The Project Gutenberg EBook of Mary, Erzaehlung, by Bjornstjerne Bjornson This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Mary, Erzaehlung Author: Bjornstjerne Bjornson Release Date: December 20, 2003 [EBook #10507] Language: German Character set encoding: ISO Latin-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MARY, ERZAEHLUNG *** Produced by Juliet Sutherland, Brett Koonce and PG Distributed Proofreaders MARY, ERZAeHLUNG von BJORNSTJERNE BJORNSON * * * * * Das Gut und die Familie Die Kuestenlinie des suedlichen Norwegen ist haeufig unterbrochen. Daran sind die Berge und die Fluesse schuld. Das Gebirge laeuft in Huegel und Landzungen aus, denen oft Inseln vorgelagert sind; die Stroeme haben Taeler gegraben und muenden in Buchten. In solch einer Bucht, dem "Kroken", lag das Gehoeft. Urspruenglich hiess der Hof Krokskog, woraus die daenischen Beamten in ihren Protokollen "Krogskov" machten; jetzt heisst er Krogskog. Die Besitzer nannten sich einstmals Kroken; Anders oder Hans Kroken, das waren die Hauptnamen. Spaeter nannten sie sich Krogh, der General vom Geniekorps sogar von Krogh. Jetzt heissen sie recht und schlecht Krog. Alle Leute, die auf den kleinen Dampfern von oder nach der nahen Stadt hier vorbeikamen und an der Landungsbruecke unterhalb der Kapelle anlegten, wussten davon zu erzaehlen, wie behaglich und traulich geborgen Krogskog doch dalaege. Die Berge am Horizont nahmen sich grossartig aus; hier vorn aber waren sie niedriger. Zwischen zwei vorspringenden, bewaldeten, langgestreckten Huegelruecken lag der Hof. So dicht draengten sich die Haeuser an die Anhoehe zur Rechten, dass es den Dampferpassagieren vorkam, als koenne man vom Dach des Hauses auf den Huegel hinueberspringen; der Westwind fand hier keinen Einlass; wie beim Versteckspiel konnte man zu ihm sagen: "Ein Haus weiter!" Das gleiche konnte man auch zum Nord- und Ostwind sagen. Einzig der Sturm von Sueden her kam zu Gast, aber auch nur in aller Bescheidenheit. Die Inseln, eine grosse und zwei kleine, hielten ihn auf und stutzten ihn zurecht, bis sie ihn weiterziehen liessen. Die hohen Baeume vor dem Hause wiegten nur gerade rhythmisch ihre hoechsten Wipfel; die Haltung verloren sie nicht. Diese stille Bucht hatte den besten Badestrand der ganzen Gegend. Besonders die Jugend kam im Sommer an den Samstagabenden oder Sonntags aus der Stadt, um im Wasser auf dem sandigen Grunde herumzutollen oder nach der Grossen Insel hin und zurueck zu schwimmen. Von Krogskog aus gesehen, lag der Badestrand zur Linken, da, wo der Fluss muendete, wo die Landungsbruecke war, und wo, ein wenig hoeher und dem Huegel naeher, auch die Kapelle sich befand, umgeben von den Krogschen Familiengraebern. Von da bis hinauf zu den Haeusern rechts war es ein gutes Stueck. Hier oben war kaum je der Laerm der Badenden und Spielenden zu hoeren. Anders Krog aber kam gern selbst hinunter, um ihnen zuzusehen, wenn sie auf der Sandbank oder im Walde draussen auf der Landspitze Feuer angezuendet hatten. Er kam vermutlich, um ein Auge aufs Feuer zu haben. Aber davon hoerte und merkte niemand etwas. Er war bekannt als "der hoeflichste Mann der Stadt", oder "der erste Gentleman der Stadt." Seine grossen, eigentuemlich leuchtenden Augen glitten wie ein freundlicher Willkommgruss ueber alle Gesichter; die wenigen Worte, die er sprach, enthielten nichts als gute Wuensche. Er selbst stieg den Huegel weiter hinan auf seinem gewohnten, langsamen Rundgang. Seine hohe, leicht vornuebergebeugte Gestalt war oben im Wald zu sehen, und so lange blieb es still. Aber was hatten sie hier sonst fuer einen Spass. Meist waren es Arbeiter und Handwerker aus der Stadt, Turnvereine, Gesangvereine, Kinder. Sie scharten sich bei der Landungsbruecke und bei der Kapelle; da zogen sie sich aus. Die Strandstrasse fuehrte unmittelbar daran vorbei. Aber im Sommer fuhr selten jemand dort entlang; da fuhr man lieber mit den kleinen Dampfern oder in Booten. Wenn die Badenden oben auf dem Huegel einen Posten aufstellten, waren sie sicher, dass keiner sie ueberrasche. Oben auf dem Hof selbst war es still, immer still. Die schoenste Vorderfront des Hauptgebaeudes sah nicht einmal auf die Bucht hinaus, sondern aufs Feld. Das Haus bestand aus zwei hohen Stockwerken mit abgestumpften Dachecken. Ein langes, breites Haus. Die Grundmauer vorn war ziemlich hoch; eine bequeme Treppe fuehrte hinauf. Das ganze Gebaeude war weissgestrichen, die Grundmauer aber und die Fenster schwarz. Die Nebenhaeuser lagen naeher dem Huegel zu; vom Dampfer aus waren sie nicht zu sehen. Zu beiden Seiten des Hauptgebaeudes grosse Gaerten. Der Garten nach der See zu stand voller Obstbaeume, der links vom Hause war ausschliesslich Blumen- und Kuechengarten. Zwischen den Hoehen lag ein laenglicher Streifen flachen Wiesenlandes. Es war vorzueglich bestellt. Die grossen hollaendischen Kuehe hatten es gut hier. Die Geschichte des Gutes und der Familie hatte der Wald vorausbestimmt. Der Wald war gross und ueppig und war gluecklicherweise fruehzeitig unter hollaendische Pflege und Sparsamkeit geraten, damals als hollaendische Kuffs die Waldbesitzer in Norwegen aufsuchten. Hier bekamen sie ihre Holzladung und versorgten die Norweger dafuer mit ihrer Kultur und deren Erzeugnissen. Krogskog hatte besonderes Glueck dabei; denn vor nun dreihundert Jahren geschah es, dass der Besitzer eines Kuffs, der in der Bucht lag und lud, sich in des Bauern blondhaarige Tochter verliebte. Das Ende vom Liede war, dass er die ganze Herrlichkeit kaufte. Ein wundervoll gemaltes Bild von ihm und ihr haengt noch in der guten Stube, der Eckstube nach der Bucht hinaus. Das Portraet zeigt einen langen, hageren Mann mit ungewoehnlich leuchtenden Augen. Er war dunkelhaarig und ein wenig krummnackig. Der Stamm muss kraeftig gewesen sein, denn so sehen die Krogs noch heutigentags aus. Der erste hollaendische Besitzer hiess nicht Krog; er wohnte auch nicht hier; aber der Sohn, der den Hof uebernahm, war nach seinem Grossvater muetterlicherseits Anders Krog getauft, und er nannte seinen Sohn nach seinem eigenen Vater Hans. Fortan wechselten die beiden Namen miteinander ab. Wenn noch mehr Soehne da waren, hiess einer Klas und einer Juerges, woraus im Lauf der Zeit Klaus und Juergen wurde. Die Mischehen mit den hollaendischen Verwandten setzten sich naemlich fort, so dass die Familie zu gleichen Teilen hollaendisch und norwegisch war; der Haushalt wurde lange Zeit ganz hollaendisch gefuehrt. Aber es war, als wenn sich die Rassen trotzdem nicht vermischten. Wahrscheinlich weil das hollaendische Element nicht rein hollaendisch war,--in diesem Falle haette es sich leichter mit dem norwegischen Element verschmolzen,--sondern mit spanischem Blut durchsetzt war. Das schwarze Haar, die leuchtenden Augen, der hagere Koerper vererbten sich von Glied zu Glied bei den Maennern; das blonde Element aber und die kraeftig gebaute Gestalt blieb den Frauen eigen; in ihnen floss norwegisches Blut, vermengt mit hollaendischem. Selten sah man ein andres Zugestaendnis der maennlichen Linie an die weibliche oder umgekehrt, als dass helles und dunkles Haar sich in rotem fanden, oder dass die leuchtenden Augen auch einmal auf ein Frauenantlitz uebergingen. Es war eine Eigentuemlichkeit der Familie, dass in allen Ehen mehr Maedchen als Knaben geboren wurden. Die Krogs waren schoene Menschen und durchgehend wohlhabend; infolgedessen war die Familie weitverbreitet und angesehen. Man sagte ihnen nach, sie hielten ihre Leute und ihre Habe gut zusammen. Ihnen allen gemeinsam war ein weises Masshalten. In Norwegen ist es ja allgemein, dass ein Vermoegen nicht durch drei Generationen besteht. Wird es nicht in der zweiten vergeudet, dann sicherlich in der dritten. Hier hielt es sich. Fuer den Hauptsitz der Familie waren die Waelder heute eine ebensolche Quelle des Reichtums wie vor dreihundert Jahren. Erblich in der Familie war der Hang zum Wandern. In der Bibliothek des Hofes waren mehr Reisebeschreibungen als Werke aus anderen Gebieten, und es wurden ihrer bestaendig mehr. Schon die Kinder hatten am Reisen Interesse, d.h. sie machten Plaene nach Buechern, Bildern und Karten. Sie spielten reisen auf den Tischen. Sie wanderten von der einen Stadt, die aus farbigen Papierhaeusern aufgebaut war, zu den andern gleicher Art. Sie schoben Schiffe hin und her, die auch aus buntem Papier waren und die Bohnen, Kaffee, Salz und Hoelzer fuehrten. Draussen auf der Bucht ruderten, segelten und schwammen sie von der Landungsbruecke zu den Inseln hinueber. Von Europa nach Amerika, von Japan nach Ceylon. Oder sie zogen ueber die Huegelruecken, d.h. ueber die Kordilleren zu den allerdenkwuerdigsten Indianerstaedten. Kaum waren sie erwachsen, so ging es auf die Wanderschaft; es fing meistens mit einer Reise zu den hollaendischen Verwandten an. So kam vor vielleicht zweihundert Jahren ein Mann dahin, der freilich sofort mit einem hollaendischen Ostindienfahrer weiterreiste, aber nach Amsterdam zurueckkehrte in dem Wunsch, Baumeister und Ingenieur zu werden, was damals zusammengehoerte. Er zeichnete sich aus und wurde spaeter als Lehrer in seinem Fach nach Kopenhagen berufen. Da ging er zum Heer ueber und wurde schliesslich General im Geniekorps. Durch Erbschaft und Arbeit hatte er sich ein Vermoegen erworben, nahm den Abschied und siedelte sich in Krogskog an, das er einem kinderlosen Bruder abkaufte. Er nannte sich Hans von Krogh. Er baute das jetzige Hauptgebaeude aus Stein, eine wenig gebraeuchliche Bauart in einer norwegischen Waldgemeinde. Der alte Ingenieur wollte seinen Spass haben. Obwohl er nicht verheiratet war, baute er es geraeumig "fuer die Kommenden." Alle Haeuser des Gehoefts baute er um; er grub und pflanzte; er liess einen Gaertner aus Holland kommen, den alten Siemens, von dessen strengem Wesen und heissem Streben nach Reinlichkeit und Ordnung noch heute berichtet wird. Fuer ihn baute der General das Treibhaus und die Gaertnerwohnung. Der General wurde sehr alt. Nach ihm geschah nichts Besonderes, bis der Juengere von zwei Bruedern nach Amerika ging und sich dicht am Michigansee ansiedelte, wo damals noch Neuland war. Das wurde als ein grosses Ereignis angesehen. Er hiess Anders Krog, und es ging ihm gut da drueben. Nur wunderte man sich, dass er sich nicht verheiratete. Er wollte einen seiner Neffen zu sich nehmen, um ihm seinen Besitz zu ueberlassen. So kam es, dass der aeltere Bruder des jetzigen Eigentuemers von dannen zog. Er hiess Hans. Aber siehe da, ein jung norwegisch Maedchen, auch eine Verwandte, kam genau zur selben Zeit hin, und in sie verliebte sich der alternde Onkel. Er bot seinem Neffen an, ihm die Kosten der Rueckreise zu erstatten. Dem jungen Mann aber erschien das unwuerdig. Er blieb und fing ein eigenes Geschaeft an, und zwar einen Holzhandel, denn darauf verstand er sich. Das Geschaeft ging ausserordentlich gut. Als er nach dem Tode seines Vaters nach Hause sollte und den Hof uebernehmen, wollte er nicht. Der juengere Bruder Anders war inzwischen Kaufmann geworden; er betrieb das groesste Kolonialwarengeschaeft der Stadt. Jetzt musste er auch den Hof uebernehmen. Ein eigentlicher Geschaeftsmann war der junge Anders Krog nicht. Aber seine Gewissenhaftigkeit ohnegleichen und sein ruecksichtsvolles Wesen bewirkten, dass bald alle bei ihm kauften. Ein andrer haette reich dabei werden muessen; aber das wurde er nicht. Als er Krogskog uebernahm, war sowohl das Geschaeft in der Stadt wie vor allem auch der Hof erheblich verschuldet. Keins von beiden hatte er billig bekommen. Reisen hatte er freilich auch muessen, aber es waren jedes Jahr nur vier Wochen gewesen, einmal nach England, ein andermal nach Frankreich usw. Sein groesster Wunsch war allerdings, einmal bis nach Amerika zu kommen, aber dazu hatte er denn doch nicht den Mut. Er begnuegte sich damit, von dem neuen Wunderlande zu lesen; Lesen war seine groesste Freude; nach ihr kam das Hantieren im Garten. Das verstand er besser als der Gaertner. Dieser stille Mann mit den leuchtenden Augen war schuechtern wie ein Maedchen von vierzehn Jahren. An jedem Werktag morgen suchte er sich einen einsamen Platz--d.h. wenn so einer da war--auf dem kleinen Dampfer, der ihn nach der Stadt brachte, solange die Bucht nicht zugefroren war. Beim Aussteigen war er voll Ruecksicht gegen die andern; ehrerbietig gruessend eilte er an ihnen vorbei, wenn er an Land gekommen war,--und war dann in seinem Hause am Markt zu finden bis zum Abend, wo er auf die gleiche Weise heimkehrte. Das heisst: wenn er nicht radelte. Im Winter fuhr er mit dem Wagen oder uebernachtete in der Stadt, wo er in seinem eigenen Hause zwei bescheidene Mansardenstuben bewohnte. Er hatte das Zeug zu dem besten Ehemann, den man sich in der Stadt vorstellen konnte. Aber seine unueberwindliche Bescheidenheit machte jede Annaeherung unmoeglich,--bis die rechte kam. Da war er aber schon ueber vierzig Jahr. Es ging ihm wie seinem Namensvetter, dem Onkel am Michigansee, dass ein junges Maedchen aus seiner eigenen Familie erschien und ihn eroberte. Und das war ausgerechnet das einzige Kind dieses Onkels. Er stand eines Sonntag morgens in Hemdsaermeln in seinem Kuechen- und Blumengarten an der Nordseite des Hauses, als ein junges Maedchen mit einem grossen Strohhut die beiden unbehandschuhten Haende auf das weisse Staket legte und zwischen den grossen Knaufen des Gitters hindurchschaute. Anders Krog, der vor einem Blumenbeet kauerte, hoerte ein schelmisches "Guten Tag" und fuhr in die Hoehe. Seine Augen nahmen das Maedel wie eine Offenbarung in sich auf. Sprachlos und unbeweglich stand er mit seinen erdigen Haenden da und starrte sie an. Sie lachte und sagte: "Wer bin ich?" Da kam ihm die Besinnung zurueck. "Sie sind--Sie sind sicher--", er kam nicht weiter, aber sein Laecheln hiess sie willkommen. "Wer bin ich?"--"Marit Krog aus Michigan." Er hatte von seiner Schwester, die jenseits des linken Huegelrueckens wohnte, gehoert, Marit Krog sei unterwegs. Aber er hatte nicht geahnt, dass sie schon da war.--"Und Sie sind der Bruder meines Vaters", antwortete sie in etwas englischem Tonfall. "Wie Ihr beide Euch aehnlich seid!--Nein, wie Ihr Euch aehnlich seid!"--Sie stand und starrte ihn an. "Darf ich nicht hineinkommen?"--"Ja, selbstverstaendlich,--aber erst--erst muss ich doch--", er blickte auf seine Haende und auf die Hemdsaermel.--"Ich kann ja ins Haus gehen?" sagte sie unternehmungslustig. "Das koennen Sie,--selbstverstaendlich! Gehen Sie bitte durch die Haupttuer hinein. Ich werde das Maedchen schicken",--und er begab sich eilig nach der Kueche. Sie lief vorn vor das Gebaeude und die Treppe hinauf. Sie musste einen ungeheuer grossen Schluessel, der wie der ganze Eisenbeschlag ein altes Kunstwerk war, umdrehen, um in das Vorzimmer zu gelangen, das sehr viel Licht hatte. In ihr steckte ein Stueck von einem Maler, sie hatte Augen fuer so etwas. Sie sah sofort, dass all diese grossen und kleinen Schraenke wunderschoene hollaendische Arbeit waren, und dass das Zimmer groesser war, als es den Anschein hatte; denn die Moebel nahmen viel Platz ein. Eine schoene altertuemliche Treppe mit Schnitzwerk fuehrte zu ihrer Rechten in das zweite Stockwerk hinauf. Geradeueber musste der Eingang in die Kueche sein; sie dachte es sich und sie roch es auch. Das bestaetigte sich ihr, als das Maedchen herauskam. Durch die offne Tuer sah sie in eine Kueche hinein, deren Fussboden mit Marmorfliesen belegt war; die Waende waren mit blaubemalten Kacheln bekleidet, und auf dem Gesims, das die Wand in zwei Haelften teilte, stand blankgeputztes Kupfergeschirr in allen Groessen. Eine hollaendische Kueche. Hier im Vorzimmer stand sie auf Teppichen so dick, wie sie noch nie welche betreten hatte. Ebenso schwer waren die Teppiche auf der Treppe, die von Messingstangen gehalten wurden, wie sie dicker nie welche gesehen hatte. Hier gehen die Menschen auf Kissen, dachte sie, und ihr kam gleich das Bild in den Sinn, das Haus sei ein ungeheures Bett. Spaeter nannte sie es immer "das Bett." "Wollen wir jetzt nach Hause ins Bett?" sagte sie dann lachend. Zu beiden Seiten sah sie Tueren und malte sich die Zimmer dahinter aus. Links von ihr, d. h. an der rechten Seite des Hauses, komme erst ein kleineres Zimmer nach vorn und dahinter, nach der Bucht hinaus, ein grosser Raum ueber die ganze Breite des Hauses. Und das traf zu. Zur Rechten stellte sie sich das Haus der Laenge nach in zwei Zimmer geteilt vor. Auch das stimmte. Es war nicht weiter verwunderlich, denn ihres Vaters Haus am Michigansee war nach diesem Bau eingerichtet. Oben dachte sie sich einen breiten Gang quer durch das Haus und kleinere Zimmer zu beiden Seiten des Flurs. Waren aber hier unten schon unglaublich dicke Teppiche, so waren sie da oben womoeglich noch dicker, richtige Kissen. Dies Haus liess kein Geraeusch aufkommen. Hier lebten stille Menschen. Das Maedchen hatte die Tuer an der Seite geoeffnet, die zur See hinausging. Marit trat ein und sah sich alle Malereien und Schnurrpfeifereien im Zimmer an; es war allerdings ueberladen, aber jedes einzelne Stueck war sorgfaeltig ausgesucht, zum Teil mit intimem Geschmack; das sah sie sofort. Hier waren unter anderem Gemaelde, die einen hohen Wert haben mussten. Was sie aber besonders beschaeftigte, war der Gedanke, dass sie erst jetzt ihren alten Vater verstand, obwohl sie von klein an mit ihm zusammengelebt hatte, ganz allein mit ihm; ihre Mutter hatte sie frueh verloren. Aus so viel Feinem und Kostbarem war er zusammengesetzt. Ein bisschen bunt durcheinander und daher unbeachtet. War's nicht, als komme er jetzt und stelle sich neben sie und laechele sein diskretes, warmes Laecheln, weil er sich verstanden wusste? Da kam er ja! Durch die offne Tuer sah sie ihn die Treppe herunterkommen. Juenger zwar, aber das tat nichts, die Augen waren nur noch schoener und inniger,--er kam daher mit demselben Gang, denselben Armbewegungen, genau so vornuebergebeugt und behutsam sich naehernd. Und wie er sie jetzt ansah und mit ihr sprach und sie willkommen hiess ... mit den gleichen abgetoenten Worten, da ahnte sie in alldem die tiefe Achtung vor dem Individuellen, die in ihren Augen ihren Vater vor allen auszeichnete, die sie kannte. Der Vater hatte duenneres Haar, sein Gesicht war runzlig, der Mund hatte nicht mehr alle Zaehne, die Haut war verschrumpft ... Gerade diese Erinnerung fuellte ihre Augen mit Traenen. Sie blickte empor in seine juengeren Augen, hoerte seine frischere Stimme, fuehlte den Druck seiner waermeren Hand. Sie konnte nicht dafuer, sie schlang beide Arme um Anders Krogs Hals, schmiegte sich an seine Brust und weinte. Nun, damit war es entschieden. Er stand fuer nichts mehr. Nach einer Weile sassen sie beide zusammen in dem Boot, mit dem sie gekommen war. Sie ruderte um die Landspitze herum. Teils um seiner selbst willen, teils auch wegen der Badenden, die zusahen, hatte er ein paar schuechterne Versuche gemacht, ihr das Ruder abzunehmen. Aber seit dem Augenblick, da sie beide Arme um seinen Hals legte, hatte er sich seiner Macht begeben. Er wusste im voraus, dass er so tun musste, wie dies reiche rote Haar es wuenschte. Er sass und sah in ihr sommersprossiges Gesicht und auf die sommersprossigen Haende, auf ihre praechtige Gestalt und ihren frischen Mund. Er sah ueber dem Halskragen die feinste weisse Haut; es war etwas in den Augen, das genau dazu passte. Er wurde nicht fertig, bis sie am Ziel waren. Auch auf dem Wege zum Hof der Schwester wurde er nicht fertig, weder mit ihrer weichen Stimme, noch mit ihrem Gang, noch mit ihren Fuessen, noch mit ihrer Kleidung, noch mit den Zaehnen und dem Laecheln und am allerwenigsten mit dem, was sie da holterdipolter erzaehlte,--es war etwas Verwirrendes in allem. Am naechsten Morgen fuhr er nicht in die Stadt. Sowie der Dampfer, auf dem er haette sein muessen, um die Landspitze herum war, kam ihr weisses Boot. Sie hatte eine Magd bei sich, die Wache halten sollte, denn jetzt wollte auch sie baden. Als sie fertig war, kam sie herauf. Sie wollte bis Mittag bleiben. Nachher gingen sie zusammen ueber den Huegelsattel zurueck, das Boot hatten sie nach Hause geschickt. Am andern Tage fuhr sie mit ihm in die Stadt. Tags darauf musste auch die Tante mit, aber diesmal wollte sie mit dem Wagen fahren. Und so jeden Tag etwas Neues. Die beiden Geschwister lebten nur fuer sie. Sie nahm es hin, als muesse es so sein. Als sie drei Wochen so mit ihnen gelebt hatte, kam ein Kabeltelegramm vom Bruder Hans mit der Nachricht, Onkel Anders sei ploetzlich gestorben; Marit solle vorbereitet werden. Dies war der schwerste Gang, den Anders Krog je gegangen war,--ueber den Huegelruecken zur Schwester, mit diesem Telegramm in der Tasche. Gerade als er das trauliche gelbe Haus, umgeben von Wirtschaftshaeusern und Baeumen, drunten in der Ebene vor sich liegen sah, hoerte er die Essensglocke vergnueglich in den heiteren, sonnigen Tag hinaustoenen. Da wartete der gedeckte Tisch. Er setzte sich hin; er hatte das Gefuehl, als koenne er nicht weiter. Er musste ja hinunter und den frohen Tag morden. Als er endlich auf den Hof gelangte, ging er zusammen mit einigen Arbeitern, die von weither zum Mittagessen kamen, zur Hintertuer hinein. Hier traf er die Schwester, die ihn ins Hinterzimmer hineinnoetigte. Ebenso wie er erschrak sie und wurde traurig; aber sie war eine mutigere Natur und uebernahm es, Marit, die nicht zu Hause war, aber jeden Augenblick kommen musste, die Mitteilung zu machen. Vom Hinterzimmer aus hoerte Anders Krog dann nachher einen Ruf und einen Aufschrei, den er nie wieder vergass. Er sprang bei diesem Schmerzenslaut auf, konnte sich aber nicht ueberwinden, das Zimmer zu verlassen; ein wehes Schluchzen von drinnen hielt ihn fest. Es wurde staerker und staerker, unterbrochen von kurzen Ausrufen. Die gleiche unmittelbare Kraft in ihrem Schmerz wie in ihrer Freude. Es jagte ihn in der Stube umher, bis die Schwester die Tuer oeffnete: "Sie moechte Dich sehen." Da musste er hinein; mit Aufbietung all seiner Willenskraft zwang er sich dazu. Sie lag auf dem Sofa; aber er liess sich kaum sehen, als sie sich aufrichtete und die Arme ausstreckte: "Komm, komm! Jetzt bist Du mein Vater."--Er eilte hin und beugte sich ueber sie; sie legte den Arm um seinen Hals und drueckte ihn fest an sich; er musste hinknien. "Du darfst mich nie mehr verlassen! Nie, nie!" "Nie!" entgegnete er feierlich. Sie drueckte ihn fest an sich, ihre Brust wogte an seiner, ihr Gesicht lag feucht und gluehend an seinem. "Du darfst mich nie verlassen!"--"Nie!" wiederholte er aus tiefstem Herzen und schlang die Arme um sie. Sie legte sich wie getroestet wieder hin und hielt seine Hand; sie wurde ruhiger. Wenn die Anfaelle kamen und er sich mit zaertlichen Worten ueber sie beugte, wirkte es besaenftigend. Er wagte nicht nach Hause zu gehen; er blieb die Nacht ueber da. Sie konnte nicht schlafen, und er musste bei ihr sitzen bleiben. Erst am naechsten Tage hatte sie sich klar gemacht, was nun geschehen solle. Sie wollte hinreisen, und er sollte mit. Das kam ihm hoechst unerwartet. Aber weder er noch seine Schwester wagten, ihr zu widersprechen. Da gelang es der Schwester, sie auf andre Gedanken zu bringen. Sie sagte: "Ihr solltet Euch erst verheiraten." Marit sah sie an und sagte: "Ja, das ist richtig. Das sollten wir wahrhaftig tun!" Und nun beschaeftigte sie das so stark, dass es sie von ihrem Schmerz ablenkte. Anders war nicht gefragt worden; aber das war auch nicht noetig. Dann kam der erste Brief von Hans. Er hatte alles mit dem Begraebnis des Onkels geordnet und erzaehlte, in welcher Weise. Er erbot sich, das Geschaeft und den Besitz des Onkels zu uebernehmen. Anders hatte zu seinem Bruder unbegrenztes Vertrauen; er nahm das Angebot an, und damit wurde die Reise ueberfluessig. Sobald Hans einen Ueberblick ueber den ganzen Nachlass hatte, setzte er die Kaufsumme fest und fragte bei dem Bruder an, ob er sich mit diesem Betrage an Hansens Geschaeft beteiligen wolle. Der Betrag, der in Bankguthaben und Aktien bestand, wurde sofort ausgezahlt. Schon diese Summe war gross genug, um nicht allein Anders schuldenfrei zu machen, sondern um auch Marit zu gestatten, nach Herzenslust herumzuwirtschaften und zu reformieren. Er wuenschte, sie solle das ganze Erbe fuer sich behalten, aber darueber lachte sie. Er wurde also Kompagnon seines Bruders und war fuer norwegische Verhaeltnisse fortan ein recht wohlhabender Mann. In ihrer Ehe ging nach einigen Monaten eine Veraenderung mit Marit vor. Sie gab sich wunderlichen Einfaellen hin; die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verwischten sich. Dabei wollte sie alles umgestalten, was unter ihrer Aufsicht stand, sowohl in ihrem Heim hier draussen, wie in dem Stadthause. Aus diesem Hause mussten die Mieter hinaus. Sie wollte es fuer sich allein haben. Seine Zeit war ausgefuellt von all ihren Einfaellen, besonders aber von ihr selbst. Seine Dankbarkeit fand nur kaergliche Worte, aber sie lag in seinen Augen, in seiner Hoeflichkeit, die an Umfang noch zugenommen hatte; vor allem aber lag sie in seiner sorglichen Achtsamkeit. Er hatte Angst, das wieder zu verlieren, was so unerwartet gekommen war; oder dass irgend etwas Schaden nehmen koenne. Seiner bescheidenen Natur schien das Glueck unverdient. Sie schmiegte sich auch immer enger an ihn. Sie hatte eine Formel gefunden, die sie haeufig wiederholte: "Du bist mein Vater--und mehr!" Und eine andere: "Du hast die herrlichsten Augen von der Welt, und die gehoeren mir." Mit der Zeit gab sie manches von dem auf, womit sie sich beschaeftigte; statt dessen wollte sie ihm vorlesen. Von klein auf hatte sie ihrem Vater vorgelesen; das sollte wieder aufgenommen werden. Sie las ihm englisch-amerikanische Buecher vor, besonders Verse. Sie hatte die klangvolle Vortragsweise, in der englische Verse gesprochen werden muessen, und machte sie wahr durch ihre eigene glaubwuerdige Art. Sie hatte eine weiche Stimme, die die Worte behutsam und still wie aus der Erinnerung heraus anfasste. Als die Zeit fortschritt, mussten sie beide taeglich zusammen ins Treibhaus. Die Blumen darin waren ihr Vorboten dessen, was in ihr wuchs; sie wollte jeden Tag nach ihnen sehen. "Ob sie wohl darueber reden?" Und dann eines Tages, als das erste Anzeichen da war, dass der Winter hier von der Kueste weichen wollte, und sie gemeinsam oben am sonnigen Hang das erste Gruen gepflueckt hatten, da merkte sie, dass sie schwach wurde; jetzt kam ihre grosse Stunde. Ohne sonderliche Schmerzen vorher, ihre Hand in seiner, gebar sie eine Tochter. Die gerade hatte sie sich gewuenscht. Aber es war ihr nicht bestimmt, das Kind aufzuziehen; denn drei Tage spaeter war sie tot. * * * * * Die neue Marit Der Arzt befuerchtete lange, Krog wuerde auch sterben. Rein an Ueberanstrengung. In seiner langen Einsamkeit war er nicht daran gewoehnt gewesen, sich so hinzugeben oder so unendlich viel zu empfangen, wie ihm das Zusammenleben mit ihr gebracht hatte. Erst ihr Tod offenbarte, wie schwach er geworden war, wie wenig Widerstandskraft er noch hatte. Der schwache Rest brauchte Monate, um sich so weit zu erholen, dass er die Naehe anderer Menschen ertrug. Man erzaehlte ihm, das Kind sei zu seiner Schwester gebracht. Sie fragten ihn, ob er es sehen moechte. Fast unwillig wandte er sich ab. Das erste, was er ernstlich erwog, als er sich kraeftiger fuehlte, war, sich von dem Geschaeft zu befreien. Er beriet sich darueber mit "Onkel Klaus", einem Verwandten, einem wunderlichen alten Junggesellen, der allgemein so genannt wurde. Durch seine Vermittlung wurde das Geschaeft veraeussert. Nicht aber das Haus, in dem es sich befand,--das sollte in allen Teilen zur Erinnerung an sie unveraendert bleiben. Anders Krogs erster Gang war zur Kapelle und zum Grabe, und das griff ihn so an, dass er wieder krank wurde. Sobald er sich erholt hatte, gab er seine Absicht kund, auf Reisen zu gehen und fortzubleiben. Seine Schwester kam erschrocken zu ihm herueber; das sei doch wohl nicht wahr? "Du willst uns und das Kind doch nicht verlassen?"--"Ja, ich kann es in meinen eigenen Stuben nicht aushalten", antwortete er und brach in Traenen aus.--Aber er muesse doch auf jeden Fall das Kind erst sehen?--"Nein, nein! Das am allerwenigsten." Er reiste ab, ohne es gesehen zu haben. Aber natuerlicherweise war es das Kind, das ihn wieder nach Hause zog. Als es drei Jahr alt war, wurde es photographiert,--und diese Photographie ... solch einer Aehnlichkeit mit der Mutter, solchem kindlichen Liebreiz konnte er nicht widerstehen. Von Konstantinopel aus, wo er sich gerade aufhielt, schrieb er: "Jetzt habe ich bald drei Jahre gebraucht, um das, was ich in einem erlebt habe, noch einmal zu durchleben. Ich kann nicht sagen, dass ich es mir schon ganz zu eigen gemacht habe. Namentlich wird viel Neues hinzukommen, wenn ich die Staetten wiedersehe, wo wir zusammen waren. Aber soweit bin ich durch das tiefere Hineinleben dieser Jahre doch gekommen, dass ich diese Staetten nicht mehr scheue; im Gegenteil, ich sehne mich jetzt nach ihnen." Die Begegnung mit der neuen Marit wurde ein Fest fuer ihn. Nicht sofort; denn zuerst hatte sie natuerlich Angst vor dem fremden Mann mit den grossen Augen. Aber es erhoehte seine Freude, wie sie vorsichtig, nach und nach ihm naeher kam. Als sie schliesslich auf seinen Knien sass mit den beiden neuen Puppen, einem Tuerken und einer Tuerkin, und ihm diese in die Nase steckte, damit er niesen sollte, weil die Tante das auch getan hatte, da sagte er mit Traenen in den Augen: "Ich habe nur eine Begegnung erlebt, die noch herrlicher war." Sie siedelte also mit dem Kindermaedchen in sein Haus ueber. Ihr erster gemeinschaftlicher Gang war zum Grabe der Mutter, auf das sie Blumen legen sollte. Das tat sie auch; aber sie wollte sie wiederhaben. Nichts half, was sie auch versuchten. Das Maedchen pflueckte ihr schliesslich andere; aber die wollte sie nicht; sie wollte ihre eignen. Sie mussten ihr also die Blumen lassen und die neuen aufs Grab legen. Er dachte: "Das ist nicht die Mutter." Der Versuch wurde wiederholt. Jeden Tag sollte das Grab der Mutter mit Blumen geschmueckt werden, und von ihr. Er teilte die Blumen in zwei Teile; die eine Haelfte trug er, die andere sie. Er wuenschte, sie solle ihre hinlegen und seine wieder mit nach Hause nehmen. Aber es gelang nicht. Ja, schlimmer als das; denn als sie den Kirchhof verliessen, bestand sie darauf, er sollte seine Blumen auch wieder mit nach Hause nehmen. Und er musste nachgeben. Am naechsten Tage versuchte er etwas anderes. Sie trug ihre Blumen zu der Mutter Grab, er aber gab ihr Zuckerwerk, damit sie die Blumen liegen lassen sollte. Wirklich, sie gab die Blumen gegen das Zuckerwerk ab, das sie in den Mund steckte. Aber als sie gingen, wollte sie die Blumen auch noch haben. Das verstimmte ihn. Dann kam er auf den Einfall, die Mutter froere, Marit muesse sie zudecken. Da meinte sie, Mutter solle doch heraufkommen, in ihr eigenes Bett. Er hatte ihr naemlich gesagt, das leere Bett neben seinem sei Mutters, und sie fragte bestaendig, ob Mutter nicht bald komme. Sie koenne nicht kommen, sagte er; sie liege da draussen und froere. Das fuehrte schliesslich zum Ziel. Sie breitete selbst die Blumen ueber die Grabstaette und liess sie liegen. Auf dem Heimweg wiederholte sie mehrmals: "Jetzt friert Mutter nicht mehr." Er ueberlegte, was sie unter Mutter verstehen mochte. Er wuenschte, sie solle die Bilder ihrer Mutter kennen, uebte aber vorher ihren Sinn an Bildern von Tieren und Gegenstaenden. Dann ging er zu Bildern von seiner Schwester und von sich selbst und von Personen ueber, die sie kannte. Als sie damit ziemlich vertraut war, kam das erste Bild der Mutter an die Reihe. Es machte keine Schwierigkeiten; sie durfte noch mehrere sehen und lernte sie schnell von anderen unterscheiden. Nach Tisch, als sie schlafen ging, wollte sie Mutter im Arm haben. Er verstand sie erst nicht, und sie wurde ungeduldig. Da brachte er ihr das erste Bild der Mutter; sie nahm es gleich in den Arm, deckte es zu und schlief ein. Aber erst als sie mit vier Jahren einmal in der Kueche eine Mutter sich um ihr krankes Kind muehen sah, ueberzeugte er sich, dass sie wusste, was eine Mutter sei; denn sie sagte: "Warum kommt meine Mutter nicht und zieht mich an und aus?" Mit der Zeit wurden Vater und Tochter sehr gute Freunde. Noch mehr Freude aber machte es ihm, als sie gross genug war, dass er ihr von Mutter erzaehlen konnte. Von Mutter, die uebers Meer herueber zu Vater gekommen sei und Maritchen mitgebracht habe. Wo Vater und Mutter zusammengegangen waren, gingen sie nun beide; jeden Spazierweg. Er ruderte sie, wie Mutter ihn gerudert hatte; sie fuhren zusammen zur Stadt, wie sie beide getan hatten. Dort sass Marit auf den Stuehlen, die Mutter gekauft, und auf denen sie gesessen hatte. Bei Tisch hatte sie Mutters Platz, bei den Blumen im Treibhaus und im Garten war sie die Mutter, und sie half, wie Mutter es getan hatte. Ein gar kluges, schoenes Kind! Mit dem roten Haar und der schimmernd weissen Haut der Mutter, mit ihren grossen Augen und denselben fein geschwungenen Brauen. Vermutlich wuerde sie auch ihre gebogene Nase bekommen. Die Haende mit den langen Fingern hatte sie nicht von der Mutter, auch die Gestalt nicht. Der Uebergang vom Kopf zum Nacken mit der sanften Neigung stammte eher vom Vater. Die Schultern hatten nicht die schoene geschwungene Linie wie der Mutter Schultern, sondern waren mehr abfallend, und die Arme flossen sanfter daraus hervor. Es trieb ihn jeden Abend nach oben, zuzusehen, wenn sie ausgezogen wurde. Die Verschmelzung des maennlichen und des weiblichen Typus der Krogs, die bisher so selten gewesen, die aber schon teilweise von der Mutter repraesentiert worden war, gab es hier in der Vollendung. Marit schoss hoch auf, ihre Augen waren gross und der Kopf fein geformt. Er konnte sie nicht dazu bewegen, mit Kindern umzugehen; das langweilte sie. Sie gingen nicht schnell genug auf ihre Ideen ein, die freilich recht eigentuemlich waren. Die Felder hier waren doch ein Zirkus; der Vater hatte ihr von Buffalo Bill erzaehlt. Indianer sprengten durch die Arena, sie selbst an der Spitze auf einem weissen Pferde. Die Huegel waren die Logen, die voll Menschen waren. Das konnten die anderen Kinder nicht sehen. Auch das Reisenspielen auf dem Tisch, das ihr Vater sie gelehrt hatte, verstanden sie nicht. Als Siebenjaehrige noetigte sie ihren Vater, ihr ein Rad zu kaufen und sie fahren zu lehren; er selbst fuhr ausgezeichnet. Das war aber doch der Tropfen, der den Becher zum Ueberlaufen brachte und ihn bestimmte, sich nach Unterstuetzung umzusehen. Er hatte in Paris eine entfernte Verwandte kennen gelernt, eine Frau Dawes; sie war in England verheiratet gewesen; als aber ihr einziges Kind starb, hatte sie sich scheiden lassen und lebte in Paris als Pensionsinhaberin. In dieser Pension hatte er sie taeglich bewundert. Er war kaum je einem kluegeren Menschen begegnet. Er fragte bei ihr an, ob sie zu ihm kommen, seinem Hause vorstehen und sein Kind erziehen wolle. Sie sagte ohne Zoegern telegraphisch zu, und in weniger als einem Monat hatte sie alles verkauft, war abgereist und hatte sich in ihren neuen Wirkungskreis begeben. Ein Hueftleiden, das sie schon lange plagte, hatte sich verschlimmert, so dass ihr das Gehen schwer fiel. Aber von ihrem Rollstuhl aus, den sie mitgebracht hatte, und den ihre behaebige Person vollstaendig ausfuellte, leitete sie das ganze Haus, ihn selbst inbegriffen. Er war ganz erschrocken ueber ihre Tuechtigkeit. Sie kam selten aus ihrem Stuhl heraus, aber trotzdem wusste sie alles, was geschah. Waende hemmten ihren Blick nicht, eine Entfernung gab es nicht fuer sie. Groesstenteils liess sich das aus der Schaerfe ihrer Sinne erklaeren, aus ihrer Faehigkeit, Worte und Zeichen zu deuten, in Mienen und Augen zu lesen, zu riechen und zu hoeren, Schluesse zu ziehen aus dem, was sie wusste,--und siebentens und letztens daraus, dass sie zu fragen verstand. Aber einiges war auch nicht zu erklaeren. Drohte einem, den sie lieb hatte, eine Gefahr, so fuehlte sie das, wo sie auch war. Sie schrie auf--in solchen Augenblicken sprach sie immer englisch--und war auf den Beinen und Feuer und Flamme. So zum Beispiel an dem denkwuerdigen Tage, da Marit mit ihrem Rad in den Fluss gefallen war und durch Maenner vom Dampfer aus aufgefischt wurde; denn unten an der Landungsbruecke, wohin sie gewollt hatte, war das Unglueck geschehen. Da stiessen sie und Frau Dawes aufeinander, die eine triefend von Naesse und heulend, die andere triefend von Schweiss und auch heulend. Frau Dawes machte taeglich ihre Runde durch das Haus und, wenn es noetig war, auch um das Haus herum. Weiter kam sie selten. Auf diesem Rundgang sah sie alles, auch das, was erst spaeter geschah, versicherten die Maegde. Sie hatte etwas Schwimmendes an sich. Sie schwamm bestaendig in Papier. Ihre Korrespondenz, die, wie Anders Krog behauptete, alle Personen umfasste, die sie einmal in Pension gehabt hatte, setzte sie ununterbrochen fort. In allen Sprachen und ueber alle Dinge; denn ihre zweite Hauptbeschaeftigung war: das, was sie las--und sie las bis tief in die Nacht hinein--in ihre Korrespondenz hineinzubringen. Sie drehte sich nach dem Tisch mit dem Schreibpult um, sie wandte sich fort vom Tisch, um zu lesen. An der Stuhllehne war eine Lesepultmechanik angebracht, worauf das Buch lag; in der Hand hielt sie es selten. Sie zog Memoiren jeder andern Lektuere vor, und davon plauderte sie nachher in ihren Briefen. In zweiter Reihe kamen Kunstzeitschriften und Reiseliteratur. Sie hatte ein kleines Vermoegen und kaufte sich alles, was ihr gefiel. Das Kind unterrichtete sie nebenbei. In der Wohnstube an dem grossen Tisch sassen sie, "Tante Eva" in ihrem Thronsessel, die Kleine ihr gegenueber. Immer aber, wenn es noetig war, musste Marit an Tante Evas Pult kommen. Der Unterricht ging so leicht vonstatten, dass die Kleine oft vergass, dass es Schule war. Ja, selbst der Vater, der seine Bibliothek dicht daneben hatte, vergass es oft, wenn er hereinkam und das Gespraech oder die Erzaehlung mit anhoerte. War der Unterricht leicht, so waren andre Dinge sehr schwierig und fuehrten zu Kaempfen. Das ganze Verhalten des Kindes wollte sie aendern, und da war ihr der Vater im Wege. Aber er wurde natuerlich geschlagen, und noch ehe er ahnte, was Frau Dawes beabsichtigte. Marit sollte gehorchen lernen, sie sollte einen Begriff von bestimmter Zeiteinteilung, von Ordnung, von Hoeflichkeit, von Takt bekommen. Sie sollte jeden Tag Klavier ueben, sie sollte bei Tisch huebsch gerade sitzen und sich die Haende unzaehlige Male am Tage waschen; sie sollte immer sagen, wohin sie gehe. Und nichts von all dem wollte sie. Eigentlich auch der Vater nicht. Frau Dawes hatte einen einzigen festen Punkt, von dem sie ausgehen konnte. Das war der unerschuetterliche Glaube des Kindes an die Vollkommenheit seiner Mutter. Frau Dawes wusste sie davon zu ueberzeugen, dass die Mutter nie spaeter als um acht Uhr schlafen gegangen sei. Sie habe immer vorher ihre Kleider ordentlich auf einen Stuhl gelegt und ihre Schuhe vor die Tuer gestellt. Von dem, was die Mutter getan und bis zur Vollkommenheit getan hatte, ging sie zu dem ueber, was die Mutter getan haette, wenn sie an Marits Stelle gewesen waere; und vor allem, was sie _nicht_ getan haette, wenn sie Marit waere. Das war schwieriger. So als Frau Dawes versicherte, die Mutter sei immer nur so weit geradelt, wie man sie sehen konnte. "Woher weisst Du das?" fragte Marit.--"Ich weiss es daher, dass Dein Vater und Deine Mutter nie voneinander getrennt waren."--"Das ist wahr, Marit", fiel der Vater ein, froh, dass er auch einmal zu dem ja sagen konnte, was Frau Dawes einfiel; denn das meiste war doch durchaus nicht wahr. Je weiter der Unterricht fortschritt, desto mehr Freude machte es Frau Dawes selbst, und desto groesseren Einfluss gewann sie auf das Kind. Sie machte es sich zur Aufgabe, das Traumleben Marits auszuroden, das ein Erbteil der Mutter war und in ueppiger Bluete stand, solange der Vater zuhoerte und seinen Spass daran hatte. Einmal im Fruehjahr kam Marit schnell herein und erzaehlte ihrem Vater, in dem alten Baum zwischen den Graebern der Mutter und der Grossmutter sei ein kleines Nest und in dem Nest seien ganz, ganz kleine Eier. "Das ist ein Gruss von Mutter, nicht?" Er nickte und ging mit ihr, um es zu besehen. Als sie aber naeher kamen, flog der Vogel auf und piepte jaemmerlich. "Mutter sagt, wir sollen nicht naeher heran?" fragte sie ihren Vater.--Er bejahte es. "Dann wuerden wir Mutter stoeren?" fragte sie weiter. Er nickte.----Sie gingen seelenvergnuegt wieder nach Hause und sprachen den ganzen Weg von Mutter. Als Marit Frau Dawes hiervon erzaehlte, sagte sie: "Das sagt Dein Vater nur, um Dich nicht zu betrueben, Kind. Koennte Deine Mutter Dir eine Botschaft senden, so kaeme sie selbst."--Die Revolution, die diese wenigen grausamen Worte anrichteten, war nicht abzusehen. Sie veraenderten auch das Verhaeltnis zum Vater.---- Die Schule ging ihren regelrechten Gang, die Erziehung auch, bis Marit nahezu dreizehn Jahr alt war, lang und duenn und grossaeugig mit ueppigem, rotem Haar und weisser, zarter Haut ohne Sommersprossen, was Frau Dawes' besonderer Stolz war. Da kam der Vater eines Tages aus der Bibliothek herein und unterbrach den Unterricht. Das war in den ganzen Jahren nicht ein einzigesmal geschehen. Marit bekam frei; Frau Dawes ging mit dem Vater in die Bibliothek. "Bitte lesen Sie diesen Brief!"-- Sie las und erfuhr,--wovon sie nicht die leiseste Ahnung gehabt hatte,--dass der Mann, der vor ihr stand und ihr Gesicht waehrend des Lesens beobachtete, ein Millionaer war, kein Kronen-, nein, ein Dollarmillionaer. Er hatte seit dem Tode des Onkels nach der ersten vorlaeufigen Ausbezahlung der Bankguthaben und Aktien als Kompagnon des Bruders nichts wieder abgehoben,--und dies war das Resultat. "Ich gratuliere Ihnen", sagte Frau Dawes und fasste seine rechte Hand mit ihren beiden. Ihr standen die Traenen in den Augen. "Ich verstehe Sie, lieber Krog; Sie wuenschen, dass wir jetzt auf Reisen gehen?" Er sah sie mit seinen leuchtenden Augen lachend an. "Haben Sie etwas dagegen, Frau Dawes?"--"Durchaus nicht, wenn wir die noetige Bedienung mitnehmen; ich bin ja einmal so schlecht zu Fuss."--"Das sollen Sie haben, und ueberall halten wir uns einen Wagen. Der Unterricht kann fortgesetzt werden, nicht wahr?"--"Ob er kann! Nur um so besser!" Sie lachte und weinte zugleich, und sie sagte selbst, so gluecklich sei sie noch nie gewesen. Vierzehn Tage spaeter hatten die drei mit einem Diener und einem Maedchen Krogskog verlassen. * * * * * Der Thronwechsel So gingen zweieinhalb Jahre hin, in denen der Vater einige Male in Norwegen war, aber die anderen nicht. Dann dachten sie ernstlich daran, einen Sommer in Krogskog zu verbringen. Aus diesem Grunde standen sie alle drei in einem Konfektionsgeschaeft in Wien. Frau Dawes und Marit sollten neue Kleider haben, besonders Marit, die aus ihren herausgewachsen war. Es war in den ersten Tagen des Mai, und es handelte sich um Sommerkleider. "Dein Vater und ich, wir finden beide, Du musst jetzt lange Kleider haben. Du bist schon so gross." Marit blickte zu ihrem Vater hin, aber die Stoffe, die vor ihnen ausgebreitet lagen, hielten seinen Blick fest. Frau Dawes sprach statt seiner. "Dein Vater hat oft gesagt, wenn Du mit ihm gehst, sehen die Herren Dir so nach den Beinen."--Der Vater wurde unruhig; selbst das Fraeulein hinter dem Ladentisch merkte, dass ein Gewitter in der Luft lag. Sie verstand die Sprache nicht, aber sie sah die drei Gesichter. Schliesslich hoerte der Vater Marit mit einer fremden, aber freundlichen Stimme antworten: "Soll ich jetzt lange Kleider haben, weil Mutter, als sie in meinem Alter war, auch welche trug?"--Frau Dawes sah erschrocken Anders Krog an; er aber wandte sich ab. Dann wieder Marit: "Tante Eva, Du warst doch natuerlich mit Mutter zusammen, als sie damals lange Kleider bekam? Oder Vater vielleicht?" Dann wurde nicht mehr von langen Kleidern gesprochen. Es wurde ueberhaupt nicht mehr gesprochen. Sie gingen fort. Weiter geschah nichts. Es ergab sich von selbst, dass sie am naechsten Tage, statt zum Unterricht zu kommen, mit dem Vater ausfuhr, um die Sache mit den Kleidern zu ordnen. Des weiteren, dass sie sich von dort in die Museen begaben. Sie setzten diese taeglichen Ausfahrten bis zur Abreise fort. Mit dem Unterricht war es vorbei. Als sei nichts vorgefallen, gingen sie jeden Abend zu Dreien ins Konzert oder in die Oper oder ins Schauspiel. Sie wollten die Zeit, die ihnen noch blieb, ausnutzen. In den ersten Tagen des Juni waren sie in Kopenhagen. Hier erwartete sie ein Brief von Onkel Klaus. Joergen Thiis, sein Pflegesohn, sei Leutnant geworden; Klaus wolle draussen in seinem Landhause einen Fruehlingsball geben, aber er warte damit, bis sie heimkaemen. Wann sie kaemen? Darauf freute sich Marit sehr. Den schoenen, schlanken Joergen kannte sie. Er war der Sohn des Bezirksamtmanns, seine Mutter war Klaus Krogs Schwester. Also musste jetzt ein Ballkleid komponiert werden; die Erwaegungen waren sehr kurz, keiner sagte vorlaeufig ein Wort. Das Spannende der Sache, ob dieses Kleid wohl lang sein werde, verschloss jeder in seiner Brust. Als der grosse Augenblick des Massnehmens kam, fragte die Dame, die es tat: "Das gnaedige Fraeulein soll doch ein langes Kleid haben?" Marit sah zu Frau Dawes hin, die rot wurde. Was aber schlimmer war: die Dame selbst wurde auch rot. Sie nahm eilig nach dem kurzen Kleide Mass, das Marit anhatte. Am zwanzigsten Juni fand also der Ball statt. Ein schwueler Tag ohne Sonne. Die Gaeste standen im Garten vor dem grossen Landhause, als das Boot anlegte, mit dem Marit und ihr Vater kamen; sie waren die letzten. Sie stieg allein aus. Der alte Klaus stapfte lang und duerr und mit ungeheuer weiten Beinkleidern zu ihr hinunter, ohne Hut mit blanker Glatze und feuchtglaenzendem Gesicht. Er hielt sie durch eine Handbewegung zurueck, waehrend er zu Anders Krog im Boot hinuntersah: "Willst Du nicht heraufkommen?"--"Nein, nein! Tausend Dank!" Das Boot stiess ab. Jetzt erst sah er Marit an, die Frau Dawes in ihrem langen Brief als die groesste Schoenheit beschrieben hatte, die sie je gesehen. Er starrte sie an, verbeugte sich und kam naeher; er roch nach Tabak und schmunzelte mit seinem grossen, weit offnen, unappetitlichen Munde. Bot ihr dann seinen Arm. Sie aber in ihrem langen aermellosen Mantel tat, als bemerkte sie es nicht. Er stutzte, folgte ihr aber zu den andern. Und dann sagte er: "Hier bringe ich die Ballkoenigin." Das verletzte sie und verletzte alle, so dass der Anfang nicht vielversprechend war. Joergen, der Held des Abends, draengte sich vor, um sich zu erbieten, ihr Hut und Mantel abzunehmen. Sie aber gruesste obenhin und ging weiter. Es lag Stil darin. Unter den Zurueckbleibenden entstand sofort ein Gefluester. Die Art, wie sie vorueberging, ihr Gesicht, ihre Haltung, ihr Gang, die blendend schoene Haut, die leuchtenden Augen, die Woelbung darueber, die feingeformte Nase ... das war alles aus einem Guss und alles vollendet. Joergen Thiis war hin. Er selbst war ein grosser, schlanker Mensch vom Krogschen Typ; nur die Augen waren ganz anders. Jetzt hingen sie wie festgenagelt an der Tuer, hinter der sie verschwunden war. Er wartete auf der Treppe. Und wie sie wieder heraus und auf ihn zukam, um an seinem Arm zu den andern hinunter zu gehen,--in einem kurzen Kleide aus lichtem, wasserblauem Krepp mit durchbrochnen seidenen Struempfen von derselben Farbe und in Silberbrokatschuhen mit antiken Schnallen, war sie ein Bild. Die Bewunderung war einstimmig. Es wurde von nichts anderem gesprochen, bis man zu Tisch ging. Auch da hoerte es noch nicht auf; es gab Gespraechsstoff fuer die ganze Stadt. Dass ein so klassisch geschnittenes Gesicht mit so leuchtenden Augen in dem weissen, weissen Teint obendrein noch in einem Glorienschein von rotem Haar stand! Das Ganze war harmonisch zu der hohen Gestalt mit den leicht abfallenden Schultern und einer Bueste, die noch nicht voll entfaltet, aber von einer Freiheit und Unabhaengigkeit war, als koenne sie losgeloest werden. Die Arme, die Handgelenke, die Hueftbildung, die Fuesse ... es wurde beinahe komisch; denn einige junge Herren stellten mit dem groessten Eifer die Behauptung auf, die Knoechel seien das Allerschoenste. Sie haetten nicht ihresgleichen. So duenn,--und mit dieser schwellenden Rundung nach oben--? Nein, nirgends! Joergen Thiis vergass das Reden, ja sogar eine Zeitlang das Essen, das ihm sonst doch das Schoenste auf der Welt war. Er ging wie ein Schlafwandler mit ihr. Wenn man sie sah, war er an ihrer Seite oder hinter ihr her. Wegen des Balles hatten sich ihr Vater und Frau Dawes nach dem Hause in der Stadt begeben. Sie wurden beim Morgengrauen geweckt von lautem Schwatzen und Lachen vor dem Hause und schliesslich gar maennlichen und weiblichen Hurrarufen; die Ballgaeste hatten Marit nach Hause begleitet. Am aendern Tage bekamen die Alten Besuch von Verwandten und Freunden. Die aelteren Leute, die auf dem Ball gewesen waren, erklaerten Marit fuer die Schoenste, die sie seit Menschengedenken gesehen haetten. Der alte Klaus war abends um neun noch in die Stadt gerudert und zu einigen Freunden gepilgert, bloss weil sie kommen und sehen sollten. Am Nachmittag praesentierte sich Joergen in Uniform und mit neuen Handschuhen. Er wollte sich erlauben, nach dem Befinden des gnaedigen Fraeuleins zu fragen. Das gnaedige Fraeulein habe noch nichts von sich hoeren lassen. Als sie schliesslich kam, war sie von etwas ganz andrem erfuellt als von dem gestrigen Tage. Das merkte Frau Dawes sofort. Auch erzaehlte die Ballkoenigin nicht das geringste von dem Balle. Sie beschraenkte sich darauf, zu fragen, ob sie aufgeweckt worden seien. Dann ass sie. Als sie fertig war und wieder hereinkam, erzaehlte ihr Vater, Joergen sei dagewesen, um zu fragen, wie es ihr gehe. Marit laechelte. Frau Dawes: "Findest Du Joergen nicht nett?"--"Doch."--"Worueber laechelst Du denn?"--"Er hat so viel gegessen."--Jetzt fiel der Vater lachend ein: "Das macht sein Vater, der Amtmann, auch so! Und regelmaessig sucht er sich die besten Stuecke aus."--"Freilich." Frau Dawes sass und wartete auf das, was jetzt kommen wuerde; denn es kam etwas. Marit ging hinaus; nach einer Weile erschien sie mit Hut und Sonnenschirm wieder. "Willst Du ausgehen?" fragte Frau Dawes. Marit stand da und zog sich die Handschuhe an. "Ich gehe aus und bestelle mir Visitenkarten."--"Hast Du keine Visitenkarten?"--"Doch; aber die alten gefallen mir nicht mehr."--"Warum nicht?" fragte Frau Dawes sehr verwundert; "Du hast sie doch damals in Italien so huebsch gefunden?"--"Ja;--aber der Name gefaellt mir nicht mehr, meine ich."--"Der Name?" Beide blickten auf. Marit: "Es ist gerade, als wenn er gar nicht mehr zu mir gehoert,--meine ich."--"Marit gefaellt Dir nicht?" fragte Frau Dawes. Der Vater warf leise hin: "Es war der Name Deiner Mutter." Sie antwortete nicht gleich; sie fuehlte die entsetzten Augen des Vaters.--"Wie moechtest Du denn heissen, Kind?" Das war wieder Frau Dawes, die sprach. "Mary."--"Mary?"--"Ja. Das passt besser,--meine ich." Die stumme Verwunderung der andern bedrueckte sie augenscheinlich. Sie sagte: "Wir wollen ja jetzt doch nach Amerika. Da sagt man Mary."--"Aber Du bist Marit getauft", sagte ihr Vater schliesslich zaghaft.--"Was schadet das?"--Frau Dawes: "Es steht in Deinem Taufschein, Kind; es ist Dein Name."--"Ja, in den Urkunden steht es vielleicht, aber nicht in mir." Die beiden andern starrten sie an. "Es tut Deinem Vater weh, Kind."--"Vater kann mich ja ruhig weiter Marit nennen."--Frau Dawes blickte sie traurig an, sagte aber nichts weiter. Marit war mit ihren Handschuhen fertig. "In Amerika werde ich Mary genannt. Das weiss ich. Hier habe ich eine Probekarte. Es macht sich doch gut?" Sie holte eine ganz kleine Karte aus der Tasche. Frau Dawes besah sie und reichte sie Anders Krog hin. Mit feiner Schrift stand auf feinem Papier: "Mary Krog." Der Vater schaute lange, schaute immer wieder auf die Karte. Legte sie dann auf den Tisch, nahm seine Zeitung und tat, als lese er. "Es tut mir leid, Vater, dass Du es so auffasst."--Anders Krog wiederholte leise, ohne von der Zeitung aufzusehen: "Marit ist der Name Deiner Mutter."--"Ich habe Mutters Namen auch lieb.--Er passt aber nicht fuer mich." Damit ging sie leise hinaus. Frau Dawes, die am Fenster sass, blickte ihr die Strasse entlang nach. Anders Krog legte die Zeitung hin; er konnte nicht lesen. Frau Dawes versuchte, ihn zu troesten. "Es ist was Wahres dran", sagte sie. "Marit passt nicht mehr fuer sie." "Der Name ihrer Mutter", wiederholte Anders Krog, und die Traenen liefen ihm ueber das Gesicht. * * * * * Drei Jahre spaeter Drei Jahre spaeter fuhr Mary nach langem Regen an einem schoenen Fruehlingstage mit einer Verwandten, Alice Clerq, in Paris die Avenue du Bois de Boulogne hinunter auf das vergoldete Parktor zu. Sie hatten sich in Amerika kennen gelernt und sich hier in Paris im vorigen Jahre wiedergetroffen. Alice Clerq wohnte jetzt mit ihrem Vater in Paris. Der alte Clerq war frueher der bedeutendste Kunsthaendler von New York gewesen und hatte eine Norwegerin aus der Familie Krog geheiratet. Nach dem Tode seiner Frau verkaufte er sein riesiges Geschaeft. Die Tochter war mit der Kunst aufgewachsen und hatte eine gruendliche Ausbildung darin genossen. Sie hatte die Museen der ganzen Welt gesehen, hatte ihren Vater sogar bis nach Japan geschleppt. Ihr Hotel in den Champs Elysees war voll von Kunstgegenstaenden. Dort hatte sie auch ihr Atelier; sie war naemlich Bildhauerin. Alice war nicht mehr jung, eine kraeftige, rundliche Person, gutmuetig und lustig. Dies Jahr kam Anders Krog mit seiner Begleitung aus Spanien. Die beiden Freundinnen sprachen gerade ueber ein Bild Marys, das aus Spanien an Alice geschickt war und nach Norwegen weiter wanderte. Alice behauptete, der Kuenstler habe es offenbar auf eine Aehnlichkeit mit Donatellos "Heiliger Caecilie" abgesehen. Durch die Stellung des Kopfes, die Form der Augen, die Linie des Halses und den halb geoeffneten Mund. Aber so interessant dieser Versuch sein moege, fuer die Aehnlichkeit sei er von Schaden. Zum Beispiel sei es ein Verlust fuer das Bild, dass die Augen nicht zu sehen seien; die habe sie ja niedergeschlagen wie bei Donatello. Mary lachte. Gerade um diese Aehnlichkeit herauszubekommen, habe sie ihm gesessen. Nun erzaehlte Alice von einem norwegischen Genieoffizier, den sie kennen gelernt habe, als sie mit seiner Mutter im Sommer in Norwegen gewesen sei. Er habe das Bild bei ihr gesehen und sich ganz in dieses Portraet verliebt.--"So", sagte Mary wie abwesend.--"Es ist kein gewoehnlicher Mensch, kannst Du glauben, und auch kein gewoehnliches Verliebtsein." --"Nanu?"--"Ich bereite Dich vor. Er kommt natuerlich bei mir mit Dir zusammen."--"Ist das noetig?"--"Sehr. Denn sonst muss ich es ausbaden." --"Ist er denn gefaehrlich?" Alice lachte: "Mir wenigstens."--"Sieh einer an! Ja, das ist etwas anderes."--"Jetzt verstehst Du mich falsch. Warte, bis Du ihn siehst."--"Ist er so schoen?"--Alice lachte: "Nein, er ist geradezu haesslich!--Na, warte nur ab."--Sie fuhren weiter, das Gedraenge wurde groesser; es war einer der Haupttage.--"Wie heisst er?" --"Franz Roey."--"Roey? So heisst unsere Aerztin auch. Fraeulein Roey." --"Ja, das ist seine Schwester; er spricht oft von ihr."--"Sie hat eine herrliche Figur."--Da richtete Alice sich auf: "Und er? Wenn ich mit ihm ueber die Strasse gehe, drehen die Leute sich um, weil sie ihn noch einmal sehen wollen. Ein richtiger Riese! Aber keiner von den fettgepolsterten. Nein, sehr gross und geschmeidig." --"Also gut trainiert?"--"Riesig. Auf nichts ist er so stolz wie auf seine Kraft, und nichts zeigt er so gern!"--"Ist er denn dumm?"--"Dumm? Franz Roey?" --Sie lehnte sich wieder zurueck, und Mary fragte nicht weiter. Sie kamen spaet draussen an; endlose Wagenreihen zogen an ihnen vorbei heimwaerts aus dem Bois. Die drei breiten Fahrwege der Avenue waren gedraengt voll. Je naeher sie dem eisernen Tor kamen, wo die Wege zusammenliefen, desto dichter wurden die Wagenreihen. Diese Zurschaustellung von hellen und bunten Fruehjahrstoiletten an dem ersten sonnigen Tage nach dem Regen war ein einzigartiges Schauspiel. Zwischen den neubelaubten Baeumen wirkten die Wagen wie gefuellte Blumenkoerbe im Gruen, einer hinter dem andern, einer neben dem andern, ohne Anfang und ohne Ende. Am Tor kamen sie in die Naehe der wogenden Menge von Fussgaengern. Aber kaum waren sie mitten drin, als sich von rechts nach links hinueber eine unruhige Bewegung fortpflanzte. Dort rechts mussten die Leute etwas sehen, was von hier aus nicht zu sehen war. Einige schrien und zeigten nach den Seen hinueber, die Wagen fuhren auf Kommando zur Seite oder in die Querwege hinein, die Bewegung wuchs, bald war sie allgemein. Schutzleute und Parkwaechter rannten hin und her, die Wagen stauten sich so dicht, dass keiner mehr vom Fleck kam. Ein breiter Mittelgang war bald weit hinunter frei. Alle spaehten und fragten,--da kam es! Ein paar durchgegangene Pferde mit einem grossen Wagen. Auf dem Bock sah man den Kutscher und den Groom. Es musste sich ein Kampf abgespielt haben, so dass man Zeit bekam, den Weg frei zu machen, oder die Pferde mussten in sehr grosser Entfernung scheu geworden sein. Hier, diesseits des Tores, waren alle Gefaehrte aus dem Mittelweg verschwunden; Alices Wagen stand beinahe zu aeusserst am linken Fussweg. Hinter sich hoerten sie Geschrei; vermutlich wurde die ganze Avenue freigemacht. Aber niemand blickt dahin, alles sieht nach vorn. Ein stattliches Gespann kommt in rasender Fahrt auf sie zu. Von Neugier getrieben, wogen zu beiden Seiten die Massen vor und zurueck. Aengstliche Menschen draussen vor dem Tor riefen: "Schliesst das Tor!"--Ein rasender Protest, ein tausendstimmiger Hohn von drinnen antwortete ihnen. Alle Wageninsassen hatten sich erhoben, manche standen auf den Sitzen. Auch Alice und Mary. Es machte den Eindruck, als werde die Fahrt toller, je naeher die Tiere kamen. Kutscher und Groom rissen aus Leibeskraeften an den Zuegeln; aber das stachelte die Tiere nur an. Ein Mann im Zylinder beugte den Oberkoerper aus dem Wagen, vermutlich um festzustellen, wo er sich den Hals brechen werde. Ein paar Hunde liefen mit eifrigem Protest hinterher, hier oben lockten sie noch mehrere andere auf die Bahn hinaus, die sich aber nicht weit vorwagten. Die zwei oder drei, die es taten, prallten gegeneinander, dass einer sich ueberstuerzte und ueberfahren wurde, der Wagen machte einen Satz, der Hund heulte auf,--seine Kameraden hielten eine Weile inne. Da loest sich ein Mann aus den Massen am eisernen Portal und tritt mitten auf den Weg. Man schrie, man schwang Stoecke und Regenschirme und drohte ihm. Ein paar Schutzleute wagten sich einige Schritte hinter ihm her und winkten und riefen; das gleiche tat diesseits ein Parkwaechter, lief aber in Todesangst wieder zurueck. Statt auf die Rufe und Drohungen zu achten, nahm der Mann die Pferde aufs Korn, trat nach links, dann nach rechts, dann wieder nach links ... offenbar um sich ihnen entgegenzuwerfen. Sowie die Menge das erfasst hatte, wurde sie still, ja, es wurde so still, dass man die Voegel in den Baeumen singen hoeren konnte, hoeren auch das ferne, dumpfe Getoese der nimmer stillen Riesenstadt, das vom Winde heruebergetragen wurde. Es gab dem Vogelgezwitscher einen einfoermigen Unterton. Merkwuerdig, dass die Pferde genau so gespannt dastanden wie die Menschen; sie ruehrten keinen Fuss. Nur die Hunde waren wieder in Bewegung. Nun hatte der wilde Zug den Mann mitten auf der Strasse erreicht. Er drehte sich pfeilschnell nach derselben Seite wie die Pferde, lief neben ihnen her und warf sich dann dem naechsten in die Flanke ... "Das ist er!" rief Alice mit leichenblassem Gesicht und packte Mary so krampfhaft, dass sie beide ins Stolpern kamen. Schrill und wild kreischten weibliche Stimmen auf. Ein dumpfes Gebruell von Maennerstimmen folgte. Jetzt hing er an dem einen Pferde. Alice schloss die Augen, Mary wandte sich ab. Lief er mit oder wurde er geschleift? Sie anhalten konnte er nicht. Wieder einige Sekunden lang eine fuerchterliche Stille, nur die Hunde und die Hufe der Pferde hoerte man. Dann ein kurzer Aufschrei und dann tausende, und dann Jubel, wilder, endloser Jubel. Wehende Taschentuecher, Huete und Sonnenschirme. Die Menge stroemte zu beiden Seiten wie eine Sturmflut wieder in die Avenue hinein. Hier oben war die Strasse in einem Augenblick gedraengt voll. Die rasenden Tiere standen schaumbedeckt und zitternd dicht bei Alices Wagen. Sie sah einen grauen Englaender, einen schlanken alten Herrn mit weissem Bart und im Zylinder, und sie sah eine junge schlanke Dame an seinem Arm haengen und hoerte den Alten sagen: "Well done, young man!" Ein schallendes Gelaechter folgte. Und jetzt erst sah sie ihn, dem die Worte gegolten hatten, wie er die Pferde bei den Nuestern gepackt hatte, ohne Hut, mit aufgerissener Weste und blutenden Haenden, jetzt aber das schweissbedeckte, aufgeregte Gesicht lustig dem Englaender zuwandte. Gerade im selben Augenblick gewahrte er Alice. Sie stand ja noch immer auf dem Sitz ihres Wagens. Ohne Zoegern liess er Pferde und Wagen mitsamt dem Englaender stehen und bahnte sich den Weg zu ihr: "Verehrteste, bringen Sie mich fort aus diesem Wirrwarr!" sagte er laut in seiner breiten ostlaendischen Mundart. Ehe sie antworten, ja noch ehe sie vom Sitz herunterkommen, geschweige ehe der Groom sich vom Bock herabschwingen konnte, hatte er die Wagentuer geoeffnet und war bei ihnen im Wagen. Er half erst Alice von der Bank herunter, dann ihrer Freundin. Darauf sagte er auf franzoesisch zum Kutscher: "Fahren Sie mich nach Hause, so schnell Sie loskommen koennen. Sie wissen die Adresse wohl."--"Ja, Herr Hauptmann", antwortete der Kutscher mit ehrerbietigem Gruss und bewundernden Blicken. Als Franz Roey sich hinsetzen wollte, verzog er das Gesicht und rief, indem er sich an den Fuss fasste: "Au, Donnerwetter, das Ekel hat mich getreten. Jetzt merke ich es erst." In diesem Augenblick begegnete er Marys grossen, verwunderten Augen; er hatte sie bisher nicht angesehen, nicht einmal, als er ihr vom Sitz heruntergeholfen hatte. Die Veraenderung in seinem Gesichtsausdruck war so gewaltig und so ueberwaeltigend komisch, dass die beiden Damen in lautes Lachen ausbrachen. Er fasste mit der blutigen Hand an seinen Hut--und merkte, dass er keinen aufhatte. Da lachte er auch. Der Kutscher hatte inzwischen den Wagen ein paar Meter vorwaerts bugsiert, nun versuchte er zu wenden. "Ja, ich brauche wohl nicht erst zu sagen, wer das ist?" lachte Alice. "Nein!" sagte er und starrte Mary an, dass sie rot wurde. "Aber, mein Gott, wie konnten Sie das wagen!"--Alices Stimme war's.--"Ach, das ist nicht so gefaehrlich, wie es aussieht", antwortete er, ohne ein Auge von Mary zu wenden. "Es ist bloss ein Kniff. Ich habe es schon vorher zweimal gemacht." Er sprach nur zu Mary. "Diesmal sah ich gleich, dass bloss das eine Pferd den Verstand verloren hatte; das andere wurde nur mitgerissen. Ja, da nahm ich mir also das tolle vor. Pfui Teufel, wie sehe ich aus!" Jetzt erst entdeckte er, dass seine Weste zerrissen, dass seine Uhr weg war, und dass seine blutende Hand ihn beschmutzte. Mary bot ihm ihr Taschentuch an. Er blickte auf das feine, gestickte Gewebe und dann auf sie: "Nein, gnaediges Fraeulein, das waere, als wollte man Baumrinde mit Seide flicken." Gleich draussen vor dem Tor an der rechten Seite wohnte er, also war es keine Entfernung. Mit herzlichem Dank, ohne die blutige Hand darzubieten, stieg er aus. Als er schlank und riesig ueber den Fussweg von dannen hinkte und der Wagen wendete, sagte Alice leise auf englisch: "Wer so ein Modell haben koennte, Mary!"--Mary sah sie verwundert an: "Ja, laesst sich denn das nicht machen?"--Alice gab Mary den Blick noch verwunderter zurueck: "Nackt meine ich." Mary machte beinahe einen Luftsprung, beugte sich dann nach vorn und sah Alice gerade ins Gesicht. Alice begegnete ihren Augen mit einem schelmischen Lachen. Mary lehnte sich zurueck und starrte vor sich hin. * * * * * Franz Roey musste sich wegen seines Fusses einige Tage Schonung auferlegen. Als er sich wieder bei Alice meldete, wurde verabredetermassen Mary benachrichtigt. Aber es ueberkam sie eine solche Unruhe, dass sie sich nicht hinzugehen getraute. Beim naechsten Mal trieb die Neugier, oder was es sonst war, sie hin. Aber sie kam sehr spaet, und kaum stand sie ihm gegenueber, da wuenschte sie, sie waere nie gekommen. Er hatte etwas so Intensives, dass die vornehme Dame es als Aufdringlichkeit, ja fast als Beleidigung empfand. Ihr Wesen war in Aufruhr, sie folgte ihm mit den Augen, mit den Ohren; die Gedanken sausten in ihr und das Blut auch. Es muss doch mal voruebergehen, dachte sie. Aber das war nicht der Fall. Alices Verzauberung oder richtiger ihre Verliebtheit erhoehte das Schwindelgefuehl. War er eigentlich so haesslich? Diese breite, steile Stirn, diese kleinen, spruehenden Augen, der zusammengekniffene Mund, das vorspringende Kinn, das hatte alles in allem etwas ungewoehnlich Kraftvolles, aber es wurde spasshaft, weil er beinahe gar keine Nase hatte. Spasshaft war auch das meiste, was er sagte. So immer aufgelegt und lustig, dass um ihn her bestaendig Heiterkeit war, so unerschoepflich voller Einfaelle. Seine Manieren hatten nichts Gewaltsames; er war im Gegenteil die Hoeflichkeit selbst; er war aufmerksam, zuweilen sogar galant. Es lag nur an dem Ueberwaeltigenden in ihm. Seine Sprache und seine Augen allein waren wie ein Gewitter. Aber auch seine Gestalt tat das ihre, diese kraftvolle Hand, dieser massige Fuss, der fast nur Spann war, diese Schultern, der Nacken, der Brustkasten, das alles sprach mit, wirkte erdrueckend, demonstrierte. Man kam keinen Augenblick davon los. Und seine Rede floss unaufhaltsam. Mary kannte nur die Unterhaltungsform der internationalen Gesellschaft. Eine leichte Konversation ueber Wind und Wetter, ueber die Tagesereignisse, ueber Literatur und Kunst, ueber Zufaelligkeiten auf Reisen und beim Aufenthalt, das ganze immer mit anderthalb Ellen Abstand. Er dagegen war ganz individuell und nahebei. Dabei fuehlte sie, dass sie selbst auf ihn wirkte wie Wein. Er wurde immer berauschter und immer uebermuetiger. Das regte auf und machte unruhig. Sobald sie anstandshalber fort konnte, verschwand sie, benommen, verwirrt und eigentlich in einer wilden Flucht. Sie gab sich selbst das feierliche Versprechen, nie wiederzukommen. Erst spaeter am Tage ging sie zu ihrem Vater und zu Frau Dawes hinein. Sie erwaehnte kein Wort von ihrer Begegnung. Das hatte sie das vorige Mal auch nicht getan. Frau Dawes sagte, sie solle sich einmal die Karte ansehen, die auf dem Tisch liege.--"Joergen Thiis? Ist denn der hier?"--"Er ist den ganzen Winter hier gewesen. Jetzt hat er erst erfahren, dass wir angekommen sind."--"Er bat um Gruesse an Dich", warf der Vater ein, der wie gewoehnlich sass und las. Es war wirklich eine Erholung, an Joergen Thiis zu denken. Im vorigen Winter war sie verschiedentlich mit ihm hier in Paris zusammengewesen. Bei mehreren Gelegenheiten war er ihr Kavalier, so zum Beispiel bei den offiziellen Baellen im Elysee und im Hotel de Ville. Ein Kavalier, mit dem sie in allen Stuecken Ehre einlegte. Huebsch, elegant, zuvorkommend. Der Vater erzaehlte, Joergen wolle zur Diplomatie uebergehen. "Dazu gehoert doch wohl Kapital?" sagte Mary. "Er wird Onkel Klaus beerben", antwortete Frau Dawes. "Weisst Du das bestimmt?"--"Bestimmt nicht."--"Ist es denn wahr, dass Onkel Klaus in letzter Zeit mehrfach Verluste gehabt hat?" Frau Dawes schwieg. Der Vater antwortete: "Das kann schon sein."--"Ja, unterstuetzt er ihn denn?" Keiner antwortete. "Dann kann ich nicht finden, dass Joergens Aussichten so glaenzend sind", sagte sie abschliessend.-- Franz Roey war im Auftrage der Regierung in Paris und war infolgedessen oft abwesend. Das war gerade jetzt der Fall, so dass Mary sich sicher fuehlte. Aber als sie eines Morgens frueh zu Alice kam,--sie wollten zusammen in die Stadt,--sass er da! Er sprang auf und eilte ihr entgegen. Seine Augen ueberschuetteten sie mit Bewunderung und Freude, er nahm ihre Hand in seine beiden Haende. Etwas strahlend Gluecklicheres hatte sie nie gesehen. Mary fuehlte, wie sie rot wurde. Alice lachte, was die Sache noch schlimmer machte. Aber seine Redseligkeit, die heute selbst fuer seine Verhaeltnisse aussergewoehnlich war, half ihnen darueber weg. Jetzt stuerzte er sich in eine kolossale Fabrik hinein, von der er direkt herkam, und riss sie mit. Die halbnackten Maenner mit ihren Haken an dem Strom des siedenden, rotgluehenden, wallenden Eisenerzes,--die Gewalt der Maschinen und die Menschen dazwischen wie vorsichtige Ameisen in einem Wald von Riesen. Er versuchte ihnen das auch in den Einzelheiten zu erklaeren. Es gelang voellig; aber es dauerte lange und hielt vor, bis die beiden Freundinnen fort mussten. Als sie im Wagen sassen, war Alice aeusserst aufgeraeumt. Es war naemlich ganz klar, heute hatte er einen starken Eindruck gemacht.-- Am Tage darauf verliess Mary mit einem amerikanischen Ehepaar Paris im Automobil. Sie blieb mehrere Tage fort. Aber es war ihr erstes, als sie wieder zurueckkam, Alice aufzusuchen. Wahrhaftig: Franz Roey war da. Er und Alice sprangen in lebhafter Freude auf, Alice kam ihr entgegen und umarmte und kuesste sie: "Du Ausreisser, Du Ausreisser!" rief sie. Dass Franz Roeys Augen funkelten, ist zu wenig gesagt; sie schossen foermlich Salut. Von dem Augenblick an, da sie ihn begruesste, stand sein Mund nicht mehr still. Er benahm sich so toericht verliebt, dass es Alice ganz angst wurde. Gluecklicherweise musste er ein Ende machen; er hatte eine Konferenz. Mary war nachher wieder ganz aufgeruehrt; die See wollte sich nicht legen. Alice sah es und wollte sie beruhigen mit eifrigen, aengstlichen Versuchen, ihn ihr zu erklaeren. Aber das verwirrte nur noch mehr; Mary ging. Am Nachmittag, als sie zu den andern ins Zimmer trat--sie hatte ein wenig geruht, es hatte ihr notgetan--hoerte sie Klavierspiel. Sie wusste sofort, dass es Joergen Thiis war, der den beiden Alten Gesellschaft leistete. Er war wirklich ein Kuenstler, und er hatte eine Vorliebe fuer den Fluegel, den sie hatten. Den wollten sie mit nach Norwegen nehmen. Sie ging gleich zu ihm hin und dankte ihm, dass er so aufmerksam gegen ihren Vater und Tante Eva sei; leider muessten die beiden so oft allein bleiben. Er antwortete, es sei ihm eine unendliche Freude, dass sie seine Musik schaetzten, und das Klavier sei zu verlockend, in der Tat ersten Ranges. Die Unterhaltung bei Tisch und nachher zeigte Mary, wie die drei zusammenstimmten; sie war entbehrlich. Sie war wirklich dankbar dafuer, so dass es ein gemuetlicher Abend wurde. Es wurde viel von der Heimat gesprochen, nach der die beiden Alten Sehnsucht hatten. Kaum war er fort, so sagte Frau Dawes: "Was ist Joergen doch fuer ein gemuetlicher, gebildeter Mensch, liebes Kind!"--Der Vater blickte Mary an und laechelte. "Worueber lachst Du, Vater?"--"Ueber nichts", er lachte noch mehr. "Du moechtest wissen, wie er bei mir angeschrieben ist?"--"Ja, wirkt er auf Dich?" Frau Dawes war ganz Ohr. "A--ach."--"Das kommt ja so gedehnt heraus?"--"N--n--nein."--"Nun also?"--"Im Grunde gefaellt er mir gut."--"Doch es ist ein Aber dabei--?" Jetzt laechelte sie. "Ich mag nicht, dass seine Augen sich foermlich an mir festsaugen." Der Vater lachte: "Genau wie beim Essen, nicht?"--"Ja freilich!"--"Ein Lebemann, siehst Du, wie sein Vater."--"Aber genau wie sein Vater hat er auch viele gute Eigenschaften", warf Frau Dawes ein. "Das hat er", sagte Anders Krog ernsthaft. Mary antwortete nicht. Sie sagte Gutnacht und bot ihm die Stirn zum Kuss.---- Ein paar Tage spaeter, ganz frueh am Morgen, suchte Mary Alice in ihrem Atelier des Hinterhauses auf. Anders Krog hatte irgendwo altes chinesisches Porzellan gesehen, auf das er Lust bekommen hatte; aber Alices guter Rat war hierzu von groesster Wichtigkeit. Mary war ueberzeugt, sie allein zu treffen, in der Regel freilich mit irgendeinem Modell. Sie ging direkt hinein, ohne mit dem Pfoertner zu sprechen. Alice oeffnete ihr selbst. Sie hatte ihren Atelierkittel an, und ihre Haende waren schmutzig, sie konnte sie Mary nicht geben. "Hast Du ein Modell da?" fluesterte sie. "Ich wollte gerade anfangen," antwortete Alice leise mit einem seltsamen Laecheln, "das Modell wartet im Zimmer nebenan. Aber komm nur!" Als Mary hinter dem Vorhang hervortrat, erkannte sie den Grund, warum das Modell im Zimmer nebenan wartete; Franz Roey sass in diesem Zimmer. So frueh am Morgen und tief in Gedanken. Er bemerkte nicht einmal, dass sie hereinkamen. Es war das erstemal, dass Mary ihn ernst sah. Das stand der maennlichen Gestalt und seinem kraftvollen Gesicht ungleich besser als jene ausgelassene Lustigkeit. "Sehen Sie, wer da kommt!" sagte Alice. Er sprang auf.---- Die Unterhaltung heute war sehr ernst. Er war in gedrueckter Stimmung. Mary konnte unschwer erraten, dass die anderen von ihr gesprochen hatten. Sie waren deshalb alle drei etwas befangen. Bis Alice ein Thema aus der Morgenzeitung aufgriff. Zwei Morde aus Eifersucht, von denen der eine geradezu entsetzlich war, hatten sie alle erschuettert, besonders Franz Roey. Er behauptete, die Auffassung von der Ehe stamme bei den romanischen Voelkern aus einer Zeit, da die Frau Eigentum des Mannes war und Untreue folglich mit dem Tode bestraft wurde. Durch das Christentum sei freilich spaeter der Mann auch Eigentum der Frau geworden. Hierueber entstand eine lebhafte Diskussion. Mary stimmte ihm darin bei, dass keiner der Eheleute dem aendern gehoere. Sie seien freie Individuen und koennten ueber sich selbst bestimmen. In der Ehe wie vor der Ehe. Nur die Liebe sei entscheidend. Hoere die Liebe auf, weil der eine Teil oder auch beide durch die Entwicklung anders geworden seien, als sie bei Begruendung der Ehe waren, oder treffe einer von ihnen einen Menschen, der seine Seele und seine Gedanken gefangen nehme und seinem Leben eine andere Richtung gebe, dann muesse der Verlassene resignieren. Nicht verdammen oder toeten. Aber ihre Meinung und Franz Roeys Ansicht gingen auseinander, als sie erwogen, was zwei Eheleute von Rechts wegen scheiden duerfe. Namentlich als sie darauf kamen, was davon zurueckhalten muesse. Sie war hier viel bedenklicher als er. Er schlug scherzend vor, sie solle doch sagen: "Eheleute haben volle Freiheit, sich scheiden zu lassen; aber sie duerfen keinen Gebrauch davon machen." Sie schlug vor, er solle sagen: "Eheleute muessen in der Regel geschieden werden; haben sie keinen wirklichen Grund, muessen sie sich einen pumpen." Sie kamen in diesem Gespraech tiefer als bis zu den Worten. Es bezauberte ihn wie eine neue Art von Schoenheit an ihr, wie souveraen sie war. Das gab ihrer Erscheinung einen neuen Glanz. Es war keine Herrschsucht darin. Es war nur eine Schutzwehr, aber die hoechste. Ihr ganzes Wesen war darin konzentriert. Ein "Ruehr' mich nicht an!" in Augen, Stimme und Haltung. Vielleicht, wenn es sein musste, bereit zur Maertyrerglorie. Sie wurde viel groesser. Aber auch hilfloser. Gerade solche Wesen stehen zu hoch und stolpern beim ersten Schritt. Dann pflegen sie furchtbar zu fallen. Er starrte sie an und vergass zu antworten, vergass, wo er war. Ihm war, als rufe ihm einer zu: "Gib acht auf sie!" In seine Liebe zog mit gebieterischem Kommando die Ritterlichkeit ein. Sie sah, wie er sich dem Gespraech fernhielt; aber das hinderte sie nicht; das Thema war ihr zu lieb. Als er wieder bei der Sache war, hoerte er, wie sie ihr Innerstes enthuellte, zweifellos ohne es zu ahnen. Sie sprach aus, was sie gedacht hatte, seit sie sich so etwas hatte klar machen koennen. Es war ihr so natuerlich, wie das Kleid zu heben, wenn es schmutzig war, oder draussen im Meer zu schwimmen, wenn der Fuss keinen festen Boden mehr fand. Die Individualitaet muss frei werden, muss wachsen, darf nicht gebeugt und nicht befleckt werden; das war das Erste und das Letzte. Aber gleichzeitig fuehlte sie sich seltsam zu dem Menschen hingezogen, der sie zu bewegen vermochte, das auszusprechen. Sie hatte es so lange nicht mehr getan. Sie wusste nicht, dass die Persoenlichkeit, die unsere Gedanken erloest, selbstverstaendlich Macht ueber uns hat. Sie fuehlte nur, dass sie sprechen musste--und sich mit sich selbst beschaeftigen. Eine wundersuesse Empfindung, die sie zum erstenmal hatte. Folglich wurde das Thema ausgesponnen. In Worten, die immer weiter und weiter in sie selbst hineinschluepften und schliesslich sich in einer Stille von Blicken und Atemzuegen verloren. Alice war zu ihrem Modell hineingegangen. Sie waren befangen, als sie merkten, dass sie allein waren. Sie verstummten, und ihre Blicke wichen sich aus. Nach fluechtigem Verweilen bald auf dem einen, bald dem anderen der vielen Kunstgegenstaende, richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf einen Faun ohne Arme, der sie angrinste. Sie sprachen ueber dieses Stueck alter Kunst, nur um nicht zu schweigen. Wo der gefunden sein mochte? Aus welcher Zeit er stamme? Er sei gewiss sehr teuer gewesen. Sie sprachen in gedaempften Worten mit liebkosender Stimme, und die Augen glitten umher. Sie standen auch nicht auf ganz sicheren Fuessen. Sie fuehlten sich leichter, wie wenn sie sich in hoeheren Luftschichten befaenden. Dabei die Empfindung, dass alles, was sie dachten, offen daliege, und dass sie selbst durchsichtig seien. Jetzt kam Alice wieder. Sie blickte sie mit Augen an, die die beiden aufweckten. "Sind Sie jetzt mit der Ehe fertig?" fragte sie; denn sie hatten ja ueber die Ehe gesprochen, als sie hinausgegangen war. --Mary fiel ein, sie habe etwas zu besorgen, und ihr Wagen warte. Franz Roey erinnerte sich auch seiner Obliegenheiten. So gingen sie zusammen fort, durch den Hofraum, durch das Vestibuel und die Tuer auf den Wagen zu. Aber sie fanden den Ton von vorhin nicht wieder, und sprachen deshalb nicht. Den Hut in der Hand, oeffnete er ihr den Schlag. Sie stieg ein, ohne aufzublicken. Als sie sich hingesetzt hatte und ihm zunicken wollte, harrten ihrer die heissesten Augen, in die sie je geblickt hatte. Voll Leidenschaft und voll Ehrerbietung. Zwei Stunden darauf war er wieder bei Alice. Laenger hatte er mit seinen himmelstuermenden Hoffnungen nicht allein sein koennen. Wo er in der Zwischenzeit gewesen sei? In der Stadt, um sich einen Abguss von Donatellos Heiliger Caecilia zu kaufen. Er muesse vergleichen. Aber Alice koenne sich im voraus denken, dass Donatellos Caecilia klaeglich durchgefallen sei. Jetzt bekam Alice ernstlich Angst: "Lieber Freund, Sie werden sich noch alles verderben. Das liegt in Ihrer Natur." Er sagte stolz: "Ich habe mir noch nie im Ernst ein Ziel gesteckt, das ich nicht erreicht haette."--"Das glaube ich gern. Sie koennen arbeiten, Sie koennen Hindernisse ueberwinden, Sie koennen auch warten."--"Das kann ich!"--"Aber Sie koennen sich nicht beherrschen, Sie koennen nicht abwarten, dass sie zu Ihnen kommt."--"Was soll das heissen, Alice?"--Es tat ihm weh. "Es soll Sie daran erinnern, lieber Freund, dass Sie Mary nicht kennen. Sie kennen die Welt nicht, in der sie lebt. Sie sind ein Waldbaer."--"Kann sein, dass ich ein Waldbaer bin. Dagegen sage ich nichts. Aber wenn sie nun Freude an einem Waldbaeren hat? Man kann sich in solchen Dingen nicht taeuschen." Er wollte sich seine festliche Stimmung nicht trueben lassen. Darum kam er bittend auf sie zu; er wollte sie sogar umarmen; er hatte es sehr mit dem Umarmen. "Nein, seien Sie artig, Franz! Uebrigens stoeren Sie mich schon zum zweitenmal."--"Sie sollen auch gestoert werden, Sie sollen nicht die da drin in Ihrem Gefaengnis modellieren. Liebe Alice, Sie mein einziger Freund, Sie sollen mir mein Glueck modellieren!"--"Ja, was kann ich weiter fuer Sie tun, als ich getan habe?"--"Sie koennen mir den Zutritt zu ihrem Hause verschaffen." Alice ueberlegte. "Das ist nicht so leicht."--"O,--Sie werden schon etwas ausfindig machen. Sie muessen, Sie muessen es!" Er redete und bettelte und umarmte sie solange, bis sie nachgab und es ihm versprach. Ob sie es nun falsch anstellte,--jedenfalls ging es schief. "Wenn ich meinen Vater bitte, einen jungen Herrn zu empfangen, der ihm nicht vorgestellt ist, muss er es falsch auffassen", sagte Mary. Alice gab das ohne weiteres zu. Sie war wuetend auf sich selbst, dass sie daran nicht gedacht hatte. Anstatt mit Mary zu ueberlegen, ob sich die Sache nicht anders machen lasse, gab sie es ganz auf. Sie war noch aergerlich, als sie Franz Roey das Ergebnis mitteilte; sie habe das Gefuehl, sagte sie, Mary wuensche keinen Vermittler. Sie schaerfte ihm wieder ein, vorsichtig zu sein. Franz Roey war ganz ungluecklich. Alice versuchte auch nicht, ihn zu troesten. Tags darauf kam er wieder. "Ich kann's nicht aufgeben", sagte er. "Ich kann auch an nichts anderes denken." Solange sass er und so oft wiederholte er dieselbe Litanei in allen Tonarten, und so ungluecklich war er, dass er der gutmuetigen Alice leid tat. "Hoeren Sie," sagte sie, "ich werde Sie zusammen einladen. Dann kommt vielleicht die Einladung zu Krogs von selbst."--Er sprang auf. "Das ist eine herrliche Idee. Tun Sie das, Liebste!"--"Ich kann es nicht gleich tun. Anders Krog ist unwohl. Wir muessen warten." Er starrte sie enttaeuscht an. "Aber koennen Sie uns beide nicht mal wieder zusammenbringen?"--"Ja, das kann ich."--"So tun Sie es,--sobald wie moeglich! Sie Liebste, Beste, sobald wie moeglich!" Das gelang. Mary war gleich zu einem Wiedersehen bereit. Sie trafen sich bei Alice, um zusammen in die Ausstellung in den Champs-Elysees zu fahren. Zusammen vor Kunstwerken zu stehen, ist wie ein Gespraech ohne Worte. Die wenigen Worte; die gesprochen werden, rufen hundert andere wach. Aber die werden nicht ausgesprochen. Der eine fuehlt durch den andern, oder glaubt es zu tun. Sie begegnen sich in einem Bilde, um in einem anderen wieder getrennt zu werden. Dabei lernen sie sich in einer Stunde besser kennen als sonst in Wochen. Alice fuehrte sie von Bild zu Bild; aber sie selbst war mit sich beschaeftigt,--je laenger, je vollstaendiger. Sie sah alles mit Kuenstleraugen an. Die beiden andern, die mit den Bildern anfingen, gingen immer mehr dazu ueber, durch die Bilder einander zu erforschen. Es wurde ein Fluesterspiel mit schnellen Blicken, knappen Worten und leicht andeutenden Fingern. Die aber, die sich auf heimlichen Wegen zueinander hintasten, haben zugleich eine unermessliche Freude daran. Und lassen diese Freude auch wohl ahnen. Ein Spiel wie bei Voegeln, die unter dem Wasser schwimmen und weit hinten emportauchen,--um dann wieder zueinander hinzustreben. Das Glueck der Stunde wurde erhoeht durch die vielen Augen, die auf ihnen ruhten. Unten bei den Skulpturen fuehrte Alice sie ganz nach vorn in den Mittelbau. Sie blieb vor einem leeren Sockel stehen und wandte sich an den Aufseher. "Ist der Athlet noch nicht in Ordnung?"--"Nein, gnaediges Fraeulein, leider nicht", antwortete er. "Dann ist es wohl noch einmal schief gegangen?"--"Ich weiss nicht, gnaediges Fraeulein." Alice erklaerte Mary, die Statue eines Athleten sei bei der Aufstellung zerbrochen. "Ein Athlet?" fragte Franz Roey, der etwas abseits stand und jetzt eilig herzukam. Die beiden andern laechelten. "Ein Athlet? Sprachen Sie nicht von einem Athleten?"--"Ja", sagten sie und lachten. "Ist dabei etwas zu lachen?" fragte er. "Ich habe einen Vetter, der ist Athlet." Nun lachten die beiden Damen erst recht. Franz Roey war hoechlichst erstaunt. "Ich kann Ihnen versichern, er ist der praechtigste Mensch, den ich kenne. Und so erstaunlich tuechtig. Das liegt in unserer Familie. Als Knabe war ich zwei Sommer bei ihm im Zirkus." Die andern lachten. "Worueber zum Teufel lachen Sie? Ich habe in meinem Leben keine herrlicheren Tage erlebt als im Zirkus." Die beiden Damen eilten unter Lachen in wilder Flucht dem Ausgang zu. Er musste ihnen folgen; aber er war beleidigt. "Ich begreife nicht, worueber Sie lachen", sagte er, als sie alle im Wagen sassen, lachte aber mit. Das kleine Missverstaendnis hatte die Folge, dass sie alle in der besten Stimmung waren, als sie vor Marys Wohnung hielten. Alice und Franz Roey fuhren ohne sie weiter. Er wandte sich uebergluecklich zu Alice und fragte, ob er heute nicht ein braver Junge gewesen sei? Ob er sich nicht im Zaum gehalten habe? Ob seine "Affaere" nicht brillant staende? Er liess sich nicht Zeit, auf ihre Antwort zu hoeren, er lachte und schwatzte und wollte sie schliesslich nach oben begleiten. Hiervon wollte Alice aber nichts wissen. Da verlangte er als Belohnung, wenn er es sein lasse, dass Alice sie beide auf eine Spazierfahrt ins Bois de Boulogne mitnehmen solle, nach Schloss Bagatelle hinaus. Die Fahrt muesse morgens um neun Uhr gemacht werden. Da dufte der Wald am staerksten, da sei der Gesang der Voegel am schoensten und da seien sie noch allein. Sie versprach es ihm. Am naechsten Freitag holte Alice Mary kurz vor neun Uhr morgens ab, dann fuhren sie weiter zu Franz Roey. Schon von weitem sah Alice ihn auf dem Fussweg auf und ab wandern. Aus Gang und Haltung ahnte ihr Boeses. Mary konnte ihn nicht sehen, bis sie hielten. Da aber warf all die Glut seines Gesichts eine Flamme auf ihres. Er schwang sich auf den Wagen wie auf ein erobertes Schiff. Alice suchte eilig seine Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, um es nicht gleich zu einem Ausbruch kommen zu lassen. "Was fuer ein herrlicher Morgen," sagte sie, "gerade weil er nicht ganz sonnenklar ist. Nichts ist schoener als ein gedaempfter Ton ueber einer so farbenfrohen Landschaft wie der, durch die wir jetzt kommen." Aber er hoerte nicht, er fasste nichts ausser Mary. Der weisse Schleier, der von ihrem roten Haar zurueckgeschlagen war, der halbgeoeffnete, frische Mund brachte ihn um den Verstand. Alice meinte, der Wald dufte viel staerker, seit die japanischen Baumarten herangewachsen seien. Immer, wenn diese Baeume berauschende Wellen in den hergebrachten europaeischen Waldduft hineingoessen, sei's, als floegen fremde Voegel mit fremdartigem Schrei zwischen den Baeumen auf. Sofort behauptete Franz Roey energisch, die heimischen Voegel des Waldes haetten davon einen anderen Gesang bekommen. So wunderbar schoen, wie sie diesen Morgen saengen, meinte er, haetten sie noch nie gesungen. Alices Angst vor einer Explosion stieg. Sie wollte ihn ablenken, indem sie ihn auf die Farbenkontraste von Wald und Wiese und Fernsicht aufmerksam machte. Gerade der Weg nach Bagatelle hinaus ist so reich daran. Aber Franz Roey sass rueckwaerts und musste sich jedesmal erst umdrehen, bis er sehen konnte, was Alice ihm zeigen wollte. Das machte ihn ungeduldig, um so mehr als Mary und er jedesmal in ihrem Gespraech unterbrochen wurden. "Wollen wir nicht lieber aussteigen und ein Stueck gehen?" fragte er. Aber davor hatte Alice die meiste Angst; auf was fuer Gedanken konnte er da nicht kommen?! "Sehen Sie sich doch um!" rief sie ihm zu. "Ist es nicht, als wenn die Farben hier Choere singen?"--"Wo?" fragte er gereizt.--"Herrgott, sehen Sie doch bloss das verschiedene Gruen in demselben Wald! Sehen Sie doch nur! Und daneben wieder das Gruen der Wiese!"--"Mir liegt nichts daran, das zu sehen! Nicht ein Deut!" Er drehte sich wieder zu den Damen um und lachte. "Waere es nicht doch besser, auszusteigen?" bestuermte er sie wieder. "Es ist doch was anderes, im Walde herumzulaufen, als ihn anzusehen. Ebenso mit dem Rasen."--"Das Betreten des Rasens ist verboten!"--"Zum Donnerwetter, so gehen wir eben auf der Landstrasse und besehen uns alles. Das ist viel schoener, als in dem engen Wagen zu sitzen!" Mary stimmte ihm zu. "Zum Spazierengehen habe ich Sie aber nicht hier herausgefahren. Wir wollten den Anblick des historischen Schlosses Bagatelle geniessen und den Wald, in dem es liegt. So was gibt es nicht wieder. Und dann wollten wir doch soweit wie moeglich hinaus. Daraus wird aber nichts, wenn wir gehen." Dieser Appell hielt sie eine Weile im Schach. Die Besitzerin des Wagens musste doch den Ausschlag geben. Aber Mary war mittlerweile auch uebermuetig geworden. Ihre Augen, die gewoehnlich etwas Nachdenkliches hatten, leuchteten vor Lebenslust. Heute lachte sie ueber seine vielen drolligen Einfaelle; sie lachte ueber das Geringfuegigste. Sie wollte in einemfort Blumen haben, wenn sie welche sah. Jedesmal musste angehalten werden, um Blumen und Laub zu pfluecken. Sie packte den Wagen voll, so dass Alice schliesslich protestierte. Da warf sie alles miteinander hinaus und verlangte energisch, selbst auch hinauszukoennen. Sie hielten und stiegen aus. Sie waren jetzt weit ueber Bagatelle hinaus und liessen den Wagen umkehren. Er solle langsam ein Stueck zurueckfahren, sie kaemen nach. Kaum waren sie ein paar Schritte gegangen, als Franz Roey anfing, Rad zu schlagen, d.h. er warf sich seitlings auf den Haenden herum, um wieder auf die Fuesse zu fallen, dann wieder auf die Haende und so weiter, schneller und immer schneller. Dann drehte er um und kam auf dieselbe Weise zurueck. "Das ist eins von meinen Zirkuskunststuecken", sagte er strahlend. "Jetzt kommt ein anderes!" Er warf sich in der Luft herum und kam wieder auf die Fuesse genau an derselben Stelle, wo er hochgesprungen war. Dann noch einmal. "Sehen Sie? Genau wo ich hochgesprungen bin!" Er triumphierte und machte es noch zwei-, noch drei-, vier-, fuenfmal vor. Sie bewunderten ihn. Es war auch bewundernswert, wie der grosse, starke Mann das mit einer Leichtigkeit ausfuehrte, dass es wirklich schoen aussah. Angefeuert durch ihr Lob fing er an, sich mit solcher Geschwindigkeit herumzuwirbeln, dass den andern beim blossen Zusehen schlecht wurde. Schoen war es auch nicht. Sie wandten sich ab und schrien. Das machte ihm furchtbaren Spass. Aergerlich rief Alice: "Sie sind wahrhaftig wie ein Schuljunge von siebzehn Jahren!"--"Wie alt sind Sie eigentlich?" fragte Mary. "Ueber dreissig." Da lachten sie aus vollem Halse. Das haetten sie nicht tun sollen. Dafuer musste er sie strafen. Ehe Alice es ahnen konnte, fasste er sie um die Taille und tanzte mit ihr im rasendsten Galopp die Chaussee hinunter, dass der Staub aufwirbelte. Die schwerfaellige Alice wehrte sich aus Leibeskraeften und schrie. Aber es half nichts; es machte ihm nur Spass. Ihr Hut fiel zu Boden, ihr Schal flog hin, Mary lief hinterher und nahm beides auf, aber sie kruemmte sich vor Lachen. Denn diese plumpen, voellig nutzlosen Widerstandsversuche waren nicht mitanzusehen. Schliesslich machte er Kehrt, und sie kamen in dem gleichen rasenden Trab wieder zurueck und machten bei Mary Halt. Alices Gesicht ganz verstoert, schweisstriefend und rot. Ihre kurzatmige Wut, die keine Worte fand, liess Mary kreischen vor Lachen. Franz sang ihr: "Hopsa--sa! hop--sa--sa!" vor, bis sie sprechen und ihn tuechtig ausschelten konnte. Da lachte er. "Und Sie?" wandte Mary sich jetzt an Franz Roey, "hat es Sie gar nicht angestrengt?"--"Nicht sonderlich. Ich koennte gleich mit Ihnen dieselbe Tour machen!" Mary erschrak. Sie hatte Alice gerade den Hut gegeben und stand nun da mit dem Schal und ihrem eigenen Hut, den sie abgenommen hatte, in der Hand, warf aber mit einem Aufschrei die beiden Gegenstaende hin und sauste nach der entgegengesetzten Seite davon, dahin, wo der Wagen hielt. Keinen Augenblick war es Franz Roey in den Sinn gekommen, seine Drohung auszufuehren. Es war nur Scherz gewesen. Aber als er sie laufen sah, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die er weder ihr noch ueberhaupt einer Dame zugetraut haette, war das fuer sein Offiziersherz wie eine Herausforderung. Alice merkte es und sagte schnell: "Tun Sie's nicht!" Die Worte stellten sich ihm so eindringlich in den Weg, dass er zweifelnd stehen blieb. Mary aber dahinten auf der Strasse in dem weissen Kleide und dem roten Haar darueber, mit einem so geschwinden und leichten Tanz der Fuesse, dass allein dieser Rhythmus schon lockte, ja, das raubte ihm die Besinnung, das schleuderte ihn in die Bahn, eh' er selbst es wusste. Gerade als Alice zum zweitenmal und ganz verzweifelt rief: "Tun Sie's nicht!" Der helle Streifen da vorn ueber dem Strassenstaub fiel wie Sonne in seine Augen und in seine Phantasie. Er blendete ihn. Er lief ganz bewusstlos weiter. Er lief, als rufe da vorn immerzu jemand: "Fang mich! Fang mich!" Er lief, als gelte es des Lebens hoechsten Preis, sie einzuholen. Sie hatte einen bedeutenden Vorsprung. Gerade das spornte seine ganze Kraft bis zum aeussersten an. Ein Wettlauf ums Glueck mit einer, die gefangen werden moechte. Siedend heiss brauste ihm das Blut in den Ohren, die Begierde wallte auf. Die stuermische Sehnsucht all dieser Tage und Naechte trieb vorwaerts zum Sieg. Wollte endlich einmal reden. Oder richtiger,--da bedurfte es keines Redens; er wuerde sie in seinen Armen haben! Jetzt wandte sie den Kopf,--sah ihn, stiess einen Schrei aus, raffte das Kleid zusammen,--jetzt setzte sie die Fuesse wahrhaftig noch schneller! Er war wie toll. Er hielt ihren Schrei fuer einen Lockruf. Er sah sie nach vorn winken und glaubte, das solle bezeichnen, wo sie stehen bleiben wolle und frei sein. Es hiess also sie einzuholen, bis sie dahin kam. Auch er gab sich den letzten Sporn, und der brachte ihn im Nu dicht in ihre Naehe. Er meinte, ihren Duft zu spueren, bald musste er ihren Atem hoeren. Er war so erregt, dass er gar nicht wusste, er beruehre sie, bis sie sich umsah. Sie liess sofort das Kleid los und nach ein paar Saetzen stand sie still. Sein Arm legte sich um ihre Taille, er gluehte und zog sie leidenschaftlich an sich,--da hoerte er ein sehr bitteres: "Lassen Sie mich los!" Die Atemnot machte es so eigen scharf. Er war ganz entsetzt, dachte aber, er muesse sie stuetzen, bis sie wieder zu Atem gekommen sei, und deshalb hielt er sie fest. Da, mit der gleichen schneidenden Schaerfe der Atemnot: "Sie sind kein Kavalier!" Er liess sie los. Man hoerte Huf schlag, der Wagen kam rasch heran. Die beiden auf dem Bock mussten den Vorgang mitangesehen haben; ihnen hatte sie gewinkt. In seiner blinden Hetze hatte er nur sie gesehen. Jetzt ging sie auf den Wagen zu; sie hielt sich das Taschentuch vors Gesicht; sie weinte. Der Diener sprang vom Bock und oeffnete ihr den Schlag. Er liess sie stehen, trostlos, wie gelaehmt in seinem Denken. Da kam Alice. Sie hatte ihren Schal und Marys Hut in der Hand und ging direkt auf den Wagen zu, ohne ihn zu beachten. Als er zu ihr hin wollte, winkte sie ihm ab. * * * * * Am dritten Tage nach diesem Ereignis liess er sich bei Alice melden. Sie sei nicht zu Hause. Am Tage darauf bekam er denselben Bescheid. Dann musste er auf einige Tage verreisen. Aber sowie er zurueckkam, meldete er sich wieder. Sie sei eben fortgegangen, antwortete der Diener. Da schob er ohne weiteres den Diener beiseite und ging hinein. Alice war ganz in Anspruch genommen von einer Reihe von Kunstgegenstaenden, die auf Tischen und Stuehlen lagen oder standen. "Aber Alice?" sagte er leise und schmerzlich. Sie war erschrocken; doch er gewahrte im gleichen Augenblick ihren Vater hinter ihr. Da tat er, als habe er nichts gesagt, und trat naeher. Die Kunstgegenstaende wurden beiseite gestellt; Franz Roey half dabei. Der Vater verliess das Zimmer. "Aber Alice?" wiederholte Franz Roey nun vorwurfsvoll. "Sie wollen mir doch wohl nicht Ihr Haus verschliessen? Und gerade, wo ich so ungluecklich bin?" Sie antwortete nicht. "Wir sind doch immer so gute Kameraden gewesen und haben uns so gut vertragen!" Sie stand abgewandt und gab keine Antwort. "Selbst wenn ich mich dumm benommen habe, kennen wir beide uns doch zu gut, als dass es uns trennen koennte?"--"Es muss doch Grenzen geben", hoerte er sie sagen.--Er bedachte sich eine Weile: "Grenzen? Grenzen? Aber hoeren Sie mal, Alice, zwischen uns ist doch nichts."--Ehe er weiterreden konnte, warf sie schnell ein: "Es geht doch nicht an, sich im Beisein anderer so zu benehmen!" Sie war feuerrot.--"Ja, was meinen Sie--?" Er verstand sie nicht. Sie wandte sich ab: "Mich im Beisein anderer so zu behandeln ..." ergaenzte sie. "Was muss Mary denken?"--Jetzt erst ging ihm ein Licht auf, dass er sich auch gegen sie, gegen Alice nicht richtig benommen habe; er hatte die ganze Zeit nur an Mary gedacht. Jetzt schaemte er sich. Schaemte sich ganz entsetzlich und ging auf sie zu. "Ich bitte Sie um Verzeihung, Alice, ich war so froh, dass ich nichts ueberlegt habe. Erst jetzt kommt mir das zum Bewusstsein. Verzeihen Sie mir armem Suender! Nein, sehen Sie mich an!" Sie wandte ihm das Gesicht zu, ihre Augen waren ungluecklich und standen voll Traenen; sie begegneten den seinen, die auch ungluecklich, aber flehend waren. Da dauerte es nicht lange, bis ihre und seine eins waren. Er streckte die Arme aus, umarmte sie und wollte sie kuessen; aber das durfte er nicht. "Alice, liebe, suesse Alice, Sie wollen mir doch wieder helfen?"--"Es hat keinen Zweck. Sie zerstoeren alles."--"Ich will fortan jedes bisschen tun, was Sie wuenschen."--"Das haben Sie frueher auch schon versprochen."--"Aber jetzt habe ich zugelernt. Jetzt halte ich es. Auf Ehre!"--"Man kann sich nicht auf Ihre Versprechungen verlassen. Denn Sie haben eben kein Verstaendnis."--"Kein Verstaendnis?"--"Nein, Sie ahnen ja nicht, wie sie ist!"--"Ich gebe zu, dass ich mich getaeuscht haben muss; denn noch in diesem Augenblick ist mir nicht klar, worueber sie so boese wurde."--"Das kann ich mir denken."--"Ja, denn als sie alles hinwarf und fortlief, glaubte ich tatsaechlich, sie tue es, damit ich hinterherlaufe."--"Hoerten Sie denn nicht, dass ich zweimal rief: 'Tun Sie's nicht!'"--"Ja; aber ich verstand auch das nicht."--Alice setzte sich entmutigt hin. Sie sagte nichts mehr; es half ja doch nichts. Er nahm ihr gegenueber Platz: "Erklaeren Sie mir's, Alice! Haben Sie nicht gesehen, wie sie lachte, als ich mit Ihnen davontanzte?"--"Haben Sie noch nicht begriffen, was fuer ein kolossaler Abstand zwischen ihr und uns andern ist?"--"Mary Krog ist nicht anspruchsvoll und nicht uebermuetig. Nicht im geringsten."--"Nein, das ist sie nicht. Sie verstehen mich schon wieder falsch. Waehrend wir andern gewoehnliche Sterbliche sind, die ruhig mal derb angefasst werden koennen, lebt sie in einer Ferne, der bis jetzt niemand auch nur um einen halben Meter naehergekommen ist. Nicht aus Stolz oder aus Einbildung."--"Nein, nein!"--"So ist sie eben. Waere sie nicht so, dann waere sie laengst gekapert und verheiratet. Sie werden doch nicht glauben, dass es ihr an Bewerbern gefehlt hat?"--"Nein, das lasst sich denken."--"Fragen Sie Frau Dawes! Sie fuehrt in ihren tausend Briefen Buch darueber. Sie schreibt jetzt von nichts anderem." "Aber wie ist das zu verstehen, liebe Alice?"--"Das ist ganz leicht zu verstehen. Sie ist freundlich und umgaenglich und gefaellig, was sie wollen. Aber sie lebt in einem Elfenlande, das niemand betreten darf. Darueber wacht sie mit der unverbruechlichsten Sorgfalt und dem feinsten Takt!"--"Also unberuehrbar?"--"Absolut! Dass Sie das noch nicht einmal gemerkt haben!"--"Ich hatte es gemerkt,--aber ich vergass es." Franz Roey sass da, als lausche er in die Ferne. Er hoerte wieder diesen hellen Angstruf, der durch die Luft zitterte, als er ihr naeher kam; er sah das aufgeregte Winken nach dem Wagen, er fuehlte ihren zitternden Koerper, er vernahm den Zornesausbruch, der mit aller Kraft, die sie noch hatte, herausgeschleudert wurde; er sah sie weinend fortgehen. Mit einemmal begriff er! Was fuer ein dummer, brutaler Verbrecher er doch war! Er blieb sitzen, stumm und tief ungluecklich. Aber es lag nicht in seiner Natur, sich zu ergeben. Bald erhellte sich sein Gesicht. "Schliesslich war es doch nur ein Spiel, liebe Alice."--"Fuer sie war es mehr. Daran zweifeln Sie doch auch wohl nicht mehr?"--"Ihr ist schon oefter nachgestellt worden, meinen Sie?"--"Auf alle moegliche Weise!"--"Darum ging die Phantasie mit ihr durch?"--"Natuerlich. Das sahen Sie doch?"--Er schwieg. "Aber hoeren Sie mal, lieber Franz,--war es fuer Sie nicht auch mehr als ein Spiel? War es nicht das Entscheidende?" Er liess beschaemt den Kopf sinken. Dann ging er ein paarmal auf und ab und kam zu ihr zurueck. "Sie ist souveraen. Sie will nicht erobert sein. Ich haette stehen bleiben sollen--?"--"Sie haetten ihr ueberhaupt nicht folgen sollen. Und sie waere jetzt Ihr eigen gewesen." Er setzte sich wie mit einer schweren Last auf den Schultern wieder hin. "Hat sie etwas gesagt?" fragte Alice mit forschendem Blick.--Er haette lieber geschwiegen, aber die Frage wurde wiederholt. "Sie sagte, ich sei kein Kavalier." Alice fand das sehr schlimm. Darauf fragte er, ob Mary zu ihr etwas gesagt habe. Im Wagen? "Kein Wort. Aber ich habe geredet. Ich schalt auf Sie. Tuechtig."--"Sie hat auch spaeter nicht mehr davon gesprochen?" --Alice schuettelte den Kopf. "Ihr Name ist aus dem Woerterbuch gestrichen, mein Freund."---- * * * * * Einige Tage spaeter bekam er einen Rohrpostbrief, der ihn in aller Eile davon unterrichtete, sie seien vormittags elf Uhr wieder in der Ausstellung der Champs Elysees. Als er das Billet bekam, war die Uhr schon elf. Mary war zu Alice gekommen mit der Bitte, sie zu begleiten. Sie solle ihr Urteil ueber eine hollaendische Kuestenlandschaft abgeben, die ihr Vater kaufen wolle. Der Preis erscheine ihnen allen recht hoch, moeglicherweise koenne Alice guenstigere Bedingungen erzielen. Marys Wagen hielt unten. Alice liess sie allein, schrieb eilig an Franz Roey und machte sich dann fertig, was gegen ihre Gewohnheit heute sehr lange Zeit in Anspruch nahm. Sie kamen in die Ausstellung, suchten das Bild auf und gingen ins Bureau, wo sie warten mussten, machten dann ihr Angebot, gaben ihre Adresse auf und begaben sich wieder ins Parterre; denn sie wollten den Athleten suchen. Jetzt stand er da in seiner ganzen maennlichen Kraft. Alice trat zuerst davor hin und rief: "O Gott, das ist ja--" hielt aber inne und wandte sich von Mary ab. Sie besah die Statue von allen Seiten, immer und immer wieder, ohne ein Wort zu sagen. Gerade das, was an Franz Roey auffiel, dass seine Kraft nicht aeusserlich in Muskelkissen sichtbar war, sondern als Spannkraft in dem wohlgeformtesten, geschmeidigen Koerper lag, fand sich hier wieder. Das war Franz Roeys Haltung und seine Kopfstellung, seine breite, schraeg ansteigende Stirn, seine Hand, sein kurzer, kraeftiger Fuss,--alles war hier! Die Statue wirkte wie ein Schlachtgesang. Zum erstenmal fand sie ein Wort dafuer, wie Franz Roey wirkte. Dies hier riss sie mit wie der Rhythmus eines Marsches. Genau das, was sie oft empfunden hatte, wenn sie Franz Roey gehen sah. War diese Aehnlichkeit ein sonderbarer Zufall, oder hatte wirklich Franz Roey ... ihr wurde heiss, und sie musste ein Stueck von der Statue fort--zu einer andern hin. Mary hatte sich die Zeit ueber hinter Alice gehalten, die sie ganz vergessen hatte. Nun, da Alice allein stand, stieg unwillkuerlich die Frage in ihr auf: begreift Mary, was sie sieht? Alice wartete eine Weile, ehe sie zu beobachten anfing. Mary stand jetzt lange unbeweglich vor der Statue mit dem Ruecken nach Alice. Alice wurde neugierig. Sie ging auf einem Umwege zwischen andern Skulpturen hindurch nach drueben, setzte ihr Pincenez auf und sah hin. Marys Augen waren halbgeschlossen, ihre Brust wogte. Sie ging langsam im Kreise um die Statue herum, trat etwas zurueck, kam wieder naeher und blieb halb seitlich davor stehen. Da sah sie sich nach Alice um und erblickte sie, wie das Pincenez gerade auf sie gerichtet war; Alice hielt es sogar noch fest, um deutlicher zu sehen. Man konnte sich nicht taeuschen: Alices Gesicht war ein einziges Schelmenlachen. Es gibt Dinge, von denen keine Frau will, dass eine andere sie versteht: Marys Blut geriet in Wallung; geaergert und gekraenkt, empfand sie Alices Blick wie eine "insulte"--das Wort wurde franzoesisch gedacht. Sie drehte schnell dem Athleten den Ruecken und ging nach dem Ausgang zu. Aber sie blieb hier und da stehen, um sich den Anschein zu geben, als betrachte sie andere Kunstwerke. In Wirklichkeit, um ihrer Erregung Herr zu werden. Endlich hatte sie den Ausgang erreicht. Sie blickte sich nicht um, ob Alice nachkomme; sie ging in die Vorhalle hinaus und von da weiter. Aber gerade, als sie draussen stand, kam Franz Roey dahergestuermt. So eilig, als sei er hinbestellt und habe sich verspaetet. Franz Roey riss den Hut vom Kopf, bekam aber kein Nicken als Antwort, nur ein paar kuehle Augen. "Aber nein, jetzt muessen Sie auch nicht mehr boese sein!" sagte er gutmuetig und knabenhaft in seinem breitesten Ostlaendisch. Sie taute auf, ja, sie konnte nicht anders, sie laechelte sogar und war tatsaechlich nahe daran, seine ausgestreckte Hand zu fassen,--als sie sah, wie seine Augen blitzschnell an ihr vorbeiglitten und mit einem ganz, ganz kleinen Triumph wieder zurueckkehrten. Da wandte auch sie den Kopf und begegnete Alices Augen. In ihnen lag eine ganze Welt von Schelmerei und Freude. Eine abgekartete Sache also! Da ging eine Verwandlung mit Mary vor. Wie von der hoechsten Kirchturmspitze blickte sie auf die beiden hinunter--und liess sie stehen. Ihr Wagen hielt in einiger Entfernung; sie winkte, und er kam in grossem Bogen heran. Ihr Vater hatte auf seinem Wagen keinen Diener; sie machte sich selbst den Schlag auf, ehe Franz Roey hinzuspringen konnte. Sie stieg ein, als sei kein Mensch da. Von ihrem Sitz aus sah sie sich nach Alice um,--an Franz Roey vorbei. Die korpulente Alice kam langsam herangewatschelt. Schon von weitem war zu sehen, dass sie einen harten Kampf mit unterdruecktem Lachen zu bestehen hatte. Und als sie herangekommen war und Mary vornehm dasitzen sah, den Kopf nach der andern Seite gewandt, waehrend auf dieser Seite Franz Roey, der Riese, wie ein verdonnerter Rekrut stand, da konnte sie sich nicht laenger halten, sie brach in ein Gelaechter aus, das ihre ganze behaebige Person von Grund auf erschuetterte. Sie lachte, dass ihr die Traenen ueber die Backen liefen. Sie lachte so, dass sie nur mit Not und Muehe und nicht ohne Hilfe das Trittbrett fand und sich hinaufzog. Sie sank laut lachend neben Mary auf den Sitz, dass der Wagen wackelte. Sie hielt das Taschentuch vors Gesicht und prustete hinein. Sie sah Marys purpurrotes Beleidigtsein und Franz Roeys blasses Entsetzen, sie lachte nur immer mehr. Sogar der Kutscher musste mitlachen; er wusste den Teufel warum. So fuhren sie ab. Wieder eine missglueckte Expedition nach den kuehnsten Hoffnungen! Es dauerte lange, bis Alice etwas sagen konnte. Natuerlich fing sie damit an, Franz Roey zu bedauern. "Du bist zu streng gegen ihn, Mary. Gott, wie ungluecklich er aussah!" Und wieder ueberkam sie das Lachen. Mary aber, die die ganze Zeit ueber dagesessen und nur auf eine Gelegenheit gewartet hatte, brach jetzt los: "Was geht mich Dein Protege an?" Und als sei das nicht genug, beugte sie sich vor und sah in Alices lustige Augen hinein. "Du verwechselst uns beide wohl. Du bist selbst in ihn verliebt. Meinst Du, ich habe das nicht lange gesehen? Ihr muesst ja selbst am besten wissen, in was fuer einem Verhaeltnis Ihr zueinander steht. Mich geht es nichts an. Aber das 'Sie', an dem Ihr festhaltet,--ist doch wohl nur ein Deckmantel?" Alices Lachen erstarb. Sie wurde blass, so blass, dass Mary erschrak. Mary wollte die Augen wieder abwenden, konnte es aber nicht. Alices Augen hielten sie waehrend des schmerzlichen Ueberganges fest, bis sie erloschen. Da sank Alices Kopf mit einem langen, schweren Seufzer hintenueber. Wie das Stoehnen eines verwundeten Tieres. Mary sass daneben, erschrocken ueber den eigenen Schuss. Aber es war geschehen. Unerwartet und hastig hob Alice den Kopf und liess den Kutscher halten. "Ich muss in dies Hotel." Der Wagen hielt, sie oeffnete die Tuer, stieg aus und schloss sie hinter sich. Mit einem langen Blick auf Mary sagte sie: "Good bye!"--"Good bye!" war die leise Antwort. Beide fuehlten, es war fuer immer. Mary fuhr weiter. Sowie sie zu Hause war, ging sie geradenwegs in den Salon; sie wollte ihrem Vater etwas sagen. Schon draussen vor der Tuer hoerte sie Klavierspiel und wusste, dass Joergen Thiis da war. Aber das hielt sie nicht zurueck. In Hut und Sommermantel stand sie ploetzlich unerwartet im Zimmer. Joergen Thiis sprang vom Klavier auf und ging ihr entgegen, seine Augen waren voll Bewunderung; sie gluehte naemlich vor Erregung. Aber etwas Stolzes und Abweisendes in all dem Funkeln bewirkte, dass er es aufgab, sich ihr zu naehern. Da bekamen seine Augen das Saugende, Gierige, das sie so tief verabscheute. Mit leichtem Gruss ging sie an ihm vorbei auf den Vater zu. Er sass wie gewoehnlich in einem grossen Stuhl mit einem Buch auf den Knien. "Du Vater, was meinst Du, wollen wir jetzt nach Hause reisen?" Alle Gesichter hellten sich auf. Frau Dawes rief: "Denk nur, Joergen Thiis hat gerade gefragt, wann wir reisen; dann will er mit."--Mary wandte sich nicht zu Joergen Thiis, sondern fuhr fort: "Ich glaube, das Schiff faehrt morgen von le Havre ab."--"Ja, ganz recht," antwortete ihr Vater, "aber bis dahin werden wir wohl nicht fertig?"--"Doch, das werden wir," sagte Frau Dawes, "wir haben ja den ganzen Nachmittag."--"Ich will mit Vergnuegen helfen", sagte Joergen Thiis. Dafuer bekam er einen freundlichen Blick von Mary, ehe sie ueber den Preis Bericht erstattete, den Alice fuer die hollaendische Kuestenlandschaft, die ihr Vater haben wollte, angesetzt hatte. Dann ging sie hinaus, um ihre eigenen Sachen einzupacken. Sie trafen sich alle vier um halb acht im Hotel beim Diner. Mary fand sich, etwas abgespannt, auch ein; Joergen Thiis ging ihr entgegen und sagte: "Gnaediges Fraeulein haben doch diesmal Franz Roey kennen gelernt?"--Der Vater und Frau Dawes waren ganz Aufmerksamkeit; sie verrieten dadurch, dass Joergen soeben mit ihnen darueber gesprochen haben musste. Immer wenn sie die Bekanntschaft eines Herrn machte, bekamen naemlich die beiden Angst. Mary wurde rot; sie fuehlte es, und daher vertiefte sich das Rot noch. Die beiden starrten sie an. "Ich habe ihn bei Miss Clerq gesehen", antwortete Mary. "Miss Clerqs Mutter und sie sind mehrere Sommer in Norwegen gewesen und dort mit Franz Roeys Familie zusammengetroffen; sie sind aus einer Stadt. Soll ich noch weitere Aufklaerungen geben?" Joergen Thiis erschrak. Die andern starrten sie an. Er sagte eilig: "Ich habe gerade zu Ihrem Vater und zu Frau Dawes gesagt, dass unter uns juengeren Offizieren Franz Roey als der beste gilt, den wir ueberhaupt haben. Ich habe es also nicht boese gemeint."--"Das habe ich auch nicht von Ihnen gedacht. Aber wenn ich selbst von dieser Bekanntschaft hier nicht gesprochen habe, darf es auch von keinem Fremden zugetragen werden, finde ich."--Ganz erschrocken sagte Joergen Thiis, dass ... dass ... dass er keine andere Absicht dabei gehabt habe als, als, als ... "Das weiss ich", schnitt sie ihm das Wort ab. Dann gingen sie zusammen hinunter. Bei Tisch--sie hatten einen fuer sich allein--nahm Joergen Thiis das Thema natuerlich wieder auf. Das koenne nicht so abgetan werden. Die Offiziere, sagte er, bedauerten, dass Franz Roey zum Geniekorps uebergegangen sei. Er sei ein hervorragender Stratege. Ihre Uebungen, sowohl die theoretischen wie die praktischen, haetten ihm Gelegenheit gegeben, sich auszuzeichnen. Joergen fuehrte Beispiele an, die sie aber nicht verstanden. Da wartete er mit Anekdoten ueber Franz Roey auf. Aus dem Leben mit den Kameraden, aus seinem Beruf. Die sollten beweisen, wie beliebt und wie schneidig er sei; Mary aber fand, sie bewiesen eher, wie jungenhaft er sei. Joergen trat also den Rueckzug an: er habe es nur erzaehlen hoeren; Franz Roey sei ja aelter als er. "Wie finden Sie ihn denn?" fragte er ploetzlich sehr unschuldig. Mary zoegerte, die aendern blickten auf. "Er redet so sehr viel."--Joergen lachte. "Ja, was soll er machen? Er hat soviel Kraft."--"Muss die sich an uns andern auslassen?" Darueber lachten sie alle, und damit war die Spannung geloest, in der bis jetzt alle befangen waren. Krog und Frau Dawes fuehlten sich sicher vor Franz Roey. Auch Joergen Thiis. Sie kamen um halb neun wieder nach oben. Mary entschuldigte sich,--sie sei muede. Von ihrem Zimmer aus hoerte sie Joergen Thiis spielen. Sie lag und weinte. * * * * * Der naechste Abend auf dem weiten, stillen Meer. Es daemmerte leise der Sommernacht entgegen; zwei Rauchsaeulen in der Ferne,--sonst nichts. Ein ununterbrochenes helles Grau oben und unten. Mary lehnte sich an die Reeling. Kein Mensch weiter war zu sehen; das Stampfen der Maschine war der einzige Laut. Sie war eben unten beim Konzert gewesen, war aber vor den andern nach oben gegangen. Ein Gefuehl unsaeglicher Einsamkeit trieb sie hinauf zu diesem inhaltlosen Ausblick. Ueberall Wolken als Grenze. Nichts als Wolken; nicht einmal ein Widerschein der untergegangenen Sonne. Was war ihr selbst von dem Glanz der Welt geblieben, aus der sie kam? War nicht in ihr und um sie herum die gleiche Leere? Das Wanderleben war jetzt vorbei; weder ihr Vater noch Frau Dawes konnten oder wollten es fortsetzen; das wusste sie. In der Bucht, wo sie wohnten, war kein Nachbar, an dem ihr lag. In der Stadt eine halbe Stunde davon kein Mensch, an dem sie hing. Sie hatte sich keine Zeit dazu gelassen. Sie war nirgends heimisch. Ihr Leben war keins, das aus der Scholle herauswaechst und mit allem verknuepft ist, was daran haengt. Wo sie hinkam, schien die Unterhaltung zu stocken, damit ein anderes Thema, das ihr angepasst war, aufgenommen werden konnte. Die Globetrotter, die mit ihr durch die Welt zogen, sprachen von Reiseerlebnissen, von Museen und Musik an den Orten, die sie zusammen aufgesucht hatten. Manchmal auch ueber Probleme, die mit ihnen schwammen, wohin sie auch fuhren. Aber kein einziges darunter, das ihr nahe ging. Die Redensarten, auf die es ankam, konnte sie auswendig. Es war eigentlich eine Art Sprachuebung oder ein zweckloses, muessiges Geschwaetz. Die Huldigungen, die ihr dargebracht wurden, und die bisweilen in einen Kultus ausarteten, fingen schon an, als sie noch ein Kind war und es fuer Spiel ansah. Spaeter war es ihr so zur Gewohnheit geworden wie die Touren eines Kontres. Ein einzelner Zwischenfall, der die ganze Familie in Aufregung gebracht hatte, ein paar Faelle, die weh getan hatten, waren laengst vergessen; das ganze war jetzt Alltaeglichkeit ohne Ernst. Sie stand einsam und mit leeren Haenden da. Es ging ein Zucken durch ihren Koerper, als ihr Franz Roeys riesige Gestalt vor Augen trat. So deutlich, so scharf in allen Einzelheiten, dass ihr war, als koenne sie sich nicht vom Fleck ruehren. Er war nicht wie die anderen. Hatte das sie in Aufregung gebracht? Bei dem blossen Gedanken an ihn zitterte sie. Ohne dass sie es wollte, stand Alice neben ihm in ihrer ueppigen Luesternheit, mit frivolen Augen ... In was fuer einem Verhaeltnis standen die beiden? Es wurde ihr dunkel vor den Augen, es stach, es kochte in ihr. So stand sie und weinte. Sie hoerte ein dumpfes Brausen von etwas Gewaltigem. Sie wandte sich nach der Richtung. Ein Ozeansteamer kam ihnen entgegen, so unvermutet und so ungeheuer gross, dass sie den Atem anhielt. Er wuchs aus dem Meer heraus ohne Warnungssignal. Er schoss in rasender Fahrt auf sie zu, wurde groesser und immer groesser, ein Feuerberg von grossen und kleinen Lichtern. Unter schaeumendem Brausen kam er und zog er vorbei. Nur einen Augenblick, und er war ein Bild in der Ferne. Wie das sie ergriff! Dies vorueberrauschende Leben, das von Erdteil zu Erdteil eilt, voll Arbeit und Gedanken in ewigem, fruchtbarem Austausch. Waehrend sie hier in einer kleinen Tonne umherschwamm, die von den Wellen des Weltkolosses geschaukelt wurde, dass man sich festhalten musste. Sie stand wieder allein in der grossen Wueste. Wie verraten. Es war doch wie ein Verrat, wenn alles, was sie in drei Erdteilen gesehen und gehoert hatte an Volksleben und Festen, kirchlichen wie nationalen, an Kunstwerken und an Musik,--gewissermassen zurueckblieb, wo sie es gesehen und gehoert hatte, waehrend sie einsam in einer unheimlichen, bewegungslosen Einoede stand. * * * * * Daheim Es kam erstaunlich anders. Schon als sie an Land stieg, sah sie bei Jung und Alt die ungeheucheltste Freude ueber das Wiedersehen. Alle Gesichter strahlten. Ebenso auf dem Wege zum Marktplatz; jeder freute sich; jeder gruesste. Waehrend sie keinen Gedanken fuer diese Leute gehabt hatte, hatten sie ihrer gedacht. Vom Haus am Markt wollten sie spaeter am Tage mit dem Kuestendampfer nach Krogskog weiterfahren. In der Zwischenzeit bekamen sie Besuch von ihren Verwandten. Die mussten ihnen doch sagen, wie froh sie seien, sie endlich wiederzusehen. Sie mussten auch von der Freude berichten, die das spanische Bild Marys hervorgerufen hatte, erst hier, dann in der Hauptstadt und jetzt auf einer Rundreise durch das Land mit anderen Bildern. Man schreibe,--ja, sie habe doch gelesen, was man schreibe?--Nein, sie habe ueberhaupt keine Zeitungen gelesen, nur hier und da ein Blatt, das an ihrem jeweiligen Aufenthaltsort erschienen sei. "Liest Du denn keine hiesigen Zeitungen?"--"Doch, wenn Vater sie mir zeigt." Ob ihr denn ihr Vater nichts davon erzaehlt habe, und Frau Dawes auch nicht?--"Nein."--"Ja, nun sei sie in ganz Norwegen bekannt. Dies sei doch das dritte Bild von ihr; oder gar das vierte? Und dies sei das schoenste. Die illustrierten Zeitschriften haetten es gebracht. Ein englisches Kunstjournal, "The Studio", habe es auch reproduziert. Ob sie das nicht wisse?"--"Nein."--Die Jugend sei ganz stolz auf sie. Darum haetten sie mit ihrem Fruehlingsfest bis zu ihrer Heimkehr gewartet. "Da soll Staat mit Dir gemacht werden."--"Mit mir?"--"Wir wollen nach Marielyst, der Dampfer von hier und einer aus der Nachbarstadt, wir treffen uns dort. Joergen Thiis hat von Paris aus den ganzen Plan entworfen."--"Joergen Thiis?"--"Ja, hat er nichts davon gesagt?"--"Nein." Kaum war sie allein, so ging sie zu ihrem Vater ins Zimmer, der im Begriff war, einige Kunstgegenstaende auszupacken, die er gekauft hatte, und die hier aufgestellt werden sollten. "Vater, hast Du die Bilder von mir ausstellen lassen?" Er laechelte und sagte unschuldig: "Ja, allerdings habe ich das getan, liebes Kind. Und viele haben ihre Freude daran gehabt. Man hat mich uebrigens darum gebeten. Man hat mich jedesmal darum gebeten." Er sagte es so nett. Dass er ihr nichts davon gesagt hatte und auch Frau Dawes und gleichzeitig wohl auch Joergen Thiis es verboten hatte, fand sie reizend. Sie tat etwas, was sie sonst sehr selten tat, sie ging hin und gab ihm einen Kuss. Also das war es, worueber ihr Vater so eifrig mit Frau Dawes und Joergen Thiis getuschelt und gefluestert hatte? Deshalb waren die Zeitungen aus der Heimat ihr vorenthalten worden. Alles war verabredet,--sogar der Vorschlag, gerade jetzt nach Hause zu reisen! Sie hatte Joergen Thiis beinahe lieb. Als sie nach Krogskog abfuhren, hatte sich eine Menge Jugend auf der Bruecke eingefunden. Sie riefen: "Auf Wiedersehen am Sonntag!" Sie fand die Landschaft hinreissend schoen. Die kleine halbe Stunde bis Krogskog war wie ein Begruessen guter alter Bekannter, ein fortwaehrendes Begruessen. Jetzt war auch die partielle Verlegung der Strandstrasse an der Kueste entlang fertig. Es war wirklich lustig, wie sie sich um die Landzungen herumschlaengelte und oft in die Felsen hineinschnitt. Ueber Krogskog fuehrte der Weg wie frueher durch die Ebene von einer Landspitze zur andern, dicht an der Landungsbruecke vorbei und dicht unter der Kapelle mit dem Kirchhof. Nein, wie behaglich Krogskog dalag: Sie hatte behalten, wie einsam es lag; aber sie hatte vergessen, wie reizvoll es war! Diese stille, blanke Bucht mit den Seevoegeln! Das Gekraeusel da hinten, wo der Fluss muendete, die grosse Ebene hoch oben zwischen den Huegeln, und die Hoehen so gruenbewachsen. Waren die Baeume vor dem Wohnhause wirklich nicht hoeher? Wie gut sich das langgestreckte Haus machte mit den schwarzen Fenstern und der schwarzen Grundmauer. Aus dem einen Schornstein stieg dichter Rauch auf; er wirbelte ein lustiges Willkommen in die Luft. Sie sprang vor den andern an Land und lief hinueber. Ein Maedchen von neun, zehn Jahren kam heruntergerannt, blieb, als sie Mary gewahrte, stehen, machte Kehrt und rannte all was sie konnte zurueck. Mary aber holte sie vor der Treppe ein. "Jetzt hab' ich Dich!" sie drehte sie zu sich herum: "Wie heisst Du?" Es war ein hellhaariges, lachendes Ding, das nicht antwortete. Auf der Treppe standen die Maedchen und eine von ihnen sagte, sie heisse Nanna und sei hier Laufmaedchen. "Dann sollst Du mein Maedchen sein!" sagte Mary und nahm sie die Treppe mit hinauf. Sie nickte jeder einzelnen zu, merkte aber, wie enttaeuscht sie waren, als sie eilig weiterging, ohne mit ihnen zu sprechen. Sie sehnte sich danach, den Fuss auf die dicken Teppiche zu setzen, die seltsame Beleuchtung im Vorzimmer um sich zu fuehlen, die grossen, kostbaren Schraenke und alle Malereien und Raritaeten aus der hollaendischen Zeit wiederzusehen. Sie sehnte sich mehr noch danach, hinauf in ihr eigenes Gemach zu kommen. Diese Lautlosigkeit auf der Treppe und nachher auf dem langen, daemmerigen Gang--die hatte nie ein solches Fluesterspiel mit ihr getrieben wie heute. Etwas Weiches, Halbverstecktes, Vertrautes und Nahes zugleich. Das redete noch zu ihr, als sie vor der Tuer zu ihrem Zimmer stand, es hielt sie so fest, dass es eine Weile dauerte, bis sie die Tuer oeffnete. Ah, der Raum lag in vollem Sonnenlicht, es kam von dem Fenster an der Laengswand, das auf die andern Haeuser und auf die Anhoehe hinausging. Blasseres Licht vom Fenster gerade gegenueber, das auf den Obstgarten und drunten auf die Bucht sah. Die blinkte durch die Baeume. Ueber den Baeumen sah man die Inseln und das hellgraue Meer. Vom Huegel aber, der im schoensten Blueten- und Laubschmuck stand, zog Fruehlingsduft herein. Das Zimmer selbst in seiner weissen Reinheit lag da wie ein Schoss, der all dies aufnahm. Hier drinnen scharte sich alles ehrerbietig um das Bett, das mitten in der Stube stand. Es war nicht nur wie fuer eine Prinzessin; es war die Prinzessin selber; alles andere neigte sich davor. * * * * * Der Ausflug nach Marielyst war in jeder Beziehung wohlgelungen. Aber an dem Tage kam zwischen Mary und Joergen eine Verstimmung auf. Das ging so zu. Joergen Thiis kam mit einer grossen, starken Dame an Bord--ihre breite Stirn, die warmen Augen, die kleine Nase und das vorspringende Kinn trieben ein leichtes Rot in Marys Wangen, das sie zu verbergen suchte, indem sie sich erhob und fragte: "Sie sind doch die Schwester des Hauptmanns im Geniekorps Franz Roey?"--"Ja", antwortete Joergen Thiis; "wir haben der Sicherheit halber einen Arzt mitgenommen." ---Mary: "Das freut mich sehr; ich habe natuerlich durch Ihren Bruder von Ihnen gehoert. Er hat Sie sehr lieb."--"Das tun wir ueberhaupt alle", versicherte Joergen Thiis und entfernte sich. Fraeulein Roey selbst hatte nichts gesagt, aber ihre forschenden Augen ueberstroemten Mary mit Bewunderung. Jetzt setzte sie sich neben sie. "Bleiben Sie lange daheim?"--"Das weiss ich nicht. Vielleicht reisen wir ueberhaupt nicht mehr; mein Vater ist zu schwach."--Fraeulein Roeys kluge Augen notierten das foermlich. Sie sagte eine ganze Weile nichts mehr. Mary aber dachte bei sich: wie taktvoll, dass sie nicht von ihrem Bruder anfaengt. Die beiden gingen waehrend des Ausflugs einander nicht von der Seite. Sie standen auch zusammen, als nachher im Freien Erfrischungen gereicht und Reden gehalten wurden. Die Festfreude stieg Joergen Thiis zu Kopf. Man kam zu ihm und stiess mit ihm an, und er wurde sentimental und redete. Auf das Ideal, das ewige Ideal. Gluecklich der Mann, dem es schon in seiner Jugend begegne! Er trage es in seiner Brust wie einen wegweisenden, unausloeschbaren Scheinwerfer auf dem Pfade des Lebens!--Er trank das Glas bis zum Grunde aus und schleuderte es bleich und bewegt zu Boden. Dieser fuerchterliche Ernst kam den froehlichen Menschen so unerwartet, dass sie lachen mussten. Alle miteinander! Fraeulein Roey sagte zu Mary: "Sie sind doch viel mit Leutnant Thiis zusammen gewesen?"--"Diesen Winter und im vorigen auch", antwortete Mary leichthin und ass ihr Eis. Ein junges Maedchen stand daneben. "Es ist eine merkwuerdige Sache mit Joergen Thiis", sagte sie. "Zu uns ist er so nett; aber gegen die Soldaten soll er so schlecht sein." Erstaunt wandte Mary sich zu ihr um. "Wieso schlecht?"--"Er soll sie so quaelen, soll so furchtbar streng sein und so ganz sonderbar, und um das kleinste strafen." Mary richtete ihre allergroessten Augen auf Margrete Roey. "Ja, das ist Tatsache", antwortete die leichthin; sie ass auch ihr Eis. Als gegen Abend der Tanz zu Ende war und sie zum Schiff hinunterzogen, Mary an Joergens Arm, da sagte sie zu ihm: "Ist es wahr, dass die Mannschaften Ihres Kommandos ueber Sie klagen?"--"Das kann schon sein, gnaediges Fraeulein." Er lachte.--"Ist das zum Lachen?"--"Ja, zum Weinen jedenfalls nicht, gnaediges Fraeulein", er war so recht vergnuegt, er haette sie am liebsten in den Arm genommen und waere mit ihr nach der Landungsstelle hinunter getanzt; das taten viele andere auch. Aber Mary weigerte sich. "Mir hat es weh getan, das zu hoeren", sagte sie. Da merkte er, dass es ihr Ernst war. "Ich will Ihnen sagen, gnaediges Fraeulein, der Norweger weiss im grossen und ganzen nicht, was Gehorsam und Disziplin sind. In der kurzen Zeit, da wir ihn unter unserm Kommando haben, muessen wir es ihm beibringen."--"Auf welche Weise?"--"Mit Kleinigkeiten natuerlich."--"Indem Sie ihn mit Kleinigkeiten quaelen?"--"Ja. Ganz recht."--"Mit Dingen, deren Notwendigkeit er nicht einsieht?"--"Ja gewiss. Er soll sich das Raesonnieren abgewoehnen. Er soll gehorchen. Und das, was er tut, soll er korrekt tun. Absolut korrekt." Mary antwortete nicht. Aber als jetzt ein Paar an ihre Seite kam, sprach sie mit denen und setzte das fort, bis sie die Landungsbruecke erreicht hatten. Auf dem Schiff sah sie, dass Joergen Thiis verstimmt war. Als sie von Bord gingen, stand er nicht an der Landungsbruecke. Ohne jede Verabredung begleitete die ganze Gesellschaft sie heim nach dem Haus am Markt. Sie sangen und laermten vor der Tuer, bis sie auf den Altan heraustrat und Blumen ueber sie streute,--die mitgebrachten und alle, die sie irgend fand. Sie gingen lachend und geraeuschvoll auseinander. Aber als sie von dannen zogen, suchte sie unter ihnen nach Joergen; er war nicht da. Das tat ihr leid; sie hatte ihm einen der schoensten Tage ihres Lebens schlecht gelohnt. Alle waren so reizend zu ihr gewesen. Groessere und kleinere gesellschaftliche Zusammenkuenfte loesten jetzt einander ab; aber Joergen Thiis war verschwunden. Zuerst war er eine Zeitlang daheim bei seinen Eltern gewesen, jetzt war er in Kristiania. Mary hatte nie weiter an Joergen Thiis gedacht; aber nun, da er sich fernhielt, besann sie sich darauf, wieviel von jenen schoenen Begegnungen mit ihren Altersgenossen auf sein Konto kam. Der wunderliche Toast, den er auf die "Treue gegen das Ideal" ausgebracht hatte, ... als er sprach, da hatte sie nur gedacht: wie sentimental Joergen Thiis doch sein kann! Jetzt dachte sie: vielleicht galt das mir? Sie war an solche Uebertreibungen gewoehnt, und sie machte sich absolut nichts aus Joergen Thiis. Aber wenn sie ueberlegte, wie rasend verliebt er schon bei ihrem ersten Zusammentreffen gewesen war, und dass er in all diesen Jahren genau so geblieben war, wann und wo sie sich auch begegneten, da wurde das doch ein wenig mehr. Die gierigen, verzehrenden Augen bekamen dadurch beinahe etwas Ruehrendes. Dass er es nicht ertrug, mit ihr zusammen zu sein, wenn sie das geringste gegen ihn hatte, bewies ja auch, wie gern er sie hatte. Dass er nichts sagte, sondern einfach fortblieb, gefiel ihr. Da kam eines Tages Mille Falke, die huebsche, sanfte Frau des lungenkranken Oberlehrers, zu ihr heraus. Sie habe einen Brief von Joergen Thiis bekommen. Eine Gesellschaft von zehn Personen in Kristiania habe eine Fahrt nach dem Nordkap geplant. Sie haetten schon vor zwei Monaten die Plaetze bestellt,--und jetzt sei etwas dazwischen gekommen. Man habe Joergen Thiis gefragt, ob er nicht die Billets uebernehmen und zehn Personen heranholen koenne, um mit ihnen diese herrliche Fahrt zu machen. Unten in den Kleinstaedten lebe man in besserer Kameradschaft, da sei es leichter, eine solche Gesellschaft zusammenzubringen. Joergen Thiis habe sich bereit erklaert,--wenn Mary Krog dabei sein wolle; er wisse, dann bekomme man die andern schon zusammen. Frau Falke setzte Mary das in ihrer Schmeichelkatzenart auseinander, der nur wenige widerstehen konnten. Mary hatte freilich nicht die geringste Lust, in der Sommerhitze auf dem Deck eines Dampfers zu sitzen und alles abzubrechen, was hier unternommen wurde; es war gar zu nett. Aber sie wollte Joergen Thiis nicht gern noch einmal kraenken. Sie sprach mit ihrem Vater und mit Frau Dawes: sie hoerte noch einmal Frau Falke an--und willigte ein. In der ersten Haelfte des Juli versammelte sich die Gesellschaft eines Nachts an Bord eines Kuestendampfers, der sie nach Bergen bringen sollte. Von dort wollte man die Reise antreten. Es waren sechs Damen und vier Herren. Eine der Damen war die wuerdige Vorsteherin der Schule, die Mutter des einen Herrn und die ehemalige Lehrerin von drei der Damen. Sie war das moralische Zentrum. Dann war ein jungverheiratetes Paar da, das die ganze Reise ueber geneckt wurde. Es lohnte sich; denn beide waren sehr lebhaft und gaben es reichlich zurueck. Ein junger Kaufmann schnitt zwei Damen die Kur--behauptete man wenigstens--ohne sich klar zu werden, welche er am liebsten mochte. Das zu entscheiden, half ihm die ganze uebrige Gesellschaft; die beiden Damen am eifrigsten. Ein junger Philologe wurde gleich in der ersten Nacht auf dem Kuestendampfer "der Verlassene" getauft. Mit Ausnahme der alten Dame machten alle anderen einen furchtbaren Radau, und keiner tat ein Auge zu. Er allein konnte nicht tanzen und auch nicht singen und auch nicht die Kur schneiden. Er konnte nicht mal vertragen, wenn man ihm den Hof machte, dann wurde er naemlich verlegen. Die Folge war, dass alle, auch Mary, "dem Verlassenen" den Hof machten, bloss um sich an seinem jaemmerlichen Zustand zu weiden. Der Urheber dieser Scherze war immer Joergen Thiis; er neckte so leidenschaftlich gern. Seine Erfindungsgabe in dieser Beziehung konnte man nicht immer frei von Bosheit nennen. Im Anfang ging er frei aus. Aber nach und nach wagte sich sogar "der Verlassene" an ihn heran. Ueber seinen Appetit, seine Herrschsucht und besonders ueber seine untertaenige Dienerrolle Mary gegenueber wurde allgemein gestichelt. Mary hatte die wachsamen Augen der Krogs fuer Uebertreibungen, so dass sie mitlachte, auch wenn es ueber die Untertaenigkeit gegen sie herging. Er liess sich nicht im geringsten stoeren. Er ass genau soviel, war genau so pedantisch als Fuehrer der Gesellschaft und blieb unerschuetterlich Marys erfinderischer, unablaessig hilfsbereiter Diener. Das Schiff war voll Passagiere; darunter viele Auslaender. Aber die froehliche Gesellschaft von Joergen Thiis wurde der Mittelpunkt. Die Natur machte so haeufig Anspruch auf die Bewunderung der Reisenden, dass nicht allzu grosse Reibungen vorkamen. Es war, als werde etwas Gewaltiges vorgetragen. Ein Wunder loeste das andere ab. Dazu kam der lange Tag. Die Naechte wurden immer kuerzer; schliesslich gab es ueberhaupt keine Nacht mehr. Sie fuhren in lauter Licht hinein, und das berauschte. Sie wurden nicht muede. Sie tranken, sie tanzten und sangen; schliesslich waren sie alle auf denselben Ton gestimmt. Es wurden Vorschlaege gemacht, die sonst unmoeglich gewesen waeren; in die Wildheit der Landschaft, in den Rausch von Licht passten sie hinein. Als Mary eines Tages bei starkem Sturm ihren Hut verloren hatte, sprangen zwei Herren ihm nach. Der eine war natuerlich Joergen Thiis. Die Gemueter waren hoch ueber den Alltag hinaus gespannt. Wenn einer oder der andere muede wurde, schlief er Tage und Naechte durch. Aber die meisten hielten aus, jedenfalls solange es vorwaerts ging. Unter ihnen Mary. Joergen Thiis hatte es durch seine ehrerbietige Energie dahin gebracht, dass alle Leute Mary mehr oder weniger genau so behandelten wie er selbst. Es kam auch nicht die geringste Stoerung vor, was besonders ihrer eigenen formvollendeten Art und ihrer aufmerksamen Ruecksichtnahme zu danken war. Als sie von Bord gingen und wieder den Kuestendampfer bestiegen, forderte sie aus dem Gefuehl aufrichtiger Dankbarkeit Joergen Thiis auf, mit ihr nach Krogskog zu kommen. "Ich kann nicht so ploetzlich Schluss machen", sagte sie. Und er blieb mehrere Tage dort. Alles fand er schoen und behaglich. Der Kunstsinn, der ihm eigen war, ging mehr aufs kleine; er schwaermte z.B. fuer ethnographische Schnurrpfeifereien, und deren gab es hier eine Menge. Die Zimmer und ihre Einrichtung waren so ganz nach seinem Geschmack. Frau Dawes, der gegenueber er frei heraus redete, vertraute er sich an; dies Behagliche, Gedaempfte stimme ihn erotisch, sagte er. Er phantasierte viele Stunden lang auf dem Klavier; und immer in dieser Richtung. Mary behandelte er unter vier Augen mit der gleichen Ehrerbietung wie in Gegenwart anderer. Seit sie ihn kannte, hatte sie nicht ein einziges Wort von ihm gehoert, das als Einleitung zu einer Werbung aufgefasst werden konnte; ja nicht einmal ein Wort, das eine Einleitung zur Einleitung haette darstellen koennen. Und das gefiel ihr. Sie streiften zusammen durch Wald und Feld; sie ruderten zusammen zum Besuch bei Verwandten. Er hatte den Schluessel zu ihrem Badehaus. Er ging hin, wenn noch keiner auf war, oft nach ihren Spaziergaengen noch einmal. Mary selbst war umgaenglicher geworden. Er sagte es einmal. "Ja," antwortete sie, "die jungen Menschen hier leben mehr wie ein Geschwisterkreis zusammen und sind daher anders, freier und frischer. Das hat mich angesteckt." Eines Morgens musste er zur Stadt und Mary begleitete ihn. Sie wollte Onkel Klaus, seinen Pflegevater, besuchen. Sie hatte ihn, seit sie heimgekommen war, noch nicht gesehen. Er sass in einer Rauchwolke wie eine Spinne in ihrem grauen Netz. Er sprang auf, als er Mary eintreten sah, war beschaemt und fuehrte sie in die gute Stube. Joergen hatte Mary darauf vorbereitet, dass er schwerlich guter Laune sei; er habe wieder kleine Verluste gehabt. Sie sassen auch kaum in der kahlen, steifen guten Stube, als er anfing, ueber die schlechten Zeiten zu klagen. Wie seine Art war, machte er den Ruecken krumm und spreizte die Beine auseinander, um die Ellbogen auf die Knie stuetzen und die langen Finger gegeneinander stemmen zu koennen.--"Ja, Sie haben es gut; Sie amuesieren sich bloss!" Vielleicht wollte er das wieder gutmachen. Er sagte: "Ich habe nie ein schoeneres Paar gesehen!" Joergen lachte, wurde aber rot bis an die Schlaefen. Mary sass unbeweglich; es beruehrte sie nicht. Joergen begleitete sie zurueck nach dem Krogschen Haus am Markt, das dicht daneben lag. Er sagte unterwegs kein Wort und verabschiedete sich fluechtig. Spaeter kam Nachricht von ihm, er muesse bis zum Abend in der Stadt bleiben; dann fahre er mit seinem Rade nach Krogskog hinaus. Das war gegen die Verabredung; aber sie fuhr heim. Auf der Dampferfahrt nach Hause nahm sie den Gedanken auf: Joergen Thiis und sie ein Paar? Nein! Das war ihr noch nie in den Sinn gekommen. Er war ein schoener eleganter Kerl, ein tadelloser Kavalier, ein wirklicher Kuenstler auf dem Klavier. Ueber seinen hellen Kopf und seinen Takt war nur eine Meinung. Selbst das, was sie frueher so abgestossen hatte, seine Genusssucht, die in Blick und Mienen auftauchen und ihnen dies Verzehrende geben konnte, von dem sie sich abwandte ... vielleicht war von dieser Grundlage aus das andere kultiviert worden? Das Gefuehl fuer das Vollkommene in Kunst, Disziplin und Sprache? Aber doch blieb da etwas Unaufgeklaertes. Es war ihr gleichgueltig, was es war; denn sie warf all diese Betrachtungen ueber Bord. Es ging sie nichts an. Sie hatte eine Bauernfrau gesehen, die in ihrer Jugend bei ihnen gedient hatte; zu der setzte sie sich. Die Frau freute sich: "Na, wie geht es Ihrem Vater? Jetzt bin ich so alt geworden; aber ich sage, soviele ich kennen gelernt habe,--einen netteren Mann als Ihren Vater habe ich nie getroffen. Er ist und bleibt der Beste." Das kam so unerwartet und so warm heraus, dass es Mary ruehrte. Die Frau erzaehlte dann eine Geschichte nach der anderen von der Guete ihres Vaters und von seinem ruecksichtsvollen Wesen. Sie hatte solange zu erzaehlen, bis sie da waren. Zuerst dachte Mary, etwas Schoeneres sei ihr lange nicht widerfahren. Aber dann wurde ihr bange. Sie hatte fast vergessen, wie sehr sie selbst ihn liebte, hatte sich abgewoehnt, ihm das zu zeigen. Warum? Warum war sie von soviel anderem in Anspruch genommen und nicht von ihm, der der Liebste und Beste von allen war? Sie lief eilig nach dem Hause hinauf. Obwohl der Vater kraenklich war, war sie in letzter Zeit fast nie bei ihm gewesen. Als sie naeher kam, sah sie Joergens Rad an der Treppe stehen und hoerte ihn spielen. Aber sie eilte vorbei zu ihrem Vater hinein, der in seinem Arbeitszimmer am Pult sass und schrieb. Sie schlang die Arme um ihn und kuesste ihn, blickte ihm in die guten Augen und kuesste ihn noch einmal. Mit ihrem scharfen Sinn fuer Komik lachte sie, als sie sein Erstaunen sah. "Ja, sieh mich nur an, denn ich tue es gar so selten. Aber es ist trotzdem wahr, dass ich Dich grenzenlos lieb habe." Wieder kuesste sie ihn. "Mein liebes Kind!" sagte er und laechelte mitten in dem Ueberfall vor sich hin. Er war gluecklich, das merkte sie. Allmaehlich kam in seine Augen das eigentuemliche Leuchten, das keiner wieder vergessen konnte. Sie dachte bei sich: dies tue ich fortan jeden einzigen Tag. Joergen und sie hatten eine Radtour in die Umgegend verabredet. Am naechsten Tage waren sie unterwegs. Der Verwandte, zu dem sie kamen, ein Kompagniechef, freute sich sehr ueber den Besuch. Sie mussten zwei, drei Tage dableiben. Die junge Welt aus der Nachbarschaft wurde dazu geladen und es kam eine Partie auf die Alm zustande,--wieder fuer Mary etwas Neues. "Ich kenne alle Laender, nur mein Vaterland nicht." Im naechsten Jahr wollte sie aber eine Reise durch Norwegen machen; dazu brauchte sie keine besondere Reisebegleitung. Mit dieser Aussicht wurde es eine koenigliche Heimfahrt. Gerade als Joergen und sie ihre Raeder an die Balustrade anlehnten, kam die kleine Nanna aus der Tuer gelaufen und eilig die Treppe herunter. Sie weinte, bemerkte aber die Ankommenden nicht; sie wollte nach der andern Seite. Als Mary rief: "Was ist los?" blieb sie stehen und schluchzte: "Oh, kommen Sie, kommen Sie, ich sollte jemand holen!" Ebenso schnell wieder die Treppe hinauf, um zu verkuenden, dass sie jetzt kaemen. Joergen hinterdrein, dann Mary. Es ging durch das Vorzimmer, die Treppe hinauf, den Gang entlang bis zur letzten Tuer rechts. Da drinnen lag Anders Krog auf dem Fussboden, und neben ihm kniete schluchzend Frau Dawes. Er hatte einen Schlaganfall bekommen. Joergen hob ihn auf, trug ihn auf sein Bett und legte ihn zurecht. Mary aber stuerzte wieder hinunter ans Telephon wegen des Doktors. Der Doktor war nicht zu Hause; sie suchte ihn ueberall. Dazwischen schrie in ihr die Verzweiflung, dass sie nicht bei ihm gewesen war, als dies geschah. Sie hatte sich doch gerade das Versprechen gegeben, jeden Tag lieb zu ihm zu sein,--und hatte ihn doch verlassen! Ja, noch heute hatte sie sich auf den naechsten Sommer gefreut, wo sie ohne ihn im Lande herum reisen wollte. Was war aus ihr geworden? Was war los mit ihr? Sobald sie den Doktor gefunden hatte, eilte sie zum Vater zurueck. Da war er ausgezogen, und Joergen war fort. Frau Dawes aber sass am Kopfende des Bettes auf einem Stuhl mit einem Brief in der Hand, grenzenlos ungluecklich. Kaum gewahrte sie Mary, so reichte sie ihr den Brief, ohne die Blicke von dem Kranken zu wenden. Der Brief war aus Amerika von einem Mary unbekannten Mann, der ihnen mitteilte, dass Bruder Hans ihr und sein Vermoegen verloren habe. Er selbst sei schwachsinnig, sei es sicher schon lange gewesen. Mary war es bekannt, dass es in der maennlichen Linie der Familie Krog nichts Aussergewoehnliches war, wenn alte Leute geistesschwach wurden. Aber sie war erschrocken, dass ihr Vater keine Kontrolle geuebt hatte! Auch das war ein bedenkliches Zeichen. Ihr Vater musste mit diesem Brief auf dem Wege zu Frau Dawes gewesen sein, als ihn der Schlag geruehrt hatte. Die Tuer war naemlich geoeffnet, und er lag dicht daneben. Mary las den Brief zweimal und wandte sich an Frau Dawes, die sass und weinte. "Ja, ja, Tante Eva,--das muss getragen werden."--"Getragen werden? Getragen werden? Was meinst Du? Das Geld? Das lumpige Geld! Aber Dein Vater! Dieser herrliche Mensch, mein bester Freund!" Sie blickte unverwandt auf seine geschlossenen Augen und weinte unaufhoerlich, waehrend sie ihm die zaertlichsten Namen gab, die hoechsten Lobesworte, aber auf englisch. In der fremden Sprache fielen die Worte wie aus einer fernen Zeit ueber ihn; Mary lag auf den Knien daneben und las sie auf. Sie brachten von jedem Tage in dem Zusammenleben der beiden Alten die Entbehrungen, den Dank,--einen Niederschlag dessen, was sie an guten Worten, an freundlichen Blicken, an Gaben und Nachsicht empfangen hatte. Es kam so reich und so warm heraus mit der freudigen Kraft des guten Gewissens; denn Frau Dawes hatte versucht, ihm alles zu sein, so weit es in ihren Kraeften stand. So goldene Worte jetzt ueber Marys Haupt ihm zu Ehren ausgeschuettet wurden, sie selbst machten sie arm. Denn sie war ihm so wenig gewesen. Oh, wie sie es bereute, wie verzweifelt sie war. Joergen Thiis erschien draussen auf dem Gange, gerade als sie aufstand. Sie bueckte sich nach dem Brief und wollte ihm das Papier geben, als Frau Dawes, die ihn auch gewahrte, ihn bat, sie in ihr Zimmer zu fuehren; sie muesse auch zu Bett. "Gott weiss, wann ich wieder aufstehe! Wenn es mit ihm zu Ende ist, ist es mit mir auch vorbei." Joergen eilte herzu, nahm die schwere Masse aus dem Stuhl auf und segelte langsam mit ihr ab; er klingelte nach einem Maedchen, das sie dann zu Bett brachte; er selbst ging zu Mary zurueck. Sie stand unbeweglich da mit dem Brief in der Hand, den sie ihm jetzt hinreichte. Er las ihn aufmerksam und wurde bleich. Ja, er war eine Weile wie betaeubt; Mary trat ein paar Schritte naeher an ihn heran; aber er merkte es nicht. "Das hat den Schlaganfall verursacht", sagte sie. "Natuerlich", fluesterte er, ohne sie anzusehen. Gleich darauf ging er. Mary stand wieder neben ihrem Vater. Sein schoenes, feines Gesicht rief nach ihr; sie warf sich wieder ueber ihn und schluchzte. Denn ihm, den sie am liebsten hatte, war sie am wenigsten gewesen. Vielleicht nur, weil er selbst nie an sich gedacht hatte? Sie verliess ihn nicht, bis der Doktor kam und mit ihm die Pflegerin. Da ging sie zu Frau Dawes hinein. Frau Dawes war verzweifelt und elend. Mary wollte sie troesten, aber sie unterbrach sie heftig: "Ich habe es zu gut gehabt. Ich bin mir zu sicher gewesen. Jetzt kommt der Ernst!" Mary erschrak bei diesen Worten; denn das hatte ihr die ganze Zeit auf dem Herzen gelegen. "Du verlierst uns beide, armes Kind! Und Dein Vermoegen auch!" Mary war es nicht lieb, dass sie das Vermoegen erwaehnte. Frau Dawes fuehlte das und sagte: "Du verstehst mich nicht, armes Kind! Es ist nicht Deine Schuld, es ist unsere. Wir haben Dir zu viel Willen gelassen. Aber Du warst auch so haesslich, wenn wir es nicht taten." Mary blickte erschrocken auf: "Ich haesslich?"--Frau Dawes: "Ich habe es Deinem Vater gesagt, Kind, ich habe es ihm oft gesagt. Aber er war so herzensgut, er beschoenigte immer alles." Joergen kam mit dem Doktor herein. "Wenn irgend etwas hinzutritt, kann es vorbei sein, gnaediges Fraeulein."--"Bleibt er gelaehmt?" fragte Frau Dawes.--Der Doktor wich der Frage aus; er sagte nur: "Jetzt ist vor allem Ruhe noetig." Es wurde still nach dieser Erklaerung. "Gnaediges Fraeulein duerfen nicht bei dem Kranken wachen, lieber zwei Pflegerinnen." Mary antwortete nicht. Frau Dawes fing wieder zu weinen an: "Ja, jetzt kommen andere Tage."-- Der Doktor ging, begleitet von Joergen Thiis. Als Joergen zurueckkam, fragte er leise: "Soll ich auch fort,--oder kann ich irgendwie nuetzen?"----"O nein, verlassen Sie uns nicht!" jammerte Frau Dawes. Joergen blickte Mary an, die nichts sagte; sie schaute auch nicht auf. Sie weinte leise vor sich hin. "Sie wissen, gnaediges Fraeulein," sagte Joergen Thiis ehrerbietig, "dass ich keinem Menschen lieber zu Diensten sein moechte."--"Das wissen wir, lieber Freund, das wissen wir", schluchzte Frau Dawes. Mary hatte den Kopf erhoben; aber bei Frau Dawes' Worten schwieg sie. Als Mary nachher aus Frau Dawes' Stube kam, oeffnete Joergen eben die Tuer seines Zimmers, das Marys gerade gegenueber lag. Er blieb in der weit geoeffneten Tuer stehen, so dass sie den gepackten Koffer hinter ihm sehen konnte. Sie stand still: "Sie wollen fort?"--"Ja", antwortete er.--"Hier wird es jetzt still." Er wartete auf mehr; aber mehr kam nicht. "Jetzt beginnt die Jagdsaison. Ich hatte Ihren Vater fragen wollen, ob ich in seinen Waeldern jagen duerfe."--"Wenn Ihnen meine Erlaubnis genuegt, steht dem nichts im Wege."--"Tausend Dank, gnaediges Fraeulein! Ja, da darf ich doch auch mal hierherkommen?" Er verneigte sich tief und nahm ihre Hand. Dann ging er zu Frau Dawes hinein, um ihr Adieu zu sagen. Da blieb er mindestens zehn Minuten. Er kam gerade wieder heraus, als Mary zu ihrem Vater hinueberging. Als sie ueber ihren Vater gebeugt stand, regte er sich und schlug die Augen auf. Sie kniete hin: "Vater!" Er schien nachzudenken und versuchte zu sprechen; es gelang ihm aber nicht. Sie sagte eilig: "Wir wissen es,--alles, Vater. Aber hab' deswegen keine Sorge! Uns wird es trotzdem an nichts fehlen." Seine Augen bewiesen, dass er verstanden hatte, wenn auch langsam. Er wollte die Hand erheben, merkte aber, dass er es nicht konnte. Er blickte sie schmerzlich erstaunt an; sie beugte sich ueber ihn, kuesste ihn und weinte. Aber es wurde unglaublich schnell besser. War es Marys Gegenwart und ihr stetes Muehen um ihn, was ihm half? Die Krankenpflegerin behauptete es. Jetzt kam eine Zeit, in der sie unermuedlich war in ihrer Sorge um die beiden Kranken; zugleich aber trat sie die Verwaltung von Haus und Hof an. Sie uebernahm die Buchfuehrung und die Oberaufsicht. Sie fuehlte sich wohl dabei, denn sie hatte Talent, Ordnung zu schaffen und zu dirigieren. Frau Dawes war sehr erstaunt darueber. Keine Sorge um die Zukunft, keine Sehnsucht nach alledem, was hinter ihr lag. Sie sagte allen, die sie bedauerten, es sei freilich hart, dass die beiden Alten krank seien; aber sonst gehe es ihr so gut, wie sie es sich nur wuenschen koennte. * * * * * An einem ungewoehnlich warmen Tage Anfang August hatte sie von morgens an sehr viel zu tun gehabt. Sie hatte Sehnsucht, sich ins Wasser zu stuerzen, sowie sie Zeit hatte. Zwischen fuenf und sechs liefen sie hinunter, die kleine Nanna und sie. Zuerst waren sie beide zusammen im Badehause; der kleinen Nanna machte es solche Freude, wenn sie mit Marys schoenem Haar zu tun hatte; heute durfte sie es aufloesen. Dann lief sie den Huegel hinauf bis an den grossen Stein, um von dort aus nach beiden Seiten Wache zu halten. Mary mochte nichts anhaben, sondern wollte nach Herzenslust plaetschern und schwimmen. Sie nahm den Weg nach der Insel. Von dort aus konnte sie selbst zu beiden Seiten die Einfahrt und die Wege uebersehen. Alles still, keine Gefahr. Also wieder zurueck. Die See umschmeichelte sie und trug sie, die Sonne spielte auf ihren Armen, die das Wasser teilten; das Land vor ihr lag herbstsatt da mit seinem fetten Heu; Seevoegel schwebten in der Bucht, andere kreischten ueber ihr. "Und mir graute so vor dem Alleinsein--" Als sie ans Ufer kam, mochte sie nicht heraus; sie legte sich auf den Ruecken und ruhte sich aus. Dann ein paar Stoesse und wieder eine Ruhepause. Der Strand war so einladend; sie legte sich in die Sonne. Den Kopf halb auf einem Stein, das Haar herabfliessend. O, wie schoen das war! Aber irgend etwas mahnte sie, aufzusehen. Sie hatte keine Lust dazu. Aber sie musste doch wohl einmal dahin sehen, wo das Maedchen sass. Ach, was kuemmerte sie das! Nanna hielt ja Wache. Aber soviel wurde doch dadurch bewirkt, dass das Wohlbehagen ihr verloren ging; sie machte ein Ende. Als sie aufstand, um auf die Badehaustreppe zuzugehen, gewahrte sie hinter dem grossen Stein--Joergen Thiis im Jagdanzug mit dem Gewehr ueber der Schulter! Das kleine Maedchen stand aufrecht auf dem Stein, ohne sich zu ruehren; sie starrte ihn an, als sei sie festgenagelt. Eine heisse Blutwelle durchflutete Mary--Zorn und Abscheu. War er schamlos? Oder hatte er den Verstand verloren? Aeusserlich tat sie, als habe sie nichts gesehen,--warf sich kopfueber in die See und schwamm auf die Treppe zu, hielt sich ruhig daran fest,--und verschwand. Aber ihr Atem ging heftig; ihr war so heiss, dass sie vergass, sich abzutrocknen, sich anzuziehen. Sie geriet in immer groessere Hitze, schliesslich kochte sie vor Rachsucht und Wut. Der galante Joergen Thiis wagte sie zu beleidigen, wie sie noch nie im Leben beleidigt worden war. Sie schlug sich solange mit diesem sinnlosen, unehrenhaften Ueberfall herum, bis sie mitten in Vorstellungen war, die sie weit fortfuehrten. Sie stand wieder vor der kraftvollen Gestalt des Athleten, sie fuehlte wieder Alices wissende Augen auf sich ruhen. Sie zitterte,--als sie einen Schrei des Kindes da oben hoerte. In ihrer Erregung war sie nahe daran, auch zu schreien. Was konnte da nur los sein? Auf die Seite ging kein Fenster hinaus. Aus der Tuer zu sehen, wagte sie nicht, denn sie hatte nichts an. Nie hatte sie sich so mit dem Anziehen beeilt, aber gerade deshalb ging ihr alles verkehrt, und es zog sich in die Laenge. Sie mochte nicht halbangekleidet vor Joergen Thiis hintreten. Als sie eben soweit war, dass sie daran denken konnte, die Tuer aufzumachen, hoerte sie auf der Landungsbruecke das Tripp-Trapp der kleinen Nanna. Mary riss die Tuer auf, die Kleine kam hereingestuerzt und warf sich ihr gleich in den Schoss. Da versteckte sie den Kopf und weinte und schluchzte, dass sie kein Wort herausbringen konnte. Mary gelang es, sie zu beruhigen, besonders als sie ihr versprach, sie duerfe jetzt ihr Haar kaemmen. Da erzaehlte sie, der Herr Leutnant habe hinter dem Stein gestanden, bis sie es bemerkt habe. Sie habe gesessen und gesungen und habe ihn gar nicht kommen hoeren. Er habe ihr gedroht. Ach, und sie habe solche Angst gehabt, denn er habe so boese ausgesehen! Ach, so boese habe er ausgesehen! Kaum sei Mary ins Haus gegangen, da sei er hinuntergestuermt, direkt auf das Haus zu! "Joergen Thiis?" "Dann schrie ich aus Leibeskraeften! Da stand er still. Aber dann drehte er sich um und kam auf mich zu. Ich hinunter vom Stein und hinein in den Wald----" Sie konnte nicht weitersprechen. Sie verbarg wieder den Kopf in Marys Schoss und weinte. Das wurde ja immer schlimmer! Marys Verstand konnte es anfangs kaum fassen. Nach und nach aber ging ihr ein Licht auf--er mochte ein anderer sein. Er trug eine rasende Leidenschaft in sich. Er hatte den Mut starker Ruecksichtslosigkeit. Wenn er nun gekommen war, um...? Stolz und stark, wie sie sich kannte, haette das fuer ihn die Verbannung auf immer bedeutet--nichts anderes. Aber auf dem Heimwege liess sie Nanna vorausgehen. Aus dem einfachen Grunde, weil sie kaum einen Fuss vor den anderen setzen konnte,--so stuermten die Gedanken auf sie ein. Wie konnte ein Mann sich tagtaeglich so beherrschen--einer so gewaltigen Begierde gegenueber? Eine lange, lange Anhaeufung musste vorauf gegangen sein; sonst haette er nicht einem so unerhoerten Ueberfall auf sich selbst--und auf sie--unterliegen koennen! In diesen ganzen Jahren war er also von Begierde entflammt gewesen? Seine Huldigungen, seine Ehrerbietigkeit, seine steten Bemuehungen um sie--war das alles Rauch aus dem unterirdischen Krater? Der eines schoenen Tages lohende Steine und gluehende Asche ausspeit! Also Joergen Thiis war gefaehrlich? Er wurde nicht kleiner dadurch; er stieg! Der Zwang, den er sich auferlegt hatte--ihr zu Ehren, war loeblich! Wenn die Versuchung eines Tages den rebellischen Kraeften das Tor oeffnete--konnte sie ihm deswegen eigentlich boese sein? Den ganzen uebrigen Tag, ja noch als sie sich auszog, dachte sie darueber nach. Am aendern Tage fasste sie den Entschluss, jetzt muesse es ein Ende haben. Es wurde etwas in ihr aufgewuehlt, das sie schon einmal zurueckgedaemmt hatte; das Tempo durfte nicht unterbrochen werden, in dem sie sich ihr Leben einzurichten wuenschte. Deshalb nahm sie ihre Arbeit energischer als je wieder auf, ja sie machte sich noch mehr zu schaffen. Sie sah naemlich die Buecher ihres Vaters und die losen Aufzeichnungen durch (deren es reichlich viele gab!), sie wollte Klarheit haben, wie die Dinge im ganzen standen. Er hatte doch auch hier Vermoegen, und er konnte unmoeglich alles verbraucht haben, was er aus Amerika bekommen hatte. Aber sie fand das Gesuchte nicht. Den Vater durfte sie nicht damit behelligen, und Frau Dawes wusste nicht Bescheid. Aber so eifrig sie bei der Sache war,--etwas vom gestrigen Tage schlich sich hinein. Joergen hatte natuerlich baden wollen, nach dem Bade heraufkommen und sie begruessen. Nach dem, was vorgefallen war, kam er nicht. Kam er ueberhaupt wieder? Ohne besonders aufgefordert zu sein? Er hatte sich ja einstweilen zur Genuege verrannt. Sie hoerte an den folgenden Tagen in der Umgegend schiessen. Manche sagten auch, es werde in groesserer Entfernung geschossen. Aber er kam am zweiten Tage nicht, kam am dritten nicht und am vierten auch nicht. Ihr gefiel das. Weil ihre Gedanken so oft auf den Hoehen und im Walde waren, stieg sie eines Tages kurz vor dem Mittagessen hinauf. In der letzten Haelfte des August ist der Wetterumschlag im suedlichen Norwegen haeufig sehr krass. Es war jetzt kalt; sie empfand es als eine Erfrischung, im Nordwind, der sie umspielte, bergan zu steigen. Sie stieg etwas unterhalb der Haeuser hinauf, da ging es leichter. Sie kletterte rasch, sie war daran gewoehnt und sehnte sich, hoeher hinaufzukommen, im Winde zu stehen und ueber das aufgeruehrte Meer hinzuschauen. Schon von der ersten Anhoehe aus genoss sie den Blick auf die Halden, wo die Leute das Heu zum Trocknen ausbreiteten, ueber die Bucht, die Inseln, das Meer, das heute ganz schwarz war und viele Segler und etliche Dampfer trug. Doch ueber ihr machten die Kraehen einen schauderhaften Laerm; da sass man sicher zu Gericht. Sie sah eine und die andere durch die Luft schiessen und weiter gegen Norden zwischen den Huegeln verschwinden. Der Spektakel wurde immer schlimmer, je hoeher sie kam. Da beeilte sie sich; vielleicht konnte sie den Verbrecher retten. Ganz aufgeregt war sie, so dass es ihr kalt ueber den Ruecken lief. Sie meinte, wenn sie um den naechsten Vorsprung herum sei, muesse sie sie sehen koennen. Statt dessen sah sie, als sie den Kopf hinuebersteckte, ein gut Stueck von ihr etwas weiter noerdlich einen Mann auf dem Bauch liegen, direkt ueber den Haeusern. Das war Joergen Thiis! Zuerst duckte sie sich; aber dann stieg ein froehliches Rachegefuehl in ihr auf, und in diesem Gefuehl eilte sie schnell entschlossen hinan. Er gewahrte sie und sprang verwirrt und beschaemt in die Hoehe, riss die Muetze herunter, setzte sie wieder auf und wusste nicht, wo er hinsehen oder sich hinwenden sollte. Sie kam langsam naeher und weidete sich an ihm. Schon von weitem rief sie: "Auf die Art also gehen Sie auf Jagd?--Vielleicht wollen Sie unsere Huehner schiessen?" Als sie naeher kam: "Sie haben keinen Hund bei sich? Ach nein, unsere Huehner koennen Sie ja auch ohne Hund schiessen. Oder haben Sie etwa ueberhaupt keinen Hund?" "Doch,--aber heute bin ich nicht zum Jagen hergekommen. Ich habe genug." Diese einfachen, sanftmuetigen Worte, bei denen er sie nicht anzusehen wagte, warfen ihre Gefuehle ueber den Haufen. Sie wollte ihn nicht quaelen. Sie hatte genug von der Tyrannei des Onkels gehoert. Die Kraehen rasten schlimmer als bisher. "Hoeren Sie nur! Da wird Gericht gehalten! Dass Sie dem armen Suender nicht zu Hilfe kommen!"--"Da haben Sie wahrhaftig recht!" sagte er, froh, dass er loskam. Er bueckte sich nach seinem Gewehr und lief davon. Sie hinterdrein. Erst eine kleine Anhoehe hinan, dann den Weg entlang. Um zwei alte Baeume herum tobten die grauen Richter; es waren ihrer Hunderte. Aber kaum erblickten sie einen Mann mit einer Flinte, als sie kraechzend nach allen Seiten auseinanderstoben. Ihre Aufgabe war beendet. Und richtig: zwischen den beiden grossen Baeumen lag zerzaust und blutig eine ungewoehnlich grosse Kraehe in den letzten Zuckungen. Joergen wollte sie aufheben. "Nein, fassen Sie sie nicht an!" rief Mary und wandte sich ab. Sie ging gleich wieder bis an den Abhang. Sie hoerte ihn nicht nachkommen und blieb stehen: "Sie kommen doch mit und essen bei uns?" Er kam. Dann gingen sie schweigend bis an die Stelle, wo er gelegen hatte. Er fragte hastig: "Wie geht es bei Ihnen zu Hause?"--Sie laechelte: "O danke, den Umstanden nach recht gut." Aus dem Schornstein wirbelte der Rauch in die Hoehe. Vornehm wirken die Dachziegel mit ihrer blauen Glasur auf den Hausern. Die grossen Gaerten zu beiden Seiten mit den sandbestreuten Wegen lagen da, als haetten die Hauser gestreifte Schwingen ausgebreitet. Das Ganze so lebensvoll, als werde es sich im naechsten Augenblick in die Luefte heben. "Haben Sie lange hier gelegen?" fragte sie unbarmherzig; sie hielt es ja fuer eine Art Belagerung. Er antwortete nicht. Sie begann den Abstieg; hier war es ziemlich abschussig. "Soll ich Ihnen helfen?"--"O danke, ich bin haeufiger hier gegangen als Sie." Es wurde eine stille Mahlzeit. Joergen ass immer sehr langsam, aber nie so langsam wie heute. Mary war mit jedem Gericht schnell fertig und sass und sah ihn an. Sagte dies und das und bekam hoeflich Antwort. Seine Augen, die sonst gleich Wogen ueber sie hinspuelten, die sie in sich aufsaugen wollten ... heute hoben sie sich kaum vom Teller. Ploetzlich hoerte er auf. "Ist Ihnen nicht wohl?"--"Doch, danke; aber ich bin satt."-- Wenige Minuten spaeter kam er aus Anders Krogs Zimmer heraus. Mary war kurz vorher von Frau Dawes gekommen und hatte gerade ihr Zimmer geoeffnet. Joergen Thiis sagte: "Ich finde, gnaediges Fraeulein, Ihrem Vater geht es viel besser."--"Ja, er kann schon dies und das sagen und den Arm etwas bewegen."--Joergen hoerte das augenscheinlich nicht. "Ist dies Ihr Zimmer?--Ich habe es noch nie gesehen." Sie trat beiseite; er schaute und schaute. "Wollen Sie nicht eintreten?"--"Darf ich?"--"Bitte sehr!" Er ging bis an die Schwelle und ueberschritt sie langsam; Mary folgte ihm. Er stand still und atmete schwer; sie war neben ihm. War denn das Zimmer mit Spitzen ueberzogen? Er konnte sich gar nicht zurechtfinden. Das Bett, die Moebel, weiss mit blau, oder blau mit weiss, die Amoretten an der Decke, die Bilder, darunter eins von ihrer schoenen Mutter, mit Blumen geschmueckt. Und der Duft ... nicht allein von den Blumen, nein, von ihr selbst und all ihrer Habe. Sie stand in ihrem blauen Kleid,--es war das mit den kurzen Aermeln,--neben ihm. In diesem reinen Duft, in diesem Farbenzauber schaemte er sich. Er schaemte sich so, dass er am liebsten aus dem Zimmer gestuerzt waere. Er konnte nicht Herr seiner Stimmung werden; in seiner Brust begann es zu arbeiten und zu schluchzen; ein Zittern ueberkam ihn. Ihm war, als muesse er in Traenen ausbrechen. Da schimmerte es von zwei weissen Armen, und er hoerte etwas Leises, das auch blau und weiss und weiss und blau war. Die Tuer wurde hinter ihm geschlossen, wohl um ihn zu verbergen. Da schimmerten wieder die weissen Arme und er hoerte deutlich: "Aber Joergen!--Aber Joergen!" Er fuehlte eine Hand auf seinem Arm und setzte sich hin. Sie hatte wirklich "Joergen" gesagt, zweimal "Joergen." Jetzt strich sie ihm das Haar aus der Stirn. So weich, so bluetenzart. Es loeste sich etwas in ihm; alles Wunde und Harte schmolz unter ihrer Hand und zerrann. In einem unsaeglichen Gefuehl von Waerme. Die sich da ueber ihn beugte, war eigentlich die erste, die ihm beistand, seit er kein Kind mehr war. Er hatte sich so verlassen gefuehlt. Solches Vertrauen zu ihm lag in dem Haendedruck. So unverdient. Das tat gut! Oh wie gut das tat! Ihm traeumte, er sei auch gut, sei in der Gewalt guter Maechte. Das Weisse und Blaue woelbe ein Zelt ueber ihm. Unter diesem Zelt naehmen diese grossen, guten Augen seine Seele in sich auf. Er sagte als Entschuldigung ganz leise: "Ich konnte es nicht laenger aushalten." Was er nicht laenger aushalten konnte, verstand sie; sie prallte zurueck. "Mary", fluesterte er. Ohne es zu wollen, dachte er laut. Das erschreckte ihn und erschreckte sie. Sie wich weiter zurueck von ihm, ihre Augen wurden unklar; es versagte da etwas. Das sah er,--und ehe sie es ahnte, ehe er selbst es wusste, war er bei ihr. Er umschlang sie und presste sie an sich. Er wurde wild, als er ihren Koerper an seinem fuehlte, und kuesste sie, kuesste sie, wo er gerade hintraf. Sie bog aus, bald nach der einer Seite, bald nach der aendern. Da bedeckte er ihren Hals mit Kuessen. Sie fuehlte, jetzt galt es. Einen Arm hatte sie nur frei; aber damit stiess sie ihn von sich. Gleichzeitig bog sie sich so weit nach hinten, dass sie fast gefallen waere. Dadurch kam er ueber sie, das zuendete, und er wollte es sich zu Nutzen machen. Aber er musste seinen rechten Arm loesen, um sie umschlingen zu koennen. Gerade dadurch bekam sie ihren linken Arm frei, stemmte ihn mit aller Macht ihm gegen die Brust, dass sie sich nach der Seite wenden konnte, und stand aufrecht. Ihre Augen trafen sich. Sie waren wild, die Flammen in ihnen prallten gegeneinander. Keiner sprach ein Wort. Ihre Atemzuege gingen kurz und scharf. "Mary!" ertoente ein Schrei draussen auf dem Gange. Das war Frau Dawes! Frau Dawes, die das Bett nicht mehr verlassen konnte,--stand auf dem Flur! "Mary!" noch einmal so verzweifelt, als sei sie einer Ohnmacht nahe. Die beiden hinaus: Frau Dawes lehnte in ihrem Nachtgewand vor ihrer offnen Tuer an der Wand. Sie war am Umsinken, als Joergen Thiis herzugestuerzt kam und sie unter den Arm fasste. Die Treppe herauf kam ein Maedchen nach dem andern, auch die kleine Nanna. Joergen stand und hielt Frau Dawes, bis sie sie mit vereinten Kraeften aufhoben und hineintrugen. Es war furchtbar schwer. Soviel sie hoben und schleppten, sie bekamen sie knapp ueber die Schwelle ins Zimmer hinein. Dann langsam weiter; aber jetzt kam noch das Allerschwerste: den Oberkoerper ins Bett hineinheben; denn das wollte ihnen nicht gelingen. Immer wenn der Oberkoerper auf dem Bettrand war, wollten die Beine nicht mit; dann glitt sie wieder hinunter; sie selbst half nicht ein bisschen, sie stoehnte nur. Ehe Joergen richtig zufassen konnte, lag sie in ihrer ganzen Groesse abermals am Boden. Als sie den Oberkoerper wieder einmal hochgehoben hatten, aber nicht weit genug, dass er durch seine eigene Schwere liegen geblieben waere, waren sie ganz verzweifelt; sie wussten nicht, was sie machen sollten. Das kleine Maedchen lachte laut auf und lief weg; Joergen sandte ihr einen wuetenden Blick nach. Das war selbst fuer Mary zuviel. Vor drei Minuten noch hatte sie wie eine Verzweifelte gekaempft,--und nun ueberkam sie eine so unbegreifliche Lachlust, dass auch sie hinauslaufen musste. Da stand sie mit dem Taschentuch vorm Munde und kruemmte sich vor Lachen, als die Pflegerin aus dem Zimmer ihres Vaters herauskam; er wollte wissen, was los sei. Mary ging hinein. Sie konnte es ihm vor Lachen kaum auseinandersetzen, wie naemlich Frau Dawes dalag und was fuer Anstrengungen Joergen und die Maedchen machten. Ihren Vater quaelte die Frage, was Frau Dawes wohl auf dem Flur gewollt habe. Da verstummte Marys Lachen. Ein Maedchen kam aus Frau Dawes' Zimmer und berichtete, jetzt liege die gnaedige Frau im Bett. Sie moechte das gnaedige Fraeulein sprechen. Im Zimmer stand Joergen am Fussende des Bettes; Frau Dawes lag und stoehnte und weinte und rief nach Mary. Kaum liess Mary sich in der Tuer blicken, da fing sie an: "Was war mit Dir, Kind? Mich ueberkam eine schreckliche Angst,--was war los?" Mary ging zu ihr hin, ohne Joergen anzusehen. Sie kniete neben ihrer alten Freundin hin und legte den Arm um ihren Hals: "Ach, Tante Eva!" sagte sie und schmiegte den Kopf an ihre Brust. Nach einer Weile fing sie zu weinen an.--"Was ist denn? Was ist denn? Was macht Dich so ungluecklich?" jammerte Frau Dawes und strich ihr immer und immer wieder mit der Hand ueber das herrliche Haar. Schliesslich blickte Mary auf; Joergen Thiis war fort. Aber sie schwieg. "Nie habe ich solch ein Gefuehl gehabt," fing Frau Dawes wieder an, "wenn nicht etwas Entsetzliches bevorstand!" Mary schwieg. "War es etwas mit Joergen Thiis?" Mary sah sie an.--"O Gott, das habe ich mir gedacht!--Aber bedenke, Kind, er hat Dich geliebt, seit er Dich zum erstenmal gesehen hat, und nie eine andere. Das ist schwer, siehst Du.--Und kein einziges Mal hat er Dir gegenueber etwas wie eine Andeutung gemacht,--oder doch?"--Mary schuettelte den Kopf. "Das ist viel. Das zeugt von Charakter. Zu Diensten ist er Dir gewesen und verehrt hat er Dich,--ja, sei nicht zu streng! Erst jetzt, da Du arm bist, wagter ----ja, was war denn eigentlich los?"--Mary zoegerte eine Weile; dann sagte sie: "Erst war es, als werde ihm schlecht. Aber dann wurde er ploetzlich toll."--"Ach, ich koennte Dir auch etwas erzaehlen ... Ja, ja, ja!" Sie versank in Gedanken. Dann murmelte sie: "Wenn einer jahrelang so herumgeht..."--"Wir wollen nicht darueber reden!" unterbrach Mary sie und stand auf.--"Nein, das ist ..."--"Nichts mehr davon!" wiederholte Mary. Sie trat ans Fenster. Da hoerte sie Frau Dawes hinter sich: "Er hat mit mir gesprochen, musst Du wissen. Ob er jetzt seinen Antrag machen duerfe. Er koenne sich nichts Schoeneres denken. Einspringen, wenn wir nicht weiterkoennen. Aber er findet, Du bist zu unnahbar." Mary machte unwillkuerlich eine Bewegung. Frau Dawes bemerkte es: "Sei jetzt nicht zu streng, Mary! Weisst Du, Kind, Dein Vater und ich, wir finden beide ..." --"Nicht, Tante!" Mary drehte sich rasch nach ihr um--nicht gerade unwillig, aber doch so, dass das Gespraech nicht weitergehen konnte. Mary blieb in der Stube. Sie wollte nicht Gefahr laufen, mit Joergen Thiis zusammenzutreffen. Als Mary Frau Dawes einmal eine Handreichung leistete, sagte diese: "Du weisst, Kind, er beerbt Onkel Klaus?" Als Mary nicht antwortete, wagte sie fortzufahren: "Joergen glaubt, Onkel Klaus wird ihm helfen, wenn er sich verheiratet." Mary ging das zu einem Ohr hinein, zum andern hinaus. Als die Bahn frei war, suchte Mary ihr eigenes Zimmer auf. Sie durchdachte die ganze Szene noch einmal und gluehte vor Aufregung, aber sie war verwundert, dass sie eigentlich nicht erzuernt war. Es war ja doch ganz entsetzlich. Und gerade als sie dachte: "Was jetzt weiter?" klopfte es leise an die Tuer. Sie wurde sehr boese, sie waere am liebsten aufgesprungen und haette die Tuer verschlossen. Aber nach einer Weile sagte sie: "Herein!" Die Tuer oeffnete sich und schloss sich, ohne dass sie aufsah; sie sass in ihrem grossen Stuhl. Leise und demuetig kam er heran und liess sich aufs Knie nieder, indem er das Gesicht in ihre Haende legte. Daran war nichts Abstossendes. Er war tief bewegt. Sie blickte hinunter auf seinen huebschen Kopf mit dem weichen Haar. Sie verweilte bei seinen langen Kuenstlerfingern. Etwas Feines wirkte an ihm versoehnend. Aber diese Sentimentalitaet! "Soll ich abreisen?" war das einzige, was er sagte. Sie zoegerte eine Weile, dann sagte sie: "Ja." Ganz leise. Er liess die Arme sinken, griff nach ihrer rechten Hand und drueckte seine Lippen darauf, lange, aber ehrerbietig. Stand auf und ging. Bei dem Kuss, so ehrerbietig er war, durchrieselte ihren Koerper ein aufregendes Gefuehl. Wie sie es vorhin gehabt hatte, als er sie kuesste und kuesste, dass sie einer Ohnmacht nahe war. Sie blieb verwundert sitzen. Noch lange, nachdem er fort war. Sie dachte wieder ihren Kampf bis ins kleinste durch und zitterte. "Warum bin ich nicht boese auf ihn?" Da klopfte es wieder. Das Maedchen der Frau Dawes fragte an, ob sie nicht herueberkommen wolle. "Du hast ihn abreisen lassen, Kind?" Frau Dawes war mehr als betruebt. Vor Eifer richtete sie sich auf und stuetzte sich auf den einen Arm. Ihre Muetze sass schief auf dem kurzen grauen Haar, der fette Hals war roeter als gewoehnlich, als sei es ihr zu warm. "Warum hast Du ihn abreisen lassen?" wiederholte sie. "Er wollte doch."--"Wie kannst Du das sagen, Kind? Er war doch bei mir und jammerte. Er wollte fuer sein Leben gern hier bleiben! Du hast keinen Begriff davon. Du hast ihn ja immer bloss zurueckgestossen. Und gefoltert." Sie legte sich ganz verzweifelt wieder zurueck. Das Wort "gefoltert" machte fluechtig einen komischen Eindruck; aber Mary hatte selbst die Empfindung, sie haette mit ihm sprechen sollen, ehe sie ihn gehen liess. Denn gehen musste er. Es kamen recht schwere Tage. Anders Krogs Befinden verschlechterte sich bei einem Witterungsumschlag. Dazu kamen Verdauungsbeschwerden. Es fiel ihm schwerer, sich verstaendlich zu machen. Mary war viel bei ihm; dann folgte er ihr mit den Augen, dass es ihr fast Angst machte. Frau Dawes schickte ihm kleine Zettel. Von ihrer Schreiberei liess sie sogar im Bett nicht. Immer wenn solch ein Zettel kam, blickte er Mary lange an. Da erriet sie, wovon die Zettel handelten. Eines Tages sagte Frau Dawes zu ihr: "Du ueberschaetzt Dich, wenn Du meinst, Du kannst hier allein mit uns leben."--"Wie meinst Du das?"--"Dass Du im Fruehling des gesellschaftlichen Lebens noch so muede sein magst,--wenn der Herbst kommt, lockt es doch. Du bist zu sehr daran gewoehnt."-- Mary antwortete diesmal nicht; aber einige Tage spaeter--es war lange nasskaltes Wetter gewesen, und sie hatte nicht draussen sein koennen--sagte sie zu Frau Dawes: "Du kannst recht haben, das Leben, das wir all diese Jahre hindurch gefuehrt haben, hat tiefe Wurzeln in mir geschlagen."--"O ja, tiefere als Du selbst ahnst, mein Kind!"--"Aber was soll ich denn tun? Von hier fort kann ich doch nicht? Ich will es auch nicht."--"Nein.--Aber Du koenntest Dir etwas Abwechslung verschaffen." --"Wie denn?"--"Du verstehst mich recht gut, Kind! Wenn Du verheiratet waerst, wuerde er zeitweise hier mit Dir leben und Du zeitweise mit ihm da, wo er hin muss."--"Eine wunderliche Ehe!"--"Ich glaube nicht, dass Du ihm sonst naeherkommen kannst."--"Wem naeherkommen?"--"Dem, was das Leben von Dir verlangt. Und dem, woran Du gewoehnt bist." Mary fuehlte, das, was Frau Dawes da sagte, sei auch des Vaters Wunsch. Dass es ihr Schicksal sei, was ihm die groesste Sorge mache. Dass ihm eine Ehe mit Joergen unter Onkel Klaus' Obhut eine grosse Beruhigung sei. Es lag wie ein Druck auf ihr, dass sie bis auf diesen Tag wenig Ruecksicht auf die Wuensche des Vaters genommen hatte. Diese ganze Zeit, all diese Erwaegungen erschienen ihr wie das Rezitativ einer Oper, das zwei Handlungen miteinander verbindet. Wenn sie jetzt, wo es herbstete, ueber die Bucht hinschaute, fuehlte sie sich wie eine Gefangene. Stand sie oben auf der Hoehe und sah mit den schaumspruehenden Wogen den rauhen Herbst daherkommen, dann hatte sie das Gefuehl, er wolle sie fuer den Winter einkerkern. Dann brauste es in ihr auf; sie war an anderes gewoehnt. Auch in ihrem Blut brauste es. Sie hatte ihre Ruhe verloren. In der Erinnerung erschien ihr Joergen nicht abstossend. Die Atmosphaere, die ihn umgab, schien ihr sogar sympathisch. Dass ein Schlaganfall den Vater aufs Krankenlager geworfen hatte, und dass Joergen gerade anwesend war, und dass er dem Vater willkommen war,--knuepfte das kein Band? War das nicht wie Schicksal? An Joergens Seite in Stockholm[1] aufzutreten und spaeter weiter in die Welt gesandt zu werden,--einen naturgemaesseren Abschluss ihres Wanderlebens, eine vielseitigere Verwendung dessen, was sie dabei gelernt hatte, konnte man sich schwer vorstellen. Onkel Klaus musste helfen. Gruendlich helfen. Sie war sich ihrer Macht ueber Onkel Klaus bewusst.-- "Kurz und gut, liebe Tante Eva," sagte sie eines Tages, als sie neben ihr am Bett sass und mit ihr plauderte: "Du kannst an Joergen schreiben." [Footnote 1: Schweden und Norwegen hatten damals ein gemeinsames Ministerium des Auswaertigen.] * * * * * Mary stand selbst auf der Bruecke, als das Boot anlegte. Es war am Sonnabend nachmittag, und wer irgend konnte, floh aus der Stadt, um die letzten Herbsttage im Freien zu geniessen. Es war ein schoener Tag. Im suedlichen Norwegen hat man solche Tage oft bis tief in den September hinein. Mary war in Blau und hatte einen blauen Sonnenschirm, mit dem sie Joergen und ein paar Freundinnen winkte, die neben ihm standen. Alle Leute an Bord kamen nach der Landungsseite herueber, um zuzusehen. Sowie Joergen neben ihr stand, fuehlte er, dass er vorsichtig sein muesse. Er erriet, dass sie ihn nur deshalb hier unten in Empfang nahm, damit ihr Zusammentreffen nicht intim ausfallen koenne. Auf dem Wege nach oben sprachen sie ueber die Schwalben, die sich jetzt zum Aufbruch ruesteten, ueber den Verwalter, der kuerzlich einen maechtigen Adler geschossen hatte, ueber das Schreibbrett, das fuer Frau Dawes konstruiert worden war, ueber die gute Grummeternte, ueber die Obst-und die Futterpreise.--Drinnen im Flur lief sie ihm mit einem kurzen "Verzeihung!" weg. Sie flog die Treppe hinauf. Der Bursche, der Joergens Koffer brachte, trat hinter ihnen in die Tuer; Joergen und er standen da und wussten nicht wohin. Da hoerten sie Marys Stimme von oben: "Bitte hierher!" Sie gingen hinauf. Sie oeffnete das Fremdenzimmer, das neben ihrem eigenen lag, und liess den Burschen den Koffer dahinein setzen. Zu Joergen sagte sie: "Wollen wir nicht jetzt zu Vater hineingehen?"--Sie ging voran. Die Pflegerin war nicht da. Vermutlich um die fortzuschicken, war sie vorhin nach oben gelaufen. In den Augen des Kranken leuchtete es auf, als er hinter ihr in der offenen Tuer Joergen bemerkte. Kaum war die Tuer geschlossen, als Mary auf ihren Vater zuging, sich ueber ihn beugte und sagte: "Joergen und ich haben uns verlobt, Vater." Alle Guete und alles Glueck, das sich in einem Angesicht vereinen kann, strahlte aus den Mienen des Vaters. Laechelnd wandte sie sich zu Joergen, der blass und verwirrt dastand und nahe daran war, auf Mary zuzustuerzen und sie zu umarmen. Aber er fuehlte, sie wollte wohl seine Ueberraschung, seine Dankbarkeit und seine Anbetung, aber keine Zeremonien. Das tat seinem Glueck keinen Abbruch. Er begegnete ihren laechelnden Augen mit der vollsten, innigsten Freude. Er drueckte die Hand, die Anders Krog ihm geben konnte, er blickte ihm in die traenennassen Augen und seine eigenen fuellten sich mit Traenen. Aber gesprochen wurde kein Wort, bis Mary sagte: "Jetzt gehen wir zu Tante Eva!" In einem Gefuehl des Sieges ging sie voran. Bewundernd folgte er ihr. Sein Herz war voll, nicht zum wenigsten von Begeisterung ueber den Grossmut, mit der sie ihm verziehen hatte. Er dachte: draussen auf dem Flur wird sie sich umdrehen, und dann ... Aber sie ging direkt auf Frau Dawes' Tuer zu und klopfte an. Als Frau Dawes Joergen gewahrte, schlug sie die fetten Haende zusammen, zerrte an ihrer Muetze und wollte sich aufrichten,--aber es gelang ihr vor lauter Ruehrung nicht. Sie sank wieder zurueck, weinte glueckselig vor sich hin und streckte die Arme aus; Joergen warf sich hinein, aber zum Kusse kam es nicht. Sobald ein vernuenftiges Wort gesprochen werden konnte, sagte Mary: "Findest Du nicht auch, Tante Eva, morgen muessen wir beide zu Onkel Klaus?"--"Das einzig Richtige, Kind! Das einzig Richtige. Worauf braucht Ihr zu warten?"--Joergen strahlte. Mary zog sich zurueck, damit die beiden in aller Vertraulichkeit miteinander sprechen koennten. Als sie wieder zusammenkamen, merkte er, dass die Parole hiess: "Ansehen, aber nicht anfassen!" Das fiel ihm schwer; aber er gab zu, dass einer, der so vermessen gewesen war, im Zaum gehalten werden musste. Sie wollte selbst ueber sich verfuegen. In ihrem Triumphgefuehl war sie schoener als je. Es erschien ihm wie eine Gnade, dass sie "Du" zu ihm sagte. Das war auch alles, wozu sie sich herabliess. Er wartete und wartete; aber sie gab nicht mehr. Den ganzen Tag nicht. Da nahm er seine Zuflucht zum Klavier und jammerte ganz fuerchterlich darauf: Mary machte die Tueren auf, damit Frau Dawes etwas hoeren koenne. "Der arme Junge!" sagte Frau Dawes. Am aendern Tage kam sie erst kurz vor der Abfahrt des Dampfers nach unten, mit dem sie zu Onkel Klaus wollten. "Heute bist Du richtig la grande dame",--Joergen musterte sie bewundernd; sie stand in ihrer elegantesten Pariser Besuchstoilette vor ihm. "Du willst Onkel Klaus wohl imponieren?"--"Das auch. Aber es ist doch heute Sonntag.--Sag' mal," sie wurde ploetzlich ernst, "weiss Onkel Klaus von Vaters Unglueck?"--"Von seiner Krankheit?"--"Nein, von der Ursache der Krankheit?"--"Das weiss ich nicht. Ich komme von Hause.--Ich habe nichts gesagt. Nicht mal zu Hause."--Das gefiel ihr. Deshalb wurde auch der Gang zum Dampfer hinunter und nachher die Fahrt gemuetlich und froehlich. Sie sprachen leise von der Hochzeit, von dem Urlaub fuer den ersten Monat nachher, von dem Leben in Stockholm, von ihrer Reise dahin, von seinem Weihnachtsbesuch zu Hause, von einem kleinen Abstecher nach Kristiania jetzt gleich--kurz, an ihrem Himmel waren keine Wolken. Onkel Klaus trafen sie in seiner Rauchhoehle, wo sie ihn mehr ahnten, als dass sie ihn sahen. Er war selber ganz erschrocken, als Mary in ihrer ganzen Herrlichkeit vor ihm stand. Er eilte ihnen in den grossen steifen Salon voran. Noch ehe sie sassen, sagte Joergen: "Ja, Onkel, heute kommen wir, um Dir zu erzaehlen--" er kam nicht weiter; denn Onkel Klaus sah an ihren Gesichtern, was fuer eine strahlende Neuigkeit sie brachten. "Ich gratuliere, ich gratuliere!" Der grosse Mann streckte jedem eine Hand hin: "Ja, das sagen alle," triumphierte er, "Ihr beide seid das schmuckste Paar, das je in der Stadt war. Denn", fuegte er hinzu, "wir andern haben Euch ja lange verlobt!" Kaum hatten sie sich gesetzt, als sich sein Gesicht verfinsterte. Er sah Mary mitleidig an: "Dein Vater, armes Kind!"--"Vater geht es jetzt besser", antwortete sie ausweichend.--Onkel Klaus blickte sie forschend an: "Er kann ja wohl nicht mehr ..." er hielt inne, er konnte es wirklich nicht ueber sich gewinnen, das auszusprechen, auch Mary nicht. Sie sassen also eine Weile schweigend da. Als das Gespraech wieder in Fluss kam, redeten sie ueber die ungewoehnlich schlechten Zeiten. Es mache den Eindruck, als wollten die kein Ende nehmen. Die Aktien haetten keinen Wert, die Schiffahrt liege darnieder, keine neuen Unternehmungen, das Geld arbeite nicht. Waehrend sie hierueber sprachen, blickte Onkel Klaus Joergen mehrmals an, als wolle er nach etwas fragen, wenn er erst fort sei: Sie bemerkte es und gab Joergen einen Wink, er stand auf und entschuldigte sich: er habe sich mit einigen Kameraden in der Stadt verabredet. Es war zwischen Mary und ihm ausgemacht, dass sie allein mit Onkel Klaus reden solle. Aber was mochte Onkel Klaus mit ihr zu besprechen haben? Sie war gespannt. Joergen war kaum aus der Tuer, da sagte Onkel Klaus mit bekuemmerter Miene: "Armes Kind, ist es wahr, dass Dein Vater in Amerika grosse Verluste gehabt hat?"--"Er hat alles verloren", antwortete sie. Blass und entsetzt fuhr der grosse Mann in die Hoehe: "Er hat alles verloren?"--Er starrte sie mit weit offnem Mund an, wurde dunkelrot und rief: "Ja, Gottsdonnerwetter, da kann ich verstehen, dass man den Schlag bekommt."--Er begann im Zimmer auf und ab zu rennen, als sei ausser ihm niemand da. Die weiten Hosen schlotterten ihm um die Beine, mit den langen Armen fuchtelte er in der Luft herum. "Er ist doch schon immer so ein leichtglaeubiger Tropf gewesen! Ein richtiger Dussel! Wenn man sich vorstellt, einer hat ein so grosses Vermoegen im Geschaeft eines aendern stecken, und er kuemmert sich dann nicht weiter drum! Das ist doch eine verdammte--" er hielt jaeh inne und fragte in hoechstem Erstaunen: "Auf was wollt Ihr denn heiraten--?" Mary war tief verletzt, noch ehe diese Frage kam. In ihrer Gegenwart sich so zu benehmen, vor ihren Ohren so etwas von ihrem Vater zu sagen! Trotzdem antwortete sie mit ihrem reizendsten Laecheln und voll Schelmerei: "Auf Dich, Onkel Klaus!" Seine Verblueffung war nicht zu beschreiben. Sie versuchte sie zu daempfen, ehe sie zum Ausbruch kam, sie bedauerte ihn scherzend--und zwar auf englisch--was fuer ein armer Mann er sei. Aber das prallte ab wie Vogelgezwitscher an einem Baeren. "Das sieht dem Joergen, diesem Satan, aehnlich," brach er schliesslich hervor, "gleich auf mich zu spekulieren!"--Er rannte wieder durch die Stube, schneller als bisher: "Haha! das konnte ich mir ja denken! Wenn was in die Quere kommt, muss ich herhalten! In diesen Zeiten, wo ich kaum mein Essen verdiene! Solche Unverschaemtheit ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen!" Er sah sie nicht, er sah ueberhaupt nichts. Dieser reiche Mensch hatte seinen Launen, seiner Wut, seiner Unverschaemtheit immer freien Lauf gelassen. "Schockschwerenot, Joergen verdiente, dass ich ihm auch das entzoege, was er jetzt bekommt. Immer will er mehr haben! Und nun sollte ich--ha, ha! Ja, das ist ein Prachtbengel!"-- Mary sass totenblass da. Sie war nie bisher gedemuetigt worden; nie bisher hatte ein Mensch sie anders als eine Bevorzugte behandelt. Aber den Kopf verlor sie nicht. "Ich fuehre jetzt Vaters Buecher," sagte sie kuehl; "daraus habe ich ersehen, dass auch Ihr Geschaefte zusammen gemacht habt."--"Oh ja," sagte er, ohne stehen zu bleiben und ohne sie anzusehen: "Oh ja--mit ein paar Hunderttausend. Aber wenn Du die Buecher fuehrst, weisst Du wohl auch, dass sie in diesen Zeiten fast nichts einbringen."--"Das ist nun wohl uebertrieben", antwortete sie. "Ja, was willst Du mit den Papieren?" fragte er und blieb stehen. Aus einer ploetzlichen Eingebung heraus rief er: "Hat Joergen Dich beauftragt, sie zu verkaufen?"--"Joergen hat mich zu nichts beauftragt", sagte sie und stand auf. Wie sie blass und gross und stattlich vor ihm stand und ihn mutig ansah, war er der Unterlegene. Er starrte sie nur an. Sie sagte: "Ich bedaure, dass ich nicht eher gewusst habe; was fuer ein Mensch Du bist." Alle Ueberlegenheit fiel von ihm ab,--er stand dumm und schwerfaellig da. Er war nicht imstande zu antworten, ja nicht einmal sich zu ruehren. Er liess sie gehen. Und das wollte er gerade am wenigsten. Durch das Fenster sah er ihr nach, sah sie nach dem Markt hinuntergehen. Wie schoen und stolz sie war, wie ein Bild. Als Joergen bald darauf kam, um Mary abzuholen oder vielmehr mit ihr zusammen zu Tisch dazubleiben,--denn er war ueberzeugt, sie wuerden zum Essen eingeladen werden--bekam er nicht allein dieselbe Lektion, die sie bekommen hatte, sondern eine viel saftigere, weil Onkel Klaus jetzt ausserordentlich unzufrieden mit sich selbst war. Dafuer musste Joergen buessen. "Warum, zum Donnerwetter, bist Du nicht selbst gekommen? Du warst wohl zu feig dazu?--Und dann hast Du sie veranlassen wollen, Aktien zu verkaufen, die jetzt gar keinen Wert haben! Ein verflucht leichtsinniger Kerl bist Du doch immer gewesen."--Onkel Klaus hatte unrecht; aber Joergen kannte ihn, er wusste, dass man ihm jetzt nicht widersprechen durfte. Er machte sich auf allen vieren davon und kam zu Mary, erbarmungswuerdiger als damals, wo sie ihn oben auf dem Huegel getroffen hatte, wie er in das verlorene Paradies hinunterschaute. Sie selbst hatte geweint vor Aerger und Enttaeuschung; aber sie hatte Sprungfedern in sich; jetzt kam der Umschlag. Ihr Sturz aus ihrer Siegesstimmung herab, die sie noch vor einer halben Stunde gehabt hatte, war so jaeh, dass die ganze Geschichte, wenn man Joergens jaemmerlichen Zustand dazunahm, laecherlich wurde. Sie lachte so ausgelassen, so koestlich befreit, dass sogar Joergen geheilt wurde. Nach Verlauf einer Viertelstunde gingen die beiden jungen Menschen ueber die Strasse, um sich ein leckeres Mittagessen mit Champagner zu bestellen. Waehrend das hergerichtet wuerde, wollten sie einen Spaziergang machen. Aber kaum standen sie draussen in der koestlich frischen Luft, da musste Joergen wieder hinauf und nach Krogskog telephonieren, sie wuerden heimkommen und dort zu Mittag essen. Es wuerde ungefaehr zwei Stunden dauern auf der neuen Landstrasse; das sollte ein herrlicher Spaziergang werden! Sie schritten tuechtig aus; der klare Herbsttag mit seiner frischen Brise war kuehl,--so rechtes Wetter zum Wandern. Der Weg an der See entlang durchschnitt die Landzungen; sie freuten sich ueber den steten Wechsel von Strand und Bergeshoehe, von Bergeshoehe und Strand. Das Meer tiefblau, bis weit hinten voller Segel und Rauchsaeulen. Heut war Sonntag, daher waren auch viele Lustjachten draussen; sie krochen durch die Meerengen und wagten sich auf die offene See hinaus. Bei ihrem schnellen Tempo waren die beiden bald aus der eigentlichen Stadt heraus. Da lag ein huebsches kleines Haus in einem Garten. "Wem gehoert das?" fragte Mary. Es sah so einladend aus. "Fraeulein Roey, der Aerztin", antwortete Joergen eifrig. "Ich habe ueber all dem Aerger und der Enttaeuschung doch vergessen, Dir zu erzaehlen, dass ich Franz Roey in der Stadt getroffen habe!" Ohne es zu wissen, blieb Mary stehen. Ohne es zu wollen, wurde sie rot. "Franz Roey?" fragte sie und blickte starr vor sich hin. Dann ging sie weiter, noch bevor sie eine Antwort bekommen hatte. "Er soll hier die Hafenarbeiten leiten. Du weisst, Irgens ist tot."--"Der Ingenieur? Der ist tot?"--"Und jetzt heisst es, Hauptmann Roey wird das uebernehmen."--"Ist das eine Arbeit fuer einen Mann wie ihn?"--"So fragt gewiss mancher.--Alle fragen, was er hier will?" lachte Joergen. Mary sah ihn an und er Mary. Dann ging er naeher an sie heran: "Aber jetzt kommt er zu spaet." Er hatte als Antwort einen verstaendnisvollen Blick erwartet, in dem vielleicht ein bisschen Glueck lag. Aber sie ging weiter, ohne ihn anzusehen, auch ohne etwas zu sagen. Da trat eine lange Pause ein. Sie gingen schnell. Der Herbstwind wehte erfrischend. Da wandte sie sich zu ihm, um ihm eine Freude zu machen. "Weisst Du, Joergen, dass Vater bei Onkel Klaus zweihunderttausend Kronen stehen hat?"--"Zweihundertfuenfzigtausend", antwortete Joergen. Sie war sehr erstaunt,--einmal darueber, dass Joergen Bescheid wusste, dann ueber die fuenfzigtausend Kronen. "Onkel Klaus sprach von zweihunderttausend." --"Ja, die Dein Vater in seine Unternehmungen und in das Schiff hineingesteckt hat. Aber kurz bevor Dein Vater krank wurde, hat er Onkel fuenfzigtausend Kronen geschickt, die frei geworden waren."--"Woher weisst Du das?"--"Onkel hat es mir gesagt."--"Ich habe nichts darueber gefunden."--"Nein, Dein Vater hat sich mit dem Verbuchen wohl nicht beeilt; das war seine Art so. Ausserdem--," hier stockte Joergen, "kennst Du alle Geschaefte Deines Vaters?" Sie wollte darauf nicht eingehen; die Frage kam ihr nicht unerwartet. Aber wie konnte Joergen--? Vielleicht durch Frau Dawes. Jedenfalls freute sie sich. Sie war stehen geblieben, sie wollte etwas sagen. Aber der Wind hob ihr die Roecke hoch, loeste ihr eine Haarstraehne und riss ihr den Schal ab. "Herrgott, wie entzueckend Du aussiehst!" rief er.--"Aber dann steht ja nichts im Wege, Joergen?"--"Wir koennen heiraten, meinst Du?"--"Ja", und damit ging's weiter.--"Nein, Liebste, jetzt bringen die Aktien nahezu nichts ein."--"Ja, was tut das? Wir muessen drauflosgehen, Joergen!" Sie strahlte vor Gesundheit und Mut. "Ohne Onkels Zustimmung?" fragte er verzagt.--Sie stand wieder still: "Wuerde er Dich enterben?"--Ohne direkt zu antworten, sagte er schwermuetig: "Wenn Du wuesstest, Mary, was ich mit Onkel ausgestanden habe. Vom ersten Tag an, da er mich zu sich nahm. Wie er mich geplagt hat. Wie er mir aufgepasst hat. Bis auf diesen Tag bin ich wie ein ungezogener Schuljunge von ihm behandelt worden. Seine schlechte Laune hat er stets an mir ausgelassen." Auf seinem Gesicht zeigte sich eine solche Mischung von Verbitterung und Unglueck, dass Mary unwillkuerlich rief: "Armer Joergen,--jetzt fange ich an zu verstehen!" Sie gingen weiter. Sie dachte daran, dass seine Faehigkeit, sich zu beherrschen in einer harten Schule erworben sei; da hatte er auch gelernt, sich zu verstellen. Seine Zaehigkeit musste sie bewundern; was hatte er nicht alles durchgesetzt! Und allein seine Musik! Die war wohl sein Trost gewesen. Jetzt verstand sie seine ungewoehnliche Hoeflichkeit. Jetzt verstand sie seine Sentimentalitaet. Sie verstand, wodurch er so streng und pedantisch geworden war und so hart gegen seine Untergebenen. Sie sah ein, dass auch sie vielleicht schuld gewesen, wenn es ihm schlecht gegangen war. Seine lange, schweigende Liebe zu ihr hatte ihm nur eine Last mehr aufgebuerdet; denn sie hatte ihm kein aufmunterndes Wort gegoennt; im Gegenteil! Was Wunder, dass er schliesslich wie verhext war? "Armer Joergen", sagte sie noch einmal und fasste seine Hand. Das erste Liebeszeichen, das sie ihm je gewaehrt hatte. Sie musste es gleich wieder zuruecknehmen, weil sie die Roecke festhalten musste, denn um die Landzunge pfiff ein scharfer Wind, und ein Segelboot schnitt gerade unter ihnen durch das Wasser. Vom Boote aus wurde heraufgewinkt, und sie winkten hinunter. Welch ein herrlicher Tag, wie schimmernd blau der Fjord mit den roten Wimpeln ueberall. Als sie zur Bucht hinunterkamen, fragte sie: "Glaubst Du wirklich, er wuerde Dich enterben, wenn wir uns verheiraten?"--"Wir haben nichts, woraufhin wir heiraten koennen, Du Liebe!"--"Wir koennen doch diese Papiere verkaufen", sagte sie mutig. "Ja, wenn wir so vorgehen, um uns heiraten zu koennen, dass wir sie jetzt verkaufen, wo sie so niedrig stehen, ja, dann enterbt er mich sicher."--Aber sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben: "Und unser Wald?"--"Der muss erst jahrelang stehen."-- Wie gut Joergen Bescheid wusste! Wie genau er alles ueberlegt hatte! Sie kamen auf die Strandstrasse, die auf die letzte Landzunge bei Krogskog zufuehrte. Da stand ein alter wunderlicher Finnenhund. Mary war gut Freund mit ihm. Er klaeffte ja immer ein bisschen, wenn jemand in seine Naehe kam; vielleicht konnte er nicht gut sehen; aber er wedelte gleich mit dem Schwanz, wenn er einen Bekannten witterte. Heute war er wie toll. "Herrjeh," rief Mary, "ist er etwa auf Dich so wuetend?" Joergen antwortete nicht, sondern bueckte sich nach einem kleinen Stein. Als der Hund das sah, rannte er, den Schwanz zwischen die Beine geklemmt, hinter einen Reisighaufen am Wege. Von dort setzte er dann das Konzert fort. "Lass ihn doch!" sagte Mary, als sie sah, dass Joergen die Schusslinie berechnete. "Es waere doch spassig, wenn er sich genau auf die Stelle zurueckzoege, auf die ich ziele," sagte er, "dann bekommt er den Stein naemlich gerade auf den Ruecken." Dabei tat er, als werfe er; der Hund setzte davon,--da warf er erst, und der Hund bekam den Stein genau auf den Ruecken. Er heulte auf. "Siehst Du!" sagte Joergen triumphierend. "Es gibt nicht viele, die so sicher treffen, kann ich Dir sagen."--"Kannst Du ebenso gut schiessen?"--"Ob ich es kann! Wirklich, Mary, alles, womit ich mich befasse--viel ist es ja nicht,--das tue ich gruendlich." Das musste sie zugeben. Das rasende Gebell des Hundes in der Ferne bestaetigte es auch. Auf dem Richtsteig zum Hause hinauf sagte er: "Meinst Du, wir sagen Frau Dawes oder Deinem Vater etwas?"--"Von Onkel Klaus?"--"Ja. Es wuerde sie nur betrueben. Koennen wir nicht sagen, er habe gemeint, wir sollten bis zum Fruehjahr warten?"--Sie blieb stehen. Sie war nicht fuer so etwas. Aber Joergen blieb dabei. "Ich kenne Onkel Klaus besser als Du. Ihm wird es bald leid. Freilich wird er nicht nachgeben, aber er wird selbst mit einem anderen Vorschlag kommen, ungefaehr mit so etwas, wie ich jetzt meine:--er moechte, wir warteten bis zum Fruehjahr." Mary war sich laengst darueber klar, wie gut Joergen unterrichtet sei; sie musste deshalb auch zugeben, dass er so etwas besser verstand als sie. Aber an Schleichwege war sie nicht gewoehnt. "Lass mich nur machen," sagte er, "dann erspare ich den alten Leuten eine Enttaeuschung." "Aber was soll ich denn sagen?" fragte Mary.--"Die Wahrheit, dass Onkel sich sehr ueber unsere Verlobung gefreut hat, und dass die Zeiten jetzt so schlecht seien, dass wir warten muessten. Das verhaelt sich doch tatsaechlich so." Damit war Mary einverstanden. Besonders weil es sie freute, dass Joergen auf die Schonung der beiden Alten bedacht war. Er bekam dafuer einen aufrichtigen Dank--und wieder ihre Hand. Die behielt er in seiner bis an die Treppe, ja noch die Treppe hinauf. Er dachte, das ist ein Pfand fuer einen Kuss im Vorzimmer. Aber dann nehme ich mir zehn! Er machte die Tuer auf und liess Mary vorangehen. "Schoenen Dank fuer den Spaziergang, Joergen", sagte sie, indem sie an ihm vorbeiging und ihm froehlich zunickte,--lief zur Treppe und nach oben. Er hoerte sie in ihr Zimmer gehen.-- Wie schonend Joergen auch seine Worte waehlte, als er von dem Resultat berichtete,--es war eine schwere Enttaeuschung fuer die alten Leute. Sowohl Krog wie vor allem Frau Dawes fanden es unerklaerlich; die letztere sogar grausam. So sollte Mary den langen Winter ueber hier allein bleiben und Joergen in Stockholm. Sie konnten sich vielleicht zu Weihnachten ein paar Tage sehen, aber sonst nicht. Seltsamerweise uebte die Enttaeuschung der beiden Alten einen Rueckschlag auf Joergen aus. Er sass wie ein fluegellahmer Vogel da. Er sprach nicht, er antwortete Frau Dawes kaum, er spielte auch nicht; aber er bereitete seine Abreise fuer den naechsten Morgen vor. Er wollte direkt nach Stockholm; seine Zeit war um. Nur Mary war guter Dinge. Es war, als gehe sie die ganze Geschichte nichts an. Ihr hatte der Tag nichts Schlimmes gebracht; so schien es. Das Triumphgefuehl, das in ihr war, seit sie vor ihrem Vater die Verlobung zu proklamieren geruht hatte, war nicht allein ungeschwaecht, es war staerker als je. Sie ging ueber die Flure und durch die Stuben und summte vor sich hin; sie hatte tausenderlei zu tun, als sei sie es, die eine lange, wichtige Reise vorhatte. Beim Abendessen trieb sie soviel Unsinn, dass Joergen das unsichere Gefuehl hatte, sie mache sich ueber ihn lustig. Er sagte ihr schliesslich gerade heraus, er verstehe sie nicht. Ihm scheine, sie solle ihn lieber bedauern. Sie bleibe doch wenigstens hier in ihrem entzueckenden Heim und in ihrer schoenen Sorge fuer ihre beiden Lieben; er aber--? Jetzt habe er einen Hass auf das, was vor ihm liege, weil es ihn von ihr fernhalte. Es tue ihm leid, dass er sich vom Dienst habe beurlauben lassen. Er verabscheue Stockholm. Er wisse, wie zurueckgesetzt ein junger Mann dort sei, der nicht zur hoeheren "societe" gehoere und obendrein Norweger sei. Er war ungluecklich und machte seinem Kummer Luft. "Du hast doch bei Deiner Konfirmation so gut Bescheid gewusst, Joergen, hast Du vergessen, dass Jakob volle sieben Jahre um Rahel dienen musste?"--"Habe ich etwa nicht lange genug um Dich gedient, Mary?"--"Weil Du gar so frueh damit anfingst, sind es so viele Jahre geworden. Es ist eine schlechte Angewohnheit von Dir--zu frueh anzufangen!"--"War es denn moeglich, Dich zu sehen, ohne ...? Du tust Dir selbst unrecht."--"Du hattest doch andere Ziele, Joergen, als mich zu erringen?"--"Die hatte Jakob auch, der Geldjaeger! Und er hatte noch den offenbaren Vorteil, dass er Rahel inzwischen sehen konnte, so oft er wollte."--"Na,--einer, der Jahre lang gewartet hat, Joergen--" "--der kann auch noch ein halbes Jahr Iaenger warten? Ja, Du hast gut reden, die nie auf etwas gewartet hat. Nicht auf das geringste!"--Sie schwieg. "Dass Du mich obendrein noch necken willst, Mary!--Der (auch wenn er bei Dir ist) auf so schmale Kost gesetzt ist!"--"Du beklagst Dich, Joergen?"--"Ja, wahrhaftig."--"Du hast allzu frueh angefangen, musst Du bedenken." Sie lachte. Er wurde verlegen, sagte aber nach einer Weile: "Du weisst eben nicht, was warten heisst!"--"Ich weiss jedenfalls, dass einer, der auf schmale Kost gesetzt ist, sich leichter daran gewoehnen kann." Sie lachte wieder. Er war gekraenkt und unsicher zugleich. Eine, die ihn wirklich lieb hatte, haette sich kaum so benommen--am Abend vor einer mehrmonatlichen Trennung. Und bei so klaeglichen Aussichten fuer die Ehe, wie sie sie hatten. Sie sassen eine Weile bei ihrem Vater und sehr lange bei Frau Dawes. Joergen war still und sagte ueberhaupt nichts. Mary aber war vergnuegt. Frau Dawes blickte die beiden verwundert an. Sie wandte sich zu Joergen: "Armer Junge, Du musst zu Weihnachten herkommen!" Mary antwortete statt seiner: "Tante Eva, um Weihnachten ist es in Stockholm gerade am lustigsten." Ploetzlich stand Mary auf und wuenschte sehr unerwartet "Gute Nacht", erst Joergen, dann Frau Dawes. "Ich bin muede von unserer Tour und ich will morgen frueh aufstehen, um Joergen zu begleiten." Joergen fuehlte, dieser unerwartete Aufbruch war ein wohlueberlegter Streich. Sie wollte dem entgehen, ihm draussen auf dem Flur gute Nacht zu sagen. Er schwur ihr Rache. Er verstand sich darauf. Frau Dawes wollte wissen, ob zwischen ihnen etwas vorgefallen sei. Das bestritt er. Sie glaubte ihm nicht; er musste allen Ernstes wiederholen, er wisse von nichts. Aber seine Verstimmung verbergen, das konnte er nicht. Er brachte es nicht einmal ueber sich, dazubleiben, und liess sie allein. Auf dem Flur war es gegen die Gewohnheit voellig dunkel. Er tastete sich nach seiner Tuer. Erst als er drinnen Licht angezuendet hatte und unwillkuerlich auf ein Lebenszeichen aus ihrem Zimmer lauschte, fiel ihm ein, dass sein Schloss geoelt worden war. Heute morgen hatte es geknarrt. Ganz unbedeutend, aber geknarrt hatte es. Nie war er in einem Hause gewesen, wo wie hier die kleinste Kleinigkeit, die in Unordnung war, sofort repariert worden waere. Trotzdem Sonntag war. Er konnte sich kein groesseres Glueck vorstellen, als spaeter, wenn erst alles in Ordnung war, hierher zurueckzukehren, hier auszuruhen, und hier solange und solcherart zu leben, wie sein tiefstes Beduerfnis nach Lebensgenuss es ihm vor Augen stellte. Also galt es auszuhalten. Sich jetzt in ihre Launen zu finden wie frueher in des Onkels Launen. Bis seine Zeit kam!-- --Er war beim Ausziehen, als lautlos die Tuer geoeffnet wurde und Mary in ihrem Nachtgewand hereintrat. Blendend schoen. Sie schloss die Tuer hinter sich und trat an die Lampe. "Du sollst nicht laenger warten, Joergen!" Sie loeschte die Lampe aus.-- * * * * * Allein Am naechsten Morgen verschlief sie die Zeit. Sie wurde durch Gesang und Klavierspiel aufgeweckt. Im Halbschlummer erst und dann deutlich hoerte sie durch einen Strom herandraengender Erinnerungen Joergens Stimme. Er sang am Klavier bei offenem Fenster in den fruehen Morgen hinein. Sein heller, jubelnder Tenor trug Festesklaenge zu ihr hinauf. Schnell, ganz schnell war sie aus dem Bett und in den Kleidern; sonst kam sie zu spaet, um ihn zum Schiff hinunterzubegleiten. Bei dem raschen Hantieren wurde sie ganz wach, und maechtiger stuermten ihre Gedanken ihm und seiner berauschten Seligkeit entgegen. Seinen tiefinnigen, Seele und Sinne durchstroemenden Dank und seine Lobeshymnen wollte sie in der Naehe geniessen! Hoch emporgehoben und im Triumph herumgetragen werden wie die Herrscherin seines Lebens. Aus freier Souveraenitaet hatte sie ihm des Lebens hoechsten Preis geschenkt. Jetzt war er belohnt fuer seine lange Qual! Vorurteilslos und ohne zu feilschen. Sie kannte ihn jetzt doch; sie wusste bis ins kleinste, wie er aussehen, wie er sich benehmen wuerde, wenn er sie hineinfuehrte in sein Glueck. Deshalb schwoll ihre Brust dem Wiedersehen entgegen. Feiern sollte man sie und ihr danken! Durch das kleine hollaendische Kabinett kam sie in ihrem blauen Morgenkleide und legte die Hand auf den Tuergriff des grossen Musikzimmers nach der See hinaus, musste aber stehen bleiben, um Atem zu schoepfen, so gespannt war sie. Dabei genoss sie seinen Triumph da drinnen. So hingerissen war er von seiner eigenen Musik, dass sie ihm ganz nahe kam, ehe er sie bemerkte. Er blickte strahlend auf und erhob sich langsam und still wie zu einem Fest. Er wollte die Stimmung nicht zerstoeren; er breitete die Arme ihr entgegen, zog sie an sich, kuesste sie ehrbar aufs Haar und streichelte ihr langsam und sorglich die Wange, die freilag; er wollte zudecken und verbergen, ihr mit maennlicher Guete ueber die Scham weghelfen, die sie naturgemaess empfinden musste. Er war ganz zart und beruhigend.-- "Wir muessen jetzt wohl schnell essen", fluesterte er freundlich zu ihr hinunter, kuesste noch einmal ihr schoenes Haar und atmete seinen Duft. Dann fasste er sie sanft, aber gleichsam fuehrend, um die Taille. An der Tuer fragte er leise: "Du hast wohl gut geschlafen, dass Du so spaet kommst?" Er oeffnete mit der freien Hand vaeterlich die Tuer und blickte sie mitfuehlend an, als er keine Antwort bekam. Sie war sehr blass und ganz verwirrt. "Mein suesses Maedchen", fluesterte er troestend. Bei Tisch war des Ruecksichtnehmens kein Ende, besonders da sie nichts essen konnte. Aber die Zeit war knapp; er musste fuer sich selbst sorgen, so dass nicht viel darueber gesprochen wurde. Mary sagte kein einziges Wort. Aber sie fand, er hantiere mit Messer und Gabel auf eine ganz neue, herrische Art. Verwandt der Art, wie er zu ihr sprach und wie er sie ansah. Er wollte ihr offenbar Mut einfloessen. Nach dem, was gestern geschehen war. Sie haette den Teller mit allem, was darauf war, nehmen und ihm ins Gesicht schleudern moegen! Sein Triumphgesang hatte ihm selber gegolten, die Siegeshymne seinem eigenen Verdienst! Bei allen Mahlzeiten stand eine Karaffe mit Wein auf dem Tisch. Er trank langsam ein ganzes, grosses Glas, wischte sich den Mund und stand mit einem wuerdevollen "Entschuldige!" auf.--Dann in der Tuer: "Ich muss nachsehen, ob der Knecht meinen Koffer geholt hat." Einen Augenblick nachher war er wieder da. "Die Zeit ist knapp"; er schloss die Tuer hinter sich und ging hastig auf Mary zu, die jetzt am Fenster stand. Er zog sie diesmal rasch an sich und wollte sie Kuessen... "Nicht mehr dergleichen!" sagte sie mit ihrer ganzen alten Souveraenitaet und wandte sich ab. Sie ging stolz hinaus ins Vorzimmer, zog sich eine Jacke an, wobei ihr das herzueilende Maedchen half, waehlte einen Hut, sah nach dem Wetter und nahm dann einen Sonnenschirm. Das Maedchen oeffnete ihr die Haustuer, Mary ging rasch hinaus, er hinterher, in seinem tiefsten Empfinden verletzt. Er war sich keiner Schuld bewusst. Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Aber es kochte so in ihr, dass sie ihren Sonnenschirm fast zerbrochen haette, als sie ihn schliesslich aufspannen wollte. Er sah es. "Du," sagte sie, und es klang, als habe sie eine ganz andere Stimme bekommen, "ich halte nicht viel vom Briefschreiben. Ich kann auch keine Briefe schreiben."--"Ich soll Dir also nicht schreiben--?!" Er hatte auch eine andere Stimme bekommen. Sie antwortete nicht, und sie sah ihn auch nicht an. "Wenn aber irgend etwas passiert--?" sagte er.--"Nun ja, dann--! Aber dann hast Du ja Frau Dawes." Als sei es damit noch nicht genug, fuegte sie hinzu: "Du bist wohl uebrigens auch kein Held im Briefschreiben. Also ist nicht viel dabei verloren." Er haette sie schlagen moegen. Zum Ueberfluss musste nun auch noch der alte, wunderliche Finnenhund da an der Bruecke sein mit einem von seinen Leuten. Kaum wurde er Joergen gewahr, da fing das Konzert an. Es nuetzte alles nichts, soviel seine Herren auch ihm pfiffen und ihn riefen. Alle wandten sich nach den Ankoemmlingen um. Joergen hatte sich sofort nach einem kleinen Stein gebueckt, und Mary hatte ihn leise gebeten, es nicht zu tun. Der Dampfer legte gerade an, die allgemeine Aufmerksamkeit, auch die des Hundes, wurde von ihnen abgelenkt, und auf diesen Augenblick hatte Joergen gewartet, um ihm den Stein direkt auf den Leib zu werfen, dass er laut aufheulte. Unmittelbar darauf wandte er sich zu Mary und zog den Hut mit seinem verbindlichsten Laecheln und mit tausend Dank fuer die genossene Gastfreundschaft. Sie musste anstandshalber warten, bis der Dampfer abfuhr; ja, sie musste ein paarmal mit dem Sonnenschirm winken. Laechelnd und triumphierend gruesste Joergen mit maechtigem Hutschwenken vom Dampfer herueber. Wuetend war sie! Aber er kaum weniger. * * * * * "Er, der sich vor mir in den Staub haette werfen muessen und den untersten Saum meines Kleides kuessen!" Das war ihre Empfindung. Schon gestern abend war das Gefuehl von etwas Unfeinem in ihr aufgedaemmert. Er wollte sie nicht wieder loslassen. Sie musste eine List anwenden und ihre Tuer verriegeln. Aber sie hatte sich das als eine krankhafte Folge seiner langen Sehnsucht ausgelegt, die zur Besessenheit geworden war. Jetzt war kein Zweifel moeglich! Nur ein "Bewanderter" konnte es in dieser Weise auffassen. Sie war betrogen. Das Allerschoenste in ihr, das von ihren feinsten Instinkten geschirmt und grossgezogen worden, war hineingelockt in einen widerwaertigen Irrtum. Sie rang den ganzen Tag damit. Verraten und geschaendet nannte sie sich. Zuerst waelzte sie alle Schuld von sich. Dann nahm sie alles auf sich und verdammte sich als unbrauchbar fuer das Leben. Sie greife doch nur fehl, sie verrate sich selbst. Einen Augenblick sagte sie: Mir ist Gewalt angetan, obwohl ich mich freiwillig hingegeben habe! Im andern Augenblick sagte sie: Das greift gewiss viel weiter zurueck, und ich finde mich nicht heraus. Welch ein Segen, dass ihr Zimmer unberuehrt und rein geblieben war. Das nebenan wollte sie nie wieder betreten, nie mehr sehen. Ihm wollte sie nicht gehoeren. Aber wuerde er denn schweigen? Darueber war sie beruhigt. Auf dem Gebiet lagen seine Schwaechen nicht, sonst haette sie wohl irgend etwas erfahren. Aber dass ein einziger Mensch existieren sollte, der--! Sie weinte vor ohnmaechtigem Zorn. Das wuerde ihren Lebensmut zerstoeren. Das wuerde wie ein Alp auf ihr liegen. Gerade wenn sie sich am hoechsten fuehlte. Sehen wollte sie ihn! Ihm sagen, wofuer sie ihn gehalten habe,--und wer er sei. Zu wem sie habe hineingehen wollen,--und zu wem sie hineingekommen sei. Er sollte nicht triumphieren koennen. Aber dazu musste sie sein Leben kennen. Wen konnte sie fragen, wer kannte sich darin aus?---- Als sie am naechsten Morgen aufwachte, war sie sich klarer. Einmal darueber, wie sie sich volle Gewissheit ueber Joergen verschaffen konnte; das musste gelegentlich geschehen, so dass keiner etwas merkte. Ebenso war sie sich klar, dass der Bruch mit ihm und die Begegnung, die den Bruch vorbereitete, hingehalten werden musste--vor allem um der beiden Alten willen. Das zweite und viel wichtigere war: ihr eigenes Leben wieder aufzubauen, aus dieser schwuelen Luft herauszukommen, die sie ins Verderben gefuehrt hatte. Da gab es nur einen Weg: ihre Arbeit aufzunehmen, sich brauchbar dafuer zu machen und aus den Resultaten neuen Mut zu schoepfen. Arbeit und Pflichttreue! Sie stuetzte sich auf die Ellbogen, als wolle sie die Aufrichtung in ihrem Innern versinnbildlichen, und stand im naechsten Augenblick auf den Fuessen, um sich fertig zu machen.-- Die fuenfzigtausend Kronen, die ihr Vater also neulich Onkel Klaus gegeben, und die sie in den Buechern nicht gefunden hatte,--deuteten die nicht darauf hin, dass ihr Vater noch einen Fonds in Amerika hatte--ausser dem bruederlichen Geschaeft? Dass die Zinsen, die er nicht aufgebraucht hatte, dort in Aktien angelegt waren? Da kuerzlich 50 000 Kronen frei und hierhergeschickt waren? Seit Joergen ihr vorgestern von den 50 000 Kronen erzaehlt hatte, hatten die ihr in all den aendern Geschichten keine Ruhe mehr gelassen. Sie musste die amerikanische Korrespondenz des Vaters pruefen; darin wuerde es stehen. Aber sie fand keine solche Korrespondenz,--bis sie eine Truhe oeffnete, die unten in dem Buecherregal stand, zu dem der Schluessel in seinem Portemonnaie lag. Sie kannte die Truhe von ihren Reisen her; aber sie hatte nie gewusst, was sie enthielt. Hier fand sich die ganze amerikanische Korrespondenz; hier fanden sich auch die Belege. Es machte den Eindruck, als habe er schon zu Lebzeiten ihrer Mutter ihr Vermoegen und alles, was damit zusammenhing, besonders verwaltet. Dann musste aber ein recht betraechtlicher Rest geblieben sein, selbst wenn der Hauptbestand, eine Million Dollar, verloren war. Sie war wie im Fieber. Ihr Vater musste den Brief so verstanden haben, als sei sein ganzer Besitz in Amerika verloren gegangen. So hatte sie es aufgefasst, und die andern gleichfalls. Den Kopf voll dieser Dinge, begab sie sich zum Vater. Sie setzte ihm alles umstaendlich auseinander und sagte, sie wolle gleich nach Amerika, um Klarheit zu schaffen. Er erschrak. Aber bald sah er die Notwendigkeit ein und fuegte sich. Frau Dawes war nicht so leichtglaeubig. Sie vermutete, es muesse etwas geschehen sein, wovon Mary sich ablenken wolle. Aber in Marys Wesen und in ihrem Bericht ueber ihre Entdeckung war etwas Heftiges, etwas, das keinen Widerspruch duldete. Frau Dawes beschraenkte sich daher auf einige schuechterne Einwendungen: es gebe auf dem Meer um diese Jahreszeit so viele Stuerme. Drei Tage spaeter war Mary mit einem englisch sprechenden Maedchen auf dem Wege nach Amerika. Sie werde, sagte sie, schon jemand finden, der ihr wertvolle Hilfe leisten wuerde. Sie kenne so viele. Alles ging nach Wunsch. In weniger als anderthalb Monaten war sie wieder daheim. Es war hohe Zeit gewesen, dass sie hinueberkam. Denn es sollte gerade darueber prozessiert werden, ob Anders Krog mit seinem ganzen Besitz der Kompagnon seines Bruders gewesen sei, waehrend er es doch nur mit der Summe war, die im Geschaeft steckte. Das konnte sie beweisen. Dieser Erfolg machte ihr Mut. Warum nicht weiter gehen? Hier hatte sie Kapital zur Verfuegung, und sie hatte grosse Lust, etwas zu beginnen. Auch einen Holzhandel. Konnte sie das nicht so gut lernen wie jeder andere? Die doppelte Buchfuehrung? War die so schwer? Sie fing gleich an. Anders Krog schien aufzuleben, seit sie wieder daheim war. Die Gewissheit, dass das Vermoegen, das ausserhalb der Konkursmasse des Bruders stand, gerettet war, war fuer ihn eine grosse Freude. Marys Zukunft lag ihm so sehr am Herzen. Dagegen nahm Frau Dawes sichtlich ab. Es war, als habe dieses taetige, rastlose Menschenkind seine Kraefte aufgebraucht. Selbst nach Joergen fragte sie nicht; ihre Korrespondenz hatte sie aufgegeben. Mary leitete den Gutsbetrieb zusammen mit dem Prokuristen und verwaltete das Vermoegen gemeinsam mit einem Geschaeftsmanne. Nebenbei nahm sie Unterricht und lernte. Zweimal woechentlich war sie in der Stadt. So ging es in den November hinein. Da bekam Anders Krog einen Brief aus Kristiania von einem nahen Verwandten, einem reichen Manne, dessen einzige Tochter sich soeben verlobt hatte. Er bat, Marit moege doch zu den Festlichkeiten hinkommen; es sollten in den beiden grossen Familien deren mehrere stattfinden. Mary war selbst erstaunt, wie grosse Lust sie ploetzlich bekam. Der alte Adam war nicht tot. Sie traellerte auf den Fluren und in den Stuben vor sich hin, waehrend sie ihre Reisevorbereitungen traf; sie sehnte sich nach einer neuen Umgebung--und nach neuen Huldigungen. Sie suchte Genugtuung darin! Das musste sie sich selbst zugeben. Sie war kaum einige Tage dort, als Anders Krog einen Brief bekam, in dem Marys Lob in den hoechsten Toenen gesungen wurde. Nicht das Brautpaar, sie sei der Mittelpunkt aller Baelle gewesen; nicht das Brautpaar, sie werde bevorzugt und gefeiert--in erster Linie von dem Brautpaar selbst. Ihre einzigartige Schoenheit, ihr vornehmes Wesen, ihre Kenntnisse und ihr Taktgefuehl wuerden sie ihnen allen unvergesslich machen. Sie moechten sie so gern noch eine Zeitlang dabehalten. Anders Krog schickte den Brief zu Frau Dawes hinein mit der Bitte, ihn bald zurueckzugeben; er wolle ihn noch oft lesen,-- Am Tage darauf war Mary wieder daheim. Sie trat des Morgens still bei ihrem Vater in die Tuer, und er erschrak, als er sie sah. Sie sei krank geworden, sagte sie, und das sah man auch deutlich genug. Sie war nicht nur blass, sie war grau, mit uebernaechtigen Augen und matter Stimme. Sie gab ihrem Vater einen langen, zaertlichen Kuss, wollte aber den Brief, den er bekommen hatte, gar nicht sehen und nicht von ihrem Aufenthalt in Kristiania reden. Jetzt erst auf ein paar Minuten zu Frau Dawes, dann zu Bett und ausruhen. Sie blieb kaum eine halbe Minute bei Frau Dawes, die sie in grosser Besorgnis zurueckliess. Mary schlief den ganzen Tag, ass zu Abend eine Kleinigkeit und schlief wieder die ganze Nacht. Als sie aufstand, sah sie aus wie immer, war frisch und wach. Der Prokurist, der Gaertner und die Haushaelterin kamen zu ihr und legten Rechenschaft ab, und sie machte einen Rundgang durch das Haus. Dann kam sie laechelnd nach oben zu ihrem Vater, der sehr gluecklich war, als er sie wieder so vor sich sah. Sie kam, um ihm zu sagen, dass jetzt einer baldigen Heirat nichts mehr im Wege stehe. Jetzt haetten sie ja Vermoegen. Der Vater brachte unter grossen Schwierigkeiten heraus, das habe er auch schon gedacht. Seine Augen und die eine Hand sagten das uebrige; dass er naemlich nichts lieber sehe. Aber als sie dasselbe zu Frau Dawes sagte und hinzufuegte, sie habe eigentlich Lust, gleich nach Stockholm zu fahren, um diesen Vorschlag zu machen (Joergens Name wurde nicht genannt), da gewann Frau Dawes die alte Geistesschaerfe wieder, richtete sich im Bett auf und fing laut zu weinen an. Nun verlor Mary den Mut, warf sich ueber das Bett und fluesterte: "So ist es, Tante Eva!" Sie weinte die verzweifeltsten Traenen ihres Lebens. Aber als Frau Dawes' Kummer dadurch immer groesser wurde, hob Mary den Kopf: "Liebe Tante, Vater kann uns ja hoeren!"--Sie daempften ihre Stimmen ein wenig; Frau Dawes aber versicherte unter Traenen, dies sei ja ihre eigene Geschichte! Erst als ihr Verlobter sie soweit gehabt habe, sei ihr klar geworden, was fuer ein erbaermlicher Kerl er war; "aber da mussten wir uns eben heiraten. Da siehst Du, Kind, wie wir Frauen sind; wir werden nie klug."-- "Oh dass Ihr diesen Menschen in mein Leben hineinziehen musstet!" jammerte Mary. "Ich fuehlte es instinktmaessig, dass ich ihn mir fernhalten muesse; aber Ihr schlugt alle Bedenken zu Boden." Nach einer Weile: "Nein, so musst Du das nicht auffassen, Tante Eva; ich mache Euch keine Vorwuerfe. Was nuetzt jetzt auch alles Jammern? Hier bleibt nur eins: sich mit geschlossenen Augen hineinstuerzen." Darin stimmte ihr Frau Dawes voellig bei. "Dann machst Du es wie ich: wenn die Ehre gerettet ist, laesst Du Dich von ihm scheiden."--"Nein, das tue ich nicht. Dann haben wir etwas, das uns aneinander bindet.--O Gott, o Gott!" sie jammerte, klammerte sich an ihre alte Freundin und erstickte ihren Verzweiflungsschrei in den Kissen. Frau Dawes sass hilflos da und stuetzte sie. "Das verstehe ich nicht", sagte sie. Da hob Mary rasch den Kopf: "Das verstehst Du nicht? Gerade um mich zu binden, hat er es getan. Er kannte mich." Wieder warf sie sich verzagt und verzweifelt ueber das Bett. Zwischen den Ausbruechen oder vielmehr als einen Teil dieser Ausbrueche hoerte man die Worte: "Es gibt keinen Ausweg! Es gibt keinen Ausweg!" Frau Dawes hatte nicht die Kraft und nicht den Mut, bei soviel Leid nach Worten zu suchen. Es musste sich austoben. Bis die Empoerung sich abkuehlte. Frau Dawes merkte, wie allmaehlich etwas anderes sich emporarbeitete. Mary hob den Kopf, ihre verweinten Augen waren voll Hass: "Ich dachte, ich haette mich einem Gentleman hingegeben. Aber ich geriet an einen Spekulanten." Damit stand sie langsam auf. "Willst Du ihm das sagen, Kind?"--"Mit keinem Wort! Nichts, absolut nichts dergleichen. Ich will sagen, wir muessen heiraten." * * * * * Drei Tage darauf wurde Joergen Thiis im Ministerium des Auswaertigen ein Brief ueberbracht. Er war von Mary. "Ich bin im Grand Hotel und erwarte Dich Punkt zwei Uhr draussen auf dem Trottoir." Er wusste sofort, was das zu bedeuten hatte. Er brach eilig auf, denn die Uhr war dreiviertel zwei. Erst auf der Treppe fiel ihm auf, dass er sie "draussen auf dem Trottoir" treffen solle. Sie wollte nicht mit ihm in ihrem Zimmer allein sein. Das aenderte seinen Plan. Er ging nach seiner Wohnung und erloeste einen kleinen schwarzen Pudel aus seiner Gefangenschaft, ein wertvolles Tier, das er dressierte; denn es war ein rechter Tolpatsch. Auf der Strasse war richtiges Tauwetter, so dass der Hund gleich Weisung bekam, auf dem Trottoir zu bleiben, wo es sauber war. Nach ein paar lustigen Seitenspruengen hatte es Erfolg; der Hund hatte Angst vor Joergens duennem Stock. Schon von weitem sah er Marys schlanke Gestalt. Sie stand mit dem Ruecken nach ihm, gegen das Schloss gewandt. Kein Passant weiter, kein Mensch sonst vor dem Hotel. Sein Herz klopfte heftig; allzuviel Mut hatte er nicht. Sie wurde ihn gewahr, als der Hund auf sie zulief wie auf einen guten alten Freund, Sie hatte Hunde sehr gern; einzig das Wanderleben hatte sie abgehalten, sich einen anzuschaffen. Und dieser war so sauber, so huebsch und so appetitlich, so ganz nach ihrem Geschmack, dass sie sich unwillkuerlich zu ihm hinunterbeugte; im gleichen Augenblick sah sie Joergen. Sie richtete sich sofort in die Hoehe: "Ist das Dein Hund?" fragte sie, als haetten sie sich vor einer halben Stunde hier auf der Strasse getrennt. "Ja", antwortete er, indem er ehrerbietig den Hut zog. Da bueckte sie sich wieder zu dem Hunde hinunter und streichelte ihn. "Nein, wie bist Du niedlich! Du reizender Kerl! Nicht anspringen!" --"Nicht anspringen!" klang es verstaerkt von Joergen her. Sie richtete sich wieder in die Hoehe. "Wohin gehen wir?" sagte sie, "ich bin noch nie hier gewesen."--"Wir koennen ja geradeaus gehen und dann um die Ecke, dann kommen wir an das John Ericson-Denkmal."--"Ja, das moechte ich gern sehen." Sie setzten sich in Bewegung. "Wirst Du herkommen?" rief Joergen dem Hunde zu und hob den Stock. Joergen fuehlte sich verletzt, dass sie ihm nicht einmal die Hand gegeben hatte. Wehleidig kam der Hund an; aber bald war er wieder vergnuegt, denn Mary sprach mit ihm und streichelte ihn. "Ich habe einen kleinen Abstecher nach Amerika gemacht", sagte sie.--"Ja, das hab' ich gehoert."-- "Die fuenfzigtausend Kronen, von denen Du sprachst, fand ich nicht in den Buechern, und ich dachte mir, es muesse noch eine Abrechnung da sein, die das Vermoegen in Amerika betraf. Und so war es auch. Folglich wurde es noetig, hinzureisen, um zu retten, was noch zu retten war. Die Hauptsumme war verloren." "Wie verlief die Sache?"--"Ich habe das mitgebracht, was von den Zinsen in all den Jahren nicht aufgebraucht war." --"Das Geld war gut angelegt?"--"Ich glaube besser, als es in Europa moeglich gewesen waere."-- Hier gab es ein kleines Intermezzo. Der Hund war vom Trottoir heruntergelaufen und bekam ein paar Hiebe. Das empoerte Mary. "Herrgott, der Hund weiss das doch nicht."--"Oh, er weiss es recht gut. Aber er hat nicht gehorchen gelernt." Sie gingen ziemlich schnell weiter. "Warum erzaehlst Du mir das?" fragte Joergen. "Weil wir jetzt heiraten koennen."--"Ja, wieviel ist es denn?"--"Zweihunderttausend."--"Dollar?"--"Nein, Kronen. Und dann noch die Fuenfzigtausend."--"Das ist nicht genug."--"Zusammen mit dem, was wir sonst noch haben?"--"Dies 'sonst' bringt augenblicklich nahezu nichts ein. Das weisst Du doch." Mary begann sich elend zu fuehlen. Er merkte es ihrer Stimme an, als sie sagte: "Wir haben doch den Wald in Reserve."--"Der fruehestens in drei Jahren abgeholzt werden kann? Vielleicht erst in vier, fuenf? Es kommt auf das Wachstum an."--Mary sah ein, dass, er recht hatte; warum hatte sie dies erwaehnt? "Aber zehn, zwoelftausend Kronen jaehrlich ...?"--"In unserer Stellung will das nicht viel sagen." Wieder ein Intermezzo. Hier war kein Trottoir, sondern ein grosser, freier Platz mit rechtem Morast. Sie hatten beide den Hund vergessen. Ein dicker, schmutziger Schifferhund, auch ein Pudel, war auf Landurlaub mit ein paar Matrosen, die die Strasse entlangschlenderten. Diesem willkommenen Kameraden hatte Joergens Hund sich angeschlossen. Er wurde mit Not und Muehe zurueckgerufen, schmutzig, wie er schon war. Als Mary auch rief, kam er freudig und glueckselig an, bekam aber einen Schlag mit der Peitsche und winselte.--"Es ist doch merkwuerdig," sagte Mary, "dass Du mit so einem netten Hund nicht Frieden halten kannst!" Sie dachte an den alten Finnenhund bei ihren Nachbarsleuten daheim, gegen den er auch so haesslich gewesen war. Joergen antwortete nicht. Der Hund aber lief demuetig hinterher, und als Joergen sich davon ueberzeugt hatte, sagte er: "Weiss Onkel Klaus etwas von dem Vermoegen?"--"Ich glaube, ausser uns weiss kein Mensch etwas davon.--Warum fragst Du?"--"Es ist richtiger, mit Onkel Klaus zu reden."--Sie blieb verwundert stehen: "Mit Onkel Klaus?" Joergen stand auch still. Jetzt sahen sie sich an. "Wir kommen weiter damit", sagte Joergen. "Bei Onkel Klaus?" sie sah ihn starr an. Sie verstand ihn nicht. "Fuer die Ehre der Familie tut er viel", sagte Joergen mit einem raschen Seitenblick, indem er weiterging. Sie war kreidebleich geworden, folgte ihm aber. "Muessen wir uns Onkel Klaus anvertrauen?" fluesterte sie hinter ihm. Weiter konnte die Demuetigung nicht gehen. "Wir tun es!" antwortete er aufmunternd und beinahe froehlich; "jetzt sagt er nicht nein." Hatte er das mit in Berechnung gezogen? Er kam naeher an sie heran: "Sieh mal, wenn Onkel Klaus nichts von dem Vermoegen weiss, bekommen wir mehr!" Er hatte es gut durchdacht! So widerlich ihr das war, es imponierte ihr doch. Joergen war gewiss bedeutender, als sie geglaubt hatte. Wenn er erst all seine Faehigkeiten entfaltet hatte, wuerde er noch andere als sie ueberraschen. Sie zog sich zusammen wie ein Blatt bei uebermaessiger Hitze. "Willst Du die Sache mit Onkel Klaus selbst in Ordnung bringen?"--"Ich reise natuerlich sofort mit Dir nach Hause. Du haettest nicht zu kommen brauchen; eine Mitteilung haette genuegt." Sie ging mit gesenktem Kopf neben ihm her und zitterte am ganzen Leibe. Seine Ueberlegenheit aengstigte und lahmte sie; seine Erwaegungen verursachten ihr Uebelkeit. Es war, wie schon einmal, dass sie einen Fuss nicht vor den andern setzen konnte; sie konnte nicht weiter. Da hoerte sie Joergen rufen: "Komm her, kleiner Satan!" Wieder der Hund. Dieser schmutzige Luemmel von Kamerad hatte ihn abermals vom Weg der Pflicht fortgelockt. Joergens Stimme hatte so etwas Eigentuemliches, wenn sie befahl: sie war gedaempft und scharf zugleich. Der Hund kannte sie und liess es dabei bewenden, zweifelnd aufzublicken. Da er aber mit einem gluecklichen Leichtsinn begabt war, warf er sich ploetzlich lustig auf seinen Kameraden und nahm das Spiel wieder auf, als sei nichts geschehen. Mary stand und zog eine Lehre daraus. Es war gerade an dem John Ericson-Denkmal, wo dies geschah. Sie blickte zu dem Kunstwerk auf; sie schaute in John Ericsons grosse, gute, nachdenkliche Augen, bis ihre eigenen sich mit Traenen fuellten. Sie war so ungluecklich. Waehrenddessen plagte sich Joergen mit dem Hunde. Sein Erziehungsprinzip war, dass der Hund nie im Streit mit seinem Herrn seinen Willen bekam. "Komm her, Du kleiner Rumtreiber", sagte er schmeichelnd. Der Hund war ganz verdutzt. Er hielt mitten im Spielen inne. "Na, so komm doch, Freundchen!" Er sprang mit ein paar lustigen Saetzen auf ihn zu, er dachte an gute, gemuetliche Stunden; vielleicht war dies so eine? Aber woran es nun lag,--ihm stiegen Zweifel auf, er warf sich herum und waelzte sich bald wieder mit seinem schmutzigen Freunde auf der Strasse. Die Voruebergehenden standen still; sie hatten ihren Spass an dem Ungehorsam des Hundes. Das reizte Joergen. Mary fuehlte es, und sie wollte dem Hunde helfen; sie stand hinter Joergen und sagte leise auf franzoesisch: "Es ist nicht recht, ihn erst zu locken und dann zu schlagen." Aber da wurde Joergen noch eigensinniger. "Davon verstehst Du nichts", antwortete er auch auf franzoesisch und lockte den Hund wieder. Mit der unueberlegten Leichtglaeubigkeit, die freundlichen kleinen Hunden eigen ist, hielt der Hund im Spiel inne und sah nach ihm hin. Den Stock hinter sich, kam Joergen auf ihn zu und lockte ihn. Er war wuetend ueber das Lachen der andern, versteckte seine Wut aber hinter sanften Worten. "Komm doch, Freundchen!" "Trau' ihm nicht!" rief ein englischer Matrose; aber es war zu spaet. Joergen hatte ihn schon an dem einen langen Ohr gepackt. Der Hund heulte auf, Joergen musste ihn gekniffen haben. Mary rief auf franzoesisch: "Schlag ihn nicht!" Aber Joergen schlug ihn trotzdem. Nicht sehr hart, aber der Hund heulte fuerchterlich; er hatte solche Angst. Joergen schlug ihn wieder; auch jetzt nicht hart, mehr um die ganze Gesellschaft zu aergern. Der Hund schrie so gottsjaemmerlich, dass Mary nicht hinsehen konnte. Sie blickte hinauf in John Ericsons gute, grosse Augen und sagte: "Mit diesen Schlag hast Du mich von Dir getrennt, Joergen!" Im Nu liess er den Hund los und richtete sich auf. Er sah ihre flammenden Augen, das weisse Gesicht und die schlanke, stolz aufgerichtete Gestalt. Ueber ihr John Ericsons Haupt. Nur einen Augenblick. Dann hatte sie sich umgedreht und schritt in leichtem, frohem Tempo davon--der Hund hinterher. Die Leute lachten, die englischen Matrosen mit herausforderndem Spott,--Joergen ging hinterher. Aber als sie merkte, dass der Hund ihr folgte und nicht ihm, und als seine Augen die ihren suchten, um zu erfahren, was sie jetzt wolle, da schlug ihre ganze Angst in ausgelassene Froehlichkeit um. Das war so ihre Art. Sie klatschte in die Haende und lief, und der Hund sprang klaeffend um sie herum. Der Bann war gebrochen, die Schande getilgt,--nun ade Joergen und alles, was drum und dran ist! "Nicht wahr, Du kleiner Befreier?" Der bellte. Sie sah sich nach Joergen um. Er getraute sich anstandshalber nicht so schnell zu gehen. "Aber wir beide getrauen uns, nicht wahr?" Sie klatschte wieder in die Haende und lief, und der Hund lief bellend mit. Dann schlug sie ein langsameres Tempo an; sie spielte mit ihm und plauderte mit ihm; Joergen war ja so weit zurueck. "Eigentlich muesstest Du 'Liberator' heissen, aber der Name ist zu lang fuer so einen kleinen, schwarzen Hanswurst. Du sollst John heissen,--ja, das sollst Du! Du sollst nach dem heissen, der mich angeblickt hat, dass ich Mut bekam!" Wieder lief sie weiter und der Hund mit. "Du folgst mir und nicht ihm! Das ist recht, das ist gut! Das hat der auch getan, nach dem Du heisst. Er folgte den Sklavenpeitschen nicht; er hielt zu denen, die Freiheit brachten!" Jetzt bogen sie um die Ecke, Joergen war nicht zu sehen. --Als er nachher ins Hotel kam, liess sie sich verleugnen; und doch hatte er sie hineingehen sehen. Er sagte, sie habe seinen Hund. Ja, davon wisse man nichts. Er musste gehen. Er hatte sie wie auch den Hund verloren. Oben auf ihrem Zimmer aber fragte Mary den Hund: "Willst Du mir gehoeren? Willst Du bei mir bleiben, Du kleiner, schwarzer John?" Sie klatschte in die Haende, damit er sein froehliches Ja bellen solle. Damit war die Eigentumsfrage entschieden. Sie bekam einen Brief von Joergen, vermutlich ueber diesen Punkt; den verbrannte sie ungelesen. Sie nahm an, sie werde ihn auf dem Bahnhof treffen, wenn der Zug nach Norwegen abfuhr, und dann werde er sein Recht fordern. Sie kam mutig angefahren, ihren frischgewaschenen, gekaemmten und parfuemierten Hund neben sich. Joergen war nicht da. * * * * * Sie schlief die ganze Nacht, den Hund auf ihrer Reisedecke. Aber mit dem Morgen kamen die Gedanken. Nun war sie allein. Hatte allein die Verantwortung. Bis jetzt hatte sie sich ja selbst mit aller Gewalt in den einzigen engen Ausweg hineingehetzt: sich sofort mit Joergen zu verheiraten, auf einer Reise ins Ausland dem Kinde das Leben zu geben--und dann bis ins Unendliche auszuhalten. Aber sich mit einem Menschen zu verheiraten, den sie verabscheute, nur um sich ein Feigenblatt zu leihen,--wie unverstaendlich ihr das jetzt geworden war! Sie hatte es versucht, weil man in ihrer Umgebung so dachte, und weil sie in einer Sonderstellung war; die duldete keinen Fleck auf dem Festgewande. Aber jetzt sagte sie "pfui, pfui!" ganz laut. Und als der Hund sofort aufblickte, fuegte sie hinzu: "Dies war meine 'Hundereise', will ich Dir sagen! Der Abschluss meiner 'Hundegeschichte'!" Aber was nun? Sie wusste, was man noch tun konnte. Aber dann musste man zwei Mitwisser haben, Joergen und noch einen. Das war zuviel. Dann konnte sie nicht stolz und frei dahinschreiten,--und das musste sie koennen. Ja, was nun? Solange die "Hundereise", die "Hundegeschichte" ihr wie ein Befehl erschienen war, wie etwas um ihrer Ehre willen unumgaenglich Notwendiges, hatte sie an die letzte, an die allerletzte Zufluchtsstaette nicht im Ernst gedacht. Jetzt war es ernst. Sie sah traurig in die treuherzigen Augen des Hundes, als suche sie auch hier einen Ausweg. Sie begegnete der unverfaelschtesten Lebenslust und Anhaenglichkeit. Sie schmiegte ihren Kopf in sein Fell und weinte. Sie war noch so jung,--sie hatte keine Lust zu sterben. Zum erstenmal weinte sie ueber sich selbst; sie tat sich leid. Sie konnte nicht begreifen, womit sie dies verdient habe. Auch konnte sie sich nicht klar werden, wie es gekommen war. Der Hund merkte, dass sie nicht froh sei. Er leckte ihr die Haende und guckte ihr in die Augen. Er winselte, weil er hochwollte und sie troesten. Da nahm sie ihn auf und beugte sich ueber ihn, was er als Spiel auffasste. Er schnappte nach ihren Haenden. Darauf ging sie ein. Die froehlichste Kinderei begann zwischen den beiden und wollte gar kein Ende nehmen, weil er nicht genug bekommen konnte; immer wenn sie aufhoerte, fing er wieder an. Da begann sie mit ihm zu plaudern: "Kleiner, schwarzer John, Du kommst mir wie ein Neger vor. Du erinnerst mich daran, dass Dein Name die Neger befreit hat. Befreit von der Sklaverei. Du hast mich davor bewahrt, in die Sklaverei zu kommen. "Aber es ist eine schlechte Befreiung, weisst Du, wenn ich nicht mit Dir weiter leben darf. Findest Du das nicht auch?" Und dann weinte sie wieder.----Mit dichtverschleiertem Gesicht fuhr sie durch die Stadt von einem Bahnhof zum andern, den Hund neben sich auf dem Sitz. Sie sah keinen Bekannten. Aber wenn die wuessten--? Oh, diese gerichtete und getoetete Kraehe, die Joergen aufheben wollte, und vor der sie weglief,--sie wusste gar nicht, dass sie die so genau gesehen hatte! Den zerfetzten Hals, den zerhackten Bauch, die leeren Augenhoehlen,--das rote Fleisch grinste sie an, sie kam waehrend dieser ganzen schrecklichen Fahrt nicht davon los. Hier draussen war's Winter. Sie hatte seit vielen Jahren keinen Winter mehr gesehen. Die absterbende, hinwelkende Natur hatte sie gesehen, aber nicht die Umwandlungskraft des Winters, die die Veroedung mit dem allerweissesten Weiss zudeckt und in Wald und Feld willkuerlich Veraenderungen schafft. Der Fjord war noch nicht zugefroren; er rauschte schwarzgrau von allen Seiten heran, herausfordernd, hart, wie ein Ungeheuer, das nach Kampf duerstet. Die Fahrt durch die Stadt hatte ihre Phantasie aufgeruehrt, die jetzt in die Gewalt der Naturkraefte geriet. Ihre Ohnmacht wurde ihr umso tiefer fuehlbar. Konnte _sie_ den Kampf aufnehmen? Konnte sie ans Ziel kommen, bis die Zeit der Umwandlung da war? Sie musste sich vorher ins Wasser stuerzen. Wie sie mit diesen Gedanken spielte,--sah sie ihres Vaters Gesicht vor sich. Wie konnte sie leben, ohne ihm zu sagen, was bevorstand? Nie, nie konnte sie ihm das sagen. Sie konnte ihm nicht einmal sagen, dass es mit Joergen aus sei. Er wuerde das nicht ertragen koennen. Wenn sie statt zu reden--verschwaende?! Du ewiger Himmel; das wuerde ihn auf der Stelle toeten. Auf der ganzen Fahrt keine Angst mehr vor den andern und nicht ein bisschen Angst vor sich selber, einzig und allein vor ihm.-- --So ermattet, so voller Seelenangst kam sie heim, dass sie zu weinen anfing, als sie das Haus erblickte. Einen so schweren Gang waren wohl nicht viele gegangen. Selbst die Freudenspruenge des Hundes, als er festen Boden unter sich hatte, konnten sie nicht ablenken. Sie ging nach oben, um sich zu waschen und umzukleiden, und bat, man moege ihren Vater und Frau Dawes benachrichtigen, dass sie wieder da sei. Das kleine Maedchen war mit in ihrem Zimmer und half ihr; es war Mary nicht angenehm, dass Nanna in jedem freien Augenblick mit dem Hunde spielte; aber sie sagte nichts. Sie sah sehr angegriffen aus. Dass sie geweint hatte, war deutlich zu sehen. Aber das war vielleicht ganz gut. Dann merkte er doch gleich, dass es nicht gut stehe. Wenn er es nur ueberstaende! Sie musste ihm dann schnell auseinandersetzen, dass die Reise lang und beschwerlich gewesen sei, und dass Joergen das Vermoegen in ihrer Stellung nicht ausreichend finde, um sich daraufhin zu verheiraten. Sie muessten auf Onkel Klaus warten. Wenn sie weinen musste, und das musste sie sicher, so muede und verzagt, wie sie jetzt war, so war das eine Vorbereitung fuer das naechste Mal. Wenn er es nur ueberstaende. Aber was sollte sie anders tun? Wenn sie nicht sofort kam, ahnte er Unheil und aengstigte sich, und das konnte er auch nicht vertragen. Sie zitterte, als sie vor der Tuer stand. Nicht bloss aus Angst vor ihm, nein, auch weil sie nicht vor ihm niedersinken und ihm alles sagen und sich bei ihm ausweinen durfte. Wie schrecklich das alles war.-- Aber das Leben ist manchmal barmherzig. Er war nicht von ihrer Ankunft benachrichtigt worden, weil er schlief. Die Pflegerin stand draussen auf dem Flur, um Mary Bescheid zu sagen, wenn sie komme. Warum sie nicht anklopfte und es ihr durch die Tuer zurief? Weil das nun einmal so ihre Art war. Als Mary jetzt herauskam, stand aber die Pflegerin nicht auf dem Flur, sondern auf der Treppe. Das Maedchen brachte naemlich das Mittagessen fuer den Kranken; das holte die Pflegerin sonst immer selbst, und geniert, dass sie es heute nicht hatte tun koennen, wollte sie ihr doch wenigstens entgegengehen und es ihr auf der Treppe abnehmen. Gerade in diesem Augenblick oeffnete Mary die Tuer zu ihres Vaters Zimmer. Sie blieb auf der Schwelle stehen, weil die Pflegerin jetzt auf sie zukam und fluesterte: "Er schlaeft, gnaediges Fraeulein!" Der Hund aber kuemmerte sich nicht darum. Der war schon drin, hatte die Pfoten auf den Bettrand gelegt und das Gesicht war dicht vor dem Antlitz des Kranken, der gerade aufwachte. Aufwachte, wo diese schwarze Fratze ihm in die Augen starrte. Sie oeffneten sich weit und schweiften voll Entsetzen durch das Zimmer, wo sie Marys Blick begegneten. Sie stand bleich und wie gelaehmt vor Schreck in der Tuer. Er wandte den Kopf nach ihr hin, seine Augen blieben an ihr haengen, es kam ein Seherblick in sie. Dann sank der Kopf zurueck. "Er stirbt!" schrie die Pflegerin hinter ihr auf. Sie setzte das Tablett hin und eilte zu ihm. Mary konnte es zuerst nicht glauben; aber als sie es begriff, warf sie sich mit einem herzzerreissenden Schrei ueber ihn. Der fand im Zimmer nebenan bei Frau Dawes einen Widerhall. Als sie dorthin eilten, lag sie ohne Bewusstsein. Sie kam nachher so weit zu sich, dass sie die Zunge bewegen konnte. Sie stammelte allerhand in einem krausen Englisch, das keiner verstand;--der Arzt aber sagte, es sei mit ihr gewiss auch bald aus. Der Vater war tot. Mary klammerte sich an ihren Verstand, als halte sie ihn in ihren Haenden. Jetzt galt es, jetzt galt es; nur nicht nachgeben. Nicht schreien, nicht denken. Denn sie hatte ihn ja nicht getoetet! Es hiess: fassen und begreifen, was die andern sagten, und dem Vorschlag beistimmen, dass ihres Vaters Schwester geholt werden solle. Es galt, ihrem eigenen Jammer nicht freien Lauf zu lassen, als sie die Trauer der Tante sah. Es galt, es galt! "Hilf mir, hilf mir," schrie sie, "dass ich nicht wahnsinnig werde!" Und zum Doktor sagte sie: "Ich habe ihn nicht getoetet,--oder doch?" Er schickte sie zu Bett, machte ihr kalte Umschlaege und verliess sie nicht. Auch er versicherte, es gelte! Erst als die kleine Nanna am andern Morgen frueh mit dem Hunde zu ihr kam und der bei ihr im Bett liegen wollte, konnte sie weinen. Im Lauf des Tages wurde es besser; denn durch das Telephon stroemte eine so gewaltige Menge von Telegrammen ins Haus, und es war eine so herzliche, oft tiefbewegte Teilnahme in ihnen ausgedrueckt, dass ihre Trauer davor schmolz. Dieses Mitgefuehl, diese Bewunderung fuer ihren Vater und der innige Wunsch, sie zu troesten und zu staerken, halfen ihr. Durch die unvorsichtige Abschrift einer dieser telephonischen Depeschen erfuhr sie, dass auch Frau Dawes tot war. Man hatte sich nicht getraut, es ihr zu sagen. Aber die grosse allgemeine Teilnahme half ihr auch darueber hinweg. Jetzt erst verstand sie die Teilnahme ganz. Alle ausser ihr hatten gewusst, dass sie die beiden verloren hatte, und dass sie nun ganz allein stand. Am meisten erschuetterte sie ein Telegramm aus Paris, das folgenden Wortlaut hatte: "Meine geliebte Mary! Wenn Dich in Deinem grossen Schmerz das Bewusstsein troesten kann, dass Du bei mir ausruhen kannst, so bestimme ueber mich; ich will mit Dir reisen, ich will zu Dir kommen, ganz wie Du wuenschst! Treulich Deine Alice." Sie ahnte, wer Alice benachrichtigt hatte. Auch Joergen telegraphierte: "Wenn ich Dir im geringsten nuetzlich sein oder Dich troesten kann, so komme ich sofort. Ich bin zerschmettert und verzweifelt." Die gleiche ruehrende und ehrenvolle Teilnahme zeigte sich auch beim Begraebnis, das drei Tage spaeter stattfand. Man hatte es um Marys willen moeglichst frueh angesetzt. Es kamen Blumensendungen ohne Ende, vor allem aber ein Kranz von Alice. Frische norwegische Blumen. Er wurde zu Mary hinaufgebracht, sie wollte ihn sehen. Das ganze Haus war von Blumenduft erfuellt, mitten im Winter; der Hauch der Liebe breitete sich ueber die Schlummernden. Sie war nicht unten; sie mochte die Saerge und die Blumen und die Vorbereitungen nicht sehen. Unten in den Zimmern wurden denen, die weither kamen, Erfrischungen gereicht. Aber es erschienen viel mehr Menschen, als das Haus fassen konnte, und unten an der Kapelle war ein noch groesserer Andrang. Der Pfarrer fragte, ob er zu dem gnaedigen Fraeulein hinaufkommen duerfe. Sie liess ihm danken, sagte aber nein. Gleich darauf fragte die kleine Nanna, ob "Onkel Klaus" sie begruessen duerfe. Er hatte ein ruehrendes Telegramm geschickt und angefragt, ob er ihr irgendwie behilflich sein koenne. Ausserdem war der Kranz von ihm so grossartig,--wie die Dienstboten versicherten--dass man auch den nach oben gebracht hatte, damit sie sich ihn ansehen solle. Sie sagte ja. Und herein kam der grosse Mann im schwarzen Anzug, schnaufend, als falle ihm das Atmen schwer. Kaum war er im Zimmer und sah Mary wie eine Elfenbeinstatue mit dem schwarzen Kleid neben ihrem Bett stehen, da setzte er sich auf den naechsten Stuhl und brach in Traenen aus. Es klang, als wenn in einer grossen Uhr die Feder springt und das ganze losschnarrt. Es war das Weinen eines Mannes, der seit seiner Kindheit nicht mehr geweint hatte. Ein Weinen, das sich ueber sich selbst entsetzte. Er sah nicht auf. Aber er hatte etwas auf dem Herzen, das merkte sie. Es war, als wolle er ein paarmal einen Anlauf nehmen, aber dann packte ihn das Weinen noch schlimmer. Da winkte er mit der Hand ab. Das galt nicht ihr, das galt ihm selbst; er konnte nicht. Er stand auf und ging. Die Tuer machte er nicht hinter sich zu. Sie hoerte ihn schluchzen den Flur entlang und die Treppe hinunter. Vermutlich brach er jetzt sofort auf. Mary war ergriffen. Sie wusste, ihr Vater war sein bester, vielleicht sein einziger Freund gewesen. Aber sie ahnte, dass das Weinen nicht nur ihrem Vater galt; es lag auch unmittelbare Teilnahme darin und Reue. Sonst waere er unten am Sarge geblieben. Die schoene Glocke der Kapelle begann zu laeuten. Der Hund, der den ganzen Tag bei ihr im Zimmer hatte bleiben muessen und sehr unruhig gewesen war, stuerzte jetzt ans Fenster, das auf die See hinausging, und legte die Pfoten aufs Fensterbrett, um hinauszusehen. Mary trat zu ihm. Im selben Augenblick fuhr Onkel Klaus fort. Unten in den Zimmern aber wurde ein Choral angestimmt, das Trauergefolge kam. Die beiden Saerge wurden von Bauern der Umgegend getragen. Als der erste herauskam, sank Mary in die Knie und weinte, als solle das Herz ihr brechen. Weiter sah sie nichts. Sie lag auf dem Bett, das Glockengelaeute schnitt ihr ins Herz; sie hatte das Gefuehl, es muesse Furchen durch die Seele ziehen. Ihre Sinne verwirrten sich immer mehr; sie war ueberzeugt, ihr Vater habe, als sie in der Tuer stand, in sie hineingesehen, und daran sei er gestorben. Frau Dawes war ihm wie immer gefolgt. Er war die einzige, grosse Liebe ihres Lebens gewesen. Jetzt waren sie beide bei ihr. Auch ihre Mutter in einem weissen, schleppenden Kleide. "Du frierst, Kind!" Sie nahm sie in die Arme, denn Mary war wieder ein kleines Kind und ganz unschuldig. Darueber schlief sie ein. Aber als sie aufwachte und draussen und drinnen keinen Laut hoerte,--das Haus war leer ... da faltete sie die Haende und sagte halblaut: "Es war das beste fuer uns drei. Das Schicksal war barmherzig mit uns." Sie sah sich nach dem Hund um; sie brauchte Teilnahme. Aber irgendeiner musste ihn hinausgelassen haben, waehrend sie schlief. Das genuegte, um wieder in Traenen auszubrechen. Perle auf Perle aus der unerschoepflichen Schmerzensquelle rann ihr ueber Wangen und Haende, wie sie so dalag und den schweren Kopf stuetzte. "Jetzt kann ich anfangen, wieder an mich selbst zu denken. Jetzt bin ich allein." * * * * * Entscheidung Am naechsten Tage ging sie zu den Graebern hinunter. Ihr Schmerz wurde durch einen kleinen Zwischenfall abgelenkt. Es war Sonnabend und morgen war einer der wenigen Sonntage des Jahres, da in der Kapelle Gottesdienst stattfand. Zu solchen Tagen pflegten wohl die Graeber geschmueckt zu werden. Da das rechte Nachbargehoeft frueher zu Krogskog gehoert hatte, hatten die Leute hier ihren Begraebnisplatz. Die Frau war hingekommen, um ein frisches Grab zu schmuecken, und der alte Wolfshund hatte sie begleitet. Natuerlich flog Marys kleiner Pudel treuherzig auf ihn zu, und zu Marys und der Frau Erstaunen nahm der alte Hund nach einer umstaendlichen und vorsichtigen Beriechung den kleinen Narren in seine Freundschaft auf. Er, der sonst keine jungen Hunde leiden mochte, verliebte sich in ihn. Er litt, dass er ihn an den Ohren zerrte und ihn in die Beine biss, ja, er legte sich vor ihm nieder und spielte den Ueberwundenen. Mary machte das solche Freude, dass sie die Frau ein Stueck begleitete, um dem Spiel zuzusehen. Und sie wurde dafuer belohnt; denn sie hoerte warme Lobesworte ueber ihren Vater und einen Widerhall all dessen, was in diesen Tagen in der Umgegend gesprochen worden war und den Grund zu seinem Nachruhm legte. Als sie mit dem Hunde, der jetzt sehr aufgekratzt war, wieder nach Hause ging, dachte sie: werde ich wohl Mutter aehnlich? Ist irgend etwas in mir, das bisher keinen Platz gehabt hat? Etwas Idyllisches? Es warteten ihrer an diesem Tage zwei Dinge. Das eine war ein Brief von Onkel Klaus, er nannte sie "Hochverehrtes, liebes Patenkind, Fraeulein Mary Krog." Dass er ihr Pate war, hatte sie nicht geahnt. Das hatte ihr Vater ihr nie gesagt; wahrscheinlich wusste er es gar nicht. Onkel Klaus schrieb: "Es gibt Gefuehle, die zu stark fuer Worte sind, zumal fuer geschriebene. Ich bin kein Held der Feder; ich nehme mir nur die Freiheit, Dir schriftlich mitzuteilen,--weil ich es muendlich nicht konnte,--dass ich an demselben Tage, da mein unvergesslicher Freund, Dein Vater, starb, und Frau Dawes, Deine edle Pflegemutter, gleichfalls starb, und Du allein zurueckbliebst, Dich, mein liebes Patenkind, zu meiner Erbin eingesetzt habe. Mein Vermoegen ist bei weitem nicht so gross, wie allgemein angenommen wird; ich habe auch in der letzten Zeit viel Pech gehabt. Aber es ist schliesslich doch genug fuer uns beide, wenn Du Deinen Teil verwaltest und nicht Joergen. Ich gehe naemlich davon aus, dass Ihr jetzt heiratet. Seit vielen Jahren habe ich Frau Dawes' Testament bei mir liegen, wie ich auch ihr Geld in Verwaltung gehabt habe. Gestern habe ich das Testament geoeffnet. Sie hat Dir alles vermacht, was sie besitzt. Es sind wohl an sechzigtausend Kronen. Aber es ist mit diesem Gelde ebenso bestellt wie mit dem Gelde Deines Vaters: es traegt zurzeit so gut wie keine Zinsen. Dein Pate Klaus Krog." Mary antwortete sofort: "Mein lieber Pate! Dein Brief hat mich tief geruehrt. Ich danke Dir von ganzem Herzen. Aber Dein grosses Geschenk darf ich nicht annehmen. Joergen ist doch Dein Pflegesohn, und ich moechte ihm in keiner Weise im Wege stehen. Du darfst mir das nicht uebelnehmen. Ich kann unmoeglich anders handeln. Ueber Frau Dawes' Testament werde ich spaeter meine Bestimmungen treffen und sie Dir dann mitteilen. Deine dankbare Mary Krog." Als sie den Brief fertig hatte, hoerte sie einen Wagen vorfahren. Gleich darauf wurde ihr eine Visitenkarte ueberbracht; darauf stand: Margrete Roey, cand. med. Es dauerte eine Weile, bis sie hereinkam; sie hatte ihren Reisemantel abgenommen; es war ein kalter Tag. Das erhoehte Marys Spannung betraechtlich, so dass sie, als die hohe, kraeftige Frauengestalt mit den guten Augen in der Tuer stand, blass wurde und zitterte. Sie merkte, was das auf die guten Augen fuer einen Eindruck machte, die jetzt ihr ganzes Mitgefuehl ueber sie hinstroemten. Als kennten sie beide sich seit vielen Jahren, ging Mary ihr entgegen, legte den Kopf an ihre Schulter und weinte. Margrete Roey zog das unglueckliche Maedchen warm an ihre Brust. Sie setzten sich. Sie wollte sich erkundigen, wann Mary ins Ausland gehe. Mary war sehr erstaunt: "Habe ich darueber mit jemandem gesprochen?"--Margrete Roey erklaerte ihr, sie habe es von der Pflegerin erfahren. "Ach," antwortete Mary, "was ich in dem Zustand gesagt habe, weiss ich nicht mehr. Ich habe jedenfalls nachher nicht wieder daran gedacht." "Also Sie wollen nicht fort?" Mary bedachte sich eine Weile. "Ich kann es wirklich noch nicht sagen. Soweit bin ich noch nicht wieder zu mir selbst gekommen." Margrete Roey wurde verlegen. Das sah Mary, oder richtiger, sie fuehlte es. "Wollen Sie etwa auch ins Ausland?" fragte sie. "Ja. Ich wollte hoeren, ob ich Ihnen irgendwie dienlich sein kann, dann wollte ich meine Reise nach Ihrer einrichten."--"Wohin reisen Sie denn?"--"Ich reise im Interesse meines Studiums und fange mit Paris an. Die Pflegerin sagte mir, dahin wollten Sie auch", fuegte sie hinzu. Sie war ganz schuechtern geworden. Sie hatte Mary helfen wollen und kam sich nun aufdringlich vor. "Ich weiss, Sie meinen es gut", antwortete Mary. "Es kann ja sein, dass ich von Paris gesprochen habe. Ich erinnere mich nicht. In Wirklichkeit habe ich noch nichts beschlossen."--"Ja, dann muessen Sie schon verzeihen. Dann beruht alles auf einem Missverstaendnis." Fraeulein Roey stand auf. Mary hatte das Gefuehl, sie muesse sie zurueckhalten; aber sie hatte nicht die Kraft. Erst an der Tuer vertrat sie Fraeulein Roey den Weg. "Ich moechte in den naechsten Tagen einmal mit Ihnen sprechen, Fraeulein Roey." Sie sagte es sehr leise und blickte nicht auf. "Heute fuehle ich mich nicht kraeftig genug", fuegte sie hinzu.--"Das sehe ich. Das habe ich auch angenommen. Deshalb habe ich Ihnen etwas mitgebracht, wovon Sie vielleicht Gebrauch machen koennen. Es ist das beste Kraeftigungsmittel, das ich kenne." Nein, wie sympathisch ihr ganzes Wesen Mary beruehrte. Sie dankte ihr herzlich. "Wenn ich etwas gesunder bin, komme ich also."--"Sie sollen mir willkommen sein."--"Ja," sagte Mary erroetend, "es ist Ihnen doch nicht unangenehm, zu mir zu kommen?"--"In Ihr Haus am Markt?" fragte Margrete Roey; sie wurde auch rot.--"In unser Haus am Markt, ja. Aber ich kann wohl gar nicht mehr 'unser' sagen?" Ihr kamen wieder die Traenen. "Wenn Sie mich nur verstaendigen, komme ich hin." Acht Tage spaeter kam sie. In einem wuetenden Novembersturm, wie man ihn schlimmer in jener Gegend nie erlebt hatte. Das Wasser war noch nicht zugefroren, so dass Dampfer verkehren konnten. Aber nur mit Not und Muehe. Und bei der Stadt mussten sie Halt machen. Margrete Roey war hoechlichst erstaunt, als sie an diesem Tage die Nachricht erhielt, sie moege in das Krogsche Haus am Markt kommen. Sie kam in ein warmes behagliches Haus hinein und war doch gewohnt, es ausgestorben mit heruntergelassenen Vorhaengen zu sehen. Sie wurde eine breite, altmodische Treppe hinaufgefuehrt; es war die ganze Stilart der alten Stadthaeuser zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Mary sass in einem roten Boudoir, das seit den Lebzeiten ihrer Mutter unveraendert geblieben war. Sie sass auf dem Sofa unter einem grossen Portraet der Mutter. Als sie aufstand in ihrem schwarzen Kleide, bleich und mit mueden Augen unter dem roten Haar, da erschien sie Margrete Roey wie die Verkoerperung des Schmerzes, die schoenste, die man sich vorstellen konnte. Es lag eine Feiertagsruhe auf ihrem Wesen. Sie sprach so leise, wie der Sturm draussen es irgend gestattete. "Ich fuehle, Sie ehren das Leid eines anderen Menschen. Ich bin auch ueberzeugt, dass Sie verschwiegen sind."--"Das bin ich."--Es dauerte eine Weile, bis Mary sagte: "Was fuer ein Mensch ist Joergen Thiis?"--"Was fuer ein Mensch er ist?" "Aus verschiedenen Gruenden nehme ich an, dass Sie mir das sagen koennen."--"Da muss ich aber erst fragen: sind Sie nicht mit Joergen Thiis verlobt?"--"Nein."--"Man hat es gesagt."--Mary schwieg.--"Ja, sind Sie denn auch nicht mit ihm verlobt gewesen?"--"Doch."--Da sagte Margrete rasch und freudig: "Aber Sie haben die Verlobung aufgehoben?"--Mary nickte.--"Das wird manchem eine Freude bereiten; Joergen Thiis ist Ihrer nicht wuerdig." Das schien Mary nicht in Erstaunen zu setzen. "Sie wissen etwas?" fragte sie.--"Ein Frauenarzt, liebes Fraeulein, weiss mehr, als er erzaehlen kann."--"Aber ich glaube doch, er hat mich geliebt", sagte Mary, um sich zu entschuldigen.--"Das haben wir alle gemerkt", antwortete Margrete. "Er liebte Sie sicher mehr als je eine zuvor." Und sie fuegte hinzu: "Das war nicht zu verwundern ... Aber in Kristiania habe ich ein junges, suesses Maedel gekannt, die damals seine Einzige war! Sie war ganz aus dem Haeuschen, und da sie sich nicht heiraten konnten, gab sie sich ihm hin."--"Was tat sie?" Mary schrak auf; hatte sie recht gehoert? Es stuermte draussen so sehr, dass man einander schwer verstehen konnte. Margrete wiederholte deutlich und mit Betonung: "Sie war ein warmherziges Ding und glaubte, sie sei wirklich seine Einzige."--"Sie konnten sich nicht heiraten?"--"Sie konnten sich nicht heiraten. Da gab sie sich ihm hin." Mary fuhr in die Hoehe, blieb aber stehen. Sie hatte etwas sagen wollen, hielt aber inne. "Erschrecken Sie nicht so, Fraeulein Krog, das ist nichts Seltenes." Bei dieser Auslegung war es Mary, als sinke sie in eine tiefere Klasse herab. Sie setzte sich langsam wieder hin. "Sie haben gewiss in solchen Dingen gar keine Lebenserfahrung, Fraeulein Krog."--Mary schuettelte den Kopf.--"Dann wundert es mich, dass Sie beizeiten von Joergen Thiis losgekommen sind; der hat Routine."--Mary antwortete nicht. "Wir nahmen an, Sie wuerden noch vor dem Herbst heiraten. Besonders als Ihr Vater und Frau Dawes krank wurden."--"Das wollten wir auch, aber es stellte sich als unmoeglich heraus." Margrete konnte nicht ergruenden, was hinter dieser raetselhaften Antwort steckte. Aber sie sagte mit forschenden Augen: "Da wuchs wohl seine Begierde ganz bedeutend?"--Es bebte in Mary, aber sie zwang es nieder. "Sie scheinen ihn zu kennen?"--Margrete bedachte sich eine Weile: "Ja," sagte sie, "ich bin ja aelter als Sie,--auch aelter als er. Aber--zu meiner Schande sei's gesagt,--in Kristiania vergaffte ich mich auch in ihn. Das merkte er--und versuchte sein Heil." Sie lachte. Mary wurde bleich, sie erhob sich und trat ans Fenster. Draussen peitschten Sturm und Regen mit wachsender Gewalt gegen die Scheiben; sie mussten jetzt ganz laut sprechen. Mary stand eine Weile und blickte in das Unwetter hinaus, kam dann zurueck und stellte sich aufgeregt und unruhig vor Margrete hin. "Wollen Sie mir versprechen: niemals einem Menschen zu sagen, worueber wir heute geredet haben?--Unter keinen Umstaenden?"--Margrete sah sie verwundert an: "Ich soll niemandem erzaehlen, dass Sie mich nach Joergen Thiis gefragt haben?"--"Ich wuensche absolut, dass keiner es erfaehrt."--"Auf wen geht das?"--Mary sah sie an: "Auf wen das geht?" Sie verstand die Frage nicht. Margrete aber stand auf: "Ein Mensch kam eigens in diese Stadt, um Ihnen zu sagen, dass Joergen Thiis Ihrer nicht wuerdig sei. Er kam zu spaet. Aber mir scheint, er verdient zu erfahren, dass Sie jetzt selbst dahintergekommen sind, was fuer ein Mensch Joergen Thiis ist."--Mary antwortete eifrig: "Dem sagen Sie's! Dem koennen Sie es sagen.--So ist er deshalb gekommen?" fuegte sie langsam hinzu. "Es ist mir lieb, dass Sie mir das gesagt haben! Mein zweites Anliegen war naemlich ... (sie hielt einen Augenblick inne); das zweite, was ich Ihnen zu sagen hatte, war ... Sie sollen Ihren Bruder gruessen. Von mir."--"Das will ich tun. Und ich danke Ihnen dafuer! Sie wissen, was Sie meinem Bruder sind." Marys Augen wichen ihr aus. Sie kaempfte eine Weile mit sich. "Ich bin eine von den Ungluecklichen," sagte sie, "die ihr eigenes Leben nicht ins Lot bringen koennen,--nicht das, was geschehen ist. Ich kann den Faden nicht finden. Aber mir ist, als wenn Ihr Bruder Anteil daran habe."--Sie wollte wohl noch mehr sagen, vermochte es aber nicht. Sie trat statt dessen wieder ans Fenster und blieb da stehen. Das Unwetter draussen drang mit tausendstimmiger Wut ins Zimmer. Es schrie foermlich nach ihr. "Herrgott, was fuer ein Wetter", sagte Margrete mit lauter Stimme. "Ich freue mich, in das Wetter hinauszukommen", sagte Mary, indem sie sich mit leuchtenden Augen umwandte. "Sie wollen in diesem Wetter hinaus?" rief Margrete. "Ich will nach Hause gehen!" antwortete Mary. "Noch obendrein gehen?!" Mary kam heran und stellte sich vor sie hin, als wolle sie etwas Gewaltiges, Ungestuemes sagen. Sie hielt freilich inne; aber das Unausgesprochene stuermte empor in ihre Augen, in ihr Gesicht, in ihre Brust, dass sie die Arme in die Luft reckte und mit einem lauten Aufstoehnen auf das Sofa ihrer Mutter niedersank. Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Haenden. Da kniete Margrete vor ihr hin. Mary liess sich umarmen und wie ein muedes krankes Kind an ihre Brust ziehen. Auch das Weinen brach ruehrend und hilflos wie das Weinen eines Kindes aus ihr hervor; ihr Kopf sank auf die Schulter der Freundin. Nur einen Augenblick. Dann richtete sie sich mit einem Ruck empor. Denn Margrete hatte ihr zugefluestert: "Ihnen fehlt etwas. Sagen Sie es mir!" Kein Wort als Antwort. Da wagte Margrete nichts mehr zu sagen. Sie stand auf; sie fuehlte, hier war nichts mehr fuer sie zu tun. Mary tat auch nichts, um sie zurueckzuhalten. Sie war auch aufgestanden, und so sagten die beiden sich Lebewohl. Aber als Margrete an der Tuer stand, konnte sie doch nicht umhin, noch einmal zu fragen: "Wollen Sie wirklich hinaus--?" Mary nickte, als wolle sie sagen: "Genug davon! Das ist meine Sache." Da ging Margrete. * * * * * Die Laternen brannten schon, als Mary vor ihrem Hause stand. Sie konnte sich bei den Windstoessen nur muehsam aufrechthalten, die sich von Suedwesten her zwischen den Haeusern durchpressten. Sie hatte einen wetterfesten Mantel um mit einer Kapuze und hohe, gut schliessende, wasserdichte Stiefel. Sie ging so rasch sie konnte. Eine einzige Vorstellung war von dem Gespraech mit Margrete Roey in ihr zurueckgeblieben. Aber die jagte sie vorwaerts, die peitschte ihr mit dem Regen zusammen in den Ruecken:--Margretes entsetzte Augen und ihr bleiches Gesicht, als sie gesagt hatte: "Ihnen fehlt etwas? Sagen Sie's mir!" Himmlischer Vater, sie wusste es! So wuerden alle sie ansehen, wenn sie es erfuhren! So tief hatte sie die Leute enttaeuscht und gekraenkt in ihrem Glauben an sie. Ihr war's, als seien sie alle hinter ihr her, als fliehe sie vor ihnen. Vor dem Kraehenschwarm! Sie stuermte dahin und war ausserhalb der Stadt, ehe sie selbst es merkte. Hier draussen, wo keine Laternen mehr standen, war es stockfinster; sie musste eine Weile stillstehen, bis sie den Weg sehen konnte. Aber dann ging's erst recht vorwaerts! Sie hatte den Orkan halb von hinten, halb von der Seite. Das war der Richterspruch, der sie aus Land und Reich verjagte! Der sie noch weitertrieb! Ihr war's von der ersten Stunde an, da ihr Klarheit wurde ueber ihre Lage, gewesen, als habe sie ein Paket geschenkt bekommen, das sie bis jetzt nicht aufgemacht hatte. Sie hatte die ganze Zeit ueber geahnt, was darin war; aber eigentlich hatte sie es erst gestern aufgemacht. In dem Paket war ein grosser schwarzer Schleier, in den sie sich und ihre Schande einhuellen konnte, der Schleier des Todes. Aber auch der Schleier wurde ihr nur bedingungsweise geschenkt. Unter einer Bedingung, die sie von Kind auf kannte. Damals war ihr die Geschichte einer Grosstante erzaehlt worden, die es hatte verheimlichen wollen, dass sie waehrend der Abwesenheit des Mannes schwanger geworden und deshalb heimlich Abend fuer Abend mit blossen Fuessen auf dem eiskalten Fussboden umhergelaufen war. Sie hatte den natuerlichen Tod sterben wollen, der die Folge davon sein musste. Dann wuesste keiner, dass sie sich das Leben genommen habe, und das Warum kam nicht heraus. Aber irgendeiner hatte sie Nacht fuer Nacht so auf und ab gehen hoeren; daher kam es doch heraus. Das wollte sie jetzt besser machen! Die Schwaeche, die vor Margrete so unerwartet ueber sie gekommen, war voellig geschwunden. Jetzt hatte sie Kraft zu ihrem Vorhaben. Als solle ihr Mut sofort auf die Probe gestellt werden, tauchte neben ihr etwas Schattenhaftes auf. Es trat ungeahnt aus dem Dunkel hervor und so beaengstigend nahe, dass sie zu laufen anfing. Das Entsetzen, als sie durch das Toben der Elemente zu hoeren meinte, es komme hinter ihr hergelaufen! Da fand sie ihre Fassung wieder und blieb stehen. Da blieb das hinter ihr auch stehen. Sie ging weiter; da ging das Schattenhafte auch weiter. Nein, dachte sie: wenn ich nicht den Mut habe, dieser Sache auf den Grund zu gehen, so habe ich auch den Mut nicht zu dem aendern. Damit drehte sie sich um und ging direkt auf das Ungeheuer zu, das sie verfolgte: es wieherte gutmuetig,--es war ein junges Pferd. Es war gesattelt und suchte in seiner Verlassenheit den Menschen. Sie streichelte es und sprach mit ihm. Es war doch ein Gruss des Lebens, ein Verlassener, der eine Verzweifelte troestete. Aber als es weiter mitging, lieferte sie es auf dem naechsten Bauernhof ab. Sie musste allein sein. Die Leute waren hoechlichst erstaunt. Dass jemand in dem Wetter draussen war, und noch dazu eine Frau! Sie floh hastig aus der Helle wieder ins Dunkel hinaus. Das kleine Ereignis hatte sie gestaerkt; sie wusste jetzt, dass sie Mut hatte. Und rasch schritt sie vorwaerts. Sie musste jetzt ueber den ersten Huegel, den der Weg durchquerte. Ob es wirklich so war, oder ob es ihr nur so schien: der Sturm nahm bestaendig zu. Er musste doch bald seinen Hoehepunkt erreicht haben. Aber fuer sie lag all ihr eigener Jammer und ihre Schande darin. Gerade das gab ihr Kraft. Nicht vor dem Tode hatte sie Furcht,--nur vor dem Leben. Im Weiterschreiten durchdachte sie alles noch einmal. Sie wollte ihr Kind nicht verraten, nicht sich selbst retten, indem sie das Kind toeten liess. Es nicht zu fremden Leuten geben und dann verleugnen. Nicht leben ohne Selbstachtung. Wenn ein Bewerber kaeme--und sicher kaemen jetzt genau so viele wie frueher!--sollte sie es ihm dann gestehen? Oder schamlos verschweigen? Es gab nur eins, was sie mit Ehren tun konnte: mit ihrem Kinde zusammen untergehen. Zu nichts anderem fuehlte sie sich faehig. Aber das musste so geschehen, dass keiner etwas merke. Sie musste an einer Krankheit sterben; also hiess es, sich diese Todeskrankheit zuzuziehen. Das war sie sich selber schuldig. Denn sie war sich heute genau so sicher wie an jenem Abend, als sie zu Joergen hineinging, dass sie nicht deswegen ungluecklich zu werden verdiene. Es war ein ungeheurer Irrtum, ja;--aber daran war sie unschuldig. Es war gewiss auch stark mit Naturtrieb verquickt gewesen,--trotzdem war es eine Handlung, deren sie sich nicht schaemte. Sie war es sich selber schuldig, mit dem unverkuerzten Mitgefuehl aller zu sterben, die sie je gekannt hatte. Sie war das auch denen die in ihr die erste von allen gesehen hatten. Sie hatte nicht illoyal den Glauben dieser Menschen an sich aufs Spiel gesetzt. Jetzt war sie vorn auf der Landzunge, und der fuerchterliche Kampf, der hier begann, wurde unversehens zu einem Kampf um dies eine. Es war, als wollten alle Maechte der Welt ihr die Selbstachtung entreissen und sie verdammen. Hier war offnes Meer und meilenweit her rollten die Wogen in wachsender Empoerung heran. Wenn sie dann am Felsen anprallten, spruehten sie meterhoch auf. Die allerhoechsten kamen mit den letzten, schneidenden Spritzern bis zu ihr hinauf. "Da hast Du's! Da hast Du's!" Und der Sturm, der gegen die zerrissene Felsenkante anraste, wollte sie durch die Macht des Luftdrucks herunterreissen. Obschon der Regenmantel die Kleider gut zusammenhielt, war's doch, als wolle der Sturm sie ihr vom Leibe herunterziehen: "Steh nackt in Deiner Schande, in Deiner Schande!" Aber das rasende Schaeumen der Wogen schuechterte sie nicht ein, sich schuldig zu fuehlen, auch der Sturm konnte sie nicht bis an die Eisenstange treiben und vielleicht gar hinueber. Sie bueckte sich, ja sie musste bei den schlimmsten Stoessen stillstehen; aber dann ging's wieder weiter, und sie hielt ihren Weg ein. "Ich gebe meinen Ehrenkranz nicht her,--ich will mit ihm sterben! Deshalb sollt _ihr_ mich nicht haben!" Sie gelangte gluecklich um die Spitze herum und auf die andere Seite und von dort in die Ebene zwischen diesem Huegel und dem naechsten. Hier war einmal ein Bergrutsch den Hang hinunter gegangen und unten lag das Geroell, ueber das jetzt der Weg fuehrte. In diesem verwitternden Geroell stand ganz allein dicht am Wege eine einzige schwanke Birke. An die Birke dachte sie, als sie gerade an die Stelle kam; bei solchem Sturm musste sie doch gebrochen sein? Nein, sie stand. Mary blieb daneben stehen und holte tief Atem. Die Birke beugte sich, dass Mary jeden Augenblick dachte: jetzt bricht sie; aber sie schnellte elastisch wieder in die Hoehe. Sie selbst konnte sich nicht lange an dieser Stelle halten, so entsetzlich scharf pfiff der Orkan gerade hier um die Ecke; die junge Birke aber, die so hoch emporragte und eine so ueppige Krone hatte und selbst so zart und schwach war, die stand stolz da, ganz aus eigener Kraft; an ihr prallte alles ab. Sie wollte den Gedanken ausspinnen, als sie weiterging und in die Ebene einbog. Aber gerade hier bekam der Sturm die Macht, ihr den Regen ins Gesicht zu peitschen; jeder Tropfen war wie eine scharfe Nadel. Ach nein, dachte sie, solch Gefuehl waere es, wenn ich versuchte, dem Sturm zu trotzen, der meiner harrt. Die Lichter auf den Hoefen, das einzige, was sie sah, verkuendeten Frieden. Aber sie wusste, was der Friede ihr bringen werde. Sie schritt auf dem Wege an der Bucht entlang weiter; aber sie wurde allmaehlich muede. Sie merkte es daran, dass die Bilder ueberhand nahmen; die Wirklichkeit verschwand hinter Bildern. Alte Vorstellungen aus Buechern. Als sie auf die zweite Landzunge zustrebte, war das Meer, das hier wieder offen vor ihr lag, gar kein Meer, sondern lauter Seeungeheuer, die mit aufgesperrtem Rachen vor Begierde bruellten, hunderte und aber hunderte. Und die rasenden Raubtiere in der Luft mit den grausigen Schwingen hatten denen da unten versprochen, Mary ihnen zuzuwerfen. Sie hielt sich mit ihrer letzten Kraft an der Felswand fest; aber jetzt kam ein Graben, sie fiel hinein und durchnaesste ganz. Es sind also noch mehr Feinde da, dachte sie und krabbelte wieder heraus. Gluecklicherweise war die Landzunge schmal; bald war sie an der Biegung nach der naechsten breiten Ebene. Dann kam nur noch ein Berg. Nicht um das Leben zu retten, wollte sie nicht hinausgeschleudert werden, nur um die Ehre zu retten. Fand man sie in der See oder war sie ganz verschwunden, so wuerden alle sagen, sie habe den Tod gesucht--und dann auch nach dem Grunde forschen. Jetzt aber hoerte sie durch die Dunkelheit den alten Finnenhund bellen. Ganz nahebei. Sie war schneller gegangen, als sie gedacht hatte, sie war ja schon beim Nachbargehoeft, Jetzt sah sie auch die Lichter. Schon der Gedanke, einem Wesen zu begegnen, das an ihr hing, bewegte sie. Sie liebte das Leben. Sie glaubte selbst nicht mehr, dass sie so untauglich zum Leben sei. Als diese wohlbekannte Stimme aus dem Dunkel nach ihr rief, war ihr zumut, wie einem Schiffbruechigen, der am Ufer Menschen sieht. Als sie ueber das Gehoeft ging, verliess der Hund seinen Posten und kam klaeffend, schweifwedelnd und triefend heran, um sich seine Begruessung zu holen. Sie strich ihm dreimal zum Abschied ueber den Kopf und eilte weiter. Kurz darauf hoerte sie ihn wieder bellen, aber anders, viel heftiger. Sie musste unwillkuerlich an Joergen denken. Wie ueberhaupt auf dieser ganzen letzten Wegstrecke, die sonst nur ihrem Vater geweiht gewesen war. Wie hundertmal war sie hier von klein auf mit ihrem Vater gegangen und geradelt. Jetzt war auch das von Joergen verschandelt. Sie konnte hier nicht mehr ohne ihn gehen. Keinen Schritt in ihrem Leben mehr ohne ihn. Sie blickte unwillkuerlich nach oben, aber Himmel war nicht zu sehen. Ganz erschoepft ruestete sie sich, den letzten Huegelruecken zu ueberschreiten. Sie passierte ihn gedankenlos, ohne das Gefuehl, dass es das letztemal war; aber auch ohne Bangen. Das, worauf sie jetzt geradenwegs zuging, stand so fest in ihren Gedanken wie der Weg unter ihren Fuessen. Der fuehrte ueber die Feldmark von Krogskog auf die Landungsbruecke. Es war so finster, dass ihre Augen, die sich jetzt doch an die Dunkelheit gewoehnt hatten, die weissen Mauern der Kapelle erst dicht an der Landungsbruecke wahrnahmen. Ihre Gedanken schweiften hinueber zu den Graebern auf dem Kirchhof; aber gleich kamen sie zurueck, um sich zu sammeln fuer das Ziel ihrer Wanderung. Ohne Zoegern setzte sie den Fuss auf die Bruecke und ging hinunter. Hier draeute kein Orkan, hier peitschte ihr kein Regen ins Gesicht; die beiden waren zu freundlich gesinnten Maechten geworden, sowie sie den Boden von Krogskog betreten hatte. Die Hoehen und die Inseln boten hier Schutz. Unter andern Umstaenden haette sie eine Erleichterung gefuehlt, und vielleicht den Frieden in dem heimischen Hafen empfunden,--jetzt war jeder Gedanke abgestumpft. Ganz mechanisch eilte sie weiter. Mechanisch machte sie ein paar Knoepfe ihres Regenmantels auf, um den Schluessel herauszuholen; mechanisch steckte sie ihn ins Schloss und oeffnete die Badehaustuer. Erst als sie drinnen stand in der Stockfinsternis, kam sie zum Bewusstsein und erschrak. Der Suedwestwind, der hier noch uebrig geblieben war, schlug die Tuer zu, da schauderte sie zusammen. Es war, als sei sie nicht allein. Sie musste sich jetzt ausziehen und die Treppe hinuntersteigen, um eiskalt zu werden. Eis-eiskalt! Dann sich wieder anziehen und nach Hause gehen zum Fieber und zu den andern Dingen, die hinterher kamen. Haette das Fieber die erwartete Wirkung nicht, dann hatte sie etwas, was nachhalf. Sie hatte es bei Frau Dawes in einem Fach gefunden. Dann traefe das Fieber die Schuld. Aber nun, da sie mit dem Ausziehen anfangen wollte, war's, als krampfe sich alles in ihr zusammen, und eine Gaensehaut ueberlief sie. Vor dem Wasser, vor dem eiskalten Wasser, in das sie hineinmusste, hatte sie Angst. Huh, hier dicht bei war gewiss schon Eis. Sie musste mit den nackten Fuessen das Eis betreten! Sie wollte doch auf jeden Fall die Struempfe anbehalten; die konnte sie nachher trocknen, damit keiner Verdacht schoepfe. Aber das eis-eiskalte Wasser ... wenn sie einen Herzkrampf bekaeme? Nein, sie wollte sich bewegen, wollte schwimmen. Aber wenn sie sich am Eise schnitt, wenn sie wieder herauswollte? Sie musste auch die Unterkleider anbehalten. Aber wuerden die bis zum naechsten Morgen trocknen? O doch, wenn sie sie an den Ofen hing. Sie musste zuriegeln, damit alles in Ordnung war, wenn das Maedchen hereinkam. Wenn sie dann nur noch bei Bewusstsein war! Sie war nie krank gewesen; sie wusste nicht Bescheid damit. Als sie in diese langen Ueberlegungen verfiel, hatte sie den Regenmantel aufgeknoepft. Nun, da sie die Kapuze abnehmen musste, geschah das Unerwartete, dass sie ganz unwillkuerlich statt dessen mit dem Kleide anfing und es oben am Halse aufknoepfte, wo das Medaillon ihrer Mutter hing. Da zitterten ihr die Haende, und auch ihren Koerper ueberlief ein Beben. Sie hatte nicht an das Medaillon gedacht; nein, viele Jahre nicht, auch jetzt dachte sie nicht daran; daher ruehrte das Zittern nicht. Aber das Medaillon kam sozusagen bei dem Zittern nach oben. Sie musste es jetzt doch abnehmen. Wenn sie es nur nicht vergaesse! Nein, sie wollte es gleich in die Tasche stecken. --So!-- Da kam ein neues Grauen. Ganz deutlich hoerte sie feste Schritte auf der Landungsbruecke, die naeher und naeher kamen. Das Zittern hoerte auf; instinktiv knoepfte sie erst das Kleid am Halse wieder zu, dann ganz, ganz schnell auch den Mantel. Wer hatte hier etwas zu tun? Im Badehause keinesfalls. Doch just hierher kam es! Ein fester Griff, die Tuer flog auf, eine maechtige Gestalt im Wettermantel stand im Rahmen; der Kopf mit der Kapuze ragte ueber die Tueroeffnung weg. Eine elektrische Taschenlaterne leuchtete ihr gerade ins Gesicht, sie stiess einen heftigen Schrei aus,--es war Franz Roey. Da ueberkam sie eine Ohnmacht, dass sie dem Umsinken nahe war; aber sie wurde umschlungen und hinausgetragen, alles in einem Nu. Sie hoerte die Tuer ins Schloss schnappen; sie wurde auf den Arm genommen und fortgetragen. Kein einziges Wort konnte sie sagen; auch er sagte nichts. Aber am Ende der Landungsbruecke kam sie wieder zu sich; das merkte er. Bald hoerte er denn auch: "Das ist Gewalt!" Keine Antwort. Gleich darauf ein heftiger Versuch, sich loszumachen, und wieder klang's nur lauter und lebhafter: "Das ist Gewalt!"--Keine Antwort. Er schlang nur den andern Arm zaertlich um sie. Sie fragte heftig: "Wie kommt es, dass Sie hier sind?"--Da antwortete er: "Meine Schwester!" Die Stimme, diese Stimme legte sich zaertlich um sie. Aber sie wehrte sich dagegen: "Wenn Ihre Schwester es gut mit mir meint und Sie auch, dann lassen Sie mich los!" Er ging weiter: "Lassen Sie mich los, sag' ich! Das ist unwuerdig!" Sie riss sich so heftig von ihm los, dass er sie anders fassen musste, aber auf seinem Arm blieb sie. Mit traenenerstickter Stimme sagte sie: "Ich lass' es mir von keinem Menschen gefallen, dass er ueber mich bestimmt." Da antwortete er: "Sie moegen sich losreissen, soviel Sie wollen,--ich trage Sie nach Hause. Wollen Sie mir nicht gehorchen, so lasse ich Sie ueberwachen!" Die Worte legten sich wie ein eiserner Reifen um sie; sie wurde ganz still: "Sie lassen mich bewachen?"--"Das tu' ich; denn Sie sind Ihrer selbst nicht maechtig." Etwas Toerichteres hatte sie in ihrem ganzen Leben nicht gehoert. Aber sie wollte mit ihm nicht darueber disputieren. Sie antwortete nur: "Und Sie meinen, das habe einen Zweck?"--"Das meine ich. Wenn Sie sehen, wir wollen alles fuer Sie tun, was in unserer Macht steht, dann geben Sie nach, denn sie haben ein so gutes Herz." Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie: "Ich kann keine Hilfe von einem Menschen annehmen, der nicht die rechte Achtung vor mir hat,"--sie fing zu weinen an. Da blieb Franz Roey stehen und blickte, so gut er konnte, unter seiner Kapuze zu ihr auf. "Ich nicht die rechte Achtung vor Ihnen?! Meinen Sie, dann truege ich Sie? Fuer mich sind Sie das Feinste, das Schoenste, was ich kenne. Darum trage ich Sie. Sie moegen getan haben, was Sie wollen--ich weiss, Sie haben es aus dem vornehmsten Gefuehl heraus getan; anders koennen Sie nicht handeln! Sind Sie betrogen, haben Sie sich furchtbar geirrt,--so liebe ich Sie nur noch mehr--jetzt ist es gesagt!--dann sind Sie doch ja auch ungluecklich, meine ich! Dann kann ich Ihnen vielleicht doch irgendetwas sein. Das waere das schoenste, was mir geschehen kann. Ich will Sie verlassen, wenn Sie es absolut wuenschen. Ich will mit Ihnen zum Altar gehen, wenn Sie soviel Zutrauen zu mir haben. Ich will den Schuft totschlagen, wenn Ihnen damit gedient ist. Ich will alles tun, was Sie wollen, wenn Sie nur gluecklich dadurch werden. Denn das ist fuer mich das schoenste." Er hielt inne, fing aber wieder an: "Ich habe nicht geglaubt, dass ein Mensch soviel Qual ertragen kann, wie ich empfunden habe, als ich heute abend hinter Ihnen herging. Hier stuerzt sie sich hinunter, dachte ich. Dann muss ich mich auch hinunterstuerzen. Bei diesem Unwetter bedeutet das sicher fuer uns beide den Tod; aber das hilft nichts. Das war's auch nicht, was mich peinigte. Nein, nur dass Sie so ungluecklich, so verzweifelt waren. Dass Sie sich fuer unwuerdig des Lebens halten konnten. Sie, die um keinen Preis der Welt je etwas Unwuerdiges tun konnte. Nie, niemals bin ich einem Menschen begegnet, dessen ich mir in dieser Beziehung sicherer war. Und doch konnte ich Ihnen das nicht sagen. Und durfte Ihnen nicht helfen. Ich kannte Sie,--ich getraute mich nicht in Ihre Naehe. "Aber nun habe ich Sie doch gerettet. Denn Sie koennen nicht sterben wollen, jetzt, nachdem Sie mich angehoert haben. Oder doch?" Er hatte sie schluchzen hoeren; er hatte gefuehlt, wie sie ihre Arme um seinen Hals schlang, dass sie seine Worte fast erstickte. Jetzt liess er sie langsam zu Boden gleiten. Aber der Arm, den sie ihm um den Hals gelegt hatte, loeste sich nicht. Als sie auf der Erde stand, legte sie auch den andern Arm um seinen Hals und barg leise schluchzend ihr Gesicht an seiner Brust; ihr Herz schlug an seinem den Takt dazu, den raschen Takt der Freude.-- --Oben auf dem Hof hatten sie telephonisch Nachricht bekommen, das gnaedige Fraeulein sei unterwegs in dem schlimmsten Wetter, das je dagewesen sei. Aus dem Stadthause wurde immer und immer wieder angefragt, ob sie noch nicht da sei. Das kleine Maedchen war schon mehrmals mit dem Hunde draussen auf der Treppe gewesen, ohne dass der Hund gebellt haette. Diesmal aber bellte er,--mehr noch, er setzte im Galopp davon. Im Hause war man in der denkbar groessten Aufregung. Keiner fand etwas Sonderbares darin, dass Unglueck und Verzweiflung sie in Wetter und Sturm hinausgetrieben hatten. Sie bedurfte dessen! Sie sehnte sich danach, ihr Leben aufs Spiel zu setzen; sie legte keinen Wert mehr darauf. Als jetzt das kleine Maedchen hereingestuermt kam: "Sie ist da! Sie ist da!" weinten sie alle vor Freude. Sie hatten schon laengst warme Zimmer und warmes Essen bereit. Nun legten sie noch ein Gedeck auf, denn Nanna kam wieder hereingestuermt und berichtete, sie sei nicht allein; die Kleine hatte einen Mann reden hoeren. Da sei gewiss Joergen Thiis endlich gekommen! meinten sie. "Nein, es war nicht seine Stimme. Es war doch eine richtige Maennerstimme!" Die Freude des Hundes, als er sie sah, kannte keine Grenzen. Er winselte, er klaeffte, er sprang ihr direkt ins Gesicht und wollte gar nicht aufhoeren. Als Franz Roey mit ihm sprach, begruesste er ihn wie einen alten Bekannten, wandte sich aber gleich wieder Mary zu. Das kleine zottige Wesen spruehte foermlich Feuer. Es verkoerperte die Freude der Heimat, sie gesund wiederzusehen. Ein Gruessen der Toten und der Lebenden. Das war ihre Empfindung. Sie dachte, vielleicht sei er auch ein Vorspiel zu ihrer eigenen wiedererwachenden Freude, wenn sie einmal das ausgestandene Grauen ganz los werden konnte. Als sie mit dem Hunde hineinkam, der wie toll vor Freude war, da standen die saemtlichen drei Maedchen da, und die Kleine hinter ihnen. Sie hielten in ihrem Freudenausbruch inne, als sie den riesigen Menschen hinter ihr heraufkommen sahen; denn in seinem Wettermantel hatte Franz Roey etwas Uebernatuerliches. Aber nur einen Augenblick, dann riefen sie: "Nein, dass gnaediges Fraeulein bei solchem Wetter draussen sind! Wie haben wir uns geaengstigt. Die Verwalterin im Stadthause verstaendigte uns! Im Dorf ist Feuer. Alle Mannsleute sind da. Wir haetten sonst Hilfe geschickt. Gott sei Dank, dass Sie wieder da sind!" Mary verbarg ihre Ruehrung, indem sie schnell nach oben ging. Sie kam in ihr warmes Zimmer, wo die Lampe schon angezuendet war. "Ist all diese Liebe und Fuersorge neu? Oder habe ich sie frueher nur nicht beachtet?" Der Hund winselte solange vor der Tuer, bis sie ihn einliess. Seine Dankbarkeit war so aufdringlich, dass sie sich nur mit Muehe umziehen konnte. Besonders schwierig wurde es, als sie die Struempfe wechselte. Schliesslich machte sie sich das Haar zurecht, da fiel ihr das Medaillon ihrer Mutter ein; sie holte es wieder hervor und band es um den Hals. Sie schaute es an--zum erstenmal nach langen Jahren--und drueckte und kuesste es. Darauf steckte sie ein Licht an und ging damit ueber den Flur in ihres Vaters Zimmer. Sie setzte das Licht hin, beugte sich ueber sein Bett und drueckte einen Kuss auf sein Kopfkissen. Dann wieder hinaus; aber vor der Tuer des Fremdenzimmers stand sie still. "Hier soll er schlafen, damit es morgen wieder geoeffnet werden kann. Dann ist alles Haessliche weg!" Zu dem Maedchen, das gerade nach oben kam, sagte sie, das Fremdenzimmer muesse geheizt werden. Das sei schon geschehen, antwortete das Maedchen. "Darf ich Fraeuleins Lampe hineinstellen?" Sie bekam sie. Mary stand und sah ihr nach. Waren sie wirklich immer so gewesen? Das Maedchen blieb im Zimmer, um alles zurecht zu machen. Sie selbst ging auf die Treppe zu. Da blieb sie wieder stehen. Der Hund, der schon unten gewesen war, kam winselnd wieder herauf. Er wollte sie nicht wieder verlieren. Sie streichelte ihn voll Dankbarkeit; das war gewissermassen eine kleine Abzahlung auf das grosse Dankgefuehl, das sie jetzt ganz erfuellte. "Morgen--heute bin ich zu muede--morgen sage ich Franz Roey alles. Alles, was mir geschehen ist. Alles! Dann finde ich mich vielleicht selbst auch heraus." Mit diesem stolzen Vorsatz ging sie die Treppe hinunter, stand aber still, ehe sie unten angelangt war. "Seltsam! Ganz seltsam! Mir ist, als koennte ich es der ganzen Welt sagen." Der Hund stand vor der Tuer zu dem hollaendischen Zimmer; da witterte er Franz Roey. Sie ging und machte die Tuer auf. Aber kaum stand sie selbst auf der Schwelle, da rief Franz Roey, als sei es ihm schwer gefallen, solange zu schweigen: "Gott im Himmel, ist das hier schoen!" Als er den Hund neben ihr sah, fuegte er hinzu: "Und wie lieb man Sie hier haben muss!" Sein Gesicht leuchtete. "In Uniform?" fragte sie.--"Ja, ich bin naemlich direkt von einer grossen Hochzeit fortgeholt worden!" Er lachte. Das brachte sie auf einen Gedanken. Waehrend der Hund an ihrem Kleide riss und zerrte, blickte sie froehlich zu Franz Roey auf: "Hier auf Krogskog hat frueher schon einmal ein General vom Geniekorps gelebt."-- End of Project Gutenberg's Mary, Erzaehlung, by Bjornstjerne Bjornson *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MARY, ERZAEHLUNG *** ***** This file should be named 10507.txt or 10507.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: https://www.gutenberg.org/1/0/5/0/10507/ Produced by Juliet Sutherland, Brett Koonce and PG Distributed Proofreaders Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed (zipped), HTML and others. Corrected EDITIONS of our eBooks replace the old file and take over the old filename and etext number. The replaced older file is renamed. VERSIONS based on separate sources are treated as new eBooks receiving new filenames and etext numbers. 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