The Project Gutenberg EBook of Timur, by Kasimir Edschmid

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Title: Timur
       Novellen

Author: Kasimir Edschmid

Release Date: May 13, 2010 [EBook #32358]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Produced by Jens Sadowski





Transcriber's Note: Text that was s p a c e d - o u t has been changed to italics.

Timur

Novellen
von
Kasimir Eschmid





Kurt Wolff Verlag
Leipzig

Geschrieben im Dezember neunzehnhundertfünfzehn
und im folgenden April



Viertes bis achtes Tausend
Copyright Kurt Wolff Verlag, Leipzig, 1916





Unsere harten Herzen halten wie Berge Bestand

Nasreddin von Tus

Inhalt

Der Gott 1
Die Herzogin 73
Der Bezwinger 143

Der Gott

Seine Mutter verließ ihn, nachdem sie ihn ein halbes Jahr vorher geboren hatte. Er schlug die festen Arme in die Luft und rief zweimal: „Ma“. — Dann losch sie, die ein großes Segelboot von Honoruru entfernte, aus seinem Gedächtnis. Seine französische Gouvernante nannte ihn Jean François und lieh ihm wenig Zeit und Mühe. Seine drei ersten Jahre vollzogen sich am Strand. Gespielen waren ihm Natives, Chinesen und Malaien. Er kroch auf dem Bauch und schrie aus gebräunter Kehle langgedehnte Vokale und wurde ein gesundes Kind.

Nach drei Jahren kehrte die Mutter zurück. Sie suchte ihn im ganzen Haus, den Gebäuden der einzigen Faktorei auf der Insel, lief durch den Garten und fand ihn im Sand am Meer zwischen Muscheln und Farbigen. Sie gab der französischen Gouvernante eine Ohrfeige und nahm ihr Kind auf den Arm.

Sie fragte ihn in englischer Rede schluchzend, wie er sich befinde. Der Junge aber schwieg, denn er verstand sie nicht. Er sprach nur polynesisch und minderes Französisch. Die Mutter war eine feurige Frau. Sie weinte und glaubte, das Kind sei vertauscht. Das Kind sah sie stumm mit großen Augen an. Sie wies es zurück und schenkte ihm einen Monat lang keinen Blick. Kurz darauf verfiel es einer Krankheit, und als sie nun besorgt und glücklich es pflegte, sagte es an einem Morgen: „Ma“.

Nach geringer Zeit vermochten sie sich in der Rede zu verständigen. Da zwang ein ausbrechendes Leiden die Mutter, die begonnen hatte, in Ruhe ihre schweifende Seele an das Kind anzulehnen, ins Weite. Sie schifften sich auf dem Segler Bounty ein, als die Sonne einen riesigen Kranz um die Insel legte und in dunklem Blau verging. Ein Krater rauchte noch dünn in die Dämmerung. Dann scholl das unendliche Meer in ihr Ohr.

Sie erlebten am dritten Tage einen Sturm, der das Schiff über die Wellen schleuderte, daß die Kajütenwände sprangen. Jean François hielt verzückt den Stößen stand. Der Kapitän ließ Stagsegel aufziehen. Sie rissen sofort. An den Marquesasinseln warfen sie Anker. Der Meerboden war Muschelgrund und Kalkgrieß, der Anker hielt nicht.

Da stieß, während sie lavierten, ein Kanoe mit rotem Holz und Perlmutter in der Schnitzung aus einer Bucht. Zwei Wilde hielten kupferfarbene Binsen hoch und winkten. Folgend bugsierten sie die Bounty in eine Bay.

Der eine Malaie stieg herauf, seine Glieder hatten wunderbaren Anstand. Sie bedeuteten ihm, sie brauchten Wasser, da schrie er sofort, indem er die Hand wie eine Schale unter den Mund legte, ins Meer hinaus. Der Strand bevölkerte sich mit Booten, die in breiten Gefäßen Wasser und Geflügel brachten, denn viele der Matrosen litten am Scharbock. Jean François, auf dem Arm seiner Mutter an den Mast gelehnt, rief ihnen einige Sätze zu. Da erstaunten sie und verbeugten sich vor ihm. Ihr Oberhaupt aber legte ein Messer vor ihn hin und sagte: „Rono . . . Rono — —“.

Bald hörten sie es donnern. Vogelschwärme rauschten über sie. In leichter Brise liefen sie gegen eine Küste an. Es war Peru. Sie ankerten im Hafen von Callao. Zwanzig Matrosen desertierten in der Nacht. Sie stellten Spanier ein. Langsam trieben sie die Küste hinunter, bis sie Antufugasta erreichten.

Dort stiegen sie aus. Sie blieben wenige Tage, aber das Klima verschlechterte die Gesundheit der Frau. Sie zog in die Berge hinauf zu einer Schwefelquelle, in der sie badete. Jean François jedoch vertrug die Luft der Höhe nicht und wurde bleich. Deshalb gab ihn die Mutter mit einiger Dienerschaft hinunter nach Valparaiso.

Als die Mutter zurückkam, war Jean François sechs Jahre alt, hatte blonde Haare und braune Haut und sprach nun spanisch und polynesisch (den Dialekt von Taheiti und der hawaiischen Eilands), aber kein Wort englisch. Da beschloß die Frau, den Sohn, der ihr bis zur Hüfte reichte, und mit dem sie kein Wort zu wechseln wußte außer dem Gefühl, das von Auge zu Auge strömend redete, nie wieder zu verlassen in seiner Jugend, schiffte sich mit ihm ein, und an einem Morgen kam ihnen wieder unter dem Himmel die große Küste Oahus entgegen.

Sie fanden dort bei ihrem Eintritt in das Haus die Nachricht, daß Jean François’ Vater gestorben sei, der die Jahre in Rom und in einer Mission des Papstes in Skandinavien verweilt hatte. Die Mutter ward still und nachdenklich, obwohl ihre Seele getrennt von dem Schicksal dieses Mannes lag. Jean François begriff dagegen keineswegs, um was es ging, und lehnte ab, als sie es ihm deutlich machen wollte.

Sein Gefühl verbreiterte sich. Er lebte sein Dasein bis zum sechzehnten Jahre rund herum aus im Kreis der Begriffe und Dinge, die ihn umgaben. Die Gedanken waren schlicht. Die Dinge gestalteten sich einfach, nur im Verkehr mit primitivem Dasein. Selten nur brachten anlegende Schiffe Europa in sein Blickfeld. Aber seine Seele saugte sich fest an Küste, Meer und Land.

Dann sandte ihn die Mutter, die noch vier Jahre die Welt durchschweifen wollte, von sich, damit er in den europäischen Dunstkreis eintrete. Sie stellte ihm große Wechsel aus, und sie verplauderten den letzten halben Abend.

Darauf ging er hinaus in den Garten. An der großen Hecke der weißen Himbeeren stand Kalekua, die dem Geschlecht der Könige verwandt war, sang vor sich hin und schaute über ihren Garten hinauf zu ihrem hellen schönen Haus. Jean François, die Brust von Weite erfüllt, rief ihren Namen, mit der er die anfänglichen Spiele erster Jugend geteilt hatte. Sie wandte sich um.

In diesem Augenblick hob sich das Gefühl abenteuerlicher Ferne, in die er verlangte, zu einer großen Welle, und er, dessen Hände noch keine Frau berührt hatten, überströmte den Körper des Mädchens mit Liebkosungen. Ihre dünnen Gewänder schwanden unter seiner Hand, und er fühlte ihre weichen und wunderbar gerundeten Glieder ihm entgegenfliegen. Da faßte er sie auf die Arme und trug sie noch tiefer in den Garten in die Mulde einer Platane.

Ganz umhängt von ihrem Duft hob er sich in den Morgen, schiffte sich ein und fuhr nach England.

Nach zwei Jahren schon zog seine Mutter ihm nach; Sie nahmen ein Haus in der Nähe des Hydeparks. Sommers zogen sie auf ein Landgut in Schottland. Sie empfingen viele Menschen, gaben große Gesellschaft und hatten ausgewählte Freunde. Aus ihren Besitzungen flossen gewaltige Mittel immer erhöht ihnen zu, später verkauften sie Anwartschaft und Faktoreien und breiteten das Kapital in englischen Anlagen aus.

Vor der Wirklichkeit dieses fest gegründeten Daseins sank die Jugend der Südsee, fast vergessen, in Traum zurück. Jean François studierte in Cambridge, züchtete Hunde und hatte Anspruch auf die diplomatische Laufbahn. Mit neunzehn Jahren hatte sich die Luftschicht weltmännischer Beherrschung dicht um ihn gelegt.

An dem Tage, wo er den großen Preis im Ballspiel für das westliche England errang, starb seine Mutter. Er erfuhr es, als er, den Kopf zurückgelegt, sich von der Richtertribüne wendend, nach der Seite ging und den Diener sah, der ihm den Brief überreichte.

Er war einundzwanzig Jahre, hatte einen glänzenden Körper und gute Zukunft, wie viele sagten.

Er kehrte nach London zurück, verschloß die Fenster und nahm am brennenden Kamin das Bild seiner Mutter vor und beschaute es. Sein Herz öffnete sich nicht, sie heftig zu beweinen. Kaum ward ihm die eingetretene Leere bewußt. Eine Unbegreiflichkeit waltete über seinen Gefühlen, daß sie ihn, dem Schwung erhöhter Seelenlagen fernhaltend, alle Empfindungen nur von der Oberfläche diktiert und durch etwas von seinem inneren Dasein getrennt erleben ließen. Er zog in der Folge roten Dreß an und jagte Füchse und legte die Sachen der Mutter beiseite. Beim Jagen und raschen Leben kam ihm geringer das Gefühl, in leichter Betäubung sich zu befinden.

Bei einem ausgesuchten Diner saß ihm eine Sängerin gegenüber, deren zarte Haut und große Augen seinen Blick anzogen. Um sie besser zu sehen, nahm er eine breite Blumenattrappe und setzte sie auf den Boden hinter seinen Stuhl. Ihr Blick begann, entgegenkommend, gleichfalls auf ihm zu ruhen. Ihr Reden war schnell und heiß. Unmerklich hob sie ein spitzes Glas, als sie mit einem Nachbar anstieß, herüber zu ihm. Als nach Tisch alles in den Musiksaal strömte, stellte er sich hinter ihren Fauteuil und redete zu ihr. Sie, ohne sich umzudrehen, sagte: „Ich kenne Sie nicht“.

„Sie sollen es lernen,“ sagte er. Verbeugte sich kurz und berührte knapp ihr Knie im Gehn mit dem seinen.

Sie trug an diesem Abend eine gelbe Robe, und ihre schönen Brüste standen voll und fest in dem schmalen Ausschnitt. Leichter Puder machte die Locken grau, die tief in ihren Kopf hineinhingen.

Sie ließ ihn zweimal durch ihren Diener abweisen, bis er eindrang und sie ihm Geliebte wurde.

In einer Nacht fragte sie ihn, als sie ihn übermäßig ihrer sicher glaubte, wie alle Frauen fragen: nach denen, die vorausgingen.

Es seien einige, doch nicht allzuviel, denn dies sei billig, sagte er. Sie fragte, wie lange es her sei, daß er die letzte gehabt habe, und er zuckte die Achseln.

„Was waren sie, Lieber?“

„Was soll die Frage, die nicht schön ist?“ sagte er langsam.

„Mein Herz stürmt, daß ich es weiß. Um Sie mehr zu lieben.“

Da drückte er die Ampel aus und sagte: „Eine Blumenverkäuferin von den Docks, eine Dame, ein Mädchen, eine Tänzerin, eine liebe Frau . . .“

Sie schloß die Augen und öffnete sie verwirrend vor den seinen: „Keine hielt Sie in dieser Reihe?“

Sie sah an seinem starken Körper hinunter, und im Gefühl, daß in solchen Erlebnissen sich das Weibliche in seiner ganzen Art erschöpft habe, legte sie sanft ihre Brüste an seine Wange und fragte das Gleiche ein weiteres Mal.

Da warf er sich hoch, und indem es schien, daß er sie ganz in sich schlinge, sagte er ihr, daß er auch sie verlasse, wenn der Nebel vor den Fenstern heller werde. Er blieb noch einige Stunden bei ihr, indem er sie streichelte und ihr Wesen ein letztes Mal einsog, denn sie war schön und edel und weinte, die Hände vor die Augen geschlagen. Dann verließ er sie.

Er ging den Morgen in die Themse und badete.

Dann ging er nach Hause, ließ packen und fuhr nach den schottischen Gütern. Aber am ersten Tage der dritten Woche glitt er, jagend an einem Bergrücken, aus und brach das linke Bein. Sein Hochländer trug ihn ins Tal.

Sie tauchten immer tiefer hinunter, wo die Dunkelheit ihnen entgegenkam, und je mehr sie in die verdichtete Landschaft hineinschritten, überfiel ihn Beklemmung, deren Sinn er nicht begriff. Sie erreichten ein Licht, ein geöltes Haus. Sie schrieen nach dem Besitzer und befahlen ihm, mit dem Pferd in die Finsternis hineinzureiten, damit er Hilfe bringe. Erst am Morgen kam er mit einem weißbärtigen Mann, der das Bein einrenkte. Als die Knochen wieder aneinanderstießen, schrie Jean François vor Schmerz, so sehr lähmte der Alp seine Brust.

Der Hochländer schaute abgewandt durchs Fenster, und Jean François, der fühlte, wie jener sich für ihn schäme, schrie ihn an, und wurde ungerecht. Am nächsten Tage aber schenkte er ihm das Elengeweih seiner Sammlung, damit dieser beides vergäße, die Scham und den Schrei.

Da er lange lag, haderte er mit dem Geschick. Denn er fühlte, daß der Druck über ihm blieb. Er wollte ihn vertreiben. Er fuhr mit dem Auge die Berge hinauf und ließ den Blick herabfallen in die Wiesen, über denen Kuhgebrüll erdwarm donnerte. Er trieb Studien, er las. Er färbte Stoffe. Er focht zwei Stunden des Morgens angeschnallt ans Bett mit einem großen Fechter des Clans, damit seine Muskeln hart blieben. Aber es half nichts.

Nach sechs Wochen zog er wieder in London ein.

Sein seitheriges Leben kam ihm in gleicher Form entgegen.

Er griff es, nahm es und lebte weiter.

Eines Abends reizte ein Mädchen sein Gefühl, das mit einer herrischen Kopfbewegung aus dem Nebel ihm entgegenkommend in den Laternenschein hineintrat. Sie war untersetzt mit geschmeidigen Lenden und trug einen ausländischen Pelzhut. Er drehte um und folgte ihr. Sie gingen durch Straßen und Gassen, es war eine ganze Stunde, daß er sie verfolgte, da kamen sie in die Gegend des Hafens. Die Gassen verwirrten sich immer verzogener ineinander. Da bog sie zur Seite und verschwand. Das Haus, in das sie getreten war, hatte einen wüsten Eingang voll Winkel. Ein grünes Licht flammte davor. Die Fenster waren aus Ölpapier und erleuchtet.

Jean François trat ein. Im Flur schon hörte er, wie Musik begann. Er trat in einen Saal. Links saßen die Musikanten. Sie spielten Flöten und irische Dudelsäcke. Ein einzelner Hagerer hieb wild auf eine Pauke.

Im Hintergrund hob sich der Saal im Rauch und Qualm zu Terrassen von Stühlen und Bänken in die Höhe und vergrößerte sich ungewiß. Vorne schwankten Paare durch die dichte Luft. Schreien und Gestampf durchbrach die Musik.

Auf einem der Tische stand eine der Vorstadtköniginnen, wunderbar wild im Bau, hatte eine rote Mütze über den Haaren, die Bluse voll herabgestreift und schwang die Arme singend, den Kopf im Rausch gerötet, durch den Raum. Der Rauch umwallte sie manchmal ganz, dann riß er sie wieder in die Blicke. Ihre Augen glänzten wie feuchte Steine, der Mund stand offen, derb und glühend.

Ein Matrose schwankte mit großen Sprüngen über die Diele und suchte im Vorbeisprung Jean François zu umarmen. Doch der schob ihn weit zur Seite und arbeitete sich durch die Tanzenden quer hindurch zu den Stuhlkolonnen und setzte sich an einen leeren Tisch. Das Gesicht eines Graubärtigen bewegte sich neben ihm auftauchend und brachte ihm Punsch, der scharf nach Essig roch.

Plötzlich ging die Saaltür weit auf und schloß sich rasch, frische Luft strömte herein und warf den Rauch auseinander, die Ölfenster knallten unter der Luft, die wie helle Nester eines über dem anderen hockend die ganze Straßenfront gliederten . . . da sah er in der Lücke, daß am anderen Ende des Tisches ein Mann saß, dessen Blick ihn kühl abmaß. Er hatte grüne Augen, Brauen, die sich romanisch über die Stirn spannten und ein bleiches Gesicht. Er trug die Kleidung eines vornehmen Mannes, eine flandrische Krause als Einsatz, aber hohe Stiefel.

Der Mann erhob sich und setzte sich ihm näher gegenüber.

Die Musik brach jäh ab. Vom Nebentisch sprang die Tanzende herunter und warf ihre Arme von hinten her dem Fremden über die Schulter und drängte ihre schweren Brüste um seinen Nacken. Sie hatte den Kopf an sein Ohr geschmiegt und lachte, über ihn weg kokettierend, zu Jean François hinüber. Im gleichen Augenblick aber steckte ein Matrose seine Hand in des Gegenübers Tasche und zog mit zwei spitzen Fingern ein funkelndes seltsames Stück Börse wie einen Wurm heraus.

Jean François erheiterte dieser Fall sehr, allein er nagelte trotzdem den Kerl sofort mit gezogener Handpistole auf den Platz fest. Der Bursche ward bleich, von einigen Tischen scholl Geschrei.

Der Fremde lächelte, nahm die Börse zurück, um sie dem Matrosen mit einem Kompliment wieder zu überreichen. Dann dankte er, indem er den ausbrechenden Tumult des Lokals mit einer Handbewegung dämpfte, durch eine leichte Verbeugung Jean François für seine Güte.

Das Mädchen hatte sich auf seine Knie gesetzt.

Seine Hand spielte nebensächlich mit ihr, indem er Jean François bat, als einen Ausgleich und um — zumal als Ausländer — höflicher Handlung mit edelmännischer Genugtuung zu begegnen, eine Bitte an ihn zu richten.

Allein Jean François lächelte nur, denn ihm schien nichts wünschenswert, was er nicht selbst hätte erreichen können.

Doch auch der Fremde lächelte.

Und wiederholte eindringlich, daß er bäte, ihn nicht zu verkennen, sondern ins uferlos Blinde über ihn zu verfügen, denn es sei morgen bereits schon zu spät, und das würde ihn schmerzen, wo ihn eine Flotte nach Indien fahre. Dann lächelte er wieder, Jean François’ Erstaunen erwartend.

Der aber durchdrang mit dem Blick den Rauch des Zimmers, schweifte einige Sekunden in Entferntem, das ihn betäubte mit der Unendlichkeit der Bilder, und sagte, dem Traum der Jugend nahe gebracht, dunkel aufgewühlt und Unbekanntem willig folgend (obwohl er erstaunte über Sinn und Klang der eigenen Stimme), er bäte um ein Patent, wenn dies in der Macht liege . . . „Würden Sie. . .“

Der Fremde jedoch zog ein Papier, bemalte es mit wenigen Zeichen und überreichte es ihm. Es war ein Diplom als erster Leutnant und zweiter Supracargo auf einem Schiff, das „Santa Cruz“ hieß.

Jean François sah ihn scharf an. Dann verbeugte er sich.

Der Fremde hielt ihm die damenhaft schmale Hand hin, in die das Mädchen auf seinem Knie einige Tropfen Wein schnickte. Aber eh Jean François einschlug, sagte er, daß er wohl wisse, wie eng dies ihn binde, daß er aber innerlich keine Verpflichtungen auf sich nehme, denn er sei gewohnt, die Stunden zu treiben, wie er wolle, zu weilen, wie ihm passe und der zu sein, der er beliebe. Doch der mit den grünen Augen ihm gegenüber saß, gab hierauf keine Antwort, empfing den Handschlag und wies hinaus, wo Pferde stampften.

Sie erhoben sich und verließen den Raum. Das Mädchen zerrte an ihren Rockschößen. Sie achteten nicht darauf.

Ein Wagen mit weißen Pferden hielt in der Gasse. „Sie werden alles finden,“ sagte der Fremde, „aber Sie dürfen nicht zögern.“ Er verabschiedete sich, da er noch einiges zu verhandeln habe und sagte, sie würden sich bald wiedersehen. Der Wagen fuhr bis zum Hafen. Eine Ruderbarkasse brachte ihn ans Schiff.

Sie zogen die Nacht noch den Fluß hinunter. Am Morgen floß England hinter ihnen zusammen wie grauer Schaum.

Als die Weite des Meeres vor ihnen lag, füllte sich Jean François’ Herz mit tosenden Takten. Er nahm seine Equipierung auf dem Schiff. Als er sich umzog, trat ein Offizier in seine Kabine, — er wechselte gerade die Hosen, — und bat um die Aushändigung des Patents. Jean François reichte es ihm:

„Sie werden erstaunt sein, mich aus einer schwärmerischen Nacht in diese Fahrt und Stellung stürzen zu sehen, im Abendanzug, Leutnant Vaudricourt. Allein es trieb mich so.“

Der Leutnant grüßte höflich und erwiderte, dies wolle nichts sagen, denn er habe die Fregatte lediglich mit einer Nachtkleidung und einem Damenstrumpfband aus weißer Seide erreicht. Er legte die Papiere zusammen und sagte: „Ich sehe, wer Sie sind.“

Er war höflich. Er war Franzose, wie viele auf diesem Schiff Übergetretener, und von guter Erziehung.

Am Abend, als er die Offiziere zu einem großen Diner einlud, erfuhr Jean François, daß sie sich mit fünf anderen Schiffen vereinigen würden, bestimmt, Brotbäume in der Südsee aufzunehmen und sie zur Verpflanzung nach Westindien zu schaffen. Die Verdecke waren schräg aus Blei aufgelegt mit Rinnen zur Bewässerung. Zwischen den oberen Verdecks waren hohe Räume, und in einem falschen Boden standen hunderte Kübel.

Nach vier Tagen trafen sie auf eine Flotte. Signale riefen die Offiziere auf das Admiralschiff. Sie stellten sich im Halbkreis auf dem Hinterdeck auf.

Dann erschien, begleitet von großem Stab, ein Mann, edel und vornehm. Er hatte grüne Augen, Brauen, die sich romanisch über die Stirn spannten und ein bleiches Gesicht. Die Augen funkelten. Die Offiziere verbeugten sich tief.

Er senkte langsam den Kopf. Über seiner Brust schwebte noch das Ludwigskreuz. Sein Degen war von wundervoller Arbeit. Es war der Admiral.

Er ging auf Jean François zu, nachdem er die Befehle ausgegeben hatte, nannte leise seinen Namen: „D’Aché,“ und bat ihn, mit ihm zu kommen. Sie stiegen über einige Treppen tief hinunter. Dann traten sie in einen breiten Raum.

Der Vicomte hob einen Leuchter und deutete auf einen Käfig, in dem ein Mann geduckt saß: Der Käfig hing an Seilen hoch von der Decke herunter. Er ließ mit einem Griff ihn sich senken. Jean François sah, daß es der Matrose war, dem er vor sechs Abenden seinen Pistolenmund auf die Magengrube gerichtet hatte, und der Graf sagte lächelnd:

„Junger Mann, ich schätze Ihre Liebe für andere Atmosphären, in denen das Leben derber und inbrünstiger geht, als in den uns angemessenen. Ich liebe dies auch. Sie werden darüber schweigen, hören Sie. Ich habe Sie verpflichtet, weil ich aus dieser Anlage Großes und Wildes von Ihnen erwarte.

Doch das mit der Pistole war töricht. Sie mißverstehen den Stil. Man hätte uns in Fetzen geschlagen. Man muß das anders machen. Den hier habe ich mir später selbst und allein noch geholt. Fragen Sie ihn.“

Der Matrose wimmerte, aber schwieg . . .

Jean François fuhr mit seinen Offizieren zu seinem Schiff.

Während der Fahrt betrat er das Admiralschiff nicht mehr.

Sie waren drei Leutnants auf der Fregatte, er, Vaudricourt und Jules Labé. In den Nächten seufzte Vaudricourt nach dem Mond und erlebte die Verse großer Dichter, wenn das Meer in ziellosen Spiegelungen erglühte. Labé hatte eine Kreolin mit, die in einer Matte unter dem großen Segel lag und rauchte.

Oft spielte Vaudricourt auf einer langen silbernen Flöte ihr vor und sang mit warmem Tenor. Sie schloß die Augen wieder, öffnete sie zu Jean François und bat ihn, ihren Windhund zu holen, damit sie mit diesem spiele. Sie hetzte ihn über das Verdeck, und seine wilden Laute schoben sich zwischen die Schwingungen der Flöte. Vaudricourt biß sich die Lippen und sagte:

„Madame, wenn Sie das Spiel nicht lieben, will ich die Flöte ins Meer werfen, obwohl sie Richelieu meinem Vatersbruder gab.“

Die Kreolin bog sich in ihrer Matte und sagte: „Aber ich liebe das Spiel.“

Der Hund sprang über die Matte hin und zurück, und sie sah Vaudricourt so lange an, bis er verzweifelt ans Heck ging und ins Weite stierte.

Abends legten sie eine Pharaobank aus und spielten.

Als sie um Kap Horn fuhren, griff ein Wind sie von der Seite und warf sie gegen eine Bank. Da das Steuer aus Zufall quer stand, glitten sie scharf vorbei.

Wieder flogen sie in den blauen Spiegel der Winde.

An einem Morgen lag Land vor ihnen. Sie hoben die Köpfe. Sie begriffen erst langsam, daß es Land sei. Sie fuhren Wochen schon.

Steil erhob sich eine dunkle Küste, die ohne jede Einschnürung war. Sie suchten zwei Tage lang eine Einfahrt an der westlichen Küste, sie trafen nichts als einen Wall schwarzen Gesteins, aus dem Flüsse ins Meer spien. Da gab das Admiralschiff das Zeichen, und sie fuhren nach der östlichen Seite.

Da hob sich der Nebel und schwebte in einer gleichen Lage wie ein mystisches Tuch in die Höhe. Berge in tausend Gipfeln, die weiß waren wie Schnee, stellten sich gegen den Himmel, der in unsäglichem Blau an ihren Linien herabrann. Vor ihnen öffneten sich geschwungene Buchten, saftig und grün heranschwellend ans Meer.

Sie warfen Anker.

Dann schifften sie aus. Da brach aus Gebüsch weiter hinten eine Masse fetter eingeborener Weiber mit Geschrei. Doch liefen sie nicht nach vorn, sondern bewegten sich in gleichbleibender Erregung am Platz.

In der Mitte zwischen der Küste und den Tobenden stand eine Zeder mit Olivenblättern. Neben ihr, allein, war ein Eingeborener, braungelb, und hob die Hand. Er näherte sich nicht und ließ sie herankommen. Die Offiziere grüßten ihn höflich, so viel Würde war an ihm. Jean François sprach ihn an. Da wuchsen, als er die eigene Sprache vernahm, seine Augen ins Ungemessene, er berührte seine Nase und verneigte sich tief. Sie verabredeten zum folgenden Tag eine Expedition. Durch Boden aus Bims und schwarzem Glas brachen sie vor, bis sie in ein Tal kamen, das viele Brotbäume hatte. Jean François befahl, sie auszupflanzen und auf das Schiff zu bringen.

Der Anführer verneigte sich, sprach kein Wort und ließ den Blick nicht von ihm.

Rückwärts durchquerten sie einen Sumpf, in dem viel Pappeln standen. Am letzten Rande des Moors, wo das Gelände sich nach dem Meer abbaute, saß eine Frau, die eine Farrenwurzel kaute, die Fasern löste und einem Säugling in den Mund schob. Es war hoher Mittag und die Sonne fiel steil auf die Frau.

Sie hob den Blick, ließ ihn an Jean François hängen und hob das Kind hoch in die Luft, drehte sich dreimal im Kreis und lief rufend, die Arme kreisend, davon.

Das Land war Neu-Seeland.

In der Nacht ging Jean François auf Deck. Schlaf kam ihm nicht. Er sah die weiche Küste sich gegenüberliegen. Er sann nach. Er war nie an dieser Insel gewesen. Er schaute den Himmel ab. Der Mond rollte hoch über den Bergen des Westens. Er fühlte sich sehr leicht und umgeben von einer unerhörten Wallung. Er horchte lange, schnickte Wassertropfen von seinem Ärmel und ging hinunter.

In der Nacht fiel Frost.

In den drei folgenden Tagen füllten sie die Hälfte der Schiffe mit Bäumen. Am vierten fuhren sie.

Sie fuhren nördlich.

Die Schiffe glitten voll Musik zwischen wunderbaren Eilanden durch, an Buchten vorüber, die voll Pinguinen saßen und von Bächen durchströmt waren. Sie lagen den ganzen Tag auf dem Vorderdeck und rauchten. Das Meer war leicht und kaum bewegt, und die Inseln formten sich mit glänzenden Farben und Vogelruf aus ihm heraus wie Wasserblumen.

Als sie zwischen einem Gemisch süßer Buchten lavierten, suchte die Kreolin Jean François zu verführen, indem sie abends nach dem Ankern ihr Bein aus der Matte gleiten ließ und ihren Fuß langsam über seine Hand führte.

Doch er stellte das Windlicht schräger, daß die Matte ganz in Vaudricourts Blickfeld blieb.

Sie ankerten noch einmal in Guam, um Wasser zu nehmen und den Rest der Ladung. Sie blieben zwei Wochen in dem Hafen, der vor vier Winden schützte. Die Bucht war morgens rot von Seegras, Meerwölfen und Seenesseln. Große Schildkröten schwammen langsam vorüber.

Den Mittag gingen sie in die Stadt, die auf Pfählen stand. Der spanische Gouverneur Dom Simon de Auda ließ die Wache antreten und ging ihnen jeden Tag in großer Uniform entgegen. Auf seiner Veranda nahmen sie Schokolade und lange Zigaretten, die er ohne Pause selber drehte. Dann ritten sie ins Innere, das voll Savannen lag, die tief in den Urwald hineinreichten, auf denen weiße Ochsen mit dunklen Ohren gingen. Am letzten Abend gab er ihnen ein Fest.

Die Eingeborenen, deren Reste die Spanier auf diese Insel gepfercht hatten, da sie revoltierten und aus Verzweiflung ihre Frauen zwangen, die Kinder nicht mehr auszutragen, bewegten sich mit Lichtern und Stieren auf einer weichen Rasenebene, um die der Wald aufwuchs. Im Gezuck der Bodenfeuer und dem Kreischen der Männer kämpften zwei Hähne. Der Spanier saß unbeweglich und stolz davor. Sie nahmen großen Abschied. Aber im letzten Augenblick, noch am Strand, kam eine Schar aus dem Inneren, die Weiber mit roten Hummerscheeren in den Ohren und legten, die Offiziere umringend, Gaben hin und in die Nähe von Jean François. Jean François verzog nicht den Mund.

Letztmals legten sie bei den Philippinen an. Der Gouverneur sandte eine Einladung durch seinen Minister, einen Native in Hosen aus roter Seide und weißem, chinesischem Hemd. Er bat, ungezählt lang zu bleiben. Seine Langeweile wiege seine Orden nicht auf. Er versprach gestirnte Hirsche und Eingeborene mit Schwänzen.

Jules Labé sagte lächelnd, ein Wunder sei eines Wunders wert und sah auf Vaudricourt. Die Kreolin trug eine ironische Falte und bat, ihr den weißen Stoff zu besorgen, den der Minister trage. Jules Labé zog ihn in eine Ecke und kaufte das Hemd um eine Pistole. Nur seine Hosen glühten, als er halbnackt vom Ufer zurückwinkte. Die ganze Nacht schwammen die Inseln unter weichen Mandolinentönen.

Morgens flaggte das Signal zur Abfahrt.

Mittags hob sich ein Strudel aus dem Meer, wuchs an den Himmel und sprengte wie ein Geschoß die Schiffe auseinander.

Sie fuhren auf seiner Fregatte Wochen irr und im Sturm.

Als sie glaubten, daß sie sterben wollten und alles gleich schien, senkte sich ein linder Abend herab. Die Wellen schoben sich ineinander, der Wind lief gering und zart. Wie ein Schaumnest quoll der Horizont auseinander. Im letzten Licht streckte sich eine schmale Bai vor ihnen aus. Sie wußten nicht, wo sie waren. Der Sturm hatte die Kompasse zerhauen. Sie fanden nur aus dem Sonnenstand, daß sie westlich fahren müßten und beluden, die Gesichter aufgehellt, das Schiff mit Leinwand, daß es gut davonstrich. Sie warfen keine Anker in der Dämmerung, da die Lotung günstig war.

Sie ließen die Fregatte gleiten. Dämmerung schob sich raubend zwischen das Schiff und das Land. Sie glitten in leichter Brise seltsam geschwellt in das warme Meer.

Da ließ Jean François, während die anderen aßen, die Hände vom Reeling. Sein Herz hob sich. Er taumelte fast. Von einem Gestiegensein getragen, ging er ans Heck. Sein Herz sprang. Er überstrich das Schiff mit dem Auge. Er wußte nicht, was er tat. Aber er ließ, stolz und strahlend, das kleinste Boot herunter, sprang hinein und stieß ab von der Fregatte in die Dunkelheit, die ihn anzog, daß seine Pulse brannten.

Er ging ohne Abschied, die Hände leer, das Ohr ungeheuer gefüllt vom schwachen Geräusch ferner Brandung.

Allein die Ebbe war ihm entgegen. Er ruderte mit allen Muskeln. Doch er kam nicht vorwärts und das erzürnte ihn, daß er das Ruder drohend in die Nacht hinein hob.

Er arbeitete weiter. Er ruderte mit allen Muskeln, allein die Ebbe war entgegen und warf ihn zurück. Es war eine lange Nacht. Sturzseen überfielen ihn. Riffe türmten sich auf. Sein Kiel streifte oft an Madreporen. Allein er barst nicht.

Sein Gesicht strahlte, daß die Dunkelheit um ihn wich. Seine Augen hefteten sich an das Land und zogen sich hin an dieser Kette. Gegen Morgen umfuhr er eine Bucht Korallen und schob sich in helles Wasser. — Als sein Boot Sand unter sich erknirschen machte, wich die Dämmerung. Die Küste lag frei. Er sprang mit einem riesigen Satz hinüber.

Es wurde Morgen, und Helligkeit stürzte über ihn.

Vor ihm standen Eingeborene, die Muscheln suchten. Als er aber unter ihnen erschien, erstarrten sie. Einer allein sprang in die Luft, drehte sich im Wirbel und schrie wie in hitzigem Gelächter.

Die anderen aber fielen zur Erde. Sie lagen wie gefällt. Die Frauen sahen hoch und zogen die Haare über den Mund. Dann riefen sie: „Rono . . . . Rono“ — und weiter kein Wort.

Er befahl ihnen aufzustehen. Sie wichen zurück.

„Welche Insel?“ rief er mit der Sprache von O-Taheiti.

Allein sie antworteten mit dem rechten Dialekt:

„Oahu“, sagten sie und starben schier.

Er aber hatte diese Sprache lange nicht gehört. „Oahu“, sagte er und sah sich um. Seine Augen schlossen sich. Das Blut zog hinauf in den Kopf. Dann fiel es zurück. Die Blicke faßten alles.

Zugleich vergaß er alles Vorherige. Es hatte keinen Wert mehr, es fiel wie eine Kulisse. England strömte aus seinem Bewußtsein. Vaudricourt, die Kreolin flogen schemenhaft von ihm. Alles Seitherige erschien ihm nur geheimnisvoll (auch im Unbegreiflichen) nach dieser Küste gerichteter Wille.

So begriff er alles im Fallenlassen und Heben der Lider. Nahm den Fall des Strandes in sich auf, das Erbrausen der Brandung, die Demut der Natives und einen zarten Maiabaum, der ganz allein auf der Küste stand.

Wie alles hinter ihm zurücksank, kein Gedanke das Schiff mehr suchte, das zwischen fernen Wellen segelte und nichts mehr aus ihm her daran rührte, stieg eine Zärtlichkeit in ihm, der folgend er niederkniete. Legte das Gesicht in den weißen Sand, erhob sich, den Kopf drehend, und schrie wie ein Tier in das Land.

Da stoben die Eingeborenen in den Wald.

Nachdem er die alte Welt aus seiner Seele getilgt hatte und gierig den Einzug der neuen spürend, folgte er ihnen.

Es war still. Die Bäume schlossen sich dicht über ihm. Er ging. Eine Fledermaus spannte sich vor ihm auf und flog. Wurzeln krallten sich über den Weg. Der Tag stieg. Ein Trogu kletterte in den Palmen. Er segnete ihn. Zwischen Schachtelhalmen rauschte ein Wiedehopf. Es wurde stiller. Sein Herz klopfte bis in die Kokoskronen und breitete sich über sie. Sein Herz schwoll über den Wald und verschlang sich mit ihm, daß jedes Geräusch der Blätter in seinen Kammern mitschwoll. Er empfand Zärtlichkeit für alles. Am Mittag sah er einen langen, spitzen Kopf mit steilem, hohem Ohr. Es war ein wildes Schwein. Es sah ihn an. Er streichelte es.

Er ging.

Dann kam er in ein kleines Tal. Bergwände warfen sich herunter, es war eng und dicht. Plötzlich verließ er das Dickicht und brach ins Freie. Die Enge war paradiesisch. Palmen schwankten in der Sonne über einer Hütte.

Vor der Hütte stand ein Mädchen.

Als er kam, kniete sie nieder und flüsterte: „Rono.“

Er trat an sie heran und sagte: „Liebe mich.“

Sie war weiß wie eine Französin mit einem metallischen Schimmer der Haut. Ihre Glieder waren schlank und weich. Sie stand auf.

Sie hob die Arme. In den Achselhöhlen saß kupferner Flaum. Ihre Haare waren tiefrot und glatt.

Sie hob die Arme und legte sie um seinen Hals. Er trug sie in die Hütte voll Erleben des zärtlichen Druckes, mit dem sie sich an ihn lehnte, so, als stürbe sie an ihm.

Er fragte sie, wie sie heiße.

Sie wagte ihren Namen vor ihm nicht zu sagen. Da nannte er sie Kalekua, weil sie dieser ähnlich war.

Aber nach wenigen Tagen bedrückte es ihn, daß er deren Erlebnis noch ungelöst und schwingend hinter sich trage. Er brach auf und ging zwei Wochen durch den Wald mit ihr bis Honoruru zur südlichen Küste. Dort hörte er, Kalekua sei gestorben, und dies erfüllte ihn mit Freude, denn nun schien ihm alles auf diese Frau übergegangen zu sein.

Er baute zwei Tage von der kleinen Stadt der Natives ein Haus auf einem schwarzen Lavafelsen, der die Bai überragte.

Morgens sahen sie gleich aufs Meer, in dem Kanoes lichte Schaumstreifen hinter sich zogen und silberne Rollen an den Madreporen rannten. Einmal lag ein Schiff lang draußen unbeweglich, das amerikanischen Kaufleuten gehörte, die Sandelholz nach China brachten, wo es als Weihrauch durch die Pagoden stieß. Sonst kamen keine Schiffe.

Oft regnete es. Aber der Himmel blieb strahlend blau, und die Tropfen hingen wie tanzende Seile in die See.

An einem Morgen nahm Kalekua ihn bei der Hand und führte ihn stundenweit. Sie bahnten sich durch Farrengestrüpp und Unterholz einen Weg. Spät kamen sie in eine Schlucht. Kalekua ließ seine Hand nicht frei. Plötzlich, nachdem sie unter überhängenden Felsen lang gegangen waren, traten sie hinaus.

Über ihnen war ein Brausen. Sie hoben die Köpfe. Er sah auf der einen Seite der Schlucht einen Strom herabfallen, aber in der Mitte der Luft fing ihn ein Windstrom, der strudelnd gerade vor ihnen hochstürzte, und trug ihn auf die andere Seite hinüber. Der Wind stand wie eine blaue Spirale in dem Tal.

Kalekua sah fragend zu ihm auf.

Da herrschte er sie an, stellte sie und fragte: „Was willst du?“

Sie sagte: „Rono!“ und sonst nichts. Aber ihre Augen fragten. Sie kehrten zurück.

Manchmal kamen Natives an den Rand des Waldes und sahen nach der Hütte und gingen scheu zurück.

Die Luft war klar und hell. Geräusche spannten sich unendlich aus. Klang entfernter Fischerboote hallte lang herauf. Selten wurden die Nächte kühl. Drei Kokosbäume standen um ihre Hütte. Kam Sturm, bogen sie sich wie Glas tief hinunter nach dem Meer. Es wurde heiß, aber eine leichte Brise schob die Luft klar zusammen und machte das Klima wie aus Seide glatt und kühl.

Kalekuas Wesen war durchsichtig und glänzend, und ihre Haut glich geblaßtem Bernstein. Manchmal erzitterte sie, wenn sie Jean François sah und schien unter seinem Blick aufzugehen und sich zu entfalten, und in immer steigender, unirdischer Hingabe ihn mitzuführen und nach seiner Seele wiederum hinaufzuwachsen, daß er in den Umarmungen ihrer Nächte sich wie schwebend empfand.

Einmal traf er sie, als er durch den Wald streifte. Sie saß neben einem Ohiobaum, spielte mit den roten Früchten und hielt eine zwischen den Knien. Ihr rotes Haar fiel straff zurück. Sie sang:

Inoa o Mauae a Para,
He aha matou auanei?
O Mauae, te wahine horua nui,
Wahine maheai pono.
Tuu ra te Ravaia
I ta wahine maheai,
I pono wale ai te aina o orua.
I ravaia te tane.
I mahe ai te wahine.
Mahe te ai na te ohua,
I ai na te puari.

Sie hatte eine Verklärung in ihr Gesicht gesammelt, daß er nicht wagte, sie anzureden. Er schloß die Augen. Dann zog er wie ein Fuchs den Kopf ins Dickicht zurück.

Ein paar Tage regnete es hintereinander. Dann kam die Luft gesträhnt frisch herauf. Jean François lag auf seinem Bett und kaute gelangweilt an den Limonenblättern. Kalekua trat ein. Sie war noch feucht vom Bad. In ihren Haaren staken vier weiße Federn.

„Du hast die weißen Federn . . .“

„Es ist das Königszeichen.“ Sie strich über sie.

Ihre Brust bebte. Sie nickte. Dann ging sie allein hinunter den langen Weg nach Honoruru zu den Zeremonien der Königin, der sie verwandt war in der dritten Reihe. Jean François lief den Tag durch den Wald.

Die Fledermäuse stoben auf. Sie reizten ihn nicht. Kein Trogu entzückte seine Augen. Er warf mit Früchten nach den wilden Schweinen und brüllte aus breiter Brust, daß sie verstoben. Er kam heim, als die Sterne sich über den Wald wölbten und lag eine Nacht, das Gesicht verzerrt gegen den Himmel, schlaflos.

Am Morgen wusch er sich, nahm ein Kanoe, stieß ins Meer, sang heiß, kam des Nachts in die Stadt und durchschweifte die Gassen. Gegen Morgen kam er an die große Bai. Draußen lagen im fahlen Silbergrau sieben Schiffe. Er begriff nicht. Er visierte. Es waren sieben Schiffe. Es waren nicht die seinen.

Drei waren Sandelholzfahrer, Amerikaner. Die anderen hatten die plumpe Bauchlinie und das Grau der Walfischfahrer der südlichen Meere. Er verstand diese große Flotte nicht, wo sonst nur einzelne in Monaten Pause ankerten.

Er ging zurück und trat in eine erleuchtete Hütte. Matrosen johlten darin. Sie hatten Rumfässer aus den Schiffen herübergewälzt. Er ging auf den Besitzer zu und nahm ihn zur Seite. Es war ein alter Chinese, er kannte ihn. Der sah ihn an von unten und sagte, seit vier Wochen sammelten sich Schiffe und Matrosen am Strand. Jean François erstaunte, allein seine Sehnsucht ging nach Kalekua. Er vergaß alles darüber.

Als er aber im großen Garten von Ananas bei ihrem Oheim Kuakini saß, begannen die Amerikaner das Haus der Königin zu beschießen. Sie speisten gerade. Jean François sprang hinaus. Zwischen den verankerten Schiffen und der Küste wimmelten Boote.

Ein Weißer kam ihm entgegen. Er trug den dürftigen Taillenrock um die eherne Brust, ein starres Gesicht, um das sich Locken kräuselten. Er war ein Missionar von den Schiffen.

„Warum tun sie das?“

Der Missionar sprach von Christi Wunden und hob sein Bibelbuch. Da schlug ihm Jean François die Hand voll ins Gesicht.

Die Natives flohen aus allen Häusern. Die Matrosen stellten Espingoles am Strand auf und schossen einpfündige Kugeln. Häuser brachen knallend zusammen. Das Haus der Königin brannte. Jean François ging in den Garten zurück, nahm Kalekua und floh mit ihr. Überall in breiter Kette strömten Menschen in den Wald, wo die Matrosen nicht mehr folgen konnten. Einige blieben stehen, hoben die Arme und machten demütige Gebärden, „Rono“ rufend.

Allein er umarmte Kalekua und fragte nach nichts.

Sie zogen zwei Tage durch den Wald. Am Abend noch, da sie ihre Hütte erreichten, fuhr er hinaus aufs Meer. Er sah sein dunkles Lavariff in den Himmel aufwärts stoßen und sein Haus wie auf einem Wellenrücken hoch tragen. Er sah die geschmeidige Flanke der Bucht ausgedehnt nach den beiden Seiten. Sah darüber gewölbt die Unendlichkeit des Waldes, den hellen Sand, die Muscheln, die Sonne . . . er sang, er spürte in einer heißen Gehobenheit, wie dies alles zu ihm gehöre und er sich wieder darein zurückergieße wie an die weißen Glieder Kalekuas.

Kalekua aber irrte verwirrt umher. Glanz zog aus ihrem Auge. Sie sprach nicht, sie sah ihn lange an. Es war einsam um die Hütte. Selten tauchten Eingeborene auf. Das Klima wurde köstlicher und von Blüten durchzogen.

Einmal wagte Kalekua zu reden und bat, er solle das Unglück bedenken. Er verstand sie nicht. Sie meinte die Stadt und sagte es. Jean François hatte es vergessen, als er den Abend in die See stieß, denn es war an der Größe seines Gefühls hinabgeglitten und beiseite geblieben. Wenn er die Höhe der Seele empfand, was war es ihm, daß Matrosen Kokos plünderten! Und er lachte und sagte es ihr.

Doch sie setzte einen Fuß vor den anderen wie spielend und sagte: „Sie sind noch da, streifen und suchen die Königin.“

„Was willst du —.“

Da wies Kalekua auf ihre weißen Federn und bat zu ihr gehen zu dürfen, die versteckt sei, und zitterte vor ihm.

Schmerz wühlte sich kurz in seine Brust, wie er dachte, daß sie gehe, aber er sah in ihre Augen und ließ sie gehen.

Am vierten Tage ihrer Abwesenheit tauchte eine Flotte aus dem Horizont. Jean François lag auf dem Bauch über den Rand der Klippe gebeugt und erwartete sie. Sie schaukelte weich getragen heran. Plötzlich riß er den Kopf zurück und schüttelte ihn. Dann sprang er auf und lief ins Haus.

Es war kein Zweifel. Es waren seine eigenen Schiffe.

Er schrieb sofort einen Brief. Er schrieb, fette Walkähne hätten die Küste beschmutzt, an der er lebe. Man solle sie zerschießen, obwohl es verächtliches Handwerk sei. Er habe sich vom Schiff entfernt wie er gekommen sei. Er habe darauf vorbereitet, auch ohne zu wissen, warum. Darum unterlasse er es, Entschuldigung zu ersuchen, denn allein das Verständnis erkläre sein Tun: daß so sein Drang und seine Art sei.

Als die Schiffe Anker warfen in der Dämmerung, schwamm er hinüber und warf ihn ins Admiralschiff.

Die Nacht lag er schlaflos. Er bedachte Vergangenes, wo die alte Welt ihn wieder überspülte. Sein Hirn fand keine Brücke zu ihr. Sein Herz staunte über sie. Sein Leben schien nur nebensächliche Vorbereitung für den Zustand, in dem er nur die höchste Gleichgewichtslage seines Daseins empfand. Er hob eine Muschel und schlürfte sie voll Andacht. Er streichelte den Boden des Hauses und empfand Erschütterung. Er lächelte, hob die Hand, und unter dieser Bewegung schwang das Vergangene ins Uferlose zurück.

Morgens wechselte das Admiralschiff Signale nach dem Strand. Graf d’Aché stand auf der Brücke in großer Uniform, das Band des Ludwigskreuzes über der Brust. Er kommandierte:

„Mein Herr, Sie sind desertiert. Ich würde Sie in Eisen schlagen, träfe ich Sie. Ich werde den Strand absuchen lassen mit fünfzig Mann. Man wird Sie wie eine Dohle fangen. Ihr Wunsch um Hilfe sei aus Sachlichkeit gewährt. Ich werde morgen fahren. Nehmen Sie von einem Gentleman am Schluß die Versicherung bewundernder Freundschaft.“

Kurz danach kam Kalekua.

Am Mittag suchten fünfzig Mann mit Bajonetten die Küste ab. Jean François floh nicht. Er wußte, daß sie die Wege zu ihm nicht fanden, und sie fanden sie auch nicht. Anderen Morgens lösten sie eine metallene Kanone, begaben sich kreuzend unter Wind und trieben aus der Bucht nach Honoruru zu.

Kalekua hatte eine neue Weise zu gehen, sie berührte den Boden weniger wie früher, ihre Hände hatten einen eigenen Takt und ihre Augen sahen durch die Dinge hindurch, die sie umgaben. Die Feierlichkeit reizte Jean François, und er bat sie, ihn zur Königin zu führen, wenn sie wieder zu ihr ginge. Und sah sie fest an.

Sie erschrak und wurde braun im Gesicht und sagte stockend vor Freude und Angst: „Ich will.“

Sie speisten auf dem Tisch vor dem Haus. Sie brachte eine Karabasse mit Teig, gebratenes Schwein und süße Kartoffeln. Als sie die Holzschale mit Wasser reichte, sah er wieder, wie schön sie war.

Sie setzte sich ihm gegenüber, eine Yameswurzel leicht zerkauend, die Palmen bogen sich in der Luft, das Meer scholl herauf.

Da wies er hinunter und sagte ihr, daß er fremde Schiffe gesandt habe gegen die Chinafahrer und verzog keine Miene. Sie aber, ungläubig, übermäßig erbebend, sprang auf, wandte sich wie zum Fliehen, kehrte um und küßte ihn zwischen die Warzen seiner Brust, wagte den Blick nicht aufzuheben zu ihm und flüsterte: „Rono“. Jean François erzürnte über das Wort, das wieder auf ihn traf, ohne daß er es faßte, drohte ihr und fragte, was sie damit sage.

Sie hob wieder den Blick. Aber sie brachte das Auge nur bis dahin, wo sie ihn geküßt hatte, und fast vergehend sagte sie:

„Du wolltest zur Königin. Sie will dich sehen.“

Ihre Haltung war schwach. Die Schultern hingen. Sie kehrte um in das Haus, kam zurück und trug die weißen Federn. Sie nahm seine Hand und sagte: „Komm.“

Dann gingen sie in den Wald hinein und ließen das Haus hinter sich.

Die Tür stand offen.

Das Meer brauste blau hinein.

Kalekua sah sich noch einmal um.

Nachts schliefen sie in einer Platane. Morgens wanderten sie weiter. Als die Sonne steil stand, kamen sie an einen Paß, der in Windungen sich aufwärts drehte. Sie gingen lange. Mit einem Male endete der Weg. Hinter einem Busch trat ein Mann hervor, der mit dem Firnis der Gumminuß im Gesicht gezeichnet war. Er neigte sich. Kalekua winkte mit der Hand. Da ging er vor ihnen her.

Sie schritten durch den Busch und gingen über eine Gegend, die verbrannt war, dürrer als Wüste. Erdhaufen bogen sich wie Wellen. Risse durchfuhren den Boden. Trockene Büsche klebten am Rand der Steigung. Kalekua packte seine Hand. Sie kletterten über eine Lavadüne, bogen und stiegen eine kleine Terrasse hinunter.

Der Boden senkte sich tief und lief in mächtigen Kurven sich verschlingend um einen Streifen Wasser, der sich tief ausdehnte, den wieder Zungen und Wellen Landes durchstießen und sich so zum Horizont verloren.

Aus dem Wasser brachen Kegel wie spitze Maulwurfshügel. Aus ihren Röhren stieg lautlos weißer Dampf. Es waren Hunderte von Kegeln. Einer spritzte Gelbes aus seinem glasdünnen Schlund.

Kalekuas Hand führte ihn weiter. Vor ihnen ging der Gezeichnete. Sein Rücken zitterte.

Jean François schritt federnd und leicht. Sein Herz stürmte in eine große Erwartung. Seine Augen streiften ein großes Erlebnis über den Tag und hungerten danach.

Sie stiegen wieder. Es wurde glühend vor Sonne. Die Erde tat den Sohlen weh. Nirgendwoher kam ein Wind.

Dann tauchte eine Mauer auf, die den Bergrücken herunterlief in einem langen und leeren Bogen. Auf ihr war ein Holzstamm rund gehauen aufgestellt mit vielen schmalen Rinnen, die nach unten liefen. Darauf hockte, halb stehend, eine Figur. Sie war in die Knie gebeugt mit einer Knickung, daß die Schenkel wollüstig und breit anschwollen. Die Arme waren dünn und verkürzt leblos nach der Erde gehängt. Die Brüste waren klein und saßen dicht unter dem Hals. Der Kopf bestand aus einem einzigen wüsten Rachen und trug einen Helm, dessen Schweifung sich in einer Raupenfahne bis zum Becken hinabzog.

Sie machten einen Bogen und traten dicht an der Bergwand in einen Gang. Zuerst war es dunkel. Dann sonderten die Wände ein Licht aus, das mit einem matten gelben Schein die Höhlung durchdrang. Die Luft war weich. Kalekuas Daumen strich über den Ballen seiner Hand. Das gelbe Licht aus den Mauern verdichtete sich zu phosphorischem Glanz.

Eine Stimme scholl ihnen entgegen, die seinen Schritt hemmte. Aber Kalekua trat vor ihn. Er fragte: „Kalekua? Am Ziel?“ Sie drehte sich halb und sagte: „Der Priester, der das Kommende weiß,“ und zog an seiner Hand. Sie waren in einem runden Saal voll von dem Licht. In der Mitte stand ein Gehäuse, oval und derb geschnitzt, mit Gitterung in der Hälfte der Höhe.

Kalekua deutete auf ihre Federn, wies mit beiden Händen darauf und sagte: „Zur Königin.“

Als ein dumpfer Laut zurückkam, wollte sie vorgehen. Allein Jean François trat, sich von ihr lösend, an das Gehäuse und erfragte streng den Sinn des Wortes, das ihn überall traf und das sein Bewußtsein quälte. Er fragte: „Was ist Rono?“

Ein Kopf schob sich aus dem Gitter, pergamenten die Wangen, mit geflochtenem, weißem Bart, starrte ihn an und erschrak. Dann zog sich der Kopf zurück, und eine demütige, zitternde Stimme fragte aus dem Inneren des Gehäuses, warum er scherze. Doch Jean François befahl laut die Antwort.

Da begann die Stimme wieder. Sagte — wenn er Bekanntes wiederholen müsse —, daß Rono ein Gott gewesen sei, der die Insel bewohnte, dann Menschen die Erlaubnis gab, sie zu besiedeln, die ihn aber schlecht ehrten. Da brach er los, tötete viele und verließ die Insel . . . Und daß er wiederkomme übermächtig in einem Schiff, der Gott, der Gott — — — sagte er, und heulte erbärmlich.

Kalekuas Gesicht war starr. Der Priester wimmerte und bewegte sein Gehäuse, daß es um die Achse schnellte und ein hallendes Geräusch gab.

Nun wußte Jean François Kalekuas tiefste Gedanken.

Sie drangen weiter vor. Das schwebende Licht hörte auf, die Beleuchtung ward mehr die des Tages, blau und durchsichtig.

Plötzlich wich die Wand auf der einen Seite tief in die Dunkelheit hinein, die anbrach. Am Ende des finsteren Raumes jedoch sahen sie hellen Himmel hereinkommen. Als sie die Augen senkten, öffnete sich das Meer vor ihnen, und vertiefter noch dann die Stadt und die Bai.

Jean François gewöhnte sein Auge an das strahlende Licht. Da sah er die Bucht voll von Booten, die vom Strand zurückeilten. Um die Klippe aber schwammen fremde Schiffe, von denen weiße Wolken sich hoben.

Kalekua drückte ihn gegen die Wand.

Ein feiner Lärm kam von unten heran. Zehn junge Männer gingen vor einem Zuge. Sie bliesen Hörner aus weißen Knochen, die spitz gleich Schäferpfeifen klangen. Ihnen folgten andere, die Besen hatten, die brannten und einen Moschusduft ausspannten. Dann kamen, stampfend, die Beine wirbelnd, Mädchen in gelben Mänteln. Sie hatten in der linken Hand kleine und dicke Stöcke, in der anderen große geschälte hohle und schlugen quirlende Takte darauf. Zwei hatten Trommeln aus Haifischhaut. Sie rasselten knatternd und dumpf.

Sie rannten vorüber nach dem Felsausblick, und ihr Geschrei erhob sich heftig und monotoner, während sie die Schlacht beschauten. Kalekua faßte ihn. Sie gingen weiter. Es wurde wieder dunkel. Dann aber kam von neuem Luft zart und mild herauf. Sie blieben stehen.

Ein Teich lag vor ihnen. Ein schmales Stück Land schloß ihn am Ende rund ein. Darüber stand die große Öffnung des Berges gegen den Himmel hin.

Aus dem Wasser stiegen langsam Frauen. Eine kam zuerst. Sie trugen alle, ohne diese, Helme mit roten Papageienfedern. Eine nur trug einen Wedel aus Palmenfächern.

Die erste aber schwang in leichtem Spiel die Arme zum Trocknen durch die Luft. Das Blau zog dick hinter ihr zusammen. Sie war schlank mit wunderbaren hohen Beinen und nackt.

Ihre Knöchel trugen Ringe von Gardenien.

Ihre Haut war gefärbt; gelblich braun wie eine reife Olive.

So trat sie vor ihn, das Haupt zurückgelehnt, und sah ihn starr an.

Ihr Blick aber streifte die Welt um ihn hinweg. Er sah ihren Kopf, ihre Nacktheit, die weich und einfach auf ihn strahlte. Ihr Blick weilte auf ihm mit stolzer und demütiger Klarheit, und dies erhob sein Gefühl, daß sie ihm wie ein Ausgleich schien zwischen seiner Kraft und ihrer Höhe, sein Blut strömte gesteigert bis an Grenzen, die er selbst nicht mehr erreichte, sein Hirn, unirdisch geworden, schrie: Königin.

Er begehrte sie.

Er löste Kalekuas Hand von sich ohne Empfindung. Dann warf er mit einem Schrei den Stolz der Königin nieder.

Ihr Blick fiel. Sie wurde bleich.

Von den Strömen seines Ich durchschwellt erhob er die Hände nach ihr: „Liebe mich“.

Seine Stimme schuf ein Schweigen, in dem die anderen erstarrten und Kalekua niederfiel. Er sah ihr Gesicht, als er die Königin auf seine Arme legte, versteint und still zu ihm aufsehn von der schmutzigen Erde. Aber so sehr kreiste dieses Erleben in ihm, daß es seinem Bewußtsein vorbeischwamm wie ein rascher Mond.

Er nahm die Königin hoch, küßte sie und trat mit ihr in das Wasser, das bis zu seinen Hüften stieg. Dann wurde es seichter. Er bog in den Seitengang und kam in ein Nebengewölbe, das voll stand von kleinen Geräten, Waffen und Figuren aus Jade. Sie aßen grünes Harz zusammen, das ihre Adern tosend erhitzte und er küßte sie, die verging.

Als am Morgen sein erwachter Blick gegen das Blau des Horizonts prallte, stürzte das Bild Kalekuas von allen Wänden gegen sein Gesicht und verstörte sein Gefühl.

Er richtete sich auf, bis er kniete. Er sah auf die Königin. Sie war schön. Ihre Lippen lagen fest zusammen und zitterten. Er verglich ihre Glieder. Er berührte ihr braunes Haar und den schmalen Ansatz des Augenschlitzes, er fuhr über ihre jungen Brüste. Er hielt die beiden Weiber gegeneinander. Aber Kalekua stieg.

Er stand auf, trat bis zur Öffnung, wo der Berg hinuntersauste, schwang die Arme, sah noch einmal auf die Königin und ging. Das Wasser nahm ihn kühl auf. Am anderen Ufer schüttelte er sich wie ein Hund, die Tropfen spritzten gegen die Mauern. Er wußte, daß er eine große Höhe erlebt habe, aber daß er sie wegtun müsse aus der bleibenden Erinnerung. Es war nicht viel, eine Nacht aus dem Leben zu streichen. Er schob sie zurück.

Im Gang standen in Nischen große Figuren aus Holz und Stein. Sie hatten aufgeblasene Bäuche und grüne Augen.

Am Ausgang lag Kalekua, zusammengekrümmt. Sie schlief. Tau hatte ihr rotes Haar verwirrt und feucht geballt.

Er bezähmte sich. Er stürzte nicht auf sie. Er wagte nicht sie anzureden. Er sah sie lange an und ging vorüber.

Nach fünf Schritten holte ihre Stimme ihn ein; sie schüttelte sich, stand auf und kam. Er senkte den Kopf ein wenig. Sie aber nahm seine Hand wie immer. Sie gingen zusammen, wie sie kamen, den Paß hinunter. Sie stießen durch die Dämpfe der aufgespitzten Vulkane. Sie schliefen die Nacht in der Platane. Mittags erreichten sie das Meer.

In der ersten Nacht glaubte er, daß Kalekua ihn töten werde. Doch sie zeigte Andacht und Liebe. Er grübelte, warum sie sich mit Freundlichkeit verstelle. Dann stellte er sie zur Rede. Er sagte ihr, daß sie unehrlich sei und Masken über ihr Empfinden ziehe. Sie weinte darauf und erbleichte in Schmerz. Da stieß er roh in den Mittelpunkt des Gefühls:

„Hast du nicht Schmach über mich? Ich ließ dich beiseite und nahm andere Glieder an die Brust.“

Da lächelte sie ihn an, verständnislos, und sah unsicher nach der See, über der die Brandung aufschwang. Am Abend begann sie langsam zu weinen, und als er ihr die Haare grade legte, fragte sie, ob sie bleiben dürfe. Da ließ Jean François sein Mißtrauen vor solcher Liebe, deren Quellen er nicht begriff, und überströmte sie mit Zärtlichkeit.

Als sie später aufbrach zur Königin, blieb er allein auf seinem Felsen sitzen. Die ganzen langen Stunden sann er ihr Bild in die Luft, daß er am Abend des dritten Tages, halb verstört von Liebe und heißer Luft, in die Hütte taumelte, um die Kalekua in unzähligen Formen und Haltungen schwankte. Jede Linie schob sich zusammen mit anderen und wurde ihr Bein, ihr Arm, ihre Brust, ihr Winken. Seine Augen wurden rot. Im Fieber schlief er ein. So wartete er auf sie.

Sie kam des Nachts und trat nicht ein. Als er unruhig erwachte und Kühlung begehrend hinaustrat, sah er sie leblos vor der Tür. Das Sternlicht überschwankte sie, und sie fror. Er trug sie auf Armen hinein. Das Herz ging. Aber es schlug nicht nach dem seinen hin, es lief durch den Takt des seinen ohne Sinn und Ziel.

Er blies ihr seinen Atem in den Mund. Sie stöhnte. Er stieg auf das Bett und legte sich auf sie, daß sie erwärme. Ihr Blick traf ihn. Er war ausdruckslos. Ihre Federn hatte sie aus den Haaren genommen.

„Kalekua.“

Die Pupille bog sich nach oben.

Sie bekam einen kleinen Ausdruck auf der Oberfläche. Es war Angst.

„Die Königin . . .“

„Was —“ Seine Stimme fuhr scharf auf.

Doch sie antwortete nur mit einer leeren Geste, auf die keine Frage gesetzt werden konnte. Kalekua war allein zurückgekommen, sie hatte die Königin nicht gefunden. Grauen hatte sich in ihr Hirn gestürzt. Die Königin war fort.

Nicht mehr strich Kalekua an sein Lager und durchduftete das Zimmer mit Liebkosung. Die Welle ihrer erregten Brüste schlug nicht mehr an seine Brust. Ihr Auge mied den Meerkreis. Kein Blick segelte auf den Horizont. Echos schlug ihre Stimme nie mehr aus dem Riff.

Jean François tröstete sie mit Streicheln und mit Worten. Doch ihre Haut zuckte nicht. Worte fielen von ihr ab. Da befahl er ihr, sich zu freuen, aber sie sagte: „Die Königin . . .“ und vertiefte das Auge zu Boden.

Sie ging ziellos durch die Gegend, fürchtete etwas Entferntes und hielt die Haare in Verwirrung. Einen ganzen Morgen lief sie an der Küste auf und ab ohne Laut. Sie wich den Wellen aus, die kamen, und bog in die zurückflutenden ein in einem erschreckenden Zickzacklauf. Manchmal hielt sie erstarrt einen Augenblick die Arme senkrecht. Jean François sah es stundenlang an, bis es ihn tief bestürzte und er hinunterlief und sie holte. An diesem Morgen begriff er, daß sie ein fremdes Gefühl in sich trug, das von seiner Seele wild hinwegwuchs. Denn sie glaubte, daß sie ihn der Königin entzogen habe, und daß diese ihr furchtbar zürne, und ihre Liebe ging scheu geworden von der seinen zurück, die übermächtig über sie hing. Er aber glaubte, daß sie Schmach trüge, weil er, ausbiegend vom graden Sinn seiner Liebe, die Lust der Königin empfand.

Er suchte dies aus ihrer Seele zu werfen und sie mit Funkelndem zu erfüllen. Er fuhr mit dem Kanoe sie tief hinein ins Meer, bis der aufglühende Abend, als sie selbst schon vom Dunkel verzehrt waren, die Bucht brandrot entflammte. Er fing kleine Schweine im Wald, damit das Tiergequietsch bis zu ihrem Gelächter vordringe. Drei Wochen fertigte er an einem Haken, mit dem er einen Haifisch fing, den Bauch vom Boot aus aufriß mit dem Messer, und aus dessen Zähnen er eine Kette machte, damit der Stolz darüber ihre zu Traurigkeit zusammengeschlossene Seele lockere. Er log zu ihr eines Abends, als ein fernes Lächeln hinter ihren Augen saß, von einem Bruder, den er nicht besaß, der mit Schiffen, wie mit Bauchflossen von Fischen gestalteten, fahre.

Als er an einem Morgen spät hinaufkam von der Bucht, lungerte um sie, die schweigend und nichtachtend saß, ein Chinese. Er erschlug das gelbe Tier, das ihr Bein mit Berührung befleckte, schabte nach der Sitte der Stämme das Fleisch von den Knochen und schenkte ihr diese, auseinandergelegt und gebleicht von der Sonne, in einem gebeizten Kasten mit gelbem Tuch.

Allein sie färbte sich die Lippen schwarz mit Beerensaft aus Trauer und fehlte zwei Nächte, den Wald stumm durchsuchend, in seinem Haus.

Die Welt war jedoch so mächtig und groß in ihm, daß er, sich heftiger an sie verstrickend, nach dem Faßbaren das Unmögliche versprach: Giraffen, Tiger und den Mond.

Doch ihr Auge blieb dunkel. Ihre Seele verehrte ihn scheu und entfernt. Doch je tiefer sie in ihre Angst tauchte, um so wilder umfaßte sein Begehr ihr Entweichen.

Als sie wieder einmal fortblieb, dachte er ihr Bild nicht mehr in den Raum. Es genügte nicht mehr. Seine Hände zeichneten ihren Riß an die Wand. Seine Fäuste schlugen den Kopf in Ton, in zwei Tagen, bis sie toten Blicks zurückkam aus dem Wald.

Damit er sich verkleinere, ihre Leidenschaft aber aufwärts hebe, tat er das übermäßige von sich, führte sie in das Haus und sagte:

„Ich bin nicht Rono. Fühl den Muskel, der dich manche Nacht hielt. Greif in den Rücken. Ich bin nichts als Mann. Jeder könnte mich erschlagen. Deine Liebe ist mehr wertend als meine. So gering bin ich, daß, niemand mich begehrt, es sei denn eine wilde Sau zum Fraß.“

Doch sie wies auf die Stelle, wo die fremden Schiffe die Walfischfänger der Südmeere geschlagen hatten, erinnerte ihn daran und lächelte und glaubte ihm nicht.

Da griff er die Dumpfheit ihrer Seele von der anderen Seite an, die sich zwischen ihre Liebe schob, packte das Bild der Königin, demütigte den Triumph und das Genossene in sich und sagte:

„Was ist sie? Es ist geringes nur. Ich hatte sie in der Hand wie ein Ei. Sie gab wenig zurück. Ihr Körper ist gut, wenn deine Haut auch heller ist. Aber ihr Sinn ist der einer Schnecke.“

Allein ihre Seele, die an das Nahe und Einfache angelehnt stand und nicht vordrang in das Entfernte und Aufbauende seiner Sätze, hielt fest an der Königin. Sein Hebel zerbrach an dem einen Wort.

Denn der Gedanke an sie und das Mächtige, was sie umgab, lag zäher und fester in ihrem Blut und vererbter den Rinnen ihres Gehirns, als das Erdonnernde seines Namens für ihr irdisches Gefühl und selbst als die in seinem Körper verankerte Liebe des Mannes, die nur durch Umarmung und Umarmung, in Pausen gespalten, sich erlebt.

Sie stellte sich hoch und sah ihn scharf an. In dem Blick war wenig von Liebe, aber dumpfe Erwartung, die ihm die Gurgel zerschnürte, denn er wußte kein Mittel mehr, wie er die Angst vor der Königin Rache von ihr nähme.

Er versuchte noch eines: suchte tagelang die Königin, schrie ihren Namen in die Täler. Aber fand sie nicht.

Kalekua sah ihn hart an, als er eintrat und wich die Nacht aus dem Haus. Er aber saß in der Platane und erwartete den Morgen, in dem seine Liebe sich noch tödlicher vertiefte.

Oft sah er sich um und erstaunte sekundenlang. Denn was ihn sonst trieb, die Küste, die Wellen, die Flut der Palmen, was seinem Leben und Dasein Ausgleich gegeben hatte und seine Seele tiefer ernährt und bewegt hatte, wie jedes vorherige Dasein — es schrumpfte zusammen vor dem Gefühl zu Kalekua, das alles übertraf und nichtig machte neben sich.

Seine Liebe schwoll an, daß er sie nicht mehr in dem Gefäß seines Wesens halten konnte, und daß sie ausströmend Kalekua adelte, ihren Gang erhob und ihr Dasein ins Unbegreifliche steigerte. Seine Umschlingungen wurden heftiger. Sie begnügten sich nicht mehr mit dem Erraffen des letzten Menschlichen in ihr, das sie ihm in wunderbarem Rhythmus entgegengeschlagen hatte, und mit der an ihrem Leib abschwingenden Glückseligkeit gleichgefühlten Daseins, seine Umarmungen vielmehr erstiegen eine Höhe, wo er ihr irdisches Dasein nicht mehr erkannte, sondern sie, dies alles zurücklassend, nur noch erkannte und empfand verbunden und anheimgegeben über das Erkennbare hinausgehenden Räuschen und Gefühlen.

Ihr Blick erschauerte unter seiner Umschlingung, die furchtbar sich über ihrer Seele erhob, die nur in Sorge und Abwehr gespannt war. Er jedoch küßte ihre Füße, lauschte ihren Atemzügen und erschrak, wenn ihr Puls sprang.

Voll fessellosen Erlebens umgab er ihr geringes Dasein mit Inhalt. Er folgte ihr in der Entfernung, verließ sie das Haus. Er setzte sich neben sie, wenn sie die Augen furchtsam gegen die Höhe des Berges erhob. Nachts beugte er sich über ihr Bett und sah entferntes Licht des Mondes darübergehen.

Er suchte eine große Muschel und hielt sie lange vor ihr Gesicht, weil die wechselnden Spiele in der Farbe des Perlmutter ihre Züge zum Lächeln zu vermischen schienen.

Kalekua ging jeden Tag durch die Täler, die Küsten und die Bäume. Sie sah sie nicht. Ihr Auge saß nach innen gedreht und lauschte auf Ungeheures, das sie unsichtbar umscholl.

Er aber war so voll von Liebe, daß er die Insel nun (die ihn früher beseelte) damit umfing, so daß der Geruch des Meeres, das Köstliche des Horizonts, Sturm und Erschwanken der Palmen wie aus seinem Leben herauszuströmen schien.

So gewaltig wuchs seine Liebe über das Land, dessen Sehnsucht lange vorher über ihm stand, daß, wenn er es gewollt hätte, die Insel begonnen hätte, während die Winde schwiegen, sich in Kreisen um sich selbst zu drehen.

Kalekuas Gefühl aber wandte er damit nicht.

Ihr wuchs alles, Luft und Erde, zusammen zum Bild der Königin, die mit gierigen Lippen Rache heischte. Und auch den Geliebten zog es in diesen Schlund. Sie bekam, von dem unabwendbaren Schicksal bedroht, eine Ergebenheit, die ihr Gesicht bleichte und im Erwarten des Schreckens leuchtend machte wie eine Qualle.

In einer Nacht erscholl der Berg hinter ihrem Haus, ein Riß zog sich durch die Mauer. Die Klippe barst zur Hälfte ab und raste ins Meer. Die andere trug schaukelnd ihre Hütte. Ein Donner warf sich aufstürzend gegen den Himmel.

Kalekua erwachte, und aufschreiend erhob sie sich, glaubend, daß durch die vertausendfachte Stimme die Königin sie rufe. Sie stürzte zur Tür.

Aber Jean François ergriff sie bei der Taille und hielt sie. Sie sah sich um und blickte ihn an als wie ein schlechtes Tier. Ihr Mund wurde zornig. Sie schrie:

„Laß mich!“ — und als er den zuckenden Leib fester faßte: „Die Königin . . . die Königin . . .“ Dann hob sie die Hand und stieß ihn unter das Kinn.

Aber sie machte seine Liebe nur größer, und er band sie auf das Bett vor Sehnsucht. Der Boden beruhigte sich, und gegen Morgen beruhigte sich Kalekua, als er sich über die Zitternde neigte und seinen Namen sagte. „Rono“, sagte er.

Als sie schlief, band er die Schnüre ab und ging hinaus. Der kalkweiße Kegel des Bergs hatte eine tiefe Wunde. Der Krater dampfte leicht. Er lag in der gleichen Höhe wie sein Haus, und über das Riff verband sie eine Felswand miteinander. Das Meer war grün, wo die sausende Lava sich hineingebohrt hatte. Weiße Fischbäuche blitzten unzählig herauf. Er setzte sich vor die Hütte.

Gegen Mittag aber ward der Schreck übermächtig in ihm und warf ihn nieder. Er stieg über den schmalen Grat zu dem Vulkan.

Da am Rande schleuderte es ihn auf die Knie. Sein Gefühl, ausquellend unendlich, stieg uferlos und stieß an Gott. Das Meer verfärbte sich weit hinaus fast gelb und silbrig zu einer unbewegten glanzlosen Fläche, auf der zwei Kanoes wie gefroren schliefen. Er hob die ganze Inbrunst zu Gott hinauf und herrschte ihn an, daß drüben über der kleinen Bucht Kalekua aus der Hütte heraustrete und gelöst von ihrer Angst und zurückgeformt zur Liebe ein Lächeln unter den Augen trüge.

Aber Gott war taub.

Der Tag ging. Kalekua schlief bis in die Dämmerung. Dann erwachte sie und blieb still sitzen.

In der Nacht begann der Boden zu schwanken. Mond schien. Da stand sie auf.

Ihr Gesicht glich dem ihres ersten Tages, als ihm der Trogu noch die Seele entzückte, die jetzt ganz nur Liebe war. Sie strich ihr Haar, das glühend den Rücken hinunterbrannte. Dann nahm sie die vier weißen Federn und tat sie in ihr Haar. Aber eh sie ging, zog sie aus dem hohlen Balken am Eingang die Kette der Haifischzähne und küßte sie.

Es war fast hell. Er sah ihren reichen Leib, der straff und zart nach den Brüsten hinaufwuchs, sich mit den spitzen Zähnen gürten. Sah den Schwung ihres Beines, die Achsel, die Biegung ihres Nackens, die er mehr liebte als wie Gott. Er sah alles. Er weinte nicht. Aber er hatte nicht die Kraft, sie zu halten.

Er nahm das Schicksal in sich. Er konnte nicht höher als Gott.

Plötzlich ertoste der Berg. Da sprang sie hinaus. Sie lief. Einmal noch hörte er ihre Stimme. „Sie ruft,“ rief sie.

Da hielt es ihn nicht mehr. Er lief ihr nach. Aber sie war zu weit.

Da warf er sich mit dem Rücken gegen die erdröhnende Hütte. Er sah sie über den Halbkreis des Grates über der Küste her hinlaufen, schmäler und blässer werdend im entfernteren Monde und beschwingt voll Licht weitereilend wie von Unirdischem getragen gleich einer silbernen Tänzerin in den Krater verschweben.

Er aber hatte, tödlich verwirrt, noch nicht die Kraft, ihr zu folgen. Noch jagte ein Strudel von Gefühlen sein vergangenes Leben über ihn hin. Aus der Kette der Gesichte warf sich eines vor ihn, an das er nie mehr gedacht hatte, und über ein Bild, das sich unter seinem Bewußtsein formte, schluchzte er, sich wie an ein Letztes daran klammernd, daß es ihn entwirren solle:

„Ma . . . Ma —“

Aber auch dies war taub.

Da raste und schrie er gegen Gott. Und dann beschwor er die Erde um ihn, daß sie ihn hielte. Aber so tief war er als in das Höchste an Kalekua verstrickt, daß, während er schrie, die Dinge, die er anflehte, sacht aus ihm entwichen. Ruhiger werdend sah er nicht mehr Stern, kein Haus, kein Meer. Seine Augen lauschten nach innen. Unendliche Stille umflutete sein Gefühl.

Er warf sich mit dem Bauch auf den Boden und blieb wie ein Holz. Erst als die Stimme des Abgrunds heischender heraufscholl, erhob er sich und folgte ihr.

Die Herzogin

Als der Dichter Villon in Armut und tiefstem Leben der Stadt Paris stand, sah er die Herzogin von Ventadron. Sie kam ihren Garten heruntergeschritten, und ihre Gestalt ergriff ihn so, daß er die Dirne, die ihn begleitete, von sich wies. Er schritt die Reihen des vergoldeten Stakets weiter, und sie kamen aufeinander zu. Sie aber bog ab, ehe er sie erreichte, doch ihm gelang es, beim Wenden ihr Gesicht zu sehen. Der Schein ihres Gesichts fiel über sein Leben, um es nie zu verlassen.

Sein Herz verneigte sich tief vor ihr.

Sanftheit umgab seine kommenden Tage und umwölkte die Ausschweifungen und Tavernennächte. Eines Abends sammelte er Mondlicht und Sehnsucht mit seiner Seele und formte es zu einem Gedicht, das er der Herzogin sandte. Er legte einen Brief hierbei und bat, daß sie den Kopf wende, wenn sie bei der Auffahrt zum Schloß die vierte Baumreihe erreichte, denn dies zeige, daß der Vers ihr gefiele.

Sie neigte drei Tage darauf das Gesicht aus einem großen Fächer nach der vierten Baumreihe. Da sah er es noch einmal.

Sein Herz versank in Demut, alles für sie zu erleiden und Höchstes über sie zu sammeln.

Nach Tagen erst, weil er elend war, besann sich sein Hirn auf ein Geschenk für sie. Es schien ihm schön für sie. Er mußte es stehlen. Aber kein Stern dünkte ihn zu hoch.

Da er Geld zu den Vorbereitungen nicht besaß, verkaufte er zwei dem Chor entnommene goldreiche Kerzen wieder am Portal von Notre Dame einer inbrünstigen Frau und trug den Erlös in seine Taverne. Aufgescheucht von seinem Gelächter, tranken sie seinen Wein, hörten sie seinen Plan, gierig die Profile, die Augen funkelnd, ihn auszuführen.

Sie brachen mit Fackeln auf. Villon schritt ihnen voran. Barral stieß vor Wonne sein Messer in eine Tür. Die Gassen schwelten von Dunkel. In der Rue des Saints Pères stand vor einem öffentlichen Haus ein Mönch, der mit den Fäusten das Tor verbeulte. Sie gingen, ein Lied beginnend, das ihn verhöhnte, im gleichen Paßschritt auf der anderen Seite vorbei, und ihr Gesang dröhnte erzen durch die lange Gasse.

Der Mönch aber kam über die Pflastersteine herüber, stemmte die Fäuste in die Hüften und begann mit normannischen Worten zu keifen. Er war groß und breit und die Augen brannten rot. Sie gaben wenig Acht auf ihn und zogen singend weiter. Einer der letzten stieß ihn auf die Brust mit der Fackel, daß er, von Funken umsprüht, in eine Pfütze fiel. Aufjagend warf er sich auf den Angreifer, schrie, aber die anderen lösten ihn los und warfen ihn prallend ins Dunkel zurück.

Die Dirnen winkten aus den Fenstern und hielten Windlichter auf die Gasse, aber Villon erhob aufs neue den Gesang und schritt weiter. Wie die übrigen begannen, ihre Stimmen der seinen zu verketten, brach der Mönch noch ein letztes Mal aus der Torflucht und hieß, ihn erkennend, Villon einen Säufer und schlechten Dichter.

Villon zog den Fuß an, ihn beiseite zu treten, ließ es dann mit einer Grimasse und sang weiter. Der Mönch aber stieß einen Pfeil in seine Scham und rief: „Sohn einer Hure.“ Da erbleichte er, schwankte und warf ihm sein Messer in den Leib.

Während der Gesang wieder aufschwoll und dumpf die Gassen, hinuntergleitend, erfüllte, lag der Priester auf der Erde, schrie und stieß Arme und Beine in die Luft und goß langsam sein Blut in die Gosse. Die Weiber im ersten Stock des Hauses hängten sich weit aus den Fenstern und sandten ihm Einladungen hinunter.

Der Gesang war bis zur Seine gekommen. Villon betrat mit seinen Leuten ein Boot und fuhr dunkelrot beleuchtet den Fluß hinunter.

Villon sagte: „Ich habe kein Blut an mir,“ und wusch sich zufrieden die Hände, denn es schien ihm geringer als der Tod einer Krähe, einen fetten Mönch zu erschlagen. Plötzlich löschten alle die Fackeln, indem sie sie zu beiden Seiten der Kahnwände ins Wasser stießen, es zischte, weiße Blasen stürzten in die Höhe, und langsam legte sich das Boot ans Ufer der königlichen Gärten. Sie überstiegen einen Zaun und verteilten sich nach allen Seiten. Hinter Statuen und Bosketten lagen bald alle auf der Lauer.

Villon schlich allein vorwärts. Der Wein sauste durch sein Blut, aber er fand die Richtung. Barral folgte ihm. Ein Truthahn neben ihnen begann zu schreien. Ärgerlich drückte ihm Villon den Daumennagel in den Hals, denn er hatte es nicht auf das Tier abgesehen, das sich grundlos in den Tod hinein exaltierte. Es geht Sterben ohne Sinn von mir aus — dachte Villon, indem er die Tür zu den Tierställen aufbrach.

Aus weißem Stroh sahen ihn im Dunkeln unermeßlich und still glänzende Augen an. Unter rasch entzündetem Licht breitete sich das sanfte Fell einer Antilope vor ihnen aus. Villon löste mit der Linken die Schellen aus ihrem Geweih, während die andere über den Rücken streichelte. Dann nahm er behutsam das Tier in den Arm und trug es ins Boot.

Sie fuhren zurück und stiegen am anderen Seineufer aufs Land. Hinter dem Louvre hörten sie das Aufklappern der Lanzen von der Wache. Sofort brachen sie in Gesang aus, Villon mit dem Tier in der Mitte. Auf dies furchtbare Signal hin verschwand der Tritt der Wachen in der Ferne. Noch eine Weile gingen die Leute Villons taktmäßig im Paßschritt.

Dann verstummten sie, Villon ging allein vor bis an ein Schloß, öffnete das Tor und trat in einen Garten. Auf dem Rasen ließ er sich nieder, schlich bis an die Mauer, umkreiste den Flügel und band sein Geschenk, die Antilope, mit langer Kette an einen Rosenbaum auf der Rückseite, damit am Morgen nach dem Erwachen der Blick der Herzogin sich eine Sekunde sanfter färbe und kleines Glück sich über den Park ergieße.

Dann kehrte er um, sie zogen zurück und stiegen in eine Kellertaverne, wo sie würfelten.

Am Morgen zog eine Kompagnie auf, umstellte das Loch und fing einen nach dem anderen der Herauskommenden ab.

Villon ward feig und fiel auf die Knie, als er sich gefangen sah. Sie schlugen ihm mit den Schäften über den Kopf und brachten ihn verquollenen Gesichts in einen der drei Türme. Er fiel die Stufen hinunter, die Wände waren feucht und überschimmelt, es gab kein Licht.

In den Tagen, die sich zu Wochen zerdehnten, die er hier lag, bekam sein Auge Macht über die Dunkelheit. Er erkannte den Wechsel des Tages und der Nacht und die Bewegung des kleinsten Ungeziefers an der Wand. Er sah Kreise und Strudel von blauem Licht, die Stille bekam Gewicht und sauste über sein Gehör und er versank in Zustände, die zwischen Schlaf und Wachsein lagen. Ihm wuchs ein Bart, indem sein Fleisch zerfiel. Ein pilziger Ausschlag sammelte sich auf seinen Knien. Er dachte an nichts. Das Dasein ohne Welt, das ihn weich dahintrieb, erfüllte ihn ganz.

Da sprang die Tür auf, zwei Männer mit Lichtern kamen. Hinter ihnen stand ein Herr in grauem Kleid. Er beugte sich neugierig über Villon. Hierauf ließ er die Laterne neben ihn stellen und nickte schräg nach oben mit dem Kopf, worauf die Männer lautlos ins Dunkle der Tür zurücktauchten.

„Man interessiert sich für Sie.“

„Sie?“

„Nein . . .: man.“

Da erhob Villon den Blick genauer und erkannte den Herzog von Ventadron und verbeugte sich tief und wurde feig und zitternd.

„Sie werden wohl verurteilt,“ sagte der Herzog leutselig; „obwohl es mich ergötzt, die Sache mit dem Klerk, geschieht hiermit Gesetz. Aus andrem Grunde aber möchte ich mich für Sie einsetzen. Kennen Sie den Abt vom St. Romacle? Ja?“

Villon, der den Ruf des Abtes kannte, nickte und zog ein schwaches Lächeln über sein bebendes Gesicht.

„Ich möchte ihn sehr kränken, verstehen Sie. Er hat ein Haus mit einem Olivengarten, daneben grenzt mein Gebiet. Da steht gerade ihm gegenüber ein alter Bau mit vielen Zimmern. Sie kennen die Frauenviertel von Paris?

Villon nickte.

„Sie werden wohl verurteilt. Ich aber möchte in diesem Bau ein Frauenkloster aufschlagen, wo jedem Mann freier Eintritt ist mit Gesang und Wein. Wollen Sie?“

Da Villon der Plan sehr gefiel und seine Augen funkelten und er zusammenzählte, wen er dazu gebrauche und welche Tavernen er leere, erschrak er im Bewußtsein, daß der Fordernde der Gatte der Herzogin sei. Er fragte sich, ob dies eine Falle sei, doch da er den Herzog kannte als edel, tapfer und einen großen Verführer der Frauen, stieß er mit dem Fuß auf vor Freude und sagte:

„Ich kann und will.“

Aber im gleichen Augenblick verfinsterte sich sein Gesicht und zerfiel im trüben Schein gelben Lichts der Laterne, denn diese schlechte Sache, die er gern täte, lag zu nah dem Gefühl für die Herzogin und in Scham zergehend, lehnte er wieder ab.

Der Herzog stutzte.

Dann schwang er einen Schlüssel spielerisch im Kreise und sagte: „Kerl, dann wirst du gehängt.“

Villon warf sich nieder und flehte hündisch ums Leben.

Er versprach dem Herzog Dinge sonst, von denen er nichts ahnte, obwohl er Paris kannte wie wenige, aber Villon wußte mehr.

„. . . oder — — — aufgeknöpft,“ achselzuckte der Herzog.

An dieser Kühle begriff Villon, was es heiße, nicht mehr zu atmen, bis in die Nerven seiner Zehen. Von dem Ungeheuerlichen des Todes gestürzt, fiel er auf die Füße des Herzogs, wand sich und küßte sie.

Er kämpfte mit sich, daß er den Plan ausführe, der seine Sinne reizte, doch er stritt vergeblich gegen das Gefühl, das es ihm verbot, und selbst die Grausamkeit des Sterbens war gering gegen dies Gefühl.

Es gelang ihm nicht.

Er fürchtete sich entsetzlich und wurde grün. Aber er sagte nicht wieder: Ja.

Der Herzog entfernte ihn mit dem Fuße von sich und ging.

Villon fiel auf die Knie und betete inbrünstig zu einem Bild, das, aus seiner Seele heraussteigend, sich durch die blauen Flammenkreise in das Dunkel hinabneigte, Tränen stürzten ihm im Jubel aus den Lidern. Dennoch schien es ihm zugleich, als ob er sich zerfleischen solle über den Wahnsinn, die schöne Einrichtung des Dirnenklosters ausgeschlagen zu haben.

Nicht mehr rauschte die dunkle Luft um sein Gehör. Zwischen Inbrunst und Schmähung schwankten die Tage. Dennoch kam an einem Morgen die Nachricht, daß er begnadigt, aber verbannt sei. Eine halbe Stunde darauf verließ er den Turm.

Zwei Wächter gingen neben ihm her. Ohne Pause schritten sie bis zum Tor. Sie gaben ihm ein Papier. Er war auf fünfzig Lieues des Umkreises der Stadt verwiesen. Dann fluchten sie, lachten und ließen ihn laufen.

Und er lief wie ein Hase in einem entsetzten Bogen in die Landschaft hinaus, bis ihm der Pulsschlag des Herzens in die Gurgel sprang. Dort hielt er sich an einem Baum. Es war ein junger Birnbaum und schwankte unter seiner Last.

Er aber sah zitternd an dem schlanken Schaft hinauf, erblickte die gründunkle Krone, sah den überwältigenden Himmel, streichelte den Baum und fiel auf die Erde vor Übermaß.

Am Mittag ging er weiter. Die Sonne lag eine lange Straße hinunter überhell. Auf den Feldern stand Korn und rauschte. Vor der unerlebten Herrlichkeit der Landschaft ergriff ihn um so tiefer die Wut, daß die Stadt ihm versperrt sei. So rasch lief sein Herz im Kreis. Er sah sich an, wie er so zerrissen dastand, ein Bach wies ihm stechende Augen in kalkenem Gesicht und wildes Bartwerk. Er wankte auf der Straße. Ein Strolch lachte über ihn, daß es schallte. Aus einem Bauernhof sprang ein Hund, der wütend in die leblose Gegend hinausbellte.

Er hob einen Stein. Aber er hatte nicht viel Kraft mehr.

Am Abend sank er vor Erschöpfung in einen Graben und schlief. Zwei Tage lief er sinnlos weiter. Als er am Mittag des dritten an einen Weinberg kam, in dem ein alter Mann mit stillem Gesicht Wasser goß und Spaten führte, blieb er neidisch stehen, Arbeit erbittend. Er erhielt sie. In wenigen Wochen war sein Gesicht braun und bartlos, das Auge erfrischt. Enges Kleid umschloß den gespannten Körper.

Eines Nachts schlich er an die Grenzen von Paris zurück. Doch schon ehe er verbotenes Gebiet betrat, erhob ein Kleriker Geschrei, der ihn erkannte. Er kehrte um. In einer Absteigschenke der Landstraße ließ er sich nieder und schrieb nach allen Seiten. Er schrieb an Barral, an die anderen, an Weiber und Wirte. Er flehte und drohte, ihm zu helfen, daß er in die Stadt zurückkehre. Dann wartete er.

Aber als Antwort kamen nur zwei Dirnen, die er geliebt hatte. Barral sei entsprungen, die anderen säßen. Er zitterte vor Zorn und schlug sie.

Allein sie erstickten ihn mit Küssen. Schwer gepeinigt und ihrer Treue doch wieder süß entgegengebracht, schrieb er zwischen ihren Umarmungen und Scherzen einen Brief an die Herzogin, schrieb: wie sehr sein Sinn sich in das Hohe treibe und wie rasch er falle, denn sein Blut ziehe wie ein Blitz. Doch immer sei sein Herz voll Inbrunst.

Als die Dirnen den anderen Tag zurückwanderten, sah er ihnen nach, die den Brief trugen. Sie hatten schöne Beine, er sah es wieder.

Dann aber weinte er auf dem Rasen sitzend, denn die Welt war weit zwischen ihnen und der Heiligen, und die Brücke des Briefes zwischen ihnen schmal.

In der Nacht verschwand er, ohne die Zeche zu zahlen.

Am Waldrand hob er, aus dem Schatten noch einmal tretend, die Hand steil gegen die Stadt.

Dann brach er in das neue Land vor ihm hinein, gestärkt im Inneren und festgefügt in der Entschlossenheit, daß sein Leben in großes Maß hineinwachse und gleichschwingenden Strömen sich füge.

Ihm, der nie die Stadt verlassen hatte, war Wandern unbekannt. Nie kam Gesang in seinen Mund. Sein Gang bewegte sich erfüllt vom Rhythmus seiner Gefühle. Kaum daß er, aufgescheucht, die Landschaft knapp musterte und in sich sog.

Einmal dachte er zurück und sah sich wie ein entferntes Spiegelbild, bunt gekleidet, auf einer Straße den Kopf sanft gesenkt, weither durch ein unbezirkbares Gitter von Bäumen herkommen.

So erfüllte sich diese Zeit an ihm mit Stille.

Abends betrat er Sonntags eine kleine Stadt. Auf dem Platz glänzten viele Lichter. Zwischen zwei Bäumen zog sich ein Seil mit Tanzenden. Er mischte sich am Ende des Spiels unter die Gaukler. Sie kamen ins Würfelspiel. Trinkend und sich frei gebärdend traf ihn die lässige Haltung dieser Menschen beglückend. Das selbstgefällige Wiegen der Frauenhüften, die breite Sicherheit der Männer und beider geduckte Klugheit gaben ihm Wohlgefühl. Er schloß sich ihnen an.

Sie waren aus Limoges, und die Weiber hatten heftigere Sitten, die seiner Nordischkeit erregend waren. Sein Können überstieg das ihre im Geschäft. Er gab schönere Positionen, elegantere Sätze, ihr Beifall wuchs. In Angers engagierte ihn die Bürgerschaft mit seiner Truppe.

Als sie die reiche Stadt nach Abenden des Triumphs verließen, folgte ihnen ein Ratsherr auf einem Pferd und bat Villon auf das Stadthaus zurück. Der Bürgermeister wies ihm einen grauen Mönch und bat, daß er ihn, der Pra hieß, unterstütze in der Einrichtung einer großen Passion. Villon musterte kurz den Saal.

Dann verließ er seine schweifende Gefährtenschaft.

Auf einem Faschingsfest der Stadt sprach er den Prolog, die Halbmaske vorm Gesicht, glühend, daß das Publikum ertobte.

Kommenden Morgens begann er still das Werk.

Dem steifen Redefluß des Priesters fügte er Fülle des Talents. In einer Woche wies er dem Kleriker Irrtümer der Mythologie nach, zog das Ereignis in Verse, Kinder sangen sie für geringes Entgelt auf den Gassen. Der Mönch verließ die Stadt.

Nun umfaßte er allein das Geschäft. Morgens früh begann er die Dressur der Massen. Er lernte sie die Arme aufstülpen gegen den Himmel, die Gesichter verzerren und auf gekrümmtem Bauch zu schreien vor Entsetzen. Ein Rudel Zimmerleute fügte das Amphitheater zusammen in mächtig geschweiftem Bogen, nah der Kirche auf dem Gräberfeld. Etage der Bühne, Mansion an Mansion, staffelte sich nebeneinander. Er lehrte die schöne Entzückung, den Schrei der Brunst und Stille der Ergebung.

Er knetete den Teig der Menge, daß die Glieder des Stücks sich abrollend wie durch Fadenziehung seiner Finger bewegten. Den Kostümen gab er Prunk, der Schminke Wahrhaftigkeit. Den Text bearbeitete er mit Glätte und gab ihm feurige Funken. Ein Hohngedicht auf graue Mönche fügte er ein.

Der Tag wuchs ihm vom Ausgang der Sonne bis ins Herz der Nacht. Wohlgefühl der Tätigkeit, die er umspannte, durchfloß ihn. Die kleine Weltkugel der Passion, die in seinen Händen allein ruhte, erhob ihn zu Begeisterung für sich selbst.

Dann durchfuhr, als das Werk endete, Geschrei die Stadt. Der König zog ein. Teppiche fielen aus den Fenstern. Binsen bedeckten den Gehsteig. Blumen lagen im Fahrweg. Quer über die Straße hingen Räucherpfannen.

Morgens begann das Spiel des ersten Tages. Aus dem Zelttuch, das das hölzerne Theater deckte, fielen zerstäubt gutriechende Wasser. Dann zog weißgegürtet Villon auf einem Esel über die Bühne. Hörner erhoben sich.

Der König betrat die Loge. Unter Schweigen vollendete sich bis zum Abend das Spiel. In der Dämmerung erst gab es Tumult. Ein Taschendieb schnitt einem Adligen den Ärmel ab und versteckte ihn. Villon ließ ihn auf einen Pfahl schnallen und verhöhnen, denn er gedachte streng zu sein in seinem Bereich.

Aber in der Nacht band er verkleidet den Sträfling ab.

Der zweite Tag begann mit Hitze, am Mittag schon wurden die Gesichter schlaff. Die Kinder auf den Brüstungen schrien. Das Volk hetzte Hunde in die Arena.

Gegen Abend fiel der Tod des Judas, den Villon spielte. Während sieben Teufel mit Hammelschädeln und Kuhglocken über dem Kopf tosten, erhob sich eine dunkele Sonne. Satan stand auf, goldbraun im Gesicht, mit einer Krone aus rotem Satin und orientalischen Perlen. Judas fiel weinend vom Gerüst. Und weil sein Mund zu niedrig war und verräterisch, die Seele zu entlassen, platzte der Bauch, dem sie entstieg.

Der König erhob sich Beifall winkend.

Zurücktretend hinter die Kulissen fühlte Villon einen Zettel, der sich in seine Hand schob. Er sah sich um. Als sei nichts vorgegangen, stand hinter ihm eine der Sibyllen, deren Tanz sich den Morgen in sein Bewußtsein geprägt hatte. Es war eine elende Dirne, aber ihr Mund glühte von Worten, wenn sie sprach.

Beim Austritt in die Stadt verhafteten die Leute eines Bischofs Villon wegen des höhnenden Verses auf die Mönche, allein ein Reitender des Königs machte ihn wieder frei.

Er betrachtete nun das Papier. Es war ein Bild: die heilige Susanne, ein Bein ins Bad setzend, mit den Augen lächelnd. Es gefiel Villon, daß er lachte.

Am letzten Mittag kam Villon, Christus spielend, auf das Podium.

Er war nackt, sie hingen ihn ans Kreuz, und der Schmerz erpreßte ihm Geschrei von den Lippen. Ihm zu seiten hingen die Verbrecher, stöhnend, Fratzen um die Nabel gemalt. Rechts gähnte eine Hölle. Links aber standen Knaben mit roten Binden um die Stirn und hinter ihnen eine Kette Engel mit den Instrumenten, alle herübergebeugt.

So groß waren Villons Trotz und Übermut, daß er das Haupt nach der Hölle wandte und das Unerhörte begann, mit aufschwellender wilder Stimme nach der Hölle zu reden.

In dem blassen Schweigen des Raumes löste sich da der Vorhang einer Loge neben der königlichen, Villons Blick traf den Scheitel einer Frau.

Der Vorhang fiel zurück.

Unsägliches füllte seine Lippen, als er das Gesicht erhob. Es war ihr Kopf.

So sah er ihn noch einmal.

Er begriff die Wonne nicht. Er verstummte.

Aber sein Kopf fiel herum demütig und sein Blick umklammerte die Kulisse des Paradieses. Maiwuchs und Orangenbaum sanken ihm in die Augen. Zwischen Rosen und Majoran erhob sich in Granaten eine Fontäne.

Sein Herz neigte sich.

Der Vorhang schaukelte, aber er zog nicht mehr auf.

Seine Stimme aber erscholl, hochgetragen und lind, unwahrscheinlich sich an das Brüllen schließend; der Kopf bog sich in die Höhe und spannte den Körper von den Füßen bis an das Genick wie einen Sprenkel. Worte entfuhren seinem verzückten Munde voller Ergebung und wuchsen wie aus breiten Trompeten zu einem ehernen Donner.

Dann neigte er auch den Kopf.

Vorhänge teilten die Welt von ihm ab. Es war dämmrig geworden.

Als er wieder aus der Garderobe heraustrat und dem Gerüst zuging, befahl ihn ein Ratsherr zum König.

An der Wand des Zaunes streifte jemand seine Hüfte. Er blickte flüchtig und sah die Sibylle.

„O,“ sagte sie und machte den Mund auf und biß auf die obere Lippe.

Villon dachte an das Bild und sah sie an. Dann legte er den Arm über ihre Schultern, denn die Achseln schimmerten weiß und erwartungsvoll durch das Tuch.

Sie ging zur Seite, wo die Friedhofkreuze gleich begannen, es ward ganz dunkel um sie. Ihre Hüfte streifte ihn. Er küßte sie und biß ihr in den Mund.

Sie lagerten hinter einem breiten Grabstein.

„Ich fürchte mich.“

Villon lachte.

Dicht neben ihnen liefen die letzten scharfen Grenzen des Lichts. Die Menge tanzte lärmend auf dem Platze. Auf den Bänken des Amphitheaters begann Gelage. Funken sprühten gegen die dunkle Wand des Horizonts. Ein roter Dunst hängte sich um den Kirchturm.

„Willst du Geld? Nachher habe ich zwanzig Dukaten.“

„Nein.“

Sie schob die Zunge zwischen Zähne und Lippe. „Nimm mich mit. Heirate mich. Gib mir ein Kind.“

„Lege die Hosen eines Franziskaners in dein Bett, da wirst du von selbst eines haben.“

Villon lachte.

Sie gefiel ihm. Ihre Lippen schwellten sich vor Blut.

„Fünf Dukaten schenke ich dir.“

„Ich fürchte mich.“

„Du kaufst dir Armbänder und seidene Ärmel.“

„Ich fürchte mich.“

„Spei auf die Toten.“ Er preßte ihre Brust.

„Wie warst du schön, als du auf dem Esel, den du Rutebeuf nanntest, wie du mit dem weißen Gürtel auf dem Esel einrittest . . . . .“

Er küßte sie mit geschlossenen Augen.

Da aber stieg durch den Spalt der Dunkelheit ein Gesicht. Er preßte die Lippen noch fester zusammen, um das Gesicht zu zerdrücken. Doch der selige Kopf wurde immer größer, die Herzogin neigte sich freundlich über ihn. Das Gesicht bedeckte seine Seele, indem er in immer wilderem Kuß sich ihm zu entziehen suchte. Ihr gütiges Lächeln zog sich über den Garten, die Kreuze und den Himmel.

Da stieß er entsetzt und bezwungen die Dirne mit den Füßen, sah von ihrer offenen Brust verzerrt in die Höhe, um das Bild zu erreichen.

Sein Herz neigte sich, und aufstehend, laut jammernd, lief er in die Nacht.

Er ließ die Dukaten und den König.

Sein Lauf währte Tage, die er nicht zählte.

Verwilderten Bartes kroch er nachts in eine Scheune. Als er einschlief, fiel durch das Gitter des Heus der Schein einer enthüllten Laterne über seine Augen. Er fuhr herum und umarmte Barral, den er so fand.

„Wo warst du?“ sagte Barral und lachte.

„Ich lief —“ sagte Villon.

Er schob sich Stroh über den Körper. Dann weckte er Barral noch einmal:

„Barral,“ sagte er, und sein Gesicht leuchtete von bösem grinsenden Hohn, „ich möchte über die Welt hinkotzen in einem Strom. Mein Alter, wir wollen Frauen verführen, Ställe anzünden und es mit Tobsucht tun.“

„Ja, mein Freund,“ sagte Barral und zog sich Stroh aus dem Bart.

Ihre Nahrung ward Feldfrucht und geraubtes Geflügel. Bauern erschreckten sie, indem sie das Land überquerten, des Abends auf ihren Feldern, daß sie brüllend wegliefen. Mönche prügelten sie mit dornigen Stecken und trieben lange ihr Wesen mit Frauen, denen sie die Röcke zuschnürten, daß sie als Statuen auf allen Straßen standen.

Einmal fiel Villon in eine Falle. Von allen Seiten plötzlich hervorbrechend, schlugen Burschen mit Gegenständen auf ihn. Knapp entwich er aus der verdunkelten Dorfgasse, einen blutenden Riß über die Stirn.

Die Nacht zündeten sie das ganze Dorf an.

Villon und Barral standen auf einem Hügel, während die dunklen Scheine über den Wald flatterten.

„Es ist ein schöner Anblick,“ sagte Villon und legte den Arm über Barrals Schulter.

„Es ist ein Schauspiel,“ sagte Barral.

Zur Zeit der großen Prozession erreichten sie nach Wochen solchen Daseins Toulouse. Sie fanden die Stadt gefüllt mit Fremden und reichen Klerikern, die heimatlichen Erwerb in leichtem Leben verströmten. Barral stahl in der vornehmsten Kirche Pelze und Steine. Sein Blick sah manche große Gabe in den Opferstock eingehen. Es prägte sich ihm ein. Er vergaß es nicht. Sie faßten abends rasch einen Plan.

Barral hieb wie ein Bär, nachdem sie die Tür erschlichen hatten, den Opferkegel in der Mitte durch. Neben Kupfer und einigem Silber überrollte vieles Gold den Boden. Sie teilten gemächlich. Als sie durch die blinde Tür des Chorgestühls hinaustraten, prallte ihnen ein leichter Ruf entgegen.

Villon sah Barrals Hand erhoben und, selbst von zehn Fäusten angepackt, vernahm und sah er beim Wenden des Kopfes eine Hellebarde, die breit Barrals Bauch durchstieß.

Dann brachte ein kurzer Gang ihn zu der Dunkelheit des Turms.

Während die dauernde Nacht ihn umschloß, blieb sein Bewußtsein nicht ohne Trübung. Nicht unterschied er Tag und Abend. Kein Schweben der Seele zog ihn aus Welt und Gegenwart. Reue fraß ihn an, und er bog den Kopf gegen die faulende Wand und sagte verzweifelt, während sein Blick ihm die Seligkeit freier Landschaften, der blühenden Bäume und des zinnobernden Herbstes vorspielte: „Warum bin ich Bandit, wo ich Dichter sein könnte . . .“ Die schmerzende Qual dieser Wochen gab ihm aber Verse von Frauen, Wiesen und Mond.

Und unter der Beglückung dieser Tätigkeit weitete sich sein Herz. Er genoß in größter Entfaltung der Seele, die das Umgebende durchdrang, Horizont, Sonne und Meer.

In den Pausen aber schrie sein elendes Herz vor Sehnsucht und Qual. Er empfand Mitleid mit seinem Geschick. Er sah den Tod als Strafe sicher vor sich. Darum betete er zu Gott, daß dieser ihm helfend ein Mittel sende. Und sei es, daß einer den Vorschlag wiederhole, den er im ersten Kerker ausschlug. Er schwor, daß er ihn diesesmal packe und tue und mit noch tieferen Demütigungen dabei. Denn die gestand er Gott als Erschwerung zu.

Dann aber weinte er lange aus Scham über diese Schwäche und hatte nichts als Verachtung für sich.

Doch der Wille zum brünstigen Leben strahlte so stark in seinem Wesen, daß er um weniges später das Gebet um Hilfe noch erniedrigender von den Lippen stieß.

In dieser Nacht aber erfüllte sich sein Raum mit weißem Licht, und in seinem Traum wuchsen helle Figuren mit Kerzen in den Händen, und eine Stimme erfüllte das Zimmer, daß er erzitterte vor Bewegtheit: „dennoch, mein Armer, sollst du dem Lichte dich zuführen lassen“ . . . und erwachend, die Augen weit geöffnet, empfand er, wie eine Hand, die, über seine Stirn geführt war, sich davon löste. Er empfand das rasche Hinweggleiten nach der Tür.

Da sprang er auf und bebend vor Glück erhob er den Kopf.

Die Tür öffnete sich zum Verlassen, er spürte den Luftzug.

Er warf sich auf die Knie nieder und schrie: „Laß mich!“

Die Gestalt aber wandte nicht ihr Gesicht (er bedurfte es nicht, um sie zu wissen), doch sie machte eine große Bewegung mit ihrer Hand und durchschritt die Tür.

Aufschwingend stürzte er nach: „Warum,“ schrie er, „warum verfolgst du mich mit Güte, — — — warum überlädst du mein Leben mit Licht? Ich bin hilflos dagegen. Aber ich will es nicht.“

Die Tür war zu.

Er hämmerte die Fäuste dagegen und Schaum deckte sich über seine Lippen: „Laß mich, verdammt, ich fluche dir, in meiner Niedrigkeit. Das Heilige an deinem Tun verzweifelt mich . . .“

Und er bäumte auf und stemmte sich dagegen.

Allein der Raum war leer, und nichts vollzog sich.

Böse und zornig setzte er sich in die Ecke.

Eine Furcht erfüllte seine ganze Nacht, die er verstockt und fluchend wachte: sie würden ihn befreien, ohne Gegenleistung, die er von Gott erbat.

Am anderen Morgen geschah es. Er wurde frei.

„Ich weigere mich,“ sagte er und verließ den Klotz nicht, auf dem er saß. Die Wächter stießen sich mit den Ellenbogen in die fetten Seiten und bestaunten sich.

„Es ging um deinen großen Kopf,“ sagte einer und stemmte die Hände auf die Hinterschenkel.

Villon lief wie ein Marder auf und ab: „Wer fällt dem Recht in den Arm? Warum setzt Unrecht sich gegen Gesetz? Ich stahl. Möge man mich rädern. Aber es ist feig, mich laufen zu lassen ohne Buße.“

Sie aber lachten und warfen ihn wie ein Tier auf die Straße.

Dort legte er sich auf die Erde aus Trotz. In der Nacht leckte ein Hund sein Gesicht. Er küßte ihn auf die Schnauze, umschlang den dürren Hals mit beiden Armen und schluchzte in das Fell.

Darauf gingen sie beide weiter aus der Stadt hinaus in das Feld. Sterne überklommen den Himmel nicht, den Nebel zudeckte, in dessen Schein ihre Schatten riesenhaft vor ihnen hingen. Da er das Tier liebte, nannte er es Joi-Novel.

„Sie lebten lange im Wald ein einfaches Leben. Wandernd kamen sie an eine Jagdhütte, die eine schlichte Frau bewohnte. Sie bot ihnen Obdach, und sie gewöhnten sich daran und blieben. Einfache Liebe beglückte ihn.

Eines Tages, als er jagte, teilten sich die Büsche, und in den auseinandergeschlagenen Zweigen ritt eine Frau auf ihn zu. Sie hatte ein kastilisches Pferd mit weißen Füßen.

Sie hielt kurz an, und er verbeugte sich.

„Ihr Name?“ fragte die Dame.

„Villon.“

„Villon . . .,“ sagte sie und zog die grauen Augen zu einem Strich zusammen, warf den Blick von seinem Gesicht bis zu den Füßen, streichelte über den Pferdehals und ritt davon.

Sie hieß Loba. Sie bewohnte das Schloß in der Knickung des Waldes zwei Stunden von Marseille. Die Frau in der Hütte sagte es ihm, als er Joi-Novel eine Amsel zu speisen gab.

Am Morgen klopfte ein Diener und befahl ihn nach dem Schloß. Er aber sagte, daß niemand von ihm zu fordern habe, schlug den Diener und jagte ihn.

Später traf er die Gräfin wieder im Walde.

„Warum kommen Sie nicht?“ fragte sie. Ihr Zaumzeug aus limusinischem Leder und Silber blitzte. Ihr Gesicht war kühl und zugekniffen.

„Was soll ich dort?“ sagte er ruhig. „Lassen Sie mich hier, wie es paßt für mich, niedrig und in elender Zufriedenheit!“

Sie warf den Arm mit einer Gerte in einer ungestümen Bewegung nach aufwärts, folgte der Kurve mit einem großen Blick und ritt grußlos.

Nach einer Woche ließ sie ihn bitten, unter ein Bild ihr zwei Verse zu setzen. Er widerstand nicht. Aber es schmerzte ihn, daß es ihn hochzog. Doch da der Zug übermächtig war, folgte er.

Sein Anzug vollendete sich wieder höfisch. Seine Bewegung entschälte sich dem Schweifenden und erhielt Maß. Sein Mund bequemte sich dem runden Fall schöner Vokale. Aus den Fenstern des Schlosses sah er das Meer als dünnen blauen Rauch.

„Ich liebe das Tier nicht,“ sagte Loba und deutete auf Joi-Novel. Dies bedeutete des Hundes Verstoßung. Als die Sehnsucht ihn zurücktrieb, seinen Tod. Villon tötete ihn eifrig und unter Tränen.

Lobas Gatte kam einige Zeit erst, nachdem Villon sich seiner Gefolgschaft gereiht hatte, zurück zum Schloß. Seine breite Gestalt verteilte zufriedenes Gleichgewicht. Als er Villon sah — — und da er ihn nicht liebte und nicht haßte — — gähnte er, um seine leidenschaftslose Billigung darzutun. Auf Festen sang Villon Lobas Geist und Gestalt. In verschwiegenen Nächten hin und wieder schlich er sich zu Küchen und Dienerkammern, Würfeln und Wein und Geschwätz.

Scheu wie ein Hund wandte er den Blick weg von der vergangenen Zeit. Er zog den Hals schräg und blinzelte in die Sonne, wenn ihm der Gedanke kam. Durch den verhängten Raum seines Willens drang kein Laut in das untere Bewußtsein.

Traf er Loba morgens im Saal, kreuzten sich ihre Wege. Sie ging an ihm vorbei, ihn kaum sehend und doch mit einem Lächeln, das seine Knie erschütterte. Fernbleibend bewegte sie durch Duldung allein den Kern seines Wesens. Ihn zog es so hingerissen zu Loba, daß die Frau in der Hütte seinem Gedächtnis entschwand, daß er sich unter Loba breiten wollte, damit sie herrschend seinen Dienst nehme, in jeder Form.

Er nannte sich Wolf, damit sein Name dem ihren gleiche. Er zog ihr Wachtelgeier und Lerchenfalken. Ihre venezianischen Gläser zierte er mit gebogenen Sprüchen. Nie fehlte er, das Federkissen auf ihren Sattel zu schieben.

An einem Jagdmorgen nahm er die Haut einer Wölfin und schlang sie um sich. Aufbellend nahm die Meute seine Spur. Er lief, als gelte es sein Dasein und hörte Lobas Schnalzruf an die Hunde. Quer lief er durch den Wald. An einer Lichtung kreiste ihn die Meute ein.

Ein schwarzgefleckter Jagdhund biß sich in sein Genick.

Hochspringend, als andere Hundeleiber sich über ihn wälzten, scheuchte er das Vieh zurück und stand blutend vor Loba.

Sie ritt den kastilischen Hengst wie zum ersten Male und zog die Augen zu einem schmalen Spalt. Er verneigte sich und verbiß die Schreie. Sie lächelte ein wenig und sagte:

„Eilen Sie zurück!“

Heulend vor Schmerz, schweißend, erreichte er das Schloß. In den Fiebertagen näherte die Gräfin sich oft seinem Lager, entfernte die Binden und goß zyprisches Öl in die Wunden. Er, der nach Dienerinnen hieb, die laut die Diele überschritten, hielt den höllischen Schmerz aus mit ruhigem Gesicht und strich einmal über ihren Arm, die Seele geduckt in Erwartung, daß sie ihn ins Gesicht schlüge. Doch sie sah ihn nur an.

Wie es ihm besser erging, faßte ihn ein törichtes Glücksgefühl, für das es keine Rechenschaft, keine Begründung gab. Jedem Menschen erwies er Freude. Er sprach mit den Kühen. Er tanzte allein im Walde und rief: „Barral, hättest du Fleisch noch auf den Knochen, wie lachtest du über Villon — — —“

Dann wagte er in mondloser Nacht zur Gräfin hinaufzuschleichen. Auf der Treppe verließ ihn die Kraft, er wurde feig und kehrte um.

Das andermal wusch er sich gründlich und badete lang, damit ihn nicht plötzlich Furcht überfalle, es möge Erde irgendwo an ihm sein, denn die Angst seiner Herkunft saß in seinem Blut. Sodann stieg er hinauf. Sein Herz drängte selig nach ihr. Er hatte Mut.

Beim Betreten des Gangs blieb er stehen. Etwas huschte an ihm vorbei und hielt lauschend an. Es war eine der afrikanischen Mägde, deren Haut goldbraun glänzte. Er sah es, wie sie sich durch den Lichtschein einer Tür bewegte. Er sah ihre weiche Hüfte und pfiff leicht. Sie wandte den Kopf, und ganz gefüllt mit ihrem Bild folgte er ihr.

Lange trat er nicht vor Lobas Augen, von Reue angenagt. Sie sandte ihm aber einen arrasischen Teppich, daß er einen Spruch dafür zeichne. Er machte eine große Tirade und schöpfte aus ihr neuen Mut. Sein Spiegel wies ihm ein scharfes Gesicht schöner Männlichkeit. Er legte eine Schminke darauf aus Quecksilber, Bohnen und Pferdemilch, damit die Schläfen einen weicheren Ton erhielten.

Darauf wagte er es.

Ihr Zimmer war unverschlossen. Nähertretend sah er sie liegen, es kam viel Licht vom Himmel, darum sah er sie genau. Er beugte sich nieder und küßte sie auf den Mund.

Schlaftrunken nahm sie die Hand von der Brust und hob sie zu ihm, und denkend, es sei ihr Mann, erhob sie sich und stand auf. Da sah sie Villon vor sich. Sie tat nichts zuerst. Sie sah ihn an.

Diesen Blick trug er wie ein Mal tief im Haß seiner Seele weiter. Er knallte ihn zu Boden.

Dann seinen schiefen Blick sehend, begann sie zu schreien. Türen schlugen. An Mägden vorbei, die mit Kerzen kamen, verließ Villon eilend das erregte und helle Schloß.

Er fühlte überall Schmutz an seinem gebadeten Leib.

Zweimal murmelte er: „Bande . . . Bande . . . — — warum, Villon, gabst du dich, Sohn einer Dirne, den Feinen hin — — — —?“

Die Nacht war schön. Wind blätterte sanft durch den Baumstand.

Durch den Wald irrend hob er die Hände zwischen den Stämmen und rief:

„O Joi-Novel, wo bist du nun?“

Bebend vor Zorn und in heißem Schmerz über des Hundes Tod, der seine Seele nun schwer bedrückte, eilte er nach Marseille. Im Hafen lebte er versteckt zwei Tage, bis eine Ruderbark nach Genua abfuhr. An den Mast gelehnt, das wundersame Meer umfassend und voll Angst, seekrank zu werden, verließ er aufgerichtet das heimatliche Ufer.

Den fremden Strand besprang er mit Gleichmut. Seine Erregung hatte die Bewegtheit der Wellen eingesogen. Er durchstreifte die Stadt und verließ sie. Auf und ab wandernd die Küste des Meeres, durchmaß er Italien und gab wenig Acht auf Monat und Jahr.

Er schlief auf schlechter Streu und in Betten, er ward verfolgt, und Ehre umgab ihn wie Beleidigung. Lungernd trieb er sich im Gewühl der Häfen hin und gab sich tagelang dem Meere preis an heller Küste mit entkleidetem Körper, Sonne aufnehmend und in die geweitete Seele das Meer einspannend.

In einem Winter schloß er ein Quartett zusammen, das die Schelle, den Tamburin, eine kleine Orgel und die Querpfeife führte. Die Feuer mancher Höfe und Märkte, das Geschrei vieler Nächte umfuhr die vier seltsamen Gesichter. Dann löste er sich hiervon wieder, schwankte trunken und verkommen, geldlos die Taschen, in die Städte, bettelte alte Fische und zog Ringe von Damenfingern. Mancher Morgen aber umschlug ihn, auf einem Pferde sitzend, lässig die Haltung, ein Birett über dem Kopf und eine Harfe am Sattel, deren Kopf eine Wölfin war.

Als er Genua, von Syrakus kommend, durchwanderte einmal, sah eine volle Frau aus einem Fenster, und er blieb stehen. „Dein hoher Busen reizt mich,“ sagte er. Sie betrachtete ihn und schimpfte ihn: „Provenzale!“ Doch er lachte und wies auf ihre Brust.

Er schlug einige schiefe Triller an und intonierte: „Dein hoher Busen . . .“ Die Frau wurde rot vor Zorn und schrie: „Ich verstehe dich weniger als einen Berber, Deutschen oder Sarden.“ Jedoch nahm sie seine Hand und führte ihn in ihr Haus. Im Gange dann schlug er den Arm hoch um ihre Hüfte, und da sie dies verstand, entfremdeten sie sich nicht mehr.

Gut gepflegt nach Abenteuern des Weges blieb er gern bei ihr. In den Jahren, die daraus erwuchsen, erhielt sie Gewalt über ihn. Wohl schlug er sie manchmal, wenn er trunken war oder eine andere zufällig genossene Frau ihn zu neuem Mut gespeist hatte, aber später ihr Blick duckte ihn wieder feig. Einmal prügelte sie ihn und warf ihn vor die Tür. Es war eine bittere Nacht, und der Hahn schrie vor Kälte. Morgens kroch Villon wieder in das Haus.

Er fühlte, daß sein Leben nicht mehr weit ausschlug, sondern im Kleinen hinschwankte, und trotz manchen Schmerzes befriedigte es ihn mit Wollust.

Sie besaßen einen Raum, in dem sie Wein ausschenkten. Menschen aller Gattungen schoben sich vermischt durcheinander zwischen diesen Tischen, die nie leer wurden. Hier traf er Babolin und Jaufre Rudel, die mit ihm waren, als er die Antilope holte im königlichen Garten. Doch er redete wenig davon und ließ sie ziehn. Fremde Herren, die mit den schlanken Weibern der unteren Viertel schwelgten, trafen sich in diesen Räumen. In den hinteren Zimmern, die sie später aufsuchten, entkam ihnen manches Kleid, viel Geld und Schmuck, der Villons Reichtum erhöhte.

Sein niederes fettes Leben gab ihm keine Verse mehr.

Da sprach eines Abends ein reisender Lombarde von der Fürstin von Tripolis, die niemand noch sah auf der Welt, und deren Güte und Schönheit an kein Maß reichte.

In dieser Nacht schlief Villon schlecht neben seiner hochbusigen Frau, und in den folgenden kämpfte er verbissen gegen sich selbst.

Am Mittag des vierten Tages ging er an das Meer, über dem die Sonne lag, und da überfiel es ihn. Als werde er leicht und verliere sein Gewicht, erschien es ihm; der Himmel wurde heller und weißer, und es vollzog sich eine Klarheit des Gesichts in ihm, daß er bestürzt zu Boden fiel. Wo er gedacht hatte, sein Leben beschließe sich in ruhiger Niedrigkeit, entstieg es ihm steil und seinem Willen und wuchs in das Lichte des Himmels hinauf.

Taumelnd durchlief er die Straßen bis zum Abend, nahm dann viel von dem gesammelten Geld und verließ die Stadt.

Ein Schiff fuhr ihn. Das Meer glänzte. Die ferne fremde Küste schwebte ihm entgegen. Als er ausstieg, war sein Herz nach oben hin beschwingt . . . nach Herrlichem lüstern, Gutes zu tun bereit, seine Seele voll Verachtung auf das Seither.

Der Strand war ungewohnt herrlich. Indigofarbner und blauer Zindel stand in den Gärten. Pferdestimmen riefen. Hörner und Klarinetten ertobten aus den Zelten.

Er mischte sich unter die Menschen. Doch hier war nicht das Hoflager der Fürstin. Tagelange Reisen brachten ihn zu ihrer Stadt.

Er fragte ihren Palast. Er klopfte an.

Allein die eiserne Tür bewegte sich nicht. Er sang und rief und trotzte. Doch sie blieb ihm verschlossen. In wochenlangen Listen erschöpfte sich sein Hirn, aber keine Klugheit brachte ihn näher. Er lernte die Sprache des Landes und die Dialekte der Städte. Er wurde schwach und wich vom Pfade der Sehnsucht und besaß geringe Frauen, aber sein großes Gefühl erzitterte nur sacht unter ihnen und warf sich in weiter Flut von neuem nach der Fürstin.

Als er heißköpfig von Wein eine Nacht mit Edelleuten aus der Bretagne würfelte, spotteten sie auf seine Sehnsucht. Im Zweikampf ringend auf bretonische Art warf er den einen, der andere aber besiegte ihn. Da spie er ihm in das Gesicht vor Wut, daß dieser seine Hoffnung zertrete und auch im Gottesurteil über ihm sei.

Er versuchte es zu zwingen, daß er die Fürstin sähe.

Er ritt mit einem großen Hengst klirrend auf die Brüstung vor dem Schloß, warf den Arm auf und schrie hinauf nach den Fenstern: „Du Hure.“ Doch niemand nahm Acht davon. Da schäumte er und schwur bei seinem Gedärm und den Wunderzeichen von Compiègne, daß er die Fürstin besitzen werde. Doch der sonst menschenvolle Platz war ausgestorben, und kein Fenster öffnete sich, keine Strafe kam.

Nun bestach er die Wachen mit Geld von verkauften Reliquien (deren Handel er großzügig an Europäer betrieb) und verführte liebend und mit Gesang Dienerinnen des Palastes, es war umsonst. Hingenommen von seiner Aufgabe, überließ er seine Tapferkeit den Heerführern der Fürstin, streifte durch unerhörtes Gebiet, sah Tier, Waffen und Mensch, die er nie erahnte.

Als Belohnung erbat er, die Fürstin zu sehen, deren Ruf er, singend, in die Levante hinein erhob. Er bat, befahl und drohte. Es war umsonst.

Da ließ er, geruhiger, vom Trotz und lebte still verehrend in der Nähe des Palastes. Bald bekam er von ungefähr, ohne daß er die Hand nun danach streckte, eine Stelle in den Anlagen. Monate diente er, indem er Sklaven beaufsichtigte. Eines Morgens, als die Aussichtslosigkeit seiner Sehnsucht ihn bedrückte, in Verzweiflung und Ungeduld, schlug er eine junge Sklavin, daß sie schrie.

Während er schlug, erstarrte sein Arm. Ruhe überkam ihn mit strömender Gewalt. Er drehte sich.

Über eine Terrasse schritt eine Frau herunter, ganz in hellen und roten Farben. Ihr Gang betäubte ihn. Langsam verlief das Bild nach der Seite des Wegs. Er breitete die Arme hoch.

In diesem Augenblick wandte sie sich um. Ihr Gesicht strahlte kurz herüber. Der Garten begoß sich mit Licht.

Villon fiel nieder, demütig die Hände gefaltet. Sein Herz neigte sich. Er weinte in die Hände über seine Schlechtigkeit. Als er aufsah, machte die Fürstin eine leichte Bewegung dahin, wo wolkenloser Himmel stand, und ihr Bild erlosch hinter Gebüsch.

Drei Jahre sog Villon Kraft zu stiller Tätigkeit und Leben, das nach der Höhe des Herzens zielte, bis eine Pest die ganze Landschaft überzog und die Fürstin mitnahm.

Bei ihrer Beisetzung stand er vor dem Sarg. Lange blickend und das ganze Bewußtsein auf sie zwingend, kam ihm ihr Gesicht durch den Stein des Sarkophags, unter dem sie lag, deutlich entgegen, wuchs durch den Deckel und erleuchtete ihn. Aber langsam löste sich das Bild und nahm eine andere Form, die er bebend gewahrte, ängstend und die Hände dagegen gekehrt. Denn seine Erinnerung sagte ihm, daß sie in dem Teil um das Kinn deutlich aussah wie Loba. Doch der Glanz um die Schläfen war von der Herzogin von Ventadron.

Da riß er sich weg von den Trauernden, lief hinaus und begriff es nicht. Vor dem Haus aber schrie er plötzlich:

„O, warum, mein Gott, gleichen sich die Frauen?“

Tief bestürzt sann er nach, aber im Grunde blieb nur das Bild der Herzogin. Der Gedanke an sie, gegen die er sich sträubte, ließ ihn nicht. Er kam in Trotz und irrte durch die Landschaft. An die Fürstin dachte er nicht mehr. Das Gesicht der Herzogin aber stand vor ihm, wenn seine Hände in den Haaren geringer Dirnen wühlten. Er floh davor. Und auch es sank zurück, wo er sich ganz dagegen wehrte.

Noch war nicht seine Zeit.

So trieb es ihn in das niedere Gedränge zurück, das er in stillem Leben verlassen hatte. Das Blut nur gab den Ausschlag seines Daseins. Bald lobte er Gott und abends spie er ihn aus.

Irrend kam er nach Genua.

Er schlich an sein Haus. Als er es von anderen Menschen bewohnt sah, empfand er Erleichterung. Nach dem Weib, mit dem er Jahre hier lebte, frug er nicht. Es kümmerte ihn nicht, mochte sie aus diesem Leben getreten sein wie aus seiner Errinnerung. Einiges begann er, aber es mißlang, weil er wenig Trieb dazu fühlte. Eines Nachts band er eine Barke ab, die eines Wüstlings, den er kannte, Namen trug, und fuhr nach Marseille.

Gereifter im Antlitz, einiges Grau an der Schläfe, betrat er heimatliches Land. Nachdem er die Barke gut verkauft hatte, mietete er ein kleines Haus. Er beschloß zu bleiben und sah sich um. Bald legte er die große Kleidung ab, die er trug. Er griff zu blauen Hosen, dem Wollkleid und roten Rindlederschuhen und nahm Gürtel und Mütze. Den Orient kannte er zu gut, um ihm nicht über zu sein im Handel. Durch seine kaufmännischen Hände ging alle zweideutige Fracht: Speckseiten, Frauen und Gewebe, es gab keinen Unterschied. Er begann zu schielen und die Hände zu reiben. Oft machte er Bücklinge vor jedermann. Araber scheuten sich vor ihm. Spanische Juden nannten ihn den drohenden Finger.

Eines Tages brachte er Spitzen und Steine nach dem Schloß. Er sah Loba, doch sie erkannte ihn nicht.

Sie stand mitten in der Halle, breit geworden, kinderlos. Graupelz umsäumte kühl ihr Gewand. In dem dunklen aufgewellten Haar hoben sich stolz die Büschel der wunderbaren Pfeile des Stachelschweins. Sie herrschte ihn an, er solle sich beeilen.

Herantretend bückte er sich tief vor ihr. Während sie wählte, beschaute er sie von unten, schielend, diensteifrig. Sie rührte ihn nicht. Er dachte vergnügt an ein schmales baskisches Mädchen, das jung war und in vorgeschriebenen Zeiten ihn besuchte. Er zwang Loba einen unerhörten Preis ab und ging grinsend vor Wonne und Rache.

Im Park murmelte er einmal: „Joi-Novel.“

An den Bettagen, wo Handel untersagt war, kamen Spaniolen, die eilend löschen wollten, und schlugen ihm günstige Bedingungen vor zum Kauf. Er folgte früh morgens auf das Schiff. Während er Häute musterte auf dem Verdeck, begann Geheul im Nachbarboot und griff um sich. Eine Frau rang hingekniet neben den Anker die Hände. Matrosen neben ihr sahen neugierig in das Wasser. Seinem Blick, der ihren folgte, begegnete der Kopf eines kleinen Kindes, der wieder auftauchte aus dem Wasser, — und sich schüttelnd sprang er nach und holte es heraus.

Als er das Kind hochhob mit beiden Armen, schien die Sonne über das weiße Gesicht, und plötzlich vergrößerte sich der Kopf und wurde, steigend, milder werdend und sich verklärend, das Gesicht der Herzogin.

Die Mutter wand sich vor ihm, doch er sah es nicht.

Sofort begab er sich auf die Flucht. Streifend lebte er im Bezirk Carcassonne, wanderte durch albigensisches Gebiet. Einen Winter war er auf Schloß Gaillac, und fütterte den Sommer Rehe und Eichhörner auf Schloß Fanjau.

Als Bote eines provenzalischen Dichters zog er mit goldenen Ringen, mit weißen und schwarzen Bändern nach Norden. Es hielt ihn kein Ort. Die Unrast stieg. Manchmal bei kleinen Menschen mit tierischen Gebärden zog ihn die Sehnsucht unter Schreien weg nach Höherem. Aus den Sälen der Schlösser zwang ihn dumpfer Drang in die Niederkeit.

Unter gefälschtem Namen kam er zu dem Herzog von Burgund. Er trug den Titel eines tripolitanischen Adels. Er sprach die Mundart des Genuesischen, Neapels und des Orients. Sein Gesang umfaßte alle französischen Zungen. Geruch maßloser Unternehmung umgab ihn. So auffallend, erreichte er bald die Nähe des Herzogs. Er zog eine eiserne Linie von Feinden hinter sich her, indem er so rasch die Ringe um den Herzog sprengte. Doch dieser überhäufte ihn mit Nachsicht und Gnade.

Er wurde unentbehrlich für Feste und Beratung. Aus Alexandria ließ er Kunststicker kommen, die den burgundischen Hof im Schmuck an die erste Stelle brachten. Er verschaffte ihm Affen für die Boudoirs seiner Damen. Für die Portalkäfige des Schlosses besorgte er tanzende Bären. Die Zwinger füllte er mit Löwen, denen der Herzog bei guter Laune unter den rostroten Abenden der flamischen Landschaft Stiere zum Zerreißen vorwerfen ließ.

Er beschenkte Villon mit dem Goldenen Vlies.

Wenn er trunken war, überschüttete er Villon mit Wein und schlug ihn, Villon, der dann zitterte, der sonst glänzend an der Spitze seiner Kavalkaden ritt.

Je mehr aber sein Leben im Äußeren aufstieg, um so größere Sehnsucht trieb ihn weiter. Gefühl nach Ruhe war langsam in ihn gekommen, wo sein Haar mählich über dem herrlichen Kopf erblich. Doch die Unrast, die ihn trieb, war, wie wenn er einem blinden Stern gehorche, der ihn magisch zu sich führte aus einer unbekannten Dunkelheit her.

Geringer wurden seine Nächte. Der Schlaf schrumpfte. Es zog und zwang.

Da gab er nach und ritt auch aus dieser Stadt. Er wußte nicht wohin.

So kam er nach Paris.

Er ritt hinein. Sein Kopf erdröhnte. Das war die Stadt Villons, die Gärten der Jugend, Gassen und Tavernen. Er faßte nichts und ritt.

Sein Pferd hielt an. Wie einen Schlafwandelnden riß es ihn aus der Betäubung. Er sah durch Nebel und Erinnerung.

Sein Tier hielt vor dem Schloß der Herzogin. Doch sie kam nicht das Gitter heruntergeschritten mit den vergoldeten Staketen. Keine Handbewegung erfüllte den mittäglichen Garten. Er wartete und kehrte um.

Fliegenden Mundes durchstürmte er die Keller, die Kneipen der Stadt. Er gab ein Schauspiel für viele in den Tagen dieser Suche und Fahrt. Er trug den Orden des Goldenen Vlieses durch die Spelunken verkommener Akteure und Mörder. Gier, Altes, Bekanntes zu sehen und zu befragen, trieb ihn rastlos. Doch er traf keine Seele, keinen Kopf, von dem er wußte. Vertraut und dennoch durch die fehlenden Menschen unsäglich entrückt, kamen ihm Bänke, Schilder, Räume ins Gesicht. Die Kirche Notre Dame jagte er vor Angst vergehend hinaus.

Der Herzog von Ventadron war lange tot. Niemand wußte um seine Frau.

Ihr Lächeln aber stand wie ein Mond, milder und heller werdend, über ihm. In einer Nacht hielt er sich nicht mehr, erhob sich, schlich den Weg durch den Garten zur Rückseite des Schlosses, erbrach es und durchwanderte es die ganze Nacht. Gegen Morgen quoll ein Zorn in ihm auf, daß er den Degen nahm und, vor Wut schreiend, das Zimmer zerhieb, in dem sie geschlafen haben mußte.

Dann sank er um, und als er erwachte, war nur eine große Müdigkeit in ihm und Sehnsucht nach Stille. Viele Tage blieb er im Bett seines Gasthofs, dachte, schlief und besah die Bäume im Garten, hinter denen blauer Himmel und Sternentfaltung sich vollzog. Er stand dann auf und ließ Bettler kommen und Insassen der Kneipen und schenkte ihnen seine Kleider. Sein Gold nähte er in den Mantel. Nur das Metall behielt er des Goldenen Vlieses unter grauer Wandrerkleidung auf der Brust. Er vergaß seine Schuld zu zahlen, müden Auges, fast ruhig im Innern, zog er wieder in die Welt.

Nach wenigen Tagen kam er an ein Kloster, das in fruchtbarer Ebene lag. Soweit, daß die Sonne die Kuppeln morgens mit Glanz enthüllte, schwebte der weiße Bau eines anderen Klosters gegenüber vor dem Horizont. Die Luft war klar und mild, es roch nach Blumen und Stille.

Da hielt Villon den wandernden Fuß an und beschloß sein Leben hier dem Ende zuzuführen. Dicht am Kloster war ein Konvent für Menschen der Welt, die, der Einsamkeit anheimgegeben, Gott suchten, die Gebräuche der Mönche teilend, ohne Klerks zu sein. Ihnen, die aus großer Welt kamen, schloß sich Villon an, denn der Geruch der Mönche und Tonsuren stach ihn fuchsend in die Nase und das Die-Ruhe-Wollende seiner Seele überstieg noch nicht seinen Instinkt.

Er half dem Pförtner, den die Gicht angeschwellt hatte und der, mit vernichteten Gelenken, nur die Augen bewegte und vier Finger der linken Hand.

Seine Liebe war jedoch der Garten. Wenn er morgens erwachte, sah er über die Beete und die Ebene hinüber zum anderen Kloster, das sich aus dem Nebel schälte. Dann erhob er sich und begoß im Schatten, eh die Sonne Brand herunterwarf. Mit Messer und Schere zähmte er den schmalen Weinberg, umgrub die Wurzeln und schleppte schweißiger Stirne schwere Wasserkannen den Hügel hinan. Ihm unterstand die Hühnerzucht, und er mästete die Tiere, Körner vor sie streuend, und sandte manches fette Huhn als Geschenk ins andere Kloster. Oft half er den Käse bereiten. Manchmal fing er Fischottern und briet sie, und eines Morgens stand ein zarter Amarellenbaum im Garten, von dem niemand wußte, woher er kam.

In den freien Stunden des Mittags ging er ruhig durch den Hof und mit langen gemessenen Schritten hin zwischen den Beeten. Er sah Eidechsen die braunen Köpfe auf den weißglühenden Steinen sonnen, und hin und wieder saß eine Kröte unter dem Holunder.

Letzte Stille schien über sein Leben gekommen.

Da schlugen Zigeuner ein Lager auf, nahe dem Konvent. In der Nacht sahen die Kleriker Villon berauscht in zuckenden Sprüngen im Feuerschein. Später durchtobte er das Haus, zerschlug die Scheiben und füllte die Kirche mit satanischen Rufen. Altardecken beschmutzte er, als er die Weinfülle wieder ausspie.

Sie waren erstaunt so sehr, daß sie Mitleid mit ihm empfanden.

Der Abt sprach ihn ohne Buße frei.

Villon grübelte tagelang, dann ging er in die Zelle des Abts: „Ich stahl den Amarellenbaum nachts im Nachbarkonvent,“ sagte er und wies hinüber nach den weißen Mauern.

Der Abt befahl ruhig, den Baum hinüberzutragen.

Da brüllte Villon: „Strafe mich!“ und trommelte die Fäuste auf die Brust. Der Abt verneinte lächelnd.

„Warum?“

„Du hast den guten Willen,“ sagte der alte Mann kühl.

Villon aber stand noch eine Weile, ehe er die Zelle verließ, die Augenbrauen gegen die Schläfen hinaufgezogen, und starrte vor sich hin.

Als er am Mittag, den zagen Baum in der rechten Hand vor sich haltend, zum Frauenkloster ging, sah er durch die geöffnete Tür die Priorin den Hof durchqueren.

Da brach sein Herz, daß er aufschrie und Seligkeit ihn so erhob, daß er begann, das Haar aus seinen Schläfen zu reißen und schrie.

Aber sie wandte ihm nur das Gesicht zu. Es war jung und strahlte groß. Ihre Haare waren weiß. Es war die Herzogin.

Sie staunte nicht. Sie lächelte nur und winkte einer Dienerin, die den Baum von ihm nahm.

Doch da schrie er schon nicht mehr, sondern kniete verzückt und wagte nicht aufzusehen. Lang blieb er so vor längst verschlossenem Tor.

Mit der Dämmerung erhob er sich und singend: Regina celi laetare alleluja — schritt er, die Arme ausgebreitet, nach seinem Haus. Dort schloß er sich ein und sang Tag und Nacht. Erleuchtung schien über ihm zu sein. Aber nach einiger Zeit kam er heraus, älter in der Haltung, aber froher, durchlebter von Geist, und wandte sich seiner Tätigkeit zu wie seither.

Er floh nicht.

Nichts änderte er an sich. Wochenlang sah er kaum nach dem anderen Kloster. Er sprach weniger zu seinen Genossen. Mittags einmal, als sie speisten, erschien ein großer Edelmann des burgundischen Hofs und ließ Hörner blasen. Der Abt erschien. Er aber wollte nur zu Villon, dem er die Bitte brachte, zurückzukehren. „Weiber und Löwen brüllen nach dir,“ schrie er hinauf nach Villons Fenster, der ihn in dieser Haltung empfing. Doch Villon sagte: „Gib ihnen Fressen“ und machte eine Bewegung, eh er zurücktrat, lächelnd mit der Hand.

Nachts nach Wochen brach er einmal auf, er widerstand nicht mehr. Wie ein Dachs umschlich er das andere Kloster. Seine geschärften Augen nahmen die Steigung jeder Treppe, die Bewegung jedes Lichts auf. Er wußte bald um das Zimmer der Priorin.

Dann zog er sich wieder lange in sein Zimmer zurück. Seine einzige Genossenschaft waren zwei Tauben, gefleckt wie Falken mit langen Schweifen. Sie trennten sich nie mehr von ihm. Ging er in hellen Nächten über Land, saßen sie auf seinen Schultern, und sie umtanzten ihn im Garten, wenn er grub.

Eines Tages aber beendete er diese Art mit ihnen zu sein. Er zwang ihnen seinen Willen auf, daß sie aufstoben, sich in die strahlende Höhe warfen und verschwanden. Sie wußten ihr Ziel.

Jeden Monat einmal schob er Papier in ihre Federn, auf dem Verse standen. Doch schämte er sich dann ein jedesmal. Einmal aber hielt seine erstarrende Hand, die die Heimkehrenden aufnahm, beim Einfangen eine Blume fest.

Da nahm er das Höchste, was ihm blieb vom Leben, er trennte sich davon. Er löste von seiner Brust die Schnalle des Goldenen Vlieses und band es der Taube um. Heimkehrend die gleiche Nacht trug das Tier, flatternd vor eisiger Kälte, einen Ring aus Haaren geflochten, über die Flügelenden gestreift.

Aber die weiße Farbe der Haare schlug ihn nieder, daß er nie mehr wagte, Dinge hinüberzusenden. Und was gab es noch, das die Unendlichkeit dieses Gefühls überträfe.

Nach einem Jahr gab ihm der Abt Auftrag, hinüberzugehn und mit der Priorin zu verhandeln um eine Orgel. „Es ist dein Fach,“ sagte er und wandte sich zu den Papieren um. Villon weigerte sich. Er schüttelte den Kopf.

„Ich will nicht.“

Da drehte sich der Abt zurück und sagte klar: „Du sollst.“

Als der Klang dieser Worte sich erhob, scholl eine Stärke darin, die dröhnte, daß Villon nachgebend sich beugte und ging.

Am Gitter traf er die Priorin. Gesenkten Blickes richtete er den Befehl aus und sagte ihn her ohne Stocken. Sie antwortete nicht. Sie hielt mit einer Hand sich in der Höhe der Achsel am Gitter und sah ihn an. Er lehnte auf der anderen Seite gegen das Eisen. Dann hob er den Blick und traf ihr Auge.

Als dies eintrat, verwirrte sich sein Mund. Dunkel bog sich um seine Stirn und klammerte sie zu. Er wollte danken, daß sie Güte über sein Leben getan, aber ihm schienen unbegreiflich seine Lippen zu beben vor Flüchen. Doch aus der Seligkeit, die ihn erschütterte und hinstieß, daß das Eisen knirschte unter seiner Schulter, hob sich durch die Verwirrung der Gefühle ein Augenblick der Jugend. Und er sagte:

„Als Kind, wie ich Psalter sang . . .“

Sie wartete noch eine Weile, freundlich lächelnd. Sein Mund jedoch trug den Fluß der Gefühle, der riefenhaft anschwoll, nicht mehr. Er stammelte in die Luft.

Fern sah er sie noch einmal durch den Hof gehn. Sie wandte am Tor das Gesicht und wies leicht, ohne den Arm zu rühren, mit dem Finger nach oben.

Er wußte, daß er sie nie mehr sehen werde. Es war das Letzte.

Die Tauben allein flogen noch, bis ihr, als sie betete, ein schwerer Stein aus dem Gebälk im späten Sommer den Nacken zerschlug. Zehn Nonnen, steif in weißen Leinen, trugen ihren Sarg in die große Kirche des Männerklosters. Als die Prozession vorbeiging, losch der Himmel aus. Dunkelheit schoß an den Rändern des Horizonts herunter, band sich zäh an die Erde und trieb Nacht und Wolke vor sich, die brüllend heranwälzten.

Dann schloß die Kirchentür. Villon erhob an seinem Fenster den Kopf und sah die Sonne in einem Strahlenkranz, dessen Zacken alles berührten. Es wurde Abend!

Er ging hinein ins Land. Je tiefer er aber vorausschritt, um so leichter trugen ihn die Füße, und die Stoppelfelder legten sich wie Seidenwalzen vor ihn. Wälder wogten unten über dem Fluß in das Dunkel der blauen Dämmerung. Er dachte an Joi-Novel, denn ungezählte Mäuse überkrochen die Erde.

Aus einer Hütte, um die Bohnen hoch schossen, trat ein Mädchen mit einer Hacke. Sein Blick fiel auf ihre Hüfte, die sich leicht wölbte. Der Bückenden bogen die Brüste sich aus dem Tuch und die Beine standen rund und straff vom Rock gehalten. Er sah in die Dämmerung weg, die den Wald schon einsog und rotbraun wurde, dann fiel sein Blick zurück. Wieder wandte er den Kopf. Aber in der Sanftheit eines ungewohnten Jahres war sein Blut angeschwollen und warf sich bäumend auf.

Doch er zwang sich und bebend sprach er sich vor: „Der Tod der Herzogin . . . der Tod der Herzogin . . .“ Allein die Worte waren ohne Klang. Sein Schmerz war vor ihm selbst zugezogen und sprang durch Reizung selbst nicht auf. Er preßte noch einmal sein ganzes Bewußtsein wie einen Stempel auf, daran zu denken, daß sie in der Kirche liege, die Prozession, der Weihrauch, der schreiende Tod.

Aber es war nicht stark genug.

Seine Hände ergriffen das Mädchen, und sein Blut sprang an das ihre wie an das keiner Frau.

In der Nacht kehrte er zurück, die Sterne anflehend, ihn zu erschlagen. Er ging in den Zwinger und löste die Hunde, die auf Wölfe geschult waren. Sie rissen die blutigen Lefzen auf. Aber keiner sprang zu, so sehr er die Gurgel wies.

Da schien es ihm, sein Herz selbst müsse springen und aufplatzen vor Traurigkeit und Verzweiflung. Er nahm ein härenes Hemd, band einen Strick um das Genick und legte sich auf den mit Asche bestreuten Boden und wartete so auf den Tod.

Um die dritte Nachtstunde, da er noch lebte, erhob er sich, mehr verzweifelt, und schlich an die Kirche. Dort horchte er. Dann ließ er die Befangenheit und stieß, sich aufrichtend, die dumpfe Tür mit dem Fuß auf und trat ein. Der offene Sarg stand zwischen wächsernen Kerzen. Ein fremder Mönch hielt die Vigilie. Er sah auf und wies ihn mit der Hand streng hinaus.

Villon hielt ihm das Messer vor den Bauch.

Da zerfloß das hagere Gesicht des Mönchs in Mitleid: „Du mußt elend sein,“ sagte er.

Aber Villon, außer sich, achtete nicht auf ihn, sondern warf sich aufheulend wie ein Hund quer über das Fußende des Sarges und blieb so.

Jede Viertelstunde sang der Mönch einen Psalm und scheuchte ihn nicht. Plötzlich sah Villon auf und, vom Anblick der Toten geschüttelt, schrie er: „Schreier, mach das Maul zu! Schweig. Gib mir eine Antwort: kann es sein, diese Frau zu lieben und am Abend ihres Todes eine Dirne zu umarmen? Kann es sein?“ Er drohte mit der Stimme und stieß mit den Fußspitzen haltlos auf den Boden.

„Du hast die Inbrunst,“ sagte der Mönch.

„Sie hilft nicht durch,“ schrie Villon im letzten Zorn sich entgegenstemmend: „Ich habe die tripolitanische Heilige verehrt und nannte sie mit gleichem stinkendem Atem Hure. Die Güte der Herzogin schien mich an, aber ich stahl und tötete.“

„Ereifere dich nicht. Ich kenne dein Leben,“ sagte der Mönch.

Er war die Pfeiler hinabgeschritten, Lichter löschend, und wie er sich unten umwandte, schien seine Gestalt mit dem Plafond verschwommen, seine Kutte schwebte in einer dunkelen Glocke um ihn und verwuchs den steinernen Rippen der Kirche, und vor den Augenhöhlen seines riesigen Kopfes wogten die Schatten des Weihrauchs. Wie er jedoch, im Chor stehend, nun die Stimme erhob, war seine Gestalt wieder klein und gewöhnlich, doch die Rede, die er begann, wurde vor seinem Munde so furchtbar, daß in der ertosenden Kirche sich die Echos blendend zerschlugen.

Es hieß aber, was er sagte: „Fast hast du Gott erreicht.“

Aber Villon antwortete darauf ganz ruhig: „Du hast recht, aber ich will nicht mehr. Ich erreiche sie nicht, die kleine Spanne, die fehlt. Gott erkämpfen, gelingt mir nicht. Du weißt es, wenn du mich kennst. Gott soll zu mir kommen, denn er kann über mein Blut, aber ich kann es nicht. Gott soll sich entwickeln in mir, bis er reif ist. Ich will ihn nicht stören und verhindern, nicht in der Andacht, nicht im Gemeinen. Die Dinge sollen laufen. Ich schalte mich aus meinem Blut.

Gott soll mich suchen. Ich suche ihn nicht mehr. Ich warte.“

Und auch der große Ruf des Engels im Traum, der ihn, dem Lichten zu, sich gleiten zu lassen befahl, schien ihm, über das Blut und seine Gesetze hinaus, in diesem Sinne beschlossen zu sein.

Aufstehend legte er die Arme der Herzogin im Kreuz über die Brust. Dann nahm er Öl und Chrisma und salbte seinen Scheitel wie einem Neugeborenen.

Langsam ging er aus der Kirche, nach Ruhe gierig, und sonst nichts.

Diesen Ort verließ er. Hier lebte es sich nicht länger.

Er ging durch den frühen Morgen, der noch dunkelte, hinab zum Fluß.

Einmal noch wandte er sich, und wie er den Arm steil gehoben gegen Paris, so hob er ihn rückwärts gegen sein ganzes Leben, weniger in Drohung und Trotz, aber voll Ablehnung. Es hatte ihn zu keinem großen Abschluß geführt, darum galt es ihm nicht, so voll und reich es auch war.

Allein schon wurde ihm dies unwesentlich, da er nach Kampf nicht lüstern mehr war.

Er schob den Blick nach vorn.

Sich auf das harte Holz der Kahnbank pressend, stieß er die Ruder in das Wasser und fuhr — — — damit das Leben sich weiterhin über ihn stürze, solange der Rest Tage ihm noch blieb . . .; daß ein Bauer ihn, buhlend, hinter einem Zaun mit der Gabel ersteche, oder Gott ihn im feurigen Wagen wie Elias in den brennenden Himmel reiße. Denn dies alles, was sich noch vor den endlichen Abschluß schob, war ihm gleich und ihm lag nichts am Ziel. Es war kein Wollen in ihm. Nur Sehnsucht nach Klarheit und kleine Neugier auf das Ende.

Der Bezwinger

Im Jahre des Tigers geschah Timurs Geburt, im Monat Schual, geronnenes Blut fest in der Faust. Vierzehnjährig ließen sie ihn aus der Jurte auf seine erste Jagd. Er tötete dreißig Hirsche in hüfthohem Schnee. Sein Oheim Hadschi berlas salbte ihm den Daumen und schenkte ihm ein Weib. Im Garten am Fluß spielte er mit ihm den Abend. In der Nacht tötete er sie und fraß sie an, schwamm durch den Fluß, machte einen Stamm Pferde los und ritt einen Wirbel durch die Landschaft Kesch.

Hadschi berlas wies ihm ein Frauenhaus zu. Allein von diesem Tage ab verließ er sein Zelt nicht mehr. Breit wie eine Kröte hockte er zusammengezogen und sah schräg nach den Falten des Tuchs. Nie besah er das Haus, aus dessen Innern sie ihm Harfen entgegenschlugen. Sein Auge wuchs sich zu mit einem Nebel, daß die Pupille verschwand. Hadschi berlas setzte Spione um sein Zelt, die ihn lockten. Sie sprachen von der Güte dieses Oheims. Sie lobten seine Stärke, seine Schenkel und grinsten über die Kraft seiner Lenden. Stets beobachteten sie seine Miene. In Monaten vermochten sie keine Änderung des Gesichts zu melden, das größer nur und undurchsichtiger sich zusammenschloß.

Beim Fest des Tages Gleiche mit der Nacht äffte der Narr im Hause Hadschi berlas einen Emir, der Rücksicht vergaß und, die Hand im Gürtel, aufsprang. Der fliehende Narr warf, über den Tisch springend, die Lichter um. Der Dolch des Emirs ritzte einem Wächter die Hand. Ein Rustemdare schrie, Hadschi berlas blute, in tobender Verwirrung knallten die Türen zu, die Posten deckten außen die Türen, den Mörder abzufassen. Als der Narr, blind die Augen vor Angst, durch einen Teppichschlitz hinaussprang, hieb ihm der Wächter den Dolch in die Seite, und er verschied. In der Dunkelheit schrie ein Emir, erkennend, daß Hadschi berlas nicht der zuerst Blutende sei, und ihn nicht findend, er sei der Tote.

Das Geschrei lief bis an Timurs Zelt, doch gab es seinem Gesicht keine Veränderung.

Später sagten ihm die erbleichten Spione, nicht Hadschi berlas trage den Dolch in der Seite, denn sie fanden ihn, Schweiß auf der Stirn, in eine seidene Tapete gewickelt, in der Ecke des Saals.

Als dies Timur hörte, gab es eine Welle Blut in seine Schläfe.

Wenige Nächte darauf tastete er mit zwei Katzensprüngen über die Lauernden vor seinem Zelt, lief zum Palast seines Oheims und trat mit einer ruhigen Bewegung zu dem Türhüter. Er sprach mit ihm lange plaudernd und ging schlendernd wieder. Kaum aber war er aus der Füllung des Tors getreten, trug ein schnellender Satz ihn zurück, an der Wohnung des Pförtners vorbei, die Stufen nach oben. Durch stiere Gänge, die er nicht kannte, irrte er, bis er eine Lampe sah.

Hadschi berlas lag nackt auf seinem Lager, schlafend, die Hand auf dem Nacken der Frau, die er für diese Nacht gewählt. In der Ecke stand eine Lanze. Timur hielt die Spitze in die Lampe, bis sie knisterte, dann stieß er sie der Frau durch die Brust. Seine rechte Hand schlug einen Säbel in den Hals des Oheims, die linke riß den Kopf weg, und, den der Frau dazunehmend, erstieg er einen Turm, ließ die eisernen Rasseln sich knirschend drehen und stellte sich auf die Galerie.

Die weiße Nacht ging gegen das Ende. Er schwang die Köpfe im Kreis und rief sich zum Chan aus. Seine Stimme klang zum erstenmal rollend über die Dächer. Aus den Hälsen fiel klatschend Blut auf die Straßen.

Der Astronom Guines trat auf das Minarett der Moschee und rief über die Stadt ihm zu: „Bewahre die große fernhin schmetternde Trompete.“

Am Mittag zogen die Emire in die Ebene. Sie warfen die Mützen in die Luft, schwangen die Gürtel über den Rücken. Sie warfen sich auf den Bauch, die Sonne anzubeten, und huldigten durch neunmalige Kniebeugung dem neuen Chan. Ein Prinz reichte ihm kniend den Becher mit Stutenmilch, er gab ihm, den Kopf wenig lüftend, als Gegengabe das Todesurteil.

Dann ließ er, damit sich Hadschi berlas nur mit einer Frau, den Thron mit der Gruft wechselnd, nicht allzu langweile, sechzehn seiner Beischläferinnen schlachten und befahl den Zug nach Samarkand. Den Emir dieser Landschaft zerhieben sie, und da sie ihm gefiel, baute er sich ein Haus hinein neben die Stadt, umgab es mit zungenlosen Wärtern und pflanzte die Fahne der Macht vor die Tür.

Er stieß sie selbst, neungipflig mit weißen und schwarzen Schweifen, in den Boden, wandte sich langsam um und ging in das Haus.

Zehn Jahre lang sah ihn kein Tatare wieder.

Von diesem Orte ging nun Gewalt aus, die sie alle traf. Jeden Tag erhoben sich aus der Ferne Reiter, rannten bis an den Gürtel der Wachen, saßen ab, erhielten Befehle und kreuzten, abreitend, Kommende, die Nachrichten brachten. Ein Graben, tief einen halben Fuß, umlief das Haus, sonst nichts.

In Jahren beugte er alle, niemand wagte ihn zu überschreiten.

Einmal, während die Massen im Kriegszug lagen, schlichen, unabgewehrt, zwei Horden in das Haus. Sie fanden es ohne Gerät, ohne Lager, wie seit Jahren unbewohnt. Echos schallten ihnen entgegen, ihre flüsternden Stimmen brachen sich dreifach an den tauben Wänden. Ihre schrägen Blicke flimmerten. Da brach die Furcht irr in ihre Augäpfel. Sie sprangen auf die Rücken der Pferde, verwirrt in ihrem Hirn, und hingen ihre Leiber in einem nahen Wald an die Äste.

Einmal brach ein tatarisches Heer aus den Steppen. Reiter im Halbmond den Kopf geschoren, mit großen Schenkeln, die Achseln spitz gereckt, ritten um Samarkand, fielen in die Ebene und wälzten sich durch die Städte. Sie schwammen durch die Ströme und standen nach zwei Jahren auf den Graten des Gebirges. Abgleitend verloren sie viele Pferde, doch im Anblick persischer Ebenen schloß eine Felsmauer das Tal ihnen zu. In Vorhuten, tagelang, schwärmten sie aus, sie fanden keinen Ausgang. Die Bergseite dampfte von den Lagerfeuern. Da stob den Wartenden ein Bote an, setzte den Feldherrn ab und gab die Zügel des Befehls einem kleinen Gruppenführer, den keiner achtete. Er hinkte und bewegte die linke Hand nicht. Er ließ mit siebzig aufgestellten Blasebälgen den Felsen wochenlang erhitzen. Dann warf er einen abgeleiteten Fluß dagegen, daß der Basalt zerknallte. Das Heer trabte in die Ebene. Sie schlugen die Perser in zwei Treffen und, abtretend, gab der Feldherr sein Amt ab, zurückberufen, an Yakou, dem die Augen bis an die Mitte der Schläfen saßen, und der Schiraz in einer Nacht in den Himmel feuerte.

Ein anderes tatarisches Heer, stummem Winke folgend, stieg aus den Steppen, zog um Samarkand, überritt die Wüste und das stachlige Tiefland. Die Reiter trabten wochenlang, Weiber auf den Sätteln, Kamele hinter sich mit Kindern und Proviant. Eine Wolke von Schweiß brach vor ihnen her, und die Geten zündeten ihre Dörfer an und verließen sie und schrien nachts aus den Wüsten. Die runden Säbel glühten in der Sonne. In einem Halbkreis rannte das Heer über die Steppe. Sie banden die feindlichen Männer mit den Köpfen in die Kniehöhle und warfen sie in die Sonne.

Sie hatten ihre Weiber auf den Sätteln und verließen die Pferde nicht. Sie machten große Feuer und trabten darüber in den Horizont. Reitende Boten täglich zogen eine Schnur zwischen ihnen und dem Haus in Samarkand.

Aus den Schneesteppen brachen tatarische Heere. Die Pferde stampften in die Jurten vor Kurdistan. Sie brieten einen Emir überm Lagerfeuer und ließen seine Söhne daran speisen. Zwei Tage nach einer Schlappe des Führers wechselte der Oberbefehl. Zurückkehrend nach Samarkand verschwand dieser. Axalla führte die Geschwader. Sie warfen sich über die Landschaft und trieben Pferde zusammen und das Vieh. Ein mongolischer Fürst wehrte Axalla mit Gebeten. Stolz trat er redend vor ihn und erfragte den Sinn der Überfälle. Axalla sagte: „Gibt es anderes für mich als zu folgen? Dein Aussehen ist besser als deine Frage,“ und ließ ihn hinausführen.

Als Axalla nach Georgien aufbrach, betrat ein Unterführer sein Zelt.

Axalla speiste auf dem Boden kniend und sah unwillig schief nach der Tür.

Der Unterbefehlshaber hob rasch das gesenkte Gesicht und warf den Mund brausend auf: „Teile das Heer.“

Axalla stand auf, lehnte sich gegen den Pfosten, Spott um den Mund:

„Wer bist du?“

„Genug, dich zurechtzuweisen.“

Da stand Axalla, gegen diesen Stolz gerichtet, zurückgeworfen den Kopf, vor dem Unterführer, aber da war dieser aus den Schultern heraussteigend mehr als zwei Köpfe größer als er.

Er öffnete wieder den Mund: „Teile das Heer zwischen Georgien und Kars.“

Da schlug Axalla schäumend auf die Trommel, Wachen führten den Mann, gebunden die Armgelenke, hinaus. Axalla kniete nieder und aß weiter.

Am Abend öffnete sich das Zelttuch unter einer drängenden Schulter. Der Unterführer stand in der Mitte des Zeltes bewaffnet und frei.

Axalla fuhr an den Dolch.

Aber der Eingetretene sagte: „Bekümmere dich nicht. Ich könnte dich zwingen, denn deine Macht geht nicht über mich,“ und er wies, die Zähne fauchend, die gelösten Arme. „Aber ich will deine Klugheit sehen. Darum rate ich nur. Teile die Geschwader.“

„Wer bist du?“, rief Axalla wieder, aber unter dem Ruf schlug das Zelttuch schon zusammen.

Am Morgen schied Axalla das Heer.

Die Geschwader gegen Kars trafen den Mittag einer Gruppe in den Rücken, die die Truppen Axallas in einen Schraubengang locken sollten. Sie hielten sie zusammen.

Axalla sah den Unterführer nie wieder. Die zwei Säulen der Geschwader lockerten sich. Georgien wurde überrannt. In einem Halbkreis stießen die Tataren schweigend aus den Steppen. Ihre runden Schwerter blitzten in der Sonne. In Kars rissen sie die Rosenstöcke aus und setzten die Männer auf die Stäbe. Über Georgien wälzten sie eine Flamme, die die Städte erstickte und die Reisfelder fraß. Die Erde zitterte unter dem Schlag immer trabender Hufe.

Sie ritten, eine lange glänzende Masse, durch die Engpässe am Rand des Gebirgs. Dann stoben sie in die Steppen und schwirrten auseinander. Sie sägten einen Sherif in der Mitte durch. Ein Mann brach das Tor einer Burg nachts auf mit den Zähnen. Sie schlachteten eine Nacht. Sie hatten die Weiber auf den Sätteln und verließen die Pferde nicht.

Ein einziger Wink holte sie alle zurück.

Im zehnten Jahre rollten alle tatarischen Heere im Halbkreis aus den vier Winden gegen Samarkand zurück. Die Stadt schaukelte, wie sie nacheinander antrabten. Ein Schneesturm überfiel das Heer Axallas zwei Tage vor der Stadt, sie kamen in einem langen Brausen, der Schnee vor ihnen schmolz auf Stunden.

Sie lagerten in einem Bogen in der Ebene.

In der Mitte bauten sie einen Thron auf. Dann warteten sie, die Augen tausendfach gegen das Haus schleudernd.

Aus einem kleinen Vortrupp der Aufgestellten löste sich da ein einfacher Tatar, ritt an den Thron und stieg fest hinauf. Er hinkte und konnte die linke Hand nicht gebrauchen, zwei Köpfe höher als alle.

Da erkannten ihn alle plötzlich. Sie schrien: „Timur Chan“ und warfen sich auf den Bauch brüllend vor Wonne. Er stand auf und stieß den Finger nach diesem und jenem: „Dich kenne ich . . . dich kenne ich.“

Axalla verkroch sich unter den Bauch eines gefallenen Pferdes vor Scham, aber er ließ ihn herausziehen und ihm zwei Ringe schenken.

So ward er sichtbar, unbewegten Gesichts.

Er trug den Kopf barhaupt, lange Haare.

Nach der Jagd, in dem Haus gelagert, sagte Yakou einmal an den Fingern die Gebiete her, die sie in den Jahren unterwarfen, es machte ihm Mühe, die Hände reichten nicht aus.

Timur sagte: „Was ist es . . .“ und zog mit Stutenmilch einen kleinen Kreis auf den Tisch.

Dann nahm er Yakou mit in das Nebengemach. Sie blieben den Abend bis zur Nacht. Später rief Yakou heraus, daß sie Guines hereinführten; er erschien, aus dem Schlaf gerissen, mit verklebten Augen und halb angekleidet und warf sich auf die Knie, aber Timur winkte nur nach oben und grüßte ihn. Guines schrieb die ganze Nacht. Yakou bewunderte es kauernd daneben und fraß die Nägel seiner Hand.

Timur änderte das Heer, vertauschte, warf weg und ernannte. In der Nacht noch schlugen sie Pflöcke ein. Tausend Unterführer wurden in die Sonne hinein gepflockt. Der Fürst von Tanais erhielt eigene Korps, einfache Tataren rückten an den ersten Platz. Die Reiter erhielten Kumis und waren berauscht am Abend vom Anfang der Stadtgärten bis wo das Auge das Ende der Ebene faßte.

Feuer umbrannten den ganzen Nachthimmel.

Timur hielt Abrechnung über zehn Jahre. Schuldige wie von Blitzen gefaßt entleibten sich selbst. Ihm war nichts unbekannt, der ihre Lager geteilt hatte. Kam er nahe an unbesichtigte Geschwader, wälzten sich einzelne heraus, auf dem Bauch Verzeihung erbittend, den Mund voll Anklagen. Er hatte nur einen Wink.

Monate hindurch ordneten die Führer. Timur schickte einen Vortrupp gegen die Grenzen. Er blieb einen Monat länger als ein halbes Jahr, das er ihm gesetzt. Der Führer sagte: „Wir konnten nicht rascher als der Wind.“ Timur griff in den Bauch ihrer Pferde, fühlte Fett zwischen zwei Fingern und ließ sie enthaupten.

Dann zog er gegen Moscow.

Tatarenheere tauchten wieder in die Steppen, der Chan unter ihnen, sie wußten es und sagten es den Pferden in die Ohren. Das Heer der Moscower war dreimal größer wie das der Tataren, sie schrien schon aus der Entfernung. Der Fürst von Tanais zog einen Bogen nach rückwärts ab, als es noch dunkelte. Am Morgen stand die Sonne an einem geschweiften Hügel, an den die Feinde sich lehnten.

Brüllend rückten sie vor. Yakou warf ihnen zwei Flügel entgegen und trennte ein Teil. Dazwischen brauste Timur, eine silberhelle Wolke lag zwischen den Massen, sie erkannten ihre Flügel nicht mehr. Ungarische Reiter der Moscower durchbrachen die Mitte und gingen in eine Falle Axallas.

Da brach ein weißer Glanz auf dem Hügel auf. Der Fürst von Tanais bohrte in die Seite sich mit zwanzigtausend Rossen. Die Moscower bliesen stählerne Drommeten. Die Flitschpfeile der Tataren sausten in die Leiber ihrer Pferde wie in Faschinenkörbe. Klatschend spickten sie die hellen Bäuche.

Die weiße Flut vom Hügel schoß tiefer in die Masse. Durch die Wolke brach Timur zurück, die nackten Säbel zerhieben die Flanke der Brüllenden. Die Ebene dampfte in dickem Rot. Tataren nahmen die Säbel in die linke Hand und schlugen. Ein junger Sohn Yakous rief vorbeifliegend, tagelang müßten sie Scharten aus den Säbeln schleifen. Timur sah zu.

Axalla wälzte einen Haufen Gefangener heran.

Er zog einen Bogen mit der Hand: „Sklaven“.

Timur schüttelte den Kopf:

„Du hast zuviel jüdisches Blut, Axalla.“

Axalla warf sich nieder, eine Falte des Zorns in der Stirn. Timur gab das Zeichen, sie zu schlachten, zwanzigtausend. Er nahm Axallas Bogen und schoß nach einem Moscowerfürsten. Der Pfeil flog in seine Hüfte, sein Pferd machte einen Satz, er sprang fallend vor und zusammenbrechend, eine Hand auf dem Boden, die andere drohend mit dem Kopf gehoben, krisch er:

„Blutiger Hund“ . . .

Timur bewegte sich nicht, zielte in seinen Hals und warf ihn mit dem Schuß um sich selbst.

Dann zog er die linke Braue ein wenig hoch wie im Lächeln.

Sie schlachteten stundenlang des Abends.

In der Frühe ging Yakous Sohn leuchtend aus Timurs Zelt, sprang auf sein Roß und jagte los. Hinter ihm, daß sie die Spitze seiner Mütze über den Staub noch sahen, ritten zweihundert Tataren. Sie ritten über den flachen Hügel, der sich aus dem Kampfplatz in den Horizont stieß, und über ihn hinaus in Tag und Nacht. Fünf Monate trabend kamen sie an die Vorhuten Chinas. Beobachtet stündlich erreichten sie wenige Wochen darauf Juen-min-Juen.

Sie nächteten drei Tage, bis ein geschminkter schwarzer Eunuch sie in den Palast führte, ein Zelt mit unendlichen Gemächern, größer als Samarkand.

Yakous Sohn, Zeinabdeddin, trat, geleitet von zwanzig Führern, in einen Saal. Durch ein Spalier fettschenkliger Eunuchen glitten sie in den Garten. Der Hof stand um einen Pavillon aus Gold. Gedämpfte Musik, feierlich, und entfernte Glocken schwollen an. Diener sprangen erregt umher. Der König stand hinter einem Schirm.

Plötzlich stoben alle Musikanten in die höchste Harmonie ihrer Instrumente, der Hof lag gefällt auf dem Bauch, über erstarrte Leiber stieg Yakous Sohn, stieg, beugte ein Knie am Thron und empfing das Friedenszeichen, ein Ju-schi in weißlichem Serpentinstein mit geritzten Emblemen.

Da schlug sich Yakous Sohn auf die Schenkel und drehte sich um sich selbst vor Lachen. Die Tassen mit Milch und Eiswasser klirrten in den Händen der Chinesen. Ihre Augen klotzten dick und rund.

„Timur Chan fordert von dir die Provinzen Pazanfu und Paquinfu. Aber außerdem Pässe am Fluß Tachij.“ Zeinabdeddin grinste und wiegte, auf einem Fuß hüpfend, das Ju-schi auf der Hand.

Der König verlor keinen Strahl Würde aus seinem Gesicht. Er ließ die vor Schreck eingehakte Musik ausklingen und ließ dem Sohn Yakous, indem ein Diener ihm Tee einschenkte, sagen, nur Güte sei es gewesen, daß er seither das kleine Reisgericht des tatarischen Reiches nicht zu seiner Tafel gezogen.

Zeinabdeddin begann zu schreien und ungeberdig wie ein Ochs die eroberten Gebiete auszurufen, aber der Schirm schob sich zwischen ihn und den König.

Sie trabten zurück, verließen verbundenen Auges die Grenze. Ein Jahr und drei Monate nach dem Ausritt erreichten sie Timur. Die Rippen blähten sich aus den Pferdeweichen.

„Sind es die gleichen Pferde?“ fragte Timur.

„Die gleichen,“ sagte Zeinabdeddin.

Timur ließ sich eine Fontäne bauen von gefangenen persischen Künstlern. Die Abende wanderte er in großen Kreisen um den Auf- und Niederfall des Wassers. Er ging darauf zu, streckte die Hand aus und zog den Kopf rasch zurück zwischen die Schultern.

Im Frühjahr schwanden dann alle Zelte. Der Horizont besternte sich mit fliegenden Punkten. Sie schwollen zu Lawinen, stürzten zusammen, sie trabten, die Ebene hallte unter ihnen. Sie stiegen hoch und sammelten sich aus Westen in der Wüste Ergimul. Im Osten wirbelte das zweite Geschwader, breite Schenkel bogen sich um klopfende Bäuche. Pferdehälse strotzten von jagendem Blut. Sie hatten den Wind im Rücken und schwiegen. Sie stauten sich in den Hordas von Baschir.

Zwei ungeheure Halbkreise brausten, Pferde mit kleinen Tataren, bartlos, Bogen über den Rücken, über das asiatische Tiefland nach China. Ihre runden Schwerter blitzten in der Sonne. Sie wälzten die Steppen blank. Die Weiber auf den Sätteln, schienen sie, zweiköpfig in der Dämmerung reitend, gegliedert bis ins Unsichtbare. Ihre Gäule wuchsen mit wiehernden Hälsen in den Himmel hinein.

Über gelben glühenden Sand trabten sie und warfen sich gegen die chinesische Mauer, die nackt und weiß vor dem Horizont hinstrich. Vierzigtausend schlugen einen Haken, nahmen verborgene Pässe und stürmten in chinesische Rücken. Vor den Angreifern glühte die Mauer vor Sonne, die Hufe der kleinbeinigen Pferde schmolzen. Die Mauer fiel gespickt von Pfeilen. Ein Mandarin, auf die Mauerreste tretend, flog, zerfetzt von Flitschpfeilen, so zerrissen in die Luft, daß kein Rest des Körpers übrigblieb. Über die Mauer rennend, durchschwammen sie einen Strom und rieben die anziehenden Heere auf in einem heißen Tag.

Die Nacht ritt Timur von seinem Zelt los. Ein Reiter Axallas fragte, ob er den gefangenen König haben wolle, „es hat Zeit,“ sagte Timur und ritt. Es war eine Nacht voll Hitze, und die Körper faulten schon auf der Sandsteppe. Der Mond fehlte.

Über den weithin getürmten Leichen in farbenen Seiden wogte eine Helligkeit wie Gas, ein grünliches Weben, das sich zäh an den Boden klammerte, als ob es nicht sich heben könne. „Ihre unreinen Seelen stinken in den Himmel,“ sagte Zeinabdeddin, aber Timur entgegnete nicht.

Sein Auge trat groß und opalig, stumpf wie eines Schauspielers, aus der Wölbung, und es schien, als tanze ihm gehorchend die Landschaft auf diesem halben Bogen und der mit Gestirn dünn übergossene Horizont.

Die Klammer der linken Hand, mit der er die Bogensehnen spannte, hing verdorrt um einen Zügel gehakt.

Sie ritten über einen Bach, da bildeten sich Umrisse aus dem Dunkel heraus, ein Flimmern traf ihr Auge von eingelegten Muscheln und Metallen. Wagen stieß an Wagen, die ganze Nacht stand voll zusammengefahrener Wagen. Tatarische Wachen, die die Karrenburg umkreisten, brachen jeden Augenblick vorüber. Sie ritten näher an den Platz und trabten hinein.

Drinnen hingen Papierlaternen an vielen Schnüren, in bronzenen Krügen standen Flammen, die steil brannten und Duft ausstreuten.

In grellen Farben mit Skorpionen gezeichneter Seide standen, in fünf Kreise geteilt, auf dem Rasen die fünf Frauenlager des Königs, in der Mitte jedes Trupps eine Königin. An einen Ast gelehnt stand Axalla träumerisch mit halb geschlossenen Augen und wachte, daß kein Mann Timurs beste Beute packte.

Timur ließ sich die Lieblingsfrau zeigen.

Er schleifte ein Bein nach, die Hüften wiegend in torklem Reitergang, schritt er dicht vor sie, „du heißt?“ fauchte er.

„Miser Ulek,“ sagte sie und fiel nicht nieder.

Er ließ seinen Kopf bis auf die Berührung der Haut vor den ihrigen schweben. Sein Geruch strömte über sie. Ihre Augenlider bebten ein wenig, aber die grauen Augen hielten sich steif und furchtlos in den seinen.

„Du hast den König getrieben zu dem Zug gegen mich.“

Sie fletschte die Zähne.

Laut stieß ihr Timur ins Gesicht „warum . . .“, aber, nicht zitternd vor dem Rollen, gab sie zurück: „Er sollte herrschen über dich“.

Sie hielt mit taumelndem Hirn in seinem Gestank. Auf ihren roten Lippen tanzten kleine weiße Blasen, sie legte den Kopf schräg.

Er sah auf sie. Ihre Augen stachen hell vor Haß.

Er ließ ihren Blick steigen. Eine Weile wartete er. Dann sagte er: „Dein Lager kann in mein Frauenhaus geführt werden. Ich nehme dich als fünfte große Frau. Du sollst später die Residenz dieser neuen Provinz haben.“

Er winkte nach der Seite, wo eine Kolonne sich schon formte. Sie stand ruhig, während ihr Blick in dunklem Schatten einfror. Dann warf sie die Hände hoch, stieß die Arme in den Himmel und sank mit einem Schrei, das Haupt zurück, auf seine Füße und biß sie vor Lust.

Weggehend ritt sie mit schmalen weichen Hüften davon, sie war eine Kurdistane von kleinem Fuß.

Timurs Auge wölbte sich in die Braue zurück. Sie ritten über das Schlachtfeld, Tataren huschten durch die gasige Luft, nahmen das Gold und rissen die Ringe aus den Ohren.

Gegen Morgen kamen sie an das Zelt.

Timur schlief jedoch nicht.

Nach einer Stunde öffneten Hände außen den inneren Vorhang, der chinesische König trat langsam zwei Schritte in den Raum. Timur stand, aufgestanden, ihm gegenüber. Sie schwiegen eine Zeit. Dann senkte der Gefangene das Gesicht, schaute zu Boden und erhob es wieder.

Timurs Gesicht ballte sich nach innen zusammen, als der andere begann:

„Im Umschwung der sieben Planeten habe ich siebenmal den Zyklus von zwölf Jahren durchlaufen . . .“

Timur deutete auf den Pfühl.

Der König schüttelte den Kopf:

„. . . ich war der glücklichste König. Ich hatte jeden Erfolg. Ich hatte Ruhe. Du scheinst glücklicher als ich.“

Einen Augenblick zuckte Timurs graues Gesicht. Zwischen dem Zuschlag der Lider verschwand der schmale Schlitz des betroffenen Auges. Dann quollen die Äpfel breit aus den Höhlen und stierten in Nichtbegrenztes:

„Ich habe keine Ruhe. Du irrst. Es hängen so viele Dinge an mir, die ich zusammenraffte, daß sie schon in meinem Schlaf sich lösen. Sie fallen auseinander, wenn ich nur erkranke. Nur ich bin das Gegengewicht. Es ist mehr Qual als du ahnst, kleiner König.“

Timur beugte sich ein wenig nieder und sah auf den Mann, der ihm gegenüberstand. Er hatte eine Habichtsnase und einen dunklen Blick, verwöhnt von Frauen und trotzig auf seine Jahre.

Der König trat mit dem Fuß zurück, hob den Kopf und sagte wie in die Stille redend:

„Ich ließ in zweihundert Städten Priester um die Feuer der Sonne gehen und kupferne Pauken schlagen, daß ich siege. Ich tat es nicht.“

Er trat nun, das Gesicht umändernd, wieder vor und sah lächelnd zu Timur: „Was beweist es?“

Und: „Was beweist es . . .?“ warf dieser ihm in den Mund zurück.

„Nichts für dich,“ sagte der König, auf jedem Wort ruhend, „aber zwei Dinge: Daß dein Sieg ein Irrtum ist und falsch — oder daß die Bestimmung des Gottes in mir ist, daß ich mich neige zur Prüfung.“

Da hub Timur den Arm zum erstenmal und brüllte: „Nein. Schwächling.“ Seine Stimme rollte durch das Zelt, daß die Vorhänge flogen.

Der König aber hob stumm fragend sein ruhiges Gesicht.

Dann sagte er: „Du leidest unter deinem Tun. Warum?“

Timur antwortete kalt, die größte Dienstbarkeit, die so hohe Häupter wie er mit Gott hätten, sei, daß kein Ende ihrer Ehre sei. Was er tue und handle, borge er von Gott. Gott sei in seinem Anfang und Ende, denn es sei seine Bestimmung, in so großen Kriegen zu sein.

„Woher weißt du das?“

Da aber lachte Timur rauh wie ein Wolf, und das Blut stürzte in sein Gesicht, daß es strahlte durch die Dämmerung des Zeltes:

„Wo ist der, der den Gegenbeweis aushielte.“

Nun senkte der König den Kopf. Er stand zitternd. Bleich.

Dann fragte er: „Wer bist du, der du so hoch dich türmst?“

„Mehr als du, der du so vieles für mich angehäuft hast.“

Auch sein Körper leuchtete nun. Er trug den einfachen Reiteranzug seiner Krieger, aber ein Glänzen brach von den Rändern aus, breit und scharf.

Ein Beben überlief den König kurz.

Dann neigte er das Knie. Und indem ein langsames Besinnen in Pausen auf die Oberfläche seiner Augen zurückkam, bat er, daß er in seinem Muschelwagen die weite Reise fahren dürfe, denn die Last der durchlebten Jahre drücke auf seine Brust.

Timur nickte kurz.

Es war der mächtigste König an Gewalt hier vor ihm, fleischigen Körpers noch in diesem Alter, der die Jugendstärke des berühmten Bogenspanners zeigte, er lächelte und hob ihn auf.

Da trat der König an ihn heran, stieg auf die Spitzen der Schuhe und küßte ihn auf den Mund.

Umwendend stand sein Rücken der Tür zugewendet. Seine linke Hand faßte die Portiere, sie zu öffnen.

„Vergiß nicht, was es heißt, daß ich mehr zu dir sprach als je einem Menschen,“ sagte Timur verhalten.

Über die Schulter lächelnd antwortete der König: „Fürchte nicht, daß der Gott, der in mir so lange lebte, seine Bestimmung im Stich läßt.“

Da hob sich der Vorhang, und die im Morgen aufgekommene Sichel des halben Mondes hing vor ihnen.

Während er unter ihr dem Wagen zuschritt, kam ein Zug Frauen aus Osten an. Timur sah nicht nach ihnen, wandte den Kopf nach der Seite, und wie seine Blicke zwei Tataren trafen, sprangen sie hinter den schreitenden König und zerhieben ihn.

Der Zug der Frauen aber stieß an die Ecke des Zeltes, ein Kamel kniete nieder. Reiter sprengten danach durch die Fülle der Frauen hindurch. Aus den zweihundert aber lief eine heraus. Sie stellte die Arme zur Seite, bog die Hände aufrecht, trat weiter heraus, die Augen geschlossen, und hatte die trübe Sonne über dem Gesicht. So schritt sie führerlos über den Leichnam, ohne zu fallen. Ihr Fuß netzte kein Blut. Sie ging bis zu Timur, hielt eine Weile, öffnete den Mund mit einem leisen Ton und rief dann:

„Ich hindere dich weiterzugehen. Es ist genug.“ So blieb sie stehen, zunen Gesichts. Sie war eine Chinesin. Timur befahl, sie nicht niederzuschlagen.

Von dem Kamel glitt Miser Ulek. Sie deutete auf den Zerhackten: „Die Krone des Glücks fiel von seinem Haupt.“ Sie legte die Hände rund aneinander und preßte ihre linke Brust. Den Kopf frei zurückwerfend sah sie auf die Chinesin, deren gebrochener Blick sie nicht empfand.

Timur sah den Blick, der zerstörte, auf was er traf.

Er maß die beiden einige Zeit.

Dann schob ein Wink sie weiter, der Zug rollte davon.

Am Abend ließ er seine Lieblingstochter, mit der er schlief, zu dem Haus seiner weiblichen Kinder zurückkehren und überließ ihren Pfühl Miser Ulek.

Eine grüne Wolke hüllte das Heer ein zehn Tage, bis sie geteilt hatten. Rudel wilder Tiere durchmaßen die Ebenen von dem Gebirge her und fraßen in Orgien. Pferde starben an der Pest hin, und Tataren fielen in Haufen vor Hitze und Geruch der Fäulnis. Timur gab ihnen aus der Beute Gäule zum Schlachten, und sie fraßen rohes Pferdefleisch schmatzend vor Seligkeit, bis ihnen die Mägen platzten und sie würgend über die Toten fielen. Axalla und Yakou erhielten chinesische Prinzessinnen. Die Frauenhäuser wogten überschwemmt von Stoff, Seiden, Rubin und Zelten mit goldenen Stangen.

Den Tag, ehe sie ritten, hielten sie ein Gelage. Timur gab den Befehl eines Emirschulbaus in Petsche-li, daß in ihr Hirn anderes als Gaulgeruch steige. Guines stellte die Konstellation der Sterne. Einmal erhob sich der Fürst von Tanais, deutete auf den Tonkünstler Ssasijeddin Abdulmumenin und sagte: „Nimm die Leitung, Ssasijeddin.“ Da erhob sich Timur und verwies es ihm, auch wenn er den Namen des großen Kalifen trage, zu dem außerordentlichen Mann nur mit dem Vornamen zu reden. Und schenkte dem Künstler einen Ring.

An der Quelle Baldschuma betrat Timur das Zelt der Chinesin. Ihr klarer Blick fiel auf ihn. Er wies auf eine fränkische Dogge und gab ihr sie zum Geschenk. Er fragte nach ihrem Stamm. Jedoch sie vermochte nicht zu antworten.

Sie sah ihn mit feuchten porzellanenen Augen an. Da verließ er sie. Sie ritten weiter.

In einer Gewitternacht ließ Miser Ulek der Chinesin Tee reichen, aber dieser entfiel die Tasse. Sie sah lächelnd zu Miser Ulek: „Gift.“ Da weinte Miser Ulek, umarmte sie und stach ihr ein Messer in die Seite. Doch es blieb in der Haut. Timur befahl, die Chinesin aus dem Haus Miser Uleks zu nehmen und in das seiner Töchter zu führen.

Sie ritten durch Monate. Sengende Sonne wirbelte ihnen Staub in die Gesichter, sie stachen durch Schnee, bis sie das achte Paradies erreichten: Samarkand leuchtete aus den Gärten. In der Ebene von Kjanegül erbaute Timur einen Palast in der Mitte des Fundorts der Rosen. Künstler aus Bagdad übermalten die Wände. Der Hof stieg in Marmor und Talkstein, Schwibbogen leuchteten Sprüche des Korans, die Türen brüllten vor Erz. Glockentürme wuchsen aus den Ecken. Er baute einen Windfang und einen unterirdischen Saal.

Er gab ihn der fünften seiner großen Frauen Miser Ulek und den zweihundert Beischläferinnen hinter ihr.

In der Nacht schreckte ein Traum ihm die Chinesin ab, und er schenkte sie an das Frauenhaus Zeinabdeddins.

Er selbst wohnte in dem dunklen festen Haus mit dem fußtiefen Graben. Abends wie ein Panther zog er in großen Kreisen um den Auf- und Niederfall seiner Fontäne. Er ging darauf zu, streckte die Hand aus und zog den Kopf zurück zwischen die Schultern . . .

Gekitzelt vom Lachkrampf schlug eines Tags ein zirkassischer Fürst zwei Leuten Timurs, die raubten, die Köpfe ab. Timur ließ ein Heer aufstehen.

Vor dem Aufbruch gab er eine Jagd.

Jagdleoparden in Satin und Coliers glitten in die Ebene bis hinter den See. Dort witterten sie, stießen die Nasen zum Boden und stoben in den Wald. In der Einbruchecke sah er ein Weib vorbeistreichen. Timur hetzte den Leoparden, doch der legte sich nieder, daß Timur wütend ihm einen Pfeil ins Kreuz schoß, er wendete und schnitt sie ab. Er stellte sie mit dem Pferd, das bäumte. Sie hob sich gleitend, warf die Arme auf und erstarrte. Die Pupillen erloschen. Geschlossenen Auges, grau im Gesicht, sagte sie: „Betritt den Boden der Ruhe. Es ist genug.“

Timur spannte den Bogen auf sie.

Sie sah ihn an: „Ich warne zweimal.“ Er schüttelte sich in kaltem Gelächter.

Es war die Chinesin. Sie schwang sich auf einen Zweig; wie ein Silberaffe sitzend, sagte sie in halbem Ton: „Du fällst noch heut in Unglück an einer weißen Stute.“ Timur hielt einen Herzschlag lang ein im Besinnen. Dann sagte er:

„Geh zurück in das Haus meiner Töchter.“

Auf der Spur ritt er durch einen Tümpel, von einem Ast zischte ein brauner Klumpen, ein gelber Rachen biß sich in die Kehle des Gauls, der schrie.

Timur konnte den Bogen in der Nähe nicht spannen. Da erschien Yakous Sohn. Timur sah ihn lange an, während er deutlich zielend die Sehne anzog, der Pfeil riß dem Tiger das Auge heraus, glitt ab und fuhr streifend durch Timurs Schläfe. Brüllend sprang der Chan ab, daß der Wald erzitterte, griff in den fetten Pelz der Katze über den Hinterbeinen, wirbelte und schlug sie auf die Erde mit einem Aufschwung, daß ihr zuckend der Kopf sprang. Dann sah er sich nach Zeinabdeddin um. Er ritt ein weißes Pferd, sprang ab. „Es ist nicht deine Schuld,“ sagte er zu dem auf dem Boden sich Windenden: „Du bist bewährt.“

Aber er gab ihm am Abend dennoch in seinem Zelt eine Mission nach China, die ihn Jahre entfernte.

Dann holte er die Chinesin. Er ließ ihr Stutenmilch reichen und hockte sich zu ihr, ein Brettspiel auf den Knien. Als sie gut anzog, sagte er von dem geviereckten Holz kurz aufblickend: „Komme wieder.“ Sie kam mit jungen Hunden, die die Dogge geworfen. Sie klammten auf dem Körper des liegenden Chans und leckten ihm den Bart. Er lachte und, mit ihnen spielend, zerdrückte er eines aus Ungeschick, da hob sich die alte Dogge gegen ihn. Er achtete sie nicht, sondern wandte den Kopf gegen die Chinesin:

„Wie lange hast du das zweite Gesicht?“

„Immer.“

„Du sagtest dem chinesischen König das nun Eingetretene?“

Sie nickte.

„Miser Ulek sprach dagegen?“

„Sprach dagegen.“

Timur sah leuchtend auf sie. Sie wirbelte wie ein Staub in seinem Blick. Dann röteten sich ihm die Augäpfel und wölbten sich. Er stand auf, seine Stimme dröhnte, daß die Hunde winselten, doch sprach er nicht laut: „Warum warnst du mich?“

„Ich muß.“

Er schüttelte den Kopf, aber er schlug sie nicht damit nieder.

Sie erhob sich. Fest, leise sagte sie stärker wie sein Dröhnen: „Ich muß. Es ist genug. Nimm Ruhe. Ziehe nicht,“ und langsam weinten ihre Augen über die Wangen.

„Nein,“ sagte Timur und sandte sie hinaus. Sofort ließ er Guines holen. Der nahm die Konstellation des Gestirns, zitterte und warnte vor neuem Zug.

Timur saß drei Wochen in seinem Zelt, kalkigen Auges, ohne Ton. Sein Kopf glühte stärker als eine Fackel aus den Spalten in der Dunkelheit. Sein Hirn wütete wie ein Stier. Dann machte er einen Ruck und brach auf.

Am Tage, wo er den Befehl gab, stürzte Miser Ulek erglühend auf seinen Pfühl, und er nahm sie mit.

Die Vorhut wurde in einem Tal, durch falsche Führer im Kreis geleitet, zusammengehauen. Timur, getrennt, erschossen sie zwei Pferde; mit der Frau auf dem Sattel erstürmte er einen Paß. Den Lederwams gespickt mit Eisenspitzen, entkam er wie eine wilde Sau stiebend.

Er sagte, als Miser Ulek vom Pferd sprang: „Du siegtest wieder nicht.“ Sie sah ihn kurz an, bekam Spott um den Mund und hängte sich mittags mit einer Schnur an das Fenster. Doch er schnitt sie ab. Unbewegt, fast lachend, so ruhig. „Es ist noch nicht das Ende,“ sagte er.

Hinaustretend ließ er Führer köpfen, einen Schwarm Unterführer zerreißen, er schaute zu. Zurücktretend aus dem Dampf des Blutes, Kraft und Trotz aus der Grausamkeit in die zusammengezogene Brust gesogen, sah er auf die Frauenlager, demütigte kalt den Blick der Chinesin und unternahm zum zweitenmal den Zug.

Er gelang. Mit klarer Stirn, die Augen unmäßig herausgeschwollen, leitete Timur den Kampftag. In seiner Nähe hielt keiner. Es ging ein unsichtbarer Sturm um ihn. Die Achseln zusammengedrückt, den Körper vergrimmt, stieß er Willen aus sich, als kämpfe er mit einem unsichtbaren Feind.

Er ließ dem Emir den Kopf abschlagen. Er sandte ihn Miser Ulek. Sie ließ ihn am Eingang des Paradieses auf eine Säule hängen.

Timur ließ, zurückgekehrt, die Chinesin in sein Zelt tragen: „Was sagtest du Schlechtes? Es gelang.“

Sie lächelte: „Das Blut steht dir überm Mund. Du darfst nicht weiter.“

Aber sein Kopf barst vor Plänen:

„Gelbe Mücke, was hält mich auf?“ Und er schlug mit der Hand in die Luft.

Aber unerschüttert im Lächeln sagte sie: „Ich.“

Er nahm ein Schwert, sie zu zerhauen, aber er ließ es und schickte sie weg. Er ging zur Fontäne, umkreiste sie und ließ die Chinesin wieder holen:

„Ich war stärker als deine Voraussage,“ er hob die Stimme, doch sie blieb dumpf.

„Ja,“ sagte sie, „du hast mein Gesicht überschritten, aber ein Pfeil steht auf deine Stirn gezückt. Hier ist das Ende.“

„Wann?“ schrie Timur und lachte wie ein Pferd.

Ihr Gesicht verfiel. Dann in einem Stoß sich aufwerfend wie aus Kratern, zischte sie: „. . . am siebenten Tag im Monat Ramadhan.“ — Dann sank sie auf den Boden, ausgelöscht von Ohnmacht.

Dies war über ein Jahr.

Beim Tisch der Feldherren legte Timur plötzlich die Regierung auf das Haupt Yakous, ihn zu vertreten. Sie schwiegen und fragten nicht.

Die Nacht sprach er mit Guines.

Sein Hirn war voll dumpfem Triumph, schon eh er aufbrach. Er lachte die ganze Nacht. Guines zitterte. In der letzten Stunde sagte Timur: „Glaubst du an mich?“ Er schlug auf den Tisch, ganz sachte, aber er schlug Guines in die Knie. „Ja,“ stöhnte er. Timur lächelte.

Am Morgen verließ ein riesiger Tatar Timurs Zelt. Er ritt, als säßen Geister in seinen Schenkeln. Das Pferd warf die Kruppe in die Luft, ausschlagend. Der Kopf hing zwischen den Vorderbeinen. Manchmal drehten sie sich im Kreise. Die Hufe gingen durch Tage und Nächte in gleichem Aufschlag über der Steppe, der Reiter zählte den Aufschlag, so ritten sie.

An einem See machten sie Halt. Der Reiter zog Hose und Rock aus, die steif waren vor Schweiß, warf sie in die Sonne und stürzte in das Wasser. Der Gaul soff keuchend mit den roten Nüstern. Hier blieb der Reiter Wochen, sah in den Himmel, lachte, brüllte, schwieg, übte sich im Scheibenwerfen und Jagen und zwang einen Vorüberreitenden, mit ihm Ball zu spielen bis in die Dunkelheit.

Dann besprang er das Pferd und ritt weiter. Weißer Schaum flockte aus den mahlenden Kiefern des Tieres.

Langsam teilte sich die Gegend vor ihm auf. Er kam in Wälder von Aprikosen und Pistazien. Ein Hase kreuzte seinen Pfad, er schoß ihn. Speisend traf er Menschen, die keine Waffen trugen. Ihre Jurte war von Feigen gegen die Sonne beschattet. Sie arbeiteten mit Geräten in Gärten und Hainen. Ihre Frauen waren spitzbrüstig und weich. Es gab keinen Speer, keinen Bogen.

Er lebte unter ihnen, den Frieden aufnehmend, der alle trug. In einer Nacht kroch die Frau eines Führers in seine Matte und warf sich auf ihn. Die Nacht noch löste sich der Vorhang. Die blonden Augen eines Mannes stierten glänzend in die Dunkelheit. Seine Hand, vorschnellend, griff in des Tataren Gurgel. Der riß einen Ziegel vom Herd und schlug ihn ihm in den Rücken, daß er die Hände in die Luft krallte und verzuckte.

Der Tatar ließ die Gegend, besprang sein Pferd und trabte weiter, auf seinem Sattel lebte acht Sonnenaufgänge und Mondsicheln lang die spitzbrüstige Frau, bis er sie einer anderen Jurte ließ.

In der Nähe der Stadt Tahauzeguh stieg er ab, zog aus der Tasche des zerrissenen Kleides Pelzwerk und goldene Münzen und ritt geschmückt in die Stadt. Auf den Straßen erhob sich Aufsehen über ihn, die Chinesen lachten, lachten über die Hosen, aus denen Schweiß rann und die Kette an seinen Ohren aus Smaragden.

Waffenlos zog er in eine Karawanserei, zog sich aus und legte sich schlafen. In der Nacht entriß ihm einer den Schmuck. Er stand auf unter drohenden Gesichtern, griff den Knopf einer Tür, lief dem Dieb, im Hemd gekleidet, nach, erschlug ihn auf der Straße, kehrte zurück und legte sich nieder. Das Murren einer Menagerie empfing ihn. Er schlief ein. Aufwachend, fehlte ihm nichts, aber er war allein.

Der Tatar überkletterte ein Gebirge, trabte durch eine Steppe und kam an den Rand der Wüste Ergimul. Auf einem Felsen wohnten zitternde Mongolen, die am Tag Bilsenkraut pflückten, in Angst vor Löwen und Panthern ersterbend, deren Gebrüll nachts in tobenden Wellen über die Gegend jagte.

Sie hatten kupferne Kessel und brannten das Kraut darin, bis es sott. Den Schaum zogen sie ab und handelten ihn weiter, es war ein Opiat, das zwei Tage berauschte.

Der Tatar soff kreischend einen ganzen Abend davon, besprang das Pferd, trabte in die Wüste und legte sich in die Blumen einer Oase. Tagelang schlafend überstürzten ihn Träume von Schlachten und Weibern. Fiebernd schrie er, daß sein Gebrüll das der Tiere überschäumte. Ströme schlugen aus seinem berauschten Leib, der die Tiere verjagte. Löwen prallten zurück und Panther winselten vor Wut.

Erwacht, durcheilte er die große Ebene bis zu einem rötlichen Gebirg. In der Mitte hob sich ein Pyramidenberg mit einer Seite voll aufsteigender Treppen, wie eine Leiter steil und glänzend von Rot. Die Menschen der Dörfer wiesen ihm Pfade, die um das Gebirge führten und sagten ihm, daß bei den Stufen ein Wind herunterfalle, der ihn, aufnehmend, in einen Fluß werfe und zerschlage.

Er stieg die Treppen und fiel nicht.

Oben, wo der Wirbel weißlich tanzte, trat er bis um einen Nagel breit an den Abgrund und hob den Kopf steil. Der Wirbel teilte sich vor ihm. Immer stand er in der Mitte des Trichters, der die Luft in Strudeln um ihn herumriß, daß die Ebene vor seinen Augen hinglitt wie unter fließendem Wasser.

Zurücktretend stieg er ab und ritt nach Persien zu. Im Durchreiten einer kleinen Stadt sah er eine Chinesin auf einem Kamel den Platz queren. Die Blicke begegneten sich, ein Wort warf ihr Tier in das Knie, sie lief zu ihm und riß die Arme um den Hals seines trabenden Pferdes, daß es hielte, und schleifte ein Stück.

„Was willst du?“

„Dich.“

„Woher kommst du?“

„Ich suche dich.“

Sie blieben hier.

Aus den Fenstern der gartenreichen Stadt hingen Seiden. Über die Ebene wellte sich blonder Weizen. Trauben überspannten die Pavillons.

„Es ist gut, so zu leben,“ sagte nach Tagen die Chinesin.

Durch den blauen Abend flogen Rufe der Minarette, die sich in den Himmel, weiße Flammen, spannten.

Der Tatar lachte: „Auf kurze Ruhe.“

Ihr Garten schwebte voll Geruch. Vögel tanzten durch die Pfützen im Kies nach blitzendem Regen.

Als er das Pferd musterte einmal im Stall, sagte sie, zwischen den Pistazien des Gartens stehend: „Du darfst nicht weiter,“ und schloß zum erstenmal wieder die Augen.

Da griff er aus dem Gebüsch eine grüne Schlange, hielt sie an die Zunge, die ihr Zahn sofort durchstieß. „Wo ist das Stärkere? Ich suche es die ganze Zeit.“

Die Zunge schwoll, gebläht von rotem Schleim. Sie wurde dicker und füllte am Ende den Mund an, daß kein Ton aus der Gurgel mehr gelang. Wie sein Kopf begann, bläulich unter dem Gift anzulaufen, zuckte er die Achseln und stemmte sie zurück.

Seine Augen stiegen aus den Höhlen, es schien einen Augenblick, als sauge er die sichtbare Landschaft ein. Dann warf sich ein Schuß Blut in seinen Kopf, und abgetötet lief die Schwellung ab.

In der Nacht weinte die Chinesin und sprach lange auf ihn ein, während der Duft der Gärten sich über die blaue Dunkelheit erhob. Doch er hörte nicht auf sie und ging in den Pavillon, legte sich auf das rechte Ohr und verfiel dem Schlaf.

Auf der Veranda dann zog sich ein Geräusch durch die Klettertrauben. Der Kopf einer Frau leuchtete in das Gemach. Auf Vieren lief sie wie ein Wiesel durch den Raum, richtete sich auf dem Bett hoch, ballte sich in einer Kugel zusammen und schlug weinend ein Messer in die Brust des Tataren.

Der aber, an dessen Rippe das Eisen sich bog, ergriff sie, streifte das helle Kleid über ihre festen gelben Brüste, auf denen die lakierten schwarzen Warzen saßen, und zog sie in seine Umarmung.

„Ich liebe dich,“ stammelte die Chinesin ersterbend: „Ich liebe dich zu sehr.“

Die Hufschläge des Davonreitenden rissen sie morgens wirren Auges aus dem Schlaf, sie streckte die Arme aus. Dann bestieg sie das Kamel und folgte, den Kopf wie ein Luchs zur Erde geneigt, seinen Spuren.

Der Tatar ritt durch die unendlichen Gärten der Birnen und Granatäpfel, durch die Dörfer und die Städte. Eine Dunstwolke umhüllte ihn, sein Pferd rannte, Fett der Ruhe zwischen den Rippen. Sein Anzug lag in Fetzen. Wildes Haar verfilzt hing ihm um das wüste Gesicht.

Am Abhang eines Bergstocks hing auf übergeneigtem Gestein eine Stadt. Zwei Wachen traten ihm entgegen. Als sie sein Aussehen sahen, ließen sie ihn ein. Es war eine Burg noch der Sassaniden, er erkannte es aus der Lagerung der Mauern. Die ganze Stadt stak voll Straßenräubern. Der Tatar trank mit ihnen und schlug den ersten Tag, streitend, zwei nieder. Er bekam Macht.

Ausrückend bald trafen sie eine tatarische Karawane, die nach Mekka zog. Sie plünderten sie aus. Der Tatar ließ den Führern die Augen ausstechen und sandte sie zurück zu Timur, sie sollten ihm den Weg zeigen zurück, wo sie geblendet worden seien.

Sie kamen wieder, Yakou wütend bei ihnen mit einem Heer. Die Räuber warfen sich in die Stadt, gegen die die Tataren anliefen. Der große Tatar unter ihnen nahm die Verteidigung in die Hand.

In manchem Ausfall machten sie Gefangene. Sie schlachteten sie auf den Mauern, bauten große Bogen, pfählten die Köpfe und pfeilten sie den Tataren hinunter in ihr Lager.

Yakou stellte Schleudern auf. Aber der Tatar errichtete die gleichen und schoß im selben Abzug wie Yakou, daß die Granitblöcke sich knirschend in der Luft trafen und zermalmten.

Yakou ließ säumige Soldaten hinrichten und trieb Maschinen in die Felswand, die Stadt zu unterhöhlen. Bei einer Besichtigung, die Yakou machte, warfen die Verteidiger in der Stadt ein Hebelwerk auf. Ein Strom schoß rauschend aus dem Felsen und spülte Yakou und seine Leute in ein Bassin, aus dem sie mitten in der Stadt gefischt wurden mit Netzen.

Ein Geschwaderführer wurde vor Yakou hinaufgebracht in einen Raum, in dem aus einem zugehängten Kabinett eine Stimme ihn anrief. Der Offizier warf sich nieder und erflehte sein Leben. Ein Wink kam aus dem Teppich, er wurde hinausgeschafft an den Beinen wie ein Schwein.

Yakou trat vor. Er schnitt eine Fratze und sah sich um.

Die Stimme hinter dem Vorhang rief:

„Hat je ein Hund sich erfrecht, ohne Gruß . . .“

„Bin ich ein Hund, bin ich nicht deiner.“

„Ein Gefangener.“

„Sei nicht stolz auf den Sieg. Timur hat dreihunderttausend solcher. Ich bin nur einer.“

„Prahle nicht.“

„Du bist ein Tatar. Verräterei machte dich groß. Ich war treu.“

„Ich hau dich entzwei.“

„Mach es kurz,“ sagte Yakou stolz und riß die Brust auf.

Der Vorhang schwankte unter einer dürren Hand, die hakend zog sekundenlang. Dann fiel er.

Wie ein Wolf fletschte Timur lachend Yakou in das Gesicht.

Yakou fiel in die Knie: „Du hast Axalla gedemütigt. Nun demütigst du mich.“

Timur führte ihn hinaus. Sie öffneten die Tore, damit die Tataren eindrängen und das persische Gesindel erschlügen, denn was lag ihm nun daran. Timur saß zu Pferd. Als die ersten Scharen eintrabten, sagte er, umschwenkend, zu Yakou: „Hättet ihr die Stadt genommen, glaubst du, ihr hättet mich erreicht?“

Aber noch ehe Yakous Antwort erscholl, warf er, das Pferd steil aufschießen lassend, es über die Mauer in den Fluß, durchschwamm ihn und kam an das Ufer. Yakou eilte ihm nach über die obere Brücke und schrie nach den Seiten das Geschrei, das sei der Chan.

Timur eilte durch Sumpf und Bäume, trabte, ereilte Geschwader, die erstarrten, ritt durch sie, stinkend von Fett und Schweiß und zerrissen die Kleider.

Vor den Zelten stand Miser Ulek aufgerichtet. Die Tataren warfen die runden Säbel blitzend in die Luft. Mit einem Kamel trabte vom Fluß herauf eine Frau, sie kam näher, es war die Chinesin, während Timur durch die Wellen jubelnden Geheuls wogte.

Timur hielt sein Pferd.

Da sah er auf der Mauer der Stadt jemand einen Bogen spannen und richtete sich groß auf.

Er stand hoch. Wie gegossen. Kein Haar bewegte sich.

Lang sah er im Schweigen auf den Zielenden, dessen Hand die Sehne immer gewaltiger anzog. Es war der siebente Tag des Monats Ramadhan.

Die Zeit war um.

Der Pfeil kam, riß einen zischenden Ton durch die Luft und flog in Timurs Stirn und fiel von ihr nieder.

Timur saß starr. Dann wölbten sich seine Augen zurück in die Höhlen.

Miser Ulek stürzte vor und warf sich gegen ihn, schreiend und seine Schenkel umklammernd. Timur stand ruhig, schob mit einer träumerischen Bewegung die Haare aus der Stirn, es war kein Mal darin, sein Gesicht wuchs wie ein Fels.

Als das Kamel der Chinesin langsam an ihn herantrat, sagte er, auf den Pfeil deutend, leis:

„Gebt ihn ihr.“

Sie hielt ihn wenige Sekunden in erstarrten Händen, warf plötzlich die Hände, ihn anstierend, abschattend vor die Augen, öffnete den Mund und fiel bleich um, ohne Ton.

. . . Timur trabte auf Samarkand.

Den feigen Offizier führte er in einer Kiste mit sich, zu gering, ihn zu töten, ließ er ihm den Bart scheren, ihn mit Bleiweiß und Mennig überstreichen und barfuß, eine Weiberhaube am Kopf, durch die Stadt gehen. Am gleichen Tage, wo er die Chinesin zu seiner sechsten großen Frau mit der bepfauten Tiara erhob, gab er Yakou eine Tochter und endete Zeinabdeddins verbannende Mission.

Kein Maß hielt mehr, keine Prüfung, den schleudernden Herausbruch seiner Pläne.

Filzzelte rauchten über den Ebenen. Tataren kämmten vom halbmondig geschorenen Kopf die Haare lang nach dem Nacken und ölten die Brust Der Himmel glühte in riesigen Bogen vor ihnen her. Der Donner der geschlagenen Steppe rollte vor den Hufen der Geschwader. Dann jagten sie an.

Sie schossen Flitschpfeile, und die Dörfer qualmten auf. Sie rollten durch die Reisfelder. Auf Nachbarbergen standen Lärchenbäume. In dunkle Ballen geduckt, zogen sie in schwindelnden Höhen durch den blauen Himmel über eine Brücke nach Almaligh. In der Stadt fließender Brunnen, um die Türken und Chinesen wohnten, hielten sie Feste, fraßen rohes Pferdefleisch mit blänkernden Zähnen, tranken mit Gekrisch Kumis die runden Nächte. Sie raubten die türkischen Harems aus und beförderten einen Abkömmling des Propheten durch Keulenschläge zum Martyrium.

Die Steppe flimmerte unter dem Reiten. Sie bekam metallene Ränder, die sich erhitzten. Der Boden glühte gläsern. Ihnen schmerzten die Augen, doch sie ritten.

Von einem Baum fiel nachmittags ein Affe und biß Timur in die Achsel. Er gab nicht Acht auf das Geschwür, das eiternd anwuchs. Die Chinesin gab ihm Salben darauf, aber es riß neues Fleisch in sich hinein. Timur ließ zwei Menschen täglich schlachten, deren Hirn die Wunde fraß und, satt, nach Monaten sich schloß.

Stumm, ohne Rede, sah ihn die Chinesin an, die sein Pfühl öfter bewohnte als die anderen Frauen. Seine Stirn war blank.

Eine Gesandtschaft des Sultans Bajazeth brachte zwei weiße Papageien. Miser Ulek teilte sein Zelt, als sie eintraten. Sie richtete sich auf, groß, geschmückt und gemalt um die Augen, nahm den Kniefall der Gesandten und bat Timur um die Tiere. Er sagte ihr, daß er sich freue, ihr zu Willen zu sein. Sie wandte sich an die Turbanträger und sagte ihnen: daß, wenn sie sich auch tagelang an den Tieren ergötze, sie diese dennoch nur lehren werde zu sagen, daß das Staubkorn solchen Geschenks Timur keinen Augenaufschlag durch aufhalten werde, ihren Sultan niederzuschlagen.

„Du bist stolz,“ sagte einer der Turkmanen.

Timur sagte: „Es ist nicht nötig, stolz zu sein, um so kleine Dinge zu sagen.“

Die Gesandten gingen, geschüttelt vor Zorn und Feigheit.

Die Tataren warfen Katapulte in ein Schloß, das das Meer umspülte, erritten die Mauer, von den Sätteln aus hochspringend, und wurden heruntergestürzt. Schielend vor Wut setzten sie sich in Klumpen um die Stadt. Ein Unterhändler ritt aus den Mauern, aber beim Verhandeln mit vorgegangenen Feldherren machten die Belagerten einen Ausfall und hieben ein Geschwader Tataren zusammen. Die Tataren brausten in Bogen um die Stadt, fingen den Einwohnern selbst die letzten Mäuse und Ratten, bis diese begannen, ihre Toten zu speisen,

Ihr Feldherr kam morgens, abgezehrt, allein heraus, sich zu unterwerfen, deutlich den Degen und das Schweißtuch in der Hand. Er stand vor Timur:

„Du hast gesiegt. Ich muß fliehen. Wohin? Zu dir.“

„Ich weiß es zu belohnen,“ sagte Timur und überantwortete ihn dem Wind des Untergangs. Gierig die Hände, zu rächen, lauerten die Tataren seines Winks, dann schossen sie in die Stadt. Timurs Sohn Keser ergriff Hauptleute und brach ihnen die Rücken wie Pfeile durch. Zeinabdeddin erhielt eine Lanze in den Mund. Einen Pfeil noch in der Hüfte kam er zu Timur, deutete mit der Hand, daß er nicht reden könne, legte den Kopf auf seine Füße und eilte lächelnd aus seiner Jugend hinaus in die Gruft.

Die Tataren rissen die Türen aus, zwischen den Fenstern blitzten ihre gesalbten Brüste. Spielend flogen die blanken Messer. Timur befahl siebzigtausend Köpfe. Ihre Arme erlahmten, die Zungen fuhren erregt durch den Mund. Sie kauften gierig, hundemüde, Köpfe voneinander.

Timur ließ sie vorbeitraben, sie hielten Köpfe in der Hand. Die Chinesin stand neben ihm unter goldenem Zeltdach. Sie stieß die Hände in die Brust.

Keser führte des toten Zeinabdeddins Geschwader. Seine Brust war gewölbt und sein Bauch eingezogen, daß, lag er, Hunde mit gerecktem Schweif durch die Höhlung laufen konnten. Zwei geraubte Frauen lagen auf seinem Sattel.

Reitend kamen sie zum Paß Conghez, den drei Reiter verteidigten, einen Wall Tataren vor sich niederlegend. Als Timur selbst vorsprengte, kam der größte der drei auf ihn zu und schlug ihm zweimal feurig über den Helm, daß er erstaunt stand wie eine Säule. Über die Felsen herunterkletternd schlug ihm Keser den abgehauenen Kopf des Riesen vor die Füße.

Unter ihnen dehnte sich eine Landschaft, glatt und ohne Welle, mit Fruchtbäumen, Quellen und vielen Lusthäusern geschmückt.

In diesen Gegenden rastend und den Genuß der strahlenden Sonne nehmend, noch den Frost wirbelnden Schneesturms der Gebirge in den Knochen, kam eines Mittags, wo Timur ein Lustzelt aufbauen ließ zwischen Tulpen in einer Wiese, aus einem Hain eine Ziege, größer wie ein Pferd, ein Horn auf der Stirn und voll langer grüner Haare, die die Erde überstreiften. Die Chinesin, die neben ihm stand, duckte sich schreiend nieder.

Das Tier kam einen langsamen Gang auf sie zu, die Augen und das Horn gegen Timurs Brust gewendet, aber gerade vor ihm verlor es die Richtung seines Ganges. Es bewegte die Nase gegen die Höhe und zog einen Bogen weiter. Je mehr es sich entfernte, um so stärker glänzte sein Fell, bis es, eine weiße Wolke, in den Hain zurückschlug.

Die Chinesin hieb mit allen Gliedern um sich und klopfte die Stirn auf den Boden vor Verzweiflung, die sich endlich sprengte. Sie schrie: „. . . genug, genug . . .“ und faßte sich nicht. Er fragte sie, warum sie es wolle und sie sagte, weil sie ihn liebe, er aber lächelte mit einer Falte über sie hin. Hinter ihnen standen Negerinnen und Miser Ulek. Steif das Gesicht wie ein Segel flüsterte sie: „Preis für feige Offiziere, heulende Maus“. Aber Timur schüttelte die filzigen Haare um den Kopf, daß sie schwieg.

Er ließ Guines holen in das Zelt und eine Windrose asiatischer Erde malen. Zu zwei Dritteln füllte er sie mit roter Farbe. Auf den Rest deutete er, seine Augen beherrschten opalig breit das Zelt, er sagte:

„Dies ist in meine Hand gegeben, soll ich das andere lassen?“

Ihre Lippen formten „zu viel“, aber ihr Atem gab dem kein Leben, denn seine ungeheure Stirn erblickend, stürzte vor ihren Augen auch das letzte Zeichen, und, erblassend, fiel sie vor ihn und versprach, ihre Liebe zurückzuwerfen über ihre Angst und die Stimme zu töten, die aus ihr sprach.

Sie schwieg.

Schwieg Monate. Ihre feuchten porzellanenen Blicke leuchteten blau wie der Mond.

In einer Nacht wieherten Pferde hell und wild. Es war eine weiße Nacht.

Ein Bote wurde in das Zelt geführt.

Der Feldherr des Sultans Bajazeth beugte sich ein wenig vor Timur und kündete ihm die Schlacht. Seine Stimme war hart und edel. Timur schenkte ihm ein Pferd.

Er bat, es am nächsten Tage gegen ihn reiten zu dürfen. Timur nickte.

„Ich werde das Geschenk in Ehren halten,“ sagte der Feldherr.

Timur hielt eine Pause den Atem. Dann sagte er barsch:

„Ich lösche es morgen wieder aus.“

Am anderen Abend bestieg Timur sein Lager über den gebückten Rücken des Sultan. Aus den erschlagenen Köpfen baute er Türme. Sie stiegen gieriger als die Minarette Samarkands in den Himmel. Tataren wälzten sich fliegend über Konstantinopel. Sie ließen die Glocken spielen und lagerten über den Gärten am Meer.

Die Tataren waren behängt wie Weiber mit Turbanen voll Steinen. Ihre Ausdünstungen überroch Ambra. Aus Moscheedecken schnitten sie Satteldecken. Goldne Ketten flochten sie um ihr Haar und die Gebisse der Gäule.

Timur befahl den Zug nach Ägypten. Dem Heer voranreitend traf er auf dem Marsch nachts in Tauriz ein, das ein Sohn von ihm residierte. Sie trabten vor das Haus, das er bewohnte. Die Gärten waren erleuchtet, Gesindel und Musikanten trieben sich in den Scheinen der Laternen durch die Gebüsche.

Sie ließen die Pferde fressen im Hof und stiegen hinauf. In dem großen Saal lag er auf einem Haufen Teppiche. Die Fenster standen geöffnet gegen die hinteren Gärten, die veilchenblau in der hellen Dämmerung sich hoben.

Zerbrochen waren die Weinkrüge, der Wein ausgegossen, die Schöne in seinem Arm zerwühlt, die Halsschleife zerknüllt. Aus der Ecke tönte schwach die Halbtrommel. Aus dem Mund der Flöte einen Augenblick aufgähnend, die Haare verwirrt wie die Frauen, die das Gesicht nachts schmollend gegen die Wand kehren, sah er auf nach der Seite, ohne Timur zu sehen. Auf den Teppichen lagen Schlafende überall, auf einem Ast, sichtbar, vor dem Fenster, sang eine Nachtigall ein Gasel, trotzdem erwachten sie nicht.

Timur ließ seinem Sohn, hinaustretend, Zeit bis zur Nüchternheit. In den sternüberflogenen Garten schlug er ein Zelt. Er hatte keine Zeit zum Verweilen, am Morgen, eh er ritt, ließ er ihn vor sich kommen.

„Ich habe eine halbe Stunde für dich,“ sagte er. „Was hast du getan in der Zeit, die ich dir die Provinz gab, welche Sherife hast du geschlagen, welche Provinzen erobert? Hast du Vesten unter dich gelegt, Städte gesprengt . . . Hast du Künstler gefangen und Bauten gemacht . . . Welche Heere hast du geordnet, Aufstände gedämpft? Eile dich im Reden, meine Zeit für dich ist knapp, sie soll gerecht sein.“

Der Sohn schlug die Augen nieder.

„Nichts,“ sagte Timur. „Du hast geschwelgt, getrunken. Du bist weich gelegen. Hast keine Feldherren. Die Provinz ist nicht bewacht, keine Grenze erweitert. Du hast keine Jagden abgehalten. Kränze auf deinen Kopf gesetzt wie ein Grieche.“

Der Jüngling hob den weichen Kopf und sagte trotzig:

„Hast du nicht Feste gefeiert wie keiner der Chane? Lag die Steppe nicht tagelang voll wälzender Soldaten? Ist dein Frauenhaus nicht das größte?“

„Du wirfst mir vor. Gut. Rechnen wir ab.“ Timur trat herabgebückt vor zu dem in den Hüften Schaukelnden: „Gut. Aber . . .“ er zog den Mund zusammen, daß es eine Falte gab und durch den gedämpften Ton ein gepreßtes Keuchen aus dem Innern stieg:

„. . . ich habe sie verdient. Erworben. Glaubst du, sie haben mich nichts gekostet wie dich? Glaubst du an die Abenteuer des Geistes, Kampf der Seele? Weißt du um Prüfung? Und Überwindungen . . . Weißt du, über welche Zacken der Qual erst eine Tat entsteht? Ich kann kein Blut sehen, aber ich muß es vergießen, um daran zu steigen wie keiner.“

Erschrocken vor dieser heiseren und verächtlich geballten Stimme warf sich der Jüngling hin und flehte, aufgelöst, daß er nicht verbannt werde in die Wüste Cipribet, wo Timur die gefallenen Emire sammelte. Sein ängstliches Kinderauge lauerte.

Timur kniff die Augen zusammen und sah Augenblicke lang auf den Sohn.

Dann öffnete er das Zelttuch und sagte:

„Das wäre die Strafe, weil du unnütz lebtest. Aber weißt du, daß du nicht mehr leben darfst, nachdem du mich gereizt hast, daß ich dir dies sagte . . .“ Der Jüngling fiel bleich hinaus. Tataren brachten ihn in einen Garten mit Galbudsamurblumen, die den Wind vergifteten, der ihn mit zerpflückten Locken auf einem Rosenbeet überwand.

Die Mondköpfe Timurs grüner Paniere rollten über Flüsse und die toten Arme des Meeres. Palästina füllte sich mit Reitern, kleinnasig, mit aufgeworfenen Lippen und olivenfarbenen Wangen. Ihre spitzen Augen schoben schräg nach der Stirn. Sie ritten gegen das brandende Meer, das sich weiß vor ihnen aufsteilte. Sie konnten nicht weiter.

Sie legten die Gesichter in Fratzen, drehten scheu, bespritzt, und stoben, sich schüttelnd, zurück in die heißen wogenden Wüsten. Sie überritten die Städte der Küste, zerschlugen Jerusalem, rollten Pfeilschwärme über Damaskus. Schlugen Mameluken, hingen Männer auf an den Füßen, Weiber an den Brüsten.

Als Timur Alcair mit Katapulten in Brand schoß, betrat der ägyptische Fürst weinend den Boden der Flucht. Die Mondköpfe stürmten die Stadt. Sie glühte auf dreißig Parasangen, daß die Nacht hell wurde.

Ein dunkler Punkt in den roten Dämpfen stand gegen den Himmel der junge Fürst und schaute auf seine Stadt, bis die Türme und Kuppeln krachend zerstoben. Dann erst warf er sich von den Dämmen in den Nil.

In dieser Nacht reizte Miser Ulek einen kurdistanischen Stamm, dessen letzter Abkömmling sie war, daß er die eigene Nachhut überfiel, abfiel von Timur und, die Chinesin raubend, floh. Miser Ulek sah die Chinesin nicht an, sie saß auf einem Eildromedar in einem schilfgeflochtenen Drahtkorb, vergittert, unter dem Gepäck.

Yakou meldete es Timur noch die Nacht, schon zum Zeichen der Trauer in blauer Filzkleidung das Zelt betretend.

„Die Chinesin,“ keuchte Timur. Dann brüllte er auf. Aber sofort sich packend, gab er dem alternden Yakou die Hand und ging über seine Rede hinweg. Sich schüttelnd verfolgte er den ägyptischen Fürsten drei Tage, bis er ihn, einfing wie einen Hasen. In einer Schlinge zappelnd wurde er vorbeigeführt.

Doch Timur sah ihn nicht, schon wendete er. Mit dreitausend ausgewählten Hauptleuten entflammte er die Erde mit schlagenden Hufen. Doggen stürzten vor ihnen her auf der Spur.

In einem Steinbruch fingen sie den Stamm. Timur riß dem Schach selbst die Augen heraus. Die anderen sotten sie in siebzig Kesseln. Es waren zwei Prinzen aus Timurs Haus dabei. Sie sotten. Sein Kopf war unbeweglich. Blaß mit roten Rändern um die Lider stand die Chinesin hinter ihm.

Den Abend brach mit der Hand am Dolch ein Neffe bei ihm ein. Timur riß ihm mit dem Säbel den Unterarm ab. „O daß ich sterbe . . . o daß ich sterbe . . .“ stöhnte der Junge, der seine Brüder rächen wollte. Timur gab ihn zum Sterben.

„Auch du hast deinen Oheim getötet,“ sagte die Chinesin.

„Gott wollte das,“ sagte Timur stolz. „Was will der Fant?“

Hochfahrend kam Miser Ulek vor das Gericht, das Timur ihr aus Fürsten stellte. Sie hatte sich mit Schmuck belegt und bemalt wie eine große Fürstin. Aus Versehen führten sie die Wachen zuerst in das Zelt des wachthabenden Emirs. Timur ließ dem Emir Stockschläge auf die Sohlen geben, denn sie war seines Geblüts und er ehrte sie im Zorn noch, daß sie nicht im Haus eines Untergebenen weile.

Das Gericht sprach kein Wort vom Raub der Chinesin. Dies wurde nicht erwähnt. Miser Ulek sprach keine Silbe. Das Gericht verhandelte wie nach Vereinbarung über einen Seid, den Miser Ulek in ihrer chinesischen Residenz, die sie, Timurs Zügen folgend, nie besuchte, auf der Straße erstechen ließ, weil er vergaß, ihr zu ihrem Geburtstag eine Aufwartung zu machen. Sie wurde zu tausend Balischen Gold verurteilt.

Kurz lag ihr Blick auf der Chinesin, stechend und kalt.

Sie erwiderte kein Wort, Timurs Gesicht blieb starr, als sie, die die Flamme seiner Pläne war, hochaufgerichtet, klirrend von Steinen, die er ihr geschenkt, den Raum verließ.

Sie fastete zehn Tage, aber das Leben der zähen Katze, das in ihr schlief, verlief nur schwer. Als am elften Tage die Stimme der Gottheit an sie erscholl, rief sie, schön noch mit bleichen Lippen: „Ich bin bereit.“

Kein anderes Weib als die Chinesin kam fürder auf Timurs Pfühl.

In einem Tale stiller Gräser und Tiere lebte er mit ihr ein halbes Jahr und jagte Schwäne auf den Teichen.

Eine Mondfinsternis riß ihn auf, er kehrte nach Samarkand zurück und rüstete den indischen Zug, leblos die Chinesin mit sich führend. Die Feldherrn kamen in das dunkle kleine Haus, der Garten war überdacht mit Leinen, die Fontäne knallte. Guines nahm den flimmernden Lauf der Sterne auf, die aus entfernten Gebirgen aufstiegen. Timur füllte bis auf ein Kleines das letzte Drittel seiner Windrose. Aus allen Provinzen Asiens fielen Heere in die Ebene, erstiegen die Gebirge und strömten in die Tiefländer.

In einem südlichen Gebirg gingen Menschen an ihnen vorbei, stolz wie Götter, die, weißer Haut, von der Sonne angeglüht, auf dem hohen Schnee nackt liefen. Waffenlos traten sie heran, stellten die Arme auf die Hüften und ließen lächelnd die Tataren vorüberreiten. Sie hießen Siapusch. Timur ließ ihren Anführer von einem Gletscher hinabstürzen, er flog, die Arme gebreitet, ab.

Als erster warf Timur sein Pferd in den Indus, dann brachen die Heere tagelang nach und zerwühlten den Strom. An der steinernen Kuh, aus deren Euter der Ganges fällt in sieben Strahlen, warf er ein Heer der Inder um.

Er ließ die lebenden Gefangenen zusammenschichten zu Türmen, legte feuchten Lehm und Gebälk dazwischen, mörtelte sie ein. Die Türme schwankten wie Schlangen bis in die Nacht. Dann erstarrten sie.

Geknäult in sein Zelt, die Augen weit geöffnet, sagte er, wenn indische Trophäen kamen, der Boten überdrüssig: „Was kommen sie, bin ich müde?“, und sandte ihnen den Todesbefehl entgegen.

Auch hier teilte die Chinesin sein Zelt.

Am unteren Ganges fing die Vorhut einen Prinzen, schön wie ein Schläfer, daß die Papageien der Chinesin zu singen anhuben wie die Lerchen, geblendet von ihm. Er ließ ihn, um den viele als Sklaven inbrünstig baten, um seine Schönheit in einem Ausgleich zu ehren, in seidenen Tapeten zu Tode rollen.

An den Seiten der Flüsse folgten seinem Fuß zuckende Türme, die sich in das Rot schwerer Abende hineinkrümmten. Die Tataren gossen sich aus dem Gebirg herunter, Pfeile schütteten die Wälder zu, Pferdegewieher rauschte in die Ströme.

Timur warf die Geschwader um Dehli.

Zur Entsetzung der dreistaffligen Königsstadt kamen um den Bogen des Stroms Hunderte von Schiffen rotgesegelt eines Morgens den Fluß herauf. Das stahlblaue Band der Strömung zitterte. Mit Katapulten zerschmetterten die Tataren knallend die Hölzer. Bogenschützen, die Ufer säumend, mit Harnischen, schossen den Fluß rot, daß er über die Ufer trat.

Um Dehli lag ein fester Ring. Andere Geschwader lösten sich. Wie Bremsen glitzernd warfen sie das Land unter ihre Pferdebäuche bis ans Meer. Als die Wellen vor ihnen sich wütend in die Höhe bogen, ritten sie knirschend zurück.

Aus Dehli fiel ein Heer aus. Das Tal stand überflutet von braunen Indern. Elefanten wogten an mit giftigen Dolchen. Glocken, Pauken und Trommeln knatterten. Aus den Tatarenreihen flogen Flitschpfeile. Ochsen sausten los, brennendes Reisig zwischen den Hörnern, die Augen dunkelgebläht.

Tatarenhaufen stießen in die braunen Massen, rissen mit geschärften Ringen die Rüssel der Elefanten aus den Körpern. Das Tal spie Blut in den Gangesarm. Die Braunen schwanden. Tataren brachen bis an die Tore. Auf dem Feld tanzten die Nacht in gekrümmten Sprüngen die ausgerissenen Rüssel.

Mit krummen Schenkeln, obeinig, ersprangen, die Tataren die Vorstädte, drei Tage schwangen sie die Messer, die Gheberer warfen ihre Kinder und Frauen ins Feuer, die Muslemin aus Angst vor den Tataren erdrosselten sie, und, selbst die Leiber zerhackt, entfielen sie den Säbeln der Tataren.

Nach diesen drei Tagen schmiß Keser seinen Säbel auf einen Prellstein, spie aus und ritt zu Guines. Den zwang er zu seinem Vater zu laufen mit den Worten, die er ihn lehrte:

„Ich habe gekämpft wie wenige deiner Feldherrn. Du hast mich belohnt. Ich danke dir. Doch ich bin diesen Auftrag müde. Bin ich ein Metzger oder ein Hund? Ich fechte nicht weiter in der Stadt. Ich werfe mich in den Staub vor deiner Kraft. Aber bedenke, hättest du die Verwüstungen Nebukadnezars, die Macht der Amalekiter: das Grab eines Palastes ist das Ende. Ein Hemd und ein Rock, reines Wasser und Brot ist alles, was ein durchgängiger Wandersmann verlangen muß und schon zuviel für einen. Mein Kopf steht dir frei. Aber ich höre auf, laß es genug sein.“

Ein Wolkenbruch spülte Wellen Wassers in die Zelte und der Wind war voll Schwaden Blutdampfs. Guines erwartete seinen Tod, dem er bei Keser entronnen war, nun bei Timur. Doch der sandte ihn Keser zu holen.

Timur hob die Braue, groß gefüllt, und sagte: „Knabe . . .“ Weiter kam ihm kein Wort, denn der Mann, der zehn Sherife gestürzt, fiel in die Knie.

Die Chinesin sah auf ihn, die Augen schimmernd und hob die Hand ins Haar.

Als der Regen drohender anlief, legten sie Filz in die Straßen, der das Wasser einsog und hieben weiter. An den Gebetschnüren hingen die Radschas aus den Fenstern der hochgegliederten Paläste. Naphthafeuerwerker setzten den Fluß in Brand.

Als die Stadt leer war, füllte Timur den letzten Fleck von Weiße auf seiner Windrose, die Welt lag in seinen Händen, schaukelnd nach dem Tempo seines Atems, es gab kein Tier, das nicht unter seinen Pfeilen stand.

So wuchs er über alles.

Von den Gliedern der Chinesin fiel eine Starre, in einer glühenden Umarmung wühlte sie sich die Nacht an seine Brust.

Allein es war noch nicht die Zeit.

Yakou kam als letzter aus der Stadt, den Kopf zitternd tragend, ordnete die ungeheuren Massen der Gefangenen, küßte Timurs Sohle und, nicht mehr sprechend, vom Joch der Monate überspannt, zog er sich in den Winkel seines Zeltes zurück und wandte fürder das Gesicht der Nische der Gottesverehrung zu.

Seine Tat war getan. Seine Hände glitten über kostbare Stoffe, die er ordnend durch die Finger führte und im Hingleiten der Tage erhielten seine Augen sicheren ruhigen Glanz.

Am Morgen kam als Bote des griechischen Kaisers der Prinz von Schiruan, breitete vor dem Zelt neun Ladungen aus edler Geschirre, neun Kamele voll Teppiche und acht gelehrte Sklaven, die Harfen, Zirkel und Papierrollen trugen. Sie fragten ihn, wo der neunte sei, wie die Sitte es wolle. Er hob die Hand, bog sie um und stellte den Finger gegen die eigene Brust.

Die Heere Axallas, die die Küsten durchstäupt hatten, kehrten donnernd zurück. Axalla fehlte. Sein Schreiber brachte seinen Brief: „Vierzig Jahre führe ich Krieg mit dir. Der Tod schlägt mich am Meer entzwei, ich sterbe in Verdruß, daß ich nicht Dehli mit dir nehmen kann. Doch bin ich nicht groß genug, um bis ans Ende mitzugehen.“

Es war ein heißer Morgen, ganz gelb voll spiegelndem Licht. Timurs Mund war geschlossen, als er mit der Chinesin die Schätze musternd vorüberging, das Letzte der Welt. Die Strahlen flogen in Fluten darüber. „Einsam,“ sagte Timur, „aber am Ziel.“

„Leben wir,“ sagte die Chinesin: „Es ist überstanden.“

Den Abend ließ er die Gefangenen zusammenpferchen. Sie füllten den ganzen auslaufenden Kessel des Gebirgs. Es waren hunderttausend Leiber, um die die gelbkalkigen Abhänge hingen. Ihnen gegenüber stellte Timur die Halbbogen zweier Heere an das andere Ende der Ebene. In der Nacht ging der Fluß zurück und ließ silbrige Quallen. Heiße Fontänen spritzten um das Lager in die Höhe, und zwei Kometen bohrten sich durch den hängenden Himmel.

Am Morgen ging Timur vor das Zelt.

Dann schritt er einen Hügel hinauf, der mit einem Kegel mitten in der Ebene aufstieg.

Links wogte im Kessel die braune Flut, ungedämmt, sich an den Wänden brechend, der Gefangenen. Rechts hielten die Tataren, bereit zum Sturm. Zwischen ihnen am Fuße des Hügels war eine Tribüne, und ein Tatar hielt, das Gesicht heraufgerichtet, einen halbgerafften Teppich in der Hand.

Die Tataren hielten unbeweglich, gegossen, die Zügel zwischen die Zähne eingespannt. Die Pferde stemmten die Beine nach vorn, an den Mäulern zurückgerissen. Die runden Säbel blitzten in der Sonne. Sie hingen blutgierig wie zwei geschwollene Wolken am Ende des Gebirgs.

Da begriff die Chinesin.

Die Freude losch aus ihren Blicken. Und das Schweigen brechend wandte sie ihre erschütterte Seele gegen ihn und beschwor ihn. Während die stille Sicherheit, die sie aus den vergangenen Tagen gesogen, einstürzte vor neuer Qual, rief sie die Schlichtheit seiner Gärten vor ihn hin, die Kanäle, die Flüsse, die Paläste, Samarkand. „Leben wir. Laß das Unnötige.“ Sie zog den Mund in einem Bogen, daß die gedämmte Inbrunst der Sprache über ihr Gesicht rann und sie verstummte.

Eine Flamme schoß aus den Augen der Chinesin, Timur schüttelte den Kopf: „Ich gehe bis an das Ende.“

„Gott hemmt dich in mir.“

„Du warst der Stachel nur Gottes, daß ich nicht rastete.“

Sie riß mit einem Schrei das Kleid von ihrer Brust und jammerte: „O daß ich dich tötete . . . o daß ich dich tötete.“

Mit einem Sprung kehrte sie sich um, legte die Hände vor den Mund, und, vor ihn tretend, rief sie hinunter zur Tribüne:

„Vorhanghalter, laß den Vorhang fallen. Es ist keine Vorstellung mehr.“

Doch auf ihre kleine Stimme, die nicht hinunterreichte, geschah nichts. Sie kehrte, die Hände senkend, sich um.

Sie sah auf Timurs Stirn mit einemmal die Stelle, die der Pfeil getroffen, erhellt wie ein rotes Gestirn, von dem Riefen nach den Seiten liefen und heller wurden. Hinter seinem Kopf stieg die Sonne aus dem Gebirg, und sein Gesicht, aufgeklärt und wie mit einer Keule verdichtet, wuchs zu Granit hinein in die roten Kreise, die sich darum nieteten und ihre Strahlen aussandten, die schon den letzten Horizont entzündeten.

Da nahm sie die Hand an die Stirn und fiel, zurückgedonnert von diesem Gesicht.

Aber er, vor die Frau tretend, die hinfiel abgeblendet, nahm, indem er sie aufhob, die Sehne aus der Gabelung seines Bogens und zog und umschnürte ihren Hals. Dann biß er ihn auf, nahm einen Mund voll ihres Blutes und gab den Wink, daß der Vorhang sich hebe, hinunterschreitend zu den Zelten, durchbraust von Gott, der ihn berief, auch in diesem Letzten, sein unsterbliches Gesicht glänzend wie Gold.






End of the Project Gutenberg EBook of Timur, by Kasimir Edschmid

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in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
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that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
business@pglaf.org.  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


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     http://www.gutenberg.org

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