durch Vorschriften umschrieben werden kann, ist die erhabenere Gabe, die in der Neuschöpfung flammt, allein in ihren Wirkungen zu begreifen. Regeln behandeln nur die Vorzüge der Vermeidung — den Wert der Enthaltsamkeit. Darüber hinaus kann die kritische Kunst nur mutmaßen. Man kann uns unterweisen, einen ‚Cato‘ zu konstruieren, aber vergeblich wird man uns belehren, wie ein Parthenon oder ein ‚Inferno‘ zu schaffen sei. Ist aber die Sache getan, das Wunder vollendet, so ist es allgemeinverständlich. Die Sophisten der negativen Schule, die aus Unfähigkeit zum Schöpferischen solches Tun verspottet haben, sind nun die eifrigsten im Beifallspenden. Was im Larvenzustand seines Beginns ihren zahmen Verstand beleidigte, verfehlt nie, in seiner Reife der Vollendung ihrem Instinkt für Schönheit Bewunderung abzunötigen.“

„Gegen die Bemerkungen des Verfassers über den künstlichen Stil ist weniger zu sagen“, fuhr Ellison fort. „Die Beimischung reiner Kunst gibt einer Gartenszene eine große Schönheit. Das ist richtig, ebenso wie der Hinweis auf menschliche Selbstliebe. Das angeführte Prinzip ist unbestreitbar — es könnte aber darüber hinaus noch etwas geben. Es könnte ein auf diesem Grundsatz aufgebautes Ziel geben — ein mit den üblichen Mitteln des einzelnen unerreichbares Ziel, das aber, wenn es erreicht wird, dem Landschaftsgarten einen Reiz verleihen würde, der alles weit überträfe, was menschliche Sorgfalt hervorbringen könnte. Ein Künstler mit ganz außergewöhnlichen Geldmitteln könnte, trotz Beibehaltung der notwendigen Begriffe von Kunst oder Kultur oder, wie unser Autor sagt, von Selbstliebe, seine Pläne gleichzeitig so durch großzügige Anlage und neuartige Schönheit bereichern, daß man an die Einmischung von Feenhand glauben möchte. Man wird sehen, daß er zu solchem Resultat alle Vorteile der Selbstliebe oder Absicht heranzieht, während er doch sein Werk von der Schärfe oder den Kunstgriffen der irdischen Kunst befreit. Im finstersten Urwald — in den entlegensten Gebieten der Natur — ist die Kunst eines Schöpfers erkennbar; doch diese Kunst wird nur dem Verstande deutlich; in keiner Weise hat sie die einleuchtende Kraft des Gefühls. Nun wollen wir uns diesen Sinn in der Absicht des Allmächtigen nur einen Grad niedriger denken — irgendwie in Harmonie oder in Übereinstimmung gebracht mit dem Wesen der menschlichen Kunst — um ein Zwischenglied zwischen beiden zu bilden: — stellen wir uns beispielsweise eine Landschaft vor, die durch Ausgedehntheit und Bestimmtheit, durch Schönheit, Pracht und Absonderlichkeit den Gedanken an Sorgfalt, Kultur und Pflege durch höhere und doch der Menschheit verwandte Wesen wachruft — dann ist der Begriff der Interessiertheit gewahrt, während die eingeflochtene Kunst zur Annahme einer vermittelnden oder zweiten Natur führt — einer Natur, die weder Gott noch eine Emanation Gottes ist, die aber dennoch Natur ist, als Kunstwerk der Engel, die zwischen den Menschen und Gott schweben.“

Ellison gedachte seinen ungeheuren Reichtum in der Verwirklichung einer derartigen Vision anzulegen — in der durch persönliche Überwachung seiner Anordnungen gebotenen Bewegung im Freien — in dem unbeschränkten Ziel, das diese Absichten boten, in dem vergeistigten Wesen dieses Ziels, in der Verachtung ehrgeizigen Strebens, die ihm dadurch ermöglicht wurde, in dem ewigen Lenz, mit dem dieses Ziel, ohne je zu übersättigen, seine Hauptleidenschaft, den Durst nach Schönheit, befriedigte; vor allem aber in der Sympathie eines nicht unweiblichen Weibes, deren Lieblichkeit und Liebe sein Dasein mit der purpurnen Atmosphäre des Paradieses umgeben; und er hoffte, Befreiung von den Alltagszielen der Menschheit zu finden, und er fand sie und eine weit größere Fülle positiven Glücks, als je in den überschwenglichen Wachträumen einer Staël glühte.

Ich bezweifle, daß ich dem Leser eine irgendwie klare Vorstellung der Wunder vermitteln kann, die mein Freund tatsächlich verrichtete. Ich möchte beschreiben, fühle mich aber von der Schwierigkeit der Beschreibung entmutigt und zögere zwischen Detaillierung und Verallgemeinerung. Der beste Weg ist vielleicht der, die beiden Extreme zu vereinigen.

Mr. Ellisons erster Schritt galt natürlich der Wahl einer Örtlichkeit, und kaum hatte er über diesen Punkt nachgedacht, als die üppige Naturpracht der Südsee-Inseln seine Aufmerksamkeit fesselte. Ja, er hatte schon beschlossen, eine Reise in die Südsee anzutreten, als die Überlegung einer Nacht ihn veranlaßte, die Idee aufzugeben. „Wäre ich ein Menschenfeind,“ sagte er, „so würde mir solch ein Ort gefallen. Die völlige Abgeschlossenheit und die Schwierigkeit des Hin- und Zurückgelangens wäre in solchem Falle der Reiz aller Reize; noch aber bin ich nicht Timon. Ich wünsche die Erholung, aber nicht das Bedrückende der Einsamkeit. Ich muß in gewissem Sinne den Grad und die Dauer meiner Zurückgezogenheit bestimmen können. Es mögen Stunden kommen, in denen ich das, was ich geleistet habe, der Sympathie poetischer Geister vorführen will. Ich werde daher einen Ort wählen, der nicht weit von einer volkreichen Stadt liegt, deren Nähe mir auch die Durchführung meiner Pläne am besten ermöglicht.“

Auf der Suche nach einem solchen Ort reiste Ellison mehrere Jahre umher, und mir war es erlaubt, ihn zu begleiten. Wohl tausend Plätze, von denen ich entzückt war, verwarf er aus Gründen, deren Richtigkeit ich jedesmal anerkennen mußte. Wir kamen schließlich zu einem erhöhten Tafelland von wundervoller Fruchtbarkeit und Schönheit, das einen Rundblick bot, der dem des Ätna an Ausdehnung sehr wenig nachstand und das nach Ellisons wie meiner Ansicht die weitberühmte Aussicht jenes Berges in allen wesentlichen Elementen des Malerischen überragte.

„Ich bin mir bewußt,“ sagte der Reisende mit einem Seufzer tiefen Entzückens, nachdem er die Szene wohl eine Stunde lang bezaubert betrachtet hatte, „ich weiß, daß neun Zehntel der wählerischsten Männer an meiner Stelle hier befriedigt sein würden. Dieses Panorama ist in der Tat herrlich, und ich würde davon hingerissen sein, wenn es nicht übertrieben herrlich wäre. Der Geschmack aller mir bekannten Baumeister veranlaßt sie, der ‚Aussicht‘ wegen, ihre Häuser auf eine Höhe zu stellen. Der Irrtum ist klar. Größe in jeder Form, besonders aber als Ausdehnung, bringt Überraschung, Erregung — und ermüdet dann, drückt nieder. Als gelegentliche Szene kann es nichts Besseres geben — zum dauernden Anblick nichts Schlimmeres. Und zum dauernden Anblick ist die unzulässigste Art der Größe die der Ausdehnung, des weiten Raumes. Sie steht mit dem Gefühl, dem Sinn für Zurückgezogenheit auf dem Kriegsfuß — dem Sinn, den wir zu befriedigen suchen, wenn wir uns ‚auf das Land zurückziehen‘. Wenn wir vom Gipfel eines Berges um uns blicken, so fühlen wir uns unwillkürlich verloren in der Welt. Die tief melancholischen Seelen meiden einen weiten Blick wie die Pest.“

Nicht vor Ende des vierten Jahres unsrer Suche fanden wir eine Gegend, mit der Ellison sich einverstanden erklärte. Es ist natürlich überflüssig, zu sagen, wo diese Gegend lag. Der kürzlich erfolgte Tod meines Freundes, der seine Besitzung für gewisse Kreise von Besuchern erschloß, hat Arnheim zu einer heimlichen und gedämpften, wenn nicht traurigen Berühmtheit verholfen, ähnlich — allerdings in unendlich höherem Grade — wie es mit dem so lang verehrten Fonthill gegangen ist.

Der übliche Weg nach Arnheim war der Fluß. Der Besucher verließ die Stadt am frühen Morgen. Im Laufe des Vormittags glitt er zwischen Ufern voll stiller, ländlicher Schönheit dahin, auf denen zahllose Schafe weideten, deren weißes Fell das strahlende Grün der vorüberziehenden Wiesen sprenkelte. Nach und nach wirkte die Landschaft weniger bebaut, als lediglich mit Sorgfalt gepflegt. Das wandelte sich allmählich in Verlassenheit — diese wieder in völlige Abgeschiedenheit. Als der Abend kam, wurde der Kanal enger, die Ufer erhoben sich steiler und waren mit üppigem, dunklem Laubwuchs bedeckt. Das Wasser wurde durchsichtig. Der Fluß machte tausend Windungen, so daß man seine schimmernde Fläche nur immer eine kurze Strecke weit überschauen konnte. Jeden Augenblick war es, als befinde sich das Schiff in einem Zauberkreis aus undurchdringlichen Laubwänden, einer Decke von tiefblauer Seide und — keinem Boden, da der Kiel mit staunenswerter Geschicklichkeit auf dem eines andern gespenstischen Bootes zu balanzieren schien, das, zufällig kieloben treibend, die beständige Begleitung und gewissermaßen der Halt des wirklichen Bootes zu sein schien. Der Kanal wurde jetzt zu einer Schlucht — die Bezeichnung ist allerdings etwas unangebracht, und ich gebrauche sie nur, weil die Sprache kein Wort hat, das diesen auffälligsten Zug der Landschaft kennzeichnet. Der Charakter einer Schlucht wurde nur durch die Höhe und Gleichmäßigkeit beider Ufer gegeben; in allem andern war keine Ähnlichkeit zu spüren. Die Wände der Schlucht (durch die das Wasser weiter still dahinfloß) erreichten eine Höhe von hundert und gelegentlich hundertfünfzig Fuß und neigten sich einander soweit zu, daß sie das Tageslicht wesentlich abdämpften, während das lange flaumige Moos, das in dichten Büscheln vom verflochtenen Strauchwerk oben herniederhing, der ganzen Kluft eine trauernde Düsterkeit verlieh. Die Windungen wurden häufiger und verworrener und schienen oft wieder nach rückwärts zu führen, so daß der Reisende längst nicht mehr die Richtung kannte. Überdies fühlte er mit Entzücken die Seltsamkeit seiner Umgebung. Freilich, Natur war es noch immer, aber sie war beeinflußt worden. Da war eine zauberhafte Symmetrie, eine packende Gleichmäßigkeit, eine märchenhafte Sauberkeit hier in ihren Werken. Nicht ein totes Zweiglein — nicht ein welkes Blatt — nicht ein verirrter Kiesel — nicht ein Fleckchen nackter Erde war zu sehen. Das kristallklare Wasser wellte an dem sauberen Granit oder dem fleckenlosen Moos empor in einer so ebenmäßigen Grenzlinie, daß es das Auge entzückte und bestürzte.

Hatte man die Irrgänge dieses Kanals einige Stunden lang durchzogen, während die Dämmerung immer mehr zunahm, so brachte eine scharfe und plötzliche Wendung das Boot wie vom Himmel gefallen in ein rundes Becken von ansehnlichen Ausmaßen, mit denen der Schlucht verglichen. Es hatte etwa zweihundert Meter Durchmesser und war bis auf eine einzige Stelle, die dem Boot bei seinem Eintritt genau gegenüber lag, von Hügeln eingefaßt, deren Höhe den Mauern der Schlucht entsprach, die aber ganz anders in der Anlage waren. Sie glitten in einem Winkel von etwa vierzig Grad zum Wasser herunter, und diese Hänge waren von unten bis oben — ohne den kleinsten Zwischenraum — mit den prächtigsten Blüten geschmückt; kaum ein grünes Blättchen war in dem Meer duftender Farben und flutender Blütensterne zu sehen. Dieses Becken war von großer Tiefe; das Wasser war aber so durchsichtig, daß der Boden, der aus einer dichten Menge kleiner, runder Alabasterkiesel zu bestehen schien, gelegentlich deutlich sichtbar wurde, das heißt immer dann, wenn das Auge es fertig brachte, nicht tief unten im umgekehrten Himmel das verdoppelte Blühen der Hügel wahrzunehmen. Auf diesen gab es weder Bäume noch Sträucher irgendwelcher Größe. Der Eindruck für den Beschauer war Fülle, Wärme, Farbe, Ruhe, Gleichmäßigkeit, Sanftheit, Zartheit, Vornehmheit, Üppigkeit und ein so wundervolles Übermaß von Pflege, daß man träumen mochte, das Geschlecht der Feen, der fleißigen, geschmackvollen, prunkliebenden und stolzen Feen sei auferstanden; wenn aber der Blick von der scharfen Wassergrenze des myriadengetönten Hanges zu seiner in niedrig ziehenden Wolken verschwimmenden Höhe schweifte, so war es wirklich schwer, nicht an einen stürzenden Wasserfall von Rubinen, Saphiren, Opalen und goldschimmernden Onyxen zu denken, der schweigend aus dem Himmel niederstürzte.

Der Besucher, der plötzlich aus dem Dämmer der Schlucht in diese Bucht herausgleitet, ist entzückt und überrascht, den vollen Ball der untergehenden Sonne zu erblicken, die er längst tief unter dem Horizont glaubte, die ihm nun aber gegenübersteht und den einzigen Abschluß eines andernfalls unbegrenzten Ausblicks durch einen andern schluchtartigen Einschnitt in den Hügeln bildet.

Hier aber verläßt der Reisende das Schiff, das ihn soweit getragen hat, und besteigt ein leichtes Boot aus Elfenbein, das innen wie außen mit Arabesken in Scharlachrot geziert ist. Bug und Hinterteil des Bootes heben sich in scharfer Spitze hoch aus dem Wasser, so daß die Form des Ganzen ein unregelmäßiger Halbmond ist. Mit der stolzen Anmut des Schwanes wiegt es sich auf dem Spiegel der Bucht. Auf seinem hermelinbelegten Boden ruht ein einziges leichtes Ruder aus Atlasholz; doch kein Ruderer oder Begleiter ist zu sehen. Der Gast wird gebeten, sich vertrauensvoll darauf zu verlassen, daß das Schicksal ihn behüten wird. Der größere Kahn verschwindet, und er bleibt allein in dem Boot zurück, das anscheinend unbeweglich mitten im See liegt. Während er überlegt, welchen Kurs er nehmen soll, spürt er jedoch, daß das Feenboot sich sacht bewegt. Es schwingt sich langsam herum, bis sein Bug zur Sonne weist.

Es bewegt sich mit sanfter, aber zunehmender Schnelligkeit voran, und das leichte Wellenkräuseln umtanzt die elfenbeinernen Bootswände wie mit himmlischen Melodien — und gibt jedenfalls die einzige Erklärung für die schmeichelnde, doch schwermütige Musik, nach deren unsichtbarem Ursprung der bestürzte Reisende vergeblich um sich blickt.

Das Boot rückt stetig voran, und das Felsentor der Durchsicht rückt näher, so daß man deutlicher in seine Tiefen spähen kann. Rechts erhebt sich eine Kette wild und üppig bewaldeter Höhen. Immer aber kann man sehen, daß die köstliche Sauberkeit des Ufers dort, wo es ins Wasser taucht, erhalten bleibt. Nicht ein Zeichen des an Flußufern sonst üblichen Verfalls ist wahrzunehmen. Nach links ist die Szene sanfter, und das Künstliche ist stärker betont. Hier schwingt sich das Ufer in sehr sanfter Steigung vom Fluß empor und bildet eine breite Rasenfläche, die nur mit Sammet zu vergleichen ist und ein so strahlendes Grün aufweist, daß es mit dem reinsten Smaragd wetteifert. Dieses „Plateau“ hat eine wechselnde Breite von zehn zu dreihundert Metern und reicht vom Ufer bis zu einer Mauer, die in unzähligen Kurven dahinzieht, im allgemeinen aber dem Flußlauf folgt, bis sie sich nach Westen in der Ferne verliert. Diese Mauer besteht aus einem zusammenhängenden Fels und ist dadurch entstanden, daß man den einst zerklüfteten Hang des südlichen Flußufers senkrecht abschnitt; doch nicht die kleinste Spur dieser Arbeit ist mehr zu sehen. Der gemischte Stein ist altersgrau und ist verschwenderisch mit Efeu, korallenrotem Geisblatt, der wilden Rose und Klematis behangen und umwuchert. Die Gleichmäßigkeit der oberen und unteren Abschlußlinie der Mauer wird durch Bäume von gigantischer Größe erreicht, die vereinzelt oder in Gruppen auf dem „Plateau“ oder im Bereich hinter der Mauer, aber immer dicht neben ihr stehen, so daß zuweilen die Äste (besonders jene der schwarzen Walnuß) herübergreifen und ihre hängenden Spitzen ins Wasser tauchen. Weiter hinten ist das eingeschlossene Gebiet von undurchdringlichem Laubwerk verhüllt.

Diese Dinge bemerkt man, während das Boot der Stelle immer näher kommt, die ich das Tor der Durchsicht genannt habe. Je mehr man sich ihm nähert, desto mehr verschwindet das Zauberhafte daran; nach links öffnet sich ein neuer Abfluß aus der Bucht, und in dieselbe Richtung scheint auch die Mauer sich zu ziehen, die immer noch den Flußlauf begleitet. Weit kann das Auge nicht in diese neue Flucht hinunterspähen, denn das von der Mauer begleitete Wasser biegt wiederum nach links ab, bis beide im Laubdach verschwinden.

Das Boot aber gleitet wie durch Zauberkraft in den gewundenen Kanal, und hier zeigt das der Mauer gegenüberliegende Ufer Ähnlichkeit mit dem vorhin beschriebenen Ufer. Hohe Hügel, die sich gelegentlich zu Bergen erheben und eine üppige, wilde Vegetation tragen, schließen die Szene ein.

Das Boot gleitet sanft, aber mit zunehmender Geschwindigkeit dahin, bis nach vielen kurzen Drehungen der Reisende seinen Weg von einem gigantischen Tor oder vielmehr einer vergoldeten, überreich zierlichen Tür gehemmt sieht, die den vollen Strahlen der jetzt schnell sinkenden Sonne ein so glänzender Spiegel ist, daß der ganze umliegende Wald in Flammen zu stehen scheint. Dieses Tor ist in die hohe Mauer eingelassen, die den Fluß hier scheinbar rechtwinklig kreuzt. Nach kurzer Zeit allerdings sieht man, daß der Hauptstrom des Wassers noch immer in sanftem und gedehntem Bogen nach links gleitet, wie zuvor der Mauer folgend, während eine nicht unbeträchtliche Strömung sich von dem Hauptarm abzweigt und leise kräuselnd unter dem Tor den Blicken entschwindet. Das Boot fällt in den kleinen Kanal und nähert sich dem Tor. Seine weitausladenden Flügel dehnen sich langsam und sanft erklingend. Das Boot gleitet hindurch und fliegt eilig einem ungeheuren Amphitheater zu, das vollständig von purpurnen Bergen umschlossen ist, deren Füße ein schimmernder Fluß umspült. Und nun zeigt sich den Blicken urplötzlich das ganze Paradies Arnheim. Eine bezaubernde Melodie rauscht auf; ein seltsam süßes Duften umschmeichelt die Sinne, — und traumgleich erstehen vor dem Auge hohe, schlanke Zypressen, laubenartiges Gesträuch, Scharen goldener und scharlachroter Vögel, lilienumsäumte Teiche, Wiesen voller Veilchen, Tulpen, Mohn, Hyazinthen und Tuberosen, lange, gewundene, silberne Wasserläufe und mitten aus alledem phantastisch emporstrebend ein halb gotisches, halb maurisches Bauwerk, das wie durch Wunderkraft frei in der Luft zu schweben scheint, im roten Sonnenglanz mit hundert Erkern, Minaretten und Zinnen erglitzert und vermuten läßt, es sei ein Geisterwerk der Sylphen, Feen, Genien und Gnomen.

GEDICHTE

DER RABE

Einst in dunkler Mittnachtstunde, als ich in entschwundner Kunde

Wunderlicher Bücher forschte, bis mein Geist die Kraft verlor

Und mir’s trübe ward im Kopfe, kam mir’s plötzlich vor, als klopfe

Jemand zag ans Tor, als klopfe — klopfe jemand sacht ans Tor.

Irgendein Besucher, dacht’ ich, pocht zur Nachtzeit noch ans Tor —

Weiter nichts. — So kam mir’s vor.

O, ich weiß, es war in grimmer Winternacht, gespenstischen Schimmer

Jagte jedes Scheit durchs Zimmer, eh es kalt zu Asche fror.

Tief ersehnte ich den Morgen, denn umsonst war’s, Trost zu borgen

Aus den Büchern für das Sorgen um die einzige Lenor,

Um die wunderbar Geliebte — Engel nannten sie Lenor —

Die für immer ich verlor.

Die Gardinen rauschten traurig, und ihr Rascheln klang so schaurig,

Füllte mich mit Schreck und Grausen, wie ich nie erschrak zuvor.

Um zu stillen Herzens Schlagen, sein Erzittern und sein Zagen,

Mußt’ ich murmelnd nochmals sagen: „Ein Besucher klopft ans Tor. —

Ein verspäteter Besucher klopft um Einlaß noch ans Tor“,

Sprach ich meinem Herzen vor.

Alsobald ward meine Seele stark und folgte dem Befehle.

„Herr“, so sprach ich, „oder Dame, ach, verzeihen Sie, mein Ohr

Hat Ihr Pochen kaum vernommen, denn ich war schon schlafbenommen,

Und Sie sind so sanft gekommen — sanft gekommen an mein Tor;

Wußte kaum den Ton zu deuten ...“ Und ich sperrte auf das Tor: —

Nichts als Dunkel stand davor.

Starr in dieses Dunkel spähend, stand ich lange, nicht verstehend,

Träume träumend, die kein irdischer Träumer je gewagt zuvor;

Doch es herrschte ungebrochen Schweigen, aus dem Dunkel krochen

Keine Zeichen, und gesprochen ward nur zart das Wort „Lenor“ —

Zart von mir gehaucht, — wie Echo flog zurück das Wort „Lenor“.

Nichts als dies vernahm mein Ohr.

Wandte mich zurück ins Zimmer, und mein Herz erschrak noch schlimmer,

Da ich wieder klopfen hörte, etwas lauter als zuvor.

„Sollt ich“, sprach ich, „mich nicht irren, hörte ich’s am Fenster klirren;

O, ich werde bald entwirren dieses Rätsels dunklen Flor;

Herz, sei still, ich will entwirren dieses Rätsels dunklen Flor;

Wind wohl machte den Rumor.“

Hastig stieß ich auf die Schalter — flatternd kam herein ein alter,

Stattlich großer, schwarzer Rabe, wie aus heiliger Zeit hervor;

Machte keinerlei Verbeugung, keine kleinste Dankbezeigung,

Flog mit edelmännischer Neigung zu dem Pallaskopf empor,

Grade über meiner Türe auf den Pallaskopf empor —

Saß — und still war’s wie zuvor.

Doch das wichtige Gebaren dieses schwarzen Sonderbaren

Löste meines Geistes Trauer, und ich schalt ihn mit Humor:

„Alter, schäbig und geschoren, sprich, was hast du hier verloren?

Niemand hat dich herbeschworen aus dem Land der Nacht hervor.

Tu mir kund, wie heißt du, Stolzer aus Plutonischem Land hervor?“

Sprach der Rabe: „Nie du Tor.“

Daß er sprach so klar verständlich — ich erstaunte drob unendlich,

Kam die Antwort mir auch wenig sinnvoll und erklärend vor.

Denn noch nie war dies geschehen: über seiner Türe stehen

Hat wohl keiner noch gesehen solchen Vogel je zuvor —

Über seiner Stubentüre auf der Büste je zuvor,

Mit dem Namen „Nie du Tor.“

Doch ich hört’ in seinem Krächzen seine ganze Seele ächzen,

War auch kurz sein Wort und brachte er auch nichts als dieses vor.

Unbeweglich sah er nieder, rührte Kopf nicht, noch Gefieder,

Und ich murrte murmelnd wieder: „Wie ich Freund und Trost verlor,

Werd’ ich morgen ihn verlieren — wie ich alles schon verlor.“

Sprach der Rabe: „Nie du Tor.“

Seine schroff gesprochnen Laute klangen passend, daß mir graute.

„Aber“, sprach ich, „nein, er plappert nur sein einzig Können vor,

Das er seinem Herrn entlauschte, dessen Pfad ein Unstern rauschte,

Bis er letzten Mut vertauschte gegen trüber Lieder Chor —

Bis er trostlos trauerklagte in verstörter Lieder Chor

Mit dem Kehrreim: ‚Nie du Tor.‘“

Da der Rabe das bedrückte Herz zu lächeln mir berückte,

Rollte ich den Polsterstuhl zu Büste, Tür und Vogel vor,

Sank in Samtsitz, nachzusinnen, Traum mit Träumen zu verspinnen

Über solchen Tiers Beginnen: was es wohl gewollt zuvor —

Was der alte ungestalte Vogel wohl gewollt zuvor

Mit dem Krächzen: „Nie du Tor.“

Saß, der Seele Brand beschwichtend, keine Silbe an ihn richtend,

Seine Feueraugen wühlten mir das Innerste empor.

Saß und kam zu keinem Wissen, Herz und Hirn schien fortgerissen,

Lehnte meinen Kopf aufs Kissen lichtbegossen — das Lenor

Pressen sollte — lila Kissen, das nun nimmermehr Lenor

Pressen sollte wie zuvor!

Dann durchrann, so schien’s, die schale Luft ein Duft aus Weihrauchschale

Edler Engel, deren Schreiten rings vom Teppich klang empor.

„Narr!“ so schrie ich, „Gott bescherte dir durch Engel das begehrte

Glück Vergessen: das entbehrte Ruhen, Ruhen vor Lenor!

Trink, o trink das Glück: Vergessen der verlorenen Lenor!“

Sprach der Rabe: „Nie du Tor.“

„Weiser!“ rief ich, „sonder Zweifel Weiser! — ob nun Tier, ob Teufel —

Ob dich Höllending die Hölle oder Wetter warf hervor,

Wer dich nun auch trostlos sandte oder trieb durch leere Lande

Hier in dies der Höll’ verwandte Haus — sag, eh ich dich verlor:

Gibt’s — o gibt’s in Gilead Balsam? — Sag mir’s, eh ich dich verlor!“

Sprach der Rabe: „Nie du Tor.“

„Weiser!“ rief ich, „sonder Zweifel Weiser! — ob nun Tier, ob Teufel —

Schwör’s beim Himmel uns zu Häupten — schwör’s beim Gott, den ich erkor;

Schwör’s der Seele so voll Grauen: soll dort fern in Edens Gauen

Ich ein strahlend Mädchen schauen, die bei Engeln heißt Lenor —

Sie, die Himmlische, umarmen, die bei Engeln heißt Lenor?“

Sprach der Rabe: „Nie du Tor.“

„Sei dies Wort dein letztes, Rabe oder Feind! Zurück zum Grabe!

Fort! zurück in Plutons Nächte!“ schrie ich auf und fuhr empor.

„Laß mein Schweigen ungebrochen! Deine Lüge, frech gesprochen,

Hat mir weh das Herz durchstochen. — Fort, von deinem Thron hervor!

Heb dein Wort aus meinem Herzen — heb dich fort, vom Thron hervor!“

Sprach der Rabe: „Nie du Tor.“

Und der Rabe rührt sich nimmer, sitzt noch immer, sitzt noch immer

Auf der blassen Pallasbüste, die er sich zum Thron erkor.

Seine Augen träumen trunken wie Dämonen traumversunken;

Mir zu Füßen hingesunken droht sein Schatten tot empor.

Hebt aus Schatten meine Seele je sich wieder frei empor? —

Nimmermehr — o, nie du Tor!

ANNABEL LEE

Ist ein Königreich an des Meeres Strand,

Da war es, da lebte sie —

Lang, lang ist es her — und sie sei euch genannt

Mit dem Namen Annabel Lee.

Und ihr Leben und Denken war ganz gebannt

In Liebe — und mich liebte sie.

In dem Königreich an des Meeres Strand

Ein Kind noch war ich und war sie,

Doch wir liebten mit Liebe, die mehr war denn dies —

Ich und meine Annabel Lee

Mit Liebe, daß strahlende Seraphim

Begehrten mich und sie.

Und das war der Grund, daß vor Jahren und Jahr

Eine Wolke Winde spie,

Die frostig durchfuhren am Meeresstrand

Meine schöne Annabel Lee;

Und ihre hochedele Sippe kam,

Und ach! man entführte mir sie,

Um sie einzuschließen in Gruft und Grab,

Meine schöne Annabel Lee.

Die Engel, nicht halb so glücklich als wir,

Waren neidisch auf mich und auf sie —

Ja! das war der Grund (und alle im Land

Sie wissen, vergessen es nie),

Daß der Nachtwind so rauh aus der Wolke fuhr

Und mordete Annabel Lee.

Weit stärker doch war unsre Liebe als die

All derer, die älter als wir —

Und mancher, die weiser als wir —

Und die Engel in Höhen vermögen es nie

Und die Teufel in Tiefen nie,

Nie können sie trennen die Seelen von mir

Und der schönen Annabel Lee.

Kein Mondenlicht blinkt, das nicht Träume mir bringt

Von der schönen Annabel Lee,

Jedes Sternlein, das steigt, hell die Augen mir zeigt

Meiner schönen Annabel Lee;

Und so jede Nacht lieg’ zur Seite ich sacht

Meinem Lieb, meinem Leben in bräutlicher Pracht:

Im Grabe da küsse ich sie,

Im Grabe da küsse ich sie.

ULALUME

Der Himmel war düster umwoben;

Verflammt war der Bäume Zier —

Verdorrt war der Bäume Zier;

Es war Nacht im entlegnen Oktober

Eines Jahrs, das vermodert in mir;

War beim düsteren See von Auber,

In den nebligen Gründen von Weir —

War beim dunstigen Sumpf von Auber,

In dem spukhaften Waldland von Weir.

Durch Zypressenallee, die titanisch,

Bin ich mit meiner Seele gegangen —

Bin hier einst mit Psyche gegangen —

Zur Zeit, da mein Herz war vulkanisch

Wie die schlackigen Ströme, die langen,

Wie die Lavabäche, die langen,

Die rastlos und schweflig den Yaanek

Hinab bis zum Pole gelangen —

Die rollend hinab den Berg Yaanek

Zum nördlichen Pole gelangen.

Unser Wort war von Dunkel umwoben,

Der Gedanke verdorrt und stier —

Das Gedenken verdorrt und stier;

Denn wir wußten nicht, daß es Oktober,

Und der Jahrnacht vergaßen wir —

Der Nacht aller Jahrnächte wir!

Wir vergaßen des Sees von Auber

(Obgleich wir gewandert einst hier),

Des dunstigen Sumpfs von Auber

Und des spukhaften Waldlands von Weir.

Und nun da in alternder Nacht

Die Sternuhr gen Morgen sich schob —

Da die Sternuhr gen Morgen sich schob —

Ward am End’ unsres Pfades entfacht

Ein Schimmern, das Nebel umwob,

Aus dem mit wachsender Pracht

Ein Halbmond sein Doppelhorn hob —

Astartes demantene Pracht

Deutlich ihr Doppelhorn hob.

„Sie ist wärmer“, so sagte ich,

„Als Diana: sie schwärmt durch ein Meer

Von Seufzern — ein Seufzermeer;

Sie sah es: die Träne wich

Von diesen Wangen nicht mehr,

Und vorbei am Löwenbild strich

Als Lenker zu Himmeln sie her,

Als Leiter zu Lethe sie her;

Trotz des Löwen getraute sie sich,

Uns zu leuchten so hell und so hehr —

Durch sein Lager hindurch wagte sich

Ihre Liebe, so licht und so hehr.“

Doch Psyche hob warnend die Hand:

„Fürwahr, ich mißtraue dem Schein

Dieses Sterns — seinem bleichen Schein.

O fliehe! o halte nicht stand!

Laß uns fliegen — denn, o! es muß sein!“

Sprach’s entsetzt, und es sanken gebannt

Ihre Schwingen in schluchzender Pein —

Ihre Schwingen schleiften gebannt

Die Federn in Staub und Stein —

Voll Kummer in Staub und Stein.

Ich erwiderte: „Traum ist dies Grauen!

Laß uns weiter in Lichtes Pracht —

Laß uns baden in seiner Pracht!

Es läßt mich die Hoffnung erschauen

In kristallener Schönheit heut nacht —

Sieh! es flackert gen Himmel durch Nacht!

O! man darf seinem Schimmern vertrauen,

Es führt uns mit weisem Bedacht —

O! man muß seinem Schimmern vertrauen,

Es lenkt uns mit treuem Bedacht,

Da es flackert gen Himmel durch Nacht!“

Ich beruhigte Psyche und gab

Ihr Küsse und lockte sie vor —

Aus Bedenken und Dunkel hervor;

Und wir schritten den Baumgang hinab,

Bis am Ende uns anhielt das Tor

Einer Gruft — ein märchenhaft Grab.

„Schwester,“ sprach ich, „was schrieb man aufs Grab —

An das Tor von dem Wundertume?“

„Ulalume!“ sprach sie; „in dem Grab

Ruht verloren für dich Ulalume!“

Und mein Herz wurde düster umwoben,

Wurde dürr wie der Bäume Zier; —

Wurde welk wie der Bäume Zier;

Und ich schrie: „Es war sicher Oktober

In der nämlichen Nacht, da ich hier

Im Vorjahr gewandert — und hier

Eine Last hertrug, fürchterlich mir!

Diese Nacht aller Jahrnächte mir,

Welcher Dämon verführte mich hier?

Gut kenn’ ich den See jetzt von Auber —

Diese nebligen Gründe von Weir —

Gut kenn’ ich den Dunstsumpf von Auber —

Dieses spukhafte Waldland von Weir.“

DIE GLOCKEN

I.

Hört der Schlittenglocken Klang —

Silberklang!

Welche Welt von Lustigkeit verheißt ihr heller Sang!

Wie sie klingen, klingen, klingen

In die Nacht voll Schnee und Eis,

Während sprüh die Sterne springen,

Zwinkernd sich zum Reigen schlingen

Im kristallnen Himmelskreis:

Halten Schritt, Schritt, Schritt,

Tanzen Runenrhythmen mit

Zu der kleinen klaren Glocken süßem Singesang,

Zu dem Klang, Klang, Klang, Klang,

Klang, Klang, Klang —

Zu dem Singen und dem Schwingen in dem Klang.

II.

Hört der Hochzeitsglocken Klang —

Goldnen Klang!

Welche Welt von Seligkeit verheißt ihr voller Sang!

Wie ihr Läuten lauter lacht

Durch den Balsamduft der Nacht!

Aus dem holden goldnen Schwall,

Wie altgewohnt,

Fliegen leicht die Töne all

Hin zur Turteltaube, die beim frohen Schall

Schielt zum Mond.

O wie schwillt im Überschwang

Ein Guß von hohem Feierklang so voll die Nacht entlang!

Hochgesang —

Hoffnungssang

Auf der Zukunft heitern Gang!

Freude treibt zu schnellerm Drang

Dieses Ringen und das Schwingen

In dem Klang, Klang, Klang —

In dem Klang, Klang, Klang, Klang,

Klang, Klang, Klang —

Dieses Quellen und das Schwellen in dem Klang.

III.

Hört der Feuerglocken Klang —

Bronznen Klang!

Welch ein Aufruhr stürmt daraus so schreckenvoll und bang!

Wie ihr Schreien Schreck entfacht

In durchbebter Luft der Nacht!

Zu entsetzt, um klar zu sein,

Können sie nur schrein, nur schrein,

Ohne Takt

Rufen sie in lautem Lärmen um Erbarmen an das Feuer,

Zanken in verrücktem Toben mit dem tollen tauben Feuer.

Höher, höher, ungeheuer

Springt verlangend auf das Feuer;

In verzweifeltem Bemühn,

Bis zum Mond emporzusprühn,

Sind die Flammen steilgezackt.

O, der Klang, Klang, Klang!

Wie er grauenvoll und bang

Alles schreckt!

Wie er schauert, schallt und braust,

Daß den Lüften bangt und graust,

Wie er aller Orten lähmendes Entsetzen weckt!

Dennoch hört das Ohr sie gut

Durch das Schallen

Und das Hallen:

Ebbe der Gefahr und Flut;

Dennoch nimmt das Ohr es wahr

Durch das Zanken

Und das Schwanken:

Flutet oder ebbt Gefahr —

Durch das Stocken und das Schwellen in dem schnellen

Glockenklang,

In dem Klang —

In dem Klang, Klang, Klang, Klang,

Klang, Klang, Klang —

Durch das Härmen und das Lärmen in dem Klang.

IV.

Hört der Eisenglocken Klang —

Eisenklang!

Welche Welt von Trauer trägt ihr monotoner Sang!

In der Grabesruh der Nacht

Wie er uns erschauern macht

Durch das Trauern und das Drohen in dem Ton!

Denn die Klänge, die entrollen

Rostigen Glockenkehlen, tollen

Grollend fort.

O, die Wesen, die dort oben

In dem Glockenturme toben —

Einsam dort

Mit den monotonen Glocken —

Die da tollen, tollen, tollen,

Voll verschleiertem Frohlocken

Einen Stein aufs Herz uns rollen —

Leichenfressende Dämonen

Sind’s, die in den Glocken wohnen,

All im Sold

Ihres Königs, der da tollt,

Der da rollt, rollt, rollt,

Rollt

Triumph aus Glockenklang!

Und sein Busen schwillt im Drang

Des Triumphs aus Glockenklang.

Johlend tanzt er zu dem Sang;

Haltend Schritt, Schritt, Schritt

Tanzt er Runenrhythmen mit

Zum Triumph aus Glockenklang,

Glockenklang.

Haltend Schritt, Schritt, Schritt

Tanzt er Runenrhythmen mit

Zu dem Dröhnen in dem Klang,

In dem Klang, Klang, Klang —

Zu dem Stöhnen in dem Klang.

Haltend Schritt, Schritt, Schritt

An der Totenglocke Strang

Tanzt er Runenrhythmen mit

Zu dem Tollen in dem Klang,

In dem Klang, Klang, Klang,

Zu dem Rollen in dem Klang,

In dem Klang, Klang, Klang, Klang,

Klang, Klang, Klang —

Zu dem Trauern und dem Schauern in dem Klang.

TAMERLAN

Tröstlicher Sang für Mußestunden —

Das, Vater, ist mein Thema nicht.

Ich weiß, ich werde nie entbunden

Von mehr als irdischen Hochmuts Sünde

Durch Erdenmacht für Sehnsucht finde

Ich nicht die Zeit, für Träumen nicht.

Man nennt sie Hoffen — jene Glut!

Nichts ist sie als Begehrens Wut!

Könnte ich hoffen — Gott! ja, dann

Hieß ich nicht Narr dich, alter Mann.

Begreifst du eines Geistes Scham,

Der tief gebeugt nach höchstem Flug?

O schmachtend Herz! von dir bekam

Dein Welken ich mit all dem Trug

Von Ruhmbegier, den heißen Glanz,

Um meinen Thron den Strahlenkranz,

Der Hölle Heiligenschein! und Not,

Die nicht in Hölle heißer loht.

O drängend Herz, das nach der Wonne

Verlorner Blumen, nach der Sonne

Der alten Sommerstunden schreit! —

Die ewige Glocke jener Zeit,

Die starb, sie singt nun ohne Enden

Eintönig, wie von Zauberhänden

Geläutet, deiner Nichtigkeit

Ein unsterbliches Grabgeläut.

Ich war nicht immer so wie jetzt:

Dies Diadem, das fiebrisch hetzt,

Krönt eines Usurpators Gier.

Gab gleiche feurige Erbschaft nicht

Dem Cäsar Rom — wie dieses mir?

Das Erbe königlicher Kraft

Und stolzer Mut und Zuversicht,

Die alles Menschliche errafft!

Auf Bergeserde ward ich Leben.

Nachtnebel gossen ihren Tau

Aufs Haupt mir aus dem dunklen Grau;

Ich glaube, daß der Lüfte Weben,

Zu ungestümem Sturm erregt,

Durch dies mein eignes Haar gefegt.

So spät vom Himmel — Tau — er fiel

(In Träumen unheiliger Nacht)

Auf mich herab wie Höllenspiel;

Und Flammen, glühendrot entfacht

Aus Wolken, die gleich Bannern hingen,

Erschienen halbgeschloßnem Blick

Als Prunk von Herrschermacht und Glück;

Und des Trompeten-Donners Klingen

Umbrauste mich wie Wirbelwind

Und sprach von Menschenschlacht, darinnen

Die meine Stimme — dummes Kind! —

(Was würde ich vor Lust beginnen

Bei solchem Schrei — erlebt’ ich dies!)

Schlachtruf des Sieges schallen ließ.

Der Regen kam herab auf mein

Schutzloses Haupt, und schwerer Wind

Machte mich toll und taub und blind:

Es mochten wohl nur Menschen sein,

Die Lorbeer auf mich niederwarfen,

So dachte ich; der Sturm der scharfen

Eisigen Luft hat in mein Ohr

Hineingegurgelt das Zertrümmern

Von Kaiserreichen — mit dem Wimmern

Gefangener Feinde — Stimmenchor

Des Trosses und den Schmeichelton

Ringsher um eines Herrschers Thron.

Meine Gier, seit jenen Unglücksstunden,

Ward Tyrannei, die ich erstrebte;

Man hielt sie, seit ich Macht gefunden,

Für meines Innern Grundgebot.

Nun sei’s! Doch, Vater, einer lebte,

Der damals — da ich jung und sie

In stärkerm Feuer noch geloht

(Denn Leidenschaften sterben früh) —

Der damals selbst gewußt, daß, ach,

Dies eisern Herz in Liebe schwach.

Mir fehlen Worte, um zu sagen,

Wie gutes Lieben Freude flicht!

Noch würde ich zu zeichnen wagen

Ein mehr als schönes Angesicht,

Des Züge meinem Geiste sind —

Schatten im unbeständigen Wind:

Gleich wie mein Aug’, mein zögernd mattes,

Die Lettern irgendeines Blattes

Und alle Wissenschaft darin

Zu Phantasien ohne Sinn

Oft schmelzen sah — zu Nichts dahin.

O, sie war all der Liebe wert!

Und so der Kindheit Liebe war,

Daß Engel neidvoll sie begehrt;

Ihr junges Herz war der Altar,

Auf dem als Weihrauch lag mein Hoffen

Und Denken — damals gute Gaben,

Denn kindlich waren sie und offen;

Ihr Beispiel strahlte rein dem Knaben.

O, warum mußte ich’s verlassen,

Um im Vertrauen auf das Feuer,

Das innen brannte ungeheuer,

Verwegen nach dem Licht zu fassen?

Wir wuchsen liebend auf — zusammen —

Durch Wildnis streifend wie das Wild;

In Frostzeit meine Brust ihr Schild,

Ihr Schild im frohen Sommerflammen.

Sie sah wohl lächelnd himmelwärts,

Mein Himmel war ihr Aug’ allein.

Der Liebe Lehrer ist — das Herz:

Wenn mitten in dem Sonnenschein

Und jenem Lächeln — nicht etwa,

Um kleine Sorgen wett zu machen

Noch über Schelmerei zu lachen —

Wenn mittendrin es wohl geschah,

Daß ich mich warf an ihre Brust

Und daß, des Grundes kaum bewußt,

Mein Geist in Tränengüssen bangte,

Da tat’s nicht not, mich zu bekennen,

Ihr tröstend meinen Schmerz zu nennen —

Sie, die nach keinem Grund verlangte,

Ließ, ohne Ängste kund zu tun,

Ihr ruhiges Auge auf mir ruhn.

Dennoch war mehr denn Liebe wert

Mein Geist, er rang in wildem Weh,

Da ihn — allein auf Bergeshöh —

Der Ehrgeiz neuen Ton gelehrt;

Ich lebte einzig nur in dir:

Die Welt und alles, was sie hier

In Erde, Luft und Meer umfaßt —

All ihre Lust — all ihre Last —

Gab neue Freude; ideale

Traumnächtig dunkle Nichtigkeiten —

Dunklere Nichtse, doch reale

(Schatten — und schattenhafteres Gleiten

Von Licht) auf Nebelschwingen kamen

Und wurden also, wirr vereint,

Dein Bildnis und — ein Name — Name!

Zwei Dinge, fremd — doch eng vereint!

Ehrsüchtig, Vater, war dein Sohn.

Kanntest du Leidenschaft? — Nein — nein!

Ein Ärmster sann ich einen Thron

Der halben Welt als mein — als mein —

Noch grollend über niedres Los.

Und doch, es waren Träume bloß,

Die mit dem Dampf des Taus verflogen

Gleich jedem andern Traum, vom Strahl

Der Schönheit lieblich angezogen,

Der meinem Geist das Dunkel stahl.

Wir schritten beide auf der Krone

Weit hohen Bergs, der niederschaute

Auf stolz getürmte Felsenthrone —

Auf Wald, der Höhen überbaute —

Auf Hügel, die sich talwärts senkten

Und tausend Quellen Leben schenkten.

Ich sprach zu ihr von Ruhm und Macht,

Geheimnisvoll, als sollte dies

Gerede zu nichts anderm taugen

Als nur zum Spiel; in ihren Augen

Las ich, vielleicht zu unbedacht,

Ein Fühlen, das Verstehen hieß.

Ihr klar Erröten schien zu schön

Zu kleiden königliche Höhn,

Als daß es immerfort allein

Licht in der Wildnis sollte sein.

Dann hüllte ich mich selbst in Glanz

Mit eingebildeter Krone auf —

Nicht war’s, daß Phantasie allein

Mich hold geschmückt mit ihrem Kranz,

Nein, daß im großen Menschenhauf

Der Löwe Ehrsucht lahm und klein

Sich duckt vor eines Wächters Hand.

Doch nicht in Wüsten, wo der Starke,

Der Wilde schwört, mit ihrem Marke

Zu schüren seines Feuers Brand!

Blick um dich jetzt auf Samarkand!

Ist sie nicht Königin der Erde?

Sind alle Städte mehr denn Herde

Vor ihrer hohen Herrscherhand?

Steht sie erhaben nicht, allein,

Im Glanz, den je die Welt gekannt?

Fiel sie — könnt’ nicht ihr ärmster Stein

Der Sockel eines Thrones sein? —

Und wer ihr Herrscher? — Timur — er,

Den das erstaunte Volk allda

— Gekrönten Räuber! — stolz und hehr

Hin über Reiche schreiten sah!

O Menschenliebe! Ausgegossen

Als Geist von allem, was erschlossen

Uns zeigen mag die Himmelswelt!

Die du, wie Regen frisch bestellt

Schirokko-dürres Sommerfeld,

Die Seele segnend tränkst und näßt

Und doch das Herz in Wildnis läßt!

Begriff, der alles rings, das lebt,

Mit seltsamer Musik umschwebt

Und wunderlicher Prachtgebärde —

Lebwohl! denn ich gewann die Erde.

Als Adler Hoffnung hoch im Flug

Gen Himmel nichts mehr höher sah,

Besänftigt wandte er sich da,

Daß seine Schwinge heimwärts schlug.

War Sonnenuntergang: wenn weit

Die Sonne sinkt, kommt Düsterkeit

Ins Herz ihm, der noch gern erblickte

Den Glanz, den Sommersonne schickte.

Er wird den Duft des Abends hassen,

Wird lauschend vor dem Klang erblassen

Der Nacht (den Lauschern offenbar)

Als einer, der in Traumesbann

Entfliegen möchte, doch nicht kann,

Vor einer nahenden Gefahr.

Wenn Mond, der weiße Mond, auch ganz

Ausschüttet seines Mittags Glanz,

Sein frostig Lächeln, sein Geleit

Scheint jener Zeit der Düsterkeit

Ein Bild aus Tagen nach dem Tod.

Jugend ist eine Sommersonne,

Die nichts uns läßt von Wert und Wonne,

Wenn sie verschwand, nur Nichts und Not.

Denn alles Wissen, dem wir lebten,

Ward uns; was wir zu halten strebten,

Entfloh; so laß das Erdenwallen

Mit seiner Mittagsschönheit fallen,

Die alles ist. — Ich eilte her

Zu meinem Heim — mein Heim nicht mehr —

Denn was es je dazu gemacht,

War fort; trat ich auch sanft und sacht

Durch seine moosige Tür, es drang

Vom Schwellenstein der Stimme Klang

Von einer, die ich einst gekannt.

Ich leugne, Hölle, daß dein Brand

Mehr Demut brennt als nun mein Herz,

Mehr Wehmut kennt als nun mein Schmerz!

Vater, ich glaube fest — ich weiß

Denn Tod, der kommt aus Segensferne,

Die ohne trügerisches Hoffen,

Er ließ sein eisern Tor weit offen,

Und strahlend glühn der Wahrheit Sterne

Durch Ewigkeit und flammen heiß —

Ich glaube, einen Fallstrick hat

Satan auf jedem Menschenpfad;

Denn wie sonst konnte dieses sein:

Als ich gelebt im heiligen Hain

Der Göttin Liebe, die so rein

Alltäglich salbt die schneeige Schwinge

Im Weihrauch frommer Opferbrände

Und andrer unbefleckten Dinge,

Im Haine, dessen Dach und Wände,

Wo Lücken läßt das Laubgewind,

Mit Strahlen eng vergittert sind,

Durch die kein Stäubchen, keine Mücke,

Ausweichend ihrem Adlerblicke,

Eindringen kann — wie sonst denn war

Dies möglich, daß nicht wahrnehmbar

Die Ehrsucht dort ins Glück gedrungen,

Bis dreister sie emporgesprungen

Hohnlachend in der Liebe Haar?

DAS KOLOSSEUM

Urbild des alten Rom! Reliquienschrein

Für Schaun und hohen Traum, den in die Zeit

Jahrhunderte von Pracht und Macht gestellt!

Nun endlich — endlich — nach so vielen Tagen

Von Wandermüdigkeit und gierem Durst

(Von Durst zum Quell des Wissens, den du birgst)

Ein andrer und demütiger kniee ich

In deinem Schatten nun und trinke ein

Dein ragend Düster, deinen Glanz und Ruhm.

Unendlichkeit und Öde! Schwermut, Schweigen!

Uralter Zeit Erinnern — düstere Nacht!

Ich fühl euch jetzt — fühl eure ganze Wucht —

O Zauber, stärker als Judäas König

Voreinst gelehrt im Berg Gethsemane!

O Wunder, machtvoller als der Chaldäer

Jemals verzückt aus stillen Sternen zog!

Hier, wo ein Held einst stürzte, stürzt die Säule.

Hier, wo ein goldner toter Adler glänzte,

Hält mitternächtig Wacht die Fledermaus.

Hier, wo der Damen Roms vergoldet Haar

Im Winde wehte, wogt nun Ried und Distel.

Hier, wo auf goldnem Thron der Herrscher lehnte,

Schlüpft geisterhaft aus ihrem Marmorhaus,

Vom Schein des zwiegehörnten Monds beleuchtet,

Die flinke Echse schweigend über Steine.

Doch halt! Die Mauern — diese Bogengänge,

Hochauf von altem Efeu eingekleidet,

Die schwarzen bröckeligen Säulensockel

Und düstern Schäfte, dunklen Kapitäle,

Zerfallenden und fast verblaßten Friese,

Zersprungnen Kranzgebälke — dieses Wrack —

All diese Steine — ach, die grauen Steine —

Sind sie denn alles, was der Zahn der Zeit

Von all dem Ruhm und ungeheuren Glanz

Für mich und für das Schicksal übrig ließ?

„Nicht alles —“ geben mir die Echos Antwort —

„Nicht alles, nein! Prophetische Klänge steigen —

Und laute Klänge — ewig von uns auf,

Von allen Trümmern zu den Weisen auf,

Wie Melodie von Memnon steigt zur Sonne.

Wir leiten alle riesenhaften Geister!

In unumschränkter Macht beherrschen wir

Mit unserm Schwung die Herzen aller Großen.

Wir sind nicht leblos — wir erblichnen Steine.

Nicht alle Macht ist hin — nicht aller Ruhm —

Nicht aller Zauber unsres hohen Rufes —

Nicht all das Wunder, das uns rund umfaßt —

Nicht all Geheimnis, das in uns verborgen —

Nicht all Erinnern, das wie ein Gewand

Uns rund umhängt und überall bedeckt

Und das uns hüllt in mehr als Herrlichkeit!“

DIE STADT IM MEER

Weh! wunderliche einsame Stadt,

Drin Tod seinen Thron errichtet hat,

Tief unter des Westens düsterer Glut,

Wo Sünde bei Güte, wo Schlecht bei Gut

In letzter ewiger Ruhe ruht.

An Schlössern, Altären und Türmen hat

(Zerfreßnen Türmen, die nicht beben!)

Nichts Gleiches eine unsrige Stadt.

Von Winden vergessen, die wühlen und heben,

Stehn unterm Himmel die Wasser ringsum,

Schwermütige Wasser, ergeben und stumm.

Kein Strahlen vom Himmel kommt herab

Auf jener Stadt langnächtiges Grab.

Doch steigt ein Licht aus dem Meer herauf,

Strömt schweigend an kühnen Zinnen hinauf,

Hinauf an Türmen bis zum Knauf,

Hinauf an Palästen, an Zitadellen,

An Tempeln hinauf und an Babylonwällen,

Hinauf an vergessenen Laubengängen

Mit eingemeißelten Fruchtgehängen,

Hinauf an manchem Opferstein,

Auf dessen Friesen zu engem Verein

Verflochten Viola, Violen und Wein.

Stehn unterm Himmel die Wasser ringsum,

Schwermütige Wasser, ergeben und stumm.

Die Mauern und Schatten wie Nebelduft —

Es scheint, als hänge alles in Luft.

Vom Turm, der herrschend ragt und droht,

Schaut riesenhaft herab der Tod.

Geöffnete Tempel und Totengrüfte

Gähnen auf leuchtende Meeresschlüfte.

Doch nicht die blitzenden Juwelen

In goldner Götzen Augenhöhlen

Und nicht der reiche Tod verführen

Die starren Wasser, sich zu rühren:

Kein kleinstes Wellchen kommt in Gang

Die gläserne Einöde entlang,

Kein Kräuseln erinnert, daß weniger leer

Von Wind ist irgendein anderes Meer,

Nichts sagt, daß je ein Wehen war

Auf Meeren, die weniger grauenhaft klar.

Doch, o — es regt sich leis wie Wind!

Ein Wellen durch das Wasser rinnt —

Als ob die Türme im sachten Sinken

Die Flut verschöben zur Rechten und Linken —

Als ob schon die Spitzen inmitten des blassen

Himmels Lücken zurückgelassen.

Ein roteres Glimmen steigt heran —

Die Stunden halten den Atem an —

Und wenn die Stadt hinab, hinab

Von hinnen sinkt mit unirdischem Stöhnen,

Wird ihr von eintausend Thronen herab

Der Gruß der Hölle tönen.

INHALT

Ligeia 1
Berenice 29
Morella 51
Eleonora 63
Die Insel der Fee 77
Landors Landhaus 87
Der Herrschaftssitz Arnheim 107
GEDICHTE  
Der Rabe 133
Annabel Lee 138
Ulalume 140
Die Glocken 146
Tamerlan 151
Das Kolosseum 163
Die Stadt im Meer 165

DIESES BUCH WURDE IM AUFTRAGE DES PROPYLÄEN-VERLAGS IN BERLIN IN EINER EINMALIGEN AUFLAGE VON TAUSEND IN DER PRESSE NUMERIERTEN EXEMPLAREN IN DER BUCHDRUCKEREI OTTO ELSNER IN BERLIN GEDRUCKT

EXEMPLAR Nr 933

Anmerkungen zur Transkription

Im Original g e s p e r r t hervorgehobener Text wurde in einem anderen Schriftstil markiert.

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):






End of the Project Gutenberg EBook of Ligeia und andere Novellen / Sieben
Gedichte, by Edgar Allan Poe

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LIGEIA UND ANDERE NOVELLEN ***

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