The Project Gutenberg EBook of Gösta Berling, by Selma Lagerlöf This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Gösta Berling Erzählungen aus dem alten Wermland Author: Selma Lagerlöf Release Date: May 10, 2009 [EBook #28751] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GÖSTA BERLING *** Produced by Norbert H. Langkau, Evelyn Kawrykow and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Gösta Berling Erzählungen aus dem alten Wermland von Selma Lagerlöf [Illustration] Im Insel-Verlag zu Leipzig Einleitung Der Pfarrer Endlich stand der Pfarrer auf der Kanzel. Die Leute in der Kirche hoben die Köpfe in die Höhe. Er war also wirklich da! So fiel denn die Predigt diesen Sonntag doch nicht wieder aus wie am letzten Sonntage und an vielen Sonntagen vorher. Der Pfarrer war jung, von hohem Wuchs, schlank und strahlend schön. Wenn man ihm einen Helm auf den Kopf gesetzt und ihm ein Schwert und einen Harnisch umgehangen hätte, so wäre er der beste Vorwurf für eine Marmorstatue gewesen, die man getrost nach dem schönsten aller Griechen hätte benennen können. Der Pfarrer hatte die tiefen Augen eines Dichters und das feste, runde Kinn eines Feldherrn. Alles an ihm war schön, ausdrucksvoll -- durchglüht von Genialität und geistigem Leben. Die Leute in der Kirche fühlten sich eigenartig bedrückt, als sie ihn so erblickten. Sie waren daran gewöhnt, ihn schwankenden Schrittes aus der Schenke herauskommen zu sehen in Gesellschaft lustiger Kameraden wie Oberst Beerencreutz mit dem dicken weißen Schnurrbart und Kapitän Bergh mit der gewaltigen Körperkraft. Er hatte sich derartig dem Trunk ergeben, daß er mehrere Wochen hindurch sein Amt nicht mehr hatte versehen können, und die Gemeinde über ihn hatte Klage führen müssen, erst bei seinem Propst und dann bei dem Bischof und Domkapitel. Jetzt war der Bischof gekommen, um Visitation in der Gemeinde abzuhalten. Er saß im Chor mit seinem goldenen Kreuz auf der Brust. Die Prediger aus Karlstad und den Nachbargemeinden saßen rings um ihn herum. Es unterlag keinem Zweifel, daß das Benehmen des Pfarrers die Grenzen des Erlaubten überschritten hatte. Zu jenen Zeiten -- diese Geschichte spielt in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts -- nahm man es nicht so genau, wenn die Leute tranken; dieser Mann aber hatte infolge seiner Trunksucht sein Amt vernachlässigt, und nun sollte er es verlieren. Er stand auf der Kanzel und wartete, während der letzte Gesangvers gesungen wurde. Während er so dastand, kam die Gewißheit über ihn, daß er in der ganzen Kirche, in allen Stühlen lauter Feinde hatte. Die Herrschaft oben in der Loge, die Bauern unten in der Kirche, die Konfirmanden im Chor -- sie alle waren seine Feinde. Ein Feind spielte die Orgel, und ein Feind trat die Bälge. Alle haßten ihn, von den kleinen Kindern, die in die Kirche getragen wurden, bis hinab zu dem Kirchendiener, einem steifen, strammen Soldaten, der die Schlacht bei Leipzig mitgemacht hatte. Der Pfarrer hätte sich auf die Knie werfen und sie um Barmherzigkeit anflehen mögen. Aber gleich darauf überkam ihn ein dumpfer Groll. Er entsann sich sehr wohl, wie er gewesen war, als er vor einem Jahr die Kanzel zum erstenmal bestieg. Damals war er ein unbescholtener Mann, und jetzt stand er da und schaute auf den Mann mit dem goldenen Kreuz herab, der gekommen war, um ihn zu richten. Während er das Gebet sprach, rollte eine Blutwelle nach der andern über sein Gesicht -- das war der Groll. Freilich hatte er getrunken, aber wer hatte ein Recht, ihn deswegen anzuklagen? Hatte jemand den Pfarrhof gesehen, auf dem er leben sollte? Der Tannenwald reichte finster und unheimlich bis dicht an die Fenster. Die Feuchtigkeit tropfte von den schwarzen Decken und trieb an den schimmligen Wänden herab. Bedurfte er nicht des Branntweins, um den Mut aufrechtzuerhalten, wenn der Regen oder der treibende Schnee durch die zerbrochenen Fensterscheiben zu ihm eindrang, wenn das schlecht bestellte, vernachlässigte Erdreich nicht Brot genug hergeben wollte, um den Hunger fernzuhalten? Seiner Meinung nach war er gerade so ein Pfarrer gewesen, wie sie ihn verdienten. Sie tranken ja alle. Weswegen sollte _er_ der einzige sein, der sich Zwang antat? Der Mann, der seine Gattin begraben hatte, betrank sich beim Leichenschmaus; der Vater, der sein Kind zur Taufe gebracht hatte, hielt hinterher ein Saufgelage. Die Gemeinde trank auf dem Heimweg von der Kirche, so daß die meisten berauscht waren, wenn sie zu Hause anlangten. Für _die_ war ein vertrunkener Pfarrer gut genug. Auf den Amtsreisen, wenn er in seinem dünnen Mantel viele Meilen lang über die gefrorenen Seen gesaust war, wo alle Winde sich Stelldichein gaben, auf seinen Fahrten über diese selben Seen in offnem Boot bei Sturm und Platzregen, im Schneegestöber, wenn er hatte vom Schlitten steigen müssen, um seinem Pferd einen Weg durch haushohe Schneeschanzen zu schaufeln, oder wenn er durch die grundlosen Waldmoore hatte waten müssen -- da hatte er es gelernt, den Branntwein zu lieben. Ein Tag nach dem andern hatte sich finster und schwer dahingeschleppt. Bauer und Edelmann waren gleichsam an den Staub der Erde gefesselt, am Abend aber hatte der Geist seine Fesseln abgeschüttelt, befreit durch den Branntwein. Die Inspiration war gekommen. Das Herz wurde warm, das Leben strahlend, Gesang ertönte, und Rosen dufteten. Da war ihm die Schenkstube zu einem Rosengarten unter südlichem Himmelsstrich geworden. Trauben und Oliven hingen über seinem Haupt, Marmorstatuen schimmerten durch das dunkle Laubwerk, Philosophen und Dichter wanderten unter Palmen und Platanen. Nein, er, der Pfarrer dort oben auf der Kanzel, wußte, daß das Leben in dieser Gegend des Landes ohne Branntwein nicht zu ertragen war; alle seine Zuhörer wußten das, und nun wollten sie ihn richten. Sie wollten ihm den Talar abreißen, weil er betrunken in das Haus ihres Gottes gekommen war. Hah! -- Alle diese Menschen, hatten die denn -- wollten die sich denn etwa einbilden, daß sie einen andern Gott hatten als den Branntwein! -- Er hatte das Einleitungsgebet gesprochen und beugte sich jetzt herab, um das Vaterunser zu beten. Es herrschte atemlose Stille in der Kirche während des Gebetes. Plötzlich griff der Pfarrer mit fester Hand nach den Bändern, mit denen der Talar zusammengehalten war. Es war ihm, als wenn die ganze Gemeinde mit dem Bischof an der Spitze die Treppe zur Kanzel heraufgeschlichen kam, um ihm den Talar abzureißen. Er lag auf den Knien und wandte den Kopf nicht um, aber er konnte fühlen, wie sie an den Bändern zerrten, und er sah sie so deutlich, die Pröpste, Pfarrer, Kirchenvorsteher, den Küster und die ganze Gemeinde in einer langen Reihe, aus Leibeskräften zerrend und ziehend, um den Talar herunterzubekommen. Und er konnte es sich so deutlich vorstellen, wie alle die, die jetzt so eifrig zerrten, einer über den andern die Treppe hinabpurzeln würden, sobald das Gewand nachgab, und die ganze Reihe da unten, die nicht mitzerren konnten, die einander nur an den Rockschößen zupften -- sie alle würden mitfallen. Er sah das so deutlich, daß er nahe daran war, laut zu lachen, während er dort auf den Knien lag, aber zu gleicher Zeit trat ihm der kalte Schweiß auf die Stirn. Das war doch zu grauenhaft! Um des Branntweins willen sollte er jetzt ein verworfener Mann werden! Ein abgesetzter Pfarrer -- gab es etwas Schimpflicheres hier auf der Welt? Er konnte ein Bettler auf der Landstraße werden, betrunken am Grabenrande liegen, in Lumpen gekleidet gehen, sich zu den Landstreichern halten. -- -- -- Das Gebet war beendet. Jetzt sollte er seine Predigt halten. Da kam ein Gedanke über ihn, der ihm das Wort auf der Zunge zurückhielt. Er mußte daran denken, daß er heute zum letztenmal auf der Kanzel stehen und Gottes Lob und Ehre verkünden durfte. Zum letztenmal -- das bewegte den Pfarrer tief. Er vergaß den Branntwein und den Bischof. Er mußte die Gelegenheit ergreifen und von Gottes Ehre zeugen. Es war ihm, als versinke der Fußboden der Kirche in einen tiefen Abgrund, als werde das Dach der Kirche abgehoben, so daß er direkt in den Himmel schauen konnte. Er stand allein, ganz allein auf seiner Kanzel, und sein Geist bekam Flügel und flog zu dem offnen Himmel empor, seine Stimme wurde stark und gewaltig, und er verkündete die Ehre Gottes. Er war ein Mann der Inspiration. Er ließ die ausgearbeitete Predigt liegen, die Gedanken flatterten zu ihm herab wie ein Schwarm zahmer Tauben. Es war ihm, als rede ein anderer, aber er fühlte gleichzeitig, daß dies das Höchste war, was es auf Erden gibt, und daß niemand in Glanz und Herrlichkeit höher gelangen könne, als er, wie er so dastand und Gottes Ehre verkündete. Solange die Feuerzunge der Inspiration über ihm glühte, redete er, als sie aber erloschen war und das Dach sich wieder auf die Kirche herabgesenkt hatte, und der Fußboden aus dem tiefen Abgrund herausgehoben war, da kniete er nieder und weinte, denn er war sich bewußt, daß ihm das Leben seine schönste Stunde geschenkt hatte, und daß die jetzt vorüber war. Nach dem Gottesdienst sollte eine Kirchenversammlung und eine Untersuchung abgehalten werden. Der Bischof fragte, ob die Gemeinde Klage über ihren Pfarrer zu führen habe. Der Pfarrer war nicht mehr zornig und trotzig wie vor der Predigt. Jetzt schämte er sich und senkte das Haupt. Ach! jetzt sollten diese elenden Branntweinsgeschichten aufgetischt werden! Aber es kam nicht eine einzige. Es war ganz still um den großen Tisch in der Gemeindestube. Der Pfarrer blickte auf, erst zu dem Küster hinüber -- nein, der schwieg; dann zu den Kirchenvorstehern, dann zu den Bauern und den Eisenwerkbesitzern -- sie schwiegen alle. Sie hielten die Lippen fest aufeinander gepreßt und sahen halb verlegen auf den Tisch nieder. Sie warten, daß einer den Anfang machen soll, dachte der Pfarrer. Einer der Kirchenvorsteher räusperte sich. »Ich finde, daß wir einen guten Pfarrer haben«, sagte er. »Der Herr Bischof haben ja selber gehört, wie er predigen kann«, stimmte der Küster ein. Der Bischof sagte etwas von häufigem Ausfallen der Predigt. »Der Pfarrer kann doch ebensogut einmal krank sein wie andere Menschen«, meinte ein Bauer. Der Bischof deutete an, daß man in der Gemeinde Anstoß an dem Lebenswandel des Pfarrers genommen habe. Da verteidigten sie ihn alle wie aus einem Munde. Ihr Pfarrer sei ja noch so jung; dazu sei nichts zu sagen. Nein, wenn er nur immer so predigen wolle wie heute, dann wollten sie ihn selbst für den Herrn Bischof nicht hergeben. Da war kein Kläger, kein Richter. Der Pfarrer fühlte, wie sein Herz sich erweiterte, wie leicht ihm das Blut durch die Adern strömte. Er befand sich also nicht mehr unter Feinden, er hatte sie gewonnen, als er es am mindesten dachte, er sollte auch ferner im Amt bleiben! Nach der Visitation speisten der Bischof, die Pröpste, die Pfarrer und die Vornehmsten der Gemeinde im Pfarrhof. Eine benachbarte Pfarrersfrau hatte es übernommen, die Wirtin zu machen, denn der Pfarrer war unverheiratet. Sie hatte alles aufs beste angeordnet, und zum erstenmal gingen ihm die Augen darüber auf, daß der Pfarrhof im Grunde gar nicht so ungemütlich war. Die lange Mittagstafel war draußen unter den Tannen gedeckt und prangte festlich mit dem schneeweißen Gedeck, dem weiß und blauen Porzellan, den Gläsern und den künstlich aufgestellten Servietten. Zwei Birken waren am Eingang eingepflanzt, die Diele war mit Wacholderzweigen bestreut, vom Dachbalken herab hing ein Blumenkranz, in allen Zimmern standen Blumen, der dumpfe Geruch war vertrieben, und die grünlichen Fensterscheiben glitzerten vergnügt im Sonnenschein. Der Pfarrer war so herzensfroh, er gelobte sich selber, nie wieder zu trinken. An der ganzen Tafel sah man nur frohe Gesichter. Die Männer, die vorhin hochherzig gewesen waren und verziehen hatten, waren froh, und die Pfarrer und Pröpste waren froh, weil der Skandal glücklich vermieden war. Der gute Bischof erhob sein Glas und sagte, er habe diese Reise schweren Herzens angetreten, denn es seien böse Gerüchte an sein Ohr gedrungen. Er sei ausgezogen, um einen Saulus zu finden, aber siehe, aus dem Saulus sei schon ein Paulus geworden, der mehr arbeiten werde als alle andern. Und der fromme Herr sprach weiter von den reichen Gaben, die ihr junger Bruder erhalten habe, und pries sie. Er solle nicht hochmütig werden, sondern alle seine Kräfte anspannen und acht auf sich geben, wie es dem gezieme, der eine so überaus schwere und kostbare Last auf den Schultern trage. Der Pfarrer betrank sich nicht an jenem Mittag, aber berauscht war er trotzdem. Das große, unerwartete Glück stieg ihm zu Kopf. Der Himmel hatte die Feuerzunge der Inspiration über ihm flammen lassen, und die Menschen hatten ihm ihre Liebe geschenkt. Das Blut brauste ihm noch fieberheiß und heftig durch die Adern, als der Abend kam und die Gäste ihn verließen. Bis tief in die Nacht hinein saß er noch auf seinem Zimmer und ließ die Nachtluft durch das offene Fenster strömen, um das Glückseligkeitsfieber, diese jauchzende Unruhe zu kühlen, die ihn nicht schlafen ließ. Da vernahm er eine Stimme: »Wachst du, Pfarrer?« Und über dem Rasenplatz näherte sich ein Mann dem Hause. Der Pfarrer blickte hinaus und erkannte den starken Kapitän Christian Bergh, einen seiner getreuen Trinkgenossen. Ein umherstreifender Mann, ohne Haus und Heim, war dieser Kapitän Christian, und ein Riese an Gestalt und Körperkräften, groß wie ein Berg und dumm wie ein Berggeist. »Freilich wache ich, Kapitän«, antwortete der Pfarrer. »Meinst du, dies sei eine Nacht, in der man schlafen könne?« Und nun hört, was ihm Kapitän Christian erzählt. Der Riese hat seine Ahnungen gehabt, er hat begriffen, daß sich der Pfarrer hinfort scheuen werde zu trinken. Er würde nie wieder Ruhe haben vor diesen Pfarrern aus Karlstad, sie waren einmal dagewesen und konnten jederzeit wiederkommen und ihm, falls er in sein altes Laster verfiel, den Talar ausziehen. Nun hatte sich aber Kapitän Christian der Sache mit seiner starken Hand angenommen, er hatte es so gemacht, daß kein Pfarrer, kein Probst und auch kein Bischof wiederkommen würde. In Zukunft konnten der Pfarrer und seine Freunde dort im Pfarrhof trinken, soviel sie wollten, denn der Kapitän hat eine Heldentat ausgeführt. Als der Bischof und die drei Geistlichen in die geschlossene Kutsche gestiegen waren und man die Türen fest hinter ihnen geschlossen hatte, da hatte sich der Kapitän auf den Bock gesetzt und sie eine oder zwei Meilen in der hellen Sommernacht gefahren. Und er hatte sie fühlen lassen, was es heiße, mit dem Leben in der Hand dasitzen. Er hatte die Pferde in rasendem Galopp dahinsausen lassen. Das war ihre Strafe, weil sie einem ehrlichen Manne nicht gönnten, sich einen Rausch anzutrinken. Glaubt ihr, daß er auf der Landstraße blieb? Glaubt ihr, daß er sich genierte, sie tüchtig durchzuschütteln? Er fuhr über Gräben und Stoppelfelder, er rutschte in sausendem Galopp die Hügel hinab, er lenkte in den See hinein, so daß das Wasser bis über die Räder aufspritzte, und er ließ das Gefährt Bergabhänge hinabfahren, so daß die Pferde die Vorderbeine steif vorsetzten und sich gleiten ließen. Und die ganze Zeit hindurch saßen der Bischof und die Geistlichen mit bleichen Gesichtern da und murmelten Gebete. Eine schlimmere Fahrt hatten sie niemals erlebt. Und man kann sich vorstellen, wie sie aussahen, als sie im Gasthof zu Rissäter ankamen -- lebendig, aber durchgeschüttelt wie Hagelkörner in einem ledernen Beutel. »Was hat dies zu bedeuten, Kapitän Christian?« fragt der Bischof, als er ihnen die Wagentür öffnet. »Es bedeutet, daß der Herr Bischof sich die Sache zweimal überlegen soll, ehe er wieder auf Visitationsreisen zu Gösta Berling kommt«, sagt Kapitän Christian, und den Satz hat er vorher gemacht und auswendig gelernt, um nicht im Text stecken zu bleiben. »Dann grüße nur Gösta Berling und sag ihm, zu ihm käme weder ich noch ein anderer Bischof jemals wieder.« Diese Heldentat erzählt der starke Kapitän dem Pfarrer, während er in der hellen Sommernacht vor seinem geöffneten Fenster steht. Denn der Kapitän hat soeben die Pferde im Krug abgeliefert und sich dann mit seiner Neuigkeit nach dem Pfarrhof begeben. »Jetzt kannst du ruhig sein, Herzensbruder«, sagte er. Ach, Kapitän Christian, wohl saßen die Geistlichen mit bleichen Gesichtern im Wagen, aber der Pfarrer hier am Fenster starrte mit einem weit bleicheren Gesicht in die helle Sommernacht hinaus. Ach, Kapitän Christian! Der Pfarrer hob den Arm in die Höhe und schickte sich an, dem Riesen einen gewaltigen Schlag in das grobe, dumme Gesicht zu versetzen, aber er besann sich. Mit lautem Getöse schlug er das Fenster zu und blieb mitten im Zimmer stehen, seine geballte Faust dräuend gen Himmel erhoben. Er, über dem die Feuerzunge der Inspiration geflammt hatte, er, der die Ehre Gottes verkündet hatte, er stand dort und dachte, daß Gott sein Gaukelspiel mit ihm getrieben habe. Mußte der Bischof nicht glauben, daß der Pfarrer Kapitän Christian ausgesandt habe? Mußte er nicht glauben, daß er den ganzen Tag geheuchelt und gelogen habe? Jetzt würde er sicher Ernst machen mit dem Verfahren gegen ihn, ihn erst suspendieren und ihn dann absetzen. Als der Morgen kam, war der Pfarrer aus dem Pfarrhaus verschwunden. Er hatte nicht bleiben und sich verteidigen wollen. Gott hatte ihn zum Narren gehabt. Gott wollte ihm nicht helfen. Er wußte, daß er abgesetzt werden würde. Gott wollte es so. Dann konnte er ja ebensogut gleich gehen. Dies trug sich in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts in Schweden, in einer entlegenen Gemeinde des westlichen Wermland zu. Es war dies das erste Unglück, das über Gösta Berling hereinbrach; es sollte nicht das letzte bleiben. Denn für die Pferde, die weder Sporen noch Peitsche dulden, ist das Leben nicht leicht. Bei jedem Schmerz, der sie trifft, fahren sie dahin auf wilden Wegen, den gähnenden Abgründen zu. Sobald der Weg steinig ist und die Fahrt schwer wird, wissen sie sich nicht anders zu helfen, als die Fuhre umzuwerfen und in tollem Galopp dahinzusprengen. Der Bettler An einem kalten Tag im Dezember kam ein Bettler den Brobyer Hügel hinaufgewandert. Seine Kleidung bestand aus den elendsten Lumpen, und seine Schuhe waren so zerrissen, daß der kalte Schnee seine Füße durchnäßte. Der Löfsee ist ein langes, schmales Gewässer in Wermland, das sich an ein paar Stellen zu einem schmalen Sund verengert. Er erstreckt sich nach Norden zu bis an die finnischen Wälder und nach Süden bis an den Wenersee. Mehrere Kirchspiele liegen an seinen Ufern, von allen aber ist die Broer Gemeinde die reichste und größte. Sie nimmt einen guten Teil des östlichen wie auch des westlichen Ufers ein, an letzterem aber liegen die größten Güter, Edelsitze wie Ekeby und Björne, weitberühmt wegen ihres Reichtums und ihrer Schönheit, sowie Broby, ein größerer Flecken mit einem Krug, Gasthaus, Thinghaus, Amtmannswohnung, Pfarrhof und Marktplatz. Broby liegt an einem steilen Abhang. Der Bettler war an dem Kruge vorübergekommen, der an dem Fuß des Hügels liegt, und arbeitete sich nun nach dem auf dem Gipfel gelegenen Pfarrhof hinauf. Vor ihm her ging ein kleines Mädchen, das einen Schlitten zog, auf dem ein Sack Mehl lag. Der Bettler holte das kleine Mädchen ein und begann eine Unterhaltung mit ihm. »Das ist doch ein kleines Pferd für eine so schwere Last«, meinte er. Das Kind wandte sich um und sah ihn an. Es war ungefähr zwölf Jahre alt, klein, mit spähenden, scharfen Augen und einem zusammengekniffenen Mund. »Gott gebe, daß das Pferd kleiner und die Last größer wäre, dann hielte sie wohl länger vor«, erwiderte das Mädchen. »Ist es vielleicht dein eigenes Futter, was du da schleppst?« »Ja, Gott sei's geklagt. Ich muß mir meine Nahrung selber verschaffen, so klein ich bin.« Der Bettler schob von hinten an dem Schlitten. Das Mädchen wandte sich um und sah ihn an. »Du brauchst nicht zu glauben, daß du etwas dafür bekommst«, sagte sie. Der Bettler lachte laut auf. »Du bist wohl die Tochter des Pfarrers von Broby,« sagte er, »das kann man merken.« »Freilich bin ichs. Einen ärmeren Vater hat manch ein Kind -- einen schlechteren Vater hat keins. Es ist die reine Wahrheit, wenngleich es auch eine Schande ist, daß sein eigen Kind es sagen muß.« »Er ist wohl geizig und böse obendrein, dein Vater?« »Geizig ist er und böse obendrein, aber seine Tochter wird, wenn sie am Leben bleibt, noch schlimmer als er, das sagen alle Leute.« »Darin mögen die Leute recht haben. Ich möchte wohl wissen, wie du zu dem Sack Mehl gekommen bist.« »Es kann wohl nicht schaden, wenn ich dirs sage. Ich nahm heute morgen Korn aus des Vaters Scheune, und nun bin ich damit zur Mühle gewesen.« »Wird er dich denn nicht sehen, wenn du nun damit angeschleppt kommst?« »Du scheinst mir noch ziemlich grün zu sein! Vater ist auf einer Amtsreise!« »Da kommt jemand hinter uns den Hügel hinaufgefahren. Ich kann den Schnee unter den Schlittenkufen knirschen hören. Wenn er das nun wäre?« Die Kleine lauschte und spähte; dann fing sie an zu brüllen. »Das ist Vater!« schluchzte sie. »Er schlägt mich tot. Er schlägt mich tot!« »Ja, nun ist guter Rat teuer, und ein schneller Rat ist besser als Gold und Silber«, sagte der Bettler. »Weißt du was,« sagte das Kind, »du kannst mir helfen. Nimm den Strick und zieh den Schlitten, dann glaubt Vater, daß es der deine ist.« »Was soll ich denn damit machen?« fragte der Bettler und warf den Strick über die Schulter. »Geh damit hin, wohin du willst, komm aber, sobald es dunkel wird, nach dem Pfarrhof. Ich werde dir schon aufpassen.« »Ich kann es ja versuchen.« »Gott gnade dir, wenn du nicht kommst!« rief das Mädchen und lief dann, so schnell es konnte, um vor dem Vater nach Hause zu kommen. Der Bettler wandte den Schlitten schweren Herzens und schob ihn nach dem Krug hinab. Der Ärmste hatte seinen Traum gehabt, während er dort auf nackten Füßen durch den Schnee watete. Er hatte von den großen Wäldern nördlich vom Löfsee -- von den großen finnischen Wäldern geträumt. Hier unten in der Broer Gemeinde, wo er jetzt an dem schmalen Sund entlang wanderte, der den oberen und den unteren Teil des Sees miteinander verband, in diesen reichen, fröhlichen Gegenden, wo ein Schloß neben dem andern, ein Eisenwerk neben dem andern liegt, hier war ihm der Weg zu schwer, jedes Zimmer zu eng, jedes Bett zu hart. Hier empfand er ein schmerzliches Sehnen nach dem Frieden der großen, ewigen Wälder. Hier hörte er den Dreschflegel auf die Tenne fallen, als solle das Dreschen nie ein Ende haben. Holz- und Kohlenladungen kamen unablässig aus den unerschöpflichen Waldungen herab. Endlose Reihen erzbeladener Wagen zogen in tiefen Spuren, die Hunderte von Vorgängern hinterlassen hatten, die Wege entlang. Hier sah er Schlitten von Gehöft zu Gehöft fahren, und es war ihm, als führe die Freude die Zügel, als stehe Schönheit und Liebe hinten auf den Kufen. Ach, wie sich der arme einsame Wanderer nach dem Frieden der großen Wälder sehnte! Dort oben, wo die Bäume wie schlanke Säulen aus der ebenen Fläche emporragen, wo der Schnee in schweren Schichten auf den unbeweglichen Zweigen liegt, wo der Wind keine Macht hat, sondern nur ganz leise mit den Nadeln der Wipfel spielen kann, _dort_ wollte er tiefer und tiefer in den Wald hinein wandern, bis ihn die Kräfte eines Tages verlassen würden und er unter den großen Bäumen umsank, um vor Hunger und Kälte zu sterben. Er sehnte sich nach dem großen, sausenden Grab oberhalb des Löfsees, wo ihn die zerstörenden Mächte übermannen konnten, wo es endlich dem Hunger, der Kälte, der Ermattung und dem Branntwein gelingen mochte, die Herrschaft über diesen elenden Körper zu gewinnen, der allem zu widerstehen schien. Er war nach dem Krug hinuntergekommen und wollte dort bis zum Abend warten. Er trat in die Schenkstube und saß in stumpfer Ruhe auf der Bank neben der Tür, von den ewigen Wäldern träumend. Die Schenkwirtin hatte Mitleid mit ihm und gab ihm ein Glas von ihrem starken, süßen Branntwein. Und sie gab ihm noch eins dazu, weil er sie so inständig darum bat. Mehr wollte sie ihm nicht geben, und der Bettler geriet in helle Verzweiflung. Er _mußte_ mehr haben von diesem starken, süßen Branntwein. Er mußte noch einmal fühlen, wie ihm das Herz im Leibe hüpfte, wie die Gedanken im Rausch aufflammten. O, dies herrliche Kornbräu! Des Sommers Sonne, des Sommers Vogelsang, des Sommers Duft und Schönheit umfluteten ihn auf seinen Wogen. Noch einmal, ehe er in Nacht und Finsternis verschwindet, will er Sonne und Glück trinken. Und so vertauschte er denn erst das Mehl, dann den Mehlsack und schließlich den Schlitten -- alles gegen Branntwein. Damit trank er sich einen tüchtigen Rausch an und verschlief den größten Teil des Nachmittags auf einer Bank in der Schenkstube. Als er erwachte, sah er ein, daß ihm nur eins hier auf der Welt übrigblieb. Sintemal dieser elende Körper die ganze Herrschaft über seine Seele gewonnen hatte, sintemal er das vertrinken konnte, was ihm ein Kind anvertraut hatte, sintemal er eine Schande für die Erde war, mußte er sie von der Last all dieses Elends befreien. Er mußte seiner Seele die Freiheit schenken, mußte sie zu Gott gehen lassen. Er lag auf der Bank in der Schenkstube und ging mit sich selber ins Gericht: »Gösta Berling, abgesetzter Pfarrer, angeklagt, das Eigentum eines hungernden Kindes vertrunken zu haben, wird zum Tode verurteilt. Zu welchem Tode? Zum Tode im Schnee.« Er griff nach seiner Mütze und wankte hinaus. Er war weder ganz wach noch ganz nüchtern. Er weinte aus Mitleid mit sich selber, mit seiner armen, erniedrigten Seele, der er die Freiheit schenken mußte. Er ging nicht weit und entfernte sich auch nicht vom Wege. Am Rande des Weges hatte der Wind den Schnee hoch aufgetürmt, dort legte er sich hin, um zu sterben. Er schloß die Augen und versuchte zu schlafen. Niemand weiß, wie lange er so gelegen haben mochte, aber es war noch Leben in ihm, als die Tochter des Brobyer Pfarrers die Landstraße dahergelaufen kam, eine Laterne in der Hand, und ihn am Wegesrande im Schnee liegen sah. Sie hatte stundenlang auf ihn gewartet, jetzt war sie die Brobyer Hügel hinabgelaufen, um sich umzusehen, wo er denn nur blieb. Sie erkannte ihn sofort und fing an ihn zu schütteln und aus Leibeskräften zu schreien, um ihn zu erwecken. Sie mußte wissen, was der Mann mit ihrem Mehlsack gemacht hatte. Sie mußte ihn ins Leben zurückrufen -- wenigstens so lange, daß er ihr sagen konnte, was aus ihrem Schlitten und ihrem Mehlsack geworden war. Ihr Vater würde sie totschlagen, wenn sie seinen Schlitten fortgebracht hatte. Sie beißt den Bettler in den Finger, zerkratzt ihm das Gesicht und schreit wie eine Verzweifelte. Da kam jemand die Landstraße entlang gefahren. »Wer zum Teufel schreit denn da so?« fragte eine barsche Stimme. »Ich will wissen, was er mit meinem Schlitten und mit meinem Mehlsack gemacht hat«, schluchzte das Kind und schlug den Bettler mit den geballten Fäusten vor die Brust. »Schämst du dich nicht, einen erfrorenen Mann so zu zerkratzen? Fort mit dir, du wilde Katze!« Eine große, grobknochige Frau entstieg dem Schlitten und näherte sich dem Schneehaufen. Das Kind ergriff sie beim Nacken und schleuderte es auf die Landstraße. Dann beugte sie sich herab, schob den Arm unter den Rücken des Bettlers und hob ihn in die Höhe. So trug sie ihn bis an den Schlitten und legte ihn hinein. »Komm mit in die Schenke, du wilde Katze!« rief sie der Pfarrerstochter zu, »damit wir hören, was du hierüber zu erzählen weißt.« * * * * * Eine Stunde später saß der Bettler auf einem Stuhl neben der Tür in der besten Stube der Schenke, und vor ihm stand die willensstarke Frau, die ihn aus dem Schnee errettet hatte. So wie Gösta Berling sie jetzt auf dem Heimwege vom Kohlenfahren in den Wäldern sah, mit rußigen Händen, eine Tonpfeife im Munde, bekleidet mit einem kurzen, ungefütterten Pelz aus Lammfellen und einem Kleide aus gestreiftem Beiderwand, mit eisenbeschlagenen Schuhen an den Füßen, ein Messer in einer Scheide in das Mieder gesteckt, so wie er sie da vor sich stehen sah, das graue Haar über dem alten, schönen Gesicht glatt in die Höhe gestrichen -- so hatte er sie wohl tausendmal beschreiben hören, und er wußte, daß er mit der weit und breit bekannten Majorin aus Ekeby zusammengetroffen war. Sie war die mächtigste Frau in Wermland, die Herrin über sieben Eisenwerke, gewohnt zu befehlen und zu gebieten. Und er war nur ein elender, zum Tode verurteilter Bettler, der nicht das Geringste besaß und der es fühlte, daß ihm jeder Weg zu schwer, jede Stube zu eng war. Sein Körper bebte vor Angst, während ihr Blick auf ihm ruhte. Sie stand schweigend da und sah herab auf diesen Haufen menschlichen Elends vor ihr, auf die roten, geschwollenen Hände, die abgezehrte Gestalt und den herrlichen Kopf, der trotz des Verfalls und der Vernachlässigung in wilder Schönheit strahlte. »Er ist Gösta Berling, der tolle Pfarrer?« fragte sie. Der Bettler saß unbeweglich da. »Ich bin die Majorin auf Ekeby.« Es ging ein Beben durch den Bettler. Er faltete seine Hände und erhob die Augen mit sehnsuchtsvollem Blick. Was wollte sie ihm? Wollte sie ihn zwingen zu leben? Er bebte vor ihrer Stärke. Er war ja doch dem Frieden der ewigen Wälder so nahe gewesen! Sie begann den Kampf, indem sie ihm sagte, daß die Tochter des Brobyer Pfarrers ihren Schlitten und ihren Mehlsack wiederbekommen, und daß sie, die Majorin, für ihn wie für so viele andere ein Heim im Kavalierflügel auf Ekeby habe. Sie biete ihm ein Leben in Lust und Freude an. Er aber antwortete, daß er sterben müsse. Da schlug sie mit der geballten Faust auf den Tisch und sagte ihm ihre Ansicht offen heraus. »Also sterben will Er -- sterben? Ja, darüber würde ich mich nicht wundern, wenn Er überhaupt lebte. Aber seh Er nur Seinen abgezehrten Körper, Seine ohnmächtigen Glieder, die matten Augen an -- glaubt Er wirklich, daß da noch viel zu töten ist? Glaubt Er, daß man, um tot zu sein, unter einem zugenagelten Sargdeckel zu liegen braucht? Glaubt Er nicht, daß ich es Ihm ansehen kann, wie tot Er ist, Gösta Berling, tot! Ich sehe, daß ein grinsender Totenkopf auf Seinen Schultern sitzt, und es scheint mir, als sehe ich die Würmer durch Seine Augenhöhlen aus- und einkriechen. Merkt Er nicht, daß Er den Mund voll Erde hat? Kann Er nicht hören, wie die Gebeine rasseln, sobald Er sich bewegt? Er hat sich in Branntwein ertränkt, Gösta Berling, und tot ist Er. Was sich jetzt in Ihm rührt, ist nur das Totengebein, und dem will Er es nicht gönnen zu leben -- wenn man das überhaupt Leben nennen kann? Es ist fast, als wolle Er den Toten einen Tanz über die Gräber im Mondschein mißgönnen. »Schämt Er sich, daß Er Pfarrer gewesen ist, weil Er jetzt sterben will? Es wäre ehrenvoller, wenn Er jetzt Seine Gaben dazu verwenden wollte, Nutzen zu schaffen auf Gottes grüner Erde -- das kann Er mir glauben. Weshalb ist Er nicht gleich zu mir gekommen? Da hätte ich die Sache schon für Ihn ordnen wollen. Ja, nun erwartet Er wohl viel Ehre davon, eingekleidet und auf Hobelspäne gelegt und eine schöne Leiche genannt zu werden!« Der Bettler saß ruhig, halb lächelnd da, während sie ihre heftigen Worte über ihn hindonnern ließ. Das hat keine Not, jubelte er, keine Not! Die ewigen Wälder warten, und sie hat keine Macht, meine Seele davon abzuwenden. Die Majorin aber schwieg und ging ein paarmal im Zimmer auf und nieder; dann nahm sie Platz am Kamin, setzte die Füße auf den Rost und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Tausend Teufel auch,« fuhr sie fort und lachte vor sich hin. »Was ich da sage, ist so wahr, daß ich es selber kaum gemerkt habe. Glaubt Er nicht, daß die meisten Menschen in dieser Welt tot oder doch halbtot sind? Glaubt Er etwa, daß ich lebe? Ach nein! Ach nein! »Ja, sieh Er mich nur an! Ich bin die Majorin auf Ekeby, und ich sollte meinen, daß ich die mächtigste Frau in ganz Wermland bin. Winke ich mit einem Finger, so springt der Landrat, und winke ich mit zweien, so springt der Bischof, und winke ich mit dreien, so tanzen Domkapitel und Ratsherren und alle Grundbesitzer in ganz Wermland Polka auf dem Markt zu Karlstad. Tausend Teufel, ich sage Ihm, Pfarrer, ich bin nichts als eine aufgeputzte Leiche. Unser Herrgott weiß am besten, wie wenig Leben in mir ist.« Der Bettler beugte sich vor und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit. Die alte Majorin saß vor dem Feuer und wiegte sich hin und her. Sie sah ihn nicht an, während sie sprach. »Glaubt Er nicht,« fuhr sie fort, »daß ich, wenn ich ein lebendiges Menschenkind gewesen wäre, das Ihn dort so elend und traurig mit Selbstmordgedanken im Herzen sitzen sah -- daß ich sie da nicht alle mit einem Atemhauch aus Seinem Herzen hätte vertreiben können? Da hätte ich Tränen für Ihn gehabt und Gebete, die alles in Ihm aufgerührt hätten, und ich hätte Seine sündige Seele erlöst. Jetzt aber bin ich tot. Gott allein weiß, wie wenig Leben noch in mir ist. »Hat Er gehört, daß ich einstmals die schöne Margarete Celsing war? Das war nicht gestern, aber noch heute kann ich dasitzen und meine alten Augen rot weinen über sie. Weshalb mußte Margarete Celsing sterben und Margarete Samzelius leben? Weshalb soll die Majorin auf Ekeby leben? Kann Er mir das sagen, Gösta Berling? »Weiß Er, wie Margarete Celsing beschaffen war? Sie war schlank und fein und sittsam und unschuldig, Gösta Berling. Sie gehörte zu denen, auf deren Grabe die Engel weinen. Sie kannte nichts Böses, niemand hatte ihr Kummer gemacht, sie war gut gegen alle. Und schön war sie. »Da war ein herrlicher Mann, Altringer hieß er. Gott mag wissen, wie es kam, daß er da oben in die wilde Einöde des Elfdals hinaufgeriet, wo ihrer Eltern Gut lag. Ihn sah Margarete Celsing, er war schön, er war ein Mann, und er liebte sie. Aber er war arm, und sie kamen überein, daß sie fünf Jahre aufeinander warten wollten, wie es im Liede heißt. »Als die drei ersten Jahre verstrichen waren, meldete sich ein anderer Freier. Er war häßlich zu schauen, ihre Eltern glaubten aber, daß er reich sei, und sie zwangen sie durch Reden und Versprechungen, durch Schläge und böse Worte, ihn zum Manne zu nehmen. An jenem Tage starb Margarete Celsing. »Seit jener Zeit hat es keine Margarete Celsing gegeben, sondern nur eine Majorin Samzelius, und sie war nicht gut, nicht sittsam; sie glaubte an viel Böses und gab nicht acht auf das Gute. »Du weißt es wohl, wie dann alles gekommen ist. Wir wohnten in Sjö, hier am Löfsee, der Major und ich. Aber er war nicht reich, wie die Leute gesagt hatten. Ich hatte oft schwere Tage. »Da kam Altringer heim, und nun war er reich. Er ward Besitzer von Ekeby und unser Nachbar. Er kaufte auch noch sechs andere Güter am Löfsee. Er war tüchtig, unternehmend; ein herrlicher Mann war er. Er stand uns bei in unserer Armut, wir fuhren in seinem Wagen, er sandte uns Speisen für unsere Küche, Wein für unsern Keller. Er füllte mein Leben mit Fest und Freude. Als der Krieg ausbrach, reiste der Major fort, was aber kehrten wir uns daran! Den einen Tag war ich sein Gast auf Ekeby, den nächsten Tag kam er nach Sjö. Ach, es ging wie ein Freudenreigen an den Ufern des Sees entlang! »Dann aber fingen sie an, Böses über mich und Altringer zu reden. Hätte Margarete Celsing gelebt, so würde es sie sicherlich betrübt haben, mir aber tat es nichts. Doch wußte ich noch nicht, daß ich, weil ich tot war, so gefühllos war. »Die bösen Gerüchte über uns fanden ihren Weg bis zu meinem Vater und meiner Mutter, die da oben zwischen den Kohlenmeilern im Elfdalswalde lebten. Die Alte besann sich nicht lange; sie reiste hierher, um mit mir zu reden. »Eines Tages, als der Major fort war und ich mit Altringer und mehreren anderen zu Tische saß, kam sie nach Sjö. Ich sah sie in den Saal eintreten, aber ich fühlte nicht, daß es meine Mutter war. Gösta Berling. Ich begrüßte sie wie eine Fremde und bat sie, an meinem Tische niederzusitzen und teil an der Mahlzeit zu nehmen. Sie wollte mit mir reden, als wenn ich ihre Tochter sei, aber ich sagte ihr, sie irre sich, meine Eltern lebten nicht mehr, sie seien beide an meinem Hochzeitstage gestorben. »Da ging sie auf das Spiel ein. Siebzig Jahre zählte sie, dreißig Meilen war sie in drei Tagen gefahren. Jetzt setzte sie sich ohne weitere Umstände an den Mittagstisch und aß mit uns; sie war eine kräftige alte Frau. »Sie meinte, es sei doch traurig, daß ich just an dem Tage einen solchen Verlust erlitten habe. »Das Traurigste bei der Sache war, entgegnete ich, daß meine Eltern nicht einen Tag früher gestorben wären, denn dann wäre nichts aus der Hochzeit geworden. »Frau Majorin sind also nicht glücklich in Ihrer Ehe? fragte sie darauf. »Ja, sagte ich, jetzt bin ich glücklich. Ich werde stets glücklich sein, dem Willen meiner teuren Eltern zu folgen. »Sie fragte, ob es der Wille meiner Eltern gewesen sei, Scham und Schande über sie und mich selber zu bringen und meinen Gatten zu betrügen. Wenig Ehre erzeige ich meinen Eltern, indem ich mich selber in der Leute Mund bringe. »Sie müssen so liegen, wie sie sich gebettet haben, erwiderte ich. Und übrigens mag die fremde Dame wissen, daß ich mich nicht darein finde, daß jemand die Tochter meiner Eltern verhöhnt. »Wir aßen allein, wir beide. Die Männer rings um uns her saßen schweigend da und konnten weder Messer noch Gabel rühren. »Die Alte blieb einen Tag und eine Nacht, um sich auszuruhen. Aber solange ich sie sah, konnte ich nicht begreifen, daß es meine Mutter war. Ich wußte nur, daß meine Mutter gestorben sei. »Als sie reisen wollte, Gösta Berling, und ich neben ihr auf der Treppe stand und der Wagen vorgefahren war, da sagte sie zu mir: Einen Tag und eine Nacht bin ich hier gewesen, ohne daß du mich als Mutter hast anerkennen wollen. Auf öden Wegen bin ich hierhergereist, dreißig Meilen in drei Tagen. Und aus Scham über dich zittert mein alter Körper, als sei er mit Ruten gepeitscht. Möchtest du verleugnet werden, wie ich verleugnet worden bin, verstoßen werden, wie ich verstoßen bin. Möge die Landstraße dein Heim, der Graben dein Bett, der Kohlenmeiler deine Feuerstätte werden. Schande und Verschmähung sei dein Lohn, mögen dich andere schlagen, so wie ich dich jetzt schlage! »Und sie versetzte mir einen harten Schlag auf die Wange. »Ich aber hob sie auf, trug sie die Treppe hinab und setzte sie in den Wagen. »Wer bist du, daß du mich verfluchst? fragte ich. Wer bist du, daß du mich schlägst? Das leide ich von niemand! »Und ich gab ihr die Ohrfeige zurück. Im selben Augenblick fuhr der Wagen, aber da, in dem Augenblick, Gösta Berling, wußte ich, daß Margarete Celsing tot war. Sie war gut und unschuldig. Sie kannte nichts Böses. Die Engel würden auf ihrem Grabe geweint haben. Hätte sie gelebt, sie würde niemals ihre Mutter geschlagen haben.« Der Bettler an der Tür hatte gelauscht, und die Worte hatten für einen Augenblick das Sausen der ewigen Wälder übertäubt. Sieh, diese reiche Frau stieg zu ihm herab in ihren Sünden, ward seine Schwester in ihrem Elend, nur um ihm Mut zum Leben zu machen. Er sollte erkennen lernen, daß auch auf den Häuptern anderer Sorge und Schuld lastete. Er erhob sich und trat auf die Majorin zu. »Willst du jetzt leben, Gösta Berling?« fragte sie mit einer Stimme, die von Tränen fast erstickt war. »Weshalb willst du sterben? Du hättest ein tüchtiger Pfarrer werden können, nie aber war der Gösta Berling, den du in Branntwein ertränktest, so strahlend unschuldsrein wie die Margarete Celsing, die ich in Haß erstickte. Willst du jetzt leben?« Gösta fiel vor der Majorin auf die Knie. »Vergib mir«, sagte er, »aber ich kann nicht!« »Ich bin eine alte Frau,« sagte die Majorin, »verhärtet in bitterem Kummer, und ich sitze hier und gebe mich selber einem Bettler preis, den ich halb erfroren in einer Schneewehe am Wege gefunden habe. Es geschieht mir recht. Geh Er nur hin und werd' Er ein Selbstmörder, dann kann Er jedenfalls nichts von meiner Torheit erzählen.« »Ich bin kein Selbstmörder, ich bin ein zum Tode Verurteilter. Mache mir den Kampf nicht zu schwer! Ich kann nicht leben. Mein Körper hat die Obergewalt über meine Seele gewonnen, deswegen muß ich die freigeben, damit sie zu Gott kommen kann.« »Er glaubt also, daß sie zu Gott kommt?« »Lebt wohl, Majorin Samzelius, und habt Dank!« »Leb wohl, Gösta Berling!« Der Bettler erhob sich und ging mit hängendem Kopf und schleppenden Schritten auf die Tür zu. Diese Frau machte ihm den Weg zu den ewigen Wäldern schwer. Als er an die Tür kam, mußte er sich umwenden. Da begegnete er einem Blick der Majorin, die regungslos dasaß und ihm nachsah. Er hatte niemals eine solche Veränderung in einem Gesicht wahrgenommen, und er stand still und starrte sie an. Sie, die eben noch böse und drohend gewesen war, saß still da wie verklärt, und ihre Augen strahlten vor erbarmender, mitleidiger Liebe. Es war etwas in ihm, in seinem verwilderten Herzen, das vor diesem Blick schmolz; er lehnte seine Stirn gegen den Türpfosten, hob die Arme über dem Kopf in die Höhe und weinte, als wenn sein Herz brechen sollte. Die Majorin warf die Tonpfeife ins Feuer und kam zu ihm hin. Ihre Bewegungen waren plötzlich so sanft wie die einer Mutter. »Nun, nun, mein Junge!« Und sie zog ihn zu sich auf die Bank neben der Tür, so daß er, den Kopf in ihrem Schoß, weinte. »Will Er noch sterben?« Er wollte aufspringen. Sie mußte ihn mit Gewalt festhalten. »Jetzt sage ich Ihm zum letztenmal, daß Er tun kann, was Er will. Das aber verspreche ich Ihm, wenn Er leben will, so werde ich die Tochter des Brobyer Pfarrers zu mir nehmen und sie zu einem tüchtigen Menschen erziehen: dann kann Er ja Gott danken, daß Er ihr Mehl stahl. Nun, will Er?« Er hob den Kopf in die Höhe und sah ihr in die Augen. »Ist das Euer Ernst?« »Freilich ist es das, Gösta Berling.« Da rang er die Hände in unsagbarer Angst. Er sah vor sich die eingeschüchterten Augen, die zusammengekniffenen Lippen, die kleinen, abgemagerten Hände. Das arme kleine Wesen sollte Schutz und Pflege haben, das Brandmal der Erniedrigung sollte aus ihrem Körper getilgt werden, wie das Böse aus ihrer Seele. Jetzt ward ihm der Weg zu den ewigen Wäldern verschlossen. »Ich werde mir das Leben nicht nehmen, solange sie unter Eurem Schutz steht«, sagte er. »Ich wußte es ja, daß die Majorin stärker sei als ich, daß sie mich zwingen würde zu leben.« »Gösta Berling,« sagte sie feierlich, »ich habe um dich gekämpft wie um meine eigene Seligkeit. Ich sagte zu Gott: Wenn noch eine Spur von Margarete Celsing in mir ist, so mache, daß sie sich zu erkennen gibt und den Mann verhindert, sich das Leben zu nehmen! Und Gott erhörte mein Flehen, und du hast sie gesehen, und deswegen konntest du nicht gehen. Und sie flüsterte mir zu, daß du vielleicht um des armen Kindes willen den Gedanken an den Tod aufgeben würdest. Ach, ihr fliegt so kühn, ihr wilden Vögel, Gott aber kennt das Netz, das euch fangen kann.« »Er ist ein großer, wunderbarer Gott!« sagte Gösta Berling. »Er hat mich zum Narren gehabt und mich verworfen, aber er will mich nicht sterben lassen. Sein Wille geschehe.« Seit jenem Tage wurde Gösta Berling Kavalier auf Ekeby. Zweimal versuchte er es, sich loszumachen und sich einen Weg zu bahnen, um von der eigenen Arbeit zu leben. Das einemal gab ihm die Majorin ein Haus in der Nähe von Ekeby; er zog dahin und wollte versuchen, als Arbeiter zu leben. Es gelang ihm auch eine Zeitlang, aber er ward bald der Einsamkeit und der täglichen Arbeit müde und wurde wieder Kavalier. Das zweitemal ward er Hauslehrer auf Borg bei dem jungen Grafen Heinrich Dohna. Dort verliebte er sich in Ebba Dohna, des Grafen Schwester; als sie aber starb, gerade als er sie zu gewinnen meinte, gab er jeden Gedanken, etwas anderes als ein Kavalier auf Ekeby zu werden, auf. Es schien ihm, als seien einem abgesetzten Pfarrer alle Wege zur Wiederherstellung seiner Ehre verschlossen. Gösta Berlings Sage Die Landschaft Nun muß ich diejenigen, die den langen See, die reichen Ebenen und die blauen Berge schon kennen, bitten, daß sie einige Seiten überschlagen. Sie können es ruhig tun, das Buch wird trotzdem lang genug. Ein jeder wird verstehen, daß ich gezwungen bin, diese drei Szenerien denen zu beschreiben, die sie noch nicht gesehen haben, denn sie waren der Schauplatz, auf dem Gösta Berling und die Kavaliere ihr lustiges Leben lebten. Aber für diejenigen, die sie gesehen haben, ist es gar leicht zu verstehen, daß dies die Kräfte eines Menschen übersteigt, der nur die Feder führen kann. Am liebsten würde ich mich damit begnügen, _von dem See_ zu erzählen, daß er der Löfsee heißt, daß er lang und schmal ist, daß er sich von den großen einsamen Wäldern im nördlichen Wermland bis hinab in die Niederungen des Wenersees nach Süden zu erstreckt; _von der Ebene_, daß sie zu beiden Seiten des Sees dahinläuft, und _von den Bergen_, daß sie mit ihren ragenden Ketten das ganze Tal umschließen. Aber das ist nicht genug für mich, wenn ich den See meiner Kindheitsträume und das Leben meiner Kindheitshelden schildern will. Die Quellen des Sees liegen hoch oben im Norden, und da ist ein herrliches Land für einen See. Wald und Berge werden niemals fertig, Wasser für ihn zu sammeln, Elfe und Bäche stürzen das ganze Jahr hindurch in ihn hinab. Er hat feinen, weißen Sand, auf dem er sich ausstrecken kann, Landzungen und Inseln, die er widerspiegeln kann, da ist freier Spielraum für den Wassermann und die Meerfrau, und er wächst groß und schön heran. Da oben im Norden ist er munter und freundlich. Ihr solltet ihn nur an einem Sommermorgen sehen, wenn er ganz wach daliegt und unter dem Nebelschleier blitzt, wie lustig er da ist. Er verbirgt sich erst eine Weile, dann schlüpft er leise, ganz leise aus seiner lichten Hülle heraus, so bezaubernd schön, daß man ihn kaum wiedererkennen kann. Aber dann, mit einem Ruck, wirft er die ganze Decke ab und liegt da, bloß und frei und rosenrot und strahlt im Morgenlicht. Aber der See begnügt sich nicht mit Spiel und Lustigkeit; er bricht sich einen Weg durch einige Sandhügel nach Süden zu, schnürt sich zu einem engen Sund zusammen und sucht sich ein neues Reich. Das findet er, wird bald wieder groß und mächtig, hat eine bodenlose Tiefe auszufüllen und eine fleißige Gegend zu schmücken. Aber nun wird das Wasser auch dunkler, die Ufer werden weniger abwechselnd, die Winde schärfer, der ganze Charakter wird strenger. Aber es ist noch immer ein stattlicher, ein herrlicher See. Mannigfach sind die Schiffe und die Holzflöße, die auf ihm fahren, und selten findet er vor Weihnacht Zeit, sich zur Winterruhe zu legen. Oft ist er schlechter Laune; er kann weiß schäumen und Boote umstürzen, aber er kann auch in träumerischer Ruhe daliegen und den Himmel abspiegeln. Aber der See will noch weiter hinaus in die Welt, obwohl die Berge fester werden und der Platz enger wird, je weiter er hinabkommt, so daß er schließlich wie ein schmaler Sund zwischen sandigen Ufern dahinkriechen muß. Dann breitet er sich zum drittenmal aus, aber nicht mit derselben Schönheit und Macht. Die Ufer liegen flach und einförmig da, mildere Winde wehen, und der See legt sich früh zur Winterruhe. Er ist noch schön, doch er hat die Wildheit seiner Jugend und die Kraft seines Mannesalters eingebüßt -- er ist ein See wie alle anderen. Mit zwei Armen tastet er sich nach dem Wenersee hin, und wenn er den gefunden hat, stürzt er sich in Altersschwäche steile Abhänge hinab, und mit dieser letzten Heldentat begibt er sich zur Ruhe. Die Ebene ist ebensolang wie der See, aber es wird ihr schwer, vor Seen und Bergen weiter zu kommen, gleich von der Schlucht am nördlichen Endpunkt des Sees an und bis sie sich behaglich an den Ufern des Wenersees zur Ruhe legt. Natürlich würde die Ebene am liebsten an dem See entlang laufen, von dem einen Ende bis zum andern; aber das erlauben ihr die Berge nicht. Die Berge sind mächtige Mauern aus Granitgestein, mit Wäldern bedeckt, voll von Schluchten, es ist schwierig, dort zu wandern; reich sind sie an Moos und Flechten, und in alten Zeiten waren sie die Heimstätte für Unmengen von Wild. Oft stößt man oben auf den weitausgedehnten Bergrücken auf ein Moor mit Schlammboden oder auf einen Sumpf mit schwarzem Wasser, und hier und da findet man einen Köhlerplatz oder eine offene Stelle, wo Holz geschlagen ist, oder ein Stück abgesengter Heide, und das zeugt davon, daß die Berge auch Arbeit ertragen können; gewöhnlich aber liegen sie in sorgloser Ruhe da und begnügen sich damit, Licht und Schatten ihr ewiges Spiel auf ihren Abhängen spielen zu lassen. Mit diesen Bergen liegt die Ebene -- die fromm und fruchtbar ist und die Arbeit liebt -- in einem ewigen Krieg. »Könnt ihr euch nicht damit begnügen, Mauern um mich her zu errichten?« sagt die Ebene zu den Bergen; »das ist Sicherheit genug für mich.« Aber die Berge lauschen dieser Rede nicht. Sie entsenden lange Reihen von Hügeln und kahlen Hochebenen bis ganz hinab an den See. Sie bauen prächtige Aussichtstürme auf jeder Landzunge und weichen so selten von dem Ufer des Sees zurück, daß sich die Ebene nur an ganz einzelnen Stellen in dem weichen Sand des Ufers rollen kann. Aber es nützt ihr nicht, zu klagen. »Freue du dich, daß wir hier stehen«, sagen die Berge. »Denk an die Zeit vor Weihnacht, wenn die eiskalten Nebel Tag für Tag über den Löfsee dahinrollen. Wir tun gute Dienste da, wo wir stehen!« Die Ebene klagt darüber, daß sie zu wenig Platz und zu schlechte Aussicht hat. »Du Törin!« antworten die Berge; »du solltest nur fühlen, wie es hier unten am See weht. Man muß allermindestens einen Rücken aus Granitstein haben und einen Pelz aus Tannen, um das aushalten zu können. Und im übrigen kannst du froh sein, daß du uns ansehen darfst!« Und darüber ist die Ebene auch wirklich froh. Sie kennt sehr wohl jedes wunderliche Wechseln von Licht und Schatten, das über die Berge hinhuscht. Sie hat sie in der Mittagsbeleuchtung gleichsam bis zu dem Horizont hinabsinken sehen, niedrig und ganz hellblau, hat sie sich in der Morgen- und Abendbeleuchtung zu ehrwürdiger Höhe emporheben sehen, klar, blau wie der Himmel im Zenit. Zuweilen kann das Licht so scharf auf sie herabfallen, daß sie grün oder schwarzblau werden, und jede Furche, jeden Weg, jede Schlucht sieht man da aus meilenweiter Entfernung. Aber dann geschieht es an einzelnen Stellen, daß die Berge ein wenig zur Seite weichen und die Ebene nach dem See hinablugen lassen. Aber wenn sie dann den See in seinem Zorn erblickt, wie er faucht und speit gleich einer Wildkatze, oder wenn sie ihn mit dem kalten Rauch bedeckt sieht, der daher kommt, daß die Wasserleute büken oder brauen, da gibt sie gar bald den Bergen recht und zieht sich wieder in ihr enges Gefängnis zurück. Seit Olims Zeiten haben die Menschen die herrliche Ebene bebaut, und sie ist gut bevölkert. Wo sich nur ein Bach mit seinem weißschäumenden Wasserfall das Ufer hinabstürzt, lag ein Sägewerk oder eine Mühle. Auf den offenen, hellen Stellen, wo die Ebene bis an den See hinabging, lagen Kirchen und Pfarrhäuser; aber am Talrande, halbwegs am Abhang, auf den mit Steinen angefüllten Feldern, wo kein Korn gedeiht, lagen die Gehöfte der Bauern, die Offiziershäuser und hin und wieder ein Herrensitz. Aber man darf nicht vergessen, daß die Gegend in den zwanziger Jahren lange nicht so angebaut war wie jetzt. Große Strecken, die heute fruchtbare Felder tragen, lagen damals als Wald, Sumpf und See da. Die Bevölkerung war auch nicht so zahlreich und ernährte sich teils durch Fuhren, teils durch Arbeit in Mühlen und Sägewerken und an fremden Orten; der Ackerbau konnte ihnen das Leben nicht fristen. Zu jener Zeit kleideten sich die Bewohner der Ebene in selbstgewebte Stoffe, sie aßen Haferbrot und begnügten sich mit zwölf Schilling Tagelohn. Die Not war oft groß unter ihnen; aber sie wurde gemildert durch einen leichten und munteren Sinn, durch Tüchtigkeit, Handgeschicklichkeit, die namentlich an fremden Orten zur Entfaltung gelangten. Aber alle diese drei, der lange See, die reiche Ebene und die blauen Berge, bildeten die schönste Landschaft, und das tun sie noch heutigen Tages, und das Volk ist noch heute kräftig, mutig und gut begabt. Jetzt hat es auch große Fortschritte in bezug auf Wohlstand und Bildung gemacht. Möge es denen gut ergehen, die dort oben an dem langen See und an den blauen Bergen wohnen! Was ich hier schildern will, sind einige von ihren Erinnerungen. Die Christnacht Sintram heißt der böse Gutsherr auf Fors, mit dem schwerfälligen Körper, den langen Affenarmen, dem kahlen Kopf und dem häßlichen, grinsenden Gesicht, der nichts Schöneres kennt als Unfrieden stiften. Sintram heißt er, der nur Landstreicher und Raufbolde als Knechte annimmt, der nur keifende, verlogene Mägde in seinem Dienst hat, er, der die Hunde bis zur Raserei quält, indem er ihnen Knopfnadeln in die Schnauze steckt, der sich am glücklichsten zwischen bösen Menschen und wilden Tieren fühlt. Sintram heißt er, dessen schönstes Vergnügen es ist, sich wie der leibhaftige Teufel auszukleiden mit Hörnern und Schwanz und Pferdefuß, und der dann plötzlich aus den dunklen Ecken, aus dem Backofen oder hinter dem Holzschober hervorstürzt, um furchtsame Kinder und abergläubische Frauen zu erschrecken. Sintram heißt er, der sich freut, wenn er alte Freundschaft in flammenden Haß verwandeln und die Herzen mit Lügen vergiften kann. Sintram heißt er -- und eines Tages kam er nach Ekeby. * * * * * »Zieht den großen Brennholzschlitten in die Schmiede, stellt ihn in die Mitte des Raumes, legt einen Karren darüber, den Boden nach oben gewendet, dann haben wir einen Tisch. Hurra, der Tisch soll leben! »Jetzt herbei mit Stühlen und mit allem, was sich zum Sitzen benutzen läßt! Herbei mit dreibeinigen Schusterhockern und leeren Kisten! Herbei mit zerfetzten Lehnstühlen ohne Lehne, und her mit dem alten Einspännerschlitten ohne Kufen und mit der alten Karosse! Ha, ha! her mit der alten Karosse! Das soll die Rednertribüne sein. Nein, seht nur, das eine Rad ist ab, und der ganze Wagenkasten fehlt! Es ist nichts als der Bock übriggeblieben. Das Polster ist zerfetzt, die Krollhaare quellen daraus hervor, das Leder ist rot von Alter. Hoch wie ein Haus ist das alte Stück Rumpelzeug. Stoßt, stoßt, sonst stürzt es um!« Hurra! Hurra! Es ist Christnacht auf Ekeby! Hinter den seidenen Gardinen des Doppelbettes schlafen der Major und die Majorin, schlafen und glauben, daß auch der Kavalierflügel schläft. Knechte und Mägde können schlafen, übersättigt von dem festlichen Reisbrei, müde von dem starken Weihnachtsbier, nicht aber die Herren im Kavalierflügel. Kann überhaupt jemand glauben, daß der Kavalierflügel schläft? Keine barfüßigen Schmiede rasseln mit den eisernen Stangen, keine rußgeschwärzten Knaben ziehen die Kohlenkarren hinter sich her, der große Hammer hängt wie ein Arm mit geballter Faust oben unterm Dach. Der Amboß steht leer, die Öfen sperren ihren roten Schlund nicht auf, um Kohlen zu verschlingen, die Bälge knirschen nicht. Es ist Weihnacht. Die Schmiede schläft. Sie schläft, schläft! O du Menschenkind, sie schläft, wenn die Kavaliere wachen! Die langen Zangen stehen aufrecht auf dem Fußboden, halten Talglichter in ihrem Schnabel. Aus dem Zehnkannenkessel aus blankem Kupfer schlägt die blaue Flamme des Punsches zu dem dunklen Dach empor. Beerencreutz' Hornlaterne hängt an dem Stangeneisenhammer. Der gelbe Punsch schimmert in der Bowle wie die helle Sonne. Hier ist ein Tisch, und hier sind Bänke. Die Kavaliere feiern Weihnachten in der Schmiede. Hier ist Lärm und Lustigkeit und Musik und Gesang. Das mitternächtliche Getöse weckt niemand. Aller Lärm, alles Geräusch aus der Schmiede ertrinkt in dem mächtigen Brausen des Gießbaches da draußen. Da ist Lärm und Lustigkeit. Wenn die Frau Majorin sie jetzt sähe? Nun, was dann? Sie würde sich sicher bei ihnen niederlassen und einen Becher mit ihnen leeren. Eine tüchtige Frau ist sie, sie läuft nicht davon vor einem donnernden Trinkliede, vor einem Spiel Rabouge. Die reichste Frau in ganz Wermland, barsch wie ein Kerl und stolz wie eine Königin. Gesang liebt sie, gellende Waldhörner und Violinen. Wein und Spiel hat sie gern und lange Tische, umringt von fröhlichen Gästen. Sie sieht es gern, wenn die Vorräte schwinden, wenn Tanz und Lustbarkeit in Kammer und Saal herrschen und der Kavalierflügel voller Kavaliere ist! Seht sie dort rings im Kreise um die Bowle sitzen, Kavalier an Kavalier! Es sind ihrer zwölf, zwölf Männer! Keine Eintagsfliegen, keine Modehelden, sondern Männer, deren Ruf erst spät in Wermland ersterben wird, mutige Männer, starke Männer! Keine dürren Pergamente, keine zugeschnürten Geldbeutel, sondern arme Männer, sorglose Männer, Kavaliere vom Morgen bis zum Abend. Keine Hängeweiden, keine schläfrigen Stubenhocker, wegefahrende Männer, fröhliche Männer, Ritter von tausend Abenteuern. -- -- Jetzt hat der Kavalierflügel schon seit Jahren leer gestanden. Ekeby ist kein Zufluchtsort für heimatlose Kavaliere mehr. Pensionierte Offiziere und arme Edelleute fahren nicht mehr in wackeligen Gefährten auf den Landstraßen Wermlands umher; hier aber sollen sie wieder auferstehen, die Fröhlichen, Sorglosen, die ewig Jungen! Alle diese weitberühmten Männer konnten ein oder mehrere Instrumente spielen. Alle sind sie so voller Eigenheiten, voller Redensarten, Einfälle und Lieder wie der Ameishaufen voller Ameisen, aber ein jeder von ihnen hat doch seine besondere vorzügliche Eigenschaft, seine hochgeschätzte Kavaliertugend, die ihn von den übrigen unterscheidet. Zuerst von alle denen, die um die Bowle herumsitzen, will ich Beerencreutz nennen, den Obersten mit dem großen weißen Schnurrbart, den Rabougespieler, den Bellman-Sänger, und neben ihm seinen Freund und Kriegskameraden, den wortkargen Major, den großen Bärenjäger Anders Fuchs, und als dritten im Bunde den kleinen Ruster, den Trommelschläger, der lange Bursche des Obersten gewesen war, aber infolge seiner Geschicklichkeit im Punschbrauen und im Generalbaß Kavalierrang erhalten hatte. Dann muß der alte Fähnrich, Rutger von Örneclou, erwähnt werden, der Herzenbrecher in Perücke, steifer Halsbinde und Jabot, der geschminkt war wie eine Frau. Er war einer der hervorragendsten Kavaliere, und das war auch Christian Bergh, der starke Hauptmann, ein gewaltiger Held, aber ebenso leicht an der Nase herumzuführen wie der Riese im Märchen. In Gesellschaft dieser beiden sah man oft den kleinen, kugelrunden Patron Julius, fröhlich und munter, ein heller Kopf, Redner, Maler, Liedersänger und Anekdotenerzähler. Er ließ seine gute Laune gewöhnlich über den gichtbrüchigen Fähnrich und den dummen Riesen aus. Hier sah man auch den großen Deutschen Kevenhüller, den Erfinder des selbsttätigen Wagens und der Flugmaschine, ihn, dessen Name noch in den sausenden Wäldern widerhallt. Ein Ritter war er von Geburt wie von Gestalt, mit großem, gedrehtem Schnurrbart, spitzem Kinnbart, Adlernase und kleinen schiefen Augen in einem Netz sich kräuselnder Falten. Hier saß der große Kriegsheld, Vetter Kristoffer, der nie aus den vier Wänden des Kavalierflügels herauskam, es sei denn, daß eine Bärenjagd oder sonst ein verwegenes Abenteuer in Aussicht war; und neben ihm Onkel Eberhard, der Philosoph, der nicht des Scherzes und der Lustbarkeit halber nach Ekeby gezogen war, sondern um ungestört von Nahrungssorgen seine große Arbeit in der Wissenschaft der Wissenschaften verrichten zu können. Zu allerletzt nenne ich die Besten der ganzen Schar: den sanften Löwenberg, den frommen Mann, der zu gut war für diese Welt und sich so blitzwenig auf ihr Treiben verstand, und Liliencrona, den großen Musiker, der ein gutes Heim hatte und sich stets dahin sehnte, der aber doch auf Ekeby bleiben mußte, weil sein Geist des Reichtums und der Abwechselung bedurfte, um das Leben ertragen zu können. Alle diese elfe hatten ihre Jugend hinter sich und waren ein gutes Stück ins Alter hineingekommen; in ihrer Mitte aber gab es einen, der nicht mehr als dreißig Jahre zählte und dessen geistige wie körperliche Kräfte noch ungebrochen waren. Das war Gösta Berling, der Kavalier der Kavaliere, er, der allein ein größerer Redner, Sänger, Musiker, Jäger, Trinkheld und Spieler war als alle die andern zusammengenommen. Welch einen Mann hatte nicht die Majorin aus ihm gemacht! Seht ihn an, wie er jetzt da oben auf dem Rednerstuhl steht! Die Dunkelheit senkt sich von dem rußgeschwärzten Dach in schweren Festons auf ihn herab. Sein blondes Haupt schimmert daraus hervor wie das der jungen Götter, jener jungen Lichtträger, die das Chaos ordneten. Schlank, schön, abenteuerbegehrlich steht er da. Aber er redet mit tiefem Ernst. »Kavaliere und Brüder! Die Mitternacht naht heran, das Fest ist weit vorgeschritten, es ist Zeit, den Becher auf das Wohl des Dreizehnten am Tische zu trinken!« »Lieber Bruder Gösta,« ruft Patron Julius, »hier ist kein Dreizehnter, wir sind nur zwölf!« »Auf Ekeby stirbt alljährlich ein Mann«, fährt Gösta mit immer finsterer werdender Stimme fort. »Einer von den Gästen des Kavalierflügels stirbt, einer von den Frohen, den Sorglosen, den ewig Jungen. Nun ja! Kavaliere dürfen nicht alt werden. Wenn unsere zitternden Hände das Glas nicht mehr halten können, wenn unsere halbblinden Augen die Karten nicht mehr zu unterscheiden vermögen, was ist das Leben dann für uns, was sind wir dann für das Leben? Einer von den Dreizehn, die die Christnacht in der Schmiede auf Ekeby feiern, _muß_ sterben, aber jedes Jahr kommt ein neuer, um die Zahl voll zu machen; ein Mann, der wohlerfahren ist in dem Handwerk der Freude, ein Mann, der eine Violine streichen, der ein Spiel Karten spielen kann, muß unsere Schar vollzählig machen. Alte Schmetterlinge müssen zu sterben wissen, solange die Sonne scheint! Auf das Wohl des Dreizehnten!« »Aber Gösta, wir sind nur zwölf!« wandten die Kavaliere ein, und keiner griff zum Glase. Gösta Berling, den sie den Poeten nannten, obwohl er niemals einen Vers schrieb, fuhr mit ungestörter Ruhe fort: »Kavaliere und Brüder! Habt ihr vergessen, wer ihr seid? Ihr haltet die Freude in Wermland am Leben. Ihr bringt Fahrt in den Strich des Fiedelbogens, ihr haltet den Tanz im Gange, laßt Gesang und Spiel durch das Land erschallen. Wenn ihr nicht wäret, so würde der Tanz ersterben, die Rosen würden sterben, Kartenspiel und Gesang würden sterben, und in diesem ganzen herrlichen Lande würde es nichts weiter geben als Eisenwerke und Grundbesitzer. Die Freude wird leben, solange ihr lebet. Sechs Jahre habe ich jetzt die Christnacht in der Schmiede zu Ekeby gefeiert, und niemals hat sich jemand geweigert, auf das Wohl des Dreizehnten zu trinken. Wer von euch fürchtet sich, zu sterben?« »Aber Gösta!« riefen sie, »wenn wir doch nur zwölf sind, wie können wir da auf das Wohl des Dreizehnten trinken?« Tiefe Bekümmernis malt sich auf Göstas Zügen. »Sind wir nur zwölf?« fragt er. »Und weshalb denn? Sollen wir aussterben? -- Sollen wir im nächsten Jahr nur elf und in dem darauffolgenden nur zehn sein? Soll unser Leben eine Sage werden, soll unsere Schar zugrunde gehen? Ich rufe ihn herbei, den Dreizehnten, denn ich habe mich erhoben, um auf sein Wohl zu trinken. Aus der Tiefe des Meeres, aus den Eingeweiden der Erde, vom Himmel herab, aus der Hölle herauf rufe ich ihn, der die Zahl der Kavaliere vervollständigen soll!« Da rasselt es im Schornstein, da schlagen die Flammen des Schmelzofens auf, da kommt der Dreizehnte. Behaart kommt er mit Schwanz und Pferdehuf, mit Hörnern und spitzigem Bart, und bei seinem Anblick fahren die Kavaliere mit einem lauten Aufschrei in die Höhe. Aber unter nicht endenwollendem Jubel ruft Gösta Berling: »Der Dreizehnte ist gekommen -- auf das Wohl des Dreizehnten!« So ist er denn gekommen, der alte Feind der Menschheit, gekommen zu den Verwegenen, die den Frieden der heiligen Nacht stören. Der Freund der Hexen vom Blocksberg, der seine Kontrakte mit Blut auf kohlschwarzes Papier schreibt, er, der sieben Tage mit der Gräfin auf Ivarsnäs tanzte und den sieben Pfarrer nicht vertreiben konnten -- er ist gekommen. In stürmischer Eile fliegen die Gedanken bei seinem Anblick den alten Abenteurern durch die Köpfe. Sie grübeln darüber nach, um wessentwillen er wohl über Nacht unterwegs sein mag. Viele von ihnen sind nahe daran, vor Angst fortzulaufen; bald aber verstehen sie, daß er nicht gekommen war, um sie in sein finsteres Reich hinabzuholen, sondern daß der Becherklang und der Gesang ihn herbeigelockt hatte. Er wollte teilhaben an der Freude der Menschen in der heiligen Christnacht und die Last der Regierung in dieser Zeit der Freuden abschütteln. Kavaliere! Kavaliere! Wer von euch denkt wohl daran, daß dies die Christnacht ist! Jetzt singen die Engel den Hirten auf dem Felde ihren Gruß zu, jetzt liegen die Kinder in den Betten und fürchten sich zu fest zu schlafen, so daß sie nicht rechtzeitig zu der schönen Frühmette erwachen. Bald ist es Zeit, die Weihnachtskerzen in der Kirche zu Bro anzuzünden, und weit weg in der Waldhütte hat der Jüngling einen Haufen knisternder Tannenzweige in Brand gesteckt, die seiner Herzliebsten auf dem Wege zur Kirche leuchten sollen. In allen Hütten haben die Frauen Lichter in die Fenster gestellt, die angezündet werden sollen, wenn die Kirchgänger vorüberziehen. Der Küster überhört sich im Traum die Weihnachtsgesänge, und der alte Probst liegt im Bett und stellt Versuche an, ob er noch Stimme genug hat, um »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen« zu singen. Ach, Kavaliere, es wäre besser für euch gewesen, wenn ihr in dieser Nacht des Friedens in euren Betten gelegen hättet, statt Umgang mit dem Fürsten der Finsternis zu pflegen! Aber sie begrüßen ihn mit Willkommensrufen, wie es Gösta bereits getan hat. Einen Becher, gefüllt mit dem brennenden Trank, setzen sie vor ihn hin, und sie räumen ihm den Ehrenplatz am Tische ein. Beerencreutz ladet ihn zu einem Spiel Rabouge ein, Patron Julius singt ihm seine schönsten Lieder vor, und Örneclou redet mit ihm über schöne Frauen, diese himmlischen Wesen, die das Leben versüßen. Er befindet sich äußerst wohl, der Gehörnte, während er sich mit königlicher Haltung gegen den alten Kutscherbock lehnt und den gefüllten Pokal an den grinsenden Mund hebt. Gösta Berling hält natürlich eine Rede auf ihn. »Euer Gnaden,« sagt er, »wir haben Sie lange hier auf Ekeby erwartet, denn Sie haben wohl kaum Zutritt zu einem andern Paradies. Hier lebt man, ohne zu säen oder zu spinnen, wie Euer Gnaden wohl schon weiß. Hier fliegen einem die gebratenen Tauben in den Mund; hier fließt starkes Bier und süßer Branntwein in allen Bächen und Strömen. Hier ist gut sein, merkt Euch das, Euer Gnaden! »Wir Kavaliere haben uns wirklich nach Ihnen gesehnt, denn wir sind bisher nicht recht vollzählig gewesen. Denn wir sind ein wenig mehr, als wofür wir uns ausgeben: wir sind der Dichtung alte Zahl der Zwölfe, die sich durch alle Zeiten hindurchzieht. Zwölf waren wir, als wir die Welt da oben auf dem wolkenumkränzten Gipfel des Olympos regierten, zwölf, als wir gleich Vögeln in Yggdrasils grüner Krone wohnten. Saßen wir nicht zu Zwölfen um König Arturs Tafelrunde, und gingen nicht zwölf Genossen in Carolus Magnus' Heer? Einer von uns ist Thor gewesen, ein anderer Jupiter, das muß uns ein jedes Kind noch heute ansehen können. Man kann noch den Götterglanz unter den Lumpen, die Löwenmähne unter der Eselshaut erkennen. Die Zeit hat uns arg mitgenommen, hier aber wird uns die Schmiede zum Olymp, der Kavalierflügel zu Walhall! »Aber, Euer Gnaden, wir sind nicht vollzählig gewesen. Wir wissen ja, daß in der Schar der Zwölfte in der Dichtung stets ein Loke, ein Prometheus, ein Ganelon sein mußte. Den haben wir vermißt. »Euer Gnaden! Ich heiße Sie willkommen!« »Seht, seht!« sagte der Böse. »Schöne Worte, schöne Worte. Und ich, der ich keine Zeit habe zu antworten! Geschäfte, meine Freunde, Geschäfte! Ich muß gleich fort, sonst stünde ich euch zu jeglicher Rolle zu Diensten. Habt Dank für eure freundliche Aufnahme, Kameraden. Auf Wiedersehen!« Da fragen die Kavaliere, wohin es ihn denn so eilig zieht, und er antwortet, daß die Herrin auf Ekeby, die Majorin selber ihn erwartet, um ihren Kontrakt zu erneuern. Große Verwunderung ergreift die Kavaliere. Eine strenge und tüchtige Frau ist sie, die Majorin auf Ekeby. Sie hebt eine Tonne Roggen auf ihre breiten Schultern. Sie führt den Erztransport von den Gruben bis nach Ekeby. Sie schläft wie ein Fuhrknecht auf der Tenne, einen Sack als Kopfkissen unter dem Haupt. Im Winter kann sie einen Kohlenmeiler beaufsichtigen, im Sommer eine Bretterladung den Löfsee hinabflößen. Eine willensstarke Frau ist sie. Sie flucht wie ein Kerl und regiert ihre sieben Besitzungen und die Güter ihrer Nachbarn, regiert ihr eigenes Kirchspiel und die benachbarten Kirchspiele, ja das ganze schöne Wermland. Den heimatlosen Kavalieren aber ist sie eine Mutter gewesen, und deswegen haben sie ihre Ohren verschlossen, wenn das Gerücht zu ihnen drang, daß sie mit dem Teufel im Bunde stehe. Also fragen sie ihn mit großem Staunen, welchen Kontrakt sie mit ihm geschlossen hat. Und er, der Schwarze, antwortete ihnen, daß er der Majorin ihre sieben Besitzungen geschenkt hat, gegen das Versprechen, daß sie ihm alljährlich eine Seele sendet. O, welch ein Entsetzen schnürt da die Herzen der Kavaliere zusammen! Sie wußten es ja, aber sie haben es bisher nicht verstanden. Auf Ekeby stirbt alljährlich ein Mann, einer von den Gästen des Kavalierflügels stirbt, einer von den Fröhlichen, den Sorglosen, den ewig Jungen stirbt. Nun ja, -- Kavaliere dürfen nicht alt werden! Wenn ihre zitternden Hände kein Glas mehr halten können, wenn ihre halbblinden Augen die Karten nicht mehr zu unterscheiden vermögen -- was ist das Leben da für sie, was sind sie für das Leben? Schmetterlinge müssen zu sterben wissen, solange die Sonne scheint. Aber erst jetzt verstanden sie die rechte Bedeutung der Sache. Wehe der Frau! Deswegen also hat sie ihnen so manche gute Mahlzeit gereicht, deswegen läßt sie sie ihr starkes Bier, ihren süßen Branntwein trinken, damit sie vom Trinksaal und den Spieltischen auf Ekeby zu dem Fürsten der Finsternis hinabstürzen, einer alljährlich -- einer in jedem flüchtigen Jahr! Wehe der Frau, wehe der Hexe! Starke, herrliche Männer waren nach diesem Ekeby gekommen, um zu vergehen. Und sie stürzte sie ins Verderben; ihre Gehirne wurden zu Schwämmen, ihre Lungen zu trockener Asche, ihr Geist war umnachtet, wenn sie auf das Totenbett sanken, um ohne Hoffnung, ohne Seele diese lange Reise anzutreten. Wehe der Frau! So sind alle die gestorben, die bessere Männer waren als sie, und so sollen auch sie sterben. Lange aber stehen die Kavaliere nicht vom Schrecken gelähmt da. »Du Fürst der Verdammnis!« rufen sie. »Mit der Hexe sollst du nie wieder deine mit Blut geschriebenen Kontrakte schließen; sie soll sterben. Christian Bergh, der starke Hauptmann, hat den schwersten Hammer der Schmiede über die Schulter geworfen; der soll in dem Kopf dieses Ungeheuers begraben werden. Sie soll dir keine Seele mehr opfern. Und du selber, du Gehörnter, dich legen wir auf den Amboß, und dann lassen wir den Stangeneisenhammer los. Während die Hammerschläge fallen, halten wir dich mit den Zangen fest; wir wollen dich lehren, auf Jagd nach Kavalierseelen auszugehen!« Feige ist er, der schwarze Herr, das ist eine alte Geschichte, und die Aussicht, unter den großen Hammer zu kommen, sagt ihm nicht zu. Er ruft Christian Bergh zurück und fängt an, mit den Kavalieren zu unterhandeln. »Nehmt die sieben Eisenwerke in dem kommenden Jahr, nehmt sie selber, Kavaliere, und überlaßt mir die Majorin!« »Glaubst du, daß wir ebenso niedrig denken wie sie?« ruft Patron Julius. »Ekeby und alle sieben Besitztümer wollen wir haben, mit der Majorin aber mußt du dich selber abfinden.« »Was sagt Gösta? Was sagt Gösta?« fragt der sanfte Löwenberg. »Gösta Berling soll reden. Bei einer so wichtigen Angelegenheit müssen wir seine Ansicht hören.« »Das Ganze ist Unsinn!« sagt Gösta Berling. »Kavaliere, laßt euch nicht von ihm anführen! Was sind wir gegen die Majorin? Mit unseren Seelen mag es gehen, wie es will, aber mit meinem freien Willen werden wir nicht zu undankbaren Wichten, benehmen wir uns nicht wie Schurken und Verräter. Ich habe das Brot der Majorin zu lange Jahre gegessen, um sie jetzt im Stich zu lassen.« »Ja, fahr du zur Hölle, Gösta, wenn du Lust dazu hast! Wir wollen Ekeby lieber selber regieren.« »Aber seid ihr denn ganz toll, oder habt ihr all euren Sinn und Verstand vertrunken? Glaubt ihr, daß das die Wahrheit ist? Glaubt ihr, daß das der Teufel ist? Könnt ihr denn nicht merken, daß das Ganze eine verdammte Lüge ist?« »Sieh, sieh, sieh!« sagt der schwarze Herr. »Er merkt noch nicht, daß Er auf dem besten Wege ist, zur Hölle zu fahren, und doch ist Er schon sieben Jahre auf Ekeby gewesen! Er merkt nicht, wie weit Er schon gekommen ist.« »Ach was, Unsinn, Alter! Ich bin dir ja selber behilflich gewesen, dort in den Ofen hineinzukriechen!« »Als ob das einen Unterschied machte. Als ob ich deswegen nicht ebensogut ein Teufel sein könnte wie jeder andere. Ja, ja, Gösta Berling! Dich habe ich sicher. Du hast dich schon recht nett entfaltet unter der Behandlung der Majorin.« »Sie hat mich gerettet!« sagt Gösta. »Was wäre ich wohl ohne sie gewesen?« »Sieh, sieh! Als ob sie nicht ihren eigenen Zweck dabei gehabt hätte, als sie dich auf Ekeby zurückhielt. Du kannst viele in die Falle locken; du hast große Gaben. Einmal suchtest du dich von ihr zu befreien, du ließest dir von ihr ein Haus geben, und du wurdest Arbeiter; du wolltest dein eigenes Brot essen. Jeden Tag ging sie an dem Hause vorüber, und sie hatte schöne Mädchen in ihrem Gefolge. Eines Tages war Marianne Sinclaire bei ihr; da warfest du Spaten und Schurzfell weg, Gösta Berling, und wurdest wieder Kavalier.« »Der Weg führte an meinem Hause vorüber, du Dummkopf.« »Freilich führte der Weg dort vorüber. Später kamst du nach Borg, wurdest Henrik Dohnas Hauslehrer und wärest fast der Schwiegersohn der Gräfin Märta geworden. Wer war schuld daran, daß die junge Gräfin Ebba Dohna erfuhr, daß du nur ein verabschiedeter Pfarrer seiest, so daß sie dir einen Korb gab? Daran war die Majorin schuld, Gösta Berling! Sie wollte dich wieder zurück haben.« »Ei was!« erwidert Gösta. »Ebba Dohna starb bald darauf. Die hätte ich doch nicht bekommen.« Da trat der schwarze Herr dicht an ihn heran und zischte ihm ins Gesicht: »Starb -- ja freilich starb sie. Gemordet hat sie sich um deinetwillen -- das tat sie, aber dir hat das niemand gesagt.« »Du bist kein so übler Teufel!« sagt Gösta. »Die Majorin hat das Ganze besorgt, sage ich dir! Sie wollte dich wieder für ihren Kavalierflügel haben!« Gösta lachte laut auf. »Du bist kein so übler Teufel!« rief er wild. »Weshalb sollten wir nicht einen Kontrakt mit dir schließen? Du kannst uns, wenn du willst, die sieben Eisenwerke verschaffen.« »Gut, daß du deinem Glück nicht mehr im Wege stehst.« Die Kavaliere atmeten erleichtert auf. So weit war es mit ihnen gekommen, daß sie nichts mehr ohne Gösta unternehmen mochten. Wäre er nicht darauf eingegangen, so wäre der ganze Pakt nicht zustande gekommen. Und doch war es keine Kleinigkeit für die armen Kavaliere, die Herrschaft über sieben Eisenwerke zu bekommen! »Gebt jetzt acht,« sagte Gösta, »daß wir die sieben Besitzungen annehmen, um unsere Seelen zu retten, nicht aber um reiche Gutsherren zu werden, die Geld zählen und Eisen wiegen; keine trocknen Pergamente, keine zugeschnürten Geldbeutel wollen wir werden, sondern Kavaliere wollen wir sein und bleiben.« »Goldene Körner der Weisheit!« murmelte der schwarze Herr. »Wenn du uns deswegen die sieben Besitzungen auf ein Jahr geben willst, so nehmen wir sie an, merk dir aber eins: wenn wir während der Zeit etwas tun, was nicht kavaliermäßig ist, wenn wir irgend etwas tun, was nützlich oder klug oder schurkenhaft ist, so kannst du uns alle zwölfe holen, wenn das Jahr um ist, und die Eisenwerke geben, wem du willst.« Der Böse rieb sich vor Wonne die Hände. »Dahingegen aber, wenn wir uns stets benehmen wie wahre Kavaliere,« fuhr Gösta fort, »so darfst du nie wieder einen Kontrakt in bezug auf Ekeby schließen und erhältst in diesem Jahr keinen Lohn, weder von uns noch von der Majorin.« »Das sind harte Bedingungen«, sagte der Böse. »Ach, lieber Gösta, du könntest mir immerhin eine Seele gönnen, eine einzige kleine Seele. Könnte ich nicht die Majorin bekommen? Weswegen schonst du nur die Majorin?« »Ich treibe keinen Handel mit dergleichen Waren«, brüllt Gösta. »Willst du aber eine Seele haben, so hol dir den alten Sintram auf Fors; der ist reif für die Hölle, dafür steh ich ein!« »Sieh, sieh, sieh! Das läßt sich hören«, sagt der alte Herr, ohne zu blinken. »Die Kavaliere oder Sintram -- das geht gegeneinander auf. Das wird ein fettes Jahr.« Und dann wird der Kontrakt mit Blut aus Göstas kleinem Finger geschrieben auf das schwarze Papier des Bösen und mit seiner Gänsefeder. Als das aber getan ist, jubeln die Kavaliere. Jetzt soll die Herrlichkeit der Welt ihnen ein ganzes Jahr lang gehören -- und später wird man schon einen Ausweg finden. Sie rücken die Stühle beiseite, reichen einander die Hände und bilden einen Kreis um den Punschkessel mitten auf dem schwarzen Fußboden und schwingen sich in wildem Tanz herum. In der Mitte des Kreises tanzt der Böse mit hohen Sprüngen, schließlich läßt er sich, so lang er ist, neben dem Kessel fallen, neigt ihn zu sich heran und trinkt. Da wirft sich Beerencreutz neben ihm und Gösta Berling nieder, und dann lagern sie sich alle im Kreis um den Kessel, der von dem einen Mund zum andern geneigt wird. Schließlich bekommt er einen Stoß, so daß er umstürzt und der ganze heiße, klebrige Trank sich über die Lagernden ergießt. Als sie sich fluchend erheben, ist der Böse verschwunden, aber seine goldenen Versprechungen schweben gleich strahlenden Kronen über den Scheiteln der Kavaliere. Das Weihnachtsfestmahl Am Weihnachtstage gibt die Majorin Samzelius ein großes Festmahl auf Ekeby. Da sitzt sie als Wirtin an ihrem Tisch, der für fünfzig Gäste gedeckt ist. Sie sitzt dort in Glanz und Herrlichkeit; der kurze Pelz, das gestreifte Kleid aus Beiderwand, die Tonpfeife sind verschwunden. Seide umrauscht sie, Gold ziert ihre Arme, Perlen kühlen ihren weißen Hals. Wo aber sind die Kavaliere, wo sind die, die auf dem schwarzen Fußboden der Schmiede aus dem blanken Kupferkessel auf das Wohl der neuen Besitzer von Ekeby tranken? In einer Ecke am Ofen sitzen die Kavaliere an einem Tisch für sich; heute ist kein Platz für sie an der großen Tafel. Zu ihnen gelangen die Speisen spät und die Weine spärlich, zu ihnen fliegen nicht die Blicke der schönen Damen hinüber, niemand lauscht dort Göstas Scherzen. Die Kavaliere gleichen aber gezähmten Füllen, matten Raubtieren. Nur eine Stunde Schlaf hatte die Nacht für sie, dann fuhren sie beim Fackel- und Sternenschein zur Frühmesse. Sie sahen die Weihnachtskerzen, sie hörten die Weihnachtslieder, ihre Mienen wurden wie die sanfter Kinder. Sie vergaßen die Christnacht in der Schmiede, wie man einen bösen Traum vergißt. Groß und mächtig ist die Majorin auf Ekeby. Wer wagt es, seinen Arm zu erheben, um sie zu schlagen, wer wagt es, den Mund zu öffnen, um gegen sie zu zeugen? Sicherlich nicht die armen Kavaliere, die jahrelang ihr Brot gegessen und unter ihrem Dach geschlafen haben. Sie setzt sie hin, wo es ihr beliebt, sie kann ihnen die Tür verschließen, wenn sie will, und sie können sich nicht einmal ihrer Macht entziehen. Gott steh ihnen bei! Fern von Ekeby können sie nicht leben. An dem großen Tisch genießt man das Leben; dort strahlen Marianne Sinclaires schöne Augen, dort klingt das fröhliche Lachen der munteren Gräfin Dohna. Bei den Kavalieren aber ist es still. Wäre es nicht recht und billig, wenn sie, die um der Majorin willen in den Abgrund gestürzt werden sollen, an demselben Tische säßen wie ihre anderen Gäste? Was für eine beschämende Einrichtung ist dies mit diesem Tisch unten in der Ofenecke? Als ob die Kavaliere nicht würdig seien, an der Gesellschaft der Honoratioren teilzunehmen! Die Majorin brüstet sich, wie sie da zwischen dem Grafen auf Borg und dem Probst zu Bro sitzt. Die Kavaliere lassen die Köpfe hängen wie Kinder, die in die Ecke gestellt sind. Und währenddes fangen die Gedanken der Nacht an, bei ihnen zu erwachen. Gleich scheuen Gästen kommen die munteren Einfälle, die lustigen Lügengeschichten zu dem Tisch in der Ecke. Dort halten der Zorn der Nacht, die Gelübde der Nacht ihren Einzug in die Gehirne. Wohl macht Patron Julius dem starken Hauptmann, Christian Bergh, weis, daß die gebratenen Haselhühner, die jetzt am großen Tisch herumgereicht werden, nicht für alle Gäste ausreichen, aber dieser Einfall ruft kein munteres Lachen hervor. »Sie können nicht ausreichen«, sagt er. »Ich weiß, wie viele da waren. Aber deswegen ist man nicht in Verlegenheit, Hauptmann Christian, man hat für uns hier an dem kleinen Tisch Krähen gebraten.« Aber Oberst Beerencreutz' Lippen kräuseln sich nur zu einem matten Lächeln unter dem wüsten Schnurrbart, und Gösta sieht den ganzen Tag hindurch aus, als gehe er mit dem Gedanken um, irgend jemand totzuschlagen. »Ist nicht jegliches Essen gut genug für die Kavaliere?« fragt er. Da gelangt denn endlich eine hochgetürmte Schale voll prächtiger Haselhühner an den kleinen Tisch. Aber Hauptmann Christian ist wütend. Hat er nicht den ganzen Haß seines Lebens den Krähen geweiht, diesen abscheulichen, schreienden Geschöpfen. So bitter war sein Haß, daß er im Herbst Frauengewänder anlegte und sich zum Gespött für alle machte, nur um bis auf Schußweite an sie heran zu gelangen, wenn sie das Korn auf den Feldern verzehrten. Er überraschte sie im Frühling beim Liebestanz auf den kahlen Feldern und erschlug sie. Er suchte im Sommer ihre Nester auf und warf die schreienden, federlosen Jungen heraus oder vernichtete die halbausgebrüteten Eier. Jetzt rückt er die Schale mit den Haselhühnern zu sich heran. »Glaubst du etwa, daß ich die nicht kenne?« brüllt er dem Diener zu. »Glaubst du, daß ich sie krächzen hören muß, um sie zu kennen? Zum Teufel mit euch, Christian Bergh Krähen anzubieten! Zum Teufel, sage ich!« Damit nimmt er ein Haselhuhn nach dem andern und schleudert es gegen die Wand. Sauce und Fett spritzen ringsumher. Die zermalmten Vögel prallen von der Wand ab und fliegen über den Fußboden hin. Und der ganze Kavalierflügel jubelt. Da dringt die erzürnte Stimme der Majorin an das Ohr der Kavaliere: »Werft ihn zur Tür hinaus!« ruft sie den Dienern zu. Aber das wagen diese nicht. Ist er doch Christian Bergh, der starke Hauptmann! »Werft ihn zur Tür hinaus!« Er hört den Ruf. Und schreckeinflößend in seinem Zorn wendet er sich nun an die Majorin, wie sich ein Bär von einem gefallenen Feind gegen den neuen Angreifer wendet. Er tritt an den hufeisenförmig gedeckten Tisch. Der Fußboden erbebt unter den Schritten des Riesen. Er bleibt ihr gegenüber stehen, den Tisch zwischen sich und ihr. »Werft ihn zur Tür hinaus!« ruft die Majorin noch einmal. Er aber ist rasend; seine gerunzelte Stirn, seine grobe, geballte Faust sind schrecklich zu schauen. Er ist groß wie ein Riese, stark wie ein Riese. Gäste und Diener zittern und wagen nicht, Hand an ihn zu legen. Wer sollte es auch wohl wagen, jetzt, wo ihm der Zorn den Verstand geraubt hat? Er steht der Majorin gerade gegenüber und droht ihr. »Ich schleuderte die Krähen gegen die Wand. Hatte ich nicht ein Recht dazu?« »Hinaus mit dir, Hauptmann!« »Du Weibsbild! Christian Bergh Krähen zu bieten! Handelte ich gegen dich, wie du es von Gottes und Rechts wegen verdienst, so nähme ich dich mitsamt deinen sieben Teufeln ...« »Bei allen Teufeln, Christian Bergh, untersteh dich nicht zu fluchen -- hier darf nur ich allein fluchen.« »Glaubst du, daß ich mich vor dir fürchte, du Hexe? Glaubst du, daß ich nicht weiß, woher du deine sieben Besitztümer hast?« »Schweige, Hauptmann!« »Als Altringer starb, gab er sie deinem Mann, weil du seine Liebste gewesen warst.« »Schweig, sage ich dir!« »Weil du eine so treue Gattin gewesen warst, Margarete Samzelius. Und der Major nahm die sieben Güter ruhig an und überließ dir die Verwaltung und tat, als wisse er von nichts. Und der Teufel hat die ganze Geschichte angezettelt. Jetzt aber soll es ein Ende haben mit dir!« Die Majorin setzt sich, sie ist bleich, sie zittert am ganzen Leibe. Dann bestätigt sie seine Worte mit einer sonderbar leisen Stimme: »Ja, jetzt ist es aus mit mir, und das ist dein Werk, Christian Bergh!« Bei dem Ton erbebt der starke Hauptmann; seine Züge verzerren sich, Tränen der Angst treten ihm in die Augen. »Ich bin betrunken!« ruft er. »Ich weiß nicht, was ich sage, ich habe nichts gesagt. Hund und Sklave, Hund und Sklave und nichts weiter bin ich in diesen vierzig Jahren für sie gewesen. Sie ist Margarete Celsing, der ich mein ganzes Leben lang gedient habe. Ich sage nichts Böses von ihr. Sollte ich etwas über die schöne Margarete Celsing sagen? Ich bin der Hund, der ihre Tür bewacht, der Sklave, der ihre Lasten trägt. Sie kann mich schlagen, mich mit Füßen stoßen, aber ihr seht ja, daß ich schweige und leide. Ich habe sie vierzig Jahre lang geliebt. Wie sollte ich wohl etwas Schlechtes von ihr sagen!« Und ein wunderlicher Anblick ist es, wie er sich ihr zu Füßen wirft und um Verzeihung bittet, und da sie an dem andern Ende des Tisches sitzt, geht er auf seinen Knien um den Tisch herum, bis er zu ihr gelangt; da beugt er sich herab, küßt den Saum ihres Gewandes und benetzt den Fußboden mit seinen Tränen. Aber nicht weit von der Majorin sitzt ein kleiner, wohlbeleibter Mann. Er hat krauses Haar, kleine, schielende Augen und einen vorstehenden Unterkiefer. Er gleicht einem Bären. Ein wortkarger Mann ist er, er geht am liebsten seine eigenen Wege und kümmert sich nicht um die Welt und ihr Treiben. Das ist Major Samzelius. Er erhebt sich, als er Hauptmann Christians letzte Worte hört, und die Majorin erhebt sich, und alle die fünfzig Gäste tun ein gleiches. Die Frauen weinen aus Angst vor dem, was da kommen wird. Die Männer stehen verzagt da, und zu den Füßen der Majorin liegt Hauptmann Christian und küßt den Saum ihres Gewandes, während seine Tränen den Fußboden netzen. Die breite, behaarte Hand des Majors ballt sich langsam, er erhebt den Arm. Sie aber redet zuerst. Es ist ein dumpfer Klang in ihrer Stimme, der ihr sonst fremd ist. »Du hast mich gestohlen!« ruft sie aus. »Du kamst wie ein Räuber und nahmst mich. Daheim zwang man mich mit Hieben und Schlägen, mit Hunger und bösen Worten, dein Weib zu werden. Ich habe gegen dich gehandelt, wie du es verdienst.« Die breite Faust des Majors hat sich geballt. Die Majorin zieht sich einen Schritt zurück. Dann spricht sie weiter: »Ein lebender Aal windet sich unter dem Messer, eine zur Ehe gezwungene Gattin schafft sich einen Liebhaber an. Willst du mich für das schlagen, was vor zwanzig Jahren geschah? Weshalb schlugst du mich damals nicht? Weißt du nicht mehr, daß er auf Ekeby wohnte und wir auf Sjö? Hast du vergessen, wie er uns aus unserer Armut half? Wir fuhren in seinem Wagen, wir tranken seinen Wein. Haben wir dir etwas verheimlicht? Waren nicht seine Diener unsere Diener? Füllte sein Gold nicht deine Taschen? Nahmst du die sieben Besitzungen nicht an? Damals hast du geschwiegen und alles angenommen; da hättest du dreinschlagen sollen, Berndt Samzelius, da hättest du dreinschlagen sollen!« Der Mann wendet sich von ihr ab und sieht alle Anwesenden an. Er liest auf ihren Gesichtern, daß sie ihr recht geben, daß sie alle geglaubt haben, er habe Geld und Gut für sein Schweigen genommen. »Ich wußte es nicht!« sagt er und stampft auf den Fußboden. »Ein Glück, daß du es jetzt weißt!« unterbricht sie ihn mit schneidender Stimme. »Ich fürchtete, du würdest sterben, ohne es erfahren zu haben. Ein Glück, daß du es jetzt weißt, da kann ich offen mit dir reden, der du mein Herr und mein Gefängniswächter gewesen bist. So wisse denn, daß ich ihm doch angehört habe, dem du mich gestohlen hast. Alle, die mich verklatscht haben, sollen es wissen!« Es ist die alte Liebe, die in ihrer Stimme jubelt, die aus ihren Augen strahlt. Sie sieht ihren Mann mit erhobener, geballter Faust vor sich stehen. Entsetzen und Verachtung liest sie auf den fünfzig Gesichtern vor sich. Sie fühlt, daß dies die letzte Stunde ihrer Macht ist. Aber sie kann nicht umhin, sich zu freuen, daß sie offen von den schönsten Erinnerungen ihres Lebens reden darf. »Er war ein Mann, ein herrlicher Mann! Wer warst du, daß du dich zwischen uns stellen durftest? Nie habe ich seinesgleichen gesehen. Er schenkte mir Glück, er schenkte mir Hab und Gut. Gesegnet sei sein Andenken!« Da senkt der Major den erhobenen Arm, ohne zuzuschlagen -- jetzt weiß er, wie er sie strafen soll. »Hinaus!« brüllt er, »hinaus aus meinem Haus!« Sie regt sich nicht. Die Kavaliere aber stehen mit bleichen Gesichtern da und starren einander an. Jetzt ging ja alles in Erfüllung, was der Schwarze geweissagt hatte. Jetzt sahen sie die Folge davon, daß der Kontrakt der Majorin nicht erneut war. Wenn dies wahr ist, so ist es wohl auch wahr, daß sie seit mehr denn zwanzig Jahren Kavaliere in die Hölle hinabgesandt hat, daß auch sie zu dieser Reise bestimmt gewesen sind. O diese Hexe! »Hinaus mit dir!« wiederholte der Major. »Erbettle dir dein Brot auf der Landstraße. Du sollst keine Freude mehr von seinem Geld haben, du sollst nicht auf seinen Gütern wohnen. Jetzt ist es aus mit der Majorin auf Ekeby. An dem Tage, wo du deinen Fuß in mein Haus setzt, schlage ich dich tot!« »Verjagst du mich aus meinem Heim?« »Du hast kein Heim! Ekeby gehört mir!« Da kommt ein Geist der Verzagtheit über die Majorin. Sie weicht zurück bis an die Tür, und er folgt ihr auf den Fersen. »Du, der du das Unglück meines Lebens gewesen bist,« klagt sie, »sollst du nun auch Macht haben, mir dies anzutun?« »Hinaus, hinaus mit dir!« Sie lehnt sich gegen den Türpfosten, faltet die Hände und hält sie vor das Gesicht. Sie denkt an ihre Mutter und murmelt vor sich hin: »Möchtest du verleugnet werden, wie ich verleugnet worden bin. Möge die Landstraße dein Heim, der Graben dein Bett, der Kohlenmeiler deine Feuerstätte sein. So sollte es also doch geschehen, so sollte es also doch geschehen!« Der gute alte Pfarrer aus Bro und der Landrichter aus Munkerud traten nun an den Major heran und versuchten, ihn zu beruhigen. Sie sagten ihm, daß er am besten daran tue, wenn er alle diese alten Geschichten ruhen lasse, wenn er alles beim alten ließe, vergessen und vergeben. Er aber schüttelt die sanften Hände von seinen Schultern ab. Es ist gefährlich, sich ihm zu nahen, so wie vorhin Christian Bergh. »Das ist keine alte Geschichte!« ruft er. »Ich habe bis zum heutigen Tag nichts gewußt. Ich habe die Ehebrecherin bisher nicht strafen können.« Bei diesem Wort richtet die Majorin den Kopf in die Höhe, ihr alter Mut kehrt wieder. »Du sollst vor mir aus dem Hause hinaus! Glaubst du, daß ich dir weiche?« sagte sie. Und sie tritt von der Tür zurück. Der Major antwortet nicht, aber er verfolgt eine jede ihrer Bewegungen mit den Augen, bereit zuzuschlagen, wenn er sie nicht auf andere Weise los werden kann. »Helft mir, ihr guten Herren,« ruft sie, »damit wir den Mann binden und hinausschaffen können, bis er seine Vernunft wiedererlangt hat! Bedenkt, wer er ist, und wer ich bin! Bedenkt das, ehe ich ihm weichen muß! Ich verwalte die ganze Wirtschaft auf Ekeby, und er sitzt den ganzen Tag in der Bärengrube und füttert die Bären. Helft mir, ihr guten Freunde und Nachbarn! Hier wird ein Elend ohnegleichen entstehen, wenn ich nicht mehr hier bin. Der Bauer hat seine Nahrung und Behausung davon, daß er mir Holz im Walde fällt, daß er Erz für mich fährt. Der Köhler lebt davon, daß er mir Kohlen schafft, und der Flößer davon, daß er mein Holz stromabwärts führt. Ich teile alle diese wohlstandverbreitende Arbeit aus. Glaubt ihr, daß der da mein Werk aufrechterhalten kann? Ich sage euch, wenn ihr mich fortjagt, öffnet ihr der Hungersnot das Tor!« Abermals erhoben sich eine Menge Hände, um der Majorin zu helfen, abermals legen sich milde Hände überredend auf die Schultern des Majors. »Nein,« sagt er, »weg mit euch! Wer will die Ehebrecherin verteidigen? Ich sage euch, wenn sie nicht gutwillig geht, so nehme ich sie auf meine Arme und trage sie hinab zu meinen Bären.« Bei diesen Worten sinken die erhobenen Hände wieder herab. Da, in ihrer äußersten Not, wendet sich die Majorin an die Kavaliere. »Wollt auch ihr ruhig zusehen, daß ich aus meinem Hause verjagt werde, Kavaliere? Habe ich euch des Winters im Schnee frieren lassen, habe ich euch starkes Bier und süßen Branntwein versagt? Habe ich Lohn oder Arbeit von euch angenommen, weil ich euch Kleidung und Nahrung gab? War't ihr nicht geborgen bei mir, wie die Kinder bei der Mutter? Sind nicht Munterkeit und Freude euer tägliches Brot gewesen? Laßt nicht diesen Mann, der das Unglück meines Lebens gewesen ist, mich aus meinem Hause verjagen, Kavaliere! Laßt mich nicht zur Bettlerin auf der Landstraße werden.« Gösta Berling beugt sich zu einem schönen, dunkelhaarigen Mädchen hinab, das an dem großen Tisch gesessen hat. »Du verkehrtest vor fünf Jahren viel auf Borg, Anna,« sagt er. »Weißt du, ob die Majorin Ebba erzählt hat, daß ich ein abgesetzter Pfarrer bin?« »Hilf der Majorin, Gösta!« antwortet sie ihm. »Du wirst begreifen, daß ich erst Klarheit darüber haben muß, ob sie mich zum Mörder gemacht hat.« »Ach, Gösta, was sind das für Gedanken! So hilf ihr doch!« »Ich merke schon, du willst nicht antworten. Dann hat Sintram doch die Wahrheit geredet.« Und Gösta kehrt zu den Kavalieren zurück. Er rührt keinen Finger, um der Majorin zu helfen. Ach, hätte doch die Majorin die Kavaliere nicht an einen Tisch für sich in die Ecke gesetzt! Jetzt sind die Gedanken der Nacht in ihren Gehirnen erwacht, jetzt funkelt in ihren Augen ein Zorn, der nicht geringer ist als der des Majors. Muß nicht alles, was sie sehen, die nächtlichen Gesichte bestätigen? »Es ist sehr wohl zu merken, daß ihr Kontrakt nicht erneuert wurde«, murmeln sie. Nein, von dieser murrenden, drohenden Kavalierschar hat die Majorin keine Hilfe zu erwarten. So weicht sie denn wieder zurück bis an die Tür und hebt die gefalteten Hände vors Gesicht. »Mögest du verleugnet werden, wie ich verleugnet worden bin!« ruft sie sich selber in bitterem Schmerz zu. »Möge die Landstraße dein Heim, der Graben dein Bett werden!« Dann legt sie die eine Hand auf das Türschloß, die andere aber hebt sie hoch in die Höhe: »Merkt es euch, ihr, die ihr mich jetzt fallen laßt! Merkt es euch, daß eure Stunde gar bald kommen wird. Jetzt werdet ihr euch zerstreuen, und euer Platz wird leer stehen. Wie werdet ihr stehen können, wenn ich euch nicht stütze? Du, Melchior Sinclaire, der du eine schwere Hand hast und die Deinen sie fühlen läßt, nimm dich in acht! Du, Pfarrer zu Broby, nun kommt das Strafgericht! Du, Frau Uggla, gib acht auf dein Haus, die Armut kommt! Ihr jungen, schönen Frauen, Elisabeth Dohna, Marianne Sinclaire, Anna Stjärnhök, glaubt nicht, daß ich die einzige bleibe, die von ihrem Hause fliehen muß! Und ihr, Kavaliere, nehmt euch in acht, jetzt kommt ein Sturm übers Land gezogen. Ihr werdet von der Erde fortgefegt werden, jetzt ist eure Zeit um! Ich klage nicht meinetwegen, sondern euretwegen, denn der Sturm wird über eure Häupter hinfahren, und wer vermag zu stehen, wenn ich gefallen bin? Ach, mein Herz blutet um der armen, elenden Menschen willen! Wer wird ihnen Arbeit schaffen, wenn ich fort bin?« Die Majorin öffnet die Tür; da aber hebt Hauptmann Christian den Kopf in die Höhe und sagt: »Wie lange soll ich hier zu deinen Füßen liegen, Margarete Celsing? Willst du mir nicht verzeihen, auf daß ich aufstehen und für dich streiten kann?« Da kämpft die Majorin einen harten Kampf mit sich selber; aber sie sieht, daß er, wenn sie ihm verzeiht, sich erheben und mit ihrem Gatten kämpfen wird, und daß der Mann, der sie vierzig Jahre lang treu geliebt hat, zum Mörder werden muß. »Soll ich nun auch noch verzeihen?« sagt sie. »Bist du nicht schuld an all meinem Unglück, Christian Bergh? Kehre zurück zu den Kavalieren und freue dich deines Werkes!« Und damit ging die Majorin. Sie ging in Ruhe, aber sie ließ Entsetzen hinter sich zurück. Sie fiel, aber selbst in ihrer Erniedrigung war sie nicht ohne Größe. Sie gab sich keinem weichlichen Schmerz hin, aber noch im Alter jubelte sie über ihre Jugendliebe. Sie gab sich keiner Klage, keinen feigen Tränen hin, als sie alles begriff; sie schreckte nicht davor zurück, mit dem Bettelstab und Sack das Land zu durchwandern. Sie bemitleidete nur die armen Bauern und die frohen, sorglosen Menschen an den Ufern des Löfsees, die armen Kavaliere, alle die, die sie gestützt und beschützt hatte. Von allen verlassen war sie, und dennoch besaß sie die Kraft, ihren letzten Freund von sich zu weisen, um ihn nicht zum Mörder zu machen. Eine merkwürdige Frau war sie, groß in ihrer Kraft und in ihrem Tatendrang. Ihresgleichen werden wir so leicht nicht wiedersehen. Am nächsten Tage brach Major Samzelius von Ekeby auf und zog nach Sjö, das ganz nahe bei dem großen Eisenwerk liegt. In Altringers Testament, kraft dessen der Major die sieben Eisenwerke bekommen hatte, stand mit klaren, deutlichen Worten geschrieben, daß nichts davon verkauft oder verschenkt werden dürfe, sondern daß alles nach dem Tode des Majors auf seine Gattin oder auf deren Erben übergehen solle. Da er also das verhaßte Erbe nicht vergeuden konnte, setzte er die Kavaliere als Herren darüber ein, in dem Glauben, daß er dadurch Ekeby und den andern sechs Besitzungen den schlimmsten Schaden zufüge. Da nun niemand im Lande daran zweifelte, daß der böse Sintram die Befehle des Satans ausführte, und da alles, was er ihnen versprochen hatte, so glänzend in Erfüllung gegangen war, so waren die Kavaliere fest überzeugt, daß der Kontrakt Punkt für Punkt erfüllt werden würde, und sie waren fest entschlossen, das ganze Jahr hindurch nichts Kluges oder Nützliches oder Schurkenhaftes zu tun, auch waren sie ganz davon durchdrungen, daß die Majorin eine böse Hexe sei, die ihr Verderben gewollt habe. Der alte Onkel Eberhard, der Philosoph, machte sich über diese Anschauung lustig; aber wer kümmerte sich um so einen, der so verhärtet in seinem Glauben war, daß er, selbst wenn er mitten in den Flammen der Hölle gelegen und alle Teufel um sich herum hätte stehen und ihn auslachen sehen, doch behauptet haben würde, daß sie nicht existierten, weil sie nicht existieren _könnten_. Denn Onkel Eberhard war ein großer Philosoph. Gösta Berling sagte niemand, was er glaubte. Das steht fest, er war der Ansicht, daß er der Majorin keinen Dank schulde, weil sie ihn zum Kavalier auf Ekeby gemacht hatte; er glaubte, es wäre besser für ihn gewesen, tot zu sein, als sich mit dem Bewußtsein herumzutragen, schuld an Ebba Dohnas Selbstmord zu sein. Er erhob nicht die Hand, um sich an der Majorin zu rächen, aber auch nicht, um ihr zu helfen. Er konnte es nicht. Die Kavaliere aber waren zu großer Macht und Herrlichkeit gelangt. Das Weihnachtsfest mit seinen Gastmählern und Zerstreuungen stand vor der Tür, die Herzen der Kavaliere waren voller Jubel, und welch Kummer auch Gösta Berlings Herz bedrücken mochte, so trug er ihn nicht auf dem Antlitz oder auf den Lippen. Gösta Berling, der Poet Es war Weihnachten, und auf Borg sollte ein Ball stattfinden. Um diese Zeit wohnte ein junger Graf Dohna auf Borg; er war neuvermählt und hatte eine junge, schöne Gemahlin. Es sollte schon lustig hergehen in dem alten Grafenschloß! Auch nach Ekeby war eine Einladung gelangt, aber es stellte sich heraus, daß von allen denen, die in diesem Jahr dort Weihnachten feierten, Gösta Berling, »der Poet«, wie man ihn nannte, der einzige war, der Lust hatte, sich nach Borg zu begeben. Borg und Ekeby liegen beide an dem langen Löfsee, aber jedes an seinem Ufer. Wenn der See nicht zugefroren ist, so ist es eine Reise von zwei Meilen von Ekeby bis nach Borg. Der arme Gösta Berling wurde zu diesem Fest von den alten Herren ausgerüstet, als sei er ein Königssohn, der die Ehre eines Königreichs zu vertreten hat. Neu war der Frack mit den blanken Knöpfen, steif das Jabot, und glänzend waren die Lacklederschuhe. Er bekam einen Pelz vom feinsten Biberfell und eine Zobelmütze auf sein blondes, lockiges Haar. Sie breiteten ein Bärenfell mit silbernen Klauen über den Einspännerschlitten und spannten den schwarzen Don Juan, den Stolz des Stalles, davor. Er pfiff seinem weißen Tankred und ergriff die geflochtenen Zügel. Jubelnd fuhr er von dannen, umgeben vom Glanz des Reichtums und der Pracht, er, der schon ohnedem hinreichend strahlte in der körperlichen Schöne und den großen, glänzenden Geistesgaben. Er fuhr am frühen Vormittag. Es war Sonntag, und er hörte den Gesang aus der Broer Kirche erschallen, als er daran vorüberfuhr. Dann schlug er den einsamen Waldweg ein, der nach Berga führte, wo Hauptmann Uggla damals wohnte, und wo er zu Mittag zu bleiben gedachte. Berga war nicht eines reichen Mannes Heim. Der Hunger kannte den Weg zu des Hauptmanns grassodengedecktem Hause, aber er ward mit Scherzen empfangen, mit Gesang und Spiel unterhalten wie andere Gäste und ging ungern wie sie. Die alte Mamsell Ulrika Dillner, die der Küche und der Webstube auf Berga vorstand, hieß Gösta Berling auf der Treppe willkommen. Sie knickste, und die falschen Locken, die ihr in das braune Gesicht mit den tausend Runzeln hingen, tanzten vor Freude. Sie führte ihn in den Saal hinein und fing an, von den Bewohnern des Gutes und den unsicheren Verhältnissen zu sprechen. Kummer und Sorge stünden vor der Tür, sagte sie; harte Zeiten herrschten auf Berga. Sie hätten nicht einmal Meerrettich zu dem gesalzenen Fleisch am Mittag; aber Ferdinand und die Mädchen hätten Disa vor einen Schlitten gespannt und seien nach Munkerud gefahren, um ein wenig zu leihen. Der Hauptmann sei wieder in den Wald gegangen und käme vermutlich mit einem zähen Hasen heim, der mehr Butter zum Braten erfordere, als er selber wert sei. Das nenne er Essen fürs Haus schaffen. Das ginge aber noch allenfalls, wenn er nur nicht mit einem jämmerlichen Fuchs käme, dem elendesten Tier, das der liebe Gott erschaffen, gleich unbrauchbar, mag er nun tot oder lebendig sein! Und die gnädige Frau -- ja, die war noch nicht aufgestanden. Sie lag im Bett und las Romane, wie sie es jeden Tag zu tun pflegte. Sie war nicht zum Arbeiten geschaffen, diese Engelsunschuld! Nein, das überließ man den Alten, im Dienst Ergrauten, so wie sie es war. Tag und Nacht war man auf den Beinen, um nur die Brocken zusammenzuhalten. Und das war nicht so ganz leicht. Einen ganzen Winter hindurch hatten sie wahrhaftig keine andern Fleischspeisen im Hause gehabt, als einen einzigen Bärenschinken. Und einen großen Lohn erwartete sie nicht; bisher hatte sie noch nicht das geringste davon gesehen, aber man würde sie wohl auch nicht auf die Landstraße hinauswerfen, wenn sie einmal nicht mehr fürs tägliche Brot arbeiten könne. Hier im Hause betrachtete man die Wirtschafterin wie einen Menschen und würde der alten Ulrika schon ein ehrliches Begräbnis gönnen, falls Geld genug da sei, um einen Sarg zu kaufen. »Denn wer weiß, wie es werden soll?« rief sie, sich mit der Schürze über die Augen fahrend, die stets so leicht übergingen. »Wir schulden dem bösen Gutsherrn Sintram Geld, und er kann uns alles nehmen. Nun ist ja Ferdinand mit der reichen Anna Stjärnhök verlobt, aber sie wird seiner überdrüssig, sie wird seiner überdrüssig. Und was soll nun aus uns werden mit unsern drei Kühen und unsern neun Pferden, mit unsern fröhlichen jungen Fräulein, die von einem Ball zum andern fahren wollen, mit unsern dürren Äckern, wo nichts wächst, mit unserm guten Ferdinand, aus dem nie im Leben ein Mann wird! Was soll aus diesem ganzen Hause werden, wo alles gedeiht, die Arbeit ausgenommen!« Aber es wurde Mittag, und die Hausbewohner versammelten sich. Der gute Ferdinand, der sanfte Sohn des Hauses und die munteren Töchter kamen mit dem geborgten Meerrettich heim. Der Hauptmann kam, erfrischt durch ein Bad in einer Wake des Sees und durch die Jagd im Walde. Er riß das Fenster auf, um frische Luft zu bekommen, und reichte Gösta die Hand mit warmem Druck. Und die gnädige Frau kam in seidenem Kleide mit breiten Spitzen über den weißen Händen, die sie Gösta gnädigst zum Kuß reichte. Alle begrüßten Gösta mit Jubel, Scherz und Lachen kam in den Kreis hineingeflogen. Fröhlich fragte man: »Wie lebt ihr denn auf Ekeby, wie sieht es aus in dem Gelobten Lande?« »Dort fließt Milch und Honig«, erwiderte er. »Wir entleeren die Berge allen Eisens und füllen unsere Keller mit Wein. Die Äcker tragen Gold; damit vergolden wir das Elend des Lebens, und unsere Wälder fällen wir, um Kegelbahnen und Lusthäuser zu bauen.« Frau Uggla aber seufzte und lächelte über die Antwort, ihren Lippen entschwebte ein einziges Wort: »Poet!« »Viele Sünden habe ich auf dem Gewissen,« erwiderte Gösta, »nie aber habe ich eine Zeile Poesie geschrieben.« »Du bist trotzdem ein Poet, Gösta, den Spitznamen hast du nun einmal weg. Du hast mehr Gedichte erlebt, als unsere Dichter geschrieben haben.« Später sprach Frau Uggla sanft wie eine Mutter zu ihm über sein vergeudetes Leben. »Ich werde es sicher noch erleben, dich zum Manne heranreifen zu sehn«, sagte sie. Und es erschien ihm süß, sich von dieser milden Frau vorwärtstreiben zu lassen, die eine so treue Freundin war und deren starkes, schwärmerisches Herz vor Liebe zu großen Taten entbrannte. Als sie aber die muntere Mahlzeit beendet und das Meerrettichfleisch und den Kohl und die Waffeln verzehrt und das Weihnachtsbier getrunken hatten, als Gösta sie durch seine Erzählungen von dem Major und der Majorin und dem Pfarrer zu Broby zum Weinen und Lachen gebracht hatte, vernahm man plötzlich Schellengeläute im Hofe, und gleich darauf trat der böse Sintram bei ihnen ein. Er strahlte vor Vergnügen von seinem kahlen Scheitel bis hinab zu den langen, breiten Füßen. Er schlenkerte mit seinen langen Armen und schnitt Grimassen; man sah es ihm auf den ersten Blick an, daß er als Träger schlechter Nachrichten kam. »Habt ihr es gehört?« fragte der Böse, »habt ihr es schon gehört, daß Anna Stjärnhök und der reiche Dahlberg heute zum erstenmal in der Svartsjöer Kirche aufgeboten sind? Sie muß es vergessen haben, daß sie mit Ferdinand verlobt ist.« Sie hatten kein Wort davon gehört. Sie waren erschrocken und traurig. Sie sahen im Geiste schon ihr Heim geplündert, damit ihre Schulden an den bösen Mann bezahlt werden konnten; sie sahen ihre geliebten Pferde verkauft und ebenso die alten Möbel, ein Erbe aus dem Kindheitsheim der Mutter. Sie sahen das Ende des fröhlichen Lebens mit Festen und Fahrten von Ball zu Ball. Der Bärenschinken würde wieder auf ihrem Tische stehen, und die Jungen mußten zu fremden Leuten in den Dienst gehen. Die Mutter streichelte ihren Sohn zärtlich und ließ ihn eine nie versiegende Liebe empfinden. Doch -- da saß Gösta Berling mitten zwischen ihnen, und dem Unüberwindlichen gingen tausenderlei Pläne durch den Kopf. »Ei was!« rief er, »noch ist es keine Zeit zum Jammern. Die Pfarrerin in Svartsjö hat die ganze Sache gemacht. Sie hat Anna ganz in ihrer Gewalt, seit sie bei ihr auf dem Pfarrhof wohnt. Sie hat sie dazu gebracht, Ferdinand im Stich zu lassen und den alten Dahlberg zu nehmen; aber noch sind sie nicht getraut, und es soll auch nichts daraus werden. Jetzt fahre ich nach Borg, und dort treffe ich Anna. Ich will mit ihr reden, ich will sie den Pfarrersleuten, dem Bräutigam schon abspenstig machen. Ich bringe sie über Nacht hierher; dann soll der alte Dahlberg keine Freude mehr an ihr haben.« Und so geschah es. Gösta fuhr allein nach Borg, ohne eins der munteren Fräulein, aber geleitet von den heißen Wünschen der Zurückbleibenden. Und Sintram, der frohlockte, daß der alte Dahlberg angeführt werden sollte, beschloß, auf Berga zu bleiben, um Göstas Rückkehr mit der Treulosen abzuwarten. In einem Anfall von Wohlwollen hüllte er ihn sogar in seinen grünen Reiseschal -- ein Geschenk von Mamsell Ulrika selber. Frau Uggla aber kam mit drei rot eingebundenen Büchern auf die Treppe hinaus. »Nimm die,« sagte sie zu Gösta, der schon im Schlitten saß, »nimm die und behalte sie, wenn du kein Glück haben solltest. Es ist Corinna, Madame de Staëls Corinna; ich möchte nicht gern, daß die Bücher unter den Hammer kämen.« »Ich habe stets Glück!« »Ach, Gösta, Gösta,« sagte sie und strich mit der Hand über sein entblößtes Haupt, »du Stärkster und Schwächster unter den Menschen! Wie lange wirst du daran denken, daß das Glück von uns armen Menschen in deiner Hand ruht!« Abermals flog Gösta über die Landstraße dahin, gezogen von dem schwarzen Don Juan, gefolgt von dem weißen Tankred, und das Bewußtsein des bevorstehenden Abenteuers erfüllte seine Seele mit Jubel. Er fühlte sich wie ein junger Eroberer; der Geist war über ihm. Sein Weg führte ihn am Pfarrhofe zu Svartsjö vorüber. Er fuhr dort vor und fragte, ob er Anna Stjärnhök nicht zum Balle fahren dürfe. Ja, das dürfe er. Ein schönes, eigensinniges Mädchen stieg zu ihm in den Schlitten. Wer wäre nicht gern mit dem schwarzen Don Juan gefahren! Anfangs waren die Jungen schweigsam, dann aber begann die Unterhaltung, trotzig wie nur der Übermut sie eingibt. »Hast du gehört, Gösta, was der Pfarrer heute von der Kanzel verlesen hat?« »Hat er gesagt, daß du das schönste Mädchen zwischen dem Löfsee und dem Klar-Elf seiest?« »Du bist dumm, Gösta. Das wissen die Leute auch ohnedem. Nein, er hat mich und den alten Dahlberg aufgeboten.« »Weiß Gott, hätte ich das gewußt, so würde ich dich nicht aufgefordert haben, dich zu mir in den Schlitten zu setzen! Darauf kannst du dich verlassen!« Und die stolze Erbin antwortete: »Ich wäre auch wohl ohne Gösta Berling nach Borg gekommen.« »Es ist doch eigentlich schade um dich, Anna,« sagte Gösta nachdenklich, »daß du weder Vater noch Mutter hast. Nun bist du, wie du bist, und man darf es nicht so genau mit dir nehmen.« »Es ist weit mehr schade, daß du das nicht früher gesagt hast, dann hätte mich ein anderer fahren können.« »Die Pfarrerin denkt wie ich, daß du eines Mannes bedarfst, der dir zugleich den Vater ersetzen kann, sonst hätte sie dich wohl nicht mit so einer alten Kracke eingespannt.« »Die Pfarrerin hat nichts damit zu tun.« »Großer Gott, hast du selber dir den schönen Mann ausgesucht?« »Der nimmt mich wenigstens nicht des Geldes wegen.« »Nein, die alten sehen nur auf blaue Augen und rote Wangen, und Narren sind sie, daß sie das tun.« »Ach, Gösta, du solltest dich schämen!« »Bedenke aber, daß du fortan nicht mehr mit den jungen Männern spielen darfst. Mit Tanz und Spiel ists nun vorbei. Du gehörst in die Sofaecke -- oder vielleicht ziehst du es vor, eine Partie Rabouge mit dem alten Dahlberg zu spielen?« Dann saßen sie stumm da, bis sie die steilen Hügel bei Borg hinanfuhren. »Ich danke dir für die gütige Beförderung. Es soll nicht sobald wieder geschehen, daß ich mit Gösta Berling fahre!« »Danke bestens! Ich kenne mehr als einen, der es bereut hat, mit dir zum Fest gefahren zu sein.« Ein wenig milder als sonst trat die trotzige Schöne in den Tanzsaal und überschaute die versammelten Gäste. Zu allererst erblickte sie den kleinen, kahlköpfigen Dahlberg neben dem hohen, schlanken, blondlockigen Gösta Berling. Sie hatte die größte Lust, sie beide zur Tür hinauszujagen. Ihr Verlobter kam, um sie zum Tanz aufzufordern, aber sie empfing ihn mit höhnischem Staunen. »Willst du tanzen? Seit wann pflegst du zu tanzen?« Und die jungen Mädchen kamen, um sie zu beglückwünschen. »Verstellt euch doch nicht, Kinder! Ihr glaubt doch unmöglich, daß man sich in den alten Dahlberg verlieben kann? Aber er ist reich, und ich bin reich, deswegen passen wir zueinander.« Die alten Damen kamen auf sie zu, drückten ihr die weiße Hand und sprachen von dem höchsten Glück des Lebens. »Gratuliert der Pfarrerin,« erwiderte sie, »die freut sich mehr darüber als ich.« Aber dort stand Gösta Berling, der muntere Kavalier, mit Jubel begrüßt ob seines frischen Lachens und seiner schönen Worte, die Goldstaub über das graue Einerlei des Lebens streuten. Nie zuvor hatte sie ihn so gesehen wie an diesem Abend. Er war kein Verstoßener, kein Verworfener, kein heimatloser Spaßmacher, nein, ein König war er unter Männern, ein geborener König. Er und die andern jungen Männer verschworen sich gegen sie. Sie sollte Muße haben, darüber nachzudenken, wie übel sie daran getan, daß sie sich mit ihrem schönen Gesicht und ihrem großen Reichtum an einen alten Mann weggeworfen hatte. Und sie ließen sie zehn Tänze hindurch sitzen. Ihr Blut kochte vor Zorn. Als der elfte Tanz begann, kam ein Mann, der Geringste unter den Geringen, einer, mit dem niemand tanzen wollte, und forderte sie auf. »Das Bier ist getrunken, jetzt kommt die Bärme«, sagte sie. Dann spielte man Pfänderspiele. Blondlockige junge Mädchen steckten die Köpfe zusammen und verurteilten sie, den zu küssen, der ihr der liebste sei. Und lächelnden Mundes warteten sie auf das Schauspiel, wie die stolze Schöne den alten Dahlberg küssen würde. Sie aber erhob sich stolz in ihrem Zorn und sagte: »Darf ich nicht lieber demjenigen eine Ohrfeige geben, den ich am wenigsten leiden kann?« Einen Augenblick später brannte Göstas Wange unter ihrer festen Hand. Er wurde dunkelrot, ergriff ihre Hand, hielt sie eine Sekunde fest und flüsterte: »Warte in einer halben Stunde im roten Saal unten auf mich!« Seine blauen Augen strahlten auf sie herab und umschlossen sie mit magischen Banden. Sie fühlte, daß sie gehorchen mußte. Dort unten empfing sie ihn mit Stolz und bösen Worten. »Was geht es Gösta Berling an, mit wem ich mich verheirate?« Er hatte noch keine freundlichen Worte auf der Zunge, auch erschien es ihm noch nicht ratsam, gleich von Ferdinand zu reden. »Ich meine nicht, daß die Strafe, dich zehn Tänze über sitzen zu lassen, zu groß war. Aber du willst die Freiheit haben, ungestraft Eidschwüre und Versprechungen zu brechen. Hätte ein besserer Mann als ich das Strafgericht in die Hand genommen, so hätte er es härter handhaben können.« »Was habe ich dir und euch allen getan, daß ihr mich nicht in Frieden lassen könnt? Nur des Geldes wegen verfolgt ihr mich. Ich will es in den Löfsee werfen, mag es da auffischen, wer Lust hat.« Sie barg ihr Antlitz in den Händen und weinte vor Zorn. Da ward das Herz des Poeten gerührt. Er schämte sich seiner Härte. Seine Stimme ward zärtlich. »Ach, Kind, Kind, verzeih mir! Verzeih dem armen Gösta Berling! Niemand kehrt sich daran, was so ein Lump sagt oder tut, das weißt du ja. Niemand weint über seinen Zorn; man könnte ebensowohl über den Stich einer Mücke weinen. Es war Wahnsinn -- aber ich wollte es verhindern, daß sich unser schönstes und reichstes Mädchen mit dem Alten verheiratete. Und nun habe ich nichts erreicht, als dich zu betrüben.« Er setzte sich neben sie ins Sofa. Leise legte er seinen Arm um ihre Taille, um sie mit zärtlicher Fürsorge zu stützen und aufzurichten. Sie entzog sich ihm nicht. Sie schmiegte sich an ihn, schlang ihre Arme um seinen Hals und weinte, ihr schönes Haupt an seine Schulter gelehnt. Ach, Poet, du Stärkster und Schwächster unter den Menschen! Nicht an deinem Halse sollten diese weißen Arme ruhen! »Wenn ich dies gewußt hätte, so würde ich niemals den Alten genommen haben, heute abend erst habe ich dich kennen gelernt, niemand ist wie du!« Zwischen bleichen Lippen aber drängte Gösta ein Wort hervor: »Ferdinand!« Sie brachte ihn mit einem Kuß zum Schweigen. »Er ist nichts! Niemand außer dir ist etwas. Dir will ich treu sein!« »Ich bin Gösta Berling,« erwiderte er finster, »mit mir kannst du dich nicht verheiraten.« »Dich liebe ich, dich, den ersten unter allen Männern! Du brauchst nichts zu tun, nichts zu sein. Du bist ein geborener König.« Da wallte das Blut des Poeten auf. Sie war schön und liebreizend in ihrer Liebe. Er schloß sie in seine Arme. »Wenn du die Meine werden willst, kannst du nicht auf dem Pfarrhof bleiben. Laß mich dich diese Nacht nach Ekeby fahren, dort werde ich dich schon zu verteidigen wissen, bis wir Hochzeit halten können.« * * * * * Es ward eine berauschende Fahrt in jener Nacht. Sie beugten sich dem Gebot der Liebe und ließen sich von Don Juan entführen. Es war, als wenn das Knirschen des Schnees unter den Schlittenkufen die Klage des Betrogenen sei. Was kehrten sie sich daran? Sie hing an seinem Halse, und er beugte sich zu ihr hinab und flüsterte ihr ins Ohr: »Kann sich eine Seligkeit mit gestohlenem Glück vergleichen?« Das Aufgebot -- was hatte das zu bedeuten? Sie hatten Liebe. Und der Zorn der Menschen? Gösta Berling glaubte an das Schicksal. Das Schicksal hatte sie bezwungen, gegen das Schicksal kann niemand streiten. Wären die Sterne Hochzeitslichter gewesen, die zu ihrer Hochzeit angezündet waren, wären Don Juans Schellen Kirchenglocken gewesen, die die Leute zu ihrer Hochzeit mit dem alten Dahlberg zusammenriefen -- sie hätte dennoch mit Gösta Berling fliehen müssen. So mächtig ist das Schicksal! -- -- -- Sie waren glücklich und wohlbehalten am Pfarrhof zu Munkerud vorübergekommen. Sie hatten noch eine halbe Meile bis Berga und eine zweite halbe Meile bis Ekeby zurückzulegen. Der Weg führte am Waldesrande entlang, rechts von ihnen lagen dunkle Berge, links ein langes, weißes Tal. Da kam Tankred herangestürzt. Er lief, als läge er der Länge nach am Boden. Heulend vor Angst sprang er in den Schlitten und verkroch sich zu Annas Füßen. Don Juan zog mit einem Ruck an und sprang im Galopp dahin. »Wölfe!« sagte Gösta Berling. Sie sahen einen langen grauen Strich, der sich am Waldessaum entlang bewegte. Es waren mindestens ein Dutzend. Anna erschrak nicht. Der Tag war reich an Abenteuern gewesen, und die Nacht versprach, ihm darin nicht nachzustehen. Das war Leben! So über die schimmernde Schneefläche dahinzusausen, den wilden Tieren und den Menschen trotzend. Gösta stieß einen Fluch aus, beugte sich vornüber und versetzte Don Juan einen scharfen Schlag mit der Peitsche. »Fürchtest du dich?« fragte er. »Sie schlagen einen Richtweg ein und werden uns da hinten, wo die Landstraße eine Biegung macht, einholen.« Don Juan sprang und lief um die Wette mit den wilden Tieren des Waldes, und Tankred heulte vor Wut und Angst. Sie erreichten die Krümmung des Weges gleichzeitig mit den Wölfen, und Gösta trieb den ersten mit der Peitsche zurück. »Ach, Don Juan, mein Junge, wie leicht könntest du zwölf Wölfen entfliehen, wenn du uns Menschen nicht zu schleppen hättest!« Sie banden den grünen Reiseschal hinten am Schlitten fest. Die Wölfe wurden davor bange und hielten sich eine Zeitlang in einiger Entfernung. Als sie aber ihre Furcht überwunden hatten, sprang einer von ihnen mit lang heraushängender Zunge und mit geöffnetem Rachen auf den Schlitten zu. Da nahm Gösta Madame de Staëls Corinna und warf es ihm ins Maul. Abermals hatten sie eine kleine Ruhepause, während die Tiere ihre Beute zerrissen, und abermals fühlten sie die Rucke, wenn die Wölfe an dem grünen Reiseschal zerrten, und der kurze, hastige Atemzug der wilden Tiere drang an ihr Ohr. Sie wußten, daß sie vor Berga an keiner menschlichen Wohnung vorüberkamen; aber es erschien Gösta weit schlimmer als der Tod, denen ins Auge sehen zu sollen, die er betrogen hatte. Er sah auch ein, daß das Pferd ermüden würde, und was sollte dann nur aus ihnen werden? Da ward das Bergaer Haus am Waldesrande sichtbar. In den Fenstern brannten Lichter. Gösta wußte sehr wohl, wem die galten. Doch nun flüchteten die Wölfe, bange vor der Nähe der Menschen, und Gösta fuhr an Berga vorüber. Er kam aber trotzdem nicht weiter als bis zu der Stelle, wo der Weg sich wieder in den Wald verliert; da erblickte er eine dunkle Gruppe vor sich -- die Wölfe warteten auf ihn. »Laß uns nach dem Pfarrhof umwenden, wir können ja sagen, daß wir eine kleine Spazierfahrt im Sternenschein gemacht haben. Dies geht nun und nimmer gut.« Sie wandten um, aber im nächsten Augenblick war der Schlitten von Wölfen umringt. Graue Gestalten glitten an ihnen vorüber, die weißen Zähne schimmerten in den weit aufgerissenen Rachen, die funkelnden Augen leuchteten. Sie heulten vor Hunger und Blutdurst. Die schimmernden Zähne waren bereit, sich in das weiche Menschenfleisch zu hauen. Die Wölfe sprangen an Don Juan in die Höhe und hängten sich in dem Geschirr fest. Anna dachte darüber nach, ob die Bestien sie mit Haut und Haar verzehren oder ob sie wohl ein wenig von ihnen übriglassen würden, und ob wohl die Leute am nächsten Morgen zernagte Gebeine in dem niedergetretenen, blutigen Schnee finden würden. »Jetzt gilt es unser Leben«, sagte sie, beugte sich herab und ergriff Tankred beim Nacken. »Laß das, es nützt nichts! Nicht des Hundes wegen sind die Wölfe über Nacht unterwegs.« Damit fuhr Gösta auf den Bergaer Hof ein, aber die Wölfe verfolgten ihn bis an die Treppe. Er mußte sich ihrer mit der Peitsche erwehren. »Anna,« sagte er, als er an der Treppe hielt, »Gott wollte es nicht. Mach nun eine gute Miene dazu, wenn du das Mädchen bist, für das ich dich halte, hörst du!« Drinnen hatten sie das Schellengeklingel gehört und kamen heraus. »Er hat sie!« riefen sie. »Er hat sie! Gösta Berling soll leben!« Und die Gäste taumelten aus einer Umarmung in die andere. Es wurden nicht viele Fragen gestellt. Die Nacht war weit vorgeschritten, die Reisenden waren überwältigt von ihrer gefährlichen Fahrt und bedurften der Ruhe. Es genügte ja, daß Anna da war. Alles war gut. Nur Corinna und der grüne Reiseschal, Mamsell Ulrikas wertvolles Geschenk, waren vernichtet. * * * * * Das ganze Haus schlief. Da stand Gösta Berling auf, kleidete sich an und schlich hinaus. Unbemerkt zog er Don Juan aus dem Stall, spannte ihn vor den Schlitten und wollte sich davonmachen. Da kam Anna Stjärnhök aus dem Hause. »Ich hörte dich fortgehen«, sagte sie. »Da stand ich auf. Ich bin bereit, mit dir zu fahren.« Er trat an sie heran und ergriff ihre Hand. »Verstehst du es denn noch nicht? Es kann nicht sein! Gott will es nicht! Hör mich an und versuche, mich zu verstehen! Ich war heute mittag hier und sah, wie sie über deine Treulosigkeit jammerten. Da fuhr ich nach Borg, um dich zu Ferdinand zurückzuführen. Aber ich bin stets ein erbärmlicher Wicht gewesen und werde nie mehr etwas anderes. Ich verriet ihn und behielt dich für mich. Hier ist eine alte Frau, die glaubt, daß noch einmal ein Mann aus mir werden kann. An ihr habe ich ehrlos gehandelt. Und eine andere arme Alte will hier frieren und hungern, nur um zwischen Freunden sterben zu können, ich aber war kurz davor, sie vom bösen Sintram heimführen zu lassen. Du warst schön, und die Sünde war süß. Gösta Berling ist so leicht zu verlocken. »Ach, was für ein armseliger Schuft bin ich doch! Ich weiß, wie sehr die da drinnen ihr Heim lieben, und doch war ich kurz davor, es der Plünderung preiszugeben. Ich vergaß alles um deinetwillen. Du warst so entzückend in deiner Liebe. Aber jetzt, Anna, jetzt, wo ich Zeuge ihrer Freude gewesen bin, will ich dich nicht behalten. O, du meine Geliebte! Der dort oben spielt mit unserm Willen. Jetzt ist es Zeit, daß wir uns unter seine züchtigende Hand beugen. Sag mir, daß du von heute an deine Last auf dich nehmen willst! Alle da drinnen verlassen sich auf dich. Sag, daß du bei ihnen bleiben und ihnen eine Stütze, eine Hilfe sein willst! Wenn du mich liebst, wenn du meinen bittern Kummer erleichtern willst, so versprich mir dies! Meine Geliebte, ist dein Herz so groß, daß es sich selbst überwinden und dabei lächeln kann?« Sie nahm voller Begeisterung das Gebot des Entsagens hin. »Ich will tun, wie du willst -- mich opfern und dazu lächeln.« Sie lächelte wehmütig. »Solange ich dich liebe, werde ich die da drinnen lieben.« »Jetzt erst weiß ich, welch ein Mädchen du bist. Es ist schwer, von dir zu lassen.« »Lebe wohl, Gösta! Geh mit Gott! Meine Liebe soll dich nicht zur Sünde verleiten.« Sie wandte sich ab, um hineinzugehen. Er gab ihr das Geleite. »Wirst du mich bald vergessen?« »Fahre jetzt, Gösta. Wir sind nur Menschen.« Er sprang in den Schlitten, da aber kehrte sie zurück. »Denkst du nicht an die Wölfe?« »Freilich denke ich an die. Aber die haben ihren Nutzen getan. Mit mir haben sie diese Nacht nichts mehr zu schaffen.« Noch einmal streckte er die Arme nach ihr aus, Don Juan aber ward ungeduldig und zog an. Er griff nicht nach den Zügeln. Er saß hintenübergelehnt und schaute zurück. Dann beugte er sich über den Rand des Schlittens und schluchzte wie ein Verzweifelter. »Ich habe das Glück besessen und es von mir gestoßen. Weswegen hielt ich es nicht fest?« Ach, Gösta Berling! Du Stärkster und Schwächster unter den Menschen! =La cachucha= Streitroß, Streitroß! Du altes, das jetzt auf dem Felde grast. Gedenkst du deiner Jugend? Gedenkst du des Schlachtentages, mutiges Roß? Du sprengtest voran, als trügen dich Flügel, deine Mähne flatterte über dir gleich wehenden Gluten, Blut und Schaum bedeckten deine schwarzen Flanken. In goldverziertem Zaum sprangst du dahin, das Feld erdröhnte unter deinem Hufschlag. Du zittertest vor Wonne, du mutiges Roß. Ach, wie schön du warst! * * * * * Über dem Kavalierflügel liegt graue Dämmerung. In dem großen Zimmer stehen die rot angestrichenen Kisten der Kavaliere an den Wänden, und ihre Sonntagskleider hängen in der Ecke. Der Schein aus dem Kamin fällt auf die weißgetünchten Wände und die gelb gewürfelten Gardinen, die die Alkoven in der Wand verbergen. Der Kavalierflügel ist kein königliches Gemach, kein Serail. Aber Liliencronas Violine ertönt dort. Er spielt =la cachucha= in der Dämmerstunde. Wieder und wieder spielt er sie. Zerschneidet die Saiten, zertrümmert den Bogen! Weshalb spielt er diesen verdammten Tanz? Weshalb spielt er ihn gerade jetzt, wo Örneclou, der Fähnrich, im Bett liegt, von den heftigsten Gichtschmerzen geplagt, so daß er sich nicht rühren kann? Nein, entreißt ihm die Violine, werft sie gegen die Wand, wenn er nicht aufhören will! =La cachucha=, soll die für uns sein, Maestro? Kann die auf den schwankenden Brettern des Kavalierflügels, zwischen den engen, von Rauch geschwärzten und mit Schmutz bedeckten Wänden, unter diesem niederen Dach getanzt werden? Wehe dir, wie du spielst! =La cachucha=, soll die für uns Kavaliere sein? Draußen heult der Schneesturm. Willst du die Schneeflocken lehren, im Takt zu tanzen? Spielst du den leichtfüßigen Kindern des Schneekönigs zum Tanze auf? Frauenkörper, die unter dem Pulsschlag des heißen Blutes zittern, kleine rußige Hände, die den Kochtopf beiseite schieben und zu den Kastagnetten greifen, nackte Füße unter hochgeschürzten Röcken, ein Hof mit Marmorfliesen, Zigeuner, die mit Sackpfeife und Tamburin am Boden kauern, maurische Bogengänge, Mondschein und schwarze Augen, hast du das, Maestro? Sonst laß deinen Bogen ruhen! Die Kavaliere trocknen ihre nassen Kleider am Feuer. Können sie sich in hohen, eisenbeschlagenen Stiefeln mit fingerdicken Sohlen im Tanze schwingen? Den ganzen Tag sind sie durch ellenhohen Schnee gewatet, um dem Bären auf die Spur zu kommen. Glaubst du, daß sie in feuchten, dampfenden Frieskleidern tanzen mögen, mit dem zottigen Petz als Dame? Sternenübersäter Abendhimmel, rote Rosen in dunklem Frauenhaar, berauschende Wärme in der Abendluft, angeborene Plastik in den Bewegungen, Liebe, von der Erde aufsteigend, vom Himmel herabregnend, in der Luft schwebend, hast du das, Maestro? Weshalb uns sonst dazu zwingen, uns nach alledem zu sehnen? Du Grausamer, bläst du das Kompagniesignal für das angebundene Streitroß? Rutger von Örneclou liegt von Gichtschmerzen gefesselt in seinem Bett. Erspar ihm die Qual der schönen Erinnerungen! Auch er hat den Sombrero und das bunte Haarnetz getragen, auch er hat die Sammetjacke getragen und den Dolch im Gürtel. Schone den alten Örneclou, Maestro! Aber Liliencrona spielt =la cachucha=, wieder und wieder =la cachucha=. Und Örneclou leidet wie der Liebende, der die Schwalbe den Weg zu der fernen Wohnung der Geliebten nehmen sieht, wie der lechzende Hirsch, der von den Verfolgern an der Quelle vorübergetrieben wird. Liliencrona nimmt einen Augenblick die Violine unter dem Kinn fort. »Fähnrich, entsinnst du dich der schönen Rosalie von Berger?« Örneclou stößt einen gewaltigen Fluch aus. »Sie war leicht wie eine Flamme. Sie glitzerte und tanzte wie der Diamant an der Spitze des Violinbogens. Du entsinnst dich ihrer wohl noch vom Theater in Karlstad? Wir sahen sie damals, als wir jung waren, entsinnst du dich dessen noch, Fähnrich?« Ob sich der Fähnrich dessen entsinnt! Sie war klein und wild und sprühend wie Feuer. Sie konnte =la cachucha= tanzen! Sie lehrte alle die jungen Herren in Karlstad =la cachucha= tanzen und Kastagnetten schlagen. Auf dem Balle des Landrats tanzten der Fähnrich und Fräulein von Berger in spanischer Tracht =la cachucha=. Und er hatte so getanzt, wie man unter Feigenbäumen und Platanen tanzt -- wie ein echter Spanier. Niemand in ganz Wermland konnte die Cachucha tanzen wie er. Niemand außer ihm konnte sie so tanzen, daß es sich verlohnte, davon zu reden. Welchen Kavalier verlor nicht Wermland, als die Gicht seine Glieder steif machte und sich über den Gelenken große Knoten bildeten! Welch ein Kavalier war er, so schlank, so schön, so ritterlich! »Den schönen Örneclou« nannten ihn diese jungen Mädchen, die sich seinetwegen auf Lebenszeit verfeinden konnten. Und Liliencrona stimmt abermals =la cachucha= an, wieder und wieder =la cachucha=, und Örneclou wird zurückversetzt in die alten Zeiten. Da steht er, und da steht sie -- Rosalie von Berger! Sie sind soeben allein im Toilettenzimmer gewesen. Sie war Spanierin, er Spanier. Er durfte sie küssen, aber vorsichtig, denn sie fürchtete seinen gewichsten Bart. Jetzt tanzen sie. Ach, wie man unter Feigenbäumen und Platanen tanzt! Sie weicht zurück, er folgt ihr, er wird kühn, sie stolz, er beleidigt, sie versöhnlich. Als er schließlich aufs Knie fällt und sie in den ausgebreiteten Armen auffängt, geht ein Seufzer durch den Saal, ein Seufzer des Entzückens. Er war ein Spanier gewesen, ein echter Spanier! Gerade bei dem Bogenstrich hatte er sich so herabgebeugt, die Arme so ausgestreckt, den Fuß vorgereckt, um auf den Zehenspitzen zu schweben. Welche Grazie! Man hätte ihn in Marmor aushauen können. Er weiß nicht, wie es zugeht, aber er hat den Fuß über den Rand des Bettes gesetzt, er steht aufrecht da, er beugt sich herab, er breitet die Arme aus, knipst mit den Fingern und will über den Fußboden dahinschweben wie in alten Tagen, als er so enge Schuhe trug, daß man die Füßlinge von den Strümpfen abschneiden mußte. »Bravo, Örneclou! Bravo, Liliencrona! Spiel Leben in ihn hinein!« Der Fuß versagt ihm, er kann nicht auf die Zehenspitze kommen. Er zappelt ein paarmal mit dem einen Bein, mehr kann er nicht, dann fällt er wieder aufs Bett zurück. Schöner Señor, Ihr seid alt geworden. Die Señorita vielleicht ebenfalls? Nur unter Granadas Platanen wird =la cachucha= von ewig jungen Gitanos getanzt. Ewig jung sind sie wie die Rosen, denn jeder Lenz bringt neue. So ist denn die Zeit gekommen, wo die Saiten der Violine zerschnitten werden müssen? Nein, spiel, Liliencrona, spiel =la cachucha=, wieder und wieder =la cachucha=! Lehr uns, daß wir hier im Kavalierflügel, selbst wenn wir schwere Körper und steife Glieder haben, im Herzen doch stets dieselben bleiben -- stets Spanier! Streitroß, Streitroß! Sage, daß du die Trompetenstöße liebst, die dich zum Galopp verleiten, wenn du dir auch das Bein blutig reißt an dem Strick, der dich bindet! Der Ball auf Ekeby O, ihr Frauen entschwundener Zeiten! Wenn man von euch spricht, das ist, als spräche man vom Himmelreich: eitel Schönheit waret ihr, eitel Licht! Ewig jung, ewig schön waret ihr, milde wie die Augen einer Mutter, wenn sie ihr Kind anschaut. Weich wie die jungen Eichhörnchen hinget ihr am Halse des Gatten. Niemals machte der Zorn eure Stimme erbeben, niemals legte sich eure Stirn in Falten, eure weiche Hand ward niemals rauh oder hart. Ihr sanften Heiligen! Gleich geschmückten Bildsäulen standet ihr im Tempel des Hauses. Räucherwerk und Gebete wurden euch geopfert, durch euch verrichtete die Liebe ihre Wunder, und um euren Scheitel wand die Poesie ihren goldigstrahlenden Glorienschein. O, ihr Frauen entschwundener Zeiten, diese Erzählung soll jetzt berichten, wie eine von euch Gösta Berling ihre Liebe schenkte. * * * * * Vierzehn Tage nach dem Balle auf Borg fand ein Fest auf Ekeby statt. Es war das herrlichste Fest von der Welt. Alte Frauen und Männer konnten wieder jung werden, konnten lachen und sich freuen, wenn sie nur davon sprachen. Aber die Kavaliere waren zu jener Zeit auch Alleinherrscher auf Ekeby. Die Majorin wanderte mit Bettelsack und Stab im Lande umher, und der Major wohnte auf Sjö. Er konnte nicht einmal teilnehmen an dem Fest, denn auf Sjö waren die Blattern ausgebrochen, und er fürchtete die böse Krankheit weiter zu verbreiten. Welch eine Fülle von Genuß umschlossen nicht diese zwölf Stunden vom Knall des ersten Flaschenkorkes bei Tische bis zu dem letzten Bogenstrich, als die Mitternachtsstunde längst geschlagen hatte. Hinab in den Abgrund der Zeit sanken sie, diese gekrönten Stunden, angeregt von feurigem Wein, von den leckersten Speisen, von der herrlichsten Musik, von den geistreichsten Ausführungen, von den schönsten lebenden Bildern. Hinab sanken sie, schwindelig von dem wildesten Tanz. Wo gab es auch wohl so glatte Fußböden, so galante Kavaliere, so schöne Frauen! Ja, ihr Frauen entschwundener Zeiten! Ekebys Säle wimmeln von den schönsten aus eurer schönen Schar. Da ist die junge Gräfin Dohna in ihrer ausgelassenen Fröhlichkeit, stets aufgelegt zu Spiel und Tanz, wie es sich für ihre zwanzig Jahre ziemt, da sind die drei schönen Töchter des Landrichters aus Munkerud und die munteren Fräulein aus Berga, da ist Anna Stjärnhök, tausendmal schöner als früher, in der sanften Schwermut, die seit jener Nacht, als sie von den Wölfen verfolgt wurde, über sie gekommen war; da sind noch weit mehr, die wohl noch nicht vergessen sind, die es aber bald sein werden, und da ist auch die schöne Marianne Sinclaire. Sie, die Weitberühmte, die am Hofe des Königs geglänzt, die in Grafenschlössern gestrahlt hat, die Königin der Schönheit, die durch das Land gezogen ist und überall Huldigungen in Empfang genommen hat, sie, die den Funken der Liebe entzündete, wo sie sich zeigte, sie hatte sich herabgelassen, zu dem Fest der Kavaliere zu erscheinen. Wermlands Ehre strahlte hell in jenen Zeiten, aufrechterhalten von manch stolzem Namen. Die fröhlichen Kinder des schönen Landes hatten vieles, worauf sie stolz sein konnten, wenn sie aber ihre Schätze nannten, so unterließen sie es niemals, Marianne Sinclaires Namen zu nennen. Der Ruf von ihren Siegen erfüllte das ganze Land. Man sprach von den Grafenkronen, die über ihrem Haupt geschwebt hatten, von den Millionen, die ihr zu Füßen gelegt waren, von den Kriegerschwertern und Dichterkränzen, deren Glanz ihr gewinkt hatte. Und sie war nicht allein schön, sie war auch geistreich und belesen. Die besten Männer der Zeit unterhielten sich gern mit ihr. Eine Schriftstellerin war sie selber nicht, aber viele ihrer Gedanken, die sie in die Seelen ihrer dichtenden Freunde gelegt hatte, lebten in Liedern auf. In Wermland, im Bärenlande, hielt sie sich nur selten auf. Sie brachte ihr Leben auf Reisen zu. Ihr Vater, der reiche Melchior Sinclaire, saß mit seiner Frau daheim auf Björne und ließ Mariannen zu ihren vornehmen Freunden in die großen Städte oder auf die prächtigen Schlösser reisen. Er hatte seine Freude daran, von all dem Geld zu erzählen, das sie verbrauchte, und die beiden Alten lebten glücklich im Glanze von Mariannens strahlendem Dasein. Ihr Leben war ein Leben voller Vergnügungen und Huldigungen. Die Luft um sie her war Liebe, Liebe war ihr Licht, ihre Leuchte, Liebe ihr täglich Brot. Oft, gar oft hatte sie selber geliebt, niemals aber hatte eine solche Flamme lange genug gewährt, daß man in ihr die Fesseln hätte schmieden können, die fürs Leben binden. »Ich warte auf die Liebe, die da kommt wie ein Eroberer«, pflegte sie zu sagen. »Bisher ist sie über keinen Wall geklettert und durch keinen Graben geschwommen. Ich warte auf die gewaltige Liebe, die mich über mich selber erhebt; so stark will ich die Liebe in mir fühlen, daß ich vor ihr erbeben muß; jetzt kenne ich nur die Liebe, über die mein Verstand lacht.« Ihre Nähe verlieh dem Worte Feuer und dem Wein Leben. Ihre glühende Seele beschleunigte den Bogenstrich, der Tanz schwebte leichter, berauschender über den Boden dahin, sobald sie ihn mit ihrem schmalen Fuß berührte. Sie strahlte in den lebenden Bildern, sie flößte den Lustspielen Geist ein, ihre schönen Lippen -- -- Ach, stille, es war nicht ihre Schuld, es war niemals ihre Absicht gewesen! Der Balkon, der Mondschein, der Spitzenschleier, die Ritterkleidung, der Gesang waren schuld daran. Die armen jungen Leute waren ganz unschuldig. Alles dies, was so viel Unheil anstiften sollte, war doch in der besten Absicht geplant. Patron Julius, der sich auf alles verstand, hatte ein lebendes Bild arrangiert, nur damit Marianne in ihrem vollen Glanze strahlen könne. Vor der Bühne, die in dem großen Saal zu Ekeby errichtet war, saßen über hundert Gäste und sahen, wie Spaniens gelber Mond an dem dunklen, nächtlichen Himmel dahinzog. Ein Don Juan schlich sich über die Straßen Sevillas und machte halt unter einem efeuumkränzten Balkon. Er war als Mönch verkleidet, doch sah man eine geflickte Manschette aus dem Ärmel hervorgucken und eine blanke Schwertspitze unter der Kutte zum Vorschein kommen. Der Vermummte stimmte ein Lied an: »Ich trinke keinen Becher Wein, Auf keinem roten Mädchenmund Hat meine Lipp geruht. Ein Antlitz noch so zart und fein, Entfacht von meinem Aug in Glut, Ein Blick, der fleht: 'Ach, sei mir gut!' Dringt nicht auf meines Herzens Grund. Kommt nicht in Eurer Schöne Glanz, Señora, an das Gittertor. Ich scheue Euren Blick! Ich trage Kutt und Rosenkranz, Madonna ists, die ich erkor, Dem Wein zieh ich den Quelltrunk vor, Der ist mein Trost, mein Glück!« Sobald der letzte Ton verklang, trat Marianne in schwarzem Sammetgewande, in einen Spitzenschleier gehüllt, auf den Balkon. Sie beugte sich über das Gitter und sang langsam und ironisch: »Weshalb denn weilst du, frommer Mann, Um Mitternacht vor dem Altan, Flehst für mein Seelenheil du bang?« Plötzlich aber fuhr sie schneller und mit Wärme fort: »Ach flieh, ach flieh, es geht nicht an! Dein Degen guckt hervor gar lang, Man hört durch deinen frommen Sang Der Silbersporen hellen Klang!« Bei diesen Worten warf der Mönch seine Vermummung ab, und Gösta Berling stand in einer Rittertracht aus Gold und Seide unter dem Balkon. Er kehrte sich nicht an die Warnung der Schönen, sondern kletterte an einer der Säulen, die den Balkon trugen, hinauf, schwang sich über das Gitter und fiel -- wie Patron Julius es arrangiert hatte -- der schönen Marianne zu Füßen. Sie lächelte ihm holdselig zu, ihm ihre Hand zum Kusse reichend, und während die beiden jungen Leute einander, von Liebe bezaubert, betrachteten, fiel der Vorhang. Und vor ihr lag Gösta Berling mit einem Antlitz, sanft wie das eines Dichters und keck wie das eines Feldherrn, mit tiefen Augen, die von Schelmerei und Geist strahlten, die flehten und drohten. Geschmeidig und kräftig war er, feurig, berückend. Während der Vorhang aufgerollt und wieder herabgelassen wurde, verharrte das junge Paar regungslos in derselben Stellung. Göstas Augen sahen unverwandt die schöne Marianne an, sie flehten und drohten. Dann verstummte der Beifall. Der Vorhang ward nicht wieder aufgezogen, niemand sah die beiden. Da beugte die schöne Marianne sich hinab und küßte Gösta Berling. Sie wußte nicht, weshalb sie es tat, sie mußte es tun. Er schlang den Arm um ihren Hals und preßte sie an sich. Sie küßte ihn wieder und wieder. Aber der Balkon, der Mondschein, der Spitzenschleier, die Rittertracht, der Gesang, der Beifall waren schuld daran; die armen jungen Menschenkinder waren ganz unschuldig. Sie hatten es nicht gewollt. Sie hatte die Grafenkronen nicht von sich gestoßen, die über ihrem Haupte schwebten, war nicht an den Millionen vorübergeschritten, die zu ihren Füßen lagen, weil sie sich nach Gösta Berling sehnte, und er hatte Anna Stjärnhök noch nicht vergessen. Nein, sie hatten keine Schuld daran, keiner von ihnen hatte es gewollt. Der sanfte Löwenberg, dem die Träne im Auge und das Lächeln auf den Lippen schwebte, zog an jenem Tage den Vorhang auf. Bedrückt von der Erinnerung vieler kummervoller Ereignisse, schenkte er den Dingen dieser Welt nur wenig Aufmerksamkeit, hatte er es nie gelernt, sie gebührend zu beachten. Als er nun sah, daß Marianne und Gösta eine neue Stellung eingenommen hatten, meinte er, daß dies mit zu der Aufführung gehöre, und zog den Vorhang nochmals wieder auf. Das junge Paar auf dem Balkon merkte nichts, ehe der Beifallssturm sie abermals umbrauste. Marianne schreckte auf, sie wollte entfliehen, Gösta aber hielt sie zurück und flüsterte ihr zu: »Stehe still, man glaubt, daß dies mit zu den lebenden Bildern gehört.« Er fühlte ihren Körper vor Angst erbeben, und die Glut der Küsse erlosch auf ihren Lippen. »Fürchte dich nicht,« flüsterte er, »schöne Lippen haben ein Recht zu küssen.« Sie mußten stillstehen, während der Vorhang fiel und wieder aufging und Hunderte von Augen sie jedesmal anstarrten, Hunderte von Händen ihnen stürmischen Beifall zuklatschten. Denn es ist erhebend, zwei schöne junge Menschen eine Darstellung von dem Glück der Liebe geben zu sehen. Niemand kam auf den Gedanken, daß die Küsse etwas anderes sein könnten als Theaterblendwerk, niemand ahnte, daß die Señora vor Scham errötete, daß der Ritter vor Unruhe bebte. Sie alle glaubten, daß das mit zur Aufführung gehöre. Endlich standen Marianne und Gösta hinter der Bühne Sie strich sich mit der Hand das Haar aus der Stirn. »Ich verstehe mich selber nicht«, sagte sie. »Pfui Kuckuck, Fräulein Marianne,« sagte er, machte eine Grimasse und eine abwehrende Bewegung mit den Händen, »Gösta Berling zu küssen! Pfui Kuckuck!« Marianne mußte lachen. »Alle Welt weiß ja, daß Gösta Berling unwiderstehlich ist. Mein Vergehen ist nicht größer als das anderer.« Und sie kamen überein, daß sie gute Miene dazu machen wollten, damit niemand Verdacht über den wahren Sachverhalt schöpfen solle. »Kann ich mich darauf verlassen, daß die Wahrheit nie ans Licht kommt, Herr Gösta?« fragte sie, ehe sie sich unter die Zuschauer begaben. »Darauf kann Fräulein Marianne sich verlassen. Die Kavaliere wissen zu schweigen, für die stehe ich ein.« Sie schlug die Augen nieder, und ein eigentümliches Lächeln kräuselte ihre Lippen. »Wenn nun die Wahrheit trotzdem ans Licht kommen sollte, was werden die Leute dann nur einmal von mir denken, Herr Gösta?« »Sie werden nichts denken; sie werden wissen, daß die Sache nichts zu bedeuten hat. Sie werden meinen, daß wir in der Rolle gewesen sind und weiter gespielt haben.« Noch eine Frage schlich sich unter dem gesenkten Blick, unter dem erzwungenen Lächeln hervor: »Was aber denkt Herr Gösta selber davon?« »Ich denke, daß Fräulein Marianne in mich verliebt ist«, lachte er. »So etwas sollte Herr Gösta nicht glauben,« erwiderte sie lächelnd, »da müßte ich Herrn Gösta mit diesem spanischen Dolch durchbohren, um ihm zu beweisen, daß er unrecht hat.« »Teuer sind Frauenküsse«, sagte Gösta. »Kostet es das Leben, von Fräulein Marianne geküßt zu werden?« Da traf ihn ein Blick aus Mariannens Augen, der war so scharf, daß er ihn wie einen Dolchstoß empfand. »Ich möchte Ihn tot vor mir sehen, Gösta Berling, tot, tot!« Diese Worte erweckten aufs neue ein altes Sehnen in der Brust des Poeten. »Ach,« sagte er, »wären doch diese Worte mehr als Worte. Wären sie Pfeile, die aus dem finstern Dickicht herausflögen, wären sie ein Dolch oder Gift -- hätten sie doch die Macht, diesem elenden Körper ein Ende zu machen, meiner Seele die Freiheit zu geben!« Sie hatte ihre Ruhe wiedergewonnen und lächelte. »Torheiten«, sagte sie, seinen Arm ergreifend, um sich zu den Gästen zu begeben. Sie behielten ihre Kostüme an, und ihr Triumph wiederholte sich, sobald sie sich im Publikum zeigten. Alle waren des Lobes voll, niemand hegte den geringsten Verdacht. Der Ball nahm seinen Fortgang, Gösta aber floh aus dem Tanzsaal. Sein Herz krümmte sich unter Mariannens Blick, als habe es ein scharfer Strahl getroffen. Er verstand sehr wohl den Sinn ihrer Worte. Eine Schande war es, ihn zu lieben, eine Schande, von ihm geliebt zu werden, eine Schande, schlimmer als der Tod. Er wollte nie wieder tanzen, wollte sie nicht wiedersehen, die schönen Frauen. Er wußte es nur zu gut: diese schönen Augen, diese roten Wangen strahlten nicht für ihn. Für ihn schwebten diese leichten Füße nicht, für ihn erklang nicht dies gedämpfte Lachen. Ja, mit ihm tanzen, mit ihm schwärmen, das konnten sie, keine von ihnen aber wollte im Ernst die Seine werden. Der Poet begab sich zu den alten Herren ins Rauchzimmer und nahm Platz an einem der Spieltische. Zufälligerweise kam er an denselben Tisch, an dem der mächtige Herr von Björne saß; bald spielte er, bald hielt er Bank und häufte eine ganze Menge von Sechs- und Zwölfschillingstücken vor sich auf. Man spielte bereits hoch, Gösta aber brachte noch mehr Fahrt hinein. Die grünen Scheine kamen zum Vorschein, und der Geldhaufen vor dem mächtigen Melchior Sinclaire wuchs von Minute zu Minute. Aber auch vor Gösta häufte sich das Kupfer- und Papiergeld an, und bald war er der einzige, der den Kampf mit dem Besitzer von Björne aushielt. Es währte denn auch nicht lange, bis der große Geldhaufen von Melchior Sinclaire zu Gösta Berling hinüberwanderte. »Nun, Gösta,« rief der Gutsherr lachend, als er alles verspielt hatte, was sich in seiner Börse und in seinem Taschenbuch befand, »was sollen wir jetzt anfangen? Ich bin völlig ausgeplündert, und mit geliehenem Gelde spiele ich niemals, das habe ich meiner Mutter versprochen.« Er fand aber einen Ausweg. Er verspielte seine Uhr und seinen Biberpelz und war gerade im Begriff, sein Pferd und seinen Schlitten aufs Spiel zu setzen, als Sintram ihn davon zurückhielt. »Setze doch lieber gleich etwas ein, was sich verlohnt«, rief der böse Besitzer von Fors. »Nimm etwas, was den Unglücksbann brechen kann!« »Der Teufel mag wissen, was ich aussetzen soll!« »Spiel um dein rotestes Herzblut, Melchior, spiel um deine Tochter!« »Das kann der Herr Sinclaire getrost wagen«, lachte Gösta. »Den Preis bekomme ich nimmer unter mein Dach!« Der mächtige Melchior konnte ebenfalls nicht umhin zu lachen. Er duldete es nur ungern, daß Mariannens Name am Spieltisch genannt wurde, aber diese Idee war zu toll, um darüber böse zu werden. Mariannen an Gösta zu verspielen -- ja, das konnte er getrost wagen. »Das heißt, Gösta,« erklärte er, »unter der Bedingung, daß, wenn du ihr Jawort erringen kannst, so setze ich meinen väterlichen Segen auf diese Karte.« Gösta setzte seinen ganzen Gewinn dagegen, und das Spiel begann. Er gewann, und der Gutsherr Melchior Sinclaire hielt mit dem Spielen inne. Gegen das Unglück konnte er nicht ankämpfen, das sah er ein. -- -- Nun, Gösta Berling, pocht nicht dein Herz bei alledem! Begreifst du nicht, was dein Schicksal will? Was bedeuteten Mariannens Küsse, was bedeutete Mariannens Zorn? Verstehst du dich denn nicht mehr auf Weiberherzen? Und nun dies gewonnene Spiel! Siehst du denn nicht, daß das Schicksal will, was die Liebe will? Auf, Gösta Berling! Nein, an diesem Abend ist Gösta Berling nicht in Erobererlaune. Er murrt über die Unbeugsamkeit des Schicksals. Warum wird Liebe nur von Liebe gestillt? Er weiß, wie alle diese schönen Lieder enden. Liebe kann er bekommen, aber keine Gattin. Es kann nicht nützen, das zu versuchen. -- Die Nacht verstrich, es war bereits über Mitternacht. Die Wangen der schönen Damen fingen an zu erbleichen, die Locken fielen aus, die Spitzengarnituren waren zerdrückt. Die alten Damen erhoben sich aus ihren Sofaecken und sagten, das Fest habe nun volle zwölf Stunden gedauert, da sei es Zeit, aufzubrechen. Und das schöne Fest sollte wirklich ein Ende haben, da aber griff Liliencrona selber zur Fiedel und spielte die letzte Polka. Die Schlitten hielten vor den Türen, die alten Damen hüllten sich in ihre Pelze und Kapuzen, die alten Herren knoteten die Schals um den Hals und knöpften die Pelzstiefel zu. Die Jungen aber konnten sich nicht vom Tanz losreißen. Sie tanzten in ihren warmen Hüllen, es war ein wildes, wahnsinniges Tanzen. Sobald ein Kavalier eine Dame zu Platz führte, kam ein anderer und riß sie mit sich fort. Selbst der schwermütige Gösta Berling wurde mit hineingezogen in diesen Wirbel. Er wollte den Kummer und die Demütigung forttanzen, er wollte sich brausende Lebenslust ins Blut tanzen, er wollte fröhlich sein wie die andern. Und er tanzte, so daß die Wände im Saal sich drehten und seine Gedanken schwindelten. Aber was für eine Dame war es denn, die er aus der Menge mit sich fortgerissen hatte? Sie war leicht und geschmeidig, und es war ihm, als wenn Feuerströme zwischen ihm und ihr hin und her zuckten. Ach, Marianne! Während Gösta mit Marianne tanzte, saß Sintram bereits unten im Hof in seinem Schlitten, und neben ihm stand Melchior Sinclaire. Der mächtige Gutsherr war ungeduldig, weil er auf Marianne warten mußte. Er stampfte mit den großen Pelzstiefeln in den Schnee und machte sich Bewegung mit den Armen, denn es war bitter kalt. »Du solltest doch nicht am Ende Marianne an Gösta verspielt haben, Sinclaire?« sagte Sintram. »Wie beliebt?« Sintram ordnete die Zügel und hob die Peitsche in die Höhe, dann erwiderte er: »Diese Küsserei vorhin gehörte nicht mit zu den lebenden Bildern.« Der mächtige Gutsherr erhob den Arm zu einem vernichtenden Schlage, aber Sintram war bereits fort. Er fuhr dahin, hieb auf die Pferde ein, so daß sie in wilder Flucht von dannen jagten, und wagte es nicht, sich umzusehen; denn Melchior Sinclaire hatte eine schwere Hand und eine kurze Geduld. Der Besitzer von Björne begab sich nun in den Tanzsaal, um seine Tochter zu holen, und da sah er denn, wie Gösta und Marianne tanzten. Wild und stürmisch war die letzte Polka. Einige Paare waren bleich, andere glühendrot; der Staub lag gleich einer Rauchwolke über dem Saal, die Wachskerzen flackerten tief herabgebrannt in den Leuchtern, und inmitten all dieser ungemütlichen Zerstörung flogen sie dahin -- Gösta und Marianne, königlich in ihrer unerschöpflichen Kraft, ohne Makel an ihrer Schönheit, glücklich in dem Gefühl, sich dieser herrlichen Bewegung ganz hingeben zu können. Als Marianne aufhörte zu tanzen und nach ihren Eltern fragte, waren diese nach Hause gefahren. Sie ließ sich jedoch ihre Überraschung nicht merken, sondern kleidete sich ruhig an und ging hinaus. Die Damen im Toilettenzimmer glaubten, daß sie im eigenen Schlitten fahre. Sie aber eilte in ihren dünnen, seidenen Schuhen den Weg entlang, ohne jemand ihre Not zu klagen. In der Finsternis erkannte keiner der Gäste sie, wie sie dort am Rande des Weges ging, niemand würde geglaubt haben, daß diese nächtliche Wanderin, die von den vorübereilenden Schlitten in die hohen Schneeschanzen gedrängt wurde, die schöne Marianne sei. Sobald sie ungestört in der Mitte des Weges gehen konnte, fing sie an zu laufen. Sie lief, solange sie konnte, ging dann eine Strecke und lief darauf wieder. Eine unheimliche, qualvolle Angst trieb sie vorwärts. Von Ekeby bis Björne ist nur eine Viertelmeile. Marianne war bald zu Hause, aber sie glaubte beinahe, daß sie sich verirrt habe. Als sie auf den Hof kam, waren alle Türen verschlossen, alle Lichter ausgelöscht, sie glaubte anfänglich, daß ihre Eltern noch nicht nach Hause gekommen seien. Sie ging an die Haustür und klopfte mit einigen schweren Schlägen an. Sie faßte an das Schloß und rüttelte daran, daß es im ganzen Hause widerhallte. Niemand kam und öffnete; als sie aber die eiserne Türklinke loslassen wollte, die sie mit den bloßen Händen erfaßt hatte, riß sie sich die an dem Metall festgefrorene Haut von den Händen. Der mächtige Gutsherr Melchior Sinclaire war nach Hause gefahren, um seinem einzigen Kinde die Tür zu verschließen. Er war berauscht von Getränken, wild vor Zorn. Er haßte seine Tochter, weil sie Gösta Berling liebte. Jetzt sperrte er die Dienstboten in die Küche und seine Frau in die Schlafstube. Mit kräftigen Eiden gelobte er, denjenigen totzuschlagen, der es wagen würde, Marianne einzulassen. Und man wußte, daß er Wort halten würde. So erzürnt hatte ihn noch niemand gesehen. Ein größerer Kummer war ihm noch niemals widerfahren. Wäre ihm seine Tochter vor die Augen gekommen, so würde er sie vielleicht getötet haben. Er hatte ihr goldenes Geschmeide und seidene Kleider geschenkt; er hatte ihr eine feine Bildung und eine wissenschaftliche Erziehung zuteil werden lassen. Sie war sein Stolz gewesen, seine Ehre. Er hatte zu ihr aufgesehen, als trüge sie eine Krone. Ach! seine Königin, seine Göttin, seine angebetete, schöne, stolze Marianne! Hatte er jemals gespart, wo es sich um sie gehandelt hatte? Hatte er sich nicht zu niedrig gefühlt, um ihr Vater sein zu können? Ach, Marianne, Marianne! Mußte er sie nicht hassen, wenn sie in Gösta Berling verliebt war und ihn küßte! Mußte er sie nicht verstoßen, ihr seine Tür verschließen, wenn sie seine Hoheit kränkte, indem sie einen solchen Mann liebte! Laßt sie auf Ekeby bleiben, laßt sie zu den Nachbarn laufen, um Nachtquartier zu begehren, laßt sie im Schnee schlafen, das ist einerlei, sie ist doch schon durch den Schmutz geschleift, die schöne Marianne. Der Glanz von ihr ist fort. Der Glanz von seinem Leben ist dahin! Er liegt in seinem Bett und hört sie an die Haustür klopfen. Was geht das ihn an! Er schläft! Da draußen steht die Dirne, die sich mit einem abgesetzten Pfarrer verheiraten will -- für die hat er kein Heim. Hätte er sie weniger geliebt, wäre er weniger stolz auf sie gewesen, so hätte er sie hereinlassen können. Ja, seinen Segen kann er ihnen nicht verweigern. Den hatte er verspielt. Ihr aber seine Tür öffnen, das wollte er nicht. Ach, Marianne! Das schöne junge Mädchen stand noch immer vor der Tür des Hauses. Bald rüttelte sie in ohnmächtigem Zorn an dem Schloß, bald fiel sie auf die Knie, faltete ihre zerfleischten Hände und flehte um Vergebung. Niemand aber hörte sie, niemand antwortete, niemand öffnete ihr. Ach, war dies nicht schrecklich! Entsetzen erfaßt mich, während ich dies erzähle. Sie kam von einem Ball, dessen Königin sie gewesen war. Sie war stolz, reich, glücklich gewesen, und einen Augenblick später war sie in ein so bodenloses Elend gestürzt. Aus ihrem Hause ausgeschlossen, der Kälte preisgegeben, nicht verhöhnt, nicht geschlagen, nicht verflucht, nur mit kalter, mitleidsloser Härte ausgeschlossen. Ich denke an die kalte, sternklare Nacht, die sie umgab, diese große, weiße Nacht mit den leeren, öden Schneefeldern, mit den stillen Wäldern. Alles schlief, alles war in schmerzlosen Schlummer versenkt; nur einen einzigen lebenden Punkt gab es in diesem schlafenden Weiß. Aller Kummer, alle Angst, alle Sorgen, die sonst über die ganze Welt verteilt sind, schlichen an diesen einen Punkt heran. Ach Gott! so allein mitten in der schlafenden, steifgefrorenen Welt leiden zu müssen! Zum erstenmal in ihrem Leben trat ihr Unbarmherzigkeit und Härte entgegen. Ihre Mutter wollte nicht einmal aus ihrem Bette aufstehen, um sie zu erretten. Alte, treue Diener, die ihre ersten Schritte geleitet hatten, hörten sie und rührten keine Hand für sie. Für welch ein Verbrechen wurde sie denn gestraft? Wo durfte sie auf Barmherzigkeit hoffen, wenn nicht an dieser Tür? Wenn sie einen Menschen gemordet hätte, würde sie dennoch angepocht haben im festen Glauben, daß die da drinnen ihr verzeihen würden. Wenn sie zu dem erbärmlichsten von allen Wesen herabgesunken und elend in Lumpen verkommen wäre, so würde sie dennoch an diese Tür geklopft und einen liebevollen Empfang erwartet haben. Diese Tür war der Eingang zu ihrem Heim -- hinter dieser Tür konnte ihrer nur Liebe harren. Hatte ihr Vater sie denn jetzt nicht genugsam geprüft? Würde er ihr nicht bald öffnen? »Vater, Vater!« rief sie. »Laß mich ein! Mich friert, ich zittere vor Kälte. Es ist entsetzlich hier draußen!« »Mutter, Mutter! Die du so viele Schritte mir zuliebe getan, die du so viele Nächte meinetwillen gewacht hast, weshalb schläfst du jetzt? Mutter, Mutter, so wache doch noch diese eine Nacht, und ich will dir nie wieder Kummer bereiten.« Sie ruft und versinkt dann in atemloses Schweigen, um einer Antwort zu lauschen. Niemand aber hörte sie, niemand gehorchte ihr, niemand antwortete. Da ringt sie die Hände in wilder Angst, aber ihre Augen haben keine Tränen. Das lange dunkle Haus mit seinen verschlossenen Türen und schwarzen Fenstern liegt unheimlich, unbeweglich da in der Nacht. Was sollte jetzt nur aus ihr werden, heimatlos wie sie war? Gebrandmarkt, entehrt war sie, solange der Himmel dieser Erde sich über ihr wölbte. Und ihr Vater selber drückte ihr dies glühende Eisen auf die Schulter! »Vater!« rief sie noch einmal, »was soll aus mir werden? Die Menschen werden das Schlimmste von mir glauben.« Sie weinte und jammerte, ihr Körper war starr vor Kälte. Ach, daß ein solcher Jammer über einen Menschen hereinbrechen kann, der eben noch so hoch stand! Ach, es gehört nicht viel dazu, um in das tiefste Elend gestürzt zu werden! Muß uns nicht bange werden vor dem Leben? Wer sitzt in einem sicheren Fahrzeug? Rings um uns her wogt die Sorge gleich einem stürmischen Meer; begehrlich lecken die Wogen an den Seiten des Schiffleins herauf, siehe, sie brausen auf, um es zu überwältigen. Kein sicherer Halt, kein fester Boden, kein zuverlässiges Fahrzeug, soweit das Auge reicht, nur ein unbekannter Himmel über einem Meer von Kummer. -- -- Aber horch! endlich, endlich! Über die Diele nahen leichte Schritte. »Bist du es, Mutter?« fragt Marianne. »Ja, mein Kind.« »Kann ich jetzt hineinkommen?« »Der Vater will dich nicht einlassen.« »Ich bin in meinen dünnen Schuhen von Ekeby bis hierher durch den Schnee gelaufen. Ich habe hier eine Stunde gestanden und gerufen. Ich friere tot hier draußen. Weshalb seid ihr mir fortgefahren?« »Mein Kind, mein Kind, weshalb küßtest du Gösta Berling?« »Aber so sage dem Vater doch, daß ich ihn deswegen nicht liebe. Es war ja ein Spiel. Glaubt er, daß ich Gösta heiraten will?« »Geh auf den Pachthof hinab, Marianne, und bitte, daß sie dich dort für die Nacht aufnehmen. Der Vater ist trunken. Er will keine Vernunft annehmen. Er hat mich oben gefangen gehalten. Ich schlich hinaus, als ich glaubte, daß er schliefe. Er schlägt dich tot, wenn du ins Haus kommst.« »Mutter, Mutter, soll ich zu Fremden gehen, wenn ich ein Heim habe? Ist denn meine Mutter ebenso hart wie mein Vater? Wie kannst du es nur zugeben, daß ich ausgeschlossen werde? Ich lege mich hier draußen in den Schnee, wenn du mich nicht einläßt!« Da legte Mariannens Mutter die Hand auf das Schloß, um zu öffnen. Im selben Augenblick aber wurden schwere Tritte auf der Treppe hörbar, und eine scharfe Stimme rief nach ihr. Marianne lauschte, ihre Mutter eilte von dannen, die scharfe Stimme schalt sie aus -- und dann -- -- Marianne hörte etwas Entsetzliches -- sie konnte jeden Ton hören in dem stillen Haus. Sie hörte den Schall eines Schlages, eines Stockschlages oder einer Ohrfeige, dann vernahm sie ein schwaches Geräusch und dann abermals einen Schlag. Er schlug ihre Mutter, der schreckliche, der riesenhafte Melchior Sinclaire schlug seine Frau! Und in bleichem Entsetzen warf sich Marianne auf die Türschwelle nieder und wand sich in ihrer Angst. Jetzt weinte sie und ihre Tränen gefroren zu Eis auf der heimatlichen Schwelle. Gnade und Erbarmen! Öffnet, öffnet, damit sie hineinkommen und ihren Rücken unter den Schlägen beugen kann! Ach, daß er ihre Mutter schlagen kann, weil sie ihre Tochter nicht im Schnee erfrieren lassen will, weil sie ihr Kind trösten wollte! Tief erniedrigt ward Marianne in jener Nacht. Sie hatte geträumt, daß sie eine Königin sei, und lag nun dort, nicht viel besser als eine gepeitschte Sklavin. Aber sie erhob sich in kaltem Zorn. Noch einmal schlug sie ihre blutige Hand gegen die Tür und rief: »Höre, was ich dir sage, du, der du meine Mutter schlägst. Du sollst weinen, Melchior Sinclaire, weinen sollst du!« Dann ging die schöne Marianne hin und legte sich in den Schnee zur Ruhe. Sie warf den Pelz ab und lag dort in ihrem schwarzen Sammetkleide, das sich von dem weißen Schnee grell abhob. Sie lag da und malte es sich aus, wie ihr Vater am nächsten Tage bei seiner frühen Morgenwanderung herauskommen und sie dort finden würde. Sie hatte nur den _einen_ Wunsch, daß er selber sie finden möge. O Tod, bleicher Freund, ist es denn ebenso wahr, wie es tröstlich ist, daß ich nie umhin kann, dir zu begegnen. Auch zu mir, dem saumseligsten von den Arbeitern der Erde, kommst du einmal, ziehst den verschlissenen Lederschuh von meinem Fuß, reißest mir den Breilöffel und die Mehltonne aus der Hand, nimmst mir die Arbeitskleider vom Leibe. Mit sanfter Hand streckst du mich auf das spitzenverzierte Lager und schmückst mich mit langen, gestickten Linnenkleidern. Meine Füße bedürfen der Schuhe nicht mehr, aber meine Hände werden mit schneeweißen Handschuhen bedeckt, die keine Arbeit beschmutzen soll. Von dir der süßen Ruhe geweiht, schlafe ich einen tausendjährigen Schlaf. O Erlöser! der saumseligste von den Arbeitern der Erde bin ich, und ich träume mit einem Schaudern von Wollust von dem Augenblick, in dem ich in dein Reich aufgenommen werden soll. Bleicher Freund, an mir kannst du gern deine Kraft üben, aber ich sage dir, härter war der Kampf gegen die Frauen entschwundener Zeiten! Die Lebenskräfte waren stark in ihren schlanken Körpern, keine Kälte konnte ihr warmes Blut kühlen. Du hattest die schöne Marianne auf dein Lager gelegt, o Tod, und du saßest an ihrer Seite, wie ein altes Kindermädchen an der Wiege sitzet, um das Kind in Schlaf zu lullen. Du treue alte Amme, die du weißt, was gut ist für die Kinder der Menschen, wie muß es dich nicht erbosen, wenn die Spielgefährten mit Lärm und Getöse kommen und dein halbschlummerndes Kind aufwecken. Wie konntest du anders als zürnen, als die Kavaliere die schöne Marianne von dem Lager aufhoben, als ein Mann sie an seine Brust preßte und warme Tränen aus seinen Augen auf ihr Antlitz fielen. Auf Ekeby waren alle Lichter gelöscht, alle Gäste hatten sich verabschiedet. Die Kavaliere standen oben im Kavalierflügel allein um die letzte, halbgeleerte Punschbowle. Da schlug Gösta an die Bowle und hielt eine Rede auf euch, ihr Frauen entschwundener Zeiten. Von euch zu reden, sagte er, sei, als rede man vom Himmelreich, eitel Schönheit wäret ihr, eitel Licht. Ewig jung, ewig schön wäret ihr und milde wie die Augen einer Mutter wenn sie ihr Kind anschaut. Weich wie die jungen Eichhörnchen hinget ihr an dem Halse des Gatten. Niemals hörte man eure Stimme im Zorn erbeben, niemals legte sich eure Stirn in Falten, eure weiche Hand wurde niemals rauh und hart. Sanfte Heilige wäret ihr, geschmückte Bildsäulen im Tempel des Hauses. Die Männer lägen euch zu Füßen, opferten euch Räucherwerk und Gebete. Durch euch verrichte die Liebe ihre Wunder, um eure Stirn schlänge die Poesie ihren goldstrahlenden Glorienschein. Und die Kavaliere sprangen auf, wirr vom Wein, wirr von seinen Worten, ihr Blut wallte auf vor Festesfreude. Der alte Onkel Eberhard und der träge Vetter Kristoffer hielten sich nicht zurück von dem Scherz. In fliegender Eile spannten die Kavaliere Pferde vor die Schlitten und eilten hinaus in die kalte Nacht, um denen noch eine Huldigung zu bringen, denen man niemals genügend huldigen kann, um einer jeden von denen, deren rote Wangen und helle Augen vor wenigen Stunden in Ekebys großen Sälen gestrahlt hatten, eine Serenade zu bringen. Aber die Kavaliere kamen nicht weit auf diesem Zuge, denn gleich, als sie nach Björne kamen, fanden sie die schöne Marianne an der Türe ihres Heims im Schnee liegen. Sie schauderten und ergrimmten, als sie sie daliegen sahen. Es war, als hätten sie ein angebetetes Heiligenbild zertrümmert und beraubt vor der Kirchentür gefunden, es war, als habe ein Missetäter den Bogen einer Stradivarius-Geige zerbrochen und die Saiten zerrissen. Gösta drohte mit geballter Faust in der Richtung nach dem dunklen Hause zu. »Ihr Kinder des Hasses!« rief er; »ihr Hagelschauer, ihr Nordwinde, ihr Zerstörer von Gottes Paradies!« Beerencreutz zündete seine Hornlaterne an und beleuchtete das totenbleiche Antlitz. Da sahen die Kavaliere Mariannens zerfleischte Hände und die Tränen, die in ihren Wimpern gefroren waren, und sie jammerten wie die Weiber; denn sie war doch nicht nur ein Heiligenbild und ein Saitenspiel, sondern eine schöne Frau, die ihrem alten Herzen eine Freude gewesen war. Gösta Berling warf sich neben sie auf die Knie. »Hier liegt sie nun, meine Braut!« sagte er. »Vor wenigen Stunden gab sie mir den Brautkuß, und ihr Vater hat mir seinen Segen versprochen. Sie liegt und wartet, daß ich kommen und ihr weißes Bette teilen soll.« Und Gösta hob die Leblose auf seine starken Arme. »Heim, mit ihr nach Ekeby!« rief er. »Jetzt ist sie die Meine! Im Schnee habe ich sie gefunden, jetzt soll niemand sie mir wieder nehmen. Die da drinnen wollen wir nicht wecken. Was hat sie hinter den Türen zu tun, gegen die sie ihre Hände blutig geschlagen hat?« Und sie willfahrteten ihm. Er legte Mariannen in den ersten Schlitten und setzte sich neben sie. Beerencreutz stellte sich hinten auf und ergriff die Zügel. »Nimm Schnee und reibe sie damit, Gösta!« befahl er. Die Kälte hatte ihre Glieder gelähmt, das war alles. Das wilde, unbändige Herz schlug noch. Sie hatte nicht einmal das Bewußtsein verloren, sie war sich ganz klar darüber, wie die Kavaliere sie gefunden hatten, aber sie konnte sich nicht rühren. So lag sie steif und unbeweglich im Schlitten, während Gösta Berling sie mit Schnee rieb und abwechselnd weinte und sie küßte. Sie empfand ein unsagbares Verlangen, nur eine Hand so weit erheben zu können, um seine Liebkosung zu erwidern. Sie erinnerte sich alles dessen, was geschehen war, lag starr und unbeweglich da und dachte so klar wie nie zuvor. Liebte sie Gösta Berling? Ja, das tat sie. War es nur eine Laune, die mit dem heutigen Abend gekommen war und ebenso schnell wieder schwinden würde? Nein, sie hatte ihn schon lange geliebt -- seit vielen Jahren. Sie verglich sich selber mit ihm und mit den andern Menschen in Wermland. Sie waren alle unmittelbar wie die Kinder. Jedem Gelüst, das sie ankam, gaben sie nach. Sie lebten nur ein äußerliches Leben, hatten nie die Tiefen ihrer Seele erforscht. Sie aber war so geworden, wie man zu werden pflegt, wenn man sich in der Fremde unter Menschen bewegt; sie konnte sich nie ganz hingeben. Wenn sie liebte -- ja, sie mochte sich noch so sehr bemühen --, so stand die eine Hälfte ihres Ich gleichsam da und schaute mit einem kalten, höhnischen Lächeln zu. Sie hatte sich nach einer Leidenschaft gesehnt, die kommen und sie in wilder Besinnungslosigkeit mit fortreißen würde. Und nun war er, der Gewaltige, gekommen. Als sie Gösta Berling auf dem Balkon küßte, da hatte sie sich selbst zum erstenmal vergessen. Und jetzt überkam sie die Leidenschaft von neuem, ihr Herz arbeitete, so daß sie sein Pochen hören konnte. Erhielt sie denn noch immer nicht die Herrschaft über ihre Glieder zurück? Sie empfand eine wilde Freude bei dem Gedanken, aus ihrem Heim verstoßen zu sein. Jetzt wollte sie ohne Bedenken Göstas Gattin werden. Wie dumm war sie doch gewesen, wie viele Jahre hatte sie nicht ihre Liebe bekämpft. Ach, herrlich, herrlich ist es, der Liebe nachzugeben, das Brausen des Blutes zu fühlen! Würde sie denn aber nimmer, nimmer die Eisfesseln abschütteln! Bisher war sie im Innern Eis gewesen, und Feuer nach außen hin, jetzt war das Gegenteil eingetreten -- in einem Eiskörper brannte eine Feuerseele. Da fühlte Gösta, wie sich zwei Arme um seinen Hals legten, er empfand einen schwachen, kraftlosen Druck. Er konnte ihn nur eben empfinden, Marianne aber glaubte, daß sie der in ihrem Innern eingeengten Leidenschaft in einer heftigen Umarmung Luft gemacht habe. Als aber Beerencreutz dies sah, ließ er das Pferd auf dem wohlbekannten Wege laufen, wie es wollte. Er erhob den Blick und starrte hartnäckig und unverwandt zu dem Siebengestirn empor. Die alten Gefährte Freunde, Menschenkinder! Sollte der Zufall es so fügen, daß ihr dieses in später Nacht leset, so wie ich es jetzt in den stillen Nachtstunden niederschreibe, da sollt ihr nicht erleichtert aufseufzen und denken, daß die guten Herren Kavaliere sich eines ungestörten Schlafes erfreuen durften, nachdem sie mit Mariannen nach Hause gekommen und sie in ein gutes Bett in dem besten Fremdenzimmer neben dem großen Saal zur Ruhe hatten bringen lassen. Zu Bett gingen sie freilich und in Schlaf fielen sie auch, aber es sollte ihnen nicht vergönnt sein, bis zum Mittag ruhig zu schlafen. Denn man darf nicht vergessen, daß die alte Majorin inzwischen mit dem Bettelsack und Stab das Land durchschweifte und daß es nie ihre Art gewesen war, Rücksicht auf die Bequemlichkeit müder Sünder zu nehmen. Jetzt konnte sie das um so weniger tun, als sie beschlossen hatte, in dieser Nacht die Kavaliere aus Ekeby zu vertreiben. Die Zeit, wo sie in Glanz und Herrlichkeit auf Ekeby gesessen und Freude über die Welt ausgestreut hatte, wie Gott Sterne über den Himmel ausstreut, die war dahin. Und während sie heimatlos im Lande umherzog, waren die Macht und die Ehre der großen Besitztümer den Händen der Kavaliere überlassen, um von ihnen gehütet zu werden, wie der Wind die Asche hütet, wie die Lenzsonne den Schnee hütet. Zuweilen geschah es, daß die Kavaliere in einem langen Schlitten mit fröhlichem Schellengeläute ausfuhren. Begegnete ihnen dann die Majorin, die gleich einer Bettlerin auf der Landstraße einherwankte, so schlugen sie die Augen nicht nieder. Die lärmende Schar streckte ihr die geballten Fäuste entgegen. Durch eine schnelle Wendung des Schlittens zwangen sie sie in die hohen Schneeschanzen hinein, und Major Fuchs, der Bärenjäger, versäumte es niemals, dreimal auszuspucken, damit eine solche Begegnung keine böse Folgen habe. Sie hatten kein Mitleid mit ihr, sie betrachteten sie wie eine böse Hexe. Wäre ihr ein Unglück zugestoßen, sie würden sich deswegen nicht mehr gegrämt haben wie jemand, der in der Walpurgisnacht eine mit Messingknöpfen geladene Büchse abfeuert, sich darüber grämt, wenn er zufällig eine vorbeifliegende alte Hexe trifft. Es war für die armen Kavaliere, als hinge ihrer Seelen Seligkeit davon ab, daß sie die Majorin verfolgten. Die Menschen haben einander oft auf das grausamste gepeinigt, wo es sich um ihrer Seelen Seligkeit handelte. Wenn die Kavaliere spät in der Nacht vom Trinktische nach dem Fenster schwankten, um zu sehen, ob die Nacht ruhig und sternenklar war, sahen sie oft einen dunklen Schatten über den Hofplatz gleiten, dann wußten sie, daß die Majorin gekommen war, um sich nach ihrem geliebten Heim umzusehen. In solchen Augenblicken hallte der Kavalierflügel wider von dem Hohngelächter der alten Sünder, und spöttische Bemerkungen flogen durch die geöffneten Fenster bis zu ihr hinab. Wahrlich -- Herzlosigkeit und Hochmut hatten angefangen, ihren Einzug bei den armen Abenteurern zu halten. Sintram hatte Haß in ihre Herzen gesät. Wenn die Majorin ruhig in Ekeby geblieben wäre, hätten ihre Seelen nicht in größere Gefahr geraten können. Es fallen mehr Krieger auf der Flucht als in der Schlacht. Die Majorin hegte keinen weiteren Zorn gegen die Kavaliere. Hätte sie ihre alte Macht noch gehabt, so würde sie ihnen die Rute gegeben haben wie ungezogenen Knaben, um ihnen dann hinterher wieder gut zu sein. Jetzt aber war sie in Sorge um ihr geliebtes Besitztum, das den Kavalieren preisgegeben war, um von ihnen gehütet zu werden, wie der Wolf die Schafe hütet. Gar mancher hat denselben Kummer durchmachen müssen. Sie ist nicht die einzige, die es mit angesehen hat, wie sich der Verfall über ein geliebtes Heim ausbreitet, die fühlt, was es heißt, wenn uns das Heim unserer Kindheit anschaut wie ein verwundetes Wild. Manch einer fühlt sich wie ein Verbrecher, wenn er sieht, wie die Bäume von Flechten überwuchert, wie die Kiesgänge mit Gras bewachsen sind. Er möchte sich auf die Knie werfen auf diesen Feldern, die einstmals im reichen Saatenschmucke prangten, und sie bitten, ihm die Schmach nicht anzurechnen, die man ihnen angetan hat. Er wendet sich ab von den armen Pferden, es fehlt ihm an Mut, ihrem Blick zu begegnen. Er wagt es nicht, am Zauntor zu stehen, wenn die Herde von der Weide heimkehrt. Kein Fleck auf der Welt erweckt so viel bittere Regungen wie ein verfallendes Heim. Ach, ich bitte euch alle, die ihr Felder und Wiesen und freudespendende Blumengärten habt, Sorge dafür zu tragen, sie wohl zu pflegen. Pflegt sie mit Liebe, mit Arbeit! Es ist nicht gut, wenn die Natur über die Menschen trauern muß. Wenn ich daran denke, was das stolze Ekeby unter dem Regiment der Kavaliere leiden mußte, da wünsche ich, daß die Majorin ihr Ziel erreicht hätte, daß Ekeby den Kavalieren entrissen wäre. Es war nicht ihre Absicht, selber wieder zur Macht zu gelangen. Sie hatte nur ein Ziel, ihr Heim von diesen Tollen zu befreien, von diesen Heuschrecken, diesen Räubern, unter deren Schritten kein Gras wächst. Während sie bettelnd das Land durchstreifte und von Almosen lebte, mußte sie unausgesetzt an ihre Mutter denken, und in ihrem Herzen faßte der Gedanke Wurzel, daß niemals bessere Zeiten für sie kommen würden, ehe nicht ihre Mutter das Joch des Fluches von ihren Schultern genommen hatte. Niemand hatte ihr bisher den Tod der Alten vermeldet, folglich mußte sie noch da oben in den Wäldern leben. Trotz ihrer neunzig Jahre lebte sie noch in unablässiger Arbeit, sorgte im Winter für ihre Milchschüsseln und im Sommer für ihre Kohlenmeiler, bis zur Ermüdung arbeitend, sehnsuchtsvoll den Tag erwartend, an dem ihr Lebensberuf erfüllt sein würde. Und die Majorin dachte, wenn die Alte so lange lebe, so habe das sicher den Zweck, daß sie den Fluch wieder von ihr nehmen solle. Die Mutter, die ein solches Elend über ihr Kind gebracht hatte, konnte unmöglich sterben. So beschloß denn die Majorin, zu der Alten zu gehen, damit sie beide Ruhe finden könnten. Sie wollte durch die finsteren Wälder wandern, an dem langen Fluß entlang, bis sie das Heim ihrer Kindheit erreicht hatte. Eher konnte sie keine Ruhe finden. Gar viele boten ihr in diesen Tagen ein trautes Obdach und die Gaben einer treuen Freundschaft an, sie aber hatte keine bleibende Stätte. Barsch und zornig ging sie von Gehöft zu Gehöft, denn der Fluch bedrückte sie. Sie wollte zu ihrer Mutter ziehen, vorerst aber wollte sie für ihr geliebtes Ekeby sorgen. Sie wollte es nicht in den Händen leichtsinniger Taugenichtse, untüchtiger Zechbrüder, gleichgültiger Verschwender der Gaben Gottes lassen. Sollte sie gehen und wiederkommen, um ihr Erbe vergeudet, ihre Schmieden leer, ihre Pferde ausgehungert und ihre Dienstboten fern zu finden? Nein, noch einmal wollte sie alle ihre Kraft zusammenraffen und die Kavaliere vertreiben! Wohl wußte sie, daß es ihrem Gatten eine Freude war, zu sehen, wie ihr Erbe vergeudet wurde. Aber sie kannte ihn hinreichend, um zu wissen, daß er, falls sie seine Heuschrecken vertrieb, zu träge sein würde, um für andere zu sorgen. Waren die Kavaliere erst einmal fort, da würde ihr alter Verwalter und Vogt die Leitung des ganzen Betriebes übernehmen und es wieder in die gewohnten Spuren lenken. Deswegen war ihr finsterer Schatten viele Nächte lang auf den schwarzen Wegen, die die Eisenwerke umgaben, umhergeschlichen. Sie war bei den Häuslern ein und aus gegangen, sie hatte unten im untersten Raum der großen Mühle mit dem Müller und seinen Gesellen geflüstert sie hatte in dem dunklen Kohlenschuppen mit den Schmieden Rat gepflogen. Und alle hatten geschworen, ihr zu helfen. Die Ehre und das Ansehen des großen Besitzes sollte nicht länger den Händen ruchloser Kavaliere überlassen werden, um von ihnen gehütet zu werden, wie der Wind die Asche hütet, wie der Wolf die Schafe hütet. Und in dieser Nacht, in der die munteren Herren getanzt und getrunken haben, bis sie in todesmüdem Schlaf auf ihre Betten gesunken sind -- in dieser Nacht sollen sie fort. Sie hat das Maß ihres Übermutes voll werden lassen. Finsteren Blickes hat sie in der Schmiede gesessen und gewartet, bis das Fest vorüber war. Sie hat noch länger gewartet, bis die Kavaliere von ihrer nächtlichen Fahrt zurückkamen, sie hat schweigend gewartet, bis man ihr vermeldete, daß das letzte Licht im Kavalierflügel erloschen sei, daß der große Hof schlummernd daliege. Da erhob sie sich und ging hinaus. Es war bereits fünf Uhr des Morgens, noch aber wölbte die dunkle, strahlende Februarnacht sich über der Erde. Die Majorin hieß alle Leute sich am Kavalierflügel versammeln; sie selber betrat zuerst den Hof. Sie näherte sich dem Hauptgebäude, klopfte an die Tür und ward eingelassen. Die Tochter des Pfarrers von Broby, die sie zu einem tüchtigen Dienstmädchen erzogen hatte, nahm sie in Empfang. »Die gnädige Frau sind herzlich willkommen«, sagte sie, ihr die Hand küssend. »Lösche das Licht!« sagte die Majorin. »Glaubst du, daß ich hier den Weg nicht ohne Licht finden kann?« Und dann begann sie ihre Wanderung durch das stille Haus. Sie ging vom Keller bis zum Boden, um Abschied zu nehmen. Leisen Schrittes schlich sie von einem Zimmer in das andere. Die Majorin sprach mit ihren Erinnerungen. Das Mädchen seufzte und schluchzte nicht, doch Träne auf Träne rollte ihr von den Wangen herab, während sie ihrer Herrin folgte. Die Majorin ließ sie den Leinenschrank und den Silberschrank öffnen und strich mit der Hand über die feinen Damastgedecke und über die prächtigen silbernen Kannen. Auf der Bettenkammer ließ sie die Hand über die hochaufgetürmten Daunenbetten gleiten. Alles Hausgerät -- Webstühle, Spinnrocken, Garnwinden mußte sie berühren. Prüfend steckte sie die Hand in die Gewürzlade und befühlte die Reihen von Talglichten, die unter der Decke hingen. »Die Lichte sind trocken«, sagte sie. »Sie können herabgenommen und verwahrt werden.« In den Keller ging sie, klopfte an die Fässer und ließ die Hand über die Borde mit den Weinflaschen gleiten. Sie war in Speisekammer und Küche, sie befühlte, sie untersuchte alles. Sie streckte ihre Hand aus und nahm von allem in ihrem Hause Abschied. Schließlich ging sie in die Zimmer. Im Speisesaal ließ sie die Hand über den großen Klapptisch gleiten. »Gar mancher hat sich hier an diesem Tisch sattgegessen«, sagte sie. Sie schritt durch alle Zimmer. Sie fand die langen, breiten Sofas an ihrem alten Platz, sie streichelte den kalten Marmor der Konsolen, die, von vergoldeten Greifen getragen, die kostbaren Spiegel stützten. »Ein reiches Haus«, sagte sie. »Ein herrlicher Mann war der, der mich zur Herrin über dies alles setzte.« In dem großen Saal, wo der Tanz noch soeben gewirbelt hatte, standen schon die hochlehnigen Armstühle wieder in steifer Ordnung an den Wänden. Sie trat an das Klavier und schlug leise einen Ton an. »Auch zu meiner Zeit gebrach es hier nicht an Freude und Frohsinn«, sagte sie. Auch in das Fremdenzimmer hinter dem großen Saal ging die Majorin. Es war stockfinster. Sie tastete mit der Hand vor sich hin und berührte dabei das Gesicht des Mädchens. »Weinst du?« fragte sie, denn ihre Hand wurde naß von Tränen. Da schluchzte das junge Mädchen laut. »Ach, Herrin, teure Herrin,« rief sie aus, »sie zerstören alles! Weshalb ginget Ihr von uns und ließet die Kavaliere das ganze Haus zerstören?« Die Majorin zog die Gardine zur Seite und zeigte in den Hof hinaus. »Habe ich dich gelehrt, zu weinen und zu jammern?« fragte sie. »Siehe, der Hof ist voll von Menschen; morgen wird sich nicht ein einziger Kavalier mehr in Ekeby befinden.« »Kommt Ihr dann wieder?« fragte das Mädchen. »Meine Zeit ist noch nicht gekommen«, sagte die Majorin. »Die Landstraße ist meine Heimat, der Graben mein Bett. Aber du sollst an meiner Statt über Ekeby wachen, während ich fort bin, Mädchen.« Und sie gingen weiter. Keins von beiden wußte oder dachte daran, daß Marianne gerade in diesem Zimmer schlief. Sie schlief auch nicht. Sie war ganz wach, hörte alles und verstand alles. Sie hatte in ihrem Bett gelegen und eine Hymne auf die Liebe gedichtet. »Du Herrliche, die du mich über mich selber erhoben hast«, sagte sie. »Ich lag in grenzenlosem Elend, und du hast es in ein Paradies verwandelt. An dem eisernen Schloß der verriegelten Tür hingen meine Hände fest, wurden sie mir wund gerissen; auf der Schwelle meines Hauses liegen meine Tränen zu Perlen von Eis gefroren. Die Kälte des Zornes durchschauerte mein Herz, als ich die Schläge auf den Rücken meiner Mutter hörte. In der kalten Schneeschanze wollte ich meinen Zorn verschlafen; aber da kamst du! O Liebe, du Kind des Feuers, du kamst -- zu der von Kälte Durchschauerten kamst du. Wenn ich mein Elend mit der Herrlichkeit vergleiche, die mir daraus ersprossen ist, so erscheint es mir wie nichts. Losgelöst von allen Banden bin ich, habe weder Vater noch Mutter noch ein Heim mehr. Die Menschen werden alles mögliche Schlechte von mir glauben und sich von mir abwenden. Wohlan, so geschehe dein Wille, o Liebe, denn weshalb sollte ich höher stehen als mein Geliebter? Hand in Hand wollen wir in die Welt hinauswandern. Arm ist Gösta Berlings Braut. In der Schneeschanze hat er sie gefunden. So laß uns denn ein Heim zusammen gründen, nicht in den hohen Sälen, sondern in der Bauernhütte am Waldesrande. Ich will ihm helfen, den Meiler zu besorgen, ich will ihm helfen, dem Hasen und dem Birkhuhn Schlingen zu legen, ich will seine Speisen bereiten, seine Kleider flicken. O mein Geliebter, glaubst du wohl, daß ich trauern und mich sehnen werde, wenn ich allein am Waldesrande sitze und deiner harre? Das werde ich tun! Doch nicht nach den Tagen des Reichtums werde ich mich sehnen, nur nach dir will ich spähen und verlangen, nach deinen Schritten auf dem Waldpfade, nach deinem frohen Gesang, wenn du mit der Axt über dem Nacken daherkommst. O mein Geliebter, mein Geliebter! Solange mein Leben währt, könnte ich sitzen und deiner harren.« -- -- So hatte sie dagelegen und Hymnen an den allmächtigen Gott des Herzens gedichtet, sie hatte ihre Augen noch nicht geschlossen, als die Majorin eintrat. Nachdem sie gegangen war, stand Marianne auf und kleidete sich an. Noch einmal mußte sie das schwarze Sammetkleid und die dünnen Ballschuhe anlegen. Sie hüllte sich in ihre Decke wie in einen Schal und eilte noch einmal in die schreckliche Nacht hinaus. Ruhig, sternenklar und beißend kalt ruhte die Februarnacht noch über der Erde; es war, als solle sie niemals ein Ende nehmen. Und die Finsternis und die Kälte, die diese lange Nacht verbreitete, ruhte noch lange, lange, nachdem die Sonne aufgegangen war, über der Erde, noch lange, lange, nachdem die Schneeschanzen, die die schöne Marianne durchwandert hatte, zu Wasser geworden waren. -- -- Marianne eilte von Ekeby fort, um Hilfe zu schaffen. Sie konnte es nicht geschehen lassen, daß die Männer, die sie aus dem Schnee aufgehoben und ihr Haus und Herz geöffnet hatten, vertrieben werden sollten. Sie wollte nach Sjö hinabgehen, zu Major Samzelius. Sie mußte sich beeilen. Erst in einer Stunde konnte sie wieder zurück sein. Als die Majorin von ihrem Heim Abschied genommen hatte, ging sie auf den Hofplatz hinaus, wo die Leute sie erwarteten, und der Kampf um den Kavalierflügel begann. Die Majorin stellte die Leute rings um das hohe, schmale Gebäude auf, dessen oberes Stockwerk das berüchtigte Heim der Kavaliere ist. In dem großen Zimmer da oben mit den getünchten Wänden, den rotgemalten Kisten und dem großen Klapptisch, auf dem die Rabougekarten in dem verschütteten Branntwein schwimmen, wo die breiten Betten von gelbgewürfelten Vorhängen verhüllt sind, da schlafen die Kavaliere. Die Sorglosen! Und im Stall, vor gefüllten Krippen, schlafen die Kavalierpferde und träumen von den Fahrten ihrer Jugend. Es ist schön, in Tagen der Ruhe von den wilden Taten der Jugend zu träumen, von Jahrmarktreisen, wo sie Tage und Nächte unter offnem Himmel stehen mußten, von Wettfahrten heimwärts von der Frühmesse am Weihnachtsmorgen, von der Probefahrt vor dem Pferdetausch, wenn tolle Kavaliere, die losen Zügel in der Hand, sich über den Wagen hinausbogen, über ihre Rücken und ihnen Flüche in die Ohren brüllten. Es ist schön zu träumen, wenn sie wissen, daß sie nie mehr Ekebys volle Krippen verlassen werden. Die Sorglosen! In einem alten, verfallenen Wagenschuppen, wo unbrauchbare Wagen und abgedankte Schlitten hineingeworfen werden, befindet sich eine drollige Sammlung alter Gefährte. Da stehen grünbemalte Korbschlitten und rot und gelb bemalte Lattenwagen. Da steht das erste Karriol, das man in Wermland gesehen hat, das Beerencreutz im Jahre 1814 als Kriegsbeute gewann. Da stehen alle erdenklichen Arten von Einspännerwagen, Giggs auf schaukelnden Schwanenhalsfedern, und da stehen Postkarren, lächerliche Martergerätschaften, deren Bock auf hölzernen Federn ruht. Da findet man sie, alle die rumpelnden Karren und Kutschen und Gefährte, mit denen unsere Großeltern auf den Landstraßen durchgerüttelt wurden. Und da steht der lange Schlitten, der zwölf Kavaliere faßt, und der Kaleschenschlitten des verfrorenen Vetters Kristoffers, und Örneclous alter Familienschlitten mit dem mottenzerfressenen Bärenfell und dem verschlissenen Familienwappen auf dem Schlag, sowie Spitzschlitten. Eine wahre Unendlichkeit von Spitzschlitten! Groß ist die Zahl der Kavaliere, die auf Ekeby gelebt haben und dort gestorben sind. Ihre Namen hat die Welt vergessen; und sie haben keinen Platz mehr in den Herzen der Menschen, aber die Majorin hat die Gefährte aufbewahrt, in denen sie auf den Hof kamen. Sie hat sie alle in dem alten Wagenschuppen gesammelt. Und da drinnen stehen sie und schlafen und lassen den Staub in dichten Schichten auf sich fallen. Schrauben und Nägel verlieren ihren Halt in dem vermoderten Holz. Die Farbe schilpert ab, das Krollhaar in der Rücklehne und in den Polstern guckt aus den Löchern heraus, die die Motten gefressen haben. »Laßt uns ruhen, laßt uns auseinanderfallen!« sagen die alten Gefährte. »Wir haben lange genug auf den Wegen gehumpelt, und wir haben Feuchtigkeit genug aus Regen und Schnee in uns eingesogen. Laßt uns ruhen! Lange ist es her, seit wir mit den jungen Herren zu ihrem ersten Ball ausfuhren, lange ist es her, als wir frischgewaschen und schimmernd auf die herrlichen Abenteuer der Schlittenfahrt auszogen, als wir muntere Helden auf aufgeweichten Wegen in das Lager von Trosnäs trugen. Sie schlafen, die meisten von ihnen, aber die letzten und besten werden Ekeby nie mehr verlassen, nie mehr!« Und dann platzt das Oberleder, und dann lösen sich die Ringe von den Rädern, dann verfaulen Speichen und Radschrauben; die alten Gefährte machen sich nichts mehr daraus, zu leben; sie wollen sterben. Der Staub liegt schon auf ihnen wie ein Leichentuch, und unter seinem Schutz lassen sie das Alter Macht über sich gewinnen. In einem ungestörten Faulenzerleben stehen sie da und verfallen. Niemand benutzt sie, und doch werden sie zerstört. Einmal im Jahr tut sich die Tür des Wagenschuppens auf, wenn ein neuer Kamerad gekommen ist, der sich auf Ekeby niederlassen will, und sobald sich die Tür wieder geschlossen hat, legt sich Müdigkeit, Schlaf, Altersschwäche auch über den Neuangekommenen. Mäuse und Motten und Holzwürmer und wie sie alle heißen mögen, die Raublustigen, beugen sich über ihn, und er rostet und zerfällt in stiller, traumloser Ruhe. Aber jetzt in der Februarnacht läßt die Majorin die Tür weit öffnen. Beim Schein von Laternen und Lichtern läßt sie die Gefährte herausführen, die den jetzigen Kavalieren von Ekeby gehören: Beerencreutz' altes Karriol und Örneclous wappengeschmückten Schlitten, und die schmale Kalesche, in der Vetter Kristoffer zusammenkroch. Ob es Winter- oder Sommergefährte sind, daran kehrt sie sich nicht. Sie sorgt nur dafür, daß jeder das seine bekommt. Und im Stall werden sie nun geweckt, alle die alten Kavalierpferde, die eben noch vor den gefüllten Krippen träumten. Einmal noch soll der Traum Wahrheit werden, ihr Sorglosen! Ihr sollt wieder das muffige Heu in den Reiseställen der Wirtshäuser fressen, sollt zittern vor der Knutenpeitsche der betrunkenen Pferdehändler und den wahnsinnigen Wettfahrten auf dem schimmernden Eis, das so glatt ist, daß ihr davor bebt, es zu betreten. Jetzt kommt der rechte Schick über die alten Gefährte, wenn die kleinen grauen Gebirgspferde vor einen hohen, gerippeartigen Gigg gespannt werden, oder wenn die langbeinigen, knochigen Reiterpferde vor die niedrigen Spitzschlitten geschirrt werden. Die alten Tiere schnauben und wiehern, wenn ihnen der Stangenzaum in das zahnlose Maul gelegt wird, die alten Gefährte knarren und kreischen. Jammervolle Gebrechlichkeit, die Erlaubnis hätte haben sollen, bis ans Ende der Welt in Ruhe zu schlafen, wird jetzt an das Tageslicht gezerrt; steife Knie, lahme Vorderbeine, Spat und Kropf kommen zum Vorschein. Den Stallknechten gelingt es aber doch, sie alle vorzuspannen. Dann gehen sie zu der Majorin und fragen, welch Fuhrwerk Gösta Berling haben soll, denn wie Gott und jedermann weiß, kam er in der Kohlenkarre der Majorin nach Ekeby gefahren. »Spannt Don Juan vor unsern besten Schlitten,« sagt die Majorin, »und breitet das Bärenfell und die silbernen Glocken darüber.« Und als der Stallknecht murrt, sagt sie: »Es steht kein Pferd in meinem Stall, das ich nicht hergeben würde, um den Kerl loszuwerden, müßt ihr wissen!« So, jetzt sind die Gefährte geweckt und die Pferde, aber die Kavaliere schlafen noch. Jetzt ist die Reihe an ihnen, in die Winternacht hinausgeführt zu werden. Aber es ist eine gewagtere Tat, sie in ihren Betten anzugreifen, als steifbeinige Pferde und alte, verfallene Wagen herauszuziehen. Sie sind kühne, starke, gefährliche Männer, abgehärtet durch Hunderte von Abenteuern. Sie sind bereit, sich bis auf den letzten Blutstropfen zu verteidigen; es ist keine leichte Sache, sie gegen ihren Willen aus ihren Betten zu holen, hinab in die Wagen, die sie von dannen führen sollen. Dann läßt die Majorin eine Strohmiete anzünden, die so nahe am Hofe steht, daß der Schein zu den schlafenden Kavalieren hineinleuchten muß. »Die Strohmiete gehört mir, ganz Ekeby gehört mir!« sagt sie. Und als die Miete in hellen Flammen steht, ruft sie: »Jetzt weckt sie!« Aber die Kavaliere schlafen hinter wohlverriegelten Türen. Die Volksschar draußen stößt diesen fürchterlichen, schreckeinflößenden Ruf: »Feuer! Feuer!« aus. Aber die Kavaliere schlafen. Der schwere Hammer des Schmieds donnert gegen die Tür, aber die Kavaliere schlafen. Ein hartgepreßter Schneeball zertrümmert die Fensterscheibe, fährt in das Zimmer und prallt gegen den Bettvorhang, aber die Kavaliere schlafen. Sie träumen, daß ein schönes Mädchen ihnen ihr Taschentuch zuwirft, sie träumen von Beifallssalven hinter dem herabgelassenen Vorhang, sie träumen von munterem Lachen und dem polternden Lärm mitternächtlicher Gelage. Ein Kanonenschuß vor ihrem Ohr, ein Meer von eiskaltem Wasser gehört dazu, um sie zu wecken. Sie haben getanzt, musiziert, gesungen und Komödie gespielt. Sie sind schwer von Wein, todmüde, und sie schlafen einen Traum so tief wie den Schlaf des Todes. Dieser gesegnete Schlaf wäre fast ihre Rettung geworden. Die Knechte fangen an zu glauben, daß diese Stille eine Fahrt in sich birgt. Wie, wenn es bedeutete, daß sie, die Hand am Gewehr, auf der Wache hinter Fenster und Türen stehen, bereit, den ersten, der eintritt, niederzuschießen! Sie sind schlau und streitbar, diese Männer; etwas müssen sie mit ihrem Schweigen beabsichtigen. Wer kann von ihnen glauben, daß sie sich überrumpeln lassen wollen wie ein Bär in seiner Höhle? Die Leute brüllen: »Feuer! Feuer!« Einmal über das andere, aber es hilft nichts. Da, als alle andern zittern, ergreift die Majorin selbst eine Axt und sprengt die Außentür. Dann läuft sie allein die Treppe hinauf, reißt die Tür zum Kavalierflügel auf und brüllt: »Feuer!« Das ist eine Stimme, die besseren Widerklang in den Ohren der Kavaliere findet als das Gebrüll der Knechte. Gewohnt, dieser Stimme zu gehorchen, stürzen auf einmal zwölf Männer aus den Betten, sehen den Schein des Feuers, reißen die Kleider an sich und stürzen die Treppe hinab, hinaus auf den Hof. Aber am Tor stehen der große Schmied des Gutes und zwei handfeste Müllerknechte, und nun kommt eine große Schande über die Kavaliere. Nach und nach, so wie sie herunterkommen, werden sie gepackt, niedergeworfen, an Händen und Füßen gebunden und dann ohne weiteres ein jeder nach dem Gefährt getragen, das für ihn bestimmt war. Niemand entkam. Sie wurden alle gefangen. Beerencreutz, der barsche Oberst, ward gebunden und abgeführt, ebenso Kristian Bergh, der starke Hauptmann, und Onkel Eberhard, der Philosoph. Selbst der unüberwindliche Gösta Berling ward gefangen. Der Anschlag der Majorin war geglückt, sie ist doch größer als alle Kavaliere. Jammervoll sind sie anzusehen, wie sie da mit gebundenen Gliedern in den alten, wackligen Gefährten sitzen. Mit hängenden Köpfen und schielenden Blicken sitzen sie da, und der Schloßhof hallt wider von Flüchen und wilden Ausbrüchen ohnmächtigen Zornes. Aber die Majorin geht von dem einen zu dem andern. »Schwöre,« sagt sie, »daß du niemals nach Ekeby zurückkehren willst!« »Reite du nach dem Blocksberg, du Hexe!« »Schwöre!« sagt sie, »oder ich werfe dich wieder in den Kavalierflügel, gebunden, wie du bist, dann kannst du mit ihm zusammen verbrennen, denn über Nacht brenne ich den Kavalierflügel ab, daß du das nur weißt!« »Das darf Frau Majorin nicht!« »Ich es nicht dürfen? Gehört Ekeby nicht mir? Du Schurke! Glaubst du, ich wüßte es nicht mehr, wie du auf der Landstraße nach mir gespien hast? Wenn dir recht geschähe, so ließe ich dich und euch alle gleich verbrennen! Hast du deine Hand zu meiner Verteidigung erhoben, als ich aus meinem Heim vertrieben wurde? Schwöre!« Und die Majorin steht da so schreckeinflößend, obwohl sie sich vielleicht zorniger anstellt, als sie ist, und da stehen so viele Männer mit großen Äxten um sie herum, daß sie gezwungen sind, zu schwören, damit nicht ein noch größeres Unglück geschieht. Aber während dies alles vor sich gegangen, ist die Zeit verstrichen, und Marianne hat Sjö erreicht. Der Major war ein Frühaufsteher, sie traf ihn im Hofe, wo er seinen Bären das Frühmahl gereicht hatte. Er machte nicht viele Worte, legte aber seinen Bären sofort Maulkörbe an, führte sie hinaus und eilte nach Ekeby. Marianne folgte ihm. Sie war nahe daran, vor Erschöpfung umzusinken; da aber sah sie einen Feuerschein am Himmel, und eine namenlose Angst ergriff sie. Was für eine Nacht war doch dies! Ein Mann schlägt seine Frau und läßt sein Kind vor der Tür erfrieren. Wollte nun eine Frau ihre Feinde einbrennen, und wollte der alte Major seine Bären auf seine eigenen Leute hetzen? Sie überwand ihre Ermattung, eilte dem Major voraus und kam zuerst nach Ekeby, wo die Majorin inmitten ihrer Leute die Gefährte der gebundenen Kavaliere umstand. Atemlos rief sie: »Der Major! Der Major kommt mit den Bären!« Es entstand eine große Bestürzung. Aller Blicke waren auf die Majorin gerichtet. »Du hast ihn geholt«, sagte sie zu Marianne. »Fliehe um Gottes willen!« rief diese noch eifriger. »Ich weiß nicht, was der Major im Schilde führt, aber er hat seine Bären mitgenommen.« Alle standen still, die Augen auf die Majorin gerichtet. »Habt Dank für die Hilfe, liebe Kinder!« sagte sie ruhig zu ihren Leuten. »Alles, was über Nacht geschehen ist, war so geordnet, daß niemand von euch deswegen ins Unglück kommen kann. Geht jetzt nach Hause! Ich will nicht sehen, wie einer von meinen Leuten tötet oder getötet wird. Geht jetzt!« Aber die Leute blieben stehen. Die Majorin wandte sich an Marianne. »Ich weiß, daß du liebst,« sagte sie, »du handelst im Wahnsinn der Liebe. Möge nie der Tag kommen, an dem du machtlos zusehen mußt, wie dein Heim zerstört wird! Möchtest du stets die Herrschaft über deine Zunge und deine Hand behalten, wenn Zorn deine Seele anfüllt!« »Aber kommt jetzt, liebe Kinder, kommt jetzt!« fuhr sie zu den Leuten gewendet fort. »Jetzt muß Gott Ekeby beschützen, ich gehe zu meiner Mutter. Ach, Marianne, wenn du deinen Verstand wiederbekommst und Ekeby zerstört ist und das Land in Not seufzt, dann denke an das, was du über Nacht angerichtet hast, und nimm dich der armen Menschen an!« Und dann ging sie, und die Leute gaben ihr das Geleit. Als der Major auf den Hof kam, fand er keine lebende Seele vor außer Marianne und einer langen Reihe von Wagen und Pferden, eine lange, betrübliche Reihe, wo Wagen und Pferd und Besitzer alle gleich gering, alle gleich mitgenommen vom Leben waren. Marianne ging umher und löste die Gebundenen. Sie bissen die Lippen zusammen und sahen nach der Seite. Sie schämten sich wie nie zuvor. Ein größerer Schimpf war ihnen niemals angetan. »Mir erging es nicht besser, als ich vor ein paar Stunden auf der Treppe auf den Knien lag«, sagte Marianne. Und dann, lieber Leser, was sich in jener Nacht weiter zutrug, wie die alten Gefährte wieder in den Schuppen, die Pferde in den Stall und die Kavaliere in den Kavalierflügel kamen, das zu erzählen, darauf will ich mich nicht einlassen. Die Morgenröte begann sich über den Bergen im Osten zu zeigen, und der Tag brach mit Klarheit und Frieden an. Wieviel friedlicher sind nicht die hellen, sonnigen Tage als die dunklen Nächte, unter deren beschützenden Schwingen die Raubtiere jagen und die Eulen schreien. Nur das will ich sagen, daß, als die Kavaliere wieder hineingekommen waren und in der Punschbowle noch einige Tropfen gefunden hatten, die sie in ihre Gläser füllen konnten, sie eine plötzliche Begeisterung überkam. »Die Majorin soll leben, hurrah hoch!« riefen sie. Sie war doch ein Weib ohnegleichen! Was konnten sie wohl Besseres verlangen, als ihr zu dienen und sie anzubeten. War es nicht traurig, daß der Teufel Macht über sie gewonnen hatte, und daß all ihr Trachten darauf ausging, die Seelen der Kavaliere in die Hölle zu schicken! Der große Bär auf dem Gurlita-Berge In der Dunkelheit des Waldes wohnen friedlose Tiere, deren Kiefer mit unheimlich schimmernden Zähnen bewaffnet sind, und deren Füße scharfe Klauen tragen, die sich danach sehnen, sich in einem blutgefüllten Hals festzubeißen, und deren Augen vor Mordlust leuchten. Da wohnen die Wölfe, die des Nachts zum Vorschein kommen und hinter dem Schlitten des Bauern herjagen, bis die Mutter das kleine Kind nehmen muß, das sie auf dem Schoße hält, und es ihnen hinwirft, um ihr eigenes und ihres Mannes Leben zu retten. Da wohnt der Luchs, den der Bauer »Göpa« nennt; denn im Walde ist es gefährlich, ihn bei seinem rechten Namen zu nennen. Wer ihn am Tage genannt hat, muß am Abend gut nachsehen, ob die Türen und die Luken des Schafstalls versichert sind, denn sonst kommt er. Er klettert an der steilen Wand herauf, denn seine Krallen sind wie scharfe Stahlhaken, schleicht sich durch den engsten Gang und stürzt sich über die Schafe. Und der Göpa hängt sich an ihre Kehle und trinkt Blut aus der Halsader und mordet und zerreißt, bis das letzte Schaf getötet ist. Er hält nicht inne in seinem wilden Totentanz unter den eingeschüchterten Tieren, solange noch ein einziges von ihnen ein Lebenszeichen von sich gibt. Und am Morgen findet der Bauer alle Schafe tot, mit zerrissenen Kehlen daliegen, denn der Göpa hinterläßt nichts Lebendes, wo er haust. Da wohnt die Eule, die in der Dämmerung schreit. Schreit man dann wieder, so kommt sie auf ihren breiten Flügeln über einen herabgesaust und hackt einem die Augen aus, denn sie ist kein wirklicher Vogel, sondern ein verhexter Geist. Und da wohnt der schrecklichste von ihnen allen, der Bär, der eine Stärke von zwölf Männern hat und der, wenn er ein »Mannbär« geworden ist, nur mit einer silbernen Kugel getötet werden kann. Kann wohl irgend etwas ein Tier in dem Maße mit dem Nimbus des Schreckens umgeben, wie dies, daß er nur mit einer silbernen Kugel getötet werden kann? Was für furchtbare verborgene Kräfte wohnen in ihm und machen ihn so hart, daß gewöhnliches Blei nichts ausrichtet? Müssen nicht die Kinder viele Stunden wach liegen und sich vor diesem grauenhaften Tier ängstigen, das die bösen Mächte beschützen? Und sollte man einmal dem Mannbären im Walde begegnen, groß und hoch wie ein wandernder Held, da soll man nicht laufen und sich auch nicht verteidigen, sondern sich glatt an die Erde werfen und so tun, als sei man tot. Viele kleine Kinder haben in Gedanken an der Erde gelegen und den Bären über sich gehabt. Er hat sie aber mit seiner Tatze herumgerollt, und sie haben seinen heißen, fauchenden Atem in ihrem Gesicht gefühlt; aber sie haben still gelegen, bis er weggegangen ist, um ein Loch zu graben und sie darin zu verbergen. Da sind sie leise aufgestanden und haben sich weggeschlichen, zuerst ganz sachte, dann aber in atemloser Hast. Aber denkt, denkt doch, wenn der Bär nun meinen sollte, daß sie nicht richtig tot waren, wenn er versuchte, in sie hineinzubeißen, oder wenn er sehr hungrig wäre, oder wenn er sähe, daß sie sich rührten, und hinter ihnen drein liefe! Ach Gott! Das Grauen ist eine Hexe, die in der Dunkelheit des Waldes sitzt und das Ohr der Menschen mit Zauberliedern erfüllt und ihre Herzen mit unheimlichen Gedanken. Daher kommt die lähmende Furcht, die das Leben bedrückt und die Schönheit lächelnder Gefilde verfinstert. Die Natur ist böse und grausam, hinterlistig wie eine schlafende Schlange, nichts kann man glauben. Da liegt der Löfsee in prahlender Schöne, trau ihm aber nicht, er lauert auf Beute: jedes Jahr fordert er seinen Zoll an Ertrunkenen! Da liegt der Wald friedlich lockend, trau ihm aber nicht! Der Wald ist voll von friedlosen Tieren, die von den Seelen böser Hexen und mordlustiger Räuber besessen sind. Trau nicht dem Bach mit seinem rieselnden Wasser! Es bringt Krankheit und Tod, wenn man nach Sonnenuntergang in ihm watet. Trau nicht dem Kuckuck! Gar lustig ruft er im Frühling. Wenn der Sommer vorüber ist, wird er zum Habicht mit scharfen Augen und fürchterlichen Krallen! Trau nicht dem Moos, nicht dem Heidekraut, nicht dem Berge! Die Natur ist böse, von unheimlichen Mächten besessen, die die Menschen hassen. Es gibt keine Stätte, wohin du mit Sicherheit deinen Fuß setzen kannst, es ist unbegreiflich, wie das schwache Menschengeschlecht all diesen Verfolgungen entrinnen kann. Das Grauen ist eine Hexe. Sitzt sie noch in der Finsternis der wermländischen Wälder und singt Zauberlieder? Verdunkelt sie noch die Schönheit lächelnder Gefilde? Lähmt sie noch die Freude am Leben? Ihre Macht ist groß gewesen, das weiß ich, in deren Wiege Stahl und in deren Badewasser glühende Kohlen gelegen haben; ich weiß es, ich, die ich ihre eiserne Hand um mein Herz gefühlt habe. Im übrigen aber soll niemand glauben, daß ich jetzt von etwas Unheimlichem und Schrecklichem erzählen will. Es ist nur eine alte Geschichte von dem großen Bären auf dem Gurlita-Berge, die ich jetzt erzählen will, und es soll einem jeden freistehen, sie zu glauben oder sie nicht zu glauben, so wie es bei allen richtigen Jagdgeschichten sein soll. * * * * * Der große Bär haust auf dem prächtigen Berggipfel, den man den Gurlita-Felsen nennt und der sich steil und unzugänglich am Ufer des oberen Löfsees erhebt. Die Wurzel einer umgewehten Tanne, an der noch die Grassoden hängen, bildet die Wand und das Dach seiner Behausung; die Zweige und das Gestrüpp beschützen sie, der Schnee macht sie dicht. Er kann dadrinnen liegen und einen guten, ruhigen Schlaf von einem Sommer zum andern halten. Ist er denn ein Poet, ein krankhafter Träumer, dieser zottige König des Waldes, dieser schiefäugige Räuber? Will er die kalten Nächte und die farblosen Tage des Winters verschlafen, um von brausenden Bächen und Vogelgesang geweckt zu werden? Will er daliegen und von wartenden Erdbeerhügeln träumen und von Ameisenhaufen, voll von leckern braunen kleinen Wesen, und von den weißen Lämmern, die an den Abhängen grasen? Will er dem Winter des Lebens aus dem Wege gehen, der Glückliche? Der Wind weht und stiebt hinein zwischen die Föhren da draußen; da draußen streifen Wolf und Fuchs umher, wahnsinnig vor Hunger. Warum soll der Bär allein Erlaubnis haben zu schlafen? Mag er aufstehen und fühlen, wie die Kälte beißt, wie schwer es ist, in dem tiefen Schnee zu waten. Er soll herauskommen! Er hat sich gut gebettet, er gleicht der schlafenden Prinzessin im Märchen: so wie sie von dem Prinzen geweckt wurde, so will er von dem Frühling geweckt werden. Von einem Sonnenstrahl, der sich durch das Gestrüpp stiehlt und ihm die Schnauze wärmt, von einigen Tropfen des schmelzenden Schnees, die durch seinen Pelz dringen, will er geweckt werden. Wehe dem, der ihn zur Unzeit weckt! Aber den Fall gesetzt, daß niemand fragt, was der König des Waldes wünscht! Den Fall gesetzt, daß jetzt plötzlich ein ganzer Schwarm von Hagelkörnern hereingesaust kommt und ihn sticht wie boshafte Mücken! Er hört plötzlich Rufe, Lärm und Schüsse. Er schüttelt den Schlaf aus seinen Gliedern und schiebt das Gestrüpp zur Seite, um zu sehen, was es ist. Hier gibt es Arbeit für den alten Raufbold. Es ist nicht der Frühling, der da draußen vor seiner Höhle lärmt und poltert, es ist nicht der Wind, der die Tannen umwirft und den Schnee aufwirbelt, es sind die Kavaliere -- die Kavaliere aus Ekeby. Sie sind alte Bekannte von dem König des Waldes. Er entsinnt sich gar wohl der Nacht, als Beerencreutz und Fuchs in der Scheune eines Bauern, wo man seinen Besuch erwartete, auf der Lauer lagen. Sie waren gerade über dem Schnapsglas eingeschlafen, als er sich durch das Grassodendach hereinschwang; aber sie erwachten, als er die getötete Kuh aus dem Stand herausheben wollte, und fielen mit Büchse und Messer über ihn her. Die Kuh nahmen sie ihm weg und das eine Auge auch, aber das Leben rettete er doch. Ja -- er und die Kavaliere sind alte Bekannte. Der König des Waldes entsinnt sich gar wohl eines andern Males, als sie über ihn herfielen, gerade als er und seine hohe Gemahlin sich hier in der alten Königsburg auf dem Gurlita-Felsen mit ihren Jungen zur Winterruhe niedergelassen hatten. Er entsinnt sich noch, wie unerwartet sie über ihn herfielen. Wohl entwischte er ihnen, er fegte alles zur Seite, was ihn hinderte, und sauste dahin, ohne auf die Kugeln zu achten; aber lahm ward er fürs Leben durch einen Schuß, den er in den Schenkel bekam. Und als er des Nachts in seine Königsburg zurückkehrte, war der Schnee rot gefärbt von dem Blut seiner hohen Gemahlin, und die königlichen Kinder waren weggeführt nach der Wohnung der Menschen, um dort aufzuwachsen und Diener und Freunde der Menschen zu werden. Ja, jetzt erbebt die Erde, jetzt wird die Schneewehe zerteilt, die die Höhle verdeckt, jetzt bricht er heraus, der große Bär, der alte Feind der Kavaliere. Gib jetzt acht, Fuchs, alter Bärenjäger, gib jetzt acht, Beerencreutz, Oberst und Rabougespieler, gib jetzt acht, Gösta Berling, du Held von hundert Abenteuern! Wehe über alle Poeten, alle Träumer, alle Liebeshelden! Da steht jetzt Gösta Berling, den Finger am Hahn der Büchse, und der Bär kommt ihm gerade entgegen. Warum schießt er nicht? Woran denkt er? Warum schickt er ihm nicht gleich eine Kugel in die breite Brust? Er steht gerade auf dem rechten Fleck, um das zu tun. Die andern können nicht im rechten Augenblick zum Schuß kommen. Glaubt er vielleicht, daß er vor der Majestät des Waldes Parade stehen soll? Gösta hat natürlich dagestanden und von der schönen Marianne geträumt, die in diesen Tagen ernstlich krank auf Ekeby liegt, krank von der Nacht, in der sie im Schnee geschlafen hat. Er denkt an sie, die nun auch ein Opfer von dem Fluch des Hasses geworden ist, der auf der Erde ruht, und er schaudert vor sich selbst, daß er ausgegangen ist, um zu verfolgen und zu töten. Und da kommt der große Bär gerade auf ihn zu. Blind auf dem einen Auge infolge eines Stiches von dem Messer eines der Kavaliere, lahm auf dem einen Bein infolge einer Kugel aus der Büchse eines der Kavaliere. Grausig und struppig, einsam seit der Zeit, als sie seine Gattin töteten und seine Kinder entführten. Und Gösta sieht ihn so, wie er ist: ein armes, verhetztes Tier, das er nicht des Lebens berauben will, des letzten, was ihm noch geblieben, nachdem ihm die Menschen alles andere genommen haben. »Mag er mich töten,« denkt Gösta, »aber ich schieße ihn nicht tot.« Und während der Bär auf ihn losstürzt, steht er still wie zur Parade, und als der König des Waldes ihm gerade gegenübersteht, tut er einen Schritt zur Seite und schultert das Gewehr. Da setzt der Bär seinen Weg fort, wohl wissend, daß er keine Zeit zu verlieren hat, bricht in den Wald ein, bahnt sich einen Weg durch mannshohe Schneeschanzen, rollt an jähen Abhängen herab und ist dann hoffnungslos verschwunden, während alle die, die mit gespannten Hähnen dagestanden und auf Göstas Schuß gewartet haben, ihre Büchsen hinter ihm drein abschießen. Aber es ist vergebens, der Ring ist gebrochen, und der Bär ist weg. Fuchs schimpft, und Beerencreutz flucht; aber Gösta lacht nur. Wie können sie doch nur verlangen, daß ein Mensch, der so unglücklich ist wie er, einem Geschöpf Gottes ein Leid antun soll? Der große Bär auf dem Gurlita-Berge entkam also mit dem Leben, und aus dem Winterschlaf aufgeweckt ist er, das sollen die Bauern fühlen. Kein Bär hat eine größere Geschicklichkeit, das Dach auf ihren niedrigen, kellerartigen Viehhäusern zu zerreißen, keiner versteht es besser, aus einem Hinterhalt herauszuschleichen. Die Leute da oben am oberen Löfsee wußten sich bald nicht vor ihm zu bergen. Einmal über das andere wurde nach den Kavalieren geschickt, sie möchten doch herauskommen und den Bären töten. Tag für Tag, Nacht für Nacht, den ganzen Februar hindurch ziehen jetzt die Kavaliere nach dem oberen Löfsee hinauf, um den Bären zu finden; aber er entweicht ihnen. Hat er Schlauheit vom Fuchs und Geschwindigkeit von dem Wolf gelernt? Liegen sie auf der Lauer in dem einen Gehöft, so verheert er das andere. Suchen sie ihn im Walde, dann verfolgt er den Bauern, der über das Eis gefahren kommt. Er ist der frechste Räuber geworden: er kriecht auf den Boden hinauf und leert Mutters Honigkruke. Er schlägt das Pferd vor Vaters Schlitten tot. Aber dann, nach und nach fängt man an zu verstehen, was für ein Bär es ist und warum Gösta nicht auf ihn schießen konnte. Es ist unheimlich, davon zu sprechen, schrecklich, es zu glauben; aber es ist kein gewöhnlicher Bär. Niemand kann daran denken, ihn zu erlegen, falls er nicht eine silberne Kugel in der Büchse hat. Eine Kugel aus Silber und Glockenerz, an einem Donnerstag-Abend bei Neumond im Kirchturm gegossen, ohne daß Pfarrer oder Küster oder irgendein Mensch davon weiß, die würde ihn töten können; aber eine solche Kugel ist nicht leicht zu beschaffen. * * * * * Auf Ekeby wohnt ein Mann, der sich mehr als sonst jemand über dies alles grämen muß. Das ist, wie man sich wohl denken kann, Anders Fuchs, der Bärenjäger. Er verliert die Lust am Essen, er verliert seinen Schlaf aus Groll darüber, daß er den großen Bären auf dem Gurlita-Berge nicht erlegen kann. Schließlich sieht auch er ein, daß der Bär nur mit einer silbernen Kugel erlegt werden kann. Der barsche Major Fuchs war kein schöner Mann. Er hatte einen schwerfälligen, ungeschickten Körper und ein breites, rotes Gesicht mit schlaffen Wangen und einem vielfachen Doppelkinn. Steif wie Borsten saß der kleine schwarze Schnurrbart über seinen dicken Lippen, und das schwarze Haar stand starr und dicht vom Kopf ab. Dazu war er ein Mann von wenig Worten, aber von mächtigem Appetit. Er gehörte nicht zu denen, die die Frauen mit sonnigem Lächeln grüßen, auch sandte er ihnen keine sanften Blicke zu. Er glaubte, daß er niemals eine Frau finden könne, an der er Gefallen fand, und alles, was mit Liebe und Schwärmerei zu tun hatte, lag ihm fern. Wenn er also im Mondschein umherging und wartete, so muß man nicht glauben, daß er die gute Frau Luna zur Vertrauten in seinen Herzensangelegenheiten machen wollte. Nein, er dachte nur an die silberne Kugel, die bei Neumond gegossen werden mußte. Und dann kommt ein Donnerstag-Abend, an dem der Mond gerade zwei Finger breit ist und ein paar Stunden, nachdem die Sonne untergegangen ist, über dem Horizont verweilt; da begibt sich Major Fuchs von Ekeby fort, ohne etwas davon zu sagen, was er vorhat. Er hat Feuerstahl und Kugelform in der Jagdtasche und die Büchse auf dem Rücken und geht auf die Broer Kirche zu, um zu sehen, was das Glück für einen ehrlichen Mann tun wird. Die Kirche liegt an dem östlichen Ufer des schmalen Sunds zwischen dem oberen und dem unteren Löfsee, und Major Fuchs muß über die Brücke gehen, um dahin zu gelangen. Also geht er auf die Brücke zu, in tiefen Gedanken und ohne nach den Brobyer Hügeln hinüberzusehen, wo sich die Häuser scharf von dem klaren Abendhimmel abheben, oder nach dem Gurlita-Felsen, dessen runder Scheitel im Abendschein aufragt. Er sieht nur zu Boden und grübelt darüber nach, wie er des Kirchenschlüssels habhaft werden soll, ohne daß es jemand bemerkt. Als er an die Brücke hinabkommt, hört er jemand so verzweifelt schreien, daß er gezwungen ist, die Augen vom Erdboden zu erheben. Zu jener Zeit war Faber, der kleine Deutsche, Organist in Broby. Er war ein kleiner, schmächtiger Bursche, gering auf die eine wie auf die andere Weise. Küster war Jan Larsen, ein tüchtiger Bauer, aber arm, denn der Brobyer Pfarrer hatte ihn um sein väterliches Erbe, um ganze fünfhundert Reichstaler betrogen. Der Küster wollte sich gern mit der Schwester des Organisten, der kleinen feinen Jungfer Faber, verheiraten, aber der Organist wollte sie ihm nicht geben; daher waren die beiden keine guten Freunde. An diesem Abend begegnete der Küster dem Organisten unten auf der Brücke und fuhr auf ihn los. Er packt ihn bei der Brust und hält ihn mit steifem Arm über das Geländer der Brücke, während er hoch und heilig schwört, daß er ihn ins Wasser werfen will, wenn er die kleine feine Jungfer nicht bekommen soll. Aber der kleine Deutsche will sich nicht ergeben, er zappelt und schreit, sagt aber in einem fort nein, obwohl er tief unter sich die schwarze Furche des offenen Wassers zwischen weißen Eiskanten hervorbrausen sieht. »Nein, nein,« schreit er, »nein, nein!« Es ist nicht zu wissen, ob der Küster in seiner Wut ihn nicht zuletzt doch noch in das kalte schwarze Wasser hätte hineinplumpsen lassen, wenn nicht Major Fuchs gerade über die Brücke gekommen wäre. Nun wird dem Küster bange, er setzt Faber wieder auf die Brücke nieder und läuft davon, so schnell er kann. Der kleine Faber fällt nun dem Major um den Hals und dankt ihm für sein Leben; aber der Major schüttelt ihn ab und sagt, da sei gar kein Grund zu danken. Der Major hatte nichts für Deutsche übrig, seit der Zeit, als er in Putbus auf Rügen während des pommerschen Kriegs in Quartier gelegen hatte. Er war nie in seinem Leben so nahe daran gewesen zu verhungern wie dazumal. Nun will der kleine Faber zum Amtmann Scharling hinauflaufen und den Küster wegen Mordversuchs verklagen; aber der Major teilt ihm mit, daß sich das nicht der Mühe verlohnt, denn hierzulande kostet es nichts, einen Deutschen totzuschlagen, keinen roten Heller. Und um die Wahrheit seiner Worte zu beweisen, erbietet er sich selbst, ihn in den Strom hinabzuwerfen. Da beruhigt sich denn der kleine Faber und ladet den Major ein, mit nach Hause zu kommen und Schmorwurst zu essen und altes Bier zu trinken. Der Major begleitet ihn, denn ihm ist eingefallen, daß der Organist sicher daheim einen Kirchenschlüssel haben muß, und so gehen sie denn den Hügel hinan, auf dem die Broer Kirche mitsamt dem Propsthause, dem Küsterhause und der Organistenwohnung liegt. »Entschuldigen Sie, entschuldigen Sie,« sagt der kleine Faber, als er und der Major in sein Haus eintreten. »Es ist hier heute gar nicht recht fein. Wir haben heute so viel zu tun gehabt, meine Schwester und ich; wir haben einen Hahn geschlachtet.« »Ei der Tausend!« rief der Major aus. Und dann kam die kleine feine Jungfer Faber mit altem Bier in großen Tonkrügen herein. Nun weiß ja ein jeder, daß der Major Frauen nicht mit milden Augen ansah, aber die kleine Jungfrau Faber mußte er doch mit einem gewissen Wohlwollen ansehen, so allerliebst wie sie dastand in Leibchen und Mütze. Das blonde Haar war glatt in die Stirn gestrichen, das selbstgewebte Kleid war so zierlich und so blendend rein; ihre kleinen Hände waren so geschäftig und geschwind, und ihr kleines Gesicht war so rosenrot und rund, daß er es nicht lassen konnte, zu denken, daß, wenn er so ein niedliches Frauenzimmerchen vor fünfundzwanzig Jahren gesehen hätte, er sicher Anstalten gemacht hätte, um sie zu freien. Aber so nett und rotwangig und behende sie auch war, ihre Augen sind doch ganz verweint. Und gerade das flößt ihm so milde Gedanken über sie ein. Während die Männer essen und trinken, geht sie in der Stube ein und aus. Einmal tritt sie an ihren Bruder heran, macht einen Knix und sagt: »Wie befiehlt mein Bruder, daß wir die Kühe im Schuppen aufstellen sollen?« »Stelle zwölf zur Rechten und elf zur Linken, dann können sie sich nicht stoßen«, sagte der kleine Faber. »Das ist doch des Teufels! Hat Faber so viele Kühe?« sagt der Major. Die Sache hing aber so zusammen, daß der Organist nur zwei Kühe hatte, aber er nannte die eine Elf und die andere Zwölf, damit es großartig klingen sollte, wenn er von ihnen sprach. Und dann erfährt der Major, daß Faber im Begriff ist, seine Scheune umzubauen, so daß die Kühe des Tags draußen gehen und des Nachts im Wetterschuppen stehen. Die kleine Jungfer Faber geht in der Stube ein und aus. Sie tritt wieder an ihren Bruder heran und macht ihm einen Knix und sagt, daß der Zimmermann fragt, wie hoch die Scheune sein soll. »Miß die Kuh,« sagt der Organist, »miß die Kuh!« Major Fuchs findet, daß das eine gute Antwort ist. Wie sie so dasitzen, fängt der Major an, den Organisten zu fragen, warum die Augen seiner Schwester so rot sind; und da erfährt er denn, daß sie weint, weil er ihr nicht erlauben will, sich mit dem armen Küster zu verheiraten, verschuldet und erblos, wie der ist. Bei alledem verfällt Major Fuchs mehr und mehr in Sinnen. Er leert die eine Kanne Bier nach der andern und ißt eine Wurst nach der andern, ohne darüber nachzudenken. Der kleine Faber ist ganz entsetzt über einen solchen Appetit und einen solchen Durst; aber je mehr der Major ißt und trinkt, um so klarer wird sein Gehirn, um so entschlossener wird sein Herz. Um so fester wird auch sein Vorsatz, etwas für die kleine Jungfer Faber zu tun. Es war derselbe Major Fuchs, der merkwürdige Mann, der an einem Abend der Lehnsmannsfrau in Munkerud einen ganzen Preßkopf aufaß, von dem sie gedacht hatte, daß er die Weihnachtszeit über vorhalten sollte. Ihm ward so fröhlich zumute, wenn er daran dachte, was für eine herrliche Schmorwurst dies doch war. Er, er wollte wahrhaftig dafür sorgen, daß Jungfer Fabers Augen nicht mehr zu weinen brauchten. Er hat währenddessen die Augen auf den großen Schlüssel mit dem krausen Bart gerichtet, der an einem Haken an der Tür hing, und kaum hat der kleine Faber, der dem Major in dem alten Bier Bescheid tun muß, den Kopf auf den Tisch gelegt und angefangen zu schnarchen, als auch Major Fuchs sich schon des Schlüssels bemächtigt hat, nach der Mütze greift und von dannen eilt. Eine Minute später tastet er sich die Turmtreppe hinauf. Beim Schein seiner kleinen Hornlaterne gelangt er endlich in den Glockenraum hinauf, wo die Glocken ihre mächtigen Rachen über ihm aufsperren. Da oben schabt er erst mit einer Feile ein wenig Glockenerz ab und will gerade die Kugelform und das Feuerzeug aus der Jagdtasche nehmen, als er merkt, daß ihm das Allerwichtigste fehlt: er hat kein Silber bei sich. Soll Kraft bei der Kugel sein, so muß sie ja dort im Turm gegossen werden. Alles ist in Ordnung: es ist Donnerstag-Abend und Neumond, und niemand hat eine Ahnung davon, daß er da ist, und nun kann er nichts machen. In der Stille der Nacht stößt er einen Fluch aus, und zwar mit einer solchen Wucht, daß die Glocken dröhnen. Gleich darauf hört er ein leises Geräusch unten aus der Kirche und es ist ihm, als höre er Schritte auf der Treppe. Ja, wahrhaftig, schwere Schritte kommen die Treppe hinauf! Major Fuchs, der da oben steht und flucht, daß die Glocken widerhallen, wird ein wenig bedenklich. Er kann nicht umhin, daran zu denken, wer es wohl ist, der da herauf kommt, um ihm beim Kugelgießen zu helfen. Die Schritte kommen näher und näher. Der Betreffende will offenbar ganz in den Glockenturm hinauf. Der Major schleicht beiseite, ganz zwischen die Balken und Sparren hinein, und löscht die Hornlaterne aus. Bange ist er ja gerade nicht, aber die ganze Geschichte würde ja verdorben sein, wenn ihn jemand da oben erblickte. Kaum hat er sich verkrochen, als der Ankömmling den Kopf durch das Treppenloch steckt. Der Major erkennt ihn sofort: es ist der geizige Pfarrer aus Broby. Er, der fast wahnsinnig ist vor Geiz, pflegt seine Schätze an den wunderlichsten Stellen zu verstecken. Er kommt jetzt mit einem Päckchen Papiergeld, das er im Turm verbergen will. Da er nicht weiß, daß ihn jemand sieht, hebt er eine Diele im Fußboden auf, legt das Geld darunter und entfernt sich sofort wieder. Aber der Major ist nicht faul, er hebt dieselbe Diele auf. Nein, welch eine Menge Geld! Ein Bündel Papiergeld neben dem andern, und dazwischen braune Lederbeutel voll Silbergeld. Der Major nimmt genau so viel Silber, wie zu einer Kugel nötig ist; das übrige läßt er liegen. Als er wieder unten anlangt, hat er die silberne Kugel in der Büchse. Er geht und denkt darüber nach, ob ihm das Glück in dieser Nacht wohl noch mehr gute Dinge zugedacht hat; in den Donnerstagnächten können ja die wunderlichsten Dinge geschehen. Erst macht er einen Gang nach der Organistenwohnung. Ob der verteufelte Bär wohl weiß, daß Fabers Kühe in einem elenden Schuppen stehen, so gut wie unter freiem Himmel? Ja, wahrhaftig! Sieht er nicht etwas Großes, Schwarzes über das Feld auf den Bretterschuppen zukommen? Das muß der Bär sein! Er legt die Büchse an die Wange und will schon losdrücken, besinnt sich aber wieder. Jungfer Fabers verweinte Augen erscheinen ihm in der Dunkelheit; er denkt daran, daß er ihr und dem Küster helfen will, aber es kostet ihn eine große Überwindung, nicht selbst den großen Gurlita-Bären töten zu sollen. Er sagte selbst hinterher, daß ihn nichts in der Welt so große Überwindung gekostet habe, aber da die kleine Jungfer eine so feine kleine Person war, mußte er es tun. Er geht nach dem Küsterhaus, weckt den Küster, zieht ihn halb angekleidet und halb nackend heraus und sagt, er solle auf den Bären schießen, der Fabers Bretterschuppen umschleicht. »Wenn du den Bären erschießest, so gibt er dir sicher seine Schwester,« sagt er, »denn dann wirst du auf einmal ein geachteter Mann. Es ist kein gewöhnlicher Bär, und die besten Männer des Landes würden sich eine Ehre daraus machen, ihn erlegt zu haben.« Und er drückt ihm seine eigene Büchse in die Hand, mit der Kugel aus Silber und Glockenerz geladen und in einem Kirchturm an einem Donnerstagabend bei Neumond gegossen; aber er zittert vor Neid bei dem Gedanken, daß ein anderer als er selbst den König des Waldes, den alten Bären vom Gurlita-Berge, erlegen soll. Der Küster zielt -- ja, Gott steh uns bei, er zielt, als wolle er den Großen Bären erschießen, der hoch oben am Himmel sitzt und sich im Kreis um den Polarstern dreht, nicht aber einen Bären, der auf den Brobyer Feldern umherspaziert; und der Schuß geht mit einem Knall los, den man bis oben hinauf auf dem Gurlita-Felsen hören kann. Aber wie er nun auch gezielt haben mag, der Bär fällt. So ist es, wenn man mit silbernen Kugeln schießt. Man trifft den Bären ins Herz, selbst wenn man auf das Himmelsgestirn gezielt hat. Aus allen Gehöften und Häusern kommen sogleich die Leute herbeigestürzt und fragen, was da los ist, denn nie hat ein Schuß ärger geknallt und mehr schlafende Eichhörnchen geweckt als dieser; und der Küster wird höchlich belobt, denn der Bär ist eine wahre Landplage gewesen. Auch der kleine Faber kommt heraus, aber nun wird Major Fuchs arg genarrt. Da steht der Küster, gerühmt und geehrt, und obendrein hat er Fabers Kühe gerettet, aber der kleine Organist ist weder gerührt noch dankbar. Er öffnet ihm nicht seine Arme und begrüßt ihn nicht als Held und Schwager. Der Major runzelt die Stirn und stampft mit den Füßen vor Zorn über eine solche Schändlichkeit. Er will reden und dem kleinen geizigen, engherzigen Kerl erklären, welch eine Heldentat dies ist, aber da fängt er an zu stottern, so daß er kein Wort herausbringen kann. Und er wird immer ergrimmter bei dem Gedanken, daß er ohne allen Zweck auf die Ehre verzichtet hat, den großen Bären zu fällen. Es ist ihm unmöglich, zu begreifen, daß derjenige, der eine solche Tat vollführt hat, nicht würdig sein sollte, die stolzeste Braut zu gewinnen. Der Küster und einige junge Burschen wollen sich daran machen, dem Bären das Fell abzuziehen; sie gehen an den Schleifstein, um ihre Messer zu wetzen, die andern gehen nach Hause zu Bett, und der Major bleibt allein bei dem toten Bären zurück. Da geht er noch einmal nach der Kirche hinauf, steckt den Kirchenschlüssel in das Schloß, klettert die schmale Treppe und die steilen Stiegen hinauf, weckt die schlafenden Tauben und gelangt wieder in den Glockenraum. Nach einer Weile, als man dem Bären unter der persönlichen Aufsicht des Majors das Fell abzieht, findet man in seinem Rachen ein Bündel Papiergeld -- fünfhundert Reichstaler. Es ist unmöglich zu sagen, wie das dahin gekommen ist, aber es ist ja ein merkwürdiger Bär, und da der Küster den Bären erschossen hat, so gehört ihm das Geld, das ist ja ganz klar. Als dies bekannt wird, begreift auch der kleine Faber, welche ehrenvolle Tat der Küster ausgeführt hat, und er erklärt, daß er stolz darauf sein wird, ihn seinen Schwager zu nennen. Freitag abend kehrt Major Fuchs nach Ekeby zurück, nachdem er das Bärenfest im Küsterhaus und den Verlobungsschmaus in der Organistenwohnung mitgemacht hat. Schweren Herzens wandert er von dannen, keine Freude empfindet er darüber, daß der Feind gefallen ist, und keinen Stolz über das prächtige Bärenfell, das ihm der Küster geschenkt hat. Vielleicht wird nun mancher denken, er traure darüber, daß die kleine feine Jungfer einem andern gehören soll. Ach nein, das verursacht ihm keinen Kummer. Aber was ihm zu Herzen geht, ist, daß der alte einäugige König des Waldes gefallen ist, ohne daß er Gelegenheit gehabt hat, eine Kugel auf ihn abzuschießen. Und dann kommt er in den Kavalierflügel hinauf, wo die Kavaliere um das Feuer sitzen, und wirft, ohne ein Wort zu sagen, das Bärenfell mitten unter sie. Niemand muß nun glauben, daß er etwas von seinem Abenteuer erzählt hat; erst lange nachher gelang es ihnen, ihm den richtigen Zusammenhang zu entlocken. Auch verriet er nicht das Versteck des Brobyer Pfarrers, und der hat vielleicht niemals den Diebstahl entdeckt. Die Kavaliere untersuchten das Fell. »Ein prächtiger Balg«, sagte Beerencreutz. »Ich möchte wohl wissen, wie der Bursche aus seinem Winterschlaf herausgekommen ist, oder hast du ihn vielleicht in der Höhle erschossen?« Er wurde in Bro erlegt. »Ja, so groß wie der Gurlita-Bär ist er aber doch nicht«, sagte Gösta. »Ein mächtiges Tier ist es freilich gewesen.« »Wäre er einäugig gewesen,« sagt Kevenhüller, »so hätte ich geglaubt, du hättest den Alten selbst erlegt, so groß ist er; aber dieser hat weder eine Wunde noch eine Narbe an dem einen Auge, folglich kann er es nicht sein.« Fuchs fängt an, über seine Dummheit zu fluchen und zu schwören; nach einer Weile aber erhellt sich sein Gesicht so, daß er förmlich schön wird. Dann ist der große Bär also doch nicht von eines andern Mannes Schuß gefallen! »Herr Gott, wie bist du gut!« sagt er und faltet die Hände. Die Auktion auf Björne Oft mußten wir Jungen uns über die Erzählungen der Alten wundern. »War denn jeden Tag Ball, solange eure strahlende Jugend währte?« fragten wir sie. »War denn das Leben ein einziges langes Märchen? Waren zu jener Zeit alle jungen Damen schön und liebenswürdig? Endete denn jedes Fest damit, daß Gösta Berling eine von ihnen entführte?« Da schüttelten die Alten ihre ehrwürdigen Häupter und fingen an zu erzählen von dem Schnurren der Spindel, dem Klappern des Webstuhls, von der Geschäftigkeit in der Küche, von dem Schlag des Dreschflegels auf der Tenne und dem Klang der Axt im Walde. Aber es währte nie lange, bis sie wieder in den alten Ton verfallen waren. Da hielten die Schlitten vor der Freitreppe, da eilten die Pferde mit den fröhlichen jungen Menschenkindern durch die dunklen Wälder dahin, da wirbelte der Tanz, da sprangen die Saiten der Geige. Mit Lärm und Peitschengeknall sauste die wilde Jagd aus dem Märchen um den Löfsee. In weiter Ferne hörte man das Getöse, die Bäume des Waldes schwankten und fielen, alle Mächte der Zerstörung wurden losgelassen: die Feuersbrunst flammte, der Gießbach trat über seine Ufer, heulend umschlichen die hungrigen Wölfe die Gehöfte. Die Hufe der achtfüßigen Pferde traten alles stille Glück in den Staub. Wo die Jagd vorübersauste, da entflammten die Herzen der Männer in Wildheit, und die Frauen mußten in bleichem Entsetzen von Haus und Hof fliehen. Und wir Jungen saßen staunend, schweigend, grausend und doch glückselig da. »Welche Menschen!« dachten wir. »Ihresgleichen werden wir nimmer sehen.« »_Dachten_ denn die Menschen jener Zeit niemals über das nach, was sie taten?« fragten wir. »Freilich _dachten_ sie, Kinder«, erwiderten die Alten. »Aber nicht so wie wir denken«, behaupteten wir. Und dann verstanden die Alten nicht, was wir meinten. _Wir_ aber dachten an den wunderlichen Geist der Selbstkritik, der seinen Einzug schon in unsere Herzen gehalten hatte. Wir dachten an ihn mit den Eisaugen und den langen, knöcherigen Fingern, an ihn, der im finstersten Winkel unserer Seele sitzt und unser Wesen in Fasern zerpflückt, so wie alte Frauen Flicken aus Wolle oder Seide zerzupfen. Stück für Stück hatten die langen, knöcherigen Finger zerpflückt, bis unser ganzes Ich wie ein Haufe alter Lumpen dalag, und dann waren unsere besten Gefühle, unsere unmittelbarsten Gedanken, alles, was wir getan und gesagt hatten, gründlich untersucht, durchforscht, zerpflückt, und die Eisaugen hatten zugeschaut, und der zahnlose Mund hatte höhnisch gelacht und geflüstert: »Seht, es sind Lumpen -- nichts als Lumpen!« Unter den Menschen jener Zeiten waren auch wohl einige, die ihre Seele dem Geist mit den Eisaugen erschlossen hatten. Bei dem einen saß er beobachtend an der Quelle der Handlungen, hohnlachend über Gutes und Böses, alles verstehend, nichts verurteilend, untersuchend, leitend, zerpflückend, die Regungen des Herzens und die Kraft des Gedankens durch sein unablässiges Hohnlachen lähmend. Die schöne Marianne trug diesen Geist der Selbstkritik in sich. Sie fühlte, daß sein Eisblick, sein Hohnlächeln jedes Wort, jeden Schritt begleiteten. Ihr Leben war zu einem Schauspiel geworden, bei dem er der einzige Zuschauer war. Sie war kein Mensch mehr, sie litt nicht, freute sich nicht, liebte nicht; sie führte die Rolle der schönen Marianne Sinclaire aus, und die Selbstkritik saß mit starrenden Eisaugen und fleißig zupfenden Fingern da und sah zu, wie sie auftrat. Sie war in zwei Hälften geteilt. Bleich, unsympathisch, höhnisch saß die eine Hälfte ihres Ichs da und schaute spöttisch zu, wie die andere handelte, und niemals hatte der wunderliche Geist, der ihr Wesen zerpflückte, auch nur ein einziges mitfühlendes Wort. Wo aber war dieser bleiche Wächter der Quelle der Handlungen denn in jener Nacht gewesen, als sie die Fülle des Lebens kennen lernte? Wo war er, als sie, die kluge Marianne, Gösta Berling vor Hunderten von Augenpaaren küßte, als sie sich in ihrer Verzweiflung in den Schnee geworfen hatte, um zu sterben? Da waren die Eisaugen geblendet, da war das Hohnlächeln gelähmt, denn die Leidenschaft hatte ihre Seele mit Sturm erfüllt. Das Getöse der wilden Jagd aus dem Märchen hatte ihr vor den Ohren gesaust. Sie war in jener entsetzlichen Nacht ein ganzer Mensch gewesen. O du Gott der Selbstverhöhnung! Als es Marianne nach unendlicher Anstrengung gelang, ihre erstarrten Arme zu erheben und sie um Gösta Berlings Hals zu schlingen, da mußtest du in der Gestalt des alten Beerencreutz deine Augen von der Erde ab- und den Sternen zuwenden. In jener Nacht besaßest du keine Macht. Tot warst du, während sie ihre Liebeshymnen dichtete, die schöne Marianne -- tot, während sie nach Sjö eilte, um den Major zu holen, tot, als sie die Flammen den Himmel über den Wipfeln der Wälder röten sah. Siehe, sie waren gekommen, die mächtigen Sturmvögel, die Adler dämonischer Leidenschaften. Mit Feuerschwingen und Stahlklauen waren sie sausend über dich herabgekommen, du Geist mit den Eisaugen; sie hatten ihre Klauen in deinen Nacken geschlagen und dich in das Unbekannte hinweggeschleudert. Tot und zerschmettert warst du. Nun aber waren sie weiter gefahren, die Stolzen, die Gewaltigen, sie, deren Weg keine Berechnung kennt, denen noch kein Beobachter zu folgen vermochte; und aus der Tiefe des Unbekannten war der wunderliche Geist der Selbstkritik wiedererstanden und hatte sich wieder in der Seele der stolzen Marianne niedergelassen. -- -- -- Den ganzen Februar hindurch lag Marianne krank auf Ekeby. Auf Sjö war sie von den Blattern angesteckt worden. Die entsetzliche Krankheit hat sich mit ihrer ganzen Gewalt auf sie geworfen, erkältet, erschöpft, wie sie war; sie war dem Tode nahe gewesen; gegen Ende des Monats aber fing sie an, sich zu erholen. Schwach war sie aber noch und sehr entstellt. Nie wieder würde sie die schöne Marianne genannt werden. Dieser Verlust, der Trauer über ganz Wermland bringen sollte, als sei einer der köstlichsten Schätze des Landes verloren, war bisher jedoch nur Marianne und ihrer Pflegerin bekannt. Nicht einmal die Kavaliere wußten es. Das Krankenzimmer, in dem die Blattern herrschten, stand nicht einem jeden offen. Wann aber ist die Selbstkritik stärker als in den langen Stunden der Genesung? Da sitzt sie und starrt und starrt mit ihren Eisaugen und zupft und pflückt mit ihren harten, knöcherigen Fingern. Und sieht man recht zu, so sitzt dahinter ein anderes, gelblich blasses Wesen, das mit seinem Hohnlächeln starrt und lähmt, und dahinter noch eins und noch eins -- alle hohnlachend über einander und über die ganze Welt. Und während Marianne dalag und sich mit allen den starren Eisaugen betrachtete, erstarben alle ursprünglichen Gefühle in ihr. Sie lag da und spielte die Kranke, sie lag da und spielte die Unglückliche, spielte die Verliebte, spielte die Rachelustige. Sie war dies alles, und doch war es nur Spiel. Unter dem Blick der Eisaugen wurde alles Spiel und Unwirklichkeit, sie bewachten sie und wurden selber von einem andern Augenpaar bewacht, das wiederum von einem andern bewacht wurde -- in endloser Perspektive. Alle starken Kräfte des Lebens lagen im Zauberschlaf. Sie hatte die Fähigkeit zu glühendem Haß, zu hingebender Liebe nur eine einzige Nacht besessen -- nicht länger. Sie wußte nicht einmal, ob sie Gösta Berling liebte. Sie sehnte sich danach ihn zu sehen, um zu versuchen, ob er imstande sei, sie sich selbst vergessen zu machen. Solange die Macht der Krankheit währte, hatte sie nur _einen_ klaren Gedanken gehabt: sie hatte Sorge getragen, daß ihre Krankheit nicht bekannt wurde. Sie wollte ihre Eltern nicht sehen, sie wollte keine Versöhnung mit ihrem Vater, sie wußte, daß er bereuen würde, was er getan, sobald er erfuhr, wie krank sie war. Deswegen befahl sie, daß ihren Eltern und allen andern gesagt werden soll, daß dies Augenleiden, das sie häufig befiel, wenn sie sich auf Björne aufhielt, sie zwänge, hinter herabgelassenen Rouleaus zu sitzen. Sie verbot ihrer Pflegerin zu sagen, wie krank sie sei; sie verbot den Kavalieren, einen Arzt aus Karlstad zu holen. Sie habe ja die Blattern, aber nur sehr leicht, und die Hausapotheke zu Ekeby enthalte genug, um ihr Leben zu fristen. Sie dachte nie daran, daß sie sterben könne; sie lag nur da und wartete auf ihre Genesung, um mit Gösta zu dem Pfarrer zu fahren und das Aufgebot zu bestellen. Nun aber waren die Krankheit und das Fieber überstanden. Sie war wieder kühl und klug. Es war ihr, als sei sie in dieser ganzen Welt von Toren die einzig Vernünftige. Sie haßte nicht und liebte nicht. Sie verstand ihren Vater, sie verstand sie alle. Wer versteht, der haßt nicht. Sie hatte erfahren, daß Melchior Sinclaire die Absicht habe, eine Auktion auf Björne abzuhalten und alles zu zerstören, was er besaß, damit sie nichts von ihm erben könne. Man sagte, er wolle die Zerstörung so gründlich wie nur möglich machen; erst wollte er alle Möbel und allen Hausrat verkaufen, dann das Vieh und die Ackergerätschaften und zuletzt den ganzen Hof; und alles Geld wollte er in einen Sack stecken und in den Löfsee versenken. Zerstörung, Vernichtung sollte ihr Erbe sein. Marianne lächelte beifällig, als sie das hörte: so war sein Charakter, so mußte er handeln. Sonderbar erschien es ihr, daß sie jemals das Lob der Liebe gesungen hatte. Sie hatte von einer Hütte und von seinem Herzen geträumt; jetzt konnte sie nicht verstehen, daß sie jemals einen solchen Traum gehabt hatte. Sie seufzte nach Natur. Sie war dieses ewigen Spiels müde. Nie hatte sie ein starkes Gefühl. Sie trauerte kaum um ihre Schönheit, aber ihr graute vor fremdem Mitleid. O, nur eine Sekunde Selbstvergessenheit! Ein Wort, eine Handlung, eine Bewegung, die nicht berechnet war! Eines Tages, als das Zimmer gelüftet und von der Aufdeckung gereinigt war und sie angekleidet auf einem Sofa lag, ließ sie Gösta Berling rufen. Man antwortete ihr, er sei zur Auktion nach Björne gefahren. Wahrlich, das war eine große Auktion auf Björne! Es war ein altes, reiches Haus. Meilenweit waren die Leute gereist, um zu bieten. Der große Melchior Sinclaire hatte alles, was das Haus besaß, in dem großen Saal aufeinander gehäuft. Tausende von Dingen lagen bunt durcheinander in hohen Bergen, die vom Fußboden bis an die Decke reichten. Er selber war wie der Engel der Zerstörung am Tage des Gerichts im Hause umhergegangen und hatte alles zusammengeschleppt, was er verkaufen wollte. Die schwarzen Kochtöpfe, hölzernen Stühle, zinnernen Krüge, die Kupfergeräte, das alles hatte Ruhe vor ihm, denn daran war ja nichts, was an Marianne erinnerte; aber das war auch das Einzige, was seinem Zorn entging. Er brach in Mariannens Zimmer ein und zerstörte alles. Dort stand ihr Puppenschrank und ihr Bücherbord, der kleine Stuhl, den er für sie hatte machen lassen; ihre Schmucksachen und ihre Kleider, ihr Sofa und ihr Bett, das alles mußte fort. Dann ging er von einem Zimmer ins andere. Er riß alles an sich, was ihm mißfiel, und trug große Lasten in den Auktionssaal hinab. Er stöhnte unter den schweren Sofas und Marmortischen, aber er hielt stand. Und er warf alles in einem entsetzlichen Wirrwarr bunt durcheinander. Er zerschlug die Schränke und nahm das kostbare Familiensilber heraus. Weg damit! Marianne hatte es berührt. Er nahm die Arme voll von schneeweißem Damast, solide, eigengemachte Arbeit, die Früchte jahrelangen Fleißes, und warf das Ganze auf den Haufen. Weg damit! Marianne war nicht wert, es zu besitzen! Er stürmte mit Stapeln von Porzellan durch die Zimmer, ohne sich daran zu kehren, daß er die Teller zu Dutzenden zerbrach, und er ergriff die alten Sèvrestassen, auf denen das Familienwappen eingebrannt war. Weg damit! Nehme sie, wer da will! Er warf Berge von Betten vom Boden herab: Kissen und Daunendecken so weich, daß man darin versank wie in einer Welle. Weg damit! Marianne hatte darauf geschlafen. Er warf wütende Blicke auf die alten, wohlbekannten Möbel. Gab es wohl einen Stuhl, ein Sofa, auf dem sie nicht gesessen, ein Gemälde, das sie nicht betrachtet, einen Kronleuchter, der ihr nicht gestrahlt, einen Spiegel, der ihre Züge nicht wiedergegeben hätte? Finster ballte er seine Faust gegen diese Welt von Erinnerungen. Am liebsten wäre er mit einer Keule auf sie losgefahren und hätte das Ganze in Splitter zerschlagen. Doch fand er, daß die Rache noch gründlicher war, wenn er das Ganze auf die Auktion brachte. Zu Fremden hinaus sollte es! Sollte in Tagelöhnerwohnungen beschmutzt werden, unter den Händen gleichgültiger, fremder Menschen verfallen. Kannte er nicht zur Genüge diese abgestoßenen Auktionsmöbel in den Bauernstuben, verachtet, entehrt, geradeso wie seine schöne Tochter! Weg damit! Mochten sie dastehen mit zerrissenem Polster, aus dem das Krollhaar herausguckte, mit verschlissener Vergoldung, mit zerbrochenen Beinen und geborstenen Tischplatten, mochten sie sich nach ihrem alten Heim sehnen! Weg damit in alle Ecken der Welt, daß kein Auge sie wiederfinden, keine Hand sie wiedersammeln konnte! Als die Auktion begann, hatte er den halben Saal mit einem unglaublichen Wirrwarr von aufgestapeltem Hausgerät angefüllt. Quer durch den Saal hatte er einen langen Tisch aufgestellt. Dahinter stand der Auktionshalter und rief auf, dort saßen die Schreiber und schrieben auf, und dort hatte Melchior Sinclaire ein Branntweinfäßchen stehen. Im andern Teil des Saales, auf der Diele und auf dem Hofe befanden sich die Käufer. Da waren viele Menschen, viel Lärm und Munterkeit. Die Gebote fielen schnell, und die Auktion ging lebhaft vonstatten. Aber an dem Branntweinfäßchen, seinen ganzen Besitz in grenzenlosen Wirrwarr hinter sich, saß Melchior Sinclaire, halb betrunken und halb verrückt. Das Haar umrahmte in wilden Büscheln sein rotes Gesicht, die blutunterlaufenen, wilden Augen rollten. Er rief und lachte, als sei er in bester Laune, und jedesmal, wenn jemand ein gutes Gebot machte, rief er ihn zu sich heran und schenkte ihm einen Schnaps ein. Unter denen, die ihn dort sahen, befand sich auch Gösta Berling, der sich zwischen die Käufer gemischt hatte, es aber vermied, Melchior Sinclaire vor die Augen zu kommen. Ihm ward unheimlich zumute bei dem, was er sah, und sein Herz schnürte sich zusammen wie im Vorgefühl eines Unglücks. Er wunderte sich, wo wohl Mariannens Mutter nur sein mochte. Und schließlich ging er, halb wider Willen, aber vom Schicksal getrieben, hin, um Frau Gustava Sinclaire zu suchen. Er ging durch viele Türen, ehe er sie fand. Der große Gutsherr hatte nicht viel Geduld und war kein Freund von Klagen und Weibertränen. Er hatte es satt, ihre Tränen fließen zu sehen bei dem Geschick, das über die Schätze ihres Hauses hereingebrochen war. Er ward wütend, daß sie über Leinenzeug und Betten weinen konnte, wo doch das, was weit mehr war, seine schöne Tochter selbst, verloren war, und da hatte er sie mit geballten Fäusten vor sich her durch das ganze Haus getrieben, in die Küche hinaus, bis in die Speisekammer. Weiter konnte er nicht kommen, und er hatte sich damit begnügt, sie dort zusammengekauert hinter der Treppe sitzen zu sehen, harte Schläge, ja vielleicht gar den Tod erwartend. Dort ließ er sie sitzen, die Tür aber schloß er ab und steckte den Schlüssel in die Tasche. Da konnte sie bleiben, bis die Auktion vorüber war. Verhungern konnte sie nicht, und seine Ohren hatten Ruhe vor ihren Klagen. Da saß sie nun als Gefangene in ihrer eigenen Speisekammer, als Gösta durch den Gang in die Küche kam. Dort erblickte er Frau Gustavas Gesicht an einem kleinen Fenster ganz oben an der Wand; sie war da hinaufgekrochen und guckte aus ihrem Gefängnis heraus. »Was macht Tante Gustava[1] da droben?« fragte Gösta. [1] In Schweden, wo es kein eigentliches »Sie« gibt, ist es Sitte, daß jüngere Leute ältere Freunde »Tante« und »Onkel« nennen. »Er hat mich hier eingesperrt«, antwortete sie. »Der Gutsherr?« »Ja -- ich glaubte, er würde mich ganz totschlagen. Ach, Gösta, hole doch den Schlüssel, der in der Saaltür steckt, und schließe die Speisekammertür auf, damit ich hinauskommen kann. Der Schlüssel schließt hier.« Gösta tat, wie ihm geheißen, und wenige Minuten später stand die kleine Frau in der Küche, die ganz menschenleer war. »Tante hätte eins der Mädchen mit dem Saalschlüssel aufschließen lassen sollen«, sagte Gösta. »Glaubst du, daß ich die den Kniff lehren will? Dann hätte ich ja nie mehr Frieden in meiner Speisekammer. Und übrigens habe ich die Zeit benutzt, um die oberen Borde aufzuräumen. Das tat groß not! Ich begreife nicht, wie ich es so habe ansammeln lassen können.« »Tante hat so viel zu tun«, sagte Gösta entschuldigend. »Ja, das kannst du glauben. Wenn ich selber nicht überall mit dabei bin, so kommt weder die Spindel noch der Rocken ordentlich in Gang. Und wenn ...« Hier hielt sie plötzlich inne und trocknete eine Träne aus dem Auge. »Ach, du lieber Gott,« seufzte sie, »hier stehe ich und rede und bekomme wohl nie wieder etwas, wofür ich sorgen kann. Er verkauft ja alles, was wir besitzen und haben.« »Ja, das ist ein großer Jammer«, sagte Gösta. »Du weißt, der große Spiegel unten im Saal. Das war so ein Prachtstück, denn das ganze Glas war aus einem Stück, und an der Vergoldung war auch nicht ein Fleck. Ich habe ihn von meiner Mutter bekommen, und nun will er ihn verkaufen.« »Er ist ja verrückt!« »Ja, das kannst du wohl sagen. Verrückt ist er. Er hört wahrhaftig nicht eher auf, als bis wir auf die Landstraße geworfen sind und betteln müssen, so wie die Majorin.« »So weit wird es wohl nicht kommen«, meinte Gösta. »Ja, Gösta! Als die Majorin von Ekeby fortging, prophezeite sie uns Unglück, und nun kommt es. Sie würde es nie zugegeben haben, daß er Björne verkaufte. Und stell dir nur vor, sein eigenes Porzellan, die alten Tassen aus seiner eigenen Familie, die verkauft er. Darin hätte sich die Majorin nie gefunden.« »Aber was hat er nur einmal?« fragte Gösta. »Ach, es ist nichts weiter, als daß Marianne nicht wieder nach Hause gekommen ist. Er hat darauf gewartet und gewartet. Die ganzen Tage ist er in der Allee auf und nieder gegangen und hat auf sie gewartet. Er sehnt sich so nach ihr, daß ich glaube, er hat den Verstand darüber verloren; aber ich darf ja nichts sagen.« »Marianne glaubt, daß er ihr zürnt.« »Das glaubt sie nicht. Sie kennt ihn; aber sie ist stolz und will den ersten Schritt nicht tun. Sie sind störrisch und hart -- alle beide, und über mich geht es her, ich sitze zwischen zwei harten Steinen.« »Tante weiß wohl, daß Marianne sich mit mir verheiraten will?« »Ach, Gösta, das tut sie niemals. Sie sagt das nur, um dich zu necken. Sie ist viel zu sehr verwöhnt, um sich mit einem armen Mann zu verheiraten, und auch viel zu stolz. Geh du nach Hause und sage ihr, wenn sie nicht bald kommt, so geht ihr ganzes Erbe vor die Hunde. Er läßt das Ganze fort, ohne das Geringste dafür zu bekommen.« Gösta ward böse auf sie. Dort saß sie auf einem großen Küchentisch und hatte für nichts Sinn als für ihre Spiegel und ihr Porzellan. »Tante sollte sich schämen!« rief er aus. »Erst stoßt Ihr Eure Tochter in den Schnee hinaus, und dann glaubt Ihr, daß sie nur aus lauter Schlechtigkeit nicht wiederkommt. Und Ihr traut ihr zu, daß sie den verläßt, den sie liebhat, nur um nicht erblos gemacht zu werden!« »Lieber Gösta! Werde du nun nicht auch noch böse. Ich weiß ja gar nicht, was ich sage. Ich versuchte, Mariannen die Tür zu öffnen, er aber zerrte mich fort. Hier im Hause heißt es stets, daß ich nichts verstehe. Ich gönne dir Marianne von Herzen, wenn du sie glücklich machen kannst. Es ist kein leichtes Ding, eine Frau glücklich zu machen, Gösta.« Gösta sah sie an. Wie konnte er böse mit einem Menschen wie Frau Gustava sprechen! Eingeschüchtert und abgehetzt war sie, aber sie hatte ein so gutes Herz. »Tante fragt nicht, wie es Mariannen geht«, sagte er leise. Da brach sie in Tränen aus. »Wirst du nicht böse, wenn ich dich frage?« sagte sie. »Ich habe mich die ganze Zeit danach gesehnt, dich zu fragen. Ich weiß ja nichts weiter von ihr, als daß sie lebt. Nicht einen Gruß habe ich die ganze Zeit hindurch von ihr bekommen, nicht einmal, als ich ihr ihre Sachen sandte, und da dachte ich, du und sie, ihr wolltet mich nichts von ihr hören lassen.« Gösta konnte es nicht länger aushalten. Er war ein wilder, toller Mensch -- zuweilen mußte der Herr seine Wölfe hinter ihm drein senden, um ihn zum Gehorsam zu zwingen -- aber die Tränen dieser alten Frau waren für ihn schlimmer als das Geheul der Wölfe. Er erzählte ihr die ganze Wahrheit. »Marianne ist die ganze Zeit hindurch krank gewesen«, sagte er. »Sie hat die Pocken gehabt. Heute sollte sie zum erstenmal auf das Sofa gebettet werden. Ich habe sie seit jener ersten Nacht nicht gesehen.« Mit einem Sprung stand Frau Gustava auf ihren Füßen. Sie ließ Gösta stehen und lief, ohne ein Wort zu sagen, zu ihrem Mann hinein. Die Leute im Auktionssaal sahen sie erregt auf ihn zu laufen und ihm etwas ins Ohr flüstern. Sie sahen, daß sein Gesicht noch röter wurde und daß die Hand, die auf dem Hahn ruhte, diesen herumdrehte, so daß der Branntwein auf den Boden floß. Das sahen alle -- Frau Gustava war mit so wichtigen Nachrichten gekommen, daß die Auktion eine Stockung erlitt. Der Hammer des Auktionators fiel nicht, die Federn der Schreiber kratzten nicht mehr auf dem Papier, kein Gebot ward hörbar. Melchior Sinclaire fuhr aus seinen Grübeleien auf. »Nun,« rief er, »wirds bald?« Und die Auktion war wieder im vollen Gange. Gösta saß und wartete in der Küche, und Frau Gustava kam weinend zu ihm hinaus. »Es half nichts«, sagte sie. »Ich dachte, er würde innehalten, wenn er erführe, daß Marianne krank gewesen ist, aber nun läßt er sie fortfahren. Er würde schon aufhören, wenn er sich nicht schämte.« Gösta zuckte die Achseln und verabschiedete sich von ihr. Auf der Diele begegnete er Sintram. »Eine verteufelt amüsante Geschichte!« rief Sintram und rieb sich die Hände. »Du bist ein Meister, Gösta! Was du doch alles zustande bringen kannst!« »Es wird bald noch viel amüsanter!« flüsterte Gösta. »Der Pfarrer aus Broby ist hier mit einem ganzen Schlitten voll Geld; man sagte, er will ganz Björne kaufen und kontant bezahlen. Da will ich doch sehen, was für ein Gesicht der große Gutsherr aufsetzt.« Sintram zog den Kopf ganz zwischen die Schultern und lachte ein langes, inwendiges Lachen. Dann ging er in den Auktionssaal und trat dicht an Melchior Sinclaire heran. »Willst du einen Schnaps haben, Sintram, so mußt du, hol mich der Teufel! erst bieten.« »Du hast doch auch stets Glück, Bruder«, sagte Sintram. »Hier kommt einer mit einem ganzen Schlitten voll Geld gefahren. Er will Björne mit Inventar, Besatzung und allem kaufen. Er hat mit andern die Verabredung getroffen, daß sie für ihn bieten sollen. Er selber will sich solange gar nicht zeigen.« »Du kannst mir wohl sagen, wer es ist, wenn ich dir einen Schnaps für die Mühe gebe?« Sintram nahm den Schnaps und trat ein paar Schritte zurück, ehe er antwortete. »Es soll der Pfarrer von Broby sein, Bruder Melchior!« Melchior Sinclaire hatte bessere Freunde als den Pfarrer von Broby. Es hatten jahrelange Feindseligkeiten zwischen ihnen bestanden. Die Sage ging, daß der große Gutsherr in dunklen Nächten auf den Wegen, die der Pfarrer zurücklegen mußte, auf der Lauer gelegen und ihm manche Tracht Prügel verabreicht hatte, diesem Bauernschinder, diesem Geizkragen! Wohl hatte sich Sintram einige Schritte zurückgezogen, doch entging er nicht ganz dem Zorn des großen Mannes. Er bekam ein Schnapsglas an die Stirn und das ganze Branntweinfäßchen vor die Füße gesegelt. Dann aber folgte auch eine Szene, die sein Herz noch für lange Zeiten erfreute. »Will der Pfarrer von Broby mein Gut haben?« brüllte Sinclaire. »Steht ihr da und schlagt dem Pfarrer von Broby meinen Besitz zu? Wie die Hunde solltet ihr euch schämen!« -- Er nahm einen Leuchter und ein Tintenfaß und schleuderte beides in die Volksmenge. Alle die Bitterkeit seines armen Herzens machte sich endlich Luft. Brüllend wie ein wildes Tier, ballte er die Faust gegen die Umherstehenden und schleuderte alles, was ihm in die Hand kam, als Wurfgeschosse gegen sie. Schnapsflaschen und Gläser sausten durch den Saal. Er wußte selber nicht, was er tat. »Die Auktion ist beendet!« brüllte er. »Hinaus mit euch! Solange ich lebe, soll der Pfarrer von Broby nun und nimmer Herr auf Björne werden. Hinaus mit euch! Ich will euch lehren, für den Pfarrer von Broby zu bieten.« Er ging auf den Auktionshalter und die Schreiber los. Sie sprangen zur Seite. In der Verwirrung rissen sie den Tisch um, und der Gutsherr fuhr wie ein Rasender unter die große Schar friedlicher Menschen. Es entstand Flucht und wilde Verwirrung. Ein paar hundert Menschen drängten nach der Tür aus Furcht vor einem einzigen Manne. Und er stand still, sein »Hinaus mit euch!« brüllend. Er sandte ihnen laute Verwünschungen nach, indem er einen Stuhl wie eine Keule über seinem Haupte schwang. Er verfolgte sie bis auf die Diele hinaus, aber nicht weiter. Als der letzte Fremde die Treppe hinab war, ging er in den Saal zurück und schloß die Tür hinter sich ab. Dann zog er eine Matratze und ein paar Kissen aus dem Haufen heraus, legte sich darauf nieder und schlief mitten in der Zerstörung ein, um erst am andern Tage wieder zu erwachen. -- -- Als Gösta nach Hause kam, erfuhr er, daß Marianne mit ihm sprechen wolle. Das traf sich günstig, er hatte gerade darüber nachgedacht, wie er sie zur Sprache bekommen könne. Als er in das dunkle Zimmer trat, in dem sie lag, blieb er einen Augenblick an der Tür stehen. Er konnte nicht sehen, wo sie war. »Bleibe, wo du bist, Gösta«, sagte Marianne. »Es kann gefährlich sein, mir nahezukommen.« Aber Gösta war die Treppen in ein paar Sprüngen hinangeeilt, bebend vor Eifer und Sehnsucht. Was kümmerte er sich um die Ansteckung. Er wollte die Seligkeit genießen, sie zu sehen. Denn sie war schön, die Geliebte seines Herzens. Niemand hatte so weiches Haar, eine so klare, strahlende Stirn. Ihr ganzes Gesicht war ein Spiel schön geschwungener Linien. Er dachte an die Augenbrauen, die sich so scharf und klar abhoben wie die Honiggrübchen einer Lilie, an die keck geschwungene Linie der Nase, an die Lippen, die sich fein kräuselten wie eine rollende Woge, an das Oval der Wangen und die ausgesucht feine Form des Kinns. Er dachte an die zarte Farbe ihrer Haut, an die nachtschwarzen Brauen unter dem blonden Haar, an die blauen Augäpfel in dem klaren Weiß, an den Schimmer in den Augenwinkeln. Schön war sie, seine Geliebte! Er dachte daran, welch ein warmes Herz sie unter dem stolzen Äußern verbarg. Sie hatte die Kraft, sich hinzugeben, sich zu opfern, verbarg sie aber sorgsam unter dem eleganten Wesen, unter den stolzen Worten. Es war Seligkeit, sie zu sehen. In zwei Sprüngen war er die Treppe hinaufgekommen, und dann glaubte sie, daß er an der Tür stehenbleiben wolle! Er stürmte durch das Zimmer und sank neben ihrem Lager auf die Knie. Er wollte sie sehen, sie küssen, Abschied von ihr nehmen. Er liebte sie, er würde niemals aufhören, sie zu lieben, aber sein Herz war daran gewöhnt, in den Staub getreten zu werden. O, wo sollte er sie finden, diese Rose ohne Stütze, ohne Wurzel, die er zu sich nehmen und die Seine nennen durfte? Nicht einmal sie, die er verworfen und halbtot am Wegesrande gefunden hatte, durfte er behalten. Wann würde wohl seine Liebe ihren Gesang anstimmen, so hoch und rein, daß kein Mißklang hindurchtönte? Wann würde sein Glück auf einem Grund erbaut werden, nach dem sich kein anderes Herz mit Unruhe und Verlangen sehnte? Er dachte darüber nach, wie er Abschied von ihr nehmen sollte. »Es herrscht großer Jammer daheim bei dir«, wollte er sagen. »Mein Herz blutet, wenn ich daran denke. Du mußt nach Hause gehen und deinem Vater seinen Verstand wiedergeben. Deine Mutter schwebt in beständiger Lebensgefahr. Du mußt nach Hause, Geliebte!« Seht, solche Worte der Entsagung hatte er auf den Lippen, aber sie wurden nicht ausgesprochen. Er fiel an ihrem Lager auf die Knie, nahm ihren Kopf zwischen beide Hände und küßte sie. Dann aber fand er keine Worte. Sein Herz begann so heftig zu schlagen als wollte es seine Brust zersprengen. Die Blattern hatten das schöne Gesicht zerstört, die Haut war grob und narbig geworden. Nie wieder sollte das rote Blut durch die Wangen schimmern oder in den feinen blauen Adern an der Stirn sichtbar werden. Die Augen lagen matt unter den geschwollenen Lidern. Die Brauen waren verschwunden, und die weiße Emaille in den Augen hatte einen gelblichen Schimmer. Alles war zerstört. Die kecken Linien waren grob und schwerfällig geworden. Es waren ihrer nicht wenige, die später Marianne Sinclaires entschwundene Schönheit beweinten. Aber der erste Mann, der sie sah, nachdem sie ihre Schönheit verloren hatte, gab sich nicht dem Schmerz hin. Unsagbare Gefühle erfüllten seine Seele. Je länger er sie ansah, um so wärmer wurde es in ihm. Die Liebe schwoll und schwoll wie ein Fluß im Frühling. Gleich Feuerwogen entströmte sie seinem Herzen, sie erfüllte sein ganzes Wesen, sie stieg ihm als Tränen in die Augen, seufzte auf seinen Lippen, zitterte in seinen Händen, in seinem ganzen Körper. O, sie zu lieben, sie zu verteidigen, sie schadlos zu halten, schadlos! Ihr Sklave zu sein, ihr Schutzgeist! Stark ist die Liebe, wenn sie die Feuertaufe des Schmerzes erhalten hat. Er konnte nicht mit Marianne von Trennung und Entsagung reden. Er konnte sie nicht verlassen. Er schuldete ihr sein Leben. Er hätte um ihretwillen Todsünden begehen können. Er sprach kein vernünftiges Wort; er weinte nur und küßte sie, bis die alte Pflegerin meinte, daß es jetzt für ihn an der Zeit sei zu gehen. Nachdem er gegangen war, lag Marianne da und dachte an ihn und an seine Erregung. »Es ist gut, so geliebt zu werden«, dachte sie. Ja, es war gut, geliebt zu werden; wie aber stand es mit ihr selber? Was fühlte sie? Ach, nichts! Weniger als nichts! War sie tot, ihre Liebe, oder wohin war sie entflohen? Wo verbarg es sich, das Kind ihres Herzens? Lebte es noch, hatte es sich in den innersten Winkel ihres Herzens verkrochen und saß dort und fror unter den Eisblicken, eingeschüchtert durch das Hohngelächter, halberstickt von den knöcherigen Fingern? »Ach, meine Liebe,« seufzte sie, »mein Herzenskind! Lebst du oder bist du tot, tot wie meine Schönheit?« * * * * * In der Frühe des nächsten Morgens kam der große Gutsherr zu seiner Frau herein. »Sieh zu, daß du wieder Ordnung im Hause schaffest, Gustava«, sagte er. »Ich fahre hinüber, um Marianne zu holen.« »Ja, lieber Melchior, es soll alles wieder in Ordnung gebracht werden«, erwiderte sie. Damit war alles zwischen ihnen klar. Eine Stunde später befand sich der große Gutsherr auf dem Wege nach Ekeby. Man konnte keinen stattlicheren und freundlicheren Herrn sehen als Herrn Melchior Sinclaire, wie er dort in dem zurückgeschlagenen Kaleschenschlitten saß, in seinem besten Pelz und mit seinem besten Halstuch. Jetzt lag sein Haar glattgekämmt über dem Scheitel, das Gesicht aber war bleich, und die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Und unbeschreiblich war auch der Glanz, der von dem wolkenlosen Himmel über den Februartag herabströmte. Der Schnee funkelte, wie die Augen der jungen Mädchen, wenn zum ersten Tanz aufgespielt wird. Die Birken streckten ihr Spitzengewebe von feinen rotbraunen Zweigen zum Himmel empor, und an einigen saß noch eine Franse von kleinen, funkelnden Eiszapfen. Es lag Festglanz über dem Tage. Die Pferde warfen tanzend die Vorderbeine in die Höhe, und der Kutscher mußte vor lauter Vergnügen mit der Peitsche knallen. Nach einer kurzen Fahrt hielt der Schlitten des großen Gutsherrn vor der Treppe zu Ekeby. Der Diener kam heraus. »Wo ist deine Herrschaft?« fragte Melchior Sinclaire. »Sie sind auf Jagd nach dem großen Bären in den Gurlita-Bergen.« »Alle zusammen?« »Alle zusammen, Herr. Wer nicht um des Bären willen mitgeht, der geht des Fouragesacks wegen mit.« Der Gutsherr lachte, so daß es über den stillen Hof schallte. Er gab dem Diener einen Taler für die Antwort. »Sage meiner Tochter, daß ich hier bin, um sie zu holen. Sie soll nicht bange sein, daß sie frieren wird. Ich habe einen Kaleschenschlitten, und einen Wolfspelz habe ich auch mitgebracht, um sie einzuhüllen.« »Wollen der gnädige Herr nicht eintreten?« »Nein, ich sitze gut, wo ich sitze.« Der Diener verschwand, und der Gutsherr schickte sich an zu warten. Er war an jenem Tage in so strahlender Laune, daß ihn nichts zu stören vermochte. Er hatte es sich wohl gedacht, daß er auf Marianne würde warten müssen; vielleicht war sie noch nicht einmal aufgestanden. Er konnte sich indessen die Zeit vertreiben, indem er ein wenig um sich blickte. Dort am Dachfirst hing ein langer Eiszapfen, mit dem die Sonne große Mühe hatte. Sie fing von oben damit an, schmolz einen Tropfen los und wollte nun, daß er an dem Eiszapfen entlang laufen und herabfallen sollte. Ehe aber der Tropfen den halben Weg zurückgelegt hatte, war er schon wieder erstarrt. Die Sonne machte beständig neue Versuche, hatte aber niemals Glück damit. Endlich aber war da ein eigenmächtiger Strahl, der sich an die Spitze des Eiszapfens festhängte, ein ganz winzig kleiner, der vor Tatendrang blitzte, und ehe man sichs versah, hatte er sein Ziel erreicht: ein Tropfen fiel klatschend zur Erde. Der Gutsherr sah das und lachte. »Du warst nicht dumm, du!« sagte er zum Sonnenstrahl. Der Hof war still und leer. Aus dem großen Haus drang kein Laut bis zu ihm heraus. Aber er wurde nicht ungeduldig. Er wußte, daß die Damen viel Zeit gebrauchen, bis sie fertig sind. Er saß da und betrachtete den Taubenschlag. Der war vergittert. Die Tauben waren eingeschlossen, solange der Winter währte, damit der Habicht sie nicht rauben sollte. Von Zeit zu Zeit kam eine Taube und steckte ihren weißen Kopf durch das Drahtnetz. »Die wartet auf den Frühling!« sagte Melchior Sinclaire; »aber da muß sie Geduld haben.« Die Taube kam so regelmäßig, daß er seine Uhr herauszog und achtgab. Präzise jede dritte Minute steckte sie den Kopf heraus. »Nein, mein Herzchen,« sagte er, »glaubst du, daß der Frühling in drei Minuten fertig wird? Du mußt es lernen zu warten!« Und er selber mußte warten, aber er hatte Zeit genug. Die Pferde scharrten anfangs ungeduldig im Schnee, dann aber wurden sie müde vom Stehen und von der Sonne, die ihnen in die Augen schien. Sie steckten die Köpfe zusammen und schliefen. Der Kutscher saß steif auf dem Bock, Peitsche und Zügel in der Hand, das Gesicht der Sonne zugewandt, und schlief, so daß er schnarchte. Aber der Gutsherr schlief nicht. Er war niemals weniger zum Schlafen aufgelegt als jetzt. Selten hatte er sich wohler gefühlt als in dieser frohen Wartezeit. Marianne war krank gewesen. Sie hatte nicht früher kommen können, jetzt aber kam sie sicher. Ja natürlich kam sie. Und alles sollte wieder gut werden. Jetzt mußte sie ja sehen können, daß er ihr nicht mehr zürnte. Er war ja selber gekommen, mit der Kalesche und mit zwei Pferden! Auf dem Brett, das vor dem Flugloch des Bienenkorbes angebracht war, hatte sich eine Meise eine wahrhaft satanische List ersonnen. Sie wollte ihr Mittagessen haben, deswegen pochte sie mit ihrem kleinen, scharfen Schnabel gegen das Brett. Drinnen im Bienenkorb aber hingen die Bienen in einem großen schwarzen Klumpen, alles ist in der strengsten Ordnung; die Schaffner teilen die Rationen aus, der Mundschenk läuft mit Nektar und Ambrosia von Mund zu Mund. Die, welche ganz nach innen hinein hängen, tauschen in einem ewigen Gewimmel ihren Platz mit den außen hängenden Genossen, so daß Wärme und Bequemlichkeit gleichmäßig verteilt sind. Da hören sie das Pochen der Meise, und der ganze Bienenkorb ist ein Gesumme von Neugier. Ist es Freund oder Feind? Droht Gefahr für den Staat? Die Königin hat ein schlechtes Gewissen; sie kann nicht in Ruhe warten. Ist es der Geist der ermordeten Drohnen, der da draußen spukt? »Geh hinaus und sieh nach, wer da ist!« befiehlt sie der Pförtnerin. Diese geht. Mit einem: »Es lebe die Königin!« stürzt sie hinaus, und schwapp! fällt die Meise über sie her. Mit vorgestrecktem Hals und Flügeln, die vor Eifer zittern, fängt sie sie, zermalmt sie, verzehrt sie -- und niemand bringt der Herrscherin Kunde von ihrem Tode. Aber die Meise klopft nochmals, und die Königin fährt fort, ihre Türhüterinnen auszusenden, und sie verschwinden alle. Nicht eine kehrt mit der Meldung zurück, wer es gewesen, der da pochte. Hu! es wird unheimlich in dem dunklen Bienenkorb. Es sind die Rachegeister, die da draußen ihr Spiel treiben. Wer nur keine Ohren hätte! Wer nur seine Neugier unterdrücken könnte! Wer nur ruhig warten könnte! Der große Gutsherr lachte, so daß ihm die Tränen in die Augen traten, über die dummen Frauenzimmer im Bienenkorbe und über den schlauen Kavalier da draußen auf dem Brett. Es ist keine Kunst, zu warten, wenn man seiner Sache sicher ist und wenn man so vielerlei hat, womit man seine Gedanken ablenken kann. Die Sonne begann, sich den Bergen im Westen zuzuneigen. Melchior Sinclaire sah nach seiner Uhr. Es war drei, und die Mutter hatte das Mittagessen zu zwölf Uhr bereithalten wollen. Im selben Augenblick kam der Diener und meldete, daß Fräulein Marianne mit ihm zu sprechen wünsche. Der Gutsherr hängte den Wolfspelz über den Arm und stieg in strahlender Laune die Treppe hinan. Als Marianne seine schweren Schritte auf der Treppe vernahm, wußte sie noch nicht, ob sie mit ihm heimkehren wolle oder nicht. Sie wußte nur, daß diese lange Wartezeit ein Ende haben müsse. Sie hatte gehofft, daß die Kavaliere nach Hause kommen würden; aber sie kamen nicht. So mußte sie denn selber dafür sorgen, daß diese Sache ein Ende nahm. Sie konnte es nicht länger ertragen. Sie hatte gedacht, daß er voller Zorn wieder fortfahren würde, sobald er zehn Minuten gewartet hatte, daß er die Türen einschlagen oder das Haus in Brand stecken würde. Aber da saß er ganz ruhig und lächelte und wartete. Sie empfand weder Haß noch Liebe für ihn. Eine innere Stimme aber warnte sie, sich wieder in seine Macht zu geben. Auch wollte sie ihr Gösta gegebenes Wort halten. Wäre er nur eingeschlafen oder unruhig geworden, hätte er eine Spur von Zweifel verraten oder den Schlitten in den Schatten fahren lassen! Aber er war lauter Geduld und Sicherheit. So sicher war er, so ansteckend sicher, daß sie schon kommen würde, wenn er nur wartete! Ihr Kopf schmerzte, ein jeder Nerv in ihr erbebte. Sie konnte keine Ruhe finden, solange sie wußte, daß er dasaß. Es war, als wenn sein Wille sie gebunden die Treppe hinabschleifte. Sie wollte wenigstens mit ihm sprechen. Ehe er kam, ließ sie die Rouleaus aufziehen und legte sich so hin, daß ihr das Tageslicht voll ins Gesicht schien. Es war ihre Absicht gewesen, ihn damit gewissermaßen auf die Probe zu stellen. Aber Melchior Sinclaire war an jenem Tag ein eigentümlicher Mann. Als er sie sah, veränderte er keine Miene, tat keinen Ausruf. Es war, als könne er keine Veränderung an ihr wahrnehmen. Sie wußte, wie stolz er auf ihre Schönheit gewesen war. Aber er ließ es sie nicht merken, daß er Kummer empfand. Er beherrschte sein ganzes Wesen, um sie nicht zu betrüben. Dies ergriff sie tief. Sie fing an zu verstehen, daß ihre Mutter fortfuhr, ihn liebzuhaben. Er verriet keinen Zweifel. Er kam weder mit Vorwürfen noch mit Entschuldigungen. »Ich hülle dich in den Wolfspelz, Marianne. Der ist nicht kalt. Er hat die ganze Zeit auf meinem Schoß gelegen.« Und trotzdem ging er an den Kamin und wärmte ihn. Dann half er ihr vom Sofa auf, hüllte sie in den Pelz, schlang einen Schal um ihren Kopf, legte ihn ihr kreuzweise über der Brust zusammen und knüpfte ihn auf dem Rücken zu. Sie ließ es geschehen. Sie war willenlos. Es tat so gut, gehegt und gepflegt zu werden. Es war schön, selber nicht wollen zu brauchen. Es tat gut für jemand, der so angegriffen war wie sie, für jemand, der nicht einen einzigen Gedanken, nicht ein Gefühl besaß, das er sein eigen nennen konnte. Sie schloß die Augen und seufzte, teils aus Wohlbehagen, teils aus Wehmut. Sie nahm Abschied von dem Leben, dem wirklichen Leben; aber das konnte ja auch einerlei für sie sein, die sie ja doch nicht leben, sondern nur Komödie spielen konnte. * * * * * Ein paar Tage später sorgte ihre Mutter dafür, daß sie Gelegenheit hatte, mit Gösta zu sprechen. Sie schickte einen Boten nach Ekeby, während der Gutsherr von Hause abwesend war, und führte ihn zu Marianne hinein. Gösta trat ein, aber er grüßte nicht und sprach auch nicht. Er blieb an der Tür stehen und starrte vor sich nieder wie ein trotziger Junge. »Aber Gösta!« rief Marianne aus, die in einem Lehnstuhl saß. »Ja, so heiße ich!« »Komm doch hierher, ganz her zu mir, Gösta!« Er näherte sich ihr still, erhob aber den Blick nicht. »Komm näher heran! Knie hier nieder.« »Aber mein Gott, was soll das alles nur?« rief er aus, gehorchte aber dennoch. »Gösta, ich will dir nur sagen, daß ich glaube, es war richtig, daß ich wieder nach Hause kam.« »Hoffen wir, daß man Fräulein Marianne nicht wieder in den Schnee hinauswerfen wird.« »Ach, Gösta! Hast du mich denn nicht mehr lieb? Findest du, daß ich zu häßlich bin?« Er zog ihren Kopf zu sich herab und küßte sie, sah aber noch immer so kalt aus. Er amüsierte sie im Grunde. Wenn er es für gut befand, eifersüchtig auf ihre Eltern zu sein, was dann? Es würde wohl wieder vorübergehen. Jetzt amüsierte es sie, ihn zurückzuerobern. Sie wußte nicht recht, weshalb sie ihn festhalten wollte, aber sie wollte es nun einmal. Sie dachte daran, daß es ihm doch einmal gelungen war, sie von sich selbst zu befreien. Er war sicher der einzige, der es noch einmal zu tun vermochte. Und nun begann sie zu reden, entschlossen, ihn zurückzugewinnen. Sie sagte, es sei nicht ihre Absicht gewesen, ihn für beständig zu verlassen, eine Zeitlang aber müßten sie des Scheines halber ihre Verbindung aufheben. Er habe ja selber gesehen, daß ihr Vater an der Schwelle des Wahnsinns gestanden und daß ihre Mutter in steter Lebensgefahr schwebte. Er müsse ja einsehen können, daß sie gezwungen sei, heimzukehren. Da machte sich sein Zorn in Worten Luft. Sie brauche keine Komödie zu spielen. Er wolle nicht länger ihr Popanz sein. Sie habe ihn verlassen, sobald ihr das Elternhaus wieder offen gestanden, er könne sie nicht mehr lieben. Als er vorgestern von der Jagd heimgekehrt war und gehört hatte, daß sie verschwunden sei, ohne einen Gruß, ein Wort für ihn zu hinterlassen, da sei ihm das Blut in den Adern erstarrt; er sei nahe daran gewesen, vor Kummer zu sterben. Aber er könne diejenige nicht mehr lieben, die ihm einen solchen Schmerz zugefügt habe. Sie habe ihn übrigens niemals geliebt. Sie sei eine Kokette, die auch hier in der Gegend jemand haben wolle, der sie küssen und herzen könne, das sei das Ganze. Ob er denn glaubte, daß es ihre Gewohnheit sei, sich von jungen Herren herzen und küssen zu lassen? Natürlich glaubte er das. Die Frauen waren keine solche Heilige, wie sie sich den Anschein gaben. Eigenliebe und Koketterie von Anfang bis zu Ende! Sie sollte nur ahnen, was er empfunden hatte, als er von der Jagd heimkehrte. Es sei ihm gewesen, als wate er in Eiswasser. Den Schmerz würde er nie wieder verwinden. Der würde ihn durch das ganze Leben begleiten. Er würde nie wieder Mensch werden. Sie suchte ihm zu erklären, wie das Ganze sich zugetragen hatte. Sie suchte ihm zu beweisen, daß sie ihm noch immer treu sei. Ja, das war einerlei, denn jetzt liebe er sie nicht mehr. Jetzt habe er sie durchschaut. Sie sei eine Egoistin. Sie habe ihn nie geliebt. Ohne ein Wort, ohne einen Gruß sei sie von ihm gegangen. Darauf kam er wieder und wieder zurück. Sie amüsierte sich beinahe darüber. Zürnen konnte sie ihm nicht. Sie verstand seinen Zorn nur zu gut. Einen wirklichen Bruch befürchtete sie auch nicht. Schließlich wurde sie doch unruhig. War denn wirklich ein solcher Umschlag bei ihm eingetreten, daß er sie nicht mehr liebhaben konnte? »Gösta, war ich egoistisch, als ich nach Sjö ging, um den Major zu holen? Ich wußte sehr wohl, daß die Blattern dort waren. Es ist auch gerade nicht angenehm, in Schnee und Kälte auf dünnen Tanzschuhen zu gehen.« »Die Liebe lebt von Liebe allein und nicht von Dienstleistungen und Wohltaten«, sagte Gösta. »Du willst also, daß wir einander in Zukunft fremd sein sollen, Gösta?« »Ja, das will ich.« »Gösta Berling ist sehr launenhaft.« »Das sagt man mir nach.« Er war kalt wie Eis und nicht aufzutauen, und im Grunde war sie selber noch kälter. Die Selbstkritik lachte höhnisch über ihre Bemühungen, die Verliebte zu spielen. »Gösta,« sagte sie, eine letzte Anstrengung machend, »ich habe dir niemals absichtlich wehe getan, wenn es auch den Anschein haben mag. Ich bitte dich, verzeih mir!« »Ich kann dir nicht verzeihen.« Sie wußte, daß sie ihn hätte zurückgewinnen können, wenn sie nur ein einziges ungeteiltes Gefühl besessen hätte. Und sie versuchte, die Leidenschaftliche zu spielen. Die Eisaugen verhöhnten sie, aber sie versuchte es auf alle Fälle. Sie wollte ihn nicht verlieren. »Geh nicht, Gösta, geh nicht im Zorn von mir! Bedenke, wie häßlich ich geworden bin. Mich kann niemand mehr lieben.« »Auch ich liebe dich nicht mehr«, sagte er. »Du mußt dich dareinfinden, daß man auf dein Herz tritt, wie du auf das andere getreten hast.« »Gösta, ich habe niemals jemand lieben können außer dir! Verzeih mir! Verlaß mich nicht! Du bist der einzige, der mich vor mir selbst zu erretten vermag.« Er stieß sie von sich. »Du redest nicht die Wahrheit«, sagte er mit eiskalter Ruhe. »Was du von mir willst, weiß ich nicht, aber ich sehe, daß du lügst. Weshalb willst du mich festhalten? Du bist so reich, dir wird es niemals an Freiern fehlen!« Damit ging er. Und kaum hatte er die Tür geschlossen, als die Sehnsucht und der Schmerz in ihrer ganzen Majestät Einzug in Mariannens Herz hielten. Die Liebe, ihr eigenes Herzenskind, kam aus dem Winkel hervor, in den die Eisaugen es verbannt hatten. Jetzt kam sie, die sehnlichst Erwartete, jetzt, wo es zu spät war. Jetzt trat sie hervor, ernsthaft und allmächtig -- und der Schmerz und die Sehnsucht trugen die Schleppe ihres Königsmantels. Als Marianne sich mit Bestimmtheit sagen konnte, daß Gösta Berling sie verlassen hatte, empfand sie einen förmlich körperlichen Schmerz, so heftig, daß sie fast davon betäubt wurde. Sie preßte die Hände gegen das Herz und blieb stundenlang auf demselben Fleck sitzen, mit tränenlosem Kummer ringend. Und sie selber litt, nicht eine Fremde, nicht eine Schauspielerin -- nein, sie selber war es. Weshalb war ihr Vater gekommen und hatte sie getrennt? Ihre Liebe war ja noch nicht tot; nur in ihrem Schwächezustand nach der Krankheit konnte sie ihre Macht nicht empfinden. Ach Gott! ach Gott! Daß sie ihn verloren hatte! Ach Gott, daß sie zu spät erwacht war! Ach, er war der Einzige, er war der Herr ihres Herzens! Von ihm konnte sie alles erdulden. Härte und böse Worte von ihm beugten sie nur zu demütiger Liebe. Hätte er sie geschlagen, so würde sie wie ein Hund zu ihm hingekrochen sein, um seine Hand zu küssen. Sie wußte nicht, was sie tun sollte, um sich Linderung in diesem entsetzlichen Schmerz zu verschaffen. Sie ergriff Feder und Papier und schrieb mit fieberhafter Hast. Erst schrieb sie von ihrer Liebe, von ihrem Verlust; dann flehte sie um seine Liebe, nur um seine Barmherzigkeit. Es war eine Art Poesie, die sie schrieb. Als sie fertig war, dachte sie, daß er, wenn ihm dies zu Augen kam, doch glauben müßte, daß sie ihn geliebt hatte. Und weshalb sollte sie ihm nicht senden, was sie geschrieben hatte? Sie wollte es am nächsten Tage tun, und sie glaubte sicher, daß es ihn zu ihr zurückführen werde. Am nächsten Tage rang und kämpfte sie mit sich. Was sie geschrieben, erschien ihr so unbedeutend, so dumm. Da war weder Reim noch Rhythmus. Es war die reine, schiere Prosa. Er würde sicher nur lachen über solche Verse. Auch ihr Stolz erwachte. Liebte er sie nicht mehr, so war es eine entsetzliche Entwürdigung, um seine Liebe zu betteln. Auch die Klugheit meldete sich und sagte, sie könne froh sein, daß sie dieser Verbindung mit Gösta entronnen sei -- es würden nur traurige Verhältnisse daraus entsprossen sein. Aber die Qual ihres Herzens war doch so heftig, daß das Gefühl schließlich die Oberhand gewann. Drei Tage, nachdem sie sich ihrer Liebe bewußt geworden war, wurden die Verse in einen Briefumschlag gelegt und dieser mit Gösta Berlings Namen versehen. Aber sie wurden niemals abgesandt. Denn ehe sie einen passenden Boten gefunden hatte, hörte sie derartige Neuigkeiten von Gösta, daß sie einsah, daß es schon zu spät sei, ihn zurückzugewinnen. Es ward der Kummer ihres Lebens, daß sie die Verse nicht rechtzeitig abgesandt hatte, solange es noch in ihrer Macht lag, ihn zu gewinnen. All ihr Schmerz gipfelte in diesem Punkt: »Hätte ich nur nicht so lange gewartet, hätte ich nur nicht so viele Tage gewartet!« Das Glück des Lebens oder doch wenigstens die Wirklichkeit des Lebens hatten diese geschriebenen Worte ihr erobern sollen. Sie war fest überzeugt, daß sie ihn ihr zurückgeführt haben würden. Doch der Kummer leistete ihr denselben Dienst wie die Liebe. Er machte sie zu einem ganzen Menschen mit der Fähigkeit, sich im Guten wie im Bösen hinzugeben. Brennende Gefühle strömten frei durch ihre Seele, ohne von der eisigen Kälte der Selbstkritik gehemmt zu werden. Und so kam es denn, daß sie trotz ihrer Entstelltheit dennoch von vielen geliebt ward. Man sagt aber, daß sie Gösta Berling nie ganz vergessen konnte. Sie trauerte um ihn, wie man um ein vergeudetes Leben trauert. Und ihre armen Verse, die eine Zeitlang viel gelesen wurden, sind längst vergessen. Doch liegt etwas wunderlich Rührendes über ihnen, wie ich sie hier vor mir sehe, auf vergilbtem Papier und mit verblaßter Tinte, mit einer feinen, zierlichen Handschrift geschrieben. Die ganze Entbehrung eines Lebens ist in diesen armseligen Worten enthalten, und ich schreibe sie mit einem gewissen heimlichen Beben ab, als wohnten mystische Kräfte in ihnen. Ich bitte euch, sie zu lesen und an sie zu denken. Wer weiß, welche Macht sie hätten haben können, wenn sie abgeschickt wären? Sie sind doch leidenschaftlich genug, um von einem wahren Gefühl zu zeugen. Vielleicht hätten sie ihn zu ihr zurückführen können. Sie sind ergreifend genug, zärtlich genug in ihrer unbeholfenen Formlosigkeit. Niemand kann sie anders wünschen. Niemand kann den Wunsch hegen, sie in die Ketten des Reimes und der Rhythmen gezwängt zu sehen. Und doch ist es so wehmütig zu denken, daß gerade diese Unvollkommenheit sie daran gehindert hat, sie rechtzeitig abzuschicken. Ich bitte euch, leset sie und habt sie lieb! Ein Mensch, der in großer Not war, hat sie geschrieben. Geliebt hast du, Kind, doch nimmermehr Sollst die Wonne der Liebe du kosten. Stürme der Leidenschaft schüttelten dich, Freu dich, o Seele, nun fandst du Ruh! Hebst nicht mehr die Schwingen zu himmlischer Wonn. Freu dich, o Seele, nun fandst du Ruh! Sinkst nicht hinab mehr in Schmerzensnacht, Ach, nimmermehr! Geliebt hast du, Kind, doch nimmermehr Loht deine Seele in Flammenglut. Gleich einer Flur mit versengtem Gras Füllten dich Gluten eine flüchtige Stund! Erstickende Wolken aus Rauch, Wolken aus Feuer Scheuchten die Vöglein des Himmels, die schreiend entflohen. Kehrten sie heim doch! Du brennst nicht mehr, Kannst nicht mehr brennen! Geliebt hast du, Kind, doch nimmermehr Sollst du hören der Liebe Stimme. Des Herzens Kräfte gleich müden Kindern, Auf der Schule harter Bank sie sitzen, Sich sehnend nach Freiheit und Spielen, Doch niemand rufet sie mehr! Sie sitzen wie der Wachtposten, den man vergessen, Niemand rufet sie mehr! Kind, er ist fort nun Und mit ihm all Liebe und Liebeswonne, Er, den du liebtest, wie er dichs gelehrt Zu fliegen mit Flügeln im Himmelsraum. Er, den du liebtest, als hätt er dir gewiesen Den einzig sichren Platz in der überschwemmten Stadt: Er ging von dannen, er, der allein Die Tür deines Herzens zu öffnen verstand. Um Eins nur will ich dich bitten, Geliebter: »Ach, wälze nimmer die Last des Hasses auf mich!« Das Schwächste von allem, was schwach, ists nicht ein Menschenherz? Wie könnt es leben unter der nagenden Pein, Daß einem andern zur Qual es gereicht? O mein Geliebter, willst du mich töten, Da schaff dir keinen Dolch, kaufe kein Gift, keinen Strick. Laß mich nur wissen, daß du wünschst, ich entschwände Von der Erde blühender Flur, aus des Lebens Reich -- Und ins Grab will ich sinken. Du gabst mir des Lebens Leben. Du gabst mir die Liebe. Und du nimmst deine Gabe zurück. Ach, ich weiß es -- Doch gib mir nicht Haß stattdessen! Ich liebe ja dennoch das Leben. O, denke daran! Doch ich weiß, daß des Hasses Last mich tötet. Die junge Gräfin Die junge Gräfin schläft bis um zehn Uhr des Morgens und will jeden Tag frisches Gebäck auf dem Frühstückstisch haben. Die junge Gräfin macht feine Stickereien und liest Gedichte. Auf Kochen und Weben versteht sie sich nicht. Die junge Gräfin ist ein verhätscheltes Kind. Aber sie ist fröhlich und läßt ihre Heiterkeit auf alles und alle strahlen. Man verzeiht ihr gern den langen Morgenschlaf und das frische Gebäck, denn sie ist verschwenderisch in ihren Wohltaten gegen die Armen und freundlich gegen jedermann. Der Vater der jungen Gräfin ist ein schwedischer Edelmann, der sein ganzes Leben lang in Italien gewohnt hat, weil das schöne Land und eine von seinen schönen Töchtern ihn dort gefesselt hat. Als Graf Henrik Dohna in Italien reiste, war er in dem Hause des Edelmanns gastlich aufgenommen worden und hatte mit den Töchtern Bekanntschaft gemacht und schließlich eine von ihnen als Gattin nach Schweden heimgeführt. Sie, die stets Schwedisch gesprochen hat und so erzogen ist, daß sie alles liebt, was schwedisch ist, befindet sich sehr wohl hier oben im Bärenland. Sie schwingt sich so fröhlich im Reigen und nimmt so gern teil an allen Vergnügungen, die den langen Löfsee umkreisen, daß man glauben sollte, sie habe stets hier oben gelebt. Eins aber versteht sie nicht recht -- Gräfin zu sein. Da ist nichts Steifes, keine herablassende Würde an dieser fröhlichen jungen Frau. Besonders die alten Herren waren ganz entzückt von der jungen Gräfin. Es war ganz sonderbar, welch einen Stein sie bei ihnen im Brett hatte. Wenn sie sie auf einem Ball getroffen hatten, so konnte man sicher sein, daß sie alle, sowohl der Amtsrichter aus Munkerud wie der Probst in Bro und Melchior Sinclaire und der Hauptmann von Berga, hinterher ihren Frauen im tiefsten Vertrauen mitteilten, daß, wenn sie die junge Gräfin vor dreißig, vierzig Jahren getroffen hätten -- so -- »Ja, damals war sie noch gar nicht geboren«, sagen dann die alten Frauen. Und das nächstemal, wenn sie die junge Gräfin sehen, necken sie sie damit, daß sie ihnen das Herz ihrer Männer raubt. Die alten Frauen sehen sie mit einer gewissen Sorge an. Sie denken an die Gräfin Märta. Die war ebenso fröhlich und gut und geliebt, als sie zum erstenmal nach Borg kam; und aus ihr war eine eitle, genußsüchtige Kokette geworden, die jetzt an nichts weiter dachte, als wie sie sich am besten amüsieren könne. »Hätte sie nur einen Mann, der sie zur Arbeit anhalten könnte!« sagen die alten Frauen. »Wenn sie nur einen Webstuhl einzurichten verstände!« Denn das ist ein Trost gegen allen Kummer, das verschlingt alle Interessen, das ist die Rettung manch einer Frau gewesen. Die junge Gräfin möchte gern eine tüchtige Hausfrau werden. Sie kennt nichts Schöneres, denn als glückliche Gattin in einem guten Heim zu leben; in den großen Gesellschaften setzt sie sich oft zu den Alten. »Henrik möchte so gern, daß ich eine tüchtige Hausfrau würde«, sagte sie. »So wie seine eigene Mutter. Lehrt mich doch weben!« Da seufzten die Alten zweimal tief auf; einmal über Graf Henrik, der glauben kann, daß seine Mutter eine tüchtige Hausfrau war, und dann über die Schwierigkeit, dies junge, unerfahrene Kind in so verwickelte Sachen einzuweihen. Fing man nur an, ihr die technischen Ausdrücke und die einzelnen Teile des Webstuhls zu nennen, so lief ihr schon alles rund im Kopf herum, geschweige denn, wenn man von »Gerstenkorn« und »Gansauge« und »Drillich« sprach. Niemand, der die junge Gräfin sieht, kann umhin, sich darüber zu wundern, daß sie sich hat mit dem dummen Grafen Henrik verheiraten können. Die Ärmsten, die dumm sind! Es ist hart für sie, wo sie auch sein mögen. Am schlimmsten aber ist es für den, der dumm ist und in Wermland wohnt. Es waren schon viele Geschichten über Graf Henriks Dummheit im Umlauf, und doch war er erst Anfang der Zwanziger. Man erzählte sich, auf welche Weise er einstmals Anna Stjärnhök auf einer Schlittenfahrt unterhalten habe. »Du bist schön, Anna!« sagte er. »Ach, Unsinn, Henrik!« »Du bist die Schönste in ganz Wermland!« »Nein, das bin ich nicht.« »Aber die Schönste hier auf der Schlittenpartie bist du doch.« »Nein, Henrik, das bin ich auch nicht.« »Ja, aber die Schönste hier im Schlitten bist du; das kannst du doch nicht leugnen!« Nein, das konnte sie nicht, denn Graf Henrik ist nicht schön, er ist ebenso häßlich, wie er dumm ist. Man pflegt von ihm zu sagen, der Kopf, der auf seinen Schultern sitzt, habe sich mehrere hundert Jahre hindurch in der Familie vererbt; deswegen sei das Gehirn bei dem letzten Erben so abgenutzt. »Der Kopf ist bei seinem Vater und bei seinem Großvater in Gebrauch gewesen; woher sollte sonst wohl das Haar so dünn, das Kinn so spitz, sollten die Lippen so blutlos sein?« Er ist stets von Spaßmachern umgeben, die ihn verleiten, Dummheiten zu sagen, die sie dann in verbesserter Auflage weiterverbreiten. Ein wahres Glück für ihn ist es, daß er nichts davon merkt. Er selber ist feierlich und würdevoll in seinem ganzen Auftreten; er kann es sich nicht vorstellen, daß andere nicht ebenso sein sollten. Die Würde ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen, er bewegt sich gemessen, geht steif einher, dreht nie den Kopf herum, ohne daß sich nicht der ganze Körper mitdreht. Aber die junge Gräfin hat ihn doch lieb, trotz seines Greisenkopfes. Sie ahnte ja nicht, als sie ihn da unten in Rom sah, daß er in seinem eigenen Lande von einer solchen Märtyrerglorie der Dummheit umgeben ist. Da unten hatte etwas von dem Glanz der Jugend über ihm gelegen, und sie waren unter höchst romantischen Umständen miteinander vereint worden. Man mußte nur die junge Gräfin erzählen hören, wie Graf Henrik sie entführt hatte. Mönche und Kardinäle waren rasend darüber, daß sie die Religion ihrer Mutter, in der sie aufgewachsen war, verlassen und zum Protestantismus übertreten wollte. Der ganze Pöbel war in Aufruhr, der Palast ihres Vaters war belagert worden. Henrik wurde von Banditen verfolgt, ihre Mutter und ihre Schwestern flehten sie an, diese Ehe aufzugeben. Ihr Vater aber war wütend, daß das italienische Pack ihm verbieten wollte, seine Tochter zu geben, wem er wolle. Er befahl Graf Henrik, sie zu entführen. Und dann, da es unmöglich für sie war, zu Hause getraut zu werden, schlichen sie und Henrik durch allerlei Hintergassen nach dem schwedischen Konsulat. Und nachdem sie dort ihrem katholischen Glauben entsagt und Protestantin geworden war, wurden sie sofort getraut und in einem mit ein paar feurigen Pferden bespannten geschlossenen Wagen gen Norden gesandt. »Zum Aufgebot blieb uns keine Zeit, das seht ihr wohl ein,« pflegte die junge Gräfin zu sagen, »und es war ja ungemütlich, auf dem Konsulatsbureau getraut zu werden, statt in einer unserer schönen Kirchen, aber sonst hätte Henrik mich nicht bekommen. Da unten sind sie alle so heißblütig, sowohl Papa als Mama und die Kardinäle und die Mönche, alle sind sie leicht erregbar. Deswegen mußte alles so heimlich vor sich gehen, denn wenn die Leute uns hätten wegschleichen sehen, würden sie uns wohl alle beide totgeschlagen haben, nur um meine Seele zu retten. Henrik hielten sie ja für einen Verlorenen.« Aber die junge Gräfin hat ihren Mann lieb, auch nachdem sie in der Heimat ihr ruhigeres Leben auf Borg begonnen haben. Sie liebt bei ihm den Glanz des alten Namens und die berühmten Vorfahren. Es freut sie zu sehen, wie ihre Nähe sein steifes Wesen mildert, zu hören, wie seine Stimme weich wird, wenn er mit ihr spricht. Und außerdem hat er sie lieb und verhätschelt sie, und dann ist sie nun ja einmal mit ihm verheiratet. Die junge Gräfin kann es sich nicht anders denken, als daß eine verheiratete Frau ihren Mann liebhaben muß. Gewissermaßen entspricht er auch ihrem Ideal von Männlichkeit. Er ist rechtschaffen und wahrheitsliebend. Er hat niemals ein gegebenes Wort gebrochen. Sie hält ihn für einen echten Edelmann. * * * * * Am achten März feiert der Amtmann Scharling seinen Geburtstag, und da wimmelt es von Gästen, die alle die Brobyer Hügel hinanziehen. Aus Osten und Westen kommen sie, Bekannte und Unbekannte, gebetene und ungebetene Gäste! Und alle sind sie willkommen. Da sind Speisen und Getränke genug für alle, und im Tanzsaal ist Platz für alle Tanzlustigen aus sieben Kirchensprengeln. Die junge Gräfin kommt auch. Sie stellt sich überall ein, wo man Tanz und Lustbarkeit erwarten kann. Aber sie ist nicht so fröhlich wie sonst, es ist, als habe sie eine Ahnung, daß jetzt die Reihe an sie kommt, von der wilden Jagd aus dem Märchen mit fortgerissen zu werden. Sie hat unterwegs dagesessen und die untergehende Sonne betrachtet. Sie sank von einem Himmel herab, an dem sie keine Goldstreifen auf leichten Wolken hinterließ. Graubleiche Dämmerung mit jagenden, kalten Windstößen hing über der Gegend. Die junge Gräfin sah, wie Tag und Nacht miteinander kämpften und wie alles Lebende bei diesem Streit der Gewaltigen von Angst und Schrecken ergriffen wurde. Die Pferde jagten mit dem letzten Fuder dahin, um bald unter Dach zu kommen. Die Holzhauer eilten aus dem Walde heim, die Mädchen verließen die Wirtschaftsgebäude. Im Waldesdickicht heulten die wilden Tiere. Der Tag, der Menschen Lust und Freude, ward überwunden. Die Farben verschwanden, das Licht erlosch. Kälte und Unschönheit, wohin sie blickte. Auch was sie gehofft, geliebt und gewirkt hatte, verhüllte sich vor ihrem geistigen Auge in das Grau der Dämmerung. Es war für sie wie für die ganze Natur die Stunde der Ermüdung, der Niederlage, der Ohnmacht. Sie dachte daran, daß ihr eigenes Herz, das jetzt in sprudelnder Freude das Dasein in Gold und Purpur hüllte, daß dies Herz vielleicht einmal seine Kraft, ihre Welt zu erleuchten, einbüßen würde. »Ach, Ohnmacht, Ohnmacht meines eigenen Herzens!« sagte sie zu sich selber. »Du erstickende graue Dämmerung, du wirst einstmals auch in meiner Seele Herrscher werden! Da werde ich das Leben häßlich und grau erblicken, wie es vielleicht ist, da wird mein Haar ergrauen, mein Rücken sich krümmen, mein Gehirn erlahmen.« In demselben Augenblick bog der Schlitten in den Hof des Amtmanns ein, und als die junge Gräfin aufschaute, fiel ihr Blick auf ein vergittertes Fenster in einem Seitengebäude, und dahinter gewahrte sie ein Gesicht mit ein paar zornigen Augen. Dies Gesicht gehörte der Majorin von Ekeby, und die junge Frau fühlte, daß es nun mit ihrer Freude für heute Abend ein Ende hatte. Man kann wohl fröhlich sein, wenn man den Kummer nicht sieht und ihn nur als etwas ganz Entferntes erwähnen hört. Schwerer ist es, die Freude des Herzens zu bewahren, wenn man der bittern Not von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht. Die Gräfin weiß wohl, daß der Amtmann die Majorin hat arretieren lassen und daß sie wegen der Gewalttat verklagt werden soll, die sie in jener Nacht verübte, als der große Ball auf Ekeby stattfand. Aber sie hat nicht daran gedacht, daß sie dort auf dem Gehöft des Amtmanns in Verwahrsam gehalten wird, so nahe dem Ballsaal, daß man von dort in ihr Zimmer hineinsehen kann, so nahe, daß sie die Tanzmusik und den fröhlichen Lärm hören muß. Und der Gedanke an sie raubt der Gräfin alle Freude. Wohl tanzt die Gräfin Walzer und Quadrille, sie schreitet in der Menuette und in der Anglaise dahin, zwischen jedem Tanz aber muß sie ans Fenster schleichen und nach dem Seitengebäude hinübersehen. Da ist Licht im Fenster der Majorin, sie kann sie im Zimmer auf und nieder gehen sehen. Es sieht so aus, als ruhe sie niemals, als wandere sie unablässig, ohne Rast. Aber nach jedem Mal, wenn die Gräfin hinausgeschaut hat, bewegen ihre Füße sich schwerfälliger im Tanz, und das Lachen bleibt ihr in der Kehle stecken. Die Frau des Amtmanns bemerkt, daß sie den Tau von den Fenstern trocknet, um hinaussehen zu können, und tritt an sie heran. »Ach, welch ein Elend, welch ein Elend!« flüsterte sie der Gräfin zu. »Ich finde es beinahe unmöglich, heute abend zu tanzen«, gibt ihr die Gräfin flüsternd zurück. »Es ist nicht meine Schuld, daß wir einen Ball geben, während sie dort sitzt«, erwidert Frau Scharling. »Sie hat die ganze Zeit hindurch in Karlstad im Gefängnis gesessen, aber jetzt soll die Sache vor Gericht, und deswegen ist sie heute hierhergeschafft worden. Wir konnten sie nicht in der elenden Gefängniszelle sitzen lassen, deswegen haben wir sie drüben in der Webstube untergebracht. Sie hätte in meinem Zimmer gewohnt, Frau Gräfin, wenn nicht alle diese Menschen gerade heute hierher gekommen wären. Die Frau Gräfin haben sie ja kaum gekannt, uns allen aber ist sie gleichsam eine Mutter und Königin gewesen. Was muß sie nur von uns denken, die wir hier tanzen, während sie sich in einer solchen Not befindet? Ein Glück, daß die meisten nicht ahnen, daß sie dasitzt.« »Sie hätte niemals verhaftet werden dürfen«, sagt die Gräfin streng. »Nein, das ist ein wahres Wort, Frau Gräfin; aber es war nichts weiter dabei zu machen, wenn nicht noch größeres Unheil geschehen sollte. Niemand konnte ihr verbieten, ihre eigenen Strohmieten in Brand zu stecken und die Kavaliere fortzujagen, aber der Major machte Jagd auf sie. Gott weiß, was er getan haben würde, wenn sie nicht in Gewahrsam genommen wäre. Scharling hat viele Unannehmlichkeiten davon gehabt, daß er sie einstecken ließ. Selbst in Karlstad waren die Leute unzufrieden, daß er nicht ein Auge zu dem zudrückte, was sich auf Ekeby ereignete. Aber er handelte ja nach bestem Ermessen.« »Jetzt wird sie wohl verurteilt?« fragt die Gräfin. »Ach nein, verurteilt wird sie nicht, die Majorin auf Ekeby wird schon freigesprochen; aber das, was sie in diesen Tagen hat durchmachen müssen, ist doch zu viel für sie gewesen. Wenn sie nur nicht den Verstand verliert. Denken Sie nur, so eine stolze Frau und dann als Verbrecherin behandelt zu werden! Ich glaube, es wäre das Richtigste gewesen, wenn man ihr Erlaubnis gegeben hätte zu gehen; da wäre sie vielleicht auf eigene Hand entkommen.« »Lassen Sie sie doch entschlüpfen«, sagt die Gräfin. »Das kann jeder andere tun, nur nicht der Amtmann oder seine Frau«, flüstert Frau Scharling. »Wir müssen ja acht auf sie geben. Besonders in dieser Nacht, wo so viele von ihren Freunden hier sind; deswegen halten auch zwei Männer Wache vor ihrer Tür, und die ist verschlossen und verriegelt, so daß niemand zu ihr hineinkommen kann. Wenn ihr aber jemand zur Flucht behilflich sein wollte, so würden sowohl Scharling als ich uns freuen.« »Darf ich nicht einmal zu ihr hineingehen?« fragte die junge Gräfin. Frau Scharling erfaßt sie eifrig bei der Hand und zieht sie mit sich hinaus. Auf der Diele hüllen sie sich in ein paar Schals und eilen dann über den Hof. »Es ist sehr leicht möglich, daß sie nicht einmal mit uns sprechen will«, sagt Frau Scharling. »Aber dann kann sie doch wenigstens sehen, daß wir sie nicht vergessen haben.« Sie gehen durch das erste Zimmer, wo die beiden Männer sitzen und bei verschlossenen Türen Wache halten, und gelangen dann ungehindert zur Majorin. Sie war in einem großen Zimmer eingeschlossen, das mit Webstühlen und ähnlichen Gerätschaften angefüllt war. Es war ursprünglich die Webstube, wurde jedoch in Notfällen auch als Gefängnis gebraucht, weswegen Eisenstangen vor den Fenstern und schwere Schlösser vor der Tür angebracht waren. Die Majorin setzt ihre Wanderung fort, ohne sie weiter zu beachten. Sie hat in diesen Tagen einen langen Weg zurückzulegen. Sie kann an nichts weiter denken, als daß sie die dreißig Meilen bis zu ihrer Mutter zurücklegen muß, die da oben in den Elfdalswäldern sitzt und auf sie wartet. Sie hat keine Zeit zu ruhen. Sie muß wandern. Eine rastlose Geschäftigkeit hat sie ergriffen. Ihre Mutter ist über neunzig Jahre alt. Sie kann nicht lange mehr leben. Sie hat die Länge des Zimmers nach Ellen gemessen, und nun zählt sie die Male, die sie hin und her wandert, legt die Ellen zu Faden, die Faden zu Meilen zusammen. Schwer und lang erscheint ihr der Weg, und doch darf sie nicht ruhen. Sie watet durch tiefe Schneeschanzen. Sie hört die ewigen Wälder sausen dort, wo sie geht. Sie ruht in den Rauchstuben der Finnen aus und in den Reisighütten der Köhler. Zuweilen, wenn sie in meilenweitem Umkreis auf keinen einzigen Menschen stößt, muß sie sich Zweige zu einem Lager abbrechen und unter den Wurzeln einer umgewehten Tanne schlafen. Und endlich hat sie das Ziel erreicht, die dreißig Meilen sind zurückgelegt, der Wald öffnet sich, rote Häuser werden auf einem schneebedeckten Hofplatz sichtbar. Der Gießbach braust schäumend dahin, eine Reihe kleiner Wasserfälle bildend, und an dem wohlbekannten Brausen hört sie, daß sie zu Hause ist. Und ihre Mutter, die sie kommen sieht, als Bettlerin, wie sie es gewollt hat, geht ihr entgegen -- -- -- Als die Majorin so weit gekommen ist, erhebt sie den Kopf, schaut sich um, erblickt die verschlossene Tür und weiß nun, wo sie ist. Da fragt sie sich selbst, ob sie im Begriff ist, wahnsinnig zu werden, und sie setzt sich wieder hin, um zu denken und zu ruhen. Aber einen Augenblick später ist sie wieder auf der Wanderung, zählt Ellen, Faden und Meilen, hält Rast in den Hütten und schläft weder Tag noch Nacht, bis sie die dreißig Meilen zurückgelegt hat. In der ganzen Zeit, seit sie gefangen gesessen, hat sie fast gar nicht geschlafen. Und die beiden Frauen, die gekommen sind, um sich nach ihr umzusehen, schauen sie voller Angst an. Die junge Gräfin kann diesen Anblick später nie wieder vergessen. Sie sieht sie oft in ihren Träumen und erwacht dann mit tränenfeuchten Augen, eine Klage auf den Lippen. Die Alte hat sich traurig verändert; das Haar sieht so dünn aus, und lose Zotteln hängen aus der kleinen Flechte heraus. Das Gesicht ist scharf und eingefallen, die Kleider sind unordentlich und zerlumpt. Bei alledem aber haftet doch noch so viel von der vornehmen Dame an ihr, von der Herrscherin, daß sie nicht nur Mitleid, sondern auch Ehrfurcht einflößt. Was die Gräfin aber gar nicht wieder vergessen kann, das sind die Augen, eingesunken, nach innen gewendet, noch nicht des Lichts des Verstandes beraubt, aber nahe daran zu erlöschen, und mit einem Funken von Wildheit, der in der Tiefe lauert, so daß einem angst und bange werden kann, daß die Alte sich im nächsten Augenblick auf einen stürzen wird, die Zähne bereit zu beißen, die Nägel zu kratzen. Sie haben eine Weile dort gestanden, als die Majorin plötzlich vor der jungen Frau stehenbleibt und sie mit einem strengen Blick anschaut. Die Gräfin weicht einen Schritt zurück und ergreift Frau Scharlings Arm. Die Züge der Majorin erhalten plötzlich Leben und Ausdruck, ihre Augen schauen wieder mit voller Klarheit in die Welt hinaus. »Ach nein, ach nein,« sagt sie lächelnd, »so schlimm ist es denn doch noch nicht, meine liebe junge Dame.« Sie fordert sie auf, sich zu setzen, und setzt sich selbst. Sie nimmt ein Air altmodischer Vornehmheit an, wohlbekannt von den großen Festen auf Ekeby und den Königsbällen im Statthalterpalais in Karlstad. Sie vergessen die Lumpen und das Gefängnis und sehen nur die stolzeste, reichste Frau in ganz Wermland. »Meine liebe Gräfin,« sagt sie, »was veranlaßt Sie, den Ball zu verlassen und mich einsame alte Frau aufzusuchen? Das ist wirklich zu gütig.« Gräfin Elisabeth kann nicht antworten; Bewegung erstickt ihre Stimme. Frau Scharling antwortet für sie, daß sie nicht tanzen kann, weil sie an die Majorin denken muß. »Liebe Frau Scharling,« antwortet die Majorin, »ist es denn jetzt so weit mit mir gekommen, daß ich die Jugend in ihrer Freude störe? Weinen Sie nicht über mich, liebe junge Gräfin«, fährt sie fort. »Ich bin eine böse, alte Frau, die ihr Schicksal verdient hat. Sie halten es doch nicht für richtig, seine Mutter zu schlagen?« »Nein, aber ...« Die Majorin unterbricht sie und streicht ihr das krause blonde Haar aus der Stirn. »Kind, Kind,« sagt sie, »wie konnten Sie sich nur mit dem dummen Henrik Dohna verheiraten?« »Aber ich liebe ihn.« »Ich sehe das Ganze, ich sehe das Ganze«, sagt die Majorin. »Ein gutes Kind und nichts weiter, weint mit den Betrübten und lacht mit den Fröhlichen. Und muß 'ja' zu dem ersten sagen, der kommt und sagt: 'Ich liebe dich!' -- Ja, ja, so ist es! -- Gehen Sie nur hinein und tanzen Sie, meine liebe junge Gräfin. Tanzen Sie und seien Sie fröhlich. In Ihnen ist nichts Böses.« »Aber ich möchte so gern etwas für die Frau Majorin tun!« »Kind,« sagt die Majorin feierlich, »es wohnte eine alte Frau auf Ekeby, die hielt die Winde des Himmels gefangen. Jetzt ist sie selbst eine Gefangene, und die Winde sind frei. Ist es da so wunderlich, daß ein Sturm über das Land dahinsaust? »Ich, die ich alt bin, habe ihn schon früher gesehen, Gräfin. Ich kenne ihn. Ich weiß, daß Gottes gewaltiger Sturm über uns kommt. Bald braust er über die großen Reiche dahin, bald über die kleinen, vergessenen Staaten. Gottes Sturm vergißt keinen. Er kommt über die Großen wie über die Kleinen. Es ist großartig, Gottes Sturm kommen zu sehen. »Gottes Sturm, du gesegnetes Wetter des Herrn, wehe über die Erde dahin! Ihr Stimmen aus der Luft und aus dem Wasser, ertönt, entsetzet! Macht Gottes Sturm gewaltig, macht Gottes Sturm schreckeinflößend! Laßt die Stürme über das Land dahinsausen, gegen die schwankenden Wände fahren, die verrosteten Schlösser zersprengen, die morschen Häuser umstürzen! »Schrecken soll sich über das ganze Land ausbreiten. Die kleinen Vogelnester sollen aus den Zweigen herausgeschüttelt werden. Das Habichtsnest im Wipfel der Tanne soll mit lautem Krachen zur Erde fallen, und bis hinein in das Eulennest in der Bergkluft soll der Wind mit seiner Drachenzunge zischen. »Wir meinten, alles bei uns sei so gut, aber das war es nicht. Wir haben Gottes Sturmwetter sehr nötig. Ich verstehe es, und ich klage nicht. Ich wünsche nur nach Hause zu kommen, zu meiner Mutter!« Sie bricht plötzlich zusammen. »Geh jetzt, junge Frau«, sagt sie. »Ich habe keine Zeit mehr. Ich muß gehen. Geh jetzt, hüte dich aber vor denen, die auf den Schwingen des Sturmes kommen!« Und dann beginnt sie ihre Wanderung von neuem wieder. Die Züge werden schlaff, der Blick wendet sich nach innen. Die Gräfin und Frau Scharling müssen sie verlassen. Sobald sie zu den Tanzenden zurückgekehrt sind, geht die junge Gräfin direkt auf Gösta Berling zu. »Ich soll Herrn Berling von der Majorin grüßen«, sagt sie. »Sie erwartet, daß Herr Berling sie aus ihrem Gefängnis befreien wird.« »Da kann sie lange warten, Frau Gräfin!« »Ach, helfen Sie ihr doch, Herr Berling!« Gösta schaut finster vor sich nieder. »Nein,« sagt er, »weswegen sollte ich ihr helfen? Wofür schulde ich ihr Dank? Alles, was sie getan hat, ist zu meinem Unglück gewesen.« »Aber Herr Berling ...« »Wäre sie nicht gewesen,« erwidert er heftig, »so schliefe ich jetzt dort oben in den ewigen Wäldern. Bin ich verpflichtet, mein Leben für sie zu wagen, weil sie mich zum Kavalier auf Ekeby gemacht hat? Glauben Frau Gräfin, daß das ein sehr ehrenvolles Amt ist?« Ohne zu antworten, wendet sich die junge Gräfin von ihm ab. Sie ist zornig. Mit bitteren Gedanken über die Kavaliere begibt sie sich an ihren Platz. Mit Waldhorn und Violinen sind sie hierhergekommen und wollen die Bogen über die Saiten fahren lassen, bis sie zerspringen, ohne daran zu denken, daß die lustigen Töne zu der Gefangenen in das elende Zimmer hinüberdringen. Sie sind hierhergekommen, um zu tanzen, bis die Schuhsohlen durchgetreten sind, und denken nicht daran, daß ihre alte Wohltäterin ihre Schatten an den betauten Fensterscheiben vorübergleiten sehen kann! Ach, wie grau und häßlich doch die Welt wird! Ach, welche Schatten doch die Not und die Hartherzigkeit der Menschen in die Seele der jungen Gräfin werfen! Nach einer Weile kommt Gösta und fordert sie zum Tanz auf. Sie sagt nein, geradezu nein! »Wollen Frau Gräfin nicht mit mir tanzen?« fragt er tief errötend. »Weder mit Ihnen noch mit irgendeinem von den Kavalieren«, antwortet sie. »Sind wir einer solchen Ehre nicht würdig?« »Es ist keine Ehre, Herr Berling! Aber ich finde kein Vergnügen daran, mit Leuten zu tanzen, die das Gebot der Dankbarkeit vergessen.« Gösta hat sich bereits auf dem Absatz umgedreht. Gar viele sind Augen- und Ohrenzeugen dieser Szene gewesen. Alle geben der Gräfin recht. Die Undankbarkeit und Herzlosigkeit der Kavaliere gegen die Majorin hat eine allgemeine Entrüstung wachgerufen. Aber in jenen Tagen ist Gösta Berling gefährlicher als ein wildes Tier des Waldes. Seit dem Augenblick, wo er von der Jagd heimkehrte und Marianne nicht mehr vorfand, ist sein Herz wie eine offene Wunde gewesen. Er hat die größte Lust, irgend jemand ein blutiges Unrecht zuzufügen, Kummer und Sorge über weite Kreise zu verbreiten. Wenn sie es so haben will, sagt er zu sich selber, so soll es ihr werden. Aber sie soll nicht geschont werden. Die Gräfin schwärmt ja für Entführungen. Das Vergnügen soll ihr werden. Er hat nichts gegen ein Abenteuer einzuwenden. Acht Tage lang hat er um eine Frau getrauert. Das ist lange genug. Er ruft Beerencreutz, den Oberst, Christian Bergh, den starken Hauptmann, und den saumseligen Vetter Kristoffer, der stets zu einem verwegenen Abenteuer aufgelegt ist, und beratschlagt mit ihnen, wie man die gekränkte Ehre des Kavalierflügels retten soll. Und dann kommt der Schluß des Festes. Eine lange Reihe von Schlitten fährt im Hofe auf. Die Herren ziehen ihre Pelze an, die Damen suchen in dem verzweifelnden Wirrwarr des Ankleidezimmers nach ihren wärmenden Hüllen. Die junge Gräfin hat sich beeilt, von diesem abscheulichen Ball fortzukommen. Sie ist von allen Damen zuerst fertig. Lächelnd steht sie mitten im Zimmer und sieht sich die allgemeine Verwirrung an, als die Tür aufgerissen wird und Gösta Berling auf der Schwelle erscheint. Kein Mann hat sonst das Recht, in dies Zimmer einzudringen. Alte Damen flehen da mit ihrem dünnen Haar, jetzt wo sie die feinen Hauben abgenommen haben, und die jungen haben ihre Kleider unter den Pelzen hoch in die Höhe gezogen, damit die steifen Garnierungen bei der Fahrt nicht zerknittert werden sollen. Ohne sich aber an die warnenden Rufe zu kehren, springt Gösta Berling auf die Gräfin zu und ergreift sie. Er hebt sie auf seine Arme und stürzt mit ihr zum Zimmer hinaus, auf die Diele und von da auf die Treppe. Die Schreie der überraschten Frauen hemmen ihn nicht. Als sie hinter ihm drein eilen, sehen sie nur, daß er sich, die Gräfin noch immer im Arm haltend, in einen Schlitten wirft. Sie hören den Kutscher mit der Peitsche knallen und sehen das Pferd von dannen jagen. Sie kennen den Kutscher -- es ist Beerencreutz. Sie kennen das Pferd -- es ist Don Juan. Und in tiefer Besorgnis um das Schicksal der Gräfin rufen sie die Herren. Und diese verbringen keine Zeit mit vielen Fragen, sondern stürzen zu den Schlitten. Den Grafen an der Spitze, machen sie Jagd auf den Frauenräuber. Er aber liegt im Schlitten und hält die junge Gräfin fest. Aller Kummer ist vergessen, hingerissen von der berauschenden Freude des Abenteuers singt er aus vollem Halse ein Lied von Liebe und von Rosen. Er hält sie fest an sich gepreßt, sie aber macht keinen Versuch, ihm zu entfliehen. Ihr Antlitz ruht weiß und versteinert an seiner Brust. Ach, was soll ein Mann tun, wenn er ein bleiches, hilfloses Gesicht so unmittelbar in seiner Nähe hat, wenn er das blonde Haar, das sonst die schimmernd weiße Stirn beschattet, zurückgestrichen sieht, wenn die Lider sich schwer über den grauen, schelmischen Augen geschlossen haben? Küssen, natürlich, die bleichen Lippen, die geschlossenen Augen, die weiße Stirn küssen! Da aber erwacht die junge Frau. Sie wirft sich auf die Seite, sie ist elastisch wie eine Feder. Und er muß mit seiner ganzen Kraft gegen sie kämpfen, damit sie sich nicht aus dem Schlitten stürzt, ehe es ihm gelingt, sie ergeben aber zitternd in die eine Ecke des Schlittens zu zwingen. »Siehe,« sagt Gösta ganz ruhig zu Beerencreutz, »die Frau Gräfin ist die Dritte, die Don Juan und ich diesen Winter entführen. Aber die andern hingen an meinem Halse und küßten mich, und sie will weder von mir geküßt werden noch mit mir tanzen. Kannst du aus diesen Frauen klug werden, Beerencreutz?« Aber als Gösta aus dem Hofe fuhr, als die Frauen schrien und die Männer fluchten, als die Schlittenglocken klingelten und die Peitschen knallten und überall Lärm und Verwirrung herrschte, da ward den Männern, die die Majorin bewachten, gar wunderlich zumute. »Was geht denn da vor sich?« dachten sie. »Weshalb schreien die Leute?« Plötzlich wird die Tür aufgerissen und eine Stimme ruft ihnen zu: »Sie ist fort. Jetzt fahren sie mit ihr ab.« Und sie laufen wie verrückte Menschen davon, ohne nachzusehen, ob es die Majorin oder sonst jemand war, der verschwunden ist. Das Glück war ihnen günstig, sie fanden sogar noch Platz in einem Schlitten. Und sie fuhren eine lange Strecke, ehe es ihnen klar ward, wer die Verfolgte war. Aber Bergh und Vetter Kristoffer gingen ganz gemächlich nach der Tür, sprengten das Schloß und öffneten der Majorin. Sie kam heraus. Sie standen so steif wie zwei Bildsäulen zu jeder Seite der Tür und sahen sie nicht an. »Draußen hält ein angespannter Schlitten!« Da ging sie hinaus, setzte sich in das Fuhrwerk und fuhr von dannen. Niemand verfolgte sie. Es wußte auch niemand, wohin sie fuhr. Don Juan eilt die Brobyer Hügel hinab, an die eisbedeckte Fläche des Sees. Das stolze Roß fliegt dahin. Eiskalte Luft umsaust schneidend die Wangen der Fahrenden. Die Schellen läuten. Die Sterne und der Mond funkeln. Der Schnee liegt blauweiß und schimmert mit seinem eigentümlichen Glanz. Gösta fühlt poetische Gedanken in sich erwachen. »Beerencreutz,« sagt er, »dies ist das Leben. So wie Don Juan mit dieser jungen Dame enteilt, so entflieht die Zeit mit den Menschen. Du bist die bittere Notwendigkeit, die das Gefährt lenkt. Ich bin das Verlangen, das den Willen gefangen hält. Und so wird der Machtlose tiefer und tiefer hinabgezogen.« »Rede nicht so viel«, brüllt Beerencreutz. »Jetzt sind sie uns auf den Fersen.« Und mit sausendem Peitschenschlag treibt er Don Juan zu immer wilderer Fahrt an. »Da sind die Wölfe, hier ist die Beute«, ruft Gösta. »Don Juan, mein Junge, bilde dir ein, daß du ein junges Elentier bist. Stürze durch das Gestrüpp, wate durch das Moor, springe vom Felsabhang hinab in den klaren See, schwimme mit keck erhobenem Haupt darüber hin und verschwinde, verschwinde in der errettenden Finsternis des dichten Tannenwaldes. Laufe, Don Juan, alter Frauenräuber! Laufe wie ein junges Elentier!« Sein wildes Herz schwillt vor Jubel bei der blitzschnellen Fahrt. Die Schreie der Verfolger sind ihm ein Jubelgesang. Sein wildes Herz schwillt vor Jubel, als er bemerkt, daß die Glieder der Gräfin vor Schreck erbeben, als er ihre Zähne klappern hört. Plötzlich löst sich der eiserne Griff, mit dem er sie festgehalten hat. Er richtet sich hoch im Schlitten auf und schwingt die Mütze. »Ich bin Gösta Berling!« ruft er, »Herr über tausend Küsse und dreizehntausend Liebesbriefe. Hurra! für Gösta Berling! Fange ihn, wer da kann!« Und im nächsten Augenblick flüstert er der Gräfin ins Ohr: »Ist dies nicht eine herrliche Fahrt? Ist es nicht eine königliche Fahrt? Hinter dem Löfsee liegt der Wenersee, hinter dem Wenersee liegt das Meer. Überall unendliche Flächen von spiegelblankem, blauschwarzem Eis und dahinter wieder eine strahlende Welt. Rollender Donner in dem krachenden Eis, gellende Rufe hinter uns, Sternschnuppen in der Luft und Schlittengeläute vor uns. Vorwärts! Immer vorwärts! Haben Sie Lust, diese Reise mit mir zu machen, schöne junge Frau Gräfin?« Er hat sie freigegeben. Sie stößt ihn heftig von sich. Im nächsten Augenblick liegt er zu ihren Füßen auf den Knien. »Ich bin ein Elender, ein Elender! Die Frau Gräfin hätte mich nicht reizen sollen. Sie standen so stolz und fein da und glaubten, daß eine Kavalierfaust Sie niemals erreichen könne. Himmel und Erde lieben Sie. Sie sollten den nicht noch mit Steinen belasten, der von Himmel und Erde verachtet ist.« Er ergreift ihre Hände und führt sie an sein Gesicht. »Wenn Sie nur wüßten,« sagt er, »was es heißt, zu wissen, daß man ein Ausgestoßener ist. Es ist einem einerlei, was man tut, ganz einerlei.« Im selben Augenblick bemerkt er, daß sie nichts an den Händen hat. Er nimmt ein Paar große Pelzhandschuhe aus der Tasche und zieht sie ihr an. Und dann ist er plötzlich ganz ruhig geworden. Er setzt sich im Schlitten zurecht, so weit wie nur möglich von der jungen Gräfin entfernt. »Die Frau Gräfin brauchen sich nicht zu fürchten«, sagt er. »Sehen die Frau Gräfin nicht, wohin wir fahren? Sie werden doch begreifen können, daß wir Ihnen kein Leides antun wollen.« Sie ist beinahe ganz besinnungslos gewesen vor Schrecken, aber nun sieht sie, daß sie schon über den See gefahren sind und daß Don Juan jetzt die steilen Hügel bei Borg hinaufkeucht. Sie halten das Pferd vor der Treppe zum Hauptgebäude an und lassen die junge Gräfin an der Tür ihres eigenen Hauses absteigen. Als sie sich aber von der Dienerschaft umringt sieht, die herausgestürzt kommt, kehrt ihr Mut und ihre Geistesgegenwart zurück. »Sorgen Sie für das Pferd, Andersson,« sagt sie, »die Herren, die mich nach Hause gefahren haben, sind sicher so freundlich, ein wenig näher zu treten. Der Graf muß gleich hier sein.« »Wie die Frau Gräfin befehlen«, sagt Gösta und steigt sofort aus dem Schlitten. Beerencreutz wirft, ohne sich zu besinnen, dem Kutscher die Zügel zu. Die junge Gräfin aber geht voraus und führt sie mit schlecht verhehlter Schadenfreude in den Saal. Die Gräfin hatte sicher gedacht, daß die Kavaliere sich besinnen würden, auf ihren Vorschlag einzugehen und ihren Mann zu erwarten. Sie wußten also nicht, welch ein strenger, gerechter Mann er war. Sie fürchteten sich nicht vor der Strafe, die er denen zuerteilen würde, die sie mit Gewalt ergriffen und gezwungen hatten, mit ihnen zu fahren. Sie wollte es mit anhören, wie er ihnen untersagte, jemals wieder den Fuß über ihre Schwelle zu setzen. Sie wollte es erleben, wie er die Dienerschaft hereinrief und vor ihnen die Kavaliere als Persönlichkeiten hinstellte, die sie in Zukunft niemals in die Tore von Borg einlassen dürften. Sie wollte hören, wie er seine Verachtung aussprach, nicht nur über das, was sie ihr angetan, sondern auch über ihr Benehmen gegen die alte Majorin, ihre Wohltäterin. Ja, er, der ihr gegenüber lauter Zärtlichkeit und Rücksicht war, er würde sich in gerechtem Zorn gegen ihre Verfolger erheben. Die Liebe würde seinen Worten Feuer verleihen. Er, der sie beschützte und bewachte wie ein Wesen feinerer Art als jede andere, er würde es nicht dulden, daß rohe Männer über sie herfielen und sie ergriffen, wie der Raubvogel über den Sperling herfällt. Die ganze kleine Frau erglühte vor Rachedurst vom Scheitel bis zur Sohle. Ihr Mann sollte ihr in ihrer Ohnmacht helfen und die dunklen Schatten vertreiben. Beerencreutz, der Oberst mit dem dicken weißen Schnurrbart, ging ganz unerschrocken in den Speisesaal, trat an den Kamin, in dem stets, wenn die Gräfin aus einer Gesellschaft kam, ein helles Feuer brannte. Gösta verharrte im Dunkeln an der Tür und betrachtete schweigend die Gräfin, die der Diener ihres Pelzes entledigte. Wie er so dasaß und die junge Frau ansah, ward er so heiter, wie er es seit Jahren nicht gewesen war. Es ward ihm so klar, er war so überzeugt davon, als sei es eine Offenbarung, daß in ihrem Innern die schönste Seele wohnen müsse. Lange hatte sie in tiefem Schlaf befangen gelegen, aber sie würde schon ans Tageslicht kommen. Er war so froh, daß er all die Reinheit und Frömmigkeit und Unschuld entdeckt hatte, die in ihrem innersten Herzen wohnten. Er war nahe daran, über sie zu lachen, weil sie so erzürnt aussah und mit flammenden Wangen und gerunzelter Stirn dastand. »Du weißt es ja selber nicht, wie gut und milde du bist«, dachte er. Die Seite ihres Wesens, die der Außenwelt zugewendet war, würde ihrem inneren Ich niemals volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, dachte er. Von diesem Augenblick an mußte aber Gösta Berling ihr Diener sein, wie man allem Schönen und Göttlichen dienen muß. Ja, es war ihm nicht möglich zu bereuen, daß er vorhin so gewaltsam gegen sie vorgegangen war. Wenn sie nicht so bange gewesen wäre, wenn sie ihn nicht so heftig von sich gestoßen hätte, wenn er nicht gefühlt hätte, wie sich ihr ganzes Wesen über seine Roheit empörte, so hätte er niemals erfahren, welch ein feiner, welch ein edler Geist in ihr wohnte. Er hatte bisher keinen Grund gehabt, es zu glauben. Sie war ja lauter Tanzlust und Frohsinn. Und dann hatte sie ja das Unglaubliche tun und sich mit dem dummen Grafen Henrik verheiraten können. Ja, nun würde er bis an den Tod ihr Sklave sein: Hund und Sklave, wie Hauptmann Christian zu sagen pflegte, und nichts anderes. Dort an der Tür saß Gösta Berling mit gefalteten Händen und hielt eine Art Gottesdienst ab. Seit jenem Tage, als er zum erstenmal die Feuerzunge der Inspiration über sich hatte flammen fühlen, hatte er keine solche Erhebung in seiner Seele gefühlt. Er ließ sich nicht stören, obwohl Graf Dohna mit einer Menge Menschen hereinkam, die über alle die dummen Streiche der Kavaliere donnerten und fluchten. Er ließ Beerencreutz den ersten Anprall hinnehmen. Er selber hatte an anderes zu denken. Ganz ruhig stand der Ritter der vielen Abenteuer am Kamin, setzte den einen Fuß auf das Kamingitter, stützte den Ellbogen gegen das Knie und das Kinn in die Hand und sah die Hereinstürmenden an. »Was hat dies alles zu bedeuten?« brüllte der kleine Graf ihn an. »Das bedeutet,« erwiderte er, »daß, solange es Frauenzimmer gibt, es auch nicht an Toren fehlen wird, die nach ihrer Pfeife tanzen.« Der kleine Graf wurde dunkelrot. »Ich frage, was das zu bedeuten hat?« wiederholte er. »Ja, das frage ich auch«, sagte Beerencreutz. »Darf ich mir die Frage erlauben, was es zu bedeuten hat, daß Graf Henrik Dohnas Gemahlin nicht mit Gösta Berling tanzen will?« Der Graf wandte sich fragend an seine Gattin. »Ich konnte nicht, Henrik«, rief sie aus. »Ich konnte weder mit ihm, noch mit einem von den anderen tanzen. Ich dachte an die Majorin, die sie im Gefängnis verschmachten ließen.« Der kleine Graf richtete seinen steifen Körper stramm auf und warf seinen Greisenkopf in den Nacken. »Wir Kavaliere«, sagte Beerencreutz, »gestatten niemand, uns zu verhöhnen. Wer nicht mit uns tanzen will, muß mit uns fahren. Es ist der Gräfin kein Schaden zugefügt, und damit mag die Sache ein Ende haben.« »Nein,« sagte der Graf, »damit hat sie kein Ende. Ich muß für die Handlungen meiner Gattin einstehen. Jetzt frage ich, weshalb sich Gösta Berling nicht an mich wandte, um von mir Satisfaktion zu erlangen, als meine Frau ihn beleidigt hatte.« Beerencreutz lächelte. »Ich frage ...« wiederholte der Graf. »Man bittet den Fuchs nicht um Erlaubnis, wenn man ihm das Fell abziehen will«, sagte Beerencreutz. Der Graf legte die Hand auf seine schmale Brust. »Man sagt mir nach, daß ich ein gerechter Mann bin«, entgegnete er. »Ich kann Gericht über meine Dienerschaft halten. Weshalb sollte ich nicht auch Gericht über meine Gemahlin halten? Die Kavaliere haben kein Recht, sie zu richten. Die Strafe, die sie ihr auferlegt haben, hebe ich auf. Die hat für mich gar nicht stattgefunden. Verstehen Sie, meine Herren, die hat gar nicht stattgefunden.« Der Graf schrie die Worte in seinem höchsten Falsett. Beerencreutz warf einen schnellen Blick auf die Gesellschaft. Da war nicht einer der Anwesenden -- Sintram und Daniel Bendix und Dahlberg und wer sonst noch mit hereingekommen war --, der nicht in den Bart gelacht hätte, weil er sich so über den dummen Grafen Henrik lustig machte. Die junge Gräfin verstand es nicht sofort. Was war es eigentlich, das für null und nichtig erklärt wurde? Ihre Angst, die harte Behandlung ihres zarten Körpers von seiten der Kavaliere, der wilde Gesang, die wilden Worte, die wilden Küsse, sollte das alles gar nicht stattgefunden haben? »Aber Henrik ...« »Schweig!« herrschte er sie an. Und nun richtete er sich auf, um ihr eine Strafpredigt zu halten. »Wehe dir, daß du, die du eine Frau bist, dich hast zum Richter über Männer aufwerfen wollen«, sagte er. »Wehe dir, daß du, die du meine Frau bist, es wagst, jemand zu beleidigen, dessen Hand ich drücke. Was geht es dich an, daß die Kavaliere die Majorin ins Gefängnis geworfen haben? Hatten sie nicht das Recht dazu? Du wirst es niemals verstehen können, wie ein Mann sich im Innersten seiner Seele verletzt fühlt, wenn er von der Treulosigkeit der Frauen hört. Gedenkst du selber, den schlüpfrigen Weg zu wandeln, da du eine solche Frau in Schutz nimmst?« »Aber Henrik ...« Sie jammerte wie ein Kind und streckte die Arme aus, als wolle sie die bösen Worte abwenden. Sie hatte wohl noch niemals so harte Worte an sich richten hören. Sie war so hilflos zwischen diesen harten Männern, und nun wandte ihr einziger Verteidiger sich gegen sie. Nie mehr würde ihr Herz Kraft haben, die Welt hell zu machen. »Aber Henrik! Du solltest mich ja beschützen!« Gösta Berling war jetzt, wo es zu spät war, aufmerksam geworden. Er wußte nicht, was er tun sollte. Er meinte es so gut mit ihr. Aber er wagte nicht, sich zwischen Mann und Frau zu drängen. »Wo ist Gösta Berling?« fragte der Graf. »Hier«, sagte Gösta. Und er machte einen mißglückten Versuch, das Ganze als Scherz darzustellen. »Der Herr Graf waren gewiß dabei, eine Rede zu halten, und ich schlief ein! Was meinen der Herr Graf dazu, wenn wir jetzt nach Hause führen und Sie zu Bette gehen ließen?« »Gösta Berling! Sintemal meine Gattin sich geweigert hat, mit dir zu tanzen, befehle ich, daß sie deine Hand küssen und dich um Verzeihung bitten soll.« »Mein lieber Graf Henrik,« sagt Gösta lächelnd, »das ist keine Hand, geeignet von einer jungen Dame geküßt zu werden. Gestern war sie rot von dem Blut eines erlegten Elentiers, morgen ist sie schwarz von Ruß nach einer Schlägerei mit einem Köhler. Der Graf hat ein edles, hochherziges Urteil gefällt. Das ist eine hinreichende Genugtuung. Komm, Beerencreutz!« Der Graf stellte sich ihm in den Weg. »Geh nicht«, sagt er. »Meine Frau muß mir gehorchen. Ich will, daß meine Gemahlin erfährt, wozu es führt, wenn sie eigenmächtig handelt.« Gösta blieb unschlüssig stehen. Die Gräfin stand bleich da, rührte sich aber nicht. »Geh!« sagte der Graf. »Henrik, ich kann nicht!« »Du kannst!« sagte der Graf hart. »Du kannst. Aber ich weiß, was du willst. Du willst mich zwingen, mich mit dem Manne zu duellieren, den du in deiner Launenhaftigkeit nicht leiden kannst. Wohlan! Wenn du ihm keine Genugtuung geben willst, so will ich es. Es ist stets ein besonderes Vergnügen für eine Frau, wenn Männer ihretwegen getötet werden. Du hast den Fehler begangen, willst ihn aber nicht sühnen. Ich werde mich duellieren, Frau Gräfin! In wenigen Stunden werde ich eine blutige Leiche sein.« Sie schaute ihn mit einem langen Blick an. Und sie sah ihn so, wie er war: dumm, feige, aufgeblasen vor Hochmut und Eitelkeit, der elendeste Mensch, den man sehen kann. »Beruhige dich«, sagte sie. Und sie war kalt wie Eis. »Ich werde es tun.« Jetzt aber geriet Gösta Berling ganz außer sich. »Das dürfen die Frau Gräfin nicht! Nein, Sie dürfen es nicht! Sie sind ja nur ein Kind, ein schwaches, unschuldiges Kind, und Sie sollten meine Hand küssen! Sie haben eine so reine und schöne Seele. Ich werde nie wieder in Ihre Nähe kommen, nie wieder! Ich bringe Tod und Verderben über alles, was gut und unschuldig ist. Sie sollen mich nicht anrühren. Ich schrecke vor Ihnen zurück wie das Feuer vor dem Wasser. Sie dürfen es nicht tun!« Er hielt die Hände auf dem Rücken. »Es schadet mir nichts, Herr Berling! Jetzt schadet es mir nicht mehr. Ich bitte Sie um Verzeihung! Ich bitte Sie, lassen Sie mich Ihre Hand küssen!« Gösta hielt seine Hände noch immer auf dem Rücken. Er ließ den Blick durch den Saal schweifen und näherte sich der Tür. »Wenn du die Genugtuung nicht annimmst, die meine Frau dir bietet, muß ich mich mit dir duellieren, Gösta Berling, und muß ihr außerdem eine noch härtere Strafe auferlegen.« Die Gräfin zuckte die Achseln. »Er ist ja ganz verrückt vor Feigheit«, flüsterte sie. »Lassen Sie es geschehen! Es ist ja einerlei, ob ich gedemütigt werde. Das haben Sie ja die ganze Zeit hindurch gewollt.« »Habe ich das gewollt? Glauben Sie, daß ich das gewollt habe? Jetzt, wo ich keine Hände mehr habe, die Sie küssen können, werden Sie verstehen, daß ich es nicht gewollt habe!« rief er aus. Er lief nach dem Kamin und steckte seine Hände hinein. Die Flammen schlugen darüber zusammen, die Haut schrumpfte ein, die Nägel knatterten. Im selben Augenblick aber ergriff Beerencreutz ihn beim Nacken und schleuderte ihn gewaltsam durch das Zimmer. Er taumelte auf einen Stuhl und blieb dort sitzen. Er schämte sich fast über sein Benehmen. Würde sie glauben, daß er es nur aus Prahlerei getan hatte? Sich in einem mit Menschen angefüllten Zimmer so aufzuführen -- das mußte ja wie dumme Prahlerei erscheinen. Es war kein Gedanke an Gefahr dabei gewesen. Ehe er sich vom Stuhl erhoben hatte, lag die Gräfin neben ihm auf den Knien. Sie ergriff die roten, rauchgeschwärzten Hände und betrachtete sie. »Ich will sie küssen, ich will sie küssen,« rief sie aus, »sobald sie nicht mehr zu wund und zu krank sind.« Tränen stürzten ihr aus den Augen, während sie sah, wie sich die Brandblasen unter der versengten Haut hoben. So ward es für sie eine Offenbarung ungekannter Herrlichkeit. Daß noch so etwas auf Erden geschehen konnte, daß so etwas um ihretwillen ausgeführt werden konnte! Was für ein Mann war er nicht, zu allem fähig, gewaltig im Guten wie im Bösen, ein Mann großer Taten, starker Worte, glänzender Eigenschaften! Ein Held, ein Held! Aus einem andern Stoffe gemacht als andere. Sklave einer Laune, der Lust eines Augenblickes, wild und schrecklich, aber im Besitz einer rasenden Kraft, nichts in der Welt fürchtend. Sie hatte sich den ganzen Abend so bedrückt gefühlt, hatte nichts gesehen als Kummer und Grausamkeit und Feigheit. Jetzt war alles vergessen. Die junge Gräfin war wieder froh, ein Mensch zu sein. Die Dämmerungsgöttin war besiegt. Die junge Gräfin sah Licht und Farben und eine sonnige Welt. * * * * * Als die Gräfin bald darauf erfuhr, daß die Majorin befreit war, gab sie eine große Mittagsgesellschaft den Kavalieren zu Ehren. Damit begann ihre und Gösta Berlings lange Freundschaft. Gespenstergeschichten Ihr Kinder später Zeiten! Ich habe euch nichts Neues zu erzählen, nur das, was alt und beinahe vergessen ist. Nur Märchen habe ich aus dem Kinderzimmer, wo die Kleinen auf niedrigen Schemeln um die alte Märchenerzählerin herumhockten, von dem flackernden Herdfeuer in der Hütte, um das die Knechte und Tagelöhner im Kreise herumsaßen und schwatzten, während ihre feuchten Kleider dampften und sie ihr Messer aus der ledernen Scheide am Halse zogen, um Butter auf dickes, weiches Brot zu streichen, oder aus dem Saal, wo alte Herren in wiegenden Schaukelstühlen ruhten und, von dem dampfenden Grog belebt, von alten Zeiten redeten. Stand dann ein Kind, das der Märchenerzählerin, den Tagelöhnern, den alten Herren gelauscht hatte, an Winterabenden am Fenster, da waren es keine Wolken, die es am Himmel dahinziehen sah, nein, die Wolken wurden zu Kavalieren, die in wackeligen Gefährten am Horizont dahinjagten; die Sterne waren Wachskerzen, die in dem alten Grafenschloß auf der Borger Landzunge angezündet wurden, und der Spinnrocken, der im Nebenzimmer schnurrte, ward von der alten Ulrika Dillner getreten. Denn der Kopf des Kindes war angefüllt mit den Menschen alter Zeiten, für sie lebte es, für sie schwärmte es. Wurde aber so ein Kind, dessen ganze Seele mit Märchen gesättigt war, über den dunklen Boden in die Vorratskammer gesandt nach leinenen Tüchern oder Zwiebacken, da eilten die kleinen Füße, da ging es in fliegender Fahrt die Treppe hinab, über die Diele und in die Küche hinaus. Denn da oben im Dunkeln waren dem Kinde alle die alten Geschichten eingefallen, die es von dem bösen Gutsherrn auf Fors gehört hatte, von ihm, der sich dem Teufel verschrieb. Der Staub des bösen Sintram weilt längst auf dem Svartsjöer Kirchhof, niemand aber glaubt, daß seine Seele in Gott ruht, wie es auf dem Grabstein geschrieben steht. Während er lebte, war er einer von jenen, zu denen an langen, regnerischen Sonntagnachmittagen eine schwere, mit schwarzen Pferden bespannte Karosse gefahren kam. Ein eleganter, schwarz gekleideter Herr steigt aus dem Wagen und hilft dem Hausherrn bei Karten und Würfeln die schleichenden Stunden vertreiben, die ihn in ihrer Einförmigkeit zur Verzweiflung gebracht haben. Die Partie wird bis nach Mitternacht fortgesetzt, und wenn der Fremde in der Morgendämmerung abfährt, hinterläßt er stets irgendeine unheilverkündende Abschiedsgabe. Ja, solange Sintram hier auf Erden weilte, war er einer von denen, dessen Kommen von Geistern angekündigt wird. Es gehen ihnen Warnungen voraus; ihr Wagen rollt auf den Hof, ihre Peitsche knallt, ihre Stimme wird auf der Treppe hörbar, die Haustür wird geöffnet und zugeschlagen. Hunde und Menschen erwachen von dem Geräusch, so stark ist es, aber es kommt niemand -- es sind nur Vorbedeutungen. Hu! diese entsetzlichen Menschen, die von bösen Geistern heimgesucht werden! Was für ein großer Hund konnte das doch nur sein, der sich zu Sintrams Zeit auf Fors zeigte? Er hatte schreckliche, funkelnde Augen und eine lange feuerrote Zunge, die ihm weit aus dem keuchenden Maul heraushing. Eines Tages, gerade als die Knechte in der Küche beim Mittagessen saßen, hatte er an die Küchentür gekratzt, und alle Mädchen hatten vor Entsetzen aufgeschrien; aber der größte und stärkste von den Knechten hatte ein brennendes Scheit vom Herd genommen, die Tür aufgerissen und es dem Hund in den Rachen geschleudert. Da war er mit entsetzlichem Geheul entflohen, Feuer und Rauch waren aus seinem Maul herausgeschlagen, Funken hatten ihn umwirbelt, und seine Fußspuren schimmerten auf dem Wege wie Feuer. Und etwas ganz Schreckliches war es, wenn der Gutsherr auf Reisen ging; er fuhr mit Pferden von Hause fort, aber wenn er des Nachts nach Hause kam, hatte er stets schwarze Stiere vor dem Wagen. Die Leute die an der Landstraße wohnten, konnten die großen schwarzen Hörner sich gegen den nächtlichen Himmel abheben sehen, wenn er vorüberfuhr: sie hörten die Stiere brüllen und entsetzten sich über die funkensprühenden Streifen, die die Wagenräder und Hufe in dem trocknen Kies hinterließen. Ja, die kleinen Füße konnten wohl Eile haben, wenn sie über den großen, dunklen Boden hinüber mußten. Denkt nur, wenn etwas Entsetzliches, wenn er, dessen Namen sie nicht zu nennen wagten, da oben aus einem dunklen Winkel herausgekommen wäre! Wer konnte sicher davor sein? Er zeigte sich nicht nur den schlechten Menschen. Hatte Ulrika Dillner ihn nicht gesehen! Sowohl sie als auch Anna Stjärnhök konnten davon erzählen, wie sie ihn gesehen hatten. * * * * * Freunde, Menschenkinder! Ihr, die ihr tanzet und lachet! Ich bitte euch so flehentlich, tanzet vorsichtig, lachet leise, denn es kann zu so vielem Unglück Anlaß geben, wenn eure dünnsohligen seidenen Schuhe auf Menschenherzen treten statt auf Bretter, und euer silberhelles Lachen kann eine Seele in Verzweiflung jagen. Sicher hatten die jungen Füße zu hart auf das Herz der alten Ulrika getreten, hatte das Lachen der Jungen zu übermütig in ihre Ohren geklungen, so daß sie plötzlich eine unwiderstehliche Sehnsucht nach dem Namen und der Würde einer verheirateten Frau überkam. Sie sagte endlich »ja« zu der langjährigen Werbung des bösen Sintram, folgte ihm als Gattin nach Fors und war so getrennt von den alten Freunden auf Berga, von den ihr lieb gewordenen Beschäftigungen und der alten Sorge um das tägliche Brot. Es ging über Hals und Kopf mit dieser Heirat. Um die Weihnachtszeit freite Sintram, und im Februar fand die Hochzeit statt. Anna Stjärnhök wohnte nun in Hauptmann Ugglas Hause. Sie war ein guter Ersatz für die alte Ulrika, so daß diese ohne Gewissensbisse ausziehen und sich ihren Frauentitel erobern konnte. Ohne Gewissensbisse, aber nicht ohne Reue. Es war kein guter Ort, an den sie kam; die großen, leeren Zimmer waren mit Schreckbildern angefüllt. Sobald es zu dunkeln begann, grauste und bangte sie sich. Sie war nahe daran, vor Heimweh zu vergehen. Die langen Sonntagnachmittage waren schlimmer als alles andere. Sie wollten nie ein Ende nehmen, so wenig wie die nagenden Gedanken, die sich durch ihr Gehirn schleppten. Da geschah es eines Tages, als Sintram nicht von der Kirche zu Mittag nach Hause gekommen war, daß sie in den Saal ging und sich ans Klavier setzte. Das war ihr letzter Trost. Das Klavier mit dem gemalten Flötenspieler und der Hirtin auf dem weißen Deckel war ihr Eigentum, sie hatte es von ihren Eltern geerbt. Dem konnte sie ihre Not klagen, denn es verstand sie. Aber wißt ihr, was sie spielt? Nur eine Polka -- sie, die so tief betrübt ist! Ach, sie kann nichts weiter als diese eine Polka; die hatte sie gelernt, ehe ihre Finger sich um den Kochlöffel und das Vorschneidemesser steif gekrümmt haben. Die sitzt ihr noch in den Fingern, aber sie kann nicht ein einziges Stück außer dieser Polka, keinen Trauermarsch, keine leidenschaftliche Sonate, nicht einmal eine wehmütige Volksmelodie, nur eine Polka. Die spielt sie jedesmal, wenn sie dem alten Klavier etwas anzuvertrauen hat. Sie spielt sie, wenn sie lachen möchte, sie spielt sie, wenn sie weinen möchte. Als sie ihre Hochzeit feierte, spielte sie sie, und als sie zum erstenmal in ihr eigenes Heim kam, und so auch jetzt. Die alten Saiten verstehen sie wohl; sie ist unglücklich -- ach, so unglücklich! Ein Vorüberfahrender, der die Töne der Polka hört, könnte glauben, daß der böse Gutsherr seinen Freunden und Nachbarn einen Ball gäbe, so munter klingt es. Es ist eine flotte, fröhliche Melodie. Damit hat sie in alten Tagen die Sorglosigkeit in Berga hinein- und den Hunger aus Berga herausgespielt; wenn sie ertönte, mußte sich alles im Tanze schwingen. Sie sprengte die Fessel der Gicht und lockte achtzigjährige Greise in den Tanzsaal. Die ganze Welt hätte Lust bekommen, nach der Polka zu tanzen, so munter klingt sie -- die alte Ulrika aber weint. Sie ist von bissigen Tieren und unfreundlichen Dienstboten umgeben. Sie sehnt sich danach, ein freundliches Gesicht und einen lächelnden Mund zu sehen. Und dieser verzweifelnden Sehnsucht soll die Polka Ausdruck verleihen. Es wird den Leuten so schwer, sich zu erinnern, daß sie Frau Sintram ist. Alle nennen sie Mamsell Dillner. Deswegen soll die Polka ihrer Reue Ausdruck verleihen, daß sie sich von der Eitelkeit hat verlocken lassen, nach dem Frauentitel zu trachten. Die alte Ulrika spielt, als wolle sie die Saiten zersprengen. Da ist so viel zu übertäuben: Wehrufe von verarmten Bauern, Flüche ausgesogener Arbeiter, Hohngelächter trotziger Dienstboten und vor allem die Schande -- die Schande, die Frau eines bösen Mannes zu sein. Zu diesen Tönen hat Gösta Berling den Tanz mit der jungen Gräfin Dohna aufgeführt. Marianne Sinclaire und ihre vielen Bewunderer haben danach getanzt, und die Majorin auf Ekeby hat sich im Takt zu diesen Tönen geschwungen, als der schöne Altringer noch lebte. Sie sieht sie vorüberwirbeln, Paar auf Paar, vereint in Jugend und Schönheit. Es ging ein Strom von Munterkeit von ihnen auf sie über, von ihr auf sie. Ihre Polka machte ihre Wangen glühen, ihre Augen strahlen. Jetzt ist sie von alledem geschieden. Laß die Polka ertönen -- da sind so viele, so viele Erinnerungen zu übertäuben! Sie spielt, um ihre Angst zu betäuben. Ihr Herz ist nahe daran, vor Entsetzen zu zerspringen, wenn sie den schwarzen Hund sieht, wenn sie die Dienstboten von den schwarzen Stieren flüstern hört. Sie spielt die Polka wieder und wieder, um ihre Angst zu übertäuben. Da merkt sie, daß ihr Mann nach Hause gekommen ist. Sie hört, daß er ins Zimmer kommt und sich in einen Schaukelstuhl setzt. So gut kennt sie den Ton, wenn die Gängeln den Fußboden knirschend berühren, daß sie sich nicht einmal umzusehen braucht. Und während sie spielt, fährt das Schaukeln fort -- jetzt hört sie die Töne nicht mehr, sondern nur das Schaukeln. Arme alte Ulrika, vergrämt, einsam, hilflos, verirrt in Feindesland, ohne einen Freund, dem sie ihr Leid klagen kann, ohne einen andern Tröster als das alte, klapperige Klavier, das ihr mit einer Polka antwortet! Es klingt wie ein schallendes Gelächter bei einem Begräbnis, wie ein Trinklied in einer Kirche. Während aber der Schaukelstuhl fortfährt zu schaukeln, hört sie plötzlich, daß das Klavier ihrer Klage spottet, und sie hält mitten im Takt inne. Sie erhebt sich und sieht nach dem Schaukelstuhl hinüber. Im nächsten Augenblick aber liegt sie ohnmächtig an der Erde. Dort im Schaukelstuhl saß nicht ihr Mann, sondern ein anderer -- er, dessen Namen die Kinder nicht zu nennen wagen, er, vor dem sie tot umgefallen wären, wenn sie ihn auf dem einsamen Boden getroffen hätten. * * * * * Ob wohl derjenige, dessen Seele mit Märchen angefüllt ist, sich jemals von ihrer Macht befreien kann? Der Nachtwind heult da draußen, ein Gummibaum und ein Oleander peitschen mit ihren steifen Blättern gegen das Gitterwerk des Balkons. Der Himmel wölbt sich finster über den langgestreckten Bergen, und ich, die ich zur nächtlichen Stunde allein sitze und bei dem Schein der Lampe und bei aufgezogenem Rouleau schreibe, ich, die ich jetzt alt bin und klug sein sollte, ich fühle dasselbe Grauseln mir am Rückgrat herabkriechen wie damals, als ich diese Geschichte zum erstenmal hörte, und ich muß jeden Augenblick die Augen von der Arbeit erheben, um nachzusehen, ob sich nicht jemand dort in der Ecke versteckt hat; ich muß auf den Balkon hinaus, um zu sehen, ob nicht ein schwarzer Kopf über das Gitterwerk guckt. Er verläßt mich nie, dieser Schrecken, den die alten Geschichten wachrufen, wenn die Nacht finster und die Einsamkeit tief ist, und er gewinnt schließlich eine solche Übermacht, daß ich in mein Bett kriechen und die Decke über den Kopf ziehen muß. Ich habe mich in meiner Kindheit nie genug darüber verwundern können, daß Ulrika Dillner diesen Nachmittag überlebte. Ich hätte es nicht gekonnt. Ein Glück war es, daß Anna Stjärnhök gleich darauf nach Fors gefahren kam, daß sie sie im Saal am Fußboden liegend fand und sie wieder ins Leben zurückrief. Mit mir wäre es sicher nicht so gut abgegangen. Ich wäre längst tot gewesen. Ich will euch wünschen, liebe Freunde, daß ihr davor bewahrt werden möget, die Tränen alter Augen zu sehen. Daß ihr nicht hilflos dastehen möget, wenn sich ein graues Haupt an eure Brust lehnt, um Stütze zu suchen, oder alte Hände sich in schweigendem Flehen um euch falten. Möge es euch erspart bleiben, die Alten in Kummer versenkt zu sehen, den ihr nicht zu lindern vermöget. Was sind die Klagen der Jungen? Sie haben Kraft, sie haben Hoffnung. Aber welch ein Elend ist es nicht, wenn die Alten weinen, wenn die, die eurer jungen Tage Stütze gewesen sind, in machtlose Klage hinsinken! Dort saß Anna Stjärnhök und hörte die alte Ulrika an, und sie sah keinen Ausweg für sie. Die Alte weinte und bebte. Ihre Augen rollten wild, sie sprach zuweilen so verwirrt, als wisse sie nicht mehr, wo sie war. Die tausend Runzeln, die ihr Gesicht durchfurchten, waren doppelt so tief wie gewöhnlich, die Hängelocken, die ihr über die Augen hingen, fielen durch die Feuchtigkeit der Tränen aus, und die ganze lange, magere Gestalt erschütterte ein Schluchzen. Endlich mußte Anna dem Jammer ein Ende machen. Sie hatte ihren Entschluß gefaßt; sie wollte sie mit nach Berga nehmen. Wohl war sie Sintrams Gattin, aber auf Fors konnte sie nicht bleiben. Sie würde ja den Verstand verlieren, wenn sie bei dem bösen Manne bliebe. Anna beschloß, die alte Ulrika mitzunehmen. Ach, wie freudig erschrak die Alte über diesen Entschluß! Aber sie wagte es wirklich nicht, ihrem Mann und ihrem Heim zu entfliehen. Er war imstande, ihr den großen Hund nachzusenden. Aber Anna Stjärnhök überwand ihren Widerstand, teils mit Scherzen, teils mit Drohungen, und ehe eine halbe Stunde vergangen war, hatte sie sie neben sich im Schlitten. Anna fuhr selber, und zwar mit der alten Disa. Die Wege waren tief, denn es war gegen Ende März, aber es tat der alten Ulrika gut, wieder in dem wohlbekannten Schlitten mit dem alten Pferd davor zu sitzen, es war viele Jahre lang ein treuer Diener auf Berga gewesen -- mindestens so lange wie sie. Da nun diese alte Sklavin der Arbeit einen guten Humor und einen frischen Sinn besaß, hielt sie mit dem Weinen inne, als sie an Arvidstorp vorüberkamen; bei Högberg lachte sie schon, und als sie an Munkeby vorbeifuhren, war sie ganz vertieft in ihre Jugenderinnerungen und erzählte ihrer Begleiterin, was sich in ihren jungen Jahren zugetragen hatte, damals als sie bei der Gräfin auf Svaneholm war. Sie kamen nun zu der einsamen, menschenleeren Strecke nördlich von Munkeby, wo der Weg hügelig und steinig war. Er schlängelte sich an allen Höhen hinauf, die er erreichen konnte, kroch in langsamen Windungen aufwärts, stürzte sich kopfüber an ihnen hinab und eilte in so gerader Linie wie nur möglich über den ebenen Talboden, um sofort wieder einen neuen Abhang zu finden, an dem er in die Höhe klettern konnte. Sie waren gerade im Begriff den Vestratorpshügel hinabzufahren, als die alte Ulrika plötzlich verstummte und krampfhaft Annas Arm packte. Sie starrte einen großen Hund am Wegesrande an. »Sieh!« sagte sie. Der Hund sprang von dannen in den Wald. Anna hatte ihn nicht recht gesehen. »Fahr zu!« sagte die alte Ulrika, »fahr so schnell du kannst! Jetzt erhält Sintram Bescheid, daß ich hier bin.« Anna versuchte, über ihre Angst zu lachen, aber sie fuhr fort: »Wir werden bald seine Schlittenglocken hören. Wir hören sie, noch ehe wir auf dem nächsten Hügel sind.« Und während die alte Disa sich einen Augenblick auf dem Gipfel des Elofshügels verschnaufte, erschallte von unten her Schlittengeläute. Jetzt geriet die alte Ulrika ganz außer sich. Sie bebte, schluchzte und jammerte, genau so wie vorhin in dem Saal zu Fors. Anna wollte Disa zur Eile antreiben, die aber wandte den Kopf ab und sandte ihr einen höchst verwunderten Blick zu. Glaubte sie, daß Disa nicht wisse, wann es Zeit war zu laufen und wann zu gehen? Wollte sie sie lehren, einen Schlitten zu ziehen, sie, die doch seit mehr als zwanzig Jahren jeden Stein, jede Brücke, jeden Zaun, jeden Hügel in meilenweitem Umkreis gekannt hatte! Inzwischen kam das Schlittengeläute näher und näher. »Das ist er, das ist er, ich kenne seine Glocken!« jammert die alte Ulrika. Der Laut kommt immer näher. Zuweilen ist er so unnatürlich stark, daß Anna sich umwendet, um zu sehen, ob Sintrams Pferd mit seinem Kopf schon ihren Schlitten berührt, bald stirbt er völlig hin. Sie hören ihn bald rechts, bald links vom Wege, sehen aber niemand. Es ist, als verfolge sie nur das Geläute der Schlittenglocken. Wie des Nachts, wenn man aus einer Gesellschaft heimkehrt, so ist es nun: die Glocken klingen in Melodien, singen, sprechen, antworten. Der Wald hallt wider von ihrem Getön. Anna sehnt sich fast danach, daß der Verfolger allmählich so nahe kommen soll, daß sie ihn selber und sein rotes Pferd sehen kann. Ihr wird ganz unheimlich zumute bei diesem unablässigen Schlittengeläute. Sie ist nicht ängstlich, ist es niemals gewesen, aber diese Glocken peinigen und plagen sie. »Die Glocken peinigen mich«, sagt sie. Und sofort fangen die Glocken das Wort auf. »Peinigen mich,« klingeln sie, »peinigen mich, peinigen, peinigen, peinigen mich«, singen sie in allen möglichen Tonarten. Es war nicht lange her, seit sie, von Wölfen verfolgt, diesen selben Weg gefahren war. Sie hatte in der Finsternis die weißen Zähne in dem offnen Rachen schimmern sehen, sie hatte gedacht, daß sie von den wilden Tieren des Waldes zerrissen werden würde. Damals aber war sie nicht bange gewesen. Eine herrlichere Nacht hatte sie niemals erlebt. Schön und kräftig war das Pferd gewesen, das sie zog, schön und kräftig war der Mann, der die Freude des Abenteuers mit ihr teilte. Ach, dies alte Pferd, diese alte, zitternde Reisegenossin! Sie fühlt sich so machtlos, daß sie gern weinen möchte. Sie kann dies entsetzliche, aufregende Glockengeläute nicht los werden. Sie hält still und steigt aus dem Schlitten. Dies muß ein Ende haben. Weshalb soll sie fliehen, als fürchte sie sich vor dem bösen, verächtlichen Schurken? Endlich sieht sie aus der zunehmenden Dämmerung einen Pferdekopf sichtbar werden, und dem Kopf folgt ein ganzes Pferd, ein Schlitten, und in dem Schlitten sitzt Sintram selber. Sie bemerkt indessen, daß es nicht so aussieht, als seien sie von der Landstraße hergekommen, dies Pferd, dieser Schlitten und dieser Mann, sondern vielmehr, als seien sie plötzlich vor ihren Augen entstanden und allmählich, sowie sie fertig geworden, aus der Dunkelheit herausgetreten. Anna wirft Ulrika die Zügel zu und geht Sintram entgegen. Er hält das Pferd an. »Sieh, sieh,« sagt er, »welch ein glücklicher Zufall! Liebes Fräulein Stjärnhök, lassen Sie mich meinen Reisegefährten in Ihren Schlitten setzen. Er will noch heute Abend nach Berga, und ich habe Eile, nach Hause zu kommen.« »Wo ist der Reisegefährte?« Sintram knöpft den Fußsack auf und zeigt Anna einen Mann, der schlafend am Boden des Schlittens liegt. »Er ist ein wenig betrunken,« sagt er, »aber was macht das? Er schläft wohl. Es ist übrigens ein guter Bekannter, Fräulein Stjärnhök -- es ist Gösta Berling.« Anna schaudert. »Denn ich will Ihnen nur sagen, daß derjenige, der seinen Geliebten verläßt, ihn dem Teufel verkauft. So bin ich in seine Klauen geraten. Man glaubt natürlich, daß man sich so richtig benimmt; entsagen, das ist das Gute, lieben, das ist vom Bösen!« »Was meinen Sie damit? Wovon reden Sie?« fragt Anna tief erschüttert. »Ich meine, Fräulein Anna hätte Gösta Berling nicht von sich lassen sollen.« »Es war Gottes Wille.« »Jawohl, so geht es. Die Entsagung ist vom Guten und die Liebe ist vom Bösen. Der gute Gott mag die Menschen nicht glücklich sehen. Er sendet Wölfe nach ihnen aus; aber setzen Sie nun einmal den Fall, daß es nicht Gott war, der sie sandte, Fräulein Anna. Hätte ich es nicht ebensogut sein können, der meine kleinen grauen Lämmer vom Hochgebirge holte und sie hinter dem jungen Manne und dem jungen Mädchen dreinsandte? Wenn ich Ihnen nun die Wölfe gesandt hätte, weil ich nicht einen von denen verlieren wollte, die mir gehören? Wenn es nun gar nicht Gott war, der es getan hat?« »Sie sollen mich nicht verlocken, an der Sache zu zweifeln,« sagt Anna mit schwacher Stimme, »denn dann bin ich verloren.« »Sehen Sie einmal her,« sagt Sintram und beugt sich über den schlafenden Gösta Berling, »sehen Sie seinen kleinen Finger an. Die Wunde da heilt niemals. Der entnahmen wir das Blut, als er den Pakt unterschrieb. Er gehört mir. Es liegt eine große Kraft im Blute. Er ist mein. Nur die Liebe kann ihn lösen; aber wenn ich ihn behalten darf, soll er schon gut werden.« Anna Stjärnhök kämpft und kämpft, um den Zauber abzuschütteln, der sie ergriffen hat. Dies ist ja Wahnsinn, der reine Wahnsinn! Niemand kann seine Seele dem Bösen verschreiben. Aber sie hat keine Macht über ihre eigenen Gedanken, die Dämmerung lastet schwer auf ihr, der Wald steht finster und schweigend da. Sie kann sich nicht von dem unheimlichen Entsetzen des Augenblicks befreien. »Meint Fräulein Anna vielleicht,« fährt Sintram fort, »daß nicht viel Gutes mehr an ihm ist? Glauben Sie das nicht! Hat er je Bauern geplagt, hat er je arme Freunde betrogen? Hat er je falsch gespielt? Ist er, Fräulein Anna, ist er je der Geliebte einer verheirateten Frau gewesen?« »Ich glaube, Sie sind der Böse selber!« »Lassen Sie uns tauschen, Fräulein Anna! Nehmen Sie Gösta Berling und verheiraten Sie sich mit ihm! Behalten Sie ihn und geben Sie denen auf Berga Geld! Ich will ihn Ihnen abstehen, denn Sie wissen ja, daß er mir gehört. Nehmen Sie an, daß nicht Gott in jener Nacht die Wölfe sandte, und lassen Sie uns tauschen!« »Was wollen Sie als Ersatz haben?« Sintram grinste. »Was ich haben will? Ach, ich bin mit wenigem zufrieden. Ich will nur das alte Frauenzimmer dort in Ihrem Schlitten haben, Fräulein Anna!« »Satan, Versucher!« rief Anna. »Weiche von mir! Soll ich meine alte Freundin, die sich auf mich verläßt, im Stich lassen? Soll ich sie in deine Gewalt geben, damit du sie um ihren Verstand bringen kannst?« »Nun, nun, ruhig, Fräulein Anna! Überlegen Sie sich die Sache! Hier ist ein junger, schöner Mann, und da ein altes, verlebtes Weib. Einen von beiden muß ich haben. Wen wollen Sie mir überlassen?« Anna lachte; ein verzweifeltes Lachen. »Wollen Herr Sintram und ich hier stehen und Seelenhandel betreiben, wie man auf dem Brobyer Markt Tauschhandel mit den Pferden betreibt?« »Ja, akkurat so! Aber wenn Fräulein Anna es vorzieht, können wir die Sache auch auf eine andere Weise angreifen. Wir können an die Stjärnhöksche Ehre denken.« Und dann fängt er mit lauter Stimme an, seine Frau zu rufen, die in Annas Schlitten sitzt, und zum unsagbaren Entsetzen des jungen Mädchens gehorcht diese sofort, steigt aus dem Schlitten und kommt schaudernd und bebend zu ihm hin. »Sieh, sieh! Eine gehorsame Ehefrau«, sagt Sintram. »Fräulein Anna kann nichts dagegen machen, daß sie kommt, wenn ihr Mann ruft. Jetzt hebe ich Gösta aus meinem Schlitten und lasse ihn hier. Ich verlasse ihn für _immer_, Fräulein Anna. Wer da will, kann ihn jetzt nehmen.« Er beugt sich hinab, um Gösta aufzuheben, da aber beugt Anna sich tief zu ihm herunter, so daß sie fast sein Antlitz berührt, durchbohrt ihn mit ihrem Blick und zischt wie ein wildes Tier: »In Gottes Namen, fahr nach Hause! Weißt du nicht, wer dort im Saal im Schaukelstuhl sitzt und auf dich wartet? Wagst du es, den warten zu lassen?« Es ist für Anna fast der Höhepunkt von allen Schrecken des Tages, zu sehen, wie diese Worte auf den bösen Mann wirken. Er rückt an den Zügeln, wendet den Schlitten und fährt heimwärts, das Pferd mit Peitschenschlägen und wilden Rufen zum Galopp antreibend. Den schrecklichen Abhang hinab geht die lebensgefährliche Fahrt, während ein langer Streif von Funken unter den Schlittenkufen und den Pferdehufen in dem dünnen Märzschnee sichtbar wird. Anna Stjärnhök und Ulrika Dillner bleiben allein auf dem Wege zurück, aber sie reden nicht ein einziges Wort. Ulrika schaudert vor Annas wilden Blicken, und Anna hat der armen Alten, um derentwillen sie den Geliebten geopfert hat, kein einziges Wort zu sagen. Sie hätte weinen, rasen, sich auf dem Wege wälzen und ihr Haupt mit Sand und Schnee bestreuen können. Bisher hatte sie die erhebende Wirkung der Entsagung empfunden, jetzt fühlte sie nur die Bitterkeit. Was war das, seine Liebe zu opfern, gegen das Entsetzliche, den Geliebten zu opfern! Sie fuhren nach Berga, ohne ein Wort zu wechseln als sie aber da waren und die Tür zum Wohnzimmer geöffnet wurde, da fiel Anna Stjärnhök zum ersten und einzigen Mal in ihrem Leben in Ohnmacht. Da drinnen saßen Sintram und Gösta Berling und unterhielten sich in aller Ruhe. Dichter Tabaksqualm erfüllte das Zimmer, sie waren mindestens eine Stunde dort gewesen. Anna Stjärnhök fiel in Ohnmacht, die alte Ulrika aber stand ruhig da. Sie hatte sehr wohl gemerkt, daß es nicht seine Richtigkeit hatte mit dem, der sie auf der Landstraße verfolgte. Später ordneten der Hauptmann und seine Frau es so mit dem bösen Sintram, daß die alte Ulrika bei ihnen auf Berga blieb. Er wolle sie wahrhaftig nicht verrückt machen, sagte er. * * * * * Ihr Kinder später Zeiten! Ich verlange ja nicht, daß jemand diese alten Geschichten glauben soll. Es kann ja nichts weiter sein als Lügen und Hirngespinste. Aber die Reue, die über dem Herzen hin und her wiegt, bis es kreischt und jammert wie die Dielenbretter in Sintrams Saal unter den Gängeln des Schaukelstuhls, und der Zweifel, der in den Ohren klingelt, wie die Schlittenglocken vor Anna Stjärnhöks Ohren in dem einsamen Walde erklangen, wann werden die zu Lügen und Hirngespinsten? Ach, daß sie es werden könnten! Ebba Dohnas Geschichte Die schöne Landzunge am östlichen Ufer des Löfsees, die von den sanften Wellen der Bucht umspielt wird, die stolze Landzunge, wo das Schloß Borg liegt, die zu betreten mußt du dich hüten! Niemals sieht man den See schöner als von der Spitze dieser Landzunge. Niemand weiß, wie schön der See meiner Träume ist, bevor er von dort aus die Morgennebel hat über die glatte Fläche gleiten sehen, bevor er aus dem Fenster in dem kleinen Kabinett, wo so viele Erinnerungen wohnen, einen rosigen Sonnenuntergang sich im See hat spiegeln sehen. Aber ich sage trotzdem: »Geh nicht dahin!« Denn vielleicht ergreift dich der Wunsch, in den trauererfüllten Sälen des alten Schlosses zu weilen, vielleicht erwirbst du dir diesen schönen Fleck als Eigentum, und wenn du jung, reich und glücklich bist, schlägst du vielleicht dort dein Heim mit einer jungen Gattin auf. Nein, es ist besser, die schöne Landzunge gar nicht zu sehen, denn auf Borg kann kein Glück wohnen. Das mußt du wissen: Wie reich, wie glücklich du auch sein magst, der du in das Schloß einziehst, so werden die alten, tränengetränkten Dielen auch bald von _deinen_ Tränen genetzt werden, diese Wände, die so manchen Klagelaut von sich geben könnten, werden auch _deine_ Seufzer aufnehmen und aufbewahren. Es ruht ein unsanftes Schicksal über diesem schönen Schloß. Es ist, als läge das Unglück dort begraben, könne aber nicht Ruhe finden in seinem Grabe; beständig steht es wieder auf, um die Lebenden zu erschrecken. Wenn ich Herr auf Borg wäre, würde ich die Erde durchwühlen, sowohl den Steingrund des Tannenwaldes als den Boden des Kellers und die schwarze Erde draußen auf den Feldern, bis ich die wurmzerfressene Leiche der Hexe fände, und dann würde ich ihr ein Grab in geweihter Erde auf dem Svartfjöer Kirchhof geben. Und bei dem Begräbnis würde ich nicht sparen mit der Bezahlung für den Glöckner, damit die Glocken lange und laut für sie schallten, und ich würde dem Pfarrer und dem Küster reiche Gaben senden, damit sie sie mit doppelter Kraft zur ewigen Ruhe einweihten, mit Rede und Gesang. Und wenn das nicht hülfe, würde ich in einer stürmischen Nacht die alten hölzernen Wände in Brand stecken und die Flammen alles verzehren lassen, so daß die Menschen sich nicht mehr verlocken ließen, in diesem Heim des Unglücks zu wohnen. Dann sollte niemand mehr diesen verdammten Ort betreten, nur die schwarzen Elstern im Kirchturm sollten Erlaubnis haben, eine neue Ansiedlung in der großen Schornsteinmauer anzulegen, die sich rußig und unheimlich über dem schwarzen Brandplatz erhebt. Doch würde mir sicherlich wunderlich beklommen zumute werden bei dem Anblick der Flammen, die über dem Dach zusammenschlagen, und der dicken Rauchwolken, die vom Feuerschein gerötet und voller Funken sich über den alten Hofplatz wälzen. Im Knittern und Zischen des Feuers würde ich die Klage der heimatlosen Erinnerungen zu hören glauben, auf den blauen Spitzen der Flammen würde ich die vertriebenen Geister des Hauses zu sehen glauben. Ich würde daran denken, wie der Kummer verschönert, wie das Unglück mit Glanz umgibt, ich würde weinen, als wenn ein Tempel alter Götter dem Untergange geweiht sei. Doch stille, du unglückverkündender Rabe! Warte, bis die Nacht gekommen ist, wenn du um die Wette mit den Eulen des Waldes klagen willst! Noch liegt Schloß Borg vom Sonnenschein umstrahlt hoch oben auf der Landzunge, beschützt von seinem Parke riesiger Tannen, und die schneebedeckten Felder da unten glitzern in dem stechenden Sonnenschein des Märztages; noch vernimmt man innerhalb seiner Wände das fröhliche Lachen der munteren Gräfin Elisabeth. Des Sonntags geht sie in die Svartsjöer Kirche, die in der Nähe von Borg liegt, und ladet nach dem Gottesdienst eine ganz kleine Gesellschaft aufs Schloß. Der Amtmann und seine Frau aus Munkerud pflegen zu kommen und der Hauptmann mit Familie aus Berga und der Kaplan und der böse Sintram. Und wenn Gösta Berling zu Fuß über das Eis nach Svartsjö gekommen ist, so ladet sie auch ihn ein. Weshalb sollte sie Gösta Berling nicht einladen? Sie weiß ja nicht, daß die Klatschbasen schon anfangen darüber zu flüstern, daß Gösta Berling so oft an das östliche Ufer kommt, um die junge Gräfin zu treffen. Vielleicht kommt er auch, um mit Sintram zu trinken und zu spielen, aber darüber spricht man nicht soviel. Alle wissen, daß sein Körper von Eisen ist, mit seinem Herzen aber ist es eine andere Sache. Niemand glaubt, daß er ein Paar strahlender Augen und blondes Haar, das sich um eine weiße Stirn kräuselt, sehen kann, ohne sich zu verlieben. Die junge Gräfin ist gut gegen ihn. Es ist nichts Sonderbares darin, sie ist gut gegen alle. Sie nimmt zerlumpte Bettelkinder auf den Schoß, und wenn sie auf der Landstraße an einem armen alten Fußgänger vorüberfährt, so läßt sie den Kutscher halten und nimmt den Frierenden in ihren Schlitten. Gösta sitzt gern in dem kleinen blauen Kabinett, von wo man die herrliche Aussicht nach Norden zu über den See hat, und liest ihr Gedichte vor. Darin kann doch nichts Böses sein? Er vergißt nie, daß sie eine Gräfin und er ein armer, heimatloser Abenteurer ist, und es ist gut für ihn, mit einer Frau zu verkehren, die hoch und heilig für ihn dasteht. Er könnte ebensogut daran denken, sich in die Königin von Saba zu verlieben, deren Bild die Pulpitur in der Svartsjöer Kirche schmückt, als in sie. Er wünscht nur Gelegenheit zu haben, ihr zu dienen, wie ein Page seiner hohen Herrin dient, ihr die Schlittschuhe anschnallen, ihr Garn halten und ihren Schlitten lenken zu dürfen. Es kann keine Rede sein von Liebe zwischen den beiden; aber er ist gerade der Mann, der sich bei einer romantischen, unschuldigen Schwärmerei glücklich fühlen kann. Der junge Graf ist still und ruhig, und Gösta ist von sprudelnder Lebhaftigkeit. Es ist gerade der Verkehr, den die junge Gräfin sich wünscht. Niemand, der sie sieht, glaubt, daß sie eine verbotene Liebe im Herzen trägt. An Tanz und Lustbarkeit denkt sie. Sie sähe es am liebsten, daß die Erde ganz glatt wäre, ohne Steine, Felsen und Seen, so daß man über die ganze Fläche dahintanzen könnte. Auf schmalen, dünnsohligen, seidenen Schuhen möchte sie von der Wiege bis zum Grabe tanzen. Aber das Gerede geht nicht nachsichtig um mit jungen Frauen. Wenn diese Gäste nach Borg kommen und dort zu Mittag essen, pflegen die Herren nach Tische in das Zimmer des Grafen zu gehen, um zu schlafen oder zu rauchen, und die alten Damen pflegen im Saal in die Lehnstühle zu sinken und ihre ehrwürdigen Köpfe gegen die hohen Rücklehnen zu stützen; die Gräfin aber und Anna Stjärnhök gehen in das blaue Kabinett und wechseln vertrauliche Mitteilungen in das Unendliche aus. Hier sitzen sie auch am Sonntag, nachdem Anna Stjärnhök Ulrika Dillner nach Berga geholt hat. Niemand auf der ganzen Welt ist unglücklicher als das junge Mädchen. All ihre Munterkeit ist verschwunden, vorbei ist es mit dem fröhlichen Trotz, den sie allem und allen entgegensetzte, die ihr zunahe kamen. Alles, was sich auf dem Heimwege zugetragen hat, ist in ihrer Erinnerung in das Halbdunkel versunken, aus dem es hervorgezaubert wurde; sie hat nicht einen einzigen klaren Eindruck mehr. Ja, _einen_, und der vergiftet ihre Seele. »_Wenn_ es nun nicht Gott war, der es getan hat«, flüstert sie sich wieder und wieder zu. »_Wenn_ es nun nicht Gott war, der die Wölfe sandte?« Sie begehrt Zeichen und Wunder. Sie späht am Himmel und auf der Erde. Aber sie sieht keinen Finger aus den Wolken hervorgestreckt, um ihr den Weg zu weisen. Keine Wolkensäule, keine Feuersäule geht vor ihr her. Wie sie jetzt der Gräfin gerade gegenüber in dem kleinen Kabinett sitzt, fällt ihr Blick auf einen kleinen Strauß blauer Anemonen, den die Gräfin in der Hand hält. Wie ein Blitz durchzuckt es sie, daß sie weiß, wo die Anemonen gewachsen sind, und sie weiß, wer sie gepflückt hat. Sie braucht nicht zu fragen. Wo in der ganzen Gegend wachsen schon Anfang April Anemonen, außer im Birkenhain am Strandhügel bei Ekeby? Sie sitzt da und starrt die kleinen blauen Sterne an, diese glücklichen, die alle Menschen lieben, diese kleinen Propheten, die an sich schön, auch noch umstrahlt werden von dem Glanz all des Schönen, das sie verheißen, all des Schönen, das da kommen soll. Und während sie dasitzt und sie anschaut, zieht sich in ihrer Seele ein Zorn zusammen, dumpf wie der Donner, lähmend wie der Blitz. »Mit welchem Recht«, denkt sie, »trägt Gräfin Dohna diesen Strauß blauer Anemonen, der am Strandhügel von Ekeby gepflückt ist?« Sie waren Versucher alle miteinander, Sintram, die Gräfin, alle diese Menschen, die Gösta Berling zu dem verlocken wollten, was böse war, sie aber wollte ihn verteidigen, ihn gegen alle verteidigen. Wenn es ihr auch ihr Herzblut kosten sollte, sie wollte es tun. Sie fühlt, daß sie die Blumen aus der Hand der Gräfin gerissen, an die Erde geworfen, zertreten, zermalmt sehen muß, bevor sie das kleine blaue Kabinett verläßt. Das fühlt sie, und sie beginnt einen Kampf gegen die kleinen blauen Sterne. Draußen im Saal stützen die alten Damen die ehrwürdigen Köpfe gegen die Stuhllehnen und ahnen nichts, die Herren paffen in Ruhe und Gemächlichkeit im Zimmer des Grafen auf ihren Pfeifen -- alles atmet Frieden, nur in dem kleinen blauen Kabinett wütet ein verzweifelter Kampf. Ach, wie klug handeln sie, die ihre Hände vom Schwert fortlassen, sie, die zu schweigen und zu warten wissen, die ihre Herzen beschwichtigen und Gott walten lassen können! Immer geht das unruhige Herz irre. Immer macht das Böse das Böse nur noch ärger. Aber Anna Stjärnhök glaubt, daß sie jetzt endlich einen Finger in den Wolken erblickt hat. »Anna,« sagt die Gräfin, »erzähle mir eine Geschichte.« »Wovon soll sie handeln?« »Ach,« sagt die Gräfin, den Strauß mit ihrer weißen Hand liebkosend, »weißt du nicht etwas von Liebe zu erzählen?« »Nein, ich weiß nichts von Liebe.« »Wie du redest! Gibt es nicht einen Ort, der Ekeby heißt, und wimmelt es da nicht von Kavalieren?« »Ja,« sagt Anna, »es gibt einen Ort, der Ekeby heißt, und dort wohnen Männer, die das Mark des Landes aussaugen, die uns untüchtig machen zu ernster Arbeit, die die heranwachsende Jugend verführen und unsere besten Köpfe auf Abwege leiten. Willst du von denen hören? Willst du Liebesgeschichten von denen hören?« »Ja, das will ich! Ich kann die Kavaliere wohl leiden!« Da redet Anna Stjärnhök, redet in kurzen Strophen wie ein altes Psalmbuch, denn sie ist nahe daran, von stürmischen Gefühlen erstickt zu werden. Heimliche Leidenschaft zittert unter jedem Wort und die Gräfin muß ihr ängstlich und gespannt zugleich lauschen: »Was ist die Liebe eines Kavaliers, was ist die Treue eines Kavaliers? Eine Geliebte heute, eine morgen, eine im Osten, eine im Westen. Nichts ist ihm zu hoch, nichts ist ihm zu gering: den einen Tag eine Gräfin, den andern Tag eine Betteldirne. Nichts in der Welt ist so geräumig wie sein Herz. Aber wehe der Armen, die einen Kavalier liebt! Sie muß nach ihm suchen, wenn er bezecht am Grabenrande liegt. Sie muß schweigend zusehen, wie er das Heim ihrer Kinder verspielt. Sie muß es dulden, daß er andere Frauen umschwärmt. Ach, Elisabeth, bittet ein Kavalier eine ehrbare Frau um einen Tanz, so sollte sie es ihm abschlagen, gibt er ihr einen Strauß Blumen, so sollte sie ihn zu Boden werfen und mit Füßen treten, liebt sie ihn, so sollte sie lieber sterben als ihn heiraten. -- Unter den Kavalieren war einer, der ein abgesetzter Pfarrer war. Er hatte sein Amt verloren, weil er trank. Betrunken war er in die Kirche gekommen. Er trank den Altarwein aus. Hast du von ihm gehört?« »Nein.« »Gleich nachdem er seines Amtes entsetzt war, streifte er als Bettler im Lande umher. Er trank wie ein Verrückter. Er konnte stehlen, um sich Branntwein zu schaffen.« »Wie heißt er?« »Er weilt nicht mehr auf Ekeby. -- Die Majorin nahm sich seiner an, schenkte ihm Kleider und überredete deine Schwiegermutter, ihn als Hauslehrer für deinen Mann, den jungen Grafen Henrik, zu nehmen.« »Einen abgesetzten Pfarrer?« »Ach, er war ein junger, kräftiger Mann und besaß gute Kenntnisse. Es war nichts an ihm auszusetzen, wenn er nur nicht trank. Gräfin Märta nahm so etwas nicht so genau. Es amüsierte sie, dem Probst und dem Kaplan einen Streich zu spielen. Doch befahl sie, daß niemand mit ihren Kindern von seiner Vergangenheit sprechen solle, denn da würde ihr Sohn den Respekt verlieren, und ihre Tochter würde ihn nicht geduldet haben; denn sie war eine Heilige. »So kam er denn hierher nach Borg. Er blieb an der Tür stehen, er setzte sich auf die Ecke des Stuhls, er schwieg bei Tische und flüchtete in den Park hinab, wenn Gäste kamen. »Doch da unten, auf den einsamen Wegen begegnete er oft der jungen Gräfin Ebba Dohna. Sie gehörte nicht zu denen, die die lärmenden Feste lieben, die durch die Säle des Schlosses brausten, seit die Gräfin verwitwet war. Sie gehörte nicht zu denen, die trotzige Blicke in die Welt hinaussenden. Sie war so sanft und so scheu. Selbst nachdem sie ihr siebzehntes Jahr zurückgelegt hatte, war sie so scheu wie ein Kind, aber schön war sie mit ihren braunen Augen und der zarten Röte auf den Wangen. Ihr schlanker Körper war ein wenig gebeugt. Ihre schmale Hand schob sich mit einem schwachen Druck in die unsere. Ihr kleiner Mund war der schweigsamste und dabei der ernsthafteste von allen Mündern. Und dann ihre Stimme, ihre zarte, weiche Stimme, die die Worte so schön und so langsam aussprach, nie aber jugendfrisch, jugendwarm klang, sondern zögernd mit einem matten Tonfall, wie der Schlußakkord eines müden Künstlers. »Sie war nicht wie andere. Ihr Fuß berührte die Erde so leicht, als sei er ein banger Flüchtling. Sie hielt die Augen gesenkt, um nicht gestört zu werden in der Beschauung der Herrlichkeit innerer Bilder. Ihre Seele hatte sich schon, als sie noch ein Kind war, von der Erde abgewandt. »Als sie klein war, pflegte ihre Großmutter ihr Märchen zu erzählen, und eines Abends saßen sie beide am Kamin, aber mit den Märchen waren sie fertig. Die hatten ihre Zeit ausgelebt, die hatten sich wie die Flammen des Feuers in Glanz und Herrlichkeit getummelt; aber nun lagen die Helden erschlagen, und die schönen Prinzessinnen waren verkohlt -- bis das nächste Feuer sie aufs neue erweckte. -- Aber die Hand der Kleinen lag noch immer auf dem Knie der Großmutter, und sie strich über die Seide hin, über diesen sonderbaren Stoff, der schreien konnte wie ein kleiner Vogel. Und diese kleine Bewegung sollte ihre Bitte bedeuten, denn sie gehörte zu den Kindern, die niemals mit Worten bitten. »Da begann die Alte ganz leise ihr von einem kleinen Kinde im Judenland zu erzählen, einem kleinen Kinde, das geboren ward, um ein großer König zu sein. Die Engel hatten die Erde mit Lobgesängen erfüllt, als es geboren ward. Weise aus dem Morgenlande kamen, geleitet von den Sternen des Himmels, und brachten Gold und Räucherwerk, und alte Männer und Frauen weissagten von seiner Herrlichkeit. Dies Kind wuchs heran zu größerer Schönheit und höherer Weisheit als alle andern Kinder. Schon als es zwölf Jahre zählte, war seine Weisheit größer als die der Hohenpriester und Schriftgelehrten. »Dann erzählte die Alte ihr von dem Schönsten, das die Erde gesehen hat, von dem Leben dieses Kindes, während es unter den Menschen weilte, unter den bösen Menschen, die es nicht als ihren König anerkennen wollten. »Sie erzählte ihr, wie das Kind zum Mann heranwuchs, aber die Wunder umstrahlten ihn noch immer. Alles auf Erden diente ihm und liebte ihn, ausgenommen die Menschen. Die Fische ließen sich in sein Netz fangen, das Brot füllte seine Körbe, das Wasser verwandelte sich in Wein, wenn er es wollte. »Aber die Menschen setzten den großen König nicht auf den Thron, gaben ihm keine goldene Krone. Er war nicht umgeben von schmeichelnden Höflingen. Als Bettler ließen sie ihn unter sich wandeln. »Und der große König war doch so gut gegen sie. Er heilte ihre Kranken, gab den Blinden ihr Gesicht wieder und erweckte die Toten. »Aber, sagte die Alte, die Menschen wollten den guten König nicht zu ihrem Herrn haben; sie sandten Kriegsleute nach ihm aus und fingen ihn, sie schmückten ihn höhnend mit Krone und Zepter, hingen ihm einen langen Mantel um und ließen ihn, das Kreuz auf dem Rücken, zur Richtstätte wandern. O mein Kind, der gute König liebte die hohen Berge. Des Nachts stieg er oft auf sie hinauf, um mit den Bewohnern des Himmels zu reden, und am Tage liebte er es, an einem Bergabhang zu sitzen und zu den lauschenden Menschen zu reden. Jetzt aber führten sie ihn auf einen Berg, um ihn zu kreuzigen. Sie schlugen Nägel durch seine Hände und Füße und hängten den guten König an ein Kreuz, als sei er ein Räuber und ein Missetäter gewesen. »Und das Volk verspottete ihn. Nur seine Mutter und seine Freunde weinten, weil er sterben mußte, ehe er es erreicht hatte, König zu werden. »Ach, wie die toten Dinge bei seinem Hinscheiden trauerten! Die Sonne verlor ihren Glanz, die Berge erbebten, der Vorhang im Tempel riß mitten durch, und die Gräber öffneten sich, damit die Toten herausgehen und ihren Schmerz zeigen konnten. -- -- -- »Da lag die Kleine mit dem Kopf im Schoße der Großmutter und schluchzte, als solle ihr Herz brechen. »Weine nicht, mein Kind, der gute König ist aus seinem Grabe auferstanden und zu seinem Vater gen Himmel gefahren. »Großmutter, schluchzte die Kleine, bekam er denn niemals ein Königreich? »Er sitzt zu Gottes rechter Hand im Himmel. »Aber das beruhigte sie nicht. Sie weinte so verzweifelt und unaufhörlich, wie nur ein Kind weinen kann. »Weswegen waren sie so böse gegen ihn? Weshalb durften sie so böse gegen ihn sein? »Der Alten ward beinahe bange bei diesem übermäßigen Schmerz des Kindes. »Großmutter, Großmutter, sag, daß du nicht richtig erzählt hast, daß es nicht so endete! Sag, daß sie nicht so böse gegen den guten König waren! Sag, daß er ein Reich hier auf Erden erhielt! »Sie schlang ihre Arme um den Hals der Alten und bat und weinte unaufhörlich. »Kind, Kind! sagte darauf die Großmutter, um sie zu trösten. Es gibt Menschen, die glauben, daß er wiederkommen wird. Da wird er sich die Erde unterwerfen und sie regieren, und da wird die Erde zu einem schönen Reiche werden. Das soll tausend Jahre bestehen. Da sollen die bösen Tiere gut werden, kleine Kinder werden an dem Nest der Nattern spielen, Bären und Schafe werden friedlich beieinander weiden. Die Menschen werden einander kein Leid mehr tun, die Spieße werden in Sensen und die Schwerter in Pflugschare verwandelt werden. Und alles wird Lust und Freude sein, denn die Guten sollen die Erben der Erde werden. »Da verklärte sich das Gesicht der Kleinen unter Tränen. »Bekommt dann der gute König einen Thron, Großmutter? »Einen goldenen Thron, mein Liebling. »Und Diener und Hofleute und eine goldene Krone? »Ja, das bekommt er alles. »Kommt er bald, Großmutter? »Niemand weiß, wann er kommen wird. »Darf ich dann auf einem Schemel zu seinen Füßen sitzen? »Ja, das darfst du, mein Herz. »Großmutter, ich bin so glücklich! sagt die Kleine. »Abend für Abend, viele Winter hindurch, saßen diese beiden am Feuer und sprachen von dem guten König und von seinem Reich. Die Kleine träumte Tag und Nacht von dem tausendjährigen Reich; sie ward nie müde, es mit all der Schönheit auszuschmücken, die sie sich nur vorzustellen vermochte. »So steht es um viele der schweigsamen Kinder, die wir um uns herum sehen; sie tragen sich mit heimlichen Träumen, die sie nicht auszusprechen wagen. Es regen sich wunderliche Gedanken unter dem weichen Haar, die sanften braunen Augen sehen wunderliche Dinge hinter den gesenkten Lidern. Mehr als eine schöne Maid hat ihren Bräutigam im Himmel; mehr als eine wünscht die Füße des guten Königs zu salben und sie mit ihrem Haar zu trocknen. »Ebba Dohna wagte es nicht, ihre Gedanken auszusprechen, aber seit jenem Abend lebte sie nur für die Wiederkehr des Herrn und für sein tausendjähriges Reich. »Wenn am Abend das Schloß am westlichen Horizont seine goldenen Tore öffnete, dachte sie, ob er wohl nicht jetzt in seinem strahlenden Glanz daraus hervortreten, gefolgt von einer Heerschar von Engeln an ihr vorüberziehen und ihr gestatten würde, einen Zipfel seines Gewandes zu berühren. Sie dachte auch gern an die frommen Frauen, die ihn sicher ebenso heiß geliebt hatten wie sie, und die den Nonnenschleier über den Kopf gehängt und die Augen niemals vom Boden erhoben hatten, sondern sich in die Stille des grauen Klosters verschlossen, in die Finsternis der kleinen Zellen, um stets die strahlenden Gesichte zu sehen, die aus der Nacht der Seele auftauchen. »So war sie herangewachsen, so war sie, als sie und der neue Hauslehrer sich auf den einsamen Pfaden des Parks begegneten. »Ich will nicht mehr Böses von ihm sagen, als ich zu sagen gezwungen bin. Ich will gern glauben, daß er dies Kind liebte, das ihn bald zum Begleiter auf seinen einsamen Wanderungen erwählte. Ich glaube, daß seiner Seele die Schwingen wieder wuchsen, wenn er neben diesem schweigsamen Kinde einherging, das sich niemals einem anderen anvertraut hatte; ich glaube, daß er sich da selber wieder wie ein Kind fühlte, fromm und gut. »Wenn er sie aber wirklich liebte, weshalb dachte er dann nicht daran, daß er ihr keine geringere Gabe geben konnte als seine Liebe? Er, einer der Verworfenen dieser Erde, was wollte er, woran dachte er, während er an der Seite des Grafenkindes einherschritt? Woran dachte der abgesetzte Pfarrer, während sie ihm ihre frommen Träume anvertraute? Er, der ein Trunkenbold, ein Raufbold gewesen war, und der es wieder werden würde, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu bot, was wollte er an der Seite des jungen Kindes, das von einem Bräutigam im Himmel träumte? Weshalb floh er nicht weit fort von ihr? Wäre es nicht besser für ihn gewesen, als Bettler oder Dieb im Lande umherzuirren, als dort in den schweigsamen Alleen zu lustwandeln und wieder fromm und gut zu werden, wenn das Leben, das er geführt hatte, doch nicht wieder rückgängig gemacht werden konnte und es sich nicht vermeiden ließ, daß Ebba Dohna ihn liebte? »Glaube nicht, daß er wie ein armer Betrunkener aussah, mit bleichen Wangen und roten Augen. Er war noch immer ein stattlicher Mann, schön und kräftig, mit einer Haltung wie ein König und mit einem eisernen Körper, der dem wildesten Leben Widerstand zu leisten vermochte.« »Lebt er noch?« fragte die Gräfin. »Ach nein, jetzt ist er wohl tot -- es ist so lange her, seit dies alles geschah!« In Anna Stjärnhöks Innerem erwacht eine Angst vor dem, was sie tut. Sie beschließt, der Gräfin niemals zu sagen, wer der Mann ist, von dem sie spricht, sondern sie in dem Glauben zu lassen, daß er längst gestorben ist. »Damals war er noch jung,« fährt sie fort, »die Freude am Leben ward wieder in seiner Seele entzündet, er besaß die Gabe des Wortes und ein feuriges, leicht begeistertes Herz. »Es kam eine Abendstunde, in der er Ebba Dohna von Liebe sprach. Sie antwortete ihm nicht, sie sagte ihm nur, was ihre Großmutter ihr an den Winterabenden erzählt hatte, und beschrieb ihm das Land ihrer Träume. Und dann nahm sie ihm ein Gelübde ab. Sie ließ ihn schwören, daß er ein Verkünder des Wortes werden wolle, einer von denen, die dem Herrn den Weg bereiten, damit seine Wiederkehr beschleunigt werde. »Was sollte er tun? Er war ein abgesetzter Pfarrer, und kein Weg war ihm so verschlossen wie der, den zu betreten sie von ihm forderte. Aber er wagte nicht, ihr die Wahrheit zu sagen. Er wagte es nicht, dies liebliche Kind zu betrüben, das er liebte. Er versprach alles, was sie verlangte. »Einer weiteren Aussprache bedurfte es nicht zwischen ihnen. Er war sicher, daß sie einst seine Gattin werden würde. Es war keine Liebe mit Küssen und Liebkosungen. Er wagte kaum, sich ihr zu nähern; sie war empfindlich wie eine feine Blume. Zuweilen aber erhob sie ihre braunen Augen, um die seinen zu suchen. Wenn sie an mondhellen Abenden auf der Veranda saßen, lehnte sie sich an ihn, und dann küßte er ihr Haar, ohne daß sie es merkte. »Du siehst, seine Sünde bestand darin, daß er Vergangenheit und Zukunft vergaß. Daß er arm und gering war, mochte er gern vergessen, er hätte aber bedenken müssen, daß der Tag nicht ausbleiben konnte, wo sich in ihrem Herzen Liebe gegen Liebe erhob, wo Erde und Himmel miteinander kämpften, wo sie sich gezwungen sah, zwischen ihm und dem strahlenden Herrscher des tausendjährigen Reichs zu wählen. Aber sie war nicht danach angetan, einen solchen Kampf auszuhalten. »Ein Sommer, ein Herbst und ein Winter vergingen. Als der Frühling kam und das Eis schmolz, erkrankte Ebba Dohna. In den Tälern brausten die zu Flüssen angeschwollenen Bäche, die Hügel waren mit Eis und Schneeschlamm bedeckt, die Wege waren unfahrbar für Wagen wie für Schlitten. »Da wollte die Gräfin Dohna nach Karlstad zum Arzt schicken. Es war kein anderer in der Nähe. Aber ihre Befehle waren vergeblich. Weder durch Bitten noch durch Drohungen vermochte sie ihre Diener zu bewegen, sich auf den Weg zu machen. Sie warf sich vor dem Kutscher auf die Knie, der aber sagte nein. Sie bekam Krämpfe und hysterische Anfälle vor Kummer um ihre Tochter -- Gräfin Märta ist wild in Schmerz wie in Freude. »Ebba Dohna hatte Lungenentzündung, und ihr Leben schwebte in Gefahr, ein Arzt konnte aber nicht geholt werden. »Da fuhr der Hauslehrer nach Karlstad. Die Fahrt in einem solchen Wetter zu machen, hieß das Leben aufs Spiel setzen -- aber er tat es. Es ging über wogendes Eis und halsbrecherisch glatte Hügel, zuweilen mußte er Stufen für das Pferd in das Eis hauen, zuweilen mußte er es aus dem tiefen Schlamm des lehmigen Weges herausziehen. Man erzählte, der Doktor habe sich geweigert, mit ihm zu kommen, er aber habe ihn, die Pistole in der Hand, dazu gezwungen. »Als er zurückkam, war die Gräfin nahe daran, sich ihm vor die Füße zu werfen. Nehmen Sie alles, was ich habe, sagte sie, meine Tochter, mein Gut, mein Geld -- sagen Sie nur, was Sie wünschen! »Ihre Tochter, Frau Gräfin, antwortete der Hauslehrer.« -- Da schweigt Anna Stjärnhök plötzlich. »Nun, und dann, und dann?« fragt die junge Gräfin Elisabeth. »Jetzt mag es genug sein«, erwidert Anna; denn sie ist eines jener unglücklichen Menschenkinder, die in der Angst und dem Zagen des Zweifelns leben. Das hat sie nun eine ganze Woche lang getan. Sie weiß nicht, was sie will. Was ihr die eine Stunde recht erscheint, wird schon in der nächsten zum Unrecht. Jetzt wünscht sie, niemals die Geschichte begonnen zu haben. »Ich glaube gar, du willst mich zum Narren haben, Anna. Begreifst du denn nicht, daß ich den Schluß dieser Geschichte hören _muß_?« »Es ist nicht mehr viel zu erzählen. -- Die Stunde des Kampfes war für die junge Ebba Dohna gekommen, Liebe erhob sich gegen Liebe, Himmel und Erde rangen miteinander. »Gräfin Märta erzählte ihr von der lebensgefährlichen Reise, die der junge Mann um ihretwillen gemacht hatte, und sie sagte ihr, daß sie ihm zum Lohn dafür die Hand ihrer Tochter versprochen habe. »Das junge Fräulein Ebba war zu dieser Zeit so weit in Besserung, daß sie angekleidet auf einem Sofa lag. Sie war matt und bleich und noch stiller als sonst. »Als sie diese Worte vernahm, erhob sie ihre braunen Augen klagend und vorwurfsvoll zu der Mutter und sagte: Mutter, du hast mich einem abgesetzten Pfarrer gegeben, einem, der sein Recht verscherzt hat, Gottes Diener zu sein, einem Manne, der ein Dieb und ein Bettler gewesen ist! »Aber Kind, wer hat dir denn das alles erzählt? Ich glaubte, du ahntest nichts davon. »Ich erfuhr es zufällig. Ich hörte deine Gäste über ihn reden -- es war an demselben Tage, an dem ich erkrankte. »Aber Kind, so bedenke doch, daß er dir das Leben gerettet hat! »Ich denke nur daran, daß er mich betrogen hat. Er hätte mir sagen müssen, wer er ist. »Er sagt, daß du ihn liebst. »Das habe ich getan. Ich kann den nicht lieben, der mich betrogen hat. »Wie hat er dich betrogen? »Das kannst du nicht verstehen, Mutter. »Sie wollte nicht mit ihrer Mutter von dem tausendjährigen Reich ihrer Träume sprechen, bei dessen Verwirklichung der Geliebte ihr hatte helfen sollen. »Ebba, sagte die Gräfin, wenn du ihn liebst, sollst du nicht fragen, was er gewesen ist, sondern dich mit ihm verheiraten. Wer sich mit der Gräfin Dohna verheiratet, wird so reich und so mächtig, daß seine Jugendsünden ihm schon vergeben werden. »Bedenke, daß ich ihm mein Wort gegeben habe, Ebba! »Das junge Mädchen wurde leichenblaß. »Mutter, ich sage dir, wenn du mich mit ihm verheiratest, so scheidest du mich von Gott. »Ich habe beschlossen, dein Glück zu machen, sagt die Gräfin. Ich bin überzeugt, daß du mit diesem Manne glücklich wirst. Es ist dir ja schon gelungen, ihn zum Heiligen zu machen. »Ich habe beschlossen, den Standesunterschied zu übersehen und zu vergessen, daß er arm und verachtet ist, um dir die Möglichkeit zu geben, ihn zu retten. Ich fühle, daß ich tue, was recht ist. Du weißt, daß ich alle alten Vorurteile verachte. »Das alles aber sagt sie nur, weil sie es nicht leiden kann, daß sich jemand ihrem Willen widersetzt. Vielleicht meinte sie es auch so, als sie es sagte. Aus Gräfin Märta ist nicht leicht klug zu werden. »Das junge Mädchen blieb lange auf ihrem Sofa liegen, nachdem die Gräfin sie verlassen hatte. Sie kämpfte ihren Kampf. Die Erde rang mit dem Himmel, Liebe lehnte sich gegen Liebe auf, doch der Geliebte ihrer Kinderjahre trug den Sieg davon. Dort, wo sie lag -- es war hier auf dem Sofa --, sah sie den westlichen Himmel im Sonnenuntergang erglühen. Sie glaubte, daß es ein Gruß von dem guten König sei, und da sie keine Kraft besaß, ihm treu zu bleiben, falls sie leben würde, so beschloß sie zu sterben. Sie konnte nicht anders, da ihre Mutter verlangte, daß sie einem Manne angehören sollte, der kein Diener des guten Königs werden konnte. »Sie trat an das Fenster, öffnete es und ließ die feuchte, kalte Abendluft ihren armen, schwachen Körper durcheisen. »Es war ihr ein leichtes, sich den Tod zuzuziehen. Er war unvermeidlich, falls die Krankheit sich von neuem einstellte, und das tat sie. »Niemand außer mir weiß, daß sie den Tod suchte, Elisabeth. Ich fand sie am Fenster. Ich hörte ihre Fieberphantasien. Sie wünschte mich in den letzten Tagen an ihrer Seite zu behalten. »_Ich_ sah sie sterben, _ich_ sah sie in jener Abendstunde die Hände nach dem glühenden Abendhimmel ausstrecken und mit einem Lächeln scheiden, als habe sie jemand aus dem Glanz des Sonnenuntergangs heraustreten und ihr entgegenkommen sehen. _Ich_ mußte ihm, den sie geliebt hatte, ihren letzten Gruß überbringen. _Ich_ sollte ihn bitten, ihr zu verzeihen, daß sie nicht seine Gattin werden könne. Der gute König habe es nicht erlauben wollen. »Aber ich habe nicht den Mut gehabt, dem Manne zu sagen, daß er ihr Mörder sei. Ich habe nicht den Mut gehabt, ihm die Last einer solchen Qual auf die Schultern zu legen. Und doch -- er, der sich ihre Liebe durch Lügen erschlichen, war er nicht ihr Mörder? War er das nicht, Elisabeth?« -- Die junge Gräfin hat schon lange aufgehört, mit den blauen Blumen zu spielen. Jetzt erhebt sie sich, und der Strauß fällt zu Boden. »Anna, du führst mich die ganze Zeit hinters Licht. Du sagst, es sei eine alte Geschichte, der Mann sei bereits lange tot. Aber ich weiß sehr wohl, daß kaum fünf Jahre seit Ebba Dohnas Tode verstrichen sind, und du sagst ja, daß du selber alles erlebt hast. Du bist nicht alt! -- Sage mir nun, wer der Mann ist!« Anna Stjärnhök fängt an zu lachen. »Du wolltest ja eine Liebesgeschichte haben! Nun hast du eine bekommen, die dir sowohl Tränen als auch Unruhe gekostet hat.« »Ist die Geschichte denn nicht wahr?« »Es ist ein Hirngespinst von Anfang bis zu Ende!« »Du bist abscheulich, Anna!« »Das mag sein. Ich bin auch nicht glücklich, damit du es nur weißt! -- Aber die Damen sind erwacht, und die Herren sind in den Saal gekommen. Laß uns hineingehen!« In der Tür hält Gösta Berling sie zurück, der gekommen ist, um nach den jungen Damen zu sehen. »Sie müssen Geduld mit mir haben,« sagt er lachend. »Ich will Sie nicht länger als zehn Minuten quälen, aber jetzt müssen Sie einige Verse anhören!« Er erzählt ihnen, daß er in der letzten Nacht so lebhaft geträumt habe wie nie zuvor, und zwar habe er geträumt, daß er Verse geschrieben habe. Er, den die Leute den »Poeten« nannten, obwohl er diesen Spottnamen bisher ganz unverschuldeterweise getragen, sei mitten in der Nacht aufgestanden und habe sich, halb im Schlaf, halb wach, hingesetzt, um zu schreiben. Und am Morgen habe er ein ganzes Gedicht auf dem Schreibtisch gefunden. Er habe sich selber nie so etwas zugetraut! Jetzt sollten die Damen es hören. Und er liest: »Der Mond ging auf, und mit ihm kam die Stunde, Die in der Seele weckt die träumenden Gedanken. Von Mondeslicht bestrahlt, im hellen Silberscheine Glänzt der Veranda Dach, umwebt von Weinlaubranken. Im Winde schwankt der Lilie Kelch aus witterndem Gesteine. Auf der Veranda Stufen, zur abendlichen Runde, Sind jung und alt vereint, und alter Lieder Weise, Die noch im Herzen lebt, ertönet sanft und leise, Wie ferner Zeiten Gruß in weihevoller Stunde. Vom Resedabeet her umwehn uns liebliche Düfte, Schatten schweben empor aus der Büsche flüsternden Zweigen Über des Grases Fläche, von nächtlichem Tau befeuchtet: Also ringet der Geist, in des Himmels Höhen zu steigen Aus des Leibes Nacht zum Licht, das ewig uns leuchtet Aus dem hellen Gewölk, wo klarer und reiner die Lüfte Und im unendlichen Raum die Sterne den Blicken entschwinden. O, wer mag in der Stille der Nacht der Gefühle Drang überwinden, Wenn sich Schatten ihm nahn und der Blumen berauschende Düfte! Gleich dem welkenden Blatt, das müde zur Erde sich senket, Leise flatternd dahin, wenn ihr Blühen die Rose vollendet, Nicht vom Sturme geknickt: so wollen dahin wir gehen, Wie verhallet der Töne Klang, wenn unser Leben sich endet, Still und stumm, wie im Herbst die Blätter im Winde verwehen. Und zufrieden mit dem, wie Gott es weise gelenket, Unsrer Jahre Ziel und den Pfad, den wir wandern sollen hienieden: Der Tod ist des Lebens Lohn; so laß uns scheiden in Frieden, Wie der Rose welkendes Blatt zur Erde leise sich senket. Vorüber flog die Fledermaus lautlos auf ihren Schwingen Und kehrt zurück im Mondenschein in schnellem Zickzackfluge, Und wie sie flattert hin und her, steigt auf in unsere Herzen Das alte Rätsel, ungelöst für Toren wie für Kluge, Das Rätsel, schwer wie Gram und Leid, alt wie der Liebe Schmerzen: Wohin geht unser Lebensweg, wohin wird er uns bringen, Wenn wir nicht mehr auf Erden hier in Wald und Wiese wandern? Ach, keiner kann des Geistes Pfad geleiten wohl den andern; Viel eher zeigt' er noch den Weg des Vogels leichten Schwingen. Und schmiegend fest sich an mich an, legt sie mir Haar und Wangen, Sie, die mich liebt, an meine Brust und spricht in leisem Flüstern: 'In ferne Welten sollen nie die Seelen ganz entschweben, Und ob des Todes Schatten auch mein Auge mag verdüstern, Für dich, du Heißgeliebter, will ich dennoch weiterleben: Von eines guten Menschen Herz ist dann mein Geist umfangen!' O welche Qual, so schweres Leid, so bangen Schmerz zu tragen! Sie sterben! -- Und zum letztenmal soll ich ihr heute sagen: 'Ich hab dich lieb!' und küssen sie auf Mund und Haar und Wangen! Jahre schwanden dahin -- noch oft in nächtlicher Stunde Such ich die Stätte mir auf, wo einst ich kosend gesessen, Wo mein Mund sie geküßt; doch seh ich vom Monde beleuchtet Hell der Veranda Dach, dann kann ich es nimmer vergessen, Wie der Mond es gesehn, daß Tränen ihr Auge gefeuchtet, Als vom Scheiden sie sprach, die Geliebte, mit zitterndem Munde. O der Erinnerung Qual! Wie soll ich sühnen die Sünde, Daß den Sturm ich erregt in der Brust dem schuldlosen Kinde Und es gefesselt an mich in jener unseligen Stunde!« »Gösta!« sagt Anna in scherzendem Ton, während die Angst ihr die Kehle zusammenschnürt. »Man sagt von dir, daß du mehr Gedichte erlebt hast, als andere geschrieben haben, die sich doch ihr Leben lang mit nichts weiter beschäftigen; aber du tust sicher am besten, auf deine eigene Art und Weise zu dichten: das Gedicht da ist Nachtarbeit!« »Du bist kein milder Richter.« »Und so etwas von Tod und Elend vorzulesen! Schämst du dich nicht?« Gösta hört nicht mehr auf ihr Reden; unverwandt sieht er die junge Gräfin an. Sie sitzt starr und unbeweglich wie eine Bildsäule. Er glaubt, daß sie kurz davor ist, in Ohnmacht zu fallen. Aber mit unendlicher Mühe bringt sie ein Wort hervor: »Geh!« sagt sie. »Wer soll gehen? Soll ich gehen?« »Der Pfarrer soll gehen«, stammelt sie. »Elisabeth! So schweig doch.« »Der vertrunkene Pfarrer soll mein Haus verlassen!« »Anna! Anna!« fragt Gösta. »Was meint sie nur?« »Es ist am besten, wenn du gehst, Gösta.« »Weshalb soll ich gehen? Was hat dies alles zu bedeuten?« »Anna,« sagt Gräfin Elisabeth, »sag es ihm, sag es ihm.« »Nein, Gräfin, sagen Sie es selber!« Die Gräfin beißt die Zähne zusammen und sucht ihrer Bewegung Herr zu werden. »Herr Berling,« sagt sie und geht auf ihn zu, »Sie haben ein merkwürdiges Talent, die Leute vergessen zu machen, wer Sie sind. Ich habe es bis auf den heutigen Tag nicht gewußt. Ich habe soeben von Ebba Dohnas Tode erzählen hören und habe erfahren, daß nur die Gewißheit, daß der Mann, den sie liebte, ihrer nicht wert war, sie in den Tod getrieben hat. Aus Ihrem Gedicht ersehe ich, daß Sie dieser Mann sind. Ich begreife nicht, wie ein Mann mit Ihrer Vergangenheit sich vor den Augen einer anständigen Frau sehen lassen darf. Ich verstehe das nicht, Herr Berling. Bin ich jetzt deutlich genug geworden?« »Frau Gräfin sind deutlich genug geworden. Ich will nur ein einziges Wort zu meiner Verteidigung sagen. Ich habe in dem festen Glauben gelebt, daß Sie alles von mir wußten. Ich habe nie versucht, etwas zu verbergen; aber es ist nicht angenehm, das bitterste Unglück seines Lebens auf Straßen und Gassen ausschreien zu hören, geschweige denn, es selbst auszuposaunen.« Er geht, und im selben Augenblick setzt Gräfin Dohna den schmalen Fuß auf den Strauß blauer Sterne. »Jetzt hast du getan, was ich wollte,« sagte Anna Stjärnhök hart zu der Gräfin, »aber jetzt hat es auch ein Ende mit unserer Freundschaft. Du mußt nicht glauben, daß ich dir deine Grausamkeit gegen ihn verzeihen werde. Du hast ihn von dir gewiesen, hast ihn verhöhnt und verletzt und ich folgte ihm gern ins Gefängnis und auf die Bettelbank, wenn es sein müßte. Ich will ihn bewachen und bewahren. Du hast getan, was ich wollte, aber ich verzeihe es dir niemals!« »Aber Anna, Anna!« »Als ich dir das alles erzählte, glaubst du, daß ich es mit fröhlichem Sinn getan? Habe ich nicht hier gesessen und mir das Herz Stück für Stück aus der Brust gerissen?« »Weshalb tatest du es denn aber?« »Weshalb? Weil ich nicht wollte -- weil ich nicht wollte, daß er der Geliebte einer verheirateten Frau werden sollte.« Mamsell Marie Ah, stille! St! Es summt über meinem Kopf! Das muß eine Biene sein, die geflogen kommt. Aber nein, so sei doch nur still! Welch ein Duft! So wahr ich lebe, sind das nicht Levkoien und Lavendel und Flieder und Narzissen? Das ist eine wahre Wohltat an diesem grauen Herbstabend mitten in der Stadt. Wenn ich nur an das entzückende Fleckchen Erde denke, so fängt es rings um mich her gleich an zu duften und zu summen, und ehe ich michs versehe, befinde ich mich mitten in einem kleinen, viereckigen Rosengarten voller Blumen, von einer Ligustrumhecke eingeschlossen. In den Ecken stehen Fliederlauben mit schmalen, hölzernen Bänken, und rings um die Blumenbeete, die wie Sterne und Herzen geformt sind, läuft der schmale, mit weißem Sand bedeckte Steig. An drei Seiten ist der Rosengarten von Wald umgeben. Ebereschen und Faulbäume, die halb zivilisiert sind und schöne Blumen haben, stehen dem Garten zunächst und vermischen ihren Duft mit dem der Fliederbüsche. Hinter ihnen kommt die Birke, und dann beginnt der Tannenwald, der richtige Wald, still und finster, hochaufragend und bärtig. Und an der vierten Seite liegt ein kleines, graues Haus. Der Rosengarten, an den ich jetzt denke, war vor sechzig Jahren das Eigentum der alten Frau Moräus, die sich durch Sticken ernährte. Daneben ging sie auch als Kochfrau auf die umliegenden Bauernhöfe. Liebe Freunde! Von allem Guten, was ich euch wünsche, möchte ich in erster Linie einen Stickrahmen und einen Rosengarten nennen. Einen großen, altmodischen Stickrahmen von der Art, an denen fünf, sechs Personen auf einmal arbeiten können, wo man wetteifert, wer am geschwindesten ist und wessen Kehrseite die hübschesten Stiche aufzuweisen hat, wo man Bratäpfel ißt und gesellige Spiele spielt und so dabei lacht, daß die Eichhörnchen vor Schrecken aus den Bäumen herabfallen. Einen Stickrahmen für den Winter und einen Rosengarten für den Sommer! Keinen großen Garten, in den man mehr Geld hineingraben muß, als Vergnügen wieder daraus emporsproßt, nein, einen kleinen Rosengarten, den man mit den eigenen Händen pflegen kann. Es müssen kleine Rosenbüsche mitten zwischen den Beeten stehen, und ein Kranz von Vergißmeinnicht müßte sich um ihren Fuß schlingen, der großblumige Mohn, der sich selbst sät, müßte überall aufschießen, sowohl in der Rasenkante als in dem Kieswege, und da müßte eine von der Sonne braungesengte Rasenbank sein, auf deren Sitz und Lehne Akelei und Kaiserkronen wachsen. Die alte Frau Moräus besaß allerlei. Sie hatte drei fröhliche, fleißige Töchter und ein kleines Haus am Wegesrande. Sie hatte einen Notschilling auf dem Boden ihrer alten Truhe, dicke seidene Schals, hochlehnige Stühle und Erfahrung in mancherlei Dingen, die nützlich für denjenigen sind, der sich sein Brot selber verdienen muß. Das beste aber, was sie besaß, war der Stickrahmen, der ihr das ganze Jahre hindurch Arbeit gab, und der Rosengarten, der ihr Freude machte, solange der Sommer währte. Dann ist noch zu vermelden, daß sich in Frau Moräus' kleinem Häuschen eine Mieterin befand, eine kleine, verdörrte alte Jungfer von ungefähr vierzig Jahren, die ein Giebelzimmer auf dem Boden bewohnte. Mamsell Marie, wie sie allgemein genannt wurde, hatte ihre eigenen Anschauungen über mancherlei, wie sie derjenige leicht bekommt, der viel allein sitzt und dessen Gedanken alles das umkreisen, was das Auge einmal gesehen hat. Mamsell Marie glaubte, daß die Liebe die Wurzel und der Ursprung zu allem Bösen hier in dieser traurigen Welt sei. »Es würde ja das reine Elend werden«, sagte sie. »Ich bin alt und häßlich und arm. Nein, Gott bewahre mich nur davor, daß ich mich verliebe.« Sie saß tagaus, tagein auf der Bodenkammer in Frau Moräus' kleinem Häuschen und filierte Gardinen und Decken. Die verkaufte sie dann an die Bauern und auf den Gütern in der Umgegend. Sie hatte sich bald ein ganzes kleines Haus zusammenfiliert, denn ein kleines Haus auf dem Aussichtshügel, der Svartsjöer Kirche gegenüber, das war ihr höchster Wunsch, ein Haus, das hoch oben auf einem Hügel lag, so daß man weit in die Ferne hinausschauen konnte, das war ihr Traum. Von der Liebe wollte sie aber nichts wissen. Wenn sie an Sommerabenden die Violine vom Kreuzwege herüberschallen hörte, wo der Spielmann auf dem Zaun saß und die Jugend sich zu den Takten der Polka schwang, daß ihnen der Staub um die Ohren wirbelte, da machte sie einen langen Umweg durch den Wald, um nur nichts davon zu hören und zu sehen. Am zweiten Weihnachtstage, wenn die Bauernbräute kamen, oft fünf bis sechs an der Zahl, um von Madame Moräus und ihren Töchtern angekleidet zu werden, wenn sie mit Myrtenkränzen und hohen, mit Glasperlen verzierten Kronen, mit Gürteln aus Seide und selbstgemachten Rosen geschmückt wurden und das Kleid unten mit einer Girlande aus Stoffblumen besetzt wurde, da schloß sie sich auf ihrem Zimmer ein, um nur nicht zu sehen, wie man sie der Liebe zu Ehren herausputzte. Wenn die Schwestern Moräus an Winterabenden am Stickrahmen saßen und das große Zimmer von Gemütlichkeit strahlte, wenn die Bratäpfel im Ofen prasselten und wenn der schöne Gösta Berling oder der gute Ferdinand, die zu Besuch gekommen waren, die Mädchen neckten, indem sie ihnen den Faden aus der Nadel zogen oder sie verwirrten, so daß sie schiefe Stiche machten, und das Zimmer von Gelächter, Geschwätz und Neckereien widerhallte und die Hände sich unter dem Stickrahmen begegneten, da rollte sie ärgerlich ihre Filetarbeit auf und ging hinauf, denn sie haßte die Liebe und alles, was dazu gehörte. Aber die Übeltaten der Liebe, die kannte sie, und davon wußte sie zu erzählen. Sie konnte nicht begreifen, daß Gott Amor es noch wagte, sich auf der Erde zu zeigen, daß er sich nicht hatte verscheuchen lassen durch die Klagen der Verlassenen, durch die Verfluchungen derer, die er zu Missetätern gemacht, durch die Weherufe aller, die er in verhaßte Fesseln geschmiedet hatte. Sie konnte es nicht begreifen, daß seine Flügel ihn so leicht und frei zu tragen vermochten, daß er nicht in eine unendliche Tiefe hinabgesunken war, bedrückt von Sorge und Scham. Nein, auch sie war jung gewesen wie andere, aber die Liebe hatte sie niemals geliebt. Niemals hatte sie sich zu Tanz und Liebkosungen verlocken lassen. Verstaubt und ohne Saiten hing die Gitarre ihrer Mutter auf dem Boden. Niemals sang sie Liebeslieder zu ihren Tönen. Die Rosenbäume ihrer Mutter standen in ihrem Fenster. Sie begoß sie kaum. Sie liebte die Blumen nicht, diese Kinder der Liebe! Die Blätter hingen staubig herab, die Spinnen spannen ihre Gewebe zwischen den Zweigen, und die Knospen brachen niemals auf. Und in Madame Moräus' Rosengarten, wo die Schmetterlinge flatterten und Vögel sangen, wo duftende Blumen den schwärmenden Schmetterlingen Liebesgrüße sandten, wo alles von dem Verhaßten sprach -- da hinein setzte sie nur selten den Fuß. Da geschah es einstmals, daß die Gemeinde von Svartsjö eine Orgel in ihrer Kirche setzen ließ. Es war in dem Sommer vor dem Jahr, in welchem die Kavaliere regierten. Ein junger Orgelbauer kam in den Ort. Auch er mietete sich bei Frau Moräus ein und bewohnte das zweite kleine Giebelstübchen auf dem Boden. Und dann stellte er die Orgel auf, die so wunderliche Töne hat, deren gewaltige Posaunenstimme plötzlich hervorbricht, niemand weiß, woher oder wodurch; mitten in einem friedlichen Gesang erschallt sie, so daß die Kinder in der Kirche anfangen zu weinen. Daß der junge Orgelbauer kein Meister in seiner Kunst war, mag ja sein. Aber ein lustiger Bursch war er, mit Sonnenschein in den Augen. Er hatte freundliche Worte für einen jeden, reich oder arm, alt oder jung. Er ward bald der gute Freund seiner Hausgenossen -- ach, mehr als ein Freund! Wenn er des Abends von seiner Arbeit heimkehrte, hielt er Madame Moräus das Garn und arbeitete an der Seite der jungen Mädchen im Rosengarten. Da deklamierte er »Axel« und sang »Frithjof«. Da nahm er Mamsell Mariens Knäuel auf, wie oft sie es auch fallen ließ, ja brachte sogar ihre alte Tafeluhr so weit, daß sie wieder ging. Niemals verließ er einen Ball, ohne mit allen getanzt zu haben, von der ältesten Frau bis zu dem jüngsten kleinen Mädchen; und wenn ihn ein Mißgeschick betraf, setzte er sich neben das erste weibliche Wesen und machte es zu seiner Vertrauten. Ja, er war ein Mann, wie ihn die Frauen in ihren Träumen erschaffen. Ich will nicht sagen, daß er zu irgendeiner von Liebe sprach. Als er aber einige Wochen in Madame Moräus' kleinem Giebelstübchen gewohnt hatte, waren alle Töchter in ihn verliebt, und selbst die arme Mamsell Marie wußte, daß sie alle ihre Gebete umsonst gebetet hatte. Es war eine Zeit des Kummers und eine Zeit der Freude. Tränen fielen auf den Stickrahmen und löschten die Kreidestriche aus. Zur Abendzeit saß oft eine bleiche Träumerin in der Fliederlaube, und oben in Mamsell Mariens kleiner Kammer wurden neue Saiten an die Gitarre befestigt und zu deren Tönen altmodische Liebeslieder gesungen, die sie von ihrer Mutter gelernt hatte. Der junge Orgelbauer aber ging sorglos und fröhlich umher, streute Lächeln und Dienstleistungen unter diese sehnsuchtsvollen Frauen aus, die sich um ihn stritten, wenn er fern vom Hause bei seiner Arbeit war. Und endlich kam der Tag, an dem er reisen mußte. Der Wagen stand vor der Tür, das Gepäck war schon aufgeladen, und der junge Mann sagte Lebewohl. Er küßte Madame Moräus die Hand, umarmte die weinenden Mädchen und küßte sie auf die Wangen. Er weinte selber, weil er gezwungen war zu reisen, denn er hatte einen sonnenhellen Sommer in dem kleinen Hause verlebt. Zu allerletzt sah er sich nach Mamsell Marie um. Da kam sie in ihrem besten Staat die enge Bodentreppe herab. Die Gitarre hing ihr an einem breiten, grünen, seidenen Bande um den Hals, und in der Hand hielt sie einen Strauß Monatsrosen, denn in diesem Jahre hatten die Rosenbäume ihrer Mutter Blüten getragen. Sie stand vor dem jungen Manne still, klimperte auf der Gitarre und sang: »Du reisest nun von uns. Ach, kehr einst zurück, Wir sehen dich scheiden mit Schmerzen. Vergiß nicht die Freunde in deinem Glück, Wir tragen dich treulich im Herzen.« Darauf befestigte sie die Blumen in seinem Knopfloch und küßte ihn gerade auf den Mund. Ja, und dann floh sie die Bodentreppe hinauf -- die arme Alte! Die Liebe hatte sich an ihr gerächt und sie zum Gespött für alle gemacht. Sie aber hat nie wieder auf die Liebe gescholten. Sie legte die Gitarre nicht wieder beiseite und hat es nie wieder verlernt, die Rosenbäume ihrer Mutter zu pflegen. »Lieber traurig mit der Liebe, als fröhlich ohne sie«, pflegte sie zu sagen. * * * * * Die Zeit ging dahin. Die Majorin wurde von Ekeby fortgejagt, die Kavaliere kamen ans Ruder und es geschah, wie vorhin erzählt ist, daß Gösta Berling eines Abends der jungen Gräfin auf Borg ein Gedicht vorlas und daß sie ihm darauf die Tür wies. Man erzählt, daß, als Gösta Berling die Tür hinter sich schloß, er einige Schlitten vor der Freitreppe vorfahren sah. Er warf einen Blick auf die kleine Dame, die in dem ersten Schlitten saß. Wie dunkel auch die Stunde für ihn war, wurde sie bei diesem Anblick doch noch dunkler. Er eilte von dannen, um nicht erkannt zu werden, aber eine Vorahnung von kommendem Unheil erfüllte seinen Sinn. Hatte die Unterhaltung da drinnen diese Frau herbeigezaubert? Ein Unglück hat stets ein anderes im Gefolge. Diener kamen herbeigeeilt, Fußsäcke wurden aufgeknöpft, Decken beiseite geworfen. Wer war denn gekommen? War es wirklich Märta Dohna selber, die weitberühmte Gräfin? Sie war die heiterste und leichtsinnigste von allen Frauen. Die Weltluft hatte sie auf ihren Thron erhoben und sie zu ihrer Königin gemacht. Spiele und Scherze waren ihre Untertanen. Spiel und Tanz und Abenteuer waren ihr als Anteil zugefallen, als die Lebenslose verteilt wurden. Sie war jetzt nicht weit von den Fünfzigern, aber sie gehörte zu den weisen Menschen, die nicht die Zahl der Jahre zählen. »Wer den Fuß nicht mehr zum Tanz, den Mund nicht mehr zum Lächeln bewegen kann,« pflegte sie zu sagen -- »der ist alt. Der kennt die schwere Last der Jahre -- nicht ich.« In den Tagen ihrer Jugend saß die Freude nicht ungestört auf ihrem Thron, aber die Unsicherheit und das Schwankende machten das lustige Dasein Ihrer Majestät nur noch lustiger. Ihre Majestät mit den Schmetterlingsflügeln gab den einen Tag eine Kaffeegesellschaft in den Hofdamenzimmern auf dem Stockholmer Schloß, tanzte den nächsten Tag im Frack und mit dem Knotenstock bewaffnet in Paris, besuchte Napoleons Feldlager, segelte auf Nelsons Flotte über das blaue Mittelmeer, wohnte einem Kongreß in Wien bei, wagte sich am Tage vor einer berühmten Schlacht auf einen Ball nach Brüssel. Und wo die Freude war, da war Gräfin Märta ihre auserwählte Königin. Tanzend, spielend, scherzend durchflog Gräfin Märta die Welt. Was hatte sie nicht gesehen, was hatte sie nicht erlebt? Sie hatte Throne umgetanzt, um Fürstentümer im Ecarté gespielt, hatte darüber gelacht, wenn verheerende Kriege über Europa dahingebraust waren. War die Freude zeitenweise heimatlos in der zu einem Schlachtfeld verwandelten Welt, so pflegte sie auf längere oder auf kürzere Zeit nach dem alten Grafenschloß am Löfsee zu ziehen. Dahin war sie auch gezogen, als die Fürsten und ihr Hof ihr zur Zeit der Heiligen Allianz zu trübselig wurden. In einer solchen Zeit hatte sie es für gut befunden, Gösta Berling zum Hauslehrer ihres Sohnes zu machen. Sie pflegte sich wohl zu fühlen da oben. Niemals hatte die Freude ein herrlicheres Reich. Da waren Gesang und Spiel, zu Abenteuern aufgelegte Männer und schöne, lebensfrohe Frauen. Da fehlte es nicht an Gastmählern oder Bällen, an Segelfahrten auf mondbeschienenen Seen oder Schlittenfahrten durch dunkle Wälder oder an herzerschütternden Ereignissen oder an der Liebe Freuden und Schmerzen. Seit dem Tode ihrer Tochter aber hatte sie ihre Besuche auf Borg eingestellt; sie hatte das Schloß seit fünf Jahren nicht gesehen. Jetzt kam sie, um sich zu überzeugen, wie ihre Schwiegertochter das Leben da oben zwischen den Tannenwäldern, Schneeschanzen und Bären aushalten könne. Sie hielt es für ihre Pflicht, nachzusehen, ob der dumme Henrik sie nicht mit seiner Langweiligkeit zu Tode gepeinigt hatte. Jetzt wollte sie des Hauses milder Engel sein. Sonnenschein und Glück lagen wohlverpackt in ihren vierzig ledernen Koffern, Heiterkeit hieß ihre Kammerzofe, Scherz ihr Kutscher, Spiel ihre Gesellschaftsdame. Und als sie die Treppe hinaufflog, wurde sie mit offenen Armen empfangen. Ihre alte Wohnung im unteren Stockwerk stand für sie bereit. Ihr Diener, ihre Kammerzofe, ihre Gesellschaftsdame, ihre vierzig ledernen Koffer, ihre dreißig Hutschachteln, ihre Necessaires, ihre Schals und Pelze, alles kam nach und nach ins Haus. Überall herrschte Lärm und geschäftiges Treiben. Türen wurden zugeschlagen, man lief treppauf und treppab. Es war nicht schwer zu merken, daß Gräfin Märta gekommen war. * * * * * Es war an einem Frühlingsabend, an einem wundervollen Abend, obwohl man sich erst im April befand und das Eis noch nicht geschmolzen war. Mamsell Marie saß oben auf ihrer Kammer vor dem offenen Fenster, klimperte auf der Gitarre und sang. Sie war so vertieft in ihr Spiel und in ihre Erinnerungen, daß sie es nicht bemerkte, wie ein Wagen des Weges kam und vor dem kleinen Hause hielt. Im Wagen saß Gräfin Märta und die hatte ihren Spaß daran, Mamsell Marie zu beobachten, die am Fenster saß, die Gitarre an einem Bande um den Hals, die Augen gen Himmel gerichtet, und alte, längst abgedroschene Liebeslieder sang. Schließlich stieg die Gräfin vom Wagen und trat in das Zimmer, wo die jungen Mädchen um den Stickrahmen saßen. Hochmütig war sie nicht; der Wind der Revolution hatte sie umsaust und ihr frische Luft in die Lungen geblasen. Sie bestellte Stickereien bei Madame Moräus und lobte die Töchter. Sie schaute sich im Rosengarten um und erzählte von ihren Reiseabenteuern. Sie erlebte stets Abenteuer. Schließlich wagte sie sich die Bodentreppe hinauf, die entsetzlich steil und schmal war, und besuchte Mamsell Marie auf ihrem Giebelstübchen. Dort ließ sie ihre schwarzen Augen über das einsame kleine Wesen blitzen und ihre melodische Stimme einschmeichelnd in die Ohren der alten Jungfer klingen. Sie kaufte Gardinen von ihr. Sie könne nicht leben auf Schloß Borg, ohne filierte Gardinen vor allen Fenstern zu haben, und auf allen Tischen müsse sie von Mamsell Mariens filierten Decken haben. Dann ergriff sie ihre Gitarre und sang ihr von Freude und Liebe. Sie erzählte ihr Geschichten, so daß sich Mamsell Marie mitten in die heitere, brausende Welt hinausversetzt fühlte. Und der Gräfin Lachen war eine solche Musik, daß die verfrorenen Vögel im Rosengarten zu singen begannen, als sie es hörten, und ihr Antlitz, das kaum mehr schön war -- denn der Teint war durch Schminke verdorben, und um den Mund lagen Züge roher Sinnlichkeit --, erschien Mamsell Marie so schön, daß sie nicht begriff, wie der kleine Spiegel es verschwinden lassen konnte, wenn er es einmal auf seiner blanken Fläche aufgefangen hatte. Als sie ging, küßte sie Mamsell Marie und bat sie, nach Borg zu kommen. Mamsell Mariens Herz stand leer, wie die Schwalbennester zur Weihnachtszeit. Sie war frei, aber gleich dem alten, freigelassenen Sklaven seufzte sie nach Ketten. Jetzt begann abermals eine Zeit der Freuden und der Sorgen für Mamsell Marie; sie währte aber nicht lange -- nur acht kurze Tage. Die Gräfin holte sie jeden Augenblick nach Borg. Sie spielte ihr Komödie vor und erzählte von ihren Freiern, und Mamsell Marie lachte, wie sie nie im Leben gelacht hatte. Sie wurden die besten Freundinnen von der Welt. Bald wußte die Gräfin alles von dem jungen Orgelbauer und von dem stattgefundenen Abschied. Und in der Dämmerstunde brachte sie Mamsell Marie so weit, daß sie sich in dem kleinen blauen Kabinett in die Fensternische setzte, die Gitarre um den Hals hängte und Liebeslieder sang. Dann beobachtete die Gräfin, wie die trocknen, mageren Finger und der häßliche kleine Kopf der alten Jungfer sich gegen den roten Abendhimmel abhoben, und sie sagte, daß die arme Mamsell einem schmachtenden Burgfräulein gleiche. Aber alle Lieder handelten von verliebten Hirten und grausamen Hirtinnen, und Mamsell Mariens Stimme war so dünn, so dünn, und ein jeder wird begreifen können, daß eine solche Komödie für die Gräfin ein köstliches Vergnügen sein mußte. Und dann ward ein Gastmahl auf Borg gegeben, was ganz selbstverständlich war, da ja die Mutter des Grafen heimgekehrt war. Wie gewöhnlich ging es munter her. Die Gesellschaft war nicht groß, es waren nur die Nachbarn. Der Speisesaal lag im untern Stockwerk, und nach der Mahlzeit gingen die Gäste nicht wieder hinauf, sondern begaben sich in Gräfin Märtas Zimmer, die ebenfalls im Erdgeschoß lagen. Da ergriff die Gräfin Mamsell Mariens Gitarre und fing an, der Gesellschaft etwas vorzusingen. Sie war eine muntere Dame, Gräfin Märta, und sie konnte alle Menschen in Gebärden und Stimme nachahmen. Jetzt hatte sie den Einfall, Mamsell Marie zu spielen. Sie wandte den Blick gen Himmel und sang mit dünner, kreischender Kinderstimme. »Ach nein, ach nein, Frau Gräfin!« flehte Mamsell Marie. Aber Gräfin Märta machte es Vergnügen, und die meisten der Gäste konnten sich ebenfalls des Lachens nicht enthalten, obwohl sie fanden, daß es unrecht gegen Mamsell Marie sei. Die Gräfin nahm eine Handvoll trockener Rosenblätter aus einer Potpourrikruke, trat unter tragischen Gebärden an Mamsell Marie heran und sang: »Du reisest nun von uns; ach, kehr einst zurück, Wir sehen dich scheiden mit Schmerzen. Vergiß nicht die Freunde in deinem Glück! Wir tragen dich stets im Herzen.« Dabei streute sie ihr die Rosenblätter auf den Kopf. Die Gäste lachten, Mamsell Marie aber geriet ganz außer sich vor Zorn. Sie sah aus, als wolle sie der Gräfin die Augen auskratzen. »Du bist ein schlechtes Geschöpf, Märta Dohna«, sagte sie. »Keine anständige Frau sollte mit dir verkehren.« Aber nun ward Gräfin Märta ebenfalls zornig. »Heraus mit der Mamsell!« rief sie. »Ich habe genug von ihren Verrücktheiten.« »Ja, ich will schon gehen,« sagte Mamsell Marie, »erst aber will ich das Geld für meine Gardinen haben.« »Das alte Jux!« sagte die Gräfin. »Für solchen Bettel will sie noch Geld haben? Nimm es nur mit! Ich will den Schund nicht mehr vor Augen sehen.« Und die Gräfin reißt die Gardinen herunter und wirft sie ihr hin, denn jetzt ist sie in voller Wut. Am nächsten Tage bat die junge Gräfin ihre Schwiegermutter, sich doch mit Mamsell Marie zu versöhnen. Das wollte aber die Gräfin nicht. Sie war ihrer überdrüssig. Da fuhr Gräfin Elisabeth hin und kaufte Mamsell Marie ihr ganzes Gardinenlager ab und hängte sie in dem oberen Stockwerk auf. Das war eine große Genugtuung für Mamsell Marie. Gräfin Märta neckte ihre Schwiegertochter mit ihrer Vorliebe für filierte Gardinen. Aber sie konnte ihren Zorn auch verbergen und ihn Jahre hindurch frisch und neu bewahren, denn Gräfin Märta war eine begabte Dame. Vetter Kristoffer Oben im Kavalierflügel wohnte ein alter Raubvogel. Er saß stets im Ofenwinkel und gab acht, daß das Feuer nicht ausging. Zerzaust und grau war er. Der kleine Kopf mit der großen Nase und den halb erloschenen Augen neigte sich schwermütig auf dem langen, magern Hals über den braunen Pelzkragen. Denn der Raubvogel trug Sommer und Winter Pelzwerk. Er hatte mit zu dem Schwarm gehört, der im Gefolge des großen Kaisers über Europa hinjagte, aber welchen Namen und Titel er damals trug, das vermag jetzt niemand mehr zu sagen. In Wermland wußte man nur, daß er an den großen Kriegen teilgenommen, daß er blutige Schlachten mitgemacht hatte und daß er nach 1815 sein undankbares Vaterland verlassen mußte. Er hatte Schutz bei dem schwedischen Kronprinzen gefunden, und dieser hatte ihm den Rat erteilt, in dem fernen Wermland zu verschwinden. Die Zeiten waren jetzt derart, daß der, dessen Name die ganze Welt erzittern gemacht hatte, jetzt froh sein konnte, daß niemand seinen einst so gefürchteten Namen kannte. Er hatte dem Kronprinzen sein Ehrenwort gegeben, daß er Wermland nicht verlassen und nicht ohne zwingende Notwendigkeit erzählen wolle, wer er sei. Und dann kam er nach Ekeby mit einem Handschreiben des Kronprinzen an den Major, dem er auf das wärmste empfohlen wurde. Da öffneten sich ihm die Türen des Kavalierflügels. Anfänglich zerbrach man sich den Kopf, wer diese bekannte Persönlichkeit sein möge, die sich unter dem angenommenen Namen verbarg. Allmählich aber wurde er in einen Kavalier und Wermländer verwandelt. Alle Menschen nannten ihn Vetter Kristoffer, ohne eigentlich zu wissen, woher er gerade diesen Namen bekommen hatte. Aber es war nicht leicht für einen Raubvogel, im Bauer zu leben. Er ist ja an etwas anderes gewöhnt, als von einer Stange auf die andere zu hüpfen und aus der Hand seines Wächters gefüttert zu werden. Die Aufregung der Schlachten und der Todesgefahr hatte einst sein Blut entflammt; ihm ekelte vor dem stumpfsinnigen Frieden. Freilich waren auch die andern Kavaliere nicht lauter zahme Vögel; bei keinem aber brannte das Blut so heiß wie bei Vetter Kristoffer. Eine Bärenjagd war das einzige, was seine schlaffen Lebensgeister wieder anzuregen vermochte -- eine Bärenjagd oder eine Frau -- eine einzige Frau. Er war wieder aufgelebt, als er vor zehn Jahren zum erstenmal Gräfin Märta gesehen hatte, die damals schon Witwe war. Eine Frau, launenhaft wie der Krieg, anstachelnd wie die Gefahr, ein sprudelndes, keckes Wesen -- er liebte sie. Und nun saß er da und wurde alt und grau, ohne sie zur Gattin begehren zu können. Jetzt hatte er sie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Er welkte und starb allmählich hin, wie ein Adler in der Gefangenschaft. Mit jedem Jahr wurde er dürrer und frostiger. Er mußte tiefer in den Pelz und näher an den Ofen heran kriechen. * * * * * Und so sitzt er da, erfroren, zerzaust und grau an dem Morgen des Tages, da man am Abend die Osterschüsse abfeuern will. Die Kavaliere sind alle aus -- er aber sitzt in seiner Ofenecke. Ach, Vetter Kristoffer, Vetter Kristoffer, weißt du es denn nicht? Der lächelnde Lenz ist gekommen. Die Natur erwacht aus ihrem bleiernen Schlaf, und in den blauen Wolken tummeln sich schmetterling-beschwingte Wesen in übermütigem Spiel. Dicht aneinandergedrängt wie die Blüten an einem wilden Rosenbusch schimmern ihre Gesichter aus den Wolken heraus. Sie läuten es in die Welt hinein wie mit tausend Sturmglocken: »Lust und Freude! Lust und Freude! Er ist gekommen, der sprudelnde Lenz!« Vetter Kristoffer aber sitzt regungslos da und versteht nichts. Er beugt sein Haupt herab auf die steifen Finger und träumt von Kugelregen und vom Baum der Ehre, der auf dem Schlachtfelde wächst. Vor seinem geistigen Auge erblühen Rosen und Lorbeeren, die nicht der sanften Schönheit des Lenzes bedürfen. Es ist doch ein Jammer um ihn, den einsamen alten Fremdling, der dort oben in dem Kavalierflügel sitzt, ohne Volk, ohne Land, er, der nie einen Laut von der Sprache seines Heimatlandes hört, er, dessen Los einst ein namenloses Grab auf dem Broer Kirchhof sein wird. Was kann er dafür, daß er ein Adler ist, geboren zu verfolgen und zu töten? O Vetter Kristoffer, du hast lange genug im Kavalierflügel gesessen und geträumt! Auf und trinke den sprudelnden Wein des Lebens in den hohen Schlössern! Wisse, Vetter Kristoffer, daß heute ein Brief an den Major gekommen ist, ein königlicher Brief, mit dem schwedischen Reichssiegel versehen. Er ist an den Major gerichtet, der Inhalt aber betrifft dich. Du bist wunderlich zu schauen, während du den Brief liesest, du alter Raubvogel. Das Auge bekommt Glanz, der Kopf hebt sich. Du siehst die Tür des Bauers offen stehen, siehst den ganzen Weltenraum deinen sehnsuchtsvollen Schwingen erschlossen. * * * * * Vetter Kristoffer taucht tief nieder bis auf den Boden seiner Kleiderkiste. Dann holt er die sorgfältig verwahrte goldgestickte Uniform hervor und legt sie an. Er setzt den federgeschmückten Hut auf den Kopf und sprengt von Ekeby fort auf seinem prächtigen weißen Roß. Das ist etwas anderes, als in der Ofenecke zu sitzen. Jetzt sieht er auch, daß der Frühling gekommen ist. Er hebt sich im Sattel und spornt das Pferd zum Galopp an. Der Dolman und das Pelzwerk flattern; der Federbusch auf dem Hut weht. Der Mann ist verjüngt wie die Erde; er ist aus einem langen Winterschlaf erwacht. Das alte Gold kann noch glänzen. Das kecke Kriegergesicht unter dem Dreimaster ist gar stolz zu schauen. Ein wunderlicher Ritt! Überall, wo er reitet, sprudeln Bäche hervor, sprossen Anemonen aus dem Erdboden. Die Zugvögel schreien und jubeln um den befreiten Gefangenen. Die ganze Natur nimmt teil an seiner Freude. Herrlich wie ein Sieger kommt er. Der Frühling selber reitet auf einer schwebenden Wolke vor ihm her. Er ist leicht und luftig, der lichte Geist, bläst ins Waldhorn und hüpft übersprudelnd von Freude im Sattel auf und nieder. Und rings um Vetter Kristoffer herum tummelt ein Stab von alten Waffenbrüdern die Pferde: da ist das Glück, das auf seinen Zehenspitzen im Sattel steht, und die Ehre auf ihrem stattlichen Roß und die Liebe auf ihrem feurigen Araber. Ein wunderlicher Ritt, ein wunderlicher Reiter. Die Drossel ruft ihn an: »Vetter Kristoffer, Vetter Kristoffer. Wo willst du hin? Wo willst du hin?« »Nach Borg, um zu freien! Nach Borg, um zu freien!« antwortet Vetter Kristoffer. »Reit nicht nach Borg! Reit nicht nach Borg! Ein lediger Mann hat keine Sorg!« ruft ihm die Drossel nach. Er aber hört nicht auf die Warnung. Bergauf und bergab reitet er, bis er endlich da ist. Er springt vom Sattel und wird zur Gräfin hineingeführt. Alles geht gut. Gräfin Märta ist gnädig gegen ihn. Vetter Kristoffer merkt, daß sie nicht abgeneigt ist, seinen berühmten Namen zu tragen und ihm auf sein Schloß zu folgen. Er sitzt da und schiebt den glücklichen Augenblick hinaus, wo er ihr den Brief des Königs zeigen wird. Er genießt dies Warten. Sie plaudert und unterhält ihn mit tausend Geschichten. Er lacht über alles und bewundert alles. Da sie aber gerade in einem der Zimmer sitzen, in denen Gräfin Elisabeth Mamsell Mariens Gardinen aufgehängt hat, fängt die Gräfin auch an, die Geschichte dieser Gardinen zu erzählen. »Sehen Sie,« sagt sie schließlich, »sehen Sie, so schlecht bin ich, und hier hängen nun diese Gardinen, damit ich stets an meine Sünden erinnert werde. Das ist eine Buße sondergleichen. Pfui, diese abscheuliche Filetarbeit!« Der große Krieger, Vetter Kristoffer, schaut sie mit blitzenden Augen an. »Auch ich bin arm und alt«, sagt er. »Auch ich habe zehn Jahre im Ofenwinkel gesessen und mich nach meiner Geliebten gesehnt. Lachen Euer Gnaden darüber etwa auch?« »Ach nein, das ist etwas ganz anderes«, erwidert die Gräfin. »Gott hat mir mein Glück und mein Vaterland genommen und mich gezwungen, fremder Leute Brot zu essen«, sagt Vetter Kristoffer in ernsthaftem Ton. »Ich habe gelernt, die Armut zu achten!« »Sie auch?« ruft die Gräfin und hebt die Hände in die Höhe. »Wie tugendhaft die Menschen doch sind! Mein Gott, wie tugendhaft sie alle geworden sind!« »Ja,« sagt er, »merken Sie sich das, Frau Gräfin, sollte mir Gott einmal in Zukunft meine Macht und meinen Reichtum wiedergeben, dann will ich einen bessern Gebrauch davon machen, als sie mit einer Weltdame zu teilen, mit einem geschminkten, herzlosen Geschöpf, das sich über die Armut lustig macht.« »Darin haben Sie vollkommen recht, Vetter Kristoffer!« Und damit marschiert Vetter Kristoffer aus dem Zimmer und reitet wieder heim nach Ekeby; die Geister aber folgen ihm nicht, die Drossel ruft ihn nicht an, er sieht nicht mehr den lächelnden Frühling. Er kommt gerade in dem Augenblick nach Ekeby, als die Osterschüsse abgefeuert werden und man die »Osterhexe« verbrennt. Die Osterhexe ist eine große Strohpuppe, deren Gesicht aus alten Lumpen besteht, auf denen Augen, Nase und Mund mit Kohle aufgezeichnet sind. Sie trägt die abgelegten Kleider einer Armenhäuslerin, einen langstieligen Feuerhaken und Besenschaft an der Seite und das Salbenhorn[2] um den Hals. Sie ist bereit, nach Blåkulla zu fahren. [2] Das Salbenhorn mit der Hexensalbe gehört dem schwedischen Volksglauben nach zu den Attributen der Hexen, wenn sie nach Blåkulla, dem schwedischen Blocksberg, reiten. Major Fuchs ladet seine Flinte und schießt sie einmal über das andere in die Luft ab. Dann wird ein Feuer von Reisig angezündet, die Hexe darauf geworfen und verbrannt. Ja, die Kavaliere tun, was sie können, um auf alte, erprobte Weise die Macht der bösen Geister zu vernichten. Vetter Kristoffer steht da und schaut mit finsterer Miene zu. Plötzlich reißt er den großen königlichen Brief aus seinem Ärmelaufschlag und wirft ihn ins Feuer. Gott allein weiß, was er dabei denkt. Vielleicht bildete er sich ein, daß Gräfin Märta selber dort auf dem Scheiterhaufen verbrannt werde. Vielleicht meinte er, daß es nichts mehr auf der Erde gibt, was taugt, da ja diese Frau, die er so viele Jahre geliebt hat, nur aus Lumpen und Stroh bestand. Er geht wieder in den Kavalierflügel zurück, zündet das Feuer an und verwahrt seine Uniform. Wieder setzt er sich in die Ofenecke und wird mit jedem Tage zerzauster und grauer. Er stirbt nach und nach, so wie die alten Vögel in der Gefangenschaft. Er ist kein Gefangener mehr, aber er macht sich nichts daraus, seine Freiheit zu gebrauchen. Die Welt steht ihm offen. Der Walplatz, die Ehre, das Leben erwarten ihn. Aber er hat keine Kraft mehr, die Schwingen zum Fluge auszubreiten. Lebenswege Schwer sind die Wege, die die Menschen hier auf Erden wandern müssen. Wüstenpfade, Sumpfpfade, Bergpfade. Weshalb darf so viel Kummer seinen Gang gehen, bis er sich in der Wüste verirrt oder in den Sumpf versinkt oder vom Berge herabstürzt? Wo sind die kleinen Blumenmädchen, wo sind die kleinen Märchenprinzessinnen, auf deren Spuren Rosen wachsen, wo sind die Wesen, die Blumen auf die schweren Wege streuen sollen? Jetzt hat Gösta Berling, der Poet, beschlossen, sich zu verheiraten. Er sucht nur nach einer Braut, die arm genug, gering genug ist für einen verrückten Pfarrer. Schöne und edle Frauen haben ihn geliebt, aber sie sollen nicht vortreten und um seine Hand werben. Der Verstoßene wählt unter den Verstoßenen. Wen soll er wählen, wen wird er finden? Zuweilen kommt ein armes junges Mädchen aus einer einsamen Waldgegend hoch oben zwischen den Bergen nach Ekeby, um Besen zu verkaufen. In dieser Gegend, wo große Armut und stetes Elend herrschen, gibt es viele, die nicht im Besitz ihres vollen Verstandes sind, und das Mädchen mit den Besen ist eine von diesen vielen. Aber schön ist sie. Ihr starkes, schwarzes Haar ist in zwei Zöpfe geflochten, die so dick sind, daß sie kaum Platz auf ihrem Kopf haben, und ihre Wangen sind fein gerundet, die Nase ist gerade und nicht sehr groß, die Augen sind blau. Sie gehört zu jenen melancholischen, madonnenähnlichen Schönheitstypen, wie man sie noch heute bei schönen Mädchen an den Ufern des langen Löfsees findet. Nun, da hatte Gösta ja eine Braut -- eine halbverrückte Besenverkäuferin ist eine gute Frau für einen verrückten Pfarrer. Etwas Passenderes kann es nicht geben. Er braucht nur nach Karlstad zu reisen, um die Ringe zu bestellen, dann können die Leute am Löfsee wieder einen vergnügten Tag haben. Sie sollen noch einmal über Gösta Berling lachen, wenn er sich mit der Besenverkäuferin verlobt und Hochzeit mit ihr hält. Ja, lachen sollen sie! Hat er jemals einen lustigeren Streich geplant? Schwer sind die Wege, auf denen die Menschen wandern -- Wüstenpfade, Sumpfpfade, Bergpfade. Muß nicht der Verstoßene den Weg des Verstoßenen wandeln? Den Weg des Zornes, den Weg des Kummers, den Weg des Unglücks? Was macht es, wenn er stürzt, wenn er zugrunde geht? Ist da irgend jemand, der sich daran kehrt, ihn zurückzuhalten? Ist da irgend jemand, der ihm eine stützende Hand, einen labenden Trunk reicht? Wo sind die kleinen Blumenmädchen, wo sind die kleinen Märchenprinzessinnen, wo sind alle die Wesen, die Rosen auf die schweren Pfade streuen sollen? Nein, nein, die junge, sanfte Gräfin auf Borg will Gösta Berling nicht in seinen Plänen stören. Sie will an ihren Ruf denken, an den Zorn ihres Mannes und den Haß ihrer Schwiegermutter, sie will nichts tun, um ihn zurückzuhalten. Während des langen Gottesdienstes in der Svartsjöer Kirche will sie ihr Haupt beugen, will ihre Hände falten und für ihn beten. In schlaflosen Nächten kann sie über ihn weinen und sich um ihn sorgen, aber sie hat keine Blumen, um sie auf den Weg des Verstoßenen zu streuen, keinen Tropfen Wasser, um ihn dem Durstenden zu reichen, keinen leisen Händedruck, der ihn vom Rande des Abgrunds hätte zurückführen können. Gösta Berling macht sich nichts daraus, seine Auserwählte in Seide zu kleiden und mit Juwelen zu schmücken. Er läßt sie nach wie vor mit ihren Besen von Gehöft zu Gehöft gehen, aber wenn er alle die vornehmen Männer und Frauen aus der ganzen Gegend zu einem großen Gastmahl auf Ekeby versammelt hat, da will er seine Verlobung veröffentlichen. Da will er sie aus der Küche hereinrufen, so wie sie von ihren langen Wanderungen heimgekehrt ist, den Staub und Schmutz der Landstraße auf den Kleidern, vielleicht zerlumpt, vielleicht ungekämmt, mit wirrem Blick, einen verwirrten Wortstrom auf den Lippen. Und dann will er die Gäste fragen, ob er jetzt nicht eine passende Braut gewählt hat, ob nicht der verrückte Pfarrer stolz sein muß auf eine so schöne Braut, auf dies sanfte Madonnengesicht, auf diese blauen, schwärmerischen Augen. Es war seine Absicht, daß niemand im voraus etwas davon erfahren sollte; aber es gelang ihm nicht, das Geheimnis zu bewahren, und unter andern erfuhr auch die junge Gräfin Dohna davon. Aber was konnte sie tun, um ihn daran zu hindern? Der Verlobungstag ist gekommen, die Dämmerung hat sich herabgesenkt. Die Gräfin steht in dem blauen Kabinett und schaut gen Norden. Sie glaubt fast, daß sie Ekeby sehen kann, obwohl Tränen und Nebel ihren Blick hemmen. Sie sieht so deutlich das große, dreistöckige Haus, in dem drei Reihen erleuchteter Fenster strahlen, sie stellt sich vor, wie der Champagner in die Gläser geschenkt wird, wie die Toaste erschallen und Gösta Berling seine Verlobung mit der Besenverkäuferin verkündet. Wenn sie ihm nun nahe wäre und ganz leise ihre Hand auf seinen Arm legte, oder ihm nur einen freundlichen Blick schenkte, würde er da nicht umwenden von dem bösen Wege der Verstoßenen? Wenn ein Wort aus ihrem Munde ihn zu einer so verzweifelten Handlung getrieben hatte, würde ihn da nicht ein Wort von ihr zurückhalten können? Sie schauderte vor dem Unrecht, das er an diesem armen, unglücklichen Kinde begehen will, das jetzt verlockt werden soll, ihn zu lieben, vielleicht nur für die Kurzweil eines einzigen Tages. Vielleicht auch -- und da schauderte sie noch mehr vor der Sünde, die er an sich selbst beging -- vielleicht auch, um sie als drückende Fessel an seinen Fuß zu schmieden, um für ewig seinem Geist die Kraft zu rauben, aufwärts zu streben. Und wenn sie schließlich alles genau erwog, so lag die Schuld bei ihr. Sie hatte ihn mit einem Wort der Verdammnis auf den bösen Weg gestoßen. Sie, die gekommen war, um zu segnen, um zu mildern, weshalb hatte sie noch einen Dorn mehr in die Dornenkrone des Sünders geflochten? Ja, jetzt weiß sie, was sie tun will. Sie will die schwarzen Pferde an den Schlitten spannen lassen, will über den Löfsee fahren, in den Saal zu Ekeby stürzen, sich gerade vor Gösta Berling stellen und ihm sagen, daß sie ihn nicht verachtet, daß sie nicht wußte, was sie sagte, als sie ihn aus ihrem Hause jagte. Nein, so etwas konnte sie doch nicht tun; sie würde verschämt sein, unfähig, ein Wort hervorzubringen. Sie war ja verheiratet und mußte vorsichtig sein. Es würde Anlaß zu so viel Klatsch geben, wenn sie so etwas tat. Aber wenn sie es nicht tat -- was sollte dann aus ihm werden? Sie mußte von dannen! Und dann denkt sie daran, daß es unmöglich ist, hinüberzugelangen. Um diese Jahreszeit kann kein Pferd mehr über den See hinüber. Das Eis ist schon im Begriff zu schmelzen; am Ufer hat es sich schon gelöst. Unsicher, geborsten liegt es da, häßlich zu schauen. Das Wasser quillt zwischen den morschen Eisschollen empor, an einzelnen Stellen hat es sich in schwarzen Pfützen gesammelt, an andern Stellen ist das Eis blendend weiß. Der größte Teil des Sees ist jedoch grau und schmutzig von schmelzendem Schnee, und die Wege laufen wie lange schwarze Streifen über seine Fläche. Wie kann sie nur daran denken, fort zu wollen? Ihre Schwiegermutter, die alte Gräfin Märta, würde ihr so etwas niemals erlauben. Den ganzen Abend muß sie an ihrer Seite in dem großen Wohnzimmer sitzen und die alten Hofgeschichten mit anhören, die das Entzücken der Alten sind. Doch die Nacht kommt, und ihr Mann ist verreist, und nun ist sie frei. Fahren kann sie nicht, sie wagt es nicht, die Dienstboten zu wecken, aber die Angst treibt sie heraus aus ihrem Heim. Sie kann nicht anders. Schwer sind die Wege, die die Menschen auf Erden wandern -- Wüstenpfade, Sumpfpfade, Bergpfade. Womit aber soll ich diesen natürlichen Weg über das schmelzende Eis vergleichen? Ist das nicht derselbe Weg, den auch die kleinen Blumenmädchen zu gehen haben, ein unsicherer, schwankender, schlüpfriger Weg, der Weg derer, die die geschlagene Wunde heilen wollen, der Weg derer, die wieder gutmachen wollen, des leichten Fußes, des schnellen Auges, des mutigen, liebevollen Herzens Weg? Es war über Mitternacht, als die Gräfin das Ufer bei Ekeby erreichte. Sie war auf dem Eise gefallen, sie war über breite Risse gesprungen, sie war leicht hinweggehuscht über Stellen, wo das hervorquellende Wasser die Fußspuren füllte, sie war geglitten, sie war gekrochen. Es war eine schwere Wanderung gewesen, und sie hatte geweint, während sie ging. Sie war naß und müde geworden, und da draußen auf dem Eise hatten die Dunkelheit, die Einsamkeit und die Leere ihre Gedanken beschwert. Jetzt, kurz vor Ekeby, hatte sie in fußhohem Wasser waten müssen, um das Land zu erreichen. Und als sie auf das Ufer hinaufgekommen war, hatte sie keinen Mut zu etwas anderem gehabt, als sich auf einen Stein zu setzen und vor Müdigkeit und Hilflosigkeit zu weinen. Schwere Wege wandern die Menschenkinder, und die kleinen Blumenmädchen sinken oft neben ihrem Korbe nieder, gerade im selben Augenblick, wo sie denjenigen erreicht haben, dessen Weg sie mit Blumen bestreuen wollten. Diese junge, vornehme Dame war doch eine liebenswerte kleine Heldin. Solche Wege war sie in ihrem sonnigen Heimatlande nicht gewandert. Da ist es denn kein Wunder, daß sie am Ufer dieses unheimlichen, entsetzlichen Sees sitzt, naß, müde und unglücklich, wie sie ist, und an die sanften, blumenverbrämten Pfade ihres südlichen Geburtslandes denkt. Ach, für sie handelt es sich nicht mehr darum, ob Süd, ob Nord. Sie steht mitten im Leben. Sie weint nicht vor Heimweh. Sie weint, das kleine Blumenmädchen, die kleine Heldin, weil sie so müde ist, daß sie den nicht mehr erreichen kann, dessen Weg sie mit Blumen bestreuen will -- sie weint, weil sie glaubt, daß sie zu spät gekommen ist. Da kommen einige Menschen den Strand entlang gelaufen. Sie eilen an ihr vorüber, ohne sie zu sehen, aber sie hört ihre Worte: »Stürzt der Damm, so ist die Schmiede verloren!« sagt der eine. »Und die Mühle und die Werkstätten und die Häuser der Schmiede«, fügt ein anderer hinzu. Da faßt sie neuen Mut, erhebt sich und folgt ihnen. * * * * * Die Mühle und die Schmiede von Ekeby lagen auf einer schmalen Landzunge, die der Björkseebach umbraust. Er stürzte sausend auf die Landzunge herab, weißschäumend von dem gewaltigen Fall, und um die bebaute Strecke gegen das Wasser zu schützen, war ein großer Wellenbrecher vor der Landzunge angebracht. Aber der Damm war jetzt alt, und die Kavaliere regierten. Die ließen den Tanz über Stock und Stein gehen; niemand aber ließ sich Zeit, nachzusehen, wie der Strom und die Kälte und der Zahn der Zeit an dem alten Steindamm gearbeitet hatten. Und dann kommt der Frühling, und der Damm fängt an nachzugeben. Der Wasserfall bei Ekeby ist eine gewaltige Granittreppe, über die die Wogen des Björkseebaches herabgebraust kommen. Sie werden schwindlig von dem eiligen Lauf, überschlagen sich, prallen gegeneinander. Sie fahren in Zorn auf, bespritzen sich gegenseitig mit Schaum, straucheln über einen Stein, über einen Baumstamm, raffen sich dann wieder auf, um wieder und wieder unter Schäumen und Prusten und Brüllen zu straucheln. Und diese wilden, erregten Wogen, berauscht von der Frühlingsluft, schwindlig von der wiedergewonnenen Freiheit, laufen nun Sturm gegen die alte Steinmauer. Sie kommen keuchend und stöhnend, stürmen hoch auf die Mauer hinauf und ziehen sich wieder zurück, als hätten sie ihre weißgelockten Köpfe gestoßen. Es ist ein Sturm, wie er nicht heftiger sein kann; die großen Eisschollen dienen ihnen als Schilde, die Baumstämme als Mauerbrecher, sie stürzen, brechen, brausen gegen diese arme Mauer, bis es plötzlich aussieht, als habe ihnen jemand ein »Gebt acht!« zugerufen. Da stürzen sie zurück, und hinter ihnen drein kommt ein großer Stein, der sich von dem Damm losgelöst hat und polternd im Strom versinkt. Es hat fast den Schein, als habe dies sie erschreckt; sie stehen still, sie jubeln, sie ratschlagen -- und dann: vorwärts mit frischem Mut! Da sind sie wieder mit Eisschollen und Baumstämmen, voll von lustigen Streichen, unbarmherzig, wild, toll vor Zerstörungslust. Wäre nur der Damm fort -- sagen die Wellen -- wäre nur der Damm fort, da sollte gar bald die Reihe an die Schmiede und an die Mühle kommen! Der Tag der Freiheit ist da -- fort mit Menschen und Menschenwerk! Sie haben uns schwarz und rußig gemacht mit ihren Kohlen, sie haben uns eingestäubt mit ihrem Mehl, sie haben uns das Arbeitsjoch aufgelegt wie den Ochsen, sind im Kreise mit uns herumgefahren, haben uns eingeschlossen, unsern Lauf gehemmt, uns gezwungen, die schweren Räder zu treiben, die klotzigen Baumstämme zu tragen. Aber nun wollen wir uns freimachen! Der Tag der Freiheit ist da! Hört es, ihr Wogen oben im Björksee, hört es, ihr Brüder und Schwestern in Mooren und Sümpfen, in Bergbächen und Waldbächen! Kommt, kommt! Stürzt euch herab, vereinigt euch mit uns, kommt mit frischen Kräften, polternd, zischend, bereit, das hundertjährige Joch zu zertrümmern! Kommt! Das Bollwerk der Tyrannei soll fallen. Tod und Verderben über Ekeby! Und sie kommen. Woge auf Woge stürzt sich in den Fall hinab, um den Kopf gegen den Damm zu stoßen, um das große Werk fördern zu helfen. Berauscht von der neuerrungenen Lenzfreiheit, mannesstark, einig, kommen sie und lösen Stein auf Stein, Erdschicht auf Erdschicht von dem schwankenden Wellenbrecher. Weshalb aber lassen denn die Menschen die wilden Wellen tosen, ohne Widerstand zu leisten? Ist Ekeby ausgestorben? Nein, die Menschen sind da, eine verwirrte, ratlose, hilflose Menschenschar. Die Nacht ist dunkel, sie können einander nicht sehen, können nicht sehen, wohin sie treten. Der Wasserfall braust stark, es ist ein entsetzliches Getöse von zertrümmerndem Eis und zusammenprallenden Baumstämmen; sie können ihr eigen Wort nicht verstehen. Die Wildheit, die die brausenden Wellen ergriffen hat, füllt auch die Gehirne der Menschen, sie haben keinen Gedanken in ihren Köpfen, sie sind ganz ohne Besinnung. Die Fabrikglocken ertönen, wer Ohren hat zu hören, der höre! Wir hier unten an der Ekebyer Schmiede sind nahe daran zu vergehen. Der Bach stürzt über uns hinweg. Der Damm schwankt, die Schmiede ist in Gefahr, die Mühle ist in Gefahr und unsere eigenen armseligen Wohnungen, die wir trotz all ihrer Geringheit lieben. Die Wogen glauben wohl, daß die Glocken ihre Genossen herbeirufen sollen, denn es zeigt sich kein Mensch. Aber draußen in den Wäldern und Mooren entsteht ein geschäftiges Treiben. »Zu Hilfe! Zu Hilfe!« rufen die Glocken. »Nach hundertjähriger Sklaverei haben wir uns endlich befreit. Kommt! Kommt!« Die brausenden Wogen und die läutenden Fabrikglocken singen Ekebys Ehre und Glanz den Totengesang. Und indessen wird ein Bote nach dem andern zu den Kavalieren aufs Schloß geschickt. Sind die in der Stimmung, an Schmiede und Mühle zu denken? Hunderte von Gästen sind in den großen Sälen von Ekeby versammelt. Die Besenverkäuferin wartet draußen in der Küche. Der spannende Augenblick der Überraschung ist gekommen. Der Champagner perlt in den Gläsern; Julius erhebt sich, um die Festrede zu halten. Alle die alten Abenteurer auf Ekeby freuen sich auf das stumme Staunen, das sich der Versammlung bemächtigen wird. Draußen auf dem Eis des Löfsees wandert die junge Gräfin Dohna einen unheimlichen, lebensgefährlichen Weg, um Gösta Berling ein warnendes Wort ins Ohr zu flüstern. Unten am Gießbach laufen die Wogen Sturm gegen Ekebys Macht und Ehre, aber in den großen Sälen herrscht nur Freude und gespannte Erwartung; die Wachskerzen strahlen, und der Wein strömt, da drinnen denkt niemand an das, was da draußen in der dunklen, stürmischen Frühlingsnacht vor sich geht. Gerade jetzt ist der Augenblick gekommen. Gösta erhebt sich und geht hinaus, um seine Braut zu holen. Er muß durch den Vorsaal gehen, die großen Türen sind weit geöffnet -- er bleibt stehen, er schaut hinaus in die stockfinstere Nacht -- und er hört, er hört. Er hört die Glocken läuten, er hört den Gießbach brausen. Er hört das Gepolter des krachenden Eises, den Lärm der zusammenprallenden Baumstämme, die brausende, höhnende, siegreiche Freiheitshymne der aufrührerischen Wogen. Da vergißt er alles und stürzt in die Nacht hinaus. Seinetwegen können die da drinnen mit erhobenen Gläsern stehenbleiben und bis an den Jüngsten Tag warten; er macht sich nichts mehr aus ihnen. Seine Braut kann warten. Patron Julius' Rede mag ihm auf den Lippen ersterben. Heut nacht werden keine Ringe gewechselt, kein stummes Staunen wird sich der glänzenden Versammlung bemächtigen. Jetzt wehe euch, ihr aufrührerischen Wogen, jetzt gilt es in Wahrheit, für die Freiheit zu kämpfen, jetzt ist Gösta Berling an den Gießbach hinabgekommen, jetzt haben die Leute einen Führer bekommen, jetzt steht der Verteidiger auf den Mauern, jetzt beginnt ein fürchterlicher Kampf. Hört, wie er der Menge zuruft, er befiehlt, er versetzt alle in Tätigkeit. »Licht müssen wir haben, vor allen Dingen Licht! Hier genügt die Hornlaterne des Müllers nicht. Nehmt die Reisigbündel da, tragt sie auf den Hügel und zündet sie an! Das ist eine Arbeit für Frauen und Kinder. Nur schnell! Macht einen großen Scheiterhaufen aus dürren Zweigen! Das soll uns bei unserer Arbeit leuchten, das soll bis weithin scheinen und Hilfe herbeirufen. Und sorgt dafür, daß das Feuer nicht erlischt, holt Stroh und Holz, und laßt die Flammen hell zum Himmel emporschlagen. -- -- -- »Seht, ihr Männer, hier ist Arbeit für euch! Hier ist Holz, hier sind Balken, zimmert einen Notdamm, den wir vor diese schwankende Mauer hinabsenken können. Schnell, schnell an die Arbeit, macht sie sicher und stark! Haltet Steine und Sandsäcke bereit, um das Gerüst hinabzusenken! Schnell! Schwingt eure Äxte, laßt die Hammerschläge erdröhnen, laßt den Bohrer sich tief ins Holz nagen und die Säge in den trocknen Brettern kreischen! »Und wo sind die Buben? Herbei mit euch, ihr wilden Strolche! Holt Stangen, holt Bootshaken und kommt hierher, mitten ins Kampfgewühl! Auf den Damm hinaus mit euch, Buben, mitten in die Wellen hinein, die schäumen und brausen und uns mit weißem Gischt bespritzen! Wehrt sie ab, schwächt sie, weist sie zurück, diese Angriffe, die die Mauern bersten machen! Schiebt die Baumstämme und die Eisschollen zur Seite, werft euch nieder, wenn nichts weiter helfen will, und haltet die Steine mit euren Händen fest, beißt in sie hinein, umklammert sie mit eisernen Klauen! Kämpfet, ihr Buben, ihr Taugenichtse, ihr Wildfänge! Auf die Mauer hinaus mit euch! Wir müssen um jeden Zoll breit Erde kämpfen!« Gösta selber stellt sich auf die äußerste Kante des Dammes und steht dort, von Schaum umspritzt, während der Grund unter ihm schwankt. Die Welle brüllt und tobt, sein wildes Herz aber schwelgt in der Gefahr, in der Unruhe, in dem Kampf. Er lacht, er hat muntere Einfälle, die er den Knaben zuruft; nie hat er eine lustigere Nacht erlebt. Das Rettungswerk schreitet schnell vorwärts, die Flammen schlagen hoch zum Himmel empor, die Äxte der Zimmerleute dröhnen, der Damm steht noch immer. Auch die andern Kavaliere und die hundert Gäste sind an den Wasserfall hinabgekommen. Von nah und fern kommen die Leute herbeigestürzt, alle arbeiten, sie schüren das Feuer, sie zimmern den Notdamm, sie füllen die Säcke, sie wehren den Wogen draußen auf dem schwankenden, zitternden Steindamm. Jetzt ist der Notdamm fertig, jetzt soll er vor den schwankenden Wellenbrecher hinabgesenkt werden. Haltet Steine und Sandsäcke bereit, und Bootshaken und Stricke, so daß sie nicht fortgerissen werden, daß die Menschen den Sieg davontragen und die unterjochten Wellen in die Sklaverei zurückkehren! Da geschieht es, gerade im entscheidenden Augenblick, daß Göstas Blick auf eine Frauengestalt fällt, die auf einem Stein am Bach sitzt. Die auflodernden Flammen lassen ihren Schein auf sie fallen, wie sie dasitzt und in die Wogen hinausstarrt, er kann sie nicht klar und deutlich sehen, Nebel und Schaum hindern ihn, aber sein Auge kehrt wieder und wieder zu ihr zurück. Immer wieder muß er sie ansehen. Es ist ihm, als habe diese Frau einen Auftrag an ihn auszurichten. Unter all den Hunderten, die am Ufer des Gießbaches arbeiten und sich bewegen, ist sie die einzige, die stillsitzt, und sein Blick sucht sie unaufhörlich, er sieht niemand außer ihr. Sie sitzt so weit hinaus, daß die Wellen gegen ihre Füße schlagen und sie mit ihrem Schaum bespritzen. Sie muß ganz durchnäßt sein. Sie ist dunkel gekleidet, trägt einen großen Schal um den Kopf und sitzt zusammengekauert da, das Kinn in die Hände gestützt, und starrt unablässig zu ihm dort oben auf dem Wellenbrecher hinüber. Er fühlt, daß diese starrenden Augen ziehen und locken, obwohl er nicht einmal ihr Antlitz unterscheiden kann, er denkt nur an sie, wie sie dort am Ufer zwischen den weißen Wogen sitzt. »Das ist die Meermaid aus dem Löfsee, die hier in den Bach hinausgekommen ist, um mich ins Unglück zu locken«, denkt er. »Sie sitzt da und lockt -- ich muß sie noch fortjagen.« Es ist ihm, als seien alle diese Wellen mit den weißen Kämmen das Heer der schwarzen Frau; sie hat sie aufgestachelt, sie hat sie zum Angriff gegen ihn geführt. »Ich bin ja gezwungen, sie fortzujagen«, sagt er. Er ergreift einen Bootshaken, springt ans Land und eilt zu der Frauengestalt hin. Er verläßt seinen Platz auf der äußersten Spitze des Wellenbrechers, um die Meerfrau zu vertreiben. Es ist ihm in diesem Augenblick der Erregung, als kämpften die bösen Mächte der Tiefe gegen ihn. Er weiß nicht, was er denkt, was er glaubt -- er muß die schwarze Gestalt dort vom Stein am Elfufer fortjagen. Ach, Gösta! Weshalb steht dein Platz im entscheidenden Augenblick leer? Jetzt kommen sie mit dem Notdamm, eine lange Reihe von Männern stellt sich auf dem Wellenbrecher auf; sie haben Stricke und Steine und Sandsäcke bereit, um ihn zu beschweren und ihn niederzuhalten; sie stehen bereit, sie warten, sie lauschen. Wo ist der Befehlshaber? Vernimmt man denn seine Stimme nicht, die gebieten und anordnen soll? Aber Gösta Berling macht Jagd auf die Meerfrau. Sie sah ihn, wie er mit dem Bootshaken auf sie zugestürzt kam. Ihr ward bange. Es sah aus, als wolle sie sich ins Wasser stürzen, aber sie besinnt sich und flüchtet ans Land. »Meerweib!« ruft Gösta und schwingt den Bootshaken über ihr. Sie läuft zwischen das Erlengestrüpp am Ufer, das hält sie mit seinen dichten Zweigen fest, und sie bleibt stehen. Da wirft Gösta Berling den Bootshaken hin und legt ihr seine Hand auf die Schulter. »Sie sind in dieser Nacht spät draußen, Gräfin Elisabeth!« sagt er. »Lassen Sie mich, Herr Berling! Lassen Sie mich nach Hause gehen!« Er gehorcht augenblicklich und wendet sich von ihr ab. Da sie aber nicht nur eine vornehme Dame, sondern auch ein herzensgutes Geschöpf ist, das den Gedanken nicht ertragen kann, einen Menschen zur Verzweiflung getrieben zu haben, da sie ein kleines Blumenmädchen ist, das stets Rosen genug in ihrem Korb hat, um den einsamsten Weg damit zu schmücken, bereut sie es sofort, geht hinter ihm drein und ergreift seine Hand. »Ich kam«, sagte sie stammelnd -- »ich kam, um -- ach, Herr Berling! Sie haben es doch nicht getan -- sagen Sie, daß Sie es nicht getan haben! Ich ward so erschrocken, als Sie hinter mir hergelaufen kamen, und doch habe ich nur Sie gesucht. Ich wollte Sie bitten, zu vergessen, was ich neulich gesagt habe, und wieder zu uns zu kommen wie ehedem.« »Wie sind die Frau Gräfin hierhergekommen?« Sie lacht nervös. »Ich wußte ja, daß ich zu spät kommen würde, aber ich wollte niemand erzählen, daß ich hierherging, und dann wissen Sie ja, kann man nicht mehr über den See fahren.« »Sind die Frau Gräfin über den See gegangen?« »Freilich bin ich das. Aber, Herr Berling, sagen Sie mir doch -- sind Sie verlobt? Sie begreifen wohl, daß ich es sehr gern sehen würde, wenn es nicht der Fall wäre! Es ist ja doch ein Unrecht, und ich habe ein Gefühl, als wenn ich schuld an dem Ganzen wäre. Sie hätten keinen so großen Wert auf meine Worte legen sollen! Ich bin eine Fremde, die die Sitten des Landes nicht kennt. Es ist so leer auf Borg gewesen, seit Sie Ihre Besuche eingestellt haben, Herr Berling.« Wie Gösta Berling so dasteht zwischen dem nassen Erlengestrüpp auf dem sumpfigen Boden, ist es ihm, als wenn ihn jemand über und über mit Rosen bestreue. Er watet bis an die Knie in Rosen, sie schimmern im Dunkeln vor seinen Augen, begehrlich atmet er ihren Duft ein. »Ist es wirklich geschehen?« wiederholt sie. Er muß sich entschließen, ihr zu antworten und ihrer Angst ein Ende zu machen, obwohl er so glücklich darüber ist. Wie warm es doch in ihm wird, und wie hell, wenn er daran denkt, welchen Weg sie zurückgelegt hat, wie naß sie ist, wie erfroren, wie angsterfüllt sie sein muß, und wie verweint ihre Stimme klingt. »Nein,« sagt er, »ich bin nicht verlobt.« Da ergreift sie noch einmal seine Hand und streichelt sie. »Ich bin so glücklich, so glücklich!« sagt sie, und ihre Brust, die die Angst zusammengeschnürt hatte, erbebt jetzt von Schluchzen. Da ist der Weg des Poeten ganz mit Blumen bedeckt. Alles Dunkle, Böse und Gehässige schmilzt aus seinem Herzen fort. »Wie gut Sie sind, wie gut Sie sind!« sagt er. Dicht neben ihnen laufen die Wogen Sturm gegen Ekebys ganze Herrlichkeit und Ehre. Jetzt haben die Leute keinen Führer mehr, niemand, der ihnen Mut und Hoffnung einflößt, jetzt stürzt der Wellenbrecher, die Wogen schlagen darüber zusammen und stürzen sich siegesstolz gegen die Landzunge, wo die Mühle und die Schmiede liegen. Niemand arbeitet mehr, um den Wellen Widerstand zu leisten, niemand denkt an etwas anderes, als sein Leben und sein Hab und Gut zu retten. Die beiden jungen Menschen finden es ganz in der Ordnung, daß Gösta die Gräfin nach Hause begleiten muß; er kann sie ja nicht allein lassen in der dunklen Nacht, kann sie nicht noch einmal allein über das schmelzende Eis wandern lassen. Sie denken nicht einmal daran, daß man seiner oben bei der Schmiede bedarf, sie sind so glücklich, daß die alte Freundschaft jetzt wiederhergestellt ist. Es liegt so nahe zu glauben, daß diese jungen Menschenkinder eine warme Liebe zueinander hegen, aber wer kann das sicher wissen? In abgerissenen, einzelnen Stücken ist das strahlende Märchen ihres Lebens bis zu mir gelangt. Ich weiß ja nichts, so gut wie nichts von dem, was in ihrer innersten Seele wohnte. Was kann ich von den Beweggründen zu ihren Handlungen sagen? Ich weiß nur, daß eine junge Frau in jener Nacht ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Ehre, ihren guten Namen aufs Spiel setzte, um einen armen, elenden Mann wieder auf den rechten Weg zurückzuführen. Ich weiß nur, daß Gösta Berling in jener Nacht den Glanz und die Macht des geliebten Besitztums fallen ließ, um sie zu begleiten, die um seinetwillen die Furcht vor dem Tode, die Furcht vor der Schande, die Furcht vor der Strafe überwunden hatte. Oft habe ich sie in Gedanken in dieser entsetzlichen Nacht über das Eis verfolgt, in dieser Nacht, die doch für sie ein so gutes Ende nahm. Ich glaube nicht, daß sich etwas Verstecktes, Verbotenes in ihrer Seele findet, das unterdrückt, das erstickt werden muß, gerade jetzt, wo sie über das Eis wandern, fröhlich über alles plaudernd, was ihnen während dieser Zeit der Trennung begegnet ist. Er ist wieder ihr Sklave, ihr Page, der zu ihren Füßen liegt, und sie ist seine Dame. Sie sind nur froh, nur glücklich. Keins von beiden sagt ein Wort, das von Liebe spricht. Lachend patschen sie durch das Wasser am Ufer. Sie lachen, wenn sie den Weg finden, wenn sie sich verirren, wenn sie ausgleiten, wenn sie fallen, wenn sie wieder aufstehen -- stets lachen sie. Es ist wieder zu einem fröhlichen Spiel geworden, dies schöne Leben, und sie sind Kinder, die unartig waren und sich gezankt haben. Ach, wie schön ist es, wieder versöhnt zu sein und das Spiel von neuem zu beginnen! Die Gerüchte kamen und die Gerüchte gingen. Im Laufe der Zeiten kam die Erzählung von der Wanderung der Gräfin auch bis zu Anna Stjärnhök. »Da sieht man doch,« sagte sie, »daß Gott mehr als eine Saite auf seinem Bogen hat. Ich will mein Herz zur Ruhe bringen und bleiben, wo man meiner bedarf. Gott kann auch ohne meine Hilfe einen Mann aus Gösta Berling machen.« Buße Liebe Freunde! Wenn es geschehen sollte, daß ihr einem Armen, Elenden auf eurem Wege begegnet, einem betrübten Wesen, das den Hut auf den Rücken herabhängen läßt und seine Schuhe in der Hand trägt, um keinen Schutz gegen den Sonnenbrand und gegen die Steine des Weges zu haben, einem Verteidigungslosen, der aus freiem Willen alles Böse auf sein Haupt herabbeschwört, so geht mit stillem Beben an ihm vorüber. Es ist ein Büßer, versteht ihr wohl, ein Büßer auf der Wanderung zum Heiligen Grabe. Der Bußfertige muß einen groben Mantel tragen und von Wasser und Brot leben, selbst wenn er ein König ist. Er muß gehen und darf nicht fahren. Er muß betteln und darf nichts besitzen. Er muß zwischen den Disteln schlafen, auf den Knien über die harten Grabsteine rutschen. Er muß die knotige Geißel über seinem Rücken schwingen und kann keinen Genuß finden außer im Leiden, keine Freude außer im Kummer. Die junge Gräfin Elisabeth gehörte einstmals zu denen, die den groben Mantel trugen und die dornenvollen Pfade gingen. Ihr Herz klagte sie der Sünde an. Es trachtete nach Schmerz wie der Müde nach einem warmen Bade. Not und Elend brachte sie über sich, indem sie jubelnd in die Nacht des Lebens hinabstieg. Ihr Mann, der junge Graf mit dem alten Kopf, kehrte am Morgen nach jener Nacht, in der die Frühlingsfluten die Ekebyer Mühle und Schmiede vernichtet hatten, von seiner Reise heim. Er war kaum angelangt, als Gräfin Märta ihn rufen ließ und ihm wunderliche Dinge erzählte. »Deine Frau ist über Nacht ausgewesen, Henrik. Sie ist viele Stunden fortgewesen. Sie kam in Begleitung eines Mannes zurück. Ich hörte, wie er ihr 'Gute Nacht' sagte; ich weiß auch, wer er ist. Ich hörte es, als sie ging und als sie kam, wenn das auch wohl kaum ihre Absicht gewesen ist. Sie hintergeht dich, Henrik! Sie hintergeht dich, das scheinheilige Wesen, das filierte Gardinen vor alle Fenster hängt, nur um mich zu ärgern. Sie hat dich nie geliebt, mein armer Junge. Ihr Vater wollte sie nur gut verheiratet wissen. Sie nahm dich, um versorgt zu sein.« Sie machte ihre Sache so gut, daß Graf Henrik ganz außer sich geriet. Er wollte eine Scheidung beantragen. Er wollte seine Frau zu ihrem Vater zurücksenden. »Nein, mein Sohn,« sagte Gräfin Märta, »auf die Weise würde sie völlig zugrunde gehen. Sie ist verzärtelt und hat eine schlechte Erziehung gehabt. Ich will mich ihrer annehmen, ich will sie auf den Weg der Pflicht zurückführen.« Und der Graf rief die junge Gräfin herein und sagte ihr, daß sie fortan unter seiner Mutter stehen solle. Ach, welch eine Szene nun folgte! Eine elendere Komödie ist wohl niemals in diesem der Trauer geweihten Hause gespielt worden. Viele böse Worte ließ er sie hören. Er erhob die Hände gen Himmel und klagte Gott an, weil er es erlaubt hatte, daß sein Name von einer schamlosen Frau in den Schmutz geschleppt wurde. Er drohte ihr mit der geballten Faust und fragte, welche Strafe sie groß genug für ihr Verbrechen halte. Sie war gar nicht bange vor ihrem Mann. Sie glaubte noch immer, daß sie recht gehandelt habe. Sie sagte, sie habe schon einen schrecklichen Schnupfen bekommen, das sei doch wohl Strafe genug. »Elisabeth!« sagte Gräfin Märta, »dies ist nichts, worüber man scherzen kann.« »Wir beide«, erwidert die junge Frau, »haben uns nie darüber einigen können, wann es Zeit sei, zu scherzen oder ernsthaft zu sein.« »Aber du mußt doch begreifen können, Elisabeth, daß keine ehrbare Frau ihr Haus mitten in der Nacht verlassen und mit einem berüchtigten Abenteurer umherstreifen kann.« Da begriff Elisabeth, daß ihre Schwiegermutter beschlossen hatte, sie ins Elend zu stürzen. Sie begriff, daß sie bis zum äußersten kämpfen müsse, damit es dieser Frau nicht gelänge, ein schreckliches Unglück über sie zu bringen. »Henrik,« bittet sie, »laß deine Mutter sich nicht zwischen uns stellen. Ich will dir erzählen, wie das Ganze sich zugetragen hat. Du bist gerecht, du wirst mich nicht ungehört verurteilen. Ich will dir alles erzählen und du wirst sehen, daß ich so handelte, wie du mich zu handeln gelehrt hast.« Der Graf nickte schweigend als Zeichen seiner Zustimmung, und nun erzählte Gräfin Elisabeth, wie sie dazu gekommen war, Gösta Berling auf den Weg des Bösen zu stoßen. Sie erzählte alles, was sich in dem kleinen blauen Kabinett zugetragen hatte, und wie ihr Gewissen sie getrieben, den zu retten, dem sie unrecht getan. »Ich hatte ja kein Recht, ihn zu verurteilen,« sagte sie, »und mein Mann hat mich selbst gelehrt, daß kein Opfer zu groß ist, wenn man ein Unrecht wieder gutmachen will. Nicht wahr, Henrik?« Graf Henrik wandte sich an seine Mutter. »Was sagst du dazu, Mutter?« fragte er. Sein kleiner Körper war jetzt ganz steif vor Würde, und seine hohe, schmale Stirn hatte er in majestätische Falten gelegt. »Ich,« erwiderte die Gräfin, »ich sage, daß Anna Stjärnhök ein kluges Mädchen ist und daß sie wohl wußte, was sie tat, als sie Elisabeth diese Geschichte erzählte.« »Du beliebst mich mißzuverstehen, Mutter,« sagte der Graf. »Ich frage, was du zu dieser Geschichte sagst. Hat Gräfin Märta Dohna versucht, ihre Tochter, meine Schwester, zu einer Ehe mit einem abgesetzten Geistlichen zu überreden?« Gräfin Märta schwieg einen Augenblick. Ach, wie dumm dieser Henrik doch war! Jetzt war er auf ganz falscher Fährte. Der Jagdhund verfolgte den Jäger selbst und ließ den Hasen laufen. Aber wenn Märta Dohna auch einen Augenblick um die Antwort verlegen gewesen war, so besann sie sich doch schnell. »Lieber Sohn,« sagte sie mit einem Achselzucken, »wir haben allen Grund, diese alten Geschichten von dem unglücklichen Mann ruhen zu lassen, es ist derselbe Grund, der mich jetzt veranlaßt, dich zu bitten, allen öffentlichen Skandal zu vermeiden. Es ist nämlich höchstwahrscheinlich, daß er in dieser Nacht ums Leben gekommen ist.« Sie sprach in einem sanften, beklagenden Ton, aber es war kein wahres Wort an ihrer Rede. »Elisabeth hat heute lange geschlafen und hat deswegen nicht gehört, daß schon Leute rings um den See herum entsandt sind, um Herrn Berling zu suchen. Er ist nicht nach Ekeby zurückgekehrt, und man fürchtet, daß er ertrunken ist. Das Eis ist heute morgen aufgegangen. Sieh nur, der Sturm hat es in tausend Stücke zersplittert.« Gräfin Elisabeth schaute hinaus, der See lag beinahe eisfrei da. Da schämte sie sich ihrer selbst. Sie hatte Gottes Gerechtigkeit entgehen wollen. Sie hatte gelogen und geheuchelt. Sie hatte sich in den weißen Mantel der Unschuld gehüllt. Die Verzweifelte warf sich vor ihrem Gatten auf die Knie, und das Bekenntnis rang sich aus ihrer Brust: »Richte mich! Verstoße mich! Ich habe ihn geliebt. Ich zerraufe mir das Haar, ich zerreiße meine Kleider vor Kummer. Mir ist alles gleichgültig, jetzt, wo er tot ist. Ich mache mir nichts daraus, mich zu verteidigen. Du sollst die ganze Wahrheit erfahren. Ich habe meinem Manne die Liebe meines Herzens entzogen und sie einem Fremden geschenkt. Ach, ich Unglückliche, ich habe mich zu verbotener Liebe verlocken lassen!« Du junge Verzweifelte! Liege da zu den Füßen deiner Richter und sage ihnen alles! Willkommen, Martyrium, willkommen, Entehrung, willkommen! Ach, wie kannst du nur den Blitz des Himmels zwingen, auf dein junges Haupt herabzufahren? Sage deinem Gatten, wie du dich entsetzt hast, als die Leidenschaft dich überwältigt hat, wie du bebtest über die Schlechtigkeit deines Herzens. Lieber wärest du den Gespenstern auf dem Kirchhof begegnet, als den Dämonen in deiner eigenen Brust. Sage ihnen, wie du, die du von Gottes Angesicht verwiesen warst, dich unwürdig fühltest, auf der Erde zu wandeln. In Gebet und Tränen hast du gerungen. »Ach, Gott, errette mich! Ach, Sohn Gottes, du, der du die bösen Geister austreibst, errette mich vor dem Verderben!« So hast du gefleht. Sage ihnen, daß du glaubtest, es sei das beste, alles zu verbergen. Niemand sollte deine Schlechtigkeit kennen lernen. Du glaubtest, daß es Gott wohlgefällig sei, wenn du so handeltest. Du glaubtest auch, daß du auf Gottes Wegen wandeltest, als du den Mann erretten wolltest, den du liebtest. Er ahnte nichts von deiner Liebe. Er sollte deinetwegen nicht ins Verderben geraten. Wußtest du, was recht war? Wußtest du, was unrecht war? Gott allein wußte es, und er hatte dich gerichtet. Er hatte den Abgott deines Herzens getroffen. Er hatte dich auf den großen, erlösenden Weg der Buße geführt. Sage ihnen, daß du es weißt, daß in der Verheimlichung keine Erlösung liegt. Die Dämonen lieben die Finsternis. Laß sich die Hände deiner Richter nur um die Geißel ballen! Die Strafe wird wie lindernder Balsam auf die Wunden der Sünde fallen. Dein Herz sehnt sich nach dem Leiden. Sag ihnen dies alles, während du auf den Knien liegst und die Hände in namenlosem Schmerz ringst, mit dem wilden Tonfall der Verzweiflung redest und mit wildem Lachen den Gedanken an Strafe und Entehrung begrüßest, bis dein Mann dich nimmt und dich vom Boden hebt. »Benimm dich, wie es sich für eine Gräfin Dohna geziemt, sonst muß ich meine Mutter bitten, dich wie ein Kind zu züchtigen.« »Tue mit mir, was du willst!« Da fiel das Urteil des Grafen: »Meine Mutter hat für dich gebeten, deswegen darfst du hier in meinem Hause wohnen. In Zukunft aber wird _sie_ befehlen, und du wirst gehorchen.« * * * * * Seht den Weg der Buße! Die junge Gräfin ist die Geringste von allen Dienstmägden geworden. Wie lange, ach, wie lange? Wie lange wird ein stolzes Herz sich beugen können? Wie lange werden ungeduldige Lippen schweigen können, wie lange wird eine heftige Hand zurückzuhalten sein? Wohltuend ist das Elend der Erniedrigung. Während der Rücken von der harten Arbeit schmerzt, schweigt das Herz. Zu dem, der nur wenige kurze Stunden auf einem harten Strohlager schläft, kommt der Schlaf ungerufen. Selbst wenn sich die alte Frau in einen bösen Geist verwandelt, um die junge hinreichend peinigen zu können, so dankt sie ihrer Wohltäterin. Noch ist das Böse nicht in ihr erstorben. Jage die Todmüde des Morgens um vier Uhr auf! Gib der ungeübten Arbeiterin ein unmäßiges Tagewerk an dem schweren Webstuhl! Das ist gut. Die Büßerin hat vielleicht selber nicht Kraft genug, die Geißel mit genügender Heftigkeit zu schwingen. Als die große Frühlingswäsche kommt, läßt Gräfin Märta sie an dem Waschzober im Waschhaus stehen. Sie kommt selbst, um sich nach ihrer Arbeit umzusehen. »Dein Wasser ist zu kalt«, sagt sie, schöpft siedendes Wasser aus einem Kessel und gießt es über ihre nackten Arme. Es ist ein kalter Tag, als die Waschfrauen am See stehen und die Wäsche spülen müssen. Regenschauer ziehen über sie hin und durchnässen sie bis auf die Haut. Ihre Kleider sind schwer wie Blei. Die Arbeit mit dem Waschholz ist hart. Das Blut springt ihr unter den feinen Nägeln heraus. Aber Gräfin Elisabeth klagt nicht. Gelobt sei Gottes Güte! Gibt es wohl eine andere Erquickung für die bußfertige Seele als das Leiden? Die scharfen Knoten der Geißel fallen weich wie Rosenblätter auf den Rücken der Bußfertigen. Die junge Frau erfährt bald, daß Gösta Berling lebt. Die Alte hat ihr nur ein Geständnis entlocken wollen. Ja, was dann? Es ist Gottes Wille gewesen! Auf die Weise hat er die Sünderin auf den Weg der Buße gelockt. Nur eins beängstiget sie. Wie soll es ihrer Schwiegermutter ergehen, deren Herz Gott um ihretwillen so verhärtet hat? Ach, er wird sie milde richten. Sie muß böse sein, um der Sünderin zu helfen, Gottes Liebe wieder zu gewinnen. Sie weiß nicht, wie oft eine Seele, die alle anderen Genüsse gekostet hat, eine wahre Wollust in der Grausamkeit sucht. Wenn die unduldsame, verfinsterte Seele Schmeicheleien und Liebkosungen und den Rausch des Tanzes und den Reiz des Spiels entbehren muß, da taucht sie in ihre finstere Tiefe hinab und holt die Grausamkeit hervor. Es gibt noch einen Freudenquell für die erschlafften Gefühle, nämlich die Tier- und Menschenquälerei. Die Alte ist sich keiner Bosheit bewußt. Sie glaubt nur, daß sie eine leichtfertige Gattin züchtigt; und so liegt sie denn des Nachts oft stundenlang wach und grübelt über neue Martern nach. Wehe ihr, welche Tempelschändung begeht sie! Die Arbeit, diese große Wohltat, verwandelt sie in eine Marter, in eine Strafe! Eines Abends geht sie durch das Haus und läßt sich von der jungen Gräfin mit einem Licht leuchten. Sie trägt es ohne Leuchter in der Hand. »Das Licht ist herabgebrannt«, sagt die Junge. »Ist das Licht herabgebrannt, so laß den Leuchter brennen«, erwidert Gräfin Märta. Und sie gehen weiter, bis der qualmende Docht auf der verbrannten Hand erlischt. Aber dies sind nur Kleinigkeiten. Es gibt Qualen für die Seele, die alle körperliche Pein übersteigen. Gräfin Märta ladet Besuch ein und läßt die Hausfrau die Gäste an ihrem eigenen Tische bedienen. Siehe, dies ist der große Tag der Bußfertigen! Fremde Menschen sollen sie in ihrer Erniedrigung sehen. Sie sollen sehen, daß sie nicht mehr würdig ist, an ihres Mannes Tische zu sitzen. O, mit welchem kalten Hohn werden die kalten Blicke nicht auf ihr ruhen! Aber es soll tausendmal schlimmer werden! Kein Blick begegnet dem ihren. Alle am Tische, Männer wie Frauen, sitzen schweigsam, verstimmt da. Sie aber sammelt das alles wie glühende Kohlen und legt sie auf ihr Haupt. Ist ihre Sünde denn so erschrecklich? Ist es eine Schande, in ihrer Nähe zu weilen? Und dann kommt die Versuchung: Anna Stjärnhök, die ihre Freundin gewesen ist, und der Amtmann aus Munkernd, Annas Tischnachbar, umarmen sie, als sie zu ihnen kommt, nehmen ihr die Bratenschüssel aus der Hand, schieben ihr einen Stuhl hin und wollen sie nicht loslassen. »Setz dich zu uns, mein Kind«, sagt der Amtmann; »du hast nichts Böses getan.« Und wie aus _einem_ Munde erklären alle Gäste, wenn sie nicht am Tische sitzen bleibt, so werden sie das Haus verlassen. Sie sind keine Büttel. Sie tanzen nicht nach Gräfin Märtas Pfeife. Sie lassen sich nicht so leicht zum Narren haben wie der schwachsinnige Graf! »Ach, ihr guten Herren! Ach, ihr lieben Freunde! Seid nicht so barmherzig! Ihr zwingt mich, meine Sünde selber auszuposaunen. Da ist einer, den ich zu lieb gehabt habe.« »Aber Kind, du ahnst ja nicht, was Sünde ist! Du weißt nicht, wie unschuldig du bist. Gösta Berling wußte ja nicht einmal, daß du ihn liebhattest. Nimm jetzt wieder deinen Platz in deinem Hause ein! Du hast nichts Böses getan.« Sie halten ihren Mut eine Zeitlang aufrecht und sind selbst plötzlich fröhlich wie die Kinder. Scherz und Lachen erschallt rings im Kreise. Die heißblütigen, leichtgerührten Menschen sind so gut; aber trotzdem sind sie vom Versucher gesandt. Sie wollen ihr einreden, daß sie eine Märtyrerin ist, und verhöhnen Gräfin Märta ganz öffentlich, als sei sie eine alte Hexe. Aber sie verstehen es nicht. Sie wissen nicht, wie sich die Seele nach Reinheit sehnt, sie wissen nicht, wie der Bußfertige von seinem Herzen gezwungen wird, sich den Steinen des Weges und dem Brand der Sonne auszusetzen. Zuweilen muß Gräfin Elisabeth ganze Tage still am Stickrahmen sitzen, und da erzählt die alte Gräfin ihr unendliche Geschichten von Gösta Berling, diesem Pfarrer und Abenteurer. Reicht ihr Gedächtnis nicht aus, so erdichtet sie etwas und sorgt nur dafür, daß sein Name der jungen Frau den ganzen Tag in den Ohren klingt. Das fürchtet sie am meisten. An solchen Tagen sieht sie ein, daß ihre Buße niemals ein Ende nehmen wird. Ihre Liebe will nicht sterben. Sie glaubt, daß sie selber eher sterben wird. Ihre Körperkräfte fangen an zu schwinden. Sie ist oft sehr krank. »Wo bleibt denn dein Ritter?« fragt die Gräfin höhnend. »Tag für Tag habe ich ihn an der Spitze der Kavaliere erwartet. Weshalb erstürmt er Schloß Borg nicht, setzt dich auf den Thron und wirft mich und deinen Mann gebunden in den Turm? Hat er dich schon vergessen?« Sie empfindet fast das Bedürfnis, ihn zu verteidigen und zu sagen, daß sie selber ihm verboten hat, ihr irgendwelche Hilfe angedeihen zu lassen. Aber nein, es ist am besten zu schweigen, zu schweigen und zu leiden. Von Tag zu Tage schwindet sie mehr dahin im Feuer der Überanstrengung. Sie fiebert beständig und ist so matt, daß sie sich kaum aufrechtzuhalten vermag. Sie hat nur einen Wunsch: zu sterben. Die starken Kräfte des Lebens sind gebannt. Die Liebe und die Freude wagen nicht, sich zu rühren. Sie hat keine Furcht mehr vor dem Leiden. * * * * * Es ist, als habe ihr Mann keine Ahnung mehr von ihrer Existenz. Er sitzt fast den ganzen Tag in seinem Zimmer eingeschlossen und studiert halb unleserliche Handschriften und alten, klecksigen Druck. Er liest Adelsbriefe auf Pergament mit dem schwedischen Reichssiegel, groß und gewaltig, aus rotem Wachs und in einer gedrechselten hölzernen Kapsel verborgen. Er studiert alte Schildabzeichen mit Lilien in weißem Felde und Greifen in blauem. Auf dergleichen Sachen versteht er sich, die weiß er mit Leichtigkeit auszulegen. Und er liest wieder und wieder alte Leichenreden und Personalia von den edlen Grafen Dohna, in denen ihre Taten mit denen der Helden Israels und der Götter Griechenlands verglichen werden. Diese alten Sachen haben ihm immer Freude gemacht. An seine junge Frau aber mag er nicht mehr denken. Gräfin Märta hat ein Wort gesagt, das alle Liebe in ihm ertötet hat: »Sie hat dich deines Geldes wegen genommen!« So etwas kann wohl kein Mann ertragen. Das löscht alle Liebe aus. Jetzt war es ihm einerlei, wie es dieser jungen Frau erging. Wenn seine Mutter sie auf den Weg der Pflicht zurückführte, so war das gut. Graf Henrik hegte eine große Bewunderung für seine Mutter. Dies Elend währte einen Monat. Aber die ganze Zeit war ja nicht so stürmisch und bewegt, wie es den Anschein haben mag, wenn die Ereignisse auf einige geschriebene Seiten zusammengedrängt sind. Gräfin Elisabeth soll stets ein ruhiges Äußere zur Schau getragen haben. Nur das einemal, als sie hörte, daß Gösta Berling tot sein solle, war sie von Gemütsbewegung überwältigt worden. Aber so groß war ihre Reue darüber, daß sie ihrem Manne ihre Liebe nicht hatte bewahren können, daß sie sich wahrscheinlich von Gräfin Märta hätte zu Tode martern lassen, wenn nicht eines Abends ihre alte Wirtschafterin mit ihr geredet hätte. »Frau Gräfin _müssen_ mit dem Herrn Grafen sprechen«, sagte sie. »Mein Gott, Frau Gräfin sind so ein Kind. Frau Gräfin wissen wohl selber nicht, was im Anzuge ist, aber ich sehe sehr wohl, wie es damit bestellt ist.« Aber das war ja gerade dies, was sie ihrem Manne nicht sagen konnte, solange er einen so schwarzen Verdacht gegen sie hegte. In jener Nacht kleidete sie sich lautlos an und ging aus dem Hause. Sie trug die Kleidung eines gewöhnlichen Bauernmädchens und hatte ein Bündel in der Hand. Es war ihre Absicht, aus ihrem Heim zu entfliehen und nie wieder dahin zurückzukehren. Sie floh nicht, um sich der Qual und der Marter zu entziehen. Jetzt aber glaubte sie, daß Gott ihr ein Zeichen gegeben habe, daß sie gehen dürfe, um die Gesundheit und die Kräfte ihres Körpers zu bewahren. Sie zog nicht gen Westen über den See; denn dort wohnte der, den sie liebhatte. Sie ging auch nicht gen Norden, denn dort wohnten viele von ihren Freunden, und auch nicht gen Süden, denn weit hinab gen Süden lag ihr Vaterhaus, und dem wollte sie keinen Schritt näher kommen. Sondern sie wanderte gen Osten, dort, wußte sie, hatte sie kein Heim, keinen geliebten Freund, keinen Menschen, den sie kannte, keine Hilfe, keinen Trost. Sie ging nicht mit leichten Schritten, denn sie glaubte sich nicht mit Gott versöhnt. Aber trotzdem war sie froh darüber, daß sie in Zukunft die Last ihrer Sünde unter Fremden tragen sollte. Gleichgültige Blicke sollten auf ihr ruhen, lindernd wie kalter Stahl, der auf ein geschwollenes Glied gelegt wird. Sie wollte gehen, bis sie eine armselige Hütte am Waldesrande fand, wo niemand sie kannte. »Ihr seht, wie es um mich steht,« wollte sie sagen, »und meine Eltern haben mich fortgejagt. Gebt mir Nahrung und Kleider und ein schützendes Dach, bis ich mir selbst mein Brot verdienen kann. Ich bin nicht ganz ohne Geld.« Und so wanderte sie in der hellen Juninacht dahin, denn der Mai war unter ihren schweren Leiden verstrichen. Ach, der Mai, die schöne Zeit, in der die Birken ihr lichtes Grün mit dem Dunkel der Tannenwälder vermischen, wo der Südwind von weither wärmegesättigt über das Meer kommt. Ich muß undankbarer als andere erscheinen, die du mit deinen Gaben erfreut hast, du schöner Monat! Nicht mit einem Wort habe ich deine Schönheit gepriesen. Ach, Mai, du lieber, heller Monat! Hast du jemals ein Kind beachtet, das auf seiner Mutter Schoß sitzt und Märchen erzählen hört? Solange das Kind von grausigen Kämpfen und dem bitteren Leiden schöner Prinzessinnen hört, hält es Kopf und Augen offen, wenn aber die Mutter anfängt, von Glück und Sonnenschein zu reden, schließt das Kind die Augen und entschlummert sanft, den Kopf gegen ihre Brust geschmiegt. Sieh, du schöner Monat, so ein Kind bin auch ich. Laß andere den Erzählungen von Blumen und Sonnenschein lauschen, ich für mein Teil, ich wähle die dunklen Nächte voller Erscheinungen und Abenteuer, ich wähle die dunklen Geschicke, die trauererfüllten Leidenschaften der verirrten Herzen. Das Ekebyer Eisen Es war Frühling, und aus allen Eisenwerken Wermlands sollte das Eisen nach Göteborg gesandt werden. Auf Ekeby aber hatten sie kein Eisen zu versenden. Im Herbst war lange Zeit großer Wassermangel gewesen, und im Frühling hatten die Kavaliere regiert. Zu ihrer Zeit schäumte starkes, bitteres Bier die breiten Granitstufen des Björkseefalles herab, und der Löfsee war nicht mit Wasser, sondern mit Branntwein gefüllt. Zu ihrer Zeit ward kein Roheisen in die Schmieden gelegt, in Hemdsärmeln und auf Holzschuhen standen die Schmiede vor dem Feuer und drehten gewaltige Braten an langen Spießen, während die Schmiedegesellen gespickte Kapaunen mit großen Zangen über das Feuer hielten. In jenen Tagen ging der Tanz über die Hügel dahin. Man schlief auf der Hobelbank und spielte Karten auf dem Amboß. In jenen Tagen wurde kein Eisen geschmiedet. Aber der Frühling kam, und auf den Handelskontoren in Göteborg fing man an, auf das Eisen aus Ekeby zu warten. Man holte die Kontrakte hervor, die mit dem Major und der Majorin abgeschlossen waren und worin Lieferungen von vielen hundert Zentnern verheißen waren. Aber was kümmerten die Kavaliere sich um die Kontrakte der Majorin? Sie hielten die Freude und das Violinspiel und die Gastereien im Gange. Sie sorgten dafür, daß der Tanz über die Hügel hinging. Es kam Eisen aus Stömne, und es kam Eisen aus Sölje. Das Eisen aus Kymsberg fand seinen Weg über die Heiden bis hinab an den Wenersee. Aus Uddeholm kam Eisen und aus Munkefors und von allen den großen Gütern ringsumher. Wo aber ist das Eisen aus Ekeby? Ist Ekeby nicht mehr das wichtigste von allen Eisenwerken in ganz Wermland? Wacht niemand mehr über der Ehre des alten Hauses? Ach nein! Die ist gleichgültigen Kavalieren in die Hände gelegt, die nur dafür sorgen, daß der Tanz über die Hügel hingeht. Wofür vermögen ihre elenden Gehirne auch weiter noch zu sorgen? Aber Wasserfälle und Gießbäche und Prähme und Flüsse und Schleusen und Häfen wundern sich und fragen: »Kommt das Eisen aus Ekeby denn nicht?« Und es flüstert und fragt von Wald zu See, von Berg zu Tal: »Kommt das Eisen aus Ekeby denn nicht? Kommt denn kein Eisen mehr aus Ekeby?« Und tief drinnen im Walde fängt der Kohlenmeiler an zu lachen, und es ist, als wenn die Köpfe auf den großen Hammern in den dunklen Schmieden höhnisch lachen, die Gruben öffnen ihren breiten Rachen und stimmen ein Hohngelächter an. Die Pulte auf den Handelskontoren, in denen die Kontrakte der Majorin aufbewahrt liegen, schütteln sich vor Lachen. »Habt ihr je so etwas gehört? Es ist kein Eisen auf Ekeby! Auf dem besten Eisenwerke in ganz Wermland haben sie kein Eisen!« Auf, ihr Sorglosen! Auf, ihr Heimatlosen! Duldet ihr es, daß eine solche Schande über Ekeby hereinbricht? So wahr ihr den schönsten Fleck auf Gottes grüner Erde liebt, so wahr er das Ziel eurer Sehnsucht auf fernen Wegen ist, so wahr ihr seinen Namen unter Fremden nicht nennen könnt, ohne daß euch Tränen in die Augen treten, erhebt euch, Kavaliere, rettet Ekebys Ehre! Nun ja, wenn auch in Ekeby die Hammer geruht haben, so ist doch wohl in den sechs anderen Eisenwerken, die uns gehören, gearbeitet worden. Dort gibt es sicher mehr Eisen als wir gebrauchen! Und dann zieht Gösta Berling aus, um mit den Verwaltern auf den sechs anderen Höfen zu reden. Auf Högfors, das am Björkseebach, dicht bei Ekeby liegt, meint er, wird es sich nicht verlohnen zu fragen. Das liegt zu nahe bei Ekeby und hatte zu unmittelbar unter dem Einfluß der Kavaliere gestanden. Aber er fuhr ein paar Meilen weiter nordwärts, bis er nach Lätafors kam. Das war ein hübscher Ort, das ließ sich nicht leugnen! Der obere Teil des Löfsees breitete sich an der einen Seite aus, und dahinter lag der Gurlittafelsen mit seinem spitzen Gipfel und seinem wildromantischen Aussehen, das so gut für einen alten Berg paßt. Aber die Schmiede, die ist nicht so, wie sie sein soll: das Treibrad ist zerbrochen und ist es das ganze letzte Jahr hindurch gewesen. »Weshalb ist es denn aber nicht in Ordnung gebracht?« »Der Tischler, der einzige Tischler hier in der ganzen Gegend, der es wieder heil machen kann, ist anderwärts beschäftigt gewesen. Wir haben nicht ein einziges Schiffspfund Eisen schmieden können.« »Aber weshalb habt ihr denn nicht zum Tischler geschickt?« »Zum Tischler geschickt! Als ob wir nicht jeden Tag zu ihm geschickt hätten! Aber er konnte ja niemals kommen. Er hat genug zu tun gehabt, um alle die Lauben und Kegelbahnen auf Ekeby fertig zu schaffen.« Da wird es Gösta plötzlich klar, wie es ihm auf dieser Reise ergehen wird. Er zieht weiter aufwärts nach Björnidet. Auch das ist ein herrlicher Ort mit einer Lage, die sich für ein Schloß eignen könnte. Das große Wohnhaus schaut über ein halbkreisförmiges Tal hinweg, auf drei Seiten umgeben von mächtigen Höhen, und auf der vierten von dem Löfsee begrenzt. Und Gösta weiß, daß es keinen besseren Ort für Mondscheinwanderungen und Schwärmen gibt, als den Pfad an den Elfufern entlang, vorbei an dem Wasserfall und hinab bis zur Schmiede, die ihren Platz in Gewölben hat, die in die Bergwand selbst hineingesprengt sind. Aber Eisen, ist dort Eisen? Nein, natürlich nicht. Sie hatten ja keine Kohlen gehabt, und aus Ekeby hatten sie weder Geld bekommen können, um den Köhler zu bezahlen, noch Leute, um die Kohlen zu fahren. Den ganzen Winter hindurch hatte das Werk stillgestanden. Und dann stürzt Gösta weiter, gen Süden. Er kommt nach Hån am östlichen Ufer des Sees und nach Löfstafors tief drinnen im Walde und nach Elgfors -- aber auch dort ergeht es ihm nicht besser. Nirgends haben sie Eisen, und überall scheint es die Schuld der Kavaliere zu sein, daß es sich so verhält. Schließlich kommt er nach Elgfors, einem kleinen Eisenwerk, tief drinnen zwischen den östlichen Hügeln, einem von diesen lieblichen Orten, die immer eine lockende Macht über die Menschen besessen haben. Dort gibt es prächtige Jagd in den Wäldern und reiche Fischerei im See. Da sind Landzungen mit Birkenwäldern, auf denen man wohl in stillen Grübeleien verweilen möchte, solange der Tag währt. Und dort herrscht eine solche Stille und ein solcher Friede, daß man nicht mehr der bekümmerten und unruhigen Welt anzugehören meint. Aber die Mächte des Friedens, die dort herrschen, haben es immer so eingerichtet, daß der Weg dahinauf unfahrbar oder doch fast unfahrbar ist. Das sollte Gösta Berling spüren, als er und Don Juan endlich nach dem Eisenwerk hinaufgelangten. Auf Elgfors war Gustav Bendix Verwalter. Er legt sein langes Gesicht in die ernsthaftesten Falten, als er den Zweck von Göstas Kommen erfährt. »Sie haben wohl nichts auf den andern Werken?« fragt er. »Nein, gar nichts!« »Die Schurken!« ruft er aus. »Mit solchen Geschichten zu kommen. Willst du wohl glauben, daß ich ihren Eisenkarren diesen Winter hier im Walde begegnet bin? Glaub mir, Gösta, sie haben ihr Eisen schon in Göteborg.« Da faßte Gösta Hoffnung. Er hatte sich nicht viel von Gustav Bendix versprochen, aber nun fängt er an zu glauben, daß hier Eisen ist. Gustav Bendix nimmt ihn bei der Hand und führt ihn auf das Kontor. »Nun will ich dir etwas Wunderbares zeigen, lieber Bruder«, sagt der alte Spaßmacher und nimmt ein paar kleine Stahlfeilen aus der Schublade. »Kannst du wohl raten, wo ich sie gefunden habe?« Und dabei sieht er ihm mit schrecklichem Ernst ins Gesicht. Nein, das kann Gösta nicht erraten. »Siehst du, hier!« Und er nimmt eine große tote Ratte aus derselben Schublade, und dann zeigt er Gösta, daß die Ratte keine gewöhnlichen Vorderzähne im Maul gehabt hat, sondern ein paar Stahlfeilen. »Was sagst du dazu, lieber Bruder?« fährt Gustav Bendix fort. »Sieh, das finde ich unrecht vom lieben Gott. Eine solche Ratte kann ja Eisen fressen. Das tun diese kleinen Teufel. All unser Stangeneisen haben sie aufgefressen. Auch nicht ein Schiffspfund ist übriggeblieben. Als ich gestern in den Speicher komme, ist die ganze Bescherung weg, der Speicher ist wie reingefegt. Es war nichts weiter übrig als ein paar Späne und eine tote Ratte; aber die beiden Feilen saßen in ihrem Maul, und da begriff ich ja, wie das Ganze zugegangen war. Willst du die Feilen haben? Sie sind doch recht interessant.« Und da wendet er sich mit seinem bekümmerten Gesicht nach Gösta Berling um, der auf einen Kontorstuhl niedersinkt und nahe daran ist, vor Lachen umzukommen, obwohl es ja nicht das erstemal ist, daß er hört, daß die Ratten auf den Eisenwerken das Eisen auffressen. So kehrt Gösta nach Ekeby heim, und die Kavaliere betrachten mit finsteren Mienen die paar Zentner, die sich auf Lager befinden, und sie beugen die Häupter voller Trauer und Scham, denn sie hören, wie die ganze Natur über Ekeby hohnlacht, und glauben zu vernehmen, wie die Erde vor Schluchzen erbebt, wie das Gras und die Blumen klagen, daß es aus ist mit der Ehre von Ekeby. * * * * * Aber wozu so viele Worte und so viel Verwundern? Da ist ja das Eisen aus Ekeby! Da ist es, am Ufer des Klarelfs auf Prähme verladen, bereit, den Fluß hinabzusegeln, fertig, in Karlstad auf der Wage gewogen und auf einer Wenernschute nach Göteborg gefahren zu werden. So ist denn die Ehre von Ekeby gerettet! Aber wie ist das nur möglich? In Ekeby waren ja nur einige Zentner Eisen, und auf den sechs andern Höfen war nichts zu finden gewesen. Wie ist es möglich, daß schwerbeladene Prähme jetzt eine unerhörte Menge Eisen nach der Wage in Karlstad führen können? Ja, danach muß man die Kavaliere fragen. Die Kavaliere sind selbst an Bord der schweren, häßlichen Fahrzeuge; sie wollen das Eisen selbst von Ekeby nach Göteborg bringen. Kein gewöhnlicher Fährknecht darf das Eisen begleiten. Mit Flaschen und Proviantkörben, mit Waldhorn und Violinen, mit Flinten und Angelschnüren und Spielkarten sind die Kavaliere an Bord gegangen. Sie wollen alles für ihr liebes Eisen tun und es nicht verlassen, ehe es auf dem Quai in Göteborg ausgeschifft ist. Sie wollen selbst löschen und ausladen, wollen Segel und Ruder hantieren. Sie sind ganz dazu angetan, eine solche Aufgabe zu lösen. Gibt es wohl eine Sandbank im Strom, eine Klippe im Wenersee, die sie nicht kennen? Handhaben sie nicht das Steuer und die Segelleinen genau so gewandt wie Violine und Zügel? Keiner von den Kavalieren ist daheimgeblieben. Onkel Eberhard hat sein Schreibpult verlassen, und Vetter Kristoffer ist aus der Ofenecke hervorgekrochen. Selbst der sanfte Löwenberg ist mit dabei. Niemand kann sich zurückhalten, wo es die Ehre von Ekeby gilt. Aber es ist nicht gut für Löwenberg, den Klarelf zu sehen; seit siebenunddreißig Jahren hat er ihn nicht gesehen, und ebensolange ist es her, seit er zuletzt in einem Boot gewesen ist. Er haßt die blanken Flächen der Seen und die grauen Flüsse. Er muß an gar zu traurige Dinge denken, wenn er auf das Wasser kommt, und deswegen vermeidet er es; heute aber hat er sich nicht zu Hause halten können. Auch er muß mit dabei sein, wo es sich darum handelt, die Ehre von Ekeby zu retten. Vor siebenunddreißig Jahren hatte Löwenberg seine Braut im Klarelf ertrinken sehen, und seit jener Zeit war sein armer Kopf oft verwirrt gewesen. Aber wie er so dasteht und in den Strom hinabsieht, wird sein armes Gehirn mehr und mehr umnebelt. Der graue Strom, der mit vielen kleinen, glitzernden Wellen dahinfließt, ist eine große Schlange mit silbernen Schuppen, die daliegt und auf Raub lauert. Die hohen, gelben Sandufer mit spärlichen Grasbüscheln, durch die sich der Fluß sein Bett gebohrt hat, sind die Wände einer Fallgrube, auf deren Boden die Schlange lauert, und die breite Landstraße, die ein Loch in die Wand bricht und sich durch tiefen Sand bis an die Fähre hinabschlängelt, neben der die Prähme vertäuet liegen, ist der Eingang zu der fürchterlichen Mordgrube. Und der kleine Mann steht da und starrt mit seinen kleinen blauen Augen. Sein langes weißes Haar flattert im Winde, und seine Wangen, die gewöhnlich ein zarter Rosenschimmer färbt, sind ganz bleich vor Angst. Er weiß so gewiß, als habe es ihm jemand gesagt, daß bald jemand dort vom Wege herkommen und sich in den Rachen der lauernden Schlange stürzen wird. Jetzt sind die Kavaliere bereit, vom Ufer abzustoßen. Sie greifen zu den langen Stangen, um die Prähme in den Strom hineinzuschieben, da aber ruft Löwenberg: »Haltet! Um Gottes willen, haltet!« Sie begreifen, daß er anfängt verwirrt zu werden, weil er fühlt, wie der Prahm schaukelt, lassen aber doch unwillkürlich die Stangen sinken, und er, der sieht, wie der Strom auf Raub lauert, und daß notwendigerweise jemand kommen und sich hineinstürzen _muß_, zeigt mit einer warnenden Bewegung auf die Landstraße, ganz als sähe er jemand kommen. Wir wissen ja alle, daß das Leben oft so ein Zusammentreffen herbeiführt wie das, was nun folgte. Wer sich noch wundern kann, mag darüber staunen, daß die Kavaliere gerade an dem Morgen, der auf die Nacht folgte, in der sich die Gräfin Elisabeth auf die Wanderung gen Osten begeben hat, mit ihren Prähmen an der Fähre liegen müssen, die über den Klarelf führt. Aber es würde doch noch weit wunderlicher gewesen sein, wenn die junge Frau keine Hilfe in ihrer Not gefunden hätte. Es traf sich nun gerade so, daß sie, die die ganze Nacht gewandert war, eben in dem Augenblick an die Fähre kam, als die Kavaliere im Begriff waren, vom Ufer abzustoßen. Sie blieben regungslos stehen und sahen ihr zu, während sie mit dem Fährknecht sprach, der sein Boot flottmachte. Sie trug Bauernkleidung, und sie ahnten nicht, wer sie war. Aber sie starrten doch zu ihr hinüber, weil sie ihnen so bekannt vorkam. Wie sie nun dort stand und mit dem Fährknecht sprach, ward eine Staubwolke auf der Landstraße sichtbar, und aus der Staubwolke heraus kam eine große gelbe Kalesche. Sie wußte sofort, daß sie aus Borg kam, und daß sie ausgefahren waren, um sie zu suchen, und daß sie nun entdeckt werden würde. Sie konnte nicht mehr daran denken, im Fährboot zu entkommen, und das einzige Versteck, das sie erblickte, waren die Prähme der Kavaliere. Sie stürzte darauf zu, ohne zu sehen, wer sich an Bord befand. Und es war gut, daß sie es nicht sah, denn dann hätte sie sich wohl lieber unter die Pferdehufe geworfen, als ihre Zuflucht zu ihnen genommen. Als sie an Bord gekommen war, schrie sie nur: »Verbergt mich! Verbergt mich!« Und dann strauchelte sie und fiel über die Eisenladung. Die Kavaliere aber baten sie, ruhig zu sein. Sie stießen schnell vom Ufer ab, damit der Prahm in den Strom hinaus kam und nach Karlstadt zu trieb. Gerade in dem Augenblick langte die Kalesche an der Fähre an. In dem Wagen saßen Graf Henrik und Gräfin Märta. Jetzt lief der Graf zu dem Fährknecht, um zu fragen, ob er die Gräfin gesehen habe. Da Graf Henrik aber verlegen war und nicht nach einer fortgelaufenen Gattin fragen mochte, sagte er nur: »Es ist etwas verschwunden!« »So?« sagte der Fährknecht. »Es ist etwas verschwunden. Ich frage, ob Er etwas gesehen hat?« »Wonach fragt Ihr?« »Ja, das ist einerlei! Aber es ist etwas verschwunden. Ich frage nur, ob Er heute jemand über den Strom gesetzt hat?« Auf die Weise bekam er natürlich nichts zu wissen, und die Gräfin Märta mußte selbst mit dem Burschen sprechen. Eine Minute später wußte sie, daß die Vermißte sich an Bord einer der langsam dahingleitenden Prähme befand. »Was für Leute sind da auf den Prähmen?« »Ach, das sind ja die Kavaliere, wie wir sie nennen.« »Ach!« sagt die Gräfin. »Ja, dann ist deine Frau gut aufgehoben, Henrik! Dann können wir ja ebensogern gleich umwenden.« * * * * * Draußen auf dem Prahm herrschte gerade keine so große Freude, wie die Gräfin Märta geglaubt hatte. Solange die gelbe Kalesche sichtbar war, saß die eingeschüchterte junge Frau zusammengekauert auf der Schiffslast, ohne sich zu rühren oder ein Wort zu sagen. Sie starrte nur ins Wasser hinab. Wahrscheinlich erkannte sie die Kavaliere erst, als sie die gelbe Kalesche umwenden sah. Sie sprang auf. Es war, als wolle sie von neuem fliehen, sie wurde aber von dem Zunächststehenden angehalten und sank dann mit leisen Klagen wieder auf die Last nieder. Und die Kavaliere wagten nicht, mit ihr zu reden oder ihr Fragen zu stellen. Sie sah aus, als stehe sie am Rande des Wahnsinns. Da begann das Gefühl der Verantwortung die sorglosen Köpfe zu belasten. Schon allein dies Eisen war eine schwere Bürde für ungewohnte Schultern, und jetzt sollten sie noch obendrein die Sorge für eine junge Dame von edler Geburt übernehmen, die ihrem Gatten entflohen war. Als sie dieser jungen Frau auf den Festen des Winters begegnet waren, hatte der eine und der andere von ihnen an eine junge Schwester denken müssen, die er einstmals geliebt hatte. Wenn er im Spiel mit ihr seine Kräfte erprobte, hatte er sie behutsam anfassen müssen, und wenn er mit ihr sprach, hatte er acht auf sich geben müssen, um nicht häßliche Worte zu gebrauchen. Hatte ein fremder Knabe im Spiel zu wild hinter ihr dreingejagt oder ihr gar häßliche Lieder vorgesungen, so hatte er sich in grenzenloser Erbitterung über den Knaben geworfen und ihm fast das Leben aus dem Leibe geprügelt, denn seine kleine Schwester sollte nichts Böses hören, sollte kein Leid erfahren, sollte weder mit Haß noch mit Feindseligkeit in Berührung kommen. Gräfin Elisabeth war die fröhliche Schwester aller Kavaliere gewesen. Wenn sie ihre kleinen Hände in ihre harten Fäuste gelegt hatte, war es, als wolle sie sagen: »Fühlt, wie gebrechlich ich bin, aber du bist mein großer Bruder und du sollst mich gegen andere und gegen dich selber beschützen.« Und sie waren ritterliche Herren gewesen, solange sie sie gesehen hatten. Jetzt sahen die Kavaliere sie mit Entsetzen und erkannten sie nicht wieder. Sie war vergrämt und abgemagert, der Hals hatte seine Rundung verloren, das Gesicht war durchsichtig geworden. Sie hatte sich wohl auf ihrer nächtlichen Wanderung gestoßen, denn von Zeit zu Zeit perlte ein Blutstropfen aus einer kleinen Wunde in der Schläfe, und das lockige, blonde Haar, das ihr in die Stirn hing, war von geronnenem Blut zusammengeklebt. Ihr Kleid war schmutzig von der langen Wanderung auf taufeuchten Wegen, und ihre Schuhe waren übel zugerichtet. Die Kavaliere hatten ein unheimliches Gefühl, daß dies eine Fremde sei. Die Gräfin Elisabeth, die sie gekannt, hatte nicht so wilde, brennende Augen gehabt. Ihre arme kleine Schwester war fast bis zum Wahnsinn getrieben. Es war, als kämpfe eine Seele, die aus einer andern Welt herabgestiegen war, um die Herrschaft in diesem abgezehrten Körper. Aber sie brauchen sich keine Sorgen darüber zu machen, was sie mit ihr anfangen sollen. Die alten Gedanken erwachen bei ihr. Die Versuchung hat sich ihrer wieder bemächtigt. Gott will sie wieder versuchen. Siehe, sie ist unter Freunden. Hat sie die Absicht, den Weg der Buße zu verlassen? Sie sprang auf und rief, daß sie fortmüsse. Die Kavaliere versuchten sie zu beruhigen. Sie sagten ihr, sie könne ganz ruhig sein. Sie wollten sie schon gegen jegliche Verfolgung beschützen. Sie bat nur, ob sie nicht in das kleine Boot steigen dürfe, das hinten an den Prähmen angebunden war, um ans Land zu rudern und ihre Wanderung allein fortzusetzen. Aber sie konnten sie ja nicht gehen lassen. Was sollte nur aus ihr werden? Es war besser, wenn sie bei ihnen blieb. Wohl waren sie nur arme, alte Männer, aber sie würden schon Mittel und Wege finden, ihr zu helfen. Da rang sie ihre Hände und bat, sie möchten sie gehen lassen. Aber sie konnten ihre Bitte nicht erfüllen. Sie sahen, daß sie elend und schwach war, daß sie auf der Landstraße sterben würde. Gösta Berling stand eine Strecke von ihr entfernt und schaute ins Wasser hinab. Vielleicht würde die junge Frau ihn nicht gern sehen. Er wußte es nicht, aber seine Gedanken spielten und lachten. »Jetzt weiß niemand, wo sie ist,« dachte er, »jetzt können wir sie mit nach Ekeby nehmen. Wir wollen sie dort verborgen halten, wir Kavaliere, und wir wollen schon gut gegen sie sein. Sie soll unsere Königin, unsere Herrscherin sein, niemand aber soll wissen, daß sie dort ist. Wir wollen sie so gut, so gut bewachen! Vielleicht kann sie glücklich unter uns werden; alle die Alten werden eine väterliche Fürsorge für sie empfinden wie für eine Tochter. Sie wird uns zu Menschen machen, wir werden Mandelmilch trinken und Französisch sprechen. Und wenn unser Jahr um ist, was dann? Kommt Zeit, kommt Rat!« Er hatte nie gewagt, es sich selber klarzumachen, ob er sie liebte. Er konnte sie nicht ohne Sünde besitzen, und er wollte sie nicht zu etwas Niedrigem oder Schlechtem herabziehen, das war alles, was er wußte. Aber sie auf Ekeby zu verbergen und gut gegen sie sein zu dürfen, jetzt, wo die andern schlecht gewesen waren, sie alles genießen zu lassen, was das Leben an Gutem besitzt, ach, welche Träume, welche seligen Träume! Aber er erwachte aus diesen Träumen, denn die junge Gräfin war ganz verzagt, und ihre Worte hatten den schneidenden Klang der Verzweiflung. Sie hatte sich mitten zwischen den Kavalieren auf die Knie geworfen und flehte sie an, ihr fortzuhelfen. »Gott hat mir noch nicht vergeben,« rief sie, »laßt mich gehen!« Gösta sah, daß keiner der andern imstande war, ihr zu gehorchen, er sah ein, daß er es tun müsse. Er, der sie liebte, mußte es tun. Es war so schwer für ihn zu gehen, als wenn jedes Glied an seinem Körper Widerstand gegen seinen Willen leiste, aber er schleppte sich bis zu ihr hin und sagte ihr, daß er sie ans Ufer bringen wolle. Sie stand sofort auf. Er trug sie ins Boot hinab und ruderte sie an das östliche Ufer. Er landete an einem schmalen Steg und half ihr aus dem Boot. »Was soll jetzt aus Ihnen werden, Frau Gräfin?« sagte er. Sie erhob ernsthaft die Finger und zeigte gen Himmel. »Wenn Frau Gräfin in Not geraten sollten ...« Er konnte nicht sprechen. Die Stimme versagte ihm, aber sie verstand ihn. »Ich werde Sie es wissen lassen, wenn ich Ihrer bedarf.« »Ich möchte Sie so gern vor allem Bösen beschirmen«, sagte er. Sie reichte ihm ihre Hand zum Abschied, und er war nicht imstande, mehr zu sagen. Kalt und schlaff lag ihre Hand in der seinen. Die Gräfin hatte nur Sinn für diese inneren Stimmen, die sie zwangen, unter fremde Menschen zu gehen. Sie wußte wohl kaum, daß der Mann, den sie jetzt verließ, gerade derjenige war, den sie liebte. Dann ließ er sie gehen und ruderte wieder zu den Kavalieren zurück. Als er auf den Prahm zurückkam, zitterte er vor Müdigkeit und sah ganz erschöpft und kraftlos aus. Es schien ihm, daß er soeben die schwerste Arbeit seines ganzen Lebens vollbracht hatte. Noch einige Tage hielt er den Mut aufrecht, bis Ekebys Ehre gerettet war. Er brachte das Eisen auf die Wage nach dem Kannikenäs, dann war es für lange Zeit vorbei mit seinen Kräften und seinem Lebensmut. Die Kavaliere bemerkten die Veränderung nicht, solange sie sich an Bord befanden. Er spannte jeden Nerv an und hielt die Munterkeit und die Sorglosigkeit aufrecht, um Ekebys Ehre zu retten. Wie hätte ihnen auch das Wagnis gelingen sollen, wenn sie mit bekümmerten Gesichtern und mutlosen Herzen darangegangen wären? Wenn es wirklich wahr ist, was das Gerücht erzählt, daß die Kavaliere mehr Sand als Eisen auf den Prähmen hatten, wenn es wahr ist, daß sie unablässig dieselben Stangen zu und von der Wage trugen, bis die vielen hundert Zentner gewogen waren -- wenn es wahr ist, daß dies alles vor sich gehen konnte, weil der Wagemeister und seine Leute so gut aus den Proviantkörben und Flaschen traktiert wurden, die die Kavaliere aus Ekeby mitgebracht hatten -- so kann man sehr wohl verstehen, daß es auf den Eisenprähmen munter hergehen mußte. Wer kann das alles jetzt wissen? Aber wenn das wirklich der Fall war, so ist es ganz sicher, daß Gösta Berling keine Zeit hatte zu trauern. Doch fühlte er nichts von der Freude des Abenteuers und der Gefahr. Sobald er frei war, brach er verzweifelt zusammen. »O Ekeby! du Land meiner Sehnsucht!« rief er sich selber zu, »möge deine Ehre strahlen.« Sobald die Kavaliere die Quittung von dem Wagemeister erhalten hatten, beluden sie eine Wenernschute mit ihrem Eisen. Gewöhnlich führten Schiffer vom Fach das Eisen nach Göteborg, und die Verkäufer aus Wermland bekümmerten sich in der Regel nicht mehr um ihre Ware, sobald sie die Quittung des Wagemeisters erhalten hatten, die die richtige Ablieferung bestätigte. Aber die Kavaliere wollten ihre Sache nicht halb machen; sie wollten das Eisen bis nach Göteborg bringen. Auf dem Wege dahin wurden sie von einem Unglück betroffen. In der Nacht brach ein Sturm los, die Schute trieb steuerlos umher, stieß auf ein Riff und versank mit der ganzen kostbaren Ladung. Waldhorn und Kartenspiele und alle die leeren Flaschen ertranken. Aber wenn man die Sache bei Licht besah, was machte es da, daß das Eisen verloren war? Ekebys Ehre war doch gerettet. Das Eisen war auf der Wage am Kannikenäs gewogen. Und selbst wenn der Major sich hinsetzen und an die Kaufleute in Göteborg schreiben mußte, daß, sintemal sie sein Eisen nicht bekommen hätten, er auch ihr Geld nicht haben wollte -- so machte das doch nicht viel aus. Ekeby war so reich, und seine Ehre war gerettet. Aber wenn nun Häfen und Schleusen und Gruben und Meiler und Schuten und Prähme anfangen, wunderliche Dinge zu flüstern? Wenn es wie ein dumpfes Sausen durch die Wälder geht, daß die ganze Fahrt ein Betrug war, wenn man in ganz Wermland behauptet, daß nur ein paar elende Zentner die ganze Schiffsladung ausgemacht hatten, daß der Schiffbruch mit Vorbedacht in Szene gesetzt sei? -- Da ist eine kühne Tat vollführt worden, ein echter Kavalierstreich. So etwas schadet der Ehre des Gutes nicht! Aber das ist nun schon so lange her. Es mag ja gern sein, daß die Kavaliere anderwärts Eisen gekauft, oder daß sie etwas auf den Speichern gefunden haben, wovon sie vorher nichts wußten. In solchen Dingen kommt man der Wahrheit niemals auf den Grund. Der Wagemeister wollte jedenfalls nichts davon hören, daß ein Betrug möglich sei, und er mußte es ja wissen. Als die Kavaliere nach Hause kamen, erfuhren sie eine große Neuigkeit: Graf Dohnas Ehe sollte aufgelöst werden. Der Graf hatte seinen Haushofmeister nach Italien gesandt, um Beweise zu sammeln, daß die Ehe nicht rechtmäßig gewesen sei. Dieser kehrte auch im Sommer mit hinreichenden Aufklärungen zurück. Worin diese bestanden, weiß ich nicht so genau zu sagen. Man muß behutsam mit den alten Sagen umgehen, sie sind wie halbverwelkte Rosen; sie verlieren leicht die Blätter, wenn man sie zu fest anfaßt. Die Leute behaupten, die Eheschließung in Italien sei nicht von einem richtigen Pfarrer ausgeführt. Ich weiß es nicht; eins aber steht fest: das Gericht in Bro erklärte, daß die Ehe des Grafen Dohna mit Elisabeth von Thurn niemals bestanden habe. Davon wußte die junge Frau jedoch nichts. Sie lebte unter Bauern in einer weit entlegenen Gegend -- wenn sie überhaupt noch lebte. Liliencronas Heim Unter den Kavalieren war einer, den ich oft als großen Musiker erwähnt habe. Er war ein hochgewachsener, grobknochiger Mann mit gewaltigem Kopf und schwarzem, buschigem Haar. Er war um diese Zeit sicher nicht mehr als vierzig Jahre, aber er hatte ein grobes Gesicht und ein gemessenes Wesen. Das machte, daß ihn viele für alt hielten. Er war ein guter Mann, aber schwermütig. Eines Nachmittags nahm er seine Violine unter den Arm und verließ Ekeby. Er sagte niemand Lebewohl, und doch war es seine Absicht, nie wiederzukommen. Ihm ekelte vor dem Leben dort, seit er Gräfin Elisabeth in ihrem Unglück gesehen hatte. Er ging, ohne auszuruhen, den ganzen Abend und die ganze Nacht, bis er früh am Morgen um Sonnenaufgang an ein kleines Gehöft namens Löfdala kam, das ihm gehörte. Es war so früh, daß dort noch kein Mensch wach war. Liliencrona setzte sich auf die grüne Wippe vor dem Hauptgebäude und betrachtete sein Eigentum. Großer Gott, ein schöneres Heim gab es doch nicht auf Gottes Erdboden. Der Rasen vor dem Hause war mit feinem, hellgrünem Gras bedeckt. Einen ähnlichen Rasen gab es nicht mehr. Die Schafe durften darauf grasen, und die Kinder tummelten sich dort mit ihrem Spielzeug, er hielt sich aber immer gleich dicht und grün. Er wurde niemals gemäht, aber mindestens einmal in der Woche ließ die Hausfrau alle Zweige, alles Stroh und alle welken Blätter von dem frischen Gras fegen. Er beschaute den Kiesweg vor dem Hause und zog plötzlich die Füße zurück. Die Kinder hatten ihn spät am Abend hübsch bunt geharkt, und seine großen Füße hatten in der feinen Arbeit eine wahre Zerstörung angerichtet. Wie doch auf diesem Fleck alles wuchs! Die sechs Ebereschen, die den Hofplatz bewachten, waren so hoch wie Buchen und hatten so breite Kronen wie Eichen. Solche Bäume hatte man sicher nie zuvor gesehen. Prächtig waren sie mit den dicken, von gelben Flechten überwucherten Stämmen und mit den großen weißen Blütentrauben, die aus dem dunklen Laub hervorragten. Er mußte an den Himmel und seine Sterne denken. Es war wirklich wunderbar, wie die Bäume dort wuchsen. Da stand eine alte Weide, so dick, daß zwei Männer sie nicht zu umspannen vermochten. Sie war jetzt hohl und geborsten, und der Blitz hatte ihr die Krone geraubt, aber sie wollte nicht sterben. Jeden Frühling sproßten frische grüne Büschel aus dem geknickten Hauptstamm auf, um zu zeigen, daß sie lebte. Der Faulbaum an dem östlichen Giebel des Hauses war so groß geworden, daß er das ganze Haus überschattete. Das ganze mit Grassoden belegte Dach war weiß von den herabfallenden Blütenblättern, denn der Faulbaum hatte ausgeblüht. Und die Birken, die in kleinen Gruppen hier und da auf dem Felde wuchsen, für die war sein Gehöft sicher ein Paradies. Sie wuchsen dort auf so viele verschiedene Weisen, als hätten sie es sich vorgenommen, allen andern Bäumen nachzuäffen. Eine ähnelte einer Linde, dicht und blätterreich, mit einer großen Krone, eine andere stand schlank und pyramidenförmig da wie eine Pappel, wieder eine andere ließ die Zweige hängen wie eine Trauerweide. Nicht zwei waren sich gleich, aber schön waren sie alle. Und dann erhob er sich und ging rund um das Haus herum. Dort lag der Garten so wunderbar schön, daß er stillstehen und tief aufatmen mußte. Die Apfelbäume blühten. Ja, das wußte er; das hatte er auch auf anderen Gütern gesehen. Es war nur der Unterschied, daß sie nirgends so blühten wie auf seinem Gut, wo er sie hatte blühen sehen, seit er ein kleiner Knabe war. Er ging mit gefalteten Händen und vorsichtigen Schritten die Kieswege auf und nieder. Die Erde war weiß, und die Bäume waren weiß, hier und da mit einem blaßrosa Anflug. Etwas so Schönes hatte er nie zuvor gesehen. Er kannte jeden Baum, so wie man seine Geschwister und Spielkameraden kennt. Die Blüten der Winteräpfel waren ganz weiß, aber die Sommerapfelbäume blühten rosenrot, und die Paradiesäpfel hatten ganz rote Blüten. Am schönsten war der alte wilde Holzapfelbaum, dessen Früchte so bitter waren, daß niemand sie essen konnte. Der sparte nicht an Blumen, er glich einer großen Schneeschanze in der Morgensonne. Bedenkt, daß es um die Morgenstunde war, ganz früh! Der Tau ließ die Blätter erglänzen, aller Staub war fortgespült. Über die waldbestandenen Hügel, an deren Fuß das Gehöft lag, kamen die ersten Sonnenstrahlen geschlichen. Es sah aus, als hätten sie die Tannenwipfel in Brand gesteckt. Über den frischen Kleewiesen, über den Roggen- und Gerstenfeldern und über den zarten Haferkeimen lag der leichteste Nebel, der zarteste Schönheitsschleier, und die Schatten fielen scharf wie im Mondenschein. Und dann stand er stille und beschaute die großen Gemüsebeete zwischen den Gartenwegen. Er weiß, daß die Hausfrau diese Arbeit mit ihren Dienstmädchen verrichtet hat. Sie haben gegraben, geharkt, gejätet, gedüngt und die Erde bearbeitet, bis sie fein und leicht geworden ist. Wenn sie das Beet geglättet und die Kanten abgestochen haben, nehmen sie Schnüre und Pflöcke und grenzen Streifen und Vierecke ab. Dann haben sie die Gänge mit munteren Schritten zurechtgetreten und gesät und gepflanzt, bis alle Streifen und Vierecke voll waren. Und die Kinder sind mit dabeigewesen und waren eitel Freude und Eifer, weil sie helfen durften, obwohl es eine schwere Arbeit für sie gewesen ist, krumm zu stehen und die Arme über die breiten Beete zu strecken. Und unglaublich vielen Nutzen haben sie gestiftet, wie ein jeder begreifen wird. Jetzt fangen die Pflanzen an zu sprossen. Gott segne sie! Wie keck sie dastanden, die Erbsen wie die Bohnen mit ihren zwei dicken Keimblättern, und wie gerade und hübsch die gelben Wurzeln und die Rüben aufgelaufen sind! Am lustigsten waren die kleinen, krausen Petersilienblätter, die die Erddecke ein ganz klein wenig in die Höhe hoben und noch ein Weilchen Versteck mit dem Leben spielten. Und hier war ein kleines Beet, wo die Streifen nicht so gerade liefen und wo die kleinen Vierecke aussahen wie eine Probekarte von allem, was gepflanzt und gesät werden konnte. Das war der Garten der Kinder. Und Liliencrona preßte schnell die Violine gegen das Kinn und begann zu spielen. Die Vögel in dem großen Gebüsch, das den Garten gegen den Nordwind schützte, fingen an zu singen. Es war allen Wesen, die mit einer Stimme begabt waren, ganz unmöglich zu schweigen, so schön war der Morgen. Der Bogen ging ganz von selber. Liliencrona ging im Garten auf und nieder und spielte. »Nein,« dachte er, »einen schöneren Fleck Erde gibt es nicht.« Was war Ekeby gegen Löfdala? Sein Heim war mit Grassoden gedeckt und war nur ein Stockwerk hoch. Es lag am Waldesrande, den Berg dicht hinter sich und das lange Tal vor sich. Es war nichts Bemerkenswertes dort: da war kein See, kein Wasserfall, da gab es keine Strandwiesen und Parks, aber schön war es doch. Es war schön, weil es ein gutes, friedliches Heim war. Das Leben war dort leicht zu leben. Alles, was anderwärts Bitterkeit und Haß erzeugt haben würde, wurde dort durch Milde ausgeglichen. So sollte es in jedem Hause sein. Und drinnen im Hause liegt die Hausfrau und schläft in einem Zimmer, das nach dem Garten hinaus wendet. Sie erwacht plötzlich und lauscht, aber sie rührt sich nicht. Sie liegt lächelnd da und lauscht. Dann kommt die Musik näher und näher und schließlich ist es, als sei der Spielmann unter ihrem Fenster stehengeblieben. Es ist nicht das erstemal, daß sie Violinspiel unter ihrem Fenster gehört hat. Ihr Mann pflegt auf diese Weise zu kommen, wenn sie drüben in Ekeby einen ungewöhnlich wilden Streich ausgeführt haben. Er steht dort und beichtet und bittet um Verzeihung. Er erzählt ihr von den bösen Mächten, die ihn von dem fortlocken, was er am heißesten liebt: von ihr und den Kindern. Aber er liebt sie! Ja, wahrlich, er liebt sie. Während er spielt, steht sie auf und kleidet sich an, ohne eigentlich zu wissen, was sie tut. Sie ist so ganz von seinem Spiel erfüllt. »Es ist nicht Luxus, nicht Wohlleben, das mich fortgelockt hat,« spielt er, »nicht Liebe zu andern Frauen, nicht Ehre, sondern die verlockende Vielfältigkeit des Lebens: seine Schönheit, seine Bitterkeit, seinen Reichtum muß ich um mich fühlen. Aber nun habe ich genug davon, jetzt bin ich satt und müde. Ich will mein Heim nicht mehr verlassen. Verzeih mir, hab Nachsicht mit mir!« Da zieht sie die Gardine zur Seite und öffnet das Fenster, und er sieht ihr schönes, gutes Gesicht. Sie ist gut und sie ist klug. Ihr Blick fällt segnend wie der Blick der Sonne auf alles, was ihr in den Weg kommt. Sie lenkt und sie behütet. Wo sie ist, muß alles wachsen und gedeihen. Sie trägt das Glück in sich. Er schwingt sich auf das Fensterbrett zu ihr und ist glücklich wie ein Liebender. Dann hebt er sie hinab in den Garten und trägt sie unter die Apfelbäume. Dort erklärt er ihr, wie schön alles ist und zeigt ihr die Blumenbeete und die Pflanzungen der Kinder und die kleinen, lustigen Petersilienblätter. Als die Kinder erwachen, entsteht ein Jubel und ein Entzücken über die Heimkehr des Vaters. Sie belegen ihn ganz mit Beschlag. Er muß all das Neue und Merkwürdige in Augenschein nehmen. Das kleine Mühlwerk, das sie sich am Bach gemacht haben, das Vogelnest im Weidenbaum und die jungen Karauschen im Teich, die zu Tausenden dicht unter dem Wasserspiegel schwimmen. Und dann machen der Vater, die Mutter und alle Kinder einen langen Spaziergang durch die Felder. Er muß sehen, wie dicht der Roggen steht, wie der Klee wächst, wie die Kartoffeln anfangen, ihre krausen Blätter aus dem Boden zu stecken. Er muß die Kühe sehen, die vom Felde heimkehren, muß die Neugeborenen in der Kälberkoppel und im Schafstall begrüßen, nach Eiern suchen und allen Pferden Zucker geben. Die Kinder hängen den ganzen Tag an seinen Rockschößen. Keine Schule, keine Arbeiten -- nur Umherstreifen mit dem Vater! Am Abend spielt er ihnen Polkas vor, und den ganzen Tag ist er ihnen ein so guter Freund und Spielkamerad gewesen, daß sie mit dem Gebet entschlummern, der Vater möge doch stets bei ihnen bleiben. Er bleibt auch ganze acht Tage und ist während der ganzen Zeit fröhlich wie ein Kind. Er ist in alles daheim verliebt, in seine Gattin, seine Kinder; er denkt gar nicht an Ekeby. Aber dann kommt ein Morgen, an dem er fort ist. Er konnte es nicht länger ertragen -- es war zu viel Glück für ihn. Ekeby war tausendmal geringer, aber Ekeby lag mitten in dem Wirbel der Begebenheiten! Ach, wie viel war da, wovon er träumen, worüber er spielen konnte! Wie konnte er getrennt von den Taten der Kavaliere leben, getrennt von dem langen Löfsee, den die wilde Jagd des Märchens umbrauste? Auf seinem Gut ging alles seinen ruhigen Gang. Alles wuchs und gedieh unter der Obhut der milden Hausfrau. Alle dort auf dem Hofe gingen in einem stillen Glück umher. Alles, was anderwärts Bitterkeit und Streit hervorgerufen hätte, ging hier ohne Klage und Schmerz. Alles war, wie es sein sollte. Wenn nun der Herr des Hauses sich einmal danach sehnte, als Kavalier auf Ekeby zu leben, was dann? Kann es vielleicht nützen, sich über die Sonne des Himmels zu beklagen, weil sie an jedem Abend im Westen verschwindet und die Erde im Finstern zurückläßt? Was ist unbezwinglich außer der Unterwürfigkeit! Was ist siegesgewiß außer der Geduld! Die Hexe vom Hochgebirge Die Hexe vom Hochgebirge ist an die Ufer des Löfsees hinabgekommen. Man hat sie dort gehen sehen, klein, rundrückig, im Fellkittel und mit silberbeschlagenem Gürtel. Weshalb ist sie aus den Wolfshöhlen in die Behausungen der Menschen hinabgekommen? Was sucht die Alte aus den Bergen in den grünen Tälern? Sie geht betteln! Sie ist auf Gaben erpicht trotz ihres Reichtums. In den Bergschluchten hat sie große, weiße Silberbarren versteckt, und auf saftigen Wiesen tief drinnen zwischen den Bergen grasen ihre großen Herden von schwarzen, goldgehörnten Kühen. Und doch geht sie in Holzschuhen und in einem fettigen Pelzwams, dessen bunte Kante eben noch zu erkennen ist, durch den Schmutz der Jahrhunderte. Sie stopft ihre Pfeife mit Moos und bettelt von den Ärmsten. Der Teufel mag einem solchen Weibe geben, das nie dankt, das nie genug bekommt! Alt ist sie. Wie lange ist es her, seit der helle Glanz der Jugend über dem breiten Gesicht mit der braunen Haut gelegen, die vor Fett glänzt, über der flachen Nase und den schmalen Augen, die unter dem Schmutz leuchten wie glühende Kohlen unter grauer Asche? Wie lange ist es her, seit sie als kleines Mädchen auf dem Zaun vor der Sennhütte saß und mit den Tönen ihres langen Horns dem Hirtenknaben Antwort auf seine Liebesmelodien sandte? Mehrere hundert Jahre hat sie gelebt. Die Ältesten können sich der Zeit nicht entsinnen, da sie nicht durchs Land ging. Ihre Väter haben sie alt gesehen, als sie selber noch jung waren. Und sie ist noch nicht tot! Ich, die ich dies schreibe, habe sie selbst gesehen. Mächtig ist sie, die Tochter der zauberkundigen Finnen; sie beugt sich vor niemand. Ihre breiten Füße hinterlassen keine ängstlichen Spuren auf dem Kies des Weges. Sie beschwört den Hagel herauf, sie lenkt den Blitzstrahl. Sie kann die Kühe irreleiten und die Wölfe auf die Schafe hetzen. Sie kann viel Böses tun, aber nur wenig Gutes. Es ist am besten, sich gut mit ihr zu stehen. Bettelt sie dir deine einzige Ziege ab, so gib sie ihr, sonst stürzt dein Pferd oder dein Haus brennt, sonst wird deine Kuh krank oder dein Kind stirbt, sonst bringt sie die sparsame Hausfrau um Sinn und Verstand. Willkommen ist sie nie; und doch ist es am besten, sie mit lächelndem Munde zu empfangen. Wer weiß, um wessentwillen sie gekommen ist! Ihr Zweck besteht nicht allein darin, sich ihren Bettelsack füllen zu lassen. Böse Vorbedeutungen folgen ihr auf den Fersen; Füchse und Wölfe heulen unheimlich in der Dämmerstunde, und das ekelhafte rote und schwarze Gewürm, das Eiter speit, kommt aus den Wäldern und kriecht bis an die Türschwelle. Stolz ist sie. Ihr Kopf umschließt der Väter mächtige Weisheit. So etwas erhebt den Sinn. Starke Runen sind in ihren Stab geritzt; sie verkauft ihn nicht um alles Gold des Tals. Zauberlieder kann sie singen, Zaubertränke kann sie brauen, sie kann Zauberschüsse über den See abfeuern und Sturmknoten schürzen. Was denkt sie, die aus der Finsternis der Wälder, von dem gewaltigen Hochgebirge herabkommt, was denkt sie von den Leuten im Tal? Für sie, die an Thor glaubt, an den Riesentöter und die mächtigen Finnengötter, sind die Christen dasselbe, was zahme Hofhunde den Wölfen sind. Doch kommt sie häufig von den Bergen herab, um sich ihre Zwergsitten anzuschauen. Die Menschen schaudern vor Entsetzen, wenn sie sie sehen; aber die starke Tochter der Wildnis geht sicher zwischen ihnen dahin, sicher bei ihrem Entsetzen. Die Heldentaten ihres Stammes sind nicht vergessen, so wenig wie ihre eigenen. Wie die Katze sich auf ihre Krallen verläßt, so verläßt sie sich auf die Weisheit ihres Gehirns und auf die Kraft, die in den Zaubergesängen der Götter liegt. Kein König ist seiner Macht sicherer als sie des Schreckensreiches, über das sie herrscht. So ist die Hexe durch viele Ortschaften gewandert. Jetzt ist sie nach Borg gekommen, und sie zaudert nicht, das Grafenschloß zu besuchen. Durch die Küche geht sie nur selten. Sie steigt geradeswegs die Terrassenstufen hinan, sie setzt ihren breiten Holzschuh auf die blumenumhegten Kieswege, so ruhig, als wandere sie den Sennpfad hinan. Und es trifft sich gerade so, daß Gräfin Märta auf die Terrasse hinausgetreten ist, um sich an der Pracht des Junitages zu erfreuen. Auf dem Kiesgange unterhalb der Treppe sind gerade zwei Mädchen auf dem Wege zum Vorratshause stehengeblieben. Sie kommen aus der Räucherkammer, wo der Speck im Rauch hängt, und tragen die frischgeräucherten Schinken auf einer Stange zwischen sich. »Will die gnädige Frau Gräfin die Schinken einmal besehen und riechen, ob sie stark genug geräuchert sind?« fragt eins der Mädchen. Gräfin Märta, die zurzeit Hausfrau in Borg ist, beugt sich über das Treppengeländer und betrachtet den Speck, aber im selben Augenblick legt die Finnin die Hand auf einen der Schinken. Ei, seht doch diese braune, glänzende Schwarte, diese dicke Fettschicht! Dieser frische Duft von Wacholderzweigen, der dem Schinken entströmt! Das ist ein Festschmaus für Götter! Den muß die Hexe haben! Sie legt ihre Hand auf die Speckseiten. Die Tochter der Berge kennt kein Bitten oder Betteln. Ist es nicht die Folge ihrer Gnade, daß die Kräuter wachsen, daß die Menschen leben? Frost und Unwetter und Hochflut -- alles vermag sie zu senden. Deswegen geziemt es sich nicht für sie, zu bitten oder zu betteln. Sie legt ihre Hand auf das, was sie wünscht, und es gehört ihr. Aber Gräfin Märta weiß nichts von der Macht der Alten. »Weg mit dir, du Bettelweib!« ruft sie. »Gib mir den Schinken!« sagt die Wolfsreiterin aus dem Hochgebirge. »Sie ist verrückt!« ruft die Gräfin und befiehlt den Mägden, mit ihrer Last ins Vorratshaus zu gehen. Die Augen der Hundertjährigen flammen vor Zorn und Begierde. »Gib mir den braunen Schinken,« ruft sie, »oder es wird dir übel ergehen!« »Lieber gebe ich ihn den Elstern als so einer wie dir!« Da erbebt die Alte vor Zorn. Sie hebt ihren Stab mit den Runen in die Höhe und schwingt ihn wild. Ihre Lippen stoßen wunderliche Worte aus. Das Haar steht ihr zu Berge, die Augen sprühen Funken, ihr Antlitz verzerrt sich. »Dich selbst sollen die Elstern fressen!« schreit sie schließlich. Und dann geht sie, Flüche murmelnd und den Stab schwingend. Sie wendet ihre Schritte heimwärts; weiter nach Süden wandert sie nicht. Jetzt hat die Tochter der Wildnis den Zweck erfüllt, um dessentwillen sie aus den Bergen herabgestiegen ist. Gräfin Märta bleibt auf der Gartentreppe stehen und lacht über ihr verrücktes Gebaren, aber das Lachen soll gar bald auf ihren Lippen verstummen. Denn da kommen sie! Sie kann ihren eigenen Augen nicht trauen. Sie glaubt, daß sie träumt, aber da kommen sie, die Elstern, die sie fressen sollen. Aus Park und Garten kommen sie auf sie herabgesaust, Elstern zu Dutzenden mit ausgestreckten Klauen und gierigen Schnäbeln, bereit, auf sie einzuhauen. Sie kommen mit Lärmen und Schreien. Schwarze und weiße Flügel flimmern vor ihren Augen. Sie sieht wie im Schwindel hinter diesem Schwarm alle Elstern aus der ganzen Gegend heranfliegen, sieht den ganzen Himmel voll schwarzer und weißer Flügel. Die Metallfarben der Federn schimmern in der scharfen Mittagssonne. Die Schwanzfedern brausen wie bei kämpfenden Raubvögeln. In dichteren und dichteren Kreisen umfliegen die Ungetüme die Gräfin und zielen mit Schnabel und Krallen nach ihrem Gesicht. Sie muß auf die Diele fliehen und die Tür hinter sich schließen. Sie taumelt gegen die geschlossene Tür, atemlos vor Angst, während die schreienden Elstern draußen flattern und fliegen. Damit war sie aber abgeschlossen von der lichten Schönheit des Sommers, von allen Freuden des Lebens. Für sie gab es hinfort nichts mehr als geschlossene Türen und herabgelassene Rouleaus, für sie gab es nur Verzweiflung, Angst, Verwirrung, die an Wahnsinn grenzte. Auch diese Erzählung mag wie Wahnsinn erscheinen, aber wahr muß sie doch wohl sein. Es leben Hunderte von alten Leuten, die die Geschichte kennen und bezeugen wollen, daß die Sage so lautet. Die Vögel ließen sich auf dem Geländer der Terrasse und auf dem Dache nieder. Sie saßen da, als warteten sie nur darauf, daß die Gräfin sich zeigen sollte, um sich über sie zu stürzen. Sie schlugen ihre Wohnung im Park auf und da blieben sie. Es war unmöglich, sie vom Hof zu verjagen. Schoß man auf sie, so ward es nur schlimmer, denn für jede, die fiel, kamen zehn neue geflogen. Zuweilen entfernten sich wohl große Scharen, um Futter zu schaffen, aber es blieben stets zuverlässige Schildwachen zurück. Wenn sich Gräfin Märta nur zeigte, wenn sie nur zu einem Fenster hinaussah oder die Gardine einen Augenblick zur Seite zog, wenn sie es nur versuchte, auf die Treppe hinauszugehen, gleich waren sie da. Der ganze fürchterliche Schwarm kam mit lärmendem Flügelschlag auf das Wohnhaus zugefahren, und die Gräfin mußte in ihr innerstes Zimmer fliehen. Sie hielt sich im Schlafzimmer hinter dem roten Saal auf. Ich habe das Zimmer oft beschreiben hören, so wie es in dieser Schreckenszeit aussah, als Borg von Elstern belagert war. Schwere Vorhänge vor Türen und Fenstern, dicke Teppiche auf dem Fußboden, schleichende, flüsternde Menschen! Im Herzen der Gräfin wohnte der leichenblasse Schrecken. Ihr Haar war ergraut. Ihre Haut war voller Runzeln. In einem Monat war sie eine alte Frau geworden. Sie konnte ihr Herz nicht stählen gegen diesen entsetzlichen Zauber. Laut schreiend fuhr sie aus ihren nächtlichen Träumen auf, in dem Wahn, daß die Elstern über sie herstürzten. Sie weinte den ganzen Tag über dies Schicksal, dem sie nicht entgehen konnte. Sie scheute die Menschen aus lauter Angst, daß der Vogelschwarm jedem Eintretenden auf den Fersen folgen würde, und saß gewöhnlich stumm da, die Hände vor dem Gesicht, sich in ihrem Lehnstuhl hin- und herwiegend, krank und verstimmt durch die eingeschlossene Luft, um dann plötzlich mit Schreien und Klagen aufzuspringen. Keines Menschen Leben konnte härter sein. Wer wird die Ärmste nicht beklagen? Ich habe jetzt nicht mehr viel von ihr zu erzählen, und das, was ich erzählt habe, ist nicht gut gewesen. Es ist mir fast, als schlüge mir das Gewissen. Sie war doch gutmütig und lebensfroh, als sie jung war, und viele ergötzliche Geschichten von ihr haben mein Herz erfreut, wenn sie hier auch keinen Platz gefunden haben. Aber es geht so, obwohl diese Arme es nicht wußte, daß die Seele stets hungert. Von Tand und Spiel kann sie nicht leben. Bekommt sie keine andere Nahrung, so zerreißt sie gleich einem wilden Tier erst andere und dann sich selber. Hochsommer Der Hochsommer war dazumal heiß wie jetzt, während ich dies schreibe. Die herrlichste Zeit des Jahres war gekommen. Das war die Zeit, in der Sintram, der böse Gutsherr, auf Fors trauerte und litt. Er grollte über den Siegeszug des Lichtes während der Stunden des Tages und über die Niederlage der Dunkelheit, und er grämte sich über die Blätterpracht, in die die Bäume gekleidet waren, und über den bunten Teppich, der die Erde bedeckte. Alles war in Schönheit gehüllt. Der Weg, so grau und steinig er auch war, erhielt doch einen Rand von Blumen; gelbe und violette Sommerblumen, Wicken und Löwenzahn. Als die Kraft des Hochsommertages über den Bergen lag und die Glockentöne von der Broer Kirche durch die Luft bis nach Fors herabgetragen wurden, als der unsagbare Friede des stillen Tages über den Landen herrschte, da erhob er sich im Zorn, da meinte er, daß Gott und die Menschen sich erkühnten, zu vergessen, daß er existierte, und er beschloß, nun auch in die Kirche zu gehen. Alle, die über den Sommer jubelten, sollten ihn sehen, ihn, Sintram, der die Finsternis ohne Morgen, den Tag ohne Auferstehung, den Winter ohne Frühling liebte. Er zog den Wolfspelz an und die Fausthandschuhe aus Pelz. Er ließ ein rotes Pferd vor einen Schlitten spannen und befestigte Schellen an dem blanken Geschirr mit den Schlangenköpfen. Ausgerüstet, als seien es dreißig Grad Kälte, zog er zur Kirche. Wenn es unter den Schlittenkufen knirschte, glaubte er, daß das von der Kälte käme. Er glaubte, daß der Schaum auf dem Pferderücken Reif sei. Er fühlte keine Wärme. Von ihm ging Kälte aus, wie Wärme von der Sonne ausstrahlt. Er fuhr über die breite Ebene nördlich von der Broer Kirche. Große, helle Dörfer lagen auf seinem Wege und Felder mit singenden Lerchen darüber. Niemals habe ich die Lerchen so singen hören wie über diesen Feldern, und ich habe oft darüber nachgegrübelt, ob er sich auch taub machen konnte für diesen hundertstimmigen Sängerchor. Auf seinem Wege kam er aber an vielem vorüber, was ihn geärgert haben würde, wenn er ihm einen Blick geschenkt hätte. Vor der Tür einer jeden Hütte würde er zwei sich neigende Birken gesehen haben, und durch die geöffneten Fenster würde er in Stuben geblickt haben, deren Wände mit grünen Zweigen geschmückt waren. Das kleinste Bettelmädchen ging mit einem Fliederzweig in der Hand auf der Landstraße, und jede Bauernfrau hatte einen ganz kleinen Blumenstrauß in das Taschentuch hineingesteckt. Maienbäume mit Blumen und grünen Kränzen standen auf den Höfen. Das Gras ringsumher war niedergetreten, denn der Tanz war in der Mittsommernacht lustig über sie dahingegangen. Unten auf dem Löfsee wimmelte es von Holzflößen; kleine weiße Segel waren zur Ehre des Tages gehißt, obwohl kein Wind sich rührte; da war keine Mastspitze, die nicht einen grünen Kranz trug. Auf allen den vielen Wegen, die nach Bro führten, kamen die Leute zur Kirche gewandert, namentlich die Frauen in zierlich geschmückten, hellen, selbstgewebten Sommerkleidern, die gerade für den heutigen Tag fertig geworden waren. Alle waren festlich gekleidet. Und die Menschen konnten gar nicht fertig werden, sich über den Feiertagsfrieden und die Ruhe von der Alltagsarbeit zu freuen, über die liebliche Wärme, über die vielversprechende Ernte und die Erdbeeren, die am Wegrande sich zu röten begannen. Sie sprachen von der Stille der Luft, von dem wolkenlosen Himmel und dem Lerchengesang und sagten: »Ja, wahrlich, dies ist der Tag des Herrn!« Da kam Sintram dahergefahren. Er fluchte und schwang die Peitsche über dem schweißtriefenden Pferde. Der Sand knirschte häßlich unter den Schlittenkufen, der scharfe Klang der Schellen übertönte den Laut der Kirchenglocken. Die Stirn lag in zornigen Falten unter der Pelzmütze. Da stutzten die Kirchengäste und meinten, sie hätten den leibhaftigen Gottseibeiuns gesehen. Nicht einmal heute, an dem Festtage des Sommers selbst, durften sie die Kälte und die Bosheit vergessen. Es ist ein bitteres Los, auf Erden zu wandern. Die Leute, die im Schatten der Kirchhofsmauer standen oder auf den Kirchhofsteinen saßen und darauf warteten, daß der Gottesdienst beginnen sollte, sahen mit stiller Verwunderung, wie er dort auf die Kirchentür zuschritt. Eben noch hatte der schöne Tag ihre Herzen mit Freude darüber erfüllt, daß es ihnen vergönnt war, auf Gottes grüner Erde zu wandern und die Schönheit des Daseins zu genießen. Jetzt, wo sie Sintram sahen, wurden sie von der Ahnung eines geheimnisvollen Unglücks ergriffen. Als er durch die Schar ging, bemerkten sie mit abergläubischer Angst die Art und Weise, wie er grüßte. Froh war jeder, an dem er vorüberging, ohne ihn anzusehen, denn er grüßte nur diejenigen, die seiner Sache dienten. Vor dem Brobyer Pastor nahm er die Mütze tief ab, und vor Marianne Sinclaire und den Kavalieren lüftete er sie, aber für den Probst in Bro und für den Amtmann hatte er keinen Gruß. Sintram trat in die Kirche, setzte sich in seinen Stuhl und warf die Fausthandschuhe auf die Bank, so daß man in der ganzen Kirche das Rasseln der Wolfsklauen hören konnte, die in das Fell eingenäht waren. Und einige von den Frauen, die sich in die vorderen Stühle gesetzt hatten, wurden ohnmächtig, als sie die zottige Gestalt sahen, und mußten hinausgetragen werden. Aber niemand wagte Sintram hinauszujagen. Er störte die Andacht der Gemeinde, aber er war zu sehr gefürchtet, als daß jemand es gewagt hätte, ihm zu befehlen, daß er die Kirche verlassen solle. Vergebens redete der alte Probst von dem lichten Fest des Sommers, niemand hörte ihm zu. Alle dachten nur an Bosheit und Kälte und an das geheimnisvolle Unglück, dessen Vorbote der böse Gutsherr war. Als alles vorüber war, sah man den Bösen an den Abhang des Hügels treten, auf dem die Broer Kirche liegt. Er sah auf den Brobyer Strand nieder und folgte ihm mit den Augen, vorbei an den drei Landzungen des westlichen Ufers, bis in den Löfsee hinein. Und man sah ihn die Hand ballen und über den See und die grünen Ufer hinüberdrohen. Dann glitt sein Blick gen Süden, über den südlichen Löfsee hinab, bis zu den blauenden Landzungen, die den See abzuschließen schienen. Und meilenweit flog er gen Norden hinauf, vorbei an dem Gurlitaberge und bis Björnidet, wo der See endet. Er sah nach Westen und Osten, wo die Berge das Tal umkränzen, und er ballte die Hand von neuem. Und alle fühlten, daß, wenn er ein Bündel Blitze in der Rechten gehabt hätte, er sie in wilder Freude über die friedliche Landschaft geschleudert und Tod und Jammer verbreitet haben würde, so weit seine Macht reichte. Denn nun hatte er sein Herz so an das Böse gewöhnt, daß er an nichts Freude fand als am Elend. Er hatte sich allmählich selbst gelehrt, alles zu lieben, was häßlich und böse ist. Er war wahnsinniger als der unbändigste Tolle, aber das begriff niemand, hinterher machten wunderliche Gerüchte die Runde in der Umgegend. Man erzählte, daß, als der Küster kam, um die Kirche zu schließen, der Bart an dem Schlüssel abbrach, weil ein hart zusammengerolltes Papier in das Schloß hineingesteckt worden war. Er brachte es dem Propst. Es war, wie man wohl begreifen kann, ein Brief, der für ein Wesen in der anderen Welt bestimmt war. Man flüsterte davon, was auf dem Papier zu lesen gestanden hatte. Der Propst hatte es verbrannt, aber der Küster hatte zugesehen, während der Teufelskram brannte. Die Buchstaben hatten hellrot auf schwarzem Grund geleuchtet. Er hatte nicht umhin können, es zu lesen. Er las, so erzählte man, daß der böse Mann das Land zerstören wolle, so weit, wie der Broer Kirchturm sichtbar war. Er wollte den Wald über die Kirche hinwegwachsen sehen. Er wollte Bär und Fuchs in den Wohnungen der Menschen hausen sehen. Die Felder sollten öde daliegen, und weder Hund noch Hahn sollte man mehr in diesen Gegenden hören. Der Böse wollte seinem Herrn dienen, indem er über jedermann Unglück brachte. Das hatte er gelobt. Und die Menschen sahen der Zukunft in stummer Verzweiflung entgegen, denn sie wußten, daß die Macht des Bösen groß war, daß er alles Lebende haßte, daß er wünschte, die Wildnis sich über das Tal ausbreiten zu sehen, und daß er gern die Pest oder die Hungersnot oder den Krieg in seinen Dienst nahm, um jeden zu vertreiben, der die gute, freudebringende Arbeit liebte. Frau Musika Als nichts Gösta Berling erheitern konnte, nachdem er der jungen Gräfin zur Flucht verholfen hatte, beschlossen die Kavaliere, Hilfe bei der guten Frau Musika zu suchen -- die ist eine mächtige Fee und hat gar manche getröstet. Deswegen ließen sie eines Abends im Juli die Türen zu dem großen Saal auf Ekeby öffnen und die Fensterläden entfernen. Sonne und Luft wurden eingelassen, die große, rote Sonne des Spätabends, die milde, dufterfüllte Luft der kühlen Abendstunde. Die gestreiften Überzüge wurden von den Möbeln genommen, das Klavier wurde geöffnet und der Flor von den venezianischen Kronleuchtern entfernt. Die goldenen Greife unter den weißen Platten der Marmortische durften wieder im Licht blitzen. Die weißen Göttinnen tanzten in dem schwarzen Feld über den Spiegeln. Die verschieden geformten Blumen des Seidendamasts schimmerten in der Abendröte. Und es wurden Rosen gepflückt und in Wasser gesetzt, der ganze Saal war von ihrem Duft erfüllt. Es waren wunderbare Rosen, deren Namen niemand kannte, die aber aus fremden Landen nach Ekeby gekommen waren. Da waren die gelben Rosen, in deren Adern das Blut so rot schimmert wie in denen eines Menschen, und die sahnefarbigen mit dem faserigen Rand und die rosaroten mit den großen Blättern, die am äußersten Rande farblos wie Wasser werden, und die dunkelroten mit den schwarzen Schatten. Alle Rosen Altringers brachten sie herein, die aus fernen Landen gekommen waren, um die Augen schöner Frauen zu erfreuen. Und dann schaffen sie Noten und Notenpulte herbei und Messinginstrumente und Bogen und Violinen in allen Größen, denn jetzt soll die gute Frau Musika auf Ekeby herrschen und versuchen, Gösta Berling zu trösten. Frau Musika hat die Oxfordsymphonie des guten Vater Haydn gewählt, und die Kavaliere üben sie ein. Patron Julius schwingt den Taktstock, und die andern spielen jeder sein Instrument. Alle Kavaliere können spielen -- sonst wären sie ja keine Kavaliere! Als alles fertig ist, wird Gösta geholt. Er ist noch immer matt und mutlos, aber er freut sich über den prächtigen Saal und über die schöne Musik, die er bald hören wird. Denn es ist ja eine bekannte Sache, daß die gute Frau Musika für den, der leidet, die beste Gesellschaft ist. Sie ist munter und fröhlich wie ein Kind. Sie ist feurig und einnehmend wie eine junge Schöne. Sie ist gut und klug wie die Alten, die ein segensreiches Leben gelebt haben. Und dann spielten die Kavaliere so leise, so mild wie ein Sausen. Der kleine Ruster nimmt die Sache sehr ernsthaft. Er liest die Noten mit der Brille auf der Nase, küßt sanfte Töne aus der Flöte und läßt die Finger auf den Klappen und Löchern spielen. Onkel Eberhard sitzt krummgebeugt über dem Violoncell, die Perücke ist ihm auf das eine Ohr geglitten, die Lippen zittern vor Gemütsbewegung. Bergh steht stolz da mit seinem langen Fagott. Hin und wieder vergißt er sich und setzt mit der vollen Kraft seiner Lungen ein, dann aber schlägt Patron Julius ihn mit dem Taktstock auf den dicken Schädel. Es geht gut, es geht brillant. Sie zaubern Frau Musika selber aus den toten Notenzeichen hervor. Breite deinen Zaubermantel aus, liebe Frau Musika, und führe Gösta Berling zurück in das Land der Freude, wo er zu leben pflegte. Daß es wirklich Gösta Berling ist, der da bleich und mutlos sitzt und den die alten Herren jetzt amüsieren müssen, als wäre er ein Kind! Jetzt wird es kärglich aussehen mit der Freude im Wermland! Ich weiß, weshalb die Alten ihn liebten, ich weiß wohl, wie lang der Winterabend werden und wie die Finsternis auf den öden Gehöften die Sinne beschleichen kann. Ich kann wohl begreifen, wie es war, wenn er kam. Stellt euch einen Sonntagnachmittag vor, wenn die Arbeit ruht und die Gedanken schlaff sind. Stellt euch einen hartnäckigen Nordwind vor, der Kälte in das Zimmer peitscht, eine Kälte, der kein Feuer abhelfen kann. Stellt euch das einsame Talglicht vor, das unaufhörlich geputzt werden muß. Stellt euch den einförmigen Gesang geistlicher Lieder draußen von der Küche hervor. Nun, und dann ertönt plötzlich helles Schlittengeläute, schnelle Füße stampfen den Schnee draußen auf der Treppe ab, und herein tritt Gösta Berling. Er lacht und treibt Kurzweil. Er ist Leben, er ist Wärme. Er öffnet das Klavier und spielt so, daß man sich über die alten Saiten wundert. Er kann alle Lieder singen, kann alle Melodien spielen. Er beglückt alle Hausbewohner! Ihn fror nie, er war niemals müde. Der Betrübte vergaß seine Sorgen, wenn er ihn sah. Und welch ein gutes Herz er doch hatte! Welch Mitleid hatte er mit den Armen und Schwachen! Welch ein Genie er war! Ja, ihr hättet die Alten nur hören sollen, wenn sie von ihm erzählten! Es mochte wohl ein solcher Abend sein, als er nach Munkerud hinabkam, wo der gute Amtmann wohnte, nach dem stillen, liebenswerten Heim, das so wenig in dieser Erzählung erwähnt ist, weil die Stürme der Zeit sein Glück nicht zu erschüttern vermochten, und wo er mit dem Pfarrer von Bro zusammentraf. Und sobald der Probst ihn sah, setzte er ihn ans Klavier. »Setz dich ans Klavier, Gösta Berling,« sagte er, »dort stiftest du am meisten Nutzen.« Und dann spielte und sang Gösta, und als er eine kleine Weile gespielt hatte, konnten die Leute nicht mehr stillsitzen. Die alten, vernünftigen Herren und Damen mußten aufstehen und tanzen. Es prickelte ihnen in allen Gliedern. Sie konnten nicht stillsitzen. Und so tanzten sie denn rundherum, und als Gösta ein Bellmannsches Lied anstimmte, stimmten sie mit ein, und die Pröpstin, so alt und dick sie war, hob den Kleiderrock in die Höhe, hüpfte und drehte sich im Kreise, als sei sie ein zwanzigjähriges Mädchen mit zierlichem Spann gewesen. Und dazu sang sie falsch und mit heiserer Stimme: »Hurrah! Seht Ulla tanzen! In Spitzen, Flor und Fransen, Mit weißen Beinen, mit weißen Beinen, Wie hell die Kerzen und Lampen scheinen!« Der Probst und alle die andern lachten so herzlich über sie: »Ja, der Schelm dort am Klavier, der kann alte Leute zu Narren machen!« Aber nun sitzt Gösta Berling still und traurig da und lauscht Frau Musikas Bemühungen, ihn zu ermuntern. Vielleicht wäre er am liebsten mit seinem Kummer allein gewesen, aber er mußte ja der alten Herren wegen die Musik anhören. Er kann sehr wohl einsehen, wie traurig es für sie ist, daß er jetzt nicht mehr fröhlich sein kann. Sie haben keine Freude daran, Herren auf Ekeby zu sein, seit er sich so verändert hat. Er glaubt, bemerken zu können, daß sie alt geworden sind. Und wie sie gerade am allerschönsten spielen, bricht er in Tränen aus. Das ganze Leben erscheint ihm so traurig. Er hält die Hände vor das Gesicht und weint. Die Kavaliere erschrecken. Dies sind nicht die sanften, heilenden Tränen, die Frau Musika hervorzulocken pflegt. Er schluchzt wie ein Verzweifelter. Ganz ratlos legen sie die Instrumente hin. Da gibt ihnen Frau Musika den Gedanken ein, daß sie es mit etwas Heiterem versuchen sollen, und Patron Julius nimmt seine Gitarre hervor und fängt an, eins seiner lustigen Tischlieder zu singen. Er verdreht sein Gesicht und ahmt Kühe und Schafe nach. Aber das ist kein guter Einfall von der guten Frau Musika. Gösta schlägt plötzlich mit der geballten Faust auf den Tisch, so daß Julius ängstlich zusammenschrickt, und dann sagt er ihnen seine Meinung. »Wenn ich auch ein ausgestoßener Elender bin, der nur hier auf Erden weilt, um Unheil anzustiften,« sagt er, »so solltet ihr Kavaliere doch nicht euern Spott mit meinen Leiden treiben. Bessere Leute als ihr würden sich wohl davor hüten.« Er ist ungerecht. Er weiß das sehr gut selber, aber er kann sich nicht beherrschen. Und dann bleibt er schweigend und beschämt sitzen. Auch die andern schweigen. Sie sind tief verletzt, aber was kann es nützen, sich zu verteidigen? Selbst die gute Frau Musika, die Gösta Berling so liebhat, ist nahe daran, den Mut zu verlieren, aber dann fällt ihr plötzlich ein, daß sie noch einen gewaltigen Recken unter den Kavalieren hat. Das ist der sanfte Löwenberg, der seine Braut in dem lehmigen Strom verloren hat und der jetzt Gösta Berlings Sklave ist -- mehr als irgendeiner von den andern. Er schleicht jetzt nach dem Klavier hin. Er umkreist es scheu, befühlt es vorsichtig und streicht mit weicher Hand über die Tasten. Oben im Kavalierflügel hat Löwenberg einen großen, hölzernen Tisch, auf den er eine Klaviatur gemalt und ein Notenpult gestellt hat. Dort kann er stundenlang sitzen und die Finger über die schwarzen und weißen Tasten gleiten lassen. Dort übt er Tonleitern und Etüden, und dort spielt er seinen Beethoven. Frau Musika hat ihm mit ihrer besonderen Gnade beigestanden, so daß er viele von den sechsunddreißig Sonaten hat abschreiben können. Aber der alte Mann wagt sich niemals an ein anderes Instrument als an den hölzernen Tisch. Vor dem Klavier hat er eine entsetzliche Angst. Das lockt ihn, aber es schreckt ihn noch mehr ab. Das schrille Instrument, auf dem so viele Polkas gespielt sind, ist ihm ein Heiligtum. Er hat nie gewagt, es zu berühren. Dies wunderbare Ding mit den vielen Saiten, das den Werken des großen Meisters Leben verleihen kann! Er braucht nur das Ohr daranzulegen, gleich hört er Scherzos und Andantes darin brausen. Ja, das Klavier ist der rechte Altar, auf dem Frau Musika angebetet werden soll. Aber er hat niemals auf einem Klavier gespielt. Er selber wird ja niemals so reich, daß er sich eins kaufen kann, und auf diesem zu spielen, hat er niemals Mut gehabt. Die Majorin ist auch nicht gerade sehr geneigt gewesen, es ihm aufzuschließen. Er hat wohl Polkas und Walzer und Bellmannsche Melodien darauf klimpern hören. Aber bei so unheiliger Musik konnte das herrliche Instrument ja nur einen unreinen Klang von sich geben, konnte nur jammern. Nein, wenn Beethoven kam, würde es erst seinen richtigen hellen Klang ertönen lassen. Jetzt denkt er, daß die Zeit für Beethoven und für ihn vielleicht gekommen ist. Er will Mut fassen, will das Heiligtum berühren und seinen jungen Herrn und Gebieter durch den schlummernden Wohllaut erfreuen. Er setzt sich hin und fängt an zu spielen. Er ist ganz unsicher und benommen, aber er tastet sich durch ein paar Takte hindurch, sucht den richtigen Klang zu finden, runzelt die Stirn, beginnt von neuem -- und bedeckt dann das Gesicht mit den Händen und fängt bitterlich an zu weinen. Ja, liebe Frau Musika, es ist hart für ihn. Das Heiligtum ist ja kein Heiligtum. Es liegen keine klaren, hellen Töne darinnen und träumen, da ist kein dumpfer, mächtiger Donner, kein gewaltig brausender Orkan. Nichts von dem unendlichen Wohllaut, der die Luft des Paradieses durchströmte, ist dort zurückgeblieben. Es ist ein altes klapperiges Klavier und nichts weiter. Da aber gibt Frau Musika dem klugen Oberst einen Wink. Er nimmt Ruster mit; sie gehen in den Kavalierflügel und holen Löwenbergs Tisch mit den gemalten Tasten. »Sieh hier, Löwenberg!« sagt Beerencreutz, als sie zurückkehren. »Da hast du dein Klavier, spiel jetzt Gösta etwas vor.« Da versiegen Löwenbergs Tränen, er setzt sich hin und spielt seinem jungen, betrübten Freunde Beethoven vor. Jetzt sollte er schon wieder froh werden. In dem Kopf des alten Mannes klingen die lebhaftesten Töne. Er kann nicht anders glauben, als daß Gösta hört, wie gut er heute abend spielt. Jetzt hat er alle Schwierigkeiten überwunden. Er führt seine Läufe und Triller ohne die geringste Beschwerde aus. Er wünschte, daß der Meister selber ihn hören könnte. Je länger er spielt, je mehr steigert sich seine Begeisterung. Er hört jeden einzelnen Ton mit überirdischer Stärke. »Leid, Leid,« spielt er, »weshalb sollte ich dich nicht lieben? Weil deine Lippen kalt sind und deine Wangen bleich, weil deine Umarmung erstickt, deine Blicke versteinern?« »Leid, Leid, du bist eine jener stolzen, schönen Frauen, deren Liebe schwer zu gewinnen ist, die aber stärker brennt als die aller andern. Du Verstoßene, ich legte dich an mein Herz und liebte dich. Ich liebkoste dich, bis die Kälte aus deinen Gliedern entwich, und deine Liebe hat mich mit Glückseligkeit erfüllt. »Ach, wie habe ich gelitten! Ach, wie habe ich mich gesehnt, seit ich die verlor, die ich zuerst geliebt! Es war finstere Nacht in mir, finstere Nacht um mich her. Ich lag versunken im Gebet, in endlosen, unerhörten Gebeten. Der Himmel war meinem langen Warten verschlossen. Kein guter Geist kam von der sternenübersäten Himmelswölbung herab, um mich zu trösten. »Aber meine Sehnsucht zerriß den verschleiernden Vorhang. Du kamst zu mir herabgeschwebt auf einer Brücke von Mondstrahlen. Du kamst im Lichtglanz, Geliebte, und mit lächelnden Lippen. Frohe Genien umringten dich. Sie trugen Kränze von Rosen. Sie spielten auf der Zither und der Flöte. Es war eine Seligkeit, dich zu schauen. »Aber du verschwandest, du verschwandest! Und es gab keine Brücke und keine Mondstrahlen für mich, als ich dir folgen wollte. Auf der Erde lag ich, flügellos, an den Staub gebunden. Meine Klage war wie das Brüllen eines wilden Tiers, wie der polternde Donner des Himmels. Ich wollte dir den Blitz als Boten senden. Ich verfluchte die grüne Erde. Möge Feuer ihr Wachstum verzehren, Pest die Menschen ausrotten! Ich rief den Tod an und den Abgrund. Ich meinte, die Qualen im ewigen Feuer müßten Seligkeit sein gegen mein Ende. »Leid, Leid, da war es, daß du mein Freund wurdest! Weshalb sollte ich dich nicht lieben, wie man diese stolzen, strengen Frauen liebt, deren Liebe schwer zu erringen ist, die aber stärker brennt als die anderer?« So spielte er, der arme Mystiker. Er saß dort, strahlend vor Begeisterung, während die wunderbaren Töne vor seinen Ohren klangen, fest überzeugt, daß Gösta ihn auch hören und Trost finden müsse. Gösta saß da und sah ihn an. Zuerst war er ärgerlich über diese neue Komödie, allmählich aber ward er milder. Er war unwiderstehlich, der Alte, wie er dasaß und seinen Beethoven genoß. Und Gösta mußte daran denken, daß auch dieser Mann, der jetzt so sanft und sorglos war, in Leid versenkt gewesen, daß auch er die Geliebte verloren hatte. Und nun saß er dort, strahlend heiter, an seinem hölzernen Tisch. Es bedurfte also nicht mehr, um einen Menschen glücklich zu machen. Er fühlte sich gedemütigt. Gösta, sagte er zu sich selber, kannst du nicht mehr dulden und leiden? Du, der du dein Leben lang in Armut abgehärtet bist, du, der du jeden Baum im Walde, jeden Hügel auf dem Felde hast Entsagung und Geduld predigen hören, du, der du in einem Lande aufgewachsen bist, wo der Winter streng ist und der Sommer geizig, hast du die Kunst auszuharren denn ganz verlernt? Ach, Gösta, ein Mann muß alles, was das Leben bietet, mit mutigem Herzen und lächelnden Lippen ertragen; sonst ist er kein Mann. Entbehre so viel du willst, wenn du die Geliebte verloren hast, so laß Gewissensbisse an deinem Innern nagen und zehren, zeige dich aber als Mann, als echter Wermländer! Laß deinen Blick vor Freude strahlen und begegne deinen Freunden mit fröhlichen Worten. Das Leben ist hart, die Natur ist hart. Beide erzeugen sie Mut und Freude als Gegengewicht gegen ihre Härte, sonst würde es wohl niemand ertragen können. Mut und Freude! Es ist, als seien diese beiden die ersten Pflichten des Lebens. Du hast sie bisher niemals verleugnet und darfst es auch jetzt nicht tun. Bist du geringer als Löwenberg, der dort an seinem hölzernen Klavier sitzt, als alle die andern Kavaliere, die mutigen, die sorglosen, die ewig jungen? Du weißt ja, daß das Leid keinen von ihnen verschont hat. Und dann sieht Gösta sie an. Ach, welch ein Anblick! Da sitzen sie alle ganz ruhig und ernsthaft und lauschen dieser Musik, die niemand hören kann. Plötzlich wird Löwenberg durch ein munteres Lachen aus seinen Träumereien aufgeschreckt. Er hebt die Hände von den Tasten und lauscht ganz begeistert. Das ist Gösta Berlings altes Lachen, sein gutes, freundliches, ansteckendes Lachen. Das ist die schönste Musik, die der Alte in seinem ganzen Leben gehört hat. »Wußte ich doch, daß Beethoven dir helfen würde, Gösta«, ruft er aus. »Nun bist du ja wieder genesen!« So geschah es, daß die gute Frau Musika Gösta Berlings Melancholie heilte. Der Pfarrer von Broby Eros, du Allmächtiger, du weißt wohl, daß es oft aussieht, als wenn ein Mensch sich ganz von deiner Herrschaft befreit hätte. Alle die weichen Gefühle, die die Menschen vereinen, scheinen in seinem Herzen erstorben zu sein. Der Wahnsinn streckt seine Krallen nach dem Unglücklichen aus, aber da kommst du in deiner Allmacht, du Schutzpatron des Lebens, und das eingeschrumpfte Herz grünt und trägt Blüten wie der Stab des Heiligen. Niemand kann geringer sein als der Pfarrer von Broby, niemand kann durch Schlechtigkeit und Unbarmherzigkeit mehr von den Menschen getrennt sein. Seine Stuben stehen den ganzen Winter ungeheizt, er sitzt auf einer ungestrichenen hölzernen Bank, er kleidet sich in Lumpen, lebt von trocknem Brot und wird rasend, wenn ein Bettler über seine Schwelle tritt. Er läßt das Pferd im Stall hungern und verkauft das Heu; seine Kühe nagen das trockne Gras vom Wegesrande und das Moos von der Wand des Hauses; bis auf die Landstraße hinaus kann man das Blöken der hungrigen Schafe hören. Die Bauern werfen ihm die Speisen hin, die ihre Hunde nicht fressen wollen, und die Kleider, die ihre Armen verschmähen. Seine Hand ist ausgestreckt, um zu betteln, sein Rücken gekrümmt, um zu danken. Er bettelt von den Reichen und leiht den Armen. Sieht er ein geprägtes Geldstück, so brennt ihm das Herz vor Ungeduld im Leibe, bis es in seiner Tasche ist. Wehe dem, der am Tage des Verfalls nicht zahlen kann! Er verheiratete sich spät, und es wäre besser gewesen, wenn er es niemals getan hätte. Vergrämt und überanstrengt starb seine Frau. Seine Tochter dient jetzt bei fremden Leuten. Er wird alt, doch das Alter bringt ihm keine Ruhe. Der Wahnsinn des Geizes verläßt ihn niemals. Aber eines schönen Tages zu Anfang August kommt eine schwerfällige Kutsche, von vier Pferden gezogen, den Brobyer Hügel hinan. Ein feines altes Fräulein fährt in voller Gala mit Kutscher und Diener und Kammerjungfer vor. Sie kommt, um den Pfarrer in Broby zu besuchen. Ihn hat sie in ihren jungen Tagen geliebt. Während er Hauslehrer im Hause ihres Vaters war, liebten sie einander, aber die stolze Familie trennte sie. Und nun kommt sie den Brobyer Hügel hinangefahren, um ihn zu sehen, ehe sie stirbt. Alles, was das Leben ihr bieten kann, ist ein Wiedersehen mit dem Geliebten ihrer Jugend. Das kleine, feine Fräulein sitzt im Wagen und träumt. Sie fährt nicht die Brobyer Hügel hinan nach einem kleinen, armseligen Pfarrhof. Sie ist auf dem Wege zu der kühlen, dichten Laube unten im Park, wo der Geliebte wartet. Sie sieht ihn, er ist jung, er kann küssen, er kann lieben. Jetzt, wo sie weiß, daß sie ihn sehen wird, steigt sein Bild mit seltener Klarheit vor ihr auf. Wie schön er doch ist! Er kann schwärmen, er kann glühen, er erfüllt ihr ganzes Wesen mit dem Feuer des Entzückens. Jetzt ist sie gelbbleich, welk und alt. Er kennt sie vielleicht gar nicht wieder, sechzig Jahre alt, wie sie ist, aber sie kommt nicht, um gesehen zu werden, sondern um zu sehen, um den Geliebten ihrer Jugend zu sehen, den der Zahn der Zeit unberührt gelassen hat, der noch immer jung, schön, herzenswarm ist. Sie kommt aus so weiter Ferne, daß sie nie etwas von dem Pfarrer zu Broby gehört hat. Und dann rasselt die Kutsche die Hügel hinan, und jetzt wird der Pfarrhof oben auf der Spitze sichtbar. »Um Gottes Barmherzigkeit willen,« jammert ein Bettler am Wegesrande, »gebt dem armen Manne einen Schilling.« Die vornehme Dame gibt ihm eine Silbermünze und fragt, ob der Brobyer Pfarrhof in der Nähe liegt. Der Bettler sieht sie mit einem schlauen, scharfen Blick an. »Der Pfarrhof liegt dort,« sagt er, »aber der Pfarrer ist nicht zu Hause, es ist niemand dort zu Hause.« Das feine, kleine Fräulein sieht aus, als sollte sie ohnmächtig werden. Die kühle Laube verschwindet, der Geliebte ist nicht da. Wie konnte sie auch glauben, daß sie ihn nach vierzigjährigem Warten dort wiederfinden würde? »Was führt das gnädige Fräulein nach dem Pfarrhof?« Das gnädige Fräulein war gekommen, um den Pfarrer zu besuchen. Sie hatte ihn in früheren Zeiten gekannt. Vierzig Jahre und vierzig Meilen haben zwischen ihnen gelegen. Und mit jeder Meile, die sie zurückgelegt, hat sie ein Jahr mit seinen Lasten, Sorgen und Erinnerungen abgeschüttelt, so daß sie jetzt, wo sie den Pfarrhof erreicht hat, wieder zum zwanzigjährigen Mädchen geworden ist, ohne Sorgen, ohne Erinnerungen. Der Bettler steht da und sieht sie an, und vor seinen Augen verwandelt sie sich von zwanzig Jahre in sechzig und von sechzig wieder in zwanzig. »Der Pfarrer kommt heut nachmittag nach Hause«, sagt er. »Das gnädige Fräulein würde am besten daran tun, nach dem Gasthof in Broby zu fahren und heute nachmittag wiederzukommen. Ich stehe dafür ein, daß der Pfarrer heute nachmittag zu Hause sein wird.« Einen Augenblick später rollt die schwere Kutsche mit der kleinen welken Dame die Hügel zum Gasthof hinab, der Bettler aber steht da und sieht ihr nach, am ganzen Körper bebend. Es ist ihm, als könne er auf die Knie fallen und die Wagenspuren küssen. Fein, frisch rasiert, geputzt, in Schuhen mit blanken Spannen, mit seidenen Strümpfen, mit Jabot und Manschetten steht der Pfarrer von Broby am Mittag desselben Tages vor der Pröpstin in Bro. »Ein feines Fräulein,« sagt er, »eine Grafentochter; wie kann die Frau Pröpstin glauben, daß ich armer Mann sie zu mir einladen kann? Meine Fußböden sind schwarz, meine Staatsstube ist ganz leer, die Decke im Saal ist grün von Schimmel und Feuchtigkeit. Helfen Sie mir, liebe Frau Pröpstin! Denken Sie doch nur daran, daß sie eine vornehme Grafentochter ist!« »Können Sie denn nicht sagen lassen, daß Sie verreist sind, Herr Pfarrer?« »Liebe Frau Pröpstin, sie ist vierzig Meilen weit gereist, um mich armen Mann zu sehen. Sie weiß nicht, wie es mit mir steht. Ich habe ihr kein Bett anzubieten. Ich habe keine Betten für ihre Dienerschaft.« »Nun, so lassen Sie sie wieder reisen.« »Liebe, gute Pröpstin! Verstehen Sie denn nicht, was ich meine? Ich gebe lieber alles hin, was ich besitze, alles, was ich mit Fleiß und Mühe zusammengescharrt habe, als daß ich sie wieder fortreisen lasse, ohne sie unter meinem Dache empfangen zu haben. Sie zählte zwanzig Jahre, als ich sie zuletzt sah, und das sind nun vierzig Jahre her; bedenken Sie das doch, Frau Pröpstin! Helfen Sie mir, daß ich sie bei mir aufnehmen kann. Hier ist Geld, wenn Geld helfen kann, aber Geld allein tut es auch nicht.« O, Eros, die Frauen lieben dich. Sie legen lieber hundert Schritte für dich zurück, als einen für die andern Götter. Im Propsthofe wurden die Zimmer und die Küche und die Speisekammer geleert. Im Propsthofe wurden Arbeitswagen beladen und nach dem Pfarrhof gefahren. Wenn der Probst von seinem Konfirmandenunterricht heimkehrt, kann er in den leeren Stuben umhergehen und in die Küche hinausgucken, um nach seinem Mittagessen zu fragen, aber er wird nichts finden. Kein Mittagessen, keine Pröpstin, keine Mägde. Was ist dazu zu sagen? Eros hat es so gewollt, Eros, der Allmächtige. Am Nachmittage kommt dann die schwere Kutsche die Brobyer Hügel hinaufgehumpelt. Und das kleine Fräulein sitzt da und denkt, ob jetzt wohl kein neues Unglück wieder eintreffen wird, ob es wirklich wahr ist, daß sie jetzt der einzigen Freude ihres Lebens entgegengeht. Und dann biegt die Kutsche auf den Pfarrhof ein, im Tor aber hält sie still. Der große Wagen ist zu breit, das Tor ist zu schmal. Der Kutscher knallt mit der Peitsche, die Pferde ziehen an, der Diener flucht, aber das hinterste Rad der Kutsche sitzt fest und kann nicht wieder loskommen. Die Grafentochter kann nicht auf den Hof des Geliebten gelangen. Aber da kommt jemand -- da kommt er. Er hebt sie aus dem Wagen, er trägt sie auf seinen Armen, deren Kraft noch ungeschwächt ist, er drückt sie so warm und zärtlich an sich wie vor vierzig Jahren. Sie schaut in ein Paar Augen, die genau so strahlen wie damals, als sie erst fünfundzwanzig Lenze geschaut hatten. Da braust ein Sturm von Gefühlen über sie hin, wärmer denn je zuvor. Sie entsinnt sich, daß er sie einmal die Treppe zur Terrasse hinaufgetragen hat. Sie, die glaubte, daß ihre Liebe alle diese Jahre hindurch gelebt, sie hatte doch vergessen, was es war, in starke Arme geschlossen zu werden, in junge, strahlende Augen zu schauen. Sie sieht nicht, daß er alt ist. Sie sieht nur die Augen, die Augen. Sie sieht nicht die schwarzen Fußböden, die Decken, die grün sind von Feuchtigkeit, sie sieht nur seine strahlenden Augen. Der Brobyer Pfarrer ist ein stattlicher Mann, und in diesem Augenblick ist er ein schöner Mann. Er wird schön, nur weil er sie ansieht. Sie hört seine Stimme, seine klare, starke Stimme; die klingt wie Liebkosungen. So spricht er nur zu ihr. Wozu braucht er die Möbel aus dem Propsthof für seine leeren Zimmer? Wozu braucht er Speisen und Dienstboten? Das alte Fräulein würde kaum etwas von alledem vermißt haben. Sie hört seine Stimme und sieht seine Augen. Niemals, nie zuvor ist sie so glücklich gewesen. Wie zierlich er sich verneigt, zierlich und stolz, als sei sie eine Fürstin und er ihr begünstigter Liebling. Er bedient sich der vielen stehenden Redensarten der Alten, wenn er mit ihr redet. Sie lächelt nur und ist glücklich. Gegen Abend bietet er ihr den Arm, und sie lustwandeln in seinem alten, verfallenen Garten. Sie sieht nichts Häßliches, Vernachlässigtes. Verwachsene Büsche werden zu beschnittenen Hecken, das Unkraut breitet sich als weiche, smaragdgrüne Rasenflächen aus, lange Alleen beschatten sie, und in Nischen von dunklem Laub schimmern weiße Statuen -- die Jugend, die Treue, die Hoffnung und die Liebe. Sie weiß, daß er verheiratet gewesen ist, aber sie denkt nicht daran. Wie könnte sie auch wohl an so etwas denken? Sie zählt ja zwanzig Jahre und er fünfundzwanzig. Er ist sicher nur fünfundzwanzig Jahre alt, jung und sprudelnd von Kraft. Soll er wirklich der geizige Pfarrer von Broby werden, er, dieser lächelnde Jüngling! Zuweilen saust es ihm vor den Ohren -- eine Mahnung an eine finstere Zukunft. Aber der Jammer der Armen, die Flüche der Betrogenen, die spöttischen Bemerkungen der Verachtung, Schmählieder, Hohn, das alles existiert noch nicht für ihn. Sein Herz erglüht nur in reiner, unschuldiger Liebe. Dieser stolze Jüngling wird das Gold niemals so lieben, daß er in dem schlimmsten Schmutz danach kriechen, es von den Vorüberfahrenden erbetteln wird, Demütigungen dulden, Schmach erleiden, Kälte und Hunger darum erleiden wird. Wird er wohl sein Kind hungern lassen, seine Frau peinigen für dies elende Geld? Das ist unmöglich. So kann er nicht sein. Er ist ein guter Mensch wie alle andern. Er ist kein Ungeheuer. Die Geliebte seiner Jugend geht nicht neben einem verachteten Schuft, der des Amtes unwürdig ist, das er zu übernehmen gewagt hat. Das tut sie nicht. Nein, Eros, du allmächtiger Gott, heute abend ist er nicht der Pfarrer von Broby, auch nicht am nächsten und an dem darauf folgenden Tage. Am vierten Tage reist sie. Das Tor ist breiter gemacht. Die Kutsche rollt die Brobyer Hügel so schnell hinab, wie nur Pferde laufen können, die geruht haben. Welch ein Traum! Welch ein herrlicher Traum! Keine Wolke in diesen drei Tagen! Sie kehrte lächelnd heim in ihr Schloß und zu ihren Erinnerungen. Sie hörte seinen Namen nie wieder nennen, sie fragte niemals nach ihm. Sie wünschte nur, solange sie lebte, diesen Traum noch einmal zu träumen. Der Pfarrer von Broby saß in seinem einsamen Hause und weinte wie ein Verzweifelter. Sie hatte ihn jung gemacht. Sollte er nun wieder alt werden? Sollte der böse Geist zurückkehren, sollte er wieder verächtlich werden -- verächtlich, wie er gewesen war? Patron Julius Patron Julius trug seine rotangemalte Kiste aus dem Kavalierflügel hinunter. Er füllte ein größeres Lägel, das ihn auf vielen Reisen begleitet hatte, mit duftendem Pomeranzenbranntwein, den großen, geschnitzten Vorratskasten packte er voll Brot und Butter und alten Käse, schön grün und braun schattiert, voll fetten Schinken und Reiskuchen, die in Himbeerkompott schwimmen. Und dann ging Patron Julius umher und sagte allen Herrlichkeiten Ekebys mit tränenden Augen Lebewohl. Er streichelte zum letztenmal die blankgeschliffenen Kegelkugeln und die rotwangigen Kinder auf dem Hügel. Er ging umher zu den Lauben im Garten und zu den Grotten im Park. Er war im Stall und in den Scheunen, streichelte die Pferde, rüttelte den bösen Stier an den Hörnern und ließ sich die Hände von den Kälbern lecken. Schließlich ging er mit fließenden Tränen in das Hauptgebäude hinauf, wo das Abschiedsfrühstück seiner harrte. Wehe über das Dasein! Wie kann es so viel Elend enthalten? Da war Gift in den Speisen, Galle im Wein. Die Kehlen der Kavaliere waren vor Gemütsbewegung zusammengeschnürt so wie seine eigene. Der Schleier der Tränen lag wie ein Nebel vor seinen Blicken. Die Abschiedsrede wurde von Schluchzen unterbrochen. Wehe über das Dasein! Sein Leben würde hinfort nur eine einzige lange Sehnsucht sein. Niemals sollten sich seine Lippen zu einem Lächeln formen. Die Lieder würden aus seiner Erinnerung fortstreben, wie die Blumen von der herbstkalten Erde fortsterben. Er würde verblassen, abfallen, welken wie eine frostgeknickte Rose, wie eine dürstende Lilie. Nie wieder sollten die Kavaliere den armen Julius sehen. Schwere Ahnungen durchzuckten seine Seele, wie Schatten von sturmgepeitschten Wolken über frisch gepflügte Felder dahinjagen. Er wollte nach Hause reisen, um zu sterben. Blühend von Gesundheit und Kraft stand er jetzt vor ihnen. Nie wieder sollten sie ihn so sehen. Nie mehr sollten sie ihn scherzend fragen, wann er zuletzt seine eigenen Knie gesehen habe; nie mehr sollten sie sich seine Wangen zum Kegelspiel wünschen. Das Übel hat sich ihm schon in Leber und Lunge festgesetzt. Es wühlte und nagte. Schon lange hatte er es gefühlt. Seine Tage waren gezählt. Möchten doch die Ekebyer Kavaliere den Toten in treuer Erinnerung bewahren! Möchten sie ihn doch niemals vergessen! Die Pflicht rief ihn. Daheim saß seine Mutter und wartete auf ihn. Siebzehn Jahre lang hatten sie ihn aus Ekeby heim erwartet. Jetzt hatte sie geschrieben und ihn nach Hause gerufen, und er wollte gehorchen. Er wußte, daß es sein Tod sein würde, aber als guter Sohn wollte er gehorchen. O, diese göttlichen Festmähler! Diese schönen Fluren, der stolze Gießbach! O, die jubelnden Märchen, der geliebte Kavalierflügel! O Violine und Waldhorn, o Leben voll Glück und Freude! Von alledem zu scheiden war der Tod. Und dann ging Patron Julius in die Küche hinaus und sagte den Leuten im Hause Lebewohl. In überströmender Rührung umarmte und küßte er jeden einzelnen, von der Haushälterin bis zu dem Bettler auf dem Hofe. Die Mägde weinten und jammerten über sein Schicksal. So ein guter und munterer Herr sollte sterben, nie sollten sie ihn wiedersehen! Patron Julius befahl, daß sein Gig aus dem Wagenschuppen herausgeschoben und sein Pferd aus dem Stall gezogen werden sollte. Was wohl die alte Kajsa dazu sagen würde, hügelauf und hügelab zu traben nach einer siebzehnjährigen Ruhe vor der gefüllten Krippe? Die Stimme war nahe daran, Patron Julius zu versagen, als er diese Befehle erteilte. So sollte denn das Gig nicht in Ruhe auf Ekeby vermodern, so sollte denn die alte Kajsa von der bekannten Krippe getrennt werden. Er wollte nichts Schlechtes von seiner Mutter sagen, aber sie hätte an die alte Kajsa und an das Gig denken sollen, wenn sie auch nicht an ihn dachte. Wie sollten die die lange Reise überstehen? Das Bitterste war aber doch der Abschied von den Kavalieren. Der kleine rundliche Patron Julius, dessen Figur mehr danach angetan war zu rollen als zu gehen, fühlte sich tragisch bis in die Fingerspitzen hinein. Er dachte an den großen Athener, der ruhig den Giftbecher im Kreise seiner Schüler leerte. Er dachte an den alten König Gustav, der dem schwedischen Volke prophezeite, daß es einstmals wünschen würde, man möchte ihn aus seinem Grabe herausgraben. Schließlich sang er ihnen sein schönstes Lied vor. Er dachte an den Schwan, der im Singen stirbt. So wünschte er, daß sie sich seiner erinnern möchten: eines königlichen Geistes, der sich zu keiner Klage herabläßt, sondern auf den Schwingen der Töne heimfährt. Endlich war der letzte Becher geleert, war das letzte Lied gesungen, die letzte Umarmung ausgetauscht. Er zog seinen Mantel an und nahm die Peitsche in die Hand. Kein Auge ringsumher blieb trocken. Seine eigenen Augen waren so verschleiert von dem dämmernden Nebel des Leids, daß er nichts unterscheiden konnte. Da ergriffen die Kavaliere ihn und trugen ihn Portechaise hinunter. Hurrarufe umdonnerten ihn. Sie setzten ihn irgendwo nieder, er sah nicht wo. Eine Peitsche knallte, der Wagen setzte sich mit ihm in Bewegung. Er fuhr. Als er den Gebrauch seiner Augen wiedergewann, war er draußen auf der Landstraße. Wohl hatten die Kavaliere geweint und waren von tiefer Wehmut ergriffen, aber der Kummer hatte doch nicht alle frohen Gefühle des Herzens bei ihnen erstickt. Einer von ihnen -- war es Gösta Berling, der Poet, oder Beerencreutz, der Rabougespieler, der alte Kriegsmann, oder der lebensmüde Vetter Kristoffer? -- hatte es so eingerichtet, daß die alte Kajsa nicht aus ihrem Stall und der mottenzerfressene Wagen nicht aus seinem Schuppen hervorgeholt zu werden brauchte. Sie hatten einen großen, weißscheckigen Ochsen vor einen Heuwagen gespannt, und nachdem die rote Kiste, das grüne Lägel und der geschnitzte Vorratskasten auf den Wagen gestellt waren, wurde schließlich Patron Julius selbst, dessen Augen von Tränen geblendet waren, nicht auf den Vorratskasten oder auf die Kiste gesetzt, sondern auf den Rücken des weißscheckigen Ochsen. Seht, so ist der Mensch, zu schwach, um dem Leid in all seiner Bitterkeit zu begegnen! O Freunde, sicher beweinten die Kavaliere diesen Freund, der von dannen zog, um zu sterben, diese welkende Lilie, diesen sterbenden Singschwan, und doch erleichterte es die Beklommenheit ihres Herzens, als sie ihn so von dannen ziehen sahen, auf dem Rücken des großen Ochsen reitend, während sein fetter Körper vom Schluchzen bebte; seine Arme, zu einem letzten Umfangen ausgebreitet, senkten sich in Verzweiflung, und seine Augen suchten Gerechtigkeit bei einem strengen Himmel. Da draußen auf der Landstraße kehrten dem umnebelten Patron Julius die Sinne zurück, und er merkte, daß er auf dem schaukelnden Rücken eines Tieres saß. Und da, so erzählt man, begann er über alles nachzugrübeln, was sich in siebzehn Jahren ereignen kann. Die alte Kajsa war auffallend verändert. Hatten die Haferkrippe und die Kleewiesen auf Ekeby so viel vermocht? Und er rief -- ich weiß nicht, ob die Steine am Wege oder die Vögel in dem Gesträuch es hörten --, aber wahr ist es, daß er rief: »Der Teufel soll mich frikassieren, wenn ich nicht glaube, daß du Hörner bekommen hast, Kajsa!« Nachdem er noch eine Weile gegrübelt hatte, ließ er sich sanft von dem Rücken des Ochsen hinabgleiten, stieg in den Heuwagen, setzte sich auf den Vorratskasten und fuhr in tiefe Gedanken versunken weiter. Bald darauf, in der Nähe von Broby, vernahm er taktfesten Gesang: »Eins zwei, Nur immer zu! Pantoffel und Schuh. Die Wermlandjäger kommen herbei! Eins zwei, eins zwei!« So tönte es ihm entgegen; aber es waren keine Jäger, es waren die munteren Fräulein aus Berga und einige von den schönen Töchtern des Amtmanns aus Munkerud, die des Weges daherkamen. Sie hatten ihre kleinen Vorratsbeutel an langen Stöcken aufgehängt, die sie wie ein Gewehr schulterten, und zogen mutig dahin in der Sommerhitze und sangen taktfest: »Eins zwei, nur immer zu!« »Wohin geht die Reise, Patron Julius?« riefen sie, als sie ihm begegneten, ohne auf die Wolken der Sorge zu achten, die seine Stirn umflorten. »Ich ziehe fort aus dem Hause der Sünde und Eitelkeit,« sagte Patron Julius. »Ich will nicht länger unter Tagedieben und Missetätern verweilen. Ich kehre heim zu meiner Mutter.« »Ach!« riefen sie, »das ist ja nicht wahr! Patron Julius kann doch Ekeby nicht verlassen!« »Ja,« entgegnete er und schlug mit der geballten Hand auf die Kleiderkiste. »Wie Loth aus Sodom und Gomorra, so fliehe ich aus Ekeby. Jetzt gibt es dort nicht _einen_ Gerechten mehr. Aber wenn sich die Erde unter ihnen auftut, wenn Feuer und Schwefel vom Himmel herabregnen, da will ich mich über Gottes gerechtes Gericht freuen. Lebt wohl, ihr kleinen Mädchen! Hütet euch vor Ekeby!« Er wollte weiterfahren, aber damit waren die munteren Mädchen keineswegs einverstanden. Sie hatten die Absicht, den Donnerfelsen zu besteigen. Aber der Weg war lang, und sie hatten wohl Lust, in Julius' Heuwagen bis an den Fuß des Berges zu fahren. Glücklich, wer sich über den Sonnenschein des Lebens freuen kann und keiner Kürbispflanze bedarf, um seinen Scheitel zu beschatten! In zwei Minuten hatten die jungen Mädchen ihren Willen durchgesetzt. Patron Julius kehrte um und fuhr sie bis an den Donnerfelsen. Lächelnd saß er auf dem Vorratskasten, während die jungen Mädchen den Heuwagen füllten. Am Wege entlang wuchsen Winden und Kamillen und Pechnelken. Der Ochse mußte von Zeit zu Zeit ein wenig ruhen, dann stiegen die jungen Mädchen ab und pflückten Blumen. Bald hingen bunte Kränze um Julius' Kopf und um die Hörner des Ochsen. Ein wenig weiterhin kamen sie an helle, junge Birken und dunkle Erlenbüsche. Da stiegen sie vom Wagen und brachen Zweige ab, um ihn damit zu schmücken. Bald war er zu schauen wie ein wandernder Wald. So ging es den ganzen Tag mit Spiel und Lustigkeit. Je weiter der Tag vorschritt, um so sanfter und milder wurde Patron Julius. Er traktierte die jungen Mädchen aus seinem Vorratskasten und sang ihnen Lieder vor. Als sie auf dem Gipfel des Donnerfelsens standen, die ausgedehnte Landschaft so stolz und schön unter sich -- da fühlte Julius sein Herz mächtig pochen, die Worte strömten ihm über seine Lippen, und er redete über sein geliebtes Land: »Ach, Wermland,« sagte er, »du schönes, du herrliches Land! Oft wenn ich dich auf einer Karte vor mir gesehen habe, dann habe ich darüber nachgedacht, was du eigentlich vorstellst; aber jetzt verstehe ich, was du bist. Du bist ein alter, frommer Eremit, der mit gekreuzten Beinen, die Hände im Schoß, still dasitzt und träumt. Du hast eine Zipfelmütze über deine halbgeschlossenen Augen gezogen. Du bist ein Grübler, ein heiliger Träumer, und du bist wunderbar schön. Große Wälder sind dein Gewand. Lange Bänder von blauem Wasser und gerade Reihen von blauen Bergen verbrämen es. Du bist so natürlich, daß der Fremde nicht sieht, wie schön du bist. Du hast die Armut, die die Frommen zu besitzen wünschen. Regungslos sitzest du da, während die Wellen des Wenersees deine Füße und deine gekreuzten Beine umspülen. Zur Linken breiten sich deine Erzlager und deine Gruben. Das ist dein pochendes Herz. Gen Norden liegen die dunklen, schönen Wiesen der Einsamkeit, des Geheimnisvollen. Das ist dein träumendes Haupt. »Wenn ich dich sehe, du alter, ernsthafter Riese, so füllen sich meine Augen mit Tränen. Du bist strenge in deiner Schönheit, du bist Andacht, Armut, Entsagung, und doch sehe ich mitten in deiner Strenge die sanften Züge der Milde. Ich sehe dich und bete dich an. Sehe ich nur hinein in den tiefen Wald, berührt nur ein Zipfel deines Gewandes mich, so findet meine Seele Heilung. Stunde für Stunde, Jahr für Jahr habe ich in dein heiliges Antlitz geschaut. Welche Rätsel verbirgst du nicht unter den gesenkten Augenlidern, du Gottheit der Entsagung? Hast du das Rätsel des Lebens oder des Todes gelöst, oder grübelst du nach, du Heiliger, du Riesengleicher? Für mich bist du der Hüter ernster, großer Gedanken. Aber ich sehe Menschen auf dir und um dich wimmeln, Wesen, die nie die Hoheit des Ernstes auf deiner Stirn gespürt haben. Sie sehen nur die Schönheit deines Antlitzes und deiner Glieder und lassen sich davon betören, so daß sie alles vergessen. »Wehe mir, wehe uns allen, uns Kindern Wermlands! Schönheit, Schönheit und nichts weiter verlangen wir vom Leben! Wir, Kinder des Entsagens, des Ernstes, der Armut, erheben unsere Hände in einem einzigen langen Gebet und begehren dies einzige Gut: Schönheit! Möge das Leben sein wie ein Rosenbusch, blühend von Liebe, Wein und Freude, und mögen seine Rosen einem jeden erreichbar sein! Siehe, dies wünschen wir, und unser Land trägt die Züge der Strenge, des Ernstes, der Entsagung. Unser Land ist das ewige Symbol der Grübelei, wir aber haben keine Gedanken. »O Wermland, du schönes, du herrliches Land!« So sprach er mit Tränen in den Augen und mit einer Stimme, die vor Begeisterung bebte. Die jungen Mädchen lauschten ihm voll Staunen, aber nicht ohne Rührung. Nur wenig ahnten sie die Tiefe des Gefühls, die sich unter dieser Oberfläche verbarg, die von Scherz und Lachen glitzerte. Als der Abend nahte und sie wieder auf den Heuwagen stiegen, wußten die jungen Mädchen kaum, wohin Patron Julius sie gefahren hatte, ehe sie vor der Treppe von Ekeby hielten. »Nun wollen wir hierhinein und ein Tänzchen machen, ihr kleinen Mädchen!« sagte Patron Julius. Was sagten denn die Kavaliere, als sie Patron Julius herbeikommen sahen, einen welken Kranz um den Hut und den Wagen voll junger Mädchen? »Dachten wirs uns doch, daß die jungen Mädchen mit ihm abgezogen wären,« sagten sie, »sonst hätten wir ihn schon vor Stunden wieder hiergehabt!« Denn die Kavaliere entsannen sich sehr wohl, daß dies genau das siebzehnte Mal war, daß Patron Julius den Versuch gemacht hatte, Ekeby zu verlassen, -- regelmäßig einmal jedes Jahr. Jetzt hatte Patron Julius sowohl diesen Versuch als auch alles andere vergessen. Sein Gewissen schlief von neuem seinen einjährigen Schlaf. Er war ein seltener Mann, dieser Patron Julius. Er war leicht im Tanz, munter am Spieltisch. Feder und Violinbogen lagen ihm gleich leicht in der Hand. Er hatte ein leichtbewegliches Herz und schöne Worte auf der Zunge, sein Mund war voll von Liedern. Aber was hätte ihm dies alles genützt, wenn er nicht ein Gewissen gehabt hätte, das nur einmal im Jahr von sich hören ließ, gleich jenen Eintagsfliegen, die sich aus der dunklen Tiefe erheben und die Flügel ausbreiten, um nur einige Stunden in Tageslicht und Sonnenschein zu leben. Die tönernen Heiligen Die Kirche zu Svartsjö ist von innen und von außen weiß; die Wände sind weiß, die Kanzel, die Bänke, die Pulpitur, die Decke, die Fensterbretter, die Altardecke -- alles ist weiß. In der Svartsjöer Kirche ist kein Schmuck, da sind keine Bilder, keine Wappenschilder. Über dem Altar steht nur ein hölzernes Kreuz mit einem weißen, leinenen Tuch. Früher war das anders. Da war die Decke voller Malereien, da war eine Mannigfaltigkeit von bunten Figuren aus Stein und Ton in diesem Gotteshause. Einstmals, vor vielen Jahren an einem Sommertage, hatte ein Künstler in Svartsjö dagestanden und den Zug der Wolken nach der Sonne hin beobachtet. Er hatte die weißen, schimmernden Wolken, die am Morgen unten am Horizont stehen, sich höher und höher auftürmen sehen, er hatte alle die schwebenden Kolosse größer und größer werden und zu dem Hohen emporstürmen sehen. Sie spannten die Segel aus wie Schiffe. Sie erhoben ihre Standarten wie Krieger. Sie zogen aus, um den ganzen Himmel zu erobern. Der Sonne, diesem Herrscher des Weltenraums gegenüber, verstellten sie sich, diese wachsenden Wunder, und nahmen eine ganz unschuldige Gestalt an. Da war zum Beispiel ein reißender Löwe, der sich in eine gepuderte Dame verwandelte. Da war ein Riese mit Armen, die alles zermalmen konnten; der legte sich hin wie eine träumende Sphinx. Einige schmückten ihre weiße Nacktheit mit goldverbrämten Mänteln, andere streuten rote Schminke auf schneeweiße Wangen. Da waren Ebenen. Da waren Wälder. Da waren festgemauerte Burgen mit hohen Türmen. Die weißen Wolken errangen die Herrschaft über den Wolkenhimmel. Sie füllten die ganze blaue Wölbung. Sie erreichten die Sonne und verbargen sie. Ach, wie schön, dachte der fromme Künstler, wenn die sehnsuchtsvollen Geister auf die turmhohen Berge hinaufsteigen könnten und von ihnen wie auf einem schaukelnden Schiff höher und höher hinausgetragen würden. Und plötzlich ward es ihm klar, daß die weißen Wolken des Sommertages die Fahrzeuge waren, auf denen die Seelen der Seligen dahinzogen. Er sah sie dort oben, dort standen sie auf den schwebenden Massen mit Lilien in der Hand und goldenen Kronen auf dem Haupte. Die Luft hallte wider von ihrem Gesang. Engel flogen auf starken, breiten Flügeln herab, um ihnen zu begegnen. O, welch eine Menge von Seligen! Je mehr sich die Wolken ausbreiteten, desto mehr wurden sichtbar. Sie ruhten auf den Wolkenbetten wie weiße Wasserrosen auf einem stillen See. Sie schmückten sie, wie die Lilien das Feld schmücken. Welch eine jubelnde Fahrt in die Höhe hinauf! Eine Wolke nach der andern rollte heran, und alle waren sie angefüllt mit himmlischen Heerscharen in Rüstungen von Silber, mit unsterblichen Sängern in purpurverbrämten Mänteln. Dieser Künstler hatte später die Decke in der Svartsjöer Kirche gemalt. Dort hatte er die schwebenden Wolken des Sommertages wiedergeben wollen, die die Seligen in die Herrlichkeit des Himmels einführten. Die Hand, die den Pinsel führte, war kräftig gewesen, aber ein wenig steif, so daß die Wolken mehr den krausen Locken in einer Allongeperücke glichen als wachsenden Bergen aus weichem Nebel. Und so wie sich die Heiligen vor der Phantasie des Malers gebildet hatten, war er nicht imstande gewesen, sie wiederzugeben; er hatte sie auf Menschenweise in lange rote Mäntel und steife Bischofsmützen gekleidet oder in große Kaftane mit steifen Priesterkragen. Er hatte ihnen große Köpfe und kleine Glieder gegeben und hatte sie mit Taschentüchern und Gebetbüchern versehen. Lateinische Sentenzen hingen ihnen aus dem Munde, und für die, die er für die hervorragendsten hielt, hatte er solide, hölzerne Stühle auf den Wolkenkämmen angebracht, so daß sie in einer bequemen sitzenden Stellung in die Ewigkeit eingeführt werden konnten. Aber Gott und alle Welt wußten ja, daß sich Geister und Engel dem armen Künstler niemals gezeigt hatten, und deswegen wunderte man sich auch nicht weiter, daß er sie nicht so überirdisch schön hatte machen können. Manch einer hatte aber doch wohl die Malerei des guten Meisters überaus schön gefunden, und sie hatte manch eine heilige Stimmung erweckt. Sie hätte wohl verdient, auch von unsern Augen geschaut zu werden. Aber im Kavalierjahr ließ Graf Dohna die ganze Kirche weiß malen. Da wurde die Deckenmalerei verdorben. Ebenso wurden alle die tönernen Heiligen vernichtet. Ach, diese tönernen Heiligen! Es wäre besser für mich gewesen, wenn mir menschliche Not so viel Kummer hätte bereiten können, wie ich ihn über ihren Untergang empfunden -- wenn mich menschliche Grausamkeit gegen Menschen mit einer solchen Bitterkeit hätte erfüllen können, wie ich sie um ihretwillen gekostet habe. Aber denkt nur, da war ein St. Olaf mit einer Krone auf dem Helm, einer Axt in der Hand und einem überwundenen Riesen unter den Füßen; da war auf der Kanzel eine Judith in rotem Mieder und blauem Rock, ein Schwert in der einen, ein Stundenglas in der andern Hand -- als Ersatz für das Haupt des assyrischen Feldherrn; da war eine geheimnisvolle Königin von Saba mit blauer Taille und rotem Rock, mit einem Gänsefuß an dem einen Bein, die Hände voll von sibyllinischen Büchern; da war ein grauer St. Jürgen, der ganz allein auf einer Bank im Chor lag, denn sowohl das Pferd als auch der Drache waren zerschlagen; da war St. Kristoffer mit seinem grünenden Stab und St. Erich mit Zepter und Axt in einem fußfreien, goldgeblümten Mantel. Gar manchen Sonntag habe ich dort in der Svartsjöer Kirche gesessen und mich darüber gegrämt, daß die Bilder fort waren und mich nach ihnen gesehnt. Ich würde es nicht so genau genommen haben, wenn ihnen die Nase oder die Füße gefehlt hätten, wenn die Vergoldung abgegangen wäre. Ich hätte sie vom Glanz der Legenden umstrahlt gesehen. Es soll stets so mit diesen Heiligen gewesen sein, daß sie ihre Zepter oder ihre Ohren oder ihre Nase verloren und wieder instand gesetzt und aufgeputzt werden mußten. Aber die Bauern hätten den Heiligen kein Leid zugefügt, wenn Graf Henrik Dohna nicht gewesen wäre. Er ließ sie fortnehmen. Ich habe ihn deswegen gehaßt, wie nur ein Kind hassen kann. Ich habe ihn gehaßt, wie ein armer Fischer einen unwissenden Knaben haßt, der sein Netz zerstört und ihm ein Loch in sein Boot geschlagen hat. Ich habe ihn gehaßt, wie der hungrige Bettler die geizige Hausfrau haßt, die ihm das Brot verweigert. Wie habe ich nicht gehungert und gedürstet während der langen Gottesdienste! Er hatte das Brot fortgenommen, von dem mein Geist leben sollte. Wie sehnte ich mich nicht in die Unendlichkeit hinaus, hinauf zum Himmel! Und er hatte mein Fahrzeug zerstört, hatte mein Netz zerrissen, mit dem ich die heiligen Visionen hatte fangen wollen. In der Welt der Erwachsenen ist kein Raum für einen richtigen Haß. Wie könnte ich jetzt wohl ein so elendes Wesen wie diesen Grafen Dohna hassen, oder einen so wahnsinnigen Menschen wie Sintram oder eine so verlebte Weltdame wie die Gräfin Märta! Aber als ich ein Kind war -- ja, da war es ein Glück für sie, daß sie schon lange tot waren. Der Pfarrer stand vielleicht gerade auf der Kanzel und sprach von Frieden und Versöhnlichkeit, aber seine Worte waren auf unserm Platz unten in der Kirche niemals zu hören. Ach, hätte ich nur die alten tönernen Heiligen gehabt, die hätten mir wohl predigen sollen, so daß ich es hören und verstehen konnte. Aber nun saß ich gewöhnlich da und dachte darüber nach, wie es eigentlich zuging, daß sie geraubt und zerstört wurden. Als Graf Dohna seine Ehe hatte für ungültig erklären lassen, statt seine Frau aufzusuchen und sie bestätigen zu lassen, erregte dies einen gerechten Zorn bei allen; denn man wußte, daß Gräfin Elisabeth sein Haus nur verlassen hatte, um nicht zu Tode gemartert zu werden. Es schien nun, als wenn er Gottes Gnade und die Achtung der Menschen durch eine gute Tat wiedergewinnen wolle, und deshalb ließ er die Kirche zu Svartsjö renovieren. Er ließ die ganze Kirche weiß malen und das Deckengemälde herunterreißen. Er selber und seine Knechte trugen die Bildwerke in ein Boot und versenkten sie in die Tiefe des Löfsees. Wie konnte er es doch nur wagen, Hand an diese Gewaltigen des Herrn zu legen? Daß diese Untat geschehen durfte! -- Führte denn die Hand, die Holofernes' Haupt abgeschlagen hatte, kein Schwert mehr? Hatte die Königin von Saba all ihre herrliche Weisheit vergessen, die gefährlicher verwundet als ein giftiger Pfeil? St. Olaf, du alter Wiking, St. Jürgen, du alter Drachentöter, lebt denn das Gerücht von euren Heldentaten nicht mehr, ist der Glorienschein der Wunder verblaßt? Aber es verhielt sich wohl so, daß die Heiligen keine Gewalt gegen diese Gewalttätigen gebrauchen wollten. Da die Svartsjöer Bauern doch keine Farbe mehr für ihre Kleider und keine Vergoldung mehr für ihre Kronen spendieren wollten, fanden sie sich darein, daß Graf Dohna sie hinaustrug und sie in die bodenlose Tiefe des Löfsees versenkte. Sie wollten dort nicht länger stehen und Gottes Haus verunglimpfen. Die Ärmsten, sie dachten wohl an die Zeit, da sie mit Gebeten und Kniefällen verehrt wurden! Ich saß da und dachte an dies Boot mit seiner Last aus Heiligen, das an einem stillen Sommerabend im August über die blanke Fläche des Löfsees dahinglitt. Der Ruderknecht zog die Ruder langsam durch das Wasser und warf den seltsamen Passagieren, die da hinten im Boot lagen, scheue Blicke zu; Graf Dohna aber, der auch mit dabei war, fürchtete sich nicht. Er nahm sie nacheinander mit höchsteigenen Händen und warf sie ins Wasser. Seine Stirn war klar und er atmete tief auf. Er fühlte sich wie ein Vorkämpfer der reinen evangelischen Lehre. Und es geschah kein Wunder den alten Heiligen zu Ehren. Still und mutlos sanken sie in die Vernichtung hinab. Aber am nächsten Sonntagmorgen stand die Svartsjöer Kirche schimmernd weiß da. Keine Bildwerke störten mehr die Ruhe der inneren Betrachtung. Nur mit dem seelischen Auge sollen die Frommen die Herrlichkeit des Himmels und die heiligen Visionen schauen. Die Gebete der Menschen sollen auf ihren eigenen Schwingen zum Höchsten hinaufgelangen. Sie sollen sich nicht mehr an dem Kleidersaum der Heiligen festklammern. Grün ist die Erde, die herrliche Wohnung der Menschen, blau ist der Himmel, das Ziel ihrer Sehnsucht. Die Welt strahlt von Farben. Weswegen ist die Kirche weiß? Weiß wie der Winter, nackt wie die Armut, bleich wie die Angst. Sie schimmert nicht von Reif wie der Wald im Winter. Sie strahlt nicht in Perlen und Spitzen wie eine weiße Braut. In kalter, weißer Leimfarbe steht die Kirche da, ohne Bildsäule, ohne Gemälde. An jenem Sonntag saß Graf Dohna in einem blumengeschmückten Lehnstuhl im Chor, damit alle ihn sehen und preisen könnten. Jetzt wollte er geehrt werden, weil er die alten Bänke hatte instand setzen lassen, weil er die verunglimpfenden Bildsäulen zerstört hatte, neues Glas in alle zersprungenen Fenster hatte setzen und die ganze Kirche mit Leimfarbe hatte streichen lassen. Es stand ihm ja frei, das alles zu tun. Wenn er den Zorn des Allmächtigen mildern wollte, so war es ja gut, daß er seinen Tempel schmückte, so gut er es verstand. Weshalb aber nahm er denn Lob dafür entgegen? Er, der mit einem durch unversöhnte Strenge belasteten Gewissen kam, er hätte sich ja vor der Armenbank auf die Knie werfen und seine Brüder und Schwestern in der Kirche bitten müssen, zu Gott zu flehen, daß er ihn in seinem Heiligtum dulde. Es wäre besser für ihn gewesen, dort als armer Missetäter zu stehen, als oben im Chor zu sitzen und Lob und Ehren in Empfang zu nehmen, weil er sich hatte mit Gott versöhnen wollen. Ach, Graf Henrik! Gott hatte dich sicher auf der Armenbank erwartet! Er ließ sich nicht dadurch betören, daß die Menschen dich nicht zu tadeln wagten. Er ist noch immer der strenge Gott, der die Steine reden läßt, wenn die Menschen schweigen. Als der Gottesdienst beendet und der letzte Gesang gesungen war, verließ niemand die Kirche, der Pfarrer aber stieg auf die Kanzel, um dem Grafen eine Dankesrede zu halten. Aber so weit sollte es denn doch nicht kommen! Denn die Tür öffnete sich plötzlich, und die alten Heiligen kamen wieder herein, triefend vom Wasser des Löfsees, beschmutzt von grünem Schlamm und braunem Morast. Sie hatten wohl gehört, daß hier dem eine Lobrede gehalten werden sollte, der sie aus Gottes heiligem Haus vertrieben und sie in die kalten, auflösenden Wogen versenkt hatte. Die alten Heiligen wollten auch ein Wort mit zu reden haben. Sie lieben das einförmige Plätschern der Wellen nicht. Sie sind an Gebete und frommen Gesang gewöhnt. Sie schwiegen und fanden sich in alles, solange sie glaubten, daß es zu Gottes Ehre geschähe. Aber das war nicht der Fall. Hier sitzt Graf Dohna, umgeben von Ruhm und Ehren, oben im Chor und will in Gottes Haus angebetet und gepriesen werden. Das können sie nicht zugeben. Deswegen sind sie aus ihrem feuchten Grab heraufgestiegen und kommen in die Kirche gewandert, und die ganze Gemeinde erkennt sie wieder. Dort geht St. Olaf mit der Krone über dem Helm und St. Erich mit den goldenen Blumen auf dem Mantel und der graue St. Jürgen und St. Kristoffer. Mehr sind es nicht; die Königin von Saba und Judith sind nicht mitgekommen. Als aber die Leute sich ein wenig von ihrem Staunen erholt haben, geht ein hörbares Flüstern durch die Kirche: »Die Kavaliere!« Freilich sind es die Kavaliere. Und sie gehen, ohne ein Wort zu sagen, direkt auf den Grafen zu, heben seinen Stuhl auf ihre Schultern, tragen ihn zur Kirche hinaus und setzen ihn auf dem Kirchenhügel nieder. Sie sagen nichts und schauen weder nach rechts noch nach links. Sie tragen ganz einfach Graf Dohna aus dem Gotteshause heraus, und als das geschehen ist, gehen sie wieder, den nächsten Weg nach dem See einschlagend. Niemand hielt sie auf und niemand gab sich damit ab, über ihre Absicht nachzugrübeln -- die lag klar auf der Hand. »Wir Kavaliere von Ekeby haben unsere eigene Ansicht. Graf Dohna verdient es nicht, im Gotteshause gepriesen zu werden, deshalb tragen wir ihn hinaus. Jetzt mag ihn hereinholen, wer da will.« Aber er wurde nicht wieder hereingeholt. Die Lobrede des Pfarrers wurde niemals gehalten. Die Gemeinde strömte zur Kirche hinaus. Da war niemand, der nicht gefunden hätte, daß die Kavaliere richtig gehandelt hatten. Sie dachten an die fröhliche junge Gräfin, die sie auf Borg so grausam gequält hatten. Sie dachten an sie, die so gut gegen die Armen gewesen, die so schön zu schauen war, daß es schon einen Trost gewährte, sie nur anzusehen. Wohl war es sündhaft, in einem solchen Aufzug in die Kirche zu kommen, aber sowohl der Pfarrer als auch die Gemeinde fühlten, daß sie im Begriff gestanden hatten, noch ärgeren Spott mit dem lieben Gott zu treiben. Und sie standen den verwilderten alten Tollköpfen gegenüber ganz beschämt da. »Wenn die Menschen schweigen, müssen die Steine reden«, sagten sie. Aber nach jenem Tage konnte Graf Henrik es gar nicht mehr auf Borg aushalten. In einer finsteren Nacht zu Anfang August hielt eine geschlossene Kutsche vor der großen Freitreppe. Alle Dienstboten stellten sich ringsumher auf, und in Schals gehüllt, einen dichten Schleier vor dem Gesicht, kam Gräfin Märta heraus. Der Graf führte sie, aber sie zitterte und bebte. Nur mit der größten Schwierigkeit konnte man sie bewegen, über die Diele und die Treppe hinabzugehen. Und dann saß sie glücklich im Wagen, der Graf sprang hinter ihr hinein, die Türen wurden zugeschlagen, und der Kutscher trieb die Pferde an. Als die Elstern am nächsten Morgen erwachten, war sie auf und davon. Der Graf lebte seither fern im Süden. Borg wurde verkauft und hat häufig den Besitzer gewechselt. Alle müssen das schöne Stück Erde lieben, aber wohl nur wenige sind dort glücklich gewesen. Gottes Gesandter Gottes Gesandter, Hauptmann Lennart, kam an einem Nachmittag im August in den Brobyer Gasthof gewandert und ging geradeswegs in die Küche. Er befand sich auf dem Wege nach seinem Heim Helgesäter, das eine Viertelmeile nördlich von Broby hart am Waldesrande liegt. Hauptmann Lennart wußte damals noch nicht, daß er ein Gesandter Gottes hier auf Erden werden sollte. Sein Herz war von jubelnder Freude erfüllt bei dem Gedanken, daß er sein Heim wiedersehen sollte. Er hatte ein hartes Schicksal durchgekämpft, aber nun war er daheim, nun sollte alles wieder gut werden. Er wußte nicht, daß er einer von denen werden sollte, die nicht unter eigenem Dache ruhen, die sich nicht am eigenen Herde wärmen dürfen. Hauptmann Lennart hatte einen fröhlichen Sinn. Als er niemand in der Küche traf, wirtschaftete er dort herum wie ein wilder Bube. Im Handumdrehen verstellte er den Webstuhl und brachte die Schnur des Spinnrades in Unordnung. Er warf die Katze dem Hund an den Kopf und lachte, daß es durch das ganze Haus schallte, als die beiden Kameraden in der Hitze des Augenblicks die alte Freundschaft brachen und mit gekrümmten Krallen, mit wütenden Blicken und borstigem Haar aufeinander losfuhren. Und dann kam, vom Lärm herbeigelockt, die Wirtin herein. Sie blieb auf der Türschwelle stehen und betrachtete den Mann, der über die kämpfenden Tiere lachte. Sie kannte ihn wohl, als sie ihn aber zuletzt sah, hatte er mit Handeisen auf dem Gefängniskarren gesessen. Sie entsann sich dessen sehr wohl. Vor fünf und einem halben Jahr hatte ein Dieb auf dem Wintermarkt in Karlstad alle die Schmucksachen der Frau des Landeshauptmanns gestohlen. Viele Ringe, Armbänder und Spangen, auf die die vornehme Frau große Stücke hielt -- denn es waren alles Geschenke und Erbstücke --, waren verloren gegangen. Sie wurden niemals gefunden. Aber im ganzen Lande verbreitete sich das Gerücht, daß Hauptmann Lennart auf Helgesäter der Dieb sei. Die Bäuerin hatte niemals begreifen können, wie ein solches Gerücht entstehen konnte. War denn dieser Hauptmann Lennart nicht ein guter, ehrenhafter Mann? Er hatte in glücklicher Ehe mit seiner Frau gelebt, die er erst vor ein paar Jahren heimgeführt hatte; denn seine Mittel hatten es ihm erst spät erlaubt, sich zu verheiraten. Hatte er jetzt nicht sein gutes Auskommen durch sein Gehalt und seine Amtswohnung? Was sollte wohl einen solchen Mann dazu verleiten, Armbänder und Ringe zu stehlen? Und noch wunderbarer erschien es ihr, daß ein solches Gerücht Glauben finden und so klar bewiesen werden konnte, daß Hauptmann Lennart seinen Abschied bekam, seinen Orden verlor und zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde. Er hatte selber gesagt, er sei auf dem Markt gewesen, sei aber von dort heimgekehrt, ehe er von dem Diebstahl gehört habe. Auf der Landstraße habe er eine häßliche, alte Spange gefunden, die er mitgenommen und seinen Kindern geschenkt habe. Aber diese Spange war von Gold und gehörte zu den gestohlenen Sachen; und das wurde sein Unglück. Aber im Grunde war Sintram an allem schuld gewesen. Der böse Mann hatte den Ankläger gespielt und ein Zeugnis abgegeben, das ihn gefällt hatte. Es schien für ihn ganz notwendig gewesen zu sein, Hauptmann Lennart aus dem Wege zu schaffen, denn bald darauf wurde eine gerichtliche Verhandlung gegen ihn selber eingeleitet, weil man entdeckte, daß er den Norwegern in dem Kriegsjahre 1814 Pulver verkauft hatte. Man glaubte allgemein, daß er Hauptmann Lennart als Zeugen gefürchtet habe. Jetzt wurde er wegen mangelnder Beweise freigesprochen. Die Wirtin konnte sich nicht satt sehen an dem Manne. Sein Haar war grau geworden und sein Rücken gebeugt -- er hatte sicher harte Tage durchgemacht. Aber sein freundliches Gesicht und seine gute Laune hatte er noch. Er war noch derselbe Hauptmann Lennart, der sie als Braut an den Altar geführt und auf ihrer Hochzeit getanzt hatte. Noch immer blieb er am Wege stehen, um mit jedem Menschen zu reden, der ihm begegnete, um jedem Kinde eine Münze zuzuwerfen; er würde noch jedem alten, runzeligen Weibe sagen, daß sie mit jedem Tage jünger und schöner werde, er konnte sich noch sehr wohl auf eine Tonne stellen und den Leuten aufspielen, die um einen Maibaum tanzten. Ach Gott, ja! »Nun, Mutter Karin,« begann er, »mag Sie mich denn nicht einmal ansehen?« Er war eigentlich eingekehrt, um zu hören, wie es den Seinen daheim ergehe, ob sie ihn erwarteten. Sie mußten ja wissen, daß er seine Strafe ungefähr um diese Zeit verbüßt hatte. Die Wirtin hatte nur Gutes zu berichten. Seine Frau sei so tüchtig gewesen wie ein Mann. Sie habe die Amtswohnung von dem neuen Inhaber gepachtet, und alles sei ihr wohl gelungen. Die Kinder seien munter, es wäre ein Vergnügen, sie anzusehen. Und natürlich erwarteten sie ihn. Die Frau des Hauptmanns war eine strenge Frau, die niemals über das sprach, was sie dachte; so viel aber wußte die Wirtin, daß niemand mit Hauptmann Lennarts Löffel hatte essen oder in seinem Stuhl hatte sitzen dürfen, während er fort war. Jetzt im Frühling war kein Tag vergangen, wo sie nicht auf den höchsten der Brobyer Hügel gegangen war und den Weg hinabgeschaut hatte, ob er wohl nicht kam. Und neue Kleider hatte sie für ihn bereit, eigengemachte Kleider, die sie fast ausschließlich allein angefertigt hatte. An alledem konnte man doch sehen, daß er erwartet wurde, selbst wenn sie nichts sagte. »Sie glauben es doch nicht?« fragte Hauptmann Lennart. »Nein, Herr Hauptmann,« erwiderte die Bauernfrau, »niemand glaubt es!« Da hielt es Hauptmann Lennart nicht länger im Zimmer, da wollte er heim. Draußen traf er ganz zufällig gute, alte Freunde. Die Kavaliere von Ekeby waren gerade in den Gasthof gekommen. Sintram hatte sie dahin eingeladen, um seinen Geburtstag zu feiern. Und die Kavaliere besannen sich keinen Augenblick, die Hand des Strafgefangenen zu drücken und ihn wieder willkommen zu heißen. Dasselbe tat auch Sintram. »Lieber Lennart,« sagte er, »sei du fest überzeugt, daß Gott einen Zweck dabei gehabt hat.« »Du Schurke!« rief Lennart. »Glaubst du etwa, ich wüßte es nicht, daß es nicht der liebe Gott gewesen, der dich vom Richtblock befreit hat?« Die andern lachten, Sintram aber wurde ganz und gar nicht böse. Er hatte gar nichts dagegen, daß man Anspielungen darauf machte, daß er mit dem Bösen im Bunde stand. Und dann überredeten sie Hauptmann Lennart, wieder mit hineinzukommen und einen Willkommsbecher zu trinken; dann könne er ja gleich weitergehen. Aber es erging ihm übel. Er hatte seit fünf Jahren nicht das geringste von diesen heimtückischen Waren genossen. Er hatte vielleicht den ganzen Tag nichts gegessen und war erschöpft von der langen Wanderung. Infolgedessen machten ihn ein paar Gläser ganz umnebelt. Als die Kavaliere ihn erst so weit hatten, daß er nicht mehr recht wußte, was er tat, zwangen sie ihm ein Glas nach dem andern auf. Sie meinten nichts Böses damit, es war nur Wohlwollen gegen ihn, der seit fünf Jahren nichts dergleichen gekostet hatte. Sonst war er der nüchternste Mann, den man sich nur denken konnte. Man kann ja auch begreifen, daß er nicht die Absicht hatte, sich zu betrinken -- er wollte ja nach Hause zu Frau und Kindern. Stattdessen aber blieb er auf der Bank im Schenkzimmer liegen und schlief ein. Wie er nun so verführerisch bewußtlos dalag, nahm Gösta eine Kohle und ein wenig Kronsbeerensaft und malte ihn damit an. Er gab ihm ein echtes Verbrechergesicht; er meinte, das passe gut für ihn, da er doch soeben aus dem Gefängnis kam. Er gab ihm ein »blaues« Auge, zog ihm eine rote Narbe über die Nase, zog das Haar in zusammengekletteten Büscheln in die Stirn hinein und schwärzte ihm das ganze Gesicht mit Ruß. Sie lachten eine Weile darüber, dann wollte Gösta es abwaschen. »Ach nein, laß es!« sagte Sintram, »dann kann er es sehen, wenn er erwacht. Es wird ihn amüsieren.« Und so blieb es, wie es war, und die Kavaliere dachten nicht mehr an den Hauptmann. Das Trinkgelage währte die ganze Nacht. Bei Tagesgrauen brachen sie auf. Da war zweifelsohne mehr Wein als Verstand in ihren Köpfen. Jetzt trat die Frage an sie heran, was sie mit Hauptmann Lennart anfangen sollten. »Wir fahren ihn nach Hause«, sagte Sintram. »Denkt doch, wie seine Frau sich freuen wird. Es wird ein Genuß, ihre Freude zu sehen. Ich werde ganz gerührt, wenn ich nur daran denke. Laßt uns ihn nach Hause fahren.« Sie wurden alle ganz gerührt bei dem Gedanken. Großer Gott, wie sie sich freuen würde, die gestrenge Frau auf Helgesäter! Sie rüttelten Hauptmann Lennart, bis er erwachte, und setzten ihn auf einen der Wagen, die die müden Stallknechte schon längst vorgefahren hatten. Und dann zog die ganze Schar nach Helgesäter; einige schliefen halb und waren nahe daran, vom Wagen zu fallen, andere sangen, um sich wach zu erhalten. Sie sahen alle miteinander nicht viel besser aus als Landstreicher mit ihren schlaffen, geschwollenen Gesichtern. Sie kamen indessen an ihren Bestimmungsort, ließen Pferde und Wagen im Hinterhof halten und stiegen mit einer gewissen Feierlichkeit die Treppe hinan. Beerencreutz und Julius führten den Hauptmann zwischen sich. »Erwache jetzt, Lennart,« sagten sie zu ihm, »du bist jetzt zu Hause. Siehst du denn nicht, daß du zu Hause bist?« Er riß die Augen auf und wurde beinahe nüchtern. Er war ganz gerührt, daß sie ihm das Geleite gegeben hatten. »Meine Freunde!« sagte er stehenbleibend, um zu ihnen allen auf einmal zu reden. »Ich habe Gott gefragt, weshalb ich so viel Böses habe erleiden müssen.« »Ach schweig, Lennart,« sagte Beerencreutz, »behalte deine Predigten für dich.« »Laß ihn nur reden,« sagte Sintram, »er spricht ganz gut.« »Ich habe ihn gefragt und habe es nicht verstanden; jetzt aber verstehe ich es ganz gut. Er wollte mir zeigen, was für Freunde ich habe. Freunde, die mich heimgeleiten, um meine und meiner Gattin Freude zu sehen. Denn meine Gattin erwartet mich. Was sind fünf Jahre des Elends hiergegen?« Jetzt donnerten harte Fäuste an die Tür. Die Kavaliere hatten keine Zeit, mehr zu hören. Drinnen entstand Bewegung. Die Mägde erwachten und sahen hinaus. Sie warfen schnell einige Kleider über, wagten es aber nicht, dieser Schar von Männern zu öffnen. Endlich wurden die Riegel zurückgeschoben. Frau Lennart selber trat heraus. »Was wollt ihr?« fragte sie. Beerencreutz antwortete: »Wir bringen dir deinen Mann.« Sie schoben Hauptmann Lennart vor, und sie sah ihn auf sich zu schwanken, betrunken, mit einem Verbrechergesicht. Und hinter ihm erblickte sie die ganze Schar betrunkener, schwankender Männer. Sie ging einen Schritt zurück, er folgte ihr mit ausgebreiteten Armen. »Du gingst als Dieb«, rief sie aus, »und als Landstreicher kommst du zurück!« Damit wollte sie ins Haus gehen. Er verstand sie nicht. Er wollte ihr folgen, da versetzte sie ihm einen Stoß vor die Brust. »Glaubst du, daß ich gesonnen bin, so einen wie dich als Herrn über mein Haus und über meine Kinder aufzunehmen?« fragte sie. Die Tür fiel ins Schloß und der Riegel wurde vorgeschoben. Hauptmann Lennart stürzte auf die Tür zu und fing an, daran zu rütteln. Da konnten die Kavaliere sich des Lachens nicht enthalten. Er war seiner Gattin so sicher gewesen, und nun wollte sie nichts von ihm wissen. Das fanden sie ergötzlich. Als Hauptmann Lennart hörte, daß sie lachten, fuhr er auf sie ein und wollte sie schlagen. Sie liefen davon und sprangen auf ihre Wagen. Er hinterdrein, aber in seinem Eifer strauchelte er über einen Stein und fiel. Er stand wieder auf, verfolgte sie aber nicht weiter. In seiner Verwirrung zuckte ihm ein Gedanke durch den Kopf: In dieser Welt geschieht nichts ohne den Willen Gottes, nicht das geringste. »Wohin willst du mich führen?« fragte er. »Ich bin eine Feder, die vor deinem Atemhauch dahinfliegt. Ich bin dein Spielball. Wohin willst du mich führen? Weshalb verschließt du mir die Tür zu meinem Heim?« Er wanderte fort von seinem Hause in dem Glauben, daß dies Gottes Wille sei. Als die Sonne aufging, stand er oben auf den Brobyer Hügeln und schaute ins Tal hinab. Ach, die Bevölkerung des Tals wußte damals nicht, daß ihr Erretter nahe war. Da war kein Armer, kein Betrübter, der Kränze gewunden und sie über die Tür zu seiner Hütte gehängt hatte. Es waren keine Blätter von duftendem Lavendel und Feldblumen auf die Schwelle gelegt, die er betreten sollte. Die Mütter nahmen nicht ihre Kinder auf die Arme, um ihn ihnen zu zeigen, wenn er kam. Das Innere der Hütten stand nicht fein und geputzt da, der schwarze Feuerherd von duftenden Wacholderzweigen verborgen. Die Männer arbeiteten nicht mit rastlosem Eifer auf dem Felde, damit die wohlgepflegten Äcker und die gut gegrabenen Gräben sein Auge erfreuen sollten. Ach, von dort aus, wo er stand, sah sein bekümmerter Blick, wie die Dürre die Gegend verwüstet hatte, wie versengt die Saaten waren, wie die Bevölkerung es kaum der Mühe wert hielt, die Erde für die Saat des neuen Jahres vorzubereiten. Er sah zu den blauen Bergen auf, und die Morgensonne zeigte ihm die braunen, verdorrten Stellen, wo der Waldbrand gerast hatte. Er beschaute die Birken am Wegesrande, die waren vor Dürre fast eingegangen. Er konnte es an verschiedenen kleinen Anzeichen merken -- an dem Geruch der Mast, wenn er an einem Hofe vorüberkam, an den Zäunen, die umgefallen waren, an der geringen Menge Brennholz, die nach Hause gefahren und zerkleinert war, -- daß die Leute sich nicht um ihre Sachen bekümmerten, daß die Not gekommen war, daß die Menschen ihren Trost in Gleichgültigkeit und im Branntwein suchten. Aber vielleicht war es gut für ihn, daß er sah, was er sah. Denn ihm war es nicht vergönnt, die Saat auf seinem eigenen Acker grünen und keimen zu sehen, es war ihm nicht vergönnt, an seinem eigenen Herd zu sitzen und zu sehen, wie die glühenden Kohlen erloschen, auch nicht zu fühlen, wie sich die weichen Hände seiner Kinder in seine eigenen legten, oder eine fromme Gattin an seiner Seite zu haben. Vielleicht war es gut für ihn, dessen Sinn von schwerem Kummer belastet war, daß es andere gab, denen er Trost in ihrer Armut schenken konnte. Vielleicht war es gut für ihn, daß diese Zeit eine so bittere Zeit war, wo die Kargheit der Natur Armut über die kleinen Leute gebracht hatte, wo manch einer, der glücklicher gestellt war, das Seine tat, um sie zu verderben. Denn nicht umsonst hatte der Pfarrer von Broby als begehrlicher Geizhals unter seinen Gemeindegliedern gesessen, statt ihnen ein rechter Hirte zu sein; nicht umsonst hatten die Kavaliere in Verschwendung und Trunkenheit regiert, nicht umsonst hatte Sintram ihnen den wilden Glauben beigebracht, daß Zerstörung und Tod über sie alle hereinbrechen werde. Hauptmann Lennart stand dort auf dem Brobyer Hügel und mußte unwillkürlich denken, daß Gott seiner vielleicht bedürfe. Er ward auch nicht von einer reuigen Gattin heimgerufen. Es muß noch erwähnt werden, daß die Kavaliere später gar nicht begreifen konnten, daß sie die Schuld an Frau Lennarts hartem Benehmen trugen. Sintram sagte nichts. In der Gegend wurden viele mißbilligende Worte über die Gattin laut, die zu stolz gewesen war, um einen so guten Mann aufzunehmen. Man erzählte, daß sie jeden kurz unterbrach, der den Versuch machte, mit ihr von ihrem Gatten zu reden. Sie konnte es nicht ertragen, daß sein Name genannt wurde. Hauptmann Lennart aber tat nichts, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Es war einen Tag später. Ein alter Bauer in Högberg liegt auf dem Totenbette. Er hat das Sakrament empfangen und seine Lebenskraft ist verzehrt; er muß sterben. Rastlos wie jemand, der im Begriff steht, eine lange Reise anzutreten, läßt er sein Bett aus der Küche in die Stube und aus der Stube wieder zurück in die Küche bringen. Hieraus kann man, mehr als aus seinem schweren Röcheln, erkennen, daß seine letzte Stunde gekommen ist. Um ihn herum stehen seine Frau, seine Kinder, sein Gesinde. Er war glücklich, reich und angesehen gewesen Sein Totenbett ist nicht einsam. Er ist in seiner letzten Stunde nicht von ungeduldigen Fremden umgeben. Der alte Mann spricht von sich immer selber, als stehe er vor Gottes Angesicht, und mit vielen Seufzern und bestätigenden Worten bezeugen die Umstehenden, daß seine Rede wahr ist. »Ich bin ein fleißiger Arbeiter und ein guter Hausherr gewesen«, sagte er. »Ich habe meine Frau geliebt wie meine rechte Hand. Ich habe meine Kinder nicht ohne Zucht und Pflege aufwachsen lassen. Ich habe nicht getrunken. Ich habe die Grenzscheide nicht verrückt. Ich habe meinem Pferd, wenn es bergan ging, nicht die Sporen gegeben, ich habe die Kühe im Winter nicht hungern lassen. Ich habe die Schafe im Sommer nicht mit ihrer Wolle herumlaufen lassen.« Und um ihn her wiederholt das weinende Gesinde wie ein Echo: »Er ist ein guter Hausherr gewesen, ach, Herr Gott! Er hat dem Pferd, wenn es bergan ging, nicht die Sporen gegeben, er hat die Kühe im Winter nicht hungern lassen.« Aber ganz unbemerkt ist ein armer Mann zur Tür hereingekommen, um ein wenig Speise und Trank zu erbitten. Auch er hört die Worte des Sterbenden, wie er schweigend an der Tür steht. Und der Kranke beginnt wieder: »Ich habe die Wälder urbar gemacht und die Wiesen ausgetrocknet. Ich habe den Pflug in geraden Furchen gezogen. Ich habe die Scheune dreimal so groß gebaut, zu dreimal mehr Saatkorn als zu meiner Väter Zeiten. Ich habe drei silberne Becher von blanken Speziestalern machen lassen -- mein Vater ließ nur einen machen.« Die Worte des Sterbenden dringen bis an das Ohr des Fremdlings an der Tür. Er hört ihn von sich selber zeugen, als stünde er vor Gottes Thron. Er hört die Kinder und das Gesinde bestätigend wiederholen: »Er fuhr den Pflug in geraden Furchen, das tat er.« »Gott wird mir schon einen guten Platz in seinem Himmelreich geben«, sagt der Alte. »Der liebe Gott wird unsern Herrn wohl gut aufnehmen«, sagt das Gesinde. Der Mann an der Tür hört die Worte, und Entsetzen ergreift ihn, der fünf lange Jahre hindurch Gottes Spielball gewesen ist, eine Feder, die von seinem Atemhauch bewegt wird. Er tritt an den Kranken heran und ergreift seine Hand. »Mein Freund, mein Freund,« sagt er, und seine Stimme zittert vor Erregung, »hast du bedacht, wer der Herr ist, vor dessen Antlitz du bald treten sollst? Er ist ein großer Gott, ein mächtiger Gott. Welten sind seine Äcker, der Sturm ist sein Pferd. Große Himmel erzittern unter dem Gewicht seiner Fußtritte. Und du stellst dich ihm gegenüber und sagst: 'Ich habe gerade Furchen gezogen, ich habe Roggen gesät, ich habe Holz geschlagen.' Willst du dich vor ihm rühmen und dich mit ihm messen? Du weißt nicht, wie mächtig der Herr ist, nach dessen Reich du ziehst!« Der Alte reißt die Augen auf, sein Antlitz verzerrt sich vor Angst, sein Röcheln wird heftiger. »Tritt nicht mit großen Worten vor deinen Gott!« fährt der Wandersmann fort. »Die Mächtigen auf Erden sind wie gedroschenes Stroh in seiner Scheune. Sein Tagewerk besteht darin, Samen zu säen. Er hat die Meere gegraben und die Berge aufgetürmt; er hat die Erde mit Kräutern bekleidet. Er ist ein Arbeiter ohnegleichen; du kannst dich nicht mit ihm messen. Beuge dich vor ihm, du fliehende Menschenseele! Wirf dich in den Staub vor deinen Herrn und Gott! Gottes Sturm fährt über dich hin. Gottes Zorn ist über dir wie ein verheerendes Gewitter. Beuge dich! Erfasse wie ein Kind den Zipfel seines Mantels und flehe um Schutz! Wälze dich im Staube, bitte um Gnade! Demütige dich vor deinem Schöpfer, du Menschenseele!« Die Augen des Kranken stehen weit geöffnet, seine Hände falten sich, aber sein Antlitz erhellt sich, und der röchelnde Laut hält inne. »Menschenseele! fliehende Menschenseele!« ruft der Mann aus. »So sicher, wie du dich jetzt in deiner letzten Stunde demütig vor deinem Gott niedergeworfen hast, so sicher ist es, daß er dich als Kind auf seine Arme nehmen und dich in die Herrlichkeit seines Himmels einführen wird.« Der Alte seufzt noch einmal tief auf, und alles ist vorbei. Hauptmann Lennart beugt sein Haupt und betet. Alle im Zimmer beten unter tiefen Seufzern. Als sie aufschauen, liegt der alte Bauer in tiefem Frieden. Seine Augen scheinen noch zu strahlen von dem Widerschein herrlicher Bilder, sein Mund lächelt, sein Antlitz leuchtet. Er hat Gott geschaut. O du große, schöne Menschenseele! denken alle, die ihn gesehen haben, so hast du denn die Banden des Staubes zerrissen. In deiner letzten Stunde erhobest du dich zu deinem Schöpfer. Du demütigtest dich vor ihm, und er hob dich wie ein Kind auf seine Arme. »Er hat Gott geschaut«, sagt der Sohn und drückt dem Toten die Augen zu. »Er sah den Himmel offen«, schluchzen die Kinder und das Gesinde. Die alte Mutter legt ihre zitternde Hand in Hauptmann Lennarts Rechte: »Herr Hauptmann, Ihr habt ihn über das Schlimmste hinweggeholfen.« Er steht stumm da. Ihm ist die Gabe der starken Worte und der großen Handlungen gegeben. Er weiß nicht wie. Er zittert wie ein Schmetterling am Rande der Puppe, während seine Flügel sich im Sonnenschein entfalten und strahlen wie die Sonne selber. * * * * * Dieser Augenblick trieb Hauptmann Lennart unter die Leute hinaus. Sonst wäre er wohl nach Hause gegangen und hätte seiner Frau sein wahres Gesicht gezeigt, aber von diesem Augenblick an glaubte er, daß Gott seiner bedürfe. So wurde er denn Gottes Gesandter, der den Armen zu Hilfe kam. Die Not war groß zu jener Zeit, und da war viel Elend, dem Klugheit und guter Wille steuern konnten, besser als Gold und Macht es vermocht hätten. Hauptmann Lennart kam eines Tages zu den armen Bauern, die in der Gegend um den Gurlitaberg wohnten. Unter ihnen war die Not groß; sie hatten keine Kartoffeln mehr, und sie konnten keinen Roggen auf den versengten Feldern säen, denn es fehlte ihnen an Saatkorn. Da nahm Hauptmann Lennart ein kleines Boot und ruderte geradeswegs über den See und bat Sintram, ihnen Roggen und Kartoffeln zu geben. Sintram nahm ihn gut auf: er führte ihn auf die großen, wohlversehenen Kornböden und hinab in die Keller, wo noch Kartoffeln von der vorjährigen Ernte lagen, und ließ ihn alle die Säcke und Beutel füllen, die er mitgebracht hatte. Als aber Sintram das kleine Boot sah, meinte er, daß es für die große Last viel zu klein sei. Der böse Mann ließ die Säcke in eins seiner großen Boote tragen und es von seinem Knecht, dem starken Måns, über den See rudern. Hauptmann Lennart brauchte nur acht auf sein kleines Boot zu geben. Der starke Måns segelte aber doch an ihm vorbei, denn er war ein Meister im Rudern und gewaltig stark. Hauptmann Lennart sitzt auch da und träumt, während er über den schönen See rudert: er denkt an das wunderliche Schicksal der kleinen Saatkörner. Jetzt sollen sie auf den schwarzen Erdboden geworfen werden, der voller Asche ist, zwischen Steine und Baumstümpfe, aber sie werden schon wachsen und Wurzeln schlagen in der Wildnis! Er denkt an die weichen, lichtgrünen Halme, die die Erde bedecken werden, und er beugt sich in Gedanken herab und streichelt mit der Hand liebkosend darüber hin. Und dann denkt er, wie der Herbst und der Winter hingehen werden über diese armen Kleinen, die so spät aus der Erde emporgekommen sind, und wie sie doch frisch und mutig sein werden, wenn der Frühling kommt, und sie allen Ernstes wachsen sollen. Da freut sich sein altes Kriegerherz bei dem Gedanken an die steifen Strohhalme, die so rank und mehrere Ellen hoch mit spitzen Ähren dastehen werden. Die Ähren werden mit ihren kleinen Federbüschen fächeln, der Samenstaub aus den Staubgefäßen wird bis oben hinauf in die Baumwipfel fliegen, und dann, unter sichtlichem Kampf und Angst, werden die Ähren mit süßen, weichen Körnern gefüllt werden. Und später, wenn die Sense kommt und die Halme fallen, und wenn der Dreschflegel klappernd darüber hinfährt, wenn die Mühle die Körner zu Mehl zermahlt, und das Mehl zu Brot verbacken wird, wie viel Hunger wird da nicht durch die Saatkörner vor ihm im Boot gestillt werden! Sintrams Knecht legte an der Landungsbrücke der Gurlitabauern an, und viele hungrige Menschen kamen an das Boot hinab. Da sagte der Knecht, wie sein Herr ihm befohlen hatte: »Herr Sintram sendet euch hier Malz und Korn. Er hat gehört, daß es euch an Branntwein gebricht.« Da wurden die Menschen wie toll. Sie stürzten in das Boot hinab und sprangen ins Wasser, um sich der Säcke und Beutel zu bemächtigen. Aber das war keineswegs Hauptmann Lennarts Absicht gewesen. Er war jetzt auch gelandet, und er ward zornig, als er die Übereiltheit der Bauern sah. Er wollte die Kartoffeln als Nahrungsmittel und den Roggen zur Aussaat verteilen; er hatte gar nicht daran gedacht, um Malz zu bitten. Er rief ihnen zu, die Säcke liegen zu lassen, sie aber gehorchten ihm nicht. »So möge euch denn der Roggen zu Sand und die Kartoffeln zu Stein in euren Hälsen werden!« rief er, denn er war sehr erbittert, daß sie ihm das Korn wegrissen. Im selben Augenblick sah es aus, als wenn Hauptmann Lennart ein Wunder getan habe. Zwei Frauen, die sich um einen Beutel zankten, rissen ein Loch hinein und bekamen nichts als Sand. Die Männer, die die Kartoffelsäcke trugen, merkten, daß sie so schwer waren, als seien sie mit Steinen gefüllt. Es war alles Sand und Steine, nichts als Sand und Steine. Die Leute standen in stillem Entsetzen über diesen Mann Gottes, der zu ihnen gekommen war. Hauptmann Lennart selber stand einen Augenblick starr vor Staunen da. Der starke Måns aber lachte. »Rudere du heim, Mann,« sagte Hauptmann Lennart, »ehe den Bauern klar wird, daß niemals etwas anderes als Sand in den Säcken gewesen ist, sonst fürchte ich, daß sie dein Boot in den Grund bohren.« »Ich bin nicht bange«, sagte der Knecht. »Rudere aber doch nur lieber nach Hause«, sagte Hauptmann Lennart in so bestimmtem Ton, daß er es tat. Und dann erzählte Hauptmann Lennart den Bauern, daß Sintram sie angeführt habe, wie es sich nun aber verhalten mochte, so wollten sie doch nicht anders glauben, als daß ein Wunder geschehen war. Das Gerücht hierüber verbreitete sich bald, und da die Vorliebe des gewöhnlichen Mannes für das Wunderbare groß ist, so entstand allgemein der Glaube, daß Hauptmann Lennart Wunder tun könne. Dadurch erhielt er eine große Macht über die Bauern, und sie nannten ihn den Gesandten Gottes. Der Kirchhof Es war an einem schönen Abend im August. Der Löfsee lag klar da wie ein Spiegel, Sonnennebel hüllte die Erde ein, die Abendküste senkte sich herab. Beerencreutz, der Oberst mit dem dicken weißen Schnurrbart, untersetzt, stark wie ein Riese und mit den Rabougekarten in der hinteren Rocktasche, kam an den See hinabgegangen und setzte sich in ein flaches Boot. Major Andas Fuchs, sein Waffenbruder, und der kleine Ruster, der Flötenspieler, der bei den Wermländer Jägern Trommelschläger gewesen und viele Jahre lang dem Obersten als sein Freund und Diener gefolgt war, befanden sich in seiner Gesellschaft. Am jenseitigen Ufer des Sees liegt der Kirchhof. Der vernachlässigte Svartsjöer Kirchhof ist nur spärlich geschmückt mit schiefen, wackelnden, eisernen Kreuzen; voll von Hügeln liegt er da wie eine umgepflügte Wiese, mit Riedgras bewachsen und mit dem streifigen Gras, das im Munde des Volkes »Menschengras« heißt, um daran zu erinnern, daß das Leben eines jeden Menschen nicht dem des andern gleicht, sondern daß sie verschieden sind wie die Blätter dieser Pflanze. Da sind keine kiesbedeckten Steige, keine schattenspendenden Bäume, außer der großen Linde auf dem vergessenen Grabe des alten Pfarrers. Hoch und traurig umgibt die steinerne Mauer den ärmlichen Fleck. Ärmlich und trostlos ist der Kirchhof. Häßlich wie das Antlitz eines Geizhalses, das durch die Jammerrufe derer verheert ist, dessen Glück er gestohlen hat. Und doch sind sie selig, die hier draußen ruhen, die in geweihter Erde unter geistlichen Liedern und Gebeten hinabgesenkt sind. Acquilon, den Spieler, ihm, der im vergangenen Jahr auf Ekeby starb, mußten sie außerhalb der Mauer begraben. Dieser Mann, der einstmals so stolz und so ritterlich war, der tapfere Krieger, der kühne Jäger, der Spieler, der das Glück gefangenhielt, er hat damit geendet, daß er das Erbteil seiner Kinder durchbrachte, wie auch alles, was er selbst erworben und was seine Frau zusammengespart hatte. Frau und Kinder hatte er vor vielen Jahren verlassen, um das Leben eines Kavaliers auf Ekeby zu führen. Eines Abends im vergangenen Sommer hatte er das Gut verspielt, das ihnen ihren Lebensunterhalt gewährte. Da erschoß er sich -- lieber tot, als seine Schulden bezahlen. Aber die Leiche des Selbstmörders wurde außerhalb der moosbewachsenen Mauer des armseligen Kirchhofes begraben. Nach seinem Tode waren da nur noch zwölf Kavaliere gewesen, nach seinem Tode war keiner wieder hinzugekommen; um den Platz des Dreizehnten einzunehmen, kein anderer als der Schwarze, der am Weihnachtsabend aus dem Schmelzofen herausgekrochen kam. Die Kavaliere hatten sein Schicksal bitterer gefunden als das seines Vorgängers. Sie wußten ja, daß einer von ihnen in jedem Jahr sterben mußte. Es war ja auch nichts Böses dabei, Kavaliere dürfen nicht alt werden. Wenn ihre matten Augen die Karten nicht mehr unterscheiden können, wenn ihre zitternden Hände das Glas nicht mehr heben können, was ist ihnen da das Leben, und was sind sie dem Leben? Aber wie ein Hund an der Kirchhofsmauer zu liegen, wo die Grassoden einen nicht in Ruhe bedecken dürfen, sondern von den weidenden Schafen niedergetreten, vom Spaten und Pflug zerschnitten werden, wo der Wandersmann schnell vorübergeht, ohne seinen eiligen Gang zu hemmen, wo die Kinder spielen, ohne ihr Lachen und ihre Scherze zu dämpfen -- dort zu ruhen, wo die steinerne Mauer den Laut verhindert hineinzudringen, wenn der Engel des Jüngsten Gerichts mit seiner Posaune die Toten da drinnen erweckt -- o, dort zu ruhen! Jetzt rudert Beerencreutz in seinem Boot über den Löfsee. Er zieht zur Abendzeit über den See meiner Träume, an dessen Ufern ich Götter habe wandern sehen und aus dessen Tiefe mein Traumschloß aufsteigt. Er rudert vorüber an den Lagunen der Lag-Insel, wo sich die Tannen von niedrigen, kreisförmigen Sandbänken gerade aus dem Wasser erheben, und wo die Ruinen der zerstörten Seeräuberburg noch auf der steilen Felsklippe der Insel liegen; er rudert unter dem Tannenwald auf der Landzunge von Borg hin, wo die alte Tanne noch an dicken Wurzeln über die Schlucht hängt, dort, wo ein mächtiger Bär einstmals gefangen wurde und wo alte Steinhaufen und Hünengräber von dem Alter des Ortes zeugen. Er rudert rund um die Landzunge herum, steigt gerade vor dem Kirchhof aus dem Boot und geht dann über abgemähte Felder, die dem Grafen auf Borg gehören, bis an Acquilons Grab. Da beugt er sich nieder und streichelt die Grassoden, wie man leise die Decke streichelt, unter der ein kranker Freund ruht. Dann holt er seine Rabougekarten hervor und setzt sich neben das Grab nieder. »Er liegt hier so einsam, Johan Frederick, er sehnt sich gewiß nach einem Spiel Karten.« »Eine Sünde und Schande ist es, daß ein solcher Mann hier draußen liegen soll«, sagt der große Bärenjäger Anders Fuchs und setzt sich neben ihn. Aber der kleine Ruster, der Flötenspieler, dankt mit bewegter Stimme, während die Tränen fleißig aus seinen kleinen roten Augen tropfen. »Nächst Euch, Oberst, nächst Euch war er der beste Mann, den ich gekannt habe.« Das war der kleine Ruster, der Straßenjunge aus Karlstad, der ein großer Tagedieb und Raufbold gewesen war, den aber die Liebe zur Musik ganz wunderbar zivilisiert hatte, so daß er sich zum Gleichgestellten seines Herrn aufschwang. Zwei große Heldentaten hatte er aus seiner Jugend zu berichten. Die eine war die, daß er und Acquilon nach Göteborg hinabgefahren waren und als große Herren gelebt, in den feinsten Hotels gegessen, in den reichsten Häusern verkehrt, mit den schönsten Damen getanzt und jede Nacht um Tausende von Kronen Karten gespielt hatten, und das alles, ohne einen einzigen Öre zu besitzen. Und die andre, daß er einmal als Trommelschläger bei dem Regiment seines lieben Obersten mit dabei gewesen war, einen feindlichen Angriff abzuwehren, da unten in Deutschland. Das halbe Regiment war schon niederschlagen, aber er und der Oberst rührten sich nicht vom Fleck. Da kam ein Adjutant vom Kronprinzen. »Rückzug!« rief er dem Obersten zu. »Grüßt Se. kgl. Hoheit und sagt, daß ich mich bis auf den letzten Mann schlagen und dann mit dem Rest den Rückzug antreten werde«, erwiderte der Oberst, und die Soldaten riefen: »Hurrah!« und der kleine Ruster schlug einen jubelnden Trommelwirbel. Seit jenem Tage waren der Oberst und Ruster immer Freunde gewesen, aber dem Kronprinzen war Beerencreutz seither ein Dorn im Auge, und er hatte seinen Abschied ohne Gnade oder Pension bekommen. Und das kam nun daher, weil er zu tapfer gewesen war, sagte der kleine Ruster. Diese drei würdigen Männer sitzen nun in der Runde um das Grab und geben die Karten, eifrig und ernsthaft. Ich sehe über die Welt hinaus, ich sehe viele Gräber. Dort ruhet der Mächtige, vom Marmorstein beschwert. Der Trauermarsch braust über ihn hin. Fahnen senken sich über das Grab. Ich sehe die Gräber derer, die viel geliebt sind. Tränenbenetzte Blumenkränze ruhen leicht auf dem Rasen über ihnen. Ich sehe vergessene Gräber und vermessene Gräber, Ruhestätten, die lügen, und andre, die nichts sagen. Nie aber habe ich Treffbube einen Bewohner des Grabes zu Gast einladen sehen. »Johan Frederick hat gewonnen,« sagt der Oberst stolz. »Wußte ich es doch. Ich habe ihn spielen gelehrt. Ja, jetzt sind wir tot, wir alle drei, und er ist der einzige, der lebt.« Damit sammelt er die Karten zusammen, erhebt sich und kehrt, von den andern gefolgt, nach Ekeby zurück. Nun muß der Tote doch wohl gespürt haben, daß nicht alle ihn und sein verlassenes Grab vergessen haben. Es ist eine seltsame Huldigung, die verwirrte Herzen denen darbringen, die sie lieben; aber der, der außerhalb der Mauer liegt, dessen toter Körper nicht in geweihter Erde hat Ruhe finden können, er muß sich doch darüber freuen, daß nicht alle ihn verwerfen. Freunde, Menschenkinder, wenn ich sterbe, werde ich wohl mitten auf dem Friedhof in dem Erbbegräbnis meiner Väter ruhen. Ich habe meinen Lieben ihren Lebensunterhalt nicht geraubt, habe auch die Hand nicht gegen mein eigenes Leben erhoben, aber sicherlich habe ich nicht solche Liebe gewonnen, sicherlich wird niemand so viel für mich tun, wie die Kavaliere für diesen Verbrecher taten. Es kommt sicherlich niemand am Abend, wenn die Sonne untergeht und wenn es traurig und einsam im Garten der Toten wird, um die bunten Karten zwischen meine knochigen Finger zu legen. Es kommt nicht einmal jemand -- und das würde ich noch lieber sehen, denn die Karten locken mich nur wenig -- mit Violine und Bogen an mein Grab, damit mein Geist, der unter dem Rasen in moderndem Staub umherwankt, sich auf den Strömen der Töne wiegen kann, wie sich ein Schwan auf glitzernden Wellen wiegt. Alte Lieder Marianne Sinclaire saß an einem stillen Nachmittag zu Ende August in ihrem Zimmer und ordnete ihre Briefe und andere Papiere. Alles lag und stand um sie her. Große lederne Reisetaschen und eisenbeschlagene Wagenladen waren ins Zimmer gezogen. Ihre Kleider waren über Stühle und Sofas gebreitet. Aus Bodenkammern und aus den Schränken und aus den gebeizten Truhen war alles hervorgeholt, Seide und feine Leinwand schimmerte, Schmucksachen waren herausgelegt, um geputzt zu werden, Schals und Pelzwerk sollten ausgesucht und nachgesehen werden. Marianne stand im Begriff, sich zu einer langen Reise zu rüsten. Es war ungewiß, ob sie jemals wieder heimkehren würde. Sie stand an einem Wendepunkt in ihrem Leben und verbrannte deswegen eine Menge alter Briefe und Tagebücher. Die Erinnerung an die Vergangenheit sollte sie nicht beschweren. Wie sie so dasitzt, fällt ihr ein Päckchen alter Lieder in die Hand. Es waren Abschriften von alten Volksliedern, die ihre Mutter ihr vorzusingen pflegte, als sie noch klein war. Sie löste die Schnur, mit der sie zusammengebunden waren, und fing an zu lesen. Sie lächelte wehmütig, als sie eine Weile gelesen hatte; es war eine wundervolle Weisheit, die diese alten Lieder verkündeten: »Glaube nicht dem Glück, glaube nicht den Zeichen des Glücks, glaube nicht den Rosen und den lieblichen Blumen.« »Glaube nicht dem Lachen,« sagten sie. »Siehe, die schöne Jungfer Valborg fährt in roter, goldverzierter Kutsche, und doch ist sie so traurig, als wenn Hufe und Räder über das Glück ihres Lebens dahingehen sollten.« »Glaube nicht dem Tanz,« sagten sie. »Manch ein Fuß gleitet leicht über die gebohnte Diele dahin, während das Herz schwer ist wie Blei. Jung Kirsten trat den Tanz so heiter und froh, während sie ihr junges Leben forttanzte.« »Glaub nicht dem Scherz,« sagten sie. »Mancher geht mit scherzendem Munde zu Tische und würde doch gern sterben, so traurig ist er. Dort sitzt schön Adelin und läßt sich Herzog Frydenborgs Herz in neun Stücken servieren, fest überzeugt, daß dies der Anblick ist, der ihr Kraft verleihen wird, sterben zu können. Ach, ihr armen Lieder, woran soll man glauben? An Tränen und Kummer? Selten seufzt ein frohes Herz, oft aber lacht ein trauriger Mund. An Tränen und Seufzer glauben die alten Lieder, an Kummer und an Zeichen des Kummers. Der Kummer ist der wirkliche, der bestehende, der feste Grundfelsen unter dem losen Sand. An den Kummer kann man glauben und an die Zeichen des Kummers. Aber die Freude ist nichts als Kummer, der sich verstellt. Auf der Welt gibt es eigentlich nichts weiter als Kummer. »Ach, ihr Trostlosen,« sagte Marianne, »wie viel zu kurz kommt nicht eure alte Weisheit gegenüber der Fülle des Lebens!« Sie trat an das Fenster und schaute in den Garten hinaus, wo ihre Eltern lustwandelten. Sie gingen auf den breiten Wegen auf und nieder und sprachen über alles, was ihrem Auge begegnete, über das Gras des Feldes und die Vögel des Himmels. »Siehe,« sagte Marianne, »da geht nun ein Herz und seufzt vor Kummer, obwohl es noch nie zuvor so glücklich gewesen ist.« Und es fiel ihr plötzlich ein, daß schließlich doch wohl alles bei den Menschen selber liege, daß Freude und Kummer nur von ihrer verschiedenen Art und Weise, die Dinge aufzufassen, abhinge. Sie fragte sich selbst, ob es Freude oder Kummer sei, was ihr in dem letzten Jahr widerfahren. Sie wußte es selber kaum. Sie hatte bittere Zeiten durchgemacht. Ihre Seele war krank gewesen; sie war in ihrer tiefen Erniedrigung zu Boden gebeugt. Denn als sie nach Hause zurückgekommen war, hatte sie zu sich selbst gesagt: »Ich will alles Böse vergessen, was mein Vater getan hat.« Aber ihr Herz sprach anders. »Er hat mir einen tödlichen Schmerz verursacht,« sagte es, »er hat mich von dem Geliebten getrennt, er hat mich zur Verzweiflung gebracht, als er die Mutter schlug. Ich wünsche ihm nichts Böses, aber ich fürchte mich vor ihm.« Und sie merkte, daß sie sich zwingen mußte, ruhig sitzenzubleiben, wenn ihr Vater sich neben sie setzte; sie empfand die größte Lust, vor ihm zu entfliehen. Sie versuchte, sich zu ermannen, sie sprach mit ihm wie gewöhnlich und hielt sich fast ausschließlich in seiner Gesellschaft auf. Beherrschen konnte sie sich, aber sie litt unsagbar. Es kam schließlich so weit, daß sie alles an ihm verabscheute: seine starke, grobe Stimme, seinen schwerfälligen Gang, seine großen Hände, seine ganze, gewaltige Riesengestalt. Sie wünschte ihm nichts Böses, sie wollte ihm nicht schaden, aber sie konnte sich ihm nicht nähern, ohne ein Gefühl des Entsetzens und des Abscheus zu empfinden. Ihr unterjochtes Herz rächte sich. »Du ließest mich nicht lieben,« sagte es, »aber ich bin dennoch dein Herr, du wirst noch damit enden, mich zu hassen.« Gewohnt wie sie war, alles zu beobachten, was sich in ihrer Seele rührte, merkte sie sehr wohl, wie dieser Abscheu sich mit jedem Tage steigerte. Gleichzeitig war es ihr, als sei sie für beständig an ihr Heim gebannt. Sie sah ein, daß es am besten sein würde, wenn sie unter Menschen käme, dazu aber konnte sie sich seit ihrer Krankheit gar nicht entschließen. Sie würde niemals Linderung für dies alles finden. Sie würde nur immer unglücklicher werden, und eines schönen Tages würde es mit ihrer Selbstbeherrschung ein Ende haben und sie würde ihrem Vater alles sagen und ihm die ganze Bitterkeit ihres Herzens zu erkennen geben, und dann würde Streit und Unglück entstehen. So waren der Frühling und der erste Teil des Sommers vergangen. Im Juli hatte sie sich mit Baron Adrian verlobt, um ihr eigenes Heim zu haben. Eines schönen Vormittags war Baron Adrian auf einem prächtigen Pferd auf den Hof gesprengt. Seine Husarenjacke hatte in der Sonne geblitzt und gestrahlt, gar nicht zu reden von seinem eigenen frischen Gesicht und seinen strahlenden Augen. Melchior Sinclaire hatte selber auf der Treppe gestanden und ihn in Empfang genommen, als er kam. Marianne hatte am Fenster gesessen und genäht. Sie hatte ihn kommen sehen und hörte nun jedes Wort, das er mit ihrem Vater sprach. »Guten Tag, Ritter Sonnenschein!« rief der Gutsherr. »Du bist ja ganz verteufelt fein! Du solltest doch wohl nicht auf Freiersfüßen gehen?« »Ja, Onkel, da hast du den Nagel auf den Kopf getroffen!« antwortete er lachend. »Hast du denn keine Scham mehr im Leibe, Junge? Womit willst du denn deine Frau ernähren?« »Ich habe nichts, Onkel! Hätte ich etwas, so würde ich mich schon hüten, ins Ehejoch zu kriechen.« »Was du sagst, Ritter Sonnenschein! Aber die gestickte Jacke hast du dir doch anschaffen können?« »Auf Kredit, Onkel, auf Kredit!« »Und das Pferd, auf dem du sitzest, schöner Junker, das ist einen ganzen Packen Geld wert. Woher hast du denn das?« »Geborgt, Onkel!« Dem konnte der große Gutsherr nicht widerstehen. »Gott segne dich, mein Junge«, sagte er. »Du hast freilich eine Frau nötig, die dir eine gute Mitgift zubringt. Wenn du Marianne bekommen kannst, so nimm sie nur.« Auf diese Weise war alles zwischen ihnen klipp und klar gewesen, noch ehe der Baron vom Pferde stieg. Aber Melchior Sinclaire wußte sehr wohl, was er tat, denn Baron Adrian war ein tüchtiger Bursche. Dann war der Freier zu Marianne hineingegangen und gleich mit seinem Anliegen herausgeplatzt. »Ach, Marianne, liebe Marianne, ich habe schon mit deinem Vater gesprochen. Ich möchte dich so gern zur Frau haben. Sage, daß du es willst, Marianne!« Sie hatte ihm die Wahrheit entlockt. Der alte Baron, sein Vater, hatte sich wieder verleiten lassen, mehrere leere Gruben zu kaufen. Sein ganzes Leben lang hatte der alte Baron Gruben gekauft, und es war niemals etwas darin gewesen. Seine Mutter war besorgt, er selber war in Schulden geraten, und nun hielt er um ihre Hand an, um dadurch sein väterliches Gut und seine Husarenjacke zu retten. Sein Heim, die Hedeby-Alm, lag jenseits des Sees, Björne fast gerade gegenüber. Sie kannte ihn sehr gut, waren sie doch Altersgenossen und Spielkameraden. »Du könntest dich wirklich mit mir verheiraten, Marianne, es ist ein elendes Leben, das ich führe. Ich muß auf geborgten Pferden reiten und kann meine Schneiderrechnung nicht bezahlen. Auf die Dauer kann das ja nicht gehen. Ich muß meinen Abschied nehmen, und dann jage ich mir eine Kugel durch den Kopf.« »Aber Adrian! was für eine Ehe soll das nur werden? Wir sind ja nicht im mindesten ineinander verliebt.« »Ja, was die Liebe betrifft, so mache ich mir nichts aus dem Trödel«, hatte er darauf erklärt. »Ich mag gern gute Pferde reiten und auf die Jagd gehen, aber ich bin kein Kavalier, ich will arbeiten. Wenn ich nur so viel Geld hätte, daß ich das Gut daheim übernehmen und meiner Mutter sorgenlose Tage verschaffen könnte, so wollte ich schon zufrieden sein. Ich wollte pflügen und säen, denn ich liebe die Arbeit.« Und dann hatte er sie mit seinen guten Augen angesehen, und sie wußte, daß er die Wahrheit sprach und daß er ein Mann war, auf den man sich verlassen konnte. Sie verlobte sich mit ihm, hauptsächlich um von Hause fortzukommen, aber auch, weil sie ihn stets gut hatte leiden können. Nie aber würde sie den Monat vergessen, der nun folgte, jenen Augustabend, an dem ihre Verlobung erklärt war, diese ganze Zeit des Wahnsinns. Baron Adrian war mit jedem Tage schweigsamer und melancholischer geworden. Er kam oft genug nach Björne, zuweilen zweimal am Tage, aber sie konnte nicht umhin, zu bemerken, wie verstimmt er war. Wenn er mit andern zusammentraf, konnte er noch scherzen, in ihrer Gegenwart aber wurde er ganz unmöglich, lauter Schweigen und Langeweile. Sie verstand sehr wohl, was ihm fehlte: es war nicht so leicht, wie er es sich gedacht hatte, ein häßliches Mädchen zu heiraten. Jetzt hatte er Widerwillen gegen sie gefaßt. Niemand wußte besser als sie selber, wie häßlich sie war. Sie hatte ihm wohl gezeigt, daß sie kein Verlangen nach Liebkosungen oder Liebesversicherungen besaß, aber es war für ihn natürlich trotzdem eine Qual, sie sich als seine Gattin vorzustellen, und das wurde mit jedem Tage schlimmer. Weshalb quälte er sich selber denn so? Weshalb löste er die Verlobung denn nicht? Sie hatte ihm Winke gegeben, die deutlich genug waren. Sie selber konnte nichts tun. Ihr Vater hatte ihr geradezu gesagt, ihr Ruf vertrüge keine weiteren Extravaganzen in bezug auf Verlobungen. Da hatte sie beide gleich gründlich verachtet, und jeder Ausweg, der sie aus dem Bereich dieser ihrer beiden Herren führte, war ihr gut erschienen. Und dann -- nur ein paar Tage nach dem großen Verlobungsfest -- war der Umschlag gekommen, plötzlich und wunderbar. * * * * * Im Kieswege auf Björne gerade vor der Treppe lag ein Stein, der viel Ärgernis und Beschwerden verursachte. Wagen stürzten darüber, Pferde und Menschen fielen darüber, Mägde, die mit großen Milchbütten des Weges kamen, strauchelten und verschütteten ihre Milch; der Stein blieb aber trotzdem liegen, weil er so viele Jahre dort gelegen hatte. Er hatte schon zu Lebzeiten der Eltern des Gutsherrn dort gelegen, lange ehe irgend jemand daran dachte, Björne zu erbauen. Der Gutsherr konnte nicht einsehen, weshalb er ihn sollte forträumen lassen. An einem der letzten Augusttage aber geschah es, daß zwei Mägde, die einen großen Kübel trugen, über den Stein fielen. Sie kamen arg zu Schaden, und der Unwille über den Stein war groß. Es war um die Frühstückszeit. Der Gutsherr machte seinen morgendlichen Rundgang, da aber die Leute gerade auf dem Hofe waren, stellte Frau Gustava zwei Knechte dabei an, den Stein herauszugraben. Sie kamen mit Spaten und Hebeln, gruben und hoben, und schließlich gelang es ihnen auch, den alten Friedensstörer aus seinem Loch herauszuheben. Dann trugen sie ihn in den Hinterhof; das war eine Arbeit für sechs Mann. Kaum war der Stein fort, als der Gutsherr heimkehrte und die Zerstörung auf den ersten Blick gewahrte. Da ergrimmte er. Er behauptete, es sei gar nicht mehr dasselbe Gehöft. Wer hatte es gewagt, den Stein fortzuschaffen? Also Frau Gustava hatte den Befehl erteilt! Diese Frauenzimmer hatten doch gar kein Herz im Leibe! Wußte seine Frau denn nicht, daß er den Stein liebte? Und dann ging er direkt auf den Stein zu, hob ihn mit seinen Armen auf und trug ihn vom Hinterhof wieder auf den Hofplatz hinaus, an den Platz, wo er bisher gelegen hatte; dort warf er ihn hin. Und es war ein Stein, mit dem sechs Männer ihre Mühe gehabt hatten. Diese Tat ward in ganz Wermland sehr bewundert. Während er den Stein über den Hof trug, hatte Marianne im Eßzimmer am Fenster gestanden und ihn angeschaut. Nie zuvor war er ihr so schrecklich erschienen. Er war ihr Herr, dieser Entsetzliche mit der grenzenlosen Kraft! Ein unvernünftiger, launenhafter Herr, der nie Rücksicht auf etwas anderes nahm als auf seine eigenen Wünsche. Sie waren beim Frühstück, und sie stand mit einem Tischmesser in der Hand da. Unwillkürlich erhob sie es. Frau Gustava erfaßte sie beim Handgelenk. »Marianne!« »Was hast du nur, Mutter?« »Marianne, du sahest so entsetzlich aus. Mir wurde ganz bange.« Marianne sah sie lange an. Sie war eine kleine, eingeschrumpelte Frau mit grauem Haar und vielen Runzeln, obwohl sie erst fünfzig Jahre zählte. Sie liebte wie ein Hund, ohne sich an Hiebe und Schläge zu kehren. Sie war fast immer guter Laune und machte trotzdem einen traurigen Eindruck. Sie glich einem sturmgepeitschten Baum am Strande -- sie hatte niemals Ruhe zum Wachsen gehabt. Sie hatte es gelernt, krumme Wege zu gehen, sie log, wenn es nötig war, und stellte sich oft dümmer als sie war, um Vorwürfen zu entgehen. Sie war ganz und gar das Werk ihres Mannes. »Würdest du sehr trauern, Mutter, wenn der Vater stürbe?« fragte Marianne. »Marianne, du zürnst deinem Vater, du zürnst ihm noch immer. Warum kann denn nicht alles wieder gut werden, jetzt, wo du einen neuen Bräutigam hast?« »Ach, Mutter, ich kann nichts dafür. Was kann ich dafür, daß mir vor ihm graut! Weißt denn nicht auch du, wie er ist? Wie kann ich ihn wohl liebhaben? Er ist heftig, er ist roh, er hat dich gequält, so daß du vor der Zeit alt geworden bist. Weshalb soll er unser Herr sein? Er benimmt sich ja wie ein Verrückter. Weshalb soll ich ihn ehren und achten? Er ist nicht gut, er ist nicht barmherzig. Ich weiß, daß er stark ist, er kann uns jeden beliebigen Tag totschlagen. Er kann uns aus dem Hause werfen, wann er will. Soll ich ihn deswegen lieben?« Da aber war Frau Gustava plötzlich wie umgewandelt. Sie hatte Kraft und Mut und sprach mit großer Bestimmtheit: »Nimm dich in acht, Marianne, ich glaube fast, dein Vater hatte recht, als er dich im Winter ausschloß. Du sollst sehen, du wirst hierfür gestraft werden. Du mußt es lernen zu dulden, ohne zu hassen, Marianne, zu leiden, ohne dich zu rächen!« »Ach, Mutter, ich bin so unglücklich!« Gleich darauf kam die Entscheidung. Von der Diele her vernahmen sie einen schweren Fall. Sie erfuhren niemals, ob Melchior Sinclaire auf der Treppe gestanden und durch das geöffnete Eßstubenfenster Mariannens Worte gehört hatte, oder ob nur die körperliche Anstrengung den Schlaganfall herbeigeführt hatte. Als sie hinauskamen, lag er besinnungslos da. Sie wagten niemals, nach der Veranlassung zu fragen. Er selbst ließ sich niemals etwas darüber merken. Marianne wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken, daß sie sich unfreiwillig gerächt hatte. Aber der Anblick des Vaters, der dort auf derselben Treppe lag, wo sie gelernt hatte ihn zu hassen, nahm auf einmal die Bitterkeit aus ihrem Herzen. Er kam bald wieder zum Bewußtsein, und als er sich ein paar Tage ruhig verhalten hatte, war er wieder der Alte -- und doch ein ganz anderer. Marianne sah die Eltern Arm in Arm im Garten lustwandeln. Das taten sie jetzt immer. Er ging nie mehr allein und verreiste niemals. Wenn Besuch kam, so ward er verstimmt, wie über alles, was ihn von seiner Frau trennte. Das Alter war plötzlich über ihn gekommen. Er konnte sich nicht dazu entschließen, einen Brief zu schreiben. Seine Frau mußte es tun. Er entschied nicht das geringste auf eigene Hand, sondern fragte sie nach allem und ließ alles so geschehen, wie sie selber es bestimmte. Und er war stets sanft und freundlich. Er fühlte selber, wie sehr er sich verändert hatte und wie glücklich seine Frau darüber war. »Sie hat jetzt gute Tage«, sagte er eines Tages zu Marianne und zeigte auf Frau Gustava. »Ach, lieber Melchior,« rief sie aus, »du weißt, ich sähe es weit lieber, daß du wieder gesund würdest!« Und das wünschte sie sicher. Es war ihre größte Freude, von dem starken Gutsherrn zu erzählen, wie er in den Tagen seiner Kraft gewesen war. Sie erzählte, wie er es vertragen konnte, in ewigem Saus und Braus zu leben, besser als irgendeiner der Ekebyer Kavaliere, wie er Geschäfte abschloß und viel Geld verdiente gerade dann, wenn sie glaubte, daß er sie in seiner Wildheit um Haus und Hof bringen würde. Marianne aber wußte, daß sie trotz all ihrer Klagen glücklich war. Ihrem Manne alles sein zu dürfen, das genügte ihr. Sie sahen beide alt aus, gebrochen vor der Zeit. Marianne meinte sehen zu können, wie sich ihr Leben mit der Zeit gestalten würde. Er würde nach und nach schwächer und schwächer werden, ein Schlaganfall nach dem andern würde ihn immer hilfloser machen, und sie würde um ihn sein und ihn pflegen, bis der Tod sie schied. Das Ende konnte ja aber in weiter Ferne liegen; Frau Gustava konnte ihr Glück noch eine Zeitlang behalten. So mußte es sein, meinte Marianne, das Leben schuldete ihr noch so viel. Auch mit ihr selber war es besser geworden. Es war keine hoffnungslose Verzweiflung, die sie zwang, sich zu verheiraten, um einen andern Herrn zu finden. Ihr wundes Herz hatte Ruhe gefunden. Der Haß hatte es durchsaust wie die Liebe, aber sie dachte nicht mehr an die Qualen, die sie dadurch erlitten hatte. Sie mußte erkennen, daß sie ein wahrerer, größerer, reicherer Mensch geworden war als ehemals; weshalb sollte sie da das Geschehene ungeschehen wünschen? Führte vielleicht jedes Leiden zu etwas Gutem? Konnte sich noch alles zum Glück wenden? Sie hatte angefangen, alles das zum Guten zu rechnen, was dazu beitragen konnte, sie zu einem höheren Grad der Menschlichkeit zu entwickeln. Die alten Lieder hatten nicht recht. Der Kummer war nicht das einzige, was von Bestand war. Sie wollte nun fortreisen und versuchen, einen Platz zu finden, wo sie Nutzen schaffen konnte. Wäre ihr Vater noch so gewesen wie früher, so würde er ihr niemals gestattet haben, ihre Verlobung aufzuheben. Jetzt hatte Frau Gustava mit milder Hand die Sache geordnet. Marianne hatte sogar die Erlaubnis erhalten, Baron Adrian das Geld zu geben, dessen er bedurfte. Auch seiner konnte sie mit Freude gedenken -- jetzt war sie ja frei! Er hatte sie mit seiner Lebenslust und Kühnheit stets an Gösta erinnert, jetzt wollte sie ihn wieder fröhlich sehen. Er sollte wieder der Ritter Sonnenschein sein, der in seinem ganzen Glanz auf den Hof ihres Vaters gekommen war. Sie wollte ihm Erde verschaffen, in der er pflügen und säen konnte, soviel sein Herz begehrte, sie wollte es erleben, daß er eine schöne Braut an den Traualtar führte. Unter solchen Gedanken setzt sie sich hin und schreibt, um ihm seine Freiheit zurückzugeben. Sie schreibt sanfte, eindringliche Worte, Vernunft in Scherz gehüllt und dabei doch so, daß er verstehen kann, wie ernst sie es meint. Während sie noch schreibt, ertönt Hufschlag auf der Landstraße. »Mein lieber Ritter Sonnenschein,« denkt sie, »das ist das letztemal!« Gleich darauf tritt der Baron bei ihr ein. »Aber Adrian, kommst du hier herein!« Und sie sieht entsetzt all die Unordnung an. Er wird ganz verlegen und stammelt einige Worte der Entschuldigung. »Ich bin gerade im Begriff, dir zu schreiben«, sagt sie. »Schau her, du kannst es ja gleich lesen.« Er nimmt den Brief, und sie beobachtet ihn, während er liest. Sie sehnt sich danach, sein Antlitz vor Freude aufleuchten zu sehen. Aber er hat nicht lange gelesen, als Purpurröte sein Antlitz übergießt; er wirft den Brief auf den Boden, stampft darauf und flucht, als solle der Himmel einstürzen. Da geht ein leises Beben durch Marianne. Sie ist kein Anfänger im Studium der Liebe, aber bisher hat sie diesen unerfahrenen Knaben, dies große Kind nicht verstanden. »Adrian, lieber Adrian,« sagt sie, »was für eine Komödie hast du mir vorgespielt? Komm und erzähle mir die Wahrheit!« Er kam und war nahe daran, sie mit seinen Liebkosungen zu ersticken. Armer Junge! Wie hatte er sich gesehnt, wie hatte er gelitten! Nach einer Weile schaute sie aus dem Fenster. Da ging Frau Gustava noch immer und redete mit dem großen Gutsherrn über Blumen und Vögel, und hier saß sie und sprach von Liebe. »Das Leben hat uns beide seinen harten Ernst fühlen lassen!« dachte sie und lächelte wehmütig. »Es wird uns trösten, daß wir jeder unser großes Kind bekommen, mit dem wir spielen können.« Es war doch gut, daß sie geliebt werden konnte. Es tat doch wohl, ihn von der Zauberkraft flüstern zu hören, die von ihr ausging, und wie er sich über das schämte, was er in seiner ersten Unterredung mit ihr gesagt hatte. Er ahnte damals nicht, welche Macht sie besaß. Ach, kein Mann konnte in ihrer Nähe weilen, ohne sie zu lieben, aber sie habe ihn eingeschüchtert, er sei sich so wunderlich nichtig vorgekommen. Dies war kein Glück und auch kein Unglück, aber sie wollte versuchen, das Leben mit diesem Manne zusammen zu leben. Sie fing an, sich selbst zu verstehen und dachte an die Worte des alten Liedes von der Turteltaube, dem Vogel der Sehnsucht: »Sie trinkt niemals das klare Wasser, sie macht es erst trübe mit ihrem Fuß ...«, damit es besser zu ihrem traurigen Sinn passen möge. So sollte auch sie nicht an die Quelle des Lebens kommen und das klare, unvermischte Glück trinken. Von Wehmut getrübt -- so war das Leben am besten für sie. Der Tod, der Befreier Mein bleicher Freund, der Tod, der Befreier, kam im August, als die Nächte bleich vom Mondschein waren, zu Hauptmann Ugglas Heim. Aber er wagte es nicht, geradeswegs in das gastfreie Haus zu treten; denn derer, die ihn lieben, sind nur gar wenige. Mein bleicher Freund, der Tod, der Befreier, hat ein mutiges Herz. Es ist seine Lust, von glühenden Kanonenkugeln getragen durch die Luft zu reiten. Er nimmt die pfeifende Granate auf den Nacken und lacht, wenn sie springt und die Splitter umherfliegen. Er schwingt sich im Gespenstertanz auf den Kirchhöfen und scheut nicht die Pestsäle der Hospitäler, aber er zittert an der Schwelle des Redlichen, an der Tür des Guten. Denn er will nicht mit Tränen, sondern mit Freuden begrüßt werden, er, der die Geister aus den Banden des Schmerzes befreit, der sie von dem bedrückenden Staub befreit, der sie das freie, herrliche Leben im Weltenraum erproben läßt. In den alten Hain hinter dem Wohnhause, wo noch heutzutage schlanke, weißstämmige Birken wetteifern, den dünnen Laubbüscheln an ihren Wipfeln das Licht des Himmels zu verschaffen, dort schlich der Tod sich ein. In diesem Hain, der damals jung und voll verbergenden Grüns war, versteckte mein bleicher Freund sich, während die Sonne am Himmel stand; in der Nacht aber stand er am Waldesrande, weiß und bleich, mit seiner Sense, in der der Mond sich spiegelte. O Eros! Du warst der Gott, dem damals der Hain gehörte. Die Alten wissen davon zu erzählen, wie ehedem die liebenden Paare seine Ruhe aufsuchten. Und noch heutzutage, wenn ich an Berga vorübergehe, ärgerlich über die lästigen Hügel und den erstickenden Staub, so freue ich mich über den Anblick des Hains mit den jetzt spärlichen weißen Stämmen, der von der Erinnerung an die Liebe junger, schöner Menschen widerstrahlt. Nun aber war es der Tod, der dort stand, und die Tiere der Nacht sahen ihn. Abend für Abend hörten die Bewohner von Berga, wie der Wolf heulte, um sein Kommen zu melden. Die Natter schlängelte sich auf den Kieswegen bis an das Wohnhaus hinan. Sie konnte nicht sprechen, aber sie verstanden wohl, daß sie kam als Vorbote des Gewaltigen. Und im Apfelbaum unter Frau Ugglas Fenster ließ die Eule ihr Geschrei ertönen. Denn alles in der Natur kennt den Tod und erbebt. So geschah es denn, daß der Amtmann und seine Frau aus Munkerud, die im Broer Pfarrhof zum Gastmahl gewesen waren, gegen zwei Uhr in der Nacht an Berga vorüberkamen und ein Licht im Fenster des Fremdenzimmers stehen und brennen sahen. Sie sahen ganz deutlich die gelbe Flamme und das weiße Licht und erzählten später voller Verwunderung von dem Licht, das in der Sommernacht gebrannt hatte. Da lachten die fröhlichen jungen Damen auf Berga und sagten, Amtmanns hätten Gespenster gesehen, denn die Talglichter daheim bei ihnen seien schon seit dem März aufgebraucht; und der Hauptmann schwur heilig und teuer, daß seit Wochen und Tagen niemand im Fremdenzimmer gewohnt habe; aber die Frau des Hauptmanns schwieg und erbleichte, denn dies weiße Licht mit der klaren Flamme pflegte sich stets zu zeigen, wenn jemand in ihrer Familie von dem Tode, dem Befreier, erlöst werden sollte. Bald darauf, eines Tages im strahlenden August, kam Ferdinand von seinem Vermessungsdienst in den nördlichen Wäldern heim. Er kam bleich und krank zurück mit einem unheilbaren Lungenleiden, und sobald seine Mutter ihn sah, wußte sie, daß er sterben müsse. So sollte er denn von hinnen gehen, dieser gute Sohn, der seinen Eltern niemals den geringsten Kummer bereitet hatte. Der Jüngling sollte die Luft und die Freude dieser Welt verlassen und seine schöne, geliebte Braut, die seiner harrte, und die reichen Besitzungen, die dröhnenden Eisenwerke, die sein Eigentum hatten werden sollen. Endlich, als mein bleicher Freund einen Mondwechsel gewartet hatte, faßte er Mut und begab sich eines Nachts nach dem Wohnhause. Er wußte, daß die Bewohner dort dem Hunger und der Not fröhlich ins Auge sahen, weshalb sollten sie ihn denn nicht mit Freuden empfangen? Leise ging er den Kiesweg hinauf und warf einen dunklen Schatten über den Rasenplatz, wo die Tauperlen im Mondschein glitzerten. Er kam nicht als fröhlicher Schnitter mit Blumen um den Hut und den Arm um die Taille eines jungen Mädchens geschlungen. Er ging gebeugt und sah abgezehrt aus und hielt die Sense in den Falten des Mantels verborgen, während Eulen und Fledermäuse ihn umflatterten. In jener Nacht hörte Frau Uggla, die wach lag, daß jemand ans Fenster pochte, und sie richtete sich im Bett auf und fragte: »Wer klopft da?« Und die Alten erzählen, daß der Tod ihr antwortete: »Der Tod klopft.« Da stand sie auf und öffnete das Fenster und sah Fledermäuse und Eulen im Mondlicht flattern, den Tod aber sah sie nicht. »Komm«, sagte sie halblaut; »Freund und Befreier, weshalb hast du so lange gezögert? Ich habe gewartet, ich habe gerufen. Komm und erlöse meinen Sohn.« Da glitt der Tod ins Haus, froh wie ein entthronter König, der in seinem Greisenalter seine Krone zurückerhält, froh wie ein Kind, das zum Spielen gerufen wird. Am nächsten Tage setzte Frau Uggla sich an das Krankenbett ihres Sohnes und sprach mit ihm über die Seligkeit der befreiten Geister und über ihr herrliches Leben. »Sie arbeiten«, sagte sie, »sie wirken. Welche Künstler, mein Sohn, welche Künstler! Wenn du zu ihnen hinaufgelangst, so sage mir, was du dann werden willst? Einer der Bildhauer ohne Meißel, die Rosen und Lilien bilden, einer der Meister des Abendrots? Und wenn die Sonne in all ihrer Schönheit untergeht, will ich dasitzen und denken: das ist Ferdinands Werk! »Mein teurer Sohn, bedenke, wie viel da zu sehen, wie viel da zu tun ist! Denke an alle die Samenkörner, die im Frühling zum Leben erweckt werden sollen, an alle die Stürme, die gelenkt werden, an die Träume, die entsendet werden sollen! Und denke an die langen Reisen durch den Himmelsraum, von Welt zu Welt! »Denke an mich, mein teurer Junge, wenn du so viel Schönes zu sehen bekommst! Deine arme Mutter bekommt niemals etwas anderes zu sehen als Wermland. »Aber eines Tages gehst du zum lieben Gott hinein und bittest ihn, ob er dir nicht eine der kleinen Welten geben will, die im Himmelsraum umherrollen, und er wird sie dir geben. Wenn du sie erhältst, so ist sie finster und kalt, voller Abgründe und Felsblöcke, und es wachsen dort keine Blumen, es leben dort keine Tiere. Aber du arbeitest auf dem Stern, den Gott dir gegeben hat. Du schaffst ihm Licht und Wärme und Luft, du bringst Pflanzen und Nachtigallen und helläugige Gazellen dahin, du läßt Gießbäche in die Abgründe strömen, du türmst Berge auf und besäest die Ebenen mit den schönsten roten Rosen. »Und wenn ich einst sterbe, Ferdinand, wenn meine Seele vor der langen Reise erbebt und sich vor dem Abschied von den bekannten Gegenden fürchtet, da sitzest du und wartest vor dem Fenster in einem mit Paradiesvögeln bespannten Wagen, in einem Wagen aus schimmerndem Gold, mein Ferdinand. »Und meine arme, unruhige Seele wird in deinen Wagen aufgenommen und sitzet nun neben dir, geehrt wie eine Königin. Und dann fahren wir durch den Himmelsraum, vorbei an den strahlenden Welten, und wenn wir in die Nähe dieser Himmelswohnungen kommen und sie immer herrlicher werden, da frage ich, die ich es nicht besser weiß: Wollen wir nicht hier oder dort bleiben? »Aber du lachst still für dich und treibst das Vogelgespann an. Endlich kommen wir zu dem kleinsten von allen Weltkörpern, aber zu dem schönsten, den ich je gesehen habe, und dort halten wir vor einem goldenen Schloß, und du läßt mich eintreten in das ewige Heim der Freude. »Dort sind die Vorratskammern gefüllt und die Bücherschränke. Der Tannenwald steht dort nicht wie hier auf Berga und beschattet die ganze schöne Welt, sondern ich schaue hinaus über große Meere und sonnenbeschienene Ebenen, und tausend Jahre sind wie ein Tag.« Und dann starb Ferdinand, schwelgend in lichten Bildern, der künftigen Herrlichkeit entgegenlächelnd. Mein bleicher Freund, der Tod, der Befreier, hatte nie etwas so Schönes erlebt. Denn wohl war Ferdinand Ugglas Todeslager von weinenden Menschen umstanden, der Kranke selber aber lächelte dem Manne mit der Sense zu, als er sich auf den Rand seines Bettes setzte, und seine Mutter lauschte seinem Todesröcheln wie einer süßen Musik. Sie zitterte, daß der Tod nicht imstande sein würde, sein Werk zu vollenden, und als alles vorbei war, traten ihr Tränen in die Augen, aber es waren Freudentränen, die auf die erstarrten Züge ihres Sohnes fielen. Niemals ward meinem bleichen Freund so viel Ehre erzeigt wie bei Ferdinand Ugglas Begräbnis. Hätte er es gewagt, sich zu zeigen, da wäre er in federgeschmücktem Barett und mit goldgesticktem Mantel erschienen und hätte vor dem Leichenzug her den Kirchhofsgang entlang getanzt, nun aber saß er, der Alte, Einsame, in seinem verschlissenen schwarzen Mantel zusammengekauert auf der Kirchhofsmauer und sah den Zug kommen. O, es war ein wunderliches Leichenbegängnis! Sonne und lichte Wolken machten den Tag strahlend, lange Reihen von Roggenhocken schmückten die Felder. Die Sommeräpfel im Garten des Propsthofes schimmerten durchsichtig und klar, und im Garten des Küsters strahlten Nelken und Georginen. Es war ein wunderlicher Leichenzug, der die Lindenallee hinabging. Vor dem blumengeschmückten Sarge schritten schöne Kinder einher und streuten Blumen. Da waren keine Trauerkleider, keine Kreppflore, keine Schneppenhauben zu erblicken, denn die Mutter hatte es so gewollt, daß er, der heiter gestorben, nicht von einem traurigen Leichenzuge, sondern von einem glänzenden Hochzeitszuge nach der guten Freistätte geleitet werden sollte. Dem Sarge zunächst ging Anna Stjärnhök, die schöne, strahlende Braut des Verstorbenen. Sie hatte den Brautkranz auf ihr Haupt gesetzt, sich in den Brautschleier gehüllt und ein Brautgewand von weißer, schimmernder Seide mit langer Schleppe angelegt. So geschmückt ging sie, um dem Grabe, um einem dahingeschiedenen Bräutigam geweiht zu werden. Und nach ihr kam Paar auf Paar, stattliche alte Damen und Herren. Die schönen, vornehmen Frauen kamen mit schimmernden Spangen und Broschen, mit milchweißen Perlhalsgeschmeiden und Armbändern aus Gold. Die Federn in ihren Turbanen ragten hoch auf zwischen dem Seidenstoff und den Spitzen, und von ihren Schultern wogten die dünnen seidenen Schals, die sie einst als Brautgeschenk erhalten hatten, über bunte, seidene Kleider hinab. Und die Männer kamen in ihrem schönsten Staat mit bauschenden Jabots, in Leibröcken mit hohen Kragen und vergoldeten Knöpfen und mit Westen aus steifem Brokat oder reich gesticktem Samt. Es war ein Hochzeitszug: die Herrin von Berga hatte es so gewollt. Sie selber ging dicht hinter Anna Stjärnhök am Arme ihres Gatten. Hätte sie ein Kleid aus schimmerndem Brokat besessen, sie würde es angelegt haben, hätte sie Geschmeide und einen prachtvollen Turban ihr eigen genannt, sie würde sie getragen haben an dem Ehrentage ihres Sohnes. Nun aber hatte sie nichts als dies schwarzseidene Kleid und diese gelben Spitzen, die sie auf so vielen Festen getragen hatte, und die trug sie auch auf diesem Fest. Obwohl die Gäste mit Pomp und Pracht zum Begräbnis kamen, blieb doch kein Auge trocken, während sie bei leisem Glockengeläute zum Grabe hinauswanderten. Männer und Frauen weinten, nicht so sehr über den Toten wie über sich selbst. Siehe, da ging die Braut, dort trug man den Bräutigam, da wanderten sie selber festlich geschmückt -- wo ist der Mensch, der auf Gottes grüner Erde wandelt und nicht weiß, daß er dem Kummer, der Sorge, dem Unglück, dem Tode anheimgefallen ist? Sie gingen einher und weinten bei dem Gedanken, daß nichts in der Welt imstande sei, sie zu beschützen. Die Mutter weinte nicht, sie war aber auch die einzige, deren Augen trocken blieben. Als das Ritual verlesen und das Grab zugeschüttet war, kehrten alle zu den Wagen zurück. Nur Frau Uggla und Anna Stjärnhök blieben am Grabe zurück, um dem Toten ein letztes Lebewohl zu sagen. Die Alte hockte sich auf den Grabhügel, und Anna setzte sich neben sie. »Siehe,« meinte Frau Uggla, »ich habe zu Gott gesagt: Laß den Tod, den Befreier, kommen und meinen Sohn holen, laß ihn den, den ich am heißesten geliebt habe, mit sich in die stillen Wohnungen des Friedens nehmen, es sollen nur Freudentränen in meine Augen kommen; mit Hochzeitsgepränge will ich ihn zu Grabe geleiten, und meinen roten Rosenbusch, den reichblühenden, der vor meinem Schlafstubenfenster steht, will ich ihm auf den Friedhof pflanzen! Und nun ist es geschehen, mein Sohn ist tot. Ich habe den Tod wie einen Freund begrüßt, habe ihn bei den zärtlichsten Namen gerufen, ich habe Freudentränen über das erstarrte Antlitz meines Sohnes geweint, und im Herbst, wenn die Blätter fallen, pflanze ich ihm meinen roten Rosenbusch aufs Grab. Aber du, die du hier an meiner Seite sitzest, weißt du, weshalb ich solche Gebete zu Gott emporgesandt habe?« Sie sah Anna Stjärnhök an, das junge Mädchen aber saß still und bleich an ihrer Seite. Vielleicht kämpfte sie, um die innere Stimme zur Ruhe zu bringen, die schon dort, auf dem frischen Grabe des Toten, ihr zuzuflüstern begann, daß sie nun endlich frei sei. »Du trägst schuld daran«, sagte Frau Uggla. Da sank das junge Mädchen zusammen wie unter einem Keulenschlag. Sie erwiderte kein Wort. »Anna Stjärnhök, du warst einstmals stolz und eigensinnig, da spieltest du mit meinem Sohn, nahmst ihn und verstießest ihn. Was war dazu zu sagen? Er mußte sich dareinfinden so gut wie alle die andern. Vielleicht haben auch wir so wie er dein Geld ebensosehr geliebt wie dich. Aber du kamst wieder zurück, du kamst mit reichem Segen in unser Heim, du warst milde und sanftmütig, stark und gut, als du wiederkamst. Du umgabst uns mit Liebe, du machtest uns so glücklich, Anna Stjärnhök, und wir armen Menschen lagen dir zu Füßen. »Und doch, und doch habe ich gewünscht, daß du nicht gekommen wärest. Da hätt ich Gott nicht zu bitten brauchen, daß er das Leben meines Sohnes verkürzen möge. Um die Weihnachtszeit hätte er deinen Verlust überwinden können, aber nachdem er dich kennen gelernt hatte, so wie du nun bist, hatte er nicht die Kraft dazu. »Du mußt wissen, Anna Stjärnhök, du, die du heute dein Brautgewand angelegt hast, um meinem Sohn das Geleite zu geben, du würdest niemals in dem Gewande mit ihm vor dem Traualtar gestanden haben, denn du liebtest ihn nicht. »Ich sah es, du kamst nur aus Barmherzigkeit, denn du wolltest unser hartes Schicksal mildern. Du liebtest ihn nicht. Glaubst du nicht, daß ich die Liebe kenne, daß ich sie sehe, wo sie vorhanden ist, daß ich es fühle, wenn sie fehlt? Da dachte ich: Möge Gott meinen Sohn zu sich nehmen, ehe ihm die Augen geöffnet sind! »Ach, hättest du ihn doch geliebt! Wärest du doch niemals zu uns gekommen, um unser Leben zu versüßen, wenn du ihn nicht liebtest! Ich kannte meine Pflicht: wenn er nicht gestorben wäre, hätte ich ihm sagen müssen, daß du ihn nicht liebtest, daß du dich mit ihm verheiraten wolltest, weil du die Barmherzigkeit selbst bist. Ich hätte ihn zwingen müssen, dich freizugeben, und dann wäre sein Lebensglück vernichtet gewesen. Siehst du, deswegen bat ich Gott, daß er sterben möge, damit ich den Frieden seines Herzens nicht zu zerstören brauchte. Und ich habe mich über seine eingefallenen Wangen gefreut, habe mich über seine schweren Atemzüge gefreut, habe gezittert, daß der Tod sein Werk nicht vollenden würde.« Sie schwieg und wartete auf Antwort; aber Anna Stjärnhök konnte noch nicht sprechen, sie lauschte noch zu vielen Stimmen in der Tiefe der Seele. Da rief Frau Uggla ganz verzweifelt aus: »O, wie glücklich sind doch die, die über ihre Toten trauern, die Ströme von Tränen vergießen können. Ich muß mit trocknen Augen am Grabe meines Sohnes stehen, ich muß mich über seinen Tod freuen. Wie unglücklich bin ich doch!« Da preßte Anna Stjärnhök die Hände hart gegen ihre Brust. Sie gedachte jener Winternacht, da sie bei ihrer jungen Liebe geschworen hatte, diesen armen Menschen ein Trost und eine Stütze zu sein, und sie erbebte. War denn alles vergebens gewesen, war ihr Opfer eines von denen, das Gott nicht wohlgefällig ist? Sollte sich alles zum Fluch wenden? Aber wenn sie alles opferte, würde Gott da nicht dem Werke seinen Segen geben und sie zur Glücksspenderin, zur Stütze, zur Hilfe für Menschen machen? »Was ist denn erforderlich, damit du über deinen Sohn trauern kannst?« fragte sie. »Es ist erforderlich, daß ich meinen Augen nicht mehr glaube. Wenn ich glaubte, daß du meinen Sohn liebtest, da würde ich über seinen Tod trauern.« Da erhob sich das junge Mädchen mit von Begeisterung strahlenden Augen. Sie riß ihren Brautschleier ab und breitete ihn über das Grab, sie nahm Kranz und Krone ab und legte beides auf den Schleier. »Sieh jetzt, wie ich ihn liebe!« rief sie aus. »Ich schenke ihm meinen Kranz und meine Krone. Ich weihe mich ihm! Niemals will ich einem andern angehören!« Da erhob sich auch Frau Uggla. Sie stand eine Weile schweigend da; ihr ganzer Körper bebte, ihr Antlitz verzog sich, aber schließlich kamen die Tränen, die Tränen des Schmerzes. Doch mein bleicher Freund, der Tod, der Befreier, schauderte, als er diese Tränen erblickte; so war er denn auch hier nicht mit Freude begrüßt, nicht einmal hier hatte man sich von Herzen über ihn gefreut. Er zog die Kapuze tief über das Gesicht, glitt leise von der Kirchhofsmauer herunter und verschwand zwischen den Kornhocken auf dem Felde. Die Dürre Wenn tote Dinge lieben können, wenn Erde und Wasser einen Unterschied zwischen Freunden und Feinden machen können, dann möchte ich gern ihre Liebe besitzen. Ich möchte gern, daß die grüne Erde meine schweren Schritte nicht als schwere Last empfände. Ich möchte gern, daß sie es mir leichten Herzens verziehe, daß sie um meinetwillen mit Pflug und Egge verwundet wird, daß sie sich meinem toten Körper willig öffnete. Und ich möchte gern, daß die Welle, deren blanken Spiegel meine Ruder zertrümmern, dieselbe Geduld mit mir hätte, wie eine Mutter sie mit einem unruhigen Kinde hat, wenn es auf ihren Schoß klettert, ohne sich daran zu kehren, daß es ihr seidenes Sonntagskleid zerknittert. Ich möchte in freundschaftlichem Verhältnis zu der klaren Luft stehen, die über den blauen Bergen zittert, und zu der strahlenden Sonne und den schönen Sternen. Denn es will mir oft scheinen, als wenn die toten Dinge mit den lebenden fühlen und leiden. Die Schranke zwischen ihnen und uns ist nicht so groß, wie die Menschen glauben. Wo ist der Teil von dem Staub der Erde, der nicht mit im Kreislauf des Lebens gewesen ist? Ist nicht der wirbelnde Staub der Landstraße einstmals als weiches Haar geliebkost, als gute, hilfreiche Hände geliebt worden? Ist nicht das Wasser in der Wagenspur ehedem als Blut durch pochende Herzen geströmt? Der Geist des Lebens wohnt noch in den toten Dingen. Was hört er, während er in traumlosem Schlaf schlummert? Gottes Stimme hört er -- achtet er auch auf die der Menschen? Ihr Kinder später Zeiten, habt ihr es nicht gesehen? Wenn Unfriede und Haß auf Erden herrschen, müssen auch die toten Dinge vielfach leiden. Da wird die Welle wild und raubgierig wie ein Wegelagerer, da wird das Feld geizig wie ein Geizhals. Aber wehe dem, um dessentwillen der Wald seufzt und die Berge weinen. Es war ein merkwürdiges Jahr, in dem die Kavaliere regierten. Es sieht mir fast so aus, als wenn die Unruhe der Menschen damals die Ruhe der toten Dinge zerstört hätte. Wie soll ich die Ansteckung bezeichnen, die sich in jenen Tagen über das Land verbreitete? Sollte man nicht glauben, daß die Kavaliere die Götter der Umgegend waren, daß alles von ihrem Geist beseelt war? Von dem Geist des Abenteuers, der Sorglosigkeit, der Zügellosigkeit. Könnte man das alles erzählen, was sich in jenem Jahr unter den Menschen zutrug, die am Ufer des Löfsees wohnten, da würde die Welt sich wundern. Denn da erwachte alte Liebe, aber auch alter Haß entzündete sich aufs neue. Da flammten alle auf in Begierde nach der Schönheit des Lebens: Tanz und Scherz, Spiel und Trunk ergriffen sie. Da offenbarte sich alles das, was im tiefsten Innern der Seele verborgen liegt. Von Ekeby ging die Ansteckung dieser Unruhe aus; sie verbreitete sich erst über die Eisenwerke und Begüterungen und verleitete die Menschen zu Unrecht und Sünde. So weit haben wir sie bis zu einem gewissen Grad verfolgen können, weil die Alten die Erinnerung an die Begebenheiten auf einigen der größeren Güter bewahrt haben, wie sie sich aber weiter unter der Bevölkerung verbreitete, davon wissen wir nur wenig. Niemand aber kann daran zweifeln, daß die Unruhe der Zeit von Dorf zu Dorf, von Hütte zu Hütte schlich. Wo ein Laster verborgen glimmte, da kam es zum Ausbruch; wo ein kleiner Riß zwischen Mann und Frau vorhanden war, da gestaltete er sich zur Kluft; wo sich eine große Tugend oder ein starker Wille verbargen, da mußten die ebenfalls ans Licht. Denn nicht alles, was geschah, war schlecht; aber die Zeit war derartig, daß das Gute zuweilen ebenso verderblich ward wie das Schlechte. Es war so, als wenn der Sturm tief in den Wald einhaut -- ein Baum stürzt über den andern, eine Tanne reißt im Fallen die andere mit um, und selbst das Unterholz wird von den stürzenden Riesen mit ins Verderben gezogen. Ja, wahrlich, die Tollheit griff auch unter den Bauern und dem Gesinde um sich. Überall wurden die Herzen wild und die Köpfe verwirrt. Niemals war es beim Tanz am Kreuzwege so munter hergegangen, niemals war die Biertonne so schnell geleert worden, niemals hatte der Branntweinkessel so viel Korn verschlungen. Niemals waren die Gastmähler so zahlreich, niemals war der Raum zwischen dem bösen Wort und dem Messerstich kürzer gewesen. Es war eine starke Hand, die die Zügel fallen ließ, als die Majorin Ekeby verließ. Berauscht von der Freiheit stürmten die Menschen dahin zu Zerstörung und Verwirrung. Ein Herr und Meister war ihnen noch geblieben. Ein Herr, den sie liebten -- das war der Branntwein. Denn dies war in den schweren Jahren, als man noch keine Rettung, keine Hoffnung für die Bauern erblickte, als man zu glauben begann, daß der Branntwein sie vernichten, sie von der Erde ausrotten werde. Aber die Unruhe beschränkte sich nicht auf die Menschen. Sie verbreitete sich auf alles Lebende. Niemals hatten Wölfe und Bären schlimmer gehaust, niemals hatten Füchse und Eulen unheimlicher geschrieen oder frecher geraubt, niemals hatten sich die Schafe häufiger im Walde verirrt, niemals hatten so viele Krankheiten unter dem kostbaren Vieh geherrscht. Wer den Zusammenhang der Dinge sehen will, muß aus den Städten fortziehen und in einer einsamen Hütte am Waldesrande wohnen. Er muß die Nacht hindurch den Kohlenmeiler hüten oder Tag und Nacht, einen ganzen hellen Sommermonat hindurch, auf den langen Seen leben, während das Holzfloß langsam nach dem Wenersee hinabgleitet; da wird er alle Zeichen in der Natur kennen und beachten lernen, da wird er verstehen, wie abhängig die toten Dinge von den lebenden sind. Er wird sehen, daß der Friede der toten Dinge gestört wird, sobald Unruhe auf Erden herrscht. Das weiß der Bauer. In solchen Zeiten löschen böse Geister den Meiler aus, zertrümmert die Meerjungfrau das Boot, kommen Krankheiten über die Menschen und Seuchen über das Vieh. Und so geschah es auch in diesem Jahr. Niemals hatte der Eisgang im Frühling so viel Schaden angerichtet. Die Mühle und die Schmiede von Ekeby waren nicht seine einzigen Opfer. Kleine Bäche, die sonst, wenn der Frühling ihnen Kräfte verliehen hatte, allerhöchstens imstande gewesen waren, eine leere Scheune fortzuschwemmen, richteten ihre Angriffe jetzt gegen ganze Gehöfte und spülten sie fort. Niemals hatte man gehört, daß die Gewitter schon vor Johannis so viel Schaden angerichtet hatten -- nach Johannis merkte man nichts mehr davon, da kam die Dürre. Solange die langen Tage währten, kam kein Regen. Von Mitte Juni bis Anfang September lag die ganze Gegend in ununterbrochenen Sonnenschein gebadet da. Der Regen wollte nicht fallen, die Erde wollte keine Nahrung geben, der Wind wollte nicht wehen. Nur der Sonnenschein strömte auf die Erde herab. Ach, der schöne Sonnenschein, der lebenerweckende Sonnenschein -- wie kann ich nur von seinem bösen Werke erzählen? Der Sonnenschein gleicht der Liebe; wer kennt nicht die Missetaten, die sie begangen hat, und wer ist imstande, sie nicht zu verzeihen? Der Sonnenschein gleicht Gösta Berling -- er erfreut alle Menschen, deswegen schweigen alle von dem Übel, das er ihnen zugefügt hat. Eine solche Dürre nach Johannis würde kaum in einer andern Gegend so unheilschwanger sein als gerade in Wermland. Dort aber war der Frühling spät gekommen. Das Gras war noch nicht sehr hoch und wurde auch nicht hoch. Dem Roggen fehlte es an Nahrung gerade zu der Zeit, als er blühen und Körner ansetzen sollte. Die Frühlingssaat, die zu jener Zeit das meiste Brot lieferte, trug dünne, kleine Ähren auf Halmen, die nicht länger als eine viertel Elle waren. Die spät gesäten Rüben wollten gar nicht wachsen, nicht einmal die Kartoffeln vermochten aus dieser versteinerten Erde Nahrung zu saugen. In solchen Jahren fingen sie droben in den Waldhütten an sich zu ängstigen, und von den Bergen verbreitete sich die Angst bis zu der ruhigeren Bevölkerung in den Ebenen. »Gottes Hand sucht jemand!« sagen die Bauern. Und ein jeder schlägt sich vor die Brust und sagt: »Bin ich es? -- Ach, Mutter, ach, Natur, bin ich es? Bleibt der Regen aus Unwillen über mich fort? Wird die strenge Erde aus Zorn über mich hart und trocken? Und strömt dieser ewige Sonnenschein in seiner Klarheit jeden Tag von einem wolkenlosen Himmel herab, um glühende Kohlen auf mein Haupt zu sammeln? Oder, wenn ich es nicht bin, wen sucht denn da die Hand Gottes?« Während die Roggenkörner in den kleinen Ähren verschmachten, während die Kartoffeln keine Nahrung aus der Erde saugen können, während sich das Vieh mit roten Augen und nach Luft schnappend um die fast ausgetrockneten Brunnen schart, während die Angst vor der Zukunft das Herz zusammenschnürt, werden dort in der Gegend wunderliche Reden geführt. »Eine solche Heimsuchung kommt nicht ohne Grund«, sagen die Leute. »Wen sucht Gottes Hand?« Es war an einem Sonntag im August. Der Gottesdienst war beendet. In kleinen Gruppen wanderten die Leute über die sonnenheiße Landstraße dahin. Ringsumher erblickten sie versengte Wälder und eine verdorbene Ernte. Der Roggen stand in Hocken, aber die Garben waren dünn und die Ähren klein. Das Urbarmachen durch Absengen war in diesem Jahr eine leichte Arbeit gewesen, aber es war auch gar oft geschehen, daß die dürren Wälder Feuer gefangen hatten. Und was der Waldbrand verschont hatte, das hatten die Insekten verzehrt; die Tannen hatten ihre Nadeln verloren und standen kahl da wie ein Laubwald im Herbst, die Blätter der Birken hingen ausgefranst herab mit bloßgelegten Rippen und zerfressenen Blattflächen. Den bekümmerten Gruppen fehlte es nicht an Unterhaltungsstoff. Gar manche konnten erzählen, wie es in den Notjahren 1808 und 1809 und in dem kalten Winter 1812 gewesen war, als die Sperlinge totfroren. Die Hungersnot war ihnen nicht fremd, sie hatten ihr schreckliches Antlitz schon gesehen. Sie wußten, wie man Brot aus Rinde buk und die Kühe daran gewöhnte, Moos zu fressen. Eine Frau hatte einen neuen Versuch gemacht, Brot aus Kronsbeeren und Gerstenmehl zu backen. Sie hatte eine Probe davon mit und ließ die Leute kosten. Sie war stolz auf ihre Entdeckung. Über ihnen allen aber schwebte dieselbe Frage, sie starrte aus aller Augen, sie schwebte auf aller Lippen: »Wen, o Herr, suchet deine Hand? Du strenger Gott, wer hat dir die Opfer des Gebets und der guten Werke vorenthalten, da du uns unser armseliges Brot entziehst?« Eine harte Strafe von Gott war es, daß die Majorin nun in der Ferne weilte. Infolge des reichlichen Verdienstes, den zu ihrer Zeit der Eisentransport, das Holzfällen und dergleichen ergaben, hatten die Bewohner der Heide ihre vielhundertjährige Gewohnheit, Arbeit fern von der Heimat zu suchen, fast gänzlich abgelegt. Jetzt mußten die Jungen auswandern, aber es blieben doch noch immer genug zurück, die daheim sitzen und hungern mußten. Ein Mann aus den finsteren Schären, die westwärts über Sundsbroen gezogen waren und die Brobyer Hügel hinanschritten, blieb einen Augenblick an dem Wege stehen, der zu der Wohnung des geizigen Pfarrers führte. Er nahm einen trockenen Zweig von der Erde und warf ihn auf den Weg zum Pfarrhaus. »Trocken wie dieser Zweig sind die Gebete gewesen, die er zu Gott emporgesandt hat«, sagte der Mann. Der ihm zunächst Gehende blieb ebenfalls stehen. Auch er nahm einen trockenen Zweig auf und warf ihn neben den andern. »Wie der Pfarrer, so das Opfer«, sagte er. Der dritte in der Schar folgte dem gegebenen Beispiel. »Er ist gewesen wie die Dürre. Reisig und Stroh -- das ist alles, was er uns hat behalten lassen.« Der vierte sagte: »Wir geben ihm wieder, was er uns gegeben hat.« Und der fünfte: »Zu ewiger Schmach werfe ich ihm dies hin. Möge er hinwelken und verdorren wie dieser Zweig.« »Dürres Futter für den Pfarrer, der die Dürre über uns gebracht hat«, sagte ein sechster. Die Leute, die hinterdrein kommen, sehen und hören, was sie tun und sagen. Jetzt wird ihnen Antwort auf das, wonach sie so lange gefragt haben. »Gebt ihm, was ihm zukommt! Er hat die Dürre über uns gebracht!« heißt es unter der Menge. In dem Winkel zwischen den Wegen lag bald ein Haufe von dürren Zweigen und Stroh -- der Schandhügel für den Pfarrer von Broby! Das war die einzige Rache der Bevölkerung. Niemand erhob die Hand wider den Pfarrer oder sagte ein böses Wort zu ihm selber. Verzweifelte Herzen erleichterten sich teilweise von ihrer Last, indem sie dürre Zweige auf diesen Hügel warfen. Sie nahmen selber keine Rache. Sie zeigten dem Gott der Wiedervergeltung nur den Schuldigen an. »Haben wir dir nicht gedient, wie wir sollten, so ist es die Schuld dieses Mannes. Sei barmherzig, Herr, und laß ihn allein leiden! Wir brandmarken ihn mit Schande und Entehrung. Wir sind nicht eins mit ihm.« Es wurde sehr bald Sitte, daß jeder, der an dem Wege zum Pfarrhof vorüberkam, einen trockenen Zweig auf den Schandhügel warf. »Mögen Gott und die Menschen es sehen«, dachte jeder Vorübergehende. »Auch ich verachte ihn, der den Zorn Gottes über uns gebracht hat.« Der alte Geizhals bemerkte gar bald den Hügel am Wegesrande. Er ließ ihn wegräumen -- einige sagten, daß er seinen Herd damit heize. Am nächsten Tage hatte sich an derselben Stelle ein ebensolcher Hügel angesammelt, und sobald er den einen wegräumen ließ, wurde ein neuer aufgeworfen. Die dürren Zweige lagen da und sagten: »Schande, Schande über den Pfarrer von Broby!« Es war in den warmen, trockenen Hundstagen. Schwer von Rauch, gesättigt von Brandgeruch, lag die Luft über der Gegend. Die Gedanken wurden verwirrt in den erregten Gehirnen. Der Pfarrer von Broby war zum Dämon der Dürre geworden. Es war den Bauern, als sitze der alte Geizhals da und bewache die Quellen des Himmels. Bald ward sich der Pfarrer klar über die Ansicht der Gemeinde. Er verstand, daß man ihn als Urheber des Unglücks bezeichnete. Aus Zorn über ihn ließ Gott die Erde verschmachten. Die Schiffsbesatzung, die auf dem wilden Meer in Not war, hatte das Los geworfen. Er war der Mann, der über Bord sollte. Er versuchte, über sie und ihre trockenen Zweige zu lachen, als es aber eine Woche gewährt hatte, lachte er nicht mehr. Ach, welch eine Kinderei war dies doch! Er begriff sehr wohl, daß ein jahrelang verhaltener Haß nach Gelegenheit suchte, sich Luft zu machen. Nun ja -- er war nicht an Liebe gewöhnt. Milder wurde er dadurch nicht. Er hatte nach dem Besuch des alten Fräuleins vielleicht den Wunsch gehabt, sich zu ändern; jetzt konnte er es nicht. Er wollte sich nicht zwingen lassen, besser zu werden. Allmählich aber wurde der Hügel ihm zu mächtig. Er mußte stets daran denken, und die Ansicht, die alle hegten, faßte auch bei ihm Wurzel. Es war das entsetzlichste Zeugnis, dies Abwerfen dürrer Zweige. Er betrachtete den Hügel und zählte die Zweige, die jeden Tag hinzugekommen waren. Der Gedanke hieran griff um sich und verdrängte alle andern Gedanken. Der Hügel besiegte ihn. Mit jedem Tag, der verging, mußte er den Leuten mehr recht geben. Er fiel ab und ward im Laufe weniger Wochen ein Greis. Er bekam Gewissensbisse, so daß er ganz krank davon wurde. Aber es war ihm, als stehe das alles mit diesem Hügel im Zusammenhang. Es war ihm, als müßten die Gewissensbisse schweigen, als würde die Last des Alters wieder von ihm weichen, wenn nur der Hügel nicht mehr da wäre. Schließlich saß er den ganzen Tag da und gab acht. Aber die Leute waren unbarmherzig, und in der Nacht wurden stets wieder neue Zweige auf den Hügel geworfen. * * * * * Eines Tages kam Gösta Berling des Weges gefahren. Der Pfarrer von Broby saß am Wegesrande, alt und abfällig. Er saß da und zerrte an den dürren Zweigen und legte sie zu Haufen und Reihen zusammen und spielte damit, als sei er wieder zum Kinde geworden. Gösta jammerte seines Elends. »Was machen Sie denn da?« sagte er, schnell vom Wagen springend. »Ach, ich sitze hier und suche die Zweige aus -- eigentlich tue ich nichts.« »Sie sollten nach Hause gehen, Herr Pfarrer, und hier nicht im Staub der Landstraße sitzen.« »Es wird doch wohl das beste sein, wenn ich hier sitze.« Da setzt sich Gösta zu ihm. »Es ist nicht so leicht, Pfarrer zu sein«, sagt er, als er eine Weile dagesessen hat. »Hier unten läßt es sich doch aushalten, hier, wo Menschen sind«, sagt der Pfarrer. »Es ist weit schlimmer da oben.« Gösta weiß wohl, was er sagen will. Er kennt diese Gemeinden im nördlichen Wermland, wo sich oft nicht einmal eine Wohnung für den Pfarrer findet, die großen Walddistrikte, wo die Finnen in den Rauchhütten wohnen, die armseligen Gegenden mit ein paar Menschen auf jede Meile, wo der Pfarrer der einzige Gebildete ist. In einer solchen Gemeinde hatte der Brobyer Pfarrer über zwanzig Jahre gewirkt. »Dahin senden sie uns, wenn wir jung sind«, sagt Gösta. »Es ist unmöglich, das Leben dort zu ertragen. Und dann wird man für immer verdorben. Gar mancher ist dort oben zugrunde gegangen.« »Dort«, sagt der Pfarrer von Broby, »verdirbt uns die Einsamkeit.« »Man kommt«, fällt Gösta eifrig ein, »und redet und ermahnt und glaubt, daß alles gut werden kann, daß die Gemeinde bald auf besseren Bahnen wandeln wird.« »Ja, so ist es!« »Doch man merkt gar bald, daß Worte nichts nützen. Die Armut steht uns im Wege. Die Armut hindert jegliche Besserung.« »Die Armut«, wiederholt der Pfarrer. »Die Armut hat mein Leben zerstört.« »Ein junger Pfarrer«, fährt Gösta fort, »kommt da hinauf, arm wie alle die andern. Er sagt zu dem Trunkenbold: 'Laß das Trinken!'« »Da antwortet der Trunkenbold,« fällt ihm der Pfarrer in die Rede: »'Gib mir etwas, das besser ist als Branntwein! Der Branntwein ist mir ein Pelz im Winter, er gibt mir Kühlung im Sommer. Der Branntwein ist mir eine warme Stube und ein weiches Bett. Gib mir dies alles, dann will ich das Trinken lassen.'« »Und dann«, fährt Gösta fort, »sagt der Pfarrer zum Dieb: 'Du sollst nicht stehlen', und zu dem bösen Mann: 'Du sollst deine Frau nicht schlagen', und zu dem Abergläubischen: 'Du sollst an Gott glauben und nicht an Gespenster und Kobolde!' Der Dieb aber antwortet: 'Gib mir Brot', und der böse Mann sagt: 'Mach uns reich, dann wollen wir den Unfrieden nachlassen', und der Abergläubische: 'Lehre mich etwas Besseres!' Wer aber kann ihnen ohne Geld helfen?« »Das ist wahr, das ist wahr! Jedes Wort ist wahr!« ruft der Pfarrer aus. »An Gott glaubten sie, mehr aber noch an den Teufel und an die Kobolde in den Bergen und an böse Geister. Alles Korn wanderte in den Branntweinkessel. Niemand konnte das Ende des Elends absehen. In den meisten der grauen Hütten war die Not zu Hause. Heimlicher Kummer machte die Zunge der Frauen bitter. Die Ungemütlichkeit im Hause trieb die Männer zum Trinken. Das Feld und das Vieh wußten sie nicht zu behandeln. Sie fürchteten den Edelmann und machten sich lustig über den Pfarrer. Was sollte man mit ihnen anstellen? Was ich von der Kanzel zu ihnen sprach, verstanden sie nicht. Was ich sie lehren wollte, glaubten sie nicht. Und niemand, mit dem man sich hätte beraten können, niemand, der mir helfen konnte, den Mut aufrechtzuerhalten.« »Es gibt Geistliche, die es ausgehalten haben«, sagt Gösta. »Gottes Gnade ist so reich über einigen von ihnen gewesen, daß sie nicht als gebrochene Menschen von einem solchen Leben zurückgekehrt sind. Ihre Kräfte haben ausgereicht, sie haben die Einsamkeit, die Armut, die Hoffnungslosigkeit ertragen. Sie haben das wenige Gute ausgerichtet, was sie vermochten, und sind nicht verzweifelt. Solche Männer hat es stets gegeben, gibt es auch noch. Ich begrüße sie als Helden. Ich will sie ehren, solange ich lebe. Ich hätte es nicht durchführen können.« »Ich vermochte es nicht«, sagt der Pfarrer. »Der Pfarrer dort oben«, sagt Gösta nachdenklich, »beschließt, daß er ein reicher Mann, ein überaus reicher Mann werden will. Kein Armer kann das Böse bekämpfen. Und dann fängt er an, Geld zu sammeln.« »Wenn er kein Geld sammelte, würde er anfangen zu trinken,« antwortete der Alte, »er sieht so viel Elend.« »Oder er würde schlaff und träge werden und alle seine Kräfte einbüßen. Es ist gefährlich dort hinaufzukommen, wenn man nicht da geboren ist.« »Er muß sich hart machen, um Geld zu sammeln. Anfänglich gibt er sich den Anschein, als wenn er es wäre, und schließlich wird es ihm zur Gewohnheit.« »Er muß hart gegen sich und gegen andere werden«, fährt Gösta fort. »Es ist schwer, Geld zu sammeln. Er muß Haß und Verachtung erleiden, er muß frieren und hungern und sein Herz verhärten; es ist fast, als vergäße er, weshalb er angefangen hat zu sparen.« Der Brobyer Pfarrer blickte scheu zu ihm auf. Er fragte sich, ob Gösta dort sitze und sich lustig über ihn mache. Aber Gösta war ganz Eifer und Ernst. Es war, als rede er seine eigene Sache. »So ist es mir ergangen«, sagte der Alte leise. »Aber Gott beschützt ihn«, fährt Gösta fort. »Er erweckt die Gedanken seiner Jugend in ihm, wenn er genug gesammelt hat. Er gibt dem Pfarrer ein Zeichen, wenn das Volk Gottes seiner bedarf.« »Aber wenn der Pfarrer nun dem Zeichen nicht gehorcht, Gösta Berling?« »Er kann ihm nicht widerstehen«, entgegnete Gösta mit strahlendem Lächeln. »Der Gedanke an die warmen Hütten, bei deren Bau er den Armen helfen soll, ist zu verlockend.« Der Pfarrer sieht herab auf die kleinen Gebäude, die er aus den dürren Zweigen des Schandhügels aufgeführt hat. Je länger er mit Gösta redet, desto mehr fühlt er sich überzeugt, daß er recht hat. Er hatte stets den Gedanken gehabt, Gutes zu tun, wenn er einmal genug eingesammelt hätte. Er klammert sich daran fest; natürlich hatte er diesen Gedanken gehabt. »Weshalb baut er denn keine Hütten?« fragt er scheu. »Er schämt sich. Man könnte ja leicht glauben, daß er aus Furcht vor den Leuten täte, was er stets zu tun beabsichtigt hat.« »Er kann den Gedanken nicht ertragen, daß man ihn zwingen will; das ist der Grund.« »Aber er kann doch im Verborgenen helfen. In diesem Jahr bedarf es vieler Hilfe. Er kann sich jemand verschaffen, der seine Gaben austeilt. Ich verstehe das alles!« ruft Gösta aus, und seine Augen strahlen. »In diesem Jahr sollen Tausende Brot von dem erhalten, den sie mit Flüchen überhäufen.« »So soll es sein, Gösta!« Ein Rausch überkam diese beiden, die es so wenig verstanden hatten, den Beruf auszufüllen, den sie erwählt hatten. Die Lust ihrer Jugend, Gott und den Menschen zu dienen, überkam sie von neuem. Sie schwelgten in den Wohltaten, die sie ausführen wollten. Gösta sollte der Gehilfe des Pfarrers sein. »Vor allen Dingen müssen wir Brot schaffen«, sagte der Pfarrer. »Und Schullehrer müssen wir schaffen. Wir lassen Landesvermesser kommen, die den Grund und Boden austeilen. Und dann sollen die Leute es lernen, ihre Äcker zu bestellen und das Vieh zu pflegen.« »Wir wollen neue Wege bahnen und ein neues Dorf bauen.« »Wir wollen unten am Gießbach Schleusen anlegen, dadurch wird der Weg zwischen dem Löfsee und dem Wenersee eröffnet.« »All der Reichtum unserer Wälder wird zu doppeltem Segen werden, wenn der Weg zum Meere frei ist.« »Die Flüche werden sich in Segenswünsche verwandeln«, ruft Gösta aus. Der Pfarrer sieht auf. Sie lesen gegenseitig in ihren Blicken dieselbe glühende Begeisterung. Aber im selben Augenblick fällt ihr Auge auf den Schandhügel. »Gösta,« sagt der Alte, »dies alles erfordert die Kräfte eines starken Mannes, ich aber bin dem Tode nahe. Du siehst, was mir am Leben zehrt.« »Schaffen Sie es fort!« »Wie soll ich das machen, Gösta Berling?« Gösta tritt dicht an ihn heran und sieht ihm scharf in die Augen. »Bitten Sie Gott um Regen!« sagt er. »Sie sollen ja am Sonntag predigen. Bitten Sie Gott dann um Regen.« Entsetzt sinkt der alte Pfarrer zusammen. »Wenn es Ihr Ernst ist, wenn Sie nicht die Dürre übers Land gebracht haben, wenn Sie dem Höchsten nicht mit Ihrer Härte haben dienen wollen, so bitten Sie Gott um Regen. Das soll das Zeichen sein. Daraus wollen wir erkennen, ob Gott dasselbe will, was wir wollen.« Als Gösta die Brobyer Hügel hinabfuhr, wunderte er sich über sich selber und über die Begeisterung, die ihn ergriffen hatte. Aber es konnte doch ein schönes Leben werden. Ja, nur nicht für ihn. Von seiner Hilfe wollten sie da oben nichts wissen. * * * * * In der Brobyer Kirche war die Predigt gerade beendet, und die gewöhnlichen Gebete waren verlesen. Der Pfarrer war im Begriff, die Treppe der Kanzel hinabzugehen. Aber er zögerte. Schließlich fiel er auf die Knie und flehte um Regen. Er betete, wie ein verzweifelter Mensch betet, mit wenigen Worten, ohne eigentlichen Zusammenhang. »Ist es meine Sünde, die deinen Zorn erregt hat, so strafe nur mich. Gibt es Barmherzigkeit bei dir, du Gott der Gnade, so laß es regnen! Nimm die Schande von mir! Laß es regnen um meines Flehens willen! Laß Regen herabfallen auf das Feld des Armen! Gib deinem Volke Brot!« Der Tag war warm, es war unerträglich schwül. Die Gemeinde hatte halb im Schlaf dagesessen, aber bei diesen abgerufenen Lauten, dieser heiseren Verzweiflung erwachten alle. »Wenn es noch einen Weg zur Umkehr für mich gibt, so sende Regen ...« Er schwieg. Die Türen standen offen. Jetzt kam ein heftiger Windstoß herangesaust. Er fuhr über das Feld, wirbelte bis zur Kirche herauf und sandte eine Staubwolke voller Reisig und Stroh herein. Der Pfarrer konnte nicht weitersprechen; er schwankte von der Kanzel herab. Die Menschen schauderten. Sollte dies eine Antwort sein? Aber der Windstoß war nur ein Vorläufer des Gewitters. Es zog sich mit einer Geschwindigkeit ohnegleichen zusammen. Als der Gesang beendet war und der Pfarrer vor dem Altar stand, zuckten schon die Blitze, und der Donner rollte gewaltig, den Klang seiner Worte übertäubend. Als der Küster den letzten Vers spielte, peitschten schon die ersten Regentropfen gegen die grünen Fensterscheiben, und alle Leute stürmten hinaus, um den Regen zu sehen. Aber sie begnügten sich nicht damit, zu sehen: einige weinten, andere lachten, während sie den starken Gewitterregen auf sich herabströmen ließen. Ach, wie groß war ihre Not gewesen! Wie unglücklich waren sie gewesen. Aber Gott ist gut. Gott sendet Regen. Welch eine Freude, welch eine Freude! Der Brobyer Pfarrer war der einzige, der nicht in den Regen hinauskam. Er lag auf den Knien vor dem Altar und erhob sich nicht. Die Freude war für ihn zu gewaltig gewesen. Er starb vor Freude. Des Kindes Mutter Man konnte nur _einer_ Ansicht über die Sache sein: das Kind mußte einen Vater haben. Das Kind war das jämmerlichste kleine Wesen, das man sich denken konnte, klein und rot mit tausend Falten. Das Kind war ein kleines Wesen, das niemals schrie, das gleich von der Geburt an Krampfanfälle gehabt hatte, ein armes, verirrtes Wesen, das sechs oder sieben Wochen früher ins Leben eingetreten war, als es von Rechts wegen durfte, und das sich deswegen niemals auf der Erde zurechtzufinden vermochte. Das Kind wog so wenig, daß es sich nicht einmal der Mühe verlohnt, zu sagen, wie wenig es war. Man mußte es in Lammfelle nähen, und es wollte weder essen noch schlafen. Aber es lebte. Niemand wußte, wie es am Leben erhalten wurde, aber leben tat es. Das Kind war in einer kleinen Bauernhütte östlich vom Klarelf geboren. Des Kindes Mutter war Anfang Juni dahin gekommen und hatte einen Dienst gesucht. Sie habe einen Fehltritt begangen, hatte sie zu den Leuten im Hause gesagt, und ihre Mutter sei so hart gegen sie gewesen, daß sie habe fliehen müssen. Sie nannte sich Elisabeth Karlsdatter, aber sie wollte nicht sagen, woher sie sei, denn dann würden sie natürlich ihre Eltern von ihrem Aufenthaltsort benachrichtigen, und die würden sie zu Tode peinigen, wenn sie sie fänden; davon sei sie überzeugt. Sie verlange keinen Lohn, sie wolle nur Essen und Trinken und ein Dach über dem Haupte haben. Sie könne arbeiten, weben oder spinnen oder die Kühe hüten -- was sie wollten. Wenn man es verlange, könne sie auch für ihren Aufenthalt bezahlen. Sie war so vorsichtig gewesen, barfuß auf den Hof zu kommen, die Schuhe unterm Arm; sie hatte grobe Hände, sie redete die Sprache der Gegend und trug die Kleidung eines Bauernmädchens. Sie glaubten ihr. Der Hausherr meinte, sie sähe gebrechlich aus, er traute ihrer Arbeitstüchtigkeit nicht recht. Aber irgendwo müsse sie ja bleiben die Ärmste. Und so durfte sie denn dableiben. Es war etwas an ihr, was bewirkte, daß alle auf dem Hofe freundlich gegen sie waren. Sie war in ein gutes Haus gekommen. Die Menschen dort waren ernsthaft und still. Die Hausfrau hielt große Stücke auf sie, seit sie entdeckt hatte, daß sie Drell weben konnte. Sie lieh einen Drellwebstuhl von der Pröpstin, und des Kindes Mutter hatte den ganzen Sommer am Webstuhl gesessen. Es fiel niemand ein, daß sie geschont werden müsse: sie mußte die ganze Zeit hindurch wie ein Bauernmädchen arbeiten. Sie war nicht sehr unglücklich. Das Leben unter den Bauern sagte ihr zu, obwohl sie alle Bequemlichkeiten, an die sie gewöhnt war, entbehren mußte. Aber man faßte dort alles ganz ruhig und natürlich auf. Aller Gedanken drehten sich um die Arbeit, und die Tage vergingen so einförmig, daß man sich verrechnen konnte und glauben, man befinde sich mitten in der Woche, wenn der Sonntag kam. Eines Tages gegen Ende August hatten sie den ganzen Tag Hafer gemäht, und des Kindes Mutter war mit aufs Feld gegangen, um Garben zu binden. Dabei hatte sie sich überanstrengt, und das Kind ward geboren, aber zu früh. Sie hatte es im Oktober erwartet. Jetzt stand die Bauernfrau mit dem Kinde am Feuer und erwärmte es, denn das arme kleine Wesen fror mitten in der Augustwärme. Des Kindes Mutter lag nebenan in der Kammer und lauschte, was von dem Kleinen gesagt werde. Sie konnte sich vorstellen, wie die Knechte und Mägde hingingen und es in Augenschein nahmen. »So ein armes, kleines Ding«, sagten sie dann immer, und hinterdrein folgte ohne Ausnahme: »Du armer Kleiner, der du keinen Vater hast!« Irgend jemand wunderte sich regelmäßig, daß das Kind so rot und runzelig sei, dann aber antwortete ebenso regelmäßig eine andere Stimme, so sähen alle kleinen Kinder aus. Sie klagten nicht über das Geschrei des Kindes: sie waren ganz davon durchdrungen, daß Kinder schreien müßten, und schließlich, wenn man alles recht erwog, war das Kind ganz kräftig für sein Alter. Es schien alles ganz in Ordnung zu sein, wenn es nur einen Vater gehabt hätte. Die Mutter lag da und lauschte und wunderte sich. Die Sache erschien ihr plötzlich von großer Wichtigkeit. Wie sollte der arme Kleine, der keinen Vater hatte, durchs Leben kommen? Sie hatte ihren Plan im voraus gemacht. Sie wollte das erste Jahr auf dem Bauernhof bleiben. Später wollte sie sich ein Zimmer mieten und ihr Brot durch Weben verdienen. Sie wollte selber das Erforderliche verdienen, um das Kind zu ernähren und zu kleiden. Ihr Mann mochte gern glauben, daß sie seiner unwert war. Sie hatte gedacht, daß das Kind vielleicht ein besserer Mensch werden würde, wenn es von ihr allein erzogen wurde, als wenn ein hoffärtiger Vater es leitete. Jetzt aber, nachdem das Kind geboren war, konnte sie die Sache nicht von diesem Gesichtspunkt auffassen. Sie fand, daß sie selbstsüchtig gehandelt hatte. »Das Kind muß einen Vater haben«, sagte sie zu sich. Wäre das Kind nicht so ein kleines, jämmerliches Wesen gewesen, hätte es schlafen und essen können wie andere Kinder, hätte sein kleiner Kopf nicht immer auf die eine Seite gehangen, wäre es nicht nahe daran gewesen zu sterben, wenn die Krampfanfälle kamen, so würde die Frage nicht von so überaus großer Wichtigkeit gewesen sein. Aber dies kleine, hilflose Wesen _mußte_ einen Vater haben. Es war nicht so leicht, sich zu entschließen, aber entschließen mußte sie sich, und zwar sofort. Das Kind war drei Tage alt, und die Bauern in Wermland warten selten länger damit, ihre Kinder zur Taufe zu tragen. Unter welchem Namen sollte nur der Kleine ins Kirchenbuch eingetragen werden, und was wollte der Pfarrer von des Kindes Mutter wissen? Es war doch sicher ein Unrecht gegen das Kind, es als vaterlos einschreiben zu lassen. Es war nun einmal in diese Welt der Leiden gekommen, schien sich aber nur danach zu sehnen, sie wieder zu verlassen. Vielleicht würde es besser gedeihen, wenn es einen Vater bekäme. Wenn nun dies Kind zu einem schwachen, kränklichen Manne heranwuchs, wie konnte sie es da verantworten, es der Vorteile zu berauben, die ihm infolge seiner Geburt und seines Reichtums zukamen? Des Kindes Mutter wußte ja sehr wohl, daß es ein großes Ereignis und eine große Freude war, wenn ein Kind zur Welt kam. Jetzt erschien es ihr, daß es schwer sein müsse, für diesen Kleinen zu leben, da ihn alle bemitleideten. Sie wollte ihn gern auf Seide und in Spitzen gebettet sehen, wie es sich für einen Grafensohn geziemt. Sie wollte ihn gern von Glanz und Stolz umgeben sehen. Ja, das Kind _mußte_ einen Vater haben! Des Kindes Mutter fing an zu meinen, daß sie ein zu großes Unrecht gegen seinen Vater begehe. Hatte sie ein Recht, es für sich allein zu behalten? Das konnte sie doch wohl nicht haben. So ein teures kleines Wesen, dessen Wert kein Mensch abzuwägen vermag, sollte sie sich aneignen? Es war gar nicht rechtschaffen von ihr, so zu handeln. Des Kindes Mutter wollte nicht gern zu ihrem Gatten zurück. Sie war bange, daß es ihr Tod werden würde. Aber der Kleine schwebte in größerer Gefahr als sie. Er konnte jeden Augenblick sterben, und er war nicht getauft. Das, was sie von Hause fortgetrieben hatte, die große Sünde, die in ihrem Herzen gewohnt hatte, war verschwunden. Jetzt empfand sie keine andere Liebe als für den Kleinen, der keinen Vater hatte. Es war ihr keine schwere Pflicht zu versuchen, ihm einen zu verschaffen. Des Kindes Mutter ließ den Mann und die Frau im Hause zu sich rufen und sagte ihnen alles. Der Mann fuhr nach Borg, um Graf Dohna zu erzählen, daß seine Frau lebe, und daß ein Kind geboren sei, das einen Vater haben müsse. Der Bauer kam spät am Abend nach Hause. Er hatte den Grafen nicht getroffen, denn der war verreist, aber er war beim Pfarrer in Svartsjö gewesen und hatte mit ihm über die Sache geredet. Da erfuhr denn die Gräfin, daß ihre Ehe für ungültig erklärt war, und daß sie keinen Mann mehr hatte. Der Pfarrer schrieb ihr einen freundlichen Brief und bot ihr ein Heim in seinem Hause an. Es ward ihr auch ein Brief von ihrem eigenen Vater an den Grafen Henrik gesandt; der mußte wenige Tage nach ihrer Flucht auf Schloß Borg angekommen sein. Vielleicht hatte gerade dieser Brief, in welchem ihr Vater den Grafen bat, die Legalisierung der Ehe zu beschleunigen, Graf Henrik den leichtesten Weg gezeigt, auf dem er sich seiner Gattin entledigen könne. Man kann sich wohl vorstellen, daß des Kindes Mutter vor Zorn entflammte, größer aber war doch noch ihr Schmerz, als sie die Erzählung des Bauern hörte. Die Mutter eines kräftigen, schönen Kindes hätte diese Nachricht mit Verachtung hinnehmen und stolz darüber sein können, daß sie das Kind nun ganz allein besaß. Aber die Mutter dieses kleinen, hilflosen Wesens hatte fast ein Gefühl, als hätte sie ihren Mann töten können. Sie besaß keinen Stolz, zu dem sie ihre Zuflucht nehmen konnte. Die ganze Nacht hindurch floh sie der Schlaf. Das Kind _mußte_ einen Vater haben! Darum kreisten alle ihre Gedanken. Am nächsten Morgen mußte der Bauer auf ihr Verlangen nach Ekeby fahren und Gösta Berling holen. Gösta richtete viele Fragen an den schweigsamen Mann, aber er erfuhr nichts. Ja, die Gräfin sei den ganzen Sommer bei ihm im Hause gewesen und habe gearbeitet. Jetzt sei ihr ein Kind geboren. Das Kind sei schwach, die Mutter aber würde bald wieder gesund sein. Gösta fragte, ob die Gräfin wisse, daß ihre Ehe für ungültig erklärt sei. Ja, jetzt wisse sie es; gestern habe sie es erfahren. Auf dem ganzen Wege dahin war Gösta bald in brennendem Fieber, bald überliefen ihn kalte Schauer. Was wollte sie von ihm? Weshalb sandte sie nach ihm? Er dachte an das Sommerleben da oben am Ufer des Löfsees. Sie hatten die Tage mit Tanz und Spiel und Lustfahrten verbracht, und inzwischen hatte sie gearbeitet und gelitten. Niemals hatte er an die Möglichkeit gedacht, sie wiederzusehen. Ach, hätte er das doch nur hoffen können! Da würde er als besserer Mann vor sie getreten sein. Worauf konnte er jetzt zurückblicken? Auf nichts als auf die gewöhnlichen Torheiten. Gegen acht Uhr des Abends erreichte er sein Ziel und ward sogleich zu des Kindes Mutter geführt. Es war halb dunkel im Zimmer, er konnte sie kaum sehen, wie sie dalag. Auch der Mann und die Frau kamen herein. Jetzt darf man nicht vergessen, daß sie, deren weißes Antlitz ihm in der Dämmerung entgegenleuchtete, für ihn stets das Höchste und Reinste war, was er kannte, die schönste Seele, die sich in irdische Gewänder gekleidet hatte. Als er nun wieder den Segen ihrer Nähe empfand, fühlte er das Bedürfnis, sich auf die Knie zu werfen und ihr zu danken, weil sie sich ihm aufs neue offenbarte, aber er war so überwältigt von Bewegung, daß er nichts sagen oder tun konnte. »Teure Gräfin Elisabeth!« stammelte er nur. »Guten Abend, Gösta!« Sie reichte ihm die Hand, die wieder weiß und durchsichtig geworden war. Sie lag schweigend da, während er mit seiner Gemütsbewegung kämpfte. Des Kindes Mutter wurde nicht von gewaltsam hervorstürmenden Gefühlen erschüttert, als sie Gösta erblickte. Es wunderte sie nur, daß er hauptsächlich an sie zu denken schien, da er ja doch begreifen konnte, daß es sich jetzt ausschließlich um das Kind handelte, das einen Vater haben mußte. »Gösta,« sagte sie sanft, »jetzt mußt du mir helfen, wie du mir einst gelobtest. Du weißt, daß mein Mann mich verlassen hat, folglich hat mein Kind keinen Vater mehr.« »Ja, Frau Gräfin, aber die Sache läßt sich doch ändern. Jetzt, wo ein Kind da ist, kann der Graf sicher gezwungen werden, die Ehe zu legalisieren. Sie können sich darauf verlassen, daß ich Ihnen helfen werde, Frau Gräfin.« Des Kindes Mutter lächelte. »Glaubst du, daß ich mich Graf Dohna aufdrängen will?« Das Blut strömte Gösta zu Kopf. Was wollte sie denn nur? Was verlangte sie von ihm? »Komm hierher, Gösta,« sagte sie und reichte ihm wieder ihre Hand. »Du mußt mir nicht böse werden wegen dessen, was ich nun sagen will, aber ich dachte, daß du, der du, der du ...« »Der ich ein abgesetzter Pfarrer bin, ein Saufbruder, ein Kavalier, Ebba Dohnas Mörder -- ich kenne die ganze Liste meiner Meriten ...« »Bist du schon jetzt böse, Gösta?« »Ich möchte am liebsten, daß die Frau Gräfin nicht fortführe.« Aber des Kindes Mutter fuhr fort: »Mehr als eine, Gösta, würde aus Liebe deine Gattin geworden sein, aber so ist es nicht mit mir. Wenn ich dich liebte, würde ich nicht den Mut haben, so mit dir zu reden, wie ich jetzt rede. Um meiner selbst willen würde ich nicht um so etwas bitten, Gösta, aber siehst du, das Kind muß ja einen Vater haben. Du begreifst wohl schon, um was ich dich bitten will. Es ist allerdings eine große Erniedrigung für dich, weil ich eine unverheiratete Frau bin und ein Kind habe. Ich dachte nicht daran, daß du es wohl tun würdest, weil du geringer bist als andere, obwohl -- ja, ich dachte auch daran. Hauptsächlich aber dachte ich, daß du es wohl tun würdest, weil du so gut bist, Gösta, weil du ein Held bist und dich aufopfern kannst. Aber das ist vielleicht zu viel verlangt. Vielleicht _kann_ ein Mann nicht so viel tun. Wenn du mich zu sehr verachtest, wenn es dir gar zu sehr zuwider ist, als Vater eines andern Kindes genannt zu werden, so sage es nur. Ich will dir nicht zürnen. Ich sehe sehr wohl ein, daß es zu viel verlangt ist, aber das Kind ist krank, Gösta. Es ist so hart, daß man bei seiner Taufe nicht den Namen von seiner Mutter Gatten nennen kann.« Während er ihr zuhörte, empfand er dasselbe wie damals, als er sie an jenem Frühlingstage an Land setzen und sie ihrem Schicksal überlassen mußte. Jetzt mußte er ihr helfen, ihre Zukunft zu zerstören, ihre ganze Zukunft. Er mußte das tun, er, der sie liebte! »Ich will alles tun, was Frau Gräfin wünschen!« sagte er. Am nächsten Tage sprach er mit dem Propst in Bro, denn Svartsjö ist eine Nebenpfarre von Bro, und dort sollte das Aufgebot stattfinden. Der gute alte Propst wurde gerührt und versprach, alle Verantwortung und die Erfüllung aller Formalitäten zu übernehmen. »Ja,« sagte er, »du mußt ihr helfen, Gösta, das mußt du tun. Sie könnte sonst leicht wahnsinnig werden. Sie glaubt, daß sie dem Kinde einen Schaden zugefügt hat, weil sie seinen Vater nicht hat angeben können. Sie hat ein sehr zartes Gewissen, diese junge Frau.« »Aber ich weiß, daß ich sie unglücklich machen werde,« rief Gösta aus. »Das mußt du nicht tun, Gösta! Du mußt ein vernünftiger Mann werden, jetzt, wo du für Frau und Kind zu sorgen hast.« Der Propst wollte nach Svartsjö hinabfahren und mit dem Pfarrer und dem Amtmann reden. Das Ende vom Liede war, daß am nächsten Sonntag Gösta Berling und Elisabeth von Thurn in der Svartsjöer Kirche aufgeboten wurden. Dann wurde des Kindes Mutter mit der größten Vorsicht nach Ekeby gefahren, und dort wurde das Kind getauft. Der Propst sprach mit ihr und sagte ihr, daß sie ihren Entschluß noch rückgängig machen könne. Ehe sie sich mit einem Manne wie Gösta Berling verheirate, müsse sie an ihren Vater schreiben. »Ich kann es nicht bereuen«, sagte sie. »Denkt doch, wenn mein Kind sterben sollte, ehe es einen Vater bekommen hat!« Als das Aufgebot zum drittenmal verlesen wurde, war des Kindes Mutter schon mehrere Tage wieder ganz frisch und gesund gewesen. Am Nachmittage kam der Propst und traute sie und Gösta Berling. Niemand aber dachte daran, daß dies eine Hochzeit sei. Es waren keine Gäste geladen. Man verschaffte nur dem Kinde einen Vater, das war das Ganze. Des Kindes Mutter strahlte in stiller Freude, als wenn sie ein großes Ziel erreicht hätte. Der Bräutigam war betrübt. Er dachte daran, wie sie ihre Zukunft durch die Ehe mit ihm verdarb. Er merkte mit Entsetzen, daß er eigentlich gar nicht für sie existierte. Alle ihre Gedanken waren bei dem Kinde. Einige Tage darauf wurden des Kindes Vater und Mutter in Trauer versetzt. Das Kind war während eines Krampfanfalls gestorben. Es wollte manchem scheinen, als wenn des Kindes Mutter nicht so heftig und tief trauere, wie man erwartet hatte. Es lag ein Ausdruck von Triumph über ihr. Es war, als jubele sie, daß sie ihre ganze Zukunft um des Kindes willen zerstört hatte. Wenn der Kleine zu den Engeln hinaufkam, würde er sich doch erinnern, daß er auf Erden eine Mutter gehabt hatte, die ihn liebte. * * * * * Dies alles ging still und unbemerkt vor sich. Als Gösta Berling und Elisabeth von Thurn in der Svartsjöer Kirche aufgeboten wurden, wußten die meisten nicht einmal, wer die Braut war. Die Geistlichen und die Edelleute, die über die Sache Bescheid wußten, sprachen so wenig wie möglich davon. Es war, als fürchteten sie, daß der eine oder der andere, der den Glauben an die Macht des Gewissens verloren hatte, der Handlungsweise der jungen Frau eine üble Deutung geben möge. Man war so besorgt, daß jemand sagen könne: »Da könnt ihr sehen, es ist doch wahr gewesen, daß sie ihre Liebe zu Gösta nicht überwinden konnte; jetzt hat sie sich unter einem Vorwand, der ja recht edel erscheint, mit ihm verheiratet.« Ach, die Alten behandelten die junge Frau stets mit so großer Zartheit. Niemals duldeten sie es, daß man schlecht von ihr sprach. Sie wollten kaum einräumen, daß sie gesündigt hatte. Sie wollten nicht sehen, daß diese Seele, die so ängstlich vor allem Bösen war, von Sünde befleckt sein könne. Ein anderes großes Ereignis, das gerade um dieselbe Zeit geschah, trug auch dazu bei, daß Gösta Berlings Ehe nicht mehr beredet wurde. Major Samzelius wurde von einem Unglück betroffen. Er war mehr und mehr sonderlich und menschenscheu geworden. Er verkehrte fast ausschließlich mit Tieren und hatte auf Sjö einen ganzen kleinen Tierpark um sich versammelt. Gefährlich war er auch, denn er hatte stets eine geladene Flinte bei sich und feuerte sie einmal über das andere ab, ohne darauf zu achten, wohin der Schuß ging. Eines Tages wurde er von einem zahmen Bären gebissen, den er versehentlich angeschossen hatte. Das verwundete Tier stürzte sich über ihn, während er dicht vor dem Gitter stand, und biß ihn in den Arm. Dann brach es aus der Gefangenschaft aus und flüchtete in den Wald. Der Major wurde bettlägerig und starb an dieser Wunde, aber erst kurz vor Weihnachten. Hätte die Majorin gewußt, daß er krank daniederlag, so hätte sie die Herrschaft über Ekeby wieder übernehmen können. Aber die Kavaliere wußten, daß sie nicht kommen würde, ehe ihr Jahr verstrichen war. =Amor vincit omnia= Unter der Treppe zu der Pulpitur in der Svartsjöer Kirche befindet sich eine Rumpelkammer, die ganz angefüllt ist mit allerlei altem Gerümpel: mit zerbrochenen Grabscheiten, unbrauchbaren Kirchenbänken und dergleichen. Da drinnen, wo der Staub dick liegt und sie gleichsam vor jedem menschlichen Auge verbirgt, steht eine mit dem reichsten Perlmuttermosaik eingelegte Truhe. Wischt man den Staub davon ab, so scheint sie zu schimmern und zu strahlen wie eine Felswand in einem Märchen. Die Truhe ist verschlossen, und der Schlüssel ist gut verwahrt. Sie darf nicht geöffnet werden; kein Sterblicher darf einen Blick dahinein werfen. Niemand weiß, was darin ist. Erst wenn das neunzehnte Jahrhundert verstrichen ist, darf der Schlüssel in das Schloß gesteckt, der Deckel aufgehoben, dürfen die Schätze, die hier verschlossen liegen, von Menschen erblickt werden. Also hat er es angeordnet, der einst diese Truhe besaß. Auf der Messingplatte des Deckels steht eine Inschrift: =»Labor vincit omnia«=. Aber eine andere Inschrift würde besser gepaßt haben: =»Amor vincit omnia«= hätte dort stehen sollen. Denn sogar die alte Truhe in der Rumpelkammer ist ein Zeugnis von der Allmacht der Liebe. O Eros, du alles beherrschender Gott! Du, o Liebe, bist der in Wahrheit Ewige. Alt ist das Menschengeschlecht auf Erden, du aber gabst ihm durch alle Zeiten das Geleite. Wo sind die Götter des Ostens, die starken Helden, deren Waffe der Blitzstrahl war, sie, die an den Ufern der heiligen Flüsse Opfer aus Milch und Honig in Empfang nahmen? Tot sind sie. Tot ist Bel, der mächtige Krieger, und Thoth, der Riese mit dem Ibiskopf. Tot sind die Herrlichen, die auf den Wolkenlagern des Olymps ruhten, wie auch die Tatenreichen, die in dem schildgedeckten Walhall wohnten. Alle die alten Götter sind tot, mit Ausnahme von Eros -- von Eros, dem Allbeherrschenden. Alles, was du siehst, ist sein Werk. Er erhält die Geschlechter. Siehe ihn überall! Wo kannst du gehen, ohne eine Spur seines Fußes zu finden? Was hat dein Ohr vernommen, in dem nicht das Sausen seiner Schwingen der Grundton war? Er wohnt in dem Herzen der Menschen und in dem schlummernden Samenkorn. Fühle mit Beben seine Nähe in den toten Dingen! Was gibt es wohl, das sich nicht sehnt, das sich nicht hingezogen fühlt? Alle Götter der Rache werden fallen, alle Götter der Stärke und Macht. Du, o Liebe, bist der in Wahrheit Ewige! * * * * * Der alte Onkel Eberhard sitzt an seinem Schreibtisch, einem prächtigen Möbel mit hundert Schubfächern, mit einer Marmorplatte und mit Beschlag aus dickem Messing. Er arbeitet mit Eifer und Fleiß allein oben im Kavalierflügel. Aber Eberhard, warum streifst du nicht umher in Wald und Feld in diesen letzten flüchtigen Sommertagen, so wie die andern Kavaliere? Niemand, das weißt du, darf ungestraft der Göttin der Weisheit huldigen. Dein Rücken ist gebeugt, obwohl du nur sechzig Jahre alt bist, das Haar, das deinen Scheitel bedeckt, ist nicht dein eigenes, die Runzeln scharen sich auf deiner Stirn, die sich über den eingefallenen Augenhöhlen wölbt, und alle die vielfältigen Stellungen, die die Degen zweier Fechter in einem Duell einnehmen können, zeichnen sich in den tausend Runzeln um deinen zahnlosen Mund ab. Eberhard, Eberhard, warum streifst du nicht umher in Wald und Feld? Der Tod wird dich nur um so schneller von deinem Schreibpult trennen, dich, der du das Leben dich nicht von ihm fortlocken läßt. Onkel Eberhard macht einen dicken Tintenstrich unter die letzte Linie. Und dann entnimmt er den unzähligen Schubfächern des Pultes alte vergilbte Haufen dichtbeschriebenen Papiers, alle die verschiedenen Teile seines großen Werkes, des Werkes, das Eberhard Berggrens Namen durch alle Zeiten tragen soll. Aber gerade als er den einen Haufen auf den andern gestapelt hat und sie in stummem Entzücken anstarrt, tut sich die Tür auf und die junge Gräfin tritt herein. Da ist sie, die junge Herrin der alten Herren. Sie, der sie mehr dienen, die sie mehr anbeten, als Großeltern den ersten Enkel anbeten und ihm dienen. Da ist sie, die sie in Armut und Krankheit gefunden und der sie nun alle Herrlichkeiten der Welt geschenkt haben, wie es der König im Märchen mit dem armen Mädchen machte, das er im Walde fand. Für sie ertönen Waldhorn und Violinen auf Ekeby. Für sie atmet, regt sich und arbeitet alles auf dem großen Gut. Sie ist jetzt wieder gesund, wenn auch noch sehr schwach. Die Einsamkeit in dem großen Haus bedrückt sie ein wenig, und da sie weiß, daß die Kavaliere weg sind, will sie sehen, wie es in dem Kavalierflügel, diesem berüchtigten Ort, aussieht. Also kommt sie leise herein und sieht sich um, betrachtet die weißgetünchten Wände und die gelbgewürfelten Bettvorhänge. Sie sieht Göstas Drechselbank, Löwenbergs Tisch, an dem er seinen Beethoven auf gemalten Tasten spielt, die ausgestopfte Krähe über Kristian Berghs Bett und das Bärenfell vor Major Fuchs' Ruhestatt. In der einen Ecke sieht sie die sonderbare Webarbeit, die Beerencreutz' Zeitvertreib ist. Er hat die Kette auf dem Fußboden ausgespannt und schlägt den Eintrag ohne Hilfe von Webstuhl oder Schiffchen auf. Sie sieht den Stuhl am Ofen, auf dem Vetter Kristoffer das Leben ohne Taten und ohne Namen verträumt. Patron Julius' geschnitzte Vorratstruhe, Liliencronas Violinkasten, Kevenhüllers Ranzen und Knotenstock, Rusters Punschlöffel -- alles sieht sie, aber sie wird verlegen, als sie entdeckt, daß das Zimmer nicht leer ist. Onkel Eberhard geht ihr feierlich entgegen und führt sie an den großen Haufen betriebenen Papiers. »Seht, Gräfin,« sagt er, »jetzt ist mein Werk beendet. Jetzt soll das, was ich geschrieben habe, in die Welt hinaus. Jetzt werden große Dinge geschehen.« »Was wird denn geschehen, Onkel Eberhard?« »Ja, Gräfin, es wird niederschlagen wie ein Blitz, wie ein Blitz, der leuchtet und tötet. Seit ihn Moses aus der Donnerwolke des Berges Sinai hervorgezogen und ihn in dem Allerheiligsten des Tabernakels auf den Gnadenstuhl gesetzt hat, seit der Zeit hat er sicher und ruhig dagesessen, der alte Jehova; aber jetzt sollen die Menschen sehen, was er ist: Einbildung, Leere, Dunst, die totgeborene Ausgeburt unseres eigenen Gehirns. Er soll zu nichts zusammensinken!« rief der Greis aus und legte seine runzelige Hand auf den Papierhaufen. »Hier steht es, und wenn die Menschen es erst lesen, dann _müssen_ sie es glauben. Sie werden auffahren und ihre eigene Dummheit sehen; sie werden das Kreuz als Brennholz, die Kirchen zu Kornspeichern gebrauchen, und die Geistlichen werden den Erdboden pflügen.« »O Onkel Eberhard,« sagt die Gräfin mit einem leichten Schaudern, »stehen da wirklich so schreckliche Dinge?« »Schrecklich?« wiederholt der Alte. »Das ist ja die Wahrheit. -- Aber wir sind wie die Kinder, die den Kopf in dem Rock einer Frau verbergen, sobald sie einem Fremden begegnen; wir haben uns daran gewöhnt, uns vor der Wahrheit zu verstecken, vor dem ewig Fremden. Aber nun wird sie kommen und unter uns wohnen, nun wird sie von allen gekannt sein.« »Von allen?« »Nicht nur von den Philosophen, sondern von allen, verstehen Frau Gräfin, von allen.« »Und dann soll Jehova sterben?« »Er und alle Engel, alle Heiligen, alle Teufel, alle Lügen.« »Wer soll dann die Welt regieren?« »Glauben Frau Gräfin, daß jemand sie bisher regiert hat? Glauben Frau Gräfin an diese Vorsehung, die acht gibt auf die Sperlinge und auf das Haar auf dem Haupte? Niemand hat sie regiert, und niemand wird sie regieren.« »Aber wir, wir Menschen, was wird denn aus uns?« »Dasselbe, was immer aus uns geworden ist: Staub. Wer ausgebrannt ist, kann nicht mehr brennen; er ist tot. Wir sind Brennmaterial, das von den Flammen des Lebens umflackert wird. Der Funke des Lebens fliegt von dem einen zu dem andern. Er wird angezündet, flammt auf und erlischt. Das ist das Leben.« »O Eberhard, gibt es denn kein ewiges Leben?« »Keins.« »Nichts jenseits des Grabes?« »Nichts.« »Nichts Gutes, nichts Böses, kein Ziel, keine Hoffnung?« »Nichts!« Die junge Gräfin tritt an das Fenster. Sie sieht hinaus auf das gelbwerdende Laub des Herbstes, auf Georginen und Astern, die die schweren Köpfe auf den vom Herbstwind geknickten Stengeln hängen lassen. Sie sieht die schwarzen Wellen des Löfsees, den finsteren Gewitterhimmel des Herbstes, und einen Augenblick gibt sie sich der Verleugnung hin. »Onkel Eberhard,« sagt sie, »wie grau und häßlich die Welt ist, wie unnütz und eitel alles ist. Ich will mich hinlegen und sterben.« Aber da hört sie gleichsam eine Klage in ihrer eigenen Seele. Die starken Kräfte des Lebens und die warmen Gefühle schreien laut nach dem Glück zu leben. »Gibt es denn nichts,« ruft sie aus, »was dem Leben Schönheit verleihen kann, wenn ihr mir Gott und die Unsterblichkeit genommen habt?« »Die Arbeit!« antwortet der Alte. Sie aber sieht wieder hinaus, und ein Gefühl der Verachtung vor dieser armseligen Welt beschleicht sie. Das Unergründliche erhebt sich vor ihr, sie sieht den Geist in allem wohnen, sie fühlt die Kraft, die in der scheinbar toten Materie gebunden liegt, die sich aber zu tausendfältig wechselndem Leben entwickeln kann. Mit schwindelnden Gedanken sucht sie nach einem Namen für das Vorhandensein von Gottes Geist in der Natur. »Ach, Eberhard,« sagt sie, »was ist Arbeit? Ist das ein Gott? Hat sie ein Ziel in sich selbst? Nenne etwas anderes!« »Ich weiß nichts anderes«, erwidert der Alte. Aber nun hat sie den Namen gefunden, den sie sucht, einen armen, oft geschändeten Namen. »Onkel Eberhard, warum nennst du nicht die Liebe?« Da gleitet ein Lächeln über den zahnlosen Mund, um den sich die vielen Runzeln kreuzen. »Hier,« sagt der Philosoph und schlägt mit der geballten Faust auf den großen Haufen, »hier werden alle Götter gemordet, und ich habe Eros nicht vergessen. Was ist die Liebe anders als das Bedürfnis des Fleisches? Warum sollte sie höher stehen als andere Forderungen des Körpers? Mache den Hunger zu einem Gott! Mache die Müdigkeit zu einem Gott! Sie sind ebenso würdig. Aber diese Torheiten sollen ein Ende haben! Die Wahrheit soll leben!« Da senkt die junge Gräfin das Haupt. So ist es nicht. Es ist nicht wahr, dies, aber sie kann nicht mit ihm streiten. »Deine Worte haben meine Seele verwundet,« sagt sie, »aber noch glaube ich dir nicht. Die Götter des Hasses und der Rachsucht könnt ihr töten, aber nur sie.« Aber der Alte ergreift ihre Hand, legt sie auf das Buch und erwidert mit dem Fanatismus des Unglaubens: »Wenn du dies gelesen hast, mußt du glauben!« »Dann möge es mir niemals vor Augen kommen,« sagt sie, »denn wenn ich es glaube, kann ich nicht leben.« Und sie verläßt den Philosophen, in Kummer versunken. Er aber sitzt lange da und grübelt, nachdem sie gegangen ist. -- Diese alten Hefte, dicht beschrieben mit gotteslästerlichen Worten, sind noch nicht von der Welt geprüft. Noch hat Onkel Eberhards Name die Zinnen des Ruhmes nicht erklommen. Sein großes Werk liegt verwahrt in einer Truhe in der Rumpelkammer unter der Pulpiturtreppe in der Svartsjöer Kirche; erst am Ausgang des Jahrhunderts soll es ans Licht kommen. Aber warum hat er das getan? Fürchtete er seine Behauptungen nicht beweisen zu können? War er bange vor Verfolgungen? Ach -- ihr kennt Onkel Eberhard nicht. So sollt ihr es denn wissen! Die Wahrheit hat er geliebt, nicht seine eigene Ehre; darum hat er diese, nicht jene geopfert, damit das Kind, das er wie ein Vater geliebt hat, im Glauben an das sterben kann, was es geliebt hat! O Liebe, du bist der in Wahrheit Ewige! Das Mädchen aus Nygaard Niemand kennt den Fleck unter dem Berge, wo die Tannen am dichtesten wachsen und wo eine dicke Schicht aus weichem Moos die Erde bedeckt. Wie sollte auch wohl jemand den kennen? Er ist nie zuvor von Menschen betreten worden. Kein Fußpfad führt zu dem verborgenen Fleck. Felsblöcke türmen sich ringsumher auf, engverflochtene Wacholderzweige bewachen ihn, dürres Reisig und umgestürzte Baumstämme versperren den Weg, der Hirte kann ihn nicht finden, der Fuchs verachtet ihn. Es ist der einsamste Fleck im Walde, und nun suchen Tausende von Menschen danach. Welch ein unendlicher Zug von Suchenden! Sie würden die Kirche von Bro füllen und die von Löfviks und von Svartsjö noch obendrein. Welch ein unendlicher Zug von Suchenden! Kinder, die keine Erlaubnis erhalten, sich dem Zuge anzuschließen, stehen am Wege oder sitzen auf den Zäunen und Hecken, überall, wo der Zug vorüberkommt. Die Kleinen haben gar nicht geglaubt, daß es so viele Menschen auf der Welt gibt, so eine unendliche Menge. Wenn sie groß sind, werden sie sich noch dieser langen, wogenden Menschenflut erinnern. Ihre Augen werden sich mit Tränen füllen nur bei der Erinnerung an das Überwältigende, diesen unendlichen Zug den Weg entlang ziehen zu sehen, wo man sonst den ganzen Tag hindurch nichts zu sehen pflegte als einige einsame Wanderer, Bettler oder einen Bauernwagen. Alle, die am Wege wohnen, fahren auf und fragen: »Ist ein Unglück über das Land hereingebrochen? Ist der Feind hereingerückt? Wohin geht ihr, ihr Wandersleute, wohin geht ihr?« »Wir suchen!« antworten sie. »Wir haben zwei Tage gesucht. Wir wollen auch heute noch suchen; länger können wir es nicht aushalten. Wir wollen den Wald von Björne durchsuchen und die tannenbewachsenen Höhen westlich von Ekeby.« Der Zug ist von Nygaard, einem armen Dorf in den östlichen Bergen, ausgegangen. Das hübsche junge Mädchen mit dem dicken schwarzen Haar und den roten Wangen ist seit acht Tagen verschwunden gewesen. Das Besenmädchen, das Gösta Berling zu seiner Braut machen wollte, hat sich in den großen Wäldern verirrt. Seit acht Tagen hat niemand sie gesehen. Da brachen die Leute aus Nygaard auf, um sie zu suchen. Und alle Menschen, denen sie begegneten, gingen mit, um zu suchen. Aus jedem Hause kamen Menschen, um sich dem Zug anzuschließen. Da geschieht es denn häufig, daß ein Neuhinzugekommener fragt: »Ihr Männer von Nygaard, woher kommt dies alles? Weshalb ließet ihr das hübsche Mädchen allein auf fremden Wegen gehen? Der Wald ist tief, und Gott hat ihr ihren Verstand genommen.« »Ihr fügt niemand ein Leid zu,« antworteten sie dann, »und sie tut niemand ein Leid. Sie geht so sicher wie ein Kind. Wer geht wohl sicherer als der, den Gott selber bewachen muß? Sie ist sonst stets zurückgekommen.« So ist der suchende Zug durch die östlichen Wälder gezogen, die Nygaard von der Ebene trennen. Jetzt, am dritten Tage, zieht er an der Broer Kirche vorüber, den westlich von Ekeby gelegenen Wäldern zu. Aber wohin der Zug kommt, braust ihnen auch ein Sturm des Staunens entgegen, stets muß ein Mann aus der Schar zurückbleiben, um die Fragen: »Was wollt ihr? Was sucht ihr?« zu beantworten. »Wir suchen das blauäugige, schwarzhaarige junge Mädchen. Sie hat sich in den Wald gelegt, um zu sterben. Sie ist acht Tage lang fortgewesen.« »Weshalb hat sie sich in den Wald gelegt, um zu sterben? War sie hungrig? War sie unglücklich?« »Nein, Not hat sie nicht gelitten, aber ein Unglück hat sie in diesem Frühling betroffen. Sie hat den tollen Pfarrer, Gösta Berling, gesehen und ihn mehrere Jahre hindurch geliebt. Sie wußte es nicht besser. Gott hat ihr den Verstand genommen.« »Ja, Gott hat sie ihres Verstandes beraubt, ihr Männer von Nygaard.« »In diesem Frühling traf das Unglück ein. Bis dahin hatte er sie niemals gesehen. Da sagte er zu ihr, daß sie seine Braut sein solle. Es war nur ein Scherz; er ließ sie wieder laufen, aber sie konnte sich gar nicht trösten. Sie kam stets nach Ekeby zurück. Sie folgte ihm auf den Fersen, wohin er auch ging. Er ward ihrer überdrüssig. Als sie zuletzt da war, hetzten sie die Hunde auf sie. Seither hat niemand sie gesehen.« Auf, ihr Männer! Es gilt ein Menschenleben. Ein Mensch hat sich in den Wald gelegt, um zu sterben. Vielleicht ist sie schon tot. Oder vielleicht wandert sie noch da draußen herum und kann den rechten Weg nicht finden. Der Wald ist groß, und ihr Verstand ist bei Gott. Schließet euch dem Zuge an, kommt mit! Laßt den Hafer in Hocken stehen, bis die dünnen Körner aus den Ähren fallen, laßt die Kartoffeln in der Erde verfaulen; laßt die Pferde los, damit sie nicht im Stall verdursten; laßt die Tür zum Kuhstall offen stehen, so daß die Kühe die Nacht unter Dach kommen können; nehmt die Kinder mit, denn die Kinder gehören Gott. Gott ist mit den Kleinen; er leitet ihre Schritte. Sie sollen helfen, wo menschliche Klugheit zu Ende ist. Kommt alle, Männer, Frauen und Kinder! Wer wagt es, zu Hause zu bleiben? Wer kann wissen, ob Gott sich nicht gerade seiner bedienen will? Kommt herbei, alle, die ihr der Barmherzigkeit bedürft, damit eure Seele nicht einstmals hilflos auf den dürren Stätten umherschwanken muß, ohne Ruhe finden zu können. Kommt! Gott hat ihr den Verstand genommen, und der Wald ist groß. Ach, wer kann den Fleck finden, wo die Tannen am dichtesten stehen, wo das Moos am weichsten ist? Liegt dort nicht etwas Dunkles hart an der Bergwand? Ach, ein Ameisenhaufen. Gelobt sei, der den Weg der Toren lenkt! Es ist nichts anderes! Welch ein Zug! Kein feierlich geschmückter Festzug, der den Sieger begrüßt, der Blumen auf seinen Weg streut und seine Ohren mit Jubelrufen erfüllt, kein Pilgerzug mit Psalmengesang und sausenden Geißelschlägen auf dem Wege nach dem Heiligen Grabe, kein Auswandererzug auf knirschenden Lastwagen, der auszieht, um neue Behausungen für die Menschen in ihrer Not zu suchen, keine Armee mit Trommeln und Waffen; es sind nur Bauern in Arbeitskleidern aus Beiderwand mit vertragenen Schurzfellen, nur ihre Frauen mit Strickstrümpfen in der Hand, die Kinder auf dem Rücken oder an den Röcken hängend. Es ist groß, Menschen zu großen Zielen vereint zu sehen. Laßt sie ausziehen, um ihre Wohltäter zu begrüßen, um ihren Gott zu preisen, um neuen Erdboden zu suchen, um ihr Land zu verteidigen; laßt sie ziehen! Diese Menschen aber hat kein Hunger, keine Gottesfurcht, kein Unfriede ausgetrieben. Ihre Mühe ist vergeblich, ihre Arbeit ohne Lohn, sie ziehen nur aus, um eine Irrsinnige zu finden. Wie viele Schweißtropfen, wie viele Schritte, wie viele Gebete dies auch kosten mag, sie haben doch keinen andern Lohn als den, eine arme Irrsinnige wiederzufinden, deren Verstand bei Gott ist. Kann man umhin, dies Volk zu lieben? Müssen nicht jeden, der sie hat vorüberziehen sehen, die Tränen in die Augen treten, wenn er sie sich im Geiste zurückruft, diese Männer mit den scharfen Zügen und den harten Händen, Frauen mit vor der Zeit gefurchten Stirnen und diese Kinder, die Gott an den rechten Ort leiten sollte? Er füllt die Landstraße, dieser Zug aus traurig Suchenden. Mit ernsten Blicken sehen sie den Wald an; mit finstern Mienen wandern sie dahin, denn sie wissen, daß sie mehr Aussicht haben, eine Tote zu finden als eine Lebende. Ach, das Schwarze dort unter der Bergwand, ist es doch wohl kein Ameisenhaufen -- aber vielleicht ein umgestürzter Baum? Gelobt sei Gott, es ist nur ein umgestürzter Baum. Aber so genau kann man es ja nicht sehen, da die Tannen so dicht nebeneinander stehen. So lang ist der Zug, daß die Vordersten, die starken Männer, schon am Walde westlich von Björne angelangt sind, während die letzten, die Krüppel und die schwachen Greise und die Frauen, die ihre kleinen Kinder tragen, kaum an der Brobyer Kirche vorüber sind. Und dann verschwindet dieser ganze wogende Zug in den finstern Wald. Die Morgensonne leuchtet ihm unter die Tannen -- die sinkende Sonne des Abends wird den Scharen begegnen, wenn sie aus dem Walde kommen. Es ist der dritte Tag, daß sie suchen. Sie sind an diese Arbeit gewöhnt. Sie suchen unter der steilen Felswand, wo der Fuß gleitet, unter den umgewehten Bäumen, wo man leicht Arm und Bein brechen kann, unter den Zweigen der dichten Tannen, die über das weiche Moos herabhängen und zur Ruhe einladen. Das Versteck des Bären, die Höhle des Fuchses, der unterirdische Bau des Dachses, der schwarze Boden, auf dem der Kohlenmeiler gestanden hat, der rote Kronsbeerenberg, die Tanne mit den weißen Nadeln, der Berg, den der Waldbrand vor einem Monat heimgesucht hat, der Stein, der von dem Riesen dahin geworfen war, das alles haben sie gefunden, nicht aber den Fleck an der Bergwand, wo das Schwarze liegt. Niemand ist dort gewesen, um zu sehen, ob es ein Ameisenhaufen ist oder ein Baumstamm oder ein Mensch. Ach, es ist sicher ein Mensch, aber niemand ist dort gewesen, niemand hat sie gesehen. Die Abendsonne sieht sie auf der anderen Seite des Waldes herauskommen, aber das junge Mädchen, dessen Verstand Gott genommen hat, ist nicht gefunden. Was sollen sie nun tun? Sollen sie den Wald noch einmal durchsuchen? Der Wald ist gefährlich im Dunkeln; dort liegen bodenlose Moore und steile Felsklüfte. Und was können sie, die nichts fanden, als die Sonne schien, wohl jetzt finden, wo sie fort ist? »Laßt uns nach Ekeby gehen!« ruft einer aus der Schar. »Laßt uns nach Ekeby gehen!« rufen sie alle. »Laßt uns nach Ekeby gehen!« »Laßt uns diese Kavaliere fragen, weshalb sie die Hunde auf eine losließen, deren Verstand Gott genommen hatte, weshalb sie eine Irrsinnige zur Verzweiflung trieben. Unsere armen, hungrigen Kinder weinen, unsere Kleider sind zerrissen, das Korn steht in Hocken, bis die Kerne aus den Hülsen fallen, die Kartoffeln verfaulen in der Erde, unsere Pferde laufen wild umher, unsere Kühe sind ohne Pflege, wir selber sind nahe daran, vor Müdigkeit zu vergehen -- und das alles ist ihre Schuld. Laßt uns nach Ekeby gehen und Gericht über sie halten! Laßt uns nach Ekeby gehen! »In diesem Jahr der Verdammung müssen wir Bauern alles ausbaden. Gottes Hand ruht schwer auf uns; der Winter wird uns Hungersnot bringen. Wen suchet Gottes Hand? Der Pfarrer von Broby war es nicht. Seine Gebete konnten noch zu dem Thron des Höchsten hinaufdringen. Wer kann es wohl anders sein als diese Kavaliere? Laßt uns nach Ekeby gehen! »Sie haben das Gut ruiniert, sie haben die Majorin als Bettlerin auf die Landstraße getrieben. Es ist ihre Schuld, daß wir ohne Arbeit sind. Es ist ihre Schuld, daß wir hungern müssen. Die Not ist ihr Werk. Laßt uns nach Ekeby gehen!« Und dann eilen finstere, erbitterte Männer gen Ekeby, hungrige Frauen mit weinenden Kindern auf dem Arm folgen ihnen, zuletzt kommen die Krüppel und die schwachen Alten. Und die Erbitterung fließt wie ein wachsender Strom durch die Reihen, von den Alten geht er auf die Frauen und von den Frauen auf die starken Männer an der Spitze des Zuges über. Die Herbstflut kommt! Entsinnt ihr euch der Frühlingsflut, Kavaliere? Jetzt kommen neue Wogen von den Bergen herabgebraust, jetzt geht eine neue Zerstörung über Ekebys Ehre und Macht dahin. Ein Tagelöhner, der das Feld am Wege pflügt, hört das wütende Schreien der Menge. Er spannt eins der Pferde aus, setzt sich darauf und sprengt von dannen nach Ekeby. »Das Unglück kommt!« ruft er. »Die Bären kommen! Die Wölfe kommen! Die bösen Geister kommen und nehmen Ekeby!« Er reitet im Hofe umher, außer sich vor Entsetzen. »Alle bösen Geister des Waldes sind los!« ruft er. »Sie kommen und stecken den Hof in Brand und schlagen die Kavaliere tot.« Und hinter ihm hört man das Getöse und das Gebrüll der vorwärtsstürmenden Menschenscharen. Die Herbstflut braust herab gen Ekeby! Weiß sie denn, was sie will, diese vorwärtsstürmende Flut der Erbitterung? Will sie Feuer, will sie Mord, will sie Plünderung? Es sind keine Menschen, die kommen, es sind die bösen Geister des Waldes, die wilden Tiere der Einöde. Wir finsteren Mächte, die wir uns unter der Erde verborgen halten müssen, wir sind eine einzige, selige Stunde frei. Die Rache hat uns losgelöst. Es sind die Geister der Berge, die das Erz gebrochen haben; es sind die Geister des Waldes, die Bäume gefällt, die den Meiler bewacht haben; es sind die Geister des Feldes, die das Korn wachsen ließen: sie sind frei, sie gebrauchen ihre Kräfte zur Zerstörung. Tod über Ekeby! Tod über die Kavaliere! Hier fließt der Branntwein in Strömen. Hier liegt das Gold in den Kellergewölben aufgestapelt. Hier sind die Vorratskammern voll Korn und Fleisch. Weshalb sollen die Kinder der Gerechten hungern und die Übeltäter im Überfluß leben? Jetzt aber ist ihre Zeit vorbei. Das Maß ist voll, Kavaliere! Ihr Lilien, die ihr niemals gesponnen habt, ihr Vögel, die ihr nie in die Scheuer gesammelt habt, das Maß ist voll! Im Walde liegt sie, die richtet; wir sind ihre Gesandten. Es ist kein Amtmann, kein Hardesvogt, der euer Urteil fällt. Sie, die im Walde liegt, hat euch gerichtet. Die Kavaliere stehen oben im Hauptgebäude und sehen die Leute kommen. Sie wissen schon, wessen sie angeklagt sind. Ausnahmsweise sind sie einmal unschuldig. Wenn sich das arme Mädchen im Walde hingelegt hat, um zu sterben, so geschah das nicht, weil sie die Hunde auf sie hetzten -- das haben sie niemals getan --, sondern weil Gösta Berling sich vor acht Tagen mit Gräfin Elisabeth verheiratet hat. Aber was kann es nützen, mit diesen rasenden Menschen zu reden? Sie sind müde, sie sind hungrig, die Rache reizt sie, die Raublust spornt sie an. Sie kommen mit wilden Rufen herbeigestürzt, und vor ihnen her reitet der Tagelöhner, den der Schreck wahnsinnig gemacht hat. »Die Bären kommen, die Wölfe kommen, die bösen Geister kommen und nehmen Ekeby!« Die Kavaliere haben die junge Gräfin in dem innersten Zimmer verborgen. Löwenberg und Onkel Eberhard sollen dort sitzen und sie bewachen; die übrigen gehen hinaus zu der Volksmenge. Sie stehen auf der Treppe vor dem Hauptgebäude, unbewaffnet und lächelnd, als der erste lärmende Schwarm bis zu ihnen herandringt. Und die Leute stehen still vor dieser kleinen Schar ruhiger Männer. Es sind einzelne unter ihnen, die sie in ihrer glühenden Erbitterung gern zu Boden geworfen und mit ihren eisenbeschlagenen Absätzen totgetreten hätten, wie die Leute im Bergwerk zu Sund es vor fünfzig Jahren mit dem Verwalter und dem Inspektor getan haben; aber sie waren auf verschlossene Türen, auf kühn erhobene Waffen gefaßt gewesen, sie hatten Widerstand und Streit erwartet. »Liebe Freunde,« sagen die Kavaliere, »liebe Freunde, ihr seid müde und hungrig, eßt einen Bissen Brot und kostet vor allen Dingen den auf Ekeby gebrauten Branntwein.« Der Schwarm will nicht von dergleichen hören, man heult und droht; die Kavaliere aber nehmen es nicht übel. »Wartet nur,« sagen sie, »wartet nur einen Augenblick! Seht, Ekeby steht euch offen, die Kellertür ist geöffnet, das Vorratshaus ist offen, die Milchstube steht offen. Eure Frauen sind nahe daran, vor Müdigkeit umzusinken, die Kinder schreien. Erst wollen wir ihnen Speise und Trank schaffen, hinterdrein könnt ihr uns totschlagen. Wir laufen euch nicht weg. Aber wir haben den ganzen Boden voller Äpfel, die wollen wir für eure Kinder holen.« * * * * * Eine Stunde später ist das Fest auf Ekeby in vollem Gange; das größte Fest, das je auf dem stolzen Gut stattgefunden hat, wird in der Herbstnacht beim Schein des großen, hellen Vollmonds gefeiert. Die Holzstapel sind herabgerissen und angezündet; über dem ganzen Hof flammt ein Feuer neben dem andern. Die Leute sitzen in Gruppen da und genießen die Wärme und die Ruhe, während alle Güter der Erde über sie ausgegossen werden. Tüchtige Männer sind in die Scheunen und Ställe gegangen und haben geholt, was man nötig hatte. Kälber und Schafe sind geschlachtet und im Handumdrehen gebraten. Diese Hunderte von hungrigen Menschen verschlingen die Speisen. Ein Tier nach dem andern wird herausgeführt und geschlachtet. Es sieht so aus, als sollten alle Ställe über Nacht geleert werden. Man hatte gerade in den Tagen große Herbstbäckerei auf Ekeby gehalten. Seit die junge Gräfin dort weilte, waren die häuslichen Arbeiten in vollem Gange. Es war, als denke die junge Frau keinen Augenblick daran, daß sie jetzt die Gattin Gösta Berlings sei. Weder er noch sie sprachen ein Wort darüber, dahingegen machte sie sich zur Herrin von Ekeby. Sie suchte, wie jede gute, tüchtige Frau es tut, mit brennendem Eifer der Verschwendung und der Nachlässigkeit abzuhelfen, die auf dem Hofe herrschte. Und man gehorchte ihr. Die Leute empfanden ein gewisses Wohlbehagen, wieder unter einer Hausfrau zu stehen. Aber was half es jetzt, daß sie den Küchenboden hatte mit Brot anfüllen lassen, daß sie für Butter und Bier gesorgt hatte, daß man den ganzen September hindurch, solange sie dort war, Käse bereitet hatte? Was half das alles jetzt? Herausgerückt mit allem, was da ist, damit die Leute Ekeby nicht abbrennen und die Kavaliere nicht totschlagen. Her mit Tonnen und Fässern, her mit den Schinken vom Rauchboden, mit den Branntweinfässern, mit den Äpfeln! Wie kann Ekebys ganzer Reichtum wohl verschlagen, um den Zorn der Bauern zu mildern? Können wir sie von hier fortbekommen, ohne daß eine Missetat geschehen ist, so müssen wir uns freuen. Alles, was geschieht, geschieht doch schließlich nur um derer willen, die jetzt Herrin in Ekeby ist. Die Kavaliere sind mutige und waffenkundige Männer; sie würden sich verteidigt haben, wenn es nach ihrem eigenen Kopf gegangen wäre. Sie würden diese raubgierigen Scharen lieber mit einigen scharfen Schüssen abgeschreckt haben -- wäre es nicht um ihretwillen unterblieben, die mild ist und sanft, die für die Leute bittet. Je weiter die Nacht vorschreitet, um so milder wird die Stimmung unter den Leuten. Die Wärme und die Ruhe und das Essen und der Branntwein beschwichtigen ihre gewaltsame Erregung. Sie fangen an zu scherzen und zu lachen; sie trinken das Begräbnisbier des Mädchens aus Nygaard; Schande über den, der es beim Begräbnisbier an Durst und an Scherzen gebrechen läßt, das gehört beides dazu! Die Kinder stürzen über die Unmengen von Obst, die man ihnen bringt. Arme Tagelöhnerkinder, die wilde Waldbeeren für Leckerbissen halten, schwelgen in den klaren Glasäpfeln, die im Munde schmelzen, in den länglichen, süßen Paradiesäpfeln, den gelblichweißen Zitronenäpfeln, in den Birnen mit roten Backen und den Pflaumen aller Art, den gelben, den roten, den blauen. Ach, nichts ist zu gut für den Pöbel, wenn es ihm beliebt, seine Macht zu zeigen! Als es gegen Mitternacht geht, sieht es fast so aus, als wenn die Schar sich zum Aufbruch anschicken will. Die Kavaliere bringen keine Speisen und Getränke mehr, sie ziehen keine Korke mehr von den Flaschen und zapfen kein Bier mehr. Erleichtert seufzen sie auf, in dem Gefühl, daß die Gefahr überstanden ist. Aber gerade in dem Augenblick wird in einem Fenster des Hauptgebäudes ein Licht sichtbar. Alle, die dahinschauen, schreien auf. Eine jugendliche Frauengestalt trägt das Licht. Es währt nur einen Augenblick. Die Erscheinung verschwindet, die Leute aber glauben, daß sie die Trägerin des Lichts erkannt haben. »Sie hatte dickes, schwarzes Haar und rote Wangen,« rufen sie. »Sie ist da, sie halten sie hier verborgen!« »Ach, ihr Kavaliere, habt ihr sie da? Habt ihr unser Kind, dessen Verstand Gott genommen hat, hier auf Ekeby? Ihr Gottlosen, was tut ihr mit ihr? Und uns laßt ihr Wochen hindurch in dieser Angst! Uns laßt ihr drei volle Tage suchen! Fort mit dem Wein und den Speisen! Wehe uns, daß wir etwas aus eurer Hand angenommen haben! Gebt sie uns erst heraus, dann werden wir schon sehen, was wir mit euch tun wollen!« Das eben erst gezähmte wilde Tier heult und brüllt. In rasenden Sprüngen stürzt es auf Ekeby los. Die Leute sind schnell, die Kavaliere aber sind noch schneller. Sie stürzen hinauf und schieben den Riegel vor die Dielentür. Aber was können sie gegen diese andrängenden Scharen ausrichten? Eine Tür nach der andern wird erbrochen. Die Kavaliere werden zurückgedrängt, sie haben keine Waffen. Sie werden von der dichten Menge umzingelt, so daß sie sich nicht rühren können. Die Leute wollen ins Haus hinein und das Mädchen aus Nygaard suchen. Sie finden sie im letzten Zimmer. Niemand hat Zeit, darauf zu achten, ob sie blond oder dunkel ist. Sie heben sie in die Höhe und tragen sie hinaus. Sie soll sich nicht fürchten, sagen sie. Sie wollen nur den Kavalieren an die Kehle. Sie sind gekommen, um sie zu erretten. Aber wie sie nun aus dem Gebäude herausströmen, begegnen sie einem andern Zug. An dem einsamsten Fleck im Walde ruht nicht mehr die Leiche eines Mädchens, das von dem hohen Abhang herabgestürzt und im Fallen gestorben ist. Ein Kind hat sie gefunden. Einige von den Suchenden, die sich im Walde verzögert hatten, haben sie auf ihre Schultern gehoben. Da kommen sie. Sie ist schöner im Tode, als sie im Leben war. Schön ist sie, wie sie daliegt, mit ihrem langen, dunklen Haar. Sie ist eine herrliche Erscheinung, jetzt, wo der ewige Friede über ihr ruht. Hoch auf die Schultern der Männer gehoben, wird sie durch die Volksscharen getragen. Es wird still und lautlos, wo sie vorüberkommt. Gesenkten Hauptes huldigen alle der Majestät des Todes. »Sie ist eben erst gestorben,« flüstern die Männer; »bis heute ist sie im Walde umhergewandert. Sie hat wohl vor uns fliehen wollen, die wir sie suchten, und ist dabei den Felsen hinabgestürzt.« Aber wenn dies das Mädchen aus Nygaard ist, wer ist denn die, die aus Ekeby herausgetragen wurde? Der Zug aus dem Walde stößt mit dem Zuge aus Ekeby zusammen. Die hellen Feuerstöße flackern auf dem ganzen Hof. Die Leute können die beiden Frauen sehen und können sie auch erkennen. Die andre ist ja die junge Gräfin aus Borg! »Aber was hat dies zu bedeuten? Ist dies ein neues Verbrechen, dem wir auf der Spur sind? Weshalb ist die junge Gräfin hier auf Ekeby? Weshalb hat man uns erzählt, daß sie weit fort oder gar tot sei? Im Namen der ewigen Gerechtigkeit! Wollen wir uns jetzt nicht auf die Kavaliere stürzen und sie mit unsern eisenbeschlagenen Absätzen zu Tode treten?« Da erschallt eine weithin klingende Stimme. Gösta Berling ist auf das Geländer der Treppe gestiegen und redet von dort aus. »Hört mich, ihr Ungetüme, ihr Teufel! Glaubt ihr denn nicht, daß es Büchsen und Pulver auf Ekeby gibt? Ihr tollen Menschen! Glaubt ihr etwa nicht, daß ich die größte Lust gehabt habe, euch alle über den Haufen zu schießen wie tolle Hunde? Aber die dort hat für euch gebeten. Ach, hätte ich gewußt, daß ihr sie anrühren würdet, so hätte nicht ein einziger von euch sein Leben behalten! »Weshalb macht ihr hier heute abend Skandal und überfallt uns wie Räuber und droht uns mit Mord und Brand? Was habe ich mit euren irrsinnigen Mädchen zu tun? Weiß ich, wo die hinlaufen? Ich bin zu gut gegen die da gewesen, das ist das Ganze. Ich hätte die Hunde auf sie hetzen sollen -- das wäre besser für uns beide gewesen --, aber das habe ich nicht getan. Ich habe ihr niemals versprochen, daß ich mich mit ihr verheiraten wollte -- das habe ich niemals getan. Bedenkt das! »Jetzt aber sage ich euch, laßt die los, die ihr da aus dem Hause geschleppt habt! Laßt sie los, sage ich, und mögen die Hände, die sie berührt haben, im ewigen Feuer brennen! Versteht ihr denn nicht, daß sie so hoch über euch steht, wie der Himmel über der Erde ist? Sie ist ebenso fein, wie ihr grob seid -- ebenso gut, wie ihr böse seid! »Jetzt will ich euch sagen, wer sie ist. Erstens ist sie ein Engel vom Himmel -- zweitens war sie die Gattin des Grafen auf Borg. Aber ihre Schwiegermutter quälte sie Tag und Nacht, sie mußte wie ein gewöhnliches Dienstmädchen am See stehen und waschen; sie wurde so geschlagen und gepeinigt, daß keine von euren Frauen es schlimmer haben kann. Ja, sie war nahe daran, sich in den Bach zu stürzen, wie wir alle wissen, weil sie sie fast zu Tode quälten. Ich möchte wohl wissen, wer von euch, ihr Schlingel, damals bei der Hand war, um ihr Leben zu retten. Niemand von euch war da, aber wir Kavaliere taten es. Ja, wir taten es. »Und als sie dann ihr Kind auf einem Bauernhof zur Welt brachte und der Graf ihr sagen ließ: 'Unsere Ehe ward in einem fremden Lande geschlossen, wir haben den landesüblichen Brauch nicht befolgt; du bist nicht meine Frau, ich bin nicht dein Mann; um dein Kind kümmere ich mich nicht!' -- ja, als die Sachen so lagen, und sie nicht wollte, daß das Kind vaterlos im Kirchenbuch stehen sollte, da wäret ihr sicher hoffärtig gewesen, wenn sie zu einem von euch gesagt hätte: 'Komm und verheirate dich mit mir! Ich muß einen Vater für das Kind haben!' Sie aber wählte keinen von euch. Sie nahm Gösta Berling, den armen Pfarrer, der nie wieder Gottes Wort verkünden darf. Ja, das kann ich euch sagen, ihr Bauern, nie ist mir etwas so schwer geworden; denn ich war ihrer so unwürdig, daß ich ihr nicht in die Augen zu sehen wagte, aber ich wagte es auch nicht, nein zu sagen, denn sie war in großer Verzweiflung. »Und nun könnt ihr so viel Böses von uns Kavalieren glauben, wie ihr nur wollt; an ihr aber haben wir all das Gute getan, was nur in unsern Kräften stand. Und es ist ihr Verdienst, daß wir euch nicht alle miteinander über den Haufen geschossen haben. Nun aber sage ich euch: Gebt sie frei und geht eurer Wege; sonst glaube ich, daß die Erde sich öffnet und euch verschlingt. Und wenn ihr von hier fortgeht, so bittet Gott, daß er euch vergeben möge, daß ihr sie so erschreckt und betrübt habt, sie, die so gut und unschuldig ist. Und nun fort mit euch! Wir haben genug von euch gehabt!« Lange bevor er seine Rede beendete, hatten die Männer, die die Gräfin hinausgetragen, sie auf eine Stufe der steinernen Treppe niedergesetzt, und jetzt kam ein großer Bauer ganz ruhig zu ihr heran und reichte ihr seine breite Hand. »Adieu und vielen Dank!« sagte er. »Wir wollen der Frau Gräfin kein Leid zufügen. Sie darf uns nicht zürnen.« Nach ihm kam ein anderer und drückte ihr vorsichtig die Hand. »Adieu und vielen Dank! Die Frau Gräfin müssen nicht böse auf uns sein!« Gösta sprang herab und stand neben ihr. Da reichten sie auch ihm die Hand. Und dann kamen sie langsam und ruhig, einer nach dem andern, um ihnen gute Nacht zu sagen, ehe sie gingen. Sie waren wieder gezähmt, sie waren wieder Menschen, so wie sie es gewesen, als sie am Morgen ihr Heim verließen, ehe der Hunger und die Rachbegierde sie zu wilden Tieren gemacht hatte. Sie sahen der Gräfin gerade ins Gesicht, und Gösta konnte merken, wie der Anblick der Unschuld und Frömmigkeit, die sich in ihren Zügen abspiegelten, gar manchem Tränen in die Augen brachte. Es war bei ihnen allen eine stille Anbetung des Edelsten, das sie jemals gesehen hatten; es waren Menschen, die sich freuten, daß einer unter ihnen eine so große Liebe zum Guten hatte. Alle konnten sie ihr ja nicht die Hand drücken, es waren ihrer ja so unendlich viele, und die junge Frau war müde und schwach. Aber sie mußten doch alle hin, um sie zu sehen, und dann konnten sie Gösta Berling die Hand drücken; sein Arm konnte es wohl vertragen, geschüttelt zu werden. Gösta stand da wie im Traum. In seinem Herzen erwachte an diesem Abend eine neue Liebe. »O mein Volk,« dachte er, »o mein Volk, wie ich dich liebe!« Er fühlte, wie er diese ganze Schar liebte, die in der Dunkelheit der Nacht von dannen zog, die Leiche des Mädchens an der Spitze des Zuges tragend, alle diese Menschen in groben Kleidern und mit übelriechenden Schuhen, die alle in den grauen Hütten am Waldesrande wohnten, die keine Feder führten und oft nicht einmal lesen konnten, die nichts von der Fülle und dem Reichtum des Lebens ahnten, die nur die Mühen und Sorgen um das tägliche Brot kannten. War das nicht ein großes Volk, ein herrliches Volk? War es nicht mutig und ausdauernd, war es nicht munter und arbeitsam, war es nicht geschickt und unternehmend? War der Arme nicht oft gut gegen den Armen? Lag nicht in den Zügen der Mehrzahl der Ausdruck einer kräftigen Intelligenz? War nicht ein sprudelnder Humor in ihrer Rede? Er liebte sie mit einer schmerzlich brennenden Zärtlichkeit, die ihm Tränen in die Augen trieb. Er wußte nicht, was er für sie tun wollte, aber er liebte sie, alle wie einen, mit ihren Fehlern und Gebrechen. Ach Gott! wenn doch der Tag einst käme, an dem auch er von ihnen geliebt würde! Er erwachte aus seinem Traum. Seine Frau legte ihre Hand auf seinen Arm. Die Volksmenge war verschwunden. Sie standen in diesem Augenblick ganz allein auf der Treppe. »Ach, Gösta, Gösta! Wie konntest du das nur tun!« Sie barg ihr Antlitz in den Händen und weinte. »Was ich sagte, ist wahr!« rief er aus. »Ich habe dem Mädchen von Nygaard niemals versprochen, sie zu heiraten. 'Komm am nächsten Freitag hierher, dann sollst du etwas Lustiges sehen!' das war alles, was ich zu ihr gesagt habe. Ich kann nichts dafür, daß sie sich in mich verliebte.« »Ach, das meine ich ja gar nicht; wie konntest du aber nur zu ihnen sagen, daß ich gut und rein sei? Gösta, Gösta! Weißt du denn nicht, daß ich dich geliebt habe, als ich dich noch nicht lieben durfte? Ich schämte mich vor diesen Menschen! Ich war nahe daran, vor Scham zu vergehen!« Und ein Schluchzen machte ihren ganzen Körper erbeben. Er stand da und sah sie an. »Ach, Geliebte!« sagte er leise. »Wie glücklich bist du, daß du so gut bist! Wie glücklich bist du, daß du eine so schöne Seele hast!« Kevenhüller Liebe Freunde! Dies hier ist nur eine armselige, kleine Allegorie. Die Allegorie pflegt sich im allgemeinen in göttliche Schönheit zu kleiden, mit königlichen Emblemen; aber diese hier hat mehr Ähnlichkeit mit einem zerlumpten und ausgehungerten Straßenjungen. Die Allegorie wählt sich gern ein Heim in schönen arkadischen Hainen und in hohen Säulenhallen, aber diese arme Kleine habe ich in Karlstad gefunden, wo sie draußen vor dem großen steinernen Turm, der an der westlichen Brücke liegt, saß und weinte. Der alte steinerne Turm ist wohl nicht gern gesehen in der schönen, zierlichen, modernen Stadt. Es ist ein viereckiges, hohes und schmales Gebäude aus Granitsteinen, und er ist wirklich häßlich mit seinen kleinen, engen Gucklöchern. Da ist Schmuck an den grauen Wänden oder an scharfen Ecken, und über dem Ganzen liegt etwas Unheimliches und Schreckeinflößendes. Das alte Gebäude sieht aus wie der Hauptturm einer Ritterburg, da aber die meisten behaupten, daß er eine Windmühle gewesen ist, so entbehrt er auch des romantischen Wertes. Aber es ist wirklich wahr, daß die arme kleine Allegorie dort ihr Heim hat. Ich will euch nun erzählen, was für eine gutmütige kleine Allegorie es ist, dann, denke ich, wird niemand es übers Herz bringen, den Turm niederzureißen. Sie will lieber dort wohnen als auf dem Schloß oder im Rathaus oder in der Lateinschule. Sie mag am liebsten ungespickte Mauern und haust gern in Gesellschaft von Ratten und Fledermäusen. Aus diesem Grunde verlohnte es sich nicht, sie zu erzählen, wenn sie uns nicht außerdem so viel wissen ließ, was wirklich geschehen ist, wenn nicht einer von den Kavalieren in Ekeby der Held darin gewesen wäre, und wenn sie uns nicht das letzte große Unglück vermeldet hätte, das über Ekeby kam. * * * * * In den siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts wurde der später so gelehrte und kunstfertige Kevenhüller in Deutschland geboren. Er war der Sohn eines Burggrafen und hätte in hohen Schlössern wohnen und an der Seite des Kaisers reiten können, wenn er die Lust dazu gehabt hätte. Aber das hatte er nicht. Er hatte weit eher Lust, Mühlenflügel an dem höchsten Turm der Burg zu befestigen, den Rittersaal in eine Schmiede und das Frauengemach in eine Uhrmacherwerkstatt zu verwandeln. Er hatte Lust, die Burg mit schnurrenden Rädern und arbeitenden Hebeln anzufüllen. Da sich dies aber nicht tun ließ, so kehrte er der ganzen Bescherung den Rücken und ging in die Uhrmacherlehre. Da lernte er alles, was gelernt werden konnte, von Zahnrädern und Federn und Pendülen. Er lernte Sonnen- und Sternuhren machen, Uhren mit piepsenden Kanarienvögeln und trompeteblasenden Hirten, Glockenspiele, die einen ganzen Kirchturm mit ihrer wunderlichen Maschinerie ausfüllten, und Uhrwerke so klein, daß sie in ein Medaillon eingeschlossen werden konnten. Als er seinen Meisterbrief bekommen hatte, schnallte er den Ranzen auf den Rücken, nahm den Knotenstock in die Hand und wanderte von Ort zu Ort, um alles zu studieren, was auf Walzen und Rädern ging. Kevenhüller war kein gewöhnlicher Uhrmacher, er wollte ein großer Erfinder und Weltverbesserer werden. Nachdem er also viele Länder durchwandert hatte, begab er sich auch nach Wermland, um Mühlenräder und Grubeneinrichtungen eingehend zu studieren. An einem schönen Sommermorgen traf es sich so, daß er quer über den Karlstader Marktplatz ging. Aber gerade in dieser selben schönen Morgenstunde hatte die Hulder, die Herrscherin des Waldes, es für gut befunden, aus dem Walde geradeswegs in die Stadt zu wandern. Diese vornehme Dame kam auch just quer über den Marktplatz, aber von der entgegengesetzten Seite, und da begegnete sie Kevenhüller. Das war eine Begegnung für einen Uhrmachergesellen. Sie hatte schimmernde grüne Augen und dickes, blondes Haar, das fast bis an die Erde reichte, und war in grüne, rauschende Seide gekleidet. Obwohl sie ein Kobold war und eine Heidin, war sie schöner als alle die christlichen Frauen, die Kevenhüller jemals gesehen hatte. Er stand da wie verloren und sah sie an, als sie an ihm vorüberkam. Sie kam geradeswegs aus dem Dickicht im Innersten des Waldes, wo die Farne hoch stehen wie Bäume, wo die riesenhaften Föhren das Sonnenlicht ausschließen, so daß es nur als goldene Funken auf das grüne Moos fällt, und wo die Linnäa über die flechtenbekleideten Steine kriecht. Ach, wie gern wäre ich an Kevenhüllers Statt gewesen und hätte sie gesehen, wie sie daherkam, mit Farnblättern und Tannennadeln in dem dicken Haar und eine kleine schwarze Natter um den Hals. Stellt sie euch vor: mit geschmeidigem Gang wie ein wildes Tier und einem frischen Duft von Harz und Erdbeeren und Linnäen und Moos mit sich führend! Wie die Menschen sie angestarrt haben mochten, als sie sich erkühnte, über den Karlstader Marktplatz zu wandern! Ich denke mir, die Pferde sind vor Schrecken über ihr langes Haar, das im Morgenwinde flatterte, scheu geworden. Die Gassenbuben liefen hinter ihr drein. Die Knechte ließen Wagen und Axt stehen, um ihr nachzustarren. Die Frauen schrien und liefen zu Bischof und Domkapitel, um das Ungeheuer aus der Stadt zu vertreiben. Sie selber schritt ruhig und majestätisch daher und lächelte nur über den ganzen Spektakel, so daß Kevenhüller ihre kleinen spitzen Raubtierzähne hinter den roten Lippen sehen konnte. Sie hatte einen Mantel über den Rücken geworfen, damit niemand merken sollte, wer sie war; aber das Unglück wollte, daß sie vergessen hatte, den Schwanz zu verstecken. Der lag nun da und schleifte auf dem Pflaster hinter ihr drein. Kevenhüller sah den Schwanz wohl auch; aber man muß bedenken, daß er ein Grafensohn war, wenn er auch nur ein Uhrmacher war. Es tat ihm leid, daß eine so hochgeborene Dame dem Gelächter der Spießbürger preisgegeben sein sollte; deswegen verbeugte er sich vor der Schönen und sagte ritterlich: »Belieben Euer Gnaden nicht die Schleppe aufzunehmen?« Die Hulder ward gerührt, sowohl über seine freundliche Gesinnung als auch über seine Höflichkeit. Sie blieb gerade vor ihm stehen, so daß es ihm war, als führen glitzernde Funken aus ihren Augen in sein Gehirn hinein. »Merke dir das, Kevenhüller,« sagte sie, »fortan sollst du mit deinen beiden Händen jegliches Kunstwerk ausführen können, was du nur willst, aber nur eines von jeder Art.« Das sagte sie, und sie konnte Wort halten. Denn wer weiß nicht, daß die Grüngekleidete aus dem Waldesdickicht Macht hat, dem, der ihre Gunst zu gewinnen weiß, Genie und wunderbare Kräfte zu schenken? Kevenhüller blieb in Karlstad und mietete sich dort eine Werkstatt. Er hämmerte und arbeitete Tag und Nacht. Acht Tage später hatte er ein Kunstwerk gemacht. Es war ein Wagen, der von selbst ging. Er lief die Hügel hinauf und wieder hinab, ging schnell und langsam, konnte gelenkt und gewendet werden, konnte angehalten und wieder in Gang gesetzt werden, ganz wie man wollte. Es war ein großartiger Wagen. Nun wurde Kevenhüller ein berühmter Mann und bekam Freunde in der ganzen Stadt. Er war so stolz auf seinen Wagen, daß er nach Stockholm fuhr, um ihn dem König zu zeigen. Er brauchte nicht auf Postpferde zu warten oder sich nicht auf elenden Karriols durchrütteln zu lassen oder auf den hölzernen Bänken der Poststationen zu schlafen. Er fuhr gar stolz in seinem eigenen Wagen und gelangte in ein paar Stunden nach Stockholm. Er fuhr geradeswegs vor das Schloß, und der König kam mit Höflingen und Hofdamen heraus und sah ihn fahren. Sie konnten ihn nicht genug rühmen. Da sagte der König: »Den Wagen kannst du mir geben, Kevenhüller.« Und obwohl er nein sagte, beharrte der König bei seiner Forderung und wollte den Wagen haben. Da sah Kevenhüller, daß in dem Gefolge des Königs eine Dame mit blondem Haar und grünseidenem Gewand stand. Er kannte sie sehr wohl, und nun begriff er, daß _sie_ dem König geraten hatte, ihn um den Wagen zu bitten. Aber er geriet in Verzweiflung. Er konnte es nicht ertragen, daß ein anderer seinen Wagen besitzen sollte, und doch wagte er auf die Dauer nicht, nein zum König zu sagen. Darum fuhr er mit einer solchen Wucht gegen die Schloßmauer, daß er in tausend Stücke zersprang. Als er wieder nach Karlstad kam, versuchte er einen neuen Wagen zu machen, aber er konnte es nicht. Da packte ihn Verzweiflung über die Gabe, die ihm die Hulder gegeben hatte. Er hatte das Müßiggängerleben auf dem Schloß seines Vaters verlassen, um ein Wohltäter für die vielen zu werden, nicht um Zauberkram zu machen, was nur einer gebrauchen konnte. Was half es ihm, daß er ein großer Meister wurde, ja der größte von allen, wenn er seine Meisterwerke nicht vervielfältigen konnte, so daß sie zum Nutzen für Tausende wurden? Und der gelehrte und kunstfertige Mann sehnte sich so nach ruhiger, vernünftiger Arbeit, daß er Steinhauer und Maurer wurde. Damals baute er den großen, steinernen Turm unten an der westlichen Brücke, baute ihn nach dem Hauptturm auf der Ritterburg seines Vaters, und es war wohl auch seine Absicht, Wohnhaus, Portale, Burghöfe, Burgmauern und Hängetürme zu bauen, so daß sich eine ganze Ritterburg am Ufer des Klarelfs erheben konnte. Da drinnen wollte er den Traum seiner Kindheit verwirklichen. Alles, was es an Handwerk und Kunstgewerbe gab, sollte sein Heim in den Sälen des Schlosses haben. Weiße Müllergesellen und schwarze Schmiede, Uhrmacher mit grünen Schirmen vor den angestrengten Augen, Färber mit dunklen Händen, Weber, Drechsler -- alle sollten sie ihre Werkstätten in seinem Schloß haben. Und es ging gut. Aus den Steinen, die er selbst behauen, hatte er mit eigenen Händen seinen Turm aufgemauert. Er hatte Mühlenflügel daraufgesetzt -- denn der Turm sollte eine Windmühle sein --, und nun wollte er mit der Schmiede beginnen. Und dann, eines Tages stand er da und beobachtete, wie sich die leichten, starken Flügel im Winde drehten. Da kam sein altes Leiden wieder über ihn. Es war ihm, als habe die Frau in dem grünen Gewand ihn wieder mit ihren schimmernden Augen angesehen, bis sein Gehirn von neuem Feuer fing. Er schloß sich in seine Werkstatt ein, aß keinen Bissen, gönnte sich keine Ruhe und arbeitete ohne Aufenthalt. Und dann schuf er in acht Tagen ein neues Kunstwerk. Eines Tages stieg er auf das Dach seines Turmes und begann, Flügel an seine Schultern zu schnallen. Zwei Straßenjungen und ein Gymnasiast, die auf dem Geländer der Brücke saßen und Stichlinge fischten, erblickten ihn und stießen einen Schrei aus, der in der ganzen Stadt zu hören war. Sie stürzten von dannen; atemlos liefen sie Straße auf und Straße ab, donnerten an alle Türen und riefen: »Kevenhüller will fliegen! Kevenhüller will fliegen!« Er stand ganz ruhig auf dem Dach des Turmes und schnallte sich die Flügel an, und währenddes kamen die Volksscharen aus den engen Straßen der alten Karlstad herausgewimmelt. Die Mägde liefen von dem kochenden Kessel weg, der auf dem Herd stand, und von dem Teig, der sich hob. Die Frauen warfen den Strickstrumpf hin, setzten ihre Brille auf und liefen die Straße hinab. Bürgermeister und Rat erhoben sich von ihren Richtersitzen, der Rektor schmiß die Grammatik in einen Winkel; die Schuljungen stürzten aus der Klasse, ohne um Erlaubnis zu bitten. Die ganze Stadt eilte von dannen, nach der westlichen Brücke hinab. Bald war die Brücke schwarz von Menschen. Auf dem Marktplatz standen sie wie die Heringe in einer Tonne, und das ganze Flußufer bis hinauf nach dem Bischofsitz wimmelte von Menschen. Da war ein größeres Gedränge als beim Petersmarkt; da waren mehr Schaulustige wie damals, als König Gustav III. mit acht Pferden durch die Stadt gefahren kam, und zwar mit einer solchen Geschwindigkeit, daß der Wagen, wenn er um eine Ecke bog, auf zwei Rädern stand. Endlich hatte Kevenhüller die Flügel angeschnallt und stieß ab. Er tat ein paar Schläge damit, und dann war er frei. Er lag da und schwamm im Luftmeer hoch über der Erde. Er sog die Luft in vollen Zügen ein; sie war stark und rein. Seine Brust weitete sich, und das alte Ritterblut begann sich in ihm zu rühren. Er tummelte sich wie eine Taube, er schwebte wie ein Habicht, seine Flügel waren schneller als die der Schwalbe, er steuerte so sicher wie der Falk. Und er sah hinab auf den ganzen gebundenen Haufen, der ihn anstarrte, der da oben in der Luft lag und schwamm. Hätte er nur ein paar Flügel für einen jeden von ihnen machen können! Hätte er nur einem jeden von ihnen die Macht verleihen können, sich in diese frische Luft emporzuheben! Was für Menschen da aus ihnen werden sollten! Die Erinnerung an das Elend seines eigenen Lebens verließ ihn selbst in diesem Augenblick des Sieges nicht. Er konnte nicht ausschließlich für sich genießen. Ach, die Hulder! Wenn er die nur gefaßt kriegen konnte! Da sah er mit Augen, die fast geblendet waren von dem grellen Sonnenlicht und der zitternden Luft, daß etwas auf ihn zugeflogen kam. Große Flügel, die ganz den seinen glichen, sah er sich bewegen, und zwischen den Flügeln schwamm ein Menschenkörper. Gelbes Haar flatterte, grüne Seide wogte, wilde Augen leuchteten. Sie war es, sie! Kevenhüller verlor die Besinnung. In wilder Fahrt stürzte er auf das Wunder zu, um sie zu küssen oder zu schlagen -- er wußte nicht recht was --, aber auf alle Fälle, um sie zu zwingen, den Fluch von seinem Leben zu nehmen. In dieser wilden Fahrt ließen ihn seine Besonnenheit und seine Sinne im Stich. Er sah nicht, wohin er steuerte, er sah nur das flatternde Haar und die wilden Augen. Er kam dicht an sie heran und streckte die Arme aus, um sie zu erfassen. Da griffen seine Flügel in die ihren, und die ihren waren die stärkeren. Seine Flügel wurden zerrissen und zerfetzt, er selber ward rund herumgeschwenkt und stürzte hinab, er wußte nicht wo. Als er wieder zur Besinnung kam, lag er auf dem Dach seines eigenen Turmes, die zerschmetterte Flugmaschine an seiner Seite. Er war geradeswegs auf seine eigene Windmühle zugeflogen, die Flügel hatten ihn erfaßt, ihn ein paarmal herumgeschwenkt und ihn dann auf das Dach niedergeworfen. So endete das Spiel. Kevenhüller war jetzt wieder ein verzweifelter Mann. Ehrliche Arbeit erregte Ekel in ihm, und mit den wunderlichen Künsten wagte er sich nicht abzugeben. Schuf er noch ein Kunstwerk und hatte er das Unglück, es zu zerstören, so würde sein Herz sicher vor Kummer brechen. Und zerstörte er es nicht, da würde er sicher den Verstand verlieren bei dem Gedanken, daß er anderen nicht dadurch nützen konnte. Er holte seinen alten Gesellenranzen und seinen Knotenstock hervor, ließ die Mühle stehen, wie sie stand, und beschloß, auszugehen und die Hulder zu suchen. Er verschaffte sich Pferd und Wagen, denn er war nicht mehr so jung und leicht zu Fuß. Und man erzählt, daß er jedesmal, wenn er an einen Wald kam, vom Wagen stieg, hineinging und die Grüngekleidete aus dem Dickicht rief. »Hulder, Hulder! ich bin es, Kevenhüller! Komm, komm!« Aber sie kam nicht. Auf diesen Reisen kam er, wenige Jahre bevor die Majorin vertrieben wurde, nach Ekeby. Man empfing ihn dort gut, und da blieb er. Und die Schar im Kavalierflügel wurde um eine hohe, kräftige Rittergestalt vermehrt, um einen schneidigen Herrn, der weder beim Bierkrug noch bei den Jagdpartien versagte. Seine Kindheitserinnerungen kehrten zurück: er gestattete, daß man ihn Graf nannte, und er bekam mehr und mehr das Aussehen eines alten deutschen Räuberbarons, mit seiner großen Adlernase, seinen finsteren Augenbrauen, seinem Vollbart, der unterm Kinn spitz zulief, sich über den Lippen aber kühn in die Höhe drehte. Er war ein Kavalier unter den Kavalieren und war nicht besser als alle die andern in dieser Schar, von der das Volk glaubte, daß die Majorin sie für den leibhaftigen Bösen in Bereitschaft halte. Sein Haar ergraute und sein Gehirn schlief. Er ward so alt, daß er nicht mehr an die Taten seiner Jugend glauben konnte. Er war nicht der Mann mit den wunderbaren Fähigkeiten. Er hatte nicht den selbstfahrenden Wagen und die Flugmaschine gemacht! Ach nein, Märchen! Märchen! Aber dann geschah es, daß die Majorin aus Ekeby vertrieben wurde und daß die Kavaliere Herren auf dem großen Gut wurden. Da begann ein Leben, wie es nie zuvor ärger gewesen war. Ein Sturm ging über das Land hin; alle alte Torheit verkehrte sich in Jugendwildheit, alles Böse geriet in Bewegung, alles Gute erbebte -- die Menschen kämpften auf der Erde und die Geister im Himmel. Wölfe kamen aus dem Gebirge herab mit Hexen auf dem Rücken, die Naturmächte wurden losgelassen, und die Hulder kam nach Ekeby. Die Kavaliere kannten sie nicht. Sie glaubten, sie sei eine arme, bedrängte Frau, die von einer bösen Schwiegermutter in Verzweiflung gehetzt sei. Da nahmen sie sie in ihren Schutz, ehrten sie wie eine Königin, liebten sie wie ein Kind und nannten sie Gräfin. Kevenhüller allein sah, wer sie war. Im Anfang ließ er sich wohl blenden wie alle die andern. Aber eines Tages hatten Patron Julius und Örneclon, die sich nicht schämten, sie als Schneider zu bedienen, ihr ein Gewand aus grünem, rauschendem Seidenstoff genäht, und als sie das anzog, da erkannte Kevenhüller sie. Da saß sie auf den Seidenpolstern, auf dem besten Sopha in Ekeby, und alle die alten Männer machten sich zu Narren, um ihr zu dienen. Einer war Koch, ein anderer Kammerdiener, einer war Vorleser, einer Hofmusikant, einer Schuhmacher: ein jeder hatte seine Beschäftigung gewählt. Es sollte ja heißen, daß sie krank sei, dies böse Ungetüm, aber Kevenhüller wußte recht gut, wie es mit der Krankheit beschaffen war. Sie hatte sie nur alle zum Narren, ja, das tat sie. Er warnte die Kavaliere vor ihr: »Seht doch die kleinen, scharfen Zähne,« sagte er, »und die wilden, blitzenden Augen. Das ist die Hulder -- alles Böse ist unterwegs in dieser schrecklichen Zeit. Ich sage euch, es ist die Hulder, die gekommen ist, um uns zu verderben. Ich habe sie schon früher gesehen.« Aber wie groß ist doch die Verblendung der Menschen, wenn ihre Herzen gerührt sind! Die Kavaliere waren wie eine Mutter, der man einen Wechselbalg in die Wiege gelegt hat. Sie kann sich nicht überwinden, den großen Kopf und die dunkle Haut zu sehen; sie findet, daß das heisere Schreien des Koboldkindes dem zwitschernden Lachen ihres eigenen Kindes gleicht, sie kann nicht sehen, daß die Lippen dick sind und daß sich die Nägel wie Klauen krümmen. Und so erging es auch den Kavalieren; sie waren nahe daran, Kevenhüller totzuschlagen, als er ihnen die Augen öffnen wollte. Aber sobald Kevenhüller die Hulder gesehen und sie wiedererkannt hatte, kam die Arbeitslust über ihn. Es begann in seinem Gehirn zu brennen und zu sieden, seine Finger schmerzten ihm vor Eifer, wieder nach Feile und Hammer zu greifen; er konnte nicht dagegen ankämpfen. Mit Bitterkeit im Herzen zog er die Arbeitsbluse an und schloß sich in eine alte Schlosserwerkstatt ein, wo er arbeiten wollte. Da ging es wie ein Ruf von Ekeby über ganz Wermland: »Kevenhüller hat zu arbeiten begonnen!« Und man lauschte atemlos den Hammerschlägen aus der verschlossenen Werkstatt, dem Kreischen der Feile, dem Stöhnen des Blasebalgs. Jetzt werden wir ein neues Wunder sehen. Was es wohl werden mag? Wird er uns lehren, auf dem Wasser zu gehen oder eine Leiter an das Siebengestirn zu setzen? -- Nichts ist unmöglich für einen solchen Mann. Wir haben ihn mit eigenen Augen von Flügeln durch die Luft tragen sehen. Wir haben seinen Wagen durch die Straßen brausen sehen. Er hat die Gabe der Hulder erhalten: nichts ist ihm unmöglich. Eines Nachts, die erste oder die zweite im Oktober, hatte er das Wunder fertig. Er kam damit in der Hand aus der Werkstatt heraus. Es war ein Rad, das unaufhörlich rotierte; wenn es sich drehte, leuchteten die Speichen wie Feuer, und Licht und Wärme gingen davon aus. Kevenhüller hatte eine Sonne geschaffen. Als er damit aus der Werkstatt herauskam, wurde die Nacht so hell, daß die Spatzen zu zwitschern begannen und die Wolken sich röteten wie bei Sonnenaufgang. Es war die herrlichste Erfindung. -- Keine Finsternis, keine Kälte würde es fortan mehr auf Erden geben. Es schmeichelte ihn, wenn er den Gedanken ausdachte. Die Sonne des Tages sollte nach wie vor auf- und untergehen, aber wenn sie verschwand, sollten Tausende und aber Tausende von seinen Feuerrädern über dem Lande aufflammen, und die Luft sollte vor Wärme zittern wie an dem heißesten Sommertage. Da sollte man reifes Korn unter dem Sternenhimmel des Hochwinters ernten; Erdbeeren und Heidelbeeren sollten die Waldhügel das ganze Jahr hindurch bedecken; nie sollte Eis das Wasser in Fesseln schlagen. Jetzt, wo die Erfindung fertig war, sollte sie eine neue Erde erschaffen. Sein Feuerrad sollte ein Pelz für den Armen und eine Sonne für den Grubenarbeiter werden. Es sollte den Fabriken Treibkraft verleihen, der Natur -- die jetzt vom Herbst bis zum Frühling schlafen mußte -- neues Leben spenden, der Menschheit ein besseres, glückliches Dasein schaffen. Aber er wußte nur zu gut, daß das alles Träume waren und daß die Hulder ihm niemals erlauben würde, sein Feuerrad zu vervielfältigen. Und in seinem Zorn und seiner Rachlust dachte er, daß er sie totschlagen wollte, und dann wußte er wohl kaum mehr, was er tat. Er ging in das Wohnhaus hinauf, und auf die Diele, gerade unter die Treppe stellte er das Feuerrad. Es war seine Absicht, daß das Haus in Brand geraten und das Ungeheuer verbrennen sollte. Dann ging er wieder in seine Werkstatt und saß dort still und lauschte. Auf dem Hofe entstand Lärm und Rufen. Jetzt fing man an zu merken, daß eine Heldentat ausgeführt war. Ja, lauft ihr nur und schreit und läutet mit den Glocken! Jetzt verbrennt sie doch, die Hulder, die ihr auf Samt und Seide gebettet habt! Ob sie sich in Qualen windet, ob sie aus dem einen Zimmer in das andere läuft? Ach, wie wird die grüne Seide flammen, wie werden die Flammen in dem dicken Haar spielen! Frischen Mut, ihr Flammen! Frischen Mut! Fanget sie, zündet sie an, verbrennet die Hexe! Fürchtet euch nicht vor ihren Zauberworten, ihr Gluten! Laßt sie brennen! Da sind Menschen, die um ihretwillen ihr ganzes Leben haben brennen müssen! Glocken läuteten, Wagen rasselten, Spritzen kamen dahergefahren, Wassereimer wurden vom See heraufgereicht, aus allen Dörfern stürmten Leute herbei. Da war ein Schreien und Jammern und Kommandieren; Dächer stürzten herab, da war ein fürchterliches Knistern und Heulen von Flammen. Nichts aber brachte Kevenhüller aus seiner Fassung; er saß auf dem Haublock und rieb sich die Hände. Da vernahm er ein Krachen, als wenn der Himmel herabstürzte, und er sprang jubelnd auf. »Jetzt ist es geschehen!« rief er aus. »Jetzt kann sie nicht entkommen, jetzt ist sie unter den Balken zermalmt oder von den Flammen verzehrt. Jetzt ist es vollbracht!« Und er dachte an Ekebys Ehre und Macht, die geopfert werden mußten, um sie aus der Welt zu schaffen. Die stolzen Säle, wo so viel Wonne und Freude gewohnt hatte, die Zimmer, die widergehallt hatten von der Freude der Frauen, die Tische, die sich schier gebogen hatten unter leckeren Gerichten, die kostbaren alten Möbel, Silber und Porzellan, das nie wieder beschafft werden konnte ... Und dann fuhr er mit einem Schrei in die Höhe. Sein Feuerrad, seine Sonne, das Modell, von dem alles abhing, hatte er das nicht unter die Treppe gestellt, damit es die Feuersbrunst verursachen sollte? Kevenhüller sah sich selbst an, versteinert vor Schrecken. »Bin ich von Sinnen?« sagte er. »Wie konnte ich nur so etwas tun?« Im selben Augenblick tat sich die verschlossene Tür der Werkstatt auf, und die Grüngekleidete trat ein. Da stand die Hulder auf der Schwelle, hold und lächelnd. Ihr grünes Gewand hatte weder Fleck noch Makel, kein Brandgeruch haftete an ihrem dicken Haar. Sie war so, wie er sie in den Tagen seiner Jugend auf dem Marktplatz zu Karlstad gesehen hatte, der Schwanz schleifte zwischen ihren Füßen, und sie führte die ganze Wildheit und den Duft des Waldes mit sich. »Jetzt brennt Ekeby!« sagte sie und lachte. Kevenhüller hatte den großen Hammer erhoben und wollte ihn ihr an den Kopf werfen, da aber sah er, daß sie sein Feuerrad in der Hand hielt. »Siehe, was ich für dich gerettet habe,« sagte sie. Kevenhüller warf sich vor ihr auf die Knie nieder. »Du hast meinen Wagen zertrümmert, du hast meine Flügel zerbrochen und hast mein Leben zerstört. Erzeige mir jetzt eine Gnade, erbarme dich meiner!« Sie kletterte auf die Hobelbank hinauf und saß dort genau so jung und so schelmisch wie damals, als er sie zum ersten Male auf dem Marktplatz zu Karlstad gesehen hatte. »Ich sehe, du weißt, wer ich bin,« sagte sie. »Ich kenne dich, und ich habe dich immer gekannt,« sagte der unglückliche Mann. »Du bist das Genie. Aber gib mich jetzt frei. Nimm deine Gabe von mir! Nimm die Wundergaben von mir! Laß mich ein gewöhnlicher Mensch werden! Warum verfolgst du mich? Warum vernichtest du mich?« »Tor!« sagte die Hulder. »Ich habe dir niemals Böses gewollt. Ich gab dir eine große Belohnung, aber ich kann sie dir wieder wegnehmen, wenn sie dir nicht behagt. Aber bedenke dich wohl -- du wirst es bereuen!« »Nein, nein!« rief er aus, »nimm die Wundergaben von mir!« »Zuerst mußt du dies hier zerstören!« sagte sie und warf das Feuerrad vor ihn an die Erde. Er besann sich nicht. Er schwang den großen Hammer über der strahlenden Feuersonne, die nichts weiter war als häßlicher Zauberkram, wenn sie nicht zum Nutzen für Tausende angewendet werden konnte. Die Funken stoben in der Schmiede umher, Flammen und Scherben umtanzten ihn, und dann lag auch sein letztes Kunstwerk in Trümmern da. »Ja, dann nehme ich meine Gabe von dir,« sagte die Hulder. Als sie in der Tür stand, um zu gehen, und der Schein der Feuersbrunst da draußen sich über ihre Gestalt ergoß, sah er ihr zum letztenmal nach. Schöner denn je zuvor erschien sie ihm und nicht mehr ganz so boshaft, nur strenge und stolz. »Tor!« sagte sie, »habe ich dir je verboten, deine Kunstwerke von andern nachmachen zu lassen? Was bezweckte ich weiter, als den Mann des Genies vor den Mühseligkeiten des Handwerks zu bewahren?« Und dann ging sie. Kevenhüller aber war mehrere Tage wahnsinnig. Dann wurde er wieder wie ein gewöhnlicher Mensch. Das Hauptgebäude von Ekeby war niedergebrannt. Menschen waren jedoch nicht zu Schaden gekommen. Aber es war ein großer Kummer für die Kavaliere, daß das gastfreie Haus, wo sie so viel Gutes genossen hatten, zu ihrer Zeit so großen Schaden erleiden sollte. Ach -- ihr Kinder später Zeiten! Wäre ich es gewesen oder ihr, die der Hulder auf dem Marktplatz zu Karlstad begegnet wäret! Glaubt ihr nicht, daß ich in den Wald gegangen wäre und gerufen hätte: »Hulder, Hulder! Ich bin es, Kevenhüller!« Aber wer sieht sie heutzutage? Wer klagt in unseren Zeiten darüber, zuviel von ihren Gaben erhalten zu haben? Der Markt zu Broby Am ersten Freitag im Oktober beginnt der große Markt von Broby, der acht Tage währt. Das ist das größte Fest im ganzen Jahr. Demselben geht ein großes Schlachten und Backen in jedem Hausstand voraus; dann sind die neuen Winterkleider fertig und können zum erstenmal angezogen werden; die Festgerichte -- Käsekuchen und Schmalzgebäck -- stehen den ganzen Tag auf dem Tisch, und die Branntweinrationen werden verdoppelt; die Arbeit aber ruht. In jedem Gehöft wird ein Fest gefeiert; die Dienstboten und Tagelöhner nehmen von ihrem Lohn auf und erwägen genau, was auf dem Markt gekauft werden soll. Von weither kommen die Leute in kleinen Scharen die Landstraße entlang gewandert, den Ranzen auf dem Rücken, den Stock in der Hand. Viele müssen auch ihr Vieh zu Markt treiben, um es in diesen schlechten Zeiten zu verkaufen. Kleine, eigensinnige Stierkälber und Ziegen, die stillstehen und die Vorderbeine steif vorsetzen, schaffen dem Besitzer viel Not und den Zuschauern viel Kurzweil. Die Fremdenzimmer auf den Gütern sind voll willkommener Gäste; es werden Neuigkeiten ausgetauscht, die Preise für Vieh und Inventar werden erwogen. Die Kinder gehen einher und träumen von Jahrmarktsgeschenken. Und am ersten Markttag -- wie wimmelt es da auf den Brobyer Hügeln und auf dem ganzen großen Marktplatz von Marktbesuchern! Es sind Zelte errichtet, in denen Kaufleute aus den Städten ihre Waren ausgebreitet haben, während Dalekarlier und Westgotländer ihr Hab und Gut auf langen Reihen von »Scheiben« aufstapeln, über denen die weiße Zeltleinwand flattert. Seiltänzer, Drehorgel- und blinde Violinspieler gibt es zur Genüge, ebenso Wahrsagerinnen, Brustzuckerverkäufer, Branntweinschenken. Hinter den Buden ist steinernes und hölzernes Geschirr aufgehellt. Zwiebeln und Meerettich, Äpfel und Birnen werden von den Gärtnern der großen Herrenhöfe feilgeboten. Große Strecken des Marktplatzes sind mit rotbraunem, innen weiß verzinntem Kupfergeschirr bedeckt. Aber an dem Umsatz kann man wohl merken, daß in Svartsjö und in Bro und in den andern Ortschaften am Löfsee Not herrscht. Der Handel in den Zelten und an den Scheiben geht nur schlecht. Der größte Umsatz wird auf dem großen Viehmarkt gemacht, denn gar mancher muß Kuh und Pferd verkaufen, um selber durch den Winter kommen zu können. Dort findet auch der wilde, spannende Pferdetausch statt. Es geht lustig her auf dem Markt zu Broby. Hat man nur Geld zu ein paar Schnäpsen, so kann man den Humor schon aufrechterhalten. Aber nicht der Branntwein allein ist der Urheber der Freude. Wenn die Menschen aus den einsamen Waldhütten nach dem Marktplatz mit seinem wogenden Gewimmel herabkommen, werden sie anfänglich ganz entsetzt, wenn sie den Lärm dieser schreienden, lachenden Scharen hören; wenn sie aber erst mitten im Gewimmel sind, werden sie gleichsam berauscht von der Freude, wild von dem brausenden Jahrmarktsleben. Wohl ist da viel Handel zwischen so vielen Menschen, aber das ist doch kaum die Hauptsache. Das wichtigste ist, sich mit einem Kreis guter Freunde in eine Bude zu setzen und sie mit Schafwurst, Schmalzgebäck und Branntwein zu traktieren, oder sein Mädchen zu überreden, ein Gesangbuch und ein seidenes Tuch anzunehmen, oder Marktgeschenke für die Kinder daheim einzukaufen. Alle, die nicht gezwungen sind, daheim zu bleiben und auf Haus und Hof zu achten, sind nach Broby gekommen. Da sind Kavaliere aus Ekeby und Köhler aus Nygaard, Pferdehändler aus Norwegen, Finnen aus den großen Wäldern und Landstreicher aus aller Herren Ländern. Hin und wieder sammelt sich das ganze brausende Meer zu einem Wirbel, der sich in Ringen um einen Mittelpunkt zu drehen scheint. Niemand weiß, was sich in der Mitte befindet, bis ein paar Polizisten die Menge durchbrechen, um einer Schlägerei ein Ende zu machen oder einen umgestürzten Wagen wieder aufzurichten. Und im nächsten Augenblick schart sich die Menge von neuem -- um einen Kaufmann, der mit einer munteren Dirne feilscht. Ungefähr gegen Mittag beginnt die große Schlägerei. Die Bauern haben sich in den Kopf gesetzt, daß die Westgotländer zu knappes Ellenmaß gebrauchen; es entsteht zuerst Zank und Geschimpf um ihre »Scheiben«, bald aber geht es zu Handgreiflichkeiten über. Für die vielen, die in jenen Tagen nichts als Not und Elend sahen, war es eine Erleichterung, einmal tüchtig dreinhauen zu können, einerlei wen oder was man traf. Und sobald die Starken und Streitlustigen sehen, daß eine Schlägerei im Gange ist, stürzen sie von allen Seiten herbei. Die Kavaliere wollen gerade in den Knäuel einbrechen, um auf ihre Weise Frieden zu stiften, und die Dalekarlier eilen herbei, um den Westgotländern zu helfen. Der starke Måns aus Fors ist der Eifrigste bei der Sache. Betrunken ist er, und wütend ist er auch; jetzt hat er einen Westgotländer umgeworfen und angefangen, ihn durchzuprügeln; auf das Hilfegeschrei aber stürzt ein Landsmann herbei und will den starken Måns zwingen, seine Beute fahren zu lassen. Da reißt der starke Måns alle Waren von einer der Scheiben herunter, ergreift die Scheibe selbst, die eine Elle breit und acht Ellen lang ist und aus dicken Planken besteht, und fängt an, sie als Waffe um sich zu schwingen. Der starke Måns ist ein schrecklicher Mensch. Er stieß im Gefängnis zu Filipstad eine Wand ein, und er konnte ein Boot aus dem See auf die Schulter heben und nach Hause tragen. Man kann wohl begreifen, daß die ganze Schar, Westgotländer und alle, die Flucht ergreifen, als er mit der schweren Scheibe um sich schlägt. Aber der starke Måns stürzt hinter ihnen drein und schlägt drauflos. Er nimmt keine Rücksicht mehr auf Freund oder Feind, er will nur jemand haben, auf den er losschlagen kann, jetzt, wo er eine Waffe hat. Die Leute fliehen voller Verzweiflung vor ihm. Männer und Frauen schreien und rennen. Aber wie ist es den Frauen möglich zu entfliehen -- sie haben ja ihre kleinen Kinder an der Hand! Die Buden und Wagen versperren den Weg. Kühe und Ochsen, die von dem Lärm wild geworden sind, hindern ihre Flucht. In einer Ecke zwischen den Buden ist eine Schar Frauen eingeklemmt, und auf die stürmt der Riese los. Meint er doch einen Westgotländer in ihrer Mitte zu erblicken! In bleicher, schaudernder Angst nehmen die Frauen den Anfall entgegen und kriechen zusammen unter dem tötenden Schlag. Als aber die Scheibe pfeifend auf sie herabfällt, wird ihre Kraft durch die aufwärtsgestreckten Arme eines Mannes gebrochen. _Ein_ Mann ist nicht zusammengekrochen, er hat sich mitten in dem Menschenknäuel hochaufgerichtet, _ein_ Mann hat aus freiem Willen den Schlag aufgefangen, um die vielen zu retten. Frauen und Kinder stehen unbeschädigt da. Ein Mann hat die Gewalt des Schlages gebrochen, jetzt aber liegt er bewußtlos am Boden. Der starke Måns hebt seine Scheibe nicht auf, um weiterzustürmen. Der Blick des Mannes hat ihn getroffen, als die Scheibe auf seinen Scheitel herabfiel, und dieser Blick hat ihn mit Lähmung geschlagen. Er läßt sich binden und ohne Widerstand fortführen. Aber mit Blitzeseile verbreitet sich das Gerücht über den ganzen Markt, daß der starke Måns Hauptmann Lennart erschlagen hat. Man sagt, daß er, der der Freund des Volkes war, gestorben ist, um Frauen und wehrlose Kinder zu retten. Und es wird still auf dem großen Platz, wo das Leben soeben noch in wildem Taumel dahinsauste: der Handel stockt, die Schlägereien hören auf, die Festschmäuse in den Erfrischungsbuden lösen sich auf, vergebens lockt der Seiltänzer die Zuschauer an. Der Freund des Volkes ist tot, das Volk hat Trauer. In tiefem Schweigen drängen sich alle um den Ort zusammen, wo er gefallen ist. Er liegt ausgestreckt am Boden, ganz bewußtlos; keine Wunde ist sichtbar, nur die Hirnschale ist wie flachgedrückt. Einige Männer heben ihn sorgfältig auf die Scheibe, die den Held hat fallen lassen. Sie glauben zu bemerken, daß er noch lebt. »Wohin sollen wir ihn tragen?« fragen sie einander. »Nach Hause!« antwortet eine barsche Stimme aus der Schar. Ja, ihr guten Männer, tragt ihn nach Hause! Hebt ihn auf eure Schultern und tragt ihn nach Hause! Er ist Gottes Spielball gewesen, er ist vor seinem Atemhauch wie eine Feder hergetrieben. Tragt ihn jetzt nach Hause! Das verwundete Haupt hat auf der harten Pritsche im Gefängnis, auf dem Heubündel in der Scheune geruht. Laßt es jetzt nach Hause kommen und auf einem weichen Kissen ruhen! Unverschuldet hat er Schande und Not gelitten, er ist von seiner eigenen Tür fortgejagt. Tragt ihn jetzt nach Hause! Ein ruheloser Flüchtling ist er gewesen, er ist auf Gottes Wegen gewandelt, wo er sie finden konnte, das Land seiner Sehnsucht aber war dies Heim, dessen Tür Gott ihm verschlossen hatte. Tragt ihn nach Hause! Vielleicht steht sein Heim dem offen, der gestorben ist, um Frauen und Kinder zu erretten. Jetzt kommt er nicht wie ein Verbrecher, von taumelnden Zechgenossen begleitet; eine trauernde Schar folgt ihm, er hat in ihren Hütten gewohnt, er hat ihnen in ihren Leiden geholfen. Tragt ihn jetzt nach Hause! Und sie tun es. Sechs Männer heben die Scheibe, auf der er liegt, auf ihre Schultern und tragen ihn fort vom Marktplatz. Wohin sie kommen, weichen die Leute zur Seite und stehen still: Männer entblößen das Haupt, Frauen verneigen sich wie in der Kirche, wenn Jesu Name genannt wird. Viele weinen und trocknen die Augen; andere fangen an, davon zu reden, welch ein Mann er gewesen, so gut, so heiter, so hilfbereit, so gottesfürchtig. Es ist wunderbar zu sehen, wie, sobald einer der Träger ermüdet, sofort ein anderer kommt und stillschweigend die Schulter unter die Scheibe stemmt. Hauptmann Lennart kommt auch an der Stelle vorüber, wo die Kavaliere stehen. »Ich muß wohl mitgehen und acht geben, daß er gut nach Hause kommt«, sagt Beerencreutz und verläßt seinen Platz am Wegesrande, um mit nach Helgesäter zu gehen, und seinem Beispiel folgen gar manche. Der Marktplatz wird beinahe leer; alle geben Hauptmann Lennart das Geleite nach Helgesäter. Man muß ja dafür sorgen, daß er nach Hause kommt. All das Notwendige, das durchaus gekauft werden sollte, muß unterbleiben; die Jahrmarktsgeschenke für die Kleinen daheim werden vergessen, das Gesangbuch wird nicht gekauft, das seidene Tuch, das die Begier des Mädchens erregte, bleibt auf dem Budentisch liegen. Alle müssen mit und sehen, daß Hauptmann Lennart gut nach Hause kommt. Als der Zug Helgesäter erreicht, ist es dort leer und öde. Wieder donnern die Fäuste des Obersten an der geschlossenen Tür. Alle Dienstboten sind auf dem Markt; die Hausfrau allein ist daheim geblieben und hütet das Haus. Sie öffnet auch heute. Und wie schon einmal zuvor, so fragt sie auch heute: »Was wollt Ihr?« Worauf der Oberst, wie schon einmal zuvor, antwortet: »Wir sind hier mit deinem Gatten.« Sie schaut ihn an, der steif und besonnen dasteht wie immer. Sie schaut die Träger hinter ihm an, die weinen, und die ganze Menschenmenge dahinter. Sie steht dort auf der Treppe und schaut in Hunderte von weinenden Augen, die sie betrübt anstarren. Endlich schaut sie den Mann an, der ausgestreckt auf der Bahre ruht, und sie preßt die Hand gegen das Herz. »Das ist sein wahres Gesicht!« murmelt sie. Ohne weiter zu fragen, beugt sie sich nieder, schiebt den Riegel zurück, schlägt die Türen weit auf und geht vor den andern her ins Schlafgemach. Mit Hilfe des Obersten zieht sie das zusammengeschobene Doppelbett auseinander und schüttelt die Betten auf, und dann wird Hauptmann Lennart wieder auf weiche Daunen und weißes Leinen gelegt. »Lebt er?« fragt sie. »Ja,« antwortet der Oberst. »Ist Hoffnung vorhanden?« »Nein, es ist nichts dabei zu machen.« Eine Weile herrscht tiefes Schweigen, dann fragt sie plötzlich: »Weinen alle diese Menschen um seinetwillen?« »Ja.« »Was hat er denn getan?« »Das letzte, was er tat, war, daß er sich von dem starken Måns totschlagen ließ, um Kinder und Frauen vor dem sichern Untergang zu retten.« Sie sitzt eine Weile schweigend da und sinnt. »Was für ein Gesicht hatte er doch nur, Oberst, als er vor zwei Monaten nach Hause kam?« Der Oberst zuckt zusammen. Erst jetzt versteht er den ganzen Zusammenhang! »Gösta hatte ihn ja angemalt!« »Also um eines Kavalierstreichs willen habe ich ihm mein Haus verschlossen? Wie wollt Ihr das verantworten, Oberst?« Beerencreutz zuckte die breiten Achseln: »Ich habe wohl mehr auf dem Gewissen, weswegen ich mich verantworten muß.« »Dies ist sicher das Schlimmste, was du getan hast!« »Dann habe ich auch niemals einen schlimmeren Gang getan, als heute hierher nach Helgesäter. Übrigens sind noch zwei andere schuld daran.« »Und wer denn?« »Sintram ist der eine, die andere bist du selber, Cousine. Du bist eine strenge Frau. Ich weiß, daß mehr als einer den Versuch gemacht hat, mit dir über deinen Mann zu reden.« »Das ist wahr!« erwidert sie. Und dann bittet sie ihn, von dem Trinkgelage in Broby zu erzählen. Er erzählt alles, so gut er sich dessen entsinnen kann, und sie lauscht schweigend. Hauptmann Lennart liegt noch immer bewußtlos auf dem Bett. Das Zimmer ist ganz angefüllt mit weinenden Menschen; niemand denkt daran, diese betrübte Schar hinauszuwerfen. Alle Türen sind weit geöffnet, alle Zimmer, Treppen und Gänge sind voll schweigender, bekümmerter Menschen -- bis weit auf den Hof hinaus stehen sie in dichten Scharen. Als der Oberst seine Erzählung beendet hat, sagt die Frau des Hauptmanns mit erhobener Stimme: »Falls sich einer der Kavaliere hier im Zimmer befindet, bitte ich ihn, hinauszugehen. Es ist schwer für mich, einen Kavalier hier an dem Sterbebett meines Mannes zu sehen.« Ohne ein Wort zu sagen, steht der Oberst auf und geht hinaus. Dasselbe tun Gösta Berling und noch ein paar Kavaliere, die Hauptmann Lennart das Geleite gegeben haben. Die Leute weichen scheu zur Seite vor dieser kleinen Schar gedemütigter Männer. Als sie fort sind, sagt Frau Lennart: »Will jemand von denen, die meinen Mann während dieser Monate gesehen haben, mir sagen, wo er sich aufgehalten und was er vorgenommen hat?« Und nun fangen die da drinnen an, vor Hauptmann Lennarts Frau Zeugnis abzulegen über ihn, vor ihr, die ihn verkannt und die ihr Herz in Strenge gegen ihn verhärtet hat. Jetzt ertönt die Sprache der alten Hymnen. Männer, die nie ein anderes Buch gelesen haben als die Bibel, fangen an zu reden. In Bildern, die sie Hiobs Buch entleihen, in Wendungen aus den Zeiten der Patriarchen reden sie von dem Gesandten Gottes, der umherging und allem Volk half. Es währt lange, bis sie ausgeredet haben. Während die Dunkelheit hereinbricht und der Abend kommt, stehen sie da und reden; einer nach dem andern tritt vor und erzählt der Frau, die seinen Namen nicht hat nennen hören wollen, von ihm. Da sind Leute, die erzählen, daß er sie auf dem Krankenbett gefunden und geheilt hat. Da sind wilde Raufbolde, die er gezähmt hat. Da sind Trunkenbolde, die er zur Mäßigung gezwungen, Betrübte, denen er Trost gespendet hat. Jeder, der in grenzenloser Not gewesen ist, hat sich an Gottes Gesandten gewendet, und er hat ihnen helfen können; wenigstens ist er imstande gewesen, Trost und Hoffnung in ihre Herzen zu gießen. Den ganzen Abend ertönt die Sprache der alten Hymnen im Krankenzimmer. Draußen auf dem Hofplatz stehen die dichten Scharen und warten auf »das Letzte«. Sie wissen, was da drinnen vor sich geht -- was laut am Sterbebette gesprochen wird, geht da draußen als Geflüster von Mund zu Munde. Jeder, der etwas zu sagen hat, drängt sich schweigend durch die Menge. »Hier ist einer, der von ihm zeugen kann«, sagt man und macht ihm Platz. Und sie treten aus der Dunkelheit hervor, legen ihr Zeugnis ab und treten wieder in die Finsternis zurück. »Was sagt sie jetzt?« fragen die Draußenstehenden. »Was sagt die gestrenge Frau auf Helgesäter?« »Sie strahlt wie eine Königin, sie lächelt wie eine Braut. Sie hat seinen Lehnstuhl an das Bett gerückt und die Kleider darauf gelegt, die sie ihm eigenhändig gewebt hat.« Aber dann wird es still unter den Leuten. Niemand sagt es, aber alle wissen es wie mit einem Schlage: »Jetzt stirbt er.« Hauptmann Lennart schlägt seine Augen auf, er sieht, und er sieht genügend. Er sieht sein Heim und die Volksscharen, seine Frau, die Kinder, die Kleider, und er lächelt. Aber er ist nur erwacht, um zu sterben. Er seufzt einmal röchelnd auf und haucht dann seinen Geist aus. Da verstummen die Erzählungen. Eine Stimme aber beginnt ein Sterbelied. Alle stimmen mit ein, und von Hunderten von starken Stimmen getragen, erhebt sich der Gesang zu den ewigen Höhen. Das ist der Abschiedsgruß der Erde an die fliehende Seele. Der Schatz des Pfarrers von Broby Es herrschte Schweigen im Kavalierflügel. Die krummen Waldhörner, die in Veranlassung des Marktes geputzt und mit neuen grünen Schnüren und Quasten verziert waren, hingen unbenutzt in den Ecken. Die Violinen lagen, in rohe Seide gewickelt, in ihren Kasten, den Bogen zur Seite, das Harz und die Reservesaiten am Kopfkissen. Die Flöten waren nicht aus dem Bade herausgenommen, in dem sie lagen, um dicht zu werden. Die Bellmanslieder ertönten nicht, man hörte kein Scherzen und Lachen. Auf dem großen Tisch, der voll weißer Ringe von den Groggläsern war, stand noch das Tablett, aber niemand mischte den dampfenden Trunk. Beerencreutz saß da und spielte mit den Karten, niemand aber machte Miene, Geld auf den Spielteller zu werfen. Diese Kavaliere, die zu Wächtern der Freude angestellt waren, glichen jetzt den frierenden Winterfliegen, die in das Dunkel und den Schutz des Ofens kriechen. Es war kalt und einsam um sie her geworden. Gestern war Hauptmann Lennart gestorben, von seinem Sterbebett war Gösta Berling in die Wälder und in die Wildnis hinausgeflüchtet, wie es seine Gewohnheit war, wenn sein Gewissen eine neue, schmerzende Wunde erhalten hatte. Sie wußten, daß er lange fortbleiben würde, vielleicht Wochen, bis die Zeit sein Elend geheilt hatte. Ihre junge Gräfin hielt sich eingeschlossen und wollte niemand von ihnen sehen. Die Rosen waren verwelkt, die Blätter waren abgefallen, das Gras war gelb geworden. Und die Kavaliere fingen an zu glauben, daß das Leben selber ausgeblüht habe. Örneclou sah plötzlich, daß er alt und häßlich war, Onkel Eberhard hatte sein großes wissenschaftliches Werk abgeschlossen, Patron Julius' Gewissen wollte nicht schlafen, Liliencrona sehnte sich nach Hause. Und sie fragten sich selber, womit sie es verschuldet hatten, daß der Wein seinen Geschmack verloren, daß das Kartenspiel ihnen keine Freude mehr machte, daß die Musik sie nicht mehr belebte. Weshalb war die Macht der Freude von ihnen gewichen? Welch Verbrechen hatten sie begangen, die armen, elenden Kavaliere? Da öffnete sich die Tür, und die Tochter des Pfarrers von Broby trat zu den versammelten Kavalieren ein. Sie war eine energische kleine Person, die das ganze Jahr hindurch gegen die liederliche Wirtschaft und die Verschwendung angekämpft hatte. Es war etwas so Strenges, Pflichtgetreues an ihr, daß die Kavaliere stets einen gewissen Respekt vor ihr gehabt hatten, obwohl sie kaum die Kinderschuhe ausgezogen hatte. »Heute bin ich wieder zu Hause gewesen und habe nach dem Geld meines Vaters gesucht«, sagte sie zu den Kavalieren. »Aber ich habe nichts gefunden. Alle Schuldbeweise sind ausgestrichen, und Schubfächer und Schränke stehen leer.« »Das ist traurig für Sie, Jungfer«, sagte Beerencreutz. »Als die Majorin aus Ekeby fortzog,« fuhr die Tochter des Pfarrers von Broby fort, »bat sie mich, acht auf ihr Haus zu geben. Und falls ich nun das Geld meines Vaters gefunden hätte, würde ich es dazu verwendet haben, Ekeby wieder instand zu setzen. Da ich aber nichts anderes fand, nahm ich einige von den Stöcken und Zweigen von meines Vaters Schandhügel mit, denn es harrt meiner große Schande, wenn meine Herrin heimkehrt und mich fragt, was aus Ekeby geworden ist.« »Nehmen Sie sich doch eine Sache nicht so zu Herzen, an der Sie keine Schuld haben, Jungfer«, entgegnete Beerencreutz. »Aber ich habe nicht allein für mich Stöcke vom Schandhügel genommen«, sagte das junge Mädchen. »Ich nahm auch einige für die guten Herren mit. Bitte recht sehr, meine Herren! Mein Vater ist nicht der einzige gewesen, der Schmach und Schande in diese Welt gebracht hat.« Und sie ging von dem einen zum andern und legte vor einen jeden einige der dürren Zweige. Mehrere von den Kavalieren fluchten, die meisten aber ließen sie gewähren. Schließlich sagte Beerencreutz mit der ruhigen Würde eines vornehmen Herrn: »Es ist gut, Jungfer. Haben Sie Dank! Jetzt können Sie gehen.« Als sie fort war, schlug er mit der geballten Faust auf den Tisch, so daß die Gläser tanzten. »Von diesem Augenblick an«, sagte er, »trinke ich nie wieder. So etwas soll der Branntwein nicht zum zweitenmal über mich bringen.« Dann erhob er sich und ging hinaus, und tiefes Schweigen lagerte sich wieder über den Kavalierflügel. Aber vor einem jeden der Kavaliere lagen einige von den Hölzern und Zweigen des Schandhügels. Und von ihnen ging eine Reihe unheimlicher Fragen aus: Wo ist die Majorin? Was ist aus Ekebys Ehre und Macht geworden? Weshalb ist Gottes Gesandter getötet worden? Wo ist der Reichtum, der ehemals am Löfsee herrschte? Und es war plötzlich, als ertöne der Kavalierflügel von tausend Stimmen, die alle antworteten. Es war den alten Herren, als säßen sie mitten in einem summenden, stechenden Bienenschwarm. Denn auf alle diese Fragen vernahmen sie stechende, beißende Antworten. Die Kavaliere haben ihre Wohltäterin vertrieben, die Kavaliere, denen sie ein Heim gab, haben sie heimatlos gemacht. Sie gab ihnen Speisung und Freude, sie gaben ihr Hunger und Sorgen. Die Kavaliere haben das stolzeste Gut in ganz Wermland ruiniert. Die Kavaliere haben dem Gesandten Gottes sein eigenes Haus verschlossen. Der Raufbold, der ihm das Leben nahm, hat ihm weniger Schaden zugefügt als wir, die wir seine liebste Hoffnung töteten. Die Kavaliere haben die Sorglosigkeit und den Trunk unter den Armen verbreitet, sie haben die ganze Löfseer Harde ruiniert. Diese Stimmen hatten nicht lange gesummt und gestochen, als ein Kavalier nach dem andern sich erhob und hinausging. Und es traf sich so, daß sie sich nach einer Weile alle unten am Gießbach zusammenfanden, dort, wo die Mühle und die Schmiede gestanden hatten. Überall sah man Spuren der Zerstörung. Der große Hammer ragte aus einem Haufen von Sparren und Brettern hervor, die dicken Ofenmauern standen noch mitten in der Zerstörung, und am Boden sah man noch die große Esse ihren weiten Schlund öffnen. Und seht nur! In all diesem Wirrwarr ging der Oberst umher und arbeitete, er machte Platz für eine neue Schmiede und eine neue Mühle. Und allmählich, als die anderen kamen, gingen auch sie an die Arbeit. Bald waren sie alle da; sie schleppten Balken fort, brachen Steine auf, gruben und zimmerten. Und bald fingen die Lieder wieder an zu klingen, und Scherzen und Lachen erschallte im Kreise. Wieder waren sie mutig und stark; sie würden Ekeby schon wieder aufrichten. Sie wollten die Majorin heimholen; sobald es möglich war, sollte die Tochter des Pfarrers von Broby zu ihr hinaufreisen. Die Armen am Löfsee sollten wieder Arbeit haben. Aber der Kontrakt, der schwarze, mit Blut geschriebene Kontrakt aus der Christnacht? Ach -- sie handelten jetzt weit mehr kavaliermäßig als ehedem. Sie arbeiteten, und sie wollten fortfahren zu arbeiten, ihr Lohn aber sollte in Ehre bestehen und nicht in Geld. Am Sonntagmorgen kam Gösta Berling nach der Brobyer Kirche. Der Gottesdienst hatte bereits begonnen, infolgedessen war es vor der Kirche leer, vor dem Portal aber stand ein in Eile zusammengeschlagener Sarg. Es ward Gösta Berling schwer, an diesem Sarg vorüberzugehen. Er wußte, daß der gute Hauptmann Lennart darin ruhte, und es war ihm, als wenn er ihm den Weg zur Kirche versperre. Gösta war einen Tag und zwei Nächte im Walde umhergewankt, er hatte nichts gegessen, war müde, hungrig, erschöpft von Leiden. Jetzt war er gekommen, um die armen Leute in der Kirche zu sehen, denn da droben in der Einsamkeit hatte er an den Tag gedacht, da er am Schandhügel des Pfarrers von Broby gesessen, an die Nacht, da er die finsteren Scharen mit der Leiche des Mädchens von Nygaard hatte fortziehen sehen, da ihn das Verlangen ergriff, der Diener und Freund der Armen zu sein. Jetzt wollte er sie in der Kirche sehen, um Kraft zu sammeln, damit er ihnen dienen könne. Aber er konnte nicht an Hauptmann Lennarts Sarg vorüberkommen. Es war ihm, als rufe der Tote ihm zu: »Gösta Berling, wie willst du den Armen helfen? Du schleppst noch die Folgen all des Bösen, das du getan, hinter dir her. Vorerst mußt du, müssen alle, die du liebst, die Früchte von dem Unheil ernten, das du gesäet hast.« Er trat an den Sarg heran und fiel davor auf die Knie. »Hilf mir, der Helfer der Armen zu werden,« sagte er, »hilf mir, daß ich der Geliebten nie wieder Kummer mache.« Und einmal über das andere wiederholte er: »Hilf mir, daß ich fortan keinen Kummer, keine Schande, Not und anderes Elend in diese Welt bringe!« Da legte sich eine schwere Hand auf Göstas Schulter. Hinter ihm stand Sintram. »Gösta, willst du jemand einen tüchtigen Streich spielen, so leg dich hin und stirb. Es gibt nichts so Raffiniertes, als zu sterben, nichts, das einem braven Menschen einen ärgeren Strich durch die Rechnung macht, wenn er es am wenigsten ahnt. Leg dich hin und stirb, sage ich dir!« »Das wäre auch das Beste für mich«, meinte Gösta. »Vorerst aber ersinne etwas, Gösta, wodurch ich den da im Sarge ärgern kann.« »Hat er dich angeführt?« »Freilich hat er das! Sieh mich nur an, mein Junge! Ich bin ein betrogener Mann. Weshalb mußte er sich auch so dumm anstellen und mich zum besten haben, so daß ich an seine Dummheit glaubte, während er schlau genug war, sich gerade im rechten Moment hinzulegen und zu sterben. Aber er soll seinen Lohn haben! Ich reiße Flor und Kränze von seinem Sarge, stoße ihn um und trete mit Füßen darauf.« »Nicht, so lange ich lebe!« rief Gösta. Sintram kreuzte die Arme über der Brust und hob den Kopf in die Höhe; es lag etwas von der entsetzlichen Majestät des Bösen über diesem ihrem Diener. »Es ist mein gutes Recht!« sagte er feierlich. »Es war ein großes Werk, und der Plan war geschickt gelegt; er aber hat ihn zerstört. Es handelte sich um die ganze Löfseer Harde. Hätte ich meinen Willen durchgesetzt, würde die ganze Harde zugrunde gerichtet sein. Worauf habe ich denn sonst dies ganze Jahr hindurch hingearbeitet? Ich habe die Majorin vertrieben. Ich habe Melchior Sinclaire elend gemacht. Ich halte den Schatz des Pfarrers von Broby verborgen. Ich habe die Kavaliere regieren lassen. Und jetzt war das Volk so wild und unglücklich geworden, daß niemand sie daran hindern konnte, sich ins Verderben zu stürzen, niemand, mit Ausnahme dieses Mannes, der sich gerade im rechten Augenblick hinlegte und starb. Sahest du es, mein Junge, sahest du es wohl? Die Bauern rückten gegen die Westgotländer, die Dalekarlier gegen die Bauern vor; hätte es nur eine Sekunde länger gewährt, so wäre der ganze Marktplatz in einen großen Walplatz verwandelt gewesen. Frauen und Kinder wären mit Füßen getreten, die Waren in den Schmutz geworfen worden, Raub und Mord hätten gehaust. Wäre Hauptmann Lennart nicht gestorben, so wäre das alles eingetroffen. Und hinterher wäre dann das Gericht gekommen. Hungersnot, neue Aufstände, Einquartierungen würden sie ausgesogen haben. Die ganze Harde wäre so häßlich, so verrufen, so verhaßt geworden, daß niemand außer dem alten Sintram dort hätte wohnen mögen. Wäre das nicht ein großes Werk gewesen?« »Aber welchen Zweck sollte dies alles nur haben?« Sintrams Augen sprühten Blitze, als er antwortete: »Es wäre mir eine Freude gewesen, denn ich bin schlecht. Ich bin der Bär im Gebirge, ich bin der Schneesturm auf der Ebene; meine Lust ist es, zu morden und zu verfolgen. Fort, sage ich, fort mit den Menschen und mit dem Menschenwerk! Ich kann sie nicht leiden. Ich kann sie zwischen meinen Klauen hindurchlaufen und ihre Sprünge machen lassen -- das kann mich eine kleine Weile amüsieren --, aber nun hatte ich das Spiel satt, Gösta, nun wollte ich zuschlagen, jetzt wollte ich zerstören.« Er wäre wahnsinnig, vollständig wahnsinnig. Er hatte vor langer Zeit zum Scherz mit diesen Höllenkünsten begonnen, jetzt aber hatte die Bosheit Oberhand über ihn gewonnen, jetzt glaubte er selber, daß er einer der Geister der Hölle sei. Gösta Berling aber, der vor Eifer entbrannte, den Notleidenden zu helfen, war durch seine Worte wie vom Blitz getroffen. »Weißt du, wo der Schatz des Pfarrers von Broby liegt?« fragte er. Sintram antwortete mit einem schnellen, lauernden Blick. »Willst du vielleicht der Helfer des Volkes sein, Gösta?« »Ja«, erwiderte Gösta; er wußte, daß es am besten war, mit einem Manne wie Sintram die Wahrheit zu reden. Ein Lichtschimmer zuckte über Sintrams Antlitz. »Sieh, sieh!« sagte er, »da will ich den im Sarge ruhig liegenlassen, denn dann weiß ich eine bessere Rache.« »Was hast du zu rächen? Der beste Freund des Volkes ist tot, und die Not ist ebenso groß wie vorher.« »Ich sage dir, alles ist verloren. Schau nur dahin! Siehst du? Heute habe ich den Gefängniswagen als Equipage bekommen, und es hat mich viele Tränen gekostet, den Landvogt zu bewegen, daß er draußen hält, während ich ein Gebet am Sarge des frommen Mannes verrichte.« Und Gösta sah, daß der Gefängniswagen an der Kirchhofsmauer hielt und auf Sintram wartete. »Ich wollte hierher und mich bei der Frau Hauptmann bedanken, daß sie gestern in alten Papieren nachsuchte, um Beweise gegen mich in der bewußten Pulvergeschichte zu finden, und mir dann die Obrigkeit auf den Hals sandte, gerade als ich mich anschickte, zum Begräbnis dieses guten Mannes zu gehen. Aber ich will den Sarg nicht anrühren, ich kann etwas tun, was noch weit besser ist. -- Hör einmal! Ihr seid wohl jetzt wahre Engel Gottes da oben in Ekeby? Wenn die Tochter des Brobyer Pfarrers ihr Erbe bekommt, wollt ihr und sie dann alles unter die Armen austeilen?« »Sie will es benutzen, um Ekeby wieder aufzurichten und den Armen zu helfen; das hat sie oft gesagt.« Sintram lachte vor sich hin. »Du wüßtest wohl für dein Leben gern, wo das Geld steckt, Gösta?« »Ja, das wüßte ich gern.« »Willst du mir versprechen, geradeswegs von hier zu der Stelle im Walde zu gehen, wo das Mädchen aus Nygaard sich zu Tode fiel, und dich dort herabstürzen, so will ich dir sagen, wo das Geld ist. Es wäre so schön, wenn du da sterben könntest; dann würden alle sagen, daß deine schrecklichen Gewissensqualen dich in den Tod getrieben hätten.« »Ich habe gelobt, mir das Leben nicht zu nehmen, so lange Anna Lisa im Dienst der Majorin steht.« »Gilt nicht!« erwiderte Sintram. »Wenn du ihr das Geld verschaffst, dient sie ja nicht mehr.« Aber bei Gösta Berling schien nun all das alte und all das neue Sehnen sich zu dem einen zu vereinigen -- sterben zu dürfen. Es war niemals zur Klarheit gekommen zwischen ihm und ihr, die er seine Gattin nannte. Er war glücklich gewesen, daß er ihr dienen durfte wie die anderen Kavaliere, wie es aber werden sollte, wenn ihre Zeit auf Ekeby um war, das wußte er nicht. Er wußte nicht einmal, ob sie zu ihren Eltern zurückkehren oder bei ihm bleiben würde. Eins aber stand fest: er konnte ihr keinen größeren Dienst erweisen, als indem er ihr ihre Freiheit wiedergab, und dazu hatte er jetzt die beste Gelegenheit. Jetzt konnte er alle seine Gewissensqualen loswerden; jetzt konnte er die Wünsche seiner besten Momente erfüllen, er konnte Gott und den Menschen dienen; das alles und weit mehr lag in diesem schönen, herrlichen: sterben zu dürfen. Er reichte Sintram die Hand, und dieser schlug ein. »Das Geld liegt im Kirchturm zu Bro, unter den Dielen in der Nähe der Schallöcher«, sagte Sintram. »Sorge nun aber dafür, daß du aus der Welt bist, ehe es Abend wird, denn sonst werde ich es schon so einrichten, daß die Tochter des Pfarrers von Broby ihr Geld selbst behält.« Jetzt folgte ein schöner Tag für Gösta Berling. Er ging in die Kirche und dachte mit feierlicher Freude daran, daß er sein Leben hingeben wolle, um allen diesen Menschen zu helfen. Er ging in die Sakristei und schrieb eine Bekanntmachung aus, daß die Arbeit in Ekeby wieder aufgenommen werden solle und daß dort Korn an die Armen verteilt werden würde. Und er vernahm das Gemurmel der Freude und des Staunens, das durch die Menge ging, als das Manifest nach dem Gottesdienst verlesen wurde. Er schrieb auch ein paar Worte an seine Gattin und teilte ihr mit, wo der Schatz zu finden sei. Gegen seinen Willen lief die Feder weiter, und er schrieb ihr einige Worte des Abschieds, falls sie einander nie wiedersehen sollten. Er müsse etwas tun, um den Tod des Mädchens aus Nygaard zu sühnen, schrieb er. Sobald er den Brief abgesandt hatte, wunderte er sich, weshalb er das eigentlich geschrieben hatte, und er bereute es. Die Welt war ihm lange nicht so schön erschienen wie an diesem Tage. Nach dem Gottesdienst sprach er mit Anna Stjärnhök und mit Marianne Sinclaire. Sie baten ihn beide, sich aufzuraffen und ein Mann zu werden. Er erfuhr, daß Anna Stjärnhök sich mit der Arbeit getröstet hatte; sie bewirtschaftete jetzt ihre großen Güter selber, und man sagte von ihr, daß sie eine zweite Majorin werden würde. Er fühlte, daß diese beiden stolzen Frauen unter dem Bewußtsein litten, sich des Mannes schämen zu müssen, den sie geliebt hatten. Jetzt, dachte er, werden sie sich darüber freuen, daß ich mein Leben hingebe, um alle die Armen aus ihrer Not zu erretten, um Ekeby wieder in seinem alten Glanz aufzurichten. Nach dem Gottesdienst wurde Hauptmann Lennart begraben. Da er am Markttage gestorben war, hatte sich die Kunde weithin verbreitet, und zu Tausenden waren die Leute zur Kirche geströmt. Der ganze Kirchhof, die Mauer und das an die Kirche grenzende Feld waren voll Menschen. Der alte Probst war krank und predigte sonst nicht. Aber zu Hauptmann Lennarts Beerdigung hatte er versprochen zu kommen. Und er kam, gesenkten Hauptes und in seine eigenen Träume vertieft, wie er es jetzt in seinen alten Tagen zu sein pflegte, und stellte sich an die Spitze des Leichenzuges. Der Alte war vor vielen Leichenzügen hergegangen, er ging den bekannten Weg ohne aufzublicken, er warf Erde auf den Sarg, verrichtete die Gebete und merkte nichts Ungewöhnliches. Als aber der Küster den Gesang anstimmte, wurde er von hundert und aber hundert Stimmen gesungen, Männer, Frauen und Kinder sangen mit. Da erwachte der Alte aus seinen Träumen. Er strich sich über die Augen, als wenn die Sonne ihn blende, und stieg auf den aufgeschütteten Erdhügel, um sich umzuschauen. Niemals hatte er einen solchen Gesang an einem Grabe gehört, niemals eine solche Schar von Trauernden gesehen. Die Männer hatten die alten, abgetragenen Begräbnishüte aufgesetzt, die Frauen ihre weißen Schürzen mit den breiten Falten umgebunden. Sie trugen alle Trauer, sie weinten und sangen alle. Der alte Probst zitterte vor Bewegung. Er empfand eine heilige Freude, als er die Liebe des Volks zu dem Verstorbenen sah. Als der Gesang verstummt war, streckte er dem Volk seine Arme entgegen. Er sprach einige Worte mit schwacher Stimme, hielt dann aber inne. Wieder begann er, aber nur die Zunächststehenden hörten seine Worte. Auf einmal aber schöpfte seine Stimme Kraft und Klang aus dem liebevollen Verlangen, dies trauernde Volk zu trösten. Er erzählte seinen Zuhörern alles, was er von dem Gesandten Gottes wußte. Er erinnerte sie daran, daß weder äußerer Glanz noch großes Vermögen diesem Mann zu seinem Ansehen verholfen hatte, sondern nur das eine, daß er stets auf Gottes Wegen gewandelt war. Und nun bat er sie, um Gottes und Christi willen ein gleiches zu tun. Ein jeder solle seinen Nächsten lieben und ihm behilflich sein. Ein jeder solle das Beste von seinem Nächsten glauben, ein jeder solle so handeln wie dieser gute Hauptmann Lennart; denn dazu bedürfe es keiner großen Gaben, sondern nur eines frommen Sinnes. Und er setzte ihnen auseinander, daß alles, was in diesem Jahr geschehen war, eine Vorbereitung sei zu der Zeit der Liebe und des Glückes, die ihnen jetzt bevorstehe. Er habe in diesen Jahren oft menschliche Güte in zerstreuten Strahlen hervorbrechen sehen; jetzt werde sie als helle, glänzende Sonne hervortreten. Er erhob seine Augen und Hände und verkündete Frieden über das Land. »In Gottes Namen,« sagte er, »der Unfriede höre auf! Der Friede wohne in euren Herzen und in der ganzen Natur! Möchten die toten Dinge und die Tiere und Pflanzen Ruhe finden und aufhören, Schaden anzurichten.« Und es war Gösta und ihnen allen, als hörten sie einen Seher reden. Alle wollten einander lieben, alle wollten gut sein. Es war, als sei ein Mann Gottes gekommen, der Macht über alles Erschaffene habe. Ein heiliger Friede senkte sich auf die Erde herab. Es war, als strahlten die Berge, als lächelten die Täler, und die Herbstnebel kleideten sich in Rosenschimmer. Schließlich bat er um einen Helfer für das Volk. »Es wird einer kommen«, sagte er. »Es ist nicht Gottes Wille, daß ihr jetzt vergehen sollt. Gott wird einen erwecken, der die Hungernden sättigt, der euch auf seine Wege lenkt.« Da fühlte Gösta, daß der Alte von ihm redete, der sein Leben schon um der Armen willen verkauft hatte. Und viele von denen, die die Kundmachung gehört hatten, gingen heim und erzählten, nun würde sich schon alles zum Guten wenden, habe doch der tolle Pfarrer auf Ekeby gelobt, ihnen zu helfen. Gösta aber schlug den Weg in die westlichen Berge ein und verschwand in der Finsternis der tiefen Wälder. * * * * * Es war lange vor jenem Jahr, in dem die Kavaliere auf Ekeby herrschten. Der Hirtenbube und das Hirtenmädchen spielten zusammen im Walde, bauten Häuser aus flachen Steinen, pflückten Beeren und schnitten Holunderflöten. Sie waren beide im Walde geboren, dort war ihr Heim, ihr Reich. Sie lebten in Frieden mit allem, was da drinnen war, wie man mit dem Gesinde und mit den Haustieren in Frieden lebt. Die Kleinen nannten die Luchse und die Füchse ihre Hofhunde, das Wiesel war ihre Katze, Hasen und Eichhörnchen ihre Spielgefährten, Bären und Elentiere ihr Großvieh. Eulen und Auerhähne saßen in ihren Vogelbauern, die Tannen waren ihre Diener und die jungen Birken ihre Gäste bei ihren Festen. Sie kannten wohl die Höhlen, in denen die Otter im Winterschlaf zusammengerollt lag, und wenn sie badeten, hatten sie die Natter durch das klare Wasser schwimmen sehen; aber sie fürchteten sich weder vor Schlangen noch vor Waldgeistern, die gehörten ja mit zum Walde, und der war ihr Heim. Nichts konnte sie erschrecken. Tief drinnen im Walde lag die Hütte, wo der Junge wohnte. Ein hügeliger Waldpfad führte dahin, ringsumher schatteten die Berge, grundlose Moore lagen in der Nähe und entsandten das ganze Jahr hindurch ihre eiskalten Nebel. Für die Bewohner der Ebene hat eine solche Wohnung sehr wenig Verlockendes. Der Hirtenbube und das Hirtenmädchen wollten einmal im Laufe der Jahre Mann und Frau werden, wollten dort in der Waldhütte wohnen und von ihrer Hände Arbeit leben. Ehe sie sich aber verheiraten konnten, brach das Unglück des Krieges über das Land herein, und der junge Mann ließ sich werben. Er kehrte heim ohne Wunden oder körperliche Gebrechen, aber diese Kriegsjahre hatten ihm fürs ganze Leben ihren Stempel aufgedrückt. Er hatte zu viel von der Schlechtigkeit der Welt und der Grausamkeit der Menschen gegen ihre Mitmenschen gesehen, so daß er jetzt das Gute nicht mehr erblicken konnte. Anfangs war keine Veränderung an ihm zu bemerken. Er ging mit seiner Jugendliebe zum Pfarrer und bestellte das Aufgebot. Die Waldhütte oberhalb Ekeby ward ihr Heim, wie sie es sich längst ausgemalt hatten; aber das Glück sollte nicht in diesem Heim wohnen. Die junge Frau ging einher und schaute ihren Mann an wie einen Fremden. Seit er vom Kriege heimgekehrt war, hatte sie ihn nicht wiedererkennen können. Er lachte so hart und redete wenig. Sie fürchtete sich vor ihm. Er tat nichts Böses und war ein fleißiger Arbeiter. Doch war er nicht beliebt, denn er traute allen Menschen Böses zu. Er fühlte sich selber wie ein verhaßter Fremdling; jetzt waren die Tiere des Waldes seine Feinde, der Berg, der ihn beschattete, das Moor, das seine Nebel entsandte, waren seine Gegner. Der Wald ist eine unheimliche Wohnung für jemand, der sich mit bösen Gedanken trägt. Wer in öden Gegenden wohnt, muß sich einen Vorrat von lichten Erinnerungen schaffen. Sonst sieht er nur Mord und Unterdrückung unter Tieren und Pflanzen, wie er es unter den Menschen gesehen hat. Er erwartet Böses von allem, was ihm begegnet. Jan Hök, der Soldat, konnte selber nicht verstehen, was ihm war, aber er merkte, daß ihm alles zuwiderging. Sein Heim bot ihm nur geringen Frieden. Die Söhne, die dort heranwuchsen, wurden stark, aber wild; abgehärtete, mutige Männer waren sie, aber auch ihre Hand war gegen alle, wie aller Hand gegen sie war. Seine Frau ließ sich von ihrem Kummer verlocken, die Geheimnisse der Natur zu erforschen. In Mooren und Dickichten suchte sie heilende Kräuter. Sie ergründete das Wesen der Unterirdischen und wußte, welche Opfer erforderlich waren. Sie konnte Krankheiten heilen, konnte guten Rat gegen Liebeskummer erteilen. Sie stand in dem Ruf, Zauberkräfte zu besitzen, und ward gemieden, obwohl sie den Menschen großen Nutzen erwies. Einmal faßte die Frau sich ein Herz und redete mit dem Mann über seinen Kummer. »Seit du in den Krieg gingst, bist du wie verhext«, sagte sie. »Was haben sie dir angetan?« Da fuhr er auf und war nahe daran, sie zu schlagen, und so ging es jedesmal, wenn sie den Krieg erwähnte. Er wurde wie wahnsinnig vor Zorn. Er duldete es nicht, daß jemand das Wort Krieg aussprach, das wurde bald bekannt; da nahmen sich denn die Leute vor diesem Thema in acht. Aber keiner seiner Kriegskameraden konnte sagen, daß er mehr Böses getan hatte als andere. Er hatte wie ein guter Soldat gekämpft. Nur all das Entsetzliche, das er gesehen, hatte es ihm so angetan, daß er fortan nur noch das Schlechte sehen konnte. Es war ihm, als wenn die ganze Natur ihn hasse, weil er an dergleichen teilgenommen hatte. Diejenigen, die es besser wissen, können sich damit trösten, daß sie für das Vaterland und die Ehre kämpfen. Was wußte er davon? Er wußte nur, daß alles ihn haßte, weil er Blut vergossen und Gewalt geübt hatte. Zu jener Zeit, als die Majorin aus Ekeby vertrieben wurde, wohnte er allein in seiner Hütte. Seine Frau war gestorben, und seine Söhne waren fortgezogen. Aber zur Marktzeit war die Hütte doch voller Gäste. Die dunkelhäutigen Zigeuner kehrten dort ein, sie gedeihen am besten bei dem, den die Menschen scheuen. Kleine, langhaarige Pferde kamen dann den Waldweg hinaufgeklettert, die Wagen voll von verzinnten Gerätschaften, Kindern und Lumpen. Früh gealterte Frauen mit vom Trunk und vom Tabakrauchen angeschwollenen Gesichtern und Männer mit bleichen, scharfen Zügen und sehnenstarken Gliedern folgten den Wagen. Wenn sie an der Waldhütte anlangten, wurde die Stimmung heiter, Branntwein und Karten und Spektakel führten sie mit sich, sie erzählten von Diebstählen, Pferdetausch und blutigen Schlägereien. Es war an einem Freitag, als der Brobyer Markt begann und Hauptmann Lennart getötet wurde. Der starke Måns, der Mörder, war der Sohn des Alten in der Waldhütte. Als deswegen die Zigeuner am Sonntagnachmittag da oben zusammensaßen, reichten sie dem alten Jan Hök die Branntweinflasche häufiger als sonst und sprachen mit ihm von Gefängnisleben und Gefangenenkost und Verhören, denn das kannten sie. Der Alte saß auf dem Haublock in der Ofenecke und sprach nicht viel. Seine großen, glanzlosen Augen starrten über die wilde Schar hin, die die Stube füllte. Die Dämmerung war hereingebrochen, aber das flackernde Fichtenholz erleuchtete den Raum. Es beschien Lumpen und Elend und Not. Die Tür öffnete sich leise und zwei Frauen traten ein. Es war die junge Gräfin Elisabeth, gefolgt von der Tochter des Pfarrers von Broby. Sonderbar wollte es dem Alten erscheinen, als sie, liebenswert und strahlend in ihrer milden Schönheit, in den Lichtkreis des Feuers trat. Sie erzählte ihnen, daß Gösta Berling sich seit Hauptmann Lennarts Tod nicht auf Ekeby hatte sehen lassen. Sie und ihr Mädchen hätten den ganzen Nachmittag den Wald durchsucht. Jetzt sähe sie, daß hier Männer seien, die weit umhergewandert waren und alle Wege kannten. Hatte niemand von ihnen Gösta bemerkt? Sie sei hereingekommen, um zu fragen, ob ihn jemand gesehen habe. Vergebliche Frage. Niemand hatte ihn gesehen. Sie rückten ihr einen Stuhl ans Feuer, sie sank darauf nieder und saß eine Weile schweigend da. Der Lärm im Zimmer war verstummt; alle sahen sie an und wunderten sich über sie. Dann ward ihr das Schweigen unheimlich, sie fuhr zusammen und suchte nach einem gleichgültigen Gesprächsstoff. »Wenn ich mich nicht irre, bist du Soldat gewesen?« wandte sie sich an den Alten. »Erzähle uns doch etwas vom Kriege!« Das Schweigen wurde nur noch unheimlicher. Der Alte saß da, als habe er nichts gehört. »Ich möchte gern etwas vom Kriege hören, von einem, der mit dabeigewesen ist«, sagte die Gräfin. Aber sie hielt plötzlich inne, denn ihre Begleiterin machte ihr ein Zeichen mit dem Kopf. Sie mußte etwas Unpassendes gesagt haben; alle da drinnen starrten sie an, als habe sie gegen die ersten Anstandsregeln verstoßen. Plötzlich begann eine der Frauen mit scharfer Stimme: »Ist das nicht die ehemalige Gräfin auf Borg?« Ja, die sei sie. »Die sollte doch auch was Besseres tun, als dem tollen Pfarrer im Walde nachzulaufen. Pfui!« Die Gräfin erhob sich und sagte Adieu, sie habe jetzt genügend geruht. Die Frau, die vorhin gesprochen hatte, begleitete sie hinaus. »Ich wollte der Frau Gräfin nur sagen, daß ich meine Äußerung von vorhin gar nicht so gemeint habe. Ich mußte nur etwas sagen, denn der Alte wird wie rasend, wenn er von Krieg reden hört. Ich meinte es ja nicht böse.« Die Gräfin eilte weiter, aber sie stand bald wieder still. Sie sah den drohenden Wald, den schattenwerfenden Berg, den dampfenden Sumpf. Es mußte unheimlich sein hier zu wohnen, wenn der Sinn mit bösen Erinnerungen angefüllt war. Sie hatte Mitleid mit dem Alten, der da drinnen saß, die dunklen Zigeuner als einzige Gesellschaft. »Anna Lisa,« sagte sie, »laß uns umkehren! Sie waren gut gegen uns dort in der Hütte, ich aber habe mich nicht gut aufgeführt. Ich will mit dem Alten über freundlichere Dinge reden.« Und glücklich, jemand gefunden zu haben, den sie trösten konnte, begab sie sich wieder in die Hütte zurück. »Ich fürchte,« sagte sie, »daß Gösta Berling hier im Walde umhergeht mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen. Deswegen ist es wichtig, daß man ihn bald findet und ihn daran verhindert. Anna Lisa und ich haben oft gemeint ihn zu sehen; aber er ist uns immer wieder entschwunden. Er hält sich gewiß in der Nähe des Berges auf, wo das Mädchen von Nygaard ums Leben kam. Da fiel es mir eben ein, daß ich wohl nicht ganz bis Ekeby zurückzugehen brauche, um Hilfe zu holen. Hier sind so viele starke Männer, daß sie Gösta Berling sicher fangen können!« »Auf, ihr Männer!« rief die Frau aus. »Wenn die Frau Gräfin sich nicht für zu gut hält, unsere Leute um einen Gefallen zu bitten, so sollt ihr gleich gehen!« Die Männer erhoben sich und gingen hinaus, um zu suchen. Der alte Jan Hök saß still und starrte glanzlosen Blickes vor sich hin, so finster und hart, daß man bange vor ihm werden konnte. Der jungen Frau wollte gar kein Wort einfallen, das sie an ihn hätte richten können. Da sah sie, daß ein Kind krank auf einem Bündel Stroh lag und daß eine der Frauen eine kranke Hand hatte. Gleich begann sie, den Kranken zu helfen. Sie ward bald vertraut mit den geschwätzigen Frauen und ließ sich die kleinsten Kinder zeigen. Eine Stunde später kamen die Männer zurück. Sie führten Gösta Berling gebunden in die Hütte und legten ihn vor das Feuer nieder. Seine Kleider waren zerrissen und beschmutzt, seine Züge verzerrt, und die Augen rollten ihm wild im Kopf. Er war in den letzten Tagen auch wild umhergestürmt. Er hatte auf der nassen Erde gelegen, hatte Hände und Gesicht in den Schlamm des Moors hineingebohrt, hatte sich über Felsblöcke hinweggeschleppt und war in das dichteste Dickicht gedrungen. Jetzt wußte er, daß der Tod nicht so leicht zu finden ist. Stunde auf Stunde war er da oben umhergeschwankt, mit seiner aufflammenden Lebenslust ringend. Gutwillig war er den Männern nicht gefolgt, sie hatten ihn überwältigen und binden müssen. Als seine Frau ihn so sah, ward sie zornig. Sie besaß auch ihren Stolz, und sie fühlte sich gedemütigt, ihren Mann in einem solchen Zustand zu erblicken. Sie löste seine gebundenen Glieder nicht, sondern ließ ihn am Boden liegen. »Wie du aussiehst!« sagte sie. »Ich wollte dir ja nicht vor die Augen treten«, erwiderte er. »Bin ich denn nicht deine Gattin? Habe ich nicht das Recht, zu erwarten, daß du mit deinem Kummer zu mir kommst?« »Ich weiß nicht, für was du dich ansiehst. Ich weiß nicht, welche Pläne du für dein Leben hast. Aber ich weiß, daß ich dir keinen größeren Dienst erweisen kann, als wenn ich sterbe.« Sie sandte einen unsagbar verächtlichen Blick zu ihm hinüber. »Du wolltest mich zur Witwe eines Selbstmörders machen!« Sein Antlitz verzog sich schmerzlich. »Elisabeth, laß uns unter vier Augen miteinander reden.« »Weshalb sollten diese Menschen uns nicht anhören können?« rief sie mit scharfer Stimme aus. »Sind wir besser als sie? Hat jemand von ihnen mehr Kummer und Sorge hervorgerufen als wir? Sie sind die Kinder des Waldes und der Landstraße, aller Hand ist gegen sie erhoben. Laß sie nur hören, daß auch dem Herrn von Ekeby Sünde und Schmach anhaftet, ihm, dem von allen geliebten Gösta Berling. Glaubst du, daß ich mich für besser halte als sie -- oder tust du es?« Er richtete sich mit Anstrengung aus seiner liegenden Stellung auf und sah sie mit aufflammendem Trotz an. »Ich bin nicht so elend, wie du meinst.« Und in seinem Zorn erzählte er ihr von der Begeisterung des Vormittags und der Übereinkunft vor der Kirchentür. »Es wäre längst mit mir aus gewesen, wenn du nur nicht in den Wald gekommen wärest«, sagte er schließlich. »Ich konnte nicht sterben, während du mir so nahe warst. Laß mich jetzt aber frei, damit ich mein Wort einlösen kann!« »Ach,« sagte sie, als er geendet hatte, »wie gut ich das alles kenne! Heldenphrasen! Heldenmanieren! Stets bereit, die Hände ins Feuer zu stecken, Gösta, stets bereit, dich selber wegzuwerfen. Wie groß habe ich das nicht einstmals gefunden! Wie sehr liebe ich jetzt aber Ruhe und Besonnenheit! Wenn du deine Hand auf den Sarg des guten Mannes gelegt und in Sintrams Gegenwart geschworen hättest, zu leben, um diesen armen Leuten zu helfen, die er ins Verderben stürzen wollte, dann würde ich dich gepriesen haben. Daß du ihnen aber durch ein Verbrechen helfen, daß du Versöhnung durch ein Verbrechen suchen wolltest -- wie kannst du erwarten, daß ich das schön finden soll?« Er sah sie voller Verzweiflung an. »Ich mußte Versöhnung suchen!« rief er aus; »und was habe ich zu geben, wenn nicht mein Leben? Du vergißt, daß ich ein abgesetzter Pfarrer bin, verworfen von den Menschen, verworfen von Gott.« »Wie wagst du es, so zu reden, Gösta! Man ist dir mit zu viel Liebe begegnet, das ist das Unglück. Frauen und Männer haben dich geliebt. Wenn du nur scherztest und lachtest, wenn du nur sangest und spieltest, dann verziehen sie dir alles. Alles, was du ausführtest, fanden sie gut. Und hörtest du nicht die Rede des Propstes am Grabe? Hörtest du nicht, was Gott von dir erwartet? Die armen Menschen gingen nach Hause und sprachen von dir als von ihrem Erretter, und du gingest in den Wald und wolltest sterben. Du bist aller Held, Gösta, und du willst sie verlassen!« »Wie kann ich ihnen ohne Geld helfen? Habe ich nicht Sintram versprochen, zu sterben, sobald ich dies Geld bekommen hätte?« »Wir auf Ekeby,« erwiderte die Gräfin, und ihre Stimme bebte vor Zorn und Kummer, »wir wußten gestern abend schon, wo das Geld war. Major Fuchs fiel es plötzlich ein, er hatte den Schatz in einer Nacht entdeckt, als er in den Kirchturm geschlichen war, um Glockenerz zu einer Kugel zu holen.« Gösta schloß die Augen und führte die gebundenen Hände an seine Brust, als wolle er die Qualen seines Herzens beschwichtigen. »Aber das macht in bezug auf dich gar keinen Unterschied,« fuhr die Gräfin fort. »Sintram hat dir ehrlich gesagt, wo das Geld steckt, du schuldest es ihm also, zu sterben. Ach, wie kannst du nur glauben, daß Geld einer Not wie der unsern zu steuern vermag! Und siehe, Gösta, welch ein herrlicher Abschluß für dein Leben! Man wird dich mit Tränen zur letzten Ruhestätte geleiten, und du wirst nicht weniger gepriesen werden als der gute Hauptmann Lennart, denn auch du hast ja dein Leben für das Volk dahingegeben. Und ich allein weiß, daß du es fröhlich hingabst, weil du Reue und Buße schuldetest. Jetzt aber sage ich dir, daß du leben sollst, und du sollst ganz einfach hingehen und deine Pflicht tun. »Du sollst nicht von Heldentaten träumen, du sollst nicht glänzen und Staunen erregen, du sollst dafür sorgen, daß dein Name nicht zu viel in aller Leute Munde ist. Bedenke dich aber wohl, ehe du dein Sintram gegebenes Wort zurücknimmst! Du hast dir nun eine Art von Anrecht erworben zu sterben, und in Zukunft wird dir das Leben wohl nicht mehr viele Freude bieten. Es hat bisher keine rechte Klarheit zwischen uns bestanden, Gösta; du hast es nicht gewagt, mich als deine Gattin zu betrachten, und ich habe nicht gewußt, ob es Gottes Wille war, der uns zusammenführte, oder nur die Folge einer krankhaften Überspanntheit von meiner Seite. Es war eine Zeit hindurch mein Wunsch, gen Süden zu ziehen, ich glaubte, es sei ein zu großes Glück für mich Schuldbeladene, deine Gattin zu sein und an deiner Seite durchs Leben zu wandern. Aber jetzt will ich hierbleiben. Wenn du den Mut hast zu leben, will ich hierbleiben. Erwarte aber keine Freude davon; ich werde dich zwingen, die Wege der schweren Pflichten zu wandern. Niemals darfst du von mir Worte der Freude und der Hoffnung erwarten. All den Kummer, all das Unglück, das wir beide hervorgerufen haben, will ich als Wächter an unserm Herd aufstellen. Kann wohl ein Herz, das so viel gelitten hat wie das meine, noch lieben? Ohne Tränen, ohne Freude werde ich an deiner Seite wandern. Bedenke dich wohl, Gösta, ehe du deine Wahl triffst! Es ist der Weg der Buße, den wir wandern werden.« Sie wartete nicht auf Antwort. Sie winkte ihrer Begleiterin und ging. Als sie in den Wald kamen, fing die Gräfin bitterlich an zu weinen und weinte, bis sie Ekeby erreichten. Dort angekommen, fiel es ihr plötzlich ein, daß sie ganz vergessen hatte, mit Jan Hök, dem Soldaten, über freundlichere Dinge als über den Krieg zu reden. In der Waldhütte ward es still, als sie gegangen war. »Herr Gott, dir sei Preis und Ehre!« sagte plötzlich der alte Soldat. Alle sahen ihn an. Er hatte sich erhoben und schaute eifrig um sich. »Schlechtigkeit -- alles ist Schlechtigkeit gewesen«, sagte er. »Alles, was ich gesehen habe, seit ich die Augen aufschlug, war Schlechtigkeit. Böse Männer, böse Frauen, Haß und Zorn in Wald und Feld. Sie aber ist gut. Ein guter Mensch hat in meinem Hause geweilt. Wenn ich nun allein hier sitze, werde ich ihrer gedenken. Auf den Waldpfaden wird sie mir nahe sein.« Er beugte sich über Gösta herab, löste seine Bande und richtete ihn auf. Dann ergriff er feierlich seine Hand. »Von Gott verlassen,« sagte er und nickte, »das ist die Sache! Jetzt aber bist du es nicht mehr, und auch ich bin es nicht mehr, seit sie in meinem Hause geweilt hat. Sie ist gut.« Am nächsten Tage kam der alte Jan Hök zum Amtsrichter Scharling. »Ich will mein Kreuz auf mich nehmen«, sagte er. »Ich bin ein böser Mann gewesen, deswegen habe ich böse Söhne bekommen.« Und er bat, ob er nicht statt seines Sohnes ins Gefängnis kommen könne. Aber das ließ sich natürlich nicht machen. Die schönste von den alten Geschichten aber ist die, die davon handelt, wie er seinen Sohn begleitete, neben dem Gefängniswagen herwanderte, vor seiner Zelle schlief und nicht von ihm wich, bis er seine Strafe verbüßt hatte. Die findet wohl auch mal ihren Erzähler. Margarete Celsing In den Tagen vor Weihnachten kam die Majorin an den Löfsee hinab, aber erst am heiligen Abend erreichte sie Ekeby. Während der ganzen Reise war sie krank; sie hatte Lungenentzündung und heftiges Fieber, doch hatte man sie niemals heiterer gesehen, hatte niemals freundlichere Worte von ihr gehört. Die Tochter des Pfarrers von Broby, die seit dem Oktober bei ihr gewesen war, saß neben ihr im Schlitten und wollte gern die Fahrt beschleunigen; aber sie konnte die Alte nicht daran hindern, die Pferde anzuhalten und jeden, der des Weges kam, an den Schlitten heranzurufen, um nach Neuigkeiten zu fragen. »Wie geht es euch hier am Löfsee?« fragte die Majorin. »Es geht uns gut!« lautete die Antwort. »Es kommen bessere Zeiten. Der tolle Pfarrer und seine Frau helfen uns allen.« »Jetzt kommt eine gute Zeit«, antwortete ein anderer. »Sintram ist fort. Die Kavaliere auf Ekeby haben angefangen zu arbeiten. Das Geld des Pfarrers von Broby ist im Kirchturm gefunden worden. Es ist so viel, daß Ekebys Glanz und Ehre wieder aufgerichtet werden kann. Und es bleibt noch genug, um den Hungernden Brot zu schaffen.« »Unser alter Propst ist zu neuer Kraft und neuem Leben erwacht«, sagte ein Dritter. »Jeden Sonntag spricht er mit uns über die Wiederkehr des Reiches Gottes. Wer kann da noch Lust haben zu sündigen? Die Herrschaft des Guten bricht an.« Und die Majorin fuhr langsam weiter und fragte jeden, dem sie begegnete: »Wie geht es euch jetzt? Leidet ihr hier am Löfsee Mangel an irgend etwas?« Und die Fieberhitze und der stechende Schmerz in der Brust ließen nach, wenn sie ihr antworteten: »Hier sind zwei gute und reiche Frauen: Marianne Sinclaire und Anna Stjärnhök, die helfen Gösta Berling, von Haus zu Haus zu gehen und nachzusehen, daß niemand hungert. Und der Branntweinkessel verschlingt jetzt das Korn nicht mehr.« Es war, als säße die Majorin dort im Schlitten und hielte einen langen Gottesdienst ab. Sie war in ein heiliges Land gekommen. Sie sah alte, runzelige Gesichter sich verklären, wenn sie von den Zeiten sprachen, die gekommen waren. Die Kranken vergaßen ihre Schmerzen, um den Tag der Freude zu preisen. »Wir wollen alle werden wie der gute Hauptmann Lennart«, sagten sie. »Wir wollen alle gut sein; wir wollen gut von allen denken, wir wollen niemand Schaden zufügen. Das wird die Wiederkehr des Reiches Gottes beschleunigen.« Sie fand alle von demselben Geist beseelt. Auf den Herrenhöfen wurden die meisten frei gespeist. Alle, die Arbeiten zu verrichten hatten, ließen sie jetzt ausführen, und auf den sieben Eisenwerken der Majorin war die Tätigkeit in vollem Gange. Niemals hatte sie sich wohler gefühlt, als während sie hier saß und die kalte Luft in ihre schmerzende Brust strömen ließ. Sie konnte an keinem Gehöft vorüberkommen, ohne stillzuhalten und zu fragen. »Jetzt ist alles gut!« lautete die Antwort. »Hier herrschte große Not, aber die Herren von Ekeby helfen uns. Die Frau Majorin wird sich wundern, was dort alles ausgeführt ist. Das Mühlwerk ist bald fertig, und die Schmiede ist in vollem Gange.« Die Not und die herzerschütternden Begebenheiten hatten sie alle verwandelt. Ach, es würde nicht lange vorhalten! Aber es war doch gut, in ein Land zurückzukehren, wo der eine dem andern half und alle das Gute wollten. Die Majorin fühlte, daß sie den Kavalieren verzeihen könne, und sie dankte Gott dafür. »Anna Lisa,« sagte sie, »ich alte Person sitze hier und glaube, daß ich mich schon auf dem Wege zum Himmel der Seligen befinde.« Als sie endlich Ekeby erreichte und die Kavaliere herauseilten, um ihr vom Schlitten zu helfen, konnten sie sie kaum wiedererkennen, denn sie war ebenso milde und freundlich wie ihre eigene junge Gräfin. Die älteren, die sie gekannt hatten, als sie noch jung war, flüsterten einander zu: »Das ist nicht die Majorin von Ekeby -- das ist Margarete Celsing, die wiederkehrt.« Die Freude der Kavaliere, als sie sie so milde, so ohne alle Rachegedanken wiederkommen sahen, war groß, sie verwandelte sich aber in Kummer, als sie sahen, wie krank sie war. Sie mußte sofort ins Schlafzimmer getragen und ins Bett gelegt werden. Auf der Schwelle aber wandte sie sich um und sagte zu ihnen: »Gottes Sturmwind ist über das Land gegangen, Gottes Sturmwind! Jetzt weiß ich, daß alles zum Besten gewesen ist.« Dann schloß sich die Tür ihres Krankenzimmers, und sie bekamen sie nicht mehr zu sehen. Wenn jemand sterben soll, so hat man ihm stets so viel zu sagen. Die Worte drängen sich über die Lippen, wenn man weiß, daß im Zimmer nebenan jemand liegt, dessen Ohr sich bald für immer schließen soll. »Ach, mein Freund, mein Freund,« würde man gern sagen, »kannst du vergeben? Kannst du trotz allem glauben, daß ich dich geliebt habe? Wie konnte ich dir doch so viel Kummer bereiten, während wir hier beisammen wanderten? Ach, mein Freund, hab Dank für all die Freude, die du mir geschenkt hast!« Solche Worte möchte man sprechen und noch weit mehr. Die Majorin aber lag in brennendem Fieber, und die Stimmen der Kavaliere konnten sie nicht erreichen. Sollte sie denn nie mehr erfahren, wie sie gearbeitet hatten, wie sie ihr Werk wieder aufgenommen und die Ehre von Ekeby gerettet hatten? Sollte sie das niemals erfahren? Bald darauf gingen die Kavaliere zur Schmiede hinab. Dort wurde nicht gearbeitet. Sie aber warfen frische Kohlen und neues Roheisen in den Ofen und bereiteten alles zum Schmelzen vor. Sie riefen nicht die Schmiede, die nach Hause gegangen waren, um Weihnachten zu feiern, sondern arbeiteten selber. Konnte die Majorin nur leben, bis der Hammer in Tätigkeit kam, da sollte der schon ihre Sache bei ihr reden! Es ward Abend, und die Nacht brach herein über ihrer Arbeit. Mehrere von ihnen dachten daran, wie wunderbar es doch sei, daß sie nun wieder Weihnachten in der Schmiede feierten. Der große Gelehrte Kevenhüller, der den Wiederaufbau der Mühle und der Schmiede geleitet hatte, und Christian Bergh, der starke Hauptmann, standen am Ofen und beaufsichtigten das Schmelzen. Gösta und Julius trugen Kohlen. Von den übrigen saßen einige auf dem Amboß unter dem in die Höhe gezogenen Hammer, andere hatten sich auf Kohlenkarren und Haufen von Stangeneisen niedergelassen. Löwenberg, der alte Mystiker, sprach mit Onkel Eberhard, dem Philosophen, der neben ihm auf dem Amboß saß. »In dieser Nacht stirbt Sintram«, sagte er. »Weshalb gerade über Nacht?« fragte Eberhard. »Du entsinnst dich wohl des Vertrages, den wir vor einem Jahr mit ihm schlossen? Jetzt haben wir nichts getan, was nicht kavaliermäßig wäre, folglich hat er verloren.« »Wenn du an so etwas glaubst, so weißt du doch wohl auch, daß wir vielerlei getan haben, was nicht kavaliermäßig war. Erstens haben wir der Majorin nicht geholfen, zweitens fingen wir an zu arbeiten, drittens war es nicht ganz kavaliermäßig, daß Gösta sich nicht das Leben nahm, wie er gelobt hatte.« »Ich habe darüber nachgedacht,« erwiderte Löwenberg, »aber ich glaube, daß du dich darin irrst. Es war uns verboten, mit kleinlichen Gedanken zu unserm eigenen Vorteil zu handeln, nicht aber so, wie die Liebe oder die Ehre oder unsere eigene Seligkeit es von uns erheischt. Ich glaube, Sintram hat verloren. Ja, ich weiß es. Ich habe seine Schlittenglocken den ganzen Abend gehört, aber es war kein richtiges Schlittengeläut, wir werden ihn bald hier haben.« Und der kleine alte Mann saß da und starrte auf die offene Tür der Schmiede und das kleine Stückchen blauen Himmels mit den einzelnen Sternen, das da hindurch sichtbar ward. Plötzlich sprang er auf. »Siehst du ihn?« flüsterte er. »Da kommt er geschlichen! Siehst du ihn nicht in der Tür?« »Ich sehe nichts,« erwiderte Onkel Eberhard, »du bist müde, das ist das Ganze.« »Ich sah ihn deutlich gegen den hellen Himmel. Er hatte seinen langen Wolfspelz an und seine Pelzmütze auf. Jetzt ist er dort im Dunkeln, und ich kann ihn nicht mehr sehen. Sieh, jetzt ist er dort beim Ofen. Er steht dicht neben Christian Bergh, aber Christian scheint ihn nicht zu sehen. Jetzt bückt er sich und wirft etwas ins Feuer. Hu! Wie abscheulich er aussieht. Nehmt euch dort hinten in acht!« Im selben Augenblick ertönte ein Knall, und die Funken sprangen aus dem Ofen über die Schmiede und ihre Gehilfen. Aber es entstand kein Schade. »Er will sich rächen!« flüsterte Löwenberg. »Nein, du bist zu toll,« rief Eberhard aus, »von diesen Sachen solltest du doch nachgerade genug haben!« »So etwas kann man denken und wünschen, aber was hilft das? Siehst du nicht, er steht dort am Balken und grinst über uns. Aber, so wahr ich lebe, ich glaube wirklich, daß er den Hammer löst!« Er sprang auf und riß Eberhard mit sich. Unmittelbar darauf schlug der Hammer dröhnend auf den Amboß nieder. Es war nur eine Krampe, die sich gelöst hatte, Eberhard und Löwenberg aber waren nur mit genauer Not dem Tode entgangen. »Siehst du wohl, daß er keine Macht über uns hat?« triumphierte Löwenberg; »aber rächen will er sich, das ist klar.« Und er rief Gösta Berling zu: »Geh du zu den Frauen hinauf, Gösta. Vielleicht zeigt er sich denen auch. Sie sind nicht so daran gewöhnt, dergleichen zu sehen wie ich, sie könnten leicht bange werden. Und nimm dich in acht, Gösta; denn er ist dir nicht gewogen, und vielleicht hat er des Gelübdes wegen Macht über dich. Wer kann das wissen?« Später erfuhr man, daß Löwenberg recht gehabt hatte und daß Sintram in der Christnacht gestorben war. Einige wollten wissen, daß er sich im Gefängnis erhängt habe. Andere glaubten, die Diener der Gerechtigkeit hätten ihn ganz im stillen vom Leben zum Tode befördert; denn die Untersuchung schien zu seinen Gunsten auszufallen, und es ging ja nicht an, ihn wieder die Herrschaft über die Harde gewinnen zu lassen. Wiederum andere behaupteten, ein gewisser finsterer Herr sei mit einem schwarzen Wagen und mit schwarzen Pferden gekommen, um ihn aus dem Gefängnis zu holen, und Löwenberg war nicht der einzige, der ihn in der Christnacht sah. Auch in Fors ward er gesehen und in Ulrika Dillners Träumen. Mehr als einer sagte, daß er sich ihm gezeigt hätte, bis Ulrika Dillner seine Leiche nach dem Broer Kirchhof überführte. Sie ließ auch das böse Gesinde von Fors vertreiben und führte ein christliches Regiment ein. Jetzt spukt es dort nicht mehr. * * * * * Man erzählt sich, daß, ehe Gösta Berling den Hof erreichte, ein Fremder dort angelangt sei und einen Brief an die Majorin abgegeben habe. Niemand kannte den Boten, der Brief aber wurde hineingetragen und neben der Kranken auf den Tisch gelegt. Gleich darauf trat eine unerwartete Besserung ein, das Fieber ließ nach, die Schmerzen nahmen ab, und sie fühlte sich wohl genug, um den Brief zu lesen. Die Alten wollten nur zu gern glauben, daß diese Besserung dem Einfluß der finsteren Mächte zuzuschreiben sei. Sintram und seine Freunde konnten Vorteil davon haben, wenn die Majorin diesen Brief las. Es war ein mit Blut auf schwarzem Papier geschriebenes Dokument. Die Kavaliere würden es wohl wiedererkannt haben; es war in der vergangenen Christnacht in der Schmiede zu Ekeby geschrieben worden. Und die Majorin lag nun da und las, daß sie, sintemal sie eine Hexe gewesen sei und Kavalierseelen zur Hölle gesandt habe, verurteilt werde, Ekeby zu verlieren. Dies und ähnliche Torheiten las sie. Sie betrachtete das Datum und die Unterschriften, und fand bei Göstas Namen folgende Bemerkung: »Sintemal die Majorin sich meine Schwäche zunutze gemacht hat, um mich von ehrlicher Arbeit abzuhalten und mich als Kavalier auf Ekeby zu behalten; sintemal sie mich zu Ebba Dohnas Mörder gemacht hat, indem sie ihr verriet, daß ich ein abgesetzter Geistlicher bin, unterschreibe ich.« Die Majorin faltete langsam das Papier zusammen und legte es in den Umschlag; dann lag sie regungslos da und dachte über das nach, was sie soeben erfahren hatte. Sie begriff unter bitteren Schmerzen, daß dies die Meinung der Leute von ihr war. Eine Hexe und eine Zauberin war sie für alle die, denen sie wohlgetan, denen sie Arbeit und Brot gegeben hatte. Dies war ihr Lohn, dies würde ihr Leumund sein. Einer Ehebrecherin konnten sie nichts anderes zutrauen. Was aber machte sie sich aus diesen Unwissenden? Sie hatten ihr doch ferngestanden. Aber diese armen Kavaliere, die von ihrer Gnade gelebt hatten und sie genau kannten, auch sie glaubten es oder taten doch so, als ob sie es glaubten, um einen Vorwand zu haben, unter dem sie Ekeby an sich reißen konnten. Ihre Gedanken jagten schnell durch ihr fieberheißes Gehirn, wilder Zorn, glühende Rachelust sprachen aus ihren Augen. Sie ließ die Tochter des Pfarrers von Broby, die mit Gräfin Elisabeth bei ihr wachte, einen Boten nach Högfors zum Gutsverwalter und zum Inspektor senden. Sie wollte ihr Testament machen. Wieder lag sie da und sann. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, ihr Antlitz verzerrte sich unheimlich vor Schmerz. »Sie sind sehr krank, Frau Majorin«, sagte die Gräfin leise. »Das bin ich, kränker denn je zuvor.« Es trat abermals eine Pause ein, dann aber sprach die Majorin mit harter, scharfer Stimme: »Es ist wunderlich zu denken, daß auch Gräfin Elisabeth, die von allen geliebt wird, eine Ehebrecherin ist.« Die junge Gräfin zuckte zusammen. »Ja, wenn auch nicht in Taten, so doch in Gedanken und in Wünschen, und das macht keinen Unterschied.« »Das weiß ich, Frau Majorin.« »Und doch bist du jetzt glücklich geworden. Du kannst den, den du liebst, ohne Sünde besitzen; das schwarze Gespenst wird nicht zwischen euch stehen, wenn ihr einander jetzt begegnet. Ihr könnt euch auch vor der Welt angehören. Ihr könnt Seite an Seite durchs Leben wandern.« »Ach, liebe Frau Majorin.« »Wie kannst du es wagen, bei ihm zu bleiben?« rief die Alte mit steigender Heftigkeit aus. »Tue Buße! Tue beizeiten Buße! Reise heim zu deinem Vater und zu deiner Mutter, ehe sie kommen und dich verfluchen. Wagst du es, Gösta Berling deinen Mann zu nennen? Gehe von ihm! Ich will ihm Ekeby geben, ich will ihm Macht und Ehre geben -- wagst du es, das mit ihm zu teilen? Wagst du es, Glück und Ehre anzunehmen? Ich wagte es. Entsinnst du dich, wie es mir erging? Entsinnst du dich des Weihnachtsschmauses auf Ekeby? Entsinnst du dich des Gefängnisses in Munkerud?« »Ach, Frau Majorin, wir Sünder gehen hier Seite an Seite ohne Glück. Ich gehe hier einher und wache darüber, daß das Glück nicht an unserm Herd heimisch wird. Glauben Sie denn nicht, Frau Majorin, daß ich mich nach Hause sehne? Ach, ich sehne mich bitter nach dem Schutz und der Stütze des Elternhauses, aber dieser Wunsch wird nie erfüllt werden. Ich muß hierbleiben in Furcht und Beben und mit dem Bewußtsein, daß alles, was ich tue, zu Sünde und Kummer führt, daß ich, wenn ich dem einen helfe, dem andern sicher schade. Zu schwach und zu gering für das Leben hienieden, bin ich doch gezwungen, es zu leben, weil ich an eine ewige Buße gebunden bin.« »Mit solchen Gedanken betören wir unser Herz!« rief die Majorin aus; »aber das ist Schwäche. Du willst nicht von ihm fort, das ist die Sache.« Ehe die Gräfin antworten konnte, trat Gösta Berling ins Zimmer. »Komm hierher, Gösta«, sagte die Majorin sofort, und ihre Stimme wurde noch schärfer und härter. »Komm hierher, du, der du von der ganzen Umgegend gepriesen wirst! Komm her, du, der du willst, daß man dich nach deinem Tode den Erretter des Volkes nennen soll. Jetzt sollst du hören, wie es deiner alten Majorin ergangen ist, die du verlassen und verachtet im Lande umherziehen ließest. »Zuerst will ich erzählen, wie es mir erging, als ich in diesem Frühling zu meiner Mutter kam, denn du sollst den Schluß der Geschichte kennen. »Im März erreichte ich den Hof in den Elfdalswäldern, Gösta. Ich sah nicht viel anders aus als ein Bettelweib. Als ich kam, sagte man mir, meine Mutter sei in der Milchkammer. Dahin ging ich und stand lange schweigend an der Tür. Ringsumher an den Wänden auf langen Borten standen die blanken Kupferschalen mit Milch. Und meine Mutter, die mehr als neunzig Jahre zählte, nahm eine Milchschüssel nach der andern herunter und schöpfte die Sahne ab. Sie war flink genug dabei, aber ich merkte wohl, wie schwer es ihr ward, an die Milchschalen hinanzureichen. Ich wußte nicht, ob sie mich gesehen hatte, aber nach einer Weile redete sie mich mit einer eigentümlich scharfen Stimme an. »'So ist es dir denn ergangen, wie ich es dir gewünscht habe', sagte sie. Ich wollte reden und sie um Verzeihung bitten, aber das nützte mir nichts. Sie hörte kein Wort davon -- sie war stocktaub. Nach einer Weile aber sagte sie: 'Du kannst mir helfen.' »Und dann ging ich hin und sahnte die Milch. Ich nahm die Schüsseln in der richtigen Reihenfolge herunter und setzte alles an seinen Platz und schöpfte tief genug mit dem Sahnenlöffel, und sie war zufrieden. Keiner der Mägde hatte sie das Sahnen der Milch anvertrauen können; ich wußte ja aber aus alten Zeiten, wie sie es haben wollte. »'Diese Arbeit kannst du von jetzt an übernehmen', sagte sie, und damit wußte ich, daß sie mir vergeben hatte. »Und dann war es plötzlich, als könne sie mit einem Schlage nicht mehr arbeiten. Sie saß still in ihrem Lehnstuhl und schlief fast den ganzen Tag. Einige Wochen vor Weihnachten starb sie. Ich wäre gern früher gekommen, Gösta, aber ich konnte die Alte nicht verlassen.« Die Majorin hielt inne. Es ward ihr schwer zu atmen, aber sie ermannte sich und fuhr fort: »Es ist wahr, Gösta, daß ich dich hier gern bei mir in Ekeby haben wollte. Es ist nun einmal so, daß alle gern mit dir zusammen sind. Hättest du ein ordentlicher Mann werden können, so würde ich dir viel Macht gegeben haben. Meine Hoffnung war stets darauf gerichtet, daß du eine gute Frau finden würdest. Zuerst glaubte ich, daß es Marianne Sinclaire werden würde, denn ich sah, daß sie dich liebte, schon während du als Holzhauer im Walde lebtest. Dann glaubte ich, daß es Ebba Dohna werden würde, und ich fuhr eines Tages nach Borg hinüber und sagte ihr, wenn sie sich mit dir verheiraten wollte, würde ich dich zum Erben von Ekeby einsetzen. Habe ich darin unrecht getan, so mußt du mir verzeihen.« Gösta lag neben dem Bett auf den Knien, die Stirn gegen die Kante des Bettes gepreßt; er stöhnte schwer. »Sage mir doch, Gösta, wie du zu leben gedenkst. Wie willst du für deine Frau sorgen? Sage es mir! Du weißt ja, ich habe stets dein Bestes gewollt.« Und Gösta antwortete ihr lächelnd, obwohl ihm sein Herz fast zerspringen wollte vor Schmerz: »In alten Zeiten, als ich versuchte, hier auf Borg Arbeiter zu werden, schenkte mir die Frau Majorin ein Haus, in dem ich wohnen könnte, und das besitze ich noch. Diesen Herbst habe ich dort alles instand gesetzt; Löwenberg hat mir geholfen, wir haben die Decken gemalt und die Wände tapeziert. Das hintere kleine Zimmer nennt Löwenberg das Boudoir der Gräfin, und er hat ringsumher bei den Bauern nach Möbeln gesucht, die sie auf Auktionen auf Herrenhöfen gekauft haben. Die hat er ihnen abgehandelt, und nun sind da hochlehnige Stühle und Truhen mit blankem Beschlag. In dem vordersten großen Zimmer aber steht der Webstuhl der jungen Frau und meine Drechselbank. Dort haben wir auch unser Hausgerät und andere Sachen, und dort haben Löwenberg und ich schon manchen Abend gesessen und darüber geredet, wie die junge Gräfin und ich im Tagelöhnerhäuschen leben werden. Meine Frau erfährt dies aber alles erst jetzt, Frau Majorin! Wir wollten es ihr erzählen, wenn wir Ekeby verließen.« »Fahre fort, Gösta!« »Löwenberg sprach stets davon, wie notwendig es für uns sein würde, ein Mädchen zu haben. 'Im Sommer ist es hier herrlich,' sagte er, 'aber im Winter wird es zu einsam für die junge Frau. Du mußt ein Mädchen halten, Gösta.' Und ich fand wohl, daß er recht hatte, aber ich wußte nicht, woher ich die Mittel nehmen sollte. Da kam er eines Tages mit seinem Tisch herbeigeschleppt, auf den die Tasten gemalt sind. 'Es wird wohl noch so kommen, Löwenberg, daß du unser Mädchen wirst', sagte ich. Er meinte, wir würden seiner schon bedürfen, ob ich vielleicht wolle, daß die junge Gräfin Essen kochen und Wasser und Holz tragen solle? Nein, ich hatte gemeint, sie solle nicht das Allergeringste tun, solange ich ein Paar Hände hätte, mit denen ich arbeiten könne. Aber er meinte doch, es würde wohl das beste sein, wenn wir unser zweie wären, dann könnte sie den ganzen Tag in der Ofenecke sitzen und sticken. Ich hätte keinen Begriff davon, wieviel Bedienung ein so kleines weibliches Wesen erfordere, sagte er.« »Fahre fort«, sagte die Majorin. »Das lindert meine Schmerzen. Glaubtest du, daß deine junge Gräfin in einem Tagelöhnerhause wohnen würde?« Er wunderte sich über ihren höhnischen Ton, fuhr aber fort: »Ach, Frau Majorin, ich wagte es nicht zu glauben, aber es wäre so schön gewesen, wenn sie es gewollt hätte. Es sind ja von hier fünf Meilen bis zu dem nächsten Arzt. Sie, die eine so leichte Hand und ein so liebevolles Herz hat, würde Arbeit genug finden durch Verbinden von Wunden und Stillen des Fiebers. Und ich dachte, alle Betrübten würden den Weg finden zu der feinen Frau in dem Tagelöhnerhaus. Es ist so viel Elend unter den Armen, dem gute Worte und eine freundliche Gesinnung abzuhelfen vermögen.« »Aber du selber, Gösta Berling?« »Ich habe meine Arbeit an der Hobel- und Drechselbank, Frau Majorin. Ich muß fortan mein eigenes Leben leben. Will meine Frau nicht mit mir gehen, so muß ich es geschehen lassen. Wenn man mir jetzt auch alle Reichtümer der Welt böte, würde mich das nicht verlocken; ich will mein eigenes Leben leben. Ich will fortan ein armer Mann unter den Bauern sein und ihnen helfen, soweit es in meinen Kräften steht. Sie brauchen einen, der ihnen bei Hochzeiten und beim Weihnachtsschmaus aufspielt, einen, der Briefe an die Söhne in der Fremde schreiben kann -- und das kann ich alles tun. Aber arm muß ich sein, Frau Majorin.« »Das wird ein trauriges Leben für euch, Gösta!« »Ach nein, Frau Majorin, das würde es nicht, wenn wir nur zwei wären, die zusammenhalten. Die Reichen und Fröhlichen würden ebensogut zu uns kommen wie die Armen. Wir würden Frohsinn genug in unserm Häuschen haben. Die Gäste würden sich nicht daran stoßen, daß das Essen vor ihren Augen bereitet würde, es würde sie nicht beleidigen, daß sie zu zweien von einem Teller speisen müßten.« »Und welchen Nutzen würdest du mit alledem stiften, Gösta? Welche Ehre würdest du erringen?« »Es würde mir Ehre genug sein, Frau Majorin, wenn die Armen sich ein paar Jahre nach meinem Tode meiner noch erinnerten. Ich würde Nutzen genug gestiftet haben, wenn ich bei jedem Hause ein paar Apfelbäume gepflanzt, wenn ich dem Spielmann ein paar von den Melodien der alten Meister gelehrt hätte, wenn der Hirtenbube auf dem Waldpfade einige schöne Lieder singen könnte. -- Die Frau Majorin können mir glauben, ich bin noch derselbe tolle Gösta Berling wie in alten Zeiten. Ein Bauernspielmann, das ist alles, was ich werden kann; aber das ist genug. Ich habe viel wieder gutzumachen, aber das Weinen und die Reue sind nichts für mich. Ich will den Armen Freude bereiten, das ist meine Buße!« »Gösta,« sagte die Majorin, »ein solches Leben ist zu gering für einen Mann mit deinen Gaben. Ich will dir Ekeby geben.« »Ach, Frau Majorin!« rief er entsetzt aus; »machen Sie mich nicht reich! Belasten Sie mich nicht mit solchen Pflichten! Scheiden Sie mich nicht von den Armen!« »Ich will dir und den Kavalieren Ekeby geben«, wiederholte die Majorin. »Du bist ja ein vorzüglicher Mensch und vom Volke gesegnet. Ich sage wie meine Mutter: Fortan kannst du diese Arbeit übernehmen.« »Nein, Frau Majorin, das können wir nicht annehmen, wir, die wir Sie so verkannt und Ihnen so viel Kummer bereitet haben!« »Ich will Euch Ekeby geben! Hörst du es nicht?« Sie sprach hart und scharf ohne alle Freundlichkeit. Eine entsetzliche Angst überkam ihn. »Führen Sie die Alten nicht in eine solche Versuchung, Frau Majorin; das würde sie ja wieder zu leichtsinnigen Zechbrüdern machen. Reiche Kavaliere! Gott im Himmel! Was sollte wohl aus uns werden?« »Ich will dir Ekeby geben, Gösta, dafür sollst du mir aber geloben, deiner Frau die Freiheit zu schenken. So eine feine, kleine Dame paßt nicht für dich. Sie hat zuviel gelitten hier im Bärenlande; sie sehnt sich zurück in ihre lichte Heimat. Du sollst sie reisen lassen. Deshalb gebe ich dir Ekeby.« Jetzt aber kniete Gräfin Elisabeth am Lager der Majorin nieder. »Ich sehne mich nicht mehr fort, Frau Majorin. Er, der mein Gatte ist, hat das Rätsel gelöst und das Leben gefunden, das ich leben kann. Ich brauche nicht kalt und streng an seiner Seite zu gehen und ihn an Reue und Buße zu mahnen. Armut und Not und strenge Arbeit werden das schon zur Genüge tun. Die Wege, die zu den Armen und Kranken führen, kann ich ohne Sünde wandeln. Ich fürchte mich nicht mehr vor dem Leben hier oben im Norden. Machen Sie ihn aber nicht reich, Frau Majorin, denn dann kann ich nicht bei ihm bleiben.« Die Majorin richtete sich im Bette auf. »Alles Glück verlangt Ihr für Euch«, rief sie und drohte mit der geballten Faust, »alles Glück und allen Segen. Nein, die Kavaliere sollen Ekeby haben, damit sie zugrunde gehen. Mann und Weib sollen voneinander getrennt werden, damit sie zugrunde gehen. Eine Hexe, eine Zauberin bin ich, und ich will Euch zu allem Bösen anstacheln. So wie mein Ruf ist, so will ich auch sein!« Sie nahm den Brief und schleuderte ihn Gösta ins Gesicht. Das schwarze Papier flatterte zur Erde. Gösta kannte es sehr wohl. »Du hast dich gegen mich versündigt, Gösta. Du hast die verkannt, die dir eine zweite Mutter gewesen ist. Wagst du es, dich zu weigern, deine Strafe aus meiner Hand hinzunehmen? Du sollst Ekeby annehmen, und es soll dein Verderben werden, denn du bist schwach. Du sollst deine Frau nach Hause senden, daß du niemand hast, der dich erretten kann. Du sollst mit einem Namen sterben, der ebenso verhaßt ist wie der meine. Von Margarete Celsing wird es nach ihrem Tode heißen, daß sie eine Hexe, eine Zauberin war, von dir soll es heißen: er war ein Verschwender, ein Bauernschinder!« Sie sank in ihre Kissen zurück, und alles ward still. Da erklang durch die Stille der Nacht ein dumpfer Schlag, dann folgte ein zweiter und ein dritter. Der Stangeneisenhammer hatte sein dröhnendes Werk begonnen. »Horch!« sagte Gösta Berling. »So klingt Margarete Celsings Nachruhm! Das sind nicht die Scherze betrunkener Kavaliere. Es ist die Siegeshymne der Arbeit, die zu Ehren einer alten, treuen Arbeiterin angestimmt wird. Dank! sagt sie, Dank für gute Arbeit, Dank für das Brot, das du den Armen gegeben, Dank für die Wege, die du gebahnt, Dank für die Wohnungen, die du gebaut, Dank für die Freude, der du deine Säle geöffnet hast! -- Dank, sagt sie, ruhe in Frieden, dein Werk soll leben und bestehen. Dein Heim soll stets eine Freistätte für die glückbringende Arbeit sein! -- Dank! sagt sie, und verurteile uns nicht, die wir geirrt haben Du, die du jetzt die Reise in das Heim des Friedens antrittst, gedenke unser, die wir noch leben, mit milden Gedanken.« Gösta schwieg. Der Hammer aber fuhr fort zu reden. Alle Stimmen, die gut und liebevoll mit der Majorin geredet hatten, vermischten sich mit dem Hammerklang. Nach und nach wich die Spannung aus ihren Zügen; sie erschlafften, und es war, als breite der Tod seine Schatten über sie aus. Anna Lisa trat ein und meldete, daß die Herren aus Högfors da seien. Die Majorin schickte sie fort; sie wollte kein Testament machen. »Gösta Berling, du Mann der Tat, so hast du also noch einmal gesiegt. Neige dich zu mir herab, damit ich dich segnen kann.« Das Fieber kehrte mit verdoppelter Gewalt zurück. Der Todeskampf begann. Der Körper hatte noch schwere Leiden durchzukämpfen, die Seele aber wußte gar bald nichts mehr davon. Sie begann in die Himmel zu schauen, die sich den Sterbenden öffnen. So verging eine Stunde, dann war der schwere Todeskampf beendet. Da lag sie so friedlich und schön, daß die Umstehenden tiefbewegt waren. »Meine liebe alte Majorin,« sagte Gösta Berling, »so habe ich dich schon einmal gesehen. Jetzt ist Margarete Celsing wieder ins Leben zurückgekehrt. Jetzt soll sie der Majorin von Ekeby nie wieder weichen.« * * * * * Als die Kavaliere aus der Schmiede zurückkehrten, vernahmen sie die Kunde vom Tode der Majorin. »Hörte sie den Hammer?« fragten sie. Den hat sie gehört, und damit mußten sie sich begnügen. Sie erfuhren später, daß sie die Absicht gehabt hatte, ihnen Ekeby zu vermachen, daß aber das Testament niemals geschrieben wurde. Das betrachteten sie als große Ehre und taten sich bis an ihr Lebensende etwas darauf zugute. Niemand aber hörte sie jemals über die Reichtümer klagen, die ihnen verloren gegangen waren. Man erzählt auch, daß Gösta Berling in dieser Christnacht an der Seite seiner jungen Gattin stand und seine letzte Rede an die Kavaliere hielt. Er war betrübt über ihr Schicksal, da sie nun alle aus Ekeby fort mußten. Die Gebrechen des Alters harrten ihrer. Wer alt und griesgrämig ist, dem wird nur ein kühler Empfang zuteil, wohin er auch kommen mag. Der arme Kavalier, der sich bei Bauern in Kost geben muß, hat keine frohen Tage: von Freunden und Abenteuern getrennt, welkt er in Einsamkeit dahin. So sprach er zu ihnen, den Sorglosen, die der Wechsel des Glückes abgehärtet hatte. Noch einmal nannte er sie alte Götter und Rittersleute, die gekommen waren, um Freude einzuführen in das Eisenland und in die eiserne Zeit. Aber er klagte, daß der Garten, in dem die schmetterlingbeschwingte Freude schwärmt, von den zerstörenden Larven heimgesucht werde, so daß ihre Früchte zugrunde gehen. Wohl wisse er, daß die Freude ein kostbares Gut sei für die Kinder dieser Erde und daß sie unentbehrlich wäre. Aber gleich einem schweren Rätsel laste stets die Frage auf der Welt, wie der Mensch gut und glücklich zugleich sein könne. Das sei das Leichteste und zugleich das Schwerste in der Welt, sagte er. Auch sie hätten dies Rätsel bisher nicht lösen können. Jetzt aber glaubte er, daß sie es gelernt hätten, die Lösung zu finden, daß sie alle es gelernt hätten in diesem Jahre der Freude und der Not, des Glückes und der Sorgen! * * * * * Ach, ihr guten Herren Kavaliere, auch für mich liegt die Bitterkeit des Abschiedes über diesem Augenblick! Es ist die letzte Nacht, die wir zusammen durchwacht haben. Ich soll das muntere Lachen und die fröhlichen Lieder nicht mehr hören. Ich soll mich jetzt von Euch trennen und von all den anderen fröhlichen Menschen an den Ufern des Löfsees. Ihr lieben Alten! Ihr habt mir in früheren Zeiten gute Gaben gespendet. Ihr kommt zu den Einsamwohnenden mit der Botschaft von den reichen Wechselfällen des Lebens. Ich sah euch mächtige Ragnarok-Kämpfe ausfechten an den Ufern des Sees meiner Kindheit. Was aber habe ich euch gegeben? Vielleicht wird es euch doch freuen, daß eure Namen zusammen mit denen der lieben Besitztümer genannt werden. Möchte all der Glanz, der über euer Leben ausgegossen war, auf die Gegend zurückfallen, wo ihr gelebt habt! Noch steht Borg, noch steht Björne, noch liegt Ekeby am Löfsee, herrlich umkränzt von Gießbach und See, von Park und lächelnden Waldwiesen, und wenn man auf den breiten Altanen steht, umschwärmen einen die Sagen wie die Bienen des Sommers. Aber da wir doch von Bienen sprechen, so laßt mich noch eine kleine Geschichte erzählen. Der kleine Ruster, der als Trommelschläger an der Spitze der schwedischen Armee einherging, als sie im Jahre 1813 in Deutschland einrückte, konnte seither nie müde werden, von dem wunderlichen Land dort im Süden zu erzählen. Die Menschen seien so groß wie Kirchtürme, die Schwalben so groß wie Adler, die Bienen wie Gänse. »Aber dann die Bienenkörbe?« »Die Bienenkörbe waren wie gewöhnliche Bienenkörbe.« »Wie konnten denn die Bienen da hineinkommen?« »Ja, das war ihre Sache«, antwortete dann der kleine Ruster. Lieber Leser, darf ich nicht dasselbe sagen? Hier haben uns nun die Riesenbienen der Phantasie seit Jahr und Tag umschwärmt, aber wie sie in den Bienenkorb der Wirklichkeit hineinkommen sollen -- ja, das muß wahrlich ihre Sache sein. _Inhalt_ _Einleitung_ 1 Der Pfarrer 2 Der Bettler 13 _Gösta Berlings Sage._ Die Landschaft 32 Die Christnacht 37 Das Weihnachtsfestmahl 54 Gösta Berling, der Poet 68 =La cachucha= 85 Der Ball auf Ekeby 90 Die alten Gefährten 114 Der große Bär auf dem Gurlita-Berge 134 Die Auktion auf Björne 153 Die junge Gräfin 188 Gespenstergeschichten 219 Ebba Dohnas Geschichte 235 Mamsell Marie 262 Vetter Kristoffer 275 Lebenswege 282 Buße 301 Das Ekebyer Eisen 315 Liliencronas Heimat 332 Die Hexe vom Hochgebirge 339 Hochsommer 346 Frau Musika 352 Der Pfarrer von Broby 362 Patron Julius 370 Die tönernen Heiligen 379 Gottes Gesandter 389 Der Kirchhof 406 Alte Lieder 412 Der Tod, der Befreier 426 Die Dürre 437 Des Kindes Mutter 454 =Amor vincit omnia= 466 Das Mädchen aus Nygaard 474 Kevenhüller 494 Der Markt zu Broby 511 Der Schatz des Pfarrers von Broby 522 Margarete Celsing 548 Ins Deutsche übertragen von Mathilde Mann * Druck der Spamerschen Buchdruckerei zu Leipzig * * * * * Anmerkungen zur Transkription: Die Originalschreibweise und kleinere Inkonsistenzen in der Formatierung wurden prinzipiell beibehalten. Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Formatierung: Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Text in Antiqua (nicht in Fraktur) wurde mit Gleichheitszeichen = gekennzeichnet: =Text= Gesperrt gesetzter Text wurde mit Unterstrich _ gekennzeichnet: _Text_ Überschriften sind im Original hervorgehoben. Diese Hervorhebungen wurden in der Transkription nicht berücksichtigt. Auflistung aller gegenüber dem Originaltext vorgenommenen Korrekturen: Seite 15: Ja, nun ist guter Rat teuer Anführungszeichen vor Ja ergänzt -> »Ja, nun ist guter Rat teuer Seite 27: »Vergib mir, »sagte er, »aber ich kann nicht!« -> »Vergib mir«, sagte er, »aber ich kann nicht!« (Anführungszeichen berichtigt) Seite 132: Sie überwand ihre Ermattung, eilte dem Major vorauf 'vorauf' -> 'voraus' Seite 143: 'Bobyer' Hügeln -> 'Brobyer' Hügeln Seite 166: »Wirst du nicht böse, wenn ich dich frage? sagte sie. --> »Wirst du nicht böse, wenn ich dich frage?« sagte sie. (« ergänzt) Seite 207: Und so wird der Machtlose tiefer und tiefer hinabgezogen.« -> schließendes Anführungszeichen ergänzt Seite 210: Die Gräfin hatte sicher gedacht; daß die Kavaliere gedacht; -> gedacht, Semikolon durch Komma ersetzt Seite 213: 'Man sagt mir nach, daß ich -> »Man sagt mir nach, daß ich einfaches Anführungszeichen durch doppeltes Anführungszeichen ersetzt Seite 220: aber es kommt niemand -- es und -> aber es kommt niemand -- es sind 'und' durch 'sind' ersetzt Seite 243: Gräfin 'Marta' -> Gräfin 'Märta' Seite 275: Aber nun ward Grafin Märta ebenfalls zornig. Grafin -> Gräfin Seite 275: Das war eine große Genugtung für Mamsell Marie. 'Genugtung' -> 'Genugtuung' Seite 309: Wehe ihr, welche Tempel schändung begeht sie! 'Tempel schändung' -> 'Tempelschändung' Seite 320: 'übriggegeblieben' -> 'übriggeblieben' Seite 322: 'vertaüet' -> 'vertäuet' Seite 348: Maienbaume mit Blumen und grünen Kränzen 'Maienbaume' -> 'Maienbäume' Seite 348: 'niedergegetreten' -> 'niedergetreten' Seite 371: Leben voll Glück und Freude! Von alledem zu scheiden war der Tod. -> Punkt nach 'Tod' ergänzt Seite 373: 'vor' tiefer Wehmut ergriffen -> 'von' tiefer Wehmut ergriffen Seite 398: als begehrlicher Geizhalz 'Geizhalz' -> 'Geizhals' Seite 399: von ihrem Gattin zu reden 'Gattin' -> 'Gatten' Seite 405: wenn die Mühle 'dir' -> 'die' Körner zu Mehl zermahlt Seite 413: »Glaube nicht dem Lachen,« sagten sie, »Siehe, die Komma nach 'sie' durch Punkt ersetzt Seite 414: »Siehe,« sagte Mariane, »da geht nun ein Herz 'Mariane' -> 'Marianne' Seite 418: Nie aber mürde sie den Monat vergessen 'mürde' -> 'würde' Seite 422: Das taten sie jetzt immer -> Das taten sie jetzt immer. Punkt nach 'immer' ergänzt Seite 478: um eine Irrsinnige 'zufinden' -> 'zu finden' Seite 520: Hauptmann Lenart liegt noch immer bewußtlos auf dem Bett. 'Lenart' -> 'Lennart' Seite 530: »Wast hast du zu rächen? 'Wast' -> 'Was' Seite 531: ... dann alles unter die Armen austeilen?' -> austeilen?« einfaches Anführungszeichen durch doppeltes Anführungszeichen ersetzt Seiten 131 und 471: 'Christian' erscheint hier als 'Kristian' -> keine Änderung gegenüber dem Orignaltext vorgenommen End of the Project Gutenberg EBook of Gösta Berling, by Selma Lagerlöf *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GÖSTA BERLING *** ***** This file should be named 28751-8.txt or 28751-8.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/2/8/7/5/28751/ Produced by Norbert H. Langkau, Evelyn Kawrykow and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. 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Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.