The Project Gutenberg EBook of Tahiti. Erster Band., by Friedrich Gerstäcker This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Tahiti. Erster Band. Roman aus der Südsee Author: Friedrich Gerstäcker Release Date: January 22, 2007 [EBook #20412] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK TAHITI. ERSTER BAND. *** Produced by richyfourtytwo, Holt and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net TAHITI. _Roman aus der Südsee_ von #Friedrich Gerstäcker.# Zweite unveränderte Auflage. Erster Band. Der Verfasser behält sich die Uebersetzung dieses Werkes vor. #Leipzig,# _Hermann Costenoble._ 1857. Der #J. G. Cotta'schen Buchhandlung# die es ihm möglich machte den langgehegten Wunsch einer Reise um die Welt auszuführen, bringt diese _erste Frucht_ derselben _in dankbarer Hochachtung_ #der Verfasser.# #Inhalt des ersten Bandes.# Seite Cap. 1. Der Wallfischfänger 1 " 2. Die Flucht, und welchen Dollmetscher René fand 19 " 3. Das Mädchen von Atiu 47 " 4. Der Mi-to-na-re 69 " 5. Das Geständniß 124 " 6. Was der ehrwürdige Mr. Rowe dazu sagt 155 " 7. Der Verrath, und wie sich beide Theile dabei irrten 180 " 8. Tahiti 224 " 9. Die vier Häuptlinge 253 " 10. Die Versammlung 273 Capitel 1. #Der Wallfischfänger.# Von einem leichten Ostpassat getrieben, dazu die Obersegel fest, ja sogar noch mit einem Reef im Kreuzsegel, der vor einigen Abenden hineingenommen, und den man sich gar nicht die Mühe gegeben hatte wieder auszustechen, kam ein schwerfälliges, schmutzig aussehendes Schiff langsam bei dem Winde nach Süden herunter und näherte sich einer, in der Ferne eben sichtbar werdenden kleinen hohen Insel der Cooksgruppe. Schon die großen fettigen Stellen in den Segeln, auf denen die Leute, nach dem Thranauskochen, beim Reefen allabendlich gelegen, verriethen den Wallfischfänger, hätten ihn nicht auch die, an besonderen Krahnen zu beiden Borden aufgehangenen und noch auf Querstützen über Deck besonders gehaltenen Boote als solchen dargethan. Andere Fahrzeuge besuchten auch selten diese Gewässer und selbst die Wallfischfänger nur in diesen Monaten Januar und Februar, ehe sie wieder mit einbrechendem Frühling nach Norden aufgingen, die einträglichere, wenigstens ergiebigere Jagd der »rechten Wallfische« der der Spermacetis vorzuziehen. Es war diesmal aber noch ziemlich früh in der Jahreszeit und der Delaware, wie der Wallfischfänger getauft worden, hatte im Anfang beabsichtigt gerade zu Tahiti anzulaufen; durch den starken Ostpassat aber und die klein geführten Segel, wie mit der starken Aequatorialströmung gegen sich zu viel nach Westen versetzt, mußte er erst wieder nach Süden hinunter, etwas mehr in die Region der veränderlichen Winde zu kommen, oder auch vielleicht einen der dann und wann einsetzenden Westwinde zu benutzen, und beschloß jetzt nur die erste in Sicht befindliche Insel anzulaufen, um einige Erfrischungen und vielleicht etwas Holz einzunehmen. Das Wasser zwischen diesen Inseln ist übrigens, häufiger Riffe wegen, den Schiffen oft gefährlich, und die mit den Localitäten nicht sehr gut vertrauten Fahrzeuge machen, wenn sie in solchen Gruppen nichts zu thun haben, lieber einen ziemlich bedeutenden Umweg, sie zu umgehen, als daß sie sich leichtsinniger Weise hineinwagen. Mit einem Wallfischfänger ist das aber ganz etwas anderes; er versäumt, sobald er sich erst einmal auf seinem Jagdgrund befindet, keine Zeit mehr, denn wenn er segelt, hat er die Möglichkeit eben so auf seiner Seite, daß er von Fischen weg, als ihnen gerade entgegenläuft, und wenn er still liegt, kann er eben so gut eine ganze »~school~« versäumen, die vielleicht dort vorübergeht wo er hätte sein können, als die auf ihn zukommenden gerade wie auf der Lauer abfangen. Das Ganze ist Glückssache und dem Pirschen auf Rothwild in einem fremden Walde nicht unähnlich. Kommen diese Wallfischfänger also an solche Stellen, so suchen sie, ehe es dunkel wird, hinter irgend eine kleinere Insel oder Riffbank zu laufen, wo sie entweder Ankergrund oder Raum zum Kreuzen haben, und treiben dort die Nacht herum, bis ihnen die aufsteigende Sonne wieder ihre Bahn beleuchtet. Gerade mit Sonnenuntergang war denn auch der Delaware, bis westlich von Atiu, einer nicht ganz unbedeutenden Insel, gekommen, und der Capitain wäre gern die Nacht vor Anker gegangen, die Stellen aber, die er untersuchte waren überall, bis fast dicht an die schäumenden Riffbänke, so tief, daß er sich nicht der Gefahr aussetzen mochte, so nahe unter dem bösartigen Ufer vielleicht einmal von einem der hier oft sehr rasch eintretenden Weststürme überrascht zu werden. Er ließ also die Segel dicht reefen und kreuzte, (eben nicht zum Vergnügen der Mannschaft, die sechs bis acht Mal in der Nacht mit dem Schiff herum mußte) in Lee der Insel auf und nieder. Capitain Lewis kümmerte sich übrigens den Henker darum, ob er seinen Leuten damit einen Gefallen that oder nicht -- er und sie standen, wie man's am Lande nennen würde -- »auf Hofton« mit einander -- d. h. er sprach, seit sie das letzte Mal auf den Sandwichsinseln gewesen, wo es zu einigen Auftritten gekommen war, nur höchst höflich mit ihnen und nannte sie, wenn er sie zu einer Arbeit im Einzelnen aufforderte, gewöhnlich Mister, und ~if you _please_~, mit starker Betonung des letzten Wortes, aber mit einem Blick dabei, der deutlich genug sagte: »Wenn Du nicht _springst_, Canaille, zu thun was ich Dir sage, so laß ich Dich bei den Beinen aufhängen.« Er, zum Dank dafür, hieß bei den Leuten, statt wie sonst die Capitaine gewöhnlich »den Alten« (~the old man~) zu nennen, »~the old devil~« (der alte Teufel); und wußte das auch recht gut, ja es schien ihm ordentlich Spaß zu machen daß er so genannt wurde, und er hatte seiner Mannschaft schon mehrmals versichert, er wolle sich bemühen, seinem Namen keine Schande zu machen; welches Versprechen er auch bis jetzt, so weit es in seinen Kräften stand, redlich gehalten. Die Mannschaft eines Schiffes ist in solchen Fällen übel d'ran -- widersetzt sie sich, so ist es _Meuterei_, und sie wird darnach bestraft, mögen die Leute recht gehabt haben oder nicht, und halten sie, auf der anderen Seite aus bis zum Letzten, und verklagen nachher den Capitain, so ist Zehn gegen Eins zu wetten, daß dieser dennoch Recht bekommt. In sehr vielen Fällen hat er's aber auch, und es giebt wohl auf keinen Fahrzeugen der Welt, Kriegsschiffe vielleicht ausgenommen, toller zusammen gewürfeltes Volk, als auf diesen Wallfischfängern. Ein ordentlicher Matrose geht selten oder nie darauf, es ist meist lauter aufgelesenes Ufervolk, die faul genug sind ihre eigene Arbeit bei Seite zu werfen, und Romantik genug im Kopfe haben, sich von einem »Wallfischzug« ein ganz besonderes Vergnügen und außerdem einen bedeutenden Nutzen zu versprechen. Die guten Leute sehen dann gewöhnlich immer etwas zu spät ein, daß sie sich in der ersten Erwartung jedesmal, und nur zu häufig auch in der anderen getäuscht haben, und sie sind dann eben _ein_mal und nicht wieder Wallfischfänger gewesen, so daß fast jedes neu ausgehende Schiff, die Offiziere ausgenommen, auch eine durchaus neue Besatzung hat. Schuster und Schneider, besonders die letzteren, sieht man sehr häufig dabei, Tischler und Maurer, Schmiede und Böttcher, Gerber und Cigarrenmacher -- Alles wird Wallfischfänger und der Capitain eines solchen Fahrzeugs, der von dem Rheder, sobald er eine volle Besatzung hat und die Jahreszeit gekommen ist, in See hinaus geschickt wird, hat dann oft, wie sich nicht leugnen läßt, eine entsetzliche Zeit dies Volk, von dem er vorher weiß daß es doch nur _eine_ Reise bei ihm aushält -- ja schon an den nächsten Plätzen wo er anlegt fortläuft, wenn er ihnen nur Gelegenheit dazu gäbe, so weit einzurichten, daß sie wenigstens erst einmal verstehen lernen was sie nur überhaupt zu thun haben. Dies sie nachher wirklich thun zu machen hat dann schon weniger Schwierigkeiten. Kommen nun ordentliche ruhige Menschen manchmal zwischen diese hinein -- d. h. die Mannschaft, denn die Offiziere, vom Bootsteurer aufwärts, bilden ein ganz besonderes, abgeschlossenes Corps -- so fühlen sich diese gewöhnlich höchst unglücklich und verwünschen den Augenblick, wo sie sich von der Romantik der Sache bethören ließen -- aber leider zu spät, und die viertehalb Jahr, die eine solche Fahrt sehr häufig dauert, werden ihnen zur Hölle. Doch zurück an Bord unseres Fahrzeugs. Zum Ausschauen auf der Back vorn stand ein junger Mann, dessen edle, fast schöne Gesichtszüge, wie der schlanke schmächtig gebaute Körper wohl passender für einen Salon als das Vorcastle eines Wallfischfängers geschienen hätten. Das volle braune Haar quoll ihm in dichten Massen unter der breiten schottischen, dunkelblauen Mütze vor, und seine reinliche Kleidung selber unterschied ihn auffällig von der übrigen, besonders in diesem Punkt höchst nachlässigen Schaar. Es war ein junger Franzose aus sehr guter Familie, der sich in Boston mehr einer tollen Laune oder ziellosen Reiselust zu Liebe, als aus irgend einer andern Ursache hatte verleiten lassen, an Bord des Delaware eine Reise nach der Südsee mitzumachen, und der jetzt still und brütend nach dem nahen Lande hinüberschaute, das mit dem dunkeln Schatten seiner Palmen in träumerischer Ruhe vor ihm lag. »Nun René, so in Gedanken?« sagte plötzlich, dicht neben ihm, eine freundliche Stimme und eine Hand berührte leise seine Schulter -- »an was denkst Du?« Der Angeredete fuhr erst wie erschreckt aus seinem Nachdenken empor und schaute sich um, als er aber den Sprechenden erkannte, sagte er rasch und fast erfreut: »Es ist mir lieb, Adolph, daß du gerade in diesem Augenblick zu mir kommst, ich bin eben mit meinem Entschluß ins Reine gekommen -- ich verlasse dies Schiff.« »Thorheit,« sagte Adolph kopfschüttelnd -- »Du kennst die Verhältnisse hier nicht, René. Kämst Du wirklich glücklich an Land, so brauchte der Capitain nur eine unbedeutende Belohnung auf Deinen Fang zu setzen und Du würdest rettungslos ausgeliefert. Ich bin schon früher hier gewesen und habe den Fall zweimal ausgeführt gesehen. Die Eingebornen sind seelensgut, aber wie die Kinder -- ein Spielzeug könnte sie zu irgend etwas verführen -- sei es nun zum Guten oder zum Bösen.« »Hab' ich erst festen Boden unter den Füßen, so könnten sie mich nur als Leiche wieder zurückschaffen,« murmelte René mit düsterem Blick und fester Entschlossenheit zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch. »Das wäre Thorheit,« sagte aber sein älterer Freund, ein Landsmann von ihm und jetzt dritter Harpunier auf dem Delaware, der mit René schon in Algier gefochten und in Canada gejagt, und damals Alles versucht hatte ihm einen so tollen Entschluß, wenn auch vergebens, auszureden, als gemeiner Matrose das Leben eines Wallfischfängers zu versuchen. »Du bist noch jung René und das Leben steht Dir weit und freudig offen -- hier nun einmal in die Klemme gerathen, bring Dich deshalb nicht gleich um Alles, blos weil es Dir in den Sinn kommt die Suppe, die Du Dir selber eingebrockt, nicht ausessen zu wollen. Ein, höchstens zwei Jahr, und Du bist wieder frei wie der Vogel in der Luft, und selbst diese Zeit wird Dir dann, so schmerzvoll und entsetzlich sie Dir jetzt auch scheint, eine freudige, vielleicht liebere Erinnerung sein, als manche froh und glücklich verlebte Stunde.« »Ich halt' es nicht aus, Adolph, ich halt' es bei Gott nicht aus« sagte René kopfschüttelnd -- »hier unter dem rohen Volk noch Jahrelang bleiben und an Geist und Körper zu Grunde gehen -- ich vermag es nicht. Du weißt dabei, wie nahe ich zweimal schon daran war mit dem Capitain selber, der fast schlimmer ist als der Schlimmste seiner Leute, zusammenzugerathen, und wer schützt mich dann vielleicht sogar vor seinen rohen _Mißhandlungen_? Das Resultat bliebe dasselbe, auch das ertrüge ich nicht, und lieber will ich mein Leben hier wagen, wo mir noch die Möglichkeit eines Entkommens bleibt, als zuletzt gezwungen werden dem Capitain vielleicht ein Messer in den Leib zu rennen und über Bord zu springen. Nein, Adolph, ich bin fest entschlossen« setzte er leise aber mit ruhiger und überzeugter Stimme hinzu -- »die erste Gelegenheit, die sich mir bietet an Land zu kommen, und sollt' ich es schwimmend zu suchen haben, benutz ich, und die Folgen mögen dann sein wie sie wollen -- ich weiß und fühle, daß mir nichts Schlimmeres begegnen kann, als was ich jetzt in Seelenqual und innerer Unruhe zu leiden habe.« »Hol's der Henker«, sagte Adolph nach kurzem Sinnen -- »wer weiß ob ichs nicht an Deiner Stelle, und mit Deinem jungen Blut in den Adern am Ende auch thäte. Aber wie willst Du an Land kommen? es ist noch ganz ungewiß ob der alte Teufel ein Boot abschickt Erfrischungen einzunehmen oder nicht, -- er traut uns allen mit einander nicht.« »Doch« entgegnete ihm René -- »ich habe vorher zufällig gehört, daß unser Boot mit dem ersten Harpunier morgen mit Tagesanbruch hinüber soll, etwas Brodfrucht und Cocosnüsse abzuholen. Die Gelegenheit will ich jedenfalls benutzen, noch dazu da es uns einen Vorwand giebt, reichliche Kleider mit zu nehmen. -- Die Leute haben ja sonst nichts, sich Kleinigkeiten von den Eingebornen einzutauschen.« »Und sowie Du im Wald drin bist« sagte Adolph immer noch kopfschüttelnd, »hetzt der alte Seehund von Harpunier Dir die ganze Einwohnerschaar hinterher -- wie willst Du ihnen entgehen? -- René, René es ist wahr, das Land liegt wohl verlockend genug vor uns da, und selbst mir zuckt's in den Knochen, einmal frei darauf herumzuspatzieren und von diesem -- verdammten Marterkasten loszukommen, aber -- ich weiß doch nicht -- hast du einmal das Schiff verlaufen und wirst wieder eingefangen, so kommst Du nachher erst in eine Hölle, wenn Du vorher in keiner gewesen bist, und wenn ich ganz aufrichtig sein soll, so glaub' ich nicht daß Du zwei Tage von uns bleibst, ehe sie Dich wieder haben -- und die zwei Tage über bist Du dann mehr wie ein gehetzter Wolf als wie ein Mensch.« »Und es hilft doch Alles Nichts« lächelte René trüb; »ich hab's mir nun einmal in den Kopf gesetzt, und ich führ es auch aus, mag daraus entstehen was da will; schlimmer kann's nicht werden als es schon ist.« »Doch, doch« sagte Adolph »es kann noch viel viel schlimmer werden, Du hast es noch nicht gesehen, wenn es an Bord eines Schiffes einmal _recht_ schlimm ist,« setzte er schaudernd hinzu -- »und ich verlang' es ebenfalls nie, nie wieder zu erleben. Außerdem bist Du der Sprache gar nicht mächtig -- wie willst Du Dich den Leuten verständlich machen? René, es geht in der Welt alles nach Eigennutz -- bist Du erst einmal älter, wirst Du das auch selber erfahren -- und die Eingeborenen hier wissen recht gut, daß sie von einem entlaufenen Matrosen nicht viel Gutes und gar keinen Nutzen zu gewärtigen haben, während ihnen der Capitain eine Masse Sachen geben kann, die für sie und ihr einfaches Leben förmliche Schätze sind.« »Ich habe Geld bei mir« sagte René rasch -- »~Peste~, ich brauche des alten Schuftes Blutgeld nicht, mir meine Bahn auch im schlimmsten Fall zu _erkaufen_, wenn es denn nicht anders sein kann.« »Das ist schon ein sehr sehr großer Vortheil« lächelte Adolph, »und es werden wenig Matrosen von Wallfischfängern weglaufen, die wirklich einen Franc in der Tasche haben, aber der Capitain bleibt immer im Vortheil. -- Aexte, Beile, Kattune und Schmuck und besonders Spirituosen sind ihnen weit lieber als Geld, und über derlei Sachen hast Du immer nicht zu verfügen.« »Vernünftiger Weise magst Du Recht haben, Adolph«, lächelte aber der junge Mann, auf alle diese Argumente -- »und ich glaube selbst daß es eine Art verzweifelter Schritte ist, auf einer so kleinen Insel, wie diese zu sein scheint, zu entlaufen -- die Möglichkeit ist immer eher da, daß man eingefangen wird.« -- »Sag' lieber die Wahrscheinlichkeit« unterbrach ihn Adolph. »Und meinethalben auch die Wahrscheinlichkeit« murmelte René zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, »ich habe mir aber noch nie etwas so fest vorgenommen gehabt, ohne es durchzuführen, und den Versuch will ich machen, oder darüber zu Grunde gehen!« »~Eh bien~« lachte Adolph, »sobald Du einmal so weit gekommen, ist es nicht nöthig mehr darüber zu sprechen. Meine Wünsche für Dein Wohl hast Du übrigens, und ich wollte nur, daß ich Dir in irgend etwas dabei nützlich sein könnte; ich sehe nur noch nicht wie.« »Wer weiß wie sich das noch Alles machen kann« sagte René -- »aber auf dem Quarterdeck werfen sie schon wieder die Falle los -- in der Mitternachtswache möcht' ich Dir noch etwas sagen.« »~Ship about~« unterbrach ihn hier der eintönige Ruf; die Leute traten sämmtlich an ihre Posten und das Schiff wurde über den anderen Bug gelegt, jetzt wieder vom Lande abhaltend. Mit der nächsten Morgendämmerung hatten sie die Küste, und zwar eine kleine Art Bai, die von zwei auslaufenden Corallenriffen gebildet wurde, gerade vor sich, und der Ruf des ersten Harpuniers sammelte die Leute in sein Boot; mehre dort schon aufgeschichtete Sachen, Handels- und Tauschartikel für die Eingebornen, wurden hineingelegt -- das Boot schwang frei und auf das Wasser nieder, und die Mannschaft legte sich in die Ruder. »Was sind das für Pakete da vorn?« sagte der Harpunier, als sie eben von Bord abgestoßen waren, »wer hat die eingeworfen?« »Ein paar Hemden und andere Kleinigkeiten, Mr. Rowsy« erwiederte Einer der Leute -- »wir wollten uns auch was von Früchten eintauschen!« »Und das andere daneben?« »Dasselbe« erwiederte René, den die Frage anging. Der Harpunier sagte nichts weiter und René warf noch einen verstohlenen Blick nach Bord zurück, wo Adolph stand und ihm zunickte. Er war ihm behülflich gewesen die Sachen rasch, und ohne daß sie an Bord selber etwas davon zu sehen bekamen, in's Boot zu schaffen, der Capitain hätte es sonst unter keiner Bedingung zugelassen, obgleich dies etwas ziemlich gewöhnliches an Bord von Wallfischfängern ist. In Canoes kamen übrigens keine Indianer ab und ihnen entgegen, obgleich sie mehrere Canoes in der Bai liegen sahen, und nur erst als sie die Corallen-Bank berührten, erschienen oben zwischen den Büschen eine Anzahl Männer und Frauen mit Körben aus Cocosblättern geflochten, in denen sie Früchte und Muscheln trugen, und erst ein Zeichen der Fremden abzuwarten schienen, ehe sie sich ihnen näherten. Der Harpunier, der sich seit seiner Jugend fast in diesen Meeren herumgetrieben, sprach ihre Sprache ziemlich geläufig, und ein paar freundliche Worte in dieser hatten fast eine zauberhafte Wirkung auf die Schaar. Die, die im Anfang die furchtsamsten gewesen waren, riefen sich erstaunt unter einander zu daß die Fremden Freunde seien, und dieselbe Sprache mit ihnen hätten, und aus allen Büschen und Dickichten brachen sie jetzt heraus, und mischten sich so sorglos und vertrauend wie Kinder zwischen die Leute, befühlten das Zeug ihrer Kleider, lachten über ihre Bärte und Schuhe, und sprangen und sangen, als ob sie schon Jahre lang mit ihnen bekannt gewesen wären. Der Tauschhandel ging indessen rüstig vor sich; gegen Messer und Tabak, Kattune und Glasperlen brachten sie Massen der herrlichsten Früchte, besonders vortreffliche Orangen und Brodfrucht und während der Harpunier unter einem stattlichen Pandanus saß, die ihm gebrachten Waaren musterte, und bestimmte was er dafür geben wolle, mischten sich die Leute, nur Einen derselben bei dem Boot lassend, ebenfalls unter die Eingebornen, die wenigen Kleinigkeiten die sie mitgebracht, gegen Früchte und Muscheln, hauptsächlich aber die ersten, zu vertauschen. Diesen Zeitpunkt benutzte René, schnallte sein kleines Bündel, daß er im Anfang vor den Eingeborenen ausgebreitet gehabt, wieder zusammen, und verlor sich damit, ohne daß irgend Jemand auf ihn acht hatte, im Dickicht. Von den Eingeborenen sahen ihn vielleicht Einige, achteten aber nicht auf ihn, und die Leute vom Schiff waren viel zu sehr mit sich selber und ihrer Umgebung beschäftigt, sich nur im mindesten darum zu bekümmern, was Einer der ihrigen that. Zwei Stunden später etwa, als der Harpunier Alles weggegeben was er mitgebracht, und sein Boot fast gefüllt war mit all den Massen von Sachen die er dafür eingetauscht, rief sein Befehl die Leute wieder zusammen, und er stieg selber ins Boot, an Bord zurückzukehren. »Wo ist René!« frug er, als er einen Blick über die Mannschaft geworfen. »René!« tönte der Ruf der Matrosen -- »~oh René~!« Kein René ließ sich blicken und Niemand wußte was aus ihm geworden, ja ein paar bezweifelten, daß er überhaupt mit an Bord gekommen sei, so wenig hatten sie sich, mit dem Land vor sich, um einander bekümmert. Jedenfalls fehlte aber _ein_ Mann, und der Offizier wußte auch, daß er bei der Herüberfahrt seine volle gewöhnliche Besatzung gehabt. »~Damn it~« rief der Harpunier endlich im Boot, in dem er seinen Sitz schon wieder eingenommen, in die Höhe springend -- »~he has bolted~,[A] die Pest über den Hallunken; aber den wollen wir bald wieder haben. -- Bleibt Ihr hier im Boot bis ich zurückkomme!« rief er dann seinen Leuten zu, und über die Sitze wegspringend, eilte er wieder an Land und wandte sich dort an einen der Eingebornen, der eine Art Oberherrschaft über die Andern auszuüben schien. »Hallo Freund!« redete er ihn an, »Einer von meinen Leuten ist mir weggelaufen, könnt Ihr ihn wieder fangen, und was wollt Ihr dafür haben?« »Hat er Gewehr mit?« frug der Alte ziemlich vorsichtig, denn er schien danach den Preis des Einfangens bestimmen zu wollen. »Nein, kein Schießgewehr, vielleicht nicht einmal ein Messer« lautete die ermuthigende Antwort. Die Eingebornen fingen jetzt eifrig an unter einander zu verhandeln, und zwar in so rascher und oft eigentümlicher Sprache, daß der Amerikaner selber nicht verstehen konnte was sie mitsammen hatten. Aus ihren Bewegungen wurde es ihm jedoch bald deutlich, denn zwei davon gingen nach einem besondern Theil im Busch und untersuchten hier die Fährten und ihren Gesticulationen nach schien es, als ob der Flüchtige sich dort hinein gewandt habe. Der alte Indianer zeigte sich auch bald erbötig ihm den Mann wieder zu verschaffen; seine Forderung dafür war aber ziemlich bedeutend; er wollte Kattun und Messer, etwas Tabak und in der That ein wenig von Allem haben, und als Jener endlich einwilligte ihm das Alles zu geben, hatte er noch ein Beil und ein Hemd und mehrere andere Kleinigkeiten vergessen. Der Harpunier wußte übrigens daß sich der Capitain nicht lange hier aufhalten wollte, und wüthend sein würde über die Flucht des Mannes; er sagte also dem Alten seine sämmtlichen Forderungen zu, vorausgesetzt daß sie mit dem Gefangenen am Ufer wären, sobald sie mit dem Boot und den verlangten Sachen wieder vom Schiff zurück sein könnten. Dies abgemacht, stieß das Boot augenblicklich vom Lande, die eingetauschten Früchte mit der fatalen Nachricht an Bord zu bringen und den Fanglohn für den Entflohenen herüber zu holen, während die Eingebornen indessen wie Spürhunde den einmal angenommenen Fährten des Flüchtigen nachliefen. Fußnoten: [A] Er ist ausgerissen. Capitel 2. #Die Flucht, und welchen Dollmetscher René fand.# René war, als er sich nur einmal außer dem Bereich seiner Kameraden sah, so rasch er konnte gerade einem der nächsten Hügel zugeeilt, und das selbst schien mit der Last die er trug gerade kein kleines Unternehmen. Für ein Hemd hatte er sich nämlich vorher ein paar grüne Cocosnüsse und einige Bananen eingetauscht, damit er nicht genöthigt wäre, gleich in den ersten vierundzwanzig Stunden wegen Nahrungsmitteln einen irgendwo gefundenen Versteck zu verlassen, und diese, neben seinen Bündel Kleidern tragend, mußte er sich durch das, manchmal entsetzlich dicke Gebüsch, fortwährend mit dem fatalen Gefühl verfolgt zu werden, Bahn brechen. Er wußte aber was ihm bevorstand, wurde er von den Leuten des Delaware wieder eingefangen, und wollte wenigstens Nichts was in seinen eigenen Kräften stand unversucht lassen, sich so weit als möglich jeder solchen Gefahr zu entziehen. In dieser Absicht arbeitete er sich auch dem höheren Theil der Insel zu, weil er dort erstens den Lagunen aus dem Weg ging, die hier seinen Pfad zu beengen drohten, und dann auch wahrscheinlich in dichtes Buschwerk hineinkam, was von den Eingebornen selber selten betreten wurde. Als er nur erst einmal hügeligen Boden erreichte, wurde seine Flucht dadurch sehr erleichtert, daß er cultivirtes und eingefenztes, wenn auch durch Unkraut ziemlich arg überwachsenes Land traf. Dort hatte er sich wenigstens durch keine verwachsenen Büsche mehr Bahn zu brechen und konnte sein Terrain ein wenig freier übersehen. Blieb er da in der Nähe, so wuchs auch Frucht genug, ihn ein Jahr im Proviant zu halten; überdies war der ganze Wald voll Früchte, denn die Guiaven standen mit Aepfeln, wenn auch noch nicht vollkommen gereift, förmlich bedeckt. Nur die Cocospalmen reichten nicht so weit hinauf, doch sah er hier in den Feldern eine Masse Wassermelonen, die ihn reichlich dafür entschädigen konnten. Weiter durfte er sich für jetzt aber nicht beladen, denn er trug schon, was er überhaupt tragen konnte, und die Hitze war groß. Die ungewohnte Anstrengung und Aufregung thaten natürlich auch das ihrige dabei. Durch die Felder ging das auch ganz gut, überhalb diesen wurde das Dickicht aber wieder so schlimm wie es je gewesen, und die Guiavenbüsche schienen hier eine förmliche undurchdringliche Hecke zu bilden, durch die er sich nur gebückt, und sein Gepäck oft nachschleppend, hindurchdrängen konnte. Nur erst, wo diese endlich aufhörten, und mit ihnen jede Art von Frucht, begannen hohe dunkle Casuarinen, die einen weit bessern Durchgang gewährt haben würden, wären nicht so viele trockene und dürre Aeste von ihnen heruntergefallen gewesen, die sich ihm oftmals wie förmliche Pallisaden entgegenstellten. Aber er _mußte_ hindurch, und das war ein tüchtiges Wort, ihn alle Schwierigkeiten mit leichtem Muth überwinden zu lassen. Hier wurde der Grund auch steinig, und er fand, als er den höchsten Punkt endlich erreichte, zu seiner Freude einen kleinen felsigen Platz, den er sich selber hätte nicht schöner und passender zu einem Castell ausbauen können, als es hier die Natur für ihn gethan. Zehn Fuß war er dort oben von allen Seiten frei, und das bröcklige Gestein, was den steil auflaufenden Gipfel bildete, konnte ihm im Anfang eben so wohl zum Verbergen, als später, sollte er gefunden werden, als Waffe dienen, auf irgend einen andringenden Feind niederzurollen. Mit einem förmlichen Triumphruf nahm er von dieser kleinen Festung Besitz, und als er oben seine Last abgeworfen, und sich die nassen Haare aus der Stirn gestrichen hatte, sagte er lächelnd: »Beim Himmel, mit Adolph hier und zwei guten Gewehren, wollt' ich mir die ganze Besatzung des Delaware vom Leibe und einem förmlichen Sturm abhalten -- ~ha -- le Delaware~!« unterbrach er sich plötzlich selber überrascht, und fast unwillkürlich trat er hinter einen der Felsstücke, denn als er den ersten Blick nach außen warf sah er, daß er frei über das Meer schauen konnte, und dort lag auch sein altes Schiff so klar und nah vor ihm, daß er die einzelnen Leute an dessen Bord konnte auf- und abgehen sehen. Mit dem Glas mußten sie im Stande sein ihn, sobald er sich nur frei zeigte, vollkommen gut zu unterscheiden. Er überlegte sich jedoch bald, daß sie bis jetzt an Bord noch keine Ahnung von seiner Flucht haben konnten, denn eben kam erst das Boot, dem er entflohen, dorthin zurück, und er konnte selbst erkennen wie die Leute von unten hinauf an Bord kletterten. Jedenfalls war er also schon vermißt und er mußte darauf gefaßt sein daß ihn die Eingeborenen aufspüren würden, denn mit seiner Ladung hatte er an vielen Stellen eine ziemlich breite und tiefe Fährte zurückgelassen. Die kurze Zeit also die ihm bis dahin blieb, wollte er benutzen sich noch so gut als es eben anging zu befestigen, nachher dem Schicksal und seinem guten Glück das Uebrige zu überlassen. Er war jung und ein Franzose -- also weit davon entfernt sich Sorgen vor der Zeit zu machen, überdies hatte er Alles was ihm jetzt bevorstand voraus gewußt und es kam ihm Nichts unerwartet. Schießwaffen hatte er, zwei kleine Terzerole ausgenommen, keine; außer diesen aber ein langes zweischneidiges schweres Messer in lederner Scheide, wovon er sich die meiste Hülfe versprach, und ein leichtes trotziges fast muthwilliges Lächeln überflog seine schönen Züge, als er die beiden kleinen Pistolen aus der Tasche nahm, und vor sich auf die Steine legte. »Es sind zwar keine Zweiunddreißigpfünder« sagte er dabei lachend vor sich hin, »und ich weiß in der That nicht einmal ob sie überhaupt losgehen werden, aber sie haben doch Mündungen, und ist den Eingebornen hier schon überhaupt jemals ein solches Instrument wie eine Pistole zu Gesicht gekommen, so müßte ich mich sehr irren, wenn ich nicht glauben sollte die ganze Insel damit von mir abhalten zu können. Kurze Frist werden sie mir aber doch wohl Ruhe lassen, und die will ich denn wenigstens benutzen meinen Körper ein wenig zu restauriren und mit Speise und Trank zu erquicken.« Und damit schnürte er wohlgemuth seinen Bündel wieder auf, in dem er auch ein kleines Packet mit einem paar Schiffszwiebacken und einem Stück Salzfleisch verborgen hatte, und mit einem Theil von diesem und einigen Bananen, wozu er eine der Cocosnüsse anzapfte und etwas davon trank, seinen allerdings brennenden Durst zu löschen, hielt er eine so vortreffliche und ruhige Mahlzeit, als ob er sich in voller Sicherheit in irgend einem guten Gasthaus befände, und nicht jeden Augenblick fürchten mußte, umstellt und gefangen zu werden. Die Feinde waren ihm übrigens weit näher als er je vermuthet, denn kaum hatte er sein Mahl beendet, und eben wieder die Cocosnuß an die Lippen gehoben, noch einen letzten Schluck zu thun, als er gar nicht weit von sich entfernt ein Geräusch zu hören glaubte. Er hielt horchend ein -- da krachten wahrhaftig wieder die Büsche. Nichtsdestoweniger trank er erst in aller Ruhe, denn er wußte recht gut daß er hier oben in seiner festen Stellung nicht so plötzlich überrascht werden konnte, stellte dann die Nuß vorsichtig und ein paar Steine darum legend, bei Seite, daß sie nicht umfiel und seinen Wasservorrath gleich um die Hälfte verringerte, griff seine beiden Terzerole auf, und schaute dann, hinter irgend einen der größten Steine gedrückt, aufmerksam nach dorthin von woher sich jetzt vorsichtig irgend Jemand zu nähern schien. Es dauerte auch nicht lange, so konnte er schon die bunten Kattunüberwürfe mehrerer Eingeborener erkennen, die langsam und aufmerksam den Boden betrachtend, seinen hinterlassenen Spuren folgten. Wie viele es waren ließ sich noch nicht erkennen, das blieb sich aber auch gleich; war er erst einmal aufgefunden, so konnten sie, so sie überhaupt feindliche Absichten hatten, leicht Verstärkung holen, und er mußte vor allen Dingen sehen sich auf eine friedliche Art mit ihnen zu verständigen. Die Terzerole konnten ihm aber dabei nur mehr Schaden als Nutzen bringen, und er steckte sie deshalb vorläufig wieder in die Tasche, die Ankunft der Indianer jetzt auf das ruhigste und kaltblütigste erwartend. Diese ließen ihn auch nicht lange mehr über ihre Absicht im Zweifel. Der Erste der voranging mochte eine gewisse Obergewalt über die Andern haben, denn dicht unter den Steinen, auf denen sie den Flüchtling gar nicht zu vermuthen schienen, sandte er zwei rechts und zwei links ab, zu sehen wohin sich die Spuren etwa den Berg wieder hinunter zögen, während er selber gerade auf den Felsen zukam. René wußte recht gut daß er von diesen fünf Leuten noch weiter keine Gefahr zu fürchten hatte, und doch jedenfalls aufgefunden werden mußte, sich also deshalb aufrichtend, und mit beiden Ellbogen auf einem der vor ihm liegenden Blöcke stützend, sah er erst eine kurze Weile den Mann unten, der auf dem hier steinigen Boden nicht recht mit der Spur einig zu sein schien, lächelnd zu, und sagte dann plötzlich mit lauter Stimme den schon mehrfach gehörten und behaltenen Gruß: »~Joranna-boy~!« Wäre dem Eingebornen, der gebückt und die Augen fest auf den Boden geheftet, fast gerade unter ihm stand, ein grimmer Tausendfuß über den Nacken gelaufen, er hätte nicht rascher und mehr erschreckt in die Höhe und zur Seite springen können, und erst das laute Lachen René's, der auf ihn herunterschaute, als ob Jemand aus dem Fenster einer höheren Etage sieht, brachte ihn wieder ein wenig zu sich. Der erste Schrei, den er aber in voller Ueberraschung ausgestoßen war hinreichend gewesen, seine Gefährten um ihn zu sammeln, und die fünf rothen Burschen, die hier mit so feindseligen Absichten heraufgekommen waren, wußten eigentlich nicht recht wie ihnen geschah, als sie den gerade, von dem sie die grimmigste Gegenwehr erwartet, in der größten Gemütlichkeit vor sich und so friedlich gesinnt fanden, wie sie es nimmer hätten erwarten dürfen. Erst sahen sie eine ganze Zeitlang schweigend zu ihm empor -- es war augenscheinlich, sie mißtrauten noch dem äußeren Ansehn der Dinge -- diese Freundlichkeit konnte Maske sein sie plötzlich zu überrumpeln, und obgleich sie bewaffnet waren, d. h. zwei führten Tapa-Hölzer und die andern drei Einer ein Beil und Zweie Messer -- und der Weiße unten ihnen die Versicherung gegeben hatte daß der Flüchtling nichts derartiges mitgenommen habe, wußten sie doch nicht welche außerordentlichen Mittel ihm sonst vielleicht zu Gebote stehen möchten ihnen zu schaden. Sie waren allerdings willens die ausgesetzte Belohnung zu verdienen, dachten aber dabei gar nicht daran ihren Leib oder gar ihr Leben irgend einer unnöthigen und zu vermeidenden Gefahr auszusetzen. René blieb übrigens in seiner nichts weniger als feindlichen Stellung, wobei er sich jedoch wohl gehütet hatte seine Gestalt den Fernröhren des Schiffes preis zu geben, und da die so erstaunten und verdutzten Gestalten der Indianer allerdings komisch genug aussehen mußten, und er sich gar keine Mühe gab sein Lachen zu verbergen, so verlor sich diese Furcht denn auch endlich. Der Führer sah seine Begleiter erst ganz ernsthaft an, und dann verzog ein breites Grinsen oder Feixen seine sonst gutmüthigen Züge, während sich diese noch eine kleine Weile zu geniren schienen, -- endlich mochte ihnen das Komische ihrer Lage aber auch wohl einleuchtend werden. Der Eine schnitt auf einmal ein ganz freundliches Gesicht, und war dann urplötzlich wieder so ernst und finster als vorher, als er aber den Häuptling ansah und dessen ausbrechende Fröhlichkeit bemerkte, glaubte er auch wahrscheinlich dem Anstand volle Genüge geleistet zu haben, und platzte nun auf einmal so rasch und laut heraus, daß sich die Andern ordentlich erschreckt nach ihm umsahen. »~Joranna, Joranna~!« rief jetzt der Erste hinauf, dem augenscheinlich ein Stein vom Herzen gefallen schien, da er die Sache sich so friedlich lösen sah -- und es zeigte sich jetzt daß er auch etwas gebrochen englisch sprach, wie man fast auf allen diesen Inseln Einzelne findet, die Worte und Redensarten, im Verkehr mit den Fremden, aufgefangen und behalten haben. »~Joranna boy~! -- wie geht's -- wie geht's Freund -- komm herunter, komm herunter -- weißer Mann, Capitain sagt, soll herunterkommen.« »So?« lachte René in derselben Sprache, -- »weißer Mann Capitain sagt also ich soll herunter kommen?« Der Indianer nickte auf das freundlichste, daß er ihn so gut verstanden hatte, und versicherte, sich zu seinen Begleitern wendend, diesen, daß er die Sache jetzt augenblicklich in Ordnung bringen würde. »Ja, komm herunter, komm herunter -- weißer Mann Capitain sagt« wiederholte er noch einmal, dieses Factum vor allen Dingen außer jeden Zweifel zu stellen. »Und wenn ich, weißer Mann _kein_ Capitain nun nicht will?« lachte René. »Nicht will?« rief der Führer der Eingebornen erstaunt aus, und sah den Fremden an; dann aber, denn er konnte in dessen Gesicht immer noch keinen Ernst entdecken, dies ebenfalls für einen guten Spaß desselben haltend, den er zu ihrem eigenen Vergnügen gemacht habe, schaute er sich nach den Andern um, lachte laut auf, und erzählte ihnen mit der größten Freundlichkeit was der Weiße da oben eben so Lustiges gesagt habe. Die übrigen Eingebornen, die gleich von allem Anfang gar nichts Anderes erwartet hatten, konnten darin aber nicht den mindesten Spaß entdecken, und ein paar, zu diesem Zwecke an den Alten gerichtete Worte machten diesen ebenfalls wieder ernsthaft und ließen ihn doch an die Möglichkeit glauben daß der Fremde am Ende _wirklich_ nicht selber herunterkommen wollte, und ihn da herunter zu _holen_, war jedenfalls eine mißliche Sache. »Bah, bah« sagte der Alte jetzt kopfschüttelnd und mit einem Gesicht als ob man einem unartigen Kinde irgend eine Thorheit verweisen wolle -- »närrisch Ding, närrisch Ding -- weißer Mann Capitain guter Mann, verlangen weiter Nichts wie herunterkommen.« »Was bekommt Ihr dafür mich zu holen?« frug ihn aber René so gerade mitten in alle seine Berechnungen hinein, daß er ihn ganz wieder außer Fassung brachte, und er erst den Weißen, und dann seine Begleiter erstaunt ansah, augenscheinlich unschlüssig ob er diese, etwas indiscrete Frage so geradezu und der Wahrheit gemäß beantworten solle. Er hielt es am Ende für besser es erst mit den Seinen zu berathen; da diese aber nicht das mindeste Bedenken darin fanden seinem Wunsche zu willfahren, wandte er sich wieder zu dem jungen Franzosen und zählte ihm jetzt mit der größten Ernsthaftigkeit alle die Artikel auf die sie bekommen würden, und zwar mit einem Eifer und einer Genauigkeit, als ob das noch ein besonderer Beweggrund für ihn selber sein müsse, jetzt augenblicklich niederzusteigen und ihnen den Besitz aller dieser Herrlichkeiten nicht länger, widerrechtlicher Weise, vorzuenthalten. Zu ihrem Erstaunen ließ sich aber der Fremde selbst nicht durch die Erwähnung des Handbeils und die fünf Yards rothen Kattun bestechen, sondern blieb nur ruhig und unbeweglich in seiner Stellung. Angenehm war es ihm aber nicht, diese Masse verschiedenartiger Gegenstände aufzählen zu hören, und er konnte daraus nicht allein sehen wie viel dem Harpunier daran gelegen gewesen war ihn wieder zu bekommen, als auch wie sehr schon die Habgier dieser sonst einfachen und gutmüthigen Leute erregt worden, den ausgesetzten Lohn so rasch als möglich zu verdienen. Ueberredung half hier Nichts, so viel sah er recht gut ein, wäre er selbst ihrer Sprache vollkommen mächtig gewesen, und das einzige was sich noch mit ihnen im Guten anfangen ließ, war ihnen an Geld und vielleicht Kleidern gleichen Nutzen zu bieten, wo er dann wieder das zu seinen Gunsten hatte, daß sie bei dessen Annahme ihre Gliedmaßen in keine Gefahr brachten. »So?« sagte er also, da sie geendet hatten und nun nichts anderes zu erwarten schienen als daß er nach _solchen_ dargelegten Gründen, ihren Beweisen nicht länger werden widerstehen können -- »so? -- das also hat Euch weißer Mann Capitain Alles geboten, mich einzig und allein wieder unten abzuliefern?« »Ja Freund -- blos unten abzuliefern« lautete die Antwort. »Todt oder lebendig?« frug aber der junge Mann mit größter Kaltblütigkeit zurück, und erschreckte dadurch den Alten nicht wenig, der jetzt zum ersten Mal an zu begreifen fing, daß der Fremde doch am Ende nicht so ganz gutwillig mit ihnen gehen werde. »Todt oder lebendig?« wiederholte er erstaunt und versuchte zu lachen, was ihm aber mißglückte -- »todt? wir sollen doch weißen Mann nicht _todt_ abliefern -- lebendig versteht sich.« »Und wenn sich nun weißer Mann zur Wehr setzt?« sagte René. »Zur Wehr setzen?« frug der Alte, der das Wort nicht so recht zu verstehen schien -- »zur Wehr setzen?« »Nun ich meine, wenn weißer Mann unter keiner Bedingung gutwillig mitgehen will und sich vertheidigt« erklärte es ihm der Fremde deutlich genug. »Aber fünf Yards rothen Kattun -- ein Handbeil -- zwei Messer« begann der erstaunte Eingeborne alle die Herrlichkeiten wieder aufzuzählen; René aber, dem Nichts daran lag sie nur hinzuhalten, was er mit Leichtigkeit für den ganzen Tag hätte thun können da viele dieser Leute fast gar keinen Begriff von Zeit oder dem Werth derselben haben, unterbrach ihn mitten in der schon gehörten Liste und sagte freundlich, während er eine ganze handvoll Silbergeld aus seiner Tasche nahm und ihnen vorzeigte: »Was wollt Ihr denn thun, wenn ich Euch nun ebensoviel an baarem Gelde gebe, als Euch weißer Mann Capitain für mich versprochen hat, heh und dann bei Euch bleibe und mit Euch lebe und wohne?« -- Das war jedenfalls ein Vorschlag zur Güte, und die Eingeborenen beriethen lange unter sich was sie damit thun sollten; endlich erkundigte sich der Alte näher danach wie viel Geld das eigentlich sei, was er da in der Hand halte. René zählte es über -- es waren sechs Fünf-Frankenthaler und vielleicht zehn Franken an kleiner Münze Geld, was sie hier, in ihrem Verkehr mit Tahiti, recht gut kannten. Für eine solche Summe wußten sie auch gut genug, daß sie selbst in Papetee ebensoviel an Waaren bekommen könnten als ihnen geboten worden; erstlich aber war der Verkehr mit jenem Platz nicht sehr bedeutend, und dann hatten sie ja auch die Sachen noch nicht hier, während sie dieselben von Bord des Wallfischfängers gleich richtig und ohne weitere Mühe überliefert bekamen. Die Unterhandlung fiel für den Matrosen ungünstig aus, und der Alte suchte ihn nun, gewissermaßen als Entschuldigung seiner abschlägigen Antwort, und als einziges Motiv ihrer Weigerung, auseinanderzusetzen, wie sich auf dieser Insel Niemand ohne Beistimmung ihres ~Fua~ oder Königs von fremden Völkern aufhalten dürfe und daß sie also, wenn _sie_ auch selber wünschten ihn bei sich zu behalten, ihn darin doch nicht unterstützen dürften. »Ja,« setzte dann der Alte mit vieler Aufrichtigkeit und auch gewiß Wahrheit hinzu -- »wollten wir jetzt selbst Dein Geld nehmen, und Dich zufrieden lassen, wir könnten Dich doch nicht schützen, und der König würde bald Andere schicken, die Dich trotzdem abholten.« René sah dies recht gut ein, und beschloß also deshalb mit Sr. Majestät selber zu unterhandeln -- wie aber das möglich zu machen? stieg er hinunter, so gab er sich vollkommen in die Gewalt seiner Feinde, und überfielen und banden ihn diese nachher, so konnten sie ihm mit leichter Mühe abnehmen was er bei sich hatte, ohne daß er je im Stande gewesen wäre auch nur eine Centime seines Geldes wieder zu bekommen -- und Sr. Majestät zuzumuthen hier oben heraufzuklettern, mit einem entlaufenen Matrosen wegen einiger Thaler zu unterhandeln war doch auch ein wenig viel verlangt. Nichtsdestoweniger beschloß er den Versuch zu machen, denn hinunter wollte er auf keinen Fall eher steigen, bis nicht der Delaware die Insel verlassen hätte. Er bat also den Alten, der überhaupt der Leiter der Schaar zu sein schien, ihn erst noch einmal kurze Zeit hier oben zu lassen, und indessen selber hinunter zu Sr. Majestät zu gehen, oder wenigstens einen von seinen Leuten hinunter zu schicken, der dem König Kunde von seinem Vorschlag brächte, ihn um die Erlaubniß längeren Aufenthaltes auf dieser Insel und Schutz zu bitten, bis sich das fremde Schiff entfernt hätte, wofür er denn seinerseits Willens sei, Sr. Majestät, falls diese ihm seine Sicherheit garantire, zwanzig Fünf-Frankenthaler -- ein Capital für diese Menschen -- auszuzahlen. »Ja -- sehr gut das,« sagte der Alte nach einer kurzen Pause ernster Ueberlegung -- »sehr gut das, weißer Mann nicht Capitain kann mit ~fu-a~ sprechen, aber muß hinunter gehn -- König nicht heraufkommen hier oben auf Berg -- König sehr faul, nicht viel Berge steigen.« »Ja, ich kann ihm da aber doch nicht helfen,« lachte René -- »wenn er die zwanzig großen Stücke Silber verdienen will, muß er auch etwas mehr dafür thun, als blos mit dem Scepter winken. Also marsch Ihr guten Freunde, bringt Sr. Majestät meinen freundlichen Gruß und Handschlag, und meldet ihm, was ich ihm hiemit entbieten lasse. Er soll einen vortrefflichen Vasallen an mir haben, und kann auch, wenn er es nur irgend anzustellen weiß, noch weit mehr Nutzen aus mir ziehen; ich bin gelehrig, und wer weiß ob ich mich nicht selbst ganz vortrefflich zu Schwiegersohn und Nachfolger eignen würde.« Der Alte verstand sicher nicht die Hälfte von alle dem, was ihm der Fremde da in seinem leichten fröhlichen Muth vorplauderte, soviel aber begriff er, daß er dem König eine gewisse Summe, und zwar eine ziemlich bedeutende bot, ihn frei zu lassen und nicht die mindeste Absicht habe vorher herunter zu kommen. Ging nun der König diese Bedingung ein, so verlor er selber jedenfalls seinen Antheil an dem ausgesetzten Lohne, ging er sie aber _nicht_ ein, so war der ganze Weg doch umsonst gewesen, und es erschien ihm also weit besser gleich das Letztere von vornherein anzunehmen, und den jungen Burschen, der da oben doch so freundlich lachte, und sich gewiß nicht gegen sie wehren würde, nur vor allen Dingen erst einmal herunterzuholen und mitzunehmen: das Andere konnten sie ja nachher unten ausmachen. Ein paar mit seinen Begleitern rasch gewechselte Worte setzte diese von dem gefaßten Entschluß in Kenntniß, und sich dann wieder zu dem Matrosen wendend, der ihn aufmerksam betrachtete seine Entscheidung zu hören, sagte er mit bedächtiger Stimme, indem er sich das Lendentuch etwas fester anzog und einsteckte, ungefähr in derselben Weise wie Matrosen gewöhnlich, mehr in eine Art Angewohnheit, ihre um die Hüften dicht anschließenden Segeltuchhosen in die Höhe ziehen. »Ja weißer Mann, Alles recht gut, weißer Mann Capitain hat aber gesagt müssen unten sein, bis Boot mit Kattun und Tabak und Messer und Beil und Hacke und andere Sachen wieder zurückkommt; so steig nur herunter solange, wollen unten erst zu König gehn, und nachher zu weiße Mann Capitain.« »Ich habe Dir aber schon gesagt, Du etwas harthöriger Bursche Du,« sagte René, fast ungeduldig werdend, »daß ich nicht eher hinunter kommen will, bis ich Sr. Majestät den König dieser vielleicht vereinigten Inseln gesprochen habe -- also mache daß Du zu ihm kömmst, je eher er hier ist, desto schneller können wir unsern Handel ins Reine bringen.« Der Alte aber, ob er dies Letzte nicht recht verstanden, oder für eine Einladung genommen, oder ob er auch vielleicht glaubte es sei jetzt über die Sache genug gesprochen worden, und müsse nun einmal gehandelt werden, kurz er rief seinen Begleitern zwei oder drei Worte mit einem entschiedenen Ton zu, und stieg dann mit weit mehr Entschlossenheit, als er bis jetzt überhaupt gezeigt hatte, die bröcklichen Felsen hinan dem Orte zu, wo der Fremde ihn ruhig erwartend stand. René hätte ihm mit leichter Mühe einen der schweren nur kaum in der Balance liegenden Steine auf den Kopf rollen können, aber er wollte selber in seinem eigenen Interesse Feindseligkeiten solange als möglich hinausschieben, und solche nur ein letztes, wirklich verzweifeltes Mittel sein lassen. Er behinderte deshalb auch den Alten nicht im Mindesten bei seinem Marsch, und dieser fand sich gleich darauf, vielleicht selbst gegen seine eigene Erwartung, oben auf der kleinen Plattform, neben seinem vermutheten Opfer, während seine vier Begleiter eben bemüht waren ihm langsam zu folgen. »So,« sagte der Indianer mit freundlichem Kopfnicken, als er endlich neben René stand und eben die Hand ausstreckte ihn auf die Schulter zu klopfen, »so Freund weißer Mann, nun wollen wir --« aber er sprach nichts weiter -- nur ein Blick war auf das Terzerol gefallen, das der Weiße ruhig in der Hand hielt, und mit einem Satz der selbst diesen um seine Sicherheit besorgt machte, sprang er von der kleinen Steinveste ab nach der Wurzel eines tiefer liegenden Baumes, und von dieser wieder auf die Erde hinunter, wo er nicht eher stehen blieb, bis er den schützenden Stamm einer Casuarine erreicht hatte, hinter dem vor er jetzt mit den Händen auf das lebhafteste an zu gesticuliren fing, und dabei schrie und tobte, als ob ihm da oben das schmählichste Unrecht geschehen wäre. Die Anderen warteten natürlich, als sie des Führers Flucht sahen, in ihrer, wie sie glaubten ebenfalls höchst gefährdeten Stellung, gar nicht ab die Ursache so schnellen Rückzugs zu erfragen, sondern folgten nur eben, so rasch sie konnten, dem gegebenen Beispiel des Alten. Sonderbarer Weise richtete sich aber dieses Zorn keineswegs auf den jungen Mann, sondern nur auf den »weißen Mann Capitain«, der ihn hier unter falscher Vorspiegelung, mit Aussetzung eines weit geringeren Lohnes, auf eine Expedition ausgeschickt hatte, wo er gegen jede Verabredung Waffen, und sogar ihm recht gut bekannte Schießwaffen fand. »Das sind _zwei_ Handbeile,« rief er heftig, »und _zehn_ Ellen Kattun -- zwei fünf,« indem er die eine Hand mit gespreitzten Fingern zweimal von sich drückte, -- »und _vier_ Messer und _zwei_ zehn Stangen Tabak« -- er wiederholte, wie mit sich selber redend, die Bewegung der Hand -- »und _zwei_ Hacken, und _zwei_ handvoll Nägel und eine handvoll Knöpfe -- weißer Mann Capitain sagt was nicht wahr ist -- keine Waffen -- puh -- was ist das? -- kleine blanke Ding da -- puff! macht Loch in armen Kanaka.« »Habe keine Angst wackerer Krieger,« rief ihm René jetzt lachend hinunter, der im Anfang wirklich zu befürchten schien, der Alte müsse bei dem tollen Sprung wenigstens ein paar Beine gebrochen haben -- sich übrigens nicht wenig über den Eindruck freute, den seine kleinen Terzerole gemacht hatten -- »ich will Euch nicht das mindeste zu Leide thun -- ja im Gegentheil, Euer König soll sogar eine von diesen Handkanonen bekommen, falls er auf meine Bedingungen eingeht, und wir werden gewiß nachher in Fried' und Freundschaft zusammen leben, ja uns möglicher Weise noch einige benachbarte Inselgruppen zusammen unterwerfen; aber nun mache auch daß Du Sr. Majestät von meinen Vorschlägen in Kenntniß setzst, würdiger Greis, denn ich sehe schon daß vom Schiff aus wieder ein Boot abgeht, und möchte vorher noch Deine trostbringenden Nachrichten haben.« Der Alte sah jetzt allerdings selber ein daß hier, mit seinen wenigen Mann und mit Gewalt, Nichts auszurichten war; dann genügte ihm auch der auf das Einfangen des Entlaufenen gesetzte Preis nicht mehr; dieser hatte Schießwaffen und er glaubte von dem »weißen Mann Capitain«, wie er den Harpunierer nannte, vorher erst noch leicht die doppelte Ration herausdingen zu können, noch dazu da er das erst Geforderte so leicht und schnell bewilligt hatte. Da der Weiße übrigens, wie es schien, nicht die geringsten feindlichen Absichten zeigte, und wieder ganz in seine frühere friedliche Stellung zurückgefallen war, kam er auch hinter seinem, in der ersten Geschwindigkeit angenommenen Baume vor, und sich erst kurze Zeit mit seinen Leuten besprechend, wandte er sich dann plötzlich wieder zu dem Flüchtling und sagte: »Gut, gut -- Raiteo will gehn, will mit ~fu-a~ sprechen -- weißer Mann nicht Capitain bleibt hier so lange -- Raiteo kommt wieder -- Sonne dort« -- und er zeigte dabei mit der Hand die Himmelsgegend an, an welcher sich die Sonne befinden würde, wenn er wieder zurückkäme. Damit zog er sich, und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, in die Büsche zurück, und wie es schien folgten ihm alle seine Leute; außer Sicht ließ er aber seine sämmtliche Mannschaft auf Wacht und vertheilte sie so, daß sie die Bergkuppe nach allen vier Seiten umgaben, nicht etwa eine Flucht des Weißen von dort zu verhindern, denn das wußte er recht gut, konnten sie nicht, sondern nur genau zu sehen wo er bliebe, falls er den Ort aus freien Stücken verlassen sollte, damit ihnen die neue Arbeit eines Nachspürens erspart würde. Raiteo, wie er sich selbst genannt, dachte übrigens gar nicht daran Sr. Majestät dem König den ganzen Nutzen dieses Fanges allein zu lassen, und beschloß vor allen Dingen einmal zu sehen, wie viel mehr Belohnung er, dieser neuen Entdeckung nach, aus dem fremden Schiff herauslocken könne. Demzufolge, und da er jetzt selbst durch eine lichte Stelle in den Guiavenbüschen das auf's Neue heranrudernde Boot erkennen konnte, eilte er so rasch er vermochte dem Strand wieder zu, und traf dort mit dem eben auf dem weißen Corallensand auflaufenden Boot fast in ein und derselben Minute ein. Der Harpunier fluchte übrigens nicht wenig, als er hörte daß die Eingeborenen den Entlaufenen allerdings gefunden, aber noch nicht zum Strand gebracht hätten, und nun erst noch eine neue erhöhte Forderung stellten; er hätte ihnen jetzt gern das sechsfache gegeben, wäre der entlaufene Matrose damit in seinen Händen gewesen, denn der Capitain des Delaware wüthete ordentlich als er die Flucht des Manns und seinen dadurch erzwungenen Aufenthalt vernahm, und gab ihm jede Vollmacht den Burschen, den er exemplarisch zu bestrafen gedachte, wieder in seine Gewalt zu bekommen. Raiteo sollte aber die Sache nicht mehr allein auszufechten haben, sondern Sr. Majestät, die von dem reichen, für den Flüchtling versprochenen Lohn gehört hatte, mischte sich jetzt selber in das Geschäft, und schien Raiteo mehr als Führer wie Leitenden betrachten zu wollen. Der Harpunier hatte nun zwar selber schon Raiteo eine Belohnung geboten, wenn er ihn nur zu dem Platz hinbringen wolle wo der Flüchtling sei; Jener schien das aber einestheils nicht gern thun zu mögen, und anderer Seits zeigte dies wieder eine neue Schwierigkeit. Der Harpunier hätte seine Leute entweder zurücklassen oder mitnehmen müssen, und in beiden Fällen konnte es am Ende gar noch einem Andern einfallen, sein Glück ebenfalls in den Wäldern zu versuchen. Nach kurzem Ueberlegen suchte er deshalb die Indianer zu bewegen so rasch als möglich zurückzugehn und den Weißen zu holen, und die Versprechungen die er ihnen dafür machte, ja mehr noch die mitgebrachten Sachen die er ihnen zeigte, und von denen er einiges dem König schon gab, seine Habgier zu reizen, schienen ihm allerdings das günstigste Resultat zu versprechen. Die Leute waren diesmal in sehr bedeutender Anzahl, sogar mit einer Menge neugieriger Frauen, aufgebrochen den Gefangenen, der solcher Masse nicht hätte widerstehen können, zum Strand zu holen, und jetzt etwa lange genug abwesend daß der Harpunier schon dann und wann nach seiner Uhr sah, und die Zeit zu berechnen anfing, in der sie würden wieder zurück sein können, als Mr. Rowsey plötzlich, sehr zu seinem Erstaunen, ein Zeichen von seinem Schiff erhielt, so rasch er könne an Bord zurückzukommen. »Was zum Teufel kann nur los sein?« brummte er, als ihn Einer der Leute auf die eben aufsteigende Flagge aufmerksam machte -- »Fische bei Gott!« rief er aber, als diese, zum verabredeten Signal, dreimal auf und niedergezogen wurde -- »die hätten auch noch ein paar Stunden warten können. An Bord ~boys~, an Bord -- rasch an Eure Riemen« -- rief er dann seinen Leuten zu, die schnell dem Befehl gehorchten. Er selber blieb noch ein paar Momente wie unschlüssig am Ufer stehen, während sich die zurückgebliebenen Eingeborenen neugierig um ihn sammelten, theils zu erfahren was die Flagge am Schiff bedeuten solle -- denn soviel hatten sie schon mit Schiffen verkehrt, zu wissen daß dies etwas Besonderes melden wolle -- theils was die Weißen jetzt zu thun beabsichtigten. Der Harpunier wußte das in der That im Anfang selber nicht -- mußten sie jetzt hinter Fischen her, wie es allen Anschein hatte, so konnten ein paar Tage vergehen, ehe sie hierher wieder zurück kamen, und sollte er indessen die für das Einfangen des Mannes bestimmten Güter in den Händen des Königs lassen? That er es nicht, so war es die Frage ob sich die Eingebornen, sobald sie das Schiff absegeln sahen, weiter um den Weißen bekümmern würden, und ließ er die Sachen da, so hieß das ein wenig viel der Ehrlichkeit dieser Leute vertraut, von der er, nach ziemlich langer Erfahrung, in solcher Hinsicht gerade keinen besonderen Begriff zu haben schien. Er entschloß sich aber doch zuletzt dazu, denn eines Theils lag in den mitgebrachten Sachen kein wirklicher Werth, und andern Theils durfte er dann auch darauf rechnen daß die Leute -- wenn sie eben nicht mit dem Ganzen durchbrannten -- ihr Bestes thun würden sein Vertrauen zu rechtfertigen. Sich also zu dem König wendend sagte er ihm mit kurzen Worten, er müsse jetzt an sein Schiff gehn, er wolle aber den Lohn für das Einfangen des Entlaufenen bei ihm niederlegen, und er verlange dafür von ihm, daß sie den Mann, wenn sie ihn einbrächten -- sollte das Schiff noch dort liegen, wo sie es jetzt sähen -- augenblicklich in ein Canoe nähmen und an Bord brächten, sollte es aber unter Segel sein, so lange gut verwahrten, bis er selber zurückkäme. Se. Majestät versprach ihm dafür die Sachen in sein eigenes Haus zu legen, und versicherte den Harpunier es würde Nichts davon kommen, denn sie seien alle _Christen_ und zwei »Mitonares« hier auf der Insel. Der alte Harpunier schien ihm etwas darauf erwiedern zu wollen, und sah ihn einen Augenblick wie zweifelnd an, endlich aber brummte er nur leise ein paar Worte in den Bart, sprang in sein Boot und schoß gleich darauf, so rasch ihn die mit äußerster Kraft der Leute geführten Riemen[B] bringen konnten, dem, etwa zwei englische Meilen entfernten Schiffe zu, von dessen Gaffel die Flagge noch immer wehte, und dann und wann gezogen wurde -- ein Zeichen größter Eile. Fußnoten: [B] Riemen, das nautische Wort für die langen Ruder der See- und Wallfischboote. Capitel 3. #Das Mädchen von Atiu.# René saß indessen, nachdem ihn die Eingeborenen verlassen, eine ganze Weile sinnend auf den Steinen seines kleinen Fort's, und überlegte was er am Besten thäte -- hier auf dieser Stelle bleiben und die Rückkunft der Männer zu erwarten, oder sich vielleicht, mit mehr Vorsicht ein neues Versteck zu suchen, wo er wenigstens bis Dunkelwerden unentdeckt bleiben konnte und dann die ganze Nacht vor sich hatte eine Stelle zu finden seinen Verfolgern zu entgehn oder sie hinzuzögern; er wußte recht gut daß der Capitain des Delaware bald ungeduldig werden würde, wenn er ihn nicht rasch wieder zurückbekäme. Es war überdies auch möglich daß er selber in der Nacht ein Canoe fand mit dem er getrost in See gehen konnte; im Nord-Westen lagen noch mehre Inseln, und selbst die Gefahr der er sich dabei aussetzte, schien ihm nicht halb so groß als die, in der er sich jetzt wirklich befand wieder gefangen genommen und an Bord des Delaware zurückgeschafft zu werden. Er entschloß sich also endlich von dieser Kuppe wieder einer andern Hügelspitze zuzugehn, die er von hier aus gut erkennen konnte; jedenfalls nahm es dann seinen Feinden einige Zeit bis sie ihn wieder fanden, und die Nacht verbarg dann seine Spuren den Verfolgern. Diesen Versuch mußte er aber bald aufgeben, denn kaum hatte er etwa hundert Schritt den Berg hinunter gethan, so entdeckte sein scharf umherspähendes Auge die Gestalt des dort stationirten Insulaners, der sich allerdings, als er ihn kommen hörte, in das dichte üppige Kraut, was überall den Boden bedeckte, niederdrückte. Er war also umstellt, und es half ihm Nichts seinen Schlupfwinkel zu verändern, denn diese Wachen würden ihm natürlich auf den Fersen gefolgt sein; ja die Möglichkeit lag vor, daß sich seine Feinde, vielleicht zahlreicher als er selber eine Ahnung hatte, hier in den Hinterhalt gelegt, nur eben auf sein Niedersteigen wartend, um ihn dann, in dem dichten Gestrüpp soviel leichter überfallen und binden zu können, und scheu, hinter jedem Stamm einen versteckten, zum Ansprung bereiten Feind vermuthend, das gespannte Terzerol in der Hand, zog er sich rasch aber unbelästigt, wieder zu dem kaum verlassenen Versteck zurück. »Gut,« murmelte er dabei zwischen den fest zusammengebissenen Zähnen durch, als er zu seiner kleinen Veste zum zweiten Mal aufstieg -- »laß sie dann die Folgen nehmen, wenn sie mich mit Gewalt zum Aeußersten treiben wollen; aber lebendig bringen sie mich beim ewigen Gott nicht von diesen Steinen hinunter.« Er untersuchte jetzt auf das sorgfältigste seine kleinen Terzerole, schraubte die Pistons los und that frisches Pulver wie nachher frische Kupferhütchen auf, und als er sich wenigstens dieser Hülfe versichert und sein Messer gefühlt hatte, ob es ihm locker und zum Griff bequem an der Seite hing, wußte er daß er für den Augenblick nichts weiter thun konnte und warf sich, der Dinge die er doch nicht zu ändern vermochte wartend, auf die Steine nieder, seine Kräfte wenigstens nicht durch unnöthige Anstrengungen vor der Zeit zu erschöpfen. Er mochte etwa eine halbe Stunde so gelegen haben, als der Lärm der jetzt zu ihm heraufsteigenden Schaar an sein Ohr drang -- er horchte einen Augenblick auf und als er die lauten Stimmen einer großen Zahl Menschen deutlich unterschied, blieb er ruhig in seiner Stellung. Er wußte daß sie, mit solchem Geräusch ankommend, ihn nicht überraschen wollten, und daß sich jetzt der entscheidende Augenblick nahe. Er hatte das Boot wieder zurückkommen sehen und erwartete kaum anders, als daß sich der Harpunier selber mit seinen Leuten der Schaar angeschlossen habe. Diese kam jetzt so rasch und mit solchem Geplapper und Lachen und Schreien näher, daß er sich endlich aufrichten mußte; ein Blick überzeugte ihn aber er habe es nur mit Insulanern und keinem seiner früheren Kameraden zu thun, und mit der Ueberzeugung zog ihm auch wieder neue Hoffnung durch die Seele. Er lehnte sich jetzt in seine frühere Stellung auf den Stein, und als er sich Männer und Frauen in bunter Masse um sich sammeln sah, konnte er selbst ein Lächeln nicht zurückhalten. »Was für eine herrliche Situation wäre dies jetzt für einen der frommen Missionaire,« murmelte er leise vor sich hin, »für die »Prediger in der Wüste« wie sie sich selber nennen -- Kanzel und Auditorium fix und fertig, und welch zahlreiche, bunte Versammlung -- wahrhaftig auch Frauen -- die lieben Dinger müssen doch überall dabei sein, selbst wenn es gilt einen armen Teufel von Matrosen wieder an seine Henker auszuliefern. Aber, ~prenez-garde mes dames~, noch _habt_ Ihr ihn nicht, und billig sind die zehn Ellen rother Kattun etc. wahrhaftig nicht verdient, _wenn_ Ihr ihn bekommt.« Die Schaar sammelte sich indessen um den Felsen herum und obgleich dießmal eine höhere Person als Raiteo, nämlich der Sohn des Königs selber, mitgekommen war, behielt doch jener bei den nachfolgenden Unterhandlungen als Dollmetscher das Wort, und forderte jetzt, augenscheinlich verdrießlich durch die Hartnäckigkeit des Burschen um den, ihm von Gott und Rechts wegen zustehenden Lohn gebracht zu sein, ihn einfach auf herunter zu kommen und mit ihnen zu gehn, weil sie sonst Gewalt brauchen müßten, und ihm nicht gern ein Leides thun wollten. Ihr König erlaube ihm nicht länger hier auf der Insel zu bleiben, also helfe ihm weiter kein Widerstand. René hatte sich hoch aufgerichtet, die jetzt frisch von der See herüberwehende Brise schlug ihm das dunkle lange Haar wild um die Schläfe, und sein Gesicht war von der inneren Aufregung vollkommen bleich geworden, aber seine Augen funkelten und ein trotziges Lächeln kräuste ihm selbst die Lippe, als er mit lauter herausfordernder Stimme hinunter rief: »So kommt denn, wenn Ihr den Muth habt mich zu holen -- kommt und seht wessen Blut diese Steine zuerst färben soll -- kommt und überliefert einen Mann, der Euch nie ein Leides gethan, seinen Feinden, Ihr seid ja am Ende gar Christen und wollt nach Gottes Geboten handeln -- kommt, aber ehe ich jenes Schiff wieder lebendig betrete --« er schwieg plötzlich denn sein Auge hatte in diesem Moment fast unwillkürlich das ferne Fahrzeug gesucht, und er sah jetzt zum ersten Mal das von der Gaffel flatternde Zeichen, wie das zu dem Schiff zurückkehrende Boot, ja ein zweiter Blick überzeugte ihn sogar daß nach Westen hin die drei anderen Boote ebenfalls voll unter Segel waren, und die Wahrheit des Ganzen durchzuckte ihn im Nu. Als die unten Stehenden sahen daß er plötzlich seine Blicke so aufmerksam nach der Richtung hin sandte, wo das Schiff lag, suchten sie ebenfalls dorthin Aussicht zu gewinnen, und zwei junge Leute die rasch eine der Casuarinen erstiegen hatten, riefen bald etwas in ihrer Sprache hinunter. Von den Männern vertheilten sich jetzt mehre nach lichteren Punkten hin, wo sie die See nach dieser Richtung hin besser überschauen konnten, und es zeigte sich gar bald daß etwas Besonderes dort an Bord vorgehen müsse, was für den Augenblick, da es ja auch mit ihren Verhandlungen hier in naher Beziehung stehen mußte, ihre Aufmerksamkeit vollkommen von dem jungen Matrosen ablenkte. René selber dachte kaum mehr an die Eingeborenen -- er sah wie das Boot, das ihn hatte abholen sollen, an Bord des Delaware zurückkehrte, der augenblicklich seine Raaen umbraßte und mit geblähten Segeln den vorangeeilten Booten nach Westen folgte. Jedenfalls hatten sie dort eine große Zahl Fische bemerkt, die ihm sicherlich sehr zu gelegener Zeit aufgekommen waren, und hielt die Jagd nur bis Abend an, daß das Schiff dadurch eine tüchtige Strecke nach Westen versetzt wurde, so war die Frage ob der Capitain seinetwegen hier wieder gegen den Passat ankreuzen würde; jedenfalls behielt er einen, vielleicht mehre Tage Zeit auf Flucht von der Insel zu denken und die Gefahr war wenigstens für den Augenblick von ihm genommen. Daß er die Insulaner _jetzt_ leicht von sich abhalten konnte, daran zweifelte er keinen Augenblick. Der Erfolg zeigte denn auch daß er darin vollkommen recht gehabt. Die Insulaner, als sie das Schiff unter vollen Segeln die Insel verlassen sahen, wußten nicht recht woran sie waren, und mußten erst wieder einen Boten nach unten schicken, neue Verhaltungsbefehle einzuholen. Allerdings begegnete diesem schon ein Anderer, der ihnen die Ordre brachte den jungen Fremden nur einstweilen einzufangen und mit herunterzunehmen. Das war aber weit eher gesagt als gethan, und kam das Fahrzeug am Ende nachher gar nicht zurück, so mußten sie ihn doch wieder los lassen; da war es also weit vernünftiger ihn jetzt gar nicht zu stören, bis das Schiff wirklich wieder da sei, nachher sei es noch Zeit genug. Als die Frauen und Mädchen, die dem Zug aus Neugierde gefolgt waren und sich im Anfang, da man noch nicht wußte ob es zu Feindseligkeiten kommen würde, scheu zurück gehalten hatten, nun, wie die Sachen jetzt standen, und daß nicht die mindeste Gefahr zu fürchten sei, sahen, so kamen sie weiter vor, und suchten Plätze zu bekommen, von denen sie den jungen Fremden genau beobachten konnten. Nur ein junges Mädchen allein war schon früher so weit vorgedrungen, daß sie sich dem Umstellten, auf einer anderen kleinen Erderhöhung fast gegenüber befand, und hatte die ganze Zeit keinen Blick von ihm verwandt. Es war ein junges bildschönes Kind von vielleicht funfzehn oder sechzehn Jahren, schlank gewachsen wie die Palme ihrer Wälder, aber mit vollem runden Gliederbau; die rabenschwarzen mit wohlriechendem Cocosöl getränkten Locken wild um die braune Stirn flatternd, und die schönen großen dunklen Augen halb ängstlich halb mitleidig auf den jungen Mann geheftet, dessen Leben wenn er sich zum äußersten widersetzte, wie sie recht gut wußte, in großer Gefahr schwebte. Sie war nach Art der übrigen Mädchen gekleidet; ein Lendentuch von farbigem Kattun, das ihr bis auf die feingeformten Knie niederging, schloß sich ihr dicht um die Hüften und ein anderes Tuch war nur lose über die linke Schulter gehangen, und auf der rechten mit einem Knoten locker zusammengehalten, daß es den rechten Arm vollkommen nackt und ihm freie Bewegung ließ. In den vollen Locken trug sie einen dünnen Kranz weißer und rother Blüthen, mit den Fasern des Cocosblattes fest zusammengebunden, in den Ohren aber zwei der großen weißen duftenden Sternblumen, und wie sie dort stand auf dem bröcklichen Gestein, um das sich dicht hinter ihr die vollen dunklen Büsche schmiegten, den linken Arm um die dünne Casuarine geschlungen, die sie da oben auf ihrer etwas gefährlichen Stelle stützte, glich sie eher einer lauschend aus dem Dickicht gebrochenen Waldnymphe, als einem einfachen schlichten Kind dieser Inseln. René war im Anfang natürlich zu sehr mit der Gefahr seiner eigenen Lage beschäftigt gewesen, einzelne Gestalten der ihn umgebenden Insulaner beachten zu können, und vorzüglich hatte er die Männer und ihre Bewegungen im Auge behalten, da er ja auch gar nicht wissen konnte, ob sie nicht einen plötzlichen Angriff auf ihn beabsichtigten; jetzt aber, als sein leichter Sinn ihn rasch über die geringere Gefahr, die ihm von den Insulanern selber drohte, hinwegsetzte, fühlte er mehr das eigenthümliche, ja interessante seiner Lage, und während das Blut in seine Wangen zurückkehrte und ein leichtes Lächeln über seine schönen Züge flog, schaute er sich um nach den einzelnen Gruppen, und sein Blick begegnete zum ersten Mal dem dunklen, brennenden Auge des Mädchens. Das holde Kind schlug aber, als sie sah daß er sie bemerkt hatte, verschämt den Blick zu Boden, und so zart war die lichtbraune Haut, daß René deutlich darauf das dunkle Erröthen, das ihre Schläfe und Wangen färbte, erkennen konnte; gerade jetzt wurde aber seine Aufmerksamkeit wieder auf die Schaar der Männer gelenkt, die sich ihm näherten und ihn noch einmal frugen, ob er gutwillig zu ihnen hinuntersteigen wolle oder nicht. »Gewiß!« rief René jetzt freudig, und war es früher schon seine Absicht gewesen, so hatte sie jetzt die Gestalt des holden ihm gegenüber stehenden Kindes nur noch bestärkt -- »gewiß will ich hinunter kommen und bei Euch bleiben, aber Ihr müßt mir versprechen daß Ihr mich nicht festhalten oder binden wollt -- freiwillig komme ich in Euere Mitte, und freiwillig werde ich darin bleiben, denn das Schiff, was mich zurück forderte, hat die Insel verlassen nicht wieder zurückzukehren. Wollt Ihr mir also fest und aufrichtig Sicherheit für meine Person versprechen, so steige ich augenblicklich zu Euch nieder, und ich hoffe wir sollen recht gute Freunde zusammen werden. Seid Ihr das zufrieden?« Die Insulaner, denen Raiteo die Worte des jungen Mannes verdollmetscht hatte, besprachen sich kurze Zeit in lauter, lärmender Stimme miteinander, und dieser wandte sich dann wieder zu ihm und sagte, freundlich dabei mit der Hand winkend: »Gut, weißer Mann, -- ~a haere mai~ -- sei willkommen und bleib bei uns bis dein Schiff wieder zurück kommt, oder so lange Du willst!« »~Eh bien~!« rief der junge Franzose lachend -- »das ist ein Vorschlag zur Güte und die Sache löst sich freundlicher als ich erwarten durfte.« Und damit schob er seine Terzerole in die Tasche, drückte sich die Mütze wieder in die Stirn, und wollte sich eben über die Steine, die seine Festungswerke bildeten, hinüberschwingen, als ihn ein Ruf in gutem Englisch plötzlich nicht allein daran verhinderte, sondern auch erstaunt und überrascht aufschauen machte. Es war das junge holde Mädchen, das, den rechten Arm gegen ihn ausgestreckt, laut und fast ängstlich im reinsten Englisch rief: »Halt, Fremder -- halt -- sie sind falsch -- sie wollen Dich binden und halten, und dem Schiff, das ihnen das Lösegeld zurückgelassen hat, wieder ausliefern -- traue ihnen nicht, und bleibe wo Du bist, bis Dich der König selber seines Schutzes versichert hat.« Dann aber sich gegen die unten Stehenden wendend, unter denen Raiteo die hervorragendste und jedenfalls bestürzteste Persönlichkeit bildete, da er allein zu seinem Schrecken verstanden hatte, wie das junge Mädchen ihre eigenen Landsleute an den Fremden, seiner Meinung nach, verrieth, rief sie mit zürnender fast drohender Stimme in der schönen klangvollen melodischen Sprache ihres Stammes: »Schäme Dich, ~ahina~[C] -- schämt Euch Ihr alle, den armen ~hutupanutai~[D] verrätherisch unter Euch locken und überfallen zu wollen. -- Wo sind seine Verwandte -- wo seine Eltern -- wo seine Geschwister? -- weit weit von hier, und um schnöden Lohn drängt es Euch, ihn seinen Feinden zu überliefern, und _Ihr_ nennt Euch _Christen_? Ihr prahlt damit in den öffentlichen Versammlungen daß Ihr Euern Nächsten lieben wollt wie Euch selbst, und Anderen nicht das zufügen möchtet, was Euch nicht selbst geschehen solle; schämt Euch in Euere Seele hinein daß Euch ein armes junges Mädchen zurechtweisen und Euere Ehre retten muß vor dem Fremden!« Kaum aber hatte sie diese Worte gesprochen, und sah wie Aller Blicke auf sie gerichtet waren, als auch die natürliche mädchenhafte Scheu wieder jedes andere Gefühl verdrängte; das Blut schoß ihr in Strömen nach den Schläfen, und die Blicke niederschlagend, als ob sie selber jetzt gerade eine unrechte Handlung gethan, und nicht im Gegentheil Andere von einer solchen zurückgehalten hatte, glitt sie in die sie dicht umschließenden Büsche zurück, und war auch im nächsten Moment hinter dem Felsenhang verschwunden. René, der dieser so zeitgemäßen Warnung der Jungfrau nach, rasch seine alte Stellung wieder eingenommen hatte, und jetzt mit gezogenen Waffen und finsterem Blick die etwas verlegen unter ihm stehende Schaar betrachtete, konnte an deren ganzem Betragen leicht und deutlich sehen, wie viel Grund zu jener Anschuldigung, die er später mehr in den Blicken des Mädchens gelesen als aus ihren Worten verstanden hatte, vorhanden gewesen. Raiteo besonders, der bei den allsonntäglichen religiösen »~meetings~« eine Hauptrolle spielte, schien sich über den, ihn am tiefsten verletzenden Vorwurf, schlimm zu ärgern. Die Mädchen und Frauen flüsterten aber lebhaft untereinander, und aus den freundlichen ihm zugeworfenen Blicken durfte René wohl urtheilen daß er den _schönen_ Theil seiner Feinde nicht mehr zu seinen Feinden zählen durfte, und daß dieser vollkommen mit dem Betragen Einer ihrer Schwestern einverstanden sei. Die Männer beriethen sich indessen eine ganze Zeitlang miteinander, sahen dann wieder nach dem Schiff aus, das mehr und mehr in der Ferne, und zwar nach Westen hin verschwand, und schienen total rathlos zu sein, was sie eigentlich thun sollten. Einen wirklichen Angriff zu machen, dazu fehlte ihnen in diesem Augenblick, wenn auch nicht der Muth, doch jedenfalls, durch das Absegeln des Schiffs, die dringende Ursache, und friedlich nach dem eben stattgehabten Vorfall wieder mit ihm anzuknüpfen, war auch eine schwierige Sache -- wer konnte von ihm verlangen daß er nach dem letzten Beispiel ihnen jetzt noch einmal trauen sollte. So verging der Nachmittag, René beschloß übrigens jetzt weiter Nichts zu unternehmen; war das Schiff erst einmal gänzlich aus Sicht, so ließ sich eher hoffen die Leute zur Vernunft zu bringen, zeigten sie sich aber dann morgen noch eben so hartnäckig, dann wollte er versuchen ein Canoe zu bekommen, und von der Insel zu fliehen, denn er konnte sich nicht verhehlen daß der Delaware, da er, wie ihm das junge Mädchen gesagt, den für sein Einfangen bestimmten Lohn hier zurückgelassen, doch jedenfalls die Absicht haben mußte die Insel, wenn ihm das irgend möglich war, wieder anzulaufen. Das hing indessen noch Alles theils von dem Weg ab den die Fische nahmen, theils ob er an einem oder mehreren festkam, denn so lange er den Fisch langseits hatte, konnte er nicht segeln und trieb immer weiter nach Westen ab. Indessen stellte sich aber auch bei ihm wieder Hunger und Durst ein, und theils diesen zu befriedigen, theils den Insulanern unten zu zeigen daß er nicht die mindeste Furcht und noch ganz guten Appetit habe, setzte er sich oben auf seine Befestigungswerke und begann seine etwas hinausgeschobene Mahlzeit nach Kräften zu halten. Erst als es Abend wurde verließen ihn die Insulaner, und zwar ohne weiter mit ihm zu unterhandeln, bis auf den letzten Mann, und seine einzige Sorge war jetzt daß sie ihn in der Nacht, wenn er eingeschlafen wäre, überrumpeln möchten. Diesem zu begegnen, und da der Feind wahrscheinlich einen solchen Versuch erst spät machen und nicht glauben würde daß er sich gleich nach Dunkelwerden niederlegen werde, beschloß er, trotz der ihn umgebenden Gefahr, gerade jetzt ein paar Stunden zu schlafen um nachher desto munterer zu sein, denn ohne alle Rast wußte er recht gut daß er es nicht aushalten könne. Ueberdieß fürchtete er mehr als alles Andere, seinem Körper gleich im Anfang zu viel zuzumuthen, da er ja nicht wissen konnte welche Strapatzen und Gefahren er überhaupt noch zu bestehen hatte. Dieß Alles stimmte übrigens so vollkommen mit seiner eigenen Neigung überein, denn er war durch die gehabte Aufregung jetzt, da gewissermaßen ein Ruhestand eingetreten, förmlich erschöpft und so müde geworden, daß er es auch augenblicklich auszuführen beschloß, sein Bündel auf der einen Seite als Kopfkissen hinlegte -- nur die Vorsicht gebrauchend an dem am leichtesten zu ersteigenden Platz einen Stein so locker zu placiren, daß er bei der leisesten Berührung niederfallen mußte -- und sich dann mit sorgloser Ruhe auf den harten Boden und dem Schlaf in die Arme warf. Um den armen René möchte es aber schlecht gestanden haben, hätten die Insulaner wirklich beabsichtigt in der Nacht etwas gegen ihn zu unternehmen, denn lange nach Mitternacht berührte eine leichte Hand seine Schulter, ohne daß er erwacht wäre. »Fremder,« sagte da eine sanfte, weiche Stimme, und das junge schöne Mädchen, das neben ihm stand, legte ihre kalten Finger an seine, vom festen Schlaf erhitzte Stirn. »Ja,« sagte René, die Augen öffnend und umschauend -- »ja -- schon acht Glasen?«[E] -- die kalte Nachtluft strich über ihn hin -- um ihn rauschte das Laub des Waldes und die hellen funkelnden Sterne blickten klar auf ihn nieder. In dem Moment schoß ihm auch die ganze Gefahr seiner Lage durch die Seele, und rasch emporspringend, das Terzerol wie instinktartig im Griff, schien er den Angriff zu erwarten. »Ihr seid eine vortreffliche Schildwache,« lachte aber das junge Mädchen, das ruhig auf ihrem Platz stehen geblieben war -- »wenn Ihr nicht besser über anderer Leute Gut wacht, als Euere eigene Sicherheit, möchte ich Euch wahrlich nicht einer Banane Werth vertrauen.« René faßte sich an die Stirn -- er wußte im ersten Augenblick wahrhaftig nicht ob er wache oder träume, das ganze Fremdartige seiner Umgebung, das schöne lachende Mädchen dicht vor ihm, ein dunkles Bewußtsein drohender Gefahr die über ihm schwebe, und seine Sinne noch halb von dem kaum erst abgeschüttelten tiefen Schlaf befangen, verlangte Alles daß er sich erst sammle, und es verging wohl eine Minute, ehe er seine wirkliche Lage wieder vollständig begriff. Das junge Mädchen stand indeß, mit untergeschlagenen Armen, die zarten Lippen fest zusammengepreßt, und den Kopf schüttelnd vor ihm, und sagte endlich halb lachend halb erstaunt: »Bist Du nicht ein wunderlicher Mann, Fremder -- schläfst hier mitten zwischen Deinen Feinden, als ob Du daheim im sichern Hause, von den Deinen bewacht lägest und nicht ein Preis auf dein Einbringen gesetzt sei, das habgierige Menschen zu deinem Verderben reizen muß.« »Und durft ich nicht schlafen, wenn ein solcher Schutzgeist über mich wachte, Du holdes Kind!« sagte René herzlich, die Hand nach der ihren ausstreckend -- sie trat aber vor der Berührung einen Schritt zurück, und erwiederte, mit ernstem Blick nach oben deutend: »Allerdings hattest Du einen Schutzgeist der über Dich wachte, aber es ist das Auge Gottes, das jedes Haar Deines Hauptes gezählt hat, und ohne dessen Willen keins zur Erde fällt -- ihm danke für Deine bisherige Sicherheit, nicht mir. Aber komm Fremder,« setzte sie dann freundlicher hinzu -- »nimm Dein Bett und wandere und folge mir, ich will Dich vor Tag, und ehe böse Menschen im Thale neue Anschläge schmieden könnten, an die andere Seite der Insel bringen, dort steht das Haus eines frommen Mannes, das Dich schützen wird, bis Dein Schiff diese Gegend verlassen hat, und dann kannst Du später nach Tahiti, wo viele Deiner Landsleute leben, hinübergehn und dort in Sicherheit wohnen.« »Mein _Bett_ mitzunehmen, möchte hier schwer werden,« lachte aber René, dessen leichter Sinn ihn in der Nähe des schönen Mädchens das so freundlich um ihn besorgt war, schon über alles Andere weggesetzt hatte, »das wollen wir lieber liegen lassen; mit dem Kopfkissen möchte es eher gehn -- und wie ists mit den Provisionen -- soll ich die Cocosnuß und Bananen? --« »Wir finden genug auf unserem Weg« -- unterbrach ihn aber das Mädchen -- »iß und trink wenn Du _jetzt_ Hunger hast, und sorge nicht weiter.« »Dann mag es sich mein Dollmetscher morgen als schwachen Beweis meiner Erkenntlichkeit mit hinunter nehmen,« lachte René, »der alte Bursche wird schön schauen, wenn er das Nest leer und den Vogel ausgeflogen findet.« »O sprich nicht mit so leichtem Muth über eine Gefahr, der Du noch keineswegs entgangen bist,« bat aber das Mädchen, »ich selber kann nichts für Deine Sicherheit thun, als Dich zu einem Andern führen und diesen bitten Dir zu helfen -- er ist selber ein Weißer und ein Diener des Herrn, und wird gewiß Alles für Dich thun was in seinen Kräften steht -- er ist aber doch auch nur ein Mensch, und vermag Dir keinen anderen, als eben nur menschlichen Schutz zu gewähren.« »Ein Weißer? -- und ein Diener des Herrn?« sagte aber René rasch und nachdenkend -- »ein Missionair also?« »Gewiß, ein Missionair,« bestätigte die Jungfrau -- »er hat mich von frühester Jugend auferzogen und seine Sprache und Religion gelehrt -- er ist ein stiller, friedlicher und guter Mann.« René blieb nachdenkend eine kleine Weile stehn, und es ging ihm im Kopf herum was er Alles, vielleicht in seinem katholischen Vaterland noch übertrieben, über die protestantischen Missionaire dieser Inseln gehört und gelesen, bei denen er eigentlich schon aus zwei Gründen keine freundliche Aufnahme erwarten durfte, erstlich als entlaufener Matrose und dann als Katholik; er war aber nicht der Mann sich vor der Zeit vielleicht unnöthige Sorgen zu machen, that er's doch nicht wenn er selbst Ursache dazu hatte. »~Eh bien~!« rief er fröhlich und entschlossen -- »sei es wohin es wolle, wohin Du mich führst Du holdes Kind, geh ich gern, und wäre es in den Tod. Hier kann ich doch nicht bleiben,« setzte er lächelnd hinzu als er einen halb komischen halb verlegnen Blick umherwarf -- »der Bequemlichkeiten sind nicht besonders viel, und vor Tag stöberte mich doch am Ende der alte Bursche von Dollmetscher wieder auf -- also vorwärts, vorwärts Du liebes Mädchen -- aber welchen Namen hast Du? wie kann ich Dich nennen?« »Meine Landsleute nannten mich Sadie,« sagte das schöne Mädchen leise -- »Sadie nach einem jener freundlichen Sterne dort oben, aber mein Pflegevater verwarf den Namen als heidnisch, und ich heiße jetzt Prudentia -- nur die Insulaner können das noch nicht gut aussprechen und nennen mich lieber mit dem alten Namen.« »Oh so laß mich Dich auch Sadie nennen, Du holdes Kind,« bat da René -- »bist Du mir nicht auch ein freundlicher Stern geworden, der mich hier aus meiner Trübsal hinausführen soll? -- und wie gern folg ich ihm -- Prudentia, lieber Gott, der Name mag für des würdigen Mannes Mutter oder Gattin recht gut klingen, aber Deinen Namen hinein verwandeln, Sadie, heißt die Saiten einer Harfe zerreißen und Bindfaden darüberspannen -- nein Sadie, leuchte mir voran, und jener Stern soll nicht genauer seine Bahn halten, als ich der Deinen folge.« Das junge Mädchen die wohl den alten liebgewonnenen Namen auch lieber hörte als das fremde, selbst für ihre Zunge schwere Wort, erwiederte nichts weiter, und wie eine Gemse von dem ziemlich steilen Hang hinunterkletternd, und den Arm vermeidend den René nach ihr ausstreckte sie dabei zu unterstützen, glitt sie auf den Boden nieder, daß René kaum ihren Schritten zu folgen vermochte. Fußnoten: [C] Verächtlicher Name für einen alten Mann. [D] ~hutupanutai~, die an den Strand gespühlte ~hutu~-Nuß -- oder auch, in der bildreichen Sprache des Stammes, der an ihre Küsten geworfene Fremde ohne Verwandte und Freunde. [E] Glasen, ein Schiffsausdruck, vom Stundenglas entstanden, und jetzt die verschiedenen Schläge der Wachtuhr bedeutend, die alle vier Stunden mit eins beginnt und jede halbe Stunde einen Schlag hinzufügt. Capitel 4. #Der Mi-to-na-re.# Es war ein ziemlich langer Marsch durch eine wilde Gegend und oft durch Dickichte, durch die er allein nie seinen Weg gefunden; an den Sternen sah er dabei wie sie viele Umwege machten, entweder vollkommen undurchdringliche Stellen zu umgehen, oder auch vielleicht mögliche Verfolger irre zu führen. Endlich erreichten sie wieder eingezäunte Gartenplätze mit Bananen, Brodfrucht, Orangen, Wassermelonen und süßen Kartoffeln bepflanzt, und als die Sonne eben über dem, wieder vor ihnen liegenden Meeresspiegel emporstieg, betraten sie eine freundliche Ansiedlung wohnlicher Bambushütten, sogar mit einigen weißübertünchten Häusern dazwischen, dicht in dem Schatten hoher Cocospalmen und breitästiger Brodfruchtbäume hineingeschmiegt, und von einer hohen festen Umzäunung rings umschlossen. René zögerte im ersten Augenblick den Ort zu betreten -- er blieb stehen und betrachtete forschend den kleinen freundlichen Platz, der wie ein in sich abgeschlossenes Paradies stillen Friedens vor ihm lag. Sadie schaute nach ihm um und frug ihn lächelnd ob er sich fürchte näher zu kommen. »_Fürchten_?« sagte der junge Mann leise mit dem Kopf schüttelnd, »wenn ich überhaupt etwas fürchtete auf der weiten Welt -- hätte ich da je diese Insel betreten?« »Fürchtest Du _Nichts_?« sagte das Mädchen rasch und erstaunt, und schaute zu ihm auf -- »fürchtest Du nicht _Gott_?« -- Der junge Mann fühlte daß er hier ein Feld berührte das er vermeiden müsse -- so wenig er sich selber aus irgend einem Religionsbekenntnis machte, hatte er doch zu viel gesunden Sinn für Recht es in Anderm zu achten, und er hätte besonders dem holden Kind nicht durch eine rauhe Antwort weh thun mögen -- er sagte deshalb ausweichend: »Ich sprach nicht von Gott, Sadie -- ich sprach von den Menschen -- also hier wohnt der weiße Missionair?« »Hier wohnt er, wenn er auf der Insel ist,« -- erwiederte das Mädchen, durch seine Antwort vollkommen wieder beruhigt -- »gerade jetzt aber besucht er mehre andere Inseln in Missionsgeschäften, aber schon seit drei Tagen erwarten wir ihn zurück, und jede Stunde kann er wieder eintreffen.« »Also in diesem Augenblick wohnt kein Missionair auf dieser Insel?« -- frug der junge Mann rasch, und wie es fast schien, erfreut. -- »Kein _weißer_ Missionair wenigstens,« sagte die Jungfrau, »aber Du scheinst Dich darüber eher zu freuen, und ich hatte geglaubt es würde Dich beruhigen wenn Du einen Landsmann in der Nähe wüßtest.« »So habt Ihr auch _eingeborene_ Missionaire hier?« umging der junge Mann die halbgestellte Frage durch eine andere -- »und sind die auf allen Inseln?« »Nicht auf allen, doch auf vielen -- hier aber,« fuhr sie auf das Haus deutend fort -- »wirst Du jedenfalls Schutz finden bis Dein Schiff zurückkehrt, denn von den Bewohnern dieser Insel wird es Keiner wagen Hand an Dich zu legen, so lange Du Dich in den Mauern dieses kleinen Wohnortes befindest -- was Deine eigenen Landsleute aber thun wenn sie zurückkommen, weiß ich nicht, doch ich fürchte sie werden kaum die Heiligkeit dieses Ortes anerkennen, obgleich sie Alle dem Namen nach Christen sind. Mein Pflegevater hat mir oft erzählt, daß auf den Schiffen viel böse gottlose Menschen hausen, und wir Insulaner hier manchmal viel bessere Christen sind als jene -- aber nicht wahr, Du gehörst nicht zu denen?« »O da mag Dein Pflegevater wohl vollkommen recht haben,« lächelte René, »denn viel _Christenthum_ darf man gewöhnlich auf den Wallfischfängern nicht suchen -- darum sind aber doch auch viel gute brave Menschen zwischen ihnen, liebe Sadie, und ich mag leichtsinnig sein,« setzte er gutmüthig hinzu -- »aber schlecht bin ich doch wohl nicht. Du mußt mir das freilich auf mein ehrlich Gesicht hin glauben, denn andere Bürgen habe ich weiter nicht dafür.« Das Mädchen lächelte, vollkommen zufrieden gestellt, vor sich hin, und jetzt zum ersten Mal seine Hand ergreifend, führte sie ihn durch die, ihrem Druck nachgebende kleine Gartenpforte, durch den breiten gutgehaltenen Gang des Gartens, und eine dichte Allee regelmäßig gepflanzter Bananen oder Pisang dem Hause zu, unter deren Schutzdach René die kleine, etwas wohlbeleibte Gestalt eines wie es schien halbcivilisirten Insulaners erkannte. René konnte ein leises Lächeln kaum verbergen als er die Gestalt mit flüchtigem aber forschendem Blick überflog, und fast unwillkürlich drängte sich ihm der wunderliche Gedanke auf daß der Mann, wenn ihm der Geist und die Civilisation wirklich von oben gekommen sei, jedenfalls noch mit den Beinen im Heidenthum stecke. Der kleine gelbbraune Missionair sah auch in seiner halb frommen halb wilden Tracht wirklich eigenthümlich genug aus. Er ging in bloßem Kopf, aber die sonst langen schwarzen Haare waren kurz und gottesfürchtig abgeschnitten und zugestutzt -- ferner trug er ein weißes baumwollenes Hemd und eine weiße leinene Halsbinde, mit hellgelber mit blanken Knöpfen besetzter Weste, und über diesem Allen einen, dem Klima keineswegs zusagenden -- schwarzen Frack. Bis soweit also war der Geist gekommen, darunter aber fing der Heide wieder an -- der Mann konnte sich an die christliche Religion aber nicht an Hosen gewöhnen, und während er um die Lenden ein langes Stück roth und gelben Kattun, der höchst freundlich gegen den schwarzen Frack abstach, mehrfach geschlagen hatte, trug er die Beine vollkommen nackt, und unter dem Kattun vor schauten noch die alten heidnischen Tättowirungen früherer Zeiten, wie scheu, von dem christlichen Kleidungsstück bedroht, hervor. Der kleine Mann schien übrigens ungemein erstaunt über den Besuch und auch vielleicht gerade nicht besonders erfreut, als ihm Sadie in seiner Sprache mit kurzen Worten das, auf der andern Seite der Insel Vorgefallene erzählte, und ihm um seinen Schutz für den Verfolgten ansprach. Er hatte auch erst, wie es René vorkam, eine Menge Einwendungen dagegen zu machen, und das Wort ~Mitonare~ kam sehr häufig dabei vor, ~Sadie~ oder ~Pu-de-ni-a~ wie sie der kleine Missionair in seinem wunderlichen Kauderwelsch statt ~Prudentia~ nannte, wußte diesem allen aber zu begegnen, und da er sonst selber wohl gutmüthig und gastfrei war, hatte er endlich nichts länger dawider, streckte dem jungen Mann mit einem halb freundlichen halb salbungsvollen -- wahrscheinlich abgesehenen Blick die dicke fette Hand entgegen, deren Finger auch noch frühere Tättowirungen zeigten, und sagte in einer Sprache die jedenfalls englisch sein sollte, aber meist immer wieder auf tahitisch auslief. »~Gu -- day bodder -- gu day a haere mai -- gu fend here -- ehoa ino -- very gu fend --~« und dann folgte noch eine längere Auseinandersetzung, jetzt auf einmal in reinem Tahitisch als ob er glaubte daß der Fremde, durch die vorigen einleitenden Worte in seiner eigenen Sprache nun auch vollkommen vorbereitet für jede weitere Anrede in gutem Insulanisch sein müsse. Sadie, die übrigens mit halbverstohlenem Lächeln sah, wie der junge Fremde verlegen vor ihm stand, und nicht recht zu wissen schien was er aus dem Ganzen machen solle, übersetzte ihm schnell was der kleine Mann gesagt hatte, und bat ihn in das Haus zu treten, sich mit Speise und Trank zu stärken und von den überstandenen Strapatzen auszuruhn. »Aber wie kann ich jetzt erfahren,« frug René das junge Mädchen -- »was aus dem Schiff geworden ist, das schon vielleicht in diesem Augenblick die Insel wieder, von anderer Seite, ansegelt?« »Auch daran hab' ich gedacht« lächelte das Mädchen -- »kümmere Dich nicht deßhalb; der Knabe der uns eben verließ, geht nach der nächsten Bergspitze hinauf, von wo er das Meer rings überschauen kann, und bringt uns Nachricht ob das fremde Segel noch in der Nähe ist. -- Und nun in's Haus, denn wie ich Dir schon gesagt habe, bis das Schiff zurückkehrt -- denn nur gegen Deine eigenen Landsleute können wir Dich nicht schützen -- bist Du sicher -- und selbst dann finden sich vielleicht Mittel Dich zu verbergen« setzte sie freundlich hinzu. Der kleine Mitonare, denn als solchen hatte er sich René -- ~mi mitonare~ -- ~mi mitonare~ schon selber vorgestellt -- ging ihnen jetzt geschäftig voran in's Haus, und obgleich heute wirklich ihr Sonntag fiel[F], brachte er nichtsdestoweniger eigenhändig, erst Teller und Messer und Gabel, die sonst wahrscheinlich nur wenig benutzt, tief in einer Schrankecke zu ruhen schienen, und dann kaltes Fleisch, Früchte und Cocosnußmilch herbei, und lud nun den jungen Mann auf das freundlichste ein sich niederzusetzen und nach Herzenslust zuzulangen. René sah Sadie an und dann die Speisen -- er schämte sich sie zu bitten mit ihm niederzusitzen, und doch hätt' er es gar so gern gethan. Das schöne Mädchen mochte aber errathen was er wünsche, denn sie schüttelte lächelnd mit dem Kopf und war im nächsten Augenblick schon durch die offene Thür verschwunden. Der kleine Missionair begann nun eine Unterhaltung die René zu jeder andern Zeit ungemein amüsirt haben würde, in diesem Augenblick hatte er aber wirklich einen höchst bedeutenden Hunger, und die steten Fragen des Kleinen, die an und für sich schon des wunderlichen Kauderwelsch wegen eben so viele Räthsel waren, forderten eine Theilung seiner Aufmerksamkeit, die er jetzt weit lieber ungetheilt dem delicaten kalten Schweinebraten und den saftigen Früchten zugewandt hätte. Der Kleine ließ aber nicht nach und frug vor allen Dingen wie er selber hieße -- der Name war einfach genug, und er konnte ihn ziemlich gut nachsprechen -- dann wie das Schiff hieße auf dem er gekommen sei, und von wo es gesegelt wäre. Er interessirte sich besonders, da er in den letzten Jahren mit Hülfe des weißen Missionairs etwas Geographie getrieben, für die Hafenplätze der Englischen und Amerikanischen Küste, und schien sich ungemein zu freuen als er einen ihm bekannten Namen, Boston -- das er übrigens hartnäckig ~bo-son~ aussprach -- erwähnen hörte. Eine Hauptfrage des kleinen unermüdlichen Mannes war aber zuletzt nach des Fremden Religion und Vaterland, und René hätte sich selber keinen schlimmern Namen machen können, als daß er sich ohne weiteres für einen Franzosen ausgab. »Wi--wi?« sagte der kleine Mann etwas erstaunt, zog die Augenbrauen in die Höh, und spitzte den Mund -- »Wi--wi?[G] -- hm --« »Wi--wi?« sagte René, der diesen Ausdruck noch nicht kannte, erstaunt -- »was Wi--wi? -- nicht Wi--wi -- ~frenchman~ -- ~français~ -- ~ferani~ --« denn diesen Ausdruck hatte ihn schon Adolph gelehrt. »~Es--es~« nickte der Kleine schmunzelnd -- »~Fe--ra--ni~ -- ~Wi--wi~« -- »Was zum Henker will er denn mit dem Wi--wi?« -- dachte René -- »das muß ein besonderer Dialekt für den Namen sein.« »Viel -- viel Wi--wi's in Tahiti -- sagte der kleine Missionair wieder -- keine Christen, Wi--wi's!« »Keine Christen?« rief René lachend -- »nun ich weiß doch nicht -- einige sind sicher darunter, die sich wenigstens so nennen --« »~Es~, Christen« nickte der unverwüstliche Kleine -- »aber keine guten -- ~aita maitai~ --« Jetzt begriff René erst, worauf der kleine Protestantische Missionair oder Prediger eigentlich abziele, denn dieser mußte natürlich glauben, was ihm die protestantischen Geistlichen über die Religion der andern Weißen, die sich ebenfalls Christen nannten, und doch in ihren äußeren Gebräuchen besonders so bedeutend von diesen abwichen, gesagt hatte. Er hütete sich aber wohl auf irgend einen religiösen Streit einzugehen und beschränkte sich nur darauf ihm zu erklären, er wisse nicht was es in Tahiti für Christen gäbe, er sei noch nie dort gewesen, in seinem eigenen Vaterland -- was er in aller Unschuld jetzt selber Wi--wi und zwar sehr zum Ergötzen des kleinen Mannes nannte -- gäbe es aber sehr gute, fromme Christen. René hätte vielleicht noch eine Masse, ihm gerade nicht gelegene Fragen beantworten müssen, wäre in diesem Augenblick nicht draußen vor der Thür eine kleine Glocke geläutet worden und zu gleicher Zeit Sadie in der Thür des Gemaches erschienen. René sprang fast mit einem Freudenruf empor. Das junge Mädchen sah aber auch wunderlieblich aus in ihrer neuen Tracht, die sie der Sonntagsfeier zu Ehren angelegt hatte. Diese bestand in einem langen faltigen Gewand, das ihr oben von den Schultern bis auf die Knöchel niederfiel, im Gürtel aber von einer leichten rothseidenen Schärpe zusammengehalten wurde; die Haare hatte sie wieder frisch mit wohlriechendem Oel getränkt, und die langen vollen Locken glatt nieder gekämmt, daß sie ihr bis auf die Schultern herabfielen -- aber keine Blume schmückte sie jetzt, wo sie zu Gottes Altar treten wollte, nur eine dünne Schnur, aus den Erhöhungen der reifen Ananas geschnitten, zog sich ihr um das Haar und die Stirn, den wilden Lockenschatz in etwas zu bändigen. In der Hand hielt sie ein kleines Buch mit goldenem Schnitt -- ein englisches neues Testament, und das erst so wilde muthige Kind sah jetzt so mädchenhaft fromm und schüchtern aus, das dunkle Auge ruhte mit einem so milden sanften Blick auf ihm, daß er sie kaum wieder erkannt hätte, und doch war sie jetzt fast noch schöner als damals wie sie, den nackten Arm um den Baum geschlungen, von dem Felsen herab auf die verrätherischen Landsleute niederzürnte. »Wie schön Du bist, Sadie!« rief René fast unwillkürlich aus, und streckte ihr seine Hand entgegen. »Nicht Sadie jetzt« sagte aber das junge Mädchen und schüttelte leise mit dem Kopf -- »Prudentia heiß ich, denn ich gehe jetzt zu meinem Gott, durch dessen heiliges Wasser ich den Namen bekommen habe. Aber hier mein Freund« setzte sie mit bittendem Ton hinzu indem sie die ihr gebotene Hand ergriff und dabei dem jungen Mann zugleich das kleine Buch entgegenhielt -- »nimm das hier und lies darin, während wir in der Kirche für Dich und Dein Wohl beten wollen -- es ist ein gutes Buch und wird Dich trösten.« Es lag etwas so rührend Herzliches in dem Ton mit dem das holde Kind diese Worte sprach, daß René das Buch nahm, ihr leise die gereichte Hand drückte und sagte -- »Ich danke Dir, Sadie -- Du mußt mir nun schon erlauben Dich so zu nennen -- das andere Wort will mir gar nicht über die Lippen -- aber Du bleibst doch nicht lange?« »Vielleicht nur zu kurze Zeit für so schwere Sünder als wir sind« sagte das Mädchen ernst und fast traurig -- »aber lebe wohl und fürchte Nichts für Deine Sicherheit; von der andern Seite der Insel sind eben Männer zur Kirche herübergekommen, und sie berichten, daß Dein Schiff nirgend mehr zu sehen sei -- es ist weit nach Westen gegangen und müßte lange Zeit brauchen wollte es gegen den Wind wieder nach uns aufkreuzen. -- Bleibe aber hier im Hause und zeige dich nicht den Leuten draußen; doch darum sprechen wir nachher, jetzt darf ich nicht an weltliche Sachen denken -- ich dachte aber auch nur Deinetwegen daran« -- setzte sie leiser hinzu und eine tiefe Röthe breitete sich über ihre schönen so engelsanften Züge. Auf den kleinen Mitonare hatte der Ton der Glocke aber ebenfalls eine fast zauberhafte Wirkung ausgeübt. -- Noch im Lachen über den Fremden hörte er den ersten Ton derselben und, wie ein in seiner Lust von dem strengen Blick des Lehrers ertappter Schulknabe, zog sich sein Gesicht nicht, nein zuckte es förmlich in die alten ehrbaren Falten hinein, die ihm dabei fast noch komischer standen, als das Lachen vorher. Er erhob sich aber jetzt hastig, ergriff seine Bücher -- alle in der Tahitischen Sprache durch die Missionaire übersetzt, -- und Sadie einige Worte sagend verließ er mit dieser langsamen Schrittes das Haus. René blieb allein zurück; Sadie hatte ihn heute absichtlich nicht aufgefordert sie in die Kirche zu begleiten, was sie sonst gewiß nicht versäumt haben würde; es waren aber viele Insulaner von der andern Seite, die gestern Theil an den Vorfällen gehabt, herübergekommen, und sie wollte beide Partheien nicht jetzt schon wieder zusammenbringen. Der Aufenthalt des Fremden konnte übrigens, wie sie recht gut wußten, nicht lange geheim bleiben, wenn er das überhaupt nur bis jetzt noch geblieben war; den Frieden des Missionsgebäudes störten aber, selbst die Verhärtetsten ihres Stammes nicht so leicht, und sie glaubte den armen, von allen Uebrigen verlassenen Fremden wenigstens hier sicher. René warf sich auf eine der überall in dem hohen luftigen Gebäude ausgebreiteten Matten, und lag lange in tiefem Brüten über die letzten für ihn so verhängnißvoll gewesenen Stunden. Er war einer sehr dringenden Gefahr für den Augenblick entgangen, aber kam das Schiff zurück -- und er zweifelte kaum daran, daß der Capitain desselben ihn nun und nimmer so leicht aufgeben würde, ohne wenigstens noch einen Versuch zu machen ihn wiederzubekommen -- würde er den Händen der Feinde auch dann entgehen können, und dann nicht vielleicht selbst der, bis dahin jedenfalls zurückgekehrte Missionair ihm seinen Schutz versagen? Es war doch wohl das beste, daß er weder Schiff noch Missionair abwartete, und so rasch als möglich die Insel zu verlassen suchte. -- Aber Sadie? -- würde sie ihn begleiten? -- Er erschrak ordentlich vor dem Gedanken sie zurückzulassen, und mochte sich selber kaum gestehen, wie gewaltig dieß holde Kind des Waldes sein Herz schon gefesselt habe und halte. »Das ist Thorheit« murmelte er vor sich hin -- »Wahnsinn, jetzt an Liebe zu denken wo Du selber noch nicht einmal eine Stätte hast Dein Haupt hinzulegen. Sei vernünftig René -- hier an die Inseln geworfen hat das erste hübsche Gesicht was Dir in den Weg kam Dein, überhaupt etwas leicht entzündliches Herz in lichterlohe Flammen gesetzt -- das ist ein Strohfeuer und brennt in der ersten Wache aus.« Er stützte den Kopf in die Hand und schlug das Buch auf, das noch immer vor ihm lag; aber die Buchstaben tanzten ihm vor den Augen; zwischen jeder Zeile lachten die holden schelmischen, und doch so sanften Züge des lieben Kindes heraus, und weder St. Lukas noch die Corinther vermochten den Zauber zu lösen der seine Seele mit der wilden Gluth plötzlicher aber gewaltig erwachter Liebe entzündet hatte. Der Tag verging ihm langsam -- Sadie kehrte mit dem kleinen Missionair wohl um die Mittagszeit zurück, aber es war Sonntag -- kein Lächeln stahl sich über ihre Züge -- selten oder nie begegnete ihr Blick dem seinen, und die Stunden flossen ihm träge unter Gebeten und Hymnensängen dahin. Schon vor Tag am nächsten Morgen war er auf, badete in dem cristallhellen Wasser der Corallenbänke, und harrte dann mit wirklicher Sehnsucht des schönen Kindes, das aber heute lange, lange ausblieb und sich ihm gar nicht wieder zeigen wollte. Vergebens erfrug er sie bei dem Mitonare. »~Pu-de-ni-a?~« sagte dieser kopfschüttelnd und mit seinem räthselhaften englisch -- »der Herr weiß wo man das Mädchen suchen soll, wenn man sie haben will -- ~Pu-de-ni-a ataetai~ -- wie kleine Eidechse, hier im Laub und da im Laub -- kann sie nicht fassen -- ist weg unter den Augen.« Der Kleine schien heute übrigens besonders aufgelegt zu einer Unterhaltung, lehnte sich auf seine Matte zurück, faltete die kurzen dicken Finger auf dem runden Magen und begann wieder auf das herablassenste eine ganze Reihe von Fragen an den jungen Mann zu stellen, die ihm oft kaum Zeit ließen nur den Sinn zu verstehen ehe sie wieder, ohne die Beantwortung der ersten abzuwarten, von andern verdrängt wurden. Er trug aber heute weder den schwarzen Frack, noch die hellgelbe Weste mit den blanken Knöpfen; selbst das weiße Halstuch lag, sorgfältig in ein Stück gelbes englisches Packpapier eingewickelt auf einem kleinen Bücherbret, neben seinem geistlichen Schatz. Seine Bewegungen waren aber dadurch auch freier geworden, und er schien mit dem Frack auch den ganzen Mitonare ausgezogen zu haben. Er war, wie er jetzt selber René aus freien Stücken erzählte, noch vor zehn Jahren ein entsetzlicher Heide gewesen, der glaubte daß das höchste Wesen ~Taaroa~ und nicht Gott hieß, der sogar seinen Götzen Früchte und Schweinefleisch zum Opfer brachte, und Gefallen an den sündhaften Tänzen der eingebornen Mädchen fand. ~Mitonare O-no-so-no~, Gott weiß wie der Mann in wirklichem Englisch hieß, hatte ihn jedoch gerettet, sein Vater aber und sein Großvater, und seinem Großvater sein Großvater waren alle in der Hölle -- konnten aber nichts dafür -- waren aus Versehen hinunter gekommen. -- Er hatte sich sogar tättowiren lassen, und als er sah daß René, wahrscheinlich unbewußt, ein erstauntes Gesicht dabei machte, was er vielleicht für Unglauben nahm, lüftete er mit einer halben Wendung den Cattun, fiel aber erschrocken wieder in seine alte Stellung zurück, und sah sich nach allen Seiten um, als René der sich nicht helfen konnte, bei der Bewegung plötzlich in ein schallendes Gelächter ausbrach. Das hätte der kleine Mann aber bald übel genommen, René wußte ihn jedoch wieder zu beruhigen und er begnügte sich von da an ihm seine Lebensgeschichte _ohne_ Illustrationen zu geben. Das Mitonare sein war seiner Meinung nach ein sehr schweres Geschäft -- weniger des Predigens, als des Frackes wegen -- und der viele Aerger mit den Mädchen -- soviel junges leichtsinniges Volk -- denken immer können in den Himmel kommen wenn sie lustig sind -- bah -- wissens nicht besser -- Da in dem Buch steht Alles d'rin -- sehr gutes Buch -- ein Bischen dick -- aber sehr gutes Buch, und viele schwere Worte d'rin. Jetzt kam aber bald eine böse Zeit -- weiße Mitonares -- vier, fünf, sechs kamen hier herüber -- sahen zu ob Mitonare rother Mann viel weiß, und kleine Kanakas ~iti--iti~ gut unterrichtet hat -- viele schwere Worte auswendig lernen und viel Aerger mit ~iti--iti~. -- »~Pu-de-ni-a~ gutes Kind« setzte er dann hinzu -- »aber ein Bischen wild -- ein Bischen sehr wild für ~waihini~ -- Mitonare ~O--no--so--no~ Tochter -- aber nicht Tochter -- nur so Tochter --« und er bemühte sich dann in langer Rede und mit großer Anstrengung dem jungen Mann begreiflich zu machen daß ~Pu-de-ni-a O--no--so--no's~ Pflegetochter sei. Das war etwa der Inhalt seiner Unterhaltung, bei der er ziemlich allein das Wort führte, und René allerdings nur nothdürftig den Sinn des Ganzen verstand, indem der Alte oft mehr Tahitische als englische Worte gebrauchte, und diese wenigen dann selbst noch auf wahrhaft grausame Art verstümmelte. René konnte es zuletzt nicht länger aushalten -- die Sehnsucht die ihn auf der einen Seite quälte, Sadie wieder zu sehn, und die peinlich scharfe Aufmerksamkeit die er auf der andern genöthigt war dem Kauderwelsch des Kleinen zu schenken, wenn er nur überhaupt den ungefähren Sinn der Rede fassen wollte, machten ihm die Unterhaltung zu einer wahren Folter, und er benutzte die erste nur einigermaßen passende Gelegenheit aufzustehn, und in den Garten zu gehn. -- Aber Sadie war nirgends, weder zu hören noch zu sehen. Die Sonne stieg indessen schon ziemlich hoch, und er warf sich endlich, als er die Gänge unzählige Male auf- und abgelaufen, ermüdet in dem Schatten eines Orangen- und Citronendickichts nieder, von wo aus er, da der Platz etwas erhöht lag, das ruhige Binnenwasser, das die Insel umgab und die weiter draußen von der Brandung hoch beschäumten Riffe, deutlich übersehen konnte. Dicht hinter dem kleinen Orangenhain lief die Einfriedigung des Gartens hin, und gleich von diesem ab begannen ziemlich steil die nächsten, dicht mit Guiaven- und Citronenbüschen bedeckten Hügel emporzusteigen. Wohl eine halbe Stunde hatte er so gelegen, und wilde wunderliche Luftschlösser gebaut mit träumenden Gedanken. -- O wie reizend lag seine künftige Heimath unter den wehenden Palmen und duftigen Orangenblüthen dieser Wälder -- wie schaukelte sein Canoe so still und friedlich auf der klaren herrlichen Fluth, wenn er Abends vom Fischfang heimkehrte -- und welch' holdes Bild stand in der niedern Thür der Bambushütte, und winkte ihm mit dem wehenden Tuch das fröhliche, herzliche Joranna entgegen -- halt! -- das waren Schritte -- dicht hinter den Orangenbäumen den Hügel herab -- ein leichter Sprung über den Zaun -- er fuhr empor, und an ihm vorüber schoß mit flüchtigen Schritten die holde Wirklichkeit seiner schönsten Träume. »Sadie!« rief er leise -- »Ha!« sagte das Mädchen und warf halb scheu halb erschreckt den Kopf zurück, den die vollen dunklen Locken heut' wild umflatterten; als sie aber ihren Schützling erblickte färbte wieder jenes dunkle Roth, das ihrem Antlitz einen so unendlichen Zauber verlieh, die lieblichen Züge der Maid, und rasch auf ihn zutretend, reichte sie ihm freundlich und zutraulich die Hand, die er fest in der seinen hielt, während seine Blicke mit inniger Lust an den ihrigen hingen. Es war aber heute ganz wieder das wilde Kind wie an jenem Tage, wo sie wie ein zürnender Geist zwischen Verfolger und Verfolgten getreten. Das lange Gewand von gestern hatte sie abgeworfen, und das Schultertuch verrieth mehr von den üppigen Formen des wunderschönen Mädchens, als es verdeckte; auch durch die Locken wand sich wieder ein dichter Kranz duftender Blumen mit einem hochgefärbten Fern durchflochten, während zwei große weiße Sternblumen in ihren Ohrläppchen staken, und die feine Bronzefarbe der Haut nur noch mehr und reizender hervorhoben. »Wo bist Du aber nur so lange geblieben Sadie!« sagte jetzt René mit leisem fast zärtlichem Vorwurf. »Lange geblieben?« lachte aber das wilde Kind -- »lange geblieben? hab' ich denn überhaupt kommen wollen? -- wunderlicher Mann, wie weißt Du nur wo ich überall heute Morgen schon gewesen bin -- und _Deinetwegen_ noch dazu« -- setzte sie mit leichtem Erröthen und halb abgewandtem Gesicht hinzu -- »doch komm,« fuhr sie rasch fort als sie mehr fühlte als sah daß er etwas darauf erwiedern wolle -- »komm ich habe gute Nachrichten für Dich, und wir wollen indessen ein wenig zu meinem Lieblingsplätzchen auf jenen Hügel gehn.« »Aber ich habe meine Waffen im Haus gelassen,« sagte der junge Mann -- »ich kann sie rasch holen.« »Du brauchst sie nicht mehr, wenigstens für den Augenblick nicht,« hielt ihn das Mädchen zurück -- »unser Häuptling selber hat mir sein Wort gegeben, daß Du unbelästigt auf der Insel bleiben sollst, bis das Schiff wieder kommt und Dich noch einmal zurückfordert -- und selbst dann wird er nicht streng mit Dir sein, -- wenn sie ihn nicht dazu treiben; er ist ein guter Mann, und nur erst seit Ihr Weißen uns so viel Sachen herübergebracht habt, ohne die wir nun einmal nicht mehr glauben leben zu können, ist seine Habgier geweckt, und er thut Manches, was er sonst nicht gethan haben würde.« »Und bist Du _meinetwegen_ heute Morgen schon drüben an der andern Seite der Insel gewesen?« rief René erstaunt, fast erschreckt aus -- »Mädchen da mußt Du ja vor Mitternacht aufgebrochen und die ganze Zeit gewandert sein, durch Dorn und Wildniß, mit den zarten Gliedern.« »Bah!« lachte das wilde Kind und warf sich mit rascher Kopfbewegung die Locken um die Schläfe, daß die losgeschüttelten Blüthen auf ihre Schultern niederfielen -- »ist das der Rede werth? -- schon als kleines Mädchen von vier Jahren hab' ich den Weg allein gemacht, und jetzt bin ich funfzehn. -- Aber gestern durft ich ja doch nicht gehn,« setzte sie ernster hinzu, -- »gestern war Sabbath und -- ich wollte doch auch nicht daß Du wie ein Gefangener im Hause sitzen bleiben solltest. -- Doch wir wollen ja hier nicht stehn bleiben, ich bin müde und will mich setzen -- komm,« sagte sie, und zog ihn nach sich, der Gartenpforte zu, durch die sie gingen und links davon einen kleinen Hügel emporstiegen, wohinauf ein ordentlicher Pfad ausgehauen und geebnet war. Es ließ sich kaum ein lieblicheres Plätzchen auf der weiten Gotteswelt denken als das, wohin das schöne Mädchen jetzt den jungen Mann führte. -- Drei niedere Palmen, in ihren Kronen fast gleich, überhingen die kleine Stelle, und zwar so, daß die schattigen Blätter, weit nach vorn überneigend, die Sonne auffingen, wenn sie nur wenige Stunden hoch am Himmel stand -- der Boden war mit einem feinen wohlriechenden Fern bedeckt, der duftende ~anei~, wie reich mit Blüthen geschmückte Büsche bildeten die Rückwand, und mehre mit Blüthen überstreute und zu gleicher Zeit von goldenen Früchten fast niedergebeugte Orangenbüsche die Seitenwände, während ein breiter niederer Sitz, mit feingeflochtenen Matten doppelt und dreifach weich überlegt, mit Bambus gezogener Rücklehne, die weite freie Aussicht auf das blaue Meer und die schäumende Brandung der Riffe gewährte. René stand lange in schweigender Bewunderung der reizenden Scene, mit dem schönen Mädchen, das ihn lächelnd betrachtete, an seiner Seite. »Nicht wahr, das ist ein lieblicher Platz hier auf der kleinen freundlichen Insel?« -- sagte sie endlich leise, als ob sie fürchte das was sein Herz in diesem Augenblick fühlte, zu unterbrechen. »O wunder -- wunderschön!« rief René begeistert ihre Hand ergreifend -- »ein Paradies, dem selbst die Engel nicht fehlen.« »Pfui Fremder« -- sagte aber das Mädchen ernst und fast traurig -- »Du mußt nicht lästern, während der liebe Gott das Licht seiner Sonne auf Dich niedergießt und die Wunder seiner Welt um Dich her ausgebreitet hat -- und Du thust mir auch weh damit, und ich habe Dir doch Nichts zu leide gethan.« »Sadie« -- bat der junge Mann, tief ergriffen von der einfachen, rührenden Natürlichkeit des holden Kindes. »Laß nur gut sein,« sagte sie aber wieder etwas freundlicher, »und setze Dich hierher -- nein, nicht so nah zu mir -- da in die Ecke -- so, und nun sollst Du mir eine Frage beantworten.« Sie sah ihm dabei treuherzig in die Augen, und wenn sie auch nicht duldete daß er den Arm um sie legte, ließ sie doch ihre Hand in der seinen ruhen. »Und was willst Du fragen Du holdes Lieb?« -- »Zuerst heiß ich Prudentia, höchstens Sadie -- aber nicht anders -- aber ja -- wie heißt Du denn eigentlich?« »René!« »René das ist ein hübscher kurzer Name, und klingt nicht so schwerfällig wie die anderen englischen Worte -- René das könnte auch der Mitonare im Haus behalten,« setzte sie leise hinzu und ein schelmisches Lächeln blitzte ihr durch die Augen; es war aber auch im Moment wieder verschwunden. »Und was wolltest Du mich fragen, Sadie?« Das junge Mädchen wurde in dem Augenblick recht still und ernsthaft, und sah ihm erst eine ganze Weile forschend, schweigend in die Augen, als ob sie dort lesen wolle, wie es selbst in seinem innersten Herz beschaffen sei. Dann aber schüttelte sie mit dem Kopf; hatte sie nicht gefunden was sie suchte oder war sie über sich selbst böse, und sagte jetzt, aber noch immer keinen Blick dabei von ihm verwendend: »Ist es wahr, René daß Du ein ~Ferani~ bist?« »Wenn Du, wie ich glaube, Franzose darunter verstehst -- ja,« erwiederte René offen aber auch halb erstaunt über den tiefen Ernst dieser doch gewiß höchst gleichgültigen Frage. -- »Und bist Du ein Christ?« frug das Mädchen ängstlich. René konnte ein Lächeln kaum verbergen, er erinnerte sich aber auch zugleich der Fragen des kleinen Mitonares und sagte kopfschüttelnd: »Liebes Kind wer hat Euch solch tolle Grillen hier in den Kopf gesetzt, daß die Franzosen keine Christen wären? -- gewiß sind wir Christen, wenn Dich das beruhigen kann.« »Aber habt Ihr nicht heidnische Gebräuche bei Euerer Religion?« frug ihn das Mädchen jetzt dringender. »Aber Du gutes Kind,« bat sie René, »sage mir nur --« »O bitte, bitte beantworte mir meine Frage treu und wahr,« unterbrach ihn aber, in fast ängstlicher Hast das schöne Mädchen -- »ich will Dir dann auch mit Freuden jeder Frage Rede stehen.« »Nun gut denn Sadie, Dich zu beruhigen will ich Dir jeden Aufschluß geben, der nur in meinen Kräften steht. Der größte Theil der Franzosen, Italiener, Spanier, Portugiesen, des südlichen Deutschlands, wie überhaupt fast aller südlich gelegener Völker des Welttheils von dem wir Weißen abstammen, und von woher wir meist herüberkommen, sind _katholische_ -- die nördlicher gelegenen Völker, aber auch wieder mit gewaltigen Ausnahmen, und noch bei Weitem die geringere Zahl -- _protestantische_ Christen. Wir haben jedoch _einen_ Gott und _einen_ Heiland, Jesus Christus; nur in den gleichgültigeren Gebräuchen unterscheiden wir uns von einander -- die protestantischen Priester halten zum Beispiel die _schwarze_ Farbe für unumgänglich nothwendig zu ihrem Ornat -- die katholischen nehmen andere. Wir haben auch -- und ich glaube es ist besonders das, was Dir am Herzen liegt -- in den Tempeln unseres Gottes die Bilder frommer Männer und Frauen aufgestellt, die in alten Zeiten gelebt haben und für ihren Glauben, wie der Heiland selber, gestorben sind -- nicht aber als Götter, sondern nur als heilige Menschen, deren Vorbild uns anfeuern soll ihnen nachzuahmen. Wir glauben daß diese, durch ihren frommen Wandel zu Gottes Herrlichkeit eingegangen sind, und wenn die Katholiken zu ihnen beten, so geschieht es nicht etwa weil sie glaubten es seien dies selber göttliche Wesen, sondern nur um sie um ihre Fürsprache am Throne des Höchsten zu bitten. -- »Ich bin der Herr Dein Gott, Du sollst nicht andre Götter haben neben mir« ist ein Gesetz, das für uns Katholiken so gut Gültigkeit hat, als für die Protestanten.« »Aber Ihr theilt kleine Götzenbilder aus und brennt vor Eueren Bildern Weihrauch und Kerzen,« sagte das Mädchen und René sah wie sie mit fast peinlicher Spannung der Antwort auf diese Frage harrte. »Die Priester, mein holdes Kind,« sagte René lächelnd, »theilen unter ihre Beichtkinder, wie sie solche nennen die unter ihrer geistlichen Fürsorge stehn -- kleine Bilder der Jungfrau Maria, des Gekreuzigten oder selbst jener guten, später heilig gesprochenen Menschen aus, damit diese die Aufmerksamkeit ihrer Pflegbefohlenen von weltlichen Dingen ablenken und auf das Heil ihrer eigenen Seelen richten sollen -- nicht um sie anzubeten.« »Und der Weihrauch? -- die Kerzen?« frug das Mädchen immer noch besorgt. »Selbst das findet wohl eine sehr natürliche Auslegung,« erwiederte René gutmüthig -- »jeder vernünftige Mensch weiß, daß solche Sachen gerade nicht nöthig sind zu seinem Gott zu beten, aber gar Viele wollen auch durch etwas Aeußeres daran gemahnt sein, daß sie in dem Hause des Herrn, in der Nähe ihres Schöpfers stehn, ihre Gedanken ganz von jedem andern fremden, weltlichen Gegenstand abzulenken.« »Und die Processionen die Ihr haltet -- den Ablaß den Ihr um Geld für Euere Sünden bekommt?« sagte das Mädchen wieder und verwandte keinen Blick von seinen Augen. René kam in Verlegenheit; er hatte in seinem ganzen Leben -- wenigstens seit er die Schule verlassen -- noch nicht soviel über die Gebräuche und den Geist seiner eignen Religion nachgedacht, als heute morgen. Er hing dabei viel zu wenig selber an diesen Gebräuchen, sich zu einer warmen Vertheidigung derselben berufen zu fühlen, sah aber auch recht gut ein, daß die Protestantischen Missionaire seine Religion, die sich von Tahiti aus zu verbreiten drohte, oder die auf den Inseln einzuführen von seinen Landsleuten wenigstens schon der Versuch gemacht war, mit den schwärzesten Farben geschildert hätten. »Und die Processionen die Ihr haltet -- den Ablaß den Ihr um Geld für Eure Sünden bekommt?« wiederholte dringend das holde Mädchen, und legte ihre Hand auf seinen Arm. René schüttelte lächelnd mit dem Kopf. »Sie haben sich große Mühe gegeben Sadie,« sagte er endlich, »Dir den Glauben so vieler Tausende in ihrem eignen Vaterlande von der schlimmsten Seite zu schildern -- und schon das allein wäre nicht christlich, denn mir ist es fast, als ob sie vergessen hätten auch der _guten_ Seiten zu erwähnen, die doch gewiß eine jede Sache hat, also auch wohl eine Religion, in deren Glauben Millionen Menschen glücklich gelebt haben -- und noch leben. Die Processionen sind Dir gewiß als etwas sehr Entsetzliches beschrieben, und es ist doch gewiß eine harmlose Sache, die übrigens, wie ich gar nicht läugnen will, und meiner Meinung nach auch vielleicht wegfallen dürfte. Sie sind aber von den Priestern eingesetzt, und gehst Du _Allem_ nach, mein Lieb, was die Priester einsetzen oder anordnen, so wirst Du wohl Manches finden, worüber Du Dir auch keine Rechenschaft geben kannst -- seien es nun protestantische oder katholische -- oder glaubst _Du_ daß _Alles_, was die Priester thun, von Gott selber anbefohlen ist?« »Ach Gott, ich weiß das ja nicht,« sagte das junge Mädchen mit recht trauriger bewegter Stimme. »Und was den Ablaß betrifft, mein Herz,« fuhr René fort, ihre Hand wieder ergreifend, »so hat der wohl Manches gegen, aber auch Vieles für sich. Gott wird uns als ein allbarmherziges Wesen geschildert -- als den allliebenden Vater denken wir uns ihn ja -- sollen wir da glauben daß er dem schwachen Menschenkinde das da sündigt, auf immer zürnt, und ist es nicht besser wir können, wenn wir über einen begangenen Fehler Reue fühlen, glauben daß uns Gott verziehen hat, in seiner unendlichen väterlichen Huld, und wir nun wieder, mit frohem, leichtem Herzen ein neues Leben beginnen dürfen, als daß wir uns Gott als einen ewig zürnenden Richter denken, der sogar ungerecht bis hinab in's dritte, vierte, ja zehnte Glied straft und richtet? -- Nein Sadie -- dieser Glaube mag oft durch böswillige oder eigennützige Geistliche gemißbraucht sein, ich will das nicht leugnen, aber es ist immer kein _Götzen_dienst, und wer Dir das gesagt hat, mag es vielleicht recht gut gemeint haben, aber er übertrieb die Sache. -- War es Dein Pflegevater, Sadie?« »Nein,« sagte das junge Mädchen, leise und nachdenklich mit dem Kopf schüttelnd -- »mein Pflegevater ist nicht so streng und ernst, und er hat mir oft gesagt, daß unter den Franzosen auch gewiß recht viel brave und gute Menschen wären, vielleicht ebensoviel wie unter den Engländern, nur daß ihre Religion nicht die rechte sei, und das sie noch viele Mißbräuche duldeten.« »Und wer hat Dir denn all die schrecklichen Geschichten von uns erzählt, mein Lieb,« lächelte René -- »in Deinem eigenen Köpfchen sind sie doch wahrlich nicht entsprungen.« »Nein,« sagte das Mädchen treuherzig -- »aber auf Tahiti wohnt ein frommer, ernster, strenger Mann -- der kommt des Jahres wohl ein- oder zweimal auf unsere Insel herüber und predigt hier -- wir fürchten uns aber alle vor ihm, denn wir dürfen dann keine Blumen in den Haaren tragen, und nicht lachen und fröhlich sein, und er macht uns das Herz dabei auch so schwer, daß wir wenn er schon selbst Wochen lang fort ist, immer noch an die entsetzlichen Strafen denken müssen die uns, selbst nach leichtem Vergehen, in der Ewigkeit erwarten. -- Oh er ist gar so finster, aber auch sehr fromm und er besonders hat uns vor Deiner Religion gewarnt, und uns mit ewiger Verdammniß gedroht, so Eines der falschen Lehre lauschen würde -- und Du bist auch Katholik; René?« »Ich gehöre allerdings zu jenen Entsetzlichen,« sagte René fast scherzend, als er aber den schmerzlichen Zug um des lieben Kindes Mund gewahrte setzte er rasch hinzu -- »aber fürchte nicht für mich, Du treues Herz -- ich selber hänge nicht an jenen Gebräuchen, obgleich sie unsere Kirche verlangt, wenn ich sie auch nicht für so gefährlich halte, als Deine Priester Dich gelehrt haben.« »Ach das beruhigt mich recht, René,« sagte die Maid, und preßte die Hand auf das Herz, als ob sie da alles niederdrücken wolle, was ihr jetzt Gram und Kummer machen wolle -- »und Vater Osborne sagt ja auch daß Gott so gut -- so unendlich gut sei und die Menschen Alle wie seine Kinder liebe -- würde er dann da so hart und grausam strafen können? -- lieber Gott,« setzte sie mit recht treuherziger bewegter Stimme hinzu -- »ich möchte ja nicht einmal ein fremdes armes Kind für ein wenig Muthwillen hart strafen -- vielweniger denn mein eigenes.« »Und glaubst Du, Sadie, daß Euch Gott ein _Paradies_ zum Aufenthalt gegeben und Euere Wohnungen weit weit von dem Verkehr habgieriger schlechter Menschen gelegt hätte, wo sie Jahrhunderte lang die Einfachheit ihrer Sitten und ihr Glück bewahrten, zürnte er auf Euch und wolle Euch strafen für den falschen Glauben? -- Sieh mein Mädchen,« fuhr er bewegter fort, als er sah wie sie ihm still und aufmerksam in's Auge schaute -- »weit über die Welt zerstreut liegen noch viele viele Länder, die viel hundert Mal größer sind als alle diese Inseln -- und auf ihnen wohnen Menschen, verschieden an Farbe, an Körperbau, an Sprache und an Religion -- Millionen sind Christen, Millionen Muhamedaner, Millionen was wir Heiden nennen, das heißt sie haben sich ihre Götter selber gebildet und feiern Gebräuche die wir nicht verstehen oder nicht anerkennen, aber sie leben _alle_ glücklich -- gleich von Gottes Sonne beschienen und seiner Hand gehalten, glücklich in ihren Familien und ihrem bürgerlichen Treiben: -- haben sie dann und wann Kriege untereinander so können sie kaum je soviel Blut vergießen, als die Christen schon unter sich des Glaubens wegen vergossen haben, und tausende von Jahren haben sie so, rund um die Grenzen christlicher Völker gelebt, und Gott zürnt ihnen nicht. Gott, meine Sadie, beurtheilt und straft oder belohnt die Menschen nach ihren Handlungen, nicht nach ihrem Glauben, -- ihm ist der Gegenstand gleich, zu dem sich das Herz wandte, wenn das Herz selber treu und rein und seiner Liebe voll war. Da hast Du _meine_ Religion -- ich glaube jede böse Handlung trägt auch zugleich ihre Strafe in sich selbst -- unser Gewissen ist der strengste, unerbittlichste Richter, mit dem wir am allerschwersten fertig werden können, und wirft uns das nichts Böses vor, dann können wir auch getrost dem blauen Himmel da droben in's Auge schauen. Aber herziges Kind, laß uns mit den trüben ernsten Gesprächen aufhören, ich bin ja kein Missionair, der über solche Sachen Stunden lang reden kann, und möchte es wahrhaftig am wenigsten unternehmen, weder die katholische noch protestantische Religion zu vertheidigen, und Alles was darin an Gebräuchen ist, zu rechtfertigen. -- Mit Allem was die Natur an Reichthum und Herrlichkeit bieten kann hier ausgestattet, was sollen uns da solche traurige Gedanken quälen.« »O Sadie, ich bin in meinem Leben noch nicht so glücklich gewesen, als in diesem Augenblick -- mir ist es, als ob erst jetzt, an Deiner Seite, der dunkle Schleier gehoben wäre, der bis dahin vor meinem künftigen Leben in düsterer Nacht gelegen. Rastlos, und von einem innern Drang getrieben, dem ich keinen Namen zu geben wußte, jagte es mich in der Welt umher -- die Afrikanischen Wüsten und Canadischen Wälder konnten die Sehnsucht nicht befriedigen die mich weiter und weiter drängte; als Soldat zog ich in die Raubstaaten der Algierer -- umsonst -- als Jäger in die Felsengebirge Amerikas -- umsonst -- selbst die See versuchte ich, und in den Eismeeren des Nordens glaubt' ich vielleicht den Punkt zu finden, der mir nicht Rast noch Ruhe ließ. Aber wie Spott klang es mir überall entgegen, und das rohe widerliche Wesen meiner letzten Umgebung zwang mich endlich auch zu dem letzten entscheidenden Schritt, die mir unerträglich gewordenen Fesseln abzuschütteln -- oder darüber zu Grunde zu gehen. Da fand ich Dich, Sadie -- und ich fühle nun -- o mit jubelnder Stimme hallt es in meinem Herzen wieder, daß Du bis jetzt, Sadie das nur geahnte, aber so heiß ersehnte Ziel gewesen, dem meine Seele entgegenstrebte. Werde mein Weib -- laß uns auf dieser freundlichen Insel, fern von den Sorgen, dem gefühllosen Treiben der Welt, unsre Heimath gründen. -- Tief im Laub dieser Palmen versteckt, von diesem lachenden Himmel überspannt, von diesen blauen Wogen umspült, an Deiner Seite, Sadie, und die Welt, die mir bis jetzt nur eine kalte freudlose Straße gewesen, meinen Wanderstab darauf zu setzen, würde mir zum Himmel.« Er hatte ihre rechte Hand, die sie ihm willenlos überließ, leidenschaftlich in seine beiden Hände gefaßt, und schaute mit leuchtenden Blicken und hochgerötheten Wangen dem jungen schönen Mädchen bittend in's Angesicht. Sadie saß mit klopfendem Herzen und niedergeschlagenen Augen neben ihm -- -- sie war recht ernst, ja fast traurig geworden, und schaute lange sinnend vor sich nieder -- endlich blickte sie wieder zu ihm auf, sah ihn mit den treuen, in einer Thräne schwimmenden Augen an, und sagte mit leiser, kaum hörbarer, wie furchtsamer Stimme: »Und wenn Du wieder fortgingst von mir?« »Nie -- nie -- Sadie!« rief René leidenschaftlich und preßte, sie an sich ziehend, einen heißen, glühenden Kuß auf ihre Lippen. Sie duldete den Kuß, ohne ihn zu erwiedern, dann aber sich langsam seinem Arm entziehend sagte sie leise: »Willst Du mir etwas versprechen, René?« »Alles, Sadie, was in meinen Kräften steht,« rief René die Hand nicht lassend, die er noch in der seinen hielt. »Dann versprich mir,« flüsterte das schöne, jetzt tief erröthende Mädchen, »daß Du davon nicht wieder mit mir reden willst, bis mein Vater, der Missionair zurückgekehrt ist, und« -- ihre Stimme war so leise geworden, daß er die Worte kaum verstehen konnte -- »mich auch bis dahin nicht wieder küssen willst.« »Sadie!« -- »Versprich mir das -- nicht wahr Du sagst es mir zu?« bat sie dann und schaute ihm dabei so lieb und unschuldsvoll in die Augen, daß er ein Heiligenbild zu erblicken glaubte. »Wie könnte ich Dir die erste Bitte abschlagen Sadie« -- sagte er mit tiefem Gefühl. Da floh der fast traurige Ernst von den Zügen des Mädchens, wie die Sonne aus trüben Wolken plötzlich über grüne wogende Saatfelder bricht, so überflog ein frohes Lächeln die engelschönen Züge. »Das ist gut von Dir,« sagte sie mit inniger Herzlichkeit -- »das ist recht gut von Dir, nun können wir ja auch zusammen durch unsere Berge wandeln, und Abends auf dem stillen blauen Wasser fahren, wo unten die tausend kleinen bunten Fischchen zwischen den Corallenbüschen spielen und sich haschen -- sonst hätte ich mich ja vor Dir verstecken müssen« -- setzte sie treuherzig hinzu. »Und nun komm mein Freund -- Mitonare steht schon da unten vor seiner Thür und schaut sich überall nach uns um, er hat Dein Mahl bereitet was Du nicht im Stich lassen darfst, und gegen Abend komm ich und hole Dich ab.« »Und jetzt willst Du mich verlassen Sadie?« bat René. »Du mußt Dich jetzt schon ein Bischen mit Mitonare unterhalten,« lächelte das junge Mädchen neckisch, »ich kann Dir nicht helfen -- wir sind aber dann den ganzen Abend zusammen,« setzte sie tröstend hinzu und als ob sie trotz dem Versprechen einen vielleicht zu zärtlichen Abschied fürchte, glitt sie wie ein Reh durch die Seitenbüsche dieser natürlichen Laube, und war im nächsten Moment im Dickicht verschwunden. René, das Herz voll und überglücklich, saß noch eine lange Zeit an diesem wunderlieblichen Platz, der ihm durch das neue und so gewaltig in seinem Herzen aufgekeimte Gefühl förmlich heilig geworden war -- er hatte ganz daran vergessen daß der kleine Missionair mit dem Essen auf ihn warte. Destomehr dachte dieser aber daran, und als der fremde Wi--wi, wie er ihn jetzt immer schmunzelnd nannte, gar nicht kommen wollte, schickte er seine ganze Schule nach allen Richtungen auf Kundschaft aus, und René fand sich bald von drei oder vier jungen nackten Burschen aufgetrieben, die ihm lachend und schreiend eine Masse Zeug vorplauderten von dem er keine Sylbe verstand. Nur das dann und wann wiederkehrende Wort ~Mitonare~ rief ihm seinen kleinen freundlichen Wirth in's Gedächtniß zurück, und er folgte der munteren Schaar, die, rasch zutraulich geworden, ihn umsprang und umjubelte. Dem kleinen Mitonare schien übrigens ein Stein vom Herzen zu fallen, als er seinen so heiß ersehnten Gast erblickte, und er versicherte ihm, er habe schon eine volle Stunde mit Schmerzen auf ihn gewartet, indeß das Essen wahrscheinlich kalt geworden und verdorben wäre. Mitonare war aber viel zu gutmüthig böse zu werden, und als René nur tüchtig zulangte, und erst mit ihm scherzte und lachte, hatte er an ihm seinen Mann gefunden; er nannte René den besten Wi--wi den er je gesehn habe, und das wolle viel sagen, denn er sei schon einmal auf Tahiti gewesen, wo sie wild herumliefen, und erzählte ihm nun die tollsten Geschichten aus der alten fröhlichen Heidenzeit -- wie sie's hier gehalten und getrieben hätten -- natürlich damals, wie er nie vergaß hinzuzusetzen, als wir noch entsetzliche Sünder waren. -- Auch auf religiöse Gegenstände kam er ein paar Mal wieder zu sprechen, obgleich die René, so gut das eben gehen wollte, abzulenken suchte. Am meisten schmerzte es ihn daß sein Vater in der Hölle sein mußte, denn der war, obgleich ihm die Missionaire damals sehr zugesetzt, ein hartnäckiger Heide geblieben; aus seinem Großvater schien er sich weniger zu machen. René gewann übrigens bald sein ganzes Vertrauen, er zeigte ihm seine Schreibbücher und Rechenexempel, ja sogar sein allerheiligstes, das wichtigste Dokument seines Lebens -- ein Diplom was ihm von der Missionsgesellschaft in ~O-no~ -- wahrscheinlich London -- ausgestellt war, und ihn hier als wirklichen »Prediger in der Wüste« anerkannte. Dicht neben dem Diplom lag, in der kleinen Schieblade zu der er René geführt hatte, auch ein schmales, nicht sehr langes aber zierlich gearbeitetes Kästchen aus Sandelholz, das er aber, als René's Auge darauf fiel, rasch bei Seite zu schieben und mit daneben liegenden Papieren zu bedeckten suchte. Dadurch wurde aber des jungen Franzosen Neugierde rege gemacht, der es sonst vielleicht gar nicht beachtet hätte, und er drang nun darauf daß er ihm zeige was so Geheimnißvolles darin verborgen sei. Mitonare wollte erst gar nicht mit der Sprache heraus, endlich aber nahm er das Kästchen vor, hielt es noch eine ganze Zeit lang in der Hand während sein Auge fast mit einem Ausdruck von Anhänglichkeit darauf ruhte -- und dann kam die ganze Geschichte heraus. Mitonare war in früherer Zeit -- als er noch im blinden entsetzlichen Heidenthum gelebt -- ein vortrefflicher und in der That der Haupttättowirer der Insel gewesen, und dies Kästchen enthielt seine damaligen Werkzeuge die er jetzt allerdings nicht mehr gebrauchte -- denn »~bodder Au-e~« von Tahiti hatte ihm die Augen geöffnet zu was diese abgöttischen heidnischen Gebräuche führten -- aber doch gewissermaßen noch als eine Art Reliquie, von der er sich gewiß sehr schwer hätte trennen mögen, aufbewahrte. -- Trotz dem freilich, daß der kleine Mann Alles aufbot seinen Gast zu unterhalten, wäre diesem doch wohl die Zeit zuletzt gar lang geworden, denn er sehnte sich nach weit lieberer Gesellschaft; Sadie ließ ihn aber auch nicht so lange warten, und die Sonne war noch mehre Stunden hoch, als sie zu ihnen in die Thür trat. -- Doch es war nicht dieselbe Sadie von heute Morgen, als sie leicht geschürzt, das Schultertuch um den nackten Oberkörper flatternd, mit wild tanzenden Locken, hochgerötheten Wangen und blitzenden Augen aus dem Dickicht sprang. Das leichte Schultertuch hatte sie mit dem langen, mehr Europäischen Sonntagsgewand vertauscht, und wenn auch ihren Zügen dasselbe liebe Lächeln geblieben war, schien sie doch in den wenigen Stunden ernster, gesetzter, ja älter geworden zu sein. Fast schüchtern reichte sie dem jungen Mann die Hand, und sie gingen, als sie bald darauf das Haus verließen, wohl eine ganze Weile schweigend neben einander her. Das verlor sich aber bald, René's leichter Sinn ließ ihn nur sein Glück, die Seligkeit des jetzigen Augenblicks fühlen und Sadie, als sie sah daß er sein Versprechen von heute Morgen hielt, verlor bald gleichfalls jede Scheu, jedes ängstliche, sie beengende Gefühl, und war, als sie kaum den dunklen Schatten des Waldes betreten hatten, ganz wieder das fröhliche Kind wie früher. -- Sie scherzte und lachte, erzählte dem Freunde tausend drollige Geschichten, beschrieb ihm ihre früheren Tänze und Gebräuche, auch das schöne Tahiti drüben, wo ihre Eltern gewohnt, und wo jetzt fremde Menschen Haß und Feindschaft gesäet um Gottes Willen, und führte ihn dabei einen schmalen Pfad entlang, unter überhängenden Cocospalmen hin, und durch fruchtbedeckte Guiaven, Orangen und Brodfruchtbäumen nach einem anderen kleinen Grundstück, das zu einer Art Gemüsegarten eingerichtet schien, aber auch mit einer Masse Fruchtbäumen, wie ~tappotappos~, Kaffee, Zuckerrohr, Bananen und anderen bepflanzt war. Mit der unbedeutensten Arbeit gab die Erde hier das Hundertfache des ihr anvertrauten Samens zurück, und René glaubte in seinem Leben kein schöneres, herrlicheres Land gesehn zu haben, als diese kleine Insel. O wie gern hätte er jetzt zu dem Mädchen von ihrer künftigen Heimath gesprochen, aber als ob sie fühlte daß solche Gedanken in ihm aufsteigen möchten lenkte sie ihn rasch und geschickt wieder davon ab, zeigte ihm und pflückte für ihn die verschiedenen saftigen Früchte und führte ihn zuletzt an den Strand hinunter, wo in einer natürlichen kleinen Bai ein schmales langes Canoe lag. Dies bestiegen sie und fuhren hinaus in das spiegelglatte und cristallhelle Binnenwasser, das durch die außenherumlaufenden Riffe vor jeder eindringenden See geschützt wird, und so still und friedlich in nie gestörter Ruhe liegt, als diese schönen Inseln bis jetzt selber im weiten Ocean lagen. René hatte früher noch nie die Bildung dieser Corallenbäume, tief unter dem klaren Wasser, gesehn, und er traute seinen Augen kaum als sich an mehren Stellen, zu denen ihn Sadie jetzt selber hinruderte, in Farbenspiel und Form eine ganz neue nie geahnte Welt vor ihm eröffnete. Er konnte sich nicht satt sehn an den, mit Zauberschnelle wechselnden Gruppen und Bildern und Sadie hatte eine ordentlich kindische Freude darüber, daß es ihm so gefiel hier draußen an den Stellen, die auch ihr Lieblingsaufenthalt waren. »Nun Dir das so gefällt,« sagte sie endlich lächelnd, »will ich Dich auch zu meinem Corallengarten bringen, und Dir meine kleinen Gold- und Silberfischchen zeigen; die darfst Du mir aber nicht scheu machen mit der Hand oder dem Ruder, denn es sind gar furchtsame kleine Dinger.« Und während sie noch sprach lenkte sie das Canoe weiter den Riffen zu, über die tiefe, dunkelblau daliegende Seitenfahrt, in der selbst große Boote die ganze Insel umsegeln konnten, wieder in flacheres Wasser hinein, wo dunkelbraune und röthlich graue Corallenbäume an vielen Stellen selbst bis zur Oberfläche des Wassers emporragten, und dann wieder, von dünnen, feineren Zweigen und Armen durchwachsen, verhältnißmäßig tiefere Stellen zwischen sich ließen, oder umgaben. Ueberall wimmelte es hier von kleinen blauen, gelben, weißen, rothen, gestreiften und gefleckten Fischchen; in Schaaren und einzeln schwammen sie herum, oft als ob ein Blitz zwischen sie eingeschlagen hätte, auseinanderschießend, wenn sie irgendwo nur Gefahr zu entdecken glaubten, aber dann auch gleich wieder, wie über ihre ungegründete Furcht beschämt, sich sammelnd und die erst unterbrochenen Spiele auf's Neue beginnend. René wollte hier mit dem Canoe kurze Zeit still liegen, dem wunderlichen Treiben da unten zuzuschauen, aber Sadie ließ ihn nicht -- »nur noch kurze Strecke,« bat sie, »dann sollst Du Dich satt sehn, an all den Herrlichkeiten der Tiefe.« Und das Ruder stärker einsetzend, trieb sie das leichte Fahrzeug rasch durch die, vorn am Bug leicht aufkräußende Fluth einer Stelle zu, wo ein starker Corallenzweig eben über die Oberfläche des Wassers vorragte. Hier hielt sie plötzlich gegen und den Zweig erfassend, rief sie René zu, den Stein der vorn, an einem Bastseil befestigt, im Bug liege hier hinaus und oben auf die Coralle zu werfen. René that dies, und sie brachten dadurch das Canoe förmlich vor Anker, das nun mit der schwachen Strömung, soweit es das Bastseil gestattete, still liegen blieb. Eine kleine Weile konnte René aber noch Nichts unter sich erkennen; das Wasser war noch nicht ruhig genug, und die kleine Fischwelt da unten, durch das plötzliche Erscheinen des Bootes gestört worden. Sadie legte aber den Finger auf die Lippen und sie sahen wohl eine halbe Minute schweigend nieder. Die Corallenbäume schienen hier einen förmlichen, vollkommen dichten Kranz zu bilden, der von unten aufsteigend, erst nach außen ein wenig abneigte und gerade in die Höhe, an manchen Stellen bis selbst zur Oberfläche des Wassers emporreichte. Der innere Raum mochte vielleicht zwanzig Fuß im Durchmesser haben, und das Ganze glich fast einer aufgebrochenen Riesenblume, die aus ihrem innersten Kelch bunte zackige Fasern aufschickte. Aber die Blume lebte -- hier und da, tief unten aus dem Kelch heraus, kamen ein paar kleine Fischchen aufgeschossen als, wenn sie recognosciren wollten ob die Gefahr vorüber sei -- das dunkle Canoe das mit seinem Schatten auf dem Wasser lag, machte sie vielleicht noch mistrauisch -- aber nicht lange mehr -- sie verschwanden wieder, und gleich darauf quoll es aus allen Winkelchen und Spalten herauf in Schaaren und Massen -- alle Farben wild und bunt durcheinander, auf und nieder fahrend, herüber und hinüber schießend. »~Eita, eita!~« rief da Sadie -- »~iti iti iti~« -- und zu gleicher Zeit warf sie kleine Krumen indessen zerbröckelter Brodfrucht auf die Oberfläche des Wassers. Im Nu lebte dies, von allen Seiten schossen sie herauf, fünf sechs manchmal eine etwas größere Krume fassend und damit niedertauchend, andere an einem etwas zu großen Stück herumstoßend, ohne im Stande zu sein es zu bewältigen, und wieder andere sich mit dem kleinsten begnügend und wohl dabei fahrend. Mit der wiederkehrenden Ruhe waren aber auch, und zugleich mit den kleinen wunderniedlichen Bewohnern dieses eigenthümlichen Aufenthalts, dessen Feinde zurückgekehrt. -- Zwei große dunkelbraune Fische, mit breiten Mäulern und tückisch blitzenden Augen, wohl ganze zwölf Zoll lang, für die kaum zierlichen Dinger aber natürlich entsetzliche Ungeheuer, kamen an den äußeren Rand der Blume, deren Spalten zu schmal waren sie durchzulassen, obgleich sie den schlankeren Inwohnern freien Aus- und Einlaß genügend gewährten, und schauten mit sehnsüchtigen Blicken nach den dichtgedrängten Schaaren solch delikater Leckerbissen hinüber. Die kleinen Dinger schienen aber recht gut zu wissen daß ihnen der Feind hier im Innern nichts anhaben könne, ausgenommen er kam von oben herein, und dann waren sie auch wie der Blitz in ihren Schlupfwinkeln. Manchmal wagte sich auch, selbst dicht unter oder über den Feinden, ein leichtsinniges Fischchen hinaus in's Freie, gerade als ob es das Ungeheuer verhöhnen wolle, ehe dieses aber nur im Stande war sich nach ihm umzuwenden, obgleich das oft rasch genug ging, war jenes schon wieder zwischen den zackigen Pallisaden hineingeschlüpft, und erzählte nun wahrscheinlich den anderen da drinnen seine Heldenthaten. So trieben sie hier draußen, in den Wundern dieser für René jedenfalls neuen, fast zauberhaften Welt, bis die Sonne groß und glühend in das Meer tauchte und Stern nach Stern am reinen Himmel auffunkelte, und Sadie erzählte dem ihr gegenübersitzenden Freund von dem stillen Frieden dieses Landes und dem glücklichen Leben das die Bewohner desselben führen könnten -- wären nicht oft böse Menschen da, die sie störten und kränkten, und Leidenschaften in ihnen weckten, die ihnen in früheren Zeiten fremd gewesen. René hätte die Nacht hindurch diesen lieben weichen Tönen lauschen mögen, aber das Mädchen lenkte endlich, trotz seinen Bitten noch nicht heimzukehren, das Canoe zum Lande zurück, und jetzt zwar gerade der Wohnung des kleinen Mitonare zu, der sie schon am Ufer empfing und sie etwas ungeduldig erwartet zu haben schien. Er that auch an Sadie mehre Fragen in ihrer Sprache, die das Blut in ihre Wangen trieben, aber sie antwortete ihm endlich lächelnd darauf und verschwand wieder wie gestern mit einem freundlichen Kopfnicken gegen René. Dem kleinen Mitonare schien aber heute Abend eine Menge im Kopf herumzugehen. -- Beim Abendbrod, das sie sehr frugal aus etwas Brodfrucht und Cocosmilch und einigen Bananen hielten, war er einsylbig und sah René immer, wenn er sich unbeobachtet glaubte, von der Seite an; nach dem Essen aber, und als gerade der Mond draußen über die das Haus umgebenden Palmen aufstieg, faßte er den jungen Mann bei dem Arm, führte ihn hinaus an den Strand unter einen stattlichen Tuituinuß-Baum und nahm ihn hier, durch ein wenig Aufregung im noch mehr gemißhandelten Englisch als gewöhnlich, in's Gebet. René mußte tüchtig aufpassen daß er den Zusammenhang verstand, denn sich an einzelne Worte zu halten hatte er lange aufgegeben, der Name ~Pu-de-ni-a~ der aber mehrfach vorkam, ließ ihn wohl ahnen was der kleine Mann eigentlich meinte, und er wollte ihm jetzt, über das ganze Verhältniß zu dem Mädchen klaren und offenen Aufschluß geben; er hatte ja Nichts weshalb er sich zu schämen brauchte, hätte ihn eben der kleine Mitonare nur zu Worte kommen lassen. Sowie er aber nur den Mund aufthat rief dieser ihm sein verhinderndes ~aita aita~ dazwischen und redete dann nur noch lauter und heftiger, und er mußte ihn jetzt wohl schon gewähren lassen, bis er es von selber müde werden würde. »Weißer Mann,« sagte indessen der kleine Mitonare, aber wenigstens die Hälfte seiner Rede im Tahitischen oder doch solchen Worten die recht gut tahitisch sein konnten -- »weißer Mann kommt her und findet Brodfrucht und Fleisch und Bananen und Cocosnüsse, Yam und Kartoffeln, und Mitonare ist freundlich mit ihm; zeigt ihm Diplom und andere Sachen, und thut gar nicht als ob Fremder ~Ferani~ wäre und an keinen Gott glaubte -- und weißer Mann hat Schutz hier vor anderen weißen Männern. ~Tane~ ~tane Atiu~ sind freundlicher gegen ihn als Leute von seiner eigenen Farbe, und was thut ~Ferani~? -- geht hin und macht kleines Mädchen von Mitonare unglücklich -- schwatzt ihr allerlei tolles Zeug vor -- aber ~Pu-de-ni-a~ ist nicht wie viele andere Mädchen auf der Insel und auf Tahiti. -- ~Ferani~ kann Mädchen genug bekommen -- puh -- so viel, aber nicht ~Pu-de-ni-a~. ~Ferani~ geht nachher weg und ~Pu-de-ni-a~ sitzt -- gutes Kind und weint und ist nicht mehr glücklich und alte Mann Mitonare ~O-no-so-no~ weint weil er ~Pu-de-ni-a~ weinen sieht. ~Ferani~ sollte sich etwas schämen und wenn ~Ferani~ auch kein Christ wäre, könnte er doch darum immer thun was recht wäre -- sie wären auch früher keine Christen, nein, schreckliche Heiden gewesen, die sich tättowirt und nach einer Trommel, und nach dem Rauschen der Brandung getanzt hätten, ja sie hätten sogar ganzen kleinen, winzig kleinen Gott angebetet -- aber darum hätten sie doch thun können was recht wäre -- und es auch gethan, wenn sein Vater auch jetzt in der Hölle dafür wäre.« Das ungefähr war der Sinn der Rede des kleinen Mitonares, obgleich diese selber wohl über eine Stunde dauerte; wenn aber auch René im Anfang manchmal gern über die oft wunderlich genug klingenden Worte des Eifernden gelacht hätte, sah er doch aus dem Ganzen wie lieb der kleine Mann das Mädchen selber haben mußte, und wie viel er von ihr halte, und daß nur Besorgniß um sie ihn so ängstlich und eifrig gemacht habe, und er faßte endlich seine Hand, die ihm der Mitonare im Anfang aber gar nicht lassen wollte, und sagte ihm nun Alles, wie es ihm auf dem Herzen lag. Er liebte Sadie und wollte sie heirathen, und hier auf der Insel bei ihnen bleiben und Yams und Kartoffeln bauen, und Cocospalmen pflanzen -- er wollte nie nie wieder fort von ihnen gehn und weder ihn noch Prudentia verlassen. Er erzählte ihm aber dann auch wie er das heute Morgen Sadie selber gesagt, und welches Versprechen sie ihm dafür abgenommen, und daß er sich fest darauf verlassen könne er würde es halten und Sadie, bis der alte Missionair zurückkomme, als seine Schwester ansehen, der kein Leid geschehen solle, so lange er es hindern könne. Der kleine alte Mann war freundlicher und freundlicher geworden, je nachdem er mehr und mehr begriff was der Fremde mit seinen Worten meine, und was er beabsichtigte, als er aber erst verstand welches Versprechen er dem Mädchen gegeben hatte, und wie er versicherte es treu halten zu wollen, da überkam die Freude jedes andere Gefühl, er fiel dem jungen Mann um den Hals und rieb sogar -- sehr zu dessen Erstaunen der gar nicht wußte was er aus solcher Ceremonie machen sollte -- Nasen mit ihm, die größte innigste Freundschaftsversicherung die er ihm überhaupt geben konnte. Der kleine Bursche wurde aber ganz wie ausgelassen -- er erklärte René -- dessen Namen er jetzt ebenfalls behalten hatte und ganz gegen seine sonstige Gewohnheit richtig aussprach, für den besten Wi--wi der je einen Götzen angebetet habe; und meinte, wenn er bei ihnen auf der Insel bliebe, dann wolle er und der andere Mitonare und ~Pu-de-ni-a~ doch einmal sehn, ob sie nicht aus diesem Wi--wi auch einen Christen machen könnten, wenn das auch vielleicht schwieriger halten würde, als einen verheiratheten Mann aus ihm zu machen. Er wußte in der That gar nicht, was er vor lauter Lust und Vergnügen angeben sollte, und es fehlte nicht viel so hätte er wirklich ein paar mal bald an zu tanzen gefangen, nur daß er sich noch immer zur rechten Zeit dabei erwischte -- das hätte sich im Leben nicht für einen ~mi-to-na-re~ geschickt. So vergingen René die nächsten drei Wochen in einem Glück, von dem er früher nicht geglaubt hätte daß es eine Menschenbrust im Stande wäre zu fassen; aber nicht allein Sadie und Mitonare gewannen ihn in dieser Zeit weit lieber, je näher sie mit ihm bekannt wurden, nein, auch die Eingeborenen der Insel, denn das leichte fröhliche Temperament des jungen Franzosen sagte auch ihren Neigungen gerade zu; sie sahen ihn gern, lernten ihn lieb gewinnen und der alte König, außer dem hochklingenden Titel eine sehr unschuldige Persönlichkeit, die jedoch trotzdem viel Einfluß auf die übrigen ausübte, wurde sein bester Freund. Allerdings hatte ihm René mehrmals Geldgeschenke gemacht, was ihm des Mannes Herz zuerst öffnete, als er aber später mehrmals mit Sadie hinüberkam, und der alte Mann erfuhr in welchem Verhältniß die Beiden standen, und daß René sogar beabsichtige Einer seiner Unterthanen zu werden, da versicherte er ihn denn auch, daß er ihn, falls sein Schiff wirklich wieder zurückkommen solle, nicht mehr ausliefern werde und daß der weiße Mann Capitain -- wie Raiteo als Dollmetscher übersetzte -- schon sehen solle wie sie ihm eine Nase drehen wollten. Er dachte nämlich keineswegs daran den einmal erhaltenen, und auch in der That schon theils benutzten, theils vertheilten Fanglohn wieder herauszugeben. Am komischsten betrug sich Raiteo; -- trotzdem daß er früher sich die größte Mühe gegeben hatte, des Flüchtlings habhaft zu werden, ja sich damals sogar nicht scheute Verrath zu gebrauchen, um seinen Zweck zu erreichen und den ausgesetzten Lohn zu verdienen, so that dieser doch jetzt, als wenn er gleich von dem ersten Augenblick an des jungen Mannes Hauptfreund und Beschützer gewesen wäre. Er erklärte ihn auch bald für seinen innigsten ~tajo~ und trug wohl Sorge dabei daß er René besonders darauf aufmerksam machte, wie uneigennützig er damals den Dollmetscher zwischen ihm und den Uebrigen abgegeben habe, und wie einige kleine Stücken Geld, selbst jetzt noch dafür ausgelegt, keineswegs zu spät kämen. René war klug genug sich auch diesen Burschen, den er übrigens leicht genug durchschaute, zum Freund zu halten, und ein paar Thaler thaten dies denn auch, wenn Versicherungen nur irgend einen Maßstab für Raiteo's Gefühle geben konnten, auf das vollständigste. René schrieb übrigens auch in dieser Zeit nach Frankreich, den Brief für die erste sich bietende Gelegenheit nach Tahiti bereit zu halten, ihm einen Theil seiner noch dort stehenden Gelder unter seiner Adresse an den Französischen Consul Tahiti's zu übersenden, wie ihm ebensowohl Einführungsbriefe auf die Hauptinsel dieser Gruppen zu verschaffen. Wenn er ihrer auch jetzt noch nicht bedurfte, wußte er doch nicht wie sich seine Verhältnisse in spätern Zeiten gestalten würden, und er wollte jetzt wenigstens nichts versäumen, dem vorzuarbeiten. Das Herz des kleinen Mitonares gewann er sich übrigens noch auf ganz besondere Weise durch den regelmäßigen Besuch seiner Kirche, in der er allerdings nichts von der Predigt verstand, aber doch die Melodien der Hymnen mit summte, und den Mitonare nur in dem Glauben befestigte, daß doch noch am Ende ein Christ aus ihm zu machen sei. Der gute kleine Mann war viel zu unschuldig, auf den Gedanken zu kommen, daß René einzig und allein Sadie'ens wegen das Gotteshaus besuche. Fußnoten: [F] Diese Inseln außer Tahiti und Imeo oder Eimeo feiern den Sonnabend statt Sonntag, da die ersten hier eingetroffenen Missionaire, die um das Cap der guten Hoffnung gekommen waren, den Tag den sie auf 180° West und Ost Länge gewonnen, nicht dazu zählten, wie sie es eigentlich thun mußten, und nun ihre eigene unterwegs gehaltene Zeitrechnung, die sie um einen Tag zu kurz sein ließ, beibehielten. Auf Tahiti und Imeo haben es die Franzosen jetzt abgeändert. [G] ~Wi-wi~, ein Spottname dieser Inseln für die Franzosen, nach deren ~oui, oui~. Capitel 5. #Das Geständniß.# Das Einzige übrigens was jetzt manchmal Sadie sowohl als auch den kleinen Mitonare beunruhigte, war das so außergewöhnlich lange Ausbleiben des Mr. Osborne, obgleich es bei den Missionairen, wenn sie auch ihre bestimmte und feste Wohnung haben, doch wohl manchmal vorfiel daß sie auch kleine Abstecher nach anderen Inseln machten wo keine festen Prediger wohnten, und dann widriger Winde wegen oft länger aufgehalten wurden, als sie im Anfang selber beabsichtigt. So standen die Sachen als eines Morgens, in den letzten Tagen des Februar, ein Bursche über die Berge herüberkam und meldete, der Missionscutter -- ein kleines Fahrzeug das sie alle gut genug auf der Insel kannten -- sei in Sicht und halte gerade nach hierher zu. Gegen Mittag umsegelte es auch die südlichste Spitze der Insel, und von Sadie's Lieblingsplätzchen aus konnten sie sein Näherkommen deutlich beobachten. Sadie und René standen dort schweigend Hand in Hand -- war ihnen Beiden aber auch wohl das Herz übervoll, denn dort in dem kleinen Fahrzeug kam der Mann, der ihr Schicksal entscheiden sollte -- mochte ihnen doch Keins Worte geben. Als aber der Cutter sich immer mehr und mehr näherte, jetzt sogar in die natürliche Einfahrt der Corallenriffe, von einer günstigen Briese getrieben, einbog, und in dem ruhigen Wasser pfeilschnell auf seinen gewöhnlichen Ankerplatz zuglitt -- als die Segel fielen, der Anker niederschlug und das kleine Fahrzeug herumschwingend, kaum mehr als hundert Schritt vom festen Land der Insel ab einbog, da sagte René leise, Sadie zu sich herüberziehend: »Willst Du zuerst mit Deinem Vater allein reden, Sadie, oder wollen wir ihm Beide zusammen entgegengehn? -- wie ist es Dir am liebsten?« -- »Ich weiß es nicht René,« -- sagte das Mädchen leise und schüchtern -- »ich weiß es nicht -- o mir ist auf einmal so bang und weh um's Herz, als ob ich irgend ein großes Unrecht gethan hätte -- und ich bin mir doch nichts Böses auf der weiten Gotteswelt bewußt -- ich glaube ich fürchte mich meinem Vater entgegenzutreten -- und er ist doch so gut -- so unendlich gut.« »Dann laß mich zuerst mit ihm sprechen, Sadie,« bat René -- »laß mich zu ihm gehn -- ich habe Papiere die ihn über meine Abkunft und Verhältnisse beruhigen können -- ich bin kein gewöhnlicher Matrose wie sie hier über diese Inseln hier und da zerstreut sein sollen; das allein ist auch die Ursache daß ich nicht im Stande war an Bord jenes Wallfischfängers zwischen dem rohen wüsten Volke auszuhalten; -- wenn er hört wie innig wir uns lieben, kann er ja Nichts gegen eine Vereinigung mit Dir einzuwenden haben. Aber was hast Du? -- was erschreckt Dich so sehr, Du süßes Lieb?« Der Ausdruck in Sadie's Zügen ließ sich nicht verkennen -- irgend etwas mußte sie beunruhigt haben, aber sie schüttelte erst schweigend mit dem Kopf und blickte nur scharf nach dem Cutter hinüber, an dessen Seite jetzt ein kleines Boot niedergelassen war, den zurückkehrenden Missionair an Land zu rudern. René hatte auf das Fahrzeug, mit der Geliebten beschäftigt, gar nicht mehr geachtet, als er aber jetzt der Richtung ihrer aufgehobenen Hand folgte, sah er wie vom Bord des Schooners zwei dunkelgekleidete Männer in die Jölle niederstiegen, statt einem. »Kennst Du den Mann, der dort mit Deinem Pflegevater kommt?« frug er das Mädchen. Sadie nickte langsam und schweigend mit dem Kopf und sagte endlich leise: »Das ist der einzige Mann, das einzige Wesen auf dieser Insel, das ich _fürchte_ -- und ich weiß nicht weßhalb -- Er hat noch Niemandem Böses, und Vielen schon Gutes gethan, aber er ist so ernst und streng und ich weiß nicht, aber wenn ich mir _seinen_ Gott als einstigen Richter denke, so überläuft mich's mit Fieberfrost. Feste Formeln und Gebräuche hat er dabei, von denen er nicht weicht, ja von deren Beobachtung er unser Seelenheil abhängig macht, und nur wenn ich dann meinen Pflegevater dagegen reden höre, ist es mir wie Trost und Linderung für das kalte Wort des finstern Mannes.« »Das ist der Mann denn, von dem Du mir schon gesprochen, Sadie,« sagte René -- »aber wo wohnt er? -- was thut und treibt er?« »Er ist Missionair wie mein Vater, aber der ärgste Feind den Deine Landsleute auf den Inseln haben können -- sein Name ist Rowe und obgleich er auf Tahiti seinen festen Wohnsitz hat, besucht er doch, als eine Art geistlicher Oberhirt, zu Zeiten die einzelnen Inseln, ihren Zustand zu untersuchen und an dem Sonntag wo er sich dort aufhält, zu predigen. Aber so lange er auf der Insel ist hörst Du kein Lachen und Singen fröhlicher Menschen, siehst keine Blume in den Haaren der Mädchen -- selbst die Kinder fürchten den Mann.« »Und was kann er _uns_ schaden, Du holdes Lieb,« sagte René -- »Dein Pflegevater allein hat Deine Hand zu vergeben, und wenn es selber dann _Dein_ Wille ist, was kümmert uns da der stolze Priester?« »Aber er wird meinem Pflegevater heftig zureden uns seine Einwilligung zu versagen,« flüsterte ängstlich das Mädchen. »Dann« -- René biß die Lippen zusammen, zwischen denen sich ihm ein heftiges Wort herauszupressen drohte, aber er wollte dem lieben Kinde auch nicht weh thun und sagte, rasch abbrechend: »Hab guten Muth Sadie; es wird noch Alles gut gehen und das Beste sein, daß wir die beiden Herren erst eine Weile landen lassen; der kleine Mitonare mag mich gern leiden und wenn Dein Vater nach Dir frägt wird er schon einen günstigen Vorbericht für uns ablegen. Nachher gehen wir dann grade und offen zu ihm und sagen ihm wie lieb wir uns haben und wie wir hier bei ihm auf der Insel bleiben und wohnen wollen und er wird uns seine Einwilligung gewiß nicht versagen.« »Mache es wie Du willst, René,« sagte das arme Mädchen leise und schüchtern -- »aber ich fürchte mich recht sehr, und ich wollte zu Gott der ehrwürdige Mr. Rowe wäre nur diesmal nicht mitgekommen.« Das Boot war indessen an Land gerudert, der kleine Mitonare aber, in aller seiner Unschuld niemand Anderen als seinen Missionair, den alten ehrwürdigen Mr. Osborne erwartend, an den Landungsplatz gegangen ihn zu begrüßen. Er trug sein gewöhnliches weißes Hemd, und das rothe Lendentuch fest um den runden stattlichen Leichnam geschlagen, außerdem aber noch, da er als Mitonare nicht gut im bloßen Kopf in der Sonne herumlaufen konnte, einen breiträndrigen Strohhut mit schwarzem breiten Bande, und stand schon schmunzelnd am Ufer seinem alten Freund die Hand mit einem herzlichen ~Joranna~ entgegenzustrecken, als er plötzlich die zweite Gestalt im Boot zuerst überrascht bemerkte, und dann erschreckt erkannte -- denn Mitonare hatte einen noch viel größeren Respekt vor dem finsteren geistlichen Mann, der ihm diesmal so unverhofft über den Hals kam, als selbst alle Kinder der Insel zusammengenommen, nur daß _er_ nicht ausreißen durfte, wenn ihm der fromme Mann in den Weg kam. Umdrehn aber und in das Haus, und dort angekommen in den schwarzen Frack und die gelbe Weste fahren, war das Werk eines Augenblicks. In beide Kleidungsstücken kam er zuerst in das verkehrte Aermelloch, aber wie eine gehetzte Ratte fand er zuletzt das rechte, und griff nun in wahrer Verzweiflung das eingewickelte Halstuch von dem Bücherbrett herunter, wo es friedlich bis zum nächsten Sabbath hatte ruhen sollen, riß es aus dem Papier, fuhr dann mit dem Halstuch in die Tasche statt dem letzteren, ehe er seinen Irrthum gewahrte, bekam es aber zuletzt doch noch glücklich um, und hätte nun fast, als er wieder mit einem Satze aus der Thür hinaus wollte, das Versäumte gut zu machen, die beiden geistlichen Herren umgerannt, die, ~the reverend Mr. Rowe~ voran, indeß gelandet waren und auf die freundliche Wohnung Mitonares zuschritten. Mr. Rowe, der übrigens wohl erkannte weshalb der kleine Mann so in Hast gewesen, denn dieser hatte in aller Eile den Hemdkragen gar nicht mit in das Halstuch hineingebunden, begrüßte ihn mit einem gütigen väterlichen Blick und Handdruck, wobei Mitonare ein Gesicht machte, als ob er seine Hand in einem Schraubstock hätte. »Nun, Bruder Ezra,« sagte Mr. Osborne freundlich, als dieser zu ihm hinantrat, und seine Hand auf das herzlichste schüttelte, was Mitonare mit ungemein gutem Willen erwiederte -- »wie ist es Euch die Zeit meiner Abwesenheit ergangen? -- immer wohl und gesund gewesen, und in keiner Weise zu Schaden gekommen? nicht wahr ich bin weit länger entfernt geblieben als ich im Anfang beabsichtigte?« Ich muß hier jedoch bemerken daß die Geistlichen mit dem kleinen Mann nur in seiner eignen Sprache redeten, blos wenn sich Mr. Osborne mit Bruder Ezra -- wie der kleine Mitonare bei der Taufe genannt worden -- allein befand, und gerade nichts Wichtiges zu verhandeln hatte, sprach er englisch mit ihm, um ihm diese Sprache geläufiger zu machen, und seinen etwas schweren Mund an die fremden Worte besser zu gewöhnen. Bruder Ezra antwortete auf das Befriedigenste, als aber die drei Männer in das Haus traten, sah sich Mr. Osborne erstaunt und vergebens nach seiner Pflegetochter um, die ihn sonst stets fast die erste begrüßt hatte, und er frug rasch, fast ängstlich nach dem Mädchen. Mitonare hätte in diesem Augenblick eben so gern seinen ganzen Catechismus aufgesagt -- ihm sonst die schrecklichste aller Religionsübungen -- als vor Bruder Rowe zu erzählen was mit ~Pu-de-ni-a~ vorgegangen sei, und welcher Gast sich indessen auf der Insel eingefunden habe. Er wußte ja am besten in welcher Achtung die ~Feranis~ bei dem frommen finsteren Manne standen, und sollte er jetzt erzählen was hier unter seinen eigenen Augen vorgegangen war, und was er selber geduldet hatte? denn jetzt kam es ihm auf einmal wunderbarer Weise vor, als ob das ein entsetzliches Verbrechen gewesen wäre. Durch sein Schweigen wurde der alte Mann aber nur noch besorgter; er glaubte jetzt wirklich es sei dem Mädchen, das er fast wie sein eignes Kind liebte, etwas widerfahren, und als nun auch Bruder Rowe dazutrat und Mitonare zum Sprechen aufforderte, konnte er natürlich nicht mehr zurückhalten. Der Angstschweiß stand ihm auf der Stirn, aber die ganze Sache kam nach und nach zu Tage, und erst als er mit sämmtlichen Factas geendet hatte, fing er an den jungen ~Ferani~ zu loben, der ein wahres Muster von einem Menschen sei und sogar als ~Ferani~ in seine Kirche gekommen wäre -- und so andächtig zugehört hätte, als ob er jedes Wort davon verstände. Er erwähnte auch des Versprechens das ihm ~Pu-de-ni-a~ abgenommen, was er ja auch als Hauptentschuldigung für sich aufstellte, und Mr. Osborne der den Charakter des Mädchens kannte, athmete leichter als er dies hörte. Bruder Rowe's Züge hatten sich aber indessen mehr und mehr verfinstert -- schon als er hörte daß ein, von einem Wallfischfänger entsprungener Matrose auf der Insel geblieben und nicht wieder von seinem eigenen Schiff mit fortgenommen sei, horchte er hoch auf, und als es nun gar herauskam daß es ein Franzose sei, der schon in aller Geschwindigkeit ein Liebesverhältniß mit der Adoptivtochter des Geistlichen angesponnen habe, sah man es ihm ordentlich an daß er sich Mühe geben mußte seinen Groll und Zorn zu bemeistern. Vergebens waren jetzt Bruder Ezra's Psalmen, die er dem jungen Franzosen sang, vergebens selbst Mr. Osbornes Einwurf, daß man jedenfalls erst einmal den jungen Mann sehen und sprechen wolle -- er war Matrose eines Wallfischfängers und Franzose -- also Katholik, und ein richtiger Missionair der Südsee Inseln haßt nichts auf der Welt -- selbst den Teufel wohl kaum ausgenommen -- herzlicher, als diese beiden Individuen. Sein Urtheilsspruch war auch ohne weiteres gefällt -- »ehe das Uebel tiefer griff, mußten schnelle Maßregeln dagegen ergriffen werden, und er wollte jetzt selbst ohne weiteres zu dem Häuptling hinübergehn und mit diesem das Nöthige dazu besprechen. Der Häuptling oder König brauche ihm nur zu gebieten die Insel zu verlassen, so müsse er dem Befehl Folge leisten, und Gelegenheit habe er jetzt gerade am besten in dem kleinen Schooner, der in einigen Tagen wieder mit ihm nach Tahiti zurück sollte. Weigerte er sich aber dem Befehl Folge zu leisten, so war nichts einfacher als ihn als Gefangenen mit fortzunehmen, und an den französischen Consul in Papetee auszuliefern. -- Diese Inseln standen unter englischem Schutz, und es war ihnen von der englischen Regierung versprochen sie gegen jede Aufdringlichkeit, besonders von französischer Seite, zu schützen, wo man überdies nicht einmal wissen könne, ob da nicht am Ende gar irgend ein heimlich gehaltenes Missionswesen der Verbreiter »papistischer Gräuel« dahinter stäke. Andererseits würde aber auch die französische Regierung, die gerade erst ganz kürzlich ihr etwas gewaltsames Protectorat angetreten, Alles vermeiden, mit anderen Mächten, noch dazu eines entsprungenen Matrosen wegen, in Collision zu kommen. Für sie hier war es aber gerade in dieser Zeit von höchster Wichtigkeit jenen papistischen Propaganden, die sich über sämmtliche Inseln zu verbreiten suchten, entgegen zu arbeiten. Das Volk dieser Inseln sei viel zu empfänglich für äußeres Gepränge, nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein von dem Flitterstaat der katholischen Religion bestochen zu werden, und nicht allein Jahre lange Anstrengungen und Arbeiten, nein auch die Seelen der Unglücklichen wären dann verloren für immer.« »Aber nicht allein in religiöser, nein auch in moralischer Beziehung sei es Pflicht der Geistlichen dahin zu wirken diese schlimmsten aller Vagabunden, flüchtige Seeleute, von sich entfernt zu halten. Auch Bruder Osborne wisse recht gut, wie gerade diese Menschen dem wohlthätigen Wirken der Missionaire stets feindlich entgegengetreten wären, selbst wenn sie denselben Glauben mit ihnen hatten; wie viel schlimmer war es jetzt, wo solche Menschen auch sogar noch in ihrem Glauben eine, ihrer Meinung nach vielleicht vollkommen genügende Ursache fänden, Unfrieden zwischen dem Geistlichen und seiner kleinen Gemeinde zu säen?« »Für den _Vater_ sei es außerdem besonders dringende Pflicht, sein angenommenes Kind vor Verführung zu schützen und ihr Herz zu wahren vor den Eindrücken, die bei einer solchen unnatürlichen Verbindung unvermeidlich wären. -- Das war _seine_ Meinung über die Sache, und er hoffte Bruder Osborne würde mit ihm hierin vollkommen harmoniren. Es sei nöthig daß sie zusammenständen, in dieser jetzigen Zeit des Trübsals, um des Glaubens willen.« »Er hatte zuerst die Absicht gehabt den König _morgen_ zu besuchen, aber im Dienste Gottes gäbe es keine Ruhe noch lässiges Verschieben, und er wolle deshalb gleich dorthin aufbrechen, ihn mit sich herüber zu bringen.« Daß er die Einwilligung desselben, oder vielmehr den Befehl für den Flüchtling erhalten würde, mit erster Gelegenheit die Insel wieder zu verlassen, verstand sich von selbst, und er zweifelte daran nicht im mindesten. Mr. Osborne ersuchte ihn jetzt noch einmal, den Fremden wenigstens erst einmal rufen zu lassen und mit ihm zu sprechen, daß sie mit eigenen Augen sähen zu welcher Klasse von Menschen er gehöre. -- Bruder Rowe's Entschluß war gefaßt, und da er, durch seinen langen Aufenthalt zwischen diesen Inseln als Missionair, sich daran gewöhnt hatte unbedingt zu befehlen, indem seine Stimme für das Wort und den Willen des Herrn galt -- ja da er die feste Ueberzeugung hatte daß alle diese Tausende von Insulanern nur durch ihn und die wenigen andern Geistlichen einer ewigen Qual entrissen, und der Seligkeit zugeführt seien, ihm also mehr als ihr Leben, ihr ganzes einstiges Heil danken mußten, so verstand es sich wohl von selbst daß er auch die weit geringere Leitung ihrer weltlichen Angelegenheiten wenn auch nicht gerade führen, doch in die Bahn leiten konnte und durfte, die er als die richtige bestimmte. Er beorderte jetzt ohne weiteres -- denn ihre Mahlzeit hatten sie schon an Bord eingenommen -- zwei Eingeborene, ihn in einem kleinen Boot, das er schon mehrfach dazu benutzt hatte, um die Insel hinum zu rudern, denn es fiel ihm nicht ein den langen Weg zu Fuß zu gehn. -- In diesem wurde ein schmales Sonnendach aufgespannt, und eine Viertelstunde später schoß das kleine scharfgebaute Fahrzeug, von den kräftigen Armen der Insulaner getrieben, pfeilschnell über das spiegelglatte Binnenwasser, von der Strömung jetzt noch überdies begünstigt hin, und war in kurzer Zeit um die nächste vorragende Landspitze verschwunden. René und Sadie hatten indessen mit freudigem Staunen die rasche Abreise des finstern Mannes gesehen, die sie irgend einer Ursache in seinem geistlichen Wirken zuschrieben, und sie beschlossen nun auch ohne weiteres hinunter zu Mr. Osborne zu gehn, ihm Alles zu erzählen und ihn um seinen Segen zu bitten. Mitonare war übrigens indessen, nur erst einmal der beengenden Gegenwart des ~bodder Au-e~ enthoben, nicht müßig gewesen Mr. Osborne den jungen Fremden von der besten Seite zu schildern. Natürlich lag in diesem Lobe ein großer Theil Eigennutz verborgen, denn es mußte ja auch einzig und allein seine Entschuldigung sein, daß er Prudentia's Umgang mit ihm überhaupt geduldet hatte. Solcher Art war er denn noch emsig damit beschäftigt, und Mr. Osborne saß gar ernst und sinnend vor ihm in seinem Lehnstuhl, den rechten Ellbogen auf die Lehne und das graue Haupt in die rechte Hand gestützt. Es schien ihm recht weh und trüb um's Herz zu sein. Da traten die beiden jungen Leute in die Thür, und Sadie blieb erst einen Augenblick schüchtern in der Ferne stehen; als er aber den Blick zu ihr aufhob, und sie in das liebe ehrwürdige, jetzt so kummerschwere Antlitz schaute, da flog sie, wie in alter Zeit auf ihn zu, barg ihr Gesicht an seinem Herzen und rief: »Mein lieber, lieber Vater!« »Mein liebes, liebes Kind!« sagte der alte Mann und küßte das fest an ihn angeschmiegte Haupt des schönen Mädchens -- »was habt Ihr denn hier, unter der Zeit meiner Abwesenheit für böse, böse Streiche getrieben?« Es lag eine so innige Zärtlichkeit in dem Ton mit dem er diese Worte sprach, und nur ein so leiser -- von jedem Verdacht freier Vorwurf, daß sich Sadie nur fester gegen seine Brust preßte, aber ihre Hand zurück nach René ausstreckte, diesen herbeizurufen und zu ihrem Vater zu bringen. Der alte Mann, der wohl auf den ersten Blick sah, daß er keinen gewöhnlichen Matrosen vor sich habe, grüßte den, sich ihm jetzt offen und vertrauensvoll nähernden jungen Mann freundlich, winkte ihm einen Stuhl zu nehmen, den Mitonare indessen mit großer Bereitwilligkeit herbeigebracht hatte, und bat dann René, was er ihm zu sagen habe, ihm ohne jeden Umschweif, mit jedem Vertrauen zu eröffnen -- er habe Prudentia als sein Kind angenommen, und von klein auferzogen als ihre Eltern gestorben waren und die kleine Waise allein zurückgelassen hatten, und hege dieselben Gefühle noch jetzt für das erwachsene Mädchen, als ob sie seine eigene leibliche Tochter sei. Er wolle auch nur ihr Glück, möchte das aber gesichert wissen da es keins der gewöhnlichen Mädchen der Eingeborenen sei, sondern eine fast Europäische Erziehung genossen habe und dabei auch vielleicht jetzt tiefer fühle, besonders andere Ansichten über die Ehe habe, als sie in diesen Gruppen bei ihren Landsmänninnen wohl meist gefunden würden. René verlangte Nichts mehr; er erzählte zuerst dem alten Mann, so gedrängt als möglich, seine ganze Lebensgeschichte, schilderte ihm, so treu er es selber vermochte, seinen ganzen Charakter, was ihn in die Welt, was ihn zuletzt an Bord eines Wallfischfängers getrieben habe, von dessen ganzen Wesen und Treiben er früher keinen Begriff gehabt, und wie er auf dieser Insel sich jener Existenz zu entziehen gesucht und hier Sadie'en gefunden und lieben gelernt habe. Er zeigte ihm dann die Papiere die er mit sich führte -- und Mr. Osborne verstand nicht allein das Französische sondern sprach es auch sehr geläufig -- erklärte ihm daß es sein fester Wille sei sich hier auf einer dieser Inseln, am liebsten auf dieser, niederzulassen, und bat den alten Mann ihm Sadie, die er in der kurzen Zeit seines Aufenthalts recht von Herzen lieb gewonnen habe, zum Weib zu geben. Er wollte sich dann bei ihnen seine Heimath gründen, und Mr. Osborne solle einen guten Sohn und Nachbar an ihm finden. »Sie sind Katholik?« frug ihn der alte Mann, als René schon eine ganze Zeit lang geschwiegen und er ihn indessen mehr sinnend als forschend betrachtet hatte. Des jungen Mannes Antlitz röthete sich ein wenig, als er erwiederte: »Lieber Herr, Sie haben gewiß genug von der Welt gesehn, zu wissen wie es mit der Religion unter jungen Leuten meistens steht. -- Ich bin allerdings als Katholik erzogen, und die Meinigen waren sämmtlich, einige sogar sehr strenge Katholiken, ich selber muß Ihnen aber aufrichtig gestehn, habe mich nie streng an die Gebräuche weder meiner noch einer andern Sekte gehalten, und Sie können überzeugt sein, daß ich nie daran denken würde Jemanden zu meinem Glauben überreden zu wollen. Sadie ist in dem ihren aufgewachsen und ein so liebes, braves Mädchen geworden, sie wird ihm auch treu bleiben, und ich wäre der Letzte sie darin zu stören. Was mich selber betrifft, so suche ich recht zu thun, und hoffe dann mit meinem Gott schon fertig zu werden -- er allein weiß ja auch nur, wer den _rechten_ Glauben hat. Sie werden aber auch nie finden, daß ich über den Glauben eines Andern spotte -- ein Jeder hat ein Recht zu seiner Meinung.« Der Missionair hatte nun allerdings gar sehr verschiedene Ansichten über Religion, aber René gewann sich doch durch diese Offenheit sein Herz, denn keineswegs gehörte er zu jener stolzen Priestersekte die, ihr Religionspanier in der gehobenen Rechten, das Volk vor sich auf die Knie werfen und so lange damit fortschreiten bis sie zuletzt ganz zu vergessen scheinen daß das Volk eigentlich vor dem Panier und nicht vor ihnen kniet. Aber der alte Mann hatte doch noch andere und recht ernste Bedenken, und je mehr er den jungen lebensfrischen Mann da vor sich stehen sah, so viel schwerer ward ihm das Herz; aber er wollte das Alles nicht vor der Tochter aussprechen, und bat also das Mädchen auf kurze Zeit das Haus zu verlassen, er habe mit dem jungen Mann etwas allein zu reden. Sadie war ein viel zu folgsames Kind auch nur mit einem Blick zu zögern -- sie küßte des alten ehrwürdigen Mannes Hand und verließ dann rasch das Zimmer. Der alte Mann saß, schon als die leichte Bambusthür lange hinter ihr zugefallen war, noch viele Minuten schweigend da, als ob er selber nicht rechte Worte für das finden könne was er sagen wolle. »Lieber junger Freund,« begann er endlich, »Sie sind frei und aufrichtig gegen mich gewesen, und ich will Ihnen Gleiches mit Gleichem vergelten; Sie werden mir deshalb auch Nichts übel nehmen, was ich zu Ihnen sage, denn Gott weiß es, es geschieht sowohl zu Prudentia's als Ihrem eigenen Wohl. Sie sind, wie ich aus Ihren Papieren gesehn habe, von guter Herkunft, in dem gebildeten, geselligen Leben Europas erzogen, an Europäische Sitten, an ein Leben gewöhnt, das Ihnen _mehr_ bietet als nur einfach Essen und Trinken und ein einzelnes Wesen dem Sie sich anschließen können -- mögen Sie dies noch so sehr lieben. Die Beweise haben Sie selber in ihrem unsteten Leben; weder in Afrika noch Amerika fanden Sie was Sie suchten, d. h. das was das Bedürfniß Ihres Herzens und Geistes befriedigen konnte -- die rohe Gesellschaft des Wallfischfängers trieb Sie sogar zu einem verzweifelten Schritt, bei dem Sie lieber Ihr Leben einsetzen, als in jenes Verhältniß zurückkehren wollten. Sie fanden hier, gerade in Ihrer größten Gefahr, auf höchst romantische Weise ein junges reizendes Mädchen, dessen liebe regelmäßige Züge, dessen Gestalt zuerst ihre Leidenschaft weckte, und dessen Unschuld und Liebreiz, als Sie dasselbe näher kennen lernten, Ihr Herz gewannen. Scenerie und Umgebung, selbst sogar die verschiedene Farbe und Abstammung des Mädchens trug dazu bei, den Reiz in Ihrem eigenen jugendlichen Herzen zu erhöhen. Unser herrliches Klima, die tropische Vegetation, das stille blaue Meer, ja das ganze Stillleben unseres lauschigen Plätzchens hier bestach Ihre Sinne mehr und mehr, und Sie glauben jetzt -- ja Sie sind fest überzeugt davon, daß Sie in dem Mädchen und dieser Insel das Ideal Ihres Lebens gefunden, das Ziel Ihres ganzen Strebens und Drängens erreicht haben. -- Wenn Sie sich aber nun irren? -- Ich weiß was Sie sagen wollen -- Sie folgen dem Drange Ihres Herzens und fürchten nicht daß Sie dieses irre führt, aber hören Sie mich ruhig darüber an. Sie sind jung, das Leben liegt noch offen vor Ihnen -- ich bin alt, meine Bahn ist bald durchwandelt, -- Sie haben die Hoffnung, ich die Erfahrung, und drei und zwanzig Jahre meines Lebens hab' ich auf diesen schönen Inseln zugebracht. In dieser Zeit habe ich aber auch viele viele Leute kommen und gehen, habe Hoffnungen und Träume aufblühen und verwelken sehn und weiß was ein Mann in Ihren Verhältnissen hier zu finden _glaubt_ -- und was er _findet_.« »Jetzt ist Ihnen noch Alles neu -- die Palmen selber, die ganze tropische Vegetation übt einen Reiz auf den Neuankommenden aus, dem er selten, wenigstens in seinem ersten Andrang, widerstehen kann; nur wenige Jahre führen aber darin eine gewaltige Aenderung herbei, denn das Herz, besonders das junge Herz bedarf einer Veränderung, bedarf eines Reizes für seine Thätigkeit, wenn es nicht erschlaffen oder in neuem, dann aber recht schlimmen Schmerz vergehn soll. Viele, sehr viele Europäer haben sich besonders in den letzteren Jahren hierher gezogen, die aber von ihnen, die wirklich hier geblieben sind, waren schon ältere Leute und brachten auch meistens ihre Familien, die ihnen an Stand und Erziehung gleich waren, mit sich. -- Fast alle diese kamen hierher, ein Geschäft zu treiben und sich ein Vermögen zu erwerben, und sie werden meist Alle wieder, wenn ihre Kinder erwachsen sind, nach Europa zurückkehren. Dorthin passen sie auch -- ihre Frauen stammen selbst von dort, und sehnen sich nach dort zurück, und sie lassen dann Nichts hier zurück, als eine freundliche Erinnerung; die Fasern ihres Herzens haben nicht zwischen den Palmen und Bananen Wurzel geschlagen.« »Sehr viele von ihnen haben auch Indianische Mädchen geheirathet -- die ersten und hübschesten die ihnen begegneten -- auf allen Inseln zerstreut finden Sie solche Beispiele; aber es sind das fast nur einzig und allein rohe Matrosen, denen das müßige Leben zusagt, die sich auch in ihrem Vaterlande in keinen anderen Zirkeln bewegt haben, als wo das materielle Wohl ihr Hauptziel und Streben war, und selbst diese verlassen gewöhnlich, nach einer längeren Reihe von Jahren, ihr leicht genug angetrautes Weib und die mit ihr gezeugten Kinder -- selbst diesen genügt zuletzt nicht mehr diese tropische Ruhe, und sie sehnen sich nach Abwechselung, nach einer Veränderung ihrer Verhältnisse, sollten sie diese auch wieder mit harter Arbeit ja sogar dem früheren Leben erkaufen müssen.« »Auf Tahiti haben Sie einige wenige Beispiele unter Ihren Landsleuten, die sich mit Tahitischen Mädchen wirklich verheirathet haben; jetzt sind diese Frauen jung und schön, sie könnten sie nach Europa zurückführen und vielleicht stolz darauf sein -- wenn Sie das Gefühl einer etwas wunderlichen und bizarren Eitelkeit so nennen wollen -- werden sie aber alt -- und weibliche Körper blühen und verblühen in unserem tropischen Klima so rasch wie unsere üppige Pflanzenwelt -- dann ist das vorbei. Sie können keine alte Indianische Frau nach Europa bringen, sie dort in Ihre Kreise einzuführen. -- Sie möchten das auch nicht, denn Sie wüßten recht gut, wie Sie hinter Ihrem Rücken dem Gespötte der Menge, die die näheren Beweggründe nicht kennt und nicht achtet, verfallen würden. Und wollen Sie das Wesen, das sich an Sie angeschlossen hat und mit Herz und Seele an Ihnen hängt nicht unglücklich und elend machen, so müssen Sie _bei_ ihm und hier auf den Inseln bleiben, und Unmuth und Sehnsucht nach einem andern Leben zehrt dann an Ihnen weit schlimmer und gewaltiger, als es an dem _jungen_ Herzen gethan. Dem lag die Welt noch frei -- es konnte noch dem ersten Drange folgen, ob ihn der auch gleich manchmal irre führte, jetzt aber ist das vorbei -- die Möglichkeit frei zu handeln ist genommen, und nur der Drang selber geblieben, der dann wie ein ewiger Wurm an Ihrem Herzen nagt.« »Ich spreche nach mehren Beispielen, die ich selber kenne, junger Mann, und die innige Liebe auch, die ich für Prudentia fühle, macht mich besorgt, ihr ein solches Schicksal ersparen zu wollen. Prudentia ist, wie ich Ihnen schon gesagt habe, und wie Sie auch selber, nach einem Zusammensein mit ihr von mehren Wochen gewiß finden mußten, keins der gewöhnlichen sinnlichen Mädchen dieser Inseln, die sich dem Ersten Besten, ohne Arges dabei zu denken, hingeben, und gar nichts anderes erwarten, als daß er sie, sobald er ihrer müde ist, wieder verläßt. Ich fürchte im Gegentheil, Sie haben Prudentia's Herz schon zu sehr gewonnen; jetzt wäre aber doch noch vielleicht eine Trennung möglich. -- Sie würden Beide an diese Zeit wie an einen schönen Traum zurückdenken, von dem es das Herz nur eine kurze Zeit schmerzt -- daß es eben nichts weiter als ein Traum war; aber Sie können Beide auch dadurch vielleicht einem verfehlten Lebensziele entweichen, das dann später _nicht_ mehr zu ändern wäre, und leider für _Beide_ auch verderblich werden müßte.« »Ich bin fest davon überzeugt, daß Sie in diesem Augenblick Prudentia mit aller Leidenschaft einer innigen, vielleicht gar ersten Neigung lieben -- aber wird der alte Hang eines unstäten Lebens, das in dem Herzen nur erst eingewurzelt, gar so leicht verderblich werden kann, diesem Herzen in dem Stillleben unserer Inseln Ruhe und Frieden lassen? -- Unsere Palmen sind grün und herrlich -- aber so wie sie dort stehn, stehn sie das ganze Jahr -- kein gilbendes fallendes Blatt, keine Schneedecke, keine auskeimenden wachsenden Knospen geben ihnen im nächsten Frühjahr immer wieder denselben Reiz. -- Unsere Bäume sind mit Früchten bedeckt -- aber die Blüthenzeit fehlt uns -- wir brauchen die Frucht nie zu erwarten -- zu erhoffen -- sie hängt voll und reif am Baume, während heimlich, von uns kaum bemerkt, andere indessen nachblühen und nachwachsen, die fehlenden immer wieder zu ersetzen und die Plätze der niederfallenden auszufüllen. Wir kennen auch hier nicht die Sorgen und Mühen des Lebens -- das Salz jedes gesellschaftlichen Verkehrs, durch das eine _erworbene_ Existenz erst ihren ganzen uns beglückenden Reiz gewinnt -- wir stehen Morgens auf und essen und trinken und legen uns Abends wieder schlafen. Nachrichten von der äußeren Welt dringen nur selten zu uns, und wie sie kommen wäre es fast besser sie blieben ganz aus, denn anstatt zu befriedigen lassen sie, selbst in dem Herzen der Aeltesten von uns, eine Leere zurück, die wir vergebens auszufüllen suchen.« »Wollen Sie nun, mit Ihrem jungen thatkräftigen Herzen in dieses felsenumgürtete Thal, aus dem es keine Rückkehr für Sie giebt, hinabspringen? -- schauen Sie um sich her, junger Freund -- noch stehn Sie oben -- noch liegt die ganze übrige Welt ausgebreitet vor Ihren Blicken -- haben Sie _nichts nichts_ mehr darin was auch nur den geringsten Anhaltepunkt an Ihr Herz hätte? -- bedenken Sie, bei einem sinkenden Schiff kann das kleinste, unbedeutenste vergessene Tau das Boot, auf dem sich der Schiffbrüchige sonst vielleicht sicher den Wellen anvertrauen könnte, rettungslos mit in den Abgrund ziehen.« Der alte Mann schwieg, und eine Thräne zitterte in seinem Auge; ernst und forschend schaute er dabei den jungen Mann an, und es war, als ob er seine innersten Gefühle ergründen wollte, ehe sie auf die Lippen kämen -- ja wahrer als sie der Mund vielleicht auszusprechen vermöchte. René begegnete aber, zwar gerührt, doch fest entschlossen dem Blick, und erwiederte endlich mit weicher Stimme: »Sie verstehn es, alter Herr Einem Herz und Seele zu fassen, mit Ihren Worten, aber ich springe getrost hinab in das Thal, denn da oben blüht für mich kein Glück, keine Freude mehr. Die Meinen sind todt oder schlimmer als so -- ich stehe eine Waise in der Welt, weder Bruder noch Schwester leben, die Ansprüche auf meine Nähe machen dürften; Alles was mein Herz sonst hätte binden können, ist für mich verloren, und stießen Sie mich _jetzt_ wieder kalt und erbarmungslos in die Welt zurück, ich müßte rettungslos untergehn -- und wäre recht recht elend. Auch Sadie hängt mit inniger Liebe an mir, und ihr Herz ist nicht geschaffen einmal zu lieben und so leicht wieder vergessen zu können -- wollten Sie auch aus _ihrem_ Herzen diese erste Neigung reißen? -- Sie haben Sadie zu lieb dazu wenn ich selber Ihnen auch gleichgültig sein müßte. Aber -- ich kann mich auch irren,« brach er dann plötzlich ab -- »ich täusche mich vielleicht selber in Sadie's Herzen, und ihre Neigung wäre eines Rückschrittes fähig. -- Sprechen Sie selbst mit Ihr, werther Herr -- fragen Sie das Mädchen selber, und halten Sie unsere Vereinigung für gefahrbringend für _sie_, und glaubt Sadie daß sie mir jetzt noch ohne großen Schmerz entsagen könne -- dann beim ewigen Gott will ich nicht in den Frieden dieses stillen Thales getreten sein, Thränen und Kummer zu säen, dann sollen Sie finden daß ich auch im Stande bin zu _entsagen_, und wenn mir das Herz darüber bräche; kein Wort des Unmuths -- keine Klage soll über meine Lippen kommen, das erste beste Canoe mich zu einer anderen Insel -- aus ihrer Nähe führen.« Er war aufgesprungen und seine Mütze ergreifend wollte er das Zimmer verlassen, der alte Missionair streckte ihm aber die Hand entgegen und sagte mit herzlichem, bewegtem Tone: »Das ist recht brav und ehrlich von Ihnen gehandelt, junger Mann, und ich gebe Ihnen mein Wort, ich habe auch, seit dem ersten Augenblick wo ich Sie sah, noch nicht einen Augenblick daran gezweifelt daß Sie Alles so auch _fühlten_, wie Sie es dem Mädchen vorgesprochen. Ich kenne übrigens Prudentia, oder wenn Sie denn lieber wollen, Sadie, viel zu gut um bei ihr langer Rede zu bedürfen, in wenigen Minuten haben Sie meine Antwort, treten Sie indessen hier in das nächste Haus -- das Fenster ist fast so niedrig wie eine Thür -- aber glauben Sie nicht, junger Freund, daß ich Ihnen das Wort reden werde,« setzte er ernster hinzu, »Sie müssen es meinem Gewissen überlassen mit Sadie zu handeln, wie ich es vor _dem_ verantworten kann.« »Handeln Sie, als wenn Sie ihr Vater wären,« sagte René herzlich -- »ich will _Sadie'ens_ Glück, nicht das meine,« und er verließ mit schnellen Schritten das Zimmer. Auf des alten Mannes Ruf betrat das Mädchen schüchtern und mit niedergeschlagenen Blicken das Gemach -- sie schaute nicht auf, aber sie fühlte das René nicht mehr im Zimmer sei, und ihr Herz klopfte fast hörbar in der Brust. -- Ihr Vater hatte ihn abgewiesen und der schöne Traum ihres Glücks war in Nacht und Thränen zerflossen. »Prudentia,« sagte der alte Mann, und zog das zitternde Mädchen sanft zu sich -- »ich habe den jungen Fremden fortgeschickt von hier -- er hat Dich jetzt wohl lieb, aber wenn er eine Zeit lang von seiner Heimath entfernt ist, sehnt er sich wieder nach ihr zurück, und läßt mein armes Mädchen hier allein, und dann wärst Du wohl recht recht unglücklich geworden und elend. Jetzt ist der Eindruck den er auf Dein Herz gemacht, noch flüchtig, noch leicht wieder zu verwischen -- Du wirst einen oder zwei Tage weinen, ihn nachher vergessen, und nicht wahr mein Kind, ich habe darin recht und gut gehandelt -- ich wollte ja nur Dein Wohl.« »Ich will Alles thun was Du mir sagst mein Vater,« flüsterte das Mädchen, dicht an seine Brust geschmiegt, so leise, daß er kaum ihre Worte verstehen konnte. »Das ist mein gutes Kind,« sagte der Greis, aber die Stimme zitterte ihm; er fühlte nur zu gut was in dem Herzen des armen Mädchens vorging, und wie die Liebe für den Fremden schon viel zu tief Wurzel geschlagen habe, je wieder, ohne das Gefäß selber zu zerbrechen, herausgerissen zu werden. Er mußte sich aber selber einen Augenblick sammeln ehe er fortfahren konnte, und mit lebhafter Stimme wie ermuthigend setzte er hinzu: »Und, nicht wahr mein Kind -- dann wirst Du auch wieder glücklich und froh sein, wie bisher? -- wirst wieder lachen und singen und nicht das Köpfchen so trübe hängen lassen.« »Ich will mir rechte rechte Mühe geben lieber Vater,« flüsterte das Mädchen und barg ihr Haupt fester an dem Herzen des alten Mannes. »Und willst Du auch den Fremden vergessen meine Tochter? -- willst Du mir das recht fest und aufrichtig versprechen, mein braves Mädchen?« frug sie jetzt leise der Greis. Das aber war zu viel für das arme gequälte Herz -- einen Augenblick schien es, als ob sie sich von seiner Brust emporheben wolle, ihm in die Augen zu schauen -- aber sie sank wieder zurück und klagte nur leise: »Ach das weiß ich nicht -- das weiß ich wahrhaftig nicht, lieber, lieber Vater« -- damit war aber auch ihre Kraft gebrochen, und laut und heftig schluchzend, als ob ihr das Herz vergehen wolle in unendlichem Weh, hing sie in seinen Armen. Und sie schluchzte nicht _allein_, denn aus der Ecke des Zimmers vor tönte es noch weit lauter und heftiger, und der kleine Mitonare saß da auf einem der niedern Bambusschemel, ganz allein und vergessen und weinte, in Thränen förmlich zerfließend, wie ein kleines Kind. Da vermochte sich aber der alte Missionair auch nicht länger zu halten, und der Tochter thränenüberströmtes Antlitz zu sich erhebend und küssend und wieder küssend rief er: »Nein, nein Prudentia, ich bin ja kein Tyrann daß ich mein Kind so elend und unglücklich machen mögte, nur weil die Möglichkeit existirt, daß es später noch einmal so kommen könne -- nein, wenn Gott Dir eine so gewaltige und innige Liebe für ihn in's Herz gelegt hat, dann nimm ihn, nimm ihn -- der Herr segne Euch, und Er wird Alles zum Besten lenken. Aber sei auch wieder mein gutes fröhliches Mädchen, lach wieder, sing wieder und mache das Herz Deines alten Vaters froh durch Dein heiteres glückliches Angesicht.« »Vater -- lieber Vater!« rief das Mädchen in jubelnder, kaum gefaßter Lust. -- Mitonare hatte aber kaum gehört was die Sache, die ihm selber das Herz abzustoßen drohte, für eine Wendung nahm, als er, wie aus einer Pistole geschossen, zur Thür hinausfuhr, und nach kaum zwei Minuten mit dem »verzweifelten Wi--wi« -- wie er ihn nannte, in's Zimmer geschleppt kam. René lag mit an dem Herzen des alten Mannes -- er wußte selber kaum wie, und der Greis flüsterte einen leisen Segen über den Häuptern der Glücklichen. Capitel 6. #Was der ehrwürdige Mr. Rowe dazu sagt.# Der Abend verging den beiden Liebenden wie ein Augenblick -- sie hatten sich so tausenderlei zu sagen, so tausenderlei zu besprechen, daß sie den Flug der Stunden gar nicht bemerkten, und der alte gute Mann saß lächelnd dabei, und wohl auch ihm stiegen in der Erinnerung alte liebe, o so lang jetzt vergangene Bilder auf, und führten seine träumenden Gedanken zurück zur Jugendzeit. Aber auch die Gegenwart erheischte seine Umsicht, denn manchmal gedachte er ebenfalls seines, in ziemlicher Aufregung fortgegangenen Collegen und der Schritte die dieser jetzt zu thun suchte, das Glück, was er selber heute Abend hier geschaffen, wieder zu zerstören. Er hielt es auch für seine Pflicht dieses dem jungen Mann mitzutheilen und ihn wenigstens darauf vorzubereiten, daß seine Bahn von jetzt an noch immer keine ganz ebene sein könne. Hätte er dem von seinem Glück förmlich Trunkenen aber auch eine wirkliche Gefahr genannt, er würde ihr mit leichtem Herzen begegnet sein, vielweniger denn, wo es nur den bösen Willen oder Zorn eines fremden Geistlichen betraf, den weder Sadie's Schicksal noch das seine kümmern durfte. Des Königs selber glaubte er dabei ziemlich gewiß zu sein, noch dazu da diese geistlichen Herren selten oder nie Geschenke verschwenden, und nur den Willen Gottes vielmehr als Gebot aufstellen. Hier war also nicht einmal etwas zu gewinnen, im Gegentheil nur zu verlieren, denn die Insulaner wußten recht gut daß bei dem Aufenthalt eines Weißen zwischen ihnen, der förmlich Einer der ihrigen wurde, stets hie und da etwas für sie abfiele. Mr. Osborne selber, wenn er auch einen Conflikt mit Bruder Rowe gern vermieden hätte, stand doch keineswegs in einer so abhängigen Stellung von ihm, seinen Zorn fürchten zu müssen. Nur Sadie versicherte René sie habe eine entsetzliche Angst vor dem finstern Mann, und wollte vieles darum geben, wäre er gar nicht mit ihrem Pflegevater herübergekommen. Seinem feindlichen Wirken aber in etwas zu begegnen, wurde noch an demselben Abend ein junger Mann mit einer Privat-Botschaft an den König geschickt, daß der alte Mr. Osborne, den sie Alle auf der Insel wie ihren Vater liebten, seine Pflegetochter dem jungen Fremden zum Weibe versprochen habe, und daß dieser hinführo mit ihnen auf der Insel zu leben wünsche, wozu sie des Königs Erlaubniß erbitten ließen. Am nächsten Tag kehrte Bruder Rowe, und in einer nichts weniger als freundlichen Stimmung zurück. Er hatte den König, von dem er ohne weiteres verlangt zu haben schien den Fremden, einen entsprungenen Matrosen und Katholik, in Güte oder mit Gewalt von der Insel zu entfernen, in einer keineswegs günstigen Laune dafür getroffen, und schon die Ausflüchte die dieser machte, wenn er sich auch dem finsteren Missionair gegenüber keine direkte Weigerung erlaubte, verriethen ihm daß er, wo er blinden Gehorsam erwartete und verlangte, auf Schwierigkeiten stoßen könne. Alles was er von dem Könige als festes Versprechen erreichen konnte war, sich mit ihrem eigenen Missionair darüber zu berathen, und wenn dieser es ebenfalls wünsche, dann wolle er gern den Befehl geben, daß der junge Fremde die Insel, auf der er sich übrigens bis jetzt sehr ordentlich betragen habe, verlassen solle. Wie er aber glaube gehört zu haben, wolle der Weiße eines ihrer Mädchen heirathen und solchen Leuten, wenn sie sich wacker aufführten, hätten sie noch nie den Aufenthalt verweigert. So rasch als möglich sollte jetzt Bruder Osborne dem König seinen Willen oder vielmehr Wunsch bekannt machen, wie er ebenfalls die Entfernung des Fremden verlange. Bruder Rowe kehrte zu diesem Zweck ohne weiteren Aufenthalt, als daß er die Nacht an der anderen Seite schlief, zu den Missionsgebäuden zurück, und es läßt sich denken mit welchen Gefühlen er hier des alten ehrwürdigen Mannes Entschluß vernahm, dem Fremden die Tochter zu geben und ihn als Sohn anzuerkennen. Vergebens waren alle seine Einwendungen, vergebens blieb selbst sein Zürnen dagegen. »Ich habe dem Mädchen,« sagte der Greis, »die Erziehung eines weißen Kindes gegeben, und vielleicht, wie ich jetzt zu spät sehe, Unrecht daran gethan; ich habe sie unfähig gemacht, sich in den gewöhnlichen Verhältnissen ihrer Landsleute wieder glücklich zu fühlen; diese können ihrem Herzen, ihrem Geiste nicht mehr genügen -- bei der Verbindung mit _jedem_ Weißen ist sie aber derselben Gefahr ausgesetzt, der sie jetzt vielleicht entgegengeht -- daß sie nicht auf die Länge der Zeit im Stande wäre sein Herz auszufüllen, aber auch das ist nur noch Vermuthung -- es ist eine Möglichkeit die wir befürchten, aber nicht voraus wissen mögen, und ich kann mich nicht dazu verstehn, ihr Herz jetzt _gewiß_ zu brechen, weil es vielleicht später einmal gebrochen werden _dürfte_.« »Aber fürchtet Ihr nicht die _Sünde_ -- Bruder Osborne?« rief da der Missionair, als alle andere Beweisgründe fehlgeschlagen hatten -- »wollt' Ihr es vor der Tafel der Gesellschaft in England verantworten, Euer im rechten Glauben erzogenes Kind selber in die Hände eines Anhängers des Pabstes zu liefern? Ich würde _gezwungen_ sein, so leid es mir auch selber thun möchte, diesen Fall nach Hause zu berichten, denn die Folgen sind gar nicht abzusehen, und können auf das verderblichste für unsere kleine Gemeinde wirken. Und wie steht Ihr dann vor jenen ehrwürdigen Männern wenn Ihr selber, Einer jener Auserwählten die unter die Heiden geschickt wurden den Saamen unserer Religion in ihre unwissenden verstockten Herzen zu pflanzen -- wenn Ihr selber dann Unkraut zwischen den Weizen gesäet habt, mit Euren eigenen Händen, ja und ich möchte fast sagen auch mit den _Mitteln_, die Euch von der Tafel der Missionsgesellschaft _anvertraut_ waren in _ihrem_ Sinne, nicht in Eurem eigenen damit zu handeln?« Der alte Mann blieb aber auch fest, selbst gegen diese halbe Beschuldigung eines Mißbrauchs am Vertrauen, wenn ihn solche Anspielung auch wohl recht schwer und tief kränken mußte. »Ich habe dreiundzwanzig Jahre,« sagte er ruhig, »mein Leben der Sache geweiht, die ich für eine gute hielt und noch halte; ich habe mir in der ganzen langen Zeit keinen einzigen Vorwurf, meiner Handlungsweise wegen zu machen -- wir sind Alle Sünder und ich bin nicht reiner davon als der Geringste unter uns, aber ich kann frei das Auge zu Gott emporheben und sagen: »Herr richte über mich!« -- ich bin mir nichts Böses bewußt. Auch in _diesem_ Fall aber, Bruder Rowe, handele ich nach bestem Wissen und Willen, ich glaube nicht anders handeln zu können, und was ich da thue werde ich auch verantworten -- Euere Berichte, Bruder, werde ich Euch freilich selber überlassen müssen.« Mr. Rowe ging mit raschen ungeduldigen Schritten im Zimmer auf und ab -- am wenigsten wollte es dem fanatischen Priester in den Kopf, daß der Fremde mehr sei, als ein gewöhnlicher weggelaufener Matrose. -- Bruder Osborne hatte, wie er meinte, so lange und zurückgezogen von der Welt gelebt, daß er sich durch die schönen Redensarten und Versprechungen eines jungen leichtsinnigen Menschen vielleicht ebenfalls täuschen ließe. Er wollte deshalb selber einmal mit ihm reden und dann bald ausfinden wes Geistes Kind er sei. Es war seine letzte Hoffnung. Mr. Osborne selber wünschte dies, weil er dadurch eine bessere Meinung für den Fremden bei dem strengen Geistlichen zu erreichen hoffte, und ließ René, der mit Sadie -- jetzt aber freilich seines Versprechens enthoben -- nach ihrem Lieblingsplätzchen gegangen war, zu sich bitten. Mr. Rowe hatte den Lehnstuhl des alten Mannes eingenommen, und saß, das rechte Bein über das linke geschlagen, den Kopf auf den linken Arm gestützt, ernst und schweigend wie zu Gericht, den Fremden, der bald darauf das Zimmer rasch und fröhlich betrat, zu erwarten. Schon dessen schnelles, nichts weniger als ceremonielles Eintreten rief die Falten auf seine Stirn zusammen und die beiden Ellbogen auf die Lehnen des Stuhles ruhen lassend, die Finger der beiden Hände aber vorn gefaltet, sah er ihn mit etwas vorgebeugtem Oberkörper unter den dunklen buschigen Brauen finster an und sagte, ohne den Gruß des Franzosen anders als mit einem leisen kaum bemerklichen Kopfnicken zu erwiedern, und ohne zu warten bis der Gast einen Stuhl genommen habe, viel weniger ihm selber einen solchen anzubieten: »Mit welchem Schiff sind Sie hier gelandet, Sir?« René sah erst den Frager, dann Sadie'ens Vater erstaunt an, als ob er hätte sagen wollen -- was bedeutet das? -- bin ich hier vor Gericht gerufen? -- Mr. Osborne der aber die Unschicklichkeit eines solchen Betragens fühlte, nöthigte ihn freundlich Platz zu nehmen und bemerkte dann, fast wie entschuldigend, mit einem Blick auf seinen Collegen: »Mein würdiger Freund, hier, lieber René, wünscht sich mit Ihnen kurze Zeit zu unterhalten. Er ist, wie ich, schon lange Jahre auf diesen Inseln, und eine unserer Hauptstützen des Christenthums, selbst in den Zeiten gewesen, wo unsere Aussichten hier trüb und traurig waren, und wir schon fast die Hoffnung aufgegeben hatten Christi Lehre den Sieg über blindes Heidenthum zu verschaffen.« René verbeugte sich statt aller Antwort noch einmal, wie anerkennend, gegen den Geistlichen, der jedoch keine Miene dabei verzog und seinen Blick fest und forschend auf ihn geheftet hielt und sagte, die frühere Frage jetzt ohne Weiteres beantwortend: »Mit dem Delaware -- einem Amerikanischen Wallfischfänger.« »Und weshalb verließen Sie Ihr Schiff? -- hatten Sie nicht einen festen Contrakt für die ganze Reise gemacht?« lautete die zweite, fast noch schärfere Frage. »Sehr werther Herr,« erwiederte ihm jetzt René vollkommen ruhig und freundlich -- »wollten Sie wohl vorher die Gefälligkeit haben und mir sagen ob diese Fragen im _Laufe der Unterhaltung_ an mich gerichtet werden, oder ob es doch gewissermaßen ein Examen sein soll, zu dem ich berufen bin?« Bruder Rowe wollte eben, wahrscheinlich keine gerade freundliche Antwort darauf geben, als Mr. Osborne, der jedes böse Wort zwischen den Beiden um alles in der Welt zu vermeiden wünschte, rasch einfiel und gegen René gewandt sagte: »Bruder Rowe nimmt innigen Antheil an Prudentia's Schicksal, da das Mädchen eigentlich so zwischen uns groß geworden, und es ist besonders _deshalb_ daß er näheres Interesse für Ihr früheres Leben fühlt.« »Ich habe Ihnen, lieber Herr Osborne,« sagte da der junge Mann, »jeden nur möglichen Aufschluß gegeben, der in meinen Kräften stand, und ich will das auch mit Freuden diesem Herrn thun, wenn ihn das über Sadie'ens künftiges Glück zu beruhigen vermag.« »_Sadie_?« unterbrach ihn hier der Missionair streng -- »soviel ich weiß heißt das Mädchen Prudentia -- wobei ich wünsche daß sie ihrem Namen ein wenig mehr Ehre gemacht hätte -- und ich will nicht hoffen daß man sogar in dem Hause eines Dieners der Kirche beabsichtigt die alten heidnischen Namen, die wir nur mit Mühe und Schwierigkeit unterdrücken konnten, wieder aufleben zu lassen.« »Es ist nicht des Heidenthums wegen lieber Herr,« lächelte René, »nur des Wohlklangs -- Prudentia mag recht hübsch für eine alte würdige Matrone klingen, aber meinem fröhlichen heitern Mädchen paßt der Name gerade so, als wenn Sie ihn der Gazelle der Wüste geben wollten.« »Und _das_ sind die Ansichten die man hier mit in diese fromme christliche Gemeinde bringt?« rief der Geistliche, der nur mit Mühe seinen Zorn über den leichten fröhlichen Ton des jungen Franzosen bezwang, »das soll der Saamen sein, der ein Baum des Unglaubens seine Zweige ausbreiten und mit seinem Schatten die Frucht vergiften würde?« René sah ihn staunend an, der kleine Mitonare kauerte aber mit vor Schreck und Entsetzen offenem Munde hinten in der Ecke wieder auf seinem kleinen Stühlchen, und schien nichts Geringeres zu erwarten, als daß der schwarze Mann mit dem finstern Gesicht sich jetzt oben aus seinem Himmel einen kleinen Blitz herunterholen und den ruhig und unbefangen vor ihm sitzenden kecken Wi--wi zu Pulver brennen würde. »Sehr ehrwürdiger Herr,« sagte aber René vollkommen ruhig, denn er wollte den Mann nicht böser machen, da er wohl sah wie unangenehm das für seinen alten wackern Freund sein müsse -- »ich hoffe nicht daß Sie etwas Sündhaftes in einem, dem Ohr wohlklingenden Namen finden werden.« Bruder Rowe schien aber darauf nicht weiter eingehen zu wollen und fuhr fort: »Und Sie gedenken sich hier auf dieser Insel niederzulassen?« »Mit des Häuptlings und meines väterlichen Freundes Erlaubniß hier -- ja!« »Aber Sie gehören der katholischen Religion an.« -- »Ich bin ein Christ,« sagte René ernst -- »was verlangen Sie mehr?« Der Missionair biß sich auf die Lippen und Bruder Ezra sah nach oben, denn der Blitz _konnte_ jetzt nicht länger ausbleiben. »Und Ihre Kinder? -- sollen das auch _Christen_ werden?« frug der Geistliche mit einer fast höhnischen Zweideutigkeit im Tone. René aber streckte den Arm nach seinem alten Freund aus, und dieses Hand ergreifend sagte er herzlich: »Die soll dieser würdige Mann hier in der Lehre erziehen die _er_ für die richtige hält -- ich weiß er wird gute Menschen aus ihnen machen -- der Glaube ist mir gleich.« »Der Glaube ist Ihnen gleich?« rief aber jetzt der Fanatiker, wie ordentlich froh einen Anhaltepunkt gefunden zu haben an der Schwäche des Gegners -- »und wissen Sie daß Sie mit solchen Grundsätzen hier nur Unheil und Elend säen werden? ein Christ nennen Sie sich, und dem Antichrist dienen Sie -- Ihrer Pflicht -- ihrer Verbindlichkeiten im gesellschaftlichen Leben sind Sie entlaufen, und jetzt wollen Sie sich einem Volke aufdringen, das sie nur zwischen sich duldet, weil es seinem Geistlichen glaubt gefällig zu sein, in der That aber, ihm einen gar schlimmen Dienst damit leistet?« René war schon nach den ersten heftigen Worten des Mannes von seinem Stuhl aufgesprungen. »Monsieur,« unterbrach er ihn jetzt fest aber ruhig -- »Ihr Stand, wie der Ort an dem wir uns befinden schützt Sie vor jeder Antwort auf diese Unverschämtheit -- ~bon soir~« -- und mit einem stolzen Gruß gegen den Priester, mit einem freundlichen Kopfnicken aber gegen den Greis, verließ er rasch das Zimmer. Der ehrwürdige Mr. Rowe hatte sich in einen höchst unehrwürdigen Zorn hineingearbeitet, und er war ebenfalls aufgesprungen und ging jetzt in dem geräumigen Gemach mit schnellen Schritten, die Hände auf dem Rücken, die Augen fest auf den Boden geheftet, auf und ab. Der alte Mr. Osborne aber war erstaunt und empört zugleich über ein so rücksichtsloses, förmlich unschickliches Betragen, und jetzt nur um so fester entschlossen dem Mann, der sich weit mehr Autorität über ihn anzumaßen suchte als er beanspruchen durfte, wissen zu lassen wo seine Grenze sei. Bruder Rowe mochte aber wohl fühlen daß er ein wenig zu weit gegangen sei, oder doch mit zornigen Reden an der Sache selber nichts mehr ändern könne, denn er schwieg von jetzt darüber, und erklärte nur seinem Collegen, daß er dieses Mal nicht hier predigen, sondern morgen früh, da noch dazu eine leichte westliche Brise eingesetzt hatte, zurück nach Tahiti aufbrechen wolle. Mr. Osborne dachte gar nicht daran ihn zurückzuhalten. Am nächsten Morgen hatte er auch, ohne viel mit den Anderen zu verkehren, seine Vorbereitungen zur Abreise getroffen, während indessen Mr. Osborne den dringenden Bitten René's nachgab, und die Trauung des jungen Paares auf den nächsten Tag, als an einem Sonntag, gleich nach dem Gottesdienst festsetzte. Sie fanden es natürlich nicht für nöthig Bruder Rowe davon in Kenntniß zu setzen, und erwarteten jetzt wirklich den Augenblick mit Sehnsucht, wo der kleine Cutter wieder seine Anker lichten würde. So mochte es etwa zehn Uhr Morgens geworden sein, als plötzlich ein Knabe, der oben über die Hügel gekommen war, die Nachricht brachte, es nähere sich ein großes Schiff, von Süd-Osten her, der Insel. René war an diesem Tage viel zu sehr mit seinem Glück beschäftigt gewesen auch nur einen Blick auf den Horizont zu werfen, jetzt aber, als er auf diese Nachricht hier rasch nach Sadie'ens Lieblingsplätzchen eilte, von wo man eine freie Uebersicht über den ganzen südlichen Horizont hatte, genügte ein Blick dorthin ihn zu überzeugen daß ein, allem Anschein nach volles Schiff ohne Oberbramstengen, also jedenfalls ein Wallfischfänger, dicht am Winde liegend, von Süd-Osten gegen die erst seit gestern eingesetzte Westbrise aufkreuzend, herankam, und unverkennbar die Insel anlaufen wollte. Mehr ließ sich für den Augenblick noch nicht erkennen, aber dies war auch hinreichend ihn zu beunruhigen, und mit klopfendem Herzen stand er da, die Augen fest und unverwandt auf das näher und näher kommende Fahrzeug geheftet. Er hörte gar nicht wie sich ein leiser, leichter Schritt ihm näherte, und erst als Sadie ihre Hand auf seine Schulter legte und seinen Namen flüsterte, schaute er rasch und fast erschreckt empor, legte dann seinen Arm um sie und zog sie fest und innig an sich. Das arme Kind war aber selber zu Furcht erfüllt im Anfang reden zu können; sie sah nur das bleiche Antlitz des Geliebten und glaubte schon ihre schlimmsten Besorgnisse eingetroffen. »Ist es _Dein_ Schiff?« frug sie endlich mit kaum hörbarer Stimme und wagte ihm dabei nicht einmal in's Auge zu schauen. »Das ist noch nicht möglich zu bestimmen Du liebes Herz,« suchte sie aber René, wenigstens für den Augenblick zu beruhigen -- »ich kann das Holz des Schiffes noch nicht einmal ordentlich erkennen, und es schwimmen hier zu viele Wallfischfänger aller Nationen herum, wenn ich auch nicht geglaubt hätte daß sie sich noch so spät in der Jahreszeit hier aufhalten würden« -- setzte er leiser, und fast wie mit sich selber redend, hinzu. Keins sprach von jetzt ab ein Wort mehr, ihre Blicke hingen aber an den hellen Segeln des Fahrzeugs, das rasch näher und näher kam, und bald für das Auge des jungen Mannes keinen Zweifel mehr ließ, die Insel selber sei sein nächstes Ziel. Nur zu bald erhielt er aber sogar völlige Gewißheit, denn das Schiff war jetzt schon so nahe gekommen, daß er in dem Außenclüver desselben einen ziemlich großen Theerfleck erkennen konnte, den er selbst einst mit ungeschickter Hand, als das Segel zum Ausbessern an Deck lag, hineingegossen hatte. Es war der _Delaware_ und gerade in dem Augenblick, wo er sich seines Glücks gewiß geglaubt, warf ihm das tückische Schicksal noch einmal jenes unglückselige Fahrzeug in die Bahn und drohte Alles Alles wieder mit _einem_ furchtbaren Schlage zu vernichten. Als er damals von Bord entflohen war und sich von seinen Feinden bedrängt sah, trat er der Gefahr, ja dem Tod wenn es sein mußte, mit ruhigem unerschüttertem Herzen entgegen; er hatte Nichts zu verlieren auf der weiten Gotteswelt als sein Leben, und achtete das kaum eines ernsten Gedankens werth. Jetzt aber stand er nicht mehr allein, hier auf diesem kleinen Eiland, rings von blauen Wogen umspült, war ihm Alles Alles geworden was das Herz des Menschen an diese Erde fesseln kann, und an der Schwelle dieses Glücks wieder solcher Art allein freudlos in die kalte Nacht gestoßen zu werden, oh das wäre zu grausam -- zu entsetzlich grausam gewesen. Sadie frug ihn nicht weiter, sie las in seinen Blicken die Bestätigung ihrer schlimmsten Furcht; ihr Herz aber, das sich in mädchenhafter Scheu an den Geliebten geschmiegt, schlug ihr wieder in dem alten entschlossenen Muth, mit dem sie ihn damals schon seinen Feinden entzogen, und plötzlich seine Hand ergreifend, sagte sie rasch und fast freudig: »Sie sollen Dich nicht wieder mit fortnehmen, René, fürchte sie nicht -- ich kenne alle Schlupfwinkel dieser Wälder und weiß Stellen wo die weißen Fremden wochenlang suchen und in Verzweiflung zuletzt es aufgeben müßten je hindurchzudringen. Wir Beide flüchten in den Wald, bis das Fahrzeug die Insel wieder verlassen hat, und wenn es sein muß trägt uns mein Canoe nach einer andern Insel, viele Meilen weit entfernt von hier -- lieber mit Dir in den Wogen zu Grunde gehn, als allein hier ohne Dich leben René.« Und in wilder Leidenschaft warf sie sich an seine Brust, als ob sie schon jetzt gekommen wären, ihn aus ihren Armen zu reißen. »Sieh wie die See da draußen über den Riffen so hoch geht, Du herziges Lieb,« sagte aber leise und traurig der junge Mann -- »ein Canoe könnte jetzt nicht leben in dieser Dünung, und ich trüge Dich dem gewissen Untergang entgegen. Ueberdies könnten wir nicht vor Nacht entfliehen und bis dahin wird wohl der auf meinen Fang gesetzte Preis Verräther genug gedungen haben mich einzubringen. Nein ich kann meinem Schicksal nicht mehr entgehen, und der einzige Trost ist, daß sie mich nicht lebendig mit sich führen sollen -- oh Sadie, ich glaubte so glücklich zu sein und lasse Dich jetzt nun allein und trauernd hier zurück.« »Nein nein, habe guten Muth,« bat aber das Mädchen -- »glaube auch nicht daß die Bewohner dieser Insel so falsch und treulos wären. Damals, als sie Dich noch nicht kannten, war es eine andere Sache; von fremden Seeleuten haben sie bis jetzt fast meist nur Noth und Aerger gehabt, und es hätte vielleicht kaum des gebotenen Preises bedurft Dich auf Dein Schiff zurückzuliefern. Jetzt gehörst Du jedoch zu uns -- die Männer wissen daß Dich mein Pflegevater gern hat, und ihn lieben sie wie ihren eigenen Vater. Ja es giebt auch wohl Schlechte unter ihnen, die Dich vielleicht verriethen wenn sie es heimlich thun können, aber sie würden es jetzt nicht um den größten Lohn wagen dürfen, sie wären sonst ausgestoßen für immer. Doch komm zurück zum Haus -- sieh das Schiff umsegelt die Insel und wird wahrscheinlich auf derselben Stelle sein Boot wieder an's Ufer schicken, wo es Dich damals landete -- wir wollen indeß mit meinem Vater bereden was am Besten für Dich zu thun sei, und dann rasch und entschlossen handeln -- es ist ja nicht das erste Mal daß Sadie Dich führt,« setzte sie mit einem wehmüthigen und gar so innigen Lächeln hinzu, »Du bist ihr das erste Mal gefolgt, da Du mich noch gar nicht kanntest -- wolltest Du jetzt zurückbleiben?« René preßte die Geliebte fester an sich, und hielt sie in einem langen Kuß an seinem Herzen, aber sie wand sich endlich aus seinen Armen und seine Hand wieder, wie in früherer Zeit ergreifend, wollte sie eben mit ihm hinunter zum Hause gehn, als ihnen von dort der alte Missionair mit einem anscheinend ziemlich schweren Korb entgegenkam, und mit ihnen zurück zu der kleinen Terrasse ging. René setzte hier den Korb, den er ihm abgenommen, auf die Erde nieder und der Greis sagte, nachdem er nur einen flüchtigen Blick auf seine Kinder geworfen, ohne weitere Umschweife: »Ich hab' es mir gedacht, daß es das unglückselige Schiff sei, als ich nur hörte daß es dicht bei dem Wind die Insel anlaufe, und den prachtvollen Westwind versäume nach Nord-Osten aufzuhalten. Doch wir müssen jetzt _handeln_ Kinder, nicht lamentiren und traurig sein. Ich war erst Eurer Verbindung entgegen, nun aber, da die Sache doch einmal so weit gediehen ist, will ich Euch auch nicht Beide unglücklich wissen, so lange ich es noch verhindern kann -- aber Zeit dürfen wir auch nicht mehr verlieren. Ich habe in dieser Sache einige Erfahrung, und schon viel in meinem Leben, gerade hier auf den Inseln mit Wallfischfängern verkehrt, denen Matrosen entlaufen waren. Die Capitaine sparen nicht mit den Belohnungen die sie auf den Einfang setzen, denn die Leute müssen das ja nachher selber von ihrem verdienten Gelde abbezahlen -- sie bieten oft enorme Summen, hinreichend einen armen Insulaner, so gut und brav er auch sonst sein möchte, zu verführen -- sie haben aber auch keine lange Zeit sich aufzuhalten, besonders wenn es erst einmal so spät in der Jahreszeit ist wie jetzt, wo sie nachher noch die Sandwichsinseln anlaufen müssen Erfrischungen einzunehmen und sich auf ihren Sommerzug in das Eismeer vorbereiten. Dies Schiff kann aber kaum dort noch zu guter Zeit eintreffen, wenn es nicht eine sehr schnelle Reise nach Oweyhy oder Woahu hat und es läßt sich denken daß der Capitain hier nicht wochenlang, eines einzelnen Mannes, und noch dazu eines gewöhnlichen Matrosen wegen, herumliegen wird. Vor allen Dingen ist es also nöthig Sie aus dem Weg zu bringen, damit Sie nachher Niemand verrathen _kann_, wenn ihm auch Gelegenheit dazu geboten würde, das ist jedenfalls das Sicherste, und dazu habe ich mir einen passenden Platz ausersehn.« »Ich führe ihn in die Berge, Vater,« sagte Sadie -- »oben in den niedern Hügeln stehn einzelne Palmenhaine, und in der breiten Krone einer dieser Palmen kann er tagelang versteckt liegen. Ich weiß eine von ihnen die mein Bruder und ich in's besonders hergerichtet und ausgeschlagen haben -- den Platz kennt Niemand als ich selber, denn der Bruder ist ja todt und kein Pfad führt dorthin, kein Weg oder Steg und doch will ich die Stelle im Dunkeln finden.« »Der Platz wäre zu einer anderen Jahreszeit, und wenn wir keinen besseren hätten, vielleicht recht gut,« lächelte der Greis, »jetzt aber, wo es fast jede Nacht in schweren Schauern niederfällt, möchte der Wipfel einer Palme, besonders wenn es sich nicht um Stunden sondern um Tage handelt, doch ein fataler Aufenthaltsort sein. Nein, Du kennst das ~Ihiamoea~ Prudentia -- jenes letzte Ueberbleibsel aus der alten Heidenzeit. Es ist das ein kleines Gebäude, früher dem Gott ~Oro~ geweiht, das jedenfalls auch mit allen übrigen derartigen Heiligthümern jener Zeit vernichtet wäre, bestände nicht auch zugleich in der Familie des jetzigen Oberhauptes der Insulaner eine alte Sage, daß der König sterben müsse sobald das Gebäude zusammenfiele. Sämmtliche Vorstellungen der Missionaire sind bis jetzt erfolglos gewesen sie von der Thorheit solchen Glaubens zu überzeugen, ja Einer unserer Brüder hätte beinah einst sein eigenes Leben eingebüßt, als er in vielleicht etwas übertriebenem Diensteifer selber Hand daran legen wollte. Nur zwei Personen sind auf der Insel die es jährlich einmal besuchen, der ~fua~ oder König, ~Jeremias Aitaua~ (der Rächer), wie ihn Bruder Rowe getauft hat, und dessen Sohn; beide nur, um ein frisches Dach aufzulegen oder das alte, wenn es noch gut ist, nachzusehen. Das ist wenigstens die Entschuldigung, denn ich fürchte fast, daß sie dort doch noch, trotz ihrem angenommenen Christenthum, heimlich einige ihrer heidnischen Ceremonien feiern; da sie es aber allein thun, können wir Nichts dagegen machen, und die kleine von Stein dauerhaft aufgerichtete Hütte wird darum, so gut unterhalten, wohl noch mancher Regenzeit trotzen. Dorthin magst Du René führen. -- Keiner der Eingeborenen getraut sich den Platz zu betreten und die Weißen könnten wochenlang ihre Zeit vergeuden, ehe sie ihn auffänden. Hier dieser Korb mit Provisionen wird ausreichen, wo nicht, findet sich schon wieder einmal Gelegenheit neue Zufuhr hinaufzuschaffen, obgleich ich fest überzeugt bin daß sich das Schiff keine vierundzwanzig Stunden an der Insel aufhält.« »So will ich zum Haus gehn und meine Waffen holen,« sagte René. »Sie sind in diesem Korb,« erwiederte ihm aber der Greis -- »es ist auch weit besser daß Sie sich gar nicht wieder am Hause blicken lassen, denn neugierige Augen folgten Ihnen doch, und wenn ich auch nicht glaube daß Einer der hiesigen Leute zum Verräther werden würde, so ist es doch, wie gesagt, besser ihnen auch selbst die Möglichkeit zu nehmen verführt zu werden. Gehn Sie gleich von hier ab, und Prudentia kennt die Richtung gut genug, so weiß kein Mensch wo Sie geblieben sind. Aber Prudentia muß auch, so schnell als nur irgend möglich wieder zurückkehren, und ich hoffe daß dieser Kelch glücklich an uns vorübergehen wird.« »Lieber, väterlicher Freund --« sagte der junge Mann gerührt, und streckte dem Greis die Hand entgegen. Dieser aber wollte auch die jungen Leute nicht sehen lassen wie weh und ängstlich ihm selber, trotz seiner angenommenen Zuversicht, zu Muthe war, und sagte mit einem wohl etwas erzwungenen Lächeln: »Keinen Abschied, René -- das ~Ihiamoea~ liegt nicht am andern Ende der Welt, daß wir --« »Ich muß Sie _hier_ wohl aufsuchen, Bruder Osborne!« sagte in diesem Augenblick, dicht hinter ihnen die Stimme des Bruder Rowe mit zwar ruhigem aber doch etwas scharfem Ton -- »wenn ich überhaupt Abschied von Ihnen nehmen will -- Sie scheinen ganz vergessen zu haben daß ich im Begriff bin aufzubrechen.« Die drei Menschen schauten sich um als ob sie auf einem Verbrechen ertappt wären, und das kalte, theilnahmlose Gesicht des Priesters war ebenfalls nicht geeignet jedes unangenehme Gefühl solcher Ueberraschung zu mildern. Der Geistliche schien dies aber gar nicht zu bemerken, oder wenn er es bemerkte, zu beachten; gegen Sadie die Hand ausstreckend legte er dem Mädchen, das seine Rechte ergriff und küßte, wie segnend die Linke auf das Haupt, neigte dann seinen Kopf gegen René, der diese kalte Höflichkeit ebenso formell erwiederte, und ging, Mr. Osborne's Arm nehmend, mit diesem nach der Landung hinunter. »Und nun komm,« flüsterte Sadie, als das dichte Guiavengebüsch die Männer ihren Blicken entzogen -- »nun komm René und gebe Gott daß ich Dir recht recht bald die frohe Botschaft Deiner Erlösung bringen kann.« Wenige Secunden später schloß sich der Wald hinter ihnen, und der kleine freundliche Platz lag still und einsam im Schatten seiner rauschenden Palmen. Der Missionscutter war indeß zur Abfahrt gerüstet, Bruder Rowe traf noch einige Anordnungen zu dem nächst zu haltenden Osterfest zwischen den Insulanern und verließ dann, mit einem frommen »Der Herr segne und behüte Euch« -- die Insel. Mr. Osborne hatte kein Wort gegen ihn erwähnt, daß das Schiff was die Insel passirt war, dasselbe Fahrzeug sei, von dem René entsprungen war -- er hielt es für besser die Sache mit keiner Sylbe weiter zu berühren. Auch Bruder Rowe kam nicht wieder auf die Verheirathung der beiden jungen Leute zurück; er mochte auch wohl einsehen, daß jede weitere Vorstellung oder Einsprache unnütz sein würde. Der Cutter war zuerst nach Mitiaro bestimmt, der ehrwürdige Mann hatte aber vorher die Indianer die ihn führten noch beordert in dem Binnenwasser der Insel am Ufer hinaufzuhalten, da er zuerst noch einmal den König an der andern Seite zu besuchen, und Rücksprache mit ihm über eine Betversammlung zu nehmen habe. Capitel 7. #Der Verrath, und wie sich beide Theile dabei irrten.# Am nördlichen Ufer der Insel war indessen Alles in Aufregung, denn das Wiedererscheinen des Schiffes, an das keiner der Insulaner fast mehr gedacht hatte, bot Ursache genug das sonstige Stillleben zu unterbrechen, hätten Manche von ihnen auch gerade _nicht_ Grund gehabt zu wünschen, daß es seinen Weg nicht wieder hierher gefunden habe. Der König dachte natürlich mit einiger Beunruhigung an die Geschenke, die er unter der Bedingung überliefert bekommen hatte, den Flüchtling einzufangen und wo waren diese Sachen jetzt alle geblieben? -- wo war der Flüchtling? -- Wer aber konnte auch wissen daß das Schiff nach so langer Zeit zurückkehren würde, und eine Ausrede war bald gefunden. Als der erste Harpunier wieder wie früher an Land kam und nach dem Mann frug, erwiederte ihm der rasch herbeigeholte Raiteo -- denn der König schämte sich vielleicht vor seinem eigenen Volk, dem weißen Mann etwas vorzulügen -- mit keineswegs christlicher Unverschämtheit, sie hätten den Flüchtling damals eingefangen und drei volle Wochen auch eingesperrt gehalten und gefüttert, wie aber das Schiff gar nichts mehr habe von sich hören oder sehen lassen, da seien sie endlich genöthigt gewesen ihn wieder frei zu lassen. Seit der Zeit sei er aber ebenfalls verschwunden und sie glaubten er wäre mit einem kleinen Schooner, der neulich einmal die Insel anlief, nach Tahiti oder einer der dortigen Inseln gezogen. Das Ganze schien wahrscheinlich genug, dennoch war der alte Seemann zu bekannt mit diesem Volk um ihnen sogleich, auf die erste Bestätigung hin, die erste beste Geschichte auch zu glauben. Sie hatten einmal den Fanglohn weg, den der ~fa-u~ jetzt, wie Raiteo mit vieler Geistesgegenwart weiter log, für die so lange Unterhaltung des Gefangenen beanspruchte, und er sah wohl ein, daß er auf's Neue einen Preis aussetzen mußte. Auch hierin schien er wieder Schwierigkeiten zu finden, aber aus den langen Unterhandlungen die nach den neuen Versprechungen gehalten wurden, merkte der alte Harpunier deutlich genug daß der Matrose noch jedenfalls auf der Insel sein mußte, und der Sache ein Ende zu machen, denn die Sonne neigte sich schon ihrem Untergang, bot er dem König funfzig spanische Thaler -- ein wahrer Reichthum für seine Verhältnisse -- wie noch andere Güter die er mit im Boot führte, wenn er den Entsprungenen noch diesen Abend, oder wenigstens diese Nacht in seine Hände liefere. Raiteo ließ sich die Summe zweimal wiederholen und sogar, ganz sicher zu sein, an den Fingern vorzählen, denn er traute seinen eigenen Ohren kaum eine so ungeheuere Quantität baaren Geldes -- ohne alle die übrigen Herrlichkeiten -- in den Bereich ihres Arms zu bringen. Trotzdem schüttelte aber der ~fa-u~ mit dem Kopf -- er wollte mit der Sache, der sich sein alter Freund der Missionair angenommen hatte, nichts mehr zu thun haben, und sagte Raiteo er möge die Fremden bedeuten den Mann selber zu suchen, wenn sie glaubten daß er noch hier auf der Insel sei. Der Harpunier nahm jetzt den Burschen, dem er wohl ansah zu was er mit Geld gebracht werden konnte, in Englisch vor, und bot ihm die Summe allein, wenn er ihm den Flüchtling diese Nacht ausliefern wolle. Hiergegen erklärte ihm aber Raiteo ganz offen der Mann sei allerdings noch da, so geschwind ließe sich das aber unter keiner Bedingung anstellen. Er habe die Zeit über, am andern Ende der Insel, auf der Mission gewohnt, das Schiff als es von dort heraufkam aber auch jedenfalls sehen können, und sei jetzt wieder irgendwo im Wald versteckt, wo er allein morgen wenigstens den ganzen Tag brauchen würde ihn nur aufzuspüren, und selbst dann sei es eine schwierige Sache, da der König nichts damit zu thun haben wolle, und er selber nachher, vielleicht seines Lebens auf der Insel nicht wieder froh würde. Er verdiene gewiß gern den hohen Preis, wenn sich aber weißer Mann Capitain nicht dazu entschließen wollte zwei drei Tage auf der Insel zu bleiben und auch womöglich noch mehr Leute herüberzubringen, so sehe er keine Möglichkeit seinen Zweck zu erreichen. Das ging nicht an, das Schiff hatte sich überdies schon, durch einige Spermfische gerade damals aufgehalten als sie wieder nach Norden auf kreuzen wollten, in der Jahreszeit verspätet, und der Capitain erst nicht einmal, trotzdem daß sie die Insel passirten, wieder anlaufen wollen, aber jedenfalls nur bis nächsten Morgen mit Tagesanbruch den äußersten Termin gesetzt -- war es bis dahin nicht möglich den Mann wieder zu bekommen, so mußten sie es aufgeben, und der alte Seebär wollte sich eben, mit einem zwischen den Zähnen durchgebrummten Kraftfluch hineingeben und an Bord zurückkehren, als der kleine Missionscutter in Sicht kam und das hinten angehängte Boot gleich darauf den ehrwürdigen Mr. Rowe an Land brachte. Der Missionair hatte noch einiges mit dem ~fa-u~ zu bereden und der Harpunier zögerte einen Augenblick am Ufer -- er konnte die Schwarzröcke nicht gut vertragen, aber eine Frage that auch keinen Schaden, und der Mann kam gerade von dort her, wo sich der Flüchtling aufgehalten. Bruder Rowe fühlte vielleicht eine gleiche Sympathie für diese Art Leute, er war aber nichts destoweniger freundlich gegen den Seemann, und beantwortete seine Fragen auf das leutseligste aber ausweichend. -- Raiteo der mit offenem Munde dabeistand, kam es vor, als ob er mit der Sache nichts zu thun haben wolle, denn darum wissen mußte er. »Sehn Sie, Mr. -- wie mag Ihr Name sein?« -- »Rowe.« -- »Ah -- Mr. Rowe,« sagte der alte in seinem Geschäfte schon ergraute Seemann -- indem er fast unwillkürlich neben dem langsam längs dem Strande hergehenden Priester herschritt, wodurch sie sich von Raiteo, der ihnen ja nicht folgen durfte, entfernten. »Es ist nicht wegen dem einen Burschen daß wir uns solche Mühe geben ihn wieder zu bekommen -- was das belangt, so könnten wir eher noch zwei dazu entbehren, ehe wir gerade jetzt einen einzigen Tag hier versäumten, aber es ist wegen dem bösem Beispiel -- sehn die Canaillen daß sie fortkommen _können_, dann läuft uns auf den Sandwichsinseln nachher am Ende der ganze Schwarm davon. Kriegen wir aber so einen Burschen wieder, und auch schon während wir uns Mühe danach geben, so sehen doch die Andern daß es ihnen nicht so ganz leicht gemacht wird und hingeht, und besinnen sich zweimal, eh' sie die Beine in die Hand nehmen. Auf den Preis kommts uns dabei nicht an, denn kriegen wir sie nicht, so bezahlen wir ja auch Nichts, als vielleicht ein Bischen Lumperei an Spielkram, und kriegen wir sie, nun dann müssen sie's selber von ihrem Theil abtragen.« »Haben Sie einen hier von den Insulanern, dem Sie glauben vertrauen zu können?« frug ihn der Missionair jetzt, und drehte sich, wie im Gespräch, halb nach ihm um, zu sehn ob ihnen Niemand folge. -- »Könnten Sie einen der Leute hier bewegen Sie zu führen?« »Führen? -- gewiß,« brummte der Harpunier -- »wenn ich nur wüßte wohin.« »Ich kann mich, meiner Stellung wegen, nicht mit solchen Sachen befassen,« erwiederte ihm indirekt hierauf der Geistliche -- »Sie werden aber auch wohl als vernünftiger Mann einsehn, daß es mir nicht gleichgültig sein kann dabei, meist gewissenlose Menschen zwischen die, kaum einem etwas civilisirten und religiösen Leben gewonnenen Insulaner geworfen zu sehen.« »Nein gewiß nicht -- kann ich mir denken -- ist ganz natürlich« -- brummte der Harpunier dabei zwischen den Zähnen durch, und warf nur manchmal einen Seitenblick auf den Geistlichen, als ob er hätte sagen wollen: »nun was steckt dahinter? -- wo will der hinaus?« »Mir liegt also,« fuhr Bruder Rowe hier wieder fort -- »gewissermaßen ebensoviel daran den entsprungenen Matrosen wieder von hier zu entfernen als Ihnen daran gelegen ist ihn wieder zu bekommen.« »Ja sagen Sie mir nur wie!« platzte der Alte, dem die Vorrede zu lange dauerte, heraus. »Unter der Bedingung daß Sie meinen Namen nicht dabei nennen, und auf eine Entschuldigung oder vielmehr Ausrede, dem Eingeborenen gegenüber, den Sie zu Ihrem Führer nehmen, denken wollen, kann ich Ihnen den Platz so genau angeben wo er versteckt ist, daß Sie nicht die mindeste Schwierigkeit haben werden ihn zu finden -- ja noch mehr, der Ort liegt so vortrefflich ihn zu umstellen, daß Sie, wenn Sie Ihre Maßregeln gut treffen, ihn sicher in Ihre Gewalt bekommen _müssen_.« »Aber was soll ich dem alten Fuchs dem Raiteo weiß machen,« sagte der Harpunier sinnend, »er hat gesehn wie wir jetzt hier miteinander sprechen und ich kann es ja nicht gut von irgend einem Andern gehört haben.« Der Missionair blieb einen Augenblick stehn -- dann sagte er bedächtig: »Machen Sie sich nachher mit einem meiner Bootleute etwas zu schaffen und sprechen Sie mit ihm über irgend einen Gegenstand. -- Sie können Raiteo dann sagen daß Sie es von dem erfahren haben; ich bin ziemlich fest überzeugt daß ihn Raiteo nicht wieder danach fragen wird.« »Und wo ist der Platz?« frug der Harpunier. »Erkundigen Sie sich bei Raiteo,« sagte der Geistliche leise -- »ob er ein Haus Namens ~Ihiamoea~ auf der Insel kennt. -- ~I-hi-a-mo-e-a~ -- können Sie den Namen behalten?« »Er ist verdammt lang,« brummte der Harpunier -- »~I-hi-ma-nu~«. »~I-hi-a-mo-e-a~,« wiederholte der Missionair. Der Harpunier repetirte das Wort ein paar Mal leise vor sich hin und sagte dann: »Ich denke so wird's gehn, und da steckt er also -- aber kennt Raiteo den Ort?« »Genau genug,« lautete die Antwort. »Sie werden ihm aber einen guten Lohn versprechen müssen, denn die Insulaner haben eine gewisse Scheu vor jener Gegend.« »Er soll die ganzen funfzig Dollars haben wenn er uns heute Abend noch hinführt!« rief der Seemann rasch -- »und Gott straf mich -- noch Alles in Sachen dazu, was im Boot liegt -- wenn wir den Kerl nur kriegen. Ich habe noch außerdem mein besonderes Gift auf ihn.« »Gut, dann verlieren Sie keine Zeit mehr,« sagte der Missionair, wieder nach den Gebäuden, wo noch die übrigen standen, zurückkehrend. »Können Sie sich aber auch auf Ihre andern Leute verlassen, daß Sie am Ende nicht, anstatt Einen zu fangen, das Uebel noch verschlimmern und mehre dabei einbüßen?« »Wir sind diesmal gescheuter gewesen, als das erste Mal,« erwiederte der Harpunier -- »und haben gar keine Matrosen, sondern nur Officiere im Boot zum Rudern mitgenommen -- die Leute sind sämmtlich Harpunier oder Bootsteurer, die laufen schon seltener weg, weil sie weit höhern Antheil bekommen und auch überhaupt eine Carriere zu machen haben -- es sind nur die verwünschten Matrosen die durchbrennen, weil sie sichs gewöhnlich ein Bischen zu hübsch auf einem Wallfischfänger gedacht haben.« Sie waren indessen wieder zu des Königs Hause gekommen, welches der Missionair jetzt betrat das Wetter abzuwarten, das gerade im Osten heraufzog und schon mit drohenden Wolken über dem Horizont hing. Der Harpunier wechselte indessen mit seinen Leuten einige Worte, und ging dann nach den beiden mit dem Cutter gekommenen Insulanern zu, die unfern ihres eigenen Bootes auf den Corallen saßen und sich eine kleine Cigarre aus ihrem inländischen Tabak und Bananenblättern drehten. Er blieb einige Zeit bei diesen stehn, und ging dann, als er Raiteo gerade über sich am Rande des Gehölzes bemerkte, rasch auf diesen zu. »Raiteo,« sagte er hier dem aufmerksam Zuhorchenden -- »willst Du in dieser Nacht Dein Glück machen und ein reicher Mann werden? Du kannst funfzig Dollar und den ganzen Plunder verdienen der da im Boot liegt.« »In dieser Nacht?« erwiederte Raiteo kopfschüttelnd -- »habe weißen Mann Capitain schon gesagt daß es so schnell nicht geht -- und ist immer ein bös Stück Arbeit -- kann nicht.« »Aber Du kannst« -- sagte der Harpunier -- »kennst Du ein kleines Haus hier irgend wo auf der Insel, das sie ~I-hi~ warte einmal -- verdammt -- ~I-hi-mano~ --« »~Ihiamoea~?« sagte Raiteo rasch und leise und sah den Fremden erstaunt an -- »und ist der weiße Mann im ~Ihiamoea~?« »Verdamme mich, wenn Du den Namen nicht wie am Schnürchen hast,« lachte der Wallfischfänger -- »~Ihiamoea~ kannst Du uns dorthin noch heute Abend führen?« »Und wer hat Euch den Platz angegeben?« frug der Insulaner, und seine Augen suchten fast unwillkürlich die Stelle wo der Missionair noch vor dem Hause des ~fa-u~ stand. »Einer der Burschen dort im Boot,« erwiederte ihm der Seemann -- »sie wollens aber nicht gern wissen lassen, daß die Nachricht von ihnen kommt -- ich hab' ihnen fünf Dollar dafür gegeben.« »Hm« -- brummte Raiteo und schaute nach den Bootsleuten hin, die ruhig und abwechselnd ihre kleine dütenförmige Cigarre rauchten, und wieder nach dem Missionair hinüber; dann aber, den Kopf zurückwerfend als ob er hätte sagen wollen »was gehts mich an« gab er dem Harpunier ein Zeichen ihm etwas weiter in den Wald hinein zu folgen, und hatte nun mit diesem in wenigen Minuten das Nöthige besprochen. Das ~Ihiamoea~ war ein kleines niederes Gebäude mit einem Gemach und zwei Ausgängen, das oben auf einem der Hügel, im wildesten Dickicht und dichtesten Walde lag; aber auf einem etwa funfzig Schritt breiten, vollkommen freien Raum stand, und also mit größter Leichtigkeit umzingelt und besetzt werden konnte. In etwa anderthalb Stunden konnten sie es von hier aus erreichen und das aufsteigende Wetter begünstigte jedenfalls ein solches Unternehmen. Raiteo aber, so gierig er war das Geld zu verdienen, scheute sich eben so sehr seinen Namen dabei genannt zu wissen, als der Missionair. Er zeigte ihm deshalb jetzt den Pfad, auf dem sie sich gerade befanden, und der durch eine dichte Pandanus-Niederung hinführte -- diesen sollte der Harpunier mit seinen Leuten, sobald es dunkelte, etwa 300 Schritt weit folgen, und dann pfeifen, und Raiteo würde ihn von da bis zu dem Haus führen und ihm angeben wie er es umstellen könne -- in das Haus aber bedung er sich gleich von vorn herein aus, ging er nicht hinein; »die alten hier unten vertriebenen Götter saßen noch dort oben darin, und wenn sie auch einem weißen Mann wohl nichts anhaben konnten, so liefe doch ein Eingeborener die tödtlichste Gefahr an Leib und Seele.« Ueber die Ausbezahlung wurden sie ebenfalls einig, Raiteo bekam fünf Dollar im voraus, was ihn soviel gieriger auf das übrige machte, und der Rest sollte ihm ausbezahlt werden, wenn sie den Entsprungenen gebunden in ihrer Gewalt hätten. Der Abend setzte ein, wie es das Wetter klar genug angedeutet; einzelne Windstöße und Regen was vom Himmel herunter wollte. Der Wallfischfänger war indeß näher herangekommen, wo er durch das hohe Land gegen die Böen ziemlich geschützt lag und sich nicht in der mindesten Gefahr befand auf die Klippen getrieben zu werden, von denen ihn Wind und Strömung zugleich absetzten; in kurzen Gängen war es nur eben Alles was er thun konnte, daß er sich auf seiner Stelle hielt. Der Missionair hatte die Insel ebenfalls nicht verlassen, obgleich er lieber der durch ihn gewissermaßen herbeigeführten Katastrophe aus dem Wege gegangen wäre; auf See aber etwas ängstlich fürchtete er das Wetter möchte noch schlimmer werden und wollte sich da nicht in seiner Nußschaale von einem Fahrzeug den Wogen anvertrauen. Das Zeichen für den Harpunier an Bord zu kommen, wenn etwa in der Nacht möglicher Weise etwas vorfiele, sollten zwei Kanonenschüsse sein. * * * * * René war indessen durch seine liebe Führerin glücklich an den Ort seiner Bestimmung gebracht und schon der Weg dahin überzeugte ihn, daß Europäer den Platz nimmer in wenigen Tagen auffinden könnten, hätten sie selbst gewußt daß ein solcher Schlupfwinkel hier existire, und von den Insulanern konnte ja auch keiner glauben daß ihm diese Stelle bekannt sei. Ebenso hatte er das aufsteigende Wetter bemerkt, und nicht ohne Grund durfte er hoffen daß es den Wallfischfänger zwingen konnte, die Insel vielleicht sogar eher zu verlassen, als er im Anfang beabsichtigt. Daß aber auch Sadie nicht von dem Wetter überrascht werde, trieb er diese selber mit zärtlicher Besorgniß zum schleunigen Heimweg an, und das schöne Mädchen flog mehr als sie ging den Pfad zurück, denn sie wußte ja daß sie, je eher sie wieder am Hause sei, desto sicherer auch den geringsten Verdacht niederschlagen müsse, der Fremde habe einen so weitentlegenen Platz als das ~Ihiamoea~ zu seinem Zufluchtsort gewählt. -- An den Missionair dachte Niemand. Der Platz selber war für so kurzen Aufenthalt wohnlich genug; gegen Wind und Regen vollständig durch ein gutes Dach und fast fußdicke vielleicht sechs Fuß hohe Steinmauern geschützt, lag selbst eine breite aus dem dortigen Schilfgras geflochtene Matte in der Mitte der Hütte -- ein Beweis mehr daß der alte Missionair recht hatte wenn er glaubte, der christlichste König dieser Insel hänge noch etwas an dem alten Heidenthum. Doch wie dem auch sei, es kam René hier vortrefflich zu statten. Vor allen Dingen sah er jedoch nach seinen Waffen, steckte sein Messer in den Gürtel, den er immer trug und untersuchte die Terzerole -- aber der alte Mann hatte in der Eile das Pulverhorn vergessen, und wenn auch das Pulver noch ziemlich trocken aussah, war ihm doch nicht viel zu trauen. »Nun ich werde sie hoffentlich nicht brauchen,« murmelte er leise für sich hin -- »besser wär's aber doch ich wüßte sie sicher -- es giebt Einem immer mehr Zutrauen eine gute Waffe in der Hand zu haben.« Bei den Waffen lagen aber auch eine Masse Lebensmittel und mit doch weiter keiner anderen Beschäftigung machte er sich über den Korb her, die Leckerbissen vorzunehmen, die ihm der gute alte Mann, mit einem paar Flaschen Wein und Cocosnußmilch zusammengemischt, eingepackt hatte. So vergingen ihm die Stunden rasch -- ein paar Mal trat er in die vordere Thür der Hütte, vielleicht einen Blick in's Freie zu gewinnen, aber der Wald umgab das kleine Heiligthum einer früheren Zeit hier zu hoch und dicht, auch nur einen Blick über dessen äußerste Grenzen zu gestatten, und er warf sich zuletzt, ermüdet vom Umhergehn in so engem Raume, auf die Matte, und schaute träumend auf die kahlen Steinwände, die in früherer Zeit wohl Zeuge mancher wildromantischen Scene, vielleicht manchen furchtbaren Opfers gewesen waren. »Und wo seid Ihr jetzt -- Ihr stolzen Herrscher dieser Haine -- Oro, Du kriegerischer Gott, Hiro, Du schlauer Beschützer der Diebe, Teroro, Du Sturmerwecker, Tane, Du Herrlicher und Ihr Alle, Alle, die Ihr früher in dem Rauschen der Palmen, in dem Donnern der ewigen Brandung zu Euern Kindern spracht? -- Sie haben sich losgesagt von Euch, umgeworfen Euere Altäre, in den Wind verweht selbst Eure Namen, und das Kreuz, von einzelnen Fremden aufgepflanzt, hat wie mit einem Schlage Euer Jahrhunderte bestandenes Reich vernichtet. Aber solltet Ihr auch diese Haine, die einst Eure Macht sahen, so schnell und leicht haben verlassen können? wandelt Ihr vielleicht nicht selbst jetzt noch in den dunklen Schatten der Fruchtbäume, um die Stellen wo früher Euere Altäre gestanden, und schauet mit finsterem Groll auf die Tempel eines neuen Gottes, vor dem Euere abtrünnigen Kinder _jetzt_ ihre Kniee beugen? Umschwebst nicht Du selbst, furchtbarer Oro diese Dir einst, ja vielleicht selbst jetzt noch geweihte Stätte, und blickst zürnend auf den Fremden nieder, der sich, ein ungeladener Gast über Deine Schwelle gedrängt hat? -- Zürne mir nicht, hätte nur ich, von all den weißen Fremden diese Ufer betreten, Du herrschtest _noch_ hier, in all Deiner Herrlichkeit, ich hätte Deinem Volke seine Götter und seinen Frieden gelassen, und wer weiß ob sie nicht glücklicher -- besser geblieben wären.« Lange noch lag er sinnend und träumend auf der Matte, bis die einbrechende Nacht ihre Schatten niedersandte, und mit diesen der Regen laut und schallend auf das schilfige Dach der Hütte niederschlug. War er hier aber auch vor diesem geschützt, so fand er doch eine andere Plage -- eine wahre Unzahl von Mosquitos stellten sich schon mit der Dämmerung ein, und umschwärmten ihn jetzt als sicher unverhoffte und gute Beute zu Tausenden. Im Anfang suchte er sich ihrer zu erwehren, zuletzt aber gab er das auf und streckte sich, nur sein Taschentuch über das Gesicht breitend, auf die Matte aus, der Nacht so viel Schlaf als möglich abzustehlen. Er fühlte sich vollkommen sicher daß der Wallfischfänger, wenn er überhaupt noch an der Insel sei, _diese_ Nacht gewiß Nichts unternehmen werde ihn wieder zu bekommen, und ärgerte sich fast, die bisherige Wohnung und Sadie'ens Nähe verlassen zu haben. Eine Stunde hatte er etwa so gelegen, aber er war nicht im Stande einzuschlafen, die Mosquitos trieben es zu arg, und schienen fortwährend in neuen unersättlichen Schaaren heranzuströmen. »Das ist ein schöner Polterabend,« brummte er leise vor sich hin -- »und mein armes Mädchen sitzt indeß allein daheim und ängstigt sich um den fernen Freund -- ha! --« Er fuhr in die Höh' und horchte, schüttelte aber dann lächelnd mit dem Kopf und murmelte: »Das war wie in alter Zeit, als ich noch mit Adolphe in Canadas Wäldern jagte -- das klang genau wie sein Jagdruf -- der schrille Ton einer kleinen, an der französichen Küste heimischen Möve.« »Aber Wetter noch einmal!« rief er plötzlich in einiger Unruhe aufspringend -- »und wenn das nun doch am Ende Adolphe selber -- aber es ist ja nicht möglich -- wie hätte er diesen Ort auffinden können.« Nichtsdestoweniger tappte er nach seinen Waffen herum, die neben ihm auf der Matte lagen, und steckte sie zu sich. Der Regen hatte jetzt für kurze Zeit nachgelassen, und nur die schweren Tropfen fielen draußen noch von den Zweigen nieder. Schlafen konnte er doch nicht, also stand er auf und ging an die Thür die, halbangelehnt, ihm einen Blick auf den kleinen freien, jetzt von dem auf wenige Momente vorbrechenden Mond erhellten Platz gewährte; ha dort drüben bewegte sich beim ewigen Gott eine Gestalt -- Wild konnte es nicht sein, das gab es ja nicht auf diesen Inseln. Eine dunkle Wolke legte sich wieder über den Mond und hüllte Alles in tiefe Nacht, als aber René, das gespannte Terzerol krampfhaft fest in der Faust mit spähendem Blick und lauschend vorgebeugtem Oberkörper da stand, erkannte er deutlich zwei dunkle Gestalten die über den Plan, grade auf ihn zu glitten. -- »Verrath!« murmelte er leise zwischen den Zähnen durch, und mit Blitzesschnelle in das Haus zurückspringend, gewann er die andere Thüre. Aber in demselben Moment fühlte er sich von drei eisernen Armen zu gleicher Zeit gepackt und es war ein Glück für wenigstens einen der Fänger, daß das Terzerol versagte, denn gerade gegen das Ohr des Harpuniers gepreßt hatte es René abgedrückt. »Teufel!« schrie er, als er es von sich werfend sein Messer zu ziehen suchte -- umsonst, die Uebermacht war zu groß, und wenige Minuten später lag er, an Händen und Füßen gebunden, in der Gewalt seiner Feinde am Boden. »~Damn it~ mein Bürschchen,« lachte der alte Harpunier in aller Freude über den gelungenen Fang, »ich hatte heute Abend, als ich auf den Regen fluchte, nicht geglaubt daß er mir mit Deinem Pulver zu gleicher Zeit einen so guten Dienst erweisen würde -- das war jedenfalls gut gemeint, ich rechne Dir's aber nicht an -- hätte dasselbe an Deiner Stelle gethan; nun sei aber auch vernünftig und wehr Dich nicht nutzlos mehr -- wir sind hier unserer sieben gegen einen, und Du wirst begreifen daß da doch jeder Widerstand nutzlos ist.« »Mordet mich!« schrie aber René mit aller Kraft der Verzweiflung gegen seine Banden und die Arme die ihn niederhielten, ankämpfend -- »mordet mich, wie Ihr mein Glück zerstört habt, aber beim ewigen Gott, Ihr sollt mich nicht lebendig von dieser Insel nehmen.« »Das käme auf einen Versuch an,« sagte der Harpunier kaltblütig -- »willst Du denn gar keine ~raison~ annehmen, so haben wir uns schon so viel Mühe um Dich gegeben, daß wir Dich nun auch wohl das kleine Stückchen Wegs noch tragen können. Nehmt ihn auf Leute -- nehmt ihn auf -- oh wenn er gar so sehr strampelt -- hier ist noch Leine genug zwanzig solche Bürschchen förmlich damit einzuwickeln -- so das thuts -- noch eins um die Füße, und nun nehmt ihn auf und fort damit -- da kommt schon wieder ein neuer Regenschauer; daß die Pest ein solches Land hole.« »Ja wohinaus gehts aber jetzt?« sagte Einer der Leute, nachdem sie den sich wüthend Sträubenden aufgehoben hatten -- »ich weiß den Weg nicht mehr.« Der alte Harpunier sah sich einen Augenblick selber verdutzt in der Dunkelheit um. -- »~Damn it~,« brummte der Alte, »jetzt bin ich auch confus geworden -- welchen Cours sind wir denn eigentlich heraufgesteuert. Wo ist denn die verdammte Bestie von Insulaner -- he Raiteo, Canaille verwünschte -- wo steckt der Satan?« »Verrathen und verkauft,« knirrschte René zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch, als er von der verzweifelten Anstrengung zum Tod erschöpft zurücksank und sich jetzt willenlos forttragen ließ. -- Nicht weit von ihm ab antwortete aber ein leiser Pfiff. Es war der Insulaner, der dort auf die Seeleute, außer dem Bereich des ~Ihiamoea~, wartete, und schweigend führte er den Zug den steilen schlüpfrigen Pfad wieder zurück nach dem Landungsplatz. Der Regen goß jetzt förmlich in Strömen nieder, wenn auch der Wind für den Augenblick etwas nachgelassen hatte, als sie aber oben die Pandanus-Niederung erreichten, und nun auf ebener Bahn, auf dem scharfen Corallensand, dicht am Ufer einer der kleinen zahlreichen Lagunen oder Binnenseeen hinschritten, dröhnten laut und mahnend die beiden Kanonenschüsse von Bord des Delaware zu ihnen herüber. -- Fast unwillkürlich hielten die Leute einen Moment, der Harpunier aber rief: »Vorwärts, meine Jungen, vorwärts, wir kommen gerade zur rechten Zeit -- Wetter noch einmal, das war abgepaßt, eine Stunde später und wir hätten die ganze Geschichte aufgeben müssen.« »Was mögen sie an Bord haben?« frug Einer der anderen Harpunier. »Wahrscheinlich wird dem Alten der Wind zu bunt,« lachte der Harpunier, »und jetzt ists gerade eine hübsche ruhige Zwischenzeit an Bord zu fahren -- rasch Ihr Leute, da vorn seh' ich schon die Hüttenfeuer.« Ein neuer Hoffnungsstrahl blitzte vor René's Seele auf -- wenn ihn auch Einer der Insulaner verrathen hatte, waren ihm doch fast alle Anderen gewogen und wer weiß ob sie ihn, wenn er sie anriefe, so vor ihren eigenen Augen wegschleppen ließen. Soviel hatte er, während seines Aufenthalts auf der Insel auch schon von der Tahitischen Sprache gelernt, und als er die ersten Stimmen an den nicht mehr fernen Häusern hörte, damit die Leute Zeit bekämen sich zu sammeln ehe die Weißen das Boot gewinnen konnten, schrie er plötzlich mit lauter donnernder Stimme um Hülfe. »Knebel her!« sagte der Harpunier ruhig aber rasch -- »wer hat ihn -- Du John?« »Ja hier« -- antwortete der Mann dem Harpunier den Knebel reichend. »Der Kerl schreit uns am Ende doch noch die Insulaner auf den Hals -- wer weiß wen er hier Alles zu Freunden gewonnen hat, und besser ist besser.« An allen Gliedern gebunden und mit dem Knebel im Mund vermochte der Gefangene sich nicht weiter zu rühren, und gleich darauf erreichten sie den Strand. Raiteo forderte aber jetzt, ehe sie zu seinen Leuten hinunterkamen, den bedungenen Lohn, denn er wollte sich nicht mit den Weißen zusammen blicken lassen. Ehe sie abstießen gedachte er dann mit einem Bruder von sich, zum Boot zu kommen und die Sachen in Empfang zu nehmen, die dort noch für ihn bestimmt waren. »Lauft rasch mit dem Burschen da voran, und legt ihn in's Boot, bis ich den Schuft hier abgefertigt habe,« sagte da der Harpunier zu seinen Leuten -- »Wort müssen wir ihm doch halten; und seht zu daß Ihr das Boot flott bekommt bis ich unten bin.« Und während die Leute mit ihrer Last rasch dem Strande zueilten, blieb er neben dem Insulaner stehen und zahlte ihm das Blutgeld. Als er sich von ihm abwandte seinen Leuten zu folgen, glitt Raiteo in die Büsche. »Höll' und Teufel,« fluchte jedoch der alte Harpunier als er zum Strand kam und sah wie die Mannschaft mit dem Boot beschäftigt war, das hoch und trocken auf der Corallenbank und wohl funfzig Schritt vom Wasser ab saß -- »ob ich es den verdammten Schuften von Insulanern nicht gesagt habe das Boot flott zu halten -- und ich glaube beim Teufel, sie haben es noch mehr aufs Trockene gezogen; daß der Böse ihre Seelen verdamme. Hinein damit Jungens -- greift unter und tragt es in's Wasser -- werft den Plunder hinaus der vorn darin liegt -- der Eigenthümer mag ihn sich holen -- wo ist René?« »Hier am Hause liegt er,« sagte Einer -- »Bill und Adolphe stehen Wache bei ihm.« »Ach was Wache, der läuft jetzt nicht fort -- hier Bill -- hier Adolphe mit angefaßt und tragt das Boot zu Wasser -- hallo meine Jungen alle zusammen -- ~there she comes -- a hoy-y~. Was zum Teufel macht es so schwer -- was liegt da drinne?« »Es liegt hinten ganz voller Früchte,« antwortete Bill. »Früchte? hinaus damit, wir haben jetzt keine Zeit uns mit Früchten abzugeben -- so -- Alles hinaus -- hier an die Seite damit, was in Körben ist, können wir nachher wieder hineinwerfen, und hallo hier -- einmal eine Parthie von den Insulanern her, die können uns mit helfen, wenn sie uns wieder los werden wollen.« Von diesen ließ sich aber keiner blicken -- der Hülferuf des Unglücklichen, den sie gehört, hatte ihnen das Schicksal desselben verrathen, und wenn sie auch, wie René in letzter Verzweiflung gehofft, keineswegs gesonnen waren ihr Leben daran zu setzen, um ihn wieder zu befreien, so mochten sie doch auch weiter Nichts mit der Sache zu thun haben, vielweniger denn den Fremden selber in irgend etwas behülflich sein. Dicht am Strand wo die Leute, vielleicht zehn Schritt von dem Boot, den Gebundenen niedergelegt hatten, stand eine kleine Bambushütte, in welcher die Missionäre, wenn sie sich auf dieser Seite der Insel befanden und, vielleicht von einem Wetter überrascht, nicht mehr zu dem Missionsgebäude kommen konnten, gewöhnlich übernachteten. Hierher hatte sich auch, als das Wetter ärger zu werden drohte, der ehrwürdige Bruder Rowe zurückgezogen, ließ sich aber natürlich nicht blicken wie er die Männer mit ihrem Gefangenen ankommen hörte, sondern hielt seine Thür, allerdings nur dünnes Bambusgeflecht, geschlossen. Durch die überall offenen Stäbe der Wände konnte er aber deutlich erkennen was draußen vorging, und der gebundene und geknebelte René wurde solcher Art in nicht zwei Schritten von seiner eigenen Thüre niedergelegt, während die Leute kaum zehn Schritt weiter damit beschäftigt waren das Boot dem Wasser zuzuarbeiten. Bruder Rowe stand dicht hinter der Thür und schaute schweigend und nachdenkend auf den gebunden am Boden Liegenden nieder. Außer ihm war aber noch eine andere Gestalt ganz in der Nähe, und zwar niemand anderes als das indirekte Werkzeug des ehrwürdigen Herren -- Raiteo, der vorsichtig um das Haus herumglitt und die Bewegungen der dicht dabei in dem Boot beschäftigten Männer auf das vorsichtigste beobachtete. -- Er hatte seinen Bruder oder irgend einen seiner Freunde schon abgeschickt die ihm noch zukommenden Waaren zu holen, und seine eigenen Gründe sich nicht selber dorthin zu bemühen. »Schuft? -- so?« murmelte er dabei zwischen den Zähnen durch -- »erst ist man gut genug weißer Mann Capitain da hinauf zu führen und nachher ist man Schuft; gut -- gut Raiteo ist nicht so dumm -- Raiteo hat Geld -- liegt sicher unterm Baum -- Raiteo hat seinen Contrakt erfüllt -- jetzt kann Raiteo machen was er will, und jetzt will Raiteo einmal sehn was er machen will.« Die Wallfischfänger hatten indessen Alles was das Boot schwerer machen konnte hinausgeworfen, und während der Regen wieder in Strömen niedergoß, faßten die sieben kräftigen Gestalten das Boot und schoben es langsam aber in sicherem Fortgang den ersten kleinen Abgang hinunter, wo es wieder durch eine neue Corallenschicht aufgehalten, aber auch über diese endlich weggehoben wurde. »Die verdammten Schurken von Indianern lassen sich nicht blicken,« sagte der alte Harpunier, keuchend in aller Anstrengung, »aber hol' sie der Henker, wir brauchen sie auch nicht -- munter meine Jungen, munter -- denn hinten kommts wieder so schwarz wie Nacht herauf und wir müssen machen daß wir das Schiff erreichen, wenn uns der Alte hier nicht zurücklassen soll, und dann hätte er nachher eine schöne Mannschaft an Bord, ohne alle Officiere.« Der Delaware hatte eine Laterne ausgehangen und schien, soweit man nach der Bewegung derselben urtheilen konnte, wieder näher zu kommen. Als sich die Seeleute mit dem Boot von dem Haus entfernten, glitt Raiteo dahinter vor, und wie eine Schlange dicht an den festgebundenen Körper des Gefangenen hinan, wo er, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben und ohne weitern Zeitverlust begann, die verschiedenen Seile mit denen der Körper des Unglücklichen förmlich umwunden war, durchzuschneiden. So leise und geschickt war dies Maneuvre auch, von der Nacht begünstigt, ausgeführt daß der, gewissermaßen dicht davorstehende Missionair, der die Augen doch fortwährend auf den Körper geheftet gehabt, wohl eine Bewegung sah, aber in der ersten Minute gar nicht unterscheiden konnte was es eigentlich sei. René übrigens, der schon jeden Gedanken an Rettung in dumpfer Verzweiflung aufgegeben hatte, und jetzt nur Trost in dem einzigen Entschluß fand, sowie man ihn an Bord seiner Fesseln entledige seinem Leben gewaltsam ein Ende zu machen, fühlte kaum den scharfen Schnitt eines Messers an den Seilen, als ihm wilde fröhliche Hoffnung durch Mark und Seele schoß. Er begriff zugleich die Nothwendigkeit vollkommen regungslos zu bleiben, die Aufmerksamkeit der nur kurze Strecke von ihm entfernten Seeleute nicht auf sich zu ziehen; aber selbst die Secunden die er hier wieder in furchtbarer Erwartung lag, ob nicht doch noch, ehe er den Gebrauch seiner Glieder wieder gewinnen konnte, Jemand von unten heraufkam und der Versuch zu seiner Rettung entdeckt würde -- erfüllten ihn mit wahrer Höllenpein. Raiteo hatte Verstand genug die Füße erst frei zu machen, denn selbst mit gebundenen Händen war in diesem Dunkel die Möglichkeit zu entfliehen da. René drängte es aber den Arm frei zu bekommen, wenigstens sein Messer, das er noch an der Seite fühlte, zu erfassen; der Knebel verhinderte ihn aber auch nur einen Laut von sich zu geben, und Raiteo wollte den nicht entfernen bis er mit allem übrigen im Reinen wäre. Mit den Füßen glaubte er jetzt fertig zu sein und ging an die Arme, ein dünnes Seil, daß er in der Dunkelheit übersehen hatte, hielt jene aber noch zusammen, und René hob die Knie auf es ihm bemerklich zu machen. »Geh doch einmal Einer hinauf und sehe nach dem Gefangenen,« sagte in diesem Augenblick die Stimme des Harpuniers, die deutlich zu ihnen herüberdrang. Rasche Schritte wurden gegen sie zu gehört, und Raiteo der keineswegs im Sinne hatte seine eigene Person irgend einer Gefahr preiszugeben, ließ den noch immer Gebundenen wie er war, und glitt um das Haus hinum. Hierdurch wurde es aber auch jetzt dem Missionair, der schon der Bewegung des Gefangenen nach Verdacht geschöpft, klar, daß irgend Jemand an der Befreiung desselben arbeite. _Wer_, konnte er natürlich nicht erkennen, aber es lag keineswegs in seinem Plan den Mann hier auf der Insel zu behalten, nun es doch einmal soweit gediehen war. René schloß die Augen und sank zurück in stummer Verzweiflung. Der Mann von unten sprang auf den Liegenden zu, und bog sich zu ihm nieder, wie um nachzusehen ob seine Stricke auch noch in Ordnung seien; zu gleicher Zeit aber fühlte René wie ein scharfes Messer und eine geübte Hand das Tau von einander trennte das seine Arme fest umspannt hielt, eine Hand glitt an seinem Körper hinunter, fühlte das Seil um die Knie und trennte auch dieses. »Muth!« flüsterte dabei eine Stimme die René's Ohren wie himmlische Sphärenmusik klang -- »Muth René und jetzt fort,« -- und sich aufrichtend rief er laut: »~All right~!« und drehte sich rasch um, den Platz zu verlassen, als er plötzlich einen Arm auf seiner Schulter fühlte und erschrocken stehen blieb. René lag noch am Boden, als er ebenfalls die zweite Gestalt bemerkte, aber seine Hand faßte leise das Messer und zog es aus der Scheide -- er wußte er war frei, denn zwei Sätze konnten ihn in den Bereich des Waldes und aus der Gewalt seiner Feinde bringen. Adolphe, denn dieser war René's Befreier, drehte fast unwillkürlich den Kopf halb ab, um nicht erkannt zu werden und suchte schon loszukommen, sich wieder unter seine Kameraden zu mischen und dadurch jeden Verdacht von sich zu entfernen, als er zu seinem Staunen die Stimme des Missionairs erkannte, der ihn leise etwas von dem vermeintlich Gebundenen fortzog, damit dieser ihn nicht erkennen möchte, und mit hastiger aber unterdrückter Stimme sagte: »Habt Acht auf Eueren Gefangenen Sir -- man will ihn befreien -- ich habe --« Er sagte nichts weiter, denn ein einziger Faustschlag des riesigen Franzosen, gerad gegen seine Stirn, streckte ihn besinnungslos zu Boden. »Bind ihn,« flüsterte da Adolphe rasch, sich zu diesem niederbiegend -- »_er_ hat Dich an uns verrathen,« und so schnell wie er gekommen, sprang er die Corallenbank wieder hinunter, wo die Leute eben mit Anstrengung aller ihrer Kräfte das Boot bis zum Wasserrand gebracht hatten. »Der Gefangene liegt noch am Boden,« sagte er, als er sich hier wieder unter die Uebrigen mischte. »Aber habt Ihr nicht nachgesehen ob die Seile noch in Ordnung sind?« frug der Harpunier. »Ich kann noch einmal hinaufgehn,« erbot sich Adolphe. Da blitzte es vom Wasser herüber, und gleich darauf dröhnte der dumpfe Schall eines neuen Schusses, dem in kaum einer Minute ein zweiter folgte, zu ihnen herüber. »Hinein mit dem Boot in's Wasser!« schrie der Alte, alles Andere in dem Bewußtsein der Nothwendigkeit vergessend, so rasch als möglich wieder an Bord zu kommen, »wacker Ihr Leute, wacker und legt Euch dagegen mit Brust und Seele!« Den vereinten Anstrengungen der Leute gelang es das Boot vorn in die Fluth zu bekommen, das unruhige Wogen derselben half nach, und bald lag es flott. »Jetzt hinein, mit Riemen und Masten!« lautete der rasch gegebene Befehl, »und vergeßt Nichts Ihr Jungen -- laßt die Früchte liegen wo sie sind -- vier von Euch nach dem Gefangenen -- halt hier -- das Boot stößt noch auf -- noch einmal unter, alle zusammen -- ~a hoy~ -- ~there she goes~ -- nun die Riemen und unsern ~mossier~ her und hinein mit Euch.« Es war auch Zeit daß sie von Lande abkamen -- der Wind hatte sich, während einer fast anderthalb Stunden langen Stille, total herumgedreht, und aus Westen kann es in diesen Breiten oft gar bös an zu wehen fangen. -- Dort stieg auch schon eine schwere rabenschwarze Wand auf, und der Delaware mußte jetzt allerdings machen daß er von der Küste abhielt. Die Leute rannten sämmtlich, so rasch sie konnten, die Bank hinauf, drei von ihnen die Riemen und den Mast in's Boot zu nehmen; die andern drei den Gefangenen zu holen. Unter diesen Adolphe. »Auf mit ihm,« rief dieser, den Oberkörper des auf der Erde Liegenden so packend und mit Leichtigkeit emporhebend, daß er den Kopf unter seinen Arm bekam -- »auf mit ihm Jungens -- und hinunter -- da geht ein anderer Kanonenschuß, bei Gott!« Die beiden andern Bootssteuerer faßten, der Eine in der Mitte, der Andere unter die Knie des Gebundenen, und im vollen Lauf fast ging es damit die Corallenbank hinunter. »Vorn in's Boot mit ihm,« schrie der Harpunier -- »haut ihm eins über den Schädel wenn er sich nicht fügen will -- an Eure Riemen für Euer Leben, dort kommts herauf -- hinein in's Boot mit ihm sag' ich -- werft ihn hinein, zum Donnerwetter, wenn er nicht gehn will, darf's ihm auch nicht auf eine Beule ankommen.« »Wetter noch einmal,« brummte Bill, als die im Boot Stehenden den Körper anfaßten, hineinzogen und vorn in den Bug mehr warfen als legten, »René ist hier ordentlich stolz geworden; der hat jetzt Schnallen an den Schuhen.« Es war aber in diesem Augenblick weder Zeit viel Bemerkungen zu machen, noch sie anzuhören oder gar zu beachten. Die Leute sprangen an ihre Plätze, warfen die Riemen in die Dollen, der alte Harpunier hatte den seinigen durch das Rudereisen gezogen, und durch die elastischen Riemen vorwärts getrieben flog das leichte Boot ordentlich durch die schon unruhige See dem glücklicher Weise nicht sehr fernen Schiff, das jetzt auch noch eine zweite Laterne aufgezogen hatte, entgegen. * * * * * René war in dem Augenblick als ihn Adolphe verließ, in die Höhe gesprungen, und wußte in der That, in dem ersten Gefühl jubelnder Freiheit, nicht was er thun, ob er dem Rathe Adolphes folgen, oder den Priester ungebunden liegen lassen sollte, wo seine Flucht dann allerdings gleich bemerkt werden mußte, sobald sie ihn nur auffaßten. Eine zweite Person entschied aber seinen Zweifel, und zwar niemand Anderes als Raiteo. Raiteo war nämlich ein höchst aufmerksamer und selbst überraschter Zeuge sämmtlicher letzter, so schnell auf einander folgender Vorfälle gewesen. Klug genug aber einzusehn daß es für ihn jetzt besonders Zeit sei sich bei der Befreiung noch etwas zu betheiligen, wenn er überhaupt später Ehre und vielleicht auch noch Nutzen daraus ziehen wollte, hatte er auch noch einen andern Grund zu wünschen, die Weißen möchten die Insel mit dem Glauben verlassen, daß Alles in Ordnung sei, weil sie sonst am Ende noch Einsprache wegen den übrigen, zum Theil noch nicht einmal geborgenen Waaren thun, oder doch Lärm schlagen konnten, und dann den Antheil auf der Insel bekannt machen mußten, den er selber bei dem Fang des Europäers gehabt, und dessen er sich, so verstockt er sonst sein mochte, doch einigermaßen schämte. Kaum hatte er deshalb den Missionair, von dem er im ersten Augenblick gar nicht wußte woher er auf einmal kam, fallen gesehn und die Worte Adolphes gehört die dieser dem Freunde auf englisch zurief -- »bind ihn« als ihm auch das ganze Nützliche einer solchen Maßregel einleuchtete und er, aus seinem Verstecke vorgleitend, ohne weiteres Hand an den geistlichen Herren legte, und ihn rasch an Händen und Füßen band. René der wußte daß er von dieser Seite keinen Angriff zu fürchten, ja nur Hülfe zu hoffen hatte, erkannte im ersten Augenblick den Burschen gar nicht, bis Raiteo sein Gesicht gegen ihn aufhob und mit leiser Stimme und bedeutungsvollen Zeichen sagte: »Knebel -- schnell!« »Schurke verdammter, wo kommst Du her?« rief René fast unwillkürlich. »Pst,« sagte aber Raiteo, diesmal nicht im mindesten beleidigt -- »Knebel.« Zeit war aber auch in der That nicht zu verlieren, und kaum hatte der Insulaner den Knebel auf das geschickteste in den Mund des am Boden Liegenden gebracht, von dem er sich jedoch vorher wohl überzeugt hatte daß er bewußtlos war, als sie auch schon die Leute die Corallenbank heraufspringen hörten, und nun rasch um das Haus herum und in das Dickicht schlüpften. Mit klopfendem Herzen hörte René wie sie den Körper seines Stellvertreters auffaßten und zum Boot hinunter trugen -- dann aber, als die Riemen in das Wasser einfielen und die regelmäßigen -- o so wohlbekannten Ruderschläge an sein Ohr tönten und weiter und weiter in der Ferne verhallten, da war es ihm als ob eine Centnerlast von seiner Brust gewälzt wäre, und mit der dringensten Gefahr auch jeder trübe Gedanke aus seiner Seele verschwunden -- sein leichter Sinn schwamm wieder in der alten fröhlichen Lust oben. »Du bist doch der abgefeimteste durchtriebenste Erzschurke, Raiteo, der sich denken läßt,« wandte er sich lachend an diesen, der im Anfang nicht recht zu wissen schien auf welchem Fuß er nun, mit dem eben Befreiten wieder stehen würde, schon nach dem Klang der Stimme aber vollkommen begriff wie der »weiße Mann nicht Capitain« die Sache aufnahm, ihn aber das natürlich nicht merken lassen wollte, und nur mit kläglichem Ton jetzt versicherte und betheuerte, der »Bodder Aue« habe seinen Schlupfwinkel an weißen Mann Capitain verrathen, und weißer Mann Capitain ihn mit vorgehaltener Pistole und gebundenen Händen gezwungen sie nach dem von dem Missionair bezeichneten Platz hinzuführen. Das erste war, wie René aus Adolphes eigenem Munde erfahren, in der That so, das zweite jedoch kaum wahrscheinlich, doch nahm der junge Franzose den Burschen eben wie er war, und fühlte sich auch in seiner neugewonnenen Freiheit nicht im mindesten geneigt auf irgend Jemanden in der weiten Welt zu zürnen; überdies hatte Raiteo doch auch einen Theil seiner Schuld wieder gut gemacht, und dadurch jedenfalls Reue über etwa begangene Missethat gezeigt. René war übrigens noch zu sehr mit dem Schiff selber beschäftigt. Die neuen Kanonenschüsse verriethen des Capitains Eile in der er schien hier fortzukommen -- etwas wofür ihn der Befreite in seinem Herzen segnete, und bald zeigten auch die niedergeholten Lichter daß das Boot an Bord sei. Noch konnte er die Compaßlampe durch die Nacht erkennen, aber bald erlosch dieser schwache Punkt ebenfalls, und mit dem jetzt aus vollen Backen einsetzenden West war in kaum einer halben Stunde jede Spur von dem so gefürchteten und auch so furchtbar gewesenen Schiff verschwunden. Nichtsdestoweniger, und trotz dem Wetter, blieb René die Nacht auf dem ersten Hügel, auf den ihn Raiteo noch hinaufführen mußte, mit diesem auf Wache, und erst, als er sich mit dämmerndem Tage überzeugte daß der Delaware nirgends mehr am Horizont zu erkennen war, flog er mehr als er ging die steilen schlüpfrigen Hänge hinunter, dem Missionsgebäude zu, wo Sadie schon in peinlicher Angst den ausgeschickten Boten erwartete, der ihr melden solle ob das Schiff die Insel verlassen habe. Wie erschrak das arme Mädchen, als sie die furchtbare Gefahr des Geliebten erfuhr, aber den Glücklichen konnten trübe Erinnerungen oder _vergangenes_ Leid, die jetzigen frohen Stunden nicht verbittern, und Sadie wie René _waren_ glücklich. René hütete sich übrigens wohl, zu erwähnen was aus dem geistlichen Mann geworden sei, obgleich er natürlich nicht verheimlichen konnte und wollte, daß er durch dessen freundliche Fürsorge verrathen worden, und Raiteo beobachtete ebenfalls in dieser Hinsicht eine höchst lobenswerthe Discretion. * * * * * Was _war_ aber aus ihm geworden? Als das Boot nur eben nahe genug zum Schiff gekommen war, daß sie dort die regelmäßigen Ruderschläge unterscheiden konnten -- schrie der Capitain schon mit Donnerstimme hinüber: »Boot ahoy!« »~Ship ahoy~!« lautete die rasche Antwort des Harpuniers -- »~all right~!« »Scharf meine Jungen, scharf -- macht daß Ihr an Bord kommt,« schrie die Stimme wieder -- »steht bei hier mit den Taljen -- alles klar?« »Alles klar Sir,« lautete die Antwort zweier Matrosen, die an den Krahnen standen zu welchen das Boot gehörte, die Taljen niederzulassen. »Nieder mit Eueren Blöcken,« rief's schon in dem Augenblick von unten herauf, als daß Boot an die Seite schoß und die Ruder, wie mit einem Schlag in die Höhe geworfen, längs hineinfielen -- »hier -- hakt rasch ein -- hinauf mit Euch -- ~all right~!« -- brüllte der Harpunier wieder durch das Schreien der Leute und das Rasseln der Raaen oben, die ebenfalls zu gleicher Zeit herumflogen. Seine Leute kletterten rasch an Bord hinauf, nur zwei zurücklassend, die an beiden Enden standen und die eingehakten Taljen wahrten, und eine halbe Minute später schwebte das Boot nach oben und unter seine Krahne, mit dem Deck gleich, während die im Boot Zurückgebliebenen den Gebundenen vorholten und nach Bord hineinreichten. »Der hat die letzten zehn Minuten gestrampelt, als ob er sich die Seele aus dem Leibe treten wollte,« brummte Bill, als sie ihn oben über die Schanzkleidung holten -- »aber zum Donnerwetter --« »Zwei Reefen in Vor- und große Marssegel -- fort mit Euch da hinauf!« schrie der Capitain in diesem Augenblick; die Leute mußten den Gebundenen, der sich am Boden wand wie ein Wurm, liegen lassen und das Niederrasseln der Raaen, das Heulen der Leute an den Reeftaljen übertäubte für den Augenblick selbst das, jetzt mit Macht aufkommende Wetter. Die nächste Viertelstunde nahm das Reefen selber in Anspruch, und Niemand kümmerte sich indessen um den unglückseligen Priester. Erst als die Mannschaft mit dem gewöhnlichen tönenden »~Oh -- jolly men -- hoy~« die Marsraaen wieder aufzog, trat der zweite Harpunier, der nicht mit am Lande gewesen war und schon die letzten fünf Minuten die an Deck liegende Gestalt forschend und etwas mistrauisch betrachtet hatte, auf diese zu und sich zu ihr niederbiegend rief er erstaunt: »~Why -- damn it~ -- das ist René nicht!« »René nicht?« antwortete der Capitain, der dicht neben ihm stand, mit der Linken eine der Brassen gefaßt hatte, und die Blicke auf die aufsteigenden Raaen gerichtet hielt -- »wer soll's _denn_ sein? -- ~belay that~ -- -- große Marsraae -- was liegt an jetzt?« »Norden halb Westen,« tönte die monotone Stimme vom Steuerrad herüber. »~Steady then~ -- halt den Cours -- wer soll's denn sein Mr. Browning.« »Weiß nicht Sir,« sagte dieser der, indeß der Capitain die obigen Befehle gegeben, dem Steward zugerufen hatte eine der noch im Spintge stehenden Lampe -- die vorige Signallaterne -- herauszubringen, und mit dieser vor den Gebundenen trat -- »hallo wen haben wir hier?« »Hallo Mr. Rowsey,« rief aber in diesem Augenblick der Capitain, der ebenfalls hinangetreten war und jetzt mit in das ihm vollkommen fremde, wilde verstörte Gesicht des Bruder Rowe schaute -- »wen zum Henker haben Sie uns da vom Lande mitgebracht? -- haben Ihnen die Indianer _die_ Jammergestalt hier als René verkauft?« Der alte Harpunier drückte sich rasch durch die, den Gebundenen umdrängenden Officiere und stand, während aller Augen halb erstaunt halb lachend auf ihn gerichtet waren, wohl eine halbe Minute verdutzt vor dem, was ihn im ersten Augenblick kaum weniger als eine Erscheinung deuchte; endlich aber platzte er heraus. »~Why~ -- Gott straf mich, das ist ja der Pfaffe. -- Den? -- Himmeldonnerwetter -- _den_ haben _wir_ doch nicht etwa im Boote mitgebracht?« »So bindet ihn wenigstens los,« sagte der Capitain ruhig, und nur mit Mühe sein Lachen verbeißend. Während aber zwei daran gingen die Banden aufzuschneiden und den Gefangenen besonders von seinem Knebel zu befreien, fluchte und wetterte der alte Harpunier auf Deck herum, und schien gar nicht übel Lust zu haben jetzt selber über den Missionair herzufallen, als ob der arme Mann die Schuld dieser für ihn so traurigen Verwechselung trage. Bruder Rowe bekam aber kaum seinen eigenen Mund frei, als er auch augenblicklich seine eigene Meinung von der Sache hatte, über Mord und Gewalt schrie, und verlangte ohne Säumen wieder an Land gesetzt zu werden. Mit Mühe nur bekam man von ihm heraus, daß seiner Meinung nach einer der Leute aus dem Boot ihm einen Schlag versetzt, der ihn bewußtlos niedergestreckt und ihn dann wahrscheinlich gebunden und geknebelt hatte. Hiergegen protestirte aber der Harpunier als eine Unmöglichkeit, denn so lang sei gar keiner von seinen Leuten von ihm entfernt gewesen, das zu bewerkstelligen. Nichtsdestoweniger wurden die Leute alle vorgerufen und der Priester sollte jetzt den nennen, den er für den Thäter halte -- war das aber nicht im Stande. Der Harpunier erinnerte sich übrigens einmal Einen die Bank hinaufgeschickt zu haben nach dem Gebundenen zu sehn, der war jedoch augenblicklich zurückgekehrt und Adolphe meldete sich, gleich auf die erste Frage, ohne weiteres, hatte aber, wie er ruhig bemerkte, nur die Gestalt am Boden liegen gesehn und sich um weiter Nichts bekümmert. Adolphe war nun allerdings René's Landsmann, und wenn auch bei Manchem, selbst bei dem Capitain ein leiser Verdacht aufsteigen mochte, daß damit nicht Alles richtig hergegangen sei, ließ sich auch nicht das mindeste mit einer Anklage machen, bei der der Kläger selber nicht einmal den Thäter erkannte, vielweniger auf ihn zu schwören vermochte. Dazu kam noch der alte Groll, den Wallfischfänger gewöhnlich gegen die Missionaire, sehr häufig allerdings ungegründet, manchmal aber auch mit Ursache haben, und in dem Aerger über das Entkommen des Matrosen mischte sich jedenfalls eine gewisse Parthie Schadenfreude, daß gerade der Priester, der den Seemann verrathen hatte, in dieselbe Grube gefallen war die er dem Andern gegraben, und der Capitain zuckte zuletzt nur mit den Schultern, als der geistliche Herr in vollem Zorn versicherte, er werde sich an seine Regierung wenden und volle Genugthuung für diese schmählige, nichtswürdige Behandlung fordern. Jetzt aber verlangte er vor allen Dingen augenblicklich und ohne weiteres Säumen wieder an Land gesetzt zu werden. »An Land!« rief dagegen der Capitain -- »jetzt bei _dem_ Wetter? und wenn Sie mir tausend Dollar Passage bis zu der verdammten Insel zahlten, die ich wollte ich hätte sie im Leben nicht gesehen, möchte ich keins von meinen Booten und vielweniger mein ganzes Schiff noch einmal zwischen die Riffe hineinwagen.« Bruder Rowe war außer sich -- aber Drohungen wie Versprechungen blieben gleich fruchtlos, und das einzige womit ihn der Capitain tröstete, war, daß er eine der nördlich gelegenen Inseln wolle anzulaufen suchen, von da könne er dann sehen wie er wieder nach Tahiti oder hierher zurückkomme. Zwei Tage später lief er Bola-Bola an, wo er den ~Rev.~ Mr. Rowe absetzte und vierzehn Tage vergingen ehe er von dort aus im Stande war seinem Schooner wissen zu lassen wo er sich befand, dessen Leute unter der Zeit übrigens in vollkommener Gemüthsruhe, und ohne auch nur einmal nachzufragen weshalb der weiße Mitonare sie so über Nacht verlassen habe, geblieben waren wo sie sich gerade befanden, sie hatten ja genug Brodfrucht und Cocosnüsse dort, und der Schooner lag sicher vor Anker, was wollten sie mehr? -- sie hätten auf die Art noch ebensoviele Monate wie Wochen gewartet. Capitel 8. #Tahiti.# Wie nach dem wilden furchtbaren Schlag eines Wetters, der uns das Blut stocken machte in den Adern, fast immer Ruhe eintritt in der Natur, der nur leise grollende Donner mehr und mehr verhallt in weiter Ferne, und die Welt, von Sonnenschein beglüht, frisch aufathmend und neu belebt im reinen blitzenden Lichte liegt, so schien sich alles Leid, das der Himmel für die Liebenden in seinen dunklen Wolken geborgen, an diesem letzten furchtbaren Tage entladen -- aber auch erschöpft zu haben. Mit dem, fast noch während dem Sturm scharf und heftig einsetzenden Ost-Passat, hätte der _Delaware_ jedenfalls eine lange Zeit gebraucht wieder gegen die Insel aufzukreuzen, wenn er ja noch im Sinn gehabt mit beispielloser Zähigkeit sein Ziel zu verfolgen. Das aber war, besonders nach den letzten Erfahrungen, nicht mehr zu fürchten, und wenn auch Mr. Osborne durch das eigenthümliche Verschwinden seines Collegen, dessen Schooner, wie ihm der ~fua~ gleich am andern Morgen meldete, seiner harrend in dem kleinen Boothafen lag, beunruhigt wurde, verhinderte ihn dies doch nicht die heilige Handlung an den, ihm jetzt nur noch lieber gewordenen jungen Leuten zu vollziehen und sein Kind, sein liebes, liebes Kind dem Schutz des Fremden anzuvertrauen, den ein wunderliches Geschick an diese Küste geworfen. Von da an gehörte René zu den Söhnen des Landes, und selbst Raiteo würde nicht mehr gewagt haben verrätherisch an ihm zu handeln -- wenigstens nicht unter gewöhnlichen Umständen. Am meisten erstaunt waren aber die Insulaner über das Verschwinden des finsteren Mitonare, und Mr. Osborne wollte schon die betrübende Nachricht seines Todes nach Tahiti senden, als sich René doch genöthigt sah ihm seine »Vermuthung« über den eigenthümlichen Fall mitzutheilen. Bald darauf kam aber die Nachricht von Bola-Bola, daß er dort glücklich gelandet, und einige Tage später Mr. Rowe selber. Aber er verließ die Insel wieder, ohne auch nur eine Sylbe über seine Fahrt zu äußern oder selbst Mr. Osborne aufzusuchen, in dessen Hause er natürlich den, im vollen Besitz seines erstrebten Glückes gefunden hätte, der die Ursache seiner Schmach gewesen, und gegen den er jetzt einen, wenn auch heimlichen, doch so gewaltigeren Haß im Herzen trug. Ihm lag also nicht daran gerade jetzt mit ihm zusammenzutreffen. Aber was schadete der Haß des finsteren Mannes den Liebenden? -- In ihrem neuen Glück dachten sie kaum der Außenwelt, und René besonders, bei dem der Uebergang von wildester Verzweiflung zu höchster Seligkeit in dem Umfange weniger Stunden lag, schien sich im Anfang kaum fassen zu können in jubelnder, jauchzender Lust. Der alte Mr. Osborne hatte sogar alle Hände voll zu thun ihn selbst nur während der kirchlichen Feier im Zaum zu halten, und Mi-to-na-re Ezra trippelte fortwährend um ihn herum, und schien ihn um's Leben gern bald an einem Arm, bald an einem Beine fassen zu wollen, nur um den rastlosen beweglichen Wi--Wi ein einziges Mal fest und ruhig zu halten, wie es einem anständigen Christen, der er ja doch einmal werden wolle, gezieme. In einem gleichen Taumel vergingen ihm selbst die nächsten Monate. Des Missionairs Rowe Rückkehr von seinem unfreiwilligen Kreuzzug lockte ihm kaum ein Lächeln auf die Lippen, so gleichgültig war ihm der Mann geworden, und mit dem Bau für seine eigene kleine Heimath beschäftigt, den er mit vollem fröhlichen Eifer betrieb, fühlte er, daß er jetzt ein neuer Mensch geworden, und die Brücke hinter sich abgebrochen habe, die ihn bis dahin noch mit der Außenwelt, zu der er nicht mehr gehörte, verbunden. So verging fast ein volles Jahr und Mr. Osborne selber fing an zu glauben daß Bruder Rowe -- der aber seit jenem Tag Atiu nicht wieder betreten, sondern stets einen anderen Geistlichen zur Revision gesandt hatte, seinen Groll gegen die ihm verhaßte Verbindung der jungen Leute -- zu der _er_ die Hand geboten -- in dem regen ja unruhigen politischen Treiben der Hauptinsel, wie in den gefährdeten Interessen seines Standes vergessen, oder wenigstens vergeben habe, wie es dem Verbreiter christlichen Glaubens und Duldens auch gezieme, als ihn eines Tages ein großes versiegeltes Schreiben des »~board of Missionaries~« von England, aus seinem Traum und Glauben riß. Es war seine Abberufung von Atiu und Versetzung nach Tahiti, gewissermaßen unter die Aufsicht der dort die obere Leitung der geistlichen ja auch politischen Angelegenheiten führenden Missionaire, unter denen Bruder Rowe eine sehr vorragende Stellung einnahm -- und wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf ihn die Botschaft. Aber nicht ihn allein; es war die erste Trauerbotschaft für die ganze Insel, und wenn es Sadie'ens Herz mit Kummer und Sorge füllte, setzte sich der kleine Mi-to-na-re geradezu in seine Lieblingsecke im Haus auf den niederen Schemel, und fing an von Herzen weg zu weinen, daß er jetzt seinen alten Freund und Gönner, Bodder ~O-no-so-no~ verlieren und einen Anderen -- vielleicht gar -- es überlief ihn ordentlich wie mit Fieberfrost -- vielleicht gar den »Bodder Aue« dafür herüber bekommen sollte. Sadie hatte kurz vorher dem Gatten ein Mädchen geboren, und wenn es möglich gewesen wäre René's Glück zu erhöhen, so hätte es dies neue Gefühl der Vaterfreude thun müssen. René war auch der Einzige vielleicht, der in einer Uebersiedelung nach Tahiti nicht das Schmerzliche sah wie Sadie und Mr. Osborne, denn daß sie den alten Mann nicht wollten allein nach der fernen Insel ziehen lassen verstand sich von selbst. Der Platz hier war ihm lieb und theuer geworden, und nur mit schwerem Herzen trennte er sich davon, aber mit seiner Sadie und seinem Kind wußte er auch, daß er sich die Nachbarinsel ebenso gut zum Paradiese schaffen konnte, und wenn er auch ungern von ihrem Lieblingsplätzchen am stillen Strande schied, das der Erinnerungen so viele und theuere für ihn hatte, entschädigte ihn der _Wechsel_ seines Aufenthalts -- wenn er sich darüber auch nicht gerne laut Recht geben mochte -- doch in etwas für die liebgewonnenen Stellen. Anders war es mit Sadie; -- ihr ganzes Herz hing an dieser heimathlichen Küste, die ihr das Leben, die Liebe gegeben, und jedes Blatt, jede Blume die sie zurücklassen sollte that ihr weh. Auch eine heimliche, ihr fast unerklärliche Angst hatte sie vor Tahiti; sie war nur ein einziges Mal mit ihrem Pflegevater dort drüben gewesen, und zwar etwa ein Jahr vorher, ehe der Delaware an ihrer Insel landete; aber das Leben und Treiben der fremden bewaffneten Männer dort, das kecke Auftreten ihrer eigenen Landsmänninnen, die ewigen Streitigkeiten dort zwischen einzelnen ihres Stammes und den Missionairen selber, mit den Uebergriffen die sich die Franzosen, von den Kanonen ihrer Kriegsschiffe beschützt, in die Rechte ihrer Landsleute erlaubt, hatten das einfache Kind des Waldes tief verletzt, und sie war damals recht froh gewesen, als der kleine Missionscutter endlich wieder die Anker lichtete und dem heimischen Strand entgegenstrebte. _Das_ Land sollte jetzt ihre künftige Heimath werden, und wie nahender Schmerz lag der Gedanke auf ihrer Seele; sie konnte sich nicht daran gewöhnen, und mußte sich endlich gewaltsam losreißen von dem theueren Ort. Ein gar trauriger Abschied war es aber besonders von ihrem Lieblingsplätzchen am Seestrand; sie stand lange, lange dort, das Kind am Herzen und das kleine, zum ersten Mal sorgenschwere Haupt an die Brust des Gatten gelehnt, der sie fest und liebend umschlungen hielt. Was für süße selige Erinnerungen knüpften sich an diesen engen Raum, und ihr Herz blutete, wenn sie daran dachte ihn _auf immer_ verlassen zu sollen. Sie war so glücklich hier gewesen -- war es noch, und was mehr konnte ihr die ferne Insel bieten? -- Ach es war ein recht schmerzlicher Tag auch für den alten Missionair, und als der kleine Missionscutter endlich unter Segel ging, standen die Insulaner in weiten Schaaren am Strand, und winkten mit ihren Tüchern, und riefen den Scheidenden ihr _Joranna, Joranna_ nach, über das blaue Wasser. Und Sadie saß an Deck, ihr Kind auf dem Schooß und sah die Wipfel ihrer Palmen langsam in das Meer tauchen und die Hügel sich senken, und in dem feuchten Abendhauch der über die Wasser strich, verschwimmen -- und wie die Nacht einbrach saß sie noch, den thränenvollen Blick fest dorthin geheftet, wo ein Theil ihres Herzens zurückblieb in bitterem Schmerz, sie mochte sich selber Vorwürfe darüber machen soviel sie wollte. René aber störte sie nicht in ihrem Gram, und quälte sie nicht noch mehr mit nutzlosem Trost; nur still und schweigend setzte er sich neben sie und ruhte ihr Haupt an seiner Brust, daß sie sich dort still und ungehindert ausweinen, aber dann auch wieder neue Kraft finden konnte, an dem Herzen des geliebten Mannes. Die Reise war kurz und glücklich, und Mr. Osborne schon in seinem neuen Wirkungskreis gekannt, und von den Insulanern geliebt, zu deren Herzen sein väterliches mildes Wesen weit eher sprach, als der starre finstere Ernst fast aller anderen Geistlichen. Auch von der Königin Aimata, mit dem Zunamen Pomare, wurde ihm ein freundliches Plätzchen mit Haus und Garten zu seinem künftigen Aufenthaltsort angewiesen, so daß er sich dort wohl hätte wieder recht wohl und glücklich fühlen können, wäre ihm nicht der unmittelbare Einfluß seines jetzigen und hier viel geltenden Gegners in seinem ganzen Wirkungskreis zu sichtbar und dadurch schmerzlich geworden. Fast nur auf die Stadt Papetee selber dabei beschränkt, wo französischer Einfluß und der sich dem geistlichen Joch entringende Sinn der Eingeborenen die Bevölkerung, wenn auch noch nicht dem anderen Glauben gewonnen, doch schon dem ihren sehr entfremdet hatte, waren ihm all jene lieben Pflichten seines Berufs -- mit den Eingeborenen in ihrer Einfachheit zu verkehren und sie in der besseren Lehre zu festigen -- genommen worden, und er fand nur zu bald, daß er es hier mit einem ganz anderen Menschenschlag zu thun habe als auf Atiu. Nicht mehr allein die gutmüthigen Insulaner die, fast unberührt von der Außenwelt, sorglos in den Tag hinein lebten und, wenn sich Jemand die Mühe dazu gab, auch leicht einer etwas edleren Richtung gewonnen werden konnten, der sie ihre angeborene Gutmüthigkeit schon von selbst entgegentrieb, war es auf Tahiti ein Volk, das nicht mit den Sitten, sondern fast nur allein mit den Unsitten der fremden Eindringlinge bekannt geworden, und bei dem -- während ihm die Möglichkeit genommen war allein und kräftig auf sie einzuwirken -- Leichtsinn und Verführung weit stärker und mächtiger und mit viel gewaltigeren Waffen arbeitete, sie aus guten einfachen Menschen zu allein Möglichen zu machen was schlecht und traurig war. Den Glauben an ihre alten Götter hatten die letzten Jahrzehnde, wenn auch noch nicht ganz zerstört, doch so erschüttert und untergraben, daß diese frühere Religion jeden Einfluß auf sie verloren, und während sie sich dem christlichen Cultus hingaben und sich in seinen Lehren zu festigen suchten, ja während die Geistlichen noch eifrig bemüht waren sie den »einzig wahren« Gott kennen zu lehren und sie besonders unkluger Weise in die Geheimnisse unserer _Dogmen_ einzuweihen, kamen plötzlich andere, ebenfalls weiße Männer -- Abkömmlinge desselben Stammes, mit einem anderen Gott, wenigstens mit einem anderen Namen desselben, aber unter Jehovas Panier, Jesus Christus als den Heiland erkennend, straften die erstgekommenen mit ihren Lehren Lügen, und verlangten von den Insulanern sie sollten zum zweiten Mal den Glauben ändern und jetzt den einzig und »wirklich wahren« Gott erkennen lernen. Und hatten _diese_ recht? ihre alten Missionaire donnerten Anathemas von den Kanzeln nieder, gegen sie, vertrieben die »neuen« Priester aus dem Land, solange sie noch Macht darüber hatten, und stellten sie ihren Gemeinden als Götzenanbeter und Ungläubige hin, bis die vertriebenen Priester mit einem französischen Kriegsschiff zurückgebracht, und unter den Mündungen der Kanonen ihnen das Recht erzwungen worden zu _bleiben_ und den neuen Glauben zu _lehren_ -- und welchen Eindruck mußte das auf die Kinder dieser Inseln machen. Die Masse nahm es leicht -- ihr Glaube war bei den Meisten noch nicht so ernster Art gewesen, ihnen das Herz schwer zu machen, als ihnen andere Priester jetzt bewiesen daß die weißen Missionaire, die sie bis dahin nur mit Scheu und Ehrfurcht betrachtet, von einer anderen Sekte angefeindet und des Irrthums ja der Lüge beschuldigt wurden. Viele freuten sich sogar eines Zwanges wieder ledig zu werden, der anfing ihnen lästig zu sein. Andere aber auch, die sich dem Christlichen Glauben mit voller ungetheilter Kraft und Liebe hingegeben, hörten mit Entsetzen die neue Lehre, nach der sie ja nur eines anderen Unglaubens wegen ihre alten Götter verrathen. Und war der _jetzige_ Glauben der rechte? -- Hatte der erste gelogen, wer stand ihnen dann dafür, daß nicht vielleicht in Jahresfrist ein neues Schiff auch neue Priester bringen konnte, die wieder verwarfen was die jetzigen lehrten? -- und wie dann wurden jene Versprechungen wahr, die ihnen von einem ewigen Leben gemacht, und derentwegen sie ihre eigenen Götter verlassen und verstoßen? -- heiliger Gott, war das Alles ein Märchen gewesen, nur von dem weißen Mann erfunden, sich einzunisten in ihrem Land, und die Herrschaft an sich zu reißen, wie er es gethan? Manche Thräne ist da im Stillen geweint, manches Auge hat da verzweifelnd aufgeblickt, zu den freundlichen Sternen, in deren freundlichen Blinken sie sonst nur Glück und Freude sahen, denn einer zürnenden Gottheit Hand lag auf ihrem Land und sie wußten nicht wohin sie sich wenden sollten, den Strahl abzulenken der ihr Haupt bedrohte. Vor den alten Göttern durften sie ja nicht wagen sich wieder niederzuwerfen; deren Bilder lagen entehrt -- zerstreut umher -- von den Kindern derer geschändet, die einst anbetend vor ihnen den Staub geküßt -- und der _neue_ Gott? -- Zweifel waren in ihnen wach gerüttelt _dem_ zu dienen, und in starrem Jammer sahen sie die einst so sonnige Welt sie öde und trostlos umlagern; oder sie warfen sich auch im tollen Uebermuth, Gott wie die Götter von sich stoßend, jenem chaotischen Nichts und mit ihm dem Taumel wilder, zerstörender Vergnügungen in die Arme, der ihnen von den Fremden im reichen vollen Maaß geboten wurde. Solchen Boden mußte der alte Mann mit seinem stillen traulichen Atiu vertauschen, und nicht einmal in den ihm nächsten Amtsbrüdern fand er dabei die nöthige Unterstützung und Hülfe, während sein klarer Verstand, wie sein gutes Herz zu gleicher Zeit auch nur zu deutlich fühlten, wie gerade deren starrer und unduldsamer Fanatismus _das_ Uebel das sie bekämpfen wollten -- einer neuen für irrthümlich gehaltenen Lehre den Eingang zu verweigern -- unterstützte, und dem Feind von den eigenen Truppen ganze Schaaren in's Lager jagte. Der ehrwürdige Bruder Rowe machte ihm besonders das Leben schwer, und so sehr er das fühlte und den ihm feindlich gesinnten Mann zu einer offenen Erklärung zwingen wollte, so vorsichtig und geschmeidig wich dieser jeder Zeit ihm aus, und selbst der direkten Frage hielt er nicht Stand: Jene Zeit war vorbei, lange vorbei, wie er sagte, und geschehene Dinge, wenn man sie vielleicht auch wieder ungeschehen machen möchte, nicht mehr zu ändern -- in _seinem_ Herzen lebte kein Gefühl der Rache oder des Zornes -- weshalb auch Rache? weshalb Zorn? -- wenn sich Mr. Osborne Vorwürfe über irgend etwas Geschehenes zu machen hätte, so bedauere er das, aber er selber thue es nicht -- Mr. Osborne müsse das mit sich selber ausmachen. Mr. Osborne vertheidigte sich freilich mit Eifer auch selbst gegen eine solche Vermuthung, und sprach sich rein von jeder wissentlichen Sünde, aber Bruder Rowe antwortete ihm stets nur durch ein frommes Verdrehen der Augen und Achselzucken, und war freundlicher als je gegen ihn; aber nichtsdestoweniger schickte er im Geheimen Pfeil auf Pfeil ab gegen den alten Mann, und verkümmerte und trübte diesem das Leben dermaßen, daß er keiner einzigen Stunde mehr froh und sein Beruf, der ihm bis dahin eine Lust und Freude gewesen, ihm zur schweren traurigen Last wurde. Und dennoch gab er sich demselben jetzt mit um so größerem Eifer hin; er fühlte daß die gute Sache gerade jetzt am nöthigsten einer Hand bedürfe, die es wirklich gut mit ihr meine, und der es nicht blos um Sieg und Herrschaft der Einzelnen, sondern wirklich um das Glück der Eingeborenen zu thun wäre, Fleiß und Zeit daran zu opfern. Die Art aber, wie er dabei seiner Ueberzeugung folgte, mußte ihm mehr und mehr Gegner unter den Missionairen in's Leben rufen, deren ganze Energie, mit nur wenigen Ausnahmen, einem anderen Systeme zustrebte. Diese wütheten förmlich gegen die »papistischen Gräuel« wie sie es nannten, und die »heidnische Wirthschaft« die plötzlich den Sieg auf diesen Inseln errungen, während sie selbst schon seit Jahren dagegen gepredigt und alle ihre Macht, wenn auch vergebens, aufgeboten hatten, die fremden Priester _einer anderen Religion_ fern zu halten. Von den Kanzeln nieder donnerten sie mit allen nur möglichen und unmöglichen Bibelcitaten gegen die »Unterdrücker des Körpers und der Seele« die Franzosen an, die ihnen mit ihren Kriegsschiffen die fremde Sekte aufgezwungen; warnten vor dem Antichrist, der jetzt unter ihnen herumgehe wie ein brüllender Löwe, zu suchen welchen er verschlinge, und prophezeihten die Wiedereinführung der Götzen und Schlachtopfer, der Kindesmorde und Glaubenskriege. Starrer als je beharrten sie dabei auf ihren Dogmen und Artikeln; auch die kleinsten Vergehen gegen ihre eingeführten Gebräuche und Ceremonien _ihrer_ Kirche, ja selbst die als heidnisch ausgeschrienen oft selbst unschuldigen Vergnügungen der Insulaner, wurden zum Verbrechen, und mit _eiserner_ Hand wollten sie die Schaar der Gläubigen, die ihnen noch unverführt und treu anhing, von dem Abgrund zurückhalten, der gierig ihre Seelen zu verschlingen drohte. Der alte ehrwürdige Mr. Osborne glaubte dem Ziel auf eine andere Art und Weise entgegenarbeiten zu müssen, und sein gutes Herz zwang ihn schon dazu. Er konnte, trotz allen Bemühungen ja Drohungen seiner Collegen, nicht dahin gebracht werden die andere Lehre zu _verdammen_, denn mit Recht behauptete er, daß gerade dadurch den Insulanern auch jede Möglichkeit benommen worden sei zwischen den beiden zu prüfen, wenn von beiden Seiten zu gleicher Zeit Fluch und Verdammung gegen sie ausgesprochen wurde. Er zeigte ihnen auch nicht den strengen ernsten und unversöhnlichen Gott, mit dessen Zorn und Strafgericht die Anderen drohten, sondern den milden, liebenden Vater, der auch dem irrenden Kinde gern und willig die Hand reiche und den Pfad zeige, mit gutem frommen Herzen darauf zu wandeln, und waren sie fröhlich dabei, sangen und tanzten sie und schmückten sie ihre Haare mit Blumen, so warnte er sie wohl vor dem Misbrauch solcher Freude, aber er schrie nicht gleich sein Anathema über sie, und sie hatten ihn deshalb lieb und glaubten seinen Worten, weil ihr Sinn einen Anklang in ihren Herzen fand. Freilich konnte er aber, trotz alledem, dem tollen und unsittlichen Treiben nicht wehren, das die Inseln, und vor allen anderen Tahiti, erfaßt hatte. Durch die jetzt fortwährend hier anlegenden Kriegsschiffe und Wallfischfänger hatte sich die weibliche Bevölkerung, mit einer nur sehr geringen Ausnahme, dem Laster rücksichtslos in die Arme geworfen, und welchen verderblichen Einfluß mußte das nicht auf die ganze Bevölkerung der Insel ausüben. Nur die unendliche Gutmüthigkeit und Harmlosigkeit dieser Stämme hielt sie dabei vor einem zügellosen Ausbruch _aller_ Leidenschaften zurück, wie es, unter gleichen Umständen, in jedem anderen Land der Welt nicht hätte ausbleiben können, und es läßt sich denken welche wunderliche und unnatürliche Stellung die Missionaire in solcher Umgebung oft einnehmen mußten. Hierzu kam noch der, zu jener Zeit gerade so verwickelte _politische_ Zustand der Inseln, der eben durch den übergroßen Eifer der Missionaire herbeigeführt worden, und mit dem ich den Leser, ehe ich meine Erzählung wieder aufnehme, jedenfalls erst vertrauter machen muß. Innere Kämpfe, vorzüglich durch die Ankunft Europäischer Schiffe hervorgerufen und genährt, und mit den neu eingeführten Feuerwaffen tödtlich gemacht, hatten die Inseln schon vor der Einführung des Christenthums oder der Ankunft christlicher Missionaire erschüttert, und einen Partheienhaß in's Leben gerufen, der Jahrzehnde wohl unter der Asche glimmend lag, aber nur einen Anlaß suchte wieder hervorzubrechen und mit erneuter Kraft das wunderschöne Land zu verwüsten. -- Otu der aus einer wunderlichen Ursache den Namen Pomare[H] annahm, wußte sich, nachdem der rechtmäßige Königsstamm vertrieben worden, zum obersten Häuptling, ja zum ~Arii rahi~ oder König der Inseln emporzuschwingen, und es gelang ihm auch, besonders durch die gerade damals landenden Europäischen Schiffe unterstützt, sich zu halten und seinem Geschlechte Rang und Würde erblich zu machen. Nichtsdestoweniger lebten aber noch Häuptlinge des anderen Stammes, und nicht mit Unrecht glaubte besonders der Sohn Otus, Pomare ~II.~ eine kräftige Stütze seiner Macht in den fremden weißen Männern zu erhalten, deren Religion er auch annahm, ohne sich jedoch in seinen Sitten viel nach ihnen zu richten -- wie er denn auch in Folge seiner Ausschweifungen hauptsächlich starb. -- Ja er ließ sich sogar in höchst unchristliche Kriege um sein Götzenbild Oro ein, in Folge dessen eine Revolution ausbrach und der König vertrieben, die Mission selber zersprengt wurde. Der Verlust seiner Macht wurmte aber den König, und vielleicht fühlend daß ihn seine anderen Götter nicht genug geschützt hatten, und von dem neuen Gotte größere Protection erhoffend, vielleicht niedergebeugt durch manche häusliche Leiden zu gleicher Zeit, denn seine Königin war ihm ebenfalls gestorben, warf er das alte Heidenthum jetzt von sich, bekehrte sich öffentlich zum Christenthum und führte dies, mit Hülfe des Oberpriesters Tati, der die ihm bis dahin anvertrauten Götterbilder öffentlich verbrannte, auch auf den übrigen Inseln ein. Er starb am 30. Nov. 1821 und hinterließ nur einen Sohn von 18 Monaten etwa, den aber die Missionaire jetzt in ihrem Sinn und Geist zu erziehen hofften, indeß sie, während sie selber das Staatsruder in Händen führten, die Regentschaft seiner Tante übertrugen. Aber der junge Prinz starb schon 1827 -- die fremde strenge Lebensweise in der ihn die Priester hielten, konnte seine überdies schwächliche Natur nicht vertragen, und das Volk rief jetzt, nicht ohne den Einfluß seiner Lehrer, die die Macht in diesem Königsgeschlechte wahren mußten wenn sie nicht fürchten wollten den kaum befestigten Einfluß wieder zu verlieren, Aimata die Tochter ihres vorigen Königs und Schwester des letztverstorbenen zu seiner Herrscherin aus. Nur gezwungen fügten sich aber die alten, von dem anderen Königstamm abzweigenden Häuptlinge, Tati an ihrer Spitze, denn mit des jungen Fürsten Tode bot sich neue Hoffnung ihren noch nie aufgegebenen Ansprüchen auf den Thron des Reichs; aber das Christenthum war schon zu mächtig geworden im Land, die Missionaire besonders hatten zu großen Einfluß gewonnen über die Bewohner und ihre Frauen, und jeder andere Anspruch verschwand vor der Krone der jungen schönen Königin[I]. Die englischen Missionaire waren jetzt, so sehr sie sich auch Mühe gaben jeden politischen Einfluß, Europa gegenüber, von sich zu weisen, und schon seit der Krönung und Salbung des früheren jungen Herrschers, die eigentlich regierenden Herren des Landes; sie gaben Gesetze und verwalteten, indem sie über die Arbeitskräfte des Volkes geboten, die Kassen des Landes. In ihren Händen lag dabei der Haupt-Handel der Insel, denn ihre Unterstützung vom Mutterland wurde ihnen natürlich nicht in Geld sondern in englischen Waaren, die sie zu tüchtigen Preisen wieder verwertheten, übersandt, und es läßt sich denken daß sie eifersüchtig darüber wachten, solcher Vortheile nicht so rasch und leicht wieder beraubt zu werden. Eine solche Gefahr drohte ihnen aber im Jahr 1836, wo zwei von den Gambier-Inseln abgesandte Katholische Priester, Laval und Caret ziemlich heimlich auf Tahiti landeten und dort festen Fuß zu fassen suchten. Aber die Protestantischen Missionaire waren auf ihrer Hut und beschlossen, der Kraft der von ihnen gepredigten Lehre und der einfachen Leichtgläubigkeit ihrer Beichtkinder doch nicht so recht trauend, die gefährlichen Fremden unter jeder Bedingung und so rasch als möglich wieder zu entfernen. Die Priester machten indeß der Königin ihre Aufwartung die sie in Gegenwart ihrer Missionaire empfing, und ersuchten sie ihnen den Aufenthalt zu gestatten, legten auch, als sie den Platz wieder verließen, Geschenke für Pomare nieder, die nach einigem Weigern angenommen wurden; nichtsdestoweniger wurde ihnen in einer nächsten Versammlung, wobei einige der Häuptlinge gegenwärtig waren, und die sie in Begleitung des Amerikanischen Consuls, Herrn Mörenhout besuchten, die Eröffnung gemacht, daß ihnen der Aufenthalt auf diesen Inseln _nicht_ gestattet werden könne. Die Katholischen Geistlichen protestirten dagegen, aber am nächsten Morgen bekamen sie die ganz unzweideutige Weisung der Königin die Insel ohne weiteres wieder zu verlassen, und als auch hierauf eine direkte Bitte an die Königin, sie ungehindert hier weilen zu lassen, Nichts half, schlossen sie sich in das ihnen von Mörenhout gegebene Haus ein, und wichen nur erst der förmlichen Gewalt, denn die von den Protestantischen Missionairen abgeschickte Polizei kletterte am Haus hinauf, stieg durch das Dach, und _trug_ die Priester, die nicht gutwillig gehen wollten, wieder auf ihr Fahrzeug zurück. Diese That sollte nicht ohne traurige Folgen für die Inseln bleiben, denn die religiöse Unduldsamkeit der Missionaire öffnete dem schon darauf harrenden Feind die Thore, gab Frankreich einen erwünschten Vorwand seinen Handel wie seine Religion dort vor allen Dingen zu befestigen, und dann die ganze Insel, als seiner Schiffahrt günstig gelegen, zu besetzen. Caret reiste nach Frankreich, dort Genugthuung für die erlittene Behandlung zu erbitten, und dem Admiral Du Petit Thouars wurde es aufgetragen ein schwaches friedliches Reich zu unterwerfen, das bis dahin noch keinem Fremden Uebles gethan, sondern Alle, gleichviel von welchem Lande, von welcher Religion in gastlicher Herzlichkeit bei sich aufgenommen hatte, bis jene fremden Priester selber einander befehdeten und Leid und Unheil über jene schönen Küsten brachten, die Gottes Vaterhuld mit Allem ausgeschmückt was groß und herrlich war. Im August 1838 ankerte die Fregatte Venus auf der Rhede von Papetee, und Du Petit Thouars erklärte der Königin Pomare in einem Schreiben, daß er gekommen sei für die unwürdige Behandlung mehrer Französischer Unterthanen, vorzüglich aber der beiden von hier exilirten Priester Caret und Laval Genugthuung zu fordern, und jetzt vor allen Dingen eine schriftliche Entschuldigung der Königin, die Summe von 2000 Spanischen Dollarn als Entschädigung für die erlittene Unbill der Priester, und die Begrüßung der Französischen Flagge mit 21 Kanonenschüssen verlange. Widrigenfalls drohten die Mündungen der Geschütze Vernichtung über den offen und schutzlos daliegenden Strand. Die arme Pomare hatte keine Wahl; sie schrieb den Brief, erbat sich das Pulver selbst von der Französischen Fregatte zu den verlangten Schüssen, und die Missionaire, deren Eigenthum bei einer Kanonade auch am meisten bedroht gewesen wäre, collectirten das Geld theils unter sich, theils bei anderen Engländern und Amerikanern der Inseln, und befriedigten damit den Französischen Admiral. Aber Du Petit Thouars ging weiter, und nicht bedenkend daß ein schwaches Volk dasselbe Recht, wenn auch nicht dieselbe Macht habe, ihm misliebige Personen von sich fern zu halten, und vielleicht von einem etwas rachsüchtigen Gefühl gegen die allerdings übermüthigen Protestantischen Priester geleitet, erzwang er noch außerdem einen Vertrag von den Eingeborenen, nach dem allen Franzosen: »was auch immer ihr Gewerbe sei« (also auch den Französischen Katholischen Missionairen) das Recht zustehen sollte, sich niederzulassen und Handel zu treiben auf allen Inseln. Ein bald nach ihm kommendes Kriegsschiff, die Artemise, Capitain La Place ging noch weiter und verlangte und erhielt -- denn wie hätten sich ihm die Tahitier widersetzen können -- volle Religionsfreiheit für alle Katholiken und einen Bauplatz für eine Katholische Kirche. Wenn aber auch die Protestantischen Missionaire diese Vorgänge mit stillem, freilich deshalb nicht minder heftigem Unmuth dulden mußten, gab es doch eine Parthei auf Tahiti, die mit Freuden einen Wechsel in den politischen Verhältnissen hereinbrechen sah, den sie bis dahin kaum für möglich gehalten. Es waren dies die von den Pomaren ihrer Macht beraubten Häuptlinge, die nur mit heimlichem Grimm die Oberherrschaft der fremden ihnen feindlich gesinnten Priester gefühlt, und vergebens gesucht hatten ihnen entgegen zu arbeiten. Nicht mit Unrecht hofften diese, daß die neuen, einer anderen Sekte zugehörigen Priester den Einfluß jener stolzen Männer schwächen müßten, und einmal dieser Stütze beraubt, und der Thron der Pomaren stand auch nicht so unerschütterlich mehr. Noch aber hatten die Englischen Missionaire die Zügel in den Händen, und als das Französische Kriegsschiff die Küste wieder verlassen, donnerten sie von den Kanzeln mit allem Ingrimm des hartnäckigsten Fanatismus gegen die neue Lehre, deren Symbole sie mit den früheren heidnischen Uebungen der Insulaner selber verglichen, und deren Lehren dem höllischen Abgrund gerade zuführten. Die Katholische Religion machte nur geringe Fortschritte, die Protestantischen Missionaire behaupteten ihre Macht, und wenn auch schon des Zweifels Saamen war eingestreut worden in die Herzen der armen Insulaner, die mit Entsetzen Feinde ihres Glaubens in demselben Volk erstehen sahen, das ihnen den neuen Gott gebracht, dauerte das dem heißen ungeduldigen Blut der unruhigen Häuptlinge zu lang, und mit der schon fast erstorbenen Hoffnung einstigen Sieges frisch angefacht, harrten sie, nicht stark genug ihn selber zu führen, einem frischen Schlag wider die Macht ihrer Nebenbuhler sehnsüchtig entgegen. Einen halben Bundesgenossen, Jemanden wenigstens, der der Französischen Sache eng ergeben und den Protestantischen Missionairen nicht besonders geneigt war, hatten sie in dem früheren Amerikanischen Consul Mörenhout, der dem Pietistischen Wesen der Protestanten theils abhold, anderseits auch seinen eigenen Nutzen durch die Oberherrschaft der Franzosen zu befördern glaubte, unter deren Schutz oder Protectorat er jetzt die Inseln zu bringen suchte. Ob er seinen Freunden, den unzufriedenen Häuptlingen seine ganzen Pläne mittheilte, ist nicht bekannt, aber soviel gewiß, daß im September 1842, als die Französische Fregatte Reine Blanche unter dem, vorgeschobener Unbilden wegen neue enorme Forderungen stellenden _Admiral_ Du Petit Thouars vor Papetee ankerte, die vier Häuptlinge Tati, Raiata, Utami und Hitoti mit Mörenhout an Bord gingen, und dort einen Vertrag unterzeichneten, in welchem sie den Admiral baten, da sie nicht im Stande wären ihr Land jetzt so zu regieren mit anderen mächtigeren Regierungen in Frieden zu leben, ihre Inseln unter den Schutz seines Königs zu nehmen, der ihnen jedoch, neben der Religionsfreiheit, alle übrigen Rechte unbekümmert ließ und garantirte. Die Einwilligung der Königin, die jeden Augenblick ihrer Entbindung entgegensah, wurde unter der Drohung des Französischen Admirals von 10,000 Dollar Entschädigungssumme für allerdings nur imaginäre Unbill, oder volle Besitznahme der Inseln im Namen Sr. Majestät, des Königs von Frankreich _erzwungen_ und, selbst die Clausel eingeschlossen, die den Protestantischen Missionairen, der neuen Macht gegenüber, völlig die Hände band, daß nämlich »irgend ein Mann, der das Tahitische Volk mit Wort oder That gegen die Französische Regierung einzunehmen suche, verbannt werden solle von den Inseln.« In dieser Zeit aber war gerade der Mann abwesend von Tahiti, der bis dahin den meisten Einfluß als Protestantischer Geistlicher sowohl wie mehr irdischer Richter auf die Königin gehabt. Mr. Pritchard war nach England gegangen, die Englische Regierung für das kleine Insel-Reich zu interessiren und es gegen die wohl vorhergesehenen und gefürchteten Uebergriffe Katholischer Priester sowohl wie Französischer Kriegsschiffe zu schützen; aber die zurückgebliebenen Missionaire hofften destomehr auf diese Hülfe, zu der sie, wie sie glaubten, die neue Ungerechtigkeit des Französischen Befehlshabers jetzt nur noch mehr berechtigte, wenn nicht dem Englischen Volk auch der letzte Einfluß auf diese Inseln entzogen werden sollte. Kaum hatte deshalb Du Petit Thouars die Inseln wieder verlassen als sie, jedes Vertrags ungeachtet, an den sie sich nicht gebunden erklärten, und die Königin selber, da er ihr abgezwungen worden, davon entbanden, frei und offen in ihren Kirchen das Entsetzliche der Gefahr schilderten, in der die Seelen ihrer Beichtkinder schwebten, von dem Antichrist an sich gezogen und zerstört zu werden. Der blinde Fanatismus Einzelner trieb schon zum Aeußersten, keine Folgen der rückkehrenden Kriegsschiffe berechnend, hätten Andere nicht den wilden Eifer gedämmt, einen günstigen Zeitpunkt wenigstens zu erwarten den »papistischen Gräueln« mit _einem_ gewaltigen Schlag ein Ende zu machen. So standen die Sachen im Herbst des Jahres 1843, und während die Bewohner Tahitis theils Parthei für ihre Missionaire ergriffen, theils in kalter Gleichgültigkeit den Streitigkeiten der »beiden weißen Gotte« zusahen und ihren Erfolg abwarteten, arbeiteten die Protestanten unverdrossen ihrem einen Ziel entgegen, und die unruhigen Häuptlinge suchten vergebens den Conflikt zu ihren Gunsten auszubeuten. Die Franzosen hatten versprochen ihre Bundesgenossen zu werden, und sie in ihren gerechten Ansprüchen zu unterstützen, und jetzt befestigten sie nur die eigene Macht auf den Inseln und brachen der fremden Lehre Bahn -- was kümmerte die trotzigen Herzen ein neuer Name Gottes. Fußnoten: [H] Der König schlug einst sein Lager zwischen den Bergen auf, und der Platz wo er lag war gerade dem Thau und einer scharfen Zugluft ausgesetzt. In der Nacht erkältete er sich und bekam einen Husten, wonach Einer seiner Höflinge diese Nacht eine Husten-Nacht (von ~po~ Nacht und ~mare~ Husten) nannte. Dem König gefiel der Klang des Worts vielleicht, vielleicht hatte er eine andere Ursache, kurz er beschloß sich von der Zeit an ~Po-mare~ zu nennen, und der Titel ist jetzt, als erblich, auf seine Nachkommen übergegangen. [I] Aimata oder Pomare ~IV.~ ist etwa 1812 geboren und war zuerst an einen jungen Häuptling von Tahaa verheirathet, von dem sie sich wieder schied und zu ihrem zweiten Gemahl einen anderen jungen Häuptling von Huaheine, einer Nachbarinsel, nahm. Capitel 9. #Die vier Häuptlinge.# Ein sonniger Himmel spannte sich über die wildzerrissenen aber bis in ihre höchsten Kuppen bewaldeten Berge von Tahiti; aus den tiefen Thälern stiegen in festen, zusammengedrängten Massen die weißen schwankenden Schwaden auf, und wollten sich ausbreiten gegen den mächtigen Feind, aber die sengenden Strahlen trieben sie zurück, hinein wieder in Schlucht und Bergeshang, und hie und da niedergepreßt auf eine Halde, oder hingetrieben von dem neckischen Seewind über den saftigen Anwuchs breitblättriger ~Feis~[J], mußten sie sich wohl dicht an den Boden schmiegen, unter Laub und Busch, dem einsamen Jäger das wunderliche Schauspiel einer Schneelandschaft in den Tropen bietend, so weiß und weich lagen sie unter Busch und Strauch und füllten die Thäler aus, Inseln bildend aus Kuppe und Kraterhang. Und die Palmen im Thal unten schüttelten den Thau aus ihren wehenden Kronen, und rauschten und flüsterten dem Morgenwind ihren Gruß entgegen; aus dem Schatten eines mächtigen Wibaums[K] flötete der Omaomao[L], die Tahitische Drossel und der gellende Schrei der Möve, die über dem spiegelglatten, crystallhellen Binnenwasser der Riffe nach Beute strich, mischte sich darein. Von fern herüber aber donnerte klar und gewaltig das Brausen der ewigen Brandung über die Corallenwälle, die in einem weiten, nur an sehr wenigen Stellen kaum unterbrochenen Kreis all diese Inseln umgeben, als ob sie das freundliche Land schützen wollten gegen den wilden ungestümen Andrang der Wogen und ihre zerstörende Macht -- die Elemente waren freundlicher gegen dies Paradies als die Menschen. Weit aus nach allen Seiten breitete dabei das blaue Meer, hie und da über die Fläche blitzte der Schein eines hellen Segels, und aus der Ferne herüber ragten die schroffen pittoresken Kuppen Imeos oder Moreas, mit dem Palmengürtel, der den Fuß ihrer Berge umschloß, eben sichtbar über dem Meeresspiegel. Massen von kleinen schlanken Canoes, den Luvbaum[M] an der Seite, der das schwanke Fahrzeug vor dem Umschlagen wahren sollte, glitten über das blitzende Binnenwasser, aus den Corallen herauf, mit Harpune oder Netz ihr Mahl zu holen, und oft unter der stürzenden Brandung hin, der kochenden Woge wie im Sprung entgehend, schoß der schwanke Bau wie ein dunkler Streif durch den schneeigen Schaum, und das braune trotzige Gesicht warf sich den Gischt aus dem lockigen Haar mit fröhlichem Lachen. Wie lauschig und versteckt lagen die Hütten der Eingeborenen in jenen schattigen Hainen, die das Ufer mit ihrem schwellenden Grün überzogen, und aus dem heraus sich die prachtvollen Cocospalmen noch weit über den Meeresspiegel beugten, als ob sie ihr Bild wiederfinden wollten in dem Crystall da unten. Wie dufteten die Orangen und Citronen, die schneeigen Sternblumen und die Mangablüthe so süß; das Bananenblatt zitterte und raschelte in dem Zephyr, der sich durch Blum und Blüthe stahl, seine Bahn zu suchen, den Klüften der Berge zu, und der stattliche Brodfruchtbaum drängte sich mit seinen gefingerten einzelnen Blättern in das stattliche Laub der Mape; die Papaya schüttelte ihre Kelche aus auf Ananas und Tappo-Tappo[N], die köstlichen Früchte dieser Zone, und tief im schattigen Laub versteckt glühten duftende Blüthen, und hoben ihre Kelche dem sonnigen Licht entgegen. Es war ein Paradies das Gottes milde Vaterhand erschaffen, ein Paradies von seinem Athem durchweht, und Seiner Werke Herrlichkeit kündend zu jeder Stunde -- ein Paradies das nur die Leidenschaft und das trotzige Herz des Menschen oft, ach wie oft, so muth- und böswillig verdarb und zerstörte und Haß und Schmerz säete, selbst zwischen diese Palmen, und den Frieden verjagte, der auf den stillen Matten in heiterer Ruhe lagerte. Ehrgeiz und Fanatismus, Sinnlichkeit, Geldgier und sorgloser Leichtsinn reichten sich einander die Hand und der Indianer, der gastliche Herr dieses Aufenthalts in dem Engel hätten schwelgen können, sah in kurzsichtiger Lust wie die fremden Männer Spiel nach Spiel in sein Canoe häuften, es schmückten und verzierten und beluden -- bis es _sank_. Sorglose Kinder des Augenblicks, denen Palme und Brodfrucht jeden Tag gaben was der Tag begehrte, was kümmerte sie die Zukunft? Der bunte Flittertand freute sie, jeder goldenen, blitzenden Masche jubelten sie entgegen, und ahneten das Netz nicht, das sich langsam aber sicher daraus wob, sie niederzuziehen aus ihrem Himmel. Aber nicht Alle theilten diese Apathie an den Ereignissen des Tages, denen das Volk kaum das Ohr lieh wenn sie geschehen; wie die Protestantischen Missionaire um den erschütterten Stamm die Wurzeln wieder tiefer senkten und gruben, ihm mehr Festigkeit zu geben bei dem nächsten Sturm, so nagte der Ehrgeiz, und andere Leidenschaften vielleicht, an den Herzen jener stolzen Häuptlinge, die Königsblut in ihren Adern fühlten, und der stille Frieden selbst der sie umgab reizte den schlafenden Grimm in ihrer Brust, und wandelte ihnen ihr Paradies zu einem Aufenthalt der Qual. In Papara, dem südwestlichen Theil von Tahiti stand, von mächtigen Mapebäumen beschattet, dicht am Uferrand eines kleinen klaren Bergbachs, der sprudelnd und silberrein aus den Bergen niedersprang, eine jener breitovalen, aus Bambus errichteten und mit den Blättern der Pandanus dicht gedeckten Hütten, um die sich der weiche Rasen schloß und der Brodfruchtbäume und wehende Palmen das Dach bildeten, den sengenden Sonnenstrahl abzuhalten von dem stillen Platz. Ein lauschiges Halbdunkel lagerte auf dem nur leise rauschenden, flüsternden Hain, dem die von der Brise kaum bewegten Wasser tausend und tausend kleine funkelnde Lichter entgegenblitzten. Aber keine fröhliche Kinderschaar spielte und sprang hier am Muschelstrand, oder schaukelte sich an langem, in die Wipfel der Palmen geknüpften Bastseil weit und keck hinaus über den korallendrohenden Wasserspiegel; kein schlankes Weib mit blumengeschmücktem Haar sammelte die Frucht von dem nahen Baum und breitete das reinliche Hibiscusblatt zum frischen Mahl. Nur an den Stamm einer Palme gelehnt, die Lenden mit dem ~pareu~, noch aus der auf der Insel selbst gefertigten Tapa[O] umwunden, deren gelbbraune Falten ihm fast bis zum Knie niederfielen, während Bein, Schultern und Leib die zierlichen blauen Linien der alten, und durch die Missionaire sonst fast überall verpönten Tättowirungen zeigten, lehnte ein Insulaner und schaute still und schweigend, wie in tiefem Nachdenken versenkt, auf das weite sonnige tiefblaue Meer hinaus, das seinen Strand bespühlte. Es war eine edle, kräftige Gestalt wie sie da stand unter der Königin des Waldes, und das weiche rabenschwarze lockige Haar fiel ihr, ungleich der frommen von den Protestantischen Geistlichen eingeführten Sitte es kurz abzuschneiden, voll und lang um die Schläfe, bis auf die Schultern nieder. Aber keine Blume stak darin oder hinter dem Ohr, noch glänzte sonst ein Schmuck an Arm, Hals oder Handgelenk, und die kühnen Züge und Arabesken des Tättowirers, alte heidnische Zeichen mit Haifischzähnen in unvergehbaren Punkten der Haut eingegraben, lagen fast drohend auf den vollgespannten Muskeln und Sehnen der nervigen Glieder. Da wurden leise aber regelmäßige Schritte im Laube laut -- näher und näher kamen sie heran, und eine andere Gestalt erschien unter den schattigen Blüthe und Frucht bedeckten Orangen; aber der Sinnende hörte die Schritte nicht, seinem Träumen willenlos hingegeben, und der Neugekommene stand mit verschränkten Armen wohl mehrere Minuten lang schweigend neben ihm, indeß sein Blick in tiefem Ernst und Sinnen auf ihm haftete. Dem Aeußeren nach aber war es eine andere Gestalt, als die des ernsten Träumers an der Palme, seine Lenden umschloß, wie bei dem Ersten nur ein etwas bunterer Pareu, der Oberkörper stak aber in einem noch bunteren Oberhemd, und unter den, mit wohlriechendem Oel gesalbten Locken vor leuchteten die eben aufgebrochenen Knospen des Cap-Jasmin, jener reizenden lilienartigen Gardenia mit dem vollen Narcissenduft. Die Beine waren nackt, und die alten Tättowirungen auch auf ihnen sichtbar, aber der Pareu ging tief hinab und verhüllte das meiste davon, bis auf die zierlich gezeichneten Palmen, deren Wurzeln auf den Hacken saßen während der Stamm am hinteren Theil des Beines schlank und zierlich hinauf lief, sich über den Waden mit seinen breiten, federartigen Blattkronen auszubreiten. In der Hand trug er einen schlanken langen Bogen und einige buntbefiederte Pfeile mit Eisenspitzen (keine Waffen in jener Zeit, wo die inneren Kriege aufgehört hatten, und die Insulaner recht gut die Nichtigkeit solcher Wehr gegen Feuerwaffen erkannten, sondern mehr ein Spielzeug oder besser gesagt ein Uebungsspiel der Vornehmen, das besonders der Lieblingszeitvertreib des vorigen Königs gewesen) und um den Scheitel zog sich ihm ein wunderlich geflochtener Kranz von Gardenien mit den silberweißen Fasern der Arrowroot und kleinen rothen Blüthen bunt durchwebt. »Joranna Tati!« rief er endlich lachend, als er wohl glaubte den Sinnenden seinen Betrachtungen lange genug überlassen zu haben, und während ein leichtes Lächeln seine schönen Züge überflog -- »Joranna Mann, und was hängst Du den Kopf und schaust so still und brütend vor Dich hin, als ob Du« -- es zuckte spöttisch um seinen Mund -- »plötzlich ein Missionair geworden wärest? Wollen Dich die frommen Väter vielleicht nach den Gambier-Inseln senden, ihren »Brüdern in Christo« dort Gleiches mit Gleichem zu vergelten, und bereitest Du Dich vor den Neubekehrten da drüben zu beweisen, daß man nur des Himmels Seligkeit erndten könne, wenn man die Mundwinkel an beiden Seiten herunterhängen lasse, und das Weiße der Augen zeige in brünstigem Gebet?« -- Tati, denn der Häuptling war es, schaute rasch und finster auf bei dem Gruß, und seine Züge heiterten sich nicht auf, als er den bunten Schmuck und Tant erkannte, mit dem sich der Freund behangen. »Du siehst aus als ob _Du_ zum Tanze gingst mit den Areoïs[P], Paofai,« sagte er ernst, ohne den Gruß zu erwiedern, »ein Richter des Landes sollte sich das Schicksal desselben zu Herzen nehmen, in so schwerer Zeit!« »Das _Schicksal_?« lachte Paofai, die Locken schüttelnd, daß die Blüthen auf seine Schultern niederfielen, »das Schicksal liegt in der Hand jedes Einzelnen für sich selbst, und die ihre Nacken dem Joch gutwillig neigen, dürfen nachher nicht klagen wenn es sie drückt. Wer, beim Oro, heißt die fröhlichen Kinder unserer schönen Inseln sich den Fremden beugen und die Knie wund reiben vor einem Gott, der uns bis jetzt nur Arbeit und Krankheiten, nur Haß und Feindschaft geschickt hat aus fernem Land? -- Ich für mein Theil bin es müde die helle Schattirung einer Haut, und Kenntnisse die dem Träger hier, wo er sie nicht gebrauchen kann, nur zur Last sind, höher geschätzt zu sehn als das, was unsere Väter ehrten. -- Gleisnerische Worte -- Oros Zorn über sie, daß sie zu Gift würden in dem Mund ihrer Träger.« »Und wer ist Schuld als wir selber, daß wir's so lange zu tragen haben?« rief Tati sich hoch und stolz emporrichtend, »ruht nicht der Fluch unserer Götter auf diesem Lande, seit jene knechtischen Pomare's den Scepter führen, ja liegt nicht selbst die junge Königin in der Gewalt dieser schleichenden Priester, die sich nur immer die _Diener_ des Herrn nennen, und dabei den Fuß selber auf die Nacken der Arii Rahi's[Q] dieses Landes zu setzen wagen?« »Und weißt Du daß sie das Volk wieder zusammenrufen wollen zu neuem Unheil?« frug Paofai lauernd. »Sie wagen es nicht,« sagte Tati verächtlich mit dem Kopfe schüttelnd -- »sie wagen es nicht, denn ihre Häuser stehn breit und bequem gleich vorn am Strand, und die eisernen Kugeln des nächsten Französischen Schiffes mähten sie nieder.« »Aber sie hoffen auf Englands Schutz!« rief Paofai, »und Piritati[R] ist dorthin gegangen Hülfe zu holen für sich und die Seinen.« »Bah, der Weg ist lang,« sagte Tati verächtlich, »und die Engländer haben einen großen Mund; sie sind kalt und ohne Herz wie ihr Gott, und so geizig, daß sie dem nicht einmal opfern lassen, sondern Cocosöl und Perlmutterschalen fortführen auf ihren Schiffen und die Schweine selber essen -- Piritati wird kommen und Versprechungen bringen.« »Aber sie warten nicht _bis_ er kommt!« entgegnete Paofai -- »der tolle Uebermuth der Priester, mit dem sie sich so lange eine wirkliche Macht vorgelogen haben, bis sie sie selber glauben, läßt sie jede Vorsicht vergessen, und um den Augenblick als Heilige und Halbgötter vor dem Volk zu stehn, wagen sie ihre Existenz.« »Sie hätten recht -- die Feranis werden uns auch nimmer den Segen bringen,« sagte Tati finster -- »mich reut schon die Hand die ich dabei im Spiel gehabt, denn der gierige Wi--Wi scheint Lust an der Beute zu bekommen, nach der er schon zweimal die Krallen ausgestreckt. So lange noch _ein_ Fremder auf dieser Insel lebt, blüht uns kein Friede und wir warfen uns selbst hinaus, als wir den Gleisnern einst den Aufenthalt gestatteten, und den Bambus schlugen zu ihren Hütten -- wir hätten ihr Grab graben sollen.« »Ha dort kommt Botschaft von Papetee!« rief Paofai plötzlich, und deutete mit dem Arm hinaus in das Binnenwasser der Riffe, über das hin ein leichtes Canoe, von zwei Indianern gerudert, mit zwei Anderen im Hintertheil desselben, rasch über die klare Fluth herbeischoß. Schon von weitem erkannten sie die beiden Häuptlinge Paraita und Utami und Tati sagte finster: »Deren Eile kündet schon vorher des Kommens Grund, und der Feind ist uns ins Lager gerückt -- o daß er die Streitaxt mit sich brächte und den Speer, und nicht ewig das todte Wort mit Singen und Beten.« Die beiden Männer erwarteten jetzt schweigend die Ankunft des Canoes, das draußen um eine etwas weit auszweigende Corallenspitze bog, und dann im geraden Strich auf den Platz zuschnitt auf dem die beiden Häuptlinge standen, und dessen helleres Dach sich schon von weitem, als treffliche Landmarke, erkennen ließ. »Ha sieh nur Utamis Gesicht!« rief da Paofai, als beide Führer endlich landeten und an's Ufer sprangen -- »der dunkle Zug über der Stirn deutet bei ihm nichts Gutes -- es ist wie ich gesagt!« »Gruß Euch und Frieden -- ~Joranna, Joranna bo-y~!« riefen die beiden Männer, als sie den Schattenrand betraten, den die Fruchtbäume und Palmen der senkrecht stehenden Sonne abgezwungen. »Joranna Utami -- Joranna Paraita, und was führt Euch über das Wasser im Aoatea, wenn die Sonne über Euerem Scheitel brennt?« frug Paofai, während Tati ihnen die Hand entgegenstreckte sie zu begrüßen. »Fröhliche Botschaft,« lachte Paraita, aber die fest zusammengebissenen Zähne und der lauernde Blick mit dem er die Züge seiner Freunde beobachtete straften sein Lachen Lügen -- »ein neues Englisches Kriegsschiff ist eingelaufen und die Mi-to-na-res schwimmen oben auf; der Englische Capitain will ihren Gott schützen, daß ihn der andere nicht über den Haufen wirft, wie sie bei uns Taaroa und Oro bei Seite geworfen haben, und der morgende Tag schon soll ihren Triumph beleuchten. Auf Tati, auf Paofai, ich glaube die Richter sollen vor Gericht, denn wir sind _Alle_ aufgefordert zu erscheinen.« »Und gilt es wirklich dem Vertrag, den wir mit dem Ferani abgeschlossen?« frug Tati finster. »Kein Zweifel,« lautete die Antwort -- »der Königin Boten fliegen heute durchs ganze Land -- gestern schon gingen die Canoes nach Morea hinüber und uns Beiden wurde selber aufgetragen _Euch_ mit zur Stelle zu bringen, genügt Euch das?« »Und wißt Ihr genau was berathen werden soll?« frug Paofai. Paraita lachte. »Es ist ein öffentliches Geheimniß, und das Volk in Papetee spricht von nichts Anderem -- sie wollen unseren Vertrag verwerfen und das Protectorat Frankreichs von sich weisen.« »Das Französische Schiff im Hafen wird's nicht leiden,« rief Tati. »Es liegt ein stärkeres daneben s'ihm zu wehren,« sagte achselzuckend Paraita. »Und was spricht Utami?« frug Tati, dessen Hand ergreifend, »auf welcher Seite siehst _Du_ den Segen unseres Landes?« »Auf keiner,« entgegnete kopfschüttelnd der greise Richter, »auf keiner von diesen Beiden. -- Ich hatte gehofft durch einen solchen Schritt, der gewissermaßen nur zum Schein unsere Rechte beschränkte und mehr ein Freundschaftsbündniß war mit einer stärkeren Macht, jenen ehrgeizigen Priestern ein Ziel zu stecken, aber die Feranis schauen mit gierigem Auge auf dies Land, und wer weiß ob wir nachher bei dem Tausch gewönnen. Jedenfalls liegt das noch Alles in der Zukunft Schooß, und ich habe keine Lust einen Arm aufzuheben für Franke oder Missionair -- laß sie sich unter einander schlagen.« »Und Du gehst?« »Gewiß -- sie sollen nicht sagen können daß Utami ihren Ruf gefürchtet habe.« »Gefürchtet,« wiederholte Paofai verächtlich und spannte wie im Spiel den Bogen von dessen Sehne der Pfeil schwirrend abschnellte, und etwa vierzig Schritt davon entfernt den schlanken Stamm einer Papaya durchbohrte, in deren Holz er zitternd stecken blieb -- »gefürchtet,« wiederholte er noch einmal, den Bogen auf die Schulter werfend -- »aber es führt uns nicht zum Ziel dieses Kinderspiel -- dem Volk wird wieder Sand in die Augen gestreut und so lange gesungen und gebetet, bis es ermüdet auseinandergeht, und Alles bleibt beim Alten. Da doch noch lieber dem Franzosen unterthan, dessen Sitte und Denkungsart besser zu uns paßt, als den schleichenden Frömmlern.« »Unterthan? -- _keinem_!« rief da Tati trotzig, der indeß mit verschränkten Armen und in tiefem Brüten dem Gespräch der Freunde gelauscht -- »aber wie dann, wenn wir den Augenblick benutzten, wo die Bewohner Tahitis das eine Joch abgeschüttelt und auch das andere von uns würfen? -- Was sagst Du, Utami, wenn wir die Fremden stürzten mit dem einen Schlag und, wie die Missionaire jene fremden Priester, auf das Schiff packten das sie gebracht und sie fortschickten, gleichviel wohin, so _sie_ jetzt dem Engländer gäben, sie heimzuführen in ihre Heimath? Jetzt, jetzt noch ist es Zeit wieder _ein_ Reich, ein glückliches Reich zu gründen in unserem Inselland -- jetzt wo das Volk gesehen welchen Fluch ihnen die Fremden gebracht in jeder Art, wird es zu uns stehn mit Kraft und Gewalt, und dem _einigen_ Volke können auch selbst die Feuerschlünde des Feindes nicht mehr fürchterlich sein.« Utami schüttelte ernst mit dem Kopf und sagte finster: »Zu spät -- zu spät! -- ein großer Theil der Unseren hängt dem neuen Gotte an, und die Missionaire haben dafür gesorgt daß ihr Wohl von der Anbetung jenes nicht getrennt werden konnte -- sie stehen zu fest, während die Englischen Schiffe unsere Küsten verwüsten und unsere Fruchtbäume niederschmettern würden, ihrem Gotte Seelen zu gewinnen, wie sie dann sagten. -- Ich fürchte wir haben uns selber Schaden gethan, als wir dem Ferani die Hand boten und bei ihm Hülfe zu finden hofften gegen den geistlichen Stolz.« »Gewalt thut hier Nichts,« stimmte auch Paraita bei -- »wir sind zu schwach etwas derartiges zu unternehmen, und wenn wir auch Hand zu Hand mit den geschorenen Köpfen[S] fertig würden, ist uns die Europäische Macht zu stark. Wir müßten jedenfalls warten bis sich ihre Kriegsschiffe entfernt hätten, ein plötzlicher Schlag dann und es würde den Feinden schwer werden das zu _rächen_, was sie jetzt mit leichter Mühe _verhindern_ können. Aber noch haben wir den Vertreter jener fremden Macht unter uns, die uns Schutz und Freiheit versprochen für Glauben und Recht; wird der Französische Consul, denn zu solchem ist Mörenhout ernannt als ihn die Amerikaner nicht länger anerkannten, wird er es dulden, daß man den doch nun einmal von der Königin unterzeichneten Contrakt mit Füßen tritt?« »Wie kann er's hindern?« sagte achselzuckend Paofai. -- »Mit ein paar Redensarten ist nichts abgemacht, wenn der Fanatismus erst einmal in Schuß, bergab gekommen. Die Missionaire haben da ihre Leute, Aonui, Potowai, Terate und wie sie heißen; mit Jehovah auf den Lippen werfen die Narren sich blind in's Feuer selbst der Schiffe, und wenn das Volk nur schreien und von Freiheit hört, dann brüllt es auch seinen Chor hinein, möge die Folge sein wie sie wolle. Ich habe große Lust der Versammlung gar nicht beizuwohnen; was kanns helfen?« »Das sie nachher sagen wir hätten uns gescheut ihnen unter die Augen zu treten?« rief Tati rasch. »Nein, keiner darf fehlen von uns, wenn wir nicht selber unsere Sache aufgeben wollen in Schimpf und Spott -- keiner, und dort wird sich uns auch ein Ausweg zeigen das Schwerste abzuwenden.« »Dem stimme ich bei,« sagte Utami ernst -- »unsere Aufgabe ist dem Land die Freiheit zu erhalten, die der Fanatismus der einen wie die Gier der anderen Seite gleich schwer bedroht, und gebe Gott daß uns das gelingt; einer späteren Zeit mag es dann vorbehalten bleiben unsere inneren Einrichtungen zu ordnen, von denen Franzosen wie Missionaire nichts verstehn. Unser Glück liegt in unserer eigenen Hand -- wir wollen es aus keiner fremden. -- So zögern wir denn nun auch nicht länger, kommt mit zu meinem Haus, daß wir uns dort mit Speiß und Trank stärken zu der Fahrt, und die morgende Sonne grüße uns die ersten auf dem Kampfplatz.« »Kampf?« lachte Paofai, während er seinen fortgeschossenen Pfeil wiederholte, den anderen zu folgen -- »ein schöner Kampf wird es werden, der mit Singen anfängt und mit Beten aufhört. -- Ich kenne meine Landsleute nicht mehr, daß sie aus dem fröhlichen glücklichen Volk solche Kriecher und Heuchler geworden sind. Aber zum Henker mit den Grillen -- unsere Palmen müssen sie uns lassen und das stille Wasser unserer Riffe, unsere Blumen und Blüthen und unsere Weiber, und den Schwarzröcken zum Trotz will ich das Leben jetzt genießen. Himmel und Hölle? -- Die Leute können vortreffliche Geschichten erzählen und man lacht darüber wenn man sie hört -- tödten sie doch die Zeit« -- und den Pfeil aus dem Holz reißend schob er ihn lachend in seinen Köcher zurück, und trat, die Locken aus seiner Stirn werfend, zu den Uebrigen in das Haus. Fußnoten: [J] Wilde Pisang. [K] Der Wibaum oder die Brasilianische Pflaume (~spondias dulcis~) hat mit den stärksten Stamm auf den Inseln -- oft bis 4 und 5 Fuß im Durchmesser. Die Rinde ist grau und glatt und er trägt eine förmliche Masse großer pflaumenartiger saftiger Früchte von angenehmen Geschmak. [L] Der Omaomao, die Tahitische Drossel, und der einzige wirkliche Singvogel, wenigstens der bedeutendste, der Inseln. Er ist gelb und braun gefleckt, und von der Größe einer Drossel, mit der sein Gesang auch etwas Aehnliches hat. Von Gestalt ist er etwas schlanker. [M] Ein, an der einen Seite des Canoes, durch Queerhölzer etwa drei oder vier Fuß vom Fahrzeug selber ausgehaltener Baum, eine Art Kufe von leichtem Holz, die auf dem Wasser liegt und mitschwimmt, und nur dazu dient das leichte schwanke Fahrzeug vor dem Umschlagen zu bewahren. [N] Mape, Tahitische Kastanie. Die Papaya eine von Brasilien herüber gekommene, der Melone ähnliche aber auf einem Baum wachsende Frucht. Der Tappo-Tappo der Englische Crêmeapfel. [O] Das eigenthümliche Gewebe dieser Inseln, das die Frauen aus der gegohrenen Rinde verschiedener Bäume, die sie vorher zu fester Masse kneten so lange ausschlagen, bis ein dünnes, ziemlich dauerhaftes Zeug daraus wird. [P] Areoïs, die früheren heidnischen Tänzer auf den Inseln, die eine gewisse, sogar religiöse aber wüste Sekte bildeten und von Insel zu Insel zogen ihre Orgien zu feiern. [Q] Die ersten und obersten, aus fürstlichem Blut entsprossenen Häuptlinge. [R] In ihrer Aussprache Pritchard. [S] Die eifrigsten der Missionaire hatten ihren Gläubigen empfohlen die Haare kurz am Kopfe abzuschneiden, wahrscheinlich um nicht den sündigen Blumenschmuck darin tragen zu können. Capitel 10. #Die Versammlung.# Weißer Rauch quoll aus den Schießluken der Englischen Fregatte »Talbot« und der rasch folgende donnernde Schlag des Geschützes, der das Echo grollend weckte in den Bergen, grüßte das goldene Taggestirn, das eben seinen rothglühenden Schein über die östliche, palmenbedeckte Spitze der Bai warf, und seine Strahlen sandte über das weite Meer. Es war ein reizendes Bild das sich dem Blick entrollte, und Athem und Leben gewann mit dem ersten Licht; im Hintergrund die wildzerrissenen Kuppen des Gebirgs mit der dunklen kühn eingerissenen Schlucht -- auseinandergebrochen als die Grundvesten der Berge einst in ihrem inneren Mark erbebten, und rechts und links das niedere palmenbedeckte Land ausschießend, als ob es die sonnige spiegelglatte Bai umspannen wolle mit liebendem Arm, während an dem Ufer hin die weißen niederen Gebäude dicht hineingeschmiegt standen in Palmen- und Orangenhain, mit hie und da einem alten mächtigen Banianbaum, der die dunkel glänzenden Zweige niederschüttelte, neue Wurzeln dem Erdreich um sich her abzugewinnen. Vorn schäumte und spielte die Fluth an dem hellen Corallensand, und den vorderen, von Banane und Palme eingeschlossenen Rand, in dem die stillen Wohnungen der Menschen so dicht versteckt wie Perlen in einer halbgeöffneten Muschel lagen, bildete ein dichter Wald von Brodfrucht und Orangen und buntblüthigen Akazien und breitblättrigen Hibiscus Tiliaceus mit den großen malvenähnlichen Blumen. Und nicht öde und weit lag das Meer, dem wunderschönen Lande gegenüber; nein, hinter dem licht funkelnden Wasserspiegel, den nur hie und da ein ruhig vor seinem Anker reitendes Schiff, oder das rasche Canoe mit dem blitzenden Streifen hinter sich unterbrach, dehnten sich die weiten schäumenden Riffe mit ihren Schneekronen und rollendem Donner, und umspannten selbst die kleine Königinsel Motuuta, die wie ein Smaragd, von silbernem Band umfaßt, in dem herrlichen Rahmen palmenwiegend lag, während hinter ihr, noch neben dem weiten Horizont des Oceans, die zackigen kühn gerissenen Kuppen und Spitzen Imeos, wie Nadeln emporstarrend oder riesige Kegel, in blauer Ferne lagen, bei klarer Luft selbst den Palmengürtel zeigend der sie umschloß. Still und regungslos lag dabei der Strand, bis zu dem Schuß, mit dem zugleich fast sich die Sonne über den Palmenstreifen hob -- nur hie und da zeigte sich ein einzelner Indianer der, vielleicht nach seinem Canoe schauend, langsam am Ufer auf- und niederging; aber wie mit einem Zauberschlag _nach_ dem Schuß, und während das Echo noch in den fernen Schluchten dröhnte und grollte, quoll und drängte es sich ordentlich aus den Häusern und Hütten vor, in bunter glänzender Tracht, und fröhliches Leben brach sich die Bahn in's Freie mit einem Mal. Es war Tag geworden in Papetee, und ein bedeutungsvoller wichtiger Morgen angebrochen für den kleinen Staat; ob zum Heil, ob zum Leid, was kümmerte das das fröhliche Inselvolk mit seinem leichten, glücklichen Sinn. Wie die sonnige Welle ihrer Binnenwasser trieben sie leicht über des Lebens Meer -- ein Sturm rüttelte sie auf, wild und gewaltig, es ist wahr, aber mit der Ursache die sie gehoben, _mit_ dem Sturm, legte sich auch leicht beruhigt das Element, und ließ in derselben Stunde fast schon den Schiffer niederschauen in die cristallreine Tiefe, die offen wie ihr Herz da vor ihm lag. Wie ein Bienenschwarm zog es und drängte es dort eine Weile am Ufer herum, beide Geschlechter bunt gemischt durcheinander, und oft klang der fröhliche Laut lachender Mädchenstimmen silberrein über das Wasser selbst bis zu der Stelle, wo etwas einsam in der Bai, und in der That so weit abseits als er eben ankern durfte, ein großer weitbäuchiger, entsetzlich schmutziger und wettermitgenommener Wallfischfänger lag. Auf seinem Heck stand, etwas geschmacklos, aber vielleicht nicht ohne Grund, mit grellrothen Buchstaben im grünen Felde, der Name desselben, _Kitty Clover_, und von der Gaffel seines Besahnsegels wehte die Englische Flagge. Auf dem Quarterdeck desselben standen zwei Männer, beide in die gewöhnliche Seemannstracht, in blaue Jacken und weiße Hosen gekleidet, einen breiträndigen Strohhut mit langem schwarzen Band gerad auf den Kopf gesetzt. Der eine von ihnen, der ältere, war der Capitain der Kitty Clover, der so wenig den Schotten in seinem ganzen Wesen und Aussehn verleugnen konnte, wie der Andere den Iren. Dieser hatte das fast unvermeidliche rothe Haar seiner Landsleute, aber in merkwürdig kleine feste Locken mehr geknotet als gedreht, und auch um Kinn und Oberlippe zog sich ihm ein ungeheuer starker, aber eben so fest verworrener ineinandergedrehter Bart bis hoch unter die kleinen, lichtblauen Augen hinauf, die manchmal, wenn er seinen Kopf dem neben ihm Stehenden zuwandte, mit einem eigenen drollen Humor daraus vorblitzten. Noch acht oder zehn Matrosen etwa waren außer den beiden an Deck, und zwar mit Waschen desselben beschäftigt, wozu sie die vollen Eimer aus der klaren Fluth heraufschwangen, und mit raschgezieltem Wurf den breiten Strahl unter die oben befestigten Fässer und langs Deck hin sandten. Der Capitain oder Master des Wallfischfängers, Mac Rally, galt für einen vortrefflichen Seemann, aber noch besseren Händler, und das hagere scharfgeschnittene Gesicht, die hellblauen unstäten Augen, die eisernen Lippen zeigten zugleich Entschlossenheit wie List und Ausdauer. Die Kitty Clover war erst gestern hierher, angeblich vom Wallfischfang, eigentlich aber direkt von Valparaiso kommend, eingelaufen, und hatte den Iren gewissermaßen als Passagier, der übrigens auch einen ziemlichen Theil spirituöser Getränke als Fracht bei sich führte, mitgebracht. Theilweise gehörte von demselben Artikel, außer einer Anzahl von Fässern, von denen nicht einmal die Matrosen wußten was sie enthielten, auch eine ziemliche Parthie dem Capitain selber, und er zog es deshalb vor, den letztverlassenen Hafen nicht als direkt von dort gekommen anzugeben, einer vielleicht unangenehmen und zu ängstlichen Aufmerksamkeit der Steuerbehörden zu entgehen. Nichtsdestoweniger haben diese auf Wallfischfänger ebenfalls ein sehr scharfes und wachsames Auge, denn sie wissen recht gut daß solche Fahrzeuge, wenn sie auch gerade kein wirkliches Geschäft daraus machen, doch stets eine oft nicht unbedeutende Quantität gestatteter oder auch verbotener Waare bei sich führen, und was sie eben schmuggeln _können_, nicht gern versteuern. Die _verbotene_ Landung spirituöser Getränke war übrigens mit ungemeinen Schwierigkeiten verbunden, denn auf alle den Inseln hatten die Missionaire schon gegen die Einführung des Branntweins die heilsamsten Gesetze erlassen, die sie mit großer Strenge aufrecht hielten und bewachten; anderseits waren die Indianischen Behörden selber mit solcher Maßregel sehr zufrieden, denn die Einführung des bösen Getränks hatte nur Elend und Unfrieden, Zank und Blutvergießen in die Stämme gebracht, so daß sie gern und willig, was nicht immer der Fall war, ihre weißen Lehrer und Gesetzgeber in der Ausführung unterstützten. Die Franzosen nahmen es noch am leichtesten mit der Einführung von Spirituosen, aber nur wenn sie von ihren eigenen Schiffen gelandet wurden, denen sie dadurch gewissermaßen ein Monopol zu sichern wünschten, aber auch hartnäckig von den Behörden überwacht wurden und nicht, ohne öffentlich die einmal bestehenden Gesetze umzustoßen, dawiderhandeln durften. »Und Ihr seid hier bekannt, O'Flannagan,« sagte der Capitain endlich, nachdem er wohl eine Viertelstunde lang, ohne ein Wort zu sprechen, das Ufer durch sein langes Schiffsglas scharf beobachtet hatte, »und glaubt fest daß Ihr die ganze Ladung nach und nach sicher und ohne einen Penny Steuer zu zahlen an Land würdet schmuggeln können?« »Von _glauben_ ist da gar keine Rede, ~Captain dear~,« lachte der Ire, »meiner Mutter Sohn kennt hier jeden Zollbreit Boden am Ufer, und was mehr ist, jeden Zollbreits Sohn und Tochter, und die Mädchen besonders, hahaha liebe Dinger, sind rein auf mich versessen. Die führen nun schon einmal in der ganzen Welt das Regiment und die zu Freunden, das andere ist Alles Kleinigkeit und Kinderspiel.« »Aber wenn uns da nur die jetzigen politischen Verhältnisse keinen Strich durch die Rechnung machen,« sagte kopfschüttelnd der Schotte. »Wie uns der alte Indianer gestern Abend erzählte, so waren die Englischen Missionaire wieder die Herren da drüben, so gut wie früher, und das will mir nicht so recht einleuchten.« »Wir wären verloren mit unserem Geschäft wenns anders aussähe;« lachte Jim, »zum Teufel wenn die Franzosen das Heft in Händen hätten, dürften wir unseren Brandy nur getrost selber trinken, denn die würden eine solche Masse ihres eigenen Fabrikats hinüber an Land geworfen haben, daß sie die Stadt damit ersäufen könnten. Die Missionaire dagegen können höchstens die Strafe auf Einfuhr noch erhöhen, die Einfuhr selber noch schwieriger machen; das Alles muß uns aber die Preise nur gerade in die Höhe treiben, und -- was wollen wir mehr?« »Weiter nichts,« schmunzelte der Schotte, das Fernrohr niederlegend und sich mit einem höchst vergnügten Gesicht die Hände reibend -- »weiter nichts, Jimmy -- höchstens noch etwas baar Geld -- gutes Silber für unsere flüssige Waare.« »Ich fürchte nur Ihr habt mit dem anderen Artikel ein schlechtes Geschäft gemacht,« sagte Jim kopfschüttelnd -- »ich glaube wirklich nicht, daß es hier je zu einem solchen Ausbruch von Feindseligkeiten kommen kann, die Eingeborenen zu veranlassen wirklich Geld für einen solchen Artikel auszulegen; -- ja wenn es Brandy wäre.« »Nun, ich gehe da ziemlich sicher,« schmunzelte der Schotte, »denn ein Theil der Waffen ist feste Bestellung -- von Jemandem aber den ich nicht nennen darf -- und verkauf ich das andere nicht _hier_, so weiß ich daß ich auf den Fidschi- und Navigators-Inseln einen vortrefflichen Markt dafür finde.« »Ja, aber, das ist ein kitzliches Geschäft,« meinte Jim, sich mit dem Zeigefinger der rechten Hand durch das Halstuch fahrend -- »die Engländer und Franzosen haben über derartigen Handel ihre eigenen Ansichten, und es geht bei einer solchen Geschichte immer gleich an die Raanocke[T]. Interessant ist so ein Geschäft wohl schon, aber -- verdammt gefährlich, und der Nutzen doch eigentlich nicht im Verhältniß zum Risiko.« »Nun, das käme auf die Person an,« sagte, mit einem etwas zweideutigen Seitenblick auf den Iren, der jetzt aufmerksam durch das Glas nach der Insel hinüberschaute, der Capitain. Jim verstand aber die etwas malitiöse Anspielung und sagte lachend, ohne jedoch aufzusehen: »Ich bin gerade so kitzlich am Halse wie der beste Priester, Capitain, und jeder paßt auf sein Bischen Leben so gut er kann, ob's nun eben der Mühe werth ist, oder nicht.« »Nein, Jimmy, so war's gar nicht gemeint,« rief Mac Rally rasch und etwas verlegen. »Bitte, geniren Sie sich nicht,« lachte Jim, »thun Sie als ob Sie zu Hause wären, ~Captain dear~ -- »aber dahinten kommen die Canoes,« unterbrach er sich plötzlich, den rechten Arm, ohne das Auge vom Glas zu nehmen, gegen Point Venus hinüberstreckend. Dorthin wurde auch eben, gerade die Spitze passirend, eine kleine Flotte Indianischer Fahrzeuge sichtbar. »Bei Jäsus, Mr. Mac,« fuhr er aber lebendiger werdend fort, als er sich den Inhalt der kleinen schlanken Fahrzeuge etwas genauer betrachtet -- »heute geht die Geschichte los da drüben, heute bekommen wir was zu sehen, und je eher wir hinüberfahren, denk' ich, desto besser ist's, denn einen besseren Abend unser Ausschiffen zu beginnen, werden wir auch nicht so leicht finden. Kein Teufel paßt heut' auf die aus- und eingehenden Boote, und solche Zeit muß man benutzen.« Der Capitain hatte das Glas wieder genommen und einen Augenblick durchgesehen, dann aber sich wieder aufrichtend und es zusammenschiebend sagte er, mit einem halbversteckten Lächeln in den selten aus ihrer Lage gebrachten fast wie ehernen Zügen: »Ihr habt recht Jim, da hinten schwimmen die Haupt-Schauspieler der heutigen Komödie -- drei Canoes voll Schwarzröcke, Gott weiß wo sie alle herkommen. Die Feierlichkeit wird nun wohl auch bald ihren Anfang nehmen, und ich glaube je eher wir hinübergehn, desto besser. Ha, bei Gott,« unterbrach er sich plötzlich, als er sich zufällig nach den Kriegsschiffen hingewandt hatte und deutete mit dem Arm hinüber -- »dort geht die Tahitische Nationalflagge!« Und in der That stieg in diesem Augenblick die rothe Flagge mit dem weißen Stern auf der Englischen Fregatte an der Gaffel des Besahnsegels auf. »Was die Leute doch für Streiche machen,« brummte der Alte dabei -- »aber meiner Mutter Sohn müßte sich sehr irren, wenn sie nicht heute da drüben Unheil anrichten.« »Desto besser, ~Captain dear~,« rief Jim, sich vergnügt die Hände reibend, »desto besser; s'wär mir ein wahres Gaudium, wenn ich erleben könnte daß sich die beiden Erbfeinde, Franzosen und Engländer, wieder einmal beim Koller kriegten; s'ist überdies lange genug Frieden gewesen. Aber enges Fahrwasser zum Maneuvriren hätten sie hier, und die Corvette hielts auch mit der Fregatte nicht lange genug aus, den Spaß interessant zu machen.« »So weit treiben sie's nicht,« sagte kopfschüttelnd der Capitain -- »der Franzose ist zu klug sich hier mit einer solchen Fregatte in einen wahrhaft verzweifelten Kampf einzulassen. Nein, es kommt jetzt Alles darauf an wie das Schiff heißt, das zuerst in den Hafen einsegelt, und die guten Leute hier spielen wirklich nur eine Art Paar oder Unpaar, mit ihrem ganzen Land zum Einsatz.« »Bah, der Spaß ist der,« lachte der Ire, »daß die, die den Einsatz stellen, nicht einmal mitspielen -- die aber die Nichts zu verlieren haben, die Missionaire, trumpfen aus.« »S'ist Zeit daß wir hinüberfahren,« sagte Mac Rally -- »he da vorn -- ~damn it~ Ihr Burschen, Ihr schwemmt ja heute das Deck, als ob Ihr die Nägel herausweichen wolltet; mein Boot nieder, und viere von Euch hinein. Und Du Bob,« wandte er sich an einen der Leute, den Zimmermann, der eine gewisse Autorität an Bord ausübte wenn die Officiere an Land waren, »passe mir ein Bischen auf, und wenn es am Ufer Skandal geben und Einer von unseren bärbeißigen Nachbarn vielleicht geneigt sein sollte die Zähne zu zeigen -- Du kennst ja das Zeichen -- so auf mit Euerem Anker, und seht zu daß Ihr außer Schußlinie kommt, denn wir brauchen unsere Hölzer nothwendiger. -- Aber bis dahin bin ich auch auf jeden Fall wieder zurück.« »Und soll die Flagge wehen bleiben, Capitain?« frug der mit Bob angeredete. Mac Rally stand schon auf der Schanzkleidung, und war eben im Begriff in das Boot hinabzusteigen. Er blieb stehn, und schaute einen Augenblick wie unschlüssig nach dem bunten, flatternden Tuch hinauf. »S'wär patriotischer,« sagte er endlich, die Augenbrauen hoch hinaufgezogen, »aber politisch ist's nicht. -- Sie können Einem freilich Nichts anhaben -- Ach was,« setzte er dann laut hinzu -- »der Wind schlägt das Tuch doch nur zu Schanden -- wenn wir an Land sind nimm den Lappen herunter!« und mit dieser höchst unehrerbietigen Bemerkung der eigenen Nationalflagge sprang er, von dem Iren gefolgt, in sein Boot, das sie bald mit kräftigen Ruderschlägen blitzesschnell über das Wasser dem gar nicht so fernen Ufer zuführten. Hier aber wimmelte und schwärmte es indeß von Menschen und den Strand hinunter schien der Hauptzug zu gehn, wo auch wirklich an dem sogenannten Paré, jenem Theil der Küste wo der Königin Haus stand, der für heute bestimmte Versammlungsort des Festes lag, wenn hier überhaupt ein Fest gefeiert wurde. Eine bunte Mädchenschaar drängte sich am Ufer hin und an der Kirche vorüber, deren Glocke in einem, oben ausgeschnittenen stämmigen Orangenbusch hing. Es waren blühende, liebliche Gestalten, mit tief dunklen und doch so schwärmerischen Augen, und zartgeschnittenen, rosigen Lippen, oft mit kaum gebräuntem Teint, unter dem das feine liebliche Erröthen, wenn es Wangen und Nacken übergoß, so klar wie bei der weißen Haut fast hervortrat, und den üppigen Formen einen unendlichen Reiz verliehen hätte, wäre der nicht eben durch das sonst so lockige jetzt kurz abgeschnittene Haar und das entsetzlichste Modell eines Frauenhutes, das je die freie Stirn eines schönen Kindes mishandelte, entstellt worden. Es war die _fromme_ Schaar der Tahitierinnen, die sich zur Protestantischen Kirche bekannten, und mit den alten Vorurtheilen auch ihr Lockenhaar wegwerfen mußten, als falsch und sündig. Und weshalb? -- es hatte Blumen getragen einst im heidnischen Tanz, und die freundlichen Kinder jenes herrlichen Himmelsstriches schmückten es jetzt selbst noch gern mit den knospenden Blüthen. Aber fort mit dem irdischen Tant! wer _Gott_ dienen wollte, durfte sein Herz nicht an die Erde und ihren Schmuck hängen -- fort mit dem Haar das sündige Eitelkeit erweckte und der Verführung den Weg nur bahnte zum wankenden Herzen -- fort mit dem duftigen Kranz darin und den wehenden Silberfasern der Arrowroot -- einen anständigen _christlichen_ Hut mit christlicher Form auf dem Kopf, und diesen geschoren darunter, und das sündige Herz mußte dann schon selber dem Schopfe folgen. Wie sie so ehrbar dahin schreiten, die sonst so wilden Mädchen, das Auge züchtig gesenkt, die schwere Bibel im Arm und gegen die volle Brust gepreßt, in der das Herz so ängstlich klopfend schlägt -- der Hut verbirgt die Züge, und das lange faltige Gewand umhüllt fast vollkommen die zarten Gestalten, nur den Fuß -- nicht das Schönste an ihnen -- frei zur Schau tragend. »~Waihine -- naha -- naha Maïre~!« rief da eine neckische Stimme dicht neben dem Zug, und ein reizendes Mädchengesicht, aber ohne den entstellenden Hut, und die vollen blumendurchflochtenen Locken wild um die hohe edle Stirn flatternd, bog sich halb über, dem ihm nächsten Mädchen unter den schrecklichen Hut zu sehen, und die Züge zu erkennen -- »~naha Maïre~.« Aber die also Angeredete, ob sie es war oder nicht, bog den Kopf nur mehr zur Seite. Sie schämte sich doch nicht ihrer frommen Tracht? -- »~naha Maïre~,« klang wieder und wieder der neckische Ruf -- »bist Du's ~aiu~[U] oder nicht? -- sieh her Maïre, sieh her und wende Dein Köpfchen.« »Ah -- da nimm das!« rief da plötzlich die fromme Maid, und den Kopf herumwerfend nach der Quälerin, deren lachende Augen über zwei Reihen prachtvoller Perlzähne blitzten und funkelten, schlug sie mit der linken flachen Hand (in der anderen hielt sie die Bibel), ein Zeichen gründlicher Verachtung, ihre Lende -- »da nimm das Du böse Ate-ate und laß mich zufrieden -- bah über die Schwätzerin.« »Hahahaha!« klangs aber wie Silberton von den Lippen der Anderen -- »hahahaha, Maïre, Maïre, armes Kind, armes Kind.« »Laß sie gehn,« stieß da Maïre eine Nachbarin an, »laß sie gehn es sind wilde Dinger und taugen nicht zu uns -- wenn's der Mitonare sieht daß wir mit ihnen gesprochen ist er bös.« »Maïre, Maïre, armes Mädchen!« riefen die Ersteren wieder. »Bah!« lachte aber die Schöne jetzt, den Hut zurückwerfend, daß die funkelnden Augen voll die Gegner trafen -- »albernes Zeug hier, könnt Ihr mich nicht zufrieden lassen beim Kirchgang oder beim vollen Zug -- oder glaubt Ihr daß Ihr's nachher wohl toller treibt als ich?« »Ah ~maitai maitai~ Maïre,« jubelte da Ate-ate laut auf -- »so lebst Du noch unter dem Hut und Dein Herz liegt nicht bei den Locken daheim im Bananenblatt?« »Wenn sie nur so schnell wieder wüchsen wie man sie abschneiden kann,« zürnte das schöne Mädchen und warf einen mürrischen mistrauischen Blick nach ihrem Schatten hinunter, aber sie sah nur den Hut und schüttelte ärgerlich mit dem Kopf. »Wenn mir die Haare wachsen schneid' ich sie nicht wieder ab,« sagte ein anderes Mädchen das neben Maïren ging -- »so lange sie kurz sind bin ich fromm, und dann kann einmal eine Andere an die Reihe kommen.« Drrrrrrrrum -- drum, drum, drum klang der Wirbel und Ton; heller fröhlicher Trommelschlag, das National- und Lieblingsinstrument der Insulaner, im Takt und Schlag ihres wildesten, aber auch deshalb geliebtesten Tanzes. »Hab' Acht, Maïre,« rief Ate-ate an ihrer Seite hintanzend -- »der ~Upepehe~: Horch! Horch wie der Trommel Klang Hell durch die Palmen drang, Horch! Zuckt mir's durch Fuß und Knie, Zuckt mir's im Herzen hie Horch!« »Horch!« rief aber Maïre und ihre Augen blitzten und funkelten in einem wilden, fröhlichen Feuer, zu dem das dicke Buch unter dem Arm gar nicht so recht passen wollte. »Horch! Laut wie die Brandung jägt, Gegen die Riffe schlägt, Horch! Wirbelt der Trommel Ton Herzchen ich komme schon Horch!« Und in den Chor fiel die übrige fromme Schaar jubelnd ein, und mit den Büchern im Arm, während die großen Hüte den Wind fingen und auf- und niederschlugen, warfen sich die tollen Mädchen, denen die bekannten und so leidenschaftlich geliebten Töne viel zu verführerisch in die Ohren geklungen hatten ihnen widerstehn zu können, von beiden Seiten in den wilden Upepehe-Tanz und sprangen, von den nicht so feierlich geputzten jubelnden Schwestern redlich dabei unterstützt, auf und ab in der rasch gebildeten Bahn den üppigsten ihrer Tänze aufzuführen, so lange wenigstens die verführerische Trommel schlug. Wie von der Tarantel gestochen schien dabei die Schaar, und selbst die Ernstesten unter ihnen, die mit finsterem Blick den ersten Uebergriff geschaut und mit scharfem Wort ihn gerügt, schwiegen, sahen sich um nach rechts und links -- zögerten noch und -- sprangen mitten hinein in den jubelnden Chor. »_Mi-to-na-re_!« Wie dem Schwimmenden das Wort _ein Hai_ mit Bleies Schwere in die Glieder schlägt, und ihn oft zu seinem Verderben für den ersten Augenblick jeder eigenen Willenskraft beraubt, so schlug _das_ Wort in die Reihen der Tanzenden. »_Mitonare_!« Einen Moment standen sie wie in Stein gehauen, die fröhlichen jubelnden Gruppen, nur von den Zügen hatte der Schreck die Fröhlichkeit verwischt, und nicht hinaus suchte das Auge wo die Gefahr lag, sondern nur bei dem Nachbar wollte es Scherz oder Ernst der Warnung finden; der nächste Moment aber schon entschied den Sieg gegen die Trommel -- »Mitonare!« und aus dem Tanz heraus zuckte die Schaar der Frommen wieder in den früheren stillen und ehrbaren Gang hinein, die Hüte fielen nieder -- jetzt ein trefflicher Schutz die erregten glühenden Gesichter zu bergen vor irgend einem prüfenden Blick, die verschobenen Röcke wurden gerad gezupft, und wieder ernst und feierlich wanderte die junge Schaar, unschuldige Heuchler mit dem fröhlichen Muth im Herzen und den unnatürlichen Ernst starr und kalt draußen herumgelegt, die breite Straße entlang dem Paré zu. Aber nicht nur ein Scherz, den sich irgend ein neckisches Mädchenbild vielleicht erdacht die Schwestern fürchten zu machen, war das Wort gewesen -- dort oben vor dem Hause des jetzt allerdings verreisten früheren Missionairs und jetzigen Englischen Consuls Pritchard (ein weites Gebäude mit bequemer luftiger Verandah, Europäischen Thüren, Glasfenstern und wohnlicher selbst eleganter innerer Einrichtung) stand die fromme Schaar der Missionaire versammelt -- sie _Alle_, nicht ein einziger fehlte von Tahiti selber, wie von Imeo, in schwarzem Frack und Hosen, weißer Halsbinde und Weste und das unpraktischste Fabrikat das je ein Mensch in kaltem oder heißem Klima, in Sonne oder Schnee, in Staub oder Regen, bei Wind oder Stille, beim Gehen, Reiten oder Fahren getragen, den schwarzen Cylinderhut auf dem Kopf. »Er hat uns gesehn!« flüsterte Eines der Mädchen dem anderen zu -- »er trägt ein kleines langes Stück Metall, das wie ~perú~[V] aussieht, in der Tasche, damit kann er von einer Insel nach der anderen hinübersehn.« »Bah' heute sagt er Nichts,« flüsterte die Andere zurück -- »und zankt er mich aus,« setzte sie trotzig hinzu -- »geh ich zu dem anderen Priester mit Kreuz und Licht, dort darf ich mir so die Haare wachsen lassen und Blumen hineinflechten, und komme doch in den Himmel der Weißen.« »Die breite Pforte bleibt Dir verschlossen, wenn Dir die Mitonares nicht den Eingang zeigen,« warnte die Erste wieder. »Ei was,« lachte die Zweite leise, »dann biegen mir die anderen Mitonares den Bambus auseinander -- wenn ich nur hineinkomme.« Die Mädchen kicherten zusammen unter ihren vorgebeugten Hüten, aber ganz leise, und der Zug schritt langsam vorwärts, denn er wuchs mit jedem Fußbreit Boden den er gewann, und an dem letzten »Bethaus« hatten sich ihm alle »Glieder der Kirche« (~Church members~) in feierlicher Procession und von dem Ehrwürdigen Mr. Rowe geführt, angeschlossen. Ehrwürdige Gestalten selbst, mit ihren braunen Gesichtern und weißen Jacken, manche in Hosen, einzelne sogar im Frack und Lendentuch, mit Weste und heftig gestärktem Vorhemd, die Beine tättowirt mit allen möglichen heidnischen Zeichen, und den Kopf geschoren in christlicher Demuth. Viele davon, ja die meisten, trugen Bücher unter dem Arm, und der stille Ernst der in ihren Reihen herrschte, mit der Schaar von schwarzgekleideten Männern die jetzt zu ihnen niederstieg und ihrem Zug voranging, machte einen eigenen wunderlichen Eindruck auf den Zuschauer. »Wer wird denn hier eigentlich begraben, Jim?« sagte Mac Rally, als sie am Strande hin, in etwa funfzig Stritt Entfernung vom Ufer, den Zug in ihrem Boot begleiteten -- »das geht ja merkwürdig feierlich zu bei den Leuten -- wenn ich nicht wüßte daß ich in Tahiti wäre, glaubte ich wahrhaftig, ich sei aus Versehen irgendwo in Neu-England angelaufen.« »Hätt' ich die Mädchen mit den schauerlichen Hüten da eben nicht tanzen sehn,« lachte der Ire, »so glaubt' ich's auch -- schwarz genug sieht der Kopf davorn aus, und dunkel gesprenkelt gehts durch den ganzen Zug; aber so ernsthaft werden sie's wohl nicht meinen, und das Ganze läuft doch am Ende wieder darauf hinaus, daß sie den Höchsten ersuchen sich der Sache, die sie jetzt in die Dinte geritten haben, anzunehmen, und nachher eine Collekte für Missionszwecke sammeln.« Mac Rally schüttelte mit dem Kopf. »Und ich glaub's nicht -- wäre das Englische Kriegsschiff nicht da, ja, aber der Capitain hält zu ihnen, oder will wenigstens nicht zu dem Franzmann halten, was ich ihm auch nicht verdenken kann, und da wird sie der Böse wohl plagen daß sie irgend einen gescheuten Streich aushecken, bei dem ihnen nachher die Insulaner die Kastanien aus der Asche holen müssen. Ich kenne meine Leute.« »Wetter, jetzt wird's Ernst!« rief Jim da, über die Bai hinüberzeigend, nach der er den Kopf zufällig gewandt -- »da kommen die Boote Ihrer Majestät, mit wehenden Flaggen, die Tahitische vorn am Bug, darüber wird sich unser Französischer Nachbar unendlich freuen.« »So ~back water~, Jim, dort hinein in die Bucht,« rief Mac Rally, »es wird Zeit daß wir landen, und uns den Spaß jetzt vom Ufer aus betrachten.« »Ich habe ebenfalls Nichts zwischen den Booten zu suchen, Sirrah,« brummte der Ire, und dem Befehl gehorsam schoß das Boot gleich darauf einem der einfachen ausgebauten Landungsplätze zu, an dem es Einer der Leute befestigte, während sich die beiden Männer in dem Gedräng von Menschen verloren, Europäern wie Insulanern, die Alle dem oberen Theil der Bai, Paré genannt, wo die Königin ein großes Bambushaus stehen hatte, zuströmte. Die Leute am Ufer konnten aber nur höchst langsam vorrücken, während die Boote rasch über die glatte Bai dahin schossen und ihre Bemannung schon ihre Plätze eingenommen hatte, ehe der größte Theil der Missionaire, der sich dem vollen Zug bei dem letzten Bethaus angeschlossen, mit demselben eintraf. Die Königin Pomare, oder ~Pomare Waihine~ saß, von ihren Frauen umstanden, auf der Verandah ihres Hauses, ihren königlichen Gemahl zur Seite. Zur Rechten und Linken befanden sich die Englischen Officiere des Talbot mit den verschiedenen auf Tahiti anwesenden Consuln Englands, Frankreichs und Amerikas und manchen dort ansässigen Fremden, ebenso die Missionaire, und den Hof füllend in weitem Kreis standen die verschiedenen Häuptlinge des Landes mit der bunten wunderlichen Schaar der Eingeborenen, die sich von Civilisation wie Christenthum zum großen Theil gerade soviel zugeeignet hatte, als nöthig war ihnen ihre Nationalität zu nehmen, ohne ihnen viel anderes dafür zu bieten. Es ist wahr, das gute Herz und der treue offene Sinn der Insulaner hatte Viele den Segnungen unserer schönen Religion leicht zugänglich gemacht, und sie mit Freuden die Irrthümer von sich werfen lassen, denen sie überdies nicht aus Neigung sondern nur deshalb angehangen, weil es ihnen eben so von ihren Vätern überliefert worden; so entsagten sie dem, früher zu einem förmlichen Gebrauch gewordenen Kindesmord[W], ehe sie selbst begriffen was das Christenthum eigentlich sei, und nahmen dieses besonders deshalb an, weil es ihnen als eine Religion der Liebe wie des Friedens geschildert wurde, und sie ihrer Kriege und Streitigkeiten schon selber herzlich satt waren. Ja, die Priester entsagten sogar auf manchen Inseln zuerst dem Heidenthum, wie der hohe Priester Tati, der selber seine Götzen verbrannte, weil er einsah daß die Religion der Bleichgesichter in ihren Lehren eine gute sei, und das Volk glücklicher machen würde, wenn es ihr folge und seinen Misbräuchen, seinen Kämpfen entsage. Wären die Missionaire dabei stehen geblieben, hätten sie diesen noch uncivilisirten, aber jedem Guten empfänglichen Stämmen unser Christenthum gebracht wie es Christus lehrte, sie wären ein Segen dem Lande geworden und in ihrer Hand lag damals das Glück von Millionen, denn kein Stamm der Erde trug den Saamen des Edlen und Guten mehr und kräftiger in sich als gerade die Bewohner dieser schönen Inseln, aber statt dem wirklichen Kern unseres Glaubens brachten sie ihre Dogmen und Streitigkeiten, nichtssagende Formeln und Gebräuche, und die nächste Zeit schon sollte lehren wie sehr falsch sie gehandelt und wie ihr Ehrgeiz und Stolz der _eigenen Gemeinde nur_, nicht dem wirklichen Christenthum Anhänger zu gewinnen, das arme Volk das hier zum Opfer ausersehen worden, ehe es nur begreifen konnte um was es sich überhaupt handele, in die Gräuel eines Religionskrieges verwickelte. Hätten die Evangelischen Lehrer sich eben an den reinen und herrlichen Kern unserer Lehre gehalten, so konnten ihnen eintreffende Sekten keine Bekehrte mehr abtrünnig machen; sie brauchten sie nur auf das Eigentliche jedes wahren Glaubens zurückzuführen und der Insulaner hätte gewußt _weshalb_ er seine Götzen verbrannte. So aber machten sie die Formen zur Hauptsache; ein südliches unserer nordischen Kälte, unseren starren Fanatismus nicht gewohntes Volk, das schon durch Klima wie Boden von Gott selber angewiesen worden ganz anders zu leben und zu denken, sollte nicht allein seine Religion ändern (das war möglich und die besser Gesinnten bewiesen bald wie leicht es ihnen wurde guten Lehren ihr Ohr zu öffnen), nein auch ein anderes Leben beginnen; sie sollten vollkommen andere Menschen werden, Worte singen die sie nicht verstanden, Tage lang, statt ihrer Tänze und Spiele, ihr Antlitz in den Staub werfen und beten, und wo sie bis dahin dem Himmel frisch und fröhlich in's Auge geblickt, Allem entsagen fast, was ihnen die Natur in ihrem reichsten Uebermaß geboten; mit einem Wort jenen dunklen Schwärmern und Kopfhängern gleich werden, die selbst in ihrem nordischen Vaterland nur theilweis Anhänger finden konnten, und in Streit und Hader leben mit anderen Sekten. Aber noch waren sie selbst darin nicht fest geworden, ja in Vielen sogar schon Zweifel aufgestiegen, ob ihre alten Götter nicht mit ihnen zürnten, und der neue keine Macht habe sie zu schützen, denn ansteckende Krankheiten wütheten unter ihnen und religiöse wie politische Streitigkeiten hatten Familien und Stämme entzweit, bei denen nur der harmlose gute Charakter der Insulaner selber oft blutiges Ende verhinderte. Da warfen die Franzosen ihre Missionaire herüber, die einen anderen Gott, einen anderen Glauben brachten, und während die Evangelischen Priester die Neugekommenen als Kinder des Satans und Götzenanbeter ausschrieen, verdächtigten die Letzteren ihre, ihnen allerdings nicht geneigten Vorgänger, und warnten die armen Eingeborenen, denen der Kopf wirbelte bei den neuen Dogmen und Gebräuchen, auf dem betretenen Wege fortzugehn -- denn er führe genau zu dem Platz den sie bei Wegwerfung ihrer Götzen hätten vermeiden wollen -- nämlich zur _Hölle_. Doch fort mit all solchen traurigen Betrachtungen, soweit sie nicht zu nahe mit den Personen selber verknüpft sind, mit denen wir es hier zu thun haben -- sie thun weh, und man möchte da manchmal mit Keulen drein schlagen, die Menschen doch nur -- das wenigste was man von ihnen verlangen kann -- vernünftig zu machen. So vor denn, Du bunte Schaar, und grüße die Majestät, denn vor dem Hause flattert im frischen Morgenwind das Tahitische Banner, der einsame bleiche Stern im rothen Feld, und alle Fremden grüßen mit abgezogenen Hüten des Landes Königin. Auch die Eingeborenen folgten, auf ein Zeichen ihres Missionairs, diesem Gebrauch, die wenigstens, die Hüte hatten -- und begriffen vielleicht dabei heut' zum ersten Mal weshalb sie die wunderlichen Dinger eigentlich trugen. Pomare erhob sich, dankte mit freundlichem Nicken und ließ den Blick lange und forschend über die Menschenwogen gleiten, die ihren einfachen Palast umlagert hielten. Kaum aber zeigte sie sich so dem Volk, das in Liebe und Ehrfurcht an ihr hing, da rief ein alter Mann, ein Häuptling von Taiarabu, der unfern der Verandah stand: »Pomare! unsere Königin, ~ia ore na oe~!«[X] und wie der Schlag des Geschützes, der das Echo weckte in den Bergen, faßte den Ruf die Menge und laut wie der Brandung Donnerton klang das liebende Wort: »~ia ore na oe~!« Pomare wollte reden, sie hob die Hand und öffnete den Mund, aber die Stimme versagte ihr -- sie barg die Stirn in der linken Hand und wandte den Kopf, ihre Bewegung zu verbergen; da fiel ihr Blick auf die Fremden an ihrer Seite, auf die schwarzen Männer Gottes, auf die buntblitzenden Uniformen der Seeleute, und gewaltsam raffte sie sich zusammen, nicht schwach zu scheinen vor den Fremden. Ein leiser Wink ihrer Hand rief Raiata, ihren »Sprecher« an ihre Seite und wie noch vor wenig Augenblicken ein wildes Meer von Köpfen herüber und hinüberwogend mit stürmischen Lauten die Luft erfüllt hatte, legte sich der Lärm im Augenblick und wechselte in Todtenstille, daß dumpf und dröhnend der fernen Brandung Rollen hörbar wurde über der Schaar, und wie ein Segen klang zu dem frommen Wort des Volks. »Es ist der Königin Wunsch,« klang da die volle klare Stimme Raiatas, »daß die Verhandlungen dieses Tages mit Gebet beginnen.« »Dazu geben wir unsere volle Beistimmung,« nahm da Einer der Missionaire rasch das Wort, »und wollen den ehrwürdigen Herren Rowe ersuchen das Gebet zu halten.« Die Königin neigte ihr Haupt und während einer feierlichen Stille, in der das Athmen der Menge hörbar war, begann der fromme Mann sein lautes Gebet. »Herr mein Gott, Deine Hand liegt schwer auf diesem Volk, Deines Zornes Wucht traf tief und schmerzlich das gebeugte Haupt, und unser Flehen steige jetzt auf zu Dir zu Ruhm und Preis, Jehovah, daß Du Dich erbarmen mögest unserer Noth.« »Von über dem Meere her drohete dem friedlichen Strand Gefahr, Deiner Kinder frommer Sinn, wie Du ihn gnädig gelegt hast in unsere Hand, wird gefährdet durch der Papisten Wort und die eisernen Geschütze unserer Feinde, und Deine Hand nur kann uns retten vor Noth und Vernichtung, Jehovah!« »Unsere Feinde sind stark -- ihrer Waffen Macht trägt das Meer, und Nichts haben wir ihnen entgegenzusetzen als das fromme Wort -- als _Dein_ Wort o Herr, wie Du es uns gegeben in der heiligen Schrift -- o Jehovah!« -- »Hier Herr ist ein Volk, ein zahlreiches Volk, auf das kein Strahl göttlicher Gerechtigkeit gefallen war in seiner Nacht; das seinen mühseligen Weg seit ungekannten Generationen, vielleicht seit dem Beginn des Götzendienstes unter Noahs Abkömmlingen in all der Finsterniß, in all dem Grausen schrecklichen Wahns seine dunkle Bahn gesucht -- eines Wahnes der sich unter verschiedenen Verhältnissen aber sonst immer derselbe zeigte, und einen so gewaltigen Theil des menschlichen Geschlechts umfaßt, dessen vorragende Züge aber immer den Stempel des Fluchs getragen, in »Unreinigkeit und Blut.« -- O Herr -- hier -- hier ist ein Volk, bei dem seit frühster ältester Zeit menschliche Opfer gebracht wurden -- hier jener fremde Mummenschanz mit Götzenbild und Trug ist getrieben, Mummenschanz den die Betenden nicht einmal begriffen und nur gemacht den dunklen Geist der Seinen zu verwirren, ohne Trost zu bringen, ohne Ruh, und ohne nur das Herz im Entferntesten zu reinigen von der Sünde.« -- »In dieser entsetzlichen Zeit ein Schiff, weit weit am Horizont kommt in Sicht -- dreitausend Meilen fuhr es über eine Wasserwüste und führt eine gewählte Schaar von Passagieren an Bord, die einem festen Ziel entgegenziehen -- und was das Ziel? -- Die Nachricht von Gottes Vaterhuld zu bringen einer verderbenden Welt, das Heil denen zu bringen, die bereuen und glauben und den mit Blindheit geschlagenen Heiden den Weg zu zeigen zu Gottes Paradies. Die Herolde, die fröhlichen Muthes ausgegangen diese göttliche Proclamation zu verkünden sind unsere Brüder -- von der Thür jenes Heiligthums aus begannen sie ihren Weg der Gnade. Mit Liebe und Anhänglichkeit an ihr Vaterland, mit Aussicht auf Erwerb und Achtung daheim, mit Gesundheit und Freuden und Allem was dies Leben wünschenswerth machen konnte, entsagten sie ruhig dem Allen, rechneten Alles nur Verlust, wo sie des Vortheils theilhaftig werden konnten den Heiland zu predigen diesen, dem Untergang geweihten Inseln.« »Sie waren auf Gefahr gefaßt, auf Noth und Hunger, auf stürmische See und blutgierigen Feind, auf Verfolgung der Götzenpriester und ihren Haß, auf blinden Wahn und alle Schrecken blinderen Aberglaubens; und Alles Alles haben sie besiegt, mit der Hülfe des Herren Zebaoth da droben und seiner Macht, und Jesus Christus seinem eingeborenen Sohn, und dem heiligen Geist in all seiner Herrlichkeit und unerschöpflichen Gnade. Aber -- nicht gefaßt waren sie auf den Feind im Lager unter den eignen Brüdern -- nicht gefaßt darauf daß ein anderes Christliches Reich seine Boten des Hasses und Aberglaubens senden würde in dies Inselland, das fromme Werk zu stören, zu verderben. Aber sieh, des Herren Hand ist stark auch in dem Schwachen, und wie der Widerstand den Gegendruck erhöht und stärker macht, so hat sich jetzt das ganze Volk erhoben wie _ein_ Mann, zu zeigen daß es Gott verehrt in Seiner Herrlichkeit -- aber auch nur in _Seinem_ Wort, und von sich werfen will, was seinem Lande wie seinem Geiste Fesseln legen möchte zu Schmerz und Schmach.« Pomare wandte den Kopf nach dem Redner, und das Blut schoß ihr in vollen Strömen in Stirn und Schläfe -- es war als ob sie reden wollte, aber nach wenigen Secunden senkte sie wieder die Augen zu Boden und der Ehrwürdige Mann fuhr fort. »Der Antichrist hat sich erhoben unter uns -- nicht frei und offen aber trat er auf, dem ehrlichen Feind gegenüber der ehrliche Feind; nein schlau und heimlich schlich er herbei mit gleisnerischem Wort und Blick, fromme Worte auf den Lippen und Trug im Herzen. Wehe! Wehe über ihn, wehe wehe über Euch wenn Ihr ihm lauschtet was er Euch vorerzählt mit der Doppelzunge -- der Fluch bliebe nicht aus, und was durch Gottes Hand gesäet in den langen Jahren der Trübsal und des Leides, das mähte des Teufels Hand nieder in _einer_ schwarzen Stunde.« »Das Gebet!« flüsterte einer seiner Amtsbrüder, denn die Königin hob wieder den Kopf und seufzte auf, wie von innerer Angst beklemmt. »Ich bin der Herr Dein Gott, Du sollst nicht andere Götter haben neben mir« -- fuhr aber der Geistliche in vollem Eifer und hingerissen von dem Thema fort -- »nicht buntes Schnitzwerk, bunten Kleides Zier, nicht leere Formeln und hohles Wort sind des Christen Schmuck, ein demüthiges Herz nur und einfacher Sinn --« »Das Gebet,« mahnte dringender die Stimme, denn unter dem Volke auch wurde jetzt manche Stimme laut, und selbst unter den gegenwärtigen Fremden, von denen mehrere der Römischen Kirche angehörten, erhob sich ein leises Murren und nur wohl die Gegenwart der Königin hielt eine förmliche Einrede zurück. Der ehrwürdige Mr. Rowe hielt einen Augenblick ein und schaute mit einem verklärten Blick zum Himmel, dann aber, wie von seinen Gefühlen übermannt, sagte er mit gedämpfter, anfangs kaum verständlicher, doch wieder wachsender, anschwellender Stimme: »Dein sei der Preis und die Ehre in der Höhe, Jehovah, Dein sei die Herrlichkeit -- schütze unsere Brüder in dieser Inselwelt, schütze das ganze Christenthum vor den Versuchen des Pabstthums.« »Gieße Deinen Heiligen Geist aus von da droben auf alle Evangelische Kirchen, und vereinige sie zu Einem lebendigen Glauben.« »Gieb allen Christen, vorzüglich aber den Pastoren und Evangelisten Kraft und Muth Rom zu widerstreben und das glorreiche Reich Jesus Christus unseres Herren und Gottes aufzurichten.« »Zerstöre rasch, bei dem Geist Deines Mundes (2. Thess. 11, 8.) die tödtlichen Irrthümer des Pabstthums; brich das Joch, das es auf die Nacken so vielen Volkes gedrückt, und führe durch Deinen Rath die Seelen, die es von Christus sonst entfernen möchte und die uns werth und theuer sein müssen, zur glorreichen Freiheit ein der Kinder Gottes -- aber --« »Amen!« fielen in diesem Augenblick die ihm nächsten Brüder laut und rasch ein -- und _Amen_ riefen die Umstehenden, _Amen_ hallte es, wie dumpfen Donners Ton leise und scheu von den Lippen der Tausende, die das kleine Haus umdrängt hielten, und deren Blicke an dem ernsten Mann hingen wie er zu _seinem_ Gott sprach für ein fremdes Volk. Die Fremden aber, denen die fanatische Predigt schon viel zu lange gedauert, holten tief Athem, räusperten sich und flüsterten mit einander -- der Geistliche konnte nicht weiter beten. Pomare bog sich jetzt leise zu ihrem Sprecher über, und Raiata den Arm ausstreckend über das Volk, sagte mit seiner lauten, auch zu den Entferntesten klar und deutlich dringenden Stimme: »Ihr Männer von Tahiti und Imeo, Häuptlinge und Volk, und Ihr Fremden die Ihr gegenwärtig seid an diesem Tag, und Theil nehmt an unserem Schicksal; die Königin Pomare, Aimata, wird zu Euch sprechen und mit Euch sprechen über das Eingreifen einer fremden Macht in ihre Rechte, das sie, wenn sie es duldete, nicht mehr Königin sein ließ auf dem Thron Otu's. -- Erwäget wohl was heute verhandelt wird, es ist eine wichtige Sache und kein blinder Eifer dafür oder dagegen sollte die Entscheidung lenken, aber redet auch in Frieden und betet zu Gott daß _wenn heute doch zornige Worte gesprochen werden sollten, sie mild und weich werden, wenn sie in Euer Herz eingehn, und dort nicht Aerger und bösen Geist erzeugen_.« »Segne meine Seele Jim, was die da erst kreuz und queer um den Compaß gehn, ehe sie den richtigen Cours kriegen,« sagte unser alter Bekannter, Mac Rally, zu seinem Begleiter, mit dem er sich ziemlich dicht zur Verandah, an der Seite aber an welcher die Missionaire standen, vorgedrängt hatte. Hier befanden sich die beiden auch fast hinter dem ganzen weiblichen Theil der Versammlung, der sich ohne frühere Verabredung, und eigentlich nur der ersten frommen Abtheilung der Mädchen folgend, da zusammengefunden und seinen Platz behauptet hatte. »Die Sache wird langweilig,« meinte Jim gähnend -- »jetzt werden sie gleich an zu singen fangen, und wenn wir nicht hier die hübsche Nachbarschaft hätten --« »Ruhe da! -- Still! -- gebt Frieden!« tönte es von mehren Seiten, und Aller Köpfe wandten sich den beiden Seeleuten zu, die dadurch die Aufmerksamkeit der Menge weit mehr auf sich gezogen sahen, als sie wohl vermuthet. Raiata begann aber in demselben Augenblick wieder, und jetzt zwar mit Vorlesen einer langen Rede Pomares in Tahitischer Sprache, in der er zuerst ihre Gefühle bei dem jetzigen politischen Stand der Dinge beschrieb, bei welchem sie sich selber als verbannt von ihrem Königreich betrachten müsse, und das Volk dann aufforderte diesem Zustand durch energisches, aber auch einiges Handeln ein Ende zu machen. Dann wurde ein Brief des Englischen Admirals verlesen, der die Theilnahme der Königin von England für die Königin von Tahiti ausdrückte[Y] und auf das beifällige Murren der Versammlung wandte sich Raiata nun zu den verschiedenen Häuptlingen der nächsten Distrikte, ihre Meinung zu hören. »Fanue sprich Du was Du denkst von der Gestaltung der Dinge im Reich. -- Der Aelteste bist Du, Pomare frägt Dich, willst Du die Flagge beibehalten wie sie ist, oder Dich der neuen Herrschaft beugen?« Fanue, ein Greis, tättowirt noch aus der Heidenzeit und mit einem Tapa-Mantel statt des bunten Kattuns, wie ihn fast alle Anderen trugen, stand, auf seinen Stab gestützt, und schien die Anrede, als etwas Selbstverständliches schon lange erwartet zu haben. Aber der Ton seiner Stimme klang rauh, rauh wie das Wort das er sprach, und das lange weiße Haar, das er nicht abgeschnitten hatte wie viele der »gläubigen Christen«, zurückwerfend aus der Stirn sagte er finster: »Raiata hätte sich die Frage sparen können, er weiß wie Fanue denkt und gedacht hat seit sie Oros Bildniß auf den Inseln stürzten. Der Fremden sind hier zu viel gewesen von vorn herein, und es ist nicht wahrscheinlich daß ich ihnen jetzt das Wort reden sollte. Was der Ferani dabei für ein Recht hat uns regieren zu wollen? -- dasselbe Recht das sich der Hai nimmt, wenn er in unsere Binnenriffe kommt -- nur daß sich der Haifisch schämt, wenn er von Menschen dabei erwischt wird, und wieder zurückgeht -- und der Ferani _nicht_. Aber es giebt viele Arten von Hai's,« setzte er langsamer hinzu und sein Blick schweifte düster über _alle_ Weiße -- »eine vorsichtiger -- feiger wie die andere. Fanue möchte einen Corallenblock nehmen und die Einfahrt verstopfen -- nachher ließe sich leicht reine Bahn machen.« »Aber Du stehst der Frage keine Rede Fanue,« sagte Raiata ungeduldig, »willst Du die _Fahne_ beibehalten?« »Ich wußte nicht daß das bunte Spielzeug bei Euch die Hauptsache ist,« sagte der Greis mürrisch -- »wenn's denn einmal eine sein muß, ist die so gut wie jede andere -- weshalb wechseln? aber Otu wußte Nichts von solchem Tant.« »Fanue stimmt also für Beibehaltung der Englischen Flagge,« fiel hier Mr. Dennis, Einer der Missionaire von Imeo in das Wort -- »von solchem würdigen Mann war das nicht anders zu erwarten.« »Und Du Aonui?« fuhr Raiata fort. »Halt ein, Pomare!« rief aber in diesem Augenblick Mr. Mörenhout der Französische Consul, der der Verhandlung bis dahin schweigend aber mit krauser Stirn gelauscht -- »das überschreitet Euere Macht. Der Vertrag, den Du sowohl, wie vier Deiner ersten Häuptlinge unterschrieben, giebt Dir nicht mehr das Recht hier zu entscheiden, was schon entschieden _ist_. Du bist die Königin dieser Inseln und wirst es bleiben, kannst es aber nur unter Frankreichs Schutz, das Dir ein besseres Bündniß bot als Deine Priester -- gieb Dich nicht wieder ganz in ihre Macht, Du würdest es sicherlich zu spät bereuen.« »Dir ziemt keine Drohung hier, Consul Mörenhout,« sagte aber Pomare sich von ihrem Sitz erhebend -- »ich war freundlich gegen Dein Land gesinnt -- es ist ein mächtiges Land und ich streckte dem Könige Deiner Insel die Hand entgegen, weil ich glaubte daß er mich sicher führen würde in vielem Wirrsal und Leid, das Gott über mich verhängt hat. Aber die Hand die mich führen sollte faßte mich so fest an, daß ich laut aufschrie -- sie that mir weh und ich will allein gehn jetzt auf meiner Bahn.« »Die Königin hat freie Wahl hier, zu thun und zu lassen was ihr gefällt,« nahm jetzt, als der Französische Consul erwiedern wollte, der Englische Capitain das Wort -- »_gezwungene_ Versprechen binden nicht, und ihrer eigenen Aussage nach _ist_ sie dazu gezwungen, und zwar in einem Zustand gezwungen worden[Z], in dem die _Frau_ schon sicher sein sollte vor jeder Belästigung von außen her. Die Verhandlung hier übrigens, steht unter _meinem_ besonderen Schutz.« »In dem Fall,« entgegnete der Französische Consul finster, »kann ich Nichts thun als gegen Alles feierlich protestiren, was die geschlossenen Verträge des Landes, das ich hier zu repräsentiren die Ehre habe, verletzt; thun Sie was Sie verantworten können.« Eine kalte Verbeugung des Engländers antwortete ihm, und Raiata, über dessen Züge ein triumphirendes Lächeln flog, wiederholte seine Frage an Aonui, einen Häuptling aus Matavai-Bai. Aonui war ein frommer Christ -- den geschorenen Kopf entblößt, trug er seinen Strohhut in den gefalteten Händen, und hatte schon seit der ersten Ansprache, und ohne auch nur den Blick auf einen Moment den Rednern zuzuwenden, zum Himmel aufgeschaut, dessen klare Bläue nur hie und da durch einzelne leichte Wolken unterbrochen und kaum gestört wurde. Er trug weiße Hosen und eine weiße Jacke, über die ersteren aber nichtsdestoweniger den Pareu und ein buntes roth und gelb gestreiftes Hemd, um den Hals eine feste schwarze Binde und kleine steife Stehkragen dort hinein geknüpft -- er hatte das bei seinen Lehrern gesehn und Freude daran gefunden sich ebenso zu tragen. Bei der zweiten Anrede neigte er leise den Kopf, dann aber rief er plötzlich mit lauter und freudiger Stimme: »Jehovah sei Preis in der Höhe, sein die Ehre -- aber Pomare ist unsere Königin ~ia ore na oe~, und die Britische Flagge die natürlichste unseren Herzen, unserem Glauben.« »Setz _unseren Interessen_ hinzu Aonui!« unterbrach ihn da Tati, der mit Ungeduld die Zeit erwartet zu haben schien, selber reden zu dürfen -- »setz _unseren Interessen_ hinzu, aber laß das _Herz_ fort. Die natürlichste unseren Herzen muß und wird die Landesflagge sein, die rothe Fahne mit dem weißen Stern, oder besser noch die weiße Kriegesfahne unserer Väter!« »Aonui redet!« rief aber der Sprecher der Königin, seinen Stab erhebend, »Tati wird reden wenn die Königin befiehlt.« »Tati wird« -- rief der stolze Häuptling wild und trotzig emporzuckend, aber er bezwang sich selbst, sogar noch ehe Paraitas Hand warnend seine Schulter berührte, und die Arme fest auf der Brust gekreuzt, die Unterlippe zwischen die Zähne gebissen, daß das Blut daraus zurückwich, blieb er stehn und schaute finster vor sich nieder. »Friede mein Bruder!« fuhr aber Aonui freundlich und mit ruhiger Stimme fort -- »Friede sei zwischen uns immerdar, aber meiner Meinung bleib ich treu; die Britische Flagge muß unseren Herzen die theuerste sein, denn Groß-Britannien sandte uns die Bibel, und damit, glaub' ich, hab ich Alles wohl gesagt. -- Die heilige Schrift ist unter uns, mehr brauchen wir nicht!« »Nein, mehr brauchen wir nicht -- wir haben unsere eigenen Gesetze und Lehrer und die Bibel -- das genügt uns -- fort mit der anderen Flagge!« fielen jetzt viele andere Stimmen ein, und »das sagt Terate, das sagt Avei -- das sagt Nane ini!« rief es von drei verschiedenen Seiten in den Lärm. Die Missionaire schwiegen, aber mit aufgehobenen Händen standen sie da und in Bruder Rowes Augen glänzte eine Thräne. »Gut von Dir Nane ini! gut von Dir Avei und Terate. Ihr habt Eueren frommen christlichen Sinn bewährt!« rief aber Raiata und nickte da und dort hinüber; »Ihr seid Pomares Freunde, und der Sturm wird Euch nur fester in den Boden wurzeln. Jetzt aber spricht die Königin durch mich zu Dir, Tati, Häuptling und Richter von Papara, aber Vasall Pomares, der freien Königin von Tahiti und Imeo -- und fragt Dich weshalb hast Du Hülfe gesucht bei den Feranis ohne Wissen Deiner Königin, ja ohne ihr zu künden was Du thatest?« Tati wollte sprechen, und seine ganze Gestalt zitterte vor innerer Aufregung. Er war heute in einen weiten Zeugmantel gehüllt, der in malerischen Falten bis über seine Knie hinunterhing, in den Haaren aber trug er, wie zum Trotz der anderen Parthei, die alten Häuptlingsfedern stolz befestigt. »Und Tati bleibt die Antwort schuldig?« frug höhnisch der Sprecher. »_Nein, nein, nein_ und abermals _nein_!« schrie aber jetzt der stolze Häuptling, dessen Zorn die Oberhand gewann -- »nur nicht ich brauche zu antworten solcher Frage -- dort die Männer an Deiner Seite, die schwarzen mit dem frommen Blick mögen Dir Rede stehn, wenn Du so neugierig bist.« »Wir? -- wer? -- wir?« frugen die Missionaire allerdings erstaunt, und vielleicht auch bestürzt über den trotzigen Ton des einflußreichen und immer noch gefährlichen Mannes. »Ihr -- und noch einmal sag ich's, _Ihr_!« rief aber, uneingeschüchtert der Häuptling, jetzt vortretend und den rechten nackten tättowirten Arm gegen sie ausstreckend. »Das unnatürliche Verhältniß,« fuhr er dann etwas ruhiger, aber immer noch in aufgeregter Stimmung fort, »das dieses Land in seinen Banden hält, trägt jetzt die Schuld unseres Zwiespaltes, und wird, Gott sei es geklagt, noch später sogar blutige Früchte tragen. Euch verhüllt ein Mantel unter dem Ihr Euch versteckt oder vorkommt, wie es Euch paßt, und den Frieden Gottes auf den Lippen könntet Ihr mit Euerer Nichts vernichtenden Ruhe, einem Heiligen die Kriegskeule in die Hand pressen und den Wurfspeer. Ihr Prediger allein seid es gewesen, die unser Land regiert seit sie Pomare den Zweiten in sein kühles Grab gelegt. Ihr habt Gesetze aufgeschrieben und durch der Häuptlinge Mund wurden sie That; Ihr habt Strafen aufgeschrieben, und durch der Häuptlinge Hand wurden sie Wahrheit. Ihr waret es, die uns das Buch erklärten, das Ihr die heilige Schrift nennt -- wir kannten es nicht, Gott hatte uns im Dunkel gelassen über sein Reich. -- Ihr habt viel Gutes gethan, Ihr habt die Väter verhindert daß sie ihre Kinder erschlugen, Ihr habt manches Leben gerettet, denn Oros Priester sind von diesen Inseln verschwunden, und sie schlachten keine Opfer mehr; aber Ihr habt auch das Vertrauen des Volkes zu seinen Fürsten und Häuptlingen untergraben, und nennt die Bibel wenn man Euch fragt warum. Ihr habt unsere Gebräuche und Feste vernichtet, und die Bibel ist der Grund auf den Ihr fußt -- Euere Gesetze und Strafen, fragt man Euch woher? aus der Bibel --« »Aber Tati,« unterbrach ihn hier Aonui mit frommem Blick -- »das ist ja --« »Ruhe dort wenn Tati spricht!« donnerte ihm aber der Häuptling entgegen und sein Fuß stampfte den Boden; dann jedoch, nach kurzer Pause, in der das Volk athemlos seiner klangvollen Stimme lauschte, fuhr er fort -- »Das ist gut -- das Buch der Bücher ist ein fester Grund und Ihr versteht darauf zu bauen, aber laßt es nicht den Wall sein hinter den Ihr springt Euch zu verbergen. Als jene fremden Priester die in unser Land gekommen waren, _durch Euch_ verbannt wurden von dieser Insel --« »Das ist falsch,« unterbrach ihn der Missionair Rowe mit einem frommen Blick nach oben und tiefen Seufzer, »das ist falsch, denn Tahitis Gesetze sprachen allein ihr Urtheil.« »Und _wer_ gab die Gesetze, die sie damals trafen?« lachte mit bitterem Hohn und trotzigem Zornesblick der Häuptling -- »_Ihr_! -- Wer _deutete_ sie der Königin gegenüber? Ihr! Wagt es und sagt die Königin ist frei -- es ist nicht wahr; in Eueren Maschen liegt sie, in Euerem Netze liegt das fanatisirte Volk, das nur des Aufrufs bedarf und einen Bibelvers, sich blind dahin zu stürzen wohin _Ihr_ es verlangt. Dreht Euere Augen zum Himmel -- Gottes Tod -- hier steh ich und der Herr da oben mag mich stürzen, wenn ich ein einzig falsches Wort nur spreche, ein einziges Wort, das mir nicht warm und wahr in der Seele glüht, und meinen Pulsen Fieberhitze giebt. -- Die Gesetze? die Häuptlinge? nicht Ihr? -- wagt es und sagt das Euerer Königin in's Gesicht -- sagt das Fanue, Terate und Avei -- nicht Ihr? die Häuptlinge, das Volk führen es aus, Ihr aber, mit der Bibel in der Hand steht Ihr dahinter, und _Euer_ Ruf ist es -- heimlich oder laut -- der sie treibt.« »Nicht als Ankläger, Tati von Papara, sondern als Vorgerufener sollst Du Rede stehn Deiner Fürstin!« rief aber jetzt Raiata, der mit einem leisen Anflug von Schadenfreude des Häuptlings Zorn auf Leute hatte ausströmen sehn, die ihm bis dahin viel zu mächtig geschienen es auch nur für möglich zu halten; aber die Königin winkte und er mußte gehorchen. »Ei wenn Pomare denn _mit Willen_ blind ist,« rief der Häuptling trotzig, »mags drum sein; was kümmerts mich! So nimm denn Deine Antwort: Weil wir die Lösung unserer Wirren mit den Feranis denen überlassen wollten die sie herbeigeführt -- den Missionairen; von denen aber im Stich gelassen, denn sie leugneten bei dem Fortschicken der Römischen Priester auch nur im mindesten betheiligt gewesen zu sein, und von dem Franken bedrängt, ja in ihm selber vielleicht einst eine Stütze sehend in schwererer Zeit gegen solche _heimliche_ Feinde, schrieb ich meinen Namen unter das Papier -- bist Du zufrieden nun?« »Und Du Utami?« »Tati hat den Grund genannt,« entgegnete der allgemein geliebte Richter, und einzelne Stimmen des Beifalls wurden schüchtern laut. Und Paraita? und Hitoti? »Utami und Tati hatten unterschrieben,« nahm hier der vorsichtige Paraita das Wort, »wir hielten's nicht der Mühe werth da lang darüber nachzudenken; Utami denkt allein für Viele.« »Und billigt Hitoti ebenfalls diesen Grund?« frug noch einmal der Sprecher. »Ich habe nicht nöthig Andere vorzuschieben,« brummte der Häuptling -- »weil ich es für das Beste des Landes hielt that ich's, und weil mir das Volk mehr am Herzen liegt als die Kirche -- es mag ein Fehler sein, aber 's ist wahr.« Da erhob sich Pomare selber, ihr Antlitz von leisem Roth überhaucht, der den lieben Zügen einen noch viel höheren Reiz verlieh, und mit der Rechten sich auf den Stuhl stützend auf dem sie gesessen, sagte sie leise, und doch mit den weichen Tönen bis zu den entferntesten dringend, die in laut- und athemloser Spannung ihren Worten horchten. »Und _wünscht_ Ihr, Häuptlinge meines Landes, die Hülfe, den Schutz der Feranis?« »Nein, nein, beim ewigen Gott! nein!« riefen die Häuptlinge, Tati und Hitoti an der Spitze, durcheinander. »Was brauchen wir den Fremden?« fuhr Tati fort, den weiten Mantel von seinem Arm zurückschleudernd, »unsere Bäume sind fruchtreich, unsere Quellen süß, und kamen _wir_ zu ihm zuerst, Nahrung zu holen auf der Reise, oder er zu uns? Trenne Tatis Hand vom Rumpf wenn sie sich je ausstrecken sollte einen Fremden um Hülfe anzurufen -- so lange er sich im eignen Lande helfen _darf_.« »Nein, wir wollen keine Hülfe von Fremden« wiederholte nochmals Hitoti, »aber laß dann auch Deine Priester zu dem stehn was sie sind -- die Lehrer unserer Kinder, unseres Volkes. Als Richter aber brauchen wir sie nicht -- sie kennen unser Land nicht, nicht unsere Sitten, unsere Bedürfnisse -- sie kennen nur Gottes Wort -- laß sie das lehren, und wir wollen ihnen folgen und sie ehren.« Die junge Königin winkte, leicht dankend mit der Hand, und Raiata, wieder das Wort ergreifend, fuhr fort: »So melde ich Euch denn, Ihr Häuptlinge und Eingeborene der Insel, Euch Fremden und Geistlichen die Ihr Antheil an uns und unserem Lande nehmt, daß es der Königin Wunsch und Wille ist mit allen fremden Nationen und Fürsten auf freundschaftlichem Fuß zu stehen und zu bleiben; sollte sie aber je die Hülfe irgend einer Nation verlangen müssen -- was Gott verhüten möge -- _so sei das_ Land kein anderes als Groß-Britannien, und stürbe sie, von diesem Lande sollte ihr Erbe und ihres Erben Erbe Schutz erbitten, zur spätesten fernsten Generation hinab. Ihr großer Bundesgenosse ist England; von dort hat sie ihre Lehrer, ihre Civilisation, ihre Gesetze und Religion erhalten, und sie will keinen anderen Bundesgenossen als den Briten.« »England hat uns die Bibel gebracht!« rief ein Theil der Häuptlinge durcheinander -- »es hat uns den Heiland kennen gelehrt.« »Und Krankheiten, die uns das Fleisch von den Knochen faulen machen,« knirrschte Tati zwischen den Zähnen -- »meinetwegen verschreibt Euch dem Teufel.« »England ist unser Heil, unser Stolz -- England ist unser Anker in der Noth und im Sturm!« rief wieder ein Theil der Oberen, und der Englische Capitain neigte sich dankend dem bunten Chor, in Anerkennung dieser Freundlichkeit; Tati aber nahm Utamis Arm und wollte ihn fort aus dem Gedränge ziehen. »Warte noch,« sagte Utami, »erst kommt noch ein Gebet von Einem der frommen Männer,« und dem schon gegebenen Zeichen gehorchend, beruhigte sich wieder das wachsende Toben der Menge, aber Tati schüttelte ärgerlich mit dem Kopf und sagte, den Freund mit sich fortziehend: »So laß sie beten und singen, und meinetwegen -- aber ich will mich nicht ärgern über das schwarze Volk; fort, fort mit den albernen und quälenden Gedanken, die mir nicht Ruhe noch Frieden lassen. Das Volk ist blind, und in tollem Aberglauben, mit dem es sich jetzt gerade so auf die ihm unverständlichen Sagen stürzt, wie es früher von den Wundern Oros und der anderen Götter träumte, läßt es sich von Jedem die Hände binden, der im Stande ist ihm den Schleier über die Augen zu werfen. Fort, wieder hinaus in's Freie; die Komödie ist aus und die schwarzen Areois haben ihre Sache gut gemacht.« Und ärgerlich den Mantel um sich her ziehend, ohne den Blick zurückzuwerfen, schritt er die Straße entlang die hinein in die Stadt führt. Fußnoten: [T] Die Raanocke an Bord eines Schiffes ist das äußerste Ende der Raaen genannten Queerhölzer, an welchen die Segel befestigt sind. Bei Executionen an Bord werden die zum Strang Verurtheilten an der Raanocke aufgezogen. [U] Mein Herzchen. [V] Die Indianer der Südsee nennen das Gold ~perú~. [W] Das Wort _Kindesmord_ klingt aber hier auch schlimmer wie es in Wirklichkeit war, wenigstens fand Alles dabei statt, was sich nur irgend zur Milderung eines so entsetzlichen Verbrechens denken läßt. Die Inseln waren übervölkert (ein Uebelstand dem die Civilisation jetzt vollkommen abgeholfen hat) und die Frauen wurden als den Männern in jeder Hinsicht untergeordnete Geschöpfe betrachtet, hatten also auch keine Stimme bei dem Tödten der Kinder. Alle Berichte, selbst die der Missionaire stimmen übrigens darin überein, daß Kinder _nur_ gleich nach der Geburt, entweder von dem Vater selber oder einem Anderen, fortgenommen, in eine schon dazu bereitete Grube geworfen und mit Erde bedeckt wurden, _ein nur eine halbe Stunde altes Kind war vollkommen sicher und wurde nie getödtet_. [X] Mögest Du gerettet werden. [Y] Das war im Februar, im März wurde aber erst die Besitznahme der Inseln durch die Franzosen in England bekannt. [Z] Pomare erwartete gerade in jener Zeit, als sie Du Petit Thouars um ihre Unterschrift bedrängte, jede Stunde ihre Entbindung. * * * * * Druck von _Ferber & Seydel_ in Leipzig [Anmerkungen zur Transkription: Die Schreibweise einiger Wörter ist im Originalbuch inkonsistent. Im vorliegenden ebook wurden lediglich offensichtliche Druck- und Zeichensetzungsfehler korrigiert. Das Buch ist in Frakturschrift gedruckt. Textauszeichnungen wurden folgendermaßen ersezt: Sperrung: _gesperrter Text_ Antiquaschrift: ~Antiquatext~ Fettdruck: #fetter Text# ] [Transcriber's Note: The spelling of some words is inconsistent in the original book. Only obvious typos and errors in punctuation have been fixed in this ebook. The book is printed in Fraktur font. Marked-up text has been replaced by: Spaced-out: _spaced out text_ Antiqua: ~text in Antiqua font~ Boldface: #bold text# ] End of Project Gutenberg's Tahiti. Erster Band., by Friedrich Gerstäcker *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK TAHITI. ERSTER BAND. *** ***** This file should be named 20412-8.txt or 20412-8.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/2/0/4/1/20412/ Produced by richyfourtytwo, Holt and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. 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