The Project Gutenberg EBook of Aus zwei Welttheilen, Erster Band., by 
Friedrich Gerstäcker

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Title: Aus zwei Welttheilen, Erster Band.
       Gesammelte Erzählungen

Author: Friedrich Gerstäcker

Release Date: October 12, 2015 [EBook #50187]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Aus zwei Welttheilen.

Gesammelte Erzählungen
von
Friedrich Gerstäcker.

Erster Band.

Leipzig,
Arnoldische Buchhandlung.
1854.

Inhalt des ersten Bandes.

Seite
Heimweh und Auswanderung 1
Die Wolfsglocke 27
Die Ahnung 83
Schwarz und Weiß 137
Der Freischütz 227
Die Schoonerfahrt 275
Berlin und das Schauspielhaus im Belagerungszustand  401

Heimweh und Auswanderung.
Skizze.

Vor Jahren, und noch nicht einmal vor so gar langen Jahren, war eine Reise von mehr als zwanzig Meilen ein Gegenstand, der nicht allein jede nur erdenkliche Vorbereitung erforderte, sondern den Reisenden selbst fast wie einen tollkühnen Wagehals erscheinen ließ, der sein eigenes Leben und die Ruhe seiner Verwandten und Freunde keinen Deut hoch achtete, sondern nur, ein zweiter Robinson Crusoe, Lust habe, seine Tage unter Wilden und Cannibalen zu beschließen. Damals standen noch wohlbeleibte Wirthe mit den dicken, gemüthlichen Gesichtern in der Thür ihrer Gasthäuser und unter den an starken eisernen Stäben hin- und herknarrenden Conterfeys von rothen Drachen oder noch rötheren Potentaten, sahen die alte, wohlbekannte Landkutsche halbe Stunden lang bedächtig auf der ausgefahrenen Straße heranrasseln, und berechneten schon im Voraus, für wie viel Gäste die hochlägerigen, schneeweiß überzogenen Betten hergerichtet, wie viel Paar Pantoffel zum Wärmen an den Ofen gestellt werden müßten.

Jetzt dagegen zischen und schnauben keuchende Locomotiven ihre eiserne Bahn entlang – die Drachen und Potentaten sind (beide jedoch nur von den Wirthshausschilden) verschwunden und haben französirten Hotels – »de Leipsic, de Katzenellenbogen etc.« – Platz gemacht, und langbeinige, dünnleibige Wirthe und Kellner stürzen, mit ganzen Armladungen voll Erfrischungen, von Coupee zu Coupee, um die nie mehr einkehrenden Passagiere zu veranlassen, ihr Geld im Fluge zu verzehren.

Der Ocean hält mit dem festen Lande Schritt; sonst nannte man eine Fahrt von Hamburg nach Helgoland eine »Seereise«, jetzt heißen die, zwischen Newyork und Liverpool »spielenden«, ungeheueren Packetdampfschiffe »Fährboote«, und Pianofortes und Brüsseler Spitzen werden nach Gegenden hingeschafft, in denen noch vor kurzer Zeit Schellen und Glasperlen als Wunderwerke der Kunst galten.

Der Mensch selbst bleibt dann natürlich nicht hinter dem Fortschritt der Länder zurück – der enge Kreis, der sonst den Hausvater an die Scholle bannte die er bewohnte, wird ihm jetzt zu eng, und wenn er die Seinen nicht verlassen kann, ei nun, so nimmt er sie mit zu anderen Zonen. Ein mit dem Vaterland Zerfallener – ein »Weltschmerzdurchtobter« – dachte früher nur selten daran, die alten Ketten und Verhältnisse, die ihn bisher gebunden, abzuschütteln und auf neuem Boden, von der neuen, lebensfrischen Keimkraft einer anderen Welt durchglüht, ein ebenso neues, ein ebenso frisches Leben zu beginnen, – das Wort »Europamüde« stand noch in keinem deutschen Wörterbuch. Jetzt ziehen Tausende von ruhigen Landleuten, die bis dahin von Schiffen keine anderen kannten als Weberschiffe, und das Wasser, außer dem Hausgebrauch, nur noch zum Mühlentreiben verwendbar hielten, mit schwellenden Segeln über brausende Wogen hin, einer neuen, ferngelegenen Heimath zu, und befinden sich auch dort schon, nach ganz kurzem Aufenthalte so wohl, so bekannt, als ob sie zwischen lauter Negern und Mulatten aufgewachsen wären, und von frühester Kindheit an nichts Anderes gegessen hätten, als Maisbrod und Ananas.

Deutschland, das sonst so ruhige, gemüthliche Deutschland, ist auf Reisen gegangen; Michel hat Schlafrock und Pantoffeln ausgezogen, und am Ganges, Nil und Niger, am Amazonenstrom wie am Mississippi verlangt er von dem aufs Aeußerste erstaunten Echo, ihm »Ei du lieber Augustin« und »schöner grüner Jungfernkranz« nachzusingen.

Betritt nun der Deutsche amerikanischen Grund und Boden, und ist ihm selbst die Sprache fremd, die er von lauter fremden Menschen sprechen hört, dann erfaßt ihn gewöhnlich zum ersten Mal jenes Gefühl gänzlicher Verlassenheit, das er selbst bei dem Abschied aus der Heimath, als er den letzten blauen Streifen des Vaterlandes in nebliger Ferne schwinden sah, noch nicht empfand. Damals, in ganz neuer, fremdartiger Umgebung, wo Scene nach Scene wechselte, und jede nachfolgende immer wieder frischeres, lebendigeres Interesse bot, – noch dazu von lauter Landsleuten umgeben, die nur über Sachen sprachen die ihm selbst bekannt, mit denen er selbst vertraut war, fühlte er, glaubte er noch nicht, daß der letzte Faden zerrissen sei, der ihn an vaterländische Erde band, – er war nur eben unterwegs, und das Meer, in dessen wundervolle Bläue er jetzt hineinstarrte, umfluthete ja auch den heimischen Strand.

So vergrößerte sich nach und nach die Entfernung, ohne daß er im Stande war einen Maßstab anzulegen, wie er von Stunde zu Stunde alles Das weiter zurückließ, an dem bis jetzt sein ganzes Herz gehangen, und das ihm durch Liebe und Gewohnheit heilig geworden war.

Der erste Schritt auf fremder Erde zerstört den Wahn – von seinen Reisegefährten trennt ihn gewöhnlich bald irgend ein anderer Plan, trennen ihn andere Interessen, andere Ansichten – er verliert sie in dem ihn umtosenden Gedränge aus den Augen, und erst dann – erst in dem Augenblick steigt mit einem Schlage die ganze starre Wahrheit vor ihm auf: du bist im fernen, fremden Land allein.

In der Zeit schließt er sich an Jeden an, der deutsch spricht – in der Zeit glaubt er einem Jeden, der ihm versichert, daß er es gut und ehrlich mit ihm meine – ach seine ganze Seele hängt ja an dem Glauben. Nur zu häufig fällt er aber auch dann gerade in die Hände listiger Speculanten, die, in der amerikanischen Schule gestählt, jeden fremden Einwanderer, komme er nun aus der eigenen Heimath oder wo anders her, wie einen Schwamm betrachten, den sie so lange drücken und kneten, als noch ein Tropfen Wasser in ihm enthalten ist, und erst dann, nachdem sie sich ihres Erfolgs vergewissert haben, wie ein abgenutztes Handwerkszeug bei Seite werfen.

Der also Mißbrauchte sieht sich so von Jedem, dem er mit treuem Herzen vertraute, hintergangen und verspottet, und jetzt stürmen urplötzlich all die tausend und tausend gehörten und für Märchen gehaltenen Geschichten auf ihn ein, durch die er in der alten Heimath vor solchen Freunden gewarnt worden war. Er gleicht jetzt dem Knaben, der sich, schon unter Wasser, noch deutlich daran erinnert, daß ihm Jemand gesagt hätte, das Eis würde nicht halten. Er ist aber einmal durchgebrochen, und nur starkes, kräftiges Ringen kann und wird ihn wieder an die Oberfläche bringen.

Nun sind es allerdings großentheils Deutsche, die in den Seestädten Amerikas einzig und allein darauf auszugehen scheinen, ihre Landsleute durch falsche Verkäufe, Landspeculationen oder sonstige Betrügereien zu hintergehen; das hat aber hauptsächlich darin seinen Grund, daß der Amerikaner nur selten Deutsch genug versteht, sich des eben Eingewanderten Vertrauen zu erwerben und Vortheil aus ihm zu ziehen, sonst wäre er der letzte, der sich ein Gewissen daraus machen würde, ein greenhorn[1] hinters Licht zu führen.

[1]: Greenhorn – ein unübersetzbares Wort, das der Amerikaner von solchen braucht, die in einer neu unternommenen Sache noch gänzlich unbekannt sind, wie z. B. ein Landbewohner, der Matrose werden wollte, im Anfang stets ein greenhorn genannt werden würde.

Der Amerikaner hat überhaupt, besonders im Handel, wunderliche Begriffe von Ehrlichkeit, und hält Manches für erlaubt, was wir nach unseren Ansichten unmöglich billigen könnten. Ich brauche da nur an die aus Kien gedrehten Muskatnüsse, an hölzerne in Leinwand eingenähte Schinken, an aus Kartoffeln und rothem Flanell gestopfte Würste, und an viele andere Betrügereien zu erinnern, die den Schuldigen vor Gericht allerdings verdammt hätten, denen aber der Amerikaner selbst seine volle Bewunderung zollt und einen solchen Pfifficus höchstens einen »deuced smart fellow«, einen »verwünscht schlauen Burschen« nennt.

Nun ist es aber nicht allein das Vertrauen gegen Andere, vor dem sich der neu eingewanderte Deutsche besonders zu hüten hat, sondern auch das in sich selbst, was ihm nicht selten noch größeren Schaden thut als das erste, denn jenes kostet ihm gewöhnlich nur Geld und er gewinnt dafür Erfahrung, das andere aber kostet ihm seine Zeit und die kann ihm Nichts wieder ersetzen.

Ich möchte hier übrigens nicht mißverstanden werden, denn ich will keineswegs damit sagen, daß der Europäer nicht auf seine eigenen Kräfte, auf seine eigene Ausdauer und Beharrlichkeit vertrauen solle. Nein im Gegentheil, ein solches Vertrauen ist sogar unumgänglich nöthig, er würde sonst untergehen in Zweifel und Unentschlossenheit; er soll sich aber nicht einbilden daß er nach Amerika gekommen ist, um die Eingeborenen durch seine eigene Geschicklichkeit in Erstaunen zu setzen – er soll nicht, ohne vorher zu prüfen, seine Manier zu arbeiten für die bessere, seine Werkzeuge für die einzigen guten halten – er soll seine eigenen Fähigkeiten nicht zu hoch anschlagen und selbst da noch lernen, wo er sich schon vielleicht für geschickter und klüger als Die hielt, mit denen er zusammentraf.

Der Amerikaner ist viel praktischer als der Deutsche – er hat sich aber auch nicht aus dem alten Schlamm, aus geistigem und körperlichem Zwang erst herauszuarbeiten gebraucht, wie wir das noch jetzt mit Händen und Füßen, ja oft auf dem Bauche liegend, im Begriff sind zu thun. Er hat das Joch, was ihn zu drücken erst anfing, abgeschleudert und nun, ein freier Staat, die freie Bahn frisch und fröhlich verfolgt. Nicht durch Zunft oder anderen Zwang niedergehalten, von allen Ländern der Welt die Repräsentanten in seiner Mitte, konnte er prüfen und wählen und der Erfolg hat bewiesen, wie er nicht blind war gegen das Bessere.

Daher geschieht es denn gewöhnlich, daß sich besonders der deutsche Handwerker im Anfang gar nicht in die Behandlungsart seines eigenen Gewerbes hineinfinden kann, und selbst der Meister zu seinem nicht geringen Erstaunen noch lernen muß. Hier in Deutschland kommt es besonders darauf an, daß eine Sache gut und dauerhaft gearbeitet sei; der Vater will ein Stück, das er für sich selber machen läßt, auch noch auf den Sohn vererben, dort hingegen soll nur Alles schnell und in Masse fertig werden, und der Amerikaner wird daher stets den schnellen Arbeiter dem guten vorziehen. Schuhmacher z. B., die zwei bis drei Paar Schuhe in einem Tage machen, gehören keineswegs zu den Seltenheiten. – Hie und da, in großen Städten, findet man Anschläge, wo »schwarze Wäsche« in einer Stunde gewaschen, getrocknet und geplättet wird. – Häuser scheinen über Nacht aus dem Boden zu steigen, ganze Städte wachsen in wenigen Monaten heran und ein ewiges Drängen und Treiben schüttelt die Amerikaner selbst aus einem Staat in den anderen, aus einem Geschäft in das andere.

Der Lebenszweck ist: durch die Welt zu kommen, und womöglich ehrlich, das wie ist aber auf jeden Fall sonst Nebensache. Was also hier in Deutschland einem Menschen zur Schande gereichen, oder über das der Philister wenigstens sehr stark den Kopf schütteln würde, das öftere sogenannte »Umsatteln« wird dort nicht allein für natürlich, sondern sogar für lobenswerth gehalten, weil es beweist, wie der unstät von Einem zum Anderen Wechselnde das für ihn Passende zu finden sucht, und man ist überzeugt, er wird, wenn er es findet, nicht langsam in der Benutzung desselben sein.

Daß Einer heute Zimmermann, morgen Straßenarbeiter, übermorgen Doctor, nachher Landmann, Maler, Schuster, Matrose, Apotheker, Händler u. s. w. ist, fällt Keinem auf, und gerade diese unbegrenzte Arbeitsfreiheit hat Amerika seinen ungeheuern Aufschwung gegeben. Dort treibt ein Jeder nicht etwa Das, wozu ihn die Laune seiner Aeltern oder seiner Geburt verdammte, sondern Das, was seinen eigenen Neigungen und Fähigkeiten entspricht, und ist daher auch im Stande, es zu einer Vollkommenheit zu bringen, zu der er sich noch mehr durch unbegrenzte Concurrenz getrieben sieht.

Das sollte aber auch den Einwanderer vor einem Fehler warnen, in den er nur zu oft von allem Anfang an fällt – daß er nämlich Dasselbe dort treiben will und es durchsetzen zu müssen glaubt, was er hier im alten Vaterlande getrieben. Es ist gerade so, als ob er nun auch noch immer in das alte Wirthshaus gehen wollte, in das er seit Jahren gegangen; ja lieber Gott, das liegt Tausende von Meilen hinter ihm, und eine neue Welt ist's, die ihn umgiebt, eine neue Welt ist's also auch, der er sich anpassen, der alte Adam ist's, den er mit dem alten Schlafrock ausziehen muß.

Dazu kommt noch, daß viele Gewerke in Nordamerika gar keine Kundschaft haben, so z. B. würden Weber, wenn sie es dort durchsetzen wollten, vor dem Webstuhl ihr Brod zu verdienen, verhungern müssen – was gewebt wird, geschieht auf Maschinen oder von Frauen – Spitzenklöppler dürften ebenso wenig daran denken, ihr Geschäft in Amerika zu treiben – Hufschmiede müßten sich den steinigen Norden oder gebirgige Strecken suchen, da im Süden kein Mensch daran denkt, ein Pferd beschlagen zu lassen u. s. w. Michel muß also, wenn er einmal überhaupt eine so große Reise angetreten hat, total aus sich herausgehen und ein ganz anderer Mensch werden.

Der Arme aber, der hier nur Sklave und Knecht war, der hier wie ein Pferd arbeitete, um zu leben, und für einen Tag Krankheit zwei Tage hungern mußte, um die Sache wieder ins alte Gleis, d. h. auf sein früher reducirtes Nichts zu bringen, wird dort auf einmal finden, daß er mehr als ein bloßer Zahn in einem Maschinenrad ist, daß er auch noch Menschenrechte hat, die dort gelten und anerkannt werden. Er braucht auch nicht mit Thränen auf seine Kinder zu blicken, weil er im Geist voraus sieht, welch fürchterliches Leben sie durch lange endlose Jahre dahin zu schleppen haben; denn gerade die Kinder sind es, die nachher tausendfältig ernten, was die Aeltern, vielleicht immer noch unter Sorgen und Entbehrungen, gesäet haben. Für den Armen, der arbeiten will, ist daher Amerika noch ein Land der Verheißung, und alle die, die es gut mit den Unglücklichen meinen, sollten der Auswanderung derselben nicht allein nicht im Wege sein, sondern sie eher und so viel als möglich unterstützen helfen.

Daß dort Alle gedeihen, daß es dort Allen gut gehen soll, wer könnte das verbürgen – schon ihre ganze Erziehung hier, die Abhängigkeit, in der sie von Jugend auf gelebt, läßt sie dort anfänglich in einer Freiheit umhertaumeln, die sie nicht verstehen, deren Werth sie noch nicht begreifen können. Allerdings sagen sie es sich wohl oft, recht oft laut und in Gedanken vor: »Hier sind wir Alle gleich, hier trennt uns kein Unterschied des Ranges mehr«, aber vor jedem guten Rock bücken sie sich, weil sie den verwünscht schwachsinnigen Gedanken noch nicht abschütteln können, daß in einem bessern Stück Tuch auch nothwendig ein besseres Stück Fleisch stecken müsse, als sie selbst unter ihrer wollenen Jacke tragen. Das verliert sich aber nach und nach, sie lernen ihren eigenen Werth erkennen, und der deutsche Farmer ist durch seine Arbeitsamkeit und offene Ehrlichkeit der geachtetste Bürger der Staaten.

Anders, aber nicht etwa besser steht es dafür mit Denen, die in den Städten kleben bleiben und nun dem Endzweck der Amerikaner huldigen und Geld, nur immer Geld zu verdienen suchen, während ihnen das Wie dabei als eine nicht zu beachtende Nebensache erscheint.

Du kannst im Großen nichts verrichten,
Und fängst es nun im Kleinen an.

Zu dem Großen fehlen ihnen die Mittel, fehlt ihnen der Geist – von klein auf krämern sie sich nach und nach hinauf. Stege, die der Amerikaner ihres Schmutzes wegen nicht einschlagen will, benutzen sie mit Freuden, und haben sie endlich ihr Ziel erreicht – ist es ihnen gelungen ein kleines Vermögen zu erwerben, das sie unabhängig dastehen läßt, dann kriecht aus der Puppe der gemeinen Raupe ein Zwitter-Unding von Amerikaner und Deutschem hervor – ein Wesen, das nur englisch radebrecht, und von seinen Landsleuten mit vornehmen Nasenrümpfen sagt: it is only a Dutchman (es ist nur ein Deutscher) – und zwar Dutchman noch im allerverächtlichsten Sinn gebraucht.

Die Galle läuft einem ordentlichen Kerl über, wenn er solch Pack sieht, und dann fühlt, daß Jene nur ihre eigene Gemeinheit vor einer so reichlich verdienten Züchtigung schützt.

Auch unter diesen giebt es allerdings eine bessere Klasse, aber sie ist selten; der gebildete Deutsche zieht es – wunderlicher Weise – fast stets vor, sich lieber durch Handarbeit eine Zeitlang fortzuhelfen, bis er Sprache und Sitten des Landes erlernt hat, und wenn er dann mit dem Lande selbst vertraut wird, wenn er die Achse findet, um die sich Alles dreht, und sich nun selber fragt: Weshalb bist Du denn eigentlich nach Amerika gekommen? weshalb hast Du Freunde und Verwandte, weshalb Alles Das verlassen, was Dir einst lieb und theuer war? dann gesteht er sich wohl meistens selber ein: es war jener, vielleicht noch unbewußte Drang nach Freiheit – ein Gefühl, das, wenn auch ungeweckt, in seiner Brust geschlummert, und hinein zieht er nun in den freien, fröhlichen Wald, und als freier Farmer der Vereinigten Staaten verdient er sich sein Brod, zwar im Schweiße seines Angesichts, aber er steht auch selbstständig und unabhängig da, ein souverainer Fürst auf seinem eigenen kleinen Fürstenthum.

Zwei Krankheiten sind es übrigens, denen der Deutsche, denen überhaupt der Auswanderer nach Amerika fast stets anheimfällt – zwei Krankheiten, die, eigentlich sehr von einander verschieden, doch auch wieder einzelne Aehnlichkeit mit einander haben; sie heißen: Seekrankheit und Heimweh.

Die Seekrankheit betrifft allerdings nur hauptsächlich den Körper, das Heimweh dagegen den Geist; das heißt: die eine kommt aus dem Magen, die andere aus dem Herzen – beide sind aber die fast unausbleiblichen Folgen einer transatlantischen Fahrt und ähneln sich auch darin, daß sie manchmal ihr Opfer nur im Anfang, nur in den ersten Tagen mit beiden Fäusten anpacken und recht ordentlich, so recht aus Leibeskräften durchschütteln, es aber dafür auch später ungeschoren lassen, oder – was viel, viel schlimmer ist – leise auftreten und bei jeder neuen Woge, bei jedem etwas stürmischen Meer, wieder- und immer wiederkehren und Herz und Magen gleich stark zur Verzweiflung bringen. Beides sind Krankheiten, die kein Arzt zu curiren im Stande ist, die aber beide, die eine durch jedes feste Land, die andere nur durch den heimischen Boden, augenblicklich gehoben werden, und sonderbarer Weise sich auch nach wiederholter Ursache, d. h. nach wiederholter Seereise oder Trennung vom Vaterlande, selten und nur in außerordentlichen Fällen zum zweiten Male einstellen.

Zwar hat man für das Heimweh allerlei probate Mittel empfohlen, wie z. B. stete Aufregung, ein rastloses Suchen von Geschäften, Reisen, überhaupt Zerstreuung, und das hilft auch für die Zeit vielleicht, in der wir uns zerstreuen; Augenblicke der Ruhe müssen aber kommen und dann – ach selbst die Erinnerung an die ist schmerzlich.

Auch für die Seekrankheit hat man in neuerer Zeit etwas – ein Vomitiv gleich zu Anfang genommen – als von ausgezeichneter Wirkung empfohlen, das ist aber etwa eben so, als ob mich beim Arbeiten das Wagenrasseln auf der Straße störte und ich mir nun ein paar nimmer rastende Trommelschläger vor die Thüre bestellte, damit ich jenes nicht mehr höre. Nein, Heimweh wie Seekrankheit will austoben und beiden muß man daher seinen ruhigen Lauf auch ruhig lassen.

Nun wollen freilich Einige behaupten, das Eine schütze zugleich vor dem Andern, denn wer die Seekrankheit einmal recht ordentlich gehabt, der bekomme nie das Heimweh, oder verlange wenigstens nie heimzukehren, weil er sonst auch jener wieder zum Opfer fiele. Dem ist jedoch nicht so, das Heimweh kann sogar viel eher als eine fortgesetzte, als eine moralische Seekrankheit betrachtet werden. Es ist die Seele, die auf dem sturmgepeitschten fremden, ungewohnten Lebensmeer erkrankt und sich nun, obgleich der Körper durch jede mögliche Anstrengung, durch Beinespreizen und verzweifeltes Balanciren sein Aeußerstes thut dagegen anzukämpfen, nur immer und immer zurücksehnt nach dem festen Land, nach dem Vaterland.

Einen Beweis hierzu liefert ebenfalls wenigstens der bessere Theil der Deutschen in Nordamerika. Dieser nämlich, obgleich vielleicht früher mit den Wörtern Preuße, Baier, Oestreicher, Sachse etc. vollkommen einverstanden, macht jetzt plötzlich keinen Unterschied mehr zwischen dem Rhein und der Donau – er fragt nicht mehr den Deutschen: aus welchem Lande kommst Du? das weiß er, das ist Deutschland; nein, aus welcher Gegend, und selbst die Frage geschieht nur, um vielleicht einen bekannten Ort genannt zu hören und sich an den lieben, ach lange entbehrten Lauten zu erfreuen. – Daher schreiben sich auch die, fast in allen amerikanischen Städten entstehenden Gesellschaften zur Bildung eines einigen Deutschlands in Amerika – Michel versucht ganz urplötzlich in einem total fremden Lande etwas, an das er zu Hause, wo es doch eigentlich hingehörte, mit keiner Sterbenssilbe gedacht hatte, und ärgert sich dann, daß er so wenig »Gemeinsinn«, wie er es nennt, daß er so wenig Anklang unter seinen Landsleuten findet.

Alle diese Versuche sind ebenfalls nur ein Heimweh, das sich auf solche Art seine, tief im Herzen wurzelnde Bahn bricht – es ist das Andenken an liebe, früher so glücklich verlebte Stunden. Der Ausgewanderte will sich dadurch gewissermaßen glauben machen, er lebe noch in den alten, jetzt so schmerzlich vermißten Kreisen, und all das Fremde, Ungemüthliche, was ihn umgebe, sei nur die harte, bittere und keineswegs zum süßen Kern gehörige Schale, wie wir ja wohl vor den hereinbrechenden Winterstürmen Blumen und Blüthen mit in das wohnliche Zimmer flüchten und diese hegen und pflegen, daß sie uns noch recht lange den lieben Sommer erhalten sollen.

Eine Weile geht das auch – die Keime sind noch frisch und kräftig, und wenn gleich draußen der eisige Nord das gelbe verwelkte Laub von den Zweigen reißt, so trotzen die warm gehaltenen Pflanzen lange und glücklich dem starren Vernichter. Nach und nach aber welken sie auch – die Zeit übt ihr Recht – der Winter greift durch jedes zufällig geöffnete Fenster, durch jede Ritze und Spalte herein, nach den armen Kindern einer anderen Sonne, und legt sie erbarmungslos in ihr dunkles Grab.

Doch eines bleibt – eines ist, das der Hitze wie Kälte, der erstickenden Stubenluft wie dem vernichtenden Norde trotzt, das sich mit immer wieder neuen Schößlingen an Herz und Seele rankt und klammert, das frisch und fröhlich keimt, wenn auch draußen die ganze Natur erstarrt, wenn Alles unter weißer Leichendecke todt und begraben liegt, und das ist der Epheu – die Erinnerung an die Heimath, wenn auch die Heimath selbst, ach längst für uns gestorben scheint. In seinen lebensfrischen Blättern sehen wir uns eine neue Frühlingswelt erstehen – aus ihm bauen wir uns Lauben und Grotten – ihn flechten wir um unsere Sitze und zu ihm aufblickend trägt uns sein freundliches Grün zu der Zeit zurück, wo wir draußen im schattigen Wald mit den heißen Wangen den Thau von den Zweigen strichen, wo wir in der Heimath Das fanden, was uns jetzt nur noch, ein schwaches Bild ihrer selbst, geblieben.

Es ist eine eigene Sache um das Heimweh, und ein dem vaterländischen Boden entrissener Mensch ist ebenfalls wie ein aus der Erde, die ihn erzeugte, genommener Baum; er stirbt vielleicht nicht ab im fremden Lande – die Wurzeln schlagen wieder aus, aber die feinen, zarten Theile derselben sind doch noch im alten Bett zurückgeblieben – die tausend kleinen, unbedeutenden Fasern wurden verletzt und getrennt, und wenn sie auch zu dem Leben des Baumes selbst nicht unbedingt erforderlich waren, so thun sie ihm doch recht weh, und ihr Verlust schmerzt noch lange nach.

Ist es aber zur Erhaltung des ganzen Baumes nöthig, daß er in anderen Grund und Boden komme, dann sind eben diese Fasern nur Nebendinge, auf die man nicht Rücksicht nehmen darf und kann – es thut ja auch weh, sich einen Zahn ausnehmen zu lassen, und doch unterzieht man sich dem Schmerz, um künftig Ruhe zu haben und sich wohler zu befinden. So leben wir denn ebenfalls jetzt in einer Zeit, wo die Bevölkerung einzelner Länder mit Dem was sie selbst erzeugen kann, in keinem Verhältniß mehr steht, und entweder muß ein Theil, nach Vorbild der Bienen, schwärmen, oder der ganze Stock Noth und Mangel leiden.

Früher geschah das erstere durch sich selbst; die Völkerwanderungen bedurften eben keiner weiteren Anregung als der Ueberzeugung, daß der bisherige Aufenthaltsort für einen Stamm zu eng ward und die, überdieß nicht an die Scholle gebundenen Nomadenvölker zogen aus, in irgend einer anderen Himmelsrichtung ein besseres, ihrer großen Zahl mehr zusagendes Land zu finden. Jetzt aber fehlen jene ungeheueren, wenig bevölkerten und in der Nähe gelegenen Strecken, oder wo sie liegen, sind die politischen Verhältnisse der Art, daß Jemand, der erst einmal glücklich Sack und Pack zusammengeschnürt hat, gewiß nicht dorthin zieht; es werden daher Mittel erfordert, um einen uns nicht mehr ernährenden Wohnplatz zu verändern, die der Arme nicht besitzt; gleichwohl nimmt die Noth, besonders in einzelnen, übervölkerten Theilen unseres Vaterlandes, wie in den sächsischen, schlesischen und böhmischen Gebirgen, mit jedem Tage zu und mit allen gereichten Gaben ist immer kein Ende derselben zu ersehen, keine dauernde Hülfe zu erzwecken – es ist immer nur ein einzelnes Mahl, dem Hungrigen gereicht, und der morgende Tag wird ihn eben wieder so verschmachtend finden, als der gestrige ihn fand. Daher sollte denn auch der Staat, wenn er es wirklich gut mit den Armen meint, wenn er ihrer Noth wirklich abhelfen und sie nicht nur für den Augenblick durch eine Galgenfrist beschwichtigen will, die Auswanderung unterstützen und leiten. Unterstützen, so weit das in seinen Kräften steht, bedenken daß er in dem Läutern seiner eigenen Kräfte auch sein eigenes Blut reinigt von dem ungesunden Ueberfluß, der ihn zuletzt sonst selbst bewältigt, und nicht fürchten, daß die gesunden Arbeiter alle fortgehen und nur Greise und Krüppel zurückbleiben – denn wäre das wirklich der Fall, so könnte man dann noch immer die wenigen mit dem zehnten Theil dessen thätig unterstützen, was jetzt auch an die arbeitsfähigen, und zwar nur zur augenblicklichen Stillung ihres Hungers verwendet wird, ohne daß es ihre Leiden lindert, sondern sie bloß am Leben erhält.

Aber auch leiten sollte der Staat die Auswanderung und zwar durch tüchtige Männer, die, vom Staate beauftragt, die Auswanderer nicht allein hinüber zu führen hätten in ihre neue Heimath, sondern die auch an Ort und Stelle die Gegenden aussuchen und alles Nöthige einleiten müßten, um ihnen wenigstens einen Anfang möglich zu machen, um ihnen die Gelegenheit zu geben, daß sie beweisen können, wie es ihnen wirklich Ernst ist, selbstständig durch die Welt zu kommen, und sie ihr altes Vaterland nicht allein nicht ganz vergessen, sondern auch mit Freundlichkeit statt mit bitteren Empfindungen daran zurückdenken. Die Zeit war wo wir eine Flotte hatten, – und unsere Nachkommen werden glauben, man erzählt ihnen ein Märchen, wenn sie die Geschichte derselben lesen – wir dürfen deshalb nicht daran denken, unsere ausgewanderten Freunde auch noch in fremden Welttheilen schützen zu wollen. Das edle Recht ist nur den Nationen vorbehalten, aber wir könnten ihnen dadurch doch auch beweisen, daß uns wirklich ihr Wohl am Herzen lag, als wir ihre Taxen und Steuern nahmen, daß wir sie wirklich, wie ihnen das hier oft genug vorerzählt wird, als Kinder des Staates betrachten und nicht als überflüssiges Material, als Kehricht, den man auf die Straße wirft, und von dem man froh ist, wenn ihn der Nachbar gelegentlich mit fortführt.

Diese vom Staat Beauftragten sollten aber nicht, wie das bis jetzt stets der Fall gewesen, Männer sein, die, selbst unbekannt mit Amerika, hinübergehen, dort vielleicht ein halbes Jahr leben, flüchtige Erkundigungen einziehen und dann glauben, sie kennten das Land genug, um ein richtiges Urtheil darüber fällen zu können; solche Leute haben schon unendliches Unheil über arme Auswanderer gebracht, die ihren Worten, ihrer Führung unbedingt vertrauten und dann zu spät einsahen, wie sie von Menschen geleitet waren, denen selbst kaum die obere Rinde der dortigen Verhältnisse bekannt geworden. Allerdings weiß ich, welche Schwierigkeiten es hat, Deutsche zu einem gemeinschaftlichen Zusammenleben zu bewegen; ja ich halte es sogar, außer unter dem strengsten religiösen Zwang, für eine positive Unmöglichkeit. Das darf aber auch gar nicht der Zweck einer Uebersiedelung von Armen sein, der Staat hat genug gethan, wenn er sie hinüber schafft und dort dafür sorgt, daß sie wenigstens im Anfang einen Wirkungskreis für ihre Thätigkeit bekommen, was nur durch Ankauf einer selbstständigen Strecke Landes geschehen kann. Für das weitere Fortbestehen ihres Zusammenlebens wäre es verlorene Mühe sorgen zu wollen – es findet dann später ein Jeder schon seine eigene Bahn, und wer nicht Lust hat, das ihm angewiesene Land zu bebauen, der mag es verlassen und irgendwo anders Beschäftigung suchen. Das Land muß ihm nur im Anfang als Aufenthaltsort gegeben werden, daß er nicht gerade in der Zeit, wo er weder Sprache noch Sitten kennt, als ein Bettler die Staaten durchstreift, und sowohl für sich selbst ein eben so elendes Leben fortsetzt, als er es hier geführt, sondern auch seinen anderen Landsleuten unendlichen Schaden zufügt, indem er sie durch sich selbst in den Augen der Amerikaner herabwürdigt.

Das Alles ist jedoch nur durch Leute möglich zu machen, die Amerika nicht allein vom Bord eines Dampfschiffes aus, oder durch das Coupeefenster eines Bahnzuges kennen gelernt, sondern die sich selbst eine genaue Kenntniß der dortigen Verhältnisse an Ort und Stelle verschafft haben. Ebensowenig wäre es aber auch anzurathen, dortigen Ansiedlern die Wählung eines Platzes zu überlassen; diese werden nie im Interesse der Uebersiedler, sondern stets in ihrem eigenen Interesse handeln und zwar die neue Colonie so viel als möglich in ihre Nähe, wenn nicht gar auf ihr eigenes Land zu bringen suchen, um einen sicheren und bequemen Absatz für ihre Produkte zu finden. Das Alles wird durch einen dabei nicht selbst Betheiligten vermieden, dann aber bietet auch der weite Westen der Vereinigten Staaten einen ungeheueren Abzugscanal für jene Unglücklichen, die hier hungern müssen, während dort Brod wächst sie zu sättigen, die den Quell kennen, der sie vor dem Verschmachten retten würde, ihn aber nicht zu erreichen vermögen, weil ihre Kräfte erschöpft, ihre Glieder erschlafft sind. Jetzt werden sie nur durch dürftige Spenden dürftig am Leben gehalten – eine kräftige Hülfe aber, die das Uebel bei der Wurzel faßte und herausrisse, würde nicht allein Denen einen freieren Blick in die Zukunft gestatten, die jetzt durch das Unglück ihrer Mitmenschen jede Freude verbittert sehen, und immer nur gedrängt und getrieben werden, zu helfen und zu unterstützen, sondern auch für Die, die es selbst betrifft, von segensreichster Wirkung sein.

Nur durch die Auswanderung kann eine wirkliche und nachhaltende Linderung der jetzigen Noth einzelner Klassen ermöglicht werden.

Die Wolfsglocke.

In den Washita-Bergen Nord-Amerikas liegt der Schauplatz auf den ich den Leser führen will. Dort, in den wilden Thälern jener reizenden Hügelketten existirt noch der richtige Backwoodsman; schlicht und ehrlich, rauh und derb, aufopfernd in seiner Freundschaft, aber gefährlich in seinem Haß, und sein Leben großentheils von der Jagd, etwas vom Ackerbau, und meist von der Viehzucht abhängig machend.

Die letztere wird ihm besonders durch das milde Klima jener Gegend, durch die grasreichen Hügel, durch die noch hie und da mit dichten Schilfbrüchen gefüllten Thäler erleichtert, und wenig Mühe ist es, die ihm die Zucht einer oft nicht unbeträchtlichen Heerde kostet. Dann und wann eine Hand voll Salz, nahe zu seiner Hütte hingeworfen, eine häufige und regelmäßige Wanderung von einem der kleinen zerstreuten Trupps zum andern, daß sie den Anblick des Menschen gewohnt blieben und nicht wild wurden – und der Sorgfalt, die er möglicher Weise darauf verwenden konnte, war vollkommen Genüge geleistet.

Einen Feind aber hatte er, den er, so oft er ihm auch nachstellte und ihn mit Büchse und Falle unermüdlich verfolgt und zu vernichten strebte, doch nicht bewältigen konnte, einen Feind, der Nachts in heulenden Schaaren die ängstlich blökende Heerde umschlich, und manch kräftiges Kalb, ja sogar manch einzeln abschweifende Kuh – und wie viel Ferkel und junge Schweine! – überfiel, erwürgte und verzehrte – dieser listige, blutgierige und erbarmungslose Feind war der Wolf.

Durfte man es dem Backwoodsman verargen, wenn er seine ganze List und Jagdkenntniß anwandte, solch schlauem und gefräßigem Diebe beizukommen? – aber so eifrig er auch auf der Lauer lag, so manche Nacht er, Mosquiten und Holzböcken zum Trotz, in den Aesten irgend einer knorrigen Eiche eingeklemmt hing, und beim matten Mondeslicht den scheuen Räuber durch angeschlepptes Aas herbeizulocken und zu belauern gedachte, so selten war er im Stande der höchst umsichtigen Bestie die tödtliche Kugel in den Pelz zu schicken. Die Zahl der Raubthiere mehrte sich, trotz den unermüdlichen Nachstellungen, von Jahr zu Jahr, und im Verhältniß dazu wurden die Heerden gelichtet, so daß wirklich etwas ernstlich geschehen mußte, wenn sich die Viehzüchter nicht genöthigt sehen sollten ihre Weidegründe, nur allein dieser Plage wegen, aufzugeben. – Und ein Hinterwäldler einem Wolf das Feld räumen, – ei Klapperschlangen und Poppkorn! das wäre ja wahrhaftig eine Schmach und Schande für sein ganzes Leben gewesen!

Daß unter solchen Umständen derjenige welcher die meiste Geschicklichkeit auf der Jagd bewies, auch der geachtetste der Jäger war, versteht sich wohl von selbst, und so geschah es auch daß sich Benjamin Holik, der erst seit kurzer Zeit aus Missouri heruntergekommen war, in kaum einem halben Jahre, wo er allein mit seiner Büchse siebzehn der Bestien erlegt hatte, den Ehrennamen »Wolfs Ben« verdiente, und bald für den besten Wolfsjäger im ganzen Reviere galt.

Wolfs Ben war auch noch außerdem ein gar stattlicher und wackerer Bursche; gut seine sechs Fuß hoch, mit wahrhaft riesigen Schultern und Armen und einer Kraft, der es keiner der doch sonst gewiß nicht schüchternen Hinterwäldler, gewagt hätte, im Einzelkampf zu begegnen, zeigte er sich sonst in seinem ganzen Wesen als der gutmüthigste, verträglichste und gefälligste Freund. – Mit einem guten Wort ließ sich von ihm Alles erlangen, die vorletzte Ladung Pulver gab er her und den letzten Bissen den er in seine Decke gewickelt bei sich trug; dabei war er der trefflichste Gesellschafter, wußte Unmassen der abenteuerlichsten Geschichten zu erzählen, half, wo er einmal irgendwo übernachtete, mit unermüdlichem Fleiße Feuerholz schlagen und zum Haus schaffen, den Mais in der Stahlmühle mahlen, die Thiere versorgen etc., und hatte sich dadurch sowohl wie durch sein männlich schönes Aeußere die Herzen sämmtlicher Frauen der Ansiedlung dermaßen gewonnen, daß er die übrigen jungen Burschen wahrhaft zur Verzweiflung brachte und schon anfing, trotzdem daß er noch Keinem auch nur eines Strohhalms Hinderniß in den Weg gelegt, recht tüchtige Feinde unter ihnen zu zählen.

So still und ruhig aber Wolfs Ben dabei seinen Weg ging und anscheinend harmlos in den Tag hinein lebte, so hatte er doch auch die Augen weit genug offen und wußte selber am besten unter welchem Dach er am liebsten schlief, in welche Augen er am unermüdlichsten schauen konnte, und wo ihn – nicht das freundlichste Gesicht, denn die Mädchengesichter bewillkommten ihn alle freundlich – wohl aber das süßeste Erröthen begrüßte, das ihm bis jetzt noch stets das Blut in rasender Schnelle durch die Adern gejagt.

Doch ich will dem Leser keine langen Räthsel aufgeben, die er jedenfalls schon eine Weile vorher errathen hätte. – Benjamin Holik liebte – wie nur seine treue einfache Seele lieben konnte – so recht aus Herzensgrunde Robert Suttons liebliches und einziges Töchterlein, und die einzige und alleinige Sorge die ihn dabei quälte war, daß Sutton, der die größte Farm- und Baumwollenplantage unten am Washita und Red River besaß, und im Sommer hier nur eigentlich seiner Heerden und seiner Gesundheit wegen in die Berge zog, für einen sehr reichen, und – was noch schlimmer, geizigen Mann galt, und er – armer Teufel! – weiter Nichts auf der weiten Welt besaß als seine Büchse, sein Messer und seinen gesunden Körper. – Sein braves ehrliches und treues Herz schlug er dabei gar nicht an, und doch war das die kostbarste Perle, die in ihrer Umhüllung nur wie in einer weit minder werthvollen Schaale saß.

Ben hatte aber schon oft und lange, und nicht selten mit recht trüben Sinnen darüber nachgedacht, wie er es eigentlich anfangen sollte etwas Geld zu verdienen und einen kleinen »start« wenigstens zu haben, mit dem er beginnen könne – denn sich um Arbeit auszudingen und langsam und mühsam Dollar nach Dollar in schwerer Tages- und Monatsarbeit zu verdienen, das schien ihm ein viel zu langer und weitläufiger Weg und hätte ihn seinem Ziele auch wohl nun und nimmermehr entgegengeführt. – Und doch war es nöthig, denn er wäre nicht der erste Freier gewesen dem der alte Sutton, seiner ärmlichen Verhältnisse wegen, einen Stuhl vor die Thür gesetzt, und wo zeigte sich ihm in dem einfachen, ruhig dahin fließenden Waldleben eine Gelegenheit, so einmal mit raschem Schlage das Glück beim Schopf zu erfassen – und zu halten? –

Er wurde immer nachdenkender und schwermüthiger, mied die geselligen Wohnungen der Ansiedlung, trieb sich Tag und Nacht draußen im Wald herum und hatte als einzigen Gewinn die Scalpe der erbeuteten Wölfe, die ihm der Staat allerdings mit drei Dollar Prämie pro Stück vergütete, die aber immer noch zu keiner Summe erwachsen wollten, um auch nur einigermaßen seine Ansprüche auf der holden Betsy Hand zu begründen.

In dieser Zeit etwa war es daß der alte Sutton einmal einen kleinen Abstecher nach Texas gemacht und dort von eben so abgeschieden wohnenden Viehzüchtern ein Mittel gehört hatte, die Wölfe aus einer Gegend in die sie sich gezogen und wo sie überhand genommen hätten, vollkommen zu vertreiben.

Dies bestand einfach darin daß sie vorher einen Wolf lebendig fingen, ihm dann eine Glocke, wie einem Pferd, um den Hals schnallten, und – ruhig wieder laufen ließen. Der Wolf kehrte hiernach natürlich so rasch er konnte zu seinem Rudel zurück; dort aber hörten sie kaum die fremdartige Schelle als sie auch scheu vor dem früheren Kameraden die Flucht ergriffen und in wilder Eile einem so unheimlichen Gegenstand zu entkommen suchten.

In jedes Versteck das sie annehmen, folgt ihnen nun der beglockte Wolf, dem es mit dem unbequemen Riemen um den Hals und dem ewigen Gebimmel unter seiner Kehle selber unheimlich wird wenn er sich allein sieht. Er glaubt Schutz unter den Brüdern zu finden, schüttelt sich, wälzt sich, springt, schwimmt, kurz thut alles Mögliche seine Qual loszuwerden und ist besonders darüber auf's Aeußerste empört daß er nicht mehr wie früher so leise und geräuschlos seine Beute beschleichen kann, sondern sich jedesmal selbst gleich durch lauten Glockenklang verrathen muß, und flieht nun, hat er das eine Rudel förmlich verjagt, zu einem andern, treibt auch dieses aus den Bergen, die er sich selber bis dahin zum Wohnort erwählt und sieht sich endlich – was er aber auch nur im äußersten Fall und erst dann thut, wenn er wirklich ganz allein zurückgeblieben ist – genöthigt, selbst einen andern Jagdgrund zu suchen, da auch die Heerden sich bald den Ton der Glocke merken, und nicht selten in fest geschlossener Phalanx den nächsten Ansiedlungen zustürmen, sobald sie den klingelnden Feind nur nahen hören.

Der Versuch mußte auch am Washita gemacht werden; Sutton kehrte rasch dorthin zurück, berieth sich mit sämmtlichen benachbarten Farmern und kam mit ihnen darin überein, daß sie eine Prämie von zwanzig Dollar darauf setzen wollten, einen Wolf lebendig überliefert zu bekommen, so daß sie ihm selber die Glocke umschnallen und ihn dann in's Freie wieder hinauslassen konnten.

Der Preis ließ sich aber gut setzen! Die Wölfe waren schlauer als die Jäger, und wenn besonders Wolfs Ben noch manchen Scalp einbrachte, so schien es doch selbst ihm unmöglich zu sein, einen der schlauen Schurken wirklich unbeschädigt und lebendig zu erhaschen, denn seine Fallen, die er stellte, blieben leer und in den Fallgruben die er auswarf, fingen sich nur der Nachbaren Rinder und Schweine.

Da es ihm nicht gelang, waren es die übrigen Jäger noch weit weniger im Stande, und der auf einen lebendig eingebrachten Wolf gesetzte Preis stieg endlich, da die Farmer jetzt auch hitzig wurden, und den Versuch unter jeder Bedingung, und zwar so bald als möglich zu machen wünschten, bis zu der für den Wald ungemein hohen Summe von zweihundert Dollar empor.

Das war ein Sporn für unsern Benjamin. – Zweihundert Dollar, alle Wetter damit konnte er sich eine vollkommen eingerichtete kleine Farm mit einem mäßigen Rinder- und Schweineanfang kaufen – und Betsy – ei wer weiß ob sich der Alte nicht dann doch noch überreden ließ, wenn er nur erst einmal den schwarzen Burschen einbringen und überliefern konnte! Zeit durfte er übrigens dabei auch nicht im geringsten verlieren, denn der Preis hatte natürlich alle Jäger der ganzen Umgegend auf die Füße gebracht, und überall im Wald hallten die Axtschläge der Männer wieder, die sich kleine Baumstämme fällten, um damit die einzig mögliche Art von Fallen zu errichten die man dort kannte, eine solche wilde Bestie wirklich unbeschädigt zu fangen. Stahlfallen durften nämlich nicht angewandt werden, da diese jedenfalls den erfaßten Lauf verwundet, vielleicht gar zerschmettert hätten und die Prämie nur ausdrücklich für ganz gesunde Wölfe garantirt wurde.

In dieser Zeit etwa, war ein Besuch in die Hügel gekommen, der unseren armen Benjamin Holik bald auf das bösartigste beunruhigen – ja was noch schlimmer war – ihm wirklich gefährlich werden sollte. –

Es war dies Niemand Anderes als ein sogenannter »Vetter« von Suttons, ein »Städter« mit blauem Tuchfrack, blanken Knöpfen und »Strippen« an den Hosen. Jesus! wie die Kinder lachten wenn er irgendwo in ein Haus kam und sich niedersetzte; wie sie sich dann mit den schmutzigen Gesichtern zusammendrückten, mit einander flüsterten, dann einen scheuen Seitenblick nach den »Strippen« warfen und plötzlich in ein lautes, mit aller Mühe nicht zu unterdrückendes Gelächter ausbrachen und wild und toll aus dem Hause stürmten! Das blieb sich aber gleich, die Kinder waren dumme Bälger die noch nichts von der Welt verstanden, und am wenigsten beurtheilen konnten ob an einem Manne wirklich etwas sei, oder nicht; – und an diesem war jedenfalls etwas, denn sein Onkel galt für einen der reichsten Pflanzer in Alabama und hatte nur den einzigen Erben. Ist es da ein Wunder daß ihn der alte Sutton freundlich aufnahm, wie den eigenen Sohn behandelte und sich und sein ganzes Haus (die Hand der Tochter mit eingerechnet) zu seiner Disposition stellte?

Mr. Metcamp schien denn auch recht gut einzusehen welch ein Schatz ihm hier geboten wurde, und wenn ihn auch die junge Dame selber scheu, und in der That absichtlich vermied, und ihm auf jede nur mögliche Art zu verstehen gab, es sei ihr an seinen Artigkeiten nicht das mindeste gelegen, so war er – in New-Orleans selber aufgezogen – keineswegs der Mann der sich durch solche »ländliche Sprödigkeit« hätte so rasch und leicht abschrecken lassen. Er wußte sich nur vor allen Dingen kluger Weise bei dem Vater in festeste Gunst zu setzen, lauerte dem alten Mann bald seine Schwachheiten ab, und machte ihn in kürzester Zeit glauben er sei der beste Jäger, der unerschrockenste Reiter und überhaupt das muthigste Herz das nur je unter einem ledernen Jagdhemd geschlagen, also unter einem feinem blauen Tuchfrack doppelten Werth haben mußte, und wußte dabei dem schlichten Hinterwäldler durch seine Gelehrsamkeit und sein tiefes Wissen – lauter solche Sachen von denen dieser bis jetzt noch nicht einmal eine Idee gehabt – so zu verblüffen, daß Sutton endlich schwor, Mr. Metcamp sei der »smartest« und beste Mann in der ganzen »range« und wenn seine Tochter ihm nicht ihre Hand geben wolle, so bekäme sie es mit ihm selber, ihrem Vater zu thun. –

Betsy machte bei einer – der ersten – heimlichen Zusammenkunft mit dem Geliebten, diesen mit Allem bekannt was ihr das Herz abzudrücken drohte, erklärte ihm, nicht ohne ihn leben zu können und behauptete das unglücklichste Wesen zu sein, das die Erde trüge. Benjamin war vollkommen damit einverstanden, hielt der Geliebten Hand fest, fest in der seinen, schaute ihr mit recht wehmuthsvollen Blicken in die treuen Augen und sagte endlich mit leiser, zum Trost bestimmter, aber ach des Trostes selber sehr bedürftiger Stimme:

»Liebe Betsy, verzage nicht – es wird schon noch Alles gut gehen – sieh, ich habe die ganze Nacht gearbeitet und vier neue Fallen aufgestellt und auch in allen schon und zwar treffliche Lockspeise gelegt; fang' ich den Wolf, dann hab' ich ein kleines Capital und kann nachher sagen: Nachbar Sutton, ich möchte Eure Tochter zum Weibe und bin im Stande ihr gleich ein freundliches Obdach zu bieten, so daß ich Eurer Hülfe dabei gar nicht weiter bedarf – und wenn er dann hört daß Du, Betsy, mir wieder so recht von Herzen gut bist –«

»Ach Du wirst gar nicht den ersten Wolf fangen können!« sagte Betsy unter Thränen; »der häßliche Fremde hat dem Vater den ganzen Abend von weiter nichts als den neuerfundenen Fallen erzählt, die er hier anwenden will – der kennt gewiß lauter neue Schliche und Pfiffe, wie sie in den Städten ausgedacht werden, und wird Dir auch da am Ende störend in den Weg treten.«

»Laß nur sein, mein Herz!« beruhigte sie, jetzt aber wirklich in stolzem Selbstgefühl lächelnd, der Jägersmann. »Darum sorge Dich nicht – wo's in den Wald schlägt und mit wilden Bestien zusammenhängt, da laß sie in den Städten getrost sinnen und grübeln: in der Ausführung sollen sie's uns hier schon nicht zuvorthun, oder – es ist unsere eigene Schuld, und wir haben's nicht besser verdient. Da Du mir jedoch sagst, mein Kind, daß er auch von der Jagd etwas zu verstehen vorgiebt, so kommt er mir da auf einen Boden, wo ich ihm meinen Mann stehe, und siehst Du, jetzt – ich weiß selber nicht wie das so eigentlich gekommen ist – hab' ich auf einmal weit mehr Muth und Selbstvertrauen als vorher. Bleib Du mir nur hold, Du gutes Kind! Zwingen kann Dich der Vater zur Heirath doch nicht, und wenn er erst findet daß ich Dich nur zu meinem lieben Weibe haben will, weil ich einmal nicht ohne Dich leben kann, und keineswegs seines Geldes und Gutes wegen, ei so wird er auch einsehen daß ihm ein solcher Schwiegersohn mehr Ehre bringt als der geschniegelte Städter, und vielleicht bekomme ich dann noch ein recht herzliches »Ja« von ihm.«

Es lag eine so freudige, vertrauensvolle Zuversicht in den Worten, daß sie selbst der muthlosen Jungfrau neue Hoffnung gab. Durch das Gerücht von des Fremden Kenntniß im Fallenstellen, war aber auch Benjamin aufgereizt worden seine Anstrengungen zu verdoppeln, daß er nicht etwa durch Lässigkeit sein ganzes Glück versäume. Einen fast fröhlichen Abschied nahm er von dem schwermüthigen Mädchen, küßte ihr die thränenden Augenlider, schulterte seine Büchse, und wanderte frisch und getrost in den dunkeln Wald hinein.


Die Fallen die Ben Holik für Wölfe stellte, befanden sich alle ziemlich in der Nähe der Ansiedlungen, da die wilden Bestien die bewohnten Plätze, wohin sich das Vieh Abends zurückzog, und wo auch die säugenden Sauen ihre Betten hatten, am liebsten aufsuchten. Eine besonders, auf die er seine meiste Hoffnung setzte, da sie nicht weit von einem Wechselpfad der Wölfe, zwischen zwei Hügelrücken lag, war mit außerordentlicher Sorgfalt hergerichtet, und so gestellt daß sie von den Wölfen gesehen werden mußte. Ebenso stak die trefflichste Lockspeise, die ganze Keule eines erst gefallenen Pferdes, daran, und den Vortheil hatte sie noch außerdem vor den übrigen, daß er nicht jedesmal, wenn er nachsehen wollte ob sich etwas gefangen habe, dicht hin zu gehen brauchte, wodurch er gezwungen gewesen wäre Spuren zurückzulassen, sondern von einem nicht fernen ziemlich steilen Hügelrücken aus, der dort in eine starre Felsspitze vorragte, mit seinen Adleraugen den ganzen Platz recht gut übersehen konnte. Ließ sich dann auch nicht gleich bestimmen ob sich etwas gefangen hätte, so ließ sich doch recht gut erkennen ob die Falle noch aufgestellt oder niedergeschlagen wäre.

In der Nacht mochte er freilich den Ort nicht stören, deshalb ging er jetzt geradenwegs zu seinem Lagerplatz, den er sich, bis er sein Ziel erreicht, in den Bergen aufgeschlagen, entzündete dort sein Feuer wieder, verzehrte sein einfaches Abendbrod, rollte sich in seine Decke, und war bald sanft und süß, jeder weiteren Anstrengung für diese Nacht entsagend, eingeschlafen.

Am Morgen bedurfte er des Hahnenschreis nicht, munter zu werden, so wie der »Whip poor will« seine ersten klagenden Laute wieder hören ließ, sprang er auf, kochte seinen Kaffee, den jeder Jäger gebrannt und gemahlen in einem Leinwand- oder Ledersäckchen bei sich führt, und erwartet nun ungeduldig den ersten matten Dämmerschein der sich im Osten zeigen würde.

Endlich, endlich kam das diesmal so heiß ersehnte Licht, mit dem sich der Wolf jedesmal wieder in seine bestimmten und gewöhnlich unzugänglichen Schlupfwinkel zurückzieht – und vorsichtig, dürre Aeste und brechendes Holz meidend, damit das Geräusch nicht etwa noch in der Nähe weilende Bestien aufscheuche, kroch er in der That mehr als er ging, dem Felsen zu der ihm zur hohen Warte diente.

Jetzt hatte er ihn erreicht – jetzt konnte er den flachen, eben von grauem Licht kalt durchgossenen Fleck überschauen – beim Himmel, der ungewisse Schein mußte ihn täuschen – er vermochte das aufgestellte Dach der Falle nicht mehr zu erkennen. – War sie – war sie niedergeschlagen?

Das Herz schlug ihm in fieberhafter Ungeduld, und gewaltsam fast bezwang er sich den heller heraufbrechenden Morgen abzuwarten, ehe er seine Fährte dem Thalgrunde einpresse.

Aber lange hielt er es so nicht aus; weder Ruh noch Rast ließ ihm die Ungeduld und jemehr er jetzt den Blick anspannte die Gegenstände unter sich zu erkennen, desto deutlicher wurde ihm die Thatsache, und der Zweifel endlich zur Gewißheit. – Die Falle war wirklich zugeschlagen und es mußte also ein Wolf in ihr stecken, denn die Kühe, die manchmal auch sehr zum Aerger des Jägers und ihrem eignen Schrecken die Stützen umstoßen, kamen gar nicht in dies felsige grasleere Thal hinunter.

»Betsy!« das war der einzige Laut, den er, sich selbst vielleicht unbewußt, ausstieß, als er mit flüchtigen Füßen den Thalgrund hinab und der Stelle zuflog, wo im Schatten dichter Sassafras und Spicebüsche, gar schlau in einen wilden Haufen des dort von dem manchmal reißend geschwollenen Bergstrom hingeschwemmten Holzes hineingestellt, und von dem klar vorbeisprudelnden Wasser bespühlt, die Falle stand.

»Hurrah!« er konnte sich nicht helfen, er mußte seinem Jubel wenigstens in einem recht herzlichen, recht aus tiefster innerster Seele kommenden Aufschrei Luft machen. – Und er hatte auch wahrlich Ursache darüber zu jauchzen, denn in der Falle saß, scheu und verschämt, als ob er sich genirte, bei dem heller und heller heraufdämmernden Tageslicht hier noch ertappt zu sein, ein prachtvoller rabenschwarzer männlicher Wolf, und die Augen funkelten dunkelglühend, zwischen den wohl eine Hand breit auseinanderliegenden Stämmen nach dem grimmsten Feind durch, dem er in diesem Theile des Waldes hätte in die Hände fallen können – dem jungen Jägersmann entgegen.

»Siehst Du, Bestie, sagte aber der, so habe ich Dir endlich das Handwerk gelegt, Du alter grauer Sünder – wirst die andern wohl gestern von der gefundenen und so vortrefflich geglaubten Beute weggebissen haben, und sitzest jetzt in der beneidenswerthesten Lage von der Welt hinter Glas und Rahmen. Nun warte nur, Dir ist noch weit besserer Spaß aufbewahrt. An's Leben geht es Dir diesmal allerdings nicht gleich, wenn Du aber nur erst einmal mit der Glocke um den Hals spazieren läufst, wirst Du schon finden was es heißt in Ben Holiks Hände gerathen zu sein!«

Der Wolf fletschte, als er sich nach der Falle hinunter bog, ingrimmig die Zähne gegen ihn, behauptete aber seinen Platz und schien, wie ein ärgerlicher Hund nur einen Angriff zu erwarten, um gleich zufahren zu können. Ben dachte aber gar nicht daran ihn weiter zu reizen, sah nur noch einmal lächelnd nach ihm zurück und rief:

»Bin Dir nicht böse, alter Bursche, bist zwar ein gar unwirsch aussehender Brautwerber, sollst mir aber doch zur Braut verhelfen, und da müssen wir schon gute Freunde mitsammen bleiben.«

Und einen fröhlichen Gruß dem Gefangenen hinüberwinkend, warf er seine Büchse über die Schulter und sprang in flüchtigen Sätzen den ziemlich steilen Abhang der Schlucht hinauf, um die Ansiedlung auf dem geradesten Wege und so rasch als möglich zu erreichen, damit er von dort aus gleich Hülfe herbei holen könne, dem wilden Burschen das Halsband mit der Glocke umzulegen, und ihn dann wieder – hei! wie er springen würde! – frank und frei laufen zu lassen.

So hatten die Männer der Ansiedlung (die sie um ihr doch eine Art Stadtnamen zu geben, Woodville getauft, obgleich sie nur aus drei Häusern und zwei Ställen bestand) den jungen Jägersmann noch nie gesehen. Jubelnd und jauchzend kam er in Suttons Haus gesprungen, umarmte in Ermangelung der Tochter, den alten Sutton selber, und schwatzte eine solche Masse tolles Zeug von Wölfen, Scalpen, Farmen, Glocken, Stricken und Holzhaufen, daß eine Art Gerücht, »Wolfs Ben sei wahnsinnig geworden«, schon wirklich anfing Glauben zu gewinnen.

Nach und nach klärte sich aber die Sache auf, und der alte Sutton erfuhr kaum um was es sich handle, als er auch selber mit fast eben solchem Eifer darauf einging, und jetzt nur bedauerte daß Metcamp den Augenblick nicht gegenwärtig wäre, da er ebenfalls die Nacht im Wald gewesen sei um sein Glück zu versuchen.

»Hallo, jetzt bekommen wir am Ende gar zwei!« lachte der Alte endlich, während er seine Büchse vom Nagel nahm und die Kugeltasche umhing. »Metcamp hatte verdammt gute Aussichten, und scheint seiner Sache ziemlich gewiß zu sein. Nun, das schadete nichts; dann theilt Ihr die Prämie und zwei Wölfe wären am Ende immer noch sicherer als einer. Ist Euerer denn ein Wolf?«

»Ei und solch ein derber Bursche, wie nur je einer ein Kalb zerrissen hat.«

»Vortrefflich, vortrefflich! Nun so kommt, Benjamin, und Du, Scip', kommst gleich mit den andern beiden nach; wo ist's denn? an der Froschquelle sagtet Ihr?« –

»An den Wassern der Froschquelle, etwa sechshundert Schritt von dem scheidenden Bergrücken und gerade da gegenüber wo des »Teufels Kanzel« über den Bach hängt.«

»Nun da könnt Ihr ja gar nicht fehlen – also die Stricke und den Sack – habt Ihr das Halsband, Ben?«

Der junge Mann bejahte es, klingelte mit der kleinen Glocke und schien selber die Zeit nicht erwarten zu können, wo sie wieder aufbrechen würden, seine Siegstrophäen in Empfang zu nehmen. –


Mit raschen Schritten wanderten die beiden Männer den schmalen Pfad entlang, der von der Ansiedlung aus in den Wald lief, verließen diesen aber bald darauf wieder, eine nähere Richtung einzuschlagen, und benutzten einen von den Hügeln hin auszweigenden Abhang, der in leiser Niederdachung den Wassern der Froschquelle zuführte.

»Aber, Ben, Ihr habt ihn doch auch sicher? fragte da Sutton, ganz plötzlich stehenbleibend, und sah den jungen Jägersmann mißtrauisch dabei von der Seite an. – Ihr war't mir heut Morgen so – so kreuzfidel – es ist zwar noch etwas früh – ich hoffe doch nicht daß Ihr mich etwa zum Narren habt?«

Ben Holik lachte, als ob er im Leben nicht wieder zu sich selber kommen wollte, und schüttelte das Halsband, das er in der Hand trug dermaßen, daß der Ton hell und klingend durch den Wald tönte. –

»Hahahaha – das ist kostbar. Nein Sutton – das ist wirklich kostbar – jetzt – jetzt fällt Euch auf einmal ein – hahaha – daß ich Euch könnte – hahaha – angeführt haben!«

»Mr. Holik! –«

»Nein, lassen Sie's gut sein, Sir, sagte der Jäger plötzlich seine Fröhlichkeit zügelnd, da er sah wie ernst der alte Mann die Sache zu nehmen schien. Sie dürfen aber wahrlich nicht bös darüber sein, wenn ich vielleicht ein Bischen zu munter bin – es freut Einen doch am Ende so einen verwünschten Kälberdieb, der so oft und schlau jeder Versuchung widerstanden hat, zuletzt doch noch nicht überlistet zu haben. Wir müssen übrigens gleich an Ort und Stelle sein; da drüben seh ich schon die Kiefern der Teufelskanzel über das andere Schwarzholz hervorragen, und gleich dort unten, wo der Hickory über die enge Schlucht gestürzt ist, liegt das Triftholz wo meine Falle steht. Die Neger werden den Platz doch finden?«

»Scipio kennt jeden Fußbreit Boden hier, sagte Sutton. Also hier unten steckt die Bestie; nun warte, mein Schatz Du sollst Deinen Kameraden so lange Musik vormachen, bis ihnen vor lauter Bimmeln die Ohren klingen. Hört, Ben, dies ist ein nichtsnütziger Weg hier; wir sind auch wohl gerade auf den steilsten Fleck gekommen – nun, Ben? – wollen wir noch ein Bischen? – was habt Ihr denn zu gucken?«

Der junge Mann war auf einen umgefallenen Baumstamm getreten, hatte mit der Linken den niederhängenden Ast einer jungen Buche gefaßt, und schaute mit stierem unverwandtem Blick die Schlucht hinab in die Tiefe – erwiederte aber kein Wort.

»Nun Ben? – was giebts? – Ihr wißt wohl selber nicht mehr recht wo ihr daheim seid? rief der Farmer, und sah ungeduldig nach ihm zurück – wir sind wohl in der falschen Schlucht?«

Ben Holik erwiederte keine Sylbe; nur bleichen Angesichts und keines Wortes mächtig, deutete er nach einem wirren Haufen wild über einander gestürzter dürrer Aeste und Stämme, zwischen dem das scharfe Auge des alten Mannes gar bald das rauhe viereckige und massive Gestell einer zugeschlagenen Wolfsfalle, wie sie in den Wäldern eben üblich ist, erkannte.

»Meiner Seel, an den falschen Kasten gerathen«; brummte der Greis, nachdem er sich durch einen zweiten Blick überzeugt hatte wie die Falle leer sei, – »na das fehlte auch noch, jetzt können wir die steile Partie wieder hinauf machen.«

Er wandte sich, den Berg wieder empor zu klimmen, hier aber fiel ihm das verstörte wilde Aussehn des eben noch so fröhlichen Jägers auf, und als er schon den Mund öffnete, ihn zu fragen was ihm fehle, hörte er die halblaut und heftig ausgestoßenen Worte desselben:

»Sie ist leer

»Da unten in der hat der Wolf gesessen?« fragte der alte Farmer rasch und erschreckt.

»Dort unten,« lautete die monotone Antwort des aus seinen Himmeln erbarmungslos Niedergeschmetterten.

»Na, das ist eine schöne Geschichte,« murmelte Sutton, klomm, so rasch dies eben gehen wollte, und sicherlich viel rascher als er im Anfang beabsichtigt, den steilen Hang hinunter, und stand gleich darauf vor der allerdings leeren, aber heruntergeschlagenen Falle.

Das Fleisch im Innern war augenscheinlich nicht berührt, eine Art Wolfsgeruch glaubte er aber selber zu wittern, und bei genauerer Untersuchung entdeckte er an dem einen rauhen Balken sogar einzelne weiße Bauchhaare, die kaum von einem andern Thier als einem Wolf herrühren konnten. Wo aber war dieser hin verschwunden, denn daß er sich sollte unter der schweren Klappe vorgearbeitet haben – Sutton stemmte seine Schulter darunter und suchte sie emporzuheben, er war es kaum im Stande – schien rein unmöglich.

Während er noch so beschäftigt war, stieg Benjamin Holik langsam und schweigend zu ihm nieder, stellte seine Büchse an den nächsten Baum, legte Halsband und Glocke daneben und trat dann dicht zur Falle heran, die er, ohne sie jedoch zu berühren, auf das aufmerksamste und genauste betrachtete.

»Und Ihr habt heute Morgen wirklich einen Wolf darin gefangen gehabt?« fragte Sutton nach längerer Pause, während er trotz des Beweises der gefundenen Haare ungläubig dabei mit dem Kopfe schüttelte.

»Ich gebe Euch mein Ehrenwort, sagte Ben tonlos – ein starker männlicher Wolf stak in der Falle, als ich vor kaum einer Stunde diesen Platz verließ; drei Wölfe hätten aber nicht Kraft genug gehabt diese Balken emporzuheben und darunter vorzuschlüpfen, und wenn ihnen das wirklich gelungen wäre, so müßte wenigstens die Hälfte ihres ganzen Pelzes an der rauhen Rinde dieser Stämme hängen geblieben sein.«

»Das dachte ich eben auch, sagte Sutton – und Ihr wißt gewiß daß es auch wirklich ein Wolf« –

»Nun zum Henker! rief der Jäger, dem der Ingrimm über die getäuschte Erwartung auch endlich durch das sonst überhaupt nichts weniger als geduldige Hirn zu blitzen begann; ich werde doch einen Wolf von einem Stück verendetem Pferde unterscheiden können? – aber da – seht hier – und – und überzeugt Euch selber!«

Noch während er sprach, sprang er plötzlich auf die Falle zu, warf mit einem Ruck seiner gewaltigen Kraft die Klappe zurück, als ob's ein loses Brett gewesen wäre, und schwang sich mit einem Satz über die niedere Wand in's Innere.

»Da! rief er, während er vor sich auf den feuchten Boden niederzeigte – da und da – und da sind die Spuren der Bestie, wenn Ihr denn meinen Worten nicht mehr glauben wollt; hier ist die Stelle wo sie die Fänge in die Lockspeise einschlug, als die Klappe wahrscheinlich zufiel. – Wollt Ihr mehr Beweise daß ich Euch nur eine Thatsache verkündet und nicht etwa eine – Lüge in den Bart geworfen habe? Pest und Gift! das hat mir Einer der schleichenden Hallunken, die mich in der Ansiedlung immer nur so scheu von der Seite anblinzen, wenn ich einmal hinaufkomme, zum Possen gethan; – herausgelassen, muthwillig herausgelassen ist das Raubthier, und weiß es Gott, Dem der seine Hand in so schmählich schändlicher Art an Ben Holiks Eigenthum gelegt hat, wäre besser, er hätte den Washita in seinem Leben nicht gesehen, als daß er mir, hab' ich ihn erst aufgespürt, wieder vor die Augen käme!«

»Hm, das ist eine wunderliche Geschichte, brummte der Alte, wer zum Henker soll sich die Mühe geben, Euch die Wölfe aus der Falle zu lassen? Und müßte er nicht die ganze Nacht gerade hinter Euch her gekrochen sein, um den einzigen Zeitpunkt, wo er es unentdeckt thun konnte, so genau abzupassen?«

Ben erwiederte nichts, sondern stieg aus der Falle und suchte auf dem Holz nach irgend einem Zeichen, das ihn vielleicht hätte auf die richtige Spur bringen können. Das trockene Holz bot seinem Auge aber nichts, von dem geleitet, es hätte weiter forschen können – nur die Spuren von Haaren entdeckte er bald, auch die Fährten des Raubthieres, wo es vom letzten Stamm hinab auf die weiche Erde gesprungen und dann wieder die andere Seite der Schlucht hinauf in geradester Richtung seinen Schlupfwinkeln zugeflohen war. Nirgend ließ sich dabei die Spur eines menschlichen Fußes erkennen – nur ein Paar unnatürlich tief in die Erde eingedrückte Steine, die der Blick des Jägers bald erkannte, lenkten seine Aufmerksamkeit auf sich – sie waren, selbst da wo sie mit Erde bedeckt lagen, noch vollkommen trocken – Der, der sie eingetreten, mußte also erst vor ganz kurzer Zeit hier herübergeschritten sein.

Holik zeigte sie dem alten Mann und dieser gab auch zu daß es ihm selber so vorkäme, als ob da Jemand gegangen sei, an die Erkennung einer genauern Fährte war aber nicht zu denken. – Oben auf dem Hügelkamm zog sich ein starrer Felsstreifen meilenweit über den Berg hin, und zweigte überall in rauh steinige Schluchten aus. Wem hier daran gelegen war seine Spur zu verheimlichen, konnte das leicht genug, und die beiden Männer sahen sich auch endlich genöthigt jeden derartigen Versuch als nutzlos aufzugeben.

Die Neger wurden zurückgeschickt, und Sutton folgte ihnen, selber in keineswegs rosiger Laune, allein, denn Ben Holik wollte jetzt vor allen Dingen den Wald nach der Richtung hin durchstreifen, wohin die muthmaßlichen Fährten liefen, möglich doch, daß ihm sein gutes Glück – er stampfte mit dem Fuß als er die Worte sprach – den Thäter gerade in den Weg führte.

Er fand nichts – den ganzen Tag durchkreuzte er den Wald, und als er Abends müd' und matt in die Ansiedlung zurückkehrte, mußte er noch ertragen daß man ihn bemitleidete und sich, anscheinend theilnehmend, in der That aber nur neugierig, nach den näheren Umständen erkundigte; ja Metcamp erbot sich sogar höchst freundlich wieder mit ihm zu gehen und die Spur noch einmal aufzunehmen, – er hätte, wie er selber den alten Sutton dabei versicherte – eine ungeheuere Uebung in Fährtefolgen, und war überzeugt, er könne ihr nachgehen. Ben Holik aber hielt sich, was den Wald betraf, für einen eben so guten Mann wie irgend einer dessen Füße je in Moccasins staken, und lehnte das Anerbieten artig wohl, aber rund ab.

Dieser Metcamp hatte für ihn etwas Unheimliches in Blick und Ton. War er selber so parteiisch oder eifersüchtig, ohne allen sonstigen Grund den Menschen zu hassen, und wäre es nicht –

»Verzeih mir Gott die Sünde!« unterbrach Ben selber seine Gedanken als er wieder zum Walde zurückschritt, denn Betsy konnte und wollte er in diesem Zustand von Aufregung und getäuschter Hoffnung nicht vor die Augen kommen – »verzeih mir Gott die Sünde daß ich von einem Menschen, der mir bis jetzt wissentlich noch kein Leid gethan hat, Unrechtes denke, aber dieser Metcamp kommt mir immer vor wie mein böser Geist und wenn es einen Menschen in der weiten Gotteswelt gäbe, dem ich den Bubenstreich zutrauen möchte – so ist es Der. Aber wart! mein Bursche, bist Du's gewesen, so hast Du ein Paar so scharfe Augen auf Deiner Fährte, wie sie in der Ansiedlung nur zu finden sind, und wer weiß dann, ob wir nicht noch einmal ein Paar Worte im Vertrauen reden!«

Ben war ein seelensguter, herzlicher und schwer zu kränkender Mann – wie es fast alle recht kräftig kernige Naturen von so riesigem Körperbau sind, aber leichenbleich färbte ihm doch der Zorn die Wangen als er den Ort wieder erreichte, wo er das Ziel seiner Wünsche, nach dem er Wochenlang gestrebt, endlich gefangen gehalten, und dann ihm eine tückische Hand den Becher, den er gerade zum Munde führen wollte, entrissen und zu Boden geschleudert hatte.

Was aber half ihm der ohnmächtige Zorn – er fand keine weiteren Anzeichen; die Spuren des Geflohenen waren so schlau verdeckt daß er anfing es dem geschniegelten Städter nicht einmal mehr zuzutrauen, und seinen Verdacht von Einem zum Andern der jungen Leute unter seinen Bekannten schweifen ließ, die, wie er recht gut wußte, ihn um sein Glück bei Betsy beneideten und ihn dadurch vielleicht abhalten wollten ihre Hand zu erringen. Es blieb aber auch immer nur wieder bei dem Verdacht; eine Gewißheit konnte er auf keiner Seite erlangen.

Das Schlimmste bei der Sache war übrigens auch das noch, daß ihm diese, seine beste Falle dadurch für eine geraume Zeit unbrauchbar geworden, denn in die ging, wenigstens nicht eher als bis einmal ein Wolkenbruch jedes Zeichen der gefangen gewesenen Bestie abgewaschen, kein Wolf wieder hinein – und welche Falle lag so vortrefflich wie gerade diese!

Wolfs Ben war übrigens nicht der Mann, der sich durch eine ihm in den Weg geworfene Schwierigkeit so leicht hätte abschrecken lassen; noch standen ihm drei andere Fallen und selbst in dieser Schlucht konnte er, wenigstens weiter oben, eine neue anlegen. Mit unermüdlichem Fleiß arbeitete er also auf's Neue, lag Tag und Nacht draußen und hielt von jetzt an eine so scharfe Wacht in seinem gewöhnlichen Jagdrevier, daß kein Kaninchen, viel weniger denn ein Menschenkind unbeachtet durchschlüpfen konnte. Voll neuer Hoffnung dachte er nun mit jedem Morgen den Fang eines zweiten Wolfes begrüßen zu können – aber vergebens. Was er auch that blieb fruchtlos, und Ben wurde zuletzt so schwermüthig und menschenscheu, daß er gar nicht mehr aus seinem Wald heraus mochte, sondern jetzt, mit dem einen und einzigen Ziel vor Augen, fast nichts anderes dachte, als einen Wolf lebendig zu fangen.

Die Ansiedlung besuchte er gar nicht mehr, oder doch nur bei Nacht, wo er nicht zu fürchten brauchte, daß Betsy's Blick auf ihn fiel – denn nachgerade fing er an sich zu schämen ein so »schlechter Jäger« zu sein und er meinte, die Leute müßten ihm das Alle an den Augen ansehen.


Drei Wochen waren solcher Art verflossen und wenn Ben's Herz auch wohl immer und unverändert dasselbe geblieben war, so hatten doch die Sachen in der Ansiedlung indessen eine ganz andere Wendung genommen.

Der »Stadtherr«, wie ihn die übrigen Jäger gewöhnlich nannten, bekam Briefe aus Alabama, die seine Rückreise dorthin so rasch als möglich verlangten. Sein Onkel war plötzlich gestorben – er zum Universalerben eingesetzt, und jetzt natürlich genöthigt die dortigen Verhältnisse, die durch eine bedeutende Sklavenzucht noch weit mehr Aufmerksamkeit erforderten, selber zu ordnen. Er mußte also ohne weiteres Zögern zurück, und seine im Anfang langsam genug eingeleitete Werbung um die liebliche Waldblume, des alten Suttons Töchterlein, wurde nun zum raschen Heirathsantrag. Mr. Metcamp hielt noch an dem nämlichen Tag um des Mädchens Hand an, und wenn auch Betsy unbedingt nein sagte, sprach doch der Vater, dem der jetzt um so reichere Schwiegersohn desto mehr zu behagen schien, ein um so entschiedeneres Ja, versicherte seinen künftigen Eidam »das Mädchen ziere sich nur, wolle erst angegangen sein, und bat ihn sich um das keine Sorge weiter zu machen.«

Metcamp hätte allerdings lieber eine freundlichere Antwort der Tochter, wenigstens keine so ganz bestimmt abgeneigte gehabt; da es aber nun einmal nicht anders ging, schien er sich auch hineinzufinden, hoffte durch Freundlichkeit zuerst ihr Wohlwollen, dann vielleicht ihre Liebe zu gewinnen – wenigstens sagte er das dem Vater, – und beschloß jeden Falls an demselben Abend an dem er den Brief erhalten, eine Art Fest zu geben, wozu sämmtliche Bewohner der Ansiedlung eingeladen wurden, und was er dadurch zu einer Art Verlobungsfest zu stempeln gedachte.

Der Abend kam heran und das Gerichtshaus (ein leer stehendes und aus Stämmen roh aufgeführtes Gebäude, das in früherer Zeit einmal zu einer Gerichtssitzung gedient, und davon den Namen, und später auch noch das Versprechen erhalten hatte, bei nächster Gelegenheit zu einer Schule benutzt zu werden, jetzt aber nur zur Aufbewahrung des Mais diente), war zu dieser Begebenheit gar festlich und brillant hergerichtet. Viele Pfund Wachslichter – aus dem rohen gelben Wachs gegossen, wie es die Jäger den gefällten Bienenbäumen entnehmen – erleuchteten den ziemlich großen Raum, der Boden war von allen Maishülsen gereinigt und rings herum Bänke gestellt für die Damen, wie auch ein Tisch mit einem Stuhl oben darauf in die Ecke geschoben, auf dem der einzige Musikant – ein Violinspieler – seinen Sitz nehmen sollte. Kurz, es war Alles nur Mögliche angewandt, den Raum so behaglich als möglich zu machen, und wer am späten Abend die Fröhlichkeit der äußerst zahlreich versammelten Gäste gesehen hätte, wäre gewiß mit dem Resultat zufrieden gewesen.

Nur Betsy war traurig – sie dachte an ihren armen Ben, der jetzt wahrscheinlich draußen allein im Walde herumirrte, und wollte nicht Theil nehmen an Tanz und Lustbarkeit. Nur mit Mühe wurde sie in den Tanzsaal selber gebracht, dort aber wies sie jede Aufforderung auf das entschiedenste zurück, und blieb ruhig, dem fröhlichen Treiben zuschauend, auf ihrem gleich im Anfang eingenommenen Platz.

Benjamin Holik war aber nicht draußen im Wald, wie sein armes, hier in der lustigen Schaar nur um so viel betrübteres Liebchen in ihrem Schmerz geglaubt. Der alte Sutton hatte ihn sogar, wie sich das übrigens von selbst verstand, da man Niemanden ausschloß, noch besonders dazu eingeladen, Ben jedoch die Einladung abgelehnt.

In der Nähe mußte er aber doch weilen – geschäftige Freunde brachten ihm bald die Nachricht daß es ein Verlobungsfest sein werde, was man hier feiern wolle, und er gedachte erst doch noch einmal zu sehen, mit eignen leiblichen Augen zu sehen daß ihn Betsy – seine Betsy auch wirklich ganz und gar vergessen habe und dann – ei dann zog er nach Texas. – Onkel Sam warb gerade für den beginnenden Krieg, und solche Leute wie er war – Ben brauchte keinen Spiegel sich das selber zu sagen – fanden rasche und freudige Aufnahme im Dienst.

Scheu und furchtsam, daß ihn Niemand erkenne und seinen Schmerz errathe, umschlich er wohl eine Stunde lang das Haus und horchte den munteren, kreischenden Tönen der Violine. Näher hinan zu gehen daß er einen Blick hineinwerfen konnte, mochte er nicht. Da kamen endlich ein Paar seiner Bekannten aus dem Haus heraus, blieben vor der Thür stehen und schritten dann zusammen dicht an dem Orte vorüber wo sich Ben versteckt hielt, ihren Wohnungen zu.

Ben drückte sich, so gut das gehen wollte, hinter den Stamm eines dort stehenden Hickory und der Eine der Männer sagte, als sie eben dicht neben ihm waren:

»Betsy hat doch, so lange ich im Haus war, keinen Schritt getanzt.«

»Den ganzen Abend noch nicht, und hat es ein für alle Mal rund abgeschlagen, erwiederte der Andere – ich glaube noch nicht einmal daß sie ihn nimmt.«

»Ah, bah – sagte der Erste wieder – da müßte man die Mädchen nicht kennen – der hat Geld, und da –«

Die weiteren Worte wurden in der Entfernung unverständlich, aber was brauchte Ben auch noch weiter zu hören. Das letzte war schändliche Verleumdung.

»Noch keinen Schritt getanzt,« jubelte der junge Jäger in sich hinein – »also doch nicht falsch, doch nicht treulos, doch ihren Ben noch nicht vergessen – aber – was kann's Dir auch helfen armer Ben – Du hast doch kein Glück – Betsy ist doch für Dich verloren – und wenn sie Dich nicht vergessen könnte – ach dann wär's nur so viel schlimmer für sie – Besser für Dich selber aber nimmer und nimmer.«

Die Büchse, die er nicht weit von da in einem dichten Busch hineingestellt, hob er vom Boden auf, noch einen Blick nach dem hell erleuchteten Hause warf er zurück, und still und schweigend wanderte er den Fußpfad entlang dem nächsten Hügelrücken zu. – Es litt ihn – die Nacht wenigstens – nicht in der Ansiedlung, und er wollte draußen am Feuer schlafen.

Ein Platz war endlich an einer klaren Quelle, die hier dem felsigen Boden rein entquoll, bald gefunden, eine Flamme entzündet, und in die Decke gehüllt lag er, den Kopf auf einen untergeschobenen Stein gelegt, und schaute sinnend und ernst zu den freundlich auf ihn niederblitzenden Sternen empor.

Im Wald war es merkwürdig still, selbst die Frösche quakten nicht so toll und wild durcheinander, wie er das sonst wohl gehört, den leisen Schritt des Opossums, das zu nächtlichem Hühnerraub nach den bewohnten Ansiedlungen schlich, konnte er deutlich und bestimmt hören, und dort hinten – er hob den Kopf und lauschte einen Augenblick – wahrlich es war ein Wolf, der weit drüben auf dem scheidenden Gebirgsrücken sein klägliches Abendlied heulte.

»Winsle nur, Bestie!« murmelte er endlich und sank in seine frühere Stellung zurück, »winsle, aber bleib mir außer Schußnähe; auf Deines Gleichen und auf – noch Einen, hätt' ich besonders heut Abend Appetit.«

Eine halbe Stunde lag er wohl so noch, und suchte seine Gedanken wieder auf die früher durchträumten Pläne zu richten – es war aber nicht möglich – das immer näher und näher kommende Geheul des Wolfes lenkte seine Aufmerksamkeit immer wieder dort hin, und jetzt – alle Wetter, das war gar nicht so weit entfernt – antwortete eine andere Stimme aus einer hinter ihm liegenden Schlucht, wo auch, wie sich bald auswies, das ganze Rudel steckte.

Er sprang rasch von seinem Lager auf und griff nach der Büchse; der Mond stieg eben hinter den düstern Schatten der fernen Bergesketten hell und freundlich empor – die alte Jagdlust erwachte und verdrängte, für den Augenblick wenigstens, jeden anderen Gedanken.

Er befand sich auf einem äußerst günstigen, ziemlich offenen und vom Mond hell beschienenen Fleck und zwar gerade mitten zwischen dem Rudel und dem vereinzelten, jetzt zu diesem zurückkehrenden Wolf – das Feuer war niedergebrannt, und die noch glimmenden Kohlen schreckten die Bestien auch nicht ab, da fortwährend brennende Stämme im Wald liegen und Hirsch und Wolf daran gewöhnt sind Feuer auf ihrem Pfad zu finden. Ein vom Winde niedergeworfener Stamm der die Höhe hinunter, nach dem Thale zu lag, gewährte ihm dabei einen trefflichen Hinterhalt. –

»Wart Kannaille, murmelte er, griff seine Büchse auf und glitt hinter den Stamm – komm mir nur aus dem Busch vor, und freu' Dich dann auf Ben Holiks Kugel.«

Er hob sein Gewehr auf den Stamm, richtete die Mündung nach der Gegend zu, von der er den einzelnen Wolf erwartete, – denn das Rudel bleibt in solchem Fall gewöhnlich so lange auf dem einmal behaupteten Platz, bis der Vereinzelte dazu gestoßen ist – und harrte dann lange und geduldig – der Wolf wollte sich aber immer noch nicht sehen lassen.

Sollte die Bestie etwas gemerkt haben – aber der Wind war doch günstig. – Holik ließ seine Büchse auf dem Stamm liegen, hielt beide Hände trichterförmig an den Mund – und heulte kläglich. – Der Laut war täuschend ähnlich nachgeahmt, und schallte gar wehmüthig durch den düstern Wald.

Wenn aber auch keine Stimme von dort, wo der einzelne Wolf sein mußte, antwortete, so war Ben doch ein viel zu alter Jäger um nicht auf seiner Hut zu sein, oder sich durch Uebertreibung einen einmal gewonnenen Vortheil zu verderben. Leise griff er wieder nach der Büchse, blieb ruhig im Anschlag liegen, und erwartete das Resultat.

Das sollte auch nicht lange ausbleiben. – Der Wolf antwortete allerdings nicht mehr, aber nur weil er zu nahe war, und als Ben mit gespannter Aufmerksamkeit selbst dem leisesten, unbedeutendsten Geräusche lauschte, hörte er plötzlich im trocknen Laub der benachbarten Baumgruppe rasche, aber vorsichtige Schritte. – Trap, trap, trap, trap – und das Thier stand – noch einmal – es windete wieder. Hatte es vielleicht den Rauch in die Nase bekommen. Der Wolf betritt übrigens jedesmal vorsichtig einen freien Platz, weil er wahrscheinlich nicht allein Gefahr fürchtet, sondern auch vielleicht selber nach Beute ausschaut.

Ben konnte genau von wo er stand die Schritte hören, den Platz selbst aber noch nicht mit seinem Blick durchdringen, wagte deshalb auch nicht sich zu bewegen, weil er nicht wissen konnte ob des Raubthiers Augen nicht gerade in diesem Moment dorthin gerichtet waren, wo er lag. Heulen durfte er auch nicht wieder – die Entfernung mußte jedenfalls zu gering sein, als daß die scheue Bestie nicht den Betrug hätte merken und den falschen Rufer erkennen sollen. Es blieb ihm Nichts anderes übrig als jetzt ruhig und regungslos abzuwarten, bis das Thier in's Mondenlicht heraustreten würde.

Da wurde plötzlich hinter ihm – ein klein wenig nach rechts, das Rudel wieder laut und ein triumphirendes Lächeln zuckte über Ben's Antlitz – es machte aber auch eben so schnell einem Ausdruck peinlicher Spannung Platz, denn in dem nämlichen Moment schon trat der Wolf, der durch den letzten Lockton bestimmt schien, aus dem düstern Schatten vor, auf den freien, nur mit einzelnen Bäumen bewachsenen Raum.

Ben's Herz schlug fast hörbar, aber sein Arm lag fest wie Eisen – ruhig richtete er das todtbringende Rohr nach dem Feind und suchte mit dem scharfen Blick dessen dunkle Gestalt auf das Korn seiner Büchse zu bringen. Doch vergebens – in dem matten ungewissen Licht schmolz Korn und Ziel so ineinander daß er um's Leben nicht hätte genau bestimmen können wo die Kugel sitzen würde, und fehlen – nein das durfte er nicht.

Vorsichtig hob er den Lauf gegen den helleren Himmel, wo er das Korn deutlich gegen einen der funkelnden Sterne konnte abstechen sehen, legte sich dann fest in den Kolben, fuhr nieder, und so wie er die Gestalt des noch immer regungslos und jetzt seitwärts in's Thal schauenden Thieres voll im Korn hatte, berührte sein Finger den Drücker.

Der Schuß schmetterte dröhnend durch den Wald und Ben sprang blitzesschnell empor.

»Siehst Du, Kannaille, sagte er da, als er den dunkeln Körper regungslos im, vom Mondlicht hell beschienenen Laube liegen sah – siehst Du – ich habe Dir's prophezeiht. – Das ist doch wenigstens ein Trost, einem solchen herumschleichenden Schuft das Handwerk gelegt zu haben. Panther und Bären – ich wollte daß Gottes Strahl all das Lumpengesindel träfe, das so wie Du, Bestie, das Licht scheut, im Dunkeln herumschleicht und Unheil anrichtet, wohin es den Fuß gesetzt und seinen Athem gehaucht!«

Ben war bei den obigen Worten, die er mit fest zusammengebissenen Zähnen in den Bart murmelte, ruhig auf seinem Platz stehen geblieben und hatte, nach Jägerart, vor allen Dingen die Büchse wieder geladen, hob sie jetzt mit einem noch leise gemurmelten Fluch auf die Schulter, und schritt langsam der Stelle zu, wo der so glücklich erlegte Feind im Laube ausgestreckt lag.

Es war ein großer, kräftiger Wolf, kohlschwarz und nur mit dem einen kleinen herzförmigen weißen Fleck auf der Brust, der im Mondenlicht ordentlich zu glühen schien – die Kugel mußte ihm gerade durch den Kopf gefahren sein – er rührte und regte sich nicht.

»Ich habe ihn nicht einmal zucken sehen, sagte der Jäger leise, und bog sich zu ihm nieder, um nach dem Kugelloch zu fühlen. Ueber den ganzen Kopf strich er hinüber und herüber, dort war aber nichts, auch kein Schweiß – und die gegen das Mondenlicht gehaltene Hand weiß und rein. Wunderlicher Schuß! brummte der Jäger – ei zum Henker, 's ist einerlei wo die Kugel sitzt, wenn sie nur sitzt, und da ich den Schuft – Hallo! unterbrach er sich plötzlich – lebt der Bursche noch?«

Er stand mit gespannter Aufmerksamkeit die Büchse im Anschlag, jede Bewegung des Raubthiers beobachtend, und allerdings gab dies jetzt wieder Lebenszeichen von sich, warf einmal den Kopf auf, und schnellte sich dann auf dem linken Vorderlauf in die Höhe.

Ben hatte aber zu manches Stück Wild erlegt, als daß ihn diese Bewegung auch nur einen Augenblick länger über den Zustand des Wolfes in Zweifel lassen konnte. Im ersten Augenblick fuhr er allerdings noch einmal, und wie unwillkürlich mit der Büchse an den Backen – das war aber auch nur ein Moment – im nächsten warf er sie fort und sprang plötzlich in keckem Muth auf das, von der Minute an sich wieder ganz kräftig und rasend sträubende Thier.

»Hoho, mein Bursche! rief der junge Jägersmann dabei, und lachte mit wilder Freude in sich hinein, während er seinen Arm mit eiserner Gewalt um den wüthend dagegen ankämpfenden Körper des Wolfes schlang – hoho – einfach gecreast[2] – hahahaha – ja strample nur, strample nur Herz, der Falle entgehst Du nicht – wenn Du nicht im Stande wärst, aus der Haut zu rutschen.«

[2]: creasen nennt der amerikanische Jäger den Schuß über dem Rückgrate oder noch häufiger Hals eines Wildes, wenn die Kugel auf die oberen Halssehnen und Muskeln gedrückt hat, ohne sie zu durchschneiden, was das Thier augenblicklich zu Boden wirft, aber nur für den Moment betäubt, und nicht im mindesten beschädigt. Nach sehr kurzer Zeit erholt es sich gewöhnlich wieder, und wenn der Jäger dann nicht schnell mit Büchse oder Messer bei der Hand ist, springt es wieder auf und ist nicht selten weit aus dem Bereich der Kugel ehe der verblüffte Schütze, der sich seine schon sicher geglaubte Beute auf einmal wieder entgehen sieht, seine Sinne gesammelt hat. Die westlichen Indianer fangen auch mit diesem Schuß die wilden Pferde, wobei natürlich mehr erschossen als gefangen werden.

Das Thier, das nun sein volles Bewußtsein wieder erlangt hatte, schien jetzt erst zu begreifen in welcher höchst mißlichen Lage es sich eigentlich befinde und suchte mit aller ihm zu Gebote stehender Kraft um sich zu beißen, und durch Treten und Kratzen seine Freiheit wieder zu gewinnen. Doch vergebens, Ben hielt es wie in einem eisernen Schraubstock und drückte sich dabei so mit dem ganzen Gewichte seines schweren Körpers darauf, daß der arme also ertappte Wolf endlich und als auch seine Kräfte vollständig erschöpft waren, wenigstens für kurze Zeit ruhig liegen mußte.

Was aber nun thun? – den Wolf tödten? das wäre allerdings mit nur wenig Schwierigkeiten verknüpft gewesen, denn Ben trug sein haarscharfes Jagdmesser im Gürtel. Aber war nicht jetzt sein Ziel erreicht? – einen lebendigen, gesunden, unbeschädigten Wolf wollte er haben, und den hielt er in diesem Augenblick hier unter sich so fest als ob er ihn im Leben nicht wieder loslassen wollte. Doch wie ihn binden und festhalten? nicht einmal einen Lederriemen führte er bei sich, nichts als seinen Gürtel und wie hätte er es überhaupt wagen dürfen auch nur den Versuch zu machen? Ließ er dem Wolf nur ein wenig Luft so gab es nachher einen Kampf, in dem er ihn entweder ernstlich beschädigen, oder gar frei lassen mußte – das eine fast so schlimm wie das andere. Und das schwere Thier bis zur Ansiedlung tragen? – er hätte ohne den Wolf eine halbe Stunde gebraucht sie zu erreichen – viel weniger mit ihm – aber es blieb ihm weiter keine Wahl.

»Entweder oder,« murmelte er, »Du oder ich, Bursche, und so mag denn der Abend über mein Glück, über mein Unglück entscheiden. Zum Teufel auch, habe doch schon manchen starken Hirsch getragen, der noch einmal so schwer war wie der hier, und das blos um des elenden Wildprets wegen – werden mir heute die Kräfte nicht versagen, da es das Höchste – oder doch wenigstens einen Triumph über den schurkischen Feind gilt.«

Und mit dem raschen Entschluß nahm er seinen Halt fest um das, sich jetzt wieder mit rasender Wuth sträubende Thier, brachte den rechten Fuß unter sich, und stand, die Schulter gegen einen kleinen danebenstehenden Gumbaum stützend, langsam auf. Er hatte den Wolf mit dem Rücken gegen sich, mit dem linken Arm zwischen den beiden Vorderläufen durch gepackt, und den rechten Arm ihm fest um die Weichen geschlagen und hielt ihn so eng zusammengepreßt, daß er ihm mit seinen Zähnen gar nicht schädlich werden konnte.

Die Büchse mußte er natürlich zurücklassen, auch die Mütze war ihm bei dem Ringkampf entfallen, doch das hinderte ihn nicht; mit fest zusammengebissenen Zähnen und zum Aeußersten entschlossen, wanderte er seine wunderliche sich unaufhörlich sträubende Last im Arm, Schritt vor Schritt weiter – der fernen Ansiedlung zu.


Im alten Gerichtshaus herrschte indessen noch immer laute lärmende Fröhlichkeit, Bowle nach Bowle wohlschmeckenden süßen Stewes war gebraut, und der Raum endlich durch Kerzen, Trunk und Tanz so heiß geworden, daß man selbst das kleine, nach dem Holz hinausführende Fenster öffnete, um nur frische Luft herein zu bekommen.

Die Töne der Violine schwirrten immer rascher und gellender in Jigs und Hornpipes, die Füße der Tänzer klapperten immer behender auf dem schon blank gescharrten Boden; Metcamp war besonders ausgelassen lustig, er nannte die arme Betsy – die sich übrigens hartnäckig weigerte weder mit ihm noch einem der andern Gäste zu tanzen – nicht anders wie »sein süßes Bräutchen«, umarmte den alten Sutton ebenfalls zweimal als »Schwiegerpapa« und wußte seiner Ausgelassenheit gar keine Grenzen.

Eine kleine Unterbrechung hatte indessen stattgefunden; »Lord Howe's Hornpipe« war eben beendigt und einige Erfrischungen wurden herumgereicht. Betsy, die auf ihres Vaters Befehl die Bedienung überwachen mußte, saß unfern dem Eingang, nicht weit vom Schenktisch, und Metcamp, der sich dicht neben sie gestellt, flüsterte ihr eben einige fade Schmeicheleien in's Ohr, die ihr die zornige Röthe auf die Wangen trieben, als plötzlich Etwas mit gewaltigem Poltern von außen gegen die Thüre schlug.

»Hallo!« schrie der Bräutigam zusammenfahrend – das ist ein unhöfliches Anklopfen – »wer da?«

Die übrigen Gäste wandten sich Alle rasch und erstaunt nach dem Lärmen um, die einzige Antwort von dort her war aber ein erneutes, noch viel stärkeres Gepolter.

»Ei so hol' doch der Henker die Unverschämtheit!« rief da Metcamp; »ich will doch sehen –«

Rasch ergriff er den ledernen Riemen der an dem Drücker hing, riß daran und stieß die Thüre auf.

»Ha!« – Vor sich ein Paar stiere funkelnde, fast aus ihren Höhlen drängende Augen – ein weit aufgerissener Rachen mit blutiger, heraushängender Zunge und weißem fürchterlichen Gebiß – ein Wolfskopf wie ihn sich die Einbildung nur schrecklich und Entsetzen erregend ausmalen kann – hinter ihm aber, dicht über dem gräßlichen Rachen, das todtenbleiche, wildblickende Angesicht Ben Holik's, vom Schein der Kerzen geisterhaft beleuchtet.

»Der Wolf! – Der Wolf!« schrie da Metcamp nach einem, nur fast flüchtigen Blick auf die schauerliche Gruppe. – »Der Wolf!« und durch die hinzudrängenden Gäste brach er in wilder Hast sich Bahn, zum Fenster sprang er, und ehe nur noch irgend Jemand sein Vorhaben hätte errathen, oder ihn gar daran verhindern können, flog er mit scheuem Satz hinaus und in's Freie.

Die Hintenstehenden, die noch gar nicht sehen konnten was eigentlich die Ursache solch wunderbarer Behendigkeit gewesen, lachten; die nächst der Thüre aber fuhren ebenfalls, kaum minder als Metcamp selbst erschreckt, zurück, und starrten überrascht die wunderliche Gruppe an, aus der sie Ben Holik's todtenfahle Züge jetzt erkennen konnten.

»Die Glocke – die Glocke!« war aber Alles was der Jäger mit heiserer, nur den Nächsten verständlicher Stimme zu lallen vermochte – »die Glocke – ich kann – ich kann nicht mehr.«

»Heiliger Gott!« schrie da Betsy, die schon bei dem ersten Ausruf Metcamps entsetzt empor gesprungen war und ihren Augen kaum trauend, keines Wortes, keiner Bewegung mächtig, in das todtenbleiche, fürchterlich entstellte Antlitz des Geliebten gestarrt hatte, »heiliger, allmächtiger Gott! zu Hülfe – zu Hülfe!«

»Die Glocke! flehte aber nur Ben – Betsy die Glocke oder meine Arme erstarren.«

»Die Glocke? – was für eine Glocke?« fragten die Umstehenden wild durcheinander.

»Ha – die Wolfsglocke!« rief da das Mädchen – das Ganze ihr bis dahin Entsetzliche, jetzt rasch und froh begreifend – »die Wolfsglocke, nur noch einen Moment Ben – nur noch wenige Secunden und ich bin wieder da.«

Und rasch zur Thür hinaus, dicht an den klaffenden Fängen der Bestie vorbei – so dicht daß ihre Schulter die blutträufende Zunge fast berührte, glitt die Jungfrau flüchtigen Laufes in das dicht daneben gelegene Haus ihres Vaters, wo die Glocke noch in der Stube (unter der Büchse, wo er sie neulich bei seiner Zurückkunft hingethan) hing, hob sie schnell herunter und war in kaum einer Minute Zeit schon wieder zurück mit dem Verlangten.

Indessen hatten sich aber die Männer dort ebenfalls von ihrer ersten Ueberraschung erholt; der alte Sutton war zu ihnen getreten, und rasch begreifend um was es sich hier handle, wollte er Ben unterstützen und ihm den Wolf vielleicht abnehmen. Das gab aber der Jäger nicht zu, da er seiner wie des alten Mannes Sicherheit wegen nicht wagen durfte dem festen Halt, den er einmal an der Bestie hatte, zu entsagen. Kaum erschien aber Betsy mit der Glocke, so nahm sie ihr Sutton rasch aus der Hand, schlang den Riemen um des, jetzt wieder wie wüthend um sich beißenden Wolfes Hals, und schnallte ihn nicht zu fest, aber sicher genug, daß er nicht über den Kopf hinüberrutschen konnte, den Wolf jedoch auch nicht hinderte, oder gar würgte.

Was aber jetzt, nachdem dies geschehen war, thun? – wie die Bestie, da der Zweck erfüllt war, wieder loswerden? denn war es nicht möglich daß sie, in so gereiztem Zustand freigegeben, anstatt zu fliehen sich gerade gegen ihre Feinde wenden, und dort Unheil anrichten konnte, ja am Ende gar, um sie nur wieder los zu werden, doch noch getödtet werden mußte? Das Klingeln der Glocke beunruhigte den Gefangenen dabei immer mehr, seine Anstrengungen wurden wüthender, je mehr die Kräfte des armen Jägers nachließen. Zwar sprangen von vielen Seiten die Männer mit Stricken herbei und Einer machte sogar eine Schlinge, den Wolf daran zu hängen und ihm die Kehle zuzuschnüren bis er betäubt wäre und hinaus in den Wald geschafft werden könnte – das aber schienen viel zu gefährliche Experimente, denn geschah dem Thier dadurch ein Schaden, so war die ganze Anstrengung vergebens gewesen. Da rief Betsy, die in Todesangst um den Geliebten, die Hände fest gegen die Schläfe gepreßt, daneben gestanden und dem ganzen wirren Treiben zugeschaut, den tausend verworrenen Vorschlägen, wie sie gemacht und verworfen wurden, in namenloser Furcht gelauscht hatte, plötzlich aus:

»Trag ihn in den Garten, Ben, wo der Fluß die Biegung macht – dort ist die Uferbank eingestürzt, und da hinabgeworfen, kann er nur an's gegenüberliegende Ufer schwimmen!«

»Bei Gott das Mädchen hat Recht!« rief der alte Sutton, und Ben schritt schon um's Haus herum dem bezeichneten Orte zu. Die Fenz, die ihn noch von dem Garten trennte, wurde augenblicklich eingerissen, und wenige Secunden später stand der Wolfsjäger an dem schroffen Ufer das unten der vorbeischäumende kleine Bergstrom bespülte – Betsy hatte seinen Arm ergriffen und ihn geführt, daß er nicht etwa einen Schritt zu weit vorgehe und selber mit hinabstürze.

»Jetzt Ben! rief sie ihm zu, als sie ihn plötzlich zurückhielt, jetzt laß los!«

»Gott sei Dank!« murmelte Ben und während er noch die Arme öffnete glitt der dunkle Körper am nachgebenden Sande hinab und schlug plätschernd in die unten über ihm zusammenbrechende Fluth.

Jetzt kamen auch mehre mit rasch herbeigeholten Lichtern herbei und bei dem matten ungewissen Schein derselben konnten sie erkennen wie der schwarze Körper des befreiten Wolfes rasch und mit heftigem Stöhnen durch die Fluth strich. Als er aber drüben an's Ufer stieg klingelte die wackere Glocke laut und hell – er hatte sich schütteln wollen, erschrak jedoch so über den fremden Laut daß er rasch die Uferbank hinansprang, und noch eine lange Strecke durch den Wald hörten sie das gleichmäßige Anschlagen der Schelle, wie der Wolf in dem, diesen Thieren eigenen langen Galopp mit flüchtigen Sätzen nicht mehr den Feinden, die hatte er kaum gefürchtet, nein, diesem unerträglichen scharfen Lärm unter seiner Kehle, zu entfliehen suchte.

»Hahahaha!« brach endlich Ben, der jetzt lachend seine halb erstarrten Arme schwenkte, das athemlose Schweigen mit dem die Männer den immer mehr verschwimmenden Tönen der Glocke gelauscht hatten – »er hat sie – beim ewigen Gott, er hat sie – so – das soll mir der Mr. Metcamp einmal nachmachen!«

Metcamp? ja wo war denn Metcamp die ganze Zeit eigentlich – das weiß der Himmel, am Washita hat ihn wenigstens kein sterbliches Auge mehr gesehen, sein Fenstersprung konnte nicht bezweifelt werden, denn Zeugen gab es dafür genug, und vom Fenster aus ließ sich die Spur noch weit hinaus in den Wald, aber immer dem Arkansas zu, verfolgen, sein ganzes Gepäck aber, ja selbst seinen Hut ließ er, ohne auch nur einmal darum zu schreiben, in der Ansiedlung zurück und Ben hatte gewiß recht als er meinte – »den habe nur sein böses Gewissen aus den Bergen getrieben.«

Und was wurde aus Betsy? –

Ich will dem Leser die weitläufige Auseinandersetzung ersparen und ihm nur mit kurzen Worten einzelne Thatsachen mittheilen aus denen seine Einbildungskraft dann leicht den weitern Verfolg der Sache, viel besser als ich ihm das selber klar machen könnte, herausfinden wird.

Mr. Metcamp war wirklich flüchtigen Fußes förmlich davon gelaufen, der Brief aber, den er zu der Zeit am Washita erhalten hatte, mußte jedenfalls gefälscht gewesen sein, denn noch in demselben Monat hörten sie von einem Reisenden daß Metcamps Onkel, etwa vier Wochen vorher ehe dieser zum Washita gegangen, total bankerott gemacht habe und der vermeintliche Erbe noch schlimmer als ein Bettler sei, da er sogar rasend in Schulden stecke. Die reiche Farmerstochter hatte er dabei leicht zu gewinnen geglaubt, und auch natürlich alles Mögliche gethan, seinem, ihm allerdings gefährlichen Nebenbuhler den Besitz des Mädchens unmöglich zu machen.

Daß er es gewesen der damals den gefangenen Wolf befreit, ließ sich ebenfalls immer weniger verkennen, wenigstens sprach man die Ansicht kurze Zeit darauf ganz offen in der Ansiedlung aus; und daß sich der alte Sutton nach alle dem Vorangegangenen schämte, den beabsichtigten Schwiegersohn aus der Stadt auch nur noch einmal zu erwähnen, versteht sich wohl von selbst.

Es sind jetzt seit der Zeit zehn volle Jahre verflossen, und Farmer Sutton schläft in seinem eigenen Garten still und ruhig unter dem grünen blumigen Rasen, Ben Holik aber hat das unstäte Jägerleben aufgegeben, ist ein ordentlicher Farmer worden und lebt mit seinem lieben Weib, seiner Betsy, und den drei Jungen und zwei Mädchen die sie ihm in ihrer neunjährigen Ehe geboren, so glücklich und zufrieden, wie nur ein Mensch in der weiten Gotteswelt leben kann. Seine Heerden haben sich dabei ungemein vermehrt, denn die Wölfe trieb der mit der Glocke Behangene richtig hinaus aus der ganzen Nachbarschaft, und seine Felder hat er ebenfalls um viele fruchtbare Aecker erweitert; dort aber, wo er den Wolf damals lebendig gefangen, baute er sich auf der luftigen Bergkuppe ein kleines Haus und nannte es, zum Gedächtniß jenes glücklichen Abends – die Wolfsglocke.

Die Ahnung.
Nach einer wahren Begebenheit.

Draußen über die Haide tobte und wetterte der Sturm, heulte durch die blattlosen Baumwipfel der Eichen, und zischte und flüsterte in den dichten Nadeln des benachbarten Schwarzholzes. Der Mond war hinter schweren Wolken verschwunden, trüb und düster lag die Nacht auf der Erde und der Orkan, der sich von den Geistern der Luft die tollen Weisen aufspielen ließ, raste mit der Windsbraut über den weiten Plan, durch Bergesschlucht und einsames Thal, und über die starren, drohenden Felsenkämme der trotzig ihm die Stirn bietenden Gebirgsrücken hin.

So, draußen im Freien – aber fast noch tolleres Spiel trieb er um die Wohnungen der schüchtern zusammengedrängten Menschen. Hui! – wie das um die Giebel pfiff und splitterte, wie die Windfahne auf dem alten Pastorhause kreischte und knarrte, daß selbst der hoch und altergrau daneben aufstarrende Schornstein den Lärmen endlich satt bekam, und bald links in den dunkeln Hof, bald rechts in den feuchten Garten hinunter sah, als ob er nur noch nicht recht wisse, in welchen von beiden er zuerst kopfüber hinein springen solle. Wie's an den alten morschen Fensterrahmen riß und klapperte, und seine Kraft an den breitästigen Birn- und Aepfelbäumen versuchte, die schon so lange Jahre dem Sturme getrotzt und sich jetzt, bei den erneuten Angriffen, nur noch immer fester und hartnäckiger mit den weitgespreizten Wurzeln in die Erde hineinklammerten.

Viele viele Stunden lang trieb er's so, und vergebens hatten die wetterschwangeren Wolken schon oft versucht, sich in einzelnen Fluthengüssen zu erleichtern, wie es wohl ein bedrängtes Schiff thut, das seinen Ballast über Bord wirft, die leewärts drohende Küste zu verlassen; der wachsende Orkan schleuderte ihnen stets neue wasserschwere Nebelberge entgegen, und jagte die zürnenden wild und toll durch einander in entsetzlicher Fröhlichkeit.

Bei solchem Wetter, wo die Natur in ihrer ganzen großartigen Furchtbarkeit ersteht, drängen sich die armen schwachen Menschenkinder am liebsten in freundlicher Traulichkeit zusammen, und von sicheren Wänden geschützt, unter Dach und Fach, dem brausenden Nord wie dem kalten Regen entzogen, lauschen sie nur manchmal in ängstlicher Stille zum Fenster hinüber, wenn der Sturm einen neuen Akord in seine dröhnende Aeolsharfe greift, und das feste Gebäude vielleicht vor dem markdurchschauernden Ton bis in seine innerste Tiefe hinein erbeben macht.

So still und traulich war's auch im kleinen behaglichen Studirzimmerchen des wackern Pastor Barrenkamp, der mit seiner Frau, dem Schulmeister, einem Universitätsfreund des Pastors, und dem Rittergutsverwalter, einem alten wettergebräunten Oekonomen, um den schweren eichenen Tisch saß und bei einer guten Tasse Warmbier das Unwetter draußen so wenig als möglich zu beachten schien. Nur manchmal, wenn der Wind die Backen ein bischen gar zu voll genommen und irgend ein krachender Stamm des dicht an den Garten grenzenden Waldes seine gewaltige Kraft verrieth, stand Barrenkamp wohl auf, ging an's Fenster, schob den Vorhang zurück, nahm die Pfeife einen Augenblick aus dem Munde, und schaute, das schwarze Sammetkäppchen fest an die kalte behauchte Scheibe gedrückt, in die rabenfinstere Nacht hinaus.

Es war während einer solchen Pause, denn das Gespräch stockte in dem Fall gewöhnlich auf einige Minuten und die kleine Gesellschaft horchte ebenfalls nach dem Kampf der aufgeregten Elemente hinüber, als der Verwalter langsam seine ausgetrunkene Tasse niedersetzte und mit leiser, fast ängstlicher Stimme sagte:

»Sie haben ganz recht gethan, Frau Pastorin, daß Sie sich heute einmal ausnahmsweise in des Herrn Pastors warmgelegenes Studirstübchen geflüchtet; da drüben in der großen Eckstube muß bei solchem Sturme ein keineswegs freundlicher Aufenthalt sein – draußen freilich ist's noch schlimmer; der Wind pfeift sich ordentlich sein Stückchen und es kommt Einem wahrhaftig manchmal sogar vor, als ob man einzelne Worte und Redensarten verstände – möchte heute nicht über den Kirchhof gehen.«

»Nicht über den Kirchhof?« wiederholte, sich lächelnd nach ihm umwendend, der Pastor, »Sie fürchten sich doch nicht etwa, Verwalterchen? ei, ei, ein Mann in Ihren Jahren –«

»Mein bester Herr Pastor,« meinte der Verwalter und rückte auf seinem Stuhl hin und her, »von fürchten kann bei mir wohl keine Rede sein, ich bin kein böser Mensch und – glaube nicht an Gespenster, wovor sollte ich mich also fürchten, aber –«

»Aber« lachte die Hausfrau und schaute mit einem schelmischen Blicke zu ihm auf, – »aber? der Herr Verwalter lassen sich noch eine Hinterthür offen.«

»Ei, ich meinte nur was das Kirchhofgehen betraf,« erwiederte gutmüthig der alte Mann, – »ich weiß ebensowohl wie jeder Andere, daß die Todten sanft da unten, unter ihrer warmen Decke ruhen, und Nachts nicht wieder herauf kommen werden, um sich auf die kalten Hügel zu setzen und hinter den weißen Steinen Versteckens zu spielen, aber ich vermeide auch gern jede unnütze Aufregung, die mir nachher immer nur Kopfschmerz und Unwohlsein verursacht. – Es hat etwas Unbehagliches für mich, mir in dem schwachen Dämmerlicht aus wehenden Trauerweiden und Büschen, die bleiche Steine halb überdecken, Gestalten mit weißen Gewändern und ringenden Händen heraus zu finden, und ich mag mich nicht in einem fort umsehen, weil ich jeden Augenblick darauf schwören wollte, es käme Jemand hinter mir drein. Ebenso ungern, und aus eben dem Grunde, sitze ich Abends allein in einem Zimmer und mit dem Rücken einer Thüre zugedreht, die halb offen oder angelehnt ist. Ich weiß dabei recht gut, daß sich Niemand im andern Zimmer befindet, also auch Niemand von da zu mir herein kann, und dennoch läßt es mir, wunderlicher Weise, keine Ruhe; ich muß mich entweder herumsetzen, oder die Thüre schließen.«

»Sie haben eine lebhafte Einbildungskraft, und die gaukelt Ihnen da allerlei seltsame Dinge vor,« fiel hier die Pastorin ein, »Sie denken sich in dem Augenblick vielleicht etwas recht Entsetzliches oder Graußliches, und das stört, wenn es auch nicht wirklich eintreffen kann, doch für kurze Zeit Ihre sonstige Ruhe.«

»Ih nun, mit der Einbildungskraft dürfen wir am Ende so etwas nicht einmal alleine entschuldigen,« meinte kopfschüttelnd der Schulmeister, »Einbildungskraft schreiben wir doch sonst schon einem ausgebildeteren Geiste zu und dasselbe Gefühl, das Ihnen der Herr Verwalter vorhin geschildert, finden Sie nicht selten bei dem geringsten Drescher, der sein Hirn den ganzen Tag über mit nichts weniger martert, als mit Gedanken und Ideen. Ich habe mir nach meiner schlichten Weise die Sache immer so versucht auszulegen: etwas Uebernatürliches giebt's doch, das können und dürfen wir nicht leugnen, wo das nun – uns versteht sich unbewußt, weil unsere Sinne zu grob und rauh sind es zu verstehen und zu erkennen – in unsere Nähe kommt, da läuft uns, wir wissen selbst nicht weshalb, eine sogenannte Gänsehaut über den ganzen Leib. Daher kommt auch wahrscheinlich die Sage von den Ahnungen, denn was ich meine, ist eben nichts weiter als eine Ahnung überirdischer Kräfte.«

»Die wir auch um Gotteswillen nicht ableugnen wollen,« sagte die Pastorin und wurde auf einmal ganz still und ernst, »ich dächte wir hätten davon ein Beispiel in unsrer eignen Familie.«

»In Ihrer eignen Familie?« frug der Verwalter rasch.

»Meine Frau bildet sich's wenigstens ein,« meinte der Pastor kopfschüttelnd; »die Sache klingt freilich ganz abenteuerlich, hat aber sicher eine sehr natürliche Lösung.«

»Die aber bis jetzt noch kein Mensch gefunden hat,« flüsterte die Frau; »es ist meiner eignen Mutter widerfahren, und ich habe es nicht allein aus ihrem Munde, sondern auch die Bestätigung, wenn es deren überhaupt bedurft hätte, oft von meiner Tante gehört, die als Kind dabei gewesen war, und sich der einzelnen Umstände noch recht gut erinnerte.«

»Und wären Sie wohl so freundlich, uns die Geschichte mitzutheilen?« frug der Verwalter und rückte seinen Stuhl etwas näher zum Tisch; »es wäre möglich, daß ich durch etwas Aehnliches die Existenz solcher Ahnungen ebenfalls zu bekräftigen vermöchte.«

»Die Sache ist einfach genug,« erzählte die Pastorin; »wir waren unser drei Geschwister, ich, ein älterer Bruder und noch eine jüngere Schwester, und die Großmutter vor etwa acht Wochen gestorben, als meine Mutter, die sich allerdings damals noch in einem sehr aufgeregten Zustande befand, träumte, sie schaute am hellen Nachmittag aus dem Fenster. Da ging die Hofthür auf und herein kam, in demselben Kleide wie sie im Sarg gelegen, ihre Mutter, schritt langsam durch den ganzen Hof und stieg dann die Leiter hinauf, die zu dem Heuboden führte.

»Wie man nun so im Traume ist, so scheint auch meine Mutter gar nichts Außerordentliches in dem Wiederkommen der Todten gesehen zu haben, nur daß diese, was sie im Leben nie gethan, auf den Heuboden stieg, fiel ihr auf. Trotzdem sprach sie kein Wort und die Mutter kam denn auch bald wieder zurück und hatte ein Heubündel unter dem Arm. Damit stieg sie die halbe Leiter hinunter, blieb plötzlich stehen, drehte dann wieder um und holte sich noch ein zweites.

»Ei um Gott, Mutter,« rief die Träumende da, und streckte die Arme nach ihr aus, »ist denn das eine nicht genug?«

»Ja, sagte die Todte und stieg langsam nieder, ich bringe Dir das andere wieder zurück« – und aus der Hofthür verschwand sie, wie sie gekommen.

»Mein damals etwa vierzehnjähriger Bruder war ein ausgezeichneter Harfenspieler, und übte sich besonders in jener Zeit Tag und Nacht; um es zu noch immer größerer Fertigkeit zu bringen, hatte er sich aber wohl darin übernommen, oder lag der Keim der Krankheit schon in ihm, kurz, wenige Tage nach diesem Traume wurde er, sonst ein kräftiger, gesunder Knabe, krank, und sah sich bald durch das hitzigste Nervenfieber auf sein Lager geworfen. Fünf Tage später legte ich mich ebenfalls mit demselben Uebel, mein Bruder aber starb am neunten Tage, und in dem Augenblicke, wo er im Todeszucken lag, rissen plötzlich alle Saiten seiner Harfe. – Mich brachte die Großmutter wieder – ich genas nach kurzer Zeit.«

»Die Harfe hat hinter dem Ofen gestanden,« brach der Pastor rasch eine feierliche Pause; »das Gestell kann sich gezogen haben und da mußten wohl die Saiten mit einem Male springen.«

»Die Erklärung mag wohl ganz gut und natürlich klingen,« sagte der Schulmeister endlich, »ich sehe aber wirklich nicht ein, weshalb wir uns Alles natürlich erklären müssen – Du lieber Gott, unser Aller Leben ist so arm, so entsetzlich arm an jeder Poesie, daß ich denken sollte es hätte sogar etwas Wohlthuendes, einmal einen Gegenstand zu finden, den man nicht recht begreifen kann. Ich weiß mich noch recht gut daran zu erinnern, wie ich als Kind fest und heilig glaubte der Storch bringe die Kleinen, und das Christkindchen die schönen Sachen zu Weihnachten; wie ich mich vor dem Knecht Ruprecht fürchtete und die heiligen drei Könige ehrfurchtsvoll anstaunte – und einmal im Theater – der Abend wird mir unvergeßlich bleiben, da sah ich ein Stück, das hieß die Kreuzfahrer, und etwas derartiges war mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Ich weinte und lachte den ganzen Abend und träumte ein volles Jahr von weiter nichts, als tapfern edeln Rittern, braven Türken, unglücklichen Türkenmädchen und bösen Aebtissinnen. Das Stück übte auch merkwürdiger Weise einen ganz eigenthümlichen Einfluß auf mein künftiges Leben aus; ich schwärmte für die altadeligen Geschlechter der tapfern Ritter, und bekam einen ordentlichen Haß auf die katholische Religion, die den Mißbrauch der Klöster dulden konnte.«

»Jetzt ist das ganz, ganz anders geworden – ich halte die Störche für sehr gewöhnliche Zugvögel, die von Fröschen und anderem Zeug leben, und sich keineswegs mit Kindertransport beschäftigen – den sogenannten heiligen Christ habe ich diverse Male selbst machen müssen, und deshalb gegründete Ursache an seiner Heiligkeit zu zweifeln; ebenso den Knecht Ruprecht, wobei ich gleichzeitig und höchst trauriger Weise allen Respekt selbst vor den heiligen drei Königen verloren; und was das Theater anbetrifft, so gaben sie, als ich im vorigen Jahre zum letzten Male in Hamburg war, dort zufällig dasselbe Stück und die Erinnerung an meine Kindheit trieb mich hinein. – Ich wollte, ich wäre nicht gegangen, denn als ich wieder heraus kam, – und ich sollte mich eigentlich schämen es zu gestehen – habe ich großer erwachsener Kerl geweint, bittere, große Thränen geweint, und weshalb? weil ich durch meine Neugierde ein kleines Heiligthum muthwillig zerstört hatte, das mein Herz seit seiner Jugendzeit in seiner innersten Zelle still und heilig genährt – weil ich das muthwillig und mit roher Hand jetzt von mir gerissen sah, was mich so viele, viele Jahre mit froher geheimnißvoller Lust erfüllt. Die hohen schattigen Palmen, die mir bis dahin noch immer vorgeschwebt, schrumpften zu Pappdeckeln mit hölzernen Stützen zusammen, – jener Zweikampf, an den ich oft mit stillem Schauder zurückgedacht, wurde zu einem gewöhnlichen Hämmern auf Blechschilde, – der alte ehrwürdige Emir – in der einen Scene fiel ihm der Bart ab, und das ganze Publikum lachte, während mir die Thränen in die Augen traten – die fürchterliche Aebtissin – war die Frau meines freundlichen Wirths, eine treffliche brave Seele, die sich noch an demselben Nachmittag erst so theilnehmend erkundigt hatte, wie es all' den Meinigen zu Hause ging – die Frau konnte unmöglich ein Bösewicht sein; und nun erst die Knappen und Ritter, die früher einen solchen Eindruck auf mich gemacht, – wie hölzern sie dastanden und wie ungelenk – ach, mein schöner Jugendtraum, wie bös, wie häßlich war der zerstört worden, und wie viel besser wäre es gewesen, wenn ich keine natürliche Erklärung für all den süßen Zauber gefunden hätte!«

»Es läßt sich auch nicht Alles natürlich erklären,« sagte der Verwalter ernst und stopfte sich dabei langsam den hohen Maserkopf mit dem vor ihm liegenden Tabak – »und wenn man's noch so gern erklären möchte und wollte. Ich selbst habe zum Beispiel etwas erlebt, was so wunderbar und märchenhaft klingt, daß ich es selten erzähle – es glaubt mir's Niemand, und es thut mir nachher weh wenn etwas bespöttelt wird, das – heiliger Gott, wie das wieder rast und tobt, man sollte glauben, es schüttelte die alte Erde aus den Achsen – das mir selbst so allgewaltig in's Leben gegriffen hat.«

»Sie scheinen mich für einen total Ungläubigen zu halten, lieber Verwalter, sagte der Pastor freundlich, darin thun Sie mir aber Unrecht, – das vertrüge sich auch nicht einmal mit meiner Stellung, mit meiner Religion. Auch von Gott ward uns ja weiter nichts, als in sinnbildlichen Uebertragungen eine Ahnung seines Wesens, und was Anderes als Ahnung einer höhern Welt ist es, wenn uns bei frommen, erhebenden Choralgesang die Seele in süßer unbegriffener Lust zusammenschauert. Ich glaube an Ahnungen, möchte sie aber nur von den gewöhnlichen Vorbedeutungen geschieden sehen.«

»Vorbedeutungen – Ahnungen!« – sagte der Verwalter kopfschüttelnd, und hielt dabei den brennenden Fidibus auf die Pfeife, ohne jedoch den Blick zu erheben, der sich von da an fest und unbeweglich in die eine Zimmerecke heftete, »das sind am Ende nur immer verschiedene Worte für ein und dieselbe Bedeutung – doch zu meiner Erzählung, aus der sich Jeder seinen Schluß selber ziehen mag, denn ich selbst kann nichts weiter als die Thatsachen geben. Es war nach dem letzten Kriege; – mein Bruder Carl, ein tüchtiger, stattlicher Bursche, hatte sich auch anwerben und später nie wieder etwas von sich hören lassen. Bei Leipzig wollten sie ihn zuletzt gesehen haben; bis dahin dienten wenigstens Landleute aus demselben Ort, in dem nämlichen Regiment mit ihm, und er ließ mich auch einmal in einem von den Briefen grüßen. Nachher blieb er verschollen und zehn Jahre, die ebenfalls verflossen ohne daß ich die mindeste Nachricht erhielt, nahmen mir endlich den letzten Zweifel, daß er in jener blutigen Schlacht gefallen.«

»Nach dieser Zeit, und als der Friede schon lange wieder seine segensreichen Früchte getragen, verwaltete ich in der Nähe von Grimma, eine kurze Strecke von Leipzig entfernt, ein Gut, schaffte im Juni meine Wolle in die Stadt, zum dort gehaltenen Markte, verkaufte sie, und schickte, weil ich noch bei Thräna einen Freund besuchen wollte, den Wagen von dort aus allein voraus. Dort kam das Gespräch, ich weiß jetzt selbst eigentlich nicht mehr recht wie, auf die frühere Kriegszeit und auf unsere gefallenen Freunde und Brüder, wobei ich äußerte, wie schmerzlich es doch für die Hinterbliebenen sein müsse, nicht einmal zu wissen wo die geliebten Todten begraben lägen und ob sie überhaupt ein ehrliches Soldatengrab bekommen hätten.«

»Du lieber Gott,« meinte hierauf mein Freund, der dortige Förster, »da ist wohl Mancher Wochen lang im lieben Walde liegen geblieben, oder, was noch schlimmer ist, mit der ganzen Masse in eine große Grube geworfen, und wie Viele wurden noch vorher von den Kosaken und – anderem Volk – geplündert und gemißhandelt – ich sage Dir, Bernhard, ich habe da schauerliche Dinge mit angesehen. Ich erinnere mich noch an einen armen Teufel, dem hatten sie drei Kugeln in die Brust geschossen und er lebte immer noch. Von den Unsern waren dabei Leute hinausgeschickt die Gebliebenen aus dem Wege zu schaffen und in ein Loch zu werfen; die, aber natürlich bei denen sie noch Leben fanden, die legten sie bei Seite bis sie fertig waren, und dann konnten sie gewöhnlich bei denen wieder von vorn anfangen. Der Verwundete nun, der unter einer Eiche lag, streckte die Hand nach mir aus, und bat mich ihm zu helfen – lieber Gott, was konnte ich für ihn thun – die Zunge klebte ihm schon am Gaumen und er brachte kein Wort mehr über die Lippen; selbst einen Trunk Wasser den ich ihm reichte vermochte er nicht mehr hinunterzuschlucken. Während ich ihn noch im Arme hielt, holte er seinen letzten Athemzug, und als ich ihm die Uniform aufriß, nach seiner Wunde zu sehen, fiel er, eine Leiche, zurück. Auf der bloßen Brust fand ich aber einen Ring, den ich zum Andenken mitnahm und den armen Teufel dafür draußen am Waldesrand, etwa eine Stunde von hier, und nicht weit von dort, wo jetzt der Fußpfad in die große Straße einläuft, warm und weich in die Erde bettete.«

»So lautete seine Erzählung, und er wollte mir den Ring, noch ehe ich fortging, zeigen, bald nachher kamen wir aber auf ein anderes Gespräch und vergaßen ihn. Gegen Abend endlich – denn ich hatte nun noch volle drei Stunden zu marschiren und der Mond ging etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang auf – nahm ich Abschied von meinem Freunde und machte mich, nachdem er mir einen nähern Pfad durchs Holz gezeigt, auf den Heimweg.«

»Die Sonne sank eben hinter den Wipfeln nieder als ich ausmarschirte, und im Walde dämmerte es schon; meinen Pfad konnte ich aber nichtsdestoweniger deutlich genug erkennen, und schritt rüstig darauf vorwärts, bis ich von fern das hellere Licht des offenen Feldes durch die Bäume schimmern sah; – bald darauf erreichte ich die äußerste Grenze des Waldes und vor mir, vielleicht noch eine Viertelstunde entfernt, lief die Chaussee, die sich ganz genau an den Pappeln unterscheiden ließ. Ich überflog die ausgedehnte Fläche mit meinem Blick, um nach den nächsten Thürmen genau die Stelle bestimmen zu können, wo ich mich eigentlich befand, als ich in gar nicht großer Entfernung und mitten auf einer kleinen feuchten Wiese einen einzelnen Menschen, und als ich näher hinsah, einen Soldaten erkannte, der hier allem Anschein nach und mit dem Gewehr im Arme, Schildwache stand.«

»Was um des Himmels willen, dachte ich so bei mir selber, macht nur der einzelne Posten hier mitten auf dem Felde – die Früchte sind doch noch nicht reif, und der Klee – hm, das muß ein Forstschutz sein, – hat sich aber einen sonderbaren Platz dazu gewählt.«

»Der Mann stand still und regungslos und ich blieb ebenfalls einen Augenblick stehen und schaute nach ihm hinüber – er rührte sich nicht, und die Uniform fiel mir jetzt auf, die er trug. So viel ich in der immer zunehmenden Dämmerung erkennen konnte, gehörte sie keineswegs nach Sachsen, war auf jeden Fall von der sehr verschieden, die ich sonst zum Forstschutz verwendet gesehen, und der Tschacko – ein Schauer lief mir unwillkürlich über den Leib, als ich zu dem Gesicht des Posten aufschaute – der Tschacko saß in der richtigen Entfernung zu dem Kopf, aber der Kopf? – das matte Licht mußte mich jedenfalls täuschen, denn gerade wo ich stand, konnte ich deutlich durch die Stelle durch, wo doch sein Gesicht hätte sein müssen, das dahinter durchschimmernde Grün der Wiese erkennen.«

»Lächerlich, murmelte ich aber leise vor mich hin, – daher entstehen so viele Geister- und Gespenstergeschichten, daß uns irgend ein ungewisser Lichtschein oder eine Brechung der Strahlen, ja vielleicht der aufsteigende feuchte Dunst der Erde, wunderliche Geschichten vorspiegelt, die sich nachher, wenn man näher hinzugeht, auf die natürlichste Art von der Welt erklären. Wäre jetzt an meiner Stelle irgend ein furchtsamer Bauerjunge den Weg gekommen, und sein Blick dorthin gefallen, wer weiß, ob er nicht in voller Angst und vor lauter Entsetzen die Flucht ergriffen und daheim dann erzählt und beschworen hätte, er habe auf dem frühern Schlachtfelde einen fremden Soldaten ohne Kopf Schildwache stehen sehen – ich muß nur näher hingehen und mich selber davon überzeugen –«

»Gerade dort wo ich mich befand, lief ein nicht tiefer Graben am Rand der Holzung hin, den ich vorher überspringen mußte, er war übrigens schmal und auf der andern Seite desselben führte ein grüner Rain in ziemlich genauer Richtung der Stelle zu, wo die wunderliche Wache stand. Ohne weiteres Ueberlegen – denn ich ging nicht einmal viel um, da ich von dort aus die Chaussee eben so rasch erreichen konnte – schritt ich jetzt auf den Mann zu und hielt dabei, des Wegs nicht weiter achtend, den Blick fest und unverwandt auf seine, dunkel gegen das lichter dahinter liegende Grün abstechende Gestalt geheftet. Das Bandelier zog sich ihm, wie ich deutlich erkennen konnte, weiß und hell über die Brust und jetzt kam es mir auch vor, als ob die Umrisse seines Kopfes, ja seine Gesichtszüge klarer und deutlicher hervorträten.«

»Guten Abend, Kamerad! sagte ich endlich, als ich schon in mehr als Rufes Nähe von ihm war – ist ein kühler Posten hier, und abgelegen vom Wald; – weshalb so spät noch draußen? – wird der Holzdiebstahl hier so arg getrieben?«

»Der Soldat antwortete nicht, und ich hätte darauf schwören wollen, er sei noch vor wenigen Sekunden mitten in der kleinen Wiese gewesen, auf der ich mich jetzt befand, und nun stand er doch, wie sich gar nicht verkennen ließ, in dem benachbarten Sturze, und ein gutes Stück weiter von mir entfernt. Wieder überkam mich jenes eigenthümliche fröstelnde Gefühl, über das ich mir keine Rechenschaft zu geben wußte, doch war ich entschlossen, den wunderlichen Soldaten zum Antworten zu bringen, und ging jetzt mit noch schnelleren Schritten als vorher auf ihn zu.«

»Sie glauben mir vielleicht nicht wenn ich es Ihnen sage, aber dennoch kann ich Sie heilig versichern, daß ich nicht im Stande war den Schattenmann zu erreichen – deutlich genug sah ich ihn vor mir, und wenn er auch kein Glied regte, weder Fuß noch Arm, dennoch rückte er aus einem Feld in's andere und es blieb mir zuletzt gar kein Zweifel mehr, daß ich es mit einem keineswegs körperlichen Wesen zu thun hatte.«

»Und konnte das ein Gebild meiner erregten Phantasie sein? – war es möglich, daß ich die Conturen der jetzt, trotz der Dämmerung immer noch genau erkennbaren Gestalt nur träume oder denke? Ich blieb plötzlich stehen und hielt den Blick fest und unverwandt auf die Figur geheftet. Da verschwammen die Umrisse mehr und mehr mit dem, jetzt dunkel dahinter lagernden Feld – zuerst verschwand der Tschacko – die Uniform – ich sah nur noch das blitzende Gewehr, das Bandelier, die helleren Beinkleider – auch diese wurden immer undeutlicher – das Alles zog sich wie ein leichter, wehender Nebel in den feuchten Grund – der Körper, wenn es überhaupt ein Körper gewesen, lief flüssig, in luftigen Hauchen aus einander, und zuletzt war gar nichts mehr zu erkennen. – Doch nein, das weiße Bandelier stach noch immer scharf und klar gegen den düstern Hintergrund ab – ich konnte deutlich die Kappe sehen, in der das Seitengewehr hing. – War denn auch das Täuschung? – wenigstens davon wollte ich mich noch überzeugen, denn wenn ich auch unbeweglich wohl zehn Minuten auf meiner Stelle stehen blieb, der Schein des Bandeliers regte sich ebenso wenig, und hing, wie es fast aussah, von einer unsichtbaren Gewalt getragen, in der Luft.«

»Je näher ich kam, desto deutlicher ließ es sich unterscheiden, und schon stand ich, kaum noch fünf Schritt davon entfernt, als ich –«

»Herr Gott – was war das?« rief die Frau plötzlich und fuhr erschreckt auf – der Verwalter schwieg und selbst der Pastor warf einen flüchtig scheuen Blick im Zimmer umher.

»Was hast Du denn?« sagte er dann und versuchte zu lächeln, – »Du jagst Einem ja ordentlich Schreck ein.«

»Hörtest Du nichts? sagte die Frau und sah leichenblaß aus, – mir war es, als ob Jemand um Hülfe schrie –«

»Die erregte Einbildungskraft,« beruhigte sie der Schulmeister, »wir haben Alle ein gutes Gehör, Frau Pastorin, verlassen Sie sich darauf, hätte wirklich Jemand gerufen, es wäre uns nicht entgangen – die Erzählung hat Ihre Nerven aufgereizt, das unbedeutendste Geräusch erschreckt uns dann; – bitte, Herr Verwalter, fahren Sie fort.«

Der Pastor war aufgestanden und wischte mit seinem Taschentuch den Hauch von dem Fenster, um hinaussehen zu können; bei dem augenblicklichen Schweigen hörten sie, wie der Regen polternd gegen die Scheiben klapperte, und draußen auf dem gepflasterten Hofe laut und klatschend aufschlug. Der Verwalter, welcher während der ganzen Unterbrechung – die übrigens nicht so lange gedauert als ich hier gebraucht sie zu beschreiben – seine Stellung kaum so weit verändert, daß er bei dem ersten Ruf den Kopf etwas erhob, jetzt aber wieder eben so still und in seinen Gedanken verloren in dieselbe Ecke starrte als vorhin, fuhr augenscheinlich mehr mit sich selbst sprechend, wie zu den Andern gewandt, mit leiserer Stimme als vorher also fort:

»Fünf Schritt mochte ich noch davon entfernt sein, als ich erst in diesem hellen Bandelier weiter nichts wie – einen einfachen Streifen weißen Sandes erkannte, der sich hier, von dunkler Erde und hohem Grase umgeben, vielleicht zwei Schritt lang auf dem Boden herzog. Aber – ich berührte ihn mit dem Fuße – die Stelle war erhöht, selbst das immer mehr schwindende Licht warf noch seinen letzten düstern Schein über den kleinen flachen Hügel. – Es war ein Grab und hier unten – wie mit einem elektrischen Schlage durchzuckte es meinen ganzen Körper – viele Minuten stand ich, meiner selbst kaum mächtig, auf der einsamen Stelle. – Plötzlich – ich konnte mir im Anfang nicht einmal Rechenschaft darüber geben – raffte ich mich empor und floh, so schnell mich meine Füße trugen, zu meinem Freund, dem Förster zurück.«

»Der Ring, der Ring – das war der einzige Gedanke, den ich mit Bewußtsein festhalten konnte – der Ring des todten Soldaten, und bleich und athemlos erreichte ich bald darauf sein Haus wieder. Er erschrak, als er mich in diesem Zustande sah, – er wollte –«

Der Verwalter schwieg plötzlich, stand auf, ging zum Fenster und trat von diesem wieder zum Tisch zurück.

»Und der Ring?« frugen der Pastor und Schulmeister gespannt.

»Weshalb soll ich Sie noch länger mit der genauern Mittheilung quälen,« erwiederte der Verwalter mit augenscheinlich erzwungener Ruhe – »der Ring war wirklich der meines Bruders – und jenes Grab sein Grab. Was jene Erscheinung betrifft, so weiß nur Gott, ob sie ein Spiel meiner Phantasie gewesen; doch einerlei, Sie werden begreifen daß ich seit jener Zeit alle Ursache hatte, wenigstens an Ahnungen zu glauben, wenn ich das überhaupt mit diesem Namen belegen darf. – Aber es wird spät, Herr Pastor – Sie wollen wohl auch zu Bette gehen – es ist lange Schlafenszeit, und ich habe noch eine kleine Strecke zu marschiren.«

»Sie können doch wahrlich bei dem Wetter nicht fort? sagte der Pastor rasch, – es pfeift und heult ja noch draußen um die Kirche herum, als wenn es das alte Gebäude mit der Wurzel aus dem Erdboden zu reißen gedächte – bleiben Sie die Nacht bei uns, das Fremdenstübchen steht bereit, und Sie wissen, es macht auch nicht die mindesten Umstände.«

»Danke – danke herzlich, sagte der Verwalter und verbeugte sich leise, – es geht aber doch nicht; erstlich ist es kaum einen Büchsenschuß weit bis an's Gut und dann muß ich auch morgen früh schon wieder bei der Hand sein, und möchte überdies nicht gern gerade in solcher Nacht das Gut ohne Aufsicht lassen – es ist besser ich bin bei der Hand wenn etwas vorfällt. Gehen Sie mit, Schulmeister?«

»Nicht Ihren Weg, ich gehe durch's Hinterpförtchen und habe dann nur einen Sprung bis in mein Haus.«

Der Verwalter knöpfte sich seine grüne Pekesche bis oben hinan zu, klappte den Kragen auf, band sich noch zur Vorsicht sein Taschentuch über diesen um den Hals, griff nach Mütze und Hacke, schüttelte Allen herzlich die Hand und verließ, ohne zu gestatten, daß ihm Jemand hinunter leuchte, rasch das Zimmer.

Die drei Leute blieben, als sein Schritt schon lange auf der Treppe verklungen war, noch wohl mehrere Minuten beisammen stehen, und es sah fast so aus, als ob Keiner gern das Schweigen zuerst brechen wollte. Endlich sagte des Pastors Frau mit einem recht aus tiefster Brust heraufgeholten Seufzer:

»Ich wollte, der Verwalter hätte die häßliche Geschichte nicht erzählt – ich weiß nicht – mir wurde so unheimlich dabei – und er blieb auch so still und ernsthaft, als ob das Alles wirklich geschehen, und der Geist seines Bruders ihm leibhaft erschienen wäre – so deutlich und sichtbar steht doch die Geisterwelt auf keinem Fall mit der unsern in Verbindung, und man sollte daher auch so etwas nicht so lebendig und ernsthaft den Leuten ausmalen.«

»Auch das läßt sich vielleicht natürlich erklären,« sagte der Pastor, mehr wie es schien seiner Frau zur Beruhigung, als weil er selbst wohl das wirklich glaubte was er jetzt sagte, – »die Erzählung jenes Försters hatte ihn sehr wahrscheinlich aufgeregt, und er dachte an den Bruder – dachte wohl gar, wenn der jener fremde Mann gewesen, dessen Grab da so ganz in der Nähe sein sollte. Dämmerung war es ebenfalls, die dunkeln Abendschatten geben oft einem Strauch, einem Rain, ja einem vor uns hineinlaufenden Wagengleis die wunderlichste Gestalt – läßt es sich da nicht denken daß er, besonders noch von dem weißen schimmernden Sand angelockt, zufällig den kleinen Hügel fand und später die Bestätigung dessen erhielt was er geahnt? –«

»Geahnt – und da wären wir wieder auf dem alten Punkt« – fiel hier kopfschüttelnd der Schulmeister ein; »die Ahnung kommt zuerst, macht uns unbehaglich, und die Imagination muß nachher dem Ganzen die Krone aufsetzen; 's ist ein wunderliches Ding um den menschlichen Geist, aus heiler Haut, mit all seiner gerühmten Festigkeit und Consequenz läßt er sich herauslügen und außer Fassung bringen, und das ganze Nervensystem erbebt nachher, wenn draußen nur etwa ein Besen in der Ecke umfällt, oder die Katze von einem Stuhl herunter springt – ganze Bücher ließen sich schreiben über den Unsinn.«

»Unsinn, Schulmeister? – wiederholte die Frau und sah ihn verwundert an. Sie sagten doch selbst erst daß Sie an Ahnungen glaubten. Doch, wie dem auch sei, ich halte es für Unrecht, und noch dazu in solch wilder Nacht, die Einbildungskraft förmlich muthwillig aufzuregen – ich glaube ich könnte mich jetzt vor meinem eignen Schatten fürchten, und mag mich gar nicht einmal danach umsehen – Frauen sind doch recht ängstliche, nervenschwache Wesen.«

»Ach, nicht Frauen allein,« meinte der Schulmeister lächelnd, während er ebenfalls nach seinem Käpsel griff und den, schon vor Anfang des Regens zur Vorsorge mitgenommenen dicken, rothbaumwollenen Regenschirm aus der Ecke holte, »Zeit und Umstände müssen das ihrige dazu beitragen und der stärkste Mann ist vor demselben Gefühl – und dann noch dazu in weit erhöhtem Maße – nicht sicher.«

»Wenn er überhaupt ängstlichen Gemüths ist,« sagte der Pastor.

»Aengstlichen Gemüths oder nicht – seine schwache Stelle, seine Achillesferse hat ein Jeder, und wird die getroffen, so greift es nachher gerade den stärksten Mann auch am stärksten und gewaltigsten an. Sie kennen doch gewiß die Geschichte mit dem Spiegel –«

Die beiden Gatten verneinten es.

»Hm, sagte der Schulmeister, denn weiß ich auch nicht, ob ich's heute Abend nicht lieber lasse – Sie sind gerade erregt genug –«

»Ach, heraus damit – in solcher Stimmung ist man am empfänglichsten dafür, und schlimmer kann's bei meiner Alten doch nicht werden,« meinte der Pastor.

»Ach Gott ja – erzählen Sie nur,« bestätigte dies mit einem tiefen Seufzer die Frau, – »es kommt jetzt auf das eine mehr oder weniger nicht mehr an – ich fürchte mich doch heute Abend – Sie sprachen von einem Spiegel.«

»Nun, ich meine das Hineinsehen in einen Spiegel, Abends, wenn man ganz allein ist,« begann der Schulmeister und stützte sich auf die Lehne des ihm nächsten Stuhles. »Es wird nämlich, wie Sie gewiß auch schon gehört haben, behauptet, man könne oder dürfe vielmehr in stiller Nacht und in einem einsamen Zimmer nicht mit einem Licht in jeder Hand langsam und dicht vor den Spiegel treten, dort dreimal mit lauter Stimme seinen eignen Namen rufen und dann laut und schallend auflachen. Thäte man das und riefe sich besonders nachher noch einmal, so passire irgend etwas Entsetzliches, ich glaube die eigene Gestalt soll mit schauerlich verzerrtem Gesicht aus dem Spiegel heraussteigen.«

Die Frau warf einen scheuen Blick nach dem Spiegel und strich sich rasch mit der Hand über die eigne Stirn.

»Die Geschichte nun, die mir darüber erzählt wurde,« fuhr der Schulmeister fort, »ist sehr kurz, und betrifft einen Husarenlieutenant, also doch allem Vermuthen nach einen kräftigen, keineswegs nervenschwachen Menschen. Die jungen Leute waren in einer fröhlichen Gesellschaft von Herren und Damen gewesen und dort, eben so wie wir heute, auf Geister- und Gespenstergeschichten gekommen. Ein Wort gab das andere, und allerlei tolle Vorschläge wurden endlich, wahrscheinlich mehr um die Damen zu ängstigen, als sie wirklich auszuführen, gemacht; die Einen wollten um zwölf Uhr auf den Kirchhof gehen und dort um ein frisches Grab tanzen – die Andern in der Kirche selber eine Nacht allein bleiben, bis endlich irgend Jemand von der Gesellschaft das Experiment mit dem Spiegel in Anregung brachte.«

»Der junge Lieutenant erbot sich augenblicklich dazu und die Dame vom Hause, die wahrscheinlich glaubte, der junge Herr bramarbasire blos, sagte scherzend, damit ließe sich der Versuch ganz vortrefflich in ihrer eignen Wohnung machen. Im Gartenhause sei ein ganz einsam gelegener großer Saal mit zwei mächtigen Spiegeln, der seit längerer Zeit unbenutzt stehe – sie habe den Schlüssel dazu und wenn der Herr Lieutenant Lust hätte, könne er seine Wanderung gleich antreten. Ein allgemeiner Jubel unterbrach sie hier und der Husar durfte schon nicht mehr zurück, wenn er es wirklich gewünscht hätte. Allerdings erschrak die Dame, als sie sah daß es plötzlich Ernst wurde, und machte nun allerlei Ausflüchte; der Lieutenant bestand aber jetzt selbst darauf, gab sein Ehrenwort, daß er die vorbeschriebenen Bedingungen genau erfüllen wolle, und verließ mit einem Bedienten, der ihm Lichter und Feuerzeug nachtragen mußte, das Zimmer. Den Bedienten wollte er, an Ort und Stelle angelangt, zurückschicken.«

»Die Gäste wären allerdings gar zu gern mitgegangen, Einsamkeit war ja aber die Hauptbedingniß des ganzen Versuchs, und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit erwarteten sie die Rückkehr des Offiziers – jedes Gespräch schien abgeschnitten – jede Unterhaltung stockte und eine halbe Stunde mochte so in peinlichster Weise verstrichen sein, als der mitgegebene Diener plötzlich todtenbleich in's Zimmer stürzte und die, jetzt kaum minder entsetzten Gäste zu Hülfe rief. Ein Paar Damen wurden richtig ohnmächtig, die Herren aber, die sich ja auch in ihrer Masse gesichert fühlten, stürmten, da ihnen der Bediente weiter gar keine Rede stehen wollte, von diesem geführt durch den Garten, in dessen Saal sie bleich und besinnunglos den unglücklichen jungen Menschen zwischen den beiden sich gegenüber befindlichen Spiegeln am Boden liegen fanden.«

»Was er gesehen – was ihm begegnet, hat man nie genau erfahren können, der Bediente hatte allerdings draußen an der Thüre des Gartensaales gehorcht, und wollte den jungen Mann, als er sich eine kurze Weile dort befunden, laut haben lachen hören, dann aber – und der Mann glich selber mehr einem Todten als einem Lebenden – schwur er Stein und Bein, es sei ihm so vorgekommen, als ob es von allen Seiten von oben und unten geantwortet hätte, gleich darauf gellte ein fürchterlicher Schrei heraus, und als dann Alles todtenstill geworden war, und er selbst in Furcht und Entsetzen viele Minuten lang athemlos gelauscht, da hielt er es nicht länger aus, riß die Thür auf und sah den Lieutenant ausgestreckt auf der Erde liegen. Weiter wußte er selber nichts, denn hierauf stürzte er spornstreichs in die Gesellschaft zurück, um Hülfe herbeizuholen.«

»Und der Lieutenant war todt?« frug der Pastor gespannt.

»Nein – nur wahnsinnig;« sagte der Schulmeister – »aber es ist wahrhaftig schon zehn Uhr vorbei – wünsche beiderseits eine gute Nacht – Bitte Barrenkamp – ich dächte, ich sollte die Treppen hier kennen – das Mädchen kommt auch gerade unten mit ihrem Lichte aus der Küche, die kann das Haus hinter mir wieder zuschließen.«

Und der Schulmeister verschwand, während die Eheleute allein in dem nur matt erhellten Gemach zurückblieben.

»Nun, die Geschichte hat mir heute noch gefehlt, sagte die Pastorin, und räumte, wie nur um sich eine Beschäftigung zu machen, das auf dem Tische stehende Geschirr zusammen – nur wahnsinnig – das ist ja fürchterlich. Die Leute hatten aber auch gefrevelt, so etwas darf man sich nicht zu Schulden kommen lassen – Herr Du mein Gott!« rief sie plötzlich, und als sie die Tassen, die sie in der Hand hielt, wieder auf den Tisch setzen wollte, fiel ihr eine herunter und zerbrach klirrend am Boden.

»Was hast Du denn?« fragte der Pastor und drehte sich rasch und erschrocken nach ihr um – sie sah todtenbleich aus und horchte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit nach dem Fenster hinüber. Nichts aber als das Unwetter draußen ließ sich vernehmen, der Regen schien etwas nachgelassen zu haben, und die Wolken schüttelten sich nur noch, nach dem langen verzweifelten Kampf, ungeduldig und unwirrisch das Wasser aus den nassen Jacken.

»Das war wieder derselbe Hülferuf,« flüsterte die Frau – »derselbe Ton und – Heinrich – soll mir der Herr in meiner letzten Noth beistehen – er klang gerade wie meines Vaters Stimme.«

Sie barg das Gesicht in den Händen und schauderte am ganzen Körper zusammen.

»Unsinn!« sagte der Mann und rückte sich ärgerlich die schwarze Kappe auf das linke Ohr, – »Unsinn – die dummen Erzählungen haben Dich aufgeregt und Du fängst mir am Ende auch noch heute Abend an Gespenster zu sehen und zu hören. Wir wollen zu Bette gehen – es ist Schlafenszeit und morgen, mit dem hellen Tageslicht werden Dir schon alle die trüben und ängstlichen Gedanken vergehen. Habe ich nicht recht, Elise? – aber was fehlt Dir auf einmal, was hast Du?«

Die Frau blieb, als ob sie die Worte gar nicht gehört, in ihrer Stellung, nur die zitternde Gestalt verrieth ihre Aufregung und ihr leises Schluchzen, wie die einzelnen, zwischen den fest zusammengepreßten Fingern vorquellenden Thränen kündeten, daß etwas ganz Absonderliches in ihrem Herzen vorgehen müsse.

»Elise,« – sagte der Mann nach kurzer Pause, während er leise der Gattin Hand ergriff und diese von ihren Augen wegzuziehen suchte – »bist Du nicht wie ein närrisches Kind, das sich von ein Paar thörichten Geistergeschichten in Furcht und Schrecken setzen läßt, und nachher nicht mehr allein über den dunkeln Vorsaal gehen, oder leiden will, daß die Magd das Zimmer verläßt? – Du kennst doch den alten Verwalter, weißt doch, was er fortwährend für abenteuerliche Märchen erlebt haben will. Wie haben wir nicht erst noch neulich über ihn gelacht, als er uns die Geschichte von den zwei feindlichen Irrlichtern erzählte, und wie böse wurde er darüber; und was das andere betrifft, wo –«

»Das meine ich nicht,« sagte die Frau leise und fast mehr mit sich selbst, als mit ihrem Manne redend – »der Verwalter kann sich geirrt haben, und die Spiegelgeschichte ist wohl fürchterlich genug, läßt sich aber vielleicht natürlich erklären; nein, mir bewegt Anderes die Brust. – Der Schulmeister hat ganz recht – es giebt übernatürliche Kräfte – es muß sie geben, denn wo wir wissen daß der kleinste Wassertropfen von unzähligen Geschöpfen belebt und bewohnt wird, wie dürfen wir da annehmen, die ungeheuern Luft- und Aetherräume umschlössen frei und leer das ganze Weltall. – Nein, das ist nicht möglich; um uns her, über uns, neben uns regt es sich und treibt und wirkt – die uns fernstehenden Gebilde berühren uns aber nicht; unsere Nerven sind nicht fein genug ihre Nähe zu empfinden, oder ihre Kräfte – mir fehlt der Ausdruck Dir genau zu beschreiben wie ich es mir denke – ihre Kräfte üben nicht einen solchen harmonischen – vielleicht magnetischen Einfluß auf die unseren aus, um uns zum Bewußtsein ihrer Annäherung zu bringen. – Das dauert aber nur so lange, bis wirklich einmal ein uns verwandter Geist unseren eigenen Luftkreis berührt, oder durch die Stärke seines Willens, seiner Seele, zu uns hingetrieben wird – dann ergreift er aber auch all die feinsten Fasern unseres innersten Systems und die Ahnung desselben, vielleicht auch nur das Bewußtsein dieses Gefühls entsteht und macht sie geltend –«

»Aber ich begreife Dich nicht –«

»Es ist heute der dritte Abend,« fuhr seine Frau, den Einwurf nicht weiter beachtend, fort – »daß ich dieselbe ängstliche Unruhe fühle wie heute – nur nicht so stark. Am ersten Abend erhielt ich, wie Du weißt, gerade vor Schlafengehen, den Brief von zu Hause – worin mir Mutter von des Vaters Krankheit schrieb.«

»Ein etwas hartnäckiger Katharr, wie sie selbst sagte, der sich bis jetzt schon wahrscheinlich wieder vollkommen gehoben hat.«

»Kein Katharr, Heinrich, – die Sache ist schlimmer als sie es mir sogleich schreiben mochte – weshalb den Brief eilig gemacht – weshalb nun das Schweigen? – Mit dem jetzigen Lauf der Eisenbahn könnte Nachricht in neun Stunden hier sein.«

»Komm Kind, erwiederte ihr lächelnd der Mann, – geh jetzt zu Bett, und morgen früh wollen wir ruhig über die Sache reden; Du phantasirst heute Abend, und da ist's besser Du überschläfst erst einmal die Gedanken, die das Sonnenlicht ohnedies nicht gut vertragen können. Doch sieh, der Wind hat den Himmel endlich rein gefegt, und der Mond scheint ordentlich freundlich in's Fenster herein, wenn sich der Sturm erst ein Bischen legt, bekommen wir vielleicht das schönste Wetter – komm Kleine – heb' das Köpfchen wieder und sei mein braves Weib – Du wirst Dich doch wahrlich nicht vor Spukgeschichten fürchten?«

»Nein, nicht vor Spukgeschichten, Heinrich,« flüsterte die Frau und starrte dabei mit festem glanzlosen Blick in die Ecke des Gemachs, das von der immer düsterer brennenden Lampe kaum noch hinlänglich beleuchtet wurde, – »gewiß nicht vor denen, ich habe schon fast wieder vergessen was der Verwalter und Schulmeister erzählten, aber – in mir selbst fühle ich daß, und zwar in diesem Augenblicke, irgend etwas bei den Meinigen vorgeht. Ich kann, so viel ich auch dagegen ankämpfe, das Bild meines Vaters nicht aus dem Sinn verlieren. – Fortwährend sehe ich ihn, bleichen, gramvollen Angesichts, in dem grünen Schlafrock mit dem dunkeln Käppchen vor mir auf- und abgehen und mit dem stählernen Uhrbehänge spielen, – was er nur that, wenn er krank oder leidend war – so deutlich höre ich dabei das leise klimpernde Geräusch, daß ich mich heute schon mehrmals im Zimmer umgeschaut habe, ob nicht irgend etwas die Ursache desselben wäre, aber es liegt mir allein im Ohr – Du – Ihr Anderen habt nie etwas davon vernommen.«

»Du bist heute aufgeregt, Kind, das ist die ganze Sache, beruhigte sie der Mann, komm, laß uns zu Bett gehen, es wird spät und ich bin müde – die Lampe scheint überdies kein Oel mehr zu haben; sie will ausgehen.«

Ein leiser, winselnder Ton, der fast wie ein ferner Hülferuf klang, wurde in diesem Augenblicke laut – man konnte nicht recht unterscheiden, ob er vom Hofe, oder aus dem Hause selbst herauf, erschalle – der Wind brauste und rauschte auch noch zu sehr in der dicht neben dem Gebäude stehenden Linde, und heulte im Schornstein auf und nieder. Die Lampe verlöschte in diesem Augenblick und der Pastor, der jetzt selbst, durch die Furcht der Frau vielleicht angesteckt, ein gewisses unheimliches Gefühl nicht ganz unterdrücken konnte, war eben im Begriff, in die daran stoßende Schlafstube zu treten, um von dort her einen kleinen, neben dem Feuerzeug stehenden Wachsstock zu holen, als die Gattin hastig und krampfhaft seinen Arm ergriff, und mit von innerer Angst fast erstickter Stimme, während sie die rechte zitternde Hand nach der andern Thüre ausstreckte, flüsterte:

»Sieh, – sieh dort!«

Der Pastor stand mit seiner Frau nahe der Schlafkammerthür und noch im Schatten der Wand, in dem jetzt dunkeln Zimmer, während ein einzelner Mondenstrahl in das obere Fenster und auf die gegenüber liegenden Treppenthür fiel; aber auch durch eine dünne Gardine so weit gemäßigt wurde, die Gegenstände, die er beleuchtete, nur undeutlich und unbestimmt erkennen zu lassen. Nichtsdestoweniger sahen die Gatten ganz genau, wenn sie auch nicht das mindeste Geräusch der sonst gewöhnlich kreischenden Thüre hörten, wie sich die blanke Klinke langsam bewegte und anscheinend von selber aufdrückte – gleich darauf öffnete sich eben so feierlich die Thür, und herein trat mit geräuschlosem Tritt eine Gestalt, die das Blut in Beider Adern stocken machte – der grüne Schlafrock, das schwarze Käppchen – die hohe, bleiche Figur – die Pastorin stand mit fast aus ihren Höhlen starrenden Augen, mit halbgeöffneten Lippen – mit noch immer zeigend und zugleich abwehrend ausgestrecktem Arme da, und selbst der Mann blieb überrascht – bestürzt vor dem, was seine eigenen Augen sahen und nicht ableugnen konnten – in der einmal genommenen Stellung.

Im nächsten Moment glitt die Erscheinung, sonst regungslos, langsam in den dunkeln Theil des Zimmers und ein klimperndes Geräusch wurde laut, wie von Stahl an Stahl. Der Pastor fühlte, wie sich sein Weib an seinen Arm klammerte und selbst von einem ihm unerklärlichen Entsetzen gefaßt, wußte er kaum ob er stehen bleiben, ob vorspringen sollte. Da ließ der Druck an seinem Arme nach und die Frau wäre zu Boden gestürzt, hätte er sie nicht rasch umfaßt und gehalten.

Als er sich wieder nach der Erscheinung umdrehte, war diese verschwunden, und der Mond schien freundlich in das stille – leere Gemach.

Der Pastor trug die ohnmächtig gewordene Frau auf ihr Bett, und sprang dann mit dem rasch entzündeten Lichte durch sein Zimmer, – riß die Thür auf, eilte die Treppe hinunter, durch alle Gänge, faßte an alle Klinken, fand selbst das Hausthor verschlossen und pochte vergebens an des Küsters Stube an; der alte Mann lag schon lange in tiefem Schlaf und hörte ihn nicht. – Es war Alles so still, so unheimlich; auf den Gängen rauschte und flüsterte es, wie mit schleppenden Gewändern zog's Trepp auf und ab – den sonst unerschrockenen Mann faßte ein Schauder an, und mit Gewalt mußte er das Gefühl, das ihm die Brust zusammen zu schnüren drohte, von sich werfen.

»Der Wind, – der Wind!« murmelte er, wie um sich selbst zu beruhigen dabei leise vor sich hin, und floh mehr als er ging, die Treppe wieder hinauf. Dort aber raffte er sich gewaltsam zusammen, betrat zuerst das Zimmer seiner Frau, um dieser beizustehen, stieg dann hinauf wo ihre Magd schlief, weckte sie und gab ihr die nöthigen Aufträge, was sie zu besorgen habe. Dann untersuchte er noch einmal alle Laden und Thüren, ging sogar über den Hof, um zu sehen ob das Hofthor verschlossen wäre, und that überhaupt Alles, was er nur mit ruhigster, kältester Besonnenheit hätte thun können; aber es geschah eben nicht mit kalter Besonnenheit, – wie ein Nachtwandelnder, mit bleichem Gesicht und glanzlosem Auge schritt er von Ort zu Ort, und die Bewegungen seines Körpers glichen eher denen eines künstlichen Automaten, als denen eines wirklichen, selbstbewußten Menschen.

Sobald der Morgen dämmerte und seine Frau in einen ruhigen stärkenden Schlaf verfallen war, schloß er sich in sein Zimmer ein, schrieb dort den ganzen Vormittag und siegelte mehrere Pakete und Schriften ein. Selbst zum Mittagsessen blieb er nicht vorn und sah nur einmal nach der Kranken, ob sich diese von den Vorfällen der letzten Nacht in etwas erholt habe.

Nachmittags klopfte es an sein Zimmer, und als er den Riegel zurückschob, reichte ihm der draußen stehende Postbote einen Brief. – Er riß ihn auf, sah nach der Unterschrift – er war von seiner Schwägerin Regine – und las mit flimmernden Augen, während das Schreiben in seiner Hand zitterte und er die Züge kaum erkennen konnte, folgende in flüchtiger Eile niedergeworfenen Zeilen:

»Lieber Schwager.

Gott hat uns gestern Abend auf schwere, entsetzliche Weise heimgesucht. Zwischen zehn und halb eilf Uhr starb, wahrscheinlich an einem Blutschlage, mein armer Vater. Theilen Sie Elisen die Schreckenskunde vorsichtig mit – ach, sein letzter, sehnsüchtiger Wunsch war ja, sie noch einmal vor seinem Ende zu sehen. Wenn es möglich ist kommen Sie her; Elise wird aber Ihre Gegenwart gerade jetzt wohl schwerlich entbehren können. Ich schreibe in der Nacht, und will den Brief noch vor dem Abgange eines Bahnzuges an einen Conducteur zur Beförderung schicken, daß er Sie wo möglich heute noch erreicht. Trösten Sie meine arme Schwester.

Ihre

Regine


Acht Wochen waren verflossen – draußen auf Feldern und Wiesen keimte und grünte es, das Frühjahr hatte mit seinem warmen Hauch den starren Boden geküßt, und froh auf dieser trieb, in immer neu erstehender Kraft und Jugend, saftreiche Gräser und Halme und bunte, glänzende Blumen und Blüthen. – Zwischen neckend nach ihm hinunterschwankenden Zweigen rieselte freudig murmelnd der klare Waldbach hin, und aus südlichern Zonen waren die munteren Sänger des Waldes wiedergekehrt und zwitscherten freudig in den alten lieb gewonnenen Plätzen, wo sie schon im vorigen Jahre so still und friedlich mitsammen gehaust.

Die Luft war rein und lau und auch vor der Pastorwohnung, unter dem blühenden Apfelbaume, von duftigen Hollunderbüschen umgeben, saß, an der Seite ihres wackeren Mannes, die erst von schwerer Krankheit erstandene Frau, und schaute mit mattem Blick auf das fröhliche Wirken und Schaffen der herrlichen Welt. Ihre kräftige Natur hatte endlich das heiße Fieber besiegt, der Körper erholte sich wieder, wenn auch langsam von dem erlittenen Anfall und die Kräfte kehrten nach und nach zurück. Der nicht zu scheuchende Trübsinn der Reconvalescentin aber, ihr dumpfes, stundenlanges Träumen und Brüten – die Angst, die sie ergriff, wenn sie Abends, selbst auf Augenblicke allein im Zimmer bleiben mußte, das Alles verrieth nur zu deutlich, wie sie jene Schreckensstunde nicht allein nicht vergessen habe, sondern die peinliche Erinnerung derselben auch noch im krankhaft erregten Gemüthe hege und sich heimlich abzehre und gräme.

Solche Furcht und Besorgniß mochte wohl das Herz des Gatten erfüllen, denn er hielt die Hand der Geliebten fest und innig in der seinen und schaute ihr wehmüthig freundlich in das bleiche leidende Gesicht, wagte aber doch nicht den wunden Fleck zu berühren, der vielleicht geheilt werden konnte, vielleicht aber auch nur eines Anlasses, nur eines Wortes bedurfte, um mit neuer, zündender Gewalt auszubrechen und um sich zu greifen. Ueber die Vorgänge jener Nacht hatte er selbst mit Niemandem gesprochen; nur seinem alten Freunde, dem Schulmeister, vertraute er die Ursache der Krankheit seiner Frau und theilte ihm dabei die näheren Umstände der Erscheinung und so bis zu den kleinsten Einzelnheiten mit, daß der Schulmeister doch endlich zugestehen mußte, es sei ein höchst merkwürdiger Fall, und bestärke ihn, wenn beide Gatten wirklich recht gesehen, nur immer noch mehr in dem, was er schon früher über Ahnungen gedacht und gesprochen. »Vor der Hand übrigens,« meinte er, »sei es am Besten, es auf sich beruhen zu lassen; es käme sehr häufig vor daß sich derartige, dem Anschein nach höchst wunderbare Fälle, oft später und ganz zufällig, auf die natürlichste Weise aufgeklärt hätten. Ja, wären die beiden Leute vorher nicht durch Geistergeschichten aufgeregt und gespannt gehalten worden, wäre irgend ein dritter, ruhiger Zuschauer dabei gewesen, dem dasselbe wiederfahren, aber so –« er schüttelte dann immer mit dem Kopfe, und wollte das Erlebte nicht zugeben.

Die untere Gartenthür ging auf, der alte Küster kam mit dem Schulmeister den breiten Mittelgang herauf, und herzlich begrüßten die beiden Männer zu ihrem ersten Ausgang in Gottes schöner Luft die Kranke, während der Küster dem Pastor ein Schreiben überreichte, das, irgend ein Geschäft betreffend, augenblickliche Erledigung verlangte.

Barrenkamp erbrach und durchflog es rasch und sagte dann, während er aufstand und sich dem Hause zuwandte:

»Ich werde in wenigen Minuten damit fertig sein, und Ihr könnt es gleich wieder mit zurücknehmen, Münzer. Bleibt Ihr Beiden indeß bei meiner Frau und vertreibt ihr die Zeit ein Bischen; sie wird gern einmal wieder auf die Plaudereien aus dem Dorfe horchen.«

Der Pastor ging schnell ins Haus.

»Was macht Ihr Münzer? sagte die Frau und streckte dem alten Manne die weiße abgezehrte Hand entgegen. – Ihr schaut jetzt recht gut und wohl aus – die Frühlingsluft scheint Euch zu bekommen. Setzt Euch zu mir – bitte Schulmeister, nehmen Sie Platz – was macht Euer Gärtchen – Eure Kuh, Euer kleines Stück Feld? – wir haben uns recht lange nicht gesehen.«

»Ach, beste Frau Pastorin,« erwiederte der Greis und faßte und streichelte die ihm gebotene Rechte – »seit acht vollen Wochen, seit dem Abend nicht, wo der Sturm die alte Linde an der Kirchhofsmauer umriß, und Hammers, unten im Dorfe, den Schornstein mitten in die Stube warf, der beinahe das jüngste Kind erschlagen hätte. Das war in jeder Beziehung eine böse Nacht und ich, meinestheils, werde sie im Leben nie vergessen. Sie, Frau Pastorin, sind ja auch damals krank geworden und haben sich gelegt. Ich weiß noch recht gut, am nächsten Mor – aber lieber Gott, fehlt Ihnen etwas? –«

»Es ist doch am Ende zu kalt hier draußen, Frau Pastorin,« unterbrach ihn hier rasch der Schulmeister, der ein dorthin führendes Gespräch so bald als möglich abzuschneiden wünschte. – »Sie möchten lieber hineingehen in's warme Zimmer – soll ich Sie vielleicht geleiten? –«

»Ich danke, ich danke, Herr Wendler,« sagte die Frau und hielt sich nur wenige Sekunden lang das Tuch gegen die Augen gepreßt – zum ersten Male wurde hier in ihrer Gegenwart, seit sie ihres Vaters Tod erfahren, jener Abend erwähnt, und sie mochte jetzt die Männer nicht merken lassen, wie sie der Gedanke daran erregte. – »Es war nur ein leichter Uebergang« fuhr sie dann mit einem halblächelnden Zug um den Mund fort – »ein leichter Uebergang sich oft einstellender Schwäche – ich habe meine alten Kräfte noch nicht wieder – es wird gleich vorbei sein. Doch – laßt Euch nicht irre machen, Münzer – Ihr nanntet jene Nacht eine böse – ist auch Euch – ist Euch etwas darin geschehen, daß Ihr sie nie wieder vergessen könntet?«

»Lassen Sie jene Nacht, beste Frau Pastorin,« bat sie der Schulmeister, »die ist lange vorüber; weshalb immer wieder auf sie zurückkommen. Münzer kann Ihnen eine andere treffliche Neuigkeit berichten; der Gutsherr hat ihm das kleine Stückchen Feld, das er bis dahin bewirthschaftete, verdoppelt, und hinlänglichen guten Samen zu Kartoffeln versprochen.«

Die Frau hielt indessen ihr Auge fest und forschend auf den alten Mann geheftet; es war unverkennbar, daß irgend ein Gegenstand alle seine Gedanken gefesselt hielt, denn er beachtete nicht einmal das, was ja bisher, wie die Pastorin recht gut wußte, sein höchster Wunsch gewesen. Etwas Anderes ging ihm im Kopfe herum und jene Nacht mußte damit in Verbindung stehen. Der leicht erregbare Zustand der Kranken faßte denn auch, besonders nach diesem Punkte hin, den geringsten Faden mit zitternder Schnelle auf.

»Was ist Euch geschehen, Münzer,« flüsterte sie und griff, die Hand des Schulmeisters zurückdrängend, nach seinem Arme – »was ist, – sagt mir – was ist mit jener Nacht?«

»Geschehn gerade nichts, Frau Pastorin,« erwiederte der Greis und schnitt verlegen mit dem Rand seiner Sohle in den gelben Kies ein, – »geschehen gar nichts, aber – wenn Sie es denn wissen und – mich nicht auslachen wollen – – ich hatte eine Erscheinung.«

»Münzer!« rief der Schulmeister vorwurfsvoll, und der alte Mann sah erst jetzt, als er die Augen vom Boden hob, zu seinem Schreck, welchen Eindruck die wenigen Worte auf die Frau gemacht hatten.

»Ihr saht – Ihr saht meinen Vater!« – rief diese mit heiserer, kaum vernehmlicher Stimme, – »gesteht es nur – gesteht – Ihr saht an jenem Abende meinen Vater – Münzer!«

Die Kranke war in fürchterlicher Aufregung und der Küster hätte Gott weiß was darum gegeben, kein Wort von der ganzen Geschichte gesagt zu haben; doch zu spät. Auch der Pastor, der gerade jetzt wieder aus dem Hause trat und bestürzt erkannte welcher Fehlgriff gemacht sei, war nicht mehr im Stande seiner Frau das einmal fest und krampfhaft erfaßte Ziel zu entrücken. Hören wollte sie, hören von des Küsters eigenen Lippen, was er gesehen, die Gewißheit wollte sie haben, daß ihr Vater selber sie gerufen »und dann, dann« – meinte sie und strich sich die Haare aus der feuchten weißen Stirn – »werde sie ruhiger, – werde ihr besser werden.«

Es blieb keine andere Wahl als ihr zu willfahren und der Pastor forderte zuletzt selbst den alten Mann auf, was er wisse, bei seiner Seele Heil aber kein falsches, übertriebenes Wort zu sagen.

»Ach, lieber Herr Pastor,« erwiederte der Greis, »wollte doch Gott, ich hätte ganz geschwiegen, noch dazu, da ich nicht einmal etwas Bestimmtes über die Gestalt sagen kann.«

»Die Gestalt« – wiederholte, kaum bewußt, die Kranke – »wo war sie – wie sah sie aus?«

Der Schulmeister stand bestürzt und ängstlich daneben – jetzt schien sein letzter Einwurf gehoben – und welchen Eindruck mußte eine solche Bestätigung auf die reizbare Kranke machen.

»Genau weiß ich's nicht,« flüsterte der alte Mann und sah sich selbst hier im hellen Sonnenlichte scheu um, als ob ihm der Gedanke an das Geschehene noch Schauder erwecke; »doch – es wird vielleicht besser sein, Ihnen das Ganze nur in wenigen Worten mitzutheilen. Ich hatte mich nämlich an dem Abende schon früh, weit früher als gewöhnlich, in's Bett gelegt; das Wetter war stürmisch und mein altes Reißen plagte mich wieder einmal ganz absonderlich; sobald ich aber einzuschlafen versuchte, störte mich ein häßlich ächzendes Geräusch, das, wie ich gar bald fand, von dem offen gelassenen Fensterladen der Sakristei herrührte. Nun hätte ich allerdings leicht hinübergehen und den Laden schließen können, noch dazu da ich fürchten mußte, der Wind bräche ihn vielleicht die Nacht aus den Angeln, und von der kleinen Hinterthür, die aus meinem Zimmerchen hinüber führt, sind's ja, wie Sie wissen, nur wenige Schritte – ich hatte aber die Schlüssel in des Herrn Pastors Studirstube liegen lassen –«

Der Schulmeister hob schnell den Kopf und sah den Küster forschend an.

»– und scheute mich hinaufzugehen und ihn zu stören. So lag ich bis nach zehn Uhr; da jetzt das Geräusch aber immer ärger wurde und ich nun auch ziemlich gewiß wußte, Sie wären oben Alle zu Bett – denn an der Linde, die vor meinem Fenster steht, kann ich es deutlich sehen, wenn oben in der großen Eckstube noch Licht ist – zog ich meine Filzschuhe und meinen alten Schlafrock an und schlich leise die Treppe hinauf –«

»Ihr waret an jenem Abend in meinem Zimmer?« rief der Pastor und die Lippen der Frau theilten sich in Staunen und Ueberraschung –

»Auf der Treppe schon klang mir's unheimlich und laut,« fuhr der Greis, die Frage nicht beachtend, fort, – »das stürmische Brausen um das Haus wurde hier, in dem umschlossenen Raume, zum leisen Flüstern und Zischeln, und ich öffnete rasch die Thür und schritt dem wohlbekannten Platze zu, wo der Herr Pastor immer Abends die Schlüssel hinlegt, damit ich sie früh finden kann. Schon hatte ich sie gefühlt und in die Hand gefaßt, denn ein schwacher Mondenstrahl fiel in dem Augenblicke durchs Zimmer, als ich – das Blut stockt mir jetzt noch in den Adern, wenn ich daran denke – ein leises Stöhnen vernahm, und den Kopf rasch darnach umwendend, eine helle Gestalt erkannte, die im Begriff schien, die Arme nach mir auszustrecken. Im nächsten Augenblick stand ich vor Entsetzen stumm und regungslos, als ich jetzt aber wirklich sah, daß sich die Erscheinung regte, als ich das weiße Grabtuch rauschen hörte, da kann ich nachher nicht einmal mehr sagen, wie ich aus dem Zimmer kam, nur so viel erinnere ich mich noch, ich glitt die Treppe hinunter, sprang in meine Kammer, die ich hinter mir verschloß – in's Bett, hüllte mich in die Decke ein und betete heiß und brünstig zum lieben Herr Gott, daß er alles Unglück von mir und diesem Hause abwenden wolle.«

»Und der Fensterladen?« frug der Schulmeister und ergriff lächelnd des Pastors Hand.

»Der Wind legte sich bald nachher, meinte der alte Mann, und das Aechzen hörte auf; wär's aber auch noch so stürmisch gewesen, an dem Abende hätten mich nicht zehn Pferde mehr in die Sakristei gebracht.«

»Elise!« sagte der Pastor, und zog das bleiche zitternde Weib leise an sich – sie zögerte einen Augenblick, – schaute noch zweifelnd – zaudernd vor sich nieder und barg dann mit lautem Schluchzen den Kopf an ihres Gatten Brust.

»Meine gute Frau Pastorin,« bat der alte Mann bestürzt.

»Alterchen, rief aber jetzt der Schulmeister, und zog den Arm des erstaunten Küsters in den seinen; Ihr habt heute Morgen den gescheidesten Streich gemacht, der sich nur denken läßt; nun kommt aber, meine prächtige Geistererscheinung, hier ist Euer Dokument, heute Mittag müßt Ihr bei mir essen.«

»Aber Herr Schulmeister – ich begreife nicht –«

»Ist auch gar nicht nöthig, Schätzchen, – ist auch gar nicht nöthig, nur jetzt ein bischen die alten Knochen gerührt. Hurrah, Küster, ich bin so fidel, ich könnte, glaube ich, eine Menuet tanzen und mir die Melodie selber dazu pfeifen.«

Und ohne dem alten Manne auch nur Zeit zu lassen, noch ein einziges Wort an die weinende Frau zu richten, zog er ihn rasch den Gartenweg hinunter und verschwand mit ihm durch die hintere Thür.

Und die Kranke? –

Nur wenige Wochen sind seit jenem Morgen verstrichen, in der Pfarre giebts aber keine Kranke mehr – des Pastors wackere Hausfrau wirthschaftet wieder, wenn auch noch etwas bleich und angegriffen, doch mit vollen, rüstigen Kräften im Hause herum; auch der Schulmeister und Verwalter kommen, wie früher, manchmal Abends herüber und verplaudern ein Stündchen – nur Geistergeschichten werden nicht mehr erzählt, und der Küster – nimmt jetzt den Schlüssel zur Sakristei gleich Abends mit in seine Stube – damit der alte Mann nicht mehr Morgens die Treppen zu steigen braucht, sie herunter zu holen.

Schwarz und Weiß.
Aus dem Farmerleben Missouris.

Weit aus dem fernen Westen, da wo die eisgekrönten Berge ihre zackigen Kuppen in einander drängen und zweien Meeren, dem atlantischen wie dem stillen Ocean die schäumenden Quellen zusenden; weit von daher, wo er sich seine rauhe Bahn durch die entsetzlichsten Felsmassen bricht, die er entweder mit starkem Arm zerreißt, oder sich im tollkühnen Satz hinüberschwingt, um nachher, wie ob des gelungenen Wagestücks, meilenlang weiter zu tanzen und zu sprudeln, – kommt der gewaltige Missouri herab, »der schmutzige Strom,« wie ihn der Indianer des Raubes wegen nennt, den er an seinem eigenen Ufer vollführt, oder der »brüllende Strom« (roaring river), wie ihn erstaunt der Weiße taufte, als er da zuerst sein Bett erblickte, wo er Fall nach Fall, dem verfolgten Panther gleich, aus den Gebirgsschluchten sprang, und erst dort still und geräuschlos seine Bahn vollendete, als er das schützende Dickicht der Niederung erreicht hatte und nun zwischen den riesigen Stämmen des Urwaldes hin, dem starken Bruder, dem Mississippi, in die Arme glitt.

Dort nun, wo in dem Schatten der Eichen und Hickorys der wilde Wein seine mächtigen Ranken von Zweig zu Zweig schlang und in zähen Armen die stattlichen Bäume verband, während mit zwar prunkenderem Aeußeren, mit bunter schimmernden Blüthen und saftigeren Blättern, andere Schlingpflanzen ebenfalls hinaufstrebten zu den starken Aesten und sich ihnen liebend anzuschmiegen schienen, indeß doch Gift in ihren Adern floß und sie nur Macht zu bekommen suchten, das wackere Holz fest, fest zu umklammern und ihm Licht und Luft zu rauben, daß es endlich in ihrem Griff erstickte, verdorrte, – dort, in dem fast noch unentweihten Heiligthume, stand ein kleines, roh aufgebautes Blockhaus mit breitmächtigem, aus Lehm errichteten Kamine, die Nordseite dicht an den dunkeln Wald geschmiegt, dessen ungeheuere Wipfel hoch über das niedere Dach emporragten, an den drei anderen Seiten aber durch ein wahres Chaos gefällter Bäume, hoch aufgestapelten Busch- oder Oberholzes, abgeschlagener Stämme und knorriger, sich weit umher spreizender Aeste im wahren Sinne des Wortes verbarrikadirt.

Der Eigenthümer dieses Platzes mußte augenscheinlich erst seit kurzer Zeit hierher gezogen sein und die Urbarmachung des Bodens begonnen haben, was auch noch überdieß ein dicht am Hause stehender, mit Leinwand bespannter Wagen bewies, der wohl, nebst einem nicht sehr weit von ihm entfernten Karren, sämmtliche Habseligkeiten des Farmers in dessen neue Waldheimath eingeführt hatte.

Die Sonne schimmerte eben noch mit ihrem rothen Gluthenlicht durch die Wipfel der Bäume, als sich ein Reiter, auf kleinem indianischen Poney, einem schmalen Kuhpfad folgend, dem Platze näherte und endlich gerade da die Lichtung erreichte, wo Stämme und Aeste am tollsten umhergestreut lagen. Wenige Secunden hielt er auch wirklich sein schnaubendes Pferd an, und schien sich in den Steigbügeln hoch emporrichtend, nach irgend einer Oeffnung zu suchen, durch die er in diese Holzmasse eindringen und das Haus erreichen könnte. Der Wunsch mochte aber wohl unerfüllt bleiben; denn, einen leisen Fluch ausstoßend, preßte er seinem Thier den einen bespornten Haken in die Flanke und setzte über die ersten, ihm den Weg versperrenden Klötze hinweg.

Das kleine muntere Pferd sah auch bald was sein Herr eigentlich beabsichtige, und daran gewöhnt Hindernisse zu beseitigen, die bei fortwährendem Reiten im Walde fast stündlich vorkommen, wand es sich mit wirklich bewundernswerther Geschicklichkeit immer näher und näher dem Hause zu, hier einen Stamm überspringend, dort vorsichtig durch wild umher gestreute und zersplitterte Aeste dahinschreitend, bis es sich plötzlich, nach einem besonders kühnen Satz über, oder vielmehr durch den Wipfel einer gefällten Eiche, so von allen Seiten eingezwängt und von wirklich unübersteiglichen Hindernissen umgeben sah, daß es ruhig stehen blieb und, in der festen Ueberzeugung sein Aeußerstes gethan zu haben, ganz geduldig erwartete was jetzt der Reiter beschließen würde, der doch eigentlich auch bei der Sache interessirt war.

Dieser aber blickte vergebens nach einem Ausweg umher und that endlich das, was er von allem Anfang an hätte thun sollen, er rief das Haus an, und zwar mit einem kräftigen, weit hinausschallenden »Halloh!«, was augenblicklich im ohrzerreißenden Chor von zehn bis zwölf Rüden bellend und heulend beantwortet wurde.

Gleich darauf öffnete sich die Breterthüre, auf deren Schwelle eine schlanke, schon etwas ältliche Matrone erschien, die rings nach dem Rufenden, freilich vergeblich, umherschaute, während jetzt die durch den Anblick der Herrin immer noch mehr gereizten Hunde einen so fürchterlichen Lärm erhoben, daß er für kurze Zeit jeden andern Laut vollkommen übertäubte.

»Ruhig, Muse, ruhig, nieder mit dir, Watch, willst du still sein, Deik; Hunde, ihr bringt Einen noch zur Verzweiflung, ruhig da, hört ihr denn nicht!« rief die Frau, die Meute beschwichtigend, die sich denn auch endlich zufrieden geben wollte, als ein zweites »Halloh the house!« ihren Grimm aufs Neue erregte, der jetzt gar keine Grenzen mehr zu kennen schien.

Die Geduld der guten Frau mochte nun aber auch wohl ihr Ende erreicht haben; denn einen zum Trinkbecher ausgeschnittenen großen Flaschenkürbiß ergreifend, der in dem vollen, auf einem Gesims vor der Thüre stehenden Eimer schwamm, goß sie die klare, kalte Fluth über die Tobenden aus, die nun heulend und kläffend auseinander stoben.

Zum dritten Mal rief jetzt, diesen Augenblick der Ruhe benutzend, die Stimme ihr immer ungeduldiger werdendes »Halloh!« herüber, und nun erst ward die Matrone den Reiter gewahr, dessen Kopf nur wenig über das ihn umgebende Buschwerk hervorragte.

»Mr. Hennigs, sind Sie das?« rief sie lachend, als sie die Lage des jungen Mannes errieth, »wie, um Christi willen, haben Sie sich denn da hinein verloren?«

»Verloren?« rief dieser in komischer Verzweiflung, »ich möchte wirklich wissen, wie ich mich hier verlieren sollte; ich sitze so fest, wie der Wolf in der Falle. Wo zum Henker ist denn der Eingang zu Ihrem Haus? ich bin hier zwar auf dem Fußweg, er scheint aber nicht sehr begangen.«

»Sie hätten um die Lichtung herum, durch den Wald reiten müssen,« entgegnete die Frau, »mein Mann hat hier Bäume gefällt.«

»Ja, das läßt sich nicht läugnen,« lachte der Reiter, »die Beweise liegen zur Hand.«

»Bleiben Sie nur da halten, Mr. Hennigs,« rief jetzt eine kichernde Mädchenstimme hinter der alten Dame vor, und dicht neben ihr ließen sich in diesem Augenblick zwei allerliebste Köpfchen sehen, die neugierig die Lage des jungen Mannes erspähen wollten, »bleiben Sie nur da halten; Vater hat gesagt, daß er im Lauf der nächsten Woche das ganze Holz wegräumen will, und dann wird der Fußweg wieder frei.«

»Danke, Sally, danke!« rief Hennigs lachend, »die Zeit möchte mir aber doch lang werden, wenn ich Ihre liebe Stimme immer so ganz in der Nähe hören müßte und nicht hinüber könnte. Nein, mag mein Poney sehen, wie es allein heraus kommt; ich will's ihm leichter machen!« Und damit sprang er vom Pferd, schnallte Sattel und Zaum ab, hing sich beides über die Schulter und kletterte nun, wenn auch nicht ohne bedeutende Anstrengung, dem kaum sechzig Schritt entfernten Hause zu.

Das Poney blieb im Anfang, als es sich so von seinem Herrn verlassen sah, ruhig stehen, und spitzte nur sehr bedeutend die kleinen Ohren; als es jedoch fand wie sich die Sache eigentlich verhielt, und den Trog witterte, an dem es gefüttert zu werden hoffte, warf es den Kopf in die Höhe, wieherte ein paar Mal hell auf, und flog dann, jetzt durch keine Last mehr zurückgehalten, mit kühnen Sätzen über Stamm und Busch hinweg, bis es schnaubend und mit den Hinterbeinen wild nach den hier auf es einstürmenden Hunden schlagend, vor der Thüre der Hütte hielt, und dort seinen jetzt ebenfalls herankeuchenden Herrn freudig begrüßte.

Dieser aber warf Sattel und Zaum nieder, sprang schnell die aus über einander gelegten Klötzen bestehenden Stufen hinauf ins Haus und rief hier, die Hände der Frauen ergreifend und herzlich schüttelnd:

»Wie geht's, Mrs. Draper, wie geht's, Sally und Lucy, Ihre Hand, Alle wohl? seh'n wenigstens Alle kerngesund aus; doch – wo ist der Alte?«

»Vater ist noch draußen im Wald, er sucht die Pferde,« entgegnete, nach der kurzen Begrüßung, Sally, das jüngste der beiden Mädchen, die etwa siebenzehn und neunzehn Jahre zählen mochten.

»Haben Sie gar keine Spuren im Wald gesehen?« frug die Matrone, während sie ihr großes Baumwollenspinnrad in die Ecke schob und die Kohlen im Kamine mit dem langen Schürstecken zu neuer Glut aufschüttelte.

»Sie müssen heute Morgen aus den Hügeln herunter gekommen sein,« meinte Hennigs, »am Bach wenigstens waren die Fährten, und wenn ich nicht irre, so habe ich auch gleich oben über dem Kreuzweg die Schelle gehört.«

»Ah, dann findet sie Vater gewiß nicht,« rief Sally bedauernd aus, »er wollte an Potters Creek hinauf und von da an links in das Thal hinüber suchen.«

»Nein, er ist wohl schon auf den Spuren,« entgegnete der junge Mann; »denn im weichen Quellboden sah ich deutlich die Abdrücke eines Schuhes.«

»Vater trägt heute seine Mocassins,« sagte Lucy, »das muß Jemand Anderes gewesen sein.«

»Dann allerdings; aber wer will denn die Pferde brauchen? ist ein Tanz irgendwo? es scheint Sie ja Alle ungemein zu interessiren, ob der Vater die Pferde findet, oder nicht.«

»Tanz? pfui, Mr. Hennigs, ich dächte doch Sie wüßten, daß wir nicht tanzen,« erwiederte ihm, etwas pikirt, die Matrone.

»Ach, alle Wetter ja, ich habe davon gehört, Sie hätten sich der »Kirche« angeschlossen und wären »religiös« geworden; Vater auch?«

»Noch nicht,« entgegnete, mit einem tiefheraufgeholten Seufzer, Mrs. Draper, »wir wollen aber morgen früh zur Campmeeting, und davon hoffe ich das Beste: der liebe Gott wird ihn ja wohl erleuchten, daß er den rechten Weg findet.«

»Das wird er, das wird er, Mrs. Draper, ob aber auf solche Art, bezweifle ich fast; der alte Herr trinkt gern sein Gläschen, und wenn ihm einmal etwas in die Quere kommt, ih nun, dann flucht er auch wohl ein Bischen, und ich glaube kaum, daß er sich das so leicht abgewöhnen wird. Wozu braucht er aber auch wirklich zu einer »Kirche« zu gehören? 's ist so ein herzensguter alter Mann, wie nur je Einer seine Sohlen in den Missouri-Bottom drückte, er thut ja keinem Menschen etwas zu Leide.«

»Wir sind Alle Sünder, Mr. Hennigs,« sagte die alte Dame sehr ernst, »und mein armer Mann besonders, er schwört und flucht, genießt geistige Getränke und hat neulich den reisenden Prediger, der bei uns übernachtete und die Gebete las, einen Hypokryten genannt, ja sogar gelogen, als er während des Gebetes aufstand und, Nasenbluten vorschützend, das Haus schnell verließ; ich habe später das Tuch untersucht, es war nicht ein einziger Blutfleck darin, und der arme Fremde wartete eine volle halbe Stunde mit dem Gebet, ehe er fortfuhr, damit der böse Mensch keinen Vers des heiligen Wortes versäumte.«

Hennigs lachte laut auf.

»Der arme Draper; also half ihm seine kleine Nothlüge nicht einmal?«

»Kleine Nothlüge, Mr. Hennigs?« sagte die Matrone mit größerer Strenge, als sie es sonst wohl gewohnt war, »Sie reden da recht böse, recht unendlich böse Worte; abgesehen davon, daß der Augenblick, wo er sich mit seinem Gott beschäftigen sollte, keine Nothlüge zuließ, so giebt es gar keine Nothlügen; es darf Nichts in der Welt einen frommen Menschen zu einer Lüge bewegen, nicht einmal die Noth; denn das Herz, was nicht wahr und treu ist, kann dem Herrn kein wohlgefälliges Opfer bringen.«

»Aber beste Mrs. Draper,« entgegnete ihr Hennigs, »Sie werden mir doch gewiß zugeben, daß es Fälle im menschlichen Leben giebt, wo eine Nothlüge nicht allein keine Sünde, sondern sogar gut und –«

»Nein, das gebe ich Ihnen nicht zu,« unterbrach ihn die Matrone schnell, »das kann ich Ihnen nicht zugeben, und schon ein solcher Gedanke ist Unrecht.«

»Wenn aber nun zum Beispiel Ihr Mann, oder eines von Ihren Kindern recht lebensgefährlich krank wäre,« demonstrirte Hennigs, »und wenn Sie nun wüßten, daß jede Aufregung für sie oder ihn die traurigsten, nachtheiligsten Folgen haben könnte, würden Sie da nicht, wenn nun etwa ein lieber Freund des Kranken eben gestorben wäre und er darnach früge, ihm den Todesfall verheimlichen? würden Sie da nicht lieber zu einer Nothlüge Ihre Zuflucht nehmen, ehe Sie das Ihnen theure Leben aufs Spiel setzten?«

»Mr. Hennigs, Sie bauen da eine ganze Menge von Voraussetzungen zusammen, um nur eine, Ihren Ansichten günstige Antwort zu hören. Das sind die Fallstricke, die uns der Teufel legt, um uns irre zu führen in dem, was recht und gut ist, und reichen wir ihm dann einen kleinen Finger, so hat er bald die ganze Hand und mit ihr die Seele des ihm Verfallenen. Draper nannte auch den frommen Mann einen Hypokryten.«

»Hm, ja, Mrs. Draper; aber Draper sagte mir, er hätte an dem Gebet volle sieben Viertelstunden gelesen, das ist doch ein Bischen stark.«

»Es war sehr erbaulich, und er gedachte aller unserer Sünden, da mußte es schon lange werden,« erwiederte die Frau.

»Wollen Sie nicht mit uns zur Campmeeting gehen, Mr. Hennigs?« frug jetzt Sally den jungen Mann, und sah ihn bittend mit ihren großen dunkeln Augen an.

»Gewiß, gewiß!« rief dieser schnell. »In so angenehmer Gesellschaft führ ich selbst mit zur – Campmeeting,« verbesserte er noch zur rechten Zeit, da ihm schon ein sehr sündhaftes Wort auf den Lippen schwebte, »aber wahrhaftig,« sagte er, jetzt sich in dem kleinen Raume umschauend, »Draper muß ver – muß ungemein fleißig gewesen sein; er hat sich in den vier Wochen, die er hier ist, schon wirklich ganz behaglich eingerichtet; das Dach kann ja kaum vierzehn Tage liegen.«

»Mr. Draper ist auch in der That sehr fleißig gewesen,« erwiederte die Matrone, »wie lange wird's aber dauern, da packt ihn die leidige Wanderlust wieder an, und Knall und Fall verkauft er für wenige Dollar das, was ihm jahrelange Arbeit gekostet hatte, und zieht westlich, immer weiter westlich, und immer tiefer in den Wald zwischen wilde Menschen und Thiere hinein.«

»Nun, viel weiter westlich kann er jetzt nicht mehr gehen,« meinte Sally ganz ernsthaft, indem sie dem Gast einen Stuhl zum Feuer rückte; »Vater hat ja selbst gesagt, er wäre nun nicht mehr weit vom indianischen Gebiet, und in dem dürfen sich keine weißen Leute ansiedeln. Ueberdieß,« fuhr sie schelmisch lächelnd fort, »ist ja Mr. Hennigs ebenfalls hier in den Wald gezogen, und da muß die Gegend doch wirklich Vorzüge besitzen, die man ihr auf den ersten Anblick hin gar nicht zutrauen möchte.«

Lucy wandte sich ab und setzte ihre Arbeit an dem großen Baumwollenspinnrade fort.

»Das Wandern müssen Sie uns schon zu Gute halten,« erwiederte Hennigs, der ebenfalls Sally's Anspielung vermeiden zu wollen schien und jetzt in aller Verlegenheit mit seinem Taschenmesser an dem Stuhle herumschnitt, auf dem er saß. »Dafür sind wir ja eben Pionniere oder Squatter, wie uns der Ost-Amerikaner nennt. Amerika braucht aber gerade solche Leute, die weder wilde Thiere noch wilde Menschen fürchten, sondern keck hineinziehen mitten in ihr Bereich, und der Natur den Boden abtrotzen, der ihnen und ihrem Fleiß, nach Aussage aller klugen Leute, nun doch einmal gehört.«

»Ja, ja, das ist schon Alles recht schön und gut,« meinte Mrs. Draper, »aber lieber wäre ich denn doch in Illinois geblieben.«

»Was, in Illinois? in den ungesunden dürren Steppen? zwischen Prairie-Hühnern und Prairie-Wölfen, und in der Gesellschaft der wirklich weltberühmten Corncrackers!«[3] rief Hennigs erstaunt aus: »nein, da lobe ich mir das Kraftland unserer Niederung, das ist nicht todt zu machen, und wollen wir wirklich Prairien haben, nun, dann finden wir sie westlich von hier, schöner und herrlicher, wie sie der ganze Osten mit all seinen so hochgepriesenen Vortheilen aufweisen kann.«

[3]: Spottname für die Bewohner von Illinois.

»Das mag wahr sein,« entgegnete ihm Mrs. Draper; »aber Illinois ist doch kein Sclavenstaat, und, mag dieß Land so schön und gut sein, wie es will, es ist mir fürchterlich auch nur mit Menschen zusammenleben zu müssen, die ihre Brüder und Schwestern wie das Schlachtvieh verkaufen.«

»Ach Gott, ja, Madame, es mag viel Wahres daran sein,« meinte Hennigs kopfschüttelnd, »manchmal, wenn ich so recht allein darüber nachdenke, kommt's mir auch fast so vor, als ob es nicht ganz recht wäre, daß wir die Neger feilbieten und ebenso für sie, wie für andere Waaren, den möglichst höchsten Preis zu erhalten suchen. Für Sünde kann's aber doch auch nicht gelten; denn unsere Väter und Großväter haben's gethan, das Gesetz hat den Sclavenhandel geheiligt und die Bibel selbst scheint die Sache als etwas sehr Natürliches zu betrachten, wenigstens habe ich neulich einmal mit dem presbyterianischen Geistlichen, der auch Sclaven hält, darüber gesprochen und der behauptet, Gott selbst habe das so eingesetzt, daß die heidnischen Völker den Christen dienen müßten; das klingt auch eigentlich vernünftig genug.«

»Ich weiß es, ich weiß es,« sagte Mrs. Draper, »sie vertheidigen die Sclaverei, selbst aus der heiligen Schrift, aber nur Gott kann erkennen ob sie daran Recht thun; ich möchte nicht ein voreilig Urtheil fällen. Wir Frauen fühlen uns aber auch vielleicht weit näher darin berührt als die Männer; mir thut's ja schon in der Seele weh, wenn ich ein junges Huhn geschlachtet habe, und sehe nun, wie die alte Henne gluckend den ganzen Raum, den sie sonst zu begehen pflegt, durchläuft und das Verlorene sucht; wie vielmehr muß ich Mitgefühl mit einer Mutter haben, der fremde Menschen das Kind aus den Armen reißen, um es für wenige Dollar zu verkaufen, während sie selbst gern das eigene Herzblut dafür hingäbe, und doch zu arm ist es zu bezahlen. – Ich wollte, wir wären in einem Freistaat geblieben.«

»Nun, hier in Missouri wird die Sclaverei noch nicht so arg getrieben,« sagte Hennigs, »im Süden mag's freilich schlimmer sein; hier hören wir auch ganz selten von entflohenen Negern, und das, sollte ich denken, wäre ein ziemlich günstiges Zeichen. Wo ein Freistaat so nahe ist und die Sclaven trotzdem bei ihrem Herrn bleiben, da kann auch ihr Loos noch kein entsetzliches sein.«

»Und wie sollten sie denn entfliehen können?« frug Mrs. Draper, »muß denn nicht ein Neger, wenn er nur selbst auf eine andere Farm oder Plantage hinübergeht, einen Paß haben, ohne den er von jedem weißen Mann festgenommen werden kann? und liefert nicht selbst dann, wenn der flüchtige Neger den Freistaat wirklich erreicht hat, dieser, zur Schande der Vereinigten Staaten, den festgenommenen Sclaven an seinen Herrn aus? Wie also soll ein solcher armer Mensch denn entkommen, wenn er Niemanden weiß an den er sich wenden kann, wenn er Niemanden hat, der ihn unterstützt und ihm forthilft, und wer das thut – hat Zuchthausstrafe zu erwarten.«

»Das Ausliefern muß aber sein,« fiel ihr hier Hennigs in die Rede, »wie könnten denn die Vereinigten Staaten einig neben einander bestehen, wenn sie einander ihr Eigenthum vorenthalten wollten; das gäbe ja zu endlosen Streitigkeiten Anlaß, und müßte nach und nach zu Haß und Zwietracht führen. Nein, es ist allerdings schlimm, daß wir die Sclaverei haben, und ich selbst wollte Gott danken, wenn es ein Mittel gäbe ihrer los und ledig zu werden, und alle von Negern Abstammende wieder über die See zurück in ihre Heimath senden könnten, wie ja der Anfang dazu auch mit Liberia gemacht ist; da aber die klügsten Leute im Lande sich schon seit langen Jahren vergebens die Köpfe zerbrochen haben, wie Dem am Besten abzuhelfen wäre, so wird unser Einer doch auch nicht dagegen ankämpfen sollen. Das Bestehende, wie es nun einmal besteht, muß der Einzelne ehren.«

Lucy hatte indessen aus einer Spalte über dem Kamine ein zusammengefaltetes Zeitungsblatt herausgenommen, schlug es jetzt aus einander und hielt es dem jungen Mann entgegen.

»Sie behaupten, es entflöhen hier in Missouri keine Neger ihren Herren?« sagte sie mit leisem Vorwurf im Tone, »da – überzeugen Sie sich selbst; hier stehen Drei angegeben, und vor jedem ein kleines Bildchen: ein armer Neger mit seinem Päckchen auf dem Rücken; der eine ist sogar von einem unserer Nachbarn, aus dem nächsten County, von Squire Wallis.«

»Das spricht für und wider mich,« sagte Hennigs; »wider mich, wegen dem Entlaufen, für mich, weil eben dieser Wallis auch Einer von Ihren sogenannten frommen Leuten ist; er hat sogar schon gepredigt, und die Presbyterianer halten ihn für ein besonderes Licht, das dem Staate und ihrer Kirche in diesem Manne aufgegangen sei. Gott bewahre uns vor solcher Beleuchtung!«

»Behandelt Mr. Wallis seine Sclaven wirklich so arg?« frug die Matrone.

»Dessen war Draper und ich neulich Zeuge,« erwiederte ihr Hennigs; »wir ritten gerade vorbei, als er einen seiner jungen Neger an einen Baum gebunden hatte und ruhig daneben seine Pfeife rauchte; dann und wann nur, wie um sich eine kleine Bewegung zu machen, stand er auf und peitschte den Unglücklichen höchsteigenhändig, daß ihm das klare Blut an dem Rücken hinunter lief. Wir frugen ihn, was ihn zu einer so fürchterlichen Strafe veranlaßt habe, er behauptete aber, er thue das aus christlicher Milde, es sei gegen seine Grundsätze einen seiner Sclaven im Zorn zu strafen, und da kühle er sich in der Zwischenzeit immer erst ein wenig ab, um ruhig zu bleiben und nicht hitzig zu werden.«

»Und das nennen Sie ein freies Land!« rief die Matrone entrüstet.

»Und das nennen Sie einen frommen Christen!« warf Hennigs dagegen ein; »ist Ihnen da nicht Ihr Mann mit all seinen kleinen Fehlern und Eigenheiten, meinetwegen Schwächen, zehntausendmal lieber, selbst wenn er dann und wann das untere Ende des Whiskeykruges höher hebt, als das obere, und seinem Herzen mit etwas rauh klingenden, aber keineswegs bösgemeinten Worten Luft macht?«

»Aber das viele gotteslästerliche Fluchen könnte er doch lassen,« sagte Mrs. Draper, freilich schon um Vieles milder gestimmt.

»Ja, und Sie auch, Sir,« lachte Sally, »Lucy hat schon oft gesagt, Sie wären ein ganz guter Mensch, wenn Sie nur nicht immer –«

»Sally!« rief Lucy, »wie kannst Du nur –«

Ein plötzliches Anschlagen der Hunde unterbrach hier jede weitere Rede, und gleich darauf trat auch, die Mütze fest in die Stirne gedrückt und die Büchse in der Hand, die er, ohne sich weiter umzusehen, auf die über der Thür eingeschlagenen Pflöcke legte, Draper ein.

»Da bin ich wieder,« sagte er, und drehte sich in diesem Augenblicke nach den Seinen um, sein Antlitz war aber auffallend bleich, sein ganzes Wesen schien erregt, und er fuhr merklich zusammen, als er einen Fremden an seinem Kamin erblickte, faßte sich jedoch augenblicklich und streckte dem schnell erkannten Freunde die Rechte entgegen.

»Und ohne die Pferde?« frug Hennigs, der die dargebotene Hand derb schüttelte, »mit leeren Zügeln? Die Damen hier scheinen deren Ankunft fest erwartet zu haben.«

»Dann müssen die Damen noch etwas Geduld haben,« lächelte der Alte, und nahm die Mütze ab, die er oben auf eine Ecke des Kaminsimses legte. Dabei schienen aber seine Gedanken wieder weit hinweg zu schweifen, und er starrte, die Hand noch immer oben an dem Brett, wohl mehrere Minuten lang, wie in tiefem Nachdenken versunken, auf die im Kamine glimmenden Kohlen nieder.

»Mr. Hennigs hat die Fährten im Potters Creek gesehen, Vater,« brach endlich Sally das Schweigen, »sie müssen nach der Niederung hinunter sein, und da, weißt Du wohl, wenn sie erst in den Schilfbruch kommen, findest Du sie immer nicht gleich wieder. Am Ende versäumen wir morgen den Anfang der Campmeeting.«

»Das wäre freilich entsetzlich,« lächelte der Alte, der jetzt seine volle Ruhe wieder erlangt hatte und sich behaglich auf dem für ihn hingeschobenen Stuhl niederließ, »und dann könntest Du und Lucy auch nicht eure neuen Kleider und Bonnets zeigen, und Mutter müßte das schöne Umknüpftuch noch ganze vierzehn Tage länger in der Kiste liegen lassen.«

»Aber, Mann!« unterbrach ihn vorwurfsvoll Mrs. Draper, »willst Du denn behaupten, daß wir solcher sündlichen Eitelkeit wegen zu der Versammlung reiten? Habe ich Dir dazu schon je Ursache gegeben?«

»Vater ist überhaupt heute so sonderbar?« sagte Sally plötzlich, indem sie auf ihn zuging und ihm scharf ins Auge schaute, »es fiel mir gleich auf wie er hereintrat; ich weiß nicht –«

»Aber ich weiß, was Jungfer Naseweiß zu thun hat,« sagte der Alte, und ergriff sie lächelnd beim Kinn; »draußen steht Mr. Hennigs Poney und wiehert nun schon, so lange ich im Hause bin, ganz ungeduldig um den versteckten Mais herum. Geh, und gieb ihm ein halbes Dutzend Kolben, und dann wollen wir das Pferd aushobbeln,[4] es mag sich hier herum sein Futter selbst suchen. Du mußt ihm aber vorher die kleine Glocke umschnallen, sie hängt hinten an der Hausecke.«

[4]: Aushobbeln nennt der Amerikaner das Zusammenbinden der Vorderbeine des Pferdes, damit sich dieses zwar langsam von der Stelle bewegen kann, sein Futter zu suchen, aber doch nicht im Stande ist fortzulaufen.

Sally sprang singend hinaus, den erhaltenen Auftrag zu erfüllen, Draper aber ging zu seiner Frau hin, strich ihr schmeichelnd die nur noch halb schmollend weggedrehte Wange und sagte gutmüthig:

»Bist nicht böse, Alte, weißt schon, wie's gemeint ist; ein Bischen eitel seid ihr aber Alle, wenn ihr's auch nicht wollt merken lassen; denn in ihrem Alltagskleid ginge keine von euch zur Campmeeting, so viel weiß ich.«

»Das würde sich auch nicht schicken, Draper, das würde sich auch nicht schicken; wenn wir zu dem Herrn beten, müssen wir auch zeigen, daß wir etwas darauf halten, mit anständigem Aeußeren vor ihn zu treten.«

»Das wäre dem lieben Gott, so wie ich ihn kenne, sehr egal,« lachte Draper gutmüthig: »doch, Du hast recht, Du meinst's ehrlich dabei, und bist auch sonst brav und wacker; nur das scheinheilige Pack kann ich nicht leiden. Aber, Hennigs, wo habt Ihr denn die Pferde gesehen?«

»Die Pferde nicht, nur die Spuren,« erwiederte dieser, »sie kamen aus den Hügeln herunter und gingen, über den Kreuzweg hinüber, der Niederung zu; wenn ich nicht ganz irre, habe ich sogar die Schelle gehört, die der Fuchs um hat.«

»Ja, die schellt am weitesten, 's ist wohl möglich; nun, dann finde ich sie heute Abend an der Buffalolick, dorthin gehen sie gewöhnlich, wenn sie überhaupt die Richtung einschlagen.«

»Ich sah auch dort oben die Spuren eines Mannes,« fuhr Hennigs fort, »und glaubte erst, als ich hier hörte Ihr wäret ausgegangen die Pferde zu suchen, es seien die euren gewesen. Der die hinterließ trug aber Schuhe; es wird wohl ein Jäger gewesen sein.«

»Ja, ja, es wird wohl ein Jäger gewesen sein,« sagte der Alte, stand auf und schritt dann ein paar Mal in der Stube auf und ab; »ja, fuhr er dann fort, ich habe sie auch gesehen, sie gingen nach Süden, den Ansiedelungen zu; wahrscheinlich ein Jäger; aber was ist das für ein Zeitungsblatt?«

»Dasselbe, was der Sheriff heute Morgen hier herein gelegt hat, Vater,« erwiederte ihm Lucy, »wir blätterten darin herum.«

»Nun, giebt es Neuigkeiten aus St. Louis?« frug der Alte, und fuhr sich mit der linken Hand über die breite, offene Stirne, als ob er alle anderen Gedanken daraus verscheuchen wollte; »wie steht's mit der Wahl? was sagt unser Demokrat da? hat Polk Aussichten?«

»Nun, Missouri läßt ihn sicher nicht im Stich,« lachte Hennigs. »Das war's aber nicht, wir haben uns nicht mit Politik beschäftigt, sondern nur über eine Frage debattirt, die das gute Verständniß der südlichen und nördlichen Staaten betraf – über die Sclaverei, und zur Erläuterung derselben lasen wir hier einige Anzeigen von entlaufenen Sclaven.«

»Von entlaufenen Sclaven? wo? zeigt her!« rief Draper schnell und zwar mit einem Interesse, das einem genauen Beobachter sicherlich hätte auffallen müssen; Hennigs aber, die Bewegung einzig und allein der Neugierde zuschreibend, hielt ihm ruhig das Blatt hin und sagte:

»Drei Stück – Wallis hat auch wieder Einen hineinsetzen lassen.«

»Neunzehn Jahr alt,« las Draper, »schlank gewachsen, mit freier, hoher Stirn und besonders wolligem Haar; Farbe: Ebenholzschwärze, Größe: fünf Fuß sieben Zoll – das stimmt alles.«

»Was stimmt?« frug Hennigs.

»Was stimmt? ih nun, die – o, ich kenne den Burschen, der wahrscheinlich entlaufen ist,« erwiederte Draper, und wandte sich, wie um besser lesen zu können, mit der Zeitung ab, dem Lichte zu.

»Ist es etwa der, den er vor kurzer Zeit so fürchterlich mißhandeln ließ?« sagte Hennigs.

»Derselbe, derselbe; sein Rücken ist noch jetzt blutig und zerfleischt, die Narben hatten noch keine Zeit, wieder zu heilen, der arme Teufel konnte Tag und Nacht kein Auge schließen vor Schmerz und Qual und – mußte dennoch arbeiten; Donnerwetter, Alte, wo ist denn eigentlich der Whiskey,« unterbrach er sich plötzlich und bog sich nieder, um unter den Fuß des Bettes zu sehen, wo die fragliche Steinkruke gewöhnlich ihren Platz hatte, »ich bin trocken wie eine Ohio-Chaussee, ich staube ordentlich. Glaubt ihr, man soll euch die Pferde suchen, und nachher nicht einmal einen Tropfen trinken? Ich verdurste, wenn ich nicht bald etwas bekomme!«

»Vater hat wohl die Pferde gesucht, hat sie aber noch nicht gefunden,« sagte Sally, und schöpfte dabei, als sie eben in die Thüre trat, den Flaschenkürbiß voll des klaren Quellwassers, das in einem Eimer auf dem dort angebrachten Regale stand.

»Ist mein kleiner Kiek in die Welt auch schon wieder da?« lachte der Alte. »Also, weil ich sie nicht gefunden habe, braucht' ich auch nicht trocken im Halse geworden zu sein? und Wasser soll ich trinken? Wettermädchen das, folgt der Alten aufs Haar. Nein, Kinder, einen Schluck Whiskey muß ich vorher aufsetzen, aber laß nur das Wasser hier, Sally, zum Nachtrinken giebt's nichts Besseres auf der ganzen Welt.«

»Bester Mann,« bat Mrs. Draper, »ist nun das klare, liebe Himmelsgetränk nicht viel besser und zweckmäßiger, selbst den brennendsten Durst zu löschen?«

»Liebe, beste Frau,« entgegnete ihr Draper, während er von der ihm gereichten Kruke den, aus dem holzigen innern Theil eines Maiskolben bestehenden Stöpsel abzog und dann etwas von dem goldklaren Inhalt in den großen, vor ihm auf dem Tische stehenden Blechbecher ausgoß, – »das Wasser ist eben ein Himmelsgetränk, wie Du ganz richtig bemerkst, für uns arme Sterbliche aber müssen wir etwas Feurigeres, Herz und Seele mehr Zusammenhaltendes haben, und da hat denn der liebe Gott den Whiskey erschaffen.«

»Den hat der Teufel erschaffen!« rief Mrs. Draper lebhafter, als es sonst gewöhnlich ihre Art war, »das ist des Teufels Erfindung.«

»So? in der That? – dann bin ich dem Teufel wirklich mehr verbunden, als ich bis jetzt habe glauben mögen; die Erfindung macht ihm alle Ehre, und söhnt mich theilweise wieder mit ihm aus,« sagte der unverwüstliche Draper mit größter Ruhe, und leerte etwa die Hälfte des Inhalts, wornach er den Rest an Hennigs hinüber schob. Dieser aber zögerte, ihn anzunehmen, und blickte sich halb unschlüssig nach Lucy um.

»Lucy sieht nicht her!« neckte ihn Sally, der des jungen Mannes Verlegenheit keineswegs entgangen war, »Sie können's riskiren.«

»Laßt Euch durch die Frauen nicht irre machen, Hennigs,« ermahnte ihn der Alte, »wenn ich denen glauben wollte, dann wäre das gute Getränk hier vor uns ein Haken, und meine Kehle ein Arm, die mich selbander und mit vereinten Kräften in den Pfuhl der Hölle hineinrissen; so hat's ihnen wenigstens neulich der Presbyterianer erklärt.«

»Du bist ein böser Mann, Draper, und drehst Einem immer die Worte im Munde herum,« sagte die Matrone, reichte aber dem Gatten dabei freundlich die Hand hinüber: »Du weißt ja doch recht gut, wie ich's meine, und daß es nur immer Deines eigenen Besten wegen ist, wenn ich ein Wort einwerfe über Dein –«

»Trinken und Fluchen!« fiel ihr Draper ins Wort; »ja, ja, ich weiß schon, wovon die Rede ist; übrigens habe ich heute noch nicht ein einziges Mal geflucht, und was den Trunk betrifft, den ich selten genug zu meiner Erholung thue, so bin ich allerdings davon überzeugt, daß Du ihn mir nicht mißgönnst, da ist aber der gottverdammte –«

Sally's kleine Hand lag auf seinen Lippen, und er zog sie gutmüthig lächelnd herunter und drückte einen herzlichen Kuß auf den kleinen gespitzten Rosenmund des lieben Kindes.

»Nun, schon gut, schon gut, Sally,« sagte er dann, »'bist mein gutes Mädchen; jetzt seht aber nach euren Kühen – ach, ja so, es ist erst eine da; nun, schad't nichts, besorgt die nur, ehe es dunkel wird, es sollen schon mehrere nachkommen, und nachher zündet auch die Lampe an, oder habt ihr die Lichter schon gegossen?«

»Ja, Vater, die letzten drei Hirsche, die Du geschossen hast, hatten gar viel Talg bei sich, und aus den Bienenbäumen, die hier Mr. Hennigs für uns umgehauen, ist auch ein recht schönes Stückchen Wachs gekommen, – die Lichter sind fertig.«

»Brav, Kinder, dann macht alles bereit, Hennigs und ich, wir wollen indessen noch einmal nach der Buffalolick hinüber gehen und die Pferde holen; vielleicht finden wir auch unterwegs irgendwo ein Volk Truthühner aufgebäumt, ich will auf jeden Fall den Rifle mitnehmen.«

Und der alte Mann hob die schwere Büchse von der Wand herunter, hing sich die kaum abgelegte Kugeltasche wieder um, setzte die Mütze auf und wollte eben mit seinem jungen Freunde das Haus verlassen, als er plötzlich zurückprallte und erbleichend ausrief: »Tod und Teufel!«

Erschreckt sprangen seine Frau und Töchter hinzu, sie sollten aber über das, was den Vater so überrascht hatte, nicht lange in Zweifel bleiben; ein junger Neger mit bloßem Kopf und nur einer dünnen Leinwandjacke und eben solchen Hosen bekleidet, die nackten Füße in groben, rindsledernen Schuhen, das schwarze Antlitz eingefallen und verzerrt von Todesfurcht und übermäßiger Anstrengung vielleicht, sprang auf die Schwelle, warf einen scheuen, wilden Blick über die ihn jetzt Umstehenden, und brach dann, die Kniee des alten Mannes krampfhaft umklammernd, vor diesem halbohnmächtig zusammen.

»Ben, Ben, um Gottes Willen, was soll das heißen?« rief Draper und sah ängstlich nach Hennigs hinüber, der ganz überrascht dastand und gar nicht wußte, wie er sich diese merkwürdige Scene deuten solle.

»Rettet mich, Herr, rettet mich, wenn Ihr nicht wollt, daß sie mich bei lebendigem Leibe verbrennen, wie sie's dem armen Nigger in St. Louis gethan haben, rettet mich um des Heilands Willen, sie sind dicht hinter mir!«

Er blickte flehend zu ihm empor, und Hennigs konnte jetzt zum ersten Mal seine Züge erkennen. Kaum hatte er ihn aber einen Moment scharf in's Auge gefaßt, als er vorsprang, den Knieenden bei der Schulter ergriff und ausrief:

»Alle Wetter, das ist Wallis entlaufener Neger, halt, Bursche, wo kommst Du her und wo willst Du hin?«

Der unglückliche Ben warf einen flehenden Blick auf den alten Mann und sank dann, seine Kniee loslassend, ohnmächtig zu Boden.

»Der Bursche hat wahrscheinlich nicht mehr weiter gekonnt!« sagte Hennigs, als er ihn umwandte und fühlte, wie der arme Teufel regunglos in seinen Armen lag, »nun, ein Bischen kalt Wasser wird ihn schon wieder zu sich selbst bringen. Sie werden ihn aber hier behalten müssen, bis wir Wallis davon benachrichtigen können. Der wird nicht wenig froh sein, daß er seinen Neger wieder hat.«

»Sie werden ihn doch nicht ausliefern?« rief Lucy entsetzt.

»Nicht ausliefern, Miß Lucy? – wir sollen doch wohl nicht etwa gar einem Nigger zum Fortlaufen behülflich sein und nachher das Vergnügen im Zuchthaus büßen?«

»Man will ihn lebendig verbrennen!« rief Sally und faltete in Todesangst die kleinen weißen Händchen auf der klopfenden Brust.

»O bewahre Gott,« lächelte Hennigs, »das wäre ja wider des Herrn eigenen Vortheil, einen seiner Sclaven umzubringen; nein, Sally, der kommt mit einer Tracht Schläge davon, und die hat der Schlingel auch eigentlich verdient, warum läuft er fort; er weiß, daß er doch am Ende wieder gefangen wird.«

Draper bog sich schweigend zu dem Unglücklichen nieder und wies auf seinen Rücken, die Dämmerung brach schon stark herein, aber deutlich konnten sie noch erkennen, wie rothes Blut durch die dünne Leinwandjacke gedrungen war, und diese in langen, theils erhärteten, theils noch frischen Streifen an dem Rücken des Unglücklichen festgeleimt hatte.

Die Frauen stießen einen Schrei der Angst und des Entsetzens aus, und selbst Hennigs wandte sich schaudernd ab.

»Der arme Teufel!« brummte er vor sich hin.

Draper brach endlich das Schweigen und sagte mit hohler, fast tonloser Stimme, indem er den Neger noch immer mit seinem Arm unterstützte:

»Der Knabe hier rettete mir vor drei Wochen das Leben; ich badete im Strom, und nur seiner Dazwischenkunft verdanke ich es, daß ich das steile schroffe Ufer, zu dem mich die zu starke Strömung hingerissen hatte, wieder erklimmen konnte. Heute traf ich ihn flüchtig im Wald, und obgleich ich wußte, daß es ein entflohener Sclave sei, ließ ich ihn ungehindert ziehen. – Ich wandte mich ab und wollte nicht sehen, wohin er floh. Jetzt führt, Gott weiß nur welches Schicksal, den Unglückseligen in meine Hütte, und mir bleiben einzig und allein zwei Auswege offen: entweder ich verrathe meinen Lebensretter und überliefere ihn seinen Henkern, oder ich setze mich der Gefahr aus, angeklagt zu werden einem Neger, einem Sclaven, zur Flucht behülflich gewesen zu sein, – das Zuchthaus ist dann meine Strafe.«

»Hier ist, denk' ich, ein Ausweg möglich,« sagte Hennigs, »Wallis weiß, daß ihm ein Arbeiter nur dann von Nutzen sein kann, wenn er gesund und kräftig ist; auf Euer Wort giebt er überdies etwas, und wenn Ihr zu ihm hinüberreitet und ihm sagt, daß Ihr ihm seinen Neger gegen das Versprechen wieder verschaffen wollt, daß er den schon so arg Gemißhandelten nicht noch mehr züchtige, so glaub' ich, wird er schon ein vernünftiges Wort mit sich reden lassen und kein Unmensch sein. Zum Henker noch einmal, er gehört ja doch auch mit zur Kirche, und da darf er ja schon des Aufsehens wegen nicht den Tyrannen spielen.«

»Er schlägt die Augen auf,« sagte Mrs. Draper, die ihm indessen Stirn und Schläfe mit Essig eingerieben hatte, »er kommt wieder zu sich, großer Gott, wie weh dem armen Menschen ums Herz sein muß; Vater, wenn nun unser Sohn, der sich jetzt in Texas oder Mexico herumtreibt, so unter fremden Menschen läge, wie wolltest Du, daß ihm da geschähe?«

»Ich glaube wirklich nicht, daß ihm viel Gefahr droht, Mrs. Draper,« nahm Hennigs noch einmal das Wort; »wenn Sie es wünschen, so will ich selbst mit Draper hinüber reiten, um Wallis zur Milde zu stimmen, aber ausliefern müssen wir ihn, das verlangt nicht allein das Gesetz, sondern auch unsere eigene Sicherheit. Es ist ja denn doch auch nur ein Neger, und ich sehe nicht ein, weßhalb sich zwei Weiße seinetwegen in so entsetzliche Unannehmlichkeiten stürzen sollten, wie daraus entstehen könnten.«

»Es ist nur ein Neger, Mr. Hennigs,« sagte Sally mit bitterem Vorwurf im Ton, »das klingt, aufrichtig gesprochen, recht garstig von Ihnen. Vater war in seinen Augen auch nur ein Weißer, und er hat ihn doch aus dem Wasser gezogen. Das weiß ich, wenn Sie den armen Menschen wieder auslieferten, und ich wäre Lucy, ich spräche in meinem ganzen Leben kein Sterbenswörtchen mehr mit Ihnen.«

»Sein Sie barmherzig!« flehte auch Lucy jetzt, und sah bittend zu dem jungen Mann auf, der sich, den Hut in der Hand, verlegen hinter den Ohren kratzte.

»Aber, beste Miß Lucy,« sagte er endlich, »was hülfe es ihm denn, wenn wir unsere eigene Sicherheit auch wirklich nicht einen Pfifferling rechnen wollten, deßhalb wäre ihm doch nicht mehr geholfen. Entfliehen kann er nicht; wie käme ein Nigger von hier bis zu der canadiensischen Grenze ohne Paß? Liefern wir ihn also nicht aus, wobei wir uns zugleich für ihn verwenden können, so fängt ihn Jemand Anderes, und dann geht's ihm erst recht schlimm.«

Der Neger hatte seine großen, lebhaften Augen geöffnet und zu dem Sprechenden mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Seelenschmerz in den dunkeln Zügen aufgeblickt. Jetzt theilten sich seine Lippen, und er flüsterte, mit aber noch kaum hörbarer Stimme:

»Ich bin verloren, die Verfolger sind mir auf den Fersen; ich traf einen der nach mir ausgesandten Männer zufällig im Wald, und nur die Verzweiflung gab mir Kraft genug, ihm in dem dichten Unterholz zu entgehen, das ihm nicht erlaubte mit dem Pferd so schnell hindurch zu brechen. Unfern von hier wußte ich ihn von meinen Fährten abzubringen und floh nun, als letztem Rettungsweg, Ihrem Hause zu. Ich kann nicht weiter, mein Rücken ist zerfleischt, meine Kräfte sind erschöpft, die Wunden brennen mich wie Feuer, und die Glieder versagen mir den Dienst. Liefern Sie mich aus, dann ist's vorbei, und ich habe dieß elende Leben überstanden.«

»Es ist nicht so schlimm, Ben!« sagte Hennigs gutmüthig, »wir wollen selbst zu Deinem Herrn hinüber reiten und ihn um Schonung für Dich bitten; er soll Dich nicht weiter mißhandeln.«

»Umsonst, umsonst!« stöhnte der Unglückliche, und sah starr vor sich nieder, »das wäre vergebens; letzten Freitag warf er mich zu Boden und trat mich mit Füßen; die harten Steine rissen die noch nicht geheilten Wunden der Peitschenhiebe wieder auf, wahnsinniger Schmerz durchzuckte mich, und in aller Verzweiflung, nicht mehr wissend was ich that, was ich beging, ergriff ich einen gerade dort liegenden Axtstiel und – schlug meinen Master zu Boden.«

»Unglückseliger!« sagte Hennigs mitleidig, »dann bist Du allerdings verloren!«

»Nein, nein!« rief Draper, »ich will verdammt sein, wenn ich ihn ausliefere. Ich weiß, was ich riskire, ich weiß was mich bedroht, wenn ich entdeckt werde, doch gleichviel; im schlimmsten Falle lasse ich die hier gethane Arbeit im Stich, und ziehe nach Iowa hinein, aber ich will nicht haben, daß mich das Bild dieses Unglücklichen mein ganzes Leben lang, Tag und Nacht hindurch mahnen und martern soll, und ich mir ewig sagen muß: der hatte dir nur das Leben gerettet, damit du ihn nachher gebunden seinem Henker überliefern konntest. Sei guten Muths, Ben, es soll Dir Nichts geschehn, ich will doch einmal sehn, ob der alte Draper so auf den Kopf gefallen ist, daß er nicht ein Mittel findet Dir fortzuhelfen.«

»Aber, Draper, Draper, denkt an Euer Weib und Euere Kinder,« sagte warnend der junge Mann.

»O, reden Sie dem Vater nicht ab,« bat ihn flehend Lucy, »lassen Sie ihn das gute Werk vollbringen, und – wenn Sie sich uns Allen als ein recht lieber, lieber Freund erweisen wollen, o, so helfen Sie nur dießmal, den armen, armen Jungen von so fürchterlicher Strafe zu erretten.«

»Liebe Miß Lucy,« erwiederte Hennigs, noch immer unschlüssig, »ich will ja gewiß Alles von Herzen gern thun, was Ihnen nur die mindeste Freude gewähren kann, ich sehe aber wahrhaftig nicht ein, wie dem armen Teufel geholfen werden soll. Sind ihm die Verfolger so dicht auf den Fährten wie er sagt, dann können wir sie auch jeden Augenblick hier erwarten, und in dem Zustand, in dem er sich jetzt befindet, wäre es für ihn unmöglich zu entfliehen. Hier im Haus sind wir eben so wenig im Stande ihn lange zu verbergen, selbst wenn wir wollten; denn das eine offene Gemach, was Sie haben, bietet nirgends auch nur den geringsten sichern Schlupfwinkel.«

»Wir müssen ihm einen Paß schreiben!« rief Mrs. Draper schnell, »das wird ihm durchhelfen; einen mit dem Paß versehenen Neger hält Niemand an.«

»Aber womit?« frug Lucy ängstlich, »wir haben weder Schreibzeug, noch Papier, selbst das Stückchen Bleistift, was in dem alten Haus über dem Kamin stak, muß verloren gegangen sein, ich konnte es wenigstens nirgends finden.«

Der Neger hatte indessen mit ängstlichen Blicken von einem der Sprechenden zum andern gestarrt, und seine Augen leuchteten, als er den Paß erwähnen hörte; jetzt, da ihm diese letzte Hoffnung abgeschnitten schien, barg er zitternd das Antlitz in den Händen, und wenn auch kein Laut, kein Schluchzen die Stille unterbrach, so kündete doch das convulsivische Zucken seiner ganzen Gestalt den ungeheueren Schmerz an, der ihn durchbebte.

»Hier muß Rath geschafft werden!« rief der alte Draper jetzt, und ging mit schnellen Schritten im Zimmer auf und ab, »Ben muß fort, und ein Paß, das seh' ich ein, ist dazu unumgänglich nöthig. So mag er denn hier im Haus verborgen bleiben, bis ich ihm den herbeischaffen kann; ich will noch heute zum Squire Mapel reiten und Tinte und Papier holen.«

»Aber das ganze County ist schon in Aufregung,« flehte in Todesangst Ben, »der, der mich heute verfolgte, wußte ebenfalls von dem, einem weißen Manne gegebenen Schlag; zweimal hätte er mich niederschießen können, aber er schrie fluchend, er wolle mich lebendig haben, um mich schmoren zu sehen; sie sind zum Fürchterlichsten entschlossen.«

»Halloh! da drüben!« schallte plötzlich eine Stimme von der andern Seite der niedergehauenen Bäume herüber, und gleich darauf übertäubte, wie bei Hennigs Ankunft, das Heulen der Meute jeden weitern Anruf.

»Das ist mein Verfolger!« stöhnte Ben und sank, die Hände gefaltet, in Verzweiflung auf einen Stuhl nieder, an dessen Lehne mehrere Tropfen klaren Blutes, die durch die dünne Jacke gequollen waren, hängen blieben.

Der alte Mann trat indessen in die Thür, beschwichtigte mit einem Wort die Hunde, die, der Stimme des Herrn gehorsam, nur leise knurrend den fremden Tönen lauschten, und rief jetzt die Gegenfrage an den späten Gast hinüber:

»Wer ist da, und was wollt Ihr?«

»Wer da ist, zum Henker, Pitt ist da, oder ist eigentlich noch nicht da; denn er steckt hier in einem undurchdringlichen Gewirr von allem Möglichen, und weiß nicht, wie er herauskommen soll. Wo in aller Welt ist nur der Fahr- oder Reitweg, Draper? Auf dem, wo ich hergekommen bin, liegen wenigstens zwanzig Klafter Holz!«

»Seid Ihr allein?« frug Draper zurück.

»Ja, allerdings, es werden aber gleich noch eine ganze Menge kommen, ich traf sie nicht weit von hier, und sie redeten davon, bei Euch zu übernachten.«

»Ich komme gleich, Pitt,« rief Draper ihm zu, »bleibt nur einen Augenblick da halten, Euer Pferd könnte sonst in den vielen Splittern Schaden nehmen,« und damit warf er die Thüre wieder in die Klinke und trat in das Innere seiner Hütte zurück.

»Es ist zu spät!« sagte er eintönig, als er mit starrem Blick auf den unglücklichen Knaben niedersah, »sie werden hier sein, ehe wir im Stande sind, auch nur einen vernünftigen Rettungsplan zu ersinnen, viel weniger auszuführen.«

»Wenn er sich nun draußen im Walde versteckte?« frug schüchtern Sally, »ich will ihm ja recht gern Speise und Trank bringen; morgen früh gelingt es dann vielleicht, dem Armen zu helfen.«

»Nein, das ist unmöglich, die Hunde würden ihn dort nicht unbeachtet lassen; überdieß bringen die Fremden, wenn es seine Verfolger wirklich sind, auch auf jeden Fall ihre Rüden mit, und dann wäre seine Entdeckung unvermeidlich. Ich begreife ohnedem nicht, wie ihn meine eigenen Bärenfänger so unbelästigt hereingelassen haben.«

»So verbirg ihn dort zwischen unsern Betten!« sagte Sally plötzlich, »dort mag er liegen, bis sich irgend ein Ausweg für ihn gefunden hat, und wenn es bis morgen früh wäre.«

»Das ist das Einzige; Höll' und Teufel, Pitt wird ungeduldig da drüben, ich muß ihn holen; so versteckt ihn denn schnell, und möge Gott geben daß er dort unentdeckt bleibt, sonst ist mein guter Name für Missouri dahin, und ich muß selbst der Rache seiner Bürger entfliehen.«

Tief aufseufzend verließ er die Hütte, seinen heute so unwillkommenen Gast herein zu holen, während die Frauen indessen ein ziemlich weiches Lager für den armen Gemißhandelten bereiteten und es, zwischen den Betten und durch einen mit Kleider überhangenen Stuhl, so verdeckten, daß, wenn nicht eine wirkliche und hier keineswegs zu befürchtende Haussuchung Statt fand, sein Lager von den in der Hütte befindlichen Personen sicherlich nicht gesehen werden konnte, da sich auch schon ohnedieß keiner der Amerikaner neugierig einer Stelle zugedrängt hätte, die der »Damen-Schlafplatz« war.

Bald darauf erreichte der späte Besuch den kleinen, vor dem Hause befindlichen, offenen Platz, sprach dort einige Worte, seines Pferdes wegen, mit Draper, und betrat dann, schon von draußen den Frauen einen guten und freundlichen Abend hereinrufend, das Innere des jetzt durch ein selbstgegossenes Licht erhellten Raumes.

Mr. Pitt war ein kleines, wohlbeleibtes Männchen, mit so blonden Haaren, daß er sie oft selbst im Scherz »Isabellfarben« nannte, dazu mit großen blaugrauen Augen und gewöhnlich in einen Pfeffer- und Salz-farbenen Oberrock eingeknöpft. So gemüthlich er aber auch sonst in manchen Sachen sein mochte, so viel er selbst auf sein Vieh, auf seine Pferde und Rinder hielt, die er sich nie überarbeiten ließ, so sehr haßte er die Neger, und behandelte seine eigenen Sclaven, wenn er sie auch gut »fütterte,« wie er es nannte, stets mit der größten Verachtung. Die Sclaven der ganzen Nachbarschaft fürchteten ihn auch ungemein, haßten ihn aber wohl noch mehr und nannten ihn überall nur den »Niggerfresser.«

Und doch war dieser Mann ein ganz guter Bürger, ehrlich und rechtschaffen in all seinem Thun und Handeln, und hatte sich, einzig und allein durch eigenen Fleiß, ein gar nicht unbedeutendes Vermögen erworben.

Seinem Ehrgeiz war übrigens dadurch Genüge geschehen, daß ihn sein »Township« zum Friedensrichter, und zwar damals noch ernannt hatte, als die Aufregung für General Harrison selbst bis in den fernen Westen drang; er rühmte sich auch seines eifrigen Whigthums und schwärmte natürlich für Henry Clay, und besonders für Frelinghuysen, der, seiner Aussage nach, der frömmste Mann der Welt sei und eher verdiente, Präsident, als nur Vicepräsident zu werden.

Seiner Religion nach war er Presbyterianer, und hing dabei so eifrig an der Kirche, daß er schon einmal, als er sich bei einer großen Betversammlung befand, wo der andächtig harrenden Gemeinde gemeldet wurde, der plötzlich krank gewordene Prediger könne nicht kommen, selbst, unvorbereitet, den Rednerstuhl bestieg, und mit Kraftworten und noch nie dagewesenen Gesticulationen den Leuten erzählte, wie's ihm eigentlich ums Herz sei. Man wollte ihn später allerdings dazu bereden der geistlichen Beredsamkeit sein Leben ausschließlich zu weihen, Mr. Pitt zog es aber vor Friedensrichter zu bleiben, und behauptete, vielleicht nicht ganz ohne Grund, »als Laie die Eingeborenen viel mehr in Erstaunen setzen zu können, als wenn er aus der heiligen Sache eine wirkliche Profession mache«. Dabei war er höchst ritterlich und gefällig gegen Damen, obgleich er, als alter Junggeselle, von diesen auch manches Scherz- und Stichelwort ertragen mußte; ja, er hatte sogar selbst, vor noch nicht so langer Zeit, bei einer Entführung in St. Louis thätigen Antheil genommen. Wenn er aber auch gern von dieser Sache sprach, so verfehlte er doch nie dabei die Bemerkung zu machen, daß das vor der Zeit gewesen sei, wo er als Friedensrichter in Thätigkeit getreten, und er jetzt, gerade im Gegentheil, eine solche ungesetzliche Handlung mit jeder ihm zu Gebote stehenden Macht verhindern würde.

Mr. Pitt trat also in die Thüre der Hütte, und reichte, sich nicht mit dem allgemeinen »guten Abend, Ladies,« begnügend, noch jeder der Damen insbesondere die Hand, führte dabei auch so total allein das Wort und erkundigte sich so angelegentlich nach dem Befinden und Wohlergehen seiner »neuen Nachbarn« (sein Haus lag elf englische Meilen entfernt), daß er die Verlegenheit und Aufregung, in welcher sich diese befanden gar nicht bemerkte, sondern geschäftig einen der Stühle zum Kamin schob (und zwar mit dem Rücken gegen die Thür, also den Betten mehr zugewandt), von dem aus er an Draper und Hennigs indessen tausend verschiedene Fragen zu gleicher Zeit richtete.

Draper war übrigens selbst zu aufgeregt, um sich in eine Beantwortung derselben einzulassen, und frug nur seinerseits, wobei er freilich einen Augenblick benutzen mußte, in dem der würdige Mann gerade Athem schöpfte, wen er noch von Fremden im Walde getroffen habe, was diese getrieben und wann sie hier eintreffen würden.

»Stop, Sir – stop!« schrie der Kleine und drehte sich in komischer Verzweiflung nach ihm herum, »das sind eine Menge verschiedener Artikel, die erst geordnet und dann einzeln vorgenommen werden müssen. Vor allen Dingen, Ladies, fürchte ich, daß Ihr Raum heute ein wenig beschränkt werden wird; denn acht Mann kann ich sicher anmelden, die noch vor Ablauf einer Stunde hier eintreffen werden. Das heißt, eigentlich nur sieben, da Einer von ihnen hier schon ganz behaglich und warm am Feuer sitzt und sich ungemein freut, daß er aus den bösen Dornen und Ranken da draußen heraus ist. Dieser Eine, meine theuren Ladies, den ich Ihnen die Ehre habe in meiner unbedeutenden Person vorzustellen, wird nun auch wohl morgen noch hoffentlich das Vergnügen genießen, in Ihrer Gesellschaft zu bleiben; denn ich zweifle keinen Augenblick, daß Sie ebenfalls beabsichtigen der Betversammlung beizuwohnen; die dort aufgehäuften Kleider sind wahrscheinlich schon dazu bestimmt, Ihren holden Gestalten einen womöglich noch höhern Reiz zu verleihen.«

»Wer waren aber die Anderen?« unterbrach ihn ungeduldig der Alte.

»Wer die Anderen waren?« wiederholte lächelnd der kleine Friedensrichter; »die Blüthe des Staats, der Stolz und Schmuck unseres und des benachbarten Countys, lauter wackere Farmer, wie berittene Nimrode, mit ihren Büchsen und Hunden. Apropos, Draper, habt Ihr den Wolfshund noch, den Ihr von Hilbert damals kauftet? das war ein famoses Poppy, muß einmal ein prächtiger Hund werden.«

»Waren die Männer auf der Jagd?« mischte sich Hennigs jetzt in das Gespräch.

»Jagd? ja,« sagte der Kleine; »aber ganz besondere Jagd – Hochwild – Menschenfleisch!«

»Menschenfleisch?« riefen die Frauen entsetzt.

»Erschrecken Sie nicht, meine Damen, es war weiter nichts als ein weggelaufener Nigger,« lächelte der gemüthliche Friedensrichter, »vielleicht haben sie ihn jetzt schon und bringen ihn dann gleich mit her.«

Keiner im Haus antwortete ihm auch nur eine Sylbe darauf, und der Geschwätzige fuhr plaudernd fort:

»Wallis hat, wie Sie vielleicht wissen, neulich einmal einen seiner Neger exemplarisch abstrafen müssen; der Strick war am lieben Sonntag mit seinen ganz neu gekauften Sachen, wie er selber sagte, in den Fluß gefallen –«

»Großer, allmächtiger Gott! deßhalb hat er ihn gezüchtigt? das ist die Ursache gewesen?« schrie Draper entsetzt.

Pitt sah ihn erstaunt an. »Nun,« sagte er, »das wäre allerdings eine Ursache gewesen, ihn zu strafen, und er hat auch wohl seine Tracht Schläge deßhalb bekommen; von der Strafe aber, von der ich spreche, war es nur ein entfernterer Grund; denn die Canaille hatte sich auch noch dabei erkältet und konnte nun ihre Arbeit nicht ordentlich verrichten. Wallis ist ein wenig hitzig und ich weiß nicht recht, wie alles später gekommen, so viel aber ist gewiß, Ben, der Junge, hatte eine trotzige Antwort gegeben und mußte dafür, wie sich das auch von selbst versteht, büßen. Da denken Sie sich nur, überfällt er neulich seinen eigenen Herrn, schlägt ihn mit einem Axtstiel, an dem glücklicher Weise die Axt fehlte, zu Boden und – entflieht. Aber weit wird er nicht kommen, Hilbert ist ihm heute Nachmittag hier ganz in der Nähe begegnet, hatte aber unglücklicher Weise seine Hunde nicht bei sich und verlor, nicht weit von dem Hurricane[5] seine Fährte. Gleich darauf traf er übrigens die zur Verfolgung des Niggers ausgezogenen Männer, und nun wollen sie, da diese noch mehr Hunde mitbrachten, den Hurricane ordentlich abtreiben und nachher hierher kommen und hier übernachten. Sie bleiben vielleicht im Wald, es sieht aber heute Abend wie Regen aus, und da ist's doch besser sie suchen Dach und Fach.«

[5]: Hurricane werden in den westlichen Wäldern auch die, durch einen Hurricane oder Orkan niedergeworfenen Waldstrecken genannt, die oft, wenn sie besonders erst einige Jahre gelegen haben, wirklich undurchdringliche Dickichte bilden.

»Aber Ladies, Sie lassen mich die Unterhaltung ganz allein führen; es spricht ja keine von Ihnen auch nur ein Wort.«

»Wir müssen an's Abendessen denken, Sir,« sagte die Matrone, »wenn wir so viele Gäste bekommen, so werden sie, für die anderen Unbequemlichkeiten denen sie ausgesetzt sind, doch wenigstens etwas Warmes zu essen haben wollen; bis wann können sie wohl hier sein?«

»Wird nicht mehr so lange dauern, gar nicht mehr so lange dauern,« sagte der Kleine, und zog die Augenbraunen bedeutsam in die Höhe, »in höchstens drei Viertelstunden können sie Alles abgesucht haben, der Hurricane ist nicht so übermäßig groß, und die Hunderace, die sie mit sich führen, vortrefflich. Die Mutter von Eurem Wolfshund ist auch dabei, Draper. Uebrigens kann es auch sein sie finden den Burschen gleich, und dann halten sie sich weiter gar nicht auf.«

Draper und Hennigs hatten leise einige Worte gewechselt und der letztere nahm jetzt seinen Stuhl auf und trug ihn an die entgegengesetzte Seite des Kamins, während er zugleich Mr. Pitt bat ihm dahin zu folgen, damit die Damen nicht so viel in dem Ab- und Anrücken ihrer Kochgeräthschaften gehindert würden.

Mr. Pitt folgte sehr eilfertig dem ausgesprochenen Wunsch, ergriff seinen Stuhl an der Lehne und trug ihn weiter herum, faßte sich aber plötzlich erschreckt an die Tasche seines Rockes, fühlte dort etwas, und besah sich dann am hellen Kaminfeuer die gegen dieses ausgestreckte linke Hand.

»Blut!« rief er überrascht und schaute sich nach dem Stuhl um, auf dem er eben gesessen, Mrs. Draper aber sprang schnell hinzu, wischte mit einem alten Tuche die Lehne ab und sagte mit vor Angst und Bestürzung halb erstickter Stimme:

»Ach, sein Sie nicht böse, Mr. Pitt; Lucy – bekam heute so plötzliches Nasenbluten; wir haben die Flecken gar nicht gesehen –«

Hennigs bog sich leise zu Sally hinüber und flüsterte lächelnd:

»Erinnern Sie doch Mutter einmal wieder an das Kapitel von der Nothlüge!«

»O bitte sehr, bitte sehr!« rief der artige Friedensrichter, »hat gar nichts zu sagen, so süßes Blut kann mir nur angenehm sein; bitte, geniren Sie sich nicht, ich habe selbst ein Taschentuch; es ist ja bloß ein unbedeutender kleiner Flecken. Ich erschrak nur so im Anfang, als ich das Nasse an der Hand fühlte, weil ich glaubte, ich hätte heute beim Reiten eine kleine Dintenflasche zerdrückt, die ich in der Rocktasche trage; das wäre mir allerdings fatal gewesen; denn für meine hellen Bein- – meine hellen Kleider würde eine solche Anfeuchtung von bösen Folgen gewesen sein.«

»Sie haben Dinte bei sich?« rief Hennigs schnell, und sprang in der Erregung des Augenblicks von seinem Stuhle, auf den er sich eben wieder niedergelassen empor.

»Ich? allerdings; befremdet Sie das? ja, hier im Walde ist Dinte allerdings ein seltener Gegenstand, ich bin deßhalb auch genöthigt sie überall mitzuführen; denn komm' ich einmal in ein Haus und muß etwas schreiben, so kann ich mich fest darauf verlassen, daß erstlich keine Dinte in fünf Meilen im Umkreis zu bekommen, und das einzige Papier der Schmutztitel irgend eines verräucherten Buches ist, der vorerst herausgenommen werden muß. Im allergünstigsten Falle steckt dann noch über dem Kamin ein alter, halbverbrauchter Truthahnflügel, dem eine hineingedorrte Feder durch Gemeinkraft sämmtlicher Familienglieder entzogen, und mit dem Jagdmesser des Mannes oder gar der Schere der Frau nothdürftig geschnitten wird, und dann ist das Schreibzeug fertig. Nein, darauf kann ich mich nicht einlassen, ich muß mein »Handwerkszeug« besser in Ordnung haben, und da trage ich denn immer eine kleine steinerne Kruke, wie etwas Papier und einige Federn bei mir.«

Hennigs war indessen einige Mal schnell im Zimmer auf und abgegangen und blieb plötzlich neben dem Stuhle des Redseligen, der in allem Eifer das Fläschchen hervorgeholt hatte, stehen.

»Mein bester Herr!« sagte er, freundlich dabei die Hand auf dessen Schulter legend, »da könnten Sie der Mrs. Draper einen recht großen und vielleicht einen doppelten Gefallen thun!«

»Wer? ich?« rief Mr. Pitt, sich schnell nach der erwähnten Dame umdrehend: »mit dem größten Vergnügen, was ist es? was steht zu Diensten?«

Mrs. Draper blickte verlegen nach Hennigs herüber, dieser aber ließ ihr gar keine Zeit, ein Wort zu erwiedern, und fuhr zu dem Friedensrichter gewendet, fort:

»Die Damen wünschten gern eine Abschrift des kleinen, von Ihnen gedichteten geistlichen Liedes zu besitzen, das Sie neulich bei Mapel's vortrugen, und sie haben mich schon heute Nachmittag darum ersucht, weil ich ihnen vor einiger Zeit einen Vers desselben aus dem Kopfe citirte. Da wir uns aber hier in derselben Lage befinden, wie die übrigen Ansiedelungen, die Sie uns eben so treffend schilderten, nämlich ohne jegliches Schreibmaterial, so möchte ich Sie jetzt im Namen der Damen nicht allein um etwas Papier und Dinte bitten, sondern auch noch den Wunsch daran knüpfen, mir die Verse langsam vorzusagen, daß ich sie gleich auf der Stelle nachschreiben könnte.«

»Meine Damen, Sie beschämen mich wirklich durch die freundliche Nachsicht, mit der Sie meine armseligen poetischen Versuche beehrt haben!« schmunzelte der kleine Mann, während er in größter Geschäftigkeit seine Taschen auskramte und in wenigen Secunden eine große Brieftafel, ein kleines Pennal und die eben wieder zurückgeschobene Dintenflasche zum Vorschein brachte, was er Alles auf den Tisch stellte und dann seinen Stuhl neben denselben rückte, das Licht mit den Fingern putzte, seine Brille abwischte und jede Vorbereitung traf, um das gewünschte Gedicht augenblicklich selbst niederzuschreiben. Daran verhinderte ihn aber Hennigs, indem er wie scherzend das Pennal an sich nahm und dem Richter versicherte, »er würde unter keiner Bedingung zugeben, daß er selbst seine überdieß schon so schwache Augen bei dem düstern Scheine des flackernden Talglichtes anstrenge.«

»Nein,« fuhr er in seinen Einwendungen fort, »lassen Sie mich einmal meine, wenn auch von der Führung der Axt etwas steifen Finger mit der Feder versuchen, es wird schon gehen, und Sie setzen sich indessen mir gegenüber an den Tisch, dann haben die Damen auch noch den Genuß des Vortrags und brauchen nicht müßig zuzusehen.«

Mrs. Draper war hinter den Friedensrichter getreten und hielt die zusammengefalteten Hände fest, fest auf das Herz gepreßt, als ob sie die Angst, die ihr die Brust zu zersprengen drohte, da bannen und zurückdrängen wollte. Lucy hielt seine Stuhllehne gefaßt und blickte starr und mit halb geöffneten Lippen, aber leichenbleichen Wangen und glanzlosen Augen nach dem Geliebten hinüber, und nur Sally, das sonst so muntere, leichtsinnige Mädchen, hatte die fürchterliche Entscheidung des Augenblicks nicht ertragen können und war hinaus vor die Thür gegangen, wo sie den Kopf in der Schürze barg und sich dort recht nach Herzenslust ausweinte.

Hennigs dagegen schien ganz ruhig und unbefangen, plauderte mit dem Friedensrichter – während dieser ein reines Blatt Papier vorsuchte und aus dem Pennal eine geschnittene Feder nahm – lauter tolles Zeug, erzählte ihm, wie sie in Louisiana immer auf Magnoliablätter geschrieben und in Tenessee Dinte aus Pulver und Indigo gemacht hätten, legte dann, als er auch die letzten Bedenklichkeiten des also geschmeichelten Dichters überwunden hatte, der nur immer noch selber zu schreiben wünschte, das weiße Blatt vor sich hin, sah nach dem Spalt der Feder, feuchtete diese einmal im Mund an und sagte, sich behaglich auf dem Stuhle zurechtrückend:

»So? jetzt bin ich fertig, nun schießen Sie los!«

Draper lehnte am Kamin, und der starke Mann zitterte vor innerer Aufregung so gewaltig, daß die lockeren Dielen unter ihm erbebten; nur Hennigs blieb ruhig und gleichmüthig, und lächelte sogar still und heimlich vor sich nieder, als der Friedensrichter, wohlbehaglich im Stuhl zurückgelehnt, die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet, die Brille in die Höh', auf die Stirn geschoben und die kleinen runden Augen andächtig der Decke und einer Anzahl dort aufgehangener geräucherter Hirschkeulen zugekehrt, mit monotoner, singender Stimme begann:

»O, süßer Herr Jesus, o, komm doch zu mir,
Verzeih' mir, o Herr, meine Sünden!«

»Halt! nur nicht so schnell,« bat Hennigs, »ich komme ja sonst nicht mit – verzeih' mir –«

– »o Herr, meine Sünden?«

Draper trat hinter Hennigs Stuhl und las, was dieser schrieb; auf dem Papier stand:

»Der Träger dieses, Scipio –«

»Also weiter – ich hab' es.«

»Und laß mich, Lamm Gottes, beim Vater und dir
Erbarmen und Sühnigung finden.«

Hennigs schrieb weiter: »geht mit meinem Wissen und Willen zu seinen Eltern –«

»Haben Sie: Sühnigung finden?« frug der Friedensrichter, schob sich die Brille herunter und blickte nach dem jungen Manne hinüber.

»Gleich, gleich – Sühnigung finden – so, nur weiter.«

»Ich bin zwar, o Heiland, ich muß es gestehn,
Dein schlechtester, niedrigster Knecht –«

declamirte Mr. Pitt, warf einen freundlichen Blick nach der über ihn hingebeugten Mrs. Draper hinauf, seufzte einmal tief auf, und wiederholte:

»Dein schlechtester, niedrigster Knecht –«

– »nach Illinois, und hat von mir dazu vier Wochen Erlaubniß« – schrieb Hennigs.

»Haben Sie das?« frug wieder der Richter.

»Ja, – Erlaubniß –«

»Wie?« sagte Mr. Pitt, und blickte zu ihm auf.

»O, nichts,« erwiederte schnell gefaßt der junge Mann, »es hatte sich ein Haar in die Feder geklemmt, also – Knecht!«

»Ja, – warten Sie einmal, nun bin ich herausgekommen, – schlechtester, sündigster Knecht,« murmelte er vor sich hin, »ach ja, jetzt hab' ich's:

Doch hast du ja auch meine Reue gesehn,
So weise mich, Herr, denn zurecht –«

– »weise mich, Herr, denn zurecht,« repetirte Hennigs und beendete indessen den Paß Benjamin's mit dem Wort: »erhalten;« setzte den fingirten Namen Peter Rollins mit dem gestrigen Datum darunter, und faltete das Papier zusammen.

»Halt! ich bin noch nicht fertig,« rief da der würdige Friedensrichter aus, dem diese Bewegung nicht entgangen war, »das sind nur die zwei ersten Strophen, nun kommen fünf in einem andern Rhythmus, und dann wieder drei Schlußverse. Schreiben Sie also weiter:

»Ich will Dir, du treuer Hirte
Ein getreues Schaf auch sein,
Führe denn mich heil'ger Vater,
den ew'gen Schafstall ein.«
Und wenn mir –

aber Sie schreiben ja gar nicht.«

»Nur die beiden ersten Verse fehlten Ihnen, nicht wahr, Mrs. Draper?« sagte Hennigs, und stand von seinem Stuhle auf.

»Ja, Sir, es waren nur die beiden,« stammelte die Matrone, und sie wußte jetzt, daß Hennigs Auge fest auf ihr haftete; das Blut strömte ihr quellend in Stirn und Schläfe, und der Athem verging ihr fast vor Angst um den Unglücklichen, vor Scham über die ausgesprochene Lüge.

»Also die andern Verse haben Sie? nun, warten Sie, ich sage sie Ihnen noch einmal vor, dann können Sie, wenn etwas daran nicht richtig sein sollte, es ändern. Zeigen Sie mir nur erst einmal was Sie geschrieben haben,« und er streckte seinen Arm nach dem Papier aus, das Hennigs mit auf den Tisch gestützter Hand locker zwischen den Fingern hielt.

Dieser aber schien es gar nicht zu bemerken; mit vorgebeugtem Körper, starr und regungslos stand er da, die linke Hand lauschend hinter das Ohr gehalten; er horchte einem entfernten Geräusch, und hatte für den Augenblick seine ganze Umgebung vergessen.

Mr. Pitt nahm indessen das Papier herüber, öffnete es, schob sich die Brille wieder nieder, und schien dann erst das sonderbare Benehmen des jungen Mannes zu bemerken.

Die Bewohner der Hütte standen entsetzt; warf der Friedensrichter nur einen Blick in die Zeilen, die er geöffnet in der Hand hielt, so waren sie entdeckt.

»Hennigs!« rief der alte Mann, und faßte seinen Arm.

»Mr. Hennigs!« sagte Pitt, und hielt das Innere der Linken gegen das Licht, um, von diesem nicht geblendet, ihn besser betrachten zu können. Das rief den Träumenden aber mit Gedankenschnelle in seine Umgebung zurück; er blickte den Fremden an, sah den Paß in dessen Hand, und riß ihn mit keckem Griff aus seinen Fingern.

»Mr. Hennigs!« rief überrascht der Richter.

»Ich muß tausendmal um Verzeihung bitten, Sir,« entschuldigte sich jener, verlegen lächelnd, »doch das, was ich hier geschrieben habe dürfen Sie wahrhaftig nicht lesen, es ist zu schlecht, Sie haben zu schnell gesprochen, und ich mußte mich so eilen; warten Sie noch wenige Minuten, und ich will es in's Reine schreiben, nachher mögen Sie sich überzeugen, daß auch ein Backwoodsman manchmal keine so üble Feder führt, und den Schulmeister nicht braucht, wenn er Jemandem einen Brief schicken will.«

»Was hatten Sie denn aber eben? Sie starrten ja vor sich nieder, als ob Sie einen Geist sähen?« frug, dadurch beruhigt, Mr. Pitt.

»O nichts, wenigstens nichts von Bedeutung,« erwiederte jener, »mir war es nur, als ob ich irgend ein fremdartiges Geräusch vernahm, und ich konnte nicht recht herausbekommen was es war. Halt – da wieder; hören Sie nichts?«

Draper sprang an die Thür und riß sie auf, und deutlich drang jetzt der Ruf von fernen Stimmen an ihr Ohr, als ob Leute über einen Fluß hinüber die Fähre anriefen.

»Da sind sie,« sagte der Kleine, sprang auf und griff nach dem an der Wand hängenden Blechrohr, das in fast allen amerikanischen Blockhütten dazu benutzt wird, die Arbeiter zum Essen aus dem vielleicht weit entfernten Felde zu rufen. Die Töne dieses langen, geraden Hornes schallen ungemein weit, und man kann sie mit günstigem Winde, und besonders über das Wasser hin, oft Meilen weit hören.

Mr. Pitt schloß nun auch ganz richtig, daß die Jäger, von der Dunkelheit überrascht, die einzeln und mitten im Walde liegende Hütte nicht hatten finden können, und nun durch ihr Rufen die Aufmerksamkeit der Bewohner zu erwecken gedachten, damit diese durch irgend ein Zeichen, durch einen abgefeuerten Schuß, oder den Ton eben solchen Hornes ihren Aufenthalt verriethen. Er nahm denn auch ohne weitere Umstände das Instrument vom Nagel, trat in die Thüre und ließ nun nach jener Richtung hin so durchdringende, klagende Laute ertönen, daß die Hunde mit kurzem Gebell zuerst eine Art Protest gegen solche Musik einzulegen schienen, dann aber, vielleicht durch das Weiche der Melodie gerührt, ein so fürchterliches, wehmüthiges, markzerschneidendes Geheul ausstießen, daß Mr. Pitt erschreckt mitten in seinem nicht mehr Solo einhielt, den Bestien einen Augenblick zuhörte, und dann kopfschüttelnd sagte:

»Ist nun einem lebendigen Christenmenschen schon so etwas in seinem ganzen Leben vorgekommen?«

Nichtsdestoweniger setzte er seine musikalischen Uebungen fort, und Hunde und Friedensrichter vereinigten sich jetzt zu einem so ohrzerreißenden Concert, daß der Wald ordentlich lebendig zu werden schien, und sämmtliches zahmes Hausvieh, als da war, drei Ferkel und etwa ein halbes Dutzend Hühner, die ersteren ihr Lager mieden und grunzend, die Seiten an einander gedrückt, herbeiliefen, und die anderen mit den Flügeln schlugen und nicht übel Lust zu haben schienen, eine so unruhige Nachbarschaft zu verlassen.

»Hier ist der Paß,« rief Hennigs jetzt schnell, und drückte das Papier dem alten Draper in die Hand.

»Der Träger dieses, Scipio, geht mit meinem Wissen und Willen zu seinen Eltern nach Illinois, und hat von mir dazu vier Wochen Erlaubniß erhalten.«

»Peter Rollins

»Wer ihn anhält und nicht persönlich kennt, wird ihm kein Hinderniß weiter in den Weg legen; doch muß er noch in dieser Nacht fort.«

»Aber wie? der Richter steht in der Thüre und in wenigen Minuten haben wir das Haus so voll Menschen, daß ein Entrinnen für ihn zur Unmöglichkeit wird.«

»Auch dazu wird Rath werden; geben Sie ihm nur einen alten Rock und eine Mütze – schnell – der Richter hat aufgehört zu blasen, ich will ihn zu mir hinausrufen. Wenn ich den Eulenruf nachahme, muß Ben rasch hinausgleiten; er soll dann zu mir hinter das Haus kommen; ruhig jetzt, er dreht sich wieder um.«

Mr. Pitt hatte allerdings seine Lungen pausiren lassen und die Bearbeitung des Instrumentes eingestellt, keineswegs waren aber die Hunde gesonnen, sich so schnell und plötzlich über das Gehörte zufrieden zu geben. Ein junges Thier, und zwar eben der schon früher erwähnte junge Wolfshund, heulte Sopran, und schien den Ton anzugeben, denn nach jedesmaliger kurzer Pause fiel er stets zuerst wieder ein, und ihm folgte augenblicklich ein alter blinder Schweißhund in E moll, wornach denn die übrige Schaar, als ob sie nur auf das Angeben der Tonart gewartet hätte, im wilden, disharmonischen Chor einfiel und nicht eher aufhörte, bis auch der letzte Vorrath von Luft und Lunge und Kehle erschöpft war.

Mr. Pitt versuchte nun zwar sein Bestes sie zur Ruhe zu bringen, schimpfte, drohte, und warf sogar einzelne Späne und Holzstücke, die vor der offenen Thüre lagen; das hatte aber weiter nichts zur Folge, als daß sie jetzt sämmtlich gegen ihn Front machten, und zwar die Köpfe ihm seitwärts zugedreht, um jedem etwaigen, nach ihnen geschleuderten Wurfgeschoß schnell genug ausweichen zu können, sonst aber fuhren sie in ihren entsetzlichen Accorden ruhig fort.

»Laßt's gut sein, Sir,« tröstete ihn jetzt Hennigs, als der kleine Friedensrichter halb lachend, halb ärgerlich wieder in der Thüre erschien, »ich will sie schon zum Schweigen bringen.«

»Ruhig, ihr Bestien!« schrie er dann mit Donnerstimme, als er eben vor das Haus getreten war, »ruhig, oder ich drehe euch die Hälse um!« und eine dort lehnende Stange ergreifend, fuhr er mit so gut gemeinten und links und rechts ausgetheilten Schlägen zwischen sie hinein, daß sie nach allen Seiten auseinander stoben und sich winselnd theils in den Wipfeln der umhergestreuten Bäume, theils unter dem Hause verkrochen. Hennigs aber blieb jetzt einen Augenblick auf die Stange gestützt und wie in tiefen Gedanken stehen; da schreckte ihn der näher und näher kommende Lärm der Jäger, das entfernte Bellen von Hunden aus seinem Sinnen empor. Er warf den Blick schnell umher, ergriff den noch neben dem Hause liegenden Sattel und Zaum, trug beides hinter dasselbe und rief nun mit leisem Pfiff sein gehorsames Poney herbei.

»Nun, Madame, werden Sie gleich Einquartirung bekommen,« sagte der Friedensrichter, während er sich schmunzelnd die Hände rieb und zum Feuer trat, an welchem Lucy und Sally jetzt eifrig beschäftigt waren, die verschiedenen, schnell hinzugerückten Lebensmittel zu vertheilen. – »'s wird freilich knapp hergehen hier in dem engen Zimmerchen, man kann sich das aber Alles eintheilen. Lieber Gott, in Arkansas lagen wir einmal Siebenzehn in einem Raume, der, wenn nicht noch kleiner, auf jeden Fall keinen Zoll breit größer war, als dieser hier. Draper macht wohl schon sein Lager da zwischen den Betten zurecht? ja, ja, werden jedes Eckchen und Winkelchen benutzen müssen; die Bursche sind wie das wilde Heer. Ob sie den Neger nur haben? hoffentlich doch, hol der Henker eine solche schwarze Bestie, schlägt ihren eigenen Herrn! Ei, wenn da nicht einmal ein Exempel statuirt wird, dann wäre man ja seines Lebens selbst nicht mehr sicher und müßte sich wahrhaftig fürchten die eigenen Dienstboten zu züchtigen. Wie ich gehört habe, wollen sie zusammenlegen und den Eigenthümer wenigstens in etwas schadlos halten.«

Mr. Pitt hatte sich jetzt wieder halb dem Feuer und halb Mrs. Draper zugekehrt, und diese hielt ihre Augen auch fest auf die seinigen gerichtet, aber kein Wort vernahm sie von alle dem, was er ihr mit so bedeutender Zungengeläufigkeit erzählte, ihr Ohr lauschte dem Rauschen der Kleidungsstücke, dem unterdrückten Flüstern ihres Mannes, und sie sah jetzt plötzlich, wie sich die Gestalt des jungen Sclaven leise und vorsichtig emporhob.

»Weiß nur der liebe Gott wo die Männer so lange bleiben,« unterbrach sich jetzt selbst der kleine Mann, indem er einen Schritt vom Kamine zurücktrat und nach der Thüre sah. »Mr. Hennigs kommt auch nicht wieder, der ist ihnen wahrscheinlich entgegen; wo ist denn Mr. Draper?«

»Hier, Sir,« antwortete dieser und trat einen Schritt vor, dicht hinter ihm stand der Neger, und die geringste Bewegung hätte ihn dem Friedensrichter verrathen; die nächste Minute mußte überhaupt das Schicksal des Verfolgten entscheiden.

Da schlugen wiederum die Hunde an, es waren die Jäger, die ebenfalls, wie vor ihnen Hennigs und Pitt, durch den ziemlich begangenen Pfad herbeigelockt, an der Grenze der niedergeworfenen Bäume hielten und das Haus anriefen. – Mr. Pitt wollte in die Thüre treten, geschah das, so wurde es zu einer Unmöglichkeit, den Neger hinauszulassen, und er war dann rettungslos verloren.

Draußen ließ sich der klagende Ruf einer Eule hören.

»Bester Mr. Pitt!« rief da Lucy plötzlich, »dürft' ich Sie wohl einmal bitten, mir den schweren eisernen Topf hier auf die Kohlen zu heben, ich kann ihn wahrlich nicht regieren und unsere Gäste kommen schon.«

»O, mit dem größten Vergnügen, mein Fräulein!« rief der bereitwillige Friedensrichter und sprang schnell hinzu, lehnte sich mit dem linken Arme gegen den über den Kamin hinlaufenden Querbalken, und griff mit der Rechten in die von Lucy schnell in den Henkeln des Gefäßes befestigten Topfhaken.

»Sehen Sie, mein Fräulein, das ist gar nicht so schwer, allerdings etwas zu massiv für eine Dame; aber – doch wo wollen Sie ihn denn hin haben? auf die brennenden Scheite? die müßten wohl erst ein wenig zusammengeschoben werden.«

»Ach bitte, bester Mr. Pitt, halten Sie ihn nur zwei Secunden, die Klötze haben sich verschoben, warten Sie, ich richte sie gleich zurecht.«

Lucy rückte mit dem Schüreisen die im Kamine liegenden Brände, und Friedensrichter Pitt hielt indessen, dicht über die Glut gebeugt, den schweren Topf, daß sich ihm das Antlitz immer röther färbte und der Schweiß in großen Tropfen auf seine Stirn trat.

Hinter seinem Rücken glitt eine, in einen braunen Ueberrock gehüllte Gestalt, den schwarzen Filz tief in die Augen gedrückt, zur Thüre hinaus, strich um die nächste, der entgegengesetzten Ecke, wo sich die Hunde befanden, und verschwand in der Finsterniß hinter dem Gebäude. Draper folgte ihr hinaus vor die Thüre.

»So, Sir, jetzt nur dahin; ah, das ist recht, es ist Ihnen wohl sehr sauer geworden?« sagte mit mitleidigem Tone das schöne Mädchen, und es war ihr in diesem Augenblick, als ob sich eine Centnerlast von ihrer Brust wälze.

»O bewahre, bewahre,« erwiederte der galante Richter und benutzte augenblicklich die nun freigewordenen Hände, sein Taschentuch hervorzuholen und sich die tropfende Stirn damit abzutrocknen; »nicht mehr als gern geschehen, das Feuer meint's übrigens gut – blitzmäßig heiß. – Wo bleiben denn aber nur die Jäger? aha, können auch nicht durch die Baumwildniß vor dem Haus, das geschieht ihnen recht, warum reiten sie nicht herum, bis sie einen Eingang finden; habe mir auch meinen Weg suchen müssen.«

Draper stand indessen vor der Thüre seiner Wohnung und starrte in die dunkle Nacht hinein, von drüben her schallten die Stimmen seiner Nachbarn, die fluchend und lachend herüberschrieen, daß er ihnen den geheimen Pfad zum warmen Heerde zeigen möchte, und hinter dem Hause raschelte es in den Zweigen und er vernahm leises Flüstern. Schnell schritt er diesem zu. Hennigs stand vor dem Neger, der seine Hand erfaßt hatte und sie trotz dem Sträuben des jungen Mannes inbrünstig an die Lippen drückte. Der arme Knabe konnte vor Schluchzen kaum reden und wollte sich immer wieder zu den Füßen seines Retters niederwerfen.

»Unsinn,« sagte dieser und schob ihn von sich, »mach jetzt schnell, daß Du fortkommst, sonst wird's zu spät; meine Adresse hast Du, das Pferd schickst Du mir nach St. Louis zurück.«

»Euer Pferd?« frug Draper schnell.

»Er kann nicht anders fort!« flüsterte Jener. »Doch nun schnell, sonst wird's beim ewigen Gott zu spät! Kannst Du reiten?«

»Den wildesten Hengst, der je einen Reiter abwarf,« lautete die Antwort.

»Desto besser, Du hast's vielleicht nöthig, aber – schone mir das kleine Thier, wenn's irgend geht; es ist ein so gutes Poney wie eins in den Staaten und – mein einziges; aber alle Teufel, da kommen die Reiter herum; Pest und Gift, wir haben so lange gezögert, bis sie uns auf dem Kragen sitzen. Was nun thun? Willst Du jetzt fort, so müssen sie Dir begegnen; der einzige Ausweg hier ist kaum dreißig Schritte breit.«

Der Neger stand wenige Secunden lauschend still, doch das immer näher kommende Galloppiren der Hufe ließ keinen Zweifel mehr übrig; was geschehen sollte, mußte schnell geschehen, und mit kühnem Sprunge schwang sich der Sohn Afrika's in den Sattel, winkte noch einmal mit der Hand und preßte die Flanken des kleinen, ungeduldig stampfenden Poney's. Im nächsten Augenblick überflog es einen vor ihm liegenden umgestürzten Futtertrog und wollte eben in den schmalen Pfad einlenken, der von hier aus allein durch das Gewirr von Aesten und Zweigen führte, als von dorther ein lauter Jubelruf drang und gleich darauf ein in ein helles Jagdhemd gekleideter Reiter erschien.

»Hurrah! hier ist der Weg!« schrie dieser, »kommt an, Hilbert, im Hause ist Licht und da vorn seh ich auch Gestalten, auf jeden Fall finden wir eine trockene Stube und ein loderndes Feuer; wer zuerst am Kamin ist, bekommt den besten Platz.«

Benjamin erkannte mit Entsetzen die Stimme seines Herrn, das Blut erstarrte ihm in den Adern, doch hier galt es Entschlossenheit, das Leben stand auf dem Spiele; mit Blitzesschnelle glitt er aus dem Sattel, warf sich den Zaum über den Arm und schritt zurück, dem Hause wieder zu.

»Halt da!« schrie der voransprengende Wallis. »Hier, Bursche, hörst Du nicht? nimm mein Pferd auch mit, reib es tüchtig ab und gieb ihm genug Mais, die Thiere sind alle todtmüde; leg' aber auch die Sättel ins Haus!«

Und er schwang sich vom Rücken seines schnaubenden, schäumenden Rappen, überließ den Zügel dem Schwarzen, ohne diesen weiter eines Blickes zu würdigen, und eilte dann mit flüchtigen Sätzen der Thüre zu; denn der bis jetzt drohendbedeckte Himmel fing an in großen Tropfen die Boten eines nahenden Unwetters niederzusenden.

»Gerade zu rechter Zeit, wie abgemessen!« rief er, als er das schützende Dach über sich sah. »Guten Abend, Ladies und Gentlemen, müssen tausendmal um Entschuldigung bitten, es kommt aber eine ganze Jagdgesellschaft, die Noth zwingt uns Ihre Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.«

Draußen sprengten die Reiter vor das Haus und hingen die Zäume ihrer Thiere an einzelne Aeste und schwankende Zweige der umhergestreuten Bäume, während sie vergebens nach dem Neger schrieen, die Pferde zu versorgen und zu füttern.

»Gentlemen,« sagte Draper, der in diesem Augenblick in die Thüre trat und seine Gäste bewillkommte; »Sie rufen nach einem Neger, ich muß aber sehr bedauern, daß ich keinen habe, deßhalb soll jedoch Ihren Pferden nichts abgehen, ich werde sie selbst besorgen.«

»Ich habe doch mein Thier eben einem Neger übergeben!« rief Wallis.

»Das war ich!« lachte Hennigs, der jetzt ebenfalls ins Trockene trat; »ich merkte wohl, daß Ihr mich für einen Nigger hieltet.«

»O, bitte tausendmal um Vergebung, Sir,« sagte der Farmer, und trat, ihm die Hand entgegenstreckend, auf ihn zu, »es fing gerade an zu regnen, und ich sah gar nicht ordentlich zu, dachte wahrhaftig, es wäre so ein schwarzer Hallunke gewesen. Seid übrigens froh, Draper, daß Ihr keinen habt, nichts als Sorge und Noth mit den Bestien. Ah, guten Abend, Richter, wie geht's? wohin? zur Betversammlung? das ist recht; es ist ein Glück für das Land, wenn die, so mit der Polizei desselben beauftragt sind, auch ihren Gott darüber nicht vergessen. Ein frommer Richter ist stets ein gerechter Richter. Ich würde auch mitgehen, aber leider hält mich diesmal die Verfolgung eines nichtsnutzigen Buben ab, den ich erst seiner gerechten Strafe übergeben muß.«

Der Eintritt der Uebrigen unterbrach hier den Redner, und es war für den Augenblick ein allgemeines Begrüßen, Entschuldigen, Einanderausweichen und Stühlerücken, bis endlich, nach mancher Platzveränderung lebendiger, wie lebloser Gegenstände, eine Anzahl von Personen in dem engen Raume nicht allein untergebracht, sondern auch verhältnißmäßig bequem placirt war, von der sich nur der einen richtigen Begriff machen kann, der einmal selbst in einem solchen Haus gelebt hat und Zeuge gewesen ist, wie in einem Raum von »zwanzig bei zwanzig,« das heißt: »zwanzig Fuß lang und zwanzig breit,« zwei bis drei Familien mit einer unbestimmten Anzahl von Kindern im Stande sind zu wohnen, kochen und zu schlafen.

Hennigs und Draper hingen sich nun, als sie das Innere des Hauses ein wenig geordnet hatten, ihre alten wollenen Jagddecken über, und eilten schnell hinaus, die Pferde der Jäger zuerst in einem gemeinsamen Trog zu füttern, und sie dann, da von einem Stall oder Schuppen auch keine Spur in der Nähe war, für die Nacht ihrem Schicksal zu überlassen.

Der Sturm zog indeß herauf, und rauschte und tobte in den alten, weitgespreizten Wipfeln der mächtigen Bäume; von Süd und Westen kam er zusammen, und schleuderte seine gewitterschwangeren Hülfstruppen, die flüchtigen dunkeln Wolkenmassen, mit starken Fäusten gegen einander, daß sie sich, grollend und tobend, mit den zuckenden Gluthlanzen die weiten, giftgeschwollenen Bäuche durchstießen, und nun in tollen Schauern ihre Ströme auf die Erde hinabflutheten. Die Thiere des Waldes suchten ihre versteckten Lager, die Eule selbst barg sich in der sichern Höhlung, und verschob den Raub auf eine günstigere Zeit. Nur der Wolf, der immer gefräßige, zog mit seiner wilden Schaar lauernd und geräuschlos unter den niederkrachenden Aesten hin, schnuppernd dabei die Nase erhoben, den Schlupfwinkel irgend eines scheuen Wildes zu erspähen. Dann und wann aber, wenn ein lauterer Schlag, als gewöhnlich, den Wald durchdröhnte, und das Echo aus den fernen Bergen klagend und grollend antwortete, dann stellte sich wohl der Führer des Rudels, hob den langen, spitzen Kopf zu den jagenden, über ihn dahinstiebenden Wolken empor, und heulte seine klagende Weise hinein in den Aufruhr der Elemente, daß sich der unter das sichere Farmhaus gedrückte Hund unruhig hob, knurrend einen Augenblick den bekannten gehaßten Tönen lauschte und sich dann, mit halb unterdrücktem Bell wieder fester und wärmer zusammen rundete, als vorher.

Die Männer im Innern der Hütte ließen aber den Sturm Sturm sein; das war ein alter Bekannter von ihnen, und das Niederprasseln einzelner Aeste, ja oft ganzer Stämme, das Heulen wilder Bestien und das Rasen der Windsbraut, sie hatten es schon wie oft gehört. Ein loderndes Feuer, ein warmes Abendessen und gute Gesellschaft ließ sie bald Alles vergessen, was um und über ihnen vorging.

Hennigs war besonders ausgelassen lustig, und wenn auch Wallis und Pitt im Anfang nicht so recht mit einstimmen wollten in seine Fröhlichkeit, so riß sie der unverwüstliche Humor des jungen Mannes doch zuletzt ebenfalls mit fort. Massen von alten Jagdgeschichten und Anecdoten wurden erzählt, Scenen aus dem Revolutionskrieg wieder aufgefrischt, da Pitt behauptete, die Schlacht von New-Orleans mitgemacht und hinter den Baumwollenballen damals mit vorgeschossen zu haben, und es mochte zehn Uhr sein – eine für den Backwoodsman ungemein späte Stunde – als die Männer erst das Lager suchten, um sich für die Strapatzen des morgenden Tages zu stärken und kräftigen.

Die Nacht ging es mit dem Lagerraum allerdings eng genug her, doch wußten die Jäger bald Rath; seine wollene Decke hatte ein Jeder mit. Einige derselben wurden deßhalb vor dem Feuer hingelegt, auf denen dann sämmtliche Gäste in langer Reihe Platz nahmen, und über diese wieder breitete nun ihr Wirth Alles, was er nur an breitbaren Gegenständen irgend vorräthig fand. Ein gutes Feuer ward dabei ebenfalls die Nacht über im Kamin unterhalten, und die Männer lagen – wie es sich nur ein Jäger wünschen kann – warm und trocken.

Der nächste Morgen fand übrigens die Letztgekommenen am frühsten zum Aufbruch fertig; Wallis war schon draußen gewesen, um nach den Pferden zu sehen, als der anbrechende Tag kaum seine ersten bleichen Strahlen von Osten herauf sandte, und die Uebrigen fachten indessen das fast niedergebrannte Feuer wieder an, füllten den großen blechernen Kaffetopf mit Wasser, und bereiteten Alles zu einem äußerst frühen Aufbruch vor.

Nur Hennigs, sonst immer der erste, zögerte an diesem Morgen; an den Kaminsims gelehnt, stand er, und starrte gedankenlos nach Mr. Pitt hinüber, der, noch der einzige Schlafende, in einer Ecke sein besonderes mit einem Unterbett versehenes Lager gefunden hatte.

Hilbert und Wallis, deren Thiere indessen schon wieder gesattelt vor der Thüre standen, kamen jetzt herein, um das von den Frauen schnell bereitete Frühstück einzunehmen.

»Nun, Hennigs,« sagte der Erste, als er seine am Feuer aufgehangenen Leggins[6] anzog und mit dem einen hart gewordenen eben wieder zur Thüre zurückschritt, ihn auszureiben, »Ihr seid ja heut' Morgen verdammt bequem, Euer armes Poney steht da draußen, kaut an den Aesten herum und scheint unmenschlichen Hunger zu haben.«

[6]: Die ledernen gamaschenartigen Ueberzieher der Jäger.

»Mein Poney?« sagte Hennigs halb verwundert, halb ungläubig, und hob den Blick zu ihm auf.

»Nun ja, das dort drüben gehört doch Euch, wie? so eine kleine rauhhaarige Bestie giebt's ja weiter gar nicht am ganzen Missouri.«

Hennigs war mit einem Satz neben ihm und blickte hinaus; wer aber beschriebe seine freudige Ueberraschung, als er dort, mitten zwischen Draper's Pferden, die durch das Unwetter heimgetrieben waren, sein eigenes, liebes, kleines Poney erkannte, an das er den ganzen Morgen mit einem recht wehmüthigen Gefühl gedacht, und jetzt schon viele, viele Meilen von da entfernt, todtmüde durch den anstrengenden Ritt eines Verzweifelten, vermuthet hatte.

War denn Benjamin zu Fuße fort? so thöricht konnte er doch nicht gewesen sein.

»Wie ist denn Pitt eigentlich hierher gekommen?« frug Hilbert in diesem Augenblick, und überzählte leise murmelnd die Pferde, die fast sämmtlich in verschiedenen Gruppen vor dem Hause standen.

»Auf seinem Fuchs,« sagte Hennigs schnell, und blickte forschend nach dem eben genannten Thier umher.

»Auf dem Goldfuchs?«

»Ja; aber ich sehe ihn nicht.«

»Der ist auch nicht hier!« meinte Hilbert, »am Haus wenigstens nicht; denn ich bin seit länger als einer Stunde auf, und fast die ganze Zeit draußen gewesen.«

Mrs. Draper rief in diesem Augenblick zum Frühstück, und Mr. Pitt rutschte schnell unter den ihn bis jetzt noch immer verhüllenden Pferdedecken hervor, zog seinen Rock an und trat hinaus vor die Thüre, um dort in einem großen blechernen Waschbecken Gesicht und Hände zu baden. Die Jäger aber ließen sich indessen nicht besonders nöthigen, sie langten wacker zu, beendeten schnell ihr Mahl, und griffen dann, ohne weiteres Zögern, nach ihren Büchsen, die gestern aufgegebene Hetze – eine nun allerdings hoffnungslose Arbeit – wieder zu beginnen. Beim Essen schon hatten sie den Plan verabredet, wie sie jetzt am Besten des flüchtigen Negers habhaft würden, der ihnen, wie sie äußerten, nach solch furchtbarem Wetter und in dem Zustand, in welchem er sich befand, gar nicht mehr entgehen konnte. Wie Draper jetzt vernahm, so waren auch schon am Missouri selbst alle Farmer, die Boote im Fluß hatten, von der Flucht des Sclaven in Kenntniß gesetzt und bereit, ihn aufzufangen. Ihre Absicht, was mit dem Unglücklichen geschehen solle, wenn sie ihn ergriffen, äußerten sie ebenfalls unverholen: er hatte sich an einem Weißen vergriffen, und der Tod war dafür sein Loos. Der Friedensrichter stimmte ihnen auch darin vollkommen bei, und versprach sogar, den nöthigen Bericht darüber an den Gouverneur des Staates zu machen, um von dort her wenigstens einen Theil des Schadens für den Eigenthümer vergütet zu bekommen.

Fünf Minuten später waren die Männer beritten; riefen noch Dank und Abschiedswort, von den Pferden herunter, ihren freundlichen Wirthen zu, und sprengten dann, Wallis und Hilbert ausgenommen, in zwei Abtheilungen rechts und links ab, dem Missouri zu, die beiden Letztgenannten aber bildeten, mit den besten Hunden der Gesellschaft, das Centrum dieser Kette, die also langsam und vorsichtig noch einmal den ganzen Wald durchsuchten, wo sie den Flüchtling vermuthen mußten, und auf diese Art hofften, ihn entweder aus seinem Lager auf-, oder doch den am Fluß hin postirten Helfern in die Hände zu treiben.

Draper sah ihnen lächelnd nach und murmelte, als sie hinter den Büschen der Niederung verschwanden, leise vor sich hin:

»Geht nur, geht, ihr wackeren Männer, hetzt eure Hunde und Pferde ab, um einen Menschen zu jagen; den aber, den ihr sucht, bringt ihr mir nicht mehr zurück. Hat er Glück, so kann er jetzt schon bald in Illinois sein, und Mr. Peter Rollins mag ihm dort durchhelfen.«

Zu seinem keineswegs freudigen Erstaunen entdeckte übrigens Mr. Pitt, nach eingenommenem Frühstück die Abwesenheit seines Pferdes, die er sich gar nicht erklären konnte, da das Thier sonst noch nie in der Nacht den Trog verlassen hatte, an dem es gefüttert worden, und das Fortlaufen eines Pferdes in solchem Wetter doppelt unwahrscheinlich wurde, wo im Gegentheil alles zahme Vieh gern die Nähe menschlicher Wohnungen aufsucht. Hier half aber weiter kein Besinnen, und er mußte, wollte er die Betversammlung heute nicht versäumen, Mr. Draper's Vorschlag annehmen, der ihm eines seiner Pferde zum Gebrauch überließ und den Goldfuchs zu suchen versprach, sobald er selbst zurückkehren würde. Die beiden Männer ritten auch zusammen voraus, und nur Hennigs blieb bei den Damen zurück, um diese, die erst noch Manches zu ordnen wünschten, später zu begleiten.

Kaum schlossen sich nun die Büsche hinter dem Friedensrichter und seinem Gefährten, als sich der junge Farmer, der ihr Fortreiten durch eine Spalte der Hütte beobachtete, mit triumphirendem Blick gegen die Matrone wandte. Die arme Frau hatte aber nur mit fürchterlichster Kraftanstrengung bis dahin, und so lange die Fremden zugegen gewesen, ihre äußere Unbefangenheit und Ruhe behaupten können, jetzt, da der Zwang aufhörte, ließen auch ihre Kräfte nach, und das Antlitz in den Händen bergend, sank sie zitternd auf einen Stuhl nieder und schluchzte laut.

»Mutter!« riefen die beiden Mädchen, und sprangen an ihre Seite: »liebste, beste Mutter!«

»Mrs. Draper!« bat Hennigs, »beruhigen Sie sich doch; schmerzt es Sie denn, daß Sie ein Menschenleben gerettet haben?«

Die Matrone bedurfte einige Zeit, ehe sie sich wieder sammeln konnte; endlich blickte sie mit den thränenden Augen zu dem jungen Mann auf, und sagte leise:

»Sie haben mich hart gestraft, Hennigs, ich werde gewiß in recht, recht langer Zeit nicht den gestrigen Abend vergessen, habe ich aber gefehlt, so mag mir Gott die Sünde vergeben, ich konnte nicht anders. – Ach, unser Herz ist ja so schwach, und weiß wohl oft selbst nicht, wo es irrt und wo es recht handelt. – Wie ist der arme Junge entkommen, und ist er überhaupt gerettet?«

»Er hat Pitt's Pferd mitgenommen,« lachte Hennigs, »dem »Niggerfresser« kann das übrigens nichts schaden. Ben muß gestern Abend doch natürlich Alles mit angehört haben, was er über ihn und seine Race sagte, und da verdenk' ich's ihm gar nicht, daß er sich ein Bischen an ihm gerächt hat.«

»O, das thut mir leid, das thut mir sehr leid,« seufzte die Matrone, »hätten Sie das nur verhindern können; ich würde ihm ja so gerne eins unserer besten Pferde überlassen haben.«

Hennigs schwieg und sah vor sich nieder; jetzt nahm aber Lucy das Wort, und rief:

»Er hat's verhindern wollen, Mutter, er hatte ihm schon sein eigenes, einziges Poney gegeben, ich weiß es, aber die Ankunft der Fremden trieb den Flüchtling wieder zurück. Erst später, als Alle hier im Hause waren, muß der Negerknabe zurückgekommen sein noch einmal mit Lebensgefahr das Pferd seines Retters gegen das seines Feindes umzutauschen.«

Hennigs reichte ihr die Hand hinüber und flüsterte:

»Ich danke Ihnen für das freundliche Wort, Lucy: jener Neger scheint aber in der That Rücksicht auf mein Eigenthum genommen zu haben; er ließ selbst meinen Sattel zurück, den er durch darüber hingelegte Bretter vor dem nächtlichen Regen schützte, während er sich selbst mit der schlechtesten alten Satteldecke begnügte, die er in der Geschwindigkeit finden konnte.«

»Wird er aber entkommen?« frug Sally ängstlich.

»Den seh'n wir nicht wieder,« lachte der junge Farmer, »seine Verfolger glauben ihn nördlich, weil er auch zu Fuß und ohne Paß gar nicht anders hätte fliehen können, er ist aber jetzt in anderer, als der in der Zeitung beschriebenen, Kleidung, beritten und mit einem guten Paß östlich, gerade dem Mississippi zugeflohen. In St. Louis wird er sich übersetzen lassen, und einmal in Illinois, droht ihm, unter diesen Verhältnissen, keine Gefahr weiter. Der Goldfuchs ist ohnedem ein Prachtpferd, und muß ihn bald seinem Ziel entgegen tragen.«

»Und Canada liefert ihn nicht wieder aus?«

»Nein, wahrlich nicht; einmal dort, bringt ihn ganz Amerika nicht wieder in Banden; aber wollen wir nicht aufbrechen?«

»Ach, Mr. Hennigs, werde ich dem Prediger so frei ins Auge sehen können?« sagte Mrs. Draper seufzend.

»Frei und klar!« rief der junge Mann, »wie Sie Ihr Auge zu dem heute ebenso rein auf uns niederlächelnden Himmel heben können. Wir haben zwar Alle gegen die Gesetze des Staates, aber, wie ich es fest überzeugt bin, nicht gegen die Gesetze Gottes gehandelt, und die einzige Bedenklichkeit, die ich jetzt bei der ganzen Geschichte habe ist die, daß wir nicht entdeckt werden. Doch auch das hat keine Gefahr, und so wollen wir uns die schöne Zeit nicht selbst mit unnützer Sorge und Noth verderben. – Ist denn Lucy jetzt mit mir zufrieden?« flüsterte er dann, und bog sich leise zu dem schönen Mädchen nieder.

»Sie sind ein guter, guter Mensch!« sagte die Jungfrau, und reichte ihm erröthend die kleine Rechte.


Acht Wochen mochten etwa nach den oben beschriebenen Vorfällen entschwunden sein, der junge Hennigs hatte um Draper's ältestes Töchterlein angehalten, und dieses auch, da in dem schönen Lande der Freiheit die Herzen, die sich lieben, nicht erst eine hohe Polizei zu fragen brauchen, ob sie auch einander angehören dürfen, als sein braves Weib in die selbstgegründete Heimath geführt. Um aber nicht so weit entfernt von den Schwiegereltern zu wohnen, so waren die beiden Männer übereingekommen, das einmal von Draper durch seine erste Niederlassung in Beschlag genommene Land gemeinschaftlich anzubauen, und die schweren Aexte der wackeren Hinterwäldler hatten sich denn auch schon recht tief und erfolgreich in den stillen Frieden des Waldes hineingearbeitet.

Mit Hülfe des Feuers, das die niedergeworfenen Riesenstämme verzehren mußte, dehnte sich ein recht stattliches Feld zwischen den beiden einander gegenüber stehenden Blockhütten aus, und von den Nachbarn angekauftes Vieh theilte der kleinen Farm jene eigenthümliche, gemüthliche Lebendigkeit mit, ohne die selbst die bedeutendste Niederlassung doch nur eine Einöde sein würde.

Da hielt eines Sonntags Morgens, gerade als sich die kleine Familie um den reinlich gedeckten Tisch gesetzt hatte, auf dem saftiges Hirschfleisch, braun gebackenes Maisbrod und die dampfende Kaffekanne zum leckeren Mahl einluden, ein Reiter vor der Thüre der Hütte, und beide Männer sprangen gleich schnell und erstaunt von ihren Sitzen auf; denn kein Anderer war es, als Squire Pitt auf – seinem Goldfuchs.

Er wurde augenblicklich hereingenöthigt, und sollte nun schnell erzählen, wo er das Pferd wieder bekommen habe, das seit jenem stürmischen Abend nirgends wieder gesehen worden war; Pitt aber, der schon mehrere Stunden geritten sein und nicht unbedeutenden Hunger verspüren mochte, wollte sich auf keine Erläuterungen einlassen, ehe nicht das Tischtuch abgeräumt wäre; ein Stuhl ward ihm also rasch herbeigerückt, und unser Friedensrichter ließ dann auch der Kochkunst der jungen Frau alle nur mögliche Gerechtigkeit widerfahren. Dann erst, als das Geschirr beseitigt und der Tisch zurückgeschoben worden, löste sich seine Zunge, und halb in Entrüstung über die Frechheit des Erlebten, halb aber auch froh darüber, sein vortreffliches Pferd, und noch dazu in so gutem Zustande wieder erhalten zu haben, theilte er jetzt den ihm aufmerksam Zuhorchenden mit, auf welche wunderliche Art er wieder zu seinem Eigenthume gekommen sei.

»Denken Sie nur, Ladies,« erzählte er, »gestern Abend sitze ich ruhig in meinem Zimmer und bin entsetzlich müde; denn ich hatte mich den ganzen Tag im Sattel herumgetrieben, da knurrt auf einmal mein kleiner Feist, der bei mir im Hause schläft, und ehe ich nur aufstehen kann, tritt auch schon, wer anders als der Postmeister vom nächsten Städtchen drüben, zu mir herein. Erst glaubte ich, er käme aus der westlichen Ansiedelung und wollte zu Hause reiten; aber Gott bewahre, er sagte, er brächte mir etwas, faßt mich beim Arm, führt mich vor die Thür und zeigt mir – meinen eigenen Fuchs, der leibhaftig vor mir steht und mich anwiehert. Ladies, es ist zwar nur ein Vieh, aber ich fiel ihm vor lauter Freuden um den Hals und wollte eben anfangen zu fragen, wem in aller Welt ich das Wiedererlangen meines Eigenthums verdanke, als er mir einen Brief übergab und mir sagte, ein Mulatte hätte das Pferd da nach St. Louis gebracht, dort sich nach unserm Postoffice erkundigt und dann einen Boten gemiethet, der Beides – Pferd und Brief – in unsere Ansiedelung brachte. Das war nun schon an und für sich merkwürdig, das Merkwürdigste aber ist der Brief.«

»Von wem?« riefen Alle zugleich.

»Ja, das rathen Sie einmal!« sagte der Kleine, indem er beide Arme vor sich auf die Stuhllehne stemmte und ein verzweifelt geheimnißvolles Gesicht machte; »aber geben Sie sich nur keine Mühe, Sie rathen es im Leben nicht, denken Sie nur, von Ben, dem von Wallis entflohenen Nigger.«

»Konnte denn der schreiben?« frug Draper ungläubig.

»Nein, das konnte er allerdings nicht,« sagte der Friedensrichter, »er hat auch nur sein Zeichen, eine Art Kreuz, darunter gemacht, das ist aber einerlei, ein anderer Nigger hat's für ihn, von Canada aus, geschrieben.«

»Von Canada aus?«

»Ja, von Canada; die Bestie ist glücklich, Gott nur weiß freilich auf welche Art, nach Canada entkommen; das ist aber ein neuer Beweis, wie wir den Engländern so bald als möglich ein Land abnehmen müssen, das uns erstlich, nach der ganzen Natur der Sache, angehört, und durch das die Bürger der Vereinigten Staaten schon so unendlichen Schaden erlitten haben.«

»Aber was steht in dem Brief?« frug Sally neugierig.

»Der ist »kurz und süß,« wie die Yankees sagen,« brummte der Friedensrichter, »noch dazu von einem verwünschten Nigger selbst geschrieben, der sich einen »freien canadiensischen Bürger« nennt und mich – wenn ich die Canaille nur hier hätte! – herzlich grüßen läßt.«

»Nun, das ist doch freundschaftlich,« lachte Hennigs.

»Freundschaftlich? der schwarze Lump nennt mich sogar sein »liebstes, bestes Pittchen« und bittet mich, ich möchte ihn, wenn ich einmal nach Toronto käme, doch auf jeden Fall besuchen.«

»Aber Ben? was schreibt Ihnen denn Ben, bester Mr. Pitt!« bat Sally.

»Ih nun, daß er an dem Abend meinem Pferd im Walde begegnet und überzeugt gewesen sei, ich würde mir ein Vergnügen daraus machen, es ihm auf wenige Wochen zu überlassen, – der Schuft! – er kenne mein gutes Herz, sagt er, und wünsche mir nur die Verwirklichung des Segens, den die Neger meiner Nachbarschaft schon seit Jahren auf mich herabgefleht hätten; als ob ich nicht wüßte, daß mich die schwarzen Hallunken alle wie die Pest hassen.«

»Und das Pferd?«

»Hat er, Gott weiß durch welche Gelegenheit, nach St. Louis gesandt; es wundert mich übrigens doch, daß ein Nigger ein gestohlenes Pferd zurückschickt.«

»Und sollte es unter den Negern nicht auch brave, ehrliche Leute geben?« frug Mrs. Draper vorwurfsvoll.

»Hm, ja, Madame, mögen da nicht ganz unrecht haben,« sagte der kleine Friedensrichter und machte sich fertig, nach Hause zurückzukehren: »das eine Beispiel spricht wenigstens dafür; doch, ich weiß nicht, es ärgert mich auch wieder, daß uns der schwarze Schuft so zum Narren gehabt hat. Nun, ich will jetzt einmal zu Wallis hinüber und den von der glücklichen Flucht seines Sclaven in Kenntniß setzen. Wird sich auch unmenschlich darüber freuen, ist ein reiner Verlust für ihn von achthundert Dollar.«

Der kleine Friedensrichter bestieg seinen schönen Goldfuchs, den er von diesem Augenblick an Ben nannte, und ritt zum »Squire Wallis« ins nächste County, – den aber sollte er nicht mehr unter den Lebenden antreffen. Ein von ihm mißhandelter Mulatte hatte in Rache und Wuth eine Spitzhacke ergriffen und diese seinem Master in die Schulter gehauen; eine Stunde später war er todt. Der Mulatte floh nun zwar nach der That dem Missouri zu und wollte diesen durchschwimmen, konnte aber der reißenden Strömung desselben nicht widerstehen, und sank in demselben Augenblick unter, als seine Verfolger das Ufer erreicht hatten und eben noch sahen, wie sich die Fluth über ihm schloß.

Das Alles schien übrigens einen höchst wohlthätigen Einfluß auf den Richter Pitt ausgeübt zu haben, er behandelte von da an seine Neger viel besser und freundlicher, und es soll in neuerer Zeit keinem mehr eingefallen sein, ihn den »Negerfresser« zu nennen.

Der Freischütz.
Scene aus dem Dresdner Leben.

Heute, Montag den 26. Februar in Kurfürstens Hof »der Freischütz.« Schauspiel mit Chören, in vier Aufzügen. Um gütigen Besuch bittet

Johann Magnus.

»Wo ist denn »Kurfürstens Hof?« frug ein junger Mann in schwarzer Sammtmütze und blauer Pekesche den vorbeistürmenden Kellner, als er eben den oben angeführten Satz seinem, mit ihm an ein und demselben Tisch sitzenden Freunde vorgelesen hatte.

»Elbberg,« rief der Schooßlose und drängte sich, die ganze Hand voll Bierkrüge, wobei er an jedem Finger wenigstens drei zu tragen schien, durch ein eben eintretendes Rudel neuer Gäste, die früher erhaltenen Aufträge zu erfüllen. Weitere Aufklärung war augenscheinlich von diesem hochfrisirten Ganymed nicht mehr zu erlangen; vom nächsten Tisch aber bog sich sehr artig ein alter Herr in schneeweißen Haaren und grüner Brille herüber und erwiederte auf die, wenn auch nicht an ihn gerichtete Frage:

»Unten, nicht weit von der Elbe, auf dem sogenannten Elbberg, dort kann Ihnen jedes Kind das verlangte Haus zeigen.«

Der junge Mann dankte und wandte sich wieder an seinen Gefährten, der indessen ebenfalls das Blatt genommen und die kurze Anzeige gelesen hatte.

»Da müssen wir auf jeden Fall hin, Osfeld; es wird auch die höchste Zeit sein, denn es hat schon acht geschlagen.«

»Wir kommen noch früh genug,« meinte Osfeld, »ich bin schon mehrere Male bei Magnus gewesen; er beginnt selten vor halb neun Uhr.«

»Und wie ist's mit der Toilette? wird da nicht ein alter Rock und eine etwas vom Wetter mitgenommene Mütze nothwendig sein? – ich bekomme nicht gern Schläge.«

»Unsinn,« lachte Osfeld – »so schlimm ist's nicht, wir finden dort ganz nette Leute; höchstens werden die, welche bei ernsthaften Scenen zu viel lachen, oder sich sonst unnütz machen, hinausbefördert.«

»Also ein einfaches Ausweisungsprincip für mißliebige Personen,« sagte der Erste, den wir Wehrig nennen wollen – »dagegen läßt sich Nichts thun, denn das ist ein Erbfehler, dem wir armen Menschenkinder nun einmal unterworfen sind; schon Adam mußte sich das gefallen lassen.«

»Das soll aber auch mit Adam noch eine ganz andere Bewandtniß gehabt haben,« meinte Osfeld, während er seinen Hut vom Nagel nahm und den Rock zuknöpfte. »Adam hat, wie sich jetzt ziemlich deutlich herausstellt, auch wissen wollen, weßhalb er nicht von dem Baume der Erkenntniß essen solle, und eine solche Neugierde läßt sich ja bei uns nicht einmal ein Bürgermeister gefallen. Hier ist übrigens keine Gefahr – ich kenne die Leute recht gut.«

»Dann weißt Du also auch wo Kurfürstens Hof ist?«

»Nein, das nicht; Magnus spielt jeden Abend der Woche in einem anderen Wirthshaus, und Garderobe wie Scenerie wird auf einem kleinen Handkarren von Ort zu Ort mitgeführt. Er bekommt dadurch stets ein frisches Publicum, und kann nun ein und dasselbe Stück sechs bis siebenmal hinter einander aufführen; die Schauspieler lernen dann auch gegen Ende der Woche ihre Rollen ausgezeichnet.«

»Wie aber macht er es mit der Maschinerie, den Versenkungen etc.?«

»Oh, die letzteren besonders sind sehr einfach. Steht der Geist oder Zauberer, der versinken soll, aufrecht auf der Bühne, so wird die Täuschung dadurch erzweckt, daß er sich schnell bückt und man ihm zu gleicher Zeit aus der nächsten Coulisse heraus ein dunkles Tuch überwirft – stürzt er aber vorher, und soll er als Leiche verschwinden, so muß er nur mit den Füßen dicht an oder hinter eine Coulisse zu liegen kommen, dann entzieht ihn ein kräftiger Ruck dem Gesichtskreis der Zuschauer, was auch, da die Garderobe für jeden Abend geborgt wird, mit keinem Nachtheil für den Director selbst verbunden ist.«

»Also gar keine Maschinerie – o weh Wolfsschlucht; doch was thut's, auf jeden Fall sehen wir's uns an.« Und die Freunde traten hinaus in die kalte Nachtluft, die ihnen den gefrornen Thau in feinen scharfen Flocken entgegenschleuderte.

Die Promenade war menschenleer und keine Seele begegnete ihnen durch die ganze kegelbahnartig angelegte Allee bis zur Amalienstraße und von da hinab bis zum nahen Ufer der Elbe, so daß die späten Wanderer (es hatte eben halb neun geschlagen) schon in eine noch erleuchtete Materialhandlung eintreten wollten, um sich dort nach dem Ziel ihres Marsches, dem Schauplatz der heutigen Aufführung zu erkundigen, als ein altes Mütterchen, mit einer grünen Glasflasche in der einen, und einem eingewickelten Häring in der andern Hand, aus derselben Thüre kam, und an ihnen vorbei, die Straße hinaufgehen wollte.

»Möchten Sie wohl die Güte haben, uns zu sagen wo hier Kurfürstens Hof ist?« redete sie jetzt Osfeld ganz artig an.

Die Alte blieb stehen, sah sich den Fragenden von oben bis unten sehr genau an, warf dann den Kopf zurück und rief mit scharfen gellenden Tönen: »Na ja – Ihr wärdt' wohl Kurfirschtens nich wissen« – und setzte murrend ihren Weg fort.

Osfeld und Wehrig lachten laut auf, jene aber, dadurch noch mehr in dem Wahn bestärkt, daß man sie hatte wollen zum Besten haben, wandte sich um, schimpfte und – sie war ja eine Deutsche – drohte mit der Polizei.

Mehrere Fischerleute kamen jetzt die Straße herauf und verschwanden in einer nicht mehr weit entfernten Thür, aus welcher, als sie geöffnet wurde, ein heller Strahl auf das Pflaster fiel. Nicht mit Unrecht schlossen die beiden Freunde, daß dies vielleicht der berühmte Platz wäre, den nicht zu kennen hier für unmöglich, oder doch wenigstens unwahrscheinlich gehalten wurde, und siehe da, sie hatten sich nicht getäuscht. Eine schmale Treppe führte zu dem Saal hinauf, an dessen Thüre, mit etwas Mehlkleister befestigt, ein Theaterzettel im Manuscripte hing, neben welchem eine kurzgebaute, etwas breithüftige Frau saß, die sich vor einem kleinen Tischchen, das außer dem dünnen Talglicht und der kleinen blechernen Büchse auch noch zwei Pakete sehr abgegriffener Billete trug, als »der Kassirer« auswies.

War es nun eine, in dem bewegten Theaterleben erlangte Menschenkenntniß oder blos das Auftreten zweier anständigen Tuchröcke, kurz die Frau griff fast instinktartig nach den Billeten für den »ersten Blatz« und um 2½ Neugroschen à Person, traten sie schweigend ein in Thalias Tempel.

Ein großer Saal, von dem die Bühne etwa ein Drittheil einnehmen mochte, enthielt das Theater, und ein ziemlich viereckiger Vorhang mit gar wundersamer Malerei, verhüllte die Mitte, während zwei schmale Streifen Wald (die Bäume horizontal ausgespannt, um den leeren Zwischenraum vollkommen zu verdecken) die Zuschauer von einem Versuch zurückschrecken sollten, das Innere des Heiligthums zu erforschen. Nichts destoweniger hatte sich ein »Stück jungen Deutschlands« an die dortige Wand gedrängt, und dem kühnen Forschergeist der hoffnungsvollen Jugend gelang es auch wirklich, dann und wann einen flüchtigen Blick auf ein geschminktes Antlitz oder einen gewaltigen Federbusch werfen zu können, was dann augenblicklich durch ein freundliches telegraphenartiges Grinsen den Kameraden mitgetheilt wurde.

Vor dem Vorhang staken, auf schwarzen Blechprofitchen, fünf schwindsüchtige Talglichter, und zwischen diesen und den, in doppelter Reihe aufgestellten Rohrstühlen des »ersten Blatzes« lagerte, in malerischer Unordnung, die frohe, jubelnde Schaar der Schulkinder, beiderlei Geschlechts, die hier – für einen Sechser Entrée und der übernommenen Pflicht, das Ausblasen und Wiederanstecken der Lichter zu besorgen, je nachdem es dunkel oder hell werden mußte – theils lachend und schreiend, theils sehnsüchtig und mit einem gewissen ehrfurchtsvollen Schauer, den Anfang des Stückes erwarteten.

Die Zuschauer hatten sich ungewöhnlich zahlreich versammelt, und selbst die Gallerie (ein aus mehreren mit Brettern überlegtes Gestell von nebeneinandergesetzten sogenannten Böcken bestehend,) war so besetzt, daß Einzelne, die durch beharrliches Ausdauern die erste Reihe gewonnen hatten, von ihrem, etwa zwei Fuß hohen und etwas gefährlichen Stand, herunter gedrängt wurden, und nun, unter dem Hohnlachen der jedes Mitgefühls unfähigen Menge, ein anderweitiges Unterkommen suchen mußten, um auf den Zehen und mit vergebens ausgestreckten Hälsen die Aufführung zu genießen.

Nur mit großer Mühe und zu noch größerer Unbequemlichkeit der schon Sitzenden, wurde, durch Zusammenrücken, den Letztgekommenen Platz gemacht. Diese dann, der vordersten Stuhlreihe einverleibt, sahen sich plötzlich inmitten der festzusammengekeilten Menge, wobei ihnen jedoch, während ihre Kniee der vor ihnen lagernden »lieben Jugend« zu eben so vielen Rückenkissen dienten, vollkommene Zeit blieb, die verschiedenen Gruppen der übrigen Zuschauer genau zu betrachten.

Die arbeitende Klasse war am stärksten vertreten, und hübsche Dienstmädchen, wie kräftige Handwerker und Fischer, füllten fast den ganzen Raum aus; auf den »Sperrsitzen« saßen aber auch eine ziemliche Anzahl »nobel gekleideter« Gäste, und unter den letzteren fielen besonders zwei wohlfrisirte und beglacéehandschuhte Jünglinge – augenscheinlich aus einer der ersten Materialwaarenhandlungen der Residenz – in die Augen, wenigstens hafteten die Blicke der Jugend, so lange noch deren Aufmerksamkeit nicht der Bühne zugelenkt wurde, fast ausschließlich auf ihnen, wie sie, nachlässig auf ihren Stühlen zurückgelehnt, mit sehr schwarzen Hüten, peinlich blauen Halstüchern, großen Ringen an den rothen Fingern und mächtigen goldenen Halsketten, allerdings etwas auffallend gegen ihre einfache Umgebung abstachen. Neben diese, nur eine Reihe weiter vor, kamen die beiden Freunde zu sitzen, und hörten, wie der ihnen Nächste zu dem Anderen sagte, während er das kleine schwanke spanische Rohr mit dem maigrünen Glacéehandschuh an die Lippen hob:

»Eugene – die Sache fängt an unangenehm zu werden – es ist hier eine abominable Atmosphäre.«

»Auf Ehre,« erwiederte ihm, als wirkliches Spiegelbild, Eugene – »ich wollte wir wären in's Café gegangen; es sind doch hier gar zu viele« – er beendete die Rede flüsternd, da er wahrscheinlich von den hinter ihm Befindlichen mißverstanden zu werden fürchtete.

Das übrige, größere Publicum theilte übrigens, wenn gleich aus einem anderen Grunde, ihre Ungeduld, es ging nämlich stark auf neun, und trotzdem wurden immer noch keine Anstalten sichtbar, daß die Vorstellung wirklich beginnen sollte. Man trommelte, tobte und schrie also so lange, bis sich Herr Magnus endlich genöthigt sah vorzutreten, um den Lärmenden anzuzeigen, daß »die – Garderobe noch fehle, in wenigen Minuten aber auf jeden Fall erscheinen müsse.«

»Ich habe keenen Hausschlüssel mit!« schrie eine sehr feine Stimme aus der Mitte des Publicums heraus.

»Ich ooch niche!« erwiederte eine andere, vom entgegengesetzten Ende des Saales – »und bei mir machen se punkt zehne die Bude zu.«

»Sie können ja immer anfangen,« schlug ein Bäckergesell vor – »wenn de Garderobe nachen kimmt, werfen Sie die paar Lumpen schnell iber.«

Noch mehrere solche gutgemeinte Rathschläge wurden laut, und der Director war eben wieder achselzuckend und seitwärts in den linken Baumwipfel verschwunden, als der rettende Engel, in Gestalt eines vierschrötigen Hausknechts, erschien, der in einem mächtigen Tragkorb die so heiß ersehnten Costüme herbeischaffte. Mit der Garderobe kam denn auch ein regeres Leben in die Garderobe, und kaum eine Viertelstunde später tönte die helle Klingel – Alles schwieg und – auf rollte der Vorhang.

Krach!

»Ach Herr Jeses!« schrieen eine Menge Frauenstimmen, als der Schuß – so fast mitten unter ihnen – fiel; bald war aber jeder etwa empfundene Schreck über das imposante Schauspiel vergessen, das sich jetzt, im eng zusammengedrängten Raum ihren Blicken bot.

Rechts am Tische saß Max, in grüner Jagdkleidung, der Scheibenkönig, dem zwei[7] Bauern in langer Reihe folgten, trat auf, und verhöhnte den unglücklich gewesenen Jäger.

[7]: Auf Magnus Theater dürfen, wie bei jener Kaffeegesellschaft, nur immer viere auf einmal reden – d. h. es ist ihm untersagt, mehr als vier Personen zu gleicher Zeit auf die Bühne zu bringen.

Die Scenerie war Wald – und zwar der Hintergrund aus hellbraunen in ungeheuerer Perspective immer kürzer und kürzer werdenden Stämmen bestehend, die jedoch, wunderbarer Weise, ihre natürliche Dicke beizubehalten schienen. Rechts befanden sich ebenfalls zwei Waldcoulissen, links aber und ganz vorn, stand ein vierstöckiges, wunderbar gelbes Haus, an welchem wiederum ein in der dritten Etage ausgeschobenes – zwei Etagen langes Schild mit einem halbgefüllten Bierglas darauf, verkündete, daß diese Waldwohnung ein Wirthshaus sei.

Die nächsten Scenen gingen ziemlich ruhig und ohne irgend etwas Auffallendes vorüber – Max schlug sich mit zwei Bauern herum, der Erbförster kam dazu, erzählte seine alte Geschichte, und wurde, als auch er die Scene verließ, von Caspar ersetzt, der jetzt, ohne die mindeste vorherige Warnung, sein Trinklied: »Hier im ird'schen Jammerthal« allerdings mit dem Originaltext, aber auch wirklich nach Original-Melodie, anstimmte; dann schüttete er dem Max ein Viertel Pfund gestoßenen Zucker in den Wein, während dieser am Tische saß, übrigens – seiner Rolle getreu, da er das nicht sehen durfte, – den Kopf wegwandte, und nun kam die Scene, wo der junge Schütze den Adler »aus hoher Luft« schießen sollte.

Eine wunderbare Veränderung war aber indessen, und zwar mit Zauberschnelle, im Gemüthe des Max vorgegangen. Das Textbuch sagt nämlich:

»man merkt ihm von jetzt eine gewisse Heftigkeit an, einem leichten aber bösen Rausche gleich.«

Nachdem er also, auf Caspars Veranlassung, den Fürst hatte leben lassen, fing er plötzlich an zu taumeln, und zwar so stark, daß er sich fortwährend an der einen Tischecke festhalten mußte.

Jetzt reichte ihm Caspar die Büchse, und Max frug mit schwerer, lallender Zunge und halbgeschlossenen Augen:

»Was soll ich damit machen?«

Auf Caspars in die Höhedeuten, entdeckte er nun wirklich, wie er sagte, den Adler, hob, fortwährend dabei beschäftigt sich im Gleichgewicht zu halten, die Büchse an den Backen und – drückte ab.

»Klapp!« – das Zündhütchen versagte – das Gewehr ging nicht los.

»Probier es noch einmal!« sagte Caspar mit merkwürdiger Geistesgegenwart. Max setzte auch ein neues Zündhütchen auf, leider aber mit nicht besserem Erfolg. Das Publicum war dabei so indiscret und lachte, als ob einem Jäger das Gewehr nicht manchmal versagte. Caspar jedoch, im Charakter seiner Rolle überhaupt ärgerlich – setzte ein drittes mit eigener Hand auf, und rief nun, als auch dieses kraft- und erfolglos blieb, mit unterdrückter, aber trotzdem sehr deutlicher Stimme in die Coulisse hinein:

»Werft ihn hinaus!«

– Niemand folgte dem Befehl –

»Werft ihn hinaus!« schrie er jetzt lauter und vernehmlicher.

»Wen?« frug die dünne Stimme aus dem Publicum.

Das Räthsel wurde jedoch gleich darauf gelöst, denn aus der Coulisse stieg, sich etwas über den quervorgespannten Leinwandstreifen erhebend, ein dunkler Gegenstand empor – klappte oben an die Decke, und schlug dann, mit schwerem Fall, vor dem entsetzten Max nieder. Leider war aber der Adler den vorn brennenden Lichtern ein klein wenig zu nahe gekommen, denn die Kinder vorne jubelten jetzt, halb in Freude, halb in Ueberraschung:

»Herr Jeses – enne dote Hinne – enne dote Hinne!« (Huhn.)

»Hören Sie einmal – wenn Sie Nichts dagegen haben, so wär es mir lieb, Sie nähmen Ihren Hut ein wenig ab,« sagte in diesem Augenblick ein breitschulteriger, rothbäckiger Fischer, der dicht hinter einem der vorerwähnten Jünglinge stand; »ich habe bis jetzt nur den Vogel und Ihren Deckel gesehen.«

Seine Anrede wurde übrigens nicht gehört, oder nicht beachtet, denn mit einem verächtlichen Emporwerfen der Oberlippe sog der, dem die freundliche Ermahnung galt, nur um so eifriger an den elfenbeinernen Stockknopf, und der Fischer, der wahrscheinlich nicht beabsichtigte sich den angenehmen Abend durch Zank und Aerger zu verderben, arbeitete vor allen Dingen seine beiden breiten Hände aus den Taschen der weiten Beinkleider heraus, und begann nun, wobei er jedoch ziemlich hoch hinaufreichen mußte, mit den Fingern eine noch nicht componirte Melodie auf dem Deckel des ihm die Aussicht versperrenden schwarzen Seidenhutes zu trommeln.

Die Trommel wandte sich sogleich darauf sehr indignirt um, und ein paar Tod und Verderben sprühende Augen blitzten darunter hervor; der Fischer aber blieb, die Hände wie zu einer Pause erhoben, ruhig stehen, nickte nur freundlich grinsend dem Entrüsteten zu, und fuhr, als jener sein zorngeröthetes Antlitz wieder der Bühne zukehrte, höchst gemüthlich in dem kurzabgebrochenen zweiten Theil des Liedes fort, so daß sich der junge Dresdner endlich genöthigt sah den Hut aufs Knie zu nehmen.

Der erste Akt nahte so, ohne weitere Unterbrechung, seinem Ende, nur flogen, als Caspar dem Max das Huhn unter die Augen hielt, und ihn frug, ob er glaube, »daß ihm dieser Adler geschenkt sei« – einige halbe Bretzeln auf die Bühne, was einige der vorn gelagerten Knaben zu einem tollkühnen Einfall in das Herz des Heiligthums bewog. Aennchen aber, die mit einer Klemmbrille auf der Nase und dem Soufflirbuch in der Hand hinter der Coulisse stand, trieb die Eindringlinge mit drohender Geberde schnell zurück, konnte jedoch nicht verhindern, daß diese ihre Beute erst in Sicherheit brachten, und auch noch, bei dem etwas übereilten Rückzug, ein Talglicht mitnahmen, was indessen keine störenden Folgen weiter hatte, da andere Knaben theils das umgestoßene Licht schnell wieder befestigten, theils das sitzengebliebene Talg von den »Unaussprechlichen« des Frevlers abkratzten.

Max aber lehnte – alles Andere nicht beachtend, in tiefen Trübsinn versenkt, mit der Schulter an der vierten Etage des Wirthshauses, und schaute sinnend vor sich nieder, bis er endlich mit dem Stichwort zu Caspars großer Arie – die dieser freilich als zur Oper nicht unumgänglich nöthig, wegließ – abtaumelte, und der Vorhang fiel.

Rauschender Applaus folgte dem Aktschluß; dann aber, nachdem der Höflichkeit Genüge geleistet, wurden einige sehr unzufriedene Stimmen laut, und verlangten Chor – es stünde Chor auf dem Zettel und sie wünschten deshalb auch Chor. Durch sich selbst genährt wuchs der Tumult, und der Director, der erst mit der Klingel den Lärm beschworen hatte, trat, diese noch immer in der Hand, vor, und erklärte nun feierlichst, daß der Chor allerdings gesungen würde, nur müßten sie ein klein wenig Geduld haben, da jetzt erst die Wolfsschlucht käme, und diese allerdings keinen Chor vertrüge.

Stürmischer Applaus zeigte, wie einverstanden das Publicum mit der Direction sei, und die Masse drängte sich jetzt dem »Büffet« zu, wo verschiedenfarbige Liqueure, Lagerbier, Kaffee, Grog, Kuchen und Würste nebst diesen verbrüderten Semmeln in reicher Auswahl zu haben waren.

Unsere beiden Freunde hatten, dem Beispiel der Uebrigen folgend, ihre Sitze ebenfalls verlassen, als auf einmal ein ganz eigenthümliches Gedränge – ein förmliches Wogen der Masse entstand, ohne daß irgend ein bestimmter Zweck dieser plötzlichen, nach einem Punkt hin gerichteten Bewegung, deutlich wurde; nur zur Thür strömte die Menge. Da erkannten sie plötzlich in deren Mitte – unglückliche Leidensgefährten – die beiden, blaubehalstuchten Jünglinge, die heftig gegen den, sie weiter und weiter vorwärts drängenden Volksknäuel anzuprotestiren schienen. Wohin sie jedoch auch zornig und wüthend blickten, begegneten ihnen nur freundlich zunickende Gesichter, ein ungeheurer Humor hatte die Menschenwoge erfaßt, und die zwei »Mißbeliebten« – mit denen nur die, sich dicht um sie her Befindenden vollkommen einverstanden schienen – wurden trotz alles Sträubens und Fluchens, fortwährend aber in der herzlichsten Art von der Welt, ja von einem Theil des weiblichen Publicums sogar mit zugeworfenen Kußhänden – förmlich hinausgefluthet.

Osfeld, seiner Versicherung nach mit dem Director bekannt, versprach jetzt dem Freund, ihn bei jenem einzuführen, und zog ihn, nachdem er ohne weitere Umstände den einen quergezogenen Waldvorhang bei Seite geschoben hatte, in das Innere des Heiligthums.

Dort sah es bunt aus; das Theater nahm fast die ganze Breite des Raumes ein, und nur ganz schmale, an den Seiten hinlaufende Gänge ließen ebenfalls kaum so viel Zwischenplatz übrig, daß die Abgehenden vollkommen verschwinden konnten; nichts destoweniger hatten die Schauspieler durch jahrelange Uebung eine gewisse Fertigkeit erlangt, durch rasche Seitenbewegungen bei jedem Abgang schnell die Coulisse zwischen sich und das Publicum zu bringen, das dann seine Vorstellung von dem, hinter und neben der Bühne befindlichen Raum, ins Unendliche ausdehnen konnte.

Die jungen Leute schritten jetzt quer über die »Breter, die die Welt bedeuten« hin, und zwar zu dem, mit einer grünen Decke verhangenen Garderobenzimmer. Dort traten sie ein und fanden sich hier plötzlich in der wunderlichsten buntesten Gesellschaft, die sich nur möglicher Weise und der wirklich regsamsten Einbildungskraft, denken ließ.

Rings an den Wänden standen kleine Tischchen, mit traurig flackernden Talglichtern, die dem ganzen Raum nur eben genug Helle gaben, um sein düsteres Aussehen recht deutlich hervorzuheben. Kleine Kasten mit zerbrochenen Stücken Spiegelglas, Schminktöpfe, Schminkpapier und Baumwolle, angebrannte Korkstöpsel, Flitterband, zerdrückte Blumenbouquets und farbige Glasperlenschnüre lagen überall umher, und Agathe und Aennchen waren eben noch beschäftigt, ihren Wangen die zu Braut und Brautjungfer nöthige Frische zu verleihen.

Osfeld wurde von Allen als Bekannter begrüßt, und hatte keine Schwierigkeit seinen Freund ebenfalls da einzuführen; gerade jetzt drängte jedoch die Zeit zu sehr, als daß sich Einer der Beschäftigten hätte mehr als in kurzer Anrede mit ihnen einlassen können; sie bekamen deßhalb auch um so ungestörtere Gelegenheit, sich in dem kleinen Raum vollkommen gut orientiren zu können.

Eine besonders interessante Gruppe bildete hier der Erbförster Kuno und Samiel, von denen der Erstere dem Letzten eben, mittels eines angebrannten Korkstöpsels, die Nase schwarz färbte, damit diese, wie er auf Osfelds Frage erklärte, dem Gesicht das Aussehen eines Todtenkopfes gäbe.

»Denn sehn Sie,« nahm hier Samiel, sie als ein höchst artiger Teufel begrüßend, das Wort, »wenn de Nase schwarz is, so sieht man se nich vom Bublikum aus, und dann kriegt das Gesicht was Schreckliches!«

In dem Augenblick klingelte es, und der Vorhang ging wieder auf; die beiden Freunde blieben daher, um während der Aufführung keine Störung zu verursachen, hinter der Scene, und unterhielten sich indessen mit Herrn Magnus, der eben beschäftigt war, ein ziemlich umfangreiches wahrscheinlich eben gestimmtes Hackebret wieder in seinen Kasten hineinzulegen, da sie ihm, wie er äußerte, während der Wolfsschlucht »hineindämmern« könnten.

Agathe sowohl wie Aennchen schienen aber ungemein wenig von ihren Rollen zu können, und der Director glaubte den Gästen darüber eine Erklärung schuldig zu sein.

»Sehen Sie,« sagte er, »die neuen Stücke, die geben wir gewöhnlich hier immer erst einmal am Montag bei Kurfirschtens, und die betrachten wir gewissermaßen als Generalprobe; kommen wir nachher am Mittwoch in's Weinlaub oder gar am Sonnabend in die schwarze Gasse – dann geht's auch dafür »wie geschmiert.«

»Aber sagen Sie einmal Herr Magnus« – frug jetzt der zu ihnen tretende Max – »hier im Buch – o Sie entschuldigen« – wandte er sich gleich darauf mit einer Verbeugung an die Fremden, »hier im Buch steht, Max soll sich den Hut in's Gesicht drücken und zu »verschiedenen Thüren abgehn« – er darf doch nicht wieder kommen?«

»Au!« sagte Osfeld, den Wehring in diesem Augenblick rücksichtslos auf den Fuß getreten hatte.

»Ne, ich bitte Sie um Gottes Willen,« rief zu gleicher Zeit der Director – »so sein Sie doch nicht so – Herr Gott, da draußen sehn sie sich schon nach Ihnen um – sie kommen ja –«

Und Max kam wirklich, denn mit flüchtigem Blick hatte er sich von der Wahrheit des Gesagten überzeugt – sein Stichwort war gefallen, und wie ein junger Sturmwind, nur freilich von der ganz entgegengesetzten Seite, als von welcher ihn Agathe erwartet hatte, stob er auf die Bühne und spielte in lobenswerther Leidenschaft die Scene durch.

Da aber nun, wie Herr Magnus jetzt äußerte, die Vorbereitungen zur Wolfsschlucht zu viel Raum wegnahmen, um blos zwischen dem Hintergrund und der Rückwand abgemacht zu werden, so mußte nach dieser Scene der Vorhang wiederum fallen, und der wichtigste Moment des Stücks nahte sich seinem Beginnen.

Kaum war die Leinwand herunter, als Magnus mit einem Satz auf die Bühne sprang und eine ungeheure Eule an die Coulisse schrauben wollte.

»So halten sie doch nur uff!« meinte aber Samiel sehr ernsthaft – »es muß doch erscht verwandelt werden.« –

»Ja so!« sagte der Director, und nahm den Vogel der Nacht wieder an sich, einige von den Schauspielern dagegen stiegen schnell auf hinzugerückte Stühle und knüpften die Bindfaden am oberen Theil der Coulissen auf, welche diese im Mittelpunkt festhielten. »Die Stube« fiel dann auch im nächsten Augenblick zu den Füßen der Bäume nieder, wo sie an der Wurzel der »Riesenstämme« auf einem Häufchen liegen blieb; die Hinterdecoration glitt auf gleiche Art über sich selbst zusammen und – »furchtbar gähnte der düstere Abgrund.« Nun wurden ebenfalls die nöthigen Vorrichtungen für das wilde Heer getroffen. Die Figuren nämlich, als: Drachen, Molche, Schlangen, Eulen und Gerippe, alle von Magnus selbst in der Größe eines mäßigen Haushahns, auf Pappe gemalt, kamen an ein dünnes, von der rechten zur linken Hintercoulisse gespanntes Seil, damit der Spuk quer über die Bühne gezogen werden konnte.

Zu den ferneren Schrecknissen der Höllenschlucht gehörte auch noch ein Haufen Pflastersteine, die, als Entschuldigung für Todtenköpfe, zu dem Zauberkreis verwandt werden sollten, und neben diesen lag ein Haufe dünn gezupften Werges (Hede) dessen Nutzen aber erst später klar werden sollte. Auch die Eule saß jetzt, fest angeschraubt, auf ihrem Zweig, (oder vielmehr auf freier Luft neben der Coulisse) während hinter ihren äußerst rund ausgeschnittenen Augenhöhlen ein matt und schläfrig loderndes Dreierlicht brannte. Draußen aber, vor der Bühne, jubelte und tobte die Menge.

»Anfangen – anfangen« – schrie das Publicum – »das währt ja ene Ewigkeit!« piepte eine einzelne Stimme – »wir wollen mithelfen,« antworteten andere. – »Anfangen – Vorhang auf!« tobte das Chor wieder, und Magnus, schnell gefaßt, ergriff die Klingel, und bearbeitete sie nach Leibeskräften.

»Herr Jeses – ich habe den Drehschwärmer noch nich fest!« rief Samiel erschrocken.

»Thut Nichts« – beruhigte ihn der Director – »ich klingelte nur, damit die Flegel da vorne glauben sollten, es ginge an, und Ruhe halten.« Das Mittel erwies sich auch als probat, denn der Sturm war beschwichtigt, und Alles harrte, in gespannter Erwartung, der Dinge die da kommen sollten.

»Wär' es nicht besser, wir sähen uns die Wolfsschlucht von draußen mit an?« frug Osfeld den Freund – »der Eindruck ist auf jeden Fall stärker.«

»Gern!« erwiederte Jener, »aber was zum Henker macht denn der dort mit dem Werg?«

Sein Ausruf bezog sich auf einen kleinen dünnen Mann, der hinter der ersten Coulisse niedergekauert saß, und mit der ernsthaftesten Miene von der Welt das Werg in kleine Kügelchen zusammendrehte und neben sich legte. Eben, als sie ihn über dessen beabsichtigte Nutzbarkeit fragen wollten, hatte der auf's neue erwachte Unmuth des jetzt kaum noch zu bezähmenden Publicums seinen Höhepunkt erreicht, und die Klingel tönte nun in gutem Ernst, so daß die Beiden kaum noch Zeit behielten vorzuspringen und ihre Plätze wieder einzunehmen. Da rollte der Vorhang auf und zugleich tönte des Directors Stimme von Innen hervor:

»Lichter aus!«

Das ließ sich denn auch die liebe Jugend nicht zweimal sagen – unter lautem Jubelruf fielen sie mit Mützen und Händen über die unglücklichen Talglichter her – denn Jeder wollte des Ruhmes theilhaftig sein, bei dem »Theater« mitgewirkt zu haben – und in wenigen Secunden herrschte finstere grausige Nacht in der »Schreckensschlucht.«

Caspar stand in der Mitte und legte den Zauberkreis von Dresdner Straßenpflaster, während dicht neben ihm ein mit Augen und Nasenhöhlen versehener Kürbis, Gastrollen als Todtenkopf gab.

»Chorsingen!« schrie da eine Stimme aus dem Publicum – aber »Ruhe – Ruhe!« gebot es von allen Seiten, und der gottlose Jäger begann, gerade als hinten auf einer großen blechernen Kanne zwölfe geschlagen wurde, seine Beschwörung. Kein Laut regte sich weiter – kaum athmen hörte man die fest zusammengedrängte Menschenmasse – auf den Zehen, mit vorgestreckten Hälsen und zum Aeußersten aufgerissenen Augen starrten sie hin auf das, was sich jetzt vor ihnen entwickeln sollte – aber Nichts – gar Nichts konnten sie sehen. Samiel erschien – wenigstens vernahmen sie seine Stimme – doch tiefe Nacht deckte, höchst allegorisch, den Fürsten der Finsterniß, – Max trat auf, und die Gestalt wurde, als sie in den Vordergrund schritt, allerdings sichtbar, wie er aber rief: »er sähe seiner Mutter Geist – so lag sie im Grab –« und von Agathe erzählte, die in den Fluß springen wollte, da brummte der kleine dicke Fischer, der jetzt ganz behaglich einen der leergewordenen Stühle eingenommen hatte, leise vor sich hin:

»Der muß drämen – ich sehe weeß Gott nischt.«

Der Kugelsegen kam jetzt, und mit ihm das ganze Schauerliche der Schlucht; Magnus postirte sich dabei hinter die Eule und zog ruckweise an einem dort befestigten Bindfaden, um dieser die Flügel zu lösen. In der Maschinerie selbst mußte aber wohl etwas versehen sein, denn der einzige Erfolg des Ziehens war das Herunterfallen des Lichts, wobei die Eule natürlich die Augen schloß, als ob ihr die ganze Schlucht zuwider gewesen wäre.

»Zwei!« sagte Caspar, und aus der linken Coulisse flog ein Irrlicht in Gestalt einer brennenden Flocke Werg, und zwar gerade auf des Kugelgießenden Leib geschleudert – der sich dessen jedoch noch entledigte.

»Drei!« und mehre Irrwische zuckten in schneller Reihenfolge auf den trotzigen Jägerburschen ein.

»Werfen Sie doch nicht so hierher« – flüsterte dieser schnell und heftig in die Coulisse hinein – »Sie brennen Einem ja die Lumpen an – Vier

Immer dichter flogen die leuchtenden Flocken, und aus der gegenüberstehenden Baumgruppe kam ein einsamer Schwärmer herausgezischt.

»Fünf!« sagte Caspar – zwei Schwärmer prasselten dabei von der linken, ein dritter von der rechten Seite los, und hinten wälzte sich etwas Schwarzes über die Bühne; was? konnte natürlich nicht ergründet werden, und nur eine Frauenstimme hielt es – jedoch auch nur vermuthend – für »Magnussens Jungen.«

Das Schreckliche schien jetzt seinen höchsten Grad erreicht zu haben – die vorngelagerte Jugend hatte sich dicht zusammengedrängt, und schaute mit unheimlichem Grausen auf das teuflische Treiben hin, was sich vielleicht zum ersten Mal vor ihren Blicken erschloß.

»Sechse!« brüllte Caspar, und jetzt flog auf einmal ein ganzer Klumpen flammenden Werges schnurgerade auf ihn zu, so daß er, ohne dadurch im Mindesten aus der Rolle zu fallen, aufsprang, gotteslästerlich und recht für den Platz passend an zu fluchen fing, und in die Coulisse hinein drohte. Derselbe dunkle, schon früher erwähnte Gegenstand kam dabei zurück, wieder brannten mehrere Schwärmer ab, im Hintergrund, doch unsichtbar, ahmten verschiedene hohe und tiefe Stimmen eine Anzahl von Haus- und wilden Thieren nach, und Caspar stöhnte:

»Wehe das wilde Heer!«

Diese Ankündigung und der Lärm war jedoch Alles, was man von der Existenz desselben erfuhr, denn nach dem Verplatzen der Schwärmer hatte sich eine solche ägyptische Finsterniß auf der Bühne gelagert, daß man von den kleinen Pappfiguren, die in diesem Augenblick aller Wahrscheinlichkeit nach über die Scene gezogen wurden, auch nicht die Spur erkennen konnte.

»Sieben!« rief Caspar – in der Dunkelheit umhertappend – und jetzt kam der Schlußeffekt des Ganzen. Der unbekannte Feuerwerker, der auf diesen Moment sicherlich schon sehnsüchtig gewartet hatte, schüttete plötzlich in boshafter Schadenfreude einen förmlichen Sprühregen lodernder Wergkugeln über den unglücklichen Jägerburschen aus – Max fiel auf die Pflastersteine – Agathe hob das heruntergefallene Licht wieder auf, und steckte es hinter die Eule, Samiel trat mit einem großen Schritt auf die Mitte der Bühne, und entzündete hier mit gewandter Hand den Drehschwärmer, der sein Feuer rücksichtslos umhersprühte, die unbekannten Thierstimmen mit Peitschenknallseinsollendem Indiehändeschlagen wurden wieder hörbar und unter dem donnernden Jubelruf der Menge fiel der Vorhang.

Auf der Bühne schienen aber trotzdem die Spielenden ihre Rollen noch nicht beendet zu haben, denn kaum war mit dem Fallen der bunten Leinwand dem Publicum der Anblick sämmtlicher Schrecknisse entzogen, als auf der rechten Seite die Wald-Vorhänge zurückgerissen wurden, und mit Blitzesschnelle das kleine dürre Männchen hervorglitt, das Wehrig früher schon als Feuerwerker aufgefallen war. Seine Eile erschien übrigens vollkommen gerechtfertigt, denn dicht hinter ihm, und als er eben mit unbeschreiblicher Gewandtheit zwischen den Füßen der noch immer der Bühne Zugedrängten, verschwunden war, fuhr ein fürchterlich bemaltes roth erhitztes Gesicht, zum Entsetzen einiger friedlichen postirten Dienstmädchen, aus der Walddecoration hervor, und die funkelnden, rachesprühenden Augen sprachen ganze Bände. Caspar durfte sich aber jetzt unmöglich schon wieder unter dem Publicum zeigen, es hätte die schöne Illusion zu sehr zerstört – einen bittern Fluch also nur dem nachschickend, der ihn – überdieß, schon von dem Höllenfürst bedrängt – so schwer geärgert hatte, zog er den Kopf wieder zurück und das »Blättermeer« schloß sich über ihm.

So schnell die Erscheinung jedoch auch wieder verschwunden sein mochte, so war sie doch nicht unbeachtet vorübergegangen, und von Mund zu Mund lief der Ruf –

»Du – hast 'en gesehn? das war der Caspar!«

»Herrliches Jagdwetter heute!« wer kennt nicht den Anfang des letzten Aktes – die Jäger traten auf. Waren aber die Spielenden schon im ersten Akt über das confus gewesen, was ein Jeder zu sagen hatte, so nahm dies jetzt wirklich auf eine an das Wunderbare grenzende Weise überhand, und Keiner wußte mehr, mit welchem von ihnen der Souffleur sprach.

So hatte, zum Beispiel, in der Scene zwischen Max und Caspar, jener diesen um seine letzte Freikugel gebeten, Agathe soufflirte aber nun schon zum fünften Mal, und zwar mit lauterer Stimme: »Schuft!« aus der ersten Coulisse heraus, und Max that noch immer nicht, als ob ihn die Rede überhaupt etwas anginge, so daß dadurch Caspar verleitet wurde, den Kameraden so gröblich zu beleidigen und dieser nun zornig abging.

»Chor singen – Chor singen!« schallte es jetzt wieder und zwar ziemlich dringend, aus dem Publicum heraus – »Chor singen!« tönte es von allen Seiten wieder, »Jungfernkranz singen – Jägervergnügen singen! – auf dem Zettel steht ChorChor!« rief und schrie es durcheinander.

»Bin doch neugierig,« sagte Osfeld, »wie sie da drinnen den Chor zu Stande bringen werden – komm, wir wollen einmal zusehen, vielleicht können wir helfen!«

»Mir recht,« lachte Wehrig, »es ist überdieß nicht gut, daß der Baß sonst gewöhnlich beim Jungfernkranz fehlt.«

Sie standen auf, und erreichten, nach unzähligem »Bitte um Entschuldigung's und Haben Sie die Güte's« den Eingang zur Bühne, auf der aber indessen eine wesentliche Veränderung vorgegangen, und alles Teuflische – nur Samiel ausgenommen – verschwunden war. Selbst die Eule lehnte, mit dem Kopf nach unten, in der Ecke, und das Hackebrett paradirte jetzt frei und offen auf einem schmalen Tisch, vor welchem Magnus im Anzug des Fürsten Ottokar, mit wehenden Barrettfedern stand, und in jeder Hand einen der Klöppel schwang, mit welchen das Instrument gespielt werden sollte.

Der Vorhang war indessen wieder aufgezogen und der Tumult hatte sich beruhigt – Aennchen erzählte ihre Kettenhundgeschichte, und nun traten die Brautjungfern herein. Da aber – ehe noch ein frevelnder Mund das Wort »Chor« aufs Neue aussprechen konnte, quollen die sanften Töne, von wirklich geübter Hand hervorgelockt, aus den langgespannten Stahlsaiten, und Magnus präludirte den »Jungfernkranz« (der soll nie sagen, daß er ein Deutscher sei, der das Lied nicht kennt) während die hinter den Coulissen Stehenden, als: Caspar, Samiel, Max, der »Eramit« wie er genannt wurde, und selbst Osfeld und Wehrig in Baß und Tenor mit einfielen zu dem, was Agathe und Aennchen vorn auf und etwa ein halbes Dutzend Freiwilliger, indessen vor der Bühne sang. Zur Unterstützung piepten noch, aber nur leise und schüchtern, einige dünne Kinderstimmen mit ein, in den feierlichen Chor, und Fürst Ottokar fuhr jetzt, mit kühner Hand in die Variationen des Liedes eingehend, schnell und sicher über die Saiten hin.

Da schwieg der Chor plötzlich – die Todtenkrone hatte sich gefunden – die Brautjungfern standen entsetzt – aber das Hackebrett schwieg nicht – wild rauschten die Töne – »veilchenblaue Seide« – die Droschkenfahnfarbenen Barettfedern schwankten über dem Instrumente, die immer größere Aufregung des Spielenden bekundend. Vergebens that der »Eramit« Einspruch – vergebens nahm sich selbst Samiel der Sache an – Ottokars Seele lag in den Saiten, und erst, als schon Alle abgegangen waren, als die Stube wieder heruntergefallen, als Caspar, Max und Kuno aufgetreten, ja erst dann, als man nach dem Fürsten rief – verstummte der »Jungfernkranz« –

Ottokar sprang empor und war in dem einen Moment wieder ganz der Fürst. Mit stolzen Schritten trat er vor, sah sich im Kreise um – hob die Hand, und stimmte im nächsten Augenblick mit starker, wenn auch etwas heiserer Stimme das »Jägerlied« an.

Hierin aber war Publicum zu Hause – von allen Seiten her fielen sie, freilich in gar sehr verschiedenen Tonarten, ein, und ein solcher Sturm bewegte plötzlich den kleinen Raum, daß ein friedlicher Polizeidiener, der bis dahin – incognito – in dem benachbarten Schenkzimmer neben einem Glase Bier geschlafen hatte, plötzlich, völlig munter geworden, aufsprang und dem Schauplatz zueilte, da er – wie er später äußerte – geglaubt hatte, »es keilten sich welche.«

Bis zu diesem Lied nun, war noch Alles so ziemlich in seinem ruhigen Gleis fortgegangen; bis hierher schien doch Jeder wenigstens eine Ahnung von dem gehabt zu haben, was in seiner Rolle stehe; von nun an aber entstand eine Verwirrung, wie sie wohl noch selten dagewesen. Kein Mensch wußte mehr was er zu sagen hatte und welches sein Stichwort sei. – Jeder sprach die verkehrten Sätze, und Agathe, die hinter der Coulisse vor soufflirte, mußte sich, nach einem Ausdrucke des »Eramiten« die »Seele aus dem Halse schrein.«

Zu diesem kam nun noch, daß der Director selbst die ganz besondere Eigenheit hatte, nie dieselben Worte, sondern immer nur den Sinn dessen wiederzugeben, was ihm soufflirt wurde. Geschah das nun aus Stolz, oder aus dem Bewußtsein innerer Ueberlegenheit – wer konnte es ergründen; nur würde es Jeden zur Verzweiflung gebracht haben, der auf ein richtiges Stichwort, von seiner Seite gewartet hätte.

»Wo ist die Braut? ich habe so viel zu ihrem Lobe gehört, daß ich auf ihre Bekanntschaft recht neugierig bin!« flüsterte die Souffleuse nun zum dritten Mal.

»Wo steckt aber denn nur die Braut!« sagte Fürst Ottokar, sich überall umsehend – »ich bin recht neugierig geworden, ihre werthe Bekanntschaft zu machen.«

»Ich habe so viel zu ihrem Lobe gehört!« keuchte der Souffleur.

»Soll ein recht gutes Mädchen sein,« sagte der Fürst.

»Nach dem Beispiel Euerer erlauchten Ahnen, war't Ihr immer sehr huldreich gegen mich und mein Haus,« rief der Souffleur wieder; Kuno aber, der wohl fühlte, daß er in diesem Augenblick etwas zu sagen hatte, obgleich er kein Wort von dem verstand, was Agathe – die bis dahin ebenfalls ziemlich heiser geworden war – auf der andern Seite ablas, faßte sich ein Herz, trat einen Schritt vor, und begann:

»Dorchlauchigster!«

»Nach dem Beispiel Eurer erlauchten Ahnen war't Ihr immer sehr huldreich gegen mich und mein Haus!«

»Dorchlauchigster,« wiederholte Kuno – der die letzten Worte verstanden hatte – »was mich und mein Haus betrifft« – – er stak fest – keine zehn Pferde Kraft hätte ihn wieder losgerissen. Da nahm Caspar das Gespräch auf, und dankte dem Fürsten für die Huld, die er »seinem Haus und ihm« stets bewiesen habe.

Max mußte nun laden, und Agathe flüsterte, über das Buch hinwegsehend:

»Caspar hat vielleicht noch seine letzte Freikugel – er könnte wohl gar – noch einmal und nimmer wieder. –«

Alles schwieg.

»Caspar hat vielleicht noch seine letzte Freikugel – er könnte wohl gar – noch einmal und nimmer wieder« – sagte die Souffleuse, dringender als vorher.

Niemand regte sich – da trat Fürst Ottokar, der doch wohl nicht so ganz sicher war, ob das vielleicht in seiner eigenen Rolle stehe, vor, streckte die rechte Hand aus und sprach:

»Nun so schieß – dieß eene Mal noch, aber nie wieder.«

Max schoß wirklich – die Büchse ging glücklich los, und Caspar, der sich indessen schnell hinter ein im Hintergrund vorgehaltenes Stück Wald gestellt hatte, stürzte von seiner Höhe herunter und wand sich auf der Erde.

Nun aber nahm es die Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit der Schauspieler im höchsten Grade in Anspruch, die folgende Scene zu spielen, und doch in gleicher Zeit zu nicht mehr als der gesetzlichen Zahl, zu vieren, zusammen auf dem Theater zu stehn. Agathe übergab also schnell dem Aennchen ihr Soufflirbuch, rief: »schieß nicht Max – ich bin die Taube« und fiel in Ohnmacht, Kuno aber und der Fürst traten in die Coulisse, und während Max neben Agathen kniete, erschien Samiel hinter seinem Opfer. Unsichtbarer Weise rief dabei Kuno:

»Schaut, o schaut,
Er traf die Braut,
Der Jäger stürzte vom Baum,
Wir wagens kaum
Nur hinzuschau'n,
O furchtbares Schicksal, o Graun!«

Caspar wand sich indeß in fürchterlichen Zuckungen auf der Erde und stieß seine gotteslästerlichen Reden aus, während Samiel einige, mit diesen harmonirende Bewegungen machte, als ob er im Begriff sei, jenem die Seele, wie einen Bandwurm, aus dem Leibe zu ziehen.

»Dem Himmel Fluch – Fluch Dir!« schrie der zum Tode verwundete Jäger.

»Das war sein Gebet im Sterben,« flüsterte der Souffleur.

Keiner achtete darauf – Max beschäftigte sich mit Agathen – die Uebrigen waren nicht da – so erbarmte sich denn Samiel – that einen letzten Ruck – als ob ihm die Seele abgerissen wäre und sprach mit dumpfer Stimme:

»Das war sein Gebet im Sterben!« – dann erfaßte er den Körper des Caspar, schleppte ihn der Coulisse zu und wollte ihn eben hineinschleudern; der war ihm aber entweder zu schwer geworden, oder er hatte vielleicht aus versehen auf den Jagdrock getreten, kurz er kam ins Stolpern, ließ jenen, noch halb auf dem Theater fallen, und schoß, über sein Opfer hinweg, in die Coulisse, und – wahrscheinlich in den Abgrund der Hölle hinein; wobei er sich aber das Uebriggebliebene augenblicklich nachkommen ließ.

Nach Abgang dieser Beiden trat auch der Fürst mit Aennchen wieder heraus – Agathe erholte sich und Max gestand nun sein Verbrechen. Hierauf folgte die Ausweisung, und in diesem Augenblick, während Aennchen wieder in die Coulisse verschwand, erschien der »Eramit.«

Sein Auftreten war feierlich – der Fürst, Max und Agathe knieten vor ihm nieder – segnend breitete er seine Hände über sie aus – tiefes Schweigen herrschte im Saal – die vorn gelagerte Jugend lauschte in der gespanntesten Erwartung. Da drohte plötzlich eine, aus dem Nebenzimmer kommende, höchst profane Stimme den ganzen schönen Zauber zu zerstören.

»Glöckner!« rief es.

»Ja!« antwortete ein tiefer Baß aus der Mitte des Publicums.

»Spielst' en Schaafskopp mit?«

»Ne – jetzt noch niche – aber gleich« – entgegnete Glöckner. Doch Niemand lachte. »Ruhe!« rief der kleine dicke Fischer, und sah sich ärgerlich um, und »Ruhe!« »Pst! pst!« tönte es von allen Seiten. Die Ruhe war augenblicklich wieder hergestellt – und der Fürst wurde nun versöhnt – Max bekam ein Jahr Urlaub, und jetzt plötzlich fuhr eine lange Hand links aus der Coulisse heraus und schüttete etwas auf die Erde – in der nächsten Secunde folgte dem Vorangegangenen ein brennendes Schwefelholz, und mit den Schlußworten

– »darf kindlich der Milde des Vaters vertraun!« stieg eine bläulich-rothe, bengalische Flamme auf, die das ganze Theater in ihren magisch rosigen Schein hüllte.

»A – h –« tönte es aus jedem Munde – der Eramit hob, wie betend, seine Hände empor, und – der Vorhang fiel schnell.

Da erst gewann Publicum Athem und Besinnung wieder.

»Caspar 'raus!« tobte jetzt die Menge – »'raus! 'raus! Caspar 'raus!«

»Samiel ooch!« piepte die ganz feine Stimme.

»Caspar 'raus – 'raus mit 'em Caspar!«

Osfeld und Wehrig suchten Caspar zu überreden, daß er sich doch »dem Volke zeigen möchte,« dieser aber, der sich schon eines höchst nöthigen Kleidungsstückes entledigt hatte, rief ihnen entgegen:

»Ich kann ja nicht – ich bin ja schon ausgezogen –« doch was halfen solche Entschuldigungen – »es tobt der See, und will sein Opfer haben.« »Caspar 'raus,« donnerte die Menge, und er mußte, wohl oder übel, in das Kleidungsstück zurückfahren. Schnell zog er sich dabei noch den alten Oberrock über, frug den Director, als er sich die Haare aus dem Gesicht strich und die zwei untersten Knöpfe einhakte, »was zeig' ich denn an?« und trat auf die schnell gegebene Antwort hinaus.

»Bravo!« schrie die Masse – »noch emal so en Feier!« eine einzelne Stimme, und Caspar sprach, die rechte Hand auf dem Herzen und mit tiefer Verneigung:

»Ich hoffe – diesen Beifall – nicht verdient zu haben – heute über acht Tage« – fuhr er dann aber mit etwas erhöhter Stimme fort, »werden wir die Ehre haben wieder aufzuführen:

»Kunibert von Eulenhorst oder der geschundene Raubritter – Ritterschauspiel in fünf Aufzügen.«

»Magnus soll leben – hoch!« jubelten ein paar Tenorstimmen – »hoch! und abermals hoch!« fiel der Chor ein, und hinaus strömte das Publicum ins Freie. – Zur Thür drängte sich die muntere Schaar, die jungen Leute, die Mädchen und das Militair, die Fischer und Handwerker, scherzend und lachend, ein Theil noch in dem Wirthshaus selber den Abend zu verbringen und auf dem schmutzigen Billiard die Kugeln hinüber und herüber zu stoßen, oder sich auch in kleinen Gruppen durch die Stadt zu zerstreuen, den eigenen ärmlichen Wohnungen zu, und von Samiel und Wolfschlucht zu träumen.

Osfeld und Wehrig aber blieben noch zurück und waren schweigende Zeugen, wie die Herrlichkeit verging, wie die Lichter erloschen – die Künstler wieder Menschen wurden. Das Komische war entschwunden und der Ernst des Lebens schaute höhnisch, wie aus einem nackten Todtenschädel hervor.

»Was macht das Kind?« frug Max, der die Jagdkleider abgelegt und nur die Reiterstiefeln noch anbehalten hatte, eine junge Frau – seine Frau, die eben zur Thür hereintrat.

»Es lebt noch,« erwiederte diese mit verweinten Augen – »wenn du's aber noch einmal sehen willst, so mach', daß du zu Hause kommst.«

»Ist Ihr Kind so krank?« frug Osfeld theilnehmend.

»Ja – ich glaubte nicht, daß ich es nach dem Theater noch am Leben finden würde« – seufzte Max aus tiefer Brust.

»Wie konnten Sie aber spielen, wenn Sie Ihr Kind zu Hause so leidend wußten?«

»Der Winter ist hart,« seufzte die Frau – »und die paar Groschen thun Noth.« Damit verschwanden die Beiden in der Thür.

Magnus sah ihnen, das Kinn in die Hand gestützt, nach; dann wandte er sich seufzend ab und murmelte – mehr mit sich selbst, als zu den Anderen redend:

»Ja, ja – es thut weh – recht weh – dagegen kommt's aber doch nicht auf, wenn man draußen stehn und den Hanswurst machen, tanzen, springen und tolle Späße reißen muß – und daheim dann indessen die Frau auf dem Stroh liegt.«

»Und das haben Sie gethan?«

»Der Mensch kann viel ertragen,« fuhr der Director fort, indem er das Hackebret wieder in den Kasten legte – »leben, mein Gott, leben wollen wir ja Alle – ich habe sieben Kinder.«

»Bringt Ihnen denn das Theaterspielen auch so viel ein, daß Sie davon leben können?« frug Wehrig.

»Im Winter, ja – wenn nur die langen Sommerabende nicht wären – da aber einen ganzen Abend Komödie zu spielen und nachher – es ist schon da gewesen, vier Pfennige auf den Antheil heraus zu bekommen, da reicht's denn freilich nicht einmal für trocken Brod aus.«

»Warum ergreifen Sie aber nicht etwas Anderes, verstehen Sie keine Profession?«

»Ja – aber das ist zu spät!« seufzte Jener, »ich bin alt und schwächlich – würde auch keine Kundschaft mehr bekommen.«

»Dann sollten Sie sich aber wenigstens bemühen, Ihr Theater so viel als möglich zu verbessern. Eine erhöhte Bühne würde Ihnen zum Beispiel einen viel größeren Zuhörerkreis sichern, weil dann auch die weiter Zurückstehenden im Stande wären, von den Schauspielern mehr zu sehen, als eben die Köpfe.«

»Ja, wenn ich das dürfte!« erwiederte der Director, »das ist mir aber polizeilich verboten – warum? weiß der liebe Gott; sie können doch unmöglich fürchten, daß ich dem Hoftheater Schaden thue. Auch darf ich nie mehr wie vier Personen auf einmal draußen stehen lassen – da kriecht immer so ein oder der andere Polizeidiener hier herum, und neulich, wo einmal aus Versehen fünfe geblieben waren, zeigte mich der an, und ich mußte einen Thaler und fünfzehn Neugroschen Strafe bezahlen – das schmerzt. Ein und zwanzig Groschen hatten wir im Ganzen eingenommen, und nun noch der Saal und die Lichter. Ja, wenn die großen Herren da oben nur manchmal wüßten, wie ungerecht solche Strafen vertheilt sind – sie änderten es gewiß ab – denn so bös sind sie nicht, sie wissen's nur nicht. Ein Thaler fünfzehn Neugroschen – das klingt ihnen so unbedeutend – so wie gar Nichts – und dafür mußten neun Menschen zwei Tage lang hungern.«

»Läßt sich denn aber dagegen gar Nichts thun?« frug Osfeld.

»Gegen die Polizei?« meinte achselzuckend Magnus und lächelte mitleidig über die Frage. »Doch, meine Herren, ich muß zu Hause – die Frauen sind schon Alle fort – beehren Sie uns doch recht bald wieder.« Damit folgte er, den jungen Leuten erst noch freundlich die Hände drückend, den Vorausgegangenen.

Osfeld und Wehrig wollten sich jetzt ebenfalls entfernen, als ihnen der noch bis zuletzt gebliebene »Intriguant« entgegentrat.

»Komischer Mann, das« – sagte er, dabei mit dem Finger hinter dem Director d'rein deutend – »lamentirt in einem fort, und ist eigentlich selber Schuld daran.«

»Aber wie so?« frug Osfeld – »er thut doch wohl Alles, was in seinen Kräften steht?«

»Zugegeben,« lächelte Jener, indem er dabei ein Töpfchen Schminke, ein wenig Baumwolle, ein »Endchen« Talglicht und einen am untern Ende schwarz gebrannten Korkstöpsel zusammen in ein Papier wickelte, und dies in die hintere Rocktasche schob – »zugegeben, daß er wirklich Alles thut, was in seinen Kräften steht – das ist aber nicht genug – er muß mehr thun, er muß speculiren. Sehen Sie, zum Beispiel mit der Garderobe –«

»Die borgen Sie für jeden Abend, nicht wahr?«

»Ganz recht – theilweise wenigstens, denn ein paar Schwerter und andere Geschichten haben wir schon – aber was kostet das? Dafür bekommt der Jude die Woche zwei harte Thaler – ich habe meinen Aerger schon genug darüber gehabt. Wenn man einmal Abends in Gedanken bei feuchtem Wetter mit den hirschledernen Stiefeln zu Hause geht, oder sich aus Versehen mit so einem erbärmlichen sammtmanschesternen Wamms zu Bett gelegt hat, daß vielleicht Morgens noch ein paar Federn d'ran hängen, dann ist immer gleich der Teufel los – wozu das? warum schaffen wir uns nicht Garderobe an? warum kaufen wir uns keine?«

»Kaufen?« entgegnete ihm Wehrig – »wovon denn? der Director klagt ja doch, daß er kein Geld habe; wovon soll er also Garderobe kaufen? etwa auf Credit nehmen?«

»O ja – das wäre eine sehr gute Idee, der Credit,« rief der Schauspieler, indem er sich noch einmal im Zimmer umsah, ob er Nichts vergessen habe, und dabei sämmtliche Taschen befühlte – »sehr gute Idee das, aber – es borgt uns Niemand – der Versuch ist schon mehrere Male gemacht. Nein, Umsicht gehört dazu, und mit Umsicht wollte ich ihm in vier Wochen Garderobe herstellen.«

»Doch auf welche Art?« frugen die jungen Leute, jetzt selbst neugierig gemacht, zu gleicher Zeit.

»Auf sehr einfache!« sagte der Intriguant, und fing an, seinen schon etwas mitgenommenen Rock bis oben hinauf zuzuknöpfen. »Sehen Sie, bei Conversationsstücken, da muß sich Jeder seine eigenen Lumpen halten, und da wir die Woche hindurch immer nur ein Stück, wenn auch an fünf oder sechs verschiedenen Orten geben, so sparen wir also in jeder solchen Woche zwei Thaler. Nun lassen Sie uns einmal vier Wochen hintereinander Conversationsstücke geben – und da kommen immer nur erst vier auf jedes Wirthshaus – dann haben wir acht harte Thaler gespart, und damit kauf' ich dem Teufel seine Garderobe ab.«

»Mit acht Thalern?« rief Osfeld erstaunt aus.

»Mit acht Thalern,« betheuerte der Intriguant, während er sich den Hut in die Stirn drückte, und ein kleines Bündel, das er in der Hand trug, und was einem reinen, wahrscheinlich noch zu schonenden Hemd sehr ähnlich sah – fester zusammenrollte und unter den linken Arm schob – »mit acht Thalern kaufe ich den ganzen Bettel – doch es wird spät, der Wirth will zuschließen – also – 'pfehle mich ergebenst, meine Herrn!« – und damit, weil er wahrscheinlich glaubte, die Laien tief genug in die Geheimnisse seiner Berechnungen eingeweiht zu haben, stieg er die steile Treppe hinab.

Die jungen Leute sahen ihm mit einem Gemisch von Staunen und Mitleid nach, und einen eigenen unheimlichen Zauber fast übte dabei ihre ganze trostlose Umgebung; der Wirth aber, der schon seit einigen Minuten, mit einem dünnen flackernden Talglicht in der Hand, das Fortgehen der so lange Säumenden erwartet hatte, schien nicht Lust zu haben noch länger seine eigene Bequemlichkeit wie das Talglicht der Zugluft preis zu geben. Sie folgten seiner ungeduldig werdenden Bewegung, er schloß dicht hinter ihnen die Thüre zu, riß den Zettel ab, und überließ es Jenen, ihren Weg ins Freie zu finden, was jedoch, mit Hülfe einer noch im Vorhaus brennenden Laterne gelang.

Bald standen sie wieder am Ufer der Elbe, und der heitere, blauklare Nachthimmel lachte hell und freundlich auf die stille Erde, auf Glückliche und Unglückliche hernieder.

Die Schoonerfahrt.
Neuseeländische Skizze.

Am Horizont dämmerte der Tag – vom nicht mehr fernen Inselufer herüber trug der warme Nachthauch die süßen würzigen Düfte tropischer Vegetation, und oben am mattblauen, noch hie und da mit erbleichenden Sternen geschmückten Himmel, schwebten kleine milchweiße Wolken, und errötheten freudig, als sie endlich die lang erharrte, strahlende Sonne erkannten und ihren Morgenkuß auf den Wangen fühlten. Unten aber, über das noch in grauer Dämmerung lagernde Meer, strichen ernst und schweigend einzelne breitschwingige Albatrosse hin, und regten nur in langen Zwischenpausen die mächtigen Flügel, daß sie, in ihrer gespensterhaften Weise fast den Geistern der Nacht glichen, die das helle Licht der Sonne zu fürchten und zu fliehen schienen.

Wie ein schlummernder Koloß lag der Ocean, und in ruhigen gleichmäßigen Athemzügen hob sich die Schwellung der Wasser. Hie und da nur brach ein spielender Delphin die stille Ruhe, oder der gellende Schrei eines Wasservogels störte den schlafenden Pelikan, der sich, sein Nachtwerk vollendet, regungslos mit der Fluth heben und schaukeln ließ, und jetzt nur den rasch emporgehobenen Kopf ärgerlich schüttelte und wieder unter den Flügel schob.

Immer lichter wurde es im Osten; einzelne leuchtende Strahlen schossen ihre zündenden Pfeile schon mitten ins Herz der ängstlich zurückdrängenden Finsterniß hinein, und jetzt – rasch und plötzlich, wie sich in den Tropen der junge Tag aus den Armen der Nacht reißt –, tauchte die große goldene Sonnenscheibe herauf, über das blinkende funkelnde Meer. Vor ihr her aber, als ob sie selber, der neugewonnenen Himmelsluft froh, so recht kräftig und wohlgemuth aufathme aus tiefster Brust, sandte sie ihren Hauch, und leise tändelnd und spielend lief der über die, sämmtlich die kleinen Mäulchen nach ihm aufspitzenden Wellen hin, und küßte sie alle, alle die munteren blitzenden Dinger, mit ihren treublauen seelenvollen Augen.

Rasch stieg die Sonne empor und ihr Schein, der die weite Fläche mit seinem Glanze erfüllte, fiel auch auf ein einzelnes schneeweißes Segel, das wie ein müder Seevogel auf dem Wasser lag und seinen Bug dem immer klarer im Süden hervortretenden Landstreifen entgegengerichtet hielt. Es war ein Schooner und zwar nach Art der amerikanischen Schnellsegler betakelt, aber mit etwas breiterem, schwerfälligerem Bug und nicht so starr und keck emporragenden Masten und Spieren – ein sogenannter Sidney Schooner, wie sie theils die australischen Küsten befahren, theils auch nach den benachbarten Inseln, ja oft bis selbst nach Neuseeland hinüberschiffen und Sturm und Wellen trotzen.

Der »Kasuar,« wie das kleine Fahrzeug hieß, hatte denn auch die Reise von Port Jackson aus in gar kurzer Zeit zurückgelegt und befand sich jetzt nur noch wenige Meilen von seinem Ziel entfernt, dem nordöstlichen Ufer der Insel Ika-na-mawi, welche zugleich die nördliche Hälfte der großen Doppelinsel Neu-Seeland bildet. Der Wind aber, der bis dahin gar munter ihre Segel geschwellt, hatte gänzlich nachgelassen, oder doch wenigstens in der herüberwehenden Landbriese einen Gegner gefunden, gegen den er nicht ankämpfen konnte oder mochte. In der Morgendämmerung, wo Land- und Seewinde einander ablösen, war denn gar noch jeder Luftzug eingeschlafen, und die Segel hingen schlaff und unthätig an den Masten nieder, gegen die sie nur manchmal, wenn die Schwellung der Wasser das sich höchst passiv verhaltende Fahrzeug hin und her schaukelte, schwerfällig anschlugen.

Thätiger zeigte sich dagegen die Mannschaft des kleinen Seebootes; von den vier Matrosen, die oben beschäftigt waren, arbeiteten drei gar fleißig daran, die weißen Deckplanken mit rasch heraufgeholten Eimern voll Seewasser noch immer weißer und reiner zu scheuern und zu spühlen, und auf dem Hinterdeck, die beiden Arme fest auf die Starbord Bulwarks[8] gestemmt, saß ein kleiner, ziemlich corpulenter Mann, mit von der frischen Morgenluft gerötheten Wangen, deren Schimmer in der breitvorstehenden Nase einen Wiederglanz zu finden schien. In den Händen hielt er übrigens ein langes, gerichtetes Teleskop, mit dem er das vor ihnen liegende Land scharf und aufmerksam beobachtete. Er senkte wenigstens dann und wann das Glas, wischte sich mit dem Zipfel eines rothseidenen Taschentuchs das rechte Auge aus, und begann seine Forschungen aufs Neue.

[8]: Starbord und Larbord heißen die beiden Seiten eines jeden Fahrzeugs, und zwar die rechte, vom Steuermann aus gerechnet, Starbord, die linke dagegen Larbord oder Backbord.

Der einzige, anscheinend Müßige am Bord, war der am Steuerrad lehnende Matrose, denn der hielt, wie er so da stand, die Speichen eigentlich nur deßhalb fest, um seine eigene, nachlässig in sich selbst zusammengesunkene Gestalt zu unterstützen. Dann und wann schaute er dabei, mit einem halb schläfrigen Ausdruck in den gleichgültigen Zügen zu den unthätig niederhängenden Segeln und der schlaffen am Hintermast befestigten Windfahne auf, und fiel nachher, als ob er damit jeder nur von ihm zu fordernden Pflicht ganz vollkommen genügt habe, gemächlich in seine alte Stellung zurück.

Da tauchte noch ein anderer Kopf aus der Kajütenluke empor, und gleich darauf stiegen zwei Gestalten an Deck, von denen sie die eine leicht als Master des kleinen Fahrzeugs erkennen ließ; die andere dagegen gehörte einem mehr fremdartigen, in seine Umgebung nicht recht passenden Wesen an, das wir deßhalb schon und seiner äußeren Erscheinung willen, ein wenig näher betrachten wollen.

Es war ein Mann, kaum mehr als zwei oder drei und dreißig Jahr alt, aber mit wohlmarkirten und dunkelglühenden Augen, nicht übermäßig stark und groß, doch von kräftig elastischem Körperbau. Das Außergewöhnliche an ihm bestand übrigens – obgleich sich seine Züge, einmal gesehen, sicherlich nicht leicht wieder vergaßen – weniger in seiner persönlichen Erscheinung als in seinem Anzug, der eine Mischung von europäischer und indianischer Tracht bildete. Der Mann selber stammte allerdings von Weißen ab, denn wenn auch seine Haut durch Sonnengluth und Luft so verbrannt und gefärbt war, daß sie in ihrer dunklen Schattirung wenig der, neuseeländischer Eingeborener nachgeben mochte, so verrieth doch das lichtere gekrauste Haar, die mehr geröthete Wange und der ganze Schnitt des Gesichts nicht allein den Weißen, sondern auch den Engländer, während der weite neuseeländische Tapamantel und die, aus roher Haut verfertigten moccasinartigen Schuhe, wie die, nach Art der Indianer unter dem Knie gebundenen Beinkleider, eher einen Halbbrut-Wilden vermuthen ließen.

Sein Begleiter, der Master des kleinen Kasuar, der sich übrigens, wie alle solche Küstenfahrer, viel lieber »Capitän« nennen hörte, schien denn auch über den wunderlichen Aufzug seines Passagieres sehr erfreut und seine, ohnedieß schon recht ansehnliche Physiognomie hatte sich zu einem breiten, wohlgefälligen Grinsen ausgedehnt, mit dem er, sobald sie das Deck erreicht hatten, den Wilden von oben nach unten betrachtete, bis sich dieser endlich mürrisch gegen ihn wandte und ausrief:

»Nun Sir, wenn Sie sich satt gesehen haben, lassen Sie mich's wissen. Ist Ihnen denn in Ihrem ganzen Leben noch kein Tapamantel vorgekommen, daß Sie dreinschauen, als ob wir uns mitten in London, anstatt wirklich an der neuseeländischen Küste befänden?«

»Nichts für ungut,« lachte der Seemann, »ich dachte nur eben daran, was für ein Gesicht der Gouverneur in Sidney schneiden würde, wenn Sie ihm, so aufgetakelt, vor den Bug kämen. Seeschlangen und Eisbären, Sie kommen mir vor wie ein Kriegsschiff mit Frauenzeug an Bord und an der Gaffel einen Unterrock aufgehisst – segeln auch wohl einen Kreuzzug unter falscher Flagge?«

»Alle Wetter!« rief da der kleine dicke Mann, der sich in diesem Augenblick zum ersten Mal nach den Redenden umwandte, ganz erstaunt aus – »Mr. Dumfry als Neuseeländer!«

»Gentlemen« erwiederte aber der also Genannte, indem er sich, ohne die letzte Bemerkung weiter einer Antwort zu würdigen, an seine beiden Begleiter wandte, »ich möchte ein paar ernste Worte mit Ihnen reden, denn es betrifft Dinge, die noch auf jeden Fall besprochen werden müssen, ehe wir jene Küste betreten.« Und sein Auge haftete dabei sinnend an den blauen Landstreifen, dessen Conturen, durch das aufsteigende Tagesgestirn beleuchtet, immer deutlicher und erkennbarer hervortraten.

»Hm,« sagte der Capitän und schob die Finger beider Hände in die Seitentaschen seiner kurzen blauen Matrosenjacke – »Geheimnisse wohl? werden dann lieber wieder in die Kajüte hinunter gehen.« Sein Blick, der zugleich auf den, neben ihnen am Steuer befindlichen Matrosen fiel, zeigte deutlich genug daß er fürchtete, dieser könne, da der Raum des Hinterdecks allerdings nicht bedeutend war, ihr Gespräch belauschen.

»Wir haben,« erwiederte ihm aber Dumfry, »von den Leuten an Bord Nichts zu fürchten, wie Sie mir sagten, kommen die ja mit dem Lande nicht in Berührung.«

»Ei bewahre,« rief der Capitän – »gerade der, der dort steht, ist ein noch nicht entlassener Sträfling, den ich eigentlich wider die Gesetze mit an Bord genommen habe; er hat sich aber bis jetzt ordentlich benommen und – mir fehlten Matrosen, da konnte ich ihn, der ein tüchtiger Seemann ist, gar gut gebrauchen. Uebrigens bleibt der Schooner am äußersten Rande der Bai vor Anker liegen, das kleine Boot nehmen wir selber mit, und daß mir nachher keiner ans Ufer schwimmt, dafür sorgen unsere guten Freunde, die Haifische, von denen es hier eine besonders große Anzahl giebt.«

»Gut denn, so können wir ruhig hier oben bleiben,« sagte der Verkleidete, wandte sich dem Starbord Bulwark zu, und erwartete hier, an dieses angelehnt, und sein Gesicht dem Meere und dem vor ihnen liegenden Ufer zugekehrt, die beiden Freunde, die sich bald rechts und links neben ihn stellten, seiner Mittheilung zu lauschen.

Ehe wir übrigens dem Gespräch der Männer, die wir in unserer Erzählung begleiten wollen, folgen, möchte es vielleicht nöthig sein, dem Leser einen kurzen und flüchtigen Ueberblick des Theils der neuseeländischen Verhältnisse zu geben, mit welchem wir es hier zu thun haben, damit er die Beweggründe der Schooner-Passagiere begreifen, und ihrem Unternehmen mit größerem Interesse folgen kann.

Wie in allen uncultivirten Ländern der Welt, so bildeten auch in Neuseeland die Missionäre gewissermaßen die Tirailleure der Civilisation; denn wie man einen bösen und starken Hund streichelt, und vielleicht durch den angenehmen Geruch eines vorgehaltenen Knochens, wie durch freundliche zuredende Worte zu besänftigen sucht, so wird den wilden trotzigen Nationen, denen der liebe Gott wahrscheinlich nur zufällig so vortrefflich zu Handel und Ackerbau gelegenes Land gegeben hatte, zuerst die christliche Religion mit ihren frommen und jede rauhe That verbietenden Lehren gezeigt. »Seht,« sagen die Missionäre – »solch gute Menschen sind wir, das steht Alles in der Bibel, unserem, uns von Gott selbst gegebenen Buch, und das thun, das befolgen wir auch Alles; davon weichen wir kein Haar breit ab, und so gut müßt Ihr auch werden, wenn Ihr einst das Alles erhalten wollt, was uns für unsere Frömmigkeit versprochen ist.«

Der Wilde, dem schon das an und für sich imponirt, daß einzelne unbewaffnete Männer, fremd mit seinen Sitten und Gebräuchen, durch Nichts geschützt, als das Vertrauen auf sein Volk, weit über das Meer daher kommen; ja vielleicht gar durch das Neue der Sache selbst angereizt, oder auch im naturkräftigen Herzen das Schöne solcher Lehre ahnend, neigt sich endlich dem fremden Glauben und huldigt dem fremden Gotte. Er will es einmal versuchen, ob das auch alles wahr und wirklich so ist, was ihm die fremden Männer mit den wunderlichen schwarzen Kleidern gepredigt haben.

Kaum hat ihn nun sein eigener freier Wille, oft freilich auch nur ein für ihn reiches Geschenk dazu gewonnen, dann nimmt man ihm schon ein Versprechen ab – das er bei einem nur etwas anders gestalteten Heiligenbild, als er es bis jetzt gewohnt gewesen, leisten muß – seinen neuen Glauben nie wieder zu verlassen, und dem europäischen Gott wie auch dem europäischen Fürsten, dessen Emissäre sich dort gerade vorfinden, gehorsam zu sein.

Der arme Wilde, der es übrigens sehr natürlich findet, daß der europäische Gott auf der Erde von einem Fürsten vertreten wird – denn einem anderen Häuptling Gehorsam zu schwören wäre ihm nie eingefallen – leistet den Eid, weiß aber in jener Zeit gewöhnlich gar nicht was er verspricht, und ist nicht um ein Jota mehr zurechnungsfähig, als ein Säugling, der in der christlichen Religion getauft, oder ein vierzehnjähriger Schuljunge, der in ihr confirmirt wird. Weicht er aber später einmal davon ab, erwacht der alte trotzige Geist in ihm, oder sieht er vielleicht gar, daß sich doch nicht Alles so lieb und gut verhält, wie es ihm die fremden, im Anfang so freundlichen Männer vorgesprochen, dann wird er an sein Versprechen gemahnt, und wenn das nicht mehr ausreicht, zu der Liebe für die christliche Kirche gezwungen.

»Ei, er hat ja geschworen,« sagen jetzt die Fremden, denn außer den Missionären treten nun auch plötzlich gar frommgesinnte Kaufleute aus dem Hintergrund und schreien über verletzte Rechte – »er hat ja einen Traktat, in welchem ihm Alles haarklein auseinandergesetzt wurde, mit seinem eigenen Zeichen selbst untermalt (denn lesen und schreiben konnte der arme Teufel leider nicht), und muß nun auch halten, was er versprochen, da ihn ja früher Niemand dazu gezwungen hat.« Wird ihm aber der Zwang zu eng, lernt er vielleicht gar die wahren Absichten seiner Bekehrer kennen und verstehen, und greift er in wieder frisch aufloderndem Kampfesmuth zu den Waffen, dann – schmettern Kartätschen und Büchsenkugeln den Rebellen zu Boden und die donnernden Schlünde der Kriegsschiffe, die seine leichten Schilfwohnungen von der Erde fegen oder entzünden, öffnen dem unglückseligen Wilden zum ersten Mal die Augen und zeigen ihm, was er bis jetzt noch gar nicht bemerkt zu haben schien, daß er Ketten an Händen und Füßen trage, und sogar in all seiner Verzweiflung und Noth nicht einmal mehr seinen alten Gott anrufen könne – weil er den verleugnet hatte.

Das bricht dem Armen gewöhnlich das Herz, denn damit ist ihm das Letzte, Heiligste vernichtet, und er wird jetzt, ohne weiteren großen Widerstand mehr, und worauf es ja im Anfang doch gleich abgesehen, der, nur dem Namen nach freie, Sclave seines Herrn.

Wie sehr dabei den Missionären gewöhnlich das Seelenheil ihrer Bekehrten am Herzen liegt – ich sage gewöhnlich, denn es giebt auch, Gott sei Dank, Ausnahmen von dieser Regel – geht ebenfalls aus den neuseeländischen Berichten hervor. Nach der Aukland Gazette beanspruchen nämlich die dort befindlichen fünf und zwanzig Mitglieder der Kirchenmissionsgesellschaft zusammen 196,840 Acker Landes, das sie für Kleinigkeiten gekauft und jetzt gewiß nicht um das ganze Seelenheil Neuseelands wieder herausgeben würden. Den Beweis hierzu haben ja auch wirklich die schon später geführten Kriege geliefert. Ebenso widersetzten sich jene Missionäre der Bildung anderer Gesellschaften, die besonders von Deutschen ausgingen und in denen sie, vielleicht nicht mit Unrecht, theils eine Ueberwachung ihres Treibens, theils vielleicht gar eine Concurrenz fürchteten.

Die neuseeländischen Wilden nun, die dem Treiben der Fremden im Anfang ganz ruhig zusahen, da sie erstlich den Rückhalt nicht kannten, den jene in ihrer Nation hatten, und in solcher Besitznahme von Land durch eine Handvoll Menschen auch natürlich nicht jene verderblichen Folgen ahnen konnten, die es für sie haben mußte, wenn sie weiter und weiter von ihrem Grund und Boden verdrängt wurden, fingen dennoch mit der Zeit an aufmerksam zu werden und zu begreifen, welche Motive jene fremden Männer bewogen haben konnten, ihr Vaterland zu verlassen und die eigene Religion ganz unbekannten Völkern zu predigen. Theils sahen sie selbst fremde Länder, denn als Matrosen oder größtentheils Harpunierer schifften sie sich häufig auf amerikanischen, englischen und französischen Wallfischfängern ein, theils wurden sie auch hier und da von Weißen selbst auf ihnen gefährlich werdende Uebelstände aufmerksam gemacht, und das letztere geschah nicht allein oft aus Privat-, sondern sogar nicht selten aus irgend einem Nationalinteresse, wie denn Aehnliches von den Engländern besonders ihren Erbfeinden den Franzosen zur Last gelegt wird.

Das Resultat blieb denn auch nicht aus; Heki, ein wackerer Häuptling der Neuseeländer – nach einigen englischen Blättern sogar ein geborener Ire, der als junger Matrose von seinem Schiffe desertirte – bot plötzlich den Europäern die Spitze, und widersetzte sich vorzüglich den Vermessungen des Landes, welche, wie er jetzt wohl einsehen lernte, seinem Volke den Boden Ackerweis entrissen und der fremden Regierung nur noch immer mehr angemaßte Rechte gaben. Der Haß gegen die Fremden stieg dabei immer höher, und ein Umstand besonders brachte das lang gedämpfte Feuer zum wilden, tobenden Ausbruch.

Die Tochter eines Häuptlings wurde – wie die Engländer behaupteten, aus Versehen – erschossen und das wilde Blut der neuseeländischen Krieger schäumte jetzt hoch auf; all die erduldete Schmach riefen sie in ihr Gedächtniß zurück, und der langverstummte Kriegsschrei der Stämme machte das Mark ihrer Feinde erbeben. Allerdings erzwangen sich endlich die Geschützstücke der Engländer Anerkennung, und zügelten wenigstens für den Augenblick den wild auflodernden Grimm der Wilden, im Inneren gährte es aber noch drohend fort, und wenn auch dann und wann die Häuptlinge Frieden sicherten und Freundschaftsversicherungen gaben, so war ihnen doch schon von den Feinden selbst gelehrt worden, wie man derlei Versprechungen zu halten habe, und trotzig erneuten sie das Blutvergießen immer aufs Neue wieder.

Das Resultat dieser Kämpfe ist freilich vorauszusehen; es wird hier werden, wie es in allen übrigen »wilden Ländern« war: einen Theil der Heiden civilisirt man, der andere muß untergehn, wollen sich aber gar keine dem milden Joch der christlichen Religion fügen, ja dann haben sie sich die Folgen freilich selber zuzuschreiben, und wie es früher den Guanchen der Canariden ging, wie es jetzt das Schicksal der australischen Wilden ist, so bleiben der Nachwelt nur noch die starren Ueberreste ihrer Gebeine, bei denen sich selbst die nimmer schonende Zeit milder zeigte, als das christliche Menschengeschlecht.

Der Zweck nun, der den »Kasuar« hier an Neuseelands Küste gerufen, stand ebenfalls mit diesen Verhältnissen in Verbindung. In Sidney selbst war nämlich vor nicht gar langer Zeit ein angeblich neuseeländischer Pflanzer eingetroffen, der an der Nordostküste der Insel bedeutende wilde Länderstrecken sein nannte, und auch einen, von dem Häuptling Heki selbst unterzeichneten Schein besaß – etwas, das bei Landbesitzungen äußerst selten geschah; – Ursachen jedoch, die er bis dahin geheimgehalten, nöthigten ihn, wie er sagte, zu augenblicklicher Rückkehr nach Europa, und er bot deßhalb jenen Schein einem bedeutenden Sidney Handelshaus, Bornholm, Bricks und Comp., gegen baare Zahlung einer höchst mäßigen Summe an. Die einzige Bedingung, die er dabei stellte, war die, daß er einen Schooner und zwei Begleiter bekäme, um mit diesen noch einmal nach Neuseeland zurückzukehren, wobei er denn auch jenen Beiden die Grenzen des Besitzthums und dessen Lage bezeichnen wollte, damit sie später, wenn einmal der Rechtsanspruch an dieses Land geltend gemacht würde, als Zeugen für den rechtlichen und gesetzlichen Kauf auftreten könnten.

Die Schrift des Dokumentes war, wie sich nicht verkennen ließ, ächt und der für das Land geforderte Preis stand mit dem jedesfallsigen Werthe desselben in gar keinem Verhältniß – es konnte ein solcher Ankauf daher als ein ausgezeichnetes Geschäft gelten; denn in Sidney wußten sie recht gut, daß die englische Regierung, sobald sie die störrischen Häuptlinge nur erst einmal gebändigt, jedes Recht ihrer Unterthanen gewiß auf das kräftigste vertreten würde. Nur mit der Vermessung solcher Strecken hatte es, für jetzt wenigstens, unüberwindliche Schwierigkeiten. Die Eingeborenen widersetzten sich jeder Schätzung ihres Landes auf das Bestimmteste, und übten, wenn diese doch einmal versucht wurde und sie die Schuldigen ertappten, fürchterliches Strafgericht, wobei sogar nicht selten der alte heidnische und keineswegs abgeschaffte Kanibalismus wieder ins Leben trat. Reisende brauchten dagegen, besonders an der Küste, kaum um ihre Sicherheit besorgt zu sein, denn Heki hatte sogar seinen Untergebenen auf das strengste eingeschärft, Fremde nicht unnöthig zu reizen und jedes Blutvergießen zu vermeiden; die aber mit Aufopferung ihrer letzten Kräfte zu bekämpfen und zu vernichten, die eines ihrer Rechte auch nur anzutasten wagten.

Der Vorschlag also, den Schooner hinüberzusenden und dort das Land, unter dem Vorwand einer Jagdexcursion, zu besichtigen schien dem Sidneyer Handlungshaus ebenfalls das einfachste und zweckmäßigste, obgleich es nicht begreifen konnte, welchen Plan Dumfry dabei haben mochte, daß er ihn förmlich zur Bedingung seines Kaufes machte. Es nahm aber auch deßhalb keinen Anstand, die Expedition selbst, so sehr es anging, zu beeilen, und drei Tage später schoß der Kasuar schon mit vollen geschwellten Segeln aus der Bai und ließ bald Neu-Hollands Küste weit, weit hinter sich.

Dumfry war übrigens bis jetzt weder in Sidney noch an Bord anders als in europäischer Tracht erschienen, und das Erstaunen seiner Reisegefährten ließ sich deßhalb leicht erklären, als sie ihn plötzlich, der neuseeländischen Küste so nahe, die Rolle eines Indianers übernehmen sahen. Er konnte die Maske aber keineswegs nur in Scherz oder Lust angelegt haben, denn sein ganzes Wesen kam ihnen fast noch finsterer vor, als es sich bis dahin gezeigt, und sein Blick haftete ernst und schweigend an dem schmalen vor ihnen ausgedehnten Küstenstreifen.

Capitän Tomson schien auch sehr geduldig den Beginn der versprochenen Mittheilung zu erwarten, denn er schaute ebenfalls, ohne auch nur die mindeste Neugierde zu verrathen, nach dem noch ziemlich entfernten Ufer hinüber, und nahm endlich seinen Kautabak heraus, von dem er einen förmlichen Mundvoll abbiß und langsam an zu verarbeiten fing; Van Broon dagegen, der ehrsame Geschäftsführer der Firma Bornholm, Bricks und Comp., hustete erst ein paar Mal, räusperte sich, und that alles Mögliche, um dem wunderlichen Manne seine Nähe, die er ganz vergessen zu haben schien, bemerklich zu machen. Es blieb aber jede Bemühung vergeblich; Dumfry war in eine seiner Träumereien gefallen und hörte und sah nicht mehr, bis denn endlich dem kleinen Van Broon der letzte Geduldsfaden riß und er seinen Nachbar mit einem mahnenden »Sir!« in die Seite stieß. Dumfry zuckte, dadurch wieder zu sich selbst gebracht, fast erschreckt empor, sammelte sich aber gleich wieder und sagte, ohne jedoch dabei den Blick auch nur einen Augenblick von seinem bisherigen Ziel zu verwenden:

»Gentlemen, es wird ihnen sonderbar erscheinen, daß ich jetzt, da wir uns den neuseeländischen Küsten nähern, die Landestracht jenes Volkes anlege.«

»Ei, wenn man unter den Wölfen ist, muß man mit ihnen heulen,« meinte Tomson trocken.

»Es hat einen anderen Grund« fuhr Dumfry fort und wandte sich dabei halb nach dem am Steuer lehnenden Matrosen hin, um auch überzeugt zu sein, daß sie von diesem nicht belauscht würden; der aber lehnte, allerdings an der ihnen nächsten Seite, aber den Rücken gegen die drei Männer gewandt, am Steuerrad, und hob nur manchmal schwerfällig, wie fast selbst zu dieser einzigen Körperbewegung zu faul, den Kopf gegen die Segel empor. Die Männer schien er gar nicht zu beachten. Dumfry mußte auch durch diesen Blick vollkommen befriedigt sein.

Der Matrose stand aber keineswegs so schläfrig da, als es vielleicht den Anschein haben mochte; im Gegentheil trugen seine Züge den Ausdruck aufmerksamer Spannung, und er rührte sich nur deßhalb nicht, um keines der leise gesprochenen Worte zu überhören. – Hätte Dumfry den stieren wachsamen Blick nur einen Moment beobachten können, er wäre nicht in der Nähe des Mannes stehen geblieben, so aber lehnte er sich langsam wieder über die Schanzung hinüber und fuhr fort:

»Sie wissen Beide, daß ich früher auf Neuseeland gewohnt, ja dort Grundeigenthum besaß, das mir von dem Häuptling selbst und durch seinen eigenen Landbrief gesichert, ungestörten, ruhigen Besitz versprach. Sogar die Kriege mit den Europäern schienen nichts Gefahrbringendes für mich zu haben, denn die Eingeborenen betrachteten mich als einen der ihren, während meine Landsleute nur Vortheil aus meiner Gegenwart zu ziehen hofften. Wenn aber auch Heki freundlich gegen mich gesinnt war und mir wiederholt seinen thätigsten Schutz versprach, mußte ich doch einigen der untergeordneteren Häuptlinge ein Dorn im Auge gewesen sein, denn die Streitigkeiten mit ihnen nahmen kein Ende. Ich fand auch bald, daß sie es in der That dahin zu bringen suchten, mich zu einer raschen unüberlegten Handlung zu treiben, und dann vollen Grund zu haben, über mich herzufallen. Lange widerstand ich allen ihren Ränken und entging glücklich den gelegten Schlingen, einmal aber, in trüber unseliger Stunde, wo mir all die erlittene Unbill, jede ertragene Schmach in tollen Bildern vor die Seele stieg, wurde ich meines Zornes nicht Herr, und – schlug den Einen meiner Feinde zu Boden.

Blut fordert nach den Gesetzen jener Stämme Blut, und mein Leben hätte von diesem Augenblick an Heki selbst nicht mehr schützen können. Ich wußte auch zu gut was mich bedrohte, und floh; unmöglich aber wäre es die Wuth zu beschreiben, mit welcher diese rachsüchtigen Kinder einer heißen Sonne meinen Fährten folgten. Selbst die Missionäre weigerten sich damals mir eine Freistatt zu gewähren, ja drohten sogar mich auszuliefern, wenn ich nicht ohne Zögern die Missionsgebäude verließe; sie wollten den Zorn der gereizten Wilden nicht auf ihre, bis dahin ungestörten Wohnungen lenken. Ein holländischer Schooner nahm mich noch endlich auf und entzog mich dadurch einem martervollen Tode.«

»Und nun wollen Sie in unserer Gesellschaft wieder dorthin zurückkehren?« frug da Van Broon, der dieser Mittheilung mit immer wachsendem Entsetzen gelauscht hatte, »Mann, sind Sie rein des Teufels? glauben Sie denn, daß man Sie dort nicht wieder kennen wird? – Und das verschweigt dieser unglückselige Mensch, bis wir dicht an der Küste sind; nun wird uns weiter gar nichts übrig bleiben, als geradezu umzukehren.«

»Die Gefahr ist keineswegs so groß als Sie denken,« flüsterte Dumfry, »sonst hätte ich mich selbst nicht wieder hierher gewagt. Um unentdeckt zu bleiben, legte ich neuseeländische Tracht an, denn unter dem Schutze des Tabu[9] bin ich im Stande, monatelang die Insel zu durchwandern, ohne von einem einzigen meiner Feinde erkannt zu werden. Sobald wir das feste Land betreten verhüllt diese Matte meinen Kopf, und keine Hand wird es wagen einen Schleier zu lüften, den ihr heiligstes Gesetz als unantastbar schützt.«

[9]: Der Tabu, ursprünglich wohl ein religiöser Gebrauch, ist bei den Neuseeländern auch das geworden, was man bei anderen Völkern das Gesetz nennt, wird aber, seines heiligen und gefürchteten Ursprungs wegen, wohl um Vieles besser geachtet und gehalten, als das mit dem bloßen Gesetz der Fall sein würde. Das Belegen mit dem Tabu bedeutet eigentlich: irgend eine Sache oder Person für längere oder kürzere Zeit als geheiligt zu betrachten. Dieß geschieht durch die Tohungas oder weisen Männer. Begräbnißplätze, geheiligtes Eigenthum der Todten – Eigenthum an einem unbewohnten Ort gelassen, die Mais und Kumera (süße Kartoffel) Plantagen und andere Sachen sind unter das Tabu, oder eigentlich Tapu Gesetz (wie es die Neuseeländer härter aussprechen als die Bewohner der Sandwichs- und Marquesas-Inseln) gelegt. Oft geschieht das einem ganzen Pah (einem befestigten Ort), ebenso Häusern, Straßen und Canoes. Jemand der krank gewesen, ist bis zu einer gewissen Zeit Tapu. Das Haupt, ja oft der ganze Körper eines Häuptlings gilt dafür, – so jede Braut – und die Göttin selbst ist für Jeden, ihren eigenen Namen ausgenommen, Tapu. Sicherlich ist dieser Gebrauch für ein Volk, das keine geschriebenen Gesetze hat und kennt, höchst nützlich, ja sogar für den Schutz des Eigenthums, wie der einzelnen Personen von segensreichster Wirkung.

French Angas Life in New Zealand.

»Das ist eine sehr wunderliche Geschichte« murmelte der kleine Holländer und schüttelte dabei höchst unzufrieden, und allem Anschein nach keineswegs beruhigt, mit dem Kopf – »eine höchst unangenehme Geschichte, deren Mißlingen wir am Ende sämmtlich mit unserem Fleisch, und den Werth zwar nach Metzgergewicht bestimmt, zahlen können.«

»Hm,« meinte Tomson endlich, »das ist schon wahr – die Völker Oceaniens haben einen Respekt vor dem Tabu, der uns vielleicht vor Entdeckung sichert, aber« – und er drehte sich dabei scharf gegen den imitirten Neuseeländer herum, »was zum Henker treibt Sie denn da wieder nach Neuseeland zurück, Sir, wenn Sie doch froh sein sollten eine gehörige Quantität Seewasser zwischen sich und der ihnen so feindlich gesinnten Nation zu wissen?«

»Ja, den Grund möchte ich auch hören« stimmte Van Broon dem Seemanne bei.

»Wollen Sie mir« – frug jetzt Dumfry ohne die von ihm verlangte Erklärung geradehin zu geben – »wollen Sie mir in dem beistehen, was ich noch hier in meinem eigenen Interesse auszuführen gedenke – wollen Sie mir Ihre Hülfe zusichern, und zwar mit der gewissen Aussicht auf einen höchst bedeutenden Gewinn?«

»Donnerwetter, schießen Sie los Sir,« rief da der alte Matrose, ungeduldig werdend – »wozu denn das verdammte falsche Farbenspiel – hissen Sie, in des Bösen Namen, endlich einmal die wahre Flagge und nehmen Sie die Leinwand weg, daß man sehen kann, ob Sie wirkliche oder nur gemalte Schießluken führen. Was wollen Sie von uns, wozu sollen wir helfen?«

»Gut denn,« erwiederte nach kurzem Sinnen Dumfry entschlossen, indem er sich halb gegen Tomson hinwandte: »ich will Ihnen Alles entdecken und hoffe dann auf ihren Beistand rechnen zu können. Sie wissen Gentlemen, daß ich, als ich der Firma Bornholm die mir von Heki selbst ausgestellte Landverschreibung übergab, es sogar zur Bedingung meines Verkaufes machte, hier noch einmal nach Neuseeland, und zwar in Begleitung zweier Männer zurückkehren zu können. Die Bestimmung des Landes lieferte dazu den einen, aber nur die Firma Bornholm berührenden Grund; der andere betrifft mich selber. Wir werden, wenn auch noch einige Meilen davon entfernt, doch dem Orte gegenüber landen, wo ich früher meine Hütte errichtet; was aus dieser geworden, weiß ich nicht, ganz in der Nähe derselben liegt aber ein ebenfalls durch das Tabu geheiligter Ort, und an diesem habe ich vor meiner damaligen Flucht, alles das vergraben, was ich mir in einem zehnjährigen Aufenthalt nicht allein auf Neuseeland, sondern auch in früherer Zeit in den australischen Colonien ersparen konnte.«

»Was? ein Schatz?« frugen beide Männer rasch und verwundert!

»Still« sagte der Neuseeländer und sah sich schnell nach dem Mann am Steuer um. Der aber, doch etwas durch die plötzliche, unerwartete Bewegung erschreckt, fuhr leicht zusammen und drehte den Kopf rasch zur Seite. Dieses Zeichen der Ueberraschung war übrigens hinreichend gewesen, den Verdacht Dumfry's zu erregen und seine von jetzt an leise geflüsterten Worte riefen die beiden Männer in die Kajüte hinab, um dort die angefangene Mittheilung zu beenden.

Der Mann am Steuer sah ihnen, als sie die Treppe hinunterstiegen, mürrisch nach und murmelte endlich:

»So so, also ein Schatz ist dort drüben zu heben, und da sollen wir indessen hier ein paar Meilen in See draußen liegen und die Herren dann nachher ganz gehorsam und unterthänigst in unsere Sclaverei zurückführen, indeß ich hier doch die verdammte gelbe Jacke[10] einmal mit guter Gelegenheit loswerden könnte. Pest noch einmal – so wohl wird's mir wohl sobald nicht wieder werden, eine solche Strecke von Sidney entfernt zu sein; muß nur sehen, daß ich mit in das Boot zum Hinüberrudern komme, nachher gute Nacht Sclavendienst.« Und er griff rasch und entschlossen in die Speichen des Rades, den indessen etwas abgefallenen Bug wieder dem Ufer zuzuhalten.

[10]: Die gelbe Jacke ist ein Abzeichen der Sträflinge in den Colonien.

In Himmel und See war indessen ebenfalls eine Veränderung vorgegangen; der Seewind trat ein und die, bis dahin fast ruhige Wasserfläche fing an, sich mehr und mehr zu kräuseln; kleine Wellen entstanden, die sich wie rollende Schneebälle vergrößerten, je weiter sie kamen und zuletzt mit den glasigen Häuptern so emporstiegen, daß sie in zischendem Schaum aufsprudelten und tanzten. Der gleichmäßige, ruhige Lufthauch ließ ihnen dabei gar keine Wahl, wohin sie sich wenden wollten; nur dem Lande drängte er zu und die kleinen Wogen, selbst schon im Entstehen den Trotz verrathend, der sie in ihrer Kraft und Gewalt so fürchterlich macht, kämpften zuerst eine ganze Weile gegen den, wenn auch milden Herren an, und schienen ihren Platz bis aufs Aeußerste behaupten zu wollen. Endlich aber, da sie doch sahen, daß sie der Uebermacht weichen mußten, wandten sie sich auch zu wilder ungeregelter Flucht, sprangen hoch auf und stürzten sich, wie tolle, ungezogene Kinder rücksichtslos übereinander hin, eine immer rascher vor als die Schwester drängend, um das Ufer nur so schnell wie möglich zu erreichen.

Der Kasuar ließ denn auch die frische Brise keineswegs unbenutzt; seine Segel blähten sich, und der Schaum kräuselte am Bug empor und tanzte in kleinen Spritzwellen hinter dem jetzt langsam steigenden Fahrzeug her. Die Massen von inselartigen Seepflanzen, die ihn bis dahin fast regungslos umgeben hatten, durchschnitt er nun, oder glitt rasch an ihnen vorüber, und das Land trat immer deutlicher und erkennbarer hervor, so daß man schon vom Bord aus einzelne, höhere Baumgruppen und die hervorstechende, dunklere Schattirung der Wälder erkennen konnte.

Der Sträfling von Sidney stand noch immer am Steuer, da tönten die hellen Schläge der Glocke, das Zeichen der Ablösung für die Wachen, und vom Vorkastle, die beiden Daumen in dem schmalen Ledergürtel, der die segeltuchnen Beinkleider auf den Hüften hielt, und zugleich das lange, holzstielige Matrosenmesser mit seiner braunen Lederscheide trug, schlenderte einer der Kameraden langsam heran, um den Sidney Vogel, wie derlei Burschen ebenfalls häufig genannt werden, abzulösen. Gleichgültig schien er heranzukommen, und der erste wollte ihm gerade den Platz räumen und nach vorn gehen, das indessen für ihn bewahrte Frühstück einzunehmen, als ihm der scheue Blick des Ablösenden, mit welchem dieser das kleine Deck überflog, auffiel.

»Nun Bill, was giebt's,« sagte Ned, der Sträfling – »wo spukt's wieder? schneidest ja eine verdammt ängstliche« –

»Ruhig« flüsterte der Mann schnell – »Ned – bist Du ein Mann?«

»Sonderbare Frage das,« brummte Ned höhnisch – »trüge ich sonst diese Jacke? – das thun nur Männer

»Gut denn, hast Du Lust zu« – er wandte noch einmal scheu den Kopf und zischte schnell, als er Niemanden in der Nähe sah – »zu fliehen

»Hm« – sagte Ned und heftete seinen Blick scharf und prüfend auf den Mann – der Ausdruck in dessen Zügen ließ aber keinen Zweifel, daß er es ehrlich meine und Ned, der hier ganz unerwartet einen Bundesgenossen fand – denn er, als bekannter Sträfling, hätte es selber nie gewagt, einem der übrigen Matrosen gemeinsame Sache anzubieten – bog sich jetzt, die Speichen des Steuerrades noch immer haltend, zu ihm nieder und flüsterte leise –

»Fliehen? – ja, wenn es sein muß – aber – ich sehe die Nothwendigkeit noch nicht ein; einige unserer Leute werden auf jeden Fall das Fahrzeug verlassen, um das Boot ans Ufer zu rudern – sind wir dann nur im Stande noch einen auf unsere Seite zu gewinnen, so kann uns kein Teufel an der Ausführung eines – eines beschlossenen Planes hindern. Geht das aber auch nicht, bleiben wir allein; – ei zum Henker, dann möcht' ich doch einmal sehen, ob wir Beide nicht im Stande wären, wirklich zu beweisen, daß wir – daß wir eben Männer wären.«

Der Ire, der im Anfang nicht einmal gleich begriff, was Jener mit seinem dunklen Vorschlag meinte, sah ihn erst mehrere Secunden lang überrascht und unschlüssig an. Bis jetzt hatte er, nur des Dienstes auf englischen Schiffen müde, wahrscheinlich einzig und allein daran gedacht, solcher Knechtschaft zu entgehen, während der Sträfling dagegen vor keinem Plane zurückschreckte, der ihm seine wirkliche Freiheit wieder gab. Er schüttelte aber, als er die fürchterliche Absicht des Verbrechens zu ahnen begann, mit dem Kopf und sagte schaudernd:

»Nein Ned – das gäb' eine blutige Geschichte, deren Andenken meiner Mutter Sohn nicht lebenslang auf dem Gewissen mit herumschleppen möchte, – aber fliehen wollen wir, darin steh' ich Dir bei und nachher« –

»Pst,« flüsterte der Sträfling rasch – »ich höre sie von unten wieder heraufkommen – ich will schnell mein Frühstück verzehren; nachher können wir das weitere hier bereden.«

Er glitt am Gangspill[11] vorüber und verschwand gleich darauf im Vorcastle des Schooners, wo die Matrosen, wie auf allen übrigen Fahrzeugen und Schiffen, ihre Schlafstellen haben.

[11]: Die Hauptwinde jedes größeren Fahrzeuges.

Der Schooner, von einem günstigen Seewind getrieben, näherte sich jetzt der Bai, die, wie das in den Südseeinseln so häufig der Fall ist, durch ein weit ausbauchendes Corallenriff umgürtet wurde. Auf diesem schäumte und sprudelte denn auch die Brandung und ließ nur, so weit das Auge reichte, einen einzigen Paß oder Canal erkennen, wo tiefes Wasser größeren Fahrzeugen den Eingang verstattete, denn eine krystallene Fluth schoß hier glatt und schnell zwischen zwei hoch emporstarrenden Felsen hindurch, die ein förmliches Thor bildeten und jedes Abweichen nach rechts oder links zur Unmöglichkeit machten. Tomson, der von dieser Stelle das Steuer selbst regieren wollte, sandte den Iren nach vorn, um mit bei den Segeln zu stehen, und die gegebenen Befehle schnell ausführen zu helfen; für den Augenblick nahm auch die hier wirklich nicht unbedeutende Gefahr, an irgend eines der Riffe getrieben zu werden, die Aufmerksamkeit Aller zu sehr in Anspruch, das Land zu beobachten, das sie jetzt wie mit liebenden Armen umschloß, als der Master ganz plötzlich eine, den Seeleuten wenigstens höchst unerwartete Ordre gab. Der Schooner glitt nämlich noch in dem wirklichen Canal hin, der sie blitzschnell an den beiden Felsen vorüberführte, da rief Tomson's Stimme sein eintöniges: »Steht bei den Segeln!« über Deck hin, und als die Leute erstaunt nach ihm umsahen, folgten sich die rasch hintereinander gegebenen Befehle, die Segel back zu brassen, einen Theil zu beschlagen und bei dem Anker zu stehen, so reißend schnell, daß sie zum Ueberlegen gar keine Zeit weiter behielten, sondern nur gehorchen mußten, und jetzt sahen wie der kleine Kasuar, einem schlanken Taucher gleich, seine Bahn veränderte, zuerst eine Strecke dicht an dem Korallenriff vorbeizog, und dann plötzlich, während der Steuernde das Rad losließ, daß es wirbelnd herumfuhr, nach dem Riff selber zulenkte, als ob es dort gerade und fest auflaufen wolle.

Dem Ruf »Anker los« folgte aber auch blitzesschnell die Ausführung; die schwere Eisenmasse rollte in die Tiefe, und das kleine, schwanke Fahrzeug, das sich rasch mit seinem Bug gegen das plötzlich anstraffende Tau wandte, lag gleich darauf still und ruhig auf der, von keinem harten Luftzug mehr erregten spiegelglatten Bai.

Die Entfernung bis zum Lande betrug etwa zwei englische Meilen.

Der Schooner führte nur, ein neuseeländisches Canoe ausgenommen, das Tomson früher einmal für sich selbst gekauft, – die gewöhnliche sogenannte Jölle mit sich, die an seinem Hinterdeck befestigt hing, und diese wurde jetzt, als sich das Fahrzeug kaum vor seinem Anker beruhigt, in See gelassen. Dumfry, Van Broon und Tomson standen bereit hinabzusteigen, denn was sie sonst an Lebensmitteln noch gebrauchen würden, war schon durch des würdigen Seemannes Vorsorge vorher hineingeschafft und weggepackt worden.

Der erstere hatte jetzt, neben der neuseeländischen Tracht, auch ganz neuseeländische Bewaffnung angenommen. Auf der Schulter trug er die lange einläufige Büchse, und an seinem Handgelenk hing noch, durch einen schmalen Riemen gehalten, der aus einem Wallfischknochen verfertigte, etwa anderthalb Fuß lange Mirei, die Kriegskeule jener Stämme; auch ein Tomahawk, den die amerikanischen Wallfischfänger auf der Insel eingeführt, stack in seinem Gürtel. Tomson hatte sich dagegen mehr nach Seemannsart bewehrt; in seinem breiten Gürtel ruhten neben dem gewöhnlichen Matrosenmesser ein Paar große Enterpistolen, und ein sogenannter Cutlaß hing an seiner linken Seite; die langschößige blaue Jacke, die er jetzt angelegt, bedeckte aber, wenn er sie zuknöpfte, die ersteren vollkommen, und nur der breite, kurze Säbel blickte drohend darunter vor.

Ganz anders sah dagegen Mynheer Van Broon aus, der keineswegs nach tödtlichen Waffen gegriffen, sondern sich vielmehr mit dem besteckt zu haben schien, was Leib und Seele zusammenhalten sollte, anstatt es zu trennen. Aus der rechten und linken Tasche seines langschooßigen, blauen Tuchrocks sahen wenigstens, innig vergnügt, zwei rothbesiegelte Flaschenhälse heraus und unter dem linken Arme trug er ebenfalls einen Gegenstand, der mehr einem Fouragebeutel als einer tödtlichen Wehr glich. Dumfry betrachtete ihn denn auch ganz erstaunt, und rief endlich, halb ärgerlich, halb lachend aus:

»Aber zum Teufel Sir, was schleppen Sie denn da mit sich herum? Sie glauben doch nicht, daß wir –«

»Eine geräucherte Wurst, einen halben Käse, etwas Brod und ein Fläschchen voll ächten Schiedam,« unterbrach ihn Van Broon ruhig, indem er den Beutel sorgsam ein klein wenig öffnete und mit der Mündung gegen den Frager hielt.

»Hahaha,« lachte Tomson, »Mr. Van Broon will sich vorsehen, wenn wir etwa eine Belagerung aushalten müssen.«

»Bitte um Verzeihung« sagte der Holländer, während er den Beutel wieder unter seinen Arm zurückschob – »ich habe mit keiner Sylbe an eine Belagerung gedacht, denn wäre das geschehen, so können Sie sich auch fest darauf verlassen, daß ich ganz ruhig und gemüthlich an Bord des Kasuar bliebe. Ich bin keineswegs gesonnen, mir für die Firma Bornholm, Bricks und Comp., so hoch ich dieselbe sonst auch in jeder Beziehung achte und schätze, die Glieder voll Blei schießen, oder gar mit spitzen Instrumenten nach mir hacken und stechen zu lassen.«

Dumfry biß sich auf die Lippen und wandte sich von ihm ab; ein anderer Gedanke mußte aber in ihm aufsteigen, denn er sah sich noch einmal nach dem kleinen Mann um und sagte dann rasch:

»Sie dürfen jenes Ufer auf keinen Fall unbewaffnet betreten, denn wenn wir auch, wie ich fest überzeugt bin, keine Gefahren dort zu erwarten haben, so wäre es auch wieder zu leichtsinnig gehandelt, nicht allein unbewaffnet zwischen die Eingeborenen zu gehen, sondern sie das auch noch gleich von vornherein merken zu lassen. Nehmen Sie wenigstens eine Flinte auf die Schulter, wenn Sie dann auch keinen Gebrauch davon machen.«

»Eine geladene Flinte?« sagte der Kaufmann – »ich denke gar nicht daran; der Henker traue den Dingern; wenn sie nun losgeht? ich habe in meinem Leben keine geladene Flinte in der Hand gehabt, aber schon unzählige Unglücksfälle von derlei Mordinstrumenten gehört.«

»So nehmen Sie eine ungeladene,« rief Dumfry, schon ungeduldig werdend – »Herr, Sie werden sich doch nicht vor einem leeren Stück Eisen fürchten?«

»Fürchten?« sagte Jener, »wer sagt Ihnen, daß ich mich überhaupt fürchte? ich fürchte mich vor gar Nichts, ich mag aber mit Gewehren Nichts zu thun haben, weil ich nicht damit umzugehen weiß – ist die auch wirklich ungeladen?«

»Nicht einmal ein Pfropf drin!« brummte Dumfry, »hier – nehmen Sie und machen Sie, daß wir fortkommen, die schöne Tageszeit vergeht sonst, und es ist besser, das wir noch vor Dunkelwerden wieder an Bord sind.«

»Nehmen Sie?« sagte der kleine Mann unwillig, »womit denn? sehen Sie denn nicht, daß ich beide Hände voll habe? kommen Sie, hängen Sie mir, wenn es denn absolut sein muß, das verwünschte Ding über den Hals, habe ich aber ein Unglück damit, so können Sie sich darauf verlassen, daß ich mich in Sidney auch an Sie halten werde.« Und er bog dabei seinen Kopf gegen Dumfry nieder, als ob er einen widderartigen Anlauf gegen ihn nehmen wollte. Dieser hing ihm denn auch ohne weiteres die keineswegs leichte Waffe mit dem Riemen über den breiten Nacken und sprang dann leicht und flüchtig in das Boot hinab, wo indessen zwei Matrosen – Bill, der Ire, und Ned, der Sträfling, Platz genommen und die dort liegenden Ruder ergriffen hatten.

Diese gewahrte der Capitän kaum, als er sie ärgerlich anfuhr:

»Hinaus mit Euch, Ihr Canaillen – wer hat Euch hier hergeschickt? mit hinüberfahren, eh? und dann nachher Fersengeld geben und neuseeländische Uniform tragen? so? ganz allerliebst abgekartet. Hinauf mit Euch, sag' ich, Hallunken, – die Ruder hingelegt.«

»Aber Master Tomson,« nahm Bill das Wort – »ist es denn nicht Bill und Ned hier, die ein Ruder zu führen wissen? und haben wir nicht, acushla machree, bloß aus besonderen –«

»Will die rothhaarige Bestie an Deck?« rief Tomson, in wilder Wuth auffahrend - »Alle an Deck hier!« schallte gleich darauf sein heftig gegebener Befehl bis in die entferntesten Theile des kleinen Fahrzeugs; »jetzt will ich den Hund sehen, der nicht gehorcht.«

Bill O'Leary war zu klug, jetzt noch einen Augenblick zu zögern, da er die Folgen der Widersetzlichkeit in solchem Falle nur zu gut kannte; er kletterte deßhalb rasch an Deck zurück. Auch Ned hielt nur noch einen Moment das schon ausgelegte Ruder krampfhaft mit beiden Händen fest, zog es dann, ebenfalls wie sein Gefährte, wieder herein, und folgte ihm, wo er von seinem Offizier mit Flüchen und Drohworten empfangen und überschüttet wurde. Deren schien er aber wenig zu achten, sondern schob nur die Hände in seine Jackentasche und trat mürrisch hinter die übrigen Seeleute, die sich jetzt, nach dem letztgegebenen Befehl, um ihren Führer gesammelt hatten. Es waren, mit dem Koch und Stewart, einem aus den vereinigten Staaten entflohenen Neger, zehn stattliche, kräftige Gestalten, größtentheils in blauflanellnen Hemden, weißen Segeltuchhosen und runden niederen Strohhüten; nur der Neger trug ein brennendrothes Hemd und Bill O'Leary und Ned, der Sträfling, der eine die gewöhnliche blaue, der andere seine gelbe Strafjacke.

»So, Ihr Seelöwen« – fuhr sie jetzt der Steuermann, nach einem wilden Blick auf die Schaar, an, die jedoch recht gut wußte, daß er es keineswegs so bös meine, und nur gesonnen sei, bei solcher Gelegenheit die nöthige Autorität zu zeigen. »Ihr bleibt jetzt hier ruhig vor Anker liegen, bis wir wieder zurückkommen – was hoffentlich noch vor Abend geschieht. Nach Dunkelwerden laßt kein Boot heran, ohne mein Zeichen. Ihr kennt es schon; auf Alles andere, was sich still und heimlich nähern will, gebt Feuer – verstanden? – Und Du Ned – hier vorneher, wenn ich mit Dir rede, Bursche – Du verhältst Dich ganz ruhig und muckst nicht, sonst freu' Dich, wenn wir wieder nach Sidney kommen. Solltest Du übrigens Lust haben, ein Bischen ans Ufer zu schwimmen, so steht Dir das ganz frei, ich möchte Dich nur darauf aufmerksam machen, daß Dir dann die Wahl bleibt, entweder von den Haifischen unterwegs – siehst Du, da drüben schwimmen schon ein Paar, oder von den Neuseeländern am Lande verzehrt zu werden; der ganze Unterschied bleibt nachher der, daß Dich die einen ohne und die anderen mit Salz fressen. Uebrigens« – wandte er sich plötzlich an den Zimmermann, der in Abwesenheit Tomson's gewöhnlich den Befehl führte – »schießt Ihr jeden Schuft ohne weiteres auf den Kopf, Bob, der Miene macht das Fahrzeug in meiner Abwesenheit zu verlassen; wir befinden uns hier an einer feindlichen Küste, und da gelten die Kriegsgesetze – verstanden?«

Bob grunzte eine Art Beistimmung und Dumfry rief indessen ungeduldig vom anderen Bord aus:

»Ei so kommt, ins drei Teufels Namen; die schöne Zeit vergeht und ehe wir's uns versehen, ist der Abend wieder da!«

»Ah, ay!« rief der Matrose zurück – »haben noch nichts versäumt. Also Boys, haltet Euch ordentlich, und Ihr sollt, sobald wir unseren Anker wieder in Sidney auswerfen, einen Feiertag bekommen.«

Dumfry und Van Broon hatten indessen ihre Plätze in dem schwanken, scharfgebauten Fahrzeug schon eingenommen, und der erstere zwar an dem vorderen Larbord Ruder, Tomson aber, der jetzt rasch hinter ihnen dreinsprang, ergriff das Starbord Ruder und während Van Broon, der sich ganz behaglich im Sterne niedergelassen, diesen mit einer kleinen, neben ihm liegenden Stange von Bord abstieß, that Tomson dasselbe mit seinem Ruder. Bald darauf schoß das leichte Boot blitzesschnell über die nur leise gekräuselten Wogen hin und näherte sich mehr und mehr dem hellgelben Sandstreifen, der das dunkelgrüne Laub der dahinterliegenden Wälder mit einem leuchtenden Gürtel zu umziehen schien.

Ihre Fahrt ging schnell von statten und als Van Broon einmal den Kopf nach dem Kasuar zurückwandte, konnte er schon nicht einmal mehr die einzelnen Gestalten, die ihrem Boot mit den Blicken folgten, erkennen, sah sich übrigens auch gleich darauf viel zu sehr von seiner Umgebung gefesselt und angezogen, um seine Aufmerksamkeit noch länger zwischen dem Schooner und dem festen Land zu theilen. Nach kaum halbstündiger Fahrt glitt der scharfe Bug der Jolle in die Mündung eines kleinen, dicht mit breitblättrigen, wunderlich gestalteten Büschen bewachsenen Wassers hinein, das sich, aus den Bergen niederbrausend, sein Bett trotz allen Hindernissen gewühlt und behauptet hatte, und von den Sträuchen verdeckt, lagen sie bald sicher und heimlich unter der ziemlich steilen Uferbank des kleinen Bergstroms, an der sie, mit Hülfe einiger vorstehenden Wurzeln und Aeste, förmlich emporklettern mußten.

Mit Mühe und Noth erreichten sie endlich, das heißt Dumfry und Tomson den oberen Theil der Bank und mußten dann erst noch mit aller möglichen Anstrengung ihrem wohlbeleibten Reisegefährten zu Hülfe kommen, der mit seiner überhängenden Flinte unter eine wilde Rebe gefahren war und nun so vollkommen festsaß und weder rück- noch vorwärts konnte, daß sie sich wirklich gezwungen sahen, ihm zuerst den Gewehrriemen abzuschnallen, ehe er sich nur möglicher Weise von alle dem, was ihn hielt, losmachen konnte.

Der Platz, auf dem sie jetzt standen, obgleich nur wenige hundert Schritt vom äußersten, seebegrenzten Waldrand entfernt, war schon so von dicht verworrener und in einander verwebter Vegetation bewachsen, als ob er im wahren Herzen der Wildniß läge, und eine Passage durch diese grünen, duftenden Labyrinthe unter keiner Bedingung gestatten würde. Edle Bäume von stattlichem, oft riesigem Wuchs stiegen ast- und zweiglos, wie lebendige Säulen empor, und schienen das grüne, dichte Laubdach dieses Domes zu tragen und zu stützen. Die Reimukiefer, der Keiketie, der Totara, der Kahikatoa, Rata und andere Waldbäume reichten sich hier einander die mächtigen Arme und hielten sich gegenseitig mit blumigen, engverschlungenen Guirlanden umschlossen, am herrlichsten aber stach gegen das dunkle, ernste Grün der übrigen Stämme die Nikau-Palme[12] und der herrliche Farrenbaum, diese Zierde der neuseeländischen Wälder, ab, der mit seinen breiten fächerartigen Blättern der ganzen Scenerie eben jenen bezaubernden, tropischen Anstrich gab, während es fast aussah, als ob all die übrigen riesengroßen Bäume nur deßhalb hätten so weit und kräftig hinaufschießen und ihre Arme ausbreiten müssen, um ihn, das Juwel des Waldes, vor wilden, gefährlichen Stürmen zu schützen und zu bewahren.

[12]: Areca sapida.

Kein noch so kleiner und unbedeutender Raum in diesem Waldmeer war dabei kahl oder leer; jeder Stamm, jeder Felsen trug seine Moose und Schmarotzerpflanzen, und wie ein grüner, duftiger, blumendurchwirkter Teppich überzog die üppige Pflanzendecke jeden erreichbaren Gegenstand. Selbst abgestorbenen, und ihrer Aeste und Zweige beraubten Stämmen, wurde nicht gestattet, so starr und trostlos dazustehen in ihrer reizenden Umgebung, wie heulende Methodistenpriester in der herrlichen, lachenden Welt; das lebendige Grün hatte schon lange vor dem Vertrocknen der Säfte, den kranken Baum fest, fest umschlossen, und als Arm nach Arm herunterbrach, und der todte Stamm, von allen verlassen, die er einst unterstützt und beschirmt, stehen blieb, oder weit dröhnend in sein laubiges Grab hinabschmetterte, da blühten und wucherten scharlachleuchtende Blumen um ihn auf, immergrüne Kränze flochten sich um seine riesigen Glieder, und was erst der Vernichtung geweiht schien, keimte und wirkte jetzt noch einmal dem frischen, fröhlichen Leben entgegen.

Van Broon, obgleich sonst gegen Naturschönheiten ziemlich abgestumpft, wenn sie nicht sein materielles Ich unmittelbar berührten, blieb doch hier, sobald er sich von seiner ersten Anstrengung nur in etwas erholt, überrascht stehen, und staunte die Wunder dieser riesigen Vegetation an. Dumfry aber ließ ihm nicht lange Zeit zu Betrachtungen, er war nur schnell noch einmal in das Boot zurückgesprungen, aus dem er einige der mitgenommenen und am leichtesten transportablen Provisionen heraufschaffte, und forderte dann seine beiden Begleiter ohne weiteres auf, ihm, so rasch und geräuschlos als sie könnten, zu folgen, denn wenn er auch, besonders zu Van Broon's Beruhigung, nochmals versicherte, es drohe ihnen unter den gegenwärtigen Verhältnissen, sollten sie selbst mit Eingeborenen zusammentreffen, keine Gefahr, so sei es doch auf jeden Fall besser, ein Begegnen derselben zu vermeiden, da sie dann hoffen durften, ihre Pläne weit schneller und leichter ausführen zu können.

Der Platz schien auch wirklich völlig unbesucht, ja nach dem zu urtheilen, was man sehen und erkennen konnte, noch nie von menschlichem Fuß betreten; trafen sie also nicht gleich bei ihrem ersten Ausmarsch Wilde an, so ließ sich jetzt doch wenigstens mit Wahrscheinlichkeit vermuthen, daß sie dann, sollte ihre Ankunft auch später bekannt werden, ihren Plan ausführen und zu ihrem Fahrzeug zurückkehren konnten, ehe nur irgend Jemand ahnte, was sie wirklich beabsichtigten.

Dumfry hatte sich übrigens schon bei seinem ersten Betreten des festen Landes das Gesicht verhüllt und theilte ihnen jetzt mit wenigen Worten den Plan mit, den er zu befolgen gedachte. Zugleich machte er sie darauf aufmerksam, daß dieser Bach, in dessen Mündung sie eingelaufen – und der auch in dem Lehnsbrief unter dem Namen Ta-po-kaï aufgezeichnet stand – derselbe sei, welcher die nördliche Grenze des fraglichen Landstrichs bilde.

An diesem hinauf lag jetzt vor allen Dingen ihre Bahn, denn die westliche Linie war gerade die schwierigste zu bestimmen. Dumfry hatte deßhalb, wie er sagte, seinen Tomahawk mitgenommen, um einzelne Bäume selbst zu bezeichnen und es dem späteren Eigenthümer dadurch möglich zu machen, den Ort wiederzufinden und eine genaue Scheidungslinie zu ziehen. Ohne weiteres Zögern schritt er denn auch jetzt den beiden Männern voran, in den dunkeln, schweigenden Urwald hinein und dicht hinter ihm, den Hut fest in die Stirne gedrückt, eine der beiden schweren Pistolen in der Hand, die andere, mit der linken gehalten, im Gürtel, folgte Tomson. Van Broon, seine eigne Flinte auf dem Rücken, mit der er alle Augenblicke in den unzähligen Schlingpflanzen hängen blieb, bildete den Nachtrab, schien aber mit diesem Platz keineswegs einverstanden zu sein, denn es hatte ihm, wie er meinte, etwas Unheimliches, so ganz zuletzt zu kommen und gar nicht zu wissen, ob nicht irgend ein wilder Cannibale hinter ihm drein krieche und heimtückischer Weise mit irgend einem vielleicht gar vergifteten Pfeile auf ihn ziele. Ganz vorn zu gehn, wie es ihm Dumfry lächelnd anbot, lehnte er jedoch auch, und zwar auf das Bestimmteste ab, denn er betheuerte, nicht um noch so viele Schatzhebungen in jeden dunklen Busch hineinspringen zu wollen, ohne denselben vorher mit größter Genauigkeit untersucht und visitirt zu wissen. Es blieb also kein anderer Ausweg, als ihn in die Mitte zu nehmen, und auf solche Art setzten sie denn auch, immer dem Lauf des Baches folgend, ihre Bahn ruhig und ungehindert fort, ohne daß ihnen irgend etwas Auffallendes oder gar Gefährliches begegnet wäre.

Ihr Weg lag großentheils durch dichtbewaldete Niederung, und der buntbeschwingte Papagei und andere Arten kleiner Singvögel waren ihre einzigen Begleiter und füllten den hohen Waldesdom mit ihrem heiteren sonnigen Leben. Endlich erreichten sie höher gelegenes Land, und hier schien auch die Vegetation weniger üppig zu sein; auf jeden Fall fanden sie dann und wann offene Waldstellen, die ihnen erlaubten schneller vorzurücken. Dafür aber trafen sie jenes kräftige, der Insel eigenthümliche Farrenkraut, das an manchen Orten wirklich gürtelhoch wuchs und Dumfry blieb plötzlich, am Rand einer kleinen Prairie, die mit Nichts als solchem Kraut bedeckt war, stehen und erklärte, daß sie hier den Bach verlassen und dem Hügelkamm folgen müßten, den sie jetzt erstiegen hätten. Von hier aus begann die westliche Linie des verkauften Landstrichs und einige mit dem Tomahawk rasch gefällte junge Bäume, die eine niedere, breitwüchsige Palme umstanden, sollten für spätere Jahre das Erkennungszeichen sein.

Dieser Hügelkamm aber, dem sie von jetzt an folgen mußten, war üppig mit dem unvermeidlichen Farrenkraut bedeckt, und dieses wuchs und wucherte an einigen Stellen so hoch und dicht, daß sie es im Anfang kaum durchdringen konnten und mehrmals Orte fanden, die sie förmlich umgehen mußten, bis sie endlich einen schmalen indianischen Pfad trafen, der ganz dieselbe Richtung zu laufen schien, die sie zu nehmen beabsichtigten. Dumfry mußte ihn auch gekannt haben, denn er hatte vorher, ohne jedoch seinen Begleitern etwas davon zu sagen, in einem rechten Winkel wirklich danach gesucht.

Das Land hob sich hier nicht unbedeutend, und obgleich sie gerade keinen bestimmten Berg erkennen konnten, da vor ihnen wieder ausgedehntere Waldungen sichtbar wurden, so kamen sie doch jetzt zu immer steileren und schroffer aufsteigenden Abhängen, von denen sprudelnde Wasser dunkle Schluchten hinab schäumten und sprangen. Schweigend verfolgten sie jedoch ihre Bahn den schmalen Pfad entlang, und hatten eben wieder eine etwas größere Farrenkrautfläche erreicht, die hier die Kuppe des einen, rings von Thälern umschlossenen Berges zu bilden schien, als Tomson einen lauten Ruf ausstieß und Van Broon im nächsten Augenblick, da Dumfry plötzlich stehen blieb, heftig und erschreckt gegen diesen anrannte.

Dumfry, der in der letzten Zeit, und hier wohl keinen Beobachter fürchtend, die Matte von seinem Gesichte zurückgeschlagen hatte, fuhr zusammen, verhüllte sich rasch den Kopf wieder und riß, als ob, trotz allen seinen Betheuerungen vom Gegentheil, eine Gefahr hier doch nicht zu den Unmöglichkeiten gehöre, die Flinte empor. Vergebens blickte er aber forschend nach allen Seiten umher, es ließ sich Nichts erkennen und nur Tomson stand, die eine seiner Sattelpistolen gespannt vor sich hinhaltend, da, und schaute aufmerksam in das Farrenkraut hinein.

»Was giebt's, Sir?« rief ihn da Dumfry ungeduldig an, »haben Sie irgend Verdächtiges gespürt oder gehört?«

»Es fuhr mir etwas dicht in meinem Fahrwasser über den Pfad!« erwiederte der Seemann, ohne jedoch den Blick von der Stelle zu verwenden, wo das unbekannte Wesen verschwunden sein mochte.

»War es ein Mensch?« frug Dumfry schnell.

»Ich will gekielholt werden, wenn ich's weiß,« brummte Jener – »verdammt schnell ging's, so viel ist gewiß, und schwarz war's auch – wenigstens am Stern, denn weiter hab' ich nicht viel davon gesehen.«

»Es wird eines der wildgewordenen Schweine gewesen sein,« beruhigte sich da Dumfry – »es giebt viele auf der Insel, und fast sonst keine anderen wilden Bestien. Ihr braucht keine Angst« –

»Da ist es wieder!« rief Van Broon und deutete erschrocken in das dichte Kraut; während aber Alle schwiegen und aufmerksam horchten, vernahmen sie deutlich, wie die Büsche, und zwar gar nicht weit von ihnen entfernt, rauschend zur Seite gedrückt wurden, als ob sich irgend ein schwerer Körper rasch hindurch dränge. Dumfry richtete sich, so weit das gehen wollte, empor, das Dickicht war aber hier höher als er selbst, es ließ sich Nichts erkennen, und ebensowenig sah er irgend einen höheren Gegenstand in der Nähe, den er hätte ersteigen können; nicht einmal ein Baum stand in mehren hundert Schritt Entfernung.

»Van Broon – Mr. Van Broon,« flüsterte da plötzlich der angebliche Neuseeländer, denn das Unbekannte rührte sich wieder, als ob es noch einmal über den Pfad brechen wollte – und zu gleicher Zeit nahm Dumfry seine Flinte wieder in Anschlag und richtete sie gegen den Ort, von dem das Geräusch herüber tönte – »versuchen Sie doch einmal, ob Sie von Mr. Tomson's Schultern aus den Plan übersehen und erkennen können, was hier eigentlich in unserer Nähe herumkriecht – ich will indessen die offene Bahn bewachen.«

»Ahem,« brummte der kleine Holländer, und wandte sich gegen den Seemann, der, wenn auch durch die Zumuthung vielleicht überrascht, doch gutmüthig, ohne übrigens die Pistole abzulegen, die linke Hand auf sein linkes Knie stemmte und dadurch seine Bereitwilligkeit ausdrückte, als Observatorium benutzt zu werden, – »ahem – will's versuchen – werde ja wohl hinauf kommen.«

»Schnell – schnell!« mahnte Dumfry ungeduldig – »die Pest über das Trödeln, glauben Sie, daß der wartet?«

»Der? wer?« frug Van Broon erstaunt und drehte sich schnell wieder gegen den Redner herum. Auch Tomson sah zu ihm auf.

Dumfry stampfte ärgerlich mit dem Fuß und Van Broon, der noch nicht recht mit sich einig schien, ob er wirklich thätigen Antheil an ihrem Abenteuer nehmen, oder die Sache ruhig abwarten solle, trat endlich kopfschüttelnd auf den Seemann zu, faßte ihn von hinten um den Hals, hob ihm sein linkes Knie über das Hüftbein und warf sich nun – mit einem Versuch, auf solche Art förmlich in den Sattel zu springen – dermaßen über den Matrosen hin, daß er diesen ohne weiteres in das Farrenkraut hineindrückte und dann gleich darauf selbst, den Kopf voran, in das Dickicht nachschoß.

»Alle Wetter!« schrie Tomson, und fuhr mit beiden Händen aus, um sich vor dem Falle zu wahren, gedachte aber dabei nicht der geladenen Pistole, und während er, von dem schweren Gewicht des kleinen Holländers niedergezogen, in dem dichten Farrenkraut verschwand, berührte sein Finger den Drücker, und die Kugel fuhr, dicht an Van Broon's Kopf vorüber, in die Luft.

Dumfry drehte sich fast unwillkürlich nach dem Schusse um. In demselben Moment glitt aber auch jener dunkle Gegenstand wieder zurück über den Pfad, und zwar diesmal vor ihnen vorüber, während der Neuseeländer durch das, was hinter ihm vorging, abgezogen, nicht rasch genug die Flinte an den Backen reißen konnte, den fremden Gegenstand aufs Korn zu nehmen, ehe dieser schon wieder im Dickicht verschwunden war. So kurzer Blick ihm übrigens gestattet gewesen, so mußte dieser doch wohl genügt haben, seinen Entschluß zu bestimmen, denn, ohne auch nur einen Moment länger zu zögern, warf er die Flinte, die ihm in solchem Pflanzengewirr nur hinderlich sein mußte, von sich, riß den Tomahawk aus dem Gürtel und sprang dort in das Kraut hinein, wo die zurückgebogenen Sträuche die Spur des Flüchtigen verriethen.

Als sich Tomson und Van Broon, die auch in der That schnell genug wieder auf die Füße sprangen, von ihrem Fall erholt hatten und jetzt überrascht umherschauten, war Dumfry verschwunden und sie selbst standen, keines Weges kundig, allem Anschein nach aber von Gefahr umgeben, und wie Van Broon fürchtete, schon von einer unbestimmten Anzahl grimmer Menschenfresser umringt, in der öden Wildniß da.

Was jetzt thun? den Führer erwarten, oder ohne weiteres das Boot wieder aufsuchen und entfliehen? Van Broon stimmte unbedingt für das letzte, Tomson entschied sich dagegen für das erste und behauptete nicht mit Unrecht, sie könnten vielleicht, wenn wirklich Feinde in der Nähe lauern sollten, den Verdacht derselben gerade durch einen voreiligen Rückzug erregen, und es war dann fast gewiß, daß sie, des Waldes unkundig, abgeschnitten würden, ehe sie im Stande wären ihr Boot zu erreichen.

Hier jedoch, mitten im Wald, wo ihr Blick nicht einmal zwei Schritte weit ins Dickicht drang, und der Feind sich leicht bis dicht an sie anschleichen und seine tödtlichen Pfeile aus sicherem Hinterhalt auf sie abfeuern konnte, ruhig stehen zu bleiben, schien fast ebenso wenig rathsam, und Tomson wandte schon, nur bei dem bloßen Gedanken daran, unruhig den Kopf, welcher Bewegung denn Van Broon blitzesschnell folgte, als ob er nichts Geringeres erwartete, wie seine entsetzlichsten Befürchtungen verwirklicht zu sehen.

Da raschelte es wieder im Dickicht; während jedoch der Seemann, fest entschlossen, sein Leben so theuer zu verkaufen als möglich, die indessen wieder geladene Pistole dorthin gerichtet hielt, traf der leise, wohlbekannte Pfiff Dumfry's sein Ohr, und gleich darauf glitt die verkleidete Gestalt desselben gerade da wieder in den Pfad, wo sie vorhin so rasch und unerwartet verschwunden war.

Er hatte die Matte wieder zurückgeschlagen, und sein Antlitz sah bleich und angegriffen aus, ohne aber auch nur einen Augenblick Zeit zu verlieren, ja selbst ohne eine einzige, der an ihn gerichteten Fragen zu beantworten, winkte er den Gefährten, ihm zu folgen und schritt, so rasch es die dichten Strauchbüsche erlaubten, in dem schmalen Pfad voran. Es dauerte übrigens nicht mehr lang, so erreichten sie den Waldrand wieder und verließen damit wenigstens die hemmenden Farrenkräuter, obgleich umgestürzte Bäume, dornige Cyanen und dichtes Unterholz ihren Fortgang dennoch sehr aufhielten. Aber auch diese lichteten sich endlich, als sich Dumfry jetzt plötzlich einer kahlen Steinfläche zuwandte, und von dieser aus eine schroff und fast kahl emporsteigende Bergspitze rasch emporkletterte. Tomson und Van Broon schienen erst unschlüssig, ob sie ihm da hinauf folgen sollten; sein ungeduldiger Wink rief sie aber bald nach, und sie standen wenige Minuten nachher auf einem schmalen, wunderlich geformten und von allen Seiten fast schroff empordämmenden Felskegel, der sie über dem riesigen Wuchs des Urwalds erhob, und von dem sie, wenigstens einen kleinen Theil der Insel, wie das sie umgürtende Meer überschauen konnten.

Der Anblick war wundervoll; das dunkle Grün der Bäume, nur hie und da von dem lichten Grau einzelner Farrenstrecken durchbrochen, deckte wie mit einer festen, undurchdringlichen Masse das Land, und dicht hinangeschmiegt, und von dem klaren funkelnden Sonnengestirn überstrahlt, lag das blaue, ätherreine Meer. Unfern der Küste aber, von dem weißschäumenden Streifen der Korallenriffbrandung eingeschlossen, schaukelte der »Kasuar,« während weiter hinter ihm, und hie und da die einförmige Stille des Horizonts unterbrechend, einzelne Segel sichtbar wurden, die mit der frischer wehenden Briese rasch und lautlos dahinglitten.

Der Himmel war rein und wolkenlos, nur im Süden lagerte auf den düsteren Waldschichten ein durchsichtiger, rosenfarbener Nebel, der von einem etwas dunkleren Hintergrund begrenzt schien.

Der Felskegel selbst war kahl, nur an seinem einen Rand hing ein dichtes Gewirr von wildverschlungenen Blumen, aus denen einzelne niedere, aber dichtbelaubte Sträucher emporstiegen und nach dieser Richtung hin die Aussicht gegen die im Innern gelegenen Berge zu abdämmte.

Wenn nun aber auch unsere drei Freunde, sobald sie die höchste Kuppe erreicht hatten, forschend und aufmerksam die Blicke nach allen Richtungen hinschweifen ließen, so schien doch Keinen, obgleich Alle von verschiedenen Gefühlen bewegt wurden, die Scenerie selbst zu interessiren, wenigstens verrieth kein Laut der Bewunderung, kein einziger Ausruf, kein Wort der Mittheilung, daß sie sich des wunderherrlichen, sie umgebenden Panoramas auch nur bewußt waren. Van Broon suchte nur rings umher ihre nächste Umgebung zu erforschen, ob sie nicht unmittelbare Verfolger zu fürchten hätten, und Dumfry, der im Anfang seinen Blicken folgte, seine Untersuchung aber deßhalb schneller beendete, da er genau die Gegend wußte, in der ihnen Gefahr drohen konnte, schaute weiter aus, und schien sich mit den nächsten auf ihrer Bahn liegenden Landmarken vertraut zu machen, indessen Tomson gar nicht auf das Land achtete, sondern nur mit den Augen den Horizont überflog, zuerst sein eigenes kleines Fahrzeug beobachtete, wie es ruhig und friedlich mit den scharf gezeichneten Masten in der Bai lag, und dann aufmerksamer, als es der Gegenstand zu verdienen schien, nach dem Nebel sah, der von Süden aus nach West und Ost in kleinen, dunstigen Strahlen hinüberstrebte.

»Tomson – sehen Sie dort drüben jene dunkle Bergkuppe?« brach Dumfry endlich das Schweigen – »gleich links von dem helleren Grün jener einzeln stehenden Palmengruppe?«

»Gerad' unter dem silbergrauen, glatten Wolkenstreifen, der sich dort hinüberdehnt?«

»Dieselbe – das ist der Punkt, von dem die südliche Grenzscheide meines Landes, ein anderer kleiner Bach, aus den Bergen sprudelt, und in fast östlicher Richtung, etwa fünf Meilen unterhalb der Bai, in die wir eingelaufen sind, mündet. Getrauen Sie sich jetzt den Platz später einmal wieder finden zu können?«

»Auf jeden Fall, wenn wir den Weg gemacht haben,« meinte Tomson, und schob dabei die eine Pistole, die er bis jetzt noch immer schußfertig in der Hand gehalten, in den Gürtel zurück. – »Ich dächte auch, wir brächen auf; könnten wir die Sache beenden, ohne den dunkelhäutigen Schuften zu begegnen, desto besser, mich gelüstet's keineswegs nach einer genaueren Bekanntschaft, als wir sie bis jetzt gemacht haben. Das war doch ein Indianer, der uns da vorhin im Fahrwasser herumkreuzte – eh?«

»Wir dürfen die Grenzen nicht weiter verfolgen,« entgegnete Dumfry finster, ohne die an ihn gerichtete Frage zu beantworten; – »Sie kennen Beide die Gefahren, die uns von Seiten der Eingeborenen drohen, sobald sie Landvermesser in uns zu finden glauben; laufen wir daher den ganzen Bereich ab, so müssen wir fast ihren Verdacht erregen. Das vermeiden wir, sobald wir uns von hier aus gerade durch den Wald der Küste zuschlagen, und dadurch hoffe ich auch jede Spur zu vernichten, die wir bis jetzt etwa könnten zurückgelassen haben, denn während wir in einem rechten Winkel von dem bisherigen, fast geraden Curs abspringen, bleiben wir wohl eine Meile lang auf felsigem Boden, wo es selbst dem Auge eines Indianers schwer werden sollte, Fährten zu verfolgen.«

»Aber der Schatz?« fiel ihm hier Tomson in die Rede, »haben Sie es etwa aufgegeben, den zu finden, und kehren wir jetzt gleich zum Boot zurück?«

»Ja – zum Boot wohl,« erwiederte Dumfry – »doch hoffentlich nicht ohne das, um was ich mein Leben hier eingesetzt habe. Getrauen Sie sich also diese Grenzlinie, wie ich Sie Ihnen jetzt bezeichnet, wieder zu finden?«

»Hm – ich weiß doch nicht,« brummte Tomson halblaut vor sich hin – »wenn man das Ding nachher beschwören sollte – hätten wir nur wenigstens die Verschreibung mit.« –

»Die führe ich bei mir,« sagte Van Broon, und holte, nicht ohne einige Schwierigkeit, das vorsichtig in einer Blechbüchse verwahrte Document aus der vollgepfropften Tasche; »hier Gentlemen, aber ich weiß wahrlich nicht, wie das Ihnen dabei helfen soll – es ist doch nicht« –

»Sehen Sie!« rief Dumfry jetzt, der das Papier rasch entfaltet hatte – »hier ist der Bach, an dem wir heraufkommen – Sie wissen den Namen, und Jedermann an dieser Küste wird Ihnen später die Mündung zeigen können – das etwa ist die kleine Farrenprairie, wo ich heute die Palme zeichnete. Sie getrauen sich doch die wiederzufinden?«

»Ja, von der Mündung aus gewiß,« sagte Tomson.

»Gut,« fuhr Dumfry in seiner Beschreibung fort, »hier der, durch ein Kreuz bezeichnete Punkt ist der Felsgipfel, auf dem wir stehen, und jene südlich gelegene Abdachung dieselbe, auf welcher dorten der Nebel liegt, und von wo aus Sie dem niederströmenden Bach an der Grenze hin zu See folgen können. Eine Verwechselung ist hier unmöglich.«

Tomson hatte die Karte aufmerksam eine Zeitlang betrachtet; endlich legte er sie wieder zusammen, schob sie in ihr Futteral zurück, reichte es Van Broon und sagte, zu gleicher Zeit nach Süden hinüberdeutend, wo die bezeichnete Gegend lag: –

»Den Platz getrau ich mich von hier aus selber zu finden, nicht aber mein eigenes, kleines Fahrzeug, wenn wir länger hier zögern, als es unumgänglich nöthig ist – es liegt weit draußen an den Riffen, und da drüben braut ein Wetter, oder ich will im Leben kein Salzwasser wieder schmecken.«

»Die Stürme wüthen oft fürchterlich an dieser Küste,« fiel Dumfry rasch ein, dem nichts Erwünschteres kommen konnte, als durch solchen Grund ihre Rückkehr zu beschleunigen.

»Aber der Schatz,« sagte Van Broon, keineswegs gesonnen, das jetzt soweit ausgeführte Wagestück ohne einigen persönlichen Nutzen zu beenden.

»Auf unserem Weg zum Boot passiren wir den Platz,« erwiederte Dumfry – »und nun rasch. Gentlemen, der größte Theil, ja der einzig gefährliche unseres ganzen Marsches ist beendet, jetzt gilt es einfach noch eine kurze Strecke Weges zurückzulegen, und ehe jene düsteren Nebelstreifen im Stande sein werden auch nur mit ihren äußersten Spitzen die Sonne zu erreichen, hoff' ich, schaukeln wir wieder auf den stillen Wassern der Bai und Freund Tomson mag uns dann so sicher zurück nach Port Jackson führen, als er uns hierher gebracht.«

Und ohne weiter eine Antwort seiner beiden Begleiter abzuwarten, sprang er flüchtig an den vorragenden Felsenspitzen nieder, die, fast wie durch Menschenhand ausgeführt, die einzigen Haltpunkte an einer wohl zwanzig Fuß hohen Felsenwand für Fuß oder Hand boten. Tomson folgte ihm ebenso rasch; viel schwerer wurde es aber dem an solche Bahn keineswegs gewöhnten Buchhalter, und nur mühsam war er im Stande, seinen um so Vieles gewandteren Gefährten zu folgen. An solches Bergeklettern aber nicht gewohnt, und mit, durch zu vieles Sitzen versteiften Gliedern, verlor er bald seinen Fußhalt, fing an auszurutschen, fiel, klammerte sich wieder fest, mußte, durch sein eigenes Gewicht gedrängt, noch einmal loslassen, und polterte endlich, Flaschen und Proviant von sich schleudernd, und die bis dahin so sorgsam bewahrten Provisionen nach allen Richtungen hinausstreuend, über rauhes, schroff ablagerndes Felsgestein wimmernd nieder, bis er, von einer jungen Farrenpalme angehalten, hängen blieb, und nun verzweiflungsvoll die Bahn zurückblickte, die er eben so unfreiwillig rasch herniedergerasselt war.

Oben aber, aus dem kleinen Lianendickicht, das auf dem Felskegel wucherte, kroch vorsichtig und geräuschlos eine dunkle tättowirte Gestalt, glitt bis zu dem Felsrand hin, wo noch leise rollender Kies die Stelle verrieth, welche die Männer eben zurückgelegt, und beobachtete hier, von niederem Mooswuchs und einzelnen Farrenkräutern verdeckt, mit den aus dem narbigen Gesicht unheimlich vorfunkelnden Augen die Bewegungen der Fremden, von denen Tomson und Dumfry erst zu dem Gefallenen traten und dann, als sie sahen, daß dieser selbst keinen weiteren Schaden genommen, und noch stehen und gehen konnte, in den östlich gelegenen Büschen mit ihm verschwanden.

Der Indianer blieb wohl eine Viertelstunde lang regungslos in seinem Verstecke liegen, und erst dann, als er sich fest davon überzeugt haben mochte, daß die Fremden den Platz auch wirklich verlassen hätten, erschien seine Gestalt plötzlich am Rande des Abhanges. Blitzesschnell glitt er hinab, wich aber, unten angelangt, den Spuren der Weißen in einem weiten Bogen aus – er vermied die Stelle, wo die zersplitterten Glasflaschen lagen – und nahm erst dort die Fährte wieder auf, wo die Fremden, dem felsigen Bette eines vertrockneten Baches folgend, in den Wald eingedrungen waren.


Ruhig lag indessen der Kasuar vor seinem Anker, und die Matrosen hatten sich, als das kleine Boot zwischen die vorhängenden Büsche des Ufers schoß und von diesen verdeckt wurde, lässig unter das aufgespannte Sonnensegel gelagert, und schauten träumend auf das blaue, nur leise wogende Meer hinaus, das, wie sie, in müßiger Ruhe die heiße, sonnige Tageszeit zu verschlafen schien. Selbst die Fische mußten sich in die dunkle, kühle Tiefe zurückgezogen haben, denn nur selten zuckte ein goldschillernder Delphin strahlenblitzend über die gebrochene Spiegeldecke der Fluth, und Careys Mutter Küchelchen[13] selbst schaukelten sich mit nur selten gehobenen Schwingen auf ihrem heimathlichen Element.

[13]: Die kleine schwarze Seeschwalbe, die den Schiffer auf seinen weiten Reisen begleitet.

Das Steuer des kleinen Fahrzeugs stand verlassen, nicht weit aber davon lagen, anscheinend ebenso unthätig als die Uebrigen, der Sträfling und sein neugewonnener Freund, der irische Matrose, dicht neben dem Gangspill, und hatten beide die Köpfe auf den unteren, vorstehenden Theil desselben gelegt, in welchem die starken messingenen Einhemmer ruhten.

»Bill« flüsterte da der Sträfling endlich und berührte leise den Ellbogen des Kameraden.

Der Ire hob den Kopf ein wenig und schaute vorsichtig hinüber.

»Wenn der Koch zum Essen ruft,« fuhr Ned eben so leise fort, »so geh' nach vorn, und thu' wie ich Dir sagen werde; noch habe ich nicht alle Hoffnung aufgegeben, und, wenn mein Plan gelingen soll, so ist das der einzige Augenblick zur Ausführung.«

»Aber wie und was?« brummte der Ire, »an Schwimmen dürfen wir nicht denken, denn ich will verdammt viel lieber Matrose bleiben, als mich von Haifischen fressen lassen und das Canoe können wir zwei unmöglich über Bord heben.«

»Nein,« flüsterte der Sträfling zurück – »dennoch giebt's ein Mittel es hinüberzubekommen; wo Gewalt Nichts auszurichten vermag, muß List helfen. Doch die Zeit drängt – steh' Du jetzt auf und mache Dir in der Nähe des Kochs etwas zu thun, sobald der aber anfängt das Essen in die Schalen zu füllen, so ruf' »Segel ahoi!« – Ist auch nichts zu sehen, sie mögen Dich nachher auslachen, oder darüber fluchen, komme aber nachher sobald Du es unbemerkt thun kannst und – hörst Du – so schnell als möglich hierher zurück.«

»Was soll das aber helfen?« frug der Ire erstaunt.

»Wirst's schon sehen,« sagte Ned, und drehte sich auf die andere Seite herum, Bill aber, der sich noch ein paar Mal streckte und dehnte, stand endlich langsam auf, und schlenderte kopfschüttelnd dem Vordertheil des Schooners zu, wo der Koch, ein feister ächter »Buck nigger« – von der Mannschaft jedoch nur gewöhnlich schlichthin Doktor genannt – emsig in der kleinen, heißen Kambüse beschäftigt war, großmächtige Kessel heraus und hineinzuheben, Pfannen zu rücken und Seewasser in entsetzlichen Quantitäten an Bord zu ziehen und wieder auszuschütten, bis ihm der Schweiß in großen, hellen Tropfen von Stirn und Schläfen lief, und sein Antlitz mit einer wahren, glänzenden Fettdecke überzog. Die Matrosen hatten aber auch heute einen Festtag, denn, um sie in etwas dafür zu trösten, daß sie nicht mit ans Land durften, war ihnen Pudding und Schweinfleisch bewilligt worden, und verschiedene, hungrige Abgesandte hatten sich schon in kurz aufeinanderfolgenden Zwischenräumen erkundigt: »ob heute wirklich noch zu Mittag gegessen würde.« –

Ned wußte das Alles, und baute darauf seinen Plan, der in nichts Geringerem bestand, als noch vor dem Essen die Mannschaft des Kasuar dahin zu bringen, das an Bord liegende Canoe selbst mit in See zu heben, und es auch dorten die Mittagszeit hindurch zu lassen.

Nicht weit von dort wo er lag, standen nämlich dicht am Steuerrad zwei grünlackirte Eimer, die den Namen des Schooners trugen, und mit theils dem »Capitän«, theils dem Zimmermann gehörige Wäsche angefüllt waren. Ned, der nie eine Gelegenheit vorbeigehen ließ, Geld zu verdienen, da er recht gut wußte, daß er Geld sowohl zum Fliehen, als auch zum späteren Fortkommen nothwendig haben müsse, hatte es auch hier an Bord für eine mäßige Vergütung übernommen, die Wäsche dieser beiden »Offiziere« in Ordnung zu halten, und dorthin begab er sich jetzt, als ihn der Ire eine Zeitlang verlassen, und er sich von sonst keinem weiter beachtet wußte.

Neben den beiden, bis zum Rande mit Seewasser angefüllten Eimern stellte er jetzt noch einen leeren dritten, nahm dann aus den ersten einen Theil der Hemden, rang sie trocken aus, füllte damit den letztgebrachten Eimer mehr als halbvoll, hob ihn auf die, nicht eben hohe Verschanzung und goß nachher aus den anderen das gebrauchte Seewasser über Bord.

»Du wirst den Eimer hinunterfallen lassen Ned,« rief ihm der Kajütenjunge zu, der eben die Treppe niedersteigen wollte – »wenn's ein Bischen schwankt, liegt er drüben, und 's ist nicht einmal ein Tau dran.«

»Kümmere Du Dich um Deinen Kram,« brummte der Sträfling, warf der schlanken, lachend niedertauchenden Gestalt einen giftigen Blick nach und fuhr in seiner Arbeit fort; sein Blick aber schweifte oft rasch nach dem Bug des Schooners hinüber, wo Bill nachlässig an der Ankerwinde lehnte, und anscheinend halb im Schlaf nur dann und wann einmal nach dem Koch hinüberblinzte. Da kam dieser mit den hölzernen Schaalen aus dem Vorcastle herauf, und der Ire stand auf, trat an die Bulwarks und stützte sich mit dem Ellbogen auf den einen dort festgeschnürten Anker – jetzt hob er sich etwas empor und schützte mit vorgehaltener Hand seine Augen gegen das Sonnenlicht. Am fernen Horizont waren indessen in der That mehrere kleine weiße Punkte sichtbar geworden, doch achteten die übrigen Matrosen nicht darauf, denn einestheils brauchten sie hier in der Gegend keine Seeräuber zu fürchten, und dann nahm auch wirklich in diesem Augenblick der Koch ihre ganze Aufmerksamkeit viel zu sehr in Anspruch, um gerade jetzt auf irgend etwas Anderes zu denken.

Ein kleiner Büschel Werg – Ueberbleibsel eines zerzupften Taues – lag dicht neben Ned an Deck; dieser hob ihn auf, warf ihn über Bord und folgte ihm mit den Augen. Das Werg trieb, durch die Strömung getragen, langsam am Riff hinauf, und der Sträfling lächelte still vergnügt in sich hinein, denn gerade dort wurde jetzt die hohe, dicke Rückenflosse eines Hai sichtbar, der sich in dem schäumenden Rauschen der Untiefe zu sonnen schien, als er sich aber wieder nach seiner Arbeit umwandte, sah er, wie der Zimmermann aufgestanden war und gerade auf ihn zukam. Blieb der in seiner Nähe, so wurde die Ausführung des erdachten Planes zur Unmöglichkeit.

»Gift und Tod!« knirrschte der Sidneyer wild in sich hinein, »hat denn dieser vermaledeite Schuft von Koch« –

»Segel ahoi!« rief plötzlich der Ire am Bug des Schooners, und der Zimmermann wandte sich, erstaunter über den Ruf als das Segel selbst, nach jenem um, Ned aber trat rasch gegen die Bulwarks an und stieß hier den, nur leicht auf den Bord gestellten Eimer in See.

»Seht Ihr – hab ich's nicht gesagt?« schrie da der Kajütenjunge, der eben wieder an Deck kam, und jetzt vor die Verschanzung sprang, um hinüber zu sehen, – »ei Du lieber Gott, da schwimmen ja des Zimmermanns Hemden mit fort, na der wird schön schimpfen – jetzt kann Tom wieder hinterherschwimmen.« Und als ob sich das von selbst verstünde, warf er seine Jacke ab und wollte eben ohne Weiteres in See springen, den langsam dahintreibenden Wäscheimer zurückzubringen.

Das vertrug sich aber keineswegs, mit Ned's Plane, der dadurch vernichtet worden wäre.

»Halt, um Gotteswillen!« rief er, und ergriff den Arm des kecken jungen Burschen – »Ihr wäret verloren – seht Ihr denn nicht dort den Hai!«

»Hallo, was giebt's da?« sagte in diesem Augenblick der Zimmermann, als er rasch an die beiden hinantrat, zu gleicher Zeit aber auch den, jetzt schon ein ziemliches Stück vom Schooner entfernten Eimer erkannte - »Wasserhosen und Seeschlangen, meine Hemden – Ned, Hallunke, das hast Du mit Fleiß gethan – aber warte Canaille, das zieh' ich Dir am Lohn ab, und wenn Du ein Jahr lang für mich waschen sollst. Willst Du den Jungen loslassen, Bestie – was giebt's mit dem?«

»Er wollte über Bord springen, Sir,« stammelte in anscheinender Angst und Zerknirschung der Sträfling – »und da hinten – da hinten der Hai« –

»Was geht's Dich an, wenn er seine Haut riskirt – Lubber Du!« donnerte ihn da der Zimmermann an – »bist Du sein Wächter, oder ist Dir's wohl etwa nicht einmal recht, daß der Capitän seine Hemden wiederkriegt? – Hinüber mein Bursche – der Hai wird Dich nicht gleich – ja so, Donnerwetter nein – mit den Haifischen ist hier nicht zu spaßen« unterbrach er sich aber plötzlich selber, denn es fiel ihm gerade noch zur rechten Zeit ein, daß Tomson die ja eben für die Wächter des Fahrzeugs erklärt hatte. Schickte er jetzt den Jungen selber über Bord, und kehrte der ungefährdet zurück, wer stand ihm denn dafür, daß sich nach Dunkelwerden nicht gar ein Theil seiner Matrosen über Bord ließ und ans Ufer schwamm, denn ein guter Schwimmer hätte die kurze Strecke, wenn er noch dazu die Fluth abwartete, wohl glücklich zurücklegen können. Der junge Bursche schien sich übrigens, nachdem er erst einmal auf die keineswegs unbedeutende und so nahe Gefahr aufmerksam gemacht war, auch gar nicht mehr zu dem erst so bereitwillig angebotenen Ritterdienst zu drängen, und trat fast unwillkürlich vom Bord zurück.

»Dinner, boys – Dinner!« schallte in diesem Augenblick des Kochs Stimme herüber, der die Schaalen im Arm eben damit nach dem Vorcastle schritt.

»Halt da!« schrie der Zimmermann, als er sah, daß sich einige der Matrosen nach vorn stehlen wollten, wo er nicht mit Unrecht fürchtete, sie würden die besten Stücke für sich heraussuchen – »laßt das Canoe in See – hierher ihr Schufte – wollt Ihr, daß ich Euch fünfzigmal rufen soll? – hinüber damit – Wo ist Bill? – hierher Sir, mit angefaßt – Euerem albernen Segelahoischreien haben wir den ganzen Unsinn zu danken. Schnell Ihr Seehunde – denkt Ihr der Eimer wartet auf Euch? – heilige Dreifaltigkeit, er segelte wie ein portugiesischer Man of war[14]! und Du, Ned, kannst Dich freuen – warte Du Strick, das soll Dir angerechnet werden, wenn Tomson zurückkommt – ich wünsche jetzt nur weiter Nichts, als daß wir die Hemden nicht wieder kriegten.«

[14]: Portugiesischer Man of war, der Beiname des Nautilus.

Trotz diesen, mit einem wilden Seitenblick auf den Strafwürdigen, heftig ausgestoßenen Worten, gab sich der wackere Zimmermann aber wirklich die größte Mühe zum Gegentheil, und hob und schob mit aus Leibeskräften, das etwas unbehülfliche Boot über Bord zu heben. Dieses war ein ächt Neuseeländisches Canoe, mit reich geschnitztem Vordertheil, schwarz und roth bemalten Seiten, und hinten im Stern mit Albatroßfedern verziert; obgleich aber zwei zierlich ausgeschnittene, kurze Ruder, wie sie die Eingeborenen führen, darin lagen, so schien es doch fast zu schmal und schwank, zwei große erwachsene Personen zu tragen, und der Zimmermann zog es denn auch, vielleicht nur aus diesem Grunde, vor, allein niederzusteigen, und dem, indessen schon wenigstens zweihundert Schritt entfernten Eimer nachzurudern. Ned hütete sich auch wohl, seine eigenen Dienste zu diesem Zweck anzubieten, da er recht gut wußte, der Zimmermann würde ihm nicht allein nie gestatten das Boot allein zu betreten, sondern auch, wenn das bis jetzt wirklich noch nicht geschehen, auf jeden Fall Verdacht schöpfen, und ihn dann so genau bewachen, daß all seine bisherige List und Schlauheit vergebens gewesen wäre.

Jener aber, ehe er abstieß und in dem scharf gebauten, flüchtigen Kahn leicht mit der Fluth dahin schoß, rief den jetzt über Bord und ihm nachschauenden Matrosen noch einmal zu, ja nicht etwa fortzulaufen, sondern dort seiner zu harren, bis er zurückkehre, damit sie das Canoe nachher gleich wieder hinauf hissen könnten.

Vielleicht hätten sie gehorcht, aber mahnend erschallte gerade da noch einmal der jetzt schon ungeduldigere Ruf des Kochs: »Dinner ready, boys! – macht, oder es wird kalt,« und der Ire, überhaupt schon als ein fürchterlicher Esser gekannt und gefürchtet, der nun auch vollkommen einsah, was seines Kameraden Absicht sei, schob die Hände in die Taschen seiner kurzen Jacke, spuckte sein Priemchen über Bord und sagte, während er entschlossen nach vorn ging –

»Bis der wieder hier ist, können wir fertig sein!«

»Bleib lieber da, Bill,« riefen ihm ein Paar von den Andern nach, »der Zimmermann flucht und wettert nachher den ganzen Tag.« –

»Wenn's ihm Spaß macht,« brummte Bill, ohne die Aufforderung weiter zu beachten, »mir kann's recht sein, so oft haben wir aber kein Schweinfleisch, daß ich der Letzte dabei sein möchte.«

Er schritt rasch den dampfenden Schüsseln zu, und dieß Beispiel half, denn die Anderen kannten ihn nur zu gut; wo der Ire einmal angefaßt hatte, bekamen die Nachzügler auch gewöhnlich nur das Nachsehen, und während der Zimmermann aus Leibeskräften dem langsam davon treibenden Eimer nachruderte, stürmte die Mannschaft des Kasuar dem Vorcastle zu, und fiel hier mit einem wahren Heißhunger über die ausgetheilten Speisen her.

Ned allein blieb am Hinterdeck stehen, und erwartete die Rückkehr des Canoes. Der Zimmermann ließ denn auch nicht lange auf sich warten – er hatte sich einmal umgesehen, und bald gefunden, daß all seine Leute ihre Posten verlassen hatten – womit sie sich jetzt beschäftigten, konnte er sich leicht denken; mit dem besten Willen legte er sich daher in das Ruder und murmelte dabei nur leise, aber desto grimmigere Verwünschungen in den Bart, die sich theils über die »gefräßigen Schufte,« theils über den »Hund von Canarienvogel« ergossen, den er im Geist schon züchtigen und abstrafen ließ. Bald erreichte er den Eimer, faßte ihn am Henkeltau, hob ihn in sein schwankes Boot, und drehte dann den Bug desselben rasch wieder seinem eigenen Schooner zu. Allerdings mußte er jetzt gegen die Fluth ankämpfen, die neuseeländischen Fahrzeuge sind aber auch hierzu so spitz und schneidig gebaut, und leicht konnte er damit den nicht allzustarken Widerstand bekämpfen.

Wie er mit dem Bug seines schwanken Fahrzeugs gegen den Stern des Schooners anlief, warf ihm Ned ein Tau zu. Rasch befestigte er dieses vorn am Springfall und kletterte dann ohne weiteres Zögern an Deck.

»Und die anderen Hallunken,« rief er hier, als er den geretteten Eimer an Bord warf und mit dem Fuße stampfend nach vorn blickte.

»Sind beim Essen, Sir,« erwiederte ihm demüthig der Sträfling – »ich bat sie, Euerer hier zu warten, aber sie sagten, ich solle zum Teufel gehen – Ihr – Ihr« –

»Nun was, Ihr? heraus mit der Sprache, was Ihr?« rief ärgerlich der Zimmermann – »weshalb stotterst Du – was Ihr?«

»Ja ich kann doch nicht dafür, daß Jene es sagten« – bat, einen Schritt zurücktretend, der Sidneyer. –

»Was sagten – Hallunke,« rief aber auch jetzt der Zimmermann, auf das Aeußerste entrüstet – »wird dieser Carnarienvogel singen, oder soll ich ihm die Zunge lösen« –

»Ihr fräßt ihnen so Alles weg, wenn Ihr kämt, sagten die Leute« – betheuerte Ned und zog sich dabei immer mehr zurück.

Der Zimmermann, ohne weiter eine Sylbe zu erwiedern, griff mit einem, zwischen den zusammengebissenen Zähnen halblaut vorgestoßenen Fluch nach einem kurzen Ende Tau, was dort lag, und schritt rasch auf dem Starbordgangway entlang, dem Vorcastle zu. Zu gleicher Zeit aber, und sobald er nur die midschips aufgestapelten Wasserfässer und Nothspieren erreicht hatte, glitt die niedergebückte Gestalt des Irländers auf dem Larbordgang nach hinten, und wie sich Ned eben – denn jetzt war der Augenblick zum Handeln gekommen – über die Bulwarks schwang, und in das, von dem so plötzlich niederdrückenden Gewicht hochaufschaukelnde Canoe sprang, griff Bill in einer Art Humor eben den Eimer wieder auf, den der Zimmermann mit so viel Anstrengung zurückgebracht und folgte seinem Gefährten in demselben Moment, als dieser, um nicht Zeit mit dem Aufknüpfen zu verlieren, das schwache Tau, das sie noch hielt, durchschnitt und blitzesschnell von Bord stieß.

Das Ganze hatte nur wenige Sekunden zu seiner Ausführung gebraucht, und die Flüchtlinge würden Vorsprung genug gewonnen haben, wenigstens aus jedem gefährlichen Bereich des Schooners zu kommen, hätten nicht zwei, den beiden Leuten keineswegs günstige Augen das Ganze mit angesehen. Der Kajütenjunge erschien in dem nämlichen Augenblick an Deck, als Bill über dem Rand desselben verschwand, und ohne weiter seine Zeit mit Anrufen zu verschwenden, die doch, wie er recht gut wußte, ganz nutzlos gewesen wäre, rannte er spornstreichs nach vorn, und sein Hülferuf machte nur zu schnell die Mannschaft und besonders den jetzigen Befehlshaber des Fahrzeugs, den Zimmermann, darauf aufmerksam, was hier eigentlich vorgehe.

»Teufel!« schrie der alte Seemann, und sprang mit flüchtigen Sätzen dem Hinterdeck zu – aber zu spät, denn eben trieb das schlanke Canoe vom Schooner ab, und Ned, der sich in den Stern desselben geworfen hatte, ergriff das Ruder, und neigte es freundlich grüßend gegen den Wuth schäumenden Matrosen.

»Good bye, Sir!« rief er dabei lachend – »wollen dem Capitän die Hemden mit hinüber nehmen – wird sich ungemein darüber freuen – etwas sehr angenehmes an solch' heißem Tag, die Wäsche wechseln zu können – bitte mich gehorsamst in Sidney zu empfehlen!«

Der Zimmermann, der mit einem Blick die Lage der Dinge überschaute, war mit wenigen Sätzen in der Kajüte unten, ergriff die, dort in der Ecke lehnende und stets geladene Büchse, stieß das kleine, dicht über dem Steuerruder angebrachte Fenster auf, hielt die Mündung des Gewehres hinaus und donnerte den Flüchtigen nach:

»Halt! – halt, sag' ich, oder ich schieße!«

»Bücke Dich, Bill!« rief der Sträfling, der in diesem Augenblicke gerade den Kopf zurückwandte – »nieder mit Dir!« und zu gleicher Zeit warf er sich flach auf den Boden des Canoes. Der Ire aber, theils durch die schaukelnde Bewegung des schwanken Bootes, theils durch die Worte selbst erschreckt, kehrte sich, da ihm überdies nicht einmal Raum genug blieb, dem Rath zu folgen, rasch nach dem Drohruf des Zimmermanns um, und vermehrte dadurch, freilich unbewußt, die Unsicherheit seiner Stellung um ein Bedeutendes.

Da zuckte aus dem Kajütenfenster des Kasuar ein scharfer blendender Strahl, und mit dem Ausruf: »Jesus Maria!« fuhr der Ire zur Seite. Wohl hob sich auch zu gleicher Zeit der Sträfling, und suchte dadurch, daß er sich auf den entgegengesetzten Bord warf, das Schifflein im Gleichgewicht zu halten, der Verwundete schwankte jedoch eben so rasch auch dort hinüber, und das Canoe, das flach im Boden, wie fast alle diese ausgehauenen Fahrzeuge, einem solchen Druck nicht widerstehen konnte, entlud im nächsten Moment seine Last in die hoch über ihr zusammenschlagende Fluth, füllte sich dann, da der Ire krampfhaft daran festhielt, und sank.

Vom Bord des Kasuar stieg der Jubelruf des Zimmermanns empor, die Matrosen aber beobachteten mit schweigendem Entsetzen die Folgen dieses so unheilvollen Schusses, denn kaum hundert Schritt von dem umgeschlagenen Canoe entfernt, wurde im nämlichen Augenblick die Haiflosse wieder sichtbar; deutlich konnten sie dabei erkennen, wie sich das Ungeheuer der Tiefe mehr und mehr den, jetzt eben wieder emportauchenden Unglücklichen näherte, und ihr Athem stockte, da sie das Fürchterlichste fast unvermeidlich sahen, und doch nicht im Stande waren zu helfen.

Das Canoe selbst konnte übrigens, seiner eigenen Leichtigkeit wegen, nicht ganz zum Grunde gehen, sondern trieb nur, die Ränder kaum über der Oberfläche zeigend, langsam in der Strömung hin. Ned, der dicht daneben wieder auftauchte, versuchte allerdings seinen Arm darunter zu schieben, um dadurch vielleicht einen Theil des Wassers auszuwerfen, fand aber gar bald, daß er solcher Arbeit allein nicht gewachsen sei. Rasch sah er sich nach dem Kameraden um – da fiel sein Blick über diesen hinweg, auf die nicht ferne Brandung der Riffe – großer allmächtiger Gott – jener dunkle Punkt auf dem sonnenhellen Meer – ein wilder, stechender Schmerz durchzuckte sein Hirn, und unwillkührlich fast maß das Auge die Entfernung zum Schooner. Es war das aber auch nur ein Moment, denn hätte er selbst in seine Ketten zurückkehren wollen, jetzt konnte er nicht mehr; er vermochte ja nicht solche Strecke gegen die Strömung anzuschwimmen.

»Ned,« stöhnte da dicht neben ihm sein Kamerad – »Ned – ich bin verwundet – heiliger Patrick – der Mann hat mich durch die Schulter geschossen, – laß uns – laß uns das Boot flott machen – noch habe ich Kräfte, aber ich fühle, wie ich mit jeder Sekunde schwächer werde.«

»Wir sind nicht im Stande das Boot auszuschöpfen!« rief Ned rasch und seine Pulse stockten, als er die Spitze der Flosse gerade auf sie zugewandt sah – hatte sie der Hai gewittert, so war Einer von ihnen verloren – »komm Bill – wir müssen dem Ufer zuschwimmen – es ist ein Hai in der Nähe.«

»Ein Hai?« ächzte der Ire, und es war fast, als ob nicht jene Kugel, sondern erst dieses Wort ihm den Todesstoß gegeben. Es ist das Fürchterlichste für das Ohr des Schwimmenden, und seine Wirkung trifft wie ein lähmender, vernichtender Schlag. »Ein Hai« – wiederholte er zitternd und faßte krampfhaft nach dem, unter seinem Gewicht versinkenden Boot, »heilige Jungfrau, wir sind verloren!«

Ned zögerte noch einen Augenblick – sollte er das Canoe verlassen und in seiner eigenen Kraft die Rettung suchen? – aber sein Kamerad – da fiel sein Blick auf den Unglücklichen, der sich, von dem, wenigstens etwas Widerstand leistenden Holz gestützt, über die Oberfläche der See erhob und mit bleichem, stieren Antlitz nach dem nahenden Feind hinüber starrte; zu gleicher Zeit sah er, wie ein rother, verrätherischer Blutstrom von ihm ausging und die See schon auf mehrere Schritte im Umkreis färbte.

Länger bei ihm zu verweilen, wäre sicherer Tod gewesen – der gierige Hai, vielleicht schon durch den Schuß, wie durch den Schrei des Opfers aufmerksam gemacht, kam in kurzen Gängen heran und wurde, sobald er nur einmal das Blut witterte, zum erbarmungslosen Vernichter. Nicht einmal die gewöhnliche, und sonst nicht selten mit Vortheil angewandte List, wie das Schlagen mit Armen und Beinen und Schreien und Plätschern, konnte ihn mehr zurückschrecken. Ohne also auch nur ein Wort weiter auf den Hülferuf dessen zu erwiedern, der sich doch eigentlich nur seiner Leitung vertraut hatte, glitt er, so schnell und geräuschlos als möglich, von ihm fort, und strich in langen kräftigen Zügen aus, dem Lande zu. Die Schooner-Männer sahen seine Bewegung, und ihr wilder Schrei der Entrüstung verrieth nur zu deutlich, daß seine Absicht, wie die Ursache derselben, an Bord deutlich erkannt sei.

Dieser Schrei rief aber auch den unglücklichen Iren zu dem ganzen, fürchterlichen Bewußtsein seiner Lage zurück; ein einziger Blick verrieth ihm die feige Flucht seines Kameraden, dem er nicht einmal nachrufen durfte, wenn er nicht den grimmen Feind auf seine Spur bringen wollte. Verzweiflungsvoll starrte er jetzt nach dem Schooner zurück, und selbst in dem Gedanken schon drängte er die breite kräftige Brust der Strömung entgegen, das Unmögliche zu versuchen. – Umsonst, die Fluth, die dem Lande zustrebte, führte ihn weiter und weiter zurück, und mit dem warmen, quellenden Lebensstrom wich auch seine Kraft; die Sehnen, jetzt nur noch durch Todesangst und Noth in Spannung erhalten, schlafften in der übernatürlichen Anstrengung.

Näher und näher kam indessen der Hai – witterte er wirklich das Blut seines Opfers in so großer Entfernung? – noch schien er unschlüssig wohin er sich wenden solle, denn die Matrosen auf dem Schooner, obgleich der Arme unter der Zeit weit abwärts getrieben war, und trotz dem, wild dagegen protestirenden Zimmermann, schrieen und schossen mit Pistolen und Gewehren, um die Aufmerksamkeit des Unthiers von seinem Opfer abzulenken. Der Hai beschrieb auch, dadurch vielleicht irre gemacht, mehrere weite Kreise und strich einmal schon dem matt zu ihm herüber tönenden Lärmen entgegen, so nahe war er aber zugleich dem gesunkenen Canoe gekommen, daß ihm die von dort langsam herüber drängenden Ringwellen auch den Blutgeruch mit zuführen mußten. Plötzlich hielt er mitten in seinem Zug regungslos still – die Flosse stand unbeweglich fest, und wieder senkte sich ein Strahl von Hoffnung in O'Learys Herz, vielleicht nahm der Hai eine andere Richtung und er selbst trieb indessen dem Lande zu. – Da hatte der Raubfisch seine Witterung gespürt – nach rechts und links kreuzte er hinüber, als ob er die genaue Lage desselben erst ergründen wolle – jetzt hielt er wieder, und regungslos stand er wohl eine halbe Minute still, bis er sich endlich, wie seines Siegs gewiß, mit solch' entsetzlicher Kraft nach vorne schnellte, daß die Hälfte seines glatten, blitzenden Körpers in der hochaufspritzenden Fluth erschien; im nächsten Moment schoß er pfeilgeschwind der Richtung zu, wo der Unglückliche, immer noch mit der einen Hand krampfhaft das gesunkene Canoe erfaßt hielt, und zitternd nach dem Fürchterlichen hinüber starrte.

Da erkannte er das Nahen des Todesboten, sah, daß jetzt jede menschliche Hülfe vergebens sei, und von letzter, verzweifelter Angst, fast seiner Sinne beraubt, wandte er sich zur unmöglichen, trostlosen Flucht. Weit in die Bai griff er aus, den Kopf scheu dabei nach dem Verfolger zurück gedreht – aber seine Kräfte waren erschöpft – kaum vermochte er noch, sich über Wasser zu halten, dennoch ließ er nicht nach – der Kopf sank ihm, aber die Glieder arbeiteten fort, und nicht einmal mehr der Richtung bewußt, die er nahm, strebte er jetzt gerade dem Feind entgegen. Das Ungeheuer der Tiefe schoß herbei – der weiße, silberglänzende Bauch wurde sichtbar – ein Schrei, von dem Todesgurgeln erstickt, rang sich aus der Brust des Unglücklichen, und wenige Secunden später verrieth nur noch das vom Blut gefärbte Meer und das Kochen der aufsprudelnden Wasser die Stelle, wo eben ein Mensch geendet.

Und der flüchtige Sträfling? sah er noch den Tod seines unglückseligen Gefährten? – nein, sein Blick konnte jene Stelle nicht mehr überschauen; der gellende Nothschrei aber drang bis zu ihm hinüber, und sagte ihm mit fürchterlicher Schnelle, welcher Gefahr er selber ausgesetzt sei, wenn andere Hai's, durch den Blutgeruch herbei gelockt, die Bucht durchkreuzten. In wilder Verzweiflung strebte er jetzt dem Lande zu, das sich, nur noch kurze Strecke entfernt, vor ihm ausbreitete – er wandte auch den Kopf nicht mehr zurück; mehr noch fast, als das gefräßige Unthier des Oceans selbst, fürchtete er die lähmende Angst, die ihn bei dessen bloßem Anblick ergreifen und vernichten mußte, denn nur in Schnelle und Ausdauer lag noch seine Rettung. Er schwamm um sein Leben, und als er endlich die schwache Brandung erreichte, als ihn die Wogen faßten und hoben und hinüber trugen auf den rettenden Sand, da vergingen ihm die Sinne, er hatte nicht einmal mehr Kraft genug behalten, sich hinauf, dem höher liegenden Ufer zuzuschleppen, und fühlte nur noch, wie ihn hülfreiche Arme erfaßten, aufhoben und forttrugen. Er wollte schreien, doch die Stimme versagte ihm, er wollte die Augen aufschlagen, aber er vermochte es nicht mehr, ein toller Schwindel bemächtigte sich seiner Sinne, und ohnmächtig und bewußtlos brach er zusammen.

Wie lange er so gelegen, wußte er nicht; als er aber nach wildem, wunderlichen Traum die Blicke aufschlug, und zu den wehenden, grünen Wipfeln schattiger Bäume emporschaute, da sah er auch, wie er von Eingeborenen umgeben war, und ein hoher, stattlicher Insulaner, mit einem langen, sonderbaren Stab in der Hand und ein paar Falkenflügeln an beiden Seiten des Kopfes, stand vor ihm, und starrte ihm fest und finster ins Angesicht. Einzelne der Wilden begannen jetzt, als sie nun sahen, daß er wieder zu sich kam, ihn mit Fragen zu überhäufen, Ned verstand aber ihre Sprache nicht, und blickte nur scheu von Einem zum Andern, bis der Mann mit den Raubvogelflügeln, und wahrscheinlich auch der Führer der Schaar, ihn in gutem, flüssigen Englisch anredete, und zu wissen verlangte, was er hier an dieser Küste, suche. Auf diese Frage war aber der Sträfling schon vorbereitet, denn natürlich konnte er denken, daß er unter Eingeborene gerathen müsse, wenn er, der Küste folgend, die erste europäische Ansiedelung aufsuchen wollte; er hatte denn auch eine ziemlich glaubwürdige Erzählung bereit, und sagte, er wäre auf jenes, dort vor Anker liegende englische Fahrzeug gepreßt und unmenschlich behandelt worden, und hätte sich, ehe er ein solches Schicksal länger ertrüge, lieber mit der Gefahr, von Haifischen gefressen zu werden, zu den Eingeborenen dieser Insel geflüchtet.

»Ist die gelbe Jacke die Matrosentracht der englischen Fahrzeuge?« frug der Häuptling ruhig, als jener sein Märchen beendet hatte.

»Die gelbe Jacke?« wiederholte der Sträfling, und blickte überrascht und etwas außer Fassung gebracht zu ihm auf, dieser aber schien das nicht zu bemerken und fuhr nur fort, während er sich halb von ihm abwandte, und nach der Waldspitze deutete, wo der Ta-po-kaï mündete:

»Wem gehört jenes Boot, und wo sind die Männer die es hierher gerudert?« –

Ned zögerte mit der Antwort – er dachte an den Schatz und wußte nicht, ob er durch eine Enthüllung alles dessen, was ihm bekannt, des Häuptlings Vertrauen erwecken, oder selber suchen solle, den Schatz an sich zu bringen. Wie das aber? als er seinen Plan zuerst gemacht, hatte er auf des Iren Hülfe gerechnet, jetzt stand er allein – wäre es ihm möglich gewesen, unbewaffnet auch nur das Mindeste gegen drei starke Männer zu unternehmen? Nein, vielleicht half ihm aber die Entdeckung desselben zu der Freundschaft des Indianers, und ohne dessen kalt und ruhig auf ihm haftenden Blick zu begegnen, versprach er eine für diesen höchst wichtige und nützliche Enthüllung machen zu wollen, die ihm reiche Beute brächte, wenn ihm sein eignes Leben dabei gesichert würde.

Der Insulaner sagte ihm das zu, und der Sträfling, dadurch kühner gemacht, forderte nun auch noch, in seinen Stamm aufgenommen, und von diesem selbst gegen die Verfolgung der Weißen geschützt zu werden. Das aber wies der Häuptling unwillig von sich.

»Ich sicherte Dir Dein Leben!« rief er finster »und brauchte selbst das nicht zu thun. Liebe zu uns hat Dich nicht hergeführt, und Deine Hülfe brauch' ich kaum, denn seit jene Dreie gelandet, folgen ihnen meine Späher, und ihr Boot ist in meiner Gewalt; doch bist Du wahr gegen mich, so sei ein Theil der Beute Dein – thue dann damit, was Du willst. Die Gier der Weißen geht nach Gold – das mag Dir genügen.«

Freudig ging der Sträfling in diesen Vorschlag ein, den er gar nicht zu machen gewagt, da er kaum geglaubt hatte, daß die Wilden je wieder ein erbeutetes Gut herausgeben würden. Er erzählte nun aber auch Alles, was er erlauscht; daß der Eine der Weißen – die Pest über ihn, er hatte ihn stets wie einen Hund behandelt – als Indianer verkleidet, das Gesicht aber mit einer Matte verhangen, das Ufer betreten habe und eine Landverschreibung mit sich führe, die seiner Aussage nach Heki selbst unterzeichnet hätte.

Der Häuptling, der im Anfang kaum den Worten gelauscht, horchte hoch auf, und schien dem Erzählenden das Wort von den Lippen zu stehlen, mit keiner Sylbe unterbrach er ihn aber, und erst nachdem Ned Alles das, was er an Bord erhorcht, gebeichtet, that er ihm einige Fragen nach der Gestalt, dem Aussehen, den Augen, Zügen und dem ganzen Wesen jenes Mannes, der unter dem falschen Schutz ihres heiligsten Gesetzes dieses Ufer betreten habe. Ned gab das so gut er konnte, und der Neuseeländer nickte dabei ingrimmig lächelnd mit dem Kopf. Endlich zog er sich eine Zeitlang zu den Seinen zurück, und der Sträfling konnte jetzt nur nach den wilden lebendigen Gestikulationen, mit denen sie die, ihm fremden Worte begleiteten, schließen, daß es ein reges Interesse sei, was die düstern Gestalten jetzt bewegte und ihren Augen ein soviel wilderes, unheimlicheres Feuer verlieh.

Niemand kümmerte sich mehr um ihn, stundenlang lagerten die Krieger in dem kühlen Waldesschatten, und die Sonne hatte schon geraume Zeit den Zenith überschritten, während weiße, wehende Nebelstreifen am südlichen Horizont heraufstiegen, und ihre milchigen Strahlen weit hin über das Firmament schossen, als plötzlich die Büsche raschelten und ein einzelner Krieger, das dunkle, tättowirte Gesicht von einigen, kaum geheilten Narben fürchterlich entstellt, aus dem Dickicht sprang, an dessen äußerstem Rande sie lagerten. Was er berichtete, konnte Ned nicht verstehen, doch mußte seine Mittheilung von Wichtigkeit sein. Auf jeden Fall war sie lang erwartet, denn von mehren Seiten kehrten jetzt augenscheinlich früher ausgestellte Posten zurück, und die Schaar, die aus etwa fünfzehn Männern bestand, theilte sich in zwei ziemlich gleiche Haufen.

Der Eine von diesen zerstreute sich in den benachbarten Büschen, der Andere aber schlich langsam am Waldrand hin, der Mündung des Ta-po-kaï zu. Der Sträfling blieb unter der Aufsicht zweier Krieger und mußte der letzten Schaar folgen, doch schien man nichts von ihm zu fürchten, oder keine weiteren Vorsichtsmaßregeln für nöthig zu halten, denn er durfte frei neben seinen Begleitern hergehen, deren ganzes Aeußere ihn aber dennoch überzeugte, daß Flucht, wenn er daran wirklich noch gedacht hätte, hier ganz hoffnungslos gewesen wäre. Rasch schritt er denn auch an ihrer Seite fort, und wie der letzte in den laubigen, dunkelschattigen Büschen verschwunden war, lag der Platz wieder so einsam ruhig da, als ob ihn noch nie ein menschlicher Fuß betreten oder menschliche Leidenschaft seinen heiligen Frieden gestört habe.


Still und heimlich rauschten die hohen, majestätischen Wipfel des düsteren Urwalds, und flochten ihre riesigen Arme fest, fest in einander, daß die sengenden Strahlen der Sonne nicht Eingang fänden in ihr heiliges Dunkel, und die zarten Kinder ihrer Sorgfalt, die jungen saftigen Palmen und die wuchernden, blumigen Moose nicht erreichen und welken könnten. Es war Mittagszeit – heimlich drückten sich die munteren Waldvögel in den kühlen, duftigen Schatten der Sträuche, und die schillernde Eidechse nur glitt geräuschlos an Stämmen und Zweigen hin, und schaukelte sich an schwanken Ruthen oder haschte auch nach vorbeifliegenden Insekten und Käfern.

Still und heimlich rauschten aber auch die hohen, majestätischen Wipfel um eine einzige, kleine Lichtung, die an der sanften, grasigen Abdachung eines niederen Hügels lag, und jetzt nur von astigen Fruchtbäumen und einzelnen, früher vielleicht gepflegten Palmen beschattet wurde. Es war ein neuseeländischer Pah, die Wohnung, aber auch zugleich das Fort Eines der Eingeborenen, ganz nach Art der, über die Insel zerstreuten Befestigungswerke mit starken spitzen Pallisaden umgeben, und im Innern durch niedere Fenzen wiederum in einzelne, jedoch mit einander in Verbindung stehende Höfe abgetheilt. Inmitten desselben lag das flache, breitausgedehnte, niedere Wohnhaus, mit phantastisch geschnitzten Holzsäulen und kühler, luftiger Veranda. Schmale Bänke zogen sich im Innern dicht an den Wänden des Hauses hin, und zwischen zwei der Säulen hing, regungslos und leer, eine einzelne, von den Fasern des neuseeländischen Flachses gewebte Hängematte. Aber kein lebendes Wesen ließ sich sehen – Alles schien ausgestorben und öde, ja die Nebengebäude, großentheils nur Schuppen und Ställe, standen offen und leer, das Kochhaus, das sich früher dicht an das Wohnhaus geschmiegt, war auf der rechten Seite niedergebrochen und verfallen, die Hängematte hing in Streifen nieder, am Dach fehlten ganze Stücke; die Umzäumungen lagen theils niedergeworfen, theils von Moosen überwachsen; kein Hausthier belebte den Hof, und nur ein Habicht, der vielleicht in der Nähe horstete und hier, in den stillen, öden Gebäuden nach Nahrung gesucht, stieg jetzt kreisend empor, stand mit schnellem, kräftigem Flügelschlag wohl eine Minute lang still über dem, für ihn zur Heimath gewordenen Platz, und strich dann, den schönen Kopf noch immer zurückgebogen, langsam dem Meeresufer zu.

Er hatte seinen Feind, den Menschen, gewittert, und kaum verschwand er auch hinter den hohen, laubigen Bäumen, als eine wilde Gestalt die niederen Büsche theilte, die sich dicht an die halbniedergebrochenen Pallisaden anschmiegten, ja sogar einen Theil derselben schon mit ihren weitausgreifenden Schmarotzerpflanzen wie mit einem blumendurchwebten Laubnetz überzogen.

Es war Dumfry der, das Gesicht wieder dicht mit der Matte verhüllt, die Büchse fest und im Anschlag in der Hand, die Lichtung betrat und ernst und schweigend den Schauplatz früherer Zeiten überschaute, der – seine Wohnung getragen. Und wo hinaus hatte das Schicksal die gestreut, die früher die Waldeseinsamkeit mit ihm getheilt? wo weilten die Lieben, die auch eine Wildniß im Stande sind zum Paradies zu wandeln – welcher Boden war es, der ihre Fährten trug und ihnen Nahrung gab? Oder hatte Dumfry freundlos und allein hier gelebt? wurde kein Auge naß, als er seine neue Heimath verließ, harrte kein hoffender Blick mit freudiger Zuversicht seiner Wiederkehr? – Niemand wußte es – sein Mund schwieg über die Vergangenheit, und wer ihm später in Sidney befreundet gewesen, vermied es gern, auch nur die Erinnerung an frühere Zeit in ihm zu erwecken, denn finstere Geister waren es, die dadurch heraufbeschworen wurden.

Welche Gefühle mußten da aber jetzt sein Herz bestürmen, als er Alles das wieder vor sich sah, was in lebendiger Frische das Andenken an vergangene, und wohl kaum vergessene Stunden erneute – was die kaum vernarbten Wunden wieder aufriß und sein Auge fest und stier an jene Stelle fesselte, wo er –

»Gift und Tod!« murmelte er durch die fest zusammengebissenen Zähne vor sich hin, und stampfte unwillig und in ausbrechendem Grimme den Boden – »was kümmert's mich, wenn sie den Platz meiden und ihr wahnsinniges Gesetz den Ort selbst öde legt und verlassen. Um so besser – desto sicherer bin ich und desto unbewachter.«

Rasch glitt er in das Dickicht zurück, wo die Gefährten seiner harrten und ein Zeichen bedeutete sie ihm zu folgen, wohin er sie führen würde. Ihr Pfad, der bis jetzt durch die wildeste und rauhste Waldung geführt, wurde aber jetzt ebener; eine Art ausgehauener Weg, wenn auch allem Anschein nach lange nicht begangen, zog sich, wie Tomson glaubte, in ziemlich paralleler Richtung mit der See fort, und die Hügel hatten sie ebenfalls verlassen, oder hielten sich wenigstens nur noch am Fuß derselben hin, wo sie zweimal kleine, sprudelnde Bäche überschritten, und plötzlich auf einer sanften Abdachung des hohen Landes einen kleinen, vielleicht zwanzig Fuß steil emporsteigenden Erdaufwurf erreichten, dessen Gipfel ein eigenes, wunderliches Denkmal zierte.

Die Hälfte eines quer durchschnittenen Canoes stand dort wie ein Schilderhaus aufgerichtet; die beiden Seiten desselben waren mit weißen, schwarzen und grellrothen Farben bunt bemalt, und den oberen Theil schmückten hohe, wehende Federn, wie sie wohl sonst das Haupt des Kriegers und Jägers als stolzen Kopfputz zieren. Besonders prangten einzelne hohe, weiße Federn des Albatroß, die den Mittelpunkt des Busches bildeten, und eine bunt gefärbte Matte hing von oben herab und verdeckte den inneren Theil dieses eigenthümlichen Zierraths.

Die Fremden konnten, als sie den offenen Platz erreichten, das eben beschriebene Bauwerk leicht übersehen, desto schwieriger aber schien es hinaufzugelangen, denn hohe und fest eingerammelte spitze Pallisaden, auch keineswegs verfallen, wie die, der früheren Wohnung, sondern allem Anschein nach in gutem und trefflichem Stand erhalten, umgaben den Erdhügel. Der innere Raum zwischen diesem und seiner Verschanzung war von üppiger Vegetation dicht überwuchert, und es ließ sich unmöglich unterscheiden, ob der von Bäumen allerdings leere Platz früher bebaut, oder nur von dem hohen Holz befreit worden sei, um jenes Gestell auf dem Gipfel desto freier und besser herauszuheben.

Die Männer hatten, bis dahin noch von einer kleinen Gruppe palmenartiger Farrenbäume verdeckt, den stillen wunderlichen Ort in lautlosem Schweigen eine Zeitlang beobachtet, endlich flüsterte Van Broon, dem es hier unter den hohen Bäumen und vor dem einzeln dastehenden, indianischen Bau, der wie eine Schildwache das Herz der Waldung zu bewachen schien, anfing unheimlich zu werden:

»Ist dies denn nun endlich der Ort, zu dem wir jetzt, Gott weiß, wie viele Meilen durch Dornen und Schlingpflanzen gerannt sind, als ob uns der böse Feind auf den Hacken säße?«

Dumfry nickte, noch immer ohne ein Wort zu erwiedern, einfach mit dem Kopf.

»Der Eingang wird wohl an der andern Seite sein,« meinte Tomson, und richtete sich auf den Zehen empor, um soviel Raum als möglich übersehen zu können.

»Gentlemen!« wandte sich jetzt Dumfry plötzlich und mit leiser, unterdrückter Stimme, aber mit freudig blitzenden Augen, an seine Begleiter – »die Zeit unseres Handelns ist gekommen, wir haben den lang erstrebten Platz erreicht, aber all die Gefahren, die ich gefürchtet, ja fest erwartet, sind ausgeblieben. Die Gegend ist menschenleer, die Entfernung zum Meer, ja zu der Stelle, wo unser Boot verborgen liegt, beträgt von hier aus kaum tausend Schritt – dort, wo jener helle Fleck die Waldung lichtet, mündet der Bach, in dessen heimlichen Schatten wir eingelaufen. In einer halben Stunde können wir unten sein, und unsere Ruder tragen uns dann rasch dem sicheren Fahrzeug entgegen.«

»Warum gehen wir denn aber nicht an die Arbeit?« frug Van Broon ungeduldig; »zum Henker noch einmal, mir wird's nicht behaglich zu Muthe, so lange ich diesen cannibalischen Boden unter mir fühle; es ist mir immer, als ob uns die Bäume ordentlich so mit einer Art von Gier und Gefräßigkeit ansähen, und mit dem größten Vergnügen das Holz dazu hergeben würden, uns zu braten. Wo hat denn dieses Monument, oder was es sonst sein mag, seinen Eingang?«

»Nirgends,« erwiederte ihm Dumfry, aber immer noch mit vorsichtiger Stimme – »es ist ringsherum auf solche Art umgeben – Manawatus Begräbnißplatz liegt unter dem geheiligten Gesetz des Tabu, nur wenn Einer aus seinem Geschlecht wieder stirbt, erlischt das Verbot. Nach der bestimmten Zeit und der Feier der Tangi[15] bringen die »weisen Männer« die Gebeine hierher und wiederum verschließt das Gesetz den Eingang Jedermann.«

[15]: Bei dem Tod eines Häuptlings oder eines sonst angesehenen Indianers entsteht ein großes Wehklagen, das die Neuseeländer Tangi nennen. Die Frauen zerschneiden sich Arme, Gesicht und Brust mit scharfen Muscheln, und die Kleider und das Eigenthum des Verstorbenen wird dann gewöhnlich in das Grab desselben gelegt – in den sogenannten wahi tapu, und muß dort mit ihm verwesen.

»Wie kommen wir aber hinüber?« brummte Van Broon – »wir wollen wohl hier warten, bis Jemand kommt, um nachher die ganze Bevölkerung bei der Hand zu haben. Gebt dem Volk nur einen Vorwand, und wir stecken noch heute Abend Alle mit einander am schönsten Bratspieß, den sie auftreiben können.«

Dumfry wandte sich von ihm ab, glitt eine kurze Strecke rasch zwischen, ja fast unter den hohen Farrenkräutern hin, die das Stacket dicht umschlossen, prüfte einige der Pallisaden mit der Hand, und kam auch bald an eine, die weniger fest in der Erde stack als die übrigen. In diese schlug er mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft, indem er sich mit dem Rücken an die nächsten dicht daneben stellte, seinen Tomahawk, daß der Stiel nach oben kam. Der scharfe Stahl fuhr in das, durch die Jahre ziemlich weich gewordene Holz bis ans Heft hinein, und er gewann dadurch eine Handhabe, den sonst nicht gut erreichbaren Stamm anzufassen, und aus seinem Bett zu heben. Nach einigen, vergeblichen Versuchen gelang ihm dieß auch endlich, was einen schmalen Eingang in das Innere herstellte.

Van Broon, obgleich er die Größe der Gefahr, der sie hier ausgesetzt waren, gar nicht kannte, ja nicht einmal ahnte, er wäre sonst wahrlich nicht so geduldig dabei stehen geblieben, fühlte doch eine gewisse, ihm selbst kaum erklärliche Angst, als er die Vorsicht und unverkennbare Scheu des sonst so kecken, trotzigen Mannes sah. Dumfry, der ihnen winkte, dort zu bleiben, wo sie gerade standen, kroch nämlich rasch und vorsichtig in das tollste Gewirr des hier dicht verschlungenen Oberholzes, und kein Laut wurde weiter von ihm gehört, kein Zeichen gab er, bis plötzlich seine Gestalt, aber weiter unterhalb, wieder auftauchte. Er trug jetzt das zusammengeheftete Fell irgend eines ihnen unbekannten Thieres im Arme und lief mehr als er ging, dem engen Ausgange der Pallisaden zu, durch die er sich mit fast ängstlicher Hast ins Freie drängte. Kaum hatte er jedoch den inneren Raum verlassen, so legte er schnell seinen Pack auf den Boden nieder, stieß die früher herausgehobenen Pallisaden an ihren Ort zurück, und schien jetzt erst jedes Gefühl, was ihm bis dahin vielleicht Herz und Seele beengt haben mochte, stark und freudig von sich abzuschütteln.

Hochauf athmete er, aus tiefer, voller Brust, und ein triumphirendes, fast höhnisches Lächeln zuckte um seine Lippen.

»Nun fort,« rief er, und hob seine Last rasch wieder vom Boden auf, »fort, in wenigen Minuten sind wir am Ufer, dann zu Schiff und einem frohen, freudigen Leben entgegen!«

»Und ist das Alles?«, frug Tomson erstaunt, »Alles was wir zu thun haben? Darum die entsetzlichen Vorbereitungen und Zurüstungen?«

»Kommt! an Bord unseres guten Kasuar sollt Ihr Alles erfahren, nur jetzt von diesem Boden fort, der mir unter den Füßen zu brennen anfängt.«

Und ohne weiter auch nur eine Antwort abzuwarten, warf er einen flüchtigen Blick zu der jetzt von dem gestiegenen Nebel fast umdüsterten Sonne empor, die den Schleier mit ihrem rothen Gluthenlicht kaum zu durchdringen vermochte, und eilte so flüchtigen Schrittes rechts in das Dickicht hinein, daß ihm seine beiden Begleiter kaum zu folgen vermochten. Wohl eine Viertelstunde behielten sie diese Richtung bei, und jetzt zwar fortwährend thalab, die Hügel hinter sich lassend. Die Lichtung, auf die sie Dumfry schon am Begräbnißplatz aufmerksam gemacht, trat denn auch immer deutlicher und heller hervor, und einer kleinen, schmalen Anhöhe folgend, die als Scheide zweier Bäche dem Ufer entgegenlief, erreichten sie dieses, kaum zweihundert Schritte von der nämlichen Stelle, wo sie es betreten hatten, doch mehr seitwärts von der Mündung des Baches, und an einer von Holz fast freien, sandigen Fläche, die sich zwischen da, wo sie sich jetzt befanden und dem Ta-po-kaï ausdehnte.

Dumfry überflog mit prüfenden Blicken das Terrain, nirgends aber ließ sich auch nur das mindeste Außergewöhnliche oder gar Gefährliche entdecken; kein lebendes Wesen war zu sehen, nur ein paar Albatrosse strichen mit langsam bedächtigen Flügelschlägen über die Bai, und dort hinten – gerade vor dem hellglänzenden, weißen Streifen, der den Eingang der Bucht wie mit einem schimmernden Zirkel umgab, lag still und regungslos, die schneeigen Segel fest gegen die Masten geschlagen, der Kasuar, wie ein müder Seevogel, der nach langer, mühseliger Fahrt den Kopf unter die Flügel steckt, und sich schaukeln läßt von den krystallhellen, leise schwellenden Wogen – seiner Wiege und Heimath.

»Bei Gott!« brach da Tomson das Schweigen, und schaute ängstlich nach dem südlichen Horizont hinüber, den er erst von hier aus recht überblicken konnte – »es wird Zeit, daß wir an Bord kommen – Dumfry, dort hinten steigt ein Wetter herauf, und, wenn uns das hier noch in der Nähe jener Riffe erwischt, so können wir uns auf das Schlimmste gefaßt machen. Es wäre ein Spaß, wenn wir nachher wieder an die Küste geworfen würden.«

»Sollten jene weißgrauen Streifen Böses deuten?« frug der Verkleidete, und schien sie scheu und finster zu betrachten –

»Gutes auf keinen Fall,« brummte der Seemann, »will's wünschen, daß wir mit 'nem blauen Auge davonkommen.«

»Gentlemen beabsichtigen vielleicht, hier am Waldrand heute Abend Thee zu trinken,« unterbrach sie aber hier der ungeduldig werdende Holländer – »zum Henker auch, sollen wir etwa hier stehen bleiben, bis das Alles eintrifft, was Sie beide jetzt befürchten? – Wo liegt unser Boot?«

»Gerade dort drüben in jener Waldecke,« erwiederte ihm Dumfry – »aber Sie haben recht, ein Ueberlegen könnte hier ohnedieß nichts frommen, jetzt müssen wir durch – kommen Sie« – und wiederum zog er die Matte über sein Gesicht, die er, seit sie den Begräbnißplatz verlassen, fast fortwährend zurück geworfen getragen hatte, und schritt den beiden Freunden rasch voran, zuerst in die niedere Sandfläche hinab, die in Zeit der Fluth von den Wogen bedeckt wurde, und dann einen grasigen Anwuchs wieder hinauf, der sich der Waldspitze zuzog und überhaupt den ganzen, bewachsenen Küstenstrich mit einem hellgrünen freundlichen Kranz umgürtete.

Je weiter sie aber jetzt den Wald hinter sich ließen, desto freieren Ueberblick gewannen sie über den, mit jedem Augenblick drohender werdenden Himmel, und Tomson blieb, als sie etwa die Mitte der Sandfläche erreicht, stehen, um das Aussehen der Wolken besser beobachten zu können. Da fiel sein Auge, vielleicht durch einen sich dort regenden Gegenstand hingezogen, auf den hellgrünen Rand des Waldes, und ein Ausruf der Ueberraschung entfuhr fast unwillkürlich seinen Lippen, als er gerade da, wo sie eben die Holzung verlassen, mehre in bunte Matten gekleidete Indianer erblickte, die eben den Baumschatten verließen, und langsam ihren Fährten zu folgen schienen.

Dumfry und Van Broon drehten sich rasch nach ihm um, die dunklen Gestalten traten aber zu deutlich aus dem lichten Hintergrund hervor, als daß es noch einer Erklärung bedurft hätte. Van Broon wollte sich denn auch, sowie sein Blick nur auf den Federschmuck der Krieger fiel, ohne weiteres davon machen, Dumfry aber erfaßte seinen Arm und flüsterte ihm schnell und heftig zu:

»Halt, Sir, keine Uebereilung – wenige hundert Schritt von hier entfernt liegt unser Boot, fliehen wir jetzt, so erregen wir Verdacht, gehen wir aber ruhig fort, bis wir nur erst die Büsche zwischen uns und jenen haben, so gewinnen wir entweder hinlänglichen Vorsprung uns einzuschiffen, oder – wir haben Feuergewehre genug, jene kleine Schaar unschädlich zu machen. Langsam, Gentlemen, langsam sehen Sie, dort vorne – ha!« schrie er und riß sein Gewehr entsetzt empor, denn auch vor ihnen, gerade dort, wohin ihr Weg gerichtet war, und wohin er deutete, theilten sich die Büsche, und sieben oder acht braune, trotzige Gestalten, mit Büchsen und Streitkolben bewaffnet, ja Einzelne sogar mit der, ihm nur zu gut bekannten, langhaarigen Kriegsmatte bekleidet, traten ihnen entgegen, und hielten somit genau den Pfad besetzt, der sie allein zu ihrem Boote führen konnte.

Van Broon stieß einen Schrei des Entsetzens aus, Tomson aber, der schon aus dem Benehmen Dumfry's ersehen hatte, daß ihnen in der That mehr Gefahr drohe, als dieser eigentlich gestehen wollte, griff nach seinen Pistolen, untersuchte, ob die Zündhütchen noch festsäßen, rückte den Griff seines Cutlaß ein klein wenig mehr nach vorn, und schien dann ruhig den Erfolg abwarten zu wollen. Dumfry selbst war wohl ebenfalls nur durch die erste Ueberraschung außer Fassung gebracht, denn auf ein Zusammentreffen mit Indianern hatte er sich ja schon durch seine angenommene Tracht vorbereitet; fester nur zog er die Matte über sein Gesicht nieder, flüsterte seinen beiden Begleitern leise Muth zu, und schritt dann, die Richtung ein klein wenig verändernd, der äußersten Waldspitze zu, um, wenn die Indianer ihre Jölle etwa noch nicht gefunden hätten, wenigstens nicht selbst zu voreilig deren Lage zu verrathen. Hatte er aber zugleich gehofft, von den Eingeborenen unbeachtet zu bleiben, so sah er sich darin jedenfalls getäuscht, denn diese wandten sich, sobald sie seinen veränderten Curs bemerkten, ebenfalls langsam der Waldspitze zu, und Dumfry, der nun wohl fand, daß er nicht im Stande sein würde, ihnen auszuweichen, suchte jetzt nur so unerschrocken als möglich aufzutreten. Hielten ihn die Neuseeländer, was auch von vornherein seine Absicht gewesen, für einen, unter dem Tabu stehenden Führer der Weißen, so hatten sie nichts zu fürchten, denn noch waren diese uncivilisirten Stämme zu wenig mit Weißen in Berührung gekommen, die Pflicht der Gastfreundschaft gegen Fremde ganz vergessen zu haben.

Rasch näherten sie sich den Insulanern, die nun ihrerseits die drei Fremden ruhig erwarteten; Dumfry aber, so keck und zuversichtlich er früher gewesen schien, schrack doch, als er nahe genug kam, die Züge des Häuptlings zu erkennen, augenscheinlich zurück und sprach, anstatt die erste Begrüßung diesen Herrn des Bodens zu geben, kein einziges Wort. Die Wilden ihrerseits, die, hier noch dazu in der Mehrzahl, eine solche Artigkeit wohl erwarten zu können glaubten, schwiegen ebenfalls und Tomson, durch Dumfry's Betragen zuerst überrascht, trat endlich vor, streckte dem, den er für den Häuptling hielt, die Hand entgegen und sagte mit seinem offenen und ehrlichen Ton:

»Gott zum Gruß, Gentlemen, ich weiß freilich nicht, ob Sie englisch verstehen, thut aber auch nichts – werden schon wissen –«

»Sei der Gruß so treu gemeint, wie er klingt!« erwiederte, zu des Seemanns unbegrenztem Erstaunen, der Wilde nicht allein in ziemlich reinem Englisch, sondern auch noch sogar mit einem leichten Anflug irischen Dialekts, und ergriff dabei die dargebotene Rechte.

Es war eine hohe, stattliche Figur dieser Häuptling der neuseeländischen Krieger – sein braunes, von funkelnden, sprechenden Augen belebtes Antlitz durchzogen die regelmäßig, ja fast zierlichen Linien, die des Tättowirers Hand darauf zurückgelassen; sein Haupt schmückten rechts und links die mächtigen Flügel eines schwarzen Falken, und die rauhe Kriegsmatte hing ihm weit nach vorn über die linke Schulter und den Rücken hinab, daß nur der rechte, nackte Arm frei und unbehindert blieb. Einzelne weiße Albatroßfedern trug er in den Ohren, um den Nacken aber das Amulet seines Stammes, den grünen Teiki[16] mit seinen rothen, glänzenden Augen. Das Haar hing ihm, wie das auch theilweise auf den Inseln Sitte ist, lang und glatt über den Nacken herab, und seine Füße waren – ein nicht seltener Tauschartikel nordamerikanischer Wallfischfänger – mit buntgestickten Moccasins bedeckt, die vielleicht eine junge Squaw,[17] weit in den fernen Prairieen Amerikas gearbeitet, ohne daran zu denken, daß sie die Füße eines tausende von Meilen entfernten Kriegers schmücken sollten.

[16]: Die Neuseeländer lieben, wie fast alle wilde Nationen, den Putz, und schmücken besonders gern Kopf und Ohren, wie ihre Waffen, Häuser und Begräbnißplätze mit bunten, wehenden Federn; der kostbarste geachtetste Zierrath aber ist eine kleine, eigenthümliche Figur, Teiki genannt, die einen wunderlich gestalteten Mann mit großen rothen Augen vorstellt. Dieser Schmuck wird aus einem besondern grünen Stein geschnitten, und für einen Amulet, daher auch für ungemein werthvoll gehalten, und selten trennt sich ein Eingeborner von solchem Heiligthum, das als Erbstück gewöhnlich in den Familien bleibt.

[17]: Nordamerikanische Indianerin.

Seine Begleiter waren sämmtlich mit Feuergewehren bewaffnet, er selbst aber trug nur an seinem Handgelenk den Mirei, und zwar aus einem einzigen Stück eben des kostbaren, grünen Steines geschnitten, aus dem auch das, an seinem Nacken hängende Amulet bestand, während er in der Rechten den Häuptlingsstab[18] hielt, der mit seinem wunderlich geschnitzten Kopf, den rothen Papageifedern und Büscheln von Hundehaaren von weitem einer jener alten Hellebarden glich, aber keineswegs als Waffe bestimmt schien, sondern nur die Autorität des Führers bezeichnen sollte.

[18]: Dieser Stab, von den Neuseeländern I Henei genannt, ist ein eigenthümliches, fast scepterartiges Emblem der Häuptlinge. Er besteht aus hartem Holz, und trägt als Knopf ein grotesk geschnitztes Gesicht mit ausgestreckter Zunge – was den Trotz gegen die Feinde bedeuten soll – die Augen sind aus kleinen Stücken Perlmutter hergestellt, und rothe Papageienfedern und Büschel von Hundehaaren umwehen ihn. Dieser Stab wird sowohl im Krieg als am Berathungsfeuer geführt, und zwar jedesmal dem Häuptling übergeben, der gerade das Wort führt. Er behält ihn dann hoch in der Hand und läuft damit vor den ihm aufmerksam Zuhörenden, im Eifer seiner lebendig ausgestoßenen Worte, auf und ab.

Während er dem Europäer die rechte Hand reichte, ließ er diesen Stab gegen seine Schulter fallen, und nahm ihn erst wieder auf, als er einen Schritt zurücktrat, und seine Augen jetzt fest auf den angeblichen Indianer geheftet hielt, der jedoch, seinen Kopf ebenfalls erhoben, die Büchse, wie nachlässig, in der Biegung des linken Armes, doch zum augenblicklichen Dienst bereit, trug, und nur einmal leise das Haupt wandte, um zu sehen, ob sich die übrigen Indianer ebenfalls zu ihnen gesellt hätten. Diese waren kaum noch hundert Schritte zurück, und einige von ihnen zogen sich langsam nach dem Meeresufer hinab. Die Weißen wurden auf diese Art von den dunklen, drohenden Gestalten rings umzingelt, und durften an Flucht nicht mehr denken; es galt jetzt nur noch, das Spiel, was sie begonnen, fest und ernst zu Ende zu führen.

Da brach der neuseeländische Häuptling zuerst das Schweigen, er stützte sich auf den Henei, den er in der Hand hielt, und sagte, während er die Blicke fest auf den falschen Indianer heftete, in der Sprache der Maories:

»Deine Hand ist bewaffnet, aber Dein Antlitz verhüllt, – braucht das Haupt, das der Tabu beschützt, die feindliche Wehr? fürchtet mein Bruder, daß ein Maori die Keule gegen ihn zücken werde? oder kennt er die Gesetze des Landes nicht? – Ein Maori ist sicher!«

»Wohl kenn' ich die heiligen Gesetze« erwiederte der Verkleidete, und die Stimme drang unter der vorhängenden Matte dumpf hervor – »ich habe Nichts zu fürchten, und nur als Begleiter dieser Weißen trage ich die Waffe – kein Freundesblut klebt an meiner Hand, und daheim in meinem Pah stehen die Schädel meiner Feinde – ein Maori ist sicher!«

»Das lügst Du, falscher Maori!« schrie da plötzlich, sich zu seiner vollen Höhe erhebend, der wilde Krieger, und schwang den Stab, den er in der Rechten hielt – »Bleicher Verräther! wirf die heilige Hülle ab, die Dir nicht gebührt – zu Boden mit Dir, Mac Donald – Mörder Deines Weibes, zu Boden, denn die Stunde der Rache hat Dich ereilt!«

Wie von einem jähen Strahl getroffen, schrack der entlarvte Verbrecher, als die ersten zürnenden Laute sein Ohr erreichten, zusammen. – Verloren – das Blut schoß ihm in eisiger Kälte zum Herzen, – aber es war nur ein Augenblick, was hatte er auch jetzt noch zu wagen, wo Alles auf dem Spiele stand.

»Zu mir, Tomson!« schrie er, und mit Blitzesschnelle fuhr die Büchse empor – ein Moment, und der scharfe, blendende Strahl zuckte aus dem Lauf – harmlos aber zischte die Kugel über dem Kopf des Häuptlings hin in die Luft, denn dieser, die Absicht des Feindes schon vorherahnend, traf mit seinem langen, gewichtigen Stab das Rohr von unten, und schlug es gerade im entscheidenden Augenblick empor. Tomson riß jetzt zwar auch mit der Rechten seinen Cutlaß, mit der Linken die eine Pistole hervor, von allen Seiten warfen sich aber die Eingeborenen über ihn, und während die Nächsten gegen Mac Donald anstürmten, und ihn zu Boden schleuderten, faßten und umschlangen die Uebrigen den Seemann und seinen, schon vor Angst halbtodten Gefährten, banden ihnen die Hände auf den Rücken, und nahmen ihnen Alles ab, was niet- und nagellos an ihnen war.

Mac Donald kämpfte aber wie ein Rasender – den Tomahawk hatte er, als er seine Kugel vergeudet sah, aus der Scheide gerissen, und der Streich, den er damit gegen den, auf ihn eindringenden Häuptling führte, wäre jedenfalls für diesen verderblich geworden, hätte nicht in demselben Augenblick der Schlag eines Patu[19] seine Stirne getroffen, und ihn besinnungslos zu Boden geworfen.

[19]: Der Patu ist ebenfalls eine beliebte und fürchterliche Waffe der Insulaner. Er besteht aus leichtem Holz, ist etwa vier Fuß lang und hat oben eine beilartig geschärfte Kante. Der Kopf ist, wie bei dem Henei, mit Federn und Haarbüscheln geschmückt.

Noch im Stürzen griff er nach dem Fell, das er bis dahin, von dem Tapamantel verdeckt, bei sich getragen, des Häuptlings Faust lag aber an seiner Kehle, und als dieser die Matte von seinem Antlitz riß, und die wilde, ihn umdrängende Schaar den erkannte, den sie als ihren Todfeind geächtet und verfolgt, da stieg jauchzendes Triumphgeschrei in die Lüfte, und der Führer mußte seinen Stab über das Opfer legen, daß die gerechte Rache nicht dem entzogen würde, dem sie gebührte.

Tomson, der in Kampf und Ueberfall, ja sogar in der eigenen Noth und Lebensgefahr, in der er selbst sich befand, doch nicht das immer drohender werdende Firmament vergessen hatte, und ängstlich dabei seines armen Fahrzeugs gedachte, rang noch wüthend mit denen, die ihn hielten und bewachten. Der Häuptling aber, als er den eigenen Feind in sicherem Gewahrsam sah, schritt auf ihn zu, legte die Hand leicht auf seine Schulter und sagte, während ihm der Seemann mit finster drohendem Blick ins Auge schaute.

»Fürchtet nichts, Sir. – Nicht Ihr habt die Gesetze unseres Landes gebrochen und mit Füßen getreten, wie es Jener that. Er log, als er Euch sagte, daß er nur Einen der ihm feindlich gesinnten Häuptlinge im offenen Kampfe erschlagen. Er log, als er sich unter Heki's Schutz erklärte, denn ich bin Heki selbst, und keinen grimmigeren Feind hat er auf dieser Welt, als mich. Aus dem, durch das Gesetz des Tabu geheiligten Platz stahl er das Eigenthum seines, durch ihn schändlich gemordeten Weibes, und wie ein feiger Verräther entfloh er damals der gerechten Strafe. Er log auch, als er sich für den Eigenthümer, auch nur eines Fuß breit neuseeländischen Bodens erklärte – dem Gatten meiner Schwester gehörte es, nicht ihrem Mörder. Nur zu gut kannte er aber unsere Sitten, und vielleicht wäre es ihm gelungen, unter dem Schutz desselben Glaubens, den er zu gleicher Zeit brach und schändete, seinen Raub in Sicherheit zu bringen, hätte ihn nicht sein Etuë[20] selbst in die Hand der Rache gegeben. Nur ihm gilt jetzt unser Zorn. Ihr dagegen mögt in kurzer Zeit ungehindert zu Euerem Fahrzeug zurückkehren; doch hütet Euch, neuseeländischen Boden wieder zu betreten.«

[20]: Die bösen Geister der Neuseeländer.

Tomson, obgleich aufs Aeußerste erstaunt, wie der Neuseeländer Alles das wissen konnte, was sie doch an Bord seines eigenen kleinen Kasuar verhandelt, war dennoch gerade jetzt viel zu sehr mit diesem selbst beschäftigt, um irgend einem anderen Gegenstand einen mehr als flüchtigen Gedanken zu zollen.

»Ungehindert?« rief er trotzig, und schaute mit wildem und doch besorgtem Blick nach dem südlichen Horizont hinüber – »seht dort das aufsteigende Wetter an, und sagt dann noch einmal, daß es ungehindert geschehen wird. Seeschlangen und Eisbären! wenn der Sturm dort unser kleines Fahrzeug an jenen verdammten Riffen überrascht, möchte ich keinen Schilling für Alles, was an Bord lebt, geben.«

»Will Euch Euer Gott strafen, daß Ihr den Frieden dieses Landes gebrochen,« sagte der Wilde ruhig, »was kümmert das mich. Ich war es nicht, der Euch hierhergerufen.« Und ohne die Gefangenen weiter eines Blickes zu würdigen, wechselte er einige Worte mit seinen Leuten, und schritt diesen langsam voran in das Dickicht, wohin ihm die Schaar, die Gefangenen in der Mitte, folgte.


Die Sonne sank – im Westen deckten nur leise, purpurne Dunstschleier den Horizont, düster aber und schwarz von dem Wiederglanz der scheidenden Strahlen, thürmten sich im Süden immer dichtere, undurchdringlichere Wolkenmassen empor. Was der Tag und die sengende Gluth seines Gestirns bis dahin niedergehalten, quoll jetzt in nicht mehr dämmbarer Gewalt höher und höher. Aber nicht rasch stürmte es herbei, wie die jähen Gewitter des Golfstroms, mit ihren daherjagenden Böen und Wirbelstößen, langsam kämpfte es seine Bahn herauf, gegen den heißen Nord, langsam aber sicher gewann es sich jeden Fuß breit Bahn, und die Wasser der Bai, als ob sie den nahen und fürchterlichen Kampf der Elemente ahneten, schmiegten sich leicht zitternd an das Ufer an, und hoben nur manchmal, in kleinen, ängstlichen Spritzwellen die Häupter, um zu sehen, ob der gefürchtete Gegner noch nicht nahe, und sie aufrüttele aus ihrer stillen, friedlichen Ruhe.

Delphin und Schwertfisch zogen sich in ihre dunkle Tiefe hinab, und das Albatroß selbst suchte, die schweren, mächtigen Fittiche hebend, den Schutz des festen Landes, während nur noch »Mutter Careys Küchelchen,« die flüchtige Sturmschwalbe der Meere, in leichten Kreisen über die Wogen strich, und mit den nach ihr aufspritzenden Wassern zu spielen schien.

Rasch, wie der Tag entstanden, sank er in Nacht zurück, graue Dämmerung, durch all' die schwarzen, empordrängenden Nebelschichten nur noch unheimlicher und düsterer gemacht, hüllte bald den stillen Wald in ihren grauen Schleier, und Meer und Luft verschmolzen zu einer ununterscheidbaren Masse.

Nur der leuchtende Schaum einzelner Wellen stach weiß und geisterhaft gegen seinen dunklen Hintergrund ab, und durch das leise, kochende Gähren und Brausen, aus all' der Nacht und Finsterniß hervor, strahlte das helle, einzelne Licht des fernen Schooners, während drei, rasch nach einander abgefeuerte Schüsse die fernen Freunde vor der nahen drohenden Gefahr warnten.

Da glitt aus der sicheren, schmalen Mündung des Ta-po-kaï, zwischen den weit überhängenden, schaukelnden Zweigen vor, eines der langen, scharfgebauten, neuseeländischen Canoes, deren Führung die Eingeborenen mit so meisterhafter Hand zu leiten wissen. Acht Männer saßen an den Rudern, doch mit den Gesichtern nach vorn, und die Ruder frei in den Händen, während Heki, seinen Stab noch immer in der Rechten, mit der Linken dagegen das hohe, mit Albatroßfedern gezierte Steuer regierend, aufrecht im Stern des Canoes stand und den Lauf des flüchtigen Bootes lenkte. Im Boden desselben, und dicht vor dem Häuptling, lagen drei dunkle gebundene Gestalten, aber kein Wort kam über ihre Lippen, schweigend starrten sie zu dem, drohend über ihn ausgespannten Firmament empor, und ebenso lautlos tauchten die Eingeborenen ihre Ruder in die nur leise zischenden Wogen, über die sie mit Pfeilesschnelle dahinschossen.

Es war Ebbe und die Strömung trug sie ihrem Ziel gerade entgegen, doch hielt der Steuernde nicht gerade auf das Licht zu, sondern ließ dasselbe eher zur rechten liegen, als ob er durch den engen Kanal in die offene See hinausfahren wollte. Tomson mußte auch wohl einen solchen Verdacht gefaßt haben, denn er hob mehre Male ängstlich den Kopf und starrte nach seinem Fahrzeug hinüber; endlich konnte er es aber nicht länger aushalten, und versuchte sich mit einem leise gemurmelten Fluch emporzurichten. Da wandte sich der, dicht vor ihm kauernde Insulaner rasch nach ihm um, und das drohend gehobene, schwere Ruder verrieth nur zu deutlich, was ihm bevorstehe, wenn er sich jetzt einer Macht nicht geduldig füge, der er doch keinen Widerstand zu leisten vermochte. Van Broon lag, halbtodt vor Angst und Entsetzen, neben ihm – wer aber konnte die dritte, regungslose Gestalt im Boote sein? Hatten die Wilden ihrer Rache wirklich entsagt, oder – großer Gott, war es gar die Leiche Dumfry's, die sie – nein, der Körper lebte und bewegte sich, doch weiter vermochte der Seemann Nichts zu erkennen. Seine Aufmerksamkeit wurde auch jetzt zu sehr auf den Schooner selbst gelenkt, denn der Bug ihres Canoes neigte sich plötzlich diesem zu, und hielt gerade darauf hin.

Jetzt schienen aber auch die Geister des Sturmes zum ersten Mal die Fesseln zu brechen, die sie bis dahin in Schranken gehalten; ein greller Blitz erleuchtete mit fast mehr als Tageshelle das südliche Firmament, die hochaufkochenden Wasser, und während noch der Donner in weiter Ferne nachrollte, kam der brausende Orkan jubelnd und jauchzend über das Meer daher, griff wie im Spiel die zurückschreckenden Wogen auf, und trug ihren glänzenden, funkelnden Schaum hoch mit sich in die wirbelnde Luft hinein.

Das Canoe arbeitete sich indessen mit rasender Schnelle durch und über den gährenden Schaum hin, der die ganze See bedeckte. Schon konnten sie die dunklen Umrisse des Kasuar selbst erkennen, und in dem nämlichen Augenblick, als ein zweiter blendender Strahl sein weißes Licht über das Meer goß, glitt es dicht an die Bulwarks des, noch vor seinem Anker reitenden Schooners hinan. Im Nu war es am Bug desselben befestigt, und die wachthabenden Matrosen fuhren entsetzt empor, als plötzlich, wie der stürmischen Tiefe entstiegen, dunkle, geisterhafte Gestalten an ihren Bord sprangen. Wohl griffen sie, kaum etwas anderes, als einen nächtlichen Ueberfall der Wilden ahnend, und zum Tod erschreckt, zu Allem, was ihnen nur als Wehr und Waffe unter die Hände kam. Ehe sie aber selbst im Stande waren, das recht zu begreifen, was um sie her vorging, erschütterte plötzlich ein heftiger Stoß den zitternden Schooner bis in seinen Kiel hinab. Zu gleicher Zeit, ja fast in demselben Moment, gellte ein wildes, dämonisches Jubelgeschrei in ihre Ohren, und der dunkle Schatten des schlanken Canoes schnellte plötzlich wieder von ihrem Fahrzeug zurück, in die weiße, zischende Fluth. Trotzig bäumten sich die in zürnendem Unmuth anwachsenden Wogen darum her, und griffen mit den zerrinnenden Armen danach, doch unberührt von dem Allen, und still und regungslos, wie sie gekommen, stand die hohe, dunkle Gestalt am Steuer, die Ruderer arbeiteten, und das Canoe schoß, wie von Geisterhand getragen, durch den aufgerüttelten Grimm des tobenden Elements.

»Hülfe!« ächzte in diesem Augenblick Van Broon, der durch das Steigen des Schooners von dem Platz wo er lag, gegen die Bulwarks angeworfen wurde und jetzt nichts anderes glaubte, als er läge schon über Bord – »Hülfe – Hülfe!«

Die Matrosen trauten kaum ihren Sinnen, als sie die bekannte Stimme hörten, der Ruf ihres Capitäns riß sie aber bald aus ihrem ersten stummen Staunen.

»Alle an Deck!« schrie er. »Alle an Deck, und hier – Bill, Ned – Bob – Donnerwetter ist keiner der Hallunken da – bindet uns los hier – verdamm Euere Augen, hört Ihr nicht?«

Rasch sprangen die ihm nächsten hinzu, und wenn sie auch nicht begreifen konnten, was hier vorgegangen, ja kaum, wie ihr Capitän eigentlich an Bord gekommen sei, so ließ ihnen die Gefahr des Augenblicks doch keine Zeit zu Fragen und Erstaunen – hier galt es nur zu handeln, und schnell banden sie die Stricke los, mit denen die drei Gefangenen umwunden waren. Da erhellte wiederum ein zuckender Strahl das Meer – Tomson's, wie fast aller Uebrigen Blicke fielen neugierig auf die dritte Gestalt, die noch immer laut- und regungslos zwischen ihnen stand, und das Erstaunen läßt sich denken, mit dem sie fast zu gleicher Zeit ausriefen – »Ned – der Sträfling!«

Obgleich nun Tomson allerdings nicht begriff, wie der Sträfling sowohl ans Ufer, als auch in ihr Boot gekommen sein könne, so wurde ihm doch jetzt auch plötzlich klar, daß es eben dieser Bube sein müsse, der sie verrathen und ihren Feinden überliefert hätte. Die Sorge um sein Fahrzeug ließ ihm aber für den Augenblick keine Zeit zu solchen Betrachtungen.

»Segel los« – schrie er – »Pest und Teufel, wir treiben – die heillosen Schufte haben unser Ankertau durchgehauen – steht bei dem Gaffelsegel, ihr Leute – die Brefock auf – steht bei, sag' ich – Schufte die Ihr seid« – und rasch, unter wild gegebenen Befehlen und Flüchen sprang der würdige Seemann selbst ans Steuerruder, während die Matrosen, in der eigenen Gefahr Alles übrige um sich her vergessend, nur den Schooner vor dem ihm drohenden Verderben zu bewahren suchten.

So rasch die Fluth nämlich, als sie an diesem Morgen in die Bucht eingelaufen, das enge Felsenthor landeinwärts durchströmte, so reißend schoß auch jetzt, noch von dem wirbelnden Wind getrieben, die Ebbe hinaus, und das kleine, schaukelnde Fahrzeug, das in der letzten Minute den Felsen näher und näher getrieben war, fühlte kaum den Druck des Segels, unter den es das schnell gerichtete Steuer brachte, als es sich auch im wilden Ansprung auf die nächste Woge schwang, und jetzt, von Strömung und Wind begünstigt, rasend schnell durch die Fluth dem gähnenden Thor entgegen brauste. Kaum noch hundert Schritt war es von diesem entfernt – deutlich konnten sie das wilde Anstürmen der Wogen erkennen, die sich wie feurige Strahlenkämme an seinen starren Häuptern brachen – jetzt schien es, als ob der zitternde Schooner, mit vollem, gewaltigen Anlauf, toll und wild gerade hinanstürmen wolle auf den Felsenkamm, der ihn zerschmettert der Tiefe zusenden mußte. Die Mannschaft stand unthätig am Bug – die nächste Secunde sollte ihr Schicksal entscheiden, und nur noch wenige Klaftern Seeraum trennte sie von ihrem Tod. Dicht vor ihnen ragte der Fels empor, und das Schiff – ha, es neigte sich ab – großer Gott, jener scharrende Laut, der das Herzblut der Männer stocken machte – es war die Seitenwand des Kasuar im vorbeischnellenden Druck an der Steinsäule des linken Thores. – Und der Schooner? – frei und frank schoß er von der nachdrängenden Fluth gehoben, in die offene See hinaus, dicht hinein in das enggereefte Segel legte sich der nachdrängende Sturm, und wie dem Element angehörig, tanzte das wackere, kleine Seeboot gerettet auf dem wogenden, zürnenden Meer.

Noch hatten sich die Matrosen nicht von der fürchterlichen Angst des Augenblicks erholt – noch standen die Leute still und regungslos an ihren Plätzen, und wagten es kaum zu glauben, daß die Gefahr jetzt wirklich vorüber sei, denn die offene See fürchtete keiner, da rief sie aufs Neue Tomson's Stimme zu den eben vorübergegangenen, aber in der Gefahr des Augenblicks schon fast vergessenen Scenen zurück.

»Bindet den Schuft – den Ned, und werft ihn in den Raum hinunter – Du Bob, nimm hier das Steuer, bis ich einen Anderen der Leute herschicke. Hallo – wo ist Van Broon – wo ist der Holländer, hat ihn die Angst getödtet?«

Das war jedoch keineswegs der Fall; der würdige Mann hatte in der That von dem Umfang der Gefahr, die sie eben noch bedroht, keine Ahnung gehabt, sondern nur ruhig seinen Platz hinter einem der Wasserfässer behauptet, wo er wenigstens nicht durch das Schaukeln des Fahrzeugs umhergeworfen werden konnte. Seine ganze Aufmerksamkeit schien aber bis dahin ein ziemliches, ansehnliches Packet ausschließlich beschäftigt zu haben, das ihm die Insulaner, als sie ihre Gefangenen an Bord des Kasuar gebracht, in den Arm gedrückt, und dessen Inhalt er der vielen darum gewundenen Bänder wegen, noch nicht erforschen gekonnt, obgleich es ihm bei dem Leuchten der Blitze allerdings so vorkam, als ob das darumgeschlagene Fell dasselbe sei, was Dumfry auf der Insel geraubt und wegen dem sie, wie er jetzt wohl glauben mußte, die ganze unglückselige Fahrt unternommen. Sobald er übrigens Tomson's Ruf hörte, arbeitete er sich nach besten Kräften zu ihm hin, und dieser, nachdem er ihm mit kurzen Worten die Existenz des Packets, wie die Schwierigkeit es zu öffnen, angezeigt, zog rasch sein Messer und durchschnitt die Schnüre.

»Capitän,« sagte da Einer der Matrosen, der in gleicher Zeit zu ihnen trat, »Ned trägt, in ein Stück indianische Matte eingeschlagen, eine ganze Parthie Geldstücke um den Hals gebunden, will aber nicht gestehen, woher er sie hat – wollt Ihr so gut sein und sie in Verwahr nehmen?«

»Geld!« frug Tomson erstaunt, »wo mag der Schuft das aufgetrieben haben? – und dieß Packet?«

Er hatte die Bänder gelöst, schlug das Fell auseinander, und wollte eben mit der Hand nach dem Inhalte fühlen, da zuckte wieder ein heller Blitz von den grollenden Wolken nieder, und einen Schrei des Entsetzens stießen die Männer aus, denn von der dunklen Hülle umgeben, dem schwefelgelben Strahl schauerlich und graß beleuchtet, starrten ihnen die bleichen, verzerrten Todtenzüge Dumfry's entgegen.

Wild tobte der Sturm – die Wogen schäumten und brausten, und das kleine Fahrzeug kämpfte die ganze Nacht gegen den heulenden Grimm der Elemente an. Endlich dämmerte der Morgen, das milde Tageslicht beschwichtigte den Orkan, und die weißen Segel des Kasuar blähten sich der Heimat entgegen; am Starbordgangweg aber standen die Matrosen, und mit dem leise gemurmelten Gebet der ernsten Schaar sank, während eben am östlichen Horizont die aufsteigende Sonne ihr heiteres Leben über die See blitzte, das blutige Todtenhaupt des Gerichteten in die dunkle Tiefe hinab.

Berlin und das Schauspielhaus im Belagerungszustand.
Eine Skizze.

Im Jahre 1848, am 12. November Abends war Berlin in Belagerungszustand erklärt und am 13. Mittags glitt ich im zitternden Coupé, von der keuchenden Locomotive blitzschnell über das flache, reizlose Land gerissen, der bedrohten Residenz entgegen.

»Werden wir noch hinein kommen? – wird man uns Fremden den Aufenthalt dort gestatten?« solche Fragen kreuzten sich besonders auf den letzten Stationen, wo militärische Helme zu immer unausweichbareren Gegenständen wurden, häufig herüber und hinüber, und endlich ergab sich die peinliche Gewißheit des Nichthineinlassens, als in Jüterbock ein Lieutenant mit sechzig Mann zu uns stieß und uns, freilich auf die freundlichste und artigste Weise, die Nachricht gab, er habe bestimmte Ordre, den ganzen Zug nicht weiter als Trebbin zu lassen.

Guter Gott! Trebbin! – vier Meilen von Berlin, auf wohlriechender Haide, Abends acht Uhr, in stockfinsterer kalter Nacht! Und dazu die Erklärung Mehrerer, die dort bekannt waren, daß im ganzen Neste wahrscheinlich nicht einmal Leiterwagen genug aufzutreiben sein würden, um uns weiter zu transportiren! Reizende Lage, in der es noch als ein Glück erschien, die ganze Nacht auf einem Leiterwagen und schlechten Wegen durch das Land gerädert zu werden!

»Schafft man die königlichen Beamten auch nicht weiter?« fragte ein beleibter, bleichwangiger Gesell in einem feinen grauen Tuchmantel und einer Art Dienstmütze, in einem Ton, der gar nicht verkennen ließ, wie er bei beruhigender Antwort mit der Maßregel vollkommen einverstanden gewesen wäre. – »Thut mir leid; meine Ordre besagt, den ganzen Zug ohne Ausnahme anzuhalten,« lautete die Antwort des Offiziers. – Das war doch ein Trost; die preußischen Beamten blieben wenigstens nicht im Coupé sitzen, und »Arm in Arm mit ihnen« konnten wir das Geschick in die Schranken fordern.

In Jüterbock hielt der Zug wegen der Aufnahme des Militärs länger an als gewöhnlich, und der Beamte unterhielt sich indessen aus dem Coupé heraus mit einigen davorstehenden Soldaten, die eben ihrem Lieutenant drei donnernde Hurrahs gebracht hatten. – »Morgen kommen wir auch nach Berlin!« riefen diese und die Wirkung starker Getränke war bei ihnen nicht zu verkennen. »Hussah, morgen kommen wir!« – »Das ist recht, Kinder,« sagte der freundliche Beamte und nickte ihnen lächelnd zu; »haltet nur nicht zu hoch!« – »Bewahre, altes Haus!« sagte einer der jungen Bursche, »eben die rechte Höhe und mitten hinein!« – »Bravo, meine Jungen!« nickte der Beamte und der plötzliche Ruck, den der Wagen that, setzte ihn einem hagern, hohläugigen Mann, der in einfach grober, aber sauberer Tuchkleidung dicht hinter ihm saß, auf den Schooß.

Der Hagere entschuldigte sich auf das ängstlichste, daß er dem Manne, von dem ihm wahrscheinlich sein Instinkt sagte, es sei Einer, der mit der Regierung in Verbindung stehe, im Wege gesessen habe, rückte, so weit es anging, von ihm zurück und benahm sich überhaupt so eigenthümlich, daß ich nicht umhin konnte ihn etwas genauer zu betrachten.

Er mochte etwa in den vierzigen sein, vielleicht war er auch jünger, denn die fahlen Züge sprachen von ertragenem Leid. Scheu und doch auch wieder neugierig blickten die hellgrauen Augen um sich, schienen auf nichts zu haften und begegneten nie einem andern Blick. Ich würde den Mann für einen Verbrecher gehalten haben, hätte mich nicht die unverkennbare Behaglichkeit, mit der er sich manchmal, besonders wenn er einen Augenblick vor sich niedergesehen hatte, die Hände rieb und leise vor sich hinschmunzelte, irre gemacht.

Das Licht wurde plötzlich draußen weggenommen, Dunkelheit umgab uns wieder, und weiter ging's in sausender Schnelle von Jüterbock fort; hinter uns drein tönte das Hurrah der Soldaten, und unter uns, um uns, vor und hinter uns klapperten, keuchten, knarrten und rasselten Räder, Schienen und Achsen. – Nicht lange, so war die nächste Station erreicht; hier sollten wir den Güterzug von Berlin erwarten; kurzer Aufenthalt wurde uns angekündigt und die meisten stiegen aus, um eine Tasse heißen Kaffee zu trinken; das Wetter rechtfertigte wenigstens ein solches Verlangen. In der Restauration sah ich zufällig meinen hagern Nachbar neben mir; er stand nicht weit vom Büffet und schaute nach der großmächtigen Kanne und den Tassen hinüber. – »Haben wir von hier aus noch weit nach Trebbin?« fragte ich ihn, mehr eigentlich, um ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, als aus wirklichem Interesse für die Antwort. –

»Das weiß ich nicht,« sagte der Hagere schnell, schüttelte dabei das lächelnde Gesicht mit dem halbgeöffneten Mund und sah mich zum erstenmal mit den hellglänzenden Augen fest an. »Ich weiß gar nichts,« fuhr er gleich darauf fort, noch ehe ich mich von ihm abwenden konnte, »nicht das mindeste. – Sie wissen doch wohl, wo ich herkomme?«

Ich blickte erstaunt zu ihm hinüber. »Ich weiß gar nichts! – Sie wissen doch wohl wo ich herkomme?« – was sollte das heißen? –

»Sind Sie hier fremd?« frug ich ihn. –

»Fremd? ja, ich komme von Torgau,« lächelte der Mann und rieb sich immer eifriger und mit immer mehr aufgeheiterten Zügen die Hände. »Ich bin mit unter den Amnestirten; ich weiß gar nichts von der Welt – ich sitze seit 1831 auf der Festung.«

Allmächtiger Gott! mir zog es eiskalt durch Mark und Bein. Der Mann war siebzehn Jahre hinter Festungsmauern begraben gewesen, und jetzt, in diesem Augenblick, in diesen Zuständen, sprang er auf einmal, wie neugeboren, aber mit vollem staunenden Bewußtsein, mitten in's Leben hinein. – »Ja,« lächelte der Unglückliche und rieb sich noch immer stillvergnügt die Hände, »da können Sie sich wohl denken, daß ich gar nichts weiß. – Ach bitte, nicht wahr, das ist Kaffee dort, was der Mann ausschenkt?« – »Ja,« erwiderte ich und konnte den Blick nicht abwenden von der Leidensgestalt. – »Der wird wohl verkauft?« – In dem Moment wurde draußen hastig die Glocke gezogen; wir mußten schnell in unser Coupé zurück, denn der Güterzug kam eben mit rothglühendem Rachen und leuchtendem Athem auf dem schmalen, dunkeln Damm herangeschnaubt.

Dicht neben uns hielt der Zug und alle Fenster waren rasch besetzt, um Neuigkeiten von Berlin zu erfragen. »Wie steht's dort? kommen wir noch hinein? – ist schon geschossen worden?« – »Ganz gut – Alles ruhig – keine Gefahr!« tönte es hin und wieder. Ein junger Mann, der mit dem Güterzug gekommen war, sah die Soldaten in unserem Train. – »Euch wollen sie nach Berlin haben, daß ihr das Volk sollt unterdrücken helfen!« rief er ihnen zu, »und ihr seid doch unsere Brüder!«

Der Beamte mit dem bleichen Gesicht und der Dienstmütze, der die Worte gehört hatte, bog sich rasch zum andern Fenster nach der Restauration zu hinaus und flüsterte draußen Stehenden etwas zu. »Was? der Kerl will die Soldaten aufreizen?« riefen dort ein paar Männer und schauten zwischen den Wagen unseres zur Abfahrt bereiten Zuges nach den Wagen des Güterzugs hinüber. »Wart, Canaille, wenn hier der Zug fort ist, mit dir wollen wir sprechen!« – »Holt ihn ein Bischen heraus,« sagte der Beamte freundlich; »den müßt ihr euch einmal besehen.« – »Na wart nur!« riefen die Gereizten, »also die Weißmütze? – ich sehe sie schon in der Ecke!«

Ich bog mich rasch aus dem Wagen nach dem Güterzug hin und rief dem jungen, wirklich bedrohten Fremden zu, in ein anderes Coupé überzusteigen; dann aber und während jetzt unsere eigene Locomotive mit gellendem Jubelschrei aufbrach, wandte ich mich an den freundlichen Beamten und sagte ihm frei, was ich von ihm dachte. Er war geschmeidig wie ein Ohrwurm; er hatte es ja gar nicht so bös gemeint, »die Leute thäten nichts der Art, das wären Menschen wie die Kinder etc.« – Pfui über den Schuft, das sind die wahren Wühler, die heimlich, wie giftiges Geschmeiß, im Lande herumkrochen und in der Stille hetzten und geiferten dem offenen Wort gegenüber, und dabei süß, unschuldig drein schauten und fromm und liberal thaten.

Eine halbe Stunde später kamen wir nach Trebbin, und glücklicher Weise fand unsere Eskorte daselbst Contreordre. Der Lieutenant, den es selbst zu freuen schien, daß er uns den unangenehmen Aufenthalt ersparen konnte, verkündete uns, der Zug dürfe ungesäumt weiter gehen. Um neun Uhr liefen wir in den Berliner Bahnhof ein, und Massen dort aufgestellten Militärs verkündeten uns, wären wir nicht schon unterrichtet gewesen, den Belagerungszustand der Stadt. Es wurden uns weiter keine Schwierigkeiten in den Weg gelegt, nur Bewaffnete, deren wir jedoch keine bei uns hatten, sollten nicht eingelassen werden.

Ich durchwanderte die Friedrichsstadt noch am selben Abend nach allen Richtungen. Todtenstille in den Straßen; nur hie und da an den Ecken kleine Trupps vor einem von der Laterne beleuchteten Plakat. Dieses handelte von Zusammenrottungen auf den Straßen; am Tage durften nicht mehr als zwanzig, Abends nicht mehr als zehn Menschen beisammen stehen; gingen sie nicht auseinander auf die Aufforderung der Patrouille, so hatte das Militär von seinen Waffen Gebrauch zu machen. – Unter den Linden, besonders an den Ecken der Friedrichsstraße, standen Menschengruppen; Jungen verkauften ein Plakat des Referendars Wache, mit der Anempfehlung: »ohne Erlaubniß Wrangels.« Unter der einen Laterne erzählte Jemand irgend einen Vorfall; Neugierige traten hinzu und es bildete sich bald ein Haufen von wohl fünfzig bis sechszig Personen. Da tönte der schwere gleichmäßige Schritt einer Patrouille die Allee herab. –

»Meine Herrn, treten Sie in kleinere Trupps,« bat der Sprecher; »immer zehn und zehn, wenn ich bitten darf.« – Die Menge zertheilte sich schnell und ohne weitern Zuredens zu bedürfen. – »Hier können wir noch zwei brauchen,« sagte Einer; »so, jetzt haben wir gerade das Deputat!« ein Anderer. Hie und da lachte Einer, als die Soldaten ernst und schweigend vorbei schritten, die verschiedenen kleinen Trupps aber nicht weiter belästigten. »Ruhe! – nicht lachen!« riefen Andere und die Patrouille bog in die Friedrichsstraße ein.

Dieselbe Ruhe herrschte in andern Straßen, dieselbe Ordnung; wer nicht manchmal einer Patrouille begegnete; hätte nicht daran gedacht, daß er sich in einer belagerten Stadt befinde. – Am nämlichen Abend war eine Deputation von Stettin aus unterwegs, welche folgende Demonstration beabsichtigte. Die achthundert Mann trugen alle breite weiße Papierstreifen an den Hüten, auf denen mit großen Buchstaben gedruckt stand: Ehre der Nationalversammlung! Stettin. – So hatten sie am nächsten Morgen in feierlicher Procession die Stadt durchziehen wollen, aber der ganze Bahnzug war (wie man das auch bei uns, wo man wohl eine ähnliche Deputation vermuthet, anfangs beabsichtigt hatte) auf der letzten Station vor Berlin aufgehalten worden, und nur einzelne Mitglieder, ich glaube acht oder zehn, ließen sich auf einem Leiterwagen nach Berlin schaffen. Einige derselben sollen, wie man sagte, gerade wegen jener, als Plakate angesehenen Zettel verhaftet worden sein.

Am nächsten Morgen brachte ein frisches Plakat des Kommandirenden etwas regeres Leben in die Masse; die Patrouillen seien verspottet worden, hieß es, und haben jetzt strengen Befehl erhalten, bei der geringsten Widersetzlichkeit vollen Gebrauch von ihren Schießwaffen zu machen. Die Jungen rissen hie und da solche Zettel herunter und klebten dafür die von Wache an, worin Wrangel und seine Proklamation verhöhnt waren, und die ihrerseits wieder von den Soldaten entfernt wurden. So sah ich am Schloß einen Jungen am eisernen Gitter eines der untern Fenster hoch emporklettern und soweit darüber, als er reichen konnte – gewiß 18-20 Fuß vom Boden – eine Wache'sche Proklamation ankleben. Gleich darauf kam eine Patrouille, und einer der Soldaten mußte jetzt ebenfalls dort hinauf und mit dem Bajonett das mißliebige Papier unter dem Jubel der umstehenden Jugend herunterstoßen.

Wunderlich sahen die königlichen Gebäude aus. Das Schauspielhaus, das Museum, die Münze, des verstorbenen Königs Palais, das Schloß, die Bauakademie, das Zeughaus, alle Gebäude der Art wimmelten von Militär, Helm an Helm sah aus den Fenstern heraus und doppelte Schildwachen, alle marschfertig gerüstet, standen davor Wache.

Und was sagte das nämliche Volk, das sich am 18. März mit so kecker Todesverachtung, fast ganz unbewaffnet, auf den Barrikaden eben dieser Straßen geschlagen hatte – was sagte das Volk zu dem Herrscherton, wie ihn Wrangel annahm? – Eigenthümlich war die Stimmung der Stadt: überall Entrüstung über Wrangel, überall verhaltener Grimm, und doch fast ängstliche Besorgniß vor einem Zusammenstoß mit den Truppen.

An irgend einer Ecke, der Leipziger Straße glaub' ich, hatte das Militär mit einbrechender Dämmerung ein Haus besetzt, das von oben bis unten, wie man draußen sagte, nach einer Vitriolspritze durchsucht wurde; man fand jedoch nichts und die Patrouille zog wieder ab. Vor dem Gebäude hatte sich indeß eine ziemliche Schaar Neugieriger versammelt, doch nahmen die Soldaten keine Notiz davon und marschirten die Straße hinab. Gleich darauf kam eine Uhlanenpatrouille und der Offizier forderte die Menge auf, sich zu zerstreuen. Dieß geschah auch, und nur vor dem durchsuchten Haus blieben noch etwa zwanzig oder dreißig Personen zurück. Die Uhlanen ritten langsam daran vorbei, als Einer aus der Menge höhnisch hinter ihnen her lachte und ein Schimpfwort rief. Das wäre ihm aber beinahe übel bekommen; die Uhlanen achteten es allerdings nicht, aber die Umstehenden fielen unter dem Ruf: »verdammter Reaktionär!« über den Lacher her, und er konnte einer tüchtigen Tracht Schläge nur durch die heilige Versicherung entgehen, daß er keinen der Soldaten, sondern »einen Freund von sich« gemeint habe.

An diesem Tage war auch auf's Neue ein Plakat, die Einlieferung der Waffen betreffend, angeschlagen und die Stimmung, die sich darüber aussprach, schien eine allgemeine: man wollte die Waffen unter keiner Bedingung ausliefern. Der angesetzte Termin bis Abends fünf Uhr verlief deßhalb auch, ohne daß dem Befehl, mit einigen Ausnahmen allerdings, Folge geleistet worden wäre; ja man sprach sogar von einer großartigen Demonstration. Ein Theil der Bürgerwehr, wie mir gesagt wurde, 15,000 Mann, wollte vor dem Zeughaus aufmarschiren und dort dem Feldmarschall erklären, sie liefern die Waffen nicht ab, und wenn er Bürgerblut vergießen wolle, so möge er auf sie schießen. Das unterblieb aber, aus welchem Grunde weiß ich nicht, und man beschränkte sich einfach darauf, dem Befehl nicht nachzukommen.

Am nächsten Morgen, am vierzehnten, fing man an in der Behrenstraße und der benachbarten Gegend die Waffen einzusammeln. Eine Patrouille ging mit einem Rüstwagen herum, die Enden der Gasse wurden mit Militär besetzt, aber nicht abgesperrt, denn es konnte Jeder frei hin und wieder gehen, und ein Trommelwirbel verkündete den Bewohnern des Hauses, vor dem der Wagen hielt, daß sie die in ihrer Wohnung befindlichen Gewehre in die Hausflur herabbringen sollten; wo das nicht geschah, hatten die Soldaten Auftrag in die Zimmer zu gehen und nachzusehen, ob sich Waffen darin befanden.

Wie ein Lauffeuer schoß die Nachricht, daß man die Waffen abhole, in die entferntesten Theile der Stadt, und die Aufregung unter den Arbeitern, vorzüglich den Maschinenbauern, wurde bedenklich. In der Königsstadt, in Moabit und den äußern Stadttheilen schien man fest entschlossen die Waffen nicht gutwillig herzugeben, und daß gerade dort, wo man begonnen, das Einsammeln ziemlich günstigen Erfolg gehabt, konnte Jene nicht anders stimmen. – »Das ist das Geheimerathsviertel,« sagten die Arbeiter; »ob das die Waffen behalten hätte oder nicht, beim Kampf wär' das gleichviel gewesen.«

Straße um Straße durchzog das Militär; Wagen nach Wagen voll Gewehren wurden in das Zeughaus, stets unter starker Bedeckung abgeliefert, und in der ganzen Friedrichsstadt schien sich kein einziger Bürger dem Befehl ernstlich widersetzen zu wollen. Der »passive Widerstand,« den die Nationalversammlung behauptete, dehnte sich auch auf diese Maßregel der Militärgewalt aus. – »Abliefern thun wir die Gewehre nicht,« meinten die Bürger; »wenn sie unsere Flinten haben wollen, mögen sie sie holen.« – Sollten die Arbeiter allein vor die Bresche stehen? sollten sie, die im März die Barrikaden errichtet und vertheidigt, noch einmal zu diesem letzten Mittel greifen? – »Und für wen? – für die Bürger?« – »Hol' sie der Teufel!« sagten am 16. die Maschinenbauer in Moabit; »wenn die nicht selbst den Muth haben für ihre Freiheiten einzutreten, so sehen wir nicht ein, weßhalb wir wieder die Katzen sein sollen, mit deren Pfoten sie die Kartoffeln aus dem Feuer holen. Bis jetzt sind sie mit ihren blanken Pulverhörnern und bunten Quasten in einem fort durch die Straßen gerannt; nun auf einmal läßt sich keiner mehr sehen; wir wollen uns auch nicht todtschießen lassen.« Und das Resultat war, daß der »passive Widerstand« auch unter den Arbeitern seine Proselyten machte.

Am 15. Abends war die Nationalversammlung, die seit mehreren Tagen an verschiedenen Orten heimlich Sitzung gehalten hatte, unter den Linden im Hotel Milentz beisammen. Doch auch dieser Platz war verrathen worden, und als ich, etwas nach neun Uhr Abends, dort vorüber kam, stand ein starkes Piket Militär vor der Thür und hatte das Haus gesperrt. Mehrere hundert Menschen sammelten sich, aber Alles blieb ruhig; es wurde ihnen keine Aufforderung auseinanderzugehen, und sie selber schienen auch nur durch Neugierde an den Platz gefesselt. Da näherte sich eine Patrouille, und als der Offizier die Menschenmasse erblickte, rief er: »Tambour vor!« um zum Auseinandergehen aufzufordern. Aber der Führer der vor dem Hotel aufgestellten Truppen ging auf ihn zu, sprach ein paar Worte mit ihm und gleich darauf folgte das »kehrt, marsch!« der eben Gekommenen. Die Patrouille zog wieder ab und die Menschenmassen blieben unbelästigt stehen.

Noch hatte sich aber die Patrouille keine hundert Schritt entfernt, als aus dem Hotel heraus die Abgeordneten kamen; die Soldaten ließen sie ungehindert durch und von allen Seiten drängte man hinzu, das Resultat der Sitzung zu hören. Der Beschluß, die Steuern zu verweigern, war gefaßt worden und blitzschnell lief das Gerücht durch die Menge; auch die Einzelnheiten der Sitzung wurden rasch von den Mitgliedern der Versammlung selbst Fremden auf offener Straße mitgetheilt. Die Männer waren augenscheinlich in der gereiztesten Stimmung.

Die augenblickliche Wirkung dieses wichtigen Beschlusses schien mir keine so gewaltige, als man hätte vermuthen sollen; man schien die Sache vorhergesehen zu haben, und wenn auch hie und da aus einer kleinen Gruppe ein jubelndes Hurrah empor stieg, standen andere wieder schweigend und fast theilnahmlos daneben. Einige Männer, an denen ich vorüberging, fragten mich, was es da gebe; ich sagte ihnen, was ich eben aus dem Munde eines der Abgeordneten gehört: die Nationalversammlung habe in diesem Augenblick beschlossen, die Steuern zu verweigern. – »So?« erwiderte Einer, »hm – nun – wir zahlen sie doch!«

Auch am andern Tage ließ sich deßhalb keine größere Aufregung in der Stadt bemerken, und man erzählte sich den Beschluß in einem Tone, als ob es sich um eine ganz gleichgültige Sache handelte. Mir kam das anfangs räthselhaft vor, und doch stand es wieder mit dem ganzen eigenthümlichen Wesen dieses »passiven Widerstands« in genauer Verbindung. Die Berliner wußten, daß dieses das letzte Mittel der Versammlung sein sollte; sie hatten somit Alles gethan, was von ihnen verlangt worden war: sie hatten sich ruhig verhalten, und den Provinzen blieb es jetzt überlassen, durch ein Einhalten der Steuern ihr Vertrauensvotum für die Nationalversammlung zu geben, oder im entgegengesetzten Fall durch ein Zahlen derselben an den Tag zu legen, daß sie mit den Beschlüssen derselben nicht einverstanden seien.

Die Stadt war äußerlich ruhig, wie in ihrer ruhigsten Zeit; sobald sich das Wetter nur irgend freundlich zeigte, sah man Spaziergänger unter den Linden; selbst das Theater war, wenn auch schwach, doch besucht. Gespielt wurde im Opernhaus, das Schauspielhaus stand starr und kriegerisch da, »belagert in einer belagerten Stadt,« wie ein Soldat selber äußerte. Das Säulenportal über der großen Treppe war mit Schildwachen besetzt, eben so die Eingänge an allen Seiten; aus allen Fenstern schauten behelmte Gesichter, überall blinkten Bajonette und Helmspitzen. –

Tausend Mann lagen in diesem einzigen Gebäude, das sogar seinen eigenen Kommandanten hatte, und es war dieß dasselbe Regiment (Alexander), das in den Märztagen schon einmal seine Kraft mit den Bürgern gemessen und gewiß seine Tapferkeit bewährt, dennoch aber jetzt, wenn es wirklich wieder zum Kampfe kam, eine Scharte auszuwetzen hatte. Streitgerüstet lagen die Grenadiere in die Mauern des Schauspielhauses gebannt, des Rufs gewärtig zu Bürgerkrieg und Straßenkampf; bloß zu Patrouillen zogen dann und wann einzelne Trupps aus, und Urlaub bekamen nur zehn zugleich, und immer nur auf ganz kurze Zeit.

Schon am zweiten Tag hatte ich einen Versuch gemacht, in das Innere des Gebäudes, das mit solcher Bevölkerung abenteuerlich genug aussehen mußte, einzudringen, war jedoch kurz und entschieden von einem halben Dutzend Schildwachen abgewiesen worden. Ich erfuhr auch von einigen Mitgliedern des Theaterpersonals, daß Niemand, sie selber nicht ausgenommen, hinein dürfe, da das Militär für den Augenblick im alleinigen und unumschränkten Besitz des Musentempels sei. Und oben auf dem Giebel desselben stand scheu und unwirsch, mit schnaubenden Nüstern und vorgestrecktem Huf, Pegasus, das edle Musenroß, als ob es sich eben nach einem nur einigermaßen anständigen Hügel in der trostlosen Ebene umschaute, zu dem es aus dem entweihten Heiligthume entfliehen könnte.

Wie bekannt hatte die Nationalversammlung früher im Concertsaal des Schauspielhauses ihre Sitzungen gehalten; auch dort sollten jetzt Truppen liegen, und meine Neugierde wurde sehr gespannt, als ich hörte, die Soldaten spielten in demselben Raum, wo ihr Vertreter getagt, Abends Nationalversammlung. Wie aber hineinkommen? Schon verzweifelte ich an der Möglichkeit, als mir der Zufall günstiger war, als ich es je hätte erwarten können. Ich bekam Gelegenheit, sogar Abends einer sogenannten »Sitzung« beizuwohnen; das wie mag mir der Leser erlauben zu verschweigen.

Durch zehnfache Schildwachen, über einen Theil der Bühne hin, auf die ich aber kaum einen flüchtigen Blick werfen konnte, da der enge Gang meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, erreichte ich den Concertsaal und überschaute hier gleich ein so eigenthümliches als wunderliches Bild. Der prachtvoll eingerichtete Saal war in ein rohes, wüstes Soldatenlager verwandelt. Auf den rothgepolsterten Sesseln und Bänken lagen und saßen in allen nur möglichen Stellungen die Soldaten, manche lang ausgestreckt auf den Polstern, mit der Pfeife im Mund und die schmutzigen Stiefeln auf den geschnitzten Lehnen; hie und da eine kleine Gesellschaft um einen Tisch gedrängt, im eifrigen Kartenspiel; dort ein paar eingeschlafen in der Ecke, die Mützen in's Gesicht gezogen, das Kinn auf die Brust gedrückt, die Hände über dem Magen gefaltet, die meisten aber aufmerksam der »Abendunterhaltung« lauschend, die eben ihren Anfang genommen zu haben schien. – Ich war etwas verwundert, auch einen Offizier unter den Zuhörern zu erkennen.

Die Abendunterhaltung bestand aber in Folgendem. Auf dem, ich glaube der königlichen Loge gegenüber befindlichen Präsidentensitz hatte sich ein Musikchor eingenistet, das mit, wahrscheinlich im Orchester vorgefundenen Baßgeigen und Violinen und mit eigenen Flöten, Pfeifen und Trommeln Walzer und Märsche spielte; nur Blechinstrumente schienen, wohl des allzulauten Tones wegen, ausgeschlossen. Die einzelnen Musikstücke wurden jedesmal von den Zuhörern mit Bravoruf und Beifallklatschen belohnt, und beim Sturm- und Attaquemarsch, dem ein kurzer, nervenerregender Trommelwirbel folgte, fiel die ganze Schaar jedesmal in das übliche, aber gleichfalls etwas gedämpfte Hurrah ein. – Dann kam wieder irgend ein trauriger Walzer, dem die faule Baßgeige nur mit Widerstreben zu folgen schien, und der Violine fehlte es an Colophonium, das sich im Orchester wohl nicht mit vorgefunden hatte. Die Finger des Spielers mochten sich auch nicht eben gelenk oder taktfest der ungewohnten Beschäftigung fügen; denn man kann gewiß ein ausgezeichneter Trommelschläger und doch nur ein mittelmäßiger Violinist sein. Kurz, es waren außer den gewöhnlichen Märschen klägliche Weisen, die den gepeinigten Instrumenten abgemartert wurden. Und rings umher an den Wänden des durch wenige Oellampen nothdürftig erleuchteten Saals schauten wehmüthig die Büsten von Gluck, Händel, Mozart, Weber, Haydn, Bach, Beethoven und anderer alter Meister der Töne hernieder und schienen in den an ihnen vorbeistreichenden düstern Tabakswolken die Stirnen zu runzeln ob dem ohrzerreißenden Greuel.

Die Hauptperson des Ganzen stand auf der Rednerbühne unter dem frühern Sitz des Präsidenten, und zwar in Civil, in schwarzem etwas schäbigen Frack, Halsbinde und Vatermördern und weißen Beinkleidern, und diese Maske – ebenfalls ein Gardist desselben Regiments – sollte den Präsidenten der Nationalversammlung vorstellen. Es war ein noch junger Bursche mit nicht gerade auffallendem Berliner Dialekt, und er führte einen Taktstock, den er auf carrikirte Art handhabte, damit bald nach dem Orchester hinauf, bald nach den Zuhörern hin gestikulirte und dazwischen zum großen Ergötzen der leicht Befriedigten das Spielen der verschiedenen Instrumente nachahmte. Auf der Nase trug er eine Klemmbrille, die er übrigens später, weil sie ihn genirte, ablegte.

Endlich, nachdem die Spieler eine lange Weile musicirt hatten, eröffnete der Präsident die Sitzung. Mit affektirter Stimme begrüßte er die »Nationalversammlung« und sprach von der schwierigen Aufgabe, sechzehn Millionen zu vertreten, erklärte, daß sie hier zusammen gekommen seien, ihr eigenes Wohl zu berathen, und ließ dann wieder, unter den frühern Possen, ein Lied aufspielen. Hierauf ging er, und nicht ganz ohne Gewandtheit, auf seine wie seiner Kameraden Verhältnisse ein, in welch sonderbarer Lage sie sich eigentlich befänden, belagert in einer belagerten Stadt, und wie wenig man dabei auf ihre eigene Bequemlichkeit bedacht gewesen. Mehrere Tage lang hätten sie auf der bloßen Erde campiren müssen, jetzt, nachdem sie sich wund gelegen, bekämen sie Strohsäcke; der Kaffe sei, trotz einer jüngst eingegangenen Schenkung, ungenießbar, das Fleisch so, daß es sämmtliche vier Köche nicht gahr bekommen könnten, und der innere Zustand des Schauspielhauses, was die Reinlichkeit betreffe, dermaßen schaudererregend, daß eine genauere Beschreibung gar nicht zulässig erscheine.

Nach einer ziemlich weitläufigen, manchmal wirklich witzigen, nur zu oft aber auch sehr matten Auseinandersetzung der Gründe, die ihn eine Aenderung ihres Zustandes wünschen ließen, wandte er sich an die Versammlung, ihre Meinung darüber zu hören, und zwar zuerst an die »äußerste Linke,« die mit einem ziemlich allgemeinen vernehmlichen Ja antwortete. – »Und was sagt die äußerste Rechte zu meinem Vorschlag?« sprach er dann, sich nach der Seite wendend, welche die Rechte früher eingenommen hatte. – »Nein!« lautete hier die vom lachenden Beifallsruf der Zuhörer begrüßte Antwort, und mit einem ruhigen: »Ließ sich nicht anders erwarten,« rückte er sich die Brille wieder zurecht und gab, ohne weiter auf die Abstimmung einzugehen, dem Orchester das Zeichen zum Wiederbeginn eines seiner verzweifelten Stücke.

Sodann nahm er eine Partie Bittschriften, wie sie der Nationalversammlung wirklich eingegangen, und von denen er eine sogar als fingirtes Taschentuch benutzte, und las sie mit possenhaften, nicht selten zweideutigen Bemerkungen vor; eben so mißbrauchte er das preußische Landrecht, von dem ein Exemplar ebenfalls in einem unteren Gefach der Rednertribüne lag. Und die Soldaten amüsirten sich herrlich, aber der Offizier stand nach einer Weile auf und verließ den Saal.

Man müsse den Soldaten den unschuldigen Spaß lassen, um sie bei guter Laune zu erhalten; die armen Teufel haben viele Beschwerden zu ertragen, stehen vielleicht auf der Schwelle eines Bürgerkriegs; das Schauspielhaus dürften sie Abends nicht verlassen, die Langeweile hätte sie ja getödtet – solches und anderes wurde mir vorgestellt. Ich aber fragte mich, ob denn das alles, was mich hier im tollen Possenspiel umgab, Wirklichkeit sei? Mir kam das Ganze oft wie ein Traum vor. – Die Halle hier, in der die Vertreter des ganzen mächtigen Preußenvolkes das Wohl des Landes, das Wohl von Millionen berathen, von Bajonnetten geräumt, von Bajonnetten besetzt, auf der Tribüne ein in Civiltracht possenhaft verkleideter Soldat; die Bittschriften, die das Volk, seinen Vertretern eingesandt, gemißbraucht! – Das Andenken an das Edelste, was die Freiheit eines Volks gewährleisten kann, seine Vertretung durch Abgeordnete im eigenen Parlament, verhöhnt und lächerlich gemacht! Und hier die Männer, die lachend dem Spiele zuschauten oder träumend in der Ecke saßen, jede Minute bereit, beim ersten Trompetenstoß, beim ersten Trommelwirbel in die Höhe zu fahren und mit dem schon geladenen Gewehr, dem schon aufgesteckten Bajonett sich den, vielleicht durch nur irgend einen bösen Zufall aufgereizten Bürgern entgegen zu werfen! Ein eigenes, recht häßliches Gefühl war es, das mich durchzuckte, und ich verließ den entweihten Raum, verließ die armen in effigie gepeinigten Heroen der Musik unter den quitschenden Tönen der Geige, dem brummenden falschen Accompagnement des Basses und dem Beifallssturm der dankbaren Grenadiere.

Um die Mittelthür und die Haupttreppe auf dem nächsten Weg zu erreichen, mußte ich über die Bühne weg, und ich werde den Anblick im Leben nicht vergessen. – Im ungeheuern Raum hingen in der Mitte an Brettern drei Doppellampen, die aber ein düsteres mattes Licht gaben und das Ganze kaum nothdürftig erhellten. Auf der Bühne selbst befand sich die Wache und wenn auch hie und da zwischen den Coulissen Gruppen von Kartenspielern an kleinen Tischen saßen, so mußte doch die Bühne selbst von solchem Treiben frei bleiben. – Hier standen die Gewehre der Wache zusammengestellt, und ernste Posten wanderten schweigend daneben auf und ab. Ich ging zwischen ihnen durch und betrat die Bretterbrücke, die über die Banklehnen des Parterres hinweg dem Ausgang zuführt. – Hier aber blieb ich stehen und überschaute nun zurückblickend das ganze eigenthümliche Bild, das vor mir ausgebreitet lag.

Die Coulissen waren unordentlich durcheinander, hier Säulen, dort Wald, vorgeschoben; den Hintergrund aber bildete (die Leinwand war wegen des Luftzugs von hinten herabgelassen) wohl zufällig eine weite, den Horizont begrenzende Seefläche. Zur Rechten und dicht vor dem zackigen Felsenufer lagen die erst heute eingelieferten, noch ganz neuen Strohsäcke der Soldaten aufgeschichtet, und es sah täuschend so aus, als ob ein Schiff dort gerade seine Waaren gelandet hätte. Links standen, von hinten vor, bis dicht an die vordere Lampe, die mit den Bajonnetten zusammengreifenden Gewehre, und auf jeder Waffenpyramide ein Helm. Ueber die Bühne aber zerstreut, auf die Ellbogen gestützt, oder das erste beste, was sich ihnen geboten, unter den Kopf gerückt, lagerten einzelne Grenadiere und schauten träumend nach den öden Galerien hinauf, in denen nur hie und da einzelne Kameraden Platz genommen hatten und die Scene unter sich gerade so theilnahmlos und schläfrig betrachteten. Rechts neben mir im Parterre unten saßen zwei neben einander auf einer Bank und nickten, und links lag ein Dritter, auf der Bank ausgestreckt, und schnarchte laut.

Die Schildwachen schritten still und lautlos ihre befohlene Bahn hin und her; manchmal aber blieben sie, dem Hintergrund zugewandt, stehen, und es war dann, als ob sie das weite Meer beobachteten, das Nahen fremder Schiffe zu erkunden, denn der matte, ungewisse Dämmerschein machte die Täuschung fast vollständig. Es lag wahrlich eine gewisse Poesie in dieser entsetzlichen Prosa, – aber es war eine Poesie zum Tollwerden und ich athmete ordentlich frei und leicht auf, als ich das entweihte Heiligthum der Kunst hinter mir hatte und wieder in die freie frische Luft hinaustrat.

Es ist wahr, jene Zeit hat bewiesen, daß man Komödie spielen kann ohne gerade auf dem Theater zu stehen, und wir sehen die Wirklichkeit oft genug auf die Breter gebracht, ohne eben davor zu erschrecken; aber es ist das immer eine Wirklichkeit wie etwa ein beängstigender Traum, von dem wir wissen, daß es ein Traum ist und uns wohl in der Hoffnung des Erwachens fühlen. – Wenn aber der Traum dann in den hellen Tag hineinreicht und uns kalt und frostig in das warme Leben greift, dann schnürt uns das Bewußtsein solchen Zustandes Herz und Seele zusammen, wie mir der Anblick der entweihten Bühne, und wir ersehnen heiß und brünstig einen Morgen.

Ich verließ Berlin am nämlichen Abend wieder.

Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.


Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription werden gesperrt gesetzte Schrift, kleine Schrift, fettgedruckte Schrift sowie Textanteile in Antiqua-Schrift hervorgehoben.

Der Halbtitel wurde entfernt.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "auseinander" – "aus einander", "Bret" – "Brett", "Canarienvogel" – "Carnarienvogel", "Hackebret" – "Hackebrett", "Kaffe" – "Kaffee", "widerfahren" – "wiederfahren",

mit folgenden Ausnahmen,

Seite 29:
"einen" geändert in "einem"
(in kaum einem halben Jahre)

Seite 39:
"Sädten" geändert in "Städten"
(wie sie in den Städten ausgedacht werden)

Seite 46:
"»" eingefügt
(»Metcamp hatte verdammt gute Aussichten)

Seite 48:
"«" eingefügt
(hahaha – angeführt haben!«)

Seite 57:
"sein" geändert in "seine"
(daß ihm diese, seine beste Falle)

Seite 60:
"wieß" geändert in "wies"
(dort aber wies sie jede Aufforderung)

Seite 62:
"dich" geändert in "Dich"
(und wenn sie Dich nicht vergessen könnte)

Seite 68:
"fest-zusammengebissenen" geändert in "fest zusammengebissenen"
(die er mit fest zusammengebissenen Zähnen)

Seite 71:
"«" hinter "tödten?" entfernt
(Was aber nun thun? – den Wolf tödten?)

Seite 79:
"daß" geändert in "das"
(das soll mir der Mr. Metcamp einmal nachmachen!)

Seite 87:
"einen" geändert in "einem"
(und schaute mit einem schelmischen Blicke zu ihm auf)

Seite 87:
"mich ich mag" geändert in "ich mag mich"
(und ich mag mich nicht in einem fort umsehen)

Seite 88/89:
"der" geändert in "den"
(eine sogenannte Gänsehaut über den ganzen Leib)

Seite 97:
"»" eingefügt
(»da ist wohl Mancher Wochen lang)

Seite 106:
"«" eingefügt
(Gehen Sie mit, Schulmeister?«)

Seite 109:
"meint" geändert in "meinte"
(»Ach, nicht Frauen allein,« meinte der Schulmeister)

Seite 114:
"sage" geändert in "sagte"
(mir heute noch gefehlt, sagte die Pastorin, und räumte)

Seite 119:
"»" eingefügt
(»Du bist heute aufgeregt, Kind)

Seite 121:
"»" vor "Im" entfernt
(Im nächsten Moment glitt die Erscheinung)

Seite 124:
"flimmerden" geändert in "flimmernden"
(und las mit flimmernden Augen, während das Schreiben)

Seite 134:
"»" eingefügt
(»Und der Fensterladen?«)

Seite 135:
"«" eingefügt
(heute Mittag müßt Ihr bei mir essen.«)

Seite 144:
"»" eingefügt
(»denn im weichen Quellboden sah ich deutlich)

Seite 151:
"»" eingefügt
(»sie vertheidigen die Sclaverei)

Seite 154:
"Preßbyterianer" geändert in "Presbyterianer"
(und die Presbyterianer halten ihn für ein besonderes Licht)

Seite 155:
"Worte" geändert in "Worten"
(mit etwas rauh klingenden, aber keineswegs bösgemeinten Worten)

Seite 158:
"»" vor "Sally" entfernt
(Sally sprang singend hinaus)

Seite 161:
"Reale" geändert in "Regale"
(in einem Eimer auf dem dort angebrachten Regale stand)

Seite 173:
"»" eingefügt
(»wir haben weder Schreibzeug, noch Papier)

Seite 179:
"«" hinter "können," entfernt
(viel mehr in Erstaunen setzen zu können,)

Seite 182:
"sie" geändert in "Sie"
(Wallis hat, wie Sie vielleicht wissen)

Seite 184:
"." eingefügt
(da ist's doch besser sie suchen Dach und Fach.«)

Seite 184:
"Virtelstunden" geändert in "Viertelstunden"
(in höchstens drei Viertelstunden können sie)

Seite 187:
"Verguügen" geändert in "Vergnügen"
(mit dem größten Vergnügen, was ist es?)

Seite 188:
"sie" geändert in "Sie"
(mit der Sie meine armseligen poetischen Versuche)

Seite 201:
"»" eingefügt
(»Mr. Hennigs kommt auch nicht wieder)

Seite 203:
"Taschentnch" geändert in "Taschentuch"
(sein Taschentuch hervorzuholen und sich)

Seite 207:
"Reger" geändert in "Neger"
(mein Thier eben einem Neger übergeben)

Seite 216:
"das" geändert in "daß"
(schmerzt es Sie denn, daß Sie ein Menschenleben)

Seite 225:
"Spitzhake" geändert in "Spitzhacke"
(hatte in Rache und Wuth eine Spitzhacke ergriffen)

Seite 243:
"«" hinter "vertrüge." entfernt
(und diese allerdings keinen Chor vertrüge.)

Seite 246:
"sie" geändert in "Sie"
(»Sehen Sie,« sagte er)

Seite 247:
"gehts" geändert in "geht's"
(in die schwarze Gasse – dann geht's auch)

Seite 256:
"»" eingefügt
(»Herrliches Jagdwetter heute!«)

Seite 257:
"»" eingefügt
(»es ist überdieß nicht gut)

Seite 266:
"«" eingefügt
(»was zeig' ich denn an?« und trat auf die)

Seite 266:
"»" eingefügt
(»werden wir die Ehre haben)

Seite 269:
"»" eingefügt
(»ich bin alt und schwächlich)

Seite 269:
"Bespiel" geändert in "Beispiel"
(würde Ihnen zum Beispiel einen viel größeren Zuhörerkreis)

Seite 273:
"«" eingefügt
(mich ergebenst, meine Herrn!« – und damit)

Seite 273:
"," hinter "Leute" entfernt
(Die jungen Leute sahen ihm mit einem Gemisch)

Seite 276:
"aufathmen" geändert in "aufathme"
(kräftig und wohlgemuth aufathme aus tiefster Brust)

Seite 281:
"von" geändert in "vor"
(wenn Sie ihm, so aufgetakelt, vor den Bug kämen)

Seite 283:
"hierzu" geändert in "hier zu"
(mit welchem wir es hier zu thun haben)

Seite 283:
"-" eingefügt
(damit er die Beweggründe der Schooner-Passagiere begreifen)

Seite 284:
"das" geändert in "daß"
(imponirt, daß einzelne unbewaffnete Männer)

Seite 293:
"Geduldsfadenriß" geändert in "Geduldsfaden riß"
(dem kleinen Van Broon der letzte Geduldsfaden riß)

Seite 314:
"»" vor "Bob" entfernt
(Bob grunzte eine Art Beistimmung)

Seite 315:
"Sideny" geändert in "Sidney"
(sobald wir unseren Anker wieder in Sidney auswerfen)

Seite 324:
"»" eingefügt
(»es giebt viele auf der Insel)

Seite 333:
"Berreich" geändert in "Bereich"
(laufen wir daher den ganzen Bereich ab)

Seite 334:
"»" eingefügt
(»hier der, durch ein Kreuz bezeichnete Punkt)

Seite 338:
"Schiffen" geändert in "Schiffer"
(die den Schiffer auf seinen weiten Reisen begleitet)

Seite 341:
",«" geändert in "«,"
(theils dem »Capitän«, theils dem Zimmermann gehörige)

Seite 347:
"Zimmerman" geändert in "Zimmermann"
(der Zimmermann zog es denn auch, vielleicht nur aus)

Seite 365:
"Anderr" geändert in "Andere"
(der Andere aber schlich langsam am Waldrand hin)

Seite 372:
"." geändert in "?"
(was es sonst sein mag, seinen Eingang?«)

Seite 375:
"?" geändert in "!"
(und einem frohen, freudigen Leben entgegen!«)

Seite 382:
"«" eingefügt
(– werden schon wissen –«)

Seite 391:
"enstanden" geändert in "entstanden"
(wie der Tag entstanden, sank er in Nacht zurück)

Seite 420:
"dem" geändert in "den"
(Auf den rothgepolsterten Sesseln und Bänken lagen)

Seite 425:
"ich" geändert in "auch"
(und wenn auch hie und da zwischen den Coulissen)

sowie jeweils "«," geändert in ",«"

auf Seite 50:
(»Dort unten,« lautete die monotone Antwort)
(»Na, das ist eine schöne Geschichte,« murmelte Sutton)

und Seite 72:
(»Entweder oder,« murmelte er)

und Seite 142:
(durch den Wald reiten müssen,« entgegnete die Frau)
(»Ja, das läßt sich nicht läugnen,« lachte der Reiter)
(»Bleiben Sie nur da halten, Mr. Hennigs,« rief jetzt)

und Seite 144:
(draußen im Wald, er sucht die Pferde,« entgegnete)
(aus den Hügeln herunter gekommen sein,« meinte Hennigs)
(»Ah, dann findet sie Vater gewiß nicht,« rief Sally)







End of the Project Gutenberg EBook of Aus zwei Welttheilen, Erster Band., by 
Friedrich Gerstäcker

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUS ZWEI WELTTHEILEN, ERSTER BAND. ***

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including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    gbnewby@pglaf.org

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
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