The Project Gutenberg EBook of Erinnerungen by Ludwig Thoma This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license Title: Erinnerungen Author: Ludwig Thoma Release Date: September 26, 2009 [Ebook #30097] Language: German Character set encoding: US-ASCII ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ERINNERUNGEN*** _Ludwig Thoma / Erinnerungen_ Ludwig Thoma *Erinnerungen* Mit 8 Zeichnungen von Olaf Gulbransson Einmalige Ausgabe Deutsche Hausbuecherei Hamburg _Band 588_ Diese Buch erscheint hiermit in Einmaliger Ausgabe fuer die _Deutsche Hausbuecherei, Hamburg 36, Schliessfach 233_, und wird nur an Mitglieder der Deutschen Hausbuecherei abgegeben. Einzeln ist es in der Originalausgabe des Albert Langen / Georg Mueller Verlag, Muenchen, nur im Buchhandel zu haben. Der Einbandentwurf stammt von Hans Bohn. Der Druck und das Einbinden erfolgten in der Hanseatischen Verlagsanstalt, Hamburg-Wandsbek. _Copyright 1919 by_ Albert Langen / Georg Mueller Verlag G.m.b.H., Muenchen. _Printed in Germany_ INHALTSVERZEICHNIS Kinderzeit Schuljahre Im Berufe ABBILDUNGSVERZEICHNIS Thoma mit dem Wilderer Bismarck auf der Durchreise in Prien Thoma als Anwalt in Dachau Auf der Jagd Thoma beim Tarock Thoma und Ganghofer Thoma mit Taschner, Peter Thoma und Schauspieler Deng "UM MICH IST HEIMAT. UND DIE ERDE KANN EINMAL DEN, DER SIE HERZLICH LIEBTE, NICHT DRUeCKEN" Handschriftenfaksimile KINDERZEIT Die Vorfahren meines Urgrossvaters waren Klosterjaeger bei den Zisterziensern in Waldsassen; einer von ihnen wird um 1618 im Pfarrbuche als _Venator regius_ aufgefuehrt und war demnach ein Jagdknecht des boehmischen Winterkoenigs Friedrich, der als Kurfuerst von der Pfalz das schon im Jahre 1560 saekularisierte Kloster Waldsassen mit seinem riesigen Waldbesitze von seinen Vorgaengern uebernommen hatte. Erst nach einem vollen Jahrhundert, um 1669, wurden die Zisterzienser wieder in ihre Rechte eingesetzt, und die Klosterjaeger Thoma fanden wohl genug Ursache zu Verdruss und Streit mit den rauhhaarigen Hintersassen, die sich nur langsam an Gesetz und Recht gewoehnten. Schon 1525 hatte der Pfaelzer Kurfuerst mit grobem Eingriff in die Machtsphaere der Abtei den Bauern die Jagd freigegeben, die sie wie ueberall und immer missbraeuchlich ausnuetzten. "Die Aecker lagen brach, auf den Wiesen flog der Wald an, und die Bauern taten nichts mehr als jagen", erzaehlt der Chronist. Allmaehlich mag's wieder besser geworden sein, denn als am 4. September 1786 Herr Wolfgang von Goethe auf seiner Fahrt nach Italien von Karlsbad her durchreiste, fand er in dem Stifte Waldsassen ein "koestliches Besitztum der geistlichen Herren, die frueher als andere Menschen klug waren". Vielleicht stand unter irgendeinem Torbogen der noch nicht zwanzigjaehrige Sohn des Joseph Adam Thoma und sah die Eilkutsche vorueberrollen, in der der Olympier sass und sich freute, dass ihm die heimliche Abreise so wohl gelungen war. Die Begegnung liesse sich einbilden, denn mein Urgrossvater hielt sich dazumal in Waldsassen auf. Ueber ihn, den Geheimen Oberforstrat _Joseph Ritter von Thoma_, besitze ich genauere Nachrichten aus Familienpapieren und aus dem Buche von Dr. _Hess_: "Lebensbilder hervorragender Forstmaenner." Er wurde in Waldsassen im Januar 1767 geboren - genau hundert Jahre vor mir -, trat 1791 in kurbayrische Dienste, kam 1799 nach Muenchen als Rat der Landesdirektion Bayerns und trat 1817 an die Spitze der bayrischen Forstverwaltung. In dieser Stellung verblieb er bis 1849. Er heiratete _Sabina Freyin von Heppenstein_ und fuehrte mit ihr eine glueckliche, mit Kindern gesegnete Ehe. "Er starb", heisst es bei _Hess_, "an demselben Tage, an welchem der Koenig das Dekret ueber die von ihm erbetene Versetzung in den Ruhestand unter Anerkennung seiner grossen Verdienste durch Verleihung des Komturkreuzes des Verdienstordens der bayrischen Krone unterzeichnete. Am 7. Mai 1841 hatte er unter grosser und freudiger Teilnahme der Forstbeamten im ganzen Koenigreiche sein 50jaehriges Jubilaeum begangen." Als sein hervorragendes Werk wird ihm die Forstorganisation von 1822 nachgeruehmt, durch welche erst die Einheit der bayrischen Forstverwaltung geschaffen wurde, und die in ihren Grundzuegen bis 1885 erhalten blieb. Auch als Jaeger genoss er ein hohes Ansehen, und als um 1841 die Verhaeltnisse in der Leibgehegsjagd zu starken Klagen Veranlassung gaben, wandten sich die Revierfoerster und Jagdgehilfen vertrauensvoll an meinen Urgrossvater, der Abhilfe schuf. Der Koenig verlangte von ihm ein Gutachten ueber einen passenden Vorstand der Hofjagd-Intendanz. Es handelte sich um zwei Bewerber, Forstmeister Kaltenborn von Freising und Forstmeister Reverdys von Berchtesgaden, die beide ihre Laufbahn als koenigliche Leibjaeger begonnen hatten, dann Revierfoerster und Forstmeister geworden waren. Nach der in unserer Familie erhaltenen Ueberlieferung war mein Urgrossvater ein stattlicher Mann von wuerdevollem Wesen, guetig, wortkarg, doch geselligen Freuden nicht abgeneigt, ein eifriger Jaeger bis ins hohe Alter und ein geschaetzter Musiker. Ich besitze eine nach der Natur gezeichnete Lithographie von ihm, die von der hohen Portraetkunst jener Zeit ein sprechendes Zeugnis ablegt. Das kraeftig geschnittene Gesicht, an dem die hohe Stirn und ein Paar kluge, versonnene Augen auffallen, zeigt keinen buerokratischen Zug und liesse in ihm, wenn die Unterschrift fehlte, einen Kuenstler vermuten. Sein aeltester Sohn, mein Grossvater _Franz Thoma_, war viele Jahre Forstmeister in Schongau und hatte ausgedehnte Jagdreviere, die vor dem Jahre 1848 sehr wildreich waren; ein alter Jagdgehilfe von ihm, der in Oberammergau im Ruhestand lebte, erzaehlte mir davon Wunderdinge, und wenn auch einiges Latein gewesen sein mag, so blieb noch genug Wahrheit uebrig, um mir zu zeigen, dass damals das goldene Zeitalter der Jaeger war. Bei den Treibjagden mussten die Bauern noch Dienste leisten, und die Beute war so gross, dass man etliche Leiterwagen zum Heimschaffen brauchte. Das beruehmte Freiheitsjahr brachte das grosse Schinden und die Vernichtung des Wildstandes auf lange Zeit hinaus; es war kaum mehr Uebertreibung, wenn die "Fliegenden Blaetter" einen Foerster zeigten, der im Tiergarten den letzten Rehbock im Kaefig betrachtete. Die Verwuestung seiner Jagd griff meinem Grossvater ans Herz, und er mochte nicht mehr in den ausgeschossenen Revieren bleiben. Er gab um Versetzung ein und kam nach _Kaufbeuren_, wo der spaetere Ministerialrat _August von Ganghofer_, der Vater Ludwig Ganghofers, sein Aktuar wurde. Meine Mutter wusste mir viel Freundliches von ihrem Schwiegervater, der sie sehr geschaetzt haben muss, zu erzaehlen. Er war ein temperamentvoller Herr, und meine Neigung zum Jaehzorn soll ich von ihm geerbt haben, aber fuer gewoehnlich zeigte er eine gewinnende Froehlichkeit, und ein Schreiben der Buerger Schongaus, die ihrem Forstmeister zum 25jaehrigen Jubilaeum gratulierten, ruehmt ihm besonders Herzensguete gegen Arme nach. Meine Mutter hiess ihn einen Kavalier von der alten Schule, ohne mir den Unterschied zu der neueren zu erklaeren, und meine Tante Friederike, die als "koenigliche Forstmeisterstochter aelterer Ordnung" erst vor einigen Jahren im Damenstifte Neuberghausen starb, ruehmte ihrem Vater peinliche Akkuratesse in der aeusseren Erscheinung nach. Im Jahre 1862 starb er. Seine Witwe, _Henriette Thoma_, lebte bis 1871 in Lenggries, treu und liebevoll behuetet von ihrem aeltesten Sohne Max, der in der nahen _Vorder-Riss_ als Oberfoerster hauste. Er war mein Vater. Aus seinen Zeugnissen und Briefen entnehme ich, dass er im November 1842 die Universitaet Muenchen bezog. Dort hat sich der "lange Thoma" einen guten Namen als Schlaeger gemacht und Proben einer ungewoehnlichen Koerperkraft abgelegt, sonst aber sich so gefuehrt, dass ihm Anno 1845 der Rektor Dr. _Doellinger_ urkundlich bestaetigen konnte, "es liege hierorts nichts Nachteiliges gegen ihn vor". Er bestand die theoretische Pruefung der Forstkandidaten und wurde zur praktischen Vorbereitung auf den hoeheren Forstdienst zugelassen. Drei Wochen spaeter wurde ihm von seinem Forstmeister und Vater Franz Thoma eroeffnet, dass ihm die "Praxisnahme auf dem Forstrevier Hohenschwangau" gestattet sei, und dass er fuer diese Eroeffnung einen Taxbetrag von 34 Kreuzern zu erlegen habe. Im Januar 1846 wurde er zum Verweser des Gehilfsposten beim Reviere Wies mit einer "Remuneration von taeglich 15 Kreuzern" gnaedigst bestimmt und avancierte dann zum wirklichen Forstgehilfen in Thierhaupten, spaeter in Peissenberg. Als Aktuarsverweser in Ettal bezog er bereits im Jahre 1847 eine Taggebuehr von 45 Kreuzern und bewies alle Zeit die Wahrheit des Sprichwortes: Mit wenigem lebt man wohl. Er galt als guter Jaeger und Kugelschuetze. Dagegen scheint er beim Trinken Zurueckhaltung beobachtet zu haben. Ein Freund macht ihm brieflich diesen Vorwurf, woraus ich schliesse, dass man damals den Fehler als ungewoehnlich ruegen durfte. In _Toelz_, wo der Forstgehilfe Max Thoma zu Forsteinrichtungsarbeiten im Jahre 1852 weilte, zeigte man mir in einer Weinstube noch zu Anfang der achtziger Jahre eine Kneipzeitung, die er mit Text und Karikaturen ausgestattet hatte. Er lachte gerne und liess sich keine Muehe verdriessen, um einen Spass von langer Hand her vorzubereiten und sorgfaeltig durchzufuehren. Man war damals harmlos und froehlich in Altbayern, gemessener im Ernste, derber im Scherze als heute. Bei Scheibenschiessen und Jagden war lustige Neckerei nicht bloss gern gesehen, sie galt als notwendige Wuerze der Geselligkeit. Der Liebreiz jener Zeit ist uns erhalten geblieben in den klassischen Zeichnungen _Max Haiders_, der Hofjagdgehilfe war, bevor ihm Koenig Max die Mittel zur kuenstlerischen Ausbildung gewaehrte. Das Sturmjahr 1848 ist, wie es mir scheinen will, an meinem Vater voruebergegangen, ohne ihn in seinen Tiefen aufzuwuehlen. Er war stark angefaerbt von dem Humor, der damals die Gestalten des Barnabas Wuehlhuber und des Kasimir Heulmaier in den "Fliegenden Blaettern" schuf, und seiner ruhigen, festen Art sagten die Auflaeufe der Philister vor dem Hause der Lola Montez so wenig zu wie die mit Tiraden gespickten Flugblaetter. Im uebrigen konnte dem jungen Forstmanne das, was er zunaechst vor Augen hatte, nicht als neuer Segen erscheinen. Anno 1857 wurde er zum Revierfoerster in _Piesenhausen_, Forstamt Marquartstein, ernannt und heiratete _Katharina Pfeiffer_, eine Tochter der Schwabenwirtseheleute von Oberammergau. Die Familie Pfeiffer, frueher in Oberau ansaessig und beguetert, stand in gutem Ansehen. Damals waren Gastwirte Respektspersonen in der Gemeinde, die ihr Gewerbe neben der Landwirtschaft trieben und sich um des Fremdenverkehrs willen nichts vergaben. Sie hielten scharfes Regiment im Hause aufrecht und litten keine Unordnung. Der Schwabenwirt, ein kurz angebundener Mann, galt etwas und brachte sich vorwaerts, unterstuetzt von einer braven Frau, die zuweilen bei so hohen Gaesten wie Koenig Max Ehre mit ihrer Kochkunst einlegte. Es war selbstverstaendlich, dass die Toechter bei jeder haeuslichen Arbeit mithelfen mussten, in Kueche und Keller, wie in der Gaststube. Die Kinder sagten zu jener Zeit "Sie" zu den Eltern, und der Verkehr in der Familie bewegte sich in gemessenen Formen, die keine unziemliche Vertraulichkeit oder Unbescheidenheit aufkommen liessen. Ein Brief, in dem meine Mutter als sechzehnjaehriges Maedchen ihre Eltern um Beisteuer zu einem Sommerkleide bittet, zeigt nach Stil und Inhalt so viel altvaeterliche, strenge Zucht, dass man versucht ist, ihn sehr viel weiter zurueckzudatieren. Sie hielt sich damals in Muenchen auf, um sich nach gutem Brauche in einem renommierten Gasthause in der Kochkunst zu vervollkommnen. Es galt als Vorzug, dass sie diese Lernzeit bei _Grodemange_ verbringen durfte. Was sie hier sah und lernte, trug sie saeuberlich in ein dickes Heft ein. Gedruckte Kochbuecher hatten damals wenig Geltung, und ich habe heute noch das staerkere Vertrauen zu jenen geschriebenen Rezepten, die ich als Erinnerungen aufbewahre. Nach einem halben Jahre kehrte meine Mutter freudig zurueck. Sie hing zeitlebens mit allen Fasern an ihrem Heimatdorfe und an ihrer aelteren Schwester Marie, die in jungen Jahren den k. Posthalter und Verleger _Eduard Lang_ heiratete, frueh Witwe wurde und die auf uns Kinder durch ihre vornehme, stille Art einen unvergesslichen Eindruck machte. Die Schwabenwirtstoechter, deren jugendliche Anmut mir eine Daguerreotypie zeigt, fanden neben ihrer Arbeit immer noch Zeit, ihren Geist zu bilden, und wenn sie nicht allzuviel lasen, so lasen sie ganz gewiss nie einen seichten Roman. Man ergoetzte sich gemeinsam mit Gleichstrebenden an einem guten Buche, und ein studierender Juengling konnte sich in den Ferien hohe Anerkennung erwerben, wenn er seine erst kuerzlich erworbenen Kenntnisse in literarhistorischen Bemerkungen zu "Werthers Leiden" oder zu "Hermann und Dorothea" zeigte. Man las neben einigen Klassikern auch Stifters Studien, dies und jenes von Jean Paul, und man fuehrte darueber empfindsame Gespraeche, bei denen die Maedchen wohl nur die Zuhoererinnen abgaben. Dies alles bewegte sich in bescheidenen Grenzen, fuehrte nicht zu Ueberklugheit und foerderte eine wirkliche Herzensbildung. Wie das im lieben Deutschland ueblich ist und war, mussten auch in Oberammergau gleichgestimmte Naturen einen Verein gruenden zur Pflege ihrer Ideale, oder der Liebe zum "Guten, Wahren und Schoenen", wie man damals sagte. Der Verein erhielt den Namen "Ambronia" mit Beziehung auf den lieblichen Fluss, der sich durch das Tal schlaengelt. Hochstrebende Juenglinge, die spaeter als Notare, Aerzte und geistliche Raete im Vaterlande wirkten, schlossen den Bund, dem auch bildungsfrohe Maedchen beitreten durften. Wer sich geneigt fuehlt, darueber zu laecheln, der lege sich die Frage vor, wo heute noch in einem kleinen, abgelegenen Dorfe eine solche Vereinigung zustande kommen koennte, und ob in diesem Streben nicht ein gesunderer Kern steckte als im Literaturklatsch und in den Moderichtungen unserer groesseren Staedte. Im uebrigen war Oberammergau in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein geeigneter Platz fuer solche Neigungen und Ziele. Es sassen weitgereiste Leute dort, denn ein reger Handel mit Schnitzereien, nicht zuletzt mit den reizvollen Spielwaren, ging durch ganz Europa und auch ueber See. Mancher hatte sich tuechtig in der Welt umgetan und den Wert gediegener Bildung schaetzen gelernt, aber jeder fuehlte sich erst wieder gluecklich, wenn er heimgekehrt war und behaglich im Ampergrunde zu Fuessen des Kofels sass. Unter den Schnitzern gab es vortreffliche Kuenstler, die, weil sie sich zu bescheiden wussten, Vollendetes leisteten. Sie alle haben ihr Koennen der gemeinsamen Aufgabe, dem Passionsspiele, gewidmet, und dieses stand damals in seiner schoensten Bluete, denn im ganzen und in jeder Einzelheit zeigte es die aus traditioneller Kunstfertigkeit hervorgegangene Eigenart, die es spaeter im Grossbetriebe mit den von auswaerts bezogenen echten Dekorationen und Kostuemen verloren hat. Die Hingabe der Gemeinde an den "Passion", den Ruhm der Heimat, war damals frei von ungesunden Spekulationen, von Hoffnungen auf unmaessigen und leichten Gewinn. Erst der Zustrom des englischen und des noch schlimmeren amerikanischen Sensationspoebels hat das Bild veraendert. Aber jene aelteren Generationen von Aposteln und Juengern des Herrn richteten ihr Leben ein wenig nach dem Stile ihres heiligen Spieles ein und zeichneten sich durch Wohlanstaendigkeit aus. Sie handelten und redeten mit einiger Getragenheit und liessen sich von dem Bewusstsein leiten, dass sie auf einem Podium stuenden und von vielen beachtet wuerden. Im Glauben an den besonderen Beruf des Ammergauers, der das Gefuehl einer engen Zusammengehoerigkeit staerkte, war man gluecklich und zufrieden. Mit den kleinen, typischen Haeusern, die im Erdgeschosse eine Stube hatten, von der aus hinterm Ofen eine Stiege in die obere Kammer fuehrte, ist auch anderes verschwunden. Ich darf einer edlen Persoenlichkeit nicht vergessen, die von groesstem Einflusse auf das patriarchalische Leben in der Gemeinde war und ihm ein besonderes Gepraege gab. Ich meine den geistlichen Rat _Joseph Aloys Daisenberger_, der manches Jahrzehnt Pfarrer in Oberammergau war und als hoher Achtziger dort starb. Von ihm ist die gegenwaertige Fassung des Passionsspieltextes sowie eine vortreffliche Geschichte des Dorfes, die man im 20. Bande des Oberbayrischen Archives findet. Ausserdem hat der wuerdige Herr einige vaterlaendische Schauspiele verfasst, die seinen Ammergauern Gelegenheit boten, ihre schauspielerischen Talente zu ueben. Ich habe noch eines gesehen und dabei meinen Onkel Hans Lang als ritterlichen Herzog von Bayern ziemlich lange Saetze sprechen hoeren. Daisenberger war das Urbild eines guetigen Priesters, ueber dessen Lippen nie ein hartes Wort kam, nie ein unduldsames, und der mit einem stillen Laecheln es ruhig dem Leben ueberliess, stuermische Meinungen zu glaetten. Er kuemmerte sich nicht um Ansichten, sondern um das Schicksal eines jeden, er war Freund und Vater in jedem Hause, immer bereit, zu helfen. Die Gemeinde hat ihm auf dem Friedhofe ein Denkmal errichtet. Die wohlgetroffene Bueste ist von dem Bildhauer Otto Lang modelliert, der als Sohn des Muehlbartl Sebastian aus einer alten Ammergauer Schnitzerfamilie stammt. Mehr noch als das Denkmal ehrt den edlen Daisenberger die Erinnerung an ihn als den Schutzgeist Ammergaus, eine Erinnerung, die manches wohltaetige Beginnen veranlasste und ihm die rechte Weihe gab. Ich habe den alten Herrn noch gut gekannt. Wenn meine Mutter zu Besuch im Verlegerhause weilte, durfte ich ihm die "Augsburger Abendzeitung" bringen, die er taeglich von meinen Verwandten erhielt. Er hatte stets ein gutes Wort fuer mich, den er getauft hat; ein Umstand, der meiner Mutter zur Hoffnung und Beruhigung diente, wenn es bei mir im Aufwachsen nicht immer schnurgerade nach oben ging. Weil ich nun das Denkmal Daisenbergers erwaehnte, will ich beifuegen, dass auch dem Altbuergermeister Oberammergaus, meinem Oheim _Hans Lang_, dem viel geruehmten Kaiphas des Passionsspieles, ein solches errichtet werden soll, das wiederum _Otto Lang_ modelliert und in Muenchen zur Ausstellung gebracht hat. Es wird ausgefuehrt werden, wenn es wieder Bronze fuer diese Zwecke geben wird. Der Buergermeister Lang hat es wohl verdient um sein Heimatdorf, das fuer ihn die grosse und kleine Welt gewesen ist. Ich glaube nicht, dass irgendein Ereignis auf dem _Theatro mundi_, ueber das er sich weltklug zu verbreiten wusste, sein Inneres je so gewaltig aufregte, wie etwa die Besetzung der Rollen im Passion, und kein Eingriff in die Menschenrechte konnte ihm so verbrecherisch erscheinen wie der Versuch, den Text des Spieles zu aendern und dem modernen Empfinden anzupassen. Ein Versuch, den eingewanderte Schoengeister mehrmals unternehmen wollten. Aber dagegen erhob sich immer der Zorn des Volkes, und Kaiphas fuehrte eine so drohende Sprache wie vor dem Statthalter Pontius Pilatus. Er war ein behaglicher und braver Mann, mit einem lebhaften Temperament begabt, gescheit und bildungsbeflissen, der als Juengling in der Ambronia aus dem Wissensquell schoepfte, als Mann jedem toerichten Zwange abhold blieb und sich, waehrend er sich gerne unterrichtete, doch nach dem Goetheschen Rezept auf das Naechste beschraenkte und Tuechtiges leistete. Ammergau darf sich gluecklich schaetzen, wenn es auch kuenftig Maenner findet, denen die Heimat so viel und alles gilt wie ihm. Den Mittelpunkt im Dorfe, wie den Mittelpunkt im Leben vieler mir teurer Menschen bildete das Verlegerhaus von Georg Langs sel. Erben. Wie ich schon oben erwaehnte, ging frueher, besonders im 18. Jahrhundert, der Handel mit Ammergauer Waren durch ganz Europa, wie auch nach Nord- und Suedamerika. In vielen Staedten des Auslandes bestanden Handelshaeuser und Niederlagen der Ammergauer, so in Kopenhagen, Petersburg, Moskau, Amsterdam, Cadix, Lima u. a., und der Ammergauer Kraxentraeger ging seine Wege durch vieler Herren Laender. Das Sterbebuch der Gemeinde weist nach, dass ueberall in der Welt Leute aus dem Dorf taetig waren, bis sie ferne von der Heimat starben. Zur Zeit der Napoleonischen Kriege stockte der Handel, die Niederlagen im Auslande wurden groesstenteils aufgegeben. Dafuer wurden in Ammergau selbst Verlagshaeuser gegruendet, das bedeutendste von _Georg Lang_. Dessen Sohn _Johann Lang_ hat nach 1815 als ruehriger und umsichtiger Geschaeftsmann den Handel wieder in Flor gebracht, sich selber einen grossen Wirkungskreis geschaffen und eine sichere Existenz gegruendet. Das haette auch dem Fremden und Uneingeweihten das stattliche Haus verraten. Wie es dastand mit weit ausladendem Schindeldache, darauf die grossen Steine, nur zwei Stockwerke hoch, aber in die Laenge gedehnt, glich es einem behaebigen Bauernhofe, und dem Eintretenden sagten schon die prachtvolle geschnitzte Tuer mit Handelsemblemen, der gewoelbte Gang, die breite Treppe, dass er sich in einem ansehnlichen Buergerhause befinde. Gute Stiche schmueckten die Waende des Treppenhauses und der in schoenen Verhaeltnissen angelegten Zimmer und vermittelten den Eindruck, dass sich einige Generationen hier mit Geschmack wohnlich eingerichtet hatten. Zu ebener Erde waren ineinandergehend vier geraeumige Laeden, in denen mit Rokokoornamenten verzierte Glaskaesten standen, die manches wertvolle Stueck der Ammergauer Kunst enthielten. Zwei Laeden waren angefuellt mit Spielwaren, Puppen, Pferden, Botenfuhrwerken, Bogen und Pfeilen, Armbrusten, Hampelmaennern und vielem anderen. Man stelle sich einen Knaben vor, der aus der Risser Einsamkeit kommend ploetzlich vor diesen angehaeuften Herrlichkeiten stand, und man wird verstehen, wie heute noch der Eindruck in mir so stark nachlebt, dass fuer mich das Verlegerhaus der Inbegriff einer schoenen Behaglichkeit geblieben ist. Zu Anfang der fuenfziger Jahre hatte Eduard Lang, der Sohn von Johann Lang, Anwesen und Geschaeft uebernommen und die Schwester meiner Mutter geheiratet. Er muss ein edler, liebenswerter Mensch gewesen sein, denn noch viele Jahre nach seinem Tode - er starb schon 1859 - war die Erinnerung an ihn im Dorfe wie in der Familie lebendig. Meine Mutter hat mir oft die Redlichkeit seines Charakters und seinen feurigen, begeisterungsfaehigen Sinn geruehmt. Seine Witwe, der die Sorge fuer sechs Kinder oblag, blieb zeitlebens eine stille Frau, die ich immer ernst sah; sie genoss in ungewoehnlichem Grade Liebe und Verehrung, nicht zuletzt von seiten meiner Mutter. Ein verhaltener, gedaempfter Ton von Trauer blieb an dem Hause haften; nicht so, dass er stoerend gewirkt haette, aber doch so, dass kein lautes Wesen aufkommen konnte. Behaglich blieb es bei alledem, und wenn der Herr Oberfoerster aus der Riss zu Besuch kam und im Kreise der vielen aelteren und juengeren Damen seine lange Pfeife rauchte - eine bemerkenswerte Verguenstigung -, dann gab es auch lebhafte Froehlichkeit. Mein Bruder und ich haben als junge Holzfuechse erfahren, wie viele erzieherische Talente in erwachsenen Kusinen stecken, denn sie verwandten einige Muehe auf die Glaettung unserer Manieren. Aus einem anregenden Kreise, in dem sie wohl gelitten war und herzliche Freundschaft gefunden hatte, trat meine Mutter im Jahre 1857, um ihrem Ehemanne nach _Piesenhausen_ bei Marquartstein zu folgen. Mein Vater hatte nach Pflicht und Brauch beim Koenig Max um eine Audienz nachgesucht, und meine Mutter erzaehlte mir noch viele Jahre spaeter mit Laecheln und Erroeten, dass der Koenig ihm zur Wahl der Gattin Glueck gewuenscht und gesagt habe, er sehe wohl, dass seine Revierfoerster einen ausgezeichneten Geschmack verrieten. Der Koenig kam fast alljaehrlich nach Ammergau, und da mochte es wohl geschehen sein, dass ihm beim festlichen Willkommen die Toechter des Schwabenwirtes Blumenstraeusse ueberreicht hatten. Dass er sich daran erinnerte und dem jungen Forstmanne diese herzliche Freude bereitete, zeigt seine Guete und seinen Takt, die ihn, wie der alte _Riehl_ erzaehlt, ganz besonders auszeichneten und ihm alle Herzen gewannen. In Piesenhausen wohnten meine Eltern mehrere Jahre in gluecklicher Ehe, der zwei Kinder, mein Bruder Max und meine Schwester Marie, entsprossen. Mein Vater fand alles Behagen am haeuslichen Herd; es ist ihm treu geblieben, und er hat es wohl zu wuerdigen gewusst. Ein wertgeschaetzter Freund wurde ihm der Pfarrer von _Grassau_, der ein passionierter Jaeger war und einer von den praechtigen geistlichen Herren, die _Max Haider_ verewigt hat. Man erzaehlte von ihm, dass er einmal beim Messelesen die Wandlung vergessen habe, weil vor der Kirche das Jagdhorn zum Aufbruch blies. Ich habe aber die Geschichte so oft ueber den und jenen Pfarrer erzaehlen hoeren, dass ich sie fuer erfunden halte. Sie war wohl bezeichnend fuer den Jagdeifer der Herren. Die schaerfere Richtung, die spaeter kam, hat den harmlosen Freuden ein Ende gemacht, und sie hat, wie mir erzaehlt wurde, dem geistlichen Rat in Grassau weh genug getan. Als er schon hochbetagt war, hetzte ein junger Kooperator die Bauern gegen ihn auf, indem er seinen Eifer oder gar seine Rechtglaeubigkeit in Zweifel zog, und es fanden sich wirklich Leute, die dem guetigen Manne bei einer Katzenmusik die Fenster einwarfen zum Danke fuer viele Wohltaten, die er den Armen erwiesen hatte. Damals aber, in den fuenfziger und sechziger Jahren, freute man sich an den Pfarrern, die froehliche Junggesellen waren, jeden Spass in Ehren gelten liessen und sich beim Scheibenschiessen und Jagen offenbar tuechtig zeigten. Denn in allen Darstellungen spielt der Hochwuerdige niemals etwa so wie der Landrichter, Assessor oder Lehrer eine komische Figur. Im Jahre 1861 wurde mein Vater als Revierfoerster nach _Partenkirchen_ versetzt. Er hatte darum nachgesucht, wohl auch auf Bitten meiner Mutter, die sich gluecklich fuehlte, als sie wieder ins Werdenfelser Land und in die Naehe der Ammergauer Heimat kam. Waehrend der vier Jahre, die meine Eltern in Partenkirchen blieben, gab es vornehmlich zwei Ereignisse, von denen uns spaeter erzaehlt wurde. Das eine war der grosse Brand, bei dem die Haelfte des enggebauten Dorfes in Asche gelegt wurde, und das andere die beruehmte letzte Baerenjagd im Wettersteingebirge. Sie ist mehrmals in Zeitschriften geschildert worden, obwohl sie ohne rechten Schluss blieb. Denn Meister Petz entkam, wenn auch schwer angeschossen, und verendete vermutlich in irgendeiner unzugaenglichen Schlucht. Einem alten Foerster, der mit dabei war, kam der Baer auf dreissig Schritte, aber es versagten ihm die beiden Schuesse seines Kugelzwillings; die Kapseln brannten leer ab. Dass er Ruhm und Schussgeld verlieren musste, verdross den Alten so schwer, dass er wochenlang gemuetskrank war und kein anderes Wort als laesterliche Flueche ueber die Lippen brachte. Sobald ihm ein Bekannter begegnete, schrie er ihm von weitem zu: "Brauchst nix red'n ... woass scho ... woass scho ... Himmel ... Herrgott ..." Nur durch Anwendung von Alkohol gelang es ihm nach und nach, sein seelisches Gleichgewicht wieder zu erlangen. In Partenkirchen lernte mein Vater den Muenchner Kunstmaler _Julius Noerr_ kennen, der ihm in der Folgezeit ein lieber Freund geworden ist. Noerrs Landschaften erregen neuerdings Aufsehen bei Kritikern, die jetzt die Muenchner Kunst der sechziger Jahre entdecken und erstaunt ueber die hohen Werte sind, die sich ihnen darbieten; vielleicht koennen ihnen die Landschaften wie die Tierbilder Noerrs, seine reizvollen Aquarelle und Zeichnungen, seine Genrebilder zeigen, wie vielseitig dieser Kuenstler war, der wie kaum ein anderer die Alpenwelt kannte und in nie versiegender Freude am Malerischen jeder Spezialitaet abhold blieb. Von seinen Wanderungen durch Tirol und Oberbayern brachte er Mappen voll kostbarer Studien heim. Wie er mit einfachen Mitteln in Bleistiftskizzen Stimmungen festhielt, ist bewundernswert, und keiner hat so treu und so liebenswuerdig wie er Jagd und Jaeger im bayrischen Gebirge geschildert. Sein Lebenswerk kann in der Heimat kaum voll gewuerdigt werden, da die meisten seiner Bilder nach England verkauft worden sind, doch vermag das, was sich bei einheimischen Sammlern vorfindet, immerhin das hohe Koennen Noerrs darzutun. Ein Koennen, das freilich in jener Zeit mehr verbreitet und notwendige Vorbedingung war. Mit billiger Genialitaet durfte man sich damals nicht hervorwagen; um das zu ermoeglichen, war lange Vorarbeit der segensreichen Kritik notwendig. In dem alten, noblen Muenchen, dem _Pocci_, _Schwind_, _Spitzweg_, _Schleich_, _Lier_, _Riehl_, _Kobell_, _Lachner_ und manche andere das Gepraege gaben, musste einer was koennen, der aus der Reihe hervortreten wollte, und sie alle, die etwas konnten, waren vornehm und haetten sich das laute Geschrei der Markthelfer verbeten. Noerr war spaeterhin ein regelrechter Sommergast in der Vorder-Riss, und obgleich er sich nicht viel mit uns abgab, wurden wir Kinder ihm besonders anhaenglich. Es war eine vielbegehrte Gunst, ihm beim Malen zuschauen zu duerfen. Seine Freundschaft hat meinem Vater viel gegolten, und seine Kunst hat ihn in bescheidenen Massen selber zum Schaffen angeregt. Zu einigen Zeichnungen Noerrs, die in "Ueber Land und Meer" erschienen sind, hat er die Texte verfasst. In Partenkirchen blieb mein Vater, bis er im Jahre 1865 als Oberfoerster - der Titel war geaendert worden - in die Vorder-Riss kam. Die Familie war auf vier Kinder angewachsen, und der Umstand liess meine Eltern wuenschen, jene Oberfoersterei, mit der Oekonomie und Wirtschaft verbunden waren, zu erhalten. Der Posten war wegen seiner Einsamkeit nicht uebermaessig begehrt, und doch wurde diese Einoede meiner Mutter wie uns Kindern zur liebsten Heimat, die wir in der Rueckerinnerung erst recht mit allen Vorzuegen ausschmueckten. Im Januar 1867 besuchte meine Mutter ihre Schwester Marie Lang in Oberammergau, um im Verlegerhause ihre Niederkunft abzuwarten, denn sie getraute sich nicht, in der Riss zu bleiben, weit ab von jeder Hilfe, die bei starkem Schneefalle ueberhaupt nicht erreichbar gewesen waere. Am 21. Januar gegen Mittag kam ich zur Welt, und meine Verwandten erzaehlen mir, ich haette gerade, als sie von der Schule heimkamen, so laut geschrien, dass sie mich schon auf der Strasse hoerten. Meine ersten Erinnerungen knuepfen sich an das einsame Forsthaus, an den geheimnisreichen Wald, der dicht danebenlag, an die kleine Kapelle, deren Decke ein blauer, mit vergoldeten Sternen uebersaeter Himmel war. Wenn man an heissen Tagen dort eintrat, umfing einen erfrischende Kuehle und eine Stille, die noch staerker wirkte, weil das gleichmaessige Rauschen der Isar deutlich herauftoente. Hinterm Hause war unter einem schattigen Ahorn der lustig plaetschernde Brunnen ganz besonders merkwuerdig und anziehend fuer uns, weil in seinem Granter gefangene Aschen und Forellen herumschwammen, die sich nie erwischen liessen, so oft man auch nach ihnen haschte. Drunten am Flusse kreischte eine Holzsaege, biss sich gellend in dicke Staemme ein und frass sich durch oder ging im gleichen Takte auf und ab. Ich betrachtete das Haus und die hoch aufgeschichteten Bretterlager von oben herab mit scheuer Angst, denn es war uns Kindern strenge verboten, hinunterzugehen, und als ich doch einmal neugierig ueber den Bachsteg geschritten war, kriegte ich vom Vater, der mich erblickt hatte, die ersten Hiebe. Noch etwas Merkwuerdiges und die Phantasie Erregendes waren die rauchenden Kohlenmeiler, gerade unterm Hause, an denen russige Maenner auf und ab kletterten und mit langen Stangen herumhantierten. Hinter Rauch und Qualm leuchtete oft eine feurige Glut auf, aber trotz der Scheu, die uns der Anblick einfloesste, trieben wir uns gerne bei den Kohlenbrennern herum, die in kleinen Blockhuetten hausten, auf offenem Herde ueber prasselndem Feuer ihren Schmarren kochten und die Kleinen, die mit neugierigen Augen in den dunklen Raum starrten, davon versuchen liessen. Wieder andere gefaehrlich aussehende Riesen, die grosse Wasserstiefel an den Fuessen trugen, fuegten Baumstaemme mit eisernen Klammern aneinander; wenn sie, ihre Aexte geschultert, dicke Seile darum geschlungen, in unser Haus kamen und sich im Hausfloez an die Tische setzten, hielt ich die baertigen Floesser fuer wilde Maenner und traute ihnen schreckliche Dinge zu. Sie waren aber recht zutunlich und boten uns Kindern Brotbrocken an, die sie zuerst ins Bier eingetaucht hatten; allmaehlich gewoehnten wir uns an sie, und es musste uns sehr streng verboten werden, im Floez bei den Tischen herumzustehen. Unsere besonderen Freunde waren die Jaeger. Fast alle gaben sich mit uns ab, keiner aber verstand es besser, unsere Herzen zu gewinnen wie der Lenggrieser _Thomas Bauer_, der immer helfen konnte, wenn ein Spielzeug zerbrochen war, und der nie ungeduldig wurde, sooft wir auch mit Bitten zu ihm kamen. Gewiss waren die Geschichten, die uns Viktor erzaehlte, wunderschoen, aber was waren sie gegen die Erlebnisse, die unser Bauer droben im Walde mit Zwergen und Berggeistern gehabt hatte! Wenn er vom Puerschgang heimkam, sprangen wir ihm entgegen und staunten ihn an, wenn er einen erlegten Hirsch oder einen Gamsbock brachte, und immer hatte er was fuer uns, eine seltsam geformte Wurzel, einen Baumschwamm oder eine Pfeife, die er unterwegs aus einer Rinde zurechtgemacht hatte. In seinem Jaegerstuebchen war er nie vor uns sicher; kaum hatte er es sich auf seinem Kanapee gemuetlich gemacht und seine Pfeife angebrannt, dann trippelten kleine Fuesse ueber die Stiege herauf und polterten gegen die Tuere, deren Klinke nicht zu erreichen war. Es half ihm nichts, er musste die Quaelgeister einlassen und viele Fragen beantworten, ob er den Zwergkoenig mit dem langen Bart und dem spitzen Hut gesehen habe, und ob die Gams mit den goldenen Krickeln noch auf dem Scharfreiter herumspringe. Er muss uns vormachen, wie die Gamsboecke blaedern, und auf dem Schnecken, wie die Hirsche im Herbst schreien, und wenn er sein Gewehr zerlegte oder eine Uhr reparierte oder einen Gamsbart fasste, schauten neugierige Kinderaugen dem Tausendkuenstler zu. Vertrauen und Neigung hingen sich so fest an den Mann, dass er uns allen als Sinnbild und Verkoerperung des stillen Glueckes galt, das wir in der Riss gefunden hatten. Ein gern gesehener Mann war der Lenggrieser Bote. Die allgemeine Freude ueber diese Verbindung mit der Aussenwelt ging auch auf uns Kinder ueber, und der mit allerlei Gaben gefuellte Plachenwagen uebte grossen Reiz auf uns aus. Man lernt nur in einer solchen Abgeschiedenheit das Vergnuegen am Kleinsten kennen, und Staedter vermoegen es sich kaum vorzustellen, wie Zeitungen, Briefe und Pakete erwartungsvolle Spannung verursachen, oder was frisch gebackene Semmeln einmal die Woche bedeuten koennen. Wieviel Freude brachten damals die illustrierten Wochenschriften "Ueber Land und Meer" und die "Gartenlaube" in das Forsthaus! Dazu gehoerten Pfeife und duftender Kaffee und ein Kreis von Menschen, die gewillt waren, alles wohlwollend anzunehmen, was ihnen geboten wurde, die Nachrichten aus einer fernen Welt mit Interesse zu hoeren und sich dabei in ihrem Winkel erst recht wohl zu fuehlen. Wie waren aber jene Zeitschriften damals im besten Sinne weltbuergerlich und wussten Eigenart und Verschiedenheit der Voelker so zu schildern, dass es Teilnahme, nicht aber feindselige Gefuehle erregte! Ich blaettere zuweilen noch in den alten Baenden und finde die Stimmung jener Tage wieder. Zu den vielen gescheiten Kindern, die den Kreis ihrer Angehoerigen durch tiefsinnige Fragen und Antworten immer wieder in Erstaunen versetzten, werde ich wohl auch gehoert haben, doch sind mir keine erwaehnenswerten Aussprueche ueberliefert worden; dafuer etliche Schrecknisse, die ich bestand. Ein Hafen voll heisser Milch, der mir ueber die Brust geschuettet wurde, spielte in der Chronik Viktors eine wichtige Rolle, daneben eine Axt, die ich mir ins Bein hackte, und ein Rausch. Ich kam als kleiner Kerl hinter einen halben Liter Rotwein, den mein Vater eben mit einem Freunde hatte trinken wollen, als sie beide aus irgendeinem Grunde rasch aus dem Zimmer eilten. Gleich darauf ass man zu Mittag, und ich fiel vom Stuhl, sooft man mich darauf setzte; es liess sich nicht mehr leugnen, dass ich betrunken war, und die Folgen blieben nicht aus. Mein Vater hielt mich durch sie fuer genuegend bestraft, wie er ueberhaupt kein Freund von Pruegeln war, und er fragte mich am andern Morgen teilnehmend, ob ich wieder Rotwein moechte; als ich die Frage bejahte, sagte er, das sei ein gutes Zeugnis fuer den Wein. Fuer mich mag es ein Besseres sein, dass jenem ersten Rausche kaum wieder einer gefolgt ist. Mein Interesse an Buechern soll sich sehr frueh gezeigt haben, insofern ich stundenlang ueber Bildern sitzen und unerbittlich auf genaue Erklaerung dringen konnte. Bei Wiederholung von Erzaehlungen musste sich Viktor vor Gedaechtnisfehlern hueten, denn ich duldete keine Schwankungen und verlangte Genauigkeit; ich selber hielt mich nicht daran und liebte schmueckende Uebertreibung, wenn ich mein Wissen an unsern Jaeger weitergab. Die groesste Freude bereitete man mir mit Muenchner Bilderbogen, und der Eindruck, den "Max und Moritz" von Wilhelm Busch auf mich machte, war so stark, dass meine besorgte Mutter das Buch in Verwahrung nahm. Nur zuweilen an besonderen Tagen oder zur Belohnung fuer gutes Betragen durfte ich es anschauen und war schon gleich von der Umschlagzeichnung freudig erregt. Wenn ich heute die zwei Bubenkoepfe sehe, ueberkommt mich noch immer ein stilles Behagen, und sie wirken auf mich wie ein Gruss aus der lieben Kinderzeit. Tante Theres, eine Schwester meines Vaters, die mir das Buch geschenkt hatte, war mir dafuer besonders lieb, und als sie nun gar eines Tages ein kleines Marionettentheater mitbrachte und darauf den "Freischuetz" spielte, hegte ich fuer sie die groesste Zuneigung und Bewunderung. Manches wichtige Ereignis ist in meiner Erinnerung verblasst, manches ganz daraus entschwunden; aber der Abend, an dem ich voll Erwartung vor dem Kunsttempel aus Pappendeckeln sass und die Schicksale des braven Jaegers Max miterlebte, steht immer noch lebendig vor mir. Freilich gab sich Tante Theres, ein stattliches aelteres Maedchen, grosse Muehe, um mit tiefer Stimme, mit bengalischen Feuern und mit Pistolenschuessen Grauen in uns wachzurufen. Wie solche Eindruecke haften bleiben, erfuhr ich viele Jahre spaeter, als ich zu Proben hinter die Buehne des Hoftheaters kam; in dieser Welt von Pappe und Leinwand roch es aehnlich, vielleicht recht entfernt aehnlich, so wie im Marionettentheater, und gleich stand die Auffuehrung des "Freischuetz" vor meinen Augen. Die Talente der Tante Theres fanden in der Riss nicht bei allen so viel Anklang wie bei mir, und ihr Zug ins Kuenstlerische, Geniale oder Theatralische wurde auch spaeterhin, als ich den Tadel verstehen konnte, mit Bedauern festgestellt; sie machte keine sehr gute Heirat, lebte in aermlichen Verhaeltnissen, und das kam eben davon, wie selbst die gutmuetige Viktor sagen konnte. Erleben eigentlich Stadtkinder Weihnachtsfreuden? Erlebt man sie heute noch? Ich will es allen wuenschen, aber ich kann nicht glauben, dass das Fest in den engen Gassen der Stadt, in der wochenlang die Ausstellungen der Spielwarenhaendler die Freude vorwegnehmen, Vergleiche veranlassen oder schmerzliche Verzichte zum Bewusstsein bringen, das sein kann, was es uns Kindern im Walde gewesen ist. Der erste Schnee erregte schon liebliche Ahnungen, die bald verstaerkt wurden, wenn es im Hause nach Pfeffernuessen, Makronen und Kaffeekuchen zu riechen begann, wenn am langen Tische der Herr Oberfoerster und seine Jaeger mit den Marzipanmodeln ganz zahme, haeusliche Dienste verrichteten, wenn an den langen Abenden sich das wohlige Gefuehl der Zusammengehoerigkeit auf dieser Insel, die Tag um Tag stiller wurde, verbreitete. In der Stadt kam das Christkind nur einmal, aber in der Riss wurde es schon Wochen vorher im Walde gesehen; bald kam der, bald jener Jagdgehilfe mit der Meldung herein, dass er es auf der Jachenauer Seite oder hinterm Ochsensitzer habe fliegen sehen. In klaren Naechten musste man bloss vor die Tuere gehen, dann hoerte man vom Walde herueber ein feines Klingeln und sah in den Bueschen ein Licht aufblitzen. Da roeteten sich die Backen vor Aufregung, und die Augen blitzten vor freudiger Erwartung. Je naeher aber der Heilige Abend kam, desto naeher kam auch das Christkind ans Haus, ein Licht huschte an den Fenstern des Schlafzimmers vorueber, und es klang wie von leise geruettelten Schlittenschellen. Da setzten wir uns in den Betten auf und schauten sehnsuechtig ins Dunkel hinaus; die grossen Kinder aber, die unten standen und auf einer Stange Lichter befestigt hatten, der Jagdgehilfe Bauer und sein Oberfoerster, freuten sich kaum weniger. Es gab natuerlich in den kleinen Verhaeltnissen kein Uebermass an Geschenken, aber was gegeben wurde, war mit aufmerksamer Beachtung eines Wunsches gewaehlt und erregte Freude. Als meine Mutter an einem Morgen nach der Bescherung in das Zimmer eintrat, wo der Christbaum stand, sah sie mich stolz mit meinem Saebel herumspazieren, aber ebenso froh bewegt schritt mein Vater im Hemde auf und ab und hatte den neuen Werderstutzen umgehaengt, den ihm das Christkind gebracht hatte. Wenn der Weg offen war, fuhren meine Eltern nach den Feiertagen auf kurze Zeit zu den Verwandten nach Ammergau. Ich mag an fuenf Jahre alt gewesen sein, als ich zum erstenmal mitkommen durfte; und wie der Schlitten die Hoehe oberhalb Wallgau erreichte, von wo aus sich der Blick auf das Dorf oeffnet, war ich ausser mir vor Erstaunen ueber die vielen Haeuser, die Dach an Dach nebeneinander standen. Fuer mich hatte es bis dahin bloss drei Haeuser in der Welt gegeben. Auch mein Vater war gerne in der Riss. Die schoene Jagd, das gute Fischwasser und die Selbstaendigkeit im Dienste konnten ihm wohl gefallen. Freilich gab es auch Unannehmlichkeiten, die nicht ausbleiben konnten, nach der Erfahrung, dass mit grossen Herren nicht gut Kirschen essen ist. Koenig Ludwig II., der sich alljaehrlich mehrere Wochen in der Riss aufhielt, war immer guetig, dankbar fuer die bescheidenste Aufmerksamkeit, und er hatte oder zeigte doch niemals Launen. Aber im Gefolge eines Koenigs gibt es immer Leute, die staerker auftreten als der Herr. Ueberdies lagen als Nachbarn der _Herzog von Koburg_ und der _Herzog von Nassau_ an, die wieder Hofmarschaelle und Jaegermeister hatten, die sich aufzublasen wussten und ihre Sorge um die eigene Liebhaberei hinter der um ihre Hoheiten versteckten. Grosse Herren lassen sich die Muecken abwehren, aber nicht die Ohrenblaeser, sagt ein deutsches Sprichwort, und so musste sich hie und da ein bayrisches Ministerium mit Beschwerden der Hoheiten befassen, die offensichtlich nur Beschwerden ihrer Kaemmerlinge waren. Einmal wurde mein Vater zur Rechenschaft gezogen, weil er zugegeben hatte, dass Pferde des Herzogs von Nassau in der leerstehenden Stallung des Koenigs untergebracht wurden, und er hatte dazu ausdruecklich die Erlaubnis des Oberstallmeisters Grafen Holnstein verlangt, die um so bereitwilliger gegeben wurde, als Holnstein auch auf den Jagden des Nassauer Herzogs oefter zu Gaste war. Irgendein Hofstaller bemerkte den Vorfall, witterte dahinter einen Eingriff in die koeniglichen Rechte und machte diensteifrig Meldung. Graf Holnstein, dem die Sache peinlich war, erinnerte sich nicht mehr an seine Einwilligung, und der Toelzer Forstmeister musste auf Anordnung des Ministeriums meinem Vater einen Verweis erteilen. Er wehrte sich dagegen, wies aus seinen Notizen nach, dass der Oberstallmeister ohne Zoegern den Wunsch des Herzogs erfuellt habe und dass er damit zu einer Weigerung weder Anlass noch Recht gehabt habe; allein da das unbedeutende Ereignis dem Grafen Holnstein gaenzlich aus dem Gedaechtnisse entschwunden war, verfuegte das Ministerium, es habe bei dem Verweise zu bleiben. Die Ungerechtigkeit aergerte meinen Vater so sehr, dass er um Versetzung eingeben wollte, und erst nach einigem Zureden gelang es meiner Mutter, ihn zu beruhigen. Er schaetzte nun die etwas hysterische Dienstbeflissenheit der hoeheren Stellen gebuehrend ein und wurde vorsichtiger im Verkehr mit Hoeflingen, zuweilen auch deutlich, wenn sich ihr Eifer zu weit vorwagte. Der Herzog von Nassau - vielleicht noch lebhafter sein Hofmarschall - wollte den zum koeniglichen Leibgehege gehoerenden Fernerskopf an seine Jagd angliedern. Mein Vater musste als Verwalter des Reviers sein Gutachten abgeben. Nun schickte, um ihn zu gewinnen, der Hofmarschall einen Hofkammerrat in die Riss, der meinem Vater nahelegte, die Oberleitung ueber die herzogliche Jagd am Fernerskopf und eine entsprechende Gratifikation anzunehmen. Das Anerbieten wurde mit der Bemerkung gemacht, die bayrische Regierung brauche ja davon nichts zu erfahren. Mein Vater wies dem Hofkammerrat die Tuere und schrieb dem Hofmarschall Grafen C., er moege ihn "fuer alle Zukunft mit derartigen Zudringlichkeiten verschonen". Ich erwaehne den Vorfall mit einem woertlichen Zitate aus dem Briefwechsel, weil er ein Bild von der Situation wie von dem Wesen meines Vaters gibt. Heute, unter so veraenderten Umstaenden, koennen den Leser die damaligen Verhaeltnisse interessieren, und so will ich bemerken, dass der Oberfoerster in der Vorder-Riss zu Anfang ein Jahresgehalt von 800 Gulden bezog, das nach und nach auf 1100 Gulden stieg. Dazu kamen als Nebenbezuege: freie Wohnung, Dienstgruende, ein "Holzdeputat von 15 Klaftern Hartholz", "Funktionsaversen und Bauexigenzaversen" von 200 Gulden und eine "Hochgebirgs-Leib-Reserve-Gehegsjagdetatremuneration" von 30 Gulden. Man sieht, es war damals alles wohl geordnet und mit dem rechten Namen versehen. Einen sehr erheblichen Dienst leistete mein Vater dem bayrischen Staate dadurch, dass er ihn im Jahre 1871 veranlasste, vom Bankier _La Roche_ in Basel das _Jaegerbauerngut in Fall_ um den Preis von 50 000 Gulden zu erwerben. Der Staat liess sich zoegernd auf das Geschaeft ein, ist aber heute wohl zufrieden damit, denn die Waldungen repraesentieren einen Millionenwert. In der Vorder-Riss gab es damals vier Hauptgebaeulichkeiten. Drei auf der Anhoehe ueber der Isar: das von Max II. erbaute "Koenigshaus", das Forsthaus und neben diesem eine Kapelle. Dazu kamen Nebengebaeude fuer Jagdgehilfen und Stallungen. Im Tale, nahe dem Einflusse des Rissbaches in die Isar, lag eine Schneidsaege. Das dazu gehoerende uralte, mit Freskomalereien gezierte Bauernhaus fehlt in keiner Sammlung von Abbildungen altbayrischer Haeuser. Etliche Buechsenschuesse entfernt lag isaraufwaerts ein Bauernhof, der "_Ochsensitzer_", und sein Eigentuemer, der Danner Toni, schaetzte meinen Vater und war ihm auf seine Art zugetan, aber das hielt ihn nie ab, einem Wilderer Unterschlupf zu geben, und wenn er von unseren Jaegern etwas erfahren haette, waere die Botschaft heimlich weitergegeben worden. Auch die Jaeger waren Isarwinkler und nicht minder schlau wie der Toni; sie konnten geradeso unbefangen dreinschauen, jedes Wort abwaegen, sich taub stellen, indes sie den braven Ochsensitzer von weitem gehen hoerten, wenn er auch noch so leise auftrat. Von dem heimlichen Kriege, der nie zum Ende kam, liess man nichts merken; man sass bei Gelegenheit freundlich zusammen hinterm Bierkrug und kannte einander, ohne Worte zu verlieren. Zuweilen hat Bauer, der Glaslthomae von Lenggries, sogar dem schlauen Toni die Wuermer aus der Nase gezogen. Die Wilderer trieben in jener Zeit ein arges Unwesen im Isartal. Manches Ereignis ist von den Zeitungen berichtet, auch romantisch aufgeputzt worden, und der "Dammei" in Toelz, der die Kaempfe der Wildbretschuetzen besang, hatte reichliche Arbeit. Die Verwegensten waren die Lenggrieser, Wackersberger und Jachenauer; als besonders reich an Listen galten die Tiroler aus der Scharnitz. Es mussten schneidige Jaeger sein, die gegen sie aufkommen wollten, und man fand sie unter den Einheimischen, die selber gewildert hatten, bevor sie in den Dienst traten. Ich habe nie gehoert, dass einer untreu gewesen waere, wohl aber weiss ich, dass der eine und andere beim Zusammentreffen mit den alten Kameraden sein Leben lassen musste. Diese Dinge entbehrten fuer die Beteiligten ganz und gar des Reizes, den sie fuer Fernstehende hatten; es ging dabei rauher zu, als es sich ein freundlicher, vom Schimmer der Romantik angeregter Leser vorstellen mochte. Einer von meines Vaters Jagdgehilfen, der _Bartl_, ein braver, bildschoener Bursche, wurde aus dem Hinterhalt auf wenige Schritte Entfernung niedergeschossen. Ein Jachenauer, der unter den Wilderern war und die Tat, wie man erzaehlte, verhindern wollte, wurde spaeter Jagdgehilfe und fand einen schlimmen Tod auf der Benediktenwand; er wurde schwer verwundet mit Steinen zugedeckt und kam so jaemmerlich um. Ein Sagknecht aus der Jachenau, der den Bartl erschossen haben soll - bewiesen konnte es nicht werden -, traf nicht lange nachher wieder mit den Jaegern zusammen und wurde schwer verwundet. Er kam mit dem Leben davon, verlor aber das Gehoer. In ihrer Art beruehmt geworden ist die Flossfahrt der Wilderer im Jahre 1869, von der man sich heute noch im Oberland viel erzaehlt. Die zwei Soehne des Halsenbauern von Lenggries und mit ihnen einige Kameraden hatten bei Mittenwald gewildert und wollten ihre Jagdbeute auf einem Flosse isarabwaerts nach Lenggries oder Toelz bringen. Sie kamen in der hellen Mondnacht in schneller Fahrt den Fluss herunter; die Ruder hatten sie mit Tuechern umwickelt. [Illustration: Thoma mit dem Wilderer] Vor der Risser Bruecke, unweit vom Ochsensitzer, wurden sie angerufen. Es kam zum Feuern heraus und hinein. Der Mann am Steuer, der Halsen Blasi, wurde erschossen, zwei andere wurden verwundet. Der Halsen Toni erhielt einen Schuss mitten auf den Taler seiner Uhrkette, und dieser glueckliche Zufall rettete ihm das Leben. Ein Fuenfter versteckte sich unter das Wildbret, das auf dem Flosse lag, und kam heil davon. Sie hielten an der Schneidsaege an und schafften den Toten wie die Verwundeten ins Haus. Die gerichtliche Untersuchung fuehrte zu keinem Ergebnisse. Der Vorfall kann heute, wie damals, Verwunderung ueber "rechtlose Zustaende" erregen, die in den Zeitungen ausfuehrlich besprochen wurden. Rechtlos schlechthin waren die Zustaende nicht, aber schwierig genug. Anzeigen hatten keinen Erfolg, denn die Strafen waren vor Einfuehrung des Reichsstrafgesetzbuches so gelind, dass sie keinen abschrecken konnten; trotzdem haben die unbaendigen Isarwinkler sich fast immer mit der Waffe gegen die Gefangennahme gewehrt. Die drei oder vier Jaeger hatten gegen die zahlreichen Schuetzen einen harten Stand in dem grossen Revier; selten stand einer gegen einen, und so war rasche Selbsthilfe beinahe notwendig. Wie unbeugsam die Leute waren, mag die Tatsache beweisen, dass der Halsen Toni, der bei der Flossfahrt wie durch ein Wunder gerettet worden war, bald darauf wieder ins Revier ging und etliche Jahre spaeter doch erschossen wurde. Seinem Bruder Blasi hat man uebrigens in Lenggries nicht nachgetrauert, denn er war als gewalttaetiger Mensch gefuerchtet. Meinem Vater aber rechnete man es hoch an, dass er die Verwundeten freundlich behandelt und mit Imbiss gestaerkt hatte, bevor er sie auf einem mit Betten belegten Leiterwagen nach Toelz fahren liess. Der "Dammei" hat es nicht unterlassen, diese Guttat in seinem Liede hervorzuheben. An derartige Geschehnisse habe ich kaum eine andere Erinnerung, als dass ich auch spaeter noch unsere Jaeger wie sagenhafte Helden bewunderte und ihr Tun und Wesen anstaunte. Doch steht mir noch lebhaft im Gedaechtnis, dass einmal an meinem Namenstag ein Wilderer gefangen eingebracht wurde; er sass im Hausfloez und liess mich, als ich neugierig vor ihm stand, von der Mass Bier trinken, die man ihm gegeben hatte. Vielleicht bin ich dadurch zutraulicher geworden, jedenfalls schenkte er mir die geweihte Muenze, die er an einer Schnur um den Hals trug. Er hatte sie vermutlich von den Franziskanern in der Hinter-Riss erhalten. In diesem zutiefst ins Karwendelgebirge eingebetteten tirolischen Kloster versahen die Herren Patres ihr Amt noch in einer Art, die von jedem Zeitgeist unberuehrt geblieben war. Der Bauer und der Hirte bewarben sich dort um einen wirksamen Viehsegen, um Schutz gegen Gefahr im Stall und auf den Almen, die Weiber kamen um Amulette, die sie vor haeuslichen Unfaellen und Krankheiten bewahren oder Gebresten heilen sollten; wo immer eine Bedraengnis des Lebens sich einstellte, suchte das Volk Rat und Hilfe bei den Juengern des heiligen Franziskus. Ihr unleugbares Verdienst, in dieser Einsamkeit, losgeloest von allen Freuden der Welt, ohne Scheu vor Beschwerden die Werke der Naechstenliebe zu pflegen, wird jeder gerne anerkennen. Und etwas Ruehrendes hat es, eine Bevoelkerung zu sehen, die in urzeitlichen Zustaenden, abgeschieden von den Hilfsmitteln, die moderne Einrichtungen gewaehren, lebt und nur des einen Beistandes sicher ist, dem auch die Voreltern herzlich vertrauten. So mag man es gelten lassen, dass auch der fromme Wildbretschuetze sich in der Hinter-Riss den Kugelsegen holte, der ihn vor einem jaehen Tod im Hochwald oder im Kar behueten musste. Das Kloster liegt zwei Wegstunden von dem Forsthause in Vorder-Riss entfernt. An Sonntagen kam der Pater heraus und las in der Kapelle fuer Floesser, Jaeger, Holzknechte und alle, die zu unserm Hause gehoerten, die Messe. Da geschah es zuweilen, dass vorne auf einem mit Samt ausgeschlagenen Betstuhle ein hochgewachsener Mann kniete, der sein Kreuz schlug und der Zeremonie andaechtig folgte, wie der Sagknecht oder Kohlenbrenner, der durch ein paar Baenke von ihm getrennt war. Wenn der Mann aufstand und die Kapelle verliess, ragte er ueber alle hinweg, auch ueber den langen Herrn Oberfoerster, der doch sechs Schuh und etliche Zoll mass. Sein reiches, gewelltes Haar und ein Paar merkwuerdige, schoene Augen fielen so auf, dass sie dem kleinen Buben, den man zu einem ehrerbietigen Gruss anhielt, in Erinnerung blieben. Der Mann war Koenig Ludwig II. Er weilte allsommerlich sechs bis acht Wochen in der Vorder-Riss, und erst nach Erbauung des Schlosses Linderhof hat er darin eine Aenderung getroffen. Damals fuehlte er sich wohl in dem bescheidenen Jagdhause, das sein Vater hatte errichten lassen, und er suchte nichts als Stille und Abgeschiedenheit. Seine Freude an der Natur galt in meinem Elternhause wie bei allen Leuten in den Bergen als besonderer Beweis seines edlen Charakters, und niemandem fiel es ein, an krankhafte Erscheinungen zu glauben. Der Koenig schloss sich auch keineswegs auffallend vor jeder Begegnung mit Menschen ab, wenn er schon gegen manches empfindlich war. Bei seinen kurzen Spaziergaengen hatte er nichts dagegen, Leuten zu begegnen, die in den Wald gehoerten, und zuweilen redete er einen Jaeger an. Jedenfalls hat er alle bei Namen gekannt und sich zuweilen nach ihnen erkundigt. Aus spaeteren Erzaehlungen weiss ich, dass waehrend seiner Anwesenheit in Hoerweite kein Schuss fallen durfte; er wollte sich Tod und Vernichtung nicht in diesen Frieden hineindenken. Dass er selten Besuche von hochstehenden oder offiziellen Persoenlichkeiten empfing, ist bekannt, ebenso, dass er sich solchen Begegnungen durch schleunige Fahrten in die Berge entzog. Hohenlohe vermerkt in seinen Denkwuerdigkeiten haeufig derartige Verstoesse gegen die Etikette und schuettelt den Kopf darueber, wenn der Koenig dem Prinzen Napoleon, dem Kronprinzen von Preussen und anderen ausweicht mit der schlichten Erklaerung, er muesse Gebirgsluft atmen. Unterm 3. Juli 1869 schreibt Hohenlohe ins Tagebuch, der Koenig sei "in die Riss entflohen, um der Ankunft des Kaisers von Oesterreich zu entgehen". Wenn es dabei diplomatische Schwierigkeiten ergab, dann wusste man jedenfalls in der Riss nichts davon; diese kleine Welt freute sich, wenn der Koenig kam. Seine Ankunft erfolgte oft unvermutet und war erst wenige Stunden vorher durch einen Vorreiter angesagt. Die Vorbereitungen mussten dann schnell geschehen. Der mit Kies belegte Platz vor dem Koenigshause wurde gesaeubert, Girlanden und Kraenze wurden gebunden, alles lief hin und her, war emsig und in Aufregung. Es gab fuer uns Kinder viel zu schauen, wenn Kuechen- und Proviantwagen und Hofequipagen vorauskamen, wenn Reiter, Koeche, Lakaien diensteifrig und laermend herumeilten, Befehle riefen und entgegennahmen, wenn so ploetzlich ein fremdartiges Treiben die gewohnte Stille unterbrach. Die Forstgehilfen und Jaeger mit meinem Vater an der Spitze stellten sich auf; meine Mutter kam festtaeglich gekleidet mit ihrem weiblichen Gefolge, und auch wir Kinder durften an dem Ereignis teilnehmen. Das Gattertor flog auf, Vorreiter sprengten aus dem Walde heran, und dann kam in rascher Fahrt der Wagen, in dem der Koenig sass, der freundlich gruesste und seine mit Baendern verzierte schottische Muetze abnahm. Meine Mutter ueberreichte ihm einen Strauss Gartenblumen oder Alpenrosen, mein Vater trat neben sie, und in der lautlosen Stille hoerte man ein leise gefuehrtes Gespraech, kurze Fragen und kurze Antworten. Dann fuhr der Wagen im Schritt am Hause vor, der Koenig stieg aus und war bald, gefolgt von diensteifrigen Maennern in blauen Uniformen, verschwunden. In uns Kindern erregte die Ankunft des Koenigs stets die Hoffnung auf besondere Freuden, denn der freundliche Kuechenmeister versaeumte es nie, uns Zuckerbaeckereien und Gefrorenes zu schenken, und das waren so seltene Dinge, dass sie uns lange als die Sinnbilder der koeniglichen Macht und Herrlichkeit galten. Aus Erzaehlungen weiss ich, dass Ludwig II. schon damals an Schlaflosigkeit litt und oft die Nacht zum Tage machte. Es konnte vorkommen, dass mein Vater aus dem Schlafe geweckt und zum Koenig gerufen wurde, der sich bis in den fruehen Morgen hinein mit ihm unterhielt und ihn nach allem Moeglichen fragte, vermutlich weniger, um sich zu unterrichten, als um die Stunden herumzubringen. Wenn wir zu Bett gebracht wurden, zeigte uns die alte Viktor wohl auch die hell erleuchteten Fenster des Koenigshauses und erzaehlte uns, dass der arme Koenig noch lange regieren muesse und sich nicht niederlegen duerfe. Etliche Male wurden wir aufgeweckt und durften im dunkeln Zimmer am Fenster stehen und schauen, wie drueben Fackeln aufloderten, ein Wagen vorfuhr und bald wie ein geheimnisvoller Spuk im Walde verschwand. Die Zeit der sechziger Jahre war politisch so bewegt, dass sie auch auf das Risser Stilleben einwirken musste. Mein Vater stand mit seinen Ansichten auf Seite jener Altliberalen, die sich nach der Einigung Deutschlands sehnten, ohne sich ueber Ziele und Mittel voellig klar zu sein; ihre Abneigung gegen klerikale Forderungen und gegen Unduldsamkeit in jeder Form war bestimmter gerichtet. Seine politischen Meinungen fanden ihren Ausdruck in der Wahl der Zeitungen, die er las, in ein paar Briefen und in Bemerkungen, die ich von seiner Hand geschrieben in "_Rotteck's Weltgeschichte_" finde. Leidenschaftlichkeit war ihm fremd. Vielleicht war sie es ueberhaupt jener Zeit, wenigstens in den Massen, die wir kennen. Ich besitze Briefe, die ein kluger und hochstehender Mann an meinen Vater geschrieben hat, und das Hervorstechendste ist der massvolle Ton und die Art, den Gegner noch immer gelten zu lassen. Auch als der Krieg gegen Preussen ausgebrochen war, fuehrte die Erregung nicht zu haltlosen und wuesten Schimpfereien. Wer sich davon ueberzeugen will, der nehme alte Zeitschriften zur Hand, und er wird staunen, wie darin jede Eisenfresserei gluecklich vermieden ist. Die Philister allerdings, die Hohenlohe mit viel Unbehagen in Bierkellern beobachtete, moegen sich wuetend gebaerdet haben, aber in der Familie war der Ton nicht auf Mord und Tod gestimmt. In der Vorder-Riss pflegte man in dem ereignisreichen Sommer 1866 einen regen Verkehr mit den bundesbruederlichen Grenzern und Jaegern aus Tirol, und man stellte dabei mit wuerdigem Ernste als unausbleibliche Folge den Untergang Preussens fest. Ein bayrischer Oberkontrolleur, der zuweilen zur Visitation kam, schuettelte zu diesen Prophezeiungen den Kopf. Er hatte sich im Dienste des Zollvereins laengere Zeit in Norddeutschland aufgehalten und versicherte auf Grund seiner Erfahrungen, dass die Geschichte auch anders kommen koenne. Man nahm dem liebenswuerdigen Manne diese schrullenhafte Ansicht nicht uebel und laechelte darueber. Wie es dann sehr bald wirklich anders kam, wurde der Oberkontrolleur als einsichtiger Politiker betrachtet. Nach dem Kriege war der deutsche Fruehling, den Voelk im Zollparlament begruesste, nicht durchaus hell und sonnenwarm. Am Himmel hing als finstere Wolke die Angst vor dem Verluste der bayrischen Selbstaendigkeit, und sehr hohe Herren, auch der Koenig, schauten bedenklich nach ihr und befuerchteten schlimmes Wetter. In manchen Kreisen war das ja lange noch ein anregendes Gespraechsthema; wer sich aber in den Geist jener Zeit versetzt, wird feststellen, dass der von Ludwig II. niedergelegte Wunsch, "es moege Bayern, nicht mehr als noetig, mit Preussen verknuepft werden", jeden politischen Gedanken, zum mindesten an offizieller Stelle, beherrschte. Der Entwurf zu einer Gruendung "_der Vereinigten Staaten von Sueddeutschland_", den Herr _von Voelderndorff_ anfertigte, liest sich fuer uns wie die Vereinsstatuten einer Harmonie und Buergereintracht; damals wurde er mit feierlichem Ernste gewuerdigt. Ueber die moegliche nationale Verbindung der sueddeutschen Staaten, ueber ihr selbstaendiges und nicht zu nahes Verhaeltnis zum Norddeutschen Bunde unterhielt man sich in den Salons der Gesandten, in den Zimmern der Minister und in den Bierstuben, vielleicht nicht mit wesentlich abgestufter Einsicht. Dass mein Vater von dieser Angstmeierei nicht angesteckt war und die deutsche Zukunft in den Haenden des Fuersten Bismarck fuer gut aufgehoben hielt, beweist mir ein Brief, den er im Februar 1870 an seinen Freund, den Oberst Graf Tattenbach, geschrieben hat. Darin drueckte er seine Sorge aus, es koenne das "weibsmaessige Getue und Sichsperren" noch einmal zu Dummheiten fuehren. Das Misstrauensvotum, das beide Kammern gegen den Ministerpraesidenten von Hohenlohe abgaben, indem sie ihm "die Faehigkeit zur Wahrung der bayrischen Selbstaendigkeit" absprachen, beunruhigte meinen Vater. Ganz besonders aber die Tatsache, dass alle bayrischen Prinzen, mit Ausnahme des immer fuer ein einiges Deutschland eintretenden _Herzogs Karl Theodor_, dem Misstrauensvotum zugestimmt hatten. Nicht nur aus Zeitungsberichten, auch aus unmittelbarer Anschauung konnte mein Vater die Erkenntnis gewinnen, wie die Sorge um die Selbstherrlichkeit massgebende Persoenlichkeiten beherrschte. Der wuerttembergische Minister _Baron Varnbueler_ weilte oefters als Jagdgast in der Vorder-Riss. Der war ein Partikularist von besonderen Gnaden, und in seiner gut schwaebischen Offenherzigkeit machte er kein Hehl daraus. Er war uebrigens kein Buerokrat, und seine Ansichten waren nicht in der Luft der Kanzleien gediehen, vielmehr hatte er eine fuer damalige Zeiten sehr ungewoehnliche Laufbahn durchmessen. Er war Direktor einer Wiener Maschinenfabrik gewesen und hatte grosse Reisen unternommen, ehe er ins Schwaebische heimkehrte und am Nesenbach Weltgeschichte machte. Der Krieg von 1870 verscheuchte die Kuemmernisse oder brachte sie doch zum Schweigen. Mein Vater erlebte ihn mit freudiger Anteilnahme, und er mag oft ungeduldig auf Nachrichten gewartet haben. Die Riss war in dem harten Winter schon im Dezember zugeschneit, und damit war der Postdienst eingestellt. Da taten unsere Jaeger ein uebriges fuer ihren Oberfoerster. Sie stapften auf Schneereifen zum Forsthaus _Fall_ hinaus und holten die Post, die von Lenggries aus dorthin gebracht worden war. Eines Abends, als wir schon bei Lampenlicht in der Stube sassen, trat der Jaeger Bauer, den Bart bereift und vereisten Schnee an den Schuhen, ein. Er brachte die Nachricht, dass Paris gefallen sei. Daran wuerde ich mich vielleicht nicht mehr erinnern, aber dass mein Vater und die Jagdgehilfen hinauseilten und Schuss auf Schuss vor den Fenstern abfeuerten, machte einen so starken Eindruck auf mich, dass es mir im Gedaechtnis blieb. Und daran erinnere ich mich auch, wie voellig ich im Banne der bei _Gustav Weise_ in Stuttgart erschienenen Kriegszeitung stand, die, zerlesen und vergilbt, mir heute noch das Andenken an meine Kinderzeit wachruft. Ich kannte jedes Bild, und ein Gedicht, das ich damals lernte, kann ich heute noch zum Teil auswendig. Die Hauptperson fuer mich war aber keiner der Herrscher oder Heerfuehrer, sondern "der Bismarck", den ich zur Verwunderung unserer Jaeger auch aus figurenreichen Bildern sogleich herausfand. Die leidenschaftliche Anhaenglichkeit an ihn schlug Wurzeln im Kinderherzen, die mit meinem Aufwachsen erstarkten, zaeher wurden und sich niemals lockern liessen. Kluge Leute haben mir spaeterhin ihr Mitleid zugewandt wegen meiner unbekuemmerten Hingabe an den Alten; ich habe daran festgehalten und nichts davon hergelassen bis auf heute. Eine besondere Freude war es fuer meinen Vater, wenn er Nachrichten von seinem Forstgehilfen _Mailer_ erhielt, der als Artillerieleutnant gegen Frankreich gezogen war. Er ist nach Jahren Foerster in der Valepp geworden und war dort so lange im Amt, dass ihn wohl die meisten Muenchner Touristen kennen. Nach dem Feldzuge kam er wieder in die Vorder-Riss und brachte als Trophaeen einen franzoesischen Kuerass und mehrere Chassepotgewehre mit. Der Kuerass regte meine kindliche Phantasie an, weil er eine tiefe Schussbeule trug. Mit den Chassepots aber machte mein Vater gruendliche Schiessproben, wie er ueberhaupt fuer Gewehre ein eingefleischtes Interesse zeigte. Jede Schusswaffe, die ein Jaeger fuehrte, wurde von ihm genau untersucht, zerlegt und ausprobiert. Das Werdergewehr, das den bayrischen Jaegerbataillonen gute Dienste geleistet hatte, fand seine besondere Bewunderung, und eine Werder-Puerschbuechse, die er zu Weihnachten erhielt, machte ihm die groesste Freude. Er schoss sie auf jede Entfernung ein, und als er dabei eine Henne, die sich an die Isar hinunter verlaufen hatte, auf sehr weite Distanz hinlegte, erhielt er von der Hausmutter eine eindringliche Vorlesung ueber Sparsamkeit und Besonnenheit in reiferen Jahren. Zu Anfang der siebziger Jahre erregte die Welt jener Streit um das Unfehlbarkeitsdogma. In Staedten und Doerfern kam es zu heftigen Wortkaempfen und zum Eintritt in die altkatholische Kirche. Mein Vater stand auf der Seite seines alten Rektors _Doellinger_ und sah kopfschuettelnd, wie sich so ploetzlich Gewissensfragen erheben konnten. Allein als Forstmann und Jaeger befasste er sich nicht heftig mit den Fragen, und er bedurfte auf seiner gruenen Insel keines Vereins und keiner Partei, um fuer sich ein Gegner des unduldsamen Wesens zu bleiben. Meine Mutter aber hing zu sehr an der alten Sitte und den alten Formen, als dass sie sich ein Urteil angemasst haette. Sie hatte sich den Grundsatz zurechtgelegt, dass man sich aus den Lehren der Kirche das viele Gute und Schoene entnehmen und sonst nicht nachgruebeln und kritisieren solle. Wenn sie das in spaeteren Jahren zu mir sagte, nickte sie bekraeftigend mit dem Kopfe dazu, und ich sah ihr an, dass sie zufrieden war, einen so sicheren Standpunkt gewonnen zu haben. Sie hat nach ihrer Religion gelebt und fasste - tiefer als manche theologische Abhandlung - das Wesen des Christentums in dem Satze zusammen, "dass man niemandem wehe tun duerfe". Um religioese Meinungen anderer hat sie sich ihr Leben lang nicht gekuemmert. Eine sich mehr gegen Zwang auflehnende Natur war unsere "_alte Viktor_". Ich bin um einen Titel verlegen, der ihre Wirksamkeit richtig bezeichnen koennte. "Stuetze der Hausfrau" sagte man damals nicht, und es klaenge mir zu fremdartig; "Kinderfraeulein" passte nicht zur Bescheidenheit unseres Hauses und wuerde ihrer Taetigkeit nicht gerecht. So will ich sie, wie ehedem im Leben, die alte Viktor heissen. Sie war die Tochter eines Handelsgaertners und Buergermeisters von Schongau, kam zu meinen Eltern, als ich zwei Jahre alt war, und starb vierunddreissig Jahre spaeter in meinem Hause. Sie war eine angehende Dreissigerin, als sie kam, nicht ganz frei von altmaedchenhafter Empfindlichkeit, aber so lebenstuechtig, dass sie bald die unentbehrliche Beraterin und Helferin war. In schweren Stunden zeigte sie ihre resolute Art, tat immer das Richtige und Notwendige, und kein Schmerz konnte sie verhindern, an alles zu denken und fuer alles zu sorgen. Nur in ruhigen Zeiten und ganz besonders, wenn lebhaftere Heiterkeit vorherrschte, konnte sie in weltschmerzliches Mitleid mit sich selber verfallen und in ihr Tagebuch ein gefuehlvolles Gedicht aus Zeitschriften oder Buechern abschreiben. Sie besass eine ausgesprochene Neigung fuer die schoene Literatur und eine Neigung, sich darueber zu unterhalten. Dabei war sie eine gruendlich geschulte Kennerin aller Pflanzen, Kraeuter und Blumen, sie botanisierte auf jedem Spaziergange und klebte die gepressten Herbarien in ein Buch ein. Ihr Vater war in den vierziger Jahren Landtagsabgeordneter gewesen und hatte seiner Tochter eine gruendliche Abneigung gegen jede Art von Rueckschritt und Tyrannei vererbt. Sie blieb zeitlebens misstrauisch gegen zukuenftige Moeglichkeiten, und sie war ueberzeugt, dass von irgendwoher und von irgendwem Unterdrueckung drohe. So frommglaeubig sie war, nahm sie doch "eine gewisse Art von Geistlichen" von diesem Verdacht nicht aus. Sie sah in dem Dogma und in der Art, wie es durchgesetzt wurde, nur die Bestaetigung ihrer schlimmen Ahnungen und den Beweis dafuer, dass es allgemach wieder finsterer werde. Sie war gluecklich, wenn sie sich darueber aussprechen konnte oder wenn gar der Herr Oberfoerster ihr beipflichtend sagte, dass die "Viktor wieder einmal durchaus recht habe". Fuer die kleinen Leute trat sie immer ein, auch wenn ihnen niemand zu nahe trat; sie stellte den unwirklichen Gefahren ebenso nachdruecklich ihre Prinzipien entgegen. Alle im Hause schaetzten ihre brave Art, und der Jagdgehilfe Thomas Bauer, der ein Paar gute Augen hatte und ein sicheres Urteil, schloss mit ihr dauerhafte Freundschaft. Wenn sich der Fruehling auf den Bergen einstellte und Bauer meinen Eltern einen Strauss der fruehesten Blumen brachte, vergass er auch die "Viktori" nicht. Sie blieb ihm dankbar und anhaenglich, wie allem und jedem, was im Zusammenhange mit der schoenen Vorder-Risser Zeit stand. Eine nicht unwichtige Rolle spielten in diesem kleinen Kreise auch die Jagdgaeste oder Jagdkavaliere, wie man sie nannte. Es lag in der Abneigung des Koenigs gegen alles, was Verpflichtungen mit sich brachte, begruendet, dass keine Mitglieder des koeniglichen Hauses in die Riss kamen. Eine Ausnahme bildete nur _Herzog Ludwig_, der jedes Jahr zur Puersche - Treibjagden gab es damals nicht - eingeladen war. Den wuerttembergischen Minister _von Varnbueler_ habe ich schon genannt. Andere Herren gab es, die nur fuer ein Jahr oder eine Jagdzeit Erlaubnis erhielten. Ein regelmaessiger Gast war ein Graf _Pappenheim_, den die Jaeger wegen seines Jagdfiebers den Grafen "Nackelheim" hiessen. Aber _der_ Jagdkavalier fuer meine Eltern und fuer alles, was in der Riss lebte, war der Oberst _Graf Tattenbach_, der in der Amberger Gewehrfabrik Dienst tat. Sein Kommen war jedesmal ein Fest. Wir Kinder liebten den kleinen Mann, der unter den buschigsten Augenbrauen, die ich je gesehen habe, klug in die Welt schaute, und wenn wir uns auch keine Rechenschaft darueber geben konnten, so fuehlten wir doch das Behagen, das er um sich verbreitete. Er machte nicht viel Worte, aber aus seinen gutmuetigen Neckereien sprach seine Zuneigung zu meinen Eltern. Er ist meinem Vater ein treuer Freund geworden und geblieben; meiner Mutter hat er nach dessen Tode Beistand und freundliche Dienste geleistet, wo er konnte. Die Jaeger schaetzten ihn wegen seiner weidmaennischen Faehigkeiten und wegen seines sachverstaendigen Urteils ueber Gewehre. Seine Jagdpassion gab Anlass zu vielen Spaessen, denn in ihr ging er ganz auf, und jedes Jagdglueck genoss er zweimal. Wenn er es erlebte und wenn er es am Kaffeetisch erzaehlte. Dabei wurde er gespraechig und schilderte - nicht in fliessender Rede, sondern in haeufig abgebrochenen Saetzen mit Pausen - jeden Umstand, der sich beim Puerschen, beim Schusse und bei der Nachsuche zugetragen hatte. Der Pausen bedurfte er, um am langen Pfeifenrohre zu saugen und mit dem Rauche die herrliche Erinnerung einzuschluerfen. Zuweilen dauerte eine Pause so lange, dass sich jemand mit einer Frage oder dem Glueckwunsche zu frueh einstellte, dann hob er beschwoerend die Hand und sagte lachend: "Nur warten! Ich bin noch lang net fertig." Er war ein vornehmer Mann, dessen schlichter Charakter sich mit keiner Phrase vertrug, harmlos, von guter, altbayrischer Praegung. Wenn er nach der Hirschbrunft Abschied nahm und das Gattertor hinter seinem davonrollenden Wagen zufiel, dann waren wir allein auf viele Monate. Es bedurfte eines guten Willens und eines tuechtigen Verstandes, um diese Einsamkeit nicht als drueckend zu empfinden. Daran fehlte es nicht, und zeitlebens haben meine Angehoerigen sich gerne jener Zeit erinnert. Und so will ich Abschied nehmen von den schlichten Menschen, die "taetig treu in ihrem Kreise nie vom geraden Wege wichen". Die meisten von ihnen sind tot und haben mir das Heimweh hinterlassen nach ihrer redlichen Art und nach dem Fleck Erde, der mir durch sie so teuer geworden ist. SCHULJAHRE Es ist mir nicht bekannt, ob der Wortlaut der Disziplinarsatzungen unserer bayrischen Gymnasien heute ein anderer ist als vor dreissig Jahren; die Ansichten der Lehrer wie der Schueler haben sich jedenfalls geaendert, und darum ist trotz aller Widerstaende ein vielbegehrter und viel angefeindeter Fortschritt erzielt worden. Als ich Schueler der oberen Gymnasialklasse war, galt uns Jungen koerperliche Ausbildung nicht viel mehr als unseren Professoren. Sie nannten alles, was sie foerdern konnte, Allotria treiben, und sie waren immer besorgt, dass die Jugend nicht vom Studium abgelenkt wurde. Wenn ich heute die Scharen junger Leute in die Berge laufen sehe, Backfische mitten unter heranwachsenden Juenglingen, stelle ich mir vor, was die Rektoren aelterer Ordnung dagegen zu sagen gehabt haetten oder wie die Eltern vor so etwas zurueckgeschreckt waeren. Wie sauertoepfisch stellten sich viele Lehrer gegen den einen herkoemmlichen Maispaziergang! Einige mussten immer wieder daran erinnert werden, und wie oft schrieben wir an die Tafel: "_Oramus dominum professorem, ut ambulemus!_" Endlich liess sich der Gestrenge herbei, das Unvermeidliche zu gewaehren. Man fuhr etwa nach Bruck, ging zum Maisacher Keller und zurueck, und der forsche Schueler trank dann mehr, als er vertragen konnte. Es gingen Heldensagen in der Klasse herum, dass der und jener vierzehn Halbe Bier hineingeschuettet habe, und alle staunten das an. Jungen haben immer Ehrgeiz. Wenn er sich auf Dummheiten schlaegt, ist die Erziehung schuld. Das toerichte Froschverbindungswesen zum Beispiel war aus einem Punkte leicht zu kurieren. Haette man die Jugend angehalten, in Mut und koerperlicher Gewandtheit zu wetteifern, so waeren ihr sogleich die Folgen heimlicher Saufgelage veraechtlich erschienen. Durch strenge Verbote reizte man gerade die Tuechtigsten zur Uebertretung, die nun Auszeichnung im Kampfe gegen drakonische Massregeln suchten. Dazu kam, dass Philister dieser Verbindungen, Faehnriche, Studenten, Praktikanten, zuweilen sogar aeltere Esel, mit kommersierten und mit den darueber hocherfreuten Pennaelern die Burschenhuete durchstachen. Das leuchtende Vorbild fuer frische Jungen konnte damals ein aufgeschwemmter Student sein, der sich in ein paar Semestern um Gesundheit und Tatkraft soff. Heute verachtet jeder Schueler einen Mann, der in den zwanziger Jahren schon an Folgen des Trinkens leidet, heute ruehmt er den besten Bergsteiger, Schneeschuhlaeufer, Ballspieler, kennt hervorragende Leistungen und traeumt davon, sie zu uebertreffen. Und es gibt Lehrer, die diesen Geist foerdern und nicht entsetzt daran denken, dass ein Tag im Freien die Lust am Praeparieren trueben koennte. Sie stellen sich, wie ich hoere, auch auf einen andern Fuss zu den Schuelern. Wenn ich eine stattliche Reihe von Professoren in der Erinnerung an mir vorueberziehen lasse, finde ich kaum einen darunter, der uns ein wohlwollender Freund oder gar ein Kamerad gewesen waere. Sonderlinge, Tyrannen, die Aufruhr witterten, gute Kerle, die seufzend ihren Dienst taten, waren sie Lenker unserer Geschicke, misstrauische Vorgesetzte, aber niemals Kameraden. Es wurde ungeheuer viel Respekt verlangt und recht wenig eingefloesst. Leichte Dinge wurden unmaessig schwer genommen, und man dachte wohl gar nicht daran, wie empfindlich die Jugend gegen die Unwahrheit ist, die in jeder Uebertreibung steckt. Ich halte fuer die beste Erziehung die, die jungen Menschen Widerwillen gegen Taktlosigkeit und Unbescheidenheit einfloesst. Da ist Vorbedingung ein herzliches Verhaeltnis zu den Lehrern. Das unsere war so, dass wir alle, auch da, wo wir das Recht auf seiten der Lehrer sahen, Partei gegen sie nahmen. Das natuerliche Empfinden der Jugend entscheidet sich aber, wenn es nicht durch schaedigende Einfluesse beirrt wird, immer fuer das Recht. Der schaedliche Einfluss war das ganze System. Heute ist, wie ich sehen kann, vieles besser geworden. Und ich glaube, die Schueler von heute werden sich dereinst nicht mehr als Graubaerte mit Entruestung ueber ihre Schulzeit unterhalten. Wenn einmal die Rede darauf kommt, breche ich heute noch eine Lanze fuer die humanistische Schulbildung. Ich habe Gruende dagegen anfuehren hoeren, die mir sehr vernuenftig, aber nie ueberzeugend vorkamen. Dass die Naturwissenschaften heute einen ganz andern Rang einnehmen als zu der Zeit, da der Lehrplan fuer humanistische Gymnasien festgesetzt wurde, kann wohl nicht bestritten werden, aber immer gewinnen mich gleich wieder die fuer sich, die Zweckmaessigkeit nicht als ausschlaggebend fuer die Bildung des Geistes gelten lassen. Wenn ich nachdenke, was in meinem Schulranzen von frueher her geblieben ist, so finde ich wenig an positiven Kenntnissen, wohl aber manches an Gesamteindruecken, Anregungen und Stimmungen, die mir foerderlich waren. Immer bleibt es mir ein Gewinn, dass ich Homer in der Ursprache gelesen habe. Keine andere Dichtung kann empfaengliche Jugend, waehrend sie ihre Phantasie anregt, so in das eigentliche Wesen der Dichtkunst einfuehren wie die Odyssee. Ehrwuerdig durch ihr Alter, durch ihre Wirkung auf viele Geschlechter der Menschen, zeigt sie ihr in herrlicher Sprache die Unwandelbarkeit natuerlichen Empfindens. Die Wirkung dieser Einfachheit und Wahrheit auf ein junges Gemuet laesst sich nicht scharf umgrenzen; sie bleibt haften und vermag uns nach manchen Irrgaengen zum Verstaendnisse echter Groesse zurueckzufuehren. Heute noch steht mir die Schilderung, wie die Schaffnerin Eurykleia den Herrn an der Narbe wiedererkennt, oder jene, wie Argos, der Hund, von Ungeziefer zerfressen, auf dem Lager das Haupt und die Ohren hebt, da ihm nach zwanzig Jahren Odysseus naht, weit ueber allem. Und weil sie mich damals tief ergriffen, glaube ich fest daran, dass sie mir den Weg zum rechten Verstaendnisse wiesen. Ich habe ueber die Lektuere Homers manches andere vernachlaessigt, wie ich ueberhaupt mein Interesse fuer bestimmte Faecher gerne uebertrieb. Ich konnte mich nur schwer in gleichmaessige Ordnung fuegen, und noch weniger gelang es mir, in der Schule aufmerksam zu bleiben. Dazu kam, dass ich vieles begann, eine Zeitlang mit Freude betrieb und dann wieder achtlos liegenliess. So erinnere ich mich, dass ich einige Monate hindurch eifrigst Zeichnungen zur Odyssee machte, zu denen ich in verschiedenen Buechern Unterlagen fand; ich kolorierte sie saeuberlich, erwarb mir damit auch die Anerkennung eines noch ziemlich jungen Professors, der in mir kuenstlerische Begabung entdeckte und mir hinterher sein Wohlwollen entzog, als mein Eifer nachliess und zuletzt ganz einschlief. Es war klar, dass ich bei dieser Veranlagung wenig Neigung zur Mathematik fassen konnte, die systematisches Fortschreiten verlangt und keiner Draufgaengerei Vorschub leistet. Dagegen betrieb ich mit Eifer Geschichte, und die Neigung dafuer ist mir geblieben. Nach meiner Gewohnheit hielt ich mich weder an das Schulpensum noch an die Schulbuecher. Ich las die baendereichen Werke von Schlosser, Weber und Annegarn, der heute nicht mehr vielen bekannt ist. Annegarn mit Abneigung und innerlichem Widerspruche, denn ich hatte seiner ultramontan gefaerbten Darstellung eine waschechte liberale Gesinnung entgegenzustellen. Ich kann heute darueber laecheln, wie ich mit einer der Gegenwart, nicht aber dem Geist der Zeiten angepassten Leidenschaft fuer und gegen laengst vergangene Ereignisse und Zustaende Partei nahm. Aber ich habe spaeterhin gereifte Maenner gesehen, die sich in die Haare gerieten ueber den Gang nach Canossa oder die Schuld Maria Stuarts, und so kann ich es mir selber verzeihen, dass ich als Gymnasiast von der Maximilianstrasse bis zum Isartor unter heftigen Reden gegen Anjou oder Rom oder die Welfen dahinschritt. Mein Widerpart war ein kluger Junge, der vom Papa altbayrische Skepsis angenommen hatte und meine wortreiche Heftigkeit belaechelte. Groeblicher wurde der Kampf, wenn ich auf den Fahrten in die Vakanz mit meinen Chiemgauer Kommilitonen beisammensass. Sie studierten fast alle in Freising und zerzausten mir meinen Grossen Kurfuersten mitsamt dem Alten Fritz, dass es eine Art hatte. Geschichte wurde auf den Muenchner Gymnasien sehr vorsichtig traktiert. Mit 1815 hoerte man auf, wenn es ueberhaupt so weit ging; was nachher kam, war zu gefaehrlich, zu aktuell und nicht reif fuer abgeklaerte Darstellung. Ob es auf einen Wink von oben unterlassen wurde, weiss ich nicht. Was fuer Absonderlichkeiten damals noch moeglich waren, mag ein Beispiel zeigen. Wir hatten in der zweiten Gymnasialklasse, der heutigen siebenten oder Obersekunda, einen Professor, der nur Katholiken in seiner Klasse haben wollte. Man sah dem alten Herrn die Schrulle nach, und da es eine Parallelklasse gab, wurde in sie alles, was Protestant und Jude war, gestopft. Erst das Jahr darauf wurden wir wieder simultan. Einiges von unseren deutschen Klassikern, mit denen ich fruehzeitig vertraut geworden war, lasen wir auch in der Schule, in einer Art, die wirklich Tadel verdiente. Haette ich zum Beispiel Hermann und Dorothea nicht vorher gekannt, so waere mir vielleicht auf lange Zeit der Geschmack daran verdorben gewesen durch die unbeschreiblich langweilige Behandlung, die sich monatelang duerftig und duerr hinschleppte. Am Ende waren unsere Lehrer auch da wieder in einer Zwickmuehle. In den Werken unserer Dichter ist allerlei enthalten, zu dem man sich als Erzieher nicht freudig bekennen durfte; davor warnen, hiess darauf hinweisen, und so tat man so, als glaubte man uns, dass wir selber alles Gefaehrdende scheu von uns abweisen wuerden. Aus einem so verdruckten Getue kommt nie was Gescheites heraus. Natuerlich hatten wir Leute unter uns, die wahre Entdecker von Verfaenglichkeiten waren und besonders bei Shakespeare Stellen fanden, die sie kichernd vor dem Unterrichte und in den Pausen ihren Vertrauten mitteilten. Vor so was schuetzt kein Verhuetungssystem, bloss eine Erziehung zum frischen und gesunden Sinn. Wir hatten einen Lehrer, den alten Eilles, einen Grobianus, der trotz seines rauhen Wesens unser Liebling war und dem wir alle ueber die Schule hinaus Verehrung bewahrten. Wenn der im Homer an eine Stelle kam, wo etwa Odysseus sich mit Kalypso zurueckzog, dann strich er lachend seinen roten Bart und schrie er uns zu: "Nur laut reden und nicht murmeln! Hinterher tuschelt ihr euch doch das duemmste Zeug in die Ohren! Und er schlief bei ihr ... jawoll! Ihr Lausbuben und Duckmaeuser!" Mein Interesse an der deutschen Literatur bewies ich nicht bloss durch reichlichen Ankauf von Reclambuechern und Gesamtausgaben, deren Kosten meine gute Mutter oft mit Kopfschuetteln bestritt, sondern neben dem uebrigens verbotenen Theaterbesuch auch dadurch, dass ich mich in die Universitaet einschlich. Damals las Bernays ein Kolleg ueber Schiller; es begann eine Viertelstunde nach vier Uhr, also nach Klassenschluss. Ich lief mit zwei Freunden Trab durchs Lehel, den Hofgarten und die Ludwigstrasse und sass dann keuchend und erhitzt auf der hintersten Bank. Dass es _per nefas_ geschah und uns das Aussehen akademischer Buerger verlieh, war vielleicht der staerkere Ansporn zu dem anstrengenden Hospitieren. Bernays wirkte mit schauspielerischen Mitteln; wenn er bald fluesterte, bald die Stimme erhob, wenn er Pausen machte und dann ein bedeutendes Wort in die Zuhoerer schleuderte, machte er starken Eindruck und wollte ihn machen. Wir bewunderten ihn und bewunderten uns auch ein wenig selber, dass wir uns die Bildung so sauer verdienten. Der Theaterbesuch! Natuerlich war er verboten, oder richtiger gesagt, nur "nach vorgaengiger Erlaubnis des Rektors gestattet". Heute bin ich froh darueber, dass ich mich auch hierin nicht an die Satzungen hielt, denn die allerschoensten Stunden verlebte ich auf der Galerie des Hoftheaters, wo ich mit Herzklopfen sass und beim freundlichen Anschlag der Glocke mich sogleich in eine Maerchenwelt versetzt fand. Wenn ich ihren Klang hoere und sich der Vorhang feierlich hebt, fuehle ich mich immer wieder zurueckversetzt in jene Zeit, Jahre versinken, und ich bin wieder jung wie damals. Das Hoftheater hatte ein Ensemble, dessen sich heute die Berliner und Wiener Buehnen nicht ruehmen koennen. Vorstellungen mit Ruethling, Herz, Richter, Kainz, Haeusser, Schneider, Possart, Keppler, mit der Heese, Bland und Ramlo bleiben im Gedaechtnisse. Draussen am Gaertnertheater war auch eine Kuenstlerschar taetig, die, wie heute keine mehr, Volksstuecke und Possen herausbringen konnte. Der alte Lang, Albert, Hofpauer, Neuert, Dreher, Brummer, die Schoenchen, Kopp, Hartl-Mitius. So gab mir das Theater schoene Feste, und eine brave Tante und Theaterfreundin gab mir die dreissig Pfennig fuer den Platz auf der Galerie. Mit einem Stueck Brot und einer Hartwurst in der Tasche wartete ich gerne eine Stunde lang vor den geschlossenen Toren, um dann die engen Treppen hinaufzustuermen und mir den besten Platz zu erobern. Einen sehr starken Eindruck machte auf mich das Gastspiel der Meininger. Es ist bekannt, wie ihre Regie mit aeusseren Mitteln, mit wildbewegten Volksmassen, mit echten Kostuemen Wirkungen hervorbrachte, und ich erinnere mich heute noch an die hereinstuermenden Pappenheimer Kuerassiere oder an das Geschrei des Volkes auf dem roemischen Forum. Aber auch die schauspielerischen Leistungen waren gross, und Teller, Nesper, Drach sind Namen, die sich ins Gedaechtnis gepraegt haben. Dass die Meininger sich ausschliesslich mit der Darstellung klassischer Werke Ansehen erwarben, darf man im Zeitalter der Operette und des gemeinen Filmdramas besonders hervorheben. Ich war der Obhut zweier Onkel anvertraut, die, so entfernt verwandt sie auch mit uns waren, doch nach Sitte und Brauch so genannt wurden. Sie hatten zusammen eine kleine Wohnung in der Frauenstrasse inne; der eine, pensionierter Postsekretaer, war mit der Schwester des andern, eines pensionierten Premierleutnants, verheiratet. Diese, die gute alte Tante Minna, war der Mittelpunkt des Hausstandes, die Friedensbringerin bei allen auftauchenden Differenzen zwischen den Herren und nebenher eine altbayrische Chronik. Ihre Geschichten gingen zurueck in die zwanziger und dreissiger Jahre und spielten in Freising und Altmuenchen. Sie erzaehlte gerne und sehr anschaulich und kannte die staedtischen Familien, dazu auch eine erkleckliche Zahl bayrischer Staatsdiener, von denen sie allerlei Menschliches wusste, das im Gegensatze zu etwa vorhandenem Staatshochmute stehen durfte. Wenn der Onkel Postsekretaer abends, wie es seine Gewohnheit war, den "Muenchner Boten" vorlas und mit einem Blaustift aergerliche Nachrichten zornig anstrich, dann unterbrach Tante Minna nicht selten die Vorlesung mit einer Anekdote ueber einen Gewaltigen in Bayern. "Der brauchet sich auch net so aufmanndeln ..." Damit begann sie gewoehnlich die Erzaehlung, und dann folgte die Geschichte eines Begebnisses, in dem der hohe Herr schlecht abgeschnitten hatte. Das konnte oft bis in die fruehe Jugend des Getadelten zurueckreichen, denn die Tante hatte ein unerbittliches Gedaechtnis. Dabei war sie heiter, wohlwollend und herzensgut und sah aus wie ein altes Muenchner Bild, mit ihren in der Mitte gescheitelten Haaren, auf denen eine kleine Florhaube sass. Sie hielt den kleinen, aber behaebigen Haushalt in bester Ordnung und liess in ihrer heiteren und doch resoluten Art keine Verstimmung andauern, die sich zuweilen einstellte, denn die zwei Onkels repraesentierten zwei verschiedene Welten. Der Postsekretaer hatte - schon anfangs der dreissiger Jahre - in Muenchen Jura studiert, war aber vor dem Examen zur Post gegangen und hatte zuletzt als Sekretaer in Regensburg amtiert. Der Premierleutnant hatte die Feldzuege mitgemacht, war nach siebzig krank geworden und hatte den Dienst quittiert. Vorne, wo Onkel Joseph, der Sekretaer, sein Zimmer hatte, war's ganz altbayrisch, partikularistisch, katholisch. Sechsundsechzig und was nachher kam, Reichsgruendung, Liberalismus um und um, Kulturkampf, alles wurde als Untergang der guten, alten Zeit betrachtet. Hier bildeten Kindererinnerungen an Max Joseph, der das Soehnchen des Burghauser Landrichters getaetschelt hatte, das Allerheiligste, und eine Studentenerinnerung an Ludwig I., der den Kandidaten Joseph Maier im Englischen Garten angesprochen hatte, konnte durch keine neudeutsche Grosstat in den Schatten gestellt werden. Wenn aber das "Regensburger Morgenblatt", das auch abends vorgelesen wurde, einen schmerzlichen Seufzer ueber Falk, Lutz oder Bismarck brachte, fuhr der angenetzte Blaustift groeblich uebers Papier. Da konnte es dann auch Pausen geben, und zwischen zwei Schlucken aus der Sternecker Mass setzte es ingrimmige Worte ueber respektabelste Persoenlichkeiten ab, bis Tante Minna fand, dass es nun genug waere und dass man weiterlesen sollte. Im Zimmer rueckwaerts, wo Onkel Wilhelm hauste, lebten die Erinnerungen an Woerth, Sedan und Orleans, hier herrschten Freude am neuen Reiche und temperierter Liberalismus. Freilich war's auch recht gut altbayrisch, und in heroische Toene vom wiedererstandenen Kaisertum mischten sich die anheimelnden Klaenge aus dem alten Bockkeller, aus lustigen Muenchner Tagen, wo der Herr Leutnant Paulus mit dem Maler Schleich und anderen Kuenstlern selig und froehlich war. Im allgemeinen vermieden es die zwei Antipoden, besonders in meiner Anwesenheit, auf strittige Fragen zu kommen; wenn's doch geschah, war der Angreifer immer der Herr Postsekretaer, der auch vor mir weder seine noch seines Gegners Wuerde zu wahren beflissen war. Zuweilen streckte er, wenn ihm etwas missfiel, heimlich, aber unmenschlich lang seine Zunge hinterm Masskrug heraus und schnitt Gesichter. Ich kann mich nicht erinnern, dass ihn der alte Offizier einmal bei der Kinderei ertappt haette, und ich huetete mich wohl, den praechtigen Onkel, der so wundervolle Grimassen machen konnte, durch dummes Lachen zu verraten. Trotz des Kleinkrieges vertrugen sich die beiden Herren recht gut, und wenn die Sprache auf vergangene Zeiten kam, fingen sie miteinander zu schwaermen an vom Schleibinger Braeu und vom Schwaigertheater, vom sagenhaft guten Bier und von billigen Kalbshaxen, und sie waren sich darueber einig, dass im Kulinarischen und im Trinkbaren das goldene Zeitalter doch vor der Kapitulation von Sedan geherrscht hatte. Und das versoehnte die Gegensaetze. Waren damals eigentlich andere, mildere Sommertage als jetzt? Mir kommt's so vor, als haette es bei weitem nicht so oft geregnet, denn viele Tage hintereinander gab es Hitzvakanzen, und wochenlang gingen wir jeden Abend auf den Bierkeller. Onkel Wilhelm war nicht dabei; er blieb entweder zu Hause, oder er war um die Zeit schon in Prien zur Erholung. Reisen war nicht Sache des Herrn Postsekretaers. Noerdlich ist er nicht ueber Regensburg hinausgekommen, aber auch nach Sueden zog ihn sein Herz nicht, und es genuegte ihm, wenn er an foehnigen Tagen vom Fenster aus die Kette der Alpen sah. Das ging damals noch. Vom rueckwaerts gelegenen Zimmer aus sah man ueber einen breiten Bach hinweg die Hoehen am rechten Isarufer, darueber hinaus aber die Salzburger und Chiemgauer Berge. Am Bache unten lag das freundliche Haeuschen eines bekannten Musikers, mitten in einem huebschen Garten. Jetzt ist der Bach ueberwoelbt, die Aussicht von einer oeden Reihe hoher Mietskasernen versperrt, und wo die gepflegten Rosen des Musikers bluehten, sind gepflasterte Hoefe, darueber Kuechenaltanen, auf denen man Teppiche ausklopft. Ein Stueck Altmuenchen nach dem andern wurde dem Verkehr, dem grossstaedtischen Beduerfnisse, dem Zeitgeist oder richtiger der Spekulation geopfert. Seit Mitte der achtziger Jahre haben Gruender und Bauschwindler ihr Unwesen treiben duerfen, haben ganze Stadtviertel von schlecht gebauten, haesslichen Haeusern errichtet, und keine vorausschauende Politik hat sie daran gehindert. In meiner Schulzeit lag vor dem Siegestor ein behaebiges Dorf mit einer netten Kirche; heute dehnen sich dort fade Strassen in die Laenge, die genau so aussehen wie ueberall, wo sich das Emporbluehen in Geschmacklosigkeit ausdrueckt. Damals lagen noch die Floesse vor dem "Gruenen Baum", der behaglichsten Wirtschaft Muenchens, und weiter unten an der Bruecke lag die Klarermuehle, in der die Saege kreischte, wie irgendwo im Oberland. Jetzt gaehnt uns eine Steinwueste an, Haus neben Haus und eine Kirche aus dem Anker-Steinbaukasten. Die Klarermuehle musste verschwinden, denn sie passte so gar nicht ins Grossstadtbild; sie hatte, und das ist nun einmal das Schlimmste, Eigenart, erinnerte an bescheidene Zeiten, wo Muenchen in seiner aeusseren Erscheinung, wie in Handel und Gewerbe, zu dem rassigen Landesteile gehoerte, dessen Mittelpunkt es war. Dem Manne, der Muenchen zur schoensten Stadt Deutschlands gemacht hat, ist das Saegewerk vor der Bruecke nicht peinlich aufgefallen, und im "Gruenen Baum" hat Ludwig I. oefters zugesprochen, aber die neue Zeit, die fuer amerikanische Snobs Jahrmaerkte abhielt, ihnen eine Originalitaet vorschwindelte, von der sie sich losgesagt hatte, die konnte es nicht weltstaedtisch genug kriegen. Ich habe in meiner Jugend noch so viel von der lieben, alten Zeit gesehen, dass ich mich aergern darf ueber die protzigen Kaffee- und Bierpalaeste, ueber die Gotik des Rathauses und die Niedlichkeit des Glockenspiels und ueber so vieles andere, was unserem Muenchen seine Eigenart genommen hat, um es als Schablonengrossstadt herzurichten. Wenn ich Onkel Joseph an einem Sonntagvormittag auf seinem Spaziergang durch die Stadt begleiten durfte, machte er mich ueberall auf verschwundene Herrlichkeiten aufmerksam. Da war einmal dies, und da war einmal das gewesen, und es klang immer wehmuetig, wie der Anfang eines Maerchens. Selten oder vielleicht nie handelte es sich um die grossen Erinnerungen, sondern um die kleinen, die wirklich Beziehungen zum Leben des einzelnen haben. Da war einmal die Schranne abgehalten worden, und was hatte sich fuer ein Leben geruehrt, wenn die Bauern anfuhren, Wagen an Wagen, und ihre Saecke aufstellten, wenn Markthelfer und Haendler durcheinander liefen, wenn geboten und gefeilscht und zuletzt im Ewigen Licht oder beim Donisl oder im Goldenen Lamm neben der Hauptwache der Handel bei einem guten Trunk abgeschlossen wurde. Kaffee tranken die Schrannenleute beim Kreckel; die Frauenzimmer aber, die auf dem Kraeutelmarkt oder, wie es bald vornehmer geheissen hat, auf dem Viktualienmarkt ihre Einkaeufe machten, kehrten beim Greiderer oder beim Goldner ein. Wer es nobel geben wollte und gerne ein gutes Glas Wein trank, ging zum Schimon in die Kaufingergasse, der in dem Durchhause seine grosse Lokalitaet hatte. Ja, wie gemuetlich und lebhaft es dort zugegangen war! Offiziere, Kuenstler, Beamte, Buerger, auch Frauen aller Staende, alles durcheinander im schoenen Verein, und ueberall ruhige Heiterkeit, wie es unter anstaendigen Leuten sein musste, die einen edlen Tropfen liebten und das wueste Geplaerr nicht brauchten und nicht machten. Wie viele anheimelnde Namen sagte mir der Onkel, der fast jeden mit einem Seufzer begleitete! Da waren der Mohrenkoepflwirt am Saumarkt, der Melber in der Weinstrasse, der Krapfenbraeu am Faerbergraben, der Fischerwirt neben der Synagoge, der Haarpuderwirt in der Sendlinger Strasse und dort auch der Stiefelwirt, der Rosenwirt am Rindermarkt, der Schwarze Adler, der Goldne Hirsch und der Goldne Baer und in der Neuhauserstrasse der Goldne Storch, wo Stellwagen und Boten von ueberall her gerne einkehrten. Das klang anders als die armselige Internationalitaet der heutigen Firmen, die dem Snob sagt, dass er auch in Muenchen den huebschen Zug der Nachaefferei und des Aufgebens aller Bodenstaendigkeit findet. Dagegen sicher nicht mehr die schmackhafte Spezialitaet der guten Dinge, die klug verteilt hier im Derberen, dort im Feineren zu finden war. Aber die schoenste Entwicklung hat der brave Herr Postsekretaer nicht mehr erlebt; er sah nur die Anfaenge dazu und starb noch, bevor man zwischen Marmorsaeulen unter ueberladenen Stuckdecken eine Tasse Kaffee trank und sich einbilden konnte, in einem Bahnhofe oder in einem Tempel zu hocken. Das blieb dem eingefleischten Altmuenchner erspart. Wenn Maibock ausgeschenkt wurde, nahm er mich zuweilen mit, und da konnte es geschehen, dass er in eine bedenkliche Froehlichkeit geriet und beim Heimweg den Hut sehr schief aufsetzte. Bei einem dieser Fruehschoppen zeigte er mir einmal einen alten Herrn, der aussah wie ein Oberfoerster aus der Jachenau oder vom Koenigssee. "Das ist der Kobell", sagte mein Onkel. "Und jetzt hast amal an bayrischen Dichter g'sehn." Ich bewunderte ihn von weitem, und ich weiss nicht, was mich mehr freute, dass ich den beruehmten Mann sah oder dass er so berglerisch und jaegermaessig ausschaute. Hermann Lingg und der Olympier Heyse wurden mir auf der Strasse gezeigt. Auch den alten Doellinger habe ich mehrmals gesehen, und Tante Minna, mit der ich ging, gab mir von ihm und seinem Wirken eine Schilderung, die sich in Persoenliches verlor und geschichtlich nicht unanfechtbar war. Von den bayrischen Staatsmaennern kannte ich von Angesicht zu Angesicht die Herren von Lutz und Faeustle. Es laesst sich denken, was der Herr Postsekretaer dem Erfinder des Kanzelparagraphen nachmurmelte; ueber Faeustle wurde milder geurteilt. Dass er Europens uebertuenchte Hoeflichkeit nicht kannte und als Gelegenheitsjaeger mehr Eifer als Talent verriet, wurde aber doch festgestellt. Den Doktor Johann Baptist Sigl, der damals im Zenit seines Rufes stand und seine lebhaftesten Artikel schrieb, konnte man oft genug sehen. Es war von ihm mehr die Rede als von irgendeinem sueddeutschen Publizisten oder Politiker, und die schmueckenden Beinamen, die er Personen und Dingen beilegte, fuegten sich dem Muenchner Wortschatz ein. Ereignisse, die die Meinung lebhaft erregten, gab es nicht; mit Murren ueber die Neuordnung der Dinge, die auch schon das erste Jahrzehnt hinter sich hatte, mit Murren ueber den Koenig und seine Bauten wurde so ziemlich der Bedarf an Kritik gedeckt. Es war eine stille Zeit; auch in literarischen und kuenstlerischen Dingen gab es keine Aufregungen; wenigstens keine so lauten, dass hellhoerige Gymnasiasten was davon vernommen haetten. Zur Weihnachtsbuecherzeit lag ein Band Ebers in der Auslage, daneben was Germanisches von Dahn. Von ihnen hoerte man in der Entfernung, die fuer einen Schueler abgesteckt war, am meisten. Freytags "Ahnen" und Scheffels Werke standen in Ansehen bei uns. Nur wenige kannten Storm, Keller, Raabe, Fontane, Konrad Ferdinand Meyer, aber dass auch damals die Jungen schon gescheit zu reden wussten, beweist mir die Erinnerung an ein Gespraech mit einem Mitschueler, der mir bei der Nachricht vom Tode Auerbachs klarmachte, dass dieser Schriftsteller bedeutend ueberschaetzt worden sei. Ich glaube, dass ich den klugen Altersgenossen bewundert habe, denn ich hatte keine Anlagen zur Zweifelsucht; auch was mir nicht gefiel, war mir schon fast durch die Tatsache, dass es gedruckt war, dem Urteil entrueckt. Einen eigenartigen Eindruck machte auf mich ein kleines Buch, das ich als Siebzehnjaehriger in der dritten Gymnasialklasse in die Haende bekam. Es war Fritz Mauthners "Nach beruehmten Mustern", worin Auerbach, Freytag, Scheffel u. a. parodiert waren. Die scharfen Karikaturen wirkten nicht bloss erheiternd auf mich; sie quaelten mich geradezu, weil sie mir mit einem Schlage den unbefangenen Glauben an eine Vollkommenheit nahmen, die mir unantastbar erschienen war. Ich liess mich eine Zeitlang mit Zoegern auf Enthusiasmus ein; denn was waren Illusionen, die mit einer Zeile zerstoert werden konnten? "'ktober war's; der Wein geraten ...", diese Parodie auf Scheffelsche Verse blieb mir lange im Gedaechtnis. Ich hatte einen wachen Sinn fuer bildende Kunst, und vor den Schaufenstern der Kunsthandlungen konnte ich lange stehen. Den Historienbildern im alten Nationalmuseum, den Ausstellungen im Kunstverein widmete ich lebhaftes Interesse; und wenn ich an die Eindruecke, die ich empfing, zurueckdenke, sehe ich eine bestimmte Entwicklung des Geschmackes. Ich hatte kein fruehreifes Urteil und musste immer gegen einen festgewurzelten Respekt kaempfen, bevor ich mich von einer Sache abwandte, die Geltung und Ansehen hatte. Ja, ich erinnere mich wohl, dass ich mich zur Bewunderung zwingen wollte und den Fehler bei mir suchte, wenn es mir nicht gelang. Aber auf die Dauer lassen sich Zweifel, die auf innerlichem Erleben und auf unbewusstem Wachsen beruhen, nicht unterkriegen. So weiss ich, wie ich mich geradezu danach sehnte, den Glauben an die Schoenheit historischer Bilder wiederzufinden, und wie mir's nicht mehr gelingen wollte. Ich sah nur mehr kostuemierte Personen. Groesse, Tragik des Geschehens hatten ihre starke Wirkung verloren. Ich brachte den ketzerischen Gedanken nicht los, dass unter den meisten dieser Bilder auch irgend was anderes stehen koennte, denn ob man bei Giengen, Ampfing oder sonstwo Schwerter schwang und Spiesse vorstreckte, das machte doch keinen Unterschied. Ich ging nun durch das Nationalmuseum, das ich haeufig aufsuchte, ohne den Wandgemaelden Beachtung zu schenken, desto mehr aber der Sache selbst. Ruestungen, Waffen, Trachten, handwerklichen, kuenstlerischen Erzeugnissen, die mir die Vergangenheit wirklich lebendig machten. Ich bedauere es noch heute, dass mir jede Fuehrung fehlte, die mir Wissen und Verstaendnis, die ich mir muehsam und stueckweise errang, ganz anders haette beibringen koennen. Aber ich hatte niemand, und in der Schule fehlte schon gar jede Anregung, die mich gefoerdert haette. Nichts wurde so trocken gelehrt wie bayrische Geschichte, und ich glaube, dass man das heute in jeder Dorfschule besser macht. Ist es die Vaterlandsliebe weckende Geschichte, die nichts zu erzaehlen weiss als Erbschaftsstreitigkeiten der Wittelsbacher, die Spaltung und Wiedervereinigung von Bayern-Ingolstadt, Bayern-Landshut, Bayern-Straubing und Bayern-Muenchen? Vom Volke hoerte man nichts, von seinem Leben, von Bauart, Kunst und Handwerk, von Handel und Wandel im Lande, ja kaum etwas von den kunstreichen und klugen Maennern, die unser Stamm hervorgebracht hat. Der Gymnasiast lief in Muenchen an Kirchen, Palaesten, Brunnen und Denkmaelern vorbei, und sie waren ihm nichts als totes Gestein und Erz. Sustris, Frey, Hans Krumper, Muelich, Peter Candid und Christoph Angermaier und viele andere waren leere Namen, wenn sie schon wirklich in Pregers Lehrbuch standen, und doch waere es moeglich gewesen, mit ein paar Hinweisen, am Ende gar auf einem Gange durch die Stadt, dem Schueler bleibendes Wissen beizubringen. Man lernte in zwei Zeilen auswendig, dass Johann Turmair, genannt Aventinus, der grosse Geschichtsschreiber Bayerns war, aber auch nur eine Seite von ihm zu lesen, passte nicht in den Rahmen des bayrischen Geschichtsunterrichtes. Es ist nicht bloss mir, es ist am Ende allen so gegangen: wenn man das Gymnasium verliess, hatte man nichts gelernt und erfahren, was einem die Heimat wertvoller machen konnte. Im Gegenteil, es war einem die Meinung anerzogen, als stuenden wir arg im Schatten neben dem grossen Geschehen und Emporbluehen anderswo. Wir hatten kein Fehrbellin, kein Rossbach, Leuthen und Belle-Alliance; unser Schlachtenruhm konnte einem warmherzigen Jungen wohl anfechtbar erscheinen, wenn er auf seiten der Feinde Deutschlands errungen war. Dass es anderes gab, was uns auf die Heimat stolz machen durfte, davon erfuhr der Gymnasiast wenig oder nichts. Die Pflicht zu meiner Erziehung nahm Onkel Wilhelm wie etwas Selbstverstaendliches oder seinem militaerischen Charakter Zukommendes auf sich, und meine Mutter, die sich vom soldatischen Wesen die besten Erfolge versprechen mochte, war damit sehr einverstanden. Ich glaube nicht, dass der Herr Postsekretaer eifersuechtig oder gekraenkt war, aber er zeigte zuweilen mit Zitaten aus Klassikern, dass seine Kenntnisse solider waren als die "des Soldatenschaedels". Der Oberleutnant wiederum wollte den Schein wahren, als ob er alle Gebiete des Wissens beherrschte, und liess im Gespraeche mit seinem Schwager Bemerkungen ueber Unterrichtsgegenstaende fallen, die sein Vertrautsein mit ihnen beweisen sollten. Das fuehrte bloss dazu, dass Onkel Joseph heimlich die Augen rollte und hinterm Masskrug die Zunge herausstreckte, wenn der Krieger, der nach einigen Jahren Lateinschule Regimentskadett geworden war, bedenkliche Bloessen zeigte. Mein Onkel Wilhelm war das Urbild des altbayrischen Offiziers von Anno dazumal, als es noch keinen preussischen Einschlag gab. Ritterlich und ehrenhaft, bescheiden nach den recht kleinen Verhaeltnissen lebend, aber doch gesellig und ganz und gar nicht auf Kasinoton gestimmt, rauhschalig und stets bemueht, die angeborene Gutmuetigkeit hinter Derbheit zu verstecken, freimuetig und nicht gerade sehr ehrgeizig. Dazu mit einem wachen Sinn fuer gutes Essen und gutes Bier begabt, natuerlich ein leidenschaftlicher Vorkaempfer des Altbayerntums gegen fraenkische und pfaelzische Fadessen und Anmassungen. Wenn der dicke Bader Maier aus der Zweibrueckenstrasse kam, um meinen Onkel zu rasieren, hoerte ich vieles, was mir ein Bild von der alten Zeit gab. Die beiden duzten sich, da sie, der eine als Korporal und Feldwebel, der andere als Kadett im gleichen Regiment gedient hatten. Da gab es Erinnerungen an Erlebnisse und an alte Kameraden, von denen manche etliche Sprossen hoeher auf der militaerischen Leiter gestiegen waren, da gab es Erinnerungen an kriegerische Abenteuer, denn auch der schnaufende und schwitzende Bader Maier war Anno 66 in der Gegend von Wuerzburg in Weindoerfern gelegen, und immer gab es ein seliges Erinnern an Ess- und Trinkbares, an sagenhafte Leberknoedel, die ein Feldwebel besser als jede Koechin zubereitet hatte, an Kartoffelsalate oder an Schweinernes mit bayrischen Rueben, fuer die ein jetziger Major das feinste Rezept besessen hatte. Der Bader besonders war nur mit kulinarischen Andenken an den Bruderkrieg behaftet, und wenn er auch sonst nicht viel Gutes an den Franken gefunden hatte, ihre Presssaecke und Schwartenmaegen hatten ihm doch Ehrfurcht eingefloesst. Ich sass am Tisch, und indes ich zu arbeiten schien, horchte ich aufmerksam zu, voll Erwartung, von diesen lebenden Zeugen etwas ueber Schlachtenlaerm und Getuemmel zu hoeren, aber es kam nichts als Berichte ueber Zutaten zu geraeucherten Blut- und Leberwuersten, in denen auch die Rheinpfalz Grosses geleistet hatte, als der Gefreite Maier unter General Taxis als Strafbayer dort geweilt hatte. Ich konnte also meinen Hunger nach lebendiger Geschichte nicht stillen, allein vielleicht wuchs in mir heimlich das Verstaendnis fuer altbayrische Lebensfreude. Wie man es von ihm erhofft hatte, verhielt sich Onkel Wilhelm gegen mich als soldatischer Vorgesetzter, der keine Respektlosigkeit und nichts Saloppes duldete und, wenn er schon einmal lobte, auf die Anerkennung stets eine scharfe Mahnung folgen liess. Die Ueberwachung meiner Arbeit, die zu seinem Pflichtenkreise gehoerte, bereitete ihm Schwierigkeiten, ueber die er sich nicht ganz ehrlich wegsetzte. Da ich seine Schwaeche schnell durchschaut hatte, legte ich ihm manches Problem vor und hatte meinen Spass daran, wie er den Zwicker aufsetzte und sich in den Text einer Stelle in Cornelius Nepos oder Caesar zu vertiefen schien, um zuletzt zu entscheiden, sie sei gar nicht so schwer, ich solle nur ordentlich nachdenken und selber die Loesung finden. Nicht selten hielt er Ansprachen an mich, in denen er mich als beinahe reif gelten liess und mir die Ehrenstandpunkte klarmachte. So sehr mir das gefiel, war meine Neigung zu Kindereien doch viel zu lebhaft, als dass ich mich als werdender Mann benommen haette, und das nahm er stets uebel, sah eine Woche lang ueber mich weg und erwiderte meinen Gruss mit abweisender Kaelte. Ich wartete meine Zeit ab und fand das Mittel, ihn zu beschwichtigen, indem ich ihn ueber gelehrte Dinge respektvollst zu Rate zog. Sein Kopfleiden fesselte ihn den ganzen Winter ueber ans Zimmer, und ich musste fuer ihn aus der Lindauerschen Leihbibliothek haeufig Buecher holen. Das kleine Fraeulein hinter dem Ladentische, ich glaube eine Irlaenderin, besass meine ganze Bewunderung, wenn es in gebrochenem Deutsch ueber jedes verlangte Buch Urteile abgab. Es schien wirklich alles gelesen zu haben. Ich selber war lesewuetig und benutzte jede Gelegenheit, Romane zu verschlingen. Ich las auf der Strasse und hatte daheim oft unterm Schulbuche einen Schmoeker liegen. Ich habe Gutes und Schlechtes wahllos gelesen, neben Dickens, Gotthelf, Keller auch ganz seichtes Zeug, und es ist mir wie den Konditorlehrlingen ergangen, die sich am Ueberflusse das Naschen abgewoehnen. Ich hoerte nach und nach auf, an suesslichen und gespreizten Romanen Gefallen zu finden, und wurde mit der Zeit sogar recht empfindlich gegen gedruckte Unwahrheit. Aber ich moechte doch die Kur nicht allen empfehlen. Im Mai oder zu Anfang Juni ging Onkel Wilhelm aufs Land, und dann begann fuer mich eine Zeit genussreicher Ungebundenheit. Der Herr Postsekretaer war kein strenger Stellvertreter; uebrigens starb er bald so ruhig und gelassen, wie er gelebt hatte. Tante Minna aber konnte kaum Aufsicht ueben, und so musste man schon das meiste meinem eigenen Ernste ueberlassen. Es ging schlecht und recht. Der beste Antrieb war die Aussicht auf die selige Vakanz, die damals merkwuerdigerweise, und weil Zopfigkeit immer hartnaeckig ist, nach den heissesten Tagen am 8. August begann. Es bedeutete offenbar eine ungeheure Umwaelzung, die noch jahrelang vorbereitet und erwogen werden musste, sie schon am 15. Juli anfangen zu lassen. Aber auch so, wie sie waren, brachten mir die Ferien eine Fuelle ungetruebter Freuden. In Prien am Chiemsee hatte meine Mutter ein Gasthaus gepachtet, die "Kampenwand", und ich durfte die Knabenjahre, wie ehedem die Kinderzeit, auf dem Lande verbringen. Der Chiemsee! Wenn ich die Augen schliesse, und sei es, wo immer, Wasser an Schiffsplanken plaetschern hoere, erwacht in mir die Erinnerung an die Jugendzeit, an Stunden, die ich im Kahn vertraeumte, den See rundum und den Himmel ueber mir. Ich sehe die stille Insel, von der die feierlichen Glockenklaenge herueberklingen, ich hoere den Kahn auf feinem Kiese knirschen, springe heraus und stehe wieder unter den alten Linden, von wo aus der Blick ueber die blaue Flut hinunter nach den Chiemgauer und Salzburger Bergen schweift. Ich gehe an der Klostermauer entlang und sitze am Ufer, wo Frieden und Feierabend sich tiefer ins Herz senken als irgendwo in der Welt, ich gehe zu den niederen Fischerhuetten und sehe zu, wie man die Netze aufhaengt und die Arbeit fuer den kommenden Tag bereitet. Ein abgeschiedenes Stueck Erde und ein versunkenes Glueck in Jugend und Sorglosigkeit! Aber doch! Dieses Glueck gab es einmal, es erfuellte das Herz des Knaben mit Heimatliebe und wirkte lange nach. In der efeuumrankten Wirtsstube auf der Fraueninsel habe ich oft ehrfuerchtig die Baende der Kuenstlerchronik durchgeblaettert und gesehen, wie diese friedliche Schoenheit um mich herum auf bedeutende Menschen Eindruck gemacht hatte. In den Gedichten war viel die Rede vom Chieminseeo, von Werinher und Irmingard, und diese Romantik der Scheffel- und Stielerzeit begeisterte mich zu den ersten Versen, die ich, allerdings viel spaeter, auf blaue Flut und Klosterfrieden dichtete. Die Mitglieder der Kuenstlerkolonie betrachtete ich mit respektvoller Bewunderung, in die sich etwas Neid mischte; denn Maler zu sein, erschien mir als das schoenste Los, und heute noch, wenn ich Oelfarbe rieche und Farben mischen sehe, ueberkommen mich alte Wuensche. Haushofer, Raupp, Wopfner und etliche mehr waren die Herrscher auf der Insel, die von Kuenstlern entdeckt und in Besitz genommen worden war. Laienbesucher hielten sich nur etliche Stunden auf und strichen scheu um die Groessen herum, die nach der Abfahrt des letzten Dampfschiffes unter sich blieben. Der dicken, alten Julie standen sie weniger als Gaeste, denn als Hueter ihrer Rechte und der alten Ordnung gegenueber, und wenn meine Mutter, wie sie es jeden Sommer einmal tat, zu Besuch kam, musste sie Seufzer und Klagen ueber die Maler hoeren. Die jungen Kuenstler, Soehne oder auch Schueler der Herren Professoren, hatten fuer Froehlichkeit und die herkoemmliche Ungebundenheit zu sorgen. Sie veranstalteten Feste an Geburtstagen der Groessen, Kahnfahrten, Ausfluege, die dann im Chronikstil ausfuehrlich beschrieben wurden. Es war eine andere Zeit, und wenn ich mich daran erinnere, wie damals eine absprechende Kritik ueber einen der Koenige der Fraueninsel die ganze Kolonie in Aufregung versetzte, wie sich die Entruestung uebers Wasser gegen Prien hin fortschwang und viele Gemueter beschaeftigte, dann darf ich wohl sagen, es war eine harmlose Zeit. Im Mittelpunkte des allgemeinen Interesses stand der Bau des Koenigsschlosses auf Herrenchiemsee, der als Symptom der beginnenden Erkrankung Ludwigs II. gelten darf. Vielleicht ist noch kein Platz unpassender fuer eine Geschmacklosigkeit gewaehlt worden als der einstmals wunderschoene Hochwald auf Herrenwoerth. Um ihn zu retten, hatte der Koenig die Insel gekauft, als im Jahre 1874 wuerttembergische Haendler den Besitz vom Grafen Hunoldstein erworben und mit dem Abholzen begonnen hatten. Nunmehr, Ende der siebziger Jahre, zerstoerte er selber den Wald und das reizvollste Landschaftsbild, indem er den ungluecklichen Abklatsch des Versailler Schlosses errichten liess. Der Bau ist nicht fertig geworden, und der viereckige Kasten, der patzig die Insel beherrscht und der von weit und breit die Blicke auf sich zieht, schaut aus wie ein Gefaengnis. Tritt man naeher hinzu oder besucht man den Prachtbau, so friert einen vor dem ueberladenen, planlos angehaeuften Prunk. Damals freilich kritisierte man nicht; im Lande galt auch dieser Plan des Koenigs als Beweis seiner kunstfreudigen, vom Grossvater ererbten Art, und am Chiemsee war man wohl zufrieden mit dem regen Leben, das sich nunmehr entwickelte. Laerm gab es genug. Scharen von Arbeitern siedelten sich auf der Insel, aber auch auf den naechsten Ufern an; Baufuehrer und Poliere mieteten sich in Prien ein, die Zufuhr des Materials brachte Fuhrleuten und Schiffern guten Verdienst, und der grosse Mann in diesem frueher so stillen Winkel war der Erbauer des Schlosses, Ritter von Brandl. Der Bau waehrte bis zum Fruehjahr 1886 und gab Anlass zu vielen Geschichten und Geruechten. Dem Koenig dauerte er zu lange, und es soll ihm bei Besuchen manches vorgetaeuscht worden sein, was nach seiner Abreise wieder verschwand; zuweilen wurde die Zahl der Arbeiter stark verringert, und am Chiemsee erzaehlte man sich dann mit Augenblinzeln die seltsame Maer, dass auch einem Koenig das Kleingeld ausgehen koenne. Eine barbarische Massregel war der Abschuss des Damwildes, das bis dahin ungestoert auf der Insel gehegt worden war. Wenn man an stillen Abenden an der Suedspitze der Herreninsel vorueberfuhr, sah man stets etliche Hirsche und Tiere, die ganz vertraut waren; auch von der Klosterwirtschaft aus hatte man oft den Anblick, wie Damwild auf die Wiesen austrat und aeste. Jetzt sollte es wegen der neuen Gartenanlagen ausgerottet werden. Alle Jaeger und Schiesser und Schinder im Chiemgau wurden zu dieser Jagd eingeladen; mit grobem und leichtem Schrot, mit gehacktem Blei und ganz vereinzelt nur mit der Kugel wurde auf das gehetzte Wild geschossen. Angepatzt und immer wieder aufgestoert, wurden viele davon erst nach Tagen zur Strecke gebracht, und endlich war kein Stueck mehr am Leben, das die uebrigens nie ausgefuehrten Gartenanlagen haette beschaedigen koennen. Wenn der Koenig kam, wurden vorher viele Tausende von Blumen in Toepfen herbeigeschafft; man grub sie in den Boden ein und taeuschte dem Schlossherrn einen herrlich gepflegten Garten vor. Im Fruehjahr 1886 wurde die Arbeit, die schon vorher gestockt hatte, ganz eingestellt; es war so was wie ein Bankerott, dem bald die Absetzung folgte. Spaeterhin fuehrte die Neugierde viele Besucher herbei, und es gehoerte auch zu der weit verbreiteten Geschmacklosigkeit, dass diese leblose ueberladene Pracht bewundert wurde. Die Vorstellung, dass ein einzelner Mensch mit ein paar Dienern in diesen Raeumen, langgestreckten Gaengen und Spiegelgalerien auch nur etliche Stunden zubringen, hinter diesen von Gold starrenden Brokatvorhaengen schlafen sollte, ist unmoeglich. Meine Mutter liess sich nach dem Tode des Koenigs nicht zu einem Besuche des Schlosses ueberreden; sie wollte sich teure und in Ehren gehaltene Erinnerungen an den ungluecklichen Mann und an schoene Tage in der stillen Vorder-Riss nicht zerstoeren lassen. Wenn sie enthusiastische Berichte von der Pracht und Herrlichkeit hoerte, erzaehlte sie, wie sich der Koenig einstmals in seinem Jagdhause so wohl gefuehlt hatte und wie schlicht und einfach er gewesen war. Die Erinnerung an vergangene Tage wachte besonders lebhaft auf, wenn die alten Freunde, _Graf Tattenbach_, _Julius Noerr_ oder der _Jagdgehilfe Bauer_, zu Besuch kamen. Sie liessen es sich nicht nehmen, von Zeit zu Zeit Nachschau zu halten, und mochten wohl fuehlen, wieviel Freude sie damit erregten. Auch fuer sie war mit dem Wegzuge meiner Eltern die Risser Gemuetlichkeit zu Ende gegangen; Graf Tattenbach konnte es ebensowenig wie Noerr uebers Herz bringen, unter den veraenderten Umstaenden den Isarwinkel aufzusuchen, und Bauer hatte seine Versetzung ins Loisachtal erbeten und erhalten. So sprach man von dem stillen Forsthause wie von einer verlorenen Heimat, an die sich alle mit Wehmut zurueckerinnerten. Wenn ich diese Maenner, die sich in ihrer wortkargen, zurueckhaltenden Art aehnelten, warm werden sah beim Lobe des alten Oberfoersters, dann wurde mir der Vater wieder lebendig vor Augen gestellt und er selbst sowie seine Umgebung mit einem romantischen Schimmer umkleidet, der fuer mich daran haften blieb. Bauer sprach von ihm mit einer fast kindlichen Anhaenglichkeit, liess keinen andern Jaeger und Schuetzen neben ihm was gelten, und es kam ihm dabei auch nicht auf Uebertreibungen an. Das stach so sehr von dem Wesen dieses harten Lenggriesers ab, dass es viel staerker wirkte wie lange Reden und schoene Worte. Er kam spaeter auf einen ruhigen Posten in die Naehe Muenchens, diente unter verschiedenen Vorgesetzten, heiratete, hatte Kinder und stand neben der Jagd einem kleinen Anwesen vor, aber wie sich sein Leben auch aenderte, in der Anhaenglichkeit an seinen ersten Oberfoerster blieb er sich die Jahrzehnte hindurch gleich. Wenn ich ihn besuchte, als Student, als Anwalt und spaeter, als ich laengst Schriftsteller geworden war, sass er mir zuerst schweigsam gegenueber, fragte mich kaum nach meinen Schicksalen und wurde erst vertraut, wenn er die Rede auf meinen Vater gebracht hatte. Dazu bot ihm jedes Ding Anlass. Eine Pfeife, die er vom Rahmen holte und die noch von meinem Vater her stammte, der oesterreichische Landtabak, den auch mein Vater geraucht hatte, ein Hirschgeweih aus der Riss, eine alte Buechse, die natuerlich viel besser hingegangen war als die neuen, eine gemalte Scheibe, auf die mein Vater geschossen hatte, kurz alles, was ehrwuerdige Beziehung zur Riss und ihrem Oberfoerster hatte. Dass ein Sohn des verehrten Mannes ihm gegenueber sass, machte ihn sogar mitteilsam, und er erzaehlte in seiner trockenen Art von Zusammenstoessen mit Wilderern oder Lumpen, wie man im Isarwinkel sagte, bei denen es sich recht selbstverstaendlich um Tod und Leben gehandelt hatte. Trat seine Frau, die allerhand Gutes auftragen musste, in die Stube, dann hoerte er sogleich zu reden auf und rauchte bedaechtig vor sich hin, und er fuhr in seiner Erzaehlung erst wieder fort, wenn sie hinausgegangen war. "Sie braucht's net z' wissen", sagte er. Bei den Herbstjagden, die der Regent im Gebirge abhielt, musste Bauer alljaehrlich Dienst leisten. Dabei erregte er das Missfallen des Jagdpersonals, weil er das Verstaendnis der Lebenden fuer gar nichts achtete und hartnaeckig darauf stehenblieb, dass man bloss frueher, wie noch der Max Thoma Oberfoerster in der Riss war, die Jagd richtig und weidmaennisch betrieben habe. Mein aeltester Bruder durfte in Prien ein Festschiessen mitmachen, und Bauer fand sich dabei ein, um zu sehen, ob der Sohn dem Vater nachschlage. Am Schiessstand stellte er sich hinter ihn und beobachtete ihn, gab ihm gute Lehren beim Laden und Kapselaufsetzen - damals schoss man noch mit Vorderladern -, pruefte Wind und Licht, und wie es dann ganz anstaendig ging, lachte er freundlich und sagte: "Er werd scho." Aber auch in ernsteren Dingen, wenn es sich um wichtige Entschluesse handelte, wurde der alte Jagdgehilfe um Rat gefragt, und Viktor wollte ihre Ersparnisse nur so anlegen, wie er es fuer gut und nuetzlich hielt. Als er ans Heiraten dachte, zog er sie in sein Vertrauen und schrieb ihr einen Brief, worin er ihr ueber die Eigenschaften und die Vermoegensverhaeltnisse seiner Zukuenftigen genauen Bericht erstattete. Sie erwog seine Angaben gewissenhaft und gab ihr Gutachten fuer das brave Frauenzimmer ab, das auch eine tuechtige Hauserin wurde, und ich glaube, dass sich Viktor immer mit Stolz fuer die Stifterin dieses Glueckes hielt. Spaeterhin uebernahm sie die Patenstelle bei einer Tochter und blieb ihr Leben lang eine sorgsame Goedin, die sich an Geburts- und Namenstagen vernehmen liess. Der Eindruck, den Bauer auf mich als heranwachsenden Knaben machte, war nachhaltig, und ich habe an diesem gescheiten und ehrlichen Manne manches von der wertvollen Art unserer Oberlandler kennen und verstehen gelernt. Er gilt mir als Vertreter der germanischen Bauernrasse, die sich im Gebirge rein erhalten hat; bedaechtig im Reden, kuehn im Handeln, trotzig und unbeugsam, taktvoll und klug, auch mit manchen Talenten und mit einem schlagfertigen Witze begabt. Und die verschmitzte Schlauheit fehlte ihm nicht, die den Isarwinkler zum guten Jaeger oder zum gefaehrlichen Wilderer macht. _Graf Tattenbach_ zeigte bei seinen Besuchen in Prien, spaeterhin in Traunstein, immer das gleiche, stillvergnuegte Verstaendnis fuer das Behagen, das er vom ersten Tage an in meinem Elternhause gefunden hatte. Seine Anwesenheit in der "Kampenwand" haette man mir gar nicht erst bekanntgeben muessen, sie verriet sich sofort durch einen wundervollen Tabakgeruch, der das Haus durchzog. Der Herr Oberst rauchte immer noch aus einem Tschibuk, dessen Rohr bedeutend laenger war als er selber, eine Herzegowinermischung, deren Aroma mir unvergesslich geblieben ist. Und noch immer schaute der Herr Oberst hinter buschigen Augenbrauen scheinbar sehr streng und grimmig in die Welt, und dabei sass doch das gutmuetigste Lachen in seinen Augen, wenn eine froehliche Erinnerung aufgefrischt wurde. Seine Jagdgeschichten wurden immer breiter ausgemalt; eine reichte fuer die Kaffeestunde. Er bewohnte als Pensionist in Muenchen mit seinem Bruder, der gleich ihm Hagestolz geblieben war, ein reizendes Haeuschen in der Gartenstrasse, jetzt Kaulbachstrasse, wo ich ihn oefter besuchen durfte. Die beiden Brueder waren sich herzlich zugetan und lebten in einer Harmonie zusammen, die nur durch den Tod gestoert werden konnte. Als der Aeltere, der General ausser Dienst war, die Augen schloss, hatte auch fuer unsern Risser Jagdkavalier das Leben keinen rechten Sinn mehr. Er folgte bald dem Bruder nach. Als Gast meiner Mutter erkrankte er in Traunstein just in der Kaffeestunde, als er, die lange Pfeife in der Hand, eine ausgiebige Geschichte von einem erlegten Hirsch begonnen hatte. Ganz ploetzlich ueberfiel ihn ein Schuettelfrost, der ihn zwang, mit Rauchen und Erzaehlen aufzuhoeren und sich ins Bett zu legen. Ein paar Tage blieb er noch in Traunstein. "Jetzt blasen wir Halali", sagte er zu meiner Mutter kurz vor dem Abschied, und er hoerte laechelnd ihren zuversichtlichen Troestungen zu. "Nein, nein, Frau Oberfoerster", erwiderte er. "Diesmal is es Ernst und macht auch nix. Ich kann jeden Tag abmarschieren, mein Rucksack is schon gepackt." Verwandte holten ihn ab und brachten ihn nach Muenchen, wo er gelassen und vornehm die letzten Dinge abmachte. _Julius Noerr_ kam in den ersten Jahren zu laengerem Aufenthalt und malte in Prien, Uebersee, Bernau Studien, aber vielleicht war ihm der Chiemsee zu sehr Domaene einzelner, oder er fand nicht, was er suchte, jedenfalls beschraenkte er sich spaeter auf voruebergehende Besuche, die nur der Pflege alter Freundschaft galten. Ich durfte ihn zuweilen in seinem Atelier in der Schillerstrasse aufsuchen, und was ich bei ihm an Zeichnungen, Portraetskizzen, Landschaftsstudien, an Vorarbeiten fuer jedes Bild gesehen habe, gibt mir heute noch, so weit das auch zurueckliegt, einen Massstab fuer das ehrliche, grosse Koennen Noerrs und manches Zeitgenossen von ihm, und ich bin ueberzeugt, dass mich diese Jugendeindruecke gefeit haben gegen allen Schwindel, der seitdem getrieben worden ist. Ich lernte verstehen, warum nur ehrliche Arbeit wirkliche Werte schaffen kann. Und gewiss schlug damals meine Liebe fuer diese von aller Manie, Methode und Mode freie Kunst die ersten Wurzeln. Sie ist mit den Jahren immer staerker geworden, und heute, wo galizische Schwindler alle Begriffe umfaelschen duerfen, betrachte ich es als Glueck, zu Noerr, Spitzweg, Steub und manchem anderen Altmuenchner zu fliehen. Der See war der schoenste Tummelplatz fuer einen gesunden Buben, und ich brachte jeden Tag, den ich loskam, darauf zu. Die aengstlichen Bedenken meiner Mutter wurden durch den Westernacher Franz, der meinem Rudern das beste Zeugnis ausstellte, beseitigt. Allerdings, andere Befuerchtungen schwanden nie ganz, und besonders meine aeltere Schwester sah mir immer mit Sorge nach und empfing mich mit Misstrauen. Sie ahnte, dass die schoenen Obstanlagen auf der Herreninsel einen starken Reiz auf mich ausueben mussten und dass ein Pirat immer in Versuchung war, sich auf der Krautinsel Rettiche zum Brot zu holen. An der Hachel, einer Stelle, die man nach Kirchturm und Baumwipfeln bestimmen konnte, wenn man das Geheimnis wusste, gab es schwere Buerschlinge, die an regnerischen Tagen gut bissen, und die Fischerei war um so praechtiger, weil sie verboten war. Dies und noch mehr hatte meine Schwester vor Augen, und als heiratsfaehiges Maedchen kuemmerte sie sich um die Reputation der Familie. Ich ersparte ihr die Schande des Ertapptwerdens, obwohl mancher Verdacht auf mich fiel. Dass mir der Westernacher als fuenfzehnjaehrigem Buben Passagiere zur Ueberfahrt auf die Inseln anvertraute, galt mir als hohe Auszeichnung, und wenn mich die fremden Gaeste fuer einen Schifferjungen hielten, war mein Glueck vollstaendig, und ich war bemueht, den Eindruck zu befestigen. Ab und zu hielt sich auch eine Dame zu meiner grossen Befriedigung darueber auf, dass mir eine Pfeife im Maul baumelte. Daran war vornehmlich der alte Bosch schuld, der mein Lehrmeister im Rauchen war. Ich musste fuer ihn Zigarrenstummel in unserer Wirtschaft sammeln, die er auf dem Herd doerrte und dann in einer Kaffeemuehle zerrieb. So gewannen wir unseren Tabak. Daneben rauchten wir ungarischen in blauen Paketen, Varinas mit den drei griechischen Palikaren als Warenzeichen, und den schwarzen Reiter, Kornaehrentabak, der aus der Pfeife herauswuchs, zischte und lieblich roch. Ich sass oft beim Bosch; an schlechten Tagen in der niederen Stube, an schoenen Abenden auf der Bank vorm Haus, und er teilte mir seine Ansichten ueber alles Geschehen auf dieser Welt mit. Sie waren recht verschieden von den allgemein gueltigen, und wenn sie nicht samt und sonders richtig waren, so waren sie doch auf Grund eigenen Nachdenkens und tueftelnder Bauernschlauheit gefunden, und darum ganz gewiss anregender als alle gedruckten Zeitungsmeinungen. Zu mir hatte der Alte Zuneigung gefasst, die auf innigem Vertrauen beruhte. Er lebte in dauernder Feindschaft mit dem Bauern, der ihm den Austrag reichen musste, und da seine eigene Kraft nicht mehr ausreichte, musste ich die Bosheiten ausueben, die zum Wachhalten eines gediegenen Aergers notwendig waren. Ich erledigte die Aufgaben mit Geschick und erwarb mir die Zufriedenheit des braven Bosch. Manchmal besuchten ihn zwei Leidensgenossen, Austraegler, die in benachbarten Haeusern lebten, und dann sangen sie zu dritt mit duennen Kopfstimmen alte Lieder. Eines handelt vom Rueckzug aus Russland. Ich habe spaeter den Versuch gemacht, den Text zu erhalten, aber von den Alten lebte laengst keiner mehr, und so blieben meine Nachforschungen vergeblich. Tuer an Tuer mit dem alten Bosch wohnte ein ausgedienter Zimmermann, der Martin, der Leitern machte, Saegen feilte, die Bauern rasierte, Uhren richtete und als Viehdoktor in Ansehen stand. Er hatte einem Hausierer eine Bibel abgekauft, vermutlich aus keinem andern Grunde, als weil die Geistlichkeit vor dem heiligen Buche warnte und es nicht dulden wollte. Martin sass oft mit einer grossen Hornbrille auf der Nase vor dem dickleibigen Exemplar und versuchte herauszufinden, wo denn eigentlich die geistliche Obrigkeit der Schuh drueckte. Ich glaube nicht, dass er darauf gekommen ist, aber es passte ihm gut, dass er infolge seiner verbotenen Studien bei den Bauern fuer einen Mann galt, der geheimes Wissen besaesse. Im Pfarrhof erhielt man natuerlich auch Kenntnis davon, aber der alte Geistliche Rat Hefter kannte seine Pappenheimer und wusste, dass Zureden nichts helfen und das Aergernis nur vergroessern konnte. Wenn er dem Bibelforscher auf der Strasse begegnete, sagte er bloss: "O mei Martin, du werst aa alle Tag duemmer ..." Das sprach sich herum und nuetzte mehr als Eifer und heftiges Schelten. Der Geistliche Rat war noch aus der alten Schule; ein gemuetlicher, behaebiger Mann, Verehrer einer trefflichen Kueche, eines guten Trunkes und Freund aller Menschen, die ihre Ruhe haben wollten und ihn selber in Ruhe liessen. Seine volkstuemlichen Predigten waren beruehmt, und mancher Sommergast ging in die Kirche, um zu hoeren, wie der alte Herr im breitesten Dialekt, mit fetter Stimme seinen Bauern das Evangelium auslegte. Damals war es guter Brauch, dass die Studenten nach beendetem Schuljahre im Pfarrhofe ihre Aufwartung machten und die Zeugnisse vorwiesen. Am ersten Feriensonntag traten wir zu fuenf oder sechs vor den Geistlichen Rat, der uns froehlich begruesste und ein mildes Wort fuer minder gute Noten hatte. "Macht nichts", sagte er. "Fuer an Dreier muss ma auch was leist'n, wenn's nur koa Vierer net is. Es is allaweil um an Grad bessa, und ueberhaupts koane Gelehrt'n wollt's ja ihr gar net wer'n ..." Wir hatten einen unter uns, einen Haeuslerssohn aus der Umgegend, der immer glanzvolle Zeugnisse mitbrachte, und es wollte den andern wie mir scheinen, dass ihn der Herr Rat mit Misstrauen, ja mit einer gewissen Abneigung betrachtete. Seine Laufbahn ist uebrigens weder so glaenzend, wie seine Lehrer vermuteten, noch so schlimm, wie vielleicht der alte Herr besorgte, verlaufen; er ist Landpfarrer geworden und hat seine Talente vergraben. Ein anderer, der aelteste von uns Studenten, hat nach den Weihen noch dem geistlichen Stande Valet gesagt und als Kunstmaler einen harten Kampf mit dem Leben gefuehrt, den ihm seine Verwandten, lauter reiche Bauern, nie mit der geringsten Unterstuetzung erleichterten. Vielleicht haette der brave Herr Rat Hefter die Leute zu seinen Gunsten gestimmt, aber der war laengst tot, als sich das Unglueck ereignete, und sein Nachfolger war ein scharfer Herr, der die Entruestung aller Frommen in Prien teilte und sicherlich nicht daempfte. So musste der gute Franzl fuer seine Gewissenhaftigkeit und Ueberzeugungstreue Hunger leiden und ein Kuenstlerelend kennenlernen, wie es schlimmer kaum in Romanen geschildert worden ist. Erst nach langen Jahren ist es ihm besser ergangen. Damals stand er mit uns im Zimmer des Priener Pfarrherrn und wies sein Primanerzeugnis vor, wie wir Lateinschueler die unsrigen. Fuer den zweiten oder dritten Sonntag wurden wir dann zu Tisch geladen, eine Ehre, die wir sehr hoch schaetzten, denn es gab nicht bloss reichliches und gutes Essen, sondern auch lustige Unterhaltung; wenn die Mehlspeise aufgetragen wurde, kam die dicke, alte Koechin ins Zimmer, noch geroetet vom Herdfeuer und den Anstrengungen des Tages, um die Lobsprueche des Herrn Rates in Empfang zu nehmen. Kaum sass sie, den Stuhl bescheiden etwas zurueckgerueckt, so fing Herr Hefter an, Geschichten zu erzaehlen von dem Bauerndirndl, das im Beichtstuhl den Finger in ein Astloch gesteckt hatte und nicht mehr loskam, und dann auf die Frage des Geistlichen, warum es nicht gehe, eine undeutliche Antwort gab, die zum Missverstaendnisse fuehrte. Jedesmal kam Fraeulein Marie in schamvolle Verlegenheit, und jedesmal lachte der joviale Pfarrherr und erklaerte umstaendlich, dass es die allerunschuldigste Geschichte sei. Wir freuten uns darueber, aber einer sass am Tische, der eine saeuerliche Miene aufsetzte, ein Kooperator aus dem Koelnischen, den die Folgen des Kulturkampfes nach Altbayern verschlagen hatten, ein eifriger Kaempfer und ein heimlicher Feind des gutmuetigen Pfarrers, der uebrigens die Abneigung kraeftig erwiderte. Ein seltsames Vorkommnis befreite ihn bald von dem unangenehmen Streiter, aber den Prienern trug es einen Spitznamen ein, den sie heute noch nicht angebracht haben. Sie hatten als Denkmal fuer die gefallenen Krieger einen Friedensengel bestellt, dessen linke Brust dem Herrn Kooperator zu gross und zu sehr entbloesst erschien. Am Tage vor der Enthuellung ueberredete er einen Schlosser, nachts die Brust abzufeilen. Er wurde ueber der Tat ertappt, das Fest konnte noch verschoben und ein neuer Engel bestellt werden, aber wer in der Umgegend einen Priener aergern will, heisst ihn heute noch "Duttenfeiler". Der Streit, der damals im Nachklingen noch in ganz Deutschland die Gemueter erregte, und der spaeter selbst von den Liberalen, die ihn mit Feuereifer betrieben hatten, als "unseliger Kulturkampf" bezeichnet wurde, teilte auch den guten Markt Prien in zwei Lager. Was baeuerlich war, und was am Alten hing, und was insbesondere auch noch ueber die Verpreussung grimmige Bedenken naehrte, wandte sich mit leidenschaftlichem Zorn gegen die neu-diokletianische Verfolgung. Haarstraeubende Geschichten wurden gedruckt, noch haarstraeubendere erzaehlt, und mehr als ein braver Mann im Altbayrischen glaubte, was mir der Herr Aufschlaeger in Prien ernsthaft erzaehlte, dass Bismarck nur deshalb so unmenschlich wuete, weil er taeglich einen Schnapsrausch habe. Ich war gefeit gegen diese Angriffe auf meinen Helden und liess nichts auf ihn kommen, aber ich erinnere mich wohl, mit welchem Ernste auch diese Tatsache im Gastzimmer unserer Kampenwand besprochen wurde. Im anderen Lager standen liberale Kaufherren und ein paar aufgeklaerte Handwerksmeister, die sich den Rationalismus und die gemuetliche Kirchenfeindlichkeit der "Gartenlaube" zu eigen gemacht hatten, und die eine aus Zeitungen zusammengelesene Freigeistigkeit gegen Altoettinger Kalendergeschichten ins Feld fuehrten. Sie waren die wortreichen Dialektiker, die anderen die haerteren Koepfe; bei den nicht seltenen Wortgefechten behielten jene mit ehrlichen und geschwindelten Zitaten recht oder schienen es zu behalten, denn im Laufe der Zeit siegten doch die Hartkoepfigen und Konsequenten. Die Priener Diskussionen wurden pompoes eingeleitet mit tiefgruendigen historischen Kenntnissen und wurden verbraemt mit Schlagworten aus Klassikern, aber sie endeten gewoehnlich mit landesueblichen Derbheiten und Grobheiten, ja zuweilen mit Hinauswurf und Schlaegen. Ein Buchbindermeister, dessen droehnender Bass mir unvergesslich ist, musste fast allwoechentlich Pflaster auf seine liberale Schaedeldecke legen, denn seine Hitze fuehrte ihn zur Betrunkenheit und seine Betrunkenheit zu aetzenden Bemerkungen, die weniger gewandte Streiter mit Schlaegen und Hinausschmeissen erwiderten. Das erregte aber keinen bitteren Hass. Der Herr Buchbindermeister sass ein paar Tage darauf, zuweilen noch mit den Spuren des Kampfes, wieder gemuetlich bei seinen Mitbuergern und Honoratioren, die ihn misshandelt hatten, und trank und stritt und hatte von Glueck zu sagen, wenn er zu alten Pflastern nicht gleich neue erhielt. So litt und stritt man in Prien noch manches Jahr nach dem unseligen Kulturkampf. Von seinen Gegnern merkte uebrigens der eiserne Kanzler nichts, als er auf der Fahrt nach Gastein einige Minuten in Prien verweilen musste. Der Bahnsteig war dicht besetzt von Einheimischen und Fremden, da der Expeditor bekanntgegeben hatte, dass der Zug in der Station halten werde. Der Buergermeister war mit einigen Maennern vom Gemeindeausschuss erschienen und stand eingepresst in seinem Gehrock und schwitzend vor Aufregung in der vordersten Reihe. Ich harrte mit Herzklopfen auf den Moment, wo ich den grossen Mann nun wirklich sehen sollte, und als die Lokomotive, weisse Rauchwolken auspustend, sichtbar wurde, wollte mir das Ereignis ganz unwahrscheinlich vorkommen. Aber der Zug hielt, und Bismarck stand wirklich am offenen Fenster. "Ist das Prien?" fragte er den Buergermeister. "Na, Prean", antwortete der verzagte Mann, und ein unterdruecktes Lachen ging durch die Menge, die sich eilig vorwaerts gedraengt hatte. Es kamen noch ein paar Fragen nach der Zahl und der Beschaeftigung der Einwohner, die ein Ausschussmitglied beantwortete, denn der Vorsteher unseres Marktes war ganz vernichtet und machte nur eine tiefe Verbeugung nach der andern. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, Huete und Tuecher wurden geschwenkt, stuermische Hochrufe ertoenten, und mir war's zumute, als waere ein nachklingendes Maerchen zu Ende erzaehlt. Ich hatte keinen Blick von dem Manne abgewandt, der mir ein koerperliches Sinnbild deutscher Groesse war und nun fast greifbar nahe stand und genau so aussah, wie ich ihn aus vielen Bildern kannte. Das Verhalten des Herrn Buergermeisters bei diesem historischen Vorgange wurde lange Zeit besprochen mit Behagen an dem Spasse, aber auch mit Unwillen ueber den Mangel an gebuehrender Repraesentation. Wir hatten im Orte Kaufherren, die sich staedtisch und weltgewandt fuehlten und immer der Meinung waren, dass sich Prien zum Feineren entwickeln muesse, aber da war eben die erste Bedingung, dass an der Spitze der Gemeinde ein Mann von hoeherem Streben stand. Es war, wie man mit bedauerndem Achselzucken feststellte, nicht moeglich, denn die Mehrheit liess sich nicht von hoeheren Gesichtspunkten leiten. Aber doch regte sich in jener behaglichen Zeit auch in diesem Winkel ein reges Bildungsbeduerfnis, vielleicht noch mehr das Verlangen, gebildet zu scheinen, ueber vieles zu reden und ueber veraltete Anschauungen erhaben zu sein. Wie sich das Reich ins Grosse reckte und streckte, ueberkam bei Wachstum und Gedeihen den Kleinbuerger eine Ahnung von seiner Bedeutung und von der Pflicht, sich ihrer wuerdig zu zeigen. Das fuehrte nicht zu einem vertieften, wohl aber zu einem gespraechigen Interesse am geistigen Leben, das vornehmlich durch Zeitungen angeregt und gestillt wurde. [Illustration: Bismarck auf der Durchreise in Prien] Zugleich fing man an, sich mehr Buecher zu kaufen, billige Klassikerausgaben und daneben das Konversationslexikon, aus dem sich fuer anzuschlagende Themata viel Stoff holen liess. In Prien gab es einen Schreinermeister, dem es nicht darauf ankam, eines Abends Urteile ueber Richelieu und seine Politik abzugeben und ein andermal gruendliche Kenntnisse ueber chinesische Seidenraupen zu verraten. Er stand in hohem Ansehen, bis auch andere seine Quellen entdeckten. Aber es war doch schon etwas, dass sich eine Tafelrunde von Buergern zusammenfand, die an bildungsfoerdernden Gespraechen Freude hatte, und meine Mutter sah darin arglos ein Fortschreiten der Welt zum Guten und Schoenen, ohne an das Konversationslexikon und an kleine Eitelkeiten der Redner zu denken. Sie sah es gerne, wenn ich an solchen Abenden am Tische sass, und indes sie unermuedlich strickend zuhoerte, mahnte sie mich mit Blicken, ja aufmerksam zu sein und von schlichten Buergern zu lernen, wie man sein Wissen bereichern muesse. Weniger befriedigt war sie, wenn die alte Viktor, die natuerlich bei diesen Bildungskonventikeln nicht fehlen durfte, durch Fragen, die ihr eigenes Interesse geschickt verrieten, das Gespraech belebte, denn darin bestand zwischen den herzensguten Frauen eine gruendliche Meinungsverschiedenheit, dass meine Mutter dem weiblichen Wesen nur ein aufnehmendes, Viktor aber ein moeglichst taetiges Verhalten zubilligte. Die Stricknadeln klapperten lauter, und Blicke richteten sich nach oben gegen die Decke, wenn die alte Viktor das Wort ergriff und nicht allzu schnell losliess. Grosses Ansehen erwarb sich damals ein Maurermeister, der nach Palaestina gereist war und nun an manchen Winterabenden seine Erlebnisse zum besten gab; dass er dabei einen roten Fes auf hatte und aus einem Tschibuk rauchte, uebermittelte den Eindruck einer orientalischen Welt. Bald wurde er aber durch meinen aeltesten Bruder in den Hintergrund gedraengt, denn der fuhr nach Australien, und seine brieflichen Reiseberichte, vorgelesen und erlaeutert von jenem bildungsreichen Schreinermeister, ueberstrahlten die Abenteuer eines Jerusalempilgers. Meine Mutter erlebte trotz allen Trennungsschmerzes, der in ihr wach blieb, doch manchen stolzen Augenblick, wenn sich in den frisch geschriebenen Briefen gesundes Urteil und tapferer Sinn offenbarten. Sie hat ihren Aeltesten, der ein zaertlicher Sohn und das Ebenbild des Vaters war, klug, ernsthaft und weit ueber seine Jahre maennlich, nicht mehr gesehen. Als er nach zwei Dezennien heimkehrte, lag sie schon lange auf dem stillen Friedhofe in Seebruck am Chiemsee. Die Priener, die literarische Neigungen hatten oder zeigten, fanden zuweilen Gelegenheit, einen beruehmten Vertreter des Schrifttums leibhaftig zu sehen. Ich erinnere mich wohl, wie der Schreinermeister aufgeregt in unsere Kueche kam und meine Mutter fragte, ob sie denn auch wisse, dass der Herr, der im Garten draussen Kaffee trinke, kein Geringerer sei, als der Volksdichter Hermann von Schmid, und wie meine Mutter dann respektvoll zu dem gefeierten Gaste trat und ihn fragte, ob er mit allem zufrieden waere, und wie Viktor, etwas aergerlich, weil sie zurueckstehen musste, den Dichter vom Fenster aus sehr kritisch betrachtete und sagte, er saehe eigentlich nach nichts Besonderem aus. Und dabei hatte der Dichter doch keine aufrichtigere Verehrerin seines "Kanzlers von Tirol" als die brave Alte, die ihn nunmehr in ihrem Unmute verleugnete. Felix Dahn, den Dichter des Kampfes um Rom, sah man ab und zu in Prien, wenn er seine Verwandten im nahen Ernstdorf besuchte. Und zwei Sommer weilte der Tuebinger Aesthetiker und Poet F. Th. Vischer als Gast in der "Kampenwand". Der kleine, etwas cholerische Herr liess sich von mir haeufig nach den Inseln rudern und war mit meiner Geschicklichkeit ebenso zufrieden wie mit der Billigkeit dieser Fahrten. Er entlohnte mich stets mit einer Halben Bier und einem Stueckchen Kaese. Er sprach sehr wenig und machte mir deutlich klar, dass ich nur auf Fragen zu antworten, sonst aber das Maul zu halten haette. Einmal fand ich ihn redselig. Er hatte sich im Wirtshaus auf der Fraueninsel Kaffee bestellt und die Kellnerin eindringlich ermahnt, dass ja keine Zichorienmischung darin sein duerfe. Hernach merkte er doch den fatalen Geschmack heraus und schritt zornig in die Kueche, wo er den erschrockenen Weibern im breitesten Schwaebisch ihre saumaessige Frechheit und viechsmaessige Dummheit vorhielt, so dass sie noch lange an sein aesthetisches Wesen denken mussten. Leider wollte Viktor eines Tages an dem beruehmten Manne ihre Liebhaberei fuer die schoene Literatur auslassen, was ihr sehr uebel bekam. Nur ganz allmaehlich versoehnte sich Vischer wieder mit ihr, und es bedurfte prachtvoller Strauben und duftenden Kaffees, um ihn zu ueberzeugen, dass sie trotz allem ein ertraegliches Weibsbild waere. So gut es ihm in der "Kampenwand" gefallen hatte, blieb er doch weg, als ein anderer Schwabe, der Bruder eines wuerttembergischen Ministers, auftauchte. Es war ein pensionierter Hauptmann, der sich in der Welt als Kriegsmann umgetan hatte. Reiterleutnant in oesterreichischen Diensten, Freiwilliger bei den Nordstaaten von Amerika, zuletzt Offizier in der wuerttembergischen Armee, hatte er verschiedene Feldzuege mitgemacht und lebte nun von einem maessigen Kapital und einer bescheidenen Pension auf groesserem Fusse, als es sich machen liess. Als er mit seinem Vermoegen fertig war, erschoss er sich. Es war schade um den gebildeten, gescheiten Mann, der sich, wie ich heute glaube, als Schriftsteller Ansehen und Einkommen haette verschaffen koennen. Im nuechternen Zustande befasste er sich eifrig mit geschichtlichen Studien, aber immer wieder kam er ins Trinken, beging Verschwendungen und verlor jegliche Willenskraft, die zu ernsthafter Arbeit gehoert. Sonst schweigsam und zurueckhaltend, wurde er sehr gespraechig, wenn das nasse Viertel eintrat, und dann erzaehlte er aus seinem abwechslungsreichen Leben Abenteuer und Begegnungen mit beruehmten Persoenlichkeiten. Wie weit das alles zuruecklag! Oesterreichisches Militaerleben im Frieden mit Fusseisen und Fuchtelhieben, seltsame Zustaende in galizischen Garnisonen, dann kriegerische Erlebnisse in der Lombardei, im Stabe Gyulais, Begegnung mit Hacklaender, Kriegsdienste in Amerika in einem Regiment, das sich selbst _les enfants perdus_ nannte, weil sich Schiffbruechige aus aller Herren Laender darin zusammengefunden hatten, dann Tauberbischofsheim und Champigny. Es laesst sich denken, dass ich begierig zuhorchte, und ich war nicht nur ein aufmerksamer, sondern haeufig auch der einzige Gesellschafter des Hauptmanns, von dem sich seine Bekannten meist zurueckzogen, wenn er zu trinken anfing. Einer hielt zuweilen bei ihm aus, ein Fuerst W., der als Baron Altenburg in bescheidenen Verhaeltnissen in Prien lebte. Er war ein gutmuetiger Herr, der gerne vom Glanze frueherer Tage redete, als er noch Kavallerieoffizier war, und der sich doch in diesem Exil ganz wohl fuehlte und regelmaessig mit den Buergern beim Abendtrunke zusammensass. Sie machten es ihm nicht immer leicht, die Kontenance zu bewahren, denn als Fuerst ohne Mittel, als Preusse und als alter Offizier stiess er ueberall an den kantigen Ecken der Priener Ansichten und Manieren an. In der "Kampenwand" kehrte er mit Vorliebe ein, und die Hoeflichkeit meiner Mutter, die ihn trotz seines Inkognitos immer als Durchlaucht anredete, erwiderte er mit ritterlichen Komplimenten gegen das Haus, die Familie und die Persoenlichkeit der Frau Oberfoerster. Wenn sie von der Vorder-Riss und dem Koenig erzaehlte, hoerte er mit der Teilnahme zu, die man dem Treiben und Befinden eines Gleichgestellten entgegenbringt, und er warf Bemerkungen ein, die seine intime Kenntnis des Hofes verraten sollten. Er hatte immer eine Liebenswuerdigkeit im Vorrat. Meiner juengsten Schwester, die als Kind eine auffaellig tiefe Stimme hatte, prophezeite er eine glaenzende Laufbahn als Saengerin, da irgendeine Dame auf oni oder eine Lucca, wie er als alter Theaterhabitue wusste, gleichfalls mit einem Basse behaftet gewesen war. Auch an mir entdeckte er Ansaetze zu glaenzenden Eigenschaften, und wenn meine Mutter auch nicht ganz davon ueberzeugt war, so hoerte sie es doch gerne und schaetzte die gute Absicht. Er sah gut aus, und selbst in dem Anzuge eines Priener Schneiders wirkte er als vornehmer Herr, und wenn er hoechst eigenhaendig ein Paar neubesohlte Stiefel vom Schuster heimtrug, sah er immer noch wie ein Grandseigneur aus. Ueber die unfreiwillige Bescheidenheit seines Lebens verlor er nie ein Wort und uebersah die Ungeschlachtheit der Ortsbuerger, die sich anblinzelten und anstiessen, wenn Seine Durchlaucht dreissig Pfennig als Ausgabenetat fuer zwei Halbe Bier zurechtlegte. Eine Bemerkung, die ich darueber machte, wies meine Mutter mit ungewohnter Schaerfe zurueck, und sie erklaerte mir, wie ehrenwert diese Selbstzucht eines Mannes war, der einmal in ganz anderen Verhaeltnissen gelebt hatte. Wenn der Fuerst mit dem Hauptmann zusammensass und die alten Kavaliere Erinnerungen austauschten, gab mir meine Mutter deutlich zu verstehen, dass ich meinen Platz zu raeumen haette. Wahrscheinlich vermutete sie, dass die Herren Reiteroffiziere auch einmal auf ein paar Kapitel kommen koennten, die sich nicht fuer die reifere Jugend eigneten. Immer war mir der letzte Tag im September, und mochte auch die schoenste Herbstsonne leuchten, mit grauen Nebeln verhaengt. Fruehmorgens gab es die letzten Vorbereitungen zur Abreise; Mahnungen von Viktor, auf meine Waesche zu achten, da schon wieder Taschentuecher und dies und das gefehlt haetten, Mahnungen meiner Mutter, allen Fleiss daran zu setzen; dann das letzte Fruehstueck in der Kueche, die mir nie anheimelnder vorkam als im Augenblick des Scheidens, und der Gang zur Bahn. Wer mir begegnete, auch wenn ich ihn sonst nicht ehrte, erschien mir als ehrwuerdiges und liebenswertes Stueck Heimat und empfing meinen wehmuetigen Gruss. Der Herr Maurermeister stand unter der Tuer, weil auch seine Buben abreisten, und lueftete seinen Fez, und ich beneidete ihn, dass er so Tabak rauchend alle Tage in dem lieben Ort bleiben durfte. Ich beneidete den Schreinerlehrling, der pfeifend einen Karren auf die Strasse zog, und den Stationsdiener, der auch dableiben durfte, und wenn mich der Expeditor vaeterlich auf die Schulter klopfte und Glueckauf zum Studium wuenschte, dachte ich, er habe leicht reden und unbekuemmert sein, wenn er doch nicht in die weite Welt hinaus muesse. Pfiff nicht die Lokomotive jaemmerlicher als sonst, und schlich nicht der Zug truebseliger von Bernau herein? Was fuer rohe Menschen waren die Kondukteure, die hinter einem die Tuere zuwarfen und das verhaengnisvolle Billet mit gleichgueltiger Miene zwickten! Dann ging es im weiten Bogen herum ums Dorf. Dort sahen noch Bauernhaeuser hinter Baeumen hervor, dann kam der Blick auf den See und die Inseln. Ich habe auch spaeter noch an Heimweh gelitten, damals aber kam es wie Krankheit ueber mich. Das Oktoberfest war mir verhasst, weil das Ende der Ferien mit ihm zusammenfiel, und ich habe lange Zeit nachher den Laerm von Karussellorgeln und den Duft gebratener Heringe in Verbindung mit bitteren und schmerzlichen Gefuehlen gebracht. Der gutmuetige Onkel Joseph nahm mich auf die Theresienwiese mit in der Meinung, dass diese Freuden meinen Truebsinn verscheuchen muessten, aber der Anblick von Oberlandler Bauern oder von Schuetzen aus dem Gebirge war nur angetan, mir mein Elend erst recht fuehlbar zu machen. Daran aenderten auch die scharfen Vermahnungen des Herrn Premierleutnants nichts, der mir sagte, er habe das sogenannte Heimweh der Rekruten stets als Scheu vor Disziplin und Pflichterfuellung betrachtet, und er muesse leider annehmen, dass auch meine Wehleidigkeit darauf hinausgehe. Ich aber legte mir ein Verzeichnis der Tage meiner babylonischen Gefangenschaft an und strich jeden Abend einen aus; nach ein paar Wochen vergass ich darauf und war geheilt. Spaeterhin, als ich ueber die Flegeljahre hinausgewachsen war, halfen mir ein paar Verliebtheiten, am Aufenthalt in Muenchen mehr Gefallen zu finden. Denn natuerlich fehlte es auch an der Jugendeselei nicht; aber ich muss bekennen, dass es nie zu Erklaerungen kam. Ich bewunderte einige Mitschueler, die auf dem Eise oder sonstwo mit Backfischen verkehrten, sprachen, Arm in Arm mit ihnen gingen. Ich selber verehrte sie nur aus der Entfernung, und sogar vor ihrem Entgegenkommen versteckte sich meine Bloedigkeit hinter Trotz. Machte ich den Versuch, eine junge Dame, die im gleichen Hause wohnte, anzureden, dann war mir die Kehle wie zugeschnuert. Einmal setzte ich an, aber heiser vor Aufregung stotterte ich ein paar nichtssagende Entschuldigungen und floh eilig die Treppe hinunter. Und doch brachte mich ein Jugenderzieher, Schulmann und Rektor in ernstliche Gefahr, indem er mich als Verlorenen behandelte und in einer Weise blossstellte, die sich nicht fuer ihn ziemte. Ich trug wochenlang einen herzlich dummen Brief an jenen Backfisch in einem Schulbuche herum, immer mit der Absicht, ihn zu ueberreichen, wozu mir stets wieder der Mut fehlte. Eines Tages erwischte mein Ordinarius den Brief, uebergab ihn dem Rektor, und dieser sonderbare Freund der Jugend, der zufaellig wusste, dass ich von einer angesehenen Familie zuweilen eingeladen wurde, schrieb an sie und behauptete, ich haette an die juengere Tochter des Hauses diesen unziemlichen Brief gerichtet. Es war unwahr, und ich wehrte mich leidenschaftlich gegen die Anklage, aber es half mir nichts; die Mama war indigniert, und der Papa gab mir jovial zu verstehen, dass man mich nicht mehr einladen koenne. Damals habe ich mich ein paar Tage lang mit Selbstmordgedanken getragen, und ich glaube, dass ich nahe genug daran war, die Torheit zu begehen. Ein erfahrener Mann haette wahrhaftig in der Unbeholfenheit des Briefes knabenhafte Bloedigkeit erblicken muessen und alles andere eher als Routine und Verdorbenheit. Der einzige, der damals fuer mich eintrat, war der Religionslehrer, der ueber die gedrechselten Phrasen, die ich an das sehr geehrte Fraeulein gerichtet hatte, gelaechelt haben soll. Er merkte, wie verstoert ich war, und sprach mich daraufhin an; schon das wirkte als etwas Ungewoehnliches auf mich, und als mir der strenge und zurueckhaltende Mann mit freundlichen Worten zu verstehen gab, dass er mir glaubte, kam ich darueber weg. Das Erlebnis gilt mir heute noch als Beweis dafuer, wie schwer sich Unverstaendnis und Uebelwollen an der Jugend versuendigen koennen. Ich habe spaeter aus Ferne und Naehe Schuelerselbstmorde erlebt und gewoehnlich recht toerichte Urteile darueber gehoert; selten fand ich Verstaendnis fuer die Wahrheit, dass roher Eingriff und grobes Unrecht gerade jugendlichen Gemuetern unertraeglich erscheinen koennen. Sehr drueckend empfand ich es damals, dass ich bei den Mitschuelern wenig oder kein Verstaendnis fuer meinen Schmerz fand; eher beifaellige Zustimmung zu der Verfehlung, die ich gar nicht begangen hatte, schlaues Misstrauen gegen meine Verteidigung, aber kaum Billigung des leidenschaftlichen Zornes, mit dem ich mich gegen das Unrecht wehrte. Ich darf sagen, dass lauter halb und ganz fertige, ihr eigenes Heil und ihren Nutzen kennende Spiessbuerger um mich herum auf den Schulbaenken sassen. Schwaermen und rueckhaltloses, uebertreibendes Sichhingeben an irgendeine Sache konnten sie mit ueberlegenem Laecheln beantworten. Die meisten wussten ja auch schon, was sie werden wollten oder sollten. Diese praedestinierten Amtsrichter, Aerzte, Assessoren, Intendanturbeamten und Offiziere kannten Vorteile und Nachteile der Berufe, und es sollte mich wundern, wenn sie sich nicht ueber kuenftige Pensionsbezuege unterrichtet haetten. _Nunc est bibendum,_ _Nunc pede libero pulsanda tellus!_ war ein gern zitierter Vers Horazens. Jetzt wollen wir trinken, jetzt befreit mit dem Fuss auf die Erde stampfen. Aber die Ausgelassenheit war bei den meisten schon klug gedaempft; nach ein bisschen konventionellem Saufen trat der freie Fuss in die herkoemmliche Laufbahn, und der ordentliche junge Mensch erwarb nicht erst, sondern behielt die vom Vater ueberkommene Klugheit, innerhalb der Schranken im sachten Trabe zu gehen. Ich war dazu bestimmt und gewillt, Forstmann zu werden, und mein Vormund, auch einer vom gruenen Tuche, hielt mir zuweilen vor Augen, dass Pflichttreue und Wahrheitsliebe gerade die Maenner zieren muessten, denen der Staat den hohen Wert der Waldungen anvertraue. Ich nickte beifaellig zu der hohen Auffassung, aber mit meinen Wuenschen verband sich doch eher die Vorstellung von einem Hause im Gruenen, von Puerschgaengen und Tabakrauchen. Ich hatte das reizvolle Bild meiner Zukunft vor Augen, wenn ich den Bruder meines Vaters, den Oberfoerster von Woernbrunn bei Gruenwald, besuchte. Er sass dort unter Foerstern und Jagdgehilfen in einem ansehnlichen, von den Muenchnern gern besuchten Wirtshause. Sohn, Enkel und Urenkel schwerer Altbayern und Pfeifen rauchender Jaeger, hatte ich natuerlich das vollste Verstaendnis fuer diese Freuden, und wenn ich an Sonntagen bei den derben und nicht durchaus wahrheitsliebenden Maennern sass, wollte ich ihnen aehnlich sein und werden. Einer davon, der Foerster Holderied, war noch ein Vertreter der aussterbenden Rasse von Wildlingen, die einen unaufhoerlichen Kampf mit Lumpen fuehrten. Man erzaehlte von ihm Schauermaeren, lauter echte altbayrische Geschichten, voll Jaegerromantik des Hinaufschiessens oder Hinaufgeschossenwerdens. Ein Prachtkerl war der Jagdgehilfe Schroeder, der in der Sauschuette das Schwarzwild zu fuettern hatte. Er konnte luegen, wie ich es nie mehr gehoert habe, und ich glaube, dass die Pflege des Jaegerlateins in ihm ihren letzten ehrwuerdigen Meister gehabt hat. Er log immer und verzog keine Miene dabei; mit steinerner Ruhe brachte er die ungeheuerlichsten Geschichten vor und schien in Zorn zu geraten, wenn jemand Bedenken oder Zweifel zeigte. Fuer mich waren die Besuche in Woernbrunn nicht ungefaehrlich. Ich gab mich der Herrlichkeit rueckhaltlos, wie immer, hin und wollte auf allen Glanz der Welt verzichten, um in die Lodenjoppe und dieses bajuvarische Behagen zu schliefen. Ich setzte meiner Mutter mit Bitten zu, mich zum niederen Forstdienst gehen zu lassen, aber zu meinem Gluecke erkannte sie die Ursache meiner Resignation auf die hoehere Laufbahn. Ich durfte nicht mehr so haeufig zum Forsthause wandern, und da mir Onkel Franz das selber und, wie ich merkte, mit Bedauern eroeffnen musste, blieb ich ganz weg. Die Oberklasse des Gymnasiums besuchte ich in Landshut; ich wollte das Wohlwollen jenes Muenchner Rektors nicht noch mehr herausfordern. Die wohlhaebige Stadt, Mittelpunkt der reichsten Bauerngegend, in der eine starke Garnison lag und die ihre Tradition als ehemaliger Sitz der Landesuniversitaet noch bewahrte, gefiel mir sehr gut. Die breite Altstadt mit ihren hochgiebligen Haeusern und der maechtigen Martinskirche als Abschluss war die Hauptstrasse, auf der nachmittags die Herren Offiziere, Beamten, Faehnriche und Gymnasiasten bummelten, um den zahlreichen huebschen Buergertoechtern Beachtung zu schenken. Vom Kollerbraeu zum Dome hinauf, vom Dome zum Kollerbraeu hinunter flanierte die Jugend, die in Uniform schon etwas vorstellte, und die andere, die mit Band und Muetze bald etwas vorstellen wollte, und sie gruessten, hier verwegen, dort schuechtern, die Weiblichkeit. Ich war bei einer angesehenen Buergerfamilie untergebracht und genoss zum ersten Male volle Freiheit in meinem Tun und Lassen. Dass ich sie nicht missbrauchte, rechnete mir der wohlwollende Rektor des Gymnasiums hoch an; er hatte mich mit einigem Misstrauen empfangen und im Auge behalten, weil ihn der Muenchner Kollege brieflich vor mir gewarnt hatte. Nach Ablauf einiger Monate rief er mich zu sich und fragte mich, was ich denn eigentlich an meinem frueheren Gymnasium pekziert haette. Ich erzaehlte ihm frischweg das Schicksal meines verhinderten Liebesbriefes. Laechelnd hoerte er mich an, und dann las er mir einige kraeftige Stellen aus dem Briefe seines Kollegen vor. "Was sagen Sie dazu?" fragte er mich. Ohne langes Besinnen gab ich zur Antwort: "Wenn ich Rektor waere, wuerde ich ueber einen Schueler keinen Brief schreiben." Er bewahrte mir sein Wohlwollen waehrend des ganzen Jahres wie in der Schlusspruefung, und ich blieb ihm ueber das Gymnasium hinaus dankbar dafuer; als Universitaetsstudent besuchte ich ihn mehrmals, und er brachte das Gespraech gerne auf die resolute Antwort, die ich ihm damals gegeben hatte. Im Juni meines letzten Schuljahres starb Koenig Ludwig II. Das Ereignis machte tiefen Eindruck, und er war echt, wie er sich in Schweigen und Niedergeschlagenheit zeigte. Was spaeter folgte, das Herumerzaehlen von Schauergeschichten, Tuscheln, Fluestern und Kokettieren mit Frondeurgeluesten, die doch nicht ernst gemeint waren, erregte in mir schon damals Zweifel in die Staerke populaerer Stimmungen. Den gepressten Buergerherzen in Landshut tat die Kunde wohl, dass man aus irgendeinem Braeuhause einen vorher ordnungsmaessig verdroschenen preussischen Unteroffizier der schweren Reiter hinausgeschmissen habe, weil er in unehrerbietigen Zweifeln befangen gewesen waere. Wenn nicht wahr, so gut erfunden. Denn wie ich an meinem Hausherrn sehen konnte, herrschte Befriedigung, dass sich die allgemeine Erregung, und zwar gegen Norden hin, Luft gemacht hatte. Im August bestand ich die Schlusspruefung, die von Kennern fuer leichter als gewoehnlich erklaert wurde. Ich moechte nicht entscheiden, ob das stimmt; jedenfalls war man auch mit der Begruendung bei der Hand. In Muenchen hatte ein Prinz das Absolutorium zu bestehen, und dem haette man es nicht schwer machen wollen. Meinen Anspruechen genuegte die Pruefung, und zu meiner Freude genuegte ich den Anspruechen. Ein seliger Vormittag, als wir unter dem Tore des Gymnasiums die Huellen von den farbigen Muetzen entfernten und nun mit leuchtenden Rotkappen durch die Stadt gingen. Beim Abschiedskommerse hatte ich die Rede zu halten. Meine Kommilitonen trauten mir nach etlichen dichterischen Versuchen, die ich hinter mir hatte, Erkleckliches zu, und an tuechtigen Redensarten von der Sonne der akademischen Freiheit haette es auch nicht gefehlt, wenn ich nicht beim zweiten Satze steckengeblieben waere. Ich rang nach Worten, fand kein einziges und setzte mich unter peinvollem Schweigen hilflos nieder. Aehnliches war nie geschehen, und ich glaube, dass es mir der Jahrgang lange nachgetragen hat. Die Situation rettete aber mein verehrter Studiendirektor, der sogleich aufstand und eine wohl gegliederte und durchdachte Rede an die abziehende Jugend hielt. Manches kluge und manches schoene Wort aus den nun abgetanen Klassikern war darin verflochten, und ich sah freilich, wie man's haette machen sollen. Die Befriedigung ueber das ungewoehnliche Hervortreten des Rektors, die Freude an seinen Worten schwaechten einigermassen das Unbehagen, das ich verursacht hatte, ab. Etliche Tage sangen und tranken wir noch in Landshut herum und kamen uns bedeutender und freier vor, wie jemals wieder im Leben. _Nunc est bibendum,_ _Nunc pede libero pulsanda tellus!_ Damit ging es heim. Meine Mutter war etliche Jahre vorher nach Traunstein uebergesiedelt und hatte den Gasthof "Zur Post" in Pacht genommen. So hatten nun die Buerger dieser Stadt Gelegenheit, mich in Farbenpracht mit dem _pede libero_ stolzieren zu sehen und der braven Frau Oberfoerster zu dem Erfolge ihres Sohnes Glueck zu wuenschen. Sie holte mich mit den Schwestern von der Bahn ab und war geruehrt, mich an einem unter manchen Seufzern herbeigesehnten Ziele zu sehen. Allzuviel konnte ich nicht erwidern, da ich vom _bibendo_ stockheiser geworden war. Die alte Viktor war etwas gekraenkt, weil man sie als Hueterin des Hauses daheim gelassen hatte, und so draengte sie zuerst ihre Gefuehle zurueck, um brummig zu sagen, ich saehe doch sehr versoffen aus. Sie rang sich aber zur Freude durch und meinte, nun sei ich auf dem Wege zum Berufe meines Vaters und koenne wohl gar noch Oberfoerster in der Vorder-Riss werden. IM BERUFE Zwei Semester war ich an der Forstakademie in Aschaffenburg, dann ging ich zur Rechtswissenschaft ueber, studierte in Muenchen und Erlangen, wo ich nach Ablauf der vorgeschriebenen Zeit das Examen bestand. Meine Erlebnisse auf der Hochschule waren die herkoemmlichen, so sehr, dass ich sie nicht zu schildern brauche. Damals, als ich die Schlusspruefung ablegte, war es noch Sitte, dem erfolgreichen Kandidaten den Zylinder einzutreiben. Meine Freunde harrten vor der Tuere auf mich und schlugen mir den Hut bis zu den Ohren hinunter. Da wussten die Buerger, die uns begegneten, dass aus dem Studenten ein Rechtspraktikant geworden war, und nickten mir beifaellig zu. Am Abend zogen wir zum Bahnhofe hinaus, und ich fuhr heim ins Berufsleben, das mit der Praxis beim Amtsgerichte Traunstein anfing. Rueckblickend auf mein Studium, kann ich sagen, dass ich das meiste aus Buechern lernte und vom bestimmenden Einflusse eines Lehrers nichts zu fuehlen bekam. Wenn ich lese, dass jemand durch eine fuehrende Persoenlichkeit aus dem Dunkel ins Licht geleitet wurde, kann ich mir keine Vorstellung davon machen, denn was ich vom Katheder herunter vortragen hoerte, war trockene Wissenschaft, die man nachschrieb, um dann zu finden, dass es gedruckt nicht anders zu lesen war. Dagegen habe ich mir persoenliche Erinnerungen an etliche Professoren bewahrt. Sie waren ziemlich alte Herren und wirkten auf mich wie Ueberbleibsel aus der Uhlandzeit, passten auch in das Bild der kleinen Universitaetsstadt, in der man so viele Erinnerungstafeln an beruehmte Theologen, Mediziner und Juristen sieht. Sie waren Sonderlinge von einer Art, nach der man Heimweh haben darf. Der alte _Gengler_ mit seinen langen, weissen Haaren und den blanken Kinderaugen war der Gelehrte aus der Biedermeierzeit, weltfremd, verloren und vertraeumt, ganz in seine Welt der Deutschen Rechtsgeschichte eingesponnen, und doch recht lebhaft, fast leidenschaftlich, wenn er von Freiheiten sprach, die es einmal gegeben hatte. Man belegte damals die _Collegia_ persoenlich bei den Professoren. Als ich Gengler besuchte, war er schuechtern wie ein Kandidat, sass ganz vorne auf dem Stuhlrande und hielt das Gespraech mit Muehe im Gange. Vom alten _Makowitzka_, dem Nationaloekonomen, ging die Sage, er sei Anno 48 zum Tode verurteilt und begnadigt worden. Das stimmte nicht, wie ich spaeter hoerte, vielmehr hatte er eine geringe Freiheitsstrafe erhalten, aber in Erlangen, wo man noch Erinnerungen an _Sand_ hochhielt, liess man nicht ab vom Glauben an das Henkerschwert, das ueber dem braven Herrn geschwebt haben sollte. Er empfing mich im Lehnstuhl sitzend, die fast erblindeten Augen durch einen Schirm geschuetzt. Mehrmals wiederholte er die Frage, ob es mein ernster Vorsatz und Wille sei, bei ihm zu belegen, und als ich hoeflich darauf bestand, sagte er: "Ja, also dann lese ich ... es war naemlich noch ein Herr da, und da Sie nun zu zweit sind, werde ich die Vorlesung abhalten." Der andere und ich, wir sahen uns im ersten Kolleg etwas suess-saeuerlich an, denn da gab es nun einmal kein Schwaenzen, wenn wir nicht unsern Lehrer kraenken wollten. Professor _Lueders_, Philister der Hannovera und Korpsbruder Bismarcks, war ein distinguiert aussehender, sehr wohlhabender Herr bei hohen Jahren. Er lehrte Strafrecht, sprach sehr gemessen, mit hannoeverschem Akzente, und wenn sich Unruhe bemerkbar machte, konnte er wuerdevoll sagen: "Meine Herren, ich muss um Ruhe bitten ... uebrigens, mein Name ist Lueders, ich wohne in der Friedrichstrasse Nr. 2 ..." Von seinem einzigen Leibeserben sprach er als von seinem Sohne und Korpsbruder Karl ... Zu den Originalen, an denen es in Erlangen nicht fehlte, gehoerte der Anatomiediener, ein alter Student und Korpsphilister; dann waren sehr hohe Semester vertreten, verbummelte Herren von vierzig und mehr Jahren, darunter ein Grieche, der Papadakis oder so aehnlich hiess und, als obdachlos aus der Stadt verwiesen, sich in den Bierdoerfern herumtrieb, bis er eines Tages erschlagen wurde. Von besonderer Art waren auch die Buerger, die sich ueber Mensuren und Abfuhren unterhielten; die Handlungsdiener und Friseurgehilfen, die Verbindungen gruendeten, Wein- und Bierzipfel trugen und sich studentisch gebaerdeten, und die jungen Damen, die fuer Burschenschaft oder Korps eintraten, kurz diese kleine Welt, die ich nun verliess, um sie nirgends mehr zu finden. In mein letztes Semester fiel die Erregung ueber die Entlassung Bismarcks, vielmehr der Mangel an Erregung darueber, und gerade der blieb nicht ohne Einfluss auf meine Entwicklung. Ich war nicht naseweis, und ich harrte auf die bedeutenden Worte der Aelteren. Da sah ich mit Erstaunen, wie ein ganzes Volk den Verlust seines groessten Staatsmannes und seines Kredits im Auslande wie eine Schicksalsfuegung hinnahm, ich sah, wie man hausbackene Erklaerungen dafuer, dass ein junger Kaiser keinen alten Kanzler wollte, suchte und fand, wie man die Willkuer eines Dilettanten zufrieden oder unzufrieden, aber jedenfalls ergeben trug. Nicht der Triumph der Gegner Bismarcks, die Geduld seiner ehemaligen Anhaenger brachte mich um alles glaeubige Vertrauen und schaerfte mir den Blick fuer die Knechtseligkeit des deutschen Spiessbuergers. Ein englisches Witzblatt brachte damals ein Bild, wie der Lotse das deutsche Schiff verlaesst. Es traf den Nagel auf den Kopf; aber in Deutschland sah man schweigend zu, wie unberufene Haende das Steuer ergriffen, und wie im gefaehrlichsten Fahrwasser der Zickzackkurs begann. Manches Mal noch hoerte ich in der folgenden Zeit jeder Taktlosigkeit gemuetvoll und loyal Beifall spenden, und ich fragte mich bescheiden, ob diese erfahrenen Maenner nicht am Ende besser saehen als ich. Nur allmaehlich loeste sich aus Zweifeln der gruendlichste Abscheu vor dem Treiben los, dem ich spaeter, so oft ich konnte und so scharf ich konnte, Ausdruck gab. Ein Vorfall, den ich bald nach der Heimkehr erlebte, zeigte mir, dass es nicht lauter Gleichgueltige und Aengstliche gab. Ich sass mit den Forstmeistern der Traunsteiner Gegend in einem Bierkeller, und das Gespraech kam selbstverstaendlich auf die Entlassung des Reichsgruenders, auf Undank und Jaemmerlichkeit, und es wurde mit Schaerfe gefuehrt. Schweigend sass ein alter Forstmann aus Marquartstein am Tische, der sich, wie man mir erzaehlte, im Kriege von 1870 oft bewaehrt und ausgezeichnet hatte; er trank still, aber grimmig und reichlich Bier, und ploetzlich sprang er auf seinen Stuhl und schrie saftige Majestaetsbeleidigungen uebers Publikum hinweg. Erschrocken fassten ihn die andern am Rockschoss und wollten ihn herunterziehen, aber der alte Krieger war in Feuer geraten und wiederholte hartnaeckig seine Worte, bis man ihn endlich in die Versenkung brachte. "Und von mir aus passiert mir, was mag!" schrie er. "Das is mir wurscht ..." Es passierte ihm nichts, und es war schoen, dass sich unter den Hunderten nicht einer fand, der den Alten denunzierte oder ihn durch leichtfertiges Erzaehlen des Vorfalls in Verlegenheit brachte. Fuer gewoehnlich aber und besonders im Kreise von Juristen hoerte ich nur lederne Unterhaltungen ueber das Geschehnis, als haette sich's irgendwo in der Fremde zugetragen, ausserhalb der Interessensphaere dieser wackeren Beamten, und der immer wiederkehrende Refrain vom neuen Herrn und alten Faktotum wirkte beschwichtigend auf alle. Fuer meine Mutter hatte es den Verzicht auf liebgewordene Vorstellungen bedeutet, als ich dem Forstwesen den Ruecken kehrte; meine Ausfuehrungen, gegen die sie etwas misstrauisch war, wurden jedoch unterstuetzt durch die Klagen aller in der "Post" einkehrenden Forstleute ueber das neue Schreibwesen und die miserablen Gehaelter. So fand sie sich darein; leichter als die alte Viktor, die sich ihre Hoffnungen auf einen Lebensabend in der Vorder-Riss schon allzu schoen ausgeschmueckt hatte, um sich mit einem Male davon trennen zu koennen. Als ich aber im Frack vor ihr stand und zur Ablegung des Staatsdienereides ins Amtsgericht schreiten musste, verzog sich ihr Gesicht zu einem zufriedenen Laecheln, und sie erinnerte sich, dass mein Vater nach einem lebhaften Streite, den ich als Kind mit meinen Geschwistern durchgefochten hatte, der Meinung gewesen war, es koenne ein Advokat aus mir werden. Ich selber nahm den Eintritt in die Praxis sehr ernst, und ich kam mir wohl bedeutend vor, als ich, den Baecker Jaeger gruessend und dem Kaufmann Fritsch dankend, dahinschritt, um eidlich Wahrung der Dienstgeheimnisse und Fernbleiben von geheimen Verbindungen zu geloben. Dem Amtsvorstande stellte ich mich freudig zur Verfuegung, und ich wollte ein unbeugsamer Hueter der Gerechtigkeit sein. Von da ab brachte mir fast jeder Tag Enttaeuschungen, bis ich von allen Illusionen geheilt war. Der Chef des Amtsgerichtes war nicht bloss ein trockener, unbedeutender Mensch, sondern auch ein Buerokrat von der Schadenfreude, die sich vor 48 mit Pruegelstrafen hatte ausleben duerfen und nun zurueckgedaemmt das Gemuet verfinstern musste. Mitleidlos und sackgrob gegen die kleinen Leute, misstrauisch gegen jedermann, selbstgefaellig, unwissend und geschwaetzig, so war der Mann, der mich bei den ersten Schritten in eine mit viel Respekt betrachtete Welt leiten sollte. Von der Geistlosigkeit und dem Unwerte der Praxis bei einem solchen Gerichte macht sich der Aussenstehende doch wohl keinen Begriff. Ich lernte nichts von allem, was ich fuer spaeter haette lernen muessen. Zuerst nahm mich der Chef in Beschlag. Ich musste bei den Pflegschaftsverhandlungen Protokolle schreiben und durfte zuhoeren, wie die Kindsvaeter sich sperrten, die ueblichen acht bis zehn Mark monatlich fuer das illegitime Kind zu bezahlen. Bei den Schoeffengerichtsverhandlungen war ich stellvertretender Gerichtsschreiber, und das war immerhin noch unterhaltender als das Nachschreiben der Urteile, die mir mein Vorgesetzter diktierte. Er tat sich was darauf zugut, ellenlange Saetze zu bilden, und schwelgte wie ein alter Gendarm in eingeschachtelten, zusammengestopselten Perioden. Was sich alles ueber die verbrecherischen Absichten eines Landstreichers sagen liess, der ein Hufeisen gefunden, selbiges aber nicht abgeliefert hatte, das erfuhr ich damals mit Unbehagen. Mein Chef aber wiegte sich in den Hueften, hing noch ein paar Relativsaetze, schlauen Verdachtes voll, an die Hauptwoerter, und wenn die lange Periode hinkend und muehsam bis an den Schluss gelangt war, forderte er meine Bewunderung heraus: "Han, was sag'n Sie jetzt?" Mein Ersuchen, selber einmal ein Urteil anfertigen zu duerfen, wies er barsch zurueck. Nach ein paar auf die Art zugebrachten Monaten musste ich im Hypothekenamt unter aengstlicher Aufsicht des Amtsrichters und des Aktuars ein paar Eintraege in die heiligen Buecher machen. Meine respektlose Art zu schreiben erregte ihr Entsetzen, und sie waren beide froh, wenn ich ausblieb. In den Zivilverhandlungen lernte ich die Dehnung der Bagatellsachen durch Advokaten kennen. Wie lange konnte sich ein Prozess um zwanzig Mark hinschleppen! Wie bald verschwand die Streitsumme neben den Kosten der Zeugen, Sachverstaendigen und Anwaelte, womoeglich gar eines Augenscheines! War man endlich ans Ziel gelangt, naemlich dahin, dass es den Streitenden zu dumm wurde, dann stellte sich heraus, dass die Bruehe viel teurer geworden war als der Fisch, und aus Scheu vor den Kosten prozessierte man weiter, bis es den Streitteilen abermalen zu dumm wurde. Wenn zuletzt der Amtsrichter und die beiden Anwaelte gemeinsam den Geist der Versoehnlichkeit heraufbeschworen, kam er mit einer langen Rechnung, und die Parteien mussten sein verspaetetes Eintreffen beklagen. Es gab damals in Traunstein ein paar Advokaten, die sich an Saftigkeit ueberboten und dafuer sorgten, dass ihre bajuvarischen Bonmots die Runde machten. Keiner wollte leiden, dass der andere der Groebere war, und ich hegte manchmal den Verdacht, dass ihre Derbheiten nicht frisch aus dem Gemuete sprudelten, sondern sorgsam vorbereitet waren. Dem Publikum gefielen sie. Als die Herren aelter, kraenklich und sanfter wurden, konnte man oft mit Bedauern sagen hoeren: "Ja ... frueher! Wie die Herren noch beim Zeug waren, da hat ma was hoeren koennen ... aba jetzt is ja gar nix mehr ..." Zuweilen erhielt ich vom Landgerichte den Auftrag, vor der Strafkammer eine Verteidigung zu fuehren. Ich ging das erstemal mit Eifer an, konferierte mit dem gefangenen Klienten, suchte nach juristischen Finessen und nach Mitleid erregenden Momenten, setzte eine wohlgeformte Rede auf und nahm mir vor, Pathos zu entwickeln, bis ich merkte, dass alles, was ich sagte, den fuenf Herren oben am langen Tisch wurscht und egal war. Auch der Klient, der dem Verteidiger geruehrt die Hand drueckt, blieb ein schoener Traum, und der einzige Mensch, auf den ich als forensischer Redner Eindruck machte, war der alte trinkfeste Foerster Schwab, den die Freundschaft zu mir in den Gerichtssaal gefuehrt hatte. Er fasste die Sache als grossartigen Spass auf, denn fuer ihn war ein Angeklagter ein Lump und damit fertig. Er verzog seinen Mund zu einem breiten Lachen, zwickte die Augen zu und sagte: "De hast amal schoe ang'logen ... Herrschaftsaggera ... wia's d'as no so daherbracht host ..." Ich habe die fuenf Herren noch oefter anluegen muessen, aber der Eifer flaute ab, und ich lernte verstehen, dass Gewohnheit alle Feuer loescht. Als Praktikant am Landgerichte musste ich den geheimen Beratungen, in denen die Urteile gefaellt wurden, beiwohnen. Es sollte dem jungen Manne einen Begriff davon geben, wie man's mache. Ich sah noch einiges andere und dachte darueber nach. Draussen im Saale sass ein Angeklagter, der angstvoll seinem Schicksale entgegensah, denn mehr als einmal handelte es sich um Reputation und Existenz. Es waere unnatuerlich gewesen, wenn ein junger Mann sich nicht staerkeren Empfindungen hingegeben und Partei fuer den armen Teufel genommen haette. Ich wartete ungeduldig auf das erste Votum des juengsten Beisitzers und hoffte, er moechte sich auf meine Seite schlagen. Das ging aber nicht so rasch mit dem Beraten. Die Herren hatten ueber der Tragik des Falles nicht den Appetit verloren, holten sich die Gaben der Hausfrauen aus den Taschen und assen erst einmal. Oefters hoerte ich mit gleichmuetigen Worten auf Strafen erkennen, deren Folgen ich mir vielleicht uebertrieben vorstellte, und ich konnte auf die scharfen wie auf die pomadigen Richter einen starken Groll werfen. Um so mehr begeisterten mich andere, die bei gerechtem Abwaegen immer noch Guete zeigten, und wenn sie gar dem Vorsitzenden mit hoeflicher Bestimmtheit entgegentraten, war ich gerne bereit, sie zu bewundern. In solchen Dingen sah der gruene Praktikant scharf genug, und er machte sich Begriffe, die von ihm nicht verlangt wurden. Wenn ich der Wahrheit streng die Ehre gebe, muss ich sagen, dass ich nie boeswillige Haerte sah, wohl aber Engherzigkeit und Mangel an Verstaendnis fuer die Motive strafbarer Handlungen. Leidenschaften, denen eine Tat entsprungen war, wurde man selten gerecht, und oft sah man abschreckende Roheit, wo sich ein starkes Temperament hatte hinreissen lassen. Gefaehrlich waren erzieherische Gesichtspunkte; denn durch Strenge gegen den einzelnen bessernd auf die Allgemeinheit wirken zu wollen, fuehrt von gerechten Massen ab. Befremdend und manchmal komisch war es, wie wenig ein verbeinter Jurist von dem Volke wusste, in dessen Mitte er lebte. Sitten, Gebraeuche und Missbraeuche, die Art zu denken und zu reden, das alles konnte groeblich missverstanden werden, und es kam vor, dass der Praktikant im Beratungszimmer, durch Raeuspern die Aufmerksamkeit auf sich lenkend, Auskunft ueber dies und das erteilen durfte. Natuerlich gab man ihm zu verstehen, dass die andere Ansicht auch richtig, ja, wenn man logisches Denken beim kleinen Volke voraussetzen koennte, allein richtig waere. Von ungewoehnlicher und ueberragender Begabung war unter den Herren eigentlich nur einer, der Erste Staatsanwalt v. A. Der schweigsame, in sich gekehrte Junggeselle konnte aber zuweilen bedenklich ueber die Schnur hauen, wenn er alle Quartale - hier und da oefter - sich einen gewaltigen Haarbeutel anschnallte. Er wurde groelend in einer Wirtschaft sitzend von den Buergern angestaunt, ja einmal hantelte er sich am hellen Morgen an der eisernen Barriere entlang, die um die Hauptkirche angebracht war. Ein anderes Mal retteten ihn ein Bierbrauer und ich vor dem Angriffe, den hitzige Bauernburschen auf ihn unternahmen. Kurz vorher waren Leute aus dem Dorfe, wo der Herr Staatsanwalt zechte, zu empfindlichen Strafen verurteilt worden, und da schien den Krakeelern, die auch nicht mehr nuechtern waren, eine guenstige Gelegenheit zur Rache gegeben. Er sprach nie darueber, aber eines Tages lud er mich ein, ihm einige Arbeiten vorzulegen, ueber die er sich dann auf Spaziergaengen eingehend mit mir unterhielt. Das war sein Dank fuer meine Hilfe an jenem unangenehmen Abend. Nach der landgerichtlichen Praxis trat ich beim Bezirksamte ein. Obwohl oder vielleicht weil ich einiges von den Wuenschen und Beduerfnissen der Landbevoelkerung kannte, blieben mir Zweck und Nutzen der Verwaltungstaetigkeit ein Raetsel. Da sass in Traunstein ein Herr, ohne dessen Genehmigung kein Anbau an einen Schweinestall, kein Neubau einer Waschkueche erfolgen durfte, der die Gemeindeverwaltung ueberwachte und die Schulen ueberwachte, der ueberall dreinzureden und zu befehlen hatte, meist in Dinge, von denen er sicherlich weniger verstand als die Interessenten, und ueber die er immer Sachverstaendige das eigentliche Urteil abgeben lassen musste. Er war recht eigentlich der Repraesentant einer anfechtbaren staatlichen Bevormundung. Waehrend meiner Praxis erlebte ich einen mich persoenlich schmerzenden Beweis von der Schaedlichkeit des Systems, das einem Juristen die letzte Entscheidung ueberwies, wo nur sehr geschulte Fachleute haetten zum Worte kommen duerfen. Eine sehr populaere Forderung ging seit Jahren auf die Tieferlegung des Chiemsees. Das Populaere ist nicht immer das Kluge oder das Nuetzliche. Am Suedufer des Sees sahen die Bauern einen grossen Gewinn in der Trockenlegung ihrer Streuwiesen; Landtagskandidaten hatten ihre Gunst mit Versprechungen erworben, viel Papier war verschrieben worden, Projekte lagen vor, aber der alte Bezirksamtmann ging nicht mehr an das schwierige Werk heran. Der neue sah darin die Gelegenheit, sich hervorzutun; er betrieb die Sache mit Eifer, und der Chiemsee wurde tiefer gelegt. Auf Jahre hinaus waren die Inseln und die Nordufer verunstaltet; lange Sandbaenke, Schilffelder zerstoerten das schoene Bild, und eine rechte Fliegenplage kam dazu. Die erhofften Vorteile blieben grossenteils aus, die Nachteile uebertrafen die Erwartungen. Freilich haetten sich die Anwohner staerker gegen den Plan auflehnen muessen, aber auch an der Teilnahmlosigkeit war das System schuld. Wer unter Vormundschaft gehalten wird, bleibt unmuendig. Ich brachte der Verwaltung weder Verstaendnis noch Neigung entgegen; nur einmal erwarb ich mir Anerkennung, als ich die eben in Kraft tretende Alters- und Invaliditaetsversicherung im Amtsblatte in gemeinverstaendlicher Sprache erlaeuterte. Die treuherzigsten Stellen strich mir der Assessor, aber das Ganze klang immer noch unjuristisch genug, um Aufsehen zu erregen. Mit mir war ein Freiherr von G. als Praktikant eingetreten, dem ich zu viele Baeren aufband, als dass ich ihn fuer sehr klug haette halten koennen. Aber er besass eine hereditaere Anpassungsfaehigkeit an das seltsame Geschaeft im Bezirksamte. Die Kunst, Akten zu erledigen und den Schein einer umfassenden Taetigkeit fuer sich und das Amt zu erregen, hatte er sofort heraus. Jeder Antrag wurde _brevi manu_ an den Buergermeister, den Distriktstechniker, die Gendarmerie usw. geschickt zur naeheren Berichterstattung, oder ergebenst an Behoerden mit dem Ersuchen um Auskunft. Wenn sie zurueckkamen mit den eingeforderten oder erbetenen Berichten, fand sich gleich wieder ein Haekchen, ueber das erneute Auskunft verlangt werden konnte. So waren die Akten immer auf der Reise, und immer schien was zu geschehen, und nie geschah was. Herr v. G. betrieb das Rotierungssystem so eifrig und auffaellig, dass ihm der Chef sein Erstaunen ueber diese Geschaeftsgewandtheit mit schmeichelhaften Worten ausdrueckte. Zu den Baeren, die ich dem gutmuetigen Baron aufband, gehoerte auch die Geschichte von unserm wackern Gendarmeriewachtmeister in Traunstein, einem fidelen Rheinpfaelzer, mit dem wir Rechtspraktikanten gerne zusammensassen. Herr v. G. hatte wenig Verstaendnis fuer diesen Verkehr und sprach mich daraufhin an. Ich erzaehlte ihm, dass der Wachtmeister ein hochgebildeter Mann sei, der sechs Sprachen, darunter alle slawischen, beherrschte; er habe ein grosses Vermoegen verloren und sei zur Gendarmerie gegangen, um sein Leben fristen zu koennen. Der Roman machte Eindruck. Eines Tages wurde ein boehmischer Landstreicher eingeliefert, der kein Wort Deutsch verstand, und unser Assessor, der Amtsanwalt war, aeusserte sich verdriesslich ueber die Schwierigkeit, einen Dolmetscher aufzutreiben. Da konnte Herr v. G. wieder einmal hilfreich einspringen, und er meldete, dass der Wachtmeister alle slawischen Sprachen beherrsche. Der Assessor war freudig ueberrascht und wollte unsern Pfaelzer Krischer vors Amtsgericht laden; hinterher kam ihm die Sache verdaechtig vor; er schickte nach dem Wachtmeister, der dem Schwindel gleich ein Ende machte. "Das hawwe mer wieder die Praktikante eingebrockt", sagte er. "Das G'sindel kann doch kein Ruh gewwe ..." Herr v. G. wurde von da ab vorsichtiger gegen meine Erzaehlungen. Was werden? Gewoehnlich entschied sich darueber der Rechtspraktikant erst nach dem Staatskonkurse und der Bekanntgabe der Note, die den Pegelstrich seiner Faehigkeiten und Aussichten bildete. Einem Zweier stand alles offen, einem Dreier war beinahe alles verschlossen. Sogar die Post und Eisenbahn kaprizierte sich auf intelligente Juristen; beim Notariat, beim Auditoriat, bei der Intendantur, von Justiz und Verwaltung nicht zu reden, ueberall begehrte man die Marke "zwei". In vergangenen Zeiten brannte man Galeerenstraeflingen ein entehrendes Zeichen auf die Schultern; sie trugen nicht schwerer daran, als gepruefte Juristen an einem Dreier. Ich brauchte nicht erst das Ergebnis des letzten Examens abzuwarten, um zu wissen, dass ich weder Richter noch Verwaltungsbeamter werden mochte. In beiden Berufen sah ich Beschraenkungen der persoenlichen Freiheit, gegen die ich mich auflehnte; die Vorstellung, dass ich mir den Aufenthaltsort nicht selbst sollte waehlen koennen, haette allein genuegt, mich abzuschrecken. Und dies und das im Leben der Richter und Beamten, das ich taeglich beobachten konnte, sagte mir nicht zu; es schien sich doch in einem engen Kreise zu drehen, von einer Befoerderung und Versetzung zur andern, und alles Interesse, das sich ueber den Beruf hinaus erstreckte, starb von selber ab. Ich floh, wenn ich irgend konnte, die Gesellschaft der Juristen. Jede Unterhaltung mit Buergern, Handwerksgesellen oder Bauern war unvergleichlich anregender als ein Gespraech mit trefflichen Raeten. Wie Schueler von ihren Aufgaben unterhielten sich die Herren von ihren Faellen, die aelteren mit Genugtuung, weil sie _noch_, die juengeren, weil sie _schon_ so klug waren. Die Medisance, die auch in diesem Kreise bluehte, bestand immer darin, dass einem Abwesenden nachgesagt wurde, er habe oberstrichterliche Entscheidungen nicht gekannt oder falsch verstanden. Nachmittags gegen fuenf verliess der Staatshaemorrhoidarius die Kanzlei, schloss sich einem Gleichgesinnten an und spazierte auf dem Buergersteige auf und ab, Faelle erwaegend, Saetze abrundend, Deduktionen zum logischen Ende fuehrend. Eine Karawane von Paragraphenkennern pilgerte so zum Bahnhofe, gruesste sich, verlaesterte sich, sagte sich Unkenntnis einer Bestimmung und Verkalkung nach und wartete auf den grossen Schnellzug Paris-Wien, der hier eine halbe Minute lang hielt. Man sah veraechtlich auf die fremdartigen Menschen, die keine Ahnung von Einfuehrungs- und Ausfuehrungsgesetzen hatten, und die Fremden sahen veraechtlich auf die Havelocks und abgelatschten Schuhe der Schriftgelehrten. Man stiess sich gegenseitig ab, bis der Zug weiterfuhr. Die Fremden zogen gen Wien, die Raete gen ein Braeuhaus, wo neue Gedanken ueber alte Entscheidungen aufblitzten. Ich wusste, dass ich dieses Leben nicht fuehren wuerde, und so malte ich mir meine Zukunft als Rechtsanwalt aus, bescheiden, mit gemuetlichem Einschlag. Eine auskoemmliche Praxis in Traunstein, die mir Musse liess zu kleinen schriftstellerischen Versuchen, denn an die dachte ich damals schon. Wenn ich mit meiner Mutter ueber kommende Zeiten sprach, ueberlegten wir uns, wo ich etwa einmieten und wieviel Zimmer ich brauchen wuerde, denn es galt mir als ausgemacht, dass sie dann die Wirtschaft aufgeben und zu mir ziehen sollte. Der Kupferstecher Professor Hecht aus Wien, der in der "Post" ein paar Sommermonate wohnte, laechelte zu meinen Plaenen und sagte: "Sie werden sich nicht als Advokat in das kleine Nest verkriechen! Sie gehoeren in die Welt hinaus, und ich weiss gewiss, dass Sie in Muenchen als Schriftsteller oder Leiter einer Zeitung einen Namen haben werden." Ich hoerte die Prophezeiung gerne, wenn ich auch nicht zuversichtlich daran glaubte. Ein anderer staendiger Gast in der "Post" und Freund der Familie, Assessor F., musste wohl eine aehnliche Meinung haben, denn er redete mir zu, das letzte Jahr meiner Praktikantenzeit in der Hauptstadt zu verbringen, und gab mir die Mittel dazu. Ich glaube nicht, dass irgendein Ereignis so bestimmenden Einfluss auf mein Leben gewonnen hat wie die Uebersiedlung nach Muenchen; ich fand dort Anschluss an Maenner, die mich zur Schriftstellerei ermunterten, und vor allem, ich fand selber den Mut, zu wollen, und verlor den Geschmack daran, mich unter die Decke eines behaglichen Philisterlebens zu verschliefen. Ein anderes Ereignis mit seinen Folgen trug auch etwas dazu bei. Mein zweiter Bruder war nach zehnjaehriger Abwesenheit aus Australien zurueckgekehrt; er war als junger Kaufmann hinuebergegangen, musste sich aber spaeter als Matrose, Fischer und Jaeger durchschlagen. Um ihn daheim zu halten, erwarb meine Mutter das Postanwesen in Seebruck am Chiemsee und zog selber mit meinen zwei juengeren Schwestern dorthin. Ich war viel bei ihnen draussen und verlor etwas den Zusammenhang mit Traunstein. Das Seebrucker Anwesen war vom Vorbesitzer vernachlaessigt worden; es gab Sorgen genug, die mich deshalb bedrueckten, weil ich mir die alten Tage meiner Mutter ruhevoller und heiterer gedacht hatte. Darueber verblassten die Bilder eigener Behaglichkeit, die vielleicht am Ende, nicht aber am Anfange eines taetigen Lebens ihren Platz finden durften. Ich dachte ernsthafter ans Vorwaertskommen und ergriff dankbar die Gelegenheit dazu, die mir Assessor F. bot, der damals Junggeselle war und, wie ich sagte, mich vorm Versauern in den kleinen Verhaeltnissen bewahren wollte. Klein und eng war es in Traunstein und von einer Gemuetlichkeit, die einen jungen Mann verleiten konnte, hier sein Genuege zu finden und auf Kaempfe zu verzichten. Es ist altbayrische Art, sich im Winkel wohl zu fuehlen, und aus Freude an bescheidener Geselligkeit hat schon mancher, um den es schad war, Resignation geschoepft. In dem Landstaedtchen schien es sich vornehmlich um Essen und Trinken zu handeln, und alle Taetigkeit war auf diesen Teil der Produktion und des Handels gerichtet. Am Hauptplatz stand ein Wirtshaus neben dem andern, Brauerei neben Brauerei, und wenn man von der Weinleite herabsah, wie es aus maechtigen Schloten qualmte, wusste man, dass bloss Bier gesotten wurde. Durch die Gassen zog vielversprechend der Geruch von gedoerrtem Malz, aus maechtigen Toren rollten leere Bierbanzen, und am Quieken der Schweine erfreute sich der Spaziergaenger in Erwartung solider Genuesse. Der Holzreichtum der Umgegend hatte schon vor Jahrhunderten die Anlage einer grossen Saline, wohin die Sole von Reichenhall aus geleitet wurde, veranlasst. Sie foerderte das Emporbluehen der Stadt, die auch jetzt im Wohlstand gedieh. Als Sitz vieler Behoerden, sehr guenstig zwischen Gebirg und fruchtbarem Huegellande gelegen, bildete sie den Mittelpunkt einer volkreichen Gegend. Zur allwoechentlichen Schranne und zu den Maerkten stroemten die Bauern herein, und dazu herrschte ein starker Verkehr von Musterreisenden, die von hier aus die Chiemgauer Orte besuchten. Ein anheimelndes Bild der alten Zeit boten die zahlreichen Omnibusse, die von blasenden Postillonen durch die Stadt gelenkt wurden, denn damals waren die Kleinbahnen nach Trostberg, Tittmoning, Ruhpolding noch nicht gebaut. Hier sass nun ein besitz- und genussfrohes Buergertum, das sich den Grundsatz vom Leben und Lebenlassen angeeignet hatte. Genauigkeit und aengstliches Sparen erfreuten sich keines Ansehens, und war man stolz auf den Wohlstand eines Mitbuergers, so verlangte man auch, dass er nicht kleinlich war. Rentamtmann Peetz, der Chronist Traunsteins, erzaehlt eine Geschichte, die fuer altbayrische Lebensauffassung bezeichnend ist. In den siebziger Jahren spielten zwei gutsituierte Buerger, der Mittermueller und der Untermueller, regelmaessig Tarock mit einem jungen Advokaten. Sie fuehlten sich verpflichtet, fuer den Mann ein uebriges zu tun, und fingen in Frieden und Eintracht miteinander einen Prozess ueber Wasserrechte an. Die Geschichte haette sich auch spaeter genau so zutragen koennen, denn die Lust, etwas springen zu lassen, und die gewisse unbekuemmerte Art lagen in der Rasse begruendet. Zum Oktoberfestschiessen meldete sich beim Hoellbraeu alljaehrlich ein Traunsteiner Buerger, denn da es Brauch war, dass ein Leibjaeger fuer den Koenig etliche Schuesse abgab, machte es sich gut, wenn auch der Hoellbraeu einen Vertreter dort hatte. Wenn dieser, der Eigentuemer der groessten Brauerei, zum "Bierletzt", das ist zum letzten Sommerbier, in ein Dorf fuhr, wo er einen Kunden hatte, musste ich oefter mithalten. Es wurden riesige Platten, angehaeuft mit Gans- und Entenvierteln, Huehnern, Schweinernem und Geraeuchertem aufgetragen, und die Honoratioren des Ortes, Pfarrer, Lehrer und Gendarm, waren eingeladen. Der Hoellbraeu hatte weder zu bestellen noch nachzurechnen, wenn am Schlusse der Betrag von ein paar hundert Mark verlangt wurde. Gewoehnlich hingen etliche Pfennig daran, damit es nach Gewissenhaftigkeit aussah. In kleineren Massen hielt es jeder so, dass er im angenehmen Wechsel von Geben und Nehmen der Kundschaft Gelegenheit bot, ihn zu schroepfen. Mit den Beamten hatte man sich in frueheren Jahren besser verstanden; nunmehr schlossen sich die Herren Juristen ab, und die Buerger erwiderten die Zurueckhaltung mit herzlicher Abneigung gegen die Hungerleider. So hiess der koenigliche Beamte. Fuer die pensionierten Offiziere, an denen kein Mangel war, hatte man den Namen Schwammerlbrocker erfunden. In ihren politischen Meinungen unterschieden sich die Traunsteiner nicht von den uebrigen Oberbayern. Tiefe Abneigung gegen alles Leidenschaftliche in diesen Dingen vereinigte sich mit dem ueblichen Masse von Wurstigkeit und Partikularismus, und das ergab bei Wahlen eine sichere ultramontane Mehrheit. Daneben konnte sich der mit Beamten, Pensionisten und etlichen Rentnern eingewanderte Liberalismus nicht sehen lassen. Er gab nur einige Lebenszeichen von sich, und man verzichtete schmerzlich laechelnd im vorhinein auf jeden Erfolg, agitierte nicht und stellte Kandidaten auf, denen die bescheidenste Rolle in der Oeffentlichkeit Ersatz fuer den Durchfall bot. Mehr Laerm erregte der damals neu auftauchende Waldbauernbund, der sich bald darauf mit dem niederbayrischen Bauernbund in den Zielen zusammenfand. Professor Kleitner, Eisenberger, der Hutzenauer Bauer von Ruhpolding und ein kleiner Geschaeftsmann, der Melber Jehl von Traunstein, waren die Fuehrer der gleich mit grobgenagelten Schuhen auftretenden Partei. Durch sie wurde das politische Phlegma etwas aufgeruettelt. An Respektlosigkeiten, Kraftspruechen und Widerhaarigkeiten hatte man doch seine landsmaennische Freude. Von einem Schreinermeister, einem braven Familienvater und fleissigen Handwerker, wurde mit einer gewissen Scheu erzaehlt, er sei Sozialdemokrat, der einzige in der Stadt, die Koenig Ludwig I. als treu gesinnt vor allen andern belobt hatte, weil eine Traunsteiner Deputation zu ihm nach seiner Abdankung gekommen war. An Koenig Max bewahrte man freundliche Erinnerungen. Nach dem grossen Brande im Jahre 1851 war er in die Stadt gekommen und hatte den Ungluecklichen Trost zugesprochen. In den neunziger Jahren, als man allerorts nach Motiven fuer Feste suchte, kam ein Plaene ersinnender Mann auf die Idee, dem guetigen Landesherrn ein Denkmal zu errichten. Das Denkmal fiel sehr klein aus, das Einweihungsfest sehr gross. In der Zeit des allgemeinen Aufschwungs gab es natuerlich Leute, die den Fremdenverkehr auf alle moegliche Weise heben wollten. Er hielt sich jedoch in maessigen Grenzen, obwohl man Reunions veranstaltete, bei denen wir Rechtspraktikanten das Ballkomitee bilden mussten. Wenn es herbstelte, versank die Stadt wieder in stillen Frieden, in dem es nichts Fremdes und Neuzeitliches gab, und von dem umfangen man zwischen Tarockrennen und Kegelschieben vergessen konnte, dass ihm der Kampf vorangehen muesse. Im Februar 1893 trat ich beim Stadtmagistrat in Muenchen, zwei Monate spaeter bei Rechtsanwalt Loewenfeld als Praktikant ein. Da waren also nun die groesseren Verhaeltnisse, die ich kennenlernen sollte, allein bei Amt und Gericht merkte ich wenig davon. Der Fabrikbetrieb im Labyrinth des Augustinerstockes, wo die Gerichte untergebracht waren, verwirrte mich wohl anfangs, allein ich merkte bald, dass die Herren auch mit Wasser kochten, und die erste Zeugenvernehmung, die ein buchgelehrter Konkurseinser in meinem Beisein vornahm, erregte in mir den Verdacht, dass es jeder Dreier besser gemacht haette. Der Verdacht hat sich spaeterhin gefestigt und ist zur sicheren Ueberzeugung geworden. Vielbeschaeftigte und beruehmte Anwaelte gab es zu bewundern, darunter manchen, dessen Gewandtheit und Wissen exemplarisch waren. Unter den Verteidigern ragten Wimmer und Angstwurm hervor und wurden in Aufsehen erregenden Prozessen viel genannt. Der beste forensische Redner, den ich kennengelernt habe, war der joviale Justizrat _Wimmer_, dem die gluecklichste Mischung von Sachlichkeit und Pathos eigen war. Ein ganz oeliges Pathos hatte _Angstwurm_, der einen Komoedianten und einen Pfarrer haette lehren koennen, ein Mann, der in Bildern schwelgte, bis ein anderer kam, der ihn darin weit uebertraf. Gerade damals ging der Stern des _Moessmer Franzl_ auf, des Vaters der Gerichtshofblueten. Unzaehlig sind die gewagten Vergleiche, Bilder und Parabeln, die von ihm erzaehlt werden, aber die Art, wie er sie mit feierlichem Ernste, losbrechender Heftigkeit und wieder mit dumpfer Resignation vorbrachte, machte sie erst zu den Ereignissen, von denen sich die Herren Kollegen vormittagelang unterhielten. Am Stammtisch im "Herzl", wo ich einen Kreis alter und neuer Freunde gefunden hatte, verkehrte der Vertreter der "Augsburger Abendzeitung" _Joseph Ritter_. Er fand Gefallen an meiner Art, ueber allerhand Dinge zu urteilen, und forderte mich auf, ganz so wie ich redete, auch einmal zu schreiben und es ihm fuer seine Zeitung zu geben. Ich versuchte mich in Plaudereien ueber Zustaende, die ich kannte, und die Artikel erschienen zu meiner grossen Genugtuung in der "Abendzeitung". Der Redaktion sagten sie zu, und damit war eine Verbindung hergestellt, die fuer mich wichtig wurde. In Freundeskreisen machten zuweilen Gedichte von mir die Runde, die, meistens im Dialekt, bald derb, bald hanebuechen lustig waren, und von denen mir das eine und andere nach langen Jahren wieder unterkam, wenn es jemand vortrug. So waren sie ungedruckt erhalten geblieben, und ihren Vater kannte nur ich, der ich schweigend zuhoerte. Die literarische Bewegung, die damals in Deutschland einsetzte, erregte mein lebhaftes Interesse. Von Hauptmann hatte ich "Vor Sonnenaufgang" und "Einsame Menschen" gelesen, von Sudermann "Die Ehre" gesehen. "Vor Sonnenaufgang" packte mich stark, gegen "Die Ehre" lehnte ich mich auf; und ich erregte Widerspruch, wenn ich etwas schroff erklaerte, der Graf Trast sei eine ausgestopfte Marlittfigur; die hausbackenen Halbwahrheiten, die er deklamiere, seien unertraeglicher als ganze Dummheiten. Den staerksten Eindruck machte Fontanes "Jenny Treibel" auf mich; in dieser abgeklaerten, laechelnden Schilderung sah ich, was Goethe als das Reizvollste und Wichtigste hervorhebt, die Persoenlichkeit, und zwar eine recht ueberlegene und sympathische zugleich. "Jenny Treibel" ist mir ein Lieblingsbuch geblieben, auch deswegen, weil es mich zuerst und auf die angenehmste Art lehrte, wie nur eine souveraene Darstellung wirklichen Lebens wertvoll sei, und wie langweilig und gleichgueltig sich daneben Stimmungen und Gefuehle ausnehmen. Je weiter wir uns von jener Zeit entfernen, und je mehr und Groesseres sich zwischen sie und uns stellt, desto klarer sehen wir, dass in der scheinbar so leicht hingeworfenen Schilderung mehr Kulturgeschichte steckt als in gelehrten Werken. Darum werden solche Buecher fuer spaeter Lebende noch erhoehten Wert haben, wenn man laengst nichts mehr weiss und wissen will von den tiefen Gedanken und Schmerzen eines Aestheten. Von Berlin her klangen damals Namen, die einen aufhorchen machten. Neben den Eroberern der Buehne, Hauptmann und Sudermann, neben Liliencron die Dehmel, Hartleben, Schlaf, Holz; und von der freien Buehne las man von Schlenther und Brahm. M. G. Conrad, dem es nie am Brustton fehlte, war in seiner "Gesellschaft" bemueht, in Muenchen die Schlaefer zu wecken. Es war damals sehr viel die Rede vom Naturalismus und Realismus im Gegensatze zum Idealismus, der dahinsiechte. Auch an Stammtischen sprach man darueber und aeusserte Gram ueber das "Aufsuchen des Schmutzes", wie ueber das Schwinden idealer Anschauungen, und da im "Herzl" etliche Maler einkehrten, setzte man Seufzer ueber den Impressionismus drauf. Ich trat keck fuer das Neue ein, und wenn der Streit lichterloh brannte, war ich sehr unzweideutig und liess Worte fahren, die Staunen und Unbehagen erregten. Das Bemerkenswerteste an den Diskussionen war das Interesse, das man in Muenchen auch in Kreisen fand, die sich anderswo sicherlich nicht um kuenstlerische Streitfragen kuemmerten. Im Dezember begann die letzte Pruefung, die ich abzulegen hatte, der gefuerchtete Staatskonkurs. Ich eilte jeden Morgen, noch bevor es hell wurde, in die Schrannenhalle, half andern und liess mir helfen, schrieb Kommentarstellen ab und fand, dass auch diesmal das Wetter nicht so schlecht war, wie es von weitem ausgesehen hatte. Ich habe mich damals zum ersten, aber auch zum letzten Male ueber Rechtslagen mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit verbreitet, wenn ich in der Mittagspause das Pruefungslokal verliess. Die Aufsicht wurde milde gehandhabt; man konnte sich fast ungestoert unterhalten, sich Mitteilungen zukommen lassen, ja, wenn es die Zeit erlaubte, auch einmal die Arbeiten zum Vergleiche zuschieben. Unvergesslich bleibt mir ein phlegmatischer Kollege, der mit einem stumpfsinnigen Laecheln unserm Eifer zusah und selber kaum etliche Worte hinmalte. Ich bot ihm mitleidig einen Bogen an, den ich schon hastig vollgeschrieben hatte. Er schob ihn mir zurueck und sagte: "Does hilft mir aa nix." Ich verstand seine Resignation, als ich erfuhr, dass er der einzige Sohn eines reichen Muenchner Hausherrn waere und keinen Wert auf eine glaenzende Laufbahn legte. Nach etlichen Wochen war die Pruefung beendet, und ich fuhr heim. Mit tiefem Schmerze musste ich sehen, wie meine Mutter, die seit dem Sommer kraenkelte, in ihren verfallenen Zuegen die Spuren eines nahen Endes zeigte. Ich blieb in Seebruck, und es folgten bittere Monate, in denen ich mir Gewalt antun musste, um eine Zuversicht zur Schau zu tragen, die ich aufgegeben hatte. Im darauffolgenden Juni ging ich hinter dem Sarge meiner Mutter her. Lange Zeit klang mir ihre muede Stimme in den Ohren, mit der sie mich fragte, was der Arzt nach dem Besuche gesagt habe, lange Zeit sah ich ihr Laecheln, mit dem sie meinen troestenden Bericht anhoerte, und eigentlich bin ich heute noch nicht darueber weggekommen, dass sie sterben musste, bevor sie irgendeinen Erfolg gesehen hatte. In ihren letzten Tagen konnte ich ihr noch eine Zuschrift der "Augsburger Zeitung" und einige Artikel vorlesen, und sie legte ihre abgemagerte Hand in die meine. "Es wird alles recht werden", sagte sie und nickte mir freundlich zu. Ich kehrte nach Muenchen zurueck, wo ich eine Konzipientenstelle bei einem Rechtsanwalt angenommen hatte. Zweifel ueber das, was ich nun eigentlich tun sollte, drueckten mich schwer; unselbstaendig bleiben, hiess Zeit verlieren, in der Hauptstadt eine Praxis eroeffnen, war aussichtslos, und mir fehlten zum Abwarten alle Mittel; in Traunstein anzufangen, sagte mir auch nicht zu. So dachte ich bald an dies, bald an jenes, kam zu keinem Entschlusse und fuehlte mich ungluecklich. An einem Augustabende fuhr ich mit einem Freunde nach Dachau, um von da weiter nach Schwabhausen zu gehen. Wie wir den Berg hinaufkamen und der Marktplatz mit seinen Giebelhaeusern recht feierabendlich vor mir lag, ueberkam mich eine starke Sehnsucht, in dieser Stille zu leben. Und das Gefuehl verstaerkte sich, als ich andern Tags auf der Rueckkehr wieder durch den Ort kam. Ich besann mich nicht lange und kam um die Zulassung in Dachau ein. Alte Herren und besorgte Freunde rieten mir ab, allein ich folgte dem ploetzlichen Einfalle, und ich hatte es nicht zu bereuen. Mit nicht ganz hundert Mark im Vermoegen zog ich zwei Monate spaeter im Hause eines Dachauer Schneidermeisters ein und war fuer den Ort und die Umgebung das sonderbare Exemplar des ersten ansaessigen Advokaten. Als ich beim Vorstande des Amtsgerichtes meinen Besuch machte, strich der alte Herr seinen langen, grauen Schnauzbart und sagte brummig: "So? Sie san der?" Er versprach sich offenbar weder Nutzen noch Annehmlichkeit von der neuen Erscheinung, und als echter Oberpfaelzer hielt er mit seiner Meinung nicht hinterm Berge. Wir haben uns spaeter gut vertragen und verstanden. [Illustration: Thoma als Anwalt in Dachau] In den ersten Tagen wartete ich mit Beklemmung auf Klienten. Auf den Schrannentag hatte ich meine Hoffnungen gesetzt, und es kam auch ein stattlicher, wohlgenaehrter Bauer in die Kanzlei, setzte sich auf mein Ersuchen und erzaehlte irgendwas von einem alten Kirchenweg. Als ich zur Feder griff, legte er seine Hand auf meinen Arm und sagte: "Net schreib'n! Na ... na ... net schreib'n!" Ich verstand, dass er bloss gekommen war, um den neuen Advokaten kostenlos anzuschauen; nach seiner Meinung war die Sache erst brenzlig, wenn was geschrieben wurde. Er ging und versprach wiederzukommen. Die Tage schwanden, die Mittel auch, und ich wurde aengstlich. Noch dazu hatte ich Schulden gemacht, als der Vertreter einer Buchhandlung zu mir gekommen war und mich bestimmt hatte, eine Bibliothek anzulegen. Als ich schon recht verzagt wurde, kam ein Lehrer aus der Pfaffenhofener Gegend und uebertrug mir seine Verteidigung in einem Beleidigungsprozesse, den ihm Buergermeister und Bezirksamtmann aufgehaengt hatten. Ich erfuhr bald, warum der Mann aus einem andern Bezirke just mich ausgesucht hatte; in der Bahn war ihm von dem Reisenden der Buchhandlung der junge Dachauer Anwalt so geruehmt worden, dass er seine Fahrt nach Muenchen unterbrach und in Dachau ausstieg. Von nun an ging's, wenn auch nicht ueber alle Massen gut, doch ordentlich und so, dass ich nach einer Weile die alte Viktor einladen konnte, mir den Haushalt zu fuehren. Sie kam mit Freuden, und wenn's auch nicht beim Oberfoerster in der Vorder-Riss war, so war es doch im ersten selbstaendigen Hauswesen des Herrn Anwalts, den sie als Kind auf dem Arm getragen hatte. Als "d' Frau Mutter" genoss sie Ansehen und Vertrauen bei allen Bauernweibern, die ein Anliegen zu mir fuehrte und die nach der Aussprache mit mir erst noch die richtige und ausgiebige mit ihr in der Kueche abhielten. Und jede brachte, wie es damals schoener Brauch war, etwas im Korbe mit, einen Gockel oder eine fette Ente oder, in Blaetter eingeschlagen, frische Butter. Ihre alte Tugend, taetigen Anteil am Leben zu nehmen, hatte Viktor nicht abgelegt, und sie kuemmerte sich um Gang und Stand der Prozesse, besonders, wenn es eine ihrer Schutzbefohlenen recht dringlich gemacht hatte. Eine besondere Freude war es ihr, wenn sie Klagen oder Erwiderungen abschreiben durfte. Dann sass die Alte stundenlang an ihrem Schreibtische, ganz eingenommen von der Wichtigkeit ihrer Aufgabe und ihrem Anteile an meinen Erfolgen. War ich bei Gericht und kam in meiner Abwesenheit ein Klient, so brauchte er nicht ohne Bescheid wegzugehen, denn Viktor nahm ihn ins Gebet, liess sich seine Schmerzen vortragen und floesste ihm das Vertrauen ein, dass er an die rechte Schmiede gekommen sei. Wenn's irgend zu machen waere, dann wuerde es der Herr Doktor machen, und meine Dachauer fassten schon gleich Zuversicht, weil "d' Frau Mutter" sie so gut angehoert hatte. Es war eine stille, liebe Zeit, ganz so, wie ich sie mir vorgestellt hatte an jenem ersten Abend, als ich die gepflasterte Gasse hinuntergegangen war an den Buergern vorbei, die ausruhend vor den Haustueren sassen. Hinter Dachau, dem das grosse Moos vorgelegen ist, dehnt sich ein welliges Huegelland von grosser Fruchtbarkeit aus, in dem Dorf an Dorf bald zwischen Hoehen, bald hinter Waeldern versteckt liegt. Hier lebt ein tuechtiges Volk, das sich Rasse und Eigenart fast unberuehrt erhalten hat, und ich lernte verstehen, wie sein ganzes Denken und Handeln, wie alle seine Vorzuege begruendet liegen in der Liebe zur Arbeit und in ihrer Wertschaetzung. Arbeit gibt ihrem Leben ausschliesslich Inhalt, weiht ihre Gebraeuche und Sitten, bestimmt einzig ihre Anschauungen ueber Menschen und Dinge. Es liegt eine so tiefe, gesunde, verstaendige Sittlichkeit in dieser Lebensfuehrung eines ganzen zahlreichen Standes, in dieser Auffassung von Recht und Unrecht, von Pflicht und Ehre, dass mir daneben die hoehere Moral der Gebildeten recht verwaschen vorkam. In dem, was Leute, die Redensarten und Empfindelei schaetzen, als Rauheit, Derbheit, als Mangel an Kultur und Feinnervigkeit, als Urzustaendliches betrachten wollten, trat mir ungeschriebene Gesetzmaessigkeit eines tuechtigen Sinnes entgegen. So, wie das Bauernvolk natuerliches Geschehen hinnimmt, wie ruhig es sich ueber Krankheit und Sterben wegsetzt, wie es nur die Nuetzlichkeit des Daseins schaetzt, zeigt es wahre Groesse. Und Klugheit darin, dass ihm nie Worte fuer Begriffe gelten. Derb zugreifende altbayrische Lebensfreude, aufgeweckter Sinn, schlagfertiger Witz und eine Fuelle von Talenten vervollstaendigen das Bild. Im Verstehenlernen fasste ich Lust, dieses Leben zu schildern. Auf einer Fahrt nach Muenchen kam mir ganz ploetzlich der Gedanke, es liesse sich am Ende versuchen, etwas ueber die Bauern zu schreiben. Daraus entstanden die Erzaehlungen, die zuerst im "Sammler", spaeter in einem Buche unter dem Titel "Agricola" erschienen sind. Im Kreise der Dachauer Freunde fanden sie beifaellige Aufnahme, aber der Ton war nicht auf Enthusiasmus gestimmt, den sie am Ende auch nicht erregen mussten. Eher machte sich im "Stellwagen" - so nannte sich unsere Gesellschaft, die sich allabendlich beim Zieglerbraeu versammelte - sachliche Kritik geltend, denn jeder der Beamten kannte doch die Bauern oder wollte sie kennen. Natuerlich waren die Herren vom Bezirksamt geneigt, mich zurechtzuweisen, wenn ich ihren widerspenstigen Untertanen im lebhaften Wortwechsel zuviel Ehre erwies. So konnte nur der Laie urteilen, der keine Ahnung davon hatte, wie viele Hindernisse der Bauer einer wohlmeinenden Erziehung entgegenstellte, wie bockbeinig und hintersinnig er war, wie misstrauisch gegen die wohlwollende Regierung. Der Bezirksamtmann war Buerokrat, wie aus den "Fliegenden Blaettern" von 1850 herausgeschnitten, lieblos und ganz Herrscher. Der Assessor sehnte sich nach der Stadt unter Menschen. Was ihn hierorts mit kleinlichen Anliegen plagte, war Untertan und konnte gerade noch fuer zweibeinig gelten. Die Sprache war schauderhaft, der Begriffsmangel erschreckend. Gehorchen und Zahlen konnte man von den Leuten verlangen, und dann kam die Scheidewand, diesseits derer die Intelligenz thronte. Der Assessor verdiente sich einen Spitznamen, den wir ihm verliehen. Er hiess "der Durrasch". Und wie er dazu kam, das verriet sein herzliches Verstaendnis fuer das Volk und seine Sprache. In einer Strafsache, bei der unser Assessor als Amtsanwalt den Staat vertrat, erzaehlte ein Bauernbursche, er habe von einer Rauferei nichts gesehen, weil er immer hinausgelaufen sei. Er habe den Durchmarsch gehabt. Nach seiner Vernehmung erhob sich der Assessor und verlangte zu wissen, was dieser Zeuge unter einem "Durrasch" verstehe. Es handle sich offenbar um eine faule Ausrede. Vergeblich bemuehte sich unser alter Oberamtsrichter klarzulegen, dass der Zeuge Durchmarsch gesagt und Diarrhoee gemeint habe. Er waehlte bei der Wiederholung sogar ein deutsches Wort, das der Sache ganz auf den Grund ging. Half nichts. Der Herr Assessor hatte deutlich "Durrasch" verstanden und verlangte unter drohendem Hinweis auf den geleisteten Eid genaue Auskunft ueber das seltsame Wort. Ein tiefes Misstrauen gegen den hinterlistigen Burschen blieb in ihm zurueck. Von ganz anderem Schlage war der praechtige Vorstand des Amtsgerichtes, in dem ich den letzten einer aussterbenden Rasse, der urbayrischen Landrichter aelterer Ordnung, kennen und schaetzen lernte. Er stand gut mit den Bauern. Seine Derbheit verletzte sie nicht, ja ich glaube, sie hatten Spass an seiner Art, alle Dinge beim rechten Namen zu nennen, und an Schrannentagen hatte er viel Zuhoerer. Immer hatte man den Eindruck, dass er es gut meinte; am besten, wenn er Leute, die wegen eines Schimpfwortes Prozesse anfingen, so zusammenstauchte, dass sie aus dem Gerichtssaal verletzter herauskamen, als sie hineingegangen waren. Von der einmal sprichwoertlichen Prozesswut der Bauern merkte ich kaum mehr etwas; insbesondere waren die Grundstreitigkeiten fast ganz verschwunden. Gerade die Wohlhabenden und Angesehenen in den Gemeinden redeten immer zum Frieden, wenn Zwistigkeiten ueber Wege und Fahrtrechte entstehen wollten. Auch von dem grossen Einflusse der Geistlichkeit wurde und wird mehr erzaehlt, als wahr ist. Ich fand, dass sich die Bauern in Gemeindeangelegenheiten recht ungern dareinreden liessen und dass sich eifrige Pfarrer damit schnell missliebig machten. Hier wusste jeder einzelne, was er wollte, und konnte sich ueber die Folgen eines Beschlusses ein Urteil bilden; sich zu beugen und gegen die eigene Meinung Gehorsam zu leisten, lag den Leuten ganz und gar nicht im Sinne. Gewiss waehlten sie, bevor die Caprivischen Handelsvertraege abgeschlossen wurden, fast ausnahmslos die klerikalen Kandidaten in den Landtag und in den Reichstag. Weil sie sich mit Politik nicht befassten, weil sie bei keiner andern Partei die Interessen ihres Standes beruecksichtigt sahen und weil Pfarrer wie ultramontane Kandidaten immer noch die einzigen waren, mit denen sie Fuehlung hatten. Das wurde anders, als infolge jener Handelsvertraege die Getreidepreise stark zurueckgingen und der Bauernbund gegruendet wurde. Der eingewurzelte Respekt vor der Geistlichkeit, ueber den man so viel hoeren konnte, war wie weggeblasen, und der Zorn wurde nicht im mindesten durch Ruecksichten in Schranken gehalten. Geistliche, die damals in Versammlungen auftraten, mussten mit Staunen wahrnehmen, wie ihnen ein grimmiger Hass entgegengebracht wurde. Sie kannten dieses Volk nicht mehr. Sie hatten es unterschaetzt, hatten an eine Fuegsamkeit geglaubt, die dem Stamme fremd war, und die Erfahrungen, die man nunmehr machte, uebten einen starken, nachhaltigen Einfluss auf die Haltung des Zentrums aus. Auffaellig war, wie viele schlagfertige, wirksame Redner sogleich aus dem Bauernstande hervorgingen. Wenn man auf der gegnerischen Seite, durch einen gewissen Bildungsduenkel verleitet, glaubte, leichtes Spiel mit den unwissenden Leuten zu haben, so wurde man schnell eines Bessern belehrt. Auch ein Dachauer Herr musste daran glauben. Ein ultramontaner Rheinpfaelzer, sonst ein umgaenglicher Mann, aber sprudelnd vor Eifer, in Ausdruecken und Gebaerden sich gehen lassend, meinte er, den aufgebrachten Bauern einmal die Leviten lesen zu muessen. Ein Buergermeister aus der Umgegend deckte ihn aber unter dem schallenden Gelaechter der Hoererschaft so zu, dass man ihm hinterher nahelegte, er moege im Interesse der Autoritaet und des Ansehens der Beamtenschaft nicht mehr auftreten. Und da ich nun gerade von Reden und Rednern erzaehle, will ich anfuegen, dass ich mich auch einmal hoeren liess. Zur Feier des 25. Jahrtages des Frankfurter Friedens hielt ich auf dem Marktplatze eine Ansprache an die Veteranen. Den groessten Erfolg hatte ich damit bei der alten Viktor, die an einem Fenster des Zieglerhauses stand und Traenen der Ruehrung vergoss und zu den Umstehenden sagte, nur das haette meine Mutter noch erleben muessen. Nach dem Umzug und der Pflanzung einer Friedenseiche war Festessen. Als ich etwas verspaetet den Saal betrat, standen alle Veteranen auf, um den Redner zu ehren. Den Bezirksamtmann, der schon anwesend war, verdross das, und er erhob sich, um von seinem hoeheren Standpunkte aus den Tag zu beleuchten. Zuerst war es still, aber wie der Mann im trockensten Amtsstil ueber den Krieg sprach, als haette das Koenigliche Bezirksamt Dachau nachtraeglich seine Billigung auszudruecken, fingen alle Veteranen wie auf ein gegebenes Zeichen an, mit klappernden Loeffeln die Suppe zu essen. Und in dem Laerm ging die obrigkeitliche Meinung unter. In Dachau waren damals zahlreiche Maler, darunter Dill, Hoelzel, Langhammer, Keller-Reutlingen, Flad, Weissgerber, Klimsch. Bei Hoelzel verkehrte ich haeufig. Er malte damals pointillistisch, trug die Farben mit der Spachtel auf, und man musste etliche Schritte zuruecktreten, um zu erkennen, was ein Bild darstellte. Spaeter ging er unter dem Einflusse Dills zur Malweise des Schotten Brangwyn ueber. In abgetoenten Farben, meist in Gruen und Grau, wurden ueberhaengende Baeume an Graeben und Baechen dargestellt, und die Bilder wirkten wie Gobelins. Mir wollte es scheinen, als haette sich die Gegend recht wohl so malen lassen, wie sie war, und jede Stimmung so, wie sie der Kuenstler erlebte und empfand, aber es gab auch damals einzig richtige Methoden, hinter die die Persoenlichkeit zuruecktrat. Ein Sonderling war Flad, dem es nicht zum besten ging. Mit einem dicken Knueppel bewaffnet, den er nach klaeffenden Hunden warf, lief er tagelang im Moos herum und sprach eifrig vor sich hin. Zuweilen schloss er sich mir auf einem Spaziergange an und trug Stellen aus Scherrs "Bluecher und seine Zeit" vor. Er schien das Buch auswendig zu koennen. Bei Hoelzel, einem liebenswuerdigen Oesterreicher, der Kenntnisse und Interesse und ein lehrhaftes Wesen hatte, gab es immer anregende Unterhaltung, und ich verdankte ihm manchen Hinweis auf gute Buecher. Besonders die Russen und einige Skandinavier lernte ich durch ihn kennen; ich bereute es nicht, ihnen erst spaeter und mit gereifterem Urteil begegnet zu sein. Anna Karenina wurde und blieb ein Lieblingsbuch von mir; aber Raskolnikow konnte ich nicht zu Ende lesen. Die unheimliche Schilderung jeder Regung einer Seele, die zum Verbrechen wie zu etwas Notwendigem und fast Selbstverstaendlichem hingedraengt wird, erschuetterte mich so, dass ich das Buch immer wieder weglegte, so oft ich danach griff. Mit geteilten Empfindungen nahm ich Ibsens "Baumeister Solness" auf; da schien mir zuviel mit Absicht hineingeheimnist zu sein, und die Menschen gingen auf Stelzen. Ich glaube, solche Gedanken waren damals sehr ketzerisch, denn etliche Paepste zu Berlin hatten laengst die Infallibilitaet des grossen Norwegers verkuendigt. Aber mir fehlte stets die Fuehrung durch den literarischen Zirkel, und ich musste alles unmittelbar auf mich wirken lassen, ohne vorher zu wissen, was die Mode verlangte. Denke ich zurueck, so meine ich fast, ich haette damals unbewusst schon den Reiz empfunden, den, wie Gottfried Keller sagt, das Verfolgen der Kompositionsgeheimnisse und des Stils gewaehrt. Heute erblicke ich jedenfalls darin das Anziehendste, hinter den Zeilen den Autor beim Schaffen zu sehen und aus dem Worte die Stimmung und aus der Stimmung Gedanken, die sich schufen, zu erraten. Wenn man das recht genossen hat, ist man gefeit gegen Literaturzirkel und ihre Dogmen. Am 1. Januar 1896 erschien die erste Nummer der "Jugend". Ich kann noch heute das Titelbild dieses Heftes nicht sehen, ohne mich ergriffen zu fuehlen von der Erinnerung an jene Zeit und von der Sehnsucht nach ihr, die voll Froehlichkeit, voll Streben, voll Hoffen war. Bald darauf sah man in Muenchen ueberall ein auffallendes Plakat, ein junges Maedel an der Seite eines Teufels. Es war die Ankuendigung des "Simplicissimus". Was regte sich damals fuer eine Fuelle von Talent und Koennen, und vor allem von Teilnahme an diesen Dingen! Mag die Bedeutung beider Wochenschriften beurteilt werden, wie immer; auch ein Gegner kann es nicht leugnen, dass sie frisches, neues Leben brachten. Wer erschrak und widerstrebte, war doch mit hineingezogen in den Kreis dieser neuen Interessen, die Muenchen aus dem Schlafe aufweckten. Mit welcher Aufmerksamkeit betrachtete man die Zeichnungen, pruefte man die Beitraege, las man die Namen der Kuenstler und Schriftsteller! Sie waren Ereignisse, ueber die man diskutierte, nicht Kaffeehauslektuere, die man durchblaetterte und weglegte; sie gaben mannigfaltigste Anregung und oeffneten die Bahn fuer die Jungen, die sich mit den Aelteren messen wollten. Ich schickte zoegernd und ohne rechtes Vertrauen ein politisches Gedicht an die "Jugend" und war nicht wenig stolz, als es schon in der zweiten Nummer erschien. Ein paar andere folgten, und meine Zuversicht wuchs. Damals war das "Gasthaus zur Post" in Traunstein verkauft und der Pachtvertrag geloest worden; meine aelteste Schwester erwarb eine Fremdenpension in Muenchen, die Zuspruch fand, und wir vereinbarten, dass ich mich nach einiger Zeit in der Stadt als Anwalt niederlassen sollte. Ein Herr, der Gast in der Pension war, fragte mich eines Tages, ob ich der Verfasser der Gedichte in der "Jugend" waere, und als ich es bejahte, meinte er, ich sollte nicht abseits von der aufstrebenden Bewegung bleiben und mich nicht bloss gelegentlich und so von aussen her daran beteiligen. Es war _Graf Eduard Keyserling_, der als Verfasser feiner, von leiser Ironie durchdrungener Werke bekannt geworden ist; recht bewundern lernte ich ihn viele Jahre spaeter, als er in seiner schweren Krankheit, die zur Erblindung fuehrte, eine Heiterkeit bewahrte, die nur aus Ueberlegenheit und Groesse kommen konnte. Die Stunden, die ich in anregenden Gespraechen mit dem geistreichen, im besten Sinne vornehmen Manne verbringen durfte, sind mir in lieber Erinnerung geblieben. Den Umzug nach Muenchen wollte ich aber nicht uebereilen; es war besser, in der Landpraxis noch fester Fuss zu fassen, und zudem hatte ich mit einem Universitaetsfreunde die Verabredung getroffen, mit ihm gemeinsam die Kanzlei zu eroeffnen. So blieb ich noch ein Jahr in Dachau. Eines Tages, im Fruehjahr 1896, besuchte mich Redakteur Ritter und zeigte mir ziemlich aufgeregt ein illustriertes Blatt. Das sei denn doch zu stark! Zu solchen Dingen solle man nicht schweigen, und wenn er auch nicht nach Polizei und Zensur schreie, so meine er doch, man muesse dagegen Stellung nehmen, und ich solle ihm den Gefallen tun, einen kraeftigen Artikel gegen dieses neuzeitliche Gebilde zu schreiben. Ich sah mir das Blatt an. Es war die Nummer 1 des "Simplicissimus". Eine Erzaehlung, "Die Fuerstin Russalka" von Frank Wedekind, hatte den guten Ritter in Harnisch gebracht. Er war etwas gekraenkt, als ich ihm sagte, dass ich seine Ansicht nicht teilen koennte. Im Fruehjahr 1897 kam der Abschied von Dachau; ich hatte doch das Gefuehl, aus sicheren, wenn auch kleinen Verhaeltnissen heraus ins Ungewisse zu gehen, und so fiel es mir nicht leicht; noch schwerer freilich bedrueckte es die alte Viktor, die es nicht verstehen wollte, warum ich mit meinem sorglosen, gluecklichen Zustande nicht zufrieden war. Es lag nicht in ihrer Art, darueber viele Worte zu machen, aber von ihren Spaziergaengen im Hofgarten kehrte sie immer traurig zurueck, und manchmal sah ich an ihren verweinten Augen, wie schwer ihr das Ende dieses bescheidenen Glueckes fiel. Noch dazu erlitten meine Muenchner Plaene eine arge Stoerung durch die ploetzliche Erkrankung und den Tod meiner Schwester, aber zurueck konnte ich nicht mehr, und so begann ich recht freudlos und sorgenvoll die Taetigkeit in meiner Kanzlei am Marienplatze. Ich musste bald erkennen, wie schwer es fuer einen jungen Anfaenger ist, in der grossen Stadt durchzudringen; am Ende ist es unerlaessliche Notwendigkeit, auf irgendeine Art aufzufallen. Wenn das Los der vielen, die es versuchen, nicht doch sehr bitter waere, koennten die angewandten Mittel, die erfolgreichen wie die vergeblichen, komisch wirken. Die marktschreierischen Volkstribunen, die sich um den Beifall im Zuschauerraum bemuehten und das unwahrste Pathos in Bagatellsachen anwandten, waren arme Teufel, schon weil sie das tun mussten. Mir bot die Praxis, die ich vom Lande hereingebracht hatte, einigen Halt, aber der Entschluss, sobald als moeglich diese Taetigkeit aufzugeben, stand in mir fest. Ein Freund vom Stammtische im "Herzl", Rohrmueller, hatte mit zwei anderen Herren die Waldbauersche Buchhandlung in Passau gekauft und erklaerte sich im Sommer 1897 bereit, meine Bauerngeschichten gesammelt herauszugeben und sie illustrieren zu lassen. Ich wandte mich brieflich an Bruno Paul, dessen Zeichnungen im "Simplicissimus" mir aufgefallen waren, und nach einer kurzen Unterredung sicherte er mir seine Mitarbeit zu. Fuers Landschaftliche war Adolf Hoelzel sogleich gewonnen, und nun begann fuer mich die sehr anregende Taetigkeit, die beiden Kuenstler zur Ausfuehrung des Versprochenen anzuhalten. Bei Bruno Paul stiess ich dabei auf groessere Schwierigkeiten, denn er war von Korfiz Holm, dem damaligen Chefredakteur des "Simplicissimus", stark in Anspruch genommen. Im Spaetsommer setzte sich Paul nach Lauterbach bei Dachau, wo er im Oktober mit seinen Zeichnungen fertig wurde, so dass wir endlich darangehen konnten, das Buch zusammenzustellen. Dabei leistete uns Rudolf Wilke, den ich nicht lange vorher kennengelernt hatte, sachverstaendige Hilfe, und der Sonntag, an dem wir von frueh bis abends Text und Bilder zusammenklebten, bleibt mir in froehlichster Erinnerung. Im Dezember war der "Agricola" gedruckt, und ich konnte das erste Exemplar dem Fraeulein Viktor Proebstl widmen und ueberreichen, die es zeitlebens fuer das beste und vollkommenste Buch hielt trotz ihrer Hinneigung zu den Klassikern. Ich gestehe, dass es fuer mich ein recht erhebendes und die Brust schwellendes Gefuehl war, als ich bei Littauer am Odeonsplatze zum ersten Male mein Werk in der Auslage liegen sah. Ich bin damals nicht ganz zufaellig an allen groesseren Buchhandlungen Muenchens vorbeigebummelt, und meine Wertschaetzung der Sortimenter richtete sich danach, ob sie den Agricola ausgestellt hatten. Es kamen auch bald Kritiken, und merkwuerdigerweise die anerkennendsten in norddeutschen Zeitungen; doch fehlte es in Muenchen keineswegs an freundlichem Beifalle, und M. G. Conrad sang mir in der "Gesellschaft" ein klingendes Loblied. Die nachhaltigsten Folgen hatte es fuer mich, dass ich durch die Arbeit am "Agricola" mit dem "Simplicissimus"-Kreise bekannt wurde. Der Verleger _Albert Langen_ lud mich eines Tages zu einer Unterredung ein. Dass wir uns bei dieser ersten Begegnung gleich gefallen haetten, moechte ich nicht behaupten. Der elegant gekleidete, mit dem gepflegten Vollbart recht pariserisch aussehende junge Herr war mir zu beweglich, sprang von einer Frage zur andern ueber, ohne recht auf Antwort zu warten, und leitete mir das Gespraech zu sehr von oben herab. Dabei prueften mich seine flinken Augen halb neugierig, halb misstrauisch, und ich glaubte deutlich zu merken, dass er mich nach bekannter Manier ein bisschen unterwertig sueddeutsch fand. Weil ich das merkte, war ich schroffer und kratziger und kuerzer angebunden, als es sonst meine Art war, und dieses erste Zusammentreffen endete, wenn auch nicht mit einem Missklange, so doch mit dem Eindrucke, dass wir einander nicht viel zu sagen haetten. Ich habe spaeterhin meine Ansicht ueber den gescheiten, heiteren und lebhaften Mann gruendlich geaendert, und mehr als einmal unterhielten wir uns ueber jene erste Begegnung, bei der ich ihn zu sehr als feinen Hund und reichen Juengling betrachtet hatte. Vielleicht haben aehnliche Urteile ueber ihn manche Verstimmung hervorgerufen; Frank Wedekind hat seinem Aerger bekanntlich in mehreren Theaterstuecken Luft verschafft, aber er hat stark danebengegriffen und ist am Aeusserlichen haengengeblieben. Ueber den Reichtum Langens war man sich in Muenchen einig, und Doktor Sigl schrieb in seinem "Bayrischen Vaterlande" mehr bestimmt als unterrichtet von den Millionen des jungen Verlegers. In Wirklichkeit hat dieser den "Simplicissimus" wie seinen Buchverlag mit den sehr bescheidenen Resten seines vaeterlichen Vermoegens gegruendet, und als die einen von seinen reichen Mitteln fabelten, andere wieder seine Zurueckhaltung gegenueber kuehnen Plaenen oder hochgespannten Erwartungen fuer knauseriges Wesen hielten, war Langen mehr als einmal vor die Frage gestellt, ob er das Unternehmen noch laenger halten koenne. Im Cafe Heck am Odeonsplatze trafen sich damals fast alle Kuenstler, die am "Simplicissimus" und an der "Jugend" mitarbeiteten: zuweilen Heine, regelmaessig aber Paul, Wilke, Thoeny, Reznicek, Jank, Erler, Putz, Groeber, Eichler, Georgi, Feldbauer u. a. Den staerksten Eindruck machte der damals vierundzwanzigjaehrige Rudolf Wilke aus Braunschweig auf mich. Er war von einer Unbekuemmertheit, die beim Fehlen jeglicher Pose, bei gruendlichen Kenntnissen und beim tiefsten Ernste in kuenstlerischen Dingen viel ansprechender wirkte als die von Murger geschilderte Sorglosigkeit der Pariser Bohemiens. Er haette ins elterliche Geschaeft - sein Vater war Baumeister gewesen - eintreten sollen, war aber bald nach Muenchen gezogen, wo er bei Holossy studierte. Er arbeitete zuerst fuer kleine illustrierte Muenchner Blaetter, bis ihn das Ergebnis des ersten Preisausschreibens der "Jugend" mit einem Schlage bekannt machte. [Illustration: Auf der Jagd] Charakteristisch fuer ihn war die Art, wie er sich an dem Wettbewerbe beteiligte. Er hatte das Ausschreiben uebersehen oder den Termin verbummelt, setzte sich am letzten Tage hin und machte etwas ganz anderes, als vorgeschrieben war, aber seine Zeichnung war so verblueffend gut, dass Georg Hirth mit Zustimmung des Preisgerichtes einen weiteren ersten Preis stiftete, der ihm zugesprochen wurde. Von da ab war er regelmaessiger Mitarbeiter der "Jugend", bis er zum "Simplicissimus" uebertrat. Er war von allen, die sich damals durchsetzten, sicher das staerkste Talent und uebte einen sehr bemerkbaren Einfluss auf die ganze Richtung aus; er wurde nachempfunden und nachgeahmt, und am Ende haetten nur wenige bestreiten koennen, dass sie beim jungen Meister Rudolf Wilke in die Schule gegangen waren. Er selber machte kein Wesen daraus, denn er wusste, dass er noch ganz anderes zu geben hatte; mochte er andern fuer fertig gelten, er selber arbeitete an sich weiter und reifte langsam heran, um dann von Reichtum ueberzuquellen. Als er muehelos und selbstsicher das Beste schuf, musste er sterben. Mit ihm hat Deutschland einen grossen Humoristen verloren; wer in dem Werke seines kurzen Lebens den ueberraschenden Aufstieg bemerkt und sich Rechenschaft darueber geben kann, wie diese liebevolle Schilderung des Komischen sich immer mehr vertiefte und immer mehr die gute Art der niederdeutschen Rasse zeigte, wer dieses stille, so gar nicht laermende, aber doch erschuetternde Lachen ueber die Schwaechen der lieben Menschheit versteht, der weiss, welche Hoffnungen der Tod Rudolf Wilkes zerstoert hat. Auch als Persoenlichkeit war er prachtvoll. Von der Gewandtheit und Kraft des hochgewachsenen Mannes wurde vieles erzaehlt, und kaum etwas war uebertrieben; auf grossen Radtouren, die wir zusammen machten, hatte ich oft Gelegenheit, mich ueber seine Tollkuehnheit zu aergern, aber auch immer wieder zu sehen, wie kaltbluetig und selbstverstaendlich er jede gefaehrliche Situation ueberwand. Schon wie er sich zu groesseren Reisen anschickte, war bezeichnend fuer ihn; sogleich entschlossen, unbeschwert durch irgendwelche Ruecksichten oder Verpflichtungen, unbekuemmert um Laenge der Fahrt und Dauer der Reise, setzte er sich mit in den Zug, und dann durfte es gehen, wohin es wollte. Freilich konnte er einem dann beim ersten Fruehstueck in Mailand so nebenbei mitteilen, dass er ganz vergessen habe, Geld einzustecken. Einmal radelten er, Thoeny und ich durch die Provence nach Marseille, setzten nach Algier ueber und fuhren ueber Constantine nach Biskra und Tunis. Da war Wilke in seinem Element; seinetwegen haette die Reise noch viele Monate dauern duerfen, und er haette sicherlich nie gefragt, ob uns das Geld lange; waer's ausgegangen, haette man sich schon auf irgendeine Weise geholfen. Unvergesslich bleibt mir sein Entzuecken ueber einen alten Araber, dem wir in der Naehe von Bougie begegneten; er ritt auf einem Maultiere, links und rechts neben sich einen Korb mit Orangen gefuellt, ueber sich einen grossen Sonnenschirm aufgespannt, der kunstreich am Sattel befestigt war, und so sass der alte Herr vergnuegt im Schatten, las in einem kleinen Buche und ass Orangen. So was von kluger Art, zu reisen, so selbstaendig ausgedacht und frei von herkoemmlichen Zwangszustaenden, gefiel unserm Wilke derart, dass er vom Rad herunterstieg und eine Weile neben dem alten Kerl herlief, nur um ihn recht zu beobachten. Er wusste ueberhaupt den wuerdevollen Gleichmut der Araber, von dem wir immer wieder Beweise erlebten, nicht genug zu ruehmen, und das war leicht erklaerlich, denn er war darin selbst ein Stueck von ihnen. Sein unbaendiger Wandertrieb liess ihn daheim besonderen Gefallen an landstreichenden Handwerksburschen finden. An einem warmen Maerztage, wo einen Ahnungen von wundervollem Sonnenschein und blauem Himmel zum Reisen verlocken, fuhr ich mit ihm auf der Landstrasse nach Dachau an zwei walzenden Kunden vorbei, die, ihre schmutzigen Buendel umgehaengt, ins Weite hineinmarschierten. Wir setzten uns auf einen Schotterhaufen und liessen sie noch einmal an uns vorbeistapfen. "Die Kerle haben es doch am schoensten", sagte Wilke mit ehrlichem Neide, und dann setzte er mir auseinander, wie es einzig weise sei, in den Tag hineinzuleben und von aller Konvention frei zu sein. Jede Pose war ihm verhasst, und jede sah er mit unbestechlichen Augen, auch wenn sie Leute von klingendem Namen zu verstecken suchten. Damit war einer bei ihm sofort unten durch, und zuweilen, wenn sich uns gegenueber eine Beruehmtheit wohlwollend gehen liess, sagte Wilke, der Kerl sei doch bloss ein Hanswurst; zu dem Urteil genuegte ihm irgendeine Selbstgefaelligkeit im Ton oder in der Gebaerde. Das literarische Jung-Muenchen, das sich auch damals absurd gebaerdete und sich bedeutender gab, als es war, bot ihm reichliche Gelegenheit zum Spotte; wenn er sich zuweilen mit uebertriebener Bescheidenheit in der Torggelstube zu den Unsterblichen setzte, mit schuechternen Fragen Belehrungen anregte, ahnten die Gecken nicht, wie sehr sie die Gefoppten waren. Auch nicht, wie gruendlich sie der harmlose Kuenstler durchschaute, und wie er ihre unmaennliche Art verabscheute. Sein ernsthaftes Wesen, das sich frei von Vorurteilen und Schulmeinungen in selbstgedachten Gedanken zeigte, trat sogleich hervor, wenn er ueber wirkliches Koennen urteilte. Er ging immer auf das Wesentliche ein und vermied auch Grossem gegenueber die Banalitaet des Superlatives. Ein hoher Genuss, der bleibende Erinnerungen zurueckliess, war es, ihn ueber ein gutes Bild reden zu hoeren; es war nichts von Schulmeisterei, die klassifiziert und Zusammenhaenge beweist, darin, es war bei aller Zurueckhaltung die Meinung des grossen Koenners, dem tief verborgene, unbewusste Vorgaenge des Schaffens klar vor Augen standen. Auch ueber Buecher habe ich nicht leicht jemand so gut urteilen hoeren wie Rudolf Wilke; er las gerne und mit Auswahl, am liebsten gute Memoiren, die eine vergangene Zeit zum Leben erweckten; an die Freude, die er ueber Platons "Laches" empfand, erinnere ich mich gerne. Die ehrliche Gescheitheit des Sokrates, der jeden Begriff ins kleinste zerlegt und sein Eigentliches herausschaelt, der nie blosse Worte gelten laesst, keiner Schwierigkeit ausweicht, der nichts sich in den Nebel der Redensarten verlieren laesst, entzueckte ihn, und gleich stand ihm der kluge Athenienser plastisch vor Augen, der sich von braven Spiessbuergern zuerst hergebrachte Meinungen vortragen laesst, um sie dann bloss durch Fragen zu der unerquicklichen Erkenntnis zu bringen, dass sie weder etwas wirklich geglaubt, noch sich etwas gedacht hatten. Er stellte Betrachtungen darueber an, wie uns heute die Kunst des geraden Denkens, aber auch das Verlangen danach durch die verfluchte Phrase verlorengegangen sei, und eifrig las er mir nach ein paar Seiten aus "Laches" Proben aus dem Zarathustra vor, um daran zu zeigen, wie hoch wir das Spielen mit Worten und Stimmungen einschaetzen. Natuerlich sah Wilke als Maler nur in der echten Schilderung menschlicher Charaktere und der sich daraus folgerichtig aufbauenden Geschehnisse schriftstellerische Werte, und das Kokettieren mit hintersinnigen Gedanken und Weltschmerzen fuehrte er auf kuenstlerische Impotenz zurueck. Ich erwaehne das, um seine Stellung und damit wohl auch die andern Kuenstler zu den neuen Goettern zu kennzeichnen. Eigentlich bestand wenig oder kein Zusammenhang zwischen den literarischen und den kuenstlerischen Mitarbeitern der "Jugend" und des "Simplicissimus". Hirth versuchte ihn, wie mir erzaehlt wurde, in geselligen Zusammenkuenften anzuregen, aber man fand aneinander kein uebermaessiges Gefallen. Die Herren Dichter fuehlten sich wohler, wenn sie unter sich waren und sich mit ein bisschen Medisance und recht viel gegenseitiger Bewunderung die Zeit vertreiben konnten; natuerlich gehoerte dazu ein Auditorium von Juengern und Juengerinnen, die mit aufgerissenen Augen dasassen und den Fluegelschlag der neuen Zeit rauschen hoerten. In Schwabing trieb, wie erzaehlt wurde, der Kultus des Stephan George seltsame Blueten, und man sagte, der Dichter habe sich's bei gelegentlicher Anwesenheit gefallen lassen, dass die Schwabinger Laemmer um ihn herumhuepften und ihn auf violetten Abendfesten anbloekten. Andere vereinigten sich zu andern Gemeinden, und es wurden viele Altaere errichtet, auf denen genuegend Weihrauch verbrannt wurde. Das neue genialische Wesen brachte immerhin Leben und Bewegung nach Muenchen, und am Ende hatte es doch mehr Gehalt als das marktschreierische Getue der heutigen Talente, die jede Form verachten, die sie nicht beherrschen. Viel Aufsehen erregte damals Frank Wedekind mit seinen Gedichten im "Simplicissimus"; sein "Fruehlings Erwachen" hatte ihm in literarischen Kreisen schon Geltung verschafft, aber das groessere Publikum wurde erst durch seine geistreichen, zuweilen recht gepfefferten Verse auf ihn aufmerksam. Ein Gedicht auf die Palaestinareise des Kaisers ist wegen seiner Folgen beruehmt geworden, und Wedekind hat spaeterhin fuer die Bildung einer Legende gesorgt, die schmerzhaft klang, aber der Wahrheit nicht entsprach. Ich kam damals taeglich mit Wilke, Thoeny und Paul zusammen und erlebte als Unbeteiligter die Geschichte der oft erzaehlten und auch fuer die Buehne bearbeiteten Majestaetsbeleidigung. Eines Mittags im Oktober 1898 suchte Korfiz Holm die Kuenstler des "Simplicissimus" und mich im Parkhotel auf und zeigte mir den Korrekturabzug der spaeterhin vielgenannten Palaestinanummer, weil ich den Text zu einer Zeichnung Pauls gemacht hatte. Wir lachten ueber das Titelbild Heines, das Gottfried von Bouillon und Barbarossa mit dem Tropenhelm Wilhelms zeigte, und dann las ich das Gedicht Wedekinds. Darin war der Kaiser so direkt angegriffen, dass ich sagte, wenn die Verse nicht in letzter Stunde noch entfernt wuerden, sei die Beschlagnahme der Nummer und eine Verfolgung wegen Majestaetsbeleidigung unausbleiblich. Holm erklaerte aber, das Gedicht sei von einer juristischen Autoritaet geprueft worden, und ausserdem sei die Nummer schon im Drucke, so dass Aenderungen nicht mehr moeglich seien. Ich blieb auf meiner Ansicht stehen, aber am Ende war es Sache der Redaktion, ob sie die Strafverfolgung riskieren wollte oder nicht. Die Nummer wurde sofort nach Erscheinen konfisziert; Albert Langen floh nach Zuerich, Heine wurde nach Leipzig vorgeladen und dort in Untersuchungshaft genommen, spaeterhin auch zu sechs Monaten Gefaengnis verurteilt. Obwohl Wedekind das Gedicht unter einem Pseudonym hatte erscheinen lassen, konnte er sich doch nicht fuer gesichert halten, denn zu viele Leute kannten ihn als Verfasser. Eine andere Frage ist, ob er ehrenhalber nicht haette hervortreten muessen, aber die Entscheidung darueber wurde ihm erspart, da die Polizei durch einen Uebergriff des Leipziger Gerichtes hinter das Geheimnis kam. Wedekind wurde rechtzeitig gewarnt und floh von der Premiere seines "Erdgeistes" weg in die Schweiz zu Langen. Dass er ueber die Aufdeckung seiner Autorschaft ungehalten war, laesst sich begreifen, aber ganz unverstaendlich bleibt der Vorwurf, den er spaeter gegen Langen erhob: der habe ihn gezwungen, eine Majestaetsbeleidigung zu dichten, indem er seine Notlage ausgenuetzt habe. Wedekind war regelmaessiger Mitarbeiter des "Simplicissimus" und konnte darauf rechnen, dass jeder Beitrag von ihm angenommen und anstaendig honoriert wurde. Von einem Zwange, ein bestimmtes Gedicht zu machen, konnte schon darum ebensowenig die Rede sein wie von einer Notlage. Der Hergang war auch ein anderer. Das Gedicht auf die Palaestinafahrt war in seiner ersten Fassung so scharf, dass Albert Langen Bedenken trug, es aufzunehmen, und Aenderungen verlangte. Wedekind, der es in der Redaktion mit Vaterfreuden vorgelesen hatte, wollte an die Milderung zuerst nicht heran und verstand sich nur mit Widerstreben dazu. Darum blieb auch die zweite Fassung noch so gepfeffert, dass Langen die Aufnahme vom Gutachten des Herrn Justizrat Rosenthal abhaengig machte. Der gab seinen Segen dazu, vielleicht etwas zu sehr beeinflusst durch das Vergnuegen an der famosen Satire und dem formvollendeten Gedichte. Damit war das Unheil im Zuge und nahm seinen Lauf. Die Gegner, an denen es dem "Simplicissimus" nicht fehlen konnte, haben sich hinterher stark ueber planmaessige Majestaetsbeleidigungen und geschaeftliche Spekulationen aufzuregen gewusst. Dass ein aus kuenstlerischen Gesichtspunkten geleitetes Witzblatt sich aufs Geschaeftemachen nicht einlassen konnte, war am Ende leicht einzusehen; schwieriger musste auch fuer kluge Leute in Deutschland die Erkenntnis sein, dass ein sich so sehr und in solchen Formen in den Vordergrund draengendes persoenliches Regime ganz von selber die Satire herausforderte. Die unnahbare Hoehe des Thrones musste zu allererst von dem Herrscher selbst gewahrt werden. Wenn er in die Niederungen der Tagesstreitigkeiten bei jeder moeglichen Gelegenheit herunterstieg, rief natuerlicherweise dieser Widerspruch zwischen der eigenen Unverletzlichkeit und dem Vorbringen von anfechtbaren und verletzenden und sehr konventionellen Meinungen scharfe Entgegnungen hervor. Als Repraesentant eines grossen Volkes Polemik zu treiben, in alles und jedes dreinzureden, ging nicht an. Die aufdringliche Bewunderung, die auch groben Verstoessen und Fehlern gegenueber an den Tag gelegt wurde, die Manier, jeden ehrlichen Unwillen ueber das gefaehrliche, vorlaute Wesen als vaterlandslose Gesinnung zu brandmarken, verschaerften den Widerspruch und mehrten den Zorn, der sich - heute duerfen wir sagen _leider_ - viel zu wenig Luft machte. Waere das Ersuchen um geneigteste Zurueckhaltung, das 1908 zu sehr in Moll gestellt wurde, zehn Jahre vorher von Parlament und Presse mit ruecksichtsloser Entschiedenheit vertreten worden, dann haette vieles anders und besser werden muessen. Es ist heute schwer, gerade weil es leicht ist, darueber grosse Reden zu halten; aber das wollte ich in diesem Zusammenhange sagen, dass jene angeblich planmaessigen Majestaetsbeleidigungen bloss die Antworten auf planmaessige Herausforderungen waren. Dazu kam, dass der Ton, mit dem damals die Musik gemacht wurde, auf Kuenstler, denen die Persoenlichkeit viel oder alles gilt, hoechst aufreizend wirkte. Die unechte Heldenpose, die einem so haeufig vor Augen gestellt wurde, konnte nicht immer einem schweigenden Missbehagen begegnen; es musste sich aeussern, und die Form des Spottes wirkte erloesender als schwerbluetiger Tadel, denn er zeigte blitzartig, mit unwiderleglicher Schaerfe das, worauf es ankam, und die aergerliche Erkenntnis milderte sich durch die Moeglichkeit, darueber herzhaft lachen zu koennen. Spott untergraebt keine echte Autoritaet, weil er sie nicht treffen kann, aber dem auf Aeusserlichkeiten ruhenden, konventionell festgehaltenen, dem uebertriebenen und angemassten Ansehen tut er Abbruch, und das ist nicht schaedlich, denn treffender Spott heilt unklare Verstimmungen, indem er mit einem Worte, mit einer Geste die Ursachen des Unbehagens aufdeckt. Im uebrigen haette ein von politischen Gehaessigkeiten unangekraenkeltes Empfinden sich wirklich darueber empoeren muessen, dass ein Kuenstler des "Simplicissimus" fuer ein gutes Bild und ein Witzwort ueber die pompoese Reise nach Jerusalem zur Gefaengnisstrafe von sechs Monaten verurteilt werden konnte. Diese brutale Vergewaltigung als Antwort auf einen mit geistigen Waffen gefuehrten Angriff war abscheulich. Aber man nahm damals sogar einen Rechtsbruch und eine Verletzung der bayrischen Staatshoheit geduldig hin, weil es sich um Suehne fuer eine Majestaetsbeleidigung, und auch, weil es sich um den "Simplicissimus" handelte. Der saechsische Untersuchungsrichter wollte noch mehr Schuldbeweise gegen den Kuenstler zusammenbringen und glaubte, dass eine gruendliche Haussuchung in der Redaktion des "Simplicissimus" Erfolg verspraeche; allein, den bayrischen Behoerden traute er nicht genug Eifer zu, und darum suchte er um die durch das Gesetz nachdruecklich verwehrte Erlaubnis nach, selber die Haussuchung vornehmen zu duerfen. Der bayrische Justizminister liess sich verblueffen und gab dem unverschaemten Ansinnen nach; der saechsische Richter kam nach Muenchen, schnueffelte in allen Schraenken und Schubladen herum und fand auch einen Brief, den er brauchen konnte. Dass weder der Landtag noch die Presse gegen diese Gesetzwidrigkeit entschieden Stellung nahm, dass das Ministerium sich feige auf einen nicht anwendbaren Paragraphen berief, das alles war wirklich veraechtlicher Byzantinismus. Das Recht missachtet, die Wuerde des Staates preisgegeben, um das Ansehen eines Monarchen gegen ein Witzwort zu wahren. Je intensiver mein Verkehr mit den Kuenstlern wurde, desto lebhafter wurde in mir der Wunsch, mit ihnen zusammenzuarbeiten, alle meine Interessen gingen darin auf, und eine immer staerkere Unlust am anwaltschaftlichen Berufe drueckte schwer auf mich. Aber noch sah ich keinen Weg, der ins Freie fuehrte. Das Heim, das ich der alten Viktor und meiner juengsten Schwester geboten hatte, musste ich erhalten, und ich konnte nicht darauf rechnen, dass schriftstellerische Arbeit mir diese Moeglichkeit gewaehrte. Ich schrieb wohl einige Erzaehlungen fuer den "Simplicissimus", die gefielen, aber das gab mir, wie ich mir selbst gestehen musste, noch lange nicht das Recht, darin Sicherheiten fuer die Zukunft zu sehen. Fruehling und Sommer 1899 waren darum recht unerquicklich fuer mich; ich plagte mich ab mit der Sehnsucht nach einem anderen, so viel reicheren Leben und mit den Bedenken, die gegen einen raschen Schritt sprachen. Ich ging daran, ein Lustspiel zu schreiben, das auch im Laufe des Jahres fertig wurde, den Titel "Witwen" fuehrte und gottlob nicht aufgefuehrt wurde. Die Genugtuung darueber empfinde ich heute nicht deshalb, weil das Lustspiel nach alten Mustern auf Verwechslungen aufgebaut war, sondern weil die Ablehnung heilsam fuer mich wurde. Der Oberregisseur Savits, der mir von einem Ferienaufenthalte in Seebruck her befreundet war, las die Komoedie und erklaerte mir bei der Unterredung im Regiezimmer des Hoftheaters, das ich mit Herzklopfen und auch mit frohen Erwartungen betrat, dass dieses Ei keinen Dotter habe. Es seien ganz nette Sachen darin, sogar eine famose Szene zwischen einem Bauern und dem Anwaltsbuchhalter, aber das lange nicht, und kurz und gut, das Ei habe keinen Dotter, und er rate mir, es zurueckzuziehen. Ich erlebte ein paar bittere Tage, grollte ueber Verkennung und fand nach reiflichem Nachdenken, dass Savits recht hatte. Ich war zu tief im Milieu gesteckt, hatte nach eigenen Erlebnissen und Stimmungen und nach Modellen gearbeitet. Dabei blieb ich im Gestruepp. Damals aber, im Sommer 1899, sass ich glaeubig am Schreibtische, freute mich, wenn die Handlung vorwaerts schritt, und sah hinter grauen Wolken ein Stueck blauen Himmel. Wenn der Laerm unter meiner Kanzlei am Promenadenplatze allmaehlich verstummte, legte ich die mich immer mehr langweilenden Akten beiseite und holte aus der Schublade das Manuskript der "Witwen" hervor, um bis in die tiefe Nacht hinein zu sinnieren und zu schreiben. Dann traten mir aus den sich kraeuselnden Tabakwolken Bilder einer freundlichen Zukunft entgegen, und oft ueberwaeltigten sie mich so, dass ich aufsprang und im Zimmer auf und ab lief und laute Selbstgespraeche fuehrte. Die alte Viktor sass im Zimmer daneben, hoerte das Gemurmel mit sorglichen und von Hochachtung erfuellten Empfindungen an, denn sie wusste, dass ich ein Lustspiel dichtete, und fuer sie gab es keinen Zweifel, dass es prachtvoll werden muesse. Vielleicht knuepfte auch sie einige Hoffnungen daran auf Rueckkehr zum Landleben, aus dem Laerm heraus zur Stille. Oft hoere ich noch heute die tiefen Schlaege der Domuhr, die von den Frauentuermen herunter ueber den Platz droehnten, und ich erinnere mich daran, wie oft ich mit heissem Kopfe am offenen Fenster stand und in die Nacht hinaussah. Wieder war eine Szene fertig, es wollte sich runden und wollte werden, und vor mir lag die ersehnte Freiheit. Dann klang aus der Ferne die leise Stimme meiner Mutter herueber: "Es wird noch alles recht werden." Die Erloesung kam unerwartet und auf andere Weise, als ich getraeumt hatte. Eines Tages, es war im September 1899, sprach mich ein Rechtsanwalt, der meine geheimen Wuensche erraten hatte, daraufhin an und erbot sich, meine Praxis gegen eine runde Summe zu uebernehmen. Ich konnte nicht sofort zusagen und sprach darueber mit meinem Rechtskonzipienten, der mir nachdenklich schweigend zuhoerte und mich am folgenden Tag um eine Unterredung ersuchte. Er bat mich dabei, nicht jenem Anwalt, sondern ihm unter den gleichen Bedingungen die Praxis abzutreten. Jetzt besann ich mich nicht mehr lange, und schon am naechsten Tage schlossen wir den Vertrag ab, der mir ueberraschend schnell die Freiheit verschaffte. Gleichzeitig traf es sich, dass in Allershausen bei Freising, wo sich eine Schwester von mir kuerzlich verheiratet hatte, ein kleines Haus um billiges Geld zu mieten war. Ich machte Viktor den Vorschlag, mit meiner andern Schwester dorthin zu ziehen, und versprach, moeglichst oft hinauszukommen; die bescheidenen Mittel, die beide zum Leben brauchten, getraute ich mich aufzubringen, da mir nunmehr auch Langen ein monatliches Fixum fuer regelmaessige Mitarbeit am "Simplicissimus" zugesagt hatte. Ich selber mietete ein paar unmoeblierte Zimmer in der Lerchenfeldstrasse und war nun auf wenig gestellt, aber frei wie ein Vogel, und wohl nie mehr habe ich mich so gluecklich gefuehlt wie in jenen ersten Wochen, als ich eifrig an meinem Lustspiele schrieb, an keine Zeit und keine Pflicht gebunden war und mir auf Spaziergaengen im Englischen Garten ausmalte, wie unbaendig schoen es erst nach einem Erfolge werden wuerde. Dann kam freilich die betruebliche Erkenntnis, dass das Ei keinen Dotter hatte, aber bald trug ich den Kopf wieder hoch, und nach dem tiefen Eindrucke, den eine Bauernhochzeit in Allershausen auf mich gemacht hatte, schrieb ich "Die Hochzeit" und daran anschliessend ein Lustspiel "Die Medaille". In der Zwischenzeit war ich auch in die Redaktion des "Simplicissimus" eingetreten. Der Kongress der Mitarbeiter, auf dem der Beschluss gefasst wurde, fand in der Schweiz statt, in Rorschach am Bodensee, weil Langen deutschen Boden nicht betreten durfte. Fuenf Jahre lang musste er im Ausland bleiben, bis er 1903 durch Vermittlung eines maechtigen Herrn in Sachsen nach Hinterlegung einer betraechtlichen Summe ausser Verfolgung gesetzt wurde. Was es fuer den ruehrigen, etwas zappeligen Mann bedeutete, sein junges Unternehmen im Stiche lassen zu muessen, kann man sich denken, und schon darum kennzeichnet sich die Behauptung, dass er zu geschaeftlicher Foerderung eine Majestaetsbeleidigung von Wedekind erzwungen habe, als sinnloses Geschwaetz. Es ist ihm ein Vorwurf daraus gemacht worden, dass er sich nicht dem Strafrichter gestellt habe, und es gab dafuer eine klingende Redensart, dass er nicht den Mut gehabt habe, die Folgen seiner Handlung zu tragen. Es gehoert aber neben Mut auch kraeftige Gesundheit dazu, sich ein halbes Jahr einsperren zu lassen, und die fehlte Langen, der damals an starken nervoesen Kopfschmerzen litt. Wir haben in den folgenden Jahren noch manche Zusammenkunft in Zuerich gehabt, und es war unschwer zu sehen, wie sehr die Trennung von Geschaeft und Taetigkeit Langen bedrueckte. In der Redaktion des "Simplicissimus" hatte ich neben _Reinhold Geheeb_ eine anregende Taetigkeit, die mir zusagte und die mir stets Zeit zu eigenen Arbeiten liess. Von massgebendem Einflusse auf den Inhalt der einzelnen Nummern war von den Kuenstlern immer _Th. Th. Heine_, der haeufig in die Redaktion kam, sich mit uns beriet und Anregungen gab. Die andern, _Paul_, _Thoeny_, _Wilke_, _Reznicek_ zeichneten entweder nach Laune und Einfall, was ihnen gerade zusagte, oder sie uebernahmen es, einen vereinbarten Text zu illustrieren. Redaktionssitzungen, an denen alle Kuenstler teilnahmen, wurden erst spaeter nach Langens Rueckkehr abgehalten. _Wilhelm Schulz_ hielt sich noch in Berlin auf, und der Verkehr mit ihm blieb aufs Schriftliche beschraenkt; _J. B. Engl_ machte selber die Texte zu seinen Zeichnungen. Von literarischen Mitarbeitern sah man zuweilen _Bierbaum_, _Falkenberg_, _Gumppenberg_, _Greiner_, ziemlich haeufig _Holitscher_. Hier und da kam ein junger Mann in der Uniform eines bayrischen Infanteristen, trug einen Stoss Manuskripte, die er fuer den Verlag geprueft hatte, bei sich und uebergab der Redaktion ab und zu Beitraege; er war sehr zurueckhaltend, sehr gemessen im Ton, und man erzaehlte von ihm, dass er an einem Roman arbeite. Der Infanterist hiess _Thomas Mann_, und der Roman erschien spaeter unter dem Titel "Buddenbrooks". Mit den literarischen Vereinen kam ich nicht in Fuehlung, ebensowenig mit den engeren Zirkeln um _Halbe_, _Ruederer_ u. a. _Otto Erich Hartleben_ lernte ich in einer Gesellschaft kennen; er gab von Zeit zu Zeit Gastrollen in Muenchen, und man hoerte nach seiner Abreise Erzaehlungen von endlosen Kneipgelagen, die von froehlichen Philistern, die sich was darauf zugute taten, noch gehoerig uebertrieben wurden. Er hatte was vom alten Studenten an sich, auch ein bisschen was vom gefeierten Genie, um das sich Kreise bilden, aber wenn er nach einer Weile die Geste beiseite liess, konnte man sich an dem Frohsinn des hochbegabten, warmherzigen Menschen erfreuen. Zuletzt traf ich ihn in Florenz, im Fruehjahr 1903, aufgelegt wie immer zum Schwaermen und Pokulieren, aber jede froehliche Stunde musste er mit koerperlichen Schmerzen bezahlen, und er sah recht verfallen aus. Bald nach meinem Eintritt in die Redaktion des "Simplicissimus" lernte ich _Bjoernstjerne Bjoernson_ kennen. Das heisst, um es respektvoller auszudruecken, ich wurde ihm vorgestellt, und er hatte die Guete, mir etwas Wohlwollendes ueber ein paar Gedichte zu sagen. Er gehoerte zu den Maennern, die koerperlich groesser aussehen, als sie sind, und die man stets ueber andere wegragen sieht; in der groessten Gesellschaft musste sogleich der Blick auf ihn fallen, und das wusste er und hielt was darauf. Er sah imponierend aus mit seiner geraden Haltung, mit den blitzenden Augen unter buschigen Brauen, die ein bisschen ueber die kleinere Menschheit wegsahen, mit den schlohweissen Haaren auf dem stolz getragenen Haupte. Im Gespraeche mit uns war er so was wie wohlaffektionierter Koenig, aber er konnte auch aus sich herausgehen und derb und herzlich lachen. Wer bei ihm zu Besuch in Aulestad gewesen war, ruehmte seine zwanglose Gastfreundschaft; hier in Muenchen war er schon etwas Vertreter einer fremden Grossmacht und kritisch und misstrauisch gegen den Unteroffiziersgeist, den er diesseits der schwarzweissroten Pfaehle witterte. Damals war er auf Deutschland gut zu sprechen und hielt uns fuer bildungs- und besserungsfaehig. "Ueber unsere Kraft" hatte in Berlin volles Verstaendnis gefunden, und viele Angehoerige der preussischen Nation schrieben sich die Finger schwarz ueber die tiefen Probleme des ersten wie des zweiten Teiles, und so sah Bjoernson, dass sie auf dem rechten Wege waren und sich zu einigem Werte durchringen konnten. Immer leidenschaftlich, setzte er sich ganz fuer eine Sache ein und liess am Widerparte gar nichts gelten; er besass im hoechsten Mass die Gabe, nur die eine Seite zu sehen, und war darum ein erfolgreicher Parteifuehrer und nebenher ein glaenzender Journalist; alles sah er aus bestimmten Gesichtswinkeln und ordnete es seinem Systeme ein. Ich besuchte einmal um Ostern 1904 mit ihm das Forum in Rom. _Professor Boni_ begruesste den illustren Gast aus Norwegen mit romanischer Hoeflichkeit und wuerdevoller Devotion und machte selbst den Fuehrer. Wilke und ich gingen hinterdrein. Als Boni, den die vom preussischen Unteroffiziersgeist angekraenkelten deutschen Gelehrten fuer einen Scharlatan halten, unter anderem sagte, die Auffindung eines Altars haette ihn zu der Ueberzeugung gebracht, dass die Plebejer eine andere Religion als die Patrizier gehabt haetten, dass sie ueberhaupt eine fremde, von den Roemern unterjochte Nation gewesen seien, war Bjoernson ueber diese neuen, grossen Gesichtspunkte begeistert, denn mit unterdrueckten Voelkern hielt er es immer. Auf dem Heimwege fragte er mich, ob ich ihm kein gutes Buch ueber roemische Geschichte nennen koenne, "aber", fuegte er bei, "bleiben Sie mir weg mit diesen deutschen Gelehrten, mit Ihrem Mommsen! Es muss so sein, wie es Boni darstellte." Ich erwiderte etwas schnoddrig, dass meines Wissens in Deutschland kein derartiger Bockmist gedruckt worden sei. Einen Augenblick war er verdutzt, dann brach er in ein schallendes Gelaechter aus, und daheim rief er gleich seine herzensgute Frau Karoline herbei und erzaehlte ihr, dass der "onverschaemte Kaerl" die Erklaerungen des praechtigen Professors Boni einen Bockmist genannt habe. Einmal, als ich ihn in der Via Gregoriana besuchte, kam sein Enkel Arne Langen ins Zimmer und stellte sich ans Fenster. Man hatte von da aus einen wundervollen Blick auf die Peterskirche, und ploetzlich rief der kleine Arne, auf die maechtige Kuppel deutend: "Grosspapa, wer wohnt dort?" "Da wohnt niemand", erwiderte Bjoernson sehr ernst. "O ja! Da wohnt der liebe Gott!" "Onsinn! Wer hat dir das gesagt? Das war wieder dieser preussische Unteroffizier ..." Bjoernson wurde ernstlich boese auf die deutsche Erzieherin, die seinen beiden Enkeln solche Maerchen erzaehlte und die ihm ueberhaupt viel zu korrekt und, wie er es nannte, zu preussisch war. Bekannt ist seine leidenschaftliche Anteilnahme am Schicksale von Dreyfus; ihm teilte sich die Menschheit eine Zeitlang nur in edle, lichte Freunde des Unschuldigen und in pechrabenschwarze Anti-Dreyfusards. Bjoernson weilte in Paris bei Langen, als Dreyfus auf freien Fuss gesetzt wurde, und er beeilte sich, dem Maertyrer seine Sympathien muendlich kundzugeben. Wie mir erzaehlt wurde, war er von der Zusammenkunft stark enttaeuscht; der beruehmteste Prozessmann Europas soll sich als recht trockener Spiessbuerger gezeigt haben, der fuer die Opfer, die ihm von einzelnen, insbesondere von _Picquart_, gebracht worden waren, kaum Verstaendnis bewies. Jedenfalls hat er durch seine duerftige Art dem grossen skandinavischen Goenner die weltgeschichtliche Szene verdorben. Mir hat Bjoernson im Laufe der Jahre seine freundliche Gesinnung bewahrt und zuweilen bewiesen. Als ich vom Landgerichte Stuttgart wegen Beleidigung einiger Sittlichkeitsapostel verurteilt worden war, legte er beim Koenig von Wuerttemberg Protest gegen die Strafe ein. Um aber begnadigt zu werden, haette ich selber ein Gesuch einreichen muessen, und das konnte ich aus begreiflichen Gruenden nicht tun. In der neuen Taetigkeit, die mir immer als begehrenswert erschienen war, fuehlte ich mich gluecklich. Sehr viel trug dazu die freie Art bei, in der jeder einzelne seiner Verpflichtung nachkam und in der alle die gemeinsame Aufgabe erfuellten. Wir standen als angehende Dreissiger fast alle im gleichen Alter, hatten keinen Willen als den eigenen zur Richtschnur und handelten nur nach Gesetzen, die wir uns selbst im Interesse der Sache auferlegten. Es gab keinen Chef, dessen Meinungen oder Wuensche zu beruecksichtigen waren; es gab keine aeusserliche, ausserhalb des Koennens und der Foerderung des Ganzen liegende Autoritaet; die ruhte auf Persoenlichkeit und Leistung. Der kameradschaftliche Ton, in dem wir miteinander verkehrten, fuehrte keineswegs zur nachsichtigen Beurteilung eines Beitrages; Duldung auf Gegenseitigkeit gab es nicht, und wir blieben freimuetig im Urteile gegeneinander. Anerkennung drueckte sich am besten in herzhaftem Lachen aus, Bewundern und Anhimmeln unterblieben. Es war eine reizvolle Arbeit, die wir zwanglos, fast spielend erledigten, und bei dieser unbekuemmerten Beschaeftigung mit den Zeitereignissen, die wir, allen Parteidoktrinen abgeneigt, vom gemeinsamen kuenstlerischen Standpunkte aus beurteilten, hielten wir uns frei von Pathos und duenkelhafter Theorie. Natuerlich war uns die ziemlich weitgreifende Wirkung unserer Aeusserungen nicht gleichgueltig, aber dabei machte uns die sich in Phrasen austobende Entruestung der Gegner viel mehr Spass als die Zustimmung der Anhaenger. Die aufgestoerten Philister wollten den Kampf gegen Spott mit sehr plumpen Mitteln gefuehrt haben, mit Einsperren, mit Boykott, mit Konfiskation, mit Bahnhofsverboten usw. Katholische und protestantische Geistliche gingen in die Buchhaendlerlaeden, verlangten Entfernung des "Simplicissimus" aus den Schaufenstern oder wollten den Vertrieb verbieten; Ministern, Polizeipraesidenten, Staatsanwaelten, sogar Richtern kam es nicht darauf an, gesetzliche Bestimmungen zu umgehen oder zu verletzen, um das gehasste, zum mindesten fuer verderblich gehaltene Witzblatt zu unterdruecken oder zu schaedigen. Ich sah in der stets in Superlativen schwelgenden Entruestung den Beweis dafuer, wie aus Phrasen sehr bald verlogene Empfindungen werden, und wie sie gesundes Denken und Selbstsicherheit vernichten. Es war ein Krankheitsprozess. Das deutsche Volk hat in seiner gelassenen Art immer Selbstkritik geuebt und ertragen, damals aber versuchten die Uebereifrigen es zur gereizten Empfindlichkeit aufzustacheln. Einrichtungen, deren Nutzen und Wert kein vernuenftiger Mensch bestritt, wurden gemeinsam mit Missbraeuchen als heiligste Gueter fuer unantastbar erklaert, ganze Staende waren erhaben ueber Kritik und noch erhabener ueber den Witz. Von Umsturzgedanken und fanatischen Theorien war im Kreise der jungen lebensfrohen Kuenstler nichts zu finden, aber auch nichts von aengstlicher Zurueckhaltung, wenn es galt, einem Unfug oder einer Anmassung entgegenzutreten. Der Satire bot sich damals ein besonderes Angriffsziel in einer Bewegung, die angeblich auf Hebung der Sittlichkeit gerichtet war. Man erklaerte das deutsche Volk fuer im sittlichen Niedergange begriffen, donnerte ueber koerperliche und moralische Verderbnis und sah vor lauter germanischen Idealen die Tatsache nicht, dass diese heranwachsende Jugend ernster, strebsamer, tuechtiger war als die einer frueheren Zeit, dass sie sich von alten Missstaenden, vom hochmuetigen Kastengeiste wie vom verderblichen Saufen abgewandt hatte und koerperliche Tuechtigkeit in viel hoeherem Masse zu schaetzen begann. Und in der Freude an toenenden Redensarten schenkte man sich die haertere und doch allein Erfolg versprechende Arbeit, gegen die Ursachen sittlicher Schaeden vorzugehen. Die lagen in sozialen Missstaenden, in Armut, in Ausbeutung, in der Wohnungsnot u. a. viel tiefer begruendet als etwa in der Ausstellung einer Nuditaet im Schaufenster. Es war selbstverstaendlich, dass die Orthodoxen beider Konfessionen mit Begeisterung an der Bewegung teilnahmen und sie gehoerig ausnutzten. Die Regierung ging taeppisch, wie so oft, auf die moralischen und staatserhaltenden Bestrebungen ein, und es kam zur Vorlage der beruechtigten Lex Heinze. Den Namen leitete sie von einem Berliner Kupplerprozesse her, aber ihre Tendenz richtete sich weniger gegen grossstaedtische Uebelstaende als gegen eine unbequeme Freiheit der Presse. In Sueddeutschland waren es nicht zuletzt die beiden jungen Wochenschriften "Jugend" und "Simplicissimus", die den ultramontanen Eifer fuer scharfe Gesetze wachriefen und naehrten. So war es auch ein Kampf um die eigene Existenz, wenn sie gegen die offenen und noch mehr gegen die heimlichen Bestrebungen der reaktionaeren Parteien losschlugen. _Diffizile non erat, satiram scribere._ Wie da zarteste Dinge vor die Oeffentlichkeit gezerrt und angegrinst wurden, wie sich wohllebige Maenner als Tugendhelden aufs Podium stellten, wie man in schmalzigen Redensarten schwelgte und wiederum mit rohem Unverstande auf kuenstlerischem Empfinden herumtrampelte, das alles forderte den schaerfsten Spott heraus. Es kam dann auch zu grossen organisierten Widerstaenden, und in Muenchen wurde auf Anregung Max Halbes der Goethe-Bund aller Freunde kuenstlerischer Freiheit gegruendet. Es ging ein frischer Zug, an den man sich gerne erinnern darf, durch jene Versammlung im Muenchner Kindl-Keller, in der die Gruendung beschlossen wurde. Und wo _Georg Hirth_ und _M. G. Conrad_ gegen Muckerei und Schnueffelei vom Leder zogen, da durfte man sicher sein, dass es scharfe Hiebe absetzte. Die Lex Heinze fiel, aber das Beduerfnis nach uebersteigerter "Sittlichkeit" blieb erhalten, ebenso wie die Sehnsucht nach Unterdrueckung unangenehmer Geister. Von dem Hasse, den dieses Sehnen wachrief, richtete sich ein herzhafter Teil gegen den "Simplicissimus", dessen Mitarbeiter sich nicht zum wehleidigen Dulden verstanden. Zwischen damals und heute, 1919, liegen Ereignisse, die Kaffeehausliteraten zu Leitern des Staatswesens machten und die es vielen Bewunderern und Verfechtern des frueheren Systems ratsam erscheinen liessen, es nunmehr zu verdammen. Glueckselig pries sich, wer waehrend des Krieges den Opfermut des eigenen Volkes nicht allzu laut bewundert hatte, Gott aehnlich war, wer ein paar internationale Seufzer losgelassen hatte. Jaemmerliche Hanswurste stellten sich im Niedergange des Vaterlandes entzueckt von Freiheit und Menschlichkeit, und niemand hatte mehr Anspruch auf Bewunderung des Volkes als der grosse Pessimist, der als erster vor allen andern am gluecklichen Ausgange gezweifelt hatte. Wie schnell hat sich das Buergertum in den Untergang der heiligsten Gueter gefunden, wie hat es sie widerstandslos aufgegeben! Selbstgeschaffene, mit nuechternem Sinne fuer notwendig erkannte Einrichtungen, an denen man taetigen Anteil gehabt haette, waeren wohl anders verteidigt worden; so aber gerieten durch den im Kriege uebermaechtig gewordenen Hass gegen die Verlogenheit gezuechteter Begriffe die inneren Lebenskraefte miteinander in Kampf. Ein wohlgegliederter, gewordener Organismus, in dem eines das andere unterstuetzte, wurde durch die Theorie zerstoert. Moegen Schwaetzer ein System, das allerdings noch auszubauen war, verdammen, wir waren maechtig unter ihm und waeren gluecklich geworden, wenn man es auf breite Fundamente gestellt haette. Deutschland war in den Sattel gesetzt, aber reiten hat es nicht koennen; es ueberliess die Fuehrung unsicheren Haenden. Duenkelhafter Dilettantismus hat die Moeglichkeit unseres Unterganges geschaffen. Keiner von uns war so weitblickend, die letzten Folgen der operettenhaft gefuehrten Politik vorauszusehen, aber ihre Laecherlichkeit erkannten wir, und hinter dem Spotte ueber grosse Worte und Gesten steckte ein lebhafter Unmut. War es nicht natuerlich, dass sich gerade Kuenstler am schaerfsten gegen die Stillosigkeit der pompoesen Aufmachung wandten? Die alte Viktor konnte mein ferneres Wirken nur aus der Ferne betrachten, und zuweilen meinte sie seufzend, dass ich zu uebermuetig waere, aber, wenn sie aengstlich darueber sprach, troestete sie der gute Pfarrherr von Allershausen, der lustig auffasste, was lustig gemeint war. Oft suchte ich das kleine Haus an der Amper auf und nahm teil an dem stillen Glueck, das die Alte hier gefunden hatte. Ein Garten, dem sie Sorgfalt erwies, ein paar kleine Zimmer, deren schoenster Schmuck ihre peinliche Sauberkeit war, das war die Welt, in der sie sich wohl fuehlte und von der aus auch auf mich eine Fuelle von Behagen ueberging. Kam ich unangemeldet, so schmollte sie ein wenig, denn sie wollte, dass mein Besuch mit guten Dingen gefeiert wuerde. Ein frisch gebackener Kaffeezopf gehoerte auf den Tisch, und in der Kueche musste sie geheimnisvoll rumoren, um froehlich laechelnd eine Lieblingsspeise aufzutragen. Dann sass sie mir gegenueber und hoerte aufmerksam zu, wenn ich von meinem Leben berichtete. Es schien sich zum Guten zu wenden, aber - aber. Da waren doch neulich recht unehrerbietige Verse im "Simplicissimus" gestanden, und wenn sie auch wusste, dass es nicht so schlimm gemeint war, was sollten die Leute von mir denken, die mich nicht kannten? In solchen Faellen ergriff der Herr Pfarrer, der als lieber Gast dabei sass, meine Partei und fuehrte aus, dass man nicht immer fein sein koenne. Er war noch aus der alten Schule, die keine Zeloten erzog; er stand nicht ausserhalb der Welt, in der er wirkte, sondern mit tuechtigem Verstande mitten drin. Er kannte die Bauern und verstand seine Aufgabe, in ihnen den ererbten Sinn fuer taetiges Leben und ehrbare Sitte wach zu erhalten. Wie sie, mochte er kein uebertriebenes Wesen leiden, er war froehlich mit ihnen, ohne seinem Stande etwas zu vergeben, er hatte volles Verstaendnis fuer ihre Vorzuege und Fehler und zeigte sich nie empoert ueber natuerliches Geschehen. In ernsten Dingen bewahrte er Ruhe, und kleine Schmerzen heilte er am liebsten mit einem Scherzworte. Viktor schaetzte ihn sehr hoch, und auch er hatte seine Freude an ihrer braven Art. Immer bezeigte er ihr freundschaftliche Anteilnahme und holte sie, wenn es irgend ging, zum Spaziergange ab. Er neckte sie gerne mit ihrer Zuneigung zu mir, und als ich das erstemal nach Allershausen kam, erklaerte er mir lachend, dass die Vorstellung eigentlich ueberfluessig waere, denn er haette mich in- und auswendig kennengelernt aus den erschoepfenden Mitteilungen des Fraeuleins Viktor Proebstl. Eine Unterbrechung des Stillebens wurde durch die Heimkehr meines aeltesten Bruders herbeigefuehrt. Er kam mit seiner Frau und seinen vier Buben von Australien herueber; und regte schon das Wiedersehen nach der langen Zeit die Gemueter auf, so brachte die fremde Art der Frau wie der Kinder allerlei Unruhe in das kleine Haus. Die Buben, der aelteste zwoelf, der juengste ueber drei Jahre alt, hatten sich in Katoomba in den blauen Bergen nicht das geringste Verstaendnis fuer europaeisches Ruhebeduerfnis angeeignet. Ich glaube nicht, dass sie eine Viertelstunde am Tage still waren, und Frau Jenny schien nur dann an die volle Gesundheit der Kinder zu glauben, wenn sich die Stimmen von allen vier laut und deutlich vernehmbar machten. Sie selbst, eine Englaenderin aus der Kolonie, war eine sympathische, stille Frau, und es war unschwer zu sehen, dass sie in gluecklicher Harmonie mit meinem Bruder lebte. Aber wenn sich Frauen schon ueberhaupt nicht allzu leicht verstehen, so konnte sich eine herzliche Neigung zwischen hausbackener Schongauer Art und Australiertum erst recht nicht entwickeln. Es war zwischen ihnen ein kleiner, stiller Krieg, den zwar Gutherzigkeit und Takt auf beiden Seiten nicht zum Ausbruche kommen liessen, aber der eben doch da war, der in der Luft lag und die Temperatur herunterdrueckte. Meine Schwaegerin gehoerte einer strengen protestantischen Sekte an, die jeglichen Bilderdienst verabscheut, und als sie in ihrem Zimmer ein Ammergauer Kruzifix bemerken musste, schlug sie zwar keinen Laerm, aber sie verhuellte den Heiland mit einer Nachtjacke. Viktor war nicht unduldsam, ihr Katholizismus vertrug sich schlecht und recht mit liberalen Neigungen, aber diese Lieblosigkeit gegen ein Kruzifix, das jahrelang im Risser Forsthause gehangen hatte, ertrug sie nicht; sie befreite es schweigend von der Huelle, nahm es an sich und trug es in ihr Zimmer. Dabei mochten ihre Blicke und der Auftakt ihrer Schritte Empoerung verraten haben, jedenfalls hatte diese Szene so etwas vom Zerschneiden des Tischtuches zwischen den beiden Weiblichkeiten an sich. Die Neigung Jennys fuer laermende Kinderstimmen teilte die Alte nicht; vermutlich hatte sie mein Geschrei dereinst liebevoll ertragen, und die Wiederholung von Bruellen und Quaeken waere ihr nach der langen Pause ertraeglich und nett vorgekommen, wenn es sich um Kinder von mir gehandelt haette, aber der Milderungsgrund lag nicht vor. Sie sah und hoerte die australischen Spiele ohne die Nachsicht, deren sie dringend bedurft haetten, und am Ende war die gute Alte wirklich zu jaeh aus einer schoenen Ruhe gestoert worden. Sie beklagte sich nicht, wenn ich hinauskam, aber ich las in ihren Augen die stumme Frage, ob es denn wirklich fuer immer zu Ende sei mit den stillen, schoenen Tagen. Das und ein paar andere Beobachtungen liessen mir eine schleunige Aenderung wuenschenswert erscheinen. Denn auch an meinem Bruder bemerkte ich ein seltsames Unbehagen. Seit Jahren war es sein brennender Wunsch gewesen, wieder nach Deutschland zurueckkehren zu duerfen. Nun war er ihm erfuellt, und er musste die schmerzliche Erfahrung an sich selber machen, dass ihm die Heimat fremd geworden war. Haette er gleich befriedigende Taetigkeit gefunden, so waere alles anders und besser gewesen, aber die Erkenntnis, wie schwer es in den festgefuegten, ihm gar zu systematisch geordneten Verhaeltnissen sei, als Mann von zweiundvierzig Jahren von vorne anzufangen, fiel ihm schon gleich schwer aufs Herz. Dazu kam eine Frage, die in den Kolonien kaum aufgetaucht waere: Was sollte aus den Buben werden? Drueben war Platz fuer kraeftige Jugend, und es haette keiner weit ausschauenden Vorbereitung bedurft, um vier gesunden Buben ein Auskommen zu verschaffen. Drueben gab es keine konventionelle Verpflichtung, die schon in Knabenjahren zur Wahl zwischen hoeheren und niederen Berufen zwang. Drueben gab es Arbeit fuer starke Arme; und langte es weiter, dann ging es auch weiter. In Deutschland aber stand schon vor dem Abcschuetzen die grosse Frage: Was willst du werden? Studieren oder dich gleich mit Geringerem bescheiden? Private Stellung oder den sicheren Staatsdienst waehlen? Beim Aeltesten, der zwoelf Jahre alt war, brannte es eigentlich schon auf den Naegeln. Wer immer in dem sich gleichmaessig drehenden Kreise blieb, dessen Leben drehte sich mit, wer aber hinausgetreten war, kam kaum mehr hinein. Diese Erkenntnis stimmte meinen Bruder bitter und liess ihm vieles kleinlicher und widerwaertiger erscheinen, als es war. Ich hoffte, dass seine Sprachkenntnisse, seine Tuechtigkeit ihm zum Erreichen eines Postens foerderlich sein koennten, aber die ersten Versuche schlugen fehl, und man gab ihm und mir zu verstehen, dass man in Deutschland langsam und ordnungsmaessig vorruecke. Und das muss man in der Jugend beginnen. Zu diesen Enttaeuschungen kam schmerzliche Reue darueber, dass er nicht frueher heimgekehrt war und unsere Mutter noch am Leben angetroffen hatte. Meine troestenden Worte nuetzten nicht viel. Oft sassen wir irgendwo im Freien, am Rande eines Waldes, und sprachen von alten Zeiten und Erinnerungen, und ich sah wohl, wie sein Herz daran hing, aber auch, wie vergeblich er sich muehte, sich das, was einmal gewesen war, wieder lebendig zu machen. Redete ich von Gegenwart und Zukunft und von Hoffnungen, die sich erfuellen sollten, dann wurde er still und blies staerkere Rauchwolken aus der Pfeife vor sich hin. Es war einmal. Die Art, wie er seinem Aerger ueber Ungewohntes, was verschieden von australischen Dingen war, Ausdruck gab, zeigte mir deutlich, dass keine Freude in ihm aufkommen wollte. Und auch, dass die Worte Jennys, die sich oft genug ueber die Verhaeltnisse in dem ihr so fremden Lande beklagen mochte, tiefer Fuss fassten als meine Troestungen. Da ihm die Untaetigkeit immer weniger zusagte, war ich froh, als ihm unsere Verwandten in Oberammergau einstweilen eine Stellung anboten. Es war eine kleine Bosheit des Schicksals, dass meine Schwaegerin dorthin uebersiedeln musste, wo man die Kruzifixe schnitzte. Die Stellung war nur eine voruebergehende; nach einiger Zeit erklaerte mir mein Bruder, dass Berichte, die er von seinen Schwaegern erhalten habe, ihm fuer sich und seine Familie die Auswanderung nach Kanada als das Beste erscheinen liessen. Es war mir moeglich, ihm dazu behilflich zu sein, und so machte er sich im August 1902 auf die Reise; er traf Verhaeltnisse an, die ihm weitaus besser zusagten, und in seinen Briefen ruehmte er das Entgegenkommen, das er gerade als Deutscher in Winnepeg gefunden hatte. Spaeter siedelte er nach S. Diego in Kalifornien ueber und starb dort an den Folgen eines Sonnenstiches. Seine Buben wuchsen zu tuechtigen Maennern heran, wie Jenny schrieb; sie waren ihr nach des Vaters Tode treue Helfer. Viktor zeigte sich immer besorgt um das Schicksal meines Bruders, aber ich glaube, sie atmete doch auf, als in dem kleinen Hause an der Amper keine australischen Kaengeruhs mehr nachgeahmt wurden, und als die Zimmer wieder still und fein saeuberlich, recht sonntagsnachmittaeglich dalagen. Fuer manche Plage und Verdriesslichkeit konnte ich sie entschaedigen, als ich mit ihr im Sommer 1902 beim Sixbauern in Finsterwald am Tegernsee Wohnung nahm; da gefiel es ihr. Ueber die Vorberge schauten die Gipfel des Rossstein und Buchstein herueber, unter denen die Rauchalm lag, und die gehoerte Lenggrieser Bauern; wenn man sich da hinueberdachte, kam man an die Isar, und etliche Stunden flussaufwaerts lag das Paradies, die Vorder-Riss. Der Six war selber ein halber Lenggrieser - aus Fischbach - und kannte vertraute Namen und Menschen; den Glasl Thomas, der als Jagdgehilfe die dauernde Freundschaft des Fraeulein Proebstl errungen hatte, und andere Jagdgehilfen und Foerster, die Riesch, Sachenbacher, Murbeck, Rauchenberger, Heiss, lauter Namen, die durch ihre Verbindung mit schoenen Zeiten und geliebten Persoenlichkeiten ehrwuerdig waren. Der Six erzaehlte auch Risser Wilderergeschichten, und noch lieber hoerte er sie an, wenn wir auf der Bank vor dem Hause sassen und Viktor ein langes Garn spann. Das war wirklich wie Heimkehr in die alte, so lang entbehrte Welt. [Illustration: Thoma beim Tarock] Auch die Leute waren die gleichen wie die in der Jachenau, am Fall, in Wackersberg und Lenggries, hochgewachsene, staemmige Bauern, verwegene Burschen und frische Maedel. Am gemuetlichsten sass es sich in der kleinen Kueche, wenn ein paar Nachbarn zum Heimgarten kamen und die Pfeifen zu breit ausgesponnenen Reden brannten, oder wenn die Sixbaeuerin mit der Viktor uralte Kochrezepte austauschte. Wenn ich aber droben in meinem Zimmer sass und an der "Lokalbahn" herumbastelte, wurde unten mein Lebenslauf mit liebevoller Gruendlichkeit geschildert, was ich darin merken konnte, dass die Sixin ueber alle Einzelheiten trefflich unterrichtet war. Beim Unterbuchberger oberhalb Gmund hatte sich Georg Hirth mit seiner Frau Wally festgesetzt, und er unterhielt einen regen Verkehr mit uns, der bald zur herzlichen Freundschaft fuehrte. In dem temperamentvollen, sich immer mit seiner ganzen Persoenlichkeit einsetzenden _Georg Hirth_ war ein gutes Stueck deutscher Vergangenheit und Muenchner Entwicklung verkoerpert. Als sehr junger Mann hatte er anfangs der sechziger Jahre die Aufmerksamkeit Ernst Keils, des Begruenders der "Gartenlaube", auf sich gezogen, war mit Feuereifer fuer freiheitliche Ideen und die deutschen Einigungsbestrebungen eingetreten und hatte dann 1866 bei Langensalza als Kaempfer auf preussischer Seite eine schwere Verwundung erlitten. Immer taetig und voll Unternehmungslust, gruendete er in Berlin die Annalen des Deutschen Reiches und trat mit vielen hervorragenden Maennern in Beziehung, siedelte dann nach Muenchen ueber und stand hier ueber vierzig Jahre lang im Mittelpunkte literarischer, kuenstlerischer, journalistischer und politischer Interessen als Mitbesitzer und Leiter der groessten Zeitung, als Begruender der "Jugend", als kunstverstaendiger Sammler und vor allem auch als Hueter und Foerderer freier Gesinnung. Als ich ihn damals an seinem geliebten Tegernsee kennenlernte, war er nicht mehr der kampflustige Streiter von ehedem, wenngleich sein Gemuet immer noch gegen Dummheit und Unterdrueckung aufflammen konnte, aber er war abgeklaert, voll verstehender Guete und gerecht gegen Widersacher und gegnerische Meinungen. Auch im Aeussern eine fesselnde Erscheinung, mit dem energisch geformten Gesichte unter weissen Haaren, mit den ausdrucksvollen Augen, gewann er einen sogleich mit seinem milden Urteile ueber Menschen und Dinge und mit seiner lebhaften Anteilnahme an allen die Zeit bewegenden Fragen. Er verstand es prachtvoll, von seinen Erlebnissen zu erzaehlen, von bedeutenden Menschen, mit denen ihn das Leben zusammengefuehrt hatte, von Kaempfen, die ueberwunden waren, von politischen und kulturellen Streitfragen. Da sah sich nun Viktor in Beziehungen zu einem von ihr stets bewunderten geistigen Leben gebracht und fuehlte Interessen in die Naehe gerueckt, die sie bisher ehrfuerchtig von weitem angestaunt hatte. Oft sagte sie, dass diese Tage ihre gluecklichsten waeren. Und es waren ihre letzten. Mitte Oktober wurde im Muenchner Residenztheater meine "Lokalbahn" zum ersten Male aufgefuehrt. Es war die zweite Premiere, die die Alte mitmachte; im Sommer vorher, am Vorabende meines Namenstages, war sie mit Herzklopfen in der Erstauffuehrung meiner "Medaille" gesessen. Als sich der Vorhang etliche Male hob und der Verfasser sich dankend vor dem Publikum verneigen musste oder durfte, wie die Kritiker schreiben, da gingen ihr die Augen ueber, und sie sah nicht einmal, was lieblosere Menschen bemerkten, dass ich mit staubbedeckten Lackschuhen oben auf der Buehne stand. Ich war zur Auffuehrung gedankenverloren und Traeumen nachhaengend durch den Englischen Garten gegangen und hatte nicht darauf geachtet, wieviel Staub sich auf meine Schuhe gelegt hatte. Viktor erwartete mich neben meinen Bruedern und Schwestern vor dem Theater und konnte mir kaum die Hand zum Glueckwunsch geben, so beschaeftigt war sie, die Nase zu putzen und die Traenen abzuwischen. Nunmehr kam die Premiere der "Lokalbahn", und im dichtgefuellten Parkett sass sie neben festlich gekleideten Menschen, von denen nur wenige wussten, wieviel Anteil sie am Schicksale des Stueckes nahm. Es ging wieder gut, und nach der Auffuehrung fand sich eine zahlreiche Gesellschaft in den "Vier Jahreszeiten" zusammen. Hirth hielt eine freundliche Rede, und wir blieben so lange beisammen, dass ich fuer Viktor, die sich nicht ganz wohl fuehlte, keinen Wagen mehr bekam. Auf dem Heimwege erkaeltete sie sich gruendlich, fuhr aber trotz Abmahnens am andern Tage nach Allershausen, wo sie gleich von einer schweren Influenza befallen wurde. Ihr Herz, das ohnehin nicht fest war, wurde in Mitleidenschaft gezogen, und nach einer Woche erhielt ich die telegraphische Nachricht, dass sie sehr schlecht daran sei. Als ich hinausfuhr, kam mir im Dorfeingange der Pfarrer entgegen und sagte mir, dass es mit Viktor zu Ende gehe. Doch wuerde ich sie noch lebend antreffen, denn sie habe erklaert, dass sie erst sterben wolle, wenn sie von mir Abschied genommen habe. Ich eilte ins Haus und stand erschuettert vor meiner alten Viktor, deren verfallene Zuege mir jede Hoffnung nahmen. Sie laechelte freundlich und streckte mir die Hand entgegen; fast unwillig wies sie meine weinende Schwester zurecht, da Klagen doch keinen Sinn haetten und mir weh tun koennten. Ich setzte mich an den Bettrand, und sie bestand darauf, dass uns Kaffee gebracht wuerde. Dann versuchte sie, sich ein wenig aufzurichten, stiess mit mir an und sah mich aus mueden, halb erloschenen Augen noch einmal freundlich und voll Guete an. Sie nickte zufrieden mit dem Kopfe, denn nun war's in Ordnung, und das Letzte, was sie gewollt hatte, war geschehen. Bald darauf verlor sie das Bewusstsein und phantasierte. Am Abend starb sie; die Geschichte von den Vorder-Risser Tagen war zu Ende erzaehlt. Im Fruehjahr 1901 war ich zu kurzem Aufenthalte in Berlin und verlebte in froehlicher Kuenstlergesellschaft ein paar genussreiche Wochen. Die Reichshauptstadt, die ich zum ersten Male sah, gefiel mir ausserordentlich, und es schien mir hier alles ins Grosse und Bedeutende zu gehen. Ganz gewiss war vieles dazu angetan, diese Meinung hervorzurufen, aber es lag auch in meiner Art, mich neuen Eindruecken stark hinzugeben und keine Maengel zu bemerken, wo ich nur Vorzuege sehen wollte. Ich war als eifriger Leser von Treitschke, Haeusser, Foerster, Kugler, Onken, Archenholtz u. a. ziemlich vertraut mit preussischer Geschichte, und es hatte fuer mich einen besonderen Reiz, nunmehr an Staetten zu kommen, mit deren Namen sich mir so oft bestimmte Vorstellungen verbunden hatten. Als eingefleischter Friderizianer erlebte ich einen eindrucksvollen Tag in Potsdam, wo, wie kaum an einem andern Ort, noch vieles auf Geist, Wissen und Art eines grossen Mannes hinweist. Ich moechte hier sagen, dass ich mir kein duemmeres Wort als das vom Potsdamismus denken kann, mit dem man die Zeit Wilhelms II. missbilligend oder veraechtlich bezeichnet hat. Das Wort trifft in gar nichts den Charakter der Zeit und der Maenner, die nach 1890 die Geschichte Preussens lenkten. Da herrschte das gerade Gegenteil vom Potsdamismus, unter dem ich mir die gluecklichste Verbindung von Klugheit und festem Willen vorstelle, die aus einem armen kleinen Lande einen maechtigen Staat geschaffen hat. Wenn Aeusserliches das Wesen eines grossen Mannes widerzuspiegeln vermag, so tut das Sanssouci. Alles in dem kleinen Schlosse, und nicht weniger das, was _nicht_ darin ist, zeigt kuenstlerischen Takt, sich bescheidende Weisheit, Eigenschaften, die zur wahren Groesse gehoeren. Und es ist auch kein Zufall, dass das schoene Bild der aufsteigenden, von dem niedern Schlosse gekroenten Terrasse durch die in Marmor ausgefuehrte Kopie des Rauchschen Denkmals stark beeintraechtigt wurde. Wilhelm II. hat sie dort aufstellen lassen, und sie passt wieder einmal gar nicht hin. Der Gefallen, den ich an Berlin gefunden hatte, blieb in mir wach, und als sich mir im folgenden Herbste die Moeglichkeit bot, auf laengere Zeit dorthin zu uebersiedeln, besann ich mich nicht lange und entschloss mich, Muenchen auf einige Zeit zu verlassen. Freiherr von Wolzogen hatte im Januar 1901 sein Ueberbrettl eroeffnet, und der Erfolg des Unternehmens hatte ihn veranlasst, in der Koepenicker Strasse ein eigenes Theater zu erbauen. Wolzogen machte mir den Vorschlag, ich sollte gegen ein Fixum die Verpflichtung uebernehmen, jedes geeignete Gedicht zuerst dem Ueberbrettl zur Verfuegung zu stellen und den kommenden Winter in Berlin zu bleiben. Ausserdem sollte ich ihm zur Eroeffnung des Theaters das Auffuehrungsrecht der "Medaille" ueberlassen. Nach Einigung mit der Redaktion des "Simplicissimus" nahm ich das Anerbieten an, und schon Ende September 1901 bezog ich ein paar moeblierte Zimmer in der Lessingstrasse in Berlin, ein wenig aengstlich vor der eingebildeten Groesse meiner Aufgabe in der gewaltigen Stadt und ein wenig stolz, ihr anzugehoeren. Es war wieder einmal nicht ganz so, wie ich es mir ausgemalt hatte. Das Theater in der Koepenicker Strasse war noch nicht ausgebaut, gute Zeit wurde versaeumt, und als es im November eroeffnet wurde, war Ueberbrettl schon nicht mehr Mode, hatte Konkurrenten, und ueberdies hatte das Theater in dem Armenviertel die unguenstigste Lage. Es musste aufreizend wirken, wenn in dieser Strasse Equipagen vorfuhren und Daemchen mit Einglastraegern ausstiegen. Was auf der Buehne geboten wurde, war nett, aber unzulaenglich und haette einer heiter gestimmten Gesellschaft einen Polterabend sehr vergnueglich gestaltet, doch Berlin _W_ war nicht so harmlos, und es hatte seine Neigung fuer gehobene Varietekunst bereits wieder abgelegt. Die Konkurrenz versuchte es mit Attraktionen, und Liliencron las vor einem Parkettpoebel seine Novellen und Gedichte vor. Mich befiel ein schwerer Katzenjammer, als ich das hoerte, und schon vor der Eroeffnungsvorstellung im Wolzogenschen Theater war ich mit allen Illusionen fertig. Meiner "Medaille" ging es nicht zum besten; sie fiel nicht durch, aber sie erregte sichtlich wenig Freude, und vor allem passte sie nicht auf diese Buehne. Es war fuer mich nicht angenehm, den Kampf mit ansehen zu muessen, den Wolzogen mit der Ungunst des Publikums einige Monate hindurch fuehrte, bis er mit einer Niederlage endete. Ganz Berlin gab sich damals dem maechtigen Eindrucke hin, den das Lied "Haben Sie nicht den kleinen Cohn gesehn?" machte, und es war aus mit den vertonten Liedern Bierbaums und Liliencrons. Von meiner Freude an der lauten Grossstadt kam ich bald zurueck. Zwar das Berlin, wie es geschaeftig war, arbeitete und bei aller Hast und Hetze Ordnung hielt, imponierte mir noch immer; erst in spaeteren Jahren wurde ich misstrauisch gegen die fixen Leute, die so viel Spektakel mit ihrer Arbeit machten und immer neue, unmoegliche Plaene und Ideen am Telephon hatten und sich in der Pose der unter fuerchterlicher Arbeitslast Zusammenbrechenden wohl fuehlten. Aber auch schon damals sah ich Berlin, wie es sich unterhielt, mit kritischen Augen an, und es gefiel mir nicht mehr. Selbst in Abendgesellschaften merkte ich bei den geladenen Gaesten, dass sie einander weder Ernst noch Heiterkeit glaubten und sich kuehl beobachteten. Diese Leute waren einander fremd, kaum aneinander gewoehnt und ganz und gar nicht miteinander verwachsen; sie konnten nur nach Aeusserlichkeiten urteilen und waren veranlasst, ihre Art nach aussen zu wenden, da sie keinen innerlichen Zusammenhang hatten. Vom Berliner Nachtbetrieb wurde oft mit einem gewissen Stolze gesprochen, als waere in ihm der weltstaedtische Charakter sichergestellt und deutlich zur Erscheinung gebracht. Ich weiss nicht, ob dieses Ziel erreicht wurde, noch weniger, ob es irgendeinen Wert hatte. Ich sah nur dichtgedraengte Haufen von Menschen, die das eine gemeinsam hatten, dass sie sich froehlicher gaben, als sie waren. Dass der eigentliche, echte, alte Berliner viele Vorzuege habe, wurde mir eindringlich versichert, und ich zweifelte nicht daran, weil ich es durch den verehrten Theodor Fontane schon erfahren hatte, aber in der Voelkerwanderung, die nach 1870 von Osten her einsetzte, wurden die Modelle Glasbrenners stark in den Hintergrund gedraengt. Mir schien es, als lebten die Massen neben, nicht miteinander, und das Auffaelligste war gerade das Fehlen alles Charakteristischen. Die Tunnelzeit war auch ueberwunden. Dass sich die Schriftsteller regelmaessig haetten zusammenfinden koennen, waere nicht mehr denkbar gewesen, und nichts war bezeichnender fuer die neue Zeit, als dass die Kritiker praeponderierten. Sie waren die Beruehmtheiten, auf die sich die Aufmerksamkeit des Publikums richtete, von ihnen war am meisten die Rede, ihr Ruhm ueberdauerte - was wenigen Autoren oder Kuenstlern beschieden war - mehr als eine Saison. Ihre Geltung stand fest, die der Dichter blieb schwankend zwischen den Erfolgen, konnte abflauen und stuerzen, und nach einer Niederlage sanken auch die alten Werte. In der Premiere von Gerhart Hauptmanns "Rotem Hahn" sass ich neben einem literarisch "versierten" Herrn, der mir in den Zwischenakten Anhaenger und Gegner des Dichters zeigte und zweifelnd, nach aeusserlichen Merkmalen, den Ausgang abschaetzte. Die feindlichen Maechte errangen den Sieg, und das Stueck fiel durch. Dass die Fortsetzung des "Biberpelzes" nicht gefiel, verstand ich, aber fuer die feindselige Wut, die sich um mich herum austobte, hatte ich keine Erklaerung. Es war so, als haetten sich die Theaterbesucher fuer irgendeine Kraenkung zu raechen, als muessten sie einem lange zurueckgehaltenen Hasse gegen den Dichter endlich Luft verschaffen. Und doch hatten sie ihm schon oft im gleichen Theater zugejubelt. Gute Auffuehrungen konnte man damals in Berlin oft sehen, aber ich glaubte damals wie heute, dass die Kunst, mit tuechtigen Schauspielern Stuecke, die was taugen und sich fuer die Buehne eignen, gut herauszubringen, fuer einen geschmackvollen und klugen Mann nicht allzu schwer ist. Spaeter ist das ja anders geworden. Hinter Regie- und Dekorationskuensten, hinter Turn- und Tanzleistungen musste sogar der alte William Shakespeare mit seinem Texte zurueckstehen. Von Schriftstellern, deren Erfolge ich einmal als Gipfel des Glueckes betrachtet hatte, sah ich nun auch etliche. Das Wetter ist nie so schlecht, wie es sich vom Fenster aus ansieht, und die Beruehmtheiten sind nie so erhaben, wie man von weitem glaubt. Damals stand allerdings in Berlin kein Dichter im Zenit; Hauptmann hatte Misserfolge gehabt, Sudermann war mit einem Schlager im Rueckstande, neue Goetter gab es nicht, die Saison war flau, und Zugkraft hatte das Unliterarische. Der kleine Cohn - und ein Studentenstueck "Alt-Heidelberg", das verschaemt zurueckgestellt worden war und nun, da man es endlich gab, in Berlin wie in ganz Deutschland einen vollen Sieg errang. Die Kritiker zuckten die Achseln, schuettelten die Koepfe, und zuletzt laechelten sie wohlwollend. _Sudermann_ lernte ich in einer Abendgesellschaft kennen. Er wollte mir anfangs etwas zu dekorativ vorkommen, wie jener Mann in den "Fliegenden Blaettern", den die Hausfrau stets unter ein Makartbukett setzte, aber im Gespraeche zeigte er gewinnende Natuerlichkeit, und ich bat ihm heimlich das Vorurteil ab. Mit seinem Koaetanen, dem alten Feuilletonisten _Pietsch_, trieb die Berliner Damenwelt einen seltsamen Kultus. Er schrieb Plaudereien ueber gesellschaftliches Leben, berichtete ueber Baelle und Toiletten und konnte einer Schoenen die begehrte Sensation verschaffen, in der Zeitung mit einigen schmueckenden Beiworten genannt zu werden. Das reichte hin, um ihn zum Loewen der Ballabende zu machen. Wenn er im Saale auftauchte und mit den lustig zwinkernden Aeuglein Ausschau hielt, umringte ihn sogleich die weibliche Jugend, die zarte wie die reifere, und schnullte den vergnuegten Greis ab, nur um ja bemerkt und genannt zu werden. Als Zeitbild war es erwaehnenswert, wegen seiner Lieblichkeit brauchte man sich den Anblick nicht zu merken. Wie in Muenchen, hatte ich auch in Berlin regeren Verkehr mit Kuenstlern als mit Schriftstellern. Man kam allwoechentlich im kleinen Kreise zusammen und unterhielt sich aufs beste. Gearbeitet wurde viel, und ich konnte wohl sehen, dass man sich hier leichter und in groesseren Massen durchsetzen konnte als in Muenchen. Die Sezession hatte neben ihrer kuenstlerischen auch noch die gewisse oppositionelle Bedeutung, da der Hof in Kunstfragen so bestimmt wie unpassend eingriff. Berlin _W_ trat, wie es ihm zusagte, fuer das Neue ein und empfand sicherlich einigen Reiz in diesem ungefaehrlichen Frondieren. Ueberdies glaubte man an der Spitze einer vorwaertsdraengenden Bewegung zu stehen und tat sich was darauf zugut, Berlin als Mittelpunkt geistiger und kuenstlerischer Bestrebungen zu preisen. Muenchen sollte seinen Rang als Kunststadt verloren haben. Das wurde freilich von Kritikern und Kunsthaendlern eifriger behauptet als von den Kuenstlern, die zum groesseren Teile aus Sueddeutschland stammten, aber auch diese gaben sich nicht ungern der Ansicht hin. Vielleicht entschaedigte es sie fuer allerlei Unannehmlichkeiten ihres Aufenthaltes, ueber die sie trotz allem seufzten, und die Entwicklung hat gezeigt, dass zum Gedeihen der Kunst das Maezenatentum allein nicht genuegt, besonders nicht eines, das so unselbstaendig und lenkbar ist wie das Berlinische. Auch da gab es Mode und Saisongeltung, und die Goetter von gestern wurden gestuerzt, wenn die Goetter von heute auf den Altar gehoben wurden. Immer war eines nicht bloss das Beste, sondern das allein Gute, und der Herr Kommerzienrat ging willig von Manet zu Cezanne, von Cezanne zu Picasso ueber, nach den Dogmen, die von Kunsthaendlern und Kunsthistorikern aufgestellt wurden. Waehrend des Krieges, und erst recht nach seinem ungluecklichen Ausgange unter dem Eindrucke des Zusammenbruches, war viel die Rede von Verfallserscheinungen, die verspaetete Propheten in der Weltstadt Berlin bemerkt haben wollen; davon habe ich nichts gesehen, und auch was mir nicht gefiel, hat in mir darum noch keine duesteren Ahnungen erregt. Ich sah in allem nur die natuerlichen Folgen eines grossen, schnell angehaeuften Reichtums, des Zusammenstroemens aller Kraefte des Reiches in diese Stadt, des ungeheuren Wachstums, bei dem es zur natuerlichen Entwicklung einer bodenstaendigen Kultur nicht kommen konnte, und obwohl es mir in dem Treiben immer unbehaglicher wurde, uebersah ich doch nicht, wieviel guter Wille am Werke war, und wie trotz allem in diesem rastlosen Vorwaertsdraengen und Sichausbreiten kraeftiges Leben steckte. In dieser Riesenstadt, in der alles wie am Schnuerchen ging, in deren Strassen es keine Bettler gab, keine Unordnung, keine Unreinlichkeit, die unvergleichlich besser verwaltet war als das so viel kleinere Muenchen, konnte man eher Hochachtung vor preussischer Tuechtigkeit empfinden als Angst vor baldigem Verfalle. Aber was sich nachtraeglich dozieren laesst, ist, dass man sich gerade in Berlin haette klar werden koennen, wie unfruchtbar Opposition ist, die sich ausschliesslich auf Kritik beschraenkt. Eine intelligente Buergerschaft, die ihrer freisinnigen Tradition anhing, wirtschaftlich grosse Erfolge errang, in der Verwaltung Mustergueltiges leistete, brachte, von jedem Einflusse auf die Geschicke des Staates ferngehalten, gegen diese schaedlichste Bevormundung und ihre verderblichen Folgen lange nicht den Widerstand auf, den die vorhergehende Generation einer erfolgreichen Regierung entgegengesetzt hatte. Ja, in dem Laecheln ueber die zahlreichen, sehr starken Entgleisungen des persoenlichen Regiments lag verzeihendes Wohlwollen und wirklich nicht die Erbitterung, die zur Befreiung von diesen unheilvollsten Dingen haette fuehren koennen. Der gutmuetige Spott, mit dem man die Aufstellung der das Stadtbild verunzierenden Denkmaeler hinnahm, wandte sich schonend gegen die Planlosigkeit der inneren wie der aeusseren Politik und verkehrte sich nicht selten in ein beifaelliges Schmunzeln ueber toenende Phrasen. Welche aengstlichen, unschoenen Ruecksichten selbst solche Maenner im Bann halten konnten, die mit ihrer Opposition ein bisschen kokettierten, hatte ich schon im Fruehjahr 1901 gesehen. Die Eroeffnung einer Ausstellung der Sezession wurde durch ein Festbankett gefeiert, und es waren schon etliche Worte gegen hoefische Kunst gefallen, als sich aus der Mitte der Gaeste unser Muenchner _Georg von Vollmar_ erhob und eine kluge, sehr gemaessigte Rede hielt. Die Aufnahme war freundlich, aber es gab bei allen naeher oder offiziell Beteiligten derart betretene Mienen, dass es auffallen musste. Vollmar sagte zu mir: "Sehen S', denen is mit ihren geschmerzten Redensarten ueber freie Kunst nicht ernst; denen waer nix lieber, als wenn der Kaiser kommet, und waer er da, koennt er ueber die Rinnsteinkunst sagen, was er moecht, sie haetten alle miteinander die groesste Freud drueber ..." Es zeigte sich, dass er noch mehr recht hatte, als er vielleicht selbst glaubte. Gleich nach der Rede sah man Herren, die von einem Tisch zum andern gingen, eifrig einander in die Ohren tuschelten - und am Abend, als ich noch mit einigen Haeuptern der Sezession in einem Kaffeehause sass, griffen diese begierig nach den Abendzeitungen und stellten aufatmend fest, dass in den ausfuehrlichen Berichten ueber die glaenzende Eroeffnung der Ausstellung die Anwesenheit des sozialdemokratischen Fuehrers und seine Rede mit keinem Worte erwaehnt waren. Man hatte die Berichterstatter oder Redaktionen durch Bitten dazu gebracht, dass sie das kompromittierende Ereignis totschwiegen. Dabei hatten sich die Herren seit Jahren darin gefallen, die allerhoechste Abneigung gegen die moderne Kunst als Aushaengeschild zu gebrauchen, und die groesseren wie die kleinen Kapazitaeten hatten gerne gezeigt, wie sie ihre Unbeliebtheit laechelnd und stark zu ertragen wuessten. War es auch kein erschuetterndes Ereignis, so zeigte es doch als Beispiel aus vielen, und auch darin, dass sehr ernsthafte und bedeutende Maenner die Schwaeche bewiesen, wie sehr die Ausartung des persoenlichen Regimentes in den Fehlern der Regierten begruendet war. Gegen eines lehnte ich mich auch damals schon auf: dass immer wieder betont wurde, der Kaiser habe den besten Willen, meine es gut und vergreife sich nur in den Mitteln. Es gab in Berlin sehr viel gut Unterrichtete und Eingeweihte, die ihren Herrscher zu ehren glaubten, wenn sie mit Bonhomie versicherten, er moechte wohl, aber er koenne nicht. Maenner, die in ihrem Wirkungskreise das Beste leisteten und die bei keinem ihrer Angestellten den Willen fuer die Tat haetten gelten lassen, hegten keine Bedenken ueber das Schicksal des Landes, wenn die groessten politischen Fehler nicht aus Boeswilligkeit begangen worden waren. Das wurde zum ueblen Schlagworte, bei dem sich allzu viele beruhigten. In Wirklichkeit stammte die Zufriedenheit oder dieser Mangel an Auflehnung aus Saturierung durch guten Verdienst und glaenzende Geschaefte. Die Sozialdemokratie aber - das habe ich damals geglaubt, und heute bin ich erst recht davon ueberzeugt - hat den Angriff gegen die gefaehrlichen Schadenstifter abgeschwaecht, von ihnen abgelenkt durch masslose und doktrinaere Polemik gegen den Kapitalismus. Das alles liess sich um das Jahr 1902 in Berlin schon sehr eingehend beobachten. Ich will nicht behaupten, dass ich mich hellseherisch argen Befuerchtungen hingab, doch habe ich mich darueber zuweilen geaergert und meinem Aerger auch unbekuemmert Ausdruck verliehen. Fuer die ersten Tage des Maerz 1902 hatte Langen eine Zusammenkunft in Zuerich anberaumt, und ich folgte gerne der Einladung, die meinem Berliner Aufenthalte ein Ende bereitete. Von meiner heftigen Neigung fuer die Weltstadt war ich abgekommen, und ich sass recht undankbar vergnuegt in dem Zuge, der mich an Kiefernwaeldern und Windmuehlen vorbei nach dem Sueden fuehrte. Von Zuerich aus reiste ich mit Langen nach Paris, wo ich zwei schoene Fruehlingsmonate verlebte. Hier, wo jede Einzelheit zum Ganzen gehoerte, wo zwischen allen Menschen unsichtbare und doch starke Zusammenhaenge bestanden, begriff ich erst recht, wie erkaeltend gerade der Mangel daran in Berlin auf mich gewirkt hatte. Bei Langen lernte ich _Rodin_, _Carriere_, _Besnard_, _Steinlen_ und den froehlichen Norweger _Thaulow_ kennen; die Stunden, die ich mit ihnen verleben durfte, werden mir unvergesslich bleiben. Besonders gern rufe ich mir einen Besuch in Rodins Atelier in Erinnerung, und nicht bloss wegen der Kunstwerke, die ich sah, fast noch mehr wegen der Art, wie der Meister alles zeigte und erklaerte, wie er mit einem stillen Laecheln ueber den Enthusiasmus Langens wegsah und ruhig und verbindlich auf das Wesentliche zurueckkam. Ein Denkmal Victor Hugos, der dargestellt war, wie er nackt an einer Quelle liegt und traeumend auf ihr Murmeln horcht, erregte die laute Bewunderung Langens. Er sprach seine Empoerung darueber aus, dass die Stadt Paris dieses Monument abgelehnt und statt seiner einen schauderhaften Kitsch aufgestellt habe. Rodin laechelte nur und zog die Achseln hoch. Zu den taeglichen Gaesten in Langens Haus gehoerte der entlassene Oberstleutnant _Picquart_, der im Dreyfus-Prozess beruehmt geworden war. Ein stiller Mann von zurueckhaltendem Wesen und verbindlichen Manieren, der nicht gerade typisch franzoesisch aussah; der Eindruck verstaerkte sich, wenn er tadellos Deutsch ohne jeden Akzent, und noch mehr, wenn er elsaessisch Duetsch sprach. Er beobachtete viel und sprach wenig, und er war mir mit seiner schweigsamen, nachdenklichen Art fast unheimlich; er muss, wenn er dazu gebraucht worden ist, als Spion in Deutschland die besten Dienste geleistet haben. Langen sagte einmal zu ihm: "Sie haben sicher bei uns mehr gesehen, als Sie sehen durften." "Man sieht nie genug", antwortete Picquart ruhig. Von der deutschen Armee sprach er immer mit grosser Hochachtung. Als aus irgendeinem Anlasse die Rede auf 1870 kam, sagte er, man duerfe froh sein, dass die franzoesischen Truppen nicht ueber den Rhein gekommen seien; sie waeren nicht zu halten gewesen, denn von deutscher Zucht und Disziplin sei bei ihnen kaum etwas zu finden gewesen. Damals war gerade der englische General Methuen von Delarey gefangengenommen worden, aber als man bei Tische Befriedigung ueber diesen Erfolg der Buren aeusserte, sagte Picquart kurz und bestimmt: "In sechs Wochen ist die Sache trotzdem zu Ende." Es hat fast auf den Tag gestimmt. Ueber den Dreyfus-Prozess wurde noch immer viel gesprochen, besonders wenn _Paul Clemenceau_, ein Bruder des Tigers, anwesend war. Picquart beteiligte sich selten an dem Gespraeche, doch einmal sagte er: "Man wollte mich im Gefaengnisse umbringen, und man haette es auch sicher getan, wenn ich nicht kurz vor meiner Verhaftung die Erklaerung veroeffentlicht haette, dass ich unter keinen Umstaenden, geschehe was wolle, Selbstmord verueben wuerde. So konnte man keinen Selbstmord vortaeuschen, wie bei Henry, und scheute sich, mich um die Ecke zu bringen." _Georges Clemenceau_, der damals ohne Mandat war und fuer den Senat kandidierte, sagte, wie uns sein Bruder erzaehlte: an dem Tage, wo er Ministerpraesident werde, erhalte Picquart das Portefeuille des Kriegsministers. Es klang nach wenn und aber, und war zwei Jahre spaeter Tatsache. Picquart ist ziemlich lange vor dem Kriege gestorben; gab es franzoesische Heerfuehrer, die Deutschland und seine Armee so gut kannten wie er, dann waren sie gefaehrliche Gegner. Bald nach meiner Ankunft in Paris kam auch der daenische Maler _Kroeyer_ zu Langen. Der rotblonde Skandinave, ein trinkfester, gemuetlicher Herr, schloss sich mir an, und wir wurden gute Kameraden, besonders als Langen mit seiner Familie eine laenger waehrende Automobilfahrt nach Spanien unternahm. Wie wir allein waren, hielt Kroeyer in seiner umstaendlichen und feierlichen Art eine Rede an mich: "Thoema, ich kann nicht allein hier essen, und du kannst nicht allein hier essen. Ich glaube aber, wir finden in ganz Paris kein so gotes Wirtshaus und kein so gotes Essen, und jedenfalls kein so billiges. Wir wollen uns also jeden Tag puenktlich hier treffen, Mittag und Abend und zusammen essen, und dann kann jeder gehen, wohin er mag ..." So hielten wir es auch, und wir sassen jeden Tag bei Langen und gaben dem Diener Josephe unsere Wuensche fuer die naechste Mahlzeit bekannt. Zu einem Glase guten Bordeaux rauchten wir Importen, die auch nirgends so gut und billig waren wie in der _Rue de la Pompe_. Langen kam nicht aus dem Lachen heraus, als ich ihm nach seiner Rueckkehr von unseren puenktlich eingehaltenen Zusammenkuenften erzaehlte. Die Schilderungen Josephes und ein paar leere Zigarrenkisten gaben die Illustrationen dazu ab. Mein Weg fuehrte mich fast taeglich ins nahe Bois de Boulogne. Ich wusste nichts Schoeneres, als ein paar Stunden unter den gruenenden Baeumen zu sitzen, in dieser Mischung von lauen Fruehlingslueften und zartem Parfuem. Die grosse Welt und die Halbwelt rollten in eleganten Equipagen an mir vorueber, Wagen an Wagen, aber man sah nichts gewollt Auffaelliges, hoerte keinen Aufsehen erregenden Laerm, es war ueberall wirkliche Heiterkeit, die nicht auf Zuschauer berechnet war, und wie Gelaeute von kleinen silbernen Glocken drang aus den Kaffeegaerten das Lachen der Frauen herueber. Aber wenn ich an stillen Fruehlingsabenden auf den gepflegten Wegen spazierenging und die Amseln pfeifen hoerte, ueberkam mich doch das Heimweh. Es war mir erst recht wohl, als ich etliche Wochen spaeter in Finsterwald vor dem Sixbauernhause sass. Und roch es auch nicht nach zartem Parfuem und klang es auch nicht nach silbernen Gloeckchen, die Fruehlingsluft wehte staerker, derber und gesuender um mich. _Schlenther_, damals Direktor des Burgtheaters, hatte meine "Lokalbahn" zur Auffuehrung angenommen, und so stand ich eines Abends im Januar 1903 vor dem Wiener Prachtbau, sah Equipagen heranrollen, geputzte Damen und festlich gekleidete Herren aussteigen und ins Theater eilen, um meiner Premiere beizuwohnen. Ich stand hinter einer Saeule und schaute ihnen zu. Ein in diesem Augenblicke vielleicht seltsames Gefuehl von Gleichgueltigkeit und Verlassenheit kam ueber mich. Ging's gut oder schlecht, was konnte es mich viel kuemmern? Die liebsten Menschen, denen dieser Abend bedeutsam gewesen waere, lebten nicht mehr, und ich hatte recht eigentlich niemand, der ein tieferes Interesse am Ausgange genommen haette. Ich dachte daran, wie es wohl meiner Mutter zumut gewesen waere, wenn sie mich vor dem beruehmten Theater der alten Kaiserstadt unmittelbar vor der Auffuehrung meines Stueckes gesehen haette. Wie ein unglaubwuerdiges Glueck waer's ihr vorgekommen, wie eine maerchenhafte Fuegung des Schicksals, das den Buben aus der Vorder-Riss in dieses marmorne Prachtschloss gefuehrt hatte. Und war's auch nicht so ganz wundersam, wie sie es empfunden haette, merkwuerdig war es doch, und das Erreichen eines Zieles war es doch, und darum zog es mir das Herz zusammen, dass ich mich nicht darueber freuen konnte. Es schneite in dichten Flocken, und ich stand immer noch hinter der Saeule und traeumte vor mich hin. Die letzte Equipage war laengst weggefahren, ein paar verspaetete Fussgaenger eilten noch ins Theater, als ich mich aufmachte und hinter die Buehne ging. Man fuehrte mich in die Direktionsloge, da der Autor im Burgtheater erst nach dem zweiten Akte erscheinen durfte. Schlenther war ueber meinen Gleichmut erstaunt und sagte mir hinterher beim herkoemmlichen Glase Pilsner, Kaltbluetigkeit in Ehren, aber so was von Wurstigkeit sei ihm doch noch nicht vorgekommen. Ich mochte ihm die Gruende nicht sagen, warum ich still war, und liess ihn bei seiner Ansicht. Die "Lokalbahn" hatte Erfolg und wurde ziemlich oft aufgefuehrt; aus den Kritiken erfuhr ich, dass das Lustspiel nicht von ueberwaeltigender Bedeutung waere. Ich hatte es schon vorher gewusst, und recht eigentlich wollte ich auch gar nicht ueberwaeltigen. Ich lernte in Wien _Schoenherr_ und _Pernerstorfer_ kennen, _Busson_ war mir schon befreundet. _Schoenherr_, in Art und Sprache ein echter Nordtiroler, redet nicht mehr, als man um Imst und Stams und Telfs herum zu reden pflegt, hie und da ein bedaechtiges Wort. Sehr lebhaft war der alte _Pernerstorfer_, der merkwuerdigste Sozialdemokrat, den ich gesehen habe. Denn er war ganz und gar voelkisch bajuvarisch und sagte mir einmal ums andremal, dass die Ober- und Niederoesterreicher, Steirer und Oberkaerntner waschechte Bajuvaren waeren, genau so vollgueltig wie wir hinter unsern weiss-blauen Grenzpfaehlen. Ich musste mit ihm das Parlamentsgebaeude ansehen, und er zeigte mir die historischen Staetten, wo zappelnde Volksboten an Haenden und Fuessen ergriffen und hinausgetragen worden waren und wo der Bahoell immer zum Staatsereignisse wurde. Als ich neben ihm durch die Gaenge schritt, merkte ich was von der Krakeelstimmung, die hier herrschte. Man wurde so grimmig fixiert wie an scharfen Ecken in kleinen Universitaetsstaedten, drohende Blicke richteten sich auf mich, und ich haette gleich ein paar Kontrahagen haben koennen, weil ich mit Pernerstorfer ging. Als mein Mentor fuehrte er mich in eine Fruehschoppengesellschaft, die mich kennenzulernen wuenschte; darunter war auch ein Benediktiner, der von seinem Kloster beurlaubt war und an der Universitaet Geschichte lehrte. Ich fuehlte mich damals wie spaeter heimisch in dieser Atmosphaere herzlicher und jovialer Teilnahme. Was waren _Poetzl_, _Chiavacci_ und andere Altwiener fuer schlichte, natuerliche Menschen! Sie stammten aus einer andern Zeit, in der man sich gemeinsamen Strebens bewusst geblieben war, und in der einer den andern hatte gelten lassen. Das Theaterwesen in Wien war, wie ich damals und spaeter bemerken konnte, recht verschieden von dem Berlinischen. Das Ausleihen der Schauspieler, das Starsystem, das Setzen auf Saisonschlager und Serienspiel gab es nicht; um illustre Direktoren und Regietalente kuemmerte man sich weniger als um die Kuenstler, von denen jeder bekanntere eine grosse Gemeinde hatte. Die hoechste Verehrung genoss neben Girardi mit Recht der alte _Baumeister_ am Burgtheater, der mich als Richter von Zalamea verstehen lehrte, wie hoch die feine, diskrete Schauspielkunst einer frueheren Zeit gestanden hatte. _Schlenther_, einst Bahnbrecher der Moderne und strenger Kritiker, Ostpreusse und gar nicht auf Wien zugeschnitten, war als Burgtheater-Direktor in einer falschen Lage, was ihm auch haeufig von den Zeitungen bestaetigt wurde. Die einst nachdruecklich betonten Prinzipien und Lehrsaetze konnte er nicht verwirklichen; kaum etwas von dem, was er verlangt hatte, konnte er selbst erfuellen. Zwischen Untunlichkeiten und Ruecksichten war er eingeklemmt. Dabei musste er die Empfindung haben, dass er Usurpator war oder Platzhalter. Denn der richtige, echte Burgtheater-Direktor sass in Hamburg, Herr von _Berger_, und es war bloss eine Frage der Zeit, wann er seinen Einzug halten und den falschen Waldemar entthronen wuerde. Ich glaube, dass Schlenther herzlich froh war, als er wieder als P. S. mit Strenge seines Amtes walten und als Kritiker den Direktoren zeigen konnte, was der Direktor den Kritikern nicht hatte zeigen duerfen. Damals aber musste er immer wieder die duestere Frage anhoeren, was er mit dem Geiste des alten Burgtheaters angefangen habe. Er hat ihn wirklich nicht verscheucht, allerdings er hat ihn auch nicht herzitiert. Der Gute blieb verschwunden; irgendwas im neuen Wien missfiel ihm so, dass er nicht mehr darin umgehen mochte. Vielleicht hat ihn das neue Haus vertrieben, vielleicht der Operettenbloedsinn; jedenfalls, er kam nicht wieder, und auch an die Nachfolger Schlenthers, den echten Thronerben nicht ausgenommen, musste die peinliche Frage gestellt werden. Wien war fuer uns Sueddeutsche noch immer die Hauptstadt geblieben, der Sitz der Freude, des Reichtums, des Wohllebens, das Ziel der Wuensche. Auch meine Phantasie hatte die Stadt mit Reizen geschmueckt, und oft hatte ich mich hingetraeumt, wenn ich als Rechtspraktikant auf dem Traunsteiner Bahnhof stand und in den eleganten Kupees Reisende auf schwellenden Polstern sitzen sah. Wenn ich jetzt in der Daemmerstunde die Rothenthurmstrasse und den Graben entlangschritt, konnte ich mir gestehen, dass mir das Leben mehr gehalten als versprochen hatte. Von dem alten Wien, das ich aus vergilbten Baenden von "Ueber Land und Meer" und aus Beschreibungen Hacklaenders kannte und liebte, fand ich nicht mehr vieles, aber ich stiess doch auf einige Kneipen, die gemuetliche Namen trugen, und in denen man sich in die Nestroyzeit zurueckversetzt fuehlen konnte. Und der schoenen Stadt, die zwischen Waldhuegeln und Weinbergen gebettet liegt, ist eine Eigenart geblieben, die ihr auch moderne Architekten nicht nehmen koennen. Der Premiere in Wien war die in Stuttgart vorausgegangen. Im Spaetherbste 1902 besuchte ich zum erstenmal die schwaebische Residenz, in die mich der Staatsanwalt spaeterhin oefter als Angeklagten holte. Ich lernte dabei _Friedrich_ und _Conrad Haussmann_ kennen und durch sie einige andere Fuehrer der demokratischen Partei, _von Payer_, _Liesching_ u. a. Und ich trat in Beziehungen zu einem regen politischen Leben, das fuer mich als Altbayern neu und ungewohnt war, denn bei uns drehte sich doch viel oder alles um ausgeleierte Gegensaetze. Wenn ich es vermeide, ueber Lebende ein Urteil abzugeben, darf ich doch von dem nachhaltigen Eindruck sprechen, den _Friedrich Haussmann_, der vor mehr als zehn Jahren gestorben ist, auf mich gemacht hat. Er war der stillere von den beiden Zwillingsbruedern, die in ihrem Aeusseren wie in ihren Meinungen, in ihrer beruflichen wie in ihrer politischen Taetigkeit die auffaelligste Aehnlichkeit miteinander hatten. Friedrich war minder lebhaft, und wenn sein Bruder meinen oft zu bestimmt vorgebrachten Ansichten widersprach oder beipflichtete, hoerte er laechelnd zu. Meine Laufbahn vom Anwalt herueber zum Schriftsteller sprach ihn an, da er selbst Neigung und Beruf zum literarischen Schaffen in sich fuehlte. An der Art, wie ich ueber die Schnur zu hauen pflegte und nicht leicht einem Dinge seine zwei Seiten liess, hatte er Vergnuegen, wenn er sie auch nicht als die einzig richtige gelten liess. Ein gradsinniger und guetiger Mann, hielt er sich selbst vom raschen Urteil zurueck, aber er war dabei in seinen Ansichten unverrueckbar fest gerichtet; und gegen alles, was einer Ueberheblichkeit und dem Willen zur Unterdrueckung aehnlich sah, konnte er trotz der Milde seines Wesens eine Schaerfe zeigen, die jedes Paktieren ausschloss. Er erschien mir als der geborene Fuehrer, als ein Mann, der den Willen vieler zu leiten berufen war und dem viele unbedenklich ueberall hin folgen durften. Weder Eiferer noch Phantast, zeigte er im Angriffe wie in der Abwehr den schalkhaften Humor, der aus tiefem, guetigem Verstehen kommt und immer Ueberlegenheit gewaehrt. Dass ein Mann wie er zeitlebens in Opposition gegen die Reichsregierung und ihre Politik stehen musste, beweist deutlich, wie verfehlt das System war. In Stuttgart hatte der "Simplicissimus" vom ersten Tage seines Bestehens an eifrige Freunde, und es lag in der schwaebischen Freimuetigkeit begruendet, dass Saftigkeit des Ausdruckes und Schaerfe des Angriffs hier keine Schauer des Entsetzens erregten. Man verstand hier besser als manchenorts, dass sich hinter dem Spotte ein ernster Unwille, den man teilte, verbarg. Schon darum war die gerichtliche Entscheidung, dass Stuttgart, wo der "Simplicissimus" gedruckt wurde, zustaendig sei, fuer die Redaktion guenstig. Ein Verfahren mit solchen Mitteln, wie man sie in Leipzig fuer zulaessig gehalten hatte, war hier ausgeschlossen. Es kam allerdings zu einer Reihe von Strafverfolgungen, aber die Verhandlungen wurden sachlich gefuehrt, und sie blieben frei von dem behoerdlichen Entsetzen ueber die ganze Richtung. Es handelte sich immer um den gegebenen Fall, und war Anlass zu Strafen gegeben, so griffen die Richter nicht zimperlich ein. Freilich, auf sechs und sieben Monate Gefaengnis erkannten sie nicht; es fehlte ihnen an der Schadenfreude, mit der man in Sachsen beschwingten Meinungen die Federn ausrupfte. Man war ruhig, manchmal ein wenig nuechtern. Ich erinnere mich eines Vorsitzenden, der seine liebe Not hatte mit den getragenen, in die Hoehe strebenden Ausfuehrungen literarischer Sachverstaendiger; er zog sie immer wieder aus der Region freiheitlicher Gedanken auf den Boden der Tatbestandsmerkmale nieder. Es handelte sich um eine Beleidigung der Sittlichkeitsprediger, und bei dem Thema konnte man warm werden. _Ludwig Ganghofer_, der als sachverstaendiger Zeuge vor den Schranken stand, wurde warm und schlug mit der Faust auf den Richtertisch, dass die Tintenfaesser klirrten; die Richter waren erstaunt, aber nicht geruehrt, und brummten mir sechs Wochen auf. Meine Stellung als Angeklagter konnte mir sonderbar scheinen in Erinnerung an vergangene Jahre, wo ich als Protokollfuehrer oben auf dem Plateau der Erkenntnis oder unten im Anwaltstalar gesessen hatte. Nach einer Stuttgarter Verhandlung, in der die Rede war von Ludwig Pfau, vom Rechte der politischen Satire und von ihren Aufgaben, vom Kampfe fuer die Freiheit der Meinungen, war die Begruendung des Freispruches noch nicht beendet, als ein junger Landstreicher hereingefuehrt wurde und meinen Platz einnahm. Haussmann sah mich laechelnd an, das Publikum kicherte, und ich dachte an den Wandel des Schicksals. Meine Erlebnisse im Gerichtssaale liegen nach der Zeit, von der ich erzaehle. Vom Herbste 1902 ab war ich wieder eifriger in der Redaktion des "Simplicissimus" taetig. Obwohl ich als Anfaenger mit dem Erfolge der "Lokalbahn" zufrieden sein konnte, fuehlte ich keinen Drang in mir, festen Fuss auf der Buehne zu fassen. Erst sechs Jahre spaeter versuchte ich es wieder mit der "Moral". Ich kam bis zum Herbste 1904, wo ich meinen "Andreas Voest" begann, ueberhaupt nicht zu groesseren Arbeiten, schrieb kleinere Erzaehlungen, die Erlebnisse eines Lausbuben, spaeter den "Heiligen Hies". Der Tod der alten Viktor wirkte lange auf mich nach, um so mehr, als er fuer mich den Verlust des letzten Stueckes von Heim und Haeuslichkeit bedeutet hatte. Ich war nicht gerne allein und suchte Zerstreuung, ging auch mehr in Gesellschaft als frueher. Gerne schloss ich mich an _Ludwig Ganghofer_ an; eigentlich war es sonderbar, dass wir uns nicht frueher gefunden hatten, denn schon von Grossvaters Zeiten her hatte es zwischen unsern Familien Beziehungen gegeben, und beide Schriftsteller, beide Jaeger, beide aus sehr aehnlicher Umgebung stammend, haetten wir uns in Wien sicherlich sofort, in Berlin bald einander genaehert. In Muenchen lebt aber jeder auf seiner Insel. Er lud mich in sein Jagdhaus Hubertus ein, wo ich schoene Wochen verbrachte und wo mir Umgebung und Leben alte Kindererinnerungen an weltverlorene Bergtaeler wachriefen. Im Fruehjahr 1903 machte ich mit _Wilke_ und _Thoeny_ eine Radtour ueber Mailand, Genua, die Riviera entlang, dann zurueck ueber Pisa nach Florenz, wo wir etwa sechs Wochen blieben. Ich bin die folgenden elf Jahre bis zum Ausbruche des Krieges in jedem Fruehling nach Italien gereist, habe manche Freude dort gefunden, aber nie mehr habe ich sie mit der sorglosen Froehlichkeit ausgenossen wie bei jenem ersten Male. [Illustration: Thoma und Ganghofer] Von der Riviera allerdings war ich nicht in dem ueblichen Masse entzueckt; das schoenste war die Fahrt bergauf, bergab die Kueste entlang durch die kleinen Nester. Am lauen Abend, nachdem einen tagsueber die Sonne tuechtig verbrannt hatte, durch Pinienwaelder zu fahren, tief unten das Meer gegen die Felsen branden zu hoeren, das war wundervoll. Und wie war man in eine andere Welt versetzt, wenn man durch die engen Gassen der Fischerdoerfer schritt, an den Gruppen schwatzender Menschen vorbei, die einen neugierig betrachteten. Bunte Farben, das Traellern eines Liedes und immer wieder der Laerm eines Orgelklaviers, der einem lange nachfolgte, das alles mutete einen fremd und wieder vertraut an, wie etwas, das man sich in Sehnsucht so ausgemalt hatte. Weiterhin, etwa nach _Albenga_, wurde es schon zu sehr Hotelpepiniere, um anzusprechen, und die Landschaft, immer tiefes Blau und grelles Weiss, ermuedete den Blick; am wenigsten gefielen mir die vielgeruehmten Palmen. In Bordighera, das damals noch nicht auf grossen Fremdenverkehr eingerichtet war, fanden wir in einer deutschen Pension gutes Unterkommen, blieben etwa eine Woche und besuchten das Paradies der Faulenzer und Gauner, Monte Carlo, das mich nicht bloss enttaeuschte, sondern auch gruendlich anwiderte. Ich hatte ein recht unangenehmes Gefuehl, weil ich nicht von dem Eindrucke loskam, dass diese aufdringliche Eleganz um mich herum zum grossen Teil mit gestohlenem und unterschlagenem Gelde bestritten war; und wenn ich auch nicht an Pruederie kraenkelte, so fand ich es keineswegs erhebend, von einer Gesellschaft umgeben zu sein, in der man die Diebe laengst nicht mehr an den Fingern zaehlen konnte. Als ich das in einem Feuilleton so schilderte, wie ich es empfunden hatte, und die Meinung vertrat, der erhabene Fuerst von Monaco, der von der Spielbank ausgehalten wird, lebe von recht unschoenen Mitteln, kanzelte mich ein Journalist in einer Berliner Zeitung ab. Es sei unertraeglich spiessbuergerlich, sich als deutscher Moralphilister dagegen aufzulehnen, dass die amerikanischen Milliardaere in diesem Paradiese ihre Dollars sitzen liessen. Vielleicht kamen die Yankees zuweilen nach Monte Carlo; ihre Anwesenheit machte nichts besser, aber jedenfalls gaben sie dem Leben dort nicht das Gepraege. Ganz gewiss stellten das groesste Kontingent Betrueger und Leichtsinnige, und auf sie war auch der ganze Betrieb zugeschnitten, auf sie machten die kostuemierten Kokotten und die Haendler mit Schwindelwaren Jagd. Gewiss auch auf zahlreiche Neugierige und Dumme, die sich Romane zusammengetraeumt hatten vom grossen Leben, das in Monaco berueckend schoen und angenehm gruselig anzustaunen sei. Am Ende war es nichts als ein Markt der Gemeinheit, und ein recht langweiliger obendrein. Es kam mir auch so vor, als haette _tout Berlin_, das sich im Vorsaale draengte, den eigentlichen prickelnden teuflischen Reiz vermisst. Wenigstens versicherte mir das Herr _Alfred Holzbock_, der ploetzlich vor mir auftauchte, ganz so wie auf einem Berliner Balle, wo er den ausgelassenen Champagnergeist im ganzen Saale wie eine Stecknadel suchte und nicht fand. Die Fahrt nach Florenz fuehrte uns ueber Sestri Levante aufwaerts durch entlegene Apenninendoerfer, in denen wir manches anmutige und wieder belustigende Erlebnis mit dem neugierigen und naiven Volke hatten. Wilke hatte eine Kurbel abgetreten, und wir mussten in einem kleinen Dorfe haltmachen und versuchen, den Schaden reparieren zu lassen. Unsere Zweifel, ob das wohl in diesem Neste moeglich waere, zerstreute der Wirt, der uns mit grossen, ausholenden Gesten und in feuriger Rede versicherte, es waere der beste Mechaniker des Landes im Orte. Wir brachten das Rad zu dem beruehmten Kuenstler und liessen es uns in der Wartezeit wohl sein bei den trefflichen Makkaronis, die uns der Herbergsvater vorsetzte. Wir mussten ihm viele Fragen nach unserer Herkunft, unserem Berufe, unseren Reiseplaenen, auch nach dem Leben, das man in dem hyperboraeischen Deutschland fuehre, beantworten; er hatte gehoert, dass es auch dort trotz unwirtlicher Kaelte viele Menschen, grosse Staedte und sonderbarerweise ungemessenen Reichtum gebe. Wir erzaehlten ihm Wahres und Unwahres und mehrten seinen Respekt vor den Nordmaennern, die im Gelde schwimmen und trotzdem in der frostigen Gegend wohnen bleiben. Ein paar Stunden spaeter kam die ganze Einwohnerschaft die enge Gasse herunter zum Wirtshaus gezogen, Maenner, Weiber, Kinder, alles was gehen konnte und Zeit hatte, und Zeit hatten sichtlich alle. Voran schob triumphierend der Mechaniker das Rad Wilkes und uebergab es feierlich dem Wirte, der es uns mit sichtlichem Stolze vorwies. Hatte er zuviel gesagt, dass der trefflichste Kuenstler des Landes in seinem Heimatorte zu finden sei? Dann hielt er von der Freitreppe herunter eine Ansprache an die Einwohner, sagte ihnen, dass wir von weit her, aus dem grossen Monaco di Baviera, nach dem schoenen Italien gefahren waeren, um uns an den Reizen dieses einzigen Landes zu erfreuen, dass wir nach dem altberuehmten Florenz reisen wollten, wo reiche Menschen aus allen Laendern der Erde zusammenkaemen, um die Kunstschaetze zu bewundern. Er wuenschte uns Glueck zur Fahrt, schoene Tage und froehliche Heimkehr. Die ganze Dorfschaft hoerte andaechtig zu und klatschte am Schlusse lebhaft Beifall, winkte uns zu und rief uns glueckliche Reise nach, als wir aufstiegen und weiterfuhren. Diese Leute waren so unverbildet, gutmuetig und neugierig wie Kinder; und wie sie fand ich noch viele, ja eigentlich alle, besonders auf dem Lande. Wie leicht haette es sein muessen, mit ihnen stets im Frieden zu leben - wenn es in Italien keine abgefeimten Advokaten und in Deutschland keine Diplomaten und Esel gegeben haette. Wie sonderbar aber die Ansichten ueber Volk und Land verbildet waren, das sah ich ein paar Wochen spaeter in Florenz, als ein Tiroler Arzt uns mit sichtlichem Entsetzen fragte, ob es denn wahr sei, dass wir zu Rad durch die Apenninentaeler gefahren waeren. Und er wollte es kaum glauben, dass wir das Wagnis ohne Abenteuer, ohne gefaehrliche Begegnungen mit Raeubern bestanden haetten. Ein Jahr spaeter beschwor mich ein roemischer Hotelier, ein geborener Italiener, ich moechte doch um Gottes willen von dem Plane abstehen, allein durch die Campagna gegen Amelia hin zu fahren, da ich sonst bestimmt Raeubern in die Haende fiele. So gluecklich wirken die Zeitungen, und so bringen sie die Menschen einander naeher. Ich habe gerade auf jener Fahrt durch Umbrien und Toskana unter dem Landvolke die hoeflichsten, gastfreundlichsten Menschen gefunden, die kennenzulernen ebenso angenehm wie lehrreich war. Denn Abkoemmlingen Fra Diavolos bin ich nirgends begegnet. Nach einer heiteren, durch ihre Sorglosigkeit beglueckenden Fahrt ins Unbekannte hinein, die uns auf Schritt und Tritt noch mehr als die mit Sternen versehenen Baedekerwunder bot, ueberliessen wir uns in Florenz mit freudigem Verstaendnisse dem Faulenzen und Schlendern, das sich in dieser Stadt zur wirklichen Kunst ausgebildet hat. Wir suchten nicht mit unschoener Hast die Museen ab, wir besorgten das mit gelassener Ruhe, ohne Gewissensbisse, wenn wir es einmal an einem Vormittage versaeumt hatten; wir lernten auf gut florentinisch, mit den Haenden in den Hosentaschen, an einer schwaerzlichen Toskana schnullend, durch die engen Gassen bummeln, an den Ecken stehen, wir spielten Boccia mit kleinen Handwerkern, wir schuetteten gewandt wie die Ureinwohner das Oel aus den langhalsigen Fiaschis ab, um uns den trefflichen Chianti einzuschenken, wir wurden Kenner der Tortellini und Spaghetti und lernten diese widerspenstigen Nudeln elegant um die Gabel wickeln. An einigen Mitgliedern der deutschen Kuenstlerkolonie fanden wir gute Berater und Wegweiser im suessen Nichtstun, und fast jeden Abend sassen wir im Keller des Palazzo Antinori, wo man zur Weltweisheit und Kunstgeschichte ziemlich viel Rotwein trank. Wir waren bald Stammgaeste und konnten uns an dem Empfange beteiligen, den man dem _General von Mussinan_ bereitete, als er auf seiner Hochzeitsreise nach Florenz gekommen war und der Einladung der wuerdigen Kuenstlerkolonie folgend in unseren Keller hinunterstieg. Leere Faesser dienten als Trommeln, Giesskannen als Trompeten, als sofort bei seinem Erscheinen der Mussinanmarsch intoniert wurde; alle bemuehten sich, dem alten Soldaten einen guten Begriff von deutscher Kuenstlerfroehlichkeit zu verschaffen, als sich Wilke erhob und ganz in der Manier eines Oberlehrers mit unerschuetterlichem Ernste einen Vortrag ueber die Entstehung Fiesoles hielt. Der General hoerte mit Aufmerksamkeit zu, bis man ihm ins Ohr fluesterte, dass dieser sich als Gelehrter gehabende Herr ein Mitarbeiter des "Simplicissimus" sei und den groessten Bloedsinn auftische. Unter den Kuenstlern, mit denen wir taeglich verkehrten, war einer, der bei knappen Mitteln unbekuemmert in den Tag hineinlebte und im Genusse einer frohen Stunde sich nie um die kommende sorgte. Wilke hatte ihn gleich am ersten Tage ins Herz geschlossen, weil ihm ein Vorfall gezeigt hatte, dass er hier eine verwandte Natur getroffen habe. Wir gingen nach San Miniato hinauf, und ein Herr der Gesellschaft, der mit jenem Maler befreundet war, machte ihn darauf aufmerksam, dass der Sommerueberzieher, den er anhatte, doch eigentlich zu abgetragen und schaebig waere. Der Maler laechelte zu dem Vorhalte, zog den Mantel aus und warf ihn seelenruhig in den Strassengraben. Von der Stunde an hatte er in Wilke einen Freund. Unser besonderes Vergnuegen hatten wir an den deutschen Reisenden, die nach Florenz gekommen waren, um eine unumgaengliche Pflicht zu erfuellen, die immer Vergleiche mit den soviel besseren Zustaenden daheim, die sie leider auf Wochen entbehren mussten, anstellten, und die gewissermassen unter der Aufsicht eines sie unsichtbar begleitenden Bildungsueberwachungsorganes alle Museen rastlos durchjagten. Man konnte jedoch feststellen, dass sich die englischen Besucher, die stets in zahlreichen Trupps in die Kunststaetten einfielen, noch unberuehrter und daemlicher zeigten. Die hatten immer einen Fuehrer dabei, gewoehnlich einen, der vom vielen Laufen und Reden schwindsuechtig geworden war und dem sie mit Hilfe ihrer Baedeker genau aufpassten, ob er auch alle besonders angemerkten Bilder und Plastiken in seinem monoton abgeleierten Vortrag erwaehnte. Wirkliches Interesse sah man nur im Kloster San Marco, wenn die Ladies und Gentlemen die verkohlten Reste des Hemdes anstarrten, das Girolamo Savonarola bei seiner Hinrichtung angehabt hatte. Da umwehte sie nervenkitzelnd der Geist vergangener Zeiten, den der schwindsuechtige Fuehrer vor den Mediceergraebern mit dem laengsten Vortrag nicht herbeizitieren konnte. Es war bei uns Sitte - und wenn es zur Besserung beitrug, war's auch recht -, dass man sich ueber die deutschen Touristen im Auslande aufregte, aber wer die amerikanischen und englischen besser fand, hatte schlechte Augen. Sie waren geschmackvoller angezogen, aber sonst boten diese zusammengetriebenen Herden von Gewohnheitsmenschen, die sich keiner Sitte des Landes anpassten, nirgends dem Volke und seinem Leben naehertraten und wie Straeflinge die von Hoteliers vorgeschriebenen Dinner- und Supperstunden einhielten, begieriger nach ihren gewohnten _jams_ als nach allen Kunstschaetzen, wirklich kein Bild, das man den Deutschen vorenthalten konnte. Unter denen gab es immer noch viele kunstfrohe, kenntnisreiche Leute, die abseits vom Haufen stille Freuden und wirklichen Gewinn fanden, und mit Bemerkungen ueber Jaegerwaesche war es nicht abzutun, dass am Ende doch der deutsche Professor vieles in Italien fuer die Italiener zu neuem Leben erweckt hatte. Mir war lange Jahre, bevor sich der Wunsch verwirklichen liess, eine Wanderung durch Italien in Aussicht gestellt worden, und ich hatte mich, glueckselig ueber das Versprechen, monatelang auf die Reise vorbereitet, die zuletzt unterbleiben musste. Was ich damals und spaeter lernte, blieb nicht ohne Fruechte. Besonders _Victor Hehn_ hatte mich zur Vorliebe fuer Italien erzogen und mich schon im vornhinein von Vorurteilen kuriert, durch die sich viele Freude und Genuss verkuemmern lassen. Ich sah mich nicht auf Schritt und Tritt enttaeuscht, brachte nicht jedem Einheimischen Misstrauen entgegen und konnte mich ueber bodenechte Laessigkeit und Unordnung freuen; die einfoermige, alle Eindruecke verwischende Hotelkur vermisste ich gerne. Wer Italien wie ein Museum durcheilt, in dem er nur die Kostbarkeiten einer vergangenen Zeit findet, indes er sich von allem Lebendigen abgestossen fuehlt, beraubt sich der Moeglichkeit, die Eigenart des Landes wie des Volkes, die tiefen Zusammenhaenge zwischen ihr und der einstigen Groesse und so aus der Gegenwart die Vergangenheit verstehen zu lernen. In den Museen waren mir meine Freunde die besten Fuehrer, da sie unbeschwert durch Baedeker und gueltige Anschauungen das Rassigste zu finden wussten, und ich erinnere mich gerne daran, wie mich Heine in die Uffizien aus den Saelen der toskanischen Meister holte, um mir die wundervolle Anbetung der Hirten von van der Goes zu zeigen. Neben den disziplinierten Leuten, die sich unverbruechlich an die Sterne Baedekers hielten, waren nicht wenige Juenger der Kunstgeschichte zu bemerken, die es sich vorgenommen hatten, durch eine Entdeckung bekannt zu werden, und die in unbeachteten, irgendwo in einer Kapelle verborgenen Kunstwerken die eigentlichen Wunder des Quattrocento auffanden. Darueber liessen sich dann beachtenswerte Artikel schreiben. Wenn man darueber laechelt, ueberkommt einen doch die unbaendige Sehnsucht nach jener schoenen Zeit, in der diese Dinge etwas bedeutet haben. Auch strengen Richtern begegnete man, die misstrauisch die Bilder musterten, und als ich wieder einmal vor dem grossen Bilde des van der Goes stand, klopfte mir _Karl Voll_ auf die Schulter und sagte im brunnentiefen Basse: "Ja, ja, Sie haben es schoen; Sie duerfen hier alles bewundern, unsereiner aber muss die Bilder auf ihre Echtheit untersuchen." Und dann ging er gleich daran, seinem Verdachte gegen einen Memling neue Nahrung zu geben. Durch Zufall fand ich in Florenz bei einem Antiquar etliche Baende Vasaris in deutscher Uebersetzung und ging nun daran, mit der Lebensgeschichte alter toskanischer Meister ihre Werke an den von Vasari angegebenen Staetten kennenzulernen und sie aufzusuchen, wenn sie dort nicht mehr zu finden waren. Dieser Anschauungsunterricht verschaffte mir schoene Stunden, dabei auch die bleibende Ueberzeugung, dass die erzaehlende, von Kritik und vordringlicher Klugheit freie Kunstgeschichte Vasaris unendlich lehrreicher, vornehmer und verdienstlicher ist als alles, was moderne Weisheit ueber Kunst zusammengeschrieben hat. Von den Werken der in Florenz lebenden deutschen Kuenstler sah ich nicht viel, und mancher der trefflichen Meister erinnerte mich an Gottfried Kellers Bildhauer, der in Rom viele Jahre an einer Statue arbeitete und immer italienischer und dolcefarnienter wurde. Es musste sehr schwer sein, sich an sonnigen toskanischen Tagen in ein Atelier gebannt zu sehen. Auch wir seufzten ueber die Beitraege, die wir doch fuer die Muenchner Redaktion zu machen hatten, und Mama Frattigiani, bei der wir wohnten, hatte das ganz echte florentinische Mitleid mit den armen Menschen, die arbeiten mussten. Der faulste war ihr Liebling, und diesen Rang nahm unbestritten Rudolf Wilke ein, den man nur durch furchtbare Drohungen mit Entziehung von Geld, Nahrung und Chianti dazu brachte, eine Zeichnung anzufangen oder gar zu vollenden. Fuer Thoeny war die gegenueberliegende Kaserne eines Kavallerieregimentes eine wahre Fundgrube der Unterhaltung und Belehrung. Was man sah, war in allem das Gegenteil vom deutschen Drill; eigentlich geschah nie etwas, und immer schien das Wichtigste zu geschehen. Wenn ein Heuwagen einfuhr, schmetterten die Trompeten, Soldaten liefen durcheinander, Offiziere kommandierten, Signal auf Signal ertoente, bis endlich der Wagen in der Remise war. Dann breitete sich wieder unendliche Ruhe ueber dem Kasernenhofe aus. _Carlo Boecklin_, der Sohn des Maestro Arnoldo, und _Peter Bruckmann_, sein Schwiegersohn, bereiteten uns eines Abends ein Fest in Fiesole, wozu sie die Liedertafel des Ortes eingeladen hatten. Lauter Handwerker, Maurer, Schuster, Schneider, zeigten uns die Leute soviel vornehme Hoeflichkeit, wie sie wohl in keinem anderen Lande bei ihresgleichen anzutreffen sind. Sie sangen wundervoll und nahmen unsere Begeisterung darueber gelassen auf, nippten nur ein wenig an dem Wein, der ihnen vorgesetzt wurde, um uns freundlich Bescheid zu geben, und als ein Deutscher die unvermeidliche Rede auf Buendnis, Freundschaft und Garibaldi gehalten hatte, erwiderte ein Maurerpolier, mit edler Gebaerde aus der Schar vortretend, mit einer Rede von Sonne und Mond, die ueber allen Laendern schienen, und vom Gesang, der aller Menschen Herz erfreue. Alles, was wir kennen und besser verstehen lernten, war dazu angetan, uns Liebe zu Land und Leuten einzufloessen und in uns, als wir scheiden mussten, den Wunsch nach baldiger Wiederkehr wachzuhalten. Wir durften ihn auch gemeinsam erfuellt sehen, aber so froehlich haben wir den Aufenthalt nie mehr genossen wie bei jenem ersten Male. Wir waren noch in Florenz, als wir die Nachricht erhielten, dass _Albert Langen_ nach Muenchen zurueckgekehrt sei. Er war zwei Monate vorher zu uns nach Bordighera gekommen und hatte damals Andeutungen gemacht, dass vielleicht die Strafverfolgung gegen ihn eingestellt und ihm die Heimkehr gestattet werde. Ich glaubte nicht daran, weil ich keine Ahnung davon hatte, dass dem Koenig von Sachsen ein Recht zustand, im Gnadenwege Prozesse niederzuschlagen. Auf Verwendung Bjoernsons und eines einflussreichen saechsischen Herrn wurde von diesem Rechte Gebrauch gemacht, und gegen Bezahlung einer ziemlich hohen Summe durfte Langen nach fuenf Jahren wieder nach Deutschland kommen. Er lebte wieder auf, und wer ihn nunmehr geschaeftig, voll von Plaenen, rastlos und gluecklich zugleich sah und die voellige Veraenderung in seinem Wesen bemerkte, der konnte wirklich die Anschuldigung, er habe absichtlich durch eine Majestaetsbeleidigung Geschaefte machen wollen, rechtschaffen dumm finden. Die lange Abwesenheit haette das Bestehen seines Unternehmens gefaehrden koennen, wenn nicht der Konzern der Mitarbeiter den "Simplicissimus" unabhaengig von geschaeftlicher Leitung erhalten haette. Als das Blatt drei Jahre spaeter in die Haende der aus Langen und den Mitarbeitern bestehenden Gesellschaft ueberging, fehlte es nicht an Leuten, die in dieser Transaktion eine Vergewaltigung sehen wollten, und Wedekind hat diese Meinung zu einem Stuecke verwendet. Wer gerecht urteilen will, mag sich sagen, dass wir, wenn wir von Langen schon etwas erzwingen wollten, nie eine bequemere Gelegenheit dazu gehabt hatten als in der Zeit, wo er in Paris weilte und alles von unserem guten Willen abhing. Der Anspruch auf Beteiligung war vollauf begruendet, als Langen den Preis des "Simplicissimus" erhoehte. Darin lag ein Risiko, das wir mitzutragen hatten, und so konnten wir auch ein Recht auf den Vorteil beanspruchen. Damals, also nach der Rueckkehr aus Italien, fand ich Langen glueckselig in neu erwachter Unternehmungslust vor; auch aeusserlich hatte er sich voellig veraendert, da er den gepflegten, etwas pariserisch anmutenden Vollbart abgetan hatte und glattrasiert eher einem amerikanischen Geschaeftsmanne glich. Er war mit Elektrizitaet geladen, brachte jeden Vormittag neue Vorschlaege ins Buero, hielt Conseils ab und fuehlte sich pudelwohl, wenn er mit sprunghaften Ideen Redaktion und Verlag in Bewegung erhielt. Der Kreis der Mitarbeiter hatte in _Olaf Gulbransson_ Zuwachs erhalten. Im Maerz 1902 hatte mir Langen in Paris ein von Gulbransson illustriertes Buch gezeigt und schon damals die Absicht geaeussert, den Kuenstler fuer den "Simplicissimus" zu gewinnen; im Sommer darauf lud er ihn nach Aulestad ein und ueberredete ihn, schon im Herbste nach Deutschland zu uebersiedeln. Gulbransson kam im November nach Berlin, wo er nach Langens Meinung zuerst einmal Studien machen sollte, aber der Aufenthalt behagte ihm so wenig, dass ihn die uebernommene Verpflichtung beinahe reute. Kaum war er im Januar 1903 in Muenchen angelangt, fuehlte er sich, obwohl er kein Wort deutsch sprach und verstand, heimisch und zeigte auch gleich das lebhafteste Verstaendnis fuer die Freuden des Karnevals, der damals reizvoller war als spaeterhin, wo er fuer die herbeieilenden Fremden originell werden musste. Ich erinnere mich an sehr ernsthaft ausgesponnene Beratungen, die von namhaften Maennern ueber einen Kuenstler- und Schriftstellerball abgehalten wurden, und die ein solches Fest als wichtige Haupt- und Staatsaktion erscheinen liessen. Die Vorbereitungen dazu fuehrten mich mit _Ignatius Taschner_ zusammen, mit dem mich bald eine Freundschaft verband, die fuer mich zum Lebensereignisse und wertvollsten Besitztume geworden ist. Als er damals mit dem Bildhauer _August Heer_ zu einer Besprechung kam, war's mir nach den ersten Worten, als haetten wir uns zeitlebens gekannt und waeren als Nachbarkinder mitsammen aufgewachsen. In einer entbehrungsreichen Jugend und in den haertesten Kaempfen hatte er sich eine Froehlichkeit bewahrt, die jedes Zusammensein zum Feste machte. Sein Vater stammte aus Niederbayern, seine Mutter war Fraenkin, und die Eigenschaften der beiden Rassen waren in ihm auf das gluecklichste vereint. Uebermuetig, derb, ungemein taetig und arbeitsfroh, und wieder so ernsthaft, pflichttreu, aufs Kleinste bedacht, schien er in seinem Charakter, wie in seiner Kunst aus einer vergangenen, so viel schoeneren Zeit zu stammen. Wenn er von seiner Lehrlings- und Gesellenzeit erzaehlte, war's wie eine Dreingabe zu Kellers Gerechten Kammachern, und wie klang es dann wieder ernsthaft und zum Herzen dringend, wenn er ueber kuenstlerische Dinge sprach! Keiner hat wie er die heimlichen Zusammenhaenge von Heimat und Rasse mit der Kunst gekannt, keiner so verstanden, wie sie ueber tuechtiges Handwerk hinaus zur hoechsten Kunst fuehren, und das war bei ihm angeborenes oder durch Arbeit errungenes Wissen, weit weg von angelernter Doktrin. [Illustration: Thoma mit Taschner, Peter Thoma und Schauspieler Deng] Darum war er unbeirrbar durch alles, was Mode oder Richtung heissen mag, und zeigte in seinem Leben wie in seinem Schaffen die Art der hohen fraenkischen Meister, deren Geist in ihm wieder lebendig geworden war. Ich verdanke ihm viel. Anregung, Belehrung, Freude, die froehlichsten, wie die inhaltsreichsten Stunden, Verstaendnis fuer die Kunst und ihre Wirkungen auf alle Erscheinungen des Lebens. Im Umgange mit ihm fand ich Sicherheit; er lehrte mich durch Wort und Beispiel, strenger gegen mich sein. Er nahm einige Monate, nachdem wir uns kennengelernt hatten, einen Ruf nach Breslau an; zwei Jahre spaeter ging er nach Berlin, wo er die fruchtbarste Taetigkeit entfaltete. Aber wenn er nur irgend konnte, kehrte er nach Sueddeutschland zurueck, und immer war mir ein Heimweh gestillt, wenn er bei mir war. Viele Plaene hatten wir gefasst; sie sollten ausgefuehrt werden, wenn er, aller Verpflichtungen ledig, in seinem Hause in Mitterndorf endlich zu freier, durch keine Auftraege festgelegter Arbeit gekommen waere. Die Erfuellung unserer Wuensche war nahegerueckt, als er starb. Mit ihm ging mir manche lieb gewordene Hoffnung zu Grabe, doch am haertesten traf es mich, dass ich seine ehrliche, kluge Freundschaft verlieren musste. Damals im Januar 1903 half er froh und ausgelassen an den Karnevalsunterhaltungen mit. Auf seine Anregung veranstalteten wir einen Veteranenball, bei dem es wie in einem altbayrischen Dorfe hergehen musste; wir stellten lebende Bilder aus dem Jahre 1870, und das Fest gefiel so, dass wir es die folgenden drei Jahre wiederholten. Derartige Dinge wurden ja in Muenchen sehr ernst genommen, und zu ihrem Gelingen wurden Muehe und Fleiss und sehr viel Koennen aufgewandt. Ich erinnere mich an ein antikes Fest im Hoftheater, das _Lenbach_ und _Stuck_ und alle bekannten Kuenstler wochenlang vorbereiteten. Natuerlich hat man das in der Hauptstadt der Kritik ein bisschen ironisch beurteilt, aber wo immer Kuenstler die Bedingungen froehlichen Zusammenlebens gefunden haben, sind Feste gefeiert worden, und wo das unterblieben ist, hat es nicht der Ernst der Arbeit verhindert. In Muenchen ist auch mehr und mehr die Lust zu groesseren Veranstaltungen geschwunden; die Zerwuerfnisse in der Kuenstlerschaft, die Spaltung in zahlreiche Gruppen trugen viel dazu bei, und ich glaube nicht, dass sich bei den juengeren Leuten soviel Phantasie finden liesse, wie ehedem zu Festen aufgewandt wurde; uebersprudelndes Talent und Humor wird niemand von den Kuemmerlingen erwarten, die sich heute gegenseitig ihre expressionistische Bedeutung aufschwaetzen. Langen konnte sich ein halbes Jahr nach seiner Rueckkehr recht in sein Element, in das bewegteste Leben, versetzt fuehlen, da wir mit einer gegen die Zentrumsherrschaft gerichteten Nummer grossen Aufruhr erregten. Ich hatte mit einer im Stile Abrahams a Santa Clara gehaltenen Predigt gegen die Dunkelmaenner Veranlassung zur Konfiskation gegeben. Eine heftige Polemik setzte in den Zeitungen ein, der Minister von Feilitzsch wurde in der Kammer interpelliert, ein Abgeordneter las im Landtag Bruchteile der Predigt vor, und als der Praesident von Walther dagegen einschritt, liess er sich irgendwelche Verstoesse gegen die Geschaeftsordnung zuschulden kommen und musste abtreten; die Frage, ob Muenchen oder Stuttgart zustaendig sei, fuehrte zu lebhaften Kontroversen, der Generalstaatsanwalt lud mich sogar zu einer Besprechung ein, die er mit den Worten schloss: _Vive la guerre!_ Ich beteiligte mich ausgiebig an der Zeitungspolemik und handelte nach dem Grundsatze, dass die beste Abwehr der Hieb sei. So griff ich auch ohne Federlesen den Richter an, der im Ermittelungsverfahren taetig gewesen war und, als Sohn eines ultramontanen Abgeordneten selbst mit einem Zentrumsmandat behaftet, seine politische Abneigung deutlich genug ins Amtliche uebersetzt hatte. Das loeste natuerlich erneutes Zetergeschrei aus, und wochenlang blieb das Feuerchen angefacht, bis die Sache zuletzt wie das Hornberger Schiessen ausging. Langen glaenzte vor Vergnuegen. Wenn unsere Feinde, die sich gewiss herzliche Muehe gaben, aeusserst bittere Saetze gegen uns zu konstruieren, gehoert haetten, wie ihre saftigsten Artikel unter schallendem Gelaechter vorgelesen wurden, dann haetten sie wahrscheinlich den Kampf aufgegeben. Aber die Herren vom Zentrum waren selber so empfindlich, dass sie sich jene Wirkung ihrer Angriffe niemals haetten vorstellen koennen. Gute Hasser waren sie. Als ich ein Jahr spaeter wegen Beleidigung einiger Sittlichkeitswaechter unter den Pastoren verurteilt wurde, rauschte Beifall durch die Zentrumspresse, und manches Blatt stellte sich entsetzt ueber mein Vergehen, wenn es auch anderen Tages wieder die ausgiebigsten Beschimpfungen gegen den Protestantismus brachte. Mir aber war das ganz und gar nicht in den Sinn gekommen; ich hatte mich nur gegen die unverschaemte Rede eines einzelnen gewandt, der sich als Tugendbeispiel und ganz Deutschland als sittlich verkommen bezeichnet hatte. Nach meiner Verurteilung beschaeftigte sich ein Sittlichkeitskongress in Magdeburg mit mir, und ein Berliner Hofprediger sprach der Vorsehung, die meine Bestrafung herbeigefuehrt hatte, seine wohlwollende Anerkennung aus. Ich wollte dazu nicht schweigen und brachte in einem von Gulbransson illustrierten Flugblatte jener Magdeburger Versammlung einen groesseren Mangel an Ehrerbietung entgegen. Das Blatt war in Muenchen gedruckt, und ich musste mich vor dem Schwurgericht verantworten. Von einer erhoehten Bank aus, auf der sonst Moerder und Diebe sassen, blickte ich hinueber zu den Geschworenen, unter denen ich recht behaebige, einem derben Spass wohlgeneigte Landsleute bemerkte. Ich waere als dreizehnter unter ihnen vielleicht der gewesen, dem eine saftige Geschichte das geringste Vergnuegen bereitet haette. Als mein Gedicht vom Protokollfuehrer im trockensten Tone vorgelesen wurde, schlugen sogleich einige hanebuechene Stellen ein; verschiedene Geschworene hatten Muehe, ernst zu bleiben, und kaempften mit blauroten Gesichtern gegen den Lachreiz an; die ehrbaren Volksrichter waren wie Schulkinder, die heimlich kichern. Die Verhandlung, welche uebrigens mit einem Freispruche endete, wurde im Landtag und bei ultramontanen Parteitagungen recht abfaellig kritisiert, weil zwoelf Sachverstaendige, darunter _Professor Forel_ aus Zuerich, Dr. _Hirth_, _Ganghofer_ u. a., Stellung gegen die Anklage genommen hatten. Ausserdem kam es zu einer Beschwerde beim Justizminister, da der Staatsanwalt einige Sachverstaendige angeflegelt hatte. Das Bezeichnendste dafuer, wie toericht damals Parteipolitik getrieben wurde, ist, dass man, wuetend ueber den Ausgang des Prozesses, die in Bayern gesetzlich festgelegte Zustaendigkeit der Schwurgerichte fuer Pressvergehen am liebsten aufgehoben haette. In einer veraergerten Stimmung wollte man ein wichtiges Volksrecht aufgeben und vergass voellig, dass ihm die ultramontane Presse in der Aera Lutz sehr viel zu verdanken gehabt hatte. Damals schrieb ein klerikales Provinzblatt, dass Religion und Sitte in Bayern durch meine Freisprechung fuer vogelfrei erklaert worden seien; so dick trug die Partei auf, als es sich nicht einmal um eine sie nahe beruehrende Sache handelte. Freilich hatte man etliche Monate vorher vergeblich die Laermtrommel gegen den Verfasser des "Andreas Voest" geruehrt, und der "Bayrische Kurier" hatte das Ministerium erfolglos aufgefordert, die Kirche und ihre Diener pflichtgemaess gegen die Veroeffentlichung des Romans zu schuetzen. Die Feindseligkeiten verschaerften sich, und der Ton wurde grob und groeber, als ich die Briefe eines ultramontanen Abgeordneten veroeffentlichte. Ich war nicht wehleidig und konnte es verstehen, dass mir aus dem Zentrumswalde kein liebreiches Echo entgegenschallte, aber imposant fand ich die maechtigen Gebieter des Landes nicht, die so wenig innerliche Staerke bei so viel aeusserlicher zeigten. Wenn wir im Januar 1906 bei Gruendung der Gesellschaft geglaubt hatten, dass nunmehr ein lange dauerndes gemeinsames Schaffen gesichert waere, so zeigte uns das Schicksal wenige Jahre spaeter, dass sich auf die Zukunft nicht bauen laesst. Seit 1907 kraenkelte _Wilke_, im November 1908 starb er an einer Lungenentzuendung. J. B. _Engl_ war ihm vorausgegangen, und Ende April 1909 folgte ihm _Albert Langen_, dessen Leiche Ferdinand von _Reznicek_ nach Koeln ueberfuehrte. Vierzehn Tage darauf starb auch er in einer Muenchner Klinik an Magenblutung. Wilke war vierunddreissig Jahre alt, Langen neununddreissig, Reznicek vierzig; allen dreien schien nicht nur das bluehende Alter, sondern auch Kraft und Gesundheit langes Leben zu verbuergen. Wilke allerdings, dessen Staerke und Gewandtheit einmal vorbildlich waren, hatte uns schon ein Jahr vor seinem Tode Grund zu Befuerchtungen gegeben, aber ganz unvermutet kam das Ableben Langens und Rezniceks. Dieser war der typische Oesterreicher von guter Familie; taktvoll, liebenswuerdig, heiter, in Manieren wie im Charakter vornehm. Ich habe ihn nie laut oder heftig gesehen, und ich glaube, er waere gegen Brutalitaet voellig hilflos gewesen. Die Grazie, die seine Zeichnungen auch denen, die herbere Kunst schaetzen, wertvoll machte, lag in seinem Wesen. Von den Kuenstlern, die durch den "Simplicissimus" und die "Jugend" bekannt wurden, war er sogleich der populaerste, und er ist es geblieben. Dass er, verhaetschelt und umworben, von Eitelkeit voellig frei blieb und ganz und gar nicht zuegellos lebte, bewies seinen wirklichen Wert, den nur die anzweifelten, die ihn nicht persoenlich kannten. Die Art und das Gegenstaendliche seiner Kunst veranlassten manchen Sittenrichter, der sehr unangefochten leben konnte, in dem guten Ferdinand von Reznicek einen Wuestling zu vermuten, und zuweilen wurde ihm das auch gedruckt unterbreitet. Derlei Vorwuerfe verletzen die Ehre der Maenner nicht, vielen erscheinen sie so schmeichelhaft, dass sie sie mit diskretem Laecheln entgegennehmen, Reznicek aber blieb davon unberuehrt. Er war weder der "verfluchte Kerl", noch wollte er es zu sein scheinen. Ohne Launen, immer aus dem Herzen heraus liebenswuerdig, hilfsbereit und empfaenglich fuer jede heitere Stimmung, war er der beste Kamerad, in dessen Gegenwart Missmut nie aufkommen konnte. Krankheit und Tod lassen den Charakter eines Menschen erst recht erkennen. Alle drei, Wilke, Langen und Reznicek, haben die haerteste Pruefung wuerdig bestanden, und sie sind ohne zweckloses Klagen tapfer gestorben, und die letzten Dinge waren fuer die Art eines jeden von ihnen bezeichnend. Wilke lehnte sich mit einer unmutigen Gebaerde gegen den Tod auf; als er auf dem Krankenlager in seiner Heimatstadt Braunschweig fuehlte, dass es zu Ende gehe, sagte er nur: "Das ist dumm." Und es war toericht, dass ein genialer Mensch, als er sein Bestes erst noch zu geben hatte, weg musste. Langen traf ruhig Anordnungen ueber seinen Nachlass, und von dieser Sorge befreit, dankte er hoeflich laechelnd dem Anwalte, der das Testament aufgesetzt hatte; keine Klage, kein wehleidiges Wort entschluepfte ihm. Reznicek, der sich in einer Klinik operieren lassen wollte, schrieb mir zwei Tage vor seinem Tode, dass er der Sache mit der ueblichen Fassung entgegensehe; als dann ein heftiger Blutsturz jede Hoffnung vereitelte, bat er den Arzt, dass er ihm nach dem Ableben das Herz mit einer Nadel durchstechen solle, und bestellte Gruesse an uns alle. Der Tod dieser drei Maenner, wie der von J. B. Engl, war ein harter Schlag fuer den "Simplicissimus", und wenn er auch ueberwunden wurde, so bleibt es doch wahr, dass Kuenstler wie Wilke und Reznicek unersetzlich waren. Mit der Erinnerung an sie soll das Buch enden; durch ihr Hinscheiden waren Luecken in den einst so froehlichen Kreis gerissen, die nichts mehr schliessen konnte, und manche Aenderung, die eintrat, laesst mich in jenen Ereignissen den Abschluss einer heiteren, erfolgreichen Zeit sehen. Spaetere Erlebnisse haben kaum mehr Einfluss auf mein Schaffen gehabt; was nun kam, war Arbeit und Ernte, kein Kampf mehr ums Werden. Das Schicksal des Vaterlandes hat fast alle Zusammenhaenge zwischen damals und heute zerrissen; es fuehrt keine Entwicklung aus jener nahen Vergangenheit, die uns doch so weit entrueckt wurde, herueber. Ich fuehle mich um so mehr vereinsamt, als ich alles, was sich heute in der Literatur, in der Kunst, in der Politik laermend vordraengt, verabscheue. In dieser Zeit, in der das Ungeheuerlichste alltaeglich wurde, haben unbeschaeftigte Gemueter Musse gefunden, dem "Simplicissimus" wie mir persoenlich vorzuwerfen, dass wir im Kriege unsere Ansichten geaendert, unsere einmal heftig verfochtenen Grundsaetze aufgegeben haetten. Es ist ein Laster politisierender Spiessbuerger, im Festhalten an einer Meinung ein Verdienst zu erblicken. Es liegt im Lernen und im Bekennen. Und zudem ist der Vorwurf unbegruendet. Im "Simplicissimus" sind wir alle - ich weder allein, noch vorzugsweise - fuer die Erhaltung des Friedens eingetreten, wir haben ohne aengstliche Ruecksichten das persoenliche Regiment mit seinen schaedlichsten Begleiterscheinungen, dem aufdringlichen Reden, der Heldenpose, der Gottaehnlichkeit, der Operettenpolitik, dem Mangel an Verantwortlichkeitsgefuehl, angegriffen, wir haben das rueckgratlose Philistertum, die verlogene Phrase, wir haben jede Schnodderigkeit und Selbstgefaelligkeit bekaempft, aber als der Krieg da war, gab es nichts mehr als das Schicksal des eigenen Landes. War es ein Fehler, dass wir ebensowenig blind waren gegen das Heldentum des deutschen Volkes wie gegen den giftigen Hass der Feinde? Oder war es ein Verbrechen, Vertrauen zu haben, wenn Misstrauen und Zweifel nur Verwirrung anrichten konnten? Wer das heute behauptet und alle Meinungen hinterher nach dem endlichen Ausgange korrigiert haben will, ist doch nur ein Schwaetzer, und sein Tadel trifft nicht hart. Ich glaube heute, was ich immer geglaubt habe, dass auf dem Boden der alten Gesellschaftsordnung recht wohl die Reformen zu erreichen waren, die das Glueck und die Groesse Deutschlands sichergestellt haetten. [Illustration: "UM MICH IST HEIMAT. UND DIE ERDE KANN EINMAL DEN, DER SIE HERZLICH LIEBTE, NICHT DRUeCKEN"] Der Kampf fuer sie musste am 1. August 1914 nicht aufgegeben werden, aber er musste aussetzen, und Schweigen war Pflicht. International zu empfinden, gerecht gegen die verderblichsten Feinde zu sein, war nie in meiner Natur gelegen, und es fiel mir wirklich nicht schwer, ihnen den Untergang, Deutschland aber den vollen Sieg zu wuenschen. So mag sich, wer will, ueber meine Wandlungen und meine Wandlungsfaehigkeit aufregen. Von dem Drucke, den ich wie alle nach dem Zusammenbruche des Vaterlandes auf mir lasten fuehle, suchte ich und fand ich zeitweilige Befreiung in der Erinnerung an die Vergangenheit. Ich habe dem Schicksal fuer vieles dankbar zu sein, am meisten fuer eine Jugend, in der ich wie in frischen Quellen Erquickung finde und die mir durch das Andenken an die Eltern verschoent bleibt. In dem schlichten Wesen meines redlichen Vaters zeigt mir jeder Zug die staubfreie, aller Engherzigkeit abholde Art des Forstmannes vom alten Schlage. Ich war noch ein Kind, als er starb, und ich lernte ihn lieben aus der Schilderung, die mir meine Mutter von ihm gab; sie hatte seinen guetigen, alles exaltierte Empfinden ausschliessenden Humor um so besser wuerdigen koennen, als er in ihrer heiteren Natur den schoensten Widerklang gefunden hatte. Ihr Leben ist Muehe und Arbeit und Freude daran gewesen. Als ihr nach dem Tode meines Vaters die Sorge fuer sieben unmuendige Kinder ueberlassen blieb, bei einer Witwenpension von nicht ganz hundert Mark im Monat, griff sie tapfer zu und pachtete den Gasthof "Zur Kampenwand" in Prien. Zu unserer Erziehung hatte sie kein anderes Mittel als ihre Herzensguete; Schaerfe lag nicht in ihrem Wesen, aber ebensowenig blinde Liebe, die sich an Fehlern ergoetzt oder darueber wegsieht. Ihr ueberlegener, ganz auf Tuechtigkeit gerichteter Verstand liess sie manches heitere, treffende Wort finden, das einen jungen Menschen von verstiegenen Ansichten heilen musste. Wie wertvoll ihr gesundes Urteil war und was es bedeutete, dass sie nie landlaeufige Meinungen nachsprach und nie Redensarten gebrauchte, das lehrte mich erst das Leben verstehen. Ich habe spaeterhin zuweilen gehoert, wie dieser und jener Wunsch nach Zerstreuung und Vergnuegen berechtigt sei, ich habe erfahren, dass eine gewisse Bildung verschiedene Ansprueche erfuellt sehen muesse, um fortdauern zu koennen; meine Mutter hat nie Ansprueche gestellt, und doch besass sie eine Herzensbildung, die ihr Leben wie das ihrer Kinder verschoente. Ich durfte in meiner Jugend das hohe und bleibende Glueck geniessen, an ihrem Beispiele den Segen eines bescheidenen Sinnes kennenzulernen. Den Schatz, der in der Erinnerung an edle Eltern liegt, hat mir ein guetiges Geschick verliehen. Und auch dafuer bin ich ihm dankbar, dass es mich in die engste Heimat zurueckgefuehrt hat. Aus den Fenstern meines Tegernseer Hauses sehe ich zu den Bergen hinueber, die das Lenggrieser Tal einschliessen, und sie tragen vertraute Namen; in den Waeldern, die sich an ihren Haengen hinaufziehen, lief ich neben meinem Vater her, und das stille Forsthaus, in dem ich die Kinderzeit verlebte, liegt nicht allzu weit von hier. Wo ich auch war, und was mir das Leben auch gab, immer hatte ich Heimweh danach, immer regten sich in mir Neigungen, die aus jenen fruehesten Eindruecken herstammen. Viele Wuensche gingen mir in Erfuellung, anders und schoener, als ich erwartet hatte, auch der Wunsch, der am tiefsten in mir wurzelt, hier leben und schaffen zu duerfen. Je enger sich der Kreis von Ausgang und Ende schliesst, desto staerker empfinde ich es, wie darin das beste Glueck enthalten ist. Um mich ist Heimat. Und ihre Erde kann einmal den, der sie herzlich liebte, nicht druecken. [Handschriftenfaksimile] [Transkription:] _Am San_ Wo ist die Heimath? Ach so weit! Wer ueber hundert Huegel geht, Wer auf dem hoechsten Berge steht, Kann sie noch nicht erschauen. Wir hoeren's wohl im frohen Mai, Es gruene in der gleichen Welt Der deutsche Wald, das deutsche Feld, Und wollen schier nicht trauen. Wo liegt die Heimath? Ach so nah! Ich weiss mit jedem Herzensschlag, Dass nichts von ihr mich scheiden mag, Nicht Berg und Fluss und Auen. Ludwig Thoma z. Zt. im Feld BEMERKUNGEN ZUR TEXTGESTALT Inhaltsverzeichnis, Abbildungsverzeichnis und Transkription des Handschriftenfaksimiles wurden in der elektronischen Ausgabe hinzugefuegt. Die Originalausgabe ist in Fraktur gesetzt. In Antiqua gesetzt sind in ihr roemische Zahlen (in der elektronischen Ausgabe ohne Hervorhebung wiedergegeben, ebenso die Abkuerzung "Dr.") und einzelne Woerter aus fremden Sprachen (hier durch Unterstrich [_] gekennzeichnet, ebenso wie gesperrt gesetzte Passagen). Folgende offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert: Seite 178: "Verhaeltnisse" in "Verhaeltnissen" geaendert; Seite 180: "leistetete" in "leistete" geaendert; Seite 237: "leistetete" in "leistete" geaendert; Seite 245: "Thater" in "Theater" geaendert. ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ERINNERUNGEN*** CREDITS September 26, 2009 Project Gutenberg TEI edition 1 Produced by Norbert H. Langkau and the Online Distributed Proofreading Team at . A WORD FROM PROJECT GUTENBERG This file should be named 30097.txt or 30097.zip. This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/dirs/3/0/0/9/30097/ Updated editions will replace the previous one -- the old editions will be renamed. 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To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://www.pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit http://www.gutenberg.org/fundraising/donate While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: http://www.gutenberg.org/fundraising/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works. Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. 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