The Project Gutenberg EBook of Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars., by 
Albert Daiber

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org


Title: Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars.

Author: Albert Daiber

Illustrator: Fritz Bergen

Release Date: December 1, 2012 [EBook #41522]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE WELTENSEGLER. DREI JAHRE ***




Produced by Jens Sadowski





Die Weltensegler

Drei Jahre
auf dem Mars


Erzählung für die Jugend
von
Albert Daiber

Mit vier Vollbildern von Fritz Bergen

Dritte Auflage

Verlag von Levy & Müller in Stuttgart

Nachdruck verboten
Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten
Druck: Christl. Verlagshaus, G. m. b. H., Stuttgart

Inhalt

Erstes Kapitel
Vorbereitungen 1
Zweites Kapitel
Die Abreise der Weltensegler 16
Drittes Kapitel
Zwischen Himmel und Erde 28
Viertes Kapitel
Auf dem Mars 53
Fünftes Kapitel
Lumata und Angola 78
Sechstes Kapitel
Im Reiche der Vergessenen 101
Siebentes Kapitel
Der Abschied 113
Achtes Kapitel
Ein Abtrünniger 122
Neuntes Kapitel
Wieder auf der Erde 128
Zehntes Kapitel
In der Heimat 142

 

Erstes Kapitel
Vorbereitungen

Der glänzende Abendstern, die Venus, war im Westen untergegangen. Über Groß-Stuttgart und das Neckartal begann sich eine durchsichtig klare, aber etwas kalte Winternacht zu breiten. Nach und nach flammten Tausende und Abertausende von hellen Sternen am Firmamente auf, und als weißlich schimmernder Gürtel hob sich aus der Menge jener fernen, selbstleuchtenden Weltkörper scharf und deutlich die Milchstraße ab. Aus ihr heraus blickte das funkelnde Sternbild der Kassiopeia herab auf die alte, immer noch mit so viel Torheit erfüllte Mutter Erde, und der Große Bär mit seinen sieben hellen Sternen, jener geheimnisvollen, im menschlichen Leben eine so merkwürdige Rolle spielenden Zahl, leistete ihr auf der andern Seite des gewaltigen Himmelsgewölbes die aus der Urzeit stammende, treubewährte Gesellschaft. Kunterbunt, in ungleichmäßiger Verteilung, in verschiedenartiger Helligkeit und Größe lagen die übrigen Sterne dazwischen, scheinbar noch an ihrem alten, gewohnten Platze.

Langsam schritt die Nacht vor. Im Süden stieg das prachtvolle Sternbild des Orion über dem Horizont empor, und bald darauf erschien auch der Sirius, der glänzendste unter den glänzenden Sternen des Himmels. Für all diese Schönheit der Nacht, für all diese Großartigkeit jener fernen, selbstleuchtenden Sonnen schien augenblicklich derjenige am wenigsten zugänglich zu sein, dessen berufliche Aufgabe gerade die Erforschung des Sternenhimmels war. Professor Stiller, der berühmte Astronom, Lehrer an der durch Alter wie Überlieferung gleich ehrwürdigen Universität Tübingen, ruhte in seinem Lehnstuhl, mit den Fingern der Rechten ärgerlich auf dessen Seitenlehne trommelnd. Er saß in einem großen, mit einer Kuppel bedeckten Raum, der auf den ersten Blick als Observatorium oder Sternwarte zu erkennen war. Ein mächtiges Fernrohr auf massiven Pfeilern ragte aus einer Öffnung der drehbaren Kuppel hinaus in die klare Winternacht.

Professor Stiller hatte sich vor Jahren schon auf der ruhigen Bopserhöhe bei Stuttgart eine Privatsternwarte erbaut, um sich in ihr, fern vom lauten studentischen Leben und Treiben der Universitätsstadt, um so ungestörter der Planetenforschung zu widmen. Ganz besonders hatte der Mars, jener geheimnisvolle Planet, dessen Bahn die der Erde zunächst umschließt, Professor Stillers Interesse geweckt. Dieses Interesse wurde mehr und mehr zu einem Privatstudium, und aus diesem heraus wuchs eine so große Liebe zu dem fernen Planeten, daß in Professor Stiller der Gedanke immer festere Wurzeln faßte, mit dem Mars in unmittelbare Verbindung zu treten, mit andern Worten — ihn zu besuchen.

Gerade gegenwärtig stand Mars wieder in Erdnähe, und seine augenblickliche Entfernung von der Erde betrug nur 59 Millionen Kilometer. In der jetzigen Zeit der großartigsten Erfindungen, der gewaltigen, geradezu fabelhaften Fortschritte auf technischem Gebiete, der tieferen Erkenntnis der elektromagnetischen Strömungen im Universum und ihrer Ausnützung, vor allem aber der so hoch entwickelten Luftschiffahrt hatte der Gedanke eines Besuches des Mars, einer Reise dahin, durchaus nichts Befremdendes mehr. Im Gegenteil, so wie die Dinge heute lagen, bestand tatsächlich die Möglichkeit, die kühne Reise mit Aussicht auf Erfolg ausführen zu können.

Und Reisegedanken waren es auch, die des Professors Geist augenblicklich beschäftigten. Aber zu ihnen waren auch ärgerliche Vorkommnisse getreten und hatten den Gelehrten in eine gewisse zornige Unruhe versetzt. Vor dem Stuhle des Professors warf eine zierliche elektrische Lampe ihr Licht auf einen Stoß von Papieren, die, mit Zahlen und Zeichnungen bedeckt, bunt durcheinander geworfen, auf einem kleinen Tische seitwärts lagen. Aufseufzend strich sich Professor Stiller mit der Linken über die hohe, gedankenschwere Stirn.

„Diese lächerlichen Menschen, diese Blieder und Schnabel, die da in eigensinniger Weise meinen Anordnungen nicht Folge leisteten und mir dadurch schon oft den Bau meines Luftschiffes erschwerten, sind wahrlich nicht wert, daß ich mich noch länger über sie ärgere! Dem Himmel Dank, daß ich die folgenschwersten Dummheiten dieser beiden Erbauer meines Luftschiffes immer noch rechtzeitig ausgleichen konnte! Weg also mit allem Kleinlichen, Ärgerlichen! Diese Stunde soll Mars allein gewidmet sein!“ Der Gelehrte stand auf. „Ja, ja,“ fuhr er nach kurzer Pause zu sprechen fort, „ja, jetzt ist er in der Erdnähe, mein alter, rötlich strahlender Freund. Für meine Ungeduld, ihn heute abend noch zu sprechen, stille Zwiesprache mit ihm zu halten, erscheint er ziemlich spät. Und doch ist er der Pünktliche, nie Fehlende!“

Professor Stiller sah auf seine Uhr. „11 Uhr 42 Minuten! Noch 55 Sekunden, und Mars taucht im Osten auf. Rasch hinauf auf die Galerie und an das Instrument!“ Bald stand letzteres gerichtet. Einer kleinen Feuerkugel gleich zeigte sich dem Auge des Beobachters der über dem östlichen Horizonte langsam emporkommende Mars. Voll Entzücken betrachtete Professor Stiller die ihm zugewandte Fläche des Planeten, auf der sich scharf und deutlich schmale, schnurgerade Linien zeigten.

„Gerade diese schnurgeraden, vielfach in gemeinsamen Punkten sich schneidenden Kanäle sind es, die in ihrer Künstlichkeit am deutlichsten und unzweideutigsten für das Vorhandensein vernunftbegabter Wesen dort oben sprechen,“ kam es laut über die Lippen des Gelehrten. „Der Mars besitzt trotz seiner Atmosphäre verhältnismäßig geringe Wassermengen. Daher sind die Marsbewohner gezwungen, diesem Mangel durch künstliche Veranstaltungen nach Möglichkeit abzuhelfen, die geringen Wassermengen derartig auszunützen, daß, wenn ein Distrikt bewässert ist, die kostbare Flüssigkeit einem andern zugeführt wird. Wie oft habe ich nicht schon diese Tatsachen als Erklärung des zeitweisen Auftauchens und Verschwindens der Marskanäle in Tübingen vom Katheder herunter verkündigt!“ rief Professor Stiller voll Begeisterung. „Ja, ein Volk mit hoher Kultur muß auf dem Mars wohnen, denn nur ein solches vermag so wunderbar geniale, dem allgemeinen Wohl dienende Bauten auszuführen,“ fuhr der Professor in seinem lauten Monologe fort. „Die Jahreszeiten auf dem Mars scheinen mir in erster Linie von dem Schmelzen der Eismassen an seinem Süd- und Nordpole beeinflußt. Und dieses aus den polaren Eiszonen abschmelzende Wasser leiten jene Wesen dort oben zum Zweck der Befruchtung in die uns sogar von hier aus sichtbaren Kanäle. Welch herrlicher, üppiger Pflanzenwuchs muß sich da längs der Kanäle, an ihren Ufern entwickeln! Welch starke Vegetationsprozesse mögen sich dort oben abspielen, wo das Wasser in richtiger Verteilung überallhin geführt wird! Und was das wohl für ein Menschenschlag sein mag, der den Mars bewohnt? Uns vielleicht um Jahrtausende an allgemeiner Bildung voraus! Unmöglich wäre dies nicht. Ich muß sie kennenlernen wie den Boden selbst, auf dem sich das Leben dieser Wesen abspielt.“

Voll Erregung trat Professor Stiller vom Teleskop zurück. Aber das lebhafte Interesse an dem Gegenstande seiner Beobachtung trieb den Gelehrten rasch wieder an das Instrument. So verfloß Stunde auf Stunde mit astronomischen Forschungen und Berechnungen. Die funkelnden Sterne am Himmel verblaßten allmählich, und der Wintermorgen begann langsam heraufzudämmern, als der Professor endlich seinen Posten verließ und sich in sein warmes Heim zurückzog, das sich in unmittelbarer Nähe der Sternwarte befand.

Ein leichter Nebel zog über das Neckartal herauf und lagerte sich über Groß-Stuttgart. Vor der strahlenden Morgensonne aber zerfloß der dünne Schleier rasch und ließ die Stadt, die sich im Laufe ihrer Entwicklung aus dem Tale des Nesenbaches rechts und links am Ufer des Neckars vorgeschoben hatte, in vorteilhaftestem Lichte erscheinen. Der Winter hatte seinen Einzug noch nicht gehalten, und die bewaldeten Höhen des Neckartales trugen daher noch kein Schneegewand. In der reinen, frischen Luft des Dezembermorgens hoben sich klar und scharf die Türme und villenartigen Bauten ab, die da und dort von höher gelegenen Punkten auf die zu ihren Füßen liegende große Stadt herabschauten. Auch die alte Kapelle auf dem Rotenberge paßte prächtig zu dem gesamten Bilde voll landschaftlicher Anmut, durch das der Neckar, einem silbernen Bande ähnlich, seine Wasser strömen ließ.

Ein großer, freier und ebener Platz mit kurzer Grasnarbe, der durch die Abhaltung des schwäbischen Volksfestes von alters her weltberühmte Cannstatter Wasen, unterbrach in angenehmer Weise das Häusermeer und war von diesem nur auf einer Seite durch den Fluß scharf abgegrenzt. Am oberen Ende dieses mehrere Kilometer langen Geländes erhob sich ein gewaltiger Bretterbau.

„Luftschiff für die Mars-Expedition“

stand in Riesenbuchstaben an dem rotundenartigen Bau. Und darunter die üblichen Worte:

„Unberechtigten ist der Zutritt strengstens verboten!“

Aus dem Innern des Gebäudes ließ sich augenblicklich nichts vernehmen, ein Zeichen, daß die Arbeit an dem Werke entweder eingestellt oder vielleicht schon beendet war.

Der Bau des Luftschiffes, das zum ersten Male, seitdem es überhaupt eine Welt- und Völkergeschichte gibt, das schwierige Problem der Fahrt außerhalb der Erdatmosphäre durch den unendlichen Ätherraum hindurch nach einem ganz bestimmten Ziele hin lösen sollte, war den Herren Blieder und Schnabel übertragen. Ersterer war Architekt, dem, allerdings nur in Stuttgart, viel Erfahrung und Phantasie in der Ausführung kühner Projekte nachgerühmt wurde, letzterer Professor der Mathematik an einer höheren Schule. Als solcher war Herr Schnabel berufen, den Bau des Luftschiffes auf Grund mathematischer Berechnungen zu überwachen und im übrigen als wissenschaftlicher Beirat Herrn Blieder zur Seite zu stehen. Form und Schwere, die in sinnreichster Art gebundenen elektrischen Energiemengen, die zur Vorwärtsbewegung und Steuerung des Schiffes wie auch zur Beleuchtung und Heizung der geschlossenen Gondel dienen sollten, all die zahlreichen, äußerst wichtigen Bedingungen und Einzelheiten der Maschinerie waren von Professor Stiller zusammen mit andern bedeutenden Kollegen der Tübinger Universität bestimmt und genannten beiden Herren zur Ausführung übertragen worden.

Nur zögernd, fast widerwillig hatte Professor Stiller sich zu dieser Übergabe verstehen können. Blieder und Schnabel waren alte Bekannte von ihm. Aus der Vorstadt Cannstatt stammend, waren sie mit ihm aufgewachsen, doch hatten die späteren Jahre und die so ganz verschiedenen Interessen und Bestrebungen Professor Stiller mehr und mehr von den beiden Jugendgenossen getrennt. Die entstandene Kluft wurde in dem Maße größer, als Professor Stiller auf dem steilen Wege der Forschung immer höher emporstieg. Als es aber bekannt wurde, daß ein Professorenkollegium der Tübinger Universität auf Grund eines lichtvollen Vortrages von Professor Stiller beschlossen habe, auf Kosten des staatlichen Universitätsvermögens ein eigenartiges Luftschiff zur Expedition nach dem Mars bauen zu lassen, da waren die beiden Genossen ehemaliger Jugendstreiche schleunigst zu Herrn Stiller geeilt.

Beide kitzelte der Ehrgeiz, ihre Namen weltberühmt zu machen, sie für ewig mit dem „Weltensegler“, so sollte das Luftschiff heißen, verbunden zu sehen. Ihren unermüdlichen Bitten um besondere Berücksichtigung unter Anrufung der alten Jugendfreundschaft gab Professor Stiller endlich nach. Er tröstete sich damit, daß von den übrigen für den Bau des Weltenseglers in Frage kommenden Wettbewerbern schließlich keiner eine bessere Gewähr für das Gelingen der Arbeit hätte bieten können als Blieder und Schnabel. Und am Ende, ja, am Ende waren es doch auch Söhne des lieben Schwabenlandes wie er selbst.

So war der anfängliche Widerwille des Gelehrten gegen die zwei „engeren Stuttgarter“ zurückgedämmt worden, um jedoch gegen das Ende des Baues desto lebhafter wieder zu erwachen. Die Herren Blieder und Schnabel waren zwei richtige Dickköpfe. Jeder glaubte für sich allein den Stein der Weisen gefunden zu haben und hielt sich daher für berechtigt, den Plan des Schiffes nach eigenem Gutdünken zu ändern. Nur der Wachsamkeit und der rücksichtslosen Tatkraft Professor Stillers war es zuzuschreiben, daß sich nach endlosen Kämpfen, schwerstem Ärger und Verdruß mit Blieder und Schnabel der Bau des Weltenseglers im großen und ganzen in den Formen hielt, die ihm der Gelehrte selbst gegeben.

Aber gestern mittag, als Professor Stiller die Baustätte besuchte, um sich von der endlichen richtigen Fertigstellung des Ganzen zu überzeugen, an dem seit vielen Monaten eifrig gearbeitet, und dessen Vollendung bereits in die Welt hinausposaunt worden war (Blieder und Schnabel waren die Trompeter), da hatte Professor Stiller in hellem Zorne wahrnehmen müssen, wie gerade einige seiner wichtigsten Anordnungen von den Erbauern übersehen worden waren. Die Arbeit, die bereits ruhte, mußte wieder von neuem aufgenommen werden, und von neuem flickte man am Weltensegler herum. Dadurch verzögerte sich natürlich der Aufstieg, unter Umständen stand sogar das Gelingen der Expedition in Frage. Es war einfach, um aus der Haut und nicht nach dem Mars zu fahren!

Wütend kam Professor Stiller nach Hause. Er brauchte mehrere Stunden, um seinen Grimm zu meistern und sein gestörtes seelisches Gleichgewicht wiederzuerlangen. Unmittelbar am Ziele seiner schon so lange gehegten Wünsche, und nun von neuem auf die Geduldsprobe gestellt, das ertrage, wer vermag! Professor Stiller konnte es nicht, und so kam es, daß er, unfähig zu ernster Arbeit, mehrere Stunden in seinem Observatorium damit zubrachte, sein etwas rasches, feuriges Blut zu beruhigen und den Ärger zu überwinden.

Jetzt saß der Gelehrte, eingehüllt in einen bequemen, molligen Schlafrock, in seinem von der Sonne durchfluteten, geräumigen Studierzimmer, die Beobachtungen der Nacht verarbeitend. Das Ergebnis war sehr günstig. Jetzt, oder für lange Zeit, vielleicht für viele Jahre nicht mehr, war es möglich, von der Erde aus den Mars zu erreichen. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Gestirn von der Erde nur 59 oder 400 Millionen Kilometer entfernt ist. Der Mars hatte augenblicklich das Maximum seiner Erdnähe erreicht und befand sich genau 59 Millionen Kilometer von seinem Nachbar entfernt. Die langen Berechnungen des Professors hatten dies ergeben. Mit der Expedition durfte daher nicht mehr lange gesäumt werden; jeder beträchtliche Zeitverlust mußte auf das peinlichste vermieden werden. Wollte man den sich rasch von der Erde wieder entfernenden Planeten unter vollster Ausnützung der gerade bestehenden günstigen Gravitationsverhältnisse, der natürlichen, gesteigerten Anziehungskraft überhaupt erreichen, so mußte mit jeder Stunde gerechnet werden.

„Und da müssen gerade in diesem so überaus günstigen Augenblick die beiden Langohre da unten“ — Professor Stiller schaute bei diesen Worten von seinem Studierzimmer hinab gen Cannstatt — „einen kleinen Strich durch meine Rechnung machen!“ Eine Blutwelle neu sich regenden Zornes stieg dem Professor gegen den Kopf.

Da wurde an die Tür des Zimmers geklopft. Auf das laute Herein des Gelehrten erschien dessen Diener und meldete die Herren Blieder und Schnabel. „Lupus in fabula!“ lächelte Professor Stiller vor sich hin, erinnerte sich aber plötzlich, daß er gestern auf dem Wasen die beiden Herren zu sich bestellt hatte und zwar für heute auf zwölf Uhr mittags. Ein Blick auf die Uhr bewies die Pünktlichkeit der Besucher. Der Professor erhob sich von seinem Stuhle und gab den Befehl, die Herren hereinzuführen.

„Pünktlichkeit ist Höflichkeit!“ Mit diesen Worten begrüßte Professor Stiller die Eintretenden. „Nehmt Platz,“ fuhr er fort, „und sagt mir sofort, ob binnen vier Tagen die von mir gestern gerügten Ausstände am Weltensegler in Ordnung gebracht werden können; denn nächste Woche müssen wir unbedingt hinauf, koste es, was es wolle.“

„Ich wüßte wirklich von keinem nennenswerten Fehler meinerseits, der den Aufstieg des Luftschiffes hindern könnte,“ meckerte Blieder mit seiner blechernen Stimme.

„Was?“ schrie der Professor erbost, „muß ich dir altem Baumeister, dem vor lauter Genialität allerdings nichts einfällt, nochmals das wiederholen, was ich dir gestern tadelnd sagte?“

An Stelle der Antwort begnügte sich Blieder, mit den Achseln zu zucken.

„In der geschlossenen Gondel kann ich keine Glasfenster brauchen, das könntest du wissen, um so mehr, als ich dieses wichtigen Umstandes bereits am Anfange, beim Entwurf des Planes gedachte,“ entgegnete der Gelehrte.

„Ja, aber warum? Ich sehe wirklich nicht ein . . .“

„Mein lieber Blieder, du siehst allerdings weder ein noch aus. Deine in die Gondel eingesetzten Spiegelgläser sind hart und spröde, den gewaltigen niederen Temperaturen im Ätherraum gegenüber völlig widerstandslos. Also hinaus mit den Gläsern, weg mit ihnen und ersetze sie durch elastischen, widerstandsfähigen Glimmer. Der hält alle Temperaturen über und unter Null gleich gut aus. Zwei Tage Zeit hast du dazu, und in diesen muß die Änderung gemacht sein.“

„Aber wenn . . .“ begann Blieder, wurde aber heftig durch den Professor unterbrochen.

„Es gibt weder ein Wenn noch ein Aber. Sei froh, daß ich dir in Anbetracht der Kürze der Zeit die mancherlei andern Unebenheiten hingehen lasse, deren du dich bei der Konstruktion schuldig gemacht hast. Aber eine wichtige Sache muß noch verbessert werden. Du dachtest nämlich nicht mehr daran, obgleich du auch darauf aufmerksam gemacht wurdest, daß eine Gondel, die während einer bestimmten Zeit der Aufenthaltsraum für eine mehrköpfige Gesellschaft sein soll, auch eine Klappe für allerlei Abfallstoffe haben muß. Wir benötigen ein paar solcher doppelten, auf das dichteste schließenden Klappen, und zwar rechts- und linksseitig, beileibe nicht am Boden.“

„Dort wären sie aber am einfachsten anzubringen.“

„Glaube ich,“ erwiderte spöttisch lächelnd Professor Stiller, „wir wünschen aber nicht unterwegs aus der Gondel zu fallen, sondern wollen womöglich heil und gesund den Mars erreichen.“

„Aber im Innern längs der Gondelwand sind die Provianträume, unter diesen die Akkumulatoren und . . .“

„So teile sie entsprechend ein, und die Sache ist geordnet. Sela! Nun zu dir, Schnabel! Wovon meinst du, daß unsere Expedition unterwegs leben soll?“

„Natürlich von den mitzuführenden Nahrungsmitteln, von Konserven und andern guten Sachen, auch besten Neckarwein nicht zu vergessen,“ antwortete schmunzelnd der mit einem hübschen Bäuchlein ausgestattete, eß- und trinkfeste Mathematiker.

„Den Wein vergessen wir auch nicht, sei unbesorgt, Schnabel. Aber von was lebt denn sonst noch der Mensch außer von Speise und Trank?“

„Nun, von Luft!“ entgegnete Schnabel etwas gereizt über diese Frage.

„Gewiß! Nur sage mir, woher wir denn die Luft auf unserer Reise beziehen sollen. Im Ätherraume gibt es bekanntlich keine, und die vom Cannstatter Wasen in der Gondel mitgenommene Heimatluft hält leider auch nicht lange vor.“

„O zum Kuckuck! Es ist die Anlage für die feste Luft, die ich vergaß anbringen zu lassen.“

„So ist es! Mache deinen Fehler so rasch als möglich gut. Blieder soll dir dabei helfen. Ob die Anlage feste Luft enthält, werde ich dann selbst noch prüfen; denn du wärest imstande, sogar die Füllung zu vergessen. Wie ich dir gestern mittag schon sagte, ist auch die ganze Steuerungsanlage fehlerhaft. An Stelle der Vermittlung durch die Welle hast du unbegreiflicherweise die lebendige Kraft des elektrischen Stromes unmittelbar auf die Aluminiumschraube übertragen.“

„Laut mathematischer Berechnung das einzig Richtige!“ brummte Schnabel.

„Bleib mir hier mit deiner Mathematik vom Leibe, wenn sie solch offenkundigen Unsinn zeitigt!“ entgegnete zornig Professor Stiller. „Ich trage die Verantwortung für die gewagte Expedition. Alles, was ihre Gefahr irgendwie vermehren kann, muß ich nachdrücklich zurückweisen, alles dagegen willkommen heißen, was zu ihrer Sicherheit und zum möglichen Gelingen beizutragen vermag.“

„Als ob wir, Blieder und ich, nicht alles getan hätten, was du von uns verlangtest! Aber natürlich, euch Allerhöchsten von der Universität ist selten etwas recht zu machen.“

„So scheint es wirklich zu sein,“ bestätigte seufzend Blieder.

„Darüber will ich mich mit euch nicht streiten, denn dies wäre eine höchst zwecklose Sache. Sorgt lieber dafür, daß der Weltensegler nächste Woche segelfertig ist. Höchste Zeit dafür ist es, soll die Reise überhaupt gelingen. Seit Tagen schon drängen mich deshalb meine Kollegen in Tübingen, denen ich als Zeit des Aufstieges die ersten Tage des Dezembers angegeben hatte, und zwar als äußersten Zeitpunkt. Nun entsteht wieder eine Verzögerung. Die Sache muß rasch zu Ende gebracht werden. Abgesehen von der allgemeinen Lächerlichkeit, der wir uns aussetzen würden, wenn die Abreise immer von neuem wieder verschoben wird, laufen wir überhaupt Gefahr, die uns gebotenen günstigen Konjunkturen nicht voll und ganz ausnützen zu können. Also sputet euch! Ich bitte dringend darum.“

„Wie lange wird die Reise dauern?“ fragte Schnabel neugierig und bestrebt, der ihm unangenehmen Unterhaltung eine freundlichere Wendung zu geben.

„Das hängt von jedem Tage, ja von jeder Stunde ab, die wir früher fahren können,“ entgegnete Professor Stiller. „Die für die Verbesserung der gerügten Fehler eingeräumten weiteren vier Tage bedeuten für uns eine höchst unliebsame Verlängerung der Reise. Mars hat jetzt das Maximum seiner Annäherung an die Erde erreicht und entfernt sich nun von ihr wieder mit jeder Minute. Wie lange unter diesen Umständen die Reise im Ätherraume dauern wird, läßt sich nur ahnen, genau aber nicht sagen. Sobald wir glücklich aus dem Anziehungskreise der Erde und des Mondes herausgekommen und in den des Mars gelangt sind, wird die Reise außerordentlich rasch vonstatten gehen trotz der gewaltigen Entfernungen, die wir zurückzulegen haben. Dank der mächtigen, vom Mars ausgehenden elektromagnetischen Strömungen der Anziehung werden wir diesem Planeten mit ganz fabelhafter Schnelligkeit zufliegen, mit einer Schnelligkeit, die mindestens täglich auf zwei Millionen Kilometer einzuschätzen ist. Immerhin rechne ich auch im günstigsten Falle auf eine Reisedauer von mehreren Wochen. Der Vorsicht halber nehmen wir aber für drei Monate Proviant mit uns.“

„Und wenn ihr den Mars nicht erreicht, wenn die ganze Reise mißlingt, was dann?“ forschte Schnabel.

„Dann, mein Lieber, geht es uns, wie es schon so manchem Forscher vor uns gegangen ist und nach uns noch gehen wird: wir sind die Opfer, die Märtyrer der Wissenschaft. Mit diesem Fall haben wir aber auch schon gerechnet, als wir beschlossen, die kühne Fahrt zu unternehmen. Glücklicherweise sind sämtliche übrigen Teilnehmer gleich mir keine Familienväter, sondern der Mehrzahl nach jüngere Männer, die diesen Schritt in das Ungewisse, Geheimnisvolle wagen und vor ihrem Gewissen verantworten können. Ich persönlich rechne mit aller Sicherheit auf das Gelingen der Reise, auf den Triumph der Wissenschaft.“

„Mit staunender Bewunderung sieht heute die ganze Kulturwelt auf uns und unser Neckartal, wo so kühne Pläne vor ihrer Verwirklichung stehen, und kommt ihr einst mit dem Weltensegler glücklich wieder zurück, so werdet ihr in einer Weise empfangen und gefeiert werden, wie es noch niemals Menschen vor euch geschah,“ warf Blieder ein.

„Zuerst müssen wir nach dem Mars gekommen sein, bevor wir überhaupt an eine Rückkehr denken können,“ entgegnete Professor Stiller lächelnd. „Einige Jahre dürfte unsere Abwesenheit von hier schon dauern; denn eine solche ungeheure Reise erfordert begreiflicherweise auch außergewöhnliche Zeitdauer. Und das interessanteste Studienobjekt ist der Mensch selbst, der auf jenem fernen Weltkörper haust. Wie ihr wißt, beweisen uns unsere teleskopischen Beobachtungen, daß es ganz besonders hochstehende Wesen sein müssen, die dort wohnen. Wer weiß, ob sie uns nicht geistig wie körperlich weit überragen.“

„Oder uns gegenüber noch sehr minderwertig sind, was auch nicht unmöglich wäre,“ bemerkte Schnabel hochmütig. „Auf keinen Fall möchte ich mit.“

„Du bleibst auch besser unten auf der Erde,“ entgegnete Professor Stiller. „Und nun haben wir genug geschwatzt. Eilt an eure Arbeit! In vier Tagen werde ich auf den Wasen kommen und mich überzeugen, ob die gerügten Anstände in Ordnung gebracht sind. Nächste Woche muß die Abreise des Weltenseglers unbedingt stattfinden; ich betone dies nochmals mit allem Nachdruck. Jeder weitere Tag des Wartens bedeutet für mich und mein an sich schon aufgeregtes Nervensystem eine fürchterliche Qual. Sie zu vermindern, liegt in eurer Hand. Ihr habt mir oft und viel Verdruß bereitet, macht also, daß ich ohne allzu großen Groll von euch und dieser Erde scheiden kann.“ Mit diesen Worten entließ der Professor seine Besucher.

Zweites Kapitel
Die Abreise der Weltensegler

Für Professor Stiller und seine Gefährten vergingen die folgenden Tage in fieberhafter Tätigkeit mit den Vorbereitungen zur Reise. Auch auf dem Cannstatter Wasen in der Werkstätte des Weltenseglers herrschte wieder regste Tätigkeit. Das Luftschiff war aus der gewaltigen Halle heraus auf den großen, freien Platz davor gebracht und hier fest verankert worden. Nun erst konnte man die riesigen Formen des Ballons richtig erkennen. Er hatte eine länglich ovale Gestalt, ebenso die an ihm befestigte geschlossene Gondel. Infolge dieser Ähnlichkeit machte die Gondel den Eindruck, als befinde sich ein zweiter kleinerer Ballon unterhalb des großen, gewissermaßen wie Mutter und Kind.

Die Länge des Luftschiffes betrug, von einer Spitze zur andern gemessen, zweihundert Meter, die mittlere Höhe zwanzig Meter.

Das innere Gerippe des Ballons bestand aus einem Netzwerk von luftleer gemachten, sehr dünnen, aber außerordentlich starken Metallblechröhren. Darüber legte sich ein zweites, gleich konstruiertes Gerippe und über dieses ein drittes. Wohl waren die drei Lagen unter sich verbunden, aber doch so, daß auch jede einzelne für sich allein tätig sein und die Gondel tragen konnte. Es war sozusagen ein dreifach übereinander gestülpter Ballon.

Zur Anfertigung der Metallröhren wurde die von Professor Samuel Schwab in Tübingen neu entdeckte Metallmischung, Suevit genannt, verwendet. Diese Mischung zeichnete sich durch außerordentliche Leichtigkeit, fabelhafte Widerstandsfähigkeit und gewaltige Tragkraft aus und stellte alle bis jetzt in dieser Richtung bekannten Metallpräparate in den Schatten. Suevit bestand der Hauptsache nach aus Aluminium, dem aber in bestimmtem prozentualem Verhältnisse Wolfram neben etwas Kupfer und Vanadium beigegeben war. Diese Legierung ließ sich zu feinstem Blech auswalzen, ohne dabei von ihrer Widerstandskraft auch nur das geringste einzubüßen. Aus diesem Blech nun wurden die Röhren geformt, die zur Anfertigung der drei Ballongerippe dienten. Die Röhren waren nahtlos und wurden, nachdem sie auf das sorgfältigste luftleer gemacht worden waren, mit dem neuen merkwürdigen Gase Argonauton gefüllt.

Zur Umhüllung der einzelnen Metallgerippe diente das von dem leider zu früh verstorbenen Eßlinger Großindustriellen Wilhelm Weckerle erfundene Gewebe aus Seide und Leinen, das das Staunen und die Vewunderung der gesamten Textilbranche erregte. Die Fäden dieses Gewebes wurden auf eigens dazu gebauten Webstühlen mittels neuer Maschinen auf geistreiche Weise so miteinander verknüpft, daß sie nahezu unzerreißbar und von wunderbarer Glätte wurden. Jeder einzelne der drei Ballons wurde mit dem Stoff umhüllt, dann erst wurde dieser so lange mit Kautschuklösung getränkt, als er aufnahmefähig war. Durch dieses Verfahren wurde der Stoff für das Gas vollständig undurchdringlich gemacht. Nichtsdestoweniger wurde der Vorsicht wegen das Ganze noch mit einer dünnen Kautschukmasse umgeben und auf diese endlich die Pillerinlösung aufgetragen, eine von Professor Piller in Tübingen zu diesem Zwecke hergestellte Eisensilikatflüssigkeit. Sie gab dem Überzuge eine einer Panzerung ähnliche Widerstandskraft, die selbst durch Anwendung größter äußerer Gewalt kaum überwunden werden konnte. Der Ballon stellte so das Ideal des starren Systems des Luftschiffes dar.

In dieser peinlich genauen Art wurden auch die einzelnen Bestandteile des Ballons behandelt. Die Berechnung war so getroffen, daß auch nach einem etwaigen Verlust der ersten, äußersten Hülle oder, was kaum anzunehmen war, auch der zweiten mittleren, die innerste immer noch als selbständiges Ganzes zu funktionieren und die Gondel zu tragen vermochte.

Auf diese Weise suchte Professor Stiller allen nur möglichen Gefahren im Weltraum erfolgreich zu trotzen. Jede Ballonhülle war mit einer besonderen Klappe versehen, die vom Gondelinnern aus dirigiert werden konnte.

Der Ballon war, wie bereits gesagt, mit dem neu entdeckten, spezifisch unendlich leichten Gase Argonauton gefüllt. Kaum noch wägbar (0,01), besaß das Argonauton die unschätzbare Eigenschaft, weder durch enorme Hitze (+1350 Grad), noch durch größte Kälte (-500 Grad) irgendwie in seinem Aggregatzustande beeinflußt oder gar verändert zu werden. Es war zur Zeit noch das einzige wirklich beständige oder permanente Gas, das Rätsel der Gelehrtenwelt.

Das Gerippe der Gondel bestand aus derselben Art von Röhren und einem Überzuge aus Weckerleschem Gewebe, das in ähnlicher Weise wie der Ballon mit Kautschuk überzogen und mit Pillerinlösung widerstandsfähig gemacht worden war; Außerdem trug die Gondel noch eine dicke Isolierschicht aus Asbest. Im Innern aber war sie dicht mit Pelzwerk ausgeschlagen; galt es doch, dem Wärmeverlust im ungeheuer kalten Ätherraume, dessen Temperatur auf 120 bis 150 Grad Celsius unter Null geschätzt wurde, nach Möglichkeit vorzubeugen. An Sitz- wie Liegegelegenheit fehlte es in der Gondel nicht. Ihr Inneres machte sogar einen äußerst wohnlichen und behaglichen Eindruck. An den Längsseiten der zehn Meter langen und fünf Meter breiten Gondel befanden sich in einer Art von Schränken die Vorräte von den verschiedenartigsten Nahrungsmitteln.

Unterhalb der Vorratsräume liefen die Leitungen der elektrischen Apparate für Heizung und Beleuchtung des Gondelinnern und diejenigen für die Erneuerung der Luft. Die Fortschritte der technischen Wissenschaften hatten es möglich gemacht, ganz gewaltige Mengen elektrischer Kraft auf einem verhältnismäßig kleinen Raume festzulegen. Auf diese Weise nur war es dem Weltensegler möglich, ohne nennenswerte Mehrbelastung diejenigen Energiemengen an elektrischer Kraft mit sich zu führen, die in ihrer umgesetzten Form als Licht und Wärme nicht nur die Existenz der Gondelbewohner ermöglichen, sondern auch zur Vorwärtsbewegung und Lenkung des Luftschiffes selbst dienen sollten. Für letztere Zwecke waren am Ballonkörper selbst seitwärts, rechts und links, Luftschrauben angebracht, die durch die elektrische Kraft von der Gondel aus in Tätigkeit gesetzt werden konnten. Zur ebenfalls elektrisch betriebenen Steuerung dienten mit dem imprägnierten Weckerleschen Stoffe bespannte, wagrecht wie senkrecht einstellbare große, mit Suevitröhren eingefaßte Flächen. Dadurch war eine Steuerung nach zwei Richtungen hin möglich, horizontal sowohl wie auch vertikal.

Die in metallene Behälter eingeschlossene feste, kristallinische Luft, im Augenblicke ihres Kontaktes mit äußerer, gasförmiger Luft sofort sich verflüssigend und fein zerstäubend, nahm, trotz großer Vorratsmenge, ebenfalls nicht allzuviel Raum und Gewicht in Anspruch.

So waren die wichtigsten, elementarsten Bedingungen erfüllt, die das großartige Unternehmen zu einem erfolgreichen Ergebnis führen konnten. Seit sich der Weltensegler im Freien befand, allen Augen sichtbar, strömte eine Menge neugieriger Besucher herbei, um ihn zu bewundern, die Erbauer mit Fragen zu bestürmen und sie um allerlei Auskunft zu bitten. Die Herren Blieder und Schnabel befanden sich nun endlich in dem ihnen am meisten zusagenden Elemente. Sie schwammen förmlich in Stolz, Wonne und erhöhtem Selbstgefühl, waren sie doch in diesem Augenblick die wichtigsten und dank ihrer Intelligenz als Erbauer auch die angesehensten Persönlichkeiten nicht allein Groß-Stuttgarts, sondern sogar der gesamten Welt. Ihre Namen waren in aller Munde. Was konnten sie mehr verlangen? Selten wird einem Irdischen das große Los zuteil, allgemein mit Hochachtung genannt zu werden. Unter den staunenden Besuchern des Cannstatter Wasens waren Vertreter aller möglichen Völker erschienen, Gelehrte und Ungelehrte, Hochkultivierte und Halbwilde, Männer, Frauen und Kinder, war es ja doch seit Monaten schon durch Zeitungen und Spezialberichte überall, diesseits und jenseits der Ozeane, bekannt geworden, daß das große, unerhört verwegene Wagnis einer Reise nach dem fernen Mars anfangs Dezember vom Herzen des Schwabenlandes aus zur Ausführung kommen sollte. Die Namen Blieder und Schnabel waren daher in den fernsten Winkel des Erdballes getragen worden als die kühnen Schöpfer des Luftschiffes, das als erstes die unendlichen Räume des Weltenäthers durchschnitt.

Mit der Zunahme der Besucher stieg die allgemeine Erregung, als der Tag des Aufstieges des Weltenseglers langsam näher rückte. Nach Hunderttausenden wurden die Fremden geschätzt, die nach Groß-Stuttgart geströmt waren, um das in seiner Art einzige Schauspiel zu sehen, ein Schauspiel, von dem noch in den fernsten Zeiten als von einer wunderbaren Begebenheit gesprochen werden mußte. Nur persönlich dabei zu sein, den Augenblick des Aufstieges in seiner ganzen Wucht der Eigenart auf sich einwirken zu lassen, von diesem einzigen Wunsche waren alle Besucher beseelt. Sie zahlten gewaltige Preise für ihre Unterkunft. Wer mit dem Geld nicht verschwenderisch um sich werfen konnte, fand weit und breit in und um Stuttgart herum keine Unterkunft. Nicht nur waren die Gasthäuser bis unter das Dach hinauf besetzt, nein, auch die Häuser von Privaten waren gefüllt. Noch niemals hatte Stuttgart mit seiner Umgebung einen so ungeheuren Fremdenstrom erlebt, wie in diesen Tagen.

Auf dem Wasen selbst war das Leben und Treiben der Menschenmenge nachgerade lebensgefährlich geworden. Man stieß und drängte sich förmlich. Überall war ein fürchterliches Pressen und Schieben, dazwischen ein Lachen und Schimpfen und Wettern in allen Sprachen der Völker. Jeder und jede wollte so nahe als möglich an den Weltensegler gelangen, an dieses Wunder der Technik, dieses stolze Erzeugnis wissenschaftlicher Berechnung. Alle wollten das Werk möglichst genau sehen und betrachten, womöglich auch befühlen und einen Blick in die merkwürdig eingerichtete Gondel werfen; sollte diese doch für viele Wochen der Aufenthaltsort der berühmten sieben Gelehrten sein, die ohne Rücksicht auf ihr Leben die einem Märchen gleiche Reise nach einer andern Welt unternahmen, einer Welt, die in schwindelerregend weiter Ferne von der Erde sich befand.

Die Meinungen über das Gelingen oder Mißlingen der Expedition waren beim Publikum noch immer geteilt. Darüber aber waren sich alle einig, daß das Unternehmen an Kühnheit und Großartigkeit alles in den Schatten stellte, was die Welt bisher gesehen, und daß die Männer der Expedition an Mut und Entschlossenheit nicht ihresgleichen fanden.

So war der 7. Dezember herangekommen, der ewig denkwürdige Tag, an dem nachmittags punkt vier Uhr der Aufstieg des Weltenseglers stattfinden sollte. Kurz nach Tagesanbruch war Professor Stiller auf der Baustelle erschienen. Die Herren Blieder und Schnabel befanden sich bereits auf dem Platze und erwarteten den Professor. Ebenso waren sämtliche am Weltensegler beschäftigte Arbeiter angetreten. Der Ballon wie die Gondel wurden einer scharfen, eingehenden Besichtigung unterworfen. Die von Professor Stiller gerügten Ausstände waren beseitigt. Einige kleinere Anstände, die der Professor da und dort noch entdeckte, verbesserten die Arbeiter sehr rasch. Nachdem auch das Kleinste geordnet war, stieg Professor Stiller in die Gondel. Ihm folgten die Herren Blieder und Schnabel sowie einige der ersten Arbeiter.

Die Taue, mit denen das Riesenluftschiff am Boden befestigt war, wurden vorsichtig gelöst. Langsam, in stolzer Sicherheit erhob sich der Weltensegler gen Himmel. Unterdessen hatte sich trotz der frühen Morgenstunde eine Menge von Neugierigen auf dem Wasen eingefunden, die mit Staunen und lauter Bewunderung den Bewegungen des Luftschiffes folgten. Hoch oben in der Luft, kaum noch erkennbar, bald rückwärts, bald vorwärts flog der Weltensegler, willig der Steuerung gehorchend wie das flinkste Schiff im Wasser. In raschem Fluge und weitem Bogen zog das Luftschiff über Stuttgart hin, kehrte wieder über den Ort des Aufstieges zurück und ließ sich langsam und majestätisch genau auf dem Punkt nieder, von dem es ausgegangen war.

Ein tausendstimmiges Bravo der Zuschauer, wie ein Donner klingend, belohnte die gelungene Probefahrt. Nun konnte es tatsächlich keinem Zweifel mehr unterliegen, daß ein so wunderbar schnell fliegendes und leicht lenkbares Luftschiff wie der Weltensegler den höchsten aeronautischen Anforderungen genügen, daß die Reise wirklich zu einem befriedigenden Ziele, zu einem günstigen Ergebnis führen mußte.

Mit Befriedigung verließ Professor Stiller die Gondel. Die Sache war besser ausgefallen, als er vor wenigen Tagen selbst noch geglaubt hatte. Sein so lange genährter und auch berechtigter Unmut gegen die Herren Blieder und Schnabel wich freundlicheren Gefühlen, als er sich von ihnen verabschiedete. Gern übersah er deshalb auch, daß die Erbauer des Weltenseglers eigentlich nur die Handlanger bei der Ausführung des Erzeugnisses seiner eigenen Geistesarbeit gewesen waren, und gönnte ihnen den leicht und billig verdienten Ruhm. Neidlos überließ er seine alten Schulgenossen dem herbeiströmenden Publikum, das diese mit Glückwünschen zu dem genialen Bau und der gelungenen Probefahrt des Weltenseglers überschüttete.

Es ging auf ein halb vier Uhr nachmittags. Ein Meer von Menschen wogte auf dem Wasen. Von Minute zu Minute stieg die Erwartung, denn bald sollten die kühnen Weltensegler, die sieben berühmten Gelehrten, Deutschlands und Schwabens Stolz und Zier, auf dem Wasen eintreffen, um in dem Luftschiff mit dem so treffenden Namen die ungeheuerliche Reise anzutreten. Punkt ein halb vier Uhr begannen die Glocken aller Türme von Groß-Stuttgart zu läuten. Es war ein harmonisches, feierliches Konzert, würdig des bevorstehenden ernsten und zugleich so großartigen Augenblicks. Aus dem Tale des Nesenbachs heraus wie aus dem des Neckars verkündete der laute, eherne Mund der Glocken das Hohelied von Mut, von Kühnheit und dem Menschengeist, der sich über den einengenden Erdenkreis hinaus erhob und sich einen Verkehr mit jenen fernen, geheimnisvollen Welten anzubahnen anschickte, der seit Beginn der menschlichen Kultur bis zur heutigen Stunde das hoffnungslose Sehnen und Wünschen der Edelsten und Besten gewesen war. Jetzt endlich, nach Jahrtausenden, sollte dieses Sehnen Erfüllung finden, der Verwirklichung entgegengehen. Kein Wunder, daß die gesamte Welt mit atemloser Spannung nach der Hauptstadt des Schwabenlandes blickte, wo eine solche Großtat vollbracht werden sollte.

Nach allen Richtungen der Windrose flogen von dem Cannstatter Wasen die Telegramme der Berichterstatter. Ein großes Depeschenbureau war für diesen Zweck in unmittelbarer Nähe des Weltenseglers errichtet worden. Auf dem Wasen selbst war die Erregung der Massen nachgerade aufs höchste gestiegen. Die feierlichen Akkorde der Glocken hatten bei der Menschenmenge ein erhebendes, sonntägliches Gefühl erweckt, und als fünf Minuten vor vier Uhr die Glocken plötzlich mit einem Schlage verstummten, da herrschte auf dem weiten Platze die ernste, erwartungsvolle Stille der Kirche.

Die Sonne stand schon tief im Westen. Ihre rotgoldenen Strahlen spielten wie Abschied nehmend an dem Weltensegler und ließen das gewaltige, kaum sich bewegende Luftschiff wie mit einem Heiligenschein umgeben erscheinen. Da ertönten von der Neckarbrücke her Hurrarufe. Sie pflanzten sich fort und wurden zu einem betäubenden Willkommen. Aus Hunderttausenden von Kehlen stieg brausender Begrüßungsruf, als die Menge der sieben Gelehrten ansichtig wurde, deren Namen von Mund zu Mund gingen, und deren Bildnisse in ungezählten Exemplaren gekauft worden waren. Die Herren vertraten folgende Fächer:

Prof. Dr. Siegfried Stiller, Astronomie, Physik und Chemie,

Prof. Dr. Paracelsus Piller, Medizin und allgemeine Naturwissenschaft,

Prof. Dr. David Dubelmeier, Jurisprudenz,

Prof. Dr. Bombastus Brummhuber, Philosophie,

Prof. Dr. Hieronymus Hämmerle, Philologie,

Prof. Dr. Theobald Thudium, Nationalökonomie,

Prof. Dr. Friedolin Frommherz, Ethik und Theologie.

In einem Autoelektrik sitzend, fuhren die Herren langsam durch die sich vor ihnen öffnende Menschenmauer der Baustelle des Weltenseglers zu. Ernst und voll Würde grüßten die kühnen Reisenden die ihnen zujubelnde Menge. Am Weltensegler angelangt, verließen sie den Wagen, und Professor Stiller bestieg die in aller Eile und in letzter Stunde noch aufgerichtete Rednertribüne, um von da aus einige Worte des Abschiedes an die nächste Umgebung zu richten.

„Verehrte Damen und Herren, werte Freunde und Kollegen von nah und fern dieses kleinen Erdenballes! Die Geschichte unseres Planes ist Ihnen ja allen bekannt. Heute ist er verwirklicht insofern, als es uns gelungen ist, ein Luftschiff zu konstruieren, das nicht nur die Atmosphäre unserer Erde mit Leichtigkeit durchschneiden, sondern auch — und dies ist der springende Punkt — den Ätherraum selbständig durchfliegen soll. Alle hier in Frage kommenden, ungeheuer verwickelten wissenschaftlichen Bedingungen, die vorher erfüllt werden mußten, um unsere Reise nach dem Mars zu ermöglichen, will ich nicht weiter erwähnen. Dies würde mich auch viel zu weit führen. Aber für meine heilige Pflicht halte ich es, in dieser Stunde des Abschiedes laut und offen zu erklären, daß möglicherweise unsere Reise von manchen Faktoren ungünstig beeinflußt, durch diese „Unbekannten“, die wir hier auf unserm Planeten nicht in den Kreis unserer Berechnung zu ziehen vermochten, vielleicht auch zum Scheitern gebracht werden kann. Diese Erkenntnis schützt uns vor Selbstüberhebung, sie zeigt uns aber auch klar die Gefahren unserer Expedition. Nicht Leichtfertigkeit, sondern die vorwärts treibende Wissenschaft, der Durst nach Aufklärung ist es, der uns unser eigenes Leben nicht achten, sondern in den Dienst der allgemeinen Forschung stellen läßt.

Ob und wann wir uns je in diesem Leben wiedersehen werden, kann heute niemand von uns sagen. Kommen wir in einer Reihe von Jahren nicht mehr zurück, so weihen Sie unserm Andenken eine stille Träne. (Allgemeine Rührung.) Wir sind eben dann die Opfer unseres Berufes geworden. Aber ebensogut ist es möglich, daß wir Ihnen einmal später von den Wundern einer andern Welt berichten können. Leben Sie daher alle, alle wohl, und nehmen Sie zum Abschiede meinen und meiner Kollegen herzlichen Dank für Ihr Erscheinen hier, für Ihre Anteilnahme an unserm Unternehmen.“

Beifallsstürme brachen los, als Professor Stiller seine Rede beendigt hatte und nun gemessenen Schrittes von der Tribüne herabstieg. Wieder trat eine lautlose Stille ein, als die Gelehrten einer nach dem andern in die Gondel stiegen. Professor Stiller war der letzte, der die Strickleiter zur Gondel hinaufkletterte. Er winkte noch mit der Hand, dann schloß sich die kleine Tür. Das Klingeln einer elektrischen Glocke war das Signal zum Lösen der Taue. Der Weltensegler hob sich. Ruhig, gerade stieg er hinauf in den mehr und mehr heraufziehenden Winterabend. Kleiner und kleiner wurde der mächtige Ballon, größer und größer die Entfernung zwischen ihm und der Erde, dann verschwand er vor den Augen der Zurückgebliebenen, die sich schweigend unter dem machtvollen Eindruck des Geschehenen nach und nach zerstreuten.

Am Abend dieses bedeutungsvollen Tages gab der hohe Rat der Stadt Stuttgart zu Ehren der Herren Blieder und Schnabel, der Erbauer des Weltenseglers, in dem glänzend erleuchteten, prachtvoll geschmückten Cannstatter Kursaal ein prunkvolles Festmahl. In mancherlei Reden wurden die Herren als die im Augenblick berühmtesten Männer und hervorragendsten Leuchten ihrer Vaterstadt gefeiert. Tränen der Freude liefen den beiden Herren über die gut genährten Wangen, als sie so offen ihr Loblied aus dem Munde der hochwürdigen Stadtväter singen hörten. Allerdings behaupteten böse Zungen später, Blieder und Schnabel hätten nur deshalb geweint und nicht mit Worten zu danken vermocht, weil sie schon zu viel des guten Weines getrunken und den Zungenschlag bekommen hätten. Aber böse Zungen sind ja immer dabei, wenn es gilt, die Verdienste anderer zu schmälern.

Beim Festmahle erreichte die allgemeine Rührung ihren Höhepunkt, als den Herren Blieder und Schnabel auf ihre etwas großen Köpfe je ein mächtiger Lorbeerkranz gepreßt wurde. Am Schlusse des Mahles verkündete der Herr Oberbürgermeister der Haupt- und Residenzstadt, daß Herr Architekt Adolf Blieder und Herr Professor Julius Schnabel auf Grund ihrer Leistungen bei dem kühnen Bau des Weltenseglers aus dem Stande der gewöhnlichen Bürger der Stadt herausgehoben und in die kleine Gemeinde der Ehrenbürger versetzt seien. Die Überreichung der Ehrendiplome unter den rauschenden Klängen des Stuttgarter Stadtmarsches schloß die erhebende Feier erst um die mitternächtliche Stunde.

Drittes Kapitel
Zwischen Himmel und Erde

Keine nennenswerte Luftströmung störte den fast senkrechten Aufstieg des Weltenseglers. Noch befand sich das Luftschiff im Bereich der Erdatmosphäre. Allerdings machte sich die erreichte Höhe durch den verminderten Luftdruck und das Sinken der Temperatur auch im Innern der Gondel fühlbar. Professor Stiller, als Leiter des Ganzen, schlug daher vor, zunächst einen bescheidenen Abendimbiß einzunehmen, wohl den letzten in der Nähe der Mutter Erde, von der die Expedition nach dem Stand des Barometers schon siebentausend Meter entfernt war. Der Vorschlag fand allseitige Billigung. Die Herren ließen sich die ausgezeichneten Stuttgarter Fleisch- und Backwaren vortrefflich schmecken, und dem an den sonnigen Halden des Neckartales bei Cannstatt gewachsenen Zuckerle, so hieß der mitgenommene gute Rotwein, wurde wacker zugesprochen, soweit eben die Herren Gelehrten keine Abstinenzler waren.

Nach dem Mahle wurde die Aufmerksamkeit wieder den Instrumenten zugewandt. Diese zeigten an, daß die Grenze der Erdatmosphäre erreicht sei, mithin der Eintritt in den unermeßlichen Ätherraum bevorstehe. Die mit Xylol gefüllten Thermometer zeigten außerhalb der Gondel bereits 42 Grad unter Null an, und die Barometer registrierten eine Höhe von 19950 Meter. In der Gondel wurden die elektrischen Glühkörper in Tätigkeit gesetzt, nachdem schon vorher der Zerstäubungsapparat für die feste Luft in Funktion getreten war. Eine erträgliche Temperatur und eine angenehme, gut atembare Luft herrschte in der Gondel. Der Dienst in dem Raum wurde in der Weise geordnet, daß jeder der Gelehrten während vierundzwanzig Stunden abwechselnd drei Stunden zweiundvierzig Minuten die Instrumente zu überwachen hatte. Auf diese Art war für den einzelnen der Dienst nicht anstrengend. Nur Professor Stiller hatte sich vorbehalten, im Falle der Notwendigkeit die Dienstleistung für gewisse Zeit allein zu übernehmen.

Ruhig und gut ging die erste Nacht in der Gondel hoch oben im Ätherraume vorüber. Unterdessen war der Ballon äußerst schnell gestiegen. Morgens um 7 Uhr, am 8. Dezember, war die Höhe von 90723 Meter erreicht. Die Thermometer an den Glimmerfenstern der Gondel zeigten die fürchterliche Kälte von 120 Grad. Tiefe Dunkelheit umgab den Weltensegler. Kein einziger Sonnenstrahl fiel in diese pechschwarze Nacht des Tages. Rascher und rascher stieg das Luftschiff, seinen Kurs genau der Steuerung gemäß nach Osten haltend. Gegen Mittag wurde durch den Geschwindigkeitsmesser die gewaltige Entfernung von 220000 Meter von der Erde angezeigt. Sollte das Steigen in diesem schnellen, progressiv sich steigernden Tempo fortgehen, so mußte der Weltensegler im Laufe weniger Tage in die Nähe des Mondes gelangen, der bis dahin, um 90 Grad nach Osten vorgerückt, gerade sein erstes Viertel bilden würde.

Mit der Annäherung an den Mond erhielt der Weltensegler dann wieder das Licht der Sonne, konnten die Gondelbewohner sich wieder an den leuchtenden Strahlen der Urquelle aller Kraft erfreuen. Obgleich noch keine vierundzwanzig Stunden unterwegs, empfanden die Herren die Dunkelheit des sie umgebenden Weltraumes wie eine allzulange Nacht. Sie begannen sich darüber zu äußern.

„Wir sind eben Kinder des Lichtes, der Sonne und empfinden sofort deren Mangel,“ sprach Professor Dubelmeier.

„Das ist wohl wahr,“ bestätigte Friedolin Frommherz, „alles Licht, auch das unserer Seelen, kommt von oben.“

„Umgesetztes Sonnenlicht, mein Lieber,“ ergänzte Professor Hämmerle.

„Nennen Sie es, wie Sie wollen, das letzte aller Rätsel, die wirkliche Ursache alles Seins bleibt uns Sterblichen eben doch für immer verborgen, und wer weiß, ob dies nicht sehr gut ist,“ entgegnete Frommherz.

„Darüber wollen wir uns hier in unserer Gondel nicht streiten, sondern uns über die Aussicht freuen, in kürzester Zeit aus dem Dunkel des Ätherraumes heraus wieder in das volle Licht der Sonne eintauchen zu dürfen, allerdings um sehr rasch wieder in die Finsternis zurückzukehren, wohl dann für längere Zeit,“ warf Professor Stiller ein.

Doch plötzlich wurde der Unterhaltung ein unerwartetes Ende bereitet. Der Weltensegler begann zu zittern und schien einen Augenblick still zu stehen. Das Zittern des mächtigen Ballons übertrug sich auf die Gondel.

„Was ist los, um des Himmels willen, was hat sich ereignet?“ Diese Fragen kamen über die Lippen von mehreren der erregten Gelehrten.

„Zunächst nur Ruhe, keine Aufregung, die ja doch zu nichts führen würde, liebe Freunde!“ besänftigte Professor Stiller seine erschrockenen Gefährten. „Es scheint, daß wir in den breiten elektrischen Anziehungsstrom des Mondes gelangt sind, auf den der Weltensegler mit seiner eigenen elektrischen Strömung sofort reagiert hat, daher sein plötzliches Erzittern,“ fuhr Herr Stiller fort. „Nun seht, er beruhigt sich und treibt wieder und zwar bedeutend schneller vorwärts, ein Beweis für die Richtigkeit meiner Vermutungen.“ Mit diesen Worten trat Stiller von seinem Beobachtungsposten zurück, um ihn aber bald nachher wieder einzunehmen.

Von der Geschwindigkeit der rasenden Vorwärtsbewegung spürten die Insassen der Gondel nichts oder nur sehr wenig. Mit größter Aufmerksamkeit beobachtete Professor Stiller wieder den Geschwindigkeitsmesser. Nach einer Stunde konstatierte der Gelehrte kopfschüttelnd eine zurückgelegte Strecke von 4500 Kilometern.

„Warum schütteln Sie den Kopf, Stiller?“ fragte Professor Piller den Kollegen.

„Es geht langsamer vorwärts, als ich mir vorstellte und nach meinen Berechnungen erwartet hatte.“

„Nanu, ich denke, 4500 Kilometer in einer Stunde fliegend zurückzulegen, macht uns so leicht niemand nach. Eine solche Geschwindigkeit übersteigt alles, selbst die kühnste Rechnung,“ warf Brummhuber ein.

„Sie übersehen dabei die ungeheuren Entfernungen, die wir zurückzulegen haben, um unser Ziel zu erreichen,“ entgegnete Professor Stiller. „Doch ich hoffe, daß es in diesem Tempo nicht weitergehen wird; wir kämen sonst,“ fügte er etwas gezwungen lächelnd hinzu, „mit allzu großer Verspätung auf dem Mars an.“

„Ein paar Tage mehr oder weniger spielen bei unserer Reise keine Rolle,“ antwortete Thudium.

Doch Herr Stiller gab keine Antwort mehr. Ernste Gedanken zogen in sein Gehirn und begannen ihn zu quälen. Diese Gedanken wollte er einstweilen für sich behalten. Wozu die Ruhe, das Vertrauen der Gefährten schon jetzt erschüttern? Die Zeit brachte von selbst Rat und vielleicht auch — Hilfe.

So verstrichen der zweite und der dritte Tag der Reise.

Am Ende des letzteren betrug die zurückgelegte Entfernung 324000 Kilometer. Die Geschwindigkeit des Weltenseglers hatte also doch etwas zugenommen, dank der von ihm aus seinen Apparaten nach außen hin abgegebenen elektrischen Kraft, die von Professor Stiller im Vereine mit Piller und Hämmerle einer sorgfältigen Messung unterlag. So vergingen die Stunden. Keiner der Herren vermochte zu schlafen, denn aller Wahrscheinlichkeit nach mußte der Weltensegler noch diese Nacht in die unmittelbare Nähe des Mondes gelangen.

Eine plötzliche, von außen her in die Gondel dringende Helle ließ sofort Professor Stiller den elektrischen Strom schließen. Das Luftschiff begann langsamer zu fahren und stoppte endlich. Die Herren stürzten nach den Fenstern der Gondel, um den ganz unbegreiflichen Stillstand zu ergründen. Staunende Bewunderung über das, was sich ihren Augen bot, wirkte im ersten Augenblick so lähmend auf die Insassen der Gondel, daß sie minutenlang wie gebannt in stummem Entzücken dastanden. Dann aber brach sich eine laute Begeisterung Bahn.

„Großartig! Einzig schön! Allein die Reise wert! Ein Bild ohnegleichen! Der Mond, der Mond!“ so kam es über die Lippen der Beschauer. Unmittelbar unter ihnen zeigten sich, hell beschienen von der Sonne, gewaltige, oft zerrissene, wild zerklüftete, trotzig emporstrebende Berge, die Schatten von wunderbarer, ungekannter Schärfe warfen. Zwischen ihnen gähnten Tausende von Metern tiefe Abgründe, und eine Unmasse ausgebrannter Krater schob sich zwischen die Abgründe und die Felsenmauern. Ziemlich ebene Landschaften waren wiederum von wallartigen Ringen ehemaliger gewaltiger Vulkane umkränzt. Dieses so umschlossene Land lag bedeutend höher als das außerhalb der Wälle sichtbare, aus dem sich wiederum da und dort kegelförmige Berge, die Reste einstiger Vulkane, scharf abhoben. Die merkwürdige Beleuchtung mit ihren einzig schönen Schattenbildern, überhaupt der ganze Eindruck war so eigenartig, in dieser Form so völlig verschieden von dem, was die Herren von der Erde her kannten, daß sie einen Vergleich damit gar nicht zu ziehen vermochten.

Wohin sie auch ihre Blicke richteten, nirgends, aber auch nirgends konnten sie Spuren von Pflanzenwuchs oder Wasser entdecken. Kein See, kein Strom, kein wogender Ozean, kein grünender Rasen, Strauch oder Baum, nichts, rein nichts zeigte sich. Das stumme, ergreifende Bild des starren Todes, das sich hier den Reisenden offenbarte, verfehlte auf diese seine Wirkung nicht. Die erste laute Begeisterung war rasch einer großen Stille gewichen, dem tiefen Ernste, den der Tod bei jedem denkenden und empfindenden Menschen hervorbringt. Nur kurze Zeit hatte man sich der Betrachtung desjenigen Teiles des Mondes hingeben können, der von der Gondel aus sichtbar war. Der Weltensegler fing an langsam zu fallen.

„Auf dem Monde können wir uns weder braten lassen, noch wollen wir auf ihm erfrieren,“ rief Professor Stiller. „Wir müssen also schleunigst aus seiner wegen der Anziehung für uns gefährlichen Nähe weg und wieder hinaus in den Weltäther.“

Rasch wurde die elektrische Kraft wieder in Tätigkeit gebracht; die Flügel der Schraube drehten sich, und der Weltensegler entfernte sich schneller und immer schneller vom toten Kinde der noch lebendigen Mutter Erde.

Die Berechnungen von Professor Stiller gingen dahin, daß nach Kreuzung der Mondbahn und glücklicher Überwindung der Anziehungskraft des Mondes der Weltensegler bald selbst in die eigentliche Anziehungssphäre des Mars gelangen müsse, als desjenigen großen Gestirns, das sich augenblicklich der Erde noch am meisten genähert hatte. Diese Erdnähe mußte begreiflicherweise die natürliche, auf elektromagnetischen Strömungen beruhende Gravitation zwischen Mars und Erde ganz bedeutend beeinflussen. Daraus folgte, daß, wenn ein den Gesetzen der Anziehungskraft unterworfener Körper, wie ihn beispielsweise der Weltensegler darstellte, in den Bereich dieser Anziehung gelangte, er in dem Maße vom Mars angezogen wurde, als er ihm näher stand als der Erde.

Von der Erde war nun der Weltensegler jetzt genau — nach Passage der Mondbahn — 386492 Kilometer entfernt. Es konnte daher keinem Zweifel unterliegen, daß der Weltensegler bereits unter der Anziehungskraft des Mars stand, die Stillersche Rechnung somit stimmte, denn das Luftschiff flog mit gleichmäßiger Geschwindigkeit und in derselben steten östlichen Richtung weiter. Die anfänglich gefürchtete Einwirkung der Anziehungskraft der Sonne konnte nun endgültig ausgeschaltet werden. Der Weltensegler befand sich auf dem richtigen und unmittelbaren Wege zu seinem Ziele.

Schon längst war es wieder dunkle Nacht außerhalb der Gondel, und die furchtbare Kälte des Weltraumes umgab den Ballon. Trotz des hermetischen Abschlusses und der dicken Pelzlager der Gondel vermochten sich die Reisenden gegen die Kälte nur durch elektrische Beleuchtung und Heizung zu schützen.

Ein Tag verging so nach dem andern. Aus der ersten Woche wurde die zweite, aus der zweiten die dritte, aus der dritten die vierte, und noch immer wollte der Flug des Weltenseglers kein Ende nehmen.

Eines Tages — es war in der vierten Woche der Reise — begann die Stille des Gondelinnern ein eigenartiges Geräusch zu unterbrechen.

„Was ist denn los?“ fragten die Gelehrten erstaunt Professor Stiller.

„Ich kann es mir nicht erklären,“ entgegnete dieser. „Weder unsere Uhren noch der Geschwindigkeitsmesser können die Ursache dieses auffallenden Rasselns sein. Und doch muß diese hier innen zu suchen sein, da der Weltäther bekanntlich keine Schallwellen vermittelt.“

Während Herr Stiller so sprach, forschte er nach der Ursache des sich mehr und mehr verstärkenden Lärmes.

„Ich kann wirklich nichts finden. Alle unsere Apparate für Luft und elektrische Kraft sind in Ordnung und funktionieren ruhig und tadellos. Aber halt, da fällt mir ein, es ist ja die Luft in unserer Gondel selbst, die den Schall überträgt, dessen Ursache draußen im Weltenraume liegen muß.“

„Dann ist es vielleicht irgendein Weltkörper, in dessen Nähe wir gelangt sind,“ warf Professor Hämmerle besorgt ein.

In der Gondel surrte und schwirrte es nachgerade wie in einem Uhrmacherladen. Es schien, als ob Hunderte von Weckern losgegangen wären.

„Das ist ja ein Höllenlärm, bei dem einem Hören und Sehen vergeht!“ brüllte Professor Thudium wütend. Aber in dem allgemeinen, betäubenden Rasseln erstarb seine Stimme.

Da erschreckte eine plötzliche Helligkeit, loderndem Feuer gleich, die sieben Insassen der Gondel. Eine Verständigung war des Lärmes wegen unmöglich geworden. Vor dem blitzenden Lichte, das durch die Fenster drang, schlossen die Reisenden unwillkürlich die schmerzenden Augen. Jeder Versuch, sie zu öffnen, erhöhte das fürchterliche Schmerzgefühl. In diesem kritischen Augenblick erinnerte sich Professor Dubelmeier glücklicherweise seiner Gletscherbrille, die er als leidenschaftlicher Bergsteiger in den Universitätsferien stets bei sich trug, und die er wohlverpackt in einem Futterale mitgenommen und in irgendeine Tasche seines Rockes gesteckt haben mußte. Vorsichtig tastete er den Rock von außen ab. Richtig, da fühlte er einen länglichen Gegenstand in der oberen rechten Seitentasche. Es war die Brille, dem Himmel sei Dank! Endlich hatte er sie auf die Nase gebracht. Geschützt durch die dunklen Gläser, vermochte er nun seine Augen zu öffnen. Zunächst ließ er seine Blicke in der Gondel herumwandern. Stumm, mit geschlossenen Augen lagen seine Gefährten da. Der Ausdruck ihrer Gesichter trug den Stempel in ihr unabwendbares Schicksal ergebener Männer.

Mit zitternden Knien und klopfendem Herzen schlich sich Professor Dubelmeier zu dem ihm zunächst liegenden Glimmerfenster. Er wollte den Versuch machen, die Schutzvorrichtung an ihm herabzulassen, an die in dem wahnsinnigen Lärm merkwürdigerweise keiner der Herren bis jetzt gedacht hatte. Behutsam spähte er dabei hinaus in den unermeßlichen Weltraum. Aber welch überwältigendes Schauspiel bot sich ihm hier! Vor Aufregung hierüber vergaß er die Schutzvorrichtung. Sein Sinnen und Denken war von dem Naturschauspiele da draußen völlig gefangengenommen.

Aus Millionen von Leuchtkugeln, die ähnlich der Milchstraße am nächtlichen Himmel einen breiten Strahlengürtel bildeten, funkelte und blitzte es in märchenhafter Pracht herüber aus der Ferne. Was mochte das wohl sein? Da mußte sofort Kollege Stiller gefragt werden, denn möglicherweise konnte durch ihn noch eine dem Weltensegler drohende Gefahr abgewendet werden. Professor Dubelmeier ließ zunächst die Schutzvorrichtung an den Fenstern herab, trat dann auf Stiller zu, stülpte ihm die Schutzbrille auf die Nase und rüttelte ihn aus seiner Betäubung wach. Erstaunt über sein so plötzlich wiedergekehrtes Sehvermögen erhob sich Professor Stiller mit der Brille seines Freundes und folgte dessen stummer Gebärde. Er zog die Schutzvorrichtung des Fensters weg und blickte hinaus. Gebannt von dem sich ihm bietenden Schauspiel blieb auch er einige Minuten am Fenster stehen, versunken in den Zauber des Anblicks. Nun war ihm die Ursache des tollen Rasselns, der Erscheinung überhaupt, klar. Der Weltensegler war auf seiner Bahn nach dem Mars in die Nähe eines durch den Weltäther dahinsausenden Kometen gekommen, der eben diese Bahn kreuzte. Eine unmittelbare Gefahr für den Weltensegler war bei der immerhin noch großen Entfernung und der ungeheuren Geschwindigkeit der Kometenbewegung nicht vorhanden, wenigstens nicht für die nächsten Stunden. Beruhigt, aber doch halb berauscht von der einzigartigen Erscheinung, verließ Herr Stiller das Fenster.

Wie es Professor Dubelmeier mit ihm gemacht, so machte es Stiller mit seinem Kollegen Piller, dieser wiederum mit Hämmerle und so weiter, so daß jeder der Reisenden sich das großartige Schauspiel ohne Gefahr für sein Sehvermögen betrachten konnte. Zu einer Aussprache aber kam es erst nach einigen Stunden, als das Geräusch des vorbeiziehenden Kometen nach und nach abzunehmen begann.

Dann erklärte Professor Stiller seinen Gefährten die Ursache der Erscheinung und pries laut Dubelmeiers Schutzbrille.

„An so vieles dachte ich bei der Auswahl der mitzunehmenden Sachen, und ich glaubte auch, wirklich nichts vergessen zu haben. Ich gestehe aber, daß ich auf den praktischen, so naheliegenden Gedanken einer Schutzbrille nicht gekommen bin. Da sieht man wieder die eigene Unzulänglichkeit, den Mangel an Verlaß auf sich selbst. Freund Dubelmeiers Sorgfalt hat uns einen großen Dienst geleistet.“

„Na, nun aber sagen Sie, Mann, wie kamen denn gerade Sie auf den Einfall, eine Gletscherbrille in das Luftschiff mitzunehmen?“ fragte Professor Piller neugierig.

Dubelmeier wurde verlegen und wollte zuerst nicht recht mit der Sprache heraus. Auf allseitiges Fragen und Drängen hin gestand er endlich, daß er sich nicht hätte mit dem Gedanken befreunden können, jahrelang seinen geliebten Bergtouren zu entsagen. Da habe er, in der stillen Hoffnung, solche auch auf dem Mars ausführen zu können, wenigstens seine Gletscherbrille eingesteckt.

„Und wo steckt denn Ihr Eispickel und die sonstige Ausrüstung? Davon sehe ich nichts,“ forschte Professor Brummhuber.

„Mit Ausnahme meiner genagelten Schuhe habe ich alles andere seufzend in Tübingen gelassen,“ antwortete Herr Dubelmeier.

„Ein weises Verfahren, fürwahr, denn für die Mitnahme derartigen Gepäckes wäre das Innere unserer Gondel doch etwas ungeeignet,“ lachte Professor Stiller. „Aber Ihre Brille in Ehren, die hat uns gute Dienste geleistet.“

Der Durchgang des Kometen durch die Anziehungssphäre des Mars hatte aber auf die Vorwärtsbewegung des Weltenseglers selbst ungünstig eingewirkt. Bei genauer Kontrolle des Geschwindigkeitsmessers bemerkte Professor Stiller mit Schrecken, daß sich der Ballon in den soeben verflossenen ernsten Stunden nur mit dem zehnten Teil der bisherigen Schnelligkeit nach dem Mars zu bewegt habe. Erst nach und nach schien der Weltensegler wieder in die frühere Geschwindigkeit übergehen zu wollen. Das aber bedeutete eine unliebsame Verlängerung der an sich schon so mühseligen Reise, die unter Umständen noch recht unangenehme Nachwirkungen haben konnte.

An die Stelle der früheren Lebhaftigkeit der Unterhaltung, des körperlichen und geistigen Wohlbefindens war nach und nach eine gewisse Mattigkeit, eine mehr oder weniger große Abspannung getreten, die die Kometenerscheinung nur vorübergehend zu unterbrechen vermocht hatte. Bei diesem und jenem der Herren erschien bereits als drohendes Gespenst die beginnende Langeweile, der Anfang zur Lethargie. Die Reise in dem verhältnismäßig doch engen, eingeschlossenen Raume fing an, zu lange zu dauern. Dazu kam auch noch der Mangel körperlicher Bewegung und der gewohnten geistigen Beschäftigung.

Alle allgemein wie im besonderen interessierenden wissenschaftlichen Fragen, die Einzelheiten des bisherigen Verlaufes der Reise waren schon so vielseitig und so oft besprochen worden, daß sie längst ihren Reiz verloren hatten. Still, stumm, fast apathisch saßen oder lagen jetzt, in ihre Pelzmäntel gewickelt, die meisten Herren, die bis vor kurzem noch so heiter und lebensfroh gewesen waren, in der Gondel herum. Nur nicht zum zweitenmal eine so entsetzlich lange Fahrt mehr machen, die nicht einmal einen guten, warmen Imbiß oder freie Bewegung der nahezu steif gewordenen Gliedmaßen gestattete! Und war man denn so sicher, das Ziel zu erreichen? Wenn nicht, was dann? Ja, was dann? Das waren die Gedanken und die bangen Fragen, die die Herren bewegten, die sie in ihrem Gehirn, das zu schmerzen anfing, herumwälzten.

Diese verdammte Marsreise! Wie verlockend, geradezu verführerisch, ja berauschend, die gesunden, klaren Sinne umnebelnd, war sie ihnen zuerst erschienen! Wie sehr hatte man diese lange Kerkerhaft in dem engen, schmalen Raume, die lange Entbehrung des natürlichen Lichtes der Sonne in ihrer Wirkung unterschätzt! Professor Piller schimpfte wohl in der ersten Zeit der Reise über eintretende Blutarmut, Störungen im Stoffwechsel trotz ausgezeichneter Eßlust und dergleichen, jetzt aber lag auch er halb stumpfsinnig in einer Ecke der Gondel, verwünschte im stillen sich, seine Genossen, den Weltensegler, das ganze Universum, besonders aber den Verführer Mars. So empfanden und dachten auch mehr oder weniger die übrigen Herren. Und erinnerten sie sich daran, wie bequem und angenehm sie einst in Tübingens Mauern gelebt, wie sie jeden Abend nach getaner Arbeit an ihrem Stammtisch in anregender Gesellschaft und bei kühlem, frischem Trunke gesessen, so erfüllte sie aufrichtiges Bedauern, diese verrückte Reise überhaupt unternommen zu haben.

„Hol’ der Teufel den Mars!“ kam es einmal laut über die Lippen von Professor Piller. Es war genau das, was er soeben gedacht hatte.

„Das wollen wir nicht wünschen,“ erwiderte in etwas herbem Tone Herr Stiller. „Daß die Expedition mit allerlei Gefahren und auch materiellen Entbehrungen verschiedenster Art zu rechnen haben würde, war von vornherein für jeden von uns klar. Wir können uns also hinterher nicht beschweren. Solche Beschwerden sind unser nicht würdig. Schweig und dulde! heißt es für uns.“

„Wahr gesprochen!“ bestätigte Bombastus Brummhuber. „Aber schließlich muß auch das Schweigen und Dulden ein Ende nehmen.“

„So warten Sie doch erst ab, was kommt!“ rief Professor Stiller zornig.

„Aber Sie sagten doch, daß die Reise nicht länger als einige Wochen dauern werde,“ warf Frommherz ein, „und nun ist diese Zeit herum und . . .“

„Sie sollten am allerwenigsten die Geduld verlieren, Frommherz,“ unterbrach Stiller den Gefährten. „Im übrigen habe ich niemals eine genaue Angabe darüber gemacht, wie lange die Reise dauern werde, aus dem ganz einfachen Grunde, weil ich dies auch nicht gekonnt hätte. Ich sprach von mehreren Wochen im allergünstigsten Falle. Lassen Sie sich nicht entmutigen dadurch, daß die Reise sich länger hinauszieht, als mir selbst lieb ist. Im Gegenteil, fassen Sie Mut! Wir haben ihn dringend nötig.“

„Was heißt das? Drücken Sie sich klarer aus, Stiller!“ tönte es von verschiedenen Seiten.

„Nun, ich denke, daß es deutlich genug war, was ich mit meinen Worten sagen wollte: wir haben erst einen Bruchteil der Reise hinter uns. Vor uns liegt noch eine riesige Strecke, die an unsern Mut und an unsere Widerstandskraft alle Anforderungen stellt.“

„Wie groß ist die Entfernung noch?“

„Noch etwa dreißig Millionen Kilometer!“

„Dreißig Millionen Kilometer? Kaum die Hälfte! Einfach entsetzlich!“ stöhnte Professor Dubelmeier.

„Wie soll das enden!“ seufzte Frommherz.

„Hoffen wir, gut, sonst würden Sie, lieber Frommherz, eben schneller gen Himmel fahren, als Sie vielleicht wollen,“ spottete Professor Stiller, über den nachgerade eine Art von Galgenhumor kam.

Doch diese Stimmung hielt bei Professor Stiller nicht lange an. Sie wurde nur allzu rasch durch die Sorge um das Wohl und Wehe der Expedition zurückgedrängt. Er war der eigentliche Urheber, der Vater dieses kühnen Unternehmens. Mithin trug auch er allein die volle Verantwortung für das Leben seiner Gefährten, die sich im Vertrauen auf seine Angaben ohne Zögern zur Mitreise entschlossen hatten. Professor Stiller war bei aller nervösen Hast, bei aller Neigung, überall nur das Beste zu sehen und die kühnsten, schwierigsten Probleme mit einer gewissen Leichtigkeit zu behandeln, und trotz seines leicht erregbaren Charakters ein viel zu biederer und ehrlicher Mann, um sein eigenes Tun und Lassen nicht immer wieder einer strengen Selbstkritik zu unterziehen.

Mehr als einmal schon hatte er es im stillen verwünscht, diese Reise nicht allein oder wenigstens nur in Begleitung eines erprobten Dieners unternommen und nicht von vornherein auf die Teilnahme seiner Kollegen verzichtet zu haben. Noch hatte er bis zur Stunde von den Gefährten keine umittelbaren Vorwürfe zu hören bekommen. Die kurze Unterhaltung von vorhin aber, die körperliche und geistige Verfassung seiner Genossen bewiesen ihm nur allzu deutlich, daß das bisherige gute und friedliche Zusammenleben in der Gondel die erste schwere Erschütterung erfahren hatte. Gleich in den ersten Tagen der Reise hatten ihn schon gewisse Zweifel und trübe Gedanken gequält, die er zuerst noch leicht abzuschütteln vermochte, die aber immer wieder und stärker auftauchten und sich nun nicht mehr so rasch bannen ließen wie im Anfange.

Was Professor Stiller am meisten beschäftigte, das war der verhältnismäßig langsame Flug des Weltenseglers. Er hatte ganz bestimmt darauf gerechnet, daß das Luftschiff, kaum in den Anziehungskreis des fernen Weltkörpers gelangt, diesem selbst mit blitzartiger Geschwindigkeit zufliegen werde, und nun mußte er sich eingestehen, daß er sich hierin ganz gehörig getäuscht habe. Zu diesem großen Irrtum gesellten sich zwei weitere: die Vorräte an fester Luft und an elektrischen Energiemengen waren auf eine kürzere Reise, das heißt auf einen rascheren Flug, berechnet gewesen und mußten bereits in wenigen Wochen zu Ende gehen.

Am das Maß der Sorgen voll zu machen, nahmen auch die Nahrungsmittel überaus schnell ab. Es war zwar ein großer Vorrat an Speisen und Getränken für eine Reisedauer von drei Monaten mitgenommen worden, aber Herr Stiller hatte nicht mit dem gesunden Appetit seiner Gefährten gerechnet. Anfangs hatte er sich über ihre Eßlust gefreut, in dem sichern Bewußtsein, der Weltensegler werde in weniger als der Hälfte der Zeit, für die die Lebensmittel bestimmt waren, sein Ziel erreichen, jetzt aber, als er sich in dieser Erwartung getäuscht sah, kam zu den andern schweren Kümmernissen auch noch die Sorge um die Ernährung.

Wohl oder übel mußte schon jetzt, von heute ab eine Kürzung der täglichen Nahrungsrationen eintreten, wollte man mit den Vorräten noch längere Zeit auskommen. Ganz besonders waren es die Getränke, die stark abgenommen hatten, und der Vorrat an dem so beliebten Göppinger Wasser wies geradezu erschreckende Lücken auf.

So entstand aus dem ersten großen Irrtum eine ganze Reihe unangenehmster, in ihren Wirkungen gar nicht übersehbarer Folgen. Das Gemüt Herrn Stillers verdüsterte sich in dem Maße, als er sich dies alles klar zu machen suchte. Zunächst trat an ihn die Frage heran, wie er es am besten anfangen sollte, seinen Kollegen die Zweckmäßigkeit einer Beschränkung ihrer täglichen Speisen und Getränke vor Augen zu führen. Diese Aufgabe richtig zu lösen, ohne die Gefährten zu verletzen und ihre an sich schon gereizte Stimmung noch schlimmer zu gestalten, erschien Professor Stiller kaum lösbar.

„Wenn doch ein Wunder geschehen und die Geschwindigkeit der Vorwärtsbewegung des Weltenseglers sich verdoppeln möchte, dann wäre ich mit einem Schlage alle diese heillosen Schwierigkeiten los!“ dachte Professor Stiller. Aber kein Wunder geschah. Der Weltensegler bewegte sich gleichmäßig wie bisher weiter, trotz eifrigster Beobachtung des Geschwindigkeitsmessers durch den Professor.

„Ersticken, erfrieren, verhungern, bevor wir den Mars erreichen — wahrhaftig wir haben die Auswahl unter den schlimmsten aller Todesarten! Was nützt es schließlich, meinen Gefährten durch Verringerung ihrer Nahrung das bißchen Freude zu verderben, das ihnen der Genuß von Speise und Trank noch bereitet, wenn uns der Tod sowieso in sicherer Aussicht steht? Am besten ist, ich lasse die Sache beim alten. Punktum!“ Zu diesem Entschluß kämpfte sich nach langem, trübem Sinnen der Professor endlich durch.

Die Woche ging zu Ende. Mit ihr waren die Marsreisenden in das neue Jahr eingetreten. Keiner von ihnen hatte sich um den Jahreswechsel gekümmert, der früher von ihnen unten auf der Erde in lauter Fröhlichkeit begangen worden war. Eine dumpfe Gleichgültigkeit hatte sich der Gesellschaft bemächtigt und benahm ihr auch mehr und mehr die frühere Lust am Essen.

„Gelange ich glücklich aus dieser Gondel heraus auf den Mars und finde dort auch nur einigermaßen annehmbare Lebensbedingungen vor, so haben mich Schwabenland und Erde für immer gesehen. Keine Gewalt des Himmels soll mich dann je wieder zu einer solchen Reise verleiten,“ äußerte sich eines Tages Professor Friedolin Frommherz, und ihm stimmten mehrere der Herren kopfnickend bei.

Professor Stiller entgegnete nichts auf diese Äußerung, die so offen die Empfindung seiner Gefährten wiedergab. Angesichts der außerordentlich kritischen, täglich sich mehr verschärfenden Lage des Weltenseglers erschienen ihm alle diesbezüglichen Meinungsäußerungen seiner Kollegen als höchst überflüssig. Er hüllte sich daher in düsteres Schweigen und begann über die möglichen Mittel und Wege einer Beschleunigung der Reise nachzusinnen.

„Wer sich selbst aufgibt, ist überhaupt von vornherein schon verloren. Wo sich nur immer ein Schimmer von Hoffnung zeigt, und wäre er noch so klein und schwach, da sieht der mutige Mensch noch die Möglichkeit eines Ausweges und einer Rettung, während der Mutlose der Verzweiflung anheimfällt. War ich denn schwach und feige, oder bin ich es wirklich?“ fragte Professor Stiller sich. „Wovor fürchte ich mich eigentlich? Vor dem Tode, vor dem Verlust meines Lebens, das im Dienste der Forschung, der Allgemeinheit allerdings wertvoll war, von mir persönlich aber niemals hoch eingeschätzt wurde?“

Der großartige Gedanke dieser Reise, der sinnreiche Bau des Weltenseglers, der sich bis zur Stunde so ausgezeichnet bewährt hatte, das alles war doch schließlich sein ureigenstes Werk, dem er in jeder Beziehung so viele Opfer gebracht hatte. Schon vor Ausführung der Reise hatte er ja mit der Möglichkeit eines Scheiterns der Expedition gerechnet. Trotzdem war er voll Mut und Hoffnung auf Überwindung aller Gefahren von der Heimat abgefahren. Und nun, wo die Sache anfing kritisch zu werden, da sollte ihm wie einem Schwächlinge der Mut sinken? Wie stand er eigentlich vor sich selbst da? Eine Röte der Scham stieg bei diesem Gedankengange in sein Gesicht. Weg mit allem, was nach Schwäche, nach Feigheit aussah! War es ihm wirklich vom Schicksal bestimmt, schon jetzt sterben zu müssen, in der Blüte und Vollkraft der Jahre, nun dann in Gottes Namen! Aber dann war auch die Art des Unterganges seiner würdig: sie war ebenso groß wie eigenartig. Sein und seiner Gefährten Namen würden, wenn sie selbst schon längst im Weltraume verschollen waren, für immer achtungsvoll unten auf der Erde genannt werden. Mit goldenen Lettern waren sie in den Annalen der Weltgeschichte und der Wissenschaft als kühne, wenn auch unglückliche Weltensegler eingetragen. Der Gedanke daran war auch ein Trost und zwar ein großer, stolzer und zugleich erhebender. Da gelobte sich Professor Stiller von neuem, mit Entschlossenheit und offenen Auges der Zukunft entgegenzugehen, mochte sie bringen, was sie wollte. Eine wunderbare Ruhe kam allmählich über ihn. Sie ließ ihn wieder klarer denken und überlegen. Zunächst begann er, den noch vorhandenen Vorrat an elektrischer Kraft auf das sorgfältigste festzustellen. Tagelang rechnete er hin und her. Die Entfernung des Weltenseglers vom Mars betrug noch rund achtzehn Millionen Kilometer. Die Wirkung der Anziehungskraft des Planeten auf den Weltensegler konnte von diesem aus gesteigert werden, wenn man sich entschloß, einen Teil der gebannten, festgelegten elektrischen Kraft zu opfern, hinaus in den Weltraum, dem Mars entgegen zu senden. Allerdings war dieser Versuch, wie Professor Stiller sich selbst gestand, sehr gewagt: es verringerte den für die Beleuchtung und Erwärmung des Gondelinnern so notwendigen Energievorrat außerordentlich rasch. Aber es konnte kein Schwanken mehr für ihn geben, nachdem er sich zu der Erkenntnis durchgerungen hatte, daß die Opferung eines großen Teiles der elektrischen Energiemengen noch die einzige Möglichkeit der Rettung des Lebens und des Gelingens der Expedition in sich schließe. Es war ein Va-banque-Spiel, aber es mußte unter diesen Verhältnissen gespielt werden. Es blieb keine andere Wahl.

Professor Stiller machte sich sofort an die Arbeit. Anfangs schauten die Herren der neu erwachten, energischen Tätigkeit ihres Genossen stumm, nahezu gleichgültig zu. Nach und nach aber erwachte in ihnen doch wieder die Neugier und damit das eingeschlafene Interesse an der Wissenschaft.

„Stiller, was machen Sie da?“ fragte man den Professor aus den verschiedenen Ecken der Gondel heraus, in denen die Herren herumlagen.

„Ich arbeite an unserer Rettung,“ entgegnete kurz der Gefragte.

„Fürwahr, ein löbliches Werk!“ bemerkte Frommherz mit schwacher Stimme.

„Erklären Sie uns Ihr Unternehmen!“ bat Professor Dubelmeier.

„Lassen Sie mich nur ruhig gewähren, werteste Freunde! Meine Auseinandersetzungen müßte ich mit so vielen Zahlen belegen, daß Ihnen der Kopf brummen würde, und der bedarf bei uns allen jetzt ganz besonderer Schonung.“

„Stiller hat recht!“ entschied Professor Piller. „Reichen Sie mir lieber aus dem Schrank, an dem Sie sitzen, eine Flasche unseres heimischen Weines. Ich will wieder Lethe trinken, Lethe!“

„Piller, Sie trinken entschieden zuviel,“ mahnte Dubelmeier, entsprach aber doch der Bitte des Freundes, indem er ihm eine Flasche mit dem hellroten „Zuckerle“ hinüberreichte „Der Alkohol ist ein Feind des Gehirns, das sollten Sie doch als Medizinmann am besten wissen.“

„Meinetwegen!“ gähnte Professor Piller. Dann verriet ein lauter, gurgelnder Ton aus der Ecke den kräftigen Zug des Trinkenden. „So, das hat geschmeckt. Es geht eben doch nichts über einen guten Tropfen,“ brummte Piller. „Und nun, Dubelmeier, rate ich Ihnen dringend, mit dieser Art von Gehirnfeind ebenfalls nähere Bekanntschaft zu machen. Göppinger Wasser allein tut’s freilich nicht, uns und unsern Denkkasten auf dieser vermaledeiten Reise mobil zu erhalten.“ Nach diesen Worten schloß Professor Piller wieder die Augen und schlief ruhig ein. Auch die andern Herren sanken rasch wieder in den alten lethargischen Zustand zurück.

Unterdessen hatte Professor Stiller die Wirkung seines Versuchs beobachtet. Der Schnelligkeitsmesser notierte tatsächlich eine nennenswerte Vermehrung der Geschwindigkeit gegenüber der bisherigen. Bereits wiegte sich der Professor in der Hoffnung auf das Gelingen des Experimentes, — da trat ein neues Ereignis ein.

„Was, Teufel, ist denn wieder los?“ fragte Piller, plötzlich aus seiner Lethargie auffahrend, als sich ein seltsames, donnerähnliches Rauschen in der Gondel hören ließ.

„Das klingt ja wie das Brausen eines Bergstromes, der ungezählte Trümmer mit sich führt!“ warf der bergkundige Dubelmeier ein.

Kaum war das Wort gesprochen, als ein schwerer Gegenstand die Gondel traf. Erregt sprang Professor Stiller auf.

„Schnell, Freunde, helft die Fenster schützen! Trügt mich nicht alles, so ist ein kosmischer Regen im Anzuge.“

Die Herren stürzten nach den vier Fenstern der Gondel und ließen blitzschnell die Schutzvorrichtung herunterklappen. Ein von der Seite kommender, kurzer, prasselnder Regen ging über den Weltensegler, mehr noch über die Gondel nieder. Schon glaubte Herr Stiller jede Gefahr abgewendet, als wiederum ein neuer, aber gewaltigerer Schlag, als es der erste war, die Gondel traf. Ihm folgte ein Klirren und ein lauter Schmerzensschrei. Der Ort, an dem sich der Geschwindigkeitsmesser in der Gondel befand, war durch einen kleinen Meteoriten getroffen worden. Durch die furchtbare Erschütterung war das Instrument verletzt und seine innere Glaseinfassung zersplittert worden. Einer der Splitter hatte Professor Frommherz getroffen, der nun stöhnend und blutüberströmt auf dem Boden der Gondel lag.

Durch den Schlag war die Gondel so heftig auf die Seite geworfen worden, daß eine heillose Verwirrung im Innern entstand. Erst nach einiger Zeit hörte die schaukelnde Bewegung der Gondel auf und machte wieder der alten, ruhigen Lage Platz. Weitere Schläge erfolgten nicht mehr, und Professor Stiller konnte annehmen, daß der Weltensegler auch aus dieser Gefahr unerwartet glücklich hervorgegangen sei.

Erst jetzt konnte Piller den Verwundeten untersuchen. Er stellte fest, daß die Verletzung zum Glück nicht so schlimm war, wie sie den Anschein hatte.

„Sie jammern im umgekehrten Verhältnis zu Ihrer Wunde, Frommherz,“ spottete Piller, nachdem er die Wunde untersucht hatte.

„O Himmel, das fehlte gerade noch!“ stöhnte der Verwundete, als Piller die Nadel durch die Wundränder stieß. „Haben Sie Unmensch denn gar kein Gefühl für mein Leiden?“

„Bah,“ entgegnete Herr Piller trocken, „Unmensch hin, Unmensch her! Danken Sie Ihrem Schöpfer, daß Sie noch mit einem solchen Schmisse weggekommen sind! Er wird sich auf Ihrer Stirn recht kühn ausnehmen, dieser länglich rote Streifen.“

„Was wird man dann von mir denken?“

„Was man will! So, nun schneiden Sie kein solches Jammergesicht mehr. Die Wunde ist genäht, der Verband befestigt. Watte, mit Göppinger Wasser getränkt, entfernt aus Ihrem Antlitze die Blutspuren. Dann sehen Sie reinlicher aus als wir. Nach einigen Tagen entferne ich die Fäden, und die Sache hat ein Ende.“

„Ach, wäre es nur erst vorüber!“

„Wenn Sie damit die Reise meinen, so bin ich ganz Ihrer Ansicht. Einmal aber muß diese vermaledeite Fahrt ihr Ende nehmen, so oder so,“ brummte der Medizinmann unmutig in den Bart.

Das Schlimme war, daß der Geschwindigkeitsmesser unbrauchbar, funktionsunfähig gemacht worden war. An eine Reparatur des Werkes während der Fahrt war gar nicht zu denken. Dieses peinliche Ereignis zog einen bösen Strich durch alle Berechnungen Professor Stillers und raubte ihm jede Möglichkeit der Kontrolle. Nun war alles dem blinden Zufall ausgeliefert. An die Stelle genauer Berechnung trat jetzt ausschließlich die Vermutung. Diese aber öffnete wieder allen trüben Gedanken Tür und Tor.

Weiter rollte die Zeit und weiter der Ballon auf seinem Wege. Die Lebensmittel waren schon derart zusammengeschmolzen, daß trotz der geringen Eßlust der Gondelbewohner in kürzester Zeit Nahrungsmangel eintreten mußte. Auch der Vorrat an elektrischer Energie nahm in schreckenerregender Weise ab. Wollte also Professor Stiller sich und seinen Gefährten nur noch für wenige Tage Licht und Wärme erhalten, so mußte sofort mit der Abgabe der elektrischen Kraft in den Ätherraum hinaus aufgehört werden. Schweren Herzens stellte daher der Gelehrte die Verbindung nach außen hin ab.

Was werden die nächsten Tage bringen? In ihrem dunklen Schoße lag das Schicksal, das Glück oder der Untergang der Expedition. Das elektrische Licht in der Gondel fing an schwächer zu werden; eine empfindliche Kälte, die sich trotz der Pelzkleidung der Männer nicht länger mehr bannen ließ, machte sich mehr und mehr geltend. Ein dumpfer, gleichgültiger Zustand hatte sich aller Gondelinsassen bemächtigt, der nach und nach in eine Art von Bewußtlosigkeit überzugehen begann. Langsam schien das Ende für die Dulder heranzukommen. Lange, bange Stunden verstrichen so; kein Laut ließ sich mehr in der Gondel vernehmen. Da auf einmal ein gewaltiger Stoß. Ballon und Gondel flogen zur Seite und schienen sich zu überschlagen. Die armen Männer in der Gondel flogen übereinander, schlugen gegenseitig aufeinander auf und begannen aus ihrem todesartigen Schlummer aufzuwachen.

Furchtbar erschrocken über die heftige Erschütterung, gelang es den Herren nach langen Anstrengungen sich endlich aufzurichten. Als sie schließlich mühsam die Augen zu öffnen vermochten, da fiel durch die zertrümmerten Fenster der Gondel helles, strahlendes Sonnenlicht herein. Es bedurfte einiger Zeit, bis die schmerzenden Augen der Reisenden sich an das so lange entbehrte Licht der Sonne wieder gewöhnt hatten. Dann aber war plötzlich alle Lethargie von ihnen gewichen.

Professor Stiller war der erste auf den Füßen. Unbekümmert um eine mögliche Gefahr, streckte er mutig den Kopf zu einem Fenster hinaus, um die Ursache des Zusammenstoßes des Weltenseglers mit einem andern, fremden Körper zu erforschen; denn daß ein solcher stattgefunden haben mußte, war dem Gelehrten sofort klar.

„Hurra! Hurra!“ rief er, aufgeregt vom Fenster zurücktretend, seinen Gefährten zu. „Hurra! Wir sind gerettet! Wir haben den kleinen Marsmond Phobus, glücklicherweise nur sehr leicht, gestreift. Die äußerste Hülle unseres Ballons ist allerdings gerissen und auch sonst ist, wie ich sehe, vielerlei Schaden entstanden, aber das ist gleichgültig! Seht hier hinab, da unten, da unten liegt der Mars! Gerettet, ge . . . .“ Professor Stiller fiel zurück. Eine tiefe Ohnmacht umfing ihn.

Professor Pillers energischen Anstrengungen gelang es endlich, den Bewußtlosen dem Leben zurückzugeben.

„Wo sind wir?“ fragte Professor Stiller mit schwacher, kaum vernehmbarer Stimme.

„Das wissen wir selbst nicht recht. Jedenfalls noch immer in der Luft und noch nicht auf festem Boden,“ antwortete Professor Piller.

„So müssen wir die Ventile öffnen und den Weltensegler langsam und vorsichtig zum Fallen bringen,“ entschied Stiller.

„Aber fühlen Sie sich auch wieder so kräftig, die Leitung des Ganzen übernehmen zu können?“

„Es muß einfach sein!“ Mit diesen Worten erhob sich Professor Stiller, um sich zunächst durch einen Blick aus dem Fenster über die örtliche Lage des Ballons zu orientieren.

Richtig, da unten, nur wenige Kilometer vom Weltensegler entfernt, hob sich scharf und deutlich eine breite, mächtige Wasserstraße ab, eine dunkelgrüne, subtropische Vegetation umrahmte den Flußlauf. Dazwischen eingestreut zeigten sich, vom warmen Sonnenschein übergossen, wohlbebaute Felder und Gärten. Eigenartige, von weitem blendend weiß erscheinende Bauten bewiesen die Nähe belebter Wesen. Die laute Begeisterung, die die kühnen Weltfahrer einst bei der Passage des Erdmondes erfaßt hatte, machte hier einer stummen Bewunderung Platz, als sie dankerfüllten Herzens gegen das Geschick, das sie im letzten Augenblicke noch vor dem Äußersten bewahrt hatte, von ihrer Gondel auf die märchenhaft schöne Landschaft hinabschauten, der sie nun in raschem Fluge näherkamen.

Viertes Kapitel
Auf dem Mars

Vom Mars aus — denn er war es wirklich — hatte man das Luftschiff schon längst bemerkt. Als es sich nun dem Boden näherte, strömte eine Anzahl von Menschen, die hier herum wohnten, dem Orte zu, an dem das Luftschiff niederging. Der Weltensegler hielt auf eine große, grüne Wiese zu, auf der Gruppen edelster Viehrassen weideten. Professor Stiller warf das Kabel mit dem Anker in weitem Bogen von der Gondel ab und deutete durch Zeichen und Gebärden den untenstehenden Menschen an, was sie ungefähr tun sollten, um das Luftschiff festzumachen. Die Marsleute begriffen auch sofort, was der fremde Mann in seiner stummen Sprache von ihnen begehrte. Ohne jede Hast, aber doch rasch und auffallend gewandt, war dem Wunsche des Professors entsprochen worden. Nun lag das Fahrzeug fest und sicher vor Anker.

Die Strickleiter wurde aus der Gondel herabgelassen und an den hiezu bestimmten Metallklammern befestigt. Die sieben Männer aus dem fernen Schwabenlande stiegen nacheinander an ihr herab, um als die ersten Erdgeborenen den Boden des Mars zu betreten. Eine weiche, balsamische, von Wohlgerüchen erfüllte Luft umfing die kühnen Reisenden, als sie aus ihrer Gondel herabgeklettert waren. Ein Gefühl der Wonne, des Geborgenseins, unsäglicher Befriedigung zog in die Brust der armen, halbtoten Männer, als sie nach so vielen Wochen zum erstenmal wieder festen Boden unter ihren Füßen spürten. Ja, sie mußten sich selbst erst überzeugen, daß es wirkliche Erde sei, auf der sie standen. Mit den Händen griffen sie nach dem Boden, um sich von seiner erdigen Beschaffenheit zu überzeugen. Nein, es war kein Traum, es war Wirklichkeit: sie standen auf richtigem Boden. Tausend-, abertausendmal Dank dem Himmel, der sie ihr Ziel erreichen ließ! Tränen des Glückes, der reinsten Freude liefen den hartgeprüften Männern über die bärtigen Wangen, die seit langer Zeit nicht mehr gepflegt worden waren.

„Donnerwetter, wie sehen wir aus!“ rief voll Entsetzen Professor Piller, als er seine Genossen genauer im Lichte der Sonne betrachtete.

Dann aber brachen die Herren in lautes Lachen über die Komik ihres eigenen Äußern aus. Professor Stiller begann nun, die ihn und seine Genossen umgebenden Menschen zu mustern. In der Tat, das waren Menschen von Fleisch und Blut, die hier herumstanden und mit freundlichem Lächeln die Erdensöhne betrachteten.

„Sauberer, großer und schöner als wir sind sie entschieden. Oder sollten wir am Ende gar zu den Göttern des Olymps und nicht nach dem Mars gekommen sein?“ bemerkte Professor Hämmerle, nachdem er seine Brillengläser geputzt und die Brille auf die Nase gesetzt hatte.

„Warum das?“ fragte Professor Dubelmeier.

„Eine Gesellschaft von Göttern scheinen mir diese Wesen hier zu sein. Sehen Sie nur einmal diese geradezu klassisch schönen Gesichter, diese prachtvollen Körperformen und die sie nur schwach verhüllenden antiken Gewänder!“

„Der Vergleich hat entschieden viel für sich,“ antwortete Professor Stiller, „aber nach dem Olymp hätten wir viel näher gehabt als nach dem Mars; diese eine Tatsache schon mag Sie aus Ihrem Wahn reißen, lieber Hämmerle.“

Dabei zog er seinen Chronometer. Er wies auf die achte Stunde.

„Es ist noch früh am Morgen. Wir wollen sehen, was uns dieser erste Tag auf dem Mars an merkwürdigen Erlebnissen bringen wird. Versuchen wir einmal eine sprachliche Verständigung mit unsern neuen Freunden; denn daß sie das sind, zeigt mir ihre freundliche und wohlwollende Haltung.“ Mit diesen Worten trat Professor Stiller zu den vordersten Marsmenschen vor, die ihn in vornehmer Ruhe, ohne die geringste Furcht und ohne irgendein Zeichen des Erstaunens an sich herankommen ließen.

„Wir sind doch auf dem Mars, nicht wahr?“ Diese etwas banale Frage richtete er in deutscher Sprache an die Leute. Aber diese schüttelten den Kopf und erwiderten in wohllautender Sprache etwas, das Stiller wiederum nicht verstand, das aber klang, als ob sie bedauerten, den Fremden nicht begriffen zu haben.

„Die können nicht deutsch, natürlich. Das hätten Sie sich doch von vornherein selbst sagen müssen, Stiller,“ warf Professor Hämmerle tadelnd ein.

„Nun, so examinieren Sie einmal, Hämmerle! Vielleicht gelingt es Ihnen mit Ihren vielseitigen Sprachkenntnissen festzustellen, in welchem Idiom mit den Leuten hier eine Verständigung möglich ist.“

Mit kraftvoller Stimme hub Hämmerle auf Altgriechisch an: „Freunde, wir grüßen euch in herzlichster Art, wir, die von der fernen Erde hergeflogen sind, um euch zu besuchen.“ Keine Antwort, nur ein eigentümliches Lächeln als Zeichen des Nichtverstehens. Jetzt deklamierte Hämmerle seine Begrüßungsformel in lateinischer Sprache. Wiederum dieselbe Stille und dasselbe Lächeln als Antwort.

„Vielleicht gelangen wir mit einer unserer modernen Sprachen eher zum Ziele, da klassische Bildung diesen Wesen völlig abzugehen scheint,“ sprach Hämmerle, ärgerlich geworden über die Ergebnislosigkeit seiner ersten Versuche. Aber auch Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch, schließlich sogar Arabisch und Hebräisch führten zu keinem Ziele.

„Das fängt gut an!“ murrte Professor Brummhuber.

„Wir müssen allem Anscheine nach die Marssprache erlernen,“ bemerkte Thudium.

„Wahr gesprochen!“ bestätigte Frommherz.

„Aber siehe da, was kommt denn da für ein altes Haus?“ rief Dubelmeier.

Ein älterer Mann von achtunggebietender Gestalt, mit weißem Haar und Bart, ohne jegliche Kopfbedeckung, durchbrach die Reihe seiner Gefährten und schritt stolz auf die sieben Schwaben zu. Gekleidet war der Alte wie seine übrigen Genossen. Ein blusenartiges, schneeweißes Hemd aus feinster Wolle mit purpurfarbenem Besatze hüllte den hohen, edlen Körper ein. Um die Hüften war es durch ein breites Band von purpurner Farbe gehalten. An den nackten Füßen trug er Sandalen aus feinem, gelbem Leder. Voll Ehrfurcht machten ihm seine Gefährten Platz, und die Herren aus dem Schwabenlande erkannten daraus sofort, daß ihnen in dem Alten ein Mann von hoher sozialer Stellung entgegentrat.

Sie entblößten nun als Zeichen der Hochachtung das Haupt und erwarteten voll Spannung die weitere Entwicklung der Szene. Der Alte ließ zuerst seine Blicke über den Weltensegler gleiten, dann richteten sich seine klaren, dunkelblauen Augen, aus denen ebensoviel Geist als Herzensgüte sprach, auf die sieben Fremden, die er in einer harmonischen Sprache anredete, wobei er hin und wieder auf das mächtige Luftschiff deutete und schließlich ihnen durch eine freundliche Gebärde zu verstehen gab, ihm zu folgen.

Die Herren zogen nun mit dem Alten als Führer an der Spitze von dannen. Ihnen schlossen sich in ruhiger, würdevoller Haltung die Marsbewohner an, die beim Niedergange des Weltenseglers so bereitwillig hilfreiche Hand geleistet hatten. Den Professoren schien es, als ob ein Märchen aus Tausend und einer Nacht lebendig geworden wäre. Sie konnten sich nicht satt sehen an all dem Schönen und Eigenartigen, das ihnen hier auf Schritt und Tritt begegnete. Von der Wiese kamen sie auf einen mit feinem, weißem Sande bestreuten, mit prächtigen, früchtebehangenen Bäumen eingefaßten schattigen Pfad. Dieser führte auf eine große Anzahl von Gebäuden zu, die voneinander getrennt und von prächtigen Gärten umgeben waren. Ihrer stattlichen Größe nach zu urteilen, schienen es öffentliche Bauten zu sein, die sich da in ihrem reinlichen Weiß aus dem Grün ihrer Umgebung abhoben.

Überall wuchsen hochstämmige Palmen, dazwischen prächtige, hellgrüne Bananen und Farnbäume, vermischt mit einer Blumenpracht, wie sie die Tübinger Professoren in dieser üppigen Entfaltung noch nie zuvor gesehen hatten. Rosen-, lilien-, myrten- und lorbeerartige Gewächse, Orchideen und eine Menge anderer Blumen wetteiferten miteinander an Glanz und Schönheit der Farben und an Wohlgeruch. Schmetterlinge in allen Größen und Farben wiegten sich in der warmen, herrlich zu atmenden Luft, und buntschillernde Vögel ließen von den Bäumen herab ihr schmetterndes Morgenlied ertönen.

„Ein Paradies, in das wir gelangt sind,“ sprach Professor Stiller leise zu dem neben ihm schreitenden Professor Piller. „Ich muß meinen Gefühlen Luft machen, meiner Bewunderung Worte verleihen. Sagen Sie, Piller, ist es Ihnen nicht auch so wunderbar, so feierlich zumute wie mir, haben Sie nicht auch ein Gefühl ungefähr so, wie es unser unsterblicher Uhland in seinem Sonntagsliede zu so ergreifendem Ausdruck gebracht hat?“

„Na, na!“ entgegnete Piller trocken. „Auch mir gefällt ja dieser Einzug auf dem Mars gar nicht übel. Im übrigen aber haben wir heute zufällig Sonntag. Wußten Sie das nicht, Stiller?“

„Nein! Mir entfiel die Zeitrechnung in den letzten Wochen vollständig. Woher aber wissen Sie das?“

„Nun, als Sie heute früh in tiefer Ohnmacht lagen, da habe ich mit der Uhr in der Hand Ihre Herztätigkeit kontrolliert. Meine Uhr zeigt aber zufällig außer den üblichen Stunden, Minuten und Sekunden auch noch Monate und Tage. Wir haben heute Sonntag, den 7. März.“

„Sonntag, den 7. März! Die heilige Siebenzahl in allem. Möge sie uns auch weiter schirmend und schützend umgeben!“ rief Professor Stiller.

„Vor allem wünsche ich mir ein gutes Essen nebst solidem Trunk; das frischt die Lebensgeister besser auf und schützt sie gründlicher vor Verbrauch als Ihre Siebenzahl. Wir haben in unserer Gondel zuletzt ein heilloses Leben an Entsagung geführt; es ist höchste Zeit, wieder in einen guten Hausstand und an einen richtigen Herd zu gelangen.“

„O Sie ewig Prosaischer!“ erwiderte lächelnd Professor Stiller. „Hungern und dürsten werden Sie hier oben nicht. Da sehen Sie einmal nach den Früchten da drüben!“

Professor Piller folgte mit den Blicken der angegebenen Richtung. „Donnerwetter!“ entfuhr es seinen Lippen. „Sollen diese kolossalen Beeren, die da herunterhängen, am Ende gar zu einer Weintraube gehören?“

„Nichts anderes! Das, was Sie sehen, ist eine Weintraube, wie sie in dieser Größe eben nur dem subtropischen Klima eigen ist.“

„Dann leb’ wohl, Zuckerle, Trank meiner Heimat!“ rief Herr Piller so laut, daß ihn die andern Kollegen hörten. „Leb’ wohl, Zuckerle, denn den Tropfen, den man hier aus diesen Ungeheuern von Beeren preßt, der muß ja einem wie flüssiges Feuer durch die Adern rinnen, Halbtote, wie wir sind, wieder zu freudigstem Lebensgenuß erwecken. Auf diesen Trunk freue ich mich.“

„Nektar und Ambrosia scheinen wir hier zu finden,“ flötete Frommherz.

„Wollen gerne auf dieses griechische Götterzeug verzichten, wenn es nur sonst hier was menschlich Anständiges für unsern Magen gibt,“ antwortete Piller.

Unter solchen Gesprächen gelangten die Herren mit ihrer Begleitung zu den ersten Häusern. Zu ihrem Erstaunen mußten sie sich überzeugen, daß die Gebäude, die sie aus der Ferne für öffentliche Bauten gehalten hatten, nichts anderes waren als großartige Einfamilienhäuser oder Villen. Aus weißen, sorgfältig behauenen Steinen ausgeführt, hatten sie vorn hohe, säulengetragene Hallen, die einen überaus einladenden Eindruck machten und von der Vorliebe der Bewohner für frische Luft und für freie und uneingeengte Räume Zeugnis ablegten. Für das warme Klima waren solche offene Hallen das einzig Richtige und Zweckmäßige. Breite Marmorstufen führten zu ihnen empor und dienten blühenden Kindern, die nur mit einem hellfarbenen, leichten, durch einen Gürtel um die Lenden festgehaltenen Hemde bekleidet waren, als Spielplatz. Marmorfiguren hoben sich stimmungsvoll zwischen den Bogen der Hallen ab. Alles atmete ruhige Schönheit und Freude und verfehlte nicht seine tiefe Wirkung auf die Reisenden.

Der Alte geleitete seine Gäste zu einem zweistockigen, palastartigen Gebäude, das rings von üppigstem Pflanzenwuchs umgeben war und in seiner Pracht einem Fürstensitz glich. Es war aber das Haus des Alten selbst, das dieser den Fremdlingen zur ausschließlichen Benützung anwies. Auf breiten Marmorstufen gelangten die Professoren in einen von Säulen getragenen, offenen, großen Hof, in dessen Mitte ein mächtiger Springbrunnen sein Wasser rauschen ließ. Rings um den Hallenhof lagen saalartige Zimmer, deren Türen auf den Hof hinausführten. Rechts an der Halle befand sich die Haupttreppe. Sie bestand aus zwanzig breiten Stufen, jede aus einem Stein von vier Meter Länge. Sie führte zu einem Absatze mit einem großen Fenster. Von diesem Absatze führten weitere zwanzig Stufen in die obere, geschlossene Galerie, die durch große Fenster erhellt wurde und mit einer prächtigen Kassettendecke geschmückt war. Von der Galerie aus gelangte man in eine Reihe von Prunkgemächern, an die sich die Schlafzimmer und Baderäume anschlossen. Der ganze Bau war voll Licht und Bequemlichkeit.

Auf ein Händeklatschen des Alten eilten einige jüngere Männer herbei, die wahrscheinlich die dienenden Geister dieses Palastes waren. Der Alte sprach mit den jungen Männern lange und eindringlich und bedeutete endlich seinen Gästen durch Zeichen und Gebärden, sich hier häuslich niederzulassen. Darauf verließ er sie nach einer freundlichen Verbeugung. Auch die Diener verschwanden, erschienen aber bald wieder und brachten duftende, reine Kleider und Sandalen, ähnlich denen, die sie trugen. In stummer, aber zuvorkommender Art wiesen sie den Fremden den Weg zum Bade.

„Ich bin wirklich neugierig, was da noch alles kommen wird!“ sprach Piller lachend zu Professor Stiller. „Würde ich nicht wachen, wäre ich nicht nüchtern wie ein Pudel und bei klarstem Verstande, ich würde glauben, daß alles, was ich hier bis jetzt erlebt und, gesehen habe, nichts anderes als ein tolles Spiel meiner Einbildungskraft ist.“

„Warten wir ab, Piller! Schlecht aufgehoben sind wir für den Anfang nicht, im Gegenteil. Ich höre bereits in unserer Nähe Tische rücken. Wahrscheinlich wird für unser Mahl gedeckt. Baden wir zuerst, reinigen wir uns vom letzten Erdenstaube und den Schlacken der Reise, und beginnen wir dann unser neues, so viel Interessantes versprechendes Leben auf dem Mars!“

„Mit Speise und Trank,“ ergänzte Piller den Freund. „Jawohl, Stiller, wenn Sie Idealist es auch nicht gern hören, ewig wahr bleibt es doch: Speise und Trank bedarf der Sterbliche zuerst und vor allem, will er etwas leisten und fest auf seinen Füßen stehen. Hoffentlich munden uns Kost und Trank auf dem Mars. Also bis nachher!“ Mit diesen Worten verschwand Piller in seinem Badezimmer. Stiller sowie die übrigen Herren folgten diesem Beispiele und plätscherten wenige Augenblicke später in dem angenehm erwärmten Wasser ihrer geräumigen marmornen Badewanne.

Wunderbar gestärkt durch das Bad und eingehüllt in ihre frischen, bequemen Kleider, fanden sich die Gelehrten eine halbe Stunde später in dem hohen, luftigen Speisesaale des Hauses zusammen. Die Decke dieses Saales trug farbenprächtige Gemälde in Medaillenform, die Fenster wiesen edle Glasgemälde auf, und der Boden bestand aus Platten von verschiedenfarbigem Marmor. In der Mitte des Saales stand der Tisch, gedeckt mit blankem Silbergerät. Auch Teller und Pokale waren aus demselben kunstvoll verarbeiteten Edelmetalle hergestellt. Auf Fruchtschalen aus feinstem Kristallglas lagen die herrlichsten Früchte, und aus geschliffenen Karaffen funkelte verlockend eine klare, goldgelbe Flüssigkeit. Schwere Armstühle aus schwarzem, eigenartigem Holze mit vergoldeten Lehnen standen um den Tisch.

„Das nenne ich fürstliche Pracht,“ rief entzückt Frommherz, nachdem er im Saale und auf dem Tische Umschau gehalten hatte. „Hier, Freunde, wollen wir uns niederlassen, hier ist es gut sein! Der Erde fern und doch dem Paradiese nahe.“

„Nun, Sie scheinen mir ganz in Verzückung geraten zu sein,“ meinte lächelnd Hämmerle.

„Lassen Sie unsern Frommherz phantasieren! Ich meinerseits bin auf das Essen gespannt,“ sprach, sich am Tische niederlassend, der nüchterne Piller. „Sechzig Millionen Kilometer von unserer Erde entfernt, wird man wohl hier oben einen andern Speisezettel haben als bei uns unten am Strande des Neckars.“

„Stiller, Sie setzen sich als Präses oben hin,“ entschied Brummhuber, als Professor Stiller in gewohnter bescheidener Weise sich zwischen den andern Kollegen niederlassen wollte.

„Natürlich!“ pflichtete Professor Piller bei. „Ehre, wem Ehre gebührt! Unser Freund Stiller hat seine Sache bis jetzt ganz ordentlich gemacht, er stehe deshalb auch ferner unserer Korona vor!“ Mit diesen Worten goß er sich von dem Inhalt der vor ihm stehenden Karaffe etwas in seinen Pokal ein und hielt ihn prüfend an die Nase.

„Hm . . . hm! Der Trank riecht wirklich nicht übel . . . hat feines Bouquet.“ Vorsichtig nahm er einen Schluck.

„Es ist Wein, tatsächlich Wein und zwar so eine Art Trockenwein, beinahe wie Sherry, nur noch bedeutend feiner und milder,“ entschied Piller, nachdem er getrunken. „Von schlechten Eltern stammt er nicht, aber mein Zuckerle ist entschieden süffiger als dieser Marstropfen. Immerhin, er kann bleiben, wie er ist; lieber solchen Wein als gar keinen!“

„Seien Sie froh, Piller, Sie Alkoholiker, daß Sie überhaupt etwas zu trinken haben! Wir sind doch wahrlich nicht des Weines wegen nach dem fernen Mars gekommen!“ warf Professor Dubelmeier ein. „Ihr ewiger Durst und Ihre unstillbare Sehnsucht nach dem Zuckerle hätten Sie eigentlich da unten auf der Erde festhalten sollen.“

„Schweigen Sie, Sie fanatischer Anhänger des Göppinger Wassers!“ rief Piller voll Grimm. „Was verstehen Sie denn von . . .“

Aber Professor Stiller ließ den Zornigen nicht ausreden. Er erhob sich. „Meine lieben Freunde! Ich bitte um Ruhe und Frieden und wünsche Ihnen allerseits einen recht gesegneten Appetit zu dem bevorstehenden Mahle. Weihen wir unserer glücklichen Ankunft auf dem Mars den ersten Schluck! Der zweite soll dem Gedenken an unsere engere und weitere Heimat, dem lieben Schwabenlande und Deutschland, gelten. Bitte, füllen Sie ihre Pokale und tun Sie mir Bescheid!“

„So, das laß ich mir gefallen,“ brummte Piller; „Stiller ist wirklich ein vernünftiger Knabe.“

„Und nun, meine Freunde, setzen wir uns zum Mahle!“ Nach dem Beispiele des Alten von vorhin klatschte Herr Stiller in die Hände, und herein traten sieben Diener, für jeden Herrn einer. Sie trugen Platten in den Händen, auf denen wohlriechende Fische lagen. Herrn Pillers Zorn verrauchte schnell angesichts der warmen, so einladenden Speise. Er und die übrigen Herren langten tüchtig zu. Alle waren darüber des Lobes voll, daß die Fischspeise ausgezeichnet geschmeckt habe.

Auf den Fisch folgten einige eigenartige, aber äußerst schmackhaft zubereitete Mehlspeisen, dann Gemüse, Obst und Backwerk.

Als das Frühstück beendet war, füllte Piller seinen Pokal mit dem goldschillernden Wein, rückte seinen Stuhl etwas vom Tische zurück und stand auf.

„Silentium, meine Herren!“ Die laute, anregende Unterhaltung der Herren verstummte und machte einer aufmerksamen Stille Platz. „Meine lieben Freunde und Genossen! Ich erfülle nur einen Akt der Pflicht,“ hub Piller an, wurde aber plötzlich von seiner Rede abgelenkt, als sich von außen her zuerst unendlich zarte, wundervolle Töne hören ließen, die nach und nach in mächtige Akkorde übergingen. Es war Musik, ein Spiel, so feierlich und schön, daß die Herren unter dessen Banne ruhig, fast unbeweglich an ihren Plätzen verharrten, um durch kein auch noch so leises Geräusch die ergreifenden Töne zu stören, die mit ihren Klängen aus der Gegenwart emporzuheben schienen zu jenen blauen, seligen Gefilden der unbegrenzten Freude. Leise, einem Flüstern gleich, erstarben nach und nach die Akkorde.

„So empfängt uns der Mars!“ rief in heller Begeisterung Professor Stiller, als die Musik geendet hatte. „Kann es einen schöneren und zugleich erhebenderen Willkommen für uns hier oben geben als dieses göttergleiche Saitenspiel?“

„Nein, gewiß nicht!“ erwiderten die Gefährten einstimmig und voll Begeisterung. Dann eilten sie an die Fenster des Saales, um nach den Veranstaltern des hohen Genusses Umschau zu halten. Ein Dutzend Harfenspieler waren es, die sich da langsam und würdevoll mit ihren Instrumenten von der Terrasse des Hauses entfernten.

„Piller, das war entschieden ein schönerer und edlerer Ohrenschmaus, als es die Rede gewesen wäre, die Sie im Begriffe waren, uns zum besten zu geben,“ foppte Dubelmeier den Freund.

„Was wissen Sie denn, was ich zu sagen hatte! Die Rede bekommen Sie übrigens über kurz oder lang doch einmal zu hören. Aber danken Sie es der eben gehörten Musik, die mein Gemüt so friedlich gestimmt hat, daß ich auf Ihre Herausforderungen nicht so antworte, wie Sie es verdienen, Sie — Sie unverbesserlicher Wasserphilister.“

Die Herren lachten über den Disput der beiden Gefährten, die sich im Grunde ihres Herzens trotz allen Reibereien sehr zugetan waren.

Von mehreren ehrwürdigen Männern begleitet, erschien der Greis wieder im Rahmen der großen Türe des Saales. Ein Lächeln huschte über das ernste, ausdrucksvolle Gesicht des alten Mannes, als er die sieben Fremden wieder erblickte, die da, ähnlich gekleidet wie er, achtungsvoll vor ihm standen. Der Greis neigte leicht den Kopf zum Zeichen des Grußes und lud die Herren durch eine Handbewegung ein, ihm zu folgen. Es ging den Weg zurück, den sie diesen Morgen gekommen waren.

„Am Ende werden wir gleich wieder dahin abgeschoben, wo wir hergekommen sind,“ bemerkte besorgt Professor Frommherz.

„Darüber brauchen Sie sich nicht zu ängstigen,“ erwiderte Professor Stiller. „In diesem Falle wären wir nicht so liebenswürdig aufgenommen worden.“

Die Gesellschaft war nun auf der Wiese angelangt, auf der sich der Weltensegler kaum merkbar am Ankerkabel bewegte. Der Alte gab den Herren zu verstehen, daß sie ihr Eigentum aus der Gondel herausnehmen sollten. Zu diesem Zwecke und der besseren Verständigung wegen stieg der Greis mit seiner Begleitung die Strickleiter zur Gondel hinauf und brachte aus ihr verschiedene Dinge herab, die den Erdmenschen gehörten. Nun begriffen diese den Greis.

„Sehen Sie, daß ich recht hatte?“ Mit diesen Worten wandte sich Stiller an seinen Kollegen Frommherz. „Man kommt doch nicht von der Erde zu so freundlichen, gastfreien Menschen, wie es die Marsbewohner zu sein scheinen, um gleich wieder kehrtmachen zu müssen. Übrigens könnten wir in unserer jetzigen Verfassung an eine sofortige Rückkehr überhaupt nicht denken.“

„Vor dieser bewahre uns für immer der Himmel in Gnaden!“ antwortete Frommherz, emsig damit beschäftigt, seine Habseligkeiten zusammenzupacken.

Bald nachher war das bescheidene Gepäck der Marsreisenden unten auf dem Boden. Mit Aufmerksamkeit betrachtete der Greis die verschiedenen Instrumente, die da zum Vorschein kamen. Ganz besonderes Interesse erregte bei ihm das Fernrohr. Stiller suchte ihm dessen Gebrauch klarzumachen. Aber der Greis schüttelte zu diesen stummen Auseinandersetzungen nur den Kopf und wies endlich mit der Rechten nach einem fernen Bau, dessen kuppelförmiges Dach der Professor jetzt zum erstenmal erblickte.

„Beim Zeus, die haben ja hier oben auch eine Sternwarte und zwar in nächster Nähe!“ rief Stiller erfreut. „Freunde, da müssen wir noch heute abend hingehen, um von dort aus unsere Mutter Erde in weiter Ferne als leuchtenden Stern erster Größe betrachten und bewundern zu können.“

Stiller machte dem Greise diesen Wunsch sofort begreiflich. Er deutete zuerst nach dem Himmel, dann auf sein Fernrohr und schließlich auf die Kuppel des Gebäudes. Endlich entnahm er seinem Gepäck eine große Himmelskarte, die er entfaltete. Mit dem Zeigefinger der Rechten wies er auf die Planeten hin, deren Bahnen um die Sonne auf einem besonderen Abschnitt der Karte verzeichnet waren. Nun verstand ihn der Greis sofort und nickte bejahend mit dem Kopfe. Jetzt suchte ihm auch der Professor begreiflich zu machen, woher er und seine Gefährten gekommen seien. Er zeigte auf die eingezeichnete Erde, dann auf die sie umschließende Bahn des Mars, auf diesen selbst, endlich auf das Luftschiff. Ein lauter Ton des Erstaunens kam über die Lippen des Greises. Er hatte Professor Stiller vollkommen verstanden und reichte ihm zum erstenmal mit Worten, die wie ein herzliches Willkommen klangen, die Hand, die dieser warm, drückte.

Der Greis übersetzte seinen Begleitern, was der Fremde ihm da in seiner stummen Zeichensprache erklärt hatte, und auf den offenen, ehrlichen Gesichtern trat ein gewisser Ausdruck der Achtung vor den kühnen Fremden, die so weit hergekommen waren, hervor. Die Weltensegler wurden wieder in ihr Heim zurückgeführt, in dem sie sich mit den aus ihrer Heimat mitgebrachten Sachen häuslich einzurichten begannen. Darüber war es spät am Mittag geworden. Keine lästige Neugier hatte die Herren bei ihrer Einrichtung gestört. Mit unendlichem Behagen streckten sie sich nach Beendigung dieser Arbeit auf die weichen Ruhebetten in ihren Zimmern, um in dem so lange entbehrten Genusse eines ausgezeichneten Lagers kurze Zeit zu schwelgen.

Inzwischen war die Tischzeit herangekommen. Das Mittagsmahl verlief ähnlich wie das Frühstück, nur war es reichlicher. Voll Befriedigung über die ihnen gebotenen Tafelfreuden wollten sich die Herren gerade erheben, als sie eine neue Überraschung an ihre Plätze bannte. Draußen, vom Hallenhofe des Hauses her, erschallte a capella der Gesang menschlicher Stimmen. Es war ein Lied voll Innigkeit und Tiefe. Die tongewordene Barmherzigkeit selbst schien es zu sein, die da an die Herzen der Gelehrten so mächtig pochte, daß sie ihre große Ergriffenheit nur schlecht zu bemeistern vermochten. Als das Lied verklungen war, wischten sich einige der Herren verstohlen die Tränen aus den Augen.

„Darauf muß ich noch einen Schluck nehmen,“ erklärte Piller, seinen Pokal füllend. „Seelische Erregungen rufen bei mir das Bedürfnis nach materieller Stärkung hervor. Dubelmeier, schneiden Sie kein so sonderbares Gesicht; tun Sie mir lieber Bescheid!“

„Bewahre mich der Himmel davor, diesen hehren Augenblick durch Alkohol zu entweihen!“

„Ganz wie Sie wollen, lieber Dubelmeier!“ erwiderte Piller gegen seine sonstige Gewohnheit milde.

Die Gelehrten verließen das Haus, um den schönen Abend zu einem Spaziergang zu benützen und die Gegend etwas näher kennenzulernen, die voraussichtlich längere Zeit ihren Wohnort bilden würde. Auf diesem Spaziergange wurde es ihnen mehr und mehr klar, daß ihr Luftschiff in der Nähe einer viel größeren Niederlassung gelandet war, als sie anfänglich geglaubt hatten. Es mußte eine Art von Stadt sein; denn trotz des garten- oder parkartigen Charakters des Ganzen bewiesen die vielen Häuser, die stets allein für sich standen, daß hier eine verhältnismäßig dichte Bevölkerung vorhanden sein müsse.

In dieser Auffassung wurden die Herren auch durch die zahlreichen Menschen unterstützt, die sie noch mit den verschiedensten Arbeiten beschäftigt antrafen. Niemand war hier untätig. Die Hast aber schien ein unbekannter Begriff zu sein, denn bei aller Arbeit trat ein gewisses Maß vornehmer Ruhe hervor. Wie wohltuend stach diese gegen das lärmende Treiben der Menschen auf der Erde ab! Überall, wohin auch die Gelehrten ihre Blicke richteten, erschien ein gleichmäßig verteilter Wohlstand; selbst die relative Armut mußte hier unbekannt sein. Nicht nur in den Häusern, deren offene Hallen dem neugierigen Auge ungehinderten Einblick gestatteten, nein, auch um die Wohnungen herum, auf allen Wegen und Stegen herrschte eine geradezu peinliche Sauberkeit.

Ihr Spaziergang führte die Herren auch an den breiten Strom, den sie heute in der Frühe des Tages vom Luftschiff aus gesehen hatten. Es mußte einer der berühmten Marskanäle sein; denn soweit sie sehen konnten, war der Strom kunstvoll eingedämmt, schnurgerade seine Ufer. Eine kühn geschwungene steinerne Brücke, auf vielen Pfeilern ruhend, ein architektonisches Meisterwerk, führte hinüber an das andere Ufer. Auf dem Mars schien alles unter dem Zeichen gemessener Ruhe zu stehen: auch die klaren, hellgrünen Gewässer des mächtigen Kanales flossen still und ruhig dahin und trugen auf ihrem Rücken eine Menge geschmackvoll gebauter Schiffe.

An der Brücke lag ein Schiff, aus dem einige Männer Platten verschieden gefärbten Marmors, Blöcke von Granit und Syenit ans Ufer schafften und zwar mit einer Leichtigkeit, die auf die sieben Schwaben geradezu verblüffend wirkte. Sollten diese Marsbewohner über ungewöhnliche Körperkräfte verfügen, eine Art Athleten sein?

„Welch großartig entwickelten Brustkorb diese Leute haben! Sehen Sie einmal genauer hin!“ Mit diesen Worten zeigte Piller auf die Arbeiter. „Es ist mir heute früh schon aufgefallen, wie herrlich gebaut und wie breitschultrig diese Menschen hier sind. Auch die Kinder zeichnen sich in dieser Beziehung gegenüber den unsern auf der Erde vorteilhaft aus. Die reinste Züchtung einer lungenstarken Rasse, die der Schwindsucht kaum zugänglich sein dürfte,“ fuhr Piller fort.

Unterdessen war Brummhuber zu den arbeitenden Marsiten getreten und versuchte, eine der Steinplatten zu heben.

„Mir kommt dieser Marmor merkwürdig leicht vor. Sollte es vielleicht eine andere Art von Stein sein als bei uns?“ rief er fragend seinen Gefährten zu.

Diese kamen, neugierig geworden, näher und untersuchten die Steine.

„Nein, es ist tadellos schöner Marmor. Betrachten Sie nur das feine Korn und die zartgefärbten Adern, die ihn durchziehen!“ entgegnete Piller nach eingehender Prüfung.

„Und dieser prächtige rote Stein hier ist bester Syenit, oder ich müßte geradezu kein mineralogisches Unterscheidungsvermögen mehr besitzen,“ warf Herr Hämmerle ein, der an dem Steine herumgeklopft hatte.

„Versuchen wir einmal, die Steine zu heben!“ entschied Piller.

„Richtig, die scheinen hier oben ein geringeres spezifisches Gewicht zu haben als unten bei uns. Nun begreife ich, warum diese Leute die Lasten so leicht zu heben vermögen. Woher das wohl kommen mag? Wissen Sie vielleicht die Ursache, Stiller?“

„Der Grund dieser Erscheinung liegt meines Erachtens in der Dichtigkeit des Mars, die nur o,7 von der der Erde beträgt,“ antwortete Herr Stiller.

„Nun geht mir auch ein Licht auf, warum mir heute bei unserm Mahle die Pokale, unsere Silbergeräte überhaupt, so eigentümlich leicht vorkamen,“ fügte Thudium bei. „Ich hatte aber keine Zeit, über diese auffallende Erscheinung nachzudenken, denn die Musik nahm mich zu sehr gefangen.“

„So ging es auch mir,“ bestätigte Stiller.

„Und wie steht es mit der Dichtigkeit der Marsatmosphäre?“ forschte Frommherz. „In dieser Beziehung finde ich keinen Unterschied gegenüber unserer Heimatluft im Sommer. Im Gegenteil, ich atme leichter, freudiger hier oben als unten.“

„Der Luftkreis, der diesen Planeten umgibt, ist von bedeutend geringerer Höhe als der unserer Erde. Denken Sie sich bei uns auf einen Berg von mäßiger Höhe gestellt, so wird die etwas dünnere Luft dort ungefähr der hier entsprechen. Unsere Erdbarometer sind leider nicht für den Mars so verwendbar, daß wir zu ganz sichern Vergleichen und Schlüssen kommen könnten,“ entgegnete Stiller.

„Sei dem wie ihm wolle! Aus Ihren Worten kann ich mir auch ganz ungezwungen die wunderbare Entwicklung des Brustkorbes unserer Marsfreunde erklären: Anpassung der Lungen an die äußeren Lebensbedingungen. So werden sich auch in derselben einfachen Weise andere Eigentümlichkeiten der Marsleute erklären lassen, die uns noch da und dort entgegentreten werden,“ erwiderte Piller, sich in Marsch setzend, während die übrigen Herren seinem Beispiele folgten.

„Übrigens, meine Freunde, haben Sie noch nicht die auffallend schönen Augen unserer Marsmenschen bewundert?“ fragte Piller im Weiterschreiten.

„Ihre Größe und ihr schöner Glanz stechen allerdings stark gegen Größe und Glanz der unsern ab. Ein merkwürdiges Leuchten geht aus diesen Spiegeln der Seele bei unsern Marsleuten hervor.“

„Ganz richtig beobachtet, Stiller! Das satte Blau der Iris habe ich in dieser vollendeten Schönheit früher noch niemals gesehen. Es ist die Idealfarbe des edeln Auges. Und dieses lockige, reiche Haar! Wahre Zeus- und Junogestalten! Frommherz hatte heute recht mit seinem Vergleiche.“

„Nicht wahr?“ rief dieser erfreut über Pillers laute Anerkennung. „Körperlich wie geistig gleich hochstehende Menschen scheinen mir die Marsbewohner zu sein.“

„Für diese Gegend wenigstens scheint Ihr Urteil zu stimmen nach dem, was wir heute erfahren haben,“ erwiderte Stiller.

Da die Sonne untergegangen war, so beschlossen die Herren aus dem Schwabenlande, für heute den Spaziergang zu beenden und in ihr Heim zurückzukehren. Dort wollten sie den Besuch des würdigen Greises erwarten, um von ihm auf die Sternwarte geführt zu werden. Sie befanden sich noch unterwegs, als die Nacht ihre dunklen Schwingen über die Landschaft auszubreiten begann. Im Osten wurde es hell und heller. Der Mond tauchte auf und warf sein klares Licht auf die stille, friedvolle Gegend.

„Das ist der große Marsmond, Deimos genannt, der uns da leuchtet,“ erklärte Professor Stiller seinen Gefährten. „Wenige Augenblicke nur, und Sie werden den zweiten Trabanten des Mars sehen, mit dem wir, wenn auch glücklicherweise höchst oberflächlich, letzte Nacht in peinliche Berührung gekommen sind.“

Richtig, da kam auch der kleine Phobos über den Horizont gestiegen.

„Welch prachtvolles Schauspiel!“ rief voll Entzücken Stiller. „Wahrlich, die Marsbewohner brauchen keine künstliche Beleuchtung ihrer Nächte! Sie haben nicht nur jede Nacht vollen Mondschein, sondern sie besitzen auch gleich zwei Himmelsleuchten.“

„Ein merkwürdiger Weltkörper, dieser Mars, fürwahr!“ entgegnete Piller, einen Augenblick stehen bleibend und die beiden Monde betrachtend, deren fast taghelles Licht eigenartige, reizvolle Schattenbilder hervorbrachte.

„Ein lebendig gewordenes Märchen. Das wäre wieder ein neuer Anlaß für Sie zu trinken, Piller,“ spottete Dubelmeier.

„Warum denn nicht, alter Freund, warum denn nicht? Es scheint mir aber nach dem, was wir heute schon erlebt haben, auf dem Mars so viel Bewunderungswürdiges zu geben, daß die Anlässe zum Trinken sich denn doch zu bedenklich mehren dürften. Mein Wahlspruch aber ist gleich dem des alten griechischen Weisen: Nichts zuviel!“

Dubelmeier lachte laut auf.

„Lachen Sie nicht so töricht, altes Wasserhuhn, und folgen Sie selbst lieber diesem Beispiele in Ihrer übertriebenen Wassertrinkerei! Das rate ich Ihnen schon vom Standpunkte der modernen Heilkunde aus.“

„Die Monde kommen mir hier oben bedeutend größer vor als z. B. unten unser Trabant,“ bemerkte Frommherz, die eingetretene Stille unterbrechend.

„Nur Täuschung, mein Lieber!“ erklärte Stiller. „Die Monde des Mars sind beträchtlich kleiner als der Mond unserer Erde, sie sind aber bedeutend näher am Hauptplaneten, als dies bei unserm Monde der Fall ist. Phobos hier ist vom Mars nur etwas über 9000 Kilometer, der große Deimos nicht mehr als etwa 23500 Kilometer entfernt. Daher kommt es, daß diese Trabanten des Mars so übermäßig groß erscheinen.“

Unter diesen Gesprächen gelangten die Herren vor ihr stattliches Heim. Dort erwartete sie bereits ihr aufmerksamer Gastgeber, der ihnen heute schon so viel Gutes erwiesen hatte. Im Mondschein erschien den Herren die hohe Gestalt des Alten womöglich noch feierlicher als im Lichte des Tages, das lange, wallende weiße Haar noch silberner, glänzender.

„Sieht er nicht aus wie ein Patriarch aus der alten jüdischen Zeit, in der Sittenreinheit und Einfachheit des Volkes herrlichste Tugenden waren?“ fragte Professor Stiller leise seinen Kollegen Frommherz.

„Wahrhaftig, Sie haben recht!“ entgegnete dieser. „Nennen wir unsern Alten, dessen Namen uns noch unbekannt ist, einfach Patriarch. Diese Bezeichnung paßt prächtig auf ihn, hat er uns doch heute unter seinen väterlich milden Schutz genommen.“

Nach einer kurzen, stummen Begrüßung geleitete der Alte die Erdensöhne nach dem mit einem Kuppelbau versehenen Hause. Der Weg dahin führte durch eine Art von Wald voll großer wohlgepflegter Bäume, auf deren dunkelgrünen, glänzenden Blättern die zitternden Strahlen der Monde ihr neckisches Spiel trieben. Millionen von Leuchtkäfern schwirrten in der weichen Nachtluft unter den Bäumen, und das bläulich schillernde Licht der lautlos dahinhuschenden Tiere machte den Eindruck kleiner, in rascher Bewegung begriffener Sternchen. Muntere Bächlein, über die zierliche Brücken führten, kreuzten oft den Weg.

Der eigenartig schöne Weg hatte ungefähr eine Stunde Zeit in Anspruch genommen. Das in Form eines Rundbaus angelegte Gebäude trug in seinem Erdgeschoß eine Reihe von Büsten auf roten Marmorsockeln. Sie schienen die Männer darzustellen, die hier am Observatorium gewirkt hatten. Breite Stufen führten in den eigentlichen Beobachtungsraum hinauf, in dem einige Männer bereits an ihrer stillen Arbeit saßen. Der Patriarch mußte mit ihnen bereits Rücksprache genommen haben, denn sie erhoben sich sofort beim Eintritt der Fremden und luden diese durch freundliche Handbewegung ein, ihre Plätze einzunehmen.

Stiller war von der gediegenen Pracht und Großartigkeit der gesamten Einrichtung überrascht. Wie gering erschien ihm dagegen seine Sternwarte da unten auf Stuttgarts Bopserhöhe! Er trat auf eines der Riesenteleskope zu, prüfte es kurz und gestand sich, daß dessen Linsen an Schärfe nichts zu wünschen übrig ließen, ja sogar alles übertrafen, was er in dieser Beziehung überhaupt bis jetzt kennengelernt hatte. Welch eine Summe von Intelligenz mußte auf dem Mars vorhanden sein, die so feine, auf genauester wissenschaftlicher Berechnung beruhende optische Arbeit auszuführen ermöglichte!

Der Professor betrachtete aufmerksam den Himmel. Da und dort flammten Sternbilder und einzelne Sterne auf, die ihm bekannt waren. Ein auffallend großer, rotleuchtender Stern stand tief im Westen und erregte die vollste Aufmerksamkeit des Gelehrten. Es konnte nur ein Planet sein, der da funkelnd im unermeßlichen Weltraum hing, und möglicherweise war es der auffallenden Nähe wegen gar die Erde. Das Riesenfernrohr wurde daraufhin sorgfältig eingestellt. Die Vermutung Professor Stillers war richtig. Dank den unübertrefflich scharfen Linsen und der Reinheit der Marsatmosphäre erkannte er deutlich die Mutter Erde. Gut konnte er auf ihr die verschiedenen Meere und Kontinente unterscheiden. Vom Nordpol abwärts ließen sich sogar die Umrisse der einzelnen Länder gegen das Eismeer sowie gegen den Atlantischen Ozean hin feststellen, und das da, — ja, jetzt hatte er es — was sich jetzt zeigte, im Fernrohr scharf abzeichnete, mußte die Heimat, mußte dem ganzen Aussehen nach Deutschland sein.

Voll freudiger Aufregung teilte Stiller seinen Gefährten die gemachte Beobachtung mit und lud sie ein, einen Blick auf das ferne teure Vaterland hinunterzuwerfen. Einer nach dem andern folgte dieser Aufforderung.

„Unglaublich, aber wahr! Diese Fernsicht ist wirklich einzig in ihrer Art! Zum ersten Male sehen wir aus weiter, weiter Ferne die Erde und die Heimat,“ rief Hämmerle begeistert.

„Die Großartigkeit dieses Bildes wirkt geradezu feierlich,“ äußerte Thudium.

„So ist es auch,“ bestätigte Piller.

Die Astronomen vom Mars und der Patriarch, warfen nun ebenfalls nacheinander einen Blick durch das Teleskop. Sie wußten ja schon, woher die sonderbaren Fremden heute früh gekommen waren, und konnten aus ihrer Aufregung bei der Beobachtung eines bestimmten Teiles des fernen Gestirnes leicht schließen, daß dieser Teil, der sich augenblicklich im Gesichtsfelde des Fernrohres befand, die engere Heimat ihrer Gäste sein müsse.

„Es ist jammerschade, daß wir uns mit den Kollegen hier nicht unterhalten können! Welch interessanter, gewinnbringender Meinungsaustausch käme dabei heraus!“ sprach Stiller zu seinen Gefährten, als sie nach stummem Abschiede das Observatorium verließen.

„Wir müssen in erster Linie so rasch wie möglich die Sprache der Marsbewohner erlernen. Ihre Kenntnis ist die unumgängliche Voraussetzung für unsere Forscherzwecke,“ antwortete Hämmerle.

„Wahr gesprochen, Meister der Sprachforschung!“ erwiderte Piller, und auch die andern Herren nickten zustimmend mit dem Kopfe.

Die beiden Trabanten des Mars standen nun als volle Monde am Himmel, als die Herren heimwärts schritten. Gewaltigen, übereinandergestellten Leuchtkugeln gleich, hingen sie oben am Himmel und warfen ihr silberglänzendes Licht über die stille Landschaft. Während Phobos, der innere, kleinere Mond, sich in rascher Bewegung von West nach Ost befand, zog der große, äußere Deimos, weniger hastend als sein Gefährte, auf stiller Bahn den umgekehrten Weg. Es war ein Anblick, so wunderbar und einzig in seiner Art, daß die Erdensöhne in lautes Entzücken über diese bezaubernde Mondnacht ausbrachen. Langsam schlenderten sie nach Hause und genossen in vollen Zügen die Wunder einer Marsnacht.

Fünftes Kapitel
Lumata und Angola

Die folgenden Wochen verflossen für die Gäste des Patriarchen in angenehmem Verkehr mit diesem selbst und den Bewohnern der Marskolonie. Die Fremden waren aufs eifrigste bestrebt, sich mit ihren neuen Freunden sprachlich zu verständigen. Sie schrieben zunächst alle Bezeichnungen für die verschiedensten Dinge nieder, wie sie eben ihr Ohr vernahm. Hierauf brachten sie die Dinge mit ihrer Tätigkeit und ihren Eigenschaften in Verbindung und erhielten so auf diese einfache Weise nach und nach den Schlüssel zur Sprache selbst. Ging auch die Verständigung anfänglich sehr langsam und mühsam von statten, so gewährte ihnen doch das allmähliche Begreifen der klangvollen Sprache viel Freude und lohnte ihnen dadurch die große Mühe wieder, die sie für ihr Studium aufwenden mußten.

Alles geht in der Welt der Menschen nur schrittweise vorwärts; nirgends marschiert der wahre Fortschritt mit Siebenmeilenstiefeln. Die Wahrheit dieses Satzes erfuhren die sieben gelehrten Schwaben nicht nur an sich selbst bei ihren Studien, sondern konnten sie auch bei den Marsbewohnern beobachten. Waren sie auch erst kurze Zeit da und in ihren Bewegungen auf einen verhältnismäßig kleinen Raum beschränkt gewesen, so konnten sie sich doch unschwer davon überzeugen, daß die Bewohner des Mars eine ganz bedeutende Höhe in der Kultur erreicht hatten, die nur das Ergebnis einer jahrtausendelangen geistigen Entwicklung sein konnte.

In dem Maße, wie die Herren im Verstehen ihrer Umgebung vorwärts schritten, wuchs auch ihre Bewunderung und Wertschätzung dieser in jeder Beziehung so hochstehenden Menschen. Immer mehr drängte sich ihnen die Überzeugung auf, daß die Masse der Marsbewohner, wenigstens die, deren Gäste sie waren, in idealster Weise als Menschen das erfüllte, was auf der Erde nur die Besten und Edelsten, also immer nur vereinzelte Individuen, leisteten.

Was sie selbst vom Schönen, Wahren und Guten unten auf der Erde geträumt hatten, hier oben fanden sie alles in die Wirklichkeit umgesetzt; denn überall und in allem offenbarte sich ihnen die wunderbarste Harmonie, alles atmete Schönheit, Güte und Wahrhaftigkeit, und das ganze Leben trug den Stempel vornehmer, ruhiger Tätigkeit. Zweifellos mußte eine weise Regierung dieses große Staatswesen leiten, obwohl die Herren von Behörden, wie sie sich unten in der Heimat breit machten, hier oben nicht das geringste wahrnahmen.

Ob dieses Lebensbild voll Licht und Schönheit wohl auch seine Schatten, seine dunkle Seite hatte? Diese Frage wurde von den Herren am Abend bei der gemeinsamen Unterhaltung im großen Bibliotheksaale ihres Heims wiederholt aufgeworfen. Ihre endgültige Beantwortung mußte aber immer wieder verschoben werden, denn die Meinungen liefen schließlich stets darauf hinaus, daß man erst die Sprache vollständig beherrschen müsse, bevor man sich ein abschließendes Urteil bilden könne. Hier oben auf dem Mars lag eben alles anders als auf der Erde.

Die sieben Schwaben fühlten sich in ihrem neuen Wohnorte außerordentlich wohl, so wohl, daß sie an die Möglichkeit einer Rückkehr gar nicht mehr zu denken schienen. Wenigstens äußerte sich keiner der Herren mehr darüber. Von den Marsiten, wie sie die Marsbewohner nannten, wurden sie wie liebe, alte Freunde, ganz wie ihresgleichen behandelt, und die Gastfreundschaft wurde ihnen gegenüber in so zartfühlender Weise geübt, daß sie die Empfindung von etwas Drückendem gar nicht aufkommen ließ, im Gegenteil zu frohem Genusse förmlich einlud.

Auch der Weltensegler hatte unterdessen zweckmäßige Unterkunft gefunden. Eine geräumige, mit Glas bedeckte, aus Eisen luftig konstruierte Halle war in aller Stille auf der Wiese errichtet worden, auf der das Luftschiff niedergegangen war. In dieser Halle war das Fahrzeug untergebracht worden. Die verschiedenen großen und kleinen Schäden am Ballon wie an der Gondel hatten die Marsiten in so meisterhafter Weise ausgebessert, daß Herr Stiller zuerst sprachlos vor Erstaunen darüber war. Die Leute hier oben kamen ihm in ihrer Geschicklichkeit und Erfahrung in den schwierigsten Dingen der Aeronautik wie Zauberer vor. Wenn schon die Techniker auf dem Mars so viel Wissen und Können offenbarten, wie es die schwierigen Reparaturen des Weltenseglers erforderten, um wieviel verblüffender mußten die Ergebnisse der forschenden Wissenschaft sein! Wie viel konnten sie selbst hier noch lernen! Diese Aussicht enthielt so viel Verführerisches, daß Stiller kaum die Zeit erwarten konnte, die ihm und seinen Gefährten den näheren Verkehr mit den Männern der Wissenschaft, mit ihren Marskollegen, bringen sollte.

Die Frage, wie sie die ihnen erwiesene Gastfreundschaft ausgleichen könnten, beschäftigte Schwabens Söhne oft; denn das war den Herren klar, daß sie sie auf die Dauer nicht ohne Gegenleistung genießen durften. Sie beschlossen daher, sich später in irgendeiner Weise, jeder nach seinem Berufe, den Marsiten nützlich zu machen, ihre dankbare Anerkennung in einer passenden Form zum Ausdruck zu bringen. Das einstweilen noch unklare Wie würde sich möglicherweise eines Tages von selbst ergeben.

Die Zeit verging. Sie brachte ihnen mancherlei weitere Erfahrungen und Einblicke in die eigenartig neue Welt, die sie umgab. Zunächst konnten sie feststellen, daß ihr Wohnort auf der nördlichen Halbkugel des Mars lag, und zwar auf dem fünfzehnten Breitengrade. Da der eigentliche Tropengürtel des Mars gegenüber dem der Erde nur die Hälfte beträgt, so lag der fünfzehnte Grad nördlicher Breite hier bereits in der subtropischen Zone. Die gemäßigte Zone des Mars reichte nördlich wie südlich nur bis zum fünfunddreißigsten Breitengrade. Über diesen Grad hinaus begann die kühle Region. Während diese nur spärlich und nur von einer bestimmten Klasse von Marsbewohnern bevölkert war, wie den Gelehrten mitgeteilt wurde, lebte die Hauptmasse der Marsiten innerhalb der fünfunddreißig Breitengrade nördlich und südlich vom Äquator. Es war also ein verhältnismäßig kleiner Raum des Planeten, der bewohnt und wirklich kultiviert wurde, er genügte aber vollständig, um der auf nur zweihundertundfünfzig Millionen geschätzten Bewohnerzahl des Mars eine gute Existenz zu gewähren.

Daß diese Existenz an die Riesenkanäle gebunden sein müsse, hatten die von Professor Stiller und andern Forschern schon früher angestellten Marsbeobachtungen vermuten lassen. Diese Vermutungen wurden jetzt zur Gewißheit, als Professor Stiller in der Lage war, die elementarsten Lebensbedingungen des Mars persönlich zu erforschen.

Die Atmosphäre des Mars war der der Erde ähnlich. Da es aber auf dem Mars nur kleinere Ozeane und Binnenmeere gab, so enthielt der Luftkreis, der diesen Planeten umschloß, im allgemeinen weniger Wasserdampf oder Feuchtigkeit als die Erdatmosphäre. Eine wunderbar klare, durchsichtige Luft, die die fernsten Gegenstände nähergerückt erscheinen ließ, ein tief dunkelblauer Himmel waren die natürlichen Folgen dieser Tatsache, gleichzeitig aber auch ein gewisser Mangel an starkem Regen. Wohl taute es in den herrlich kühlen Nächten so reichlich, daß dadurch die Pflanzenwelt in schönster Frische erhalten wurde, aber dieser Niederschlag allein genügte nicht den Ansprüchen der Pflanzen an Wasser. So waren die Marsbewohner im Kampfe um ihre Existenz gezwungen, diesen natürlichen Mangel durch die Kunst auszugleichen. Auf diese Weise entstanden die Kanäle, die sich bis zu den polaren Zonen hinzogen und von diesen das im Sommer abschmelzende Wasser der dort abgelagerten gewaltigen Eismassen nach allen Richtungen hin leiteten.

Schon die ganze großartige Ausführung dieser uralten, Tausende von Kilometer langen Wasserstraßen, die da und dort in Riesenseen, künstlichen Zentralsammelbecken, zusammenflossen, die Art und Weise ihrer sorgfältigen Instandhaltung zeigte allein schon den hohen Grad von Intelligenz und den Gemeinsinn der Marsbewohner.

Die Regelung des Wasserstands war genau dem Bedarf und der Jahreszeit angepaßt. Dank dieser Einrichtung und der Unmasse kleiner Wasseradern, die sich überallhin abzweigten, herrschte nie Wassermangel auf dem Mars. Die Folge davon war jener üppige, prachtvolle Pflanzenwuchs, den die Schwaben immer und immer wieder bewundern mußten. Dazu kam das völlige Fehlen wilder Tiere, giftiger Reptile und gefährlicher Insekten. Es war ein Eldorado, in das die Erdensöhne geraten waren, und auf das die Worte Homers trefflich paßten:

„Wo in behaglicher Ruhe den Menschen das Leben dahinfließt:

Dort ist kein Schnee, kein schneidender Sturm, kein strömender Regen,

Sondern der Ozean sendet empor zur Erquickung der Menschen

Immer den luftigen Hauch des frisch hinwehenden Zephyrs.“

Und diese zahlreichen Wasserstraßen waren zugleich auch die besten und einfachsten Verbindungswege der Marsbewohner untereinander. Kein Wunder daher, daß sich auf den Kanälen ein lebhafter Schiffsverkehr abwickelte. Aber die auf den klaren Fluten der tiefen Wasserläufe dahinziehenden Schiffe verdarben die köstliche Luft nicht durch qualmende Schornsteine. Sämtliche Fahrzeuge, mochten sie nun für Personen- oder Lastenbeförderung bestimmt sein, wurden durch Elektrizität in Bewegung gesetzt und vermittelten den Verkehr in ruhiger und rascher Weise.

Auf diesen ebenso zweckmäßig wie bequem und gefällig eingerichteten Fahrzeugen hatten die sieben Schwaben schon so manche weite Reise ausgeführt. Sie hatten dabei aber das übrige Land und seine Bewohner nur flüchtig kennengelernt, weil diese Fahrten eben hauptsächlich zur allgemeinen Orientierung unternommen worden waren. Was sie aber sahen, das verstärkte nur ihre ersten guten Eindrücke und befestigte ihre Überzeugung, sich in einem großangelegten Staatswesen von tadelloser Verwaltung zu befinden. Nicht nur waren die Marsbewohner trotz der Verschiedenheit der Zonen überall gleichartig, d. h. sie sprachen dieselbe Sprache und schienen auch unter ähnlichen sozialen Lebensbedingungen zu stehen wie ihre Brüder in Lumata, — so hieß die Kolonie, in der die Herren aus dem Schwabenlande angesiedelt waren, — sondern an all den vielen verschiedenen Orten, die die Fremden besuchten, fiel diesen auch eine gewisse Gleichmäßigkeit des Besitzes auf, und sie empfanden das völlige Fehlen wirklicher Dürftigkeit oder Armut sehr angenehm.

Die geologische Beschaffenheit des Mars glich der der Erde. Den kristallinischen Massengesteinen standen die Sedimentformationen gegenüber, die in ähnlicher Weise übereinander gelagert waren wie auf der Erde. Die geologische Entwicklungsgeschichte des Mars schien also mit der Erde übereinzustimmen, nur hatte der Mars seine Entwicklungsphasen offenbar schneller und früher durchgemacht als diese. Dafür sprach auch das Fehlen von aktiven Vulkanen. Dagegen war der Mars reich an heißen Quellen aller Art; an Fumarolen (d. h. Bodenöffnungen auf vulkanischem Gesteine, aus denen Wasserdämpfe ausströmen, die oft mit chemischen Verbindungen beladen sind) und an Mofetten (Kohlensäure ausströmenden Gasquellen) war auch kein Mangel.

Große Städte, wie sie in den sogenannten Kulturstaaten der Erde zu finden sind, gab es auf dem Mars nicht. Es bestanden lediglich kleinere oder größere Gruppierungen von Häusern, die aber überall frei für sich im Grünen lagen. Nur an einem großen See, zwei Tagereisen von Lumata nach Süden zu, hatten die Schwaben den einzigen Anklang an eine Stadt gefunden. Dort war eine größere Kolonie mit zahlreichen architektonisch hervorragenden Bauten, die sich an regelmäßig angelegten Straßenzügen erhoben. Eine Stadt von Palästen, wirkte sie namentlich durch die vornehme Ruhe, die in ihr herrschte, durch ihre peinliche Sauberkeit und den Glanz und die Pracht ihrer öffentlichen Gärten.

Die Erdensöhne konnten mit ihren noch mangelhaften Sprachkenntnissen nur so viel herausbekommen, daß dieser Ort, Angola mit Namen, der Zentralsitz der Stämme der Weisen, der Heitern und der Ernsten sei. Was waren aber das für Stämme? Nach Hause zurückgekehrt, befragten sie hierüber Eran, den Patriarchen. Dieser lächelte eigentümlich bei der Frage und erwiderte den neugierigen Herren, daß er sie später selbst einmal nach Angola führen werde, um sie mit seinen Brüdern dort bekannt zu machen, die übrigens von ihrer Anwesenheit in Lumata sowie von ihrer Herkunft und ihrer Reise nach dem Mars längst unterrichtet seien.

Anfangs waren die Tübinger Herren von ihren Ausflügen, dem Niederschreiben ihrer täglichen Beobachtungen und gewonnenen neuen Eindrücke und dem Erlernen der Sprache vollständig in Anspruch genommen. Aber nach und nach begann in ihnen doch eine gewisse Sehnsucht nach dem alten, trauten, ihnen zur zweiten Gewohnheit gewordenen Berufe zu erwachen, den sie mit so großem Erfolge in ihrer Heimat ausgeübt hatten. An ernste, rege Tätigkeit gewöhnt, kam ihnen das angenehme und ideal schöne Leben auf dem Mars mehr und mehr wie eine Art Schlaraffentum vor. Die Mühseligkeiten der Herreise verblaßten immer mehr in der Erinnerung, je länger sie sich auf dem Mars befanden.

Schon war ein ganzes Jahr vergangen, seit sie vom Cannstatter Wasen aus ihre Marsfahrt angetreten hatten. Aber während unten auf der heimatlichen Erde der Winter mit Schnee und Kälte vor der Türe stand, herrschte hier oben in Lumata ein ewiger Frühling, obgleich die Marsiten die Jahreszeit, in der sie sich gerade befanden, ebenfalls als die vorgerücktere bezeichneten.

War es nur Zufall, daß die sieben Schwaben auch auf dem Mars in den wichtigsten Einteilungen der Siebenzahl begegneten? Herr Stiller konnte sich diese auffallende Tatsache nicht erklären und begnügte sich damit, sie festgestellt zu haben.

Auf dem Mars wurde das Jahr in sieben Abschnitte geteilt, die die Tätigkeit wie auch die Ruhe der Natur zum Ausdruck brachten. Nach Erdenmaß gerechnet umfaßte ein solcher Zeitabschnitt die ungefähre Zahl von zweiundfünfzig Tagen. Die einzelnen Perioden hießen:

1. Die Zeit des Erwachens.

2. Die Zeit der Saaten.

3. Die Zeit des Knospens und der Blüten.

4. Die Zeit der Früchte.

5. Die Zeit der Garben.

6. Die Zeit der Ernten oder Freuden.

7. Die Zeit der Ruhe.

Nach und nach hatten die Erdensöhne so bedeutende Fortschritte in der Marssprache gemacht, daß sie nun auch gründliche Einblicke in die staatliche Organisation des Marsvolkes tun konnten. Vor ihren Augen enthüllte sich immer mehr ein großangelegtes, riesiges demokratisches Gemeinwesen, das nicht auf die Gewalt gestützt war, sondern ausschließlich durch den freien Willen des Volkes und durch das Band gemeinschaftlicher Interessen zusammengehalten wurde. Jedes einzelne Individuum ordnete sich hier dem Gemeinwohl unter und leistete ihm nach seinen Fähigkeiten Dienste. So stellte sich das Staatswesen als eine zwar große, aber doch wieder engverbundene Familie voll schönster Eintracht dar. An der Spitze des gesamten Staatswesens stand der Stamm der Weisen oder der Hüter des Gesetzes.

Die Bevölkerung des Mars schied sich in folgende sieben Stämme:

1. Stamm der Weisen oder der Hüter des Gesetzes.

2. Stamm der Heitern (Bildende Künste: Maler, Bildhauer, Komponisten).

3. Stamm der Ernsten (Gelehrte aller Richtungen).

4. Stamm der Frohmütigen (Darstellende Künste: Musiker, Schauspieler).

5. Stamm der Sorgenden (Acker- und Gartenbauer und Dienende).

6. Stamm der Flinken (Handel- und Verkehrtreibende).

7. Stamm der Findigen (Industrielle).

Die sechs letzten Stämme standen einander im Ansehen völlig gleich. Der erste Stamm rekrutierte sich aus den erfahrensten, ältesten, vor allem aber den geachtetsten und durch ihre Lebensführung hervorragenden Individuen männlichen wie weiblichen Geschlechts der übrigen sechs Stämme.

Der größte Stamm, der an Zahl seiner Angehörigen alle andern Stämme zusammen weit übertraf, war der der Sorgenden.

Die Zulassung zu den einzelnen Stämmen, den der Weisen allein ausgenommen, wurde lediglich durch die Neigung und den Nachweis der Fähigkeit entschieden. Ein Übertritt von dem einen Stamm in den andern konnte auf Grund einer Prüfung jederzeit an einem bestimmten Zeitpunkt stattfinden. Fest gebunden war niemand, und gerade dieser völlige Mangel an Zwang schien hier oben eine der Hauptursachen für die Entwicklung der verschiedenen Berufsarten zu sein.

Ein natürlicher, vernünftiger Ehrgeiz, das Bestmögliche zu leisten, beherrschte die Marsbewohner und hielt nicht nur das Streben des Einzelnen wach, sondern regelte es auch in gesunder Weise.

Da auf dem Mars kein Geld in Umlauf war, so gab es auch nicht das widerliche, Geist wie Körper gleichmäßig aufreibende Hasten und Jagen nach dessen Besitz wie unten auf der Erde. Geldsorgen waren auf dem Mars unbekannt. Die verschiedenartigsten Leistungen des einzelnen wurden durch Anweisungen auf seine sämtlichen Lebensbedürfnisse aufgewogen. Zu diesen Bedürfnissen wurde aber auch eine gewisse Summe von Lebensfreude gerechnet, wie sie die bildenden und darstellenden Künste und dergl. zu bieten vermögen.

Der höchste Ruhm und die größte Ehre bestand in der allgemeinen Anerkennung und Wertschätzung. Diese konnte sich aber jeder durch treue Erfüllung seiner Pflichten und Obliegenheiten erringen. Für die Leistungen, die über die allgemeine Pflichtarbeit hinausgingen, also da, wo das wirkliche Verdienst um das große Ganze beginnt, erhielten die Marsiten durch den Stamm der Weisen Auszeichnungen in Form öffentlicher Belobungen, die den Inhaber in vorgeschrittenerem Lebensalter zum Eintritt in diesen allgemein hoch verehrten Stamm berechtigten.

Das gesamte Leben auf dem Mars war in seiner so eigenartigen Form nur dadurch möglich, daß es unter dem ausschließlichen Zeichen des Zusammenhalts stand. Der allgemeine Grundsatz, daß das einzelne Individuum alles tun muß, was das Gesamtwohl fördert, alles zu unterlassen hat, was dem Nebenmenschen Schaden und Schmerzen bereitet, war hier oben schon seit undenklicher Zeit in die Praxis umgesetzt. Dabei wurde die Eigenliebe, ein gesunder, berechtigter Egoismus, nicht vernichtet. Der natürliche Selbsterhaltungstrieb des einzelnen wurde durch die einfache Erkenntnis machtvoll gefördert, daß vom Wohl und Wehe des Nächsten auch das eigene Wohl und Wehe abhänge, daß das Blühen und Gedeihen der andern das eigene Blühen und Gedeihen mit einschließe, und daß ihr Elend gleichbedeutend mit dem eigenen sei.

Diese klare, natürliche Moral, die zu reiner Nächstenliebe (Altruismus) führt, und die jeden geistig normalen Menschen instinktiv das Gute tun und das Schlechte meiden läßt, bestand in vollster Anwendung auf dem Mars. Die Quelle aller Übel auf der Erde, die rohe Selbstsucht, die die Unsumme von Gesetzesparagraphen nötig machte, bestand beim Marsvolke nicht. Nächstenliebe, Wahrheit, ein gewisser Frohmut schlossen den niederen Egoismus völlig aus.

Ein Bund von Brüdern und Schwestern schien das Volk hier oben zu sein, wissend, wahr, frei und gut, das Ideal reinen Menschentums verwirklichend. Wie klein kamen sich die Söhne der Erde vor, als sie nach und nach die Pfeiler kennenlernten, auf denen das Staatswesen sowie das öffentliche und private Leben der Marsiten so fest ruhte! Und diese festen Pfeiler waren hervorgegangen, herausgebaut aus einer großartig organisierten, allgemeinen und freien Schulung der Marsjugend. Die ideale Schule der Zukunft, von der Professor Hämmerle in Tübingen so viel schon geträumt, — hier auf dem Mars begegnete er ihr als einer alten, bewährten Einrichtung.

Der leitende Grundsatz der Marsschulen war, die Jugend geistig und körperlich gleich gut zu bilden; denn je gebildeter und körperlich kräftiger zugleich ein Individuum ist, desto fähiger ist es, seine Lebensaufgaben und seine Pflichten als Mitglied des Staates zu erfüllen. Der Unterricht beschränkte sich daher nicht nur auf die einfacheren, elementaren Kenntnisse, sondern er erstreckte sich auch auf die Geschichte und die Kenntnis der Einrichtungen des Staatswesens, auf die Einführung in die Gesetze der Natur und auf die Bekanntschaft mit den poetischen und prosaischen Meisterwerken der Marsliteratur. Hand in Hand damit ging der Unterricht in der allgemeinen Körperpflege und in der Gesundheitslehre, der den Altersstufen der Jugend entsprechend angepaßt war.

Gymnastische Spiele aller Art füllten die Nachmittage aus, an denen der Unterricht wegfiel. Am Ende einer bestimmten Schulzeit wurden Wettprüfungen vorgenommen. Wer aus ihnen als Sieger hervorging, rückte zu den höheren Unterrichtsklassen vor. Auf diese einfache Weise war eine klare Scheidung zwischen den wirklich talentierten und den weniger begabten Schülern durchgeführt. Den ersteren stand dann der Weg zu den Kunstschulen oder zu den verschiedenartigen höheren wissenschaftlichen Lehranstalten offen. Die höhere Bildung war Gemeingut des ganzen Volkes, und keine anmaßende Mittelmäßigkeit konnte sich auf dem Mars breitmachen.

„Wir Erdgeborene sind die reinen Stümper gegen diese Prachtkerle hier oben. Was für ein Leben hier im Verhältnis zu dem da unten auf der Erde! Hier hellster Sonnenschein, dort trüber Nebel. Wie unendlich weit zurück steht die so gepriesene Kultur unserer führenden Nationen gegen die des Marsvolkes!“ äußerte sich eines Tages Brummhuber, als die Herren gerade beim Mahle saßen.

„Ich vermutete schon unten auf unserm Planeten, daß wir hier oben Wesen von hoher Vollkommenheit antreffen würden, ich gestehe aber, daß meine Erwartungen in jeder Richtung weit übertroffen worden sind,“ antwortete Stiller.

„Freilich, bieten können wir den Menschen hier nichts, aber auch rein gar nichts. Und das drückt mich persönlich schwer,“ warf Thudium ein.

„Was sollten wir ihnen auch bieten? Vielleicht von unserm Pessimismus, von der widerlichen Selbstsucht, von der unser Leben vergiftenden Unwahrheit? Alles Kennzeichen unserer Zivilisation!“ rief in ehrlicher Entrüstung Professor Piller.

„Sie haben recht, Piller, leider nur zu recht,“ bestätigte Professor Stiller. „Mars bietet entschieden heute schon das, was den Geschlechtern auf der Erde vielleicht erst im Laufe der kommenden Jahrhunderte zuteil werden wird.“

„Ob es wohl je dazu kommen wird?“ seufzte Frommherz.

„Daran ist nicht zu zweifeln,“ entgegnete Hämmerle. „Mars hat ohne Zweifel einst dieselben oder wenigstens ähnliche Stufen in seiner zivilisatorischen Entwicklung durchgemacht wie die Völker der Erde. Seine Kultur ist nur bedeutend älter.“

„Jawohl, um Tausende und Abertausende von Jahren. Die Frage ist nur die, ob wir überhaupt die Fähigkeit haben, bei der Entartung unserer Rassen — ich betone das Wort Entartung nochmals ganz besonders! — die Höhe der Marskultur zu erklimmen. Ich möchte es bezweifeln!“ schrie Piller und suchte seine zornige Erregung durch einen Schluck Wein zu besänftigen.

„Piller, Sie sind ja selbst Pessimist und ungerecht wie immer,“ tadelte Dubelmeier.

„Ich Pessimist? Und ungerecht? Was verstehen Sie denn darunter?“

„Darüber lasse ich mich mit Ihnen in keine Aussprache ein!“

„Oho! Also beleidigen wollen Sie mich, wie es scheint?“

„Fällt mir gar nicht ein; dazu sind Sie mir viel zu lieb und wert, Sie alter Alkoholikus! Aber ungerecht und pessimistisch ist es meines Erachtens, wenn Sie so schroff unsern Völkern auf der Erde die Fähigkeit einer gesunden Weiterentwicklung absprechen.“

„Ich möchte Freund Dubelmeier beistimmen,“ warf hier Stiller ein. „Piller, nehmen Sie doch uns zum Beispiel als Modelle an!“

„Schöne Modelle, fürwahr!“ brummte Piller, sichtlich besänftigt durch den genommenen Schluck Wein.

„Freilich, Modelle von Erdensöhnen, wie ich ohne allzu große Selbstüberhebung sagen darf; vertreten wir doch bis zu einem gewissen Grade die Zukunft. Was wir heute auf dem Gebiete der allgemeinen Bildung und der Entwicklung des moralischen Gefühles vertreten, wird später mehr und mehr das Gemeingut der Massen der Kulturvölker auf unserer Erde.“

„Wer’s glauben mag!“

„Es ist nicht allein mein Glaube, nein, es ist, auch meine felsenfeste Überzeugung, gestützt auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit.“

„Stiller, ich will Ihnen nicht widersprechen, denn ich möchte mich nicht noch mehr ärgern, sondern im Gegenteil froh darüber sein, daß ich hier oben in dem reizenden Lumata sitzen darf.“

„Ein vernünftiger Ausspruch, der aller Ehren wert ist. Und nun Friede, meine lieben Freunde!“ rief Frommherz.

„Einverstanden!“ fügte Brummhuber bei.

Einige Tage waren seit dieser Unterhaltung verflossen. Da erschien Eran, der Patriarch aus dem Stamme der Alten, wieder einmal im Heim seiner Gäste und lud die Herren ein, mit ihm für kurze Zeit nach Angola zu reisen. Freudig stimmten die Herren bei. Diesmal wurden in Angola Schwabens würdige Söhne von dem Stamme der Weisen förmlich empfangen. Vollzählig hatten sie sich hier versammelt, um nebenbei auch noch über eine Reihe wichtiger innerer Fragen zu entscheiden. Gleichzeitig tagte auch noch der Stamm der Ernsten, um in einer Versammlung, wie sie von Zeit zu Zeit stattfand, Gedanken und Beobachtungen wissenschaftlicher Art untereinander auszutauschen.

Die Aufnahme der Erdensöhne in Angola ließ an Herzlichkeit nichts zu wünschen übrig. Ihre so wunderbare und schnelle Fahrt von der Erde her durch den ungeheuren Weltraum nach dem „Lichtentsprossenen“, wie die Marsiten ihren schönen Planeten nannten, war begreiflicherweise zuerst der Gegenstand der allgemeinen Unterhaltung und des lebhaftesten Interesses.

Bei der ersten Sitzung des Stammes der Ernsten, die in einem großartig ausgestatteten Saale eines Marmorpalastes stattfand, erklärte Professor Stiller die verschiedenen Umstände, die ihn zur Konstruktion des Weltenseglers und zu der kühnen, mit so großem Erfolge gekrönten Fahrt bestimmt hätten. Er erzählte ihnen ferner von seiner engeren und weiteren Heimat, von den Völkern Europas und von der Erde überhaupt. Letztere war den Ernsten wohl bekannt. Die Begriffe, die sie sich von ihr dank ihren außerordentlich scharfen Instrumenten und ihrer Vorstellungskraft zu machen verstanden, kamen der Wirklichkeit verblüffend nahe. So wußten die Marsgelehrten, daß das dritte Kind des Lichtes (als Kinder des Lichtes bezeichneten die Marsiten alle Planeten), die Erde, Eismassen an ihren Polen führe, die einen ansehnlichen Bruchteil des Meerwassers in feste Bande geschlagen haben, und daß die Oberfläche der Erde von über siebzig Prozent Meerwasser bedeckt sei. Auch daß die Erdatmosphäre reich an Wasserdampf sein müsse, schlossen sie aus dem Verhältnis des Festlandes zu den Meeren. Die Dichtigkeit der Erde war ihnen genau bekannt, ebenso ihr Polar- und Äquatorialdurchmesser, ferner die Geschwindigkeit ihrer Bewegung um sich selbst wie um das „ewige Licht“, die Sonne, und dergleichen mehr.

Ja, auch von den einzelnen Erdteilen hatten sie richtige Vorstellungen, und diese gingen sogar so weit, daß sie eine Reihe einzelner größerer Länder oder Gebiete zu unterscheiden vermochten. Um so weniger schwer war es daher den gelehrten Fremden, die Marsiten gewissermaßen, auf der Erde spazierenzuführen, von der sie bereits so achtungswerte Kenntnisse besaßen. Und so entwarfen sie ihnen ein genaues Bild ihres Vaterlandes und berichteten von dem Ort am Neckar, von dem sie nach dem Mars abgefahren waren.

Allen diesen Schilderungen brachten die Weisen sowie die Ernsten das lebhafteste Interesse entgegen. Dieses Interesse steigerte sich noch, als sie vernahmen, daß die sieben Schwaben ebenfalls zu einer Art Stamm der Ernsten unten auf der Erde gehörten. Die Herren wurden daher eingeladen, vor der versammelten Elite der Marsiten ihre Berufsarten näher zu beleuchten, das heißt die Zustände zu schildern, unter denen sie auf der Erde und bei ihrem Volke ausgeübt würden. Gleichzeitig wurde der allgemeine Wunsch ausgedrückt, die Fremden möchten ein genaues Bild von dem Leben und Treiben der Bewohner der Erde entwerfen, das dann zu einem Vergleiche mit den bestehenden Verhältnissen auf dem Mars herangezogen werden sollte.

Es wurde ausgemacht, daß jeder der Professoren an einem bestimmten Tage abwechselnd zwei Vorträge halten solle, den einen fachlich und den andern über das allgemein interessierende Thema der Erdbewohner und deren kulturelle Zustände. Die Professoren entledigten sich ihrer Aufgabe in meisterhafter Weise. Sie erzählten von dem derzeitigen Stande der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen in den Kulturländern der Erde, besonders in Deutschland, beleuchteten ehrlich und rückhaltlos offen die politischen und sozialen Gegensätze unter den wenigen um die führende Rolle im Leben der übrigen Völker kämpfenden Nationen. Sie schilderten all die Mittel der List, der Gewalt und Verschlagenheit, die dabei angewendet würden, und erklärten den Marsiten, was unten auf der Erde unter der Bezeichnung „Diplomatie“ alles verstanden werde.

Sie verschwiegen auch die trüben Erscheinungen nicht, die der mehr und mehr sich zuspitzende Kampf um das Dasein, der Wettstreit bei der Beschaffung der notwendigsten Lebensbedürfnisse für die große Mehrzahl der Menschen, sowohl der einfachen als auch der gebildeten Erdbewohner, mit sich bringe. Unumwunden räumten sie ein, daß dem Fortschrittsdrange der Kulturvölker leider überall auf der Erde alle möglichen Hindernisse in den Weg gelegt würden durch allerlei einengende Einrichtungen und kleinliche Bestimmungen, daß die Massen der sogenannten gebildeten Völker trotz gewaltiger Fortschritte in der Technik und in den Naturwissenschaften immer noch weit entfernt von dem Ideale einer reinen Weltanschauung seien.

Letztere werde nur von einem verhältnismäßig kleinen Bruchteile der wirklich Hochgebildeten vertreten, und auch diese kleine Schar der Auserlesenen sei mit geringen Ausnahmen von der schwersten und schlimmsten Krankheit der Zeit angesteckt: der Feigheit. Man wage unten auf der Erde bei den Kulturnationen — von den weniger zivilisierten Völkern ganz zu schweigen — nicht, offen und klar das zu sagen, was man denke, aus Furcht, bei mächtigeren Personen anzustoßen und dadurch seine Existenz zu gefährden. Die Empfindungen würden daher auch selten mit den Handlungen in Einklang gebracht. Infolgedessen herrsche überall ein mehr oder weniger großer Mangel an Mut und Ehrlichkeit der Überzeugung, und die aus der Heuchelei geborene Lüge hindere den Sieg der Wahrheit und lasse immer noch sehr viele auf die Dauer doch als völlig unhaltbar erkannte Einrichtungen, ungesunde, unvernünftige, der reinen Weltanschauung und dem Volkswohle geradezu feindlich gegenüberstehende Zustände weiter bestehen.

Mit freudigem Staunen hätten sie auf dem Mars Verhältnisse angetroffen, die dem Ideal des Lebens und des reinen Menschentums, das sie sich gebildet, und dessen Verwirklichung von den Besten der Nationen unten auf der Erde so heiß angestrebt werde, in der schönsten Weise entsprächen.

In dieser Art äußerte sich mehr oder weniger jeder der Herren. Frommherz fügte diesen Berichten noch einige Bemerkungen über die religiösen Anschauungen und die kirchlichen Einrichtungen Deutschlands hinzu.

Voll Aufmerksamkeit hatten die Weisen und die Ernsten diese Auseinandersetzungen der Erdensöhne angehört. Die wissenschaftlichen Darlegungen der Fremden brachten den Marsiten nichts Neues, die sozialen und übrigen Bilder, die ihnen von ihren Gästen so lebhaft vor Augen geführt worden waren, hatten ihr Interesse am meisten erregt. Mit keinem Laute waren die langen Vorträge unterbrochen worden.

Als Stiller den Schluß der Vorträge verkündet hatte, zogen sich die Weisen und die Ernsten zu einer gemeinsamen Beratung zurück, von der die sieben Schwaben ausgeschlossen waren. Das Ergebnis dieser Beratung aber sollte ihnen später bekannt gegeben werden.

„Was die nur vorhaben?“ fragte besorgt Frommherz.

„Nun, ich denke, sie werden scharfe Kritik an unsern Schilderungen üben, wozu sie ja auch vollkommen berechtigt sind,“ antwortete Stiller.

„Und uns dann den Laufpaß geben, passen Sie auf,“ fügte Brummhuber bei.

„Dies zu tun, sind unsere Wirte viel zu anständig,“ entgegnete Piller, „obwohl ich nicht bestreiten will, daß die Marsiten zu einer Einladung, unsere Abreise endlich einmal in den Kreis unserer Überlegung zu ziehen, ein gewisses Recht hätten.“

„Warten wir ab, was kommt!“ entschied Dubelmeier.

„Bleibt uns auch nichts anderes übrig,“ seufzte Frommherz, der seiner religiös-kirchlichen Darstellungen wegen ein etwas bedrücktes Gewissen hatte.

Aber es war doch eine gewisse Unruhe, die die Erdensöhne beherrschte, als sie miteinander durch die paradiesisch schönen Parkanlagen von Angola spazierten, während die Beratung der Marsiten stattfand.

Am nächsten Tage, dem zehnten ihres Aufenthaltes in Angola, wurden die Schwaben wiederum in feierlicher Weise in den großen Sitzungssaal geführt, in dem sie ihre Vorträge gehalten hatten. Der Älteste unter den Alten, eine Hüne von Gestalt, Anan mit Namen, erhob sich und begrüßte zunächst wieder in herzlichen Worten die Eingeführten.

„Meine lieben Freunde!“ sprach er weiter zu ihnen. „Wir alle haben gestern mit lebhaftester Teilnahme eure Schilderungen vernommen, die ihr von den allgemeinen und besonderen Verhältnissen eures Weltkörpers entworfen habt. Diese Schilderungen haben in uns merkwürdige Gefühle und Empfindungen ausgelöst, so daß wir uns über sie zuerst in aller Ruhe klar werden wollten, bevor wir euch mit unserem schuldigen Danke zugleich auch eine Antwort auf das Gehörte geben. Dies war der Grund, warum wir uns zu einer Beratung unter uns zurückgezogen haben. Vor allem danken wir euch für die anerkennenswerte Offenheit, mit der ihr uns das Leben eurer Kulturvölker geschildert habt. Uns muteten eure Berichte im ersten Augenblicke wie Märchen an. Wir würden sie auch als solche auffassen, wären wir nicht von dem Ernste eurer Lebensauffassung, von eurer Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit vollkommen überzeugt. Nicht vergeblich haben wir euer Leben in Lumata beobachtet. Das Ergebnis dieser Beobachtung war unsere Einladung hieher, das Zeichen unserer Achtung und unseres Vertrauens. Und nun wende ich mich zu euren Auseinandersetzungen. Umsonst haben wir in der Geschichte unserer Vergangenheit geblättert; solch barbarische, von der Unwahrheit beherrschte Zustände im Leben der einzelnen wie der Völker, wie sie bei euch noch bestehen, haben wir in diesem Umfange glücklicherweise nie gekannt. Gewiß, es fehlte auch uns nicht an inneren Kämpfen, an schweren Enttäuschungen aller Art, bis wir uns endlich im Laufe der Zeit zu den Lebensverhältnissen und Lebensauffassungen durchgerungen haben, die ihr bei uns heute bewundert. Aber unsere Entwicklung vollzog sich weniger mühselig, weniger schmerzhaft als die eure. Schon vor Urzeiten hatte sich bei uns in der breiten Masse des Volkes die Erkenntnis durchgerungen, daß unsere erste Aufgabe unsere Erhebung, nicht aber das Verharren in unserer Niedrigkeit sei, aus der wir hervorgegangen sind. Diese unsere Erhebung und Entwicklung zur reinen Freiheit konnte nur durch eine vernünftige, naturgemäße Aufklärung kommen, die uns für das hehre Licht der Wahrheit empfänglich machte.

Ihr, liebe Freunde, habt während eures längeren Aufenthaltes bei uns nach und nach die Wege kennengelernt, die wir eingeschlagen haben, um dieses hohe Ziel zu erreichen, Wege, die wir, weil sie sich bewährt haben, auch heute noch wandeln und fernerhin wandeln werden. Darüber will ich kein Wort mehr verlieren. Gerne wollen wir auch zugeben, daß wir es mit unserem Entwicklungsgange ungleich leichter gehabt haben, als ihr es in dieser Beziehung unten auf der Erde noch habt. Hier bei uns haben wir ein ziemlich gleichmäßiges, in Sprache, Denken und Empfinden übereinstimmendes Volk, während dies auf eurem Planeten nicht der Fall ist. Wir konnten uns daher mit viel weniger Schwierigkeiten und ohne den von euch geschilderten furchtbaren Massenmord, Krieg genannt, zu der Höhe unserer Kultur erheben, die eurem Ideale nahe kommt. Wir hatten also diese entsetzlichen Verwirrungen nicht zu überwinden, die eurem Glücke und Fortschritte so fürchterlich hemmend entgegentraten und noch drohend entgegenstehen.

Das Gefühl der Zusammengehörigkeit, ein brüderlicher Gemeinsinn besteht bei uns seit Äonen. Es bildet den fundamentalsten Bestandteil unseres Bewußtseins und die Triebkraft unseres Handelns. Bedauerlicherweise fehlt bei euch dieses mächtige Gefühl der Zusammengehörigkeit oder ist zum mindesten noch nicht in dem Maße vorhanden, als zum Wohle des Ganzen so dringend nötig wäre. Der Grund eures Tiefstandes liegt meines Erachtens nach in dem Mangel an jener einfachen, natürlichen Moral, die unser Leben so vorteilhaft beeinflußt.

Für uns war es schmerzlich zu hören, wie bei euch jeder Fortschritt, auch der kleinste, durch ein Meer von Tränen, von Blut und zertrümmerten Existenzen führt. Und doch, — ihr selbst sagtet es ja — es muß und wird einst besser bei euch auf der Erde werden. Ihr selbst seid dafür die lebendigen Zeugen, denn ihr stellt heute schon das vor, was die Masse bei euch nach eurem eigenen Ausspruche in späterer Zeit sein wird. Wackere, brave Männer von der geistigen Bedeutung wie ihr müssen daher unten auf der Erde wirken, an der Weiterentwicklung ihrer Brüder arbeiten. Wenn auch der einzelne von euch bei dieser schwierigen Arbeit keine volle Befriedigung empfindet, — dies gilt ja von allem Streben nach noch nicht Erreichtem! — so bedenkt, daß die Folgen der Arbeiten an dem Werke der Vervollkommnung eurer Mitmenschen zwar nicht euch, so doch euren Nachkommen zugute kommen werden.

Unser Rat lautet dahin: Kehrt zurück auf eure Erde!“ — „O Himmel, ahnte ich es doch!“ klagte bei diesen Worten Anans Professor Frommherz leise vor sich hin. — „Schweigen Sie, Jammerseele!“ herrschte ihn unsanft Piller an. — „Kehrt zurück in euer Schwabenland, zu dem biedern Volke, aus dessen Mitte ihr stammt, und widmet euch dort wieder dem erhabenen Werke der Vervollkommnungsarbeit. Ferne sei es von uns, euch von hier wegdrängen zu wollen, ihr seid und bleibt uns werte Gäste.“ — „Dem Himmel Dank!“ murmelte hier Frommherz. — „Aber ich gestehe es aufrichtig, und ich spreche hier die Ansicht von allen meinen Brüdern und Schwestern aus: Ihr seid die ersten und zugleich die letzten fremden Wesen, die von einem der fernen Kinder des Lichtes zu uns gelangen durften. Denn dies ist der Hauptpunkt, das Endergebnis unserer Verhandlung. Im Interesse unseres Volkes lehnen wir weiteren Verkehr ab. Nicht mit euch, — ich betone nochmals ausdrücklich, daß ihr uns werte, liebe Gäste und Freunde seid, — nein, überhaupt; denn wir haben keine Gewähr dafür, daß nicht auch einmal Fremde zu uns gelangen könnten, die nicht auf der Höhe der Anschauung stehen wie ihr und deren Benehmen bei längerem Aufenthalte wahrscheinlich dann nur zu unerquicklichen Auseinandersetzungen und schließlich zu einer gewaltsamen Entfernung von hier führen müßte. Das wollen wir uns aber ersparen.

Eure kühne Reise wird zwar so bald nicht wieder Nachahmer finden. Doch kann man dies nicht wissen, und so haben wir bereits die bestimmte Weisung gegeben, künftig und für alle Zeiten auf unserem Lichtentsprossenen kein Luftschiff mehr landen zu lassen, woher es auch kommen möge, und wäre es auch aus dem uns durch euch so sympathisch gewordenen Schwabenlande. Bleibt bei uns, wenn ihr wollt, oder fliegt über kurz oder lang wieder heimwärts. Wir stellen dies ganz in euer Belieben und sind und bleiben stets eure aufrichtigen, treuen Freunde. Ich bitte euch, liebe Brüder und Schwestern,“ — mit diesen Worten wandte sich Anan an die Marsiten — „ruft mit mir: Glück und Heil den sieben Schwaben, unsern lieben ersten und einzigen Gästen!“

Sechstes Kapitel
Im Reiche der Vergessenen

Mit gemischten Gefühlen kehrten die Herren von Angola nach Lumata zurück. Sollten sie auf dem Mars bleiben oder sollten sie gehen? Das war die ernste, schwerwiegende Frage, die sie in den folgenden Monaten beschäftigte.

„Wenn uns die Marsiten in Angola auch nicht geradezu den Stuhl vor die Tür gesetzt haben, so haben sie uns doch deutlich genug zu verstehen gegeben, daß wir unsere sieben Sachen zusammenpacken sollen,“ äußerte sich eines Tages Piller zu seinem Kollegen Stiller.

„Sie haben recht! Und ich muß Ihnen auch aufrichtig erklären, daß mir dieses unproduktive Leben, diese an uns geübte weitgehende Gastfreundschaft, für die wir uns auch nicht im geringsten erkenntlich zu zeigen vermögen, zuwider zu werden anfängt. Einmal müssen wir doch an das Fortgehen denken, denn bis ans Ende unserer Tage können wir wohl nicht hier oben sitzen bleiben.“

„Hm, hm, gerne gehe ich von Lumata nicht fort; es wird mir wirklich sehr schwer! Denke ich nur an unsere Herreise mit allen ihren Beschwerden, so graut es mir förmlich vor einer Rückkehr. Aber diese muß stattfinden, darüber kann und darf kein Zweifel bestehen. Es handelt sich nur um den Zeitpunkt. Warten wir’s noch ab!“ antwortete Piller.

„In ähnlicher Weise wie Sie sprechen sich auch die andern Freunde aus, lieber Piller. Nur Frommherz macht eine Ausnahme. Der weicht soviel wie möglich jeder Erörterung aus, die die Rückkehr zum Gegenstand hat.“

„Glaub’s wohl!“ lachte Piller laut auf. „Unser lieber Freund Friedolin ist überglücklich, hier oben weilen zu dürfen, und bekommt stets Herzbeklemmungen, wenn wir von einer Heimreise zu reden beginnen. Im Grunde genommen kann ich es ihm nicht verübeln, wenn er dauernd hierbleiben möchte. Aber aufhören muß einmal diese Art von Schlaraffenleben, das ist klar. Darin stimme ich Ihnen also völlig bei, Stiller.“

„So bleiben wir einstweilen noch hier und nützen unsere Zeit möglichst gut aus. Inzwischen sorge ich für die tadellose Ausbesserung unseres Weltenseglers, für Bereitstellung des geeigneten Proviantes usw. Langsam, aber gründlich werde ich die Vorbereitungen zu unserer Abreise treffen.“

„Und vergessen Sie mir nicht den feinen goldenen Tropfen! Nehmen Sie nur gleich, bitte, einen anständigen Vorrat davon mit in die Gondel!“

„Soll geschehen, Sie ewig Durstiger,“ sagte lächelnd Stiller.

In freundlichem, angenehmem Verkehr mit dem liebenswürdigen Marsvolke, in kleinen und größeren Ausflügen und Reisen verfloß die Zeit nur zu rasch. Auf einem ihrer Streifzüge waren sie auch weiter hinaus aus der eigentlichen Bevölkerungszone in die nördliche, kühlere Region des Planeten gelangt. Es mutete die Forscher ordentlich heimatlich an, als sie hier wohlgepflegte Nadel- und Laubholzwaldungen neben saftigen, grünen Wiesen und schönen, dunkelblauen Seen fanden. Hohe Gebirgszüge schoben sich dazwischen, und ihre mit Schnee bedeckten höheren Gipfel verstärkten noch den Eindruck einer alpinen Landschaft.

Hier stießen sie auch auf zerstreute, weit auseinander liegende kleine Kolonien von Marsiten, deren ernstes, wortkarges Wesen und Auftreten merkwürdig von der heiteren und frohen Lebensauffassung ihrer übrigen Brüder abstach. Auf ihr Befragen erfuhren die Gelehrten, daß ähnliche kleine Kolonien auch in der südlichen kühlen Zone des Mars beständen. Die Kolonisten hießen die „Vergessenen“, weil ihre Namen vorübergehend oder auch dauernd von den Tafeln der Marsstämme gestrichen worden seien.

„Dann sind es somit Verbrecher, die, von der Gemeinschaft der übrigen ausgestoßen, hier oben ihre Strafe abzubüßen haben?“ fragte Dubelmeier.

„Wir kennen nur Gesetzesübertreter, keine andern Missetäter,“ wurde dem Frager erklärt.

„Nun, schließlich kommt dies ja auf das gleiche heraus,“ antwortete Dubelmeier. „Worin besteht denn bei euch die Gesetzesübertretung, die die Strafe der Verbannung in diese Gegenden nach sich zieht?“

„In mangelhafter Erfüllung der allgemeinen Pflichten und Obliegenheiten.“

„Da müßte man bei uns auf der Erde neun Zehntel aller Menschen verbannen, und wir kämen des Platzes wegen für diese Menge von Verbannten in die größte Verlegenheit,“ rief Piller voll Erstaunen.

„Wir sind auch nicht auf eurem Planeten,“ antwortete mit überlegenem Lächeln Varan, der Führer der Reisebegleitung.

„Aber es ist doch grausam, kleinerer Verstöße wegen einen Mitmenschen aus seiner ihm trauten und gewohnten Umgebung zu reißen,“ warf Hämmerle ein.

„Über die Art der Verstöße gegen unsere Lebensvorschriften zu richten, sind nur wir allein maßgebend,“ entgegnete Varan ernst.

„Ohne Zweifel!“ gab Stiller zu.

„Aber Verzeihung ist die Krone der Liebe! Verzeiht ihr nicht auch?“ forschte Frommherz.

„Gewiß! Aber es gibt Vergehen, für die niemals Verzeihung gewährt werden kann. Sie sind zwar äußerst selten, diese Fälle, aber sie kommen bei uns doch noch hier und da vor. Die Vergessenen erhalten nach einer gewissen Zeit der Prüfung meist ihre Namen wieder. Es steht ihnen dann die Rückkehr in die engere Heimat und der Wiedereintritt in ihren Stamm frei. Aber nur wenige machen von dieser Erlaubnis Gebrauch. Einmal ausgestoßen, zieht unser Bruder ohne Namen es für gewöhnlich, vor, da zu bleiben, wo er hingebracht wurde, und sein Leben in strenger Arbeit dem Wohle der übrigen zu widmen.“

„Worin besteht diese Arbeit?“ fragten die Herren.

„In tadelloser Instandhaltung der hier ihren Ursprung nehmenden Kanäle: eine ebenso wichtige wie schwierige Aufgabe, von deren gewissenhafter Erfüllung unsere Gesamtexistenz abhängt.“

„Und wer sorgt für den Unterhalt der Vergessenen?“

„Sie selbst. Sie treiben nebenbei Viehzucht, Ackerbau und dergleichen mehr. Kommt einmal die Zeit, wo es keine Vergessenen mehr bei uns gibt, so müssen wir eben selbst diese Arbeiten ausführen. Darüber liegen bereits genaue Bestimmungen vor, denn unsere Vergessenen vermindern sich mehr und mehr,“ schloß Varan seine Auseinandersetzungen.

„Wunderbar glücklicher Planet, dieser Mars! Sogar die Missetäter hier oben, wenn man sie nach unseren Begriffen so bezeichnen darf, werden wieder Wohltäter durch ihre Leistung für das große Ganze,“ rief Stiller voll Enthusiasmus. „Und doch erfüllt es mich mit einer gewissen, wenn auch höchst bescheidenen, Genugtuung, daß auf dem Mars dieses Lebensbild voll Glanz und Licht einen kleinen Schatten hat, daß es auch nicht rein vollkommen ist.“

„Vollkommen oder unvollkommen sind Begriffe, die wir uns selbst unten auf der Erde geformt haben, und die wir im Sinne ihrer Bedeutung für uns auf die Zustände hier oben nicht anwenden dürfen,“ antwortete Dubelmeier.

„Sehr richtig!“ bestätigte Frommherz. „Mir persönlich kommt hier oben alles vollkommen, alles ganz wunderschön vor. Hier habe ich das Paradies gefunden, von dem man bei uns träumt.“

„Sie Schwärmer!“ erwiderte lachend Piller. „Besser ist die Marswelt entschieden als die unsere, und unsere Erde die beste der Welten zu nennen, wie es allgemein geschieht, ist daher nichts als platter Unsinn. Aber, lieber Frommherz, bald müssen Sie aus Ihrem Paradiese heraus und wieder hinunter nach Tübingen.“

„Das kann unmöglich Ihr Ernst sein, Piller,“ stotterte Frommherz erbleichend.

„Bitterer Ernst, mein Freund! Die schönen Marstage gehen nun bald zu Ende, nicht nur für Sie, nein, auch für uns, leider, leider!“ Professor Piller mußte sich nach diesen Worten heftig schneuzen.

„Aber die entsetzliche Reise!“ jammerte Frommherz. „Haben Sie denn schon so vollständig die ungeheuren Mühseligkeiten unserer Herreise vergessen?“

„Lieber Frommherz, es muß sein,“ entgegnete Stiller. „Wir sind nun bald zwei Jahre Gäste hier, und auch die Gastfreundschaft hat ihre Grenzen. Übrigens wissen Sie auch ganz genau, daß die Marsbewohner mit unserer Abreise rechnen. Ich glaube, die Worte, die damals Anan in Angola an uns richtete, enthielten deutlich genug den Wink zum Fortgehen. Unser Ehrgefühl und auch unsere Dankbarkeit erfordern, daß wir den Mars verlassen und zwar bald. Gewiß, die Rückreise ist mühselig, sie wird möglicherweise noch anstrengender für uns werden als die Herfahrt, aber — es muß sein!“

„Aber — aber könnte nicht ich wenigstens zurückbleiben?“

„Es geht nicht! Es ist nicht gut möglich! Wir sind miteinander gekommen, und wir müssen daher auch wieder miteinander gehen. Das ist klar. Wir alle, Sie leider ausgenommen, sind darüber einig, daß wir gehen müssen, obgleich uns der Abschied von diesem herrlichen Planeten wahrlich schwer genug wird, denn wir haben ohne Zweifel auf ihm die schönste und an Genuß reinste Zeit unseres Lebens zugebracht. Einen Drückeberger darf es nicht geben,“ entschied Stiller.

Etwas beschämt über diese wie eine Zurechtweisung klingende herbe Antwort, ließ Frommherz nichts mehr über die ihn bewegenden Gefühle verlauten; er verschloß sie von jetzt ab fest in seiner Brust.

In dem landschaftlichen Bilde, das sich hier den Augen bot, fiel Herrn Dubelmeier ein stattlicher Berg auf, der isoliert in stolzer Einsamkeit seine schneebedeckten Gipfel gen Himmel streckte. Der ganze pyramidenartige Aufbau des Berges verriet seinen vulkanischen Ursprung. Von seiner etwas abgestumpften Spitze aus mußte man eine großartige Fernsicht genießen. Bei diesem Gedanken war in Herrn Dubelmeier die alte Leidenschaft des Bergsteigers wieder geweckt.

„Wie wäre es, wenn wir zum Schlusse unseres Aufenthaltes auf dem Mars jenem prächtigen Berge da drüben einen Besuch abstatten würden? Bei der Beschaffenheit der Marsatmosphäre dürften wir dort oben eine außerordentlich schöne Aussicht haben,“ sprach Dubelmeier zu seinen Gefährten.

„Ich komme mit,“ entschied Stiller kurz entschlossen.

„Ich auch!“ erklärte Piller. „Wie heißt der Berg, Varan?“

„Der Berg des Schweigens.“

„Ein merkwürdiger Name!“ meinte Stiller. „Wer kommt sonst noch mit?“

Aber die vier übrigen Schwabensöhne konnten sich zu der Tour nicht entschließen. Eine gewisse Mattigkeit und Abspannung hielt sie davon zurück. Man kam überein, daß sie hier die Rückkehr der drei Freunde abwarten sollten. Varan sorgte für alle Bedürfnisse der kleinen Karawane und vergaß auch nicht die passenden Kleidungsstücke und die sonstigen erforderlichen Gegenstände. In Begleitung von drei Marsiten reisten die Herren ab. Ein Motorboot brachte sie auf einem der Kanäle rasch bis zum Fuß des Berges, der sich beim Näherkommen immer mehr als ein Riese entpuppte. Dubelmeier schätzte seine Höhe über der Talsohle auf ungefähr dreitausend Meter.

Steil fiel er von allen Seiten ab, und es war nur in langen Zickzacklinien möglich, zu ihm emporzuklimmen. Es war dies ein beschwerliches Stück Arbeit. Bei jedem Schritt sank der Fuß bis über den Knöchel in den schwarzen Sand des verwitterten Lavafeldes ein. Stunden vergingen in ermüdendem Steigen, bis die Herren endlich in die Nähe der Schneegrenze gelangten. Hier wurde Halt gemacht. Einige Stunden der Ruhe sollten die gesunkenen Kräfte der Bergsteiger wieder heben. Erst jetzt konnten die Herren erkennen, wie hoch sie schon gekommen waren, denn bei dem mühsamen Stampfen durch den lockern Boden hatten sie keine Zeit gehabt, Umschau zu halten.

Während die Marsiten einen Imbiß herrichteten, betrachteten die drei Schwaben das zu ihren Füßen sich ausbreitende parkartige Panorama, das sich im Lichte der untergehenden Sonne golden spiegelte. Kein Laut, kein Ton, der die Anwesenheit noch anderer belebter Wesen verraten hätte, ließ sich vernehmen, nicht einmal das Rauschen eines talwärts strebenden Baches. Alles schien an diesem Berge in die starren Fesseln völliger Stille geschlagen zu sein, und der Berg trug daher seinen Namen mit Recht. Auch die Erdensöhne waren schweigsam. Still mit den eigenen Gedanken beschäftigt, starrte jeder der Männer vor sich hin.

„Ich besinne mich vergeblich, mit welcher Landschaft auf der Erde ich das Panorama da unten vergleichen soll,“ unterbrach Stiller das Schweigen.

„Mich erinnert es in etwas an den Vulkan Villa rica im südlichen Chile. Hier wie dort ragt ein gleicher Bergkegel aus der Ebene hervor. Ganz ähnlich ist der Ausblick auf dunkelgrüne Waldungen und hellglitzernde Seen und Wasserstraßen.

Dazu kommt noch hier wie dort die durchsichtige Luft, die satte Bläue des Himmels und die geheimnisvolle Stille der Natur,“ entgegnete der vielgereiste Dubelmeier.

„Das kann ich nicht beurteilen. Aber ein Bild voll tiefen Friedens, voll wohltuender Anmut und Schönheit bleibt das Marsland auch von hoher Warte aus. Von wo aus man es auch betrachten mag, überall tritt es uns wie eine hehre Offenbarung entgegen,“ rief Stiller begeistert.

Bei diesen Worten seines Kollegen schneuzte sich Piller wieder einmal sehr kräftig.

„Recht haben Sie, Stiller! Doch hier kommt Speise und Trank, gute Mittel gegen — na, sagen wir Gemütsattacken.“ Damit ergriff Piller eine Flasche, schenkte sich von dem edlen Marsweine ein und trank das Glas mit einem Schluck leer.

Die Nacht war herangekommen. Phobos und Deimos zogen ihre stille, leuchtende Bahn, als die Karawane aufbrach, um auf dem festgefrorenen Schnee langsam den Weg zur Spitze des Berges emporzuklettern. Tiefe Rubintinten am östlichen Himmel kündigten den Aufgang der Sonne an, als Schwabens Söhne endlich glücklich den Gipfel des Berges erreicht hatten. Einem Glutballe gleich stieg bald darauf die Sonne empor und warf ihre Strahlen über Berge und Täler. Ein Rundblick von überwältigender Großartigkeit lohnte die Männer für ihre Anstrengungen des Aufstiegs.

Der Berg des Schweigens überragte die übrigen Höhenzüge ganz bedeutend. Er war die höchste Erhebung der nördlichen Marshemisphäre. Weithin schweiften die Blicke völlig frei und unbehindert. Selbst die fernsten Gegenstände schienen, dank der dünnen, klaren Luft, dem Auge greifbar nahe gerückt. In weiter, weiter Ferne nach Norden zu konnten die drei Gelehrten mit Hilfe der scharfen Marsteleskope, die sie mit sich führten, eine weiße, bogenförmige Linie erkennen. Diese grenzte scharf und deutlich den bläulich schimmernden Horizont ab. Die Herren wußten zunächst nicht, wofür sie diese eigenartige Linie, die ein erstarrtes Eismeer einschloß, halten sollten.

„Das ist ja der Nordpol des Mars!“ entfuhr es plötzlich den Lippen Stillers.

Eine große Erregung bemächtigte sich der Beobachter: der Hauch der Unendlichkeit wehte ihnen hier entgegen. Ein solches Ergebnis der Fernsicht hatten sie nicht erwartet. Immer und immer wieder betrachteten sie die deutlich wahrnehmbare Abrundung.

„Kein, Zweifel, es ist der Nordpol. Wie wunderbar, daß unsere Augen auf einem andern Planeten das schauen dürfen, was auf der Erde bis jetzt, allen Versuchen zum Trotz, niemandem gelang!“ sprach Herr Stiller. „Wie wird dieses Bild erst bei Nacht sein!“

„Wie meinen Sie das?“ forschte Dubelmeier.

„Nun, ich denke an die feurigen elektro-magnetischen Polausströmungen,“ erwiderte Stiller.

„So bleiben wir so lange hier!“ entschied Piller. „Aber sehen sie einmal, meine Freunde, was ist denn da unten?“

Stiller und Dubelmeier drehten sich um. Etwa zweihundert Meter unter ihnen lag, hell beschienen vom Lichte des Tages, im Krater des früheren Vulkans ein See von heller, smaragdgrüner Farbe. Blühende Blumen umsäumten seine Ufer.

„Blumen und Wasser, Eis und Schnee, merkwürdige Kontraste! Wie verträgt sich das?“ fragte Piller. „Wir scheinen ja hier oben von einem Wunder ins andere zu fallen!“

„Auf dem Mars hat das Merkwürdige überhaupt kein Ende!“ entgegnete Stiller lächelnd. „Doch untersuchen wir die Sache, und steigen wir hinab in den Krater, der nebenbei noch ein ausgezeichneter Lagerplatz sein dürfte!“

Bald waren die Herren unten am See. Da, wo der Schnee aufhörte und der Pflanzenwuchs einsetzte, fühlte sich der Boden warm an, ein Beweis, daß der Vulkan noch nicht gänzlich erloschen war. Das Wasser des Sees war gleichfalls warm und zeigte eine Temperatur von dreißig Grad Celsius. Das wunderbar klare, nahezu durchsichtige Wasser von etwas salzigem Geschmack ließ den Boden des tiefen Sees deutlich erkennen, der wie mit einem tiefroten Teppich bedeckt erschien.

„Das sieht ja aus, als ob ein schwerer mineralischer Farbstoff hier hineingeschüttet worden wäre,“ äußerte sich Piller zu seinem Kollegen Stiller.

„Es scheint Eisenoxyd zu sein, das sich auf dem Boden des Sees niedergeschlagen hat. Wahrscheinlich war das Wasser einst stark eisenhaltig,“ entgegnete Stiller.

„Das mag sein. Dadurch ist auch das Fehlen jeglichen Tierlebens in dem Wasser erklärlich.“

Die Herren betrachteten nun die in Fülle am Uferrande wachsenden blühenden Pflanzen. Es war ein bunter, duftender Blumenteppich, der einen anmutigen Eindruck auf die Erdensöhne machte. Alle möglichen Arten von Pflanzen waren vertreten, die mit denen der alpinen Regionen der Erde verwandt waren.

Mit Behagen genossen die Herren die Stunden des Tages hoch oben im Krater und bedauerten nur, daß die andern Freunde nicht auch anwesend waren. Als der Abend gekommen war, stiegen sie, wohl eingehüllt in ihre Pelze, wieder hinauf zur Spitze. Tiefes Dunkel lag bereits über dem Marsland, als die Forscher den Rand des Kraters erreichten. Die Marsmonde waren noch nicht aufgegangen. Aber in der Richtung des Nordpoles, den die Freunde diesen Morgen gesehen, begann es aufzublitzen, zuerst langsam, dann immer stärker. Schließlich fuhren feurige Strahlen empor, bildeten über dem polaren Horizonte einen Halbkreis und verschwanden wieder. Ein herrlicher Wechsel der Farben vom blendenden Rotgold bis zum leuchtenden Saphirblau, verbunden mit dem Wachsen und Schwinden der zuckenden Strahlen, erzeugten ein Bild von vollendeter Schönheit.

„Diese glänzende Naturerscheinung ist ein würdiger Abschluß unserer Expedition nach dem Berge des Schweigens,“ sprach Stiller zu seinen Freunden, als das Polarlicht durch die inzwischen emporgestiegenen helleuchtenden Monde des Mars mehr und mehr zurückgedrängt wurde.

„Ja, hier oben auf dem Mars ist alles lichtvoll, voll freundlicher Helle, selbst die Nacht. Welch zauberhaft schöne Reflexe bringt das Licht der Monde da unten hervor!“

Mit diesen Worten wies Piller hinunter auf den stillen Kratersee, auf dessen Wasser die zitternden Strahlen der beiden Monde tausendfach gebrochen tanzten. Es war, als ob mit Leuchtkraft begabte Wesen aus der Tiefe des Berges emporgestiegen wären und nun an der Oberfläche des Wassers ihr neckisches Spiel trieben.

Im Mondschein traten die drei wackeren Schwaben, um eine wertvolle Marserinnerung reicher, einige Stunden später den Abstieg an, um vereint mit ihren vier Kollegen wieder nach Lumata zurückzukehren.

Siebentes Kapitel
Der Abschied

Nach der Rückkehr aus dem Gebiete der Vergessenen begann Frommherz den Verkehr mit seinen Gefährten mehr und mehr einzuschränken. Er nahm mit ihnen allerdings noch die gemeinsamen Mahlzeiten ein, zog sich aber, sooft es sich ohne Aufsehen machen ließ, von der Gesellschaft seiner Freunde zurück. An den Abenden, die sonst der allgemeinen Unterhaltung und dem Gedankenaustausch im schönen Heim von Lumata gewidmet waren, ging er für sich allein spazieren und genoß in stillem Entzücken den eigenartigen Zauber der Mondnächte. Und von hier oben sollte er fort, von diesem Eden, und wieder hinunter auf die kalte Erde? An diesem Gedanken krankte Frommherz förmlich. Die Herren waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um dem eigentümlichen Benehmen ihres Genossen allzugroße Bedeutung beizulegen.

Durch Eran hatte Stiller dem Zentralsitze des Stammes der Weisen in Angola mitteilen lassen, daß er und seine Gefährten sich endgültig entschlossen hätten, nach der Erde zurückzukehren. Die Abreise beabsichtigten sie am zweiten Jahrestage ihrer Landung auf dem Mars anzutreten.

Darauf war eine Einladung, wieder nach Angola zu kommen, als Antwort eingetroffen. Ihr Empfang dort ließ an Herzlichkeit nichts zu wünschen übrig. Eine Reihe glänzender Feste wurde zu ihren Ehren und als Feier des bevorstehenden Abschiedes veranstaltet. Das Beste und Schönste, was die darstellenden und bildenden Künste auf dem Mars zu leisten vermochten, wurde bei diesen Festen den Erdensöhnen geboten. Aber die Schatten des Abschiedes von dem wundervollen Planeten und seinen so idealen Bewohnern begannen bereits auf den Herren Schwaben zu lagern und ließen sie das Gebotene nicht mehr mit voller Freude genießen.

In der gewaltigen Spiegelgalerie des Palastes der Weisen fand das letzte Essen statt. Zu ihm waren von allen Seiten des Mars Eingeladene erschienen und von allen Stämmen offizielle Vertreter. Draußen im Westen begann das ewige Licht, die Sonne, niederzusteigen. Ihre milden, goldenen Strahlen warfen die großen Spiegel des Saales unzähligemal gebrochen zurück. Es war im Saale ein Wogen und Fluten des Lichtes, das die Augen förmlich blendete. Durch die offenen Fenster drang der Duft der Blumen herauf in den Saal. Im leichten Abendwinde ließen die schlanken Palmen des Parkes ihre Kronen leise rauschen. Ruhig und still grüßte der tiefblaue See durch den grünen Dom der Bäume herüber, zwischen denen noch in geschäftiger Eile zwitschernde Vögel flogen und Lianen ihre farbenprächtigen Blütenschnüre warfen. Ferne, sanfte Höhenzüge, rosig angehaucht von der Abschied nehmenden Sonne, rahmten das köstliche Landschaftsbild ein, das die Erdgeborenen heute zum letzten Male sehen sollten. Diese waren als die ersten im Saale erschienen und standen nun an den hohen Fenstern versunken in die traumhaft schöne Szenerie.

„Uns wird der Abschied wahrhaftig schwer gemacht,“ sprach leise Piller zu dem neben ihm stehenden Kollegen Stiller. „Frommherz hat recht. Ist dies hier nicht ein Land, das die Bezeichnung eines Paradieses verdient?“

„Ohne Zweifel!“ antwortete Stiller. „Es, ist ein Eden, so recht geschaffen für die Betrübten, für die Heimatlosen, wie wir es nun sein werden.“

„Heimatlos? Wie meinen Sie das, Stiller?“

„Heimatlos, jawohl!“ erwiderte Stiller, und seine Lippen zuckten schmerzlich, als er nach kurzer Pause fortfuhr: „Glauben Sie denn, wir würden, nachdem wir zwei volle Jahre hier oben inmitten einer wunderbar schönen Natur, eines geradezu paradiesischen Landes unter stolzen, freien und edlen Menschen gelebt haben, uns in der Heimat wieder wohlfühlen können? Niemals! Fremdlinge werden wir da sein, wo wir geboren worden sind, wo wir früher gelebt, gerungen, für unsere Überzeugung gestritten haben.“

„Stiller, machen Sie mir den Abschied nicht zur Unmöglichkeit!“ Piller mußte sich, wie stets nach heftiger seelischer Erregung, mehrmals stark schneuzen. Dann trat er rasch an die Tafel, schenkte sich ein Gläschen Wein ein und leerte es auf einen Zug.

„Fern sei es von mir, Ihnen den Abschied zur Unmöglichkeit zu machen, denn wir müssen ja fort. Aber“ — ein Leuchten erhellte dabei das Gesicht des Sprechenden — „ausstreuen wollen wir, ohne Wortgeklingel, unten auf der Erde die Keime jener großen Zukunft, die wir hier oben in so herrlicher Weise verwirklicht angetroffen haben.“

Als Zeichen des Einverständnisses drückte Piller seinem Kollegen stumm die Hand.

Allmählich füllte sich der Saal mit den Geladenen. Alle kamen auf die Erdensöhne zu und schüttelten ihnen die Hände. Nachdem Anan erschienen war, begann das Essen. Neben dem Ältesten der Alten saßen die sieben Schwaben. Die Kronleuchter des Saales erstrahlten im Lichte elektrischer Lampen. Sie beleuchteten die glänzende Tafel und die große, feierlich gestimmte Gesellschaft. Unten, vor der Spiegelgalerie, auf der großen Terrasse, waren die Chöre der Sänger und Musiker aufgestellt, die während des Mahles abwechselnd ihre entzückenden Weisen ertönen ließen.

Als das Essen beendigt war, erhob sich Anan. „Meine Brüder und Schwestern,“ hub er zu sprechen an, „die Stunde des Abschiedes von Angola ist gekommen. Unsere Gäste aus dem fernen Schwabenlande kehren demnächst wieder dahin zurück. Mögen sie heil, und gesund den trauten Boden ihrer Heimat wieder erreichen! Sie selbst werden in unserm Andenken für immer fortleben. Wir haben beschlossen, ihre Namen in goldenen Buchstaben auf Marmortafeln hier in diesem Saale neben ihren Bildern anzubringen, unsern spätern Nachkommen zur Erinnerung an diese kühne Reise zu uns und an ihren langen, durch keinen Mißton getrübten Aufenthalt in unserer Mitte. Ferner haben wir beschlossen, als weiteres Zeugnis dieses ersten und letzten Besuches von Erdgeborenen auf unserm Lichtentsprossenen all die verschiedenen Mitteilungen, die sie uns über das Leben und Treiben der Völker der Erde gemacht haben, in einem Buche niederzulegen, das hier in unserm Heim einen besondern Ehrenplatz erhalten soll. Für ewig soll neben den Namen unserer Gäste auch das festgehalten werden, was sie uns in feierlichen Augenblicken verkündet haben. So soll ihr Besuch im Andenken bei uns geehrt werden bis in die fernsten Zeiten.

Und nun, meine lieben Freunde,“ Anan wandte sich mit diesen Worten an die sieben Schwaben, „haben wir für euch eine Reihe von Andenken bestimmt, wie sie Kunst und Wissenschaft vereint auf unserm Lichtentsprossenen hervorgebracht haben. Nehmet diese Erzeugnisse, die dort auf jenem Tische liegen, mit euch zur Erinnerung an den Aufenthalt unter uns. Hier übergebe ich euch ein goldenes Buch. Es enthält die Entwicklungsgeschichte unseres Volkes. Mit der allgemeinen fortschreitenden Bildung und Urteilsfähigkeit vereinfachte sich bei uns auch mehr und mehr die Gesetzgebung. Sie gipfelt eigentlich nur in dem einen fundamentalen Satze: Tue nicht, was du nicht willst, daß dir getan werde! Ihr werdet also in dieser Beziehung in dem Buche wenig mehr finden, denn die Menge der Gesetze eines Volkes ist nur der Beweis für dessen Handlungsunfähigkeit. Das Buch enthält aber noch unsere Ansichten und Begriffe über die natürliche Moral, über die unverwüstlichen Grundsätze, die bei uns das Werk der Reinigung vollendet haben. Möge dieses sich auch einst auf der Erde in ähnlicher Weise vollziehen wie bei uns, mögen einst auch bei euch die Hüllen und Verkleidungen fallen, die leider unten auf der Erde noch den wahren, an sich so einfachen Kern der natürlichen Moral umschließen! Möge, von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, eure gefahrvolle und beschwerliche Reise nach unserer fernen Himmelsleuchte und euer Aufenthalt unter uns von Nutzen gewesen sein!“ Anan setzte sich.

Eine tiefe Stille herrschte, als der ehrwürdige Greis gesprochen hatte. Jetzt erhob sich Stiller. In bewegten Worten dankte er zunächst in seinem und seiner Gefährten Namen für all das Gute, das ihnen hier oben erwiesen worden sei. Er habe hier eine Reife der Entwicklung angetroffen, die er früher nur zu ahnen gewagt, in Wirklichkeit aber nicht für möglich gehalten habe. Er und seine Gefährten hätten hier oben viel gelernt, und von manchem Irrtum seien sie befreit worden.

„So habe ich unter anderem auch geglaubt, daß ohne den rohen Kampf ums Dasein eine Entwicklung des Menschen zu Höherem nicht denkbar sei, daß der rücksichtslose Kampf um die Existenz die notwendige Erhebung des Menschen für dessen Klärung und Läuterung vorstelle. Von dieser Ansicht bin ich durch meine Beobachtungen hier oben abgekommen. Der rohe Kampf ist nur das Kennzeichen der Selbstsucht, die wahre Nächstenliebe mildert ihn, und diese fehlt bei uns leider noch in hohem Maße.

Auch bei euch hier oben herrscht ein Wettkampf, aber wie sehr ist er von dem verschieden, was wir unten auf der Erde darunter verstehen! Jeder einzelne von euch ist bestrebt, in edlem, selbstlosem Wettbewerbe nur das Beste zu bieten unter peinlichster Berücksichtigung der berechtigten Interessen seines Nebenmenschen und Bruders. Jeder lebt bei euch das große Leben der Gesamtheit mit, weil er sich als einen wesentlichen Bestandteil des Gesamtorganismus fühlt; denn gedeiht der einzelne, so gedeiht auch das Ganze, ist dagegen der einzelne krank, so leidet auch die Gesamtheit. Und wie gesund, kraftstrotzend ist diese bei euch!

Wie weit sind wir dagegen auf unserer Erde von dem Ideale des Lebens und seiner Auffassung überhaupt entfernt! Wie klein stehen wir euch gegenüber da! Und doch, es muß und wird auch bei uns einst tagen. Wir, die wir bei euch gewesen, wir wollen, soweit es in unsern Kräften steht, den Samen zu jenem schönen und großen Leben der Zukunft ausstreuen, das wir bei euch hier in so prächtiger Blüte verwirklicht kennengelernt haben. Unsere Reise zu euch war nicht vergeblich. Was wollen ihre Mühseligkeiten und Gefahren bedeuten im Verhältnis zu dem Reinen und Schönen, das wir hier genießen durften! Schweren Herzens, mit dem Bewußtsein, hier bei euch unsern inhaltreichsten Lebensabschnitt zugebracht zu haben, unendlich reich in der Erinnerung, treten wir unsere Heimreise an. Die Mutter Erde verlangt zurück, was ihr entsprossen.

Niemals bis zu unserm letzten Atemzuge werden wir vergessen, was ihr uns geboten habt, was ihr uns gewesen seid, und wie ihr uns geehrt habt. Wenn wir einst später unten in unserer Heimat in nächtlichen Stunden aus weiter Ferne euren Mars, den Lichtentsprossenen, herüberleuchten sehen, so werden wir in treuem Gedenken stets bei euch weilen und mit stiller Sehnsucht an die schönste Zeit unseres Lebens zurückdenken. Lebt wohl, teure Freunde! Ich umarme Anan für euch alle und drücke ihm für euch alle den Bruderkuß des Erdgeborenen auf seine reine Stirn. Denn Brüder sind wir ja alle, die sich Menschen nennen, hier oben wie unten auf der Erde.“

Stillers Worte hatten auf alle Anwesenden gewaltigen Eindruck gemacht, und als er nun auf Anan, den erhabenen Greis, zutrat, ihn umarmte und küßte, da ertönte im Saale ein Sturm des Beifalles.

„Mein Bruder, edler Sohn deines Landes,“ antwortete Anan, „habe Dank für das, was du eben gesagt hast. Nimm auch von mir, dem alten Sohne des Lichtentsprossenen, den Bruderkuß und ziehe glücklich heim mit deinen Gefährten. Mit ihnen wirst du am Werke der Menschenvervollkommnung erfolgreich arbeiten, das weiß ich. Meine Augen werden sich bald schließen zu jenem Schlummer, von dem es kein Erwachen mehr gibt, aber auch ich werde, solange ich hier noch wandern darf, mit Freuden an die Stunden denken, die ich in deiner Gesellschaft in unserm Angola zugebracht habe.“

Nach dem stimmungsvollen Abschiede in Angola befanden sich die sieben Schwaben einige Tage später wieder in Lumata. Stiller war mit der Sorge um das Luftschiff beschäftigt. In dieser Beziehung fand er bei den Marsiten alle Unterstützung und konnte nun die auf der Herfahrt gemachten schlimmen Erfahrungen durch Verbesserungen aller Art verwerten. Er machte sich auf eine lange Zeitdauer der Rückfahrt gefaßt, trotz der stärkeren elektromagnetischen Anziehungskraft der Erde, des im Verhältnis zum Mars um nahezu das Doppelte größeren Planeten.

Seit dem Aufstieg an jenem denkwürdigen Dezemberabend auf dem Cannstatter Wasen waren nahezu dritthalb Jahre vergangen. Unterdessen hatte sich der Mars wieder um eine ganz gewaltige, viele Millionen von Kilometer betragende Entfernung von der Erde wegbewegt und war von dieser heute nahezu doppelt so weit entfernt als zur Zeit der Abreise. Stiller rechnete aus, daß sie, nach Erdenzeit gemessen, mindestens fünf volle Monate in der Gondel zuzubringen hätten und auch dies nur unter der Voraussetzung, daß kein unvorhergesehenes Ereignis den Flug des Weltenseglers störe. Waren er und seine Gefährten einst in befriedigender körperlicher Verfassung und ohne nennenswerte Störungen nach dem Mars gelangt, warum sollte die Rückkehr nach der Erde schließlich nicht auch erträglich vonstatten gehen?

Allerdings erschreckte die Länge der bevorstehenden Reise den sonst so mutigen Mann doch etwas. Fünf volle Monate in der Gondel eingeschlossen zuzubringen, die vielerlei damit verknüpften Entbehrungen wieder auf sich zu nehmen, den Mangel des natürlichen Lichtes, der Bewegung zu ertragen, das mußte auch auf das tapferste Gemüt niederdrückend wirken; Aber Stiller schüttelte alle trüben Gedanken nachdrücklich ab und freute sich über die großartigen technischen Kenntnisse der „Findigen“, die ihm nicht nur ein ähnliches Gas zur Füllung seines Luftschiffes bereiteten, wie es das Argonauton war, sondern die auch durch die Kunst der Haltbarmachung der wichtigsten Nahrungsmittel für die Reise meisterhaft zu sorgen verstanden. An elektrischer Kraft, fester Luft und dergleichen, deren Herstellung den Findigen schon seit alten Zeiten bekannt war, fehlte es auch nicht, und der Weltensegler führte jetzt ganz andere Mengen dieser Kräfte und Existenzmittel mit sich als zur Zeit seines Aufstieges. Ohne Lärm, ohne den geringsten Verdruß war die Instandsetzung des Luftschiffs vor sich gegangen. Wie vorteilhaft stach diese Art der Arbeit hier gegen die auf dem Cannstatter Wasen vor mehr als zwei Jahre ab! Dank der hohen Intelligenz, der Bereitwilligkeit und dem Eifer der Findigen befand sich der Weltensegler in so vortrefflichem Zustande, daß die gefahrvolle Reise jederzeit angetreten werden konnte.

Stiller hielt es für seine Pflicht, seine Gefährten über den Gang der Vorbereitungen zur Abfahrt auf dem laufenden zu halten. Er verschwieg den Freunden auch nicht die ungefähre Dauer der Rückreise. Anfangs waren die Kollegen über die Aussicht, so viele Monate in der Gondel zubringen zu müssen, sehr erschrocken gewesen, hatten sich dann aber rasch wieder gefaßt und sahen der Zukunft mit Mut und Vertrauen entgegen. Nur Frommherz äußerte sich nicht. Still und scheu schlich er herum, während die übrigen Herren ihre bescheidenen Habseligkeiten zu packen und in die Gondel zu schaffen anfingen.

Der Weltensegler war aus seinem Unterkunftshause herausgenommen worden und schaukelte sich, sorgfältig verankert, an dem Orte, an dem er einst niedergegangen war. Der letzte Tag des Aufenthaltes auf dem Mars war nur zu schnell herangekommen. Morgen in aller Frühe sollte die Abfahrt von Lumata erfolgen. Eran, der gastfreie, würdige Alte, hatte es sich nicht nehmen lassen, seinen Gästen noch ein reiches Abschiedsmahl zu bieten, zu dessen Verschönerung und Weihe die Harfenspieler und Sänger von Lumata wieder das Ihrige beitrugen. Ganz Lumata war auf den Füßen. Die Arbeit ruhte überall. Allerorts hatten sich die biedern Schwaben beliebt zu machen verstanden. Niemand war da, der den Fortgang der wackeren Männer nicht aufrichtig bedauerte. Aber sie hatten Familie, hatten Väter, Mütter, Brüder und Schwestern unten auf der Erde. Eine Rückkehr dahin erschien den Marsiten mit ihrem so hoch entwickelten Familien- und Gemeinsinn nur als ein Gebot der Pflicht.

Achtes Kapitel
Ein Abtrünniger

Während des Essens und der allgemein herrschenden bewegten Stimmung war es niemand besonders aufgefallen, daß Frommherz verschwand. Als nach dem Schlusse des Mahles, das sich bis in die ersten Morgenstunden des neuen Tages hineingezogen hatte, die Erdensöhne aufstanden und im Begriffe waren, das Haus Erans, das sie zwei Jahre lang beherbergt hatte, zu verlassen, entdeckte man das Fehlen des Freundes. Man suchte ihn überall im Hause, fand ihn aber nicht. Dagegen entdeckte man einen Brief, der auf dem Tische seines Zimmers lag. „An meine Freunde und Gefährten!“ lautete die Adresse.

Stiller öffnete das Schreiben und überflog dessen Inhalt. „Wir haben es leider mit einem Abtrünnigen zu tun,“ erklärte er den besorgten Genossen. „Hören Sie, was Frommherz schreibt. Aber setzen wir uns zunächst wieder, und beratschlagen wir nachher, was zu tun ist.“

Die Herren entsprachen der Bitte, und Stiller ersuchte Eran und die übrigen Marsiten unter Hinweis auf das Fehlen des siebenten und letzten Reisegenossen um einen kurzen Augenblick Geduld. Eran zog sich sofort mit den Seinen zurück und ließ die Herren allein.

„Zum Kuckuck, dacht’ ich mir’s doch so halb und halb, daß Frommherz fahnenflüchtig werden würde!“ begann Piller zornig. „Lesen Sie einmal die Epistel vor, Stiller!“

„Verzeiht mir, teure Freunde und Gefährten, daß ich Euch eine schmerzhafte Enttäuschung bereite. Ich kann es nicht über mich bringen, mit Euch nach der Erde und nach unserer alten Heimat zurückzukehren. Aufs schwerste habe ich deshalb mit mir gekämpft und gerungen. Ich vermag den Mars nicht zu verlassen, es würde mein sicherer Tod sein, und den wollt Ihr doch auch nicht. Hier oben habe ich alles verwirklicht gefunden, was ich unten in ahnender Sehnsucht geträumt. Und nun soll ich ein Eden verlassen und in enge, unaufrichtige Verhältnisse und Lebensanschauungen wieder zurückkehren, nachdem ich so lange das reine Licht der Wahrheit geschaut habe? Nein, es kann nicht sein! Hat uns nicht der ehrwürdige Anan selbst in Angola das Bleiben hier oben freigestellt? Gut, so will wenigstens ich von diesem Anerbieten Gebrauch machen und Euch allein heimwärts ziehen lassen.

Wohl weiß ich, daß ich Euch durch meinen Entschluß kränke, aber ich kann wirklich nicht anders handeln. Richtet nicht zu strenge über mich und verzeiht mir, wenn möglich, in Liebe! Freiwillig bleibe ich hier oben. Es kann Euch somit keine Verantwortung dafür treffen, daß Ihr allein, ohne mich, nach der Heimat zurückkehrt. Möget Ihr sie glücklich erreichen! Dies ist mein innigster, aufrichtigster Wunsch. Grüßt mir mein Tübingen, grüßt mir mein liebes Schwabenland und meine Verwandten dort! Sagt ihnen, daß ich mich hier oben überglücklich, wie im Paradiese fühle und deshalb nicht mehr zur Erde mit ihrer Qual zurückgekehrt sei. Macht keine Anstrengungen, mich zu suchen. Ihr würdet mich doch nicht in meinem sichern Versteck finden, in dem ich so lange bleiben werde, bis Ihr abgefahren seid. Lebt wohl! In treuem Gedenken bin und bleibe ich Euer Friedolin Frommherz.“

In finsterem Schweigen verharrten die Herren einen Augenblick, nachdem Stiller den Brief vorgelesen hatte.

„Der elende Drückeberger!“ hob Dubelmeier zu knurren an. „Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen, warum er sich in den letzten Wochen so sonderbar benommen hat.“

„Blamiert sind wir, heillos blamiert!“ schrie Piller. „Wie stehen wir nun da? Wo bleibt unsere gerühmte Ehrenhaftigkeit?“

„Beauftragen wir Eran, Frommherz zu suchen! Der findet den Ausreißer gewiß,“ riet Hämmerle.

„Diesem Vorschlage möchte ich beistimmen,“ fügte Thudium bei.

„Es geht doch nicht an, daß wir Frommherz hier zurücklassen. Entweder wir bleiben alle, oder wir gehen alle zusammen. Das ist klar!“ fügte Brummhuber bei.

„Meine lieben Freunde, schenken Sie mir ein wenig Gehör,“ bat Stiller die aufgeregten Gefährten. „Ich begreife und billige ja völlig Ihre Entrüstung über das Benehmen Frommherz’ und teile es. Aber wir haben durchaus kein Recht, ihm unsern Willen aufzuzwingen. Er ist seinerzeit freiwillig mitgegangen und mag freiwillig zurückbleiben. Aber er hätte klar und offen handeln sollen. Mag er diese Handlungsweise vor seinem eigenen Gewissen verantworten! Nehmen wir die Sache, wie sie einmal ist. Unserm Andenken und unserer persönlichen Ehrenhaftigkeit kann das Bleiben Frommherz’ hier oben nicht das geringste anhaben. Im Gegenteil! Wir stehen immer als das da, wofür man uns nahm und hielt. Frommherz dürfte in dieser Beziehung bei den strengen Moralbegriffen der Marsiten nicht gut wegkommen. Ziehen wir also allein, ohne ihn! Ja, ich rate sogar zur Nachsicht und Milde. Seien wir aufrichtig! Ziehen wir vielleicht gern, leichten Herzens von hier fort?“

„Nein, gewiß nicht!“ ertönte es fünfstimmig.

„Nun wohl! So wollen wir die Lage, in die sich unser Frommherz freiwillig begeben, wenigstens zum Guten zu wenden suchen: wir empfehlen den Zurückbleibenden der Güte und Nachsicht unseres lieben, ehrwürdigen Eran.“

„Das fehlte noch!“ wetterte Piller.

„Warum nicht?“

„Ich verstehe Sie einfach nicht, Stiller!“

„Nun, so lassen Sie mich ruhig fortfahren. Während des Lesens von Frommherz’ Brief ist mir der Gedanke gekommen, daß unser Freund nach unsrer Abreise zur Strafe für sein eigenmächtiges Zurückbleiben und den dadurch bewiesenen Mangel an Gemeinschaftsgefühl möglicherweise nach den Gefilden der Vergessenen verbannt werden könnte.

„Was ihm ganz recht geschehen würde!“ warf hier Brummhuber ein.

„Nein, das wollen wir ihm eben zu ersparen suchen. Möge er unter ähnlichen Bedingungen wie bisher hier weiter leben! Dieses Bewußtsein läßt uns später mit reineren Gefühlen an den Freund zurückdenken und wirft keinen Schatten auf die Erinnerung an unsere schöne Aufenthaltszeit hier oben. Nun wohl, so lassen Sie mich, bitte, gewähren! Ich rede nachher mit Eran und suche mit ihm zusammen das Unangenehme möglichst gut zu ordnen.“

„Stiller, Sie beschämen uns, Sie sind ein braver Kerl — der Beste von uns!“ Piller schneuzte sich sehr kräftig nach diesen Worten . . .

„O nein, mein Lieber! Ich war nur nicht umsonst hier oben unter diesen prächtigen, hoch denkenden und handelnden Menschen. Sie sehen nur, daß ich von ihnen etwas gelernt habe.“

„Wenn einer oben zu bleiben wirklich würdig wäre, so wären Sie es, Stiller!“ rief begeistert Hämmerle.

„Lassen wir das!“ wehrte Stiller ab. „Und nun will ich mit Eran Rücksprache nehmen.“ Ohne das geringste Zeichen des Erstaunens zu zeigen oder einen Laut der Verwunderung hören zu lassen, vernahm der ehrwürdige Alte den Bericht Stillers.

„Auch ich finde, daß du wohl daran tust, deinen Bruder nicht zu zwingen, die Rückreise mit euch anzutreten. Ein jeder Mensch hat bis zu einem gewissen Grade das Recht der Selbstbestimmung. Aber dieses Recht schließt nicht das Unrecht eures flüchtigen Bruders aus, das ich in der Art und Weise erblicke, wie er sein Hierbleiben durchsetzen will. Laß ihn aber nur hier und zieh mit deinen Brüdern hinab auf die Erde! Wir werden mit Friedolin nicht allzu scharf ins Gericht gehen.“

„Darüber möchte ich eben beruhigt werden, ehrwürdiger Eran.“

„Sei deshalb ohne Sorge! Taucht er nach eurer Abreise auf, so werde ich ihn persönlich nach Angola bringen und bei Anan Fürsprache für den Sünder einlegen. Aber eine kleine Strafe muß sein. Ich habe bereits über ihre Art nachgedacht.“

„Worin soll sie bestehen?“ fragte neugierig geworden Stiller.

„Friedolin soll uns ein Wörterbuch eurer Sprache schreiben. Ihr habt uns ja als Andenken einige Werke eurer hervorragendsten heimischen Dichter und Denker geschenkt. Nun gut, wir wollen diese Werke in der Originalsprache lesen, um uns ein klares Bild von euren Meistern machen zu können. Dazu brauchen wir aber ein Wörterbuch.“

„Diese Strafe lasse ich mir gefallen. Freund Friedolin wird die ihm gestellte Aufgabe zu eurer Zufriedenheit lösen, davon bin ich überzeugt.“

Damit war der Fall Frommherz erledigt. Stiller setzte seine Gefährten von dem Ergebnis der Besprechung in Kenntnis, und die Herren priesen von neuem die Güte und Nachsicht Erans, des wackern Patriarchen.

Nach der Zeitrechnung der Erde, die Stiller auch auf dem Mars unter genauester Berücksichtigung der Unterschiede in den täglichen Umdrehungszeiten von Mars und Erde weitergeführt hatte, war heute der siebente März herangekommen und mit ihm die Stunde der Abfahrt.

Eran hatte darauf bestanden, die sechs Erdensöhne zum Weltensegler zu begleiten. Auch Lumatas erwachsene Bevölkerung zog mit. Ernstes Schweigen, der Ausdruck ehrlichen Schmerzes über die Trennung, herrschte in der ganzen Schar. So schritten sie wortlos dahin zu der Wiese, auf der sich der Weltensegler in der klaren und reinen Luft des heraufziehenden Tages schaukelte.

„Nehmen wir kurz und rasch Abschied, vergrößern wir nicht das Weh der Trennung durch weitere Worte!“ sprach Eran, einen der Schwaben nach dem andern umarmend. „Möge ein gutes Geschick eure Heimreise begleiten! Kommt glücklich in eurer Heimat an.“

Ein Händedruck noch, ein Winken von allen Seiten, und die kühnen Weltensegler stiegen in die Gondel. Die Taue wurden gelöst, langsam und stolz, begrüßt von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne, begann sich der Ballon zu heben. Da kam eilenden Laufes Friedolin Frommherz daher. Die Menge machte ihm Platz.

„Lebt wohl, Freunde!“ rief er mit lauter Stimme. „Nochmals: verzeiht mir, daß ich bleibe und nicht mit euch zurückkehre! Reist glücklich und grüßt, mir mein teures Schwabenland!“

Aber die Herren in der Gondel hörten nur noch schwach, was ihnen Frommherz nachrief. Zu antworten vermochten sie nicht mehr. In immer rascherem Fluge entfernte sich der Weltensegler von dem wunderbaren Planeten und schwebte bald im dunkeln, kalten Weltenraum.

Neuntes Kapitel
Wieder auf der Erde

Der Zeiger der Zeituhr war auch in Stuttgart nach der so ungeheures Aufsehen erregenden Abfahrt der sieben Söhne des Schwabenlandes um Jahr und Tag vorgerückt. Wo mochten sie wohl stecken, die wagemutigen Landsleute? Ob sie wirklich den Mars erreicht hatten? Möglicherweise waren sie gar nicht nach diesem Planeten gelangt, sondern vielleicht auf einem der zahlreichen Planetoiden abgestiegen, oder die Expedition war verunglückt und die arme Forscherschar dann für immer verschollen im ungeheuren Weltenraume. Letztere Ansicht wurde allgemein als die richtige angenommen und geglaubt.

Nach dem Aufstieg des Weltenseglers unterhielt man sich anfänglich in Stuttgart noch viel und lebhaft über die Reise der Forscher, und Fragen aller Art waren aufgeworfen worden; nach und nach aber schlief das früher so lebhafte Interesse für die Marsexpedition ein. Neue Zeitfragen, aktuelle Ereignisse waren aufgetaucht und verdrängten schließlich die Erinnerung an das märchenhafte Unternehmen.

Da, plötzlich wie ein Blitzstrahl aus heiterm Himmel schlug an einem Septembertage die Nachricht in Stuttgart ein, die Herren Professoren, die vor bald drei Jahren vom Cannstatter Wasen aus nach dem Mars abgefahren waren, seien auf einer Insel in der fernen Südsee niedergegangen, und zwar mit ihrem Luftschiff, dem Weltensegler. Im ersten Augenblick wollte kein Mensch an diese Nachricht glauben; man hielt sie für einen schlechten Scherz. Als sie aber unter den amtlichen Mitteilungen im „Staatsanzeiger“ erschien und durch Tausende von Extrablättern sofort weiter verbreitet wurde, da wurden schließlich auch die hartnäckigsten Zweifler von der Wahrheit der Nachricht überzeugt.

In lakonischer Kürze lautete der telegraphische Bericht:

Matupi, 31. August, nachts.

Weltensegler vom Mars zurück, hier niedergegangen. Stiller, Piller, Brummhuber, Hämmerle, Dubelmeier, Thudium. Befinden relativ wohl.

In der ersten großen Überraschung fiel es vielen gar nicht auf, daß in dem Telegramm nur von sechs Teilnehmern die Rede war. Erst nach und nach wurde des fehlenden siebenten Mitgliedes der Expedition gedacht. Die Meinung hierüber war rasch gefaßt: Frommherz mußte während der Reise zweifellos gestorben sein.

Mit größter Ungeduld sah die engere wie die weitere Heimat, die gesamte Kulturwelt näheren Nachrichten entgegen. Welch interessante, spannende Berichte standen von den schon verloren geglaubten Forschern zu erwarten!

— — — — — —

Die erste Zeit nach der Abreise vom Mars verstrich den Insassen der Gondel ganz erträglich. Nach Professor Stillers Ausspruch befand sich der Weltensegler auf der richtigen Bahn und in der Anziehungssphäre der Erde. Die Reise stellte an die Herren wieder die höchsten Anforderungen in Bezug auf ihre Gesundheit, Geduld und Ausdauer. Monate waren seitdem schon vergangen, und das Ziel, die Erde, wollte noch immer nicht auftauchen. Die Dulder fingen an, sich mehr und mehr erschöpft zu fühlen und beneideten in Gedanken oft den zurückgebliebenen Freund Frommherz.

Aber schließlich muß ja auch die längste, dunkelste Nacht dem hellen Tag weichen. Es ging gegen Ende August. Über fünf Monate schon zog der Weltensegler durch den Ätherraum. Stiller erwartete von einem Tage zum andern den Eintritt des Luftschiffes in die Atmosphäre der Erde. Richtig! Eine beginnende Dämmerung zeigte ihre Nähe an.

Wie einst bei der Annäherung an den Mars alle Drangsale der Reise im Handumdrehen aus der Erinnerung verschwanden, so war es auch diesmal wieder der Fall. Als Herr Stiller seinen Gefährten mitteilte, daß sie soeben in die Erdatmosphäre eingefahren und wahrscheinlich heute noch unten auf der Erde irgendwo landen würden, falls die Freunde nicht vorzögen, mit dem Weltensegler unmittelbar nach Deutschland zu steuern, da erhob sich heller Jubel in der Gondel. Vergessen waren plötzlich alle Mühe und Drangsal, alles körperliche Unbehagen.

„Wo es auch ist, nur herunter und heraus aus diesem verdammten Kasten!“ erklärte Piller. „Wahrhaftig, wir sind jetzt lange genug eingesperrt gewesen!“

„Piller hat recht,“ stimmte Thudium bei

„Keine Stunde länger als unumgänglich notwendig bleibe ich in diesem fürchterlichen Käfig,“ entschied Hämmerle, und ihm pflichteten Dubelmeier und Brummhuber bei.

„Nun, wenn es so mit Ihnen steht, so landen wir, wo es eben möglich ist,“ antwortete in gewohnter Ruhe Stiller. „Wir müssen aber Sorge dafür tragen, daß wir in zivilisierter Gegend absteigen und nicht aus Versehen in den offenen Ozean geraten.“

„Das recht zu machen, ist Ihre Sache, Stiller,“ entschied Piller. „Und nun, Gefährten, nehmen wir einen Schluck des herrlichen Marsweines als Ausdruck unserer Freude über die glücklich vollendete Reise! Dubelmeier, zu meiner innigen Freude und aufrichtigen Genugtuung haben Sie sich auf dieser Fahrt vom Saulus in einen Paulus verwandelt und an Stelle des Wassers den edlen Wein gesetzt. Also trinken wir!“

Während die übrigen Herren den Pokal, eine wunderbare Marsarbeit und ein Geschenk von Angola her, kreisen ließen, hatte Herr Stiller die Ventile des Luftschiffs gelockert und eines der Gondelfenster geöffnet. Der Weltensegler fiel rasch abwärts.

„Täuscht mich nicht alles, so schweben wir gerade über der australischen Ostküste,“ sprach Herr Stiller, nachdem er einen raschen Blick aus dem Gondelfenster geworfen hatte. „Wir werden bei Brisbane in Queensland landen.“

„Prächtig, Stiller, alter Knabe! Prosit! Da, nehmen Sie auch einen Schluck!“

Piller wollte gerade seinem Kollegen den Pokal mit dem Weine reichen, als plötzlich ein furchtbarer Windstoß die Gondel traf und mitsamt dem Luftschiff in eine drehende, wirbelnde Bewegung versetzte. Der Pokal fiel zu Boden, und die Herren selbst mußten sich an den nächsten festen Gegenständen in der Gondel festhalten, um nicht wie Bälle herumgeschleudert zu werden.

„Wir sind im letzten Augenblick in einen Zyklon geraten, wie sie hier herum häufig sind,“ schrie Stiller seinen erschrockenen Gefährten zu. „Nun heißt es, allen Mut zusammennehmen. Der blinde Zufall ist jetzt unser Führer.“

In unverminderter Stärke und Heftigkeit wütete der Orkan während der folgenden bangen Stunden. Der Wind pfiff heulend durch das offene, zerschmetterte Fenster der Gondel und wirbelte in ihr alles herum, was nicht befestigt war. In dem fürchterlichen Toben des Orkanes war jede Verständigung ausgeschlossen. Die Insassen der Gondel mußten sich schließlich der größeren Sicherheit wegen auf den Boden legen. Hilflos trieb das Luftschiff dahin, wohin es der rasende Sturmwind trug. Es war ein tragisches Verhängnis, das im letzten Augenblick der Reise, kurz vor der Landung auf der Erde, die Reisenden traf. Und dabei bestand noch die große Gefahr, daß der Weltensegler ins offene Meer treiben, und die Expedition, die die ungeheure Reise nach und von dem Mars bisher so glücklich überwunden hatte, zum Schlusse noch ertrinken werde.

Traurige, trübe Gedanken bewegten die Männer. So war eine Reihe von Stunden vergangen. Der Tag, der so vielversprechend begonnen hatte, neigte sich seinem Ende zu. Die Gewalt des Sturmes schien nachzulassen. Möglich auch, daß der Weltensegler gegen die Peripherie des Wirbelsturmes hinausgetrieben worden war, kurz, die tolle Fahrt durch die Luft verringerte sich zusehends, und die Herren konnten endlich ihre unbequeme Lage verlassen und Ausschau halten. Zu ihrer Freude nahmen sie wahr, daß der Ballon in eine weite, geräumige Bucht eintrieb, deren Hintergrund ein Wald von grünen Kokospalmen bildete, umsäumt von freundlichen, kleinen Häusern.

Rasch entschlossen öffnete Stiller die Ventile des Weltenseglers, als er gerade über dem Palmenwalde schwebte. Einem Riesengewichte gleich fiel der Ballon in die hohen Palmbäume, die krachend unter der merkwürdigen Last zusammenbrachen. Weißgekleidete Männer eilten an den Ort des Niederganges herbei. Ihnen gesellten sich die fast nackten, dunkeln Gestalten der Eingeborenen bei, die schreiend und gestikulierend um den Platz herumstanden, den sich der Weltensegler in ihrem Palmenwalde geschaffen hatte.

Bald lag der übel zugerichtete Weltensegler fest verankert im Palmenwalde.

„Wo sind wir denn?“ fragte Piller zum Gondelfenster heraus.

„Auf Matupi, im Südseearchipel,“ lautete die Antwort.

„Wahrlich, das war noch Glück! Beinahe wären wir ertrunken; viel fehlte nicht mehr,“ meinte Dubelmeier.

„Nun, dann hätten Sie eben im Wasser, Ihrem Element, geendet,“ brummte Piller.

„Heraus, Freunde, heraus aus der Gondel und endlich hinab auf festen Boden!“ drängte Stiller.

Als die Herren ausgestiegen waren, stellte sich der Führer der Weißen als Gouverneur der Insel vor.

„Wir sind aus Schwaben,“ entgegnete Stiller lächelnd, „Professoren an der Universität in Tübingen, und sind seinerzeit von Deutschland aus mit dem Luftschiff aufgestiegen. Schwaben kennt man ja überall in der Welt. Sollten Sie je einmal nach dem fernen Mars kommen, so werden Sie selbst da einen zurückgebliebenen engeren Landsmann von uns antreffen.“

Der Gouverneur starrte etwas verwirrt den Sprecher, an, den er nicht recht begriffen hatte.

„Sie kommen mit Ihrem Luftschiff aus Deutschland her?“

„Direkt nicht, indirekt ja, direkt vom Mars! Haben Sie niemals von der Expedition nach dem Mars gehört? Es sind allerdings jetzt ungefähr zwei und drei viertel Jahre her, seit wir vom Cannstatter Wasen abgereist sind.“

„Ah — ja, jetzt erinnere ich mich, von dieser ganz ungeheuerlich klingenden Reise einst gelesen zu haben. Und Sie wären wirklich die kühnen Reisenden . . .?

„Ja,“ unterbrach Piller den Zweifelnden, „glauben Sie denn, daß sechs ehrenhafte schwäbische Professoren Ihnen etwas Unwahres vordunsten wollen? Wir sind die sieben Schwaben, die nach dem Mars fuhren. Wir waren zwei Jahre oben und kommen nur deshalb zu sechst zurück, weil der siebente oben geblieben ist. Verstehen Sie nun? Im übrigen heiße ich Professor Paracelsus Piller.“

„Entschuldigen Sie,“ erwiderte, der Gouverneur, „ich glaube Ihnen aufs Wort. Ich war nur furchtbar verwirrt, und meine Gedanken jagten sich förmlich unter dem Eindrucke des Gehörten. — Darf ich Sie nun zu einem Mahl und einem guten Trunk einladen?“

„Aber natürlich! Gewiß! Mit größtem Vergnügen!“ erklärten die Herren, die seit bald einem halben Jahr keine warme Suppe mehr gesehen hatten.

„Das Gehen wird uns etwas schwer. Unsere Gliedmaßen sind ziemlich steif geworden,“ erklärte Stiller dem Gouverneur, als er etwas mühsam neben ihm dessen naher Behausung zuschritt. „Wir sind am 7. März von oben abgefahren. Heute haben wir, irr’ ich mich nicht, den 31. August. Mithin sind wir nahezu sechs Monate in der Gondel gewesen. Eine lange, bange Zeit!“

„Wie stolz bin ich darauf, daß Sie gerade hier bei uns landen mußten!“

„Na, um ein Haar wäre unsere Expedition in letzter Stunde noch verunglückt, und niemand hätte dann die Ergebnisse unserer Reise erfahren. Doch einstweilen genug davon! Wir scheinen hier zur Stelle zu sein.“

„Treten Sie ein in mein Haus, das nun das Ihre ist, und lassen Sie mich der erste sein, der Ihnen, den kühnsten Reisenden, die je gelebt, den Willkomm auf unserer Mutter Erde bietet. Entschuldigen Sie, daß ich diese Begrüßungsformel erst jetzt ausspreche. Allein ich war durch Ihre überraschende Ankunft hier tatsächlich ganz verblüfft.“ Der Gouverneur schüttelte jedem der Professoren herzlich die Hand und stellte sie den übrigen Herren vor, die voll Hochachtung auf die vom Himmel heruntergefallenen Gäste blickten.

Die Weltensegler entledigten sich zunächst ihrer Pelzmäntel und nahmen gern das freundliche Anerbieten an, die schwere Reisekleidung gegen leichte, weiße Tropenanzüge zu vertauschen, die den Herren in einem Nebenzimmer bereitgelegt wurden. Rasch war dieser Wechsel vollzogen, und bald lagen die Herren in ihrer bequemen Tropentracht auf der luftigen Veranda in großen Korbstühlen. Draußen strömte der Regen nieder, und sein prasselndes Geräusch auf dem Dache erhöhte noch das Gefühl der Behaglichkeit.

Unterdessen sorgte der Gouverneur für einen stärkenden Trank. Gekühlter Champagner wurde durch die lautlos herumhuschende schwarze Dienerschaft den Herren kredenzt.

„Sie müssen morgen unsere Marstropfen versuchen,“ sprach Piller zum Gouverneur, als er sein Glas mit einem Zuge ausgetrunken hatte und es zum zweiten Male füllen ließ.

„Was, Sie haben sogar Wein von oben mitgebracht?“ antwortete der erstaunt.

„Und was für einen guten!“ schmunzelte Piller. „Sogar mein sonst nur wassertrinkender Kollege hier, Herr Professor Dubelmeier, ist durch diesen Göttertropfen besiegt worden.“

„Nur durch die Gewalt der Umstände,“ wehrte sich Dubelmeier.

„Streiten wir nicht darüber, Dubelmeierchen! Lassen Sie uns alle anstoßen und rufen: Hoch Deutschland und das Schwabenland!“ Die Gläser klangen zusammen.

„Ein Hoch unsern hochverehrten Gästen!“ lud der Gouverneur die Beamten von Matupi ein. Nachdem dieser Ruf verklungen war, wurde das Essen als angerichtet gemeldet, und die Gesellschaft begab sich in das Speisezimmer. Mit gutem Appetit langten die Herren zu, und bald herrschte eine allgemeine rege Unterhaltung.

„Wollen Sie nicht Ihre Ankunft nach Stuttgart kabeln?“ fragte der Gouverneur. „Welch ungeheure Überraschung wird diese Mitteilung in Ihrer Heimat erregen!“

„Ja, das werden wir,“ entgegnete Stiller. „Ich denke übrigens, daß wir mit dem nächsten Schiffe von hier nach Deutschland abreisen.“

„Wir haben vierzehntägige Dampferverbindung zwischen hier und Singapore. Dort können Sie dann sofort Anschluß nach Europa finden. Aber ich bin glücklich darüber, daß vor einer Woche der letzte Dampfer von hier abfuhr und Sie daher, meine verehrten Herren, noch volle sieben Tage unsere willkommenen Gäste sein müssen,“ sprach der Gouverneur lächelnd. „Sie haben wohl Wunderbares auf Ihrer Reise und oben auf dem Mars erlebt?“

„Darüber wollen wir einige Bücher veröffentlichen, denn unsere Berichte werden Bände füllen,“ erwiderte Stiller.

„Und Sie sollen das Werk später erhalten als Zeichen unseres Dankes für Ihre gastliche Aufnahme,“ fügte Piller bei, „denn wenn wir Ihnen alles mündlich erzählen wollten, was wir erlebt haben, so müßten wir manchen Dampfer versäumen. Das geht aber nicht. Es drängt uns, endlich wieder heimzukommen.“

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Sie werden wohl allerlei interessante Sachen vom Mars mitgebracht haben?“

„Gewiß! Morgen sollen Sie verschiedenes sehen, und daraus können Sie dann leicht erkennen, auf welch hoher Stufe der Kultur die Bewohner jenes prächtigen Planeten stehen, die das Menschentum in seinem erhabensten Begriffe verwirklichen,“ erwiderte Stiller. „Zum zweiten Male möchten wir aber die Reise nicht mehr machen. Nicht nur ist sie voller Gefahren, sie ist auch fürchterlich anstrengend. Es war nicht unser eigenes Verdienst, sondern lediglich ein Spiel des Zufalles, daß wir die Reise hin und her im Weltraum unter verhältnismäßig guten Bedingungen ausführen konnten. Und heute morgen, als wir über Queensland schwebten und gerade im Begriffe waren, auf Brisbane zuzusteuern, da packte uns plötzlich der Orkan und warf uns hierher.“

„Das ist allerdings sehr zu bedauern, daß Sie zum Schluß Ihrer ungeheuren Reise noch in den Zyklon geraten mußten. Wie ich vernahm, hat der Sturm auf den andern Inseln des Archipels schwer gehaust. Aber ich preise ihn doch ein wenig, diesen Wirbelwind, hat er uns doch Sie, die berühmten Söhne des Schwabenlandes, als Gäste zugeführt.

Nach Beendigung des Begrüßungsmahls wurden die Reisenden in den Häusern der verschiedenen Beamten auf Matupi untergebracht, und bald lagen sie in tiefem, traumlosem Schlafe. Noch in der gleichen Nacht ging das Telegramm nach Stuttgart ab.

Als sich die Reisenden am andern Morgen durch ein Bad in dem klaren Wasser der Bucht erquickt hatten, traf bereits die Antwort von Stuttgart ein: Staatsregierung und Stadtrat hatten den ersten warmen Willkomm aus der Heimat gesandt und zugleich um Auskunft über Herrn Frommherz gebeten, da er nicht auf der Liste der Zurückgekehrten angeführt war. Die Antwort lautete:

„Frommherz freiwillig auf Mars zurückgeblieben. Expedition dahin geglückt. Zwei Jahre oben gewesen. Hoffen, in etwa vier Wochen in Stuttgart einzutreffen.

Stiller.“

Mit Staunen betrachteten der Gouverneur und die Beamten von Matupi die geniale Einrichtung der Gondel, die ihnen von Stiller gezeigt und erklärt wurde. Noch mehr aber staunten sie über die Kunsterzeugnisse aus Silber und Gold und über die mannigfachen und wertvollen Geschenke der Marsiten. Leider fand sich das goldene Buch nicht mehr vor. Da die Gondel abgeschlossen war, so konnte an einen Diebstahl während der Nacht um so weniger gedacht werden, als auch die Eingeborenen für den Wert des Gegenstandes kein Verständnis gehabt hätten. So mußte angenommen werden, daß das Buch durch eine der Gondelklappen hinaus in den Weltenraum gefallen sei, ein unersetzlicher Verlust, der auf das Gemüt der Professoren recht niederdrückend wirkte. Schließlich aber siegte die Freude der Rückkehr über alle trüben Gedanken.

Piller ließ es sich nicht nehmen, die Herren von Matupi in der Gondel mit dem kleinen Reste von Wein zu bewirten, der noch vom Mars her vorhanden war. Sie alle erklärten, einen so feinen und feurigen Wein noch nie zuvor im Leben getrunken zu haben.

Die Tage auf Matupi waren dem Packen der mitgenommenen Habe und dem Bergen der Instrumente gewidmet. Ballon und Gondel sollten später zerlegt und nach Hause gesandt werden. Pünktlich am 7. September morgens lief der Dampfer „Venus“ in die Bucht ein und ging der Faktorei von Matupi gegenüber vor Anker. Nach herzlichem Abschiede fuhren die Herren noch am Abend des gleichen Tages von Matupi ab.

„Ein merkwürdiges Zusammentreffen von Namen!“ sprach Stiller zu seinen Gefährten, als sie sich an Bord des Schiffes behaglich eingerichtet hatten. „Vom Mars kommen wir, auf der Venus fahren wir durch die blauen Wogen der Südsee, und die „Stuttgart“ erwartet uns, wie der Gouverneur sagte, in Singapore, um uns nach Genua zu bringen.“

Eine Woche später traf der Dampfer in Singapore ein. Schon bei der Einfahrt in den geräumigen Hafen war die „Venus“ mit ihren berühmten schwäbischen Fahrgästen der Gegenstand allseitiger Ehrung. Die zahlreichen im Hafen liegenden Schiffe aller möglichen Nationen trugen Flaggengala, und bis auf die malaiischen Prauws und chinesischen Dschunken herunter war alles festlich gekleidet. Von den Festungswerken wurde Ehrensalut gefeuert, als die „Venus“ langsam ihrem Anlegeplatz zufuhr.

In feierlicher Weise wurden die kühnen Marsreisenden von den Behörden und Konsuln Singapores begrüßt. Dann fand im festlich geschmückten Hause des deutschen Klubs das unvermeidliche Festessen mit den üblichen Reden statt. Die sechs Herren waren froh, als sie nach all dem Festtrubel und der glühenden Tropenhitze Singapores glücklich auf Deck der „Stuttgart“ saßen, die nach dem Eintreffen ihrer Ehrenpassagiere sofort die Anker lichtete und die Straße von Malakka hinaufdampfte.

„Empfinden Sie nicht auch wieder den alten, starken Widerwillen gegen diese Art offizieller Huldigungen, die im Grunde genommen doch meist den Stempel der Unwahrheit tragen?“ fragte Piller seinen Freund Stiller.

„Es geht mir wie Ihnen,“ erwiderte Stiller. „Mit der würdigen und harmonischen Weise, mit der in Angola Feste gefeiert wurden, stehen diese lauten Bankette, bei denen jeder sein liebes Ich möglichst vorzudrängen sucht, in grellem Gegensatz. Im Verkehre mit den Marsiten hatten wir sofort die Empfindung des Behagens. Hier unten erwacht sofort wieder das alte Unbehagen in der Berührung mit der Menge. Wir fühlen eben instinktiv, daß all die Worte lauter Anerkennung, die sündflutartig immer auf den niederprasseln, der einen nennenswerten äußern Erfolg gehabt hat, vielfach wenigstens gar nicht ernst gemeint sind.“

„Sie sprechen genau meine Meinung aus!“ bestätigte Dubelmeier, der dem Gespräch der beiden Gefährten aufmerksam gefolgt war. „Auch ich gestehe, daß mir diese Festessen und Festreden schon jetzt zuwider geworden sind, nachdem sie kaum begonnen haben.“

„Na, wir werden uns noch durch eine ganze Reihe solcher öffentlichen Veranstaltungen durchwinden müssen, bis wir endlich ungestört in der Stille unseres Studierzimmers arbeiten dürfen,“ antwortete Piller.

„Dem entgehen wir leider nicht. Ein Glück, daß wir auf dem Meere noch eine Ruhepause haben, bevor der Haupttrubel in der Heimat beginnt!“ entgegnete Dubelmeier.

Aber schon in Colombo begann in vermehrter Auflage das Feiern der berühmten Schwabensöhne, und als die „Stuttgart“ in Suez eintraf, bat die ägyptische Regierung um die Ehre ihres Besuches in Kairo. Endlich nach zweitägigen Festlichkeiten waren die Marsfahrer wieder auf dem Schiffe, das nun seinen Kurs direkt nach Genua nahm. Dort trafen die Reisenden Anfang Oktober ein. Nach fast dreijähriger Abwesenheit betraten sie hier zum erstenmal wieder den Boden Europas.

Zehntes Kapitel
In der Heimat

Die Reise der Herren durch Italien glich einem Triumphzuge. Halb betäubt von all dem Lärm der letzten Tage langten die Professoren auf der Station Hasenberg an, zu deren Füßen sich Schwabens Hauptstadt malerisch schön ausbreitet. Obgleich es Herbst war, prangte hier alles im reichsten Blumenschmuck. Vertreter des Staats, der Tübinger Universität, die Väter der Stadt, weißgekleidete Ehrenjungfrauen, Musikkapellen und eine tausendköpfige Menschenmenge erwarteten hier die Heimkehrenden.

Schon während der Fahrt durch Schwaben läuteten alle Glocken, nicht nur der Stationen, die der Zug berührte, sondern auch aller Dörfer in der Nähe des Bahnkörpers. Ein brausendes Hoch empfing den blumenbekränzten Zug, als er am 7. Oktober mittags vier Uhr aus dem Hasenbergtunnel herausfuhr. Die vereinigten Musikkapellen von Stuttgart spielten eine Begrüßungshymne, die eigens für diesen Zweck von Musikdirektor Klingle komponiert worden war. Alsdann begann unten in der Stadt das feierliche Spiel der Glocken. Es pflanzte sich fort auf die Vorstädte und erinnerte an die Stunde jenes Dezemberabends vor bald drei Jahren, an dem die Herren die kühne Fahrt nach dem fernen Planeten angetreten hatten.

Die Begrüßungs- und Bewillkommungsreden verhallten im Lärm der allgemeinen Festesfreude. Die Autoelektrikwagen wurden bestiegen. Im ersten saßen die sechs Zurückgekehrten, Riesensträuße in den Händen. Langsam ging es durch die sich drängende, jubelnde Menschenmenge hinab in die reichbeflaggte Stadt. Eine kurze Rast in Marquardts Hotel wurde den so wunderbar wieder heimgekehrten, aber sichtlich erschöpften Gelehrten gestattet, dann aber mußten sie weitere Opfer der gesellschaftlichen Ordnung bringen.

In feierlichem Zuge, unter den betäubenden Hochrufen der in den Straßen flutenden Menschmenge wurden die Gelehrten nach der Liederhalle geleitet. In ihr sollte der offizielle Akt der Begrüßung vor sich gehen. Im großen Festsaale erwartete eine auserlesene Gesellschaft aus allen Kreisen der Hauptstadt die Professoren. Mit jubelndem Zurufe wurden diese begrüßt, als sie in den Saal traten.

Ein Vertreter der Regierung begrüßte als Vorsitzender in warmen Worten die kühnen Weltensegler, die durch die einzig dastehende Fahrt nach dem Mars ihre Namen nicht nur unsterblich gemacht, sondern dadurch auch das Ansehen und die Ehre der engeren Heimat in der gesamten Kulturwelt gefördert hatten. Schwaben sei stolz auf so würdige Söhne und wolle sie zunächst dadurch ehren, daß an dem Orte ihres Aufstieges auf dem Cannstatter Wasen ein Obelisk aus heimischem Granit errichtet werde, der die Namen der Teilnehmer an der Expedition und die allgemeinen Daten über sie eingemeißelt in den Stein tragen solle. Weitere äußere Ehrungen seien vorgesehen; denn eine solche Tat, wie sie Schwabens Söhne ausgeführt, könne überhaupt nicht gebührend genug anerkannt werden. Zunächst überreiche er im Namen der Regierung jedem der Herren einen goldenen Lorbeerkranz, auf dessen Blättern der Name des Trägers und die Daten der Marsreise eingraviert seien.

Nachdem die Übergabe der goldenen Kränze unter rauschender Musikbegleitung vor sich gegangen war, begann das Bankett. Klugerweise war vorher bestimmt worden, daß während des Essens keinerlei Reden gehalten werden sollten. Als das Essen beendigt war, bestieg Stiller das Podium des Saales, um von hier aus zu der glänzenden Versammlung zu sprechen.

„Verehrte Anwesende! In meiner und meiner treuen Gefährten Namen danke ich Ihnen zunächst für die Herzlichkeit des Willkomms, den Sie uns zuteil werden ließen. Er hat uns sehr gerührt. Nehmen Sie es uns aber nicht übel, wenn wir Sie bitten, von jeder weiteren äußeren Ehrung unserer bescheidenen Persönlichkeiten Abstand nehmen zu wollen. Was wir ausgeführt, was wir getan, war ja nur dadurch möglich, daß uns ein seltenes Glück zur Seite stand. Wo aber der Mensch nur durch die Gunst äußerer Umstände sein Ziel erreicht, da ist es mit seiner eigenen Leistung doch viel weniger weit her, als Sie selbst vielleicht annehmen.

Gerade auf dem Mars, bei einem Volke von idealster Lebensauffassung, rückhaltslosester Wahrheitsliebe und tiefster Erkenntnis des eigenen Ichs, da haben wir erst gelernt, uns nach dem wirklichen Werte richtig einzuschätzen, wahr und streng gegen uns zu sein. Mit einer gewissen Selbstüberhebung reisten wir einst ab, mit ruhiger, nüchterner Schätzung unserer eigenen Person kommen wir zurück. Daraus entspringt also unsere Bitte.

Und nun lassen Sie mich Ihnen in kurzen Zügen ein Bild jener wunderbaren Welt entwerfen, in der es uns vergönnt war, zwei volle Jahre leben zu dürfen. Vorausgreifend will ich gleich bemerken, daß wir unsere Erlebnisse in einem Sammelwerke niederlegen werden, in dem Sie dann später alles Wünschenswerte selbst nachlesen können. — Nach der Abfahrt von Cannstatts Wasen langten wir nach dreimonatlichem Fluge durch den Ätherraum ziemlich wohlbehalten auf dem Mars an. Dort trafen wir Menschen an, die uns mit großer Gastfreundschaft aufnahmen. In dem Maße, als wir die Sprache der Marsbewohner erlernten, gewannen wir auch mehr und mehr Einblick in deren Leben, in ihre Sitten und Gebräuche. Voll staunender Bewunderung sahen wir dort oben eine Lebensführung, die wir in dieser Vollkommenheit niemals für möglich gehalten hätten. Das, was wir hier unten auf der Erde früher als Ideal des Lebens geträumt, — dort oben auf jenem Sterne ist es in die schönste Wirklichkeit übersetzt.

Was soll ich Ihnen in dieser Stunde von den Einzelheiten erzählen, die zu der wunderbar entfalteten, natürlichen Moral jener prächtigen Menschen da oben geführt haben! Ich fürchte dadurch nicht allein zu ermüden, sondern auch Ihre freudige Stimmung anläßlich unserer Rückkehr zu vermindern. Dies möchte ich aber nicht. Sie werden, wie gesagt, die Ergebnisse unserer Expedition durch unsere Bücher genau erfahren. Nun aber können Sie mich mit Recht fragen: ‚Ja, warum sind Sie denn wieder zurückgekommen aus einem Eden nach einem Tale des Jammers, wie es unsere Erde nun einmal vorstellen soll?‘ Darauf antworte ich auch offen: Wir sind schweren Herzens von oben fortgegangen. Nicht daß man uns geradezu fortwies, nein, man stellte uns Bleiben oder Gehen zur freiwilligen Entscheidung anheim. Nachdem wir aber sahen, daß wir dem so hochstehenden Marsvolke doch keine Dienste leisten konnten, die als Ausgleich für die uns gebotene Gastfreundschaft hätten dienen können, so verlangte es schon das einfachste Anstandsgefühl, daß wir zur Erde zurückkehrten.

Nur Herr Friedolin Frommherz konnte sich nicht entschließen, die Rückreise anzutreten. Er blieb oben zurück als der einzige lebendige Zeuge unseres Aufenthaltes auf dem Mars. Unsere Ankunft auf Matupi kennen Sie. Zum Schlusse wollen wir dem Schwäbischen Landesmuseum diejenigen Geschenke und Andenken überweisen, die wir oben auf dem Mars, in dem herrlichen Angola, in der Stunde des Abschiedes mit auf den Weg bekommen haben. Wir selbst bedürfen der Sachen nicht. Wie ein Märchen voll Schönheit, voll Zauber und strahlenden Lichtes wird jener Aufenthalt auf dem Planeten in unserer Erinnerung weiterleben, solange wir atmen, und gäbe es eine Seelenwanderung nach fernen Sternen, so würde ich nichts sehnlicher wünschen, als dort oben wieder erwachen zu dürfen, wenn ich hienieden nicht mehr bin.“

Herr Stiller trat ab. Lautlos hatte die Versammlung seinen Worten gelauscht. Manches Gesicht der Anwesenden drückte tiefe Ergriffenheit aus, als Herr Stiller geendet. So hatte man sich die Sache doch nicht vorgestellt. Wohin war die Festesfreude plötzlich gekommen? Herr Klingle griff in die beklemmende Stille, die sich der Versammlung bemächtigt hatte, als rettender Engel ein. Er erhob den Taktstock, und die leichten Töne einer einschmeichelnden Musik gaben der Versammlung ihre alte Fröhlichkeit wieder zurück. Es ließ sich auch hier auf der Erde ganz gut leben. Wozu also nach dem Mars reisen? Eine Fahrt wie die der sieben Schwaben sollte keine Nachahmung mehr finden. Die früher so heitern Männer waren als offenkundige Menschenfeinde zurückgekehrt. Sie wären somit besser im Lande geblieben. Das war die Ansicht vieler, die in später Nachtstunde von dem Bankette nach Hause gingen.

 

 

 

 

Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):






End of the Project Gutenberg EBook of Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem
Mars., by Albert Daiber

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE WELTENSEGLER. DREI JAHRE ***

***** This file should be named 41522-h.htm or 41522-h.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/4/1/5/2/41522/

Produced by Jens Sadowski

Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License available with this file or online at
  www.gutenberg.org/license.


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.