Project Gutenberg's Briefe einer Deutsch-Französin, by Annette Kolb

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Title: Briefe einer Deutsch-Französin

Author: Annette Kolb

Release Date: August 10, 2014 [EBook #46550]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BRIEFE EINER DEUTSCH-FRANZÖSIN ***




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ANNETTE KOLB:
Briefe
einer Deutsch-Französin

Vierte Auflage

ERICH REISS VERLAG • BERLIN
1917

Alle Rechte — besonders das der Übersetzung — vorbehalten. Fünfundzwanzig Exemplare der ersten Auflage sind auf Japan abgezogen und von der Verfasserin gezeichnet. Preis gebunden 50 Mark.

Präludium

München, September 1914

Ich denke zurück an die paradiesischen Tage dieses Sommers vor Ausbruch des Krieges, da keiner noch an ihn glaubte . . . Nie zuvor, erinnert ihr euch, hing der Sommerhimmel so beschwichtigend und waren unsere Wälder so in sich versunken. Nie sah man die Schwalben so beseligt um die Kirchtürme streichen und unsere Wege und Brücken so versonnen stehen. Und nie standen auch — erinnert ihr euch? so viel schmucke Häuser fertig — Bilder unseres Glückes — und kletterten blumengeschmückt alle Hügel hinauf. Und über sie alle hin, erinnert ihr euch, die Mondsichel, die wie in Verzückung schwebte?

Die Ersten, welche da von der Gefahr dieses Krieges redeten, verhöhnte man . . . Aber dann trieb uns eine plötzliche Angst in unsere schon verwandelten Städte zurück. Und dort wuchs schon wie ein ungeheures Vorspiel jene Unruhe an, die uns alle ins Freie stieß, wie jene Toten, von denen steht, daß es sie aus ihren Gräbern hervortrieb, in den Straßen Jerusalems zu wandeln, als der Vorhang des Tempels zerriß. Denn also schwebte wieder ein Kreuz über unseren Häuptern, und wie jene Toten litt es uns nicht in der Enge unserer Behausungen. Und junge Frauen, die sich aus der stummkreisenden Menge schlichen, wähnend, daß sich in der Verborgenheit der eiserne Ring um ihre Herzen in Tränenströmen lösen würde, traten alsbald steifen Auges wieder vor ihre Tür. Und wie sich dann mit dem Verhängnis die Spannung wie ein Nebel hob und jene todgeweihten Heldenmienen offenbarte, über Nacht zu Antiken gemeißelt! so daß alle Fremden, die noch auf unserem Territorium weilten, uns hingerissen ihre Liebe schwuren, bevor sie flohen. Sie erinnern sich wohl.

Den Zurückgebliebenen aber saßen schon die Augen im Kopfe, mit denen der Gefangene zu dem kleinen Streifen des unendlichen Himmels emporsieht. Wer aber da wieder hinaustrat in die Natur, wem es etwa beifiel, sich auf den Gipfel eines Berges vor der betörten Menschheit zu flüchten, mit ihrem Haß zerfallen und weil er untüchtig ist zu begreifen, daß zur Ergänzung, ja, wie Liebende zur Ergänzung geschaffene Nationen sich hinschlachten sollen; wie ein neuer Philoktet stünde der vor den verklärten Höhen und den friedlichen Herdenglocken, seiner Qual immer neu überwiesen. Wie Philoktet mit der schwärenden Fußwunde jede Betrachtung, die er faßt, was immer er sagt oder vernimmt, mit seinem Schmerzensgeheul unterbricht, so wird ihm jeder Gedanke zerrissen, jeder Schlag seines Herzens durch das Bewußtsein dieses grauenhaften Krieges zerhämmert.

Erster Brief

Oktober 1914

Es ist noch verfrüht (obwohl es weiß Gott nicht unpatriotisch ist), europäische Worte in unseren plombierten Ländern auszusprechen. Aber einer muß doch anfangen. Ich will jedoch niemandem Ungelegenheiten bereiten, ich will auch nicht mißverstanden werden. Und ich will nicht diskutieren. Das ist heute zu viel verlangt.

Du und ich aber, wir waren einer Sinnesart, und du bist tot. Darum richte ich meine Worte an dich und klammere mich an deinen Schatten. Und du, der vielleicht nur mehr Augen für das Unsichtbare hast, du siehst, wie überschwenglich froh ich mein Nichts von Leben hundertmal veratmet hätte, um abzuwenden, was heute in der Welt geschieht. Wir waren wohl zu leicht befunden und unser zu wenige, die wir uns gerne zu Geiseln geschart und den Gorgonen entgegengeworfen hätten, ihre wütenden Schritte und auf ihren Häuptern die entsetzlichen Natterngewinde zu bannen — die nun entfesselten — deren giftige Brut überall nistet. Ja, wo die gütige Erde Saaten und Früchte trug und die friedliche Kornblume sproßte, dort wogen jetzt sie geschäftig über die verwüsteten Acker und würgen die Männer dahin, während ihr Gift, wie fernwirkende Geschosse, die unverschonten Frauen ereilt, die weit weg in den geschützten Städten die Agonie ihrer Männer vernehmen. So ist jetzt die Welt.

Hat nicht ein jeder im Leben Momente gehabt, über die er nicht hätte hinauskommen sollen, und ist es doch; zum deutlichen Beweise, daß etwas im Menschen sein müsse, das alle irdischen Begegnisse überschwebt und also überschweben kann, wenn er sich nicht selbst aufgibt.

Diesen Satz las ich heute. Wer ist man? Und doch gilt es, die Treue an sich selber zu bewahren, auch wenn es alle Gemeinschaft mit den anderen kostet. O verlasse mich nicht! Du siehst, wie jetzt die Leute ihre Fenster schließen. Der Wind, der über die Erde rauscht, ihnen trägt er nichts zu; jeder weiß, wo er hingehört, und scharf und wie geschliffen fällt seine Tür ins Schloß. Nur ich bin heimatlos durch diesen Krieg geworden: Ja — hätte Gott, der den Arm Abrahams (den zur Opferung des Sohnes schon erhobenen) zurückhielt, hätte er dem rückwärtigen Lauf des Höllenrades Einhalt geboten, und angesichts so viel wundervoller Bereitheit zu sterben sich erbarmt, dann würde freilich auch ich mich freuen, das Präludium dieses Krieges erlebt zu haben. Denn wer vergäße je der Gesichter, die er da sah.

Doch vom Tag an, wo das Sengen und Brennen und Schießen und Erstechen und Niederstoßen und Erwürgen und Bombenwerfen und Minenlegen anging, von dem Tag an, siehst du, bin ich eine Ausgestoßene; von einer solchen Welt bin ich geschieden; wie ein Idiot.

Denn ich verstehe ja nicht. Wie ein Idiot erschrecke ich vor den Menschen und fürchte mich seitdem. Sonst so städtisch, treibt es mich seitdem in schlafende Dörfer, in unbegangene Wälder hinein, als gebe es noch eine Flucht, und als sei die Tatsache dieses Krieges nicht längst ins Weglose eingetragen und brütete nicht über das verlassenste Moor. Selbst die reinen Linien der Berge sind von ihm durchfurcht, von grauenvollem Wissen ist der Mond umhaucht; keine Alm steht mehr in ihrer Unschuld da. Was ihn erst unglaubhaft erscheinen ließ, das gemahnt jetzt alles an ihn. Auf keinen Tisch, keine Türklinke können wir die Hand unvoreingenommen legen, wie eine bittere Hefe ist er in unser Brot gebacken, und selbst im Traume nagt das dumpfe Wissen um ihn. Wie leicht dünkt mir dagegen dein Schlaf! und du selbst wie bevorzugt, wie unaussprechlich vornehm, daß du diesen Zusammenbruch, Europas unsterbliche Blamage, nicht mehr erlebtest.

Zweiter Brief

Komm ich bitte dich! Unterhalten wir uns über die Gedankenlosigkeit der Menschen. Weißt du noch, wie wir einmal den Fluß entlang vor deiner Wohnung auf und nieder gingen? Die Sträucher waren schon aufgeblüht. Wir sprachen über Zeitungen, und du schlugst plötzlich mit deinem Stock auf das Pflaster und riefest: „Die Menschen sind zu borniert! Man möchte sich manchmal schämen, daß man zu ihnen gehört.“

Daß aber die Dummheit solche Triumphe feiern, und ihre Fanfare mit einem solchen Geschmetter dreinfahren würde, nein, das glaubten wir nicht. Auch wenn wir es sagten. — Und dennoch sahen wir die Völker Europas gutwillig in einen Haß ausbrechen, den sie Tags zuvor entrüstet von sich wiesen. Denn ach! es stand geschrieben — und in der Politik wie in allem wird der Nachdenkliche gar bald zum Fatalisten — es stand geschrieben, und in jedem Staate wiederholte sich dasselbe fürchterliche Schauspiel, daß nicht die besten Köpfe bestimmen durften. Und so wurde die Intelligenz Europas von ein paar Leuten unterjocht, welche teils auf diesen Krieg hinarbeiteten, teils ihn nicht zu hindern verstanden und ihn so gemeinsam verschuldeten; sie aber durften sich ruhigen Sinnes auf die Straße begeben, von der Volkswut verschont, welche schon anfing, unschuldige Menschen über die Grenzen zu jagen.

Und alsbald geschah es, daß dort, wie auf einen Wink des Antichristen hin, schwarze Drachenfelsen die sonnenumwobenen Auen verstellten und sich als finstere Kulissen entlang zogen; und daß ein kranker Wind sich erhob und Scharen Unglücklicher wie müde Spreu hinüberwirbelte; sie wußten nicht wie; so schnell! Eben noch als Freunde sich am Halse liegend, mitleidig angestarrt — aber ein neuer Windstoß, und sie waren schon geächtet, und ehe sie die Straße überschritten, ihres Lebens nicht mehr gewiß, verängstet und verflucht.

Und zugleich fing es im ganzen Erdteil wie in einem Bienenkorb zu wimmeln und sich zu regen an von geschäftig sich drängenden, unübersehbaren Schwärmen, aus den verlorensten Tälern aufgeflogen, und alle in ihrem künstlichen Haß zu den künstlichen Felsen hingetrieben, aus deren Schacht nunmehr heißes Blut ächzend hervorbrach, zu Bächen, zu Strömen qualvoll unversiegbar anschwellend, doch stets so, o Gott! daß die Schmerzensrufe der einen mit ihrem weithallenden Echo des Jammers zugleich den Vorteil des anderen bedeuteten.

Dritter Brief

Daß in dieser Zeit, in der die Taten reden müssen, noch so viel zu sagen bleibt, ist niederdrückender als Alles. Wer soll es mit dem Schutt aufnehmen, der sich von neuem häuft? Seit ich denken lernte, nannte ich die Geschichte meiner beiden Vaterländer den Roman, um den das Schicksal unseres Kontinents sich drehe. Wird man mir eher glauben als zuvor?

Wir sind am Ende des ersten Bandes angelangt, wo noch einmal alles verschüttet und zurückgeworfen liegt. Bis man an den zweiten gehen kann, sind wir, die heute keine Kinder mehr sind, ermattet oder dahin. Das Wirrsal ist zu groß. Ich ersticke. Es ist zu spät. Lasciate . . .

Allein die Hand verdiente zu verdorren, die heute zu kämpfen abließe, wenn auch vergebens. Wer denkt, liegt heute erst recht im Graben: aber nur von dem Schritt vor Schritt und unablässig Vorgedachten wird endlich, unter tausend Opfern, und über unsere Leiber hin, die Masse fortbewegt. Doch die Gemüter sind noch so, daß die ruhigen Worte die gewagtesten sind. Niemand trägt heute in Europa freieren Gewissens sein geteiltes und zerhämmertes Herz, und nur allzu billig fiele mir der Beweis, daß meine geteilte Liebe eine verdoppelte und keine verminderte ist. Nie aber glaube ich erging noch die Forderung so gebieterisch an das Gewissen derer, die nicht im Felde stehen, sich auf die Unze genau zu ihrem Blute zu bekennen; nur so behaupten auch sie in ihrer Bedrängnis die ihnen zugedachten Posten. Es wäre gemein zu fordern, daß einer, der seiner Abstammung nach in gleichem Maße zwei Nationen angehört, heute die eine oder die andere verleugne. Heute nicht! Vor all dem vergossenen Blute erhebt sich heute die Stimme des Blutes lauter als alles. Wie es heute in einem Halbfranzosen Deutschlands aussieht, das weiß kein Deutscher und kein Franzose, das kann nur sein Echo finden in der Qual eines Halb-Germanen in Frankreich. Denn wie die eingestürzten Häuser unserer Grenzorte, die, wechselseitig umstritten, von den Kugeln beider Gegner zerschossen liegen, so sind wir in uns selber zusammengestürzt.

Du weißt: ich hatte mich von meinen deutschen Landsleuten dadurch vielfach unterschieden, daß ich immer so stolz darauf war, ihnen anzugehören, und daß ich im Ausland mit der aufgezogenen Fahne meines Deutschtums so begeistert herumging. Aber du hast auch gehört, wie unermüdlich ich ihnen zurief: Die Verschmelzung Eurer Wesensart mit der Eurer westlichen Brüder ist für das Heil Europas unerläßlich und die Stunde für eine Anleihe ihrer Qualitäten hat geschlagen. Denn nicht eher seid Ihr die Berufenen. Jawohl! Ich weiß es schon, Ihr seid gründlicher, männlicher, Euer Geist ist weiter ausgebuchtet. Aber Ihr seid die politisch Ungeschulten, die Unpolitischen par excellence. Ihr versteht es nicht, mit den Franzosen auszukommen, was noch alle anderen Nationen fertig brachten. Es ist gar nicht so schwer. Nur sachte! rief ich ihnen voll Besorgnis zu. Nicht so schnell! Um Gottes willen was macht Ihr da! Falsch!

Leute wie ich, die zu ihrer Qual (denn in keinem Lande sind sie ganz daheim) eine Versöhnung der deutschen und französischen Elemente verkörpern, waren sicherlich vor allen anderen befugt, ihre Meinung abzugeben. Die Kluft war ja so groß geworden, daß außer uns, die Mitte Weges standen, nur ganz Wenige sie überschauen konnten. Doch wer achtete unser? — sie wußten es besser, hier wie drüben; und da alles fehlschlug, zog man es vor, die Franzosen für erledigte, die Deutschen für vernichtbare Leute zu halten. Nichts von all dem! — Indessen glauben sie’s noch immer! Ach und mir dünkt, es ist gerade genug für ein Menschenherz, seinen Jammer und seine Sorge um die Not eines Volkes in unseren Tagen zu bewältigen. Aber Leute wie wir werden auch noch am Tage des Sieges sich verkriechen müssen. Denn immer wird es Jerusalem und seine Kinder sein, um die sie weinen werden. Ach wir sind es, die hätten sterben sollen!

Vierter Brief

Wie schwer fällt heute ein Wort, zu leicht entschlüpft, auf uns zurück! In einer Zeit, in der um ein Für und Wider Städte in Brand aufgehen, hat sich jede Art von Leichtsinn verwirkt. Um eines Wortes willen verbringe ich gefolterte Nächte, und merkwürdige Ernüchterungen stellen sich ein, du weißt . . . und mein Herz ist selbst die unbeirrbare, die eifersüchtige und immer schwankende Wage.

Wie neulich: ich hatte mich für den Abend angezogen und Kerzen vor dem Spiegel angesteckt, als sei nichts geschehen: Die Frau, zu der ich dann fuhr, hatte ihren Tisch mit Tulpen geschmückt, und es war wie früher, und als hätten wir vergessen.

Aber später, vorm Kamine, im mattbeleuchteten, schattenvollen Raume kamen wir um so leidenschaftlicher auf den Krieg zurück, als wir zuvor nicht von ihm gesprochen hatten. Und einer von den Herren, ein Chirurg und Sammler, einer jener kontemplativen Süddeutschen, die unüberwindliche romanische Sympathien hegen, äußerte sich da voll Ingrimm über die neue Manier der Franzosen, uns wider jede bessere Einsicht Barbaren zu nennen, nach allem, was gerade wir auf allen geistigen Gebieten leisteten. Konnte das ihr Ernst sein? was ging da nur in ihnen vor? und sich plötzlich an mich wendend: Ob ich das wüßte? fragte er.

Nun hatte ich mir aber fest vorgenommen, nur zuzuhören, wenn solche Themen zur Sprache kommen sollten, denn meine Gesinnung lasse ich mir nicht verdächtigen; es ist aber heute so leicht, mißverstanden zu werden, wenn man nicht ganz genau dasselbe sagt und meint, was der andere sagt und meint. Es lag jedoch im Unterton seiner Frage eine so naive und rührende Besorgtheit, daß ich, meines Vorsatzes vergessend, emporschnellte und ausrief: „Ja, ich weiß es genau!“

Und ob ich es weiß!

Jene überragenden geistigen Leistungen sind es ja gerade, welche zuerst das Mißverständnis verschuldeten. Wie bei einem sehr selbstbewußten Menschen, mag er noch so schüchterne Seiten an sich haben, niemals Schüchternheit als der Grund für seine Handlungsweise angenommen wird, so hatte der anerkannt gedankenvolle Deutsche keinen Kredit auf seine Ungeschicktheit. Kein Wunder! denn am Tage, an dem Deutschland mächtig geworden war und er in Szene trat, an diesem späten Tag zeigte er sich schon so vielfach ausgereift und von einer scheinbar so unbegrenzten Fülle der Gesichtspunkte, daß man sich von dem Neuling irgendwie überflügelt sah und er allsogleich, zu allererst von den Franzosen, sehr ernst genommen wurde. Nachträglich wird ja jetzt sattsam hervorgehoben, daß er des politischen Instinkts ermangle. Es ist kein Kunststück mehr, es zu entdecken! — a priori aber wurde bei Leuten, die noch dazu unverweilt einen Bismarck auszuspielen hatten, auf alles andere eher geraten, und man dachte, dieser Mangel, der vom Kleinsten und Persönlichen ins Allgemeinste und Kolossalische ging, müßte unbedingt etwas anderes sein, als was er ist, nämlich die Achillesferse des Deutschen und das Geheimnis seiner Unbeliebtheit. Als er der Sieger wurde, hätte er sich vor allen Territorien ein paar Qualitäten, die der Besiegte vor ihm voraus hatte, aneignen sollen, um seinem Triumph die dauernde Weihe und Unanfechtbarkeit zu geben. Es wären da solche Dinge zu requirieren gewesen wie das Talent der entgegenkommenden Form, die Ziehharmonika der demi-mots und „l’Art de ne pas froisser“, eine Kunst, die wir verschmähten, weil wir sie nicht meisterten, die aber von größerem Werte für uns gewesen wäre als alle Milliarden, denn sie hätte uns die Franzosen selber erworben. Was half alles Gold unseres Gefühls, da wir es für sie nicht zu münzen verstanden? So ergab sich das ewig selbe Spiel, daß der Deutsche ihrer Eigenliebe nicht schonte und sie dafür mit häßlichem Gekreische sich seinen zu muskulösen Griffen entwanden. So wurde er endlich „der Barbar“, nur weil er nie der Gescheitere war . . .

Aber der Arzt schüttelte den Kopf. „Das Mißverständnis liegt doch tiefer,“ meinte er. „Ich bin auf wissenschaftlichen Kongressen des öfteren mit Franzosen zusammengekommen: sie haben eine geniale Art, die Dinge mit Elan aufzugreifen, aber wo es ein wirkliches Einfühlen gilt, nein, da lassen sie aus.“

„Einfühlung?“ rief ich, „nachdem man sich seit vier Jahrzehnten zum beiderseitigen Nachteil systematisch entfremdet hat? Und doch brannte man drüben insgeheim auf diese Einfühlung. Wir hätten es merken sollen: für die Potenz des deutschen Geistes war man von einer hin und wieder deutlich hervorbrechenden Liebe, ja Verliebtheit beseelt gewesen, die endlich in eine ungeheure und ungeheuerliche Enttäuschung umschlug. Wie mag das werden, wenn wir uns in der Folge noch mehr gegeneinander abschließen — sind wir doch schon hier wie dort vielfach über alle Begriffe langweilig geworden: die Franzosen so anämisch, wir so verknöchert! Selbst unsere Musik ist eine Hagestolzmusik geworden. Selbst unsere heutigen Meister schwelgen im schon Erworbenen; neue Quellen flossen ihnen nicht! Wir verarmten, wir alterten beide.“

„Sie hat recht,“ sagte einer.

Aber die anderen fielen unverzüglich über die deutschen Diplomaten her. Das war mir jedoch zu billig. Jetzt, da die Diplomatie mitten im Konkurse steht, ist auch nicht der Moment, mit ihr ins Gericht zu gehen. Die Diplomatien wären bis auf weiteres quitt. Solange es ein Deutschland gibt, so lange wird es außerdem stets eine Auslese staatsmännischer, so gut wie anderer Talente hervorbringen. Nur haben diese eine Not, sich bei uns durchzusetzen, welche aufs engste mit den Fehlern unserer Tugenden zusammenhängt. Sie werden bei uns so lange untergeordnet (was gewiß sehr disziplinarisch ist), bis nur die Allertüchtigsten unter diesen Tüchtigsten am Tage, an dem sie endlich durchdringen, ihre Spannkraft noch nicht verloren haben.

Ach, ich sage dir: es überkam mich ein so ödes Gefühl, während ich sprach, weil doch die Anzeichen fehlen, daß wir die richtige Lehre aus der furchtbaren Prüfung dieses Krieges ziehen: nicht bei jenen Deutschen sicherlich, welche als ein selbstbewußtes und auf seine Rechte eifersüchtiges Volk aus dem heldenhaft bestandenen Kampf zurückkommen werden, wohl aber bei den zu Hause Gebliebenen, die sich vielfach eine merkwürdige Begriffsverwirrung und die krassesten Fehlschlüsse gestatten. So hegten sie noch vorgestern für die Person eines Botschafters gemeinhin eine komisch naive Ehrfürchtigkeit, und wer sich abfällige Meinungen über die Fähigkeiten eines so hochgestellten Herrn gestattete, der wurde als ein ganz unverschämter Niemand zurechtgewiesen.

Weil man indes erleben mußte, daß gewisse ausländische Posten, was das Resultat anging, ebensogut vom Dornröschen hätten besetzt sein können, so möchten sie jetzt am liebsten das Amt eines Botschafters mit dem Botschafter, das Kind mit dem Bade ausschütten. Man sollte es für eine Albernheit halten, gewisse umlaufende Äußerungen aufzugreifen, welche darin gipfeln, unsere Diplomaten würden bei den Friedensverhandlungen überhaupt nicht mitzureden haben. Es sprechen aber so nicht nur ein paar Geheimräte von der Sorte, welche schon Bismarck als hoffnungslos bezeichnete, ein paar Exzellenzen und ihre würdigen Damen, sondern eine ganze all-weise Partei.

In einem solchen, in sich gefestigten, mit der inneren Verwaltung des Reiches aufs engste zusammenhängenden Kreis wohnte ich kürzlich einem großen Gekicher bei, als ein junger Mann, auf Befragen, was er zu werden gedenke, erwiderte: „Diplomat“. Indem man ihn so von vornherein zur Operettenfigur stempelte, glaubte man das Problem spielend gelöst zu haben. Auf solche Weise bescheiden sich aber viele, sehr namhafte Personen, viel zu unschuldsvoll in Dingen der äußeren Politik, um auf die Abwehr gewisser, sehr gefahrvoller Mißstände bedacht zu sein, so daß die den Schein des Rechtes für sich haben, welche behaupten, es seien keine Geschäfte mit uns zu machen. Aber wenn sie die Kraft finden, die Entsetzlichkeit des Krieges über seine welthistorische Bedeutung zu vernachlässigen, muß man von diesen rigorosen Geistern nicht verlangen, daß sie auch imstande seien, die Bürden, die Strapazen und Forderungen von Energie zu begreifen, welche der Frieden auferlegt? Und wenn sie auf die ewige Wiederkehr des Krieges schwören und alles in sich auf ihn vorbereiten, müssen sie sich dann nicht auf die welthistorischen Rechte des Friedens gleichermaßen erziehen, selbst wenn diese Erziehung nur die Bescheidenheit bedeutete, die im Verhandeln und sich Verständigen liegt?

Ach! ich rede zu dir, als ob ich die Lebenden nur anrufen könnte, indem ich sie verlasse. Zuerst glaubte ich, daß ich hinüberriefe in dein Reich, und nun rufe ich doch nur in das Leben zurück.

Aber von diesen Dingen spreche ich zu dir ein anderes Mal; heute will ich dir sagen, wie es gekommen ist, daß ich seit jenem Abend nur mehr an dich allein, du Abgeschiedener, meine Worte richten darf, nur dich allein mehr habe, du Entschwundener.

Als wir aufbrachen, war die Nacht tief vorgerückt und die Kohlen im Kamin waren zusammengesunken. Der Arzt begleitete mich nach Hause. Zwar hatte ich einen weiten Weg, aber es litt mich in keinem Wagen, und so gingen wir zu Fuß. Die Luft roch schon nach Schnee. In ihrer Versunkenheit und Stille nahmen die Straßen kein Ende, und die Häuser hatten schon etwas von der Bedrücktheit ihrer Bewohner an sich, besonders die Fenster. Aber wenn auch unfroh, so standen sie doch ungefährdet, nirgends zerklüftet, nirgends zu rohen Trümmerhaufen zusammengestürzt. Ruhig und dumpf schlug die Stunde von den unbedrohten Türmen.

In jedem Feldbrief stand jetzt zu lesen, wie glücklich man sich schätzen müsse, den Krieg nicht im eigenen Lande zu haben, und wohl dem, hieß es unaufhörlich, wohl dem!, der ihn auf dem Boden des Feindes führen dürfe.

Aber ich glaube es schon. Ich vergegenwärtige es mir zu gut! Sie waren mir nur zu lebhaft vor Augen, die Verwüstungen. Mein Blut, in dem Strudel der Dinge mitgerissen, trug ja in sich das Wissen um die Erbitterung derjenigen, welche die sonst so unverletzliche vaterländische Scholle plötzlich von fremden Menschenmassen übertreten, beherrscht und aufgerissen sahen. Es war ja meine Not, daß meine Phantasie sich da zu heftig engagierte.

Ach, ich sage dir, es war die Nacht und ihre Einsamkeit, es war die Stille! Gewiß, es war die Ferne, und sie trug die Schuld, daß mir da nur die liebenswürdigen und nur die schönen und nur die edlen Eigenschaften des verwandten Volkes vorschwebten, so daß ich zu ihm, hingerissen, mit ihm mich über die Verheerungen betrübte, die es auf seinem Boden erduldete. Und meine Liebe zu ihm beteuernd, schrie ich triumphierend in die Nacht hinaus: Paris gehöre den Franzosen, und auch andere Völker hätten ihre Genien.

Aber das Geständnis meines Zwiespaltes hatte keine befreiende, sondern nur eine noch entnervendere Wirkung auf mein Inneres zur Folge, und in die Einsamkeit meiner vier Wände zurückgekehrt, glaubte ich, von dem Ansturm zu verschiedener Empfindungen durchwühlt, nicht mehr, daß der Schlag eines einzigen Herzens ihnen standhalten könne. Und ich fing im Finsteren zu ächzen und laut zu reden an und teilte mir selber angelegentlich die Dinge, die ich dachte, mit, als wüßte ich sie noch nicht, als sei, von mir losgelöst, noch einer, ein Schatten da, der die Einsamkeit des Zimmers noch verschärfte, ein listiges Etwas, das sich seltsam hier angezogen fühlte und neugierig zusah, wie hier ein Lebendiger, seiner eigenen Identität entsetzt, gleich ihm kein Selbst, nur eine abgetrennte Halbheit hatte und, wie von sich selber weggerückt, menschenunwürdig in einer Ecke kauerte. Denn so entrangen sich mir jetzt in abgerissenen Sätzen Klagen, Flüche, Verwünschungen und Selbstbeschuldigungen. Denn trug nicht jeder irgendwie schuld an dem, was sich so widersinnig noch ereignete, da er es noch erlebte?

Zwar meldete sich die Vernunft inmitten des Zusammenbruches, und sie verdammte dies Aufgebot von Leidenschaft. War ich dasselbe Wesen, das stets so überschwenglich Deutschlands geistigen Himmel pries? Es war mein Minnesang gewesen! Und konnte ich leugnen, daß ich in den Pariser Straßen mit derselben Heftigkeit wie vorhin ausgerufen hatte: ohne das Deutschtum stürzte die Welt zusammen? Und jetzt, in der Stunde seiner schwärzesten Bedrängnis und seiner größten Heroismen, wollten die Saiten meiner Leier zerspringen? Trieb ich nur Humbug mit den heiligsten Gefühlen? Doch was sie auch sprach und diktierte, wurde von dem Widerwillen überboten, der mir plötzlich den Turnus des Lebens selbst zum Ekel werden ließ. Dem an die Dunkelheit gewöhnten Auge schienen jetzt, hoch aufgerichtet, die Kissen zu Häupten des Bettes. Aber der Schlaf war nur ein schlechtes und verseuchtes Palliativ geworden, und die Bande rissen beim Erwachen nur um so schlimmer von unserem wunden Bewußtsein los. Frierend, den Mantel zusammengeschlagen, rührte ich mich nicht.

Und wie aufgehaltenes, zum Stocken gebrachtes Blut, das seinen Lauf erzwang, so quollen da jetzt mit der Schwere des Blutes stoßweise jene Tränen hervor, die so anders sind als die um unser persönliches Leid; sie, die einem Frühlingsschauer gleich das Herz erleichtern. Was sind wir Einzelne? Was unser Kummer? Ist nicht selbst unser bißchen Liebesnot noch Glück? Jene anderen Tränen aber, welche stoßweise und mit der Schwere des Blutes hervorbrechen, weil sie mit dem Todesschweiß unzähliger Jünglinge gespensterhaft verklebt sind wie mit der versteckten Qual ganzer Generationen von Frauen und den schon steigenden Schatten ihrer Schwermut, wer sie erfuhr, ja, wer immer sich heute von der Strömung nicht einfach überfluten ließ, der Frevler, der sich umsah nach der Gomorrha unserer Zeit, mußte der nicht versteinern wie die Frau des Lot?

So kam ein neuer Tag. So dämmerte ein nüchterner und winterlicher Morgen. Wieder ließ mich die Vernunft hart an und verabscheute mein gestriges Verhalten. Zwei Zungen hingen mir ja nicht an, um die zwei Dinge, um die es sich handelte, zugleich zu sagen. So war Lüge, was immer ich sprach.

Ich kann dir die Öde jenes Morgens nicht schildern. Draußen hingen Fahnen übernächtig und durchnäßt von den Dächern herab ob irgendeines Sieges. Da entglitt mir die Treue wieder, die mich doch beseelte, und über das Gefühl für das Nächstliegende gebot ich nicht. Nichts von Vernunft mehr! Nur die fürchterliche Schwüle irrsinnigen Wissens. Es war die Hölle. Ich riß das Fenster auf. Das harte Pflaster der Straße ward da zur einzigen Lockung.

Warum ist es dein Bild gewesen, das mich da umgab und aus dem umdunkelten Zimmer bis hart an meine Knie hinrückte? Ein Ansturm klingender Sphären, ein erhobener Stab, und der beschwingte Schatten deiner Hände über eine bessere Welt. Dies alles umflatterte mich wie Himmelsvögel und entschwand, und es blieb nur der eiserne Vorhang trauernd herabgelassen vor dem Imperium unseres Gedankens und unserer Musik. Aber nur dich allein, dem in der Fülle des Lichts jenseits des eisernen Vorhanges Gebliebenen, ich durfte nur dich und nicht die Menschen, die mit mir leben, zu Vertrauten dessen machen, was ich heute dachte. Es war nicht billig. Ich mußte die eigenen Rückschläge scheuen. Und es ging nicht an, ihnen gegenüber meine Worte immer wieder zurückzunehmen, um dann das Widerrufene neu festzuhalten.

Fünfter Brief

Meine Briefe an dich haben eine lange Unterbrechung erhalten, ich bin inzwischen in Dresden gewesen und habe dort in einem eher spärlich und zumeist mit Damen besetzten Saale einen Vortrag gehalten. Nichts wäre also leichter gewesen, als ihn totzuschweigen. Aber die Journalisten telegraphierten bis nach Istrien, in alle Grenzlande hinein und hinaus zu den Neutralen, was ich gesagt hatte. So wissen es jetzt alle. Kein Wunder, daß ich zufrieden bin.

Dennoch hätte ich nicht gedacht, daß ich eine Genugtuung darin finden würde, von den meisten Zeitungen beschimpft zu werden. Überraschungen, die man sich selber bereitet, sind nie ganz langweilig. Ich hatte mich für bescheidener gehalten.

Aber lasse dir den ganzen Hergang erzählen, bevor ich ihn selbst in allen seinen Zusammenhängen vergesse, ihretwegen lasse sie dir erzählen. Denn ich liebe nichts so sehr an den Dingen, als wenn sie den Charakter der Fügung an sich tragen, der sie ihrer sonstigen Unwichtigkeit enthebt, man kann nicht gleich sagen, wie weit.

Im vorigen Frühjahr, mitten im Frieden, also im goldenen Zeitalter noch, forderte mich die Dresdener Literarische Gesellschaft zu einem Vortrag für den kommenden Winter auf. Gezeichnet Major Nicolai. Eine solche Einladung war mir neu. Aber der Januar 1915 lag ja in so weiter Ferne! Ich sagte also provisorisch zu.

Sehr erfreut war die Antwort. Und welches Thema gedachte ich zu wählen?

Ich nannte Irland, aufs Geratewohl.

Irland war wie eine große, leere Urne, in die man viel hineinlegen konnte, wenn es wirklich dazu kommen sollte. Im übrigen hatte es ja gute Weile.

So kam der Sommer. Es kam der Krieg. Und jene Tage innerster Abkehr und Zerfallenheit, da sich der einzelne einer Abgegrenztheit überwiesen sah, unentrinnbar wie die des Sarges, da er sehen mußte, wie er dem Untergange standhielt und ein imaginärer Halt noch der sicherste schien.

In jenen selben Tagen kam ein Brief, um mich an den vergessenen Vortrag zu erinnern.

Blieb es bei Irland?

Nein.

In Anbetracht der Ereignisse sei ein anderes Thema gewiß vorzuziehen, schrieb der Major Nicolai. Und hatte ich meine Wahl getroffen?

Aber ich hatte keine Ahnung und stellte eine Bedenkfrist, indessen rückte der Major ins Feld. Es war ein anderer Herr, der sich eine Weile später nach meinen Beschlüssen erkundigte. Dieser setzte nach Art der neuen Besen gleich viel geschäftiger ein und bedeutete mir, daß zwar in Anbetracht des Krieges die meisten Vorträge in diesem Winter ausfielen, er aber . . . ich aber . . . mein Vortrag aber . . . und es folgte wieder die ergebenste Frage nach meinem Thema.

Ich hatte mich jetzt besonnen und schrieb zurück, daß es besser wäre, wenn er unterbliebe; denn wenn ich spräche, so könnte ich nur von dem Konflikt derjenigen reden, welche außerstande seien, sich in die Tatsache des gegenwärtigen Krieges zu finden. Sonst hätte ich auf der Welt nichts zu sagen, was von genügendem Interesse wäre.

Jetzt erst kam Tempo in die Unterhandlung.

Wie interessant! schrieb der stellvertretende Herr.

Allerdings müsse er mich darauf aufmerksam machen, daß nicht über Politik geredet werden dürfe. In Dresden schon gar. Überhaupt die Dresdener! . . . Jedoch . . . Jedoch der stellvertretende Herr wollte nicht auf mich verzichten.

Über Politik wollte ich nicht sprechen, jedoch mein Thema eigne sich nicht.

Ihm persönlich sage es außerordentlich zu, versicherte er.

Da wollte ich die Sache noch einmal berufen und verlangte mehr Geld.

In Kriegszeiten! erwiderte er bestürzt . . . Niemand, erhielte da ein höheres Honorar. Wenn ich auf meiner Forderung bestünde, sähe er sich zu seinem größten Bedauern gezwungen — er hoffe, es würde nicht dazu kommen — einen Ersatz zu suchen.

Aber da wurde ich nicht ohne Schrecken inne welche Strecke ich mittlerweile gelaufen und wie entschlossen, wie erpicht ich schon war, den Vortrag zu wagen.

Es sei ja nicht des Geldes wegen, schrieb ich postwendend, und vom Moment an, wo keine Zurücksetzung vorläge . . . Kurz, ich nahm, wie man sagt, meine Truppen etwas zurück.

Noch am selben Tage fuhr ich ins Gebirge.

Es verweilte dort die Sonne über einem noch unbeschneiten Berg, dessen braune Hänge etwas von den Reflexen und dem warmen Hauch des Sommers zurückhielten, und das Auge vergaß hier des Winters ganz und gar. Sommerlich lockte da auch die beschienene Bank auf der Höhe, die ich bestieg.

Tief unten, zu meiner Linken, lag jetzt im kalten Schatten das Dorf.

Also in Gottes Namen! dachte ich und zog ein kleines Heft und einen Bleistift hervor.

Allein es war, als hätte ein unsichtbarer Regisseur auf diesen Augenblick gepaßt, um ein Signal zu geben. Denn gleichzeitig und wie auf ein Stichwort hin wurde da unten ein großes Scheunentor aufgestoßen, und wie aus einer Kulisse brach ein Rudel zufriedener Schafe ins Freie hervor, ergoß seine wolligen Massen schnell über die Straße, die Brücke hin, und fing an, den sonnigen Berg zu erklettern.

Auf dieser Sommerstation arbeitete ich nun darauf los, apostrophierte die einsame Landschaft und baute, so gut ich es wußte, langsam und hartnäckig meine Worte auf. In dem altväterischen Gasthaus unten waren zwei ostpreußische Offiziere mit schlecht verheilten Wunden zur Nachkur angekommen. Der eine hatte Jaurès sprechen gehört, der andere hatte selbst Vorträge halten müssen; beide wählte ich eines Abends zu meinem Auditorium und las ihnen den meinen vor; sie fanden ihn unmöglich in allen Punkten und sagten es unverblümt. Es gelang ihnen sogar unverweilt eine Parodie desselben; die Gelegenheit schien einer Sonderbestellung von Kaffee und Kuchen durchaus würdig, es wurde viel gelacht; ich nahm an allem teil, aber in mir war das kalte Dorf. Denn los ließ ich jetzt nimmer, fuhr am nächsten Morgen in die Stadt zurück und machte die ganze Arbeit von vorn.

Die Zeit drängte, die Mühe war verzweifelt; ich ruderte darauf los, war auch schon wieder über die Hälfte Weges gelangt, als der „tote Punkt“ sich auftat und das unbemannte Boot an einer Sandbank festfuhr. Meine Kräfte genügten nicht, es wieder flott zu machen. Anfang und Ende lagen wie zwei geborstene Stücke und schlossen sich nicht an, alle Energie war vergebens. Es fehlte das Vermögen. Angestrengt und ausgelöscht zugleich starrte ich vor mich hin, als sich die Türe öffnete und ein von Begriffen schneller Freund, der mir lange kein Lebenszeichen gegeben hatte, unvermutet, wie auf höherem Geheiß, wie der Engel vor Tobias, unvermutet vor mir stand.

Ariel! rief ich aus, nahm nicht Zeit zu wissen, woher er des Weges sei, noch wie es ihm ging, sondern bestürmte ihn alsbald, mir zu helfen. Er war gleich orientiert, es bedurfte nicht vieler Erklärungen: wenn ich nicht zu bewegen war, von der Expedition zu lassen, dann war mir nicht anders zu helfen, als indem man mir half — und er machte sich im Augenblick daran, zu den paar kräftigen Rucken auszuholen, zu welchen mir der Atem ausgegangen war. Hei! Wie lustig schaukelte jetzt das gelichtete Boot die Wellen weiter.

Und war es im übrigen nicht durch seine Gesinnung verankert?

Schnell fuhr ich jetzt noch einmal in die Berge zurück und überraschte die beiden Ostpreußen durch meine Wiederkehr. Diesmal war auch eine Freundin zugegen. Es wiederholte sich jener Abend, nur daß nicht mehr gelacht wurde.

„Ich bin ja mit jedem ihrer Worte einverstanden,“ sagte der ältere Offizier, „aber was glauben Sie, was Ihnen alles an den Kopf fliegen wird, wenn Sie den Leuten das sagen?“

„Sie haben tausendmal recht!“ sagte der andere, „aber Sie werden nichts erreichen.

Es ist vergebens.

Es ist zu früh.“

Meine Freundin erbot sich, für den Kontraktbruch aufzukommen, wenn ich nur diesen Vortrag nicht hielt. Außerdem schiene ich krank. Der Arzt würde nicht anstehen, mich für reiseunfähig zu erklären. Und wie schön sei es hier in dem verschneiten gemütlichen Gasthaus. Nein, ich dürfe nicht gehen; — sie fuhren mich im Schlitten einen Paß empor. Dort sah man in der Tat die Herrlichkeiten der Welt wie von der Zinne eines Tempels; und man war ihr abgewandt, der wahnsinnig grinsenden Todesfratze des Krieges; ferne den genarrten Menschen war man dem Leben nah.

„Sie werden sich selbst nur schaden, ohne zu nützen,“ redete mir hier einer der Herren noch einmal zu. „Es ist zu spät.“

Doch wie hätte ich — auf ihre Zustimmung hin — ihrer Warnungen achten dürfen? „Tausendmal recht“ und „mit jedem Worte einverstanden,“ waren dies nicht ihre Worte gewesen? Was blieb da übrig, als daß ich den Berg Tabor wieder herunterging, um dem gelben Winternebel entgegenzufahren, welcher die Stadt mit ihren elektrischen Bahnen und ihren Zeitungsplakaten umhing?

Dort hatte ich jetzt einige Not mit meinen Bekannten: sie taten sich durch eine recht empfindliche Neugierde hervor und machten dabei ihr Interesse für mich geltend, sowie ihre Erfahrungen, oder die Ratschläge, die sie mir geben konnten. Doch wer immer den Vortrag hören wollte, der hörte nur von den zwei ostpreußischen Offizieren und ihrer Begeisterung. Der Eifer meiner Bekannten wuchs; sie meinten es gut, aber ich wußte es besser. Endlich setzten sie über meinen Kopf hinweg eine Generalprobe fest, bei der ich fehlte.

Ariel gegenüber beklagte ich mich über diese neue Art, mir zuzusetzen. Die Warnungen der drei Eingeweihten, welche immer lauter in mir nachklangen, je näher meine Abreise rückte, machten mir den Kopf ohnedies schwer.

Einen Verschworenen müssen Sie aber noch haben,“ meinte er. „Ohne ein paar Vortragsstunden wird es nicht gehen.“ Und er führte mich zu einer Schauspielerin.

Sie erwartete uns. Erst gab sie uns Tee in einem Raum von japanischer Leere und forderte mich dann unvermittelt auf, ihn mit Bewußtsein zu durchschreiten. Dabei stellte sich heraus, daß ich eine so einfache, stets so unbedenklich volltane Sache mit einem Male nicht mehr konnte; Arme und Beine waren mir wie mit Brettern angeschnallt und ich trat über die glatten Fliesen wie durch einen Bach. Als es dann ans Lesen ging, unterbrach sie mich zu Anfang sehr oft, schärfte mir auch ein, den Vortrag auswendig zu lernen, denn die Befangenheit spiele dem Neuling gefährliche Streiche; so könnte es sein, daß im kritischen Augenblick ein wilder Tanz unter den Buchstaben tobte und meine Augen machtlos wären, sie zu unterscheiden. Auch korrigierte sie an meiner Sprechweise und meiner Haltung.

Sie war, obwohl noch sehr jung, die erste Schauspielerin der Stadt. Ihr hellenisches Gesicht war von einer seltenen Klarheit, und ihr Haar schloß sich wie ein geflügelter Helm an ihre Schläfen. Langsam schien sich aber, während ich las, dies helle Bild mit Mißmut, ja fast mit Unwillen wie mit einem Gitter zu umziehen und zu entfernen. War es eine zu offenkundige schauspielerische Unbegabtheit oder waren es meine Worte, die sie verstimmten? — sie ließ mich reden. „Kennen Sie Dresden?“ fragte sie, als ich zu Ende war. „Jedenfalls sind Sie doch auf Widerspruch von seiten des Publikums gefaßt?“

„Aber nein!“ sagte ich. „Warum denn?“

Da fing ich einen raschen Blick auf, den Ariel ihr zuwarf.

„Ausgezeichnet!“ rief sie aus, als sei sie plötzlich im Bilde, und sie behing mich nun mit den wertvollsten Ratschlägen, wie mit Geschmeide: ich sollte mit meiner Kette spielen, während ich sprach, um mir einen Halt zu geben, und vor allen Dingen durch ein selbstbewußtes, sicheres, wenn nicht kommandierendes, wenn nicht gar impertinentes Auftreten jedem Verdacht an mein blutiges Anfängertum vorbeugen. Im übrigen würde ich meine Sache vortrefflich machen. Sie zweifle gar nicht daran.

„Und wenn es losgeht,“ sagte Ariel . . .

„Wenn es losgeht,“ fiel sie voll Eifer ein, „so treten Sie zwei Schritte vor,“ — und sie nahm mir das Heft aus der Hand, und wie zu einer tausendköpfigen Menge gewendet: „Ich bestehe auf meinem Recht, zu Ende zu reden!“ rief sie ihr schneidend und mit stolzer Miene entgegen.

Aber was sollte denn losgehen? Ich verließ sie ganz in Gedanken. „Es war kein Erfolg,“ wollte ich zu Ariel sagen. Aber da war er oben geblieben.

Als ich ein paar Tage später noch einmal zur Probe bei ihr erschien, lobte sie meine Fortschritte und war noch einnehmender und liebenswürdiger als zuletzt, und erst auf der Treppe befiel mich wieder der Zweifel: War es nicht auf Ariels Tun zurückzuführen, daß sie mich nicht entmutigte?

Meine Koffer waren gepackt —, ich stand zur Abreise bereit, als eine Alarmdepesche des stellvertretenden Herrn eintraf, mit der Zumutung, ein zweites Manuskript für alle Fälle mitzubringen, weil das Generalkommando mein Thema vielleicht doch beanstanden würde. Jetzt noch zurücktreten? — Ich dachte nicht daran. Höchstens auf einen zweiten Titel für ein und denselben Vortrag wollte ich mich unterwegs besinnen, kaufte auch schnell ein Heft, um es zwischen München und Dresden mit einer unleserlichen Schrift zu überziehen. Die übrige Zeit lernte ich auswendig, als gelte es mein Leben.

Sechster Brief

Wieder habe ich ausgesetzt. Es fehlte mir der Mut, weiter zu schreiben. — Während der Erdteil sich mit alten Leuten zu füllen scheint, weil sie die zahlreicheren geworden sind, und die Söhne die vom Tode Erlesenen sind, ihre Herzen es sind, die erkalten, inmitten des Feuers, des Wahnsinns, des Taumels der Völker, gebricht der Mut, so winzige Dinge weiter zu erzählen. Ich glaube, wir sprachen einmal davon, als du noch lebtest.

Aber die Hauptsache ist doch der Posten, so sagtest du, gleichviel welcher, und auch wenn es nur ein unbestallter und selbstgeschaffener wäre, und der Uniformierte sei letzten Endes nur ein sinnfälliges Abbild desjenigen Soldatentums, dem keiner entlaufen darf. So bedarf es denn keiner Entschuldigung, vielmehr obliegen mir diese Briefe, auch wenn sie nur die eines freiwilligen Grenzwächters sind, dessen Dienste unbegehrt, dessen verzweifelte Zeichen stets unverstanden blieben.

So höre denn, wie es weiterging.

Als ich vor dem Hotel Bellevue ausstieg, war es Mitternacht, und von der Fahrt in der überhitzten Kohlenluft und dem Auswendiglernen erschöpft, nahm ich das erste beste Staatszimmer; zu Kriegspreisen. Auch zog noch, trotz der späten Stunde, ein aufrechter Pikkolo mit gedeckten Schüsseln schwungvoll auf, und es waren nur mehr so abgelegene und unbeschwerte Bilder wie die des Marquis von Carabas und des gestiefelten Katers, an welchen ich festhielt.

Nicht so der stellvertretende Herr.

Allzu zeitig hing er schon am Telephon und gab mir seine Besorgnisse kund. Infolge eines neuen Erlasses, daß jeder Vortrag, welcher sich mit dem Kriege befaßte, acht Tage vor dem Termin eingereicht werden müsse, hielt jetzt das Generalkommando mit der Genehmigung zurück.

„O! Das Generalkommando wird gar nichts gegen meinen Vortrag einzuwenden haben,“ sagte ich, den Ellenbogen bequem aufgestützt, in das Rohr hinein.

„Aber nein! Aber keinesfalls! Diese Versicherung habe ich auch auf das ausdrücklichste gegeben, und ich habe kräftig vorgebaut,“ klang es lebhaft, fast aufgeregt zurück.

Nun, dachte ich, da ist jemand, der ja auf das Zustandekommen meiner Rede zu brennen scheint. Da kann ich mir den Luxus der stets so kleidsamen Gelassenheit erlauben.

„Hallo!“

„Ja?“ sagte ich.

„Ah — ich dachte, wir seien unterbrochen.“ Und er fragte, um welche Zeit er die Ehre haben würde, von mir empfangen zu werden.

„Um fünf Uhr.“

Er bat mich mittlerweile, den Saal des Künstlerhauses anzusehen und dort meine Bestimmungen zu treffen. Ein Auto brächte mich in wenigen Minuten hin.

Ich nahm die Elektrische. — Wie eine Sächsin mitten unter Sachsen fuhr ich dahin, bis mir der Schaffner sagte, hier sei die Albertstraße. Das Künstlerhaus stand hart vor mir. Ob mich ein Herr oder ein Fräulein zum Saal geleitete, weiß ich nicht mehr, meine Wünsche aber, welche der stellvertretende Herr ebenso viele Befehle genannt hatte, sollten sich durchwegs als weise Vorkehrungen ergeben, insbesondere die Aufstellung des Pultes in nächster Nähe der Türe. Sanft, aber bestimmt verordnete ich Seitenlicht, Stehlampe und Halbdunkel. Immer dabei in die Luft sehend, wie die Schauspielerin mir gelehrt hatte; jeder Zoll die routinierte Rednerin. Guten Tag.

Und dann ging ich spazieren. Immerzu. Es regnete. Jedoch ich lief wie eine Uhr. Die Museen und Kirchen waren geschlossen; die Brühlsche Terrasse, umfinstert und naß, lockte nur mich. Feldeinsam, und der Elbe zugewandt, stellte ich mich dort auf und sagte den ganzen Vortrag probeweise noch einmal her, die Stelle über die Journalisten mit besonderer Betonung.

„So können wir gar nicht verstehen,“ rief ich mit aufgespanntem Schirme und mit meiner Kette spielend den triefenden Bäumen und den umnebelten Ufern zu, „so können wir gar nicht verstehen, daß die Völker, die doch schon allesamt ihre Revolutionen hatten oder zu haben versuchten, warum sie sich allesamt ihre hetzerische Presse noch gefallen lassen, warum sie sich die noch nicht verbaten. Wann werden die Vertreter der würdigen Blätter dagegen protestieren, daß solche Mörder der Gesellschaft sich ihre Amtsbrüder nennen? Man hat schon Regierungen davon gejagt, aber der Herausgeber eines Hetzblattes thront wie ein Gesalbter des Herrn auf seiner Redaktion. Argwöhnisch wird das Tun und Treiben eines Monarchen verfolgt, wer aber hat es gewagt, gegen den ‚Matin‘ einzuschreiten, der schlimmer als eine russische Knute Wahrheit, Vernunft und Mäßigung unterdrückt. Aber in jedem Lande,“ fuhr ich mit erhobener Stimme fort, „gibt es Erscheinungen, die dem ‚Matin‘ nacheifern, ohne ihn zu erreichen; es ist unleugbar, daß die öffentliche Meinung sich der Lüge leichter als der Wahrheit ergibt, und deshalb wäre heute nichts notwendiger auf der Welt, als daß eine Sezession innerhalb der Presse entstünde.“

Der langweilige Tonfall des Regens gab mein einziges Echo ab; das war jetzt. Heute abend würde man nicht umhin können, mir hier zuzurufen. Der großen Mehrheit würde ich mit diesen Worten aus der Seele sprechen. Ärgern konnten sich da nur die paar, die sich getroffen fühlten. Aber was wollten sie machen?

Ich hatte ja recht. Was ich sagte, war ja wahr. Ein bedenkliches Omen war nur dieser Mangel jeglichen Lampenfiebers. Besann ich mich recht? Es galt, die Probe zum ersten Male zu bestehen. Aber selbst, als es schon dunkelte, und auf dem Heimweg noch waren meine Gedanken unbeteiligt.

Indessen harrte schon mein Ritter, der betriebsame und stellvertretende Herr in der Halle des Hotels. Er war klein und schwarz. Das Generalkommando hielt noch immer mit seiner Genehmigung zurück und machte ihm Sorgen. Sie würde schon kommen, beruhigte ich ihn. Es war ein langer Besuch. Die Dresdener kamen nicht mit der ersten Note bei ihm weg, und da ich nicht wußte, ob er ein Sachse sei, nahm ich sie höflich in Schutz. Warum aber gab er sich die Mühe, den Mann der weiten Welt vor mir zu spielen? und daß er Vettern in Paris besaß, wie gleichgültig war das! Zugleich erschrak ich doch, daß so hart vor Torschluß ein so deutliches Gefühl der Langeweile Raum in mir finden konnte. Da flocht er in bedeutsamem Tone ein, daß die gesamte Dresdener und sogar ein Teil der Leipziger Presse meinem Vortrag beiwohnen würde. Jetzt war ich ganz Ohr. Den Abend sollte ich dann als Ehrengast dieser Herren in ihrem Kreise beschließen. Wollte ich das?

Aber ganz gewiß wollte ich das.

Als er mich verließ, war es höchste Zeit, mich umzuziehen. Die Hoteljungfer half mir dabei. Und wie gefällig, wie sorgfältig sie war! Sie erzählte von ihrer Existenz; es interessierte mich. Aber plötzlich sagte sie: „O es ist spät!“ Da faßte mich ein großes Entsetzen. Ich eilte hinunter; es war kein Auto zur Stelle, und es kam auch keines. Erst nach langem Warten fuhr ein alter Fiaker mühselig vor, und indes der Zeiger über die achte Stunde immer weiter hinaus rückte, zog er mich gemach durch die Dunkelheit.

Doch grelles Licht ergoß sich über die Treppe des Künstlerhauses, und blendende Flächen, von Finsternis umhaucht, zogen sich kreisförmig über den Platz. Nirgends ein Kommen und Gehen mehr. Ich stieg allein und verspätet die Stufen hinauf. Durch eine zufällig sich öffnende Tür sah ich den Saal in der vorgeschriebenen Beleuchtung.

Alle waren versammelt, vertrieben sich plaudernd die Zeit, und es fehlte nur ich. Befrackt — und unruhig, und doch beglückt, eilte mein Ritter durch die Gänge auf mich zu: das Generalkommando hatte soeben den Vortrag bewilligt. Es war also richtig niemandem eingefallen, ihn mir vorher abzufordern. Aber wie ein anderer Benvenuto Cellini hatte ich stets gewußt, — ohne zu wissen, — daß es so kommen würde. Im Künstlerzimmer wartete auch schon ein älterer Herr, um mir in aller Form das Honorar zu überreichen. Ich unterschrieb — schob es in meinen Muff, und mein Ritter —, ritterlich zum letzten Male, bot mir den Arm. Es war ein Weg, den ich aber lieber allein ging, hatte ich doch keinen einzigen Freund, keinen einzigen Bekannten im Publikum geduldet. Ich dankte also.

Es sei Zeit, sagte er zurücktretend.

Da stieg ich schnell die paar Stufen hinauf und öffnete die Türe des Saales. —

Doch unwillkürlich machte ich eine Geste und betrat ihn wie einen Salon. Denn angesichts dieser versammelten Menschen überkam mich, zwischen Türe und Pult, mir selber unerwartet — statt Befangenheit, das größte Sicherheitsgefühl meines Lebens. Es verließ mich auch dann nicht, als ich vor meiner Stimme erschrak. Die Gesichter waren deutlich erkennbar: ein Mädchen und ein junger Mann, Geschwister, wie mir schien, ein Herr in Uniform, einer, dessen weiße Haare hervorstachen, zwei andere in mittleren Jahren, mir schon von der zweiten Seite an abhold. In den vorderen Reihen ältere Damen. Ich hielt mich an die jungen Gesichter. Sie zeigten Interesse, wohlwollende Neutralität.

Daß zu Anfang des Krieges Selbstzufriedenheit und ein gewisses Selbstlob herrschten, sagte ich, war wohl unerläßlich. Aber inzwischen hat sich die Luft Europas durch dieses Verfahren bedeutend verschlechtert. Man redet voneinander, als gedächte man nie wieder miteinander auszukommen, und dies ist nicht die Lehre, die wir aus der furchtbaren Prüfung dieses Krieges ziehen sollen, noch liegt hier Pietät für die Gefallenen. Umsonst sind heute die Erschlagenen, die nichts mehr wissen von unserem Hader und gemeinsam das Schattenreich bevölkern, wenn sie den Haß nur besiegelten.

„Sie verstehen gar nichts!“ schrie einer.

Ich achtete dessen nicht. Niemand, sagte ich, mit meiner Kette spielend, gerät in Friedenszeiten auf den Gedanken, die Verbrecherstatistiken anzurufen, um den Geist einer Nation zu beschreiben. Heute sollen mit einem Male solche Verwechslungen richtig, erlaubt, erwünscht sein! Wir müssen das Bleibende im Charakter einer Nation vor so niedrigen Berührungen verteidigen . . .

„Wie anders ist die Haltung der Offiziere! Nichts ist ihnen peinlicher als der Gedanke, man könnte annehmen, sie hätten keine ehrenhaften Feinde! Und der Takt so manchen Pfahlbürgers hat schon durch eifriges Forschen nach den Ungesetzlichkeiten und Greueln der Gegner peinlichen Schiffbruch erlitten.“

Es waren die zwei Sätze, die Ariel mir geschenkt hatte.

Doch nichts vermochte mehr die frostige Atmosphäre zu heben. Ich suchte die lichteren Gesichter und konnte sie nicht mehr finden. Lag es an mir, oder hatten sie sich von mir abgewandt? Ich war allein; auf meinem Podium wie auf einer Klippe; unter mir eine kalte unruhige Flut. Es mißfällt ihnen alles, dachte ich resigniert; aber nur Mut! Jetzt kam schon die vorletzte Seite und dann wars überstanden.

So können wir gar nicht verstehen, sprach ich frei und brauchte keinen Blick in das Heft zu werfen, daß die Völker sich allesamt ihre hetzerische Presse noch gefallen lassen. Wann werden die Vertreter der würdigen Blätter dagegen protestieren, daß solche Mörder der Gesellschaft sich ihre Amtsbrüder nennen? Regierungen hat man davon gejagt, aber der Herausgeber eines Hetzblattes thront wie ein Gesalbter des Herrn auf seiner Redaktion. Argwöhnisch wird das Tun eines Monarchen verfolgt, wer aber hat es gewagt, gegen den „Matin“ einzuschreiten, der, schlimmer als eine russische Knute, Wahrheit, Vernunft und Mäßigung unterdrückt. Aber in jedem Lande gibt es Erscheinungen, welche dem „Matin“ nacheifern . . .

„Infamie!“ schrie ein Getroffener auf

Der Mann mit den weißen Haaren war vom Stuhle gesprungen. „Eine unerhörte Gemeinheit!“ rief er laut durch den Saal, und ihn quer durchschreitend, ging er empört zur Türe. Ein dritter hatte sich von seinem Platz erhoben und schleuderte jetzt in den hohen Wellengang eine Rede aus dem Stegreif gegen mich. Ich sah einen bärtigen Kopf, von Haß entstellt, und sah ihn so deutlich, daß mich eine Ruhe, eine Genugtuung, eine Kühle überkam, wie aus der Tiefe eines Ziehbrunnens emporgeweht, und ich diesen Wutausbruch als eine Ehrung entgegennahm. Denn ich hatte ja recht, und was ich sagte, war ja wahr. Hätte man nur zehntausend hetzerische Zeitungsschreiber aus allen Ländern zusammengetrieben, dachte ich geradeaus starrend, hätte man nur zehntausend von diesen Erzfeinden zusammengetrieben, die ihre finstere Gewalt über die urteilslose Masse mißbrauchen, in allen unseren Ländern den gesunden Kreislauf im Blute unserer Völker unterbanden, und wo immer diese überzugreifen und nach Ergänzung strebten, hintanhielten und endlich zurückwarfen, weiß der Teufel auf wie lange, hätte man sie nur rechtzeitig zusammengetrieben, die heute weiterkläffen von allen Ufern des Roten Meeres, das gespeist wird von dem Blute Millionen Unschuldiger, so hätte man heute nicht in allen Ländern, welche dieses Rote Meer umgrenzen, man hätte heute nicht das Schauspiel junger Krüppel, junger Blinder, überfüllter Narrenhäuser, zu Greisen geschlagener Jünglinge, und gute friedliche Völker, die sich liebten, ja die sich liebten, sie, die sich liebten, hätten nie daran gedacht, sich Leid zuzufügen ohne Euch, die Ihr Euch hergabt zu Urhebern aller Greuel, indem Ihr sie erzähltet, wo Ihr sie nicht erdichtetet, so daß sie gleich alle als „Repressalien“ entstanden! Ja, hätte man zehntausend hetzerische Journalisten aus unseren Ländern zusammengetrieben und gehenkt, o wieviel wertvolle, hoffnungsvolle Menschen wären in all diesen Ländern heute am Leben! Statt dessen seid Ihr es, die Ihr noch lebt, die Ihr den Glauben an die Menschheit und an die menschliche Güte vergiftet habt, die Ihr einer bösen Schwäre gleich Europa von einem Ende zum anderen überzieht, Ihr, die Hetzer, die Mitschuldigen an diesem Kriege, deren Knochen, wie die der Schächer, hätten zerbrochen werden sollen, bevor wir zuließen, was jetzt geschieht! —

Aufgewühlt von solchen Gedanken, starrte ich geradeaus, während der Mann seine Gegenrede hielt. Aus groben Platitüden zusammengesetzt und im wüstesten Zeitungsstil gehalten, war sie doch von großer Geläufigkeit und schloß sehr wirksam mit der Aufforderung, ich sollte doch hinabsteigen in die Gräber, um mich von den Verstümmelungen und ausgestochenen Augen, an die ich nicht glaubte, zu überzeugen; für eine so billige Emphase heimste er dann den ganzen, schönen, ursprünglich für mich gedachten Applaus für sich selber ein.

Aber der jungen Schauspielerin eingedenk, trat ich zwei Schritte vor und bestand auf meinem Recht, zu Ende zu reden. Doch siehe: mein Ritter wars, welcher da mit offenem Visier auf das Podium stürzte und mit gesenkter Lanze an meine Seite stob, um jede Verantwortung für meinen Vortrag weit von sich zu weisen. Hätte er geahnt . . . und er berief sich jetzt auf das Generalkommando, welches auch nicht geahnt hatte. O wie anders waren jetzt seine Sorgen als am Vormittag! Wie ferne war Cosmopolis, und wie vergessen die Vettern in Paris! Das Dresdener Publikum hingegen erhob er jetzt zum Richter über mich, auf daß es entscheide, ob ich zu Ende reden dürfe oder nicht.

Nun waren Ja-Rufe die erste Antwort auf diese Frage; sie wurden aber sofort von wütenden „Nein“ niedergeschrien, und was jetzt entstand, darüber konnte kein Zweifel sein, war ein regelrechter Tumult. Und sah ich recht? — ballte da wirklich ein ehrenwerter Herr die Fäuste gegen mich?

Mein Staunen war grenzenlos. Trotz aller Warnungen meiner Freunde und ihrer so bestimmten Prophezeiungen über die unausbleiblichen Folgen meines Tuns, stürzte ich von allen Höhen angesichts des Sturmes, den ich heraufbeschwor. Offen gestanden hatte ich mir — nie ernsthaft natürlich, aber in Momenten der Müdigkeit und zur Kurzweil — hatte ich mir ausgemalt, wie ein rabiater Reporter mir auflauern würde, und ich wie Brutus vor der Türe zusammenbrechen, hierdurch aber die gute Sache unendlich fördern und den großen internationalen Generalstreik gegen jegliche Hetze sogleich und überall beschleunigen würde. Ja, sogar der Möglichkeit einer kleinen Gedenktafel hatte ich schon in Gedanken vorgegriffen, nur die eines Tumultes hatte ich nie erwogen, und ich fiel von allen Himmeln, als er einsetzte. Denn ich hatte ja recht. Und was ich sagte, war ja wahr. Indessen war die Situation auch für den Unbelehrbarsten nicht zu verkennen: eine wüste Skandalszene, als deren Mittelpunkt ich hier oben stand inmitten einer gegen mich gerichteten Majorität, oder falls es eine Minorität war, machte sie jedenfalls den größeren Spektakel, so daß sie einer Majorität gleichkam. Kurz entschlossen griff ich da zu meinem Heft, nahm meinen Muff, und ohne einen Gruß (hätte ihn doch gerade der mit den geballten Fäusten für sich nehmen können!) verließ ich das Podium und war fort.

Doch kaum hatte ich das Künstlerzimmer betreten, als es von der anderen Seite gestürmt und die gegenüberliegenden Türen aufgestoßen wurden. Vom Saal her tönte noch ein so wilder Lärm, daß ich angesichts dieser fremden und aufgeregten Leute, die alle auf mich eindrangen, unwillkürlich zurücktrat.

Es war jedoch die Schar derer, welche meine Äußerungen billigten und sich nun in Sympathiekundgebungen überboten und sich entrüsteten und wollten, daß ich meine Meinung über Dresden nicht nach den Erfahrungen dieses Abends bilde; und eine alte Frau sprach von dem Schaden, den sie durch die Aufregung davontrug, ermahnte mich aber dabei auf eine so merkwürdig eindringliche, so wissende, so atemlose Art, niemals meine Worte zu bereuen, daß ich zum ersten Male in innere Bewegung geriet; aber gleich darauf wurde ich wieder munter, und Kampflust lebte wieder auf, denn war da im Hintergrunde nicht mein Ritter, der sich mir zu nähern suchte? Während er mich so umringt und nach allen Seiten danken sah, kam er sachte auf mich zu. Richtig, und er sprach mich an. „Ich habe Sie gewarnt,“ sagte er verbindlich.

„Nein — ich habe Sie gewarnt!“ gab ich mit meiner schrillsten Kopfstimme zur Kenntnis. „Sie werden sich erinnern . . .“

„Ich habe Sie gewarnt! Dreimal!“ unterbrach ich ihn so weit vernehmlich, und so entschlossen, das letzte Wort, das er mir abgeschnitten hatte, diesmal zu behalten, daß er es vorzog zu entschwinden.

Aber die Entrüstung über ihn, wie meine Partei sie äußerte, brachte ich nicht auf. So weltkundig war ich seit einer Viertelstunde geworden. — Hier war einer, der es für Wahnwitz hielt, es mit den Alberichen der Presse, was immer er im stillen über sie dachte, offen zu verderben. Indem er Deckung suchte, tat er nur, was fast alle anderen taten. Bei dem Schmaus, zu dem er sich jetzt begab und bei dem ich hätte präsidieren sollen (himmlisch!), würde es ohnehin schwer auf ihn niederhageln. Sollte ich ihm grollen, daß er schnell seinen Schirm aufriß? Sah er denn wie ein Desperado aus? — Langsam von Begriffen, zog ich doch schnell meine Konsequenzen, und viel eher wunderte ich mich jetzt über die kleine Schar, die zu mir hielt.

Für den Rückzug ins Hotel war mir sogar eine Leibgarde von vier Damen geblieben. Das Wetter hatte sich aufgeklärt und wir gingen zu Fuß. Sie boten mir ihren Schutz, ihre Häuser, ihre Gastfreundschaft, — aber ich hatte nur den Wunsch, möglichst schnell von Dresden fortzukommen. „Wollen Sie mir beim Packen helfen?“ fragte ich sie und nahm mein unbekanntes Quartett zu mir hinauf.

Hurtiger war ich noch nie reisefertig geworden, aber so dankbar ich ihnen war, so gut besonders die eine von ihnen mir gefiel, der Wunsch allein zu sein, wurde mit einem Male übermächtig. Und als sie mich verließen und ich die Türe hinter ihnen schloß, gedachte ich die wenigen Stunden bis zum trüben Morgen zu verschlafen.

Doch kaum hatte ich das Licht gelöscht und die Augen geschlossen, da warf sich ein Frost über mich her und schüttelte mich, daß meine Zähne immer wieder zusammenschlugen. Aber zugleich schlug auch eine wirklich beseligende Trauer wie ein Mantel über mich hin; und jetzt erst war ich mir bewußt, was dieser Abend mir selber bedeute: — Ein Stein, der mich fast erdrückte, war von meinem Gewissen fortgewälzt, und ich hatte mir eine Lichtung inmitten des Gestrüpps und einen Weg erfochten. Dies und noch etwas anderes.

Nie ist der Mensch so wahrhaft er selbst, wie in Momenten, in denen er, seiner selbst kaum mehr bewußt, nicht mehr weiß, daß er Augen hat und ein Gesicht, und nichts mehr von seinen Händen weiß und gleichsam ohne Füße wandelt. Und nie ist er doch so restlos er selbst, — wer erklärt das? — als wenn eine Idee ihn allem Persönlichen so weit entreißt, daß er — nur mehr ein Kleiderfetzen, nur ein Schemen mehr — dennoch höchstem Gefühl des Seins teilhaft wird, während er doch in solchen Augenblicken sein Leben, schier ohne es zu merken, verlöre.

Die Laternen brannten noch, als ich zur Station fuhr, und als die Dresdener sich ihres Morgenkaffees erlabten und ihre Morgenzeitung entfalteten, stieg ich schon am Anhalter Bahnhof aus. — Doch von Berlin erzähle ich dir ein anderes Mal.

Siebenter Brief

Natürlich ziehe ich München vor. Berlin ist mir nur insofern lieber als es größer ist; eine Stadt ist immer zu klein. Wenn schon, ei, so gebt mir die größte, die es gibt, oder dann gleich die Einsamkeit der Schlucht. Es ist ja mit den Menschen wie mit Lotterien, und nur deshalb sind Provinzstädte so hoffnungslos zu denken, weil nicht anzunehmen ist, daß auf eine beschränkte Zahl von Einwohnern oder von Losen ein Treffer kommt. Die Rechnung ist von furchtbarer Einfachheit.

Darum wird man in dem unmusikalischen Berlin mehr musikalische Leute antreffen wie in dem musikalischen München. Darum hast du und andere große Musiker das Pariser Publikum so sehr geliebt.

Um auf Dresden zurückzukommen, so konnte mir nach dem dortigen Abend nicht nur keine Stadt, auch kein Hotel groß genug sein. Zaghaft sprach ich im Adlon vor, doch ein engelsguter Herr tat nicht, als ob er meinen Namen hörte; ich hatte ein Dach über mir, und ich hatte ein Zimmer, dessen Vorhänge ich alsbald zusammenschloß, das kreidige Licht des Tages auszuschalten, denn mir schien, als hätte ich fürs erste einiges zu vergessen.

Doch ein heftiges Klingeln über meinem Kopfe schreckte mich ins Bewußtsein zurück, und der erste Kondolenzanruf aus München drang in mein umdunkeltes Gemach.

Schon.

Die Zeit war den Leuten nicht zu schade gewesen, um sogleich den Vorfall nach allen Gegenden des Reiches zu posaunen, und nur den wenigsten Redaktionen war diese Zeit zu ernst, um solch aufgeregte Telegramme mit ihrem sichtbaren Stempel der Unverbürgtheit aufzunehmen. Das gelesenste Blatt meiner Vaterstadt gab flugs eine augenfällige Notiz zum besten, die zu berichtigen ich mich nicht beeilte, indes der Wald meiner Bekannten und die Flora meiner Freunde, sie, die ich so oft die Skrupellosigkeit, mit welcher die Journalisten wider besseres Wissen, ja geradezu auf Widerruf hin, Nachrichten verbreiteten, sowie die Leichtgläubigkeit der Vielen hatte verpönen hören, welche alles glaubten, was in der Zeitung stand, sie glaubten jetzt so unbesehen, was in der Zeitung stand, daß sie sich nicht einmal nach meiner eigenen Aussage umtaten, sondern, mit wenigen Ausnahmen, stiegen sie da unverweilt zu jener Leichtgläubigkeit, von welcher sie sich abseits glaubten, und ihrem verachteten Niveau herab. Besten Falles gaben sie mir ihr Bedauern kund, daß ich es jetzt mit der Presse verdorben hatte, doch ich dachte besser von ihr; gab es doch in der Presse, wie überall, anständige Leute, und ihrer war ich ganz sicher. Die andern aber . . . ja war es denn nicht Bürgerpflicht, es mit den andern zu verderben?

Der Rat der weisen alten Dresdnerin war indessen doch zur guten Stunde gekommen, denn es war nicht angenehm, in der Halle des Hotels all die Zeitungen aufliegen zu sehen, in welchen mein Name unter so fantastischen Überschriften zu finden war. Je weiter vom Orte der Handlung, desto freier natürlich tummelten sich die Reporter; es kostete ja nichts, mir in Steiermark deutschfeindliche Äußerungen „entschlüpfen“ und mich in Rüdesheim die deutschen Frauen, von welchen ich kein Wort gesagt hatte, beschimpfen zu lassen. Von allen Zeitungsfirmen wirbelten mir Ausschnitte, manche vier Spalten lang, entgegen, überall mit dem Angebot: Willst mehr du noch hören?

Aber der Geschmähte ist, wie ich vermute, schneller blasiert wie der Gefeierte; zu sehr gelangweilt schon, um auf weitere Äußerungen zu abonnieren, erfuhr ich von den paar freundlichen Stimmen nur mehr durch Hörensagen.

Im Gegensatz zu München nahmen meine Berliner Bekannten die Entrüstung der Journalie mit Humor. Was Wunder, daß mir die äußerste Linke Sympathie bekundete? Aber auch die äußerste Rechte war so seltsam. Auch diese Hand schien im stillen über mich gebreitet und klopfte mir, wenn niemand hersah, leise, unmerklich auf die Schulter, wenn auch unsicher, zögernd und nicht wissend, was sie wollte . . . . . .

Mit welchen Kreisen hatte ich es denn also verschüttet? — Ich besann mich auf eine, mit dem Reich der Mitte (oder wollen wir es die Lande der sechs Verbände nennen?) aufs engste verquickte Honoratiorin. Sie war selbst am Telephon, fragte erschrocken, wie mir sei, und entschwand. Dann kehrte sie ein wenig atemlos zurück und lud mich zu Tische ein. Aber mit Intimitäten war mir in diesen Gegenden nicht mehr gedient, sondern ich wollte einen letzten, richtig gehenden Tee im Rundkreis ihrer Bekannten.

Die hätten jetzt so schrecklich viel zu tun, sagte sie hastig. Allein ich zweifelte nicht, daß sie kommen würden. Da sie mich im unausgepfiffenen Zustande kannten, würde die Neugierde sie mir noch einmal entgegenführen.

Ich täuschte mich nicht: sie erschienen alle, und einige darüber. Sogar ein Töchterchen, das hier nichts zu suchen hatte und ihrem Lazarett ausgerissen war, saß da hart vor mir und starrte mich unverwandt und vorwurfsvoll unter ihrer Haube an, während man sich sehr lebhaft und außerordentlich pointiert über das Maß, den vorbildlichen Gerechtigkeitssinn, die rührende, fast langweilige Milde der deutschen Journalisten unterhielt.

Bequem in dem besten Klubsessel hingegossen hörte ich zu. — Hier kannte man Parteien wieder! Ich sah vom einen zum anderen und saß wie im Parkett. — Bald schlug ihr eigentliches Leitmotiv, das, worauf sie alle gestimmt waren, an, und wie von einer Strömung erfaßt, fielen ihre Worte im reißenden Lauf. Um alles, was sie zu behalten gedachten, handelte es sich jetzt, und auch, was man draußen noch nicht hatte, behielten sie hier. Ein gewichtiger Industrieller klopfte mit starken Besitzerfingern auf den Tisch. Und wie munter sie wurden! Meiner vergaßen sie ganz in ihrem Sprudel.

O, wie durchfuhr mich da glühenden Stoßes ein Erinnern! Es war kurz zuvor in einem windumrauschten Schloß gewesen, einst so festlich, jetzt ein Lazarett. Von den Offizieren fiel einer durch seine merkwürdig schöne, zusammengerissene Haltung auf. Er war aus dem Schlachtfeld allzu unvermittelt in eine Atmosphäre versetzt worden, die sich mittlerweile etwas zu ähnlich geblieben war. Es ging das Gerücht von einem peinlichen Auftritt zwischen ihm und ein paar Düsseldorfer Fabrikanten.

In der Tat wollte etwas in seinem Gesicht nicht zu seiner Haltung stimmen: in seiner Glätte einem verwaschenen Steine gleich, war es so blank und doch so abgewandt, so hell und doch von einer Trostlosigkeit getragen, die weder die Züge noch der Ausdruck dieses Gesichtes, sondern nur die Atmosphäre dieses Menschen verriet. Und dabei war etwas so intensiv Abwehrendes in ihm, daß es keine andere Art gab, ihm entgegen zu kommen, als ihm aus dem Wege zu gehen.

Ich war vor meiner Abfahrt trotz des Sturmes in den Park und bis zu einem Gartenhäuschen hingegangen, das schon die leeren Äcker überhing, dessen bernsteinfarbene Scheiben und bemalte Mauern aber einen sommerlichen Trug durch alle rauhen Monate hindurch behaupteten. Diese tapfere Pagode betrat ich ahnungslos. Denn vor mir war jener Offizier, auf einem Liegestuhle hingeworfen, und das Gesicht in die Lehne gedrückt, als ob er schliefe; vor dem Windstoß, der hinter mir die Türe zuschlug, sprang er auf, und da war es, mein Gott! daß ich ein von wilden Tränen überströmtes Männergesicht überraschte, und vor Entsetzen über diesen Anblick und vom Affekte hingerissen, wie eine Megäre diesen Krieg verfluchte. Aber dies verratene Gesicht und der Blick dieser jammervollen Augen entzog sich und erkaltete noch mehr. „Draußen ist es schön,“ sagte er schroff.

Das nächste, was ich von ihm sah, war sein Name unter den Gefallenen.

Ihn sah ich jetzt vor mir: von Bildern gejagt, die zu Furien sich verdichteten, und wie Orest vor ihnen hingestürzt; an ihn dachte ich jetzt.

Denn in das Gespräch dieser daheim gebliebenen Draufgänger mischte ich mich nicht; es lohnte sich nicht; und sie hatten ja recht! Aber so wie die Kriegsberichte der einen recht haben, nur muß man zur Orientierung auch die der anderen lesen. So äußerten sie über die französischen Zeitungen unwiderlegliche Dinge, und wenn sie sich über die niederträchtigen Beschimpfungen dieser Presse unterhielten, so war es nicht möglich, ihnen zu widersprechen oder ihre starken Ausdrücke als zu stark zurückzuweisen.

Aber es ist wirklich grotesk, mit welcher Naivität Leute, welche selbst die Insulte handhaben, überall ihre eigenen Insulten überhören; sie merken stets nur die der anderen. Und darum werden es stets die Hetzer sein, die sich über die Hetze der gegnerischen Seite entrüsten. Die anderen brauchen das nicht. Sie haben kein Organ für solche Dinge. Das dreiste Schimpfwort Barbaren wird sie eben so wenig treffen, als sie selbst sich erdreisten werden, Ausdrücke wie „Fäulnis“ und „Aasgeruch“[1] zu gebrauchen, wenn sie von der edlen und unsterblichen Nation der Franzosen reden. Denn sie sind keine Barbaren und wissen es infolgedessen besser.[2]

Diesen anderen aber dünken infolgedessen solche Ausdrücke durchaus nicht für Beleidigungen; und sie werden eine Kultur, die ihnen deshalb eine so absterbende dünkt, weil sie keinen Schimmer von ihr haben, in allen Tönen und Varianten morsch und putrefakt nennen.

Kapitänleutnant Mücke aber, der mit ihnen kämpfte, diesen Franzosen, welche die Zeitschrift schildert, Kapitänleutnant Mücke äußert sich folgendermaßen: „Der Kommandant des französischen Torpedobootes hatte bei der ersten Salve beide Beine verloren. Als er sah, daß ein Teil der Mannschaft über Bord sprang, schrie er: Bindet mich fest! Ich will nicht überleben, daß Franzosen ihr Schilf verlassen. Tatsächlich ist er als tapferer Kapitän an dem Mast gebunden untergegangen.“

Nun aber die Zeitungen: Als wir die Franzosen später fragten, warum sie vor unseren Rettungsbooten weggeschwommen seien, sagten sie: ‚On nous dit que les Allemands aimaient à tuer leurs prisonniers.‘ Man darf ohne den allerletzten Beweis keinen, auch den größten Schurken, eines Verbrechens anklagen, aber noch immer ist dies eine gesetzlose Welt den Volksverleumdern gegenüber, die wie eine Schwäre ganz Europa so lange überziehen werden, bis es endlich einen Paragraphen gegen sie gibt. Dann erst würden sich auch alle diejenigen besinnen, die sich heute zu ihren Gesellen erniedrigen. Neulich bemerkte jemand so richtig: ‚Immer hören wir, es trügen überall nur ganz wenige eine Verantwortung an diesem Kriege, und die Vielen seien überall ganz unschuldig daran, während es sich doch gerade umgekehrt verhält, und überall die Vielen auf tausenderlei Weise, und wäre es nur durch ihre Gedankenlosigkeit, teil an der ungeheuren Blutschuld haben, und nur die Wenigsten mit reinen Händen vor ihr stehen.‘

Dem Führer der Emden versagte die Stimme und der Schmerz übermannte ihn, als man die Besatzung eines Schiffes, das er torpediert hatte, verloren geben mußte. Aber vor mir saß eine dicke, unnütze und ordinäre Baronin und sprach ihre Genugtuung über die Bomben aus, welche London getroffen hatten.

O! du hättest hören sollen, wie sie redeten! Und hier saß keiner, der den Frieden um des Friedens halber ersehnte, vielmehr saß hier keiner, der nicht irgendeinen Vorteil aus all dem Jammer zog, der heute den Erdteil erfüllt. Ein Haß wie eine dunkle Säule richtete sich in mir auf gegen diese Gesellschaft, in deren Mitte ich zum letzten Male saß. Denn dies ist das einzig Gute an diesem Krieg, daß man aufräumt mit seinem Umgang und nicht länger aus diesem oder jenem lächerlichen Grund sich mit Leuten weiterschleppt, mit denen man nichts gemein hat.

Aber etwas Witziges muß ich dir noch erzählen: Als der „Matin“ nachträglich von dem Dresdener Skandal erfuhr, beschwerte er sich auch.


[1]  Siehe eine Süddeutsche Zeitung.

[2]  Die Anderen sind es.

 

Achter Brief

Ich begreife nicht, warum die wahren Deutschen noch nicht dagegen protestierten, daß die Alldeutschen sich Alldeutsche nennen. Sie sind doch so undeutsch! Nichts ist doch bislang undeutscher gewesen, wie Ungedanklichkeit und Hochmut. Und welches Deutschtum, ich bitte dich, haben diese allbetriebsamen Leute hinter sich? Auf welche Tradition dürfen sich diese plötzlichen Emporkömmlinge berufen, die nichts sind, wie eine ausgefallene Generation, Ahnen und Urenkel in einem, Insulaner ohne die Entschuldigung, daß sie auf einer Insel wohnen, Anabaptisten, die ihre Wiedergeburt feiern? Etwa nicht? Übertönt hier etwa nicht wie einst das wilde Geschrei einer kleinen, aber verderblichen Sekte? Ist dies etwa nicht ein und dieselbe Welt? Fällt je etwas aus ihr heraus? Und schleppen wir uns nicht, noch immer, mit dem Agens verflossener Irrtümer, über welche sich dann immer die Nachwelt so erhaben fühlt, daß sie ihr einen unerklärlichen Wahnsinn dünken? O, ich weiß sehr wohl, was man über kurz oder lang von den Radau-Alldeutschen sagen wird, aber es hindert gar nicht, daß sie heute die Unbesonnenen verwirren dürfen und daß ihnen ein zu höchster Vervollkommnung berufenes Volk es verdankt, daß es verkannt und ungeliebt ist wie nur eins. Und keines ist doch von so weitem Flug, wenn auch keines so beschwert. Es ist das geistigste und geistverlassenste, das potenziell höchste, das effektiv gefährdetste, der Heimgarten aller Gegensätze, in welchem die blaue Blume tiefer aufleuchtet, zugleich wilder überwuchert steht, als irgendwo. Mit größerem Ernst als dieses überduldsame Volk hat keines die Parole von der Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit, die seine stürmischeren Brüder prägten, zu Taten aufgegriffen; keines war so getragen von dem Gefühl, daß der eigene Niederschlag, die eigenen Verkommenen, das eigene Gesindel, der eigene Pöbel . . . zugleich die eigene Schmach einer Nation umfaßt; und schritt es da nicht schon gerade darauf aus, die Armut aus seinem Bereiche zu verbannen und die Entwürdigung der Niedrigen nicht mehr zu dulden? Auf eine Sanierung nach dieser Seite hin so bedacht, daß es andere Dinge übersah, wo Anderer Augen geübteren Blickes gar aufmerksam nach den Wetterzeichen schauten und sich vorsahen, damit, wenn der gefürchtete Sturm sich entfesseln sollte inmitten der Luft, die sie entzünden halfen, nicht sie die Inkriminierten, nicht auf sie das Odium fallen, nicht sie: Feuer! sondern: „Wir sind es nicht gewesen!“ rufen dürften.

Ich tadle sie darum nicht! Es ist nur recht zu wissen, was die Geste wert ist, und man ist der Schlechtere nicht, weil man der Gerissenere ist.

Doch um so bedeutsamer bleibt, daß kraft seiner stetig sich veredelnden Arbeiterbevölkerung und eines Bauernstandes, der vielfach eine Adelsklasse für sich bildet, das politisch unreifste Volk dennoch in gewisser Hinsicht das demokratischste geworden war, denn wenn es auch keinen König hingerichtet hat, so wäre es dafür gegen ein „East-End“ schon lange in Aufruhr. Es würde rebellieren, bevor es sich, wie das herrische London, eine ganze Stadt organisierter Slums, organisierten Verbrechertums, organisierter Elender — british subjects auch sie — an die marmornen Flanken schmieden ließe; oder bevor es, wie das schimmernde, ewig holdselige Paris so finster umgürtet stünde, daß nachts die Apachen — Franzosen auch sie — Wölfen gleich das Innere der Stadt wie ein feindliches Lager beschlichen. Denn sein Wohlstand kam den Enterbten weiter entgegen, in keinem Lande war die Armut so bedingt, nirgends hatte sich der einzelne Handwerker so individualisiert, seine Bildung so zu heben vermocht und so menschenwürdig gewohnt.

Und von einem solchen Volk hat eine kleine, allen vernünftigen Deutschen höchst fatale Korporation ein seelenloses Plakat hinausgegeben, das nun als typisch gilt, während es die Verneinung alles dessen begreift, was deutsches Gemüt und deutscher Himmel ist. So haben diese plumpen Parforce-Germanisierer sich vermessen, in Germaniens lauterem Angesicht freche, fremde, widerliche Züge einzuzeichnen, die es bis zur Unkenntlichkeit entstellen. An euren Früchten werde ich euch erkennen: „Zehn eiserne Gebote“ heißt eine alldeutsche Broschüre, die ganz nach Art und Stil der Wiedertäufer, im Ton der Bibelparaphrase gehalten, ein Exempel für künftige Psychiater herstellt: „Jene reden von Mitleid und Schonung, ihr aber sollt eure Feinde vernichten! Krieger, werdet hart!“ lehrt sie, um dann in folgender Saturnalie auszuklingen:

„Wir lieben den Krieg . . .

Wir danken dem Krieg . . . usw.

Ach, wer vor Ausbruch dieses Krieges starb wie du, der ist ja noch mit der Illusion gegangen, daß gewisse Ausbrüche außerhalb der Umzäunung eines Narrenhauses nicht mehr möglich seien. Statt dessen fangen jetzt schon Zahnärzte und Gouvernanten zu delirieren an, und dein Tapezierer wurde über Nacht von dem Irrsinn angesteckt.

Wer sie doch komisch nehmen dürfte, diese Panslawisten, Pangermanisten, Imperialisten, Nationalisten usw.! Alles Anabaptisten redivivi, die samt und sonders auf ein Ziel losrennen, das längst hinter uns liegt. Trostlos lächerliches Schauspiel! O der Toren, welche da wähnen, christliche Nationen seien umzubringen als wie Phrygier oder Babylonier! Und die es wagen, sich weiterhin Christen zu nennen, während sie doch von dem Niederringen zwischen christlichen Nationen reden. Denn wie verloren ist an ihnen, und wie unvorhanden, wie ausgeschlossen sind sie von der Tat, welche die Zeitrechnung unseres Planeten in zwei Hälften spaltete! Nicht einmal das eine, das einzige In-die-Augen-Springende, was unsere Zeit vor der Antike voraus hat, nehmen sie wahr: daß der Pulsschlag der Nationen ein anderer geworden ist; daß, wo solche früher untergingen, sie sich heute wieder aufrichten, genesen, sich erneuern können;[3] daß es in dem alten verjährten Sinn eine Dekadenz der Völker gar nicht mehr gibt, und daß alles Unvernunft ist, was sie von Germanen contra Romanen, Romanen contra Germanen hin und herüber rufen, daß die Gefahr ganz anders heißt: Germanen ohne Romanen, Romanen ohne Germanen, weil ihnen außerhalb ihrer Gemeinschaft gleicherweise keine aufsteigende Linie mehr bevorsteht, sondern sie gleicherweise von der eigenen Erfüllung sich entfernen müssen.

Du weißt, wie ungehört ich diese künftige Binsenwahrheit seit elf Jahren in die Welt hinausrufe: Deutschland vernichten hieße sich selbst vernichten, denn mit ihm „fiele die Welt“. Es ist tausendfach wahr. Aber nur an den gesunden Wesenselementen des „dekadenten“ Frankreich wird das „gesunde“ Deutschland mit der gefährlichen und entstellenden Beule des Radau-Alldeutschtums mitten in dem göttlichen Antlitz genesen.


[3]  Burckhardts Worte aus seiner „Kultur der Renaissance“, die ich schon so lange zitiere, sind nie so beherzigenswert gewesen: „Das scheinbar kränkste Volk kann der Gesundheit nahe sein, und ein scheinbar gesundes Volk kann einen mächtig entwickelten Todeskeim in sich bergen, den erst die Gefahr an den Tag bringt.“

 

Neunter Brief

Es ist nicht wie zu Anfang, da mir die Gefallenen so oft den besseren Teil vorweg zu nehmen schienen. Die jetzt noch fallen, beklage ich. Wer den Krieg bis hierher mit erlebte, fängt langsam an, den Kopf aufzurichten, ob der Himmel sich noch auf keiner Seite lichtet. Schon ringt er um eine Richtschnur inmitten des Wirrsals, abseits von jenen, die noch hin- und herrennen mit dem Geschrei, wer ihn entfesselte. Auch ein heraufziehendes Gewitter ist bis zuletzt etwas Ungewisses. Der Wind kann die Wolken auseinandertreiben; das Gewitter kann vorüberziehen. Doch bricht es los, so darf mit Fug behauptet werden, daß es kommen mußte, und ebenso wird es nicht einen, sondern viele Gründe dafür geben, daß es sich entlud. Und ebenso, denke ich mir, werden für die Nachwelt die Urheber dieses Krieges vor dessen vielverzweigten Ursachen zurücktreten, und diese wiederum werden weiter zurück reichen als Cromwell und der Dreißigjährige Krieg, Peter der Große und die Borgias. Und seinen unzähligen Ursachen entsprechen unzählige Gesichtspunkte. Von diesem Gesichtspunkte aus gesehen war er eminent vermeidlich, von jenem unvermeidlich; betrachtet ihn von dieser Wolke aus, und er war ach! so vermeidlich! noch höher, und er mußte sich noch einmal (zum letzten Mal!) unweigerlich ergeben.

Denn alle Biologie in Ehren: aber diejenigen (und sie sind noch zahlreich), welche da wirklich vermeinen, solche Kriege, die nur deshalb einen solchen Haß auslösen, weil sie Bruderkriege geworden sind, solche Kriege seien an sich etwas zu Bejahendes, fernerhin Notwendiges, und die Zustände, das Chaos, das sie schaffen, die seien in der Ordnung, eine Institution gleichsam, die ihre Richtigkeit habe und in der Natur der Dinge liege wie ein Erdbeben oder ein Orkan, die Völker selbst hiermit nur dem blinden Element oder der reißenden Tierwelt vergleichbar, die willenlos ist — diese Leute sollten, falls sie weiterhin in der Welt entscheiden dürfen, doch wenigstens so viel Logik aufbringen, daß sie das Straßburger Münster wie den Kölner Dom, St. Pauls Cathedral wie die Peterskirche als vollkommen lächerliche Objekte proklamieren und dem Schicksal der Kathedrale von Reims überweisen, das Wort Christentum aber als das einzig wahre Fremdwort ausmerzen, oder wenigstens sollten sie eine Doktrin, von welcher nicht die allerleiseste Notiz genommen wird, nicht mit so fluchwürdiger Stirn der Form nach noch aufrecht halten, daß sie gar noch in den Gerichtsstuben mit ihren Sinnbildern hantieren und auf das schwören lassen, worauf sie doch im vollsten Sinne des Wortes pfeifen.

Doch, was sage ich? Sind nicht unter eben diesen Zeichen die wüstesten Greuel in der Welt entbrannt? Und hat nicht eine Wahrheit zu um so widerlicheren Auswüchsen geführt, je erhabener sie war? Was Wunder, daß in einer Christenheit, in welcher die Inquisition möglich war, dieser Krieg sich noch ereignete! Denn ist dies nicht ein und dieselbe Welt? Fällt je etwas aus ihr heraus? Ja, wir bedachten es nicht!

Jetzt aber kann man der Verwundeten und der Gefangenen nicht denken, ohne daß sich das Mitgefühl auch jenen Vereinzelten zuwendet, deren es heute in allen Ländern gibt, die von dem Strom der Gedankenlosigkeit, der alles umwarf, nicht fortgerissen wurden, sondern von ihrer brennenden Erkenntnis, wie in Einzelhaft verwiesen, allein und abgetrennt, ihn überragen.

Man schreibt gewiß nicht ohne innere Pein Sätze nieder, wie ich sie heute in der „Fackel“ finde: „Der kriegerische Zustand scheint den geistigen auf das Niveau der Kinderstube herabzudrücken“. Aber nicht länger bin ich der Meinung des Verfassers (was nicht geschieht, um ihm entgegenzukommen, der ein paar Seiten weiter die Äußerung zu Drucke bringt: „Eine Frau soll nicht einmal meiner Meinung sein, geschweige denn ihrer“), nicht länger teile ich seine Meinung, wenn er auf die Frage, die er aufwirft: „Was kann durch den Weltkrieg entschieden werden?“ sich selbst zur Antwort gibt: „Nicht mehr, als daß das Christentum zu schwach war, es zu verhindern.“ Ja, ich maße mir die Meinung an, daß er da wirklich mit einer unzureichenden Leuchte an das Problem herantritt. Das Christentum war nicht zu schwach, sondern zu stark, und die Menschheit evoluiert derart langsam und in so verzweifelt weiten Kurven um dies Gestirn, daß ihr sich trotzdem vollziehender Aufschwung, vollends zur Stunde einer Sonnenfinsternis wie der heutigen, dem freien Auge sich völlig entziehen muß. Aber der Gewalt des Christentums tut die menschliche Hinfälligkeit keinen Abbruch; ja unerbittlicher könnte es nicht wider uns triumphieren, dafür, daß wir statt seiner eine irländische, eine polnische, eine elsaß-lothringische Frage als unerschütterliche Pfeiler setzten und deren Last — wäre auch im Vergleich zu ihr jedes Joch süß und jede Bürde leicht — folgerichtig auf uns nahmen, als seien sie, die doch im Lauf der Jahrzehnte zerrinnen und verwehen werden wie nie Gewesenes, der Dinge Letztes und Endgültiges!

Überlegter ist es, durch das Alberne so wenig wie durch das Abgeschmackte irre zu werden, ja selbst durch das Ekle und das Scheußliche nicht, das giftigen Schwämmen gleich den Katholizismus überwuchs, sich an ihm festfraß und tief unter sich begrub, sondern an dessen goldenem Befund festzuhalten, in weiten Kunstbögen der Berührung mit all seinen unberufenen Vertretern bedachtsam auszuweichen, um in der Vermutung nicht gestört zu werden, daß, wo einmal dieser viel mißbrauchte Kult zu seinem adäquaten Ausdruck gelangt, eine Höhe des Daseins sich ergibt, die alles andere weit unter sich läßt, solche Erkorene aber entsprechend seltener noch wie in der Kunst vorkommen, weil sie weiter Abgelegenes umspannen und wieder zum Ausgleich bringen müssen, daß, wo diese Wage aber stillhält, die Würde des Gedankens nicht nur unbeschadet bleibt, sondern unsagbare Schwingungen erfährt. Nicht länger von dem Wörtlichen, dem Absurden, noch dem Betbrüderischen genarrt, vielmehr auf das in Platons Sinne Ballförmige erpicht, vielmehr dem Versteckten, Verschleierten auflauernd, dringt ein solches Denken triumphierend zum Profanen vor und vindiziert es hinzu. Nun erst dem Verhaltenen, Entzogenen, dem Eingeraupten, in Perspektiven Fortgetragenen und Flüchtigen auf der Spur, tut sich ihm dort das ewig Mutierende, Ebbe und Flut, der Ozean, das Planetare auf, wo andere, von der Enge abgestoßen, verzagen und verzichten. —

Daß heute, wo die Welt wie nie zuvor zu einem Jammertal versank, daß sich ihr da zum ersten Male die Umrisse der Gestalt des Hirten vollgültig umschrieben, ist diese Tatsache keiner Deutung wert? Nicht Feind vom Feinde, nicht ihre Konfessionen scheidend, ist Impartialität, die hoch und einsam über die gebeugten Völker ragt, bei ihm allein. Ist dies kein Innehalten wert? Die wahre Fahne, die alle umwallt, entrollte nur er. Und wer, Jud oder Heide, spottet heute dieses Hirten ohne Herde und dennoch Hirten, wie nie zuvor; nie zuvor so gebieterischen und so weithin deutlichen Reliefs, von der Wahrheit selbst gleichsam emporgehalten und hinausgestellt, aus der Ohnmacht erst geschaffen, wie es scheint . . .

Oder soll ich es in Währungen ausdrücken, da sie es doch sind, welche diese Zeit in ihre Bahnen warfen? Nun, wie zwei Münzen, für was sie gelten und nur auf ihren Klang hin und ohne Kommentar werfe ich sie hin: Wilson und Benedikt. Denn wer hörte nicht von selbst die schwere, gewaltige vor der hohlen und hinfälligen heraus? Wen erschreckte da nicht der Unterschied? Sogar Amerikaner. So viel Phantasie haben sogar sie.

Überhaupt — um von den Männern zu reden — meine ich, daß gegenwärtig kein Grund vorliegt zu ihrer Überhebung. Ich bin nie eine Frauenrechtlerin gewesen und dieser Bewegung gegenüber stets passiv geblieben; aber ich muß schon sagen: daß nach vielen Dezennien eines ausschließlichen Männerregiments ein derartig vollendeter Wirrwarr zutage gefördert wurde, gibt doch zu denken. Man möchte da wirklich meinen, daß, wenn die Damen (ich nenne keine beliebigen, sondern solche, die sich schon erprobten, die es wirklich gegeben hat, die mithin irgendwie weiter vorhanden sind), wenn Damen vom Schlage der Markgräfin von Bayreuth, Maria Theresia, Katharina II. und die von Siena, Julie de Lespinasse und auch die alte Queen, daß, wenn solche Frauen mehr im Vordergrunde gestanden hätten, statt ausgeschaltet zu sein, mit zu bestimmen, statt zu schweigen gehabt hätten, daß dann . . . — es läßt sich nichts beweisen.

Fest steht nur, daß die Dinge, wie sie ohne ihr Zutun und in dem selbstherrlichen Männerstaat erwuchsen, unmöglich noch ärger oder noch verfahrener sein könnten, und daß bei einem solchen Ergebnis ihrer Regiekunst, wie wir es heute erleben müssen, die abgeworfene Bescheidenheit wieder in ihre Rechte treten könnte. Man dürfte, meine ich, sich sogar darauf besinnen, daß die Frauen, wo immer sie zur Herrscherrolle gelangten, schon von der alten Dido her sich fast immer glänzend bewährten und große Regentinnen waren, sei es, weil das Regieren gar nicht so schwer ist, oder, da es erwiesenermaßen so außerordentlich schwer ist, weil sie vielleicht zu regieren berufen sind, weil dies vielleicht sogar ihre Spezialität sein kann. Es gefällt mir an den Engländern, daß sie, einem Impuls der Selbsteinkehr folgend, mitten in die politische Débâcle hinein, als die ersten zur Berufung des ersten weiblichen Diplomaten sich entschlossen haben.

Bei uns dagegen heißt es jetzt, die Unpolitischen müßten politisiert werden, aber dieser Ruf, so berechtigt er ist, ergeht so spät, daß auch schon die Stunde für eine Selbsteinkehr der Politik selbst geschlagen hat. Denn was diese noch nicht wahrhaben wollte, war längst in das Bewußtsein der Völker eingedrungen. Ein Beweis dafür sind gerade jene jüngsten Völker, die in letzter Stunde auf den Schauplatz der europäischen Geschichte traten. Rakowsky, der große Vorkämpfer für einen Balkanbund, erblickte die Gewähr für eine nationale Befreiung und Vereinigung bei den Balkanvölkern und nicht bei den Balkanstaaten — und zehn Jahre später, 1874, schrieb Karawelow: „Die Hauptursache der bisherigen Sklaverei ist die, daß die christlichen Nationen auf der Balkanhalbinsel, sowie alle andern Völker und Nationen betrogen sind, weil sie Hilfe, Unterstützung und Heil von den europäischen Kabinetten erwarteten, und am meisten von Rußland“ und Botjow: „Wenn die Regierung eines jeden Volkes der Ausdruck seines eigenen Willens und seiner Bestrebungen gewesen wäre, so hätten selbstverständlich Serbien, Griechenland und Rumänien, sowie Montenegro längst ihre Staatsgrenzen überschritten und den Bulgaren geholfen — aber, wie es scheint, haben die Regierungen dieser Staaten sich bisher mit nichts anderem befaßt, als mit der Nachahmung der klugen Devise eines Metternich: Divide er impera!“ Und sich gleicherweise gegen den Panhellenismus Griechenlands wie gegen die großserbischen Ideen wendend klagt er diese Staaten an, daß sie der Idee eines brüderlichen freien südslawischen Bundes entgegen seien.

Die Neulinge, die das schrieben, nannte man Revolutionäre. Und warum wollten sie das Unmögliche? Gewiß nicht, weil es unmöglich war, sondern weil die Großmächte ihr Prestige von so rationellen Bewegungen mit Recht bedroht sahen, sie also niederhielten und, ihren vorchristlichen Kurs beibehaltend, das Dogma von einem Balkanwetterwinkel aufstellten und die Völker mit weiser Miene dahin steuerten, wo sie heute angelangt sind.

Sie waren ja, diese Völker, wo sie nur konnten, vor Ausbruch dieses Krieges zueinander unterwegs: Die Deutschen nach der Provence, die Französinnen mit Kisten und Schachteln nach München und Bayreuth, Autos, überfüllte Sleepings, Wanderer, wohin man sah, und statt der Salons, ich sagte es schon, hatten die Bahnhöfe ihre „Habitués“. Wer ein Haus besaß, war von dem einen Wunsch beseelt, es wieder los zu werden, und nur unter den Politikern und Kapitalisten gab es noch einen Ausschuß, der es für dringend geboten hielt, daß Europa zu einem Spital zusammenbreche; sonst war schon das größte Zueinander im Schwung: ein ewiges Kommen und Gehen; kein Verweilen; nirgends; bei niemand.

Und mit Recht.

Herr Borchardt mit seiner, von allen Registern geschwellten, und doch so weit ab von der Wahrheit hinorgelnden Rede, besinne sich doch: er traf das Rechte nicht. O Gedanken! seid ihr denn von der Welt entflohen, seit die schimmernden Zeppeline Bomben statt Passagiere durch die Lüfte fahren. Ach! laßt mich reden! laßt mir meine Narrenfreiheit! Ich sage ja nichts anderes, als was unsere Kindeskinder sagen werden. Mögen wir alle, die heute leben, zu Staub darüber werden, ehe es sich erfüllt, wahr bleibt es doch, daß die Völker, bevor sie jäh und gewaltsam auf sich selbst zurückgewiesen wurden, den Plan schon beschritten hatten, von wo aus ihre Wege verschlungen ausliefen und das Tal der Menschheit geweitet stand. Wie der Fluß, der als Quelle der Höhe entstürzt und dann sich über Blöcke und Fälle quält und durch finstere Schächte ängstet, bis er ans Licht und breiten Laufes strahlend dem Meer entgegenströmt, wie er da wohl zu außerordentlicher Höhe sich türmen würde, wenn er vor seiner Mündung gewaltsam in sein enges Bett zurückgedrängt, die alten Ufer wieder aufwärtstreiben müßte, ebenso werden die Völker, die jäh und gewaltsam auf die schon verlassene Enge zurückfluten, gewiß leidenschaftlich große Taten verrichten; aber neue Gestade sehen sie nicht, und um ihre Bestimmung sind sie betrogen.

Aber wer denkt noch daran? Wie bezeichnend ist es, daß fast alle, die geistig zu dem Kriege Stellung zu nehmen versuchten, unweigerlich versagten,[4] und daß nur das Wort von der „Ohnmacht der Gedanken“ ins Schwarze traf. Die Gleichförmigkeit, mit welcher die Kriegführenden das Ritornell von dem aufgezwungenen Krieg absingen, ist nicht mehr anzuhören. Sogar Italien stolperte nachträglich mit demselben Notenblatt herzu. Es ist das einzig Gemeinsame zwischen ihnen geworden. Entschlössen sie sich doch, gleicherweise Stellung zu nehmen wider die eigenen Besessenen, die hinter der Zeit einherlaufen, Gewesenes aus der Taufe heben möchten und durch ihre Verblendung die verruchte Falle stellen halfen, welche gleicherweise die Völker in diesen rückständigen Krieg hineinlockte!

Seltsam! Inmitten des Jammers um die hingemordeten, die vermißten, die ungeborgenen, die ewig um ihre Jugend betrogenen Söhne, in einer von Rachegefühlen unterminierten Welt stehen überall nur die Schuldigen unbedroht. Es ginge nicht an, sie zu einem Reigen zusammenzutreiben, einem Reigen, den Kitchener wohl am schicklichsten eröffnen würde. Denn mit seiner, unseres Zeitalters so vollkommen unwürdigen Initiative der Konzentrationslager hat er einen schmachvollen Zustand geschaffen, namenlose Leiden unschuldiger Menschen inszeniert, und er ist es, welcher durch die Preisgabe und Verfolgung der Wehrlosen den niedrigen Instinkten des Pöbels am meisten entgegenkam. Jedes Volk hält ja in Friedenszeiten die Spalten seiner Zeitungen für die Aufzählung der eigenen Greueltaten und Verbrechen offen. Mein Gedächtnis ist nicht so kurz. Auch der Geschichte bleibe ich eingedenk, und deshalb auch der Tatsache, daß Kitchener einen Pöbel aufreizte, für den gerade in seinem Lande die Prinzessin von Lamballe und der kleine Ludwig XVII. so unvergeßlich sind.

Warum tauscht man nur Verwundete, keine Verantwortlichen aus? . . . Welch törichter Vorschlag! Warum so töricht? Weil er unausführbar ist. Sehe ich denn das nicht ein? Aber mit allen Anzeichen des Blödsinns beharre ich auf meiner Frage: Warum ist es nicht möglich? Was ist dann möglich? Nur das Unmögliche ist also möglich: daß dieser glückliche Erdteil sich auftat zu einem Sumpf von Blut und Wunden, der das Gemüt immer tiefer hinabzieht. Nein, ich verstehe diese Welt nicht mehr!


[4]  Wie kann ein Philosoph sein Buch „Genius des Krieges“ nennen? Unwillkürlich empfindet man auch einen Titel wie „Gedanken im Kriege“ als ungedanklich. Thomas Manns Parallele zwischen Friedrich dem Großen und dem heutigen Deutschland ist besten Falles ein scharfsinniger Einfall, aber es ist kein Gedanke. Gedanken sind aus diesem Kriege überhaupt nicht zu holen. Es fragt sich da nur, wessen Gedanklichkeit einem so elementaren und blinden Wirbelsturm widerstand. Eine andere Probe auf ein solches Exempel gibt es nicht.

 

Zehnter Brief

Man muß es schon einmal sagen: denn darüber wird eines Tages kein Zweifel sein, daß in dieser Zeit nur einer das Recht auf seiner Seite hatte, und das ist der parteilose und unparteiische Papst; die Neutralen, die sich heute gerne besser dünken, keinesfalls; aber auch die Streitenden nicht; mögen sie sich noch so vortrefflich halten: der über dem Streit Stehende überragt sie doch weit, und vorbildlich ist nur er.

Dieser Vorbildlichkeit wegen halte ich auch stets die Erinnerung an einige Episoden fest, die ich alle mit Namen versehen und beschwören könnte.

Zum ersten: in London. Seit 1904 fuhr ich ziemlich regelmäßig hinüber. Die Phasen der Feindseligkeit während dieser Zeit waren mir sehr persönlich fühlbar geworden, ebenso deutlich der zuletzt einsetzende Umschwung. So populär endlich wie im Frühsommer 1914 — die Geschichte wird es bezeugen — waren die Deutschen seit einem Menschenalter nicht gewesen; ja, sie standen im Begriff, London im Sturme zu erobern. Ein Deutscher, mochte er auch zu Hause als ein ziemlicher Pinsel gelten, hier genoß er a priori, lediglich weil er Deutscher war, Anspruch auf Gedankentiefe und Geist. So weit war man schon.

Die wertvollste Orientierung über die öffentliche Lage erstattete jederzeit Lady C . . . . Ich kannte sie nicht, aber es genügte, ihr von weitem zuzusehen. Stets in das allerletzte Fahrwasser getaucht, zeigte niemand besser die Temperatur der elften Stunde an, ob dies nun die letzte Geschmacksrichtung in der Musik, der Literatur oder der Mode oder aber, vor allem anderen, die letzte politische Strömung betraf. Niemand trieb so leidenschaftlich mit ihr empor und war alsbald so ganz von ihr erfaßt.

Am Vorabend meiner Abreise saß ich im Salon meiner Freundin und erwartete mit ihr Lady C . . . . Sie hatte ihren Besuch angekündigt und erschien noch vor Mitternacht, von Juwelen überfunkelt, das gelbe Haar von Diamanten übersprüht, Wurf und Farbe ihres Kleides voranleuchtend und noch nicht dagewesen. Ihre schnellen Blicke, während sie sprach, bedeuteten mir ohne Vorbehalt, daß sie aus Neugierde gekommen war, und zwar wegen mir. Es gab kein Thema, das sie da nicht heranzog, nichts, worüber sie nicht meine Meinung, mein Urteil als ausschlaggebenden Faktor — denn ich war ja deutsch — zu wissen begehrte. Und was rief sie da nicht, bevor sie, schneller als sie gekommen, wieder entschwirrte und ihr Auto durch die stillgewordene Grosvenorstreet der fünften oder sechsten „party“ des Abends entgegensurrte: „Give me the Germans!“ rief sie hingerissen. „They are the first people in the world.“

Und da ich mir noch immer in der Ferne, und wenn ich mich eine Weile räumlich von den Germans geschieden hatte, diese Meinung über sie zurückerwarb, stimmte ich ihr rückhaltlos bei.

Diese ihre letzten Worte waren es auch, welchen ich folgenden Tages gerne nachhing, während vor mir Ahnungslosen die englische Küste immer weiter zurücktrat. Schafwölkchen weideten am Himmel, und ich sah zufrieden zu ihnen auf. Denn Gott sei Dank! man war endlich vernünftig geworden und die Gefahr war überstanden. Ich teilte meine frohen Wahrnehmungen einem Engländer mit, den ich an Deck des Schiffes traf und der mit den Politikern seines Landes aufs engste verquickt und verschwägert war. Krieg, sagte ich, gibt es keinen mehr. Aber er schüttelte den Kopf: „Sie lassen sich täuschen. Ich sehe nirgends Anzeichen dafür, daß man ihn vermeiden wird.“

Noch waren sich aber die wenigsten Leute bewußt, daß es ein Serajewo auf der Karte gab.

Fünf Wochen später: München. Bei einem namhaften russischen Maler lebte dessen originelle, wenn auch unzuverlässige und unkultivierbare Schwester. Eines Tages verkrachte sie sich mit ihm, und da es ihr an allen Mitteln, um allein weiter zu existieren, gebrach, erklärten sich ihre bisherigen Bekannten als ihre Kundschaft, und indem sie sozusagen eine Privatschneiderin wurde, fuhr sie fort, gesellschaftlich mit ihnen zu verkehren. Alles ging zum besten, bis es Sommer wurde und ihre ausstaffierten Freundinnen die Stadt verließen. Nunmehr saß die auf Vorzugsbehandlung gestellte Amateurnäherin allein und kümmerlich in ihrem Zimmer. Diesen längst vorausgesehenen Moment nahm ich wahr, um endlich auch meinerseits etwas zu bestellen.

Als ich zur Anprobe kam, war sie nicht zu Hause, erschien aber gleich darauf hochgemut und federngeschmückt direttissimo von einem Mittagsschmaus bei einem alten russischen Grafen. Sie legte, seitdem sie schneiderte, ganz besonderen Wert darauf, auch weiterhin von ihrer Gesandtschaft eingeladen zu werden, und der alte Graf tat ihr immer den Gefallen. Der Stab war diesmal sogar vollzählig erschienen, sie hatte als einzige Dame den obersten Platz behauptet; so gut hatte sie es nicht alle Tage; zerstreut, doch um so mitteilsamer steckte sie die Falten meines Mantels zurecht, und wie ich jetzt bemerkte, hatte sie „le vin bavard“. „Ah! il faut une guerre!“ rief sie plötzlich aus . . . „Oh pas maintenant: en 1915“ (und berief sich auf ihren Gewährsattaché) „il le faut . . . Les Allemands sont devenus trop arrogants.“

„Vous vous trouvez bien chez eux.“

Kurz zuvor saß ich im Lesesaal eines Pariser Hotels. Ich sehe die Zeitung durch; doch von Übelkeit und Verzweiflung überwältigt, werfe ich sie wieder hin und stürze in mein Zimmer hinauf. Es blickt auf den Fluß. Allein die weite und geliebte Stadt wird mir zur fürchterlichen Enge. Wohin soll dieser Ton, dieses Geschrei, sollen diese höhnischen Ausfälle und Drohungen, soll dieser unheilbare, unbelehrbare, planmäßige Deutschenhaß, wohin soll er führen?

Warum, da er nun gekommen ist, dieser Krieg, den überall noch zu viele wollten, warum wollen sie ihn plötzlich alle nicht gewollt haben und wälzen die Verantwortung für diese ungeheuere Tragödie der Mitschuldigen einander auf?

Weil sie recht hatte, die mutige Frau von Suttner, die vielverlachte Friedensberta, mit ihrer Behauptung, daß die erste Zwangsfolge des Krieges die Lüge sei!

Mein Gott, wie sehnlich wünschte ich, daß wir, uns selber treu, den anderen Völkern mit der Initiative vorangingen, den inneren todbringenden Feind zu stellen. Vielleicht warten sie in England nur darauf, um zuzugeben, daß bei ihnen jener Militarismus, dem sie bei uns den Garaus machen wollen, in Lord Kitchener, auf den sie doch so stolz sind, in seinem subalternsten Glanze erstrahlt; und daß jener Imperialismus, den sie, wo er als Pangermanismus auftritt, so namenlos verabscheuen, in Churchill, von dem sie sich doch regieren ließen, seinen typisch großmäuligen Vertreter fand. Gut also. Lassen wir fürs erste die Imperialisten aus dem Spiel. Machen wir versuchsweise nur gegen unsere Alldeutschen Front.

„Die Franzosen neigen zur Suffisance. Sie haben stets etwas von Kindern. Wir nie. Aber das Ominöse und Charakteristische bei gewissen Alldeutschen ist, daß sich die Arroganz bei ihnen an Stelle der Besonnenheit behauptet und da Türen zuschlägt, wo sonst Gedanken wären.“ Von mir im Jahre 1904 geschrieben, sogar gedruckt, aber natürlich ignoriert: „Denn in keinem Lande ist es so unmöglich, sich Gehör zu verschaffen, wenn man nicht in Amt und Würden schon ergraute, wie bei uns. Nur Dichtern, Schauspielern und Tänzern ist bei uns Jugend bewilligt.“ Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mich schon wieder selbst zitiere. Hatte ich aber nicht recht, wenn mir damals schon vor jenen Leuten bangte, über die wir innerhalb des Reiches leichtsinnig die Achsel zuckten, während man draußen nur allzu gespannt den paar Schreiern, wie wir sie verächtlich nannten, aufhorchte, die so lange an der Höllenpforte rütteln halfen und, wo sie einzurosten drohte, sie wieder ölten, bis sie sich von selbst in ihren Angeln drehte. Ja, aus meinem Deutschtum heraus hasse ich sie, diese Schädlinge, wie jene Raupen, die in ihrer mörderischen Geschäftigkeit die Farbe des Laubes annehmen, das sie zerfressen, und sich nicht unterscheiden lassen von der königlichen Eiche, deren Tod sie bereiten. Denn ihnen danken wir es heute, daß eine verblendete Welt mit einer Herzenskälte ohnegleichen den beispiellosen Kampf mit ansieht, den ein verkanntes Volk bestehen muß, nur dem Griechenvolk hierin vergleichbar, ja es noch überbietend.

Jene humorlose Gilde aber, welche, den Räuberhut in die Stirne gedrückt und den Brigantenmantel über die Schulter geschlagen, so fürchterlich verspätet in der Geschichte aufzog, schiebt sich heute Bismarck als Gewährsmann unter: ihn, dem sie schon fatal gewesen sind, als sie noch in ihren Anfängen steckten, weil er wohl ahnen mochte, wie sie sich auswachsen würden. Oder wird mir ein Kenner Bismarcks entgegnen, daß die Art, mit welchem der und jener seine eine ewig selbe Geste des Handschuhhinwerfens meistert, nach Sinn, Art und Geschmack des schmiegsamsten aller Staatsmänner sei? Würde sich der Gründer des Deutschen Reiches heute von den Alldeutschen nicht vielmehr boykottiert, ja, verdächtigt sehen, er, welcher nach dem Sieg von 1870 Lothringen Frankreich zu lassen riet und mit so feierlichen Worten die Verantwortung für diesen Krieg jenen aufbürdete, die damals diesen seinen Rat mißachteten?

Elfter Brief

Es stellt sich doch jedesmal als eine Illusion heraus, wenn man das Patent auf einen Gedanken oder einen Einfall zu haben glaubte. Was uns durch den Sinn fährt, hängt schon so sehr in der Luft, daß immer schon ein paar Leute zuvor darauf verfielen.

Der Frühling umhing noch nicht dies welkgewordene Laub, als ich über die Grenze fuhr, froh zu einem unbelagerten Himmel aufzusehen. Denn in den kriegführenden Ländern ist wirklich wie ein Netz über uns ausgespannt, das uns die Sonne und die Luft vergittert.

Doch keiner verlasse seine Heimat, der sich von seinem einseitigen Standpunkt als wie von einem Schilderhäuschen nach drei Seiten hin beschützen ließ. Die fremde Presse darf seiner Bangigkeit nichts hinzufügen: er darf nichts entdecken. Nur der Undüpierte wage den Anstieg. Wen es schon gleich zu Anfang umblies, der hüte sich, daß er ein anderes Mal nicht vornüber stürze und sich die Hirnschale einschlage.

Da meine Trauer überall dieselbe ist, durfte ich es riskieren, daß ich die Schweiz nach allen Richtungen befuhr. Ostern, der erste Frühlingstag war gekommen. Sein sanft geschwellter Hauch erhob sich über Genf, und der entschleierte Berg leuchtete wissend und bleich am Ende des Tales. Ich hielt eine Blume, eine frühe, duftende, vom besonnten Hügel Champels, und stand über die Brücke gebeugt, vor mir die Spiegelung des Sees. Aber wir, die noch in Sonne, Wind und Regen über der Erde wandelten, waren ja nur Leidtragende mehr, jede Wiederkehr des Frühlings würde sich uns auftun wie mit Grabesschwärze; wir blieben die gepreßten und umflorten Zeugen seines Überschwangs und seiner Glorie, die für uns durchsetzt blieb von Klängen des Grams um die gemordete Hoffnung. Ostern nur ein Allerseelen mehr für uns, die wir um das veränderte und zerklüftete Antlitz dieses Erdteils wissen, der zum weiten Todesacker verwandelt, so übervölkert ist von den Schatten der Geopferten, o, und von dem Spuk namenloser Qualen so untröstlich umweht! Der Frühling. Fürwahr! Auf Jahrzehnte hin griff ich da seiner Wiederkehr allzu verwegen zuvor, und vor dem Ansturm von Melancholie rettete sich das Bewußtsein nicht.

Gewiß ist ja das Leben um so Vieles trennender als wie der Tod, daß er geradezu den Prüfstein der wahren Zusammengehörigkeiten bildet, welche das krause Leben mit solcher Vorliebe verdrängt. Käme ein Marsbewohner, vor seiner Fremdheit bangte uns nicht. Warum dies Grauen vor dem so nah verwandten Geisterreich? Von ihm befleckt, wie die Wellen von der besonnten Luft, verrinnen doch unsere Tage. Und doch, wo immer wir dem Lockruf, den es entsendet, zu innig lauschen, entsetzen wir uns; wovor?

Als ich wieder emporsah, waren die Ufer und der Himmel entschwunden, und Laternenschein herrschte im Dunkel der angebrochenen Nacht. Vor den flimmernden Schaufenstern gingen Menschen aufrechten Ganges hin und her; eine Buchhandlung lag hart am erleuchteten Quai. Ich eilte auf sie zu, mischte mich unter die Kunden, griff nach den Büchern und blätterte darin. Aber mit welcher Öde, mein Gott! faßte ihre Wirklichkeit an: „Der Krieg, La guerre, La guerra, The war!“ wußte man nicht im voraus, was sie widereinander brachten?

Ein einziges trug noch die Jahrzahl 1914 und stammte aus der unwiederbringlich verlorenen, der großen paradiesischen Zeit. Es hieß: „L’Enigme Allemande“ von Georges Bourdon, und ich stieß da gleich auf folgenden Satz:

„Si demain, dans une crise de criminel délire nos deux peuples se heurtaient, ce n’est pas en Allemagne seulement qu’il en faudrait chercher les raisons profondes et les responsabilités.“

Dieses Buch kaufte ich alsbald und verschlang es noch in derselben Nacht.

„Détestons d’abord,“ las ich da, „ces hommes redoutables qui dans leurs mains ingénues et avides portent la menace d’affreux malheurs; ensuite plaignons-les. Plaignons-les d’être à ce point fermés à tous les vastes espoirs qui composent la noblesse de l’homme . . . Tristes et coléreux pangermanistes, frères irrités et injustes de tous les déclamateurs coléreux et tristes, dont les fureurs en toutes les langues, répondent aux nôtres, que vous avez bien tort de tenir pour vos ennemis; pangermanistes de la Sprée et du Main, qui pardessus les frontières recevez le souffle fraternel du panslavisme russe, de l’irredentisme italien, de l’impérialisme anglais, du nationalisme français, que voulez vous? . . .

Les Allemands se rient du pangermaniste. A ses extravagances ils haussent les épaules. Ils le trouvent comique et s’esclaflent à la nouvelle, que les Français puissent lui accorder crédit. Si comique et si haissable que soit le pangermaniste, les Français n’ont pas tout-à-fait tort de prêter l’oreille à ses vociférations. Le pangermaniste a sur la molle opinion allemande la sorte d’action que possède toujours dans l’indécision des foules, l’homme qui s’agite, qui crie, qui fouette, qui infatigablement, répète les mêmes appels, infatigablement va éveiller au fond des âmes incertaines et troubles les égoismes, les instincts, les passions, les appétits, les vanités, les fanatismes, les barbaries . . . c’est un parti de furieux, où s’exaltent, comme dans l’ardeur d’un creuset, tout l’égoisme, tout l’orgueil, toute l’âpreté, toute la cupidité d’un peuple qui, longtemps malheureux et pauvre, ne s’est pas encore habitué à sa force, à sa grandeur, à une richesse trop neuve. Toute l’Allemagne laborieuse et raisonnable le renie; mais pourquoi faut-il qu’elle mette dans son reniement des intermittences, et qu’en certains jours il lui arrive de le reconnaître, de parler son langage? . . . Patrie de Luther, n’est ce donc pas dans sa langue, que le rude réformateur, ayant dépouillé la robe augustine, terrassé le pape et controversé avec le diable, s’écriait: „L’humaine raison est quelque chose de surnaturel, un soleil et une divinité placés dans notre existence pour tout dominer?“ . . .

Da stand es ja längst und ich hatte geglaubt, dir etwas Neues geschrieben zu haben.

Zwölfter Brief

Leute wie du und deines Schlages sind wohl quitt mit dieser Welt — so denke ich mir — hat doch unser bester Ausschuß nur mehr bedingt mit ihr zu schaffen. Das Verwirrende auf Erden ist nur die gemeinsame Benennung, wo so Grundverschiedenes sich ein und derselben Gattung unterschieben darf: Kobolde, Larven, Trolle und Lemuren, Halb- und Viertelmenschen, Vampyre, Schemen, Puppen und Wechselbälge, die alle unter demselben Namen gehen wie der wirkliche Mensch und unfehlbar Unglück und Verwirrung stiften werden, weil die Finsternis ihrer Halbheit oder ihrer Unvernunft sich stets als das stärkere Element in der Familie wie im Staate erweist. Im Staat wie in der Familie.

Warum sage ich das?

Ja, glaubt man etwa an diesem rückständigen Krieg hätten noch unsere Menschen teil? Glaubt man, sie wären so wenig guten Willens gewesen, daß sie sich nicht kinderleicht verständigt hätten? O kinderleicht! Kinderleicht. — Aber nicht so die Ab- und Unterarten, all die vom rein Menschlichen so unheimlich weit abgerückten Halb- und Viertelsleute, an denen sich jene ganz spezifischen nationalen Auswüchse und nationalen Unzulänglichkeiten kristallisieren, welche die führendsten Völker, soferne man sie nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Mängel betrachtet, höchst wert erscheinen lassen, daß sie zugrunde gehen. Nur da liegt aber die wahre Lehre dieses Krieges, nur da die wahre Sicherung gegen seine Wiederkehr, daß für die Tage des aufgehobenen Burgfriedens der allmächtige Kampf einsetze um die eigne Läuterung. Aus dem Haß heraus zu hassen, lassen wir das den lächerlichen Lissauern aller Länder. Was ich sagen wollte: es fällt mir natürlich gar nicht ein, daß ich die Engländer hasse, ich habe sie sehr gern.

Eine Eisenbahnepisode in Yorkshire hat sich mir eingeprägt. Ich fuhr mit zwei typischen Anglosachsen in ideal praktischen Sportanzügen, die sich intensiv über Fischfang unterhielten. Beide wunderschön, dachte ich, aber ebenso borniert. Jeder gerade nur so viel im Kopfe, als man fürs Angelwerfen braucht. Echt englisch. Und damit trat ich ans Fenster, an dem sie sich gegenüber saßen, denn meine Station war gekommen. Ich hatte auch schon den Wagenschlag aufgestoßen, da blieb der Zug in voller Fahrt, ich aber, schon halb hinausgebeugt, wäre rettungslos hinausgeflogen, hätten mich da nicht von beiden Seiten — mit jener Flinkheit, die vielen Fischen das Leben kosten mochte, je zwei Arme gefaßt und in den Wagen zurückgerissen. Da saß ich nun wieder auf meinem Platz und hatte meine Lehre weg und konnte mich fragen, was jetzt wohl aus mir wäre ohne die Geistesgegenwart der beiden bornierten Herrn, welche da ohne eine Miene zu verziehen aus ihren kurzen Pfeifen weiterrauchten und ihr Gespräch über Fischfang wieder aufgenommen hatten . . . „Echt englisch“.

Aber weißt du, was mir neulich jemand sagte, der meine Briefe an dich gelesen hatte: „Ja, wozu schreiben Sie denn das alles? Es ist ja nur, was alle vernünftigen Leute denken?“ Welch deprimierende Bemerkung, nicht wahr! und wie bezeichnend für unsere „Vernünftigen“! Unermüdlich wird indessen das Unvernünftige in die Welt hinausgerufen, denn wie regsam sind doch die anderen: die Zersetzer, de Zerstörer, unsere Kobolde, Larven und Trolle, und wie geschlossen marschieren sie! Ist denn kein Korpsgeist in den Guten, daß sie mutlos zurückstehen und geschehen lassen? Es sind ihrer doch Viele, warum sind sie so still?

Heute vor drei Jahren war mein letzter Abschied von Paris. Ich darf nicht daran denken. Und welche Ironie, mein Gott: es war auf der Place de la Concorde in einer blauen Pariser Nacht. „Gestehen Sie,“ sagte mir ein französischer Freund, indem er mit einer Geste die Stadt vom Louvre bis zu den sanft ansteigenden Champs Elysées umschrieb, „gestehen Sie, daß es nichts Ähnliches gibt.“

„Kennen Sie den Spessart?“ fragte ich.

„Le Spessart? was ist das?“

„Es ist ein großer Wald. Die Straßen steigen und fallen dort, als sei die Erde eine Riesenschaukel. So fliegen sie gegen Himmel und wieder hinab, und kaum haben sie eine Höhe erreicht, so sausen sie wieder nach unten. An der abgelegensten Stelle aber strebt der umwachsene Weg senkrecht dem Erdinnern zu wie auf der Flucht vor dem Tag. Und so ist es. Denn am Rande eines kleinen schwarzen Sees blüht hier ein altes Schlößchen, wie aus einem Märchen von Perrault. Die Schweden hatten es an dieser verborgenen Stelle nicht entdeckt, und so steht es noch in der Tiefe, wie es damals schon als ein altes Schlößchen stand. Gehen Sie hin. Finden Sie es. Und sagen Sie mir dann, ob es in Paris ein Stück Architektur von einer edleren und noch verfeinerteren Grazie gibt wie dieses Schlößchen, das einzige im ganzen Umkreis, das nicht zu einem Schutthaufen verheert wurde. Und dann sind auch noch in unsern Städten genug Straßen, Fassaden und Mauerschweifungen verschont geblieben, um zu bezeugen, wie identisch unsere Zivilisation gewesen ist. Es sind da Grabmäler und Brunnen, eine gewisse bemalte Madonna in Würzburg — o wie verschwistert war unsere Kunst! Nur war die unsere inniger und morbider noch, als wisse sie um ihr frühes Grab; ja in ihrer zarten, hellseherischen Lauterkeit lag wie ein Verzicht auf diese mitleidslose Welt, die jenem verfluchten Rechenfehler gemäß verfuhr, daß die Schönheit des eigenen Landes um so glücklicher erstrahlt, je gründlicher die des andern vernichtet liegt. Inmitten einer Zertrümmerung und einer Verarmung so groß, daß sie eine Verwilderung war, mußte unser verdrängter Formensinn im Reich des Unsichtbaren Elysäische Gefilde retten — und im Affekt packte und schüttelte ich seinen Arm. Furchtbar entstellt als ein geblendetes Volk aus unserem vollendeten Elend heraus bereicherten wir die Welt; ein tolles, göttliches Volk,“ rief ich aus, „solche Rache zu üben!“

„Sie vergessen!“ sagte er aufgebracht und machte sich los.

„O nein!“ rief ich inbrünstig in die Nacht hinaus; „ich wollte, das Maß unserer Großmut wäre voll.“

Aber da stand er schon auf dem andern Trottoir. „Eh bien non!“ rief er herüber. „Eh bien non! vous êtes par trop Allemande.“ Es war mein letzter Abend in Paris und man schrieb den 3. Januar 1913.

In England aber, besonders als ich von Irland zurückkam, fühlte ich mich noch viel stärker zu ähnlichen Redensarten hingerissen. Wie kalt, wie finster und wie grausam war seine Geschichte! Welche Summe der Verbrechen! Wie wenig Erbarmen!

„We do like her,“ sagten meine dortigen Freunde von mir. „But she really is too german.“

Aber es kam der Krieg. Und jene Tage kamen vormärzlichen Siegesrausches und der großen Verwandlung. Der kranke Sturmwind, von dem ich dir schon sagte, hatte überall die einen über die Grenze gejagt, die andern zusammengewirbelt und mich beiseite gefegt; denn ein Irrsinn des Nichtbegreifens war mir auf den Fersen und trieb mich aus den übervölkerten Städten ins Gebirge. Zu meinen Wahnideen gehörte dabei auch, daß ich glaubte, binnen wenig Tagen würden alle von, dem Taumel erwachen und der Krieg wieder rückgängig werden. Es war ja nicht anders möglich.

Als eines Tages die besonnten Felsen von der im Tale unten einherrauschenden Bahn so friedlich widerhallten, war ich meiner Sache gewiß: die Streitenden hatten sich geeinigt, in der Stadt wußte mans schon und es war alles vorbei. Zurück zu den Menschen! Was tat ich noch fern von ihnen? Und ich rannte den Berg hinab zur Station. Dort hatte der Zug sich gerade in Bewegung gesetzt. Aber ein Blick in die Zeitung genügte, um mich meiner unüberlegten Hoffnung wieder zu berauben, und wie ein verlaufenes Tier, das überall umkehrt, so suchte ich wieder meinen Ausgangspunkt, die verödeten und feierlichen Berge, das vielstimmige Flüßchen auf, an dessen Ufer der kiesige Grund so klar im Wasser schimmerte, wie Glück, wie Menschenglück. Aber laut aufschreiend sah ich Gurkhas an die Kehle eines Weißen gehetzt und feine Franzosenköpfe zerschmettert, und stieß wilde Rufe der Wut, der Schande und des Ekels aus. Und wohl durfte mich auch Ekel vor mir selbst überkommen, denn wie hatte ich dahingelebt? Mit welchen Illusionen denn? Wie der Idiot neben seiner Dorfgemeinde, so hatte ich mit meinen Illusionen neben der Wirklichkeit dahingelebt. Illusionen! Illusionen! Ich dachte an mein Gerede auf der Place de la Concorde. Weil wir so Namenloses erduldeten, hatte ich gesagt, und unsere Geschichte dabei die gutartigste sei, darum stünden wir so hoch.

Bei jeder Schroffheit aber, jeder Härte, jeder Unmenschlichkeit, welche der Krieg nun mit sich brachte, heulte die Welt auf, sowie sie von Deutschen begangen wurde, und verlor kein Wort über die Untaten der anderen. Über das, was in Ostpreußen zum Himmel schrie, war sie ganz still. Was an Deutschen verübt wurde, ahndete sie nicht. Sie waren vogelfrei. Was sie verübten, wurde mit flammendem Griffel vermerkt. Nicht aus Haß allein. Ich glaube das nicht. Es war auch ein Schmerzensgeheul der Enttäuschung und der Verwunderung, jenes Volk, das im höchsten Maße — wenn auch uneingestandenerweise — das Vertrauen der Menschheit besaß, — so vornean in allem, was zu ihrer Entsühnung und Erleuchtung führte — nun auch kopfüber in so vergangene Abgründe stürzen zu sehen, das Volk der Jakobsleiter in die Arena, deren Tore man schon verschüttet glaubte, zurücktreten zu sehen, Teilhaber zu sehen der entsetzlichen Blutschuld. —

Denn wehe! es stand geschrieben, daß Europas künftiger Torwart diese Erfahrung machen würde, ehe es ganz zu sich selber gelangte. Nirgends wird ja die Sturzwelle so reißend zurückschlagen, ein so tiefer Abscheu gegen das Kriegerische einsetzen, als wie in dem geographisch eingepferchten, durch trübe Erfahrungen gewitzigten, allzu gewitzigten Deutschland, das die Gefahren des Besiegten wie die des Schlachtengewinners im Laufe der Jahrhunderte so bis ins letzte erlebte.

Denn der so empörende Gedanke ist es gewesen, daß es wie eine niedrige Beute dem Osten ausgeliefert werden sollte, dieser Plan, diese Parole ist es gewesen, welche die Masse zu einem Kampf elektrisierte, den sie nicht nur als einen Verteidigungskampf, sondern einen Verzweiflungskampf auf sich nahm.

Dies ist die Wahrheit. Für das Volk ist es die ganze Wahrheit gewesen. Mit keinem anderen Glauben als diesem erhob es sich, den Untergang im Auge, wider eine Welt.

Auf diesem Höhepunkt seines Seins aber warfen sich ihm da die inneren Feinde in den Weg und rissen es von seinem Sockel. Mit der Maske des Luzifers traten sie statt seiner vor, Drachenzähne zu säen und es zu verleumden. Und während es — auf Rettung bedacht — sein Blut nach allen Himmelsrichtungen verströmt, lassen diese inneren Feinde (die einzig Unabkömmlichen) nicht ab, von Zerschmettern, Enteignen und Vernichten zu reden. In der Not, welche die Männer an der Front zusammenschweißte, hat sich, wie Funken aus einem Feuerstein, ein vielfach unvergleichlich hohes Niveau gerade der „niederen“ Leute ergeben. Aber nie hat ein Volk so tragisch im Schatten gekämpft.

Dreizehnter Brief

Ich kann dir nur mehr stoßweise einiges sagen.

Es heißt, daß ich die Dinge viel zu tragisch nehme, und es ist wahr, daß ich dazu neige. Von jeher und instinktiv habe ich mich jenen verpflichtet gefühlt, welche durch Spott, Ulk und Gelächter oder auch nur durch einen leichten Ton die latente Maßlosigkeit in mir korrigierten. Nur hat sich leider Gottes herausgestellt, daß wir im Gegenteil die Dinge viel zu leicht, nicht daß wir sie zu tragisch nahmen. Wer hätte sich über die Presse zu sehr alterieren können? „bringt sie Lügen über Greuel, so werden Greuel daraus“, soll man über diese Tatsache hinweg kommen? über die Gedankenlosigkeit der Menschen, sich keine Gedanken zu machen? ist das die höhere Weisheit, ja? es gibt verschiedene Nationen, aber nur eine Presse[5], schreibt Kraus. Aber in der Presse wie überall gibt es anständige Menschen, habe ich gesagt. Nach einer Sezession der Presse habe ich in Dresden gerufen. War das so töricht? — Dabei ist sie in Wirklichkeit längst vorhanden. Es gibt in jeder großen Stadt Deutschlands eine Zeitung oder eine Zeitschrift, welche durch all diese trostlosen Monate hindurch Maß, Humanität und Anständigkeit der Gesinnung bewahrte und ihre Büros jeder Art von Niedertracht hartnäckig geschlossen hielt. Die Macht freilich kristallisierte sich um diese Blätter noch nicht zur Genüge.


Vergangenen Sommer wurde hier der „Parsifal“ sehr oft, immer bei dichtbesetztem Hause, aufgeführt. Aber mein Gott, wie schien er mir doch von uns abgerückt, die Wellen weit hinabgeflossen, und am Rand des Horizonts verblaut. Als im ersten Akt der tote Schwan regiegemäß auf einer Bahre sänftiglich hereingetragen wurde, und Gurnemans mit gewaltigem Pathos von Parsifals mutwilliger Leistung als von einer ungeheuren Tat zu singen anfing, sah ich mich unwillkürlich um. Aber es lachte niemand. Viel eher schien das Publikum der Rührung nahe und sich des kaputten Vogels zu erbarmen . . . .

„La haine,“ schrieb ein Soldat aus dem Schützengraben an Romain Roland, „la haine, ils en ont fait une vertu civique! — Comme vous le dites, quiconque ne hait pas est suspect . . . Imaginez, monsieur, la torture de vivre dans une telle atmosphère! Devant tant de malheurs sans nom, il devrait n’y avoir plus que des paroles de pitié — tandis que ce ne sont qu’ exhortations à la haine, sanctifiant la vengeance et le meurtre . . . Voilà les paroles qu’on a entendues depuis un an. Et c’est pour cela que les vôtres ont fait tant de bien. Nous ne savons pas haïr, et c’est là notre consolation . . . Puisque vous parlez aux deux pays, dites-leur, monsieur, à ces pauvres Allemands, qui doivent gémir comme nous de tant de maux, qu’il y a des hommes en France, qui n’ont pour eux que de la commisération et que, tout en les combattant, nous les paignons à cause de leurs souffrances pareilles aux nôtres. Nous ne pouvons survivre à tant de tristesse qu’à force d’amour.“


Aber eine süddeutsche Zeitschrift spiegelt ein anderes Frankreich wieder, ein ebenso gedankenloses wortkriegerisches Frankreich und ein ebenso wesenloses wie das Deutschland, das sie erfunden haben.

„Die Völker erwarten reale Garantien, sie erwarten Land, Leute und Besitz. Es ist ein Frevel, schreiben sie, die furchtbare Wahrheit des Krieges mit sanftem Friedensgetön zu verflüchtigen. Unsere Toten sind wirklich tot, unsere Krüppel haben ihre lebendigen Glieder auf dem Schlachtfeld oder im Lazarett gelassen; unsere Witwen und Waisen schreien nach ihrem leibhaftigen Schützer und Ernährer.“

Die süddeutsche Zeitschrift hat gut reden. Es ficht sie nicht an, sie, die weit hinter der Front mit so viel Temperament dem Kriegsgott Blumen streut, es ficht sie nicht an, daß es noch mehr und immer mehr der Krüppel geben soll, die ihre lebendigen Glieder auf dem Schlachtfeld lassen, immer mehr der Witwen und Waisen, die nach ihrem Beschützer schreien. Immer mehr; denn es sind ihrer noch nicht genug. Es sind der Blinden, es sind der Jammergestalten noch nicht genug. Fragt sie, die Soldaten aller Völker, ob ihnen diese Monatshefte nach dem Herzen reden? Fragt sie doch, es kommt ja nur auf eine Rundfrage an; laßt sie doch abstimmen, ob sie Land, Leute und Besitz oder ihre Ruhe ersehnen.

Land, Leute und Besitz in der Tat! Wer da besitzen wird, weiß man nur zu wohl. Wo aber die Leute sein werden, wenn es so weiter geht? und wo das Land, wo die Provinzen, wo der Küstenstrich — mein Gott! wert unseren Erdteil ihretwegen zu verspielen!

„Ihr Süddeutsche,“ sagte mir kürzlich ein Berliner, „seid so debonnair, und bei euch ist der Größenwahn noch Import. Aber wenn ihr ihn hereinlaßt, dann gnad Gott! denn ihr seid dann die weitaus widerwärtigsten von allen.“

Ist dies nicht in viel weiterem Sinne wahr? Der Pangermanismus paßt auf das Volk der Denker wie die Faust aufs Auge. Ein arges Bild! Ist es da nicht folgerichtig, daß von allen gleichwertigen Bestrebungen er es ist, der sich am widerwärtigsten präsentiert? —

Ach! und Süddeutsche gar! ich sah mir neulich Bilder von Spitzweg an. O wie deutsch! Was könnte deutscher sein? und was könnte, weil es so deutsch ist, weniger mit diesem Krieg zu schaffen haben wie dieser Spitzweg, der sich im Mannesalter nach Paris aufmachte, um erst durch den Kontakt, die Verquickung mit französischer Kunst zu jenem echten Spitzweg zu werden, welcher den Schalk, die Wonnen und das versteckte Lachen der Natur beschlich, jenem spitzfindigen Spitzweg, der sich das Spiel der Wolken und die Flöte Pans auf die Palette stahl.

Denn mit deutscher Wesensfülle ist es gar seltsam und kompliziert bestellt. Ohne Pfropfreis und von alleine hat sich noch keiner zu ihr vermocht.


Ich weiß nicht, warum mir vorhin bei dem erschossenen Schwan, über den niemand lachte, der Tiergarten und seine Monumente einfiel, über welche niemand weint. Daß die Berliner sich achselzuckend und mit ein paar Witzen darüber hinwegsetzten, war doch unbedacht. Es hat sich dort meines Wissens kein Komitee gebildet, um zu fordern, daß ein hohes Gitter die Siegesallee mit allem, was sie Tag und Nacht vor aller Welt ausbreitet, umziehe, und ihre Besichtigung keinem Zugereisten gestattet werde. Haben die Alldeutschen sich denn noch nie Gedanken über den Desaster dieser Trophäen gemacht?


Ich bin zu Ende. Der Rest ist Klage. Seelenkonflikte des einzelnen aber, weiß man noch, was das ist? Selbst vor dir würde ich meine Zerrissenheit nicht ausgetragen haben, fiele sie nicht ganz mit dem Elementarsten zusammen: denn Blut ist alles, was in ihm webt, ist nicht des Staubes. Darum wird seine Stimme von keiner Brandung übertönt. Von Staatsangehörigkeit weiß das Unsterbliche nichts. —

Nie hatte ich mich so wenig mit den Franzosen befaßt wie in den letzten Jahren. Mein Umgang mit ihnen war durch ihren Deutschenhaß getrübt, und vollends ihre Zeitungen zu verfolgen besaß ich nicht mehr den Mut. Wozu, dachte ich, sich ewig den Verdruß antun? Alles Vernünftige, hier wie drüben, scheiterte ja doch, wenn nicht böswillig ihrerseits, so doch ganz gewiß plumperdings bei uns. Glücklicherweise, — so dachte ich auch — wird ja nichts so heiß gegessen, wie gekocht, und damit betäubte ich meine Angst, und lebte so dahin. Als ich aber im Frühling vor dem Krieg London verließ, fuhr ich nicht über Paris, nicht einmal das, obwohl es mir von seinem linken Ufer aus betrachtet gerade das letzte Mal im höchsten Grade merkwürdig erschien. Die meisten Deutschen sind ja, was die Franzosen anbelangt, von einer Oberflächlichkeit, die sonst gar nicht in ihrem Charakter liegt; dafür wird im gegebenen Fall die Oberflächlichkeit mit entsprechender Gründlichkeit betrieben, und für die meisten Deutschen resümiert sich Paris als eine Art von Monte Carlo in Restaurants, Vergnügungsanstalten und Kokotten. Die „Femme honnête“ zum Beispiel, dieser in der Heimat der Jeanne d’Arc so entzückend ausgeprägte und so intelligente Typ, blieb in Deutschland ebenso unbeachtet wie die lautlos fast verzehrende Geistigkeit, der fast puritanische Ernst und Eifer der Jeune École; vor lauter Moulins und Folies übersah man die Sorbonne und spürte nicht die immer schärfer werdende Höhenluft in der Gegend des Panthéons und merkte nicht, daß es mit Paris kein Fertigwerden gibt, denn es ist unerschöpflich, und für jede Morschheit, die ihm widerfährt, hält es sich durch neue Triebe, blütenbeladene neue Äste schadlos. Aber so teuer die silberne und immergrüne Stadt mir blieb, so hatte ich dennoch angefangen, sie zu meiden, denn vorwiegend war ich deutsch, und es erbitterte mich, sogar die Schulbücher mit Verleumdungen angefüllt zu finden, und daß man sogar die Kinder in Haß und Lüge unterwies. Und ich wurde den Grimm nicht los, den Geist und die Sprache meines Vaterlandes stetig zurückgedrängt und an Boden verlieren zu sehen. Denn für den deutschen Himmel, ja für ihn ambitionierte ich die ganze Erde: die ganze Erde sollte er decken, denn wessen Auge über ihn hinschweifte, wie möchte der ohne ihn leben? Die Welt schien mir beraubt, wo sie nichts von ihm wußte, und gemein, wo sie seiner entriet.

Aber dann kam dieser Krieg, und inmitten des Hasses, der ringsum wie eine kalte Sintflut stieg, und der Wälle, mit denen sich plötzlich die Menschen gegen ihr früheres Denken, Fühlen und Erinnern verschanzten, stürzten mir alle Schranken zusammen. Welchen Halt konnte da gewesene Kritik oder Verdrossenheit noch bieten? Wie Strohhalme war das alles von einem Strom der Liebe, der Zugehörigkeit, des Eingedenkens überrauscht. Die Franzosen waren jetzt nicht minder meine Brüder als die Deutschen, denn sie waren mir nicht minder anverwandt, daß ich sie widereinander heilig hielt, war meine Not, aber meine Heimat lag jetzt zwischen ihnen! Mochte man in Polen immerzu vordringen und als Sühne für Ostpreußen von Rußland an sich reißen so viel man wollte; gerne![6] Aber je tiefer nach Frankreich hinein der Boden von den Schritten der als Feinde vordringenden Deutschen erdröhnte, je fremder, je verbannter fing ich an mich unter ihnen zu fühlen. Und wer vor mir die Franzosen schmähte, dem fuhr ich ins Gesicht, eh ich es wußte; so ganz entglitt ich mir! Wie der Zündstoff, der an die Flamme gerät. Nicht er ist in Frage. Oder wer geböte dem Sturm? daß nicht ich es war, gab die Berechtigung. Der Anprall wars, mit nichten, daß er mich zermalmte. Gesetzt ein Krieg zwischen Christen und Juden wäre entbrannt, und ich eine halbe Jüdin, so würde ich ohne weiteres als eine solche gelten — und es würde niemand von mir verlangen, daß ich mich für eine Vernichtung der Israeliten begeistere. Was aber einer halben Jüdin recht wäre, ist einer halben Französin — so dächte ich — zum mindesten billig. So dächte ich. Daher der Titel dieses Buches. Mein Blut hat die Fanfare nur zu wohl vernommen. Ich preise die andern glücklich, aber ich beneide sie nicht; sie dürfen unterscheiden zwischen Freund und Feind; ich aber darf nicht betäuben und nicht abirren von einer Qual, die vor Gott selbst ein solcher Jammer ist.

Wenn auch kein einziger mir seine Zustimmung gäbe, es beirrte mich nicht; so stark ist der Ruf. Und dann ist ja der heutige Tag nicht so geartet, daß ich ihn zum Richter über mich erhebe. Falls diese Briefe mich überleben, wird man sie nicht wegen ihres Titels verhöhnen. Nur indem ich heute in Deutschland auch die französische Fahne hochhielt, gab ich außerdem die Gewähr, wie unverbrüchlich treu ich heute in Frankreich zu der deutschen stünde.

Denn an zwei Fahnen hat dieser entsetzliche Krieg mich vereidet. Zwei Fahnen, schwesterlich umflort, halten meine Hände umklammert. Ich wärs zufrieden, trüge man sie beide — wo immer ich sterben mag — meinem Sarge voran; auch die Tricolore! so heißgeliebt! —

Und du mein Deutschtum! Angebetetes! Und wolkenumhüllt — als hätte es die Gottheit unseren eigenen Blicken entrückt, unversöhnt, wie einst, da sich der Tag der Griechen nicht erfüllte, eh nicht Orest und mit ihm Pylades, der Gleichwertige, und gleich Gefährdete — eines des andern Retter — an die finsteren Ufer hinverschlagen — gemeinsam die Schwelle des Tempels überschritten, in welchem die freudelose Iphigenie das Bild der einheimischen Göttin in der Verbannung hegte.

Nicht eher, nicht anders wird sich der Tag erfüllen.


[5]  Anmerkung. Wie bezeichnend für ihren Durchschnitt ist das, was Reiche aus der Zeit der Befreiungskriege überliefert hat. „Im ersten Augenblick fand man Napoleons Unternehmen tollkühn und abenteuerlich. Wie er aber dennoch Fortschritte machte und seine Macht mit jedem Tage wuchs, wurden die Stimmen immer kleinlauter und besorglicher, wovon die damaligen französischen Tagesblätter einen deutlichen, dabei komischen Gradmesser abgaben. Sie lauteten:

 „Der Unhold ist aus seiner Verbannung entronnen. Er ist von Elba entwischt. —

 „Der korsische Wolf ist bei Luz-Juan ans Land gestiegen.

 „Der Tiger hat sich zu Gap gezeigt. Truppen sind auf allen Seiten gegen ihn in Bewegung. Er endete damit, als elender Abenteurer in den Gebirgen umherzuirren; entrinnen kann er nicht. —

 „Das Ungeheuer ist wirklich, man weiß nicht durch welche Verräterei, nach Grenoble entkommen.

 „Der Tyrann hat in Lyon verweilt, Entsetzen lähmte alles bei seinem Anblick.

 „Der Usurpator hat es gewagt, sich der Hauptstadt bis auf sechzig Stunden zu nähern.

 „Bonaparte nähert sich mit starken Schritten, aber niemals wird er bis Paris gelangen.

 „Napoleon wird morgen unter den Mauern von Paris sein.

 „Der Kaiser ist in Fontainebleau.

[6]  Es ist ja so groß!

 

Anhang

Die Internationale Rundschau und der Krieg.
Ein unpolitischer Vortrag
gesprochen zu Dresden am 15. Januar 1915.

Am 18. Dezember vorigen Jahres traten in München unter dem Vorsitz Ludo Hartmanns eine Anzahl Wiener Professoren zusammen mit ihren Münchener Kollegen, Rechtsanwälten und Vertretern der Presse. Die Einladung zu dieser Sitzung bestand in einem Aufruf folgenden Inhalts:

„Neben dem Weltkriege mit eisernen Waffen wird ein zweiter Feldzug mit vergifteten Waffen geführt, ein Verleumdungsfeldzug, in dem jedem Volke die unglaublichsten Schändlichkeiten, Hinterhältlichkeiten und Gemeinheiten vorgeworfen werden, und dieser zweite Feldzug, den giftige Federn vom sichern Schreibtisch aus führen, ist fast noch gefährlicher als der andere. Das Ziel des Krieges ist der Friede — das Ziel dieses zweiten Feldzuges jedoch ist der unauslöschliche Haß, der auch nach formellem Frieden jede Versöhnung ausschließt.

Darf die menschliche Ehre ein Angriffsobjekt im Kriege sein, dürfen Schauermärchen hüben und drüben die Bestie im Menschen erwecken, so daß der Glaube an die Menschheit versinkt? Diese ganze Verleumdungsaktion hat geringen unmittelbaren Einfluß auf Sieg oder Niederlage; auf die eigentlichen Kämpfer wirkt sie nur insofern, als sie zu unnötigen Grausamkeiten den Vorwand der Vergeltung bietet; sie ist auch kaum auf die Kämpfenden, weit mehr auf die Zuschauer berechnet, und Zuschauer ist hier nicht nur die zivilisierte, sondern auch die unzivilisierte Menschheit.

Bisher war der beste Schutzwall der weißen Rasse deren sittliche Überlegenheit; die Verleumdung zerstört diesen Nimbus, und rascher als durch kriegerische Selbstzerfleischung sinkt Europa von seiner Höhe herab, wenn die übrige Welt hört und glaubt, welcher Schandtaten Europäer fähig sind.

Kulturnationen! Es ist eine Pflicht gegen uns selbst, diesem selbstmörderischen Treiben ein Ende zu machen und ehrlich zu prüfen, was Lüge, was Wahrheit ist. Sollten sich unter den neutralen, sowie unter den kämpfenden Völkern nicht genug Männer finden, die so hoch über den Sumpf hinausragen, daß sie den Verleumdern, gleichgültig ob Freund oder Feind, die Wahrheit entgegenzuhalten wagen? Es wäre betrübend, wenn sie nicht vorhanden wären oder sich feige verkröchen. An diese Männer ergeht die Aufforderung, auf streng neutralem Boden sich zu finden und durch ein absolut unabhängiges, objektives Organ den Glauben an die Menschheit wieder aufzurichten.

Indem wir der Wahrheit dienen, wollen wir durch Versöhnlichkeit den Frieden vorbereiten, gleichgültig, wann und unter welchen Voraussetzungen er kommen wird — und wir wollen verhindern, daß überflüssigerweise jene Fäden zerrissen werden, welche die kultivierte Menschheit zusammenhalten.

Also wollen wir helfen, einen Frieden vorzubereiten, der den Haß beseitigt und eine Versöhnung anbahnt, damit das Ziel des großen Krieges der große Friede sei.

Ein literarisches Organ dieser Art darf nur auf neutralem Boden geschaffen und von Personen geleitet werden, deren Neutralität über jeden Zweifel erhaben dasteht. Deshalb soll es in der Schweiz entstehen und einen französischen und einen deutschen Schweizer zu Herausgebern haben. Diese Männer werden die Sicherheit bieten gegen die naheliegende Gefahr, es könnte die Zeitschrift aus ihrem objektiven und versöhnlich gedachten Geleise herausgedrängt und unter dem Vorwand der Neutralität einseitigen Zwecken dienstbar gemacht werden.

In dieser Zeitschrift sollen die uns alle bewegenden Probleme des Weltbrandes in der Weise behandelt werden, daß zu den aufgeworfenen Fragen, neben hervorragenden, objektiv denkenden Neutralen gleichmäßig bedeutende Vertreter der kriegführenden Teile das Wort erhalten, die in knapper Form die Ansicht ihrer Volksgenossen frei von Übertreibung und Gehässigkeit zum Ausdruck bringen.

So hoffen wir in ehrlicher Kulturabsicht und mit allen Kautelen gegen Mißbrauch ein Organ zu schaffen, welches der Wahrheit und der Menschlichkeit dienen und neben den schrecklichen Seiten des Krieges auch eine allen guten und edlen Menschen erfreuliche Frucht zeitigen soll.“

Für solche Dinge, werden Sie sagen, ist es entweder zu spät oder zu früh. Dies sagten sich auch diejenigen, welche nach reiflicher Überlegung sich dennoch zu dem Unternehmen bekannten. Vielleicht interessiert es Sie zu hören, wie es entstand.

Professor Brockhausen in Wien schilderte in jener Sitzung, wie ihm die fortgesetzten Zeitungsberichte von den Greueltaten der serbischen Soldaten keine Ruhe ließen. Es ist ja sicherlich beschämend genug für den Gebildeten, was ihm heute, in einem Zeitalter, das wir für ein zivilisiertes hielten, noch zugemutet wird, was er lesen, was er aussprechen, womit er sich noch befassen soll.

Nun also! In Österreich hieß es allgemein, die serbischen Soldaten besäßen eine wahre Vorliebe, den österreichischen Verwundeten die Augen auszustechen. Der Professor wohnte in nächster Nähe eines Lazaretts, wo neuerdings solche beklagenswerte Opfer in Pflege lagen, und er erachtete es als seine Pflicht, sich davon zu überzeugen. Fürs erste aber überraschte er seine Frau durch ein Gesuch um fünfzig Kronen. Sie meinte, er brauchte sie doch nur selber zu nehmen. Aber er bestand auf seiner Bitte und begab sich dann mit der Summe ins Lazarett. Dort äußerte er den Wunsch, zu einem von Serben in besagter Weise zugerichteten Österreicher geführt zu werden, weil er ihm fünfzig Kronen zu überbringen habe. Es läßt sich denken, daß man ihm sogleich willfahrte, mit dem Bemerken allerdings, daß der Betreffende zwar das Augenlicht verloren habe, jedoch durch einen Schuß.

Der Professor ging daraufhin keinen Schritt weiter und berief sich auf sein Mandat, das ganz ausdrücklich nur einem Verwundeten galt, der von serbischen Soldaten verstümmelt worden sei. Da gäbe es ja leider Gottes Lazarette genug, wurde ihm versichert, wo er solche Opfer serbischer Grausamkeiten antreffen könnte. Er machte sich nun anheischig, von einem zum andern zu wandern; überall führte er sich auf dieselbe Weise ein, ziemlich überall fanden sich Soldaten mit schweren oder unheilbaren Augenverletzungen, aber an keinen dieser Unglücklichen brachte er seine Gabe an, denn immer waren Kopfschüsse die Ursache der Erblindung gewesen.

Professor B. wollte hiermit in keiner Weise bestreiten, daß die genannten Greueltaten vorgekommen seien; er wollte nur wahrheitsgetreu berichten, daß er selbst nach allen Wiener Lazaretten gewandert sei, die fünfzig Kronen aber noch heutigen Tages besitze.

Das Ergebnis dieser erfolglosen Nachforschungen aber war, daß er zur Überzeugung gelangte, hier müsse etwas geschehen; und er fuhr in die Schweiz, um sich mit seinen dortigen Kollegen über einen Plan zu besprechen, den er mittlerweile gefaßt hatte. Es sollte durch ein internationales Organ der systematischen oder gedankenlosen Verhetzung entgegengetreten werden. Dabei stieß er auf die Bedenken und den Widerstand, den er erwartet hatte, fuhr aber unverdrossen bis nach Genf, wo er es unter anderen auf Romain Rolland abgesehen hatte, welcher die Zweckmäßigkeit, ja Unerläßlichkeit des Vorhabens würdigte und seine Bereitwilligkeit, sich daran zu beteiligen erklärte; unter der Bedingung, daß die strengste Neutralität gewährleistet würde und Verwaltung wie Herausgabe in neutralen Händen verblieben. Mittlerweile hatten sich auch die Berner und Züricher Freunde die Sache überlegt, und der Professor fand sie auf seinem Rückweg nicht mehr so abgeneigt, wenn auch ebenso skeptisch. Aber auch sie glaubten angesichts der heillos verschütteten und, wie es schien, nicht mehr freizumachenden Wege, daß sie es mit ihrem Gewissen nicht mehr vereinbaren könnten, wenn sie untätig blieben, auch, wenn sie an dem Erfolg ihrer Arbeit zweifelten.

Sowohl in der deutschen, wie in der französischen Schweiz fand sich der Herausgeber für die Zeitschrift; es wurden die finanziellen Mittel aufgeboten, sie ins Leben zu rufen, und es kam dann noch zu jener Sitzung, die ich zu Anfang erwähnte.

Es war eine Einladung an mich ergangen, derselben beizuwohnen, und ich muß Ihnen gestehen, von der absoluten Notwendigkeit des Unternehmens, von der sich die verantwortlichen Leiter nur widerstrebend und nach langem Erwägen aller Für und Wider überzeugten, war ich gleich so durchdrungen, daß ich mich bei den sachlichen Bedenken keinen Augenblick aufhielt, vielmehr die eigene Unsachlichkeit so weit trieb, daß ich mich sofort verbürgte, zehntausend Franken für die Förderung einer so verdienstvollen Sache aufzubringen. Ein Mann hätte sich zuvor besonnen, ob er denn Aussichten hätte, die Summe zusammenzubringen. Aber so sind die Frauen. Ich muß jetzt sehen, wie ich sie auftreibe. Aber was geht mich diese Sache an, werden Sie vielleicht fragen. Warum mische ich mich da hinein? Nun, ich kann Ihnen beweisen, daß ich nur recht tue, wenn ich seit jenem Tage nichts anderes mehr im Sinn habe als die Propaganda dieses so problematischen Unternehmens. Und wenn ich nicht davor zurückschreckte, in die Öffentlichkeit zu treten, vor der ich zum ersten Male spreche, so geschieht es, weil auch ich es vor meinem Gewissen nicht verantworten könnte, wenn ich auch nur eine einzige Möglichkeit unbenützt ließe, in diesem Sinne wirksam zu sein.

Warum ich diese Propaganda nicht lieber Geschulteren und Redegewandteren überlasse? Weil es niemanden geben kann, dem das Ziel solcher Bestrebungen mehr am Herzen läge, und weil es so eng mit dem zusammenhängt, was ich fühle, daß ich sogar eine Entschuldigung für die voreiligen Versprechungen habe, zu denen ich mich hinreißen ließ.

Sie, verehrte Anwesende, haben gewiß schon viele Dinge gedacht! Ich aber immer nur eins. Aber dieses Eine hat durch die Ereignisse eine solche Stärkung erfahren, daß ich alle persönlichen Rücksichten aufgeben und es verfechten muß. Und was kommt schließlich auf den einzelnen an? Kann sich doch der Schalste und Eingebildetste von uns nicht mehr wichtig nehmen. Daß er ganz und gar nur auf Ersatz da ist, wußte jeder nie so gut. Aber gerade deshalb ist noch nie die Forderung so streng an ihn ergangen, sich auf sich selbst zu besinnen. Denn wir sind nicht mehr die Zeitgenossen des vergangenen Sommers, die noch leichtsinnig und glücklich waren, und die noch Illusionen hatten; die Leute der achtziger oder neunziger Jahre oder der Jahrhundertwende; wir sind heute die Überlebenden, wir sind alt! Mag für die Amerikaner das Sterben noch ein Unfug sein, wir Europäer sind so von ihm eingeschlossen, daß es längst von unserem Bewußtsein Besitz ergriffen hat. Erinnern Sie sich noch des Widerhalles, den die Katastrophe der „Titanic“ in uns allen weckte? Damals stand der Tod noch außerhalb. Heute haben wir uns an ihn gewöhnt. Verluste, die sich auf Hunderttausende beziffern, werden fast ohne Kommentar verzeichnet, und unser Leben ist es, das außer Kurs geraten scheint. Unsere Zeit aber ist dafür um so kostbarer geworden. Es ist die Zeit der Rechenschaft, in der auch Gedanken nicht mehr zollfrei sind. Man hat nicht mehr die Wahl, sie zu unterdrücken, etwa weil sie zu harte Anforderungen an uns stellen oder aus Entmutigung.

Ihnen steht es frei, alle internationalen Bemühungen im Augenblick für unstatthaft zu halten, mir nicht. Ihrem Empfinden dürfen sie fremd bleiben. Dem meinen nicht. Sie dürfen sogar meinen, daß eine Berührung zwischen den geistigen Führern der feindlichen Nationen auf dem Boden einer internationalen Zeitschrift überflüssig, daß er sogar schädlich sei. Ich darf nicht so denken.

„Es hat sich in diesem Kriege gezeigt,“ schrieb mir kürzlich jemand, der seine Ablehnung gegenüber den Bestrebungen, die ich vertrete, begründen wollte, „es hat sich bei allen Nationen gezeigt, daß die Liebe zum Vaterlande die größte und heiligste Empfindung ist, eine stärkere als die Liebe zu Frau und Kind, stärker als Liebe und Glaube an die Menschheit; sie fühlt sich eins mit der Liebe zu Gott, sie ist Religion geworden. Für eine andere Empfindung können das deutsche Volk und seine geistigen Führer heute keinen Sinn haben. Solange Deutschland um sein Leben kämpft, hat es kein Bedürfnis nach geistigen Berührungspunkten mit den feindlichen Nationen. Primum vivere, deinde philosophari.“

Ich weiß solche Anschauungen zu würdigen, wenn ich auch nicht in der Lage bin, sie zu teilen; wenn ich mich auch nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß ich heute abseits stehe, vom engeren Ringe einer Gemeinschaft mit Ihnen ausgeschlossen, des intimeren Heimatrechtes beraubt. Wenn Sie wüßten, wie sehr ich Sie darum beneide! Ihre Gedanken sind ausschließlich auf Ihre Männer, Ihre Söhne, Ihre Brüder gestellt, und es wäre ein Frevel, das Ziel Ihrer Sorgen weiter hinauszustecken. Es gibt kein besseres in der Welt! Nach wie vor sind es die Mannen des Hagen, die es in Ewigkeit nicht anders wissen werden, als in der Stunde der Not ihr friedliches Tagewerk zu lassen und hinzustürmen, wohin die Gefahr sie ruft; ohne Neugierde, zu wenig neugierig fast. Es ist ihnen genug, die Tore des Reichs bedroht zu wissen. Die Wächter des Rheins werden noch als die Wächter Europas aufstehen, wenn erst die gemeinsame Not es zusammenschloß. Dann werden diese heute noch Unausgeglichenen in der Mittagstunde ihrer Reife stehen, uns aber, wer sagt uns, daß wir es noch erleben werden, sie nicht mehr gehaßt zu sehen? Indessen scheint man es bis auf weiteres auch mit diesem Haß aufnehmen zu wollen. Nur ich kann mich nicht darein finden! Denn als Halbromane hege ich für das Deutschtum eine Liebe, die nicht wie die Ihrige auf reiner Zugehörigkeit beruht, unvermischt und fraglos mit ihrem Gegenstand identisch ist. So liebt man seine Nächststehenden, den Mann, oder die Frau, mit einem von Eifersucht und Verliebtheit vielleicht nicht freien, zugleich aber viel deutlicheren Gefühl, als sich selbst. Und wer dürfte behaupten, daß man sie deshalb weniger liebt?

Infolge einer solchen Abgerücktheit nun trug ich im Ausland nichts von der manchmal zu großen Bescheidenheit meiner Landsleute zur Schau, sondern berief mich auf mein Deutschtum mit einem fast prahlerischen Enthusiasmus. Auch dies Bewußtsein gibt mir den Mut, Ihnen zu sagen, daß ich nicht in der Lage bin, dieselben Dinge zu denken und zu empfinden wie Sie. Aber welchen Sinn hätte es dann, daß ich hier stehe? Ist nicht der einzig mögliche Zweck meiner Worte der, daß ich etwas anderes zu sagen habe? Zwar wurde mir seit Anfang des Krieges des öfteren nahegelegt, ich sollte mich bis auf weiteres ganz abstrakten, den gegenwärtigen Ereignissen möglichst fernen Dingen zuwenden. Aber wer von uns könnte das? Zu anderen Zeiten, in anderen Kriegen wohl. Aber heute ist es ein unmögliches Ansinnen geworden. Keiner kann sich abseits halten; selbst die Friedfertigsten und Zurückgezogensten von uns haben so wenig die Wahl, etwas anderes als Streitende zu sein, als die jungen Philologen, die jungen Privatdozenten und Musiker, die Liebhaber der Künste und Wissenschaften, die Träumer, die Verliebten, die auch mit der Waffe in der Hand nichts anderes mehr im Sinne haben als die Ehre und Existenz ihres Landes. Geben wir uns keinen Illusionen hin. Es ist der Krieg gekommen, der keine innere Flucht zuläßt. Er ist jedermanns Sache, ja, mehr noch: Jeder muß heran. Denn noch ein anderes Ringen spielt sich ab. Ich sehe ein geistiges Schlachtfeld. Auch dort ist das Getümmel und die Not. Es sind die beiderseitigen Verschanzungen, das Sich-in-Schach-halten; die erbitterte Defensive. Und es ist ein Kampf, der sich ins Endlose auszudehnen droht, der unrühmlich und unblutig im Dunkeln vor sich geht und gleicherweise der Kundschafter, wie der notwendigen Vorposten entbehrt.

Und hier nun behaupte ich, weil ich es beweisen kann, daß ich zu den paar Leuten gehöre, welche Patrouillendienste verrichten und inmitten des Wirrsals als Aufklärer taugen könnten. Ich meine uns, die Halbgermanen Frankreichs, die Halbromanen Deutschlands — eine Zahl, so gering, daß es sich lohnt, uns anzuhören, bevor wir ganz aus der Welt verschwunden sind. Denn wir stehen mitten auf einem Laufbrett über dem Graben, der sich seit vierundvierzig Jahren so sehr erweitert hat, daß wir allein, von unseren weit hinausgestellten Posten aus, zwei Lager übersehen können, die sich gänzlich aus den Augen verloren haben. Unsere Einsamkeit ist dort eine so verzweifelte geworden, daß ich mich sogar an Ihr Mitgefühl wenden würde, wären die Zeiten minder hart. So aber rufe ich nur Ihren Gerechtigkeitssinn an, und auch das nur, weil unser verschwindendes Häuflein allen Ernstes Ihre Aufmerksamkeit verdient; weil wir naturgemäß Dinge überschauen, die Sie nicht sehen können.

*

Durch jenes stete Abrücken zwischen den beiden Völkern sind die Rassengegensätze, die wir in uns vereinigen, so erstarkt, daß sie selbst in Friedenszeiten eine Tragik für sich bedeuteten. Heute nun, wo vor dem vergossenen Blut das Blut lauter in uns spricht als je zuvor, heute wird von dem Halbgermanen Frankreichs — reden wir von ihm — heute wird von ihm verlangt, daß er sich jeder Sympathie für uns entäußere. Seiner inneren Zerrissenheit darf keinen Augenblick Rechnung getragen werden. Ihr widerfährt keine Schonung. Es wird von ihm verlangt, daß er sich seines besseren Wissens um uns begebe und sich als loyaler Staatsbürger für unsere Vernichtung begeistere. Und er wird sich Gewalt antun, dem Gebote Folge zu leisten. Aber wenn er kein Knecht ist, wird er in dem verzweifelten Kampf, den er äußerlich bestehen wird, vor sich selber unterliegen . . . Das Blut seiner Väter wird in einen solchen Tumult geraten und sich zu solcher Brandung erheben, daß die paar Bretter seiner äußeren Zuständigkeit daran zerschellen. Die Bedrängnis ist überall zu ungeheuer! Die Bereitheit zu sterben ist überall zu groß! Aus ihr steigen die Genien der Nationen, die heute wie in der Ilias die Heere widereinander schirmen — mit Begeisterung und List! — Ihr doppeltes Walten aber findet nur in seinem Inneren einen Widerhall: die ihm als Brüder zugewiesenen Franzosen erkennt er dort als seine Halbbrüder wieder, und Sie wissen nicht, ich aber weiß, mit welcher Spannung, welchem Entsetzen er, der vielleicht im Felde steht, seines inneren Jubels inne ward, als er auf dieser bedrängten, ihm so teuren französischen Erde, die er doch mit allem Ingrimm des Patrioten wider die verhaßte Invasion verteidigt, die Kunde vernahm, daß ein aus allen Adern blutendes Volk heroischer als einst die Griechen für sich und für Europa die Befreiung erkämpfte, indem es die unerhörte Übermacht Rußlands zurückwarf. Ein höherer Genius als der des Krieges hat es gewollt, daß da bis tief ins Abendland hinein die Glocken läuteten. Er aber, von dem ich hier rede und der so unvergolten an uns leidet, er wird den Aufruhr seines Innern, der doch in Wahrheit seine Treue ist, verbergen und eine Maske tragen müssen wie ein Verräter. So mag er an der Spitze eines Sturmangriffs wider uns fallen, aber fragt mich nicht, mit welchem Herzen.

Sie werden nicht beanstanden, nicht wahr, Sie begreifen vielmehr, daß sein besseres Wissen um uns so tief in ihm gründet. Aber keiner von Ihnen hat noch seiner gedacht. Nur wir, die paar romanischen Deutschen, die es zur Zeit noch gibt, wissen genau, was uneingestanden in ihm vorgeht. Denn er ist unser engerer Landsmann, und wir fühlen wie er. Für uns spreche ich heute, denn wir leiden am meisten. Für alle anderen ist sie groß, diese Zeit, nur wir begreifen sie nicht; nur wir sind überall die Verbannten und die Außenstehenden. Glauben Sie ja nicht, daß der französische Germane kein guter Franzose sei. Sein bedrohtes Land ist es ihm tausendfach wert, daß er sich dafür opfere. Und glauben Sie nicht, daß ich weniger deutsch fühle als Sie. Infolge meiner teilweisen Abgerücktheit liebe ich Deutschland eifersüchtigeren und geschärften Sinnes vielleicht, als Sie sich selber lieben können. Nicht um ein Minus handelt es sich bei uns, sondern in den Zusätzen liegen unsere Konflikte. Wir sind heute die anderen: Halbdeutsche oder Halbfranzosen, wie Sie wollen, aber keine Deutschen wie Sie, keine Franzosen wie die drüben; von einer doppelten Liebe beseelt, jeder nur durch ihren Hader von den Seinen geschieden. Unsere Sonderstellung in der Welt ist es, für die ich eintrete, denn unser ist ein zu edles Erbteil, als daß wir es preisgäben! Zwar sind wir die zur Unzeit Geborenen; wir haben eine Mission und schleichen den Häusern entlang; wir haben eine kostbare doppelte Mitgift, und wir sind die Kreditlosen und die Enterbten, und wir sahen in ein gelobtes Land, nur, um es doppelt zu verlieren. Wir, die selbst die Versöhnung entgegengesetzter Elemente darstellen, wir sind heute selber der Krieg, und in uns selbst wütet der Kampf um die entrissenen und wieder gehißten Fahnen. Wir haben nichts gemein mit den Flaumachern, den Alarmisten und Schwarzsehern, noch mit den Neutralen und ihrer, neben der unseren gehalten, so spielerischen Parteinahme, ihrem kalten, unbeteiligten Eifer. Aber es wäre nicht der Mühe wert, von uns zu reden, wenn wir nicht auch die Unbeeinflußbaren wären, die nichts auf der Welt von ihrer schmalen Bahn hinunterstößt, und wenn wir nicht ein Recht auf unsere Zerrissenheit und unser inneres Gesetz besäßen. Von der Natur auf unsere heute verlorenen Posten hinausgewiesen, sind uns dort Dinge übersichtlich, ich sagte es schon, die sich Ihren Blicken entziehen. Es ist keine Besserwisserei bei uns im Spiel. Der Weise aus der Ebene wird sich nichts vergeben, wenn er den Toren fragt, was er von seiner Anhöhe aus sieht . . .

Aber ich mache Sie nur ungeduldig, indem ich praktische Dinge verspreche, die für jeden gelten sollen, und fortfahre, einen persönlichen Zufall zu erörtern, wie dies Halbgermanentum inmitten äußerster nationaler Gegensätze.

Es ist aber ein Zufall, der mir das Recht innerer Erfahrungen gibt, die im einzelnen zu zerlegen nicht der Moment sein mag, die mir aber den unerschütterlichen Glauben geben, daß das letzte Urteil über Gemeinsamkeit oder Feindschaft zwischen den Nationen nicht aus dem gegenwärtigen Krieg erwachsen darf. Und es ist nachgerade, als ob hierüber nichtdie Waffen, sondern die täglichen Stimmerheber zu entscheiden hätten, die aus dem ewigen Unwert der menschlichen Gesellschaft Folgerungen auf ihre Werte ziehen und ihre Einheit zerstören. Niemand gerät in Friedenszeiten auf den Gedanken, die Verbrecherstatistiken anzurufen, um den Geist einer Nation zu beschreiben. Heute sollen nun mit einem Male solche Verwechslungen richtig, erlaubt, erwünscht sein! Wir müssen das Bleibende im Charakter einer Nation vor so niedrigen Urteilen verteidigen. Und hier muß auch gegen gewisse Ausartungen Protest erhoben werden.

Daß zu Anfang des Krieges Selbstzufriedenheit und ein gewisses Selbstlob überall herrschten, war wohl unerläßlich. Aber inzwischen hat sich die Luft Europas durch dies Verfahren bedeutend verschlechtert. Man redet voneinander, als gedächte man nie wieder miteinander auszukommen, und dies ist nicht die Lehre, die wir aus der furchtbaren Prüfung dieses Krieges ziehen sollen, noch liegt hierin Pietät für die Gefallenen. Wenn diese Lebensfrohen sich alle so willig opferten, so geschah es, um einen Streit auszutragen, der sich auf keine andere Schlichtung mehr besann. Umsonst wären sie erschlagen, die nichts mehr wissen von unserem Hader und gemeinsam das Schattenreich bevölkern, wenn sie den Haß nur besiegelten. Wie anders ist die Haltung der Offiziere, die aus dem Felde zurückkehren! Nichts ist ihnen peinlicher als der Gedanke, man könnte annehmen, sie hätten keine ehrenhaften Feinde! Und der Takt so manches Pfahlbürgers hat schon durch eifriges Forschen nach den Ungesetzlichkeiten und Greueltaten der Gegner peinlichen Schiffbruch erlitten.

Wenn wir es billigen, daß Lüge und Hetzerei verbreitet werden, obwohl wir sie durchschauen, so ist es, weil wir meinen, es sei gut, des anderen wegen. Aber wir sind im Irrtum, wenn wir glauben, daß diese Methode eine ungefährliche sei, und wir vergessen dabei, daß wir für die Jugend verantwortlich sind, die dies alles nicht für eine fromme Lüge hält.

Hören Sie, was jener Gegner einer Internationalen Rundschau mir noch geschrieben hat:

„Nur der Friede,“ schrieb er, „kann der Boden für einen erneuten Kontakt zwischen den Völkern sein. Glauben Sie mir, er ist dann im Augenblick wiederhergestellt und es geht an geistigen Gütern keiner Nation etwas verloren. Im Gegenteil, der Krieg und der Frieden wird allen Nationen eine geistige Wiedergeburt bringen und einen geistigen Kontakt auf einer höheren Grundlage.“

Ich muß sagen, daß mir für mein Teil noch keine größere Utopie begegnet ist. Viel eher könnte es sein, daß dann diese Grundlage, wenn wir sie nicht zum Gegenstand unserer Sorge machen, verschwunden wäre. Wahrscheinlicher ist, daß die einst so vertrauten Wege sich als zu weithin, zu tief verwüstet erweisen, als daß sie wieder begangen werden könnten. Viel eher könnte es sein, daß an Stelle ihrer verwehten Spuren der Turm Babel der Verwirrung herrschte.

„Was ist das Heilige? Das ist’s, was viele Seelen zusammenbindet. Bände es auch nur leicht wie die Binse den Kranz.“

Dieses leichte Band ist nun zerrissen. Aber Goethe fährt mit vermehrtem und prophetischem Nachdruck fort:

„Was ist das Heiligste?

Was heute und ewig die Geister tiefer und tiefer gefühlt immer nur einiger macht.“

Warum sind diese Worte so unendlich deutsch? Nur durch die so weit übergreifende Erkenntnis, die aus ihnen atmet.

Und hier ist die Stelle, verehrte Anwesende, wo ich Sie an das erinnern muß, was ich von uns, dem verschwindenden Häuflein der französischen Germanen und der romanischen Deutschen sagte; denn hier ist die Bresche, die wir behaupten. Sie fassen festeren Griffes das Nächstliegende auf; wir können das Gesamtbild nie aus den Augen verlieren. Unser Wille ist dabei nicht in Frage. Vielmehr hegen wir eine mit Neid untermischte Sehnsucht nach allem, was glücklich umgrenzt, nicht zugleich ins andere hinüberspielt, während es das eine ist. Wir müssen teuer bezahlen für alles, was wir sehen. Und wir sehen, daß sich deutsche Wesensfülle seit vierundvierzig Jahren nicht näher geklärt hat. Die Krankheitssymptome des uns immer mehr entfremdeten Frankreichs hat keiner drastischer geschildert als Romain Rolland in seinem Jean Christophe, einem Buch, das uns andere unbeschreiblich irritiert, weil die Dinge, die es enthält und die längst Gemeinplätze sein sollten, noch so gänzlich neu sind. Erinnern Sie sich des Wortes Burckhardts in seiner Kultur der Renaissance: „Das scheinbar kränkste Volk kann der Gesundheit nahe sein, und ein scheinbar gesundes kann einen mächtig entwickelten Todeskeim in sich bergen, den erst die Gefahr an den Tag bringt.“ Sehen Sie, Sätze solcher Art sind es, an denen wir nie vorüberhören. Immer wieder wird das Bild von den männlichen und den weiblichen Nationen hingeworfen: warum macht sich keiner daran, es auszumalen? Sie wundern sich über den Haß der Franzosen, die Sie doch selber nicht eigentlich hassen. Aber wird der Groll der Verschmähten nicht viel erbitterter sein, als der des ungeschickten oder zaudernden Freiers, der die Gelegenheit nicht wahrnahm oder die richtigen Worte zur Werbung nicht fand?

Gewiß schlägt die schön beredte Muse d’Annunzios den Rekord der Gedankenarmut; und die heutigen Meister der französischen Sprache sind in dem Maße von einer gewissen Hohlheit zerquält, je gründlicher sie die Verbindung mit uns verloren haben. Wir brauchen nur Flaubert mit Anatole France zu vergleichen. André Gide und Romain Rolland, beide auf ihre Art sehr angedeutschte Geister, werden uns am meisten sagen können.

Aber auch auf unsere Literatur der letzten Jahrzehnte gehört als Motto jener uralte Ausspruch: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.“ Unsere Größten stehen heute ihrer Anlage nach unseren Allergrößten nicht nach; ich denke an Gerhart Hauptmann, und es läßt sich das Schönste über sie sagen, was es gibt, nur nicht, daß sie sich selbst übertrafen, nur nicht, daß sie ihr letztes gaben; nur nicht, daß sie sich vollendeten. Nein, wenn wir jetzt zurückdenken: es ist doch keine Lust gewesen zu leben. Der große Deutsche vor der Zeit der großen Entfremdung war gerade dadurch eine so überbietende Erscheinung, daß er, wie ein großer Komponist implicite ein großer Dirigent sein kann, sich spielend gleichsam auch der romanischen Vorzüge bemächtigte. Nicht ohne sie hielt er Haus. Es war aber gerade sein Deutschtum, das dabei seine glücklichste Entfaltung und seinen mächtigsten Ausdruck fand. Er, und nur er brachte es dann zu jener überragenden Bedeutung, durch die er den großen Romanen den Rang ablief. Wenn ich Goethe im Gegensatz zu Victor Hugo nenne, wird man mich sogleich verstehen. Ich nenne ihn aber auch im Gegensatz zu Hebbel. In seiner Universalität liegt das Geheimnis, warum der rauhere Deutsche im Grunde eine stärkere Beziehung zur Antike hat, als bei allem Formensinn der Franzose. Selbst ein so verrannter Nationalist wie Maurice Barrès fühlte sich über die Goethesche Iphigenie zu dem Geständnis, zu der Huldigung hingerissen: „Jaime la Grècque germanisée.“ Vergleichen wir Racine mit Gluck. Und welcher lateinische Komponist hat auch nur annähernd die Grazie eines Mozart erreicht! Wer allerdings hat sich lateinischeren Einflüssen zugänglicher gezeigt? Vergessen wir auch nicht, daß einer der größten Diplomaten aller Zeiten ein Deutscher war. Wer aber hatte es gelernt, ein größerer Meister dessen zu werden, wofür wir bezeichnenderweise kein gleiches deutsches Wort besitzen: die Nuance?

Hier ließe sich freilich manches weiterspinnen, aber es ist nicht der Ort, noch sind mir Befugnisse erteilt worden, über die Politik zu sprechen — über die es so viel zu sagen gäbe. Aber sicher wird es mir gestattet sein, einen Satz Ernst Moritz Arndts aus der Jahren der Freiheitskriege anzuführen: „Die Zeit, worin wir leben,“ schrieb er 1815, „hat uns Deutschen zugemutet, politische Menschen zu werden. Es hat schwerer Jahre bedurft, daß wir aus dem dämmernden Traum einer Gleichgültigkeit erweckt wurden, die dem deutschen Namen fast mit dem Untergang drohte. Gottlob! uns ist wieder ein Vaterland gezeigt worden, ein Ziel, worauf alle Deutschen als Volk schauen, wofür sie streben und arbeiten sollen. Immer aber gilt noch mit Recht die Klage, daß wir nicht politisch genug sind. Damit wir dies immer mehr werden, dafür muß jeder redliche Deutsche denken und streben und auf seine Weise den Kampf durchkämpfen helfen, der nicht allein auf den Schlachtfeldern entschieden werden kann.“

Ich werde mich streng an meine Weisung halten und in keiner Weise untersuchen, ob wir diese politischen Qualitäten, die Arndt uns so dringend empfahl, innerhalb dieser hundert Jahre erworben haben. Ich möchte nur einen anderen Satz anführen, aus einem Aufsatz Thomas Manns im Dezemberheft der „Neuen Rundschau“. Da steht: „Wir hätten die Kultur als Wort und Begriff dem Worte Zivilisation stets vorgezogen, weil es rein menschlichen Inhaltes ist, während wir beim anderen einen politischen Einschlag und Anschlag spüren, der uns ernüchtert, der es uns zwar als wichtig und ehrenwert, aber nun einmal nicht als ersten Ranges erscheinen läßt — weil dieses innerlichste Volk der Metaphysik, der Pädagogik und der Musik ein nicht politisch, sondern moralisch orientiertes Volk ist.“

Dies hundert Jahre nach Arndt, und nachdem Deutschland inzwischen zu einem geeinigten Reich und einer Großmacht erstarkt war.

Ich werde weiter nichts sagen, als daß ich an diesem Satze Ärgernis nahm. Denn wir, die Herausgestellten, haben einen anderen Ehrgeiz, wir sehen gar keinen Grund, warum wir dieses politische Volk mit einer politischen Sprache nicht ebensogut sein sollten wie andere. Viele meinen ja auch: Jetzt müssen wirs werden, kein einziger scheint sich zu fragen, wie. Ein vorsätzliches Abschließen von den politischeren Nationen ist sicher nicht der richtige Weg. Was sie vor uns voraus haben — nehmen wir ihnen doch nur, indem wir es von ihnen lernen.

Ich will es jedoch anderen überlassen, dies Thema weiter zu erörtern. Ich habe nur noch zwei Dinge zu sagen. Es ist gewiß außerordentlich kindisch, uns unsere großen Männer streitig machen zu wollen oder sie herabzusetzen. Nicht minder weit vom Schusse sind wir aber, wenn wir uns immerzu auf sie berufen, denn große Männer sind noch lange nicht die Nation. Und wir dürfen nicht vergessen: daß sie immerhin als ziemliche Dulder in unserer Mitte lebten, noch auch die scharfe Kritik, die sie an uns übten. Es besteht sogar immer die Möglichkeit, daß große Männer ihrer Nation verloren gehen. Wären allerorts diese Auserwählten eines Volkes auch dessen führende Geister, Europa böte heute ein anderes Bild! Es sind aber ganz im Gegenteil die Zeitungen und unter ihnen nicht die besten, welche diese Rolle übernahmen . . .

Ich sprach von unserer Sonderstellung und den Dingen, die wir besser sehen. Aber vielleicht sind die Dinge, die wir nicht sehen, noch bezeichnender.

So können wir gar nicht verstehen, daß die Völker, die doch schon allesamt ihre Revolutionen hatten oder zu haben versuchten, warum sie sich allesamt ihre hetzerische Presse noch gefallen lassen, warum sie sich die noch nicht verbaten; warum sie noch nicht zusammentraten und gegen die rebellierten? Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß die Greuel der belgischen Bevölkerung infolge verleumderischer und aufreizender Zeitungsartikel als Repressalien entstanden sind. Wann werden die Vertreter der würdigen Blätter dagegen protestieren, daß solche Mörder der Gesellschaft sich ihre Amtsbrüder nennen?

Man hat schon Regierungen davongejagt, aber der Herausgeber eines Hetzblattes thront wie ein Gesalbter des Herrn auf seiner Redaktion. Argwöhnisch wird das Tun und Treiben eines Monarchen verfolgt, wer aber hat es gewagt, gegen den „Matin“ einzuschreiten, der schlimmer als eine russische Knute Wahrheit, Vernunft und Mäßigung unterdrückt?

In jedem Lande aber gibt es Erscheinungen, die dem „Matin“ nacheifern, ohne ihn zu erreichen, es ist unleugbar, daß die öffentliche Meinung sich der extremen Lüge leichter als der Wahrheit ergibt, und deshalb wäre heute nichts notwendiger auf der Welt, als daß eine Sezession innerhalb der Presse entstünde.

Es wird Sie nicht mehr befremden, daß ich mir die Interessen der Internationalen Rundschau zur Gewissenssache machte, auch wenn ich hinzufüge, daß es aus freien Stücken geschah, ohne irgendeinen Auftrag von seiten der Herausgeber. Und erlauben Sie mir, nachdem ich mit so viel Entschiedenheit meine Behauptungen vorzutragen unternahm, daß ich mit einer Vermutung schließe.

Wir versprechen uns so viel von den Erleuchtungen, die uns auf allen Gebieten nach diesem großen Krieg geschenkt werden. Aber ist es nicht wahrscheinlicher, daß, wenigstens in den ersten Friedensjahren, nur diejenigen Ideen Ansehen genießen werden, die schon im Kriege sich einen Platz in den Gemütern errangen und teil hatten an dem heutigen Schwung und der Erhebung der Geister?

Sprechen wir also heute schon von einer Einheit der kämpfenden Nationen durch die letzten Güter der Menschheit. Denn wir müssen sie dieser Feuerprobe der Beurteilung unterwerfen, gerade inmitten der gegenwärtigen äußersten Not und Anspannung.


Gedruckt bei Otto v. Holten, Berlin C.

Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):






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