Title: Geschichte der Zoologie
Author: Rudolf Burckhardt
Release date: April 10, 2024 [eBook #73374]
Language: German
Original publication: Leipzig: Göschen'sche Verlagshandlung
Credits: Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)
Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1907 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.
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Sammlung Göschen
Von
Prof. Dr. Rud. Burckhardt
Direktor der Zoologischen Station des Berliner Aquariums in Rovigno
Leipzig
G. J. Göschen’sche Verlagshandlung
1907
Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, von der Verlagshandlung vorbehalten.
Spamersche Buchdruckerei in Leipzig.
[S. 3]
Seite
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Literatur
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I.
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Einleitung: Systematik der zoologischen
Wissenschaft
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II.
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Urgeschichte:
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1.
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Anfänge der Zoologie
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2.
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Zoologie der asiatischen Völker
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III.
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Antike Zoologie:
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1.
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Vor Aristoteles
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2.
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Aristoteles
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3.
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Griechische Zoologie nach Aristoteles
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4.
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Römische Zoologie
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5.
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Alexandrinische Anatomie
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IV.
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Mittelalterliche Zoologie:
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1.
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Patristik
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2.
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Hohes Mittelalter
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3.
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Ausgehendes Mittelalter
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V.
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Neuzeitliche Zoologie bis zur Mitte des 18.
Jahrhunderts:
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A.
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Periode der Zoographie:
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1.
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Philologische Zoologie
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2.
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Blütezeit der Zoographie
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3.
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Aufsplitterung der Zoographie
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4.
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Zootomie des 16. Jahrhunderts
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5.
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Zootomie des 17. Jahrhunderts
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B.
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Periode der Systematik:
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1.
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Praktische und theoretische Organisation der Zoologie
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[S. 4] |
2.
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John Ray
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3.
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Vermehrung der Tierkenntnis
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4.
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Biologische Dogmatik
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5.
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C. von Linné
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6.
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Pallas
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7.
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Zootomie des 18. Jahrhunderts
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VI.
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Französische Zoologie von der Mitte des 18.
Jahrhunderts an
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1.
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Buffon
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2.
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Lamarck
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3.
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Et. Geoffroy St. Hilaire
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4.
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G. Cuvier
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5.
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Nachfolger Cuviers
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6.
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Nachfolger Et. Geoffroys
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7.
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Italienische Zoologie dieses Zeitraums
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VII.
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Deutsche Zoologie von der Mitte des 18.
Jahrhunderts an:
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1.
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Aufklärungsperiode
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2.
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Naturphilosophie
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3.
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Empiriker
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4.
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Zellenlehre
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VIII.
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Englische Zoologie von der Mitte des 18.
Jahrhunderts an:
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1.
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Zoologie, mit Ausschluß der Reisen und des Darwinismus
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2.
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Darwinismus in England
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3.
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Darwinismus in Deutschland
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4.
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Amerikanische Zoologie
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IX.
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Zoographie nach der Mitte des 18. Jahrhunderts:
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1.
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Fortbildung der Klassifikation
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2.
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Reisen und Meeresforschung
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3.
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Geschichte und Bibliographie der Zoologie
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Register
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[S. 5]
I. Allgemeine Literatur der Geschichte der Zoologie:
Spix, J., Geschichte und Beurteilung aller Systeme in der Zoologie. Nürnberg 1811.
Cuvier, G., Histoire des sciences naturelles. Paris 1841-45.
Geoffroy Saint-Hilaire, I., Histoire naturelle générale. 1854. Bd. I.
Schmidt, O., Die Entwicklung der vergleichenden Anatomie. Jena 1855.
Carus, J. B., Geschichte der Zoologie. 1873.
Perrier, E., La philosophie zoologique avant Darwin. 1884.
Außerdem sind für die Geschichte der Zoologie die Handbücher der Medizingeschichte von K. Sprengel, H. Haeser, Th. Puschmann (Neuburger und Pagel), die Geschichte der Botanik von Ernst Meyer und die Geschichte der Geologie und Paläontologie von K. A. von Zittel beizuziehen.
II. Spezielle Literatur für einzelne Abschnitte der Geschichte.
1. Altertum.
Windelband, W., u. S. Günther, Geschichte der alten Philosophie. 1894.
Gomperz, Th., Griechische Denker. I. Leipzig 1897.
Grant, Sir Alex., Aristoteles. Übers. v. Imelmann. Berlin 1878.
Lewes, G. H., Aristoteles. Übers. v. J. B. Carus. 1865.
Meyer, J. B., Aristoteles’ Tierkunde. Berlin 1855.
Levysohn, L., Die Zoologie des Talmuds. 1858.
Ferner die literaturhistorischen und philosophisch-historischen Werke von Ritter, Brandis, Zeller, Susemihl, Teuffel, Krumbacher.
2. Mittelalter.
Pouchet, F. A., Histoire des sciences naturelles au moyen-âge. Paris 1853.
Harnack, A., Geschichte der altchristlichen Literatur. 1893.
Medici, M., Compendio storico della scuola anatomica di Bologna. 1857.
Schneider, J. G., Reliqua librorum Frederici II. Lipsiae 1788.
3. Neuzeit:
Die Literatur der Neuzeit hat mehr vorwiegend biographischen Charakter, daher für die Kenntnis der einzelnen Zoologen jeweilen die Biographien zu konsultieren sind. Außerdem ist die obenerwähnte allgemeine Literatur entsprechend ihrer Orientierung auf die jedesmal aktuelle Zoologie für das 18. und 19. Jahrhundert ausführlicher als für das Altertum, und für die neueste Zeit enthält begreiflicherweise die zoologische Literatur selbst hinreichende Hinweise auf die nächstliegende Vergangenheit.
[S. 6]
Für das biographische Material sind am besten zu konsultieren die Allg. Deutsche Biographie, die Biographie universelle, das Dictionary of National Biography, woselbst auch die Nachweise ausführlicherer Biographien zu finden sind.
Hartmann, E. v., Die Abstammungslehre seit Darwin. Annal. d. Naturphilos. Bd. II.
Wigand, Alb., Der Darwinismus. Bd. III. 1877.
Zahlreiche Schriften W. Mays in den neuesten Jahrgängen der Verh. des Naturw. Vereins Karlsruhe, sowie desselben Autors, Die Ansichten über die Entstehung der Lebewesen. Karlsruhe 1905.
Hertwig, O., Die Entwicklung der Biologie im 19. Jahrhundert. Verh. Ges. D. Naturf. u. Ärzte. 1900.
Wasielewski, W. von, Goethe und die Deszendenzlehre. Frankfurt a. M. 1904 (enthält die frühere Literatur).
Camerano, L., Materiali per lo studio di Zoologia in Italia nella prima metà secolo XIX. (Ebenda Angabe der früheren Arbeiten desselben Autors.)
Graff, L. von, Die Zoologie seit Darwin. Graz 1896.
Dannemann, Fr., Grundriß d. Gesch. d. Naturwissenschaften. 1896.
Marcou, J., La science en France. 1869.
Radl, E., Geschichte der biologischen Theorien seit dem Ende des 17. Jahrhunderts. 1905.
Flower, W., Essays on Museums. London. 1898.
Romanus, J., Darwin und nach Darwin (deutsch). 1892.
Boelsche, W., E. Haeckel, ein Lebensbild. 1905.
Goethe, Humboldt, Darwin, Haeckel von W. May. 1904.
[1] Von Aufzählung der Quellen, die vom Verf. mit wenigen Ausnahmen selbst beigezogen worden sind, mußte Abstand genommen werden; ebenso von der Erwähnung einer großen Zahl von Spezialarbeiten, schon weil die Mehrzahl derselben nicht auf Quellenstudium beruht.
[S. 7]
Wollen wir die Leitlinien in der Entwicklung einer Wissenschaft verfolgen, so bedarf es der Kenntnis auch der obersten Gliederung dieser Wissenschaft selbst. Geschichte und Systematik der Zoologie sind also ohne einander undenkbar. Wir schicken daher die Grundzüge einer Systematik der Zoologie voraus, ehe wir ihre geschichtliche Entwicklung zu skizzieren suchen.
Als Biologie bezeichnet man den Inbegriff aller Wissenschaften vom organischen Leben, dem gegenwärtigen und vergangenen, in all seinen Äußerungen, also die organischen Naturwissenschaften. Man zerlegt sie nach dem üblichen Unterschiede von Pflanze und Tier in Botanik und Zoologie. Die Zoologie zerlegt man wiederum je nach den Teilen des Tierreiches in Teilgebiete, für die man mehr oder weniger eingebürgerte Bezeichnungen gebraucht. Man redet häufiger von Anthropologie (Lehre vom Menschen), Ornithologie (Lehre von den Vögeln), Entomologie (Insektenkunde), Helminthologie (Lehre von den Würmern), als etwa von Karzinologie (Lehre von den Krebsen), Mammalogie (Lehre von den Säugetieren), Protistologie (Lehre von den einzelligen Tieren und Pflanzen); doch werden viele Bezeichnungen für Teilgebiete innerhalb der speziell beteiligten Kreise der Forscher gebraucht. Die Zoologie wird aber auch in anderer Weise in Spezialgebiete getrennt. Wie ein[S. 8] höherer Organismus in Organe, Gewebe, Zellen zerlegt werden kann, so werden auch Teilgebiete nach diesen Teilen des Organismus abgesondert: die Organologie (Organlehre), die Histologie (Gewebelehre), die Zytologie (Zellenlehre). Aber nicht nur aus der Gliederung des Objektes selbst, der Tierwelt und des Einzelorganismus, werden die Unterabteilungen der Zoologie abgeleitet, sondern auch die Gliederung des Erforschungsprozesses wird zum Einteilungsprinzip erhoben. Dabei wird jedoch stets nur die Bezeichnung der Wissenschaft nach dem jedesmal vorherrschenden Gesichtspunkt gewählt. Demnach unterscheidet man als Zoographie die Beschreibung und bildliche Wiedergabe der Tiere. Die Zergliederung derselben wird Zootomie genannt. Zoographie und Zootomie weisen zunächst die Formen des Organismus nach. Unter dem Gesichtspunkt der Form beides zusammenfassend spricht man daher von einer Morphologie (Lehre von der Form), und stellt ihr zur Seite die Lehre von den Verrichtungen, auf die seit der Neuzeit die im Altertum für die gesamte Naturforschung übliche Bezeichnung Physiologie übertragen wurde. Das Studium der Seelenäußerungen der Tiere nach Analogie des Menschen pflegt die Tierpsychologie. Für die vergleichende Betrachtung der Organe erwachsener Tiere kam mit dem 17. Jahrhundert die Bezeichnung „vergleichende Anatomie“ auf. Ebenso wurde auch für eine vergleichende Betrachtung der Verrichtungen die Bezeichnung „vergleichende Physiologie“ gebräuchlich. Als Entwicklungsgeschichte (Embryologie, Ontogenie) sondert man die Lehre vom Bau und den Verrichtungen des sich entwickelnden Organismus aus. Als Paläontologie wird seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts die Wissenschaft von den ausgestorbenen Organismen bezeichnet. Seitdem man die Lebewelt als eine Einheit von gemeinsamer Abstammung[S. 9] und Verwandtschaft betrachtet, wird die synthetisch gewonnene hypothetische Darstellung dieser Einheit oder die Anwendung des Entwicklungsgedankens auf die organische Natur als Phylogenie (Stammesgeschichte, Haeckel) unterschieden. Mit der räumlichen Verbreitung der Tiere befaßt sich die Tiergeographie, mit den Beziehungen des Organismus zu seiner leblosen und lebenden Umgebung die Ökologie (Haeckel) oder die Lehre vom Haushalt in der Natur. Das Bedürfnis, die Tierwelt nach logischen Normen zu ordnen, erzeugte die Klassifikation der Tiere (oft irrtümlich mit dem Oberbegriff „zoologische Systematik“ bezeichnet). Auch in der Zoologie hat sich die Namengebung oder Benennung der Objekte zu einem besonderen Zweig, der Nomenklatur, ausgebildet.
Ganz im allgemeinen ist zu bemerken, daß diese Klassifikation der zoologischen Wissenschaften erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts bewußt entwickelt worden ist, und daß der Sprachgebrauch in ihr vielfach Verwirrung stiftet (z. B. wenn Biologie statt Ökologie gebraucht oder die Physiologie der Biologie überhaupt gleichgesetzt wird).
Als Urgeschichte unserer Wissenschaft sondert sich dasjenige Stadium ab, in welchem Völker längst entschwundener Zeiten, Naturvölker unserer Tage, niedere Schichten der Kulturvölker und Kinder übereinstimmen. Eine bestimmte Aufmerksamkeit gegenüber der Eigenart lebender Wesen fehlt; demgemäß auch eine bestimmte Bezeichnung und Beachtung unterscheidender Merkmale. Im Gegenteil, dem Tier werden seine spezifischen Eigenschaften genommen[S. 10] und es wird als Karikatur menschlichen Wesens erfaßt, wie in der Tierfabel. Daneben bildet es ein Stück des erweiterten Hausrates, als den der Urmensch die Natur betrachtet, wird auf Nutzen und Schaden geprüft, ja, auch in kultische Gebräuche einbezogen. Erst wo der Mensch sich das lebende Tier und seine Produkte dienstbar macht und in Zusammenhang mit Pflanzenkultur entsteht Tierzucht, eine der ältesten und tiefsten Quellen für zoologische Beobachtung. Löst sich aus der Kulturpraxis die Tierkenntnis an diesem Punkte ab, so ist eine andere Quelle für sie in Jagden und Reisen zu suchen. Eine dritte rinnt aus der Medizin, besonders der Kenntnis des menschlichen Körpers und seiner Teile, endlich auch aus der Opferschau. Aber auch allgemeinere Beziehungen knüpfen den Anfang der Zoologie an Urzeiten und Urzustände, religiöse Vorstellungen über die Zusammensetzung der Körperwelt, über Veränderungen in ihr, über Entstehung der belebten und unbelebten Welt überhaupt. Ja, diese außerhalb der Tierkenntnis entstandenen, der kosmologischen Spekulation entspringenden Verallgemeinerungen kehren mit zwingender Notwendigkeit wieder und teilen sich mit den Interessen der Praxis wie Tierzucht und Medizin zeitweise in die Beherrschung zoologischen Wissens auch späterer Zeiten. Dieses erste Entwicklungsstadium der Zoologie, das mit einer gewissen Regelmäßigkeit sich wiederholt, hat seine ältesten bleibenden Spuren bereits in Denkmälern der westasiatischen Völker hinterlassen.
So wissen wir, daß schon Wu-Wang, der Ahnherr der chinesischen Tschendynastie (ca. 1150 v. Chr.), einen „Park der Intelligenz“ anlegte, der noch im 4. Jahrhundert v. Chr. bestand und Säugetiere, Vögel, Schildkröten und Fische enthielt.
Die Vorstufe des biblischen Schöpfungsberichts sowie[S. 11] die Lehre von der Sintflut und den vier Elementen finden sich schon bei den Babyloniern. Der Verstand hat seinen Sitz im Herzen, die Leber ist das Zentralorgan fürs Blut, das in Blut des Tages (arterielles?) und der Nacht (venöses?) unterschieden wird. Wo die Körperteile des Menschen aufgezählt werden, wird die Reihenfolge vom Kopf bis zu den Füßen beobachtet. Modelle einzelner Eingeweide, in Terrakotta nachgebildet, verraten nicht nur Kenntnis der Anatomie in Babylon, sondern auch den Zusammenhang mit der altetrurischen Plastik. Die Existenz von Tierärzten mit geregelten Standesverhältnissen, wie sie die Codices Hammurabi melden, lassen auf den hohen Stand der Tierzucht schließen. Eine stattliche Anzahl von Tiernamen verzeichnet die Keilschrifttafel von Onima. Bedenkt man, daß für andere Zweige der Wissenschaft Babylon den Ägyptern, den Hebräern und den griechischen Küstenbewohnern maßgebend war, so wird auch ein gewisser Bestand zoologischer Erfahrung mit überliefert worden sein.
Aus der weit jüngeren Kultur Assyriens kennen wir eine „Jagdinschrift“, die wahrscheinlich auf Asurnasirabal Bezug hat (884-860 v. Chr.), und die davon zu berichten weiß, daß der König allerlei Tiere in seiner Stadt Asur zusammenbrachte: „Kamele sammelte er, ließ sie gebären. Ihre Herden zeigte er den Leuten seines Landes. Einen großen Pagutu hatte der König aus Ägypten dahin gesandt. Von den übrigen vielen Tieren und den geflügelten Vögeln des Himmels, der Jagd des Feldes, den Werken seiner Hand ließ er den Namen sowie alle übrigen zur Zeit seiner Väter nicht aufgeschriebenen Tiernamen aufschreiben, ebenso ihre Zahl.“ Ferner ist nachgewiesen, daß zu Sardanapals Zeiten (ca. 670 v. Chr.) in Assur eine Menagerie bestand mit gesonderten Zellen für Kamele, Pferde, Esel, Ziegen, Maultiere, Rinder, Schafe, Hirsche, Gazellen, Hasen, Vögel. Noch zu den Zeiten[S. 12] griechischer Überlieferung stand Uruk als Ärzteschule in hohem Ansehen, welches schon 1980 v. Chr. Universitäts- und Bibliotheksstadt war.
Reichlicher fließen die Quellen für die Fühlung Ägyptens mit der organischen Natur. In alter Zeit herrschten die Sitten der Leichenzerstückelung und der Skelettpräparation, die erst durch das Eindringen der Einbalsamierung aus Nubien verdrängt wurden. Damit war die Möglichkeit für Anatomie von Menschen und Tieren abgeschnitten. Neben der Aufzählung der menschlichen Körperteile vom Kopf zum Fuß geht eine solche nach ritueller Ordnung her. Das Herz ist Sitz der Vernunft. Der Papyrus Ebers (ca. 1550 v. Chr.) bringt die ersten Berichte über die Entwicklung des Skarabäus aus dem Ei, der Schmeißfliege aus der Larve, des Frosches aus der Kaulquappe. Tierhaltung, Tierzucht und Tierverehrung blühten hier auf. Besonders interessiert das Heer von Parasiten und veranlaßte zu näherer Erforschung der niederen Tierwelt. Man kann auch Spuren einer zoologischen Klassifikation darin erblicken, daß gewisse Tierzeichen zugleich als Gesamtbezeichnungen galten. So erhielt man vier größere Abteilungen, die zugleich den vier Elementen entsprachen, und zwar:
1. |
abgezogenes Tierfell
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=
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Quadruped
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Erde
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2. |
Gans
|
=
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Vogel
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Luft
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3. |
Fisch
|
=
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Wassertier
|
Wasser
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4. |
Wurm
|
=
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alle niederen Tiere
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Feuer
|
Es existieren zahlreiche Tierzeichen, die eine nähere Präzisierung von etwa 30 höheren Tieren verraten, ferner werden gegen 20 Parasiten namhaft gemacht. Eine tiefere wissenschaftliche Verarbeitung dieses schon recht stattlichen Wissens fand jedoch nicht statt.
Die jüdische Zoologie ist im Alten Testament und für die[S. 13] spätere Zeit in den nicht genau zeitlich zu bestimmenden Schriften des Talmud niedergelegt.
Das erste Buch Mose enthält die Schöpfungsgeschichte in einer Form, die an die babylonische anschließt und die ins 6. Jahrhundert v. Chr. datiert wird. Stärker als in anderen antiken Schriftwerken wird die Eigenart einer jeden Tierform betont. Der Schöpfungsakt ist ein Willensakt Gottes, der im übrigen die geschaffene Lebewelt sich selbst überläßt, aber den Menschen nach seinem Ebenbilde schafft, zum Herrn über die gesamte Schöpfung, und zwar Mann und Weib. „Wie der Mensch allerlei lebendige Tiere nennen würde, so sollten sie heißen.“ Als Tiere werden die Vögel des Himmels, die Wale und allerlei Wassertiere, die Tiere der Erde, Vieh, Gewürm aufgezählt. Bei Anlaß der Sintflut wird eine Neuschöpfung erspart, indem die Land- und Lufttiere, in Noahs Arche gesammelt, die Katastrophe überdauern. Unterscheidungen in reine und unreine Tiere, Opfervorschriften, Tierplagen, Vorschriften der Tierzucht verraten keine eigenartige, den vorderasiatischen Völkern sonst etwa fremde Verhältnisse praktischer oder theoretischer Art zwischen Mensch und tierischer Lebewelt. Zu ausführlicherer Aufzählung von Tierarten geben die Speisegebote (III. Mose 11) Veranlassung, gleichzeitig auch zu allgemeinere Gruppen zusammenfassenden Unterscheidungen (Spaltung der Hufe, Wiederkäuer, Flossen und Schuppen besitzende Wasserbewohner). Die Vogelwelt wird in einzelnen Charakterformen aufgezählt, wobei die Fledermaus einbezogen ist und die eßbaren Insekten (Heuschrecken) angeschlossen werden. Vor ihnen werden die Haustiere, hinter ihnen die wilden kleinen Säugetiere, mit Einschluß der Amphibien und Reptilien, erwähnt. In einer zweiten Aufzählung wird die Reihenfolge: zahme und wilde Säuger, Wassertiere, Vögel innegehalten. Zu irgendwelcher wissenschaftlicher Betrachtung der Tierwelt kam es nicht, auch schlossen die Anschauungen[S. 14] über die Berührung unreiner Tiere und Unreinheit des Toten jede anatomische Beobachtung aus.
Die Zoologie des Talmud zeigt weder ein einheitliches Bild, noch ein wissenschaftlicheres Gepräge als die übrige vorderasiatische Zoologie; darin finden sich Gemengteile griechischen Wissens mit den bekannten des Alten Testaments verschmolzen.
Die gesamte jüdische Zoologie ist für die Entwicklung der wissenschaftlichen Zoologie von großer historischer Bedeutung geworden, nicht weil von ihr fruchtbare Neuerungen ausgegangen wären, sondern weil sie als Grundlage christlich-dogmatischer Anschauungen zu jenen Widerständen gehörte, die erst von der Neuzeit überwunden wurden.
Wie für jede andere philosophische Disziplin, sind auch für unsere die Grundlagen in Griechenland gelegt worden. Immer deutlicher hebt sich beim Studium der antiken Literatur ab, wie die ersten Gedankenreihen der Zoologie sich dort bildeten. Es ist weniger die Kenntnis neuer Tiere, als die Vertiefung in ihren Bau und die logische Gestaltung des Beobachteten, durch die auf hellenischem Boden die wissenschaftliche Betrachtung der organischen Natur entstand und sich entwickelte. Die Tierpflege, Tierhaltung, Jagd, Fischerei erlitt keinerlei Einbuße, wenn sie sich in Griechenland auch in bescheidenerem Maßstab bewegte, als vorher in den vorderasiatischen Despotenhöfen und nachher in Rom. Die großen Unterschiede der griechischen Zoologie im Vergleich zur vorausgehenden vorderasiatischen und zur nachfolgenden bis zur Neuzeit liegen in folgenden Richtungen: Einmal wurde eine planmäßige Vermehrung der Tierkenntnis, insbesondere nach der marinen[S. 15] Fauna hin, angestrebt, sodann trat neben die Lehre von der äußeren Gestalt die vom Bau und von den Verrichtungen der Organe. Tier und Tierwelt wurden dem Weltganzen eingegliedert und nach Normen beurteilt, wie sie auch für dieses sich als fruchtbar erwiesen hatten. Wurde dadurch ein oft fast zu enges Band um die organische und anorganische Natur zugleich geschlungen, so kam anderseits aber auch die Eigentümlichkeit der organischen Natur zur Würdigung ihrer Eigenart. Quellen für die antike Zoologie sind reichlich vorhanden. Wenn auch nicht an zoologischem Inhalt, so doch an Umfang und Alter steht an erster Stelle die hippokratische Schriftensammlung (5-4. Jahrhundert v. Chr.), ferner Galens Werke (2. Jahrhundert v. Chr.), alles überragend aber die Aristotelischen Werke (4. Jahrhundert v. Chr.). In zweiter Linie sind zu nennen Herodot, die vorsokratischen Philosophen, die alexandrinischen Kompilatoren und der Römer Plinius d. J. Aber es gibt beinahe überhaupt keinen antiken Schriftsteller, dem nicht interessante Einzelangaben zu entnehmen wären, die uns verständlich werden lassen, daß mit der Höhe griechischer Lebenshaltung auch die Wissenschaft vom Leben stets neue Nahrung erhielt.
Auch von einem modernen Standpunkte aus betrachtet, erscheinen die Beobachtungen und Verallgemeinerungen der ältesten griechischen Philosophen, der sog. Vorsokratiker, höchst beachtenswert. Anaximander hat schon die Annahme vertreten, die Tiere seien aus dem Meerschlamm hervorgegangen und hätten beim Übergang zum Leben auf dem[S. 16] Lande ihren Hautpanzer abgelegt. Nach Pythagoras sollte alles tierische Leben aus Samen, nicht aus faulenden Stoffen entstehen. Philolaos sucht, entgegen der herrschenden Ansicht, die den Sitz der Seele ins Zwerchfell zu verlegen pflegte, diesen im Hirn. Ebenso Alkmäon von Kroton, der den Zusammenhang zwischen Hirn und Sinnesorganen, sowie wahrscheinlich auch die Ohrtrompete kannte, ferner durch Tierexperiment feststellte, daß das Rückenmark nach dem Koitus unverletzt gefunden wird. Anaxagoras spricht von der Atmung der Fische und Schaltiere durch die Kiemen und der Zweckmäßigkeit und Teilbarkeit der Organe. Mit Embryologie finden wir fast jeden der älteren Naturphilosophen beschäftigt, insbesondere Alkmäon, Hippon von Rhegium und Empedokles. Auf das Lehrgedicht des letzteren gehen viele der später gültigen Anschauungen zunächst zurück, wenn sie auch vielfach noch älteren Ursprungs sein mögen; so die Lehre von den vier Elementen: Feuer, Wasser, Luft, Erde als den Grundstoffen der gesamten Natur. Nach ihm ist die Verschiedenheit der Organismen so zustande gekommen, daß die einzelnen Teilstücke sich in Liebe oder Haß vereinigt hätten. Dadurch sucht er auch die Mißbildungen auf natürliche Weise zu erklären. Ihm ist das Labyrinth im Ohr bekannt; er erörtert die chemische Zusammensetzung der Knochen. „Eins ist Haar und Laub und dichtes Gefieder der Vögel.“ Eine Auswahl früherer Anschauungen gibt auch Diogenes von Apollonia, so eine Schilderung des Gefäßsystems. Eine Andeutung des biogenetischen Grundgesetzes mag man auch in dem von ihm ausgesprochenen Satze sehen, daß kein dem Wechsel unterworfenes Wesen von einem anderen verschieden sein kann, ohne ihm vorher ähnlich gewesen zu sein. Als eigentlich kritisch forschender Geist gilt Demokrit von Abdera (geb. ca. 470 v. Chr.), dem schon im Altertum die Trennung der Tierwelt in Bluttiere (Wirbeltiere in unserem Sinne)[S. 17] und Blutlose (Wirbellose) zuerkannt wurde. Schriften über die Ursachen der Natur im allgemeinen und der Tiere im besonderen, sowie eine Anatomie des Chamäleons wurden ihm zugeschrieben. Auf ihn geht die Betrachtung von Lebenserscheinungen nach mechanischen Prinzipien am allermeisten zurück. Damit wird er der Vater ähnlicher Bestrebungen im späteren Altertum sowohl wie im Beginn der Neuzeit, deren Schriftsteller, wie z. B. Severino, sich geradezu auf ihn berufen.
Neben all diesen mehr auf einheitliche Erfassung der organischen Natur und auf den Nachweis ihrer Übereinstimmung mit der anorganischen gerichteten Bestrebungen wandte sich aber auch der offene Blick der Griechen dem Reichtum der Tierwelt zu, namentlich auch derjenigen Asiens und Ägyptens. Schon im 5. Jahrhundert weiß Herodot von einer großen Anzahl von Tieren, ihrem Vorkommen und ihrer Lebensgeschichte zu erzählen, ferner Ktesias; endlich die attischen Komödiendichter, besonders Epicharm und Aristophanes. Aber mit dem Sinn und der Freude an der belebten Natur war es nicht getan. Während in den älteren hippokratischen Schriften die Tiere in ähnlicher Weise, wie etwa bei Mose, nach dem Medium ihres Vorkommens aufgezählt werden, existiert in der Schrift „Über die Diät“ eine Aufzählung von 52 Tieren, die man füglich als eine systematische Reihenfolge, das koische Tiersystem (ca. 410 v. Chr.), bezeichnen kann. Es scheint einem verschollenen Autor entlehnt zu sein und behandelt die Tiere in absteigender Reihenfolge, und zwar: Säugetiere, zahme, wilde, unter letzteren nach der Größe geordnet, Vögel des Landes und Wassers, Fische: Küstenfische, Wanderfische, Selachier, Schlammbewohner, Fluß- und Teichfische (Weichtiere), Muscheltiere, Krebse. Von größeren Gruppen fehlen nur Reptilien und Insekten, da sie nicht genossen wurden. Die Bedeutung dieses Systems besteht vor allem in der Abtrennung der Fische von den übrigen Wirbeltieren[S. 18] und der Wirbellosen von ihnen, wodurch diese Klassifikation einige nicht selbstverständliche und bedeutungsvolle Züge des Aristotelischen Systems vorwegnimmt. Die Gruppenbildungen dieses Systems wirken aber besonders da nach, wo mehr im Anschluß an die medizinische Literatur Kategorien von Tieren aufgezählt werden, bei Galen und den Ichthyographen des 16. Jahrhunderts.
Weit wichtiger als um die Zoologie sind die Verdienste der hippokratischen Ärzte um Anatomie und Physiologie, wobei begreiflich der Mensch und die Haustiere im Vordergrund des Interesses stehen. Auch auf diesen Gebieten sind Ansätze zu systematischer Ordnung des Stoffes unverkennbar, Einteilung des Körpers nach der Siebenzahl, von der Peripherie nach dem Zentrum, vom Scheitel zur Zehe. Bedeutungsvoll ist für die spätere Medizin die Lehre von den vier Säften geworden. Aber auch Vergleiche zwischen körperlichen Einrichtungen und Produkten der Technik, zwischen anatomischen Zuständen verschiedener Art bei verwandten Tieren, Experimente an lebenden Tieren, planmäßige Bebrütung von Hühnereiern zum Studium der Entwicklung, Parallelen zwischen der Entwicklung von Pflanze, menschlichen und tierischen Embryonen, Zeugungstheorien, worunter namentlich die später als Pangenesis bezeichnete, Anklänge an die Lehre vom Überleben der kräftigsten Organismen, die Annahme der Vererbung erworbener Eigenschaften — all das deutet nicht nur auf umfangreiches Wissen, sondern auf einen hohen Zustand von dessen Verwertung im Dienste der Biologie hin. Wenn man bedenkt, wie lange die Zoologie durchaus an die Medizin gekettet und wie mächtig und grundlegend der Einfluß der hippokratischen Literatur nicht nur auf die nächstliegende antike, sondern auch auf die spätere moderne war, so wird man die Bedeutung dieser Errungenschaften schon auf so früher Stufe der Entwicklung unserer Wissenschaft nicht verkennen.
[S. 19]
Diese aussichtsvolle Entwicklung der Vorstufen einer wissenschaftlichen Zoologie wurde dadurch jählings unterbrochen, daß die Naturphilosophie hinter der Ethik zurückzutreten begann, ein Vorgang, der mit der Sophistik seinen Anfang nahm und in Plato seinen literarischen Abschluß fand. Plato gibt uns im Timäus eine Schilderung der Weltbildung mit Einschluß der organischen Natur und des Menschen, aus der alle Mystik und Teleologie späterer Jahrhunderte ihre Nahrung sog. Der Timäus bedeutet aber im Vergleich zur vorangehenden ihres kritischen Geistes bewußt werdenden Naturauffassung einen gewaltigen Rückschritt von der Forschung in die Poesie. So wenig sein Erkenntniswert in Betracht kommt, so ist er doch dadurch und infolge der späteren Gegensätzlichkeit zwischen der Aristotelischen und Platonischen Philosophie von großer geschichtlicher Bedeutung geworden. Die organische Natur erscheint im Timäus als Degeneration des Mannes, den der Weltenschöpfer aufs vollkommenste geschaffen hat, wobei Plato die Pythagoreische Zahlenmystik mit der Geometrie des Organismus in Verbindung setzt und die teleologische Erklärung der einzelnen Organe im Dienste der Seele durchführt. Anderseits scheint das Verdienst, Naturerscheinungen nach Gattung (genus) und Art (species) zu gliedern und damit auf dem Wege der Induktion Allgemeinbegriffe zu schaffen, ebenfalls auf Plato zurückzugehen. Die genannten Begriffe stehen zwar bei ihm in komplizierterem gegenseitigen Verhältnis, als in unserer Logik; doch bleibt wohl der Aufbau von Systemen mit ihrer Hilfe Gemeingut der Platonischen Schule, die zum Teil infolge mangelnder Erweiterung ihrer positiven Kenntnisse in der künstlichen Ausbildung dichotomischer Gliederungen (nach Art unserer botanischen und zoologischen Bestimmungstabellen) verfiel, zum Teil aber auch die Stärke der Aristotelischen Systematik wurde.
[S. 20]
Aristoteles, geb. 384 v. Chr. zu Stagiros in Mazedonien als Sohn des Nikomachos, des Leibarztes von König Amyntas, und einer thrakischen Mutter Phästis, wandte sich nach dem Tode des Vaters, achtzehnjährig, Athen zu, wo er in den Kreis der Schule des damals in Sizilien befindlichen Plato eintrat. Nach 20 Jahren des Lernens und Lehrens begab er sich zu seinem Freunde Hermias, dem Herrscher von Atarneus, heiratete dessen Tochter Pythias, hielt sich in Mytilene und Lesbos auf und wurde 343 durch Philipp von Mazedonien zur Erziehung des damals dreizehnjährigen Alexanders (des Großen) an den mazedonischen Hof berufen. Vier Jahre später wurde Alexander Reichsverweser. Aristoteles blieb in Mazedonien, baute seine Vaterstadt wieder auf und gab ihr eine Verfassung. 335 kehrte er nach Athen zurück, bezog das Lykeion, in dessen Laubgängen (Peripatoi) er seine philosophische Schule einrichtete, morgens einem engeren, nachmittags einem weiteren Kreise zugänglich. In die folgenden zwölf Jahre fällt das Schwergewicht seiner literarischen und akademischen Tätigkeit. Nach Alexanders Tode entfloh er einem Prozeß wegen Gotteslästerung nach Chalkis auf Euböa und starb daselbst 322, nachdem er zuvor Theophrast zu seinem Erben und wissenschaftlichen Nachfolger eingesetzt hatte.
Die zoologischen Schriften des Aristoteles bilden nur einen Teil seiner biologischen und einer viel umfangreicheren Gesamtheit seiner naturwissenschaftlichen Schriften. Diese selbst ordnen sich nach Form und Inhalt wieder seinen etwa viermal umfangreicheren Werken ein. Zoologie, allgemeine Biologie, Entwicklungsgeschichte, Mißbildungslehre, Physiologie treten bei ihm zuerst in Gestalt systematisch entwickelter und nach dem damaligen Stande des Wissens ausgebauter Wissenschaften auf. Die anatomischen und botanischen Werke sind verloren gegangen. Der Umfang des Wissens, das uns in den zoologischen Schriften entgegentritt, ist vielfach wohl schon voraristotelisch, die literarische Abrundung der verschiedenen Teile eine sehr ungleichwertige, indem sie zwischen Notizsammlungen, Vorlesungen und wissenschaftlichen Monographien schwanken. Eine letzte einheitliche Redaktion fehlt; anderseits sind ganze Bücher als gefälscht erwiesen. Immerhin steht fest, daß die zoologischen Schriften des Aristoteles bis ins 16. Jahrhundert (Aldrovandi resp. Gesner) an Reichtum des Beobachtungsmaterials, bis auf Linné in bezug auf systematische[S. 21] Durcharbeitung unübertroffen waren und bis auf die Gegenwart es noch sind in Hinsicht auf philosophische Begründung der wissenschaftlichen Prinzipien für die Biologie. Als Hauptschrift hat bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Tiergeschichte gegolten. Erst seither ist auch unter Führung Hegels und seiner Schule sowie der Berliner Akademie in Deutschland und durch Barthélemy St. Hilaire in Frankreich zum Verständnis der übrigen Schriften ein Grund gelegt worden. Der zoologischen Literatur der Gegenwart ist jedoch der Einfluß der Aristotelischen Zoologie und Philosophie auf die Entwicklung der biologischen Wissenschaften noch nicht hinreichend bekannt.
Die Hauptschriften für die Zoologie sind:
Die Anordnung der ersten drei Hauptschriften entspricht dem Grundsatz, es sei notwendig, damit anzufangen, die Erscheinungen jeder Gattung, dann die Ursachen und zuletzt die Entstehung zu besprechen.
In gleicher Vollkommenheit ist nie mehr die Absicht durchgeführt worden, die Biologie als Teil der Allgemeinwissenschaft einzugliedern, sie aber auch andererseits als Ganzes aus den Erscheinungen systematisch durch eigene Beobachtung, Aufnahme fremder mündlich und literarisch überlieferter Angaben aufzubauen, der Mannigfaltigkeit der Natur[S. 22] ebenso gerecht zu werden, wie ihrer Einheit und dadurch zwischen Realismus und Idealismus eine Mitte einzuhalten, wie sie bei gleicher Stoffülle nie mehr wiedergewonnen worden ist. Mangelhaftigkeit der Beobachtung, Leichtgläubigkeit, Fehlen geeigneter Hilfsmittel, Unsicherheit der Bestimmung der dargestellten Gegenstände, stellenweise allzu große Breite in der Behandlung des Stoffes, Übertragung der Verallgemeinerungen aus der anorganischen Naturforschung in die organische, Unterbleiben der letzten redaktionellen Überarbeitung des Gesamtwerks, Verlust erheblicher Stücke — all diese Schäden der Aristotelischen Werke sind nicht zu leugnen und fordern zu großer Vorsicht in ihrer Beurteilung auf. Daher können sie einem modernen Empiriker nicht ohne weiteres verständlich sein. Ihrem Eigenwerte und ihrer historischen Bedeutung aber geschieht dadurch kein Eintrag und die Urteile von Buffon und Cuvier, daß die Aristotelische Zoologie in ihrer Art das vollkommenste sei, werden auch für die Zukunft zu Recht bestehen.
Der Tierbestand, über den die Aristotelischen Schriften sich erstrecken, beläuft sich auf etwa 520 unterschiedene Formen, welche Gattungen in unserem Sinne entsprechen. Abgesehen von zwei, mit Vorbehalt erwähnten Fabelwesen, ist es der Grundstock der Fauna des Ägäischen Meeres und seiner Umgebung, vermehrt durch einzelne Vertreter der ägyptischen Fauna. Neben der reichlichen Küstenfauna werden auch zahlreiche pelagische und der Tiefsee angehörende Vorkommnisse aufgeführt. Mit besonderer Ausführlichkeit gelangen der Mensch, die Haustiere, die Fische, die Zephalopoden, die niederen Wirbellosen zur Behandlung. Die Schilderung dieser Tierwelt erstreckt sich auf alle Lebensäußerungen möglichst ebenmäßig, bald mehr auf die Lebensweise, die Charaktereigenschaften, bald mehr auf die Form, den Habitus sowohl wie die Teile: Proportionen, Organe, Gewebe. Unterstützt[S. 23] wurden die Ausführungen seiner Werke gelegentlich durch Illustrationen. Auf diesem zoographischen und zootomischen Wege wird analytisch ein Tatbestand von gewaltigem Umfange aus der organischen Natur gewonnen, den es nun zu ordnen und nach außen zu verknüpfen gilt. Bei diesen beiden Aufgaben verhält sich Aristoteles verschieden. Während er bei der Einreihung der Lebewelt in das Gesamtbild seiner Wissenschaft wohl weniger originell erscheint, als Plato, und wenige Gesichtspunkte einzunehmen weiß, die nicht nur wie eine geschickte Auswahl aus denen seiner Vorgänger erscheinen, behauptet er seine Selbständigkeit am allermeisten, solange er auf dem Gebiet der Biologie selbst bleibt.
Die wichtigsten seiner metaphysischen Prinzipien sind, soweit sie für die Zoologie in Betracht kommen, etwa folgende: Die Natur ist der Inbegriff von Ursache und Zweck. Sie tut alles wegen des Notwendigsten und Schönsten, schafft aus dem vorhandenen Stoff das Schönere und Bessere und flieht das Unendliche und Planlose. Sie richtet die Organe zu für das gesamte Werk, dabei geht sie ökonomisch vor, schafft gleichwie Gott nichts vergeblich oder doppelt und verwendet dasselbe Werkzeug zu mehreren Verrichtungen. Überall sucht sie das Mannigfaltige zur Einheit zu führen und schreitet stetig fort, obschon sie dabei den Dingen Perioden setzt, deren Modifikationen jedoch von der Beschaffenheit des Stoffes abhängig sind. Wie weit dieser Naturbegriff sich mit seinem Gottesbegriff des stofflosen Geistes deckt, ist schwer abzugrenzen. Immerhin war ihm die göttliche Ursächlichkeit der letzte unbedingte Grund der Weltordnung. Aber die Naturkausalität ist auch nach unten begrenzt. Die Schranken des Stoffes vereiteln teilweise ihre Entwürfe und zwingen sie in den Bann des Zufalls und Mißlingens.
Aristoteles unterscheidet viererlei Ursachen: 1. die Materie, 2. die Form, 3. die bewegende Ursache und 4. die Endursache,[S. 24] den Zweck. Wie er sich das Verhältnis dieser Ursachen zueinander dachte, kann hier nicht eingehend erörtert werden. Es ist nur hervorzuheben, daß seine Vorstellung vom Zweck, im Gegensatz zu der späterer Autoren, den Zweck eines Objektes zunächst in dessen eigener vollentwickelter Form selbst sah (immanenter Zweck), nicht in irgend einer Nützlichkeit außerhalb des Objektes. Der vollendete Zustand ist die oberste Ursache, auf die alle Entwicklung orientiert ist. Die drei letzten der genannten Ursachen machen die Seele aus, die sich der obersten materiellen Qualitäten der Wärme und der Kälte bedient, um ihren Plan zu realisieren.
Zum ersten Male bei Aristoteles tritt als Forschungsprinzip die möglichst umfangreiche Beobachtung auf. „Hat man nicht ausreichende Beobachtungen, aber sollten diese gemacht werden, so muß man der Beobachtung mehr Glauben schenken als der Theorie und dieser nur, wenn sie zum gleichen Resultat führt, wie die Erscheinungen.“ Erst aus den Tatsachen leitet Aristoteles durch Induktion (Epagoge) allgemeine Sätze ab, die zu Gattungsbegriffen führen. Daher finden sich bei ihm z. B. viele Sätze über Korrelation der Organe und der Funktionen und bei der Heerschau der Lebewelt mehr oder weniger scharf umschriebene, aber allgemein verwendete Gruppenbildungen, die sich gegenseitig über- und unterordnen. Dadurch wird Aristoteles zum Schöpfer der biologischen Systematik. Hat er auch der Klassifikation der Tiere nicht einen formalen Abschluß zu geben verstanden, wie es später mit Ray beginnend bis zu Cuvier versucht wurde, so entschädigt er anderseits durch die Breite seiner Systematik, die sich auch auf die Teile der Tiere, ihre Funktionen und die Entwicklungsstufen des individuellen Lebens erstreckt. Am deutlichsten hebt sich sein Verdienst um die Methodik der Biologie ab, wo wir ihn im Kampfe mit Platos Nachfolgern sehen. Ihnen[S. 25] gegenüber stützt er sich auf das Prinzip der Anatomie, die die Induktion aus den äußeren Erscheinungen nimmt. Hat er auch menschliche Leichen nie seziert, so teilt er so reichliche und vielfach richtige Beobachtungen über die Anatomie der Tiere mit, daß nur ausgedehnte Anwendung anatomischer Technik in den Besitz derselben kann gesetzt haben. Auch Vivisektion und Experiment wandte er, wenn auch wohl in bescheidenerem Maße als seine hippokratischen Vorgänger, an. Neben der Induktion geht die Deduktion her, namentlich da, wo die Beobachtung versagte. So zieht Aristoteles im Anschluß an Empedokles die vermeintlichen Elementarqualitäten warm, kalt, trocken, feucht und deren Mischung zur Erklärung der schwierigsten organischen Prozesse bei. Er überträgt mit Plato die Geometrie und die Lehre vom Primat der Teile in seine Biologie. Die bewußte Durchführung der von ihm als richtig erkannten Prinzipien gelangt also bei ihm selbst noch nicht zum vollen Ausdruck, insbesondere, da auch das in seinen Schriften gehäufte Material ungleichmäßig verarbeitet ist. Ohne die letzte Bearbeitung erfahren zu haben, werden ältere Teile einer durch Tradition auf ihn übergehenden Wissenschaft von jüngeren überschichtet.
Einzelne bei Aristoteles verzeichnete Tatsachen, die zunächst imstande waren, späteren Zoologen Bewunderung für ihn einzuflößen, können wir hier nicht aufzählen, um so weniger, da sie vielfach von Irrtümern aufgewogen werden, über deren kritiklose Wiedergabe man erstaunt sein konnte. Man hat während der Herrschaft der Linnéschen Klassifikation in der Unschärfe des Artbegriffes von Aristoteles einen Mangel gesehen; die Gegenwart urteilt anders und begreift, daß eine so scharfe Formulierung dieses Begriffes, wie wir sie allein noch zu praktischen Zwecken brauchen, der Aristotelischen Biologie kaum zugute gekommen wäre.
Eine der größten Schwierigkeiten für die Beurteilung der[S. 26] Aristotelischen Biologie ist der Mangel an einer der unsern entsprechenden Terminologie. Spezielle Bezeichnungen für die von uns heute leicht unterscheidbaren Naturerscheinungen fehlen. Anderseits werden Vulgärbezeichnungen in einer für uns schwer zu umschreibenden Weise gebraucht, z. B. die Bezeichnungen Wärme, Kochung, die es fast unmöglich machen, unseren Vorstellungskreis mit dem Aristotelischen zu vergleichen. Sodann werden Ausdrücke wie Gattung und Art wohl zur Zusammenfassung von Individuen, nicht aber im heutigen Sinne gebraucht, wenngleich die Bezeichnung Gattung vorwiegend im Sinne der oberen Gruppen des Systems verwendet wird. Nicht geringer sind die Schwierigkeiten da, wo einzelne Lebewesen bezeichnet werden sollen und wo später die Vervollkommnung der Zoologie durch Linné daher auch am meisten empfunden wurde.
Das Resultat der Aristotelischen Zoologie ist in den Hauptzügen etwa folgendes: In der Natur findet ein allmählicher Übergang vom Unbeseelten zum Beseelten statt. Zunächst folgen die Pflanzen, die beseelter sind als die anorganische Natur, aber weniger beseelt als die Tiere, zu denen sie durch niedere Meertiere allmählich übergehen. Den Pflanzen ist die Ernährung eigen, zugleich auch die Zeugung, die nur eine spezielle Art von Ernährung ist, ferner Regeneration und Teilbarkeit durch Stecklinge und Wurzelbrut. Der Schlaf ist ihr üblicher Zustand, aktive Ortsbewegung fehlt ihnen. Eine Art von Wärme haben sie auch, wie alles, was eine Seele hat. Sie sind, wie alle niederen Lebensformen, an Feuchtigkeit gebunden. Da sie nur wenige Funktionen ausüben, besitzen sie auch nur wenige Organe. Ihre Gewebe sind Holz, Rinde, Blatt, Wurzel. Das Oben der Pflanzen ist die Wurzel, da von dort die Ernährung ausgeht. Dadurch stehen sie im Gegensatz zu den Tieren, bei denen vielfach die Verrichtungen keine andern sind, als bei den Pflanzen. Die Tiere[S. 27] besitzen aber außer der „ernährenden Seele“ der Pflanzen auch eine „empfindende Seele“. Diese bedarf einer größeren Wärme, welche durch Kochung erzeugt wird und die Nahrungsmittel im Körper verwandelt, teils in dessen Bestandteile, teils in Ausscheidungen. Außerdem kommt den Tieren, wenigstens den höheren, Ortsbewegung zu, gewissermaßen als aktive Leistung, die der passiven, der Empfindung, parallel geht und die das spezifisch Animalische ist. Daher rührt die Bezeichnung der neueren Physiologie: animalische und vegetative Funktionen. Beide Grundfunktionen entsprechen übrigens den späteren Begriffen des Kraftwechsels (physikalische) und des Stoffwechsels (chemische Physiologie). Für die höheren Tiere und den Menschen kommt hinzu die „intelligente Seele“, der Mensch allein besitzt Vernunft. Dadurch kommt eine psychologisch abgestufte Reihenfolge der Naturkörper zustande, der Aristoteles in der Behandlung dieses oder jenes Problems folgt und die nun mehr oder weniger im einzelnen ausgeführt wird. Angesichts der Resultate der neueren Phylogenie wird man auch daraus keinen Vorwurf gegen ihn ableiten, daß diese Reihenfolge nicht immer dieselbe ist und z. B. innerhalb der Wirbellosen die großen Abteilungen verschieden aufgezählt werden. Dagegen muß scharf betont werden, daß für ihn die Art als ewig galt und deren Umwandlung stets nur ideal gedacht wird, nicht real. Doch entging ihm nicht, daß die höheren Lebewesen in ihrer Embryonalentwicklung Entwicklungsstufen, die niederen Tierformen entsprechen, durchlaufen. Die großen Umrisse des Aristotelischen Tiersystems lassen sich übersichtlich folgendermaßen zusammenfassen:
(Unsere Bezeichnungen)
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A.
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Bluttiere
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Wirbeltiere
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a)
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Lebendiggebärende Vierfüßer
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Säugetiere
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1.
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Mensch
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2.
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Affen
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3.
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Vielspaltfüßige
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Raubtiere, Nager, Insektenfresser
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4.
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Zweihufer
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5.
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Hauerzähnige
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Schweine
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6.
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Einhufer
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7.
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Wassersäugetiere
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Wale, Robben
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8.
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Flatterhäutige
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Fledermäuse
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Nicht in Gruppen zu bringen sind:
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Elefant, Hippopotamus, Kamel, sowie einige
unbestimmbare und fabelhafte Wesen.
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b)
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Vögel
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Vögel
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1.
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Krummklauige
nächtliche |
Raubvögel
Nachtraubvögel |
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2.
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Würmerfresser
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3.
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Distelfresser
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4.
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Holzkäferfresser
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Spechte usw.
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5.
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Tauben
|
Tauben
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6.
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Spaltfüßige
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Sumpfvögel usw.
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7.
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Ruderfüßige
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Schwimmvögel
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8.
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Erdvögel
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Hühner usw.
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c)
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Eierlegende Vierfüßer
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Reptilien
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1.
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Beschuppte Vierfüßer
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Saurier, Schildkröten
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2.
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Beschuppte Schlangen
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Schlangen
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3.
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Unbeschuppte Vierfüßer
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Lurche
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d)
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Fische
|
Fische
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1.
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Selachier, Knorpelfische
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a) spindelförmige
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Haie
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b) flache
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Rochen
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2.
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Grätenfische
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Knochenfische
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B.
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Blutlose
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Wirbellose
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a)
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Weichtiere
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Zephalopoden
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1.
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kurzbeinige mit 2 langen Armen
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Dekapoden
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2.
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langbeinige
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Oktopoden
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b)
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Weichschaltiere
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Krustazeen
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1.
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scherentragende
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Astaci
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2.
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scherenlose
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Langusten
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[S. 29] |
3.
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scherenlose, mehr als zehnfüßige
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Caridina
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4.
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kurzschwänzige
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Brachyuren
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5.
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Karzinien
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Einsiedlerkrebse
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c)
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Insekten
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1.
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Koleopteren
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Käfer
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2.
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Vierflügelige Hinterstachler
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Hymenopteren
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||
3.
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Zweiflügelige Vorderstachler
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Dipteren
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4.
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Epizoen und Modertiere
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5.
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Lange Vierfüßler
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Myriapoden
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6.
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Spinnenartige
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Arachniden z. T.
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7.
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Helminthen
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Würmer
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c)
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Schaltiere
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Mollusken u. niedere Tiere
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1.
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Konchylien
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Käfer
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a) einschalige
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Einschaler
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b) flache
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Zweischaler
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c) gewundene
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Schnecken
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2.
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Seeigel
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Echiniden
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3.
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Seesterne
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Asteriden u. Ophiuriden
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4.
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Schallose, frei lebende
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Holothurien, Velellen
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4.
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Schallose, angewachsene
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Schwämme, Aktinien
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Physiologische und anatomisch begründete Zusammengehörigkeit der Tiere ist also noch nicht scharf geschieden. Es fehlen manche Gruppen, die wir erwarten würden, z. B. die Schmetterlinge. Schwankend sind die Fledermäuse und Strauße, die eine Mittelstellung zwischen Säugetieren und Vögeln einnehmen sollen, ebenso die Wassersäugetiere, die zwar anatomisch als Säugetiere nachgewiesen, aber in eine Mittelstellung zwischen diese und die Fische gebracht werden. Besonders scharf gesondert treten die Fische als kiementragend und mit Flossen versehen auf und werden nach ihrem Skelett eingeteilt. Die Umgrenzung derselben ist später oft durchbrochen worden, hat ja auch Linné noch Schwierigkeiten bereitet, und die Scheidung in zwei große Gruppen[S. 30] ist bis heute beibehalten worden. Was die Wirbellosen betrifft, so hat erst Ende des 18. Jahrhunderts die Systematik hier wesentliche Fortschritte gemacht. Ihre Abtrennung von den Fischen und die vielen anatomischen und biologischen Schilderungen derselben gehören zu den hervorragendsten Merkmalen der Aristotelischen Zoologie. Als oberste Einteilungsprinzipien wählt er anatomische. „Zuerst nun werden wir die Teile, aus denen die Tiere bestehen, zu erörtern haben. Denn in ihnen liegen die größten und ersten Unterschiede auch für das Gesamttier, je nach Besitz oder Abwesenheit gewisser Teile, nach Lage und Anordnung, nach Gestalt, Überschuß, Analogie, Gegensatz der zufälligen Eigenschaften.“ Dies führt ganz selbstverständlich hinüber zu ausgedehnterer Verarbeitung anatomischer Einzelheiten, seien es nun solche, die auf Aristoteles’ eigene Beobachtungen oder die seiner Vorgänger zurückzuführen sind. Damit ist aber auch der Anstoß zu einer vergleichend über die ganze Tierwelt ausgedehnten Anatomie und Physiologie gegeben. So stuft denn Aristoteles auch innerhalb des einzelnen Individuums die Teile ab. Er unterscheidet Grundstoffe, gleichartige Teile (Gewebe), ungleichartige Teile (Organe), berücksichtigt auch die Proportionen und endlich den Habitus. Die schwächste Seite ist neben vielen anatomischen Irrtümern seine Physiologie, da sie von unzulänglichen physikalischen Vorstellungen ausgeht. Es ist hier nicht der Ort, die große Zahl irriger und oberflächlicher Kenntnisse und Begriffe vom Bau und von den Verrichtungen des menschlichen Körpers, die er der Betrachtung der übrigen Organismen zugrunde legt, aufzuzählen. Nur nebenbei mag auch erwähnt werden, daß viele Einzelbeobachtungen, die sich in seinen Werken finden, später bestätigt wurden. Von besonderer Tragweite ist Aristoteles’ Wertung des Herzens geworden, das er schlechthin als das Zentrum der ganzen Organisation, weil es das der Ernährung und Bewegung sei,[S. 31] mithin auch als das der Seelenfunktionen auffaßte, während ihm das Hirn nur ein Kühlapparat für die aufsteigende Wärme zu sein schien. Das Herz ist das erste und letzte, was sich bewegt; die Luft das Agens der Bewegung. Zur Kenntnis der Bewegungsfunktion fehlte ihm eine klare Vorstellung von den Muskeln und ihrer Wirkung.
Weitaus am wertvollsten sind innerhalb der Physiologie die Ausführungen über die Entwicklungsgeschichte, weil hier die Naturauffassung wie die Beobachtungsmittel von Aristoteles am weitesten führen konnten. Von der Zeugung sind vier Arten zu unterscheiden: die Urzeugung, wodurch Lebewesen aus faulenden Stoffen entstehen sollten, die Sprossung niederer Tiere, die hermaphroditische, die geschlechtliche Zeugung. Die dritte Form, ein Mittelding zwischen dem, was wir als Hermaphroditismus und Parthenogenese unterscheiden, schreibt er außer den Pflanzen den Bienen und einigen Fischen zu. Bei den höheren Tieren herrscht sonst Zweigeschlechtigkeit als eine Folge der Ortsbewegung und führt zu einer Differenzierung der Geschlechter, die von prinzipieller Bedeutung für die ganze Organisation des Individuums ist (Wirkung der Kastration). Beim Männchen ist der Zeugungsstoff die Samenflüssigkeit, die aber nicht pangenetisch gedacht wird, beim Weibchen das Ei oder die Katamenialflüssigkeit. Als vollkommene Eier erscheinen die dotterreichen. Bei der Befruchtung liefert das Weibchen den Stoff, das Männchen das gestaltende Prinzip, das nicht einmal stofflich zu sein braucht, sondern als rein mechanisch wirksam gedacht wird. Es soll eine Bewegung übertragen und einen Ernährungsprozeß einleiten und die weiblichen Geschlechtsprodukte in einen Keim überführen, der bald im Ei, bald ein „Wurm“ ist. Im Verlaufe der weiteren Entwicklung entstehen die Organe nicht gleichzeitig, obschon sie der Möglichkeit nach vorhanden sind, sondern sukzessive in größter Zweckmäßigkeit[S. 32] nach dem Endzustand, der erreicht werden soll. Der Embryo ist beseelt, zunächst zwar nur mit einer „ernährenden Seele“, erst später treten die höheren Stufen des Seelenlebens auf. So besitzt er denn auch zuerst nur generelle, erst später mehr spezielle und individuelle Eigenschaften. Die Ernährung des Embryo ist eine Fortsetzung der Zeugung. Die Fruchtbarkeit steht in Korrelation mit der Form der Ernährung, der Größe der Eier usw. Aristoteles findet hier die Gelegenheit, ausgedehnten Erfahrungen über die vergleichende Entwicklungsgeschichte Raum zu geben. Die Reihenfolge, in der die Organe auftreten, richtet sich nach der physiologischen Bedeutung der Organe. Daher entsteht zuerst das wichtigste Organ, das Herz, wie sich am Hühnerembryo sehen läßt, wo es als „der springende Punkt“ imponiert. Dann entstehen die großen Gefäße und der Kopf mit den schon früh großen Augen. Sind die Grundstoffe nicht genügend, so geht die Entwicklung in Mißbildung aus. Den einzelnen Formen der Mißbildung widmet Aristoteles ein ausgedehntes Kapitel, das als die Grundlage der späteren Teratologie zu betrachten ist, da in ihm die pathologischen Erscheinungen auf natürliche Ursachen zurückgeführt sind. An Beobachtungen über die Entwicklung der einzelnen Organe, namentlich auch an genauen Angaben über die Zeugungs-, Gestations- und Entwicklungsfunktionen der Haussäugetiere findet sich ein großer Reichtum in den verschiedenen Aristotelischen Schriften.
Noch hatte nach Aristoteles Theophrast das Lebenswerk seines Lehrers nach wesentlichen Seiten hin ausgebaut und ergänzt. Nach der zoologischen Seite war er zweifellos tätig, doch ist von ihm nur ein Buch erhalten, nämlich dasjenige, welches als das IX. der Tiergeschichte von Aristoteles gegolten hat, das aber keineswegs mehr auf der Höhe des Meisters[S. 33] steht. So gingen denn die von Aristoteles aufgestellten und teilweise durchgeführten Grundsätze verloren, unverstanden und unbenützt, geschweige daß sie weiter verfolgt, erprobt, ausgebaut worden wären. Die von ihm zum wissenschaftlichen Prinzip erhobene Verknüpfung von Anatomie, Physiologie, Entwicklungsgeschichte des gesunden und kranken Organismus lockerte sich rasch. Die Tierwelt zog nicht mehr als wissenschaftliches Objekt an, sondern interessierte nur noch mit Beziehung auf den Menschen, seine praktischen, dekorativen oder magischen Bedürfnisse.
Es sind nur wenige Stätten, an denen die antike Biologie auslebt: Alexandria, Rom, Pergamon. In Alexandria erwiesen sich die Ptolemäer, namentlich der zweite, Philadelphus, und der siebente, naturwissenschaftlichen Studien günstig. Neben Büchern über Jagd und Fischfang verdient der Vogelkatalog von Kallimachos von Kyrene (ca. 310-325) Erwähnung, ferner die umfangreich erhaltene Tiergeschichte des Aristophanes von Byzanz (ca. 257-180), die wesentlich durch Auszüge aus Aristoteles, Theophrast u. a., nicht ohne Fabeln aus Wunderbüchern, aber auch wahrscheinlich im Anschluß an die alexandrinischen Sammlungen entstanden. Ebenfalls zur Grundlage für seine Wundergeschichten benützte Antigonos von Karystos (geb. ca. 290) die Tiergeschichte von Aristoteles.
Alexander von Myndos (im ersten vorchristlichen Jahrhundert) wird das Vorbild jener Fabelschriftsteller, die bis zum Erwachen erneuter Kritik zu Beginn der Neuzeit die Welt mit Wundergeschichten, wahren und erlogenen, von den Tieren unterhielten. Von wissenschaftlicher Schulung war keine Rede mehr. Das pseudo-aristotelische Tierwerk, welches einem bereits ähnlich gerichteten Geschmack durch Auszüge aus Aristoteles Rechnung trug, bot Alexander von Myndos die Grundlage, auf der er sich schriftstellerisch betätigte. So wurde z. B.[S. 34] der wissenschaftlichen Schilderung des Vogels, wie Aristoteles sie gegeben hatte, die mythologische und wahrsagerische Bedeutung erklärend beigefügt, sodann die Sagen über die Verwandlung usw. In Alexandria bildete sich auch das Lehrgedicht in derjenigen Form aus, wie es in der Folgezeit griechischer und römischer Wissenschaft auf zoologische Gegenstände neben der Prosa besonders reichlich Verwendung fand. Die in Alexandria geprägte Form der Zoologie beherrscht denn auch mit mehr oder weniger Abwechslung über die spätgriechische Wissenschaft hinaus die byzantinische bis zum Beginn der Neuzeit. „Neben einem m. w. vereinzelten Studium der Alten herrscht in der Botanik und Zoologie eine phantastische, wesentlich durch paradoxographische und geheimnisvolle Gesichtspunkte bestimmte Tätigkeit“ (Krumbacher).
Die römische Zoologie steht bei weitem nicht auf der Höhe der griechischen. Schon hatten die spätesten Produkte der letzteren einen Zug angenommen, der sie weit von Naturbeobachtung und Wahrheit der Darstellung weggeführt hatte und der auch nicht mehr zur Kritik der mündlichen und schriftlichen Überlieferung befähigte. An diesem Punkte tritt Rom die Erbschaft an. Noch am ehesten ist es Plinius, der unsere Beachtung verdient und wäre es auch nur um der geschichtlichen Wirkung willen, die seine Naturgeschichte getan hat.
Die umfangreichste naturwissenschaftliche Leistung älteren Datums ist das Lehrgedicht „Über die Natur der Dinge“ von T. Lucretius Carus. Römertum und epikureische Philosophie wirken in ihm ein Naturgemälde von großem Wurf und einheitlicher Stimmung. Doch zeigt dieses Bild mehr die Sehnsucht nach Befreiung von den Banden des Aberglaubens und Ausdeutung eines naturwissenschaftlichen Inhaltes[S. 35] von einer biologisch sehr eng begrenzten Fassung nach den Schemata der materialistischen Mystik. In Beobachtung und theoretischer Deutung geht Lucrez indes nicht über seine griechischen Vorbilder hinaus. Der verarbeitete Tierbestand ist ein dürftig zu nennender. Einheit der Schöpfung kommt nur insofern zur Geltung, als für Lucrez die Erde die Allmutter ist, die jedwede Art entsprießen ließ. Einst erzeugte sie Riesengeschlechter, heute bringt sie nur noch kleines Getier hervor. Unter dem Atomismus, der im Vordergrund steht, verwischt sich die Grenze zwischen anorganischer und organischer Natur vollständig; so kommen Samen auch den anorganischen Naturkörpern, ja sogar den Grundkräften zu. Auch die Anatomie entspricht nicht mehr den alexandrinischen Erfahrungen. Das Herz ist Sitz der nervösen Erregungen. Obschon die Gewebe der Tiere gleich zu sein scheinen, sind sie doch bei jeder Art verschieden. Diese Verschiedenheit ist lediglich eine solche der Verbindung der Stoffe, nicht ihrer Beschaffenheit. Anregungen für die Zoologie konnten aus diesem Werke ebenso wenig hervorgehen, wie etwa aus Schillers „Spaziergang“, trotz dem hohen poetischen Gehalt dieser Dichtung, die zu den besten auf römischem Boden gewachsenen gehört.
Unter den römischen Schriftstellern nimmt für die Zoologie an geschichtlicher Bedeutung Plinius d. Ä. (geb. 23 n. Chr. zu Verona, gest. 79 beim Ausbruch des Vesuv) den ersten Rang ein. Von seiner enzyklopädischen Vielschreiberei geht uns nur der auf die Naturgeschichte bezügliche Teil an, die 37 Bücher der Naturgeschichte, die auch wieder nur zum Teil die Zoologie betreffen. Nach Plinius eignen Angaben stellt dieses Werk den Auszug von 20000 Tatsachen aus 2000 Bänden anderer Schriftsteller vor. Mit der Natur verband ihn kaum eigene Berührung, ja auch die Schriftsteller, die er exzerpierte, waren nicht in erster Linie die selbständigen Forscher,[S. 36] sondern selbst schon Kompilatoren dritten und vierten Ranges. So kam denn dieses „Studierlampenbuch“ (Mommsen) zustande, das als Quelle für zoologisches Wissen sozusagen wertlos ist, aber auf Jahrhunderte hinaus eine unverdiente Geltung behauptete.
Plinius hat einige Tiere mehr als Aristoteles aufgeführt. Eine logische Ordnung der Tierwelt ist bei ihm nicht durchgeführt. Dazu fehlte vor allem das Ordnungsprinzip der Anatomie. Mit dem Menschen, den Plinius im Gegensatz zu Aristoteles aus dem Tierreich heraushebt, wird der Anfang gemacht. „Des Menschen wegen scheint die Natur alles erzeugt zu haben, oft um hohen Preis für ihre zahlreichen Geschenke, so daß sich kaum unterscheiden läßt, ob sie dem Menschen eine bessere Mutter oder schlimmere Stiefmutter sei.“ Dann folgen die Säuger, untermischt mit den Reptilien; ferner die Wassertiere, die Vögel, die Insekten und die niederen Tiere. Innerhalb der einzelnen Abteilungen, die lediglich der literarischen Einteilung zuliebe gemacht sind, werden die Tiere nach ihrer Größe abgehandelt. Der Elefant steht an der Spitze der Säugetiere, die Wale an der der Wassertiere, der Strauß an der der Vögel. Über die Dimensionen einzelner Tiere, über Lebensweise, Beziehungen zum Menschen werden die unvernünftigsten und kritiklosesten Angaben gemacht. Eine geordnete Beschreibung auch einfachster Formen fehlt. Trotz all dieser Mängel und der Abwesenheit jedes Vorzuges hat die Naturgeschichte von Plinius eine gewaltige historische Wirkung getan. Der naiven Neugier des Mittelalters und eines guten Teiles der Neuzeit genügte sie und ließ Aristoteles in den Hintergrund treten, der Unwissenden viel schwerer verständlich war. Der Wundersucht bot Plinius reichere Nahrung als Aristoteles. Seine Darstellung des Menschen und die Annäherung der Tierfolge an die der Bibel, sowie die nachfolgende Wunderliteratur, die sich ihm[S. 37] anschloß oder annäherte, machte ihn zum Beherrscher der zoologischen Literatur für die Folgezeit. Noch Buffon steht ganz unter dem Banne von Plinius, und Cuvier nennt ihn auf gleicher Höhe mit Aristoteles!
Fast märchenhaft lauten die Berichte über Veranstaltungen von Tierhaltung und Tierzucht bei den reichen Römern. Schon zur Zeit des zweiten Punischen Krieges begann Fulvius Hirpinus Tierzwinger (Leporarien) anzulegen, mit Hasen, Kaninchen, Rehen, Hirschen und Wildziegen. Acht ganze Eber zierten einst die Tafel des Antonius. Lemnius Strabo legte große Vogelbehälter an (Aviarien), und die Pfauenzucht wurde industriell ausgebeutet. Neben seltenen Taubenvarietäten, Gänseleber, Krammetsvögeln und Störchen zierten Flamingozungen und Straußgehirne die Tafel. Zum größten Luxus gedieh die Fischzucht, wovon noch die großen Fischbehälter (Piscinen) in Puzzuoli (der sogen. Serapistempel) aufs beredteste Zeugnis ablegen. Einzelne große Exemplare von Fischen wurden mit Gold aufgewogen. Nicht minder reich war die Tierwelt, die zu den Gladiatorenkämpfen aufgeboten wurde. Elefant, Rhinozeros, Giraffe, Hippopotamus, Auerochs, Löwe, Tiger, Panther, Krokodil wurden zu Dutzenden und Hunderten vorgeführt. Kunststücke durch Zähmung standen hinter den heutigen Leistungen nicht zurück. Und all dieser Aufwand an Tieren führte doch weder zu tieferer Kenntnis, noch vermochte er wissenschaftliche Interessen zu wecken.
Die ganze spätrömische Literatur ist durch Aufzählungen mediterraner und fremdländischer Tiere charakterisiert, deren Identität vielfach kaum mehr festzustellen ist; insbesondere grassieren in ihr Fabelwesen, wie Martichoras, Greif, Phönix, Chimära, Einhorn usw., und fabulöse Darstellungen bekannter Tiere. Das Tier selbst verliert seinen Wert als Glied im wissenschaftlichen System; es interessiert nur noch Liebhaber und[S. 38] Schaulustige und wird daher entweder wie ein Stück Hausrat oder Schmuck der Natur, oder als gastronomische und dekorative Staffage einer ohnehin raffinierten Lebenshaltung, als Kuriosität, als Zucht- und Jagdobjekt, als außermenschlicher Träger von menschlichen Eigenschaften, die ihm angedichtet werden, behandelt. Die schon bei den alexandrinischen Schriftstellern und Plinius aufgelöste Ordnung des Tierreichs zerfällt weiter und weicht später einer alphabetischen. Die Anatomie macht nicht nur keine Fortschritte, sondern schon das längst Bekannte fällt weg, und das wirklichkeitsfremde Naturbild der Literatur wird immer mehr dazu angetan, allem Wunderglauben Tür und Tor zu öffnen, Zauberei und Magie aufleben zu lassen. Auch in der literarischen Form beruht die spätrömische Zoologie meist nur auf Nachahmung griechischer Vorbilder.
Ovids Halieutika sind ein Fragment, das in trockener Aufzählung vom Fischfang im Schwarzen Meere berichtet. Ein Wundergeschichten- und Fabelbuch, worin etwa 130 meist verloren gegangene Autoren ausgezogen werden, ist uns von Älian erhalten. Sein Inhalt geht meist auf entsprechende Berichte alexandrinischer Autoren zurück und zeigt eine ganz erstaunliche Unordnung des Stoffes. Auf weitaus höherem Standpunkt stehen die dem Oppian zugeschriebenen Gedichte über Jagd der Landtiere und Seetiere. Insbesondere dieses gibt eine lebensvolle und bunte Darstellung der marinen Fauna und ihrer Lebensweise, die neben eingestreuten Mythen und moralischen Reflexionen ein gutes Stück frischer Naturbeobachtung enthält. Ähnlich gehalten sind das Buch des Marcellus von den Fischen, die Paraphrase zu Dionysos von den Vögeln und zahlreiche ähnliche Lehrgedichte.
Neben dem wenig erfreulichen Bild der absterbenden wissenschaftlichen Zoologie bietet Alexandria aber auch dasjenige[S. 39] gewaltigen Aufschwunges der Anatomie. Wenn nun auch dieser Aufschwung nicht auf die Zoologie unmittelbar zurückwirkte, so tat er es doch mittelbar. Denn in Alexandria wurde der Grund für die pergamenische Anatomie gelegt, die selbst wiederum im ausgehenden Mittelalter und im Beginn der Neuzeit zum Wiederaufleben der Zootomie führte. Zu den wissenschaftlichen Instituten Alexandrias gehörte u. a. eine Anatomie, wo sicher tierische und menschliche Leichen seziert, vielleicht auch Vivisektionen von Verbrechern ausgeführt wurden. Unter einer großen Anzahl wissenschaftlicher Ärzte ragen hervor Herophilos (unter Ptolemäus I. und II.) und Erasistratos (geb. ca. 325). Herophilos vertiefte die anatomische Beobachtung in vorher ungewohnter Weise. Er erkannte in den Nerven besondere Organe, deren Ursprung auf die Zentren zurückführe und die der Empfindung und Willensäußerung dienen; er beschrieb die Adergeflechte und Hirnhöhlen, Auge und Sehnerv, die Chylusgefäße, den Zwölffingerdarm; er begründete die Pulslehre in einer besonderen Schrift und führte aus, daß das Herz den Arterienpuls veranlasse. Erasistratos erkannte den Unterschied von Empfindungs- und Bewegungsnerven, verglich die Windungen des Hirns bei Tieren und Menschen, beschrieb die Herzklappen und die Sehnenfäden, korrigierte vielfach im einzelnen die Ansichten von Herophilos. Von hier wurde die Anatomie später nach Pergamon übertragen.
Die wissenschaftliche Gesamtleistung der antiken Biologie und Medizin, soweit sie in Einklang mit den damaligen Allgemeinanschauungen möglich war, faßte zusammen und formulierte für die Zukunft Galenos von Pergamon (geb. 131 n. Chr.). Tiergeschichte im Sinne der Aristotelischen enthalten seine Werke nicht mehr. Im Vordergrund stehen der Mensch, die Anatomie und die Physiologie. Denn anschließend an Aristoteles sieht Galen in der Seele die oberste Einheit[S. 40] des Organismus, die sich der einzelnen Organe nur bedient, um ihre Ziele zu erreichen. Die Organe sind die Instrumente; Aufgabe der Anatomie ist, festzustellen, wozu jedes diene. Damit wird Galen der Begründer der Teleologie auf dem Gebiet der organischen Naturforschung und daher der Physiologie. Tieranatomie, Experiment und Vivisektion sind in seiner Hand wichtige, von ihm ausführlich beschriebene und ausgiebig verwendete Hilfsmittel zur Forschung und im Dienste des Unterrichts. Mit seiner Erfahrung knüpft er vorwiegend an die voraufgehenden Alexandriner an; literarisch sucht er den Anschluß in erster Linie an Hippokrates. Die Tierwelt zieht er da in den Kreis seiner Betrachtungen, wo sie zur Erläuterung des Menschen dient. Dabei gibt er vielfach interessante und lebensvolle Schilderungen derselben. Seine Einteilung des menschlichen Körpers nach den Hauptorgansystemen ist die Grundlage für die spätere Mondinos und Vesals geworden. Von den einzelnen Teilen der Seele, den Lebensgeistern, hat der psychische seinen Sitz im Gehirn, der vitale im Herzen, der physische in der Leber. Endlich sei nicht vergessen, daß er die epikureischen Lehren von der Rolle des Zufalls bei der Entstehung der Organismen eingehend und mit Argumenten bekämpft hat, die auch gegen den Darwinismus wieder geltend gemacht wurden.
Im frühen Mittelalter, das mit der Patristik einsetzt, finden sich zunächst noch kaum erhebliche Unterschiede von der voraufgehenden Zeit. Die größte Schicht zoologischer Literatur besteht aus jenen Wunderbüchern des ausgehenden Altertums. Die Zoologie lag so sehr danieder, daß das erwachende[S. 41] Christentum in ihr keine feindliche Macht erblickte. Und doch bedeutet die Organisation der christlichen Wissenschaft zugleich die Organisation mächtiger Widerstände, die sich dem später aufwachenden Trieb nach Naturkenntnis mit dem ganzen Rüstzeug einer scharfen Gelehrsamkeit widersetzten, während hinwiederum die Kirche die Tradition des Wissens vom Altertum in die Neuzeit rettete. Die bewußte Abkehr von dieser Welt ließ alsbald im menschlichen Körper und im Tier etwas Niedriges empfinden. Die Polemik gegen die antiken Naturphilosophen und der Assimilationsprozeß der heidnischen Ethik durch die christliche konzentrierte den Rest naturhistorischer Interessen auf wenige Punkte, für deren theoretische Betrachtung jetzt die Richtlinien vorgezeichnet wurden, die bis heute für alle vulgär oder neuplatonisch philosophierende Zoologie die maßgebenden geblieben sind. Es erhielten ihre Formulierung die Probleme der Schöpfung, des Ursprunges des Lebens, der Vererbung, der Individualität, der Entstehung des Menschen, des Zusammenhanges von Leib und Seele. Während also zu dieser Zeit die zoologische Forschung ruht, gestalteten sich die Punkte aus, die stets zu brennenden werden, sowie die zoologische Wissenschaft mit dem christlichen Glauben sich freundlich oder feindlich auseinandersetzt. Mehr als andere altchristliche Schriftsteller, die sich mit der Naturforschung beschäftigten, gehen auf die menschliche Anatomie und Physiologie ein: Tertullian, Lactantius, Nemesius von Emesa; doch ist das Verhältnis zur Mannigfaltigkeit der organischen Natur ein ähnliches, wie wir es etwa bei Lucrez oder Galen antreffen, es bewegt sich im Rahmen der stoischen Philosophie. Den Charakter eines großartigen naturphilosophischen Systems hat erst die Lehre Augustins (354-430), die einen Ausgleich zwischen der Platonischen Philosophie und der mosaischen Schöpfungsgeschichte herstellt, der, für alle Zeiten maßgebend, auch heute noch den Kern der christlichen Naturphilosophie[S. 42] bildet. Seinem Grundsatze entsprechend, daß Naturphilosophie auf Naturwissenschaft zu fußen habe, rückt er in den Vordergrund seine Lehre von der Entstehung der Organismen, die Seminaltheorie. Nach dieser sind die Samen erstens ewig als Ideen im Logos Gottes, sodann vorgebildet als Ursamen in den Elementen der Welt vor ihrer Entfaltung, drittens in den ersten Individuen jeder Art, viertens in allen wirklich existierenden Individuen. Die zweite Form der Samen ist es, die durch Gottes Schöpferwort ins Dasein gelangen, oder mit Thomas von Aquino zu reden: die aktiven und passiven Kräfte, welche die Prinzipien des Werdens und der Bewegung in der Natur sind. Entsprechend damaligem Wissen behandelte Augustin die Generatio aequivoca (Entstehung von Organismen aus dem Anorganischen) und erblickt in ihr ein reales Analogon zu der idealen Darstellung des mosaischen Schöpfungsberichtes. In bezug auf den Menschen sucht er den spezifischen Unterschied in der Seele des Menschen, der in körperlicher Hinsicht nichts vor dem Tiere voraushabe. „Denn wie Gott über jedes Geschöpf, so ist die Seele durch die Würde ihrer Natur über jedes körperliche Geschöpf erhaben.“
Ein Werk von bedeutendem Einfluß auf die Zoologie des Mittelalters hat Isidor von Sevilla (Anfang des 7. Jahrhunderts) verfaßt. Sonst aber fand das Bedürfnis nach Zoologie Genüge in dem als Physiologus bekannten, im frühen Mittelalter entstandenen, bis ins 14. Jahrhundert maßgebenden, in die meisten Sprachen der damaligen Kulturwelt übersetzten Werke. Ursprünglich enthielt es wahrscheinlich nur ein Verzeichnis der biblischen Tiere nebst deren Beschreibung. Allmählich aber schlichen sich fabelhafte Erzählungen aus der antiken Literatur ein, wurden mit christlicher und kabbalistischer Symbolik verbrämt und beliebig ausgeschmückt oder erweitert.
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Ein hervorragender literarischer Anteil an der Zoologie des Mittelalters kommt den Arabern zu. Zwar sind bis jetzt aus ihren Schriftwerken keine Ansätze zu selbständiger Erfassung des Stoffes nachgewiesen; wohl aber gebührt ihnen das Verdienst, die Werke Aristoteles’ und Galens berücksichtigt, unter sich überliefert und der wiedererwachenden Wissenschaft des Abendlandes vornehmlich durch Übersetzungen und durch den Unterricht an ihren hohen Schulen übermittelt zu haben. Ferner hat in ihnen der Gedanke an Einheit des Weltalls, die Einsicht in die Materie als eine letzte Ursache natürlichen Geschehens lebhafte und scharfsinnige Verteidiger gefunden (Avicenna, Averrhoës). Endlich ist der europäischen Zoologie durch Abu Soleimans Reisen nach Indien und China, durch Edrisis an die Ostküste von Afrika (im 12. Jahrhundert), durch Kaswinis nach Südasien neue Kenntnis von fremden Tierwelten zugeflossen.
Die Zeitströmungen, die das hohe Mittelalter bewegt haben, sind in ihrem Wert für das Wiedererwachen der Zoologie außerordentlich schwer abzuschätzen. Ein beschränkter und vielfach zerfabelter Bestand an zoologischem Wissen ist nie ganz untergegangen, schon rein praktische Interessen der Ernährung, der Jagd und der Heilkunst hielten ihn wach. Sollen wir aber die wissenschaftliche Neugestaltung und Mehrung dieses Wissens erleben, so muß eine gründliche Veränderung in der Stellung des Menschen zur Natur voraufgehen. Diese Veränderung erscheint als Folge weit auseinanderliegender historischer Ereignisse, die hier kaum mehr als gestreift werden können. Dahin gehört das Erwachen des Naturgefühls, wie es der Tradition zufolge in einem Franz von Assisi und seinen Tausenden von Nachfolgern Platz griff. In der Kreatur waltet Gott. Umbrien erscheint ihm als ein Paradies, dessen Tiere[S. 44] er als Brüder verehrt, den Regenwurm rettet er vor dem Zertreten und stellt für die hungrigen Bienen im Winter Honiggefäße hin. Die Unterhaltung mit der Lebewelt ist ein Teil nur seines liebevollen Überschwanges, den er in die gesamte Natur hineinträgt. Ihm folgt das gerettete Häslein auf Schritt und Tritt, die Zikade läßt sich vom Baum herab auf seine Hand, um mit ihm den Schöpfer zu preisen, und die Schwalben verstummen, um das Wort Gottes aus seinem Munde anzuhören. Neben der akademisch-dialektischen, aber der Beobachtung fremden arabischen und der volkstümlich mystischen, aber unwissenschaftlichen Linie geht eine dritte, die durch eine der mächtigsten Persönlichkeiten des Mittelalters bezeichnet wird, durch Friedrich II. von Hohenstaufen, den mystisch beanlagten, wissensdurstigen, unter arabischem Einfluß gereiften Zweifler und Philosophen auf dem Kaiserthrone. Unter ihm erblüht aufs neue die medizinische Schule von Salerno. Er ordnet ihren Lehrgang und den der Universität zu Neapel und verlangt menschliche Anatomie als Vorbereitungsfach für Mediziner (1240). Er wirft die Probleme auf, ob Aristoteles die Ewigkeit der Welt bewiesen habe, was die Ziele und Wege der Theologie und der Wissenschaft überhaupt seien. Für ihn muß Michael Scotus die Tiergeschichte von Aristoteles übersetzen. Auf seinen Befehl müssen seltene Tiere aus Asien und Afrika herbeigeschafft, die Untiefen der Meerenge von Messina durch Taucher untersucht werden. Ja, harmlose Gemüter, denen all solche Neugier verhaßt war, beschuldigten ihn begreiflicherweise der Vivisektion von Menschen. Seine Schöpferkraft kommt in der Zoologie am schönsten zur Geltung durch sein Buch über die Kunst, mit Falken zu jagen. Das Thema war nicht neu und wurde schon von byzantinischen Schriftstellern behandelt. Im Werke des Kaisers aber spricht zu uns eine ausgedehnte Kenntnis nicht nur des angezeigten Gegenstandes, sondern der Ornithologie im allgemeinen, der der[S. 45] erste Teil gewidmet ist. Reiche Erfahrungen des Vogellebens, der Anatomie und Physiologie der Vögel finden hier eine planmäßige Darstellung; das Skelett wird genau beschrieben und entgegen Aristoteles die Extremitätenknochen richtig gedeutet, wie denn auch Friedrich vielfach seine von Aristoteles abweichende Meinung ausdrückt; der Mechanismus des Fluges, die Wanderungen der Zugvögel, ja auch die Anatomie der Eingeweide werden abgehandelt. Durch das ganze Werk erhebt sich Friedrich zum ersten Male auf eine Stufe der Zoographie, wie sie eigentlich erst drei Jahrhunderte nach ihm wieder zu vollem Bewußtsein erwachte. Mochte er auch immerhin selbst die Anleitung zu seinen Beschreibungen aus der Anatomie des Menschen und der Haustiere, wie sie zu Salerno gepflegt wurde, geschöpft haben.
Die Zoologie des ausgehenden Mittelalters erhält ihre Physiognomie durch folgende Erscheinungen: Durch die Wiederbelebung der Wissenschaft im Anschluß an die Schriftwerke von Aristoteles wurde eine philosophische Richtung erzeugt, die man als Scholastik bezeichnet, und damit werden sowohl die Aristotelischen Prinzipien der Naturbetrachtung, wie auch deren Resultate aufs neue Gegenstand der Literatur. Wilhelm von Moerbecke übersetzte 1260 die Tiergeschichte von Aristoteles ins Lateinische und erschloß sie damit der scholastischen Literatur. Unter Benützung von Aristoteles suchten das Wissen ihrer Zeit in umfassender Form drei Dominikaner darzustellen: Thomas von Cantimpré (1186-1263), Albert von Bollstädt, der Große (1193-1280) und Vincent de Beauvais. Von diesen hat jedoch nur der zweite auf Grund eigener Kenntnisse im wesentlichen Aristoteles’ Tierkenntnis von der Vorherrschaft des Bestandes an Tierfabeln etwas geläutert. Der erste ist von Bedeutung dadurch[S. 46] geworden, daß er die Anregung zu Konrad von Megenbergs Buch der Natur gab, einem der wertvollsten Vorboten neuzeitlicher Naturbeobachtung. Dieses Werk, zunächst als Übersetzung kritisch ausgewählter Abschnitte aus Thomas ca. 1350 entstanden, war bis zum 16. Jahrhundert ungemein verbreitet und wurde vor 1500 schon sechsmal, zum Teil illustriert gedruckt. Ähnlich, aber älter ist „Der Naturen Bloeme“ von Jakob van Maerlandt.
Von Salerno aus hatten sich unterdessen die medizinischen Studien unter starker Betonung der Anatomie über ganz Italien verbreitet. Zum intensivsten und vielseitigsten Herd derselben wurde Bologna gegen Ende des 13. Jahrhunderts, nachweisbar unter dem Einfluß der Verordnungen Friedrichs II. und des Studiums von Galens Schriften und Aristoteles’ Schrift über die Teile der Tiere. Alderotto, Saliceto und Varignana gingen voraus. Mondino (1315) folgte und schuf die bis auf Vesal maßgebende Anatomie, deren besonderes Verdienst es war, wenigstens in die Beschreibung Ordnung zu bringen. Verwendung von Spiritus, Injektion der Blutgefäße, Mazeration, Trocknung, Abbildung und wohl noch andere technische Vervollkommnungen nahmen von hier aus ihren Weg allmählich über ganz Europa. Neben dem Menschen wurden vielfach Tiere zergliedert.
Nur kurz ist zu erwähnen, daß Marco Polo unter den Resultaten seiner Reisen (1275-1292) eine Reihe von Schilderungen exotischer Tiere gegeben hat, die den Kreis der vorder- und zentralasiatischen Fauna bedeutend erweiterten. Die Wissenschaft war aus den Klostermauern heraus, an die Höfe, an die hohen Schulen, ja ins Volk getreten. Nach Naturbetrachtung und Naturbeobachtung sehnten sich gleicherweise der Arzt wie der Künstler. Und wie der Beginn der großen Seefahrten eine unendliche Erweiterung des Materialzuwachses brachte, so mußte die[S. 47] Wiederbelebung der antiken Literatur zu erneuter Ordnung des neuentdeckten Reichtums der Natur führen.
So leiten denn manche Erscheinungen des 15. Jahrhunderts zu einer neuen Periode hinüber, die auch für die Geschichte unserer Wissenschaft mit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts anhebt. Als wichtige Ereignisse auf dieser letzten Staffel vor der Neuzeit sind hervorzuheben der Beginn von mehr oder weniger naturgetreuen Darstellungen der Tiere, wie z. B. P. Giovios Fische des römischen Marktes (1524), oder der Pflanzen, wie bei der ganzen Reihe zisalpiner, zum Teil in Italien geschulter Botaniker, die auch die Tierwelt nicht ganz unberücksichtigt ließen, wie der „Gart der Gesundheit“, Bock, Brunfels, Fuchs u. a., die unter allen Umständen mit dem Sinn für die Pflanzen auch den für die Mannigfaltigkeit des Tierreichs weckten. Ein mächtiger Vorstoß zur bildlichen Erfassung der Natur geschah durch Leonardo da Vinci (1452-1519), dessen künstlerische Vielseitigkeit sich auch die Naturgeschichte des Menschen, der Haustiere und der Pflanzen untertan machte. Mit der Buchdruckerkunst beginnt die Reproduktion und Verbreitung der antiken Literatur, wobei Hippokrates, Aristoteles, Plinius, Galen ein mächtiges Kontingent stellten und zur Kritik ihrer Angaben herausforderten. Anderseits schädigt die Buchdruckerkunst noch auf lange Zeit hinaus unsere Wissenschaft durch zahlreiche Auflagen von Konrad von Megenberg, Bartholomäus Anglicus und dem sog. Elucidarius, welche den Physiologus als Wunderbücher abgelöst hatten. Den von Äneas Sylvius eröffneten kosmographischen Interessen kam Johannes Leo Africanus mit seiner Schilderung nordafrikanischer Tiere nach. So reifte denn jene Zeit der Ernte heran, die, von den 1550er Jahren beginnend, auf einige Zeit einen großen, aber kurzen Aufschwung naturhistorischer Studien und Publikationen und damit eine schärfere Umgrenzung der Zoologie als einer selbständigen Wissenschaft herbeiführte.
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Schon hatte in Italien die Renaissance den Zenit überschritten und war in Deutschland mit der Reformation ein neuer Geist zum Durchbruch gekommen, unsere Wissenschaft hatte es noch nicht über ein vorläufiges Stadium hinaus gebracht. Alle die wertvollen im vorigen Kapitel geschilderten Ansätze hatten noch keine größeren Gedankenreihen erzeugt, die eine ähnliche Durchdringung der belebten Natur verraten hätten, wie sie in andern Gebieten der Erkenntnis bereits wirksam war.
Vorerst tritt mit einer gewissen Geschlossenheit nur die philologische Zoologie auf den Plan. Die Erstausgabe von Aristoteles war unter Anleitung von Th. Gaza 1497 zu Venedig erschienen. Neben Aristoteles wurden indes Plinius, Älian, Oppian u. a. als gleichwertig betrachtet. Verehrung des Altertums befahl ihr Studium, ohne daß man die Tatsachen zu kontrollieren gerüstet gewesen wäre. P. Gyllius schrieb Älian zusammen, Massaria verfaßte einen Kommentar zu Plinius’ IX. Buch (1537), Longolinus einen Dialog über die Synonymik der Vogelnamen in den klassischen Sprachen und im Deutschen. Reifere Früchte dieser Richtung sind indes erst über die späteren Jahrhunderte zerstreut, und als solche sind besonders zu erwähnen ein Kommentar zu der Aristotelischen Schrift über die Teile der Tiere von Furlanus (1574), die Ausgabe der Tiergeschichte von Scaliger (1619), die Ausgabe des Plinius von Hardouin[S. 49] (1723), des Älian von Gronovius (1744). Selbstverständlich wirkte auch die Herausgabe von Hippokrates und Galen auf die philologische Zoologie zurück.
Damit ist die eine Linie gezeichnet, welche schon für die literarische Darstellung und Wiedergabe neuer Befunde zu Beginn der Neuzeit von größerer Bedeutung sein mußte, als heute. Eine zweite Linie führt von der Erneuerung der Anatomie zu der der Zoologie, ohne daß gerade ein unmittelbarer Zusammenhang, etwa durch die Zootomie, vermittelt würde. Das grundlegende Werk für die Anatomie der Neuzeit, die Corporis humani fabrica von Andreas Vesal (1514-1565), war im Jahre 1543 erschienen. Es gab das Vorbild für alle anatomischen Beschreibungen und Illustrationen ab. Dadurch gelang es Vesal, den blinden Glauben an die umfangreichen Werke Galens und damit überhaupt an die wissenschaftliche Tradition zu brechen. Hatten die Bologneser Anatomen Galen gegenüber den Arabern hergestellt, so kehrte Vesal, wie es Galen selbst vorgeschrieben hatte, zur Natur zurück und lehrte aufs neue die Biologen das wissenschaftliche Sehen. Dabei lehnt er sich in der obersten Gliederung seines Stoffes noch stark an Galen an und legt der Anatomie ein System zugrunde, das noch heute nicht nur die menschliche, sondern auch die vergleichende Anatomie beherrscht (Knochen, Bänder, Muskeln, Nerven, Sinne, Darm, Respirations-, Zirkulations-, Urogenitalsystem). Vergessen wir nicht, daß mit dem Buchdruck der Holzschnitt die bildliche Wiedergabe ermöglichte und damit ein neues Bindeglied zwischen der Anschauung und der Überlieferung geschaffen war, dessen das Mittelalter so gut wie ganz entbehrt hatte.
Die Zoologie nahm indes ihren Ursprung von der Beobachtung und Beschreibung der Gesamttiere und ihren Eigenschaften aus, vom Habitus und von der Lebensweise. Das literarische Modell lieferte Plinius in dominierender, Aristoteles[S. 50] nur in untergeordneter Weise. Der Anfang dieser Periode wird bezeichnet durch ein williges Eingehen auf die Mannigfaltigkeit der Tierwelt und einen unbegrenzten Drang, unsere Kenntnis von ihr zu bereichern. Die einheimische, die fernerliegende und die überseeische Fauna treten nach und nach in den Kreis der Beschreibung, Abbildung und Vergleichung. Die Ordnung der Objekte und ihr Bau tritt zunächst zurück, ebenso die Kontrolle älterer Angaben auf ihre Wahrheit. Mit der Kuriosität der Gegenstände, ihrem Nutzen für die menschliche Ökonomie und der Absicht, die Angaben antiker Schriftsteller zu bestätigen, rechtfertigen sich die ersten zoologischen Bemühungen.
Bei dem Umfang der antiken biologischen Literatur, die im Druck und in Übersetzungen erschien, wurde die Glanzzeit der Renaissance noch mit philologischen Diatriben über Hippokrates, Aristoteles, Galen, Älian, Oppian usw. verbracht, ehe man an die Natur selbst ging. Die Anregung, die aus jenen Schriftwerken entsprang, ist nicht zu unterschätzen, aber ihre Festlegung im Druck errichtete zunächst nur ein Bollwerk gegen die naive Naturforschung. Als diese durchbrach, setzte sie sich wesentlich nur mit dem Inhalt, nicht aber mit der Methodik des Altertums auseinander, und dem Fortblühen des Geisteslebens der Renaissance warfen sich bereits erhebliche Widerstände entgegen.
So beginnt denn die Zeit größter Fruchtbarkeit für die Zoologie der Renaissance sehr spät, erst mit den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts. Obenan stehen drei Forscher, die sich fast ausschließlich der Darstellung der marinen Fauna widmeten: Belon, Rondelet, Salviani; der erstgenannte verdient außerdem als Ornithologe geschätzt zu werden. Alle ihre Werke erschienen 1551-1555 reichlich illustriert,[S. 51] das Salvianis sogar mit vorzüglichen Kupferstichen; sie enthalten Beschreibungen der marinen Tierwelt, die damit zuerst den binnenländischen Forschern vermittelt wurde. Andererseits blieben diese Autoren in ihren allgemeinen Anschauungen auf einem nicht sehr hohen Standpunkt, indem sie nicht einmal den von Aristoteles gegebenen Begriff „Fisch“ genau nahmen. Noch Salviani gab ausführliche synonymische Tabellen, in denen er die Meertiere der antiken Autoren zu identifizieren suchte. Rondelet zog wenigstens schon anatomische Unterscheidungsmerkmale für die Ordnung seines Fischbestandes bei. Er wird von Cuvier als bester Kenner der Mittelmeerfischwelt beurteilt. Die Zahl der von ihm beschriebenen Fische beläuft sich bereits auf 264 (wovon 239 abgebildet). Zu gleicher Zeit erschien das Werk des Engländers E. Wotton (1492-1555): Über die Unterschiede der Tiere, eine theoretisch gehaltene und an Aristoteles’ und Galens Methode anschließende Zoologie, die vom Gesichtspunkt aus geschrieben ist, ordnende Hand an die Mannigfaltigkeit der Tierwelt und ihres Baues zu legen.
Alle diese Richtungen wurden zusammengebogen und zu dem Typus der Renaissancezoologie verschmolzen durch Konrad Gesner (geb. 1516 in Zürich, studiert in Frankreich, Straßburg, Basel Medizin und Philologie, erst Lehrer der Naturgeschichte, später Arzt in Zürich, stirbt 1565 an der Pest). Gesners Plan war auf eine allumfassende Kenntnis der Tierwelt angelegt, wobei er die kritische Kompilation aus anderen Schriftstellern als selbständige Kunst spielen ließ und sich zur Aufgabe machte, alles Berücksichtigenswerte zu vereinigen und womöglich durch eigne Anschauung zu prüfen. Übersichtlichkeit geht ihm über innere Gliederung des Stoffes. Die oberste Einteilung seines Hauptwerkes, das nach Tausenden von Seiten zählt, der Historia animalium (1551-1558), wird nach Aristoteles durchgeführt und folgt den Klassen der Wirbeltiere.[S. 52] Innerhalb dieser Abteilungen werden die einzelnen Tiere alphabetisch abgehandelt und geschildert nach Namen, Vorkommen, Habitus, Ortsbewegung, Krankheiten, Geistesleben, Nutzen und Haltung, Symbolik, Fabeln, Sprichwörtern. Dabei herrscht das literarische Interesse vor, die Anatomie fehlt. Die reichlichen Holzschnitte, wofern sie auf Beobachtung begründet waren, stammten von guten Meistern (das Nashorn z. B. von Albr. Dürer) und verdienen noch heute Anerkennung. Von besonderem Wert für Gesner waren die obenerwähnten Werke der südländischen Ichthyologen, deren Inhalt er unbedenklich seinem Rahmen einspannte. Auch stand ihm bereits ein Teil der Reiseliteratur zur Verfügung, außerdem zahlreiche Beobachtungen befreundeter Forscher in allen Teilen Europas. Als umfassendes Sammelwerk ist Gesners Tiergeschichte von grundlegender Bedeutung für alle späteren Beschreiber bis auf Buffon geworden. Es wurde als Gesamtwerk oder in einzelnen Teilen bis 1621 vielfach mit Ergänzungen herausgegeben. Der Mensch war von dieser Naturchronik ausgeschlossen und blieb es bis auf Linné.
Gesner folgte ein Mann nach, der sich mit ihm in den Ruhm teilt, der bedeutendste Zoologe des 16. Jahrhunderts gewesen zu sein: Ulysses Aldrovandi von Bologna (geb. 1522, studiert von 1539 ab in Bologna und Padua, wird 1549 als Gefangener der Inquisition nach Rom gebracht, empfängt dort von Rondelet Anregungen zur Zoologie, lehrt von 1554 in Bologna Logik und Arzneimittellehre, setzt 1568 die Gründung eines botanischen Gartens durch, legt 1600 sein Amt als Professor nieder und stirbt 1605). Wie in ihrer Gesamtheit die Zoologie der Neuzeit eine Frucht der Anatomie und Botanik ist, so auch im Leben Aldrovandis, das lange genug dauerte, um ein viel breiter als bei Gesner angelegtes Unternehmen wenigstens zu einem großen Teile zur Vollendung zu bringen. Erst 1599 erschien der erste von den drei Bänden, die Ornithologia, dem die weiteren Folianten über die Vierfüßer, die Schlangen und Drachen, die[S. 53] Fische, die Wirbellosen und die Monstra (von Uterverius und Dempster besorgt) bis 1642 folgten. Aldrovandi bemüht sich, alles Wissenswerte über jedes einzelne Tier mit einem außerordentlichen Apparat von Gelehrsamkeit zusammenzutragen. Er verarbeitet in reicherem Maße schon die fremden Faunen, stellt nicht mehr nach dem Alphabet, sondern nach natürlichen Gruppen zusammen. Merkwürdig wenig kommt bei ihm, trotz seiner Abkunft von Bologna, wo damals noch die Anatomie in hoher Blüte stand und sich die Entdeckung des Blutkreislaufs vorbereitete, die Anatomie zur Geltung, kaum mehr als etwa bei Friedrich II. oder Belon. Bei jedem einzelnen Tier wird nicht nur eine zoologische Beschreibung gegeben, sondern womöglich ausführlich abgehandelt: verschiedene Bedeutung des Namens, Synonyme, Habitus, Sinne, Geschlechtsverschiedenheit, Aufenthalt, Fundort, Sitten, Gelehrigkeit, Stimme, Nahrung, Begattung, Jagd, Kämpfe, Antipathien, Krankheiten, Geschichte, Mystik, Moral, Hieroglyphik, Heraldik, Fabeln, Sprichwörter, medizinischer Nutzen, Verwendung im Haushalt des Menschen. Diese schwerfällige Art der Behandlung ließ keine genauere Ordnung der also beschriebenen Tierwelt zu. Immerhin ist ein Vorzug, daß sozusagen alle ältere Literatur, sofern sie sich auf Einzelheiten der Tiere bezieht, in Aldrovandis Werken verarbeitet ist. Insofern hat er etwas Vollständigeres, im einzelnen wohl aber weniger Gesichtetes als Gesner geleistet. Aldrovandis zoologische Sammlung gehört zu den ältesten und verdient als solche erwähnt zu werden. Im Anschluß an ihn mag Jonstonus mit seinen fünf der organischen Natur gewidmeten Büchern der Thaumatographie (1633) genannt werden, sowie mit einem in der Form an Gesner und Aldrovandi anschließenden großen Sammelwerk, das von 1650-1773 erschienen, vielfach herausgegeben und sogar zum Teil übersetzt worden ist. Jonston beschränkt den Text mehr aufs rein Zoologische, erhebt sich aber im prinzipiellen[S. 54] Standpunkt nicht über seine Vorgänger und hält sich auch der Anatomie völlig fern.
Aber auch auf andern Gebieten regte es sich mächtig. Die Beschreibung neuer Lebewesen, besonders im Anschluß an Reisen in ferne Länder, die Wirkung der zu Beginn der fünfziger Jahre einsetzenden Literatur, die engere Fühlung der Zoologie mit der Anatomie des Menschen, die sich nur sehr allmählich und gelegentlich herstellte, beherrschen den nachfolgenden Zeitraum. Dabei löst sich die Schilderung des Tierreichs allmählich in die seiner einzelnen Abteilungen bis zur Monographie wirklicher und fabelhafter Geschöpfe auf. Als eine vorzügliche Arbeit dieser Art ist Ruinos Schilderung des Pferdes zu nennen (1598). Die Tradition mit den antiken Schriftstellern lockert sich, je mehr man in der Beobachtung sich über sie erhob. Doch hatte man es in dieser Hinsicht wiederum nicht so weit gebracht, um ein wirklich historisches Urteil über sie zu gewinnen. In der Zootomie klebte man noch immer an den von der menschlichen Anatomie und Physiologie gestellten Problemen, die man noch ganz im Sinne des Galenismus mit Hilfe der Untersuchung der Tierwelt zu lösen hoffte. Inzwischen war die Reaktion gegen die Reformation eingetreten und legte den Naturforschern die größte Zurückhaltung auf. Von Forschern des 16. und 17. Jahrhunderts mögen, ohne daß ihnen auf die innere Entwicklung dieser Wissenschaft eine große Bedeutung zukäme, sondern mehr, weil sie als Sammler und Beschreiber Neues beitrugen, hier noch folgende Leistungen genannt werden: Olaf der Große (1555), Michovius (1532) und Herbenstein (1549) schildern die Tierwelt Skandinaviens und Rußlands. Um die Kenntnis der vorderasiatischen und afrikanischen Landtiere machte sich der[S. 55] obengenannte Belon verdient. Clusius von Arras, Oviedo und Hernandez trugen zur Kenntnis der amerikanischen Lebewelt bei. Piso und Marcgrav, welche Brasilien, sowie Bontius, welcher in Verbindung mit letzterem die ostindische Fauna bearbeitete, fallen schon in die Mitte des 17. Jahrhunderts. Auf die Arbeiten über einzelne Tiere kann hier nicht eingegangen werden, aber beispielsweise mag angeführt werden, daß den Schlangen dickleibige Bände gewidmet wurden, ferner den brieftragenden Vögeln, dem Elefanten, dem Pferd, dem Orang, dem Nilpferd; aber auch dem Einhorn, dem Phönix ganze Monographien. Noch hatte Cäsalpin dem Aristoteles die stärksten Anregungen für seine botanisch und damit allgemein biologischen Ausführungen entnommen und Aldrovandi um dieselbe Zeit von Hippokrates die Anregung zu methodisch angeordneter Embryologie empfangen, dann wurden die antiken Autoren vergessen oder um unrichtiger Angaben willen bekämpft. Anstatt derselben organisierte sich nunmehr eine „biblische Zoologie“, die zu bedeutendem Umfange anschwoll. In lehrhaftem, moralisierendem Tone pries man den Schöpfer um der an den Tieren offenbarten Weisheit willen, die unvernünftige Kreatur wurde dem sündhaften Menschen zum warnenden Beispiel vorgehalten, dem Geistlichen zur Bereicherung seiner mit der Reformation beginnenden Redefron durch Symbolistik aller Art Gelegenheit gegeben. Die Tierwelt, die im Vordergrund des Interesses dieser Richtung stand, war die der Bibel. Dadurch kam es dann auch gelegentlich zu jenen höchst gelehrten Ausführungen über die biblische Tierwelt in jeder literarischen Richtung; die Typen hierfür sind S. Borcharts Hierozoicon (1663) und Athan. Kirchers Arca Noe (1675). Die übrige hierher gehörende Literatur, die bis tief ins 18. Jahrhundert reicht, ist würdig, vergessen zu werden.
[S. 56]
Man würde nach heutigen Begriffen glauben, die Entwicklung der Anatomie vom 13. Jahrhundert ab, die Herbeiziehung von Tieren zu anatomischen und vivisektorischen Zwecken, die Bereicherung der Kenntnis von Tierarten, die nicht mehr nach Hunderten, sondern nach Tausenden zählten, hätten die Zootomie im Sinne der Aristotelischen früh zum Durchbruch bringen müssen. Das geschah nicht. Wenn wir daher von einer Zootomie der Neuzeit reden, so ist dabei zu berücksichtigen, daß sie noch durchaus im Sinne Galens zum Zwecke der Medizin und der menschlichen Anatomie betrieben wurde, ausnahmsweise im Anschluß an die Zoologie und da erst, nachdem die äußere Form der Tiere den „kuriösen“ Neigungen der Neugier nicht mehr genügte. Auf diesem voraristotelischen Standpunkt beharrt sie bis ans Ende des 18. Jahrhunderts.
Die oben gekennzeichnete reformatorische Tätigkeit Vesals mußte auch mit der Zeit der Zootomie zugute kommen. Doch blieb ihr die volle Wirkung versagt, weil Vesal nur mit dem Inhalt, nicht mit der Form des Galenismus brach, was bei seiner Jugend und den nach Erscheinen seines Werkes über ihn hereinbrechenden Verpflichtungen auch nicht wohl zu erwarten war. Erst spät nach ihm konnte der Geist, in dem er gewirkt hatte, aufwachen und weiter wirken. Die an ihn anschließenden oder wenigstens zeitlich ihm folgenden Anatomen haben nicht nur das von ihm gegebene Bild vom Bau des Menschen ergänzt, sondern wesentliche Beiträge zur Zootomie geleistet. Da sind zu nennen: Eustachio (Rom, gest. 1574), dem wir eine vorzügliche Schilderung des Gebisses beim Menschen und seiner Entwicklung verdanken, R. Colombo (Vesals Nachfolger in Padua, gest. 1559), der bereits den kleinen Blutkreislauf kannte, C. Varolius, der die Organsysteme des menschlichen Körpers zuerst nach ihren Funktionen, nicht[S. 57] nach der Leichenzergliederung und der medizinischen Propädeutik ordnete, Phil. Ingrassias (1510-1580), der zu Neapel Tierarzneikunde lehrte und die Osteologie aufs sorgfältigste ausbaute; dessen Schüler Jasolini aus Epirus, der Lehrer Severinos, G. Fabrizio ab Aquapendente (Padua, 1537-1619), der erste Embryologe der Neuzeit, der auch die einzelnen Funktionen zuerst durch eine Reihenfolge tierischer Formen hindurch verfolgt, G. Casserio (1561-1616), der die Sinnesorgane in aufsteigender Reihenfolge und vergleichend bearbeitete, Adrian Spigelius (Brüssel 1578-1625), der den Zwischenkiefer des Menschen entdeckte. Volcher Coiter (1535-1600, geb. in Groningen studiert an den oberitalienischen Universitäten) gibt nicht nur Abbildungen des Affenskeletts, sondern von etwa zwei Dutzend Skeletten der Warmblüter und Reptilien, ohne indes die Vergleichung eingehender durchzuführen. Die erste ausschließlich der Zootomie gewidmete Schrift stammt von Marco Aurelio Severino, einem Kalabresen (1580-1656 Professor der Anatomie in Neapel). Er wagte es, in der Zootomia democritaea (erst 1645 erschienen) für die Zootomie eine selbständige Stellung im Kreise der der Medizin nützlichen Fächer zu erkämpfen. Die Zootomie sei nötig I. nicht nur 1) für Psychologie und Technik, 2) für Ethik und Religion, sondern auch II. für sämtliche Zweige der Medizin und zwar sowohl 1. den der allgemeinen Biologie (Lehre von den Temperamenten, Säften, Funktionen, Organen), mit Einschluß der Anthropotomie, als auch 2. zur Verteidigung von Hippokrates und Galen, wie 3. wegen der praktischen Medizin. Die tiefe Abneigung gegen Aristoteles, die er aus der philosophischen Schule von Telesius und Campanella mitbrachte und der Severino auch durch ein besonderes Werk (Antiperipatias) Ausdruck verlieh, beraubte ihn leider der Basis für seine eigenen zootomischen Studien, wie er sie in den Aristotelischen Schriften gefunden hätte. Im Tone[S. 58] scholastischer Disputationen geschrieben, enthält dieses Buch manche gute Beobachtungen und noch bessere Urteile, z. B.: man beginne das Studium der Anatomie besser mit einfacheren Körpern, als dem des Menschen, der den kompliziertesten, übrigens den Tieren sehr ähnlichen Bau besitze. Severino verwendet den Begriff des Architypus oder Bauplans. Im Bau der niederen Wirbellosen steckten noch größere Geheimnisse, als man glaube. Er gibt Zusammenfassungen der anatomischen Merkmale der Säugetiere, der Vögel, der Fische, sodann von zahlreichen, wenn auch primitiven Skizzen begleitete anatomische Befunde, die sich über etwa 80 Tiere erstrecken. Als technisches Hilfsmittel empfiehlt Severino die Hand an erster Stelle, dann aber auch das neuerfundene Mikroskop. Severino ist ein Spätling der ganzen Renaissancezoologie, sein Werk zu spät erschienen, um zu einer Wirkung zu gelangen, wie sie unter günstigeren äußeren Verhältnissen notwendig hätte erfolgen müssen.
Die nachfolgende zweite Periode der Neuzeit, die wir etwa vom Jahre 1625 an datieren können, zeigt einen wesentlich anderen Charakter als die vorangehende. Die weltgeschichtlichen Bedingungen, unter denen sie einsetzt, sind einmal die Verwüstung Mittel- und Nordeuropas durch den Dreißigjährigen Krieg, wodurch die wissenschaftliche Produktion auf Jahrzehnte stillgelegt war, sodann der mächtige Einfluß, den die exakten Naturwissenschaften, besonders die Physik, nach Baco, Galilei und Kepler auf die organischen Naturwissenschaften gewannen und zwar auf zweierlei Wegen: 1. durch Erfinden von Technizismen zur Untersuchung der vorher unbekannten winzigen Organismen und der Struktur der Gewebe (Mikroskop ca. 1590, Thermometer ca. 1600, Anwendung der Injektion), 2. durch Vergleichung organischer[S. 59] Verrichtungen mit Mechanismen, aus der man wiederum für die Technik Nutzen zog. In dieser mechanistischen Tendenz der Biologie kommt aber derselbe Gedanke zum Ausdruck, der sich auch in der Organisation des Wissenschaftsbetriebes durch Sammlungen und gelehrte Gesellschaften, sowie durch das Emporblühen der Systematik ausspricht, der Gedanke nach praktischer und theoretischer Beherrschung der nach und nach schon durch die voraufgehende Zeit ausgebreiteten Mannigfaltigkeit der Natur durch die Macht menschlichen Geistes. Bestrebungen, wie die F. Bacos um die Erneuerung der Wissenschaften durch Beobachtung und Experiment (schlug er doch schon vor, man sollte die Bildung der Arten in besonderen Tiergärten experimentell nachzuweisen versuchen), konnten nicht ohne Einwirkung auf die Zoologie bleiben. Bezeichnenderweise ist indes der Weg unserer Wissenschaft während des 17. Jahrhunderts ein zweispuriger. Am meisten gedeiht die zootomische und allmählich in ihr dominierend die mikroskopische Richtung. Mit dem steigenden Einfluß der exakten Wissenschaften nimmt die erstere, philosophisch durch Descartes bestimmt, vorwiegend einen physiologischen Charakter an, wogegen die letztere die deskriptiven Traditionen der Zoologie des 16. Jahrhunderts weiter kultiviert. Aus diesen wachsen dann mit infolge der Zunahme der Tierkenntnis die systematischen Versuche heraus.
An der Schwelle dieser Zeit begegnet uns der Engländer und Aristoteliker mit Bologneser Schulung, William Harvey, der die von ihm festgestellte Lehre vom Blutkreislauf seit 1619 vortrug und 1628 publizierte. Wenn seiner Entdeckung auch für Physiologie und Pathologie eine ungemein große Bedeutung zukommt und sie, besonders nachdem auch Aselli 1622 die Chylusgefäße und 1647 Pecquet den Ductus thoracicus zufällig entdeckt hatten, den wesentlichsten Zuwachs zur Physiologie der Menschen in der Neuzeit bildete, so war sie doch[S. 60] auf die Zoologie nicht von unmittelbarer Wirkung. Viel bedeutungsvoller waren in dieser Richtung Harveys embryologische Untersuchungen, die sich über die Klassen der Wirbeltiere, aber auch über Krustazeen, Insekten, Mollusken ausdehnten und die Harvey zur Verallgemeinerung führten, daß alles Leben, auch das des Menschen, einem Ei entstamme. Auch er ließ die höheren Organismen Stufen durchlaufen, welche den niederen entsprechen sollten. In dieselbe Zeit fällt die erste methodische Verwendung des Mikroskops in der Biologie durch Fr. Stelluti (1625), welcher mit Hilfe dieses Instrumentes den Bau der Biene untersuchte.
Im ganzen Laufe des 17. Jahrhunderts vollzog sich die Ausbreitung und Festsetzung der Zootomie in den nordischen Ländern. Außer England, wo wir nach Harvey zunächst Glisson und Grew aufzuführen haben, sind Holland, Dänemark (die Dynastie der Bartholine), Schweden hieran am meisten und wirkungsvollsten beteiligt. Nachdem um die Mitte des Jahrhunderts die Produktion beinahe den Nullpunkt erreicht hatte, bricht sie sich in überraschender Breite von den sechziger Jahren ab neue Bahn in einer bedeutenden und fast ein Jahrhundert beherrschenden Literatur.
Die Maschinentheorie des Lebens, wie sie in klassischer Weise von Descartes vertreten wurde, reifte die ersten biomechanischen Schriften eines Steno (1669), eines Borelli (1680), eines Claude Perrault (1680), worin einmal die Prinzipien der Statik und Mechanik im Sinne der modernen Physik auf den Menschen und die übrigen Lebewesen angewandt sind. Perrault ließ es sich besonders angelegen sein, die zahlreichen an Technizismen erinnernden Einrichtungen der Tiere darzustellen und zu vergleichen. In der mechanischen Erklärung der Funktionen erblickt Perrault geradezu die Hauptaufgabe der Biologie. Die Gliederung der Funktionen in seiner Mécanique des animaux folgt, entsprechend der[S. 61] selbständigen Gestaltung der Chemie durch Boyle und Mayow und in Anlehnung an Aristoteles, dem Schema: Stoffwechsel und Kraftwechsel; dabei läßt Perrault die Funktionen des Formwechsels oder die Entwicklungsmechanik außer Spiel. Eine Parallele dazu bildet der Vorstoß auf biochemischem Gebiete, den Mayow (1674) unternahm und der besonders dem Chemismus der Zirkulation galt. Auch eröffnete die Untersuchung des Zitterrochens durch Redi (1671) und Lorenzini (1678) die Bahn für die Anschauungen über tierische Elektrizität. Aber auch abgesehen von diesen an die Zootomie anknüpfenden Erklärungsversuchen, sammelt sich allmählich ein reicher Bestand an zootomischem Wissen an, das in mannigfacher Weise bald mehr an die menschliche Anatomie, bald mehr an die der niederen Tiere anlehnte. Vor allem traten jetzt diejenigen Lebewesen in den Kreis der zootomischen Beschreibung, deren Bau in seiner reichen Mannigfaltigkeit dem Altertum gänzlich unbekannt geblieben war, und die nun erst mit Hilfe des Mikroskops erobert wurden, die Insekten und die verwandten Stämme. Sie wurden auf einige Zeit hinaus das Lieblingsobjekt all derer, die in der Zootomie „Augen- und Gemütsergötzung“ suchten. Mit ihrer Bearbeitung war die Zoologie der Wirbellosen nicht mehr auf die Meeresufer beschränkt und erfuhr zugleich mit der deskriptiven Zoologie eine beispiellose Erweiterung.
Durch ihre zootomischen Leistungen zeichnen sich abgesehen von den obengenannten Mechanisten aus die Bartholine, die die Anatomie auf allen Gebieten gleichmäßig bereicherten: N. Steno durch anatomische Untersuchungen über die Fische, N. Grew durch die vergleichende Anatomie der Verdauungsorgane. Caldesis Anatomie der Schildkröte (1687) so gut wie Redis Untersuchungen über die Viper (1664) und Lorenzinis (1678) über den Zitterrochen verraten einen mächtigen Fortschritt der Zootomie. Zu den bedeutendsten[S. 62] Leistungen auf diesem Gebiet gehören auch die Arbeiten von Thomas Willis (1622-1675). In seinen Hauptschriften (Cerebri anatome 1666 und De anima brutorum 1674) hat er nicht nur zuerst in ausgiebigerem Maße die vergleichende Anatomie des Nervensystems gepflegt. (Den Namen Anatomia comparata hat er in Abänderung des von Baco ihm ursprünglich beigelegten Sinnes für die Morphologie eingeführt.) Er will mit dieser Methode nicht nur die Funktionen ergründen, sondern auch die tierische Psychologie pflegen. Dabei entging ihm die Verschiedenheit der psychischen Begabung der Tiere nicht; aber im Zeichen Harveys stehend, teilt er nach den Respirationsorganen ein: Insekten, Fische, Vögel, Vierfüßer, Mensch. Seine Beschreibungen (Regenwurm, Krebs, Auster) und Vergleichungen gehören zu den methodisch bestdurchgeführten, ganz abgesehen davon, daß er den ersten großen Schritt in der Neurologie über Galen hinaus getan hat. In diese Phalanx nordischer Anatomen reiht sich auch Olaf Rudbeck ein, der an der Seite der Bartholine den neuen Anschauungen über die Zirkulation Geltung erkämpfte. Auch seien die zootomischen Studien an der neugegründeten Akademie in Paris namentlich von J. G. Duverney (Abhandlungen 1676 und 1732 erschienen) nicht vergessen, ebenso die Anatomien von E. Tyson (Beuteltier, Delphin, Schimpanse), deren letztere 1699 kulturhistorische Bedeutung erlangte. So ist denn dieser Zeitraum geradezu eine Blütezeit der Zootomie zu nennen, und demgemäß fehlte es in ihm auch nicht an zusammenfassenden Darstellungen. Eine solche, die wesentlich in einer Kompilation der voraufgehenden Zootomen bestand, gab G. Blasius (Anatome animalium, Amsterdam 1681). Umfangreicher und in eingehendstem Zusammenhange mit der menschlichen behandelte S. Collins (1685) die tierische Anatomie. Als drittes Sammelwerk ist endlich das viel jüngere Amphitheatrum[S. 63] zootomicum von B. Valentini (1720) schon an dieser Stelle aufzuführen.
Als ein Resultat gesteigerter Kritik infolge der Zootomie darf wohl auch betrachtet werden, daß man begann, Fossilien mit lebenden Organismen zu vergleichen. Der obengenannte Steno erklärte die Glossopetren (1669) für versteinerte Zähne von Haifischen und sah auch in den fossilen Resten von Muscheln und Schnecken Überbleibsel einstiger Faunen, aber nicht mehr „Naturspiele“ oder Niederschläge des gesteinbildenden Saftes der Erde. Lebhafte Unterstützung fand er darin von A. Scilla 1670. Namentlich waren es Engländer, worunter besonders J. Woodward, die um die Wende des Jahrhunderts für eine vernünftige Auffassung der Fossilien eintraten.
Wie oben erwähnt, verfolgen die Mikroskopiker von allen Zootomen den selbständigsten und eigenartigsten Weg. Auch ihre Leistungen fallen der Hauptsache nach ins letzte Drittel des 17. Jahrhunderts. Allen voran leuchtet das Dreigestirn M. Malpighi (1628-1694, Bologna), J. Swammerdam (1637-1680, Leiden) und A. van Leeuwenhoeck (1632-1723, Delft). Malpighi (Opera omnia 1687) war einer der ersten, die es verstanden, zootomische Studien zu einer selbständigen, nicht von der medizinischen Praxis abhängigen Beschäftigung zu erheben. Insbesondere wandte er sich dem Studium menschlicher und tierischer Gewebe zu. Die Entdeckung des Baues vieler Drüsen führte ihn dazu, die Allgemeinheit drüsiger Struktur zu überschätzen, z. B. auch dem Gehirn drüsigen Bau zuzuschreiben. Von großer Bedeutung wurde für die Zoologie seine Monographie des Seidenwurms, da sie die erste anatomische und embryologische eines Insektes war. Die eingehende Schilderung der Tracheen der Insekten ist sein Verdienst. Dann aber wandte er auch zuerst das Mikroskop auf die Entwicklungsgeschichte, speziell des Hühnchens[S. 64] an. Obschon Malpighi vielfach auch die Injektionstechnik zu Hilfe nahm, so wurde er in der Ausführung derselben von Ruysch (1638-1731, Haag) übertroffen, der durch den Verkauf geschickt injizierter und sorgfältig präparierter Sammlungen viel zur Verbreitung feinerer anatomischer Technik beitrug. Ihm auch gelang es zuerst, die Klappen in den Lymphgefäßen nachzuweisen (1665). Eine höchst sonderbare Persönlichkeit, das Vorbild aller derer, die in der Hingabe an die Welt des Mikroskopischen zu allen Zeiten Glück und Erlösung von irdischen Mühsalen suchten, ist J. Swammerdam. Seine Biographie, die Boerhave dem erst nach Swammerdams Tode erschienenen Hauptwerke (Bybel der Nature, Leiden 1737) voraussetzte, verrät ein Leben voll Schwärmerei, Polemik und Enttäuschungen. Er arbeitete mit dem subtilsten Rüstzeug an selbstverfertigten Instrumenten und stellte das Gesehene in wunderbar künstlerischer, auch heute noch mustergültiger Weise dar. Die Zergliederungen von Mollusken (Sepia und Helix) blieben bis auf Cuvier unübertroffen. Mit besonderer Liebe und Andacht sind die Insekten nach Bau und Entwicklung dargestellt, deren Unterscheidung nach dem Grade der Vollkommenheit ihrer Entwicklung von ihm herrührt. Erfahrung durch Beobachtung und Experiment sind auch ihm die Grundlage seiner unvergänglichen Arbeit, doch durchzieht sie ein mystischer Faden, der, an die obengeschilderte biblische Zoologie anknüpfend, ihn sein letztes Genügen in der Bewunderung von Gottes Güte und in der Versenkung in sie suchen läßt. Die Zeugungs- und Entwicklungsgeschichte hat Swammerdam namentlich durch seine Studien über das Urogenitalsystem der Frösche und seine Befruchtungsexperimente an Amphibien gefördert.
Eine Parallele zu ihm bildet A. v. Leeuwenhoeck, der, zum Kaufmann bestimmt, sich der Liebhaberei, starkvergrößernde Linsen herzustellen, hingab und nun, ohne besonderen Plan,[S. 65] als Dilettant mikroskopische Studien betrieb. Trotz seiner mangelhaften Vorbildung ist die Zahl seiner Entdeckungen nicht unbedeutend; so sah er die Blutkörperchen, den Kapillarkreislauf des Froschlarvenschwanzes, die Querstreifung des Muskels u. a. m. Unter seiner Leitung arbeitete der Student Ludwig von Ham, der 1677 die Samentierchen (Spermatozoen) entdeckte, in denen nun Leeuwenhoeck den wesentlichen Bestandteil bei der Befruchtung zu erkennen glaubte, womit er zum Haupt der sog. Schule der Animalkulisten wurde. Von größter Wichtigkeit für die Zoologie wurde die Entdeckung der Protozoen durch ihn, die von nun an ein Lieblingsobjekt der mikroskopierenden Dilettanten waren.
Durch all diese Untersuchungen und Entdeckungen war eine Basis gegeben, auf der für die alten Probleme von der Zeugung und Vererbung neue und, wie man glaubte, abschließende Tatsachen gediehen. G. Needham schrieb 1667 seine berühmte Schrift über die Entstehung des Fötus, worin er besondere Sorgfalt den Eihäuten zuwandte. Redi erbrachte 1668 den Beweis auf experimentellem Wege dafür, daß die Tiere nicht aus den Stoffen, worin sie leben, entstünden, sondern, wie Harvey behauptet hatte, nur aus Eiern. Daraus erwuchsen wiederum die größten Schwierigkeiten, die Übereinstimmung mit der unantastbaren biblischen Tradition herzustellen. Was Wunder, wenn Malebranche (1688) auf den Gedanken der Präformation, der Vorbildung des fertigen Wesens im Keime, verfiel, der nun für die Folgezeit zur Herrschaft gelangte?
Mit alledem hatte die Zootomie ihre Grenzen ausgedehnt, Wirbellose und die Entwicklung aufs neue in den Kreis ihrer durch zweckmäßige Instrumente unterstützten Tätigkeit gezogen und war zu ungeahnter Breite ausgewachsen. Nebenher ging die Erweiterung des Tierbestandes im Sinne der Beschreiber des 16. Jahrhunderts durch Reisende oder Forscher, die sich die Fauna ihrer Heimat zum Vorwurf nahmen.
[S. 66]
Mit der Würdigung der Objekte, über die man schrieb und lehrte, stellte sich früh schon das Bedürfnis ein, Sammlungen anzulegen. Hierin gingen den Zoologen die Botaniker voran, da sie es mit leichter zu konservierenden Objekten zu tun hatten. Clusius von Arras und Aldrovandi werden als erste zoologische Sammler aufgeführt; jedenfalls nahm im 17. Jahrhundert die Lust zum Sammeln zu und in allen Kuriositätenkabinetten fanden sich neben allen anderen Gegenständen auch zoologische ein. Befördert wurde das Sammeln durch den Zusammenschluß der Gelehrten zu Gesellschaften und Akademien, die der Pflege der Sammlungen besonders oblagen. Vielfach wurden von diesen Sammlungen ausführliche und illustrierte Kataloge publiziert, so von der des Collegium Romanum 1678 und der Royal Society von London 1681; doch lag die Konservierungskunst noch zu sehr im argen, als daß der Wissenschaft bleibender Gewinn aus diesen Versuchen erwachsen wäre.
Gelehrte Gesellschaften entstanden zuerst in Italien, aber auch in Deutschland, wo einige Ärzte 1651 sich zuerst zu der später (1677) privilegierten Academia Naturae Curiosorum zusammentaten, um sich mit Naturgeschichte zu beschäftigen, und in England, wo seit 1645 die Anfänge der Royal Society existierten. In dieselbe Zeit fällt die Gründung der Académie des Sciences in Paris, die die hervorragendste Zentrale gerade für zootomische Publikationen wurde. Diesem Vorbilde der großen Kulturzentren folgten alle bedeutenderen Städte, in denen Wissenschaft gepflegt wurde. Sie hatten den Vorzug, daß sie den Gelehrten teure Materialien zugänglich machten, wozu auch die Gründung von Menagerien, besonders des Jardin du roy unter Ludwig XIII., beitrugen.
[S. 67]
Der praktischen Organisation zoologischer Forschung ging die theoretische zur Seite. Der Stoff hatte nachgerade unheimliche Dimensionen angenommen; aber er lag chaotisch da. Es fehlte vor allem an einem Unterscheidungsmittel rein äußerer Art für das Ähnliche und doch konstant Verschiedene! Andererseits machte sich das Bedürfnis geltend, die Gesamtheit des Bestandes an Tieren und Pflanzen nach einem natürlichen Prinzip, wie es die Botaniker schon seit der Renaissance suchten, zu ordnen. Dazu kam die solchen Strömungen günstige Zeitstimmung. Die Organisation der Kirche hatte unter den Jesuiten den Höhepunkt erreicht, Ludwig XIV. organisierte den Typus des europäischen Staates, Leibniz den des philosophischen Systems; braucht man sich da zu wundern, daß sich der Drang nach Organisation der Kenntnis von den Lebewesen, die den größten Bestand an damals bekannten konkreten Objekten darstellten, in gesteigertem Maße geltend machte?
John Ray, geboren 1628, studierte von 1644 in Cambridge Theologie, traf dort den etwas jüngeren Fr. Willughby (1635-72) mit dem er sich intim befreundete, verlor als Nichtkonformist 1662 seine Stelle am Trinity College, reiste auf dem Kontinent 1663, zog sich von 1669 ab zu Willughby zurück, übernahm von 1672 an die Erziehung von Willughbys verwaisten Kindern, gab 1675 Willughbys Ornithologie, 1682 seine Methodus plantarum nova, 1686 seine Historia plantarum, 1693 seine Synopsis der Vierfüßer heraus und starb 1705. Um sich von Rays Gedankenkreis eine Vorstellung zu machen, muß man wissen, daß er Griechisch konnte, ohne bindende Verpflichtungen sich ganz seinen Aufgaben widmete und ein vielgelesenes Buch schrieb, worin er die Weisheit Gottes aus der Schöpfung bewies.
Rays Verdienste liegen fast vollständig auf methodischem Gebiete und gehören der gesamten Biologie an. Aber er beschränkte sich nicht darauf, seine Prinzipien aufzustellen,[S. 68] sondern er betätigte sich auch an den größten Gruppen der Lebewesen. Den Zeit- und Streitfragen der damaligen Biologie durchaus nicht fremd, suchte er in entgegengesetzter Weise wie die Mechanisten die Vereinfachung des biologischen Tatbestandes zu erreichen, Übersicht und Ordnung in die Mannigfaltigkeit tierischen Lebens zu bringen. Dabei lehnt er sich in höherem Grade, als dies seit Cäsalpin der Fall gewesen war, bewußt an Aristoteles an, sowohl in den allgemeinen Ausführungen über das Tier, wie auch im speziellen Modus der Gliederung der Tierwelt. Die beifolgende Übersicht bringt, abgesehen von der Erwähnung der Manati, geradezu nur den klassifikatorischen Inhalt der Aristotelischen Schriften in tabellarischer Form. Ray scheute sich geradezu, die Wale den Säugetieren einzureihen, weil Aristoteles es nicht getan hatte,[S. 69] oder er behält die Bezeichnung genus für die größeren Gruppen bei, ohne deren Stufenfolge entsprechend zu charakterisieren. Und doch besteht ein großer Fortschritt: Ray machte die Klassifikation zu einer selbständigen wissenschaftlichen Aufgabe; dadurch allein wurde der durch den Zuwachs an neuen Objekten drohenden Verwirrung Einhalt geboten. Sodann vollzog sich in Rays Arbeiten wieder einmal der Prozeß, daß ihm für die Einteilung die Formmerkmale wichtiger wurden, als die Funktionsmerkmale, ohne daß er sich dessen bewußt war. Es war ein rein praktisches Verdienst Rays, daß er die Art (Spezies) definierte und gewissermaßen zur Norm, zur kleinsten Einheit des Systems erhob. Er selbst faßte die Feststellung des Artbegriffes als ein Hilfsmittel der Klassifikation auf. „Welche Formen der Spezies nach verschieden sind, behalten diese ihre spezifische Natur beständig, und es entsteht die eine nicht aus dem Samen einer andern und umgekehrt.“ Nun ist aber dieses Zeichen der spezifischen Übereinstimmung, obschon ziemlich konstant, doch nicht beständig und untrüglich. Denn „daß einige Samen degenerieren und, wenn auch selten, Pflanzen erzeugen, welche von der Spezies der mütterlichen Form verschieden sind, daß es also bei Pflanzen eine Umwandlung der Spezies gibt, beweisen die Versuche“. Es lag also vollkommen außerhalb der Absicht Rays, dem Artbegriff die dogmatisch starre Deutung zu geben, welche später beliebte. Seine Klassifikation kann hier nicht im einzelnen verfolgt werden, doch traf sie schon durch Anwendung des Aristotelischen Grundsatzes, Ähnliches zusammenzustellen und Unähnliches zu trennen, bei dem erweiterten Tierbestande, der jetzt vorlag, vielfach das Richtige und bedeutete im einzelnen einen wichtigen Schritt vorwärts. Bei den Insekten gründete Ray im Anschluß an Swammerdam die Einteilung auf den Vollkommenheitsgrad der Metamorphose. Ray überging den Menschen im Gegensatz zu[S. 70] seinen sonstigen Anlehnungen an Aristoteles vollständig. Er brach dagegen zuerst mit der Tradition, welche die alten Fabelwesen mitschleppte, und nahm nur positiv erwiesene Tiere in seine Verzeichnisse auf. Er dehnte seine Tätigkeit jedoch innerhalb der Wirbellosen nicht über die Insekten hin aus. Martin Lister, sein Freund, behandelte nach Rays Prinzipien die Mollusken. Hier mag auch noch W. Charleton (1619-1707) um seiner Verdienste für die Nomenklatur willen aufgeführt sein. Er suchte zuerst einer zweckmäßigen Terminologie für die verschiedenen Eigenschaften der Form, Farbe usw. Eingang zu verschaffen.
Allgemeine Übersicht der Tiere (1693):
Tiere sind
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Bluttiere und zwar
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Lungenatmer mit Herzventrikeln und zwar mit
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deren zwei
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Lebendiggebärende
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Wassertiere, Gruppe der Wale
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Landtiere, Vierfüßer, oder um auch die
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Manati einzuschließen,
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Haartragende, mit Einschluß
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der amphibisch Lebenden
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Eierlegende, Vögel
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deren einem, Eierlegende Vierfüßer und Schlangen
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Kiemenatmer, Blutführende Fische außer den Walen
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Blutlose
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Große, und zwar
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Weichtiere, Polyp, Tintenfisch, Posthörnchen
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Krustentiere, Heuschreckenkrebs, Flußkrebs, Taschenkrebs
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Schaltiere, Einschaler, Zweischaler, Schnecken
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Kleine Insekten.
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Daß diesem gewaltigen Aufschwunge der Zoologie am Ende des 17. Jahrhunderts ein bedeutender Niederschlag von neuen Leistungen, die sich die großen Meister zum Muster nahmen, folgen mußte, ist nicht überraschend. Nur in Kürze seien hier einige der wichtigsten zoologischen Werke aus dieser beschaulichen Periode (bis 1750) hervorgehoben.
Die Tierkenntnis nahm teils durch Ausdehnung der Zootomie über seltene oder fremdländische Formen zu: M. Sarasin (Biber, Vielfraß), P. Blair (Elefant), Jussieu (Hippopotamus), Vallisneri (Chamäleon), oder aber durch Beschreibung neuer Arten und ihrer Lebensweise: Rumph, Seba, Petiver (Südasien), Kämpfer (Japan), Pr. Alpin, Tournefort, Shaw (Orient und Nordafrika), Sloane (Zentralamerika), S. Merian (Surinam); insbesondere gewann die mitteleuropäische Fauna durch die Darstellungen von Marsigli (Donau 1726), Cysat (Schweizerseen 1661), Breyn (Schaltiere). Das Lieblingsobjekt aber bildeten die Insekten, und den großen Publikationen des 17. Jahrhunderts folgte R. A. F. de Réaumur mit seinen durch vielseitige Berücksichtigung der Biologie und Entwicklungsgeschichte klassischen[S. 71] Abhandlungen zur Naturgeschichte der Insekten (1734 bis 1742), der sich nebenbei auch um die Naturgeschichte der niederen Tiere, namentlich der Polypen, verdient gemacht hat. Das von ihm in Paris angelegte Museum ging später an den Jardin des Plantes über. Von verdienstvollen Arbeiten über Wirbellose sind hervorzuheben diejenigen von J. H. Linck (1733) über die Seesterne, von Marsigli (1711) über die Polypen und die Edelkoralle. Großes Aufsehen erregten die Experimente Trembleys (1744) am Süßwasserpolypen.
Aus den Experimenten und Entdeckungen über niedere Tiere sowie über Eier und Spermatozoen, aus den mechanistischen Tendenzen der Physiologie und aus der Herrschaft der materialistischen Richtung in der Philosophie bildete sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine bis in die zweite Hälfte desselben hineinreichende theoretisierende Biologie heraus, die mit scholastischer Dialektik die Probleme vom Ursprung des organischen Lebens, von der Vererbung, von den Beziehungen zwischen organischer und anorganischer Welt fortspann und das von der Stellung des Menschen wenigstens streifte. Sie ist als die biologische Dogmatik zu bezeichnen. Die von Malebranche behauptete Präformation der Keime, wonach bereits entweder im Samentier oder im Ei der fertige Organismus mit all seinen Teilen nebst zukünftigen Generationen sollte eingeschachtelt sein, fand infolge der Kombination von Beobachtungen an Insekten und des Glaubens an die Artkonstanz unerschütterliche Anhänger in Ch. Bonnet (1720-1793) und Albr. von Haller, bis C. Fr. Wolff (1759) mit seiner Theoria generationis an Stelle der Präformationslehre, die sich außerdem mit dem Augustinismus deckte, wieder die von Aristoteles und Malpighi vertretene Epigenese setzte. Nach dieser Theorie entstehen die Organe[S. 72] erst innerhalb des Embryonallebens. Der Streit, ob das Ei oder das Samentierchen den eigentlichen Keim enthalte, welcher die Theoretiker in das Lager der Ovulisten (Malpighi, Swammerdam, Vallisneri, Bonnet, Haller, Spallanzani) und das der Animalkulisten trennte (Leeuwenhoeck, Leibniz, Boerhave), wurde scheinbar zugunsten der ersteren entschieden, als Bonnet die Parthenogenese der Blattläuse entdeckte. Der endgültige Abschluß dieses Streites erfolgte aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Über die Beziehungen zwischen organischer und anorganischer Natur dachte man sehr verschieden. Buffon nahm keine solche Beziehungen an, wohl aber winzige Elementarorganismen, organische Partikeln, welche sich zusammentun und neue Organismen bilden sollten, da Buffon nach ungenauen Versuchen Needhams an die Urzeugung glaubte, die einwandfrei erst von Spallanzani (1786) endgültig widerlegt wurde. Andererseits leugnete z. B. Maupertuis die prinzipielle Verschiedenheit der organischen und der anorganischen Natur. Die Theorie der Pangenesis fand für diesen Zeitraum die meisten Anhänger (Maupertuis, Buffon, später auch Oken); nach ihr sollten in die Zeugungsstoffe kleinste Teile aus allen Organen des Körpers eingehen und auf diese Weise die elterlichen Eigenschaften übertragen, wie dies schon Hippokrates ausgesprochen hatte. Aus alledem ist ersichtlich, daß durch die Kombination der tierischen Mechanik und der mikroskopischen Anatomie die Postulate des Neuplatonismus einen breiten Tummelplatz fanden, der, außerdem durch den Kampf zwischen den christlichen Dogmen und der modernen Skepsis durchfurcht, ein bis heute ertragreiches und namentlich in den letzten zwei Dezennien wieder viel kultiviertes Saatfeld gab. „Das Tier, ein System verschiedener organischer Moleküle, welche den Anstoß eines dumpfen Empfindens, das der Schöpfer der Materie ihnen erteilt hat, sich kombiniert haben,[S. 73] bis daß jedes seinen geeigneten Platz für seine Form und sein Gleichgewicht gefunden hat“ (Diderot 1751). Über das Verhältnis der Tierwelt zur Erdgeschichte wurden die verschiedensten Hypothesen laut. Bonnet sah die seit der Schöpfung vorhandenen Keime für alle Wesen vom Atom zum Cherubim sich allmählich zu einer Stufenleiter der Lebewesen auswachsen, die sich in drei großen Etappen folgen sollten. Wie er an das Gesetz der Kontinuität von Leibniz anknüpfte, so auch Robinet (1768), ein moderner Vertreter des Hylozoismus, der eine sukzessive Vervollkommnung der Schöpfung annimmt, die Arten verwirft, nur durch unmerkliche Übergänge miteinander verbundene Individuen annimmt und dem Menschen eine große Zukunft in Aussicht stellt. Mehr an die Tatsachen, namentlich der Paläontologie, hielt sich de Maillet (1748), der einer Entwicklung des Planeten und seiner Organismen, namentlich aber der Umbildung der letzteren aus primitiven Meerbewohnern das Wort redet.
Zu welchem Mißbrauch systematische Versuche führen konnten, wenn sie ohne tieferes Eindringen in die Wirklichkeit, rein auf logische Schemata hin unternommen wurden, das bewiesen aufs schlagendste die von einem hohlen und oberflächlichen Dilettantismus getragenen Arbeiten des Stadtsekretärs von Danzig, J. Th. Kleins (1685-1759). Würden sie nicht eine vollkommene Analogie zu den dichotomistischen Spielereien in der Schule Platos bilden, so wären sie höchstens noch als Zeugnisse eines ungebrochenen, aber seinen Anhängern verhängnisvollen vielseitigen Eifers für die Tiere erwähnenswert. Sie stehen weit hinter der von Ray glücklich eingeleiteten Entwicklung der Klassifikation zurück, halten sich lediglich an Äußerliches unter Verachtung der Anatomie und konnten höchstens dazu beitragen, das Ansehen von Linné, dem[S. 74] sich Klein in beständiger Feindseligkeit entgegenwarf, zu erhöhen.
Die von Ray gebrochene Bahn betrat als eigentlicher Vollender und Gesetzgeber Carl von Linné. (1707 in Rashult als Sohn eines Predigers geboren, besuchte er ohne Erfolg die Schule von Wexiö, studierte zu Lund Medizin, siedelte 1728 nach Upsala über, wo er als Schüler Rudbecks für diesen von 1730 ab Vorlesung hielt und sich mit Peter Artedi [1705-1735] aufs innigste befreundete. 1732 trat er eine Reise nach Lappland und 1735 nach Holland an, wo er promovierte. In demselben Jahre veranlaßte Gronov in Amsterdam den erstmaligen Druck des Systema naturae, das bis 1758 zehn Auflagen erlebte. 1738 gab er das Werk des inzwischen verstorbenen Artedi über die Fische heraus, reiste nach Paris und kehrte alsdann nach Schweden zurück. 1741 Professor der Medizin in Upsala, errichtete er 1745 ein naturhistorisches Museum, von 1747 sandte er mehrere Schüler auf Forschungsreisen, 1750 erschien die Philosophia botanica. 1764 zog er sich nach Hammarby zurück und starb daselbst 1778.)
Linnés größtes Verdienst beruht in der Präzision, die er erst der naturgeschichtlichen Sprache verliehen hat. Damit hat er Schwierigkeiten beseitigt, die für die ganze Biologie ein Hindernis waren. Seine scharfe und klar gefaßte Kunstsprache sucht einen für jede Beobachtung adäquaten Ausdruck. Dadurch wurde man erst fähig, mit kurzen Diagnosen ein Tier, eine Pflanze zu kennzeichnen. Nicht minder bedeutungsvoll war die Abstufung der Gruppen (Gattungen Rays und der Alten) des Systems in Reiche, Klassen, Ordnungen, Gattungen, Arten und Varietäten, Bezeichnungen, deren höhere er dem Zivilstand entnahm. Mit diktatorischer Gewalt stellte Linné den Begriff der Art fest: Es gibt so viele Arten, als ursprünglich erschaffen worden sind, nach den Gesetzen der Vererbung bringen sie stets Ähnliches hervor. Es sind ihrer heute also so viele, als sich der Form nach unterscheiden lassen. Die Art ist ein Produkt der Natur, ebenso die Gattung; die Varietät ein solches der Kultur; Klasse[S. 75] und Ordnung ein solches der Kunst. Linné glaubte indes, daß Bastardzeugung neue Arten zu bilden imstande sei, wie er denn überhaupt in späteren Jahren annahm, die verschiedenen Arten seien aus gemeinsamen Grundformen entstanden (1763). Er führte als Bezeichnung für jede Art die binäre Nomenklatur (doppelte Namengebung) durch, die seit ihm Gemeingut geblieben ist. In der Natur unterscheidet er drei Reiche, die er, Aristotelischen Prinzipien folgend, also begrenzt: „Die Steine wachsen, die Pflanzen wachsen und leben, die Tiere wachsen, leben und empfinden.“
Hatte Linné in den neun ersten Auflagen die sechs von ihm unterschiedenen Tierklassen mehr nach äußeren Merkmalen eingeteilt, so legte er später den Hauptakzent auf die Merkmale der Kreislaufs- und Atmungsorgane. So erhält er denn die sechs Klassen: Vierfüßer, Vögel, Amphibien, Fische, Insekten, Würmer. Mit dieser obersten Gliederung weniger glücklich als Ray, tat er den ungeheuer folgereichen Schritt über ihn hinaus, den Menschen wiederum zum ersten Male seit dem Altertum dem Tierreich und zwar bei den Säugetieren den Affen einzureihen mit der lakonischen Bemerkung: Nosce te ipsum. Die Einzelheiten seines Systems zu erläutern, würde uns bei dem Wechsel, dem es von Auflage zu Auflage unterlag, zu weit führen. Mehr als Ray legte er bei der Anordnung der Säugetiere auf die Merkmale des Gehirns Gewicht, reihte die Wale den Säugern endgültig ein; beging aber in der zehnten Auflage den unbegreiflichen Mißgriff, daß er die Knorpelfische den Amphibien einreihte, zu denen er daneben Frosch, Eidechse, Schlange, Schildkröte und Blindwühle zählte. Gehen auf Artedi auch die wichtigsten Unterscheidungen von Ordnungen der Fische zurück, wie sie bis in die neueste Zeit maßgebend sind, so bleibt von ihnen doch nur das eine bemerkenswert, daß sie auf anatomischen Bau gegründet waren, wie die Bezeichnungen (Branchiostegii,[S. 76] Malacopterygii, Acanthopterygii, apodes, jugulares, thoracici, abdominales) verraten. Als Insekten werden, wie bei Ray, die Entoma von Aristoteles festgehalten, denen er die Spinnen und Myriapoden einverleibt und die Krebse zuweist. Dadurch, daß er als weitere Klasse die Würmer unterscheidet, tritt er entsprechend seiner binnenländischen Herkunft hinter Aristoteles und Ray zurück. Die Zoophyten sind ihm wohl Übergangsformen von den Pflanzen zu den Tieren, deren Polypen er mit Blüten vergleicht, aber es fehlt an jeder genügenden Beobachtung zur Beurteilung des Gesehenen.
Man sieht schon daraus, daß Linné vielleicht weniger methodisch beanlagt war und weniger systematischen Spürsinn gehabt hat, als Ray, ja, daß das Schwergewicht seiner Verdienste mehr auf die Nomenklatur als auf die Systematik fällt, auch wenn er zuerst mit Hilfe der Systematik die gesamte Lebewelt in einen wohlgeordneten und übersichtlichen Zusammenhang gebracht hat. Mit seinem Natursystem schuf er ein praktisches Hilfsmittel, das ermöglichte und die Lust weckte, neuen Zuwachs an Arten beizubringen. Glückliche, praktische Folgen davon waren die allgemeine Beschäftigung Gebildeter mit Naturgeschichte, Abtrennung des naturgeschichtlichen Studiums vom medizinischen, Aussendung von Expeditionen zum Zwecke der Erforschung von Flora und Fauna, endlich ein durch gemeinsame Namengebung erleichterter Verkehr der Gelehrten untereinander. Die theoretischen Folgen machten sich schon darin geltend, daß man an der Spezies eine Norm zu haben vermeinte und daß der Begriff daher um so mehr der Erstarrung ausgesetzt war, als sich in den anorganischen Naturwissenschaften die Präzision immer mehr verlohnte, die hier der Natur Gewalt antat. Fernerhin entnahm von jetzt an die Systematik der Zootomie denjenigen Teil, der sich ihren Zwecken unterordnete; die intime Fühlung mit der Physiologie aber, die durch die Zootomie vermittelt[S. 77] worden war, ging um so mehr verloren, als auch die Physiologie selbst sich der Hilfsmittel der Physik bediente und sich nicht mehr mit Schlußfolgerungen aus anatomischen Befunden begnügte. Endlich wurde durch die Systematik mehr als durch irgend eine andere Richtung in der Zoologie selbst der Boden vorbereitet, auf dem der ganz spezifisch moderne Gedanke der realen Einheit der Organismenwelt durch Blutsverwandtschaft, der Entwicklungslehre, wachsen sollte.
An Linné schließt in mancher Hinsicht ein Forscher an, der hinwiederum in anderen Beziehungen einzig dasteht durch die mannigfache Ausdehnung seiner Studien sowohl, wie durch sein tiefes und eigenartiges Verständnis für die Zoologie als Wissenschaft. Es ist dies P. S. Pallas (geboren 1741 in Berlin, studierte in Leyden, reiste in England, doktorierte 1760 und folgte 1767 einem Rufe nach Petersburg, da er in Berlin nicht beachtet wurde; von 1768 reiste er nach Sibirien bis zum Baikalsee und setzte seine Reise fort bis 1794; nach vorübergehendem Aufenthalt auf seinen Gütern in der Krim kehrte er 1810 nach Berlin zurück und starb 1811). Der Name von Pallas ist besonders bekannt als der desjenigen Zoologen, der die erste große Ausbeute aus Sibirien brachte. Freilich war ihm schon eine stattliche Zahl von Reisenden, aber mit wechselndem Schicksal in diese noch unbekannten Regionen vorangegangen, Messerschmidt, Gmelin, Bering, Steller (der Entdecker des ausgestorbenen Borkentieres), Güldenstedt, Amman, deren Vorarbeiten er zum Teil benutzte. Doch ist er glücklicher gewesen, als die meisten seiner Vorgänger, im Erfolge seines Sammelns, wenn auch seine groß angelegten Werke nicht zu Ende gediehen sind, da er nebenbei auch ungeheure botanische, ethnographische und linguistische Materialien zu sammeln und zu verarbeiten hatte. So besteht denn der Zuwachs, den er der Zoographie brachte,[S. 78] besonders darin, daß er die kleinen von Buffon vernachlässigten Säugetiere eingehend beschreibt. Was aber der Zoologie zugute kam, das war weniger die Verarbeitung seiner Reisen, als die früheren Arbeiten, zu denen ihm die holländischen und englischen Sammlungen die Materialien geliefert hatten. In Holland war es, wo er 1766 seinen Elenchus zoophytorum herausgab. In diesem Werk vertrat er zuerst eine richtige Auffassung des Polypenstocks als eines Einzeltieres und gab die systematische Übersicht der Zoophyten überhaupt. Nach der Menagerie des Prinzen von Oranien schilderte er eine Menge von Tieren, namentlich Afrikas, die Buffon unzugänglich waren. Auch bekämpfte er die Stufenleiter der Lebewesen und faßte die Tierwelt im Sinne eines reich verzweigten Stammbaumes auf. Ferner übte Pallas Kritik an Linnés Klasse der Würmer, nachdem er schon zu Beginn seiner Studien durch Versuche und Beobachtungen den Beweis zu erbringen gesucht hatte, daß die Eingeweidewürmer von außen in den Wirt gelangten. Pallas hat es verstanden, beinahe an allen Punkten, die zu seiner Zeit die Zoologie besonders intensiv beschäftigten, wichtige Beiträge zu liefern und dabei fast alle übrigen beschreibenden Naturwissenschaften zu bereichern, auch wenn über dem Abschluß seiner Hauptwerke ein Verhängnis schwebte, das den Ertrag seiner Arbeit nicht zu voller Geltung kommen ließ.
Für die Zootomie bedeutete, sofern sie nicht physiologisch orientiert war, das 18. Jahrhundert eine Zeit stiller und ruhiger Entwicklung. Die Vervollkommnung der menschlichen Anatomie, insbesondere durch B. S. Albinus (1697 bis 1770, von 1721 Professor in Leiden), zog auch eine sorgfältigere Beschreibung der tierischen Anatomie nach sich. Noch wuchs der Kreis der neu darzustellenden Formen unablässig,[S. 79] wenn auch die Freude an Zootomie vorzugsweise durch die an mikroskopischer Anatomie, an Studien experimenteller Art über Insekten und, von der Mitte des Jahrhunderts ab, an der Physiologie des Menschen in den Schatten gestellt wurde. Eine scharfe Trennung zwischen all diesen Zweigen der Zoologie war indes nicht durchgeführt, namentlich tritt von der Mitte des Jahrhunderts ab eine Spaltung zwischen der auf die Physiologie des Menschen orientierten Zootomie und der im Dienste der Systematik stehenden ein. So stark auch die Rückwirkungen der Physiologie Hallers, später Bichats, Magendies, Claude Bernards, Joh. Müllers und vieler anderer waren, so kann hier nur auf diese Rückwirkungen hingewiesen werden, ohne daß wir sie weiter noch verfolgen.
Die vorangehende Periode der vergleichenden Anatomie hatte mit drei Sammelwerken abgeschlossen, deren letztes (Valentini Amphiteatrum) 1720 erschienen war. Der erste Zootom, den wir nun vorzugsweise mit der Anatomie der höheren Tiere beschäftigt finden, ist Peter Camper (1722 bis 1789), „ein Meteor von Geist, Wissenschaft, Talent und Tätigkeit“ (Goethe). Ein gewandter Zeichner, weit gereist, fein gebildet, aber unruhigen Geistes, hielt er es nirgends lange aus, und hinterließ denn auch zahlreiche treffliche Monographien, aber keine größere systematische Leistung; so eine Arbeit über den Orang-Utan, über die Anatomie des Elefanten, über die Wale, Renntier, Rhinozeros. Dazu kam eine starke Tendenz, auch den Menschen naturhistorisch zu erfassen, und die Fühlung der vergleichenden Anatomie mit der Ästhetik in einer Form zu suchen, die später durch Goethe beliebt wurde. In Edinburg lehrten Alex. Monro, der Vater (1697 bis 1767), dem wir das erste Handbuch der vergleichenden Anatomie verdanken, und der Sohn (1732-1817), der sich besonders mit dem Bau der Fische — wiewohl wesentlich unter[S. 80] dem vergleichend die Wirbeltiere überschauenden Gesichtspunkte — befaßt, und von dem auch die sorgfältige Anatomie des Seeigels herrührt. Albrecht von Haller selbst (1708 bis 1777) ist für die vergleichende Anatomie bedeutungsvoll wegen seiner ausgedehnten Kenntnisse, seiner Einzelarbeiten über die vergleichende Anatomie des Nervensystems, über Mißbildungen, sowie um seiner mit der ganzen Macht seiner Autorität vertretenen, der christlichen Dogmatik genehmen präformationistischen Entwicklungslehre, durch die er den Fortschritt der von Harvey neubelebten Epigenese auf lange Zeit hinaus hemmte. Wohl den größten Überblick über die Zootomie besaß John Hunter (1728-1793), der Begründer der auch jetzt noch größten und am meisten nach vergleichend-physiologischen Prinzipien angelegten Sammlung der Welt, die dann in den Besitz des Royal College of Surgeons in London überging. Nur in dieser bisher unübertroffenen Schöpfung tritt uns die Organisation der gesamten Tierwelt nach den Funktionen elementarster Art entgegen. Neben einer unendlichen Zahl von Einzelbeobachtungen gab Hunter die erste bedeutendere Schrift über die Zähne und deren Entwicklung heraus, stellte eine Menge vergleichend-physiologischer Experimente an und hinterließ ein Werk über tierische Ökonomie, das erst R. Owen 1861 nach einer Abschrift, die Clift sich von den später durch Home verbrannten Manuskripten Hunters angefertigt hatte, herausgeben konnte. Einen illustrierten Katalog der Hunterschen Sammlung sowie sein Handbuch gab Everard Home (1756-1832) heraus. Eine der interessantesten Persönlichkeiten ist F. Vicq d’Azyr (1748-1794), der in Paris als Arzt und Naturforscher wirkte und lehrte und wesentlich Vergleichung der Wirbeltiere bis in die äußersten Einzelheiten empfahl, um damit eine Basis für die Erklärung der Funktionen im Sinne von Hallers Physiologie, aber in größerer Ausdehnung, über die Tierwelt zu schaffen. Neben Buffon[S. 81] ist er Vertreter der Einheit der Organisation. Diese begründet er vor allem aus der Übereinstimmung der elementaren Funktionen, nähert sich also damit am meisten John Hunter. Sein Hauptwerk ist sein Traité d’anatomie et de physiologie, Paris 1786. Insbesondere galten seine Bemühungen der vergleichenden Anatomie des Schädels und der Extremitäten. Noch dunkel sind die Einflüsse der Iatromechanik und Iatrochemie, sowie des Animismus auf die Entwicklung der Zoologie und Zootomie in dieser ganzen Periode.
In Deutschland sind als vergleichende Anatomen von bedeutenden Verdiensten im 18. Jahrhundert insbesondere zwei zu nennen: J. F. Blumenbach und Kielmeyer. Ersterer (1752-1840) behandelte in der Hauptsache Buffonsche Probleme, insbesondere die Naturgeschichte des Menschen, vertrat in seiner witzigen Schrift „Über den Bildungstrieb“ den Vitalismus, las von 1785 als erster auf einer deutschen Hochschule (Göttingen) vergleichende Anatomie und schrieb über denselben Stoff das erste deutsche Handbuch. K. F. Kielmeyer (1765-1844) war als Professor an der Karlsschule von entscheidendem Einfluß auf Cuviers Entwicklung. Ein Vorbote der Naturphilosophie und doch stark im Gefolge der Hallerschen Reizlehre, sammelte er umfangreiches Material als Vorstand der wissenschaftlichen Sammlungen in Stuttgart, um „die Zoologie auf vergleichende Anatomie und Physiologie zu gründen und eine möglichst vollständige Vergleichung der Tiere unter sich nach ihrer Zusammensetzung und nach der Verschiedenheit ihrer organischen Systeme und deren Funktionen durchführen zu können“. A. von Humboldt schätzte ihn als den „ersten Physiologen Deutschlands“.
[S. 82]
Als die französische Zoologie können wir einen Ausschnitt aus der Geschichte unserer Wissenschaft bezeichnen, der im Zeitraume von etwa 1750-1860 sich vorwiegend in Paris abspielt. Daß Zoologen sich zu gemeinsamer Arbeit verbündeten (z. B. Ray, Willughby, Lister), oder Schüler die Werke der Lehrer herausgaben oder an ihnen mitarbeiteten, kam ja auch sonst vor. Aber eine Organisation unserer Wissenschaft an einem Ort durch mehrere selbständige Forscher und auf die Dauer von vier Generationen hin, verbunden mit einer entsprechenden Wirkung nach außen, das war ein geschichtliches Ereignis, das einzig dasteht und daher eine einheitliche Betrachtung erheischt.
Der Schauplatz dieses Ereignisses bildete das erste und zeitweise hervorragendste naturwissenschaftliche Institut Mitteleuropas. Aus einem im 15. Jahrhundert zu pharmazeutischen Zwecken angelegten Garten entwickelte sich ein botanischer Garten, der, 1635 von den Ärzten Ludwigs XIII. neu organisiert, neben den Heilmitteln auch Exemplare aller naturhistorischen Kuriositäten enthalten sollte. Dieser „Garten des Königs“, später „Pflanzengarten“ genannt, diente schon früh auch als Mittelpunkt zoologischer Bestrebungen. Duverney war sein erster Anatom, du Fay, Buffons Vorgänger, ruinierte sich an diesen Sammlungen. Reiche Schenkungen flossen ihnen im 18. Jahrhundert zu. 1793 wurde er durch Verordnung des Nationalkonvents reorganisiert, mit einer Bibliothek versehen, zwölf Unterrichtskurse an ihm eingerichtet und ihm die Bezeichnung „Museum für Naturgeschichte“ beigelegt. In der Revolutionszeit bildete er einen kleinen Freistaat, dessen Selbstherrlichkeit niemand anzutasten wagte. Ja sogar Napoleons Maßregeln widersetzte sich das Museum gelegentlich mit Erfolg, und 1815 wurden die Sammlungen auf A. von Humboldts Intervention gegen jeden Eingriff geschützt. Die Blütezeit fällt ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts. Später wurde die Vereinigung aller Zweige der Naturgeschichte[S. 83] ein Hindernis für die Konkurrenz mit spezieller ausgebildeten Anstalten des Auslandes.
Abgesehen von den Publikationen der einzelnen noch zu nennenden Autoren, nahmen am Pflanzengarten große und vorbildliche literarische Unternehmen ihren Ursprung. So die Encyclopédie Méthodique (begonnen 1782, aufgehört 1832), die Annales (später Mémoires) du Museum (1802), die Annales de Sciences naturelles (1824).
An der Schwelle des Aufschwunges der französischen Zoologie begegnet uns Buffon, ein Zeitgenosse Linnés. G. L. Leclerc, nach seiner Besitzung in der Bourgogne de Buffon genannt, später in den Grafenstand erhoben, geboren 1707, wurde nach mathematischen Studien 1733 Mitglied der Pariser Akademie, 1739 Intendant des Pflanzengartens, unterstützt von dem jüngeren Arzt L. M. Daubenton (1716-1799) und anderen Mitarbeitern. 1749 erschien die Histoire naturelle, 1778 die Epoques de la nature; er starb 1788. Im Anschluß an Leibniz und die Enzyklopädisten empfand Buffon das Bedürfnis, die Tierwelt dem Weltganzen als Teilerscheinung einzugliedern, und zwar nicht nur als Teil des Bestandes, sondern des Entstehens der Welt. Ausgehend vom feurigen Zustand des Erdballes, entwarf er eine Entstehungsgeschichte der Erde, die in der Geologie revolutionierend wirkte trotz oder vielleicht wegen ihres stark hypothetischen Charakters. Auf dem Schauplatz der Erdoberfläche entwirft er die erste ins Große gehende Übersicht der Faunen, insbesondere der kontinentalen, deren Charakter er zuerst festlegt und auf erdgeschichtliche Erscheinungen zurückführt; so läßt er sie mit der Abkühlung der Pole dem Äquator zu wandern und setzt die Konstitution der Lebewesen im einzelnen mit ihren Lebensbedingungen, natürlichen Grenzen, Klima usw. in Zusammenhang. Durch Urzeugung läßt er im Anschluß an die Materialisten kleinste organische Teile entstanden sein (man würde vor 50 Jahren gesagt haben: Zellen; heute: Biophoren), aus denen heute noch Protozoen hervorgehen sollten. Dieselben[S. 84] organischen Moleküle sollten als Überschuß der Nahrung des erwachsenen Organismus zu den Zeugungsstoffen werden, die Entwicklung wäre dem Kristallisationsprozeß zu vergleichen. Damit wurde Buffon zum Epigenetiker und Vorgänger C. Fr. Wolffs. Neben dieser hypothetischen Kosmogonie verdanken wir Buffon aber die Schilderung der Organismenwelt, die für die ganze Folgezeit mustergültig ist und bleiben wird. Einer der ersten Prosaschriftsteller Frankreichs, hat er der Naturbeschreibung ihre eigentliche Form gegeben. Während man z. B. von der Vogelwelt vor ihm nur sehr wenig gute Darstellungen besaß, hat er die lebendigsten und stimmungsvollsten Bilder entworfen; ebenso sind seine Beschreibungen der Säugetiere wahre Kunstwerke, vorab die des Menschen, der vor Buffon niemals Gegenstand einer speziellen, die mannigfachen Erscheinungen und die Beziehungen zur Außenwelt gleichmäßig berücksichtigenden Naturgeschichte gewesen ist. Das Bild Buffons ist lange Zeit durch seine Stellung zu Linné und der Systematik verdunkelt worden. Dessen Vereinfachung des Ausdruckes für eine Lebensform und ihren Reichtum fand bei Buffon keine Gnade. Seine Polemik gegen Linné, die dieser unbeantwortet ließ, und gegen die Künstlichkeit der Formen der Systematik ist uns heute verständlicher, weil wir wiederum mehr die Klüfte sehen, die die Lebewesen der Gegenwart voneinander trennen. Und doch mußte Buffon vor dem, was an Linnés System natürlich war, insofern kapitulieren, als er später die Beschreibungen verwandter Arten aneinanderreihte. Und die Annahme einer Verwandtschaft des Ähnlichen trat ihm sowohl wie Linné in späteren Jahren immer mehr in den Vordergrund, so daß er zur Überzeugung kam, wenn man Pflanzen- und Tierfamilien zulasse, so müsse man auch den Menschen und die Affen zu derselben Familie zählen, ja annehmen, daß alle Tiere nur von einem abstammen, das im Laufe der Zeit durch Vervollkommnung[S. 85] und Degeneration alle Formen der übrigen Tiere erzeugt habe. Buffon hat der Zoologie unvergleichliche Dienste durch die Popularisierung und die Form, in der sie geschah, getan. Das Erscheinen der Naturgeschichte erregte in ganz Europa das größte Aufsehen; Fürsten und Völker versenkten sich in sie und an ihrer Hand in die Rätsel der belebten Natur. Es war sein Werk, daß während der Französischen Revolution die Blüte unserer Wissenschaft kaum eine Unterbrechung erfahren hat.
Daubenton ergänzte Buffon durch die sorgfältigsten Beschreibungen von Habitus und Anatomie der höheren Tiere, durch eingehendere Vergleichungen des Skelettes der Säugetierabteilungen, als sie zuvor üblich waren. Lacepède (1756 bis 1825), unter Anlehnung an Linné und Buffon zugleich, ist als der Ergänzer von Buffons Arbeit nach der Seite der Ichthyologie bemerkenswert.
Der bedeutendste französische Forscher, der sich an Buffon anschloß, war J. de Monet, später Chevalier de Lamarck (geboren 1744 in der Pikardie, 1760 Offizier, später pensioniert, 1779 Mitglied der Pariser Akademie, von 1793 an Professor am Jardin des Plantes für Wirbellose, gestorben 1829). In seinen Anschauungen unter unmittelbarem Einflusse von Buffon stehend, ließ er der Hypothese einen noch breiteren Spielraum und überraschte durch seine glänzenden Einfälle, die mit einer ausgedehnten Kenntnis der Zoologie der lebenden und fossilen Wirbellosen verbunden auftraten. Noch mehr als bei Buffon brach sich bei Lamarck die Überzeugung Bahn, daß die Tierwelt auf gemeinsame Urformen zurückgehe. In den Urorganismen hätten die Bedürfnisse mit der Außenwelt in Beziehung zu treten versucht, und so sei unter dem Einfluß von Gebrauch und Nichtgebrauch, sowie der Vererbung erworbener[S. 86] Eigenschaften höhere Organisation entstanden, die einen Organe hätten zugenommen, die anderen seien verkümmert, dadurch, daß ein innerer Antrieb die Säfte mehr nach den derselben bedürftigen Stellen dirigiert hätten. Lamarck denkt sich den Ablauf streng mechanisch auf Grund der Annahme, das Leben beruhe auf zwei Agenzien: Wärme und Elektrizität. Mit Buffon nimmt Lamarck an, die Existenzform sei aus den Anforderungen der Umgebung an den Organismus entstanden, nicht auf sie eingerichtet. Im Formenkreis der fossilen Mollusken findet er allmähliche Übergänge, die zu den lebenden hinüberleiten, wie er denn überhaupt den Schwerpunkt der Forschung auf die niederen, weil einfacheren, Organismen verlegt. Urzeugung nimmt er nur für die niedersten Wesen an, die höheren sind aus diesen entstanden. Er protestiert zuerst vom Standpunkt der Umwandlung der Arten gegen die Begriffe der Klassifikation; diese sind vielmehr nur Schranken unseres Wissens. Der Mensch gilt ihm als das vollkommenste Lebewesen, und er schildert, wie seine Abstammung vom höchsten Affen zu denken wäre — wenn wir nicht wüßten, daß er anderer Abkunft wäre als die Tiere. Mit diesen Anschauungen konnte Lamarck nicht den Glauben an unveränderliche Arten vereinigen; seine Bemühungen zielten infolgedessen dahin, die Veränderlichkeit der Arten zu erweisen. Die natürliche Ordnung der Organismen ist nicht (wie mit Bonnet) in einer fortlaufenden Reihenfolge der Lebewesen zu suchen, sondern sie kann nur die sein, in der die Organismen wirklich entstanden sind. Demgemäß hat denn auch Lamarck zuerst das Schema des Stammbaumes gewählt, um die Verwandtschaft der Organismen zum Ausdruck zu bringen.
Lamarck erweitert die Zahl der Klassen der „Wirbellosen“, die er zuerst den „Wirbeltieren“ unter dieser Bezeichnung gegenüberstellt. Er kommt 1809 auf die Einteilung der ersteren in Mollusken, Krustazeen, Arachniden, Insekten,[S. 87] Würmer, Strahltiere, Polypen, Rankenfüßler, Ringelwürmer, Aufgußtiere (die gesperrten seit Ray neu), wobei er überall der Systematik eine anatomisch begründete Unterlage gibt. Abgesehen von den zahl- und umfangreichen Arbeiten Lamarcks kommen insbesondere in Betracht die Naturgeschichte der wirbellosen Tiere, seine Hydrogeologie 1801 und die Philosophie zoologique 1809.
Tabelle, um den Ursprung der verschiedenen Tiere darzutun.
Lamarck ist von seinen Zeit- und Arbeitsgenossen als Phantast mit Achselzucken betrachtet worden. Er stand am Pflanzengarten nicht an erster Stelle. Mild und nachgiebig, daher auch nicht mit der Tradition der mosaischen Schöpfungslehre brechend, gedrückt von schweren äußeren Schicksalen, so lebte er nur in der Spezialwissenschaft fort, bis seine Ideen zeitgemäß und geradezu für eine naturphilosophische Schule, den Neo-Lamarckismus, zum Leitstern wurden.
[S. 88]
In die geistige Führung am Pflanzengarten teilten sich Cuvier und Etienne Geoffroy Saint-Hilaire, ein Mann, der nicht nur als Forscher, sondern auch als Mensch an erster Stelle steht und stehen wird. Geboren 1772, begab er sich, nachdem er die juristischen Studien aufgegeben, nach Paris, um unter Brisson, Haüy, Daubenton sich naturhistorischen Studien zu widmen. Nach Lacepèdes Rücktritt wurde er Assistent, 1793, erhielt im gleichen Jahre einen Lehrstuhl für Zoologie der Wirbeltiere und hielt die ersten Vorlesungen in Frankreich über dieses Gebiet, 1793 organisierte er die „Menagerie“ des Pflanzengartens, rief 1795 Cuvier an dasselbe Institut, begleitete 1798-1804 die Expedition Napoleons nach Ägypten, ging 1808 als wissenschaftlicher Kommissar auf die Pyrenäenhalbinsel. Ins Jahr 1830 und folgende fällt der epochemachende Streit mit Cuvier, 1838 legte er die Leitung der Menagerie nieder, trat 1840 zurück und starb 1844. Etienne Geoffroy hat während der Dauer seines ganzen Lebens die Zoologie nach all ihren Seiten mit einer großen Fülle von streng wissenschaftlich gehaltenen Monographien beschenkt. Wo es immer die Gelegenheit ergab, gewann er dem Stoffe besonders durch anatomische Vergleichung neue Seiten ab. Er legte den Grund zur Anatomie der Säugetiere, deren seltenere Formen damals dem Pflanzengarten zuflossen, er erschloß die Fauna Ägyptens, wo er Polypterus entdeckte, was nach Cuviers Urteil allein eine ägyptische Expedition gerechtfertigt hätte; neben Cuviers nehmen auch Geoffroys paläontologische Arbeiten einen hohen Rang ein. Die Vergleichung des Schädels, der Gehörknöchelchen, des Kiemenskeletts durch die Reihe der Wirbeltiere, aber auch anderer Organsysteme bildet einen großen Teil seiner Spezialarbeiten. Die Anatomie führte ihn zur Entwicklungsgeschichte und zu der Lehre von den Mißbildungen, die ihn zu ihren Neubegründern zählt. Ferner kam er nach der Richtung der vergleichenden Physiologie auf die Einwirkung der Außenwelt auf den[S. 89] Organismus, die Lehre von der Tierzüchtung. Außer diesen Hunderten von Monographien sind als Hauptwerke besonders hervorzuheben: Philosophie anatomique 1818, Principes de Philosophie zoologique 1830, sowie sein Anteil an den Publikationen der ägyptischen Expedition.
Et. Geoffroys allgemeine Ansichten lehnen sich zumeist an die Buffons an. In der Verwendung der Spekulation geht er weniger weit ins Unbekannte der Weltschöpfung hinaus als Buffon und Lamarck; er beschränkt sich auf die Organismenwelt. Hier schwebt ihm eine allgemeine Gesetzmäßigkeit von Sein und Werden vor, eine Art einheitliches Gesetz der organischen Natur, das in verschiedenen Prinzipien zum Ausdruck kommt. Dadurch berührt er sich mit der deutschen Naturphilosophie. Anders als die Analytiker Linné und Cuvier, ist er synthetisch gerichtet und sucht überall die Einheit, sowohl in der Organisation selbst wie in den Einflüssen der Außenwelt. Die Gleichmäßigkeit, womit Geoffroy alle Beziehungen der von ihm geschilderten Organismen untersucht, womit er die Logik auf alle Erscheinungen anwendet, verleiht seinen Arbeiten etwas Unvergängliches. Mit Lamarck nimmt Geoffroy die Veränderlichkeit der Organismen an, aber nicht eine unbegrenzte. Er verlegt nicht mit Lamarck die Ursache der Veränderung in Gebrauch und Nichtgebrauch, sondern in den Einfluß des umgebenden Mediums. Im Gegensatz zu Cuvier ist ihm die Form das Bestimmende für die Funktion und Lebensweise; so allein erhalten die rudimentären Organe einen Sinn. Demgemäß hält Geoffroy die Umwandlung der Art für möglich, den Transformismus für eine zulässige Hypothese. Die individuelle Entwicklungsgeschichte zieht er zunächst für die vergleichende Anatomie des Schädels bei. Auch ihm ist die Embryonalentwicklung ein Auszug des Weges, den die Arten bis zu ihrem heutigen Zustand zurückgelegt haben. 1820, ein Jahr vor J. F. Meckel, tritt er mit seiner Lehre von den[S. 90] Mißbildungen hervor, die er in vollem Umfange als Entwicklungsstörungen, Verzögerung und Stillstand, betrachtet, während noch Winslöw und Haller diese Erklärungen nur zum Teil zugelassen, zum Teil aber Präformation mißbildeter Keime angenommen hatten. Aber er begnügt sich nicht mit Beschreibung und Klassifikation der Mißbildungen, sondern da er sie durch Einflüsse der Umgebung erklärt, sucht er durch ebensolche Einflüsse auf künstlichem Wege Mißbildungen hervorzurufen (Schüttelversuche, Luftabschluß usw.). Als Epigenetiker hat er die Präformation auch der mißbildeten Keime endgültig beseitigt und die Teratologie den organischen Naturwissenschaften eingereiht. Aus der ungemein breiten Erfahrung und der Einheit der Betrachtungsweise ergaben sich für Et. Geoffroy einige Erfahrungssätze allgemeiner Art, deren Anwendung nur deswegen oft etwas Künstliches oder Gewaltsames an sich hatte, weil die Klassifikation der lebenden Tiere noch zu sehr als eine natürliche Reihenfolge aufgefaßt wurde. Nach dem Prinzip der Analogie sollten sich die Teile bei verschiedenen Tieren entsprechen, nach dem des Gleichgewichts der Organe bei Zunahme der einen Teile andere zurücktreten (Extremitäten des Straußes). Sein Ideal ist, es sollten Tiere unter ganz veränderte Lebensbedingungen gebracht und dadurch konstante Varietäten erzeugt werden, da der Einfluß der Umgebung ein geradezu allmächtiger sei. So ließ er denn auch bereits einen seiner Schüler permanente Larven der Wassersalamander auf experimentellem Wege darstellen. Mit alledem ist Etienne Geoffroy der vielseitigste und innerlich freieste dieser Forscher gewesen, dessen Arbeiten auch heute noch in jeder Hinsicht belehrend wirken.
Gleichzeitig und neben, später in sich steigerndem Gegensatz zu Et. Geoffroy wirkte am Pflanzengarten Georges Cuvier.
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Geboren zu Mömpelgardt als Angehöriger einer aus dem Jura stammenden Familie, genoß er seine Erziehung hauptsächlich an der Karlsschule in Ludwigsburg, zu deren ausgezeichnetsten Schülern er gehörte. Im Hinblick auf seine naturwissenschaftlichen Neigungen ergriff er das Studium der Kameralwissenschaften, wurde dann 1788 Erzieher des Grafen d’Héricy in Fiquainville bei Caen, begann hier an der Meeresküste mit den bescheidensten Hilfsmitteln Studien über Pflanzen, Insekten und Anatomie der Meerestiere; letzteres namentlich im Anschluß an die Lektüre von Aristoteles, in dem er auch später den Meister der Zoologie für alle Zeiten verehrte. Nach Proben großen Lehrtalents ging er 1794 auf Veranlassung von Et. Geoffroy nach Paris, wurde daselbst 1795 Professor der Naturgeschichte an der Ecole centrale, nach Daubentons Tode von 1800 an auch am Collège de France, 1802 nach Mertruds Tode Professor der vergleichenden Anatomie am Pflanzengarten. Von da an stieg er in der Restaurationszeit in die höchsten Stellen der Kultus- und Unterrichtsverwaltung und benützte seinen Einfluß zur staatlichen Organisation der französischen Zoologie. 1831 Pair von Frankreich, starb er 1832. Sein Bruder Friedrich Cuvier (1773-1838) sowie ein ganzer Stab von Schülern und Mitarbeitern standen ihm während eines großen Teiles seiner Tätigkeit zur Seite und unterstützten ihn durch Einzeluntersuchungen und Ausarbeitung seiner Pläne.
Cuviers Entwicklung stand unter ähnlichen Einflüssen wie die Et. Geoffroys. Buffon und Linné, ferner sein Lehrer Kielmeyer wirkten mächtig auf ihn ein. Deutsche Schulung, ein griechisches Vorbild, mit dem er sich gern parallelisierte, ein hervorragendes Organisationstalent, das eine einzigartige Gelegenheit zur Entfaltung fand, über Hilfsmittel und Hilfskräfte souverän verfügte, der denkbar größte äußere Erfolg, das sind die wesentlichen Bedingungen, die Cuviers Namen zum glänzendsten der Zoologie machten.
In die neunziger Jahre fallen hauptsächlich Cuviers Arbeiten über die Insekten im Sinne Linnéscher Systematik und die Anatomie der Wirbellosen, insbesondere der Mollusken. Mit Veränderung seiner Stellung und zunächst in Anschluß an Et. Geoffroy wendet er sich aber auch den Wirbeltieren, speziell den Säugetieren zu. In Ausführung seiner Vorlesungen[S. 92] läßt er die vergleichende Anatomie von Duméril und Duvernoy zuerst zusammenfassen. Dabei nimmt er keinen eigenen Standpunkt ein, sondern arbeitet die Organsysteme nach der Vesalschen Systematik unter Benützung des ganzen voraufgehenden literarischen Materials über die Wirbeltiere in vollem Umfange auf. Im weiteren hat er diese Wissenschaft nicht ihrer Struktur nach ausgebaut, sondern besonders in den Dienst der zoologischen Systematik lebender und ausgestorbener Tiere gestellt, und damit die Arbeit Linnés in einem Zeitpunkte und auf einer Linie fortgesetzt, wo sie dringend neuer Stützen bedurfte. Seine Leistungen finden also da ihre Grenze, wo die Beziehungen zwischen der vergleichenden Anatomie und der Physiologie anfangen und wo Et. Geoffroy weitergebaut hat. In steigendem Widerspruch zu ihm wird Cuvier zum Vertreter eines reinen Empirismus, der unermeßliche Materialien sammelt, beschreibt, ordnet, aber nicht mehr die Einzelerscheinung als Teil im stetigen Werden der Natur erfaßt. Da liegt Cuviers Stärke und Schwäche zugleich, die Ursache auch seines Gegensatzes zu Et. Geoffroy und noch mehr zu Lamarck. Mit zunehmendem Alter klammert sich Cuvier immer stärker an die Linnésche Systematik und wird dadurch zum Hauptvertreter der Artkonstanz, zum Hauptgegner des Transformismus. Die Gebiete, auf denen uns seine Arbeit am meisten vorwärts gebracht hat, sind die Wirbeltierpaläontologie, die Klassifikation des lebenden Tierreichs, die Geschichte der Naturwissenschaft. Ihnen entsprechen die drei vorzüglichsten Werke Cuviers: 1. die Recherches sur les ossements fossiles (1. Aufl. 1812, 4. Aufl. 1834-36); 2. das Règne animal distribué d’après son organisation (1. Aufl. 1817, 2. Aufl. 1829/30); 3. die Histoire des sciences naturelles 1841-45, herausgegeben von Magdeleine de Saint-Agy. Hatte Linné es verstanden, der Naturgeschichte allgemeine Achtung zu erkämpfen, so gehört es zu den persönlichsten[S. 93] Verdiensten Cuviers, Napoleon sowohl wie den revolutionären Regierungen Förderung und staatlich unterstützte Organisation der Naturgeschichte und der Zoologie im besonderen abgerungen und die Museen zu Heimstätten der Forschung auch für fremde Gelehrte gemacht zu haben.
Cuviers Wissen war von einer erstaunlichen Breite, seine Fähigkeit, zu beobachten und charakterisierend zu beschreiben, unübertroffen, seine Energie, stets neue Gestalten in den Bereich seiner Forschung zu ziehen, den Stoff theoretisch durch Verallgemeinerung aus den Einzelerfahrungen zu gestalten, praktisch zu Museumszwecken zu verwerten, unermüdlich. Den prächtigsten Beweis hierfür liefert das Règne animal, das die vollendetste Heerschau über das gesamte Tierreich vorstellt, soweit es in Wort und Bild festzuhalten war. Aber immer mehr, wieweit im Zusammenhang mit ähnlichen philosophischen Richtungen, muß dahingestellt bleiben, erblickte er die Aufgabe der Zoologie in der Artbeschreibung und Präzision der Charaktere, überhaupt in der Ansammlung von Tatsachen (Positivismus) mehr als in der Entwicklung einheitlicher Gedanken. Damit wurde er der eifrigste Vorkämpfer der Artkonstanz, kam immer mehr vom Plane einer Einheit der Organismen ab und endete dabei, daß er im Tierreich vier völlig voneinander geschiedene Stämme (Wirbeltiere, Gliedertiere, Weichtiere, Strahltiere) unterschied. Die Varietäten galten ihm als nebensächliche Abänderungen der Art. Für die Arten hielt er an einer Schöpfung fest; die Übereinstimmung der ägyptischen Mumien mit den heute lebenden Individuen derselben Art schien ihm ein besonderes Zeugnis der Artkonstanz. Bestärkt wurde er in dieser Auffassung durch seine Studien an den ausgestorbenen Wirbeltieren, namentlich den Säugetieren. Dadurch, daß er diese in größerer Menge zur Verfügung hatte und nach seinen Prinzipien der Systematik darstellte, wurde er zum eigentlichen Schöpfer der Wirbeltierpaläontologie[S. 94] und legte den Grund zu jeglicher weiteren Arbeit auf diesem Gebiet, solange sie im Beginn ihrer Entwicklung ein rein beschreibendes Stadium durchmachen mußte. Ihm blieb nicht verborgen, daß die Faunen älterer Erdschichten sich in ihrem Gepräge immer mehr von den heutigen entfernten, und da er sich mit dem Gedanken an eine sukzessive Verwandlung nicht vertraut machen konnte, griff er zu der Theorie, wonach die Erde eine Reihe von Revolutionen erlebt habe, deren jede an der Erdoberfläche einer neuen Fauna Existenzbedingungen besonderer Art geschaffen habe (Kataklysmentheorie). Erst mit der letzten dieser Katastrophen sei der Mensch auf den Plan getreten. Es existierte also ein Schöpfungsplan, den Gott allmählich realisiert hat. Ihm nachzudenken, ist Aufgabe einer natürlichen Systematik im Gegensatz zu der künstlichen Linnés. Mit dieser ganzen Auffassung wird das Wesentliche des Tieres in dessen ausgebildeten Zustand verlegt. Die umwandelnden Einflüsse und die Entwicklungsgeschichte haben für Cuvier gar keine Bedeutung; ja, die letztere wird von ihm geflissentlich ignoriert.
Nicht alle Merkmale sind ihm von gleichem Wert. Die, welche den größten Einfluß auf die anderen ausüben (früher nahm er dafür die Zirkulations-, später die Zeugungsorgane, zuletzt das Nervensystem), dominieren und sind daher die entscheidenden (Prinzip der Unterordnung der Organe), denen sich die übrigen sukzessive unterordnen. Nach dem Nervensystem und dessen Lage teilt er daher auch das Tierreich ein. Jedes Tier besitzt, was es zur Existenz braucht, und nicht mehr, als es braucht (Prinzip der Zweckursachen). Die Teile der Tiere sind unter sich so eng verbunden, daß, wenn eines sich ändert, alle anderen sich auch ändern, daß man daher aus einem bestimmten Organ auf die anderen schließen kann (Prinzip der Korrelation der Organe nach Aristoteles). So kommt bei Cuvier eine Gesamtauffassung der organischen Natur zustande, die der von[S. 95] Et. Geoffroy und Buffon direkt zuwiderläuft, und die auch von der nachfolgenden Entwicklung der Zoologie Schritt für Schritt weichen mußte.
Die verschiedene Geistesart von Et. Geoffroy und Cuvier verschärfte die Gegensätze zwischen beiden mit zunehmendem Alter. So kam es denn zu dem berühmten, von Goethe mit lebhaftestem Interesse als europäischem Ereignis beurteilten Streite im Schoße der Akademie zu Paris im Frühjahr 1830. Die innerlich wahre, philosophisch orientierte Umwandlungslehre war — vielleicht nicht mit voller Geschicklichkeit — durch Et. Geoffroy vertreten, die innerlich widerspruchsvolle, mittelalterlichen Traditionen entsprungene und Vorschub leistende Konstanzlehre mit aller äußerlichen Macht einer glänzenden Persönlichkeit durch Cuvier in Szene gesetzt. Der Gegensatz zwischen beiden Männern hatte sich schon seit Beginn des Jahrhunderts ausgebildet. Damals brach Geoffroy mit den klassifikatorischen Arbeiten ab und überließ sie Cuvier, da nach seiner Überzeugung eine natürliche Methode der Klassifikation gar nicht existieren könne. Cuvier hinwiederum sah in einer vollkommenen Klassifikation das Ideal der Wissenschaft und in deren Resultat den vollendeten Ausdruck der Natur selbst. Geoffroy schaute immer mehr und deutlicher das Leben in seiner Bewegung mit rastlos verwegenem Hochflug der Gedanken; doch stets an strenge Beobachtung gebunden, überschaute er die Lebewelt aus der Vogelperspektive. Cuvier sah das Sein der Lebenserscheinungen, vertiefte und verlor sich in der Einzelbeobachtung, förderte unermeßliche Reichtümer an Tatsachen zutage, verfiel aber einer gewissen Enge der Auffassung des Ganzen. So bedurfte es denn nur eines verhältnismäßig geringen Anlasses, um den Streit zu entfachen. Et. Geoffroy legte der Akademie die Arbeit zweier junger Gelehrter vor, die die Übereinstimmung zwischen dem Bau der Tintenfische und der Wirbeltiere dadurch erweisen wollten, daß erstere gewissermaßen[S. 96] in der Bauchlinie geknickte Wirbeltiere seien. Zwar ist diese Hypothese irrig, doch nicht gewagter als manche, die uns über Verwandtschaftsverhältnisse anderer Tiere aufgeklärt hat. Jetzt schlug das schon lange glimmende und aus früheren Beurteilungen der Arbeiten Geoffroys hervorleuchtende Feuer Cuviers empor, und mit einer Erörterung über Einheit des Bauplanes und Einheit der Zusammensetzung erklärte er, Et. Geoffroy sehe für neue Prinzipien das an, was Aristoteles der Zoologie schon längst als Basis gegeben habe. Schon zuvor hatte Cuvier mehrfach die Ansicht vertreten, der Naturforscher habe sich nur an die Beobachtung der Tatsachen zu halten. Hatte er in diesem speziellen Falle mit seinem Widerspruch auch recht, so schnitt er doch mit der nun monatelang andauernden Polemik gegen Geoffroy der Entwicklungslehre den Faden ab. An dem Streit in der Akademie nahm Presse und Publikum Anteil, und, wenn auch Cuvier als Sekretär der Akademie Sieger blieb und der Streit sich allmählich in Nichtigkeiten auflöste, so kamen dadurch doch Geoffroys Ideen hinaus und fanden vielfach Verständnis. Indessen führte die praktische Präponderanz Cuviers zu häßlichen Nachspielen auch nach seinem Tode. Sinnlosen Angriffen auf Geoffroy in der Akademie folgte eine Intrige Friedrich Cuviers, der, von Et. Geoffroy Georges Cuvier zuliebe dem Dunkel des Uhrmacherberufs entrissen und an der Menagerie des Museums angestellt, seinen alternden Gönner von der Mitleitung dieser seiner eigenen Gründung verdrängte. Nach dem wenige Monate später erfolgten Tode Fr. Cuviers wurde freilich Et. Geoffroy wieder in seine Rechte eingesetzt.
Im Anschluß an diese im Vordergrund stehenden Persönlichkeiten des Pflanzengartens sind nun noch einige ihrer Mitarbeiter und Nachfolger zu nennen: P. A. Latreille (1762-1833, seit[S. 97] 1799 am Museum angestellt), der neben den Würmern und Krebsen besonders die Insekten pflegte und zum eigentlichen Begründer der modernen Entomologie geworden ist. Ferner seine Nachfolger J. V. Audouin (1797-1841) und E. Blanchard (1820-1889), die beide wesentlich zur Kenntnis des Baues und der Physiologie der Insekten und Spinnen beitrugen. Ducrotay de Blainville (1777-1850) begann seine naturwissenschaftlichen Studien unter Cuvier, wurde 1812 Professor an der Faculté des Sciences, erhielt 1830 Lamarcks und von 1832 an Cuviers Professur. Trotz des Zerwürfnisses mit dem Meister ist er der echteste Schüler und Nachfolger Cuviers gewesen. Er lehnt wieder mehr an Geoffroy an durch Berücksichtigung der Physiologie. Bei der Klassifikation stellt er die Gesamtgestalt des Bauplans mehr in den Vordergrund und führt den Begriff Typus für die höheren, auf Baupläne begründeten Abteilungen ein. Sein verdienstvollstes Werk ist die Osteographie der Wirbeltiere (1839). Lacepèdes Bearbeitung der Fische wurde weit überholt durch das von Cuvier mit einer historischen und anatomischen Einleitung ausgerüstete Werk von Valenciennes (1828-49) über die Knochenfische. A. Dumérils (1812-1870) Bearbeitung der Knorpelfische erschien erst 1865. Der Vater Duméril (geb. 1774, der erste Professor für die drei unteren Wirbeltierklassen am Museum 1825, gest. 1860) und Bibron bearbeiteten im Sinne Cuviers die Amphibien und Reptilien (Herpétologie générale 1835-50). Die Ornithologie war seit Buffons Zeiten in Frankreich heimisch und fand hauptsächlich Vertreter in Levaillant, Veillot und Des Murs, später besonders im jüngeren A. Milne-Edwards (geb. 1834, 1876 Nachfolger seines Vaters, 1891 Direktor des Museums, starb 1900), der der fossilen Avifauna Frankreichs und derjenigen Madagaskars und der Maskarenen besondere Werke widmete. Unter den um die Anatomie der Wirbellosen verdienten französischen Forschern sind besonders hervorzuheben: H. Milne-Edwards, der mehrere Gruppen der Wirbellosen, insbesondere die Krustazeen, aufs eingehendste bearbeitete, ferner H. de Lacaze-Duthiers und de Quatrefages, F. Dujardin (Protozoen), Savigny (Anneliden). Von großer Bedeutung sind die Arbeiten der Reisenden von Anfang des 19. Jahrhunderts geworden (s. S. 148). Durch sie wurden die reichen Materialien für die Arbeiten der Gelehrten am Museum zusammengetragen. Im ganzen bewegte sich aber die französische Biologie in gewiesenen Bahnen vorwärts, und nur wenige Namen bezeichnen Forscher von hervorragender Bedeutung in der geschichtlichen Entwicklung[S. 98] unserer Wissenschaft. Unter denen der letzten Dezennien seien genannt: E. Blanchard, der die Typen der Würmer und Arthropoden, insbesondere auch in anatomischer Richtung, untersuchte, aber sich auch um die landwirtschaftliche Zoologie verdient machte. A. de Quatrefages (1810-1892) unternahm faunistische Studien an den französischen Küsten gemeinsam mit H. Milne-Edwards, wurde 1855 Professor der Anatomie und Ethnologie, und hat als solcher gegen Darwins Abstammungslehre Stellung genommen. Praktisch förderte er die Fischzucht in hohem Maße. H. de Lacaze-Duthiers (1821-1901, Schüler von H. Milne-Edwards, von 1865 Professor am Museum und von 1868 an der Universität) wandte zuerst in ausgedehnterem Maße die verfeinerte Experimentalphysiologie auf die niedere Tierwelt an. 1873 gründete er die zoologische Station Roscoff, später die in Banyuls, und erwarb sich damit nicht nur für Frankreich ein hervorragendes Verdienst. Ein Nachfolger Cuviers in mancherlei Hinsicht ist Louis Agassiz. Geboren 1807 zu Motier in der Schweiz, studierte er zuletzt in München und gab 1829 die Beschreibung der Ausbeute an Fischen Brasiliens von Spix und Martius heraus. 1833-42 erschien sein Hauptwerk, „Die fossilen Fische“, welches nach einer Seite, die Cuvier offen gelassen hatte, die Paläontologie der Wirbeltiere erweiterte. 1833 Professor in Neuchâtel, siedelte Agassiz 1846 nach Nordamerika über, wo er der eigentliche Popularisator der Naturgeschichte wurde. Mit erstaunlichem Geschick pflanzte er dort die Tradition, große Summen für naturgeschichtliche Zwecke flüssig zu machen. Er gründete nach dem Muster des Pariser Museums das Museum of Comparative Zoology an der Harvard-Universität, organisierte Unterricht und wissenschaftliche Arbeit. Seine allgemeinen Ansichten legte er im Essay on Classification nieder, sowie in zahlreichen populären Darstellungen. Er starb 1873. Im wesentlichen unterscheidet er sich von Cuvier durch eine noch stärker theosophische Färbung seiner Fassung der Konstanztheorie. Jede Art ist konstant und der Ausfluß einer Idee des Schöpfers. Der Urzweck des Schöpfers bei Schöpfung der Tier- und Pflanzenarten war die beharrliche Erhaltung seiner eigenen Gedanken. Mehr als Cuvier nimmt Agassiz auf die Embryologie Rücksicht; er betont den Parallelismus zwischen geologischer und embryologischer Reihenfolge der höheren Tiere, ohne einen realen Zusammenhang beider Parallelen zuzugeben. Ein heftiger Gegner des Darwinismus, trug er lange dazu bei, den Widerstand gegen die Entwicklungslehre zu verstärken. Anderer Art ist das Bild von Henri Milne-Edwards.
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(Geboren 1800 zu Bruges, wurde er 1823 Doktor der Medizin, folgte Friedrich Cuvier 1838 als Mitglied der Akademie, wurde 1841 Professor der Entomologie am Museum, übernahm 1861 nach Et. Geoffroys Tode die höheren Wirbeltiere, von 1843 an las er an der Faculté des Sciences vergleichende Anatomie und Physiologie, starb 1886.) Anfänglich an Cuvier anlehnend, übertrug er die Homologisierung der Mundteile, wie sie Savigny für die Insekten gegeben hatte, auf die Krustazeen. Er entwickelte namentlich die Ansicht von der Vervollkommnung der Organismen durch Arbeitsteilung, wobei er den anatomisch erkennbaren Teilen eine gewisse Selbständigkeit der Funktion zuerkannte. In höherem Alter (1879) trennte er sich vollständig von den Anhängern der Konstanztheorie. Das Hauptwerk von H. Milne-Edwards bleiben die Leçons de physiologie et d’anatomie comparée (1857-83), worin nicht nur die Erfahrungen der gesamten Zootomie sorgfältig und kritisch abgestuft vor uns treten, sondern auch die Verbindung mit der während eines Jahrhunderts nicht minder blühenden Physiologie Frankreichs und des Auslandes zu voller Entfaltung kommt. Unsere Wissenschaft hat seither kein besseres in dieser Richtung liegendes Werk erlebt. Ein Hauptverdienst von H. Milne-Edwards endlich besteht darin, daß er ein ausgezeichnetes für die französischen Schulen bestimmtes Lehrbuch verfaßt hat. In ähnlicher Richtung verdient auch Ach. Comte einen Ehrenplatz neben ihm. Überhaupt ist zu betonen, daß die französischen Zoologen allezeit sich in den Dienst der Verbreitung des Wissens und der praktischen Anwendung der Zoologie gestellt haben.
An Et. Geoffroy und die französischen Physiologen schließt mit einer eklektisch gehaltenen vergleichenden Physiologie 1839 A. Dugès (1797-1838, Professor in Montpellier) an. Hatte Et. Geoffroy die Ansicht vertreten, die Gliedertiere entsprechen[S. 100] den Wirbeltieren unter Umkehrung von Rücken und Bauch, so suchte Dugès im Anschluß an die 1827 erschienene Monographie des Blutegels von Moquin-Tandon die Übereinstimmung des Baues vom gesamten Bauplan in die Teilstücke des Körpers, die Zooniten (Somiten) zu verlegen. Dadurch, daß er auch die Radiaten aus solchen Zooniten bestehen läßt, wurden die Klüfte zwischen den vier Cuvierschen Tierstämmen überbrückt und Dugès wird zum Metamerentheoretiker für die Invertebraten. Zugleich aber wird durch ihn die Frage nach der tierischen Individualität aufgerollt. Als vergleichender Anatom reiht sich hier ein A. Serres (1786-1868, von 1839 an Professor der vergleichenden Anatomie am Museum), der um die vergleichende Anatomie und Physiologie, insbesondere des Nervensystems, hervorragende Verdienste hatte. Einen gewissen natürlichen Abschluß der Geoffroyschen Schule bildet der Sohn Etiennes, Isidore Geoffroy St. Hilaire (1805-61, seit 1841 Professor am Museum). Aufgewachsen in der großen Tradition von Jugend an, ebensowohl nach der empirischen wie der philosophischen Seite ausgebildet, ein glänzender Stilist, hat er in seiner Histoire naturelle générale (1854 bis 1862) die vielleicht sorgfältigste Eingliederung der allgemeinen Zoologie in den Kreis der Wissenschaften unternommen, leider nicht ohne von Comtes Philosophie beeinflußt zu sein. Wie H. Milne-Edwards’ vergleichende Physiologie für Cuviers Richtung abschließende Bedeutung besitzt, so dieses Werk für die Richtung Geoffroys. Aber noch mehr: beide ergänzen sich zu einer Einheit, die nicht nur eine Basis für die nachfolgende französische Zoologie geworden ist und ihr eine erneute Aufsplitterung erlaubte, sondern die auch noch für die Zukunft den vollkommensten wissenschaftlichen Querschnitt der Zoologie einer bestimmten Periode gibt. Isidore Geoffroys Bemühungen galten im übrigen dem Transformismus, insbesondere der Haustiere, und mit der von ihm gegründeten[S. 101] Akklimatisationsgesellschaft wurde der bisher ansehnlichste Vorstoß in der Richtung der Züchtungslehre unternommen. So gehört denn auch Isidore Geoffroy nicht nur zu den unmittelbaren Vorläufern Darwins, sondern er wurde von diesem auch als solcher rückhaltlos anerkannt. Aber auch sonst ist kaum eine Frage der Zoologie zu nennen, die nicht von ihm mit der größten Erudition behandelt worden wäre. Ein biographisches Meisterwerk hat er uns über seinen Vater hinterlassen (1847).
In der Blütezeit der französischen Zoologie verhielt sich die italienische vorwiegend rezeptiv. Die Ideen der Pariser Zoologen fanden begeisterte und beredte Vertreter in Italien, wie Fr. Cetti (1726-78), der Buffon großes Verständnis entgegenbrachte und die Eigentümlichkeiten der sardinischen Fauna durch die insulare Abschließung zu erklären versuchte; namentlich war es Lamarck, dessen Ansichten durch A. Bonelli (1784-1830, Professor in Turin) und Fr. Baldassini, ferner durch O. G. Costa, der in schwierigen Zeitläuften zu Neapel die alte zoologische Tradition aufrechthielt, vertreten wurden. Der Naturphilosophie trat der durch viele zoologische Arbeiten verdiente Poli (1827) kritisch entgegen. Cavolini, delle Chiaje Bonaparte, später besonders Panceri (1833-77) förderten in der von Cuvier gebahnten Richtung die Kenntnis der italienischen Land- und Meerfauna. In allem aber hielt sich die italienische Zoologie innerhalb bereits vorgezeichneter Linien, wenn auch in neuester Zeit erst wieder italienische Forscher in den Gang der Geschichte entscheidend eingegriffen haben.
Ungefähr um die Mitte des 18. Jahrhunderts löst sich die deutsche Zoologie von der universellen ab und beginnt ihre eigenen Gestalten anzunehmen. Auf eine einleitende Periode,[S. 102] die etwa bis Ende des Jahrhunderts reicht, folgt die Periode der Naturphilosophie, die man etwa bis 1830 ansetzen kann, dann wiederum dreißig Jahre der Ernüchterung und empirischen Vertiefung und von 1860 ab die Periode des deutschen Darwinismus. Im Vergleich zur französischen Zoologie desselben Zeitraumes ist die Entwicklung eine weniger stetige, das Schwergewicht der Leistungen fällt nicht wie dort auf reich dotierte praktische Schöpfungen, die sich auf eine größere Zentrale konzentrieren; vielmehr ist es kühner Flug der Gedanken, der intuitiv-konstruktiv wirkt; später Fleiß und Gründlichkeit, die nachfolgen; beides gebunden an die bescheidensten Arbeitsmittel der damaligen Kleinstaaten. Erst mit der Periode des Darwinismus nimmt die deutsche Zoologie einen Aufschwung auf eine Höhe, die zu beurteilen hier nicht der Ort und der Zukunft anheimzugeben ist.
An der Schwelle dieser Periode treffen wir A. von Haller, der seinem geistigen Gepräge nach weit eher ein Endglied der vorangehenden genannt zu werden verdient, und dessen Verdienste vorwiegend auf das Gebiet der menschlichen Physiologie fallen. Der durch seine Autorität zur absoluten Herrschaft gelangten Lehre von der Präformation trat C. Fr. Wolff (1735-1794) entgegen, ohne indes von seiner Zeit gewürdigt zu werden. In seiner Theoria generationis (1759) wahrt er die Rechte der Beobachtung gegenüber der Spekulation, schildert kurz die Geschichte der Entwicklungstheorien bis auf seine Zeit und stellt den Satz auf, daß der lebende Organismus nicht im Keime vorgebildet ist, sondern erst in der Embryonalentwicklung entsteht (Epigenesis). Seine Schrift ist voll von reicher Einzelbeobachtung und geschickter Verallgemeinerung, wie er denn z. B. die Bildung von Darm und Nervenrohr bereits als Faltungsprozeß der[S. 103] Keimblätter auffaßt. Im allgemeinen steht er auf dem Boden des von Stahl begründeten Vitalismus, der Lehre von der Eigenart der organischen Erscheinungen. Außer C. Fr. Wolff war es besonders Blumenbach, der in Aristotelischem Sinne und mit viel Geist die Präformationslehre bekämpfte. Neben diesem Kampf um die Zeugungsphysiologie war es eine andere Linie, auf der sich die deutsche Zoologie bewegte. Die Probleme der geographischen Verbreitung, die Buffon aufgestellt hatte, fanden Widerhall in Kants physischer Geographie, die für die Zoologie weniger bedeutete, als seine scharfe Scheidung zwischen organischer und anorganischer Natur und die deszendenz-theoretisch interessanten Gedanken in seiner „Kritik der Urteilskraft“ (1790). Mehr noch in den Werken von E. A. W. Zimmermann (Versuch einer Anwendung der zoologischen Geographie auf die Geschichte der Erde 1783) und J. G. Herder (Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit 1784). Beide sind von höchster Poesie getragene Ausblicke auf den Reichtum der Tierwelt zu Land und Meer, beide Versuche, die Mannigfaltigkeit des Lebens als Teil im Gesamtwesen des Kosmos zu erfassen und die zahlreichen Beziehungen der Kreatur unter sich und auf dem Schauplatz der Erde darzustellen. Zimmermann legt dabei den Hauptakzent auf die Tierwelt und wagt namentlich zum ersten Male, ein Gesamtbild vom Leben der Meeresfauna zu entwerfen. Bei ihm finden sich die schönsten Ansätze zur Lehre vom Haushalt der Natur (Ökologie). Die Gedanken an Einfluß des Klimas, Breite der Anpassung, Verbreitungsgeschichte finden hier schon Verwendung. Zimmermann polemisiert gegen die naive Linnésche Erklärung der Tierverbreitung und weist entgegen Buffons Theorie von der äquatorial gerichteten Wanderung der Tiere infolge von Abkühlung der Pole auf die Unterschiede der südlich-hemisphärischen Landfauna von der nördlichen hin. Zimmermann ist der erste kritisch arbeitende[S. 104] Geist in der Tiergeographie und Alexander von Humboldts direkter Vorgänger. Hatte Linné den Menschen den Säugetieren eingeordnet, ohne sich darüber weiter auszusprechen, so sucht Herder ihn der Lebewelt auf Grund seiner körperlichen Eigenschaften einzuordnen, ihn als das vollkommene, zur Vernunfttätigkeit bestimmte Lebewesen zu schildern, und doch die bedeutungsvollen Übereinstimmungen mit den anthropomorphen Affen nicht zu unterdrücken. Wie mächtig die Anregungen Herders wirkten, erhellt wohl mit am besten aus Goethes Beschäftigung mit der organischen Natur, die ihn freilich das übernommene Gut selbständig weiterbilden ließ. Tiefstes Naturempfinden, ein rastloser Trieb, die Natur kennen zu lernen, lebhafteste Teilnahme an den Fortschritten der Naturforschung, ein überlegenes Urteil über den historischen und kulturellen Wert derselben und ihrer Vertreter, eine Abneigung gegen alles Spezialistisch-Kleinliche und ein untrüglicher Sinn für das Ewig-Große in der Natur und ihrer Wissenschaft — das sind die Züge, die Goethe eine große Bedeutung für die Geschichte der Zoologie verleihen. An seinem Genius haben sich nicht nur zahlreiche Zeitgenossen gesonnt, sondern er ist auch später namentlich als Panazee Haeckels geschichtlich von größter Bedeutung geworden. Die von Buffon ausgesprochenen Gedanken der Einheit der organischen Natur, E. Geoffroys Geistesrichtung, die ganze vergleichende Anatomie des 18. Jahrhunderts fanden in ihm einen begeisterten und weitblickenden Herold. „Dieses also hätten wir gewonnen, ungescheut behaupten zu dürfen: daß alle vollkommeneren organischen Naturen, worunter wir Fische, Vögel, Säugetiere und an der Spitze der letzteren den Menschen sehen, alle nach einem Urbild geformt seien, das nur in seinen sehr beständigen Teilen mehr oder weniger hin und her weicht und sich noch täglich durch Fortpflanzung aus- und umbildet.“ „Das Gesetz der inneren Natur, wodurch sie konstituiert werden, und[S. 105] das Gesetz der äußeren Umstände, wodurch sie modifiziert werden,“ sind für ihn bei der Bildung der Formen wirksam. Seine Deduktionen des Zwischenkiefers beim Menschen (1784), der Lehre vom Wirbelbau des Schädels und der Metamorphose der Pflanze (1790) dürfen wahrlich nicht als einziger Maßstab für seine Verdienste um die Zoologie und vergleichende Anatomie (der er den Namen Morphologie beilegte) genommen werden. Wenn Goethes Entwicklungspoesie in späteren Jahren einen Zug annimmt, der uns wenig verständlich ist, so ist zu bedenken, daß er mit seinem Vorstellungskreis bereits in die Höheperiode der Naturphilosophie hineinreicht.
Die Naturphilosophie beruht auf der Voraussetzung: Natur und Geist sind identisch, sie sind nur die beiden Pole des Absoluten. Der negative Pol ist die Natur, welche anorganische und organische Erscheinungen zu einem Gesamtorganismus verknüpft, wobei die Kräfte der organischen Natur sich in höherer Potenz in der organischen vorfinden. Der positive Pol ist der Geist in drei Stufen seines Verhaltens, dem theoretischen, praktischen, künstlerischen. Das auf diesen Prinzipien beruhende philosophische System, verbunden mit religiösen Dogmen und kabbalistischem Einschlag, enthielt ein in dieser Stärke neues Element: die Entwicklungsidee, die besonders auf die organische Naturforschung überaus befruchtend wirkte, so schwer die ganze Geistesrichtung zeitweise und in gewissen Köpfen der Naturforschung gefährlich wurde. Jedenfalls wirkte sie in einem Sinne vorteilhaft: man begann die großen Linien der Biologie aufs neue zu ziehen, und zunehmende Erfahrung mußte schon die vorschnellen Verallgemeinerungen auf ein richtiges Maß zurückführen. Wenn wir nicht Schellings Naturphilosophie als Urbild wählen, sondern die Okens, so geschieht dies, weil doch Oken auch die[S. 106] ausgedehnteste Sachkenntnis zur Verfügung stand. Das Tierreich ist ein großes Tier, die Tiere nur Teile desselben, das Tierreich nur das zerstückelte höchste Tier, der Mensch. Wie dieser vom ersten Keim an in der Befruchtung entsteht und allmählich Bläschen, Darm, Kieme, Leber, Geschlechtsteil, Kopf wird, so auch das Tierreich. Es gibt Tiere, welche dem Menschen während der Schwangerschaft, dem Embryo, dem Fötus entsprechen. Eine Blüte, welche, vom Stamme getrennt, durch eigene Bewegung sich selbst den galvanischen Prozeß oder das Leben erhält, die ihren Polarisationsprozeß nicht von einem außer ihr liegenden oder mit ihr zusammenhängenden Körper hat, sondern nur von sich selbst — solche Blüte ist ein Tier. Die Pflanze ist in die Erde, das Wasser, die Luft eingetaucht, dagegen sind diese drei Elemente in das Tier eingetaucht. Der Urschleim ist der Meerschleim, der in ihm ursprünglich ist. Alles Leben stammt aus dem Meere. Die höheren organischen Formen sind an den seichten Stellen des Meeres entstanden. Die Gestalt des Urorganischen ist die der Kugel, die ersten organischen Punkte sind Bläschen, die organische Welt ist eine Unendlichkeit solcher Bläschen. Besteht die organische Grundmasse aus Infusorien, so muß auch die organische Welt sich aus Infusorien entwickeln. Pflanzen und Tiere können nur Metamorphosen aus Infusorien sein. Das Verfaulen ist eine Reduktion des höheren Lebens auf das Urleben. Der Mensch ist nicht erschaffen, sondern entwickelt. Die naturphilosophische Methode ist nicht die wahrhaft ableitende, sondern die gewissermaßen diktatorische, aus der die Folgen herausspringen, ohne daß man weiß, wie. Die Naturphilosophie ist die Wissenschaft von der ewigen Verwandlung Gottes in die Welt. Solche Sätze aus Okens Naturphilosophie (1809) mögen einen Begriff von dem Vorstellungskreis geben, der dieser Richtung zu eigen ist; aber auch von der Fruchtbarkeit des Entwicklungsgedankens, aus dem die Zellenlehre, das[S. 107] biogenetische Grundgesetz u. a. m. hervorsprangen, ehe die Empirie imstande war, der Philosophie zu folgen.
Lorenz Oken (geb. 1779 bei Offenburg, 1807 aus Göttingen nach Jena berufen, 1827 nach München, 1833 nach Zürich, gest. daselbst 1851) entwickelte eine reiche literarische Tätigkeit, die zugleich auf Popularisierung der Wissenschaft zielte; er hat eine große Zahl der heute gebräuchlichen Bezeichnungen für die höheren Gruppen des Tierreiches gebildet, war um die Durchführung rationeller Grundsätze des Naturgeschichtsunterrichts bemüht, begründete die Versammlung der deutschen Naturforscher und bot in seiner „Isis“ einen Tummelplatz der Meinungen, auf dem alle regen Gelehrten seiner Zeit sich betätigten. Untersuchungen hat er selbst wenige angestellt, wohl aber durch seine Polemik höchst wertvoll gewirkt. Noch sei erwähnt, daß er auf dem Gebiet der vergleichenden Anatomie mit der Wirbeltheorie einer einheitlichen Betrachtung des Wirbeltierkopfes ebensowohl wie Goethe vorgearbeitet hat.
An Oken schließen sich neben Phantasten auch Forscher von bleibendem Verdienst an oder gehen parallel zu ihm die Wege der Naturphilosophie. Die umfassendste und reichste Natur unter ihnen war C. G. Carus (geb. 1789 in Leipzig, 1811 daselbst Professor der vergleichenden Anatomie, der erste selbständige Vertreter dieses Faches in Deutschland, 1814 Professor der Geburtshilfe an der Medizinischen Akademie Dresden, 1827 Leibarzt des Königs, gestorben 1869).
Die empirische wie die literarische Tätigkeit von Carus erstreckte sich fast über alle Gebiete der Biologie. Außer den Lehrbüchern über Geburtshilfe, Chirurgie und Tierpsychologie, Zootomie (1818) und vergleichende Anatomie, seinen Atlanten über die Proportionenlehre des menschlichen Körpers und vergleichende Anatomie besitzen wir von ihm eine Reihe von empirisch wohlbegründeten Arbeiten über Aszidien, Kreislauf der Insekten, vergleichende Anatomie des Nervensystems; daneben beschäftigte er sich im Anschluß an die Oken-Goethesche[S. 108] Schädeltheorie in mehr phantastischer Weise mit der Homologie der Skeletteile, wobei er, im Gegensatz zu Geoffroy, der sich an die Knochenfische hielt, die Bedeutung des Schädels der Knorpelfische für die vergleichende Anatomie besonders hervorhob. Sein System der Tierwelt, das prinzipiell dem Okenschen verwandt, aber besser durchgeführt war, mag hier als Typus eines solchen wiedergegeben werden:
In seinen Schriften „Psyche“ und „Physis“ tat Carus tiefe Einblicke in die Natur des Menschen, und wußte seiner Psychologie eine auch von philosophischer Seite anerkannte Fassung zu geben. Mit Goethe verband ihn das gemeinsame Interesse für Morphologie, das auch in einem beachtenswerten Briefwechsel seinen Ausdruck fand.
Mit einem vielgelesenen Aufsatz über die Lebenskraft eröffnete J. C. Reil (1759-1803) sein Archiv für Physiologie, an dem sich auch später Autenrieth (1772-1835) beteiligte. Unter dem Einflusse Kants stehend, suchte Reil die Grundlagen der theoretischen Biologie auf vitalistischem Boden zu begründen. In ähnlichem Sinne wirkte Fr. Tiedemann (1781-1856), der, wie übrigens auch die Brüder L. C. und G. R. Treviranus (1779-1864 und 1776-1834), die[S. 109] wertvollsten zootomischen Arbeiten hervorbrachte. Neben den Genannten trat K. F. Burdach (1776-1847) in Wort und Schrift für die Bedeutung der vergleichenden Anatomie ein und legte seine Ansichten in einem größeren Werke: „Physiologie als Erfahrungswissenschaft“ nieder. Um die Systematik der Histologie machte sich F. Heusinger, der Anatom von Marburg, verdient, indem er eine vergleichende Übersicht der Gewebe durch die Tierreiche gab. K. Asmund Rudolphi (1771-1832) begründete das zoologische Museum zu Berlin, zeichnete sich durch viele und streng empirische Arbeiten über Wirbeltiere und Helminthen aus, und war einer der erfolgreichsten Lehrer der Zoologie damaliger Zeit. Den Namen eines „deutschen Cuvier“ erwarb sich durch die Meisterschaft in der vergleichenden Anatomie Joh. Fr. Meckel (1781-1833, einer um die Anatomie hochverdienten Familie entstammend, Schüler Kielmeyers). Von Cuvier angeregt, vermehrte er die Sammlung seines Vaters, die, nach dem Vorbild der Hunterschen Sammlung geschaffen, zu den größten Privatsammlungen Deutschlands gehörte. In seinem System der vergleichenden Anatomie (1821-35) sucht er die Bildungsgesetze der organischen Natur auf Mannigfaltigkeit und Einheit zurückzuführen, orientiert die vergleichende Anatomie nach den Schwesterwissenschaften hin, zieht insbesondere (gleichzeitig mit Et. Geoffroy, aber unabhängig von ihm) die Lehre von den Mißbildungen in den Kreis der Morphologie, die er theoretisch-methodisch im Sinne der Naturphilosophie erörtert. Auch für ihn existiert der Parallelismus zwischen der individuellen Entwicklung und der der Tierreihe. Meckel erfreute sich als Lehrer eines glänzenden Rufes.
Vereinigten schon die genannten Zoologen Empirie und Philosophie in solchem Grade, daß man manche, z. B. Rudolphi,[S. 110] von den Naturphilosophen ausschalten könnte, so erwiese sich dies doch nicht als tunlich. Dagegen stellen die nachfolgenden die Kerntruppe der allmählich steigenden Empirie der deutschen Zoologie in der Folgezeit dar, die sich vor allem um die Entwicklungsgeschichte des Individuums, die Embryologie, konzentrierte. An ihr fand das phantastisch entwickelte Gedankenleben der damaligen Entwicklungstheoretiker einen realen Boden, auf den sich allmählich die nüchternen Gelehrten gerne zurückzogen, je mehr die Naturphilosophie auf Abwege geriet. Dahin gehört Ign. Döllinger (1770-1841), ein Schüler Schellings, ein mächtiger Förderer der mikroskopischen Anatomie, der Lehrer C. E. von Baers. Ferner Chr. H. Pander (1793-1865, aus Riga, später Akademiker in Petersburg), welcher die Grundlagen der mikroskopischen Paläontologie legte, im Verein mit d’Alton (1772-1840) den Atlas der vergleichenden Osteologie (1821-31) herausgab und die Lehre von der Entwicklung sämtlicher Organe aus drei Keimblättern mit Hilfe der Entwicklungsgeschichte des Hühnchens begründete. M. H. Rathke (1793-1860) hat die sorgfältigsten embryologischen Monographien seiner Zeit geliefert; klassisch geblieben sind seine Entwicklungsgeschichte der Natter, der Schildkröte, des Krokodils, des Flußkrebses, seine Studien über die Umwandlung des Kiemenskeletts innerhalb der Wirbeltierreihe.
C. E. von Baer (geb. 1792 in Estland, studiert von 1810 an in Dorpat unter Burdach, geht 1814 nach Wien und Würzburg, wendet sich hier, von der medizinischen Praxis enttäuscht, den embryologischen Studien unter Döllinger zu; von 1817 an unter Burdachs Leitung an der Anatomie in Königsberg, wurde er 1819 Professor der Naturgeschichte, siedelte 1834 nach Petersburg als Akademiker über, kehrt nach größeren Reisen in Nord-Rußland und Kaspien nach Dorpat zurück, wo er 1876 starb) zählte zu den Naturforschern von größter Vielseitigkeit der Kenntnisse und von ruhigstem Urteil. Seine archäologischen,[S. 111] linguistischen, geographischen, anthropologischen Arbeiten haben für uns ganz aus dem Spiel zu bleiben. Er griff das von seinem Freunde Pander bald verlassene Gebiet der Entwicklungsgeschichte des Hühnchens auf und erweiterte es in der Folgezeit zu der der Tiere überhaupt, der grundlegenden Monographie der Embryologie (1828-37). 1827 spielte ihm der Zufall die Entdeckung des menschlichen Eies in die Hände. In Sachen des Streites um die Präformation nimmt er eine vermittelnde Stellung ein, da er die erste Entstehung als einen Umbildungsprozeß deutet. In der Auffassung von der Zeugung als einem „Wachstum über das Individuum hinaus“, und daß die Wesenheit der zeugenden Tierform die Entwicklung der Frucht beherrsche, stellt er sich auf Aristotelischen Boden. Im Anschluß an Cuviers Typenlehre betont er das frühzeitige Auftreten der typischen Unterschiede und die gegenseitigen Lagebeziehungen der Organe. Auch führt ihn dies zur Annahme verschiedener Ausbildungsgrade des Typus, wodurch z. B. die Vögel höher organisiert sind als der Mensch. Auch dem biogenetischen Grundgesetz gegenüber hat v. Baer sich in vorsichtiger Reserve gehalten und bestritten, daß die Embryonen höherer Tiere in ihrer Entwicklung bekannte bleibende Tierformen durchliefen. Auch zahlreiche Arbeiten über Wirbellose und deren Anatomie zeugen von Baers weitem Blick und von dem Ebenmaß in seiner Devise: „Beobachtung und Reflexion“.
Neben Baer ist der imposanteste deutsche Zoologe Johannes Müller (geb. 1801 in Koblenz, studierte er in Bonn, habilitierte sich 1824 daselbst nach kurzem Aufenthalt in Berlin, 1826 Professor daselbst, kam nach Rudolphis Tode 1833 als Anatom und Physiologe nach Berlin, starb 1858). Je mehr die Sterne der Naturphilosophie und ihre Gründungen erloschen, um so mehr begann Joh. Müller die führende Persönlichkeit in unserem Fache zu werden. Aus der Schule[S. 112] der Naturphilosophen hervorgegangen, kämpfte er zeitlebens gegen die übertriebene Spekulation und erntete die reiche Frucht, die eines philosophisch geschulten Empirikers zu harren pflegt. Daher enthielt er sich der Einmischung in die große theoretische Abrechnung zwischen Cuvier und Geoffroy, und suchte in der Ausdehnung der Studien auf das Erforschbare Ersatz. Er legte den Grund zu einer Sammlung von über 20000 Präparaten in der Art des Hunterschen Museums, die jedoch später aufgeteilt worden ist, suchte überall mit schärfster Methodik die Klassifikation durch Anatomie zu stützen. Wenn dabei manche früher hochgeschätzte Verallgemeinerung nicht standhielt (Ganoiden, Schreivögel), so sind doch hinwiederum manche von größerer Dauer gewesen, weil er durch einen staunenerregenden Überblick über die Tierwelt zu weitester Verknüpfung der beobachteten Erscheinungen befähigt war. Sein Meisterwerk ist die Monographie der Myxinoiden (1835-1845), welche die bedeutendste Monographie auf dem Gebiete der vergleichenden Anatomie geblieben ist, weil Müller die Erkenntnis der typischen Bedeutung der Fische für die Wirbeltiere nicht nur in ihr niedergelegt hat, sondern auch durch weitere Untersuchungen, eigene und solche seiner Schüler, erhärtet hat. Nicht nur verdankt jedes Gebiet der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere Müller nachhaltige Förderung, sondern auch die Kenntnis der Wirbellosen (Aufstellung der Gruppe Radiolarien, Entwicklungsgeschichte der Echinodermen, der Würmer, Auge, Gehörorgan der Insekten usw.). In der zoologischen Systematik freilich lehnte sich Müller wie in der vergleichend-anatomischen an Cuvier an, in der physiologischen an Haller und die französischen Physiologen. Bei seinen übermäßig ausgedehnten Spezialuntersuchungen vernachlässigte er die oberste Gliederung seines Stoffes und schlug dadurch eine für Deutschland um die Mitte des 19. Jahrhunderts fatale Richtung ein.
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Neben Joh. Müller stehen als Zootomen an erster Stelle H. Stannius (1808-1883) und C. Th. von Siebold (1804 bis 1885); jener als Verfasser des gebräuchlichsten und zuverlässigsten Lehrbuches der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere (1846), sowie zahlreicher zootomischer Abhandlungen von größter Exaktheit; dieser, der Sproß einer bedeutenden Gelehrtenfamilie, der von 1853 ab in München eine überaus fruchtbare Tätigkeit entfaltete, nachdem er 1848 zum ersten Male die vergleichende Anatomie der Wirbellosen dargestellt hatte. Die Hauptverdienste erwarb sich indes Siebold um die Kenntnis der Parthenogenese sowie um die Helminthologie, die sich nach mächtigen Impulsen von Rudolphi um die Mitte des Jahrhunderts zum bedeutendsten Zweig der medizinischen Zoologie auszuwachsen begann. In dieser Linie steht an Siebolds Seite vor allem Rud. Leuckart (1822-1898, von 1850 an Professor in Gießen, von 1869 an in Leipzig), der die Gebiete der Zeugungsphysiologie, der Helminthologie, der Systematik und Anatomie der Wirbellosen durch eine große Fülle exakter Arbeiten förderte. Klassisch sind seine Schriften über die Blasenwürmer (1856) und die Trichine (1860) geworden, sowie Leuckarts zusammenfassendes Werk über die Parasiten des Menschen (1. Aufl. 1863-76), womit er diesem praktisch wichtigen Gebiet die vollkommenste systematische Darstellung angedeihen ließ und auch seine theoretische Bedeutung hervorhob. Wie kaum ein anderer akademischer Lehrer schulte Leuckart in seinem Laboratorium auswärtige Zoologen nach deutscher Methode, und verschaffte damit der herrschenden deutschen Zoologie die größte Anerkennung über den ganzen Erdkreis zu einer Zeit, da die Zoologie erst begann, Gemeingut auch der erst in die Kultur eintretenden Nationen zu werden.
C. G. Ehrenberg (1795-1876), Professor der Medizin in Berlin, bereiste mit W. Hemprich die Nilländer (1820-26), später mit A. von Humboldt Asien bis zum Altai (1829). Daneben galten seine Studien besonders den Infusorien, für die er das auch mit Illustrationen reich ausgestattete bedeutendste Werk in der ersten Hälfte des Jahrhunderts (1838) verfaßte. Seine Auffassung, daß die Infusorien nach Art der höheren Tiere Organe hätten, hielt dem Fortschritt der Protozoenforschung nicht stand.
Ein gewisses Bindeglied zwischen der französischen und der deutschen Zoologie bildete Karl Vogt (1817-95). In Gießen aufgewachsen, schloß er sich später Agassiz an und schrieb für ihn die Naturgeschichte der Süßwasserfische, ferner eine wertvolle Entwicklungsgeschichte der Geburtshelferkröte (1892). Mit seinen[S. 114] physiologischen Briefen betrat er 1845 die Bahn populärer Darstellung, die er zeitlebens festhielt, und die in ihm einen geistreichen und humoristischen Vertreter fand, namentlich vor und in der Periode des Darwinismus, wo seine Zoologischen Briefe (1851), die Tierstaaten (1851), Köhlerglaube und Wissenschaft (1855) und die Vorlesungen über den Menschen (1863) die Stimmung auf deutschem Boden vorbereiteten und heben halfen. Ursprünglich Cuvierist, nahm er später im Lager des Darwinimus eine erste Stelle ein, um jedoch dann eigene Wege zu gehen und namentlich an der polyphyletischen Deszendenz festzuhalten. 1852 wurde er Professor der Zoologie in Genf und starb daselbst 1895, nachdem er 1885-94 ein originell angelegtes Lehrbuch der praktischen vergleichenden Anatomie in Gemeinschaft mit E. Yung, seinem Nachfolger im Amt, herausgegeben hatte. Ebenfalls vorwiegend Popularisator der Zoologie war H. Burmeister (1807-1892). Nachdem er 1837 Professor in Halle und 1852 in Breslau geworden, begann er Reisen in Südamerika zu unternehmen, gründete 1861 das Museum in Buenos Aires. Er entfaltete eine reiche schriftstellerische Tätigkeit. Neben zahlreichen Arbeiten über südamerikanische lebende und ausgestorbene Tierwelt, ferner über Insekten suchte er im Sinne von Humboldts Kosmos die Schöpfungsgeschichte der Erde darzustellen (1851). Den folgenden Autoren nähert er sich durch seine Zoonomischen Briefe (1856). In ähnlicher Weise, wie Burmeister nach Argentinien, verpflanzte R. A. Philippi (1808-1904) sie nach Chile, wohin er 1850 übergesiedelt war.
Mit den umfassendsten Kenntnissen verband ein großes Talent zur Systembildung G. Bronn (1800-1862). Nachdem er sich besonders der Paläontologie gewidmet hatte, wurde er 1833 Professor der Zoologie in Heidelberg. Der erste Paläontologe in Deutschland zu seiner Zeit, kannte er den ganzen damals bekannten Reichtum der erloschenen organischen Natur und pflegte daneben die Zoologie der lebenden Organismen. Seine von der Pariser Akademie preisgekrönte Schrift über die Entwicklungsgesetze der organischen Natur (1854) und seine morphologischen Studien über die Gestaltungsgesetze (1858) gehören zu den wichtigsten Vorarbeiten, auf denen Haeckel fußte. Er übersetzte zuerst Darwins Entstehung der Arten, wenn auch mangelhaft, und schuf in seinen Klassen und Ordnungen (begonnen 1859) die erste große Zusammenfassung der zoologischen Systematik nach Cuvier.
In der geistigen Signatur Bronn am ähnlichsten, aber mit Ausdehnung nach anderen Richtungen steht J. V. Carus[S. 115] da (1823-1903, von 1853 an Professor in Leipzig). In einer Bildungssphäre aufgewachsen, der ja auch C. G. Carus entstammte, entfaltete V. Carus früh außergewöhnliche Talente. Nach seinen Studien unter Siebold und Kölliker knüpfte er in Oxford die Beziehungen an, die ihn später zu einem der wichtigsten Bindeglieder zwischen deutscher und englischer Zoologie machten (Übersetzung von Darwins, Lewes’ und Spencers Werken, Vertretung von Professor Wyville Thompson während der Challenger-Expedition). Neben einigen Arbeiten über Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Wirbellosen ist das erste größere Werk von V. Carus ein System der tierischen Morphologie (1853), das neben einer bemerkenswerten Betonung der Induktion und unter kritischer Auseinandersetzung mit Comte, Mill und Lotze zwar gewisser Grundlagen entbehrt, aber dennoch zu den besten biologisch-systematischen Versuchen des Jahrhunderts gehört. Zeitweise Bibliothekar, ist er der bedeutendste Bibliograph für unsere Wissenschaft geworden. 1846 begann er schon die Bibliotheca zoologica herauszugeben, begründete 1878 den Zoologischen Anzeiger, schuf den Prodromus faunae mediterraneae (1893) und machte sich besonders bei der Feststellung der internationalen Nomenklatur und um die Gründung der deutschen zoologischen Gesellschaft (1890) verdient. Seine Tätigkeit hat wohl ihren zeitlichen Schwerpunkt in der Periode des Darwinismus, ist aber so universeller Natur und setzt so früh ein, daß V. Carus nicht zu den von Darwin und Haeckel wesentlich beeinflußten Forschern zu zählen ist. Seiner Geschichte der Zoologie 1873 wird an anderer Stelle gedacht.
Es ist wohl begreiflich, wenn die Naturphilosophie auch noch in dem sonst ruhigeren Wasser der Klassifikation, das durch Linné und Cuvier hinreichend eingedämmt war, Wellen schlug. Der[S. 116] Carusschen Klassifikation wurde bereits oben als einer typischen gedacht. J. Hermann (1738-1800) trat für netzförmige Verwandtschaft der Lebewesen ein. Rudolphi versuchte ein System der Tierwelt auf das Nervensystem zu begründen, S. Voigt (1817) auf die Hartgebilde, Schweigger (1820) auf die Atmungsorgane, Wilbrand (1814) auf das Blut, Ehrenberg wiederum auf das Nervensystem, Goldfuß spaltete das Tierreich nach den Organsystemen des Menschen, Mac Leay (Engländer) begründete ein System auf die Fünfzahl, ebenso Joh. Jac. Kaup; P. J. van Beneden und C. Vogt auf das Verhältnis des Dotters zum Embryo. Unter diesen Umständen tat das Cuviersche System der vier Typen immer noch die besten Dienste. Außerdem machte der spezielle Ausbau der Klassifikation insofern die wichtigsten Fortschritte nach den niederen Wirbellosen hin, indem Siebold die Protozoen und Leuckart die Zölenteraten absonderten.
Sodann sei hier der Synopsis von Leunis (1802-73) gedacht, eines höchst zweckmäßigen Bestimmungs- und Nachschlagebuches für klassifikatorische Zwecke.
Dieser Periode gehört auch vor allem als der beste Popularisator der Zoologie an Alfred Brehm (1829-84). Als Sohn eines bereits um die Ornithologie hochverdienten Mannes (C. L. Brehm aus Schönau bei Gotha, 1787-1864) unternahm er wiederholt Reisen in Oberägypten und Abessinien, deren Resultate er auch in besonderen Schilderungen niederlegte. 1876-79 erschien sein Tierleben, womit er in den weitesten Kreisen Sinn für die ökologische Seite der Tierwelt verbreitete.
Eine durchaus selbständige Stellung nimmt Ludwig Rütimeyer ein. Geboren 1825 im Kanton Bern, widmete er sich theologischen und später medizinischen Studien, nach deren Abschluß er Studienreisen nach Frankreich, England und Italien antrat; von 1855 ab Professor der Zoologie in Basel, starb er daselbst 1895. Rütimeyer wandte die Schulung des Pariser Pflanzengartens und der englischen Museen auf Stoffe an, die ihm teils diese stets wieder von ihm besuchten Stätten, teils sein Heimatland darbot. Lange Zeit geologische, anthropologische, geographische Studien neben den zoologischen betreibend, besaß er die Vorbedingungen zu klassischer Bearbeitung der Grenzgebiete. 1861 erschien seine Fauna der[S. 117] Pfahlbauten, über 20 Jahre dehnt sich die Veröffentlichung seiner umfangreichen Studien über die Naturgeschichte der lebenden und fossilen Huftiere aus, die zu den sorgfältigsten und überzeugendsten phylogenetischen Spezialarbeiten über große Formenreihen von Wirbeltieren gehören. Die geschichtlich bedeutungsvollste Schrift Rütimeyers (Die Herkunft unserer Tierwelt 1867) verknüpft die Stammesgeschichte der höheren Landtiere und Verbreitungsgeschichte derselben zu einem einheitlichen Gesamtbild, das für die Verbindung und Wertung der verschiedenen Urkunden der Tiergeschichte vorbildlich ist. Gegenüber dem Darwinismus hat Rütimeyer einem vorsichtigen, die Unvollkommenheit der einschlägigen Materialen kritisch beurteilenden, evolutionistischen Standpunkt gehuldigt, der am meisten an denjenigen C. E. von Baers erinnert und wie er selbst ihn schon im Anschluß an Is. Geoffroy vor dem Erscheinen der „Entstehung der Arten“ eingenommen hatte.
Die vergleichende Anatomie vertrat in der darwinistischen Periode in Deutschland besonders Karl Gegenbaur (1826 bis 1903, ein Schüler der Würzburger medizinischen Schule in ihrer Glanzzeit, doktoriert 1851, nach mehrfachen Studienreisen an die Meeresküste 1854 Privatdozent, von 1855-73 Professor in Jena, dann in Heidelberg). Gegenbaur ist, auf streng empirischer Grundlage bleibend, im Anschluß an Joh. Müller und H. Rathke als Fortsetzer der vergleichenden Anatomie in einer Zeit zu bezeichnen, die dieser Wissenschaft nicht mehr günstig war. Seine Arbeiten erstrecken sich über die Wirbellosen, namentlich die niederen marinen Metazoen, sowie über die meisten Gebiete der Wirbeltieranatomie mit Einschluß des Menschen. 1859 erschienen seine Grundzüge der vergleichenden Anatomie, aus denen sich allmählich immer umfangreichere Gesamtdarstellungen entwickelten. In zahlreichen Aufsätzen, insbesondere in dem von ihm 1876 begründeten „Morphologischen[S. 118] Jahrbuch“ behandelte er einzelne Probleme der Morphologie. Auf dem Gebiet der Wirbeltiere beschäftigten ihn zunächst histogenetische Fragen, bald aber wandte er sich dem Problem des Wirbeltierkopfes und der Schädeltheorie zu, der er im Anschluß an R. Owen und Huxley und insbesondere auf Grund der Studien über das Kopfskelett der Selachier neue, der Entwicklungslehre entsprechende Formen zu geben anfing. Seine umfassendste Untersuchungsreihe betraf das Extremitätenskelett. Außer auf diesen Arbeitsgebieten nahm er jedoch an allen Punkten die vergleichende Anatomie in Angriff. Als Begründer der größten Schule auf dem Gebiete der Morphologie und in lebhaftem Gedankenaustausch mit seinen Schülern gewann er die ausgedehnteste Übersicht über das Gesamtgebiet dieser Wissenschaft, wie er sie in seiner 1898-1901 erschienenen „Vergleichenden Anatomie“ im Geiste der Entwicklungslehre mit mächtiger Hand zusammenfaßte.
Als Zoologen der darwinistischen Periode sind ferner zu erwähnen: Oskar Schmidt (geb. 1823, doktorierte er 1846 zu Berlin, 1857 Professor in Graz, 1872 in Straßburg, starb 1886). Er veröffentlichte 1849 ein Handbuch der vergleichenden Anatomie, das in mehrfachen Auflagen erschien, schrieb eine große Anzahl von Schriften über Anatomie, Entwicklung, Verbreitung der Wirbellosen, insbesondere der Spongien. An den politischen und sozialen Kämpfen seiner Zeit nahm er regen Anteil und betätigte sich auf vielen Berührungspunkten seiner Wissenschaft mit Fragen allgemeinerer Art im Sinne des deutschen Darwinismus. C. Claus (1835-1899, von 1860 ab Professor der Zoologie in Würzburg, Marburg, Göttingen, Wien) machte sich durch Spezialarbeiten über Zölenteraten und Krustazeen verdient. Seinen Grundzügen der Zoologie (1866) und dem Lehrbuch der Zoologie (1880) folgten weitere Auflagen, die sich namentlich durch ebenmäßige Beherrschung des Stoffes und große Vorsicht gegenüber den unabgeklärten Situationen der damaligen Naturphilosophie auszeichneten.
K. Semper (1832-93) bereiste nach Absolvierung zoologischer Studien 1859-64 die Philippinen, versah von 1868 an die Professur der Zoologie in Würzburg. Die Resultate seiner Reisen veröffentlichte er in groß angelegten Reisewerken, auf theoretischem[S. 119] Gebiete machte er sich in einer nicht eben glücklichen Polemik gegen Haeckel Luft.
Ein Ehrenplatz in der Geschichte der neueren deutschen Zoologie gebührt K. A. von Zittel, obschon sein Schwergewicht an das Grenzgebiet nach der Geologie hin fällt. Er wurde geboren 1839 zu Bahlingen im Kaiserstuhl, war Schüler Bronns und doktorierte in Heidelberg 1860, nach Studien in Wien Professor der Geologie und Mineralogie am Karlsruher Polytechnikum, kam als Oppels Nachfolger 1866 nach München, wo er Paläontologie lehrte und das Museum zu einem der ersten in Europa umgestaltete und mehrte, starb daselbst 1904. Von 1876 an begann von Zittel mit der Publikation seines Handbuchs der Paläontologie, das, 1893 in fünf Bänden abgeschlossen, den ersten umfassenden Versuch einer systematischen Bearbeitung des paläontologischen Stoffes vorstellt. Die Paläontologie der Spongien hat er geradezu geschaffen. Er stand auf deszendenztheoretischem Standpunkt, ohne indes die Lücken der Paläontologie bedeutungslos erscheinen zu lassen. Zu seinem weiten Schülerkreise zählen die hervorragendsten Paläontologen des Auslandes, namentlich Nordamerikas in der Gegenwart. v. Zittel hat auch in seiner musterhaften Art die Geschichte der Geologie und Paläontologie bis Ende des 19. Jahrhunderts behandelt (1899) und damit vielfach einen Teil der Geschichte der Zoologie berührt.
Einen entscheidenden Wendepunkt für die Zoologie (und die Botanik) bildete die Formulierung der Zellenlehre. Die Gewebe galten seit dem Altertum als Elementarbestandteile. Einen neuen Aufschwung hatte die Gewebelehre durch X. Bichat (1771-1802) erhalten, für die Zoologie war sie indes bisher wenig fruchtbar geblieben. Anderseits kannte man Zellen, seit Hooke in seiner Monographie (1667) die des[S. 120] Korkes beschrieben hatte, aber man verstand nicht ihre grundsätzliche Bedeutung. Sodann existierte in der Naturphilosophie schon längst theoretisch das Postulat, es müßten kleinste Lebenseinheiten existieren, ob man sie sich nun als organische Moleküle (Buffon) oder als Bläschen (Oken) dachte. Der Botaniker Schleiden (1804-1881), der eine gesunde, auf Induktion begründete Empirie vertrat, und der belgische Zoologe Schwann (1810-1882), letzterer in seinen „Mikroskopischen Untersuchungen über die Übereinstimmung in der Struktur und dem Wachstum der Tiere und Pflanzen“ (Berlin 1839), sind als die Begründer der Zellenlehre zu bezeichnen. Sie wurde später durch die Protoplasmatheorie M. Schultzes (1860) ersetzt, welcher im Anschluß an F. Dujardin im Urschleim oder Protoplasma den Träger des Lebens erkannte. Hauptsächlich R. Remak (1815-1865) suchte mit Hilfe der neuen Lehre die embryonale Entwicklung zu durchleuchten und ist als eigentlicher Begründer der Histogenie zu betrachten. Auch gebührt ihm das Verdienst, in ausgiebiger Weise die Hilfsmittel der Chemie in den Dienst der Entwicklungsgeschichte gestellt zu haben. So erfuhr denn die Lehre von den Geweben, die Histologie (die Bezeichnung stammt von F. J. R. Mayer, 1819), eine Erweiterung zur Lehre von den Zellen (Zytologie). Dadurch aber wurde die Einheit von Bau und Entwicklung der Organismen mit einer realen Unterlage versehen, wo früher die Spekulation allein nach ihr gesucht hatte. Ein großer Teil der Bemühungen der späteren Zoologie, insbesondere in Deutschland, war nun darauf gerichtet, den Nachweis dieser Einheit von Bau und Entwicklung durch das ganze Tierreich durchzuführen. Der Ausbildung dieses Zweiges der Zoologie entsprach die Vermehrung und Bereicherung der technischen Hilfsmittel: des Mikroskops, der Härtung, des Färbens, des Schneidens, der Rekonstruktion.
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Die hauptsächlichsten Etappen des Entwicklungsganges sind durch folgende Punkte bezeichnet:
1. Mikroskop: G. B. Amici (Professor der Physik in Florenz) erfindet das aplanatische Mikroskop (1827), nachdem die Gebrüder Chevalier in Paris bereits achromatische Objektivsysteme hergestellt hatten. Derselbe Amici erfindet 1850 die Immersion. Die 1846 gegründete Firma Zeiß in Jena beginnt mit Hilfe eines theoretisch vorgebildeten Physikers, E. Abbes, 1866 das Mikroskop auf die gegenwärtig erreichte Höhe zu bringen. 2. Härtung: Chromsäure wurde seit Anfang des Jahrhunderts verwendet, um Härtung des Nervensystems zu erzielen. Die eigentliche Härtungstechnik ist wohl hauptsächlich R. Remak zu verdanken. Von den späteren Entwicklungsmomenten derselben ist wohl der wichtigste die Einführung der Osmiumsäure durch Fr. E. Schulze 1865. 3. Färbung: 1849 begann Hartig karminsaures Ammoniak anzuwenden, 1863 führte Waldeyer das Hämatoxylin ein, 1862 Benecke die Anilinfarben, 1881 Ehrlich die vitale Färbung mit Methylenblau. 4. Während schon die älteren Autoren Einzelabschnitte zarter Gewebe nach Härtung anfertigten, war es 1842 Stilling, der die Vorteile der Schnittserien erkannte; an Stelle des früher üblichen Valentinschen Doppelmessers empfahl V. Hensen 1866 einen Querschnitter und 1870 His das Mikrotom. 5. Von demselben Anatomen wurde schon in den 70er Jahren die Plattenrekonstruktionstechnik erfunden, deren Verbesserung in den 80er Jahren das Verdienst von G. Born und H. Strasser ist.
Die zootomische Richtung Deutschlands in dieser Periode besaß einen Prototypus, der auch noch die ganze letzte Periode miterlebte, in Albert von Koelliker (1817-1906, geb. in Zürich, von 1846 an Professor in Würzburg für Anatomie). Kaum war die Zellenlehre durch Schleiden und Schwann begründet worden, so vertrat Koelliker schon 1844 die Lehre von der Zellnatur des Eies und trat mit in die erste Reihe der vergleichend arbeitenden Histologen, ohne indes den Zusammenhang mit der Anatomie und Physiologie zu verlieren. Er suchte tatsächlich sich die Gewebe des ganzen Tierreichs durch eigene Anschauung zugänglich zu machen, ebenso die Entwicklungsgeschichte und bereicherte dabei diese Disziplinen nicht nur durch eine Überfülle von Spezialarbeiten, sondern[S. 122] auch durch lange Zeit mustergültige Lehrbücher (Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Tiere 1861 und Gewebelehre, 1. Aufl. 1852, 4. Aufl. 1889 begonnen). Mit v. Siebold schuf er die Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 1847 und betätigte sich überhaupt in hervorragender Weise an der Organisation und öffentlichen Vertretung unserer Wissenschaft. Seine erstaunliche Frische ließ ihn noch in hohem Alter einem Gebiete, das der histologischen Behandlung am längsten Widerstand geleistet hatte, der Histologie des Nervensystems, seine Gestalt geben helfen. Von hoher theoretischer Bedeutung ist seine Deutung der Deszendenzlehre geworden, wonach wir die Entstehung der Arten uns durch „sprungweise Entwicklung“, etwa analog den Formverwandlungen beim Generationswechsel, zu denken hätten, womit er an Et. Geoffroy anschließt.
So hatte sich also allmählich nach dem gewaltigen Aufschwung der Spekulation und der Bildung allgemeiner, meist jedoch nicht dem Studium der belebten Natur selbst entwachsener Systeme wieder eine streng zootomische Richtung mit starkem Akzent auf der physiologischen Deutung ausgebildet. Die mikroskopische Anatomie zerlegte sich in Entwicklungsgeschichte und Histologie und erstreckte sich auch immer mehr auf die Wirbellosen. Cuviersche Traditionen wirkten mächtig ein und trugen den Sieg auch über die jüngeren naturphilosophischen Bestrebungen davon, die sich später als fruchtbar erwiesen. Die gesamte Zootomie löste sich entsprechend dem Charakter des deutschen Wissenschaftsbetriebes und der mangelnden Zentralisation ab von der Zoographie. Verbanden auch viele Autoren beides, so konzentrierte sich bei dem Mangel an universal bedeutenden Museen die Wissenschaft immer mehr in die zahlreicher werdenden Laboratorien. Der von Albr. von Haller inaugurierte Laboratoriumsunterricht hatte reichliche Gelegenheit zur Entfaltung auch bei bescheidenen Mitteln, solange Histologie und Entwicklungsgeschichte an den zugänglichsten[S. 123] Objekten betätigt werden konnten. Im Jahre 1826 erstattet Heusinger Bericht über seine zootomische Anstalt, 1837 besaß bereits Rostock ein Laboratorium unter Stannius. Vielfach kam auch die Personalunion von Anatomie, Physiologie und Zoologie in der Hand eines Lehrers dem Blühen des zoologischen Unterrichts und der Forschung zugute.
Die englische Zoologie hielt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewiesene Bahnen ein. In der Zoographie dominierte Linné, in der Zootomie herrschten die im 17. Jahrhundert geschaffenen Formen und wurden wesentlich durch John Hunter vertreten. Ausgedehnte Reisen trugen dazu bei, den Bestand an Tierformen zu vermehren und die meist noch privaten Sammlungen anzuhäufen. Doch beginnt ein planmäßiges Sammeln und Konservieren von Museumsobjekten erst etwa vom zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts ab. Von da an beginnen die Engländer die großen Sammlungen anzulegen, durch die sie nach und nach alle anderen Museen in Schatten stellen und sogar das Pariser Museum überholen. Tritt daher die englische Zoologie weniger mit Worten als mit der Tat auf den Plan, so wird verständlich, wie sie bei weniger großer Literaturproduktion als die französische und weniger hohem spekulativen Flug als die deutsche Zoologie sich rüstete, zur Herrschaft zu gelangen und mehr als das, mit der Ausbildung der politischen Weltherrschaft Englands auch die unserer Wissenschaft nach englischem Schnitt zu etablieren. Die Wirkungen der englischen Zoologie sind[S. 124] äußerst schwierig festzustellen, weil es vielfach am literarischen Niederschlag für sie gebricht. Treten auch von Hunter bis zu Owen keine wissenschaftlich stark ausgeprägten Persönlichkeiten hervor, so wäre es völlig irrig, diesen Zeitraum für einen unfruchtbareren zu halten, als etwa das 18. Jahrhundert. Weitere Schwierigkeiten für die Beurteilung der englischen Zoologie ergeben sich daraus, daß die zoologischen Interessen weit weniger isoliert und im Bussonschen Sinne verbunden mit solchen der allgemeinen Naturgeschichte auftreten, oder sich dann wieder an die äußerste Spezialität des Liebhabers und Sammlers und Züchters binden.
Zu Beginn der englischen Zoologie dieser Periode ist ein Mann zu nennen, der, obschon weder im Sinne damaliger Zeit, noch in dem der Gegenwart als Zoologe zu bezeichnen und dennoch für die Geschichte der Zoologie von größter Bedeutung geworden ist: Erasmus Darwin. Geboren 1731 als Glied einer naturwissenschaftlich angeregten Familie, studierte er Medizin und doktorierte zu Cambridge 1755. Er begann eine Praxis in Nottingham, setzte seine medizinische Tätigkeit in Lichfield, später in Derby fort. Er galt als Freidenker und war als geistvoller, humanitär gesinnter Mann in England hoch angesehen. Seiner Liebhaberei für Gartenbau und seinen pantheistischen Neigungen entsprangen seine botanisch-ökonomischen Lehrgedichte. Sein Hauptwerk ist jedoch die vierbändige Zoonomia, welche 1794-1796 entstand und ins Französische und Deutsche übersetzt wurde. Er. Darwin starb 1802. Wie hoch er schon früh bewertet wurde, zeigt die Würdigung seitens Cuviers, der ihn den Neu-Stahlianern und Vitalisten einreiht. Erasmus Darwin bewegten alle die Probleme, die später sein Enkel behandelte. Er suchte eine Theorie der Entwicklung der Lebewelt aufzustellen, doch nimmt er innere Ursachen als die treibenden für die Entstehung neuer Lebewesen an, denen allerdings der Kampf[S. 125] ums Dasein und Überleben des Passendsten zu Hilfe kommen. Er erörtert die anatomische Übereinstimmung großer Formenkreise und gelangt zur Annahme gemeinsamer Abstammung derselben. Liebe, Hunger und Sicherung der Existenz sind die Triebe, die das Leben beherrschen. Die Formen der gezüchteten Rassen, insektenfressende Pflanzen, Anpassung der Insekten an die Honigblüten, rudimentäre Organe, Schutz- und Trutzmittel der Pflanzen, der Ausdruck der Gemütsbewegungen des Menschen, all das sind Themata, die nach dem Stand damaligen Wissens und aus einem tiefen Naturempfinden von Erasmus Darwin seinem Weltbild eingegliedert wurden und in ihm eine ähnliche Rolle spielten, wie in dem des Enkels. Erasmus Darwin ist eine Parallelerscheinung zu dem großen Entwicklungspoeten Goethe auf englischem Boden.
Als der umfassendste und wirkungsvollste Zootom Englands im 19. Jahrhundert ragt Richard Owen hervor (1804-1892). Nach anatomischen und medizinischen Studien in Edinburg unter Al. Monro III. und Barclay wurde er Assistent von W. Clift, dem letzten Assistenten John Hunters, begab sich zu Studien unter Cuvier und Et. Geoffroy nach Paris, wurde 1842 unter der Leitung Clifts Konservator am „Kollegium der Wundärzte“. Von 1856 ab nahm er eine leitende Stellung an der naturhistorischen Abteilung des British Museum ein, für die er das neue Heim erkämpfte. Im 80. Jahre zog er sich von der Leitung des Museums zurück. Owens erstaunliche Produktivität erstreckte sich über die Anatomie lebender und fossiler, einheimischer und fremder Lebewesen in gleichem Maße. Er selbst suchte sein Schwergewicht weniger nach der klassifikatorischen Seite, wo er mit seinen Verallgemeinerungen wenig Glück hatte und Irrtümer mit größter Zähigkeit festhielt, als nach der deskriptiven Zootomie und der vergleichenden Anatomie hin. Hier verdanken wir ihm die Beschreibung aller seltenen Typen des Britischen Kolonialreiches, z. B. der Beuteltiere, der Moas, der Apteryx, der Gruppe der Theromorphen usw. Den vier Quartbänden[S. 126] von Präparaten der Hunterschen Sammlung (1833-1840) ließ er seine Odontographie folgen (1840-1845), die umfassendste Darstellung der Zähne und ihrer Struktur. Der Grundplan des Wirbeltierskeletts (1848) und die Natur der Extremitäten (1849) ließen ihn Ansichten zum Ausdruck bringen, die in der Richtung Okens und Et. Geoffroys lagen. In ihnen trennte er auch den alten Aristotelischen Begriff der Homologie in die physiologische Homologie oder Analogie (z. B. Flügel des Vogels und der Fledermaus) und in die morphologische, für die die Bezeichnung Homologie beibehalten wurde (z. B. Spritzloch der Wale und Nase der übrigen Säugetiere). 1843 erschienen Owens Vorlesungen über vergleichende Anatomie, 1866-1867 seine Anatomie und Physiologie der Wirbeltiere, die umfassendste vergleichende Anatomie nach Cuvier und Meckel. Daß er den Menschen nach zoologischen Gesichtspunkten betrachtet wissen wollte, bewies er durch Eröffnung einer Galerie für physische Ethnologie am Hunterschen Museum. In gewissem Sinne nahm er einen Fortschritt der Artbildung an, sprach sich aber nicht nur sehr vorsichtig über dieses Problem aus, sondern verwarf die Selektionstheorie vollständig und suchte der Eigenart des Menschen in anatomischer Hinsicht ein größeres Gewicht beizulegen, als wir es heute tun. Unter allen Umständen bleibt ihm das Verdienst, die vergleichende Anatomie der präevolutionistischen Periode im größten Stile abgeschlossen und den Ruhm der Hunterschen Sammlung als der ersten der Welt dauernd gesichert zu haben.
Neben Owen ist vor allem J. E. Gray (1800-1875) als ein Förderer der englischen Zoologie hervorzuheben. Er veröffentlichte eine große Zahl zoologischer Monographien, bearbeitete unter anderen Materialien auch die des Erebus und Terror und baute hauptsächlich die Entomologie aus. 1840 wurde er Vorstand der zoologischen Abteilung am Britischen[S. 127] Museum, und schon 1852 war die ihm unterstellte Sammlung als die größte Europas anerkannt. Er selbst schrieb mehrere Bände der musterhaften Kataloge des Museums und arbeitete unermüdlich in den Bahnen der Linné-Cuvierschen Zoographie fort. Gray sah im Darwinismus lediglich eine Wiederholung des Lamarckismus. 1875 nach seinem Tode nahm A. Günther (geb. 1833) die Stellung Grays am Britischen Museum ein, nachdem er seit 1858 Gray unterstützt und 1865 den Zoological Record begründet hatte. Günther erwarb sich, abgesehen von der Organisation der zoologischen Abteilung des Britischen Museums, besondere Verdienste um unsere Kenntnis der niederen Wirbeltiere; 1880 erschien seine Einführung ins Studium der Fische.
Als hauptsächlicher Vertreter der modernen Embryologie in England hat zu gelten Fr. Balfour (1851-82, von 76 ab Professor in Cambridge). Er bearbeitete insbesondere die Entwicklungsgeschichte der Selachier, die für einige Zeit das klassische Material der Vertebratenembryologie wurden, und gab ein vortreffliches Handbuch der Embryologie heraus (1881).
In Owens Fußtapfen trat William Flower (1831 bis 1899). 1861-1884 verwaltete und mehrte er die Huntersche Sammlung als deren Kurator, 1884 trat er die Direktion des Naturhistorischen Museums an, die er bis 1898 versah. Seine Arbeiten gelten insbesondere der Zoologie und vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere. Daneben liegt sein Hauptverdienst auf der Entwicklung neuer Grundsätze für die Einrichtung von Museen, die er in einem besonderen Werk (Essays on Museums 1898) niederlegte. Sein Prinzip, Schausammlungen und Sammlungen des wissenschaftlichen Unterrichts zu trennen, fand allgemeine Anerkennung.
Eine eigentümliche Stellung nahm G. J. Mivart (1827 bis 1900) in der englischen Zoologie ein. Zum Katholizismus übergetreten, wurde er 1862 Professor am Marienhospital[S. 128] und blieb in dieser Stellung bis 1884. 1890-1893 las er Philosophie der Naturgeschichte an der Löwener Universität, zog sich aber nach Differenzen mit seiner Kirche wieder nach London zurück. Mivart hat eine große Zahl zootomischer Arbeiten geschrieben, dann sich aber hauptsächlich auf Kritik des Darwinismus verlegt und sich mit einer eigenartigen Klassifikation der Wissenschaften abgegeben. Er produzierte eine ausgedehnte polemisch-apologetische Literatur (Die Entstehung der Art, 1871; Natur und Gedanke 1882; Ursprung der Vernunft 1889; Grundlage der Wissenschaften 1894), außerdem zahlreiche typisierende und nicht strengeren Anforderungen genügende Unterrichtsbücher.
Eine ganz besondere Wendung nahm die englische Zoologie in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts durch das Auftreten von Charles Darwin, A. R. Wallace und Th. H. Huxley. Die Lehre Darwins, der Darwinismus, leitet eine Periode der Zoologiegeschichte ein, an der die Zoologie nicht immer den hauptsächlichen Anteil nimmt, von der sie aber den größten Vorteil hatte, wenn auch die treibenden Faktoren in erster Linie außerhalb der Zoologie zu suchen sind. Noch ist das ganze Ereignis in seinen Voraussetzungen so wenig durchsichtig, daß von einer kritischen Anforderungen entsprechenden Ausführung desselben keine Rede sein kann. Daher haben wir uns auch hier auf einige wenige Hauptlinien zu beschränken, die den Darwinismus und seine Entwicklung kennzeichnen mögen.
Des Großvaters von Charles Darwin, Erasmus, ist bereits oben gedacht worden. Der Gedankenkreis, in dem er lebte und den er mit zahlreichen Freunden teilte, wirkte zweifellos in seiner Umgebung fort. Wie weit der Enkel von ihm beeinflußt war, ist kaum genau festzustellen. Ch. Darwins[S. 129] Vorbereitung war nicht die eines Biologen seiner Zeit, sondern trägt den Charakter einer nicht gerade universellen Selbstbelehrung, die mehr aus der Intuition als aus der Erfahrung schöpft, mehr vielseitig tastend als kritisch zu Werke geht. Bald springt von der rein fermentativ wirkenden Person Darwins die Bewegung ab und wird zu einem allgemeinen Zeitsymptom, das des auf einen relativ engen Erfahrungskreis aufgebauten Verstandesinhaltes nicht mehr bedarf, sondern Stimmungs- und Parteisache wird, eine Parallelerscheinung zu anderen kulturellen Entwicklungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Hauptwirkungen der gesamten Erscheinung, die man als Darwinismus bezeichnet, sind auf wissenschaftlichem Gebiete etwa folgende: Es macht sich ein intensiv gesteigertes Bedürfnis nach einer dem individuellen und sozialen Leben entsprechenden Wissenschaft vom Leben geltend. Das Interesse für diese Wissenschaft wächst, je mehr sie Gemeingut der früher an ihr nicht beteiligten Kreise wird. In Verbindung damit und zugleich als Folge einer materialistischen Geschichtsphilosophie verbreitet sie sich als Bestandteil einer Weltanschauung über alle gebildeten Kreise Europas, sowie der zivilisierten Welt. Damit Hand in Hand geht eine Umgestaltung der wissenschaftlichen Biologie selbst. Sie nimmt zunächst bedeutend an Breite der Erfahrung zu und damit an Komplikation der Beziehungen ihrer einzelnen Teile unter sich und mit anderen Wissenschaften. Dann spalten sich die Wege: Eine physiologische Richtung geht auf die von alters her ventilierten Probleme vom Ursprung des Lebens, von der Vererbung, von den gegenseitigen Beziehungen der Organismen, von der Tierpsychologie zurück und knüpft vorwiegend an die von der Histologie und Embryologie geschaffenen Grundlagen an. Eine genealogische (phylogenetische) Richtung gestaltet die früher nur auf dem Wege der Logik angestrebte Ordnung[S. 130] der Lebewelt auf Grund des Gedankens um, daß die Entwicklung der Organismen als reales Faktum zu betrachten sei. Sie setzt an Stelle einer logischen eine genealogische Systematik. Sie ist das eigentlich neue und wesentliche Element, das in dieser Periode zum früheren Grundstock der Zoologie hinzukommt.
Charles Darwin war geboren zu Shrewsbury 1809, verbrachte daselbst seine Jugend und studierte an der Seite eines Bruders von 1825 ab in Edinburg. Damals las er die Zoonomie seines Großvaters und schreibt in einer Autobiographie (Gesammelte Werke, Bd. XIV) zwar dieser Lektüre keine unmittelbare Wirkung zu. „Nichtsdestoweniger ist es immerhin wahrscheinlich, daß der Umstand, daß ich früh im Leben derartige Ansichten habe aufstellen und loben hören, es begünstigt hat, daß ich dieselben in einer verschiedenen Form in meiner ‚Entstehung der Arten‘ aufrechterhalten habe. In dieser Zeit bewunderte ich die ‚Zoonomia‘ bedeutend, als ich sie aber nach einem Zeitraume von 10 oder 15 Jahren wieder las, war ich enttäuscht; das Mißverständnis zwischen der Spekulation und den mitgeteilten Tatsachen ist darin so groß.“ 1828 bezog er Christ College in Cambridge, wo er, da ihn die Anatomie und Chirurgie bleibend abgeschreckt hatte, sich zum Theologiestudium entschloß. Doch lehnte er sich an den Botaniker Henslow an, sammelte leidenschaftlich Käfer und war im Begriff, geologische Studien zu ergreifen, als Kpt. Fitzroy ihn als Naturforscher für die Reise des „Beagle“ (1831-36) anwarb. Hier eröffneten sich ihm die Probleme der Erdgeschichte und Tiergeschichte, die später Gegenstände besonderer Werke wurden. Nach längerem Aufenthalt in London zur Ausarbeitung seiner Reiseergebnisse (Korallenriffe 1842) und im Verkehr mit den bedeutendsten Männern Londons, siedelte er auf ein Landhaus in Down über, verwandte zunächst viel Zeit und Arbeit auf geologische Publikationen und trat 1846 mit der Bearbeitung der Zirripedien hervor, veranstaltete 1845 eine Neuausgabe seiner Reise eines Naturforschers. Nach der Lektüre von Malthus’ Essay on Population bildeten sich bei ihm die ersten Ansätze seiner Lehre aus, die er in zwei Niederschriften 1842 und 1844 festlegte. Auf den Rat Lyells begann er 1856 mit der Ausarbeitung, beschränkte sich aber auf die Form, in welcher die „Entstehung der Arten“ 1859 erschien, nachdem Wallace ihn 1858 von seiner gleichlautenden Theorie durch Zuschrift aus dem Malaiischen Archipel[S. 131] in Kenntnis gesetzt hatte. Die „Entstehung der Arten“ wurde am Tage der Herausgabe vergriffen. 1862 erschien die „Befruchtung der Orchideen“ und weitere botanische Schriften, 1868 das 1860 begonnene „Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation“, 1871 die „Abstammung des Menschen“, 1872 der „Ausdruck der Gemütsbewegungen“, 1876 „Über die Wirkungen der Kreuz- und Selbstbefruchtung im Pflanzenreiche“, 1880 mehrere botanische Arbeiten, 1881 die „Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer“. Charles Darwin starb 1882 und wurde in der Westminsterabtei beigesetzt.
In seiner „Entstehung der Arten“ zählt Darwin selbst eine lange Reihe von Autoren auf, die er in irgendwelcher Hinsicht als seine Vorgänger betrachtet. Die Zahl derer, die vor Darwin den Entwicklungsgedanken aussprachen, den Artbegriff kritisierten, natürliche und künstliche Zuchtwahl verglichen, hat sich noch erheblich vermehrt, seitdem man durch den Darwinschen Gedankenkreis auf ältere Äußerungen aufmerksam wurde. Man kann daher nicht von einer bewußten Fortbildung der Wissenschaft durch Darwin reden; seine Macht beruht vielmehr auf der Tiefe seiner Intuition, die sich in der Erfassung des Entwicklungsgedankens bewährte, während gerade die ins Theoretische gehende Zuchtwahllehre bald in Darwins eigenen Augen nicht leistete, was er ursprünglich glaubte.
Schon die gleichzeitig von Wallace gegebene Fassung derselben Lehre zeigt, daß sie ihre hauptsächlichen Wurzeln in der Tier- und Pflanzenzucht hatte, wie sie in England üblich, in geographischer Anschauung, wie sie den Engländern leichter zugänglich ist als anderen Nationen, endlich im englischen philosophischen Realismus, der gleichzeitig Stuart Mill und den Entwicklungsphilosophen H. Spencer erzeugte. Ein weiteres förderliches Moment waren die von Ch. Lyell (1797 bis 1875) entwickelten Prinzipien der Geologie, womit dieser die Cuviersche Katastrophentheorie beseitigt und die auch heute wirksamen geologischen Faktoren als Ursachen langsamer Umbildung[S. 132] des Erdantlitzes hinstellte. Darwins Lehre läßt sich kurz in folgende Sätze fassen[2]:
1. Die Arten, die wir bei Tieren und Pflanzen unterscheiden, sind veränderlich, nicht konstant. Sie sind aus geologisch älteren Arten durch allmähliche Umwandlung entstanden und nach Maßgabe ihrer Formähnlichkeit auch verwandt. Alle Organismen, die heute lebenden sowohl, wie die früherer Erdperioden, sind die Abkömmlinge einheitlicher Urformen des organischen Lebens. Diese Lehre bezeichnet man als Transformismus, Transformationstheorie, Deszendenztheorie, Abstammungslehre. Vor Darwin ist sie am deutlichsten von Lamarck vertreten worden. Sie bildet aber auch den Grundkern des Entwicklungsgedankens, wie Goethe und die deutsche Naturphilosophie ihn ausdrückten. Im Verlauf unserer geschichtlichen Betrachtung ist er uns mehrfach begegnet, nur dachte man sich meist im Anschluß an Plato die Entstehung der verschiedenen Urkeime als einen einmaligen Schöpfungsakt, wie er sich auch mit der Lehre von der Artkonstanz vertrug, nicht aber dachte man sich die Entwicklung der Lebewelt als eine nach heute noch wirksamen Gesetzen sich abspielende Selbstschöpfung.
2. Darwin will aber nicht nur diese Hypothesen von der Entstehung der Lebewelt aufstellen. Er will auch die Erklärung dafür geben, auf welche Weise dieser Umwandlungsprozeß der Arten vor sich gegangen sei und noch vor sich gehe. Die kausale Verkettung der Umstände, die zur Bildung neuer Arten führen, denkt sich Darwin etwa so: Wie der Tier- und Pflanzenzüchter die Eigentümlichkeit der Organismen, Variationen zu bilden, benützt und die zur Erzeugung einer Spielart geeigneten[S. 133] Individuen ausliest, so geht in der Natur unbewußt eine Auslese vonstatten. Der künstlichen Zuchtwahl entspricht eine natürliche Zuchtwahl. Die Lehre, die sich auf diese Analogie stützt, ist die Zuchtwahltheorie (Selektionstheorie). In der Natur spielt die Rolle des Züchters der Kampf ums Dasein, der aus der übergroßen Zahl der nach Entwicklung strebenden Keime die lebensfähigsten ausliest. Die individuellen Merkmale, wodurch die passenderen Individuen überleben, werden durch die Vererbung übertragen, befestigt und nach und nach zu Formeigentümlichkeiten der Art, Gattung usw. Die Anpassung des Organismus an seine Umgebung ist also lediglich eine natürliche Folge des Züchtungsprozesses durch den Kampf ums Dasein.
In bezug auf diese zweite Theorie ist zu bemerken, daß Darwin ihr nicht ausschließliche Gültigkeit beilegt; später noch weniger, als am Anfang seiner Versuche, mit Hilfe derselben die Entstehung der Art zu erklären. Er gibt zu, die Variationen erhielten ihre Qualität aus innern Ursachen. Er nimmt die geschlechtliche Zuchtwahl zu Hilfe, wonach die geschlechtlich reizenden Merkmale zu Artmerkmalen gezüchtet werden, gibt indes später zu, auch die Bedeutung dieser Zuchtwahl überschätzt zu haben. Die Prinzipien, welche Lamarck und Et. Geoffroy für die Erklärung der Umwandlung der Arten beigezogen hatten, nämlich Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe und direkten Einfluß der Umgebung auf den Organismus, verwendet er ebenfalls, gibt aber zu, daß in der Regel individuell erworbene Eigenschaften sich nicht vererben.
In bezug auf die erste Theorie muß man sich vergegenwärtigen, daß Darwin nicht über das anatomische und embryologische Wissen seiner Zeit verfügte. Hier war eine große Lücke. Er kennt das sprunghafte Auftreten mancher Variationen, mißt ihm aber nicht die Bedeutung bei, wie Et. Geoffroy[S. 134] vor und Koelliker nach ihm. Den Versuch, die Entstehung der Instinkte durch Zuchtwahl zu erklären, unterläßt er und bezeichnet ihre Ursachen als unbekannt. Endlich kann er sich noch nicht zur Annahme einer einzigen Urform des Lebens entschließen, sondern nimmt noch getrennte Typen der Tiere an. Die Entwicklung ist ihm nicht nach Art der deutschen Naturphilosophie ein Prozeß der Selbstschöpfung, sondern er denkt sie sich nach Art des englischen Realismus als eine zwangsweise erfolgte Anpassung an die Außenwelt.
Daher ist Darwin als in Hinsicht auf den Transformismus noch nicht auf dem Punkte der deutschen und französischen Naturphilosophie stehend zu bezeichnen, die diesen Einheitsgedanken konsequenter durchgeführt hatte. Mit der Selektionstheorie hat er sich genötigt gesehen, innerlich einander ausschließenden Prinzipien nebeneinander Raum zu lassen und damit auch die vermeintliche mechanische Erklärung der Entstehung der Art preiszugeben. Seiner großen Breite der Erfahrung und der beharrlichen Geduld ausgedehnten und minutiösen Beobachtens und Experimentierens mit Kulturtieren und Pflanzen entsprach weder seine Kenntnis der anatomischen und physiologischen Wissenschaft seiner Zeit, noch seine philosophische Beanlagung und Ausbildung. Die erste Wirkung der „Entstehung der Arten“ war begeisterte Zustimmung von Lyell, Huxley, Hooker und Asa Gray (Botaniker), W. B. Carpenter (Physiologe). Diese Forscher warfen in geschlossenem Vorgehen durch die englische Presse die von Darwin mit Zurückhaltung behandelten Fragen ins Publikum. Dadurch entstand sofort eine öffentliche Diskussion, die den wissenschaftlichen Boden verließ und zum Streit um christliche Dogmen wurde, namentlich durch die Schuld der Gegner des Darwinismus, die mit einer heute nicht mehr denkbaren Hartnäckigkeit die Lehre von der Einheit der organischen Natur, namentlich aber die Deszendenz des Menschen, die[S. 135] Darwin nur erst angedeutet hatte, zum Zentrum des Kampfes wählten.
Wenn wir heute die Punkte bezeichnen sollen, an denen Darwin für die Zoologie besonders fruchtbringend gewirkt hat, ganz abgesehen von der indirekten Wirkung auf die Anerkennung der biologischen Probleme im allgemeinen, so ist kaum ein Gebiet der Zoologie zu nennen, dessen Pflege nicht vermehrt worden wäre. Doch ist es das Studium der individuellen Variation, der Keimsubstanzen, der niederen Lebensformen, namentlich auch unter dem Einfluß des Experiments, der Lebensbedingungen, des tierischen Stammbaumes und einer naturhistorischen Auffassung des Menschen gewesen, wo die größten Anregungen von ihm ausgingen. Mit der Zeit hat die Transmutationslehre immer mehr den Glauben an die Konstanz der Art verdrängt, der tatsächlich von keinem Naturforscher mehr aufrechterhalten wird. Dagegen ist die Selektionslehre zunächst durch eine zunehmende Anzahl von Hilfsannahmen ergänzt worden. Dann wurde der Zuchtwahl noch eine gewisse Bedeutung für die Reinerhaltung der Art zugeschrieben. Während die Mehrzahl der Forscher auf diesem Standpunkt beharrt, ist eine Gruppe von Forschern bemüht, sie so zu modifizieren, daß sie, konsequent durchgeführt, das leisten sollte, was Darwin ihr nicht zugetraut hat. Das Lamarcksche Prinzip von Gebrauch und Nichtgebrauch ist von einer ganzen Schule, den Neo-Lamarckianern, an die Spitze gestellt worden, die sich den Neo-Darwinisten an die Seite stellen. Mit der eigenartigen Form, in der der englische Darwinismus seine Probleme behandelte, hängt zusammen, daß die gesamte spekulative Entwicklung des Darwinismus sich wenig an allgemein wissenschaftliche Normen der philosophischen und historischen Kritik band. Das volle Verständnis für diese Aufgaben, wie denn auch für die systematische Entwicklung des Darwinismus selbst stellte sich erst in Deutschland ein.
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Darwin steht in der Theorie anfänglich zunächst A. R. Wallace (geb. 1822), doch führen ihre Wege im einzelnen weit auseinander. Nachdem er 1848-52 ausgedehnte Reisen im Amazonasgebiete unternommen, widmete er schon eine 1855 erschienene Arbeit dem „Gesetz, welches die Entstehung der Arten reguliert hat“; 1854 trat er eine mehrjährige Reise in den Malaiischen Archipel an, von der aus er seine Schrift: „Über die Tendenz der Varietäten unbegrenzt von dem Originaltypus abzuweichen“ 1858 nach London sandte. In der Beurteilung des Instinktes der Tiere, der Entstehung des Menschen wich Wallace zwar ab, ordnete sich aber später in der Verwertung der Theorien der Zuchtwahl Darwin unter. Besondere Aufmerksamkeit widmete er der Erscheinung der Mimikry in Verbindung mit seinem Reisegefährten W. Bates (1825-92), der Südamerika auch weiterhin bereiste. Für die Entstehung des Menschen nahm Wallace eine Art künstlicher Zuchtwahl höherer Art an. Außer den Beiträgen zur Zuchtwahltheorie (1871) und dem Darwinismus (1889) sind es besonders die tiergeographischen Arbeiten, die Wallace zu einem Hauptvertreter der modernen englischen Zoologie stempeln. So vor allem seine Tiergeographie (1876), die das Muster der späteren allgemeinen Zusammenfassungen dieses Gebietes geworden ist, ferner Island life (1880).
Darwins Hauptmitkämpfer war Th. H. Huxley (er nannte sich selbst Darwins „Generalagenten“), zugleich einer der vielseitigsten und regsten Geister der englischen Zoologie des 19. Jahrhunderts. Geboren 1825, absolvierte er 1842 seine Studien an der Londoner Universität, begleitete dann als Schiffsarzt die „Rattlesnake“ (1846-1850). In diese erste Periode seiner Studien fällt eine große Zahl von Arbeiten über die niederen Metazoen des Meeres. Nach London zurückgekehrt, entfaltete er seine großen Fähigkeiten als Popularisator der Naturwissenschaften und als Universitätslehrer. Ihm ist geradezu die Methodik des biologischen Universitätsunterrichts von England zu danken. In den fünfziger Jahren bearbeitete er mehrfach fossile Wirbeltiere, stellte auch seine Schädeltheorie und seine Lehre vom Archetypus der Form auf. Beim Erscheinen der Entstehung der Arten von Darwin trat er aufs nachdrücklichste in Wort und Schrift für die neue[S. 137] Lehre ein und zog durch seine 1863 erschienene Schrift über die Stellung des Menschen in der Natur die Konsequenz der Transmutationslehre für den Menschen an einem Punkt, wo Darwin sich mit schüchternen Andeutungen begnügt hatte. Neben rastloser Arbeit über zahlreiche Themata, die er zuerst im Lichte der Entwicklungslehre erscheinen ließ (z. B. Abstammung der Vögel von den Reptilien, Zusammenfassung beider Klassen als Sauropsida) und die auch einen Niederschlag im Handbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbellosen fand, widmete sich Huxley der öffentlichen Vertretung seines Faches auf allen Gebieten als Praktiker im Dienste der Fischerei, der Bekämpfung der Infektionskrankheiten usw., ohne indes seine glänzende oratorische und literarische Begabung im Dienste des Darwinismus und namentlich im Kampfe für den „Agnostizismus“ gegen die Kirche von England aufzugeben. Huxley starb 1895 und hinterließ eine hervorragende Schülerschaft, die vorzugsweise in kritisch-empiristischem Sinne die Zootomie pflegt. Die geistige Erbschaft Darwins trat eine Reihe von jüngeren Forschern an, die noch der Gegenwart angehören und die in bezug auf diese oder jene Probleme der in England noch am stärksten verbreiteten Zuchtwahltheorie allgemeine Gültigkeit zu erkämpfen suchten. An der deutschen Kritik am Darwinismus ist indessen die englische Schule Darwins bisher vorbeigegangen.
[2] Für eine ausführlichere Darstellung dieser Lehren sei auf Nr. 60 der Sammlung Göschen: Tierkunde von F. v. Wagner verwiesen.
In Deutschland war der Boden für den Darwinismus vorbereitet durch die tiefen Furchen, welche der Materialismus und die Überwindung der Naturphilosophie bereits gezogen hatten. Der erste Schritt war G. Bronns Übersetzung der „Entstehung der Arten“ (1860). Sodann trat Haeckel 1862 in seiner Monographie der Radiolarien und 1863 in einer Rede an die Versammlung der deutschen Naturforscher[S. 138] zu Stettin für die neue Lehre ein. 1863 erschienen K. Vogts Vorlesungen über den Menschen, 1864 Fr. Müllers Schrift „Für Darwin“. Damit waren die ersten Ansatzpunkte gegeben, von denen der deutsche Darwinismus seine weitere Entwicklung nahm. Ed. von Hartmann schildert den Ablauf dieser historischen Erscheinung in den Worten: „In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts überwog noch der Widerstand der älteren Forschergeneration gegen den Darwinismus; in den siebenziger Jahren hielt dieser seinen Siegeslauf durch alle Kulturländer, in den achtziger Jahren stand er auf dem Gipfel seiner Laufbahn und übte eine fast unbegrenzte Herrschaft über die Fachkreise aus; in den neunziger Jahren erhoben sich erst zaghaft und vereinzelt, dann immer lauter und in wachsendem Chore die Stimmen, die ihn bekämpften; im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts scheint sein Niedergang unaufhaltsam.“ So schematisch ist zwar dieser Ablauf nicht und auch dann paßt er nicht auf das Verhalten der Zoologie in Frankreich und England. Aber es wird dadurch etwa die Chronologie der ersten Welle des Darwinismus, die über Deutschland ging, angegeben. Zunächst ist zu scheiden zwischen dem Erfolg der Transmutationstheorie und dem der Selektionstheorie. Die erstere hat sich in Deutschland allmählich und stetig Bahn gebrochen und ihre Bedeutung wird heute nur noch von wenigen Ausnahmen verkannt oder geleugnet. Die Selektionstheorie hat stärkere Wandlungen durchgemacht. Sie hat einen künstlichen Ausbau und vielfache Stützen durch verwandte Theorien erhalten, die, mit großer Feinheit ausgesponnen, doch nicht zu einer Erklärung der Entstehung der Art bisher führen konnten. Um diese spezielle Ausarbeitung der Selektionstheorie sind besonders bemüht A. Weismann und L. Plate. Auf die Innenwelt des Organismus hat sie W. Roux (Der Kampf der Teile im Organismus 1881) übertragen. Zu ergänzen gesucht hat sie M. Wagner (1813-1887) durch seine Migrationstheorie[S. 139] (1868). Der Unzulänglichkeit der Selektionstheorie suchten zahlreiche Forscher durch andere Erklärungsversuche abzuhelfen, so A. von Koelliker durch die Lehre von der sprungweisen Entwicklung, C. v. Nägeli durch seine mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre (1884), Th. Eimer (1843-1898) durch die Lehre von der Orthogenese (1888), endlich an der Wende des Jahrhunderts H. de Vries durch die Mutationstheorie. Die philosophisch-kritische Beurteilung des Darwinismus ist namentlich von zwei Seiten unternommen worden: erstens von Eduard von Hartmann und zweitens von Albert Wigand (1821-1886). Ersterer hat 1866 in der 1. Auflage der Philosophie des Unbewußten eine Stellung präzisiert, die er im wesentlichen noch am Ende des Jahrhunderts vertreten konnte und die namentlich Gegenstand einer besonderen Schrift (Wahrheit und Irrtum im Darwinismus 1874) geworden ist. Wigand hat vom Standpunkte des Bibelglaubens aus in seinem Darwinismus (1874) eine Kritik gegeben, die außer auf Darwin auf alle hervorragenderen am Darwinismus beteiligten Vertreter der deutschen Naturforschung einging; das Werk kann, obschon in seinem Widerstand gegen die Entwicklungslehre völlig verfehlt, doch bisher nicht als durch die Kritik der Selektionstheoretiker widerlegt bezeichnet werden. Was vor allem bisher fehlt, ist eine Beurteilung des Darwinismus auf umfangreicher philosophiehistorischer Basis, und bis diese gegeben ist, kann auch der Wert der ganzen Erscheinung als eines zoologiehistorischen Ereignisses nicht präzisiert werden. Wir beschränken uns daher darauf, hier nur noch diejenige Persönlichkeit zu besprechen, die als Prototyp des deutschen Darwinismus unter allen Umständen die größte Bedeutung behalten wird, die auch den Darwinismus für die Zoologie am meisten fruchtbar gemacht hat, Ernst Haeckel.
[S. 140]
Ernst Haeckel ist geboren 1834 in Potsdam, studierte von 1852 ab Medizin und Naturwissenschaften in Würzburg, Berlin, Wien, 1859/60 widmete er sich namentlich dem Studium der marinen Fauna, habilitierte sich 1861, wurde 1862 außerordentlicher und 1865 ordentlicher Professor an der Universität Jena, von der aus er glänzende Berufungen ablehnte. Er unternahm zahlreiche Reisen ins Ausland, namentlich auch in die Tropen (Indische Reisebriefe 1883). Die literarische Produktion Haeckels ist eine sehr bedeutende, umfangreiche und künstlerisch reich ausgestattete. Bearbeitungen der Protozoen, Kalkschwämme, Hornschwämme, der Medusen und Siphonophoren, der Korallen nehmen viele, teils dem Reisewerk der Challenger-Expedition angehörende Bände in Anspruch. Der marinen Zoologie, insbesondere auch dem Studium des Planktons galt zeitlebens sein intensives Interesse. Die Haupttätigkeit Haeckels entfällt jedoch auf die biologisch-theoretische Seite, teils in streng wissenschaftlicher systematischer Bearbeitung (Generelle Morphologie 1866, Systematische Phylogenie 1894-95), teils in mehr oder weniger dem Universitätsunterricht oder der Belehrung eines weiteren Publikums angepaßten Werken (Natürliche Schöpfungsgeschichte, von 1868 an, Anthropogenie 1874, Welträtsel 1899, Lebenswunder 1904, Kunstformen in der Natur 1904). Dazu kommen zahlreiche Streit- und Gelegenheitsschriften, wie Ziele und Wege der Entwicklungsgeschichte 1875, Der Monismus 1892.
Die Stellung Haeckels in der Geschichte der Zoologie ist vor allem darin begründet, daß er die Lehre Darwins und zugleich den Hauptinhalt der deutschen Zootomie und Entwicklungsgeschichte, wie sie um die Mitte des 19. Jahrhunderts vorlag, als Grundlagen zu einer Umgestaltung der theoretischen Biologie benützte, wie sie in solchem Umfang in der Neuzeit niemals war unternommen worden. Aus dem Darwinismus schaltete er die Zuchtwahllehre, der er auch nie Spezialstudien zuwandte, insofern aus, als er sie mit den übrigen als umbildend anzunehmenden Prinzipien unter dem Begriff der Anpassung subsumierte. Dabei kam von seiner Seite die erste begeisterte Zustimmung zur Umwandlungslehre, deren systematisch über die ganze Lebewelt sich erstreckende Durcharbeitung sein Verdienst ist. Haeckel blieb nicht mehr[S. 141] dabei stehen, die Klassifikation der gesamten Organismen genealogisch zu behandeln, mit kühner Hand Stammbäume für sie zu entwerfen, die als provisorische Leitlinien die größten Dienste getan haben. Gedanken der deutschen Naturphilosophie auf neuer empirischer Basis entwickelnd, fing er an, auch die Organe, Gewebe, Zellen in genetischen Zusammenhang einzuordnen, die genetische Betrachtung auch auf die Funktionen auszudehnen, die biologischen Disziplinen in ihren gegenseitigen Beziehungen zu untersuchen, ganze Gebiete der Wissenschaft erst mit wohl gewählten Bezeichnungen auszurüsten. Rücksichtslos in der Konsequenz des Entwicklungsgedankens, reihte er den Menschen mit vollem Bewußtsein dem Natursystem ein. Er erweckte den Erfahrungsgrundsatz des Parallelismus der ontogenetischen und phylogenetischen (stammesgeschichtlichen) Entwicklung zu erneuter Bedeutung, wozu ihm zahlreiche Vorarbeiten auch anderer Forscher (Fr. Müller, Kowalewski) überzeugendes Material an die Hand gaben. Die Einheit der geweblichen Entwicklung der höheren Tiere suchte er in der Gasträatheorie und der Zölomtheorie zum Ausdruck zu bringen. Einer Menge von tierischen Formen wies er auf Grund der genetischen Betrachtungsweise zuerst ihre richtige Stellung im System an. Diese unbestreitbaren Verdienste Haeckels, denen sich eine vielfach kleinliche und schwächliche Opposition entgegenwarf, können auch diejenigen nicht anfechten, die seinem Ringen nach Weltanschauung im Sinne der Entwicklungslehre passiv oder negativ gegenüberstehen, oder die seine Bemühungen um Popularisierung seiner Ansichten und Organisation Gleichgesinnter wenig gerne sehen. Die Kunst des Wortes, der Schrift und des Stifts, seine glänzende Persönlichkeit hat nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Welt, wo seine in alle Kultursprachen übersetzten Werke wirkten, der deutschen Zoologie eine Anerkennung erzwungen, die von keinem anderen Forscher[S. 142] in ähnlichem Maße ausging und die höchstens der Wirkung Cuviers zu vergleichen ist. Als Lehrer hat Haeckel eine ausgedehnte Schule von Entwicklungstheoretikern sowohl wie von mehr empirisch tätigen Forschern begründet, der die Vertiefung der Entwicklungslehre mit ihre wesentlichsten Züge verdankt. Der Rahmen unserer Arbeit, sowie der Umfang und die Aktualität des Stoffes verbietet uns, mehr als in diesen Andeutungen die geschichtliche Stellung Haeckels zu umreißen.
Im Anschluß an Haeckel ist W. Preyer (1841-1897) vor allem zu nennen, als der Vertreter der Entwicklungslehre in der Physiologie. In zahlreichen gedankenreichen Aufsätzen und Werken ist Preyer für sie eingestanden und hat ihr gesucht auch auf praktisch wichtige Fragen Einfluß zu verschaffen. Es sind hier besonders erwähnenswert: Die Seele des Kindes (1882), Die spezielle Physiologie des Embryo (1884), Naturforschung und Schule (1887), worin er im Bunde mit Haeckel der Entwicklungslehre Eingang in die Schule zu erkämpfen sucht. Eine neue Grundlage für die Systematik der Physiologie brachte Preyers Einleitung in die allgemeine Physiologie (1883).
Die amerikanische Zoologie setzt mit Beginn des 19. Jahrhunderts ein, mit B. S. Barton (1766-1815), der über Faszination durch die Klapperschlange und über das Opossum schrieb. 1808-1814 erschien die Ornithologie von A. Wilson (1766-1813), Bonaparte komplettierte 1825-1833 Wilsons Werk. Gleichzeitig erschien Rich. Harlans Fauna von Amerika und J. D. Godmans Werk über nordamerikanische Säugetiere (1826-1828). 1847 tritt die Smithsonian Institution in Tätigkeit und damit beginnen fortgesetzte zoologisch-systematische Studien. 1846 begründet[S. 143] L. Agassiz das Studium der vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte nach europäischem Muster in Cambridge Mass. Neue Impulse gehen sodann von Darwins Werken aus, insbesondere tritt der hoch begabte und vielseitige E. D. Cope (1840-1897) an die Spitze der amerikanischen Entwicklungstheoretiker und Paläontologen. Der wesentliche Bestand der amerikanischen Zoologie gehört der unmittelbaren Gegenwart an und hat eine Ausdehnung angenommen, die für die positivistisch zersetzte Wissenschaft Europas eine gefährliche und ebenbürtige Konkurrenz bedeutet.
Wenn von der weiteren Entwicklung der Zoographie und Systematik von Linné an im folgenden Abschnitt die Rede ist, so versteht sich von selbst, daß die Hauptentwicklung sich innerhalb der französischen Zoologie vollzieht und die Zoologie anderer Länder auch bei großartigen Leistungen doch meistens nur als Partnerin, selten aber überlegen an die Seite tritt. Daher fällt ein Teil des hierhergehörigen Stoffes mit der in den vorhergehenden Abschnitten behandelten Geschichte zusammen. Vergleichen wir die Zahl der beschriebenen Arten der wichtigsten Tiergruppen zu Linnés Zeiten und in der Gegenwart, so erhellt daraus eine solche Massenzunahme unserer Kenntnis, daß eine Aufsplitterung wie bei der Zoographie bei der Systematik als notwendige Folge erscheint. Einer Zusammenstellung von Möbius zufolge haben von der zehnten Auflage Linnés, also 1758-1898 im ganzen[S. 144] 2700 Autoren über 400000 Spezies von Tieren bekannt gemacht. Auf die einzelnen Gruppen entfallen folgende Zahlen:
Tierklassen
|
Zahl der Spezies
in Linnés Systematik, 10. Aufl. 1758 |
Ungefähre
Zahl der jetzt bekannten Spezies |
Säugetiere
|
183
|
3 500
|
Vögel
|
444
|
13 000
|
Reptilien und Amphibien
|
181
|
5 000
|
Fische
|
414
|
12 000
|
Schmetterlinge
|
542
|
50 000
|
Käfer
|
595
|
120 000
|
Hymenoptern
|
229
|
38 000
|
Diptern
|
190
|
28 000
|
Neuroptern
|
35
|
2 050
|
Orthoptern
|
150
|
13 000
|
Hemiptern
|
195
|
30 000
|
Spinnen
|
78
|
20 000
|
Tausendfüßler
|
16
|
3 000
|
Krebse
|
89
|
8 000
|
Pyknogoniden
|
—
|
150
|
Würmer
|
41
|
8 000
|
Manteltiere
|
3
|
400
|
Moostiere
|
35
|
1 000
|
Mollusken und Brachiopoden
|
674
|
50 000
|
Echinodermen
|
29
|
3 000
|
Schwämme
|
11
|
1 500
|
Protozoen
|
28
|
6 000
|
Summe der Arten
|
4 236
|
418 500
|
Wenn wir diesen Zeitraum überblicken, so hat sich die scheinbar einfachste Arbeit, die sorgfältige Beschreibung und die Umgrenzung der Arten nach übereinstimmenden konstanten Merkmalen, am meisten gelohnt, in zweiter Linie die Wiedereinführung anatomischer Prinzipien in die Klassifikation durch Cuvier, endlich die Verknüpfung mit den Tatsachen der räumlichen und zeitlichen Verbreitung. Relativ geringer Wert[S. 145] kommt aber den Resultaten der Klassifikation zu, da durchgehends das reale Band der Blutsverwandtschaft, auch wo es geahnt wurde, vor 1860 nicht zu Schlußfolgerungen für die Systematik verwertbar wurde, dann aber zu einer überraschenden Entwertung gerade der oberen Gruppen des Systems führte, während die Art ihre praktische Bedeutung behielt. Es kann daher nicht Aufgabe unserer kurzen Darstellung sein, die Resultate der Klassifikation ausführlich zu behandeln, vielmehr sind nur die wichtigsten Fortschritte der Klassifikation sowie die bedeutendsten Vermehrungen und Bereicherungen unserer Kenntnis durch Reisen hervorzuheben.
In diesen Dingen zeigt die Periode von Linné bis zur Mitte des Jahrhunderts stark einheitliche Züge. Reisen zugunsten der Zoologie werden jetzt nicht nur etwas häufiger, sondern man nimmt geschulte Naturforscher mit an Bord. Doch ist ihre Tätigkeit noch in erster Linie auf Sammlung für Museumszwecke berechnet, nicht mit zootomischen oder physiologischen Absichten verbunden. Die Museen haben noch den Charakter von Raritätenkammern, ihr Inhalt ist universal, sie enthalten also nicht getrennte Abteilungen für Belehrung und wissenschaftliche Arbeit und sind noch an die europäischen Kulturstätten gebunden, nicht universal verbreitet mit lokal spezialisierten Absichten; ebenso sind die Tiergärten noch Schaustellungen fürs Publikum, nicht Versuchsstationen, wie sich denn auch die Laboratorien noch nicht von den Museen ablösen und den Lebensbedingungen der zu erforschenden Lebewelt anpassen. Alle die weiteren Entwicklungen gehören erst der zweiten Hälfte des Jahrhunderts an.
Es versteht sich fast von selbst, daß die Schilderung einzelner Tiergruppen unter steigender Spezialisierung an Umfang und Genauigkeit zunahm. Es würde zu weit führen, wollten wir all dieser Monographien gedenken, die, abgesehen von den geschichtlich bedeutungsvollen Persönlichkeiten, eine[S. 146] Menge sorgfältiger und fleißiger Einzelarbeiter beschäftigt haben. Nach verschiedenen Seiten sind indes die zoographischen Spezialgebiete zu allgemeinerer Bedeutung gelangt, wovon hier kurz Notiz genommen werden muß.
Die Protozoen traten aus dem Zustande eines Lieblingsobjektes dilettierender Mikroskopiker mit dem Auftreten der Zellenlehre; von Siebold bildete namentlich die Lehre von ihrer Einzelligkeit aus. In ihrer Bedeutung für die Entwicklungslehre vielfach überschätzt, gewannen sie wiederum gegen Ende des Jahrhunderts an Aktualität durch den Einblick in ihren Wert als Krankheitserreger für die medizinische Zoologie.
Über die Schwämme herrschten anfangs des Jahrhunderts noch sehr unklare Vorstellungen, bis Grant 1826 die Kenntnis ihres Baues zu fördern begann und die Untersuchung ihrer Entwicklung sie den Zölenteraten nahe brachte.
Die Gasträaden wurden als Übergangsgruppe zwischen Protozoen und Metazoen 1876 von Haeckel aufgestellt.
Die Zölenteraten bildeten während des ganzen Jahrhunderts ein Hauptfeld der Untersuchung für die Fragen des von J. Steenstrup entdeckten Generationswechsels, der tierischen Kolonien, der Ökologie des Meeres (Korallen), sowie insbesondere der vergleichenden Histologie und Physiologie.
Die Echinodermen erfuhren mit der Ausbildung der marinen Zoologie konstanten Zuwachs an Arten und Typen (Krinoiden), bewährten sich als eine der geeignetsten Gruppen zum Vergleich zwischen lebenden und fossilen Formen. Die wichtigste Entdeckung auf diesem Gebiet glückte Joh. Müller, der zuerst ihre Entwicklungsgeschichte aufhellte.
Die Würmer lösten sich als Gruppe immer mehr aus dem von Linné geschaffenen Verbande mit den übrigen Wirbellosen, um jedoch schließlich wieder ganze große Stämme[S. 147] in sich aufzunehmen (Bryozoa, Brachiopoda). Mit Rudolphi, der ihre Artenzahl auf das Dreifache steigerte, beginnt die Einsicht in die medizinische Bedeutung der Schmarotzer und ihrer Entwicklungsstadien, die denn in der Folgezeit die schönsten Entdeckungen zur Reife brachte. Die Helminthologie wurde dadurch zur Basis einer umfassenderen Parasitenkunde, die heute die Bakterien und Protozoen einschließt.
Das Studium der Insekten löste sich mit vermehrter Kenntnis der Arten allmählich mehr aus dem Verbande der übrigen Zoologie, als je zuvor; doch werden sie stets wieder von hoher theoretischer Bedeutung, sowie allgemeinere Fragen in der Zoologie auftreten, so für die vergleichende Anatomie am Anfang, für die Geographie und Ökologie mehr am Ende des Jahrhunderts.
Die vereinzelten Formen, wie Peripatus, Zephalodiskus, Myzostoma usw., ja auch die Chordaten werden in ihrer hohen Bedeutung als Bindeglieder sehr entfernter Stämme erst von der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ab gewürdigt (A. Kowalewski, Entwicklungsgeschichte der Aszidien 1866, von Amphioxus 1867, der Salpen 1868). Die Mollusken waren durch Cuvier zu klassischen Objekten der Invertebratenanatomie geworden. Immer mehr trat daher an Stelle der Konchyliologie, die nur die Schalen berücksichtigte, das Studium des gesamten Molluskenorganismus und seiner Entwicklung.
Die Klassifikation der Fische nahm durch Valenciennes einen glänzenden Anfang. Immer mehr gewannen die Fische an Wichtigkeit für die Beurteilung des gesamten Vertebratentypus, wogegen die weitere Klassifikation wenig Befriedigung brachte.
Die Reptilien und Amphibien der Gegenwart erhielten, nächst den Säugetieren, am meisten ihre Beleuchtung von der Überfülle der fossilen Formen, die zum Vorschein[S. 148] kamen. Dadurch fiel die auf Grund der lebenden allein aufgestellte von Brogniart 1799 vorgenommene Trennung in Reptilien und Amphibien dahin.
Die Vögel boten realen Zuwachs an geographisch interessanten Formen, namentlich an fossilen und subfossilen. Zu einer befriedigenden Klassifikation derselben kam es nicht, trotz anerkennenswerter Versuche, die Anatomie in den Dienst der Systematik zu stellen.
Wohl die größte Veränderung ist in der Kenntnis der Säugetiere im Laufe des Jahrhunderts und namentlich gegen Ende desselben eingetreten. Die Monotremen, die um die Wende des 18. Jahrhunderts entdeckt wurden, erwiesen sich als Bindeglieder nach den Reptilien; mit Cuvier begann die Beschreibung der fossilen Formen, deren Zahl sich am Ende des Jahrhunderts auf ca. 4000 beläuft. Nimmt zunächst die Zahl der Säugetierordnungen, namentlich auf Grund der Weichteilanatomie zu, so reduziert sie sich wieder, je mehr fossile Bindeglieder bekannt werden, deren Reichtum die heutige Säugetierwelt, mit Ausnahme weniger Gruppen (Nager, Raubtiere, Paarhufer), als eine reduzierte erscheinen läßt. In der Säugetierklasse bildet sich unsere Systematik am meisten zu einer genealogischen um durch Kombination der Verbreitungsgeschichte mit der Stammesgeschichte. Die Stellung des Menschen schwankt, bis sie durch Haeckel endgültig fixiert wird.
Für Naturforscher, wie sie jetzt auf Reisen mitgenommen werden, hatte bereits Buffon eine Anleitung verfaßt. In erster Linie stehen denn auch hier die Franzosen da, so um die Wende des Jahrhunderts Péron, Lesueur, Lesson, Garnot, Quoy u. Gaymard (1826-1829 Astrolabe), Eydoux u. Souleyet (1836-1837 Bonite); aber auch[S. 149] Engländer, Russen (Chamisso 1815-1818 auf dem Rurik), Nordamerikaner (Wilkes 1838-1842). Azara bereiste Zentralsüdamerika von 1781-1801, Alexander von Humboldt mit Bonpland das nördliche Südamerika (1799-1804), der Prinz Wied-Neuwied 1815-1821 Brasilien, 1817 drei österreichische Naturforscher, darunter Natterer, sowie Spix und Martius, später Rengger (1818-1826), Pöppig, v. Tschudi, Castelnau und Schomburgk ebenfalls verschiedene Gebiete desselben Kontinents. Auch die Tierwelt Nordamerikas wurde durch eine große Zahl von Forschern fixiert. Australiens Tierwelt erschloß besonders John Gould von 1838 ab, die Sundainseln insbesondere Raffles, Horsfield und die Holländer Reinwardt und Temminck, Japan Phil. von Siebold. Südafrika wurde von A. Smith und K. H. Lichtenstein (von 1811 ab Professor in Berlin), Ostafrika von W. Peters (dem Nachfolger Lichtensteins von 1856 ab in der Professur der Zoologie zu Berlin) auf seine Fauna erforscht. Nordostafrika wurde eifrig von deutschen Gelehrten untersucht, so von Ehrenberg, Rüppell, v. Heuglin, Algier von Moritz Wagner (1836-1838).
Das Studium der Küstenfauna fand namentlich im Mittelmeer erneute Pflege. Um die Mitte des Jahrhunderts begannen auch C. E. v. Baer, Joh. Müller, K. Vogt, Agassiz u. a. zu zootomischen und embryologischen Zwecken das Mittelmeer und die Nordsee aufzusuchen, während ein ganz selbständiger Zweig der marinen Zoologie in Skandinavien anzusetzen begann. Hier war es nämlich M. Sars (1805-1869, ursprünglich Theologe, von 1854 ab Professor der Zoologie in Christiania), welcher die Küstenfauna Norwegens eingehend untersuchte (1846), Tiefenzonen aufstellte, die Krinoiden als noch heute existierende Tiefenformen nachwies. Auch der Engländer Edw. Forbes (1815-1854) hatte 1841-1843 im Ägäischen Meere Tiefenzonen der Faunen festgestellt, welche namentlich[S. 150] auch von den Paläontologen zur Erklärung der fossilen Faunen beigezogen wurden. Sars, sowie sein Sohn nahmen von 1850 ab an verschiedenen arktischen Expeditionen teil und brachten eine reiche Ausbeute an Tiefseeformen zurück. Wyville Thompson sah dieses Material und bewog B. Carpenter, den Plan einer Reise eigens zum Zwecke der Tiefseeforschung aufzunehmen. Infolge des reichen, nördlich von Schottland gewonnenen Ertrages wurde die Challenger-Expedition ausgerüstet (1872-1876), an der außer Wyv. Thompson auch John Murray teilnahm. Diese Expedition wurde die wissenschaftlich erfolgreichste Seereise. Ihr folgten zahlreiche ähnliche, aber kleinere Unternehmen in den siebziger und achtziger Jahren. Neuere, mit großen Hilfsmitteln ausgerüstete Expeditionen brachten weiteren überraschenden Zuwachs, namentlich an physiologisch interessanten Lebewesen der Tiefsee. Das Bedeutendste leisteten die Siboga-Expedition, (1898 u. ff.), die Valdivia-Expedition (1898/1899 unter C. Chun) und die Fahrten des Fürsten Albert I. von Monaco (von 1887 an). Schon Johannes Müller hatte ein wachsames Auge auf den „Auftrieb“ des Meeres, der sich mit feinen Netzen an der Oberfläche fischen läßt. Dieser Auftrieb, das Plankton, wurde insbesondere von V. Hensen, dem Kieler Physiologen, zum Gegenstand besonderer, auch quantitativer Untersuchungen gewählt (von 1887 ab), die mit Rücksicht auf die Ökonomie des Meeres unternommen wurden. S. Lovén (1809-1895, von 1840 ab Professor und Direktor des Museums in Stockholm) brach der Untersuchung des Süßwasserplanktons Bahn. P. Müller, ein Skandinavier, begann diese Studien 1870 im Genfer See fortzusetzen, wodurch die früher an Hand der Flora gepflegten geographischen Beziehungen zwischen alpiner und nordischer Lebewelt neue Nahrung fanden.
Aus der Errichtung zoologischer Laboratorien erwuchs[S. 151] bald das Bedürfnis, solche an die Meeresküste zu verlegen und sie speziell der Erforschung der Meeresfauna zu widmen. Der Typus dieser Stationen ist von A. Dohrn (geb. 1840, ehemals Privatdozent in Jena) geschaffen worden in der Zoologischen Station von Neapel, deren Gründung, 1870 begonnen, 1874 zur Eröffnung des Laboratoriums führte, das die Metropole aller ähnlichen Unternehmungen in allen Weltteilen geworden ist. Die Reihe der Stationen zur Untersuchung des Süßwassers wurde mit Plön (O. Zacharias 1891) eingeleitet. Anschließend mag hier die Gründung von Seewasseraquarien im Binnenland erwähnt werden, so namentlich die des Aquariums im Garten der Zoologischen Gesellschaft von London (1853), desjenigen im Jardin d’Acclimatation (1861) sowie des einzigen als selbständiges Institut errichteten Berliner Aquariums durch A. Brehm (1869).
So eröffnete sich denn auch für die Zoologie immer mehr eine Zukunft, die auf dem Wasser liegt. Durch ganz besondere Methoden des Forschens ist ein Gebiet erschlossen worden, dessen Betreten zu den geschichtlich eigenartigsten Erscheinungen der Zoographie des 19. Jahrhunderts gehört.
Die Geschichte der Zoologie wurde erst spät ein Gegenstand selbständiger Arbeiten. Das älteste Werk, das die Geschichte der zoologischen Systeme behandelt, stammt, wenn wir von gelegentlicher Berührung der Geschichte der Zootomie durch A. von Haller (Bibliotheca anatomica 1777) absehen, von J. Spix (1811). Ausführlicher und im Zusammenhang mit der Naturgeschichte überhaupt stellte Cuvier in Vorlesungen, die nach seinem Tode erst erschienen, die Entwicklung der Zoologie dar (1841-1845). Einen vortrefflichen Abschnitt bildet die Geschichte der Zoologie in I. Geoffroy St. Hilaires Werk (1854, Bd. I). Wichtige Beiträge zur Geschichte[S. 152] der Zoologie lieferte J. G. Schneider. Auch A. v. Humboldts geschichtliche Übersicht (Kosmos, Bd. II, 1847) ist noch immer beachtenswert. Die Entwicklung der vergleichenden Anatomie, freilich ohne deren Basis zu berühren, skizzierte O. Schmidt (1855). 1873 erschien J. V. Carus’ Geschichte der Zoologie, ein Werk von sehr ungleichem Wert seiner Teile, mit dem Hauptgewicht auf dem Mittelalter, unter literarisch-grammatischer Behandlung des Stoffes und ohne Kenntnis der antiken Literatur geschrieben. Eine Übersicht der neueren Zoologie vor Darwin gab E. Perrier (1884). Ein besonderes Verdienst haben sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Philologen um die antiken Texte unserer Wissenschaften erworben und damit historischer Behandlung derselben Vorschub geleistet. Dies gilt besonders für Aristoteles, dessen Bearbeitung bis 1870 durch deutsche Forscher (J. B. Meyer, Frantzius, Aubert und Wimmer) und in Frankreich durch Barthélemy St. Hilaire (bis 1890) große Fortschritte gemacht hat. Über mehrere Zoologen der Neuzeit existieren zwar Biographien, doch ist der Zusammenhang zwischen den Forschern und ihren Schulen, namentlich aber die Berührung der Zoologie mit den übrigen Wissenschaften im ganzen erstaunlich wenig bekannt.
Für die zoologische Bibliographie sind Fundgruben älteren Datums die Bibliotheca universalis von K. Gesner (1545) und die Bibliotheca anatomica von A. von Haller (1774). Umfangreiche, im Stil der Enzyklopädien gehaltene Lexika der Naturgeschichte entstanden am Pariser Pflanzengarten 1782 und 1816. L. Agassiz gab (1842-1846) eine Bibliotheca zoologica et palaeontologica heraus. Von hohem Werte ist die Quellenkunde der vergleichenden Anatomie von F. W. Aßmann (1847). Die umfassendste Bibliographie schuf A. Günther in dem von 1864 ab erscheinenden Zoological Record. Ihr zur Seite trat die Bibliographie von[S. 153] J. V. Carus im Zoologischen Anzeiger (von 1878 ab). Nachdem bereits Cuvier und Joh. Müller zeitweise Jahresberichte von beschränktem Umfange verfaßt hatten, organisierte A. Dohrn (seit 1879) in den Jahresberichten seiner Station die Berichterstattung in umfassender Weise. Ein besonders auch praktisch zweckmäßiges Hilfsmittel richtete H. Field (seit 1895) in seinem Concilium bibliographicum ein.
[S. 154]
Naturwissenschaftliche Bibliothek
aus der Sammlung Göschen
Jeder Band gebunden 1 Mark
Paläontologie und Abstammungslehre von Prof. Dr. Karl Diener. Mit 9 Abbildungen. Nr. 460.
Das Plankton des Meeres von Dr. Gustav Stiasny. Mit 83 Figuren. Nr. 675.
Der menschliche Körper von E. Rebmann. Mit Gesundheitslehre von Dr. med. H. Seiler. Mit 47 Abbildungen und 1 Tafel. Nr. 18.
Urgeschichte der Menschheit von Prof. Dr. M. Hoernes. Mit 48 Abbildungen. Nr. 42.
Völkerkunde von Dr. M. Haberlandt. Mit 51 Abbildungen. Nr. 73.
Tierkunde von Prof. Dr. F. v. Wagner. Mit 78 Abbild. Nr. 60.
Geschichte der Zoologie von Prof. Dr. Rud. Burckhardt. Nr. 357.
Entwicklungsgeschichte der Tiere von Prof. Dr. Johs. Meisenheimer.
— — I: Furchung, Primitivanlagen, Larven, Formbildung, Embryonalhüllen. Mit 48 Figuren. Nr. 378.
— — II: Organbildung. Mit 46 Figuren. Nr. 379.
Abriß der Biologie der Tiere von Professor Dr. Heinrich Simroth.
— — I: Entstehung u. Weiterbildung d. Tierwelt. Mit 34 Abbild. Nr. 131.
— — II: Beziehungen der Tiere zur organischen Natur. Mit 35 Abb. Nr. 654.
Tiergeographie von Prof. Dr. A. Jacobi. Mit 2 Karten. Nr. 218.
Das Tierreich I: Säugetiere von Oberstudienrat Prof. Dr. Karl Lampert. Mit 15 Abbildungen. Nr. 282.
— III: Reptilien und Amphibien von Prof. Dr. Franz Werner. Mit 48 Abbildungen. Nr. 383.
— IV: Fische von Dr. Max Rauther. Mit 37 Abbild. Nr. 356.
— V: Insekten von Dr. J. Groß. Mit 56 Abbildungen. Nr. 594.
— VI: Die wirbellosen Tiere von Prof. Dr. Ludwig Böhmig. I: Urtiere, Schwämme, Nesseltiere, Rippenquallen und Würmer. Mit 74 Figuren. Nr. 439.
— — II: Krebse, Spinnentiere, Tausendfüßer, Weichtiere, Moostierchen, Armfüßer, Stachelhäuter und Manteltiere. Mit 97 Figuren. Nr. 440.
Schmarotzer und Schmarotzertum in der Tierwelt von Prof. Dr. F. v. Wagner. Mit 67 Abbildungen. Nr. 151.
Die Pflanze von Geh. Hofrat Prof. Dr. Adolf Hansen. Mit 33 Abbildungen. Nr. 742.
Die Pflanze von Prof. Dr. E. Dennert. Mit 96 Abbild. Nr. 44.
Die Stämme des Pflanzenreiches von Privatdozent Kustos Dr. Rob. Pilger. Mit 22 Abb. Nr. 485.
Pflanzengeographie von Prof. Dr. Ludwig Diels. Nr. 389.
Pflanzenbiologie von Prof. Dr. W. Migula. I: Allgemeine Biologie. Mit 43 Abbildungen. Nr. 127.
— — II: Blütenbiologie. Mit 28 Abbildungen. Nr. 744.
Morphologie und Organographie der Pflanzen von Prof. Dr. M. Nordhausen. Mit 123 Abbildungen. Nr. 141.
Pflanzenphysiologie von Prof. Dr. Adolf Hansen. Mit 43 Abbildungen. Nr. 591.
Zellenlehre und Anatomie der Pflanzen von Prof. Dr. H. Miehe. Mit 79 Abbildungen. Nr. 556.
Exkursionsflora von Deutschland zum Bestimmen der häufigeren in Deutschland wildwachsenden Pflanzen von Prof. Dr. W. Migula. 2 Bändchen. Mit 100 Abbildungen. Nr. 268, 269.
Die Pilze. Eine Einführung in die Kenntnis ihrer Formenreihen von Prof. Dr. G. Lindau. Mit 10 Figurengruppen im Text. Nr. 574.
Spalt- und Schleimpilze. Eine Einführung in ihre Kenntnis von Prof. Dr. Gustav Lindau. Mit 11 Abbildungen. Nr. 642.
Algen, Moose und Farnpflanzen von Professor Dr. H. Klebahn. Mit 35 Figurentafeln. Nr. 736.
Die Flechten. Eine Übersicht unserer Kenntnisse v. Prof. Dr. G. Lindau. Mit 55 Figuren. Nr. 683.
Die Nadelhölzer von Prof. Dr. F. W. Neger. Mit 85 Abbildungen, 5 Tabellen und 3 Karten. Nr. 355.
Die Laubhölzer von Prof. Dr. F. W. Neger. Mit 74 Textabbildungen, und 6 Tabellen. Nr. 718.
Das System der Blütenpflanzen mit Ausschluß der Gymnospermen von Dr. R. Pilger. Mit 31 Figuren. Nr. 393.
Die Pflanzenkrankheiten von Prof. Dr. Werner Friedrich Bruck. Mit 45 Abbildungen und 1 farbigen Tafel. Nr. 310.
Mineralogie von Prof. Dr. R. Brauns. Mit 132 Abbild. Nr. 29.
Geologie von Prof. Dr. E. Fraas. Mit 16 Abbildungen und 4 Taf. Nr. 13.
Allgemeine Paläontologie von Prof. Dr. O. Abel. Mit vielen Abbildungen. Nr. 95.
Petrographie von Prof. Dr. W. Bruhns. Mit vielen Abbild. Nr. 173.
Kristallographie von Prof. Dr. W. Bruhns. Mit 190 Abbild. Nr. 210.
Einführung in die Kristalloptik von Dr. Eberh. Buchwald. Mit 124 Abbildungen. Nr. 619.
Geschichte der Physik von Prof. A. Kistner. Mit 16 Fig. 2 Bde. Nr. 293, 294.
Theoretische Physik von Prof. Dr. G. Jäger. Mit Abbildungen. 4 Teile. Nr. 76–78 und 374.
Experimentalphysik von Prof. Robert Lang. Mit vielen Figuren im Text. Band 1 und 2. Nr. 611, 612.
Radioaktivität von Wilh. Frommel. Mit 21 Figuren. Nr. 317.
Physikalische Messungsmethoden von Oberlehrer Dr. Wilh. Bahrdt. Mit 49 Figuren. Nr. 301.
Physikalische Aufgabensammlung von Prof. G. Mahler. Mit den Resultaten. Nr. 243.
Physikalische Formelsammlung von Prof. G. Mahler. Nr. 136.
Physikalische Tabellen von Dr. A. Leick. Nr. 650.
Luftelektrizität von Dr. Karl Kähler. Mit 18 Abbildungen. Nr. 649.
Physikalisch-Chemische Rechenaufgaben von Professor Dr. R. Abegg und Professor Dr. O. Sackur. Nr. 445.
Vektoranalysis von Prof. Dr. Siegfr. Valentiner. Mit 16 Figuren. Nr. 354.
Allgemeine und physikalische Chemie von Prof. Dr. Hugo Kauffmann. 2 Teile. Mit 15 Figuren. Nr. 71, 698.
Elektrochemie von Dr. Heinr. Danneel. I: Theoretische Elektrochemie und ihre physikalisch-chemischen Grundlagen. Mit 18 Figuren. Nr. 252.
— — II: Experimentelle Elektrochemie, Meßmethoden, Leitfähigkeit, Lösungen. Mit 26 Figuren. Nr. 253.
Stereochemie von Prof. Dr. E. Wedekind. Mit 34 Fig. Nr. 201.
Geschichte der Chemie von Dr. Hugo Bauer. I: Von den ältesten Zeiten bis zur Verbrennungstheorie von Lavoisier. Nr. 264.
— — II: Von Lavoisier bis zur Gegenwart. Nr. 265.
Anorganische Chemie von Dr. J. Klein. Nr. 37.
Organische Chemie von Dr. J. Klein. Nr. 38.
Chemie der Kohlenstoffverbindungen von Dr. H. Bauer. 4 Teile. Nr. 191–194.
Agrikulturchemie. I: Pflanzenernährung von Dr. Karl Grauer. Nr. 329.
Das agrikulturchemische Kontrollwesen von Dr. Paul Krische. Nr. 304.
Agrikulturchemische Untersuchungsmethoden von Prof. Dr. E. Haselhoff. Nr. 470.
Physiologische Chemie v. Dr. med. A. Legahn. 2 Teile. Nr. 240, 241.
Pharmazeutische Chemie von Prof. Dr. E. Mannheim. 4 Bändchen. Nr. 543–544, 588 und 632.
Toxikologische Chemie von Prof. Dr. E. Mannheim. Mit 6 Abbildungen. Nr. 465.
Neuere Arzneimittel, ihre Zusammensetzung, Wirkung und Anwendung von Prof. Dr. med. C. Bachem. Nr. 669.
Analytische Chemie v. Dr. Johs. Hoppe. 1. u. 2. Teil. Nr. 247, 248.
Maßanalyse von Dr. O. Röhm. Mit 14 Figuren. Nr. 221.
Technisch-Chemische Analyse von Prof. Dr. G. Lunge. Mit 16 Abbildungen. Nr. 195.
Chemisch-technische Rechnungen von Chemiker H. Deegener. Mit 4 Figuren. Nr. 701.
Stöchiometrische Aufgabensammlung von Dr. Wilh. Bahrdt. Nr. 452.
Meteorologie von Prof. Dr. W. Trabert, neubearb. von Dr. Alb. Defant. Mit 46 Abbildungen und Tafeln. Nr. 54.
Erdmagnetismus, Erdstrom und Polarlicht von Dr. A. Nippoldt. Mit 16 Abbildungen und 7 Tafeln. Nr. 175.
Astronomie von A. F. Möbius, neubearbeitet von Prof. Dr. Herm. Kobold. I: Das Planetensystem. Mit 33 Abbildungen. Nr. 11.
— — II: Kometen, Meteore und das Sternsystem. Mit 15 Figuren und 2 Sternkarten. Nr. 529.
Astrophysik von Prof. Dr. W. F. Wislicenus, neubearbeitet von Dr. H. Ludendorff. Mit 15 Abbildungen. Nr. 91.
Astronomische Geographie von Prof. Dr. S. Günther. Mit 52 Abbildungen. Nr. 92.
Physische Geographie von Prof. Dr. S. Günther. Mit 32 Abbildungen. Nr. 26.
Physische Meereskunde von Prof. Dr. Gerhard Schott. Mit 39 Abbildungen und 8 Tafeln. Nr. 112.
Klimakunde. I: Allgemeine Klimalehre von Prof. Dr. W. Köppen. Mit 2 Abbildungen und 7 Tafeln. Nr. 114.
Paläoklimatologie von Dr. Wilh. R. Eckardt. Nr. 482.
Klima und Leben (Bioklimatologie) von Dr. Wilh. R. Eckardt. Nr. 629.
Luft- und Meeresströmungen von Prof. Dr. Franz Schulze. Mit 27 Abbildungen und Tafeln. Nr. 551.