The Project Gutenberg EBook of Briefwechsel zwischen Abaelard und Heloise, by 
Abaelard and Heloise

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Title: Briefwechsel zwischen Abaelard und Heloise
       mit der Lebensgeschichte Abaelards

Author: Abaelard
        Heloise

Release Date: October 27, 2013 [EBook #44051]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Briefwechsel
zwischen
Abaelard und Heloise
mit der
Leidensgeschichte Abaelards

Aus dem
Lateinischen übersetzt und eingeleitet
von Dr. P. Baumgärtner


Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig

Druck von Philipp Reclam jun. Leipzig
Printed in Germany

Inhalt.

Einleitung 5—17
1. Brief: Abaelard an einen Freund (Die Leidensgeschichte) 19—73
2. Brief: Heloise an Abaelard 73—83
3. Brief: Abaelard an Heloise 83—91
4. Brief: Heloise an Abaelard 91—102
5. Brief: Abaelard an Heloise 102—125
6. Brief: Heloise an Abaelard 126—149
7. Brief: Abaelard an Heloise 149—203
8. Brief: Abaelard an Heloise 203—303
9. Brief: Heloise an Abaelard 303—305
10. Brief: Abaelard an Heloise (mit 2 Sammlungen von Hymnen) 305—312
11. Brief: Abaelard an Heloise (mit einer Predigtsammlung) 312—313
12. Brief: Abaelard an Heloise (Abaelards Glaubensbekenntnis) 313—315

Einleitung.

Die Übersetzung dieser Briefe ist entstanden in einer Zeit, da körperliches Leiden mir ein selbständiges wissenschaftliches Arbeiten unmöglich machte. Ich las und übersetzte anfangs zu meiner eigenen Unterhaltung und Übung; doch je mächtiger diese Urkunden der Liebe und des geistigen Verkehrs zweier so hochherziger Menschen mich selber anzogen, desto lebhafter regte sich der Wunsch, auch anderen sie zugänglich zu machen. Unsere kirchengeschichtliche Litteratur enthält so manchen edlen Schatz, der in staubiger Hülle vergessen in den Bibliotheken aufgespeichert steht — so manches Schriftdenkmal, das in seiner fremden Sprache nur zum Gelehrten redet, während es ans Licht gezogen und verständlich gemacht manchem ernstergerichteten Leser Genuß und Erbauung zu bieten vermöchte.

So sind auch die Briefe, die von Abaelard und Heloise auf uns gekommen sind, in Deutschland wenigstens, nur wenig bekannt, obwohl die beiden zu jenen Liebespaaren von weltgeschichtlichem Rufe gehören, deren Namen unauflöslich miteinander verbunden sind, wie Hero und Leander, Tristan und Isolde, Dante und Beatrice. Im Ausland dagegen und besonders in Frankreich schenkte man diesen Briefen frühzeitig Aufmerksamkeit, und namentlich die eigentlichen Liebesbriefe wurden mannigfach dichterisch bearbeitet und romanhaft ausgeschmückt — jedoch nicht zu ihrem Vorteil: man vergleiche die Bearbeitungen, die diesem Gegenstand durch einen Pope und Colardeau — bei uns durch eine formvollendete poetische Übersetzung Bürgers eingeführt — zu teil geworden sind, mit unserem Original, und man wird leicht gewahr werden, um wie viel edler und, bei aller Leidenschaftlichkeit, keuscher dieses letztere ist als jene pikanten Leistungen.

Eine sehr elegante, dabei meist textgemäße französische Übersetzung der Briefe giebt O. Gréard in seinem Buche: „Lettres complètes d’Abélard et d’Héloise, Paris, Garnier Frères“. Der französischen Übersetzung ist der lateinische Text in der Recension von Viktor Cousin beigegeben, die auch unserer Übersetzung zu Grunde liegt.

Im Jahre 1844 ist eine deutsche Übersetzung des Briefwechsels erschienen von Moriz Carrière,[1] und dieses Werk würde meine Übersetzung überflüssig machen, wenn es überhaupt noch im Buchhandel zu haben wäre. Da es jedoch gänzlich vergriffen ist — ich selbst habe es nur nach langwierigen Bemühungen zu Gesicht bekommen — und eine neue Auflage nicht in Aussicht steht, so glaubte ich mich zu dieser neuen Veröffentlichung berechtigt. — Carrière schickt seiner Übersetzung eine ausführliche, ebenso gelehrte wie geistvolle Einleitung voraus, in der er mit dem Feuer einer edlen Begeisterung Abaelards philosophischen und theologischen Standpunkt darstellt. Diese Einleitung bildet nahezu ein Drittel des ganzen Buches, so daß eigentlich in ihr der geistige Schwerpunkt desselben zu sehen ist. Ich meinerseits beschränke mich in dieser kurzen Einleitung auf das, was dem Leser zum Verständnis der Briefe notwendig ist — zumal uns in den Briefen Abaelard doch mehr als Mensch, weniger als Gelehrter entgegentritt.

Die hier veröffentlichte Briefsammlung umfaßt im ganzen zwölf Briefe. Dabei ist als erster Brief mitgezählt das unter dem Namen der „Leidensgeschichte“ (historia calamitatum) bekannte Schriftstück, das in Form eines Briefes, der an einen unbekannten Freund Abaelards adressiert ist, das vielbewegte Leben des letzteren schildert bis zu dem Zeitpunkt, wo er in den großen Streit mit Bernhard von Clairvaux eintritt — also ein Stück Autobiographie, das die Einleitung zu dem folgenden Briefwechsel bildet.

Überhaupt wurde dieser Brief die Veranlassung zu der ganzen folgenden Korrespondenz: über ein Jahrzehnt war seit der Trennung der Liebenden vergangen, und allem Anschein nach hatte während dieser ganzen Zeit jeder Verkehr zwischen ihnen aufgehört. Da kam durch einen Zufall jener Brief Abaelards in die Hände Heloisens und weckte „der alten Wunde unnennbar schmerzliches Gefühl“. Die Geschichte der Leiden des geliebten Mannes, zu denen er auch mit vollem Recht seine Liebe zählte, facht den Funken, der noch immer in ihrem Herzen glimmt, zur hellen Flamme an, und noch einmal durchlebt sie in der Erinnerung alle Freuden und alle Leiden einer hohen Liebe. Aus der Hochflut dieser neuerwachten Gefühle heraus sind die Briefe II und IV geschrieben: eine Beichte sondergleichen, ein Herzensaufschrei in den unmittelbarsten, leidenschaftlichsten, kühnsten Lauten, die je über Frauenlippen gekommen sind. Im Vergleich mit diesen Ergüssen hat man von jeher die Antwortschreiben Abaelards auffallend ruhig und kühl gefunden. In der That gleicht er in seinen Briefen (III und V) dem starren Felsenriff, das unbewegt und fühllos bleibt, mitten in den ewig wiederholten Umarmungsversuchen der Wogen. Man hat ihm aus dieser Kälte schwere moralische Vorwürfe gemacht, ja an sein Verhalten auch schon allgemeine philosophische Betrachtungen darüber angeknüpft, wie verschiedenartig die beiden Geschlechter lieben. So besonders Johannes Scherr in seiner geistreich-extremen Weise (Menschliche Tragikomödie, Bd. 2, „Heloise“). Die Art, wie Abaelard Heloisens hungriges Herz abzuspeisen sucht, wie er der Frau gegenüber, mit der er einst so wenig geistlich verfahren war, nun ganz die Sprache des Geistlichen, des orakelnden Heiligen und Propheten führt, macht im ersten Augenblick einen peinlichen, unangenehmen Eindruck, und hat sogar stellenweise etwas Empörendes. Allein der Ton, den er anschlägt, ist keine angenommene Maske; was er an Heloise schreibt, sind nicht bloß fromme Phrasen, sondern es ist ihm bitterer Ernst; er ist wirklich bekehrt, er bereut und sieht von diesem Standpunkt aus sein und Heloisens äußeres Mißgeschick für eine gnädige Fügung Gottes zur Rettung ihrer Seelen an. Sodann ist allerdings das Gefühl, das in Heloisens Herz eben jetzt in neuen Flammen erwachte, in ihm gänzlich erstorben. Er macht daraus kein Hehl; er sucht die einst Geliebte darüber nicht hinwegzutäuschen. Seine Wahrhaftigkeit ist seine Entschuldigung. Wo aber eine Liebe erloschen ist, da wird niemand glühende Liebesbriefe erwarten.

Man wird solche aber auch nicht erwarten, wenn man die Verschiedenheit des Lebenswegs und der weiteren Geschicke der einst in Liebe Verbundenen in Betracht zieht. Heloise war einst wider ihren Willen und wider ihre Natur ins Kloster gegangen, nur aus Gehorsam gegen den geliebten Mann. Sie hatte damit ein Opfer gebracht, dem ihre Natur nicht gewachsen war. Ruhe hatte sie jedenfalls nicht gefunden hinter den Klostermauern. Zwar brachte sie es durch ihre geistige und sittliche Energie dahin, daß sie in den Ruf besonderer Heiligkeit kam, aber man lese ihre erschütternden Selbstanklagen im vierten Brief, um einen Einblick in dies ruhelose unbefriedigte Herz zu gewinnen. Aus solchem Gemütszustand heraus sind jene leidenschaftlichen Ergüsse begreiflich, denen gegenüber Abaelards Auslassungen und beichtväterliche Ermahnungen freilich kalt erscheinen. Ferner ist zu bedenken: mit dem Eintritt ins Kloster war Heloisens Leben eigentlich abgeschlossen; neue gewaltige Eindrücke, durch die die alten verwischt worden wären, erwarteten die Klosterfrau nicht mehr. Sie zehrte von einer kurzen Vergangenheit. Was sie aber mitbrachte von Erinnerungen an die Welt, von Lebenseindrücken, das alles war für sie beschlossen in dem Namen Abaelard. Dieser Name, ihr Ein und Alles, lebte in ihrem Herzen und mit ihm die Liebe, und so bedurfte es nur eines zündenden Funkens, um die zusammengesunkene Glut aufs neue zu entfachen. — Abaelard dagegen war aus dem friedlichen Port des Klosters, wohin auch er sich geflüchtet hatte, mehrmals wieder hinausgeschleudert worden auf die hochgehenden Wogen des Lebens und der Händel dieser Welt. Er hatte in seinem Beruf, der zwar große Aufregungen und gehässige Verfolgungen, aber auch glänzende Triumphe mit sich brachte, einen gewissen innern Halt und Befriedigung gefunden. Jedenfalls aber war sein Leben so reich an erschütternden neuen Eindrücken und packenden Erlebnissen, daß jene eine Erinnerung an seine Liebe, jenes Erlebnis mit Heloise notwendig davor erblassen mußte. Er fühlt sich überhaupt zu der Zeit, da unsre Briefe geschrieben wurden, als ein gehetztes Wild, das von allen Seiten bedroht ist. Er bittet Heloise und ihre Nonnen um ihre besondere Fürsprache im Gebet; er ist ein wegmüder Mann, hat Todesgedanken und will im „Paraklet“, dem Kloster, das er Heloisen eingeräumt, begraben sein. Daß er in dieser Verfassung andere Briefe schrieb, als Heloise, wird man begreiflich finden. Will man ihm etwas anrechnen, so mag man ihm einen Vorwurf daraus machen, daß er einst das Opfer einer geheimen Ehe (wiewohl dies immer noch besser war als die damals unter Klerikern ganz gewöhnlichen wilden Ehen) — und das noch größere Opfer des Klostergelübdes von Heloise angenommen hat. —

Nicht ohne Rührung liest man, wie Heloise nun im sechsten Brief die Stimme des Herzens, die bei Abaelard kein Echo zu wecken vermocht hatte, zu bezwingen sucht — „wiewohl wir nichts so wenig in der Gewalt haben wie unser Herz“ — und um dennoch den Verkehr mit Abaelard aufrecht zu erhalten, auf das wissenschaftliche Gebiet übergeht. Sie verlangt von Abaelard Aufschluß über die Entstehung des Mönchswesens, und bittet ihn um Abfassung einer Klosterregel mit besonderer Rücksicht auf das weibliche Geschlecht. — Auf beide Anliegen bleibt Abaelard die Antwort nicht schuldig, sondern er legt sie nieder in zwei ausführlichen Abhandlungen (Briefe VII und VIII), von denen namentlich die zweite nach unseren Begriffen eher ein Buch als ein Brief zu nennen wäre. Ich habe sie dennoch beide in ihrem ganzen Umfang aufgenommen, weil sie in kultur- und kirchenhistorischer Beziehung von allgemeinerem Interesse sind und besonders in die Anschauungen des Mittelalters und in den Betrieb des Klosterwesens einen lebendigen Einblick gewähren.

Bezeichnend für Abaelard ist es, daß er am Schluß seiner Klosterregel im Geiste Benedikts den Nonnen die Beschäftigung mit der Wissenschaft aufs nachdrücklichste anbefohlen hatte. Im neunten Briefe nun schreibt Heloise an Abaelard, daß sie in dem Bestreben dieser seiner Vorschrift Folge zu leisten, vielfach auf Hindernisse stoßen, da es ihnen oftmals am nötigen Verständnis fehle und sie über einzelne Fragen nicht ins reine kommen. Und so legt sie ihm denn zweiundvierzig Fragen zur Beantwortung vor, die meist im Zusammenhang mit der Bibellektüre, wie sie von den Nonnen betrieben wurde, stehen. Diese Fragen sind uns samt den Antworten Abaelards überliefert; doch habe ich sie selbstverständlich nicht in unsre Briefsammlung aufgenommen. Denn dieses Frag- und Antwortbuch entbehrt jedes persönlichen Charakters und ist von ausschließlich wissenschaftlichem Interesse. — Die Briefe X und XI sind Begleitschreiben Abaelards zu litterarischen Sendungen an Heloise. Der zehnte Brief ist dadurch interessant, daß er ein Schreiben Heloisens an Abaelard rekapituliert, in dem sie über den Mißstand klagt, der in Beziehung auf die gottesdienstlichen Gesänge in ihrem Kloster herrsche. Abaelard verfaßte infolge dieser Anregung selbst eine größere Anzahl von Hymnen zum gottesdienstlichen Gebrauch für die Nonnen und hängte dieser Sammlung in seinem Begleitschreiben den üblichen gelehrten Zopf an. — Der elfte Brief ist ein kurzes Billet, das Abaelard mit einer Sammlung eigener Predigten an Heloise sandte. — Der zwölfte Brief endlich enthält das Glaubensbekenntnis Abaelards. Offenbar hatte er es für nötig befunden, die Freundin über seine Rechtgläubigkeit zu beruhigen, die von seinen Gegnern so lebhaft bestritten wurde. Der Brief ist durch eine Schrift seines treuen und streitbaren Schülers Berengar auf uns gekommen; das darin enthaltene Bekenntnis klingt für unsre Begriffe sehr orthodox. — Auch an diese Briefe hat man schon die Torturschraube der Echtheitsfrage angelegt, allein ohne Erfolg: wenn irgend eine Urkunde aus dem Mittelalter, so tragen sie den Stempel der Echtheit an sich. —

Zum Verständnis der Briefe ist es nötig, ein kurzes Wort über die hauptsächlichsten Sätze und Lehren Abaelards zu sagen. Wir sehen aus der Selbstbiographie, welchen Reiz litterarische Kämpfe, wissenschaftliche Disputationen und Erörterungen für Abaelard hatten. Es scheint damals überhaupt unter der studierenden Jugend eine wahre Disputierwut geherrscht zu haben. Alles und nichts bewies man mittels der dialektischen Methode und vielfach glaubte man wohl auch damals, „wenn man nur Worte hörte, es müsse sich dabei auch etwas denken lassen.“ Abaelard war ein geborenes Disputiergenie, und schon als junger unerfahrener Schüler machte er mit seiner Streitsucht den Lehrern zu schaffen.

Auf dem Gebiete der Philosophie war zu jener Zeit die Kardinalfrage, über der die Gelehrten sich in zwei Lager teilten, die Frage nach dem Verhältnis der Allgemeinbegriffe zu den Einzeldingen (z. B. Menschheit — Mensch). Der Streit ging zurück bis auf Plato und Aristoteles. Nach Plato kommt nur dem Allgemeinen, der Idee wirkliche Existenz zu, während die Einzeldinge nur schwache unvollkommene Abbilder, gleichsam Schatten davon sind. So hat z. B. die Idee, das Urbild der Schönheit (in einer andern Welt), reale Existenz und alles Einzelne, was wir hier in dieser Welt schön finden, ist nur ein Abglanz dieses Ideals. Im Gegensatz zu dieser Meinung lehrte Aristoteles: reales Sein kommt nur dem Einzelding zu, die Allgemeinbegriffe existieren nur im menschlichen Denken, sind nichts als Kombinationen des menschlichen Verstandes, eben nichts als Begriffe (nomina).

Realismus und Nominalismus wurden nun seit dem elften Jahrhundert die Schlagworte, die die Parteien auf ihre Fahne schrieben, je nachdem sie sich an Plato oder an Aristoteles anschlossen. Der eigentliche wissenschaftliche Begründer des Nominalismus ist Roscelinus; der Hauptvertreter des Realismus Wilhelm von Champeaux. Beide waren Abaelards Lehrer, aber keiner konnte ihm ganz Genüge thun. Mit welcher Kühnheit er Wilhelm von Champeaux nötigte, seine Lehre zu ändern, lesen wir in Abaelards erstem Briefe. Daß diese philosophischen Theorien, je nachdem man sie auf die Theologie anwandte, zu bedenklichen Resultaten führen konnten, sieht man an dem Beispiel Roscelins. Dieser leugnete als konsequenter Nominalist die wirkliche Existenz des Allgemeinbegriffs „Gottheit“ und es blieben ihm nur die drei Einzelwesen Vater, Sohn, Geist als real existierend, während ihm die Einheit in und trotz der Dreiheit verloren ging, so daß er der Ketzerei des Tritheismus (der Dreigötterlehre) beschuldigt wurde. Seitdem war der Nominalismus den Vertretern der Kirchlichkeit verdächtig und anrüchig. Aber auch Abaelard selbst bekämpfte diesen Nominalismus seines ehemaligen Lehrers, und in der schwebenden Frage nahm er seine Stellung in der Mitte zwischen Roscelinus und Wilhelm von Champeaux, indem er lehrte: allerdings sei der Begriff, das Allgemeine Grund und Wesen der Einzeldinge und dürfe nicht bloß (wie die Nominalisten behaupteten) als bloße Abstraktion des Verstandes und Vorstellung angesehen werden. Allein ebensowenig dürfe man den Allgemeinbegriffen eine von den Einzeldingen gesonderte Existenz zuschreiben (wie die Realisten), vielmehr komme das Allgemeine in der Welt der Wirklichkeit nur in Verbindung mit dem Individuellen zur Erscheinung.

War demnach Abaelards philosophischer Standpunkt unter dem Einfluß der Platonischen Ideenlehre eher realistisch (also nach damaligen Begriffen korrekt) zu nennen als nominalistisch, so gingen auch auf dem Gebiete der Theologie seine wissenschaftlichen Bestrebungen nicht etwa auf Zersetzung und Auflösung der kirchlichen Dogmen aus, sondern was die gesamte scholastische Theologie anstrebte, die Vernünftigkeit der bestehenden Dogmen verstandesmäßig nachzuweisen, das wollte auch er. Nur ging er dabei mit einer Kühnheit und Konsequenz zu Werke, die ihm in kurzer Zeit eine scharfe Gegnerschaft erwecken mußte. Schon sein Erkenntnisprinzip drehte die bisherige Anschauung geradezu um. Bis jetzt hatte in der Kirche der Grundsatz gegolten: „credo, ut intellegam“ („ich glaube, damit ich verstehe“), d. h. der Glaube muß dem Verständnis vorausgehen. Abaelard dagegen lehrte, der Ausgangspunkt alles Wissens sei der Zweifel; etwas zu glauben, ohne es zuvor eingesehen, mit dem Verstande durchdrungen zu haben, sei widersinnig und unwürdig.

Am heftigsten wurde Abaelard wegen seiner Lehre von der Trinität angegriffen; in seiner „Leidensgeschichte“ schildert er aufs anschaulichste, wie er das Buch, in dem diese Lehre enthalten war, auf der Synode von Soissons (1121) verbrennen mußte; und noch zwanzig Jahre später, auf der Synode zu Sens, wo er definitiv verurteilt wurde, hielt man ihm diese Lehre als Ketzerei vor. Er lehrte nämlich über die Dreieinigkeit folgendes: Die Substanz der einheitlichen Gottheit werde im einzelnen bestimmt durch die drei Namen Vater, Sohn, Geist. Vater heiße die Gottheit nach der ihr zukommenden Eigenschaft der Allmacht, Sohn nach ihrer Weisheit, heiliger Geist nach ihrer Liebe und Güte. Gott ist also Vater, Sohn und Geist, d. h. er ist allmächtig, weise und gütig. Diese Lehre zeigte eine bedenkliche Verwandtschaft mit der von der Kirche verdammten Trinitätslehre des Sabellius, der die drei Personen der Gottheit als verschiedene Offenbarungsformen der einen Gottheit nahm (Modalismus).

Großen Anstoß mußten auch seine ethischen Grundsätze und die daraus resultierende Lehre von der Sünde erregen. Nach Abaelard kommt für das sittliche Urteil nicht die That als ausgeführte in Betracht, sondern die Gesinnung, aus der sie entspringt. Die Kriegsknechte, die den Herrn kreuzigten und glaubten damit etwas Gutes zu thun, haben nicht gesündigt. Andererseits kann Sünde vorhanden sein, wo die sündige That noch gar nicht geschehen ist. Eva hatte den Sündenfall bereits in dem Augenblick begangen, als sie den Entschluß faßte, den Apfel zu essen. Alles kommt darauf an, daß einer Liebe hat. „Habe nur Liebe und du magst thun was du willst.“ Das Echo dieser Lehre vernehmen wir in den Briefen wiederholt.

Während Abaelard so sehr den tiefen Ernst der Sünde verkannte, trat er auch mit seiner Lehre von der Erlösung in scharfen Gegensatz zu der Kirchenlehre. In der Kirche war anerkannt die Satisfaktionstheorie des Anselm von Canterbury, wonach Gott durch Hingabe seines Sohnes die erste Sünde getilgt und die Menschheit von dem aus jener Sünde entspringenden ewigen Verderben erlöst hat. Wie kann, ruft Abaelard aus, die verhältnismäßig geringe Sünde durch die unendlich größere gesühnt werden, wie sie sich in der Tötung Gottes darstellt! Vielmehr besteht die Erlösung in einem innerlichen, rein sittlichen Prozeß. Nämlich im Leben, Leiden und Sterben Jesu bekundet sich eine so mächtige Liebe zur Menschheit, daß dieselbe notwendig in uns eine Gegenliebe entzündet von solcher Kraft, daß wir dadurch von der Knechtschaft der Sünde erlöst und Kinder Gottes werden. —

Dies waren die hauptsächlichsten Irrlehren, die man Abaelard zum Vorwurf machte, und solcher einzelner Sätze bedurfte man freilich, wenn man ihn auf Kirchenversammlungen der Ketzerei überführen wollte. Im Grunde aber war der Kampf, in dem Abaelard kämpfte und schließlich fiel, ein viel prinzipiellerer. Es war der große Gegensatz zwischen Dialektik und kontemplativer Mystik, dem er zum Opfer fiel. Die letztere Richtung nahm eben damals durch ihren geistesgewaltigen Vertreter, Bernhard von Clairvaux, einen mächtigen Aufschwung. Er ist der eine der beiden Gegner, die Abaelard am Schluß seiner „Leidensgeschichte“ wie drohende Wolken an seinem Horizont auftauchen sieht, und seinen Machinationen ist er erlegen. Während die Dialektik durch Vermittelung des Verstandes zur Glaubenseinsicht und Gotteserkenntnis zu gelangen strebte, wollte die Mystik die Gottheit unmittelbar erfahren und erfassen. Als den Weg dazu bezeichnet Bernhard die Liebe. „Gott wird erkannt, soweit er geliebt wird“ war sein Grundsatz. Nicht Nachdenken und logische Schlüsse führen in die Nähe Gottes, sondern die Heiligung, deren höchste Blüte die Ekstase ist, die freilich nur wenigen in besonders geweihten Momenten zu teil wird, und mittelst deren sich die Seele zum unmittelbaren Anschauen und Genießen der Gottheit emporschwingt. In diesem Zustand werden ihr Offenbarungen kund, wie sie durch Studium und Wissenschaft niemals erreicht werden.

Dieser gewaltige Mensch, von dem selbst das Haupt der Kirche willig Belehrung annahm, lud den Vielverfolgten zum Entscheidungskampf auf die Synode zu Sens im Jahr 1141. Der langvorbereitete Streich fiel vernichtend auf Abaelards Haupt. Zwar appellierte er von dem Urteil der Synode, das ihn der Ketzerei bezichtigte, an den Papst; allein vergebens. Der päpstliche Spruch lautete auf Exkommunikation, lebenslängliche Klosterhaft und Verbrennung seiner Schriften. Abaelard wollte selbst seine Sache in Rom führen und machte sich auf den Weg. Aber er kam nicht weit. Unterwegs kehrte der müde Wanderer in der Abtei zu Clugny ein; Abt Petrus der Ehrwürdige nahm ihn auf und bot ihm sein Kloster zum dauernden Asyl für die kurze Zeit, die ihm noch vergönnt war, an. Abaelard machte durch die Vermittelung des Petrus seinen Frieden mit der Kirche und mit Bernhard, und hat wenigstens sein letztes Lebensjahr unangefochten im Frieden des Klosters verbracht.

Über seine letzten Lebenstage haben wir einen anschaulichen Bericht von Petrus, den dieser an Heloise schickte. Voll Befriedigung weist der ehrwürdige Abt darauf hin, wie gläubig und kirchlich, wir möchten sagen, wie orthodox der große Gelehrte gestorben sei. Auf uns aber macht der Bericht den wehmütigen Eindruck, daß der einst so geistesmächtige kühne Streiter hingeschieden ist als ein körperlich und geistig gebrochener Mann. Die in Betracht kommende Stelle in dem Brief des Abts Petrus lautet in der Übersetzung folgendermaßen: „Ich erinnere mich meines Wissens nicht, in demütiger Haltung und Gebärde seinesgleichen gesehen zu haben, so daß einem aufmerksamen Beobachter weder Germanus niedriger, noch selbst Martinus ärmer erscheinen konnte. Wiewohl er in der großen Schar unsrer Brüder auf meine Veranlassung eine höhere Stellung einnahm, schien er doch in seinem vernachlässigten Gewand der letzte von allen zu sein. Oftmals, wenn er bei Prozessionen nach der Sitte mit mir den andern voranschritt, wunderte ich mich und mußte staunen, daß ein Mann von solch hochberühmtem Namen sich so sehr gering achten und demütigen könne. Es giebt in unserm Orden Leute, denen ihr geistliches Gewand nicht kostbar genug sein kann; er war in dieser Hinsicht so bescheiden, daß er sich mit dem unscheinbarsten begnügte. So hielt er es auch mit Speise und Trank und mit allen leiblichen Bedürfnissen. Nicht etwa bloß das Überflüssige, sondern alles was nicht unumgänglich notwendig war, verwarf er für sich und andere in Wort und Beispiel. Beständig war er mit Lesen beschäftigt, häufig im Gebet vertieft; sein Schweigen unterbrach er nur, wenn der vertrauliche Verkehr mit den Brüdern oder ein öffentlicher Vortrag über göttliche Dinge im Konvent ihn dazu nötigten. Die himmlischen Sakramente feierte er so oft er konnte, Gott das Opfer des ewigen Lamms darbringend; ja nachdem er durch meine Briefe und Verwendung die päpstliche Gnade wieder erlangt hatte, nahm er fast beständig daran teil. Was soll ich viel Worte machen? Sein Geist, sein Mund, seine Handlungsweise dachte, lehrte und bezeugte allezeit göttliche, philosophische, wissenschaftliche Wahrheiten. Also lebte er mit uns noch eine Zeitlang schlecht und recht, gottesfürchtig und meidend das Böse, und weihte Gott die letzten Tage seines Lebens. Da er an einem starken Hautausschlag und andern körperlichen Beschwerden litt, sandte ich ihn zur Erholung nach Châlons. In der Nähe der Stadt, am Saônefluß, einer der schönsten Gegenden unsres Burgunder Landes, hatte ich ihm für einen passenden Aufenthalt gesorgt. Hier nahm er die gewohnten Studien wieder auf, so weit die Krankheit es ihm gestattete und saß beständig über den Büchern. Und wie man von Gregor dem Großen erzählt, so ließ auch er keinen Augenblick verstreichen, ohne zu beten, zu lesen, zu schreiben oder zu diktieren. In der Ausübung solch frommer Werke fand ihn bei seiner Ankunft der Heimsucher, von dem das Evangelium spricht, und zwar nicht schlafend wie viele, sondern wachend. Ja wachend fand er ihn und berief ihn zur himmlischen Hochzeit, nicht als eine thörichte, sondern als eine kluge Jungfrau. Denn er trug bei sich die Lampe, gefüllt mit Öl, das ist ein Gewissen erfüllt vom Zeugnis heiligen Wandels. Den gemeinsamen Tribut der Sterblichkeit zu entrichten, wurde er stärker und stärker von der Krankheit ergriffen und gelangte in kurzer Zeit zum Ziele. Wie fromm, wie gottergeben, wie ganz katholisch er seinen Glauben und seine Sünden bekannte, mit welcher Inbrunst sein sehnsüchtiges Herz die letzte Wegzehrung und das Unterpfand des ewigen Lebens, nämlich den Leib des Herrn, unsres Erlösers, empfing, wie gläubig er Leib und Seele für Zeit und Ewigkeit ihm empfahl, das bezeugen alle Brüder des Klosters, in dem der Leib des heiligen Märtyrers Marcellus ruht. Also beschloß Meister Petrus die Tage seines Lebens. Er, der durch sein Wissen und sein Lehren fast der ganzen Welt bekannt und überall berühmt war, hat in der Schule dessen, der gesagt hat: ‚lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig‘ — sanftmütig und demütig ausgeharrt, und ist also, das dürfen wir glauben, zu ihm selbst hinübergegangen.“

 

Ein chronologischer Überblick über das Leben Abaelards und Heloisens ergiebt nach dem heutigen Stande der Forschung folgende Daten: Abaelard ist geboren zu Palais bei Nantes im Jahr 1079; Heloise[2] geboren zu Paris 1101. Im Jahr 1113 ist Abaelard das Haupt der Pariser Schule. Nach längerer Abwesenheit kehrt er 1117 nach Paris zurück und lernt im Jahr 1118 die damals siebzehnjährige Heloise kennen, ihr Verhältnis dauert während des Jahrs 1118-19. Die Gründung des Klosters „Zum Paraklet“ durch Abaelard fällt ins Jahr 1123. Von 1125 an ist Abaelard im Kloster von St. Gildas. Im Jahre 1129 wird Heloise mit ihren Nonnen aus St. Denis vertrieben. Vom Jahre 1131 stammt die Bulle des Papstes Innocenz II., worin die Überweisung des Parakleten an Heloise bestätigt wird. Aus dem Jahre 1132 ungefähr datiert die „Leidensgeschichte“ (Brief I). Im Jahre 1134 verläßt Abaelard das Kloster St. Gildas. 1136 ist er wieder Lehrer auf dem Berge der heiligen Genoveva. Im Jahre 1141 wird er auf dem Konzil von Sens verurteilt und stirbt 1142 im Kloster zu St. Marcel bei Châlons-sur-Saône. Heloise folgt ihm im Jahre 1163.

Davos, im März 1894.

Dr. P. Baumgärtner.

I. Brief.
Abaelard an einen Freund.

(Die Leidensgeschichte.)

Gewöhnlich sind es nicht Worte, sondern handgreifliche Vorbilder, die das menschliche Herz am meisten erregen oder aber zur Ruhe bringen. Darum habe ich mich entschlossen, dir zum Trost die Geschichte meiner Leiden niederzuschreiben, nachdem ich schon durch mündlichen Zuspruch dich aufzurichten versucht habe, als du das letzte Mal bei mir weiltest. Erkenne aus diesen Zeilen, daß das, was du Leiden nennst, im Vergleich mit den meinigen überhaupt keine sind oder doch nur geringfügige Heimsuchungen — und lerne sie geduldig tragen.

Ich bin geboren in der Stadt Palais, an der Grenze der Bretagne, ungefähr acht Stunden östlich von Nantes gelegen. Ein lebhaftes Temperament und ein leichtempfänglicher Sinn für die Wissenschaft war das Erbe meines heimatlichen Bodens oder des Blutes, das in meinen Adern rollte. Mein Vater hatte sich etwas mit Wissenschaft befaßt, ehe er den ritterlichen Waffenschmuck angelegt hatte, und später war er so sehr für das Studium eingenommen, daß er darauf sah, alle seine Söhne zuerst wissenschaftlich auszubilden, ehe sie sich im Waffenhandwerk übten. Und so geschah es auch. Ich war der Erstgeborene, und je mehr er mich als solchen ins Herz geschlossen hatte, desto mehr war er bei mir auf einen sorgfältigen Unterricht bedacht. Die Fortschritte, die ich in den Wissenschaften mit so leichter Mühe machte, spornten meinen Eifer nur an und schließlich war meine Neigung zu ihnen so stark geworden, daß ich allen kriegerischen Glanz samt meinem Erbe und den Vorrechten meiner Erstgeburt drangab und die Jüngerschaft des Mars verlassend mich ganz in den Dienst Minervas stellte. Und da ich allen Systemen der Philosophie die Rüstkammer der Dialektik vorzog, legte ich meine bisherige Waffenrüstung ab und erkor mir statt der Kriegstrophäen die Kämpfe des Geistes. Ich wurde eine Art Peripatetiker, indem ich disputierend die Gegenden durchwanderte, von denen es hieß, daß dort die Kunst der Dialektik besonders ausgebildet sei.

So kam ich denn auch nach Paris, wo von alters her diese Wissenschaft in höchster Blüte stand. Wilhelm von Champeaux, der in diesem Fache einen wohlverdienten Ruf genoß, wurde mein Lehrer. Ich besuchte eine Zeitlang seine Schule und war anfangs ganz wohl bei ihm gelitten; bald aber wurde ich ihm höchst unbequem, da ich von seinen Sätzen einige zu widerlegen versuchte und mir wiederholt herausnahm, ihn mit Gegengründen anzugreifen, wobei ich ihm einigemale sichtlich überlegen war. Auch die bedeutendsten meiner Mitschüler gerieten darüber höchlich in Entrüstung, um so mehr als ich der jüngste war und von allen die kürzeste Studienzeit hinter mir hatte. Und so begann die lange Kette meiner Leiden, die noch immer ihr Ende nicht erreicht haben, und je weiter mein Ruf sich verbreitete, desto heftiger entbrannte der Neid meiner Widersacher. Es geschah, daß ich meinen jugendlichen Kräften Übermäßiges zumutend im Vertrauen auf meine Geistesgaben noch als ganz junger Mann danach trachtete, eine eigene Schule zu gründen und schon faßte ich einen Schauplatz für meine künftigen Thaten in die Augen: nämlich Melun, einen Ort, der damals als königliche Residenz von ziemlicher Bedeutung war. Mein Lehrer merkte meine Absicht, und um meine Schule möglichst entfernt von der seinigen zu halten, bot er, so lange ich seine Schule noch besuchte, insgeheim alle Mittel auf, um die Einrichtung meiner eigenen zu verhindern und mir den Ort, den ich gewählt hatte, unmöglich zu machen. Allein er hatte sich mit einigen einflußreichen Herren des Landes verfeindet; mit ihrer Hilfe führte ich meinen Plan zum Ziel, und gerade seine offenkundige Mißgunst verschaffte mir das Vertrauen der Mehrzahl. Gleich durch die ersten Versuche, die ich im Unterrichten machte, bekam ich einen solchen Namen als Meister der Dialektik, daß der Ruhm meiner Mitschüler ja sogar der meines Lehrers selbst zu erbleichen anfing. So wuchs mein Selbstvertrauen immer mehr und ich ruhte nicht, bis ich meine Schule so schnell wie möglich nach Corbeil verlegt hatte, wo wegen der Nähe von Paris meinem Ungestüm zu dialektischen Kämpfen reichlichere Gelegenheit geboten war.

Es dauerte jedoch nicht lange, bis ich infolge von Überanstrengung erkrankte und in meine Heimat zurückkehren mußte. So war ich einige Jahre aus Frankreich sozusagen verbannt und wurde von denen, die sich der Dialektik befleißigten, lebhaft vermißt. Nach Verfluß einiger Jahre jedoch, als ich mich längst wieder erholt hatte, änderte Wilhelm von Champeaux, mein berühmter Lehrer und Archidiakon von Paris, plötzlich seine Lebensweise, indem er in den Orden der regulierten Chorherrn eintrat — man sagte mit der Absicht, auf diese Weise den Schein größerer Frömmigkeit zu erwecken und sich dadurch zu um so höherer Würde aufzuschwingen. Dies gelang ihm denn auch in kürzester Zeit: er wurde Bischof von Châlons, ohne sich jedoch durch diese Umgestaltung seines Lebens von Paris oder von der gewohnten Beschäftigung mit der Philosophie abhalten zu lassen; vielmehr hielt er eben in dem Kloster, in das er sich, um der Frömmigkeit zu pflegen, zurückgezogen hatte, öffentliche Vorlesungen wie früher. Damals kehrte ich zu ihm zurück, um Rhetorik bei ihm zu hören; abgesehen von mancherlei sonstigen wissenschaftlichen Kämpfen, in denen wir uns gegeneinander versuchten, brachte ich ihn durch unumstößliche Beweisgründe dahin, daß er seine von jeher vorgetragene Lehre von den Universalien (Allgemeinbegriffen) abänderte, ja gänzlich aufgab. Seine Lehre von der Gemeinsamkeit der Universalien bestand darin, daß er behauptete, ein und dieselbe Wesensbeschaffenheit liege allen Einzeldingen zu Grunde, so daß diesen nach seiner Meinung keine eigentliche Wesensverschiedenheit zukomme, sondern nur eine Mannigfaltigkeit, die von der Menge der hinzutretenden Accidentien herrühre. Nun änderte er seine Lehre insofern, daß er nicht mehr die Identität der Wesensbeschaffenheit behauptete, sondern nur ihre Indifferenz. Dieser Punkt galt aber bei den Dialektikern von jeher als einer der wichtigsten in der Lehre von den Universalien, so daß selbst Porphyrius in seinen Isagogen bei Gelegenheit der Besprechung der Universalien hierüber keine Entscheidung zu treffen wagt, sondern sich damit begnügt zu sagen: „dies ist ein sehr heikler Punkt“. Da nun Wilhelm von Champeaux in diesem Punkt seine Lehre geändert, oder vielmehr unfreiwillig aufgegeben hatte, kamen seine Vorlesungen dermaßen in Mißkredit, daß man ihm kaum noch gestattete, überhaupt Dialektik zu lesen, als ob diese ganze Wissenschaft ihren Kernpunkt in der Frage von den Universalien hätte.

Unter diesen Umständen wuchs das Ansehen meiner eigenen Schule nur immermehr. Die eifrigsten Anhänger Wilhelms, die meine Lehre früher am heftigsten bekämpft hatten, kamen nunmehr zu mir; ja, der Nachfolger Wilhelms an der Schule zu Paris bot mir seinen Lehrstuhl an, um sich mit den andern zu meinen Füßen zu setzen, da wo einst unser gemeinsamer Lehrer geglänzt hatte. Und so war ich denn dort nach kurzer Zeit unbeschränkter Herrscher auf dem Gebiete der Dialektik und als solcher ein Gegenstand unsäglichen Neides und Schmerzes für meinen früheren Lehrer. Außer stande, das Mißgeschick, das ihn betroffen hatte, länger zu tragen, griff er zu unlauteren Mitteln, um mich auch jetzt wieder zu verdrängen. Da er im offenen Kampfe nichts gegen mich vermochte, setzte er auf Grund von allerhand ehrenrührigen Beschuldigungen die Entfernung des Mannes durch, welcher mir seinen Lehrstuhl überlassen hatte, worauf einer meiner Gegner an seine Stelle rückte. Daraufhin kehrte ich nach Melun zurück und begann daselbst zu lehren wie früher, und je unverhüllter sich die Mißgunst Wilhelms gegen mich zeigte, desto mehr trug sie zum Wachstum meines Ruhmes bei — nach dem Dichterwort:

„Die Größe macht der Neid zu seinem Ziel,

Am schärfsten weht der Sturmwind auf den Höhn.“

Bald darauf merkte Wilhelm, daß die Mehrzahl seiner Schüler an der Aufrichtigkeit seiner Frömmigkeit zu zweifeln begann und sich allerhand über seine Bekehrung zuraunte, da er sich nicht im geringsten veranlaßt gesehen hatte, sich aus der Hauptstadt zurückzuziehen. Nun siedelte er mit seinem Konventikel und mit seiner Schule an einen von der Stadt Paris ziemlich entfernten Ort über. Alsbald kehrte ich von Melun nach Paris zurück, in der Hoffnung, nun Ruhe vor ihm zu haben. Da jedoch, wie gesagt, mein Platz noch von meinem Gegner eingenommen war, so ließ ich mich mit meiner Schule außerhalb der Stadt auf dem Berg der heiligen Genoveva nieder, als wollte ich jenen Eindringling belagern. Auf die Kunde davon war Wilhelm unverfroren genug, alsbald nach Paris zurückzukehren; was er noch an Schülern hatte, brachte er samt seiner kleinen Bruderschaft in seinem alten Kloster unter; es sah aus, als wollte er den Posten, den er allein im Feld gelassen hatte, von unsrer Belagerung befreien. Allein während er ihm nützen wollte, schadete er ihm nur. Vorher nämlich hatte der gute Mann noch etliche Schüler gehabt, hauptsächlich wegen seiner Vorlesungen über Priscianus, für die ihm ein gewisser Ruf zur Seite stand. Nach der Ankunft des Meisters jedoch verlor er vollends alle und war so genötigt, sein Lehramt aufzugeben, und es dauerte nicht lange, bis auch er, dem Ruhme dieser Welt völlig entsagend, ins Kloster ging. Welche Schlachten auf dem Felde der Wissenschaft meine Schüler nach der Rückkehr Wilhelms mit ihm selbst wie mit seinen Anhängern ausgefochten haben und wie die Gunst des Schicksals in diesen Kämpfen mit mir und den meinigen war, das hat dir längst der weitere Verlauf der Ereignisse gezeigt. Kühnlich, wenn auch bescheidnern Sinnes, darf ich jenes Wort des Aiax auf mich anwenden:

„Und fragst du nach dem Ende dieses Kampfs,

So sag ich stolz: er hat mich nicht besiegt.“

Wollte ich darüber schweigen, die Thaten würden für sich selbst sprechen und der schließliche Erfolg würde laut genug für mich zeugen.

Während dieser Vorgänge drang meine geliebte Mutter Lucia in mich, nach Hause zu kommen. Mein Vater Berengar war nämlich ins Kloster gegangen, und meine Mutter hatte das Gleiche im Sinn. Nach Erledigung dieser Angelegenheit kehrte ich nach Frankreich zurück, hauptsächlich mit der Absicht, Theologie zu studieren. In diesem Fache genoß Wilhelm von Champeaux innerhalb seines Bistums Châlons eines ziemlichen Rufes. Die größte Autorität auf diesem Gebiete war jedoch seit lange sein Lehrer Anselm von Laon.

Ich besuchte also die Schule dieses ehrwürdigen Mannes, der freilich seinen Namen mehr einer langjährigen Thätigkeit zu danken hatte als seinem Geist und seiner Bedeutung. Wer über irgend eine Frage im Zweifel war und an seine Thür pochte, um sich Rats zu erholen, der wußte nachher gewiß weniger als vorher. Der Masse der Zuhörer wußte er zu imponieren, wenn man aber unter vier Augen mit ihm sprach, machte er einen sehr dürftigen Eindruck. Er verfügte über eine ungewöhnliche Redegewandtheit, aber es steckte im Grunde wenig dahinter. Das Feuer, das er entzündete, füllte sein Haus nur mit Rauch, statt es zu erleuchten. Er glich einem Baum, der in seinem reichen Blätterschmuck von weitem vielversprechend aussah, und doch wenn man ihn aus der Nähe genauer betrachtete, keine Früchte aufzuweisen hatte. Daher als ich hinzutrat, um Früchte bei ihm zu finden, fand ich in ihm jenen Feigenbaum, den der Herr einst verfluchte, oder jene alte Eiche, mit der der Dichter Lucanus den Pompejus vergleicht, indem er sagt:

„Von seinem Namen lebt nur noch ein Schatten,

Wie im fruchtbaren Feld der hohe Eichbaum steht.“

Nachdem ich dies herausgefunden hatte, blieb ich nicht lange müßig in seinem Schatten liegen, sondern besuchte seine Vorlesungen immer seltener. Einige seiner bedeutendsten Schüler waren nun darüber empört, daß ich einem Lehrer von solcher Bedeutung so wenig Achtung zollte und wußten ihn durch allerlei Ränke und Verleumdungen gegen mich einzunehmen. Eines Tags nach Abschluß einer wissenschaftlichen Besprechung unterhielten wir uns in zwangloser Weise. Einer meiner Mitschüler fragte mich bei dieser Gelegenheit, um mich in Verlegenheit zu bringen, was ich vom Lesen der heiligen Schrift halte. Ich, der ich bis jetzt nur weltliche Wissenschaft getrieben hatte, antwortete, daß es kein ersprießlicheres Studium gebe als das der Bibel, weil diese uns über das Heil unserer Seele unterrichte; nur müsse ich mich darüber höchlich wundern, daß den Gelehrten zum Verständnis der heiligen Schriftsteller nicht der einfache Text und etwa die Glossen dazu genügen, sondern daß sie noch weitere Hilfsmittel nötig hätten. Darüber erhob sich ein allgemeines Gelächter und man fragte mich, ob ich mir getraue, einen solchen Versuch zu machen. Ich erwiderte, daß ich zur Probe bereit sei, wenn sie es darauf ankommen lassen wollten. „Gewiß wollen wir,“ antworteten sie mir unter Geschrei und erneutem Gelächter; „man wird Euch zu einem weniger bekannten Text einen Ausleger anweisen und wir werden sehen, wie Ihr Euer Versprechen haltet.“

Sie vereinigten sich nun auf ein höchst schwieriges Kapitel des Propheten Ezechiel; ich nahm den Ausleger an und lud sie schon auf den folgenden Tag zu einer Vorlesung ein. Sie jedoch wollten mich gegen meinen Willen eines Besseren belehren und meinten, eine so wichtige Sache dürfe man nicht übereilen; da ich in diesem Fache doch noch wenig Übung habe, müsse ich mehr Zeit auf die Ausarbeitung meiner Erklärung verwenden. Allein ich antwortete in gereiztem Tone, daß ich gewohnt sei, mich nicht auf eine möglichst lange Frist, sondern auf meinen Verstand zu verlassen, und ich werde überhaupt die ganze Sache aufgeben, wenn sie sich nicht ohne Verzug zu der Vorlesung einfinden wollten, wann ich es wünsche. Zu meiner ersten Vorlesung fanden sich nun allerdings nur wenige ein; die meisten fanden es lächerlich, daß ich — bisher ganz unbewandert im Studium der heiligen Schrift — damit so kurzer Hand verfahren wollte. Denen aber, die meiner Vorlesung anwohnten, gefiel sie so gut, daß sie sie nicht genug loben konnten und mich drängten, meine Erklärung nach dieser meiner Methode fortzusetzen. Als dies bekannt wurde, beeilten sich auch die, die bisher ferngeblieben waren, in die zweite und dritte Vorlesung zu kommen, und waren eifrig darauf bedacht, von dem, was ich am ersten Tag gelesen hatte, sich eine Abschrift zu verschaffen.

Die Folge davon war, daß der alte Anselm von gewaltiger Eifersucht befallen wurde, und da er schon vorher infolge mißgünstiger Einflüsterungen nicht gut auf mich zu sprechen war, verfolgte er mich nun wegen meiner theologischen Vorlesungen gerade so, wie es einst Wilhelm wegen der philosophischen gethan hatte.

Für seine beiden bedeutendsten Schüler galten damals Alberich von Rheims und Lotulph aus der Lombardei; jemehr diese von sich selber eingenommen waren, destoweniger waren sie mir hold. Es hat sich nachmals herausgestellt, daß Anselm sich durch ihre Vorstellungen bestimmen ließ, mir die Fortsetzung meiner begonnenen Erklärung am Schauplatz seiner Lehrthätigkeit kurzweg zu untersagen, unter dem Vorwand, es möchten, da meine Erfahrung in diesem Fache noch mangelhaft sei, Verstöße vorkommen, für die er dann verantwortlich gemacht werden würde. Als dies meinen Schülern zu Ohren kam, war ihre Entrüstung über einen so unverblümten Brotneid groß; denn deutlicher konnte sich ja die Eifersucht nicht zu erkennen geben. Je mehr ich übrigens unter solchen Verfolgungen zu leiden hatte, desto größer wurde dadurch mein Ansehen und mein Ruhm.

So kehrte ich denn auch bald nach Paris zurück, und hatte dort den mir schon längst bestimmten und angebotenen Lehrstuhl, von dem ich vertrieben worden war, einige Jahre in ungestörter Ruhe inne; gleich im Anfang meiner Wirksamkeit ging mein Streben dahin, jene Glossen zu Ezechiel zu vollenden, die ich in Laon begonnen hatte. Dieses Werk fand beim Publikum eine äußerst günstige Aufnahme, und man hörte bereits das Urteil, daß meine theologische Begabung in nichts hinter meiner philosophischen zurückbleibe. Die Begeisterung für meine Vorlesungen in beiden Fächern vermehrte die Zahl meiner Schüler ganz erheblich; welcher Gewinn, welcher Ruhm mir daraus erwuchs, das ist auch dir gewiß nicht unbekannt geblieben. Allein das Glück hat von jeher die Thoren aufgebläht; die Sicherheit dieser Welt schwächt die Kräfte der Seele und der Geist erliegt dann nur allzu leicht den Lockungen des Fleisches. So ging es auch mir: schon hielt ich mich für den einzigen Philosophen in der Welt, der von keiner Seite mehr einen Angriff zu fürchten brauche, und ich, der bis jetzt die strengste Enthaltsamkeit geübt hatte, begann nun meinen Leidenschaften die Zügel schießen zu lassen. Je mehr ich in Philosophie und Theologie Fortschritte machte, desto weiter blieb ich mit meinem unreinen Lebenswandel hinter den Philosophen und den Heiligen zurück. So viel ist sicher, daß die Philosophen und noch mehr die Heiligen, d. h. die, die ihr Leben nach den Geboten der heiligen Schrift einrichteten, ihr Ansehen hauptsächlich ihrer Enthaltsamkeit verdanken. Ich nun war ganz und gar von der Krankheit des Stolzes und der Sinnlichkeit befallen, aber Gott hat mich in seiner Gnade von beiden Übeln geheilt, freilich gegen meinen Willen, und zwar zuerst von der Sinnlichkeit, dann vom Stolz. Von der Sinnlichkeit, indem er mich dessen beraubte, womit ich ihr gefrönt hatte; vom Stolz, der sich auf mein Wissen gründete — denn „Wissen bläht auf“, sagt der Apostel — indem er mich die Demütigung erleben ließ, daß mein berühmtestes Buch verbrannt wurde.

Ich möchte, daß du mit der Geschichte dieser Vorgänge nicht bloß durchs Hörensagen bekannt würdest, sondern durch eine getreue, dem Gang der Ereignisse folgende Darstellung. Vor dem schmutzigen Verkehr mit Buhlerinnen hatte ich von jeher einen Abscheu, andererseits ließ mich mein Studium, das mich ganz und gar in Anspruch nahm, nicht zum Umgang mit edleren Frauen kommen, auch war ich in den Umgangsformen weltlichen Verkehrs nicht bewandert. Da fand das Schicksal, mich scheinbar hätschelnd, in Wirklichkeit aber mir feindlich gesinnt, ein bequemes Mittel, um mich von dem Gipfel meiner Größe herabzustürzen — ja vielmehr die göttliche Liebe wollte mich, der ich in meinem Übermut des Dankes gegen die Gnade Gottes vergessen hatte, durch eine tiefe Demütigung auf den rechten Weg zurückbringen.

Es lebte in Paris eine Jungfrau Namens Heloise, die Nichte eines Kanonikus Fulbert, der ihr zuliebe alles that, um an ihrer wissenschaftlichen Ausbildung nichts zu verabsäumen. Gehörte sie schon ihrem Äußern nach nicht zu den letzten, so war sie durch den Reichtum ihres Wissens weitaus die erste. Denn je seltener man den Vorzug wissenschaftlicher Bildung bei Frauen findet, destomehr Reiz verlieh sie diesem Mädchen, das sich dadurch bereits im ganzen Lande einen Namen gemacht hatte. Sie, die ich mit allem geschmückt sah, was Liebe zu wecken pflegt, gedachte ich nun durch Bande der Liebe an mich zu fesseln, und zweifelte keinen Augenblick an meinem Erfolg. Mein Name war damals hoch gefeiert und ich stand in der Blüte männlicher Jugendschöne, so daß ich keine Zurückweisung fürchten zu müssen glaubte, wenn ich eine Frau meiner Liebe würdigte, mochte sie sein, wer sie wollte. Von Heloise aber glaubte ich, daß sie sich mir um so lieber ergeben werde, als sie wissenschaftliche Bildung besaß und eine Vorliebe für die Wissenschaften hatte. Ich sagte mir, daß wir infolgedessen selbst in die Ferne schriftlich miteinander verkehren konnten, daß man dabei der Feder manches kühne Wort vertrauen könne, das die Lippe nicht gewagt hätte, und daß uns so allezeit Gelegenheit zum süßesten Gedankenaustausch geboten sei.

Von glühender Liebe zu diesem Mädchen erfüllt, suchte ich nach einer Gelegenheit, um sie durch täglichen Verkehr in ihrem Hause näher kennen zu lernen und sie meinen Wünschen gefügig zu machen. Ihres Oheims eigene Freunde waren mir dabei behilflich; ich kam mit ihm überein, daß er mich um eine beliebige Entschädigung in sein Haus aufnehmen sollte, das ganz in der Nähe meiner Schule lag. Ich gebrauchte dabei den Vorwand, daß mir bei meinem Gelehrtenberuf die Sorge für meine leibliche Notdurft hinderlich sei und mir auch zu teuer zu stehen komme. Nun war Fulbert ein großer Geizhals, dabei aber doch darauf bedacht, daß seine Nichte in ihrer gelehrten Bildung möglichst große Fortschritte mache. Beides zusammen verschaffte mir ohne Schwierigkeiten die Einwilligung zu dem, was ich wollte: einerseits war der Alte auf das Geld aus, andererseits versprach er sich von meinem Unterricht einen Vorteil für das Mädchen. Ja, er kam selber meinen Wünschen über alles Erwarten entgegen und leistete unbewußt meiner Liebe Vorschub. Er überließ mir Heloise ganz und gar zur Erziehung und bat mich obendrein dringend, ich möchte doch ja alle freie Zeit, sei’s bei Tag oder bei Nacht, auf ihren Unterricht verwenden, ja, wenn sie sich träge und unaufmerksam zeige, solle ich sie rücksichtslos bestrafen. Ich mußte nur staunen über eine solch grenzenlose Einfalt, die das unschuldige Lamm dem hungrigen Wolf anvertraute. Er gab sie mir also nicht bloß in die Lehre, sondern übertrug mir auch das Recht der Züchtigung. War damit meinen Wünschen nicht Thür und Thor geöffnet? Machte er es mir auf diese Weise doch möglich, ohne daß ich es wollte, mit Drohen und Schlagen zum Ziele zu gelangen, wenn die Worte der Verführung nichts nutzten! Aber ein Zweifaches hielt jeden Verdacht fern von ihm: die Liebe zu seiner Nichte und die allbekannte Unbescholtenheit meines bisherigen Lebens.

Was soll ich weiter viel sagen? Zuerst Ein Haus, dann Ein Herz und Eine Seele. Unter dem Deckmantel der Wissenschaft gaben wir uns ganz der Liebe hin und unsere Beschäftigung bot uns von selbst die Gelegenheit des Alleinseins, wie Liebende sie wünschen. Da war denn freilich über dem offenen Buche mehr von Liebe die Rede als von Wissenschaft, da gab es mehr Küsse als weise Sprüche. Nur allzu oft verirrte sich die Hand von den Büchern weg zu ihrem Busen, und eifriger als in den Schriften lasen wir eins in des andern Augen; ja, um jeden Verdacht unmöglich zu machen, ging ich einigemale soweit, daß ich sie züchtigte. Aber es war Liebe, die schlug, nicht Grimm; Neigung, nicht Zorn, und diese Züchtigungen waren süßer als aller Balsam der Welt. Kurz: die ganze Stufenleiter der Liebe machte unsre Leidenschaft durch, und wo die Liebe eine neue Entzückung erfand, da haben wir sie genossen. Der Reiz der Neuheit, den diese Freuden für uns hatten, erhöhte nur die Ausdauer unserer Glut und unsere Unersättlichkeit. Je mehr ich ein Sklave der Lust geworden war, destoweniger hatte ich mehr übrig für Wissenschaft und Schule. Es war mir im Innersten zuwider, vor meine Schüler hinzutreten und unter ihnen zu weilen; zugleich war es ein aufreibendes Leben, das ich führte: meine Nächte gehörten der Liebe, die Tage der geistigen Arbeit. Meine Vorträge waren gleichgültig und matt, meine Rede sprühte nicht mehr von Funken des Geistes, erhob sich nicht mehr über das Gewöhnliche. Ich konnte nur noch wiederholen, was ich früher ausgedacht hatte, und wenn ich dann und wann noch imstande war, ein Lied zu dichten, so sang ich vom Lob der Minne, nicht von den Tiefen der Weisheit. Die meisten dieser Lieder leben noch jetzt, wie du wohl weißt, da und dort im Munde des Volkes und werden von denen gesungen, die Gleiches erleben.

Von der Trauer, dem Jammer, den Klagen meiner Schüler als sie entdeckten, daß ich innerlich in dieser Weise in Anspruch genommen, ja gestört sei, kann man sich kaum eine Vorstellung machen. Eine Sache, die so klar am Tage lag, konnte ja unmöglich ein Geheimnis bleiben, und ich glaube fast: nur der Mann wußte nichts davon, dessen Ehre dabei am meisten auf dem Spiele stand, der Oheim des Mädchens selbst. Zwar wurde er mehrmals und von verschiedenen Seiten gewarnt; allein er schenkte solchen Einflüsterungen keinen Glauben und zwar aus den oben genannten Gründen, wegen der unbegrenzten Liebe zu seiner Nichte und wegen der unbezweifelten Reinheit meines Vorlebens. Denn wohl fällt es uns schwer, von denen, die wir lieben, Schlechtes zu glauben, und wahre Liebe weiß nichts von dem schleichenden Gifte des Argwohns. So schreibt auch der heilige Hieronymus in seinem Brief an Sabinianus: „Gewöhnlich erfahren wir selbst es zuletzt, wenn in unserem Hause etwas nicht in Ordnung ist, und wissen nichts von den Fehlern unserer Kinder und Frauen, wenn die Nachbarn schon laut davon sprechen.“ — Aber wenn auch spät, einmal wird es doch offenbar; was alle wissen, bleibt einem einzigen auf die Dauer auch nicht verborgen.

Dies war, nachdem einige Monate verflossen waren, auch das Schicksal unserer Liebe. Ach, wie zerriß diese Entdeckung dem Oheim das Herz! Wie groß war der Schmerz, der die Liebenden selbst durch die nun folgende Trennung traf! Welche Schande, welche Verlegenheit für mich! Mit welcher Verzweiflung erfüllte mich das Unglück des Mädchens! Welche Qualen, welche Trauer über den Verlust meines eigenen guten Leumunds stand ich aus! Jedes von uns beklagte nicht sein eigenes Mißgeschick, sondern nur das des andern. Allein die körperliche Trennung befestigte nur das Band unserer Seelen und unsere Liebe wurde um so glühender, je mehr die Befriedigung ihr fehlte. Nachdem unsre Leidenschaft einmal die Fesseln der Scham durchbrochen hatte, wurden wir unempfindlich gegen sie, und das Schamgefühl hatte um so weniger Einfluß auf uns, je lockender die Sünde erschien, die wir begangen. Wir erlebten an uns dasselbe, was der Dichter von Mars und Venus erzählt, als sie bei einander überrascht wurden.

Bald darauf fühlte Heloise sich Mutter; in der höchsten Freude benachrichtigte sie mich davon und fragte mich um Rat, was nun zu thun sei. Nachdem wir vorher darüber eins geworden waren, entführte ich sie ihrem Oheim in einer Nacht, da er nicht zu Hause war. Unverzüglich geleitete ich sie in meine Heimat zu meiner Schwester, bei der sie bis zur Geburt eines Knäbleins verblieb, dem sie den Namen Astralabius gab. Fulbert gebärdete sich bei seiner Heimkehr wie ein Rasender; nur wer es selbst mit ansah, kann sich eine Vorstellung machen von der Wut seines Schmerzes und von seiner peinlichen Verlegenheit. Er wußte nicht, was er mir anthun, welche Rache er an mir nehmen sollte. Mir nach dem Leben zu stehen oder mir einen leiblichen Schaden zuzufügen — davon hielt ihn die Angst ab, seine vielgeliebte Nichte möchte dies bei den Meinigen zu büßen bekommen. Auch konnte er sich nicht etwa meiner Person bemächtigen und mich mit Gewalt in irgend einen Gewahrsam bringen. Denn gerade in dem Punkt war ich sehr auf meiner Hut; ich kannte ihn als einen Mann, der sich nicht lange besinnen würde, wenn sich gute Gelegenheit zu einem Wagnis böte. Zuletzt aber bekam ich selbst Mitleid mit dem ungemessenen Schmerz des Mannes, auch machte ich mir Gewissensbisse über die Art und Weise, wie ich ihn um meiner Liebe willen hintergangen hatte, und klagte mich des schwärzesten Verrates gegen ihn an. So ging ich denn zu Fulbert, bat ihn um Vergebung und bot ihm jede beliebige Entschädigung an. Ich beteuerte ihm, daß niemand über meine That befremdet sein könne, der die Macht der Liebe einmal erfahren habe und der wisse, wie schmählich von Anbeginn der Welt an selbst die größten Männer durch die Weiber zu Fall gebracht worden seien. Um ihn völlig zu besänftigen, bot ich ihm eine Genugthuung an, die er nicht erwarten konnte: nämlich das verführte Mädchen zu meiner rechtmäßigen Frau zu machen, unter der einen Bedingung, daß unsere Ehe geheim bleiben sollte, damit ich an meinem Ruf keine Einbuße erleide. Fulbert ging darauf ein und er sowohl als seine Freunde gaben mir die Hand darauf und besiegelten durch Küsse den Friedensschluß — nur um mich desto sicherer zu verraten.

Ich kehrte nun in meine Heimat zurück und holte die Geliebte ab, um sie zu meiner Frau zu machen. Aber Heloise war keineswegs damit einverstanden und riet mir aus zwei Gründen dringend von meinem Vorhaben ab: nämlich wegen der Gefahr und wegen der Unehre, der ich mich dadurch aussetze. Sie versicherte mich, Fulbert lasse sich durch keine Genugthuung über das, was geschehen sei, beruhigen. Es zeigte sich später, daß sie recht hatte. Sie fragte mich, wie sie sich meines Besitzes sollte freuen können, wenn sie dadurch meinen Ruhm untergrabe und sich und mich zugleich erniedrige. Wie könnte sie es vor der Welt verantworten, wenn sie ihr eine solche Leuchte entzöge! Wie viel Verwünschungen würden diesem Ehebund nachgesandt werden, welcher Schaden würde der Kirche daraus erwachsen, wie viel Thränen würde die Wissenschaft darüber vergießen! Wie erbärmlich und kläglich wäre es, wenn ein Mann wie ich, geschaffen für die ganze Welt, sich durch ein Weib binden lassen und sich unter ein schimpfliches Joch beugen wollte! Sie verwarf diese Ehe aufs lebhafteste, da sie mir in jeder Hinsicht nachteilig und eine Last sei. Sie hielt mir ferner die geringe Achtung vor, in der die Ehe stehe und die Unannehmlichkeiten, die damit verbunden seien, zu deren Vermeidung der Apostel uns mahnt mit den Worten: „Bist du los vom Weib, so suche kein Weib. So du aber freiest, sündigest du nicht, und so eine Jungfrau freiet, sündiget sie nicht; doch werden solche leibliche Trübsal haben; ich verschonete aber euer gerne.“ — Und noch einmal sagt er: „ich wollte aber, daß ihr ohne Sorge wäret.“ — Und wenn ich weder den Rat des Apostels noch die Warnungen der heiligen Väter vor dem Joch der Ehe annehmen wolle: so möchte ich doch wenigstens auf die Philosophen hören und auf das, was in dieser Hinsicht entweder durch sie oder über sie geschrieben worden sei. Auch die Kirchenväter beziehen sich ja vielfach auf sie, um uns zu warnen. Als Beispiel führte sie den heiligen Hieronymus an, der im ersten Kapitel seiner Schrift „Gegen Jovinianus“ von Theophrastus erzählt, daß dieser in einer ausführlichen Besprechung der unerträglichen Beschwerden und beständigen Aufregungen, die der Ehestand mit sich bringe, schließlich mit den überzeugendsten Gründen zu dem Schluß komme: der Weise sollte überhaupt nicht heiraten. Am Schluß seiner Betrachtungen über jene Äußerungen des Philosophen sagt Hieronymus selbst: „Welcher Christ muß sich nicht beschämt fühlen, wenn er einen Theophrastus also reden hört?“ In derselben Schrift — fuhr Heloise fort — führt Hieronymus das Beispiel Ciceros an. Als dieser sich von Terentia hatte scheiden lassen, redete ihm sein Freund Hircius zu, er solle seine Schwester heiraten; allein er lehnte dies entschieden ab, da er sich nicht zugleich einer Frau und der Philosophie widmen könne. Er sagt nicht einfach „sich widmen“, sondern fügt das Wort „zugleich“ hinzu. Er wollte nichts thun, was ihn verhindert hätte, seine Aufmerksamkeit völlig auf die Philosophie zu beschränken.

Doch ich will davon nicht weiter sprechen, welches Hindernis für deinen gelehrten Beruf eine bürgerliche Ehe wäre. Denke nur an das übrige, was sie in ihrem Gefolge hätte. Was für ein Durcheinander! Schüler und Kammerzofen, Schreibtisch und Kinderwagen! Bücher und Hefte beim Spinnrocken, Schreibrohr und Griffel bei den Spindeln! Wer kann sich mit Betrachtung der Schrift oder mit dem Studium der Philosophie abgeben und dabei das Geschrei der kleinen Kinder, den Singsang der Amme, der sie beruhigen soll, die geräuschvolle Schar männlicher und weiblicher Dienstboten hören? Wer mag die beständige widerliche Unreinlichkeit der Kinder gern ertragen? Reiche Leute wissen sich in dieser Beziehung zu helfen, das gebe ich zu, denn sie sind in ihren fürstlichen Räumen nicht beschränkt, sie brauchen in ihrem Überfluß nicht auf die Kosten zu sehen und die Sorge ums tägliche Brot liegt ihnen fern. Allein die Lage der Philosophen ist eine andere als die der Reichen und wiederum: wer nach irdischen Schätzen trachtet und in die Sorgen dieser Welt verwickelt ist, hat keine Zeit für göttliche oder philosophische Dinge.

Darum haben auch die großen Philosophen der alten Zeit voll Weltverachtung das Leben in der Welt aufgegeben, ja förmlich geflohen, jeden irdischen Genuß sich versagend, um allein in den Armen der Weisheit Ruhe zu finden. Einer der größten von ihnen, Seneca, giebt dem Lucilius folgende Anweisung: „Nicht bloß deine freie Zeit darfst du der Philosophie widmen: ihr zulieb muß man alles andere hintansetzen, nie kann man auf sie zu viel Zeit verwenden. Vernachlässigst du das Studium der Philosophie eine Zeitlang, so ist dies fast ebenso, wie wenn du es ganz aufgeben würdest; denn durch zeitweise Unterbrechung geht der ganze Gewinn verloren. Anderweitigen Ansprüchen müssen wir aus dem Wege gehen und sie fern von uns halten, statt sie zu befriedigen.“ Was noch jetzt unsere Mönche, wenigstens die diesen Namen wahrhaft verdienen, aus Liebe zu Gott thun, das thaten in der alten Zeit aus Liebe zur Weisheit die edlen heidnischen Philosophen. Denn in jedem Volke, sei es heidnischen, jüdischen oder christlichen Glaubens, hat es von jeher Männer gegeben, die durch Glauben oder Sittenreinheit über den anderen standen und durch einen besonderen Grad von Enthaltsamkeit und Strenge von der großen Menge geschieden waren.

So gab es bei den Juden von alters her Nasiräer, die sich nach einer besonderen Gesetzesvorschrift Gott weihten; da waren ferner die Söhne der Propheten, die Jünger des Elia und Elisa, die uns im Alten Testament nach dem Zeugnis des heiligen Hieronymus wie Mönche beschrieben werden. Etwas ähnliches waren auch jene drei philosophischen Sekten, die Josephus in seinen „Altertümern“, Kapitel XVIII, aufzählt und teils Pharisäer, teils Sadducäer, teils Essäer nennt. Bei uns sind die Mönche an ihre Stelle getreten, die entweder das gemeine Leben der Apostel nachahmen, oder nach dem ältern Vorbild das Einsiedlerleben des Johannes. Die Heiden aber hatten dafür, wie gesagt, ihre Philosophen. Denn unter dem Namen „Weisheit“ oder „Philosophie“ verstanden sie weniger den Betrieb der Wissenschaft als eine gottgeweihte Lebensführung; dies lehrt uns die ursprüngliche Bedeutung des Wortes und außerdem auch das Zeugnis der heiligen Väter. So sagt der heilige Augustin im achten Kapitel seines Buches „Vom Gottesstaat“, wo er die verschiedenen Philosophenschulen aufzählt, folgendes: „Der Stifter der Italischen Schule ist Pythagoras von Samos; man sagt, daß von ihm der Name ‚Philosophie‘ herrühre. Früher nämlich wurden Männer, die sich durch tadellose Lebensführung irgendwie über die andern erhoben, Weise genannt. Pythagoras dagegen sagte, als man ihn nach seinem Beruf fragte, er sei ein Philosoph, d. h. ein Jünger oder Liebhaber der Weisheit; sich einen Weisen zu nennen, hielt er für eine Anmaßung.“

Nun geht aus den Worten: „die sich durch tadellose Lebensführung irgendwie über die andern erhoben“ — deutlich hervor, daß die heidnischen Weisen, d. h. die Philosophen, ihren Namen nicht dem Ruhm ihres Wissens, sondern der Vortrefflichkeit ihres Lebenswandels verdankten. Für die Nüchternheit und Enthaltsamkeit ihres Lebens brauche ich dir aber nicht erst Beispiele anzuführen: das hieße Eulen nach Athen tragen. Wenn aber Laien, und dazu Heiden, durch kein religiöses Gelübde gebunden, also gelebt haben, was wirst dann du zu thun haben, du, ein Geistlicher und Chorherr? Wolltest du dem Dienste Gottes niedrige Sinnenlust vorziehen und dich in ihren Strudel hineinziehen lassen, wolltest du in diesem Schlamm versinken, jeder Scham bar und ohne Hoffnung auf Rückkehr? Wenn dich die Rücksicht auf deinen geistlichen Beruf nicht zurückzuhalten vermag, so wirf wenigstens die Würde des Philosophen nicht weg. Lässest du die Gottesfurcht außer acht, so möge doch das Ehrgefühl deine Begierde zügeln. Denke an die unglückselige Ehe des Sokrates, und wie schwer er den Verrat an der Philosophie büßen mußte, allen anderen zum abschreckenden Beispiel. Hieronymus spricht davon im ersten Buch seiner Schrift „Gegen Jovinianus“, wo er eben von Sokrates erzählt: „Xanthippe überschüttete ihn einmal vom Fenster aus mit einer endlosen Flut von Schimpfworten. Sokrates ließ es ruhig über sich ergehen, und als ihm seine Ehehälfte auch noch schmutziges Wasser auf den Kopf goß, trocknete er sich ruhig ab und sagte: ‚Ich wußte wohl, daß ein solches Donnerwetter nicht ohne Regen bleiben werde.‘“

Heloise stellte mir außerdem noch vor, wie gefährlich es für mich sei, sie nach Paris zurückzuführen, und wie viel lieber sie meine Geliebte als meine Gattin heißen wolle, abgesehen davon, daß jenes für mich ehrenvoller sei. Einzig und allein der freien Liebe wolle sie meinen Besitz verdanken, nicht dem Zwang des ehelichen Bandes. Und je seltener unsere Zusammenkünfte stattfinden könnten, desto süßer werden die Freuden unserer Vereinigung nach der zeitweiligen Trennung sein.

Da sie nun durch derartige Ratschläge und Warnungen meinen verblendeten Sinn nicht umzustimmen vermochte und mich doch auch nicht beleidigen wollte, brach sie ihre Vorstellungen unter Seufzen und Thränen mit den Worten ab: dies allein bleibt uns noch zu thun übrig: so wird unser gemeinsames Verderben besiegelt sein und ein Jammer über uns kommen, so groß wie einst unser Liebesglück war. Und auch darin — die ganze Welt weiß es — hatte ihr prophetischer Geist nur allzurichtig gesehen.

Wir ließen unser Kind in der Obhut meiner Schwester und kehrten heimlich nach Paris zurück. Dort wurden wir bald nach unserer Ankunft eines Morgens in aller Frühe getraut, nachdem wir die Nacht in einer Kirche mit der Feier der Vigilien in der Stille verbracht hatten. Als Zeugen waren zugegen der Oheim Heloisens, sowie einige Verwandte von meiner und ihrer Seite. Dann trennten wir uns alsbald — jedes ging still seines Wegs, und von da an sahen wir uns nur noch selten und verstohlen, da unsere Ehe geheim bleiben sollte.

Heloisens Oheim jedoch und seine Angehörigen, die den ihnen zugefügten Schimpf immer noch nicht verschmerzt hatten, fingen an, unser Ehebündnis bekannt zu machen und brachen damit das Versprechen, das sie mir gegeben hatten. Heloise ihrerseits verschwor sich hoch und teuer, daß jene lügen, und zog sich dadurch vielfach Mißhandlungen des erbitterten Fulbert zu. Als ich davon hörte, brachte ich sie in das Nonnenkloster Argenteuil bei Paris, in dem Heloise erzogen worden war. Ich ließ sie auch die Gewandung anlegen, die das Klosterleben erfordert — mit Ausnahme des Schleiers. Nun aber glaubten Fulbert und seine Verwandten, ich hätte sie jetzt erst recht hintergangen und Heloise zur Nonne gemacht, um sie los zu werden. Aufs höchste entrüstet vereinigten sie sich zu meinem Verderben. Nachdem sie meinen Diener durch Geld gewonnen hatten, nahmen sie eines Nachts, als ich ruhig in meiner Kammer schlief, die denkbar grausamste und beschämendste Rache an mir, so daß alles darüber entsetzt war: sie beraubten mich dessen, womit ich begangen hatte, worüber sie klagten. Die Thäter ergriffen alsbald die Flucht, zwei von ihnen wurden jedoch festgenommen, geblendet und entmannt. Einer davon war jener Diener, der stets in meiner Umgebung gewesen und durch seine Geldgier zum Verräter an mir geworden war.

Als es Tag wurde, strömte die ganze Stadt vor meiner Wohnung zusammen, und es ist schwer, ja geradezu unmöglich, die Äußerungen des Entsetzens, des Jammers, des Geschreis, der Klagen zu beschreiben, die nun laut wurden. Hauptsächlich die Kleriker und ganz besonders meine Schüler vermehrten meine Qual durch ihre unerträglichen Lamentationen. Ihr Mitleid war mir schmerzlicher, als meine Wunde selber; das Gefühl meiner Schmach war lebendiger in mir als der körperliche Schmerz, ich dachte mehr an die Schande als an die Verletzung. Der hohe Ruhm, dessen ich mich eben noch erfreut hatte — wie schwer war er in einem Augenblick geschädigt worden! Ja, vielleicht war er für immer dahin! Wie gerecht war Gottes Strafe, die mich an dem Teil meines Körpers schlug, mit dem ich gesündigt hatte! Wie recht hatte der, den ich zuerst verraten hatte, wenn er mir nun Gleiches mit Gleichem vergalt! Wie werden — so sagte ich mir — meine Widersacher die Gerechtigkeit preisen, die hier so offenbar waltete! In welch untröstliche Betrübnis wird dieser Schlag meine Eltern und Freunde versetzen! Wie wird die Kunde von dieser seltenen Schmach die ganze Welt durchlaufen! Blieb mir überhaupt noch ein Ausweg? Wie konnte ich’s noch wagen, in der Öffentlichkeit zu erscheinen, da alles mit Fingern auf mich deuten und hinter mir herzischeln mußte? Würde ich nicht von allen als ein ungeheuerliches Schauspiel betrachtet werden?

Nicht zum wenigsten ängstigte mich auch die folgende Erwägung: nach dem tötenden Buchstaben des Gesetzes sind Eunuchen vor Gott ein solcher Greuel, daß Leute, die ihrer Mannheit beraubt sind, als anrüchig und unrein den Tempel nicht betreten dürfen, und daß sogar Tiere, bei denen dies der Fall ist, nicht zum Opfer zugelassen werden. Im Levitikus heißt es: „Du sollst dem Herrn kein Zerstoßenes oder Zerriebenes oder Zerrissenes oder was verwundet ist, opfern“ — und 5. Mos., Kap. 23: „Es soll kein Zerstoßener noch Verschnittener in die Gemeinde des Herrn kommen.“

In dieser verzweifelten Lage trieb mich weniger ein aufrichtiges religiöses Bedürfnis — ich gestehe es offen — als die Verlegenheit und die Scham in den bergenden Schutz der Klostermauern. Heloise hatte schon vorher auf meinen Wunsch bereitwillig den Schleier genommen. Und so trugen wir nun beide das geistliche Gewand: ich in der Abtei von St. Denis, sie im Kloster von Argenteuil. Noch erinnere ich mich: man hatte vielfach Mitleid mit ihrer Jugend und stellte ihr, um sie abzuschrecken, das Joch der Klosterregel als eine unerträgliche Last dar. Vergebens: unter Thränen schluchzend brach sie in jene klagenden Worte der Cornelia aus:

„O herrlicher Gatte,

Besseren Ehbetts wert! So wuchtig durfte das Schicksal

Treffen ein solches Haupt? Ach mußt ich darum dich freien,

Daß dein Unstern ich würd? — Doch nun empfange mein Opfer

Freudig bring ich es dir —“

Mit diesen Worten trat sie vor den Altar, empfing aus der Hand des Bischofs den geweihten Schleier und legte vor dem ganzen Konvent das Klostergelübde ab.

Ich hatte mich kaum von meiner Verletzung erholt, als die Kleriker in Menge herbeiströmten und sowohl meinen Abt wie mich selbst mit Bitten bestürmten: ich solle das, was ich bisher aus Verlangen nach Geld oder Ruhm gethan habe, jetzt aus Liebe zu Gott thun. Ich solle bedenken, daß Gott das Pfund, das er mir anvertraut, mit Zinsen von mir zurückverlangen werde! Bisher habe ich mich fast nur mit Reichen abgegeben, jetzt solle ich meine Kräfte in den Dienst der Armen stellen. Ich möchte erkennen, daß die Hand des Herrn mich vor allem deshalb geschlagen habe, damit ich desto unbehinderter, den Lockungen des Fleisches und dem unruhigen Treiben der Welt entrückt, der Wissenschaft leben könne, und nicht mehr die Weisheit dieser Welt, sondern die wahre Gottesweisheit lehren möge.

In dem Kloster, in das ich eingetreten war, herrschte zu jener Zeit ein überaus weltliches, sittenloses Leben. Je höher der Abt selbst seinem Range nach über den andern stand, desto schlimmer und berüchtigter war sein Lebenswandel. Da ich nun ihre empörende Sittenlosigkeit teils im vertrauten Kreis, teils öffentlich mehrmals aufs nachdrücklichste rügte, so wurde ich ihnen überaus unbequem und verhaßt. Mit Vergnügen sahen sie, wie meine Schüler Tag für Tag unermüdlich mit Bitten in mich drangen; denn dieser Umstand gab ihnen Gelegenheit, sich meiner zu entledigen. Da nun jene mir unaufhörlich zusetzten und mir keine Ruhe ließen, auch der Abt und die Brüder sich in den Handel mischten, gab ich endlich nach und zog mich in eine Einsiedelei zurück, um meine gewohnte Lehrthätigkeit wieder aufzunehmen. Hier strömte nun eine solche Menge von Schülern zusammen, daß es ebenso an Raum, sie zu beherbergen, wie an Lebensmitteln zu ihrem Unterhalt fehlte.

Wie es meinem jetzigen Beruf entsprach, hielt ich hauptsächlich theologische Vorlesungen. Doch gab ich die Unterweisung in den weltlichen Wissenschaften deshalb nicht ganz auf; in ihnen war ich einst am besten bewandert gewesen und um ihretwillen suchte man mich hauptsächlich auf. So benutzte ich sie gleichsam als Köder, um durch diese etwas nach Philosophie schmeckende Lockspeise meine Zuhörer für das Studium der wahren Philosophie zu gewinnen, wie denn die „Kirchengeschichte“ dasselbe Verfahren von Origenes berichtet, jenem größten aller geistlichen Philosophen. Da es nun aber ersichtlich wurde, daß Gott mich mit heiliger wie mit weltlicher Wissenschaft in gleicher Weise begabt hatte, so vermehrte sich die Zahl meiner Zuhörer in beiden Fächern, während die andern Schulen sich bedenklich leerten. Dadurch zog ich mir den heftigsten Neid und Haß der Lehrer zu, die nun alles aufboten, um mir Abbruch zu thun. Hauptsächlich zwei Vorwürfe waren es, die sie immer wieder gegen mich erhoben, während ich fern war: daß sich mit dem Beruf eines Mönchs das Studium weltlicher Wissenschaft nimmermehr vertrage und daß ich mir ein Lehramt in der Theologie angemaßt habe, ohne vorher selbst in die Schule gegangen zu sein. Sie hätten es am liebsten gesehen, wenn mir die Ausübung meiner Lehrthätigkeit ganz untersagt worden wäre, und waren unablässig bemüht, Bischöfe, Erzbischöfe, Äbte und sonstige einflußreiche Kirchenmänner für ihre Absicht zu gewinnen. Ich befaßte mich nun zuerst damit, das Fundament unseres Glaubens selbst durch menschliche Vernunftgründe faßlich zu machen. Zu diesem Zweck schrieb ich eine theologische Abhandlung „über die göttliche Einheit und Dreiheit“ für den Gebrauch meiner Schüler, die nach vernünftigen, wissenschaftlichen Gründen verlangten, und nicht bloß Worte hören, sondern sich auch etwas dabei denken wollten. Sie meinten, es sei vergeblich, viele Worte zu machen, bei denen sich nichts denken lasse; man könne doch nichts glauben, was man nicht vorher begriffen habe; es sei lächerlich, wenn einer etwas predigen wolle, was weder er selbst noch seine Zuhörer mit dem Verstand fassen könnten; das seien „die blinden Blindenleiter“, von denen der Herr spreche. Mein Buch gefiel allen meinen Schülern außerordentlich, denn hier — so schien es — fand man auf alle Fragen, die über diesen Gegenstand schwebten, eine befriedigende Antwort. Und gerade diese Fragen galten damals für ganz besonders schwierig; je größeres Gewicht man ihnen aber beilegte, desto mehr wurde die Feinheit der Lösung geschätzt. Meine Neider jedoch gerieten dadurch in gewaltige Aufregung und sie beriefen gegen mich ein Konzil, an ihrer Spitze meine beiden alten Widersacher, Alberich und Lotulf. Diese maßten sich nach dem Tode unserer gemeinsamen Lehrer Wilhelm und Anselm die Alleinherrschaft an und wollten sich gleichsam in das Erbe der beiden berühmten Männer teilen.

Alberich und Lotulf lehrten damals beide zu Rheims und sie brachten es bei ihrem Erzbischof Radulf durch allerhand Einflüsterungen in der That soweit, daß man unter Beiziehung des Bischofs von Präneste, Conanus, der damals päpstlicher Legat in Frankreich war, eine dürftige Versammlung unter dem stolzen Namen eines Konzils in Soissons abhielt und mich einlud, mein vielbesprochenes Buch „Über die Dreieinigkeit“ dorthin mitzubringen. Und so geschah es.

Indessen hatten mich meine beiden Hauptwidersacher bei Klerus und Volk noch vor meiner Ankunft in ein so übles Licht gestellt, daß ich mit meinen paar Begleitern von der Menge beinahe gesteinigt worden wäre; es hieß, ich lehre in Wort und Schrift drei Götter — das hatte man ihnen vorgeredet.

Sogleich nach meiner Ankunft in Soissons ging ich zum Legaten und übergab ihm mein Buch zur Prüfung und Beurteilung; zugleich erklärte ich mich bereit, meine Lehre zu berichtigen oder zu widerrufen, falls sie mit dem katholischen Glauben im Widerspruch stehe. Der Legat jedoch schickte mich mit meinem Buch zum Erzbischof und zu meinen Gegnern; die Männer sollten über mich zu Gericht sitzen, die mich angeklagt hatten, und an mir sollte sich das Wort erfüllen: „Meine Feinde sind meine Richter“.

Sie durchstöberten nun mein Buch mehrmals von vorn bis hinten, fanden aber nichts, das sie in der Versammlung gegen mich hätten vorbringen können und verschoben darum die Verdammung des Buchs, nach der sie lechzten, bis auf den Schluß des Konzils. Ich meinerseits benutzte die Zeit ehe die Sitzungen abgehalten wurden täglich zu öffentlichen Vorträgen über den katholischen Glauben, wie er in meinen Schriften zum Ausdruck kam, und unter meinen Zuhörern war nur eine Stimme des Lobes und der Bewunderung für meine Redegewandtheit wie für meinen Scharfsinn. Das Volk aber und die Geistlichkeit fingen an zu murren: „Sehet, nun redet er frei und offen vor aller Welt und niemand widerspricht ihm! Das Konzil, das doch seinetwegen vor allem berufen wurde, ist nächstens zu Ende. Sind vielleicht die Richter zu der Einsicht gekommen, daß sie selber irren, nicht er?“

Infolgedessen stieg die Wut meiner Gegner von Tag zu Tag. Eines Tags nun kam Alberich mit einigen seiner Schüler zu mir, um mir eine Schlinge zu legen. Nach einigen einleitenden höflichen Redensarten sagte er, eine Stelle in meinem Buch habe ihn befremdet: nämlich, obwohl Gott Gott gezeugt habe und nur ein Gott sei, leugne ich doch, daß Gott sich selber gezeugt habe. Unverzüglich antwortete ich ihm: „ich bin bereit, hierüber Rechenschaft abzulegen, wenn es euch genehm ist“. Darauf versetzte er: „In solchen Fragen lassen wir nicht menschliche Vernunftgründe oder unsre eigene Weisheit gelten, sondern einzig und allein die Autorität der Väter.“ — „Schlaget nur in meinem Buche nach,“ erwiderte ich, „und ihr werdet eine solche Autorität finden.“ — Das Buch war zur Hand; er hatte es selbst mitgebracht. Ich schlug die Stelle auf, die ich im Kopfe hatte und die dem Alberich entgangen war, weil er nur nach solchen suchte, die mir schaden konnten. Gott wollte es, daß ich das Gewünschte alsbald fand. Es war ein Citat aus dem ersten Buche von Augustins Werk „Über die Dreieinigkeit“ und lautete: „Wer da glaubt, Gott habe die Macht sich selbst zu erzeugen, ist in einem schweren Irrtum befangen, denn diese Fähigkeit kommt Gott so wenig zu wie irgend einer anderen geistigen oder leiblichen Kreatur; es giebt überhaupt kein Wesen, welches sich selbst erzeugen könnte.“

Diese Worte versetzten die Schüler Alberichs in peinliche Verlegenheit. Er selbst, um nur irgend etwas zu sagen, meinte: „Das ist allerdings deutlich.“ Ich erwiderte ihm, diese Ansicht sei nicht neu, allein für den Augenblick falle sie nicht ins Gewicht, da er ja nur nach Worten suche und nicht den tieferen Sinn, der ihnen zu Grunde liege. Falls er aber eine Darlegung und Begründung ihres eigentlichen Sinnes anhören wolle, so sei ich bereit, ihm aus seinen eigenen Worten nachzuweisen, daß er in die Ketzerei verfallen sei, die annehme, daß Gott-Vater sein eigener Sohn sei. Daraufhin geriet Alberich in große Wut, nahm seine Zuflucht zu Drohungen und versicherte mich, daß weder meine eigene Weisheit, noch meine Berufung auf andere Autoritäten mir etwas helfen sollten. — Und damit ging er.

Der letzte Tag des Konzils war herangekommen. Vor der Sitzung hatten der Legat und der Erzbischof von Rheims mit meinen Gegnern und einigen andern Personen eine lange Beratung darüber, was in Anbetracht meiner Person und meines Buches zu thun sei; denn um dieser Sache willen war ja das Konzil hauptsächlich berufen worden. In meinen Worten oder in meiner Schrift, die vorlag, fand man nichts, was man gegen mich hätte vorbringen können. Einen Augenblick herrschte allgemeines Schweigen und was sich hören ließ, waren nur schüchterne Einwürfe. Da ergriff Gottfried, Bischof von Chartres, durch den Ruf seiner Frömmigkeit und das Ansehen seines Stuhles den übrigen Bischöfen überlegen, das Wort und sprach also: „Würdige Herren! Euch allen, die ihr hier versammelt seid, ist es wohl bekannt, daß die Lehre dieses Mannes, welcher Art sie auch sein mag, und der Reichtum seines Geistes, welchem Gebiet immer er sich zugewandt hat, viel Beifall gefunden und große Anziehungskraft ausgeübt haben, so daß dadurch selbst der Ruhm seiner und unserer Lehrer verdunkelt worden ist und man fast sagen könnte, die Reben seines Weinbergs seien von Meer zu Meer gerankt.

Wolltet ihr nun, was ich nicht glauben kann, einen solchen Mann ungehört verurteilen, so würdet ihr mit einem solchen Urteil, selbst wenn es seinen guten Grund hätte, sicherlich vielen Leuten vor den Kopf stoßen, und es würde nicht an solchen fehlen, die für ihn Partei ergreifen würden; zumal sich in der Schrift, die er vorgelegt hat, nichts findet, was einer offenen Ketzerei ähnlich wäre. Denken wir an das Wort des Hieronymus: ‚Stets hat die Tüchtigkeit den Neid zum Begleiter‘ und daran, daß ‚der Blitz die höchsten Gipfel trifft‘! Hüten wir uns davor, seinen Namen durch ein gewaltsames Vorgehen noch mehr zum Gegenstand der allgemeinen Teilnahme zu machen. Wir würden uns selbst dadurch, daß wir uns den Vorwurf des Neides zuziehen, mehr schädigen, als wir dem Angeklagten durch unsern Richterspruch schaden können. Denn ‚falscher Ruhm‘ — sagt der ebengenannte Lehrer — ‚erlischt schnell und die Folgezeit richtet das Vorleben.‘“

„Beliebt es euch aber, nach Recht und Brauch mit ihm zu handeln, so möge seine Lehre oder sein Buch hier öffentlich vorgetragen werden und ihm selbst soll gestattet sein auf die Fragen, die man ihm vorlegt, Rede und Antwort zu geben, um dann, wenn er überwiesen und zum Widerruf bewogen werden könnte, für immer zu schweigen. Dies war schon die Meinung des frommen Nikodemus, als er, um dem Herrn selbst die Freiheit zu ermöglichen, sagte: ‚Richtet unser Gesetz auch einen Menschen, ehe man ihn verhöret und erkenne was er thut?‘“

Auf diese Worte hin erhoben meine Gegner einen gewaltigen Lärm: „Schöne Weisheit“, riefen sie, „die uns zumutet, mit diesem Wortkünstler zu streiten, dessen Schlüssen und Finten die ganze Welt nicht standhalten kann!“ — Und doch — es war gewiß noch viel schwerer, mit Christus selbst zu streiten; trotzdem hat Nikodemus ihn vor seinen Richtern zum Wort kommen lassen wollen, wie es das Gesetz gestattet.

Als nun der Bischof Gottfried die Anwesenden nicht für seine Absicht gewinnen konnte, suchte er ihre Mißgunst durch ein anderes Mittel zu zügeln. Er machte geltend, daß die Versammlung nicht vollzählig genug sei, um über eine so wichtige Sache zu entscheiden, und daß diese Angelegenheit einer gründlichen Prüfung bedürfe. Sein Rat gehe deshalb dahin, mein Abt solle mich in das Kloster St. Denis zurückbringen, woselbst dann meine Sache einer größeren Anzahl von gelehrten Männern zu erneuter gründlicherer Untersuchung vorgelegt werden solle. Dieser letzte Vorschlag fand den Beifall des Legaten und aller übrigen Anwesenden. Alsbald erhob sich der Legat, um vor dem Beginn der Sitzung die Messe zu lesen, und ließ mir durch den Bischof Gottfried die förmliche Erlaubnis zur Rückkehr in mein Kloster übermitteln, wo ich dann das weitere erwarten solle.

Nun aber fiel es meinen Gegnern ein, daß für sie nichts gewonnen wäre, wenn mein Prozeß außerhalb ihres Sprengels geführt würde, wo sie dann auf das Urteil keinen Einfluß ausüben könnten; denn bei dem Gedanken, einfach der Gerechtigkeit den Lauf zu lassen, konnten sie sich freilich nicht beruhigen. Darum stellten sie dem Erzbischof vor, daß es eine große Schande für sie wäre, diese Sache an eine andere Behörde zu verweisen und daß es gefährlich sei, mich so davonkommen zu lassen. Sie liefen auch zum Legaten und wußten ihn, halb gegen seinen Willen, dahin umzustimmen, daß er mein Buch unbesehen verdammte, es vor aller Augen verbrannte und über mich lebenslängliche Haft in einem auswärtigen Kloster verfügte. Sie sagten nämlich, zur Verurteilung meines Buches sei schon der Umstand hinreichend, daß ich mir erlaubt habe, es ohne die Genehmigung des Papstes oder der Kirche öffentlich vorzutragen und daß ich es schon vielen zum abschreiben überlassen habe; es könne nur zur Kräftigung des christlichen Glaubens dienen, wenn einmal, um einer ähnlichen Anmaßung zuvorzukommen, an mir ein Exempel statuiert werde. Der Legat war wissenschaftlich nicht so gebildet, wie er hätte sein sollen, und folgte deshalb in der Hauptsache dem Rate des Erzbischofs; dieser seinerseits ließ sich von meinen Gegnern bestimmen.

Als der Bischof von Chartres hiervon Kunde erhielt, setzte er mich alsbald von diesen Umtrieben in Kenntnis und ermahnte mich eindringlich, ich möchte diese Wendung geduldig tragen, um so mehr, als das Vorgehen meiner Widersacher eine offenbare Vergewaltigung sei. Eine solche, klar am Tag liegende, gewaltthätige Mißgunst könne jenen nur schaden, mir nur Nutzen bringen — davon dürfe ich überzeugt sein; auch solle ich mir wegen der Klosterhaft keine Sorgen machen: er wisse gewiß, daß der Legat, der sich dieses Urteil nur habe abnötigen lassen, mich nach seiner Abreise von hier alsbald in volle Freiheit setzen werde. So suchte er mich zu trösten so gut es ging, indem er selbst mit dem Weinenden weinte.

Ich wurde vor das Konzil berufen, und ohne Untersuchung, ohne Prüfung zwang man mich, mein Buch mit eigener Hand ins Feuer zu werfen. Und so ging es in Flammen auf. Während dieses Vorgangs schien jedermann absichtlich zu schweigen. Nur einer meiner Gegner machte schüchtern die Bemerkung, er habe in dem Buch den Satz gefunden, Gott-Vater allein sei allmächtig. Auf diese Bemerkung antwortete der Legat höchlich erstaunt: einen solchen Irrtum dürfe man ja nicht einmal einem Kinde zutrauen, da doch der gemeinsame Glaube ausdrücklich dahingehe, das alle drei Personen der Gottheit allmächtig seien. — Daraufhin citierte ein gewisser Terricus, Vorsteher einer Schule, höhnisch den Satz des Athanasius: „und dennoch nicht drei allmächtig, sondern einer allmächtig“. Und als ihn sein Bischof zurechtweisen und zum Schweigen bringen wollte, als hätte er ein Majestätsverbrechen begangen, ließ er sich nicht im mindesten einschüchtern, sondern sprach wie ein zweiter Daniel also: „Seid ihr von Israel solche Narren, daß ihr einen Sohn Israels verdammt, ehe ihr die Sache erforschet und gewiß werdet? Kehret wieder um vors Gericht und richtet den Richter selber. Denn der Richter, den ihr eingesetzt habt zur Unterweisung im Glauben und zur Beseitigung des Irrtums, der hat sich selbst gerichtet durch seinen eigenen Mund, da er andere richten sollte. Den Mann, dessen Unschuld heute Gottes Barmherzigkeit an den Tag gebracht hat — befreiet ihn, wie einst die Susanna, von seinen falschen Klägern.“

Nun erhob sich der Erzbischof, und indem er die Worte den Umständen gemäß leicht abänderte, bestätigte er den Satz des Legaten mit den Worten: „In der That, ehrwürdiger Herr, allmächtig ist der Vater, allmächtig der Sohn, allmächtig der heilige Geist, und wer von dieser Meinung abweicht, ist in offenbarem Irrtum befangen und nicht anzuhören. Doch vielleicht dürfte es sich empfehlen, daß dieser unser Bruder seinen Glauben vor der ganzen Versammlung bekenne, damit er je nach Umständen gebilligt oder beanstandet und verbessert werde.“ Als ich mich daraufhin anschickte, mein Glaubensbekenntnis abzulegen, und meinen Gedanken einen selbständigen Ausdruck geben wollte, da riefen meine Gegner mir zu, ich brauche nur das Athanasianische Glaubensbekenntnis herzusagen, was jedes Kind ebensogut hätte thun können. Und damit ich nicht etwa die Ausrede gebrauchen könnte, ich wisse den Wortlaut nicht auswendig, gab man mir den geschriebenen Text zum Vorlesen. Unter Seufzern und mit thränenerstickter Stimme las ich, so gut es ging. Hierauf wurde ich wie ein seines Vergehens überwiesener Verbrecher dem Abt von St. Medardus, der auf dem Konzil anwesend war, übergeben und in dessen Kloster, als in mein Gefängnis, abgeführt. Das Konzil selbst wurde alsbald aufgelöst.

Der Abt indessen und seine Mönche, die nicht anders glaubten, als daß ich nun für immer bei ihnen bleiben werde, nahmen mich mit Freuden auf und bemühten sich vergeblich, mich durch möglichst liebevolle Behandlung über mein Schicksal zu trösten. O Gott, der du gerecht richtest! So sehr war mein Herz vergiftet und verbittert, daß ich in verblendetem Wahn wider dich selbst murrte und Klage erhob und unablässig jenen Seufzer des heiligen Antonius wiederholte: „Guter Jesus, wo warest du?“ Schmerz, Beschämung, Verzweiflung — damals habe ich all diese Gefühle durchgekostet, aber sie zu beschreiben, ist mir nicht möglich. Was ich jetzt zu leiden hatte, hielt ich zusammen mit dem früheren Unglück, das mir an meinem Körper widerfahren war, und ich achtete mich für das elendste aller Menschenkinder. Im Vergleich mit diesem neuen Unglück erschien mir jene ruchlose That geringfügig, und ich beklagte weniger den Schaden meines Leibes als den Verlust meines Ruhms. Jenen hatte ich gewissermaßen selbst verschuldet. Dieser offenen Gewalt aber war ich zum Opfer gefallen, obwohl mich nichts anderes als die lauterste Absicht und die Liebe zu unserem Glauben zum Schreiben gedrängt hatte.

Wohin auch die Kunde von diesem grausamen und brutalen Verfahren gegen mich gelangte, überall fand es lebhafte Mißbilligung; von denen, die bei der Verhandlung gewesen waren, schob nun jeder die Schuld auf den andern. Sogar meine Feinde leugneten jetzt, daß sie an dem Urteil der Synode schuld seien, und der Legat bedauerte öffentlich die Mißgunst der Franzosen. Während er für den Augenblick ihrer feindseligen Absicht gegen mich unfreiwillig nachgegeben hatte, bereute er gleich darauf seine Maßregel und ließ mich nach einigen Tagen schon aus dem fremden Kloster in mein eigenes nach St. Denis zurückkehren.

Freilich waren dessen Insassen mir fast alle schon von früher her feindlich gesinnt. Bei der Unordentlichkeit ihres Lebenswandels und dem freien Ton, der unter ihnen herrschte, war ich ihnen ein höchst unbequemer Mahner. Es vergingen nur wenige Monate, da bot sich ihnen eine geschickte Gelegenheit, mich zu verderben. Eines Tages fand ich nämlich beim Lesen zufällig eine Stelle in Bedas Auslegung der Apostelgeschichte, worin die Ansicht ausgesprochen war, daß Dionysius Areopagita nicht Bischof von Athen, sondern von Korinth gewesen sei. Dies mußte natürlich die sehr befremden, die in dem Schutzpatron ihres Klosters eben jenen Dionysius Areopagita verehren, in dessen Lebensgeschichte ausdrücklich stand, daß er Bischof von Athen gewesen sei. Ich zeigte einigen der umherstehenden Brüder halb im Scherz jene Stelle des Beda, die gegen uns sprach. Sie aber erklärten in höchster Entrüstung den Beda für einen Erzlügner und beriefen sich auf ihren Abt Hilduin, als auf einen zuverlässigeren Zeugen. Dieser habe lange Zeit in Griechenland selbst Forschungen gemacht und dann den wahren Sachverhalt in einer Lebensbeschreibung des Dionysius ganz unanfechtbar dargestellt. Einer der Umstehenden drang mit der Frage in mich, wem ich in diesem Streite recht gebe, dem Beda oder dem Hilduin. Ich sagte, das Zeugnis des Beda, dessen Schriften in der ganzen abendländischen Kirche in Ansehen stünden, scheine mir gewichtiger zu sein. Als die Mönche das vernahmen, erhoben sie ein wütendes Geschrei: nun trete die feindselige Gesinnung, die ich von jeher gegen unser Kloster gehegt habe, einmal deutlich hervor; am ganzen Land werde ich zum Verräter, indem ich es seines höchsten Ruhmestitels beraube, da ich leugne, daß Dionysius Areopagita ihr Schutzpatron sei. Ich erwiderte, das leugne ich ja gar nicht, und überdies komme wenig darauf an, ob ihr Schutzpatron wirklich der Areopagite gewesen sei oder ein Mann von anderer Herkunft, da er doch jedenfalls von Gott so großer Ehre würdig befunden worden sei. Sie aber liefen zum Abt und zeigten ihm an, was sie mir zur Last legten. Dieser begrüßte die Gelegenheit, mich einmal demütigen zu können, mit Freuden; denn da er ein sittenloseres Leben führte als alle übrigen, so fürchtete er sich vor mir um so mehr. Vor versammeltem Konvent erteilte er mir einen scharfen Verweis und drohte, er wolle mich unverzüglich vor den König schicken, damit mich die Strafe treffe, die dem gebühre, der den Ruhm und die Ehre des Königreichs antaste. Inzwischen bis zu der Zeit, da er mich dem König vorführen wollte, ließ er mich unter strenge Aufsicht stellen. Vergebens erklärte ich mich bereit, die vorgeschriebene Buße auf mich zu nehmen, falls ich etwas verbrochen hätte. Und nun ergriff mich ein förmlicher Ekel vor der Schlechtigkeit dieser Menschen, und ich, den seit so langer Zeit das Mißgeschick unablässig verfolgte, geriet an den Rand der Verzweiflung: die ganze Welt — so schien es — war gegen mich verschworen. So entwich ich denn mit Wissen einiger Brüder, die Mitleid mit mir hatten, und unter Beihilfe einiger meiner Schüler heimlich bei Nacht aus dem Kloster und flüchtete in das angrenzende Gebiet des Grafen Theobald, wo ich früher in einer Einsiedelei gelebt hatte.

Der Graf selbst war mir nicht ganz unbekannt; auch hatte er mit großer Teilnahme von meinem mannigfachen Unglück gehört. Ich hielt mich zunächst bei dem Schloß Provins auf, in einer Klause der Mönche von Troyes, deren Prior mir vorzeiten befreundet gewesen war und mich ins Herz geschlossen hatte. Dieser nahm den Flüchtling mit Freuden auf und sorgte für mich auf die liebenswürdigste Weise.

Eines Tags nun kam mein Abt in geschäftlichen Angelegenheiten zum Grafen auf das Schloß. Als ich dies erfuhr, ging ich mit dem Prior ebenfalls zum Grafen und bat ihn, er möchte sich bei meinem Abt für mich verwenden, daß er mich absolviere und mir die Erlaubnis gebe, als Mönch zu leben, wo ich einen passenden Ort finde. Der Abt und seine Begleiter zogen die Sache in Erwägung und wollten den Grafen noch am gleichen Tage vor ihrer Heimkehr darüber Bescheid sagen. Als sie nun die Sache näher überlegten, kamen sie auf die Meinung, ich wolle in ein anderes Kloster eintreten, was nach ihrer Ansicht eine große Schande für sie gewesen wäre. Denn sie thaten sich viel darauf zu gut, daß ich mich gerade in ihr Kloster zurückgezogen hatte, sie sahen darin eine Bevorzugung des ihrigen vor allen andern Klöstern, und jetzt, fürchteten sie, würde es ihnen zu großer Unehre gereichen, wenn ich ihr Kloster verließe und mich an ein anderes wendete. Deshalb hörten sie weder mich noch den Grafen in dieser Sache an, sondern begnügten sich damit, mich mit der Exkommunikation zu bedrohen, falls ich nicht unverzüglich ins Kloster zurückkehre. Dem Prior aber, bei dem ich eine Zuflucht gefunden hatte, untersagten sie aufs strengste, mich weiterhin bei sich zu behalten, falls er nicht ebenfalls der Strafe der Exkommunikation verfallen wolle. Dieser Bescheid erfüllte den Prior und mich mit großer Besorgnis. Da starb zum Glück mein Abt wenige Tage, nachdem er mit dieser Drohung in sein Kloster zurückgekehrt war.

Als sein Nachfolger eingesetzt war, ging ich mit dem Bischof von Meaux zu ihm und bat ihn, er möchte mir die Bitte gewähren, die ich schon an seinen Vorgänger gerichtet habe. Als auch er zuerst nicht recht auf die Sache eingehen wollte, gewann ich durch Vermittlung einiger Freunde den König und seinen Rat für mein Anliegen und erreichte so meinen Zweck. Der damalige Seneschall des Königs, Stephanus, nahm den Abt und dessen Vertraute beiseite und stellte ihnen vor, warum sie mich gegen meinen Willen zurückhalten wollten; sie könnten sich dadurch leicht in ärgerliche Händel verwickeln und hätten jedenfalls wenig Nutzen davon, da meine Lebensweise und die ihrige nun einmal nicht zusammenpasse. Ich wußte aber, daß man im königlichen Rat dem Kloster absichtlich manche Unregelmäßigkeit hingehen ließ, um es dafür dem König desto gefügiger zu erhalten und es für weltliche Zwecke ausbeuten zu können. Darum glaubte ich auch, die Zustimmung des Königs und seiner Räte für mein Vorhaben erlangen zu können. Und wirklich, es gelang mir.

Damit aber unser Kloster des Ruhmes, den es an meiner Person hatte, nicht verlustig gehe, sollte ich mich zwar zurückziehen dürfen, wohin ich wollte, aber unter der Bedingung, daß ich nicht in ein anderes Kloster eintrete. Dies wurde in Gegenwart des Königs und seiner Räte von beiden Seiten gutgeheißen und bekräftigt. So begab ich mich in eine einsame Gegend im Gebiet von Troyes, die mir von früher bekannt war. Dort wurde mir von einigen Leuten ein Stück Land zur Verfügung gestellt, und mit Genehmigung des Bischofs erbaute ich daselbst nur aus Binsen und Stroh eine Kapelle zu Ehren der heiligen Dreifaltigkeit. In dieser Einsamkeit, mit einem befreundeten Kleriker lebend, konnte ich allen Ernstes dem Herrn das Lied singen: „Siehe, ich habe mich ferne weggemacht und bin in der Wüste geblieben.“

Bald kam die Kunde von meinem neuen Aufenthalt zu meinen Schülern. Und nun belebte sich meine Einsamkeit. Sie verließen die Städte und festen Plätze und ihre behaglichen Wohnungen, um sich hier elende Hütten zu bauen; ihre ausgesuchten Mahlzeiten vertauschten sie mit der dürftigen Nahrung, die in Kräutern und trockenem Brot bestand; statt weicher Betten gab es hier nur ein Lager aus Binsen oder Stroh und die Tische mußten durch Rasenbänke ersetzt werden. Man hätte wirklich glauben können, sie wollen die alten Philosophen nachahmen, deren Lebensweise dem heiligen Hieronymus im zweiten Buch seiner Schrift „Gegen Jovinianus“ zu folgender Betrachtung Anlaß giebt: „Durch unsere Sinne dringen die Laster wie durch eine Art Fenster ins Herz ein. Die Stadt und Festung der Vernunft kann nicht genommen werden, wenn das feindliche Heer nicht durch die Thore eindringt. Wenn jemand seine Lust hat an Cirkusspielen, an Ringkämpfen, an Gauklerkünsten, an üppigen Frauen, an prächtigem Geschmeide, an Kleiderputz und dergleichen Dingen, dessen Seele hat ihre Freiheit durch die Fenster der Augen verloren und von ihm gilt das Wort des Propheten: ‚Der Tod ist hereingekommen durch unsere Fenster.‘ Wenn nun die Anfechtungen dieser Welt wie ein feindlicher Keil durch solche Thore in die Burg unsres Herzens eingedrungen sind — wo wird dann unsre Freiheit bleiben, wo unsre Tapferkeit, wo der Gedanke an Gott? Zumal das einmal geweckte Herz auch die vergangenen Freuden mit neuen Farben sich ausmalt, mit der Erinnerung an einstige Leidenschaften neue Schmerzen in der Seele weckt und sie gewissermaßen etwas, was in Wirklichkeit nicht mehr besteht, noch einmal durchzumachen nötigt. Aus diesen Gründen haben viele Philosophen die volksbelebten Städte und die städtischen Lustgärten verlassen, wo das bewässerte Land, das Grün der Bäume, das Zwitschern der Vögel, die krystallklare Quelle, der murmelnde Bach und so manches andre Aug’ und Ohr bezauberte; sie wichen der Üppigkeit und der Überfülle, die sich ihnen darbot, aus, damit die Kraft ihrer Seele nicht erschlaffe und ihre Keuschheit nicht befleckt werde. Und in der That: der öftere Anblick dessen, was uns berücken könnte, kann ja nur schädlich wirken, und warum sollte man einen Genuß kennen lernen wollen, auf den man nachher nur mit Schmerzen wieder verzichten kann?“

Auch die Schüler des Pythagoras gingen dem Treiben der Welt aus dem Wege und wohnten in der Einsamkeit und in der Wüste. Selbst Plato, der mit den Gütern dieser Welt gesegnet war und welchem Diogenes einmal sein Ruhebett mit schmutzigen Schuhen bearbeitete, selbst er wählte, um ganz Philosoph sein zu können, einen Ort auf dem Lande, fern von der Stadt, nicht bloß in abgelegener, sondern auch in ungesunder Gegend: durch die beständige Besorgnis vor Krankheiten sollten die Begierden erstickt werden, und seine Schüler sollten keinen anderen Genuß kennen, als den des Studiums. Eine ähnliche Lebensweise sollen auch die Jünger des Propheten Elisa geführt haben. Hieronymus stellt sie als die Mönche jener Zeit dar und schreibt über sie dem Mönche Rusticus unter anderem folgendes: „Die Prophetenschüler, von denen das Alte Testament wie von Mönchen redet, bauten sich an den Ufern des Jordan kleine Hütten, verließen die Gesellschaft und die Stätten der Menschen und lebten von Mais und Kräutern des Feldes.“

In dieser Weise bauten sich auch meine Schüler ihre Hütten am Ufer des Flusses Arduzon, und man meinte eher Einsiedler vor sich zu haben als Jünger der Wissenschaft. Je größer aber der Zulauf von Schülern wurde und je härter die Lebensweise war, die sie meinem Unterricht zuliebe auf sich nahmen, desto ängstlicher sahen meine Nebenbuhler meinen Ruhm wachsen und ihr eigenes Ansehen sinken. Zu ihrem großen Leidwesen mußten sie es erleben, daß alles Böse, das sie mir zugedacht, zu meinem Vorteil ausschlug, und obwohl ich nach dem Wort des Hieronymus fern von dem Treiben der Städte und Märkte, fern von den Händeln der Welt lebte — dennoch fand mich, wie Quintilian sagt, selbst in der Verborgenheit der Neid. Seufzend und klagend sprachen jene zu sich selbst: „Siehe, die ganze Welt läuft ihm nach; nichts haben wir ausgerichtet mit unseren Verfolgungen, ja, wir haben seinen Ruhm nur noch größer gemacht. Wir gedachten, die Leuchte seines Namens zu verlöschen, und wir haben sie nur heller angefacht. In den Städten haben die Schüler alles zur Hand, was sie brauchen, aber auf alle Genüsse menschlicher Kultur verzichtend, strömen sie hinaus in die unwirtliche Einöde und setzen sich freiwillig dem Mangel aus.“

Zu jener Zeit nötigte mich meine drückende Armut, eine regelrechte Schule einzurichten; denn graben mochte ich nicht und schämte mich zu betteln. An Stelle der Handarbeit nahm ich darum, zu meiner eigentlichen Kunst zurückkehrend, die Arbeit des Geistes wieder auf. Gern reichten mir meine Schüler dar, was ich an Nahrung und Kleidung brauchte, sie nahmen mir auch die Bestellung des Feldes und die Errichtung notwendiger Baulichkeiten ab, damit ich durch keine wirtschaftliche Sorge von der Wissenschaft abgezogen würde. Da unsere Kapelle nur den kleinsten Teil der Anwesenden fassen konnte, so vergrößerten sie dieselbe und verwandten zu dem Umbau nunmehr ein besseres Material, nämlich Stein und Holz. Ich hatte die Kapelle einst im Namen der heiligen Dreifaltigkeit gegründet und sie ihr geweiht. Nun aber gab ich ihr den Namen „Paraklet“ (Tröster),[3] in dankbarer Erinnerung an die Wohlthat, die mir einst hier zu teil geworden war: denn an diesem Ort hatte ich, ein schon verzweifelnder Flüchtling, die Gnade des göttlichen Trostes gefunden, hier hatte ich zuerst wieder aufatmen dürfen. Viele Leute erstaunten nicht wenig über diesen Namen; ja einige griffen mich deshalb heftig an und behaupteten, nach altem Herkommen könne man eine Kirche nicht dem heiligen Geist im besonderen weihen, so wenig als Gott dem Vater allein; sondern nur entweder dem Sohn allein oder der ganzen Dreieinigkeit zusammen. Zu diesem Angriff ließen sie sich jedenfalls dadurch verführen, daß sie zwischen den Begriffen „Paraklet“ und „Geist Paraklet“ keinen Unterschied machten. In Wirklichkeit kann ja der Trinität und jeder einzelnen Person der Trinität mit dem gleichen Recht, wie sie Gott oder Helfer genannt wird, auch der Name Paraklet, d. h. Tröster, beigelegt werden — nach dem Wort des Apostels: „Gelobet sei Gott und der Vater unsres Herrn Jesu Christi, der Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes, der uns tröstet in aller unsrer Trübsal“ — und auch nach dem Wort, das die Wahrheit spricht: „Und er soll euch einen andern Tröster geben.“ — Da doch jede Kirche im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes geweiht wird und sie alle drei an dem Besitz gleichen Anteil haben — warum soll man denn nicht auch einmal ein Gotteshaus Gott dem Vater oder dem heiligen Geist im besondern zueignen dürfen, so gut wie dem Sohne? Wer wollte sich erlauben, den Namen dessen, dem das Haus gehört, über dem Eingang zu tilgen? Oder wenn der Sohn sich dem Vater zum Opfer darbringt und demgemäß bei der Messe die Gebete an Gott den Vater besonders gerichtet werden, wie auch er es ist, dem das Opfer gebracht wird: sollte da nicht der Altar ganz im besonderen ihm zu eigen sein, dem doch Gebet wie Opfer gilt? Ist der Altar nicht mit größerem Rechte dem zuzusprechen, welchem geopfert wird als dem, der geopfert wird? Oder wollte jemand behaupten, daß dem Kreuz oder Grab des Erlösers, oder dem heiligen Michael, Johannes, Petrus oder sonst einem Heiligen ein Altar zukomme, da doch weder sie selbst mit einem Opfer irgend etwas zu thun haben, noch auch Gebete an sie gerichtet werden? Auch bei den Heiden wurden nur denjenigen Wesen Altäre oder Tempel zugeeignet, denen man Opfer und göttliche Ehren darbringen wollte. Aber vielleicht möchte jemand glauben, es sei deshalb nicht zulässig, Gott dem Vater Kirchen oder Altäre zu weihen, weil es kein Fest in der Kirche gebe, das zu seiner besonderen Feier eingesetzt wäre. Dieser Grund mag zwar gegen die Trinität angeführt werden, allein in betreff des heiligen Geistes gilt er nicht, denn dieser hat zum Gedächtnis an sein Herabkommen ein eigenes Fest, nämlich Pfingsten, so gut wie der Sohn das Fest seiner Geburt hat. Denn wie einstens der Sohn in die Welt gesandt wurde, so kam der heilige Geist auf die Jünger und hat zum Andenken daran mit Recht sein eigenes Fest. Ja, wenn wir die Meinung der Apostel und die Wirksamkeit des heiligen Geistes genauer ins Auge fassen, so muß es uns natürlicher erscheinen, ihm einen Tempel zu weihen als irgend einer der andern göttlichen Personen. Denn keiner der letzteren schreibt der Apostel ausdrücklich einen geistigen Tempel zu, wie dem heiligen Geist. Denn er spricht nicht von einem Tempel des Vaters oder des Sohnes, wohl aber von einem solchen des heiligen Geistes, wenn er im ersten Korintherbrief sagt: „Wer dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm“ und ferner: „Oder wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, der in euch ist, welchen ihr habt von Gott und seid nicht euer selbst.“ Und wer wollte verkennen, daß die Wohlthat der heiligen Sakramente, welche in der Kirche verwaltet werden, ganz ausdrücklich der Wirkung der göttlichen Gnade d. h. des heiligen Geistes zugeschrieben werden? Aus Wasser und aus Geist werden wir ja in der Taufe wiedergeboren, und erst dadurch wird aus uns ein eigentlicher Tempel Gottes. Und zum vollständigen Ausbau dieses Tempels wird uns in siebenfacher Gnadengabe der heilige Geist zu teil, und so erhält der Tempel Gottes seinen Schmuck und seine Weihe. Was hat es also auf sich, wenn wir dem einen sichtbaren Tempel weihen, welchem der Apostel einen geistigen zuteilt? Oder welcher Person der Dreieinigkeit könnte man mit größerem Recht eine Kirche zueignen, als derjenigen, welcher alle Gnadenwirkungen, die die Kirche vermittelt, vor anderen zugeschrieben werden? — Wenn ich übrigens meiner Kapelle den Namen „Paraklet“ beilegte, so wollte ich sie damit nicht einer der drei göttlichen Personen geweiht haben. Ich habe schon oben gesagt, warum ich sie so genannt habe: nämlich zur Erinnerung an den Trost, den ich hier gefunden. Im übrigen — auch wenn ich das Gotteshaus in jenem anderen Sinn so genannt hätte, wäre dies nicht gegen die Vernunft, sondern nur gegen das gewöhnliche Herkommen gewesen.

Dieses Asyl gewährte zwar meiner Person den Schutz der Verborgenheit, aber Gerüchte über mich durchliefen gerade damals die ganze Welt und ließen sich allerorten hören nach Art jenes Fabelwesens, Echo genannt, das viel Lärm macht und doch ein wesenloses Ding ist. Meine alten Feinde, ihren eigenen Anstrengungen keinen Erfolg mehr zutrauend, erweckten nun zwei neue Apostel gegen mich, denen die Welt großen Glauben schenkte. Der eine von ihnen rühmte sich, dem Leben der regulierten Chorherren, der andere, dem der Mönche einen neuen Aufschwung gegeben zu haben. Diese Menschen liefen predigend in der Welt herum, verketzerten mich mit der Unverfrorenheit, die ihnen eigen war, und machten mich, wenigstens für den Augenblick, bei weltlichen und geistlichen Obrigkeiten verächtlich. Ja, sie sprengten über meinen Glauben und über mein Leben so abenteuerliche Gerüchte aus, daß selbst achtungswerte Freunde sich von mir abwandten und auch diejenigen, welche mir ihre Freundschaft bis auf einen gewissen Grad erhielten, doch aus Furcht vor jenen nicht den Mut hatten, dieselbe irgendwie zu bekennen. Gott ist mein Zeuge: so oft ich vernahm, daß eine Versammlung von Männern der Kirche im Werk sei, fürchtete ich schon, es geschehe zum Zweck meiner Verurteilung. Wie einer, der jeden Augenblick fürchten muß, vom Blitz getroffen zu werden, so wartete ich in dumpfer Angst darauf, daß ich als Ketzer und räudiges Schaf vor ihre Versammlungen und Schulen geschleppt würde. Und in der That — wenn man den Floh mit dem Löwen, die Ameise mit dem Elefanten vergleichen darf — ich wurde damals von meinen Gegnern mit derselben unbarmherzigen Wut verfolgt, wie einst der heilige Athanasius von den Ketzern. Ja oftmals — Gott weiß es — kam ich in meiner Verzweiflung auf den Gedanken, das Gebiet der Christenheit überhaupt zu verlassen und mich zu den Heiden zu wenden, um bei den Feinden Christi in Ruhe christlich zu leben, unter welcher Bedingung es auch sei. Ich sagte mir, sie werden um so eher geneigt sein, mich bei sich aufzunehmen, als mein Christentum ihnen wegen der Verfolgungen, die ich von Christen erlitt, verdächtig erscheinen mußte; vielleicht würden sie aus demselben Grund auch meinen, sie könnten mich zu ihrer Religion bekehren.

Während ich nun unausgesetzt von solchen Seelenängsten gequält wurde, so daß ich als letztes Mittel bereits den Gedanken gefaßt hatte, bei den Feinden Christi eine Zuflucht zu Christus zu suchen: schien sich mir ein Ausweg aus diesen Nöten zu eröffnen, der mich jedoch in Wirklichkeit nur in die Hände von Christen und dazu noch Mönchen führte, die unbändiger und schlechter waren als die Heiden.

In der Bretagne, im Bistum Vannes, lag ein Kloster des St. Gildas von Ruys. Dieses war durch den Tod seines Abtes verwaist, und die einstimmige Wahl der Mönche rief mich mit Genehmigung des Landesfürsten an diese Stelle, womit auch mein Abt und sein Konvent zufrieden waren. So trieb mich die Feindschaft der Franken nach dem Westen, wie einst den Hieronymus die der Römer nach dem Osten. Denn niemals wäre ich, bei Gott, auf jenen Vorschlag eingegangen, wenn ich nicht gehofft hätte, so den fortwährenden Anfeindungen, die ich zu leiden hatte, einigermaßen aus dem Wege zu gehen. Das Land war mir fremd, die Landessprache mir unbekannt, die Lebensweise der dortigen Mönche wegen ihrer Unordentlichkeit und Zuchtlosigkeit weithin berüchtigt, die übrige Bevölkerung roh und unkultiviert. Wie einer, um dem drohenden Todesstreich zu entgehen, in seiner Angst sich in den Abgrund stürzt und so eine Todesart mit der andern vertauscht, nur um eine Sekunde Frist zu gewinnen: so habe ich mich aus einer Gefahr wissentlich in eine andere begeben. Dort wo des Oceans donnernde Wogen am Ufer sich brachen, am Ende der Erde, darüber hinaus es keine Flucht mehr gab, da hab ich, ach, wie oft jenes Gebet wiederholt: „Von den Enden der Erde habe ich zu dir geschrieen, da meine Seele in Ängsten war.“ Ich glaube, es ist niemand verborgen geblieben, wie mich jene zuchtlose Herde von Mönchen, über die ich gesetzt war, Tag und Nacht quälte und ängstete und mich mit allen Gefahren des Leibes und der Seele vertraut machte. Es stand mir zweifellos fest, daß ich mein Leben verwirkt habe, wenn ich sie zu dem kanonischen Leben, dem sie sich doch geweiht hatten, zu zwingen versuchen würde, andererseits war ich zu verdammen, wenn ich in dieser Hinsicht nicht alles that was in meinen Kräften stand. Die Abtei selber hatte der in seiner Macht unbeschränkte Landesfürst, indem er sich die ungeordneten Verhältnisse des Klosters zu nutze machte, so sehr unter seine Botmäßigkeit gebracht, daß er sich die Nutzniesung des gesamten Klostergebietes angeeignet und den Mönchen schwerere Abgaben auferlegt hatte, als selbst die steuerpflichtigen Juden zu entrichten haben.

Die Mönche lagen mir fortwährend mit ihren täglichen Bedürfnissen in den Ohren. Ein Gemeinschaftsbesitz, aus dem man diese Bedürfnisse hätte befriedigen können, war nicht vorhanden, und so unterhielt jeder von seinem beigebrachten Eigentum sich und seine Konkubine mit Söhnen und Töchtern. Es war ihnen ein Vergnügen, mir Verlegenheiten zu bereiten, ja, sie scheuten sich selbst nicht davor, zu stehlen und an sich zu nehmen was sie konnten, damit ich mit der Verwaltung nicht zurechtkäme und so gezwungen wäre, bei der Ausübung der Disciplin ein Auge zuzudrücken, oder ganz von derselben abzusehen. Da aber das ganze Land in seiner Barbarei in der gleichen Gesetz- und Zuchtlosigkeit steckte, so konnte ich mich an niemand um Hilfe wenden; allen stand ich gleich fremd gegenüber. Draußen waren es der Fürst und seine Gefolgschaft, die mich fortwährend bedrängten, drinnen wurde ich unaufhörlich von den Brüdern angefeindet. Das Wort des Apostels: „Draußen Streit, drinnen Furcht“ schien geradezu für mich geschrieben zu sein. Oft quälte ich mich mit dem Gedanken, wie nutzlos und elend mein Leben dahingehe, wie weder ich noch sonst jemand etwas davon habe. Früher hatte ich doch unter meinen Schülern eine große Wirksamkeit geübt, jetzt, nachdem ich sie verlassen hatte und zu den Mönchen gegangen war, war ich weder für diese noch für jene von irgend welchem Nutzen. Fruchtlos und ohne Wert war alles, was ich jetzt begann und versuchte und man konnte mir mit Recht den Vorwurf machen: „Dieser Mensch hob an zu bauen und kann es nicht hinausführen.“ Der Gedanke an das, was ich verlassen und was ich dafür eingetauscht hatte, brachte mich zur Verzweiflung. Meine früheren Mißgeschicke achtete ich für nichts im Vergleich mit der traurigen Gegenwart, und seufzend mußte ich mir oftmals selber sagen: „Ich leide nur, was ich verdient habe; den Parakleten, das ist den Tröster, habe ich verlassen und habe mich der sicheren Trostlosigkeit ausgeliefert; Drohungen fürchtete ich und in offenbare Gefahren habe ich mich hineingestürzt.“ Das aber war mein größter Schmerz, daß in der verlassenen Kapelle jede gottesdienstliche Feier unterbleiben mußte, da die Dürftigkeit jener Gegend kaum für die Bedürfnisse eines Menschen genügte. Allein der wahre Tröster selbst senkte in mein trostloses Herz den echten Trost und sorgte für sein eigenes Haus, wie es sich ziemte.

Es begab sich nämlich, daß der Abt von St. Denis auf jenes Kloster Argenteuil Ansprüche erhob, in welchem Heloise, jetzt vielmehr meine Schwester in Christo als meine Gattin, einst den Schleier genommen hatte. Nachdem er es unter dem Vorwand, daß es von alters her unter die Gerichtsbarkeit von St. Denis gehört habe, an sich gebracht hatte, vertrieb er mit Gewalt den ganzen Konvent der Nonnen, deren Äbtissin meine Freundin gewesen war. Während diese sich nun heimatlos in alle Winde zerstreuten, kam mir der Gedanke, daß der Herr selbst mir hier eine Gelegenheit biete, für mein Oratorium zu sorgen. Ich kehrte nun dorthin zurück und lud Heloise mit den wenigen Nonnen aus ihrer Kongregation, die bei ihr geblieben waren, ein, nach dem Paraklet zu kommen. Hierauf setzte ich sie in den Besitz des Oratoriums mit allem, was dazu gehörte. Und diese Schenkung wurde, dank der Zustimmung und Verwendung des Landesbischof, von Papst Innocenz II. ihnen und ihren Nachfolgerinnen durch ein Privilegium für alle Zeiten bestätigt.

Anfangs zwar führten die Frauen dort ein dürftiges Leben und manchmal wollten sie den Mut verlieren; allein Gott, dem sie in Frömmigkeit dienten, sah barmherzig ihr Elend an und tröstete sie in kurzem; auch ihnen zeigte er sich als der wahre Paraklet und wandte die Herzen der benachbarten Bevölkerung zur Barmherzigkeit und Mildthätigkeit. Und nach Verfluß eines Jahres — Gott mag es bezeugen — waren sie an irdischem Besitz reicher als ich es geworden wäre, wenn ich hundert Jahre dort gelebt hätte. Denn eben weil das weibliche Geschlecht das schwächere ist, regt seine hilflose Lage das menschliche Mitgefühl an, und die Tugend der Frauen ist vor Gott und Menschen um so angenehmer. Gott aber ließ unsere geliebte Schwester, die den anderen vorstand, in aller Augen so viel Gnade finden, daß sie von den Bischöfen wie eine Tochter, von den Äbten wie eine Schwester, von den Laien wie eine Mutter geliebt wurde, und alles rühmte gleicherweise ihre Frömmigkeit, Klugheit und unvergleichliche Sanftmut und Geduld, die sie bei jeder Gelegenheit bewahrte. Selten ließ sie sich in der Öffentlichkeit sehen, um bei geschlossener Thür ungestört dem Gebet und frommer Betrachtung zu leben. Um so begieriger suchten Leute, die in der Welt lebten, die Gelegenheit auf, sie zu sehen und ihre erbaulichen Reden zu genießen.

Die Nachbarn des Klosters machten mir lebhafte Vorwürfe, daß ich für die Bedürfnisse der Nonnen nicht in dem Grade besorgt sei, wie ich könnte und müßte, da ich doch in meiner Predigt ein leichtes Mittel dazu habe; daher besuchte ich sie öfters, um ihnen so viel wie möglich behilflich zu sein. Allein auch so entging ich nicht mißgünstigem Gerede und dem, was die reinste Liebe mich zu thun drängte, legte die Schlechtigkeit meiner Neider die gemeinsten Beweggründe unter; ich sei eben noch immer im Banne sinnlichen Verlangens und könne den Verlust der einstigen Geliebten schwer oder überhaupt nicht verschmerzen. Oft mußte ich da an die Klage des heiligen Hieronymus denken, die er in dem Brief an Asella über falsche Freunde erhebt: „Nichts macht man mir zum Vorwurf als mein Geschlecht und auch das nur, seitdem Paula mit mir nach Jerusalem gegangen ist.“ Ferner sagte er: „Ehe ich in das Haus der frommen Paula kam, war nur eine Stimme des Lobes über mich in der ganzen Stadt; ja, ich war nach dem Urteil aller würdig, das Amt des höchsten Priesters in der Kirche zu bekleiden. Aber ich gedenke trotz guten und schlechten Geredes durchzudringen zum Himmelreich.“ Indem ich mir die Ungerechtigkeit und Verleumdung vorstellte, unter der selbst ein solcher Mann zu leiden hatte, schöpfte ich daraus einen nicht geringen Trost. Ich sagte mir: Wie würde ich schlecht gemacht werden, wenn meine Feinde einen derartigen Verdachtsgrund bei mir ausfindig machen könnten! Nun aber, da Gottes Barmherzigkeit mich von der Möglichkeit solchen Verdachtes befreit hat und mir die Fähigkeit in dieser Hinsicht mich zu vergehen geradezu benommen ist, wie kommt es, daß die Stimme der Verleumdung trotzdem nicht schweigt? Was sollte diese neueste freche Beschuldigung heißen? Der Zustand, in dem ich mich befinde, beseitigt ja doch sonst insgemein jeglichen Argwohn derartiger Ausschreitungen so gründlich, daß wer Frauen in sicherer Aufsicht wissen will, Eunuchen zu diesem Zweck anstellt: so berichtet die heilige Geschichte von Esther und von den anderen Frauen des Ahasverus. Wir lesen auch von jenem vornehmen Schatzmeister der Königin von Candace, daß er ein Eunuch gewesen, zu dessen Bekehrung und Taufe der Apostel Philippus vom Engel des Herrn angewiesen wurde.

Solche Männer standen bei ehrbaren unbescholtenen Frauen von jeher in hohem Ansehen und genossen ihr besonderes Vertrauen, eben weil der Verkehr mit ihnen jeden Verdacht unmöglich machte. Von Origenes, dem größten aller christlichen Philosophen, erzählt die „Kirchengeschichte“ im sechsten Buch, er habe selbst Hand an sich gelegt, um bei dem Unterricht der Frauen, dem er sich widmete, von jeder Verdächtigung verschont zu bleiben. Dabei mußte ich mir sagen, daß es die göttliche Barmherzigkeit mit mir noch besser gemeint habe als mit jenem. Denn bei Origenes kann man der Ansicht sein, daß er im Übereifer gehandelt und so ein schweres Verbrechen an sich selbst verübt habe. Mich dagegen ließ Gott, um mich in ähnlicher Weise wie jenen freizumachen, durch fremde Schuld dasselbe erleben; auch die Schmerzen waren bei mir geringer, da mein Geschick mich so rasch und plötzlich ereilte; wurde ich doch im Schlaf überfallen, so daß ich fast nichts von Schmerz empfand, als man Hand an mich legte. Aber wenn damals mein körperlicher Schmerz verhältnismäßig gering war, so leide ich jetzt um so mehr unter der Verleumdung und der Verlust meines Ruhmes quält mich mehr als der Schaden an meinem Körper. Denn so steht geschrieben: „Ein guter Name ist besser als große Schätze Goldes“ — und der heilige Augustin sagt in einer Predigt über Leben und Sitten des Geistlichen: „Wer im Vertrauen auf sein gutes Gewissen keine Rücksicht auf seinen Ruf nimmt, der ist grausam gegen sich selbst.“ Und weiter oben: „Wir wollen nicht nur vor Gott, sondern auch vor den Menschen rechtschaffen dastehen. Für uns genügt das Zeugnis unseres Gewissens; aber der andern wegen darf unser guter Name nicht befleckt werden, sondern muß fleckenlos bleiben. Gewissen und Ruf sind zweierlei Dinge: an das eine magst du dich halten, an das andere hält sich dein Nächster.“

Aber würden jene Leute mit ihren bösen Zungen selbst Christum oder seine Glieder, die Propheten und Apostel oder sonst die heiligen Väter, verschont haben, wenn sie in jener Zeit gelebt hätten? besonders wenn sie gesehen hätten, wie diese Männer bei unversehrtem Körper gerade mit Frauen im vertrautesten Umgang standen. Auch der heilige Augustin zeigt in seinem Buch „Vom Werk der Mönche“, wie eben die Frauen die unzertrennlichen Begleiterinnen Christi und der Apostel gewesen, und daß sie ihnen überall folgten, wo sie predigend umherwanderten. „In ihrem Gefolge“ — sagte er — „befanden sich gläubige Frauen, die mit den Gütern dieser Welt gesegnet waren, und ihnen von ihrem Überfluß Handreichung thaten, damit sie an dem, was zum Unterhalt des Lebens nötig ist, keinen Mangel litten.“ Und wer es etwa nicht glauben wollte, daß die Apostel sich die Begleitung von frommen Frauen auf ihren Wanderungen haben gefallen lassen, der mag aus dem Evangelium selbst ersehen, wie sie hierin dem Beispiel des Herrn selber folgten. Es steht nämlich im Evangelium zu lesen: „Und es begab sich danach, daß er reisete durch die Städte und Märkte und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes und die Zwölfe mit ihm. Dazu etliche Weiber, die er gesund hatte gemacht von den bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, die da Magdalena heißet, von welcher waren sieben Teufel ausgefahren, und Johanna, das Weib Chusa, des Pflegers Herodis, und Susanna und viel andere, die ihnen Handreichung thaten von ihrer Habe.“ Auch Leo IX. sagt in seiner Erwiderung auf den Brief des Parmenianus „Über das Klosterleben“: „Wir halten durchaus daran fest, daß kein Bischof, Presbyter, Diakon oder Subdiakon unter dem Vorwande der Religion sich der Fürsorge für seine Ehefrau entschlagen darf; und zwar verstehen wir dies so, daß er sie mit Nahrung und Kleidung versorgen, nicht aber geschlechtlichen Umgang mit ihr haben soll.“ So haben es auch die heiligen Apostel gehalten, wie denn Paulus sagt: „Haben wir nicht auch Macht, eine Schwester als Weib mit umherzuführen, wie die Brüder des Herrn und Kephas?“ Thorheit wäre es zu behaupten, er habe gesagt: „Haben wir nicht auch Macht mit einer Schwester in der Ehe zu leben?“ Vielmehr heißt es ‚sie mit herumzuführen‘. Sie sollten also diese Frauen von dem Ertrag ihrer Predigt unterhalten, ohne doch durch das Band ehelichen Verkehrs vereinigt zu sein.

Jener Pharisäer, welcher von dem Herrn im stillen sagte: „Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüßte er, wer und welch ein Weib das ist, die ihn anrühret, denn sie ist eine Sünderin“ — dieser Pharisäer konnte nach menschlichem Urteil viel eher dazu kommen, über Jesus einen schlimmen Verdacht zu fassen, als meine Gegner mir gegenüber Anlaß dazu hatten. Oder wer an die Mutter des Herrn denkt, die dem Jüngling anvertraut wird, und an die Propheten, die so vielfach bei Witwen zu Gaste waren und mit ihnen verkehrten, könnte ja am Ende darin noch viel eher etwas Verdächtiges sehen.

Ja, was hätten meine Neider erst gesagt, wenn sie jenen gefangenen Mönch Malchus, von welchem Hieronymus erzählt, mit seinem Weib unter einem Dach hätten leben sehen. Was hätten sie für ein Geschrei erhoben über eine Sache, von welcher der große Kirchenlehrer mit großer Anerkennung spricht. Nachdem er persönlich sich davon überzeugt hatte, läßt er sich folgendermaßen darüber aus: „Es war da ein hochbetagter Mann, Namens Malchus, in der dortigen Gegend selbst geboren. Eine alte Frau teilte mit ihm seine Wohnung. Beide waren voll religiösen Eifers und wichen nicht von der Schwelle der Kirche; man hätte sie für Zacharias und Elisabeth im Evangelium halten können, nur daß ein Johannes fehlte.“ Warum, frage ich, verleumden jene nicht auch die heiligen Väter, von denen wir so häufig lesen oder auch mit eigenen Augen sehen, daß sie Frauenklöster einrichten und sich in den Dienst derselben stellen — nach dem Beispiel jener sieben ersten Diakonen, welche von den Aposteln an deren eigener Stelle eingesetzt wurden, um für die leiblichen Bedürfnisse der Frauen zu sorgen. Das schwächere Geschlecht ist auf die Hilfe des stärkeren angewiesen. Darum verordnet auch der Apostel, daß der Mann stets des Weibes Haupt sein solle; und des zum Zeichen sollen die Frauen ihr Haupt verhüllt tragen.

Darum bin ich auch nicht wenig erstaunt, daß in den Klöstern diese alten Bräuche längst vergessen sind, sofern man jetzt Äbtissinnen über die Nonnen setzt, wie man für die Mönche Äbte hat und daß beide, Nonnen wie Mönche, auf ein und dieselbe Regel verpflichtet werden, während diese doch manches enthält, was von Frauen niemals eingehalten werden kann, von den Vorgesetzten so wenig wie von den Untergebenen. Vielfach kann man ja sogar die Beobachtung machen, daß das natürliche Verhältnis sich umgekehrt hat und Äbtissinnen und Nonnen über die Kleriker herrschen, von denen das Volk abhängig ist. Je unumschränkter ein solches Weiberregiment ist, desto leichter bietet sich die Gelegenheit, in den Männern unerlaubte Gelüste zu wecken und sie unter einem drückenden Joch zu halten. Darum sagt auch ein satirischer Dichter mit Recht: „Unerträglicher nichts, als Macht in den Händen des Weibes.“

Nachdem ich mich mit solchen Gedanken des öftern beschäftigt hatte, war ich zu dem Entschluß gekommen, für die Schwestern im Paraklet nach Möglichkeit zu sorgen und mich ihrer anzunehmen; auch, da ihre Verehrung für mich groß war, durch persönliche Anwesenheit bei ihnen aufmunternd zu wirken, und auf diese Weise ihren Bedürfnissen mehr Rechnung zu tragen. Gerade damals hatte ich häufiger und heftiger unter der Verfolgung meiner eigenen Söhne zu leiden als in früheren Zeiten unter derjenigen meiner Brüder; und so flüchtete ich mich aus der Drangsal dieses Sturmes zu den Schwestern wie in einen stillen Hafen, um dort ein wenig Atem zu schöpfen. Bei jenen Frauen gedachte ich einigermaßen im Segen zu wirken, der ich an den Mönchen keine Frucht erlebt hatte. Und je notwendiger meine Wirksamkeit ihrer Schwachheit war, desto segensreicher sollte sie für mich selber werden. Aber der Satan hat mir nicht vergönnt, irgendwo zur Ruhe zu kommen und ein menschenwürdiges Dasein zu führen; sondern der Fluch des Kain lastete auf mir: unstet und flüchtig umherzuirren von Ort zu Ort. Ich bin der Mann, den — wie ich schon sagte — „draußen Streit, drinnen Furcht“ unablässig quälen, ja, vielmehr beides zugleich innen und außen Streit und Furcht.

Die Angriffe, die ich von meinen Söhnen zu erleiden habe, sind viel gefährlicher und viel zahlreicher als die meiner Feinde. Denn mit meinen Söhnen muß ich fortwährend leben, und habe mich unausgesetzt ihrer Nachstellungen zu erwehren. Wenn mir mein Feind mit Gewalt nach dem Leben steht, so kann ich die Gefahr bemerken, wenn ich außerhalb des Klosters meines Weges ziehe. Aber im Kloster selber bin ich fortwährend gewaltthätigen wie hinterlistigen Angriffen ausgesetzt, und zwar von seiten meiner eigenen Söhne, d. h. der Mönche, die unter meiner, ihres Abtes, väterlicher Obhut stehen. O wie oft suchten sie mich durch Gift aus dem Weg zu schaffen, wie man es dem heiligen Benedikt bereitet hat. Derselbe Grund, der den heiligen Mann veranlaßt hat, seine Söhne zu verlassen, konnte auch mich dazu treiben, seinem Beispiel zu folgen; denn andernfalls setzte ich mich der sicheren Gefahr aus, und meine Verwegenheit konnte man mir eher als Leichtsinn gegen mich selbst und als ein Gottversuchen auslegen, denn als Liebe zu Gott.

Da ich vor derartigen Nachstellungen, die mir von seiten der Mönche täglich drohten, auf der Hut war so gut ich konnte und namentlich Speise und Trank, die ich zu mir nahm, sorgfältig überwachte, so suchten sie mich sogar während des Hochamts am Altar zu vergiften, indem sie mir Gift in den Kelch mischten. Als ich eines Tages nach Nantes ging, um den Grafen in seiner Krankheit zu besuchen und bei einem meiner leiblichen Brüder zu Gaste war, so versuchten sie, mich durch einen Diener aus meinem eigenen Gefolge vergiften zu lassen, in der Meinung, daß ich auf einen Anschlag von dieser Seite nicht gefaßt sein werde. Allein der Himmel fügte es so, daß ich von der Speise, die man mir vorsetzte, nichts anrührte, während ein Klosterbruder, den ich mitgenommen hatte, ahnungslos davon aß und auf der Stelle tot niederfiel, worauf jener Diener, durch sein Gewissen und durch den unleugbaren Sachverhalt erschreckt, die Flucht ergriff. Da sich die Ruchlosigkeit meiner Mönche so schamlos breit machte, so ergriff ich von jetzt an ganz offen meine Vorsichtsmaßregeln so gut ich konnte: ich entfernte mich aus der Abtei und hielt mich mit wenigen Getreuen in kleinen Zellen auf. Hatten jene in Erfahrung gebracht, daß ich irgend wohin gehen müsse, so stellten sie gedungene Mörder auf meinen Weg, um mich auf die Seite zu schaffen.

Während ich in solchen Gefahren schwebte, traf mich auch noch die Hand des Herrn gar schwer: ich stürzte eines Tages vom Pferd und verletzte mich dabei an den Halswirbeln, und dieser unglückliche Sturz machte mir mehr zu schaffen als meine einstige Verletzung.

Von Zeit zu Zeit versuchte ich der unbändigen Zuchtlosigkeit der Mönche durch die Strafe der Exkommunikation entgegenzutreten, und einige von ihnen, die ich am meisten zu fürchten hatte, brachte ich dazu, daß sie mir durch einen feierlichen Eid vor Zeugen versprachen, die Abtei für immer zu räumen und mich in keiner Weise mehr zu beunruhigen. Allein sie brachen ganz offen und in frechster Weise Wort und Eidschwur und erst als Papst Innocenz selber sich der Sache annahm und einen besonderen Legaten deswegen entsandte, brachte man sie dazu, daß sie in Gegenwart des Grafen und der Bischöfe zu dem alten Versprechen und außerdem zu verschiedenen anderen Bedingungen aufs neue sich eidlich verpflichteten. Aber trotz alledem gaben sie noch immer keine Ruhe. Erst vor kurzem noch, als diese Menschen aus dem Kloster vertrieben waren und ich dahin zurückkehrte, um mich den Brüdern anzuvertrauen, die ich weniger fürchten zu müssen glaubte, mußte ich die traurige Erfahrung machen, daß die Zurückgebliebenen noch schlimmer waren als die anderen. Sie griffen allerdings nicht zum Gift, dafür aber bedrohten sie mein Leben mit dem Schwert, so daß ich mich unter dem Schutz eines angesehenen Herrn mit Mühe und Not rettete. Und selbst jetzt noch schwebt diese Gefahr über mir, und Tag für Tag sehe ich das Schwert über meinem Haupt hängen, so daß ich kaum ruhig bei Tische sitzen kann. Es ging mir wie jenem Mann, der die Macht und die Schätze des Tyrannen Dionysius für das höchste Glück der Erde hielt und durch den Anblick eines Schwertes, das an einem Faden über seinem Haupt hing, darüber belehrt wurde, was es mit dem Glück irdischer Macht für eine Bewandtnis habe. Dieselbe Erfahrung muß ich nun tagtäglich machen, der ich vom unscheinbaren Mönch zu der Würde des Abtes emporgestiegen bin und mit der größeren Ehre nur größere Mühsal mir erkoren habe, auf daß ich denen zum warnenden Beispiel dienen möge, die ihr Ehrgeiz nach hohen Dingen zu streben treibt.

Geliebter Bruder in Christo und altbewährter Freund! Was ich dir bis hierher mitgeteilt habe von der Geschichte meiner Leiden, die mich von der Wiege an ohne Aufhören heimgesucht haben, möge genügen, um dich über dein Mißgeschick zu trösten. Wie ich gleich im Anfang sagte, war es meine Absicht, dich zu der Überzeugung zu bringen, daß dein Leiden im Vergleich zu dem meinigen überhaupt nicht nennenswert oder doch erträglich sei. Je mehr es bei näherer Betrachtung an Schwere verliert, desto geduldiger magst du es tragen und dich trösten mit dem Wort, das Christus seinen Gliedern von den Gliedern des Satans vorausgesagt hat: „Haben sie mich verfolgt, so werden sie euch auch verfolgen. So die Welt euch hasset, so wisset, daß sie mich vor euch gehasset hat. Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb.“ An einer andern Stelle sagt der Apostel: „Alle, die gottselig leben wollen in Christo, müssen Verfolgung leiden.“ Und ferner: „Gedenke ich Menschen zu gefallen? wenn ich den Menschen noch gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht.“ Und der Psalmist sagt: „Die den Menschen gefallen, sind zu Schanden geworden, weil Gott sie verworfen hat.“ In diesem Sinn sagt auch der heilige Hieronymus, der mir die Leiden der Verleumdung als ein besonderes Erbteil hinterlassen zu haben scheint, in seinem Brief an Nepotianus: „Der Apostel schreibt: wenn ich den Menschen noch gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht — er hat aufgehört, den Menschen zu gefallen und ist ein Knecht Christi geworden.“ Derselbe Kirchenlehrer schreibt an Asella in der Schrift über falsche Freunde: „Ich danke meinem Gott, daß ich würdig bin, von der Welt gehaßt zu werden.“ Und an den Mönch Heliodorus: „Du bist sehr im Irrtum, lieber Bruder, wenn du glaubst, daß ein Christ jemals der Verfolgung entgehen werde. Unser Widersacher schleicht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge, und du glaubst an Frieden? Der Feind lauert im Hinterhalt mit den Mächtigen dieser Welt.“

Aus solchen Sprüchen und Beispielen wollen wir Mut schöpfen und das was uns zustößt tragen, je unverdienter es ist, desto mutiger. Wenn unsre Leiden uns nicht zum Verdienst angerechnet werden, so dienen sie doch — so viel ist sicher — zu unserer Läuterung. Und weil doch alles nach Gottes Ratschluß sich vollzieht, so kann sich jeder Gläubige in aller Not wenigstens damit trösten, daß Gottes Güte nichts Unrechtes geschehen läßt und daß er selber alles, was der göttlichen Ordnung widerspricht, zu einem guten Ende führt. Darum ist es gut, in jeder Lebenslage zu sprechen: „Dein Wille geschehe.“

Welch kräftiger Trost für die, so Gott lieben, in dem Wort des Apostels: „Wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum besten dienen.“ Dies meinte auch der Weiseste der Weisen, wenn er im Buch der Sprüche sagt: „Es wird dem Gerechten kein Leid geschehen, was ihm auch widerfahre.“ Damit sagt er deutlich, daß diejenigen vom rechten Pfad abweichen, die sich gegen irgend eine Prüfung auflehnen, von der sie doch wissen, daß Gottes Hand sie ihnen auferlegt. Solche Menschen richten sich nach ihrem eigenen, statt nach Gottes Willen; sie führen wohl das Wort im Munde: „Dein Wille geschehe,“ aber die verborgenen Wünsche ihres Herzens stehen damit im Widerspruch, da sie ihren eigenen Willen über den Willen Gottes setzen. — Lebe wohl!

II. Brief.
Heloise an Abaelard.

(Ihrem Herrn, ja vielmehr Vater; ihrem Gatten, vielmehr Bruder — seine Magd, nein, seine Tochter; seine Gattin, nein seine Schwester; ihrem Abaelard — Heloise.)

Der Brief, den Ihr einem Freund zum Trost geschrieben, innig geliebter Mann, ist vor kurzem durch einen Zufall in meine Hände gekommen. Gleich an den ersten Worten erkannte ich Euch und mit wahrer Gier verschlang ich den Brief; steht doch der Schreiber dieser Worte meinem Herzen so nahe! und habe ich ihn selbst gleich für immer verloren, so sollten doch seine Worte, aus denen sein teures Bild mich ansah, mein Herz erquicken.

Freilich, ich weiß, deine Worte waren voll Galle und Wermut, da du, mein Einziger, die traurige Geschichte unserer Bekehrung und deine endlosen Leiden erzähltest. In der That: du hast gehalten, was du dem Freund im Anfang des Briefes versprochen: er konnte wirklich seine eigenen Beschwerden, wenn er sie mit den deinigen verglich, für nichts oder doch für gering ansehen. Du schilderst die Verfolgungen, die du von seiten deiner Lehrer zu erdulden hattest und die ruchlose Schandthat, die man an deinem Leibe verübt hat, endlich die verabscheuungswürdige Mißgunst und Gehässigkeit deiner eigenen Mitschüler, des Alberich von Reims und Lotulfs, des Lombarden. Du erzählst das traurige Schicksal, das infolge ihrer Verleumdung dein ruhmvolles theologisches Werk ereilte, und wie du selbst zur Kerkerhaft verurteilt wurdest. Alsdann kommst du an die Erzählung von der Tücke deines Abtes und deiner falschen Brüder und von dem schweren Schaden, den dir jene beiden Lügenapostel zufügten, aufgehetzt von den oben genannten Nebenbuhlern, und gedenkst ferner des Ärgernisses, das viele daran nahmen, daß du dein Oratorium gegen das gewöhnliche Herkommen dem Parakleten weihtest. Und endlich beschließest du die Geschichte deiner Leiden mit der Schilderung jener schrecklichen Verfolgungen, die du durch deinen unversöhnlichen Feind und die ruchlosen Mönche, die du deine Söhne nennst, zu erdulden hattest und vor welchen du selbst jetzt noch nicht sicher bist.

Niemand, glaube ich, kann diese traurige Geschichte trockenen Auges lesen oder anhören. Je lebhafter und eingehender deine Schilderungen sind, desto lebhafter ist das Gefühl des Schmerzes, das sie aufs neue in mir weckten; ja, meine Angst wächst noch im Gedanken daran, daß du selber von immer noch wachsenden Gefahren sprichst. So müssen wir denn alle für dein Leben zittern, und mit klopfendem Herzen und bebender Brust Tag für Tag der Trauerbotschaft von deinem Tode gewärtig sein. Darum im Namen dessen, der dich bisher aus allen Gefahren zu seiner Ehre gerettet hat, im Namen Jesu Christi bitten wir dich, du mögest seinen und deinen Dienerinnen durch öftere Nachricht Gewißheit verschaffen über die Stürme, von denen dein Lebensschiff jetzt noch hin- und hergeworfen wird; so wirst du wenigstens an uns, die wir allein dir treu geblieben, Genossinnen deiner Leiden und deiner Freuden haben. Geteilter Schmerz, sagt man ja, ist halber Schmerz, und jede Last wird leichter oder läßt sich ganz vergessen, wenn andere daran mittragen. Und wenn der gegenwärtige Sturm sich ein wenig gelegt hat, dann laß es uns um so früher wissen und solche Botschaft wird uns um so willkommener sein. Im übrigen: was es auch sei, das du uns schreibst, immer werden deine Briefe eine Wohlthat für uns sein schon darum, weil wir daran sehen, daß du unsrer gedenkst. Welche Freude uns Briefe von Freunden in der Ferne bereiten, das bestätigt Seneca aus eigener Erfahrung; in einem Brief an seinen Freund Lucilius heißt es: „Ich bin dir sehr dankbar, daß du mir so fleißig schreibst. Ist dies doch unter den gegebenen Umständen die einzig mögliche Art, dich bei mir einzustellen. Jeder Brief, den ich von dir erhalte, schlingt das Band der Gemeinschaft um uns. Wir erfreuen uns an den Bildern der fernen Freunde, weil die Erinnerung an sie dadurch aufgefrischt wird und weil uns der Anblick des Bildes für die mangelnde Gegenwart derselben ein Ersatz ist, wenngleich ein trügerischer und dürftiger. Wie viel wertvoller müssen uns erst Briefe sein, die uns wirkliche Lebenszeichen von dem abwesenden Freunde geben!“ Gott sei Dank, daß du wenigstens auf diese Weise unter uns weilen kannst, ohne die Verleumdung fürchten zu müssen und ohne auf Hindernisse zu stoßen: darum beschwöre ich dich, du wollest nicht gleichgültig säumen!

Den Freund hast du in einem ausführlichen Brief getröstet und hast ihm deine eigenen Mühsale erzählt, damit er die seinigen vergesse. Während du aber ihn mit der ausführlichen Schilderung deiner Leiden zu trösten suchtest, hast du uns jeder Hoffnung beraubt; während du seine Wunden zu heilen dich bestrebtest, hast du uns neue schmerzliche Wunden geschlagen und die alten noch vertieft. Heile nun, ich bitte dich, wo du selber verletzt hast, der du, was andre verübt haben, gut zu machen bestrebt bist. Deinem Freund und Genossen hast du Genüge gethan und hast ihm den Zoll der Freundschaft und Brüderlichkeit entrichtet: uns gegenüber jedoch bist du noch mehr verpflichtet; denn wir dürfen uns nicht bloß deine Freundinnen, sondern deine Herzensvertrauten, nicht deine Genossinnen, vielmehr deine Töchter nennen, oder wenn es einen anderen Namen giebt, noch süßer, noch heiliger: uns kommt er zu. Wie sehr du aber unser Schuldner bist, dafür braucht es keine Beweise, keine Zeugen; hier ist ein Zweifel nicht möglich, und wenn alle schweigen, die Sache selbst redet laut und deutlich. Du allein bist, nächst Gott, der Gründer dieses Klosters, du allein der Erbauer dieses Oratoriums, du und nur du der Stifter dieser heiligen Gemeinschaft. Nicht auf fremden Grund hast du gebaut. Deine Schöpfung ist alles, was hier ist. Wildnis war ringsumher, nur wilden Tieren oder Räubern eine Zuflucht gewährend; nirgends eine menschliche Wohnung, kein Haus weit und breit. Unter den Lagerstätten des Wildes, bei den Höhlen der Räuber, wo selbst der Name Gottes unbekannt war, hast du das göttliche Tabernakel aufgerichtet und einen Tempel dem heiligen Geist geweiht. Nicht hast du zum Bau desselben Könige und Fürsten um ihre Schätze angegangen, obwohl du sie in reicher Fülle hättest haben können; vielmehr alles was geschah, wolltest du dir allein verdanken. Geistliche und Schüler, die um die Wette hier zusammenströmten, um deinen Unterricht zu genießen, thaten die nötige Handreichung. Leute, die selber auf Kosten der Kirche ihren Unterhalt fristeten, die nicht ans Schenken denken konnten, sondern nur aufs Empfangen angewiesen waren, und welche die Hand nicht zum Geben, sondern nur zum Nehmen offen hatten: die waren jetzt mit Leistungen zur Hand und waren verschwenderisch damit.

Dein also, ja wirklich dein eigen ist diese neue gottgeweihte Pflanzung und das Wachstum ihrer zarten Sprossen erheischt reichliche Bewässerung. Schon infolge der zarten Natur ihres Geschlechts ist es ja eine schwache Pflanzung; sie wäre nicht stark, auch wenn sie nicht so jung wäre. Darum hat sie sorgfältige und vielfache Pflege nötig nach jenem Wort des Apostels: „Ich habe gepflanzt, Apollo hat begossen, aber Gott hat das Gedeihen gegeben.“ Gepflanzt hatte der Apostel und im Glauben begründet durch Lehre und Predigt die Korinther, denen er schrieb. Begossen hatte sie später des Apostels Schüler Apollo mit frommen Mahnungen, und also wurde ihnen durch die göttliche Gnade Wachstum in aller Tugend geschenkt. Den fremden Weinstock, den du nicht gepflanzt und dessen Süßigkeit sich dir in Bitternis verwandelt hat, suchst du vergeblich mit Mahnung und frommer Zurede zu erbauen. Denke doch an deine eigene Pflanzung, der du auf die fremde so viel Sorgfalt verwendest. Du lehrst und mahnst die Empörer und richtest nichts aus. Vergeblich wirfst du die Perlen des göttlichen Worts vor die Säue. Der du für Widerspenstige also viel übrig hast, vergiß nicht, was du denen schuldig bist, die dir gerne gehorchen. Deinen Widersachern schenkst du so reichlich, o gedenke auch deiner Töchter! Um von den Schwestern zu schweigen: wäge selbst die Schuld ab, die du mir gegenüber einzulösen hast, und was du den frommen Frauen allen zusammen schuldest, das entrichte um so gewissenhafter der einen, die ganz und gar dein ist. Die zahlreichen, ausführlichen Schriften der heiligen Väter zur Belehrung, Mahnung und Tröstung frommer Frauen, und die Liebe, mit welcher dieselben geschrieben wurden, sind deinem hohen Wissen besser bekannt als meinem geringen Gedächtnis. Darum hat es mich nicht wenig befremdet, daß du das von dir begonnene Werk unsrer gottgeweihten Lebensgestaltung sobald wieder vergessen konntest. Nicht Gottesfurcht, nicht Liebe zu uns, nicht das Beispiel der heiligen Väter konnte dich bewegen, selber zu mir zu kommen, mich zu trösten oder doch durch Briefe mein unruhiges Herz aufzurichten, das sich in seinem alten Gram verzehrt.

Und doch, du weißt es wohl, daß du mir vor andern verpflichtet bist; ist es doch das heilige Band der Ehe, das uns verbunden hält, und mein Schuldner bist du um so mehr, als ich dich allezeit — wer weiß es nicht? — mit grenzenloser Liebe umfaßt habe. Du weißt es, Geliebter, und die Welt weiß es, was ich in dir verloren habe, und wie jene allgemein bekannte verräterische Schandthat mich so vernichtend getroffen hat wie dich, und daß mich die Art und Weise des Verlustes unendlich tiefer schmerzt als das Unglück selbst. Aber wo viel Grund zum Schmerz vorhanden ist, da müssen auch stärkere Trostmittel angewandt werden. Aber nicht fremden Trostes begehr’ ich, sondern du allein, der du meines Leidens Grund bist, du allein magst mich nun auch trösten. Du allein kannst mich elend machen, du nur mein Herz erfreuen und mich trösten. Und du allein hast auch die Pflicht es zu thun; war ich doch allezeit deinem Willen so blind ergeben, daß ich auf ein Wort von dir mich selbst vernichtet hätte, denn dir zuwider zu handeln, war mir unmöglich.

Aber noch mehr widerfuhr mir, noch Seltsameres; meine Liebe selbst wurde zum Wahnsinn, also daß sie selber auf das, was sie einzig begehrte, verzichtete ohne Hoffnung, es je wieder zu erlangen. Dies geschah damals, als ich deinem Willen gehorsam zugleich mit dem Gewand auch mein Herz zu ändern unternahm, um dir zu zeigen, daß du allein Herr meines Leibes und meiner Seele seist. Nichts habe ich je bei dir gesucht — Gott weiß es — als dich selbst; dich nur begehrt’ ich, nicht das, was dein war. Kein Ehebündnis, keine Morgengabe hab ich erwartet; nicht meine Lust und meinen Willen suchte ich zu befriedigen, sondern den deinen, das weißt du wohl. Mag dir der Name „Gattin“ heiliger und ehrbarer scheinen, mir klang es allzeit reizender, deine „Geliebte“ zu heißen; oder gar — verarg es mir nicht — deine „Buhle“, deine „Dirne“. Je tiefer ich mich um deinetwillen erniedrigte, desto mehr wollte ich dadurch Gnade vor deinen Augen finden, und um so weniger dachte ich auf diese Weise deinem glänzenden Rufe zu schaden. Und du selbst sprichst in jenem Trostbrief an deinen Freund von dieser meiner Gesinnung. Du hast es nicht verschmäht, einige der Gründe anzuführen, mit denen ich versuchte, dir den unseligen Gedanken an ein Ehebündnis auszureden; allein du hast diejenigen fast alle unerwähnt gelassen, die mich bestimmten, die Liebe der Ehe, die Freiheit dem Zwang vorzuziehen. Gott ist mein Zeuge: wollte mich heute der Kaiser, der Herr der Welt, der Ehre seines Ehebetts würdigen und mich für immer über die ganze Welt gebieten lassen: für süßer und würdiger achtete ich’s, deine Buhle zu heißen als seine Kaiserin. Denn der Wert eines Menschen richtet sich ja nicht nach seinem Reichtum und seiner Macht, diese sind Zufall, jener ist Verdienst. Die muß sich ja selbst für eine feile Person halten, die einen Mann seines Goldes wegen einem Armen vorzieht und weniger den Mann selber begehrt als das, was er hat. Gewiß, die Frau, die ein solches Gelüste zur Ehe treibt, sollte man bezahlen, nicht lieben. Denn es liegt ja auf der Hand, daß sie nach dem Besitz verlangt, nicht nach dem Mann, und daß sie sich, wenn sie nur Gelegenheit hätte, einem reicheren Mann noch lieber preisgeben würde. Diesen Sinn hat auch eine philosophische Ausführung der berühmten Aspasia, die sie in einem Gespräch mit Xenophon und seiner Gattin bei Äschines, einem Schüler des Sokrates, vorbrachte. Die Philosophin wollte die beiden Gatten miteinander aussöhnen und schloß ihre Beweisführung mit folgenden Worten: „Sobald ihr es dahin gebracht habt, daß es in der ganzen Welt keinen Mann und kein Weib giebt, besser und auserlesener als ihr, werdet ihr sicherlich das zu erlangen suchen, was ihr für das beste haltet: du wirst die beste Frau haben wollen und sie wird mit dem besten Mann verheiratet sein wollen.“

Wahrlich ein verehrungswürdiger und mehr als philosophischer Ausspruch, der aus der Weisheit selbst, nicht bloß aus der Liebe zur Weisheit stammt! Heiliger Irrtum, selige Täuschung, wo die eheliche Liebe so groß ist, daß eins das andre für vollkommen hält; da wird das Band der Ehe unverletzt erhalten bleiben nicht durch die Keuschheit des Leibs, sondern durch die Einfalt der Seelen. Aber was bei den andern doch immer nur eine Einbildung ist, das habe ich wirklich und wahrhaftig besessen. Denn was andere Frauen in ihre Männer nur hineinlegen, das habe ich, das hat die ganze Welt von dir nicht bloß geglaubt, sondern sicher gewußt, und so ist denn meine Liebe zu dir um so wahrhaftiger, je mehr der Irrtum von ihr ausgeschlossen ist.

Denn wo ist der König oder der Weise, der dir an Ruhm gleichkäme? In welchem Land, in welcher Stadt, in welchem Dorf war man nicht darauf erpicht, dich zu sehen? Wer, frage ich, beeilte sich nicht, dich zu erblicken, wenn du in der Öffentlichkeit erschienst, und zogst du dich zurück, folgte man dir da nicht nach mit gerecktem Hals und unverwandtem Blick? Sehnte sich nicht jede Frau, jedes Mädchen nach dem Abwesenden? Glühten sie nicht alle für dich, wenn du zugegen warst? Welche Fürstin, welche hohe Dame beneidete mich nicht um meine Freuden, um das Lager meiner Liebe?

Ein Zwiefaches war es vor allem, das dir die Herzen aller Frauen unfehlbar gewann: die Gabe der Dichtung und des Gesanges, die man sonst meines Wissens bei Philosophen nicht findet. Bei ihr erholtest du dich wie bei einem Spiel von den Anstrengungen deiner geistigen Arbeit, und eine ganze Anzahl von Gedichten und Liebesweisen sind von dir noch vorhanden, die um ihres schönen Wortlauts und um ihrer lieblichen Melodie willen oft und viel gesungen deinen Namen in aller Munde lebendig erhielten. Schon die Anmut deiner Weisen machte auch ungebildete Leute mit deinem Namen vertraut. Und das vor allem war der Zauber, mit dem du den Frauen Seufzer der Liebe entlocktest. Die große Mehrzahl dieser Gedichte feierte unsere Liebe und so klang mein Name in kurzem weit hinaus in die Lande und weckte in mancher Frau die Eifersucht. Denn welche Gabe des Körpers und des Geistes zierte nicht deine Jugend? Welche Frau, die mich einst beneidete, würde nicht jetzt, da ich solcher Wonne beraubt bin, durch mein Unglück zum Mitleid gestimmt? Wo ist der Mann, die Frau, und wären sie mir einst noch so feind gewesen, die sich jetzt nicht erweichen ließen durch das natürliche Gefühl des Mitleids mit mir?

Ganz schuldig bin ich, und doch auch, du weißt es, ganz und gar schuldlos. Denn nicht die bloße That für sich, sondern die Gemütsverfassung des Thäters muß man in Betracht ziehen, und ein billiger Richter sieht nicht allein darauf, was geschieht, sondern in welcher Gesinnung etwas geschieht. Welche Gesinnung mich aber dir gegenüber allezeit beseelt, das kannst du allein beurteilen, der du’s erfahren hast. Deinem Urteil überlasse ich ruhig alles, deiner Entscheidung füge ich mich in allen Stücken.

Nur das eine sag mir, wenn du kannst: warum du nach meinem Eintritt ins Kloster, der doch nur auf dein Geheiß geschah, mich so ganz vernachlässigt und vergessen hast, daß mir weder die Erquickung des mündlichen Wortes, noch der Trost eines Briefes von deiner Seite zu teil wurde. Warum das? sag an, wenn du kannst, oder ich spreche aus, was ich denke, ja, was jedermann argwöhnt. Ach! Begierde mehr als Freundschaft gesellte dich zu mir, glühende Sinnenlust mehr als Liebe. Nun dahin ist, was du begehrtest, ist auch das Gefühl erloschen, das du einst an den Tag legtest, um dein Ziel zu erreichen. Das, mein Geliebter, ist nicht etwa meine besondere Meinung, sondern alle Welt denkt so.

Wäre es doch nur ein Wahn von mir! Daß es doch eine Rechtfertigung deiner Liebe gäbe, durch die mein Schmerz einigermaßen besänftigt werden könnte! Könnte ich doch Gründe entdecken, dich zu entschuldigen und zugleich mein Elend zu decken!

Höre meine Bitte, ich beschwöre dich! Ihre Erfüllung ist dir ein Geringes und Leichtes. Da ich nun einmal deiner Gegenwart beraubt bin, so laß doch in Worten der Liebe, die dir so reichlich zu Gebote stehen, dein süßes Bild bei mir einkehren! Wie darf ich auf deine Freigebigkeit hoffen, wenn es sich einmal wirklich darum handelt, da du selbst mit deinen Worten geizest. Ich hatte geglaubt, ich hätte mir ein Recht auf deinen Dank erworben, da ich um deinetwillen alles that und bis heute unter deinem Willen stehe. Denn nicht Frömmigkeit, sondern dein Wille allein hat mich in blühender Jugend dem düsteren Klosterleben zugeführt; habe ich dadurch nicht deinen Dank verdient, dann — das mußt du selbst sagen — war mein Opfer vergeblich. Denn von Gott versehe ich mich keines Lohns dafür, da nimmermehr aus Liebe zu ihm geschehen ist, was ich gethan.

Da du bei Gott deine Zuflucht suchtest, bin ich dir gefolgt, nein, vorangeeilt bin ich dir. Als dächtest du an Lots Weib, das sich einst rückwärts wandte, hast du erst mich den Schleier nehmen und das Gelübde ablegen lassen, ehe du selbst dich Gott zum Eigentum weihtest. Mit Schmerz und Scham hat es mich erfüllt, ich sage es offen, daß du mir damals weniger zutrautest als dir selbst. Und doch, bei Gott, ich wäre auf dein Wort ohne Zögern dir in die Hölle vorangeeilt oder gefolgt. Mein Herz war ja nicht mehr mein, ich hatte es an dich verloren. Und wenn es jetzt auch bei dir keine Statt mehr findet, dann hat es überhaupt keine Heimat mehr, denn ohne dich mag es nirgendwo sein. Ach, laß es bei dir geborgen sein, ich bitte dich drum. Und wohlgeborgen wird es bei dir sein, wenn es dich gütig findet, wenn du Liebe mit Liebe vergelten willst, Großes mit Kleinem, Opfer mit Worten. Ach, wärst du, Geliebter, meiner Liebe doch nicht so sicher, du würdest dich mehr darum sorgen! Nun, da ich dich so sicher gemacht, muß ich deine Gleichgültigkeit tragen. Ach, denke dran, was ich für dich gethan habe und vergiß nicht, was du mir schuldest. Als ich des Fleisches Lust in deinen Armen genoß, da konnte man zweifeln, ob Liebe oder Lüsternheit mich dazu treibe. Jetzt aber zeigt ja der Ausgang, was für Gefühle mich einstens geleitet haben. Auf alle Freuden habe ich verzichtet, um deinem Willen zu leben. Nichts habe ich mir zurückbehalten, als den Wunsch, ganz und gar nur dir zu gehören.

Darum bedenke, wie ungerecht du an mir handelst, wenn du mir geringeren Dank entrichtest als ich verdiene, oder wenn du überhaupt nichts für mich übrig hast — zumal da es ja ein Geringes und eine Kleinigkeit für dich ist, was ich verlange. Darum, bei dem Gott, dem du dich zu eigen gegeben, beschwöre ich dich: erfreue mich mit deiner Gegenwart, so gut es geht und laß mir zum Trost wenigstens eine schriftliche Kunde von dir zukommen, damit ich, also gestärkt, mit neuer Freudigkeit dem Dienste Gottes mich weihen möge.

Ach, einstens, da du die Freuden der Welt bei mir suchtest, spartest du deine Briefe nicht, und der Name deiner Heloise, in so manchem Liede gefeiert, war in aller Munde; auf allen Gassen, in jedem Hause erklang er. Wie vielmehr solltest du mich jetzt zur Gottesliebe erwecken, da du mich einst zur Wollust verlocktest!

Bedenke, was du mir schuldest und höre auf meine Bitte. Und so laß mich den langen Brief mit dem kurzen Worte beschließen: Lebe wohl, du mein Ein und Alles!

III. Brief.
Abaelard an Heloise.

(An Heloise, seine geliebte Schwester in Christo — Abaelard, ihr Bruder im Herrn.)

Daß ich seit unserem Rückzuge aus der Welt zu Gott noch keine Worte des Trostes und der Mahnung an dich geschrieben habe, darfst du nicht meiner Gleichgültigkeit zuschreiben, sondern deiner eigenen Verständigkeit, auf welche ich allezeit große Stücke gehalten habe. Ich dachte nicht, daß du es nötig hättest, da dich die göttliche Gnade mit allem, was not thut, überreichlich ausgestattet hat — also, daß du selber die Irrenden durch Wort und Beispiel belehren, die Kleinmütigen trösten, furchtsame Seelen aufrichten kannst; und dieses zu thun, bist du ja schon seit jener Zeit gewöhnt, da du noch einer Äbtissin untergeben warst und das Amt einer Priorin bekleidetest. Wenn du jetzt mit derselben Liebe für deine Töchter besorgt bist, wie ehemals für die Schwestern, so wirst du gewiß allen Ansprüchen genügen und einer Belehrung und Mahnung von meiner Seite wird es dann sicher nicht bedürfen. Wenn du aber in deiner Bescheidenheit anderer Meinung bist und auch in religiösen Dingen meine schriftliche Belehrung nötig zu haben glaubst, so teile mir mit, über welchen Gegenstand du belehrt sein willst und ich werde dir antworten, soweit der Herr mir die Kraft dazu schenkt.

Gott aber sei gedankt, der eurem Herzen die Sorge um die schweren und beständigen Gefahren, denen ich ausgesetzt bin, eingeflößt und euch zu Genossinnen meiner Anfechtungen gemacht hat. So wird Gottes Barmherzigkeit mich um eurer Gebete willen beschützen und bald den Satan unter meine Füße treten. Darum beeile ich mich, dir den Psalter zu schicken, den du so dringend verlangtest, liebe Schwester, einst in der Welt mir so teuer und noch viel teurer jetzt in Christo. Aus ihm magst du zur Sühnung meiner vielen schweren Sünden und zur Abwehr der Gefahren, die mir täglich drohen, dem Herrn ein beständiges Gebetsopfer entrichten.

Wie viel aber bei Gott und seinen Heiligen das Gebet der Gläubigen vermag, insbesondere das Gebet von Frauen für solche, die ihnen lieb sind und dasjenige der Gattinnen für ihre Männer, dafür haben wir viel Zeugnisse und Beispiele. Dies hat auch der Apostel im Auge, wenn er uns mahnt, ohne Unterlaß zu beten. Wir lesen, daß der Herr zu Moses sagte: „Laß mich, daß mein Zorn über sie ergrimme.“ Und zu Jeremia spricht der Herr: „Du sollst für dies Volk nicht bitten und mir nicht widerstehen.“ In diesen Worten gesteht der Herr selbst deutlich zu, daß durch das Gebet der Gerechten seinem Zorn gewissermaßen ein Zügel angelegt werde, damit er nicht in seiner ganzen Schwere über die Sünder komme, wie sie es eigentlich verdienen. Seine Gerechtigkeit treibt ihn unwillkürlich zur Rache, aber die Fürbitte der Frommen stimmt ihn um und nötigt ihn gleichsam gegen seinen Willen, einzuhalten. Und so wird dem, der bittet oder bitten will, gesagt: „Laß mich und widerstehe mir nicht!“ Der Herr verbietet also, daß man für den Gottlosen bete. Allein der Fromme legt Fürbitte ein gegen den Willen Gottes, und wirklich erlangt er von ihm, was er bittet, und hebt den Spruch des erzürnten Richters auf. So heißt es denn weiter von Moses: „Und der Herr ließ sich versöhnen und strafte sein Volk nicht, wie er gesagt hatte.“ An einer andern Stelle heißt es von den Werken Gottes überhaupt: „Er spricht, so geschieht’s.“ Hier aber wird erzählt, Gott habe zwar gesagt, daß sein Volk Strafe verdiene, allein durch die Kraft des Gebetes umgestimmt, habe er seine Drohung nicht ausgeführt.

Erkenne daraus, wie groß die Wirkung des Gebets ist, wenn wir so beten, wie wir sollen: hat doch der Prophet selbst durch ein Gebet, das Gott ihm eigentlich verboten hatte, erreicht was er wollte, und hat den Herrn dadurch von seinem Vorhaben abgebracht.

Ein anderer Prophet sagt zu ihm: „Und wenn du erzürnt bist, so gedenke deiner Barmherzigkeit.“ Das mögen die Fürsten dieser Welt zu Herzen nehmen und danach thun, die so oft unter dem Vorwand der unbeugsamen Gerechtigkeit mehr eigensinnig als gerecht erfunden werden; die nicht barmherzig sein wollen, weil sie fürchten für schwach gehalten zu werden oder für wortbrüchig, wenn sie einen Befehl, den sie erlassen, abändern, eine unüberlegt getroffene Bestimmung nicht ausführen, womit sie doch nur ihre Worte durch ihre Handlungen verbessern würden. Solche Menschen sind wie Jephtha, der die Thorheit seines Gelübdes noch dadurch steigerte, daß er es erfüllte und sein einziges Kind opferte. Wer aber ein Kind Gottes sein will, der spricht mit dem Psalmisten: „Deine Barmherzigkeit und dein Gericht will ich preisen, o Herr.“ — „Die Barmherzigkeit“ — heißt es in der Schrift — „rühmet sich wider das Gericht.“ Aber wohlgemerkt: die heilige Schrift enthält auch die Drohung: „Es wird ein unbarmherziges Gericht über den gehen, der nicht Barmherzigkeit gethan hat.“

So hat auch der königliche Psalmsänger selber auf die Bitte der Gattin Nabals, des Karmeliten, seinen Eid, den er nach dem Recht geschworen hatte, ihren Mann und sein Haus zu vernichten, aus Mitleid rückgängig gemacht. Er hat also das Flehen über die Gerechtigkeit gestellt, und was der Mann verbrochen hatte, wurde durch die Fürbitte der Frau wieder gutgemacht.

Dies, liebe Schwester, möge dir ein Vorbild und eine sichere Bürgschaft sein: wenn schon das Gebet dieses Weibes bei einem Menschen so viel vermochte, so kannst du daraus sehen, wie viel erst deine Fürbitte für mich bei Gott auszurichten vermag. Gott, der unser Vater ist, liebt ja seine Kinder mehr als David jenes bittende Weib liebte. David war ja wohl fromm und barmherzig; Gott aber ist die Liebe und Barmherzigkeit selber. Und jene Frau, die damals ihre Bitte vorbrachte, gehörte der Welt an und weltlichem Volk, und war nicht, wie du, Gott geweiht durch ein heiliges Gelübde. Und sollte dein eigenes Gebet nicht zum Ziele führen, so wird die heilige Schar der Jungfrauen und Witwen, die um dich ist, gewiß das erlangen, wozu dein Gebet allein nicht ausreicht. Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ und weiter: „Wo zwei unter euch eins werden auf Erden, warum es ist, daß sie bitten wollen, das soll ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel.“ Ist hieraus nicht deutlich zu sehen, wie viel das inständige Gebet einer frommen Gemeinschaft bei Gott vermag? Der Apostel sagt: „Das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist“ — wie viel dürfen wir dann erst von dem Gebet einer frommen Gemeinde erwarten?

Aus der 38. Homilie des heiligen Gregor weißt du, geliebte Schwester, wie einem Bruder ganz gegen seinen Willen das Gebet der Mitbrüder mächtig geholfen hat. Deiner Klugheit ist wohl bekannt, was dort erzählt wird: wie der Mann schon in den letzten Zügen lag, wie seine arme Seele mit der Todesangst rang, und wie er in seiner Verzweiflung im Lebensüberdruß die Brüder vom Gebet abhalten wollte. Möge dies Beispiel dir und dem Konvent der frommen Schwestern Mut machen, für mich zu beten, auf daß der mich euch am Leben erhalte, durch den, nach dem Zeugnis des Paulus, „die Weiber haben selbst ihre Toten von der Auferstehung wiedergenommen.“

Schlage die Schriften des alten und neuen Bundes nach und du wirst finden, daß die großen Wunder der Totenerweckung allein oder vornehmlich Frauen zulieb geschehen sind, für sie oder an ihnen bewirkt wurden. Das Alte Testament weiß von zwei Toten, die auf die Bitte ihrer Mütter durch Elias und durch dessen Schüler Elisäus erweckt wurden. Das Evangelium aber erzählt von drei Totenerweckungen, welche der Herr Frauen zuliebe vollzogen hat, und jenes Wort des Apostels, das ich oben angeführt habe, erhält dadurch seine Bestätigung: „Die Weiber haben ihre Toten von der Auferstehung wiedergenommen.“ Den Sohn der Witwe von Nain hat Jesus vor dem Thore der Stadt erweckt und hat ihn, von Mitleid bewegt, seiner Mutter wiedergegeben. Auch Lazarus, seinen Freund, hat er auf die Bitten seiner Schwestern Maria und Martha ins Leben zurückgerufen. Und wenn er dem Töchterlein des Jairus dieselbe Gnade auch auf die Bitte ihres Vaters erwiesen hat, so haben doch auch hier „die Weiber ihre Toten von der Auferstehung wiedergenommen“; denn wie jene den Leichnam der Ihrigen, so erhielt sie ihren eigenen Leib aus den Banden des Todes zurück. Und diese Erweckungen geschahen alle auf die Bitte einer kleinen Anzahl von Leuten. Wenn aber eure ganze fromme Gemeinschaft sich im Gebet für die Erhaltung meines Lebens vereinigt, so wird eure Bitte gewiß erfüllt werden. Je mehr das Gelübde der Armut und Keuschheit, das ihr Gott abgelegt habt, angenehm vor ihm ist, desto geneigter werdet ihr ihn finden. Und vielleicht waren die meisten von denen, welche vom Tod erweckt wurden, nicht einmal Gläubige; wenigstens lesen wir von jener Witwe, der Jesus ihren Sohn erweckte, ohne daß sie darum bat, nicht, daß sie gläubig gewesen sei. Uns aber verbindet miteinander nicht allein die Gemeinschaft des unverfälschten Glaubens, sondern auch ein und dasselbe heilige Gelübde.

Aber ich will von der heiligen Gemeinschaft eures Kollegiums schweigen, in welchem die Schar frommer Jungfrauen und Witwen Gott beständig dient. Ich will allein von dir reden, deren Frömmigkeit gewiß bei Gott viel vermag, und die mir besonders jetzt ihre Hilfe nicht versagen darf, da ich mit so viel Mißgeschick zu kämpfen habe. Gedenke in deinen Gebeten allezeit dessen, der dein ist in ganz besonderem Sinn und wache mit um so größerem Vertrauen im Gebet, als du ja weißt, daß es nur recht und billig ist, was du thust, und daß du dem, zu welchem du flehst, nur um so angenehmer bist um deines Gebetes willen.

Höre mit dem Ohr des Herzens, was du schon so oft mit dem leiblichen Ohr gehört hast. In den Sprüchen steht geschrieben: „Ein fleißiges Weib ist eine Krone ihres Mannes“ und „Wer eine Ehefrau findet, der findet was Gutes und bekommt Wohlgefallen vom Herrn“. Weiter heißt es; „Haus und Güter vererben die Eltern, aber ein vernünftiges Weib kommt vom Herrn“. Der „Prediger“ aber sagt: „Selig der Mann, dem ein gutes Weib beschieden ist“, und bald darauf: „Ein gutes Weib, ein gutes Teil.“ Und die Meinung des Apostels ist: „Der ungläubige Mann ist geheiligt durch ein gläubiges Weib“. Diese Wahrheiten hat die göttliche Gnade gerade in unserer Heimat, im Frankenreich, durch ein glänzendes Beispiel bestätigt. Wurde ja doch der König Chlodwig nicht durch die Predigt der Priester, sondern durch das Gebet seiner Gemahlin dem christlichen Glauben zugeführt; das ganze Reich wurde infolgedessen unter das göttliche Gebot gestellt, und durch das Beispiel der Großen wurden die Unterthanen zur Beharrlichkeit im Gebet veranlaßt.

Zu solcher Ausdauer ladet uns gar dringend das Gleichnis des Herrn ein, in welchem er sagt: „Und ob er nicht aufstehet und giebt ihm darum, daß er sein Freund ist, so wird er doch um seines unverschämten Geilens willen aufstehen und ihm geben, wieviel er bedarf.“ Mit dieser — wenn man so sagen darf — Aufdringlichkeit des Gebetes hat Moses, wie ich oben erwähnt, die Strenge der göttlichen Gerechtigkeit erweicht und Gottes Spruch aufgehoben.

Du weißt es, Geliebte, welche Liebesglut einst euer ganzer Konvent in den Gebeten für mich an den Tag legte, da ich noch unter euch weilte. Jeden Tag pflegtet ihr zum Abschluß der Horen ein besonderes Gebet für mich zu verrichten und zwar so, daß, nachdem Versus und Responsum gesungen war, Gebet und Kollekte sich anschloß in folgendem Wortlaut:

Responsum: „Verlaß mich nicht, o Herr, und weiche nicht von mir.“

Versus: „Sei allzeit zu meiner Hilfe bereit, o Herr.“

Gebet: „Errette deinen Knecht, o mein Gott, denn er harret auf dich. Herr, erhöre mein Gebet, und mein Geschrei komme vor dich.“

Kollekte: „O Gott, der du deine Mägde gewürdigt hast, durch deinen Knecht in deinem Namen vereinigt zu werden, wir bitten dich, laß ihn und uns in deinem Willen beharren. Durch unsern Herrn Jesum Christum.“

Jetzt aber bin ich fern von euch und habe den Beistand eures Gebetes um so nötiger, als die Angst und Gefahr, in der ich schwebe, größer geworden ist. Darum bitte ich euch herzlich und dringend, daß ich gerade jetzt in der Ferne die Wahrhaftigkeit eurer Liebe möge erfahren dürfen; wollet also dem Schluß der Horen noch das folgende besondere Gebet für mich beifügen:

Responsum: „Verlaß mich nicht, o Herr, Vater und Gebieter meines Lebens, auf daß ich nicht falle vor den Augen meiner Feinde, daß sich mein Widersacher nicht freue.“

Versus: „Nimm deine Wehr und Waffen und erhebe dich zu meiner Hilfe, daß mein Feind sich nicht freue.“

Gebet: „Errette deinen Knecht, o mein Gott, denn er harret auf dich. Sende ihm Hilfe, o Herr, von deinem Heiligtum, und gewähre ihm Schutz von Zion. Sei du ihm, o Herr, ein fester Turm, vor dem Antlitz seines Feindes. Herr, erhöre mein Gebet und mein Geschrei komme vor dich.“

Kollekte: „Gott, der du deine Mägde gewürdigt hast, durch deinen Knecht in deinem Namen vereinigt zu werden, wir bitten dich, schütze ihn vor allem Unheil und gieb ihn wohlbehalten deinen Mägden wieder. Durch Jesum Christum unsern Herrn.“

Sollte mich aber der Herr in die Hände meiner Feinde fallen lassen — sei’s daß sie mich überwältigen und töten oder daß ich sonstwie ferne von euch den Weg alles Fleisches gehe — so beschwöre ich euch: lasset meinen Leichnam, wo er auch begraben sei oder liege, in euren Friedhof überführen. Da mögen dann meine Töchter, meine Schwestern in Christo, mein Grab besuchen und dann und wann Gebete für mich zum Himmel schicken. Denn ich wüßte für eine schmerzvolle und ob des Irrtums ihrer Sünden trauernde Seele keinen weihevolleren heilsameren Ort als den, der dem Parakleten, das ist dem Tröster, zum Eigentum geweiht ist und dessen Namen trägt. Auch ruht ein Christ wohl bei keiner gläubigen Gemeinschaft so süß, wie bei gottgeweihten Frauen. Denn Frauen waren einst besorgt um das Begräbnis unseres Herrn und salbten ihn vor und nach seinem Tod mit köstlichen Salben, und sie weinten an seinem Grab, wie geschrieben steht: „Frauen saßen am Grab und weinten und klagten um den Herrn“. Dort wurden sie auch zuerst mit der Kunde von der Auferstehung getröstet, durch die Erscheinung und Ansprache der Engel, und gleich darauf durften sie zu ihrer Freude den Auferstandenen selber sehen und mit Händen berühren, der ihnen zweimal erschien.

Zum Schluß über alles andere die eine Bitte: sorget dereinst mit der gleichen Angst um das Heil meiner Seele, wie ihr jetzt um mein Leben fast allzu ängstlich besorgt seid, und erweiset dem Toten die Liebe, die ihr dem Lebenden nicht versagt habt, indem ihr ihm mit der besondern Hilfe eures Gebets beistehet.

Lebe wohl, du und deine Schwestern, lebet dem Herrn und gedenket mein!

IV. Brief.
Heloise an Abaelard.

(Ihrem Ein und Alles nach Christus die Seinige ganz in Christus.)

Es befremdet mich, teuerster Freund, daß du gegen den sonstigen Gebrauch, ja gegen die natürliche Ordnung der Dinge selbst in der Anrede deines Briefes meine Person vor die deinige zu setzen beliebtest: die Frau vor den Mann, die Gattin vor den Gatten, die Magd vor den Herrn, die Nonne vor den Mönch und Priester, die Diakonisse vor den Abt. Nach gutem Recht und Brauch setzt man den Namen des Briefempfängers vor den eigenen, wenn man an Vorgesetzte oder Gleichstehende schreibt. Schreibt man dagegen an Untergebene, so richtet sich die Reihenfolge der Namen nach derjenigen des Ranges der einzelnen.

Auch das hat uns nicht wenig befremdet, daß du die Angst derjenigen noch vermehrt hast, denen du den Balsam des Trostes hättest reichen sollen, und daß du, statt Thränen zu stillen, Thränen geweckt hast. Denn wer von uns kann mit trockenen Augen anhören, was am Schluß deines Briefes steht: „Falls mich Gott in die Hände meiner Feinde fallen läßt, daß sie mich überwältigen und töten“ u. s. w. O mein Geliebter, wie konntest du so etwas denken und aussprechen! Möge Gott niemals seine Dienerinnen so weit vergessen, daß er sie deinen Tod erleben lasse. Möge er uns nimmermehr ein Leben fristen lassen, das schwerer ist als alle Qualen des Todes. Dir ziemt es, unsere Exequien zu feiern, du mußt Gott unsere Seelen empfehlen und diejenigen zu ihm vorangehen lassen, die du zu einer Gemeinde Gottes vereinigt hast. Von keiner Sorge um sie wirst du dann mehr beunruhigt werden, und um so freudiger wirst du uns nachfolgen, je gewisser du über unser Seelenheil geworden bist.

Verschone uns, ich beschwöre dich, mein Gebieter, mit solchen Worten, die unser Unglück zur Verzweiflung steigern; nimm uns nicht vor dem Tod, was uns das Leben noch möglich macht. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe, und jener Tag, ganz in Bitterkeit gehüllt, wird jedem, dem er anbricht, Angst genug bereiten. „Denn wozu soll man,“ sagt Seneca, „Übel heraufbeschwören und das Leben vor dem Tod verlieren?“

Du bittest darum, mein einzig Geliebter, wir sollen deinen Leichnam, falls du dein Leben fern von uns beschließen solltest, nach unserer Begräbnisstätte überführen lassen, auf daß dir die Gebete, in welchen wir deiner beständig gedenken, eine reiche Frucht des Segens schaffen mögen. Aber wie kannst du glauben, daß dein Andenken überhaupt aus unserm Gedächtnis schwinden könne? Oder wird es dann Zeit zum Gebet sein, wenn die höchste Seelenangst uns ruhelos umtreibt? wenn der Geist die Fähigkeit zum Denken verliert und die Zunge nicht mehr der Rede mächtig sein wird? Wenn das Herz in seinem Wahn sich gegen Gott empört und ihn mit seinem Murren zum Zorn reizt, statt ihn mit Gebeten zu begütigen? Dann werden wir Armen nur noch Thränen haben und kein Wort des Gebetes finden, und wir werden größere Eile haben, dir im Tode nachzufolgen als dich zu bestatten, und wir werden selbst für das Grab reif sein, statt daß wir dich begraben. Da uns mit dir unser Leben verloren geht — wie sollen wir weiter leben, wenn du von uns scheidest? Ach würde es uns erspart, auch nur bis dahin zu leben! Schon der Gedanke an deinen Tod ist so gut wie Tod für uns. Möge Gott nicht zugeben, daß wir am Leben bleiben, um an dir diese Liebespflicht zu erfüllen und diesen letzten Dienst dir zu erweisen, den wir vielmehr von dir erwarten. Darin wollen wir dir vorangehen, nicht folgen!

Darum schone unser, ich beschwöre dich, schone wenigstens derjenigen, die nur in dir lebt; laß uns nicht solche Worte hören, die gleich tödlichen Schwertern durch unsere Seele gehen, also daß was dem Tod vorangeht, schwerer ist als der Tod selbst. Ein kummerschweres Herz findet keine Ruhe und ein geängsteter Geist kann sich nicht wahrhaft mit Gott beschäftigen. Ich bitte dich, mach uns den Dienst des Herrn nicht unmöglich, dem kein anderer als du uns geweiht hat. Wenn uns eine schwere Heimsuchung droht, die unvermeidlich ist, dann möge sie lieber schnell hereinbrechen, damit nicht ein Geschick uns lange vorher mit unnützer Angst quält, das doch durch keine Vorsicht abzuwenden ist. So meint es auch der Dichter, wenn er Gott bittet:

„Plötzlich komme, was du verhängst, und blind für die Zukunft

Bleibe des Menschen Sinn, und Hoffnung lindre die Furcht ihm.“

Aber welche Hoffnung bleibt mir, wenn ich dich verloren habe? Oder was könnte mich dann noch bestimmen, meine irdische Pilgerschaft fortzusetzen, in der ich keinen andern Trost habe als dich. Ja selbst von dir bleibt mir ja nur noch das frohe Bewußtsein, daß du lebst, da die Wonne, die ich einst bei dir fand, dahin ist. Ja, nicht einmal deine Gegenwart ist mir vergönnt, in deren Genuß ich doch von Zeit zu Zeit wenigstens mich wiederfinden könnte.

Ja, wenn’s kein Frevel wäre — wollte ich’s hinausrufen in alle Welt: „O du grausamer Gott, grausam in allen Stücken! O unbarmherzige Barmherzigkeit! O unseliges Geschick!“ Alle seine bitteren Geschosse hat es an mich verschwendet, und es bleibt ihm keines mehr übrig, um gegen andere zu wüten. Seinen ganzen vollen Köcher hat es an mir erschöpft, so daß niemand mehr seine Pfeile zu fürchten braucht. Ja, selbst wenn es noch ein Geschoß übrig hätte, es wäre kein gesunder Fleck an mir, der noch verwundet werden könnte. Nur das eine hat es bei so vielen Wunden zu fürchten, daß mein Tod diesen Qualen ein Ende mache! und obwohl es nicht aufhört, mich zu martern, so fürchtet es sich, daß mein Tod, an welchem es arbeitet, zu schnell herbeikommen möchte!

O ich Elendeste der Elenden! Ich aller Unglücklichen Unglücklichste! Stand ich nicht höher als alle Frauen der Welt, da du mich über alle stelltest? Um so tiefer und schwerer war der Fall, den ich an dir und mir zugleich erleben mußte. Denn je höher einer emporgestiegen, desto tiefer ist der Sturz, wenn er fällt. Gab es unter allen edlen und hohen Frauen eine, deren Glück das meinige überstiegen hätte oder ihm auch nur gleichgekommen wäre? Aber giebt es auch eine, die das Geschick so in die Tiefe gestürzt hat und so mit Leid überschütten konnte? Den höchsten Ruhm hat es mir durch dich gebracht und hat mir das tiefste Elend in dir bereitet. Nicht im Guten, nicht im Bösen hat es Maß gehalten, grenzenlos hat es mir beides beschert. Nur um mich zur elendesten aller Frauen zu machen, hat es mich vorher so glücklich gemacht, damit ich im Gedanken an das Verlorene desto lauter klagen sollte, je schwerer ich geschädigt worden war. Der Verlust sollte mich um so mehr schmerzen, je teurer mir der Besitz gewesen war. Und das Ende der höchsten Lust und Wonne sollte die tiefste Trauer sein.

Ja, um uns noch mehr zu reizen, wurden alle Gebote der Gerechtigkeit an uns in Ungerechtigkeit verwandelt. Denn so lange wir sorglos die Freuden der Liebe genossen und, um ein stärkeres aber bezeichnenderes Wort zu gebrauchen, der Buhlerei uns hingaben, so lange hat Gott seine Strenge nicht gegen uns angewandt. Als wir aber an Stelle der verbotenen Liebe die erlaubte setzten und das Anstößige unseres freien Liebesverkehrs durch ein ehrbares Ehebündnis gedeckt hatten, da erst hat uns der Herr in seinem Grimm seine gewaltige Hand fühlen lassen, und das reine Ehebett fand keine Gnade vor dem, der das befleckte vorher so lange geduldet hatte.

Für Männer, die man im Ehebruch betroffen hätte, wäre die Strafe hart genug gewesen, die dich ereilt hat. Was andere durch das Vergehen des Ehebruchs verdienen, das hast du infolge deiner rechtmäßigen Ehe erlitten, durch welche du alle Sünden glaubtest gebüßt zu haben. Was Buhlerinnen ihren Mitschuldigen zuziehen sollten, das hat deine Gattin über dich gebracht. Unser Geschick hat uns auch nicht ereilt, so lange wir in den alten Genüssen schwelgten; vielmehr lebten wir ja gerade damals in keuscher Trennung voneinander: du hieltest in Paris deine Schule, ich lebte auf deinen Wunsch unter den Nonnen zu Argenteuil. So hatten wir unsere Gemeinschaft aufgehoben, damit du desto eifriger dem Unterricht obliegen könntest, ich um so ungestörter dem Gebet und frommer Betrachtung mich widmete, und während wir keuscher und darum unsträflicher lebten als sonst, hast du an deinem Leib die Schuld allein bezahlt, die wir beide gemeinsam begangen hatten. Schuldig waren wir beide, gestraft wurdest nur du; du, der weniger schuldig war, hast die ganze Strafe getragen. Du hattest aller Gerechtigkeit genug gethan, da du dich um meinetwillen erniedrigtest, mich aber und mein ganzes Geschlecht zu dir emporhobst, um so weniger durftest du Strafe fürchten von Gott oder gar von den Verrätern, denen du zum Opfer gefallen bist.

Ich Unselige! mußte ich geboren werden, um die Ursache eines solchen Verbrechens zu werden? Daß doch den größten Männern allezeit von Frauen das tiefste Verderben droht! Darum steht auch in den Sprüchen die Warnung vor den Weibern: „Mein Sohn, höre mich und merke auf die Worte meines Mundes: laß dein Herz nicht weichen auf ihren Weg und laß dich nicht verführen auf ihrer Bahn. Denn sie hat viele verwundet und gefället und sind allerlei Mächtige von ihr erwürget. Ihr Haus sind Wege zur Hölle, da man hinunterfährt in des Todes Kammer.“ Und im „Prediger“ heißt es: „Ich habe alle Dinge durchforscht in meinem Geist und fand, daß ein solches Weib, welches Herz Netz und Strick ist und ihre Hände Bande sind, bitterer sei, denn der Tod. Wer Gott gefällt, der wird ihr entrinnen; aber der Sünder wird durch sie gefangen.“

Schon das erste Weib im Paradies hat den Mann verführt und während sie ihm von Gott zur Gehilfin geschaffen war, ist sie ihm zum größten Fluch geworden.

Der starke Simson, der durch das Nasiräergelübde dem Herrn geweiht war und dessen Geburt seiner Mutter durch einen Engel verkündigt wurde — Delila allein hat ihn überwunden, sie war es, die ihn seinen Feinden in die Hände lieferte; sie war schuld daran, daß er des Augenlichtes beraubt, endlich in wildem Schmerz sich und seine Feinde unter den Trümmern des Tempels begraben hat.

Salomo, aller Weisen Weisester, wurde allein durch das Weib, mit dem er sich verbunden hatte, zum Thoren. Durch sie verlor er so gänzlich seinen Verstand, daß er, den doch der Herr zum Erbauer seines Tempels auserlesen hatte, während der fromme David, Salomos Vater, nicht dazu gewürdigt worden war, bis an sein Lebensende zum Götzendienst sich verleiten ließ und von dem wahren Gott, den er in Wort und Schrift predigte und lehrte, abfiel.

Der fromme Hiob hatte den letzten und härtesten Kampf mit seinem Weibe zu bestehen, die ihn dazu verleiten wollte, Gott zu fluchen. Der schlaue Versucher wußte wohl — er hatte es zu oft erprobt — daß die Männer am leichtesten durch ihre Frauen zu Fall kommen.

So hat er denn seine gewohnte Teufelei auch auf uns angewandt und hat dich durch die Ehe zu Fall gebracht, da er dich durch die verbotene Liebe nicht verderben konnte. Das Schlechte hatte er nicht zu unserem Schaden ausnützen dürfen, darum wirkte er aus dem Guten Schlechtes.

Gott aber sei Dank wenigstens dafür, daß mich der Versucher nicht wie die genannten Frauen mit meiner Zustimmung schuldig werden lassen durfte, wenn schon er meine Liebe als Werkzeug für seine Bosheit benutzt hat. Und doch, wenn ich auch in diesem Punkt ein reines Gewissen habe und mich keine Schuld an jenem Verbrechen trifft, so habe ich doch vorher so viele Sünden begangen, daß ich mich auch nicht ganz von der Schuld an diesem Vergehen freizusprechen wage.

Denn lange vorher schon hatte ich den Lockungen fleischlicher Lüste nachgegeben; schon damals hätte ich verdient, was ich jetzt leide und das Geschick, das mich später ereilte, ist die gerechte Strafe für meine früheren Sünden. Hat man schlimm angefangen, so muß man sich auch auf einen schlimmen Ausgang gefaßt machen. Ja, könnte ich nur wenigstens recht ernstlich bereuen, was ich gethan! Könnte ich durch anhaltende Reue und Zerknirschung die schreckliche Wunde, die man dir geschlagen hat, nur einigermaßen gut machen. Den Schmerz, den du einen Augenblick lang an deinem Körper aushalten mußtest — wie gerne wollte ich ihn — es wäre ja nur recht und billig — mein ganzes Leben lang in meinem trauernden Herzen tragen und so, wenn nicht Gott, doch wenigstens dir Genugthuung leisten.

Allein, laß mich die ganze Schwachheit meines geängsteten Herzens bekennen: ich finde in mir nicht die Kraft einer wahren Reue, mit der ich Gott versöhnen könnte; ja, ich muß ihn vielmehr ob jener ungerechten Heimsuchung der höchsten Grausamkeit zeihen, ich murre wider seine Fügung und reize ihn durch meine Widerspenstigkeit zum Zorn, statt ihn durch aufrichtige Bußfertigkeit zu begütigen. Denn mag man den Leib noch so sehr kasteien: kann man da von wahrer Reue sprechen, wo das Herz an der Lust zur Sünde noch festhält und nach den alten Genüssen noch immer glühend verlangt? Es ist wohl leicht, seine Sünden zu bekennen und sich selber anzuklagen, oder dem Leib durch äußerliche Bußübung wehe zu thun; aber schwer, unendlich schwer ist es, das Herz loszureißen von der Sehnsucht nach den süßesten Genüssen. Darum, wenn der fromme Hiob sagt: „Ich will meine Klage bei mir gehen lassen!“ d. h. ich will meinen Mund öffnen und mich frei und offen meiner Sünden anklagen — so fügt er mit Recht alsbald hinzu: „Ich will reden von Betrübnis meiner Seele“. Der heilige Gregorius erklärt diese Worte also: „Es giebt Leute, die mit lauter Stimme ihre Sünden bekennen; aber ihr Sündenbekenntnis entlockt ihnen keinen Seufzer, und mit fröhlicher Miene sprechen sie Dinge aus, über die sie weinen sollten.“ So ist es denn nicht damit gethan, daß man seine Sünden verurteilt und bekennt, sondern man muß sie in der Betrübnis seiner Seele bekennen, und diese Betrübnis muß eben die Strafe sein für die Sünden, welche die vom Gewissen geleitete Zunge bekennt.

Aber wie selten dieses bittere Gefühl wahrer Reue sich finde, das spricht der heilige Ambrosius aus in dem Satz: „Ich habe mehr Leute kennen gelernt, die ihre Unschuld unverletzt bewahrt als solche, die Buße gethan haben“. Ich fand in den Freuden der Liebe, die wir miteinander genossen, so viel Wonne, daß sie noch jetzt ihren Reiz für mich haben und mich der Gedanke daran kaum verläßt. Wohin ich mich wende, immer stehen sie mir vor Augen und wecken sehnsüchtiges Verlangen. Bis in meinen Schlummer verfolgen mich die lockenden Phantasien. Mitten im feierlichen Hochamt, wo das Gebet reiner zu Gott sich erheben soll als sonst, wird mein armes Herz so ganz von jenen wohllüstigen Gebilden eingenommen, daß ich nur für ihre Lüsternheiten Gedanken habe, nicht für das Gebet. Ich sollte über meine Sünden weinen und ich seufze nach dem, was ich verloren.

Und nicht allein was wir gethan steht lebendig vor meiner Seele; nein, auch die Orte, die Stunden, in denen wir gesündigt, haben sich so fest meinem Herzen eingeprägt, daß ich immer wieder aufs neue alles mit dir durchlebe und auch im Schlaf keine Ruhe finden kann. Dann und wann verrät eine unwillkürliche Bewegung des Körpers meines Herzens Gedanken oder ein Wort, das sich mir wider Willen auf die Lippen drängt. O gewiß, mein Elend ist groß! und ich darf wohl einstimmen in die Klage eines bangen Herzens: „Ich unglückseliger Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ O könnte ich auch die darauffolgenden Worte aus vollem Herzen nachsprechen: „Ich danke Gott durch Jesum Christum, unsern Herrn.“

Dir, mein Geliebter, ist die göttliche Gnade entgegengekommen und hat dich auf einmal von all diesen Anfechtungen befreit, durch eine körperliche Wunde hat sie dich aller Seelenleiden enthoben, und wo Gott es böse mit dir zu machen schien, gerade darin hat sich seine Güte gegen dich gezeigt: nach Art eines guten Arztes, der, um zu heilen, den Schmerz nicht erspart. Bei mir dagegen werden die Reizungen des Fleisches, die Begierde nach Genuß noch verschärft durch die Glut meines jungen Blutes und durch die Erinnerung an die wonnigen Genüsse, die ich einst gekostet habe. Und je schwächer die Natur ist, der der Angriff gilt, desto leichter erliege ich dem Ansturm der Leidenschaften. Man nennt mich keusch, weil man nicht weiß, daß alles nur Schein ist. Man rechnet mir die Reinheit des Fleisches als Tugend an, aber nicht Reinheit des Leibes, sondern Keuschheit der Seele ist Tugend! Menschen rühmen mich, vor Gott aber, der Herzen und Nieren prüft und ins Verborgene siehet, habe ich kein Verdienst. Man nennt mich fromm zu einer Zeit, in der nur der geringste Teil der Frömmigkeit nicht Heuchelei ist; wo der am meisten gelobt wird, der niemand vor den Kopf stößt.

Es ist ja wohl lobenswert und vor Gott gewiß angenehm, wenn jemand, was für eine Gesinnung er sonst habe, nicht durch seine Handlungen ein schlechtes Beispiel giebt und der Kirche Ärgernis dadurch bereitet, oder wenn er sich davor hütet, daß nicht um seinetwillen der Name Gottes gelästert werde unter den Heiden oder daß er den Kindern der Welt keinen Anlaß gebe, seinen heiligen Stand zu verunglimpfen. Aber auch das ist eigentlich nur ein Geschenk der göttlichen Gnade; von ihr allein kommt uns die Kraft, das Gute zu thun und das Böse zu lassen. Vergeblich aber ist es, das erstere zu thun, wenn das andere nicht auch geschieht; denn es steht geschrieben: „Wende dich ab vom Bösen und thue das Gute.“ Und beides ist wiederum vergeblich, wenn uns nicht die Liebe Gottes dazu treibt.

Ich aber habe — Gott weiß es — jederzeit mich mehr davor gescheut, dich zu beleidigen als Gott. Du bist es, dem ich gefallen will, nicht Gott. Dein Befehl hat mich zur Nonne gemacht, nicht die Liebe zu Gott. Ach sieh mein Unglück an, führe ich nicht das jammerwürdigste Leben, wenn das alles, was ich leide, umsonst ist und kein Dank in der Zukunft mich erwartet? Auch du hast dich, gleich vielen anderen, durch den Schein betrügen lassen und hast meine Heuchelei für Frömmigkeit gehalten. Darum empfiehlst du dich so dringend für mein Gebet und verlangst von mir, was ich von dir erwarte. Ich beschwöre dich, du wollest keine so hohe Meinung von mir haben und nicht aufhören, deinerseits für mich zu beten. Halte mich nicht für gesund, damit du mir nicht die Wohlthat deiner Arznei entziehest. Glaube nicht, ich brauche nichts und zögere nicht, mir in meiner Not zu helfen. Denke nicht, ich sei stark: ich möchte sonst stürzen, ehe du mich halten könntest. Vielen hat schon falsches Lob Schaden gebracht und ihnen die Stütze genommen, die sie brauchten. Durch den Mund des Jesaias ruft der Herr: „Mein Volk, deine Tröster verführen dich und zerstören den Weg, den du gehen sollst“. Und bei Ezechiel heißt es: „Wehe euch, die ihr Kissen machet den Leuten unter die Arme und Pfühle zu den Häuptern, beides Jungen und Alten, die Seele zu fahen“.

Dagegen finden wir bei Salomo den Spruch: „Die Worte der Weisen sind Spieße und tief eingeschlagene Nägel, die nicht die Haut ritzen, sondern tiefe Wunden reißen.“

Ich bitte dich, höre auf mich zu loben, damit du nicht den Vorwurf niedriger Schmeichelei dir zuziehest oder des Vergehens der Lüge dich schuldig machest. Oder wenn du wirklich glaubst, daß etwas Gutes an mir sei, so gieb acht, daß nicht das, was du an mir lobst durch den giftigen Hauch der Eitelkeit zu nichte werde. Kein erfahrener Arzt beurteilt eine innere Krankheit bloß nach dem Befund des äußerlichen Zustandes eines Kranken. Leistungen, welche Verworfene so gut aufweisen können wie Auserwählte, haben vor Gottes Augen keinen Wert. Derart sind aber die äußerlichen guten Werke und keiner der Heiligen ist so eifrig darauf bedacht, wie die Heuchler. „Es ist das Herz ein trotziges und verzagtes Ding, wer kann es ergründen?“ Ferner: „Es gefällt manchem ein Weg wohl; aber endlich bringt er ihn zum Tode“. — „Der Mensch soll nicht voreilig über Dinge urteilen, die allein dem Urteil Gottes vorbehalten sind.“ Darum steht auch geschrieben: „Man soll keinen Menschen loben, so lange er lebt“. Das ist so viel als: lobe keinen Menschen, weil zu fürchten steht, daß du ihn durch dein Lob weniger lobenswert machest.

Für mich selber ist ein Lob von dir um so gefährlicher, je angenehmer es mir ist; und es klingt mir um so verführerischer und schmeichlerischer ins Ohr, weil ich dir in allem gefallen möchte. Ich bitte dich: laß allezeit deine Furcht um mich größer sein als das Vertrauen, das du auf mich setzest, damit mir stets deine fürsorgende Hilfe zur Seite stehe. Und jetzt hast du ganz besonderen Grund, für mich zu fürchten, weil mein sinnliches Verlangen bei dir keine Befriedigung mehr finden kann. Sage mir nicht: „Die Kraft ist in den Schwachen mächtig“ oder: „Niemand wird gekrönt, er kämpfe denn recht“. Ich verlange keine Siegeskrone; es ist mir genug, wenn ich der Gefahr entgehe. Es ist leichter, der Gefahr aus dem Wege zu gehen als den Kampf aufzunehmen. Welchen Winkel seines Himmels Gott mir anweisen will — ich werde zufrieden sein. Dort wird keiner den andern beneiden, jeder wird mit dem was er hat, sich begnügen. Um diese meine Ansicht durch das Gewicht einer Autorität zu stützen, will ich das Wort des heiligen Hieronymus anführen: „Ich gestehe meine Schwachheit ein, ich will nicht kämpfen in der Hoffnung auf Sieg, damit ich des Sieges nicht verlustig gehe.“ Sollten wir sicheres aufgeben und Unsicherem nachjagen?

V. Brief.
Abaelard an Heloise.

(An die Braut Christi — der Knecht Christi.)

Dein letzter Brief zerfällt, so viel ich mich erinnere, der Hauptsache nach in vier Abschnitte, in welchen du deinem Schmerz Ausdruck giebst. Fürs erste klagst du darüber, daß in der Anrede meines Briefes dein Name vor den meinigen gesetzt sei, was in Briefen sonst nicht üblich sei und sogar der natürlichen Ordnung der Dinge widerspreche. Zum zweiten beklagst du dich darüber, daß ich eure Seelenangst vermehrt habe, statt euch Trost zu bringen, daß ich, statt Thränen zu stillen, solche geweckt habe durch jenes Wort in meinem Brief: „Falls mich Gott in die Hände meiner Feinde fallen läßt“ u. s. w. Zum dritten wiederholst du jene alte Klage gegen Gott über die Art und Weise unserer Bekehrung und über den ruchlosen Verrat, dem ich zum Opfer gefallen bin. Endlich erhebst du im Gegensatz zu dem Lob, das ich dir gespendet, eine Anklage wider dich selbst und bittest mich dringend, ich solle in Zukunft keine so hohe Meinung mehr von dir haben.

Ich will dir nun auf jeden einzelnen dieser Punkte antworten, nicht um mich zu entschuldigen, sondern um dich zu belehren und aufzurichten, und ich denke du wirst meinen Forderungen um so bereitwilliger Gehör schenken, je mehr du einsehen lernst, wie berechtigt sie sind. Du wirst die Wünsche, die ich in Beziehung auf deine Person ausspreche, um so lieber erfüllen als du finden wirst, daß ich mit denselben nur recht habe, und du wirst um so weniger geneigt sein, meinen Rat gering zu achten, je weniger tadelnswert ich dir erscheine.

Was nun zunächst die, wie du meinst, verkehrte Reihenfolge der Namen in der Anrede meines Briefes betrifft, so stimmt dieselbe, wenn du näher zusiehst, mit deiner eigenen Ansicht überein. Sagst du doch selbst in deinem Brief — und niemand bezweifelt dies — daß, wenn man an Höhergestellte schreibt, die Namen derselben vorangestellt werden. Bedenke, daß du über mir stehst seit der Zeit, da du als die Braut Gottes meine Herrin geworden bist, wie auch der heilige Hieronymus an Eustochium schreibt: „Darum schreibe ich: meine Herrin. Denn Herrin muß ich nennen die Verlobte meines Herrn“.

Glücklicher Tausch des Ehebundes, der dich, einstmals die Gattin eines armen elenden Menschen, nun in das Brautgemach des Königs aller Könige erhebt und dich durch diese hohe Ehre nicht allein über deinen bisherigen Gatten, sondern über alle Knechte dieses Königs setzt. Darum wundere dich nicht, wenn ich mich für Leben und Sterben in den Schutz deines Gebetes befehle; denn nach dem allgemeinen Recht gilt ja bei den Herren des Hauses die Fürsprache der Ehefrau mehr als diejenige des Gesindes, die Herrin mehr als die Knechte. Als das Urbild solcher Frauen wird uns jene Königin und Braut des höchsten Königs beschrieben, wenn es im Psalm heißt: „Die Braut steht zu deiner Rechten“. Weiter ausgeführt will dies besagen: „Sie steht mit ihm in trautem Verein Seite an Seite und schreitet neben ihm einher, während alle anderen in ehrfurchtsvoller Ferne stehen oder nachfolgen.“

Der Freude über dieses hohe Vorrecht giebt die Braut im Hohenlied, jene Äthiopierin, in den Worten Ausdruck: „Ich bin schwarz, aber gar lieblich, ihr Töchter Jerusalems; darum hat mich der König geliebt und in seine Kammer geführt“. Und weiter: „Sehet mich nicht an, daß ich so schwarz bin, denn die Sonne hat mich so verbrannt“. Diese Worte beziehen sich im allgemeinen auf die beschauliche Seele, die im besonderen die Braut Christi genannt wird; aber noch deutlicher bezeugt es das Gewand, das ihr traget, daß die Worte auf euch sich beziehen. Denn die Tracht eurer schwarzen Gewänder aus grobem Stoff, ähnlich dem Trauergewand der frommen Witwen, welche um die Männer, die sie geliebt hatten, trauern, bezeugt, daß ihr nach dem Wort des Apostels rechte, untröstliche Witwen in dieser Welt seid, die von den Almosen der Kirche leben. Von der Trauer solcher Witwen um ihren Bräutigam am Kreuz spricht die Schrift, wenn sie sagt: „Frauen saßen am Grab und klagten und weinten um den Herrn.“

Die Äthiopierin erscheint äußerlich allerdings von schwarzer Farbe und der oberflächlichen Betrachtung mag sie häßlicher scheinen als andere Frauen. Aber an inneren Vorzügen steht sie ihnen nicht nach; ja einiges an ihr ist sogar schöner und weißer als bei den andern, z. B. ihre Knochen und ihre Zähne. Die weiße Farbe der letzteren wird ja auch von ihrem Geliebten gefeiert, welcher sagt: „Und ihre Zähne sind weißer als Milch“. Sie ist also äußerlich angesehen schwarz, im Innern aber lieblich und schön. Denn die vielfachen Widerwärtigkeiten und Anfechtungen dieses Lebens haben ihren Körper angegriffen und lassen ihn äußerlich schwarz erscheinen; sagt doch auch der Apostel: „Alle, die gottselig leben wollen in Christo Jesu, müssen Verfolgung leiden“. Wie nämlich durch die weiße Farbe das Glück bezeichnet wird, ebenso passend kann man Schwarz als Symbol des Unglücks ansehen. Im Innern aber, gleichsam an den Gebeinen, ist sie weiß, weil ihre Seele an allen Tugenden reich ist, wie geschrieben steht, „des Königs Tochter ist inwendig ganz herrlich“. Denn die Gebeine, welche im Innern sind und nach außen von Fleisch umgeben werden, bilden die Kraft und Stärke eben des Fleisches, welches sie stützen und tragen und stellen so in einem anschaulichen Bilde die menschliche Seele dar, welche den Körper, in dem sie wohnt, belebt, aufrecht erhält, bewegt und lenkt und ihre Kraft ihm mitteilt. Ihre Weiße und Schönheit sind die Tugenden, mit denen sie sich schmückt. Äußerlich angesehen ist freilich auch sie von schwarzer Farbe, denn während ihrer Pilgerfahrt hienieden in der Fremde hält sie sich unscheinbar und gering, bis sie dereinst in jenem andern Leben, das mit Christus in Gott verborgen ist, in ihre Herrlichkeit eingesetzt wird, wenn sie die Heimat erreicht hat. Die Sonne der Wahrheit aber verfärbt sie, wenn die Liebe ihres himmlischen Bräutigams sie demütigt und mit schmerzlichen Anfechtungen heimsucht, damit sie ihres Glückes sich nicht überhebe.

Die Sonne verfärbt sie, d. h. so viel als: sie macht sie den anderen Frauen unähnlich, die nur auf irdisches Gut bedacht sind und nach weltlichem Ansehen geizen, so wird sie durch ihre Demut in Wahrheit die Lilie im Thale, nicht eine Lilie der Berge wie jene thörichten Jungfrauen, welche auf ihre fleischliche Reinheit und äußerliche Keuschheit eitel sind, in ihrem Innern aber von glühenden Begierden verzehrt werden.

Mit gutem Recht aber redet sie die Töchter Jerusalems, d. h. die im Glauben Schwachen — daher sie Töchter heißen, nicht Söhne — mit den Worten an: „Sehet mich nicht an, daß ich so schwarz bin, denn die Sonne hat mich so verbrannt“. Mit diesen Worten will sie sagen: „daß ich mich demütige und alle Widerwärtigkeiten so männlich trage, ist nicht mein Verdienst, sondern das Gnadengeschenk dessen, dem ich diene“. Ganz anders die Häretiker und die Heuchler: vor dem Angesicht der Menschen pflegen sie sich gar demütig zu gebärden und sich viel unnütze Lasten aufzulegen. Eine solche Demut und Selbstpeinigung kann nur unsern Widerwillen erregen; denn diese Menschen sind ja bedauernswerter als alle anderen, da sie weder die Güter dieses Lebens, noch die des zukünftigen genießen. Im Hinblick darauf sagt die Braut: „Wundert euch nicht, daß ich also thue“. Wundern muß man sich vielmehr über diejenigen, welche vergeblich glühend von Begierde nach irdischen Ruhm sich doch alle irdischen Güter vorenthalten, und die darum hienieden so elend sind wie einst im Jenseits. Ihre Enthaltsamkeit ist wie diejenige der thörichten Jungfrauen, vor denen die Thür zugeschlossen wurde.

Mit Recht sagt sie auch, daß sie, weil schwarz und lieblich, vom König geliebt und in seine Kammer geführt worden sei, d. h. in die geheimnisvolle Ruhe der Betrachtung, und in jenes Bett, von welchem sie an einer andern Stelle sagt: „Ich suchte des Nachts in meinem Bette, den meine Seele liebt“. Denn wegen der Schwärze ihrer Farbe hält sie sich lieber im Verborgenen auf als in der Öffentlichkeit und liebt mehr die Einsamkeit als große Gesellschaft. Ein solches Weib wird auch die verschwiegenen Freuden, die sie mit ihrem Mann genießt, allen öffentlichen Vergnügungen vorziehen; sie wird sich lieber im Ehebett fühlbar machen, als bei Tische glänzen.

Vielfach ist auch die Haut dunkelfarbiger Frauen zwar weniger lockend für das Auge, aber um so reizvoller bei der Berührung, und darum ist der geheime Liebesgenuß, welchen sie spenden, größer und süßer als öffentliche Freuden; und um ihn zu genießen, werden solche Frauen von ihren Männern lieber in das Schlafgemach geführt als in die Öffentlichkeit.

Nachdem die Seelenbraut in dieser bildlichen Weise die Worte vorausgeschickt hat: „Ich bin schwarz aber lieblich“ — fügt sie alsbald hinzu: „Darum hat mich der König geliebt und in seine Kammer geführt“, und setzt so die einzelnen Worte in bestimmte Beziehung zu einander: „Weil ich schön, hat er mich geliebt — weil schwarz, hat er mich in die Kammer geführt“. — „Schön“ bezieht sich, wie schon gesagt, auf ihre inneren Vorzüge, welche der Bräutigam liebt; „Schwarz“ — auf die leiblichen Anfechtungen und Widerwärtigkeiten. Diese Schwärze, d. h. diese körperlichen Anfechtungen, lenken das Herz der Gläubigen unwillkürlich hinweg von der Unruhe des Weltlebens zur friedlichen Stille frommer Betrachtung. So ging es nach dem Berichte des Hieronymus auch dem Paulus, dem Begründer des Klosterlebens, das wir erwählt haben.

Auch die Dürftigkeit unserer Ordenstracht ist mehr für die Einsamkeit berechnet als für den Verkehr in der Welt und paßt vortrefflich für die Rauheit und Abgeschiedenheit des Ortes, wie sie unsere Regel verlangt. Denn nichts verlockt so sehr dazu, in der Öffentlichkeit sich zu zeigen, als eine kostbare Gewandung. Und daß man nach einer solchen begehre einzig und allein, um der nichtigen Eitelkeit und Großthuerei willen, dies bestätigt schon der heilige Gregorius mit den Worten: „Niemand schmückt sich für die Einsamkeit, sondern um sich sehen zu lassen“.

Unter dem obengenannten Brautgemach ist die Kammer gemeint, in welche uns der Bräutigam selbst im Evangelium zum Gebet einladet mit den Worten: „Wenn du aber betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließ die Thür zu und bete zu deinem Vater“; mit andern Worten: „nicht auf den Gassen und Märkten wie die Heuchler“. Unter der Kammer ist also verstanden ein einsamer, dem Lärm und den Augen der Welt entrückter Ort, da man gesammelter und reiner beten kann als anderswo. Dies trifft zu bei der Stille klösterlicher Zurückgezogenheit; auch da sollen wir die Thüre schließen, d. h. alle Zugänge sperren, damit die Reinheit unseres Gebetes nicht gestört werde und unser Auge unsere arme Seele nicht verführe. Schmerzlich empfinden wir’s, daß es unter denen, die unser Gewand tragen, so viele Verächter dieses Rates oder vielmehr dieser göttlichen Vorschrift giebt. Wenn sie das heilige Hochamt feiern, sperren sie Thüren und Chöre auf und geben sich ohne Scham den neugierigen Blicken der Frauen wie der Männer preis, und besonders benutzen sie die hohen Feste als Gelegenheit, um vor den Laien im glänzenden Schmuck ihrer Gewänder zu prahlen. Nach ihrer Meinung ist ein Fest um so schöner, je mehr Pomp dabei entfaltet wird und je üppiger das nachfolgende Festmahl ausfällt. Über die unselige Verblendung dieser Leute, die zu der armen Religion Christi ganz und gar im Widerspruch steht, ist es besser kein Wort zu verlieren, um kein Ärgernis zu erregen. Ganz in jüdischer Weise setzen sie an Stelle der Regel ihr eigenes Herkommen und haben Gottes Gebot zu nichte gemacht durch Menschensatzungen; sie fragen nicht danach, was Pflicht, sondern was Gewohnheit ist. Und doch — der heilige Augustin erinnert daran — der Herr hat gesagt: „Ich bin die Wahrheit“, nicht: „Ich bin die Gewohnheit“.

Ihrem Gebet, das bei offener Thür verrichtet wird, mag sich anbefehlen, wer da will. Ihr aber, liebe Schwestern, die ihr, eingeführt in das Gemach des himmlischen Königs und in seinen Armen ruhend, bei allezeit verschlossener Thür ganz euch ihm hingebet: je inniger ihr euch mit ihm vereiniget — nach dem Wort des Apostels: „Wer dem Herrn anhanget, ist ein Geist mit ihm“ — desto reiner und wirksamer, das glaube ich fest, wird euer Gebet sein, und darum bitten wir auch so dringend um seine Beihilfe, und ich meine: ihr müsset es um so andächtiger verrichten, je größer die Liebe ist, die uns verbindet.

Ich habe euch ferner durch die Erwähnung der Gefahr, in welcher ich schwebe und durch meine Todesfurcht in Aufregung versetzt; allein das ist auf deine eigene Aufforderung, ja, auf deine dringende Bitte hin geschehen. In dem ersten Brief, den du an mich geschrieben, heißt es folgendermaßen: „Darum im Namen dessen, der dich bisher aus allen Gefahren zu seiner Ehre errettet hat, im Namen Jesu Christi bitten wir dich, du mögest seinen und deinen Dienerinnen durch öftere Nachricht Gewißheit verschaffen über die Stürme, von denen dein Lebensschiff jetzt noch hin- und hergeworfen wird; so wirst du wenigstens an uns, die wir allein dir getreu geblieben, Genossinnen deiner Leiden und deiner Freuden haben. Geteilter Schmerz, sagt man ja, ist halber Schmerz und jede Last wird leichter oder läßt sich ganz vergessen, wenn andere daran mittragen“. Warum also wirfst du mir vor, daß ich euch in meine Angst eingeweiht habe, da du mich doch selbst so dringend dazu aufgefordert hast? Wolltet ihr euch freuen, während ich unter Ängsten und Nöten mein Leben friste? Wollet ihr nur Genossinnen meiner Freude, nicht auch meines Leides sein, wollet ihr euch nur mit den Freuenden freuen, nicht auch weinen mit den Weinenden? Darin eben unterscheiden sich wahre Freunde von falschen, daß jene im Unglück, diese nur im Glück uns treu sind. Ich bitte dich, höre auf mit solchen Vorwürfen und halte an dich mit derartigen Klagen, die dem Wesen der Liebe so fremd sind. Wenn aber dein Herz noch immer verwundet ist durch die Beschreibung meiner Leiden, so bedenke, daß es bei der drohenden Gefahr, in der ich schwebe und bei der Hoffnungslosigkeit, die mich jeden Tag am Leben verzweifeln läßt, meine Pflicht ist, mich ängstlich um das Heil meiner Seele zu kümmern, und so lange es Zeit ist, für dasselbe zu sorgen. Und du wirst mir diese Besorgnis gewiß nicht übel nehmen, wenn du mich wirklich liebst. Ja, wenn du dir von der göttlichen Barmherzigkeit irgend etwas für mich versprechen könntest, dann solltest du mir die Erlösung von den Mühsalen dieses Lebens um so lebhafter wünschen, als du weißt, wie unerträglich sie für mich geworden sind. Du weißt ja, daß jeder, der mich vom Leben befreit, den größten Qualen mich entreißt. Was mir die Zukunft noch bringen wird, ist ungewiß; aber was ich hinter mir lasse, wenn ich befreit werde, das weiß ich. Dem Unglücklichen ist das Ende des Lebens stets willkommen, und wer wirklich aufrichtiges Mitleid mit dem Gequälten hat, der kann ihm nur das Ende wünschen; selbst in dem Fall, daß jemand den Leidenden wahrhaft liebt und sein Tod ihn schmerzt, soll er doch nicht sein eigenes Bestes wünschen, sondern das des anderen. So wird selbst eine Mutter ihrem langsam hinsiechenden Kind den Tod und damit das Ende des Siechtums wünschen, das sie nicht mehr mit ansehen kann; lieber erträgt sie den Verlust ihres Kindes als daß sie es leidend behalten möchte. Und wenn jemand noch so gern der Gegenwart eines Freundes sich erfreuen möchte, so wird er ihn doch lieber in der Ferne glücklich wissen als ihn zu seinem eigenen Nachteil in der Nähe haben wollen; denn wenn wir die Leiden anderer nicht mildern können, dann mögen wir sie lieber gar nicht leiden sehen. Dir ist der Genuß meiner Gegenwart, selbst einer unbefriedigenden, versagt. Ich sehe deshalb nicht ein, warum du mir nicht lieber ein seliges Ende als ein elendes Leben wünschen solltest, besonders da du ja gar nichts von mir hast. Wünschest du aber nur in Rücksicht auf dein eigenes Wohlbehagen eine Verlängerung meiner Leiden, dann würdest du als Feindin, nicht als Freundin an mir handeln. Willst du diesen schlimmen Schein meiden, dann, ich beschwöre dich noch einmal, höre auf mit diesen Klagen.

Daß du mein Lob ablehnst, billige ich; denn du zeigst dich dadurch desselben nur um so würdiger. Es steht ja geschrieben: „Der Gerechte klagt sich selber zuerst an“ und: „Wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöhet werden“. Nur daß es auch in deinem Herzen wirklich so aussieht, wie du schreibst! Ist dem wirklich so, dann ist deine Demut echt und kann durch meine Worte nicht geschädigt werden. Aber sieh doch ja zu, daß du nicht eben, indem du das Lob vermeiden zu wollen scheinst, vielmehr nach Lob trachtest, und das, was du mit dem Munde zurückweisest, im Herzen begehrst. Der heilige Hieronymus schreibt darüber unter anderem an die Jungfrau Eustochium folgendes: „Wir lassen uns durch unsere böse Naturanlage verleiten. Denen, die uns schmeicheln, schenken wir nur zu gerne Gehör; wir beteuern wohl unsere Unwürdigkeit und eine gemachte Schamröte bedeckt unser Gesicht, aber dennoch freuen wir uns im innersten Herzen des uns gespendeten Lobes“. Ähnlich beschreibt Virgil die Schlauheit der lüsternen Galathea, die das was sie wollte durch die Flucht zu erlangen suchte und den Geliebten durch scheinbare Zurückweisung nur begieriger nach ihrem Besitz machte. „Flüchtet sich ins Gebüsch mit dem Wunsch, er möchte sie sehen.“ Ehe sie sich versteckt, möchte sie noch von ihm gesehen werden; die Flucht selber, durch welche sie der Umarmung des Jünglings scheinbar sich entziehen will, muß ihr zum Zwecke behilflich sein. So fliehen auch wir oftmals scheinbar das Lob der Menschen und lenken es eben dadurch nur noch mehr auf uns, und während wir so thun, als wollten wir unbemerkt bleiben, damit niemand etwas an uns zu loben finde, täuschen wir dadurch thörichte Menschen und veranlassen sie nur noch mehr dazu, uns zu loben, weil wir durch unsere scheinbare Bescheidenheit in ihren Augen des Lobes um so würdiger werden. Dies sage ich nur, weil es gar häufig in der Welt so zugeht, nicht etwa weil ich dir so etwas zutrauen würde, denn an der Echtheit deiner Demut zweifle ich nicht. Ich möchte dich nur davor warnen, Äußerungen zu thun, die dir Leute, welche dich nicht näher kennen, so auslegen könnten, als wolltest du, um mit Hieronymus zu reden, „Ruhm suchen, indem du vor ihm fliehst“. Ein Lob von meiner Seite wird dich gewiß nicht eitel machen, sondern es wird dich nur zum Guten antreiben und du wirst in den Stücken, die ich an dir lobenswert finde, immer mehr dich zu vervollkommnen trachten, wenn es anders wirklich dein Wunsch ist, mir zu gefallen. Wenn ich dich lobe, so bist du darum deiner Tugendhaftigkeit noch lange nicht sicher und darfst dir nichts darauf zu gute thun. Die Anerkennung der Freunde darf man nicht allzuhoch anschlagen, so wenig wie Verunglimpfungen der Feinde.

Ich komme nun noch auf deine alte und ewig sich wiederholende Klage über die Art und Weise unserer Bekehrung zu sprechen, durch welche du dir erlaubst, Gott zu beschuldigen, statt wie es sich ziemte, ihn zu preisen. Ich hätte gedacht, deine Verbitterung sei längst gewichen vor dem Gedanken an die sichtlich so barmherzige Fügung Gottes. Dieser Gemütszustand, in welchem du dich an Leib und Seele verzehrst, ist für dich selbst eine große Gefahr und ein Unglück, und für mich eine Pein. Wenn es wirklich wahr ist, daß du in allen Stücken mir zu Gefallen leben willst, so höre wenigstens auf, mich zu quälen, und wenn du mir einen Gefallen thun willst, stehe ab von dieser Gesinnung, mit der du meinen Beifall nicht gewinnen kannst und mit welcher du nicht mit mir die ewige Seligkeit erlangen wirst. Könntest du’s ertragen, wenn ich ohne dich dorthin ginge, du, die mir selbst in die Hölle nachfolgen wollte? Thu was du kannst, um durch deine Frömmigkeit das zu erlangen, daß du nicht von mir getrennt werdest, wenn ich, wie du glaubst, zu Gott eile; und der Gedanke an das selige Ziel, dem wir entgegengehen, wird dich in deinem Eifer bestärken. Dann wird unsere Gemeinschaft erst recht glücklich und selig sein.

Erinnere dich dessen, was du über die Umstände gesagt und geschrieben hast, durch welche unser Leben ein anderes wurde. Gott, den man wegen jener Fügung vielfach der Härte gegen mich beschuldigt, habe sich mir vielmehr, wie es ja offenbar ist, gnädig erwiesen in seinem Thun. Laß dir seinen Ratschluß wenigstens im Gedanken daran gefallen, daß er zu meinem Heil gedient hat; ja, nicht bloß zu meinem, sondern gleicherweise auch zu deinem Heil: das wirst du einsehen, wenn dein Schmerz dir erst wieder den Gebrauch des klaren Verstandes verstattet. Bedauere nicht, die Ursache einer so großen Wohlthat zu sein und glaube, daß du eben damit den Zweck erfüllt hast, zu welchem du von Gott erschaffen bist. Klage nicht über das, was ich zu leiden hatte, weine vielmehr über die Leiden der Märtyrer und über den Tod des Herrn, der zu unserem Heil gestorben ist. Wenn ich mein Unglück verdient hätte, würdest du es dann geduldiger tragen, würde es dich weniger empören? Wahrhaftig, wäre es so, dann müßte dein Schmerz noch viel größer sein; denn dann wäre mein Unglück für mich wirklich eine Schande und meinen Feinden ein Triumph; sie stünden gerechtfertigt da und auf mir läge die ganze Schmach der Schuld: niemand würde fürder mehr bedauern, was mir zugestoßen ist, oder mich bemitleiden.

Um indes deinen bittern Schmerz noch weiter zu besänftigen, will ich zeigen, daß das, was uns zugestoßen ist, ebenso gerecht wie heilsam für uns war, und daß Gott uns mit vollem Recht strafte, als wir in rechtmäßiger Ehe lebten und nicht während wir verbotener Liebe huldigten. Du erinnerst dich: als du nach unserer Verheiratung bei den Nonnen im Kloster Argentueil lebtest, kam ich einmal zu heimlichem Besuche zu dir und du weißt wohl noch, wie weit ich mich in meiner unbändigen Leidenschaft mit dir vergaß, und zwar in einem Winkel des Refektoriums selber, da wir sonst keinen Ort hatten, wohin wir uns hätten zurückziehen können. Du weißt, daß wir damals durch unser Thun den ehrwürdigen, der heiligen Jungfrau geweihten Ort geschändet haben. Dies allein hätte schon eine viel schwerere Strafe verdient, abgesehen von allen unseren früheren Sünden. Soll ich von dem unkeuschen Leben, das wir führten und von dem Schmutz reden, mit welchem wir uns ohne Scham befleckten, ehe wir den Ehebund geschlossen hatten? Soll ich erinnern an den empörenden Verrat, dessen ich mich um deinetwillen deinem Oheim gegenüber schuldig machte, mit dem ich so lange unter einem Dache gelebt hatte? Muß nicht jedermann zugeben, daß ich mit vollem Recht von dem Manne betrogen wurde, den ich vorher selbst so schändlich betrogen hatte? Glaubst du, der kurze Schmerz meiner damaligen Verwundung sei eine genügende Strafe für solche Vergehen gewesen? Vielmehr: habe ich mit solchen Schulden so viel Gnade verdient? Welcher Schlag, glaubst du, konnte der göttlichen Gerechtigkeit Genüge thun für die Schändung des der Mutter Gottes geweihten Ortes. Ja, wenn mich nicht alles täuscht, so büße ich diese Sünden nicht durch jenen Schlag, der ja nur heilsam für mich war, sondern durch die Qualen, die ich jetzt noch täglich ohne Ende erdulde.

Du erinnerst dich auch wohl noch daran, wie ich dich damals, als du schwanger warst, in meine Heimat gebracht habe, und zwar, um den Schein zu erwecken, als seist du eine Nonne, angethan mit dem heiligen Gewand; durch diese Vermummung habe ich damals den heiligen Stand verhöhnt, dem du jetzt angehörst. Wie richtig war es, wenn dich die göttliche Gerechtigkeit, ja, vielmehr die göttliche Gnade gegen deinen Willen in den Stand versetzt hat, welchen zu verhöhnen du dich nicht gescheut hast: so mußtest du in eben dem Gewand büßen, gegen welches du dich vergangen hattest, und der wirkliche Verlauf der Dinge mußte die Lüge wieder gut machen und den Betrug verbessern.

Wenn du, abgesehen von der Gerechtigkeit Gottes, noch das in Betracht ziehen willst, was zu unserem Besten geschehen ist, so kann man das, was Gott damals an uns gethan, schon nicht mehr Gerechtigkeit, sondern nur Gnade nennen. Denke doch daran, Geliebte, wie uns der Herr mit Netzen seiner Barmherzigkeit aus dem tiefen Meere des Verderbens gezogen hat; ja, aus dem Strudel der Charybdis, in dem wir Schiffbruch gelitten, hat er uns gegen unsern Willen errettet, und wir beide können ausrufen: „Der Herr hat sich Sorge gemacht um meinetwillen“. Erinnere dich wieder und wieder daran, in welche Gefahren wir uns hineinbegeben hatten und wie der Herr uns ihnen entrissen hat; erzähle es allezeit mit innigem Dank, wie Großes der Herr an uns gethan und tröste mit unserm Beispiel alle Sünder, welche an Gottes Güte verzweifeln wollen, auf daß alle inne werden, was denen zu teil wird, die demütig bitten, da schon an Sündern und Undankbaren so Großes geschieht. Erwäge den hohen Ratschluß der göttlichen Liebe über uns, die Barmherzigkeit, mit welcher der Herr sein Gericht uns zur Besserung werden ließ und die Weisheit, der selbst das Böse zum Guten dienen mußte, die aus gottlos gottselig zu machen verstand, die, indem sie einen Teil meines Leibes verletzte, wie es mir gehörte, zwei Seelen geheilt hat. Vergleiche miteinander die Gefahr und die Art der Befreiung. Vergleiche die Krankheit und das Heilmittel. Sieh an, was wir verdient und bewundere die liebevolle Barmherzigkeit.

Du weißt, mit welchen Schamlosigkeiten unser Leib durch meine zügellose Begierde vertraut geworden war. Selbst in den Tagen der Passion unseres Herrn und an den höchsten Festen wälzte ich mich im Schmutz der Lüsternheit, ohne mich durch Schamgefühl oder Gottesfurcht abhalten zu lassen. Ja, mehr als einmal habe ich dich, selbst wenn du nicht wolltest, obwohl du ja von Natur schwächer warst, mit Drohungen und Schlägen gezwungen, mir zu Willen zu sein, trotz deines Sträubens und deiner Widerrede. Denn so widerstandslos kettete mich die Glut meiner Begierde an dich, daß ich über jenen elenden Genüssen, deren Namen uns schon erröten macht, Gott und mich selber vergaß; es war soweit gekommen, daß die göttliche Gnade mich offenbar nicht anders mehr retten konnte, als dadurch, daß sie mir jede Aussicht auf ferneren sinnlichen Genuß von Grund aus benahm. So hat die göttliche Gerechtigkeit und Milde den schmählichen Verrat deines Oheims als Werkzeug benutzt und hat mich, auf daß ich in vielen anderen Stücken wüchse, um denjenigen Teil meines Körpers verkürzt, welcher der Sitz der sündlichen Lust war und die Ursache meines unreinen Begehrens. Es entsprach ganz der göttlichen Gerechtigkeit, daß das Glied getroffen wurde, welches mich zur Sünde verleitet hatte, und daß es durch sein Leiden für die sträflichen Freuden büßen mußte, die es gewährt hatte. So wurde ich nach Leib und Seele von aller Unreinigkeit befreit, in die ich versunken war wie in einen Sumpf; und für den heiligen Dienst des Altars wurde ich um so tauglicher, als mich nun kein fleischliches Gelüste mehr störte. Wie milde ist Gottes Fügung auch darin gewesen, daß er mich nur an dem Gliede strafte, dessen Verlust meiner Seele zum Heil diente und zugleich den Körper nicht entstellte; auch an der Ausübung meines Amtes mich in keiner Weise hinderte, sondern mich im Gegenteil zu jeglichem ehrbaren Thun nur tüchtiger machte, in dem Maße, als er mich von dem schweren Joch der Sinnenlust befreite. Wenn mich also die göttliche Gnade von diesen verächtlichen Gliedern, die wegen ihrer niedrigen Verrichtungen nur Schamglieder heißen und nicht einmal mit ihrem eigentlichen Namen genannt werden können — wenn mich die göttliche Gnade davon befreit hat — eine Beraubung war es ja nicht —: hat sie damit nicht bloß den Schmutz und das Laster entfernt und die Reinheit und Tugend gerettet?

Im heftigen Verlangen nach solcher Reinheit und Keuschheit haben einige weise Männer, so wird uns berichtet, selbst Hand an sich gelegt, um die Sünde der Wollust mit der Wurzel in sich auszurotten. Man glaubt ja sogar von dem Apostel Paulus, er habe den Herrn um Befreiung von diesem Pfahl im Fleisch gebeten, ohne jedoch Erhörung zu finden. Ein anderes Beispiel dafür ist jener große christliche Philosoph Origenes, der sich nicht scheute, selbst Hand an sich zu legen, um die Flamme in seinem Innern für immer zu ersticken. Nach dem strengen Buchstaben der Schrift hielt er wohl nur diejenigen für wahrhaft selig, die sich selbst verschneiden um des Himmelreichs willen, und scheint der Meinung gewesen zu sein, daß nur solche Leute das Gebot wirklich erfüllen, welches der Herr in betreff der Glieder, die uns ärgern, ausgesprochen hat: nämlich, daß man sie abhauen und von sich werfen solle. Auch hat er offenbar jenes prophetische Wort des Jesaias wörtlich statt mystisch aufgefaßt, nach welchem der Herr die Eunuchen den übrigen Gläubigen vorzieht. Dasselbe lautet: „Den Verschnittenen, welche meine Sabbathe halten, und erwählen was mir wohlgefällt und meinen Bund fest fassen: ich will ihnen in meinem Hause und in meinen Mauern einen Ort geben und einen bessern Namen, denn den Söhnen und Töchtern; einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll“. Dennoch hat Origenes eine schwere Schuld auf sich geladen, da er, um der Sünde zu entgehen, seinen Leib verstümmelte. Er eiferte um Gott, gewiß; aber es war ein blinder Eifer, und so hat er die Schuld des Mordes auf sich geladen, indem er gegen sich selbst wütete. Entweder war es teuflische Eingebung oder ein höchst bedauerlicher Wahn, was ihn trieb, das an sich zu vollstrecken, was die Barmherzigkeit Gottes an mir durch einen andern Menschen hat verüben lassen. Ich entgehe der Schuld, ohne anderweitig Gefahr zu laufen. Ich verdiene den Tod und erlange das Leben. Gott ruft mir, und ich widerstrebe. Ich beharre in meinen Sünden, und die Verzeihung wird mir aufgenötigt. Der Apostel bittet und wird nicht erhört; er hält an mit Flehen und erlangt nichts. Wahrlich: „Gott hat sich Sorge gemacht um meinetwillen“. Darum will ich hingehen und verkünden, „wie große Dinge der Herr an mir gethan hat“.

Tritt auch du herzu, meine treuverbundene Gefährtin und vereinige dein Dankgebet mit dem meinigen, die du Sünde und Gnade mit mir geteilt hast. Denn auch deines Heils vergißt der Herr nicht; vielmehr gedenkt er deiner vor anderen; ja, indem er dich nach seinem eigenen Namen, der Heloim lautet, Heloissa genannt hat, wollte er schon durch deinen Namen wie durch eine Art Prophezeiung andeuten, daß du in ganz besonderem Sinne sein Eigentum sein sollest. Er hat in seinem milden Rat beschlossen, durch das eine von uns alle beide zu retten, während der Teufel uns miteinander zu vernichten trachtete.

Denn ganz kurz, bevor das Ereignis eintrat, hatte er uns durch das unlösliche Band der heiligen Ehe miteinander verbunden. Wohl war es mein Wunsch, dich, die ich über alles liebte, auf diese Weise für immer an meiner Seite festzuhalten; aber eigentlich war es doch Gott selber, der diese Wendung der Dinge dazu benutzte, uns beide zu sich zu ziehen. Denn hätte dich nicht schon das Band der Ehe an mich gefesselt, als ich mich aus der Welt zurückzog, du hättest dich vielleicht durch das Zureden deiner Angehörigen oder durch die lockende Aussicht auf des Fleisches Lust bestimmen lassen, an der Welt hängen zu bleiben. Darum siehe, wie Gott sich um uns bemüht hat, als hätte er uns noch zu großen Dingen bestimmt, als wäre er unwillig und bekümmert darüber, daß die reiche Gabe der Gelehrsamkeit und Wissenschaft, die er uns beiden verliehen, nicht zur Ehre seines Namens verwendet werde; oder als fürchte er, es möchte bei der Unenthaltsamkeit seines schwachen Knechtes auch auf ihn das Wort der Schrift seine Anwendung finden: „Die Weiber machen auch Weise abtrünnig“, wofür der weise Salomo ein treffendes Beispiel ist.

Welch reichliche Zinsen trägt das Pfund deiner Weisheit Tag für Tag dem Herrn! Wie viel geistliche Töchter hast du ihm schon geboren, während ich gänzlich unfruchtbar bleibe und mich vergeblich abmühe mit den Kindern des Verderbens! Welch unheilvoller Verlust, welch beklagenswerter Schaden, wenn du dich den schmutzigen Lüsten des Fleisches hingegeben, mit Schmerzen wenige Kinder zur Welt gebracht hättest, die du jetzt mit Freuden eine zahlreiche Schar für das Himmelreich gebierst. Ein Weib wärest du geblieben wie alle anderen, die du jetzt hoch selbst über den Männern stehst, die du Evas Fluch in den Segen der Maria gewandelt hast! Wie wären diese heiligen Hände, die jetzt nur in Berührung kommen mit den Blättern der heiligen Bücher, entweiht worden durch die Beschäftigung mit der Kleinlichkeit weiblicher Sorgen!

Gott selbst hat geruht, uns der Berührung mit dem Gemeinen und diesen schmutzigen Freuden zu entreißen und uns zu sich zu ziehen mit jener Gewalt, durch die einst Paulus erschüttert und bekehrt worden ist; vielleicht wollte er durch unser Beispiel auch andere, die in den Wissenschaften bewandert sind, von ähnlicher Überhebung abschrecken.

Darum, liebe Schwester, laß dich unser Geschick nicht anfechten und werde dem Vater, der uns so väterlich zurechtgewiesen, durch deine Klagen nicht lästig. Denke an den Spruch: „Welchen der Herr lieb hat, den züchtiget er; er stäupet aber einen jeglichen Sohn, den er annimmt“ und an den anderen: „Wer der Rute schonet, der hasset seinen Sohn“. Unsere Strafe ist eine zeitliche, nicht eine ewige; wir werden geläutert, nicht verurteilt. Richte dich auf an dem Wort des Propheten: „Der Herr geht nicht zweimal ins Gericht mit Einer Sünde; es wird das Unglück nicht zweimal kommen“. Nimm zu Herzen jene hohe und wichtige Mahnung dessen, der die Wahrheit selbst war: „So ihr geduldig seid, werdet ihr eure Seelen erretten“. Daher auch Salomo spricht: „Ein Geduldiger ist besser denn ein Starker und der seines Mutes Herr ist, denn der Städte gewinnet“.

Rührt dich nicht das Bild des eingeborenen Gottessohnes zu Thränen und Trauer? Er, um deinet- und aller Welt willen von den Sündern ergriffen, vor den Richter geschleppt, gegeißelt, verhöhnt, ins Angesicht geschlagen, verspeit, mit Dornen gekrönt und zuletzt am Schandpfahl des Kreuzes unter Mördern aufgehenkt und erwürgt durch den martervollsten fluchwürdigsten Tod? Ihn, liebe Schwester, deinen und der ganzen Kirche wahrhaftigen Bräutigam, habe stets vor Augen und im Herzen. Sieh auf ihn, wie er hinausgeht, um für dich sich kreuzigen zu lassen und wie er selber sein Kreuz trägt. Mische dich unter das Volk und die Frauen, die um ihn weinten und klagten, wie Lukas erzählt: „Es folget ihm aber nach ein großer Haufe Volks und Weiber, die klageten und beweineten ihn“. Und er, in milder Güte zu ihnen gewandt, kündet ihnen das Verderben, das zur Strafe für seinen Tod hereinbrechen werde, vor dem sie sich aber retten können, wenn sie klug seien und seinen Worten folgen: „Ihr Töchter Jerusalems, sprach er, weinet nicht über mich, sondern weinet über euch selbst und über eure Kinder. Denn siehe, es wird die Zeit kommen, in welcher man sagen wird: ‚Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben und die Brüste, die nicht gesäuget haben. Dann werden sie anfahen zu sagen zu den Bergen: Fallet über uns! und zu den Hügeln: Decket uns! Denn so man das thut am grünen Holz, was will am dürren werden?‘“

Leide mit dem, der, dich zu erlösen, freiwillig leidet! und traure um ihn, der um deinetwillen ans Kreuz geschlagen ist. Steh im Geist allezeit an seinem Grabe und weine und klage mit den gläubigen Frauen. Von ihnen heißt es, wie ich schon oben gesagt habe, in der Schrift: „Frauen saßen am Grab, klagten und weinten um den Herrn“. Bereite mit ihnen Spezereien zu seinem Begräbnis, aber nicht stoffliche, sondern bessere, geistige: denn nur wer diese nicht kennt, verlangt nach jenen. Von solchen Gedanken laß dein Herz bis ins Innerste erschüttern.

Der Herr selbst ermahnt die Gläubigen durch den Mund des Propheten Jeremia zur herzlichen Teilnahme an seinem Leiden also: „Ihr alle, die ihr vorübergeht, schauet doch und sehet, ob irgend ein Schmerz sei wie mein Schmerz“; d. h. ob irgend ein Leidender so sehr Mitleid verdient wie ich, der ich allein schuldlos die Sünden anderer büße. Er selbst aber ist der Weg, durch den die Gläubigen aus der Fremde eingehen zum Vaterland. Darum hat er sein Kreuz, von dem herab er uns also zuruft, für uns aufgerichtet als eine Leiter des Heils. Er ist für dich getötet, der Eingeborene Gottes ist geopfert worden, also war es sein Wille. Er allein verdient dein schmerzvolles Mitleid und deinen mitleidigen Schmerz. Mache wahr, was der Prophet Zacharias von den frommen Seelen weissagt: „Sie werden ihn klagen, wie man klaget ein einiges Kind und werden sich um ihn betrüben, wie man sich betrübet um ein erstes Kind“.

Sieh zu, meine Schwester, welche Klage unter den Freunden eines Königs sich erhebt, wenn sein erstgeborener und einziger Sohn stirbt. Betrachte, in welchen Jammer, in welche Trauer die Königsfamilie und der ganze Hof versetzt wird, und das Wehgeschrei, das die Braut des Toten erhebt, wirst du gar nicht mit anhören können. Also, meine Schwester, soll deine Trauer und deine Klage beschaffen sein, denn du hast mit jenem herrlichen Bräutigam den seligen Ehebund geschlossen. Er hat dich erworben nicht mit seinen Schätzen, sondern mit sich selber. Mit seinem eigenen Blut hat er dich erkauft und hat dich erlöset. Darum bedenke, welches Recht er auf dich hat und vergiß nicht, wie teuer du erkauft bist. Im Gedanken an diesen Kaufpreis und in Erwägung der Frage, was der in Wirklichkeit wert sei, für den ein solcher Preis bezahlt wurde und was für einen Dank er für diese hohe Gnade erstatten könne, sagt der Apostel: „Es sei aber ferne von mir, rühmen, denn allein von dem Kreuz unseres Herrn Jesu Christi, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt“.

Mehr als der Himmel bist du, mehr als die Welt, du, für welche sich der Schöpfer der Welt selbst zum Preis gegeben hat. Sprich, was hat er an dir gefunden, er, der keines Menschen bedarf, daß er, um dich zu gewinnen, die Qualen des schrecklichsten, schimpflichsten Todes durchgekämpft hat? Was sucht er an dir, ich frage noch einmal, wenn nicht dich selbst? Der ist dein wahrer Freund, der nicht das deine begehrt, sondern dich selber. Das ist der wahre Freund, der für dich in den Tod gehend sprach: „Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde“. Er hat dich wahrhaft geliebt, nicht ich. Meine Liebe, die uns beide in Sünden verstrickte, verdient den Namen Begierde, nicht den der Liebe. Befriedigung meiner sündlichen Lüste suchte ich bei dir, das war meine ganze Liebe. Für dich habe ich gelitten, sagst du, und vielleicht ist etwas Wahres daran; aber noch mehr durch dich und auch das wider meinen Willen; nicht aus Liebe zu dir geschah es, sondern weil ich der Gewaltthat erlag, und nicht zu deinem Heil, sondern zu deinem Schmerz. Er aber hat um deines Heiles willen, er hat aus eigenem Trieb für dich gelitten. Er heilt durch sein Leiden alle Krankheit, er stillt alles Leid. Ihm, ich bitte dich, nicht mir weihe deine ganze Liebe, dein ganzes Mitleid, deinen ganzen Schmerz. Weine über die Grausamkeit und Ungerechtigkeit, die sich so an der Unschuld vergreifen durfte, nicht über die gerechte Strafe, die mich betroffen und die für uns beide, ich wiederhole es, die größte Wohlthat war. Denn die Gerechtigkeit nicht lieben, heißt ungerecht sein, und ganz ungerecht bist du, wenn du mit Wissen dem Willen oder vielmehr der hohen Gnade Gottes widerstrebst.

Klage um deinen Retter, nicht um deinen Verführer; um deinen Erlöser, nicht um deinen Buhlen; um den Herrn, der für dich gestorben, nicht um den Knecht, der noch lebt, ja, der erst jetzt wirklich vom Tode befreit ist. Gieb acht, ich beschwöre dich, daß man nicht zu deiner Schande das Wort auf dich anwenden könne, das einst Pompejus zu der trauernden Cornelia gesagt hat:

„Noch lebt nach dem Kampfe die Größe;

Aber das Glück ist tot: das hast du geliebt, das beweinst du.“

Daran denke und halte dein Schamgefühl wach: du möchtest sonst die begangenen Frevel durch noch Frevelhafteres verstärken. Und so nimm denn geduldig hin, meine liebe Schwester, ich bitte dich drum, was die göttliche Barmherzigkeit über uns geschickt hat. Das ist die Rute des Vaters, nicht das Schwert des Verfolgers. Der Vater züchtigt, um zu bessern, damit nicht der Feind schlage, um zu töten. Durch die Wunde führt er nicht den Tod herbei, sondern rettet vor ihm; er wendet das Messer an, um abzuschneiden, was krank ist. Er verwundet den Leib und heilt die Seele. Er hätte töten sollen und macht lebendig. Er entfernt die Unreinigkeit, bis alles rein ist. Er straft einmal, um nicht ewig strafen zu müssen. Einer muß die Verletzung erleiden, damit zwei mit dem Tode verschont werden. Zwei in der Schuld, einer in der Strafe. Die göttliche Barmherzigkeit hat Nachsicht gehabt mit der Unkraft deiner Natur, und das gewiß mit Recht. Schon durch dein Geschlecht warst du von Natur schwächer und dennoch stärker in der Enthaltsamkeit, und darum weniger strafwürdig. Auch dafür sage ich dem Herrn Dank, daß er dir die Strafe erlassen und dir die Ehrenkrone aufbehalten hat. In mir hat er, um mich zu retten, durch einen einmaligen körperlichen Schmerz für immer alle Glut der Begierde erstickt, in der mich meine unbändige Leidenschaft gefangen hielt. Dein junges Herz hat er durch die beständige Lockung des Fleisches vielen noch größeren Leiden anheimgegeben, um dich der Märtyrerkrone teilhaftig werden zu lassen. Es mag dich vielleicht verdrießen, dies zu hören; du möchtest mir vielleicht das Wort verbieten, aber es ist die offenkundige Wahrheit selber, die hier redet. Wer beständig zu kämpfen hat, dem wird zuletzt auch die Krone zu teil; denn „keiner wird gekrönt, er kämpfe denn recht“. Mir aber winkt keine Krone, weil ich keinen Anlaß zum Kampfe mehr habe. Wem der Stachel der Begierde genommen ist, dem fehlt der Grund zum Kämpfen.

Doch wenn ich schon hienieden keine Krone erlange, so ist es doch gewiß immer schon etwas, daß ich keine Strafe mehr zu fürchten habe und daß mir um den schmerzhaften Augenblick meiner Bestrafung auf Erden vielleicht viele Strafen in der Ewigkeit erlassen werden. Denn von den Menschen, die an dieses elende Leben sich hängen, gilt das Wort der Schrift, das von den Tieren geschrieben steht: „Das Vieh ist verfault in seinem Mist“.

Ich will mich nicht darüber beklagen, daß ich mein Verdienst schwinden sehe, weil ich dessen sicher bin, daß das deinige zunimmt. Denn in Christus sind wir beide eins, ein Fleisch durch das Band der Ehe. Alles was dein ist, achte ich auch mir nicht fremd. Dein aber ist Christus, denn du bist seine Braut geworden. Darum bin ich jetzt, wie ich schon oben sagte, dein Knecht, ich, den du einst deinen Herrn nanntest: doch bin ich dir mehr in geistiger Liebe verbunden, als in Furcht unterthan. Darum verspreche ich mir auch so viel von deiner Verwendung für mich bei Jesus Christus und hoffe durch deine Fürsprache zu erlangen, was mein eigen Gebet nicht erwirken kann; vornehmlich in dieser bedrängten Zeit, wo tägliche Gefahr und Anfechtung mir kaum Zeit zum Leben, geschweige zum Beten läßt. Auch kann ich nicht dem Beispiel jenes frommen Eunuchen folgen, jenes vornehmen Mannes am Hofe der Äthiopenkönigin Candace, der über alle ihre Schätze gesetzt war und die weite Reise gemacht hatte, um in Jerusalem anzubeten. Zu ihm wurde auf dem Heimweg vom Engel des Herrn der Apostel Philippus gesandt, daß er ihn zum rechten Glauben bekehre: denn der Mann hatte es verdient durch sein Gebet und durch fleißiges Lesen der heiligen Schrift. Nicht einmal unterwegs ließ er davon ab; darum fügte es Gott in seiner gnädigen Nachsicht, wiewohl jener ein reicher Mann und Heide war, also, daß er auf eine Stelle der heiligen Schrift stieß, die dem Apostel eine treffliche Gelegenheit zur Anknüpfung bot.

Damit aber meiner Bitte nichts im Wege stehe und die Erfüllung derselben hinausschiebe, so beeile ich mich, den Wortlaut des Gebetes, welches ihr für mich in Demut vor den Herrn bringen möget, hier aufzusetzen und dir zu übersenden:

„O Gott, der du von Anbeginn der Schöpfung, da du aus der Rippe des Mannes das Weib gebildet, das heilige Sakrament der Ehe eingesetzt und es zu unendlicher Ehre erhoben hast, indem du selbst durch ein Weib Mensch geworden bist und dein erstes Wunder auf einer Hochzeit gethan hast; der du auch meiner Unenthaltsamkeit und Schwachheit die Ehe als Heilmittel nach deinem Wohlgefallen gewährt hast: verschmähe nicht die Bitten deiner Magd, die ich für meine und meines Geliebten Vergehen in Demut vor dein heiliges Angesicht bringe. Vergieb, o Allgütiger, der du die Güte selber bist, vergieb uns unsere Sünden, so groß und viel sie sind, und laß an der Menge unserer Schulden den Reichtum deiner unaussprechlichen Barmherzigkeit offenbar werden. Ich flehe dich an: strafe die Schuldigen hienieden, damit du sie drüben schonen könnest. Strafe sie in der Zeit, daß du nicht in der Ewigkeit strafen müssest. Nimm die Rute der Zucht für deine Knechte zur Hand, nicht das Schwert deines Grimms. Schlage das Fleisch, daß die Seelen erhalten bleiben. Läutere uns, aber vergilt uns nicht nach unserer Missethat: laß deine Güte walten mehr als Gerechtigkeit; sei uns ein barmherziger Vater, nicht ein strenger Herr.“

„Prüfe und versuche uns so, wie der Prophet es für sich selber von dir erfleht mit Worten, die so viel sagen wollen als: siehe zuerst auf meine Kräfte und bemiß nach ihnen die Last der Prüfung. Auch der heilige Paulus giebt ja seinen Gläubigen den Trost: ‚Denn Gott ist getreu, der euch nicht lässet versuchen über euer Vermögen, sondern macht, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß ihr es könnet ertragen‘.“

„Du hast uns vereint, o Herr, und wiederum getrennt, wie und wann es dir gefallen hat. Nun Herr, vollende in deiner großen Barmherzigkeit, was du so gnädig begonnen; die du in der Welt für kurze Zeit auseinander gerissen, vereinige sie mit dir im Himmel für alle Ewigkeit. Denn du bist unsere Hoffnung, unser Erbteil, unsere Sehnsucht, unser Trost, o Herr, gepriesen in Ewigkeit. Amen.“

Lebe wohl in Christo, du Braut Christi, in Christo lebewohl, und lebe Christo! Amen.

VI. Brief.
Heloise an Abaelard.

(Ihrem unumschränkten Herrn seine ergebene Dienerin.)

Damit du mich nicht in irgend einem Stück des Ungehorsams zeihen könnest, so habe ich nach deinem Befehl den Äußerungen meines Schmerzes, so groß er ist, Zügel angelegt und will mich wenigstens beim Schreiben davor hüten, Worte zu gebrauchen, die ich bei der mündlichen Rede schwerlich, ja unmöglich würde zurückhalten können. Denn nichts haben wir so wenig in der Gewalt als unser Herz und statt ihm gebieten zu können, müssen wir ihm folgen. Darum, wenn wir den Stachel seiner Leidenschaften fühlen, ist niemand imstande, seine ungestümen Triebe so zu dämpfen, daß sie nicht leicht zu Thaten werden und noch leichter durch Worte sich Luft machen, welche stets die bereitwilligen Dolmetscher leidenschaftlicher Herzen sind, nach dem Worte der Schrift: „Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über“. Darum will ich wenigstens beim Schreiben meiner Hand Halt gebieten, wenn ich schon meiner Zunge das Wort nicht verbieten könnte. Wäre doch mein trauerndes Herz so bereit zu gehorchen, wie die schreibende Hand!

Etwas kannst du doch zur Milderung unseres Schmerzes beitragen, wenn du ihn auch nicht ganz zu stillen vermagst. Wie nämlich ein Nagel durch den andern ausgetrieben wird, so verdrängt ein Gedanke den andern, und der Geist, in anderer Richtung in Anspruch genommen, muß die Erinnerung an Früheres schwinden oder doch in Hintergrund treten lassen. Ein Gedanke beschäftigt aber den Geist um so lebhafter und ausschließlicher, je edler sein Inhalt ist und je notwendiger die Angelegenheit erscheint, auf welche wir unser Sinnen und Denken richten. Wir alle nun, Dienerinnen Christi und in Christus deine Töchter, bringen in Demut zwei Bitten vor dich als unsern Vater, deren Erfüllung für uns von der höchsten Wichtigkeit ist. Die erste Bitte ist die: du möchtest uns über den Ursprung des Standes der Nonnen und über das Wesen unseres Berufes aufklären. Die zweite: du möchtest uns eine Regel aufstellen und zusenden, in welcher den besonderen Bedürfnissen des weiblichen Geschlechts Rechnung getragen und die Einrichtung und Gestaltung unseres Ordenslebens von Grund aus festgesetzt würde: denn wir haben uns überzeugt, daß dies von den heiligen Vätern bis jetzt unterlassen worden ist. Diese Versäumnis hat die unangenehme Folge, daß jetzt bei der Aufnahme ins Kloster Männer und Frauen gleicherweise auf ein und dieselbe Regel verpflichtet werden, und daß das schwache Geschlecht unter dieselbe Klosterordnung sich beugen muß wie das starke. Zu der Regel des heiligen Benediktus bekennen sich in der abendländischen Kirche die Frauen genau so wie die Männer. Es ist aber klar, daß sie ausschließlich für Männer aufgestellt worden ist und darum auch nur von Männern eingehalten werden kann, von Untergebenen wie von Vorgesetzten. Um von anderen Bestimmungen der Regel zu schweigen: was sollen wir Frauen anfangen mit den Vorschriften über Kutten, Beinkleider, Skapulire? Wie können sich Frauen die Bestimmung über Unterkleider oder wollene Hemden zu eigen machen, da sie doch solche wegen ihrer monatlichen Reinigung gerade gar nicht brauchen können? Was soll ihnen ferner die Vorschrift, daß der Abt das Evangelium selbst verlesen und danach den Hymnus anstimmen solle? Und daß der Abt mit den Pilgern und Gästen abseits an einem besonderen Tische sitzen solle? Was schickt sich für unsern Stand? Sollen wir überhaupt keine Männer gastlich aufnehmen oder soll die Äbtissin mit den Männern, die zu Gaste sind, an Einem Tisch essen? O wie schnell ist es um ein Herz geschehen, wo Männer und Frauen unter Einem Dach zusammenwohnen! Vollends aber bei Tische, wo so oft Völlerei und Trunkenheit herrscht und wo im süßbethörenden Wein die Lüsternheit lauert. Davor warnt auch der heilige Hieronymus in seinem Brief an eine Mutter und ihre Tochter: „Schwer ist’s, bei Schmausereien die Keuschheit zu wahren“. Auch Ovid, aller lüsternen Üppigkeit Sänger und Meister, beschreibt es in seinem Buch von der „Kunst zu lieben“ des langen und breiten, wie bei festlichen Gelagen die Buhlerei ihre Rechnung finde:

„Sind vom Wein erst benetzt die durstigen Flügel Cupidos,

Dann verweilt er und weicht nimmer von selbigem Ort.

Frohes Lachen ertönt, der Traurige hebet das Haupt nun

Sorg’ entweichet und Schmerz, glatt wird die faltige Stirn.

Manchem Knaben ging so das Herz an die Mädchen verloren;

Lieb’ durchströmet den Leib, Glut sich entzündet an Glut.“

Ja, selbst wenn man nur Frauen Herberge und Tischgemeinschaft gewährt: lauert nicht auch hier schon die Gefahr? Wahrhaftig, das wirksamste Mittel, ein Weib zu verführen, sind die Schmeicheleien durch ein anderes Weib. Auch vertraut am liebsten eine Frau der andern ihr verdorbenes Herz an. Darum warnt auch Hieronymus Frauen, die sich einem heiligen Beruf geweiht haben, nachdrücklich vor dem Verkehr mit weltlichen Frauen.

Wenn wir nun aber die Männer von unserer Gastfreundschaft ausschließen und nur Frauen unsere Pforte öffnen, so werden wir — das sieht jeder ein — durch solche Unfreundlichkeit den Männern, auf deren Unterstützung die Klöster des schwächeren Geschlechts angewiesen sind, vor den Kopf stoßen, da es dann den Anschein hat, als wollten wir denen wenig oder nichts geben, von denen wir das meiste empfangen.

Können wir aber nicht den ganzen Inhalt der Regel befolgen, so fürchte ich, es möchte in jenem Worte des Apostels Jakobus auch unsere Verurteilung ausgesprochen sein: „So jemand das ganze Gesetz hält und sündiget an einem, der ist’s ganz schuldig“. Das heißt: Einer, der viel thut, wird gerade dadurch schuldig, daß er nicht alles erfüllt. Zum Übertreter des Gesetzes wird er schon durch eine Versäumnis; erfüllt hat er das Gesetz erst dann, wenn er alle Gebote desselben befolgt hat. Dies meint auch der Apostel, wenn er sagt: „Der gesagt hat: du sollst nicht ehebrechen, der hat auch gesagt: du sollst nicht töten. So du nun nicht ehebrichst, tötest aber, bist du ein Übertreter des Gesetzes“. Deutlicher ausgedrückt soll dies heißen: Weil der Herr selbst das eine Gebot so gut wie das andere aufgestellt hat, darum macht sich der Übertretung des Ganzen schuldig, wer auch nur Eines nicht hält, gleichviel was für eines es sei. Und die Übertretung jedes einzelnen Gebotes ist eine Mißachtung gegen den Gesetzgeber, der sein Gesetz nicht etwa auf Ein Gebot gestellt hat, sondern gleichmäßig auf alle zusammen.

Doch ich will nicht reden von den Bestimmungen der Regel, die wir überhaupt nicht, oder doch nicht ohne Gefahr einzuhalten vermögen. Ich möchte nur fragen: wo in aller Welt ist es Sitte, daß Nonnen aufs Feld gehen, um die Ernte einzuheimsen und den Acker zu bestellen? Ferner: ist ein einziges Probejahr genügend für die Frauen, die in den Orden aufgenommen sein wollen, und sind sie hinreichend unterrichtet, wenn man ihnen die Regel dreimal vorgelesen hat, wie dies die Regel selber verlangt? Was ist thörichter, als einen unbekannten und noch nicht deutlich gezeichneten Weg zu beschreiten? Was ist voreiliger, als ein Leben zu erwählen und zu seinem Beruf zu machen, das man noch gar nicht kennt, oder ein Gelübde zu thun, das man doch nicht halten kann? Wenn die Klugheit die Mutter aller Tugenden ist und die Vernunft die Vermittlerin aller Güter — wer wird dann etwas, das mit ihnen in Widerspruch steht, für ein Gut oder für eine Tugend halten? Selbst die Tugenden, sagt Hieronymus, können zum Laster werden, wenn sie Maß und Ziel überschreiten. Das ist aber ganz gewiß ein unkluges vernunftwidriges Verfahren, wenn man jemand eine Last auflegen will, ohne vorher die Kräfte dessen, der sie tragen soll, zu untersuchen, so daß die zugemutete Leistung im richtigen Verhältnis zur natürlichen Fähigkeit steht. Wer wird einem Esel die gleiche Last zumuten wie einem Elefanten? Wer wird Kindern und Greisen dieselbe Bürde aufladen wie Männern? Schwachen so viel wie Starken, Kranken so viel wie Gesunden, Frauen so viel wie Männern? Dem schwächeren Geschlecht so viel wie dem starken?

Mit Rücksicht darauf hat der Papst Gregorius im 24. Kapitel seines „Pastoralis“ in Beziehung auf Ermahnungen und Vorschriften folgenden Unterschied gemacht: „Anders sind Männer zu ermahnen, anders Frauen; jenen kann man Schwereres zumuten, diesen nur Leichtes. Männer mögen sich in harter Übung bewähren, Frauen werden am besten durch Sanftmut und Milde gewonnen“. Diejenigen aber, welche Klosterregeln aufgestellt haben, haben nicht nur die Frauen mit gänzlichem Stillschweigen übergangen, sondern sie haben auch Bestimmungen getroffen, von denen sie wissen mußten, daß sie für Frauen keineswegs passen: wußten sie ja doch auch sehr wohl, daß man nicht Stier und Kuh unter das gleiche Joch spannen darf, weil man denen, die von Natur verschieden sind, nicht die gleiche Arbeit zumuten kann.

Diesen Unterschied hat der heilige Benediktus keineswegs vergessen, und gleichsam vom Geiste aller Gerechten erfüllt, trägt er in allem der Verschiedenheit der Menschen wie der Zeiten Rechnung, damit alles, wie er dies selbst in seiner Regel festsetzt, im richtigen Maße geschehe. Beim Abt beginnend, verlangt er von demselben, er solle in der Weise das Regiment führen, daß er dem Charakter und der Einsicht eines jeden seiner Untergebenen Rechnung trage und sich so mit allen in ein gutes Einvernehmen setze; so werde er es nicht erleben müssen, daß die ihm anvertraute Herde Schaden nehme, im Gegenteil werde er sich ihres Wachstums freuen dürfen … Seine eigene Gebrechlichkeit solle er niemals vergessen und daran denken, daß man das geknickte Rohr nicht zertreten dürfe. Er soll auch mit den besonderen Zeitumständen rechnen und sich die Klugheit des frommen Jakob zum Beispiel nehmen, welcher sagte: „Wenn sie einen Tag übertrieben würden, würde mir die ganze Herde sterben.“ Solche und ähnliche Beispiele von kluger Erwägung, die aller Tugenden Mutter ist, soll er vor Augen haben und in allem so maßvoll handeln, daß die Starken genug zu thun haben und die Schwachen nicht zurückschrecken.

Diesem Bestreben, allen gerecht zu werden und überall das richtige Maß zu halten, verdanken ihren Ursprung die Ausnahmebestimmungen für Kinder, Greise und überhaupt gebrechliche Leute, ferner die Verordnung, daß der Vorleser, der, welcher den Wochendienst hat und der Koch vor den übrigen ihr Essen bekommen sollen, endlich die Fürsorge dafür, daß beim gemeinsamen Mahl Speise und Trank nach Güte und Menge mit Rücksicht auf die Art der einzelnen Leute verteilt werden — worüber genaue Einzelvorschrift vorhanden sind. Auch für die festgesetzten Fastenzeiten sind in der Ordensregel in Rücksicht auf die Jahreszeit oder ausnahmsweise Arbeitslast mildernde Bestimmungen enthalten, wie die Schwachheit der menschlichen Natur sie erfordert.

Der Mann, der in solcher Weise in allen Stücken der besonderen Beschaffenheit der Menschen und der Zeiten Rechnung getragen hat, so daß seine Verordnungen von allen ohne Murren erfüllt werden können: wie hätte der die besonderen Bedürfnisse der Frauen berücksichtigt, wenn er seine Ordensregel, die ursprünglich nur für Männer bestimmt war, auch auf das weibliche Geschlecht hätte ausdehnen wollen! Sieht er sich schon in Rücksicht auf Knaben, Greise und Kranke wegen der Hinfälligkeit und Schwachheit der menschlichen Natur genötigt, in einigen Stücken von der Strenge der Regel etwas nachzulassen: wie viel mehr hätte er Sorge getragen für das zarte Geschlecht, das von Natur — wie jeder weiß — schwach und kraftlos ist. Darum so erwäge, wie es jedem vernünftigen Denken widersprechen würde, wollte man Frauen und Männer auf ein und dieselbe Regel verpflichten und die gleiche Last Schwachen wie Starken auflegen. Ich glaube, daß es in Anbetracht unserer Schwachheit genug ist, wenn wir in der Tugend des Gehorsams und der Keuschheit den Leitern der Kirche und den Geistlichen, die in frommen Gemeinschaften leben, gleichstehen; auch der Mund der Wahrheit spricht ja: „Es ist dem Jünger genug, daß er sei wie sein Meister“. Schon das müßte uns als Leistung angerechnet werden, wenn wir es nur frommen Laien gleichthun könnten. Denn an Starken schätzt man manches nicht sonderlich, was man am Schwachen bewundert, und nach dem Wort des Apostels „ist die Kraft in den Schwachen mächtig“.

Wir wollen nur die Frömmigkeit von Laien, wie Abraham, David, Hiob, wiewohl sie im Stand der Ehe lebten, nicht geringschätzen! Es fällt mir da eine Stelle aus der siebenten Predigt des Chrysostomus über den Hebräerbrief ein: „Es giebt mancherlei Mittel, womit man das wilde Tier im Innern einschläfern kann. Was für Mittel sind das? Der Hände Arbeit, Lesen, Nachtwachen. Aber was geht das uns an, die wir keine Mönche sind? Das entgegnest du mir? Sag es doch dem Paulus, bei dem es heißt: ‚Haltet an mit Wachen und Beten in aller Geduld‘; oder: ‚Wartet des Leibes nicht also, daß er geil werde‘. Diese Worte sind nicht bloß für Mönche geschrieben, sondern für alle, die zu einem bürgerlichen Gemeinwesen gehören. Denn ein Laie soll vor einem Mönch nichts weiter voraushaben, als daß er mit seiner Frau zusammenleben darf. Das ist sein Vorrecht, ein anderes giebt es nicht für ihn, vielmehr soll er in allem anderen leben wie ein Mönch. Denn auch die Seligpreisungen, die Christus ausgesprochen hat, sind nicht bloß den Mönchen verheißen. Die ganze Welt müßte ja zu Grunde gehen, wenn alles, was Tugend heißt, in den engen Raum eines Klosters eingeschlossen wäre. Und wie könnte der Stand der Ehe ehrlich sein, wenn sie ein so großes Hindernis für unser Seelenheit wäre?“

Daraus geht deutlich hervor: Wer zu den Geboten des Evangeliums noch die Tugend der Enthaltsamkeit hinzufügt, der erreicht die sittliche Vollkommenheit des Mönchs. Möchten wir es in unserm Stande doch nur dahin bringen, daß wir das Evangelium erfüllten, ohne es überbieten zu wollen; daß wir doch nicht mehr sein wollten als gute Christen!

Von diesem Gedanken geleitet, haben, wenn ich mich nicht täusche, die frommen Väter darauf verzichtet, auch für uns Frauen, wie für die Männer, eine besondere Regel, gleichsam als ein neues Gesetz aufzustellen und durch schwere Gelübde unsere Schwachheit zu belasten. Sie dachten dabei wohl an das Wort des Apostels: „Das Gesetz richtet nur Zorn an; denn wo das Gesetz nicht ist, da ist auch keine Übertretung“ und ferner: „Das Gesetz aber ist neben einkommen, auf daß die Sünde mächtiger würde“. Derselbe strenge Prediger der Enthaltsamkeit nötigt aber doch gewissermaßen im Gedanken an unsere Schwachheit die jungen Witwen zur zweiten Ehe, indem er sagt: „So will ich nun, daß die jungen Witwen freien, Kinder zeugen, Haus halten, dem Widersacher keine Ursach’ zu schelten geben“. Auch der heilige Hieronymus hält diese Verordnung für ganz heilsam und giebt der Jungfrau Eustochium mit Rücksicht auf unbedachte Gelübde von Frauen folgenden Rat: „Wenn sogar diejenigen, die ihre Jungfräulichkeit bewahrt haben, wegen ihrer sonstigen Sünden nicht vorwurfsfrei sind: was wird erst denen geschehen, die die Glieder Christi preisgegeben und den Tempel des heiligen Geistes in ein Freudenhaus verwandelt haben? Es ist dem Menschen besser, das Joch der Ehe auf sich zu nehmen und auf der ebenen Erde zu bleiben als hoch hinaus zu wollen und schließlich in den Rachen der Hölle hinabzustürzen“. Auch der heilige Augustin schreibt in seinem Buch „Über die Enthaltsamkeit der Witwen“ an Julian folgendes zur Warnung vor unbesonnenem Ablegen eines Gelübdes: „Die, welche sich noch nicht gebunden hat, soll es sich wohl überlegen, hat sie aber einmal den Schritt gethan, dann soll sie auch dabei bleiben. Man soll dem Widersacher keine Gelegenheit geben und Christus kein Opfer entziehen.“ Darum steht auch in den Kanones mit Rücksicht auf unsere Schwachheit die Bestimmung, daß Diakonissen nicht vor dem vierzigsten Jahr ordiniert werden dürfen und auch dann nur, wenn sie ein gutes Zeugnis haben; während man zum Diakon schon vom zwanzigsten Jahr an befördert werden kann.

In klösterlichen Vereinigungen leben aber auch die sogenannten regulierten Chorherren, die sich, wie man sagt, zu einer Regel des heiligen Augustin bekennen und sich in keinem Stück geringer achten als die Mönche, obwohl sie, wie bekannt, Fleisch zu essen und linnene Gewänder zu tragen sich erlauben. Wenn unsere Schwachheit wenigstens diese Stufe der Vollkommenheit erreichen könnte, wäre das für nichts zu achten?

Man könnte uns, was die Nahrung anbelangt, schon deshalb ohne Gefahr alle Speisen erlauben, weil die Natur selbst uns vor Ausschreitungen behütet, indem sie unserem Geschlecht an der Tugend der Nüchternheit einen schützenden Halt gegeben hat. Man weiß, daß Frauen zu ihrem leiblichen Unterhalt weniger bedürfen als die Männer und die Physik lehrt uns, daß das weibliche Geschlecht auch weniger leicht der Trunkenheit anheimfällt. Macrobius Theodosius macht im 7. Kapitel seiner Saturnalia folgende Bemerkung: „Aristoteles sagt, die Weiber werden selten berauscht, die Greise oft. Der Körper des Weibes hat einen sehr großen Feuchtigkeitsgehalt. Ein Beweis dafür ist die Glätte und der Glanz ihrer Haut, und ganz besonders sprechen dafür die regelmäßigen Reinigungen, durch welche ihr Körper von überflüssiger Feuchtigkeit entlastet wird. Der Wein verliert seine Stärke, wenn er mit so überreichem flüssigem Stoff sich mischt und steigt nicht so leicht zu Kopfe, da seine Wirkung auf diese Weise gelähmt wird“. Ferner heißt es dort: „Der weibliche Körper unterliegt häufigen Reinigungen und hat an seiner Oberfläche zahlreiche Öffnungen und Poren, durch welche die Feuchtigkeit ihren Ausgang sucht und findet. Durch diese Poren entweicht auch der Dunst des Weines gar schnell. Alte Männer dagegen haben einen ausgetrockneten Körper, was man schon an der Rauheit und der dunklen Farbe ihrer Haut sehen kann“.

Du magst hieraus ersehen, wie durchaus ungefährlich, ja, wie billig es ist, uns in Anbetracht unserer schwachen Natur in Speise und Trank volle Freiheit zu gewähren, da wir ja der Schwelgerei und der Trunkenheit nicht leicht zum Opfer fallen können; vor jener bewahrt uns unsere Bedürfnislosigkeit, vor dieser die Beschaffenheit des weiblichen Körpers, wie oben ausgeführt worden ist. Für unsere schwachen Kräfte muß es genug sein und alles, was man verlangen kann, wenn wir enthaltsam und besitzlos leben, mit dem Dienst Gottes unsere Zeit ausfüllen und im Essen und Trinken es halten, wie die Leiter der Kirche selbst oder wie fromme Laien oder endlich wie die regulierten Chorherren, die vor andern ein apostolisches Leben zu führen behaupten.

Es ist ein Beweis von großer Klugheit, wenn die, welche sich Gott durch ein Gelübde verpflichten, weniger versprechen und mehr halten, so daß sie allezeit einen Überschuß haben, den sie aus freien Stücken zu der pflichtmäßigen Leistung hinzufügen können. Die Wahrheit selber spricht: „Wenn ihr alles gethan habt, so sprechet: Wir sind unnütze Knechte, wir haben gethan, was wir schuldig waren“. Deutlicher ausgedrückt soll dies heißen: Darum sind wir für unnütz und unwert zu achten und ohne Verdienst, weil wir, zufrieden mit der Erfüllung des Notwendigen, nicht aus freien Stücken mehr gethan haben. Über solche freiwillige Leistungen sagt der Herr selbst an einer andern Stelle gleichnisweise: „So du was mehr wirst darthun, so will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme“.

Möchten dies doch in unserer Zeit alle diejenigen zu Herzen nehmen, die leichtsinnig das Klostergelübde ablegen; wollten sie sich’s doch klar machen, was es mit diesem Gelübde für ein Bewandtnis hat und vorher die Regel nach ihrem ganzen Inhalt genau durchforschen: dann kämen weniger Verstöße gegen dieselbe und weniger Fahrlässigkeitssünden vor. Jetzt aber drängt sich alles ohne Wahl zum Klosterleben; so oberflächlich die Aufnahme solcher Leute vor sich geht, ebenso ist nachher das Leben, das sie führen. Leichtsinnig verpflichten sie sich auf eine Regel, die sie gar nicht kennen, ebenso leichtsinnig lassen sie dieselbe nachher unbeachtet und setzen an die Stelle des Gebotes das was ihnen beliebt. Darum wollen wir Frauen uns hüten, eine Last auf uns zu nehmen, unter der wir die Männer fast alle wanken, ja erliegen sehen. Es scheint, als wäre die Welt alt geworden, als hätten die Menschen samt den anderen Kreaturen ihre ursprüngliche Jugendfrische verloren, als wäre, nach dem Worte der Wahrheit, die Liebe nicht bloß in vielen, sondern in allen erkaltet. Da sich die Menschen geändert haben, sollte man auch die sittlichen Gebote, die für sie aufgestellt sind, ändern oder ihre Strenge mäßigen.

Diesen Unterschied hat der heilige Benediktus wohl beachtet; er giebt von seiner Regel zu, die Strenge der mönchischen Askese sei durch dieselbe so ermäßigt worden, daß seine Regel im Vergleich zu den früheren Bräuchen nur eine Art Anleitung zur Rechtschaffenheit und eine Einführung ins Klosterleben genannt werden könne. „Diese Regel, sagt er, haben wir verfaßt, damit sie uns, wenn wir nach ihr leben, ein Wegweiser zur Rechtschaffenheit oder die Grundlage unserer Lebensweise werde. Im übrigen, wer nach Vollkommenheit strebt, dem stehen die Lehren der heiligen Väter zu Gebote, deren Befolgung den Menschen zur Höhe der Vollendung emporführt“. Weiter sagt er: „Wer du auch seist, der du der himmlischen Heimat zustrebst: erfülle zuerst mit Christi Hilfe zur Vorübung das Geringe, das unsere Regel verlangt, alsdann erst wirst du unter Gottes Schutz zu den erhabenen Gipfeln der Weisheit und Tugend gelangen.“ Während wir von den heiligen Vätern lesen, daß sie an Einem Tag den ganzen Psalter gebetet haben, sagt Benedikt selber, er habe in Anbetracht der lauen Gemüter die Übung des Psalmodierens dahin ermäßigt, daß die Psalmen über die ganze Woche verteilt wurden, so daß jetzt die Mönche sogar weniger zu thun haben als die Kleriker.

Was ist dem frommen Stand und der Ruhe des Klosterlebens mehr zuwider als das, was der Üppigkeit Nahrung zuführt und Streit und Zank erregt, ja, das Ebenbild Gottes in uns, das uns von den andern Kreaturen scheidet, das heißt die Vernunft, zerstört? Dies aber thut der Wein; darum versichert uns die Schrift, daß er von allem, was dem Menschen zur Nahrung dient, am schädlichsten sei und warnt uns vor ihm. Der größte aller Weisen sagt im Buch der Sprüche von ihm: „Der Wein macht lose Leute und starkes Getränke macht wild; wer dazu Lust hat, wird nimmer weise … Wo ist Weh, wo ist Leid? Wo ist Zank? Wo ist Klagen? Wo sind Wunden ohne Ursach’? Wo sind rote Augen? Nämlich wo man beim Wein liegt und kommt auszusaufen, was eingeschenket ist. Siehe den Wein nicht an, daß er so rot ist und im Glase so schön stehet. Er gehet glatt ein, aber danach beißt er wie eine Schlange und sticht wie eine Otter. So werden deine Augen nach andern Weibern sehen und dein Herz wird verkehrte Dinge reden. Und du wirst sein wie einer, der mitten im Meer schläft, wie ein Steuermann, der eingeschlafen ist und das Ruder verloren hat. Und du wirst sprechen: Sie schlagen mich, aber es thut mir nicht wehe, sie zerren mich hin und her, aber ich fühle es nicht. Wann will ich aufwachen, daß ich wiederum Wein finde?“ Und weiter heißt es: „O nicht den Königen, Lamuel, gieb den Königen nicht Wein zu trinken, denn nichts bleibt geheim, wo die Trunkenheit herrscht. Sie möchten trinken und der Rechte vergessen und verändern die Sache irgend der armen Leute“. Im Buch Sirach steht geschrieben: „Wein und die Weiber bethören die Weisen“.

Auch Hieronymus, in seinem Brief an Nepotianus „vom Leben der Kleriker“, hält sich darüber auf, daß die Priester des alten Bundes in der Enthaltsamkeit von allen berauschenden Getränken strenger waren als die heutigen. Er sagt: „Rieche nicht an den Wein, damit du dir nicht das Wort des Philosophen sagen lassen mußt: hoc non est osculum porrigere, sed vinum propinare (das heißt nicht küssen, sondern die Schale zum Munde führen)“.

Auch der Apostel verurteilt weinselige Priester, und das Gesetz Mosis verbietet ihnen den Weingenuß: „Die den Dienst des Altars besorgen, sollen nicht Wein und Gegorenes trinken“. — „Sicera“ heißt im Hebräischen jedes berauschende Getränk, gleichviel, ob es bereitet wird aus dem gegorenen Saft von Früchten oder aus eingekochtem Honig und Kräutern oder aus der gepreßten Frucht der Palme oder aus Früchten, die man zu Sirup zerkocht. „Alles was berauscht und dich um den Verstand bringt, das fliehe wie den Wein.“

Der Wein also, vor dessen Genuß die Könige gewarnt werden, der den Priestern gänzlich verboten wird, ist sicherlich von allen Nahrungsmitteln das gefährlichste. Gleichwohl sieht sich ein so geistbegnadeter Mann wie der heilige Benedikt genötigt, den Bedürfnissen seiner Zeit Rechnung zu tragen und für die Mönche eine Ermäßigung eintreten zu lassen. „Wir lesen zwar,“ sagt er, „daß der Wein für die Mönche überhaupt nichts sei, allein weil man in unserer Zeit die Mönche davon doch nicht überzeugen kann u. s. w.“

Er hatte wahrscheinlich auch gelesen, was in dem „Leben der Altväter“ berichtet wird: „Man hatte einem Vater von einem Mönche gesagt, daß er keinen Wein trinke, worauf dieser erwiderte: der Wein ist überhaupt nichts für Mönche“. Ferner ist dort zu lesen: „Eines Tages feierte man die Messe auf dem Berge des Vaters Antonius, und fand daselbst ein Gefäß mit Wein. Einer der Alten hob es auf und brachte einen Becher voll dem Vater Sisoi. Der trank ihn aus, nahm zum zweitenmal und leerte ihn wieder. Als ihm aber zum drittenmal angeboten wurde, wies er’s zurück und sagte: ‚Laß genug sein, Bruder, vergissest du, daß der Teufel darin steckt?‘“ Und weiter wird von dem Vater Sisoi berichtet: „Abraham sagte zu seinen Schülern: ‚Wenn man an einem Feiertag oder Sonntag zur Kirche geht und trinkt drei Kelche Wein, ist das nicht zu viel?‘ Und es antwortete der Alte: ‚Es wäre nicht zu viel, wenn der Satan nicht wäre‘“.

Wo in aller Welt, ich bitte dich, ist der Fleischgenuß von Gott mißbilligt und den Mönchen verboten worden? Beachte wohl, wie Benedikt sich genötigt sah, die Strenge seiner Regel zu ermäßigen, sogar in einem Stück, das für die Mönche noch viel gefährlicher ist und wovon er wußte, daß es überhaupt nichts für sie sei; er that es, weil er die Mönche zu seiner Zeit schon nicht mehr von der Notwendigkeit, in diesem Stück enthaltsam zu sein, überzeugen konnte. Möchte man doch auch in unserer Zeit mit derselben Schonung verfahren, und wenigstens die Dinge, welche in der Mitte zwischen Gut und Böse liegen und darum Indifferentien heißen, mit derselben Unbefangenheit behandeln. Etwas, das jetzt niemand mehr einleuchtet, sollte das Gelübde nicht verlangen; man sollte sich damit begnügen, alles, was in der Mitte liegt, zu erlauben, ohne Anstoß daran zu nehmen und nur das wirklich Sündhafte zu verbieten. Auch in Beziehung auf Nahrung und Kleidung sollte man die Forderungen dahin ermäßigen, daß man sich dessen bedienen dürfte, was billig zu haben ist; in allem sollte man auf das Notwendige sehen und alles Überflüssige meiden. Denn was uns nicht tüchtig macht für das Reich Gottes oder was uns vor Gott nicht besser macht, das ist auch unserer Sorge nicht wert. Dazu gehören alle äußerlichen Verrichtungen, an denen Verworfene und Auserwählte, Heuchler und Fromme in gleicher Weise teilnehmen. In nichts unterscheiden sich Christen und Juden so sehr als in den äußeren und inneren Werken; denn die Liebe allein, die der Apostel des Gesetzes Erfüllung und Ende nennt, scheidet die Söhne Gottes von denen des Teufels. Darum setzt der Apostel auch den Ruhm der Werke so sehr herunter, um dafür die Gerechtigkeit durch den Glauben zu erheben und ruft den Juden zu: „Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist aus. Durch welch Gesetz? Durch der Werke Gesetz? Nicht also, sondern durch des Glaubens Gesetz. So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben“. Weiter heißt es: „Ist Abraham durch die Werke gerecht, so hat er wohl Ruhm, aber nicht vor Gott. Was saget aber die Schrift? Abraham hat Gott geglaubt und das ward ihm zur Gerechtigkeit gerechnet“. Und wiederum sagt er: „Dem, der nicht mit Werken umgehet, glaubet aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit, nach dem Vorsatz der Gnade Gottes“.

Derselbe Apostel giebt auch den Christen volle Freiheit, alle Speisen zu essen und unterscheidet davon das, was wirklich gerecht macht: „Das Reich Gottes, sagt er, ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im heiligen Geist. Es ist zwar alles rein, aber es ist nicht gut dem, der es isset mit einem Anstoß seines Gewissens. Es ist viel besser du essest kein Fleisch und trinkest keinen Wein oder das, daran sich dein Bruder stößt oder ärgert oder schwach wird“.

An dieser Stelle wird nicht der Genuß einer Speise überhaupt verboten, sondern das Ärgernis, das daraus entstehen könnte; wie denn wirklich einige der bekehrten Juden Ärgernis daran genommen hatten, als sie sahen, wie die anderen auch solche Speisen aßen, die im Gesetz verboten waren. Diesen Anstoß wollte auch der Apostel Petrus vermeiden und wurde darum von Paulus nach dessen eigenem Bericht im Galaterbrief schwer getadelt und heilsam zurechtgewiesen. Dasselbe schreibt er den Korinthern: „Die Speise macht uns nicht besser vor Gott“ und wiederum: „Alles was feil ist auf dem Fleischmarkt, das esset … denn die Erde ist des Herrn und was drinnen ist“. Und an die Kolosser schreibt der Apostel: „So lasset nun niemand euch Gewissen machen über Speise oder über Trank“ und gleich darauf: „So ihr denn nun abgestorben seid mit Christus den Satzungen der Welt, was lasset ihr euch dann fangen mit Satzungen, als lebetet ihr noch in der Welt, die da sagen: du sollst das nicht angreifen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren, welches sich doch alles unter Händen verzehret, und ist Menschengebot und Lehre“.

Satzungen dieser Welt nennt er die Anfangsstufen des Gesetzes, welche sich auf die äußerlichen Regeln des Fleisches beziehen, in deren Befolgung die Welt, das heißt ein bislang noch fleischliches Volk, sich anfangs übte, wie an einem Alphabet. Diesen Anfangsstufen, d. h. diesen Regeln des Fleisches sind die abgestorben, die Christo angehören. Sie bedürfen ihrer nicht mehr, da sie nicht mehr in dieser Welt leben, d. h. nicht mehr im Fleisch nach dem Sichtbaren trachten und Unterschiede machen in den Speisen und in anderen Dingen, indem sie sagen: rühret dieses und jenes nicht an. Solche Dinge können durch die Art und Weise, wie man sie gebraucht, der Seele zum Verderben werden, wenn man sie, um mit dem Apostel zu reden, angreift, kostet, anrührt; aber man kann sich ihrer auch in demütiger Gesinnung bedienen; „Menschengebot und Lehre“ soll heißen: Gebot und Lehre fleischlich gesinnter, das Gesetz nur in äußerlichem Sinn verstehender Menschen, nicht Lehre Christi und der Seinigen. Denn er hat seinen Jüngern, als er sie aussandte zu predigen, in Beziehung auf Essen und Trinken volle Freiheit gelassen, obwohl es gerade für sie besonders wichtig war, jeden Anstoß zu vermeiden. Wo sie gastlich aufgenommen wurden, da sollten sie leben wie ihre Gastgeber, und essen und trinken, was man ihnen vorsetzte. Paulus scheint indessen schon im Geiste vorausgesehen zu haben, daß man von dieser Vorschrift des Herrn, die zugleich seine eigene war, abkommen werde. Denn an Timotheus schreibt er: „Der Geist aber saget deutlich, daß in den letzten Zeiten werden etliche von dem Glauben abtreten und anhangen den verführerischen Geistern und Lehren der Teufel durch die, so in Gleißnerei Lügenredner sind, und verbieten, ehelich zu werden und zu meiden die Speise, die Gott geschaffen hat, zu nehmen mit Danksagung, den Gläubigen und denen die die Wahrheit erkennen. Denn alle Kreatur Gottes ist gut und nichts verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird. Denn es wird geheiliget durch das Wort Gottes und Gebet. Wenn du den Brüdern solches vorhältst, so wirst du ein guter Diener Jesu Christi sein, auferzogen in den Worten des Glaubens und der guten Lehre, bei welcher du immerdar gewesen bist“.

Wenn man allein das äußere Werk der Enthaltsamkeit mit dem leiblichen Auge ansehen wollte, müßte man da nicht den Johannes und seine Jünger, die sich mit übertriebener Kasteiung quälten, über Jesus und seine Jünger stellen? Haben doch eben die Jünger Johannes, weil sie noch in der äußerlichen Werkheiligkeit der Juden steckten, Christum und die Seinigen getadelt und den Herrn selbst gefragt: „Warum fasten wir und die Pharisäer so viel und deine Jünger fasten nicht?“

In Erwägung dieses Gedankens macht der heilige Augustin einen Unterschied zwischen echter und äußerlicher Tugend und urteilt, daß durch rein äußerliche Werke kein besonderes Verdienst erworben werden könne. So sagt er in seiner Schrift „Über das Gut der Ehe“: „Keuschheit ist nicht eine Tugend des Leibes, sondern der Seele. Tugenden der Seele aber zeigen sich bisweilen am Körper, bisweilen bethätigen sie sich in der Gesinnung: so wird die Tugend der Märtyrer offenbar, wenn sie körperliche Leiden erdulden“. Weiter sagt er: „Hiob besaß schon vorher die Geduld, dem Herrn war sie bekannt und er legte Zeugnis davon ab, aber die Menschen lernten sie erst durch die Prüfungen und Heimsuchungen kennen, die er durchzumachen hatte“. Ferner: „Um aber ganz deutlich zu machen, daß die Tugend in der Gesinnung bestehen könne, auch ohne äußerlich sichtbares Werk, so will ich ein Beispiel anführen, das jeden Gläubigen überzeugen wird. Daß der Herr Jesus in Wirklichkeit gehungert und gedürstet, gegessen und getrunken habe, daran zweifelt keiner, der an das Evangelium glaubt. Stand er darum in der Tugend der Enthaltsamkeit von Speise und Trank vielleicht Johannes dem Täufer nach? Denn: ‚Johannes ist kommen, aß nicht Brot und trank keinen Wein, so sagten sie: er hat den Teufel. Des Menschen Sohn ist kommen, isset und trinket, so sagen sie: Siehe der Mensch ist ein Fresser und Weinsäufer, der Zöllner und Sünder Freund‘. Und nachdem er von Johannes und von sich selber dies ausgesagt, fügte er noch bei: ‚Die Weisheit ist gerechtfertigt worden durch ihre Kinder, welche sehen, daß es bei der Tugend der Enthaltsamkeit allezeit in erster Linie auf die Beschaffenheit des Herzens ankomme, daß sie sich aber je nach Zeit und Gelegenheit auch äußerlich bethätige, wie die Tugend der heiligen Märtyrer durch ihre Geduld im Leiden.‘ Darum ist das Verdienst des Petrus, der den Märtyrertod erlitten, nicht größer als das des Johannes, der nicht gelitten hat; auch hat sich Johannes, der nie verehelicht war, durch seine Enthaltsamkeit kein größeres Verdienst erworben als Abraham, der Kinder gezeugt hat: beide haben an ihrem Teil und zu ihrer Zeit Christo gedient, der eine im ehelosen Stand, der andere in der Ehe. Aber Johannes hat die Enthaltsamkeit auch äußerlich bethätigt, Abraham übte sie nur in der Gesinnung. Auf die Tage der Patriarchen folgte eine Zeit, in welcher durch das Gesetz jeder verdammt wurde, der in Israel keine Nachkommenschaft erzeugte; dennoch traf denjenigen nicht der Fluch des Gesetzes, der unfähig war, Kinder zu erzeugen. Nun aber ist die Fülle der Zeiten erschienen, wo es heißt: ‚Wer es fassen kann, der fasse es; wer da hat, der wirke Werke; wer aber nicht Werke wirken will, der sage nicht, daß er etwas in sich habe‘“. Aus diesen Worten geht klar hervor, daß vor Gott die tugendhafte Gesinnung allein ein Verdienst hat und daß alle, die an solcher Gesinnung einander gleich sind, und wären sie in Ansehung der Werke noch so verschieden, von Christus gleich belohnt werden. Darum sind alle wahren Christen so ganz mit ihrem inneren Menschen beschäftigt, ihn mit Tugenden zu zieren und von Fehlern zu reinigen, daß sie sich um das Außenwerk nicht oder wenig kümmern. So lesen wir auch von den Aposteln, daß ihr äußeres Gebaren, selbst als sie dem Herrn nachfolgten, so bäurisch und fast unanständig gewesen sei, daß es aussah, als hätten sie Ehrfurcht und Anstandsgefühl gänzlich vergessen. Scheuten sie sich doch nicht, beim Gang durch die Felder Ähren zu raufen, mit den Händen zu zerreiben und zu essen, wie Kinder, und auch mit dem Waschen der Hände vor dem Essen nahmen sie es nicht genau. Als sie aber deswegen von den Leuten der Unreinlichkeit gezeiht wurden, entschuldigte sie der Herr mit den Worten: „Mit ungewaschenen Händen essen verunreinigt den Menschen nicht.“ Und er fügt gleich den allgemeinen Satz hinzu, daß überhaupt durch Äußerlichkeiten die Seele nicht befleckt werden könne, sondern nur durch das, was aus dem Herzen hervorkomme, nämlich arge Gedanken, Ehebruch, Mord u. s. w. Denn wenn nicht durch den bösen Willen die Seele vorher verderbt würde, so könnte das, was äußerlich mit dem Leibe geschieht, nicht Sünde sein. Darum heißt es ganz richtig, daß auch der Ehebruch und der Mord aus dem Herzen komme. Denn keine körperliche Berührung ist dazu nötig — nach dem Spruch: „Wer ein Weib ansiehet, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen“ und nach dem andern: „Wer seinen Bruder hasset, der ist ein Totschläger“. Andererseits bewirkt die bloße äußere körperliche Berührung oder Verletzung noch keineswegs das Verbrechen: ein Weib, das der Gewalt erliegt, wird niemand des Ehebruchs zeihen, so wenig wie einen Richter, der nach Recht und Gerechtigkeit einen Verbrecher zum Tode verurteilt, des Mordes. „Denn kein Mörder — steht geschrieben — hat teil am Reiche Gottes“.

Wir müssen also weniger darauf sehen, was geschieht, als darauf, aus welcher Gesinnung eine Handlung entspringt, wenn wir dem gefallen wollen, der Herzen und Nieren prüft und im Verborgenen siehet, der, wie Paulus sagt, „richten wird das Verborgene der Menschen laut meines Evangeliums“, d. h. nach der Lehre meiner Predigt. Darum ist auch die bescheidene Gabe der Witwe, die zwei Scherflein einlegte, die machen einen Heller, allen prunkenden Gaben der Reichen von dem vorgezogen worden, zu welchem wir sprechen: „Du bedarfst nicht meiner Güter“, und der die Gabe nach dem Geber beurteilt, nicht den Geber nach der Gabe, wie geschrieben steht: „Der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer“; das will sagen: er sah vorher an die Frömmigkeit des Opfernden und um deswillen, der es gab, war ihm das Opfer angenehm.

Wahre Herzensfrömmigkeit hat vor Gott um so höheren Wert, je weniger wir unser Vertrauen auf äußere Werke setzen. Darum schreibt auch der Apostel dem Timotheus, nachdem er in der oben geschilderten Weise den Genuß aller Speisen freigegeben, über leibliche Übung und Kasteiung folgendes: „Übe dich selbst in der Gottseligkeit; denn die leibliche Übung ist wenig nutz, aber die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens“. Denn die fromme Ergebung in Gott erhält von ihm die Notdurft dieses Lebens und dereinst die Güter der Ewigkeit.

Aus diesen Zeugnissen sollen wir nichts anderes lernen als die christliche Weisheit; wir sollen, gleich Jakob, von den Tieren des Hauses unserem Vater eine Labung bereiten, nicht wie Esau draußen nach Wildbret fahnden und in jüdischer Art am Außenwerk hängen bleiben. So ist auch jenes Wort des Psalmisten gemeint: „Vor mir sind, o mein Gott, die Gelübde, die ich dir gethan, und ich will sie lösen, indem ich dich preise“. Nimm dazu noch das Wort des Dichters: „Suche dein Wesen nicht außer dir selbst“.

Viele, ja unzählige Aussprüche weltlicher und geistlicher Lehrer legen Zeugnis dafür ab, daß man sich um äußerliche und gleichgültige Dinge nicht gar sehr kümmern solle. Wo nicht, so müßten ja die Werke des Gesetzes und das nach dem Ausspruch des Petrus unerträgliche Joch seiner Knechtschaft der Freiheit des Evangeliums vorzuziehen sein, und dem sanften Joch Christi und seiner leichten Last. Christus selbst ladet uns ein zu diesem sanften Joch, zu dieser leichten Last: „Kommet her zu mir, ruft er, alle die ihr mühselig und beladen seid“. Darum hat auch der Apostel einige zum Christentum bekehrte Juden scharf getadelt, als sie dafür hielten, man müsse die Werke des Gesetzes noch beibehalten. Nach dem Bericht der Apostelgeschichte sagte er: „Ihr Männer, lieben Brüder, was versucht ihr denn nun Gott mit Auflegen des Jochs auf der Jünger Hälse, welches weder unsere Väter noch wir haben mögen tragen. Sondern wir glauben durch die Gnade des Herrn Jesu Christi selig zu werden, gleicherweise wie auch sie“.

Dich selbst aber, der du nicht bloß Christi Vorbild nachlebst, sondern auch seinem Apostel durch deine Klugheit wie durch deinen Namen gleichst, beschwöre ich: halte in den Forderungen äußerer Werke das Maß, welches durch die Rücksicht auf unsere schwache Natur geboten ist, damit wir uns um so mehr dem Dienste und Preise Gottes widmen können. Denn nachdem der Herr alle äußerlichen Opfer abgelehnt hat, empfiehlt er dieses ausdrücklich mit den Worten: „Wo mich hungerte, wollte ich dir nicht davon sagen; denn der Erdboden ist mein und alles was darinnen ist. Meinest du, daß ich Ochsenfleisch essen wollte oder Bocksblut trinken? Opfere Gott Dank und bezahle dem Höchsten deine Gelübde. Und rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen“.

Wir reden nicht davon als wollten wir überhaupt die Anstrengung äußerlicher Arbeit verwerfen, soweit dieselbe notwendig ist; nur wollen wir das, was der leiblichen Notdurft dient und uns in der Verrichtung des Gottesdienstes hinderlich ist, nicht gar zu hoch schätzen; besonders da durch apostolische Autorität frommen Frauen gerade das zugestanden wird, daß sie mehr durch fremde Handreichung ihren Lebensunterhalt bestreiten als durch eigene Arbeit. Darum schreibt auch Paulus an den Timotheus: „So aber ein Gläubiger Witwen hat, der versorge dieselbigen und lasse die Gemeine nicht beschweret werden; auf daß die, so rechte Witwen sind, genug haben“. Unter rechten Witwen versteht er nämlich diejenigen, welche sich Christo geweiht haben, denen nicht nur ihr Mann gestorben, sondern denen auch die Welt gekreuzigt ist und sie der Welt. Diese haben ein gutes Recht darauf aus den Mitteln der Kirche, die gleichsam das Eigentum ihres himmlischen Bräutigams sind, unterhalten zu werden. Darum hat auch der Herr seine Mutter unter den Schutz des Apostels gestellt, nicht unter den ihres Mannes, und die Apostel haben sieben Diakonen, d. h. Diener der Kirche, eingesetzt, die den gläubigen Frauen Handreichung thun sollten.

Wir wissen zwar wohl, daß der Apostel in seinem Brief an die Thessalonicher einen Teil der Gemeinde, der sich einem müßigen, träumerischen Leben ergab, scharf verurteilt hat und auch die Regel aufstellte: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen“; auch ist uns bekannt, daß der heilige Benedikt, um dem Müßiggang zu steuern, Handarbeit vorgeschrieben hat. Allein saß nicht auch Maria einst müßig zu den Füßen des Herrn, um ihm zuzuhören, während Martha ihr und dem Herrn diente und mit einem gewissen Neid über die Saumseligkeit der Schwester murrte, welche sie allein des Tages Last und die Hitze tragen lasse? So sehen wir noch heute oftmals diejenigen, die mit äußerlichen Geschäften sich abmühen, murren, wenn sie denen mit der irdischen Notdurft dienen sollen, welche sich dem Dienste Gottes geweiht haben. Und oftmals beklagen sie sich über einen Verlust, den sie durch eine Gewaltthat erleiden, nicht so sehr, wie über das, was sie solchen müßigen Faulenzern, wie sie sagen, entrichten müssen. Und doch sehen sie, daß solche Leute nicht allein damit beschäftigt sind, die Worte Christi zu hören, sondern daß ihre Zeit auch mit dem Lesen und Singen derselben ausgefüllt ist. Sie vergessen, daß es, wie der Apostel sagt, nichts besonderes ist, wenn sie diejenigen mit dem Leiblichen versorgen, von denen sie geistliche Gaben erwarten, und daß es nicht mehr als billig ist, wenn die, deren Streben auf das Irdische gerichtet ist, denen dienen, welche sich mit dem Geistlichen beschäftigen. Darum ist diese heilsame Muße und Freiheit auch vom Gesetz selber den Dienern der Kirche eingeräumt worden: der Stamm Levi sollte keinen Teil an dem erblichen Landbesitz haben, um desto ungestörter dem Herrn dienen zu können; dafür sollten ihm Zehnten und Abgaben von der Arbeit der anderen zufallen.

Was Fasten und Enthaltsamkeit betrifft, die der Christ mehr den Lastern gegenüber üben soll als in Beziehung auf Essen und Trinken, so wird es sich fragen, ob es sich empfiehlt, hierin zu der kirchlichen Vorschrift noch weitere Forderungen hinzuzufügen, und dann soll man diejenige Verordnung geben, die für uns am besten paßt. Ganz besonders richte dein Augenmerk auf die gottesdienstlichen Verrichtungen und auf die Verteilung der Psalmen, und trage wenigstens in diesem Stück, wenn irgend möglich, unserer Schwachheit Rechnung. Wir wollen nicht jede Woche den ganzen Psalter durchmachen und so immer dieselben Psalmen wiederholen müssen. Auch der heilige Benedikt, der die Woche so einteilte, wie er’s für angemessen hielt, hat doch seinen Nachfolgern in diesem Punkt freie Hand gelassen, indem er sie ermahnt, eine andere Ordnung einzuführen, wenn sie sich mehr empfehlen sollte. Er war sich dessen bewußt, daß im Laufe der Zeit die Herrlichkeit der Kirche immer schöner sich entfalten werde und daß sie, anfangs gegründet auf ein unscheinbares Fundament, dereinst zum herrlichen Bauwerk sich erheben werde.

Das aber bitten wir dich vor allem festzusetzen, wie wir uns zu verhalten haben in Beziehung auf die Verlesung des Evangeliums und auf die nächtlichen Vigilien. Denn um diese Zeit Priester oder Diakonen zu solcher Verrichtung bei uns einzulassen, scheint mir gefährlich, da wir doch die Nähe und den Anblick von Männern peinlich meiden sollen, um uns desto aufrichtiger Gott widmen zu können und vor Versuchungen desto sicherer zu sein.

Dir, mein Geliebter fällt die Aufgabe zu, so lange du noch lebst, uns eine Regel zu geben, die für alle Zeiten bei uns in Geltung bleiben soll. Du bist ja doch nächst Gott der Gründer dieses Heiligtums, du warst durch Gottes Hand der Schöpfer unserer Gemeinschaft, du sollst jetzt mit Gottes Hilfe der Gesetzgeber unseres Ordens sein. Vielleicht bekommen wir einst nach dir einen andern Lehrer, der einen andern Grund legen und darauf bauen möchte. Wir fürchten, ein solcher möchte weniger für uns besorgt sein oder es möchte uns schwerer fallen, ihm zu gehorchen; auch könnte er vielleicht wohl den guten Willen, aber nicht die Kraft zum Vollbringen haben. Rede du zu uns und wir werden hören. Lebe wohl!

VII. Brief.
Abaelard an Heloise.

Geliebte Schwester! Deine Liebe verlangt in deinem und in deiner geistigen Töchter Namen Aufschluß über den Orden, welchem ihr angehöret und über den Ursprung des Standes der Nonnen: ich will dir so kurz und knapp als möglich darüber Auskunft geben.

Die erste Grundlage seiner Lebensordnung hat der Stand der Mönche und Nonnen von unserem Herrn Jesus Christus selber überkommen. Gleichwohl gab es auch schon vor der Menschwerdung des Herrn unter Männer und Frauen gewisse Anfänge dieser Lebensform. So schreibt Hieronymus an Eustochium: „Die Söhne der Propheten, von denen wir im Alten Testament lesen als von Mönchen“. Auch erzählt der Evangelist von jener Hanna, die beständig im Tempel und beim Gottesdienst war und die zugleich mit Simeon den Herrn im Tempel begrüßen durfte und dabei vom prophetischen Geiste erfüllt wurde. Dann, als die Zeit erfüllet war, kam Christus, das Ende des Gesetzes und alles Guten Vollendung, um das angefangene Gute hinauszuführen und das, was noch unbekannt war, auszurichten. Wie er gekommen war, um beide Geschlechter zu sich zu rufen und zu erlösen, so hat es ihm auch gefallen, beide Geschlechter in dem wahren Mönchtum seiner Gemeinschaft zu vereinigen. Dadurch sollte dieser Beruf für Männer wie für Frauen seine weihevolle Bedeutung erhalten, und allen wurde durch Christus die Vollkommenheit des Lebens vor Augen gestellt, der sie nachstreben sollten. Und so lesen wir denn von einer Gemeinschaft frommer Frauen, die mit den Aposteln und übrigen Jüngern und mit der Mutter des Herrn in Verbindung standen. Diese Frauen entsagten der Welt und verzichteten auf jeden eigenen Besitz, um Christum allein zu gewinnen, wie geschrieben steht: „Der Herr ist mein Erbteil“. Sie erfüllten in frommem Eifer die Bedingung, welche nach der vom Herrn aufgestellten Regel alle erfüllen müssen, die der Welt den Abschied geben und in die Gemeinschaft dieses frommen Lebens eintreten wollen. „Wer nicht verleugnet alles was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.“

Mit welcher Ergebenheit diese heiligen Frauen und wahren Nonnen dem Herrn nachgefolgt sind, und wie ihre Frömmigkeit von Christus selbst und nachher von den Aposteln anerkannt und in Ehren gehalten worden ist, das steht ausführlich in der heiligen Geschichte zu lesen. Wir lesen im Evangelium, wie der murrende Pharisäer, bei dem der Herr zu Gaste war, von diesem getadelt und der Liebesdienst des sündigen Weibes weit über die genossene Gastfreundschaft gestellt wurde. Wir lesen weiter, wie Lazarus nach seiner Auferweckung mit den andern bei Tische saß und seine Schwester Martha allein die Bedienung übernahm, wie Maria ein Pfund köstlicher Salbe auf die Füße des Herrn goß und mit ihren eigenen Haaren sie abtrocknete, und wie vom Duft dieser köstlichen Salbe das ganze Haus erfüllt wurde, und wie im Gedanken an ihre Kostbarkeit und weil hier eine unnötige Verschwendung getrieben zu werden schien, der Geiz des Judas und der Unwille der übrigen Jünger geweckt wurde. Während also Martha sich um die Bewirtung bemüht, bereitet Maria Wohlgerüche, die eine erquickt den Müden innerlich, die andere läßt ihm äußerliche Pflege angedeihen.

Nur von Frauen erzählen die Evangelien, daß sie dem Herrn gedient haben. Sie gaben ihr Eigentum für seinen täglichen Unterhalt hin und versorgten ihn besonders mit der Notdurft dieses Lebens. Er selbst hat sich seinen Jüngern gegenüber bei Tisch, bei der Fußwaschung zum Diener erniedrigt. Es ist uns aber nichts davon bekannt, daß ihm von einem seiner Jünger oder überhaupt von einem Manne ein ähnlicher Dienst erwiesen worden sei: die Frauen allein stellten ihm, wie schon gesagt, in solchen und allen anderen Fällen der Bedürftigkeit ihre Dienste zur Verfügung. Das Gegenstück zu der dienenden Demut des Herrn bei Tische sehen wir in dem Walten der Martha, und im Liebesdienst der Maria das Gegenstück zur Fußwaschung. Maria zeigt dabei um so mehr frommen Eifer, je schuldvoller ihre Vergangenheit gewesen war. Der Herr goß Wasser in eine Schale, um die Fußwaschung zu verrichten: sie aber netzte seine Füße mit Thränen tiefinnerster Reue, nicht mit äußerlichem Wasser. Jesus trocknete mit einem Linnen den Jüngern die Füße, ihr mußten die Haare statt des Tuches dienen. Maria fügte noch wohlriechende Salben hinzu, während uns nicht bekannt ist, daß der Herr etwas Ähnliches gethan habe. Ferner weiß ja jedermann, daß sie im Vertrauen auf seine Güte und Nachsicht sich nicht scheute, ihre Salbe über sein Haupt auszugießen. Und zwar wird berichtet, daß sie die Salbe nicht aus dem Gefäß habe träufeln lassen, sondern sie habe das Gefäß zerbrochen und so dessen Inhalt über den Herrn ausgegossen. Sie wollte damit der Glut ihres frommen Eifers Ausdruck geben; denn ein Gegenstand, der so hohen Dienstes gewürdigt war, sollte hinfort zu nichts anderem mehr benutzt werden. Durch diese That stellte sie jenen Verbrauch der Salbe dar, von dem der Prophet Daniel geweissagt hatte: wann der Heilige der Heiligen werde gesalbt werden.

Siehe da, ein Weib salbt den Heiligen der Heiligen und legt durch ihre That Zeugnis ab, daß er zugleich derjenige ist, an den sie glaubt und der, welchen der Prophet im voraus angekündigt hatte. Welch unbegreifliche Güte des Herrn, oder was für ein besonderes Verdienst kommt den Frauen zu, daß er nur ihnen sein Haupt wie seine Füße anvertraut, sie zu salben? Wie kommt das schwächere Geschlecht zu dem hohen Vorrechte, daß ein Weib den Herrn der Herrlichkeit salben durfte, der doch von seiner Empfängnis an mit dem heiligen Geist gesalbt und geweiht war. Mit sichtbaren Weihemitteln durfte sie ihn zum König und Priester weihen und ihn so auch äußerlich zum Christus, d. h. zum Gesalbten machen.

Wir wissen, daß zuerst der Erzvater Jakob einen Stein gesalbt hat, in prophetischem Hinweis auf den Herrn. Und auch später war es nur den Männern gestattet, die Salbung von Königen oder Priestern vorzunehmen oder überhaupt die Sakramente zu verwalten, nur das Recht zu taufen wurde den Frauen unter Umständen eingeräumt. Der Erzvater hatte einst den Stein zum Tempel geweiht, und noch jetzt weiht der Priester den Altar mit Öl ein. Also die Männer geben nur den Abbildern die Weihe, das Weib dagegen hat am Urbild selbst ihre Wirkung ausgeübt, wie denn die Wahrheit selbst bezeugt: „Sie hat ein gutes Werk an mir gethan“. Christus selbst wird von einem Weibe gesalbt, die Christen von Männern, das Haupt von einer Frau, die Glieder von Männern.

Mit vollem Recht wird von ihr erzählt, sie habe die Salbe auf sein Haupt nicht geträufelt, sondern darüber ausgegossen, nach jenem Wort, das die Braut im Hohenlied von dem Herrn sagt: „Dein Name ist eine ausgegossene Salbe“. Auf die überströmende Fülle dieser Salbe deutet auch der Psalmist vorbildlich hin, wenn er von einer Salbe spricht, die vom Haupt bis zum Saum des Kleides hinabfloß: „Wie der köstliche Balsam ist, der herabfließt vom Haupt Aarons in seinen ganzen Bart, der herabfließt in sein Kleid“.

Von David lesen wir, daß er eine dreifache Salbung erhalten habe, und auch Hieronymus erwähnt dies zu Psalm XXVI. Eine dreifache erhalten auch Christus und die Christen: an den Füßen und am Haupt ist der Herr von einem Weibe gesalbt worden, seinen Leichnam haben, nach dem Bericht des Johannes, Joseph von Arimathia und Nikodemus mit Spezereien bestattet. Und auch die Christen werden durch dreifache Salbung geweiht: die erste geschieht durch die Taufe, die zweite durch die Konfirmation, die dritte durch die letzte Ölung.

Erkenne nun, wie die Frau hier bevorzugt wird: Zweimal wird der lebendige Christus von ihr gesalbt, an Füßen und Haupt, und erhält von ihr die Weihe des Königs und des Priesters. Die Salbe aus Myrrhen und Aloe, die zur Einbalsamierung der Leichen dient, deutet im voraus hin auf die Unverweslichkeit des Leibes des Herrn, welche auch die Auserwählten in der Auferstehung erlangen. Die vorausgehende Salbung durch das Weib aber deutet an die einzigartige Würde seines Königtums wie seiner Priesterwürde; und zwar die Salbung des Hauptes bedeutet die höhere, die der Füße die niedrigere Würde. Siehe da! selbst die Weihe des Königs empfängt er von einem Weibe, der doch die von Männern ihm gebotene Krone ausschlug und ihnen entfloh, als sie ihn mit Gewalt zum König machen wollten. Himmlischen, nicht irdischen Königtums Weihe vollzieht das Weib an ihm, der selbst später von sich gesagt hat: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“

Bischöfe rühmen sich, wenn sie unter dem Beifallsruf der Menge irdische Könige salben, wenn sie, angethan mit ihren prächtigen goldglänzenden Gewändern, sterbliche Priester weihen und dabei oftmals diejenigen segnen, die Gott verflucht. Hier das einfache Weib in ihrem gewöhnlichen Kleid, ohne Pomp und Prunk; trotz des Unwillens der Apostel vollzieht sie an Christus die Weihe; nicht hoher Rang giebt ihr das Recht dazu, sondern allein ihre hingebende Frömmigkeit. O starke Glaubensbeharrlichkeit, o unsagbare Liebesglut, die alles glaubet, alles hoffet, alles träget! Der Pharisäer murrt, daß des Herrn Füße von einer Sünderin sollen gesalbt werden; die Apostel mißbilligen es laut, daß das Weib selbst sein Haupt zu berühren wagt. Aber ihr Glaube bleibt allenthalben unerschüttert, sie traut auf die Güte des Herrn, und der Herr läßt sie nicht ohne Schutz und Hilfe. Wie lieblich und angenehm ihm diese Salbung gewesen, gesteht er ja selbst, indem er verlangt, man solle sie gewähren lassen, und zu dem entrüsteten Judas sagt: „Laß sie mit Frieden, sie mag’s so halten zum Tag meiner Begräbnis“. Als wollte er sagen: mißgönne nicht diesen Liebesdienst dem Lebendigen, damit du nicht dadurch zugleich dem Toten das letzte fromme Zeichen der Verehrung entziehest. Bekannt ist ja, daß auch für die Bestattung des Herrn fromme Frauen Spezereien bereitet haben. Maria hätte dabei vielleicht nicht mitgewirkt, wenn sie bei jener ersten Gelegenheit durch eine Zurückweisung in Verlegenheit versetzt worden wäre. Ja, als die Jünger über die große Kühnheit des Weibes unwillig wurden und nach dem Bericht des Markus sie anfuhren, besänftigte er ihren Zorn durch milden Zuspruch und erhob dann des Weibes That also hoch, daß er sie ins Evangelium aufgenommen wünschte und voraussagte, daß wo in aller Welt von ihm gepredigt werden werde, man auch das sagen werde zu Lob und Gedächtnis dieser Frau, die damals ihrer Kühnheit wegen sich tadeln lassen mußte. Wir wissen von keiner andern That der Liebe, die in solcher Weise vom Herrn selber gelobt und anerkannt worden wäre. Auch an dem Beispiel der armen Witwe, deren Almosen er allen reichen Kirchenstiftungen vorzog, hat er deutlich gezeigt, wie angenehm vor ihm die Frömmigkeit der Frauen sei.

Petrus hat sich nicht gescheut, es laut auszusprechen, daß er und seine Mitjünger alles um Christi willen verlassen haben. Zachäus, voll Sehnsucht die Ankunft des Herrn erwartend, schenkt die Hälfte seiner Güter den Armen und ist bereit, so er jemand betrogen hat, es vierfältig wiederzugeben. Viele andere haben es sich im Namen Christi oder für Christum noch viel mehr kosten lassen und haben viel größere Herrlichkeiten in seinen Dienst gestellt oder um seinetwillen verlassen. Und doch haben sie alle nicht das hohe Lob des Herrn geerntet wie die Frauen.

Wie groß ihre fromme Hingabe für ihn war, das lehren uns am deutlichsten die Vorgänge beim Tode des Herrn. Sie, die Frauen, harren unerschrocken aus, während das Haupt der Apostel seinen Herrn verleugnet, während der Jünger, den der Herr lieb hatte, entflieht und die übrigen sich zerstreuen. Keine Furcht, keine Verzweiflung konnte die Frauen während seines Leidens und in der Stunde des Todes von Christus trennen. Auf sie ganz besonders scheint das Wort des Apostels zu passen: „Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst?“ Darum hat auch Matthäus, nachdem er von sich selber und von den andern Jüngern gleicherweise berichtet hatte: „Da verließen ihn alle Jünger und flohen von ihm“ — im weiteren Verlauf seiner Erzählung das treue Ausharren der Frauen hervorgehoben, die selbst dem Gekreuzigten noch zur Seite standen, soweit es ihnen verstattet wurde: „Und es waren viel Weiber da, die von ferne zusahen, die da Jesu waren nachgefolget aus Galiläa und hatten ihm gedienet“. Auch erzählt derselbe Evangelist getreulich, wie sie sich selbst vom Grabe des Herrn nicht trennen konnten: „Es waren aber Maria Magdalena und die andere Maria, die setzten sich gegen das Grab“. Von diesen Frauen berichtet auch Markus: „Es waren auch Weiber da, die von ferne solches schaueten, unter welchen war Maria Magdalena und Maria des kleinen Jakobs und Joses Mutter, und Salome, die ihm auch nachgefolget, da er in Galiläa war und gedienet hatten, und viele andere, die mit ihm hinauf gen Jerusalem gegangen waren“.

Johannes erzählt, sie seien unter dem Kreuze gestanden, und auch er selbst, der vorher geflohen war, sei bei dem Gekreuzigten gestanden; aber von dem Ausharren der Frauen spricht er zuerst, wie wenn er durch ihr Beispiel ermutigt und zurückgerufen worden wäre. „Es stund aber bei dem Kreuze Jesu seine Mutter, und seiner Mutter Schwester, Maria, Kleophas Weib, und Maria Magdalena. Da nun Jesus seine Mutter sahe und den Jünger dabei stehen“ u. s. w.

Diese Ausdauer der heiligen Frauen und die Schwachheit der Jünger hat lange vor dieser Zeit der fromme Hiob für die Person Christi angedeutet in prophetischen Worten: „All mein Fleisch ist geschwunden und an meiner Haut hängt das Gebein, und nur die Lippen an meinen Zähnen sind übrig geblieben“. Auf den Gebeinen nämlich beruht die Rüstigkeit des Körpers, weil sie dem Fleisch und der Haut zur Stütze dienen. In dem Leib Christi nun, d. h. in der Kirche, ist unter dem Gebein der feste Grund des christlichen Glaubens gemeint oder jene glühende Liebe, von welcher es im Lied der Lieder heißt, daß auch viel Wasserströme die Liebe nicht mögen verlöschen; von welcher auch der Apostel sagt: „Sie träget alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles“. Das Fleisch aber bildet am Körper das Innere, die Haut das Äußere. Die Apostel, die durch ihre Predigt für die Nahrung der Seele sorgen und die Frauen, die sich um die Bedürfnisse des Körpers bemühen, werden mit dem Fleisch und mit der Haut (am Leibe Christi) verglichen. Da nun das Fleisch dahinschwand, hing das Gebein Christi unmittelbar an der Haut; das heißt: als die Jünger am Leiden ihres Herrn Anstoß nahmen und über seinen Tod in Verzweiflung gerieten, blieb die fromme Ergebenheit der Frauen unerschüttert und wich keinen Zoll breit von dem Gebein Christi. Denn die Beharrlichkeit des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe hielt sie so fest bei ihm zurück, daß sie selbst von dem Toten sich nicht trennen konnten, weder in Gedanken noch körperlich. Die Männer sind ja von Natur an Geist und Körper den Frauen überlegen. Darum wird mit Recht die männliche Natur unter dem Bilde des Fleisches dargestellt, welches dem Gebein näher ist, die schwache Natur des Weibes dagegen unter dem Bilde der Haut. Ferner: die Aufgabe der Apostel ist es, die sündigen Menschen durch ihre Rüge gleichsam zu beißen, darum stellen sie die Zähne des Herrn dar. Ihnen sind nur noch die Lippen übrig geblieben, das heißt Worte statt Thaten; denn in ihrer Hoffnungslosigkeit redeten sie wohl von Christus, thaten aber nichts für ihn. In dieser Verfassung waren auch die beiden Jünger, die nach Emmaus gingen und miteinander redeten von allem, was in diesen Tagen geschehen war; denen dann der Herr erschien und ihrer Mutlosigkeit aufhalf. Endlich: was hatten Petrus und die übrigen Jünger anderes als Worte, als der Herr seinen Leidensweg betreten mußte und der Herr selbst ihnen vorausgesagt hatte, daß sie sich an seinem Leiden ärgern werden? „Wenn sie auch alle, sprach Petrus, sich an dir ärgerten, so will ich doch mich nimmermehr ärgern.“ Und noch mehr: „Und wenn ich mit dir sterben müßte, so will ich dich nicht verleugnen. Desgleichen sagten auch alle Jünger“. Freilich: sie sagten mehr als sie thaten. Jener erste und größte Apostel, der mit dem Munde so standhaft war, daß er zum Herrn sagte: „Ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“; dem der Herr seine Kirche im besonderen anvertraut hatte mit den Worten: „Wenn du dich dermaleins bekehrst, so stärke deine Brüder“ — er schämt sich nicht, auf das Wort einer Magd hin seinen Herrn zu verleugnen. Und nicht bloß einmal thut er das, sondern dreimal hintereinander; während sein Meister noch lebt, verleugnet er ihn, und ebenso fliehen alle übrigen Jünger von ihm in alle Winde; die Frauen dagegen lassen sich von ihm, auch nach seinem Tode, nicht trennen, weder geistig noch körperlich. Eine von ihnen, jene fromme Sünderin, spricht, indem sie den Toten noch sucht und ihn ihren Herrn nennt: „Sie haben meinen Herrn weggenommen“, und weiter: „Hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo hast du ihn hingeleget, so will ich ihn holen“. Die Widder, ja vielmehr die Hirten, der Herde des Herrn, sie fliehen: die Schafe harren mutig aus. Seine Jünger mußte der Herr ihrer fleischlichen Schwäche wegen tadeln, denn sie vermochten selbst in seiner höchsten Leidensnot nicht eine Stunde mit ihm zu wachen. Die Frauen brachten an seinem Grab eine schlaflose Nacht unter Thränen zu und wurden gewürdigt, die Herrlichkeit des Auferstandenen zuerst zu sehen. Dem sie so treu waren bis in den Tod, sie haben ihm ihre Liebe, während er lebte, nicht mit Worten, sondern mit Thaten bewiesen. Und von der Angst, die sie um sein Leiden und Sterben erlitten hatten, wurden sie zuerst befreit durch die frohe Kunde, daß er auferstanden sei und lebe.

Während, nach Johannes, Joseph von Arimathia und Nikodemus den Leichnam des Herrn in Leinwand wickelten und mit Spezereien bestatteten, sahen, nach dem Berichte des Markus, Maria Magdalena und Maria, die Mutter Joses, mit Eifer zu, wohin er gelegt wurde. Auch Lukas erzählt von ihnen; „Es folgten aber die Weiber nach, die mit ihm kommen waren aus Galiläa und beschaueten das Grab und wie sein Leib gelegt ward; sie kehreten aber um und bereiteten Spezereien“. Sie begnügten sich nicht mit den Spezereien des Nikodemus, sie wollten auch die ihrigen noch dazu thun. Und den Sabbath über waren sie stille nach dem Gesetz; nach Markus aber kamen, als der Sabbath um war, in aller Frühe am Tage der Auferstehung selbst Maria Magdalena und Maria Jakobi und Salome zum Grab.

Nachdem wir nun ihren frommen Eifer gezeigt haben, wollen wir weiter sehen, welcher Ehre sie gewürdigt wurden. Fürs erste wurden sie durch die Erscheinung des Engels getröstet mit der Kunde, daß der Herr schon auferstanden sei; sodann durften sie zuerst den Herrn sehen und berühren. Und zwar vor allen andern Maria Magdalena, deren Liebesglut die lebendigste war; dann die andern mit ihr, von welchen es heißt, daß sie nach der Engelserscheinung „zum Grabe hinausgingen und liefen, daß sie es seinen Jüngern verkündigeten, und siehe da begegnet ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßet. Und sie traten zu ihm und griffen an seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus: Gehet hin und verkündiget es meinen Brüdern, daß sie gehen nach Galiläa: daselbst werden sie mich sehen“. Auch Lukas berichtet darüber in ähnlicher Weise: „Es waren aber Maria Magdalena und Johanna und Maria Jakobi, und andere mit ihnen, die solches den Aposteln sagten“. Auch Markus verschweigt es nicht, daß die Frauen zuerst von dem Engel zu den Aposteln geschickt worden seien, um es ihnen zu verkündigen; er läßt den Engel zu den Weibern sagen: „Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Gehet aber hin und saget es seinen Jüngern und Petrus, daß er vor euch hingehen wird in Galiläa“. Auch der Herr selbst, da er zuerst der Maria Magdalena erscheint, sagt zu ihr: „Gehe hin zu meinen Brüdern und sag ihnen, ich fahre auf zu meinem Vater.“

Wir sehen aus diesen Berichten, daß jene frommen Frauen gleichsam als Apostelinnen über die Apostel gesetzt wurden, da sie entweder vom Herrn oder von den Engeln zu ihnen gesandt werden, um ihnen die Freudenbotschaft der Auferstehung zu bringen, auf die alle warteten, so daß die Apostel von den Frauen zuerst erfuhren, was sie nachher aller Welt predigten.

Der Evangelist hat, wie wir oben sahen, erzählt, daß der Herr die Frauen grüßte, als er ihnen nach seiner Auferstehung begegnete: durch seine Begegnung wie durch seinen Gruß wollte er ihnen zeigen, wie sehr sie Gegenstand seiner fürsorgenden Liebe seien. Wir erfahren nirgends, daß er anderen gegenüber das ausdrückliche Begrüßungswort: „seid gegrüßet“ gebraucht habe: im Gegenteil hat er ja früher seinen Jüngern das Grüßen untersagt mit den Worten: „Und grüßet niemand auf dem Wege“. Es ist, als hätte er dieses Vorrecht bis jetzt den frommen Frauen aufbehalten und selbst an ihnen ausüben wollen, nachdem er schon die Glorie der Unsterblichkeit erlangt hatte.

Auch in der Apostelgeschichte, welche berichtet, daß die Apostel alsbald nach der Himmelfahrt des Herrn vom Ölberg nach Jerusalem zurückgekehrt seien, und die Frömmigkeit jener heiligen Gemeinschaft ausführlich schildert, wird der fromme Eifer und die Standhaftigkeit der Frauen im Glauben nicht mit Stillschweigen übergangen, sondern es heißt von ihnen: „diese alle waren stets bei einander einmütig mit Bitten und Flehen samt den Weibern und Maria, der Mutter Jesu“.

Aber wir wollen nicht weiter sprechen von den jüdischen Frauen, die gleich im Anfang, während der Herr selbst noch lebte und das Evangelium verkündigte, zum Glauben kamen und den Grund legten zu der Lebensweise, die ihr erwählt habt. Sondern wir wollen auch der griechischen Witwen gedenken, welche später von den Aposteln in die Gemeinde aufgenommen worden sind; wir werden da sehen, mit welcher Liebe und Sorgfalt die Apostel ihnen entgegenkamen und wie jener ruhmreiche Bannerträger des christlichen Häufleins, Stephanus, der erste der Märtyrer, mit einigen anderen geistbegabten Männern von den Aposteln zu ihrem Dienste aufgestellt wurde. Auch hierüber berichtet die Apostelgeschichte: „In den Tagen aber, da der Jünger viel wurden, erhub sich ein Murmeln unter den Griechen wider die Hebräer, darum daß ihre Witwen übersehen wurden in der täglichen Handreichung. Da riefen die Zwölfe die Menge der Jünger zusammen und sprachen: ‚Es taugt nicht, daß wir das Wort Gottes unterlassen und zu Tische dienen. Darum, ihr lieben Brüder, sehet unter euch nach sieben Männern, die ein gut Gerücht haben und voll heiligen Geists und Weisheit sind, welche wir bestellen mögen zu dieser Notdurft. Wir aber wollen anhalten am Gebet und am Amt des Wortes.‘ Und die Rede gefiel der ganzen Menge wohl und erwähleten Stephanum, einen Mann voll Glauben und heiligen Geistes und Philippum und Prochorum und Nikanor und Timon und Parmenam und Nikolaum, den Judengenossen von Antiochia. Diese stellten sie vor die Apostel und beteten und legten die Hände auf sie“. Es spricht gar sehr für die Enthaltsamkeit des Stephanus, daß er zum Dienst und zur Fürsorge für die frommen Frauen bestellt wurde. Was für ein hohes Ehrenamt die Verwaltung dieses Dienstes war und wie verdienstlich vor Gott und in den Augen der Apostel, das haben sie selber bezeugt durch das Gebet, mit dem sie die Handlung weihten, und durch Auflegung der Hände, als wollten sie diejenigen, die damit betraut wurden, beschwören, Treue zu halten, und durch ihren Segen und ihr Gebet ihnen die Kraft dazu verleihen.

Auch der Apostel Paulus nimmt diesen Dienst als ein Recht seines Apostelamtes in Anspruch: „Haben wir nicht Macht, sagt er, eine Schwester zum Weibe mit umherzuführen, wie die andern Apostel?“ Als wollte er sagen: Ist es uns nicht erlaubt, ein Gefolge von frommen Frauen zu haben und sie auf unsern Missionsreisen mit uns zu führen, wie die andern Apostel, damit sie, während wir das Wort Gottes predigen, von dem Ihrigen unsere äußeren Bedürfnisse befriedigen? Darum sagt auch der heilige Augustin in seinem Buch „Vom Werk der Mönche“: „Darum gingen gläubige Weiber mit ihnen, die mit den Gütern dieser Welt gesegnet waren, und thaten ihnen von dem Ihrigen Handreichung, damit sie an dem, was zum Unterhalt des Lebens dient, nicht Mangel litten“. Ferner: „Wer nicht glauben will, daß die Apostel frommen Frauen gestatteten, sie überall hin zu begleiten, wo sie das Evangelium verkündigten, der möge das Evangelium selbst nachlesen und daraus ersehen, daß sie hierin dem Beispiel des Herrn selber folgten. Denn im Evangelium heißt es: ‚Und es begab sich danach, daß er reisete durch Städte und Märkte und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes, und die Zwölfe mit ihm; dazu etliche Weiber, die er gesund hatte gemacht von den bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, die da Magdalena heißet, und Johanna, das Weib Chusa, des Pflegers Herodis, und Susanna und viel andere, die ihnen Handreichung thaten von ihrer Habe‘. Hieraus geht also deutlich hervor, daß der Herr, während er predigend umherzog, von dienenden Frauen mit den Bedürfnissen des äußerlichen Lebens versorgt wurde und daß diese Frauen gleichwie die Apostel seine unzertrennliche Begleitung bildeten.“

Als dann der Drang zu einem gottgeweihten Leben unter Männern und Frauen sich häufiger einstellte, hatten schon in den Anfangszeiten der Kirche Frauen wie Männer besondere klösterliche Behausungen. So erwähnt die „Kirchengeschichte“ das Lob, welches der beredte Jude Philo über die alexandrinische Kirche unter der Leitung des Markus nicht nur ausgesprochen, sondern auch schriftlich in hohen Ausdrücken niedergelegt hat; es heißt dort Buch II, Kapitel XVI unter anderem: „In vielen Gegenden der Erde leben solche Menschen“. Und bald darauf: „An jedem dieser Orte befindet sich ein der Andacht geweihtes Haus, welches ‚senivor‘ oder ‚Monasterium‘ genannt wird“. Ferner heißt es weiter unten: „Sie kennen nicht bloß die besten frommen Lieder der Alten, sondern dichten auch selbst neue zur Ehre Gottes, welche sie nach verschiedenen Rhythmen und Tonarten gar lieblich singen“. Es wird dann verschiedenes von ihrer Enthaltsamkeit und von der Art ihres Gottesdienstes berichtet, worauf es weiter heißt: „Bei den Männern, von denen wir sprechen, befinden sich auch Frauen, darunter mehrere schon hochbetagte Jungfrauen, welche ihren Leib unberührt und keusch bewahren, nicht aus irgend welchem Zwang, sondern aus Frömmigkeit; die, während sie mit Eifer dem Studium der Weisheit obliegen, nicht allein ihre Seele, sondern auch den Leib heiligen und es für unwürdig halten, daß das zur Aufnahme der Weisheit bestimmte Gefäß der Lust diene, oder daß diejenigen sterbliche Kinder gebären, die nach der geheiligten unsterblichen Frucht des göttlichen Wortes streben und die eine Nachkommenschaft hinterlassen sollen, die nimmermehr dem Tod und der Vernichtung anheimfällt“. Weiter heißt es von Philo: „Er schreibt auch von ihren Gemeinschaften, daß Männer und Weiber getrennt in besonderen Vereinigungen leben, und daß sie Vigilien halten, wie es bei uns jetzt noch Sitte ist“.

Hierher gehört auch, was die „Dreiteilige Geschichte“ zum Lobe der christlichen Philosophie, d. h. des Mönchslebens sagt, dem Frauen wie Männer sich ergeben. Es heißt da Buch I, Kapitel XI: „Die Begründer dieser tiefsinnigen Philosophie waren, wie einige behaupten, der Prophet Elias und Johannes der Täufer.“ Der Pythagoräer Philo aber erzählt, daß zu seiner Zeit fromme Hebräer aus verschiedenen Gegenden sich in einem Landhaus bei einem Sumpf Maria, auf einem Hügel gelegen, vereinigt und dort der Philosophie gelebt haben. Ihre Wohnung aber und die Art, sich zu ernähren und ihre ganze Lebensweise schildert er so, wie wir sie bei den ägyptischen Mönchen jetzt noch beobachten. Er schreibt, daß sie vor Sonnenuntergang keine Speise zu sich nehmen, des Weines und des Fleisches sich gänzlich enthalten, als Speise diene ihnen Brot, Salz und Ysop, als Trank Wasser. Mit ihnen zusammen wohnen hochbetagte Weiber, die aus Liebe zur Philosophie Jungfrauen geblieben waren und freiwillig auf die Ehe verzichtet hatten.

Ähnlich lautet, was Hieronymus im 8. Kapitel seines Buches „Berühmte Männer“ zum Lobe des Markus und seiner Kirche schreibt: „Er zuerst predigte in Alexandria von Christus und gründete daselbst eine Kirche, durch Lehre und Sittenstrenge so ausgezeichnet, daß sich alle Christen an ihr ein Beispiel nehmen mußten“. Endlich hat Philo, der gewandteste Schriftsteller der Juden, welcher die erste damals noch judenchristliche Kirche zu Alexandria erlebte, zur Verherrlichung seines Volkes ein Buch über dessen Bekehrung geschrieben, und wie Lukas erzählt, daß die Gläubigen in Jerusalem alles gemeinsam besessen haben, so hat auch Philo die Vorgänge in der unter der Leitung des Markus stehenden alexandrinischen Kirche dem Gedächtnis überliefert.

Ebenso sagt Hieronymus des weiteren im 11. Kapitel: „Der Jude Philo, von Geburt ein Alexandriner und einer Priesterfamilie angehörend, wird von uns darum unter die Kirchenschriftsteller gezählt, weil er in seinem Buch über die erste, vom Evangelisten Markus gegründete Kirche von Alexandria sich in Lobsprüchen über die Unsrigen ergeht und erwähnt, daß dieselben nicht bloß hier, sondern auch in vielen anderen Provinzen sich aufhalten, und ihre Wohnungen Klöster nennt“.

Daraus geht doch hervor, daß im Anfang die Gemeinschaft der Christen von der Art gewesen ist, wie sie jetzt die Mönche nachahmen und erstreben: da besaß keiner etwas für sich, da gab es weder arm noch reich; was man hatte, wurde unter die Bedürftigen verteilt, im übrigen füllte man die Zeit aus mit Gebet und Singen, mit Predigt und Übung in der Enthaltsamkeit, wie dies Lukas in ähnlicher Weise von der ersten Christengemeinde in Jerusalem berichtet.

Lesen wir die Geschichten des Alten Testamentes nach, so finden wir da, daß in allen Angelegenheiten, welche Gott oder besondere religiöse Leistungen betreffen, die Frauen nicht hinter den Männern zurückgeblieben sind. Die heiligen Urkunden berichten, daß sie ebenso wie die Männer Lieder zur Ehre Gottes nicht bloß gesungen, sondern auch selbst gedichtet haben. Das erste Lied von der Befreiung Israels haben nicht die Männer allein, sondern mit ihnen die Frauen dem Herrn zum Preise gesungen, und sie haben sich dadurch das Recht erworben, beim Gottesdienst im Tempel mitzuwirken. Denn also steht geschrieben: „Und Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, nahm eine Pauke in ihre Hand, und alle Weiber folgten ihr nach, hinaus mit Pauken am Reigen und sie sang ihnen vor: ‚lasset uns dem Herrn singen, denn er hat eine herrliche That gethan‘“. Dort wird Moses nicht genannt und von ihm wird nicht gesagt, daß er wie Mirjam vorgesungen habe, überhaupt wird von den Männern nicht berichtet, daß sie gleich den Weibern mit Pauken am Reigen gegangen seien. Wenn nun Mirjam die vorsingende Prophetin genannt wird, so scheint sie jenen Gesang nicht bloß vorgetragen und abgesungen, sondern in prophetischer Begeisterung gedichtet zu haben. Wenn es ferner heißt, sie habe den übrigen vorgesungen, so ist das ein Beweis für die strenge Ordnung und Harmonie ihres Spiels. Und daß sie nicht bloß einfach sangen, sondern ihren Gesang mit Pauken begleiteten und besondere Singchöre bildeten, zeugt nicht allein für ihren großen Eifer, sondern deutet auch vorbildlich hin auf den geistlichen Gesang in den klösterlichen Gemeinschaften. Auch der Psalmist ermuntert uns dazu mit den Worten: „Lobet ihn mit Pauken und Reigen“, d. h. so viel als: durch Abtötung des Fleisches und durch jene einträchtige Liebe, von der geschrieben steht: „Die Menge der Gläubigen war Ein Herz und Eine Seele“.

Auch das, womit die Frauen ihren Gesang nach dem Berichte begleitet haben, ist nicht ohne sinnbildliche Bedeutung: es wird dadurch dargestellt der Jubel der in Gott versunkenen Seele, welche, indem sie sich zu den himmlischen Regionen emporschwingt, gleichsam die Hütte ihrer irdischen Behausung verläßt und aus der tiefen Wonne ihrer Gottversunkenheit heraus frohlockend dem Herrn ein Loblied singt.

Wir haben im Alten Testament auch noch Lieder von Debora, Hanna und von der Witwe Judith, sowie im Evangelium eines von der Mutter des Herrn. Indem Hanna ihren Knaben Samuel dem Tempel des Herrn geweiht hat, hat sie damit den Klöstern das Recht zur Aufnahme von Kindern gegeben. Daher schreibt Isidorus in seinem Brief an die im Kloster des Honorianus lebenden Brüder, Kapitel V: „Wer von seinen Eltern dem Kloster geweiht worden ist, der soll wissen, daß er daselbst für immer zu bleiben hat. Denn auch Hanna hat ihren Sohn Samuel dem Herrn dargebracht, und er blieb beim Dienste des Tempels, zu welchem er von seiner Mutter bestimmt worden war, und diente an dem Platze, auf den man ihn gestellt hatte“. Es ist auch sicher, daß die Töchter Aarons am Dienste des Heiligtums und am Erbe Levis denselben Anteil hatten wie ihre Brüder; Gott wies ihnen ebenso ihren Unterhalt an, wie im Buche Numeri geschrieben steht, wo der Herr selbst zu Aaron spricht: „Alle Hebopfer, welche die Kinder Israel heiligen dem Herrn, habe ich dir gegeben und deinen Söhnen und Töchtern samt dir zum ewigen Recht“. Es scheint demnach, als habe man auch für den Stand der Kleriker keinen Unterschied gemacht zwischen Mann und Weib. Sicher ist vielmehr, daß die Frauen mit den Männern durch Gleichheit der Benennung verbunden sind, denn man redet ja von Diakonissen so gut wie von Diakonen, als sollten wir in diesen beiden Namen Gegenstücke finden zu den Leviten und Levitinnen.

In demselben Buch finden wir auch, daß jenes strenge Gelübde und die Weihe der Nasiräer ebenso für Frauen wie für Männer seine Geltung hatte, denn der Herr selbst spricht zu Mose: „Sage den Kindern Israel und sprich zu ihnen: Wenn ein Mann oder Weib ein Gelübde thut, dem Herrn sich zu enthalten, der soll sich Weins und starken Getränks enthalten. Weinessig oder starken Getränks Essig soll er auch nicht trinken, auch nichts, das aus Weinbeeren gemacht wird. Er soll weder frische noch dürre Weinbeeren essen, so lange solches sein Gelübde währet; auch soll er nichts essen, das man vom Weinstock machet, weder Weinkern noch Hülsen, so lange die Zeit solches seines Gelübdes währet“. Dieses Gelübde, glaube ich, hatten jene Weiber auf sich genommen, die an der Thüre des Heiligtums Wache hielten, aus deren Spiegeln Moses ein Gefäß verfertigte, in welchem sich Aaron und seine Söhne waschen sollten, wie geschrieben steht: „Moses stellte ein ehernes Becken auf, daß Aaron und seine Söhne sich daraus wüschen; das er verfertigt hatte aus den Spiegeln der Weiber, die an der Thüre des Heiligtums wachten“. Ausdrücklich wird hervorgehoben die Glut ihres frommen Eifers, mit welcher sie selbst bei geschlossenem Heiligtum nicht von dessen Schwelle wichen, sondern wachend die heiligen Vigilien einhielten, auch die Nacht im Gebete verbringend und von dem Dienste Gottes nicht lassend, während die Männer schliefen. Durch die Erwähnung, daß das Heiligtum ihnen verschlossen war, wird treffend hingedeutet auf das Leben der Büßenden, welche sich von den übrigen Menschen absondern, um sich in reuevoller Buße desto härter anzugreifen. Dieses Leben ist ein besonders deutliches Abbild der mönchischen Lebensweise, in welcher man im großen Ganzen eine mildere Form der Buße sehen kann. Das Heiligtum aber, an dessen Thüre die Frauen wachten, ist das mystische Abbild dessen, wovon der Apostel im Brief an die Hebräer spricht: „Wir haben einen Altar, davon nicht Macht haben zu essen, die der Hütte pflegen“, d. h. an welchem teilzunehmen diejenigen nicht würdig sind, die ihrem Körper, in welchem sie hienieden, als gleichsam in einem Lager, dienen, zur Lüsternheit verhelfen. Die Thür des Heiligtums aber bedeutet das Ende dieses Lebens, wann die Seele vom Körper ausgeht und die Schwelle des ewigen Lebens betritt. Die an dieser Thüre wachen, sind die, welche über den Ausgang aus diesem Leben und über den Eintritt ins zukünftige sich Sorge machen und durch Buße diesen Ausgang also gestalten, daß sie dereinst jenes Eingangs gewürdigt werden. Auf diesen täglichen Eingang und Ausgang der heiligen Gemeinde bezieht sich das Gebet des Psalmisten: „Der Herr behüte deinen Eingang und Ausgang“. Denn unsern Eingang und Ausgang behütet er dann, wenn er uns, die wir von hier ausziehen und vorher durch die Buße uns gereinigt haben, alsbald dort einläßt. Mit Recht aber nennt David den Eingang vor dem Ausgang, nicht sowohl mit Rücksicht auf die Reihenfolge, als vielmehr auf das geringere oder höhere Ansehen der beiden Begriffe. Denn dieser Ausgang des sterblichen Lebens vollzieht sich nur unter Schmerzen, während jener Eintritt ins ewige Leben mit der höchsten Wonne verbunden ist. Die Spiegel der Frauen sind die äußeren Werke, nach denen man die Häßlichkeit oder Schönheit der Seele beurteilen kann, wie man in einem wirklichen Spiegel die Beschaffenheit des menschlichen Angesichtes erkennt. Aus diesen ihren Spiegeln wird ein Gefäß verfertigt, in dem sich Aaron und seine Söhne waschen sollen; dies soll heißen: die guten Werke der frommen Frauen und die Treue des schwachen Geschlechts gegen Gott verurteilen aufs schärfste die Lässigkeit der Priester und Ältesten und veranlassen sie zu Thränen der Reue, und so erwirken die Frauen durch ihre Werke jenen die Gnade, durch welche sie von ihren Sünden reingewaschen werden. Aus solchen Spiegeln hat gewiß der heilige Gregorius sich ein Gefäß der Buße bereitet, als er die Mannhaftigkeit frommer Frauen und das siegreiche Martyrium des schwachen Geschlechts bewundernd mit einem Seufzer fragte: „Was werden die rauhen Männer sagen, wenn sie zarte Jungfrauen solche Leiden um Christi willen ertragen und das gebrechliche Geschlecht aus dem schwersten Kampfe siegreich hervorgehen sehen, so daß man ihm oft die doppelte Krone der Jungfräulichkeit und des Martyriums zuerkennen muß?“

Ich zweifle nicht daran, daß zu den oben erwähnten Frauen, die an der Thüre der Stiftshütte wachen und die als eine Art Nasiräerinnen ihre Witwenschaft dem Herrn geweiht haben, auch jene fromme Hanna gehört, die zugleich mit dem heiligen Simeon gewürdigt wurde, den vornehmsten Nasiräer, unsern Herrn Jesum Christum, im Tempel zu begrüßen und die, was keinem Propheten vergönnt war, zur selben Stunde wie Simeon den Heiland durch Mitteilung des Geistes erkennen, sein Erscheinen anzeigen und öffentlich verkündigen durfte. Ihr zum Lobe erzählt der Evangelist: „Und es war eine Prophetin Hanna, eine Tochter Phanuel, vom Geschlecht Aser. Die war wohlbetagt und hatte gelebt sieben Jahr mit ihrem Mann nach ihrer Jungfrauschaft. Und war nun eine Witwe bei vierundachtzig Jahren; die kam nimmer vom Tempel, diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. Dieselbige trat auch hinzu zu derselbigen Stunde und preisete den Herrn und redete von ihm zu allen, die da auf die Erlösung zu Jerusalem warteten“.

Merke jedes einzelne Wort und sieh, wie der Evangelist sich Mühe giebt mit dem Lob dieser Witwe, und in welch hohen Ausdrücken er ihre Vortrefflichkeit erhebt. Alles ist hier sorgfältig aufgezählt: die Gabe der Prophetin, die ihr verliehen war, ihr Vater, ihr Geschlecht, die lange Zeit ihres gottgeweihten Witwenstandes, welche auf die sieben Jahre folgte, die sie mit ihrem Manne gelebt hatte, ihre Anhänglichkeit an den Tempel, ihr anhaltendes Fasten und Beten, das Lob, das sie dem Herrn spendete, der Dank, den sie ihm darbrachte und ihr öffentliches Reden von dem verheißenen und nunmehr geborenen Heiland.

Auch den Simeon lobt der Evangelist, aber nicht wegen der Gabe der Prophetin, sondern wegen seiner Gerechtigkeit; auch erwähnt er nicht von ihm, daß er in der Tugend der Enthaltsamkeit so stark und im Dienste des Herrn so eifrig gewesen sei, weiß auch nichts davon, daß er andern gegenüber vom Messias geredet habe.

Diesem Stand und Lebensberuf gehören auch jene rechten Witwen an, über welche der Apostel dem Timotheus folgendes schreibt: „Ehre die Witwen, welche rechte Witwen sind.“ Ferner: „Das ist aber eine rechte Witwe, die einsam ist, die ihre Hoffnung auf Gott stellet und bleibet am Gebet und Flehen Tag und Nacht. Solches gebeut, auf daß sie untadelig seien.“ Und weiter: „So aber ein Gläubiger Witwen hat, der versorge dieselbigen und lasse die Gemeine nicht beschweret werden, auf daß die so rechte Witwen sind, mögen genug haben“. Rechte Witwen nennt der Apostel diejenigen, welche ihren Witwenstand nicht durch eine zweite Heirat entweiht haben, oder solche, die aus Frömmigkeit, nicht aus Zwang, in diesem Stande verharrend, sich dem Herrn geweiht haben. Einsam nennt er sie, weil sie allem entsagen und von irdischem Trost nichts mehr erwarten oder weil sie niemand haben, der für sie Sorge trägt. Solche Witwen sollen, nach der Vorschrift des Apostels, geehrt und aus den Mitteln der Kirche unterhalten werden, als aus dem Eigentum ihres himmlischen Bräutigams.

Er bestimmt auch genau, welche von den Witwen zum Diakonissenamte zu wählen seien: „Laß keine Witwe erwählet werden unter sechzig Jahren, und die da gewesen sei Eines Mannes Weib und die ein Zeugnis habe guter Werke, so sie Kinder aufgezogen hat, so sie gastfrei gewesen ist, so sie der Heiligen Füße gewaschen hat, so sie den Trübseligen Handreichung gethan hat, so sie allem guten Werk nachgekommen ist. Der jungen Witwen aber entschlage dich“.

Diesen letzteren Punkt führt der heilige Hieronymus noch weiterhin also aus: „Vermeide es, sie mit dem Diakonissenamte zu betrauen, damit nicht ein böses statt ein gutes Beispiel gegeben werde, wenn Jüngere zu diesem Amt gewählt werden, die der Versuchung leichter zugänglich und von Natur noch schwächer sind: sie möchten sonst, da sie noch nicht ein langes, an Erfahrungen reiches Leben hinter sich haben, denen ein übles Beispiel geben, welchen sie ein Vorbild im Guten sein sollten“. Von dem üblen Beispiel, das durch junge Witwen gegeben werden könne, redet der Apostel so offen, weil er in dieser Beziehung seine Erfahrungen gemacht hatte, und diesem Übelstand will er durch seinen Rat vorbeugen. Nachdem er gesagt hat: „Der jungen Witwen entschlage dich“, fügt er alsbald den Grund und das Mittel zur Abhilfe hinzu, indem er weiter sagt: „Denn wenn sie geil worden sind wider Christum (d. h. trotz Christus), so wollen sie freien und haben ihr Urteil, daß sie die erste Treue gebrochen haben; daneben sind sie faul und lernen umlaufen durch die Häuser; nicht allein aber sind sie faul, sondern auch schwätzig und vorwitzig und reden, das nicht sein soll. So will ich nun, daß die jungen Witwen freien, Kinder zeugen, Haus halten, dem Widersacher keine Ursache geben zu schelten. Denn es sind schon etliche umgewandt dem Satan nach“.

Diese Vorsicht des Apostels in Beziehung auf die Wahl der Diakonissen teilt der heilige Gregorius in seinem Brief an Maximus, den Bischof von Syrakus, in welchem er sagt: „Junge Äbtissinnen wollen wir durchaus nicht; deine brüderliche Liebe möge daher den Bischöfen gebieten, nur Jungfrauen, die das sechzigste Lebensjahr erreicht haben und deren Leben und Sitten erprobt sind, den Schleier zu geben“. Was wir jetzt Äbtissin nennen, nannte man früher Diakonisse, da man sie mehr als Dienerinnen ansah denn als Mutter. Diakon heißt Diener und man hielt dafür, daß die Diakonissen nach ihrem dienenden Amt, nicht nach ihrer bevorzugten Stellung zu benennen seien, wie uns dies der Herr durch sein Beispiel und Wort gelehrt hat, der da spricht: „Wer unter euch der Größeste ist, der soll aller Diener sein“. Und wiederum: „Welcher ist der Größeste, der zu Tische sitzt oder der da dienet? Ich aber bin unter euch wie ein Diener“. Und an einer andern Stelle: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er ihm dienen lasse, sondern daß er diene.“ Darum hat auch Hieronymus sich nicht gescheut, kraft göttlicher Autorität den Titel „Abt“, den damals schon viele mit Stolz führten, zu verwerfen. In seiner Auslegung der Stelle des Galaterbriefs: „Der schreiet: Abba, lieber Vater“, sagt er: „Abba bedeutet im Hebräischen ‚Vater‘. Da nun Abba im Hebräischen und Syrischen ‚Vater‘ heißt und der Herr im Evangelium gebietet, man solle niemand Vater nennen, als Gott, so weiß ich nicht, mit welchem Recht wir in den Klöstern entweder andere bei diesem Namen nennen oder uns selber so nennen lassen. Gewiß ist derjenige, welcher dieses Gebot ausgesprochen hat, doch derselbe, der auch gesagt hat: du sollst nicht schwören. Wenn wir nicht schwören, so dürfen wir auch niemand Vater nennen. Wenn wir aber das Wort ‚Vater‘ anders auslegen, so müssen wir notwendig auch über das Gebot vom Schwören anders denken“.

Eine solche Diakonisse war jene Phöbe, welche der Apostel Paulus der römischen Gemeinde so angelegentlich empfahl und für die er folgendes gute Wort einlegte: „Ich befehle euch aber unsere Schwester Phöbe, welche ist am Dienst der Gemeine zu Kenchreä, daß ihr sie aufnehmet in dem Herrn, wie sich’s ziemet den Heiligen, und thut ihr Beistand in allem Geschäft, darinnen sie eurer bedarf. Denn sie hat auch vielen Beistand gethan, auch mir selbst“. Cassiodorius und Claudius, die diese Stelle erklären, sagen ebenfalls aus, daß sie in jener Gemeinde Diakonisse gewesen sei. Bei Cassiodorius heißt es: „Der Apostel deutet an, daß sie Diakonisse der Muttergemeinde gewesen sei. Dieses Amt wird in der griechischen Kirche noch heutzutage von Frauen gleichsam als ein Kriegsdienst des Herrn ausgeübt; auch das Recht zu taufen wird ihnen in dieser Kirche zuerkannt“. Claudius sagt darüber: „Diese Stelle beweist, daß nach apostolischer Verordnung auch Frauen im Dienste der Kirche verwendet wurden. Ein solches Amt bekleidete in der Gemeinde von Kenchreä Phöbe, welche der Apostel so sehr lobt und warm empfiehlt“.

In seinem Brief an Timotheus rechnet er solche Frauen unter die Diakonen selbst und giebt ihnen ganz ähnliche sittliche Verhaltungsmaßregeln. Er sagt dort an einer Stelle, bei der Besprechung der verschiedenen Abstufungen kirchlicher Ämter, indem er vom Bischof auf die Diakonen zu sprechen kommt: „Desselbigen gleichen die Diener sollen ehrbar sein, nicht zweizüngig, nicht Weinsäufer, nicht unehrliche Handtierung treiben, die das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen haben“. Ferner: „Und dieselbigen lasse man zuvor versuchen, danach lasse man sie dienen, wenn sie unsträflich sind. Desselbigen gleichen ihre Weiber sollen ehrbar sein, nicht Lästerinnen, nüchtern, treu in allen Dingen. Die Diener laß einen jeglichen sein Eines Weibes Mann, die ihren Kindern wohl vorstehen und ihren eigenen Häusern. Welche aber wohl dienen, die erwerben ihnen selbst eine gute Stufe und eine große Freudigkeit im Glauben in Christo Jesu“.

Also, was er dort von den Diakonen sagt: „Sie seien nicht zweizüngig!“ das gilt hier von den Diakonissen: „nicht Lästerinnen“; wie er dort sagt: „nicht Weinsäufer“, so hier: „nüchtern“, und was dort sonst noch näher ausgeführt wird, das faßt er hier zusammen in den Worten: „Treu in allen Dingen“. Wie er den Bischöfen und Diakonen verbietet, mehr als eine Frau zu haben, so gebietet er den Diakonissen, wie wir gesehen haben, Eines Mannes Weib zu sein. „Laß keine Witwe erwählet werden, sagt er, unter sechzig Jahren, und die da gewesen sei Eines Mannes Weib, und die ein Zeugnis habe guter Werke, so sie Kinder aufgezogen hat, so sie gastfrei gewesen ist, so sie der Heiligen Füße gewaschen hat, so sie den Trübseligen Handreichung gethan hat, so sie allem guten Werk nachgekommen ist. Der jungen Witwen aber entschlage dich.“

Wie sorgfältig der Apostel in der Schilderung und Instruktion der Diakonissen gewesen ist, kann man am besten beurteilen, wenn man die vorangehenden Vorschriften für Bischöfe und Diakonen damit vergleicht. Von dem „ein Zeugnis haben guter Werke“ oder von „gastfrei sein“ wird bei den Diakonen nichts erwähnt. Oder wenn er bei den Diakonissen beifügt: „so sie der Heiligen Füße gewaschen hat, so sie den Trübseligen“ u. s. w., so findet man bei den Bischöfen und Diakonen von diesen Forderungen nichts. Zwar verlangt er von Bischöfen und Diakonen, daß sie „unsträflich“ seien. Von den Diakonissen aber verlangt er nicht bloß, daß sie untadelig seien, sondern auch, daß sie „allem guten Werk nachgekommen seien“. Sehr vorsichtig ist er auch in der Bestimmung ihrer Altersgrenze, damit ihr Ansehen in allen Stücken um so größer sei: „nicht unter sechzig Jahren“; nicht bloß vor ihrer Lebensführung, sondern auch vor ihrem hohen, an Erfahrungen reichen Alter sollte man Respekt haben. So hat auch der Herr wohl den Johannes am meisten geliebt und doch den Petrus, weil er älter war, über ihn und die anderen Jünger gesetzt. Denn jedermann erträgt leichter einen Älteren als Vorgesetzten, denn einen Jüngeren, und lieber gehorchen wir einem älteren Mann, welchen nicht bloß zufällige Lebensumstände, sondern die Natur und die Zeitverhältnisse über uns gestellt haben.

So sagt auch Hieronymus im ersten Buch seiner Schrift „Gegen Jovinianus“, indem er von der Bevorzugung des Petrus spricht: „Einer wird erwählt, damit ein Oberhaupt da sei und so der Anlaß zu einer Spaltung beseitigt werde. Aber warum ist nicht Johannes dazu erwählt worden? Jesus hat dem Alter den Vorzug gegeben. Petrus war der Ältere, und es sollte nicht der Jüngling, der fast noch ein Knabe war, Männern von vorgerückterem Alter vorgezogen werden. Der gute Meister, der seinen Jüngern jeden Anlaß zum Streit benehmen mußte, wäre ja sonst gewissermaßen selbst schuld gewesen, wenn man seinen Lieblingsjünger mit Mißgunst angesehen hätte.“

Von dieser Erwägung ließ sich auch jener Abt leiten, der, wie in dem „Leben der Altväter“ erzählt wird, dem jüngeren von zwei Brüdern, obwohl er früher in den Orden eingetreten war, die höhere Stelle verweigerte und sie dem älteren gab, aus dem einzigen Grunde, weil dieser vorgerückteren Alters war als jener. Er fürchtete, daß selbst der leibliche Bruder durch die Bevorzugung des Jüngeren sich verletzt fühlen möchte. Er erinnerte sich, daß auch die Apostel über die beiden Brüder aus ihrer Mitte unwillig wurden, die durch die Vermittlung ihrer Mutter von Christus eine Bevorzugung erlangen wollten, wobei obendrein noch der eine von den beiden, nämlich der obengenannte Johannes, jünger war, als die übrigen Apostel.

Aber nicht bloß bei der Einsetzung der Diakonissen verfuhr der Apostel mit der größten Sorgfalt, sondern er war überhaupt bestrebt, den Witwen, die ein gottgeweihtes Leben führen wollten, jeden Anlaß zu einer Versuchung aus dem Weg zu räumen. Denn seinen Worten: „Ehre die Witwen, welche rechte Witwen sind“ — fügt er sogleich bei: „So aber eine Witwe Kinder oder Neffen hat, solche laß zuvor lernen ihre eigenen Häuser göttlich regieren und den Eltern gleiches vergelten“. Und einige Zeilen weiter unten heißt es: „So aber jemand die Seinen, sonderlich seine Hausgenossen, nicht versorget, der hat den Glauben verleugnet und ist ärger denn ein Heide“.

Mit dieser Verordnung trägt der Apostel zugleich den Pflichten der Menschlichkeit und denen der Religion Rechnung. Er will verhüten, daß unter dem Vorwand der Frömmigkeit hilflose Kinder verlassen werden, und daß die Stimme des Blutes in einer Witwe das Mitleid für die Hilfsbedürftigen wecke, sie dadurch in ihrem frommen Vorsatz irre mache und rückwärts zu sehen nötige, ja, daß sie unter Umständen gar zum Verbrechen am Heiligtum verleitet werde und, um den Ihrigen etwas zuzuwenden, die Gemeinde betrüge. Daher erscheint durchaus notwendig sein Rat, daß solche, die noch mit häuslichen Sorgen zu thun haben, ehe sie mit ihrem Witwenstand wirklich Ernst machen und sich ganz in den Dienst Gottes stellen, vorher „ihren Eltern gleiches vergelten sollen“, d. h. daß sie ihren Kindern vorher die gleiche Fürsorge zu teil werden lassen, mit der sie einst selbst von ihren Eltern aufgezogen worden sind.

Um den Stand der Witwen zu vervollkommnen, verlangt er von ihnen, daß sie anhalten mit Gebet und Flehen Tag und Nacht. In der aufrichtigen Sorge um ihre Bedürfnisse sagt der Apostel: „So aber ein Gläubiger Witwen hat, der versorge dieselbigen und lasse die Gemeine nicht beschweret werden, auf daß die, so rechte Witwen sind, mögen genug haben“. Dies soll so viel heißen als: wenn irgendwo eine Witwe ist, welche solche Angehörige hat, die sie von ihrer Habe unterstützen können, so sollen diese für sie sorgen, damit für den Unterhalt der übrigen die Gemeindekasse ausreiche. Daraus geht deutlich hervor, daß diejenigen, welche sich weigern, ihre Witwen zu unterstützen, auf Grund apostolischer Autorität zu ihrer Verpflichtung angehalten werden sollen.

Aber nicht allein auf ihre äußeren Bedürfnisse, sondern auch auf ihre Ehre ist der Apostel bedacht, wenn er sagt: „Ehre die Witwen, welche rechte Witwen sind“. Solche waren gewiß jene Frauen, deren eine der Apostel selbst seine Mutter, deren andere der Evangelist Johannes seine Herrin nennt, aus Ehrfurcht vor ihrem heiligen Berufe. „Grüßet Rufum, schreibt Paulus an die Römer, den Auserwählten in dem Herrn, und seine und meine Mutter“ — und Johannes beginnt seinen zweiten Brief: „Der Älteste der auserwählten Herrin und ihren Kindern“. Er fügt auch weiter unten die Aufforderung bei, sie möge ihn lieben: „Und nun bitte ich dich, Herrin, daß wir uns untereinander lieben“.

Im Vertrauen auf dieses Vorbild hat auch Hieronymus in seinem Brief an die Jungfrau Eustochium, die sich demselben Lebensberuf gewidmet hatte, wie ihr, sich nicht geschämt, sie seine Herrin zu nennen; ja, er fügt noch sogleich hinzu, warum dies sogar seine Pflicht sei: „darum nenne ich Eustochium meine Herrin, weil ich die Verlobte meines Herrn also nennen muß“. Auch sagt er weiter unten in demselben Brief, indem er das Vorrecht dieses heiligen Berufes über alle Herrlichkeit irdischen Glückes stellt: „Ich will nicht haben, daß du viel mit Damen verkehrst und in den Häusern vornehmer Frauen aus und ein gehst; ich will nicht, daß du dasjenige häufig siehst, was du gering geachtet, um im jungfräulichen Stande zu bleiben. Mag die Schar ehrgeiziger Schmeichlerinnen sich um des Kaisers Gemahl drängen — solltest du darum deinem Manne sein Recht verkürzen? Du, Gottes Braut, wolltest dienstfertig zu eines Menschen Gattin eilen? Lerne in diesem Stück heiligen Stolz; wisse, daß du mehr bist denn jene“.

Derselbe Hieronymus schreibt an eine Jungfrau, die sich Gott geweiht hatte, über die himmlische Seligkeit und über das hohe Ansehen, das gottgeweihten Jungfrauen schon auf Erden zu teil werde, unter anderem folgendes: „Welche Seligkeit dem heiligen Stande der Jungfrauen im Himmel zu teil wird, das sehen wir nicht bloß aus den Zeugnissen der Heiligen Schrift, sondern auch aus dem Brauch der Kirche, welcher uns zeigt, daß die Jungfrauen, welche die geistliche Weihe empfangen, ein ganz besonderes Verdienst dadurch erwerben. Denn während von der großen Menge der Gläubigen alle die gleichen Gnadengaben empfangen und alle der gleichen Segnungen der Sakramente sich erfreuen, so haben jene etwas vor den übrigen voraus, denn aus der heiligen und unbefleckten Herde der Kirche werden sie zum Lohn für ihren heiligen Entschluß vom heiligen Geist auserlesen als besonders heilige und reine Opfer und werden als solche durch den höchsten Priester Gott vor seinem Altar dargebracht“. Und weiter heißt es: „Es besitzt also der jungfräuliche Stand etwas, das die andern nicht haben, da eine besondere Gnadengabe mit ihm verbunden ist und er sich auch, sozusagen, bei seiner Weihe eines besonderen Vorrechtes erfreut. Denn die Weihe der Jungfrauen darf ja — es sei denn bei drohender Todesgefahr — zu keiner andern Zeit vollzogen werden als an Epiphanias und an den Weißen Ostern, oder an den Feiertagen der Apostel. Auch dürfen die Jungfrauen selbst wie die Schleier, die ihr gottgeweihtes Haupt bedecken sollen, nur vom obersten Priester, d. h. vom Bischof geweiht werden“. Die Mönche dagegen, obwohl sie demselben Stande und dem bevorzugten Geschlecht angehören können, auch wenn sie rein geblieben sind wie Jungfrauen, an jedem beliebigen Tag vom Abt die Einsegnung für sich selbst und für ihr Gewand, d. h. für ihre Kutte, erhalten. Priester und niedere Kleriker können während der Quatemberfasten, Bischöfe an jedem Sonntag die Weihe erhalten. Die Weihe der Jungfrauen ist je köstlicher, je seltener und ist besonders hohen Fest- und Freudentagen vorbehalten. Ob ihrer wunderbaren Tugend freut sich die ganze Kirche mit, sowie der Psalmist prophetisch davon redet in den Worten: „Jungfrauen führet man zum Könige“, und weiter: „Man führet sie mit Freuden und Wonne und gehen in des Königs Palast“. Man glaubt auch, daß der Apostel und Evangelist Matthäus selber die Liturgie zu dieser Weihe niedergeschrieben oder im mündlichen Gebrauch gehabt habe; wenigstens lesen wir dies in seiner Leidensgeschichte, wo auch erzählt wird, der Apostel sei für die Weihe und die Heiligkeit des jungfräulichen Standes den Märtyrertod gestorben. Für Kleriker und Mönche aber haben uns die Apostel keine Weiheformel hinterlassen.

Der heilige Stand der Frauen wird schon durch den ihnen eigentümlichen Namen angedeutet; heißen sie doch Sanktimonialen, und dieses Wort kommt her von sanctimonia oder sanctitas, d. h. so viel als Heiligkeit. Denn je schwächer das weibliche Geschlecht, desto angenehmer ist es vor Gott, desto vollkommener ihre Tugend — nach dem Zeugnis des Herrn selbst, der den mutlosen Apostel ermahnt, auszuharren im Kampf bis zum Sieg, indem er spricht: „Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“. Er ist es auch, der durch den Mund des Apostels in demselben zweiten Brief an die Korinther über die Glieder seines Leibes, d. h. der Kirche, so redet, als wollte er den Wert der schwachen Glieder besonders hervorheben; es heißt dort: „Sondern vielmehr die Glieder des Leibes, die uns dünken die schwächsten zu sein, sind die nötigsten, und die uns dünken die unehrlichsten zu sein, denselbigen legen wir am meisten Ehre an, und die uns übel anstehen, die schmücket man am meisten. Denn die uns wohlanstehen, die bedürfens nicht. Aber Gott hat den Leib also vermenget und dem dürftigen Glied am meisten Ehre gegeben, auf daß nicht eine Spaltung im Leibe sei, sondern die Glieder füreinander gleich sorgen“.

Wer möchte behaupten, daß die Fülle der göttlichen Gnade und Nachsicht irgendwo anders so reichlich sich ergossen habe wie über das schwache Geschlecht der Frauen, welches durch seine Schuld wie durch seine Natur sich verächtlich gemacht hatte? Sieh die verschiedenen Stände dieses Geschlechts an und du wirst finden, daß der Reichtum der Gnade Christi sich erweist nicht bloß an Jungfrauen, Witwen oder Ehefrauen, sondern selbst an den verworfensten Dirnen, dem Abschaum ihres Geschlechts. Da geht es nach dem Wort des Herrn und des Apostels: „Die letzten werden die ersten und die ersten werden die letzten sein“ — „wo aber die Sünde mächtig ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger“. Wenn wir uns die Gnadengaben und Auszeichnungen vergegenwärtigen, die von Anbeginn der Welt Gott dem weiblichen Geschlecht hat zukommen lassen, so finden wir, daß schon bei der Schöpfung die höhere Würde des Weibes sich zu erkennen giebt, sofern sie im Paradiese selbst, der Mann dagegen außerhalb desselben erschaffen wurde. Daraus sollten die Frauen lernen, daß das Paradies ihre angestammte Heimat sei und daß es ihnen wohl anstehe, die Unschuld paradiesischen Lebens zu pflegen. Ambrosius sagt in seinem Buch „Vom Paradies“: „Und Gott nahm den Menschen, welchen er gemacht hatte, und setzte ihn ins Paradies“. Also der, der schon war, wird ergriffen und ins Paradies gesetzt; demnach ist der Mann außerhalb des Paradieses erschaffen worden, die Frau dagegen im Paradies. Der Mann, der am geringeren Ort entstand, erweist sich als der bessere, und die Frau, die am bevorzugten Ort geschaffen wurde, als die geringere. Auch hat der Herr zuerst das, was Eva, die Urheberin aller Sünde, gesündigt hatte, durch Maria wieder gutgemacht, dann erst die Sünde Adams durch Christus. Und wie die Schuld von einer Frau herkam, so hat auch die Gnade ihren Ursprung aus der Frau genommen, und das Ansehen der Jungfräulichkeit ist aufs neue erblüht. Zuerst ist die Form einer gottgeweihten Lebensweise durch Anna und Maria den Witwen und den Jungfrauen vorgebildet worden, dann erst haben Johannes und die Apostel den Männern das Beispiel mönchischen Lebens gegeben.

Sehen wir, nach Eva, auf die Tugend einer Debora, Judith, Esther, so werden wir finden, daß das starke Geschlecht allen Grund hat, darüber zu erröten. Debora, die Richterin des auserwählten Volkes, hat Schlachten geschlagen, als es an Männern gebrach, und nach dem Sieg über den Feind und der Befreiung ihres Volkes Triumphe gefeiert. Die wehrlose Judith hat mit ihrer Dienerin Abra ein schreckliches Heer angegriffen und den Holofernes mit seinem eigenen Schwert enthauptet; sie allein hat die ganze Feindesschar geschlagen und ihr verzweifelndes Volk errettet. Esther, obwohl im Widerspruch zum Gesetz mit einem heidnischen Fürsten vermählt, hat mittels der geheimnisvollen Einwirkung des heiligen Geistes den Rat des gottlosen Haman und das grausame Gebot des Königs zunichte gemacht und hat in einem Augenblick das Gegenteil von dem bewirkt, was bei dem König beschlossene Sache gewesen war.

Man macht so viel Aufhebens davon, daß David mit Schleuder und Stein den Goliath angegriffen und besiegt hat. Judith, die Witwe, zog gegen das feindliche Heer, ohne Schleuder und ohne Wurfgeschoß, ohne irgend ein Waffenstück. Esther befreite ihr Volk durch ihr bloßes Wort und wandte das Verdammungsurteil auf ihre Feinde zurück, so daß sie selbst in die Grube fielen, welche sie gegraben hatten. Mit Recht ist bei den Juden zum Andenken an diese Heldenthat ein jährlich wiederkehrendes Freudenfest eingesetzt worden, eine Verherrlichung, welche selbst den glänzendsten Mannesthaten nicht zu teil geworden ist. Wer denkt nicht mit Bewunderung an den Mut der Mutter jener sieben Söhne, die nach dem Berichte des Buchs der Makkabäer zusammen mit ihrer Mutter gefangen genommen wurden, und welche der grausame König Antiochus vergeblich zwingen wollte, Schweinefleisch zu essen, was im Gesetz verboten ist. Diese Mutter, ihre eigene Natur verleugnend und alles menschliche Gefühl vergessend, hatte nichts als nur Gott vor Augen; so viel Söhne sie unter frommen Ermahnungen den Todesweg vorangehen ließ, so viel Märtyrerkronen hat sie selber sich errungen, und zuletzt wurde sie vollendet durch ihren eigenen Märtyrertod.

Wenn wir das ganze Alte Testament durchblättern — wo findet sich etwas, das dem beharrlichen Mute dieses Weibes gleichkäme? Jener unerbittliche Versucher, der dem frommen Hiob bis aufs äußerste zusetzte, sagt im Hinblick auf die menschliche Schwachheit dem Tode gegenüber: „Haut für Haut und alles wird der Mensch für sein Leben geben“. Denn uns alle erfüllt der Gedanke an die Schrecken des Todes unwillkürlich mit solcher Angst, daß wir, um das eine Glied zu schützen, oft das andere preisgeben und keine Mühsal scheuen, wenn wir nur unser Leben retten können. Diese Frau aber hat nicht bloß ihre Habe geopfert, sondern ihr und ihrer Kinder Leben mutig drangegeben, nur um sich auch nicht gegen Eine Satzung zu verfehlen. Was war es eigentlich, wozu man sie zwingen wollte? Sollte sie Gott verleugnen oder den Götzen Weihrauch streuen? O nein, nichts anderes verlangte man von ihnen als daß sie das Fleisch essen sollten, das ihnen im Gesetz verboten war. O meine Brüder, durch Ein Gelübde mit mir verbunden, die ihr ohne Scheu tagtäglich nach Fleisch seufzet, im Widerspruch gegen die Regel und gegen unser Ordensgelübde: was saget ihr zur Standhaftigkeit dieses Weibes? Oder hättet ihr euch so ganz jeden Schamgefühls entäußert, daß ihr dies anhören könntet ohne zu erröten? Denket daran, meine Brüder, wie der Herr die Ungläubigen drohend auf die Königin von Mittag hinweist: „Die Königin von Mittag wird auftreten am jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen“. Bedenket, daß ihr euch die Standhaftigkeit dieser Frau um so mehr zur Aufmunterung dienen lassen müsset, als ihre Leistung viel größer war als die eurigen, und ihr durch euer Ordensgelübde viel enger an euren heiligen Beruf gebunden seid.

Die Kirche hat der Tugend dieser Frau, die in so schwerem Kampfe sich bewährt hat, ein besonderes Vorrecht eingeräumt, nämlich daß ihr Martyrium durch feierliche Schriftlektion und eigene Messe gefeiert wird, eine Auszeichnung, die keinem der Frommen des alten Bundes zu teil geworden, welche vor der Ankunft des Herrn gestorben sind: wiewohl eben in der Geschichte der Makkabäer berichtet wird, daß der ehrwürdige Greis Eleazar, einer der vornehmsten Schriftgelehrten, um derselben Ursache willen schon vorher die Krone des Martyriums erlangt habe. Allein weil die Tugend des schwächeren weiblichen Geschlechts, wie ich schon sagte, vor Gott um so angenehmer ist und größerer Auszeichnung würdig erscheint, so wurde dieses Martyrium, bei welchem keine Frau beteiligt war, einer besonderen Feier nicht gewürdigt, da man es für nichts besonderes achtete, wenn das stärkere Geschlecht sich auch im Leiden stärker zeigte. Darum verkündet auch die Schrift das Lob jener Frau mit hohen Worten, indem sie sagt: „Es war aber ein großes Wunder an der Mutter, und ist ein Beispiel, das wohl wert ist, daß man’s von ihr schreibe. Denn sie sah ihre Söhne alle sieben auf Einen Tag nacheinander martern, und litt es mit großer Geduld um der Hoffnung willen, die sie zu Gott hatte. Dadurch ward sie so mutig, daß sie einen Sohn um den andern auf ihre Sprache tröstete und faßte ein männlich Herz“.

Wer könnte, wo es den Preis der Jungfrauen gilt, die Tochter Jephthas vergessen? Um den Vater nicht wortbrüchig werden zu lassen an seinem unüberlegten Gelübde, und damit die Gottheit, die sich so gnädig gezeigt hatte, nicht um das versprochene Opfer käme, redet sie selber dem siegreichen Vater zu, das Messer gegen sie zu zücken. Was glaubet ihr, daß sie als Christin für ihren Glauben gethan hätte, wenn sie von den Ungläubigen zur Gottesverleugnung und zum Abfall genötigt worden wäre? Hätte sie wohl, über Christus befragt, mit dem Haupt der Apostel gesprochen: „Ich kenne den Menschen nicht“? Zwei Monate wurden ihr noch von ihrem Vater freigegeben, und wie die Frist um ist, stellt sie sich bei ihm ein, um zu sterben. Freiwillig geht sie in den Tod; statt ihn zu fürchten, verlangt sie danach. Sie büßt mit ihrem Leben das thörichte Gelübde des Vaters und löst sein Versprechen ein, aus lauterster Liebe zur Wahrheit. Sie, die den Vater nicht wortbrüchig sehen kann, wie ferne muß sie selbst davon gewesen sein! Welch eine Liebesglut in diesem Mädchen für den irdischen wie für den himmlischen Vater! durch ihren Tod will sie jenem die Lüge ersparen und diesem halten, was ihm gelobt war. Wohl hat dieses hochherzige Mädchen die hohe Auszeichnung verdient, daß alljährlich die Töchter Israels sich versammeln und mit feierlichen Liedern das Gedächtnis an den Tod der Jungfrau feiern und in frommen Klagen der Trauer um ihr leidvolles Schicksal Ausdruck geben.

Um aber von allem andern zu schweigen: Was war für unsere Erlösung und für das Heil der ganzen Welt so notwendig als das weibliche Geschlecht, das uns den Erlöser selber gebracht hat? Diesen einzigartigen Ruhmestitel hat jenes Weib, das zuerst mit ihrem Anliegen den heiligen Hilarion zu bestürmen wagte, diesem zu seiner hohen Überraschung entgegengehalten, indem sie ihm zurief: „Was wendest du dich ab? Was weichst du zurück vor meinem Flehen? Sieh in mir nicht das Weib, sieh die Unglückliche in mir. Mein Geschlecht hat den Heiland geboren“.

Was ist dem Ruhme zu vergleichen, den dies Geschlecht in der Mutter des Herrn sich erworben hat? Unser Erlöser hätte ja wohl, wenn er gewollt hätte, von einem Manne seine Körperlichkeit annehmen können, so gut als es ihm beliebt hat, die erste Frau aus dem Körper des Mannes zu bilden. Allein er hat durch die sonderliche Gnade seiner Erniedrigung das schwächere Geschlecht geehrt. Auch hätte er sich durch einen andern edleren Teil des weiblichen Körpers gebären lassen können als derjenige ist, durch welchen die übrigen Menschen zugleich empfangen und zur Welt gebracht werden. Allein um dem schwächeren Körper eine unvergleichliche Ehre zu erweisen, hat er durch seine Geburt dem weiblichen Zeugungsorgan eine weit höhere Weihe gegeben als dies dem männlichen durch die Beschneidung geschehen war.

Aber ich will nicht weiter reden von der einzigartigen Auszeichnung, die in Sonderheit den Jungfrauen zukommt, sondern auch zu den andern Frauen mich wenden, wie ich mir vorgenommen habe. So merke denn darauf, welche große Gnade alsbald mit der Ankunft Christi für Elisabeth, die Ehefrau, und für Hanna, die Witwe, verbunden war. Dem Manne der Elisabeth, Zacharias, dem Hohenpriester des Herrn, war zur Strafe für seine Ungläubigkeit die Zunge noch gelähmt, als Elisabeth, voll heiligen Geistes, bei der Ankunft und Begrüßung der Maria das Kind in ihrem Leibe hüpfen fühlte und, indem sie zuerst die erfolgte Empfängnis der Maria prophetischen Geistes verkündete, mehr als Prophetin war. Ja, die bereits geschehene Empfängnis der Jungfrau zeigte sie an und veranlaßte dadurch die Mutter des Herrn selbst, den Herrn dafür zu lobpreisen. Die Gabe der Prophetin erscheint bei Elisabeth noch vollkommener als bei Johannes, da sie imstande war, alsbald den erst empfangenen Gottessohn zu erkennen, während er nur auf den längst Geborenen hinzuweisen brauchte. Wie wir also die Maria Magdalena gewissermaßen einen weiblichen Apostel nennen können, so tragen wir auch kein Bedenken, die Elisabeth oder jene fromme Witwe Hanna, von der wir oben ausführlich gesprochen haben, als Prophetin den Propheten an die Seite zu stellen.

Wollen wir unsere Beobachtungen über die Gabe der Prophetie bis zu den Heiden ausdehnen, dann mag vor allen die Seherin Sibylle hervortreten und uns vernehmen lassen, was ihr über Christus geoffenbart worden ist. Vergleichen wir mit ihr sämtliche Propheten, selbst den Jesaias, von dem Hieronymus versichert, er sei mehr ein Evangelist als ein Prophet zu nennen, so werden wir finden, daß auch mit dieser Gnadengabe die Frauen weit reichlicher bedacht worden sind als die Männer. Augustinus beruft sich auf sie gegen die Ketzer und sagt von ihr: „Vernehmen wir auch, was die Sibylle, ihre Prophetin, über ihn sagt: Einen andern hat der Herr den gläubigen Menschen gegeben, daß sie ihn anbeten. Ferner: Erkenne du selbst, daß dein Herr Gottes Sohn sei. An einer andern Stelle nennt sie den Sohn Gottes Symbolum, d. h. Berater. Und der Prophet sagt: Sein Name ist: Wunderbar — Rat. Wiederum sagt derselbe Kirchenvater im 18. Kapitel seines Buches vom ‚Gottesstaat‘ folgendes über sie aus: In jener Zeit soll nach verschiedenen Berichten die Erythräische Sibylle — manche behaupten auch, es sei diejenige von Cumä gewesen — geweissagt haben.“ Man hat von ihr siebenundzwanzig Verse, deren Inhalt er in lateinischen Versen angiebt, wie folgt:

„Erde mit Schweiß bedeckt, verkündet die Nähe des Richters

Und vom Himmel herab naht, ewig zu herrschen, ein König,

In leibhaftigem Fleisch erscheint er, zu richten den Erdkreis.“

Fügt man die griechischen Anfangsbuchstaben dieser Verse aneinander, so kommt heraus: „Jesus Christus. Sohn Gottes, Heiland“.

Auch Lactantius führt einige messianische Weissagungen der Sibylle an: „Er wird nachmals in die Hände der Ungläubigen fallen. Sie werden mit ihren sündigen Händen dem Gotte Backenstreiche geben und giftigen Speichel werden sie ausspeien aus unreinem Munde. Er aber wird demütig seinen heiligen Rücken darbieten und schweigend wird er sich ins Angesicht schlagen lassen, damit keiner das Wort erkenne und niemand den Geistern der Hölle sage, woher er gekommen, und mit einer Dornenkrone wird er gekrönt werden. Für den Hunger geben sie ihm Galle, und Essig zum trinken; also werden sie ihn bewirten. O du verblendetes Volk, deinen Gott, den aller Sterblichen Geist preisen sollte, hast du nicht erkannt; mit Dornen hast du ihn gekrönt, Galle hast du ihm gemischt. Der Vorhang im Tempel wird zerreißen, mitten am Tag wird es finster sein drei Stunden lang und er wird sterben, drei Tage wird ihn der Schlummer befangen, alsdann wird er aus der Unterwelt ans Licht kommen, als Erstling der Auferstehung“.

Diese sibyllinische Weissagung hat wohl, wenn ich nicht irre, der größte unserer Dichter, Virgilius, gehört und bei sich bewegt; denn in seiner vierten Ekloge verkündigt er für die nächste Zeit der Regierung des Kaisers Augustus und für das Konsulat des Pollio die wunderbare Geburt eines Knaben, der vom Himmel auf die Erde gesandt werden solle, der auch der Welt Sünden tragen und ein neues Zeitalter wunderbar über die Welt heraufführen werde. Der Dichter selbst sagt, die Prophezeiung des Cumäischen Gedichtes, d. h. der Sibylle, welche die Cumäische genannt wird, habe ihn zu dieser Äußerung angeregt. Seine Worte klingen so, als wollte er alle Menschen auffordern, sich mit ihm zu freuen, mit ihm zu singen und zu schreiben von der Geburt dieses Kindes; alle andern Gegenstände scheinen ihm im Vergleich mit diesem unwichtig und gemein, und so sagt er:

„Laßt mich ein höheres Lied anstimmen, Sicilische Musen;

Denn nicht jeden erfreut Gestrüpp und niedriges Buschwerk. —

Schon bricht an des Cumäischen Liedes äußerstes Alter,

Und von neuem beginnt gewaltiger Umschwung der Zeiten.

Nun kehrt die Jungfrau zurück, Saturn beginnt wieder zu herrschen,

Und ein neues Geschlecht wird aus himmlischen Höhen entsendet.“

Betrachte die einzelnen Aussprüche der Sibylle: wie vollständig und wie deutlich umfassen sie die Summe des christlichen Glaubens! Weder seine Gottheit noch seine Menschheit, weder sein zweifaches Kommen noch das zweifache Gericht hat sie in Weissagung und Schrift übergangen, nämlich das erste Gericht, durch das er ungerecht verurteilt wurde in seiner Passion, und das zweite, in dem er gerecht die Welt richten wird in seiner Herrlichkeit. Ja, indem sie weder die Niederfahrt zur Hölle noch die Herrlichkeit der Auferstehung übergeht, scheint sie nicht bloß die Propheten, sondern die Evangelisten selbst zu übertreffen, die von Christi Höllenfahrt nichts berichtet haben.

Müssen wir ferner uns nicht alle höchlich wundern über das vertrauliche, lange Gespräch, in welchem Jesus die Heidin, die Samariterin, mit so viel Liebe unter vier Augen zu belehren geruht hat, also, daß darob selbst die Apostel staunten? Von der Ungläubigen, die noch dazu wegen ihrer vielen Männer anrüchig war, hat er zu trinken verlangt, da uns doch sonst nicht bekannt ist, daß er von irgend jemand Speise erbeten hätte. Die Apostel kommen dazu, bieten ihm die eingekauften Speisen an und sprechen: „Rabbi, iß“ — er aber nimmt das Dargebotene nicht an und gleichsam zu seiner Entschuldigung sagt er: „Ich habe eine Speise zu essen, da wisset ihr nicht von“. Von dem Weibe aber verlangt er selber zu trinken. Und sie will sich dieser Dienstleistung entziehen mit den Worten: „Wie bittest du von mir zu trinken, so du ein Jude bist und ich ein samaritisches Weib? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern“. Und weiter: „Hast du doch nichts, damit du schöpfest und der Brunnen ist tief“. So verlangt er also von der Heidin, die’s ihm verweigert, zu trinken, der doch die Speisen, welche die Apostel ihm anbieten, nicht berührt. Ist das nicht eine gnädige Bevorzugung des schwachen Geschlechts, wenn der, der allen das Leben gebracht hat, ein Weib um Wasser bittet? Warum, frage ich, that er dies, wenn nicht mit der Absicht, deutlich zu zeigen, daß ihm die Tugend der Frauen um so angenehmer sei, je schwächer sie eingestandenermaßen von Natur sind, und daß er um so mehr nach ihrem Heil verlange und dürste, je bewundernswerter ihre Tugend sei. Daher, indem er von einer Frau zu trinken verlangt, giebt er zu verstehen, daß er diesen seinen Durst vorzüglich durch die Rettung weiblicher Seelen gestillt wissen wolle. Diesen Trank nennt er auch Speise, indem er sagt: „Ich habe eine Speise zu essen, da wisset ihr nicht von“. Und was er unter dieser Speise verstehe, setzt er im folgenden auseinander: „Meine Speise ist, daß ich thue den Willen meines Vaters“ — und deutet damit an, daß der Wille seines Vaters in Sonderheit da geschehe, wo es sich um das Seelenheil der Frauen handelt.

Es ist uns berichtet, daß Jesus auch mit Nikodemus, jenem Obersten der Juden, ein vertrautes Zwiegespräch gehalten habe, in welchem er auch diesen, der im geheimen zu ihm gekommen war, über das Heil seiner Seele belehrte; aber es wird zugleich erzählt, daß dieses Gespräch keinen ebenso guten Erfolg gehabt habe. Die Samariterin, das ist sicher, wurde damals von prophetischem Geist erfüllt, der ihr eingab, daß Christus bereits zu den Juden gekommen sei und daß er auch zu den Heiden kommen werde; und so sprach sie: „Ich weiß, daß Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn derselbe kommen wird, so wird er es uns alles verkündigen“. Und viele Leute aus jener Stadt, heißt es, seien auf das Wort des Weibes hin zu Christus hinausgelaufen und haben an ihn geglaubt und ihn zwei Tage bei sich behalten, der doch selbst an einer andern Stelle zu seinen Jüngern sagt: „Gehet nicht auf der Heiden Straße und ziehet nicht in der Samariter Städte“.

Derselbe Johannes erzählt ein andermal, einige Heiden, die nach Jerusalem gekommen seien, um das Fest mitzufeiern, haben durch Philippus und Andreas dem Herrn sagen lassen, sie möchten ihn gerne sehen. Er sagt aber nichts davon, daß sie wirklich zugelassen wurden und daß ihnen, die doch darum baten, so reiche Gelegenheit gegeben wurde, Christus zu sprechen, wie der Samariterin, die gar nicht danach verlangte. Mit ihr scheint er seine Wirksamkeit unter den Heiden angefangen zu haben, und er hat nicht bloß sie allein bekehrt, sondern hat durch sie — so wird berichtet — viele andere gewonnen. Die Magier, durch den Stern erleuchtet und zu Christus geführt, haben, so heißt es, viele andere durch ihre Aufmunterung und Belehrung zu ihm gezogen: aber selbst zu ihm gekommen sind nur sie. Auch daraus geht hervor, in welch hoher Gunst das heidnische Weib bei Christus stand, das nach Hause eilend und in der Stadt seine Ankunft und was er ihr gesagt hatte verkündigend, so schnell eine ganze Menge ihrer Landsleute für ihn gewonnen hat.

Wenn wir die Schriften des Alten Testaments oder die Evangelien nachschlagen, so finden wir, daß die göttliche Gnade, jene höchste Wohlthat der Auferweckung eines Toten, insbesondere Frauen erwiesen wurde, und daß nur ihnen zulieb oder an ihnen solche Wunder verrichtet worden sind. So lesen wir zunächst, daß auf die Bitte der Mütter von Elia und Elisäus ihre Söhne auferweckt und ihnen wiedergegeben wurden. Und der Herr selbst läßt die Wohlthat dieses unerhörten Wunders mit Vorliebe Frauen zu gute kommen, wenn er den Sohn einer Witwe, die Tochter des Synagogenvorstehers, und den Lazarus auf die Bitten seiner Schwestern auferweckt. Darum sagt der Apostel in seinem Brief an die Hebräer: „Die Weiber haben ihre Toten aus der Auferstehung wiedergenommen“. Denn das auferweckte Mädchen hat seinen toten Körper wieder zurückbekommen so gut wie die übrigen Frauen durch die Auferweckung und Rückgabe ihrer Toten, die sie beweinten, getröstet wurden. Es geht daraus hervor, wie sehr der Herr stets die Frauen bevorzugte, indem er sie zunächst durch ihre eigene und durch der Ihrigen Wiederbelebung erfreute und zuletzt sie bei seiner eigenen Auferstehung dadurch ganz besonders auszeichnete, daß er ihnen, wie schon erwähnt wurde, zuerst erschien. Diesen Vorzug hat dieses Geschlecht vielleicht verdient durch das natürliche Gefühl des Mitleids, das es dem Herrn inmitten eines feindseligen Volkes zollte. Denn nach dem Berichte des Lukas, während die Männer ihn zur Kreuzigung führten, folgten die Frauen nach und klagten und weinten um den Herrn. Und er wendet sich nach ihnen um und wie zum Dank für ihre Liebe verkündigt er ihnen in der drohenden Leidensgefahr selbst aus Mitleid, damit sie ihm entrinnen möchten, den bevorstehenden Untergang: „Ihr Töchter von Jerusalem, ruft er ihnen zu, weinet nicht über mich, sondern weinet über euch selbst und über eure Kinder. Denn siehe, es wird die Zeit kommen, in welcher man sagen wird: Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben.“

Ferner erzählt Matthäus, daß die Frau des ungerechten Richters treulich an der Befreiung des Herrn gearbeitet habe; er sagt von ihr: „Und da er auf dem Richtstuhl saß, schickte sein Weib zu ihm und ließ ihm sagen: Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten; ich habe heute viel erlitten im Traum von seinetwegen“. Und wiederum war es von der ganzen Schar, die der Predigt Jesu zuhörte, eine Frau, die ihre Stimme zu dem hohen Lobe erhob, daß sie ausrief: „Selig der Leib, der dich getragen hat und die Brüste, die dich gesäuget haben“. Und alsbald mußte sie sich für ihr Bekenntnis, so richtig es war, eine Zurechtweisung vom Herrn gefallen lassen, der ihre Worte also verbesserte: „Ja, selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren“!

Unter den Aposteln genoß allein Johannes das Vorrecht der besonderen Liebe des Meisters, so daß er der Lieblingsjünger des Herrn genannt wurde. Von Martha aber und Maria schreibt Johannes selber: „Denn Jesus hatte Martha lieb und ihre Schwester Maria und Lazarus“. Derselbe Apostel, der infolge besonderer Bevorzugung, die er genoß, sich als den Lieblingsjünger des Herrn bezeichnet, schreibt den Frauen dasselbe Vorrecht zu, das er doch keinem der andern Apostel zugesteht. Und wenn er auch den Bruder derselben an der gleichen Ehre teilnehmen läßt, so nennt er doch die Frauen vor ihm, als wollte er damit andeuten, daß sie dem Herzen Jesu näher standen.

Endlich will ich auf die Frauen zurückkommen, die der christlichen Kirche bereits angehörten, und die Barmherzigkeit Gottes, die sich bis zur Verworfenheit öffentlicher Dirnen herabläßt, staunend verkünden und sie verkündigend anstaunen. Hatten nicht Maria Magdalena oder Maria Ägyptiaca, die nachmals durch die göttliche Gnade zu Ehren und Würden erhoben wurden, ein Vorleben der verworfensten Art geführt? Jene lebte später, wie schon erwähnt, beständig in der Gemeinschaft der Apostel; von der andern wird berichtet, sie habe als Einsiedlerin einen übermenschlich harten Bußkampf durchgekämpft, so daß der Tugend der heiligen Frauen die erste Stelle gebührt, wenn man die Mönche beiderlei Geschlechts ins Auge faßt, ja daß das Wort, welches der Herr an die Ungläubigen richtete: „Die Huren werden eher ins Reich Gottes kommen als ihr“ — seine Anwendung selbst auf gläubige Männer zu finden scheint, und daß die, welche ihrem Geschlecht und ihrem Leben nach die letzten waren, die ersten werden und die ersten — die letzten. Endlich, wer weiß es nicht, mit welch heiligem Eifer die Frauen die Mahnung Christi und den Rat des Apostels zur Keuschheit befolgt haben, so daß sie, um Leib und Seele unverletzt zu erhalten, sich im Märtyrertod Gott zum Opfer dargebracht haben und im Schmuck der zweifachen Krone dem Lamm, das den Jungfrauen verlobt ist, zu folgen begehrten, wohin es ging. Solche Vollkommenheit finden wir selten bei Männern, häufig dagegen bei Frauen. Ja, einige von ihnen, so wird uns erzählt, hielten mit solchem Eifer an dieser höheren Würde ihres keuschen Leibes fest, daß sie nicht zögerten, selbst Hand an sich zu legen, um nicht ihre Jungfräulichkeit, die sie Gott geweiht hatten, zu verlieren, sondern als Jungfrauen zu ihrem jungfräulichen Bräutigam zu kommen.

Und er hat zu erkennen gegeben, wie angenehm vor ihm die Frömmigkeit heiliger Jungfrauen sei. Als bei einem Ausbruch des Ätna die Menge des heidnischen Volkes hilfesuchend zur heiligen Agathe eilte, wurden sie durch den Schleier der Heiligen, den diese dem furchtbaren Feuer entgegenhielt, vom Verderben des Leibes und der Seele gerettet. Wir wissen nichts davon, daß dem Gewand irgend eines Mönches solche Segenskräfte verliehen worden wären. Zwar lesen wir, daß durch Elias’ Mantel der Jordan geteilt wurde, so daß er und Elisäus trockenen Fußes hindurchgingen: dort aber wird durch den Schleier einer Jungfrau die gewaltige Menge eines bisher ungläubigen Volkes an Leib und Seele gerettet und den dadurch Bekehrten der Weg zum Himmel eröffnet.

Auch das ist bezeichnend für die hohe Würde heiliger Frauen, daß sie bei ihrer Weihe die Worte aussprechen: „Durch seinen Ring hat er mich erworben, seine Braut bin ich“. Es sind dies Worte der heiligen Agnes, durch welche die Jungfrauen, die ihr Gelübde ablegen, sich mit Christus vermählen.

Will man bis auf die heidnischen Zeiten zurückgehen, um zu erfahren, welche Gestalt und welches Ansehen euer Stand damals gehabt habe, und zu eurer Ermunterung einige Beispiele aus jener Zeit anführen, so ist die Beobachtung leicht zu machen, daß es schon damals einige Einrichtungen gab, die diesem Beruf ähnlich waren, abgesehen davon, daß der richtige Glaube noch fehlte, und daß unter Heiden und Juden manches bestand, was die Kirche von ihnen herübergenommen und in verbesserter Form beibehalten hat. So ist allgemein bekannt, daß die Kirche die ganze Stufenleiter des geistlichen Standes vom Thürhüter bis zum Bischof, den Gebrauch der Tonsur, dem sich die Geistlichen unterwerfen müssen, die Quatemberfasten, das Fest der süßen Brote, ja sogar die Verzierungen an den priesterlichen Gewändern und manche heiligen Gebräuche bei Weihungen und anderen Gelegenheiten — von der Synagoge übernommen hat. Ebenso bekannt ist, daß die Kirche mit weiser Mäßigung nicht bloß die Stufenleiter der weltlichen Würden, wie die der Könige und Fürsten, ferner manche Gesetzesbestimmungen und moralische Anschauungen und Vorschriften unter den bekehrten Völkern weiter bestehen ließ: sondern sie hat sogar einige kirchliche Würden, die Art und Weise der Ausübung der Enthaltsamkeit und Vorschriften in Beziehung auf körperliche Reinigungen von ihnen angenommen. Es ist sicher, daß jetzt Bischöfe und Erzbischöfe im Amt sind, wo damals die Flamines und Archiflamines waren, und daß die Tempel, welche damals den Dämonen gehörten, später dem Herrn geheiligt und dem Gedächtnis der Heiligen geweiht wurden.

Man weiß auch, daß bei den Heiden der jungfräuliche Stand besonderes Ansehen genoß, während die Juden durch ihr Gesetz zur Ehe angehalten wurden; ja, bei den Heiden wurde diese Tugend fleischlicher Unbeflecktheit so hoch gehalten, daß in ihren Tempeln große Gemeinschaften von Frauen sich aufhielten, die dem ehelosen Leben sich ergeben hatten. Daher Hieronymus im dritten Buch seines Kommentars zum Galaterbrief sagt: „Was werden wir zu thun haben, wenn uns zur Beschämung Juno ihre geweihten Frauen, Vesta ihre Jungfrauen, und andere Götzen ihre Enthaltsamkeit übenden Verehrer haben?“ Wenn er Frauen und Jungfrauen nennt, so versteht er unter den ersteren solche, die einst mit Männern verkehrt hatten, nun aber für sich leben, unter den letzteren solche, die von jeher als Jungfrauen für sich gelebt hatten. Denn die Worte monos und monachos, welch letzteres vom ersten abgeleitet ist und soviel wie Einsiedler bedeutet, haben ein und denselben Sinn.

Derselbe Schriftsteller sagt im ersten Buche seiner Schrift „gegen Jovinianus“, nachdem er viele Beispiele von der Keuschheit und Enthaltsamkeit heidnischer Frauen angeführt hatte: „Ich bin bei der Aufzählung dieser Frauen absichtlich so ausführlich gewesen, damit diejenigen, welche die christliche Schamhaftigkeit gering achten, wenigstens von den Heiden Keuschheit lernen“. Weiter oben in derselben Schrift erhebt er die Tugend der Enthaltsamkeit so hoch, daß es scheinen könnte, als hätte Gott an der Reinheit des Fleisches bei allen Völkern ein ganz besonderes Wohlgefallen, und als habe er diese Tugend durch besondere Belohnung ihres Verdienstes oder gar durch Wunderthaten in ihrem ganzen Wert anerkannt. „Was soll ich reden, sagt er, von der Erythräischen und Kumäischen Sibylle und von den anderen acht? Denn Varro behauptet, es seien zehn gewesen. Was sie von andern unterscheidet, ist ihre Jungfräulichkeit und die Sehergabe, die ihnen zum Lohn dafür verliehen ist.“ Weiter heißt es da: „Als die Vestalin Claudia des Vergehens der Unzucht verdächtigt wurde, soll sie an ihrem Gürtel ein Floß fortgezogen haben, das Tausende von Menschen nicht hatten von der Stelle bringen können“. Und Sidonius, Bischof von Clermont, sagt im Vorwort zu seinem Buch folgendes:

„So war Tanaquil nicht, noch auch die Jungfrau,

Deren Vater du warst, o Tricipitinus;

So nicht war die Geweihte der phrygischen Vesta,

Die durch der Albula hochaufschwellende Fluten

Mit jungfräulichem Haar das Floß gezogen.“

Augustinus sagt im 22. Buch seiner Schrift „vom Gottesstaat“: „Kommen wir nunmehr zu ihren Wundern, welche sie als von ihren Göttern verrichtet unsern Märtyrern entgegenstellen — werden wir da nicht finden, daß auch sie nur unsern Zwecken dienen und unserer Sache förderlich sind? Unter den großen Wunderthaten ihrer Götter ist gewiß eine der größten die, welche Varro erzählt: eine vestalische Jungfrau habe, als sie fälschlicherweise der Unkeuschheit verdächtigt wurde, ein Sieb mit Wasser aus dem Tiber angefüllt und vor ihre Richter getragen, ohne daß ein Tropfen verloren gegangen sei. Wer hat das schwere Wasser aufgehalten, trotz der vielen Öffnungen, durch die es hätte abfließen können? Sollte nicht der allmächtige Gott einem irdischen Körper sein Schwergewicht nehmen und dasselbe Element mit Leben erfüllen können, in welchem nach seinem Willen der lebenschaffende Geist seinen Sitz hat?“

Wundern wir uns nicht, daß Gott durch solche und andere Wunder auch unter den Heiden die Tugend der Keuschheit zu Ehren gebracht hat oder vielmehr sie durch die Wirksamkeit der Dämonen zu Ehren hat bringen lassen. Es ist geschehen, um die jetzt Gläubigen destomehr für sie zu begeistern, wenn sie sehen, daß diese Tugend selbst unter den Heiden schon so hochgehalten wurde. Wir wissen ja, daß auch dem Kaiphas die Gabe der Prophetie nicht um seiner Person, sondern um seines Amtes willen verliehen worden, ja, daß selbst Lügenapostel bisweilen mit Wunderthaten prunken durften, und dies wiederum nicht ihrer Person verstattet war, sondern dem Amt, das sie führten. Was ist es also besonderes, wenn der Herr ein solch wunderbares Ereignis verstattet hat nicht etwa der Person der ungläubigen Frauen, sondern ihrer tugendsamen Enthaltsamkeit, um eine unschuldige Jungfrau zu retten und die Schlechtigkeit der falschen Ankläger zunichte zu machen?

Es steht fest, daß die Enthaltsamkeit auch unter den Heiden als ein hohes Gut angesehen wird, wie auch das Verlangen nach strenger Bewahrung des ehelichen Bundes allen Völkern gleichmäßig von Gott als ein Geschenk verliehen worden ist. Darum kann es niemand befremden, wenn Gott seine eigenen wohltätigen Einrichtungen, nicht etwa den Irrtum des Unglaubens, durch Wunderzeichen zu Ehren bringt, die in der Heidenwelt, nicht unter den Gläubigen, geschehen — vollends wenn dadurch, wie gesagt, die Unschuld gerettet und die Bosheit schlechter Menschen vereitelt wird, oder wenn durch die Verherrlichung einer solchen Tugend die Menschen zu ihrer Ausübung angefeuert werden; denn auch unter den Heiden kommen um so weniger Verfehlungen in dieser Hinsicht vor, je mehr man bei ihnen die Lüste des Fleisches meidet.

So hat Hieronymus in Übereinstimmung mit den meisten andern Kirchenlehrern die Zügellosigkeit des obengenannten Häretikers (Jovinian) sehr passend bekämpft, indem er ihm zurief, er möge unter die Heiden gehen, um bei ihnen mit Erröten die Tugenden zu finden, welche er an den Christen gering achte. Wer wollte verkennen, daß auch die Majestät ungläubiger Fürsten, selbst wenn sie dieselbe mißbrauchen, ihre Gerechtigkeitsliebe und Milde, die sie, dem natürlichen Gesetze folgend, an den Tag legen und alles andere, was den Fürsten ziert, ein Geschenk Gottes sei? Wer wollte das Gute als solches verkennen, weil es mit Schlechtem vermischt ist? — besonders da doch, wie der heilige Augustin bemerkt und der gesunde Menschenverstand es bezeugt, Übel nur in einer sonst guten Natur sein können? Wer stimmt nicht dem Worte des Dichters bei: „Gute fliehen das Laster aus Liebe zur Tugend?“ Wer wollte nicht, statt es zu leugnen, vielmehr Zeugnis ablegen für das Wunder, welches nach dem Berichte des Suetonius Vespasian vor seiner Thronbesteigung an einem Blinden und an einem Lahmen verrichtet hat oder für das, was der heilige Gregorius an der Seele Trajans gethan haben soll — die andern Fürsten mögen sich dadurch zur Nachahmung solcher Tugenden bewegen lassen!

Die Menschen verstehen es, im Schmutz die Perle zu finden und die Körner aus dem Stroh zu lesen: so kann auch Gott die Gnadengaben, die er dem Unglauben verliehen, nicht vergessen und nichts von dem, was er gemacht hat, hassen. Je mehr die Welt in Wundern strahlt, desto deutlicher giebt er sie dadurch als sein Werk zu erkennen, das durch die Schlechtigkeit der Menschen nicht verderbt werden kann, und die Gläubigen sollen daran erkennen, was das für ein Gott sei, der also selbst den Ungläubigen sich erweist.

Ein Beweis für das hohe Ansehen, in welchem die dem Dienste des Herrn geweihte Keuschheit bei den Heiden stand, ist die strenge Strafe, die auf die Verletzung des Gelübdes gesetzt war. Worin dieselbe bestand, das sagt Juvenalis in seiner vierten Satire, die gegen Crispinus gerichtet ist, mit folgenden Worten: „Mit dem sie noch neulich gebuhlt hat, wird die Priesterin nun lebendigen Leibes begraben“. So auch Augustin im dritten Buche des „Gottesstaates“: „Die alten Römer begruben lebendig die über dem Vergehen der Unzucht betroffenen Vestalinnen. Ehebrecherische Frauen dagegen bestraften sie zwar, aber nicht mit dem Tode“. So sühnten sie strenger als die Befleckung des menschlichen Ehebettes die Verletzung dessen, was in ihren Augen eine geheimnisvolle Verbindung mit der Gottheit war. Bei uns aber lassen sich christliche Fürsten den Schutz der Keuschheit angelegen sein, um so mehr, als sie auf einem noch viel heiligeren Gelübde beruht. Darum hat der Kaiser Justinianus folgende Bestimmung getroffen: „Wenn jemand sich untersteht, eine gottgeweihte Jungfrau, ich sage nicht bloß: zu entführen, sondern nur zur Ehe zu verlocken, so soll er dies mit dem Leben büßen“. Daß auch die kirchliche Zucht, die doch den Sünder zur Buße leiten und nicht seinen Tod will, mit großer Strenge gegen Verfehlungen von eurer Seite einschreitet, ist bekannt. Daher die Verordnung des Papstes Innocenz an den Bischof Victricius von Rouen, Kapitel XIII: „Frauen, die sich geistig mit Christus vermählt und den Schleier genommen haben, dürfen, wenn sie sich später öffentlich verheiratet haben oder im geheimen verführt worden sind, zur Buße nicht zugelassen werden, außer wenn der, mit dem sie die Verbindung eingegangen hatten, nicht mehr am Leben ist“. Diejenigen aber, welche zwar noch nicht eingekleidet waren, aber doch den Vorsatz gefaßt hatten, im jungfräulichen Stande zu verbleiben, sollen, wenn schon sie den Schleier noch nicht genommen haben, dennoch eine bestimmte Zeit lang Buße thun, weil Gott ihr Gelübde angenommen hatte. Denn wenn man schon unter Menschen einen abgeschlossenen Vertrag unter keinem Vorwand brechen soll, wie viel weniger kann man ein Versprechen, das man Gott gegeben hat, straflos brechen? Wenn der Apostel Paulus von den Frauen, die den Witwenstand aufgegeben, sagt, sie seien verwerflich, weil sie die erste Treue nicht gehalten haben: wie viel mehr gilt dies von den Jungfrauen, welche ihr zuerst gegebenes Wort brechen? Daher schreibt auch der berühmte Pelagius an die Tochter des Mauritius: „Die an Christus zur Ehebrecherin wird, ist verwerflicher als die, welche ihrem Mann die Treue bricht. Darum hat die römische Kirche erst vor kurzem mit Recht bestimmt, daß diejenigen Frauen, welche ihren gottgeweihten Leib durch Unkeuschheit beflecken, kaum der Buße mehr würdig zu achten seien“.

Wollen wir untersuchen, welche Sorgfalt, Freundschaft und Liebe die heiligen Lehrer der Kirche nach dem Vorbilde des Herrn selbst und der Apostel stets den gottgeweihten Frauen gewidmet haben, so finden wir, daß sie mit dem liebevollsten Eifer ihre frommen Neigungen gehegt und gepflegt und mit reichlicher Mahnung und Belehrung sie in ihrem göttlichen Berufe unterrichtet und gefördert haben. Um von den übrigen zu schweigen, will ich nur die bedeutendsten Kirchenlehrer anführen: Origenes, Ambrosius und Hieronymus.

Der erste derselben, jener größte christliche Philosoph, hat sich mit solchem Eifer dem Stande der gottgeweihten Frauen gewidmet, daß er sich nach dem Bericht der „Kirchengeschichte“ selbst entmannte, um nicht durch irgendwelche Verdächtigung im Unterricht der Frauen behindert zu werden. Wem wäre es ferner nicht bekannt, welch reichliche Ernte von heiligen Schriften Hieronymus auf die Veranlassung der Frauen Paula und Eustochium der Kirche hinterlassen hat? Er selbst gesteht dies in seiner Abhandlung über die Himmelfahrt der Mutter des Herrn, welche er auf die Bitte der Frauen schrieb, zu in den Worten: „Weil ich aber, durch meine große Liebe zu euch, überwunden, nichts abschlagen kann, was ihr wünscht, so will ich den Versuch machen, euer Verlangen zu stillen“. Dagegen wissen wir, daß manchmal hochbedeutende, durch ihre Stellung und würdige Lebensführung ausgezeichnete Lehrer ausführlich an ihn geschrieben und nicht einmal eine kurze Antwort, um die sie ihn gebeten, von ihm erhalten haben. Daher jene Äußerung des heiligen Augustinus im 2. Buch der Retraktationen: „Ich habe an den Presbyter Hieronymus, während er in Bethlehem sich aufhielt, zwei Schriften geschickt: eine ‚über den Ursprung der Seele‘ und eine zweite über den Satz des Apostels Jakobus: ‚So jemand das Gesetz hält und sündiget an Einem, der ist’s ganz schuldig.‘ Über beide Schriften bat ich ihn um sein Urteil. In der ersten habe ich die Frage, die ich aufgeworfen, selbst ungelöst gelassen; in der zweiten habe ich meine Ansicht nicht verschwiegen, fragte aber bei ihm an, ob er dieselbe billige. Er antwortete, daß er sich über meine Frage gefreut habe, daß er aber keine Zeit habe, sie zu beantworten. Ich aber wollte die Bücher nicht herausgeben so lange er lebte in der Erwartung, daß er mir doch irgend einmal antworten würde und ich sie dann zusammen mit dieser Antwort herausgeben könnte. Allein er starb darüber, und erst dann habe ich sie veröffentlicht“. Man sieht also, daß der große Mann so lange Zeit vergeblich auf eine, wenn auch nur kurze Antwort des Hieronymus gewartet hat. Und doch wissen wir, daß derselbe Mann jenen Frauen zulieb viele umfangreiche Bücher im Schweiß seines Angesichts übersetzt oder geschrieben und ihnen demnach größere Rücksicht erwiesen hat als dem Bischof. Vielleicht hat er ihre Tugend darum so eifrig gepflegt und alles vermieden, was sie betrüben konnte, weil er die Empfindlichkeit der weiblichen Natur kannte. Die Lebendigkeit seiner Liebe gegen solche Frauen erscheint manchmal so groß, daß er bei seinen Lobeserhebungen bisweilen fast die Grenze des Wahren überschreitet, und als sei er sich dessen selber bewußt, sagt er irgendwo; „Die Liebe kennt keine Grenze“. In der Vorrede zum Leben der heiligen Paula sagt er, um die Aufmerksamkeit des Lesers anzuspannen: „Wenn alle meine Glieder sich in Zungen verwandelten und alle meine Gelenke reden könnten, ich könnte doch keine Worte finden, die Tugenden der heiligen, verehrungswürdigen Paula würdig zu preisen“.

Er hat auch einige Lebensbilder von heiligen Vätern geschrieben — der höchsten Verehrung würdig und im Glanz von Wunderthaten strahlend — und was hier berichtet wird, ist noch viel wunderbarer. Dennoch hat er, so viel ich sehe, keinen derselben mit so hohen Ruhmesworten gefeiert, wie diese Witwe. Auch seinen Brief an die Jungfrau Demetrias eröffnet er sofort mit einer so starken Lobeserhebung, daß sie uns fast als eine übertriebene Schmeichelei erscheinen muß. „Von allen Gegenständen, sagt er, über welche ich von meiner frühesten Jugend an bis zu meinem jetzigen Alter geschrieben habe oder habe schreiben lassen, ist keiner schwieriger als das gegenwärtige Werk. Denn ich schicke mich an, an Demetrias zu schreiben, die Jungfrau Christi, die an Edelmut und an Reichtum die erste in Rom ist. Wenn ich ihre Tugenden preise, wie sie’s verdienen, wird man von mir sagen, ich sei ein Schmeichler“. Es war für den heiligen Mann ein süßes Amt, durch die Kunst seiner Worte das schwache Geschlecht zur schweren Übung der Tugend anzuleiten. Weil aber Thaten sprechendere Beweise sind als Worte, hat er sich seiner weiblichen Schutzbefohlenen mit solcher Liebe angenommen, daß sein eigener guter Ruf, trotz seiner ungemessenen Heiligkeit, darunter zu leiden hatte. Er spricht selber davon in seinem Brief an Asella, wo er von falschen Freunden handelt, die ihn verleumden: „Mögen sie mich, heißt es da, immerhin für einen Verbrecher halten, bedeckt mit allen Schandtaten; du aber thust wohl daran, wenn du deinem Herzen folgend auch die Schlechten für gut hältst. Denn es ist gefährlich, über den Knecht eines andern zu richten, und wer Gutes schlecht macht, dem wird nur schwer verziehen. Sie haben mir die Hände geküßt und mich mit ihrer giftigen Zunge verleumdet. Mit den Lippen bedauerten sie mich, im Herzen lachten sie. Sie mögen selbst sagen, ob sie jemals etwas anderes an mir gefunden, als was einem Christen sich ziemte. Was man mir zum Vorwurf macht, ist einzig und allein mein Geschlecht, und auch das würde man mir nicht vorwerfen, wenn Paula nicht nach Jerusalem gekommen wäre.“ Weiter heißt es: „Ehe ich in das Haus der frommen Paula kam, war nur Eine Stimme des Lobes über mich in der ganzen Stadt; ja, ich war nach dem Urteil aller würdig, das Amt des höchsten Priesters in der Kirche zu bekleiden. Aber seitdem ich anfing, sie nach dem Verdienst ihrer Frömmigkeit zu verehren und zu lieben, war ich auf einmal aller Tugenden bar.“ Und etwas weiter unten sagt er: „Grüße Paula und Eustochium, die mein sind in Christo, man sage was man wolle“.

Lesen wir doch von dem Herrn selbst, er habe die fromme Sünderin mit solch vertraulicher Güte behandelt, daß der Pharisäer, welcher ihn eingeladen hatte, darob irre an ihm wurde und bei sich sagte: „Wenn dieser ein Prophet wäre, wüßte er, wer und welch ein Weib das ist, die ihn anrühret“. Was Wunder also, wenn, um solche Seelen zu gewinnen, auch die Glieder Christi, durch sein Beispiel angetrieben, die Verunglimpfung ihres guten Namens nicht achten? Origenes, um dem zu entgehen, ist, wie schon erwähnt, nicht davor zurückgeschreckt, an seinem Leib schweren Schaden zu nehmen.

Aber nicht bloß in Belehrung und Unterweisung der Frauen haben die heiligen Väter eine wunderbare Liebe an den Tag gelegt: auch wenn es galt, sie zu trösten, ist dieser Liebeseifer zuweilen so heftig zum Ausbruch gekommen, daß es fast scheint, als hätten sie sich durch ihr unbegrenztes Mitleid, nur um den Schmerz der Frauen zu lindern, zu Versprechungen verleiten lassen, die mit dem christlichen Glauben im Widerspruch standen. Derart ist der Trost, welchen der heilige Ambrosius nach dem Tode des Kaisers Valentinian dessen Schwestern zu schreiben wagte, indem er sie versicherte, daß ihr Bruder, der doch als Katechumen gestorben ist, der Seligkeit teilhaftig geworden sei — eine Behauptung, die mit dem katholischen Glauben und mit der evangelischen Lehre durchaus nicht übereinstimmt. Sie wußten wohl, wie angenehm vor Gott allezeit die Tugend des schwächeren Geschlechtes gewesen sei.

So kommt es, daß wir zwar eine unzählige Schar von Jungfrauen dem Beispiel der Mutter des Herrn folgen und den sittlich vollkommeneren Stand erwählen sehen, daß wir aber nur wenige Männer kennen, welche die Gnadengabe dieser Tugend erlangt haben, vermöge deren sie dem Lamme selbst überall hin folgen konnten. Im Eifer um diese Tugend haben mehrere Frauen sogar Hand an sich selber gelegt, damit sie die Keuschheit auch des Leibes, welche sie Gott gelobt hatten, sich erhielten, und man hat sie darob nicht nur nicht getadelt, sondern bei den meisten wurde ihr freiwilliger Opfertod Anlaß zu ihrer kirchlichen Verehrung. Ja, sogar bereits verlobte Jungfrauen, wenn sie sich vor der fleischlichen Vereinigung mit ihren Männern für die Wahl des Klosterlebens entschließen, ihren Mann aufgeben und sich Gott verloben wollen, haben darin freie Hand, während wir von einer solchen Rechtsbestimmung für die Männer nichts wissen.

Einige Frauen waren von solchem Eifer für ihre Keuschheit erfüllt, daß sie nicht allein unerlaubterweise, um ihre Keuschheit zu wahren, sich für Männer ausgaben, sondern dann auch, unter den Mönchen lebend, sich durch ihre Tugenden also auszeichneten, daß sie des Abtstuhls für würdig befunden wurden, wie wir dies von der heiligen Eugenia lesen, welche mit Wissen, ja, auf Zureden des frommen Bischofs Helenus Männerkleider anlegte, von ihm getauft und in ein Mönchskloster aufgenommen wurde.

Die erste deiner Fragen, geliebte Schwester in Christo, das Ansehen eures Standes und die Hoheit seiner ihm eigenen Würde betreffend, glaube ich hiemit genügend beantwortet zu haben. Je mehr ihr die Herrlichkeit eures Berufes nun erkannt habt, mit desto größerem Eifer werdet ihr ihn erfassen. Möchten eure Verdienste und Gebete bewirken, daß ich weiterhin mit Gottes Zustimmung auch deine zweite Frage beantworten kann. — Lebe wohl!

VIII. Brief.
Abaelard an Heloise.

Zu einem Teil habe ich deine Bitte erfüllt, so gut ich’s vermochte. Es bleibt mir noch übrig, mit Gottes Beistand zu erledigen, was noch im Rückstand ist und so deine und deiner geistigen Töchter Wünsche zu befriedigen. Der weitere Inhalt eurer Forderung geht dahin: ich soll euch eine bestimmte Vorschrift, die euch als Regel für euren Orden dienen könnte, aufsetzen und zusenden, damit ihr an dem geschriebenen Buchstaben einen sicherern Anhaltspunkt für euer Thun und Lassen habet als an dem bloßen Herkommen. So habe ich mir denn vorgenommen, teils altbewährte Gebräuche, teils die Zeugnisse der heiligen Schrift und der Vernunft zu Grunde zu legen und daraus ein Ganzes zu bilden. Den geistigen Tempel Gottes, welcher ihr seid, möchte ich damit ausschmücken wie mit schönen Malereien und aus verschiedenen Bruchstücken ein einheitliches Werk aufbauen. Dabei will ich mir den Maler Zeuxis zum Vorbild nehmen und bei der Ausschmückung meines geistigen Tempels so verfahren, wie er es einst bei einem sichtbaren gemacht hat. Cicero erzählt nämlich in seinem Buch „Rhetorica“ folgendes: „Die Bürger von Kroton beriefen den Zeuxis, um einen Tempel, der ihnen besonders heilig war, von ihm mit prächtigen Gemälden ausschmücken zu lassen. Zu diesem Zweck wählte er sich aus der Bevölkerung die fünf schönsten Mädchen, die bei seiner Arbeit vor ihm standen und deren Schönheit ihm zum Muster diente. Dies ist aus zwei Gründen ganz wohl glaublich: einmal, weil dieser Maler nach der Mitteilung des genannten Schriftstellers eine besondere Geschicklichkeit darin hatte, Frauen zu malen; sodann auch, weil weibliche Formen selbstverständlich einen feineren, lieblicheren Eindruck machen als männliche. Mehrere Mädchen aber, sagt der erwähnte Philosoph, habe er ausgewählt, weil er nicht glaubte, daß er eine finden werde, bei der alle Glieder gleich formvollendet wären, und daß die Natur eine einzige mit so reicher Schönheit ausgestattet habe, daß sie lauter gleich schöne Körperteile aufzuweisen hätte. Die Natur, das war seine Meinung, bilde in der Körperwelt nichts durchaus und gleichmäßig Vollendetes, als fürchtete sie, wenn sie alle Vorzüge auf einen Gegenstand vereinige, für die anderen nichts mehr übrig zu haben.“

So will auch ich verfahren, indem ich mich anschicke, die Schönheit der Seele zu malen und die Vollkommenheit der Braut Christi zu beschreiben. Möget ihr mein Werk als einen Spiegel der rechten gottgeweihten Jungfrau allezeit vor Augen haben und daraus eure Schönheit oder Häßlichkeit erkennen. Ich will zu dem Zweck aus den zahlreichen Schriften der heiligen Väter und aus den bewährtesten Klostergebräuchen eine Regel für euch zusammenstellen. Von allem, was mir ins Gedächtnis kommt, will ich das Beste nehmen und alles gleichsam in Ein Bündel sammeln, was mit eurem heiligen Berufe sich berührt. Und zwar werde ich dabei nicht bloß die Bestimmungen für Nonnen berücksichtigen, sondern auch diejenigen für Mönche; denn wie euch Ein Name und dasselbe Gelübde der Enthaltsamkeit mit uns verbindet, so gelten auch fast alle unsere Bestimmungen ebenso für euch. Aus diesem Vorrat, wie gesagt, will ich dieses und jenes auswählen, gleichsam eine Blumenlese, mit der ich die Lilien eurer Keuschheit schmücken will, und zu dem Zweck werde ich auf die Beschreibung der Braut Christi mehr Fleiß verwenden müssen als Zeuxis auf sein Götzenbild. Er glaubte es sei genug, wenn er fünf Jungfrauen habe, um ihre Schönheit nachzubilden. Uns aber steht der ganze Reichtum von Schriften der Väter zu Gebote und so hoffen wir im Vertrauen auf die göttliche Hilfe, euch ein vollkommeneres Werk zu hinterlassen, das euch tüchtig macht zu dem Los und zu den Tugenden jener fünf klugen Jungfrauen, die uns der Herr im Evangelium zeigt als Vorbilder christlicher Jungfräulichkeit. Mögen eure Gebete mir dazu helfen, daß dem Wollen das Vollbringen nicht mangle. Seid in Christo gegrüßt, ihr Bräute Christi!

Ich habe beschlossen, die Schrift, welche ich zu eurer Belehrung verfassen will und in welcher ich euren frommen Stand beschreiben und fest umgrenzen, sowie über die würdige Begehung des Gottesdienstes reden werde, in drei Abschnitte einzuteilen. Denn drei Stücke sind, so glaube ich, der Hauptsache nach wesentlich für das klösterliche Leben: Keuschheit, Besitzlosigkeit und Schweigen; das heißt nach der Vorschrift, welche der Herr im Evangelium giebt: die Lenden umgürten, allem entsagen, müßige Worte vermeiden. Unter Keuschheit aber ist diejenige Enthaltsamkeit zu verstehen, welche der Apostel empfiehlt mit den Worten: „Welche nicht freiet, die sorget was dem Herrn angehöret, daß sie heilig sei, beide an Leib und auch am Geist“. Am Leib, sagt er, und meint damit den ganzen, nicht bloß ein einzelnes Glied, damit nicht irgend eines in Worten oder Handlungen zur Unreinigkeit abirre. Heilig an der Seele ist sie dann, wenn weder in ihrem Herzen ein unreiner Gedanke aufsteigen darf noch auch der Stolz sie aufbläht, wie die fünf thörichten Jungfrauen, die, während sie zurückliefen, um Öl zu kaufen, hinausgeschlossen wurden. Und als sie nun vergebens an die geschlossene Thür pochten und riefen: „Herr, Herr, thue uns auf!“ — da wird ihnen von diesem selbst die furchtbare Antwort zu teil: „Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht“.

Sodann aber verlassen wir alles und folgen nackt dem nackten Christus nach, wie es die heiligen Apostel gemacht haben. Dazu gehört, daß wir um seinetwillen nicht bloß irdischen Besitz oder Bande des Blutes, sondern auch unsern eigenen Willen hintansetzen, so daß wir nicht nach eigenem Gutdünken leben, sondern durch den Willen unseres Vorgesetzten uns lenken lassen und uns dem, der an Christi Statt unser Oberhaupt ist, völlig unterwerfen wie Christo selbst. Er sagt selbst von solchen: „Wer euch höret, der höret mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich“. Selbst wenn jener, was Gott verhüte, einen üblen Lebenswandel führen sollte — wenn er nur gute Vorschriften giebt; denn um der schlechten Menschen willen darf man Gottes gute Absicht nicht verachten. In dieser Beziehung sagt der Herr selbst: „Was sie euch sagen, das haltet und thut, aber nach ihren Werken sollt ihr nicht thun“. Worin aber diese Bekehrung von der Welt zu Gott bestehe, darüber äußert er sich deutlich also: „Wer nicht entsagt allem, das er hat, der kann nicht mein Jünger sein“. Ferner: „So jemand zu mir kommt und hasset nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kind, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein“. Seinen Vater oder seine Mutter hassen heißt aber so viel als: sich nicht durch die Rücksicht auf Bande des Blutes halten lassen; gleichwie sein Leben hassen so viel ist als: auf seinen eigenen Willen verzichten. Dieses Verlangen stellt der Herr selbst ein anderes Mal an uns mit den Worten: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir“. Denn also gehen wir hinter ihm drein auf seiner Spur, wir folgen ihm nach, indem wir mit Eifer sein Beispiel nachahmen, der gesagt hat: „Ich suche nicht meinen Willen, sondern des Vaters Willen, der mich gesandt hat“. Als wollte er sagen: wir sollen alles im Gehorsam thun. Denn was heißt „sich selbst verleugnen“ anderes als: das Behagen des Fleisches und den eigenen Willen hintansetzen und sich von fremdem, nicht vom eigenen Gutdünken leiten lassen? Und so empfängt der Mensch sein Kreuz nicht aus eines anderen Hand, sondern er nimmt es selbst auf sich, und durch dasselbe ist ihm die Welt gekreuzigt und er der Welt, wenn er durch ein freiwilliges Gelübde allen weltlichen und irdischen Wünschen entsagt, d. h. auf seinen eigenen Willen verzichtet. Denn was wollen die, die vom Fleische sind, anderes als ihren Willen durchsetzen? Und giebt es eine höhere irdische Lust, als die Befriedigung des eigenen Willens, wenn dieselbe gleich mit höchster Mühe und Gefahr erkauft werden muß? Dagegen das Kreuz tragen, d. h. eine Qual aushalten — was ist es anderes, als etwas geschehen lassen, was unserem Willen zuwider ist, wiewohl die Durchsetzung desselben uns leicht und angenehm wäre? Darum spricht ein anderer Jesus, der freilich an den wahren nicht hinanreicht, im Buch Sirach die Warnung aus: „Folge nicht deinen bösen Lüsten, sondern brich deinen Willen, denn wo du deinen bösen Lüsten folgest, so wirst du dich deinen Feinden selbst zum Spott machen“. Wenn wir aber so unsern Wünschen wie uns selber ganz und gar entsagen, dann geben wir in Wirklichkeit jeden Eigenbesitz auf und führen jenes apostolische Leben, dem alles gemeinsam ist, wie geschrieben steht: „Die Menge aber der Gläubigen war Ein Herz und Eine Seele; auch keiner sagete von seinen Gütern, daß sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein, und es wurde jedem zugeteilt nach dem ihm not war“. Nicht alle hatten ja die gleichen Bedürfnisse, darum teilte man nicht allen das gleiche Maß zu, sondern jedem, nachdem ihm not war. „Ein Herz“ — im Glauben, denn mit dem Herzen glaubt man. „Eine Seele“ — denn aus Liebe kamen sie einander mit ihren Wünschen entgegen; jeder wünschte dem andern das, was er selbst wollte, und niemand war mehr auf den eigenen Vorteil bedacht als auf den des Nächsten, sondern alles wurde dem allgemeinen Wohl dienstbar gemacht. Niemand suchte und erstrebte das Seine, sondern das, was Jesu Christi ist. Denn anders wäre ein Leben ohne persönliches Eigentum nicht denkbar, das mehr im Ehrgeiz als im eigentlichen Besitz seinen Grund hat.

Jedes überflüssige, müßige Wort ist ebensogut wie Schwatzhaftigkeit. Der heilige Augustin sagt im ersten Buch seiner Retraktationen: „Es sei ferne von mir, den Vorwurf der Schwatzhaftigkeit zu erheben, wo Notwendiges geredet wird, sei es auch mit großer Wortfülle und Ausführlichkeit“. Und Salomo seinerseits sagt: „Wer viel redet, der wird leicht in Sünden fallen; wer aber seine Zunge im Zaum hält, der ist klug“. Wir dürfen uns also wohl hüten vor einem Ding, das so leicht zur Sünde führt; je gefährlicher die Krankheit ist und je schwieriger zu vermeiden, desto ängstlicher müssen wir vor ihr auf der Hut sein. Im Hinblick darauf sagt der heilige Benedikt: „Die Mönche sollen sich allezeit des Schweigens befleißigen“. Aus dem Schweigen eine förmliche Übung zu machen, ist sicherlich mehr als einfach Schweigen beobachten. Denn zum Begriff der Übung gehört es, daß man den Willen streng dazu anhält, irgend etwas zu thun. Denn vieles thun wir nachlässig oder unwillkürlich; soll aber etwas herauskommen, so muß unser Wille und unsere Aufmerksamkeit dabei sein.

Wie schwer, aber auch wie nützlich es ist, seine Zunge im Zaume zu halten, das weiß der Apostel Jakobus wohl und sagt deshalb: „Wir fehlen alle manchfältiglich; wer aber auch in keinem Wort fehlet, der ist ein vollkommener Mann“. Und weiter sagt er: „Alle Natur der Tiere und der Vögel und der Schlangen und der Meerwunder werden gezähmet und sind gezähmet von der menschlichen Natur“. Indem er sich aber deutlich macht, wie die Zunge eine Urheberin von so viel Bösem und alles Guten Zerstörerin ist, sagt der Apostel weiter oben und weiter unten in seinem Brief: „Die Zunge ist ein klein Glied, aber welch ein Feuer! Welch einen Wald zündet’s an!… eine Welt voll Ungerechtigkeit, ein unruhiges Übel, voll tödlichen Giftes“. Was aber ist gefährlicher und mehr zu fürchten als Gift? Wie also durchs Gift das Leben vernichtet wird, so zerstört die Geschwätzigkeit alle Frömmigkeit. Darum heißt es im gleichen Briefe weiter vorn: „So aber sich jemand unter euch lässet dünken, er diene Gott und hält seine Zunge nicht im Zaum, sondern verführet sein Herz, des Gottesdienst ist eitel“. So heißt es auch in den Sprüchen: „Ein Mann, der seinen Geist nicht halten kann, ist wie eine Stadt ohne Mauern“. So meinte es auch jener Greis, als ihm Antonius in Beziehung auf einige vielredende Brüder, welche sich zu ihm gesellt hatten, sagte: „Du hast rechtschaffene Brüder angetroffen, mein Vater.“ Jener antwortete: „Rechtschaffene wohl, aber ihr Haus hat keine Thüre. Wer nur will, kann in ihren Stall eintreten und den Esel losbinden“. Denn unsere Seele ist gleichsam angebunden an die Krippe des Herrn, und nährt und erquickt sich da mit frommen Betrachtungen. Von dieser Krippe wird sie gelöst und schweift mit ihren Gedanken in der ganzen Welt herum, wenn das Gebot des Schweigens sie nicht zurückhält. Durch Worte wird die vernunftbegabte Seele veranlaßt, auf das, was sie hört, aufzumerken und darüber nachzudenken. Mit Gott aber reden wir in Gedanken, wie mit den Menschen in Worten. Während wir nun hier auf die Worte der Menschen hören, muß unsere Aufmerksamkeit notwendig von dort abgezogen werden, denn wir können nicht Gott und den Menschen zugleich unsere Aufmerksamkeit schenken.

Und nicht bloß müßige Worte sollen wir vermeiden, sondern auch solche, mit denen vielleicht einiger Nutzen verbunden sein könnte; denn allzuleicht kommt man vom Notwendigen aufs Unnütze und vom Unnützen aufs Schädliche. Denn „die Zunge, sagt Jakobus, ist ein unruhiges Übel“. Je kleiner und feiner sie ist als die übrigen Glieder, desto beweglicher, und während die andern durch Bewegung müde werden, ermattet sie, wenn sie nicht in Bewegung gesetzt wird, und gerade die Ruhe ist ihr unerträglich. Je feiner und biegsamer sie aber infolge der Weichheit unseres Körpers ist, desto lebhafter ist ihre Neigung, sich zu bewegen und zu sprechen, und so kann sie zur Pflanzstätte alles Bösen werden.

Der Apostel wußte, daß die Zunge hauptsächlich euch viel zu schaffen mache und untersagt deshalb den Frauen das Sprechen in der gottesdienstlichen Versammlung, selbst das Reden über religiöse Fragen; sie sollen zu Hause ihre Männer fragen, und auch wenn sie über solche Dinge belehrt werden, sollen sie, wie überhaupt bei all ihrem Thun, demütiges Schweigen beobachten. Dem Timotheus schreibt er hierüber: „Ein Weib lerne in der Stille mit aller Unterthänigkeit; einem Weib aber gestatte ich nicht, daß sie lehre, auch nicht daß sie des Mannes Herr sei, sondern stille sei“. Wenn nun der Apostel Laien und verheirateten Frauen solche Vorschriften in Betreff des Schweigens giebt — was werdet dann ihr zu thun haben? Indem er dem Timotheus solche Vorschriften giebt, will er damit sagen, daß die Frauen wortreich seien und gern reden, wo es nicht nötig ist.

Um diesem Übel nun einigermaßen zu steuern, soll die Zunge im Zaum gehalten und vollständiges Schweigen beobachtet werden an folgenden Orten und zu folgenden Zeiten: beim Gottesdienst, im Kloster, im Schlafsaal, im Refektorium, beim Essen, in der Küche und ganz besonders nach dem Kompletorium. Wenn es notwendig ist, kann man an den genannten Orten und zu den vorgeschriebenen Zeiten statt der Worte Zeichen anwenden. Man hat dafür Sorge zu tragen, daß jedermann diese Zeichen erlerne. Durch dieselben kann man einander, wenn man notwendig etwas zu sagen hat, auch an einen geeigneten, dazu bestimmten Ort bestellen. Und nachdem man sich mit möglichst wenig Worten verständigt hat, gehe man an seinen vorigen Platz zurück oder thue, was zu thun ist. Auch soll man den Mißbrauch von Worten oder Zeichen schonungslos tadeln, besonders aber das Übermaß von Worten, weil hier die größte Gefahr droht.

In dem lebhaften Wunsche, dieser vielfachen und großen Gefahr zu steuern, giebt uns der heilige Gregorius im achten Buch seiner „Moralia“ folgende Vorschrift: „Wenn wir uns nicht vor überflüssigen Worten hüten, so kommen wir bald bei den wirklich schädlichen an. Daraus entstehen dann Reibereien und Streitigkeiten, der Zündstoff des Hasses gerät in Flammen und mit dem Frieden des Herzens ist es vorbei“. Daher sagt Salomo mit Recht: „Wer Wasser verschüttet, der ruft Streit hervor“. Wasser verschütten, das heißt: seiner Zunge den Lauf lassen. Dagegen sagt er in lobendem Sinn: „Tiefes Wasser kommt aus dem Munde des Mannes“. Also wer Wasser verschüttet, der ruft Streit hervor: denn wer seine Zunge nicht im Zaum hat, der sät Zwietracht. Darum heißt es in der Schrift: „Wer einem Narren Schweigen gebietet, der lindert den Zorn“.

Das ist eine deutliche Mahnung für uns, gegen diesen Fehler die größte Strenge walten zu lassen und ja keine Nachsicht ihm gegenüber zu üben, wodurch die Frömmigkeit schwer gefährdet würde. Denn aus dieser Quelle entspringen Verleumdung, Streit, Verunglimpfung, ja manchmal Zusammenrottungen und Verschwörungen, welche das Gebäude der Religion erschüttern, ja über den Haufen werfen. Ist dieses Laster ausgerottet, so werden damit freilich nicht auch zugleich die bösen Gedanken unterdrückt, doch werden wenigstens andere vor Ansteckung bewahrt.

Der Abt Macarius warnte vor diesem Laster so nachdrücklich, als glaubte er, daß die Vermeidung desselben allein schon zur Frömmigkeit genüge. Es wird von ihm erzählt: „Der Abt Macarius in Skythien gab seinen Mönchen die Weisung: ‚Nach der Messe meidet einander, meine Brüder‘. Da sagte einer der Mönche: ‚Vater, wohin sollen wir, um eine größere Einsamkeit zu finden als diese?‘ Da legte er den Finger an die Lippen und sagte: ‚Das ist es, was ihr fliehen sollt‘. Damit trat er in seine Zelle, schloß die Thür hinter sich zu und blieb allein“. Diese Tugend des Schweigens, die nach Jakobus den Menschen vollkommen macht und von der Jesaias sagt: „Schweigen ist Pflege der Gerechtigkeit“ — sie wurde von den heiligen Vätern mit so glühendem Eifer geübt, daß z. B. der Vater Agatho drei Jahre lang einen Stein im Munde trug, bis er schweigen lernte.

Wiewohl die Seligkeit nicht am Ort hängt, so kann er doch unter Umständen zur Bewahrung und Festigung der Frömmigkeit förderlich sein, und je nachdem trägt er zur Förderung oder zur Beeinträchtigung derselben bei. Darum zogen sich auch die Schüler der Propheten, von denen Hieronymus sagt, sie seien die Mönche des alten Bundes, in die Einsamkeit zurück und bauten sich an den Ufern des Jordans ihre Hütten. Auch Johannes und seine Schüler, die Begründer unserer Lebensweise, ferner Paulus, Antonius, Macarius und alle hervorragenden Vertreter unseres Standes haben dem Lärm der an Versuchungen so reichen Welt den Rücken gekehrt und haben sich in der Einsamkeit eine Stätte frommer Betrachtung errichtet, um ganz ungestört des Umgangs mit Gott zu pflegen.

Selbst unser Herr, der doch für keine Versuchung zugänglich war, giebt uns in dieser Hinsicht ein Beispiel, indem er, wenn er etwas Großes vorhatte, mit Vorliebe die Einsamkeit aufsuchte und dem Lärm des Volks aus dem Wege ging. So hat der Herr selbst durch sein vierzigtägiges Fasten die Wüste für uns geheiligt, in der Wüste hat er die Menge gespeist, und um von seinem Gebet jede Störung fernzuhalten, hat er sich nicht bloß von der Menge, sondern auch von seinen Jüngern zurückgezogen. Auch die Jünger hat er abseits auf einem Berg unterrichtet und erwählt, die Einöde war es, die vom Glanze seiner Verklärung wiederstrahlte, auf einem Berge teilte er den versammelten Jüngern die freudige Gewißheit seiner Auferstehung mit, und vom Berge fuhr er gen Himmel, und außerdem verrichtete er noch viele mächtige Thaten in der Wüste oder an einsamen Örtern.

Auch dem Moses und den alten Vätern ist Gott in der Wüste erschienen; durch die Wüste hat er sein Volk ins gelobte Land geführt, in der Wüste hat er es festgehalten, ihm sein Gesetz gegeben, Manna regnen lassen, Wasser aus dem Fels gespendet, durch häufige Erscheinungen sein Volk getröstet und viel Wunder gethan. Durch all das hat das einzigartige Wesen uns deutlich gezeigt, wie sehr es die Einsamkeit für uns liebe, weil wir in derselben reineren Umgangs mit ihm pflegen können.

Ja, unter dem mystischen Bilde des Waldesels, der die Wildnis liebt, die Freiheit beschreibend und preisend, spricht Gott zu dem frommen Hiob: „Wer hat den Waldesel so frei lassen gehen, wer hat die Bande des Wildes aufgelöst? Dem ich das Feld zum Hause gegeben und die Wüste zur Wohnung. Er verlacht das Getümmel der Stadt, das Pochen des Treibers hört er nicht. Er schauet nach den Bergen, da seine Weide ist und suchet, wo es grün ist“.

Es ist als wollte er sagen: Wer hat das gemacht? Bin Ich es nicht? Unter dem, was wir Waldesel nennen, ist der Mönch zu verstehen, der ledig aller weltlichen Bande die ruhevolle Freiheit des einsamen Lebens aufgesucht hat und der Welt entflohen ist. Er wohnt in der Wüste, denn seine Glieder sind ausgetrocknet und abgemagert vom Fasten. Das Pochen des Treibers hört er nicht, wohl aber seine Stimme, weil er seinen Magen nicht überladet, sondern ihm nur das Notwendige zukommen läßt. Denn wer ist tagtäglich ein ungestümerer Treiber als der Magen? Er erhebt ein Geschrei, d. h. er verlangt mit Ungeduld nach überflüssigen und leckeren Speisen, und darauf darf man durchaus nicht hören. Die Berge, da seine Weide ist, das sind die Lebensbilder und Lehren der ehrwürdigen Väter, die wir zu unserer Stärkung lesen und betrachten. Unter dem Grünen sind zu verstehen alle die Schriften, die uns den Weg zum himmlischen, unverwelklichen Leben zeigen.

Eine Mahnung zur Einsamkeit enthält auch das Wort, welches Hieronymus an den Mönch Heliodorus schreibt: „Besinne dich auf die Bedeutung des Wortes ‚Mönch‘, d. h. des Namens, den du trägst. Was thust du unter der Menge, der du der Einsamkeit gehörst?“ Derselbe Schriftsteller unterscheidet unsere Lebensweise von derjenigen der Kleriker in einem Brief an den Presbyter Paulus folgendermaßen: „Wenn du das Amt eines Presbyters verwalten willst, wenn dir die Würde oder vielmehr die Bürde eines Bischofs gefällt, dann wohne in Städten und festen Plätzen und suche dein Glück im Seelenheil anderer. Willst du aber sein, was du heißest, nämlich ein Mönch, d. h. ein Einsamer, was thust du dann in den Städten, die doch nicht Aufenthaltsorte für Einsame sind, sondern für die Menge? Jeder Stand hat seine obersten Vertreter … um nun auf den unsrigen zu kommen: Bischöfe und Presbyter mögen sich die Apostel und apostolischen Männer zum Vorbild nehmen und sich bestreben, ihnen nicht bloß an Rang, sondern auch an Tugend gleichzukommen. Wir aber sollen als unsere Vorbilder betrachten Männer wie Paulus, Antonius, Hilarion, Macarius. Und um wieder auf das zu kommen, was die Schrift uns sagt: unsere Oberhäupter sind Elias, Elisäus, auch die Prophetenschüler sind unsere Führer, welche wohnten im wüsten Gefilde und sich Hütten bauten an den Ufern des Jordans. Zu ihnen gehören auch jene Söhne des Rechab, die keinen Wein und kein gegorenes Getränke tranken, die in Zelten wohnten und welche durch die aus Jeremias ertönende Stimme Gottes gelobt wurden: es solle in ihrem Stamme nie an Männern fehlen, die in Gottes Dienst stehen“.

So sollen also auch wir unsere Wohnung in der Einsamkeit aufschlagen, damit wir fähig sind, vor Gott zu stehen und seinem Dienste uns widmen können. Da wird kein Zudrang von Menschen unsere Ruhestätte erschüttern, unser Stillleben stören, uns mit Versuchungen nahen und die Gedanken von unserem heiligen Beruf abziehen.

Uns allen mag der heilige Arsenius ein deutliches Vorbild sein, den der Herr zur Freiheit eines beschaulichen Lebens geführt hat. Von ihm wird erzählt: „Der Vater Arsenius, als er noch in seinem Palast lebte, betete zu Gott: ‚Herr, führe mich auf den Weg des Heils‘. Da ertönte eine Stimme, die sprach: ‚Arsenius, fliehe die Menschen und du wirst gesund werden‘. Er ergab sich nun dem Mönchsleben und betete wieder einmal mit denselben Worten: ‚Herr, führe mich auf den Weg des Heils‘. Und er vernahm eine Stimme, die sprach: ‚Arsenius, fliehe, schweig, halte Ruh’, das sind die Wurzeln der Sündlosigkeit‘“. Diese göttliche Vorschrift machte er sich zu seiner Regel und floh nicht bloß selber die Menschen, sondern sorgte auch dafür, daß sie vor ihm flohen. Als einmal der Erzbischof in Begleitung einer Magistratsperson ihn besuchen und ein erbauliches Gespräch mit ihm führen wollte, sagte Arsenius: „Und wenn ich euch etwas sagen werde, werdet ihr euch danach richten?“ Als sie dies bejahten, sagte er: „Überall, wo ihr hören werdet: Arsenius ist da — da bleibet ferne“. Als ihn der Erzbischof ein zweites Mal besuchen wollte, schickte er zuvor zu ihm, um zu sehen, ob er ihn empfangen werde. Arsenius ließ ihm sagen: „Wenn du kommst, so werde ich dir zwar meine Thür öffnen; habe ich aber dir geöffnet, so muß ich auch allen andern öffnen, und dann wird meines Bleibens hier nicht länger sein“. Darauf sagte der Bischof: „Wenn ihn mein Besuch nur vertreibt, so will ich nie mehr zu dem heiligen Manne gehen“. Einer römischen Dame, die gekommen war, um seiner Heiligkeit zu huldigen, sagte er: „Was ist dir eingefallen, eine so weite Reise zu machen? Weißt du nicht, daß du ein Weib bist und nicht in der Welt herumfahren sollst? Oder willst du den andern Frauen in Rom erzählen: ich habe den Arsenius gesehen — so daß das Meer bald von Weibern wimmeln wird, die mich besuchen wollen?“ Die Frau antwortete: „Wenn Gott mir die Rückkehr nach Rom verstattet, so will ich dafür sorgen, daß niemand hierher kommt. Aber bitte für mich und gedenke allezeit meiner.“ Darauf Arsenius: „Ja, ich will Gott bitten, daß er die Erinnerung an dich aus meinem Herzen verwische“. Als die Dame dies vernahm, entfernte sie sich ganz betroffen.

Es wird weiter von ihm erzählt: als der Vater Markus ihn fragte, warum er den Menschen so sehr aus dem Wege gehe, habe er geantwortet: „Weiß Gott, ich liebe die Menschen, aber ich kann nicht mit Gott und mit den Menschen zugleich verkehren“.

Die heiligen Väter scheuten den Verkehr und die Bekanntschaft mit den Leuten so sehr, daß einige von ihnen, nur um die Menschen ganz fern von sich zu halten, sich wahnsinnig stellten, ja, was fast unglaublich ist, sich selbst für Ketzer ausgaben. In dem „Leben der Altväter“ kann man es lesen, was der Vater Simeon für Anstalten machte, als der Statthalter der Provinz ihn besuchen wollte: er bedeckte sich mit einem Sack, nahm ein Stück Brot und Käse in die Hand, setzte sich unter die Thür seiner Zelle und fing an zu essen. Man lese auch die Geschichte von jenem Einsiedler, der, als er erfuhr, daß Leute mit Fackeln zu ihm kommen, seine Kleider auszog, sie in den Fluß warf und alsdann ganz nackt sich anschickte, sie zu waschen. Sein Diener errötete bei diesem Anblick und bat die Leute: „Kehret um, der Alte hat den Verstand verloren“. Als er wieder zu ihm kam, fragte er ihn: „Was hast du denn gemacht, Vater? Alle, die dich sahen, sagten: der Alte ist besessen“. Da antwortete der Greis: „Das eben wollte ich hören“.

Von dem Vater Moses ist ferner zu lesen, daß er, um dem Besuch des Statthalters zu entgehen, sich in einen Sumpf flüchtete. Unterwegs begegnete ihm der Statthalter mit seinen Leuten und fragte ihn: „Sag uns, Alter, wo ist die Zelle des Moses?“ Dieser antwortete: „Was wollt ihr von ihm? Er ist ein Narr und ein Ketzer“. Was soll man dazu sagen, daß der Vater Pastor sich nicht von dem Statthalter besuchen ließ, obgleich er dadurch den Sohn seiner Schwester, die ihn flehentlich darum bat, aus dem Gefängnis hätte befreien können? Wie seltsam! Die Mächtigen dieser Welt kommen voll Verehrung und Demut, die Heiligen zu besuchen, und diese sind bestrebt, sie gänzlich von sich fernzuhalten, selbst auf Kosten ihres guten Rufes.

Damit ihr aber auch euer eigenes Geschlecht in der Ausübung dieser Tugend kennen lernet: wer vermöchte jene Jungfrau würdig zu preisen, welche selbst den Besuch des heiligen Martinus zurückwies, um in ihrer Andacht nicht gestört zu werden? Hieronymus schreibt darüber an den Mönch Oceanus: „Im Leben des heiligen Martinus erzählt Sulpitius: der heilige Martinus wollte, da sein Weg ihn vorbeiführte, eine durch ihre Sittenstrenge berühmte Jungfrau besuchen. Allein diese wollte nicht, sondern schickte ihm ein Geschenk und rief dem frommen Mann vom Fenster aus zu: bete dort, mein Vater, denn noch niemals hat mich ein Mann besucht. Martinus, dies vernehmend, dankte Gott, daß sie, von solchem sittlichen Ernst erfüllt, ihrem keuschen Vorsatz treu geblieben war. Er segnete sie und ging fröhlich von dannen“. Diese Jungfrau verschmähte es oder scheute sich, von dem Lager ihrer frommen Betrachtung aufzustehen und war bereit, dem Freunde, der an ihre Thür pochte, zu antworten: „Ich habe meine Füße gewaschen, wie soll ich sie wieder besudeln?“ Wie würden sich Bischöfe und Prälaten in unserer Zeit gekränkt fühlen, wenn sie eine solche Zurückweisung von Arsenius oder von dieser Jungfrau erfahren hätten! Möchten sich durch diese Beispiele die Mönche beschämen lassen, die jetzt in der Einsamkeit leben und sich so sehr über den Besuch von Bischöfen freuen, daß sie zu ihrer Aufnahme eigene Häuser bauen. Statt die Herren dieser Welt, die gewöhnlich großes Gefolge mitbringen, zu meiden, laden sie dieselben ein, und unter dem Vorwand der Gastfreundschaft vergrößern sie ihre Niederlassungen und machen die Einsamkeit, die sie aufgesucht haben, zur belebten Stadt. Gewiß ist es das Werk des alten listigen Versuchers, daß fast alle heutigen Klöster, während sie in alter Zeit, um den Menschen zu entgehen, in der Abgeschiedenheit gegründet worden waren, später, als die Glut der Frömmigkeit erkaltete, Leute herbeigezogen, Knechte und Mägde in Menge angestellt und große Baulichkeiten an den der Einsamkeit geweihten Orten errichtet haben; so sind sie selber in die Welt zurückgekehrt oder haben vielmehr die Welt bei sich eingeschleppt. In die größten Erbärmlichkeiten verwickelt und von weltlicher wie von geistlicher Gewalt geknechtet, haben sie zugleich Namen und Wesen des Mönchs, d. h. des Einsiedlers, verloren, während sie müßig und von der Arbeit anderer leben wollten. Ihre Lage ist oftmals eine so bedrängte, daß sie, mit der Verteidigung ihrer Schutzbefohlenen und ihres Eigentums beschäftigt, oft ihr eigenes Besitztum einbüßen, und daß bei dem häufigen Brande der benachbarten Häuser auch die Klöster selbst vom Feuer ergriffen werden. Und dennoch legen sie ihrem Übermut keine Zügel an.

Solche Menschen halten es innerhalb des Klosterbezirks nicht aus, sondern selbzweit und selbdritt, manchmal auch allein, durchstreifen sie Dörfer, Schlösser und Städte, ohne um eine Ordensregel sich zu kümmern. Sie sind viel schlechter als die Weltmenschen, weil sie an ihrem Gelübde zu Verrätern werden. Die Häuser, in welchen sie wohnen, nennen sie mißbräuchlich „Obedientien“, und doch wird hier keine Regel eingehalten und nur dem Bauch und dem Fleische wird Gehorsam geleistet. Hier hausen sie mit ihren Verwandten und guten Freunden und leben ungestört nach ihres Herzens Gelüste, da sie von ihrem Gewissen nichts zu fürchten haben. Solchen frechen Verrätern werden gewiß auch solche Ausschweifungen zum Verbrechen, die bei anderen Menschen verzeihlich sind.

Mit derartigen Menschen dürfet ihr nicht bloß nicht in Berührung kommen — ihr solltet nicht einmal von ihnen hören. Für eure Schwachheit aber ist die Einsamkeit darum so notwendig, weil wir hier den Angriffen fleischlicher Versuchungen weniger ausgesetzt sind und unsern Sinnen weniger Gelegenheit geboten ist, uns zum Stofflichen hinabzuziehen. Darum sagt auch der heilige Antonius: „Wer in der Einsamkeit wohnt und ein beschauliches Leben führt, dem bleiben dreierlei Kämpfe erspart, der mit dem Gehör, der mit der Zunge und der mit den Augen, und nur Ein Kampf bleibt ihm zu bestehen: der mit dem Herzen“. Diese Vorzüge der Einsamkeit hat auch der große Kirchenlehrer Hieronymus gar wohl erkannt, und dem Mönche Heliodorus sie vorhaltend, ruft er aus: „O Einsamkeit, die du dich des vertrauten Umgangs mit Gott erfreust! Mein Bruder, was machst du dir in der Welt zu schaffen, der du über der Welt stehst!“

Nachdem ich nun im allgemeinen darüber gesprochen habe, wo ein Kloster passend anzulegen sei, will ich noch zeigen, wie die Lage des Ortes selbst des näheren beschaffen sein soll. Bei der Wahl des Ortes für ein Kloster ist, soweit dies irgend geschehen kann, der Rat des heiligen Benediktus zu befolgen: innerhalb des klösterlichen Bezirkes soll womöglich alles das beschlossen sein, was für ein Kloster unumgänglich notwendig ist: nämlich Garten, Brunnen, Mühle, Bäckerei mit Backofen und Räumlichkeiten, wo die Schwestern ihre täglichen Geschäfte verrichten können, so daß kein Anlaß vorhanden ist, draußen herumzuschweifen.

Wie im Kriegslager eines weltlichen Heeres, so muß auch in den Lagern des Herrn, d. h. in den klösterlichen Gemeinschaften, ein Oberhaupt sein, das den andern zu gebieten hat. Dort steht Ein Befehlshaber, dessen Wink in allem befolgt wird, an der Spitze des Ganzen. Wegen der Größe des Heeres und seiner zahlreichen Amtspflichten überträgt er einen Teil seiner Last auf andere und setzt zu diesem Zweck mehrere Unterbefehlshaber ein, welche die einzelnen Abteilungen beaufsichtigen und den Dienst überwachen. So soll es auch in den Klöstern gehalten werden: eine würdige Schwester soll die Oberaufsicht über die andern haben; nach ihrer Meinung und nach ihrem Gutdünken sollen sich die andern richten, keine soll sich unterstehen, ihr Schwierigkeiten zu machen oder gegen ihren Befehl zu murren. Denn keine menschliche Gemeinschaft, nicht einmal die kleine Genossenschaft auch nur Einer Familie kann bestehen, wenn man nicht streng auf Einigkeit hält und nicht das Regiment in der Hand eines Einzigen liegt. Darum schloß auch die Arche, das Abbild der Kirche, mit Einer Elle ab, obwohl sie deren in die Länge und Breite viele hatte. Und in den Sprüchen steht geschrieben: „Um ihrer Sünden willen hat die Erde viele Herren“. Auch nach dem Tod Alexanders vermehrte sich mit den Königen zugleich das Unheil, und in Rom hatte die Eintracht keinen Bestand, als mehrere sich in die Herrschaft teilten; daher sagt Lukanus im ersten Buch seiner Gedichte:

„Den Grund deiner Leiden

Schufst du dir selbst, o Rom, da du drei Herren gehorchtest:

Nie noch ward ein Vertrag, der die Herrschaft teilte, zum Segen.“

— — — Und einige Verse weiter unten heißt es:

„Ja, so lange die Erde das Meer, der Äther den Erdball

Trägt, und die Sonne den Lauf in weiten Bahnen vollendet,

Und den Tag ablösend die Nacht mit denselben Zeichen heraufzieht:

So lang traut von mehreren Herrn nicht einer dem andern,

Und kein Herrscher trägt mit Geduld den Genossen der Herrschaft.“

So ging es gewiß auch mit den Jüngern des frommen Abtes Frontonius. Er hatte deren in seinem Geburtsort gegen siebzig um sich versammelt und große Gnade bei Gott und den Menschen erlangt. Auf einmal verließ er das Kloster in der Stadt und alles, was er an Gütern besaß, und nahm seine Jünger, von allem entblößt, mit sich in die Wüste. Nach kurzer Zeit murrten sie, wie einst das Volk Israel gegen Moses, weil er sie von den Fleischtöpfen Ägyptens und dem Überfluß des Landes in die Wüste geführt habe, und sprachen: „Ist die Keuschheit nur in der Wüste zu Hause, nicht auch in den Städten? Warum kehren wir nicht zurück in die Stadt, die wir nur auf kurze Zeit verlassen wollten? Oder erhört Gott nur in der Wüste Gebete? Wer kann von der Speise der Engel leben? Wer macht sich gern zum Genossen der wilden Tiere? Was nötigt uns, hier zu bleiben? Warum kehren wir nicht zurück in die Heimat, um dort Gott zu preisen?“

Daher mahnt auch der Apostel Jakobus: „Liebe Brüder, unterwinde sich nicht jedermann Lehrer zu sein und wisset, daß wir desto mehr Urteil empfahen werden“. Und Hieronymus schreibt in der Lebensregel, die er dem Mönch Rusticus gab: „Keine Kunst lernt sich ohne Lehrer. Selbst die unvernünftigen Geschöpfe und die Rudel wilder Tiere haben ihre Führer, denen sie folgen. Bei den Bienen geht Eine voran und die andern folgen. Die Kraniche folgen ihrem Führer in geschlossener Ordnung. Ein Herrscher, Ein Richter der Provinz. Als Rom gegründet wurde, konnte es die beiden Brüder nicht zugleich als Herrscher ertragen, und es kam darob zum Brudermord. Im Leib der Rebekka haben Esau und Jakob einander bekämpft. Jeder Bischof, jeder Oberpriester, jeder Archidiakon und überhaupt der ganze hierarchische Stand hat seinen Vorgesetzten. Im Schiff Ein Steuermann, im Haus Ein Herr. Im größten Heere sieht alles auf den Wink eines Einzigen. Durch all dies will ich nur soviel klar machen, daß man im Kloster nicht nach seinem eigenen Willen lebt, sondern unter der Zucht eines einzigen Vorgesetzten und in der Gemeinschaft mit vielen“.

Um aber die Einigkeit aufrecht zu erhalten, ist es notwendig, daß Eine Schwester allen andern vorstehe, und daß ihr alle übrigen gehorchen. Unter ihr sollen dann wieder andere gleichsam als Hilfsbeamte stehen, welche sie nach eigenem Ermessen wählen mag. Diese sollen ihres Amtes warten in dem Umfang, wie es ihnen von der Oberin übertragen worden ist, und gleichsam die Anführer und Berater im Heere des Herrn sein. Die Gesamtheit der übrigen aber soll als der Truppenkörper unter ihrer Leitung gegen den Bösen und seine Trabanten tapfer ankämpfen.

Ich bin der Meinung, daß für die gesamte Verwaltung des Klosters nicht mehr und nicht weniger als sieben Schwestern notwendig sind: nämlich eine Pförtnerin, eine Kellermeisterin, eine Kleiderbewahrerin, eine Krankenpflegerin, eine Vorsängerin, eine Sakristane, endlich eine Diakonisse, oder, wie man sie jetzt nennt, eine Äbtissin. Diese Diakonisse bekleidet gleichsam die Stelle des Feldherrn, dem alles gehorcht, in diesem geistlichen Lager, in diesem Kriegsdienst des Herrn; steht ja doch geschrieben: „Des Menschen Leben auf der Erde ist ein Kriegsdienst“ — und anderswo: „Schrecklich wie Heeresspitzen“. Die sechs andern Schwestern, die wir Offizialen nennen, stehen unter dem Befehl der ersten und nehmen den Platz der Führer und Konsuln ein. Alle übrigen Nonnen aber, die wir Klausnerinnen nennen, verrichten nach Art von Kriegern den göttlichen Dienst, in welchem sie stehen. Solche Schwestern aber, die sich bekehrt und, ebenfalls der Welt entsagend, sich den Nonnen angeschlossen haben und ein frommes, wenngleich nicht klösterliches Leben führen, nehmen eine mehr untergeordnete Stellung ein, wie der Troß bei einem weltlichen Heer.

Nun aber bleibt noch übrig, unter der Leitung des göttlichen Geistes die einzelnen Rangstufen in diesem Heerwesen genau festzusetzen, damit sie den Angriffen der bösen Geister gegenüber wirkliche „Heeresspitzen“ seien.

Bei der Aufstellung unserer Regel wollen wir mit dem Oberhaupte, nämlich mit der Diakonisse, beginnen und unsere Anordnungen über diejenige Person feststellen, die dann wiederum alles andere anzuordnen hat. Ich habe schon in meinem letzten Brief erwähnt, wie der Apostel Paulus dem Timotheus ihre Frömmigkeit als eine solche beschreibt, die ganz besonders hervorragend und erprobt sein müsse; nämlich also: „Laß keine Witwe erwählt werden unter sechzig Jahren, und die da gewesen sei Eines Mannes Weib und die ein Zeugnis habe guter Werke, so sie Kinder aufgezogen hat, so sie gastfrei gewesen ist, so sie der Heiligen Füße gewaschen hat, so sie den Trübseligen Handreichung gethan hat, so sie allem guten Werk nachgekommen ist. Der jungen Witwen aber entschlage dich“. Derselbe Apostel sagt in seiner Unterweisung für Diakonen über die Diakonissen: „Desselbengleichen ihre Weiber sollen ehrbar sein, nicht Lästerinnen, nüchtern, treu in allen Dingen“. Den Zweck und die Absicht, welche der Apostel mit diesen Bestimmungen verfolgt, glaube ich in meinem letzten Brief genügend besprochen zu haben, besonders auch die Frage, warum die Diakonisse nach dem Willen des Apostels Eines Mannes Weib und vorgerückten Alters sein soll. Darum können wir uns auch nicht genug wundern, daß in die Kirche der verderbliche Brauch sich eingeschlichen hat, lieber Jungfrauen als gewesene Ehefrauen mit diesem Amte zu betrauen und öfters Jüngere den Älteren vorzuziehen, da doch der Prediger sagt: „Wehe dir, Land, des König ein Kind ist“ — und da wir doch alle gewiß dem Worte des frommen Hiob recht geben: „Bei den Großvätern ist Weisheit und Verstand bei den Alten“. Darum heißt es auch in den Sprüchen: „Graue Haare sind eine Krone der Ehren, die auf den Wegen der Gerechtigkeit gefunden werden“. Und im Buche Sirach: „O wie fein steht’s, wenn die grauen Häupter weise und die Alten klug und die Herren vernünftig und vorsichtig sind! Das ist der Alten Krone, wenn sie viel erfahren haben; und ihre Ehre ist, wenn sie Gott fürchten.“ Weiter heißt es da: „Der Älteste soll reden, denn es gebühret ihm, als der erfahren ist … Ein Jüngling mag auch wohl reden einmal oder zwei, wenn’s not ist; und wenn man ihn fragt, soll er’s kurz machen, und sich halten als der nicht viel wisse und lieber schweige. Und soll sich nicht den Herrn gleich achten und wenn ein Alter redet, nicht drein waschen“.

Darum nennt man auch die Priester, welche in der Kirche über dem Volk stehen, Älteste; schon ihr Name will ausdrücken, was sie sein sollen. Und in den Lebensbeschreibungen der Heiligen heißen diejenigen, die wir jetzt Väter nennen, Alte.

Mit allem Ernst also hat man darauf zu sehen, daß bei der Wahl und Weihe der Diakonisse vor allem der Rat des Apostels befolgt und eine Schwester gewählt werde, welche durch ihre Lebensführung und durch ihr Wissen den andern überlegen ist; ihr reifes Alter soll eine Bürgschaft sein auch für die Zuverlässigkeit ihrer Sitten; durch Gehorsam soll sie sich das Recht zum Befehlen erworben haben; die Regel soll sie nicht bloß vom Hörensagen, sondern vom Ausüben kennen gelernt und sich fest eingeprägt haben. Wenn sie nicht durch Gelehrsamkeit glänzt, so mag sie sich darüber trösten: sie ist ja nicht zu philosophischen Verhandlungen und dialektischen Übungen da, sondern sie soll sich mit der Kunst des regelrechten Lebens und mit der Ausübung guter Werke befassen. So heißt es vom Herrn: er fing an zu thun und zu lehren — also zuerst thun, dann erst lehren. Denn die Kunst des Handelns ist besser und vollkommener als die des Redens, die That ist mehr wert als das Wort. Wir wollen uns das Wort merken, das vom Vater Ipitius überliefert ist: „Der ist der rechte Weise, der nicht durch Worte, sondern durch Thaten andere belehrt“. Diese Äußerung ist dazu angethan, uns in dieser Hinsicht Kraft und Vertrauen mitzuteilen.

Wir wollen uns auch den Ausspruch des heiligen Antonius merken, mit dem er phrasenreiche Philosophen abwies, die über seine Art zu lehren spotteten, als sei er ein einfältiger, ungebildeter Mensch. „Antwortet mir“ — sagte er zu ihnen — „was ist älter: der gesunde Menschenverstand oder die Gelehrsamkeit? Und welches von beiden ist aus dem andern entstanden, der Verstand aus der Gelehrsamkeit oder die Gelehrsamkeit aus dem gesunden Menschenverstand?“ Auf ihre Antwort, daß der Verstand Urheber und Erfinder der Gelehrsamkeit sei, erwiderte Antonius: „Also braucht sich, wer gesunden Menschenverstand besitzt, um Gelehrsamkeit nicht zu kümmern“.

Man vernehme auch das Wort des Apostels, das uns Stärke verleiht im Herrn: „Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Thorheit gemacht?“ Und wiederum; „Was thöricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, daß er die Weisen zu schanden mache, und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, daß er zu schanden mache, was stark ist, und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählet, und das da nichts ist, daß er zu nichte mache, was etwas ist, auf daß sich vor ihm kein Fleisch rühme“. Denn das Reich Gottes besteht, wie er selbst sagt, nicht in Worten, sondern in Kraft.

Hält es die Äbtissin jedoch für nötig, zu gründlicherer Erkenntnis dieses oder jenes Gegenstandes sich an die Schrift zu wenden, so mag sie, ohne zu erröten, sachverständige, gelehrte Leute darüber befragen, etwas Neues lernen und hierbei die Aufschlüsse, welche die Wissenschaft giebt, nicht gering achten, sondern sich dieselben bescheiden und sorgfältig aneignen; hat doch auch das Haupt der Apostel sogar die Rüge seines Mitapostels Paulus geduldig hingenommen. Auch der heilige Benedikt bestätigt es, daß der Herr oft gerade den Geringsten sich am herrlichsten offenbart.

Um aber dem göttlichen Willen, so wie der Apostel ihn oben gekennzeichnet hat, noch weiter zu willfahren; so soll man bei der Wahl der Äbtissin, wenn nicht die gebieterische Not und triftige Gründe eine andere Maßregel erheischen, von vornehmen, in der Welt einflußreichen Personen absehen. Denn solche könnten im Vertrauen auf ihre Abkunft leicht hochfahrend, anspruchsvoll und stolz werden; die Wahl solcher Frauen würde dem Kloster zum Verderben ausschlagen, besonders dann, wenn dieselben Landeskinder sind. Denn es steht zu befürchten, daß die Nähe ihrer Angehörigen sie in ihrer Anmaßung bestärke, daß das Kloster durch den häufigen Besuch ihrer Verwandten belastet und in seiner Ruhe gestört werde, daß sie selbst durch die Ihrigen die Klosterordnung antasten lasse oder die Mißbilligung anderer sich zuziehe nach dem Worte der Wahrheit; „Der Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterlande“.

Dies hat auch der heilige Hieronymus im Auge, wenn er nach Aufzählung alles dessen, was einem Mönche, der in seiner Heimat bleibe, zum Schaden gereichen könne, in seinem Brief an Heliodorus sagt: „Aus diesen Erwägungen geht hervor, daß ein Mönch in seinem Vaterlande nicht zur Vollkommenheit gelangen kann. Nicht vollkommen werden wollen ist aber so viel wie Sünde begehen“. Wie großen Schaden aber werden die anvertrauten Seelen nehmen, wenn es diejenige mit den Pflichten der Religion nicht genau nimmt, die dazu bestellt ist, über die Erfüllung derselben zu wachen? Für die Menge der untergeordneten Schwestern genügt es, wenn sie die eine oder andere Tugend aufzuweisen haben. Die Äbtissin muß alle Tugenden mustergültig in sich vereinigen, so daß sie in allem, was sie von den andern verlangt, selbst mit gutem Beispiel vorangehen kann, und nicht etwa ihre Sitten mit ihren eigenen Geboten im Widerspruch stehen, oder daß sie nicht mit Worten aufbaut und mit Thaten selbst wieder einreißt und so das Wort der Zurechtweisung aus ihrem Munde verloren gehe, daß sie erröten müßte andere zu tadeln über Fehler, deren sie sich selber schuldig macht.

Diesem Fehler zu entgehen, bittet der Psalmist den Herrn: „Laß die Wahrheit nimmer ferne sein von meinem Munde“; denn er gedenkt der schweren Drohung des Herrn, die er an anderer Stelle erwähnt, wenn er sagt: „Zu dem Sünder aber hat Gott gesprochen: Was verkündigest du meine Rechte und nimmst meinen Bund in deinen Mund, so du doch Zucht hassest und wirfst meine Worte hinter dich?“ Und der Apostel Paulus, diesem Vorwurf zu entgehen, sagt: „Ich betäube meinen Leib und zähme ihn, daß ich nicht den andern predige und selbst verwerflich werde“. Denn wessen Leben verächtlich ist, der darf sich nicht wundern, wenn auch seine Predigt und Lehre mißachtet wird. Und wenn der, der einen andern heilen sollte, an der nämlichen Krankheit selbst leidet, so kann ihm der Kranke mit Recht zurufen: „Arzt, hilf dir selber!“

Möchte sich doch jeder, der in der Kirche eine gebietende Stellung einnimmt, klar machen, welch große Zerstörung sein eigener Fall verursacht, da er seine Untergebenen mit hinunterreißt in den Abgrund des Verderbens. Die Wahrheit spricht: „Wer eines von diesen kleinsten Geboten auflöset und lehret die Leute also, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich“. Es löst aber das Gebot auf, wer das Gegenteil davon thut, und ein solcher Mann, der durch sein schlimmes Beispiel auch andere verdirbt, sitzt auf seinem Stuhl als ein Lehrer der Pestilenz. Wenn nun einer, der sich also verschuldet, der Kleinste heißen soll im Himmelreich: wofür soll dann ein schlechter Vorgesetzter gelten, von dessen Pflichtvergessenheit der Herr nicht bloß das Blut seiner eigenen Seele, sondern auch aller ihm untergebenen Seelen Blut verlangen wird?

Darum spricht die „Weisheit“ folgende Drohung aus: „Denn euch ist die Obrigkeit gegeben vom Herrn und die Gewalt vom Höchsten, welcher wird fragen, wie ihr handelt, und forschen, was ihr ordnet. Denn ihr seid seines Reiches Amtleute; aber ihr führet euer Amt nicht fein, und haltet kein Recht, und thut nicht nach dem, das der Herr geordnet hat. Er wird gar greulich und kurz über euch kommen, und es wird ein gar scharf Gericht gehen über die Oberherrn. Denn den Geringen widerfähret Gnade; aber die Gewaltigen werden gewaltiglich gestraft werden, und über die Mächtigen wird ein stark Gericht gehalten werden“.

Der Untergebene hat genug gethan, wenn er seine eigene Seele vor Sünde bewahrt. Den Vorgesetzten droht der Tod auch für fremde Vergehungen. Denn mit der Größe der anvertrauten Gabe wächst auch die Verantwortung, und wem viel gegeben ist, von dem wird auch viel gefordert werden. Das Buch der „Sprüche“ warnt uns vor dieser großen Gefahr eindringlich mit den Worten: „Mein Kind, wirst du Bürge für deinen Nächsten und hast deine Hand bei einem Fremden verhaftet, so bist du verknüpft mit der Rede deines Mundes und gefangen mit den Reden deines Mundes. So thue doch, mein Kind, also und errette dich, denn du bist deinem Nächsten in die Hände gekommen. Eile, dränge und treibe deinen Nächsten. Laß deine Augen nicht schlafen noch deine Augenlider schlummern“.

Bürge für einen Freund werden wir, indem unsere Liebe irgend jemand in unsere Lebensgemeinschaft aufnimmt. Wir sagen ihm unsere liebevolle Fürsorge zu, wie er seinerseits uns Gehorsam verspricht. Und unsere Hand „verhaften“ wir insofern bei ihm, als wir infolge des Gelübdes ihn zum Gegenstand unserer thätigen Fürsorge machen. Endlich sind wir ihm auch „in die Hände gekommen“, denn, wenn wir uns nicht vor ihm vorsehen, so kann er zum Mörder unserer Seele werden. Um dieser Gefahr zu entgehen, ist der Rat zu befolgen: „Eile, dränge und treibe“ u. s. w.

So soll denn die Äbtissin gleich einem umsichtigen, unermüdlichen Feldherrn bald hier bald dort sein und ihr Lager in Ordnung halten und mustern, damit nicht durch Nachlässigkeit dem ein Zugang sich öffne, der umhergeht wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Alle Schäden des Hauses soll sie zuerst bemerken, damit sie von ihr gutgemacht werden können, ehe sie von andern bemerkt werden und böses Beispiel geben. Möge es ihr nicht so gehen, wie den thörichten oder nachlässigen Leuten, denen der heilige Hieronymus den Vorwurf macht: „Gewöhnlich erfahren wir selbst es zuletzt, wenn in unserem Hause etwas nicht in Ordnung ist und wissen nichts von den Fehlern unserer Kinder und Frauen, wenn die Nachbarn schon laut davon sprechen“.

Die Schwester, die den andern vorsteht, mag allezeit bedenken, daß sie die Verantwortung für Leib und Seele der Ihrigen übernommen hat. Für die Obhut des Leibes findet sich eine Mahnung im Jesus Sirach: „Hast du Töchter, so bewahre ihren Leib und zeige ihnen kein allzu heiteres Angesicht“. Und weiter: „Eine Tochter macht dem Vater viel Wachens, davon niemand weiß, und das Sorgen für sie nimmt ihm viel Schlaf, da sie möchte geschändet werden“. Wir schänden aber unsern Körper nicht bloß durch Unzucht, sondern durch jede unreine That, geschehe sie nun mit der Zunge oder mit irgend einem andern Glied, indem wir es zu irgend einem flüchtigen sinnlichen Genuß mißbrauchen. Es steht geschrieben: „Der Tod dringt ein durch unsere Fenster“, d. h. die Sünde gelangt ins Herz auf dem Weg unserer fünf Sinne. Giebt es einen schrecklicheren Tod als den Tod der Seele, und ist irgend etwas schwerer zu behüten als sie? „Die Wahrheit“ spricht: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht mögen töten“. Von allen, die diesen Rat vernehmen: wer fürchtet nicht mehr den leiblichen Tod als den der Seele? Wer flieht nicht ängstlicher das Schwert als die Lüge? Und doch steht geschrieben: „Der Mund, der da lüget, tötet die Seele“. Was ist so leicht zu töten wie die Seele? Welcher Pfeil ist so schnell fertig wie die Sünde? Wer ist auch nur über seine Gedanken Herr? Wer ist fähig, sich selbst vor Sünde zu bewahren, geschweige denn andere? Welcher menschliche Hirte ist imstande, seine geistlichen Schafe vor den geistlichen Wölfen, eine unsichtbare Schar vor dem unsichtbaren Feinde zu bewahren? Wer hätte nicht Angst vor dem Räuber, der nicht aufhört uns anzugreifen, den kein Wall auszuschließen, kein Schwert zu töten oder zu verwunden vermag? der ohn’ Unterlaß uns nachstellt und besonders die Frommen verfolgt nach dem Wort des Propheten Habakuk: „Seine Lockspeisen sind auserlesen“. Der Apostel Petrus warnt uns vor ihm mit den Worten: „Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge“. Und wie sicher er in der Hoffnung ist, uns zu verschlingen, das sagt der Herr in dem Wort an Hiob: „Siehe, er schluckt in sich den Strom und achtet es nicht groß; läßt sich dünken, er wolle den Jordan mit seinem Munde ausschöpfen“. Denn was sollte der nicht anzugreifen wagen, der den Herrn selbst zu versuchen sich nicht gescheut hat? Der schon die ersten Menschen im Paradies überlistet und aus der Schar der Apostel dem Herrn einen Jünger geraubt hat? Welcher Ort wäre sicher vor ihm? Welches Schloß vermöchte er nicht zu sprengen? Wer vermag sich zu schützen gegen seine Nachstellungen, wer seinen Anläufen zu widerstehen?

Er ist es, der durch Einen Stoß die vier Wände des frommen Hiob zu Fall gebracht und seine unschuldigen Söhne und Töchter gewaltsam umgebracht hat. Was wird vollends das schwache Geschlecht gegen ihn vermögen? Wer hat seine Verführungskünste mehr zu fürchten als die Frau? Denn bei ihr hat er mit der Verführung angefangen und hat durch sie den Mann und die ganze Nachkommenschaft überlistet. Die Begierde nach dem Besitz eines noch höheren Gutes hat das Weib auch um den des geringeren gebracht.

Diese Verführungskunst wird er auch jetzt noch beim Weib mit Erfolg anwenden, da sie lieber herrschen als gehorchen will und sich durch das Verlangen nach Besitz und Ehre bestimmen läßt. Das was nachfolgt, wirft ein Licht auf das, was vorangegangen ist. Wenn die Vorgesetzte ein genußreicheres Leben führt als die Untergebene oder wenn sie sich etwas erlaubt, was über das eigentliche Bedürfnis hinausgeht, so ist doch außer Zweifel, daß sie danach Verlangen getragen hat. Wenn sie jetzt nach kostbarerem Schmuck trachtet als sie früher hatte, so muß ihr Herz doch gewiß von eitlem Wahn erfüllt sein. Ihr Vorleben wird durch ihr späteres Verhalten gerichtet. Ob das, was sie früher gethan hat, echte Tugend oder nur Heuchelei war, das kommt nach ihrer Erhöhung an den Tag. Sie soll sich auf ihren hohen Ehrenplatz eher mit Gewalt ziehen lassen als von selber kommen — nach dem Worte des Herrn; „Alle, die kommen, sind Diebe und Räuber“. — „Es sind gekommen,“ sagt Hieronymus, „die nicht gesandt waren.“ Man soll sich eine Ehre lieber aufzwingen lassen als sie erzwingen. „Denn niemand,“ sagt der Apostel, „nimmt sich selbst die Ehre, sondern der auch berufen sei von Gott, gleichwie Aaron.“ Wirst du berufen, so traure wie eine, die zum Tode geführt wird, wirst du verschmäht, so freue dich, als wärest du dem Tode entgangen.

Wir erröten über Worte, durch welche wir uns anderen überlegen zeigen; wenn wir aber zu einem Ehrenamt erwählt werden, und durch die Verhältnisse selbst unsere Tüchtigkeit dargelegt wird, dann sind wir ohne Schüchternheit und Scham. Und doch weiß jedermann, daß es die Besseren sind, die den anderen vorgezogen werden. Darum heißt es in den Moralia, Kapitel XXIV: „Wer die Menschen nicht gut zu vermahnen und zurechtzuweisen versteht, der soll auch nicht die Leitung derselben übernehmen. Wer dazu erwählt wird, daß er die Fehler anderer verbessere, der darf nicht selber begehen, was er ausrotten soll“.

Wenn wir aber bei einer solchen Wahl einen oberflächlichen Widerstand leisten mit angenommener Bescheidenheit und uns der angebotenen Ehre für unwürdig erklären, so klagen wir uns gewiß nur darum an, weil wir dadurch den Schein um so größerer Gerechtigkeit und Würdigkeit erwecken wollen. Wie viele habe ich bei ihrer Wahl mit den Augen weinen und mit dem Herzen lachen sehen! Des Unwertes zeihen sie sich, um dadurch nur noch mehr Beifall und Gunst bei den Menschen zu erjagen. Sie wissen, daß geschrieben steht: „Der Gerechte klagt sich selber zuerst an“. Und wenn sich später einmal wirklich eine Anklage gegen solche Leute erhebt und ihnen Gelegenheit geboten wäre zu weichen, dann halten sie aufs unpassendste und unverschämteste an der Ehrenstelle fest, und doch haben sie einst mit falschen Thränen und wahren Anklagen gegen sich selbst bewiesen, daß sie ihnen aufgenötigt worden sei.

Wie oft habe ich es mit angesehen, daß Kanoniker ihren Bischöfen, die ihnen die heiligen Weihen aufnötigen wollten, widerstrebt und erklärt haben, sie seien eines solchen Amtes unwürdig und könnten es nicht mit gutem Gewissen annehmen. Wenn sie dann der Klerus später zum Bischofsamt erwählte, fand er geringen oder gar keinen Widerstand. Und solche, die gestern noch das Diakonat ausschlugen, um, wie sie sagten, nicht für ihre Seele Gefahr zu laufen, fürchteten sich schon am andern Tage nicht mehr vor dem Sturz von viel höherer Stufe, als wären sie über Nacht tüchtig geworden. Von ihnen gilt das Wort, das in den „Sprüchen“ geschrieben steht: „Ein Thor klatscht in die Hände, wenn er für seinen Freund Bürge geworden ist“. Denn der Unglückliche freut sich da, wo er viel eher Ursache zur Trauer hätte: nämlich wenn er den Oberbefehl über andere erhält und sich selbst verpflichtet, für seine Untergebenen zu sorgen, von denen er mehr geliebt als gefürchtet werden soll.

Um solchem Verderben nach Möglichkeit zu steuern, verbieten wir durchaus, daß die Äbtissin ein besseres und gemächlicheres Leben führe als ihre Untergebenen. Weder beim Essen noch beim Schlafen soll sie sich von den übrigen absondern, sondern sie soll alles in Gemeinschaft der ihr anvertrauten Herde thun und dadurch, daß sie immer zugegen ist, Gelegenheit haben, um so besser für sie zu sorgen. Es ist uns zwar wohl bekannt, daß der heilige Benedikt, in seiner Fürsorge für Pilger und Gäste, dem Abt gestattete, mit diesen an einem besonderen Tische zu sitzen. Diese Bestimmung ist damals in gutem Glauben getroffen worden, später aber ist sie zum Besten der Klöster dahin geändert worden, daß der Abt den Konvent nicht verlassen, sondern daß ein zuverlässiger Hausmeister die Sorge für die Pilger übernehmen solle. Denn während der Mahlzeit kann gar leicht ein Verstoß vorkommen, und gerade bei dieser Gelegenheit muß besonders streng auf Ordnung gehalten werden. Es kommt auch vor, daß man unter dem Vorwand der Gastfreundschaft mehr sich selber etwas Gutes gönnt als den Gästen. Dadurch setzt man sich bei denen, die nicht dabei sind, dem schlimmsten Verdacht aus und erregt ihre Unzufriedenheit. Je weniger die Lebensführung des Abtes den Seinigen bekannt ist, desto geringer ist sein Ansehen. Jede Art von Entbehrung erscheint dagegen allen dann erträglicher, wenn alles gleicherweise daran trägt, und in erster Linie die Vorgesetzten. Dies lehrt uns das Beispiel Catos. Denn von ihm wird berichtet: sein Heer mußte mit ihm Durst leiden; als man ihm nun ein wenig Wasser anbot, verschmähte er die Gabe und goß es zur allgemeinen Befriedigung aus.

Da also den Vorgesetzten vor allen Dingen Nüchternheit not thut, so müssen sie selber um so genügsamer leben, da sie ja auch noch für andere zu sorgen haben. Um die Gabe Gottes, d. h. das ihnen verliehene Ehrenamt, nicht in Übermut zu verkehren und dadurch besonders bei ihren Untergebenen Anstoß zu erregen, mögen sie sich zu Herzen nehmen, was geschrieben steht: „Sei nicht ein Löwe in deinem Hause und nicht ein Wüterich gegen dein Gesinde, denn Hochmut ist bei Gott und Menschen verhaßt. Gott hat die hoffärtigen Fürsten vom Stuhl heruntergeworfen und demütige darauf gesetzt. Man hat dich zum Lenker gemacht: wolle dich darum nicht überheben, sondern sei wie einer von den andern“. Auch der Apostel, indem er dem Timotheus Verhaltungsmaßregeln gegen Untergebene giebt, sagt: „Einen Alten schelte nicht, sondern ermahne ihn als einen Vater, die Jungen als die Brüder, die alten Weiber als die Mütter, die jungen als die Schwestern“. — „Nicht ihr habt mich erwählt“ — spricht der Herr — „sondern ich habe euch erwählt“. Alle andern Vorgesetzten werden von den Untergebenen gewählt und eingesetzt, denn man nimmt sie weniger zum Herrschen als zum Dienen. Gott allein ist der wahre Herr und kann sich seine Unterthanen auswählen zu seinem Dienst. Und doch hat er sich weniger als Herrn denn als Diener gezeigt, und die Seinigen, welche nach der höchsten Ehre trachten, weist er zurecht durch sein eigenes Vorbild und indem er sagt: „Die weltlichen Könige herrschen und die Gewaltigen heißet man gnädige Herrn. Ihr aber nicht also“.

Die weltlichen Könige ahmt also nach, wer über seine Untergebenen nur herrschen will, statt ihnen zu dienen, und wer lieber gefürchtet als geliebt sein will; wer, aufgebläht durch sein hohes Amt, bei Tische gern oben sitzt und in der Synagoge auf dem vordersten Platz; wer sich gern grüßen läßt auf dem Markt und sich gern Rabbi nennen läßt von den Leuten. Diesen Ehrentitel verbietet der Herr anzunehmen, damit wir auch unserer Namen uns nicht rühmen und in allen Stücken auf Demut gehalten werde. Darum sagt er: „Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen und niemand Vater heißen auf Erden“. Und endlich, um allem Rühmen ein Ende zu machen, sagt er: „Wer sich selbst erhöhet, der wird erniedriget werden“.

Auch das muß vermieden werden, daß die Herde durch Abwesenheit der Hirten Gefahr laufe, und daß, während die Vorgesetzten draußen herumschweifen, im Kloster die Regel beiseite gesetzt werde. Wir bestimmen daher, daß die Äbtissin mehr für die geistlichen als für die leiblichen Bedürfnisse ihrer Schwestern sorgen und das Kloster nicht um äußerlicher Angelegenheiten willen verlassen soll. Vielmehr möge sie ihre ganze Sorgfalt mit allem Eifer auf die ihr anvertrauten Seelen wenden; auch wird sie unter den Menschen ein um so größeres Ansehen genießen, je seltener sie sich unter ihnen sehen läßt — wie geschrieben steht: „Wenn du von einem Mächtigen gerufen wirst, so halte dich ferne; denn er wird dich nur um so dringender rufen“. Wenn aber das Kloster eine Sendung zu verrichten hat, so mögen dies Mönche oder deren Laienbrüder besorgen. Denn allezeit sollen die Männer für die Bedürfnisse der Frauen Sorge tragen. Und je frömmer die letzteren sind, desto mehr Zeit verwenden sie auf den Dienst des Herrn, und desto mehr sind sie auf die Hilfe der Männer angewiesen. Darum wird auch dem Joseph die Sorge für die Mutter des Herrn vom Engel übertragen, wiewohl er ihr nicht beiwohnen durfte. Und der Herr selbst hat seiner Mutter sterbend gleichsam einen zweiten Sohn bestellt, der für ihr zeitliches Wohl Sorge tragen sollte. Wie sehr auch die Apostel für die frommen Frauen besorgt waren, ist allgemein bekannt, wir haben davon schon anderswo gesprochen. Zu ihrer Unterstützung haben sie ja auch die sieben Diakonen eingesetzt. Ihrer Autorität folgend, und da die Verhältnisse es gebieterisch verlangen, bestimmen wir, daß Mönche und Laienbrüder nach der Weise der Apostel und Diakonen in den Frauenklöstern diejenigen Besorgungen auf sich nehmen, die zum äußeren Leben notwendig sind. Und zwar braucht man die Mönche hauptsächlich für die Messen, die Laienbrüder für die sonstigen Arbeiten.

Es ist also notwendig, daß den Frauenklöstern Mönchsklöster zur Seite stehen, und daß die äußeren Angelegenheiten der Frauen von Männern besorgt werden, welche durch das gleiche Gelübde gebunden sind. Dieser Brauch bestand schon in den Anfangszeiten der Kirche zu Alexandria unter der Leitung des Evangelisten Markus. Und ich glaube, daß in den Nonnenklöstern die Ordensregel strenger gehalten wird, wenn dieselben der Sorgfalt und Leitung geistlicher Männer unterstellt sind und für Schafe und Widder ein und derselbe Hirte eingesetzt wird, so daß derjenige, der über die Männer gebietet, auch über die Frauen die Aufsicht führe und die apostolische Verordnung bestehen bleibe: „Der Mann ist des Weibes Haupt, wie Christus des Mannes Haupt ist, Gott aber ist Christi Haupt“.

So wurde auch das Kloster der heiligen Scholastica, das auf dem Grund und Boden eines Mönchsklosters lag, durch ihren Bruder geleitet, und seine oder der anderen Brüder häufige Besuche dienten den Frauen zur Belehrung und zum Trost. Die Regel des heiligen Basilius giebt an irgend einer Stelle über eine derartige Oberleitung folgende Verhaltensmaßregeln: „Frage: Darf außer der Äbtissin auch der Abt eines benachbarten Mönchsklosters mit den Nonnen seelsorgerliche Gespräche führen? Antwort: Ja, wenn dabei die Vorschrift des Apostels bewahrt wird: ‚lasset alles ehrlich und ordentlich bei euch zugehen‘“. Ebenso im folgenden Kapitel: „Frage: Darf ein Abt mit einer Äbtissin häufig reden, besonders wenn einige von den Brüdern daran Ärgernis nehmen? Antwort: Der Apostel sagt zwar: ‚Warum sollte ich meine Freiheit lassen urteilen von eines andern Gewissen‘ — aber es ist gut, sich nach seinen folgenden Worten zu richten: ‚Wir haben solcher Macht nicht gebraucht, damit wir nicht dem Evangelium Christi eine Hindernis machten‘. Man soll die Frauen so selten wie möglich besuchen und die Unterredung möglichst kurz machen.“

Daher auch der Beschluß des Konzils von Hispalis: „Einstimmig haben wir beschlossen, daß die Frauenklöster in der Provinz Bätica von Mönchen bedient und verwaltet werden sollen. Denn wir glauben für das Wohl der Christo geweihten Jungfrauen zu sorgen, wenn wir geistliche Väter für sie erwählen, nicht bloß um ihnen durch eine solche Oberleitung einen Schutz zu verschaffen, sondern auch damit sie von ihnen belehrt und erbaut werden. Doch soll in Betreff der Mönche die Einschränkung gelten, daß sie in kein näheres Verhältnis zu den Nonnen treten, auch keinen Zutritt in den Vorraum des Kloster haben sollen. Auch soll der Abt, oder wer sonst die Oberaufsicht hat, nicht mit Umgehung der Äbtissin den Nonnen Anweisung über ihr sittliches Verhalten geben. Auch mit der Äbtissin selbst soll er nicht zu oft und nicht unter vier Augen reden, sondern in Gegenwart von zwei oder drei Schwestern; sein Besuch soll selten sein, und die Unterredung kurz“.

Ferne sei es von uns, zu wollen, was auch nur auszusprechen schon eine Sünde wäre, daß die Mönche mit den Jungfrauen Christi in vertrauten Umgang kämen, sondern sie sollen gemäß den Bestimmungen der Regeln und Vorschriften in strenger Geschiedenheit von ihnen leben. Wir stellen die Frauenklöster nur unter die Oberleitung von Mönchen und bestimmen, daß aus den Mönchen ein besonders erprobter Mann erwählt werde, dessen Sorge es sein soll, ihre Güter auf dem Lande oder in der Stadt zu überwachen, die nötigen Bauten auszuführen und für die sonstigen Bedürfnisse des Klosters zu sorgen, damit die Dienerinnen Christi allein mit dem Heil ihrer Seele beschäftigt ausschließlich dem Dienste des Herrn leben und frommen Werken obliegen können. Auch soll, wer von seinem Abte zu solchem Amte vorgeschlagen wird, die Bestätigung des Bischofs einholen.

Die Nonnen aber sollen den Mönchen, deren Schutz sie erwarten, die nötigen Kleider anfertigen, wofür sie dann wiederum die Früchte ihrer Arbeit und die helfende Fürsorge derselben zu genießen haben sollen.

Dieser weisen Einrichtung folgend wollen wir, daß die Frauenklöster allezeit Männerklöstern unterstellt werden, damit die Brüder für die Schwestern sorgen und beide Ein gemeinsames väterliches Oberhaupt haben, auf dessen Fürsorge beide Klöster angewiesen sind: so wird dann Eine Herde und Ein Hirte im Herrn sein. Eine solche brüderliche geistige Genossenschaft ist darum vor Gott und Menschen so angenehm, weil sie den Bedürfnissen beider Geschlechter, soweit sie sich dem Klosterleben weihen, entgegenkommt. Die Mönche sollen Männer, die Nonnen Frauen aufnehmen, und so wird jede Seele, die um ihr Heil bekümmert ist, finden, was ihr not thut. Und wenn einer zugleich mit seiner Mutter oder Schwester oder Tochter oder einer Pflegebefohlenen sich dem Klosterleben weihen will, so wird er hier vollen Trost finden. Solche Mönchs- und Nonnenklöster werden um so liebevoller miteinander verbunden und füreinander besorgt sein, je mehr unter den Insassen derselben Freunde und Verwandte sich befinden, welche nun dieses neue Band noch enger umschlingt.

Wir wollen aber, daß der Vorgesetzte der Mönche, den man Abt nennt, die Aufsicht über die Nonnen in der Weise führe, daß er in ihnen, die Gottes Bräute sind — und er ist Gottes Diener — seine Herrinnen erblicke, über die er nicht gebieten, sondern denen er nur nützen soll. Er soll sein wie der Kämmerer im königlichen Palaste, der auch nicht durch sein Regiment die Fürstin belästigt, sondern nur auf ihr Wohl bedacht ist. Was sie braucht, wird er ihr ohne Widerrede beschaffen; für das, was ihr nachteilig sein könnte, wird er kein Ohr haben; alle äußeren Angelegenheiten wird er so erledigen, daß er niemals das Innere ihrer Gemächer betritt, außer wenn er befohlen wird.

In dieser Weise soll — das ist unser Wille — der Knecht Christi Sorgen tragen für die Bräute Christi und ihnen an des Herrn Statt ein treuer Haushalter sein. Alle ihre Bedürfnisse soll er mit der Diakonisse besprechen und ohne sie zu Rat gezogen zu haben, soll er über die Dienerinnen Christi und ihre Angelegenheiten keine Bestimmung treffen, auch soll er keiner von ihnen etwas vorschreiben und mit keiner reden ohne die Vermittlung der Äbtissin. So oft ihn die letztere ruft, soll er bereitwillig kommen und soll das, was die Äbtissin selbst oder ihre Untergebenen nötig haben, unverzüglich und so gut wie möglich erledigen. Wird er von der Äbtissin gerufen, so soll er stets nur öffentlich und in Gegenwart erprobter Personen mit ihr reden, nicht allzu nahe zu ihr hintreten und sie nicht mit langer Rede hinhalten.

Alles, was an Mundvorräten, Kleidern, auch an Geld vorhanden ist, soll bei den Dienerinnen Christi niedergelegt und aufbewahrt werden, und von dem, was den Schwestern übrig bleibt, soll den Brüdern mitgeteilt werden. Das, was draußen zu holen ist, sollen die Brüder beschaffen, und die Schwestern sollen nur das thun, was im Innern des Klosters passenderweise von Frauen besorgt werden kann: den Brüdern Kleider anfertigen oder reinigen, Brot bereiten, zum Backen einliefern und das Gebackene wieder in Empfang nehmen. Ihnen liegt auch die Milchwirtschaft, sowie die Hühner- oder Gänsezucht ob, überhaupt alle Verrichtungen, die besser für Frauen passen als für Männer.

Der Abt selbst soll nach seiner Einsetzung in Gegenwart des Bischofs und der Schwestern schwören, daß er ihnen ein treuer Haushalter im Herrn sein und sie vor aller Befleckung des Fleisches sorglich behüten wolle. Und wenn er, was ferne sei, vom Bischof über der Vernachlässigung der übernommenen Pflichten betroffen werden sollte, so soll er alsbald als ein Meineidiger abgesetzt werden. Auch alle Brüder sollen bei Ablegung ihres Gelübdes sich den Schwestern gegenüber eidlich verpflichten, daß sie dieselben in keiner Weise werden belästigen lassen und daß sie zur Erhaltung ihrer Keuschheit ihr möglichstes beitragen werden.

Keinem Mann soll der Zutritt zu den Schwestern verstattet sein ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Oberen, und alles, was ihnen von den Schwestern zugeschickt wird, muß durch die Hand des Oberen gehen. Nie soll eine Schwester die Umfriedigung des Klosters überschreiten, sondern alle äußeren Angelegenheiten sollen, wie gesagt, von den Brüdern besorgt werden — die Starken mögen im Schweiß ihres Angesichtes die schwere Arbeit verrichten. Auch soll keiner der Brüder den Bereich des Klosters betreten, er habe denn die ausdrückliche Erlaubnis dazu vom Abt und von der Diakonisse im Fall einer dringlichen, ehrbaren Angelegenheit. Wenn jemand sich untersteht, diesem Gebote zuwiderzuhandeln, soll er ohne Verzug aus dem Kloster ausgewiesen werden.

Damit aber die Männer ihre überlegene Stärke nicht zu irgend welchen Bedrückungen der Frauen mißbrauchen, so bestimmen wir, daß sie nichts gegen den Willen der Äbtissin unternehmen dürfen, sondern auch sie sollen in allem ihres Winkes gewärtig sein. Alle, Männer wie Frauen, sollen vor der Äbtissin das Gelöbnis des Gehorsams ablegen! Friede und Eintracht werden um so fester gewahrt werden, je weniger man dem starken Geschlecht erlaubt. Und die Starken werden um so williger den Schwachen Folge leisten, je weniger sie von den letzteren etwas zu fürchten haben, und je gewisser es ist, daß der erhöht wird, der sich hienieden vor Gott erniedrigt. Die Bestimmungen, betreffend die Äbtissin, mögen damit erledigt sein, und ich will mich nunmehr zu den verschiedenen Klosterämtern wenden.

Die Meßnerin, die zugleich auch Schatzmeisterin ist, hat die Aufsicht über das Gotteshaus; sie bewahrt die Schlüssel dazu und alles was zum Gottesdienst notwendig ist. Gaben, welche dem Kloster dargebracht werden, hat sie in Empfang zu nehmen und für alles, was im Gotteshaus zu machen oder wiederherzustellen ist, sowie für die gesamte Ausschmückung desselben Sorge zu tragen. Außerdem fällt ihr die Sorge zu für die Hostien, für die Gefäße und Becher, die auf den Altar gehören und überhaupt für dessen Ausschmückung; ferner für die Reliquien, für den Weihrauch, für die Kerzen, für den Stundenzeiger und für die verschiedenen Glockenzeichen. Die Hostien sollen womöglich die Jungfrauen selbst bereiten und das Mehl dazu reinigen, auch sollen sie die Altargefäße reinhalten. Doch soll weder die Meßnerin noch sonst eine der Nonnen die Reliquien oder die Altargefäße oder Altardecken berühren, wenn sie ihnen nicht zum Zweck der Reinigung übergeben werden. Zu diesem Behuf soll man Mönche oder Laienbrüder herbeirufen und auf ihre Ankunft warten. Wenn nötig, sollen unter Aufsicht der Meßnerin aus ihrer Zahl etliche zu diesem Geschäft bestellt werden, die würdig sind, die Gefäße zu berühren. Die Schwester soll die Schränke öffnen, und die Mönche sollen die Gefäße daraus nehmen und wieder hineinstellen. Diejenige Schwester, welche diese Aufsicht über das Sanktuarium hat, muß sich durch Reinheit ihres Lebenswandels besonders auszeichnen. An Leib und Seele soll sie, soweit möglich, tadellos und von erprobter Enthaltsamkeit und Keuschheit sein. Auch muß sie in der Berechnung der kirchlichen Festtage nach dem Lauf des Mondes bewandert sein, damit die Festzeiten im Gottesdienst genau eingehalten werden.

Die Vorsängerin hat die Aufsicht über den ganzen Chor; sie hat für die Musik beim Gottesdienst zu sorgen und lehrt die anderen singen, Noten lesen, schreiben und diktieren. Sie führt auch die Aufsicht über die Bücherschränke, giebt Bücher daraus ab und reiht solche ein und sorgt für das Abschreiben und Ausschmücken der Bücher. Sie ordnet an, wie man im Chor zu sitzen hat, und verteilt die Plätze; sie bestimmt diejenigen, welche vorzulesen oder zu singen haben, und hat ein Verzeichnis der Abschnitte, die wöchentlich im Kapitel gelesen werden sollen, anzulegen. Darum muß sie im Schriftwesen wohl bewandert sein und vor allem Kenntnisse in der Musik haben. Auch soll sie nächst der Äbtissin für die Aufrechterhaltung der Klosterzucht überhaupt sorgen, und wenn diese anderweitig in Anspruch genommen ist, soll sie ihre Stelle vertreten.

Die Krankenwärterin hat den Dienst der Kranken unter sich und soll dieselben vor Sündenschuld wie vor leiblicher Not bewahren. Was Kranke nötig haben an Speise, an Bädern oder sonstigen Dingen, das soll ihr ohne weiteres zur Verfügung gestellt werden. Denn hier gilt das bekannte Sprichwort: „Für Kranke giebt es kein Gesetz“. Fleisch soll ihnen nicht vorenthalten werden, es sei denn am Freitag, an den Hauptfestvigilien, an den Quatember- und an den Osterfasten. Vor Sünde sollen die Kranken um so mehr bewahrt werden, je näher es jedem liegt, an sein Ende zu denken. Vor allem wird hier Schweigen zu beobachten sein, denn in diesem Punkt vergeht man sich gar so leicht, und anhalten soll man am Gebet, wie geschrieben steht: „Mein Sohn, in deiner Krankheit verzweifle nicht an dir selbst, sondern bitte Gott, und er selbst wird dich heilen. Wende dich ab von der Sünde und strecke die Hand nach ihm aus und reinige dein Herz von aller Sünde“. Es ist notwendig, daß eine Krankenwache eingerichtet werde, die jederzeit zur Hilfeleistung für die Kranken bereit ist, und das Haus muß mit allem, was für Kranke notwendig ist, versehen sein. Auch für die Beschaffung von Arzneimitteln soll man Sorge tragen, so gut es die örtlichen Verhältnisse erlauben. Zu dem Zweck wird es sehr gut sein, wenn die Krankenwärterin etwas von der Heilkunde versteht. Auch das Verfahren der Blutentziehung ist ihre Sache. Sie muß zur Ader lassen können, damit man nicht zu einer solchen Verrichtung einem Mann den Eintritt zu den Frauen verstatten muß. Die Krankenwärterin hat auch für die Einhaltung der kanonischen Stunden und für die Kommunion bei den Kranken zu sorgen; am Sonntag wenigstens sollten sie kommunizieren nach jedesmal vorangegangener Beichte und Buße, soweit dies möglich ist.

Die letzte Ölung der Kranken soll genau nach der Vorschrift des heiligen Apostels Jakobus vollzogen werden. Wenn der Zustand einer Kranken hoffnungslos geworden ist, soll man aus dem Mönchskloster zwei Priester von gesetztem Alter und einen Diakonen holen. Die sollen das geweihte Öl mitbringen und in Gegenwart der versammelten Schwestern, aber durch eine besondere Wand von ihnen getrennt, die heilige Handlung vollziehen. Ähnlich soll man es auch mit der Kommunion halten, wenn sie nötig geworden ist.

Das Krankenhaus muß daher so angelegt sein, daß die Mönche zu diesen Verrichtungen bequem ab und zu gehen können, ohne den Konvent der Schwestern zu sehen und von diesem gesehen zu werden.

Zum mindesten einmal jeden Tag soll die Äbtissin mit der Kellermeisterin die Kranken, und in ihnen Christum, besuchen, um für ihre Bedürfnisse zu sorgen, sowohl in geistlicher als in leiblicher Hinsicht, damit das Wort des Herrn von ihnen gelte: „Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht“. Geht es mit einer Kranken zu Ende, und tritt der Todeskampf ein, so soll alsbald die dienende Schwester mit der Klapper in den Konvent eilen, und durch das Geräusch, das sie mit derselben macht, den Tod der Schwester ankündigen, und der ganze Konvent, zu welcher Stunde des Tages oder der Nacht es auch sei, soll zu der Sterbenden eilen, außer wenn kirchliche Pflichten davon abhalten. Ist das letztere der Fall, so genügt es auch — denn nichts geht über den Dienst des Herrn — daß die Äbtissin mit einigen auserlesenen Schwestern herbeieile, und der übrige Konvent später nachfolge. Alle aber, die auf den Ton der Klapper herbeikommen, sollen alsbald die Litanei anstimmen und bei ihrer Anrufung die ganze Zahl aller männlichen und weiblichen Heiligen durchmachen. Darauf mögen die Psalmen folgen und die übrigen Gesänge, die bei Leichenbegängnissen üblich sind.

Wie segensreich es sei, zu Kranken und Toten zu gehen, das spricht der Prediger deutlich aus: „Es ist besser in das Klagehaus gehen, denn in das Trinkhaus; in jenem ist das Ende aller Menschen, und der Lebendige nimmt’s zu Herzen“. Ferner: „Das Herz der Weisen ist im Klaghause“. Der Leichnam der Verstorbenen soll alsbald von den Schwestern gewaschen, mit einem einfachen aber reinen Hemd bekleidet und mit Schuhen angethan werden. Dann soll man ihn auf eine Bahre legen und das Haupt mit einem Schleier verhüllen. Die Kleider sollen fest zusammengenäht und dem Körper so angefügt sein, daß kein Spielraum übrig bleibt. Der Leichnam soll von den Schwestern in die Kirche getragen und, wenn es Zeit ist, von den Mönchen bestattet werden. Während dessen sollen die Schwestern im Oratorium Psalmen singen und beten. Die Äbtissin soll bei ihrem Begräbnis nur das vor den übrigen voraushaben, daß ihr Körper in ein härenes Hemd gehüllt und sie darin eingenäht werden soll wie in einen Sack.

Die Kleiderverwalterin hat die Sorge für die gesamten Kleidungsstücke auf sich zu nehmen, sowohl was das Schuhwerk als was die andern Sachen betrifft. Sie hat die Schafschur zu veranlassen und nimmt das Leder für das Schuhzeug in Empfang. Sie versieht alle Schwestern mit Faden, Nadel und Schere. Sie hat den Schlafsaal zu beaufsichtigen und für die Betten zu sorgen. Ferner liegt ihr ob die Sorge für Tischdecken, Handtücher und für die gesamte übrige Wäsche, sowie für das Zuschneiden, Nähen, Waschen derselben. Auf sie bezieht sich im besonderen das Schriftwort: „Sie gehet mit Wolle und Flachs um und arbeitet gern mit ihren Händen. Sie streckt ihre Hand nach dem Rocken, und ihre Finger fassen die Spindel. Sie fürchtet ihres Hauses nicht vor dem Schnee, denn ihr ganzes Haus hat zwiefache Kleider, und sie lacht am letzten Tage. Sie schauet, wie es in ihrem Haus zugehet, und isset ihr Brot nicht mit Faulheit. Ihre Söhne kommen auf und preisen sie selig“. Die Werkzeuge, die sie zu ihren Arbeiten nötig hat, sollen ihr zur Verfügung stehen, und sie soll jede der Schwestern mit der für sie passenden Arbeit versehen. Denn auch der Novizen soll sie sich annehmen, bis zu ihrer Aufnahme in den Orden.

Die Kellermeisterin hat Sorge zu tragen für alles was ins Gebiet des Lebensunterhaltes gehört: sie hat die Aufsicht über den Keller, das Refektorium, die Küche, die Mühle, die Bäckerei mit dem Backofen, über den Baum- und den Gemüsegarten und über den gesamten Feldbau, auch über die Bienenzucht, über das Groß- und Kleinvieh und über das Geflügel. Von ihr wird geholt, was man zum Essen braucht. Sie darf vor allem nicht knauserig sein, sondern freigebig und gern bereit, zu liefern was man braucht. Denn „einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“. Überhaupt warnen wir sie davor, daß sie nicht ihr Amt in eigennütziger Weise mißbrauche, daß sie nicht sich selber eine bessere Schüssel gönne oder etwas für sich behalte auf Kosten der anderen. „Der beste Haushalter — sagt Hieronymus — ist der, der nichts für sich zurückbehält“. Judas, der sein Amt dazu mißbrauchte, sich selber zu bereichern, ging aus der Zahl der Jünger verloren. Auch Ananias und Sapphira mußten’s mit dem Tode büßen, als sie unrecht Gut zurückbehielten.

Zum Amt der Thürhüterin oder Pförtnerin gehört die Aufnahme der Gäste. Sie muß alle Ankömmlinge anmelden und dahin führen, wohin sie begehren; ihr liegt die Fürsorge für die Bewirtung ob. Sie muß reif an Alter und Verstand sein, damit sie Red’ und Antwort zu geben vermag und beurteilen kann, wie und wer überhaupt aufzunehmen ist und wer nicht. Sie soll gleichsam der Vorhof des Herrn sein, von dem aus ein lichter Schimmer aufs ganze Kloster fällt, denn bei ihr empfängt der Ankömmling den ersten Eindruck vom Kloster. Demgemäß sei sie freundlich in ihren Worten, mild in der Anrede. Auch diejenigen, die sie abweisen muß, sollen durch die Art, wie sie ihre Gründe darlegt, in der Liebe erbaut werden. Denn es steht geschrieben: „Eine linde Antwort stillet den Zorn, aber ein hart Wort richtet Grimm an“. Und anderswo: „Ein gütiges Wort mehrt die Freunde und besänftigt die Feinde“. Sie soll auch öfters nach den Armen sehen und je nachdem sie ihre Bedürfnisse kennen gelernt hat, sie mit Speise oder Kleidern unterstützen. Bedarf sie oder eine der andern Schwestern in ihrer Amtsführung eine Hilfe oder Erleichterung, so sollen ihnen von der Äbtissin Gehilfinnen zugewiesen werden. Diese soll man womöglich aus den Laienschwestern nehmen, damit keine der Nonnen vom Gottesdienst abgehalten werde oder im Kapitel und Refektorium fehle.

Die Pförtnerin soll ihre Zelle neben der Eingangsthür haben, woselbst sie oder ihre Stellvertreterin allezeit der Ankommenden gewärtig sein soll. Doch sollen sie während dem nicht müßig sein und sich des Schweigens um so mehr befleißigen, je weniger ihre Geschwätzigkeit denen, die draußen sind, verborgen bleibt. Die Aufgabe der Pförtnerin ist es, nicht allein den Männern unbefugten Eintritt zu versagen, sondern überhaupt jeden Lärm fernzuhalten, damit er nicht die Stille des Klosters störe, und sie trägt für alle Ausschreitungen in dieser Hinsicht die Verantwortung. Hört sie etwas, was zu wissen wichtig ist, so hat sie es in aller Stille der Äbtissin zu hinterbringen, und diese mag dann, wenn es ihr der Mühe wert scheint, darüber beraten.

Sobald ans Thor geklopft oder draußen gerufen wird, soll die Schwester, welche an der Pforte ist, die Ankömmlinge nach ihrem Namen und Begehren fragen, und wenn es nötig ist, die Pforte öffnen und die Fremden hereinlassen. Nur Frauen dürfen im Innern des Klosters beherbergt werden; die Männer sind zu den Mönchen zu weisen; keiner darf unter irgend einem Vorwand eingelassen werden, es sei denn, daß die Äbtissin vorher befragt worden sei und es befohlen habe. Frauen dagegen sollen ohne weiteres Zutritt haben. Die aufgenommenen Frauen und die Männer, die wegen irgend welcher besonderen Sache eingelassen worden sind, soll die Pförtnerin zunächst in ihre Zelle führen, bis sie von der Äbtissin oder von den Schwestern, wenn dies nötig und ratsam ist, empfangen werden. Armen aber, welche der Fußwaschung bedürfen, soll dieser Dienst der Gastfreundschaft von der Äbtissin selbst oder von den Schwestern mit Sorgfalt geleistet werden. Denn auch der Apostel hat sich gerade durch diesen Liebesdienst den Namen des Diakonen verdient. So sagt auch im „Leben der Altväter“ einer von ihnen: „Um deinetwillen ist der Erlöser Knecht geworden. Er hat sich mit einer Schürze umgürtet und seinen Jüngern die Füße gewaschen, und hat ihnen geboten, den Brüdern die Füße zu waschen“. Und der Herr selbst spricht: „Ich bin ein Gast gewesen und ihr habt mich beherberget“. So sagt auch der Apostel von der Diakonisse: „So sie gastfrei gewesen ist, so sie der Heiligen Füße gewaschen hat“. Alle mit Ämtern beauftragten Schwestern, die sich mit den Wissenschaften nicht befassen, sollen mit diesen Pflichten bekannt gemacht werden mit Ausnahme der Vorsängerin und derjenigen Schwestern, die für das Studium sich tauglich erweisen. Diesen soll man freie Zeit für die Wissenschaften lassen.

Der Schmuck des Gotteshauses soll sich auf das Notwendige beschränken; es ist mehr auf Sauberkeit als auf Prunk zu sehen. Nichts in demselben soll aus Gold oder Silber gefertigt sein, außer ein silberner Kelch oder auch mehrere, wenn es nötig ist. Verzierungen aus Seide sollen nur an den Stolen und Armbinden angebracht sein. Keine Bildhauerarbeiten sollen im Gotteshaus sein. Nur ein hölzernes Kreuz soll am Altar errichtet werden, worauf das Bild des Erlösers gemalt werden kann, wenn man will. Aber andere Bildwerke sollen den Altären fremd bleiben. Das Kloster soll sich mit zwei Glocken begnügen. Ein Gefäß mit Weihwasser soll außen am Eingang zum Oratorium angebracht werden, damit sich die in der Frühe Eintretenden, und wer nach dem Gottesdienst hinausgeht, damit weihen. Keine der Nonnen soll bei den Horen fehlen; vielmehr sobald das Zeichen mit der Glocke gegeben wird, sollen sie alles andere beiseite legen und zum Gottesdienst eilen, doch bescheidenen Ganges. Beim Eintritt ins Oratorium sollen die, die es können, für sich sprechen: „Ich gehe ein in dein Haus und bete an in deinem heiligen Tempel“ u. s. w. Im Chor darf kein anderes Buch geduldet werden als das, welches zum jedesmaligen Gottesdienst gerade nötig ist. Die Psalmen sollen laut und deutlich gesprochen werden, die Psalmodie oder der Gesang soll so gemäßigt sein, daß auch die, welche eine schwache Stimme haben, aufkommen können. In der Kirche soll nichts gelesen oder gesungen werden, was nicht der Heiligen Schrift selbst entnommen ist, also dem Neuen oder Alten Testament, welche beide so in Leseabschnitte einzuteilen sind, daß sie jedes Jahr in der Kirche einmal zur Verlesung kommen. Abhandlungen oder Predigten der Kirchenlehrer oder sonst erbauliche Schriften werden bei Tisch oder im Kapitel vorgelesen; doch soll das Lesen auch sonst überall gestattet werden. Doch soll keine Schwester sich etwas vorzulesen oder zu singen erlauben, wovon sie nicht vorher Kenntnis genommen hat. Wenn eine im Oratorium etwas Unpassendes vor die Versammlung bringt, so soll sie in Gegenwart aller Schwestern um Verzeihung bitten, indem sie für sich die Worte spricht: „Verzeihe mir, Herr, auch dieses Mal meine Nachlässigkeit“.

Um Mitternacht erhebt man sich nach der Anweisung des Propheten zu den nächtlichen Vigilien. Es ist darum notwendig so frühe schlafen zu gehen, daß die zarte Natur der Schwestern diese Nachtwachen ertragen und das Tagewerk mit Sonnenaufgang begonnen werden kann, wie dies auch der heilige Benediktus vorschreibt. Nach den Vigilien soll man sich wieder zur Ruhe begeben, bis das Zeichen zur Matutine ertönt. Während des übrigen Teils der Nacht soll die Natur zu ihrem Recht kommen. Denn der Schlaf vor allem erquickt den müden Körper, macht ihn wieder arbeitsfähig und erhält ihn gesund und munter. Wer aber das Bedürfnis hat, über die Psalmen oder irgend welche Lektionen zu meditieren, wie dies auch der heilige Benediktus erwähnt, der soll dies so thun, daß die Ruhenden nicht im Schlafe gestört werden. Benedikt hat für diesen Ort weniger das Lesen als das Meditieren empfohlen, damit nicht durch das Lesen die Ruhe der anderen gestört werde. Übrigens hat er auch zu dieser Meditation die Mönche nicht gezwungen; er sagt nur: „Wer von den Brüdern das Bedürfnis hat“. Auch beim Einüben von Gesängen soll man diese Rücksichten walten lassen. Die Matutine soll beim ersten Tageslicht gefeiert werden, und das Zeichen dazu beim Sonnenaufgang selbst, wenn man ihn sehen kann, ertönen. Im Sommer, wo die Nacht kurz und die Morgenzeit lang ist, verbieten wir den Schwestern nicht, vor der Prima noch etwas zu schlafen, bis das Zeichen dazu ertönt. Von dieser Ruhe nach den Matutinen spricht auch der heilige Gregorius im zweiten Kapitel seiner Dialoge, wo er von dem ehrwürdigen Libertinus folgendes sagt: „Auf den folgenden Tag war eine für das Kloster wichtige Maßnahme beschlossen worden. Nach Vollendung der feierlichen Matutinen ging Libertinus an das Bett des Abtes und erbat sich von ihm demütig den Segen“. Diese Morgenruhe soll also verstattet sein von Ostern bis zur Herbst-Tag- und Nachtgleiche, von wo an die Tage wieder kürzer werden.

Nach dem Verlassen des Schlafsaals sollen sich die Schwestern waschen, ihre Bücher in Empfang nehmen und lesend oder singend im Kreuzgang sitzen, bis es zur Prima läutet. Nach der Prima begiebt man sich in den Kapitelsaal; dort setzt sich alles nieder und nach Verkündigung des Datums wird ein Abschnitt aus der Märtyrergeschichte vorgelesen. Darauf kann eine erbauliche Besprechung folgen oder ein Abschnitt der Regel vorgelesen und erklärt werden. Endlich soll hier erledigt werden, was etwa zu tadeln oder neu anzuordnen ist.

Man darf übrigens nicht vergessen, daß weder ein Kloster noch sonst überhaupt ein Haus ohne weiteres ungeordnet genannt werden darf, wenn irgend etwas Ordnungswidriges darin geschieht, sondern nur dann, wenn derartige Vorkommnisse nicht sorgfältig wieder gut gemacht werden. Denn welcher Ort bleibt völlig rein von Sünde? Dessen war auch der heilige Augustinus wohl bewußt, wenn er in einer Unterweisung an seinen Klerus sagt: „Mag ich die Ordnung in meinem Haus noch so streng aufrecht erhalten: ich bin ein Mensch und muß mit Menschen leben. Ich wage auch nicht mir anzumaßen, daß mein Haus reiner sein soll als die Arche Noah, da doch unter den acht Menschen, die darin waren, sich ein Schlechter fand; oder besser als Abrahams Haus, wo es auch einst hieß: ‚treibe aus die Magd mit ihrem Kinde‘; oder besser als Isaaks Haus, wo der Herr sprach: ‚Den Jakob habe ich geliebt und den Esau habe ich gehaßt‘. Oder besser als das Haus Jakobs, in dem der Sohn des Vaters Ehebett schändete; oder besser als das Haus Davids, dessen einer Sohn sich mit seiner eigenen Schwester vergangen, und der andere sich gegen seinen Vater empört hat; oder besser als die Gesellschaft des Paulus, der, wenn er mit guten Menschen zusammengelebt hätte, wohl kaum gesagt hätte, er habe ‚auswendig Streit, inwendig Furcht‘; oder: ‚niemand ist, der so herzlich für euch sorget; denn sie suchen alle das ihre‘; oder besser als die Gesellschaft Christi selbst, in welcher die elf Guten den Verräter und Dieb Judas ertragen mußten; oder endlich gar besser als der Himmel, von dem die Engel gefallen sind“.

Derselbe Kirchenvater, der uns so eindringlich zur Befolgung der klösterlichen Regel ermahnt, fügt die Worte bei: „Ich bekenne vor Gott, seitdem ich Gott zu dienen angefangen habe, habe ich selten vollkommenere Menschen gesehen als die, welche in Klöstern sich gut gehalten haben; andererseits aber habe ich auch keine schlechteren gesehen, als Mönche, die gefallen waren“. So ist auch das Wort der Offenbarung zu verstehen; „Wer heilig ist, der sei immerhin heilig und wer unrein ist, der sei immerhin unrein“.

In der Bestrafung soll insofern ein Unterschied gemacht werden, als diejenige, welche bei einer andern einen Fehler gesehen hat und ihn verheimlicht, strenger bestraft werden soll als die eigentlich Schuldige. Darum soll niemand säumen, seine eigenen Vergehen wie diejenigen der anderen anzugeben. Diejenige Schwester, die der Anklage durch andere zuvorkommt, indem sie sich selbst angiebt — nach dem Worte der Schrift: „Der Gerechte klagt sich selber zuerst an“ — soll mit einer milderen Strafe wegkommen, wenn sie von ihrem Fehler abläßt. Keine soll die andere zu entschuldigen versuchen, wenn nicht die Äbtissin, falls ihr der wahre Sachverhalt unbekannt ist, danach fragt. Keine soll sich unterstehen, eine Schwester wegen irgend einer Verschuldung zu schlagen, außer wer von der Äbtissin dazu beauftragt wird. Von der Strafe der Züchtigung aber steht geschrieben: „Mein Sohn, achte nicht gering die Züchtigung des Herrn und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst. Denn welchen der Herr lieb hat, den züchtiget er und hat Wohlgefallen an ihm wie ein Vater am Sohn“; ferner: „Wer seiner Rute schonet, der hasset seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtiget ihn bald. Schläget man den Spötter, so wird der Alberne witzig; straft man den Spötter, so wird der Geringe verständig. Dem Roß eine Geißel und dem Esel einen Zaum und dem Narren eine Rute auf den Rücken. Wer einen Menschen züchtiget, der findet hernach mehr Dank bei ihm, als der ihn mit Schmeichelworten täuscht. Alle Züchtigung aber, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; aber danach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübet sind. Ein närrischer Sohn ist seines Vaters Betrübnis, und eine thörichte Tochter gereicht ihm zur Schande. Wer sein Kind lieb hat, der hält es stets unter der Rute, daß er hernach Freude an ihm erlebe. Wer sein Kind in der Zucht hält, der wird sich seiner freuen und darf sich seiner bei den Bekannten nicht schämen. Ein verwöhnt Kind wird mutwillig wie ein wild Pferd. Zärtle mit deinem Kinde, so mußt du dich hernach vor ihm fürchten; spiele mit ihm, so wird es dich hernach betrüben“.

Bei gemeinsamer Beratung steht es jeder Schwester frei, ihre Meinung zu äußern, aber der Beschluß der Äbtissin soll unumstößlich sein, sollte sie selbst, was ferne sei, in Irrtum verfallen und das weniger Zweckmäßige beschließen. Daher das Wort des heiligen Augustinus in seinen Konfessionen: „Schwer versündigt sich, wer seinen Vorgesetzten in irgend einem Stück ungehorsam ist, selbst wenn das, was er selber zu thun erwählt, besser sein sollte, als das, was ihm befohlen worden ist“. Es ist uns besser, recht zu thun als das Rechte zu thun, und nicht darauf kommt es an, was geschieht, sondern wie und in welcher Gesinnung etwas gethan wird. Alles was im Gehorsam geschieht, ist gut, wenn es auch keineswegs so aussieht. In allen Stücken muß darum den Vorgesetzten Gehorsam geleistet werden, selbst wenn dies zum größten Schaden ausschlüge, wenn nur die Seele nicht dadurch gefährdet wird.

Der Vorgesetzte soll darauf sehen, seine Befehle vernünftig einzurichten, weil die Untergebenen einfach zu gehorchen haben und ihrem Gelübde gemäß nicht nach ihrem eigenen Willen handeln, sondern nach dem ihrer Vorgesetzten. Wir sind durchaus dagegen, daß jemals die Gewohnheit den Vorzug vor der Vernunft erhalte und daß etwas damit entschuldigt werde, daß es Gewohnheit sei. Nicht weil etwas Herkommen ist, soll es festgehalten werden, sondern weil es gut ist, und je besser eine Anordnung ist, desto bereitwilliger soll sie aufgenommen werden. Sonst müßten wir ja nach jüdischer Art dem alten Gesetzeswesen vor dem Evangelium den Vorzug geben. So sagt auch der heilige Augustinus, indem er sich mehrfach auf das Zeugnis des Cyprianus beruft: „Wer die Wahrheit außer acht läßt und blindlings der Gewohnheit folgt, der handelt neidisch oder boshaft an den Brüdern, denen die Wahrheit geoffenbart ist, oder aber ist er undankbar gegen Gott, durch dessen Eingebung die Kirche erleuchtet wird“. Ferner sagt er: „Im Evangelium sagt der Herr: ‚Ich bin die Wahrheit‘, nicht aber: ‚Ich bin die Gewohnheit‘. Darum soll die Gewohnheit der offenbaren Wahrheit weichen“. Weiter: „Ist die Wahrheit offenbar geworden, so soll der Irrtum der Wahrheit weichen, wie auch Petrus, der zuerst für die Beschneidung war, dem Paulus, der die Wahrheit predigte, gewichen ist“.

Derselbe Kirchenvater sagt in seinem Buch „über die Taufe“ Kapitel IV: „Vergebens halten uns diejenigen, die durch die Vernunft besiegt werden, das Recht der Gewohnheit vor, als wäre die Gewohnheit mehr als die Wahrheit, und als müßte man nicht in geistlichen Dingen dasjenige thun, was uns vom heiligen Geist als das Bessere geoffenbart worden ist“.

Das ist sicher wahr, daß Vernunft und Wahrheit über das Herkommen zu stellen sind. Gregor VII. schreibt an den Bischof Vimund: „Sicherlich, um des heiligen Cyprianus’ Meinung zu folgen, ist jede Gewohnheit, sei sie auch noch so alt und noch so verbreitet, der Wahrheit ohne weiteres zu unterwerfen, und ein Brauch, der mit der Wahrheit im Widerspruch steht, abzuschaffen“. Mit welcher Liebe wir an der Wahrheit auch in Worten festhalten sollen, sagt uns Jesus Sirach: „Schäme dich nicht, für deine Seele das Recht zu bekennen“; weiter: „Rede nicht wider die Wahrheit“; und wiederum: „Laß all deinem Werk das Wort der Wahrheit vorausgehen und all deinem Thun einen festen Ratschluß“. Man soll auch nicht darauf sehen, ob viele etwas thun, sondern ob etwas den Beifall der Weisen und Guten hat. „Der Narren Zahl, sagt Salomo, ist unendlich.“ Und die Wahrheit versichert: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt“. Alles was kostbar ist, ist selten, und was in Überfluß vorhanden ist, verliert an Wert. Niemand soll in der Ratsversammlung der größeren Partei folgen, sondern der besseren. Nicht auf das Alter eines Menschen soll man sehen, sondern auf seine Weisheit; nicht gutes Einvernehmen, sondern Wahrheit soll man suchen. Daher das Wort des Dichters: „Auch vom Feind sollst du dich lassen belehren“.

So oft eine Beratung nötig ist, soll sie ohne Verzug abgehalten werden. Bei dringenden Angelegenheiten soll der Konvent zusammenberufen werden; bei weniger wichtigen Dingen genügt es, wenn die Äbtissin einige ältere Schwestern zu sich beruft. Vom Rat steht auch geschrieben: „Wo nicht Rat ist, da gehet das Volk unter; wo aber viel Ratgeber sind, da gehet es wohl zu. Der Weg des Narren ist recht in seinen Augen; aber ein vernünftiger Mann verachtet nicht guten Rat. Mein Sohn, thue nichts ohne Rat, so gereut’s dich nicht nach der That“. Wenn auch dann und wann eine Angelegenheit ohne Beratung glücklich erledigt wird, so entbindet die Wohlthat des Geschickes den Menschen doch nicht von seiner Aufgabe. Und wenn umgekehrt auch nach gepflogener Beratung falsche Maßregeln ergriffen werden, so soll man den, der den Rat eingeholt hat, nicht der Fahrlässigkeit beschuldigen. Denn ihn, der in gutem Glauben gehandelt hat, trifft weniger Schuld als diejenigen, auf die er sich irrtümlicherweise verlassen hat.

Haben die Schwestern den Kapitelsaal verlassen, so sollen sie die vorgeschriebenen Arbeiten vornehmen und sich mit Lesen oder Singen oder mit Handarbeit beschäftigen bis zur Terz. Nach der Terz soll die Messe gelesen werden, wozu ein Mönchspriester den Wochendienst hat. Dieser soll, wenn Leute genug vorhanden sind, einen Diakon und Subdiakon mitbringen, welche ihm administrieren und ihres Amtes walten. Sie sollen in der Weise kommen und gehen, daß sie mit den Schwestern nicht zusammentreffen. Sind mehrere nötig, so ist auch dafür zu sorgen, und zwar soll man dabei darauf sehen, daß die Mönche niemals wegen der Messen im Nonnenkloster ihrem eigenen Konvent beim Gottesdienst entzogen werden.

Wenn die Schwestern kommunizieren wollen, so soll dazu ein älterer Priester ausgewählt werden, der ihnen nach der Messe das Abendmahl giebt; vorher aber sollen sich der Diakon und Subdiakon entfernen, um jeden Anlaß einer Anfechtung zu entfernen. Mindestens dreimal im Jahr sollen alle Nonnen kommunizieren, an Ostern, an Pfingsten und an Weihnachten, wie dies von den Vätern auch für die Laien angeordnet ist. Zu diesen Kommunionen sollen sie sich so vorbereiten, daß alle sich drei Tage vorher der Beichte und entsprechenden Buße unterziehen, und in aller Demut und Furcht drei Tage mit Fasten bei Wasser und Brot und unter anhaltendem Gebet verbringen, immer wieder den furchtbaren Spruch des Apostels sich ins Gedächtnis zurückrufend: „Welcher nun unwürdig von diesem Brot isset und von dem Kelch des Herrn trinket, der ist schuldig an dem Leib und Blut des Herrn. Der Mensch prüfe aber sich selbst, und also esse er von diesem Brot und trinke von diesem Kelch. Denn welcher unwürdig isset und trinket, der isset und trinket ihm selber das Gericht damit, daß er nicht unterscheidet den Leib des Herrn. Darum sind auch so viele Schwache und Kranke unter euch, und ein gut Teil schlafen. Denn so wir uns selber richteten, so würden wir nicht gerichtet“.

Auch nach der Messe sollen die Schwestern wieder zur Arbeit zurückkehren bis zur Sext; überhaupt sollen sie nie müßig sein, sondern jede soll arbeiten, was sie kann und muß. Nach der Sext soll man zum Essen gehen, falls nicht ein Fasttag ist. In diesem Fall soll man mit dem Essen warten bis zur None, in der großen Fastenzeit bis zur Vesper.

Zu keiner Zeit soll im Konvent das Vorlesen unterbleiben. Will die Äbtissin aufhören, so sage sie: es ist genug. Und alsbald sollen sich alle zum Dankgebet erheben. Im Sommer soll man nach dem Essen bis zur None im Dormitorium ruhen, nach der None wieder an die Arbeit gehen bis zur Vesper. Unmittelbar nach der Vesper wird das Abendessen eingenommen oder das Fastenmahl, je nach den Zeitumständen. Samstags findet vor dem Abendimbiß eine Reinigung statt, bestehend im Waschen der Füße und Hände. Bei dieser Verrichtung soll die Äbtissin thätig sein im Verein mit den Schwestern, welche den Wochendienst in der Küche haben. Nach dem Abendessen geht man alsbald zur Komplett; hierauf begiebt man sich zur Ruhe.

In Nahrung und Kleidung halte man sich an das Wort des Apostels: „Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so lasset uns begnügen“. Man begnüge sich mit dem Notwendigen und suche nicht den Überfluß. Was billig beschafft werden kann und sich leicht trägt, ohne Anstoß zu erregen, das wird sich empfehlen. Nur die Verletzung des eigenen oder eines fremden Gewissens mit den Speisen verbietet der Apostel, da er wohl weiß, daß nicht das Essen an sich Sünde ist, sondern die Begierde. „Welcher isset, sagt er, der verachte den nicht, der da nicht isset; und welcher nicht isset, der richte den nicht, der da isset. Wer bist du, daß du einen fremden Knecht richtest? Welcher isset, der isset dem Herrn, denn er danket Gott; welcher nicht isset, der isset dem Herrn nicht, und danket Gott. Darum lasset uns nicht mehr einer den andern richten, sondern das richtet vielmehr, daß niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis darstelle. Ich weiß und bin’s gewiß in dem Herrn Jesu, daß nichts gemein ist an ihm selbst; ohne der es rechnet für gemein, demselbigen ist es gemein. Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im heiligen Geiste. Es ist zwar alles rein, aber es ist nicht gut dem, der es isset mit einem Anstoß seines Gewissens. Es ist viel besser, du essest kein Fleisch und trinkest keinen Wein oder das, daran sich dein Bruder stößet oder ärgert oder schwach wird“. Nach dem Ärgernis, das der Bruder nimmt, redet der Apostel von dem Anstoß, den sich derjenige selber bereitet, der gegen sein Gewissen ißt: „Selig ist, der ihm selbst kein Gewissen machet in dem, das er annimmt. Wer aber darüber zweifelt und isset doch, der ist verdammt; denn es gehet nicht aus dem Glauben: was aber nicht aus dem Glauben gehet, das ist Sünde“.

Zur Sünde wird uns alles, was wir gegen unser Gewissen und gegen das, was wir glauben, thun. Und durch das, was wir billigen, d. h. durch das Gesetz, welches wir annehmen, richten und verurteilen wir uns selbst: wenn wir z. B. solche Speisen essen, bei denen wir zweifeln, d. h. die wir durch das Gesetz verbieten und als unrein ausschließen. Denn das Zeugnis unseres Gewissens ist so geartet, daß es uns bei Gott anklagt oder entschuldigt. Daher sagt auch Johannes in seinem ersten Brief: „Ihr Lieben, so uns unser Herz nicht verdammt, so haben wir eine Freudigkeit zu Gott. Und was wir bitten, werden wir von ihm nehmen; denn wir halten seine Gebote und thun, was vor ihm gefällig ist“. Darum sagt auch Paulus an der obigen Stelle ganz richtig, nichts sei gemein in Christus, nur für den sei es so, der es rechne für gemein, d. h. der glaube, daß etwas für ihn unrein und verboten sei.

Gemein nennen wir diejenigen Speisen, welche nach dem Gesetz unrein heißen, die das Gesetz seinen Gläubigen verbietet und denen freigiebt, die außer dem Gesetze leben. Daher sind auch die öffentlichen Frauen unrein, und alles Gemeinsame und Öffentliche ist gering und weniger kostbar. Der Apostel versichert mit Berufung auf Christus, keine Speise sei gemein, d. h. unrein, weil das Gesetz Christi keine verbietet, es sei denn, wie gesagt, um den Anstoß des eigenen oder des fremden Gewissens zu vermeiden. In dieser Beziehung sagt er an anderer Stelle: „Darum, so die Speise meinen Bruder ärgert, wollte ich nimmermehr Fleisch essen, auf daß ich meinen Bruder nicht ärgerte. Bin ich nicht frei? Bin ich nicht ein Apostel?“ Das heißt soviel als: habe ich nicht die Freiheit, die der Herr seinen Aposteln verliehen hat, alles Beliebige zu essen oder Unterstützung von anderen anzunehmen? Denn als der Herr seine Jünger aussandte, sagte er: „Esset und trinket, was ihr bei ihnen findet“, und er hat dabei nicht eine Speise von der anderen unterschieden. Nach diesem Vorbild giebt der Apostel den Christen alle Arten von Speisen frei, auch wenn sie von Ungläubigen und vom Götzenopfer herrühren; nur will er, wie oben gesagt, das Ärgernis vermieden wissen: „Ich habe es zwar alles Macht,“ sagt er, „aber es frommt nicht alles; ich habe es alles Macht, aber es bessert nicht alles. Niemand suche, was sein ist, sondern ein jeglicher, was des andern ist. Alles was feil ist auf dem Fleischmarkt, das esset, und forschet nichts, auf daß ihr des Gewissens verschonet. Denn die Erde ist des Herrn und was darinnen ist. So aber jemand von den Ungläubigen euch ladet, und ihr wollt hingehen, so esset alles, was euch vorgetragen wird, und forschet nicht, auf daß ihr des Gewissens verschonet. Wo aber jemand zu euch würde sagen: das ist Götzenopfer — so esset nicht um deswillen, der es anzeigte, auf daß ihr des Gewissens verschonet. Ich sage aber vom Gewissen nicht deiner selbst, sondern des andern. Seid nicht ärgerlich weder den Juden noch den Griechen noch der Gemeine Gottes“.

Aus diesen Worten des Apostels geht deutlich hervor, daß uns nicht verboten ist, was wir ohne Verletzung des eigenen oder eines fremden Gewissens essen können. Ohne Verletzung des eigenen Gewissens handeln wir dann, wenn wir bei unserem Thun unserem Lebensberuf, der uns zum Heil führen soll, treu bleiben können. Ohne Verletzung eines fremden Gewissens dann, wenn wir so leben, daß man von uns glaubt, daß wir selig werden. Und so können wir leben, wenn wir bei aller Nachsicht gegen die unumgänglichen Forderungen der Natur die Sünde meiden, und nicht im Vertrauen auf unsere Tugend unser Leben durch ein Gelübde unter ein Joch beugen, das uns zu schwer ist, und unter dem wir deshalb erliegen, wobei dann der Fall um so tiefer ist, je höher die Stufe war, auf die das Gelübde uns hätte heben sollen.

Diesem Fall und der Ablegung eines unbedachten Gelübdes zuvorzukommen, sagt der Prediger: „Wenn du Gott ein Gelübde thust, so verziehe nicht, es zu halten. Denn er hat keinen Gefallen an den Narren. Was du gelobest, das halte. Es ist besser, du gelobest nichts, denn daß du nicht hältst, was du gelobest“. Dieser Gefahr will auch jener Rat des Apostels begegnen: „So will ich nun, daß die jungen Witwen freien, Kinder zeugen, haushalten, dem Widersacher keine Ursach’ geben, zu schelten. Denn es sind schon etliche umgewandt dem Satan nach“. Die Natur des schwachen Geschlechtes bedenkend, empfiehlt er als Mittel gegen die Gefahr, die ein sittlich höheres Leben mit sich bringt, eine weniger strenge Lebensweise. Er giebt den Rat, unten zu bleiben, damit nicht ein jäher Sturz aus der Höhe erfolge. Dieser Ansicht folgt auch der heilige Hieronymus, wenn er in seiner Unterweisung an die Jungfrau Eustochium sagt: „Wenn aber die, die wirklich Jungfrauen sind, um anderer Sünden willen nicht selig werden, was wird aus denen werden, die die Glieder Christi zur Unzucht preisgegeben und den Tempel des heiligen Geistes in ein Freudenhaus verwandelt haben? Besser wäre es dem Menschen, das Joch der Ehe auf sich zu nehmen und in der Ebene zu wandeln, als in die Höhe zu streben und in den Abgrund der Hölle zu stürzen“.

Wenn wir sämtliche Aussprüche des Apostels nachschlagen, so werden wir finden, daß er eine zweite Ehe immer nur den Frauen gestattet hat. Die Männer dagegen ermahnt er zur Enthaltsamkeit und ruft ihnen zu: „Ist jemand beschnitten berufen, der zeuge keine Vorhaut“, und: „Bist du los vom Weibe, so suche kein Weib“. Moses dagegen räumt den Männern mehr Freiheit ein als den Frauen und gestattet einem Mann mehrere Frauen, nicht aber einer Frau mehrere Männer. Auch bestraft er den Ehebruch bei Frauen strenger als bei Männern. „Ein Weib,“ sagt der Apostel, „ist frei vom Gesetz, so der Mann stirbet, daß sie nicht eine Ehebrecherin ist, wo sie eines andern Mannes wird.“ Und an anderer Stelle: „Ich sage aber den Ledigen und Witwen: es ist ihnen gut, wenn sie auch bleiben wie ich. So sie aber sich nicht enthalten, so laß sie freien; es ist besser freien denn Brunst leiden.“ Und wiederum heißt es: „Ein Weib, so ihr Mann entschläft, ist sie frei, sich zu verheiraten, welchem sie will; allein, daß es in dem Herrn geschehe. Seliger ist sie aber, wo sie also bleibet, nach meiner Meinung“.

Nicht bloß eine zweite Ehe gestattet der Apostel dem schwachen Geschlecht, sondern er beschränkt die Zahl der Eheschließungen nicht einmal auf ein bestimmtes Maß; vielmehr, wenn ihre Männer entschlafen sind, gestattet er ihnen, sich wieder zu verheiraten. Er schreibt für die Eheschließung keine bestimmte Zahl vor, wenn die Frauen nur dadurch der Sünde der Hurerei entgehen. Lieber sollen sie mehrmals heiraten als einmal in Unkeuschheit verfallen. Denn haben sie sich erst Einem preisgegeben, so werden sie bald mit vielen anderen dem Verlangen nach geschlechtlichem Verkehr nachgeben. Zwar ist auch die rechtmäßige Befriedigung dieses Verlangens nicht ganz frei von Sünde, allein man übt Nachsicht mit der kleineren Sünde, um die größere zu vermeiden. Was ist also dabei, wenn man ihnen, um anderweitige Sünde zu verhüten, etwas verstattet, wobei gar keine Sünde ist, nämlich die notwendigen Speisen, nur nicht im Überfluß? Denn nicht die Speise wird uns zur Sünde, sondern die Begierde, die da will, was nicht erlaubt ist, die begehrt, was verboten ist, die oftmals sich übernimmt und so viel Ärgernis verursacht.

Welches von allen Nahrungsmitteln der Menschen ist aber so gefährlich, so schädlich und unserem Beruf und der frommen Beschaulichkeit so unzuträglich wie der Wein? Der größte der Weisen warnt uns gar eindringlich vor ihm: „Der Wein macht lose Leute, und stark Getränke macht wilde; wer dazu Lust hat, wird nimmer weise. Wo ist Weh, wo ist Leid? Wo ist Zank? Wo ist Klagen? Wo sind Wunden ohne Ursach’? Wo sind rote Augen? Nämlich, wo man beim Wein liegt und kommt auszusaufen, was eingeschenkt ist. Siehe den Wein nicht an, daß er so rot ist und im Glase so schön stehet. Er geht glatt ein, aber danach beißt er wie eine Schlange und sticht wie eine Otter. So werden deine Augen nach andern Weibern sehen und dein Herz wird verkehrte Dinge reden. Und wirst sein wie einer, der mitten im Meer schläft, und wie einer schläft oben auf dem Mastbaum, und wirst sagen: sie schlagen mich, aber es thut mir nicht wehe; sie klopfen mich, aber ich fühle es nicht. Wann will ich aufwachen, daß ich’s mehr treibe?“ Weiter: „O nicht den Königen, Lamuel, gieb den Königen nicht Wein zu trinken, denn wo Trunkenheit herrscht, wird kein Geheimnis bewahrt; sie möchten trinken und der Rechte vergessen und verändern die Sache der elenden Leute“. Und im Buch Sirach heißt es: „Ein Arbeiter, der sich gern vollsäuft, der wird nicht reich, und wer ein Geringes nicht zu Rat hält, der nimmt für und für ab. Wein und Weiber bethören die Weisen“.

Auch der Prophet Jesaias, der sonst von keiner Speise redet, erwähnt doch des Weines als einer Ursache zur Gefangenschaft seines Volkes: „Wehe denen, die des Morgens frühe auf sind, des Saufens sich zu fleißigen, und sitzen bis in die Nacht, daß sie der Wein erhitzt. Und haben Harfen, Psalter, Pauken, Pfeifen und Wein in ihrem Wohlleben, und sehen nicht auf das Werk des Herrn. Darum wird mein Volk müssen weggeführt werden, weil es nicht Vernunft angenommen hat. Weh denen, so Helden sind Wein zu saufen und Krieger in Völlerei!“ Vom Volk bis zu den Priestern und Propheten dehnt er seine Klage aus: „Dazu sind diese auch vom Wein toll worden und taumeln von starkem Getränk. Denn beide, Priester und Propheten, sind toll von starkem Getränk, sind im Wein ersoffen und taumeln von starkem Getränk; sie sind toll im Weissagen und speien die Urteile heraus. Denn alle Tische sind voll Speiens und Unrats an allen Orten. Wen soll er denn lehren das Erkenntnis? Wem soll er zu verstehen geben die Predigt?“ Der Herr spricht durch den Mund Joëls: „Wachet auf, ihr Trunkenen, und heulet alle Weinsäufer!“

In notwendigen Fällen wird ja der Weingenuß nicht verboten; so rät der Apostel dem Timotheus: „Um deines Magens willen, und weil du oft krank bist“ — nicht bloß ‚krank‘, sondern ‚oft krank‘. Noah hat zuerst den Weinstock gepflanzt, ohne noch das Laster der Trunkenheit zu ahnen, und im Rausch hat er seine Scham entblößt; denn mit dem Wein verbündet sich schändliche Üppigkeit. Vom eigenen Sohn verspottet, hat er ihn verflucht und ihm das Joch der Knechtschaft auferlegt, was vorher niemals, soviel wir wissen, geschehen ist. Die Töchter Lots wußten wohl, daß sie den frommen Mann nur in der Trunkenheit zur Blutschande verleiten konnten. Und Judith, die selige Witwe, hat im Vertrauen auf dieses trügerische Mittel allein den stolzen Holofernes zu Fall gebracht. Von den Engeln, welche den Erzvätern erschienen und von diesen bewirtet wurden, lesen wir, daß sie Fleisch zu sich genommen haben, nicht aber Wein. Und dem Elias, unserem großen Vorbild, haben die Raben, als er in der Wüste sich verbarg, des Morgens und des Abends Brot und Fleisch zur Speise gebracht, nicht Wein. Auch vom Volk Israel lesen wir, daß es in der Wüste mit der köstlichen Speise der Wachteln genährt worden sei, aber keinen Wein gehabt und dessen auch nicht begehrt habe. Und bei jenen Speisungen mit Brot und Fisch, womit in der Wüste das Volk gesättigt wurde, wird auch nichts von Wein berichtet. Nur auf einer Hochzeit, wo man sich des Weines, der die Quelle der Wollust ist, allerdings nicht enthält, ist dem Wein zulieb ein Wunder geschehen. Aber die Wüste, die eigentliche Wohnung der Mönche, kennt mehr die Wohlthat des Fleisches als die des Weins. Eine Hauptbestimmung im Gelübde der Nasiräer, womit sie sich Gott weihten, war die, Wein und geistige Getränke zu meiden.

Denn was bleibt an einem Trunkenen noch tugendhaft und gut? Darum lesen wir, daß in der alten Zeit den Priestern nicht bloß der Wein, sondern alle geistigen Getränke verboten waren. Hieronymus in seinem Buch „vom Leben der Kleriker“, das an Nepotianus gerichtet ist, ereifert sich sehr darüber, daß die Priester des alten Bundes darin, daß sie sich aller geistigen Getränke enthielten, vollkommener waren, als die unsrigen. Er sagt: „Rieche nicht an den Wein, damit du dir nicht das Wort des Philosophen sagen lassen mußt: ‚Das heißt nicht küssen, sondern die Schale zum Munde führen‘“.

Auch der Apostel verurteilt weinselige Priester, und das Gesetz Mosis verbietet den Weingenuß. „Die den Dienst des Altars besorgen, sollen nicht Wein und Gegorenes trinken.“ — „Sicera“ heißt im Hebräischen jedes berauschende Getränke, gleichviel, ob es bereitet wird aus dem gegorenen Saft von Früchten oder aus eingekochtem Honig und Kräutern oder aus der gepreßten Frucht der Palme oder aus Früchten, die man zu Sirup zerkocht. „Alles was berauscht und dich um den Verstand bringt, das fliehe wie den Wein.“

Nach der Regel des heiligen Pachomius soll niemand, mit Ausnahme der Kranken, Wein oder sonst geistige Getränke berühren. Und wem von euch sollte unbekannt sein, daß der Wein für Mönche überhaupt nichts sei und daß die Mönche ihn einst so verabscheut haben, daß sie ihn, um von ihm abzuschrecken, den Satan selber nannten? So lesen wir im „Leben der Altväter“: „Es erzählten einige Leute dem Vater Pastor von einem Mönch, der keinen Wein trank, worauf dieser sagte: ‚Der Wein ist überhaupt nichts für Mönche‘. Ferner ist dort zu lesen: ‚Man feierte eines Tags die Messe auf dem Berg des Vaters Antonius, und fand daselbst ein Gefäß mit Wein. Einer der Alten hob es auf und brachte einen Becher voll dem Vater Sisoi. Der trank ihn aus, nahm zum zweitenmal und leerte ihn wieder. Als ihm aber zum drittenmal angeboten wurde, wies er’s zurück und sagte: Laß genug sein, Bruder, vergissest du, daß der Teufel darin steckt?‘“ Und weiter wird von dem Vater Sisoi berichtet: „Abraham sagte zu seinen Schülern: ‚Wenn man an einem Feiertag oder Sonntag zur Kirche geht und drei Kelche Wein trinkt, ist das nicht zu viel?‘ Und es antwortete der Alte: ‚Es wäre nicht zu viel, wenn der Satan nicht wäre.‘“ Daran denkt auch der heilige Benediktus, wenn er für gewisse Fälle seinen Mönchen den Weingenuß gestattet. Er sagt: „Wohl lesen wir, daß der Wein für die Mönche überhaupt nichts sei; allein man wird in unserer Zeit die Mönche nicht völlig davon überzeugen können“.

Es wäre nichts besonderes, wenn den Mönchen durchaus versagt würde, was auch den Frauen, die von Natur schwächer sind, wenn auch widerstandsfähiger gegen den Wein, vom heiligen Hieronymus gänzlich verboten wird. Er schreibt nämlich an die christliche Jungfrau Eustochium, indem er sie über die Bewahrung der Jungfräulichkeit belehrt, folgende dringende Mahnung: „Wenn mein Rat irgend etwas gelten soll und du meiner Erfahrung Glauben schenken willst, so ist meine erste Mahnung und Bitte, daß eine Braut Christi den Wein fliehen möge wie Gift. Denn das ist die schärfste Waffe der Dämonen gegen die Jugend. So sehr knechtet nicht der Geiz, so bläht der Stolz nicht auf, so viel Reize besitzt nicht der Ehrgeiz. Anderen Lastern entfliehen wir leicht; diesen Feind tragen wir im Innern; wohin wir uns wenden, wir tragen ihn bei uns. Wein und Jugend eine zwiefache Nahrung des Feuers der Wollust. Sollen wir noch Öl in die Flamme gießen? Sollen wir dem brennenden Leib noch neuen Zündstoff zuführen?“

Übrigens belehren uns die Schriften der Naturforscher, daß der Wein den Frauen weit weniger anhaben könne als den Männern. Macrobius Theodosius führt dafür im siebenten Buch seiner Saturnalia folgenden Grund an: „Aristoteles sagt, die Weiber werden selten berauscht, Greise oft. Der Körper des Weibes hat einen sehr großen Feuchtigkeitsgehalt. Ein Beweis dafür ist die Glätte und der Glanz ihrer Haut, und besonders sprechen dafür die regelmäßigen Reinigungen, durch welche ihr Körper von überflüssiger Feuchtigkeit entlastet wird. Der Wein verliert seine Stärke, wenn er mit so überreichem flüssigem Stoffe sich mischt, und steigt nicht mehr so leicht zu Kopfe, da seine Wirkung auf diese Weise gelähmt wird“. Ferner heißt es dort: „Der weibliche Körper unterliegt häufigen Reinigungen und hat an seiner Oberfläche zahlreiche Öffnungen und Poren, durch welche die Feuchtigkeit ihren Ausgang sucht und findet. Durch diese Poren entweicht auch der Dunst des Weines gar schnell“.

Warum also sollte man den Mönchen gestatten, was dem schwächeren Geschlecht versagt wird? Wie unvernünftig, es denen zu gestatten, die den größeren Schaden davon haben, und den andern es zu verbieten! Was wäre thörichter als wenn man unterließe, die Mönche von dem abzuschrecken, was ihrem frommen Beruf am meisten zuwider ist und zum Abfall von Gott verführt? Ist es nicht ein Frevel, wenn Christen in dem Stück, in dem die Könige und Priester des alten Bundes Enthaltsamkeit übten, sich nicht nur nicht kasteien, sondern sich sogar bis zur Schwelgerei vergessen? Denn man weiß ja, wie eifrig Kleriker und Mönche in unserer Zeit sich um den Weinkeller bemühen, ihn mit den verschiedenen Sorten anzufüllen; wie sie den Wein mit Kräutern, Honig und Würzwerk zu mischen verstehen, um desto besser sich berauschen zu können, und wie sie je mehr das Feuer der Sinnlichkeit schüren, je mehr sie beim Wein sich erhitzen. Welche Verirrung, nein, welcher Wahnsinn, daß die, welche durch ihr Gelübde sich zur Enthaltsamkeit verpflichten, nicht nur nichts dazu thun, es zu halten, sondern geflissentlich zum Bruch desselben beitragen! Zwar ihr Leib ist hinter Klostermauern festgebannt, aber ihr Herz ist voll unreiner Lust und brennt vor Verlangen nach Unzucht.

Zwar der Apostel schreibt an Timotheus: „Trinke nicht mehr Wasser, sondern brauche ein wenig Wein um deines Magens willen, und weil du so oft krank bist“. Also wegen seiner Kränklichkeit wird ihm mäßiger Weingenuß verstattet; es versteht sich aber von selbst, daß er keinen getrunken hätte, wäre er gesund gewesen. Wenn wir uns das apostolische Leben zum Vorbild nehmen, wenn wir ein Leben der Buße führen und der Welt entsagen wollen: warum hat gerade das den großen Reiz für uns und erscheint uns köstlicher als alle andern Nahrungsmittel, was doch unserem Beruf offenbar am meisten hinderlich ist?

Der heilige Ambrosius, der das Wesen der Buße so trefflich beschreibt, hat an der Lebensweise der Büßenden nichts auszusetzen als den Weingenuß. „Oder glaubt jemand“, sagt er, „daß da wahre Buße ist, wo der Ehrgeiz herrscht, wo der Wein in Strömen fließt, wo man in ehelicher Gemeinschaft lebt? Man muß der Welt gänzlich absagen. Leichter habe ich solche gefunden, die ihre Unschuld bewahrt, als solche, die recht Buße gethan haben.“ Und in dem Buche „von der Weltflucht“ heißt es: „In Wahrheit fliehst du die Welt, wenn dein Auge Becher und Trinkschalen meidet, daß es nicht lüstern werde, wenn es beim Wein verweilt“. Von allen Nahrungsmitteln erwähnt „die Weltflucht“ nur den Wein, und versichert uns, wenn wir ihn meiden, können wir der Welt entfliehen, als wenn alle Reize der Welt im Wein beschlossen wären. Und er sagt nicht: wenn euer Gaumen sich des Geschmackes enthält, sondern: wenn das Auge nicht danach sieht, damit es nicht von Lust und Verlangen sich fangen lasse, wenn es öfter hinsieht. Daher auch der Spruch Salomos, den wir oben angeführt haben: „Siehe den Wein nicht an, daß er so rot ist und im Glase so schön steht“. Aber was sagen wir dazu, die wir uns am Geschmack wie am Anblick des Weines ergötzen, ihn mit Honig, Kräutern und allen möglichen Würzen mischen und ihn aus großen Schalen trinken wollen?

Genötigt, dem Wein ein Zugeständnis zu machen, sagt der heilige Benediktus: „Wenigstens wollen wir das festhalten, daß man nicht bis zur Sättigung trinken soll, sondern weniger; denn der Wein macht auch die Weisen zu Thoren“. Wenn wir uns nur damit begnügen könnten, bis zur Stillung des Durstes zu trinken und uns nicht so leicht zur Überschreitung des rechten Maßes verleiten ließen. Auch der heilige Augustinus sagt in der Regel für die Mönchsklöster, welche er eingerichtet hatte: „Nur Samstags und Sonntags, wie es der Brauch ist, sollen die, die es wollen, Wein bekommen“; dies geschah zur Feier des Sonntags und der betreffenden Vigilie, welche Samstags gehalten wird, und sodann, weil an diesem Tag die in ihren Klausen zerstreut lebenden Brüder sich versammelten. So sagt auch der heilige Hieronymus, indem er von einem Ort redet, den er Cella nennt: „Jeder lebt für sich in seiner Klause. Doch am Sonnabend und Sonntag kommen sie in der gemeinsamen Kirche zusammen, und sehen hier einander wie im Himmel Vereinigte“. Diese Ausnahme war gewiß berechtigt: die Brüder sollten bei ihrer Zusammenkunft durch eine Erfrischung erfreut werden, und wenn sie es auch nicht aussprachen, doch das Gefühl haben: „Siehe wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen“.

Wir enthalten uns des Fleisches; aber was haben wir für ein Verdienst dabei, wenn wir uns an andern Speisen bis zum Übermaß sättigen? Wenn wir mit vielen Kosten mancherlei Gerichte von Fischen bereiten, wenn wir Pfeffer und andere starke Gewürze dreinmischen, wenn wir, trunken vom gewöhnlichen Wein, unsern Bechern und Schalen noch den Reiz besonderer Würzen verleihen, so muß für all dies die Fleischenthaltung uns vor der Welt entschuldigen: als ob es auf die Art und nicht vielmehr auf das Maß der Speisen ankäme, während uns doch der Herr nur Völlerei und Trunkenheit verbietet, d. h. jedes Übermaß in Speise und Trank, nicht aber eine bestimmte Art von beiden.

Von dieser Einsicht geleitet sieht auch der heilige Augustin in keinem andern Nahrungsmittel eine Gefahr, außer im Wein: er macht keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Arten von Speisen, und glaubt, daß für die Abstinenz folgende kurze Vorschrift genüge: „Kasteiet euer Fleisch mit Fasten und mit Enthaltsamkeit von Speise und Trank, soweit eure Gesundheit es gestattet“. Er hatte wohl den Satz des heiligen Athanasius in dessen Mahnwort an die Mönche gelesen: „Für das Fasten soll dem freien Willen keine bestimmte Grenze gesetzt werden; jeder mag fasten, soviel es ihm mit Rücksicht auf seine Gesundheit möglich ist; alle Tage, außer am Sonntag, kann man Fasten halten, aber sie sollen nicht Gegenstand eines Gelübdes sein“. Das heißt so viel als: wenn die Fasten infolge eines Gelübdes übernommen werden, können sie jederzeit mit Ausnahme der Festtage gehalten werden. Hier werden also keine bestimmten Fasten vorgeschrieben, man soll sich damit nach dem Stand der Gesundheit richten. Denn es heißt: „Er sieht allein auf die Fähigkeit, die jeder von Natur hat, und es ist jedem freigestellt, sich selbst sein Maß zu bestimmen; denn wo das rechte Maß eingehalten wird, kommen keine Verfehlungen vor“. Wir sollen uns nicht allzusehr durch Genüsse verweichlichen lassen, wie jenes Volk, das mit Weizen und mit gutem Traubenblut genährt war und von dem geschrieben steht: „Es ist fett und dick und stark geworden und hat Gott fahren lassen“. Wir sollen uns auch nicht über das Maß mit Kasteiung quälen, damit wir nicht entweder ganz erliegen oder aber durch Murren unseres Lohns verlustig gehen oder uns unserer Trefflichkeit rühmen. Der „Prediger“ warnt davor mit den Worten: „Ein Gerechter gehet unter in seiner Gerechtigkeit; sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, daß du dich nicht verderbest“, d. h. daß du nicht aus Bewunderung für deine Vortrefflichkeit hochmütig werdest.

Aller Eifer in dieser Hinsicht soll geleitet werden von weiser Erwägung, der Mutter aller Tugenden. Sie soll jedem die Last zuweisen, die er tragen kann, die Natur nicht vergewaltigen, sondern sich nach ihr richten, nicht die Notdurft verbieten, aber Schwelgerei und Überfluß fernhalten. So wird das Laster ausgerottet, und die Natur doch nicht verletzt. Es ist für die Schwachen genug, wenn sie die Sünde meiden, auch wenn sie nicht bis zum Gipfel der Vollkommenheit emporsteigen. Wenn du nicht bei den Märtyrern Platz findest, laß dir an einem Winkel im Paradiese genügen. Es ist sicherer, ein bescheidenes Gelübde abzulegen, damit man aus freien Stücken noch etwas Überverdienstliches hinzuthun kann. Darum steht geschrieben: „Wenn ihr alles gethan habt, was euch befohlen ist, so sprechet: wir sind unnütze Knechte, wir haben gethan, was wir zu thun schuldig waren“. — „Das Gesetz,“ sagt der Apostel, „richtet nur Zorn an; denn wo das Gesetz nicht ist, da ist auch keine Übertretung“. Und weiter: „Denn ohne das Gesetz war die Sünde tot. Ich aber lebte weiland ohne Gesetz. Da aber das Gebot kam, ward die Sünde wieder lebendig. Ich aber starb; und es befand sich, daß das Gebot mir zum Tode gereichte, das mir doch zum Leben gegeben war. Denn die Sünde nahm Ursache am Gebot und betrog mich und tötete mich durch dasselbige Gebot; auf daß die Sünde würde überaus sündig durch das Gebot“. Augustinus an Simplicianus sagt: „Durch das Verbot ist das Verlangen gemehrt worden und verlockender erschienen, und so sind wir verführt worden“. Derselbe Augustinus sagt in seinem Buch „Quästiones“ in der 67. Frage: „Wir lassen uns durch unser Gelüste leichter zur Sünde verführen, wenn ein Verbot da ist“. — „Was versagt ist, begehren wir stets, das Verbotene reizt uns“.

Höre mit Furcht und Zittern jeder diese Worte, der das Joch irgend einer Ordensregel auf sich nehmen und sich durch ein neues Gesetz binden lassen will. Er wähle, was er durchzuführen vermag, und meide, was über seine Kräfte geht. Niemand wird schuldig des Gesetzes, der nicht vorher sich zu ihm bekannt hat. Ehe du dich bindest, besinne dich; hast du’s gethan, dann bleibe fest. Jetzt ist Freiheit, was nachher Zwang ist. „In meines Vaters Hause,“ sagt die Wahrheit, „sind viele Wohnungen.“ Darum giebt es auch vielerlei Wege, die dorthin führen. Nicht werden die Ehegatten verdammt, aber leichter werden selig, die sich enthalten. Nicht damit wir überhaupt erst selig würden, sind uns die Regeln der heiligen Väter gegeben, sondern damit wir leichter den Weg zur Seligkeit finden und reineren Verkehr mit Gott pflegen können. „Und so eine Jungfrau freiet,“ sagt der Apostel, „sündiget sie nicht; doch werden solche leibliche Trübsal haben. Ich verschonete aber euer gerne.“ Ferner: „Welche nicht freiet, die sorget, was dem Herrn angehöret, daß sie heilig sei, beide am Leib und auch am Geist; die aber freiet, die sorget, was der Welt angehört, wie sie dem Manne gefalle. Solches aber sage ich zu eurem Nutzen, nicht daß ich euch einen Strick an den Hals werfe, sondern dazu, daß es fein ist, und ihr stets und unverändert dem Herrn dienen könnet“.

Dies aber erreichen wir dann am leichtesten, wenn wir auch körperlich uns von der Welt zurückziehen und uns hinter Klostermauern bergen, daß nicht der Lärm der Welt unsere Ruhe störe. Aber nicht nur, wer das Gesetz auf sich nimmt, sondern auch der, der es auflegt, sehe sich vor, daß er nicht durch Häufung der Gebote auch die Übertretungen mehre. Das Wort Gottes, das im Fleisch erschienen ist, hat das Wort des Gesetzes abgekürzt. Moses hat vieles geredet und doch, wie der Apostel sagt: „Das Gesetz konnte nichts vollkommen machen“. Es hatte viele und so schwere Gebote, daß der Apostel Petrus sagte, niemand könne sie halten. „Ihr Männer, liebe Brüder,“ sprach er, „was versuchet ihr Gott mit Auflegen des Jochs auf der Jünger Hälse, welches weder unsere Väter noch wir haben mögen tragen. Sondern wir glauben durch die Gnade des Herrn Jesu Christi selig zu werden, gleicherweise wie auch sie.“ Mit wenig Worten hat Christus seine Jünger über die sittliche Haltung und heilige Lebensführung belehrt und ihnen den Weg zur Vollkommenheit gewiesen. Das Strenge und Ernste beiseite lassend hat er ihnen seine Vorschriften, in denen seine ganze Lehre beschlossen war, lieblich und leicht gemacht: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig — so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht“.

Denn bei den Werken der Frömmigkeit geht es oft wie bei weltlichen Geschäften. Mancher arbeitet sich müde in seinem Geschäft und hat doch wenig Gewinn davon, und mancher hat viel äußere Anfechtung und doch wenig Verdienst vor Gott, denn er sieht das Herz an, nicht das Werk. Solche Leute, je mehr sie mit Äußerlichem sich beschäftigen, desto weniger haben sie Zeit für innerliche Dinge; je mehr sie bei Leuten, deren Urteil in Außendingen etwas gilt, bekannt werden, desto größer wird ihr Ruhm und desto leichter lassen sie sich zum Hochmut verführen. Diesem Irrtum zu begegnen, setzt der Apostel die äußeren Werke tief herunter und erhebt dagegen die Rechtfertigung durch den Glauben. „Ist Abraham durch die Werke gerecht, so hat er wohl Ruhm, aber nicht vor Gott. Was saget denn die Schrift? Abraham hat Gott geglaubt, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet.“ Und weiter: „Was wollen wir nun hie sagen? Das wollen wir sagen: die Heiden, die nicht haben nach der Gerechtigkeit gestanden, haben die Gerechtigkeit erlangt; ich sage aber von der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt. Israel aber hat dem Gesetz der Gerechtigkeit nachgestanden und hat das Gesetz der Gerechtigkeit nicht überkommen. Warum das? Darum, daß sie es nicht aus dem Glauben, sondern als aus den Werken des Gesetzes suchen“.

Sie gleichen den Leuten, die ihre Gefäße und Geschirre nur von außen reinigen und sie innen schmutzig lassen, und mehr für das Fleisch besorgt als für den Geist, sind sie fleischliche Leute, nicht geistliche. Wir aber, die wir danach trachten, daß Christus durch den Glauben in unserem inneren Menschen Wohnung mache, achten das Äußere gering, an dem der Schlechte wie der Gute teilhaben kann, und denken an das Wort: „In meinem Herzen sind die Gelübde und die Lobpreisungen, die ich dir, mein Gott, darbringen werde“.

Und so ahmen wir auch jene äußerliche gesetzliche Enthaltsamkeit nicht nach, die zur wahren Gerechtigkeit sicherlich nichts beiträgt. Denn auch der Herr giebt uns kein Speiseverbot; nur Völlerei und Trunkenheit, d. h. den Überfluß, verbietet er. Darum sagte er von sich selber: „Johannes ist kommen, aß nicht und trank nicht, so sagen sie: er hat den Teufel. Des Menschen Sohn ist kommen, isset und trinket, so sagen sie: siehe, wie ist der Mensch ein Fresser und ein Weinsäufer“. Er entschuldigt auch seine Jünger, weil sie nicht, wie die Jünger Johannes, fasteten und mit ungewaschenen Händen zu Tische saßen: „Wie können die Hochzeitleute Leid tragen, so lange der Bräutigam bei ihnen ist?“ Und ein andermal: „Was zum Munde eingehet, das verunreiniget den Menschen nicht, sondern was zum Munde ausgehet, das verunreiniget den Menschen. Was aber zum Munde herausgehet, das kommt aus dem Herzen, und das verunreiniget den Menschen. Aber mit ungewaschenen Händen essen verunreiniget den Menschen nicht“.

Keine Speise also verunreinigt die Seele, dies geschieht durch die Begierde nach verbotener Speise. Denn wie der Leib nur durch leiblichen Schmutz verunreinigt werden kann, so die Seele nur durch geistigen. Und nichts ist zu fürchten bei allem was der Leib verrichtet, wenn nur der Geist nicht seine Einwilligung dazu giebt. Auf die Reinheit des Fleisches dürfen wir nicht pochen, wenn die Seele durch bösen Willen verderbt wird. Im Herzen also liegt Tod und Leben der Seele beschlossen. Daher Salomo in den Sprüchen sagt: „Behüte dein Herz mit allem Fleiß, denn daraus gehet das Leben“. Und nach dem Worte der „Wahrheit“, das wir oben gehört, kommt aus dem Herzen, was den Menschen verunreiniget: denn nach ihren guten oder bösen Gelüsten wird die Seele gerettet oder verdammt. Weil aber die Verbindung zwischen Seele und Leib so gar eng ist, müssen wir uns vorsehen, daß nicht die Seele von der Fleischeslust sich mit fortreißen lasse, und daß nicht das Fleisch, wenn man ihm allzusehr nachgiebt, im Übermut dem Geist widerstrebe, und so das, was unterthan sein sollte, Herr werde. Dies werden wir vermeiden, wenn wir alles Notwendige gestatten, allen Überfluß aber, wie schon öfters gesagt, fernhalten, und dem schwachen Geschlecht erlauben, alle Speisen mit Maß, keine aber unmäßig zu gebrauchen.

Mögen sie alles gebrauchen, nichts aber mißbrauchen. „Denn,“ sagt der Apostel, „alle Kreatur Gottes ist gut, und nichts verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird. Denn es wird geheiliget durch das Wort Gottes und Gebet. Wenn du den Brüdern solches vorhältst, so wirst du ein guter Diener Jesu Christi sein, auferzogen in den Worten des Glaubens und der guten Lehre, bei welcher du immerdar gewesen bist.“ Auch wir wollen mit Timotheus diese Lehre des Apostels befolgen und nach der Vorschrift des Herrn uns nur hüten vor Völlerei und Trunkenheit; in allem wollen wir so Maß halten, daß der leiblichen Schwäche aufgeholfen, nicht aber das Laster großgezogen werde. Und besonders bei den Dingen, die, im Überfluß genossen, Gefahren mit sich bringen, soll ein strenges Maß angelegt werden. Es ist ein größeres Verdienst und löblicher, mit Maß zu essen, als ganz sich zu enthalten. Daher auch der heilige Augustinus in seinem Buch „Über das Gut der Ehe“, wo es von den Nahrungsmitteln handelt, sagt: „Nur derjenige macht einen richtigen Gebrauch von den Dingen, der sie so braucht, daß er sie auch entbehren kann. Vielen fällt es leichter, sich eines Genusses ganz zu enthalten als denselben durch das richtige Maß zu regeln. Niemand aber macht einen weisen Gebrauch von den Gütern dieser Welt, der nicht auch imstande ist, sich ihrer zu enthalten“. In dieser Gesinnung hat auch Paulus das Wort gesagt: „Ich kann beides: übrig haben und Mangel leiden“. Mangel leiden, das kann jeden treffen, aber den Mangel recht ertragen können, das ist Sache großer Menschen. So kann auch wohl jeder beliebige Mensch „übrig haben“; aber in der rechten Weise übrig haben können nur die, die sich vom Überfluß nicht verderben lassen.

Des Weines also, der, wie gesagt, lose Leute macht, und darum der guten Zucht und der Schweigsamkeit feind ist, sollen sich die Frauen um Gottes willen entweder ganz enthalten, wie sich heidnische Frauen desselben enthalten aus Furcht vor dem Ehebruch; oder aber sollen sie ihn mit Wasser mischen, was für den Durst wie für die Gesundheit zuträglich ist, und wodurch er seine schädliche Wirkung verliert. Dies wird, glaube ich, erreicht, wenn zu drei Teilen Wein ein Teil Wasser gemischt wird. Sehr schwierig aber ist es, sich zu hüten, daß man von dem vorgesetzten Wein nicht bis zur Sättigung trinke, wie dies der heilige Benediktus verlangt. Darum achten wir es für sicherer, wenn wir auch den Genuß bis zur Sättigung nicht verbieten, damit uns aus dem Verbot nicht eine neue Gefahr erwachse. Denn, wie wir schon wiederholt gesagt haben, nicht die Sättigung ist Sünde, sondern die Unmäßigkeit. Auch ist nichts dagegen einzuwenden, daß für Kranke gewürzte Weine bereitet werden, und daß sie ungemischten Wein bekommen. Doch im Konvent soll solcher nie getrunken werden, sondern allein von den Kranken.

Daß Brot aus reinem Weizenmehl gemacht werde, verbieten wir streng, vielmehr soll stets mindestens ein Dritteil gröberen Mehles darunter gemengt werden. Auch soll man das Brot nicht essen, solang es noch warm ist, sondern nur solches, das mindestens einen Tag alt ist. Die Fürsorge für die übrigen Nahrungsmittel soll die Äbtissin in der Weise treffen, daß sie mit dem, was billig und leicht zu haben ist, den Bedürfnissen des schwachen Geschlechts entgegenkommt. Denn wie thöricht wäre es, wenn wir bei andern Leuten kaufen wollten, was wir selber haben, und wenn wir draußen im Überfluß suchen wollten, was wir zu Hause zur Genüge haben! Wenn uns zu Gebote steht, was wir brauchen, warum sollten wir uns dann um das Überflüssige bemühen?

Zu dieser weisen Mäßigung werden wir nicht bloß durch menschliches Vorbild angehalten, sondern sogar durch dasjenige der Engel und des Herrn selbst, und wir sehen daraus, daß wir zur Befriedigung der Notdurft dieses Lebens nicht lange wählerisch sein sollen, was die Speisen anbelangt, sondern zufrieden sein mit dem, das da ist. So hat Abraham Fleisch zubereitet, und die Engel haben es gegessen, und als in der Wüste sich Fische vorfanden, hat Jesus damit das hungernde Volk gespeist. Daraus sehen wir deutlich, daß zwischen Fleisch und Fisch kein Unterschied zu machen und beides nicht zu verachten ist, und daß man das nehmen soll, woran keine Sünde hängt, was sich leicht und ohne große Umstände darbietet und am wenigsten kostet. Daher sagt auch Seneca, dieser große Freund der Armut und Enthaltsamkeit und unter allen Philosophen der größte Sittenlehrer: „Es ist unsere Aufgabe, der Natur gemäß zu leben. Der Natur zuwider ist es, seinen Körper zu quälen, kostenlose Reinlichkeit zu scheuen, den Schmutz aufzusuchen und Speisen zu sich zu nehmen, die nicht bloß einfach, sondern schlecht und ekelhaft sind. Wie es einerseits eine Üppigkeit ist, ausgesucht feine Dinge zu begehren, so ist es auch thöricht, sich bescheidene und leicht zu verschaffende Genüsse zu versagen. Mäßigkeit verlangt die Philosophie, nicht Kasteiung. Man kann auch eine geordnete Mäßigung walten lassen. Das ist die Art, die mir gefällt“. Daher auch Gregorius im 30. Buch seiner „Moralia“ lehrt, daß es für die Sitten der Menschen weniger auf die Beschaffenheit ihrer Nahrung als ihrer Gesinnung ankomme, und wo er die verschiedenen Gelüste des Gaumens unterscheidet, folgendes sagt: „Einmal verlangt man nach den ausgesuchtesten Speisen, ein andermal begehrt man das nächste Beste, aber gut zubereitet. Manchmal aber ist es etwas ganz Gewöhnliches, das man sich wünscht, und doch versündigt man sich dabei durch die unmäßige Gier, womit man danach trachtet“.

Das Volk, das aus Ägypten ausgeführt wurde, ist in der Wüste erlegen, weil es das Manna verschmähte und nach Fleisch verlangte, weil ihm dies schmackhafter erschien. Und Esau hat sein Erstgeburtsrecht verloren, weil er mit heißer Gier eine ganz gewöhnliche Speise, nämlich ein Linsengericht, begehrte; indem er sein Erstgeburtsrecht dafür drangab, hat er deutlich gezeigt, welch heftiges Verlangen er nach jener Speise hatte. Denn nicht an der Speise, sondern am Verlangen hängt die Sünde. Wir können die gewähltesten Speisen zu uns nehmen, ohne uns zu verschulden, und vielleicht die geringsten nicht ohne Gewissensbisse essen. Der eben erwähnte Esau hat durch ein elendes Linsengericht sein Erstgeburtsrecht verloren, Elias in der Wüste hat seine Tugend bewahrt, obwohl er Fleisch aß. Darum hat auch der alte Feind, wohl wissend, daß nicht die Speise selbst, sondern die Begierde danach die Ursache des Verderbens ist, den ersten Menschen nicht durch Fleisch, sondern durch einen Apfel in seine Gewalt gebracht, und den zweiten nicht mit Fleisch, sondern mit Brot versucht. Und so begehen wir oftmals die Sünde Adams, auch wenn wir geringe und gewöhnliche Kost zu uns nehmen.

Wir sollen also das zu unserer Nahrung wählen, was dem natürlichen Bedürfnis entspricht, nicht das, was unser Gelüste uns eingiebt. Unser Verlangen ist aber nach solchen Dingen weniger stark, von denen wir sehen, daß sie weniger kostbar und im Überfluß vorhanden sind und darum billig gekauft werden: wie dies bei der gewöhnlichen Fleischspeise der Fall ist, welche viel kräftiger ist als das Fleisch von Fischen, weniger kostet und leichter zuzubereiten ist.

Der Genuß von Fleisch und Wein liegt, wie die Ehe, in der Mitte zwischen gut und böse, d. h. diese Dinge werden für indifferent geachtet, wiewohl der eheliche Verkehr nicht ganz der Sünde bar ist, und der Wein mehr Gefahren in sich birgt als alle übrigen Nahrungsmittel. Aber wenn selbst der Wein, im rechten Maße genossen, dem gottgeweihten Stande nicht verboten wird, was brauchen wir dann von den anderen Nahrungsmitteln zu fürchten, wenn nur das richtige Maß auch bei ihrem Genuß nicht überschritten wird? Der heilige Benediktus sieht sich genötigt, bei einem Gegenstand, von dem er selbst sagt, daß er eigentlich für Mönche überhaupt nichts sei, in Rücksicht auf unsere Zeit, da die erste Liebe schon erkaltet ist, Zugeständnisse zu machen. Sollten wir also den Frauen nicht auch Freiheit lassen in Dingen, die ihnen bis jetzt überhaupt in keiner Regel verboten werden? Wenn die Bischöfe und Leiter der heiligen Kirche, wenn die Kleriker in ihren religiösen Gemeinschaften ohne Anstoß Fleisch essen dürfen, weil keine Regel sie bindet: wer wollte uns dann einen Vorwurf daraus machen, daß wir gegen die Frauen die gleiche Nachsicht üben, besonders da sie im übrigen größere Strenge bewahren? Es ist dem Jünger genug, daß er sei wie sein Meister, und es wäre eine große Thorheit, wenn man den Frauenklöstern versagen wollte, was den Mönchsklöstern erlaubt ist. Es ist schon genug, wenn die Frauen bei der sonstigen Strenge ihrer Regel, auch wenn sie in dem Einen Punkte des Fleischessens Freiheit haben, im übrigen nicht hinter der Frömmigkeit gläubiger Laien zurückbleiben, besonders da nach dem Zeugnis des Chrysostomus den Weltleuten nicht mehr erlaubt sein soll als den Mönchen, nur daß jene mit einer Frau leben dürfen. Auch der heilige Hieronymus, der den Stand der Weltgeistlichen nicht geringer achtet als den der Mönche, sagt: „Als ob nicht alles, was für die Mönche gilt, auch für die Weltgeistlichen zuträfe, die die Väter der Mönche sind“.

Wer wüßte auch nicht, daß es aller Vernunft widerstreitet, wenn man dem Schwachen die gleiche Last aufbürdet wie dem Starken, wenn man von Frauen dieselbe Abstinenz verlangt wie von Männern? Verlangt jemand hierüber außer dem Beweis, den die Natur selbst giebt, noch eine besondere Autorität, so möge er den heiligen Gregorius darüber hören. Dieser große Lenker und Lehrer der Kirche hat auch über diesen Gegenstand die übrigen Lehrer der Kirche genau unterwiesen und sagt im 24. Kapitel seines „Liber Pastoralis“ folgendes: „Anders sind die Männer zu ermahnen, anders die Frauen; jenen kann man Schweres zumuten, diesen nur Leichtes. Jene sollen sich in harter Übung bewähren, diese werden am besten durch leichte Lasten und durch sanften Zuspruch gewonnen. Denn was dem Starken eine leichte Sache ist, das dünkt dem Schwachen ein groß Ding“.

Freilich hat der Genuß von gewöhnlichem Fleisch weniger Reiz als das Fleisch von Fischen und Vögeln, die doch der heilige Benediktus auch nicht verbietet. Auch der Apostel unterscheidet mehrere Gattungen von Fleisch: „Nicht ist alles Fleisch einerlei Fleisch, sondern ein anderes Fleisch ist der Menschen, ein anderes des Viehes, ein anderes der Fische, ein anderes der Vögel“. Und das Gesetz schreibt für das Opfer zwar das Fleisch vom Vieh und Vogel vor, nicht aber das von Fischen, damit niemand glaube, es sei vor Gott reiner, Fische zu essen als Fleisch. Fische sind auch für die Armen schwieriger zu beschaffen und teurer, denn es giebt weniger, und ihr Fleisch ist nicht so kräftig; also auf der einen Seite ist es teurer, auf der andern erfüllt es seinen Zweck weniger gut.

Indem wir also zugleich die Auslagen und die Natur der Menschen berücksichtigen, verbieten wir von Nahrungsmitteln überhaupt nichts, nur in allem das Übermaß. Wir setzen den Genuß von Fleisch und anderen Nahrungsmitteln aber auf ein solches Maß herab, daß die Enthaltsamkeit der Nonnen, trotzdem ihnen alles erlaubt ist, dennoch sich mehr bewährt als die der Mönche, denen einiges verboten ist. Und so wollen wir den Genuß des Fleisches in der Weise beschränkt wissen, daß im Tag nicht mehr als einmal davon gegessen werden soll; auch darf nicht ein und dieselbe Person mehrere Fleischgerichte erhalten, Gemüse sollen nicht hinzugefügt werden und nicht öfters als dreimal in der Woche soll Fleisch erlaubt sein, nämlich am ersten, dritten und fünften Wochentage, wenn auch hohe Feste auf die andern Tage fallen. Denn je höher ein Fest ist, desto mehr soll es durch fromme Enthaltsamkeit gefeiert werden. Der berühmte Lehrer Gregorius von Nazianz ermahnt eindringlich dazu in seinem Buch: „Von der Lichtmesse oder den zweiten Epiphanien“, Kapitel III: „Den Festtag sollen wir feiern, nicht indem wir dem Bauche dienen, sondern indem wir uns freuen im Geist“. Derselbe sagt im 4. Kapitel des Buches „Über Pfingsten und den heiligen Geist“: „Und das ist unser Festtag: in die Schatzkammer der Seele etwas Dauerndes und Bleibendes sammeln, nicht was vorübergeht und verweht. Der Leib ist schon so sündhaft genug, er braucht keine reichlichere Nahrung; das wilde Tier würde durch üppigere Nahrung nur noch wilder und würde uns härter bedrängen“. Darum soll man ein Fest in geistlicher Weise feiern. Dieser Meinung ist auch der heilige Hieronymus, der Schüler des Gregor; er sagt in seinem Brief „Über die Annahme von Geschenken“: „Darum müssen wir uns sorgfältig davor hüten, daß wir den Festtag nicht durch reichliche Mahlzeit feiern, sondern durch freudige Erhebung des Geistes, denn es wäre gewiß verkehrt, durch Übersättigung einen Märtyrer ehren zu wollen, von dem wir wissen, daß er durch Fasten Gott wohlgefällig war“. Augustinus in seiner Schrift: „Über das Heilmittel der Buße“ sagt: „Siehe die Tausende von Märtyrern an! Warum feiert man ihren Todestag so gern mit schnöden Gelagen, die reinen Sitten ihres Lebens aber will man nicht nachahmen?“

Wenn es kein Fleisch giebt, so gestatten wir zwei Gerichte von irgendwelchem Gemüse, und auch Fische können dazu gegeben werden. Kostbare Gewürze sollen nicht zugesetzt werden, sondern die Schwestern sollen mit den Erzeugnissen des Landes zufrieden sein. Früchte soll es nur abends zu essen geben. Für die, deren Gesundheit es verlangt, können jederzeit Kräuter oder Wurzeln oder Früchte oder sonstige Heilmittel aufgetragen werden.

Ist eine fremde Nonne als Gast zugegen, so soll ihr aus gastfreundlicher Liebe eine Schüssel mehr verabreicht werden. Wenn sie will, kann sie davon auch den andern mitteilen. Die Gäste sollen an dem größeren Tisch Platz nehmen, und die Äbtissin soll sie bedienen und dann nachher mit den Schwestern, die bei Tische bedient haben, essen.

Will eine der Schwestern durch spärlichere Kost ihren Leib kasteien, so soll sie dazu die ausdrückliche Erlaubnis einholen, und diese darf ihr nicht versagt werden, wenn ihr Vorsatz nicht aus Leichtsinn, sondern aus wirklichem Ernst entsprungen zu sein scheint, und ihre Gesundheit voraussichtlich dabei keine Gefahr leidet. Keiner aber soll es gestattet sein, über diesem Zweck die Pflichten gegen den Konvent zu verabsäumen oder einen Tag ganz ohne Speise zu verbringen. Freitags sollen die Schwestern nie Fleischkost genießen, sondern sich mit der Fastenspeise begnügen, und auf diese Weise durch Enthaltsamkeit gewissermaßen an dem Leiden ihres Bräutigams teilnehmen, der an diesem Tag gelitten hat. Eine Unsitte, die in vielen Klöstern herrscht, ist mit aller Strenge zu bekämpfen: daß man nämlich an den übriggebliebenen Stückchen Brot, die den Armen zugehören, Hände und Messer reinigt und abwischt und, um die Tischtücher zu schonen, das Brot der Armen besudelt oder vielmehr das Brot desjenigen, der sich selber zu den Armen rechnend gesagt hat: „Was ihr gethan habt Einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir gethan“.

Was die Fasten betrifft, so mag für die Schwestern die allgemeine kirchliche Ordnung genügen; wir wollen sie in diesem Stück nicht schwerer belasten als die gläubigen Laien auch belastet sind, und wir nehmen es nicht auf uns, von ihrer Schwäche mehr zu verlangen als von dem starken Geschlecht. Doch glauben wir, daß von der Herbst-Tagundnachtgleiche bis Ostern wegen der Kürze der Tage Eine Mahlzeit täglich genügen wird. Wir verordnen dies wegen der kurzen Dauer des Tages, nicht um zum Fasten zu veranlassen, und machen dabei in den verschiedenen Arten der Speisen keinen Unterschied.

Das Prunken mit Kleidern, das die Schrift überall verwirft, soll durchaus vermieden werden. Der Herr warnt uns ausdrücklich davor, indem er den reichen Mann derhalben tadelt und dagegen die Einfachheit des Johannes lobt. Daher der heilige Gregorius in seiner vierten Homilie über die Evangelien sagt: „Was will jenes Wort: ‚Die da reiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern‘, anders, als klar und deutlich zeigen, daß für das irdische, nicht für das himmlische Reich kämpft, wer, statt um Gottes willen zu leiden, allen Härten aus dem Wege geht und nur den Außendingen ergeben die Weichlichkeit und den Genuß dieses Lebens sucht?“ Ebenso in der elften Homilie: „Es giebt Leute, welche das Tragen von feinen kostbaren Kleidern nicht für Sünde halten. Und doch, wenn keine Schuld damit verbunden wäre, so würde der Herr in seinem Gleichnis nicht so ausdrücklich davon reden, daß der Reiche, der zur Hölle verdammt wurde, mit Purpur und Seide angethan war. Denn niemand schafft sich kostbare Gewänder an, wenn er nicht eitlen Prunk entfalten und vornehmer scheinen will als andere Leute. Nur um eitlen Prunkes willen ist man auf kostbare Gewänder aus. Der beste Beweis dafür ist der Umstand, daß niemand sich kostbar kleidet, wenn er sich nicht vor anderen sehen lassen kann“.

Auch Petrus in seinem ersten Brief warnt weltliche verheiratete Frauen vor dieser Untugend: „Desselbigengleichen sollen die Weiber ihren Männern unterthan sein, auf daß auch die, so nicht glauben an das Wort, durch der Weiber Wandel ohne Wort gewonnen werden, wenn sie ansehen euren keuschen Wandel in der Furcht. Welcher Geschmuck soll nicht auswendig sein mit Haarflechten und Goldumhängen oder Kleider anlegen, sondern der verborgene Mensch des Herzens unverrückt mit sanftem und stillem Geiste, das ist köstlich vor Gott“.

Mit Recht glaubte der Apostel, mehr die Frauen als die Männer vor dieser Eitelkeit warnen zu müssen, denn der ersteren unsteter Sinn begehrt lebhafter nach Dingen, die ihrer Üppigkeit Nahrung zuführen. Wenn aber schon weltlichen Frauen in diesem Hang Einhalt gethan wird, was wird dann denen ziemen, die sich Christo geweiht haben, deren Schmuck eben darin besteht, daß sie schmucklos sind? Darum, wer von ihnen nach solchem Schmuck trachtet und ihn nicht zurückweist, wenn er ihr angeboten wird: die verliert den Ehrentitel der Keuschheit. Von einer solchen mag man denken, sie rüste sich nicht zum Gebet, sondern zur Unzucht, sie ist nicht einer Nonne, sondern einer Dirne gleich zu achten, der ihr Schmuck zum Herold für ihre Unkeuschheit dient und ihr buhlerisches Herz verrät, wie geschrieben steht: „Denn seine Kleidung, Lachen und Gang zeigen ihn an“.

Wir lesen, daß der Herr an Johannes, wie schon erwähnt, die Dürftigkeit und Rauheit seiner Kleidung mehr lobte als die seiner Nahrung: „Was seid ihr hinausgegangen zu sehen“, sagt er, „wolltet ihr einen Menschen in reichen Kleidern sehen?“ Denn der Genuß ausgesuchter Speisen hat manchmal einen nützlichen Zweck und ist darum zu entschuldigen, was bei den Kleidern nicht der Fall ist. Je kostbarer sie sind, desto mehr muß man acht auf sie geben, desto weniger sind sie etwas nütze, desto teurer kommen sie zu stehen; je feiner der Stoff, desto empfindlicher sind sie und desto weniger Schutz gewähren sie dem Körper.

Für die ernste Tracht der Buße ist kein Stoff geeigneter als der schwarze, und kein Pelzwerk kleidet die Bräute Christi besser als das der Lämmer: so zeigen sie schon durch ihr Gewand, daß sie das Lamm, das den Jungfrauen verlobt ist, angezogen haben oder anziehen sollen.

Die Schleier sollen nicht aus Seide, sondern aus einem gefärbten Linnenstoff sein. Zwei Arten von Schleiern sind zu unterscheiden: die einen für die Jungfrauen, welche ihr Gelübde schon abgelegt, die andern für solche, die dies noch nicht gethan haben. Die Schleier der geweihten Jungfrauen sollen mit dem Kreuz gezeichnet sein. Dies Zeichen soll bedeuten, daß sie mit der Unberührtheit auch ihres Leibes ganz und gar Christo angehören, und wie sie durch ihre Weihe von den übrigen sich unterscheiden, so soll auch ihr Gewand ein besonderes Zeichen tragen, das die Gläubigen abschrecken soll, ein irdisches Verlangen nach ihnen zu tragen. Dieses Zeichen jungfräulicher Reinheit, aus weißem Faden genäht, soll die Jungfrau auf dem Haupte tragen, aber nicht eher als bis sie vom Bischof die Weihe empfangen hat: kein anderer Schleier soll dieses Zeichen tragen.

Auf dem bloßen Leib sollen die Schwestern reine Hemden tragen, und auch in denselben schlafen. Auch wollen wir in Anbetracht ihrer schwachen Natur den Gebrauch von Matratzen und Betttüchern nicht verbieten. Jede aber soll für sich schlafen und essen. Keine soll sich beschweren, wenn Kleider oder sonstige Dinge, die ihr von andern überlassen wurden, einer Schwester zugewiesen werden, die sie mehr nötig hat. Vielmehr soll sie sich darüber freuen, daß ihr die Bedürftigkeit ihrer Schwester eine Gelegenheit zum Almosen gegeben hat, und soll daran denken, daß sie nicht für sich, sondern für andere lebt. Wo nicht, so gehört sie auch nicht zu der heiligen Genossenschaft und ist schuldig des Frevels, eigenen Besitz zu haben.

Zur Bekleidung des Körpers scheint uns zu genügen ein Hemd, ein Pelz, ein Gewand, und wenn es sehr kalt ist, darüber ein Mantel. Diesen können die Schwestern beim Schlafen auch als Decke benutzen. Wegen des Ungeziefers und wegen notwendiger Reinigung sollen alle diese Kleidungsstücke doppelt gehalten werden, so wie Salomo in seinem Lob der wackeren und sorgsamen Hausfrau sagt: „Sie fürchtet ihres Hauses nicht vor dem Schnee, denn ihr ganzes Haus hat zwiefache Kleider“. Die Kleider sollen der Länge nach nicht weiter als bis zum Absatz reichen, damit kein Staub aufgewirbelt wird. Die Ärmel sollen nicht länger sein als Arm und Hand zusammen. Die Beine und Füße sollen mit Schuhen und Strümpfen bekleidet sein, und nie sollen die Schwestern barfuß gehen, auch nicht unter dem Vorwand der Frömmigkeit. Für die Betten genügt eine Matratze, ein Polster, ein Kissen, eine Decke und ein Leintuch. Auf dem Kopf sollen die Schwestern eine weiße Binde tragen, darüber einen schwarzen Schleier, und wo es nötig ist, auf der Tonsur eine Mütze aus Lammfell.

Aber nicht allein bei Nahrung und Kleidung soll alles Überflüssige gemieden werden, sondern auch an den Gebäuden und sonstigen Besitzungen. An den Gebäuden zeigt es sich deutlich, ob sie größer oder schöner angelegt sind als ihr Zweck es erfordert, oder ob wir, mit Werken der Bildhauerkunst und der Malerei sie schmückend, Königspaläste bauen, statt Hütten der Armut. „Des Menschen Sohn,“ sagt Hieronymus, „hat nicht, da er sein Haupt hinlege, und du baust weite Hallen und deckst gewaltige Häuser ein?“ Wenn wir uns teure und schöne Pferde halten, so ist das nicht bloß Überfluß, sondern eitler Übermut. Mit unsern Herden und unserm Landbesitz wächst unser Hunger nach äußerem Gut, und je mehr wir auf dieser Erde besitzen, desto mehr müssen sich unsere Gedanken damit beschäftigen und werden von der Betrachtung der himmlischen Dinge abgezogen. Und ob wir auch den Leib hinter Klostermauern verschließen, die Seele muß doch dem nachgehen, was draußen ist und was sie liebt, und zerstreut sich dahin und dorthin. Je mehr Besitztum wir verlieren können, desto größer die Furcht, die uns quält; je kostbarer der Besitz, desto mehr hängt man an ihm, desto mehr fesselt er das arme Herz an sich.

Darum ist dafür zu sorgen, daß wir unserem Haus und unserem Vermögen eine bestimmte Grenze setzen und nichts, was nicht notwendig ist, begehren, annehmen oder zurückbehalten. Denn alles was über das eigentliche Bedürfnis hinausgeht, besitzen wir nur wie einen Raub und machen uns schuldig am Tode so vieler Armen als wir mit unserem Überfluß hätten erhalten können. Jedes Jahr also, nachdem die Früchte eingeerntet sind, ist der Bedarf des Jahres zu überschlagen; was übrig bleibt, das soll den Armen geschenkt oder vielmehr zurückgegeben werden.

Es giebt Leute, die, der weisen Mäßigung vergessend, sich ihrer zahlreichen Familie freuen, während sie doch nur wenig Einkünfte haben. Fällt ihnen nun die Unterhaltung derselben schwer, so fangen sie an, in unverschämter Weise zu betteln oder andern mit Gewalt zu nehmen, was sie brauchen. Wir haben mit den Vätern mancher Klöster ähnliche Erfahrungen gemacht: sie rühmen sich ihres zahlreichen Konventes, sehen nur darauf, viele, nicht aber gute Söhne zu haben und halten sich für etwas Besonderes, wenn sie unter vielen die größten sind. Sie ziehen die Leute in ihre Behausungen, versprechen ihnen gute Tage, da sie ihnen doch ein hartes Leben ankündigen sollten, und weil sie ungeprüft und ohne Unterschied jeden aufnehmen, so verlieren sie ihre Leute wieder durch Abfall. Gegen solche, wenn ich recht sehe, richtet sich die „Wahrheit“ in dem Wort: „Wehe euch, die ihr Land und Wasser umziehet, daß ihr einen Judengenossen machet; und wenn er’s worden ist, machet ihr aus ihm ein Kind der Hölle, zwiefältig mehr, denn ihr seid“. Gewiß würden sie ihren Ruhm weniger in einer großen Menge suchen, wenn sie statt der Zahl mehr das Heil der Seelen im Auge hätten und wenn sie sich nicht mehr Kraft zur Leitung einer Gemeinschaft zutrauten, als sie haben. Der Herr hat nur wenige Jünger erwählt, und doch ist auch von diesen wenigen einer abgefallen, so daß der Herr selbst sagte: „Habe ich nicht euch Zwölfe erwählt und eurer Einer ist ein Teufel?“ Und wie Judas aus der Zahl der Apostel, so ging von den sieben Diakonen Nikolaus verloren. Und als die Apostel erst wenige um sich gesammelt hatten, haben Ananias und Sapphira sich die Todesstrafe zugezogen. Auch beim Herrn selbst blieb nur eine kleine Schar zurück, während viele seiner Jünger hinter sich gingen. Denn der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenig ist ihrer, die darauf wandeln. Dagegen ist der breit und geräumig, der zum Tode führt, und viele sind, die sich nach ihm drängen. Darum bezeugt der Herr selbst ein andermal: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt“. Und Salomo sagt: „Der Narren Zahl hat kein Ende“.

Darum hüte sich jeder, der sich der Menge der Untergebenen freut, daß nicht unter ihnen nach dem Worte des Herrn wenig Auserwählte seien, und daß ihm nicht, während er seine Herde maßlos vermehrt, die Kräfte zu ihrer Überwachung fehlen; sonst möchten ihm geistlich Gesinnte das Wort des Propheten vorhalten: „Du hast dein Volk gemehrt, aber seine Freude hast du nicht erhöht“. Solche Leute müssen, um ihre und der Ihrigen Angelegenheiten zu besorgen, oftmals auswärts gehen, in die Welt zurückkehren und sie bettelnd durchstreifen. Sie verwickeln sich in zeitliche Sorgen und vergessen das Ewige und holen sich oft mehr Schande als Ruhm. Dies wäre für die Frauen eine um so größere Schande, als es für sie mit Gefahren verbunden ist, wenn sie in der Welt herumziehen.

Darum, wer in Ruhe und Ehrbarkeit leben, für den Dienst des Herrn Zeit behalten und vor Gott und den Menschen wohlgefällig sein will, der scheue sich zu sammeln, was er nicht unterhalten kann und rechne bei seinen Ausgaben nicht auf den Geldbeutel anderer Leute; er trachte danach, Almosen auszuteilen, nicht einzusammeln. Paulus, der gewaltige Prediger des Evangeliums, obwohl er Macht hat, von seiner Predigt zu leben, lebt von seiner Hände Arbeit, um niemand lästig zu fallen und seines Ruhmes nicht verlustig zu gehen. Sollten also wir, die wir nicht predigen, sondern über die Sünde trauern, die Kühnheit oder Schamlosigkeit haben, zu betteln, um die, die wir gedankenlos aufgenommen haben, zu unterhalten? Gehen wir doch schon so weit in wahnsinniger Verblendung, daß wir, weil wir nicht selbst predigen können, andere Prediger für Geld werben, und diese Lügenapostel führen wir mit uns herum und tragen unsere Kreuze und Reliquien bei uns und verkaufen dies samt dem Worte Gottes, ja selbst des Teufels Blendwerk, an die einfältigen bornierten Christenleute und versprechen ihnen um Geld alles, was sie wollen.

Jedermann weiß, wie sehr bereits unser Stand und die Predigt des göttlichen Wortes in Mißachtung gefallen ist um dieser schamlosen Habgier willen, die nur das Ihre sucht, nicht das was Jesu Christi ist. Ja, auch die Äbte und Obersten der Klöster machen sich in aufdringlicher Weise an die weltlichen Fürsten und ihre Höfe und finden sich bereits im fleischlichen Leben besser zurecht als im klösterlichen. Nach Menschengunst mit allen Künsten jagend verstehen sie sich besser darauf, mit den Menschen zu verhandeln, als mit Gott zu reden. Jene Warnung des heiligen Antonius lesen sie — wie oft! — vergebens und schlagen sie in den Wind, oder hören sie zwar, befolgen sie aber nicht. Er sagt: „Wie der Fisch auf trockenem Lande stirbt, so wird der Mönch, der außer seiner Zelle verzieht und mit Weltleuten verkehrt, seinem beschaulichen Lebensberuf entfremdet“. Darum: wie der Fisch zum Meer, so müssen wir zu unserer Zelle zurückeilen, damit wir nicht über dem Draußen vergessen, unser Inneres zu hüten.

Auch der Urheber der Klosterregel selbst, der heilige Benediktus, hat durch Wort und That deutlich gezeigt, wie es sein Wunsch sei, daß die Äbte dauernd in ihrem Kloster anwesend seien und sorglich über ihre Herde wachen. Als er nämlich einmal das Kloster verlassen hatte, um seine fromme Schwester zu besuchen, und diese ihn nur Eine Nacht zu erbaulichem Gespräch zurückhalten wollte, sagte er offen, er dürfe durchaus nicht außerhalb des Klosters bleiben. Er sagt nicht: „wir dürfen nicht“, sondern: „ich darf nicht“; denn die Brüder durften es mit seiner Erlaubnis, er selbst aber nicht, es sei denn, daß ihm hierüber, wie dies später geschah, von Gott eine besondere Offenbarung zu teil wurde. Darum steht auch in seiner Regel nirgends etwas vom Ausgehen des Abtes, sondern nur von dem der Brüder. Für die ständige Anwesenheit des Abtes sorgt er so vorsichtig, daß er eine Vorschrift hat, wonach an den Vigilien der Sonn- und Feiertage die Verlesung des Evangeliums und was damit zusammenhängt, nur vom Abt verrichtet werden darf. Er bestimmt auch, daß der Abt stets mit den Pilgern und Gästen zu Tische sitzen solle, und wenn keine Gäste da sind, soll er von den Brüdern an seine Seite rufen, wen er will, und die andern unter der Aufsicht eines oder zweier Ältesten lassen. Daraus geht deutlich sein Wille hervor, daß der Abt zur Essenszeit stets im Kloster sein soll und nicht, an die leckeren Schüsseln der Großen gewöhnt, die Klosterbrüder beim trockenen Brot zurücklasse. Von solchen Menschen sagt die „Wahrheit“: „Sie binden schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf den Hals; aber sie wollen dieselben nicht mit einem Finger regen“. Und ein andermal von den falschen Predigern: „Hütet euch vor den falschen Propheten, die zu euch kommen. Sie kommen von sich aus, nicht von Gott gesandt und haben keinen Auftrag von ihm“.

Johannes der Täufer, unser Oberhaupt, hatte durch seine Geburt ein Recht auf das Hohepriestertum; aber er entwich aus der Stadt in die Wüste und gab das hohepriesterliche Amt für das Mönchsleben, die Stadt für die Wüste dran. Und das Volk ging zu ihm hinaus, nicht er kam zum Volke. Obwohl er so groß war, daß man glaubte, er sei Christus, und er in den Städten viel Gutes hätte wirken können: er lag schon in jenem Bettlein, von dem aus er für den klopfenden Freund die Antwort bereit hatte: „Ich habe meinen Rock ausgezogen, wie soll ich ihn wieder anziehen? Ich habe meine Füße gewaschen, wie soll ich sie wieder besudeln?“

Darum jeder, der sich nach der Abgeschiedenheit klösterlicher Ruhe sehnt, der freue sich seines Bettes, vielmehr seines Bettlein. Denn von Einem Bett, sagt die „Wahrheit“, wird der eine angenommen, der andere wird verlassen werden. Ein Bettlein aber hat die Braut, d. h. die beschauliche Seele, die mit Christus aufs engste verbunden ist und mit höchstem Verlangen an ihm hängt. Von niemand, der da hineinging, lesen wir, daß er verlassen worden sei. Die Braut selber sagt davon: „Ich suchte des Nachts in meinem Bettlein, den meine Seele liebet“. Dieses Bettlein ist es auch, von welchem aufzustehen sie sich weigert oder sich scheut, und von wo aus sie dem klopfenden Freund die oben angeführten Worte zuruft. Denn außer ihrem Bett, glaubt sie, sei der Schmutz, mit dem sie die Füße zu besudeln fürchtet. Dina ist hinausgegangen, um die Fremden zu sehen, und hat ihre Ehre dabei verloren. Und jener gefangene Mönch Malchus hat nachher an sich selbst erfahren, was sein Abt ihm vorausgesagt hatte: ein Schaf, das den Schafstall verläßt, fällt leicht dem Wolf zum Opfer.

Darum wollen wir keine zu große Gemeinschaft sammeln, deren Bedürfnisse uns Gelegenheit geben, ja uns nötigen, auswärts zu gehen: wir würden sonst andere gewinnen und selber dabei Schaden nehmen nach Art des Bleis, das sich verzehren lassen muß, damit das Silber im Tiegel erhalten bleibe. Fürchten wir uns vielmehr davor, daß nicht Blei und Silber zugleich vom heftigen Feuer der Anfechtungen verzehrt werde. Die „Wahrheit“, wird man uns entgegnen, hat gesagt: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinauswerfen“. Auch wir wollen nicht hinauswerfen, wen wir einmal aufgenommen haben, aber wir wollen bei der Aufnahme vorsichtig sein: nicht daß wir uns selber hinauswerfen, während wir sie hereinnehmen. Denn auch der Herr selbst, so lesen wir, hat nicht einen bereits Aufgenommenen hinausgeworfen, sondern er hat einen, der sich ihm antrug, zurückgewiesen. Als der ihm sagte: „Meister, ich will dir folgen, wohin du gehst,“ hat er ihm geantwortet: „Die Füchse haben Gruben“ u. s. w. Er ermahnt uns auch dringend, wenn wir etwas auszuführen gedenken, vorher die Kosten, die zur Unternehmung notwendig sind, zu überschlagen, indem er sagt: „Wer ist aber unter euch, der einen Turm bauen will, und sitzt nicht zuvor, und überschlägt die Kosten, ob er’s habe hinauszuführen? Auf daß nicht, wo er den Grund gelegt hat und kann’s nicht hinausführen, alle, die es sehen, fahen an, seiner zu spotten. Und sagen: ‚dieser Mensch hub an zu bauen, und kann es nicht hinausführen‘“. Es ist schon viel, wenn einer für sein eigen Heil zu sorgen weiß, und gefährlich ist’s, wenn einer für viele sorgen soll, der kaum sich selber zu behüten fertig wird. Im Bewahren aber ist nur der gewissenhaft, der beim Aufnehmen ängstlich war, und niemand bleibt so fest bei dem, was er einmal angefangen, wie der, der langsam und vorsichtig drangegangen ist. Frauen aber sollten in diesem Stück um so vorsichtiger sein, als sie in ihrer Schwachheit weniger schwere Lasten zu tragen vermögen und ihnen Ruhe ganz besonders notthut.

Die Heilige Schrift ist ein Spiegel der Seele. Ja gewiß: wer in ihr lesend lebt und ihr Verständnis sich zu Nutzen macht, der erkennt aus ihr die Schönheit seiner Sitten oder wird ihrer Häßlichkeit gewahr, so daß er jene mehren, diese beseitigen kann. An diesen Spiegel erinnert uns der heilige Gregorius im zweiten Kapitel seiner „Moralia“: „Die Heilige Schrift wird unserem geistigen Auge vorgehalten wie ein Spiegel, daß wir darin unser inneres Gesicht wahrnehmen können. Hier erkennen wir unsere häßlichen wie unsere schönen Züge. Hier merken wir, was für Fortschritte wir gemacht haben und wie weit wir vom Fortschritt entfernt sind“. Wer aber die Heilige Schrift ansieht, ohne sie zu verstehen, dem geht es wie dem Blinden, der sich einen Spiegel vor die Augen hält, ohne daß er sich darin sehen kann; ein solcher sucht nicht Belehrung aus der Schrift, wiewohl sie doch eben dazu da ist. Er sitzt müßig vor der Schrift, wie der Esel vor der Leier. Er gleicht dem Hungernden, der ein Brot vor sich hat und sich doch nicht damit sättigen kann. Ihm ist das Wort Gottes eine unnütze Speise, mit der er nichts anzufangen weiß, weil er weder selbst mit dem Verstand in sie eindringen kann, noch auch ein anderer sie ihm mundgerecht macht, indem er ihn belehrt.

Darum sagt auch der Apostel, indem er uns zum Studium der Schrift im allgemeinen ermahnt: „Was aber geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf daß wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben“. Und an anderer Stelle: „Werdet voll heiligen Geistes und redet untereinander in Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern“. Mit sich selber nämlich redet, wer versteht, was er vorbringt und aus seinen Worten Nutzen zu ziehen weiß. Derselbe Apostel schreibt an Timotheus: „Halt an mit Lesen, mit Ermahnen, mit Lehren, bis ich komme“. Und wiederum: „Du aber bleibe in dem, das du gelernet hast und dir vertrauet ist, sintemal du weißest, von wem du gelernet hast. Und weil du von Kind auf die Heilige Schrift weißest, kann dich dieselbige unterweisen zur Seligkeit durch den Glauben an Christum Jesum. Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, daß ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werk geschickt“. Auch die Korinther ermahnt der Apostel zum Studium der Schrift, damit sie, was andere über die Schrift sagen, auslegen können: „Strebet nach der Liebe. Fleißiget euch der geistlichen Gaben, am meisten aber, daß ihr weissagen möget. Denn der mit Zungen redet, der redet nicht den Menschen, sondern Gott; wer aber weissaget, der bessert die Gemeinde. Darum, wer mit Zungen redet, der bete also, daß er’s auch auslege. Ich will beten mit dem Geist und will beten auch im Sinn; ich will Psalmen singen im Geist und will auch Psalmen singen mit dem Sinn. Wenn du aber segnest im Geist, wie soll der, so an Statt des Laien stehet, Amen sagen auf deine Danksagung, sintemal er nicht weiß, was du sagest? Du danksagest wohl fein, aber der andere wird nicht davon gebessert. Ich danke meinem Gott, daß ich mehr mit Zungen rede denn ihr alle. Aber ich will in der Gemeine lieber fünf Worte reden mit meinem Sinn, auf daß ich auch andere unterweise, denn sonst zehntausend Worte mit Zungen. Liebe Brüder, werdet nicht Kinder an dem Verständnis, sondern an der Bosheit seid Kinder, an dem Verständnis aber seid vollkommen“.

Zungen reden heißt: bloße Worte ausstoßen, ohne sie durch Auslegung verständlich zu machen. Weissagen oder auslegen heißt: nach Art der Propheten, welche Seher, d. h. Einsehende genannt werden, verstehen was man sagt, so daß man es auch anderen auslegen kann. Im Geiste betet oder singt Psalmen, wer nur hörbare Laute von sich giebt, ohne einen verständigen Sinn damit zu verbinden. Wenn aber unser Geist betet, d. h. wenn wir nur zusammenhangslose Laute hervorbringen, ohne mit dem Herzen zu fassen, was die Lippen sprechen, so bleibt unsere Seele ohne die Frucht, die sie doch vom Gebet haben sollte: nämlich, daß sie durch den Sinn der ausgesprochenen Worte zur Sehnsucht und zum Verlangen nach Gott entflammt würde.

Darum ermahnt uns der Apostel, wir sollen unsere Reden so gestalten, daß wir nicht, wie so viele andere, nur Laute hervorbringen, sondern auch einen Sinn damit verbinden, und er will nicht, daß wir anders beten oder Psalmen singen, weil dies ohne Frucht bleibe. Darin folgt ihm auch der heilige Benedikt, wenn er sagt: „Wir sollen in solcher Verfassung Psalmen singen, daß unser Geist mit dem, was wir singen, übereinstimmt“. Dies verlangt auch der Psalmist mit dem Wort: „Lobsinget mit Verstand“. Den Worten und Lauten soll die Würze des vernünftigen Sinnes nicht fehlen, damit wir in Wahrheit zum Herrn sprechen können: „Wie lieblich sind deine Worte in meinem Munde“. Und an anderer Stelle: „Nicht mit Flöten wird der Mann sich angenehm machen vor Gott“. Nämlich die Flöte ertönt zu Lustbarkeit und Vergnügen, nicht zu ernstem Nachdenken. Daher man von denen, die von ihrer eigenen Musik so entzückt sind, daß sie die Erbauung des Verstandes darüber vergessen, mit Recht sagen kann: sie spielen die Flöte, ohne damit Gott zu gefallen. Wie soll man, sagt der Apostel, zu den Gebeten in der Kirche Amen sagen, wenn man nicht versteht, was gebetet wird, und nicht weiß, ob es etwas Gutes oder etwas Schlimmes ist, um was man betet. So erleben wir’s ja oft, daß Laien, die den Sinn der Worte nicht verstehen, in der Kirche aus Irrtum sich selbst Böses erflehen, statt Gutes: wenn es z. B. heißt: „Laß uns so durch das Zeitliche gehen, ut non amittamus aeterna“[4] — werden manche durch den ähnlich klingenden Laut irregeführt und sagen: „ut nos amittamus aeterna“[5] oder: „ut non admittamus aeterna“.[6] Dieser Gefahr will der Apostel vorbeugen mit den Worten: „Wenn du aber segnest im Geist“, d. h. wenn du beim Segnen nur unverständliche Laute von dir giebst, „wie soll der, so an Statt des Laien stehet, Amen sagen?“, d. h. wer von den Assistierenden, deren Aufgabe es ist, an Stelle der Laien zu antworten, wird dann antworten können? „Wie soll er Amen sagen?“, weiß er doch nicht, ob er es zu einem Segen oder zu einem Fluch sagt. Endlich, wer die Schrift nicht versteht, wie kann sich der am Wort erbauen, wie soll er die Regel auslegen und verstehen, oder verbessern, was unrichtig ist?

Darum sind wir auch nicht wenig erstaunt, daß man in den Klöstern, einer Eingebung des Teufels folgend, keine Studien zum Verständnis der Schrift treibt, sondern nur zum Gesang und zum Aussprechen der Wörter, nicht aber zum Verstehen derselben Anleitung giebt: als ob das Blöken der Schafe wichtiger wäre als das Weiden. Denn das Verständnis der Heiligen Schrift ist die Speise und geistliche Erquickung der Seele. Darum läßt der Herr den Ezechiel, ehe er ihn zum Predigen bestimmt, ein Buch verschlingen, das alsbald in seinem Munde ward wie süßer Honig. Von dieser Speise redet auch Jeremia: „Die jungen Kinder heischen Brot und ist niemand, der es ihnen breche“. Den Kindern nämlich bricht Brot, wer den Sinn der Schrift den Einfältigen eröffnet. Und diese Kinder, die verlangen, daß man ihnen das Brot breche, das sind die, die ihr Herz sättigen wollen am Verständnis der Schrift, wie der Herr an einer andern Stelle bezeugt: „Ich werde einen Hunger ins Land schicken, nicht einen Hunger nach Brot oder Durst nach Wasser, sondern nach dem Worte des Herrn, zu hören“. Dagegen aber hat der alte Feind einen Hunger und Durst, zu hören Menschenworte und das Geräusch der Welt, in die Mauern der Klöster geschickt, also daß über eitlem Geschwätz das Wort Gottes uns entleidet, zumal es uns ohne die Süßigkeit und Würze des Verständnisses ungenießbar erscheint. Daher sagt der Psalmist, wie oben erwähnt: „Wie lieblich sind deine Worte in meinem Munde. Dein Wort ist meinem Munde süßer denn Honig“. Worin diese Süßigkeit bestehe, fügt er sogleich hinzu: „Dein Wort macht mich klug“. Das heißt: aus deinem Wort, nicht aus Menschenworten, habe ich Klugheit gelernt, dein Wort hat mich unterrichtet und belehrt. Auch was die Frucht dieses Verständnisses betrifft, fügt er hinzu: „Darum hasse ich alle falschen Wege“. Viele bösen Wege sind an sich schon so deutlich als solche zu erkennen, daß alle sie von selbst hassen und verabscheuen; aber alle bösen Wege können wir mit Hilfe des göttlichen Wortes erkennen und meiden. Daher auch das Wort: „Deine Worte sind in meinem Herzen geborgen, daß ich mich nicht an dir versündige“. In unserem Herzen sind sie geborgen und tönen nicht von unsern Lippen, wenn wir durch stilles Nachdenken zu ihrem Verständnis gekommen sind. Je weniger wir nach diesem Verständnis trachten, desto weniger vermögen wir die bösen Wege zu erkennen und zu meiden und uns vor der Sünde zu hüten.

Eine Versäumnis in dieser Hinsicht ist namentlich Mönchen, die nach Vollkommenheit streben sollen, schwer anzurechnen, denn sie können die Belehrung leichter haben, da ihnen eine Menge heiliger Bücher zu Gebote steht und sie Zeit und Ruhe genug dazu haben. Jener Alte in dem Buch „Leben der Altväter“ tadelt mit Recht diejenigen, welche die Menge der Schriftsteller rühmen, aber zum Lesen derselben keine Zeit finden. „Die Propheten,“ sagt er, „haben Bücher geschrieben, und nach ihnen sind unsere Väter gekommen und haben über diesen Büchern gearbeitet. Ihre Nachfolger haben sie dem Gedächtnis der Nachwelt empfohlen. Dann ist das heutige Geschlecht gekommen und hat die Bücher abgeschrieben auf Papier und Pergament und hat sie unbenutzt in den Fächern liegen lassen.“ Auch der Vater Palladius mahnt uns dringend zum Lernen wie zum Lehren: „Eine Seele, die nach dem Willen Christi beschaffen sein will, muß fleißig lernen, was sie nicht weiß und frei lehren, was sie erkannt hat“. Wenn sie aber beides, obwohl sie könnte, nicht will, dann leidet sie an Wahnsinn. Denn der Anfang des Abfalls von Gott ist der Ekel an der Wissenschaft, und wie kann man Gott lieben, wenn man nicht begehrt, wonach die Seele allezeit hungert?

Auch dem heiligen Anastasius ist das Lernen und Studieren so wichtig, daß er in seiner Mahnung an die Mönche den Rat giebt, die religiösen Übungen damit zu unterbrechen. „Ich will den Weg unserer Lebensweise vorzeichnen,“ sagt er; „das erste ist die Sorge für die Abstinenz, Geduld im Fasten, Anhalten am Gebet und Fleiß im Lesen, oder wenn einer der Schrift noch nicht mächtig ist, im Zuhören, gefördert durch das Verlangen, zu lernen. Das ist gleichsam das erste Kinderspielzeug in die Wiege derer, die noch Säuglinge sind in der Gotteserkenntnis.“ Nach einigen weiteren Sätzen sagt er dann zuerst: „am Gebet soll man also anhalten, daß dasselbe fast keine Unterbrechung erleidet“; dann aber fügt er hinzu: „Wenn möglich, sollen die Gebete nur durch Lesen unterbrochen werden“. Auch der Apostel Petrus sagt dasselbe in seiner Mahnung: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung jedermann, der Grund fordert der Hoffnung, die in euch ist“. Und der Apostel Paulus sagt: „Wir hören nicht auf zu beten, daß ihr erfüllet werdet mit Erkenntnis seines Willens in allerlei geistlicher Weisheit und Verstand“; und weiter: „Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit“.

Auch im Alten Testament wird den Menschen in ähnlicher Weise eingeschärft, sich mit den heiligen Geboten vertraut zu machen. Denn so spricht David: „Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzet, da die Spötter sitzen; sondern hat Lust zum Gesetz des Herrn“. Und zu Josua, dem Sohne Nuns, sagt der Herr: „Laß das Buch dieses Gesetzes nicht aus deinen Händen kommen, sondern betrachte es Tag und Nacht“.

Freilich drängen sich oft auch in diese fromme Beschäftigung unheilige verführerische Gedanken ein, und ob wir auch unsern Geist mit allem Eifer auf Gott gerichtet haben, so macht uns doch die Sorge dieser Welt zu schaffen. Und wenn derjenige solchen Anfechtungen ausgesetzt ist, der in Erfüllung seines heiligen Berufes begriffen ist, dann wird jedenfalls der Müßige ihnen auch nicht entgehen. Der heilige Papst Gregorius sagt im 19. Kapitel seiner „Moralia“: „Mit Seufzen sehen wir jetzt Zeiten anbrechen, da viele, die einen kirchlichen Beruf haben, entweder ihr Thun nicht nach dem, was sie wissen, einrichten wollen, oder aber überhaupt verschmähen, das Wort Gottes kennen zu lernen und zu verstehen. Sie verschließen ihr Ohr vor der Wahrheit und wenden sich den Fabeleien zu; denn sie suchen alle das Ihre, nicht was Jesu Christi ist. Überall tritt uns das Wort Gottes vor die Augen, aber die Menschen mögen es nicht kennen lernen. Fast keiner begehrt zu wissen, was er glaubt“.

Und doch ermahnen uns dazu die Klosterregeln, wie die Vorbilder der heiligen Väter. Der heilige Benediktus giebt über das Lehren und Lernen des Gesangs keine bestimmte Vorschrift, wohl aber hat er genaue Bestimmungen über das Lesen. Er setzt für das Lesen wie für die Arbeit eine bestimmte Zeit genau fest und ist für die Übung im Lesen und Schreiben so besorgt, daß er unter den notwendigen Gegenständen, die der Mönch von seinem Abt anzusprechen hat, auch Feder und Papier nicht vergißt. Er hat unter anderem die Bestimmung, daß bei Beginn der Fasten jeder Mönch aus der Bibliothek ein Buch empfangen soll, das er ganz durchzulesen hat; was aber wäre lächerlicher als seine Zeit mit Lesen zu verbringen, ohne darauf zu achten, ob man den Inhalt versteht oder nicht? Bekannt ist das Wort jenes Weisen: „Lesen ohne zu verstehen ist mißverstehen“. Auf einen solchen Leser paßt das Wort des Philosophen vom Esel vor der Leier. Denn ein Leser, der ein Buch in der Hand hält, ohne daß er etwas damit anfangen kann, ist wie ein Esel, der vor einer Leier sitzt. Und viel vernünftiger wäre es, wenn solche Menschen sich sonstwie nützlich beschäftigen würden, statt müßig dazusitzen, die Buchstaben anzusehen und die Blätter umzudrehen. An solchen Lesern sehen wir das Wort des Jesaia sich erfüllen: „Daß euch aller Propheten Gesichte sein werden wie die Worte eines versiegelten Buchs, welches, so man’s gäbe einem, der lesen kann, und spräche: ‚Lieber, lies das‘, und er spräche: ‚Ich kann nicht, denn es ist versiegelt‘. Oder gleich als wenn man’s gäbe dem, der nicht lesen kann, und spräche: ‚Lieber, lies das,‘ und er spräche: ‚Ich kann nicht lesen‘. Und der Herr spricht ‚Darum, daß dies Volk zu mir nahet mit seinem Munde, und mit seinen Lippen mich ehret, aber ihr Herz ferne von mir ist, und mich fürchten nach Menschengebot, das sie lehren: so will ich auch mit diesem Volk wunderlich umgehen, aufs wunderlichste und seltsamste, daß die Weisheit seiner Weisen untergehe und der Verstand seiner Klugen verblendet werde‘“.

Man sagt im Kloster, daß die sich auf die Schrift verstehen, die sie lesen können. Allein wenn sie hinsichtlich des Verständnisses der Schrift gestehen müssen, daß sie davon nichts wissen, so ist ihnen ihr Buch versiegelt, so gut wie denen, die da sagen, sie können nicht lesen. Gott aber bezichtigt sie, daß sie ihm mit Mund und Lippen nahen, nicht aber mit dem Herzen, weil sie das, was sie allenfalls lesen können, nicht im mindesten verstehen. Solche Menschen, indem sie des Verständnisses der Schrift entbehren, machen nur eine äußerliche Gewohnheit mit, haben aber keinen Nutzen von der Schrift. Darum droht der Herr, daß er auch ihre sogenannten Weisen und Gelehrten mit Blindheit schlagen wolle.

Hieronymus, der größte Lehrer der Kirche und die schönste Zierde des Mönchsstandes, ermahnt uns zur Liebe der Wissenschaften, indem er sagt: „Liebe die Wissenschaft und du wirst die schnöde Lust des Fleisches nicht lieben“; und er legt selbst Zeugnis davon ab, wie viel Zeit und Mühe er darauf verwandt habe. Neben dem, was er, um uns durch sein Beispiel zu lehren, über sein eigenes Studium schreibt, sagt er in einem Brief an Pammachius und Oceanus folgendes: „In meiner Jugend war ich von einer brennenden Lernbegierde erfüllt. Und ich war nicht, wie andere sich heraus nehmen, mein eigener Lehrer, sondern ich habe zu Antiochia fleißig den Apollinaris gehört und bin mit ihm verkehrt, während er mich in den heiligen Schriften unterrichtete. Schon färbte mein Haar sich grau, und ich hätte demnach eher Lehrer sein sollen als noch Schüler. Dennoch ging ich nach Alexandria. Ich hörte da den Didymus; viel verdanke ich ihm, viel Neues hat er mich gelehrt. Die Leute meinten, nun hätte ich endlich ausgelernt. Da lernte ich noch in Jerusalem und in Bethlehem mit Mühe und um teures Geld nächtlicherweile Hebräisch bei Barannias. Denn er fürchtete sich vor den Juden und ward mir ein zweiter Nikodemus“. Wahrlich, er hatte sich treulich gemerkt, was im Buch Sirach zu lesen ist: „Liebes Kind, laß dich die Weisheit ziehen von Jugend auf, so wird ein weiser Mann aus dir“. Nicht allein aus den Worten der Schrift, sondern auch aus dem Vorbild der heiligen Väter hat er sich belehrt, und unter den Lobsprüchen, die er dem dortigen musterhaften Kloster spendet, findet sich folgende Bemerkung über die ausgezeichnete Pflege des Schriftstudiums in demselben: „Nirgends habe ich ein so tiefes Studium und Verständnis der Heiligen Schrift und eine so eifrige Pflege der Gottesgelehrtheit gefunden, wie hier. Man hätte jeden der Mönche für einen Lehrer der göttlichen Weisheit halten können“.

Auch der heilige Beda, der schon als Knabe ins Kloster aufgenommen wurde, wie er in der „Geschichte der Angelsachsen“ berichtet, sagt: „Seitdem brachte ich mein ganzes Leben in ein und demselben Kloster zu und habe mich ganz dem Studium der Heiligen Schrift hingegeben; neben der Beobachtung der Klosterregel und der täglichen Pflicht des Singens in der Kirche war es allezeit mein höchstes Vergnügen, zu lernen oder zu schreiben“.

Jetzt aber bleiben die, die in Klöstern erzogen werden, so einfältig, daß sie, zufrieden mit dem leeren Schall der Worte, sich um das Verständnis der Schrift nicht kümmern, und nicht fürs Herz etwas lernen, sondern nur die Zunge üben wollen. Sie trifft der Spruch Salomos: „Das Herz des Weisen sucht Weisheit, aber des Narren Mund weidet sich an der Thorheit“, nämlich wenn er sich an Worten erfreut, die er nicht versteht. Solche Leute können ja Gott nicht lieben und in Liebe zu ihm entbrennen, da sie vom Verständnis der Schrift, die uns über Gott belehrt, so weit entfernt sind.

Diese Zustände in den Klöstern sind hauptsächlich auf zwei Ursachen zurückzuführen: einmal auf die Eifersucht der Laien und Laienbrüder, ja auch der Vorgesetzten selbst, sodann auf das leere Geschwätz und die Müßiggängerei, die in den heutigen Klöstern vielfach zu Hause sind. Jene wollen mit uns nur in irdischem Handel und Wandel zu thun haben, nicht aber in geistlichem Verkehr mit uns stehen und gleichen den Philistern, die den Isaak verfolgten, als er einen Brunnen graben wollte, und ihm das Wasser wehrten, indem sie Erde hineinwarfen. Gregorius legt diese Geschichte in seinen „Moralia“, Kapitel XVI, also aus: „Oft, wenn wir uns mit der Heiligen Schrift beschäftigen, haben wir unter den Angriffen der bösen Geister schwer zu leiden: sie streuen uns den Staub irdischer Gedanken in den Sinn, um das Auge unserer Betrachtung für das Licht der inneren Beschauung blind zu machen“. Dies hatte der Psalmist nur allzusehr erfahren, als er sagte: „Weichet von mir, ihr Übelthäter, ich will erforschen die Gebote meines Gottes“. Er erklärt damit deutlich, daß er die Gebote Gottes nicht erforschen konnte, weil sein Geist zu kämpfen hatte gegen die Anläufe der Dämonen. Sie sind dasselbe, was die bösen. Philister bei Isaaks Brunnen waren, als sie ihn mit Erde füllten. Denn solche Brunnen graben wir in der That, wenn wir in die verborgenen Tiefen der Schrift eindringen. Es ist, als deckten die Philister uns den Brunnen zu, wenn unreine Geister, während wir zum Himmel streben, uns irdische Gedanken eingeben, und uns gleichsam das Wasser der göttlichen Erkenntnis, das wir gefunden haben, entziehen. Aber weil niemand diese Feinde aus eigener Kraft zu überwinden vermag, sagt Eliphas uns das Wort: „Und der Allmächtige wird gegen deine Feinde sein, und Silber wird dir zugehäuft werden“. Das soll heißen: wenn der Herr mit seiner Stärke die bösen Geister von dir treibt, dann wird der Schatz des göttlichen Wortes leuchtend in dir sich vermehren.

Gregorius hatte wohl gelesen die Homilien des großen Christenphilosophen Origenes über die Genesis und hat aus dessen Brunnen geschöpft, was er uns über diese Brunnen sagt. Denn dieser eifrige geistliche Brunnengräber ermahnt uns nicht nur eindringlich, aus diesen Brunnen zu schöpfen, sondern auch sie zu graben. So sagt er in der zwölften der genannten Homilien: „Lasset uns thun, wozu die Weisheit uns ermahnt: ‚Trinke Wasser aus deiner Grube und Flüsse aus deinem Brunnen; habe du sie aber alleine‘. Trachte also auch du, mein lieber Zuhörer, danach, einen eigenen Brunnquell zu haben, daß, wenn du ein Buch der Heiligen Schrift vornimmst, du auch durch eigenes Nachdenken einen Sinn herausbringest, und nach dem, was du in der Kirche gelernt hast, trachte auch du zu trinken aus dem Brunnen deines Geistes. Es sprudelt in dir ein Quell lebendigen Wassers, Geist und Vernunft durchströmen dich in unversieglichen Adern und reichlichen Fluten, nur dürfen sie nicht mit Erde und Schmutz angefüllt werden. Darum gieb dir Mühe, dein Land umzugraben und den Unrat auszufegen, d. h. den Geist zu bilden, die Trägheit auszurotten und des Herzens Härtigkeit zu erweichen. Höre, was die Schrift sagt: ‚Wenn man das Auge drückt, so gehen Thränen heraus, und wenn man einem das Herz trifft, so läßt er sich merken‘. Reinige auch du deinen Geist, damit du dereinst aus deinem eigenen Brunnen trinkest und aus deinen Quellen lebendiges Wasser schöpfest. Denn hast du in dir aufgenommen das Wort Gottes, hast du von Jesus Lebenswasser empfangen, im Glauben empfangen, so wird es in dir ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt“.

Derselbe Origenes sagt in der folgenden Homilie über den obenerwähnten Isaaksbrunnen: „Unter den Philistern, die den Brunnen mit Erde bedeckten, sind ohne Zweifel die Leute zu verstehen, welche den Weg zur geistlichen Erkenntnis verschließen, so daß sie selbst nicht trinken können und auch andere daran verhindert werden“. Höre, was der Herr spricht: „Wehe euch Schriftgelehrten und Pharisäern, die ihr den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen habt. Ihr kommt nicht hinein, und wehret denen, die hinein wollen“. Wir aber wollen nicht aufhören, Brunnen lebendigen Wassers zu graben, und bald mit Altem, bald mit Neuem uns beschäftigend wollen wir jenem Schriftgelehrten im Evangelium ähnlich werden, von dem der Herr sagt: „Der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorträgt“.

Ebenso heißt es dort: „Lasset uns zu Isaak gehen und mit ihm graben einen Brunnen lebendigen Wassers; auch wenn die Philister uns widerstehen und Streit anfangen, wollen wir doch mit ihm ausharren beim Brunnen, damit man auch zu uns sagen könne: ‚Trinke Wasser aus deinen Gefäßen und aus deinem Brunnen‘. Und also wollen wir graben, daß unsere Gefäße überströmen vom Wasser des Brunnens, daß wir nicht genug haben, wenn wir für uns allein die Schrift verstehen, sondern auch andere lehren und anweisen, zu trinken. Mensch und Vieh sollen trinken, wie der Prophet sagt: ‚Tier und Menschen machst du gesund, Herr‘“.

Und weiter unten heißt es: „Wer ein Philister ist und nach Irdischem trachtet, der weiß auf der ganzen Erde kein Wasser zu finden, noch auch verständigen Sinn“.

Was nützt es dich, Wissenschaft zu haben, wenn du sie nicht zu gebrauchen weißt? Was nützt dich das Wort, wenn du es nicht anwenden kannst? Das ist die Art der Knechte Isaaks, die in irgend einem beliebigen Land nach lebendigem Wasser graben. Ihr aber nicht also: lasset ferne von euch sein alles leere Geschwätz, und diejenigen unter euch, denen die Gabe des Lernens verliehen ist, sollen sich mit Eifer in den göttlichen Dingen unterrichten lassen, wie es von dem frommen Manne heißt: „Sondern er hat Lust zum Gesetz des Herrn und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht“. Und welchen Nutzen das unermüdliche Studium im Gesetz des Herrn bringe, das besagen gleich die folgenden Worte: „Der ist wie ein Baum, gepflanzet an den Wasserbächen“. Denn wer von den Wassern des göttlichen Wortes nicht benetzt wird, der ist wie ein dürrer, unfruchtbarer Baum. Dieses Wort ist gemeint, wenn es heißt: „Von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen“. Das sind jene Fluten, von welchen die Braut im Hohenlied zum Lobe ihres Bräutigams singt: „Seine Augen sind wie Taubenaugen an den Wasserbächen, mit Milch gewaschen, und stehen in der Fülle“.

Auch ihr also setzet euch, mit Milch gewaschen, d. h. im reinen Glanze eurer Keuschheit strahlend, wie Tauben an diese Wasserbäche, und schöpfet Weisheit daraus, auf daß ihr nicht bloß lernet, sondern auch lehren und andern den Weg zeigen könnet; daß ihr den Bräutigam nicht bloß selber sehen, sondern auch andern beschreiben möget!

Wir wissen: von der Einen Braut, die den Bräutigam durch das Ohr des Herzens zu empfangen gewürdigt worden ist, steht geschrieben: „Maria behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen“. Also die Mutter des höchsten Wortes nahm seine Worte mehr zu Herzen als in den Mund und bewegte sie im Herzen; sie überlegte jedes einzelne mit Fleiß und verglich sie miteinander, ob sie genau übereinstimmen.

Aus dem Gesetz wußte sie, daß alles Tier unrein genannt wird, das nicht wiederkäuet und die Klauen spaltet. So ist auch keine Seele rein, die nicht die göttlichen Gebote wiederkäuet, indem sie darüber nachdenkt, so viel sie vermag, und ihren Verstand anwendet, um sie zu befolgen, so daß sie nicht bloß äußerlich Gutes thut, sondern wirklich gut, d. h. mit der richtigen Gesinnung, handelt. Die gespaltenen Klauen aber bedeuten das Unterscheidungsvermögen der Seele, worüber geschrieben steht: „Wenn du recht anbietest, aber nicht recht teilest, so sündigst du“.

„Wer mich liebt,“ sagt die ‚Wahrheit‘, „der hält meine Worte.“ Wer aber wird die Worte und Gebote seines Herrn gehorsam halten können, wenn er sie nicht vorher verstanden hat? Niemand wird eifrig im Thun sein, der nicht vorher ein aufmerksamer Hörer war. So, wie wir von dem frommen Weib lesen, das, alles andere vergessend, zu Jesu Füßen saß und auf seine Worte hörte, gewiß mit jener verständnisvollen Aufmerksamkeit, die der Herr selbst von uns verlangt, wenn er sagt: „Wer Ohren hat zu hören, der höre“. Könnet ihr euch aber nicht zu solch hingebender Glut entflammen, dann ahmet im Eifer und in der Begeisterung für die heiligen Wissenschaften wenigstens jene frommen Schülerinnen des heiligen Hieronymus nach: Paula und Eustochium, auf deren Antrieb dieser große Lehrer die Kirche durch so manche Schrift erleuchtet hat.

IX. Brief.
Heloise an Abaelard.

(Mit 42 biblisch-theologischen Fragen.)

Deiner Weisheit ist es besser bekannt als meiner Einfalt, wie der selige Hieronymus der frommen Marcella das Studium der Heiligen Schrift und der damit zusammenhängenden Fragen, für welches sie glühend begeistert war, gar sehr empfohlen und sie nachdrücklich darin bestärkt hat, und wie er ihr weithintönendes Lob dafür gespendet hat. In seinem Kommentar zum Brief des Paulus an die Galater thut er ihrer im ersten Buch in folgender Weise Erwähnung: „Ich kenne ihren Eifer, ich kenne ihren Glauben und das glühende Verlangen, das sie in der Brust trägt: ihr Geschlecht zu überwinden, die Menschen zu vergessen, den Paukenschall des göttlichen Wortes ertönen zu lassen und das Rote Meer dieser Welt zu durchschreiten. In der That, so oft ich in Rom war, hat sie mich nie auch nur einen Augenblick gesehen, ohne mir irgend eine Frage über die heiligen Schriften vorzulegen. Dabei war sie nicht nach Pythagoräer Weise mit jeder beliebigen Antwort zufrieden; auch beugte sie sich nicht unter die bloße Autorität, wenn triftige Gründe fehlten; vielmehr prüfte sie alles und mit scharfem Verstand wog sie alles ab, so daß ich oft das Gefühl hatte, ich habe nicht eine Schülerin, sondern eine Richterin vor mir“.

Hieronymus sah sie infolge dieses Eifers bald solche Fortschritte machen, daß er sie den anderen Frauen, die sich um das gleiche Studium bemühten, zur Lehrerin setzte. Daher schreibt er an die Jungfrau Principia unter anderem folgendes: „Du hast dort zur Leitung im Studium der Schrift und in der Heiligung des Leibes und der Seele Marcella und Asella; die eine mag dich durch die grünenden Wiesen und durch den bunten Blumenflor der heiligen Schriften zu dem führen, der im Lied der Lieder sagt: ‚Ich bin eine Blume zu Saron, und eine Rose im Thal‘; die andere, selbst eine Blume des Herrn, ist würdig, zugleich mit dir das Wort zu vernehmen: ‚Wie eine Rose unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Töchtern‘“.

Wozu aber sage ich dies, du von vielen Geliebter, uns aber Geliebtester? Ich will dir ja nichts erzählen, ich will dich mahnen: meine Worte sollen dich an deine Schuld erinnern und dich nicht länger säumen lassen mit der Einlösung. Die Mägde Christi, deine geistlichen Töchter, hast du in eigenem Oratorium vereinigt und sie mit dem Dienste Gottes betraut; stets pflegtest du uns das Studium des göttlichen Wortes und das Lesen heiliger Schriften besonders ans Herz zu legen. Ja, so nachdrücklich hast du uns die Kenntnis der Heiligen Schrift empfohlen, daß du sie einen Seelenspiegel nanntest, in dem man seiner Schönheit oder Häßlichkeit gewahr werde, und du verlangtest, daß keine Braut Christi dieser Spiegel fehlen dürfe, wenn sie dem Herrn gefallen wolle, dem sie sich angelobt. Du sagtest noch weiter zu unserer Aufmunterung, das Lesen der Heiligen Schrift, wenn man sie nicht verstehe, nütze so viel, wie dem Blinden ein Spiegel.

Durch diese Mahnungen sind wir, ich sowohl wie die Schwestern, zu mächtigem Eifer angeregt worden, indem wir auch in diesem Stück nach Kräften dir zu gehorchen bestrebt sind. Allein während wir uns alle Mühe geben und von derjenigen Liebe zu den Wissenschaften ergriffen sind, über die der obengenannte Lehrer einmal sagt: „Liebe die Wissenschaften, und du wirst die Laster des Fleisches nicht lieben“, — wird unser Eifer durch die vielen Fragen, die uns verwirren, lahmgelegt. Und was wir in den heiligen Schriften weniger verstehen, das müssen wir notwendig auch weniger lieben, da wir fühlen, daß es eine fruchtlose Arbeit ist, die wir thun.

Darum stellen die Schülerinnen ihrem Lehrer, die Töchter ihrem Vater einige Fragen, und bitten demütigst, du möchtest es nicht unter deiner Würde achten, dieselben für sie zu lösen. Denn auf dein mahnendes Wort, ja auf deinen Befehl hin haben wir dies Studium in Angriff genommen. Wir haben bei der Aufstellung der Fragen nicht die Reihenfolge der heiligen Schriften eingehalten, sondern wie sie uns täglich aufgestoßen sind, so haben wir sie aufgezeichnet und übersenden sie nun dir zur Lösung.

X. Brief.
Abaelard an Heloise.

(Begleitschreiben zu einer Sammlung geistlicher Lieder, von Abaelard gedichtet für die Nonnen des Paraklet.)

I.

Meine liebe Schwester Heloise, einst in der Welt mir teuer und nun erst recht teuer in Christus, auf deine dringende Bitte habe ich Lieder gedichtet, auf griechisch Hymnen, auf hebräisch Tehillim geheißen. Da du und deine frommen Frauen mich wiederholt zu der Abfassung solcher Lieder drängtet, so habe ich nach dem Grund eures Wunsches geforscht. Denn ich sagte mir, es sei unnötig, neue Lieder zu dichten, während ihr alte in reicher Fülle habt, ja, es wollte mir wie ein Verbrechen erscheinen, den alten Gesängen heiliger Dichter neue von sündigen Menschen vorzuziehen oder an die Seite zu stellen.

Während ich nun von verschiedenen Seiten verschiedene Meinungen zu hören bekam, führtest du, soviel ich mich erinnere, unter anderem folgenden Grund an. „Wir wissen,“ sagtest du, „daß die römische und besonders die gallicanische Kirche in betreff der Psalmen und Hymnen sich mehr nach ihrer Gewohnheit richten als nach einer Autorität. Wir wissen ja heute noch nicht, von wem die Übersetzung des Psalters herrührt, welche in unserer, d. h. in der gallicanischen Kirche, im Gebrauch ist, und nach den Äußerungen derjenigen zu urteilen, die uns über die Verschiedenheit der Übersetzungen belehrt haben, weicht die unsrige von allen übrigen weit ab und kann, wie ich glaube, auf ein höheres Ansehen keinen Anspruch machen. Allein ihr Gebrauch hat sich durch langjährige Gewohnheit so sehr eingebürgert, daß wir gerade beim Psalter, den wir doch am häufigsten brauchen, einer apokryphen Übersetzung folgen, während wir die andern biblischen Bücher in der korrekten Übersetzung des seligen Hieronymus lesen. Was aber die Hymnen betrifft, die wir jetzt gebrauchen, so herrscht hierin eine solche Unordnung, daß fast nie eine Überschrift ihre Art oder ihre Verfasser bezeichnet. Und wenn man doch bei einigen mit Wahrscheinlichkeit auf bestimmte Verfasser schließen kann, als deren älteste man Hilarius und Ambrosius, dann Prudentius und viele andere annimmt, so ist häufig das Silbenmaß so wenig entsprechend, daß man den Liedern kaum eine Melodie unterlegen kann, ohne die doch ein Hymnus keinen Zweck hat, der ja ein wohltönendes Lob Gottes sein soll.“

Auch fügtest du noch bei, daß es für die meisten Feste an eigentümlichen Liedern fehle, so auch für die Feier der unschuldigen Kindlein, der Evangelisten oder derjenigen weiblichen Heiligen, die weder Jungfrauen noch Märtyrerinnen waren. Es fehle auch nicht an solchen, versichertest du, bei denen die Singenden eine Unwahrheit aussprechen müssen, sei’s wegen der Zeitumstände, die nicht zum Liede passen, oder wegen des falschen Inhaltes. Manche der Gläubigen halten aus irgend einem zufälligen Grund oder infolge besonderer Erlaubnis die bestimmte vorgeschriebene Stunde nicht ein und kommen nun entweder zu früh oder zu spät, so daß sie genötigt sind, wenigstens in Beziehung auf die Zeit zu lügen, wenn sie die für die Nacht bestimmten Lieder bei Tag, die für den Tag bestimmten bei Nacht singen. Nach der Vorschrift des Propheten und der Satzung der Kirche soll ja auch während der Nacht das Lob Gottes nicht verstummen, wie geschrieben steht: „Des Nachts gedenke ich an deinen Namen, o Herr“ und: „Mitten in der Nacht erhebe ich mich, mit dir zu reden“, d. h. dich zu lobpreisen. Dagegen darf der siebenfache Lobgesang, dessen der Prophet Erwähnung thut mit den Worten: „Siebenmal des Tages lobe ich dich“ — nur bei Tage dargebracht werden. Der erste derselben, der Morgenlobgesang genannt, und von demselben Propheten bezeichnet mit den Worten: „Des Morgens gedenke ich dein, o Herr“ — soll angestimmt werden in der ersten Frühe des Tages, wenn die Morgenröte oder der Morgenstern erscheint.

Bei den meisten Hymnen giebt sich diese Unterscheidung von selber. So kennzeichnen sich gewisse Lieder selbst deutlich als solche, die bei Nacht zu singen sind, wenn es z. B. heißt: „Wohl auf zur Nacht und laßt uns alle wachen“ — oder: „Gesang durchtönt die stille Nacht“; ferner: „Die lange Nachtzeit kürzen wir, erstehen zum Bekenntnis dir“. Oder ein andermal: „Die schwarze Nacht hält nun bedeckt, was auf der Erd’ in Farben strahlt“ — oder: „Wir stehn von unsrem Lager auf zur Zeit der ruhig stillen Nacht“, und ferner: „Wie wir die Stunden stiller Nacht nun unterbrechen mit Gesang“ u. s. w.

So geben auch manche Morgenhymnen die Zeit, zu welcher sie zu singen sind, selber an. Zum Beispiel, wenn es heißt: „Der nächt’ge Schatten weichet schon“ — oder: „Golden erstrahlt des Tages Licht“; ferner: „Am Himmel steht das Morgenrot“ — „Das Morgenrot im Rosenlicht“ oder „Der Vogel ist des Tags Herold; er kündet uns des Lichtes Nahn“ — und: „Wie schön leuchtet der Morgenstern“. Solche Lieder belehren uns selbst darüber, zu welcher Zeit sie gesungen sein wollen, und wollten wir diese ihre Zeiten nicht einhalten, so würden wir bei ihrem Vortrag als Lügner erfunden. Allein in den meisten Fällen ist es weniger die Nachlässigkeit, die solche Abweichungen verursacht, als der Zwang der Verhältnisse oder die förmliche Befreiung davon; dazu nötigt namentlich in den kleineren Parochialkirchen schon die Beschäftigung der Bevölkerung fast jeden Tag, so daß hier aller Gottesdienst fast das ganze Jahr hindurch bei Tag abgehalten werden muß.

Aber nicht bloß das Nichteinhalten der Zeit bringt uns in die Lage, lügen zu müssen, sondern bei gewissen Liedern sind es die Verfasser selbst, die uns dazu veranlassen. Diese nämlich, sei es, daß sie von ihrer eigenen Zerknirschung auf den Seelenzustand anderer schlossen, oder daß sie ihre Heiligen durch übertrieben frommen Eifer erheben wollten — haben manchmal so sehr das Maß überschritten, daß wir in manchen Liedern oft gegen unsere eigene Überzeugung etwas aussprechen, von dem wir das Gefühl haben, daß es der Wahrheit nicht entspreche. Die wenigsten werden so vom Feuer der heiligen Andacht glühen oder in der Zerknirschung über ihre Sünden so in Thränen und Seufzer aufgelöst sein, daß sie mit Recht singen können: „Wir nahen weinend zum Gebet; erlaß uns unsere Sünden“, oder: „Hör unsere Seufzer, unsern Sang in Gnaden an“. So giebt es noch manches, was nur für Auserwählte, und darum für wenige, paßt. Auch mag deine Einsicht entscheiden, ob es nicht eine Anmaßung ist, vor der wir uns scheuen sollten, wenn wir alljährlich singen: „Martinus, den Aposteln gleich“, oder wenn wir diesen oder jenen Bekenner seiner Wunder wegen in übertriebener Weise rühmen, indem wir z. B. sagen: „An dessen heil’gem Grab so mancher Heilung fand“.

Diese und ähnliche Gründe, die ihr anführtet, haben mich bewogen, aus Ehrfurcht vor eurer Frömmigkeit, Hymnen zu dichten für den ganzen Lauf des Jahres. Da ihr also dies von mir erbeten habt, ihr Bräute und Mägde Christi, so bitte ich hinwiederum euch: daß ihr die Last, die ihr auf meine Schultern gelegt habt, durch die Handreichung eures Gebetes erleichtern möget, auf daß, wer da säet und wer da erntet, zusammen arbeite und zusammen sich freue.

II.

Die Feier des Gottesdienstes besteht aus drei Teilen. Der Apostel der Heiden hat es so verordnet im Brief an die Ephesier, wo es heißt: „Und saufet euch nicht voll Weins, daraus ein unordentlich Wesen folget, sondern werdet voll Geistes, und redet untereinander von Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singet und spielet dem Herrn in eurem Herzen“. Und weiter an die Colosser schreibt er: „Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit, lehret und ermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern und singet dem Herrn in eurem Herzen“. Die Psalmen und Lieder sind ja seit alter Zeit aus den kanonischen Schriften entnommen, und es bedarf nicht erst unserer Mühe, sie zu dichten. Über die Hymnen aber findet sich in den heiligen Schriften kein bestimmendes Merkmal, wiewohl einige Psalmen auch die Bezeichnung „Hymne“ oder „heiliges Lied“ als Aufschrift tragen — und so ist über sie von verschiedenen Schriftstellern da und dort nachträglich geschrieben worden; auch wurden für die verschiedenen Zeiten, Stunden und Feste besondere Hymnen bestimmt. Diese nennen wir jetzt „Hymnen“ im eigentlichen Sinn, wiewohl in der alten Zeit einige Schriftsteller alle in einem bestimmten Versmaß gedichteten Lieder, die zum Lobe Gottes dienten, sowohl Hymnen als auch Psalmen nannten. Daher sagt Eusebius von Cäsarea im 19. Kapitel seiner Kirchengeschichte, wo er die Lobsprüche erwähnt, die der beredte Jude Philo der alexandrinischen Kirche unter der Leitung des Markus spendet, unter anderem folgendes: „Dann kommt er darauf zu sprechen, daß sie selbst neue Psalmen dichten, und sagt: ‚Sie kennen nicht allein die Lieder der geistvollen Alten, sondern dichten selbst neue Lieder zum Preis Gottes und singen dieselben in allen möglichen Weisen und Melodien mit guter und lieblicher Harmonie.‘“

Es ist vielleicht nicht unangezeigt, alle Psalmen, die in hebräischem Versmaß und Rhythmus gedichtet und mit einer lieblichen Melodie versehen sind, ebenfalls Hymnen zu nennen — unbeschadet unserer Erklärung im ersten Vorwort. Allein da die Psalmen, wenn sie in eine andere Sprache übersetzt werden, vom Gesetz des Versmaßes und des Rhythmus entbunden sind, so hat der Apostel in seinem Brief an die Ephesier, die ja Griechen sind, mit Recht die Hymnen wie auch die Lieder von den Psalmen unterschieden.

So habe ich denn in diesem Punkt eurer Bitte zum Teil wenigstens, soweit Gott es mir gestattete, Genüge gethan, geliebte Schwestern in Christo, da ihr meinen schwachen Geist mit vielem Flehen gar sehr bedrängt und auch noch die Gründe angegeben habt, warum dies euch nötig erscheine. Das erste Büchlein enthält die Hymnen zum täglichen Gottesdienst. Ihr werdet erkennen, daß sie nach zweierlei Melodien und Rhythmen gehen, und daß jedesmal alle Tageslieder und alle Nachtlieder beides gemeinsam haben. Auch den Dankhymnus, der nach dem Essen zu sprechen ist, habe ich nicht vergessen — nach dem Wort des Evangeliums: „Und da sie den Lobgesang gesprochen hatten, gingen sie hinaus“.

Die vorstehenden Hymnen sind in der Weise abgefaßt, daß der Inhalt der nächtlichen Lieder sich deckt mit dem, was sie feiern, und daß die Tageslieder die allegorische oder moralische Auslegung dieses Inhaltes darbieten. So kommt es, daß das Dunkel der Geschichte der Nacht aufbehalten wird, während der helle Tag das Licht der Erklärung bringt. Nun bleibt mir nur noch übrig, die Hilfe eures Gebets anzurufen, damit ich euch die gewünschte bescheidene Gabe zukommen lassen kann.

III.

In den beiden vorstehenden Büchlein habe ich Hymnen für den täglichen Gottesdienst und eigene für die hohen Feste zusammengestellt. Nun bleibt mir noch übrig, zur Verherrlichung des himmlischen Königs und zur gemeinsamen Erbauung der Gläubigen den Sitz der himmlischen Residenz mit würdigen Lobeshymnen nach Kräften zu erheben. Mögen mich bei diesem Werke die Verdienste derjenigen unterstützen, deren ruhmreiches Andenken ich durch den bescheidenen Zoll meiner Lobpreisungen erhöhen möchte — nach dem Wort der Schrift: „Das Gedächtnis des Gerechten ermangelt nicht des Lobes“, und wiederum: „Lasset uns preisen die Ruhmvollen“ u. s. w.

Auch euch bitte ich, teure, Christo geweihte Schwestern, auf deren Flehen hauptsächlich ich dies Werk in Angriff genommen habe: unterstützet mich durch die Andacht eures Gebetes, denket an jenen frommen Gesetzgeber, der mit seinem Gebet mehr ausrichtete, als das Volk mit dem Schwert. Und eure Liebe wird sich reich erweisen in der Fülle des Gebetes, wenn ihr daran denket, wie freigebig ich in Erfüllung eures Wunsches gewesen bin. Während ich mich nach den schwachen Kräften meines Geistes mühte, das Lob der göttlichen Gnade würdig zu singen, habe ich durch die Menge der Lieder zu ersetzen gesucht, was ihnen an Schönheit des Ausdrucks abging, und so habe ich für die nächtliche Feier jedes einzelnen Festes eigene Hymnen gedichtet, während bisher nur Ein bestimmter Hymnus bei der Nachtfeier von Festen und Feiertagen gesungen wurde.

Vier Hymnen also habe ich für jedes Fest so bestimmt, daß bei jeder der drei nächtlichen Vigilien ein besonderer Hymnus gesungen werden kann, und außerdem noch die Matutine ihren eigenen hat. Ferner habe ich die Bestimmung getroffen, daß von diesen vier Hymnen bei der Vigilie zwei zu einem Hymnus verbunden werden und die beiden andern in ähnlicher Weise bei der Vesper am Festtage selbst gesungen werden können; oder daß sie je zwei und zwei auf jede Vesper verteilt, und so der eine Hymnus mit den beiden ersten Psalmen, der andere mit den beiden übrigen gesungen werden.

Dem Kreuz habe ich fünf Hymnen gewidmet, von denen der erste die jedesmaligen Horen einleiten mag, indem er den Diakon auffordert, das Kreuz vom Altar zu heben, es in die Mitte des Chors zu tragen und dort zur Anbetung und Verehrung aufzustellen, so daß es über die ganze Zeit der gottesdienstlichen Feier anwesend ist.

XI. Brief.
Abaelard an Heloise.

(Mit einer Sammlung von Predigten.)

In Christo verehrungswürdige und liebenswerte Schwester Heloise! Nachdem ich kürzlich auf deine Bitten ein Buch mit Hymnen und Sequenzen vollendet, so habe ich jetzt deinem Wunsche gemäß für dich und deine geistlichen Töchter, die in unserem Oratorium vereint sind, eine Reihe von Predigten verfaßt — eiliger als ich es sonst gewohnt bin. Da ich mehr der Wissenschaft als der Predigt ergeben bin, so sehe ich hauptsächlich auf Klarheit der Darlegung, weniger auf kunstvolle Beredsamkeit; ich suche mehr den Wortsinn zu ergründen, als die Rede künstlich auszuschmücken. Und vielleicht wird eine reine, nicht ausgeschmückte Redeweise infolge ihrer größeren Klarheit einem einfachen Gemüt faßlicher sein, und eine gewisse Art von Zuhörern wird vielleicht gerade in der Einfachheit einer schmucklosen Rede die Schönheit und Feinheit sehen, und eine Würze darin finden, die einer einfachen Fassungsgabe wohlthut.

Die Predigten sind nach der Reihenfolge der Feiertage niedergeschrieben und geordnet; begonnen habe ich mit dem Anfang unserer Erlösung. Lebe wohl im Herrn, du, seine Magd, einst in der Welt mir teuer, nun erst ganz teuer in Christus: damals meine Gattin im Fleisch, jetzt meine Schwester im Geist und Genossin im Bekenntnis des heiligen Gelübdes!

XII. Brief.
Abaelard an Heloise.

(Abaelards Glaubensbekenntnis.)

Liebe Schwester Heloise, einst mir teuer in der Welt, nun erst ganz teuer in Christus: um der Logik willen bin ich der Welt verhaßt. Die blinden Blindenleiter, deren Weisheit Verderben ist, behaupten nämlich, in der Logik sei ich zwar wohlbewandert, aber im Paulus — da hinke ich stark. Und während sie meinen Scharfsinn preisen, verdächtigen sie die Reinheit meines christlichen Glaubens. Denn, wie mir scheint, folgen sie nur ihrem Vorurteil, statt durch die Erfahrung sich leiten zu lassen.

Ich will nicht in der Weise Philosoph sein, daß ich den Paulus zurückstieße, nicht so Aristoteles, daß ich von Christus getrennt würde. Denn es ist kein anderer Name unter dem Himmel, in dem ich selig werden könnte. Ich bete an Christum, der zur Rechten des Vaters regieret. Ich umfasse ihn mit den Armen des Glaubens, der im jungfräulichen Fleisch, das er vom heiligen Geist empfangen, Herrliches wirkt in der Kraft Gottes. Und daß die unruhige Sorge und jeglicher Zweifel aus deinem Herzen weiche, so halte das fest, daß ich mein Gewissen auf jenen Felsen gegründet habe, auf dem Christus seine Kirche erbaut hat. Und des Felsens Aufschrift will ich dir in kurzen Worten mitteilen.

Ich glaube an den Vater, Sohn und Heiligen Geist, an den von Natur Einen und wahren Gott, der in seinen Personen die Dreieinigkeit also darstellt, daß er in seiner Wesenheit stets die Einheit bewahrt. Ich glaube, daß der Sohn in allem dem Vater gleich ist, an Ewigkeit, Macht, Willen und Werk. Ich folge nicht dem Arius, der verblendeten Sinns, ja, von teuflischem Geiste verführt, Stufen in der Dreieinigkeit annimmt, indem er lehrt, daß der Vater größer, der Sohn kleiner sei und das Gebot vergißt: „Du sollst nicht auf Stufen zu meinem Altar heraufsteigen“. Denn auf Stufen steigt zum Altar Gottes empor, wer ein Früher und Später in der Dreieinigkeit setzt. Auch den Heiligen Geist bekenne ich als wesensgleich und eins mit dem Vater und dem Sohne, wie denn meine Schriften vielfach erklären, daß ihm der Name der Liebe zukomme. Ich verdamme den Sabellius, der behauptet, daß Vater und Sohn ein und dieselbe Person seien und daß der Vater gelitten habe, woher seine Anhänger Patripassianer heißen.

Ich glaube auch, daß der Gottessohn zum Menschensohn geworden, daß er, obwohl Eine Person, aus und in zwei Naturen besteht. Der, nachdem er seine Aufgabe in der angenommenen Menschennatur erfüllt hatte, gelitten hat, gestorben und auferstanden ist, aufgefahren gen Himmel, von dannen er wieder kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.

Ich behaupte auch, daß in der Taufe alle Sünden vergeben werden; daß wir der Gnade bedürfen, um das Gute anzufangen und zu vollenden, und daß die Gefallenen durch Buße wiederhergestellt werden. Über die Auferstehung des Fleisches aber — was brauche ich darüber zu sagen, da ich mich des Christennamens vergeblich rühmen würde, wenn ich nicht glaubte, daß ich auferstehen werde?

Dies also ist der Glaube, auf welchem ich ruhe, aus dem ich meine feste Hoffnung schöpfe. Auf ihn ist mein Heil gegründet, und so fürchte ich nicht das Geheul der Scylla, ich spotte der strudelnden Charybdis, und der totbringende Sang der Sirenen schreckt mich nicht. Mag der Sturm hereinbrechen, ich wanke nicht; mögen die Winde blasen, ich stehe fest. Denn auf einen starken Felsen bin ich gegründet.

Fußnoten

[1]
M. Carrière: „Abaelard und Heloise. Ihre Briefe und Leidensgeschichte übersetzt und eingeleitet durch eine Darstellung von Abaelards Philosophie und seinem Kampf mit der Kirche.“ (Gießen 1844, 2. Auflage 1853.)
[2]
Über sonstige Personalien Heloisens sind wir ganz im Dunkeln. Nicht einmal ihre Abkunft steht fest. Es sind darüber schon alle mögliche Vermutungen aufgetaucht: von der Behauptung, sie stamme aus dem Geschlecht der Montmorency, einem der ältesten Adelsgeschlechter Frankreichs — bis zu der Ansicht, sie sei nicht sowohl die Nichte des Kanonikus Fulbert gewesen, als welche sie in den Briefen figuriert, sondern dessen eigene Tochter.
[3]
Nach Joh. XIV., 16. 17. 26.
[4]
Daß wir das Ewige nicht verlieren.
[5]
Daß wir das Ewige verlieren.
[6]
Daß wir das Ewige nicht zulassen.

Anmerkungen zur Transkription

Fußnoten wurden am Ende des Buches gesammelt. Falsch gesetzte Anführungszeichen wurden stillschweigend korrigiert. Alle anderen offensichtlichen Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):






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Heloise, by Abaelard and Heloise

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The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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