The Project Gutenberg eBook of Prinzessin Sidonie (Band 3/3) This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Prinzessin Sidonie (Band 3/3) Author: Julius Bacher Release date: February 26, 2024 [eBook #73037] Language: German Original publication: Leipzig: Verlag von Friedrich Fleischer, 1870 Credits: Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This transcription was produced from images generously made available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.) *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK PRINZESSIN SIDONIE (BAND 3/3) *** Anmerkungen zur Transkription: Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Folgende Zeichen sind für die verschiedene Schriftformen benutzt worden: =antiqua gedruckter Text= ~gesperrt gedruckter Text~ Prinzessin Sidonie. Roman von Julius Bacher. Dritter Band. [Illustration] Leipzig, Verlag von Friedrich Fleischer. 1870. Erstes Kapitel. Graf Römer war durch Aurelie über die bekannten Vorgänge am Hofe unterrichtet worden, und es darf kaum bemerkt werden, wie um so schmerzlicher ihn diese Mittheilungen ergriffen, da er wußte, daß Sidonie durch dieselben tief verletzt sein mußte. Seinen Kummer steigerte überdies noch die Hoffnungslosigkeit, Sidoniens gegen den Fürsten ausgesprochenes Verlangen, sich durch die Trennung ihrer Ehe aus dem sie erdrückenden Unheil zu retten, erfüllt zu sehen. Denn Aurelie hatte ihm diesen Umstand nicht verschwiegen, doch auch zugleich die geringe Aussicht auf Erfüllung des so natürlichen Wunsches angedeutet. Der Graf kannte die Hofverhältnisse zu genau, um ihr darin nicht beizustimmen. Mit der Abneigung des Fürsten gegen dergleichen gewaltsame Mittel bekannt, besonders wenn diese durch des Prinzen Schuld bedingt wurden, war er überzeugt, daß derselbe sich kaum jemals zu der Trennung verstehen und Sidoniens Schritt daher vergeblich sein würde. Alle diese Umstände waren nur zu sehr geeignet, ihn noch tiefer zu beugen, da er überdies keinen rettenden Ausweg aus diesen Verhältnissen zu entdecken vermochte und zugleich verhindert war, Sidonien nahe zu sein. Um so größer war daher seine Freude, als die Mittheilung zu ihm gelangte, daß die Prinzessin auf den Wunsch des Fürsten zur Stärkung ihrer Gesundheit ein Bad gebrauchen würde. Seine Freude wurde freilich durch die Sorge getrübt, daß Sidoniens Befinden wahrscheinlich sehr übel sein müßte, da sie zu einem solchen Mittel genöthigt war, und dieser Umstand mehrte seine Unruhe in so hohem Grade, daß er darunter sichtlich litt und das Auge seiner Mutter oft mit Besorgniß auf seinen bleichen Zügen ruhte. Wie sehr beglückte ihn daher die Nachricht von Sidoniens Wahl des Badeorts; er erkannte darin ihre Liebe und das Verlangen, ihm nahe zu sein und die Gelegenheit zu geben, sie, von den Hofschranzen unbeobachtet, zu sehen. Die geringe Entfernung seines Wohnortes von dem Bade ließ seine Besuche bei Sidonien auch als den Ausdruck der ihr schuldenden Ehrerbietung und daher durchaus selbstverständlich erscheinen. Welche Fülle von Glück lag in dieser angenehmen Aussicht, doppelt groß, da er bereits die Hoffnung aufgegeben hatte, Sidonie so bald schon wieder sehen zu können. In der gespanntesten Erwartung harrte er daher auf Aureliens Mittheilung, welche jene Nachricht bestätigen und zugleich die Zeit der Abreise und des Eintreffens in dem Badeorte bezeichnen würde. Er sollte, wie wir erfahren haben, nicht allzu lange und nicht vergeblich harren; denn schon nach wenigen Wochen erhielt er den hierauf bezüglichen Brief. Sidonie war in dem Badeort glücklich angelangt und begrüßte denselben mit der hingebendsten Freude, nicht nur in dem Bewußtsein, dem Freunde endlich so nahe gerückt zu sein, sondern auch durch die Schönheit des Ortes selbst in hohem Grade angenehm überrascht. In demselben vereinigten sich alle Naturreize einer Gebirgsgegend -- bewaldete Höhen, nackte Felsen, überraschende reizende Fernsichten auf eine verfallene Burg oder den aus Gebüschen und Gestein hervor schimmernden Bergstrom -- in dem anmuthigsten Wechselspiel, über welche jene dem kranken Herzen so wohlthuende Ruhe und Stille ausgebreitet lag, die den vollen Genuß der Naturschönheiten nicht nur gestatten, sondern auch so lieb und angenehm machen. In dem von dem Bergstrom durchrauschten Thal lagen die zierlichen Badegebäude unter laubigen Gärten und schattigen Anpflanzungen versteckt und mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet. Sidonie athmete mit vollen Zügen die erfrischende Bergluft in dem Gefühl der Freiheit, die ihr hier in so reichem Maß zu Theil wurde. Sie bewohnte ein von den anderen Gebäuden ziemlich entferntes und auf einem sanften Hügel errichtetes Hôtel, war also dem eigentlichen Badeleben fern, von welchem sie nur wenig berührt wurde. Alle diese Umstände entsprachen so ganz ihren Wünschen, daß sie Aurelien eingestand, sich durch die dargebotenen Genüsse sehr befriedigt zu fühlen und daran die besten Hoffnungen für die Zukunft zu knüpfen. Die Freundin lächelte, ohne jedoch den Anlaß dazu zu verrathen; sie wußte nur zu wohl, daß diesen Genuß nicht die Naturreize allein, sondern wol lediglich die Hoffnung auf das Wiedersehen des Freundes erzeugt hatten. Ihr edles Herz theilte diese Freude vollkommen, da sie der gebeugten Prinzessin so ersprießlich und heilsam war. Ungefähr eine Woche nach ihrer Ankunft traf der Graf bei ihnen ein. Er hatte Aurelie mit seinem beabsichtigten Besuch vorher bekannt gemacht und diese Sidonie darauf vorbereitet. Wie klopfte ihm ihr Herz doch so freudig entgegen, wie war sie in dem Bewußtsein so glücklich, den so lange entbehrten Freund endlich zu sehen! Der Graf war früh aufgebrochen und langte zeitig am Vormittag an. Sidonie harrte seiner auf dem Balkon, der ihr eine freie Aussicht auf den Weg gestattete, auf welchem Römer nahen mußte. Wie jubelte sie, als sie ihn in der Ferne erblickte und er sie nach wenigen Augenblicken im Vorüberfahren begrüßte. Kaum eine halbe Stunde darauf befand er sich bereits in ihrem Hôtel. Aurelie empfing und führte ihn zu Sidonien, die ihn in ihrem Boudoir erwartete, dessen Lage jede Sorge, belauscht zu werden ausschloß. Sie streckte dem Eintretenden mit strahlenden Augen die Hände entgegen, die der Graf in tiefer Bewegung ergriff und an die Brust drückte. So standen sie einige Augenblicke vor einander, Auge in Auge gesenkt, schweigend, von dem Glück des Wiedersehens überwunden. Sanft drängte sich eine Thräne in Sidoniens Wimpern, als sie des Freundes kränkliche Blässe bemerkte, die das flüchtige Roth der Aufwallung in seinem Antlitz bald wieder überwand. Sie bedeckte die Augen mit der Hand und ließ sich in den nahe stehenden Sessel nieder, von einer Schwäche angewandelt, die sie nicht mehr zu verbergen vermochte. Er stützte sie und blieb alsdann neben ihr stehen, die feine Hand, die er nicht frei gegeben hatte, wiederholt an die Lippen drückend. Sie waren zu bewegt, um das Wort zu finden, war ihr Wiedersehen doch eben so beglückend als schmerzlich, und drängte sich in die Freude doch auch zugleich die Mahnung des Erfahrenen und der gebotenen Entsagung. Wie anders wäre dieses Wiedersehen gewesen, hätte Sidonie dem Geliebten die frohe Nachricht bringen können, daß durch die Trennung von dem Prinzen ihrer Verbindung nun nichts mehr entgegen stände. Daß sie dies nicht thun durfte, daß die Ketten, welche sie an den verachteten Gemahl fesselten, in diesem Moment doppelt verletzend klirrten und sie so rasch aus der glücklichen Selbstvergessenheit aufstörten, erfüllte sie mit einem unnennbaren Schmerz. Das übervolle Herz rang nach einem Ausdruck, und doch, was konnte es sagen, was der Andere nicht schon wußte; war ihr Fühlen und Denken doch so innig mit einander verwebt. Der Graf fand zuerst das Wort; er bemerkte: »Wie gering war mein Hoffen auf diesen glücklichen Augenblick, der leider durch Ihr übles Befinden herbeigeführt werden mußte.« Sie blickte voll inniger Liebe zu ihm auf, und dieser Blick sagte ihm, wie geringe Bedeutung sie dem letzteren dem Glück des Wiedersehens gegenüber beilegte. Er verstand sie nur zu wohl und drückte dankend seine Lippen auf ihre Hand. »Die letzten Monate haben viel Unglück über uns gehäuft,« sprach sie sanft. »Lassen Sie es uns vergessen, meine theuerste Freundin, und ich denke, die Gegenwart wird uns das erleichtern,« entgegnete er beruhigend. »Wol haben Sie Recht; wir müssen uns diese Fertigkeit aneignen, sollen wir nicht dem Unheil erliegen. Ja, ja, mein Freund, ich will vergessen und werde es in dem neugewonnenen Glück. O, daß all' mein Mühen umsonst sein mußte!« fügte sie betrübt hinzu. Der Graf verstand sie nur zu wohl und vermochte einen Seufzer nicht zu unterdrücken. »Aurelie hat Ihnen meinen Schritt bei dem Fürsten mitgetheilt?« Der Graf bejahte schweigend. »Und auch die geringe Aussicht, die sich daran für mich knüpft?« Der Graf neigte auch jetzt schweigend und zustimmend das Haupt, und Sidonie fuhr fort: »Dennoch will ich nicht alle Hoffnung aufgeben, daß der Fürst durch die Verhältnisse und mein wiederholtes Verlangen sich endlich genöthigt sehen wird, von seinem Widerstande zu lassen.« »Wäre dem doch so!« fiel der Graf in tiefer Bewegung ein und schaute sie mit einem Blick innigster Liebe an. »O, wie glücklich wäre ich gewesen, hätte ich von diesen unheilvollen Banden endlich erlöst und mir selbst wieder zurück gegeben, meinen theuern Freund begrüßen können!« rief Sidonie, und ihr strahlendes Auge verrieth die lebhaften Empfindungen ihres Herzens, welche dieses Verlangen in ihr erzeugten. Ihre Worte übten eine tiefe Wirkung auf Römer aus; er vermochte derselben nicht länger zu widerstehen und sank an ihr nieder und preßte ihre Hände an die Lippen. Die so lange nur mühsam beherrschte Liebe brach mit ganzer Heftigkeit aus, so sehr dies auch gegen seinen Willen war; er fühlte sich jedoch in diesem Augenblick und dem so tief und so innig liebenden Weibe gegenüber aller Kraft beraubt. Sidonien erging es nicht anders; von dem sie erfüllenden Gefühl überwunden und unter hervorbrechenden Thränen neigte sie sich zu ihm nieder, umschloß sein Haupt sanft mit den Händen und hauchte scheue Küsse darauf. »O, meine Sidonie, wie unaussprechlich liebe ich Dich!« rief der Graf leise, verklärt zu ihr aufschauend. »Ich weiß es, Du guter, edler, theurer Mann, ich wußt' es, da ich noch ein Kind war, dessen Fühlen und Denken schon Dir gehörte, und das Dir und nur Dir immer und immer gehören wird. Ich wäre längst gestorben, hätte mich Deine Liebe nicht stets auf's Neue belebt; in ihr allein ruht der Quell meiner Kraft und meines Lebens!« entgegnete sie sanft und streichelte seine Haare. Alsdann fuhr sie mit erhöhtem Feuer fort: »Und wer will es mir verargen, wenn ich mich in meiner Noth anklammere an den Mann meiner Liebe, an ihn, der mit edelsinniger Hingebung mir sein schönes, reiches Leben opfert?! O, halte mich, halte die in Schmerz Versinkende mit Deinem kräftigen, starken Arm, daß sie nicht dahin geht in die grausige Nacht des Todes, verletzt und gebrochen und ohne Mitleid ihrer Peiniger! O, ich bin noch so jung, und Deine treue Liebe hat mich mit den süßen Ahnungen eines schönen, glücklichen Lebens erfüllt, hat das Verlangen nach ihm immer mächtiger in mir erregt; o, lass' mich nicht sterben, lass' mich mit der Hoffnung leben, mein Traum könnte sich einst dennoch erfüllen und noch einmal das verwelkte Leben sich in frischer Blüthe entfalten!« Sie ließ ihr Antlitz auf sein Haupt sinken und weinte heftig. »Du sollst nicht sterben, Du sollst glücklich werden!« fiel der Graf tief erschüttert ein. »So lange ich athme, wird mich das Bestreben, Dich zu beglücken, erfüllen. O, es zerreißt mir die Seele, daß ich diesen unglückseligen Verhältnissen gegenüber so machtlos bin, Dich nicht aus ihnen auf meinen Armen davon tragen kann zu dem schönen Glück unserer Liebe! O, gieb die Hoffnung auf ein Besserwerden nicht auf! Zu groß ist Dein Leid, um sich nicht endlich zu erschöpfen. Ein wiederholter Antrag bei dem Fürsten muß seine Wirkung ausüben, durch den Einfluß Deines Bruders unterstützt. Es muß, es muß ein Ende nehmen mit diesem Leid, und sollten wir auch zu dem äußersten, letzten Mittel unsere Zuflucht nehmen müssen. ~Du sollst, Du darfst~ in diesem Leid nicht untergehen!« rief der Graf mit der ganzen Energie seines Charakters. Sie erhob das Haupt und blickte ihn gefaßt und zärtlich an, indem sie entgegnete: »~Du~ sagst es, mein Geliebter, so wird es auch geschehen.« »Ja, es wird geschehen. Fasse Muth und lass' uns überlegen, wie wir zu unserm Ziel gelangen,« sprach der Graf, dessen leuchtendes Auge und feste Haltung die ganze Thatkraft seiner liebeerfüllten Seele verriethen. Sidonie antwortete nicht, sondern ließ bewundernd ihr Auge auf seinem Antlitz ruhen. Seine Worte und die sich in seinem Wesen aussprechende warme Leidenschaft hatten sie angenehm überrascht. Sie hatte ihn ~so~ noch nie gesehen. Immer bedacht, seine Gefühle zu beherrschen, erschien der Graf stets ruhiger und ernster, als es in der That sein Charakter war; und so geschah es, daß man ihn für kalt und unzugänglich hielt. Sidonie wußte wol, daß dem nicht so sei; doch noch niemals hatte sie die Sprache der Leidenschaft von ihm vernommen, noch niemals der nur Liebende in seiner ganzen Hingebung sich ihr gezeigt, und darum erschien ihr der Graf in einer neuen und verschönerten Gestalt. Und von ihren Empfindungen überwunden, drückte sie seine Hand und bemerkte: »Sie nennen Dich kalt und stolz; o, wer Dich jetzt sähe, wie leicht würde er seine Täuschung erkennen!« »O, es ist gut, daß man mir solche Eigenschaften beilegt, sie dienen mir als ein Mittel, meine Liebe zu verbergen. Nur ~so~ schütze ich uns vor einem Verrath.« »Ja, ja, mögen sie es thun; kenne ~ich~ doch Dein edles, treues Herz,« fiel Sidonie erfreut ein, und sie sprachen alsdann noch manches liebe Wort mit einander, beglückt, von allem Zwange befreit, die lang verhaltenen Gefühle endlich einander in der Sprache der Liebe mittheilen zu können. Und was wäre ihre Liebe gewesen, hätte sie die hemmenden Verhältnisse nicht überfluthet und sich in ihrer schönen Macht und Herrlichkeit geltend gemacht, ohne dem Vorwurf ein Recht einräumen zu müssen. Dieser Gedanke mochte Sidonie erfüllen, als sie, in dem Glück des Augenblicks aufgehend, sinnend vor sich hinschaute und bemerkte: »O, es ist doch etwas Großes und Schönes um die volle Liebe zweier Menschen; ich habe das nie so ganz empfunden, als eben jetzt. Welche Kraft verleiht sie dem zagenden Gemüth, welches Vertrauen flößt sie uns ein in dem Bewußtsein, daß unser Fühlen und Denken widertönt in dem geliebten Herzen, daß unser Schmerz, unsere Lust die gleichen Empfindungen in der verwandten Seele wach rufen. Süßes, unerforschtes Geheimniß der Natur.« Sie traten auf den Balkon hinaus; die Blicke von der Schönheitsfülle der Landschaft umfangen, deutete der Graf darauf hin und bemerkte, an ihre Worte anknüpfend: »Wir schauen ihr ewiges Walten in diesem reizenden Bilde, wir vernehmen es in den Tönen des Lebens, in dem Rauschen des Stromes dort, in dem Klange der Vogelsänge, wir schauen es in den farbigen Gestaltungen der düfteathmenden Blumen.« Und sie blickten schweigend um sich, lieblich angemuthet von dem Geschauten; aber nur eine Secunde, dann suchten sich ihre Augen. Sie verstanden sich nur zu wohl. Mehr als in der Schönheit und dem Weben der Natur lasen sie der Liebe Herrlichkeit in ihren von reinem Glück beseligten Augen. Rasch floh ihnen also die Stunde dahin, mit ihr war die schickliche Dauer für des Grafen Besuch dahin gegangen; Aureliens Nahen erinnerte sie daran. »Sie mahnen mich an das Scheiden,« bemerkte der Graf und fügte, sich zu Sidonien wendend, hinzu: »Es wäre mir minder schmerzlich, dürfte ich die angenehme Hoffnung mit mir nehmen, Sie und unsere Freundin heute noch wiederzusehen. Ich bleibe bis zum Abend hier; vielleicht gestatten es die Umstände, Sie an einem andern Ort zu treffen, da ich meinen Besuch im Hôtel nicht zu wiederholen wage.« »Unsere Wünsche lassen sich leicht erfüllen und ich habe bereits daran gedacht,« entgegnete Sidonie und fügte nach kurzem Ueberlegen hinzu: »Ich habe die Schloßruine schon öfter besucht; das soll auch heute geschehen; ein Zusammentreffen dürfte daselbst, ohne Aufsehen zu erregen, leicht stattfinden können. Von dort aus benutzen wir alsdann einen wenig besuchten Pfad zur Rückkehr.« Ihr Vorschlag fand den reichsten Beifall und den wärmsten Dank des Grafen, der, dadurch sehr beglückt, bald darauf schied, um die Zeit bis zu dem Ausflug in dem Hôtel zuzubringen. Bei seiner Rückkehr nach demselben empfing ihn ein lebhaftes Treiben. Der Badeort war von Gästen und Durchreisenden fast vollständig besetzt, und es fand in Folge dessen ein reger Verkehr auf den Plätzen und in den schattigen Anlagen statt, da dieselben gewöhnlich zu den Vormittagsspaziergängen benutzt wurden. Römer, der nichts Besseres zu thun wußte, gesellte sich den Lustwandelnden zu und kürzte die Zeit durch Betrachten des sich seinem Auge darbietenden belebten Bildes. Der Badeort, den einst selbst Ludwig der Vierzehnte mit seinem wiederholten Besuch beehrt hatte, zählte zu seinen Gästen vorzugsweise nur vornehme Leute, und es machte sich besonders die Damenwelt mit ihren kostbaren und auffälligen Toiletten in derselben Weise geltend, wie man dies auch heute selbst in den kleinsten Bädern zu sehen hinreichende Gelegenheit findet. Die Herren standen ihnen in dieser Beziehung würdig zur Seite und trugen in ihren Kleidungen eben so viel Luxus an Sammet, Seide, Gold- und Silberstickereien und Brillanten in Busentuch und Schnallen zur Schau wie jene; der kostbaren Stöcke nicht zu gedenken, die damals eine nothwendige Ergänzung eines vornehmen Anzuges waren. Daß Koketterie und allerlei Intriguen ihre Netze spannen, und wahrscheinlich in noch erhöhterem Grade, wie dies in der Gegenwart geschieht, darf kaum bemerkt werden. Die meisten der Badegäste waren nicht eigentlich leidend, sondern nur vergnügungssüchtig und nutzten daher die aufgesuchte Gelegenheit so viel als möglich nach Wunsch aus. Der Graf schritt an der geputzten und schwatzenden Menge vorüber und erreichte weiter wandelnd nach einiger Zeit einen Punkt, von welchem aus sich seinem Auge eine Fernsicht auf die zu dem Ausfluge bezeichnete Schloßruine darbot. Dieser Umstand und die Schönheit des Landschaftsbildes veranlaßten ihn, an dem Ort zu verweilen und sich an der Aussicht zu ergötzen. Es befanden sich nur wenige Personen in seiner Nähe und er vermochte daher seine Absicht ziemlich ungestört auszuführen. Früher, als es ihm angenehm war, wurde er jedoch durch eine an ihn gerichtete Bemerkung darin gestört. Beim Hinwenden zu dem Sprechenden sah er einen fein gekleideten Cavalier, der sich, artig verneigend, mit höflichen Worten entschuldigte, ihn vielleicht in seinem Genuß gestört zu haben. »Ich bemerkte,« fuhr der Fremde fort, »das von Ihnen verrathene große Interesse für diese Aussicht, und da ich dasselbe in hohem Grade theile, so freute ich mich, einen Gleichfühlenden zu treffen, deren es in unserer Badegesellschaft nicht eben viele giebt. Man zieht das Gesellschaftsleben hier dem Naturgenuß vor, denn man kann sich so schwer von dem Gewöhnten und Beliebten trennen!« Der Graf wurde durch diese höfliche und seine gegenwärtigen Gefühle angenehm berührende Ansprache um so mehr erfreut, da es ihm Bedürfniß war, sich über die empfangenen Eindrücke auszusprechen, und ging daher auf die Unterhaltung ein. Sich wieder der Aussicht zuwendend, gestand er, von deren Schönheit entzückt zu sein, und erbat sich von dem Fremden über einzelne Punkte gefälligen Aufschluß. Dieser wurde ihm in der gütigsten Weise gewährt, worauf der Fremde die nahe liegende Vermuthung aussprach, daß Römer wahrscheinlich erst kurze Zeit hier sei, und daran die Frage knüpfte, ob er etwa gesonnen wäre, das Bad für längere Zeit zu benutzen. Römer theilte ihm seinen vorüber gehenden Besuch mit, worauf der Fremde die Frage an ihn richtete, ob er etwa gesonnen wäre, die Schloßruine zu besuchen, indem er ihm zugleich diesen Ausflug als in jeder Beziehung lohnend anpries. Der Graf wurde in Folge dessen veranlaßt, ihm sein Vornehmen in dieser Hinsicht mitzutheilen, da er es für besser erachtete, dasselbe nicht zu verheimlichen, da überdies auch sein Besuch jenes Ortes nicht verborgen bleiben konnte. Hierauf erbot sich der Fremde, ihm noch einzelne in der Nähe befindliche Anlagen zu zeigen, was der Graf gern annahm, worauf sie unter lebhaftem Gespräch weiter gingen. Während dessen erkundigte sich der Fremde in durchaus nicht belästigender Weise nach dem Anlaß seines Besuchs, ob er denselben etwa wiederholen und vielleicht längere Zeit hier verweilen würde, indem er zugleich die schmeichelhafte Bemerkung hinzufügte, wie sehr angenehm ihm die Gegenwart des Grafen wäre, da sein Umgang hier nur auf sehr wenige Personen beschränkt sei. Römer sprach das Bedauern aus, durch seine Verhältnisse an einem längeren Besuch des Bades behindert zu sein, verschwieg jedoch seine Absicht nicht, denselben zu wiederholen. In solcher Weise war die Zeit zum Diner genaht, und der Fremde begab sich mit dem Grafen nach dem Hôtel, woselbst sie gemeinschaftlich speisten und der Erstere sich auch jetzt als gewandter und angenehmer Gesellschafter geltend zu machen wußte. Nach dem Diner ersah Römer eine geeignete Gelegenheit, sich von dem Fremden zu trennen, da er fürchtete, derselbe könnte sich ihm als Begleiter nach der Ruine anbieten, was er aus nahe liegenden Gründen vermeiden mußte. Der Fremde nannte sich von Bieberstein und war Hauptmann bei einem Fußregiment des Fürsten, also ein Landsmann des Grafen. Er hielt sich eines Leidens wegen in dem Bade auf und gedachte daselbst ungefähr zwei Monate zuzubringen. So angenehm auch dem Grafen diese Begegnung für den Augenblick war, würde er dennoch im Hinblick auf Sidonie gern darauf verzichtet haben, da er es für zweckmäßig erachtete, sich so viel als möglich von allen gesellschaftlichen Berührungen frei zu halten, um der Beobachtung zu entgehen. Er erkannte jedoch, wie schwer er seine Absicht erreichen würde, da die Verhältnisse in einem Bade dieselbe nichts weniger als begünstigen, und so nahm er das Unvermeidliche mit dem Vornehmen hin, seine Vorsicht zu verdoppeln. Die zu dem Ausflug bestimmte Zeit war genaht, und der Graf begab sich in seinem Wagen nach dem Ziel des ersteren. Als er an Sidoniens Hôtel vorüber fuhr, gewahrte er sie auf dem Balkon; sie hatte auf diesen Augenblick gewartet, um darnach die eigene Fahrt zu bestimmen. Sie begrüßten sich in der angenehmen Hoffnung, bald bei einander zu sein und im süßen Verein die Naturschönheiten zu genießen. Etwa eine halbe Stunde darauf traf Sidonie auf der nur von wenigen Personen besuchten Schloßruine ein. Römer führte sie umher, und ihr Glück steigerte sich im Gefühl der Freiheit und des Bewußtseins, wie einst mit einander leben zu können. Wie viele trübe Jahre lagen zwischen der Gegenwart und der schönen Vergangenheit mit all' ihren süßen Hoffnungen. Dessen gedachten sie, und so konnte es nicht ausbleiben, daß ihnen die mannichfachen reizvollen Fernblicke nur ein vorüber gehendes Interesse abgewannen. So ging die Zeit rasch dahin, und die längeren Schatten mahnten an die Rückkehr, besonders da noch eine kleine Strecke gehend zurückgelegt werden mußte und Sidonie die ihr obliegenden Rücksichten nicht übersehen durfte. Auch mehrte sich der Besuch auf der Ruine und machte ihnen den verlängerten Aufenthalt daselbst nicht mehr erwünscht, und so brachen sie auf. Als Römer mit der Prinzessin und Aurelien im Begriff war, die Ruinen zu verlassen, gewahrte er seinen früheren Begleiter, der mit mehren Personen umher wandelte. Er, wie auch die Anderen begrüßten Sidonie ehrerbietig. Man kannte sie und hatte sich mit ihren ehelichen Verhältnissen bald vertraut gemacht, wie das eben nicht ausbleiben konnte. Wesen und Benehmen der Prinzessin waren auch überdies sehr geeignet, Interesse zu erregen, und so war eine Begegnung mit ihr sehr gewünscht, indem eine solche Stoff zur Unterhaltung über sie darbot. Dem Grafen war dieses Zusammentreffen nichts weniger denn angenehm, indem dasselbe seine nähere Beziehung zu der Prinzessin verrieth, was, wie wir erfahren haben, er gern vermieden hätte. Er wurde jedoch zu sehr durch die angenehme Gegenwart heraus gefordert, um dem empfangenen Eindruck nachzuhängen. Bald hatten sie den Pfad erreicht und blieben in der Absicht, sich von der Gegenwart des sie begleitenden Dieners zu befreien und ihre Verabredung zu verbergen, stehen und beriethen, ob sie den Pfad einschlagen sollten oder nicht. Daß sie sich für den Gang erklärten, verstand sich von selbst, worauf der Graf den Diener beauftragte, sich zu den am Fuß des Berges haltenden Equipagen zu begeben und dieselben nach einem weiter liegenden Punkt zu bestellen, von wo aus sie sich derselben wieder bedienen wollten. Sie wandelten alsdann weiter. Der Weg war bequem und zog sich auf einem bewaldeten Bergrücken bis nach dem Badeort hin fort und gewährte den Wandelnden die mannichfachsten Fernsichten. Hübsche Anlagen mit einladenden Ruhesitzen unterbrachen denselben. Was ihnen den Gang jedoch ganz besonders angenehm machte, war die ringsum herrschende, nur durch Vogelsang unterbrochene Stille und der Mangel an Besuchern, der ihnen den Vortheil gewährte, nicht beobachtet zu sein und sich ungezwungen an einander zu erfreuen. Manches liebe Wort wurde gesprochen, dessen Quelle Liebe und Freundschaft war. Langsam gingen sie dahin, oft ruhten sie aus auf den einladenden Sitzen. So erreichten sie beim Abendschimmer die auf sie harrenden Wagen, und hier trennte sich der Graf von den Frauen in förmlicher Weise, nachdem er ihnen vorher bereits ein herzliches Lebewohl gesagt und seinen baldigen Besuch bezeichnet hatte. Während Sidonie mit Aurelien nach ihrem Hôtel zurückkehrte, trat der Graf seine Rückfahrt an, wie er das ursprünglich beabsichtigt hatte. Bald hüllte Dunkelheit die Gegend ein. Sidonie und Aurelie saßen auf dem Balkon und gedachten der verlebten Stunden und des Freundes, der sich auf dem Wege nach der Heimath befand, und die angenehme Hoffnung seiner baldigen Rückkehr milderte Sidoniens Schmerz über die Trennung von ihm. Ihr Herz war von süßem Glück erfüllt, das ihr der heutige Tag gebracht, dem sie in der Erinnerung nachhing und dessen Erneuung ihr die Zukunft verhieß. Wir übergehen einen Zeitraum von vier Wochen, in welchem der Graf die Prinzessin durch seinen wiederholten Besuch erfreute, den er jedoch nur einmal auf mehre Tage ausdehnte; gewöhnlich pflegte er nur einen Tag daselbst zu verweilen. Es darf kaum bemerkt werden, daß sie bedacht waren, die ihnen zum Zusammensein gebotenen Stunden so viel als möglich auszunutzen, und darin durch die Abwesenheit jedes höfischen Zwanges wesentlich unterstützt wurden. Diese Umstände waren aber zu verführerisch, um sie nicht zu einem längeren Beisammensein im Hôtel und zu öfteren gemeinschaftlichen Ausflügen in die Umgegend zu verleiten. Zwar wurden dabei sowol von Seiten des Grafen als der Prinzessin alle üblichen Rücksichten beobachtet; trotz alledem verrieth sich dadurch jedoch die nähere Beziehung Römer's zu Sidonien, und die Badegäste fanden darin ergiebigen Stoff zu allerlei pikanten Bemerkungen. Wie man dergleichen Verhältnisse in jener Zeit beurtheilte, ist uns bereits bekannt, und wir bemerken nur noch, daß die Besucher des Bades sich veranlaßt sahen, in dieser Beziehung keine Ausnahme zu machen. Römer traf mit Bieberstein noch öfter zusammen, und dieser schloß sich ihm noch näher an, wobei es dem Ersteren nicht entging, daß des Kapitäns Bemühen darauf gerichtet war, sein Vertrauen zu gewinnen. Daß ihm das nicht gelang, verstand sich von selbst, doch vermochte sich der Graf von seinem Umgange nicht ganz frei zu machen, so sehr er auch darauf bedacht war und ihm des Kapitäns Neugier, die sich nicht nur auf des Grafen, sondern auch auf Sidoniens Verhältnisse erstreckte, endlich lästig wurde. Ohne durch die Besorgniß gestört zu werden, in welcher Weise des Grafen Besuche gedeutet wurden, gab sich Sidonie ihrem Glück mit ganzem Herzen hin, das nur durch die sich nicht eben selten aufdrängenden Gedanken, wie bald dasselbe sein Ende erreichen sollte, beeinträchtigt wurde. Einem solchen Gedanken nachhängend, hatte sie sich, angelockt von der kühlenden Abendluft, nach dem Balkon begeben. Aurelie hatte wegen eines leichten Unwohlseins bereits die Ruhe gesucht und konnte ihr also nicht Gesellschaft leisten. Sidoniens Stimmung war an diesem Abend besonders gedrückt. Der Graf hatte sie heute nämlich mit der betrübenden Nachricht verlassen, durch allerlei Verhältnisse an seinem baldigen Besuch verhindert zu sein, indem er zugleich im Hinblick auf den nur noch kurzen Aufenthalt Sidoniens im Bade andeutete, daß sein nächster Besuch wahrscheinlich auch der letzte würde sein müssen. Sidonie erkannte, sich darin fügen zu müssen, aber um so schmerzlicher bewegte sie daher auch der Gedanke, daß ihr schönes Glück nun bald sein Ende finden sollte. Und welch eine Zukunft erwartete sie! -- Ihr Herz empörte sich in der Voraussicht derselben, indem sich zugleich der Entschluß in ihr befestigte, auf's Neue die erforderlichen Schritte zur Trennung von dem Prinzen zu thun, um den auf sie harrenden Leiden zu entfliehen. Daß sie nur durch einen beharrlichen Kampf zu diesem Ziel gelangen würde, wußte sie; aber sie erkannte auch ebenso die unabweisbare Nothwendigkeit, zur Erlangung desselben vor keiner Mühe schwächlich zurück zu beben. Galt es doch dem Glück des ihr so theuren Mannes, mit welchem sich ihr eigenes so innig verkettete, galt es doch, sich aus den entehrenden Fesseln zu befreien. Die wenigen Tage, welche ihr mit Römer zu verleben gestattet worden waren, hatten überdies die Sehnsucht nach einem dauernden und ungetrübten Verein mit ihm in hohem Grade gesteigert, so daß sie es für unmöglich erachtete, fernerhin ohne ihn leben zu können. Von allen diesen Empfindungen und Erwägungen in hohem Grade bewegt, lehnte sie sich vom Balkon hinaus und schaute in die tiefdunkle Nacht. Ihre Gedanken verfolgten den geliebten Mann, der auf dem Wege zur Heimath dahin eilte. Ein Bangen erfüllte sie, als sie den mit dunkeln Wolken bedeckten Himmel betrachtete, aus welchem in der Ferne heftige Blitze zuckten, denen ein schwacher Donner folgte. Und die Angst ergriff sie, er könnte von dem Unwetter zu leiden haben, und beklagte es, daß er seine Abreise nicht bis zum nächsten Tage verschoben hatte. Und die Blitze zuckten immer heftiger, vernehmlicher wurde der Donner, beängstigender die schwüle Nachtluft. Ihre Unruhe drängte sie, sich an dem Bilde des Geliebten zu trösten und zu erquicken, und sie holte eine kleine silberne Chatoulle herbei, in welcher sie außer einigen kostbaren Andenken auch das Portrait des Grafen aufbewahrte, welches sie sich, wie wir erfahren haben, bereits früher von Aurelien hatte zurückgeben lassen und seitdem bei sich bewahrte. Sie öffnete die Chatoulle, nahm das Bild und betrachtete es mit der ganzen Innigkeit ihrer Empfindungen. Wie tief wurde sie von dem Anblick der geliebten Züge bewegt! -- »O, ich will keinen Schmerz, keinen Kampf scheuen, um Dir, Du edler, theurer Mann, für immer anzugehören. Komme was da will, ich will es tragen; Deine Liebe macht mich stark; ich werde nicht erliegen. O, welch ein süßes Glück wird mein Lohn sein, welche Tage der Wonne, des himmlischen Friedens wird uns die Zukunft bringen, vor Allem aber werde ich Dein liebes, treues Auge von innigem Glück erhellt sehen, und darin birgt sich der Inbegriff des meinen.« So dachte Sidonie, im Anschauen des Bildes versunken, und sprach in solcher Weise noch viele, viele liebe Worte mit demselben. Eilig nahende Schritte störten sie plötzlich aus ihren süßen Träumereien und veranlaßten sie, das Portrait rasch in die Chatoulle zu legen. Noch beschäftigt, dieselbe zu schließen, erblickte sie die Wärterin ihrer Tochter, welche ihr mit besorgten Mienen die beunruhigende Nachricht brachte, daß sich das Kind nicht wohl befände; sie fürchtete den Ausbruch irgend einer Krankheit. Durch das Vernommene in hohem Grade erschreckt, erhob sich Sidonie sofort und folgte der Wärterin. Sie fand die Mittheilung der Letzteren leider durchaus bestätigt und sandte sogleich nach ihrem Arzt, während sie bis zu dessen Ankunft bei dem Kinde blieb. Aurelie, die von der Erkrankung Kenntniß erhielt, erschien bald und leistete ihr Gesellschaft. Wenige Minuten darauf traf der Arzt ein und erklärte nach Prüfung des Zustandes der Kranken, daß wahrscheinlich eine der gewöhnlichen Krankheiten, welche in dem Alter der Leidenden vorzukommen pflegen, im Anzuge sei, indem er Sidonie zugleich in Bezug auf den Ausgang derselben beruhigte. Die sofort angewandten Heilmittel thaten bald eine gute Wirkung, und das Kind fiel in einen leichten Schlaf. Während dessen war es tief in der Nacht geworden, und Aurelie drang in die Freundin, sich Ruhe zu gönnen und mit ihr in der Pflege des Kindes abzuwechseln. Da dieses schlief und eine Gefahr für dasselbe nicht vorhanden zu sein schien, so gab Sidonie ihren Vorstellungen nach und ging nach ihrem Schlafgemach. Daselbst angelangt, erinnerte sie sich der Chatoulle, die sie auf dem Balkon stehen gelassen hatte, und begab sich sogleich dahin, um dieselbe zu holen. Als sie den Blick auf den Tisch richtete, auf welchem dieselbe gestanden hatte, fand sie das Kästchen nicht; es war fort. In der nahe liegenden Vermuthung, daß einer der Diener dieselbe wahrscheinlich nach ihrem Boudoir getragen hatte, beunruhigte sie sich darüber nicht weiter, sondern ging in der Gewißheit nach dem Zimmer, die Chatoulle daselbst vorzufinden. Sie sah sich jedoch getäuscht; denn trotz alles Suchens war dieselbe auch hier nicht zu entdecken. Dabei fiel ihr ein, daß sie die Lichte auf dem Balkon noch brennend gefunden hatte; ein Umstand, der sie befremdete; denn es lag die Annahme nahe, daß der Diener, der die Chatoulle holte, auch das Auslöschen derselben wol kaum vergessen haben würde. Sie ließ sogleich nachforschen, wer die Chatoulle fortgetragen hätte, und erhielt hierauf die beunruhigende Nachricht, daß dies keiner der Diener gethan. Ebenso war auch Niemand auf dem Balkon gewesen, noch auch hatte irgend Jemand Kenntniß von dem Vorhandensein der Chatoulle daselbst gehabt. Sidonie sah sich im Hinblick der eigenthümlichen Umstände, unter welchen sie den Balkon besucht und die Chatoulle dahin getragen hatte, genöthigt, die erhaltene Mittheilung als begründet anzuerkennen. Sie erschrak. Ihre Dienerschaft war treu und jeder Verdacht in Erwägung der bezeichneten Umstände unzulässig; die Chatoulle mußte also entwendet sein. Die Gelegenheit dazu war durch die Erkrankung ihrer Tochter, welche sie und die Dienerschaft aus der Nähe des Balkons entfernte und in dem entgegengesetzten Flügel des Hôtels beschäftigte, geboten worden. Diesen günstigen Augenblick mußte der Dieb zu seinem Verbrechen benutzt haben. Das werthvolle Kästchen reizte dazu. Ueberdies war, wie wir erfahren haben, das Hôtel von dem Badeort entlegen, der niedrige Balkon von dem Garten aus leicht zu ersteigen, besonders da die tiefe Dunkelheit ein solches Unternehmen wesentlich begünstigte. Alle diese Umstände erwog Sidonie und gelangte zu der übeln Ueberzeugung, der Chatoulle beraubt zu sein. Den Verlust der in derselben enthaltenen Werthsachen hätte sie leicht verschmerzt, nicht so denjenigen des Portraits. Ihre Unruhe und Besorgniß steigerte überdies noch der Gedanke, zum Verschweigen des Raubes genöthigt zu sein, da die Entdeckung desselben auch den Verrath des Portraits herbeigeführt hätte. Sie wurde dadurch veranlaßt, der Dienerschaft das strengste Schweigen anbefehlen zu lassen, indem sie dieses durch die Annahme zu rechtfertigen bedacht war, durch geheimes Forschen sicherer zu ihrem Verlust gelangen zu können. Nachdem sie in solcher Weise am zweckmäßigsten für ihr Interesse gesorgt zu haben glaubte, begab sie sich zu Aurelien, die durch Sidoniens Mittheilung nicht wenig erschreckt wurde. Sie billigte die getroffenen Maßnahmen und die Frauen beriethen alsdann, welche Schritte sie zur Wiedererlangung der Chatoulle thun dürften, ohne den Verrath des Portraits fürchten zu müssen. Nach längerem Erwägen gelangten sie zu dem Entschluß, Aurelie sollte einen der am Ort anwesenden Polizeibeamten in's Vertrauen ziehen, das Kästchen als das ihrige bezeichnen und ihn beauftragen, im Geheimen darnach zu forschen, und seinen Eifer durch eine in Aussicht gestellte namhafte Belohnung anspornen. In solcher Art hofften sie ihren Zweck am sichersten und besten zu erreichen. Gelang dies den Nachforschungen des Beamten nicht, so gewannen sie wenigstens den in diesem Fall besonders wichtigen Vortheil, daß Sidonie nicht bloßgestellt wurde, was durch die Entdeckung des Portraits jedenfalls geschehen wäre, der übeln Folgen nicht zu gedenken, welche sich daran knüpfen mußten, würde der Fürst oder der Prinz davon Kenntniß erhalten haben. Am folgenden Tage wurde das besprochene Vorhaben in der angegebenen Weise von Aurelien ausgeführt, und der gewonnene Beamte schied mit dem Versprechen von ihr, mit Anwendung aller ihm zu Gebot stehenden Kräfte und mit Beobachtung strengster Discretion sich dem Auftrage zu unterziehen. In der angenehmen Hoffnung, ihren Wunsch vielleicht bald erfüllt zu sehen und dadurch allen weiteren, sich mit dem Entwenden der Chatoulle verknüpfenden Gefahren zu entgehen, fühlte sich Sidonie wieder in etwas beruhigt. Das Interesse für diese Angelegenheit wurde durch den sich rasch verschlimmernden Zustand ihrer Tochter wesentlich gemäßigt. Des Arztes Voraussage war nämlich wirklich eingetroffen und die Kleine von einer der gewöhnlichen Kinderkrankheiten ergriffen worden, welche Sidoniens ganze Sorge in Anspruch nahm. Sie hatte den Prinzen sogleich mit Allem bekannt gemacht und das Gutachten des Arztes ihrem Briefe beigefügt. Da das letztere im Ganzen beruhigend war, so befremdete es Sidonie nicht, in des Prinzen Erwiderung ein nur geringes Interesse für das Leiden seiner Tochter ausgedrückt zu finden; da gegen machte sie der Umstand in hohem Grade bestürzt, daß er ihr für den Fall der Verschlimmerung der Krankheit seinen Besuch in Aussicht stellte. Er drückte ihr zugleich seine Freude über die guten Wirkungen der Badecur aus, die bereits ihr Befinden gebessert hätten, und seine Worte verriethen eine ungewöhnliche Theilnahme für sie, die sie beängstigte. Vor Allem jedoch that dies die Aussicht seines Besuchs; denn in keinem andern Augenblick wäre ihr derselbe so unangenehm gewesen, als eben jetzt. Die verletzendste Kälte von seiner Seite würde sie gern hingenommen haben, da Alles, was sie an das verhaßte Band mit ihm erinnerte, ihr jetzt doppelt unangenehm war. Sie hatte sich in der geträumten Freiheit so wohl befunden, und so mußten ihr seine Worte doppelt unangenehm sein, da dieselben sie an ihr Unglück mahnten. Mit dem Empfang seines Briefes hatte auch ihre Ruhe, ihr stilles, reines Glück sein Ende gefunden, und zu diesem schmerzvollen Verlust gesellte sich nun auch die Besorgniß um die leidende Tochter. Trotz der guten Voraussage des Arztes verschlimmerte sich der Zustand der Letzteren in einem gefährlichen Grade, so daß der Arzt über den Ausgang derselben bedenklich wurde. Das waren kummervolle Stunden für die schwer gebeugte Sidonie, um so schwerer, da sich an den Zustand der Kranken zugleich die Angst knüpfte, durch die Gefährlichkeit desselben den Besuch des Prinzen herbei zu führen. Und so waren ihre Gebete für die Genesung ihres theuern Kindes doppelt heiß. Auf ihren Wunsch hatte Aurelie dem Grafen sowol die Erkrankung des Letzteren als auch die Entwendung der Kassette und deren nähere Umstände mitgetheilt, und nicht anzudeuten unterlassen, wie erwünscht ihnen gerade jetzt sein Besuch sein würde. Diesem Briefe fügte Sidonie einige Zeilen bei. Von Schmerz und Sehnsucht erfüllt, fühlte sie ein großes Verlangen, sich dem Freunde mitzutheilen, und es gewährte ihr einen ganz besondern Trost, ihm ihre Empfindungen selbst ausdrücken zu können. Ueberdies wußte sie, welche große Freude sie ihm dadurch bereiten würde; denn es waren die ersten Worte, die sie an ihn richtete; bisher hatte sie dies zu thun nicht gewagt. Es waren freilich nur wenige Worte, die sie ihm schrieb; dieselben athmeten jedoch eine um so größere Innigkeit und verschwiegen den Trost nicht, den ihr der Gedanke, ihre Gefühle von seinem edeln Herzen getheilt zu wissen, so wie die Hoffnung gewährte, ihn bald wiedersehen zu können. Ebenso hatte sie nicht unterlassen, ihm mitzutheilen, unter welchen Verhältnissen sie des Prinzen Besuch zu erwarten hätte, jedoch auch zugleich die Hoffnung ausgesprochen, daß dieser üble Fall nicht eintreten würde. Wenige Tage müßten nach des Arztes Ansicht darüber entscheiden. Einer ihrer Diener, der zu dergleichen Besorgungen bestimmt war, wurde von Aurelien mit dem Ueberbringen des Briefes betraut. Mit Ungeduld sah Sidonie der Rückkehr desselben entgegen; sie hoffte durch ihn eine Antwort von dem Grafen und die so sehr gewünschte Nachricht seines baldigen Besuchs zu erhalten, und es beunruhigte sie daher, als der Bote nicht wie früher an dem nächsten Tage eintraf. Doch, es konnte ihm ein Unfall zugestoßen sein, oder er hatte vielleicht den Grafen nicht auf dessen Besitzung getroffen und wartete auf dessen Rückkehr; diese Voraussetzungen bewogen sie, noch zwei weitere Tage geduldig zu warten. Aber auch diese verstrichen; der Bote blieb jedoch aus. Auf Aureliens Rath harrte sie noch einen Tag, als aber auch dann der Diener nicht erschien, erachtete sie es für nothwendig, einen zweiten Boten an den Grafen abzusenden, ihm durch Aurelie das Nähere mitzutheilen und um Aufklärung bitten zu lassen. Es wurde zur Ausführung dieser Botschaft ein in Diensten des Hôtelbesitzers stehender Mann, der als durchaus zuverlässig bezeichnet wurde, erwählt. Demselben war große Eile empfohlen worden, und er entledigte sich des Auftrages auch in so kurzer Zeit, daß er bereits am Abend mit einem Brief des Grafen zurückkehrte. Der Inhalt des letzteren überraschte und beunruhigte die Freundinnen in hohem Grade; denn der Graf theilte ihnen mit, weder den Boten noch die ihm zugedachten Briefe empfangen zu haben. Er wäre in der bezeichneten Zeit auf seiner Besitzung anwesend gewesen, würde also den Boten, falls derselbe sich gemeldet hätte, daher auch jedenfalls gesehen und gesprochen haben. Er bemerkte zugleich, durch die betreffenden Umstände zu der Vermuthung geleitet zu sein, daß den Boten irgend ein Unfall betroffen haben müßte, und wollte sich durch Kundschaft hierüber in der kürzesten Zeit Gewißheit zu verschaffen suchen. Sobald er diesen Zweck erreicht haben würde, gedachte er Sidonien persönlich über den erzielten Erfolg Bericht abzustatten, und glaubte im Hinblick auf die Wichtigkeit der eingebüßten Botschaft, die Nachforschungen persönlich leiten zu müssen. Die Freundinnen stimmten seinem Vorhaben mit vollem Herzen bei; denn es galt, Sidoniens Brief nicht in unbefugte Hände gelangen zu lassen. Zwar hatte sie nur den Anfangsbuchstaben ihres Namens unter denselben gesetzt; dieser jedoch und Aureliens Schreiben genügten, die Schreiberin zu verrathen. Es darf kaum bemerkt werden, wie tief Sidonie von dem Allen betroffen wurde. Der Verlust des Portraits, das räthselhafte Verschwinden des Boten und die rasche Aufeinanderfolge aller dieser Vorfälle, so wie die Ungewißheit, in welcher Art sich dieselben lösen würden, erfüllten sie mit beängstigender Sorge, und gewiß mit allem Recht. Denn gelangte sie nicht in den Besitz dieser Gegenstände, so stand für sie das Gewichtigste, ihre Ehre, auf dem Spiel. Zweites Kapitel. Mühlfels hatte sich nichts weniger als beeilt, die ihm angewiesene Garnison zu erreichen, und langte daselbst erst nach mehren Tagen und in der übelsten Stimmung an. Diese steigerte sich noch mehr, als er von dem Commandanten ziemlich kalt empfangen und fortan zum strengen Dienst angehalten wurde. Es geschah dies auf den geheimen Befehl des Fürsten, und der Commandant war viel zu dienstergeben, um denselben nicht zu respectiren, trotz der von Mühlfels ihm übergebenen Empfehlung des Prinzen. Der Commandant befand sich schon seit vielen Jahren an diesem Ort und wußte, wie er die ihm zugeschickten Officiere zu behandeln hatte, besonders wenn ein fürstlicher Befehl ihm die Winke dazu gab. Mühlfels war in Verzweiflung, und das um so mehr, da er sich für die Unannehmlichkeiten des Dienstes durch irgend eine angenehme Zerstreuung nicht zu entschädigen vermochte. Wie wir erfahren haben, lag die kleine Grenzstadt in der ödesten Gegend und von allem größeren Verkehr abgeschnitten, und bot daher fast gar keine, oder doch nur solche Vergnügungen, an welchen der durch die raffinirtsten Genüsse verwöhnte Baron keinen Geschmack fand, und so däuchten ihm namentlich die ersten Wochen seines Aufenthalts kaum erträglich. Er beeilte sich, den Prinzen mit seiner unglücklichen Lage bekannt zu machen und um eine neue Empfehlung bei dem Commandanten zu bitten. Der Erstere erfüllte gern seinen Wunsch, sprach sein herzliches Bedauern über sein trauriges Leben aus und ermahnte ihn zum geduldigen Ausharren. Des Prinzen wiederholtes Schreiben übte eine gute Wirkung auf den Commandanten aus, und Mühlfels wurde seitdem rücksichtsvoller behandelt. So angenehm ihm dies auch war, ging sein Verlangen dennoch stets darauf aus, zurückkehren zu dürfen, und er bestürmte den Prinzen mit Bitten, den Fürsten zur Abkürzung seiner übeln Lage zu veranlassen; jedoch vergebens. Des Prinzen Zerwürfniß mit dem Fürsten war noch nicht ausgeglichen worden, und so wagte der Erstere nicht, sich bei diesem für Mühlfels zu verwenden, da er überdies die Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen voraussah. Er vertröstete ihn daher für eine geeignetere Zeit, die, wie er meinte, bald eintreten dürfte. Um jedoch etwas von Belang für seinen Günstling zu thun, veranlaßte er die Baronin, den Fürsten persönlich im Interesse ihres Sohnes anzugehen. Ein solcher Schritt war in jeder Hinsicht gerechtfertigt, und die Baronin zögerte denn auch nicht, denselben zu thun. Ihre Mühe war jedoch fruchtlos, denn der Fürst entließ die getäuschte Oberhofmeisterin mit dem Bedeuten, daß ihrem Sohn der Aufenthalt in der stillen Garnison sehr gut thue und er ihn deshalb noch einige Zeit daselbst lassen würde. So sah sich denn der Baron genöthigt, das Unabänderliche mit Geduld zu ertragen; je mehr er jedoch darunter litt, um so mehr steigerte sich auch in ihm das Verlangen, sich an der Urheberin seiner Leiden rächen zu können. Was ihn zu trösten schien, war der rege Briefwechsel, den er mit dem Prinzen unterhielt. Weitere Bemühungen um seine Entlassung aus dem Dienstverhältniß fanden fortan nicht statt, und es schien, als ob sich der Baron mit demselben bereits ausgesöhnt hätte. In dem Benehmen des Prinzen gegen den fürstlichen Oheim trat bald nach Sidoniens Abreise eine wesentliche Aenderung ein, indem der Erstere bei einer geeigneten Gelegenheit diesen wegen seiner Thorheiten und seines aufbrausenden Benehmens nicht nur um Verzeihung bat, sondern ihn auch überdies durch eine vermehrte und fast eifrige Theilnahme an den Staatsgeschäften auszusöhnen sich bemühte. Der Fürst, von dem Glauben erfüllt, daß dies Alles lediglich die Folge seiner strengen Maßregeln wäre, freute sich darüber nicht wenig, indem er daraus die Zweckmäßigkeit derselben entnahm. Nicht minder erfreute es ihn, von Sidonien zu vernehmen, welche gute Wirkungen der Gebrauch des Bades auf sie erzeugt hatte, indem er zugleich hoffte, daß ihm nun auch vielleicht die Aussöhnung des getrennten Paares gelingen würde. In dieser angenehmen Aussicht war es ihm besonders lieb, daß sich der Prinzessin Charakter trotz der von ihm gebilligten verführerischen Maßnahmen dennoch so trefflich bewährt hatte, indem dem Prinzen dadurch jeder Anhalt zu einer Weigerung, das frühere Verhältniß wieder herzustellen, genommen wurde. Er schrieb der Prinzessin einige freundliche Worte, ohne jedoch seiner geheimen Wünsche und Erwartungen zu gedenken. Noch freudiger überrascht wurde er durch des Prinzen Antwort auf Sidoniens Mittheilung über die Erkrankung der Tochter, die ihm dieser, vielleicht absichtlich, eingehändigt hatte, um sie mit des Fürsten Brief an Sidonie durch den Courier befördern zu lassen. Ihm war dieselbe ein Beweis des wiedergewonnenen Interesses, welches der Prinz für seine Gemahlin hegte, und wie sehr die Trennung zur Erzeugung von dergleichen guten Wirkungen geeignet ist. Auf seinen Wunsch war der Prinz bereits entschlossen, Sidonie zu besuchen; als jedoch in dieser Zeit die Nachricht von dem gefahrlosen Ausgang der Krankheit der Tochter eintraf, gab der Prinz im Hinblick auf die weite Reise sein Vorhaben wieder auf und begnügte sich, der Prinzessin seine Freude über das Vernommene auszudrücken. Sidonie athmete in der Gewißheit, ihr stilles Glück durch des Prinzen Besuch nicht gestört zu sehen, froh auf. Ihre Freude war um so größer, da mit seinem Besuch die Gefahr für sie herbei geführt worden wäre, daß er sowol Kenntniß von dem Entwenden der Chatoulle als dem Verschwinden des Dieners erhalten hätte, und dadurch veranlaßt worden wäre, Nachforschungen darnach anstellen zu lassen. Waren dieselben jedoch von Erfolg, so hatte sie auch den Verrath des Briefes und Portraits zu fürchten und konnte die Folgen desselben leicht voraussehen. Trotz alledem durfte sie sich noch nicht beruhigen; denn die Bemühungen des Grafen und der Beamten waren bisher fruchtlos gewesen und somit die sie bedrohenden Gefahren noch nicht beseitigt. Römer traf nach wenigen Tagen mit der wenig befriedigenden Nachricht bei ihr ein, daß die sorgfältigsten Nachforschungen nicht die geringste Spur von dem Verbleib des Dieners ergeben hätten. Zwar wollte man diesen auf einem bestimmten Punkte der Landstraße gesehen haben; Weiteres jedoch wußte man nicht, da alsdann keine Spur von ihm zu entdecken war. Es waren zu derselben Zeit an verschiedenen Orten in der Nähe des Bades Einbrüche und Diebstähle vorgekommen, und so lag die Vermuthung nahe, daß man den Diener, dessen Livrée ihn als einen fürstlichen bezeichnete, wahrscheinlich in der Voraussetzung, eine gute Beute zu machen, getödtet und beraubt hatte. Eben so wahrscheinlich war es, daß dieselben Verbrecher auch die Chatoulle entwendet hatten. Diese Annahme fand um so mehr Glauben bei Sidonien, da der Polizeibeamte dieselbe durch seine Mittheilungen noch wahrscheinlicher machte. In Folge der angestellten Nachforschungen war man nämlich zu der Entdeckung mehrerer Verbrecher gelangt, die in den nahen Waldungen hausten und sich von dem Raub der Reisenden und allerlei Diebstählen ernährten. Diese Umstände ließen voraussehen, daß die Briefe, als werthlos, wahrscheinlich vernichtet worden waren. Was die Chatoulle anbelangte, so lag die Voraussetzung nahe, daß die Verbrecher sich nach einer entfernten Stadt begeben haben würden, um die kostbaren Sachen verkaufen zu können. Traf diese Annahme zu, so unterlag es auch keinem Zweifel, daß die geraubten Gegenstände bald zerstreut wurden und wahrscheinlich auch, um nicht erkannt zu werden, eine Umarbeitung erfuhren. Diesem Geschick mußte dann auch das an sich wenig werthvolle Portrait verfallen, das man wol zerstörte, um das Gold der Einfassung zu nutzen. Lag für Sidonien im Hinblick auf die angeführten Umstände eine gewisse Beruhigung, so durfte sie dem Prinzen doch das Verschwinden des Dieners nicht verschweigen. Sie theilte ihm dasselbe daher mit, so wie die näheren Umstände, welche dazu geführt hatten. Sie ließ jedoch eine längere Zeit vorüber gehen, ehe sie sich zu dieser Mittheilung bequemte, und nachdem alles Forschen fruchtlos geblieben war. Der Prinz hatte ihr in Folge dessen erwidert, alles Weitere den Behörden anheim zu stellen und sich deshalb durchaus nicht zu beunruhigen. Er schien auf das Verschwinden des Dieners kein Gewicht zu legen. Damit hatte diese Angelegenheit für Sidonie ihr Ende erreicht, und sie war erfreut, daß dasselbe in solcher Weise erfolgte. Durch die allmälig fortschreitende Genesung ihres lieben Kindes und die Besuche des Grafen jetzt doppelt beglückt, durch die Erörterungen des Beamten über das wahrscheinliche Schicksal der Chatoulle beruhigt, und von der Angst befreit, des Prinzen Besuch erwarten zu müssen, genoß sie die sich ihr darbietenden Freuden mit vollem Herzen. Hatte sie auch durch die Krankheit ihrer Tochter schwer gelitten, so führte dieselbe doch auch zugleich eine Verlängerung ihres Aufenthaltes im Bade herbei, und was hätte ihr wol erwünschter sein können. Doch die Tage eilten schnell dahin, und so nahte endlich auch die gefürchtete Scheidestunde. Wir übergehen das schmerzliche Lebewohl der Liebenden, das die Hoffnung eines baldigen Wiedersehens milderte. Denn der Graf gedachte, wenn es seine Verhältnisse irgend gestatteten, zum Herbst die Residenz für einige Wochen zu besuchen. Und so trennte sich Sidonie von ihm und dem liebgewonnenen Ort mit bekümmertem Herzen und trat mit Zagen die Rückreise an. O, wie so sehr bangte ihr vor dem Hofe! Es däuchte ihr fast unmöglich, sich wieder in die alten traurigen Verhältnisse zu finden und dem Zwange der Hofetikette zu unterwerfen. Fühlte sich ihre Seele doch nur wohl in der süßen Freiheit, unbeengt und unberührt von dem gleißnerischen Schein des schaalen Hoflebens. So manche Schmerzensthräne drängte sich in ihr Auge in der Erinnerung des verlorenen Glücks, in der Sorge, ob es ihr gelingen würde, sich dasselbe in der erwünschten Weise zu erringen. Denn wie wir wissen, kehrte sie mit dem noch mehr befestigten Vorsatz zurück, die Trennung ihrer Ehe zu bewirken. Zu früh für ihre Wünsche erreichte sie die Residenz. Sie wurde zu ihrer nicht geringen Ueberraschung von dem Prinzen empfangen, der ihr seine Freude über ihr gutes Aussehen und die Genesung seiner Tochter mit wenigen Worten zu erkennen gab. Doch war ihr Wiedersehen nur ein förmliches und fern von aller Herzlichkeit; denn weder der Prinz, noch weniger Sidonie vermochten mehr als eben nothwendig war, zu sagen, und ihre gegenseitige Abneigung machte sich in dem Moment des Wiedersehens in vermehrter Weise geltend. Mit dieser Begegnung hatte es vorläufig sein Bewenden, denn seit derselben suchte der Prinz sie nicht wieder auf. Der Fürst besuchte Sidonie am zweiten Tage nach ihrer Ankunft und begrüßte sie mit großer Freundlichkeit, indem er ihr sein besonderes Wohlgefallen an ihrem gesunderen Aussehen zu erkennen gab und nicht anzudeuten unterließ, wie sehr ihn des Prinzen erneutes Interesse für sie freue und er daran die Hoffnung knüpfe, seine Wünsche erfüllt und die Aussöhnung zwischen ihnen endlich ermöglicht zu sehen. Seine Worte durchrieselten Sidonie kalt, indem sie dadurch zugleich überrascht wurde. Denn es lag ihr die Ahnung fern, daß der Fürst noch eine solche Hoffnung hegte. Um so mehr erachtete sie es daher für nothwendig, ihm sogleich die Gehaltlosigkeit derselben und ihr bestimmtes Verlangen der Trennung zu erkennen zu geben. Sie entgegnete: »Ihre Worte, mein gnädiger Fürst, verrathen mir, daß Sie noch immer an die Möglichkeit einer Aussöhnung zwischen mir und dem Prinzen glauben. Vielleicht hat Sie mein bisheriges Schweigen über diese Angelegenheit dazu verleitet. Um so mehr fühle ich mich daher bewogen, Ihnen schon jetzt zu erklären, daß ich das Verlangen nach einer Trennung von dem Prinzen nicht aufgegeben habe und Ihnen dasselbe binnen kurzer Zeit wiederholt haben würde, hätten mich Ihre Worte nicht schon jetzt dazu veranlaßt.« »Wie, Prinzessin?« rief der Fürst, unangenehm überrascht, und blickte sie forschend an. »Es ist so, wie ich sagte,« bemerkte Sidonie ruhig. »Sie übereilen sich!« fiel der Fürst ein, durch die Erkenntniß der nichts weniger als geahnten Selbsttäuschung. »Durchaus nicht, vielmehr hat sich mein Entschluß nach reiflichem Erwägen desselben nur noch mehr befestigt,« entgegnete Sidonie. »Das ist in der That ein übles Wiedersehen, und ich gestehe Ihnen, so etwas nicht erwartet zu haben!« »Ich bedaure das; doch erinnere ich Sie, daß Sie nichts berechtigte, mein früheres Verlangen für erledigt zu betrachten.« »Doch, doch!« bemerkte der Fürst und fügte voll Eifer hinzu: »Ich bin bedacht gewesen, Ihnen in jeder Beziehung Genugthuung zu verschaffen, meine Maßnahmen in Ihrem Interesse haben überdies die guten Folgen gehabt, daß der Prinz eine liebevollere Theilnahme für Sie zeigt und sich auch in jeder andern Beziehung sehr lobenswerth geändert hat. Was verlangen Sie also noch mehr? Sie müssen das Alles anerkennen und dürfen daher die sich Ihnen zur Versöhnung darbietende Hand nicht zurückweisen.« »Ich bezweifle, daß diese wirklich von dem Prinzen gewünscht wird.« »So gilt Ihnen mein Wort nichts?!« fragte der Fürst. »Doch, mein Fürst; indessen habe ich Gründe zu der Vermuthung, daß der Prinz selbst einen solchen Wunsch nicht ausgesprochen hat,« entgegnete Sidonie, ohne sich durch des Fürsten fast strengen Ton einschüchtern zu lassen, und setzte alsdann mit ruhiger Stimme hinzu: »Ihre Worte, mein gnädiger Fürst, verrathen mir überdies, wie sehr Sie sich über die von dem Prinzen für mich gehegten Gefühle täuschen; wären Sie bei dem Empfange anwesend gewesen, womit mich der Prinz überraschte, so würden Sie zu einer andern Ansicht hierüber gelangt sein. Denn der Prinz achtet mich weder, noch liebt er mich, sondern er ~haßt~ mich, und welcher Art meine Empfindungen für ihn sind, darf ich Ihnen kaum sagen. Nichtachtung und Haß erzeugen nur ihres Gleichen, so wie Liebe die Liebe erzeugt. Sie täuschen sich daher nicht nur in dieser Beziehung, sondern scheinen auch nicht erkannt zu haben, daß der Prinz mir den Verlust seiner Geliebten und seines Günstlings nicht vergeben hat, vielmehr erfreut sein würde, sich dafür an mir rächen zu können.« »Sie gehen zu weit, zu weit!« rief der Fürst erregt und fügte hinzu: »Sie legen dem Prinzen Gesinnungen bei, die ihn erniedrigen.« »Ich sprach nur meine Ueberzeugung aus und fürchte, die Zukunft wird meine Vermuthungen bestätigen.« »Nein, nein! Ihre Abneigung gegen den Prinzen läßt Sie in seiner Beurtheilung ungerecht werden! So böse ist er nicht.« Sidonie schaute den Fürsten einen Augenblick forschend und schweigend an, alsdann bemerkte sie mit Nachdruck: »Seien Sie aufrichtig, mein Fürst, und sagen Sie mir, glauben ~Sie~, daß ich dem Prinzen mehr gelte, als seine Günstlinge?« »Wie können Sie eine solche Frage thun, die sich von selbst beantwortet?!« fragte der Fürst. »Sie haben ganz Recht, mein Fürst; diese Frage beantwortet sich leicht; doch damit Sie erkennen, in welcher Art ~ich~ mir dieselbe beantworte, so sage ich Ihnen, daß der Prinz mich seinen Günstlingen gern geopfert hätte, würde Ihr Befehl ihn nicht daran gehindert haben.« »Was berechtigt Sie zu dieser Annahme?« fragte der Fürst rasch und in scharfem Ton. »Der Umstand, daß der Prinz sich nur scheinbar von dem Mädchen getrennt hat, sie in Paris ausbilden läßt, um sie wahrscheinlich früher oder später wieder in seine Nähe zu rufen. Sie sehen, mein Fürst, daß ich von Allem unterrichtet bin und welchen Werth ich auf die mir gewährte Genugthuung in dieser Hinsicht lege. Achtete mich der Prinz und wünschte er wirklich eine Aussöhnung, so müßte er vor Allem bedacht sein, den mir angethanen Schimpf für immer zu vertilgen.« »Sie greifen der Zukunft durch eine solche Voraussetzung vor!« wandte der Fürst ein. »Ich thue nur das, wozu mich eine langjährige, so schmerzenvolle Erfahrung berechtigt.« »So sehe ich nicht, wohin das Alles führen soll,« warf der Fürst unmuthig hin. »Doch, doch, mein gnädiger Fürst! Ihr Scharfblick wird die Verhältnisse leicht durchdringen und Sie zu der Erkenntniß leiten, daß nur die Erfüllung meines Wunsches eine entsprechende Lösung dieser Angelegenheit herbei zu führen vermag. Und damit Sie über meine Gesinnungen nicht länger in irgend einem Zweifel bleiben, erkläre ich Ihnen hiemit mit aller Bestimmtheit, daß ich nie und unter keinen Umständen jemals mehr in eine nähere Beziehung zu dem Prinzen treten werde. Ich achte den Prinzen nicht also, um ihm die Ehre zuzugestehen, mich fernerhin Gemahlin nennen zu dürfen; ich achte mich selbst aber so viel, um die Nothwendigkeit zu erkennen, mich von einem Manne zu trennen, der meine Ehre in so hohem Grade befleckte.« »Ihre Worte verrathen mir, daß Sie nicht gesonnen sind, von Ihren überspannten Forderungen und Ansichten zu lassen!« rief der Fürst in ungewöhnlicher Aufregung, eine Folge der von Sidonien mit großer Ruhe und Bestimmtheit gesprochenen Erklärungen. Die Prinzessin bekämpfte den dadurch in ihr erzeugten Unmuth, alsdann entgegnete sie: »Sie nennen meine Ansichten überspannt; ich glaube, daß dieselben eine solche Bezeichnung nicht verdienen, und frage Sie, warum wir Frauen im Punkt der Ehre nicht gleich den Männern unsere eigenen Ansichten haben dürfen, nach welchen wir unsere Ansprüche bestimmen? Sie mögen durch Ihre Erfahrungen in der Schätzung der Frauen herabgestimmt worden sein und eine scheinbare Berechtigung dazu überdies in der herrschenden leichtfertigen Sitte finden; Sie gewinnen dadurch jedoch nicht das Recht, dieses Urtheil über mein ganzes Geschlecht auszudehnen. Hierauf beruht Ihr Irrthum, mein Fürst, hierauf auch Ihr falscher Schluß, daß, weil Sie nur Frauen leichten Charakters kennen lernten, auch nicht an wahre Frauenwürde glauben dürften. Das Geschlecht geht Ihnen über den Menschen. Sie vergessen zu erwägen, daß Sie vor Allem diesem seine Berechtigung einräumen müssen und ihr Urtheil dabei nicht durch sein Geschlecht bestimmen lassen dürfen. Ich selbst glaube Ihnen einen Beweis dafür zu liefern, und weiß sehr wohl, in wie weit ich dabei die von Ihnen gehegten Ansichten über die Frauen umstoße. Es gewährt mir jedoch eine große Genugthuung und ich erachte es für eine Pflicht gegen mich selbst und mein Geschlecht, Sie auf einen solchen Irrthum aufmerksam zu machen, dessen Folgen unter Umständen sehr bedeutungsvoll werden können.« Sidonie schwieg. Der Fürst hatte ihr mit einem ironischen Lächeln und abwechselnden Aufblitzen seiner scharfen, graublauen Augen ruhig zugehört, ohne sie zu unterbrechen. Ihre Worte, von deren Wahrheit er sich getroffen fühlte, hatten ihn verletzt. Er sah sich genöthigt, ihr im Geheimen Recht zu geben, ohne jedoch hochherzig genug zu sein, ihr das einzugestehen. Der ihm gemachte Vorwurf gehaltloser Vorurtheile hatte seinen Unmuth erregt; er war daran nicht gewöhnt und daher um so tiefer dadurch betroffen worden. Er räumte Niemand das Recht ein, seine Ansichten vor ihm selbst in solcher Weise zu zerlegen, um ihn einer Schwäche oder eines Irrthums zu zeihen. Er glaubte die Welt und die Menschen genügend zu kennen, um in deren Beurtheilung berichtigt werden zu müssen. Und das hatte nun eine Frau, die einfache Prinzessin gethan und obenein in ziemlich schonungsloser Weise. Es war nicht seine Art, sich mit Frauen in eine ausgedehnte Unterredung einzulassen; er hielt sie für zu wenig befähigt, um sie einer solchen Ehre zu würdigen. Denn trotz der von Sidonien ausgesprochenen Auseinandersetzungen galten ihm die Frauen nur so viel, als sie ihm eben seinen Zwecken dienten. Er hatte jedoch auch aus der Prinzessin bestimmten Worten entnommen, an jenem Punkt mit ihr angelangt zu sein, wo Vorstellungen und Ermahnungen fruchtlos waren und er bedacht sein mußte, sich seine hoheitliche Autorität zu bewahren, um nicht an Einfluß auf sie zu verlieren. Er durfte ihr daher kein Zugeständniß ihrer Ansichten und Ansprüche machen, sondern mußte es ihr überlassen, sein Benehmen und seine Worte nach ihrem Belieben zu deuten. Und so entgegnete er mit einem ironischen Lächeln: »Ich bin viel zu tolerant, um nicht jedem Menschen seine Ansichten zu lassen, vorausgesetzt, daß ich durch dieselben nicht irgendwie berührt werde. Dies Letztere ist nun bei Ihnen der Fall; doch bin ich weit entfernt, mich darüber in Erörterungen einzulassen. Es handelt sich hier um eine sehr ernste und wichtige Sache, und ich frage Sie daher, ob Sie auf dem Verlangen, Ihre Ehe zu trennen, bestehen?« »Ja, mein Fürst,« entgegnete Sidonie ruhig und ohne Zögern. »So werde ich den Prinzen damit bekannt machen und bitte das Weitere zu erwarten.« Mit diesen in kühlem Ton gesprochenen Worten und einem leichten Neigen des Hauptes entfernte sich der Fürst. Sidonie athmete hoch auf, indem die sie bisher beherrschende Spannung einem freieren Gefühl wich. Ihr Auge strahlte, und des Geliebten gedenkend, preßte sie die Hände auf die Brust und rief in freudiger Bewegung: »Es ist geschehen; der erste Schritt zu unserm Glück gethan!« »So hat mich meine Ahnung nicht getäuscht,« fiel eine ihr bekannte Stimme ein und zwei Arme umschlangen sie. Es war Aurelie, die leise eingetreten war und die Freundin überraschte. »Sie täuschte Dich nicht und Du erkennst meine Freude, sobald schon durch den Fürsten selbst zu einer bestimmten Erklärung veranlaßt worden zu sein. Wie sehr bangte mir vor diesem Augenblick; Gott sei Dank, daß er vorüber ist und ich die heilige Pflicht gegen den Freund erfüllt habe!« entgegnete Sidonie. »Der Fürst hat also Deine Erklärung nicht mit Unwillen aufgenommen? Ich fürchtete das.« »Im Gegentheil, sie hat ihn verletzt, wie ich trotz seiner Zurückhaltung bemerkte. Auch scheinen ihm manche andere Worte von mir nicht gefallen zu haben, da sie ihn auf seinen Irrthum aufmerksam machten,« bemerkte Sidonie gedankenvoll. »Er schied doch nicht etwa im Zorn?« fragte Aurelie besorgt. »Wenn ich auch dies nicht fürchte, so bin ich doch gewiß, daß die offene Weise, mit welcher ich ihn auf seinen Irrthum aufmerksam machte, seinen Unmuth erregte.« »Das wäre übel; denn es däucht mir von hoher Wichtigkeit, Dir des Fürsten Freundschaft zu erhalten. Du weißt, er ist von dem größten Einfluß in Deiner Angelegenheit.« »Ich weiß es und wünschte von Herzen, seine Worte hätten mich nicht zu mancher Bemerkung herausgefordert, die zu verschweigen in meiner Lage vortheilbringender gewesen wäre. Doch baue ich auf seine Einsicht und sein Gerechtigkeitsgefühl.« »Möchte Dich Dein Vertrauen nicht täuschen!« »So zweifelst Du daran?« »Ich muß aufrichtig sein und dies bekennen. Mich macht die Ueberzeugung besorgt, daß, wenn der Fürst in die Trennung willigt, er auch bedacht sein wird, die Ehre des Prinzen so viel als möglich zu retten, vielleicht auf Deine Kosten. Er wird diese Angelegenheit lediglich als ein Staatsgeschäft behandeln und sich den möglichst größten Vortheil dabei zu sichern bedacht sein. Denn mit der Trennung wird auch sein Interesse für Dich ein Ende finden, da Du seinen Staatszwecken nicht mehr dienst, und so müssen wir auf mancherlei üble Erfahrungen vorbereitet sein.« »Ich darf Dir nicht widersprechen; doch wenn dies auch sein muß, so glaube ich doch auch auf das Kommende vorbereitet genug zu sein, und die Aussicht, endlich aus diesen erniedrigenden Fesseln erlöst und dem so heiß ersehnten Glück zugeführt zu werden, wird mich kräftigen und meinen Muth erhalten. O schon jetzt, nachdem ich das entscheidende Wort gesprochen habe, fühle ich mich freier, glücklicher, und es ist mir, als hätten sich die Bande bereits gelockert, die meine Seele so lange niederhielten.« »Ich glaube Dir, meine Gute, und freue mich von Herzen über Deinen Muth, den die Liebe nähren und erhalten wird,« entgegnete Aurelie, Sidonie umarmend. »O, wenn diese Fesseln endlich fallen, wenn ich wieder frei bin wie einst, dann kehren wir dahin zurück, wo ich die reinsten und süßesten Stunden des Lebens genossen habe, dann darf mein Herz ohne Zwang die Sprache seiner Liebe sprechen, dann darf ich der Welt offen sagen, seht, ~dieser~ ist der Mann meiner Neigung und Achtung, er, den die Welt verehrt und schätzt, wie er es verdient. O, nun der Schritt gethan ist, frage ich mich, warum ich mich damals zum Zaudern durch den Fürsten bestimmen lassen und es über mich gewinnen konnte, auch nur einen Tag länger die Qual des Bewußtseins zu tragen, diesem verächtlichen Manne zu gehören. Wie tief mag Römer dadurch verletzt worden sein, diese edle, feinfühlende Natur. Doch nun ist ja Alles gut, und mein Handeln wird den Geliebten wieder ganz mit mir aussöhnen; sein Herz ist ja eben so edel als gütig!« In solcher Weise drückte Sidonie ihre überwallenden Empfindungen aus, wozu ihre Lage sie drängte, alsdann fertigte sie ein Schreiben an ihren Bruder, den Herzog, um ihn mit ihrem Entschluß bekannt zu machen und ihn zugleich zu ersuchen, sie, sobald der Prinz und Fürst in Trennung willigten, bei sich aufzunehmen, um daselbst die Erledigung der betreffenden Verhandlungen abzuwarten. Denn es drängte sie, einen Ort so schnell als möglich zu verlassen, in welchem sie dieselbe Luft mit dem Prinzen athmete und sie Alles an ihre Leiden erinnerte. Lag zwischen ihr und dem Hof erst die Ferne, dann durfte sie auch nicht mehr eine Rückkehr an denselben fürchten, dann ließ sie die entehrenden Fesseln zerbrochen zurück und tauchte mit kräftigen Schwingen in den Aether der Freiheit. Seit diesem Augenblick erfüllte sie eine erhöhte Lebenskraft. Aus dem Jahre langen Dulden endlich zum entscheidenden Handeln heraus getreten, fühlte sie sich erhoben, wie das stets zu sein pflegt. Auf ihren Wunsch theilte Aurelie dem Grafen sogleich das Nähere über ihre Rückreise so wie den an den Fürsten gestellten Antrag mit; er sollte sogleich erfahren, daß sie ihm ihr Wort gehalten hatte, und dieses Bewußtsein seine trauernde Seele mit neuer Hoffnung erfüllen. Es darf kaum erwähnt werden, wie sehr Römer dadurch beglückt wurde, und dies um so mehr, da er trotz Sidoniens Versprechen dennoch fürchtete, sie würde trotz des sie erfüllenden Muthes dennoch durch die sich ihr entgegen stellenden Hindernisse von diesem Schritt zurück geschreckt werden. Und auch selbst nachdem er die bedeutsamen Worte erhalten hatte, drängte sich mancher beunruhigende Zweifel über das Gelingen ihrer Absicht in seine Seele, und so konnte es nicht ausbleiben, daß sein Wesen die Sorge des Herzens verrieth. Diese wurde überdies noch durch das Bedauern erhöht, Sidonien in dieser so wichtigen Zeit nicht nahe sein zu können. Ihr Alleinsein beängstete ihn; denn er fürchtete, und mit Recht, den großen Einfluß des Fürsten und der Verhältnisse auf sie. Sein Seelenzustand konnte seiner ihn so innig liebenden Mutter nicht verborgen bleiben, und in der Voraussetzung, daß derselbe durch die Trennung von Sidonien hervor gerufen worden war, entschloß sie sich, ihm die, wie sie wußte, heiß gewünschte Freiheit zum Wiedersehen der Prinzessin zu bieten. Um ihm jedoch ihre Absicht nicht zu verrathen, benutzte sie eine zufällig eintretende Unpäßlichkeit ihrer verheiratheten Tochter als Vorwand zu der Mittheilung, bei dieser eine längere Zeit verweilen zu wollen. So innig Römer seine Mutter auch liebte, kam ihm dieser Umstand doch sehr gelegen, indem dadurch die Befriedigung seines Verlangens ermöglicht werden konnte. Am Abend vor der Trennung befanden sich Mutter und Sohn wie gewöhnlich allein bei einander und besprachen allerlei die Familie betreffenden Verhältnisse. Nachdem dieselben erledigt worden waren, ergriff die Gräfin nach kurzem Schweigen das Wort und bemerkte: »Ich glaube mich in der Voraussetzung nicht zu täuschen, mein Sohn, daß Du während meiner Abwesenheit wahrscheinlich die Residenz besuchen wirst.« -- »Ich denke, es wird so sein,« entgegnete Römer zögernd und indem er erröthete. »Zwischen Mutter und Sohn darf kein Geheimniß obwalten,« fuhr die Gräfin fort, indem sie seine Hand ergriff und ihn mild und freundlich anblickte; »darum wollen wir mit aller Aufrichtigkeit zu einander sprechen. Ich habe längst Deine tiefe Neigung für Prinzessin Sidonie bemerkt und brauche Dir nicht zu sagen, wie schmerzvoll ich im Hinblick auf die obwaltenden Verhältnisse dadurch betroffen worden bin. Du bringst dieser Liebe Dein ganzes schönes Leben zum Opfer. Du hast die Thränen nicht gesehen, welche ich darüber vergossen habe, und es soll auch hier nicht davon die Rede sein. Ich kenne Deinen Charakter zu gut, um nicht zu wissen, daß bei der Tiefe Deiner Neigung ein Uebertragen derselben auf ein anderes weibliches Wesen nicht möglich ist, und Du viel zu edel denkst, um ein Mädchen, ohne Liebe für sie zu fühlen, zu Deiner Gattin zu erwählen. Das Rechte und Gute anzuerkennen, selbst wenn wir auch dadurch betrübt werden, ist eine Pflicht der Vernunft, und ich unterdrücke darum den tiefen Schmerz, den ich im Hinblick auf alle diese traurigen Umstände fühle. Wer, wie ich, das Glück der Liebe in der ungetrübtesten Heiterkeit so viele Jahre genossen hat, fühlt es um so inniger, daß seinem eigenen geliebten Kinde ein so übles Loos zu Theil werden mußte. Warum konntest Du nicht gleich uns glücklich werden! Doch es scheint, daß auch in Bezug auf die Neigungen der Menschen zu einander ein besonderes Geschick obwaltet, dem wir nur selten zu entgehen vermögen, und so habe ich mich in den Gedanken zu finden gesucht, daß es nicht anders sein soll.« Sie schwieg bewegt und ihr bekümmertes Auge feuchtete sich. Römer drückte, nicht minder bewegt, seine Lippen auf ihre Hand. Nach kurzer Pause fuhr die Gräfin fort: »Du bist noch nicht alt, Bernhard, und dennoch sehe ich schon viele Silberfäden in Deinem Haar, ein Zeichen des tiefen, verschlossenen Kummers, den Du schon seit Jahren in Dir trägst. Denn wie das Glück den Menschen verjüngt, so altert der Kummer ihn rasch und vor der Zeit.« -- Und aus dem feuchten Auge drängte sich jetzt eine volle Thräne und rann langsam auf der blassen, feinen Wange nieder. Römer bemerkte dies nicht, denn er hielt das Haupt vor ihr geneigt. Die Gräfin bemühte sich, ihre Rührung zu beherrschen, und nahm alsdann ihre Mittheilung wieder auf. »Doch,« sprach sie, »ich sollte Dich nicht an Dinge erinnern, die Dich betrüben müssen, besonders in der Stunde vor der Trennung für längere Zeit; das Mutterherz hängt jedoch mit zu großer Liebe an dem Kinde, um die Zeichen seines frühen Verblühens in Schmerz und Vereinsamung nicht zu beklagen; darum vergieb mir, mein Sohn!« Des Grafen Bewegung war viel zu tief, um ein Wort hierauf erwidern zu können. Die Lippen seiner Mutter sprachen zum ersten Mal all' das Schmerzliche offen aus, was er bisher ertragen hatte und sich selbst nicht gestehen mochte. Aber ihre Liebe und Milde thaten ihm wohl, ihre Lippen entheiligten sein Geheimniß nicht, sondern verliehen demselben eine wohlthuende Bedeutung. Und mit vermehrtem Dankgefühl neigte sich auch jetzt sein Mund auf ihre Hand. »Nicht wahr, mein theurer Sohn, ich hatte nicht Unrecht?« fragte sie. Römer bejahte stumm. »Sieh, Bernhard,« fuhr sie gesammelter fort, »ich würde Dein Unglück ruhiger ertragen, wenn mich nicht schon lange die Sorge bedrängte, es könnte Dir aus diesem Verhältniß irgend ein Unheil erwachsen. Wie Du mit der Prinzessin stehst, weiß ich nicht; doch bin ich überzeugt, daß Ihr niemals die Schranken übersehen habt, welche Euch trennen. Dazu kenne ich meinen Sohn und die Prinzessin zu wohl. Dennoch sah ich Dich stets nur mit Kummer an den Hof ziehen, vernahm mit vermehrter Unruhe Deinen näheren Umgang mit Sidonien und immer und immer quälte mich jene Besorgniß. Vielleicht gehe ich darin zu weit, vielleicht ist meine Angst durchaus unbegründet; denn was vermöchte man einem Schuldlosen vorzuwerfen? Und dennoch drängt es mich gerade vor unserer Trennung, Dich an das Alles zu erinnern und Dich durch mein Wort zu steter Vorsicht zu veranlassen. Ich weiß, wie es an des Fürsten Hof zugeht, weiß, daß der Glaube an Sittlichkeit daselbst längst keine Stätte mehr hat, und weiß überdies, daß uns weder unsere Unschuld noch unsere sittlichen Vorzüge vor der Verleumdung mit ihren übeln Folgen schützen. Man pflegt meistens nur das zu billigen, was man selbst anerkennt, und hält Andere nicht für besser, als man selbst ist, und diesen Grundsätzen huldigt vor Allem des Fürsten Hof. Habe ich Recht, mein Sohn?« »O gewiß, gewiß!« fiel Römer ein. »Da Du dies erkennst, so zweifle ich auch nicht, daß Du nach meinem Rath thun wirst, und das beruhigt mich. Auch weiß ich ja, daß Du besonnen genug bist, das Nahen etwaiger Gefahren zeitig genug zu erkennen, um Dich vor ihnen schützen zu können. Und so möge Dich der Himmel behüten und Dir alle jene Freuden gewähren, die Deine Ehre rechtfertigen kann, wenn sie auch Dein Herz unbefriedigt lassen!« Sie endete und küßte ihn bewegt wiederholt auf die Stirn. Welches Herz verschlösse sich wol dem heiligsüßen Ton der Mutterliebe! Am wenigsten hätte dies bei Römer der Fall sein können, vielmehr wurde er von derselben so sehr angegriffen, daß er der Gräfin sein ganzes Herz öffnete, ihr seine Freuden, aber auch alle schmerzvollen Kämpfe und Sorgen mittheilte, und seine Worte mit der beglückenden Nachricht schloß, daß nun die Leiden bald ein Ende erreicht und seine Wünsche befriedigt werden würden. Die Gräfin erschrak in Folge dieser Mittheilung heftig. Die Trennung der Ehe, und namentlich fürstlicher Personen, erschien ihr überaus bedeutungsvoll, und um so mehr in diesem Fall, bei welchem ihr Sohn betheiligt war. Denn lag die Vermuthung nicht nahe, daß Sidonie dazu wahrscheinlich nicht nur durch des Prinzen Verhalten, sondern auch durch die Liebe zu ihrem Sohn veranlaßt worden war? -- Gewiß. Dieser Umstand steigerte ihre Unruhe, die sie dem Sohn zu erkennen gab, worauf er entgegnete: »Ich verhehle nicht, meine theure Mutter, daß Ihre Voraussetzung nicht ungegründet ist; doch bitte ich Sie auch, die Verhältnisse zu erwägen, unter welchen Sidonie schon seit Jahren gelitten hat, und versichere Sie, daß bei ihrem Entschluß ihre Ehre eben so maßgebend gewesen ist, als ihre Liebe.« Und er war bedacht, ihr auseinander zu setzen, daß Sidonie sich nur durch eine Trennung von dem Prinzen zu retten vermochte, wollte sie ihr Leben nicht nutzlos einem übertriebenen Pflichtgefühl opfern. Er sprach mit der ganzen Wärme seiner Liebe und Ueberzeugung, und es konnte nicht ausbleiben, daß die Gräfin Sidoniens Schritt endlich billigte und zugleich mit ihrem Sohn die Freude mit empfand, welche sich an denselben für ihn knüpfte. Es war ihr der Gedanke so beglückend, diese Liebe endlich doch noch durch den ersehnten Verein belohnt und damit ihres geliebten Sohnes Leben verschönt zu sehen. »So kann ich denn mit einer schönen Hoffnung von Dir scheiden, mein theurer Sohn. Ziehe denn dahin, wohin Dich eine heilige Pflicht ruft. Ich weiß, Du wirst dieser und Deiner Ehre gemäß handeln. Alles Weitere müssen wir vertrauend dem Himmel anheim geben, der Dich und die arme Prinzessin mit der erforderlichen Kraft stärken möge. Hoffentlich wirst Du mich dann bald durch die Nachricht von Deinem künftigen Glück erfreuen; ich werde ihr mit Ungeduld entgegen harren.« Also sprach die edle Gräfin in freudiger Bewegung und schied dann von dem Sohne. Diese Unterredung war namentlich für sie in einer ganz andern Weise zu Ende geführt worden, als sie erwartet hatte; statt Kummer und Sorge begleitete sie nun Freude und Hoffen auf dem Wege zu ihrer Tochter. Wenige Tage nach der Abreise seiner Mutter begab sich der Graf zu Sidonien, von der Gewißheit beglückt, ihr nun für längere Zeit nahe sein und mit seinem Rath bei der Erledigung der bekannten Angelegenheit beistehen zu können. Drittes Kapitel. Der Fürst kehrte nach der Unterredung mit Sidonien in einer sehr übeln Stimmung in sein Palais zurück. Sich in allen seinen so gewissen Erwartungen in der bezeichneten Weise getäuscht zu haben, die in dieser Hinsicht mit Berechnung angelegten Pläne als vollkommen unnütz erkennen zu müssen, verdroß ihn in hohem Grade. Dazu gesellte sich überdies noch der wichtige Umstand, durch Sidoniens festes Beharren auf ihrem Verlangen genöthigt zu sein, gerade Dasjenige ausführen zu müssen, was er zu vermeiden so sehr bedacht gewesen war. Denn nach der so entschiedenen Erklärung der Prinzessin machte das Staatsinteresse die Trennung der Ehe und eine Neuvermählung des Prinzen unumgänglich nothwendig. So war der gefürchtete Eclat denn sicher, und mit demselben verband sich zugleich die nahe liegende Besorgniß, der üble Leumund über den Prinzen dürfte mancherlei Hindernisse bei der Wahl einer Prinzessin herbeiführen. Denn lag auch eine Verlockung in der Aussicht, die Gemahlin des künftigen Regenten zu werden, so mußte doch das Bekanntwerden der wenig lobenswerthen Eigenschaften desselben, welche die Trennung der Ehe des Prinzen herbeigeführt hatten, die etwa erwählten fürstlichen Damen auf das Eingehen einer Ehe mit ihm bedenklich machen, da ihnen ein ähnliches Schicksal wie Sidonien bevorstand. Alle diese so wichtigen Bedenken veranlaßten den Fürsten, sich in seinen Maßnahmen nicht zu übereilen, sondern vorläufig mit dem Prinzen über Sidoniens Verlangen zu sprechen und ihm die Nothwendigkeit einer Neuvermählung vorzustellen. Zugleich gedachte er ihn auf die dabei zu erwartenden Hindernisse aufmerksam zu machen, damit der Prinz durch eine gemäßigte Lebensweise seinen guten Ruf wieder herstellte und somit sicherer auf die Annahme einer Werbung hoffen durfte. Seinem Vornehmen getreu, ließ der Fürst den Prinzen ein paar Tage darauf zu sich bescheiden und theilte ihm das Obige mit. Der Prinz zeigte sich über das Vernommene in hohem Grade überrascht, erklärte sich jedoch zugleich ohne irgend welches Bedenken zu einer Wiedervermählung geneigt, indem er die Ueberzeugung aussprach, daß die von dem Fürsten in dieser Beziehung gehegten Besorgnisse sich nicht bestätigen würden. Ein solches, durchaus nicht erwartetes Entgegenkommen überraschte den Fürsten überaus angenehm und er sprach dem Prinzen seine Freude darüber aus, indem er ihm zugleich anempfahl, die Angelegenheit so geheim als möglich zu behandeln, damit die Welt nicht allzu viel davon erführe und man den Vortheil gewinnen könnte, das Urtheil derselben darüber im eigenen Sinn zu lenken. Der Prinz erklärte sich damit gern einverstanden und sprach die Versicherung aus, sich in alle von dem Oheim getroffenen Maßnahmen unbedingt fügen zu wollen. »Es freut mich, Dich mit meinen Ansichten einverstanden zu wissen,« fuhr der Fürst in herzlichem Ton fort, »und ich rechne mit Bestimmtheit darauf, daß Du auch durch Dein künftiges Verhalten dem Interesse des Landes entgegen kommen wirst und die in Bezug auf Sidonie gemachte Erfahrung Dich dabei leiten wird.« »Seien Sie davon überzeugt,« entgegnete der Prinz in unterwürfigem Ton. »So will ich hoffen, daß Du auch hinsichts jenes Mädchens, das Du in Paris unterhältst, für die Folge solche Arrangements treffen wirst, welche geeignet sind, jede Störung bei Deiner Wiedervermählung fern zu halten.« »Es wird geschehen. Mariane hängt ganz von meinem Willen ab und wird so lange in Paris bleiben, als ich es für nöthig erachte. Auch könnte ich das Mädchen in der geeigneten Zeit verabschieden.« »Das Letztere wäre unter allen Umständen das Beste und Du magst daran denken.« Es trat nun eine kleine Pause ein, in welcher der Prinz nachdenkend vor sich hinblickte. Der Fürst bemerkte dies und erkundigte sich nach der Veranlassung dazu worauf der Prinz ihn ersuchte, ihm eine Mittheilung von Wichtigkeit machen zu dürfen. Der Fürst, dadurch ein wenig überrascht, verstand sich gerne dazu, worauf dieselbe erfolgte und eine sehr eingehende und vertrauliche Unterredung zwischen ihnen hervorrief. Das Vernommene schien den Fürsten in hohem Grade zu interessiren; denn länger als zwei Stunden blieb er mit dem Neffen beisammen, worauf sie in einem so guten Einvernehmen von einander schieden, wie dies bisher zwischen ihnen noch nicht der Fall gewesen war; der Fürst, wie es schien, von dem lebhaftesten Interesse erfüllt; der Prinz mit einem Lächeln vollster Genugthuung. Kaum war der Letztere in seinem Palais angelangt, so begab er sich sofort an seinen Schreibtisch und fertigte ein Schreiben an Mühlfels, das er alsdann durch einen geheimen Boten an diesen befördern ließ. Seit diesem Augenblick zeigte der Prinz seiner Umgebung die leutseligste Freundlichkeit, arbeitete fleißig und kam seinem Oheim mit steter Ergebenheit entgegen. Und die Welt erstaunte nicht wenig über diese ungewöhnlichen Erscheinungen. Römer traf in dieser Zeit in der Residenz ein, und die Absicht, den Winter daselbst zuzubringen, veranlaßte ihn, sich sofort eine entsprechende Wohnung zu besorgen und in derselben einzurichten. Es darf kaum bemerkt werden, wie überaus angenehm Sidonie durch seine ungehoffte Ankunft überrascht wurde und wie sich ihre Freude in der Gewißheit steigerte, den ihr unter den obwaltenden Umständen doppelt theuern Freund nun dauernd zur Seite zu haben, und durch seine Nähe und seinen Rath ermuthigt und beruhigt, ihre Absicht hinsichts der Trennung ihrer Ehe mit größerer Sicherheit verfolgen zu können. Seine Zusprache war ihr um so nothwendiger, da ihr Bruder auf ihre Mittheilung ihr sein ganzes Mißfallen über ihr Verlangen zu erkennen gegeben hatte. Er erachtete das letztere für ungerechtfertigt und sprach darum auch die bestimmte Absicht aus, dasselbe in keiner Weise unterstützen zu wollen. Er machte ihr den Vorwurf der Prüderie und Unklugheit und gab es ihr schließlich anheim, nach eigenem Gutdünken ihre Sache auszufechten. Er verhehlte ihr nicht, diese seine Ansichten und Entschließungen dem Fürsten zu erkennen gegeben zu haben, und stellte sich damit auf des Letzteren Seite. Sidonie litt unter dieser nicht geahnten Lieblosigkeit ihres Bruders um so mehr, da sie auf seinen ihr so wichtigen Beistand mit Sicherheit gerechnet hatte und diesen im Hinblick auf die besonderen Umstände für selbstverständlich erachtete. Aus seinen Vorwürfen und seinem Verhalten erkannte sie nun zu ihrer großen Bestürzung, daß auch er dem Einfluß der herrschenden Sitten unterlegen sei, und das schmerzte sie tief, indem sie zugleich die niederdrückende Ueberzeugung erfüllte, nun auch nicht in die Heimath zurückkehren zu können, wie sie es so sehr gewünscht hatte. Was konnte ihr dieselbe unter so übeln Umständen noch bieten? Statt Ruhe und Trost nur noch der Mißmuth und die vorwurfsvollen Mienen eines Bruders. So tief wirkte der herrschende Zeitgeist. Sie sah sich in Folge dessen in die peinigende Verlegenheit gesetzt, vorläufig in der Residenz zu verweilen, gedachte jedoch ihren Aufenthalt daselbst so viel als möglich abzukürzen und, sobald es die Verhältnisse gestatteten, sich nach dem von ihr früher besuchten Badeort zu begeben und hier das Weitere abzuwarten. Zwar hätte sie Aufnahme an einem befreundeten Hofe gefunden; es widerstrebte jedoch ihrem Gefühl, sich mit einer Bitte darum an einen solchen zu wenden. So wollte sie, da ihr die Heimath verschlossen war, sich eine neue Heimath in angenehmer Unabhängigkeit gründen; denn was nach erfolgter Trennung von dem Prinzen geschehen sollte, war noch eine unbesprochene Frage, die weder sie noch der Graf zu berühren für gut gefunden. Als nun ihres Bruders Brief anlangte, theilte sie dem Letzteren den Inhalt desselben, sowie ihren Entschluß der Uebersiedlung nach dem Badeort mit, und Römer stimmte ihr darin bei, da sich ein anderer Ausweg nicht finden ließ. Sidonie hatte nach ihrer Rückkehr ihre frühere Lebensweise in der Absicht wieder aufgenommen, sich dadurch die gewünschte Gelegenheit zu verschaffen, Römer ungezwungener sehen zu können. Eine zu große Zurückgezogenheit und das Aufgeben der gewöhnten gesellschaftlichen Beziehungen würden auch jedenfalls Aufsehen erzeugt haben, was sie zu vermeiden wünschte. Die Vorsicht gebot überdies, den Grafen fortan nur in Begleitung ihres Bruders zu empfangen und sich auf diese Besuche und die Gesellschaftsabende zu beschränken, um künftigen übeln Beurtheilungen vorzubeugen. Einige Wochen waren seit Sidoniens Antrag bei dem Fürsten dahin gegangen, ohne daß sie irgend einen Bescheid erhielt; dies beunruhigte sie, da sie einen solchen erwartet hatte. Als sie alsdann noch eine längere Zeit fruchtlos gewartet hatte, steigerte sich ihre Besorgniß, indem ihr jede Erklärung für die Verzögerung fehlte. Obgleich Alles seinen gewöhnlichen Gang ging, so schien ihr doch eine gewisse bedrückende und nichts Gutes verheißende Schwüle auf allem Leben und Treiben zu ruhen. Sie sah weder den Fürsten, noch den Prinzen, doch war ihr bekannt, daß dieselben viel mit einander verkehrten und der Erstere seinem Neffen ein besonderes Wohlwollen zeigte. Die fortdauernde Ungewißheit quälte sie, vermehrte ihre Sorgen und ihr Bangen, und nur in dem ruhigen und sichern Wesen des Geliebten fand sie die so nothwendige Ermuthigung. Der Winter hatte sich bereits eingestellt und mit ihm war auch der Geburtstag des Fürsten genaht, der gewöhnlich von dem Prinzen durch einen glänzenden Maskenball gefeiert zu werden pflegte, auf welchem der Fürst stets erschien. Eine solche Festlichkeit war auch dieses Mal von dem Prinzen angeordnet worden, die auf seinen Wunsch außerordentlich glänzend werden sollte. Dieselbe kam Sidonien sehr gelegen, da sie ihr die gewünschte Gelegenheit zu einem Besuch bei dem Fürsten darbot, welchen sie benutzen konnte, sich über ihre Angelegenheit irgend welchen Aufschluß von ihm zu verschaffen und so der sie beängstigenden Ungewißheit ein Ende zu machen. Es konnte daher nicht ausbleiben, daß, als der Geburtstag genaht war und sie sich zu dem Fürsten begab, ihre Seele mit Unruhe erfüllt war. Der Letztere empfing sie ziemlich abgemessen und nahm ihren Glückwunsch mit mehr Höflichkeit als Freundlichkeit entgegen. Eben so kühl vernahm er ihr Bedauern, an dem Maskenball nicht Theil nehmen zu können, das sie in der Absicht aussprach, sich in dieser Beziehung einmal bei dem Fürsten zu entschuldigen, dann aber auch, um dadurch einen Anknüpfungspunkt für ihr Interesse zu gewinnen. »Ich erachte mich nicht für berechtigt, Ihre Intentionen irgendwie zu beurtheilen, und stelle Ihnen Alles anheim,« entgegnete der Fürst kühl. »Ich glaube dieses Fernhalten von dem Fest meinen Verhältnissen schuldig zu sein,« bemerkte Sidonie. »Sie werden das am besten wissen.« »Und darf ich nicht erfahren, welche Beschlüsse in meiner Angelegenheit getroffen worden sind?« Der Fürst blickte nachdenkend zu Boden und entgegnete alsdann in ziemlich gemessenem Ton: »Ich muß Sie bitten, sich noch ein wenig zu gedulden, da ich noch nicht Gelegenheit fand, die Sache dem Staatsrath vorzutragen. Ich denke jedoch, daß Sie in nächster Zeit Weiteres hierüber vernehmen werden.« Diese Worte so wie der Ton, in welchem sie gesprochen wurden, verriethen nur zu deutlich des Fürsten Absicht, Sidonien das für diese Angelegenheit gehegte geringe Interesse erkennen zu geben. Das verletzte und überraschte sie zugleich, indem sich darin ein Widerspruch gegen des Fürsten frühere so lebhafte Theilnahme dafür geltend machte. Sie fragte sich, durch welche Umstände ein solcher ungewöhnlicher Umschlag erzeugt worden sein könnte, ohne sich jedoch darauf eine Antwort geben zu können. Sie blickte den Fürsten fragend an, um ihn zu einer Erklärung zu veranlassen: er vermied es jedoch wie vorher, ihrem Auge zu begegnen, und zeigte überdies nicht die geringste Neigung, ihrem Verlangen irgend wie entgegen zu kommen, so daß sich Sidonie, dadurch noch mehr verletzt, veranlaßt sah, die Unterredung zu enden und sich zu entfernen. Der Fürst verließ sie höflich, jedoch kalt. Durch das Erfahrene in hohem Grade beängstet, kehrte sie in ihr Palais zurück und beeilte sich, Aurelie mit Allem bekannt zu machen und deren Ansicht darüber zu hören. Nachdem sie die Angelegenheit vielfach erwogen hatten, gelangten sie zu dem beunruhigenden Schluß, daß irgend ein wichtiger Umstand die Ursache von des Fürsten Verhalten gegen Sidonie sein müßte; welcher Art derselbe jedoch wäre, vermochten sie trotz aller Mühe nicht zu erforschen. Diese Ungewißheit beängstete sie um so mehr, da auch der Graf bei seinem bald darauf erfolgten Besuch sie nicht zu beruhigen oder aufzuklären vermochte und obenein ihre Ansicht und Besorgniß theilte. Römer hatte eine Einladung zu dem Maskenball erhalten und beabsichtigte, auf demselben zu erscheinen, wozu ihn überdies die Verhältnisse und die Rücksichten auf den Fürsten nöthigten; er traf daselbst mehre Bekannte und gedachte nun diesen Umstand zu benutzen, sich irgend welche Aufklärung über die so beunruhigende Angelegenheit zu verschaffen. So schien sich denn Sidoniens frühere Ahnung bestätigen zu wollen, und mit Bangigkeit erwog sie, in wie weit sie davon betroffen werden würde. Es war natürlich, daß sie vor Allem der räthselhaften Vorgänge an dem Badeort gedachten, die ja ungelöst geblieben waren und darum mit ihren Gefahren drohten. Ein näheres Erwägen beruhigte sie jedoch wieder, da sie sich vergeblich bemühten, irgend welchen Zusammenhang derselben mit des Fürsten Verhalten zu ermitteln. Unter solchen Umständen blieb ihnen schließlich nur ein geduldiges Harren übrig und die Hoffnung, es könnte dem Grafen gelingen, Licht in dieses Dunkel zu bringen. Mit dem Versprechen, Aurelie mit dem etwa erzielten Erfolg sogleich bekannt zu machen, schied der Graf, um, da die Zeit nahte, sich auf den Ball zu begeben. Ihm wurde das Scheiden von Sidonien heute schwerer denn sonst, da er ihr Herz voll Unruhe und Sorge wußte und sich auch seiner ein beengendes Gefühl bemeistert hatte, das er nicht abzuweisen vermochte. Etwa um die neunte Stunde begab sich der Graf in das fürstliche Palais, in welchem die Festlichkeit stattfand. Sämmtliche Räume desselben waren bereits mit den glänzendsten und buntesten Masken erfüllt und gewährten in ihrer reizenden Anordnung einen sehr angenehmen Anblick. Der Wunsch des Prinzen hatte die Gäste zu den höchsten Anstrengungen veranlaßt, und so konnte es nicht fehlen, daß das Auge in jeder Hinsicht mehr als befriedigt wurde. Römer, lediglich von seinen trüben Gedanken erfüllt, schenkte dem Allen nur geringe Aufmerksamkeit, lediglich darauf bedacht, ein und den andern seiner Freunde aufzufinden, um seine Absicht so rasch als möglich erreichen zu können. Das war jedoch wegen der Menschenmenge und der verhüllenden Masken keine leichte Sache, und nur die Kenntniß von den Masken einzelner Bekannten ließ ihn nicht zu lange und fruchtlos forschen. Die herrschende festliche Stimmung war überdies wenig geeignet, dergleichen Angelegenheiten zu besprechen, ganz abgesehen, mit welcher Vorsicht er dabei zu Werke gehen mußte, um sein Verlangen nicht zu verrathen. So viel er sich jedoch auch mühte, erlangte er dennoch nicht die mindeste Aufklärung. Niemand wußte ihm in dieser Beziehung nur das Geringste zu sagen, obgleich Sidoniens Antrag, sich von dem Prinzen zu trennen, bereits bekannt geworden war. Endlich gab der Graf weiteres Forschen als vergeblich auf und begab sich nach dem Saal, in welchem der Fürst mit seiner Gemahlin und seinem Hofgefolge und auch der Prinz befanden. Die erheiterten Mienen des Ersteren und Letzteren verriethen den angenehmen Genuß, den ihnen das Fest zu gewähren schien, ganz besonders machte sich jedoch das gute Einvernehmen zwischen Oheim und Neffen geltend, das die nicht eingeweihten Gäste in hohem Grade überraschte. Der Graf war in der Nähe einer nach einem Nebenzimmer führenden Thür stehen geblieben und beobachtete, durch seine Larve geschützt, den Hof und das Treiben im Saal. Der Prinz und der Fürst befanden sich in seiner Nähe und unterhielten sich mit einigen zu dem engeren Kreise des Fürsten gehörigen Personen, welche wie die Ersteren ohne Masken waren. Die Unterhaltung schien sehr heiter zu sein; denn Lachen und Scherze unterbrachen dieselbe. Der Fürst zog sich bald darauf mit einem der Herren ein wenig von der Gruppe zurück und sprach vertraulich mit diesem, während der Prinz mit den übrigen Personen die Unterhaltung in der früheren Weise fortsetzte. Einige Augenblicke darauf bemerkte der Graf, daß ein schwarzer Domino, der sich so lange in dem Nebenzimmer aufgehalten hatte und das Zurückziehen des Fürsten abgewartet zu haben schien, dasselbe verließ, sich dem Prinzen von der Rückseite näherte und ihm ein paar Worte zuflüsterte. Der Prinz wandte sich rasch um und fragte nach dessen Begehr. »Wollen Hoheit so gnädig sein, mir ein paar Worte im Geheimen zu gestatten? Es betrifft Ihre Ehre,« -- entgegnete die Maske zwar in vertraulichem, jedoch so lautem Ton, daß sie von den Umstehenden unschwer vernommen werden konnte. Das Gespräch stockte sofort, und mit Ueberraschung blickte man auf den Prinzen und die Maske, gespannt, was der Erstere thun würde. Dieser besann sich einen Augenblick, alsdann wandte er sich an die Maske und entgegnete: »Sie sagen, es beträfe meine Ehre? Wenn dem so ist, so folgen Sie mir.« Zugleich begab er sich in das nahe Nebenzimmer, wohin ihm die Maske folgte. Daselbst angelangt, zog die Maske einen Brief und ein kleines Paquet aus dem Busen und überreichte es dem Prinzen mit den Worten: »Sie werden die Bestätigung meiner Worte in diesem Briefe finden, und ich bitte, davon Kenntniß zu nehmen.« »Zeigen Sie mir erst Ihr Gesicht, mein Herr,« bemerkte der Prinz, die Maske forschend betrachtend. »Gestatten Hoheit, daß ich mich erst zu erkennen gebe, nachdem Sie den Brief gelesen haben,« entgegnete der Domino mit einer Verbeugung und trat ein wenig von ihm zurück. »Sie wissen, daß dergleichen hier nicht Sitte ist,« bemerkte der Prinz. »Ich weiß es; doch hoffe ich, der Inhalt des Briefes wird mich entschuldigen, und darum wiederhole ich meine Bitte, denselben sogleich lesen zu wollen. Hoheit haben alsdann über mich zu befehlen,« wandte die Maske ein. Der Prinz betrachtete diese nochmals mit mißtrauischen Blicken und entgegnete alsdann nach kurzem Entschluß: »Nun gut, mein Herr, ich will Ihren Worten vertrauen und den Brief lesen; Sie werden mir alsdann weitere Aufklärung darüber geben.« Die Maske gab ihre Zustimmung durch eine tiefe Verbeugung zu erkennen, worauf der Prinz sich nach den in der Nähe befindlichen Kerzen begab, den Brief öffnete und las. Der Inhalt des letzteren mußte wol von großer Wichtigkeit für ihn sein; denn sein Antlitz röthete sich rasch vor innerer Erregung, und mit einem Ausruf zornigster Entrüstung fuhr er auf und suchte die Maske. Er fand dieselbe jedoch nicht, denn sie hatte sich, während er sich mit dem Briefe beschäftigte, heimlich aus dem Gemach entfernt. Der Fürst hatte trotz seiner Unterhaltung dennoch des Prinzen Entfernung mit der Maske bemerkt, ebenso war ihm der Ausdruck der Ueberraschung nicht entgangen, welcher sich in seines Neffen Antlitz in Folge dessen verrieth, und er schloß daraus auf die Wichtigkeit des Vorganges. Als nun des Prinzen zorniger Ausruf an sein Ohr drang, ging er dem ihm bereits mit dem Zeichen großer Entrüstung entgegen kommenden Neffen entgegen und fragte, was geschehen sei. Der Prinz deutete auf den in seiner Hand befindlichen Brief und sprach die Bitte aus, dem Fürsten das Nähere darüber im Geheimen mittheilen zu dürfen. Dieser, durch alle die genannten Umstände eben so sehr überrascht als erregt, nahm des Prinzen Arm und ging mit ihm nach einem nur dem Fürsten zugänglichen Cabinet, woselbst sie vor einem jeden Lauscher sicher waren. Daselbst angelangt rief der Prinz: »Alle meine Voraussetzungen bestätigen sich; hier, mein Fürst, sind die Beweise!« Zugleich legte er den Brief und das Paquet vor dem Fürsten auf den Tisch nieder. »Wer war die Maske, die Ihnen dieselben brachte?« fragte der Fürst. »Ich weiß es nicht. Aus guten Gründen scheint sie unbekannt bleiben zu wollen; denn sie hat sich sogleich heimlich entfernt.« »Sie hätten das nicht gestatten sollen,« wandte der Fürst ein. »Ich vermochte das nicht, da mich der Inhalt des Schreibens fesselte. Ueberdies ist an dem Manne selbst nichts gelegen, da er seine Worte durch die unzweifelhaftesten Beweise unterstützt.« »So lassen Sie mich den Brief lesen,« sprach der Fürst, ergriff das Schreiben und las dasselbe mit großer Aufmerksamkeit durch, betrachtete sodann mit nicht geringerem Interesse den Inhalt des Paquets, und nachdem dies geschehen war, blickte er einige Augenblicke sinnend vor sich hin und bemerkte alsdann mit einem besondern Ausdruck in Mienen und Blick: »Ich denke, Prinz, das Alles kommt uns sehr gelegen.« »Wer konnte dergleichen auch voraussehen; ich begrüße es mit Freuden, denn es rechtfertigt mich bei Ihnen und giebt meiner Angelegenheit eine ganz andere Wendung.« »So meine ich auch und denke überdies, wir können diese Dinge in unserm Sinn benutzen,« sprach der Fürst vertraulich. »Doch,« fuhr er fort, »ein wenig Vorsicht kann nicht schaden, namentlich wäre es gut, Aufsehen zu vermeiden, um die Sache nicht etwa denjenigen zu verrathen, die ein Interesse dafür haben. Darum fassen Sie sich, mein lieber Prinz, und zeigen Sie Ruhe und Unbefangenheit, damit man nichts ahnt, und dann lassen Sie uns in den Saal zurückkehren und noch eine Stunde unseren Gästen schenken. Also täuscht man am besten. Ueberdies, glaube ich, haben wir auch im Besitz dieser Dinge,« er deutete auf das Paquet, »einigen Grund, nicht betrübt zu sein. Mir, ich gestehe es Ihnen, ist ein großer Gefallen damit geschehen, denn ich kann nun mit voller Freiheit handeln.« Nachdem er sich darauf noch eine längere Zeit mit dem Prinzen vertraulich unterhalten hatte, kehrte er, wie er es gewollt, mit demselben zu den Gästen zurück, und ihre heiteren und unbefangenen Mienen ließen nicht die hohe und ernste Bedeutsamkeit des soeben Verhandelten ahnen. Die mit dem stattgehabten Vorgang bekannten Personen wurden durch diesen Umstand ein wenig überrascht, da sie darauf nichts weniger als vorbereitet waren und also das Gegentheil erwartet hatten. Da es eine Angelegenheit war, die, wie sie vernommen, des Prinzen Ehre betreffen sollte, so konnte es nicht ausbleiben, daß man sowol mit einander als mit Befreundeten nach dem Entfernen des Fürsten dieselbe in eifriger Weise besprach und sich somit das Gerücht von dem sonderbaren Vorfall sehr rasch unter den Gästen verbreitete. Mit um so größerer Spannung hatte man daher der Rückkehr des Fürsten entgegen gesehen, und zwar in der bestimmten Erwartung, Näheres zu erfahren. Man war jedoch getäuscht; denn sowol der Fürst als der Prinz berührten die Angelegenheit gegen die ihnen bekannten Personen mit keinem Wort, und die von ihnen gezeigte gute Stimmung verrieth, daß sie derselben durchaus keine ernste Bedeutung beilegten. Diese Umstände verleiteten denn auch die Gäste, lediglich des Prinzen leichter Erreglichkeit die Veranlassung zu seinem früheren Verhalten zuzuschreiben. Der Fürst verweilte, seinem Vornehmen getreu, noch eine längere Zeit auf dem Fest und zeigte die beste Laune; der Prinz tanzte sogar mehrmals, theilte die Stimmung seines Oheims und verließ erst lange nach diesem den Saal. Zu jenen Personen, welchen der bezeichnete Vorfall nicht entgangen war, gehörte auch eine uns bereits genügend bekannte Dame, und zwar die Oberhofmeisterin der Prinzessin, Baronin Mühlfels. Sie hatte von einer geeigneten Stelle aus demselben die höchste Aufmerksamkeit geschenkt und mit gleichem Interesse das Benehmen der Fürsten beachtet, namentlich nach deren Rückkehr. Wie viel sie dabei gesehen und vernommen hatte, ließ sich nicht bestimmen, wenngleich die Annahme nahe lag, daß ihr nichts entgangen sein mußte. So dachte wenigstens Graf Römer, der, wie wir erfahren haben, die bezeichneten Vorgänge bequem hatte beobachten können. Ihm war dabei auch die Baronin in's Auge gefallen und deren besonderes Interesse für die letzteren bekannt geworden. Erschien ihm dieses im Hinblick auf die ihr beiwohnende Neugier natürlich, so däuchte ihm ihre Theilnahme dennoch einem tieferen Grunde entsprungen zu sein, was ihr Benehmen verrieth. Er verfolgte diese Betrachtungen jedoch nicht, da ihm der beobachtete Vorgang viel zu wichtig war, um demselben nicht seine ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden. Nachdem sich der Fürst mit dem Prinzen zu der Unterredung fortbegeben hatte, suchte er einige in seiner Nähe befindliche Bekannte auf, um mit diesen über den Vorfall zu sprechen und vielleicht von ihnen darüber etwas zu erfahren. Er sah sich jedoch getäuscht; denn sie befanden sich gleich ihm in Unkenntniß darüber, sprachen jedoch die Erwartung aus, daß ein so besonderer Vorfall nicht lange verschwiegen bleiben könnte. Der Graf wartete die Rückkehr der Fürsten in der Hoffnung ab, vielleicht alsdann irgend welche Aufklärung zu erhalten, was jedoch aus den angeführten Gründen nicht erfolgte. Er befand sich in einer ganz ungewöhnlichen Erregung, welche durch die sich ihm unwillkürlich aufdrängende Vermuthung erzeugt worden war, es könnte jener Vorgang mit dem Prinzen in irgend welcher für Sidonie gefahrvollen Beziehung stehen. Zwar vermochte er sich für diese Annahme keine Rechenschaft zu geben; dennoch verließ ihn diese Sorge nicht, so viel er sie auch von sich abzuweisen bemühte. Vielleicht lag der Grund dazu darin, daß ihm die Ansprache der Maske an den Prinzen nicht entgangen war, die auf eine den Letzteren betreffende Ehrensache hindeutete; vielleicht jedoch noch mehr in der Erinnerung der in dem Badeort stattgehabten sonderbaren Vorfälle mit den sich möglicher Weise daran knüpfenden Folgen. Seine Unruhe veranlaßte ihn daher, noch länger auf dem Fest zu verweilen, um sich nichts entgehen zu lassen und sein Forschen fortzusetzen. Der Ball nahte jedoch seinem Ende, ohne daß seine Absichten sich in irgend welcher Weise erfüllten. So schloß er sich denn den Fortgehenden an. Am Ausgang des Saals angelangt, woselbst ein ziemlicher Andrang von Gästen stattfand, wollte er soeben hinausschreiten, als ihm Jemand von der Rückseite einen Zettel in die Hand drückte. Dadurch überrascht, wandte er sich um, um den Geber desselben zu entdecken; er erblickte jedoch nur gleichgiltige Mienen und zwar in einer solchen Entfernung von ihm, daß er unmöglich annehmen durfte, von einer dieser Personen den Zettel erhalten zu haben. Was ihn noch mehr in dieser Voraussetzung bestärkte, war der Umstand, daß er beim Umherblicken dieselbe Maske zu entdecken glaubte, die früher dem Prinzen das Schreiben überreicht hatte und jetzt durch das Gewühl in den Saal eilte. Eine Frage an die ihm Folgenden zu richten, wäre unpassend und zugleich fruchtlos gewesen, da der Billetgeber die Absicht hatte, dem Grafen unbekannt zu bleiben; Römer bemühte sich daher in keiner Weise und steckte den empfangenen Zettel zu sich, um ihn später in seinem Hause zu lesen. Dergleichen geheimnißvolle Mittheilungen waren in jener Zeit sehr beliebt, und der Graf würde durch die erhaltene auch nicht weiter beunruhigt worden sein, hätte er nicht zufällig jene Maske erblickt, deren eilige Rückkehr in den Saal sie als die Geberin verrieth, wenigstens eine solche Vermuthung rechtfertigte. Mit um so größerer Spannung entfaltete er daher, in seinem Hause angelangt, das Billet, und that dies zugleich mit dem besorgnißvollen Gefühl, nichts Gutes zu finden. Er hatte sich nicht getäuscht; denn die Worte lauteten also: »Fliehen Sie, so schnell Sie können. Ihr Verhältniß zu der Prinzessin ist verrathen und Sie haben daher das Uebelste zu erwarten.« Mehr enthielt das Billet nicht, noch auch hatte der Warnende seinen Namen unterzeichnet. Die Worte waren flüchtig auf ein abgerissenes Stück Papier hingeworfen und die Handschrift dem Grafen durchaus unbekannt. Es durchrieselte ihn eisig, als er die Worte las, indem dieselben seine frühere Vermuthung hinsichts eines Zusammenhangs des stattgehabten Vorgangs auf dem Ball mit Sidonien zur Gewißheit erhoben. Einige Augenblicke gingen ihm in der tiefsten Erschütterung dahin, ehe er sich zu fassen und seine Lage zu übersehen vermochte. Seine Liebe zu Sidonien hatte also einen Verräther gefunden und war zufolge des Billets dem Prinzen bereits mitgetheilt worden. Seine frühere so unerklärliche Besorgniß hatte ihn also nicht getäuscht. Dieser Verrath war unter den gegenwärtigen Verhältnissen von ganz unberechenbarer Wichtigkeit, da er mit dem Verlangen der Prinzessin, ihre Ehe zu trennen, zusammen fiel. Jetzt glaubte der Graf auch eine Erklärung für des Fürsten kaltes Zurückhalten gegen Sidonie gefunden zu haben. Derselbe mußte bereits am Vormittage irgend welche Andeutungen über die Neigung der Prinzessin erhalten haben. Durch welche Umstände das Alles geschehen war und wer der Verräther sein konnte, blieb für Römer eine ungelöste Frage. Niemand befand sich am Hofe, der weder für Sidonie, noch für ihn selbst ein besonderes Interesse hegte; eben so wenig glaubte er durch sein Verhalten seine Neigung zu erkennen gegeben zu haben. Er erwog alle diese Umstände des genauesten und gelangte endlich zu der Ueberzeugung, daß der Quell des Verrathes lediglich an jenem von Sidonien besuchten Badeort zu suchen sei. Mit dieser Erkenntniß kam ihm jedoch auch zugleich der Argwohn, der Prinz hätte ihn und Sidonie dort vielleicht im Geheimen beobachten lassen und die etwa gemachten Entdeckungen zu dem Verrath geführt haben. Dieselben konnten jedoch unmöglich von solcher Bedeutung gewesen sein, um daraus eine Schuld für die Prinzessin oder ihn zu folgern. Es mußten daher noch andere Umstände dabei maßgebend gewesen sein, deren Natur er jedoch trotz alles Nachdenkens nicht zu ergründen vermochte. Der Warner rieth ihm, so schnell als möglich zu fliehen, da ihm Gefahr drohen sollte; derselbe deutete ihm damit zugleich an, daß man dieser Angelegenheit eine so große Bedeutung beilegte, die sie doch sowol von dem Standpunkt des Fürsten als des Prinzen aus nicht besaß. Denn weder ihn noch die Prinzessin traf irgend welcher Vorwurf. Die gegenseitige Zuneigung schloß keine Schuld ein; ihr näherer Umgang mit ihm war durch die Sitte berechtigt und durchaus nicht ungehörig. Woher sollte und konnte ihm daher irgend eine Gefahr drohen. -- Er erkannte dieselbe nicht und gelangte daher zu der Vermuthung, ein ihm Befreundeter habe sich in übergroßer Aengstlichkeit zu der Warnung bewogen gefunden. War dies jedoch der Fall, so konnte er die letztere auch nicht von der nämlichen Maske erhalten haben, die dem Prinzen die geheime Botschaft brachte. Er mußte sich daher in dieser Beziehung getäuscht haben. In dem Gefühl seiner Schuldlosigkeit war er weit entfernt, der Warnung irgend welche Wichtigkeit beizulegen, erachtete es vielmehr für um so nothwendiger, die Residenz gerade in diesem Zeitpunkt nicht zu verlassen, sondern alles Weitere mit Ruhe abzuwarten. Der geringste Schritt, den er in dieser Angelegenheit that, vor Allem aber eine Flucht mußte ihn in ein zweideutiges Licht stellen und ihn zum Schuldigen stempeln. So sehr ihn auch die Gewißheit peinigte, einer lieblosen Beurtheilung entgegen zu gehen und an seiner Ehre leiden zu müssen, überwog dennoch der Gedanke, welche übele Tage die Geliebte erwarteten, alle seine Besorgnisse. Denn es war für ihn keine Frage mehr, daß die im Geheimen gegen sie gesponnene Intrigue bald mit frecher Stirn auftreten und sie anklagen würde. Eine Intrigue an diesem sittenlosen Hofe ließ aber auch mit Bestimmtheit das Uebelste erwarten. Um so mehr mußte er daher bedacht sein, Sidonie darauf so rasch als möglich vorzubereiten, damit sie dadurch nicht überrascht wurde und sich verrieth. Ihr durch Aurelie die erforderlichen Andeutungen zugehen zu lassen, gab er in der Ueberzeugung auf, daß unter den obwaltenden Umständen der Brief vielleicht aufgefangen werden könnte. Ein jedes geschriebene Wort war daher gefährlich und also unzulässig, und so war er sogleich entschlossen, Sidonie am nächsten Tage selbst aufzusuchen und ihr das Erfahrene mitzutheilen. Eine Unterredung mit ihr war in Erwartung des Kommenden auch von der höchsten Wichtigkeit. Es bestimmte ihn zu dem Besuch überdies noch die Absicht, dadurch zu zeigen, wie wenig Gründe er habe, den gewöhnten Umgang mit Sidonien aufzugeben, und daß die erhaltene Warnung in keiner Hinsicht nothwendig gewesen. Ihn leitete dabei die nahe liegende Voraussetzung, es könnte ihm die letztere vielleicht nicht von einem Freunde zugesteckt, sondern lediglich ein schlau berechnetes Mittel sein, ihn zu einem Schritt zu veranlassen, der seine Schuld verrieth. Jedenfalls war es gerechtfertigt, das Schlimmste anzunehmen und darnach sein Handeln einzurichten. In wiederholten Erwägungen aller dieser Umstände gingen ihm die Stunden dahin, und es drängte sich in die ersteren zugleich die Erinnerung an die von seiner Mutter ausgesprochene Besorgniß hinsichts einer gegen ihn gesponnenen Intrigue, die sie so sehr fürchtete. Ihre Voraussetzung schien sich nach allen Anzeichen nun in der That bestätigt zu haben; es fragte sich nur, in wie weit Sidonie und er selbst davon berührt werden und welchen Ausgang dieselbe nehmen würde. Die nächste Zeit mußte das zeigen. Der Graf hatte aber auch sein Verhalten gegen die Geliebte erwogen, und wenn er sich auch eingestand, einer augenblicklichen Schwäche nachgegeben zu haben, war er sich doch auch keines Fehls bewußt, der ihre und seine Ehre hätte beflecken können. Dieses Bewußtsein führte ihm die so nothwendige Ruhe der Seele wieder zu; sein Selbstgefühl machte sich geltend; klar wurde sein Auge, das dem leuchtenden Morgen entgegen schaute, der über sein Brüten rasch genaht war. Er löschte die herabgebrannten Kerzen und suchte alsdann sein Lager auf, weniger um zu schlafen, als in der Absicht, durch das entgegen gesetzte Verhalten die Aufmerksamkeit seiner Umgebung nicht zu erregen. Von der Ueberzeugung erfüllt, von den Fäden einer Intrigue im Geheimen umsponnen zu sein, glaubte er fortan die peinlichste Vorsicht in jeder Hinsicht beobachten zu müssen. Was ihm der nahende Tag bringen würde, wußte er nicht; er sah demselben mit vollster Ruhe entgegen; doch war er entschlossen, am Abend zu der gewöhnten Zeit die Prinzessin aufzusuchen. Viertes Kapitel. Am Vormittage nach dem Ball saß die Oberhofmeisterin voller Behaglichkeit im bequemen Negligé vor dem wärmenden Kamin und beschäftigte sich mit einem Brief, dessen Inhalt ihr nicht nur sehr angenehm zu sein, sondern ihre Freude darüber beim weiteren Lesen noch wesentlich zu steigern schien. Sie deutete dies durch allerlei Ausrufe der Ueberraschung und des Behagens an, durch welche sie das letztere unterbrach. »Sieh, sieh, das kluge Kind! Ich hatte so etwas vorausgesehen, und es freut mich, in meinen Erwartungen über sie nicht getäuscht worden zu sein,« sprach sie vor sich hin, nachdem sie den Brief zu Ende gelesen hatte. Sie befand sich allein in dem Gemach und konnte sich daher ganz ungestört in den Betrachtungen ergehen, wozu sie das Schreiben veranlaßte. Sie hatte das letztere soeben erhalten und war dadurch um so mehr überrascht worden, da die Absenderin niemand Anders als Mariane war, von der sie und zwar eine derartige Mittheilung zu erhalten, nicht erwartet hatte. Zwar versäumte das Mädchen nicht, nachdem sie die Villa bezogen, der Baronin ihren Dank für die in ihrem Interesse gehabten Bemühungen auszusprechen, und ebenso nahm sie die ihr von der Letzteren später gemachten heimlichen Besuche stets mit Ehrerbietung und Freude an und verabschiedete sich auch vor ihrer Abreise nach Paris bei ihr; sie hatte jedoch dabei nicht den Wunsch ausgesprochen, ihr schreiben zu dürfen. In der nahe liegenden Voraussetzung, daß Mariane sich dazu auch nicht aufgefordert fühlen würde, hatte die Baronin eben so wenig an dergleichen gedacht, überzeugt, daß die neuen Verhältnisse das Mädchen vollständig in Anspruch nehmen würden. Um so größer war daher ihre Ueberraschung, als nach so langer Zeit das soeben erhaltene Schreiben bei ihr einlief, welche der Inhalt desselben noch wesentlich steigerte. Mariane wandte sich nämlich mit der Bitte an sie, sie durch ihren Rath in einer ihr so wichtigen, sich auf den Prinzen beziehenden Angelegenheit zu unterstützen. Sie hatte das Leben in Paris genossen und fand kein Vergnügen mehr an dem vereinsamten Aufenthalt daselbst; zugleich peinigte sie die Ungewißheit über ihre Zukunft. Der Prinz hatte ihr seit längerer Zeit nicht geschrieben, sein Interesse für sie schien sich verringert zu haben; auch gab er ihr auf ihre Frage, wie lange sie nun noch in ihrem Exil verweilen sollte, keine bestimmte Antwort, so daß sie von der Furcht erfüllt war, er würde sie vergessen und ihrem Schicksal an dem fremden Ort überlassen. Darum hatte sie sich auf die Baronin besonnen und sich entschlossen, dieser ihre Besorgnisse mitzutheilen und sie zugleich zu bitten, mit dem Prinzen ihretwegen zu sprechen und dessen Bestimmungen über sie zu erfahren. Die Fassung des Briefes verrieth die Bildung, welche sich Mariane während ihres Aufenthaltes in Paris anzueignen gewußt hatte, und die zugleich den Beweis lieferte, daß sie ihre Lehrer nicht erfolglos bemüht hatte. Die Baronin erstaunte darüber; denn nicht nur war die Ausdrucksweise gewählt, sondern es sprach daraus auch Geist; vor Allem jedoch machte sich darin ein verborgener Ehrgeiz geltend. Und so war es in der That. Mariane hatte des Prinzen Versprechen, sie dereinst zu einer Gräfin zu machen, nicht vergessen; dasselbe war zugleich der Sporn zu ihrem Fleiß, sich die einer vornehmen Dame nothwendigen Kenntnisse anzueignen, um des versprochenen Vorzugs auch würdig zu werden. Mariane hatte das Alles der Baronin mitgetheilt, und diese erkannte mit ihrem geübten Scharfblick sofort, daß es sich in diesem Fall nicht nur um eine gewöhnliche Liaison, sondern um viel wichtigere Dinge handelte, die unter geeigneten Umständen zur Geltung gelangen könnten. Und so war es ihr in hohem Grade angenehm, zur Vermittlerin dieser Angelegenheit beansprucht zu werden. Sie kannte Marianens großen Einfluß auf den Prinzen nur zu wohl und war überdies überzeugt, daß sich derselbe für die Folge nicht nur erhalten, sondern im Hinblick auf des Mädchens Klugheit sogar noch steigern würde. Denn daß der Prinz wirklich noch mit vieler Zuneigung an dem Mädchen hing, ging daraus hervor, daß er eine neue Liaison nicht angeknüpft hatte und zu dieser auch keine Neigung zeigte. Ueberdies hatte ihr Sohn dies auch in den Briefen an sie wiederholt angedeutet und auf Marianens künftigen Einfluß hingewiesen. Alle diese Umstände waren wichtig genug, den empfangenen Brief mit hoher Freude zu begrüßen und die Baronin zu veranlassen, die so willkommene Angelegenheit der eingehendsten Erwägung zu unterwerfen, um sich die daraus für sie ergebenden wichtigen Vortheile zu sichern. Gelang es ihr, Marianens Wünsche zu erfüllen, so hoffte sie auch deren ganzes Vertrauen für jetzt und in der Zukunft zu gewinnen, und das genügte ihr; denn dieses Vertrauen sicherte ihr einen nicht geringen Einfluß nicht nur auf das Mädchen, sondern auch auf den künftigen Regenten, und das waren entzückende Aussichten für die stets speculirende und intriguirende Frau. Sie ging daher auch sogleich mit sich zu Rathe, in welcher besten Weise sie sich die nöthigen Erklärungen von dem Prinzen verschaffen und die gewünschte Vermittlung anbahnen könnte. Noch damit beschäftigt, wurde ihr ein Besuch gemeldet, der ihr Interesse in hohem Grade beanspruchte. Aus einer hingeworfenen Bemerkung konnte man überdies entnehmen, daß sie denselben bereits und mit Ungeduld erwartet hatte. Es trat ein Officier ein, in welchem wir den Kapitän von Bieberstein erkennen. Seine Begrüßung verrieth, daß er mit der Baronin in vertraulichen Beziehungen stehen müßte. »Ich habe Sie mit Ungeduld erwartet,« bemerkte die Baronin etwas erregt. »Ich hoffe, es ist Alles zur Zufriedenheit abgelaufen?« »Ich freue mich, meine Gnädigste, dies bejahen zu können,« entgegnete Bieberstein selbstgefällig und sicher. »O, mein Sohn kennt seine Freunde!« rief die Baronin und fügte hinzu: »Er wußte, daß er Ihrer Klugheit unbedingt vertrauen durfte. Hat man nicht für gut gefunden, Ihnen nachzuforschen?« »Auf des Fürsten Befehl ist das geschehen; ich sorgte natürlich dafür, daß dies ohne Erfolg sein mußte,« bemerkte Bieberstein. »Und die Wirkung war, so viel ich bemerken konnte, eine durchaus gute.« »Wenigstens ist der Wunsch Ihres Sohnes erfüllt; das Weitere müssen wir dem Fürsten anheim geben, und wie dieses sein wird, dürfte leicht zu errathen sein. Der Prinz wurde von der zornigsten Aufwallung übermannt; wie der Fürst darüber geurtheilt haben mag, vermag ich nicht zu bestimmen. Als ich nach Ablegung der Maske wieder in dem Saal erschien, war ich ein wenig überrascht, Oheim und Neffen in der besten Laune zu finden. Doch das mag ein abgekartetes Spiel gewesen sein, um sich nicht zu verrathen. Der Fürst ist klug, und der Prinz wird sich seinen Anweisungen gefügt haben. Sie kennen das, meine Gnädige.« »Sie wissen, von welcher großen Wichtigkeit meinem Sohn die bekannte Angelegenheit ist; es gilt die Rechtfertigung seiner Ehre, und Sie können daher von seinem tiefsten Dank überzeugt sein,« sprach die Baronin mit großem Wohlgefallen. »Ich weiß es, meine gnädigste Frau, und bin überzeugt, mein Freund wird, sobald er wieder zu Einfluß am Hofe gelangt ist, mir sein Wort gern halten.« »Zweifeln Sie nicht daran und möchten seine so eifrigen Bemühungen einen recht baldigen und zugleich erwünschten Erfolg herbei führen!« »Der Prinz ist sein Freund, und so wird daher der Lohn nicht ausbleiben, ganz abgesehen, daß Ihr Sohn auch zugleich dem Fürsten einen wichtigen Dienst leistet.« »Es ist so, und ich gestehe Ihnen, ich sehe der Entwicklung dieser Angelegenheit mit großer Spannung entgegen,« erwiderte die Baronin, wurde jedoch in der Fortsetzung ihrer Rede unterbrochen, da ein Diener den Chevalier Boisière meldete. »Wie, der Chevalier?!« fragte sie mit Ueberraschung. »Welche Gründe können ihn veranlaßt haben, mich aufzusuchen? Er hat mich seit dem Zerwürfniß mit meinem Sohn gemieden, wahrscheinlich, weil er keine gute Aufnahme bei mir erwartete. Es muß ihn also ein ganz besonderer Anlaß zu mir führen. Bitten Sie ihn, einzutreten.« Der Diener entfernte sich, und die Baronin fuhr fort: »Vielleicht will er sich nach meinem Befinden erkundigen und auf diese Weise den abgebrochenen Umgang wieder anknüpfen.« »So will ich nicht stören,« bemerkte der Kapitän und erhob sich. »Behalten Sie nur Ihren Platz, lieber Kapitän!« fiel die Baronin ein und fügte hinzu: »Ich gedenke noch später ein paar Worte mit Ihnen zu sprechen; überdies ist mir Ihre Gegenwart gerade jetzt sehr angenehm.« Der Chevalier trat ein und begrüßte die Baronin mit der höchsten Ehrerbietung, und es schien ihm große Freude zu bereiten, in dem Kapitän einen Freund des Barons kennen zu lernen. »So darf ich mich offen zu Ihnen aussprechen meine Gnädigste, und das ist mir außerordentlich lieb, denn ich habe an Ihrem von mir so hoch verehrten Sohne ein Unrecht gut zu machen und hoffe mir dadurch auch zugleich Ihre so schätzenswerthe Gunst wieder zu erwerben, die Sie mir in der letzten Zeit, und leider mit Grund! ein wenig entzogen haben,« bemerkte der Chevalier und küßte die Hand der Baronin. »Das klingt ja in der That sehr erfreulich!« fiel die Baronin überrascht und geschmeichelt ein, und fügte hinzu: »So erklären Sie mir, mein verehrter Freund, welchem glücklichen Umstande ich einen so schönen Erfolg verdanke.« »Lediglich der Gnade unseres Fürsten,« bemerkte Boisière mit Betonung. »Wie, dem Fürsten?!« fragte die Baronin erstaunt und meinte dann: »Ich verstehe nicht, mein Freund.« »Ich glaube es; denn auch ich vermag die Ursachen nicht zu ergründen, welche den Fürsten so plötzlich bestimmt haben, Ihrem Sohn zu verzeihen und ihn wieder an den Hof zurück zu rufen.« »Das hat der Fürst gethan?!« fragte die Baronin in der freudigsten Ueberraschung. »Ja, meine Gnädigste, es ist so, und Serenissimus haben mich aus guten Gründen ganz besonders ausersehen, Ihnen dieses Handbillet zu übergeben und dabei mitzutheilen, daß dasselbe die Begnadigung Ihres Sohnes enthält.« »O, mein Gott, welche große Güte!« rief die Baronin, indem sie das offene Schreiben empfing und die darin enthaltenen gnädigen Worte mit gesteigerter Freude überflog. »Nun sagen Sie, wie das Alles zugegangen ist,« sprach sie darauf. »Es war etwa die zehnte Stunde,« erörterte der Chevalier, »als mich Serenissimus zu sich befehlen ließen. Als ich eintrat, kam er mir mit einem eigenthümlichen Ausdruck in seinem Antlitz entgegen, jedoch nicht unfreundlich, und bemerkte: »»Hören Sie, Boisière, besondere Umstände haben mich überzeugt, daß wir dem Baron ein Unrecht gethan, und da habe ich mich denn kurz entschlossen, dasselbe wieder gut zu machen. Bringen Sie dieses Schreiben der Baronin; denn es wird ihr Freude bereiten, wenn ihr Sohn durch sie die Begnadigung erhält. Ich habe absichtlich Sie zum Ueberbringer derselben erwählt, weil ich voraussetze, daß es Ihnen lieb sein wird, dadurch zugleich die Gelegenheit zu finden, sich mit Mutter und Sohn wieder auszusöhnen, die Ihnen wie mir ein wenig grollen werden.«« Also sprach Serenissimus in leutseligem Ton, und ich drückte ihm meine Ueberraschung und meinen tiefsten Dank aus, mir diese Gelegenheit zu gewähren, Ihre und Ihres Sohnes mir so unschätzbare Freundschaft wieder zu erwerben. Und so bitte ich, vergessen Sie das Vorgefallene und schenken Sie Ihrem alten Freunde Ihr Wohlwollen auf's Neue.« Mit diesen Worten ergriff er ihre Hand und drückte zärtliche Küsse darauf. »Von Herzen, mein theurer Freund! Wie könnte ich Ihnen grollen, da Sie wie auch der Fürst lediglich das Opfer einer Täuschung waren. Die Gnade unseres Gebieters macht Alles wieder gut.« Also rief die über die Maßen glückliche Baronin, während sie zugleich im Geheimen einen vertraulichen Blick mit dem Kapitän austauschte. »Doch, mein Freund, sind Ihnen etwa die Umstände bekannt geworden, welche diese Sinnesänderung in dem Fürsten erzeugt haben?« fragte die Baronin forschend. »Ich vermag Ihnen nichts Gewisses zu sagen und habe darüber nur Vermuthungen.« »Und welche, mein bester Chevalier?« Dieser zögerte mit einer Antwort, wodurch die Baronin veranlaßt wurde zu bemerken: »Kapitän Bieberstein ist ein intimer Freund meines Sohnes und verläßt schon heute die Residenz, um in die Garnison zu dem Letzteren zurückzukehren; er wird ihm die erfreuliche Botschaft des Fürsten überbringen und ihm unsere Unterredung mittheilen, und sie erkennen aus diesen Umständen, daß jede Zurückhaltung in dieser Angelegenheit von meinem Sohn herzlich bedauert werden würde.« »Das ist freilich etwas Anderes, und so will ich denn meine Meinung aussprechen, obwohl Ihnen dieselbe auch nur wenig Aufklärung gewähren dürfte,« entgegnete Boisière. »Ich meine,« fuhr er vertraulich fort, »der gestrige räthselhafte Vorfall mit der Maske dürfte mit des Fürsten Intentionen in irgend einer Verbindung stehen.« »Woher glauben Sie das?« »Wie ich aus guter Hand erfuhr, hat der Fürst bereits eine längere vertrauliche Unterredung mit dem Prinzen am Vormittage gehabt und es soll dabei auch der Maske gedacht worden sein. Noch kann ich Ihnen sagen, daß der Fürst den Befehl ertheilt hat, im Geheimen nach der Maske unausgesetzt forschen zu lassen; ein Zeichen, wie wichtig ihm deren nähere Kenntniß sein muß; ein ebenso sicheres Zeichen jedoch auch, welche große Bedeutsamkeit der Fürst dieser Sache beilegt.« »So scheint es,« bemerkte die Baronin nachdenkend und fragte alsdann: »Der Fürst befindet sich also in guter Stimmung?« »Ich glaube dies bejahen zu dürfen, wenngleich ich auch hinzufügen muß, daß er ungewöhnlich nachdenklich zu sein scheint und dies stets ein Zeichen zu sein pflegt, daß ihn eine Sache von großer Wichtigkeit beschäftigt.« »Ich hoffe, mein theurer, wiedergewonnener Freund, Sie werden mir Ihre später gemachten Beobachtungen betreffs dieser Angelegenheit nicht vorenthalten,« bemerkte die Baronin, ihn mit koketten Blicken herausfordernd anschauend. »Da Sie mich auf's Neue Ihrer Freundschaft und Ihres gütigen Vertrauens zu würdigen so gütig sind, wird mir die Erfüllung Ihres Wunsches ein ganz besonderes Vergnügen gewähren,« entgegnete der Chevalier in der artigsten Weise. »Und wie steht es ~dort~? Ist nichts im Gange?« fragte die Baronin darauf vertraulich und deutete mit dem Finger über ihre Schulter in die Gegend, woselbst sich des Prinzen Palais befand. »Es hat mit dem bekannten Antrag seine Richtigkeit. Ich setzte voraus, Sie kennen denselben.« »Sie meinen die gewünschte Trennung?« »So ist's.« »Ist vielleicht schon von dem Fürsten ein Beschluß gefaßt worden?« »Ich glaube dies verneinen zu müssen. Serenissimus, der, wie Sie wissen, mich seines gnädigen Vertrauens bisweilen würdigt, scheint es für angemessen zu halten, sich nicht zu übereilen, vielleicht auch nicht geneigt zu sein, sich über seine Intentionen in dieser Beziehung auszusprechen.« »Seine Weisheit wird einen ersprießlichen Entscheid herbei zu führen wissen, um diese traurige Angelegenheit seiner und des Prinzen Ehre gemäß zu erledigen.« »Ja, ja, das ist es, das hat den Fürsten auch in der letzten Zeit sehr lebhaft beschäftigt! Sie wissen, er ist im Punkt seines Ansehens äußerst difficil. Alle Welt weiß, daß ~er~ diese Ehe gestiftet, und darum verdrießt es ihn in hohem Grade, sich in solcher Weise offen compromittiren zu müssen. Ich bin überzeugt, er gäbe viel darum, fände er ein geeignetes Mittel, welches ihm einen solchen Eclat ersparte.« Die Baronin wechselte, während er sprach, bisweilen einen verständigenden Blick mit dem Kapitän, der ein aufmerksamer Zuhörer des Mitgetheilten war, ohne sich jedoch durch irgend eine Bemerkung in das Gespräch zu mischen. Als der Chevalier endete und aufbrach, entgegnete sie mit großer Freundlichkeit: »Der heutige Tag ist ein doppelt und dreifach beglückender für mich, da er mir nicht nur meinen Sohn, sondern auch einen so sehr geschätzten Freund wieder giebt. Ich hoffe, mein bester Chevalier, es soll unsere Intimität fortan durch keinen Mißklang mehr beeinträchtigt werden, und versichere Sie nochmals, welche große Freude mir Ihr heutiger Besuch bereitet hat, dem hoffentlich, und wie ich herzlich bitte, noch recht, recht viele in Bälde folgen mögen!« Sie reichte ihm die Hand, die der Chevalier an die Lippen führte, indem er bemerkte: »Sie sind die Güte selbst, meine theure Baronin, und ich scheide mit eben so viel Verehrung als Bewunderung von meiner überaus liebenswürdigen Freundin.« Er verabschiedete sich alsdann auch von dem Kapitän und ersuchte ihn, Mühlfels in seinem Namen um Vergebung und um seine Freundschaft zu bitten. »Nun, lieber Bieberstein, wie gefällt Ihnen das Alles?« fragte die Baronin, nachdem sich der Chevalier entfernt hatte und sie sich mit Ersterem allein befanden. »Ich denke, Sie sind mit diesen Erfolgen sehr zufrieden gestellt.« »Ich gestehe, mich von meinem Erstaunen noch nicht erholen zu können. In der That, die Mittel, welche Ihr Sohn in diesem Fall angewandt hat, scheinen sehr wirksamer Natur zu sein,« fiel der Kapitän ein. »Sie haben aus des Chevaliers Worten entnommen, welchen Werth dieselben unter den obwaltenden Umständen bei Hofe besitzen. Ich kenne meinen Sohn zu genau, um nicht überzeugt zu sein, daß er durchaus sicher gegangen ist. Doch die Folge wird es uns ja noch deutlicher zeigen. Jetzt, lieber Bieberstein, gestatten Sie mir, meinem Sohn zu schreiben, damit er durch Sie die ihm so willkommene Botschaft erhält. Ich erwarte Sie zum Diner und dann plaudern wir noch ein Stündchen.« Sie reichte ihm die Hand, wobei sie nicht unterließ, den ziemlich hübschen Kapitän gleichfalls mit einem koketten Lächeln zu beglücken, das nach Belieben gedeutet werden konnte, ohne den Beglückten irgend welcher Gefahr einer Täuschung auszusetzen. Als die Baronin allein war, athmete sie froh auf; ihr Auge leuchtete freudig; welch' ein überaus glücklicher Tag war der heutige! Derselbe hatte sie gleichsam mit Freuden überschüttet. Nochmals las sie des Fürsten Billet und Marianens Schreiben, und dieselben alsdann hoch haltend, sprach sie vor sich hin: »~Diese~ Schätze sichern uns eine große Zukunft!« Wir kehren jetzt zu dem Grafen zurück. Seinem Vornehmen getreu, änderte er nichts in seiner bisher beobachteten Lebensweise. Er ließ sich an einzelnen öffentlichen Orten sehen, besuchte seine Freunde und besprach mit ihnen in der unbefangensten Weise das Fest und den bereits ziemlich allgemein bekannten Vorfall mit der mysteriösen Maske. Allerlei Vermuthungen wurden dabei ausgesprochen, ohne daß man jedoch die eigentliche Bedeutung desselben ergründet zu haben schien; denn auch nicht die leiseste Anspielung verrieth dies, welche jedenfalls erfolgt wäre, würde man mit dem Sachverhalt bekannt gewesen sein. Eben so fruchtlos war des Grafen absichtliches Bemühen, Aufklärung zu erhalten oder den unbekannten Warner zu entdecken. Niemand verrieth sich ihm als derselbe, noch auch fand sich dieser veranlaßt, sich dem Grafen zu nahen und ihm die Dringlichkeit seines Rathes an's Herz zu legen, wozu die beharrliche Anwesenheit des Grafen herausforderte. Wäre, so sagte sich dieser, der unbekannte Freund ein wahrer gewesen, so würde er seine Warnung wiederholt und zugleich durch Erklärungen unterstützt haben. Da dies im Lauf des Tages jedoch nicht erfolgte, so hielt sich der Graf auch zu der Annahme berechtigt, vielleicht getäuscht, vielleicht sogar auf die Probe gestellt worden zu sein. Diese Ueberzeugung, die sich immer mehr bei ihm befestigte, beunruhigte ihn; denn er glaubte darin den Beweis zu finden, daß die gegen ihn und Sidonie gesponnene Intrigue mit großem Vorbedacht angelegt und erwogen sei. Er mußte daher auf Alles gefaßt sein. Denn daß es in diesem Fall nicht ihm allein galt, konnte für ihn kein Zweifel mehr sein. Er war gewöhnt, nach Tisch einen Ritt in's Freie zu machen, und that dies auch heute, obgleich das Wetter dazu wenig einladend war; so sehr war er bedacht, seine Unbefangenheit zu zeigen. In der Erwartung, vielleicht bei seiner Rückkehr durch irgend eine Maßnahme überrascht zu werden, fand er sich dennoch beim Betreten seiner Wohnung getäuscht. Weder hatte ihn Jemand aufgesucht, noch war ein Schreiben oder eine Bestellung eingelaufen. Ueberraschte ihn dieser Umstand auch, da die erhaltene Warnung dergleichen erwarten ließ, so beruhigte ihn derselbe doch auch zugleich, indem er daraus die Ueberzeugung schöpfte, daß man Gründe hatte, die vorausgesetzte Angelegenheit nicht zu übereilen. So nahte der Abend und er begab sich zu der gewöhnten Stunde zu Sidonien. Er befand sich in großer Spannung, welche die Ungewißheit erzeugte, in wie weit die Geliebte von dem Allen betroffen und ob sie überhaupt mit dem Vorfall bereits bekannt gemacht worden war. Ehe er das Palais betrat, bemühte er sich, die erforderliche Ruhe zu gewinnen, und nachdem ihm dies in einem gewissen Grade gelungen war, ließ er sich bei der Prinzessin melden. Er wurde angenommen und dieser Umstand beruhigte ihn, mehr noch jedoch die Unbefangenheit, mit welcher ihn Aurelie wie gewöhnlich empfing. Rasch that er einige Fragen an sie, ob irgend etwas Besonderes vorgefallen sei oder Sidonie betroffen hätte; als dies Aurelie mit Ueberraschung über sein Verhalten verneinte, theilte er ihr alsdann mit wenigen Worten das Vorgefallene mit. Aurelie erschrak in hohem Grade; doch die Verhältnisse gestatteten keine Erörterung, und so begaben sie sich schweigend zu der Prinzessin. Diese empfing ihn in einer gewissen Erregung. Sein Besuch war ungewöhnlich und hatte sie in hohem Grade überrascht, indem sich ihr die Vermuthung zugleich aufdrängte, daß irgend ein wichtiger Vorfall ihn dazu veranlaßt haben müßte. Ueberdies war sie von allerlei trüben Ahnungen schon seit längerer Zeit erfüllt, die sie auf Uebles vorbereitet hatten. Kaum hatte sie daher des Grafen und Aureliens besorgte Mienen erkannt, als auch sie erschrak und bemerkte: »Meine Ahnung scheint mich nicht getäuscht zu haben; es ist etwas von Bedeutung vorgefallen.« Sie heftete zugleich ihr Auge forschend an das seine. »Es ist so, meine theure Freundin, und ich bitte Sie, sich auf schlimme Dinge gefaßt zu machen,« entgegnete Römer und erkundigte sich alsdann nochmals, ob irgend etwas Besonderes sie betroffen hätte. »Durchaus nicht. Der Tag ist mir in der gewöhnten Einförmigkeit dahin gegangen; nur beunruhigte es mich, daß Aurelie keine Nachricht von Ihnen erhielt,« entgegnete Sidonie. »So vernehmen Sie denn, was geschehen ist und wie weit wir davon betroffen worden sind,« fiel der Graf ein und theilte ihr alsdann das Bekannte mit, indem er ihr zugleich das erhaltene Billet zeigte. Sidonie hatte seine Worte mit tiefer Erschütterung vernommen; als er endete, entgegnete sie in schmerzvoller Bewegung: »O, wäre mir ~das~ erspart worden! Ein namenloses Weh ergreift mich bei dem Gedanken, mein heiligstes Gut von ~diesen~ Menschen angetastet, bespöttelt und verurtheilt zu sehen! Denn sie werden es thun, wenn sie nicht noch Aergeres im Sinn haben.« »Das Letztere fürchte ich, und muß das um so mehr besorgen, da das erhaltene Billet darauf hindeutet. Jedenfalls, meine theure Freundin, steht uns irgend ein Kampf mit noch ungekannten, vielleicht auch bekannten Feinden bevor, auf welchen wir gefaßt sein müssen.« »So wird es sein, und ich denke, mein Freund, wir kennen diejenigen, die es sich angelegen sein ließen, das Geheimniß unserer Liebe zu erforschen. Dies, ich bin überzeugt, werden sie als ein Mittel für ihre niederen Zwecke gebrauchen, obwol ich nicht einsehe, wie sie das könnten und -- zu welchem Zweck sie das thun sollten.« »Wenn ich auch Ihre Ansicht theile, so erinnere ich Sie doch, daß man gewiß mit Vorbedacht zu Werke gegangen ist und die Rachsucht überdies vor keinem Mittel zurückschreckt, um ihre Ziele zu erreichen.« »Und wenn dem auch wirklich so wäre, mein Freund, wer darf es wagen, unsere Liebe als ein Vergehen zu bezeichnen!« »Die Falschheit, die Tücke und vielleicht die -- -- Staatspolitik« -- -- bemerkte Römer. »Sie haben Recht, die Staatspolitik!« fiel Sidonie, von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, ein und fuhr alsdann mit Erregung und Unmuth fort: »Nun, mögen sie denn versuchen, was sie über mich vermögen; ich will in dem Gefühl meiner Schuldlosigkeit und in dem erhebenden Bewußtsein meiner Liebe vor einem mir angebotenen Kampf mit ihnen nicht zurück schrecken. O, mein theurer Freund, die Arglist übersieht, daß sie dem schuldlos Leidenden dadurch eine Waffe in die Hand giebt, indem sie ihm das Uebelste zumuthet und vor ihm ihre ganze Schamlosigkeit enthüllt. Das, fürchte ich, wird geschehen, das aber wird mir auch den Muth geben, den ich diesen Menschen gegenüber gebrauche. Darum fürchten Sie nicht für mich. Was, mein Freund, hätten wir auch zu fürchten? Ich wüßte nicht.« Sie reichte ihm die Hand und blickte ihm liebevoll in die Augen, indem sie fortfuhr: »Und wir kämpfen ~gemeinschaftlich~ und haben nur ~ein~ Ziel; das wird uns Kraft verleihen.« »Wie sehr beruhigen und beglücken mich Ihre Worte! Mein Schmerz über den Verrath war nur darum so groß, weil ich wußte, wie tief Sie davon getroffen werden würden. Jetzt bin ich ruhiger, da ich Sie so gefaßt sehe. Denn nach dem Erfahrenen unterliegt es wol keinem Zweifel mehr, daß uns eine trübe Zukunft erwartet.« »Ja, mein Freund, so wird es sein; aber ich denke auch, um Liebe leiden sei nicht schwer,« entgegnete Sidonie in zärtlichem Ton. Der Graf neigte seine Lippen auf ihre Hand und bemerkte alsdann: »Lassen Sie uns diese Stunde benutzen, um uns über das zu Erwartende zu verständigen. Es könnten uns vielleicht unvorhergesehene Umstände in irgend welcher Weise herausfordern, ja, es dürfte nicht ganz unmöglich sein, daß wir nicht sobald wieder zu einander kommen und daher unsere Gedanken auch nicht austauschen können, und so ist es gut, dies schon jetzt zu thun.« Sidonie stimmte ihm darin bei und er bat sie, falls er verhindert wäre, sie zu sprechen oder ihr Nachricht zugehen zu lassen, seine Mutter durch Aurelie mit ihren Wünschen bekannt machen zu lassen, und zu erwarten, daß dieselbe durch deren Erfüllung sehr beglückt sein würde. Zugleich theilte er ihr seine Unterredung mit seiner Mutter mit und verschwieg ihr deren Zustimmung zu seiner Liebe nicht. Diese Nachricht erfreute Sidonie in hohem Grade und sie vertraute ihm, wie tief sie unter der naheliegenden Voraussetzung, daß seine Liebe zu ihr von seiner Familie nicht gebilligt würde, bisher gelitten hätte. Und sie besprachen alsdann noch mancherlei Dinge, die für sie von Wichtigkeit waren, und es trat mit diesen Mittheilungen, an welchen sich auch Aurelie voll Wärme betheiligte, immer mehr Ruhe in ihre Seele. Der Graf kürzte seinen Besuch ab und schied alsdann, nachdem sie verabredet hatten, sich nur in den dringendsten Fällen Mittheilungen zukommen zu lassen und diese auch nur durch die zuverlässigsten Personen. Aurelie schlug dazu ihre Freundin, Frau von Techow, vor, durch welche sie die letzteren besorgen lassen wollte; auch gedachte sie bei derselben wie ehemals mit ihm zusammen zu kommen, falls die Umstände es erheischen sollten. Das Scheiden wurde ihnen heute schwerer denn je. Sie sagten sich in der Furcht Lebewohl, vielleicht für lange Zeit von einander getrennt zu bleiben. Zwar gedachte Sidonie, wie sonst ihre Wochengesellschaft zu geben, und der Graf versprach, dieselbe, falls es ihm nicht unmöglich gemacht wurde, jedenfalls zu besuchen; sie zweifelten jedoch an deren Zustandekommen und schöpften die Gründe dazu aus den obschwebenden Verhältnissen; denn sie trennten sich mit der Gewißheit, daß ihnen die nahenden Tage wichtige Ereignisse bringen würden. Der Graf verließ das Palais. Er hatte sich heute zu Fuß dahin begeben und es verabsäumt, seinen Wagen nachkommen zu lassen, wie das sonst wol unter ähnlichen Umständen zu geschehen pflegte. Der Abend war dunkel; der Himmel mit Wolken bedeckt; die Luft rauh und durch einen eisigen Zug aus Norden um so empfindlicher gemacht. Römer hüllte sich fester in seinen Mantel und trat den Heimweg an. Nur vor dem Palais brannten mehre Lampen; die Stadt selbst war äußerst spärlich erleuchtet, und wer zu dieser Zeit nicht eine Laterne auf seinem Gange mit sich führte, mußte große Vorsicht beobachten, um nicht über das schlechte Pflaster zu stolpern, oder in eine der vielen Pfützen zu gerathen, die sich überall geltend machten. So schritt auch Römer, durch die bezeichneten Hindernisse genöthigt, seine Aufmerksamkeit auf die Vermeidung derselben zu richten, langsam und vorsichtig weiter, in Folge dessen ihm ein Umstand entging, der im Hinblick seiner Lage für ihn von Bedeutung genannt werden mußte. Kaum hatte er sich nämlich einige Schritte von dem Palais entfernt, so tauchten aus der Dunkelheit der neben dem letzteren befindlichen Anlagen zwei Personen auf, die den Nebenausgang, aus welchem der Graf gekommen war, bisher beobachtet hatten und ihm nun in einer gewissen Entfernung folgten. Ohne die Gegenwart und das Interesse derselben für ihn zu ahnen, schritt der Graf durch eine Straße und erreichte alsdann eine am Wasser gelegene Allee, durch welche er gehen mußte, um zu seiner Wohnung zu gelangen. Die späte Abendstunde, das üble Wetter und die nichts weniger als einladende Dunkelheit hatten diese ohnehin einsame Promenade von jedem Menschenverkehr geleert, ganz abgesehen, daß die Stadt um diese Zeit überhaupt nur wenig belebt zu sein pflegte. Der Graf blieb hier stehen, um einige Augenblicke zu ruhen, bevor er den Weg durch die ziemlich lange Allee antrat. Vom Winde beunruhigt, klatschte das Wasser gegen die steinernen Ufer, knarrten die dürren Aeste der hohen Bäume und rieben sich gegen einander, und hin und her brach ein Zweig und fiel tönend zur Erde. Römer achtete auf alles das nicht, lediglich von seinen trüben Gedanken beschäftigt; denn so sehr ihn auch Sidoniens froher Muth beruhigt hatte, quälte ihn dennoch die Ueberzeugung, daß derselbe in hohem Grade herausgefordert werden und die Geliebte darunter schmerzlich zu leiden haben würde. Allerlei Entschlüsse keimten in seiner Seele, um Sidonie davor zu schützen, und in Erwägung derselben betrat er die Allee und schritt darauf weiter fort. Er hatte ungefähr die Mitte der letzteren erreicht, ohne irgend Jemand zu begegnen, als ein schriller Pfiff vor ihm ihn aus seinem Nachdenken unangenehm aufstörte. Rasch blickte er vor sich hin und gewahrte mehre Personen auf sich zukommen. Noch bemüht, dieselben zu erkennen, wurde er plötzlich von der Rückseite gefaßt, ihm eine Kapuze über den Kopf geworfen, der Mantel abgerissen, ihm der Degen genommen und die Hände gefesselt. Alles das geschah so überraschend schnell, daß der Graf sich nicht im geringsten zu vertheidigen vermochte. Nach Hilfe zu rufen war ihm unmöglich, so blieb ihm nichts übrig, als sich seinen Feinden zu ergeben. Als er in solcher Weise vertheidigungslos gemacht worden war, vernahm er plötzlich eine Stimme neben sich, die in höflichem Ton die Frage an ihn richtete, ob er sein Ehrenwort geben wollte, sich in keiner Weise den weiteren Maßnahmen mit ihm zu widersetzen, alsdann sollte er von den Fesseln und der Kapuze befreit werden; doch müßte er es sich gefallen lassen, daß ihm eine Binde über die Augen gelegt würde, die er erst in einem gewissen Zeitpunkt, den man ihm später bezeichnen werde, ablegen dürfte. In der höchsten Bestürzung und Entrüstung vernahm der Graf diese Bestimmungen und erklärte sofort, sich einer so nichtswürdigen Behandlung in keiner Weise unterwerfen zu wollen. »So bedaure ich, die angewandten Maßregeln fortan beibehalten zu müssen,« entgegnete der Unbekannte und fügte, sich zu ihm neigend, mit leiserer Stimme hinzu: »Thun Sie, wie ich Ihnen rieth; Sie haben keine Aussicht, Ihrer Lage zu entkommen.« »Wer durfte sich diesen Ueberfall erlauben?!« fragte der Graf. »Ich darf Ihnen hierauf nicht antworten und vollziehe nur die erhaltenen Befehle,« entgegnete die Stimme. Diese Antwort ließ Römer erkennen, daß hier nicht von einem räuberischen Ueberfall die Rede sein könnte, sondern es lediglich auf seine geheime Haftnahme abgesehen war, darum auch ein jeder Widerstand nutzlos sein mußte, und er bemerkte: »Ich glaube Sie zu verstehen, mein Herr, und folge Ihrem Vorschlage; doch würden Sie mich sehr verbinden, wollten Sie mir sagen, ob meine Verhaftung auf höheren Befehl geschieht und welches Vergehens ich beschuldigt bin.« »Ich bin Officier, Herr Graf; dieser Umstand wird mich bei Ihnen entschuldigen, wenn ich Ihren Wunsch nicht erfülle.« »Gut denn, mein Herr; thun Sie Ihre Pflicht; Sie haben von mir keinen Widerstand mehr zu besorgen,« sprach Römer, nachdem er erfahren, in welchen Händen er sich befand, und nun ein jeder Zweifel, von wem seine Verhaftung ausgegangen sein müßte, schwand. Der Officier nahte sich ihm und bemerkte: »Ich freue mich, daß Ihre Bereitwilligkeit mir fernere Gewaltmaßregeln erspart, die mir in diesem Fall doppelt unangenehm wären. Denn ich verehre auch in dem Gefangenen den Cavalier. Erlauben Sie denn, daß ich Ihnen die Binde anlege. Ich führe Sie alsdann zu einem Wagen, der auf uns wartet, und werde die Ehre haben, Sie zu begleiten.« »So werden Sie mich nach einem andern Ort bringen?« fragte der Graf überrascht. »Ja, Herr Graf.« »Wohin?« »Ich habe den Befehl, Ihnen das zu verschweigen.« »So werde ich Sie nicht mehr durch Fragen belästigen,« entgegnete Römer resignirt. »So bitte ich, mir Ihren Arm zu reichen und sich von mir führen zu lassen.« Der Graf erfüllte sein Verlangen, und nach wenigen Schritten erreichten sie einen Wagen, der sich, nachdem sie ihn bestiegen hatten, sofort in Bewegung setzte. Mit diesem zugleich brachen auch einige Reiter auf, die neben dem Wagen aufgestellt waren und diesen jetzt umgaben. Der Graf vernahm das Getrappel der Pferde und erkannte sofort, daß er unter einer Bedeckung reiste. Man hatte ihm den Mantel wieder umgelegt; er hüllte sich jetzt in denselben ein, lehnte sich in eine Ecke des Wagens und verharrte in seinem Schweigen. Und in rascher Eile jagte das Gefährt durch die dunkle Nacht auf ungeebneten und vom Regen und Schnee aufgeweichten Wegen dahin. Fünftes Kapitel. Des Grafen Verschwinden konnte nicht lange verschwiegen bleiben. Vergebens erwartete Römer's Diener seinen Herrn. Die Nacht ging dahin, der Morgen kam, ohne daß der Graf erschien. Dadurch in hohem Grade beunruhigt, forschte er nach demselben umher, ohne daß man ihm irgend welche Aufklärung über dessen Verbleib geben konnte. Da der Diener Römer's Besuch im Palais nicht kannte, so gerieth er auch nicht auf den Gedanken, sich daselbst zu erkundigen; doch suchte er des Grafen Freunde auf und theilte ihnen die beunruhigende Nachricht mit. Man sah sich in Folge dessen veranlaßt, allerlei Nachforschungen nach Römer anstellen zu lassen, ohne daß dieselben irgend ein befriedigendes Resultat ergaben. Zwar hatte man den Grafen auf seinem Ausritt noch gesehen; an welchem Ort er jedoch den Abend zugebracht und weshalb er sich aus der Stadt entfernt hatte, wußte Niemand. Denn von seiner Verhaftung schien man nirgends eine Ahnung zu haben. Nachdem der Diener auch den folgenden Tag vergeblich auf die Rückkehr seines Herrn gewartet hatte, begab er sich nach der Besitzung desselben, um die Gräfin mit Allem bekannt zu machen und ihr die weiteren Maßnahmen anheim zu stellen. Das räthselhafte Verschwinden des Grafen wurde in der Residenz, namentlich in den höheren Kreisen, vielfach besprochen. Allerlei Vermuthungen machten sich geltend, ohne daß man doch auf diejenige der gewaltsamen Verhaftung gerieth. Wie hätte das auch anders sein können? Der edle Charakter und das Leben des Grafen waren viel zu bekannt, um irgend welche bedenkliche Verwicklungen voraussetzen zu können. Und so sah man sich außer Stande, eine bestimmte Meinung darüber zu hegen oder gar auszusprechen. Eben so wenig brachten die nächsten Tage irgend welche Aufklärung. Die Anordnungen zu der Verhaftung mußten in so guter Weise getroffen worden sein, daß ein Verrath derselben unmöglich war, und selbst der Zufall schien die ursprüngliche Absicht in keiner Weise beeinträchtigt zu haben. Zu Sidonien drang das Gerücht von ihres Freundes Verschwinden erst am Abend des nächsten Tages, und zwar erhielt sie die Nachricht davon durch Frau von Techow, welche Aurelie besucht und dieser dieselbe mitgetheilt hatte. Es darf kaum bemerkt werden, in wie hohem Grade die Freundinnen dadurch bestürzt gemacht und niedergebeugt wurden. Sidonie war verzweifelt; denn es war ihr sogleich ersichtlich, daß nicht ein Unfall etwa, noch auch die Nothwendigkeit, sondern lediglich eine geheime Gewalt des Grafen Entfernung herbeigeführt haben müßte. Denn sie wußte nur zu wohl, wie der Letztere seine Gegenwart in dieser so wichtigen Zeit für unumgänglich nothwendig erkannt hatte; er daher freiwillig den Ort nicht verlassen haben konnte. So viel es ihr die Verhältnisse gestatteten, ließ sie im Geheimen nach ihm forschen, ohne jedoch irgend etwas von Belang zu erfahren. Man sagte ihr, daß der Fürst dieser Angelegenheit keine Bedeutung schenkte; ebenso der Prinz. Sie schienen dieselbe lediglich als eine Privatsache zu betrachten, und so wurden daher auch nicht die geringsten Maßnahmen zur Entdeckung des Urhebers dieser That getroffen, obgleich das Ansehen des Grafen den Hof dazu wol hätte veranlassen müssen. Sidonie hatte sofort durch Aurelie Römer's Mutter mit dem Vorfall bekannt machen und ihr die Vermuthung einer geheimen Verhaftung andeuten lassen, um ihr einen Fingerzeig über die dieserhalb zu thuenden Schritte zu geben. Ehe hierauf noch eine Antwort erfolgte, wurde sie jedoch bereits durch die bedeutsamsten Vorgänge herausgefordert. Es waren etwa drei Tage nach des Grafen Haftnahme dahin gegangen, als Boisière bei ihr erschien und ihr im Namen des Fürsten eine Einladung zu einem Besuch um eine bestimmte Zeit überbrachte. Mit großer Freude begrüßte sie dieselbe in der Voraussetzung, daß dadurch der peinigenden Ungewißheit, in der sie bisher gelebt und welche des Grafen Verschwinden überaus erhöht hatte, nun endlich beseitigt und zugleich das unheimliche Dunkel gelichtet werden sollte, welches über die möglichen Maßnahmen des Fürsten gebreitet war. Vor Allem jedoch beglückte sie die Hoffnung, des Freundes Schicksal zu erfahren und, falls es geboten war, für dessen Interesse wirken zu können. Bis zu der Unterredung mit dem Fürsten blieben ihr noch mehre Stunden, und sie benutzte dieselben, um sich während dessen auf die erstere vorzubereiten, wobei sie Aureliens liebevoller Rath wesentlich unterstützte. Daß die Unterredung mit dem Fürsten für sie von hoher Bedeutung und der Gegenstand derselben ihr Interesse für Römer sein würde, war für sie keine Frage mehr. Zweifelhaft blieb es allerdings, in welcher Art der Fürst das letztere zu behandeln für gut fand, so wie, in wie weit seine Kenntniß davon reichte. Ihres Erachtens konnte er lediglich durch Zuträger irgend etwas erfahren haben, und sie erachtete den Fürsten für zu gerecht, um voraus zu setzen, daß er demselben ein besonderes Gewicht beilegen würde. Auch glaubte sie in seiner Achtung so hoch zu stehen, daß es nur ihres Erscheinens und ihrer offenen Worte bedürfte, um ihn zu der Einsicht zu leiten, wie schlecht er bedient worden sei. Diese Annahme, mehr jedoch noch das Bewußtsein ihrer Schuldlosigkeit ermuthigten sie, und als der Zeitpunkt zu dem Besuch nahte, begab sie sich mit größerer Ruhe, als sie zu besitzen gefürchtet hatte, zu dem Fürsten. Als sie bei ihm eintrat, fand sie ihn nicht anwesend, sondern er erschien erst nach mehren Augenblicken und begrüßte sie mit kalter Höflichkeit. »Es sind,« begann er, nachdem er sich nieder gelassen hatte, in gemessenem Ton und ohne die Prinzessin anzublicken, »seit unserer letzten Unterredung über die Ihnen bekannte Angelegenheit so höchst wichtige Dinge zu meiner Kenntniß gekommen, daß ich mich mit Rücksicht darauf veranlaßt gesehen habe, Ihnen dieselben vorher mitzutheilen, bevor ich die dadurch gebotenen Schritte thue. Ich bin dazu durch das Vertrauen zu Ihrer Offenheit und Wahrheitsliebe bestimmt worden, von denen ich eine rückhaltlose Erklärung erwarte --« »Worin Sie sich auch durchaus nicht getäuscht sehen sollen,« fiel Sidonie, durch seine gemessenen Worte verletzt, ein. »Um so rascher und sicherer dürften wir eine Erledigung dieser Angelegenheit erzielen,« bemerkte der Fürst und fuhr alsdann nach kurzem Hüsteln fort: »Ich weiß, daß Sie von mir eine bestimmte Erklärung über das von Ihnen ausgesprochene Verlangen, sich von dem Prinzen zu trennen, erwarten. Sie hätten dieselbe bereits erhalten, wenn nicht wichtige Entdeckungen mir die Motive verrathen hätten, welche Sie zu der Trennung bestimmten.« »Ich denke, mein Fürst, daß es deren nicht bedurfte, da ich Ihnen dieselben bereits hinreichend bezeichnet zu haben glaube,« fiel Sidonie überrascht ein. »Allerdings sah ich mich veranlaßt, Ihren Worten zu glauben; ich bin jedoch davon zurück gekommen, nachdem ich unzweifelhafte Beweise besitze, daß nicht des Prinzen Verhalten gegen Sie, sondern die seit Jahren von Ihnen warm gepflegte Neigung für einen andern Mann Ihnen die Trennung Ihrer Ehe schon lange höchst begehrenswerth gemacht hat,« entgegnete der Fürst mit scharfem Ton, während zugleich sein stechender Blick sich forschend auf sie richtete. Trotz der gehegten Vermuthung, ihre Liebe könnte einen Verräther gefunden haben, trafen des Fürsten Worte Sidonie dennoch tief in's Herz. Das so sorglich verhüllte süße Geheimniß ihrer Seele von ihm rücksichtslos enthüllt und obenein in solcher Weise benutzt zu sehen, erfüllte sie mit dem tiefsten Schmerz und Unmuth und machte sie zugleich im höchsten Grade bestürzt. Keiner Erwiderung mächtig, blickte sie zu Boden, während der rasche Farbenwechsel ihres Antlitzes, der bewegte Athemzug ihre große Erregung verrieth. Der Fürst unterbrach das eingetretene Schweigen durchaus nicht, sondern fixirte sie mitleidslos, und man erkannte aus diesem Umstande, daß jedes mildere Gefühl für Sidonie in ihm erstorben war. Diese rang nach Athem, nach einem entsprechenden Wort, um sich nicht vertheidigungslos ihrem Richter in die Hände zu geben und damit die ihr beigelegte Schuld anzuerkennen. »Ihr Verstummen bekundet, daß man mir die Wahrheit gesagt hat,« bemerkte der Fürst nach kurzer Pause mit schneidender Schärfe. Sidonie hatte sich gewaltsam gesammelt und entgegnete: »Allerdings, mein Fürst, obwol nur zum Theil. Denn ich läugne nicht, schon vor meiner Vermählung mit dem Prinzen einem andern Manne mein Herz geschenkt zu haben; doch ist es eine Unwahrheit, daß lediglich diese Neigung die Motive meines Verlangens gewesen sind.« »Sie gestehen also diese Neigung zu?« fragte der Fürst rasch. »Gewiß, mein Fürst, und thue dies um so freimüthiger, da ich früher meinen Eltern offen meine Abneigung gegen den Prinzen zu erkennen gegeben habe und lediglich ihrem Verlangen meine Liebe opferte.« »Sie haben diese Liebe jedoch während Ihrer Ehe gepflegt, ja Sie sind sogar, von Ihrer Leidenschaft verleitet, in den vertraulichsten Umgang mit dem Grafen getreten!« Sidonie schaute den Fürsten überrascht, doch gesammelt an, indem sie, das Haupt schüttelnd, entgegnete: »Das ist eine Verleumdung, mein Fürst, wenngleich ich nicht läugne, ihm meine Zuneigung bewahrt zu haben. Dieselbe war mir von um so größerem Werth, je mehr ich das Unglück meiner Ehe fühlte. In meiner Liebe zu einem edeln, würdigen Manne fand ich die Kraft, Jahre hindurch meine Leiden zu tragen, meine Ehre verletzt zu sehen und die Stunden nur an der Vermehrung neuen Kummers abzuzählen. Ich wäre längst ein Opfer dieser unheilvollen Verhältnisse geworden, hätte mich diese Liebe nicht belebt und aufrecht erhalten.« »In der That, Prinzessin, Ihr Freimuth überrascht mich!« rief der Fürst in großer Erregung aus. »Ich glaube es Ihnen, denn ich weiß ja, welchen Werth Sie einer aufrichtigen Neigung beizulegen für gut finden.« »Durften Sie in solcher Weise die gegen den Prinzen zu beobachtenden Pflichten verletzen?!« fragte der Fürst. »Verletzen?« fiel Sidonie ein. »Meine Liebe hat dieselbe in keiner Weise beeinträchtigt.« »Wie, Sie wollen mich glauben machen, es bestände kein sträfliches Verhältniß zwischen Ihnen und dem Grafen?!« »Wer dürfte es wagen, mir einen solchen Vorwurf zu machen?!« rief Sidonie voll Entrüstung aus. »Ich, Ihr Fürst!« fiel dieser mit Schärfe ein, erhob und begab sich nach einem Schreibtisch, aus welchem er ein Päckchen nahm, mit welchem er zu Sidonien zurück kehrte und es ihr mit den Worten einhändigte: »Hier sind die Beweise dafür!« Zitternd vor innerer Bewegung öffnete Sidonie dasselbe, und kaum hatte sie einen Blick auf den Inhalt gethan, so stieß sie einen Schrei jäher Ueberraschung aus; sie erblickte das ihr geraubte Portrait des Grafen und den von ihr an ihn gerichteten Brief. »Ihr Verhalten zeigt mir zur Genüge, daß Sie diese Dinge für Ihr Eigenthum anerkennen,« bemerkte der Fürst kalt und scharf. »Ja, mein Fürst, dieses Portrait gehört mir und diesen Brief habe ich an den Grafen geschrieben. Aber ich erkenne mit Entrüstung, daß man sich der niedrigsten Mittel bedient hat, um sich in den Besitz dieser Dinge zu setzen und daraus die Motive zu einer Anklage gegen mich zu schöpfen, da Ihnen mein Leben bisher dazu keine dargeboten hat.« »Sie irren in der letzteren Voraussetzung; es sind Zeugen vorhanden, die Ihren vertraulichen Umgang mit dem Grafen im Bade beobachtet haben. Sie haben sich der höchsten Verletzung Ihrer Ehepflichten schuldig gemacht und so mögen Sie denn auch die Folgen Ihres Handelns tragen!« »Ein freundschaftlicher Umgang mit einem edeln Manne sollte mir nicht gestattet, sollte eine schwere Uebertretung meiner Pflichten sein?« fragte Sidonie voll Entrüstung, indem ihr ganzer Muth in der Erkenntniß zurück gekehrt war, daß es sich für sie in diesem Moment um das Höchste, um ihre Ehre, handelte. »Wie, mein Fürst, während sich der fürstliche Gemahl nicht scheut, sich vor aller Welt eine Buhlerin zu halten, der er offen huldigt, soll es seiner Gemahlin nicht gestattet sein, sich an dem Umgange gebildeter Männer zu erfreuen? Wie, mein Fürst? Oder sollen etwa die Fürsten das Privilegium rücksichtsloser Sittenlosigkeit besitzen und sollte ihren Leidenschaften keine Schranke gesetzt sein, ihnen, welche ihrem Volk in Sitte und Leben ein Vorbild sein sollen? Und dieses Privilegium sollte so weit ausgedehnt werden, daß sie auch selbst ihren Gemahlinnen keine Berücksichtigung schenken dürfen, ja, daß es diesen trotz alledem nicht einmal gestattet sein soll, sich in einem harmlosen Umgang mit Anderen eine Freude zu suchen? Woher schöpfen denn die Fürsten diese Freiheit? Aus der Willkür und weil sie Niemand über sich wissen, während die von ihnen eingesetzten Richter doch den einfachen Bürger, der sich dergleichen Vergehen vor Sitte und Gesetz schuldig macht, verurtheilen? Was das Weib niederen Standes von ihrem Gatten verlangt und verlangen darf, sollte dennoch fürstlichen Gemahlinnen vorenthalten sein? Die Ehe sollte, mein' ich, unter allen Verhältnissen und in allen Ständen als gleich würdig betrachtet werden. Das scheinen die Fürsten jedoch anders zu beurtheilen. Fordern sie durch ein solches Verhalten nicht ihre Frauen zur Nachahmung heraus, und wenn diese erfolgt, wagen sie es obenein, über die Verleiteten zu Gericht zu sitzen, und selbst Unbedeutendes und vor dem Sittengesetz Gestattetes zu verdammen! So weit ist die Selbstsucht, so weit die Willkür ausgeschritten?!« »Ich bitte, sich zu mäßigen!« fiel der Fürst fast drohend ein. »Würde ich mich mäßigen, mein Fürst, so könnten Sie leicht Mißtrauen in meinen Charakter setzen, so könnten Sie leicht auf den unheilvollen Gedanken gerathen, mit einer Schuldigen zu sprechen. Doch meine Seele ist rein, keine meiner Pflichten verletzt worden, trotz meiner Liebe, trotz der Beweise derselben, die man mir in berechneter Weise geraubt hat, um daraus meine Schuld zu begründen.« »Sie wollen dieses nicht anerkennen; ich sage Ihnen jedoch, daß eine Frau, die dergleichen hegt, die so zärtliche Briefe an einen andern Mann schreibt und diesen selbst zu einem =tête-à-tête= wiederholt empfängt, kein Recht besitzt, von ihrer Schuldlosigkeit zu sprechen. Dergleichen Dinge lassen auf mehr als eine platonische Liebe schließen, lassen mit Bestimmtheit behaupten, daß sie nur eine Folge zärtlichster Zuneigung und Hingabe sind. Wie viele dergleichen Beweise ihrer gegenseitigen Leidenschaft mögen noch vorhanden sein, die nicht zu meiner Kenntniß gelangt sind. -- Die Liebe ist eine Leidenschaft, die sich nicht im Dulden und Verzichten glücklich fühlt, sondern nach Vereinigung drängt und dann erst ihre Befriedigung fühlt. So ist es auch bei Ihnen gewesen; aus dem Einzelnen schließt man auf das Ganze, und ich wüßte nicht, warum ~Sie~ gerade eine Ausnahme gemacht haben sollten, besonders da Sie ein solches Recht für sich in Anspruch nehmen. Vielleicht hat Sie dieser Irrthum schwach gemacht, ich will es glauben. Doch irren Sie, wenn Sie für die Frauen dieselbe Freiheit verlangen, wie sie der Mann genießt, und in diesem Irrthum beruhen Ihre Ansprüche. Die Frauen, Prinzessin, sind nur das, was sie sind, die Mittel bestimmter Zwecke; ihr Reich das Haus und die Familie; das sollen sie in Bescheidenheit anerkennen und darum auch nicht mit ungebührlichen Forderungen an den Mann herantreten. Und dieses vor Allem die Frauen der Fürsten, und wenn Sie vorhin bemerkten, daß diese die Aufgabe hätten, dem Volk vor allen Dingen als Vorbild zu gelten, so erinnere ich Sie, daß man dasselbe noch mehr von den Fürstinnen verlangen darf. Und somit, dächte ich, wäre in dieser Angelegenheit das letzte Wort gesprochen.« »Sie irren, mein Fürst, so denke ich nicht!« fiel Sidonie in bestimmtem Ton ein. »Was nützten alle Ihre Worte, da Sie sich von der Schuld nicht befreien können?« »So halten Sie sich für berechtigt, aus diesen Umständen ein Vergehen zu folgern?« »Gewiß mit allem Recht. Außer diesen Beweisen sind Zeugen vorhanden, die dasselbe bestätigen.« »Sind sie vorhanden, so sind sie erkauft, so ist Alles ein planmäßig angelegtes Bubenstück, das darauf hinzielt, mich an meiner Ehre zu kränken. Ich glaube die Personen zu kennen, welche dasselbe eingeleitet haben; denn ich weiß, daß die Rachsucht vor keinem Mittel zurückbebt, sich Befriedigung zu verschaffen. Hüten Sie sich, mein Fürst, daß Sie nicht, indem Sie sich von derselben in ihren Maßnahmen bestimmen lassen, zu spät Ihren Irrthum erkennen.« »Sorgen Sie nicht; das ist meine Sache! Uebrigens genügen mir diese Beweise schon.« »Dann habe ich freilich nichts mehr zu sagen und will Ihre Beschlüsse ruhig abwarten. Doch ehe ich von Ihnen scheide, bitte ich, mir noch eine Frage zu beantworten.« »Und welche?« »Haben Sie den Grafen verhaften lassen?« »Ich fühle mich nicht bewogen, Ihnen darauf zu antworten.« »So bin ich überzeugt, daß es geschehen ist,« fiel Sidonie ein und fügte alsdann mit Nachdruck hinzu: »Wie tief beklage ich es, daß Sie sich zu so gewaltsamen Maßregeln bewogen gefunden haben; diese wären in der That nicht geboten gewesen, da der Graf weit entfernt war, sich irgend welcher Verantwortung zu entziehen. Er theilte mir mit, daß man ihn auf die ihm drohende Gefahr aufmerksam gemacht hätte, er der Warnung jedoch kein Gehör schenken würde, sondern es für Pflicht und klug erachtete, die Stadt nicht zu verlassen. Bedenken Sie das, mein Fürst, und erwägen Sie zugleich, daß, fühlte sich der Graf schuldig, er Zeit genug besaß, sich in Sicherheit zu bringen. Sie müssen mir dies zugestehen und ebenso, daß eine solche außerordentliche Maßnahme an einem Mitgliede einer der geachtetsten Familien des Landes kaum von der öffentlichen Meinung gebilligt werden dürfte, und bitte Sie, den Grafen frei zu geben, indem ich Sie nochmals versichere, daß es Ihnen nie gelingen wird, des Grafen Schuld zu begründen.« »Daß Ihre Sorge zunächst den Mann Ihrer Liebe bedenkt, scheint mir natürlich; dies pflegt stets so zu sein. Doch bemühen Sie sich vergeblich und scheinen zu übersehen, daß meine Maßnahmen stets genau erwogen sind, und ich weit entfernt bin, über die Folgen derselben besorgt zu sein. Erinnern Sie sich dessen stets, und meine Worte mögen Ihnen zugleich sagen, daß die auch für die Folge zu treffenden Arrangements unter ähnlichen Umständen hervor gehen werden.« »Ich will dies thun und kann es mit der ganzen Ruhe eines schuldlosen Herzens,« entgegnete Sidonie ruhig und voll Selbstgefühl. »Wenn unter solchen Verhältnissen auch unsere Unterredung ihr Ende gefunden hat, so kann ich dennoch nicht von Ihnen scheiden, mein Fürst, ohne Ihnen meine Ansichten über diese Angelegenheit auszusprechen. Ich bin überzeugt, das Opfer Ihrer Staatspolitik zu werden, trotz meiner Unschuld. Sie besitzen die Gewalt, ich keine Mittel zur Vertheidigung, da Sie mich schuldig wissen ~wollen~.« »Welche unerhörte Zumuthung!« rief der Fürst entrüstet. »Lassen Sie mich gnädigst vollenden, mein Fürst! Ich weiß, daß ich nicht mehr eine Gelegenheit finden werde, zu Ihnen also zu sprechen; darum will ich auch nicht von hier scheiden, ohne Ihnen zu erkennen zu geben, daß Ihnen sowie dem Prinzen der Verrath meiner Liebe sehr zu statten kommt. Ueber das »Wie« will ich schweigen. Ich weiß, daß es Sie sehr verletzt haben würde, wäre der Prinz genöthigt gewesen, sich als Schuldigen zu bekennen; darum auch Ihre Abneigung gegen die Trennung der Ehe. Sie sind jetzt von dieser Besorgniß befreit worden, indem Sie sich Beweise von ~meiner Schuld~ verschafften. Jetzt liegt die Sache umgekehrt, und daß Sie das nicht übel aufnehmen, haben mir Ihre Worte, noch mehr Ihre Neigung, mich als schuldig zu erkennen, verrathen.« »Sie stellen meine Geduld in der That auf die Probe! Was berechtigt Sie zu dergleichen unerhörten Voraussetzungen?!« fiel der Fürst ein. »Ich würde wiederholen müssen, was ich soeben gesagt habe. Wie ~Sie~ über mich und mein Verhalten denken, glaube ich zu wissen; denn ich müßte mich in Ihrem Charakter getäuscht haben, sollte ich mich irren. Ich weiß jedoch auch, daß Ihnen das Interesse des künftigen Regenten und Ihres Verwandten höher steht, als dasjenige einer Frau, die für Sie nur eben das ist, was sie ist, und die für Sie im Hinblick auf die Staatsvortheile nicht in Betracht kommt. Sie haben das soeben zu erkennen gegeben. Meine Absicht, warum ich dies Alles vor Ihnen ausspreche, ist jedoch diese, Ihnen zu zeigen, daß ich eine Intrigue durchschaut habe, der, wie ich zu meinem Bedauern soeben vernommen, auch selbst Sie trotz Ihres klaren Blicks unterliegen und -- -- ~unterliegen wollen~. Sie können nun über mein Schicksal bestimmen, Sie können mich verurtheilen und den Mann meiner Liebe kränken: dies Alles wird mich jedoch nicht beugen, sondern nur die betrübende Ueberzeugung in mir befestigen, daß Sie dem Staatsinteresse mit seltener Selbstverleugnung dienen.« »Sie haben ohne Bedacht gesprochen und nicht erwogen, daß Stolz und Ueberhebung in Ihrer Lage am wenigsten geeignet sind, dieselbe zu bessern und mich in Ihrer Beurtheilung milder zu stimmen!« fiel der Fürst, durch Sidoniens zutreffende Worte, deren Eindruck er sich nicht zu erwehren vermochte, in hohem Grade unmuthig gemacht, erregt ein. Sidonie ließ sich dadurch jedoch nicht einschüchtern. In der Erkenntniß des zu Ihrem Verderben gesponnenen Bubenstücks und der Nothwendigkeit, auch den leisesten Schein einer Schuld von sich abzuweisen und dadurch auch zugleich die Ehre des Grafen zu retten, war ihr rasch Sammlung, Kraft und Klarheit gekommen, die sich im Lauf der Unterredung mehr und mehr steigerten und sie endlich in dieser Hinsicht mit dem Fürsten gleichstellten, ja über denselben sogar ein gewisses Uebergewicht in dem Augenblick gaben, als sie die Wirkung ihrer Worte auf ihn errieth. Es war für sie kein Zweifel mehr, daß er sich durch ihre Erkenntniß der, wie wir später erfahren werden, in der That gesponnenen geheimen Intrigue um so mehr getroffen fühlte, da er sie nicht abzuleugnen vermochte. Dieser Umstand gewährte ihr einen nicht geringen Vortheil, und sie zögerte nicht, denselben in ihrem Sinn zu benutzen, und so entgegnete sie fest und ruhig: »Sie nennen mich stolz und anmaßend, mein Fürst, und Sie haben ein Recht dazu; denn ich verhehle Ihnen nicht, daß ich bedacht bin, den ganzen Stolz und die ganze Entrüstung meiner gekränkten Seele zu erkennen zu geben. Daß mir dieses gelungen ist, beglückt mich; denn es erfüllt mich mit der Hoffnung, daß Sie den Schein von der Wahrheit, daß Sie die Unschuld von der Schuld, daß Sie die Berechtigung meiner reinen Zuneigung zu einem edeln Manne anerkennen werden. Ja, hoch und stolz will ich fortan mein Haupt tragen, obgleich meine Seele demüthig und geduldig ist, hoch will ich es tragen in dem Bewußtsein meiner Unschuld vor aller Welt, und ihr zeigen, daß Unschuld Muth giebt gegen jede Gewalt der Erde und sie keine Furcht kennt vor der sie bedrohenden ungerechten Strafe. Verurtheilen Sie mich; doch zwischen Ihnen und mir wird die Welt richten!« Sie schwieg und blickte den Fürsten ruhig an. Ihre Worte und ihr Benehmen steigerten dessen Unmuth in hohem Grade und nur mühsam behauptete er sich in seiner Ruhe. Wir wissen, wie wenig er die Frauen achtete, wie es ihn verdroß, denselben irgend welche geistige und Charaktervorzüge zugestehen zu müssen; am meisten jedoch, wenn ihm dieselben in solchem Maß, wie in Sidonien, entgegen traten, und werden seine Entrüstung daher erklärlich finden. Vielleicht wäre es für die Prinzessin besser gewesen, ein weniger bestimmtes und mehr demüthiges Verhalten gegen ihn zu beobachten; es würde ihn wahrscheinlich milder gegen sie gestimmt haben, selbst wenn er sie für schuldig erkannte. Ihr Hinweis auf das Urtheil der Welt verletzte ihn jedoch so empfindlich, daß er jede Rücksicht vergaß und mit vor Unmuth bebender Stimme entgegnete: »Gut denn, Prinzessin! Zeigen Sie der Welt und mir Ihren Stolz in der Ueberzeugung, uns dadurch zur Anerkennung Ihrer Schuldlosigkeit zu bewegen. Doch warten Sie den Erfolg ab und vergessen Sie nicht, daß auch das Verbrechen sich solcher Mittel zu ähnlichen Zwecken bedient. Eins kann ich Ihnen jedoch schon jetzt sagen, daß Ihr Verhalten ~mir~ gegenüber wirkungslos ist. Doch will ich den Kampf, den Sie mir anbieten, aufnehmen, und erinnere Sie, daß Ihre Sache nicht von mir, sondern von meinen Räthen entschieden werden wird. Sie erkennen, daß mich also keine Schuld trifft, verurtheilt man Sie. Ich kann, wie Sie meinen, getäuscht sein; warten wir ab, ob die vorliegenden Beweise und die Aussagen glaubwürdiger Zeugen geeignet sind, Ihre Schuldlosigkeit darzuthun, oder ob sich auch die Männer des Gesetzes täuschen werden.« »Ihre Räthe werden mich verdammen; ich weiß es. Denn da ~Sie~ es wollen, so habe ich keine Schonung zu erwarten. Ich bin zu stolz und mir keines Vergehens bewußt, und werde mich zu keiner Vertheidigung verstehen. Ich halte eine solche meiner fürstlichen Würde nicht entsprechend und überflüssig. Nur zu Ihnen, als meinem Fürsten, als dem Verwandten meines Gemahls, den ich beleidigt haben soll, glaube ich sprechen zu müssen, und das um so mehr, da ich Sie vor einer compromittirenden Ungerechtigkeit bewahren will und weil es meine Pflicht ist, Ihnen meine Gesinnungen ohne Rückhalt zu offenbaren.« Und dem Fürsten näher tretend und ihn fest anschauend, fuhr sie mit gehobener Stimme fort: »Man sagt, Sie besäßen einen scharfen, die Gedanken der Menschen leicht ergründenden Blick, wenden Sie denselben auf mich, mein Fürst, forschen Sie in meiner Seele und fragen Sie sich alsdann, ob ein Antlitz wie das meine ein Vergehen verbirgt. Die Kunst der Täuschung liegt mir, wie Sie wissen, fern; Sie haben mir das bereits zugegeben. Wagen Sie daher in dem Vertrauen zu Ihrer scharfen Urtheilskraft die Probe; ich denke, wenn Sie sich nicht täuschen ~wollen~, werden Sie die Wahrheit leicht erkennen ~müssen~.« Ihre Bitte war jedoch vergebens und der Fürst weit entfernt, dieselbe zu erfüllen. Stets in solcher eindringlichen Weise herausgefordert, mehrte sich sein Unmuth nur noch, da er nicht in seiner gewöhnten Weise die Angelegenheit kategorisch zu erledigen vermochte, sondern sich gezwungen sah, Sidoniens Angriffe abzuwehren. Statt also ihrem Verlangen nachzugeben, verharrte er in seiner Lage und entgegnete: »Sie irren in der ausgesprochenen Voraussetzung. Ich traue Ihnen wie allen Frauen die Kunst der Verstellung zu, sobald sie dazu herausgefordert werden, und somit verzichte ich auf eine so zweifelhafte Probe. Die entsprechenden Verhandlungen meiner Räthe werden mich überdies aller weiteren Einmischung in diese Angelegenheit überheben, die mir doppelt verletzend ist, da ich sie der Welt nicht ganz vorenthalten kann, obgleich man dabei mit aller Discretion zu Werke gehen soll. Und somit, Prinzessin, halte ich unsere Sache für erledigt und bestimme hiemit, sich bis zum Austrag derselben nicht aus der Residenz zu entfernen, noch sich irgend zu bemühen, den Aufenthalt des Grafen zu erforschen, oder etwa mit ihm in Correspondenz zu treten. Jeder Ihrer Briefe wird zu meiner Kenntniß gelangen und dürfte Ihnen daher keinen Vortheil bringen. Das bedenken Sie!« Sidonie, durch seine scharfen Worte tief verletzt, trat von ihm zurück, blickte ihn einen Augenblick an und entgegnete alsdann: »Es war mein Wunsch, mich nach dem bereits besuchten Badeort zu begeben, um mich meiner peinigenden Lage zu entziehen; ich will eine solche Bitte jetzt jedoch nicht aussprechen, da Ihre Worte mir jeden Muth dazu genommen haben. Ich kann nicht von Ihnen scheiden, ohne Ihnen den tiefen Schmerz auszudrücken, den Ihre Strenge in mir erzeugt hat. Ich habe offen und ohne jeden Rückhalt zu Ihnen gesprochen, wie es mir mein gekränktes Gefühl gebot; ich glaubte nicht zu meinem ~Fürsten~, sondern zu meinem ~Vater~ zu sprechen, und that dies in der Täuschung, daß Ihr Herz mir ein wenig Achtung und Liebe bewahrt hätte. Ich erkenne zu meinem innigsten Bedauern, wie unstatthaft diese Voraussetzung war und daß Sie in mir nicht mehr die ~Fürstin~, nicht die zu achtende ~Frau~, sondern nur noch die ~Verbrecherin~ sehen. Das schmerzt mich tief; denn ich ahnte nicht, diese Stätte mit einem so verletzenden Bewußtsein verlassen zu müssen. Doch ich erkenne, daß es nicht anders sein ~soll~, und so sage ich Ihnen, mein Fürst, mit der Bitte Lebewohl, Ihre Gedanken auf mein offen vor Ihnen liegendes Leben zu richten und dasselbe in Ruhe zu prüfen. Finden Sie alsdann noch Veranlassung, den in Ihren Händen sich befindenden Beweisen und Ihren Zuträgern Glauben zu schenken, so habe ich nichts mehr zu sagen und nur noch meine früheren Worte zu wiederholen, daß zwischen uns, mein Fürst, trotz Ihrer Räthe, die Welt richten wird!« Sie verneigte sich voll Würde und verließ festen Schrittes das Gemach. »Unerhört, unerhört!« rief der Fürst entrüstet, nachdem er sich allein sah und rasch auf und ab schritt. »Ich glaubte leichtes Spiel mit ihr zu haben und erkenne nun, wie sehr ich mich täuschte! Welch ein fester, unerschrockener Charakter in diesem zarten Körper! Ich meinte, sie würde diese Schwelle gebrochen von Schuldbewußtsein verlassen, und sie schreitet nun stolz und sicher wie die Gekränkte in dem Gefühl des errungenen Uebergewichts über mich, ihren Fürsten! Das ist unerträglich, unerhört! Sie hat mir in die Seele gesehen; ich darf nicht daran zweifeln. Sie ist klug, ihr Blick scharf und nur schwer verbirgt sich vor ihr der geheime Gedanke. Doch mag das Alles sein; es soll meinen Willen nicht ändern und die Sache ihren Gang haben. Sie darf den Triumph nicht genießen, über mich gesiegt zu haben. Ich würde anders mit ihr verfahren sein, und es wäre mir lieb gewesen, hätte ich es thun können; nun ~darf~ ich es nicht mehr, jetzt ~will~ ich es nicht, und das Aeußerste soll und muß geschehen.« Die Folge wird zeigen, in welcher Art er seinen Vorsatz ausführte. Kaum dürfte es nothwendig sein, zu bemerken, daß sich Sidoniens Voraussetzungen hinsichts der zu ihrem Verderben gesponnenen Intrigue durchaus bestätigten, und eben so wenig dürfte der eigentliche Urheber derselben bezeichnet werden müssen, da die plötzliche Begnadigung des Baron Mühlfels ihn bereits verrathen hat. Er war es in der That. Hören wir nun, welcher Mittel er sich bediente, um seinen Zweck zu erreichen. Wir haben erfahren, daß er mit dem Versprechen von dem Prinzen schied, ihm die gewünschte Genugthuung zu verschaffen, ebenso wissen wir, daß er ein ähnliches, jedoch noch lebhafteres Verlangen hegte, sich an der Prinzessin zu rächen, vor Allem jedoch, in Gnaden aus seiner Verbannung wieder an den Hof zurück berufen zu werden. Eine gewöhnliche Begnadigung, ohne daß Sidonie in der empfindlichsten Weise gekränkt und er dadurch als schuldlos hingestellt wurde, würde ihm jedoch nicht genügt haben, und so mußte er auf Mittel sinnen, sich einen solchen Erfolg zu sichern. So war er unablässig bemüht, einen Plan zu diesem Zweck zu ersinnen, ohne daß ihm dies jedoch gelang. Erst als die Nachricht von Sidoniens Reise in das Bad zu ihm gelangte, gewann derselbe einen bestimmten Haltpunkt. Es war ihm bekannt, daß Römer's Besitzung nur wenige Stunden von dem Curort entfernt war, und er hielt sich daher überzeugt, daß lediglich dieser Umstand die Prinzessin zu der Wahl des Ortes veranlaßt haben könnte. Nichts hätte ihm erwünschter kommen können; denn er setzte nun mit Bestimmtheit voraus, daß Sidonie die gewährte Freiheit zu einem lebhaften Umgange mit dem Grafen benutzen würde und dieser Umstand seiner Absicht sehr zu statten kommen müßte. Schon war er Willens, sich durch des Prinzen Einfluß einen Urlaub zu verschaffen und nach dem Badeort zu begeben, um daselbst in seinem Sinn zu wirken; er gab dies Vornehmen jedoch in der naheliegenden Voraussetzung auf, dadurch seinen Zweck nur schwer oder vielleicht gar nicht erreichen zu können, da Sidonien seine Anwesenheit bald bekannt und sie daher zur Vorsicht veranlaßt werden würde. Darum entwarf er einen andern Plan, der ihm sicherer däuchte. Er hatte in seinem neuen Aufenthalt den Kapitän von Bieberstein kennen gelernt und in demselben einen für seine Zwecke sehr geeigneten Charakter gefunden, er gedachte diesen nun in seinem Sinn zu benutzen. Er weihte den Kapitän in seine Absichten ein, ohne ihm jedoch sein eigenes Interesse dabei zu verrathen, sondern gab als Grund der ersteren an, daß es sich in diesem Fall lediglich darum handelte, einen lebhaften Wunsch des Prinzen zu erfüllen. Er deutete ihm die großen Vortheile an, welche ihm dadurch im Fall des Gelingens von dem künftigen Regenten zu Theil werden müßten, und wußte durch seine klug berechneten Worte den Kapitän bald für sich zu gewinnen. Die Aussicht, sich den Prinzen verbinden zu können, war dem Kapitän viel zu verlockend, um irgend welchem Bedenken Raum zu gestatten. Der Plan des Barons war nun folgender: Bieberstein sollte sich unter dem Vorwande von Kränklichkeit nach dem von Sidonien besuchten Bade begeben und die Letztere im Geheimen beobachten. Da weder die Prinzessin noch Römer ihn kannten, so vermochte er dies in vollstem Maße zu thun. Er sollte dabei zugleich bemüht sein, sich irgend welche Beweise von dem bestehenden Liebesverhältniß zwischen dem Grafen und der Prinzessin zu verschaffen. Die Art und Weise, in welcher dies geschehen könnte, überließ ihm Mühlfels. Reich mit Mitteln versehen, traf der Kapitän in dem Curort ein, und ganz erfüllt von dem erhaltenen, so gewinnbringenden Auftrag, unterzog er sich demselben mit dem höchsten Eifer. Er hatte bald erlauscht, daß sich Sidonie viel auf dem Balkon ihres Hôtels aufhielt, und beobachtete sie aus dem nahe gelegenen Garten, in welchem seine Wohnung lag, die er sich als ganz besonders für seinen Zweck geeignet besorgt hatte. So gelang es ihm, nicht nur des Grafen Besuche bei Sidonien zu entdecken, sondern er bemerkte auch, daß sie sich bisweilen mit dem innigen Betrachten eines Medaillons beschäftigte. Durch Mühlfels in die Verhältnisse eingeweiht, glaubte er sich in der Annahme nicht zu täuschen, daß das letztere vielleicht des Grafen Portrait wäre. Gelang es ihm, sich in den Besitz desselben zu setzen, und sah er sich in seiner Voraussetzung nicht getäuscht, so war seiner Ansicht nach auch in Verbindung mit den von ihm gemachten Beobachtungen der Zweck erreicht. Es fragte sich jedoch, durch welche Mittel er sich das Medaillon aneignen könnte. Die Sache war im höchsten Grad schwierig und verlangte große Vorsicht, damit sein Spiel nicht verrathen wurde. Nur Jemand aus der näheren Umgebung der Prinzessin vermochte den zum Raub geeigneten Augenblick zu erlauschen und den letzteren auszuführen. Wer von den Dienern würde sich jedoch dazu gewinnen lassen; das fragte sich Bieberstein. Die Prinzessin sollte, wie er vernommen hatte, sich der ergebensten Dienerschaft erfreuen; es war also wenig Aussicht zur Erfüllung seines Wunsches vorhanden. Dennoch meinte er den Versuch dazu machen zu müssen. Er war erfahren genug, um zu wissen, daß dem Gelde selbst die treuesten Diener nicht zu widerstehen vermögen, besonders wenn ihre Dienste mit keiner Gefahr für sie verbunden, sondern obenein von hoher Stelle aus noch belohnt werden würden. Der Zufall führte ihm bald einen der Diener in den Weg, und er zögerte nicht, diesen Umstand in seinem Sinn zu benutzen. Er prüfte mit der ihm eigenen Schlauheit sofort den Charakter des anscheinend gewandten Mannes und erkannte zu seiner angenehmen Ueberraschung, in demselben vielleicht das gewünschte Werkzeug seines Vorhabens gefunden zu haben. Er hatte sich in der That nicht getäuscht, und in nicht langer Zeit gelang es der Ueberredungskunst und seinen reichen Mitteln, den Diener seinen Absichten willfährig zu machen. Derselbe mußte ihm fortan alle irgend wichtigen Vorgänge, vor Allem jedoch die Besuche des Grafen und deren Dauer sofort mittheilen und zugleich sein Augenmerk auf das Entwenden des Medaillons richten. Die plötzliche Erkrankung des Kindes und die dabei obwaltenden, bereits näher bezeichneten Umstände erleichterten das Vergehen in hohem Grade. Denn nur der Zufall ließ den stets spionirenden Diener das Portrait entdecken. Er hatte sich nämlich kurz vorher, geschützt von der Dunkelheit, im Garten in der Nähe des Balkons aufgehalten und dabei Gelegenheit gefunden, Sidonie im Betrachten des Medaillons zu beobachten, und dieser Umstand im Verein mit den übrigen Verhältnissen ihm den Raub der Cassette sehr erleichtert. Wie fern lag Sidonien die Ahnung, in solcher Weise beobachtet zu werden; in der Ueberzeugung, auf dem Balkon vor jedem Lauscher gesichert zu sein, fiel es ihr nicht ein, irgend wie Vorsicht ausüben zu müssen. Um den Verdacht von sich und den Leuten der Prinzessin abzulenken, hatte der Diener die Lichte brennen lassen, damit vorausgesetzt würde, man habe von dem Garten aus die Cassette entwendet. Alles Weitere ist uns in dieser Beziehung bekannt, und wir dürfen kaum hinzufügen, wie reich der Kapitän den Diener belohnte, nachdem er das gewünschte Medaillon wirklich gefunden hatte. Bieberstein meldete dem Baron sofort das so höchst wichtige Resultat seiner Bemühungen und fragte bei ihm zugleich an, ob er sich dadurch befriedigt fühle; ehe er jedoch noch eine Antwort erhielt, wurde der nämliche Diener mit dem Ueberbringen des Briefes an den Grafen beauftragt. Neben dem Portrait konnte ein Brief von Sidonien an den Grafen das bedeutsamste Beweisstück von ihrem Verhältniß bieten, und der Kapitän hatte daher in dieser Erkenntniß den Diener, der, wie wir erfahren haben, die Briefe an den Grafen besorgte, sogleich angewiesen, ihm dieselben, bevor er sie ablieferte, einzuhändigen, damit er sie durchsehen und das Weitere darüber bestimmen könnte. Die bisherigen Briefe waren alle von Aurelien gewesen und ohne jede Bedeutung; das letzte Schreiben an den Grafen enthielt jedoch Sidoniens Worte, und so sah der Kapitän seine Mühe reich belohnt. Daß der Diener verschwand und nicht entdeckt werden konnte, war ein berechnetes Spiel, um den Raub zu verbergen und den Ersteren sicher zu stellen. Ueberdies wußte man nicht, ob der Fürst die dabei angewandten Mittel gebilligt haben würde, falls ihn die Prinzessin künftighin damit bekannt machte, was nicht gut ausbleiben konnte. Darum mußte der Diener sich nach seiner fern gelegenen Heimath begeben, und that dies um so lieber, da er nicht nur sehr reich beschenkt, sondern ihm auch für die Folgezeit eine sehr einträgliche Stelle in der Umgebung des Prinzen zugesichert worden war. In welcher Weise der Kapitän überdies bemüht war, sich mit dem Grafen bekannt zu machen und sich in sein Vertrauen zu stehlen, haben wir bereits früher erfahren. Mit diesen Beweisen kehrte er zu Mühlfels zurück und wurde später von diesem angewiesen, die ersteren dem Prinzen im Geheimen zu überbringen. Dieser war im hohen Grade erfreut darüber, erachtete es jedoch für besser, wenn dem Fürsten der Ueberbringer so wie die nähern Umstände zu dem Allen verschwiegen blieben, und sprach den Wunsch aus, ihm die Sachen auf der in den nächsten Tagen stattfindenden Redoute und zwar in Gegenwart des Fürsten als Maske zu überreichen. Das Weitere ist uns bekannt, so wie auch die unheilvollen dadurch hervor gerufenen Wirkungen. Der Fürst war, wie wir erfahren haben, durch die Anklage der Prinzessin und die ihm übergebenen Beweisstücke für ihre Liebe in hohem Grade überrascht worden; denn er hatte bis zu diesem Augenblick die Untreue der Prinzessin für unmöglich erachtet; jetzt freilich war das anders. Dergleichen schlagende Beweise gestatteten keinen Zweifel mehr, und, unterstützt von seinen Ansichten über Frauentugend und -Sittlichkeit, erkannte er zu seinem nicht geringen Unmuth, von der anscheinend so einfachen Prinzessin durchaus getäuscht worden zu sein. Er gab sich dieser Ueberzeugung um so mehr und lieber hin, da er in der Prinzessin Schuld zugleich ein geeignetes Mittel erkannte, die Ehre des Prinzen zu retten. Wir sehen, daß Sidoniens Voraussetzungen in dieser Beziehung durchaus begründet waren. Wenn sich vielleicht auch in dem Fürsten bisweilen einige Bedenken über die Angelegenheit erhoben und er eine im Geheimen wohl berechnete Intrigue ahnte, so übte das doch keinen solchen Einfluß auf ihn, um die ihm gebotenen Mittel abzuweisen. Im Gegentheil, Sidonie würde, so sagte er sich, auf ihrem Verlangen beharrt haben, die Trennung konnte also nicht umgangen werden, und so war er in hohem Grade erfreut, die Beweise von ihrer Schuld zu besitzen und der ganzen Angelegenheit eine so willkommene Wendung geben zu können. Auf des Prinzen Wunsch erfolgte sofort Mühlfels' Begnadigung, nachdem der Erstere dem Fürsten die Vermuthung mitgetheilt, daß wahrscheinlich lediglich durch den Baron die Angelegenheit in solcher Weise arrangirt und zu ihrer Kenntniß gelangt wäre. Ueberdies ließ diese Annahme auch erwarten, daß Mühlfels vielleicht noch weitere Aufklärungen über diese Angelegenheit geben würde; um so mehr Grund für den Fürsten, den Baron sofort kommen zu lassen, der seiner Ansicht nach durch der Prinzessin begründete Schuld gerechtfertigt war, jedenfalls vor der Welt in solcher Weise gerechtfertigt wurde. Denn nachdem der Fürst entschlossen war, die sich ihm darbietenden Vortheile in seinem Sinn zu benutzen, konnte es ihm nur erwünscht sein, auch selbst durch dergleichen Handlungen die Ueberzeugung von Sidoniens Schuld zu erkennen zu geben. An dem auf Sidoniens Unterredung mit dem Fürsten folgenden Tage fand eine Berathung des Letzteren und des Prinzen mit den Ministern statt, in Folge dessen eine Anklage gegen die Prinzessin erhoben und die weiteren Maßnahmen darin getroffen wurden. Die Empfindungen, mit welchen die Letztere nach ihrem Palais zurückkehrte, dürften wol kaum näher zu bezeichnen sein. Aurelie, die in der ängstlichsten Spannung der Freundin Rückkehr geharrt hatte, empfing sie mit besorgten Blicken. Der Ausdruck in Sidoniens Antlitz verrieth ihr die Bedeutsamkeit der stattgefundenen Unterredung, und um so erwartungsvoller sah sie daher deren Mittheilung entgegen. »Es ist Alles verrathen,« sprach Sidonie, als sie sich mit Aurelien allein befand; »Alles, Alles, und meine reine Liebe in den Schmutz der Gemeinheit getreten.« »Verhüte der Himmel, daß Du die Wahrheit sprichst!« rief Aurelie erschreckt. »Es ist so, wie ich sagte, und der Fürst hat sich, wie ich erkannt, nicht eben gesträubt, diesem Bubenstück Glauben und Beifall zu schenken. Die Cassette und unsere Briefe sind geraubt worden, um Beweise für meine Schuld zu erhalten, und mit diesen Beweisen ist mir der Fürst entgegen getreten und wie mir schien in der gewissen Voraussetzung, mich zum sofortigen Geständniß zu veranlassen. Er irrte sich jedoch.« »Was konntest Du ihm sagen?« »Die Wahrheit, meine theure Freundin, und ich habe es gethan.« »So bist Du verloren!« »Ich weiß, daß ich es bin, und um so sicherer, da man mich verderben will; doch durfte ich nicht anders.« »Und glaubt der Fürst nicht an Deine Schuldlosigkeit?« »Er ~will~ es nicht, da sein Staatsinteresse es ihm verbietet.« »Du überzeugtest Dich davon?« »Ich habe in seiner kalten, selbstsuchtsvollen Seele gelesen, trotzdem daß er sie mit dem ganzen Nymbus fürstlicher Gewalt und Hoheit, mit der ganzen Ueberlegenheit des geistvollen, in seinen Urtheilen unfehlbaren Mannes umgab, und daß ich mich trotz alledem nicht abhalten ließ, ihm seine eigenen Gedanken zu entziffern, daß ich mich erkühnte, mich in meinen Urtheilen ihm gleich zu stellen, ja sogar ein Uebergewicht über ihn gewann, entrüstete diesen an tyrannischen Gehorsam gewöhnten Mann so sehr, daß er sich endlich hinter seine Räthe flüchtete, um sich vor meinen Angriffen zu schützen.« »O, mein Gott, was hast Du gethan!« rief Aurelie in großer Besorgniß aus, die Freundin mitleidsvoll betrachtend. »Ich that, was ich thun mußte. Meine so tief gekränkte Ehre, die namenlose Ungerechtigkeit und vor Allem jedoch die verletzende Art, mit der mich der Fürst empfing und behandelte, riefen meine ganze Empörung wach, und so war es eine Ehrenpflicht, ihm dieselbe zu zeigen, um den Charakter meiner Schuldlosigkeit zu behaupten. O, meine Aurelie, Du hättest in meiner Stelle ebenso gehandelt und hättest es auch nicht anders gekonnt. In solcher Weise herausgefordert, wirst Du zu solchem Verhalten genöthigt.« »So hast Du auch keine Nachsicht von dem Fürsten zu erwarten,« fiel Aurelie bewegt ein. »Ich bin davon überzeugt,« entgegnete Sidonie ruhig und starr vor sich hinblickend. »Doch meintest Du, ihn zur Anerkennung Deiner Unschuld genöthigt zu haben.« »Daß ich schuldlos bin, weiß er; doch wenn ich auch über ihn siegte, so kehre ich doch als ein zu Tode getroffener Sieger zurück, über welchen meine Feinde bald frohlocken werden, da sie, wie der Fürst, mein Verderben wollen und es auch erreichen werden.« »So wäre vielleicht doch noch nicht jede Hoffnung verloren,« bemerkte Aurelie. Sidonie schüttelte das Haupt und entgegnete verzichtend: »Eine innere Stimme sagt mir, daß ich der Politik des Fürsten zum Opfer fallen muß und darauf die Intrigue angelegt worden ist. Höre das Nähere derselben und Du wirst mir Recht geben und meine Besorgniß theilen.« Und sie erzählte Aurelien darauf alle Einzelnheiten der stattgefundenen Unterredung, und diese sah sich, gleich Sidonien in Folge dessen genöthigt, anzuerkennen, worauf es in diesem Fall abgesehen war und daß nur der Prinz und Mühlfels die Anstifter der Uebelthat sein konnten. Jetzt auch vermochten sie sich das räthselhafte Verschwinden der Cassette und des Dieners zu erklären, jetzt aber auch erkannten sie, mit welcher Schlauheit und Berechnung man zu Werke gegangen war, um in den Besitz der Mittel zu ihren übeln Zwecken zu gelangen. »Du erkennst, meine theure Aurelie,« fuhr Sidonie fort, »daß ich unter den obwaltenden Umständen auf keine Schonung zu hoffen habe und mich daher an den Gedanken gewöhnen muß, Alles, was die Gewalt über mich zu verhängen für gut findet, über mich ergehen zu lassen. Wie soll ich mich anders vertheidigen, als ich es bereits gethan? Ich weiß es nicht. Von meinem Bruder habe ich keinen Beistand zu erwarten; vielmehr fürchte ich, er wird des Fürsten Meinung über mich theilen und mir daher nur noch mehr zürnen. Wer würde es sonst noch wagen, gegen den Fürsten und für mich aufzutreten? Niemand; denn Alle fürchten sich, den allmächtigen Regenten zu erzürnen. Mag denn geschehen, was da will; ich bin auf Alles gefaßt.« Also sprach Sidonie in der richtigen Erkenntniß ihrer Lage. »O, daß selbst das reinste Gefühl vor der Verunglimpfung nicht mehr gesichert ist!« rief Aurelie in schmerzlicher Entrüstung. »Wie kann Dich das überraschen im Hinblick auf die sittenlose Welt, in der wir leben?« fragte Sidonie. »Wie sollten diese Menschen an eine edle, reine Liebe glauben, deren sie selbst nicht fähig sind? Sie beurtheilen mich nach sich, wie das stets ist. Wäre ich wie sie, würde mich kein Vorwurf treffen; meine Schuld besteht in der Anmaßung, besser sein zu wollen, wie sie. O, jetzt ist mir mancherlei klar geworden, was ich früher nicht verstanden habe!« Sidonie schwieg und blickte schmerzvoll vor sich hin; ihre Gedanken flohen trotz aller Bedrängniß zu dem Manne ihrer Liebe, dessen Aufenthalt und Lage ihr unbekannt war. »O,« fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, »ich würde Alles, Alles leichter ertragen, quälte mich nicht der Gedanke, den edeln Grafen so tief verletzt zu wissen, zu wissen, daß ich ihn in mein Unglück hinein gezogen habe! Wie unendlich tief wird er leiden, seine Ehre also gekränkt zu sehen, er, auf dessen Charakter kein Makel haftet! Doch eine Hoffnung beseelt mich und läßt mich erwarten, daß die Gräfin Römer sich bei dem Fürsten für ihren Sohn verwenden und vielleicht dadurch seine entehrende Lage abgekürzt werden wird. Wie sehr wird die gute Frau gleich ihm leiden, und wie wenig angenehm wird ihr die Erinnerung an die Urheberin ihres Kummers sein!« -- »So gestand der Fürst des Grafen Verhaftung zu?« »Er that es in seiner Art, ohne doch auf meine Bitte, den Grafen frei zu geben, zu achten, und wurde in hohem Grad ungehalten, als ich ihn erinnerte, sich dadurch zu compromittiren.« »Seine Eitelkeit ertödet jedes bessere Gefühl in ihm.« »So ist es in der That. Der Zweck, den er sich vorausgesetzt, der zu erzielende willkommene Vortheil geht ihm über Mitleid und Gerechtigkeit, und indem er über uns Strafen verhängt, will er unsere Schuld begründen und sie vor aller Welt darlegen. Das, ich bin überzeugt, ist seine Politik und dazu sind ihm alle Mittel recht.« »Trotz alledem dürfen wir uns nicht geduldig den Verhältnissen hingeben und müssen auf Mittel sinnen, durch welche Deine Schuldlosigkeit erwiesen wird.« »Wen könnte ich anrufen? Unter den Fürsten habe ich Niemand, der sich meiner annehmen würde, besonders da ich meine Liebe eingestanden habe. Ueberdies bin ich eine Gefangene.« »Wie?!« fragte Aurelie erschreckt. »Ich darf auf Befehl des Fürsten die Stadt nicht verlassen, und ebenso wird jeder meiner Briefe durch seine Hände gehen.« »O, schrecklich, schrecklich!« rief Aurelie und fügte alsdann hinzu: »Doch mag das Alles sein, so bin ich doch frei und kann für Dich wirken.« »Was vermöchtest Du, meine Gute? Wohin könntest Du Dich wenden, ohne von des Fürsten Gewalt ereilt zu werden und Deine Mühen wirkungslos gemacht zu sehen? Wir müssen das Alles aufgeben, da es fruchtlos wäre, und abwarten, welche Schritte der Fürst thun wird und welches Urtheil seine Räthe über mich fällen. Ich besitze nur ~ein~ Mittel, das meine Ehre retten kann, und das ist meine Schuldlosigkeit; vertrauen wir dieser.« Weinend umarmten sich die Freundinnen und knüpften, nachdem sie sich wieder gesammelt hatten, neue Betrachtungen und Erwägungen über Sidoniens Lage an. Und während dessen neigte sich der Tag, es nahte der traurige Abend und die ruhelose Nacht, ohne daß Trost in ihre Herzen kam; vielmehr erfüllte Sidonie immer mehr die Ueberzeugung, das Uebelste noch nicht erduldet zu haben. Wie sehr hätte es sie beglückt, wenigstens der Nähe dieser ihr so übelgesinnten Menschen entfliehen und in stiller Abgeschiedenheit das über sie verhängte Loos erwarten zu können; doch auch dieser Trost war ihr versagt; denn sie war ja eine Gefangene. Sechstes Kapitel. Etwa acht Tage waren über die bezeichneten Vorgänge dahin gegangen. In dem Hause der Baronin Mühlfels herrschte ein großes Freuen, denn der vielgeliebte Sohn war aus der Verbannung zurück gekehrt, von dem Prinzen und sogar dem Fürsten in einer Privataudienz empfangen und alsdann in seine frühere Würde wieder eingesetzt worden. Von allen Seiten kam man ihm in der zuvorkommendsten Weise entgegen und drückte ihm die Freude aus, ihn wieder in dem Freundeskreise sehen zu können. Kurz, Mühlfels war der gefeierte Mann des Tages, worauf das Gerücht von der Gunst des Fürsten keinen geringen Einfluß ausübte. Der Letztere hatte ihn auch später noch mehrmals empfangen und vertrauliche Unterredungen mit ihm gehabt, Grund genug, sein Ansehen schnell zu steigern. Die Baronin erachtete es für eine Pflicht, die Rückkehr ihres Sohnes durch ein glänzendes Fest zu feiern, und hatte dazu die zahlreichsten Einladungen ergehen lassen. Daß sie dabei den Prinzen nicht vergaß, verstand sich von selbst, und dieser war so gnädig, ihr sein Erscheinen zuzusagen. Dieser Umstand erfreute die Baronin nicht nur darum, weil ihr und ihrem Sohne dadurch eine glänzende Genugthuung geboten wurde, sondern auch, weil derselbe ihrer Absicht hinsichts Marianen entgegen kam. Mit der gegen die Prinzessin gespielten Intrigue war sie durch ihren Sohn genau bekannt gemacht worden. Dieser hatte Bieberstein an sie gesandt, durch den sie wieder des Prinzen Wünsche erfuhr, und so wird uns daher auch ihr besonderes Verhalten auf der Redoute erklärlich sein. Welche große Freude sie über alles Vernommene empfand, darf kaum bemerkt werden; galt es doch die Genugthuung ihres theuern Sohnes. Daß seine so klugen Maßnahmen die gewünschten Erfolge erzielen würden, war für sie durchaus keine Frage, da sie die Intentionen des Fürsten und Prinzen sehr genau kannte. Wir übergehen die Festlichkeit, die durch des Prinzen ungewöhnlich lange Gegenwart auf derselben einen ganz besondern Glanz erhielt. Der Letztere zeigte die heiterste Stimmung und erschöpfte sich in Aufmerksamkeiten für Mühlfels und dessen Mutter, so daß man diesen wiederholt Glück dazu wünschte. Die kluge Baronin beeilte sich, diese so herrlichen Vortheile in ihrer Absicht zu benutzen, und als sich eine geeignete Gelegenheit zu einer vertraulichen Unterredung mit dem Prinzen fand, erfüllte sie Marianens Bitte und sprach mit dem Letzteren über deren ihr mitgetheilte Sorgen und Bedenken. Sie that dies mit dem ihr eigenthümlichen Geschick, und wenn der Prinz durch das Vernommene auch ein wenig überrascht wurde, war es ihm doch auch zugleich lieb, daß sich Mariane an die in die Liaison eingeweihte Baronin gewandt hatte, und trug ihr auf, das Mädchen in jeder Hinsicht zu beruhigen und ihr die besten Hoffnungen für die Zukunft zu geben. Wie hoch die Baronin einen solchen Auftrag schätzte, wissen wir, und es darf kaum bemerkt werden, daß sie mit einer ausführlichen Mittheilung an Mariane nicht zögerte und ihr darin im Hinblick auf die stattgefundenen Vorgänge, welche eine baldige Trennung der Ehe des Prinzen mit Bestimmtheit erwarten ließen, die gewisse Erfüllung ihrer Wünsche in Aussicht stellte. Sie war überaus erfreut, daß ihr diese so wichtige Sache in so trefflicher Weise gelungen war, und eben so sehr überzeugt, sich den schönsten Hoffnungen hinsichts einer glänzenden Zukunft hingeben zu dürfen. Denn sie zweifelte nicht, daß es ihr gelingen würde, später Marianens ganzes Vertrauen zu gewinnen. Und sie täuschte sich in dieser Voraussetzung nicht. Schon kurze Zeit nach dem Absenden ihres Briefes an das Mädchen schrieb ihr dieses und drückte ihr den wärmsten Dank für ihre so treffliche Verwendung bei dem Prinzen und die nicht minder sehr erwünschten Aussichten für die Zukunft aus. Zugleich richtete sie die Bitte an sie, ihr Interesse auch für die Folge wahrnehmen zu wollen und sie mit Allem, was für sie von Wichtigkeit sein konnte, sogleich bekannt zu machen. Mariane war klug genug, neben diesem Dank und dieser Bitte zugleich anzudeuten, wie sehr angenehm es ihr sein würde, sich des Rathes der erfahrenen Frau nicht nur jetzt, sondern auch künftighin erfreuen zu können, und wir erkennen daraus, daß sie ihren Pariser Aufenthalt in jeder Hinsicht gut benutzt hatte, ganz abgesehen, daß die ihr beiwohnende Schlauheit sie auf die geeigneten Mittel zu ihren Zwecken leitete. Wir müssen jedoch an dieser Stelle zugleich bemerken, daß ihr Sinnen und Trachten seit der Abreise aus ihrer Villa lediglich auf ihre Rangerhöhung gerichtet war, und dieser Umstand nicht wenig beitrug, die Verhältnisse bei Hofe mit scharfem Auge zu verfolgen, um sich mit allen etwa daraus für sie hervor gehenden Vor- und Nachtheilen sofort bekannt zu machen. Bisher hatte ihr Madame Voisin die gewünschten Nachrichten besorgt, jetzt genügten ihr dieselben nicht mehr und sie erkannte die Nothwendigkeit, sich persönlich darum zu bemühen. Die Mittheilung der Baronin von der bald zu erwartenden Trennung setzte sie in wahres Entzücken, und in der spannendsten Erwartung sah sie weiteren Mittheilungen in der Gewißheit entgegen, nun bald am Ziel ihrer Wünsche zu stehen. Sie hegte nämlich den Glauben, daß mit der Trennung der Ehe zugleich auch jedes, sich der Befriedigung ihres Verlangens entgegen stellendes Hinderniß beseitigt sein würde, und wer konnte voraussehen, was alsdann dem launischen Prinzen zu thun beliebte. Eine Betrachtung führte sie zu der andern, und so däuchte es ihr eben auch nicht unmöglich, daß aus der Gräfin vielleicht noch eine regierende Fürstin werden könnte. Wir erkennen, daß sie naiv, aber auch ehrgeizig genug war, sich so ausschweifenden Hoffnungen hinzugeben; sie erachtete sich jedoch dazu in dem Bewußtsein ihres Einflusses auf den Prinzen, der, wie sie meinte, durch ihre Pariser Bildung nur noch gesteigert werden mußte, durchaus berechtigt, ohne sich ihrer niederen Herkunft und zweideutigen Stellung zu erinnern. Wir werden erfahren, in wie weit ihre Erwartungen durch die Folgezeit erfüllt wurden; jedenfalls erkennen wir auch in diesem Fall, daß die naivsten Naturen gewöhnlich die anspruchsvollsten und schwer zu befriedigendsten zu sein pflegen. Wir kehren nun zu dem Grafen Römer zurück. -- In ununterbrochener Eile wurde die Fahrt, sobald sie die Stadt verlassen hatten, fortgesetzt, ohne Rücksicht auf den übeln Weg und die dadurch den Fahrenden bereiteten Unbequemlichkeiten. Nur an den Orten, an welchen frische Pferde vorgelegt wurden, rastete man eine kurze Zeit; alsdann ging es um so schneller durch die feuchte Nacht weiter. Der den Grafen begleitende Officier war rücksichtsvoll genug, seinem Gefangenen ab und zu Erfrischungen anzubieten, die der Erstere jedoch ablehnte. Die Höflichkeit seines Gebieters berührte den Grafen jedoch angenehm, da dieselbe auf eine für ihn gehegte aufrichtige Theilnahme hindeutete. Dennoch behauptete er ihm gegenüber ein beharrliches Schweigen den Augenblick ruhig erwartend, in welchem er ihm freiwillig eine Mittheilung zu machen für gut fand. Und weiter und weiter rollte der Wagen dahin, bald auf erweichtem, bald auf festerem Wege, durch Lichtungen finsterer Wälder, über Brücken und an dem Ufer eines Wassers; erreichte Dörfer und Städte, und hielt endlich vor einem düster blickenden und mit Laufgräben und Thürmen versehenen Gebäude, das neben einer ziemlich umfangreichen Stadt lag. Es war darüber die Nacht vergangen und das Frühlicht brach mit feurigem Schein durch die dunkeln über den Himmel gebreiteten Wolken. Sobald der Wagen still stand, wandte sich der Officier mit dem Bemerken an den Grafen, daß sie ihr Ziel erreicht und er ihn hier anderen Händen zu überliefern hätte. Zugleich verließ er den Wagen und begab sich in das Gebäude, kehrte nach kurzer Zeit zurück, worauf sich der Wagen in Bewegung setzte und langsam über eine Brücke und, wie es den Grafen däuchte, in das Gebäude fuhr. Sobald er daselbst angelangt war, vernahm er, wie sich ein Thor knarrend hinter ihm schloß. Man ersuchte ihn auszusteigen und führte ihn alsdann in ein einfaches Zimmer, woselbst man ihm die Binde abnahm und bemerklich machte, daß dies für die Folgezeit seine Wohnung sei. Ein flüchtiger Blick genügte dem Grafen zur Bestätigung der Voraussetzung, nach einer Festung gebracht worden zu sein. Nicht nur war das nicht große Zimmer in jeder Hinsicht von der höchsten Einfachheit, sondern das einzige Fenster in demselben auch durch ein Eisengitter gesperrt. Daß seine Verhaftung auf des Fürsten besondern Befehl geschehen war, konnte für ihn keine Frage sein; doch wußte er es sich nicht zu erklären, weshalb man ihn in so gewaltsamer und geheimnißvoller Weise aufgehoben hatte. Nahe lag die Vermuthung, daß dies lediglich zur Vermeidung jedes Aufsehens so wie, um seine Verhaftung der Welt zu verbergen, geschehen war; vielleicht auch, um ihn dadurch der Mittel zu berauben, die Hilfe seiner einflußreichen Freunde anzurufen und ihnen seine Lage zu verrathen. Diese Voraussetzungen waren durchaus begründet; denn der Fürst würde des Grafen Verhaftung gern umgangen haben, wenn es die Verhältnisse irgend gestattet hätten. Er war daher erfreut, von dem Prinzen auf der Redoute zu vernehmen, daß der unbekannte Ueberbringer der näher bezeichneten Gegenstände ihm die Absicht angedeutet hätte, den Grafen mit dem Verrath seines Verhältnisses zu der Prinzessin bekannt machen zu wollen und ihn dadurch zur Flucht und somit zur Anerkenntniß seiner Schuld zu veranlassen. Der Prinz war darauf sogleich eingegangen, weil er den dadurch erzielten großen Vortheil für sein Interesse erkannte. In Folge dessen hatte Bieberstein -- denn dieser war, wie wir erfahren haben, der Ueberbringer der so gewichtigen Beweisstücke -- dem Grafen beim Hinausgehen aus dem Saal das Billet in die Hand gesteckt. Man sah sich jedoch in den gehegten Erwartungen getäuscht, und nachdem der Graf nicht die geringste Neigung verrathen, sich in Sicherheit bringen zu wollen, bestimmte der Fürst die näher bezeichneten Gewaltmaßregeln. Dadurch wurde allen unbequemen Schritten von Seiten der Freunde des Grafen vorgebeugt, denn indem das strengste Geheimniß über die Verhaftung beobachtet werden sollte, machte man es den Ersteren unmöglich, ihren Einfluß in irgend einer Art zur Geltung zu bringen. Die von dem Fürsten befohlenen Anordnungen waren, wie wir bereits erfahren haben, so vortrefflich getroffen worden, daß weder die Verhaftung noch der Ort, an welchem sich der Graf befand, bekannt wurde, und somit erreichte der Fürst seine Zwecke vollkommen. Trotz der großen Erregung, in welcher sich der Graf befand, überwältigte ihn dennoch die Müdigkeit und er warf sich auf das wenig bequeme Lager, ohne jedoch Ruhe zu finden. Seine Gedanken suchten Sidonie auf, und er erwog, wie sehr sie durch sein geheimnißvolles Verschwinden erschreckt und besorgt gemacht werden würde. So war denn früher, als er geahnt, das Unheil über sie gekommen und er überzeugt, daß der Fürst, angestachelt durch des Prinzen Rachsucht, die Angelegenheit mit aller Strenge behandeln würde. Denn es konnte für ihn kein Zweifel mehr sein, daß man sich die sichersten Beweise für seine und Sidoniens Schuld verschafft haben müßte, indem er bei Erwägung dieser Umstände zugleich auf den Raub der Cassette und das seltsame Verschwinden des Dieners geleitet wurde und sich die Besorgniß in ihm geltend machte, daß die bezeichneten Gegenstände vielleicht in des Prinzen Hände gelangt wären und damit den Verrath seiner Liebe herbei geführt hätten. Von der ihm und Sidonien mit schlauer Berechnung gespielten Intrigue hatte er keine Ahnung, da seinem edeln Charakter der Gedanke einer so raffinirten Bosheit durchaus fern lag. Eben so wenig ahnte er, daß der ihm früher mit so großer Freundlichkeit entgegenkommende Kapitän das Mittel zu derselben gewesen war. Die ihn erfüllende Ungewißheit über alle die bezeichneten Vorgänge war nur zu sehr geeignet, seine Spannung und Erwartung, in welcher Art sich dieselben lösen würden, außerordentlich zu steigern. Daß er auf Uebles gefaßt sein mußte, war für ihn nach dem Erlebten keine Frage mehr, da er sich überzeugt hielt, daß man die ihn betreffenden Umstände zu seinem und Sidoniens Verderben zu benutzen bedacht sein würde. Gegen die Mittagszeit erschien der Commandant der Festung bei ihm, begrüßte ihn und theilte ihm mit, daß er auf Befehl des Fürsten hieher gebracht worden sei. Die Gründe zu dieser Maßnahme wußte er nicht anzugeben, da seiner Versicherung nach ihm dieselben noch nicht bezeichnet worden wären und er nur den Befehl erhalten hätte, den Grafen bis auf Weiteres zu beaufsichtigen. Er entschuldigte sich zugleich, wenn er durch diese Umstände genöthigt wäre, den Grafen in strenger Haft zu halten, meinte jedoch, daß es ihm wahrscheinlich bald gestattet sein würde, diese Strenge zu mildern. Im Uebrigen sollte es dem Grafen an nichts fehlen. Dieses Versprechen erfüllte er auch in jeder Hinsicht, da Speisen und Getränke durchaus gut waren und er auch gestattete, daß der Graf Lectüre und Schreibmaterialien erhielt, obgleich ihm jeder Briefwechsel verboten war. Im Lauf der folgenden Woche erhielt der Graf ein besseres Zimmer und der Commandant war bedacht, ihm mancherlei Bequemlichkeiten zu verschaffen. In der zweiten Woche seines Aufenthaltes erschien an einem Vormittage ein Beamter bei dem Grafen, der im besondern Auftrage des Fürsten aus der Residenz gekommen war, um ihn über sein Verhältniß zu der Prinzessin zu vernehmen. Bei dieser Gelegenheit erfuhr Römer zu seiner großen Ueberraschung alles Nähere über diese Angelegenheit, ohne daß ihm jedoch verrathen wurde, durch welche Mittel man sich in den Besitz der bekannten Beweisstücke gesetzt hatte. Mit jener Ruhe und Ueberlegenheit, welche das Bewußtsein der Schuldlosigkeit zu verleihen pflegen, und treu seinem Vornehmen, läugnete der Graf seine Verehrung der Prinzessin nicht, indem er jedoch mit der höchsten Entschiedenheit jede entehrende Zumuthung von sich und Sidonien abwies und dieselbe als ein von der Rachsucht gesponnenes Bubenstück bezeichnete. Freilich vermochte er seinen näheren Umgang mit der Prinzessin in dem Badeort nicht abzuläugnen; meinte jedoch, daß der Charakter der Prinzessin und der seinige jede üble Deutung desselben unzulässig mache. Sein Verhalten und seine Worte schienen auf den Beamten eine gute Wirkung auszuüben; doch enthielt sich derselbe jeder Bemerkung über den zu erwartenden Entscheid, so wie er auch bedauerte, des Grafen Fragen über Sidoniens Geschick nicht beantworten zu dürfen. Es war ihm das strengste Schweigen anbefohlen worden, und er war ein viel zu pflichttreuer Diener, um dasselbe zu brechen. Er wiederholte seinen Besuch im Lauf der nächsten Zeit, vernahm den Grafen auf's Neue und war dabei bedacht, ihn zu einem offenen Bekenntniß zu veranlassen, indem er ihm zu verstehen gab, daß den Fürsten ein solches nicht nur zur Milde gegen ihn, sondern auch gegen die Prinzessin bestimmen würde. Trotz aller dieser klug gelegten Fallstricke beharrte der Graf dennoch auf seiner ursprünglichen Aussage, wie er es ja auch nicht anders konnte, und seit dieser Zeit wurde er nicht weiter durch den Beamten beschwert. Dagegen erzeigte ihm der Commandant eine vermehrte Güte, erlaubte ihm, Ausgänge zu machen, und überließ es ihm, die Dauer derselben nach Belieben auszudehnen. Auch gestattete er ihm, Besuche zu empfangen, die freilich ausblieben, da der Graf mit Niemand in der Stadt bekannt war. Er wurde dadurch jedoch veranlaßt, mit zwei Edelleuten, die wegen Zweikampfs sich in der Festung befanden, einen näheren Umgang anzuknüpfen, durch welchen er sich manche angenehme Stunde während der trüben Winterzeit verschaffte. Römer hatte von einer Woche zur andern gehofft, von seiner Mutter oder seinen Freunden, vielleicht selbst von Aurelien ein Schreiben zu erhalten, welches der peinigenden Ungewißheit, in welcher er sich befand, endlich ein Ende machte; er sah sich jedoch getäuscht. Kein Brief lief ein, und dieser Umstand diente ihm als Beweis, daß sein Aufenthalt Allen unbekannt geblieben sein müßte. Da er dem Commandanten sein Wort gegeben hatte, sich jedes brieflichen Verkehrs mit der Außenwelt zu enthalten, so vermochte er auch den bezeichneten Personen keine Nachricht von sich zugehen zu lassen und mußte also mit Geduld den Zeitpunkt abwarten, in welchem des Fürsten Befehl ihm dies gestatten, oder er seine Freiheit erhalten würde. Denn er zweifelte nicht, seine und Sidoniens Schuldlosigkeit anerkannt zu sehen und damit auch der entehrenden Haft enthoben zu werden. Es lag in der Natur der Verhältnisse, in welchen sich der Graf befand, daß er mit verschiedenen Beamten in der Festung bekannt wurde; einer derselben, der ihn auf seinen Ausgängen zu begleiten pflegte, hatte ihm schon öfter angedeutet, daß seine Haft wahrscheinlich sehr lang ausgedehnt sein würde, und sein Befremden ausgedrückt, daß der Graf die ihm gebotene Freiheit nicht zu einer Flucht benutzte, indem er ihm dabei zugleich zu verstehen gab, wie gern er ihm dabei seinen Beistand gewähren würde. Der Graf hatte ihm dafür gedankt, zugleich aber auch seine Absicht ausgesprochen, sich ruhig in die über ihn getroffenen Maßnahmen fügen zu wollen, da er seiner Ueberzeugung nach ungerecht leide und also auch eine entsprechende Genugthuung zu verlangen hätte. Der Beamte zuckte die Achseln und erinnerte ihn, wie wenig von der Rücksicht des Fürsten zu erwarten sei, vielmehr mit Sicherheit vorausgesetzt werden müßte, daß dieser, nun es einmal so weit gekommen, auch mit aller Strenge verfahren und sich hüten würde, durch irgend welche Maßnahme eine Blöße zu geben. Er unterließ dabei nicht, ihm den besondern und starren Charakter des Fürsten in das Gedächtniß zu rufen, indem er zugleich andeutete, daß derselbe sich leicht über eine ungerechte Verhaftung hinweg setzen würde, sobald eine solche seinen Zwecken entsprach. Seine Worte und sein Verhalten verriethen zugleich die aufrichtigste Theilnahme an dem Geschick des Grafen; auch sprach er die Ueberzeugung von dessen Unschuld so wie das herzliche Bedauern aus, einen so edeln Mann einer schändlichen Intrigue geopfert zu sehen, so daß der Graf weit entfernt war, hinter alledem ein falsches Spiel zu ahnen. Dennoch war dem so und der Beamte auf den geheimen Befehl des Fürsten zu diesem Verhalten veranlaßt worden, um den Grafen zur Flucht zu bestimmen. Das sichere Benehmen des Letzteren, so wie das Ansehen, in welchem Römer stand, und die ihm so allgemein gezollte Verehrung ließen den Fürsten besorgen, man würde seine Maßregeln gegen diesen einer strengen Beurtheilung unterziehen und ihm daraus mancher Vorwurf erwachsen. Denn es lag die Voraussetzung nicht eben fern, daß sich der ganze Adel durch die gegen Römer angewandte Strenge verletzt fühlen würde, selbst wenn dessen Schuld begründet werden könnte. Darum bot man diesem auf's Neue die Gelegenheit zur Flucht, um allen weiteren so unbequemen Verhandlungen rasch ein Ende zu machen. Der Fürst ahnte freilich nicht, wie wenig Römer sich dazu geneigt fühlte, so wie, daß dieser ein Ausharren unter den obwaltenden Umständen für sein Interesse durchaus nothwendig erachtete. Die sich trotz seiner Ablehnung dennoch wiederholenden Anträge des Beamten erzeugten in dem Grafen bald einen Verdacht gegen die Aufrichtigkeit desselben; er war jedoch vorsichtig genug, ihm dies nicht zu erkennen zu geben, sondern lehnte dessen Vorschläge stets dankbar und mit dem Hinweis auf seinen festen Willen, die Maßnahmen des Fürsten ruhig abwarten zu wollen, ab. Er wurde in Folge dessen durch weitere Anträge von Seiten des Beamten nicht mehr beschwert; dagegen jedoch bald darauf durch das Bedauern des Commandanten überrascht, seine Freiheit zufolge erhaltener Befehle beschränken zu müssen. Dies erfolgte denn auch bald, und es wurden dem Grafen fortan die ihm so angenehmen Ausgänge nicht mehr gestattet und obenein sogar seine Haft noch verschärft. Dieser Umstand überzeugte Römer noch mehr, sich hinsichts des Beamten nicht getäuscht zu haben. Um ihn zur Flucht zu verleiten, bot man ihm die besten Gelegenheiten dar; als dieses Mittel jedoch nicht fruchtete, versuchte man es auf's Neue mit Strenge, um ihm den Aufenthalt in der Festung wenig erträglich zu machen und dadurch den Wunsch nach Freiheit in ihm zu erregen. Indem Römer alle diese Maßnahmen durchschaute, schickte er sich, treu seinem Vorsatz, mit Geduld in seine Lage. Sein Verhalten sollte bald einen sehr überraschenden Erfolg herbeiführen, der zugleich wohl geeignet war, seine früheren Voraussetzungen, ihn zur Flucht zu verleiten, nur noch mehr zu bestätigen. Nachdem man ihn nämlich ungefähr drei Wochen in strenger Haft gehalten hatten, erfreute ihn der Commandant plötzlich mit der angenehmen Nachricht, daß es ihm wieder gestattet sei, ihm die Ausgänge zu erlauben. Wenngleich der Graf diese Maßnahme als einen neuen, ihm gelegten Fallstrick erkannte, war es ihm doch sehr angenehm, sich der gewährten Freiheit auf's Neue erfreuen zu können. Ohne dies seiner Umgebung zu verrathen, hatte er sich schon lange mit Ungeduld nach frischer Luft und dem Anblick der Natur und des Lebens und Treibens der Menschen gesehnt. Die winterliche Luft, seine einsame und einfache Wohnung, die nur eine Aussicht auf die hohen, kahlen Festungswälle gewährte, die ihn umgebende, fast beängstigende Stille, welche höchstens durch das Klirren von Gewehren, den einförmigen Schritt der Wachen und das Commando der ausgestellten Posten unterbrochen wurde, und der immer größer werdende Mangel an geistiger Unterhaltung wirkten beengend und niederbeugend auf ihn. Denn es muß bemerkt werden, daß ihm fortan nicht nur die Lectüre spärlich zuging, sondern auch die früheren Besuche der beiden Edelleute verwehrt wurden und er überdies täglich nur eine kurze Zeit auf den Wällen frische Luft schöpfen durfte. Und wie endlos waren die dunkeln, durch Sturm und Regen noch übler gemachten Winternächte, denen trübe, oft durch Schneegestöber verdunkelte, unbehagliche Morgen folgten und sich so der Abend schon an sie knüpfte, bevor noch der kurze Tag sich geltend zu machen vermochte! -- Rechnet man zu dem Allen noch das den Grafen beherrschende Seelenleiden, so wird es nicht überraschen, zu erfahren, daß er tief darunter litt und sich die Wirkungen der strengen Haft bald in dem matten Auge und der kränklichen Blässe seines Antlitzes zu erkennen gaben. Dennoch sprach er niemals eine Klage oder einen Wunsch aus, obwol er dazu häufige Veranlassungen hatte und sein Befinden ihn dazu nöthigte. Sein Stolz konnte sich dazu nicht verstehen, und so begnügte er sich mit denjenigen Erleichterungen, welche man ihm freiwillig gewährte. Alle diese Umstände werden zur näheren Erkenntniß und Werthschätzung seines Charakters beitragen und zugleich seine angenehme Ueberraschung über die ihm auf's Neue gewährte Freiheit begründen. Er zögerte nicht, dieselbe sogleich zu benutzen, und auch jetzt wurde ihm der frühere Beamte zur Begleitung beigegeben. Welch' hohe Lust gewährte ihm der erste Ausgang trotz der winterlichen Natur und der rauhen Witterung! Wie freudig begrüßte er die so lange nicht mehr gesehenen Orte, und wie verlangend schweiften seine Blicke von der Nähe in die Weite, der fernen, unerreichbaren Geliebten gedenkend. Von der frischen Luft erquickt und angeregt von dem sich in Freiheit entfaltenden Treiben der Menschen, erwachte der lebhafte Drang in ihm, sich seiner Fesseln zu entledigen. Die Versuchung dazu war groß und wurde durch das Verhalten des Beamten noch wesentlich unterstützt, der sich mit dem Vorgeben, Bekannte in der Stadt zu besuchen, für längere Zeit entfernt hatte. Römer war daher unbeobachtet und konnte überdies über ein paar Stunden nach Belieben verfügen, ehe man ihn aufsuchte; dennoch überwand er seine Sehnsucht, seinem Vornehmen getreu, und kehrte wie gewöhnlich unbefangen nach der Festung zurück, vielleicht von dem ihn dabei gewahrenden Commandanten nicht eben gern gesehen. Seine ferneren Ausgänge wurden durch die bezeichneten Momente nicht mehr getrübt; sein fester Wille hatte ihn beruhigt. Das Verhalten des Beamten änderte sich dabei nicht, und so geschah es, daß er eines Tages wie gewöhnlich ohne dessen Begleitung auf der neben der Stadt gelegenen Promenade dahin schritt. Das Wetter war ziemlich gut; die Sonne konnte sich geltend machen und verlieh der Gegend ein freundlicheres Aussehen. Auch hatte ein trockener Frost die Wege gangbar und ziemlich bequem gemacht. Römer erreichte nach einem raschen Gange eine einsame Stelle, ohne zu bemerken, daß ihm ein einfach gekleideter Herr folgte und sich bemühte, ihn zu erreichen. Als dem Letzteren dies endlich gelungen war und er sich Römer auf Hörweite genähert hatte, blickte er sich vorsichtig nach allen Seiten um und rief alsdann des Grafen Namen. Dadurch überrascht, wandte sich dieser um, worauf der Herr ihm ein Zeichen machte, ihn zu erwarten. Erwartungsvoll sah Römer seinem Nahen entgegen, und seine Ueberraschung steigerte sich schnell, als er in dem Herrn einen Befreundeten erkannte, den er in einer so unscheinbaren Kleidung nicht vermuthet hatte. Baron von Steinwerth, ein Jugendfreund des Grafen, begrüßte ihn herzlich und brachte ihm Grüße von seiner Mutter und Familie. Zugleich überraschte er ihn durch die Mittheilung, daß man auf die von Aurelien erhaltene Nachricht von des Grafen muthmaßlicher Verhaftung sogleich bedacht gewesen, seinen Aufenthalt zu entdecken. Dies sei ihnen jedoch erst nach längerer Zeit möglich geworden, worauf er sich alsdann sofort hieher begeben habe, um die Gelegenheit zu erspähen, dem Grafen irgend eine Mittheilung zugehen lassen zu können und von diesem zugleich zu erfahren, in welcher Weise man ihm nützlich sein könnte. Man erachtete dies für durchaus nothwendig, bevor man Schritte zu seiner Befreiung that. Der Freund befand sich schon seit mehren Wochen in der Stadt, ohne daß es ihm gelungen war, dem Grafen seine Nähe anzuzeigen. Doch hatte er erfahren, daß man Römer früher längere Spaziergänge nach der Stadt und deren Umgebung gestattet hätte, und dieser Umstand ihn veranlaßt, sich über die Zeit, in welcher dieselben gemacht wurden, so wie über die dabei obwaltenden Umstände Gewißheit zu verschaffen, um darnach sein ferneres Verhalten einzurichten. Seit Wochen hatte er nun aus den bekannten Gründen vergeblich gewartet, bis es ihm heute endlich gelang, den Freund zu treffen. In welch' freudiges Erstaunen der Graf durch das Vernommene versetzt wurde, darf kaum erwähnt werden; hatte er doch, wie wir wissen, bereits alle Hoffnung, Nachricht von seinen Lieben zu erhalten, aufgegeben. Und so dankte er dem Freunde auf das herzlichste für den Beweis seiner Liebe, beruhigte ihn über das etwaige baldige Erscheinen des Beamten, indem er ihm die Gründe dazu bezeichnete, und erbat sich alsdann Nachricht über Sidonie. Der Baron vermochte ihm nur wenig zu sagen, da die Verhandlungen durchaus geheim gehalten wurden und davon noch kaum etwas bekannt geworden war. Eben so wenig war er mit Sidoniens Gefangenschaft vertraut, obwol er erfahren hatte, daß dieselbe ihr Palais nur selten verlassen und überhaupt ein sehr stilles und zurückgezogenes Leben führen sollte. Er gab dem Grafen jedoch zugleich das Versprechen, sich, sobald er mit dessen Wünschen über die auszuführenden Schritte bekannt gemacht sein würde, nach der Residenz zu begeben und dabei Aurelie und, wenn es die Verhältnisse irgend gestatteten, auch selbst die Prinzessin aufzusuchen und sie von des Grafen Geschick zu unterrichten. Der Letztere beeilte sich darauf, ihm mit wenigen Worten die verletzende Art seiner Verhaftung mitzutheilen, indem er dieselbe lediglich als die Folge seines Verhältnisses zu Sidonien bezeichnete und daran die Ueberzeugung knüpfte, daß jedenfalls auch die Prinzessin gleich ihm von den harten Maßnahmen des Fürsten betroffen worden sein müßte. Mit freudigem Dank nahm er das ihm gemachte Anerbieten, sich in seinem Interesse direct an den Fürsten zu wenden, an, indem er zugleich bat, sich wegen der erlittenen Ehrenverletzung zu beklagen und gegen seine Haft in strengster Form zu protestiren. Wie und in welcher Weise dies am geeignetsten geschehen könnte, mußte er seinen Befreundeten überlassen, die, wie ihn der Baron versicherte, von seiner Schuldlosigkeit, so wie von der gegen ihn gesponnenen Intrigue überzeugt waren. Um einer möglichen Ueberraschung von Seiten des Beamten vorzubeugen, kürzte der Graf die Unterredung ab, und die Freunde schieden mit der Verabredung von einander, sich am nächsten Tage an diesem Orte wieder zu treffen und Weiteres zu besprechen. Die glückliche Stimmung zu bezeichnen, in welcher der Graf heute in seine Haft zurück kehrte, dürfte kaum nothwendig sein; wissen wir doch, wie sehr er bisher unter dem Entbehren aller Nachrichten von seinen Lieben gelitten hatte. Freilich mangelte ihm dasjenige, wonach seine Seele ganz besonders verlangte: eine genauere Kenntniß von Sidoniens Lage und der über sie verhängten Maßnahmen; doch, wenn er diese auch entbehren mußte, fühlte er sich doch schon hoch beglückt, endlich eine geeignete Gelegenheit gefunden zu haben, sie mit seinem Geschick bekannt machen zu können und das ihrige kennen zu lernen. Und er athmete nach vielen Monaten endlich wieder freier auf, durch die angenehme Aussicht erfreut und beruhigt, daß in Folge der Bemühungen seiner Freunde seine Lage nun nicht mehr lange unentschieden bleiben könnte. Als er sein Zimmer erreicht hatte und nun in der Stille das Erlebte erwog, erwachte der Wunsch mit großer Lebhaftigkeit in ihm, Sidonien ein paar Worte zu schreiben. Er wußte nur zu wohl, wie sehr er sie dadurch erfreut haben würde; dennoch befriedigte er sein Verlangen nicht. Er hatte sein Wort gegeben, sich jeder geheimen schriftlichen Mittheilung zu enthalten, und ihm war sein Versprechen zu heilig, um es auch selbst unter den obwaltenden Umständen zu brechen, und so blieb der Brief ungeschrieben. In Folge der getroffenen Verabredung erwartete der Baron den Grafen an dem folgenden Tage an einer unbesuchten Stelle der Promenade. Auch dieses Mal gab der Beamte einen Geschäftsgang vor und ließ Römer allein. Nichts konnte diesem erwünschter kommen, und rasch schritt er der Gegend zu, woselbst er den Freund zu treffen hoffte. Seine Freude, diesen bereits seiner harrend zu finden, war groß, und herzlich umarmte er ihn. Um nicht etwa durch den Beamten überrascht zu werden, hatte Römer diesem gesagt, daß er ihn auf dem Rückwege aus der Stadt abholen würde, und war dieserhalb das Nähere zwischen ihnen besprochen worden. Die Freunde waren daher sicher und konnten sich nach Belieben unterreden. Sie benutzten die so günstige Gelegenheit, indem sie des Grafen Interesse nochmals in allen Einzelnheiten erwogen und alsdann feststellten, daß der Graf durch den Freund sobald als möglich mit den erzielten Erfolgen bekannt gemacht werden sollte. Da dies jedoch nur durch eine persönliche Mittheilung ermöglicht werden konnte, so versprach der Baron, sobald er dem Grafen irgend eine Mittheilung von Wichtigkeit zu machen haben würde, sich wieder hieher zu begeben und ein ähnliches Zusammentreffen wie das gegenwärtige herbei zu führen. Allerdings war es zweifelhaft, ob man dem Grafen auch noch fernerhin so viele Freiheit gestatten würde; doch mußte man in Ermangelung einer andern Gelegenheit, eine Zusammenkunft herbei zu führen, das Beste voraussetzen. Bestätigte sich diese Annahme nicht, so blieb es dem Baron anheim gestellt, die besten Wege zu einem persönlichen Verkehr mit Römer ausfindig zu machen. So manche Fragen und Wünsche wurden alsdann noch von Römer ausgesprochen, deren Beantwortung und Erfüllung ihm von hoher Wichtigkeit war, und so eilte die überdies nur kurz zugemessene Zeit rasch dahin, und da der Graf die Begleitung des Freundes nach der Stadt aus Vorsicht ablehnen mußte, so trennte er sich von ihm nach einem herzlichen Abschied, den die angenehme Aussicht eines zu hoffenden baldigen Wiedersehens weniger schmerzlich machte. Der Beamte pflegte auf den Ausgängen gewöhnlich in einem auf ihrem Wege nach der Festung gelegenen Weinhaus anzusprechen und der Graf hatte längst errathen, welcher Art die von dem Erstern zu erledigenden Geschäfte waren. Auch heute traf er, wie verabredet worden war, daselbst mit seinem Begleiter zusammen, und es schien als ob diesem die Rückkehr seines Gefangenen viel zu frühzeitig wäre. Dennoch zögerte er mit dem Aufbruch nicht, da er des Grafen Pünktlichkeit kannte, und bald schritten sie der Festung zu, der Beamte in redseliger Laune, der Graf schweigend und mit seinen Gedanken beschäftigt. Der Baron reiste noch an demselben Tage nach der Heimath des Grafen, um daselbst mit dessen Freunden und Verwandten die bei dem Fürsten zu thuenden Schritte zu berathen. Es darf kaum erwähnt werden, mit welchen Empfindungen der Graf fortan seine Ausgänge fortsetzte, und wie sich mit jedem neuen Tage seine Spannung mehrte, da sich die Frist bis zu dem gehofften Wiedersehen des Freundes mehr und mehr kürzte und er denselben täglich zu treffen erwartete. Doch eine und die zweite Woche ging ihm also dahin, ohne daß seine Erwartungen erfüllt wurden; der Freund erschien nicht. In der dritten Woche erst sollte er freilich zu seinem großen Schmerz durch die über ihn verhängten Maßnahmen die Wirkungen der von seinen Freunden angestellten Bemühungen erfahren. Eines Tages nämlich erschien der Commandant bei ihm und theilte ihm mit, daß er den Befehl erhalten habe, den Grafen nach einer andern Festung bringen zu lassen, und ihm bis zu dieser Zeit fernere Ausgänge nicht gestattet wären. Als Römer, darüber in hohem Grade bestürzt, nach der Veranlassung zu dieser Maßnahme fragte, vertraute ihm der Commandant, daß man wahrscheinlich höheren Orts vermuthete, der Graf habe die ihm hier gewährte Freiheit benutzt, mit seinen Freunden in Verbindung zu treten, indem er zugleich bedauernd die Voraussetzung hinzufügte, daß ihm in seinem künftigen Aufenthaltsort wahrscheinlich die ehemalige Freiheit nicht mehr gestattet werden würde. Fernere Fragen ersparte sich der Graf, da er voraussetzen konnte, daß man ihm dieselben nicht nach Wunsch beantworten durfte oder auch vielleicht nicht einmal beantworten konnte. Nachdem der Commandant die Zeit der Abreise bezeichnet hatte, trennte er sich und ließ Römer mit seinen trüben Gedanken allein. So war diesem denn jede Hoffnung genommen worden, irgend welche Nachricht von seinen Lieben zu erhalten, und eben so wenig durfte er nach den über ihn verfügten Bestimmungen hoffen, daß sich der Fürst zur Aufhebung seiner Haft geneigt fühlte. Im Gegentheil mußte er befürchten, dieselbe in jeder Hinsicht verschärft zu sehen. Ueberdies war es eine Frage, ob seine Freunde von seinem neuen Aufenthaltsort Kenntniß erhalten würden; er glaubte das bezweifeln zu müssen, da er dessen strenges Geheimhalten mit Sicherheit erwarten durfte. Zugleich erkannte er, daß dies Alles lediglich eine Folge der in seinem Interesse dem Fürsten von Seiten seiner Freunde gemachten Vorstellungen wäre. Wie der Letztere dieselben aufgenommen hatte, sagte ihm seine Versetzung nach einer, wie er überzeugt war, sehr entlegenen Festung zur Genüge. Durch die bereits erfahrene Behandlung und diese neue Maßnahme in hohem Grade entrüstet, war er sofort entschlossen, sich an den Fürsten mit einer Vorstellung darüber zu wenden. Ohne Zögern führte er dies aus, indem er sich über das Erfahrene beschwerte und zugleich in bestimmter Weise das Verlangen aussprach, vor den Richter gestellt zu werden und die Begründung der über ihn verhängten Strafe kennen zu lernen, da er sich keiner Handlung bewußt sei, welche dieselbe rechtfertigen könnte. Er händigte das Schreiben dem Commandanten mit der Bitte ein, dasselbe sofort an den Fürsten befördern zu lassen. An dem nächsten Abend verließ er die Festung in einem geschlossenen Wagen, von einem Officier und einer kleinen Escorte begleitet. Siebentes Kapitel. Der Lenz nahte und sandte seine goldenen Lichter in das Arbeitszimmer des Fürsten, in welchem dieser, die Hände auf den Rücken gelegt, erregt auf und ab schritt. Er hielt in den letzteren ein Schreiben. Es war die über die Prinzessin gefällte Sentenz, welche er soeben aus dem Staatsrath erhalten und gelesen hatte. Ein paar reizende Windspiele trippelten neben ihm her und hoben ab und zu die Köpfe zu ihm auf, um seine Aufmerksamkeit zu erregen und ihn zu den gewöhnten Liebkosungen zu bewegen, ohne daß ihnen dies jedoch gelang. Der Fürst schien von seinen Gedanken ganz beansprucht zu sein und die Thiere kaum zu bemerken, oder auch keine Neigung zu fühlen, seine Lieblinge zu hätscheln, wie er dies sonst wol zu thun pflegte. Der Diener meldete Chevalier Boisière. »Eintreten!« befahl der Fürst, ohne sich in seinem Gange stören zu lassen. »Nun, Boisière, was spricht man über die bewußte Angelegenheit?« fragte er, den eintretenden Kammerherrn mit einem leichten Nicken begrüßend. Der Chevalier zuckte die Achseln und entgegnete: »Hoheit werden es für unglaublich halten, wenn ich mich zu berichten beehre, daß das Vorurtheil zu Gunsten der Prinzessin spricht.« »Wirklich! wirklich?!« fragte der Fürst. »Die Welt will nicht an ihre Schuld glauben, obgleich dieselbe doch hinlänglich bewiesen ist. Allerlei Meinungen machen sich geltend. Man weist auf den seitherigen Lebenswandel der Prinzessin hin, glaubt denselben rühmen zu müssen, spricht von der Reinheit und Offenheit ihres Wesens, ihrer Schönheit, und selbst die Vernünftigeren wagen es, an die unglückliche Ehe zu erinnern und darin einen Entschuldigungsgrund für ihre sträfliche Leidenschaft zu finden.« »Ich habe es mir gedacht! Die Welt ist wenig geneigt, in solchem Fall die fürstliche Autorität anzuerkennen. Das ist eine rechte Kost für Fraubasereien und was darum und daran hängt. Mögen sie klatschen; nicht ich, der Staatsrath hat entschieden. Hier ist die Sentenz!« Mit diesen Worten wies der Fürst das Schreiben vor und fuhr alsdann fort: »Ihre Berichte lassen mich die Wirkung derselben voraussehen; doch sei's d'rum! Es wäre mir allerdings angenehmer gewesen, hätte man diese Angelegenheit noch mehr cachiren können; denn es ist mir die Einmischung der Leute in dieselbe unangenehm. Doch die Sache läßt sich nicht ändern und so mag sie ihren Gang haben. Trotz aller Vorsicht wird der Inhalt der Sentenz bald bekannt werden; vermuthlich wird die Prinzessin selbst dafür sorgen; erforschen Sie, was darüber laut wird und welcher Art die Urtheile sind, damit man erforderlichen Falls dem Gerede einen Dämpfer aufsetzen kann. Der Zustimmung der Fürsten bin ich gewiß, besonders da auch der Bruder der Prinzessin, Herzog Friedrich, auf meiner Seite ist. Ein wichtiger Moment in dieser Sache. Hat man sich hinsichts des Grafen in den Adelskreisen beruhigt?« »Leider muß ich das verneinen und vermuthe, man wird sich mit den bereits gemachten Vorstellungen nicht begnügen und Hoheit wahrscheinlich mit neuen Gesuchen angehen.« »Ich hoffe dem durch diese Sentenz vorzubeugen,« fiel der Fürst rasch ein. »Halten zu Gnaden, mein Fürst, wenn ich trotzdem die Meinung auszusprechen mir gestatte, daß sich des Grafen Freunde alsdann kaum weniger beruhigt fühlen dürften. Wenigstens vernahm ich Mancherlei, was mich zu dieser Voraussetzung bestimmte.« »Mögen sie agitiren; es führt zu nichts. Indem durch diese Sentenz die Schuld der Prinzessin anerkannt ist, ist es auch diejenige des Grafen; das muß eingesehen werden, dem darf und soll man nicht widersprechen, und somit ist auch des Grafen verlängerte Haft gerechtfertigt. Es wäre mir allerdings lieber gewesen, hätte sich der Graf durch die Flucht den Verhandlungen entzogen; man würde weniger belästigt worden sein und die Angelegenheit wäre mit einem Schlage erledigt gewesen. So aber ist es anders. Der Graf zeigte keine Neigung, die ihm gebotenen Gelegenheiten zur Flucht zu benutzen, und beharrt voll Trotz darauf, vor einen Richter gestellt zu werden, da er seine Vernehmungen nicht für maßgebend anerkennt, ihn in der Haft zu halten. Er hat vor mehren Wochen einen stolzen, herausfordernden Brief an mich gesandt und sich erlaubt, mich an seine Adelsvorrechte zu erinnern. Der Adel ist, wie immer, anmaßend und pocht auf seine Vorrechte, sobald er sich in einer übeln Situation sieht. Er meint alsdann immer mehr als andere Menschen zu gelten, wenngleich er eben so schlecht wie sie ist. Ich weiß, daß ich durch meine Maßnahmen in das Wespennest des Adels geschlagen habe; mögen sie nun versuchen, wie weit ihr Stachel reicht; sie sollen sich hüten, mich zu verletzen!« Der Fürst hatte mit Erregung gesprochen, ohne seinen Gang zu unterbrechen; er setzte diesen noch einige Augenblicke schweigend fort und fragte alsdann: »Was vernimmt man von der Prinzessin? Haben Sie etwa erfahren, ob sie des Grafen Aufenthaltsort kennt und vielleicht mit ihm in geheimer Verbindung steht?« »Ich bedaure, mein gnädiger Fürst, in dieser Beziehung nichts von Belang berichten zu können. Wie mir meine Leute aus dem Palais mitgetheilt haben, sind nur wenige fremde Personen zu der Prinzessin gekommen; ob dies etwa in des Grafen Auftrag geschehen, vermag ich nicht zu bestimmen. Betreffs der Prinzessin ist es Eurer Hoheit ja bekannt, daß sie ein stilles Leben führt, ziemlich sicher im Verhalten ist und keine Besorgniß über ihre Zukunft zu hegen scheint.« »Diese Sicherheit verletzt mich eben. Ich würde die Angelegenheit milder erledigt haben, hätte sie sich zu einer Bitte verstanden, hätte sie Demuth und Unterwerfung unter meinen Willen gezeigt. Und ich hätte es gern gethan. Dagegen zeigt sie wie auch der Graf einen Stolz und Trotz, die in ihrer Situation durchaus unpassend und herausfordernd genannt werden müssen und nur zu sehr geeignet sind, mich zur ganzen Strenge gegen sie zu veranlassen. Sie haben es gewollt, so mögen sie es auch tragen!« Der Diener meldete in diesem Augenblick den Prinzen, worauf der Fürst dem Chevalier noch einige Aufträge ertheilte, namentlich jedoch das Verlangen aussprach, Boisière sollte auch fernerhin die sich unter dem Adel geltend machenden Meinungen über die bekannte Angelegenheit erforschen und ihm darüber seiner Zeit Bericht abstatten. Alsdann entließ er ihn, und wenige Augenblicke darauf trat der Prinz ein. »Ich vernahm, daß der Spruch gefällt ist --« bemerkte dieser. »So ist es, und hier ist derselbe,« entgegnete der Fürst und reichte dem Prinzen das Schreiben. Dieser griff hastig darnach, öffnete und las dasselbe unter Zeichen der Aufregung, während der Fürst seine Blicke auf ihn gerichtet hielt. »Ist es Dir also recht?« fragte dieser mit einem Anflug von Ironie in der Stimme, als der Prinz die Durchsicht vollendet hatte. »Ich habe dieses Urtheil erwartet und Sidonie verdient es,« fiel der Prinz mit Befriedigung ein. Der Fürst betrachtete seinen Neffen einige Augenblicke schweigend, alsdann entgegnete er in einem eigenthümlichen Ton: »Die Sentenz konnte nicht anders ausfallen; ob die Prinzessin dieselbe jedoch verdient, dürfte eine Frage sein.« »Mein gnäd'ger Fürst!« rief der Prinz bestürzt und trat einen Schritt von ihm zurück, indem er ihn fragend anschaute. »Ich glaube eine Berechtigung zu dieser Frage zu besitzen,« fuhr der Fürst in fast scharfem Ton fort, »und will Dir nicht verhehlen, daß die Art der Herbeischaffung der Beweise für ihre Schuld allerlei Gedanken in mir erzeugt hat.« -- »Die Umstände nöthigten dazu, mein Fürst!« fiel der Prinz ein. »Wir wollen diese Dinge nicht weiter untersuchen. Sie dienen unserm Zweck, haben den gewünschten Effect erzielt, und somit sind weitere Auseinandersetzungen überflüssig. Ueberdies vertragen manche Angelegenheiten auch nicht dergleichen, und alsdann ist es klug, sich davon fern zu halten und, sie benutzend, eben gehen zu lassen. Du magst diese Sache mit Dir abmachen, und ich meine, daß Dir das nicht eben schwer sein wird. Ich bin mit der Sentenz einverstanden, wenngleich -- -- in meinem Sinne,« bemerkte der Fürst, in dessen Antlitz sich ein gedankenvoller, fast trüber Zug zu erkennen gab. »So wären wir am Ziel!« fiel der Prinz erfreut ein. »Daß wir dieses erreichen würden, habe ich nicht bezweifelt. Meine wie Deine Wünsche sind erfüllt, und das ist die Hauptsache. Doch kann ich Dir nicht verhehlen, daß, indem das Interesse des Staats also gewahrt worden ist, jetzt auch die Pflicht an Dich herantritt, künftig durch Dein Verhalten zu beweisen, daß Dir das erstere wirklich bedeutungsvoll ist und Du Deinen fürstlichen Stand und seine Gewalt nicht lediglich als Mittel zur Befriedigung niederer Leidenschaften betrachtest. Nur indem der Fürst jenes zu wahren versteht, finden seine Schwächen Entschuldigung. Einem Manne von Kopf hält man dergleichen stets zu gut und übersieht sie, während man den Beschränkten nur nach seinen Fehlern beurtheilt, die selbst Herzensgüte nicht auszugleichen vermögen. Vor Allem erwarte ich jedoch mit Bestimmtheit, daß Deine nun einzugehende Ehe keinen Anlaß zu ähnlichen Ereignissen, wie die gegenwärtigen, bieten wird. Es wird fortan Deine Aufgabe sein, die Welt zu überzeugen, daß die Prinzessin nicht ungerecht verurtheilt worden ist.« Der Fürst schwieg, durchschritt ein paarmal das Gemach und fuhr alsdann fort: »Da, wie ich voraussetzen muß, Du keine Zuneigung für eine Prinzessin hegst, so werde ich Sorge tragen, Dir eine Gemahlin auszuwählen. Deine neue Vermählung soll bald erfolgen, da ich ruhiger sterben würde, wenn ich die Thronfolge gesichert wüßte.« Der Fürst bezeichnete hierauf einige Prinzessinnen, die er kennen gelernt und die seinen Beifall gefunden hatten, und der Prinz erklärte seinem fürsorglichen Oheim, sich seiner Wahl ganz unterwerfen zu wollen. Da in solcher Weise ihr Interesse erledigt worden war, trennten sie sich. Der Fürst schien zu einer weiteren Unterhaltung überdies keine Neigung zu hegen. Als er sich allein sah, durchschritt er wieder gedankenvoll das Gemach. Trotz der stattgefundenen Unterredungen schien er dennoch die ihm nothwendige Ruhe nicht gefunden zu haben. Nach kurzer Zeit fiel sein Auge auf die Sentenz, welche offen auf seinem Schreibtisch lag. Er hatte dieselbe noch nicht unterzeichnet. Ihr Anblick schien ihn zu bewegen. Er ergriff sie, hielt sie einige Augenblicke sinnend in der Hand, legte sie alsdann auf ihre Stelle und nahm seinen Gang wieder auf, während er einige Worte leise vor sich hin sprach und seinen Gedanken auf's Neue nachzuhängen schien. Sein Auge blitzte düster und ein fast melancholischer Zug machte sich in seinem gefurchten Antlitz geltend. Es war so einsam und still in dem Gemach. Vor und in dem Palais vernahm man nicht das geringste Geräusch; eben so geräuschlos war des Fürsten Schritt auf dem Teppich. In dem Kamin waren die Kohlen zu einem Häuflein Asche verglüht; er blieb davor stehen und schaute sinnend darauf. Nichts störte ihn darin. Niemand befand sich in seiner Nähe, dem er seine Gedanken und Empfindungen hätte mittheilen mögen, wozu ihn vielleicht seine Stimmung drängte. Selbst die Windspiele hielten sich still und hatten sich beim Eintreten des Kammerherrn auf ihre bequemen Lager begeben und schliefen jetzt. Nur das Ticken der Pendule vernahm man. Nach kurzer Zeit begab sich der Fürst an das Fenster und schaute hinaus; er erblickte nur ein paar Wachen in der Ferne, sonst Niemand. Die Bäume zeigten erst Knospen, und die ersten Frühlingsblumen hatten sich an sonnigen Stellen aus der feuchten Erde erhoben und bildeten einen farbigen Kranz um die Marmorstatuen, welche den Platz vor dem Palais schmückten. Wie es schien unbefriedigt, wandte sich der Fürst davon ab und durchschritt auf's Neue das Gemach. Endlich blieb er stehen und richtete das Auge auf mehre auf einem Tisch befindliche Bücher. Eins derselben war geöffnet und zeigte den Namen: »~Macchiavelli~.« Einzelne Stellen darin waren unterstrichen und am Rande mit einem Stift Bemerkungen gemacht. Er näherte sich dem Tisch und ließ sein Auge einige Augenblicke auf dem Buche ruhen; alsdann ergriff er mit einem raschen Entschluß die Feder und setzte mit flüchtigem und hörbarem Zuge seinen Namen unter die in der Nähe liegende Sentenz. Sidoniens Schicksal war entschieden. Darauf ließ er sich am Kamin in einem Fauteuil nieder, und auf ein von ihm gegebenes Zeichen erhoben sich die Windspiele, eilten zu ihm und umschmeichelten seine Kniee. Er beachtete sie jedoch kaum und schien noch von seinen Gedanken erfüllt zu sein; denn über seine Lieblinge fortschauend, sprach er leise vor sich hin: »~Der Fürst darf nur so viel Mensch sein, als es ihm das Staats-Interesse erlaubt.~« -- Der Prinz kehrte in der besten Stimmung nach seinem Palais zurück. Die Sentenz über Sidonie hatte ihn in hohem Grade befriedigt, indem dieselbe seine rachsüchtigen Wünsche stillte. Es verstand sich von selbst, daß er bemüht gewesen, seinen ganzen Einfluß geltend zu machen, damit das Urtheil in der vorhandenen Fassung gefällt wurde. Ueberdies waren die Richter mit des Fürsten Intentionen in dieser Angelegenheit genügend bekannt, um trotz Sidoniens reinem Lebenswandel einem Bedenken Raum zu geben. Sichtbare Beweise und Zeugenaussagen thaten das Ihrige, Sidoniens und des Grafen Schuld zu begründen, und somit befanden sich die Herren in der angenehmen Lage, sowol des Fürsten als auch des Prinzen Wünsche durchaus zu befriedigen. Mühlfels, mit dem Schluß der Verhandlungen bekannt gemacht, erwartete den Prinzen in dessen Palais und wurde von diesem mit den freudigen Worten begrüßt: »Nun, Mühlfels, der Spruch ist gefällt; wir sind gerächt!« »So wünsche ich Ihnen und mir Glück dazu. Hoheit sind nun endlich eine Bürde los, die Sie fortwährend unangenehm belästigte.« »In der That, es war so, und ich würde mich noch mehr darüber freuen, wenn mir nicht bereits neue Fesseln drohten, denn der Fürst hat mir soeben mitgetheilt, eine neue Gemahlin für mich zu besorgen.« »Fürchten Sie nichts, mein Prinz. Der Fürst ist meines Erachtens durch das Erfahrene vorsichtig genug gemacht worden, um die Neuwahl mit ganzer Sorgfalt zu betreiben; auch setze ich voraus, Hoheit werden dieses Mal selbst bedacht sein, sich von dem Charakter der zu Wählenden genügend zu überzeugen.« »Das werde ich, Mühlfels, und bin gewiß, nicht zum zweiten Mal mit einer Zierpuppe voll Moral verbunden zu werden. Und dies ist um so mehr nothwendig, da ich Mariane aufzugeben keine Lust fühle. Das Mädchen muß sich prächtig entwickelt haben, und ihre Briefe zeigen mir überdies, daß sie Geist und Verstand besitzt und beide vortrefflich ausgebildet hat. O, ich sehne mich nach ihr; denn trotz ihrer Entfernung ist sie mir gleich lieb geblieben, ja ich möchte behaupten, daß sie allein für alle Zeiten mein Herz befriedigen wird. Lachen Sie nicht, Mühlfels! Ich sage Ihnen, es ist so, und Sie werden es erleben!« »Hoheit täuschen sich in der Voraussetzung, ich zweifelte daran, und ich versichere Sie, Ihre Zuneigung durchaus gerechtfertigt zu finden. Das Fräulein ist zu reich mit allen weiblichen Vorzügen ausgestattet, um nicht dauernd fesseln zu können, selbst Sie, mein Prinz, dessen Ansprüche nicht eben klein sind!« »Das Schlimmste bei der Sache ist, wie ich sie wieder in meine Nähe bringen kann,« bemerkte der Prinz. »Nicht so schlimm, als Sie vermuthen, mein Prinz,« wandte Mühlfels ein. »Können Sie mir in dieser Beziehung etwa einen annehmbaren Vorschlag machen?« »Was meinen Hoheit zu einer Vermählung des Fräuleins?« »Eine Vermählung?!« fiel der Prinz, durch den nicht erwarteten Vorschlag überrascht, ein und fügte hinzu: »Die Sache gefällt mir nicht besonders. Der Gemahl könnte stören.« »Man beugt dem vor, indem man ihn fortsendet.« »Das ginge; doch es ist zu bedenken, ob sich Mariane dazu versteht. Ich zweifle daran; denn sie will Gräfin werden, und ein Graf dürfte kaum die Rolle des Strohmannes übernehmen, und mit einem Geringeren würde sie sich wahrscheinlich nicht begnügen.« »Die Ehe kann nach Belieben getrennt und somit des Fräuleins Wunsch erfüllt werden.« »~Der~ Ausweg ist zu erwägen. Ich will mir die Sache überlegen und Mariane seiner Zeit damit bekannt machen. Doch, wenn sie darauf eingehen sollte, bliebe doch noch die Frage zu beantworten, ~wer~ die Rolle des Gemahls übernehmen dürfte.« »Ich glaube den Mann dazu gefunden zu haben.« »Wer ist es?« »Kapitän von Bieberstein, der uns so wesentliche Dienste geleistet hat.« »Der Mann wäre gut und gefällt mir.« »Befehlen Hoheit etwa, daß ich ihn sondire?« »Sie können das immerhin thun. Ich bin dem Manne überdies verpflichtet und muß daran denken, ihm meine Dankbarkeit zu erkennen zu geben. Ich werde dafür sorgen, daß er hieher versetzt wird, und das Weitere findet sich alsdann,« entgegnete der Prinz und bemerkte nach kurzem Ueberlegen: »Es fällt mir ein, daß es am besten wäre, wenn Ihre Mutter Mariane mit dieser Angelegenheit bekannt machte. Die Frauen verstehen Dergleichen annehmlicher zu behandeln, und Ihre Mutter besitzt darin ein großes Geschick. Da sie mit Marianen auch in Briefwechsel steht, so läßt sich die Sache um so bequemer ausführen.« »Wenn Sie befehlen, mache ich meine Mutter mit Ihren Wünschen bekannt.« »Thun Sie das. Ihre Mutter ist eine aufgeklärte und verständige Frau, und ich brauche ihr daher nichts Näheres zu sagen.« »Sie wird sich durch Eurer Hoheit Befehle sehr geehrt fühlen.« »Sie mag Marianen zu erkennen geben, daß ich mit ihren Vorschlägen einverstanden bin.« -- Aus dieser Unterredung werden wir leicht entnehmen können, welchen geringen Eindruck des Fürsten bedeutsame Worte auf den Prinzen erzeugt hatten und wie weit dieser entfernt war, irgend ein sittliches Bedenken wegen seiner neuen Anordnungen betreffs der Befriedigung seiner Leidenschaft zu hegen. Diese Momente lassen zugleich auf sein künftiges sittliches Verhalten schließen, sobald er als Regent keine Rücksichten mehr zu nehmen genöthigt ist, und wir werden später erfahren, daß er seinem Charakter durchaus treu blieb. Mühlfels traf, als er zu seiner Mutter zurückkehrte, um sich des von dem Prinzen erhaltenen Auftrages zu entledigen, die Baronin in sehr eifrigem Gespräch mit Boisière. Dieser hatte sich nämlich beeilt, der Freundin die Nachricht von der über Sidonie gefällten Sentenz so rasch als möglich zu überbringen, da er wußte, welche große Freude die Baronin darüber empfinden würde. Und so war es auch, und die Befreundeten befanden sich in der behaglichsten Stimmung, die sich von Seiten des Chevaliers in der höchsten Zuvorkommenheit gegen die Baronin und von ihrer Seite in der liebenswürdigsten Koketterie gegen den theuern Chevalier zu erkennen gab, der keine Gelegenheit vorübergehen ließ, die fleischige Hand der Baronin mit Grazie an die Lippen zu führen, und so ein würdiges Seitenstück zu der koketten Dame bildete. Mühlfels lieferte das fehlende entsprechende Blatt zu diesem Bouquet von Leerheit des Gemüths, Hohlheit des Charakters, niederer Denkungsart und ausgeprägtester Selbstsucht, das überdies, durch raffinirte Schlauheit, Intriguensucht und Augendienerei vervollkommnet, eine charakteristische Verkörperung des damals herrschenden Zeitgeistes bildete. Mit welcher behaglichen, freundlichen Miene wurde die unglückliche Prinzessin verdammt, obgleich vielleicht alle Drei nicht an deren Schuld glaubten. Doch das galt ihnen gleich, da ihre eigenen außerordentlichen Vorzüge dadurch um so mehr zur Geltung gelangten. Ueberdies gewährte es namentlich Mutter und Sohn eine hohe Befriedigung, die stolze, sich über Alle erhebende Prinzessin in solcher Weise gedemüthigt und gekränkt zu sehen, und es zeigt sich auch in diesem Fall, daß die Schlechten das Bessere im Menschen nicht dulden mögen und eine Wollust empfinden, es mit Haß zu verfolgen und mit Begier das falsche Herz an ihrem Unglück zu weiden. Dies war auch selbst hinsichts Boisière und der Baronin der Fall, obgleich der Erstere niemals etwas Uebles von Sidonien erfahren hatte, und die Letztere lediglich durch das Interesse ihres Sohnes dabei betheiligt war. Es war aber die Sache an sich, das Pikante derselben, welche ihre innerste Natur herausforderte; denn wie wir wissen, ging ihnen nichts über eine Angelegenheit, in welcher die Tugend zu Falle gekommen war, oder Ungeschick oder Zufall den Schleier von einem pikanten Geheimniß gelüftet hatte. Das Glück dieser Stunde wurde für die Baronin noch ganz besonders durch die Mittheilung von des Prinzen Auftrag erhöht, den ihr der Sohn nach dem Entfernen Boisière's vertraute. Die von ihr begehrte Dienstleistung erhob sie mit einem Schlage zu einer wichtigen Person in dieser difficilen Angelegenheit. Es galt, den Wunsch des Prinzen zu erfüllen und dadurch ein befriedigendes Verhältniß zwischen ihm und Marianen herzustellen, und daß ihr dies gelingen würde, war für sie keine Frage. Dadurch verband sie sich jedoch nicht nur dem künftigen Regenten, sondern gewann auch überdies einen nicht geringen Einfluß auf Mariane, und in welcher Weise sie diese Momente zu ihrem Vortheil auszubeuten hoffte, haben wir bereits früher angedeutet. Was ihrem Herzen jedoch ganz besonders wohlthat, war der Umstand, daß sie Marianen zugleich die Nachricht von der endlichen Trennung der Ehe der Prinzessin mittheilen konnte, die dem Mädchen, wie sie voraussetzen durfte, eine große Freude bereiten mußte. Von allen diesen Gedanken bewegt, entwarf sie, nachdem ihr Sohn sie verlassen hatte, sofort den Brief an Mariane, den sie denn auch im Lauf einiger Stunden mit großer Ueberlegung zu Stande brachte. Als sie denselben nach seiner Fertigung überlas, war sie mit der Fassung sehr wohl zufrieden und eben so sehr überzeugt, daß sich Mariane dem Wunsch des Prinzen fügen würde. -- Der Fürst hatte das Urtheil nach dessen Empfang nicht an Sidonie abgesandt, sondern zögerte damit, wozu ihn besondere Gründe, die wir später erfahren werden, veranlaßten. Sidonie befand sich daher hinsichts der über sie getroffenen Maßregeln in Ungewißheit. Zwar war ihr bekannt, daß die Verhandlungen von den über sie von dem Fürsten eingesetzten Richtern betrieben wurden, auch hatte sie mit einem derselben auf den Wunsch des Fürsten mehre Unterredungen gehabt; indessen waren Monate dahin gegangen, ohne daß über ihr und des Grafen Schicksal entschieden worden war. Wir haben aus Boisière's Worten erfahren, daß sie seit dem erkannten Verrath ein stilles, eingezogenes Leben führte, und fügen hinzu, daß dieses Leben durch die Ungewißheit über des Grafen Geschick noch wesentlich getrübt wurde. Alle von Aurelien angestellten Bemühungen, irgend etwas Bestimmtes darüber zu erforschen, waren vergebens gewesen; Niemand kannte des Grafen Aufenthalt. Um so mehr befestigte sich in den Freundinnen die Voraussetzung einer geheimnißvollen Verhaftung, und wir wissen, daß sie sich darin nicht irrten. Die Gräfin Römer hatte in der auf Aureliens Brief an diese gesandten Antwort die Absicht ausgesprochen, durch ihre Freunde nach dem Aufenthaltsort ihres Sohnes sogleich Nachforschungen anstellen zu lassen; es waren jedoch mehre Monate dahin gegangen, ehe die Gräfin weitere Nachrichten sandte. Diese bestätigten nun leider die von Sidonien gehegten Besorgnisse, indem sie des Grafen Haft in der Festung als begründet bezeichneten. Die Gräfin hatte dabei zugleich bemerkt, daß man fortan bemüht sein würde, mit dem Grafen entweder in schriftlichen oder persönlichen Verkehr treten zu können, und wollte den erzielten Erfolg seiner Zeit Aurelien mittheilen. Bald darauf hatte Sidonie die große Freude, durch Römer's Freund Näheres über den Grafen so wie die beabsichtigte Verwendung für diesen bei dem Fürsten zu erfahren. Baron Steinwerth hatte sich nämlich seinem Versprechen gemäß nach genommener Rücksprache mit des Grafen Verwandten nach der Residenz begeben, um bei dem Fürsten eine Audienz nachzusuchen und also für des Grafen Interesse zu wirken. Der Fürst hatte ihm dieselbe nur mit Unmuth bewilligt, da er sich wenig dazu geneigt fühlte und sie doch auch nicht ablehnen durfte; über die dabei zur Sprache kommenden Angelegenheiten jedoch nicht im Zweifel, war er daher auch bedacht, eine erweiterte Unterredung zu vermeiden und den Baron so kurz als möglich abzufertigen. Dies gelang ihm jedoch nicht; denn Steinwerth war ein muthiger Mann, der sich nicht so leicht einschüchtern ließ, besonders da ihn die Ueberzeugung von Römer's Schuldlosigkeit erfüllte, und so hatte der Fürst keinen eben leichten Stand gegen einen Mann, der kühn genug war, die Maßnahme gegen den Grafen als ungerechtfertigt zu erklären, selbst für den Fall, daß dieser sich eines Vergehens schuldig gemacht hatte. Wir haben in der Unterredung des Fürsten mit dem Chevalier einzelne Andeutungen des Ersteren über die Anmaßungen des Adels vernommen und bemerkten, daß dieselben lediglich eine Folge des mit Steinwerth gehabten Gesprächs waren, und werden daraus zugleich auf den Charakter desselben schließen können. Trotz der Erfolglosigkeit seiner Bemühungen war Steinwerth dennoch später bedacht, den Fürsten durch schriftliche Vorstellungen zu bestimmen, Römer frei zu geben, ohne daß sich derselbe dazu bequemte. Der Fürst glaubte dies um so weniger thun zu dürfen, da die Haft ein Beweis von des Grafen begründeter Schuld sein sollte. Da er ihn in solcher Weise einmal hatte verhaften lassen, so mußte er sich auch seiner Ansicht nach treu bleiben. Ließ sich der Graf zur Flucht verleiten, wie er bestimmt hoffte, so waren seine Maßnahmen um so mehr gerechtfertigt. Ueberdies ging er darin durchaus sicher, da er wußte, daß Sidonie für schuldig erkannt werden würde und damit auch des Grafen Schuld begründet wurde. Weitere persönliche Unterredungen in dieser Angelegenheit hatte der Fürst durchaus abgelehnt, und ebenso die einlaufenden schriftlichen Vorstellungen unbeachtet gelassen. Um sich jedoch in seiner Autorität zu behaupten, den störrischen Adel einzuschüchtern und dessen weiteren Verkehr mit dem Grafen unmöglich zu machen, ließ er den Letzteren, wie wir erfahren haben, auf's Neue in Nacht und Nebel nach einer andern Festung bringen, indem zugleich den dabei Betheiligten das strengste Schweigen anbefohlen wurde, damit des Grafen Aufenthalt nicht entdeckt werden konnte. Alle diese Vorgänge hatte Sidonie durch Aurelie erfahren, der sie durch des Grafen Mutter mitgetheilt worden waren. Wie groß ihr Schmerz darüber war und wie sehr sich derselbe steigerte, als ihr Aurelie die Erfolglosigkeit der Bemühungen Steinwerth's, den Grafen auf's Neue zu sprechen, mittheilte, darf kaum bemerkt werden. So waren denn alle Anstrengungen zur Erleichterung der Lage des Geliebten vergebens, und das beugte Sidonie um so tiefer nieder, da sie nur zu wohl wußte, wie sehr der Graf und dessen Mutter darunter leiden mußten. Wie sehr hätte es sie beglückt, wäre es ihr gestattet gewesen, der von ihr so hochgeachteten Frau ein paar Worte zu schreiben; doch daran durfte sie nicht denken und mußte thatenlos Alles über sich ergehen lassen. Mit so trüben Gedanken erfüllt saß sie in ihrem Boudoir und schaute sinnend durch das Fenster in die Weite, und ihre Seele suchte den Geliebten in seinem düstern Gefängniß auf, in welchem er für sie litt. Ihr bleiches Antlitz verrieth, daß sie seinen Kummer theilte. Aurelie, mit der Freundin Gemüthsstimmung nur zu wohl bekannt, war unablässig bedacht, sie in angenehmer Weise zu zerstreuen, was ihr jedoch nur in geringem Maß gelang. Sidonie beschäftigte sich viel mit ihrer lieblich heran blühenden Tochter, die sie ein wenig unterrichtete. Das Kind war die meisten Stunden des Tages in ihrer Nähe und gewährte ihr unter den obwaltenden so trüben Verhältnissen eine tröstende Freude, deren sie in der bangen Erwartung der kommenden Dinge so sehr bedurfte. Es war am zweiten Tage, nachdem der Fürst Sidoniens Urtheil unterzeichnet hatte, und sie befand sich wie gewöhnlich in Gesellschaft Aureliens und ihrer Tochter, als ihr ein Handbillet des Fürsten überreicht wurde. Dasselbe war ziemlich umfangreich. Kaum hatte sie das Schreiben erblickt, so erbleichte sie, von der Ahnung ergriffen, dasselbe könnte den über sie gefällten Richterspruch enthalten. Ihr fehlte der Muth; es zu öffnen, und darum reichte sie es Aurelien mit der Bemerkung hin, das Schreiben zu lesen. »Es wird mein Urtheil enthalten,« fügte sie mit bebender Stimme hinzu. »Fassung, meine theure Freundin! Wir sind ja auf Uebles vorbereitet; so wird uns die Sentenz nicht überraschen. Uebrigens freue ich mich, daß der peinigenden Ungewißheit endlich ein Ende gemacht wird,« beruhigte und ermunterte die sorgliche Freundin, obgleich auch ihr treues Herz vor Erwartung bebte. Sidonie neigte bejahend, doch schweigend das Haupt, drückte ihre Tochter fester an sich und schaute zu Boden. »Lies, liebe Aurelie,« bemerkte sie alsdann fast tonlos. Und Aurelie entfaltete das Schreiben. Die Prinzessin hatte sich in ihren Erwartungen nicht getäuscht; neben einem Billet von dem Fürsten befand sich die Sentenz. Der Fürst schrieb: »Madame! Ich sende Ihnen anbei den über Sie gefällten Richterspruch; Sie erkennen daraus, daß Sie des Vergehens für schuldig befunden worden sind und ihre Ehe mit dem Prinzen getrennt ist. Zu Ihrem künftigen Aufenthalt habe ich Schloß Waldburg bestimmt, das für Ihre Aufnahme eingerichtet werden wird. Sie werden sich dahin innerhalb zwei Wochen begeben und dürfen dasselbe ohne meine besondere Erlaubniß fortan nicht verlassen. Eine Hofmeisterin und eine Gesellschaftsdame werden Sie mit der entsprechenden Dienerschaft begleiten. Ihr Jahrgehalt ist bestimmt und wird Ihnen seiner Zeit stets ausgezahlt werden.« »Verbannt, verbannt und meiner Freiheit beraubt!« rief Sidonie, von dem Vernommenen tief erschüttert. »O, meine arme Freundin, hofftest Du Besseres?« fragte Aurelie mit feuchtem Auge Sidonie anschauend. »Ich glaubte ein Recht auf ein milderes Urtheil zu besitzen. Doch es sei; ich will mich deshalb nicht beklagen, da ich in solcher Weise mit meinem theuern Freunde leiden kann. Ja, ich will diese Verbannung mit Freuden begrüßen, wenn Römer seiner Haft nicht entlassen werden sollte. Und ich fürchte, es wird so sein. Geht man so hart mit mir um, so wird man noch schlimmer mit ihm verfahren. So wird er nicht allein leiden,« sprach Sidonie, von Liebe und Hochgefühl erglüht. »O, ich hatte es mir anders gedacht,« fuhr sie darauf fort; »ich habe gehofft, daß mir mit der Trennung der Ehe auch meine Freiheit gewährt werden würde und ich diesem Lande für immer entfliehen könnte. Ich vergaß, daß ich eine entehrende Strafe erleiden mußte, um der Welt meine Schuld zu bezeichnen. Darum Verbannung, Verbannung nach einem verödeten Schloß.« »Wenigstens gewährt Dir dieselbe den Vortheil, dem Hofe entfliehen zu können,« bemerkte Aurelie. »Gewiß, gewiß, und den darf ich nach dem Erfahrenen in der That nicht gering anschlagen. Wir werden uns dort eine neue Heimath gründen, welche Liebe und Freundschaft verschönen wird. Dort werde ich mit noch größerer Sorgfalt meinen Mutterpflichten genügen können, dort wird sich mein Kind, unberührt von der entsittlichenden Hofluft, rein und schön entfalten können, und ich vermag der Welt dereinst einen guten Menschen zuzuführen. O, das ist ein großer, sehr großer Vortheil, dieser Gedanke thut dem Herzen wohl!« endete Sidonie und drückte ihre Tochter an sich. »Und Deine Verbannung kann und darf nicht allzu lange währen,« fiel Aurelie ein. »Ein paar Jahre vielleicht. O, die Zeit geht in der Einförmigkeit rasch dahin, ich fürchte sie nicht. Was mir die Verbannung jedoch schmerzlicher macht, ist der Gedanke, daß meine Tochter später davon zu leiden haben wird, sobald meine Schuldlosigkeit nicht anerkannt wird. Ob dies jemals geschehen wird, ich wage es unter den obwaltenden Umständen nicht zu hoffen. Und wenn dies auch erfolgen sollte; die Welt glaubt so gern das Ueble, und selbst der dem Schuldlosen angehaftete Makel wird so schwer verwischt, trotz der Erkenntniß, wie ungerecht derselbe ist. Doch Alles, Alles und noch Schlimmeres würde ich mit Freuden ertragen, wüßte ich den Freund erst frei und seiner entehrenden Fesseln ledig.« »Vielleicht, daß Deine Verbannung seine Lage erleichtert und Dein Wunsch erfüllt wird,« bemerkte Aurelie. Sidonie schüttelte das Haupt. »Es wird nicht geschehen, ich weiß es nur zu wohl. Der Fürst begnügt sich niemals mit halben Maßregeln, sobald es darauf ankommt, der Welt gegenüber sein Ansehen zu behaupten. Darum wird er den Grafen auch strenger als mich bestrafen, wie er es bereits gethan hat, obwol seine Maßnahmen ungerecht und von dem Adel nichts weniger als gebilligt werden. Doch, Du weißt, der Fürst ist unbeugsam, so bald es seinen Zwecken gilt.« »Und möchtest Du den Fürsten nicht um eine Milderung des Urtheils ersuchen?« fragte Aurelie. »Niemals, meine theure Freundin! Er soll weder eine Bitte, noch einen Vorwurf von mir vernehmen! Ueberdies bin ich von der Fruchtlosigkeit meiner Bemühungen überzeugt, die höchstens seinen Triumph über mich erhöhen würden. Nach diesem Urtheil sind wir für immer von einander geschieden,« entgegnete Sidonie mit bestimmtem Ton und fügte nach kurzem Sinnen, Aurelien die Hand hinreichend, hinzu: »Vergieb mir, meine Theure, wenn ich bisher nur meiner Interessen gedachte und es vergessen konnte, daß meine Verbannung Dein geliebtes Haupt trifft, indem sie Dich in eine menschenleere Einsamkeit fesselt. O, wie viele der reinsten Opfer hast Du mir schon gebracht, die ich wohl zu schätzen, jedoch nicht durch mein Thun entsprechend zu würdigen vermag. O, wende Dich auch jetzt nicht von mir, denn ohne Dich vermöchte ich das Leben nicht zu ertragen!« Und sie umschlang weinend die Freundin. »Warum Deine Bitte, Geliebte? Du kennst mein Herz und weißt, daß Deine Freuden und Leiden auch die meinen sind und es stets bleiben werden. Kein Wort also hierüber mehr,« entgegnete Aurelie voll Güte und edler Hingebung. Stumm drückten sich die Freundinnen die Hände. »Die Besorgniß ergreift mich, ob man mir Deine Begleitung auch gestatten wird,« bemerkte Sidonie nach kurzer Pause. »Warum sollte man das nicht, da mein Aufenthalt bei Dir unmöglich ihre Interessen gefährden kann?« »Möchte es so sein! Doch überzeugen wir uns, ob in dem Urtheilsspruch irgend etwas darüber bestimmt ist,« entgegnete Sidonie. Aurelie ergriff in Folge dessen das Schreiben und trug es laut vor; doch enthielt dasselbe in der angegebenen Bezeichnung nichts. »Gott sei Dank, so ist meine Besorgniß unbegründet gewesen,« sprach Sidonie, welche dem Vortrage mit ängstlicher Spannung zugehört hatte, indem sie froh aufathmete. »Hier ist noch eine Bemerkung von des Fürsten Hand, die der Sentenz später beigefügt zu sein scheint,« bemerkte Aurelie, das Auge darauf gerichtet. »Wahrscheinlich noch irgend eine Bestimmung über mich,« entgegnete Sidonie und fragte alsdann: »Wie lautet sie?« Aurelie hatte kaum mit raschem Blick des Fürsten Worte überflogen und deren Sinn erfaßt, als sie erbleichend und bestürzt einen leisen Schrei ausstieß. »Was erschreckt Dich?!« fragte Sidonie. »O, meine arme, arme Freundin!« rief Aurelie in Thränen ausbrechend, indem sie die Prinzessin umschlang. »Um Gott, sage, was Dich bewegt!« rief Sidonie in gesteigerter Besorgniß. »Lies seine Worte,« entgegnete Aurelie leise und deutete auf diese hin. Zitternd vor angstvoller Erregung that Sidonie das; in dem nächsten Augenblick entfiel das Blatt ihren Händen, und mit dem Ausruf: »Mein Kind, mein Kind!« schlang sie hastig die Arme um ihre sich an sie schmiegende Tochter und drückte diese unter einem hervor stürzenden Thränenstrom innig und fest an sich, indem sie ihr Antlitz auf deren Locken sinken ließ und diese mit Küssen bedeckte. Es trat eine kurze Stille ein, die nur das Weinen der Frauen unterbrach. Das Kind blickte besorgt zu der Mutter auf und fragte: »Warum weint =chère mama=?« »Weil sie mich von Dir trennen, Dich mir für immer nehmen wollen!« fiel Sidonie fassungslos ein, das Kind noch heftiger küssend. »Ich soll nicht bei Mama bleiben?« »Sie werden Dich fremden, lieblosen Händen übergeben und Dich zu einer höfischen Puppe bilden, Dein weiches Herz verhärten für das Gute und Edle und die Reinheit Deiner Seele trüben. Und ich soll fern, fern von Dir sein, Dich nicht mehr behüten dürfen vor den Gefahren, die Dich hier umlauern. O, mein Gott, mein Gott! Das vermag ich nicht!« Und sie neigte auf's Neue das Antlitz auf ihres Kindes Haupt und weinte heftig. Es war so, wie Sidonie sagte. Der Fürst hatte unter die richterliche Sentenz die Bemerkung hinzu gefügt, daß auf das ausdrückliche Verlangen des Prinzen und in Anbetracht der die Schuld der Prinzessin begründenden Momente er im Einverständniß mit seinem Neffen die Bestimmung getroffen, daß Sidoniens Tochter dem Prinzen verbleiben sollte. Die obwaltenden Umstände boten dem Letzteren dazu ein scheinbares Recht. Welche unendliche Kränkung darin für Sidonie lag, darf kaum bemerkt werden. Denn was wol dürfte eine Mutter mehr und tiefer verletzen, als wenn man sie nicht für würdig erachtet, ihr einziges Kind und Tochter obenein selbst erziehen und sich an ihrer Entwicklung erfreuen zu dürfen. Ueber ihrem Schmerz blieb Sidonien die Erkenntniß dieses über sie verhängten Schimpfes noch fern, da sie lediglich der einzige Gedanke, sich von ihrem Kinde für immer trennen zu sollen, beherrschte. Aurelie gewann zuerst Fassung. »Das kann und darf nicht geschehen!« rief sie mit ungewöhnlicher Energie. »Diese Bestimmung muß der Fürst zurück nehmen, denn sie ist mehr als hart, sie ist grausam.« »Ich erkenne darin des Prinzen Rache; der Fürst allein würde sich nie dazu verstanden haben,« bemerkte. Sidonie. »War der Fürst schwach genug, dem Verlangen seines Neffen nachzugeben, so bleibt ihm doch immer die Gewalt, diese Bestimmung zurück zu nehmen.« »Ich zweifle, daß er sich dazu bewegen lassen dürfte, und erinnere Dich an das Recht des Prinzen, als Vater seines Kindes über dieses zu bestimmen. Ob ihm dies vor dem Sittengesetz zuerkannt werden darf, ist eine andere Frage, die hier nicht in Betracht kommt. Doch ich weiß, nicht die Liebe zu seiner Tochter, sondern sein Haß gegen mich haben ihn dazu bewogen, und der Fürst ging vielleicht um so leichter auf seinen Willen ein, da derselbe seinen Zwecken dient. Hält man mich nicht für würdig, meine Tochter zu behalten, so muß ich der Welt noch schuldvoller erscheinen, und das will man ja eben.« »Der Fürst wird Deiner Forderung, Deinen Vorstellungen und Bitten nicht widerstehen. Er ist Dir einst gewogen gewesen, er wird auch jetzt Mitleid mit Deinem Kummer haben. Sein Herz kann nicht so ganz verhärtet sein, um durch Deine Thränen nicht gerührt zu werden.« Sidonie schüttelte wehmüthig das Haupt. »Dein liebevolles Herz vermag nicht die ganze Größe der Selbstsucht zu erfassen, die den Fürsten beherrscht. Vielleicht ist er mir einst wirklich zugeneigt gewesen; davon kann jedoch nicht mehr die Rede sein, nachdem ich ihm gegenüber meinen Charakter und Willen zu behaupten wagte. Meine frühere Unterredung mit ihm hat mir sein kaltes, liebloses Herz gezeigt. O, wie leer ist dasselbe, und wie ist es lediglich die Selbstsucht, welche sich eng mit dem Interesse des Staates verknüpft und die von ihm getroffenen Bestimmungen erzeugt. O, wie arm an Freuden, wie traurig ist sein Dasein trotz seines mächtigen Geistes, da in seinem Herzen nicht der Quell strömt, der allein dem Leben Werth und Annehmlichkeit verleiht!« »Was gedenkst Du zu thun? Wirst Du zu ihm gehen?« fragte Aurelie nach einer kurzen Pause. »Ich werde es und will den Himmel bitten, daß er meinen Worten Kraft verleiht, sein Herz zu rühren. Vor Allem aber will ich bedacht sein, mich an einen Gedanken zu gewöhnen, der mir allen Lebensmuth und die erforderliche Stärke raubt, das Schmerzliche zu ertragen und den Stolz der Unschuld meinen Feinden gegenüber zu behaupten. Dies ist eine Pflicht, die mir nicht nur gegen mich selbst, sondern auch gegen meinen unglücklichen Freund auferlegt ist. O, ich weiß wol, es werden harte, sehr harte Zeiten für mich kommen; ich will, ich darf ihnen nicht erliegen, so viel Kummer sie mir auch bringen. Ihm, ihm, dem edeln, geliebten Manne bin ich es schuldig, der mir das Glück seines Lebens zum Opfer brachte. Vergelten will und muß ich es ihm mit der ganzen Hingabe meiner vollsten Liebe, und darum will ich mich ihm erhalten, damit sein Dasein nicht in einem Schmerz-Accord ausklingt und er nicht mit dem Wort des Vorwurfs, sondern der Liebe auf den Lippen das Leben aushaucht. Ob mir dies gelingen, ob und wann die Zeit kommen wird, in der mein Leben mit dem seinen zusammen pulsen darf, wer vermag das heute zu bestimmen? -- Vielleicht naht uns der bleiche Engel des ewigen Friedens früher, als wir ahnen; ach, das Leben ist ja so kurz und hinfällig! Vielleicht wird mein Wunsch erst dann erfüllt, wenn die Jahre die Lebenskraft und Freudigkeit zerstört und den Geist ermüdet haben, und ich ihm statt der Jugend nur ein in Kummer schnell gewelktes Alter bringen kann, und sich in meinen Zügen dann nichts mehr von dem widerspiegelt, was sein Herz einst erfreute. Wie schnell verblühen wir!« Sie schwieg und schaute voll Wehmuth sinnend vor sich hin. »Doch warum fürchte ich das Uebelste, warum sorge ich des Vergänglichen?!« bemerkte sie nach kurzer Pause. »Was wäre die Liebe, wenn sie von äußeren Vorzügen abhinge! O, ich erkenne, wie sich selbst in diesem Augenblick die allgemeinste Schwäche meines Geschlechts, die Eitelkeit, geltend zu machen bestrebt. Doch nein, nein, nicht Eitelkeit, sondern die Liebe zeugt meinen Kummer. Weil ich ihn von Herzen liebe, will ich ihm auch gefallen; dieser Trieb ist ja natürlich und nothwendig. Und Römer liebt ja überdies nicht die äußeren Reize, er liebt die Seele, die unvergängliche, und besitze ich auch nicht die Macht, den Körper vor der Hinfälligkeit zu schützen, so will ich doch bedacht sein, meine Seele davor zu bewahren und sie seiner würdig zu erhalten, damit er einst aus dem gefalteten Antlitz, aus dem matten, entfärbten Augenstern sie dennoch erkennt und sich an ihr erfreut. O, glaube mir, die Liebe ist sehr geschickt, die Erinnerungen vergangenen Lebens zu bewahren; habe ich dies doch in meinen Leidensjahren so ganz erkannt.« Ein stiller Tag ging über die Freundinnen hin, während dessen sie nur wenige Worte mit einander wechselten, von Kummer und Sorgen erfüllt. Was auch hätten sie sich unter den obwaltenden Umständen mittheilen sollen. Vor Allem mußte Sidonie Fassung gewinnen, um sich für die so wichtige Unterredung mit dem Fürsten vorbereiten zu können. Darüber mußten einige Tage dahin gehen; denn Sidonie war zu tief gebeugt und zu wenig von Hoffnung für das Gelingen ihres Vorhabens erfüllt, um früher die erforderliche Kraft zu gewinnen. Als ihr dies jedoch nach zwei Tagen gelungen war, sandte sie ein Billet mit der Bitte an den Fürsten ab, ihr eine Audienz zu bewilligen. Erwartungsvoll harrte sie seiner Antwort entgegen. Achtes Kapitel. Man hatte Römer nach einer von der Residenz sehr entfernten Grenzfestung gebracht. Er ward daselbst mit größerer Strenge behandelt als früher, und es wurden ihm nur innerhalb der Festungswälle Spaziergänge gestattet. Die zu den letzteren bestimmten Orte waren überdies der Art, daß er von ihnen aus höchstens einen Blick auf Felder und Wälder gewann und es ihm daher unmöglich war, sich mit der Gegend und der neben der Festung gelegenen Stadt bekannt zu machen. Dennoch und obwol er sich zu keiner Frage verstand, konnte es nicht lange ausbleiben, daß er den Namen der Festung und der Stadt erfuhr und somit erkannte, daß er nun auch von aller Verbindung mit seinen Freunden getrennt war. Von dem Bemühen des Fürsten überzeugt, seinen Aufenthalt so viel als möglich der Welt zu verheimlichen, durfte er dies um so sicherer voraussetzen. Auf seine Vorstellung an den Fürsten war keine Antwort erfolgt, und so blieb er in Ungewißheit, ob dieselbe in des Ersteren Hände gelangt war, oder ob der Fürst eine solche für überflüssig erachtet hatte. Er war geneigt, das Letztere anzunehmen, als nach Ablauf von ungefähr drei Wochen ihm der Commandant ein offenes Schreiben mit der Bemerkung überreichte, daß dasselbe sein Urtheil enthalte, wonach ihm zwei Jahre Haft zuerkannt worden wären. Ueber das Vergehen, für das der Graf leiden sollte, war man fortgegangen und hatte eben so wenig der Prinzessin in der Sentenz erwähnt. Dies war auf den ausdrücklichen Befehl des Fürsten geschehen, der, wie wir erfahren haben, über diese Angelegenheit strengste Discretion beobachtet zu sehen wünschte. Römer war das in hohem Grade angenehm, denn er würde durch das Urtheil viel tiefer verletzt worden sein, hätte man Sidonie nicht in solcher Weise geschont. Schweigend empfing er den Urtheilsspruch, auf welchen er sich längst vorbereitet hatte, nachdem der Fürst seine und seiner Freunde Vorstellungen unberücksichtigt gelassen; aus dem ersteren konnte er jedoch auch mit Bestimmtheit auf Sidoniens Verurtheilung schließen, und es drängte sich ihm die beunruhigende Frage auf, welcher Art dieselbe sein könnte. O, wie beglückt hätte er sich gefühlt, wäre es ihm vergönnt gewesen, für sie zu leiden und alles Ungemach von ihr zu nehmen; doch es sollte nicht sein. Was ihn tröstete, war die Ueberzeugung von der Rücksicht, welche der Fürst der Prinzessin zu beobachten sich durch die Umstände genöthigt sehen würde. Man durfte sie nicht hart strafen; so hoffte, so erwartete er es mit Sicherheit, ohne zu ahnen, wie sehr er sich täuschte. Nach des Fürsten Befehl sollte er in der Festung verbleiben. Der Commandant, wahrscheinlich mit den des Grafen Haft bedingenden Vorgängen gekannt, erzeigte ihm viel Wohlwollen, und wenn er Römer auch keine besonderen Freiheiten gestatten durfte, so lud er ihn doch öfter zu sich ein und verplauderte alsdann einige Stunden mit ihm. Seitdem Römer den Urtheilsspruch empfangen hatte, wurde niemals ein Wort hierüber zwischen ihnen gewechselt. Der Graf vermied dies absichtlich, und der Commandant hatte bald erkannt, daß eine jede derartige Erinnerung einem Manne von Römer's Charakter nur unangenehm sein müßte. In trüber Einförmigkeit ging dem Grafen die Zeit dahin. Keine Nachricht von seinen Lieben kam ihm zu; ein Beweis für ihn, daß man seinen Aufenthalt nicht kennen mußte, wenn er nicht annehmen wollte, ihm würden die ersteren von dem Commandanten vorenthalten. Es kam ihm jetzt seine Neigung für wissenschaftliche Studien sehr zu statten, denen er sich fortan mit Eifer hingab und worin ihn die Freundlichkeit des Commandanten unterstützte, der die Besorgung der von Römer gewünschten Bücher etc. veranlaßte. Aber, so angenehm dem Letzteren auch eine solche Beschäftigung war, welche seinen Geist nährte und die schmerzlichen Gedanken von ihm fern hielt, kamen doch viele, viele trübe Tage über ihn, in welchen er der kummervollen Erinnerung unterlag und sich die Sehnsucht nach Freiheit und dem Wiedersehen seiner Lieben mit großer Gewalt geltend machte. Wie in Sidonien erhoben sich auch in ihm unablässig die Fragen, was er von der Zukunft erwarten durfte und ob, wenn seine Haft endete, die Geliebte frei und es ihr gestattet sein würde, ihm anzugehören. Er glaubte dies hoffen zu dürfen, da er die Trennung ihrer Ehe mit Bestimmtheit voraussetzte, und diese Hoffnung war zu süß und beglückend, um ihm seine Haft nicht weniger peinigend zu machen. Um wie viel mehr würde sein edles Herz gelitten haben, wäre ihm Sidoniens Geschick und die Härte bekannt gewesen, mit welcher man ihr begegnete, hätte er geahnt, welche Seelenkämpfe sie in derselben Zeit zu bestehen hatte, in welcher er, von seinen Voraussetzungen getäuscht, ihr Loos mild und erträglich wähnte. Auf Sidoniens an den Fürsten gerichtete Bitte um eine Unterredung hatte ihr dieser geantwortet, daß sein Befinden sie zu empfangen verhindere und er es ihr daher überlassen müsse, ihm ihre Wünsche schriftlich zu bezeichnen. Wie schmerzlich sie dadurch betroffen werden mußte, darf im Hinblick auf das hohe Interesse, das für sie auf dem Spiel stand, kaum bemerkt werden. Ihre Unruhe und Besorgniß steigerten sich um so mehr, da sie sich sagen mußte, daß der Fürst sein Befinden lediglich als Vorwand zur Ablehnung ihrer Bitte benutzte; denn wie sie erfahren hatte, war dasselbe ziemlich gut. Er wollte sie also nicht sprechen und fühlte daher auch nicht die Pflicht, die geringste Rücksicht auf ihren Kummer zu nehmen. Dadurch zum schriftlichen Verkehr mit ihm genöthigt, zögerte sie nicht, ihm in den flehendsten Ausdrücken um Zurücknahme der getroffenen Bestimmung hinsichts ihres Kindes zu bitten. Die heißeste Liebe zu diesem hatte ihr die Worte eingegeben, denen der Schmerz über ihr so unverdientes und hartes Geschick um so mehr Kraft und Nachdruck verlieh. Wiederholt hatte sie sich dieserhalb mit Aurelien berathen, um die Fassung des Briefes in der wirksamsten Weise zu ermöglichen, und das Schreiben alsdann unter bangen und heißen Wünschen einer guten Wirkung abgesandt. Unruhvoll harrte sie der so wichtigen Antwort in der Hoffnung entgegen, dieselbe vielleicht schon an dem nächsten Tage zu erhalten und durch deren Inhalt beglückt zu werden. Wie sehr sah sie sich getäuscht! Tag um Tag ging dahin, ohne daß ihr Wunsch erfüllt wurde. O, wie tief, wie schmerzlich litt die Arme darunter, und mit welcher Aengstlichkeit war sie bedacht, die ihr zu dem Verkehr mit ihrem jetzt doppelt theuern Kinde noch gegönnten Stunden so ganz auszugenießen. Sie trennte sich von demselben fast gar nicht mehr und ließ sogar dessen Bettchen in ihr Schlafcabinet bringen, um sich auch selbst noch in der Nacht ihrer Nähe erfreuen zu können, indem sie den Athemzügen der Schlummernden lauschte. Nach fünf langen und bangen Tagen und Nächten erst erhielt sie des Fürsten Antwort, die sie mit ängstlicher Hast erbrach und alsdann durchflog. Sie enthielt nur wenige und in gemessenem Ton gehaltene Worte, die ihr armes Herz durchkälteten und ihr die letzte Hoffnung, ihren Wunsch erfüllt zu sehen, raubten. Der Fürst lehnte ihre Bitte mit der Bemerkung ab, den durchaus gerechtfertigten Ansprüchen des Prinzen nicht entgegen treten zu dürfen, indem er sie zugleich an die vermehrten Rechte zu den getroffenen Maßnahmen erinnerte, welche demselben unter den obwaltenden Umständen zuständen. Außer diesem nur kurzen Bescheid hatte der Fürst weder ein Wort des Trostes noch des Rathes hinzugefügt, und Sidonie erkannte daraus nur zu wohl, daß jedes weitere schriftliche Wort vergeblich sein würde. Zwar hatte der Fürst darauf hingedeutet, daß in diesem Fall lediglich des Prinzen Verlangen seinen Entscheid bestimmt hätte, und sie dadurch gleichsam auf diesen hingewiesen: was aber konnte ihr das in ihrer Lage nutzen? Den Prinzen mit einer Bitte angehen, würde eben so wenig gefruchtet haben, selbst wenn sie sich auch zu einem sie so tief verletzenden Schritt verstanden haben würde. So blieb ihr nur die Ergebung in das Unabänderliche. In dieser Erkenntniß bereitete sie sich auf die Trennung vor, von der Hoffnung gestärkt, daß es ihr jedenfalls gestattet sein würde, ihre Tochter später ab und zu zu sehen, und daß vielleicht die Zukunft des Fürsten und Prinzen Herz milder stimmen könnte. Mit der ihr eigenthümlichen Seelenkraft war sie bemüht, ihre Gefühle zu beherrschen; doch wenn ihr dies auch zum Theil gelang, füllten sich ihre Augen doch häufig unwillkürlich mit Thränen, besonders wenn ihr Blick auf der lieblichen Tochter ruhte, die ohne Ahnung von der Mutter Weh harmlos sie umspielte und den süßen Frohsinn ihrer Jugend offenbarte. Es konnte jedoch nicht ausbleiben, daß sich Sidoniens Seelenleiden in ihrem Aeußern zu erkennen gab. Die wenigen Tage bis zu ihrer Abreise hatten sie so sehr verändert, daß sie ganz und gar verfallen und um wenigstens zehn Jahre älter erschien. Auch fühlte sie sich schwach und kraftlos, und vermochte sich nur mit Anstrengung aufrecht zu erhalten und die ihr obliegenden Anordnungen zu treffen; dennoch überwand sie dies Alles mit Anwendung des festesten Willens und eingedenk ihres Vornehmens, die Ruhe und Sammlung der Schuldlosigkeit zu zeigen. Sie bedurfte dieser in hohem Grade, denn sie war willens, vor ihrer Abreise noch den Prinzen und Fürsten zu sprechen. In diesem Verlangen glaubte sie den Beweis zu liefern, daß sie nicht in dem Gefühl ihrer Schuld schied, sondern nur als Leidende der über sie herrschenden Gewalt wich. Auch war es ihre Absicht, dem Prinzen ihre Wünsche über die fernere Erziehung ihrer Tochter zu erkennen zu geben. Sie besaß ein Recht dazu und war weit entfernt, dasselbe aufzugeben, und glaubte daher den Prinzen damit bekannt machen zu müssen, damit er nicht etwa den Glauben hegte, sie wäre sich derselben nicht bewußt oder hätte sie etwa in dem Bewußtsein ihres Vergehens, oder durch die Verbannung eingeschüchtert, aufgegeben. Was sie jedoch zu der Unterredung mit dem Fürsten trotz der erfahrenen Unbill besonders veranlaßte, war die Hoffnung, daß es ihrem Worte vielleicht gelingen dürfte, ihn zur Zurücknahme des Befehls hinsichts ihrer Tochter zu veranlassen. Ihre Hoffnungen waren in dieser Beziehung allerdings nur gering; die Liebe zu ihrem Kinde jedoch viel zu groß, um nicht noch das Letzte zu wagen. Kostete es ihr schon eine nicht geringe Ueberwindung, noch einmal ihren Feinden Auge in Auge gegenüber zu stehen, deren Gewalt sie unterlegen war, so war sie doch auch zugleich entschlossen, sich selbst zu vergessen, um sich das geliebte Kind zu retten, für dessen Besitz ihr kein Opfer zu schwer sein sollte. Sie hatte gefürchtet, daß weder der Fürst noch der Prinz sich zu einer Unterredung verstehen würden, und wurde daher sehr angenehm überrascht, als ihr diese auf ihre schriftliche Bitte bewilligt wurde. Sie wußte freilich nicht, daß dies nicht ohne Widerstreben Seitens Beider geschehen war. Zu der Unterredung war der Tag vor ihrer Abreise bezeichnet worden. Wie eilig ging ihr die Zeit bis zu diesem Augenblick dahin, in welchem sie sich vielleicht für eine lange Dauer von ihrem Kinde trennen mußte, und mit welcher Aengstlichkeit war sie bedacht, für Alles, was dessen Wohl betraf, zu sorgen. Was sie in ihrer kummervollen Erregung noch aufrecht erhielt, war die freilich nur schwache Hoffnung, des Fürsten Herz für ihre Wünsche gewinnen zu können. So nahte der bedeutsame Tag, und mit gewaltsamer Ueberwindung aller sie bestürmenden widrigen Gefühle begab sie sich zu dem Prinzen. Derselbe empfing sie in einem der Staatsgemächer des Palais. Ihr hinfälliges Aussehen und die sich in ihrem Wesen abspiegelnde Resignation blieben nicht ohne Wirkung auf ihn und schienen ihn zu veranlassen, auf einen in seiner Nähe befindlichen Sessel zu deuten. »Ich habe Ihnen nur wenige Worte zu sagen,« sprach Sidonie, ohne sich niederzulassen, »und diese bezwecken die Erziehung meiner Tochter.« »Dieselbe wird ihrem Range gemäß sein,« fiel der Prinz ein. »Ich zweifle nicht daran und dies ist auch nicht die Veranlassung, wenn ich Ihnen meine Wünsche in dieser Beziehung zu erkennen gebe. Es ist ein anderer und wichtigerer Grund, der mich dazu bestimmt. Ein Kind bedarf vor Allem der Elternliebe, in deren vollem Genuß es sich wohl fühlt. Diese wird Isabelle entbehren müssen, indem man sie fremden Händen übergiebt. Man wird vielleicht ihren Geist ausbilden; des Kindes Herz bildet sich jedoch nur an einem liebenden Herzen aus, und so erfüllt mich die Besorgniß, Isabelle wird den Einflüssen ihrer Umgebung unterliegen. Sie haben es für nothwendig erachtet, mir die Erfüllung meiner Mutterpflichten unmöglich zu machen, um so mehr erwarte ich daher, daß Sie selbst die Erziehung des Kindes überwachen und es mir gestatten werden, Isabelle zu sehen und mich von dem Erfolg der ersteren zu überzeugen.« »Ich habe nichts dagegen; doch mache ich Ihnen bekannt, daß Isabelle mit Ihnen zugleich den Hof verläßt, da ich sie zu meiner Tante, der Herzogin Karoline, sende, woselbst sie fortan leben soll.« Diese Nachricht erfreute Sidonie in hohem Grade; denn durch diese Maßnahme wurde ihr Wunsch erfüllt und Isabelle den Einflüssen des Hofes entzogen; auch war ihr die Herzogin als eine sehr geachtete Dame bekannt. »Sie erfüllen dadurch meinen Wunsch und ich billige diese Anordnung gern,« entgegnete sie und fragte alsdann: »Ich hoffe, daß es mir gestattet sein wird, mit meiner Tochter brieflich zu verkehren?« »Ich stelle das Ihrem Belieben anheim,« entgegnete der Prinz, wie es schien bemüht, die ihn peinigende Unterredung zu enden. »Wenn auch hiemit mein persönliches Interesse erledigt sein dürfte, so drängt es mich doch, noch ein Wort an Sie zu richten,« fuhr die Prinzessin nach kurzer Pause fort. »Daß man die Trennung unserer Ehe als durch meine Schuld herbei geführt betrachtet, muß ich hinnehmen, da der Schein gegen mich spricht und es Ihnen beliebt hat, mich auf diesen hin zu verurtheilen. Ich würde die mir auferlegte Strafe jedoch weniger verletzend fühlen, dürfte ich hoffen, daß daraus ein Segen für das Land hervor ginge. Dem Unrecht ist jedoch noch niemals Gutes entsprossen. Möchte sich in diesem Fall meine Voraussetzung nicht bestätigen; ich wünsche dies zum Wohl des Volkes, dem Sie bald ein Herrscher sein werden. Wol ist es eine schöne und hohe Aufgabe, die Wohlfahrt von Millionen zu erzielen; aber eben so furchtbar däucht mir auch das Schicksal des Regenten, der in der zügellosen Hingabe an seine Leidenschaften statt Liebe nur Haß und Verachtung säet und darum auch erntet. Mögen Sie dessen eingedenk sein, und so leben Sie wohl!« Sidonie hatte diese Worte fest und ruhig gesprochen, indem Sie die Blicke eben so fest auf den Prinzen gerichtet hielt, der sie jedoch nicht anschaute und ihr nur mit sichtlicher Ungeduld zuhörte. Mit einer leichten, würdigen Verneigung verließ sie darauf das Zimmer. Der Prinz schaute ihr voll Unmuth nach, der jedoch nicht allein durch die von Sidonien an ihn gerichtete Mahnung an sein besseres Selbst, sondern noch mehr durch das Gefühl der Achtung hervor gerufen wurde, das ihr Verhalten in ihm erzeugt hatte. Dieses Gefühl machte sich zum ersten Mal in ihm geltend, seit er Sidonie kannte. Es lag eine so große Würde in ihrem Wesen und Benehmen, eine ungesuchte Ueberlegenheit über ihn und ihre nichts weniger als erfreulichen Verhältnisse, daß er unwillkürlich von dem Zweifel an ihre Schuld ergriffen wurde. Die guten Regungen gingen jedoch eben so rasch, als sie entstanden waren, an seiner Seele vorüber, und sein Stolz und Rachegefühl übten schnell ihre Wirkung wieder aus, und so steigerte sich sein Unmuth bei dem Gedanken, daß Sidonie nicht als demüthig Bittende, sondern im Vollgefühl ihrer Würde von ihm geschieden war. Mit einem hastig gemurmelten Wort, das wie »Närrin« klang, kehrte er in sein Wohngemach zurück, und ein ihm von dem Baron Mühlfels übergebener Brief von Marianen verschaffte ihm rasch seine gute Laune wieder. Sidonie eilte nach der Unterredung zu ihrer Tochter, die sie jetzt, trotz der nahen Trennung, mit einem freudigeren Gefühl in die Arme schloß, nachdem sie deren künftiges Geschick erfahren und überdies die Gewißheit erhalten hatte, sie für die Folge sehen und nach Belieben Nachricht von ihr erhalten zu können. Ihr däuchte nun die Trennung weniger schmerzlich. Aurelie überraschte sie dabei und theilte ihre Freude, nachdem sie den guten Erfolg der Bemühungen vernommen hatte. Ihr edles Herz wußte ja nur zu wohl, welchen großen Werth und Trost die Freundin in der ihr gewährten Begünstigung fand und daß Sidonie ohne dieselbe vielleicht in ihrem Schmerz und in ihrer Sehnsucht nach der Tochter untergegangen wäre, trotz ihres Vornehmens, sich für diese und den Grafen zu erhalten. Unter den Beschäftigungen, welche die angekündigte nahe Abreise des Kindes nothwendig machte, nahte dann die zu der Audienz bei dem Fürsten bestimmte Stunde. Durch die Unterredung mit dem Prinzen ein wenig ermuthigt, die ihre Hoffnungen hinsichts des Gelingens ihrer Absicht gehoben hatte, trat sie den Weg zu dem Fürsten an. Man führte sie zu ihm, und sie fand ihn in einem Lehnsessel ruhend, wozu ihn gichtische Schmerzen in den Füßen nöthigten. Der Fürst erwiderte ihren Gruß mit kalter Höflichkeit, welche leider sehr geeignet war, Sidoniens Fassung herab zu stimmen; dennoch gewann sie rasch die erforderliche Sammlung. »Ich habe es für meine Pflicht erachtet, Ihnen bei meinem Scheiden ein Lebewohl zu sagen,« begann sie mit bewegter Stimme, nachdem sie sich auf eine einladende Handbewegung des Fürsten in seiner Nähe niedergelassen hatte. »Ich bedaure, durch meine Leiden an Ihrem früheren Empfang verhindert worden zu sein,« bemerkte der Fürst mit einer gewissen Verlegenheit. »Um so mehr danke ich Ihnen, mir denselben heute bewilligt zu haben; es ist mir das ein Beweis, daß Sie selbst in dem Verurtheilten noch immer den Menschen berücksichtigen.« »Zweifelten Sie daran?« fragte der Fürst rasch. »Ich glaube Gründe dazu zu besitzen, denn es hat Ihnen nicht gefallen, meine Muttergefühle zu beachten.« »Die Wünsche des Prinzen waren in diesem Fall maßgebend,« fiel der Fürst etwas erregt ein. »Sie wären es gewesen, hätte der Prinz seiner Tochter seither die Liebe eines Vaters bewiesen, denn nur die Liebe und Sorge berechtigt zu dergleichen.« »Ihre Tochter wird den besten Händen anvertraut werden,« bemerkte der Fürst. »Wer vermöchte einem Kinde die Mutter zu ersetzen? Ueberdies übersah man, als diese Maßnahme beschlossen wurde, daß durch dieselbe nicht nur ich, sondern auch das Kind schmerzlich getroffen wurde.« »Dieser Vorwurf fällt auf Sie zurück, da Sie selbst die Urheberin dieses Arrangements sind.« Sidonie wurde durch diese Erinnerung schmerzlich getroffen; ihr ganzer Unmuth über die erfahrene ungerechte Strafe erwachte in ihr und drängte sie, sich dem Fürsten gegenüber geltend zu machen; doch die Liebe zu ihrem Kinde und der heiße Wunsch, sich dessen Besitz sichern zu können, ließ sie ihre Empfindungen beherrschen und nahm ihr das Wort von den Lippen. Schweigend senkte sie das Haupt. »Der über Sie gefällte Richterspruch bedingt die Trennung von Ihrer Tochter,« fügte der Fürst hinzu. »Man hätte diese Angelegenheit vielleicht in angenehmerer Weise für Sie ordnen können, würden Sie mich nicht zu einem richterlichen Entscheid genöthigt haben. Sie müssen nun auch die Folgen tragen.« »Sie verlangten also ein Bekenntniß meiner Schuld? Durch eine Unwahrheit sollte ich mich selbst verurtheilen? Wie, mein Fürst, ~das~ verlangten, erwarteten Sie von mir?« fragte Sidonie mit edlem Unwillen und fuhr nach kurzem Zögern fort: »Daß Sie das gethan haben, giebt mir den Beweis, wie wenig Sie mit meinem Charakter bekannt sind und wie fern Ihnen die Ueberzeugung lag, daß ich zur Wahrung meiner Ehre zu den höchsten Opfern bereit war. Daß diese Opfer so schmerzlich sein sollten, habe ich in dem Vertrauen zu Ihrer Gerechtigkeitsliebe freilich nicht voraus gesehen.« »Ich sehe mich außer Stande, irgend etwas für Sie zu thun,« wandte der Fürst ein. »Die Erziehung Ihrer Tochter wird überdies Ihre Ansprüche befriedigen. Die Herzogin ist eine Dame von Geist.« »Ich will es hoffen; dennoch erinnere ich Sie, daß einem Kinde die Mutter niemals ersetzt werden kann. Sie verstehen, begreifen mich vielleicht nicht, mein Fürst; denn Ihnen ist das Vatergefühl fremd, da Ihr Herz durch den Ton eines eigenen Kindes niemals ergriffen worden ist. Ich wünschte, dem wäre so, Sie würden alsdann auch die ganze Größe meines Schmerzes ermessen können, welche Sie mir durch die Trennung von meiner Tochter bereiten.« »Sie haben dies den Verhältnissen zuzuschreiben,« wandte der Fürst ein. »Ich habe mich in dieselben gefügt, ohne Klage, ohne eine Beschwerde, und ich würde meine Verbannung mit einem weniger vorwurfsvollen Gefühl hinnehmen, hätten Sie sich bewogen gefunden, meine und meiner Tochter Empfindungen und natürliche Forderungen zu berücksichtigen.« »Sie scheinen ganz zu übersehen, daß man Ihre Tochter Ihren Aufenthalt nicht theilen lassen darf; so etwas widerspräche dem Gesetz.« »O, mein Fürst, wie übel muß ein Gesetz sein, das den Forderungen der Menschlichkeit widerspricht! Wird die Ehre meiner Tochter gekränkt, indem sie die Verbannung ihrer Mutter theilt? Ich glaube nicht. Ueberdies ist es bekannt, daß das Ansehen eines Fürsten noch nie gelitten, dessen Menschlichkeit sich über das Gesetz zu stellen wagte. Die Nachwelt nannte solche Fürsten gut und edel, und so meine ich, dürfte die Wahl zwischen dem starren Gesetz und der Milde nicht eben schwer sein.« Der Fürst verrieth eine Bewegung, welche Sidoniens Worte in ihm erzeugten; ihre Haltung und die Zeichen tiefen Seelenleidens hatten überdies wie auf den Prinzen, so auch auf ihn bei ihrem Eintreten einen tiefen Eindruck hervorgerufen, und so fühlte er sich fast geneigt, auf ihre Vorstellungen einzugehen. Dies währte jedoch nur wenige Augenblicke, alsdann machte sich sogleich das Bewußtsein von der Nothwendigkeit, dem Gesetz jede wärmere Regung des Herzens zu opfern, geltend, und er entgegnete nach kurzem Ueberlegen: »Es ist die Pflicht eines jeden Regenten, die Gesetze zu achten, die er selbst gegeben hat.« »Gewiß ist dem so, mein Fürst; es ist aber auch das schöne Vorrecht der Regenten, die gegebenen Gesetze durch Menschenliebe zu mildern. Was wäre ein Fürst, der nur das verkörperte Gesetz darstellte? Dessen Sklave, weiter nichts. Sollten Sie sich nicht ein höheres Ziel gesteckt haben? Ich hoffe es.« Sidonie hätte ihre Worte nicht besser wählen können; dieselben hatten die empfindlichste Stelle in des Fürsten Herzen berührt, indem sie ihn zugleich zur Anerkennung der Wahrheit derselben zwangen. Noch weniger ahnte sie, daß noch andere Umstände die Wirkung ihrer Worte wesentlich erhöhten. Unter dem empfangenen Eindruck schaute der Fürst einige Augenblicke schweigend und gedankenvoll vor sich hin; kaum jedoch fühlte er eine Anwandlung von nachgiebiger Schwäche, so war er auch bedacht, sich in seinem Vorsatz zu behaupten, und sein kalter, berechnender Verstand wies sogleich die Anwandlungen milder Rücksicht von sich; jedoch wie es schien, nicht ohne einen kurzen, heftigen Kampf. Sidonien entging das nicht und ein beglückendes Gefühl zog in der Voraussetzung durch ihr Herz, den Fürsten für ihren Wunsch gewonnen zu haben. Sie sollte ihre Täuschung bald erkennen, denn im Begriff, dem Fürsten das Glück zu bezeichnen, das er ihr durch seine Milde schenkte, wehrte er ihrer Antwort durch eine Handbewegung und bemerkte erregt: »Kein Wort weiter über diesen Gegenstand! Ich wünsche nicht, daß diejenigen Grundsätze, nach welchen ich die Bestimmungen über Sie getroffen habe, einer weiteren Erörterung unterworfen werden. Es würde zu nichts führen. Darum bitte ich, davon abzubrechen.« Sidonie erbleichte; sie erkannte, daß sie unter diesen Verhältnissen auf nichts mehr zu hoffen hatte, da der Fürst jede weitere Bitte bestimmt ablehnte. Eine große Thräne rann über ihre bleiche Wange; der Fürst bemerkte diesen Zeugen ihres tiefen Wehes nicht, denn er hielt die Augen von ihr abgewandt, als ob er sich vor ihrem Anblick scheute. Es trat eine kurze Pause ein, alsdann bemerkte Sidonie ruhig und mit schmerzvollem Ton: »Wol fühle ich, wie wenig angenehm Ihnen meine Worte sein müssen, und ich bitte um Vergebung, wenn ich, ermuthigt durch Mutterliebe und in dem Wahn, es könnte dieselbe einen wenn auch nur schwachen Widerhall in Ihrem Herzen finden, Ihnen offen meinen Schmerz, aber auch das Glück zeigte, das mir die Gewährung meiner Bitte bereitet hätte. Doch ich will mich zufrieden geben, da Sie mich auch dazu zwingen; aber, mein Fürst, bin ich dazu auch genöthigt, so gestatten Sie mir doch, Sie zu erinnern, welchen Namen die Welt dieser Maßnahme geben wird. Denn selbst wenn mich auch die Menschen für schuldig erachteten, würden sie dennoch nimmer die Trennung von meinem einzigen Kinde billigen. Die Rechte der Mutter sind heilig, und wer dieselben in solcher Weise zu schädigen wagt, verfällt dem Urtheil der Welt.« »Sei es; ich kann dasselbe hinnehmen!« fiel der Fürst erregt ein. »Nein, mein Fürst, nein! Flüchten Sie sich nicht hinter Ihr fürstliches Ansehen; es schützt den Menschen in Ihnen nicht; nicht den ~Fürsten~, sondern ~diesen~ wird man verurtheilen. Denn über allem Glanz, über aller Macht und Gewalt der Fürsten steht der Mensch; man liebt und verehrt ~ihn~, nicht die ~kalte fürstliche Größe~!« Des Fürsten Antlitz zeigte ein bewegtes Mienenspiel, in welchem sich die widerstreitendsten Empfindungen zu erkennen gaben; sein Auge leuchtete rasch auf und verrieth eine ungewöhnliche Bewegung seines Innern. Das Alles währte jedoch nur ein paar Secunden; alsdann schien er wieder ruhig zu sein. »Haben Sie schon den Prinzen gesprochen?« fragte er. Sidonie bejahte, und er fuhr fort: »So werden Sie auch erfahren haben, daß es Ihnen unbenommen ist, Ihre Tochter für die Folge zu sehen. Isabelle wird Sie in gewissen Zeiträumen besuchen; ich werde den Befehl dazu geben.« »O, wie danke ich Ihnen, mein gnädiger Fürst!« fiel Sidonie, durch das Vernommene beglückt, in gerührtem Ton ein, und fügte alsdann nach einem raschen Entschluß flehend hinzu: »O, mein Fürst, warum wollen Sie dem edeln Zuge Ihres Herzens nicht folgen und mir Ihre ganze Gnade gewähren? O, ich lese es in Ihren Zügen, daß meine Worte einen Widerhall in Ihrem Herzen fanden; warum unterdrücken Sie so edle Regungen, um mein kummervolles Herz nicht ganz zu beglücken? Wäre es nicht ein schöner Sieg, den die Menschlichkeit über das kalte Gesetz davon trüge?« In ängstlicher Spannung, die Augen mit Thränen erfüllt, blickte Sidonie auf den Fürsten, seiner Antwort gewärtig, von der das Glück und die Ruhe ihrer Seele abhing. »Sein Sie zufrieden, Prinzessin!« fiel der Fürst ein und fügte nach kurzem Zögern hinzu: »Ich habe mehr gethan, als ich durfte; ich habe gegen meine eigene Bestimmung gehandelt. Ich habe des Prinzen Willen zu beachten und mehr als das, die Verhältnisse, welche die Trennung von Ihrer Tochter fordern. Erkennen Sie das und glauben Sie mir, daß, so hart ich Ihnen auch vielleicht erscheine, sich der Fürst oft nur auf Kosten seines Herzens behaupten kann.« Der Fürst sprach diese Worte mit einer ungewöhnlichen Milde und Bewegung, und es schien, als ob er während dessen bereits bemüht wäre, dieselbe zu verbergen. »Jetzt lassen Sie uns scheiden,« fuhr er nach kurzer Pause fort; »eine weitere Unterredung wäre fruchtlos und uns Beiden nicht angenehm.« Von seinen Worten und seinem Benehmen tief ergriffen, erhob sich Sidonie; sie erkannte, daß ihr unter den obwaltenden Umständen nichts mehr zu thun übrig blieb, und so zögerte sie nicht, seinen Wunsch zu erfüllen und ihn zu verlassen. »So leben Sie denn wohl, mein Fürst,« sprach sie voll Rührung. »Ich scheide mit dem aufrichtigen Wunsch, Sie würden bald von Ihren Leiden befreit werden. Auch danke ich Ihnen nochmals für die Beruhigung, die Ihre Güte mir gewährt hat.« »Leben Sie wohl!« entgegnete der Fürst mit einer geringen Kopfneigung gegen sie. Als sich die Thür hinter Sidonien schloß, athmete der Fürst auf und lehnte sich in den Sessel zurück, indem er auf das Geräusch des fortrollenden Wagens der Prinzessin lauschte. Seine vorher strengen Züge waren jetzt weich, sein Auge blickte mild, und er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Sinnend schaute er eine Weile vor sich hin, alsdann klingelte er, ließ sich von dem eintretenden Kammerdiener aus dem Sessel heben, und schritt unter dessen Beihilfe trotz der empfundenen Schmerzen mehrmals durch das Gemach. Er schien bewegt, und es währte eine längere Zeit, ehe seine Züge den gewöhnlich ruhigen Ausdruck wieder zeigten. Sidonie kehrte, wenngleich nicht in einer befriedigten, so doch beruhigteren Stimmung in ihr Palais zurück; sie war wenigstens um eine beglückende Hoffnung reicher, die ihr den künftigen Besuch ihres geliebten Kindes verhieß. Das ihr von dem Fürsten gezeigte Mitgefühl that ihrem Herzen wohl, und sie beklagte es um so mehr, daß die Gewalt der Verhältnisse dasselbe in solcher Weise beschränkte und ihn bewogen, sich dem Willen des Prinzen unterzuordnen. In diesem Umstande lag aber für sie die angenehme Hoffnung, es könnte der Fürst vielleicht für die Folge diese Milde wieder geltend zu machen bedacht sein und sich somit auch ihr und ihres Freundes Geschick bald günstiger gestalten. Diese Hoffnung theilte auch Aurelie, welche Sidonie mit dem Erfolg ihrer Bemühungen bekannt machte, wenngleich sie dem Fürsten zürnte, daß er sich dem Verlangen des Prinzen gefügt hatte. Doch der Mensch erträgt geduldiger das ihm auferlegte Mißgeschick, wenn seinem Herzen die Hoffnung auf ein künftiges Besserwerden schmeichelt. Ist dies doch so eigentlich der ganze Inhalt unseres Lebens; Streben und Kämpfen mit den Verhältnissen der Gegenwart in dem trügenden Hoffen, daß uns die Zukunft für die Mängel und Opfer der Gegenwart liebreicher und vollkommener durch Gewährung unserer Wünsche entschädigen wird. So eilig gingen Sidonien die letzten Stunden, welche sie noch mit ihrer Tochter verleben durfte, dahin; sie benutzte dieselben, um dieser die Nothwendigkeit ihrer Trennung erklärlich und sie zugleich auf die Bestimmung des Prinzen hinsichts ihrer Erziehung bei der Herzogin aufmerksam zu machen. Sie ermahnte sie dann, sich durch Folgsamkeit die Liebe ihrer Pflegerin zu erwerben und erinnerte sie, welche Freude sie ihr selbst dadurch bereiten würde. Sie sagte ihr, daß sie oft Briefe an sie senden würde, und sie sich daher bemühen sollte, dieselben beantworten zu können, und wie sehr sie ein jedes Wort von ihr beglücken würde. »Auch wirst Du mich öfter besuchen, meine Tochter, und wir werden alsdann wol einige Tage bei einander sein,« fuhr Sidonie fort. »Warum kann ich nicht immer wie jetzt bei =chère mama= sein?« fragte die Kleine. Wie tief und schmerzlich ergriff Sidonie diese so natürliche Frage, da sie die richtige Antwort verschweigen mußte; dieselbe berührte sie um so empfindlicher, da sie deren Wiederholung in späterer Zeit mit Bestimmtheit erwarten durfte. »Du sollst die Gründe dazu, wenn Du älter bist, erfahren,« entgegnete Sidonie, deren Vornehmen es war ihre Tochter dereinst selbst mit Alledem bekannt zu machen, wodurch ihr trauriges Geschick hervorgerufen worden war. In solchem und ähnlichem Zwiegespräch verweilten Mutter und Tochter so lange bei einander, bis das Kind sich zur Ruhe begab. Alsdann fertigte Sidonie einen Brief an die Herzogin Karoline, in welchem sie dieser mit der ganzen Wärme ihres Muttergefühls ihre Tochter empfahl, ihr das Vertrauen zu erkennen gab, welches sie zu ihrem edeln Sinn hegte, und sie eindringlich bat, ihr die Liebe des Kindes zu erhalten. Es war bereits über die Mitternacht hinaus, als sie diesen für sie so wichtigen Brief vollendete; alsdann begab sie sich an das Lager ihres Kindes und erfreute sich an dessen süßem Schlummer, und erst gegen Morgen suchte sie selbst Ruhe, um sich für die Reise zu kräftigen. Ach, so früh kam der Morgen, nahte die Stunde der Trennung von ihrem Kinde. Das Geräusch des heranrollenden Wagens, der ihre Tochter aufnehmen sollte, durchzitterte ihre Seele und sie bedurfte ihrer ganzen Fassung, um dem Augenblick nicht zu erliegen. Bald darauf erschien die Hofmeisterin Isabellens, welche diese zu der Herzogin begleiten und fortan bei ihr bleiben sollte. Sidonie hatte bereits am vergangenen Tage eine eben so ernste als eingehende Unterredung hinsichts ihrer Tochter mit dieser gehabt und wiederholte daher nur noch einen und den andern Wunsch. Alsdann drückte sie das geliebte Kind noch einmal voll Zärtlichkeit an sich und bedeckte das Lockenhaupt mit vielen Küssen. Weinend schlang Isabelle die Arme um ihren Hals, wollte nicht von ihr lassen und verlangte bei ihr zu bleiben; ein tief ergreifender Anblick, der in den Augen aller Anwesenden Thränen lockte. Doch es mußte geschieden sein, und so riß sich Sidonie gewaltsam von der Tochter los, übergab sie der Hofmeisterin, die mit ihr davon eilte, und sank alsdann, von Schmerz überwunden, in den Sessel. Wenige Augenblicke darauf eilte der Wagen davon und entführte die Geliebte. Als Sidonie wieder zum Bewußtsein gelangte, war es um sie einsam und still. Längst war das Rollen des forteilenden Wagens vertönt. »Sie ist dahin!« sprach sie unter einem heftigen Thränenstrom leise. Aber wenn sie auch die Umarmung ihres Kindes entbehren mußte, umschlossen sie dagegen jetzt die Arme edelster Freundschaft; Aurelie schloß sie an die Brust. Hier fand sie wieder Fassung und Muth, und fühlte sich nun nicht mehr verlassen und einsam. Kaum hatte sie ihren Schmerz übermannt, so ergriff sie auch das heftigste Verlangen, so rasch als möglich das Palais zu verlassen. Fast gewaltsam erhob sie sich, indem sie mit ängstlicher Stimme bemerkte: »Lass' uns eilen, Aurelie! Es ist unheimlich hier, hier, an der Stätte meiner Leiden. In der freien Natur wird mir wohler werden. Nur schnell, schnell fort aus diesen schauerlichen Räumen!« Der Wagen harrte ihrer bereits. Schnell war die Toilette geordnet und eben so eilig verließ sie mit Aurelien das Gemach. Keinen Blick wandte sie hinter sich, sondern schritt rasch nach dem Saal, in welchem ihre ehemaligen Hofdamen und sonstige Beamte, Diener und Dienerinnen sie erwarteten, um ihre Herrin noch beim Scheiden zu begrüßen. Sie reichte Niemandem die Hand; denn sie glaubte sich dessen als Verurtheilte enthalten zu müssen; aber es bedurfte dessen nicht, denn man umringte sie und küßte ihr freiwillig die Hände. Sie vermochte nicht zu sprechen; bebend drängte sie dem Ausgange zu; ehe sie jedoch hinaus schritt, wandte sie sich nach Allen zurück, grüßte wiederholt mit Freundlichkeit, und stieg alsdann mit Hilfe des Kammerherrn in den Wagen. Aurelie folgte ihr. In der Ferne stand schweigend und mit entblößten Häuptern die schaulustige Menge, denn Sidoniens Abreise war bekannt geworden. Unter derselben befanden sich einige niedere Hofbeamte; nur war keiner darunter, der in des Prinzen Diensten stand. Die Baronin Mühlfels hatte es nicht versäumt, sich den Anblick von Sidoniens Abreise zu verschaffen, und sich darum zu der ihr befreundeten Hofdame im Palais begeben, mit welcher sie von einer verborgenen Stelle des Zimmers aus die tugendstolze, von ihr tief gehaßte Prinzessin beobachtete. Das kummervolle Antlitz und das vom Weinen geröthete Auge derselben thaten ihrem Herzen wohl. »Es ist ihr recht geschehen,« meinte sie, und die Freundin stimmte dieser Ansicht bei. »Sie hat es schon um Ihren Sohn verdient,« meinte die Hofdame. »Gewiß, gewiß! Und ich denke, man wird nun auch wieder zu seinen vollen Würden kommen,« sprach die Baronin. »Der Prinz vermählt sich wahrscheinlich bald, und da kann Ihnen die Oberhofmeisterin-Stelle nicht fehlen.« »Und dann werde ich auch auf meine Freundin bedacht sein,« fiel die Baronin äußerst lieblich ein. Ihre Bemerkungen wurden hier unterbrochen, da sich auf Sidoniens Wink der Wagen in Bewegung setzte und rasch fort rollte. »Adieu, keusche Susanne!« rief die Baronin ihr höhnisch nach. Die Menge verhielt sich still und zerstreute sich eben so still; doch wurde manches bedauernde Wort, jedoch nur leise gesprochen, vernommen. Mancher zuckte die Achseln und schwieg. Die Wenigsten glaubten an Sidoniens Schuld. Die Mienen Aller zeigten Ernst und Betrübniß; Einer nur schaute dem fortrollenden Wagen aus den Gemächern des Prinzen mit schadenfrohem Lächeln nach; es war dies Mühlfels, der sich nach einem abgelegenen Zimmer daselbst begeben hatte, um gleich seiner Mutter Zeuge von Sidoniens Abreise zu sein. Der Prinz befand sich nicht in dem Palais; er war absichtlich für mehre Tage verreist. Als der Wagen den Augen des Barons entschwand, erhob er sich voll Befriedigung und murmelte vor sich hin: »Ich bin gerächt!« Neuntes Kapitel. Obwol, wie wir erfahren haben, Sidonie ein fast zurückgezogenes Leben am Hofe geführt hatte, so waren doch sehr Viele, namentlich die Damen, durch die von ihr erhobenen Ansprüche an Sittlichkeit und Einfachheit über die Maßen unangenehm berührt und beengt worden. So konnte es denn nicht fehlen, daß man namentlich in jenen Kreisen ihre Verbannung nicht nur mit geheimer Freude aufnahm, sondern diese Maßnahme auch um so offener billigte, da man dem Fürsten und Prinzen dadurch eine Huldigung darzubringen für gut fand. Daß man wirklich an Sidoniens Schuld glaubte, kann nicht überraschen; wie konnte sie besser sein, als Alle. Sie hatte ihre Rolle nur schlecht gespielt. Doch das erachtete man im Hinblick auf das eigene Interesse für nebensächlich; war doch das ziemlich allgemeine Verlangen erfüllt und eine Person von so maßgebender Wichtigkeit endlich ihres Einflusses beraubt worden. Das war die Hauptsache. Denn man sagte sich, daß, wenn die so glücklichen Umstände, welche Sidoniens Verbannung herbei geführt hatten, nicht eingetreten wären und sie früher oder später ihre Macht als Regentin hätte ausüben können, statt des gegenwärtigen genußvollen Lebens ein langweiliger Tugendzwang und ein klösterlicher Ernst bei Hofe eingeführt worden sein würden. Und so gönnte man ihr von Herzen die Verbannung. Daß der Prinz bei seiner neuen Vermählung in der Wahl einer Gattin vorsichtiger sein würde, war man durchaus überzeugt, und dadurch jeder Sorge für die Zukunft überhoben, wogte das lustige und zügellose Leben mit um so größerer Gewalt auf, worin man sich zu überbieten und in dessen Strudel man den Prinzen hinein zu ziehen bedacht war. Nur ein Theil des höheren Adels, der dem Grafen Römer anhing, protestirte ziemlich offen gegen die hinsichts des Letzteren ausgeübte Maßnahme und nahm keinen Anstand, selbst die Verbannung Sidoniens als ungerecht und Beide als die Opfer einer wohl berechneten Intrigue zu bezeichnen. Viele zogen sich von dem Hofe zurück, wozu der nahende Lenz eine sehr passende Gelegenheit darbot; Viele auch, denen dies nicht gestattet war, mieden es, an dem Hofe zu erscheinen. Der Fürst, mit Alledem vertraut, setzte ihnen sein ganzes oberherrliches Ansehen entgegen und sah sich dadurch sogar veranlaßt, gegen Römer mit größerer Strenge zu verfahren, als dies unter entgegengesetzten Umständen geschehen wäre. Und sein Verhalten erzielte in Verbindung mit der Alles ausgleichenden Zeit und Gewöhnung die erwünschte Wirkung. Sidonie war in wenigen Wochen, wenigstens in der Residenz, vergessen, und der Adel murrte zwar, begnügte sich jedoch damit, da die früheren Schritte bei dem Fürsten in Römer's Interesse fruchtlos gewesen waren. Ja, des Fürsten beharrliches Verhalten führte sogar noch den übeln Erfolg herbei, daß man selbst in diesen Kreisen allmälig den Glauben an Römer's Schuld gewann und sich mit demselben das Interesse für ihn minderte. Auch dieser Umstand entging dem Fürsten nicht und er wurde dadurch sehr befriedigt. Trotzdem erachtete er es für vortheilhaft, durch eine baldige Vermählung des Prinzen die stattgefundenen Vorfälle rasch der Vergessenheit zu übergeben, und Boisière wurde darum beauftragt, einige Höfe in diesem Interesse zu besuchen. Daß der Kammerherr dieses Mal mit der höchsten Vorsicht zu Werke ging, darf kaum bemerkt werden; dennoch gelang es ihm in kurzer Zeit, sich seines Auftrages in der erwünschtesten Weise zu entledigen, und bald verbreitete sich die Nachricht von der Neuvermählung des Prinzen und nahm namentlich bei Hofe das allgemeinste Interesse in Anspruch. Wir wissen, daß der Prinz sich schon früher mit einer Vermählung einverstanden erklärt hatte, und er wandte gegen dieselbe um so weniger etwas ein, da ihm seine künftige Gemahlin in jeder Hinsicht zusagte und er vor allen Dingen von dieser eine Mißbilligung seiner Liaison mit Marianen nicht zu fürchten hatte. Dieser Umstand war ihm gerade jetzt von Wichtigkeit. Mariane hatte nämlich seinen Vorschlag hinsichts einer Vermählung mit dem ihr empfohlenen Gemahl entschieden abgelehnt und verlangt, in ihrer Villa zu wohnen, in Folge dessen sich der Prinz bewogen fand, ihr die Rückkehr nach seiner erfolgten Vermählung in Aussicht zu stellen. Damit gab sich das Mädchen zufrieden, überzeugt, daß nun auch einst ihre ehrgeizigen Wünsche erfüllt werden würden. Dem Prinzen hatte ihre Weigerung, sich zu vermählen, gefallen, dieselbe steigerte zugleich sein Verlangen, sich bald ihrer Nähe wieder erfreuen zu können, und so war er bedacht, seine Vermählung zu beeilen. Kaum einen Monat nach derselben begrüßte er die Geliebte in der jetzt mit großer Pracht ausgestatteten Villa. Trotz des Besitzes einer neuen Gattin fühlte sich der Prinz durch Mariane im höchsten Grade entzückt, da sie ihm noch vielfach reizender als früher erschien, indem sie die gewonnene geistige Ausbildung sehr vortheilhaft zu benutzen verstand. Wenige Wochen des Umgangs mit ihr reichten hin, ihn ihrer Herrschaft ganz und gar unterzuordnen; denn das Mädchen hatte sich nicht nur körperlich ausgebildet, sondern auch alle diejenigen Künste angeeignet, welche dem Prinzen ganz besonders gefielen und ihr einen leichten Sieg über den Schwächling und Sinnenmenschen gaben. Da die Gemahlin des Letzteren die Liaison ihres Gatten nicht beachtete, so übersah auch der Fürst dieselbe, durch das eheliche Verhältniß seines Neffen durchaus zufrieden gestellt. Daß Mühlfels fortan in noch erhöhterem Maß des Prinzen Freundschaft genoß, darf kaum bemerkt werden; der Fürst verlieh ihm zwar einen höheren Militärrang, suchte ihn jedoch von sich fern zu halten und beehrte ihn niemals durch eine Ansprache. Er überließ es seinem Neffen, sich dereinst mit dem Baron abzufinden, was auch später in der glänzendsten Weise geschah. Nicht minder gütig erwies sich der Prinz gegen die Baronin, die er zur Oberhofmeisterin seiner neuen Gemahlin erhob. Zugleich trat die Baronin in ein vertrauliches Verhältniß zu Marianen, was der Prinz wünschte und wofür er sich allezeit sehr dankbar zeigte. So erntete diese Dame den ihr gebührenden Lohn im vollsten Maß. * * * * * Wir kehren jetzt zu Sidonien zurück. Sie hatte sich in ihrer Erwartung nicht getäuscht. Kaum lag das Palais und die Residenz hinter ihr, so athmete sie beruhigter und freier auf. Mit Wonne sog sie die linden Frühlingslüfte ein, welche zu ihr drangen. Vor Allem war es das Gefühl der Freiheit, das sie mit wunderbarer Kraft durchdrang. Den ganzen Schmutz der Gemeinheit und Unsittlichkeit, der seit Jahren ihre Seele verletzte, ließ sie hinter sich und badete diese jetzt in dem reinen Aether der göttlichen Natur. Das erhob, beseligte ihr Herz, das ließ sie die Trennung von ihrem geliebten Kinde weniger schmerzlich empfinden. Um wie vieles glücklicher würde sie sich gefühlt haben, hätte das Geräusch eines nachrollenden Wagens sie nicht erinnert, daß ihre Freiheit durch die ihr mitgegebenen Damen getrübt wurde und sie sich nicht dem ganzen Vollgenuß derselben hingeben durfte. Wäre sie nur mit Aurelien allein gewesen, so würde sie sich ganz befriedigt gefühlt haben. Doch sie wurde durch die Fahrt so sehr in Anspruch genommen, daß sie diesen Umstand nicht weiter erwog. Der Tag war schön; die Sonne leuchtete, die ersten Lerchen ließen ihren Gesang ertönen, und die dunkeln Wälder färbte bereits ein grüner Knospenschimmer. Das Alles that ihrem armen Herzen so wohl. Auf ihren Wunsch wurde die Fahrt beeilt; kaum gönnte sie sich die so nothwendige Erholung, und schnell wurde Meile auf Meile zurückgelegt. Dennoch war es fast Mitternacht geworden, als sie das Schloß erreichte, woselbst man ihrer Ankunft entgegen harrte. Das alterthümliche, von der Dunkelheit umhüllte Gebäude erschreckte sie; es erschien ihr mit seinen Thürmen wie ein Gefängniß, wenngleich ihm die einschließenden Mauern fehlten. Sie hatte es sich freundlicher in der waldigen Umgebung gedacht, und nur zögernd und scheu betrat sie die kühlen und feuchten Bogengänge, um nach ihren Gemächern zu gelangen. Dieser Eindruck war jedoch ein vorübergehender, und an seine Stelle trat die Erinnerung, daß ihr Freund wol kaum behaglichere Räume bewohnte, und es gewährte ihrem edeln Herzen eine angenehme Beruhigung, sich nicht allzu großer Bequemlichkeiten erfreuen zu dürfen. Sie theilte diese Gedanken der Freundin mit, und Aurelie war erfreut, Sidonie in so gefaßter Stimmung zu sehen, da sie selbst durch den neuen Aufenthaltsort, der ihnen vielleicht für lange Zeit dienen sollte, wenig angenehm berührt worden war. Sie umarmte die Prinzessin voll Innigkeit und gefeuchtetem Auge. »Fürchte nichts, gute Aurelie. Ich hoffe, wir werden uns bald an die düsteren Räume gewöhnen, besonders wenn der Lenz sie mit seinen Reizen ausstattet, was ja nicht mehr lange währen kann,« bemerkte Sidonie fast heiter und fuhr alsdann fort: »Bei dem ersten hellen Tage wollen wir uns unsern neuen Wohnsitz und seine Umgebung genau betrachten, und ich denke, unseren Bemühungen soll es gelingen, denselben heiterer und freundlicher zu gestalten.« Aurelie ging mit der ihr so eigenthümlichen Güte sogleich auf die Stimmung und Gedanken der Freundin ein, und während sie das Abendessen einnahmen, entwarfen sie einen Lebensplan für die Folgezeit, nach welchem sie die Stunden einzutheilen gedachten, um sich den Aufenthalt angenehm zu machen. Die Ermüdung nöthigte sie jedoch bald, die Ruhe zu suchen, der sie so sehr bedurften. Es war eine ganz besondere Ironie des Zufalls, daß der Fürst dasjenige Schloß zu Sidoniens Aufenthalt bestimmt hatte, aus welchem Mariane hervor gegangen war. Ihm war dies unbekannt und ihn hatten zu dieser Wahl besondere Umstände bestimmt. Das Schloß lag nämlich, wie wir wissen, eine bedeutende Strecke von der Residenz entfernt, was ihm besonders lieb war, um ein mögliches Berühren mit Sidonien zu vermeiden; dann aber war es auch das einzige, was sich zu dem bezeichneten Zweck eignete, da die vorhandenen Lustschlösser benutzt wurden und auch der Residenz viel zu nahe lagen. Vielleicht würde der Fürst zu einer andern Wahl bestimmt worden sein, hätte er jenen Umstand hinsichts Marianen gekannt oder ihn der Prinz darauf etwa aufmerksam gemacht. Dieser besaß jedoch viel zu wenig Zartgefühl, um auf den Gedanken geleitet zu werden, daß Sidonie durch die getroffene Bestimmung verletzt werden könnte. Dergleichen lag ihm fern. Sidonie selbst war gleich dem Fürsten mit dem zwischen ihrem neuen Aufenthaltsort und Marianen bestehenden Beziehungen eben so wenig vertraut, und unterwarf sich darum ohne jedes Bedenken einer Anordnung, die ihren heißen Wunsch erfüllte und sie von der Residenz fast gänzlich abschloß. Als sie nach einer unruhigen Nacht erwachte, begrüßte sie kein sonniger Tag, sondern ein trüber, nebliger Morgen, der wenig zur Erheiterung ihrer trauernden Seele geeignet war. Dennoch ließ sie sich dadurch nicht abhalten, wenigstens die Räume des Schlosses zu besuchen, und entdeckte dabei zu ihrer Freude, daß dasselbe außer den düsteren, noch mehre wohnlichere Gemächer enthielt. Als dann die Tage freundlicher wurden, nahm sie den Garten und die Umgebung des Schlosses in Augenschein, und es gewährte ihr eine angenehme Ueberraschung, die letztere mit vielen landschaftlichen Reizen ausgestattet zu finden und zu erkennen, daß der erstere mit Anwendung von nicht bedeutenden Kosten geordnet und verschönt werden konnte. Es bot sich also für sie ein Feld angenehmer Thätigkeit dar, die ihr unter den obwaltenden Verhältnissen doppelt erwünscht war. Sie gab daher sofort die erforderlichen Befehle, und bald belebte sich die Nähe des Schlosses mit Leuten, deren Arbeiten sie fortan ihr ganzes Interesse schenkte. Und je näher der Frühling rückte, je mehr seine Reize sich auf den Fluren und in den Wäldern geltend machten, um so weniger düster und unbehaglich erschien ihr der neue Aufenthaltsort. Bald erschlossen sich Blumen aller Art in dem zierlich geordneten Garten, und ganz besonders prangte der daran grenzende Obstgarten in dem reichsten Blüthenschmuck, und mit ihnen erwachte ein regeres Leben in der Natur, in dem sich Sidonie wohl fühlte. Auch ihren Wohngemächern hatte sie mancherlei Verschönerungen angedeihen lassen und dieselben so gewählt, daß sie die Fernsicht nach dem See bequem genießen konnte. Lectüre und Musik, kleine Ausflüge in die Umgegend, namentlich nach dem tief im Walde gelegenen Forsthause, gaben angenehme Zerstreuung und wehrten dem freilich unablässigen Sehnen nach ihrer Tochter und dem Freunde. Aber auch in dieser Beziehung blieb Sidonie nicht ohne Trost. Denn sie empfing bald eine höfliche und tröstliche Antwort von der Herzogin, später auch ab und zu einige Zeilen von der Hand ihrer Tochter, die ihr Herz mit Wonne erfüllten. Was sie jedoch ganz besonders beglückte, war eine Mittheilung von der Gräfin Römer an Aurelie, welche die Nachricht enthielt, daß der Fürst ihrem Sohn endlich sowol den brieflichen als den persönlichen Verkehr mit der Außenwelt gestattet hätte, ohne daß derselbe wie früher der Aufsicht des Commandanten unterlag. Sie hatte in Folge dessen seinen Aufenthalt erfahren, war jedoch leider durch körperliche Schwäche verhindert, ihn zu besuchen, und mußte sich daher mit brieflichen Mittheilungen begnügen. Der Graf hatte ihr eine genaue Schilderung seines bisher geführten Lebens gegeben, woraus sie entnehmen konnte, daß seine Gesundheit nicht zu sehr gelitten, er sich mit Geduld in seine Lage gefügt hatte und in dem Bewußtsein seiner Schuldlosigkeit so wie in seinen wissenschaftlichen Arbeiten Trost und Unterhaltung fand. In der Voraussetzung, daß ihres Sohnes Brief Sidonien und Aurelien viele Freude bereiten würde, hatte sie denselben ihrem Schreiben beigelegt, und es darf kaum bemerkt werden, wie sehr sich die erstere bestätigte. Welche wehmüthige Freude erregten die geliebten Worte in Sidoniens Herzen; wie viele Mal las sie dieselben und wie manche Thräne fiel auf sie hernieder. Aurelie beeilte sich, der Gräfin eine eben so genaue Schilderung von Allem, was sie und Sidonie betroffen, zu machen, welcher diese einige freundliche Worte in der nahe liegenden Voraussetzung beifügte, daß die letzteren zu dem Freunde gelangen und sein Herz erfreuen würden. Und so war es auch, und wir brauchen kaum zu erwähnen, daß der Graf dieselben mit nicht minder warmen Empfindungen begrüßte, wie dies bei Sidonien der Fall gewesen war. In solcher Weise knüpfte sich bald ein schriftlicher Verkehr zwischen den Liebenden an, aus welchem sie Trost und Muth schöpften, wenngleich er freilich auch die Sehnsucht nach Freiheit steigerte, um einander für immer anzugehören. Aber sie waren durch die Umstände gezwungen, ihre Wünsche in sich zu verschließen, ja sie erachteten es sogar für besser, sich nicht durch directe briefliche Mittheilungen zu erfreuen und begnügten sich daher mit dem Gebotenen. Doch sie unterwarfen sich dem Allen mit jener Kraft, welche das Bewußtsein treuer Liebe verleiht; auch fern von einander verkehrten ja ihre Seelen in Innigkeit und in der süßen Hoffnung, daß ihrer eine frohe Zukunft harrte. So gingen Sidonien die Tage dahin; zwar einförmig, aber doch nicht ohne Trost. Von Seiten des Hofes wurde sie in keiner Weise beunruhigt; doch drang die Nachricht von des Prinzen neuer Vermählung in ihre Einsamkeit. Sie freute sich derselben, da dadurch, wie sie wußte, des Fürsten Wunsch erfüllt wurde. Sonst vernahm sie nichts vom Hofe und seinem Treiben, auch suchte sie Niemand auf, und so sah sie ihr Verlangen befriedigt; sie war vergessen, vergessen in ihrer Abgeschiedenheit, die ihr im Verhältniß zu ihrem früheren Leben tausendfach angenehmer erschien. Und es kamen während des Sommers auch manche schöne Festtage, die ihr durch den Besuch ihres geliebten Kindes bereitet wurden, das oft eine ganze Woche bei ihr verweilte und an dessen herrlicher Entwicklung sich ihr Mutterherz erfreute. Dann aber nahte der Herbst, der Winter mit seiner Oede und Einsamkeit, mit seinem Schnee, der alle so lieb gewonnenen Reize der Natur verhüllte und sie in das jetzt wieder düsterer blickende Schloß bannte und oft Wochen lang an dem Genuß der frischen Luft verhinderte. Da wurde ihr das Herz denn oft recht schwer, und trotz aller Beschäftigung würde sie ohne Aureliens Nähe ihre Lage kaum oder doch nur sehr schwer ertragen haben. Diese edle Natur entfaltete jetzt alle ihre Seelenvorzüge in dem höchsten Grade, indem sie mit der nur ihr eigenen Selbstverläugnung ganz und gar in der Freundin aufging, unablässig bemüht, die Tage derselben erträglich zu machen. An ihr richtete sich Sidoniens gebeugte Seele schnell wieder auf, und die trüben, regnerischen Tage, der das Schloß durchheulende Wintersturm erschienen ihr alsdann nicht mehr so beängstigend und unerträglich. Aber der Winter war so lang, der Frühling zögerte mit seinem Wiederkommen, und wie viele Stunden zählte ein Tag, eine Nacht. -- Aber trotz des Zögerns erschien der Lenz dennoch endlich und brachte auch Sidonien neue Freuden und die Gewißheit, nach so langem Entbehren auch ihre Tochter wieder an das Herz drücken zu können. Denn während der rauhen Jahreszeit war dem Kinde der Besuch nicht gestattet worden und Sidonie hatte sich auf briefliche Mittheilungen beschränken müssen. Trotz ihres Kummers und dieser schmerzlichen Entbehrungen übersah Sidonie die ihr gebotene Gelegenheit nicht, die Pflichten der Menschenliebe zu üben, wozu sie überdies ihr gütiges Herz nöthigte, und oft suchte sie in Aureliens Begleitung die Stätte des Leidens auf, und ihr mildes, freundliches Wort, die so reich gestattete Hilfe hatten sie bald zu einem vergötterten Liebling in der Gegend erhoben. Vertrauend eilten die Bedrängten zu ihr und gingen stets getröstet von dannen, und wo sie erschien, in den nahe gelegenen Dörfern und Flecken, so wie in dem Schloß selbst, segneten viele Herzen die edle, unglückliche Frau, an deren Vergehen Niemand glaubte. Und dem zweiten Sommer folgte wieder Herbst und Winter und diesem wieder der Lenz, ohne daß sich Sidoniens noch des Grafen Lage in irgend welcher Beziehung änderte. Sie sah sich in den hinsichts ihrer Freilassung gehegten Hoffnungen leider getäuscht, denn der Fürst hatte ihr bisher durch kein Zeichen zu erkennen gegeben, daß er sich dazu etwa geneigt fühlte, und sie war weit entfernt, sich in irgend welcher Weise darum zu bemühen. Da kam die Nachricht von der Geburt eines Erbprinzen zu ihr, und sie hoffte, daß dieser Umstand den Fürsten etwa veranlassen würde, ihrer und ihres Freundes in Güte zu gedenken. Leider täuschte sie sich auch jetzt; man hatte sie vergessen oder erachtete sie der Begnadigung nicht für würdig. Wie werthlos wäre ihr auch diese gewesen, wenn dieselbe nicht auch diejenige des Grafen in sich schloß; denn es hätte ihrem Gefühl widerstrebt, sich der Freiheit allein zu erfreuen. So lange er litt, wollte auch sie mit ihm leiden. Von Seiten des Grafen war eben so wenig irgend etwas zu seiner Befreiung gethan worden; sein Stolz hatte jeden Vorschlag seiner Freunde in dieser Beziehung bestimmt zurück gewiesen, da er sich berechtigt fühlte, nicht zu bitten, sondern Genugthuung zu fordern. So ertrug er die ungerechte Strafe mit Würde und ohne Klage, und nur der Gedanke, wie viel Sidonie leiden mußte, entmuthigte ihn bisweilen so sehr, daß er darunter auch körperlich litt. Zwei lange Jahre waren ihm und Sidonien in der bezeichneten Weise dahin gegangen; Beide hatten bereits alle Hoffnung, die Freiheit endlich zu erlangen, aufgegeben und sahen daher der Zukunft mit um schmerzlicherer Resignation entgegen, da der Spätherbst sich bereits geltend machte und sie an den nahenden traurigen Winter mahnte. Besonders war dies in Bezug auf Sidonie der Fall. Was ihrem Aufenthalt Reiz und Annehmlichkeit verlieh, war dahin. Ueberall Oede, Einsamkeit, welke, fallende Blätter, dürre Zweige, leere Felder und gebräunte Wiesen, auf welche ein trüber, wolkiger Himmel schaute, der Allem den letzten Farbenreiz stahl. Und wie der Natur diesen, so stahl er auch dem Herzen die Freude und Lust am Leben. Sidonie war ausgefahren und kehrte gegen Abend unter strömendem Regen in Begleitung Aureliens von dem nahe gelegenen Dorf zurück, wohin sie sich, um wie gewöhnlich zu trösten und zu helfen, begeben hatte. Bei der Hinfahrt war das Wetter gut gewesen, auf dem Rückwege jedoch wurde sie von dem Unwetter überrascht, das die Herbststürme rasch herbei geführt hatten. Ueber das Schloß hin rauschte der Sturm, von seinem Dach strömte der Regen, und die Dämmerung, in welche das Gebäude gehüllt war, ließ dieses noch unheimlicher als gewöhnlich erscheinen. Von der Kälte durchschauert, eilten die Freundinnen in das Wohngemach der Prinzessin, woselbst ein wärmendes Feuer in dem Kamin brannte. Sie erquickten sich an demselben, ohne daß jedoch eine freundlichere Stimmung über sie kommen wollte. Selbst die treue Aurelie unterlag an dem heutigen Abend den Einflüssen des Unwetters, das im Lauf der Zeit immer heftiger und beängstigender wurde. Eine kurze Zeit saßen die Freundinnen schweigend bei einander, alsdann ergriff Sidonie das Wort. »Wie der Sturm tobt, die Wälder rauschen und der Regen die Mauern peitscht!« sprach sie aufhorchend. »Der Winter kündet uns sein Nahen an,« bemerkte Aurelie, sich fester in ihren Shawl hüllend. »So werden wir denn bald den dritten hier erleben müssen,« bemerkte Sidonie betrübt. »O, daß Du mit mir leidest, schmerzt mich tief!« fügte sie bewegt hinzu. »Denke nicht an mich, meine Gute! Was gelten die kleinen Entbehrungen, die mir hier fühlbar werden, gegen das Dir auferlegte Leid? O, glaube mir, ich ertrage unsere Abgeschiedenheit in dem Bewußtsein, diese mit Dir zu theilen und durch meine Gegenwart sie Dir weniger fühlbar zu machen, mit Freuden.« »Ich weiß es, aber um so lebhafter ist auch der Wunsch in mir, Dich in glücklichen Verhältnissen zu sehen.« »Was willst Du, meine theure Freundin? Ist mein Leben nicht ein befriedigendes, da ich einem so guten Zweck dienen kann: den schuldlos Leidenden beizustehen und sie in ihrem Kummer zu trösten?« »O wäre es mir doch einst vergönnt, Dir Deine treue Liebe vergelten zu können!« »Sei überzeugt, daß mit der glücklichen Gestaltung Deiner Verhältnisse auch mein Leben an Freuden gewinnt. Das Schicksal hat unsere Herzen ja so eng verkettet, daß wir kein getrenntes Glück kennen. Und ich hoffe, es werden auch uns einst freundlichere Tage kommen; der Fürst muß früher oder später zu der Einsicht gelangen, wie unrecht er Dir gethan hat.« Sidonie schüttelte verneinend das Haupt. »Ich hoffe das nicht mehr. Alle seine Wünsche sind erfüllt worden, und dennoch hat er meiner und des Grafen nicht gedacht. O, ich habe ihn nicht für so hart gehalten; die letzte Unterredung mit ihm ließ mich mit ziemlicher Bestimmtheit auf seine Milde hoffen.« Sidonie fuhr auf und schmiegte sich an Aurelie. Ein heftiger Windstoß durchfuhr das Schloß und zog heulend durch den Kamin; die Wetterfahnen kreischten, der Regen prasselte gegen die Fenster, an welchen sich die Vorhänge hin und her bewegten. Aengstlich lauschten die Freundinnen dem Toben, das nach wenigen Augenblicken geringer wurde. Im Begriff, das Gespräch fortzusetzen, vernahmen sie bei der eingetretenen Stille Hufschläge und Menschenstimmen vor dem Schloß. Es schienen Reiter angelangt zu sein, die Aufnahme begehrten. Diese Voraussetzung bestätigte sich, denn bald darauf berichtete der herbei gerufene Diener, daß die beiden Förster aus dem Waldhause eine wichtige Nachricht überbracht hätten. Sidonie, dadurch beunruhigt, sandte den Diener sogleich ab, um sich darüber aufklären zu lassen; statt seiner erschien jedoch die Oberhofmeisterin nach kurzer Zeit und berichtete der Prinzessin, daß die Förster in dem nahen Flecken die Nachricht von dem erfolgten Tode des Fürsten erfahren und in Folge dessen es für ihre Pflicht erachtet hätten, dieselbe trotz des Unwetters der Prinzessin zu überbringen. »Der Fürst gestorben?!« rief Sidonie erschreckt und fügte alsdann trostlos hinzu: »O, nun ist jede Hoffnung auf Freiheit verloren!« Aurelie wagte ihr nicht zu widersprechen, denn auch sie erhoffte die baldigen Befreiung der Prinzessin lediglich von dem Fürsten, da von dem Prinzen keine Rücksicht zu erwarten war. Im Gegentheil konnte man bei dessen gegen Sidonie gehegten Haß und seiner Neigung, den Einflüsterungen ihrer Feinde ein offenes Ohr zu schenken, nur Uebles von ihm erwarten. »Du siehst, meine Freundin, wie wenig begründet unsere Hoffnungen waren. Mag denn kommen, was will; ich bin auf Alles gefaßt,« sprach Sidonie, als die Freundinnen wieder allein waren. »O, mein armer, unglücklicher Freund!« fügte sie in der Erinnerung, daß auch für diesen nun jede Aussicht auf Erlösung geschwunden sei, hinzu. Statt jeder Antwort umarmte Aurelie die Freundin mit feuchtem Auge. »Noch ein langer Winter, und nach diesem vielleicht noch einer und noch einer und so fort, bis das Leben abgeblüht ist!« fuhr Sidonie in tiefer Bewegung fort. »O, es gehört in der That Muth dazu, diesen Gedanken im Hinblick auf meine Lieben, die mit mir leiden, auszudenken. O, vergieb, Du Theure, vergieb, wenn sich mein so tief verletztes Herz nicht zu einer Bitte an den Urheber meiner Leiden erniedrigen kann. Ich vermag es nicht, und sollte ich auch einsam und verlassen meine Lebenstage hier beschließen müssen. Nur der Schuldbewußte bittet, der Unschuldige hat ein Recht zu seinem Stolz, und diesen will ich mir bewahren, so lange ich athme und so Uebles mir auch noch zugedacht sein sollte!« »Und so soll es auch sein und bleiben!« fiel Aurelie gefaßt ein. »Deine Ehre steht mir höher als meine Freiheit. Und hat unser Aufenthalt trotz seiner Abgeschiedenheit nicht auch seine Reize? Gewiß. Wir haben sie gekostet und werden sie auch fernerhin kosten. O, ich denke, wir könnten nirgends heimischer und ungestörter leben, als hier, wohin kein Ton der falschen Welt dringt und wir uns im schönen Verein selbst leben können!« »Du hast Recht, meine Freundin, und ich ertrage meine Lage nur darum weniger ruhig, da mir das Loos meiner Freunde nicht gleichgiltig sein darf. O, ich danke Dir, meine Aurelie, für Deine treue Liebe; sie wird mich standhafter machen, das Künftige zu ertragen. -- Und der Fürst gestorben -- --« fuhr Sidonie fort. »Ich hätte ihm zum Wohl des Landes ein längeres Leben gewünscht. Ich fürchte, es werden für dieses üble Zeiten kommen, denn der Prinz wird seinen Leidenschaften rücksichtslos die Zügel schießen lassen und so das Verderben des Volkes herbei führen; schütze es der Himmel!« Das Brausen des Sturmes ließ sie verstummen. »Lass' uns die Gedanken auf angenehmere Dinge richten, um die traurige Stunde leichter zu ertragen. Setze den Stürmen die Töne Deiner Harfe entgegen, vielleicht gelingt es diesen, das Unwetter zu beschwören,« sprach Aurelie in der wohlmeinenden Absicht, die Freundin zu beruhigen. »Ein guter Vorschlag, den ich sogleich befolgen will,« entgegnete Sidonie, griff alsdann in die Saiten und spielte, während die Windstöße das Schloß durchbrausten, das Lieblingslied des Grafen. Und je länger sie spielte, sich in allerlei Phantasien verlor, um so ruhiger wurde es in der Natur, und als sie später ein einfaches Lied anstimmte, drängte sich ein Mondesstrahl aus den zerrissenen Wolken leuchtend hervor und in das Gemach und übergoß mit seinem milden Licht die Blumen des Teppichs, auf welchem ihre Füße ruhten. Und mit der wiedergekehrten Ruhe in der Natur war auch größere Ruhe in die Herzen der Freundinnen gekommen, und nach einer herzlichen Umarmung schieden sie, um in dem willkommenen Schlummer das Leid und die Sorgen zu vergessen, von welchen ihre Seele tief erfüllt war. Ihr Wunsch wurde ihnen jedoch leider nicht gewährt; besonders fand Sidonie keine Ruhe und manche Thräne entquoll im Hinblick auf ihre und ihres Freundes hoffnungslose Lage ihrem Auge, und diese versiegte erst, als gegen Morgen die Ermüdung sie überwältigte und einem unruhigen Schlummer zuführte. Ein von dem nahgelegenen Kirchdorf durch die ruhige Luft hertönendes Glockengeläute erweckte sie. Als sie die Augen aufschlug, drangen bereits einzelne Strahlen der Morgensonne in ihr Gemach. Sie erhob sich und forschte nach der Ursache des Geläutes, da es weder ein Sonn- noch Festtag war, und erfuhr, daß dasselbe in Folge des Todes des Fürsten angeordnet wäre, wie das Gebrauch sei. Das Geläute dauerte mehre Stunden fort und erfüllte Sidoniens Herz mit vermehrter Trauer, indem es sie an ihre kummervolle Lage erinnerte. So nahte die Mittagszeit heran. Um ihr Ohr dem traurigen Klange zu entziehen, hatte sie sich mit Aurelien nach einem Gemach begeben, wohin derselbe nur noch leise zu dringen vermochte. Dem Unwetter war ein ruhiger, klarer Tag gefolgt, der die Natur weniger öde erscheinen ließ. Einzelne Wintervögel belebten die Gegend und ließen ihre Stimmen ertönen. Die Freundinnen hatten von dem Fenster aus, an welchem sie arbeitend und sich unterhaltend saßen, einen Fernblick auf die sich nach dem Walde hin verlierende Straße, nach welcher sie bisweilen ausschauten. Einsam lag der wenig benutzte Weg da; denn nur selten brachte er einen Wanderer oder Leute aus den nahgelegenen Orten nach dem Schloß. Eben richtete Aurelie ihr Auge wieder auf ihn, als sie einen Reiter entdeckte, der aus dem Walde kam; sie machte Sidonie darauf aufmerksam, indem sie bemerkte: »Täuscht mich mein Auge nicht, so ist es ein Jäger.« Sidonie hatte hingeblickt und stimmte ihr bei, ohne dem sich rasch nähernden Reiter eine besondere Beachtung zu schenken. »Der Mann wird aus dem Waldhause sein,« meinte sie. »Du irrst. Es ist ein Feldjäger,« erwiderte Aurelie, die schärfer hingesehen hatte. »Also vom Hofe!« fiel Sidonie erregt ein, indem sie jetzt den Nahenden genauer beobachtete. »Man wird mir den Tod des Fürsten melden,« fügte sie hinzu. »So wird es sein,« meinte Aurelie und nahm ihre Arbeit wieder auf. Nach wenigen Augenblicken hielt der Reiter vor dem Schloß; er war, wie Aurelie erkannt, ein fürstlicher Courier. Kurze Zeit darauf erschien ein Diener und überreichte Sidonien einen Brief mit der Meldung, daß derselbe aus dem Cabinet des Fürsten käme. Von der Voraussetzung erfüllt, daß derselbe nichts weiter als die Todesanzeige des Fürsten enthalten würde, erbrach Sidonie den Brief. Es war so, wie sie erwartet hatte. Der Prinz theilte ihr mit wenigen Worten das erfolgte Ableben seines Oheims mit, und da ihre Voraussetzung also bestätigt wurde, schenkte sie den dieser Meldung beigefügten Worten kaum eine Aufmerksamkeit. Da fiel ihr Auge auf die letzteren, die also lauteten: »Beifolgend die letztwillige Bestimmung des Fürsten.« Rasch hatte sie das Blatt umgeschlagen, und der Namenszug des Fürsten leuchtete ihr auf dem beigefügten Schreiben entgegen. Mit zitternder Hast überflog sie dasselbe und ein Freudenschrei entriß sich ihren Lippen. »Wir sind frei, frei!« rief sie in Thränen ausbrechend und sank an die Brust der sie mit freudigem Erstaunen umarmenden Freundin. Letztes Kapitel. Um die so gütige Maßnahme des Fürsten hinsichts der Prinzessin zu erklären, müssen wir an den Hof und in eine frühere Zeit zurückkehren. Wir haben bereits erfahren, daß des Fürsten Wünsche in Bezug auf die Wiedervermählung des Prinzen und die Thronfolge sich in der besten Weise erfüllt hatten. Die Gemahlin des Prinzen entsprach in jeder Weise seinen Ansprüchen. Einfach in ihrem Wesen, ohne besondere Geistesbildung, von sehr ruhiger Gemüthsart, fühlte sie sich in ihrer neuen Stellung durchaus wohl und war weit entfernt, irgend welche besondere Ansprüche an den Prinzen zu erheben. Diese Umstände waren aber sehr geeignet, den Prinzen mit der getroffenen Wahl zufrieden zu stellen; eines solchen Charakters bedurfte er gerade, einer Natur, die ihm nicht wie Sidonie geistig überlegen, und obenein fern von allen moralischen Bedenken war. Seine Ehe genirte ihn in keiner Beziehung, und das hatte er ja eben gewollt. Sie lebten einförmig neben einander, ohne sich gegenseitig durch irgend welche Prätensionen zu belästigen, und dieser Umstand führte die gute Folge herbei, daß das erforderliche Interesse für seine Gattin in dem Prinzen erhalten wurde und man seine Ehe als eine überaus glückliche pries. Der Erbprinz gedieh vortrefflich, und ebenso waren bereits neue Hoffnungen für den Zuwachs der fürstlichen Familie vorhanden, das Verhältniß der Gatten auch ein so gutes, daß man mit Sicherheit auf eine reiche Nachkommenschaft hoffen durfte. Diese angenehme Aussicht war dem Fürsten um so bedeutungsvoller, da er seither sehr viel gekränkelt hatte und seine Kräfte rasch schwinden fühlte. Die Gicht, an welcher er schon seit mehren Jahren litt, hatte die Brust ergriffen, führte Schlaflosigkeit und allerlei andere bedenkliche Beschwerden herbei, so daß die Aerzte seine Genesung als unmöglich bezeichneten. Diese Voraussage bestätigte sich; denn von Tage zu Tage verschlimmerte sich sein Zustand, so daß man seinem Ende entgegen sah. Es war Spätherbst; die welken Blätter fielen; kalt und feucht zog der Nordwind über die Gewässer und durch die zum Theil schon entlaubten Baumkronen des Parks, der des Fürsten einfaches Palais umgab, in welchem er, getrennt von seiner Gemahlin, seit einer langen Reihe von Jahren einsam gelebt hatte. Und einsam, wie er gelebt, schien er auch einsam sterben zu wollen; denn außer seiner gewöhnlichen Bedienung befand sich weder seine Gemahlin, noch irgend eine andere ihm verwandte Person in seiner Nähe. Er wollte das Sterben mit sich allein abmachen und keinen Andern damit belästigen, auch hätte es ihn verdrossen, seine Leiden Anderen zeigen zu müssen. Es wäre ihm das selbst in Gegenwart Verwandter oder Befreundeter peinigend gewesen, und so begnügte er sich mit der Theilnahme seiner Windspiele und ließ die ihm gemeldeten Besuche gewöhnlich zurückweisen. Nur in Bezug auf einige von ihm bevorzugte gelehrte Männer machte er eine Ausnahme, mit welchen er sich, wenn es ihm sein Leiden gestattete, ein wenig unterhielt oder sich unterhalten ließ. Trotzdem erlitten die Staatsgeschäfte keine Unterbrechung, obgleich ihm die Erledigung derselben oft sehr große Anstrengungen und Beschwerden verursachten. Da ihm das Liegen üble Zufälle verursachte, so brachte er die meiste Zeit in einem bequemen Lehnsessel zu, woselbst er sich noch am behaglichsten fühlte. Die spärlichen Sonnenblicke, welche ihm der Herbst in das stille Gemach sandte, und seine Lieblinge, die Hündchen, die ihn harmlos umspielten, sich neben seinen geschwollenen Füßen lagerten, seine Hände leckten, oder es sich in seinem Schooß behaglich machten, waren die einzigen Gesellschafter in den einförmig und einsam dahin schleichenden Stunden, die vielleicht außerdem nur noch eine kurze Lectüre, ein leichter, oft wenig erquickender Schlummer unterbrachen. Und wenn der Fürst in der Nacht schlaflos in seinem Sessel ruhte, das laute Rauschen der dürren Baumwipfel zu seinem Ohr drang, gedachte er des Augenblicks, in welchem sein letzter Lebenshauch in diesem Rauschen vertönen würde, um in dem unendlichen All aufzugehen. Dieser Moment mußte bald eintreten; er fühlte es immer deutlicher, und so traf er mit der ihm eigenen Klarheit und Ruhe alle jene Anordnungen, welche seine Verhältnisse bedingten. Es war etwa elf Uhr Vormittags; er erwartete den Prinzen, den er um diese Zeit zu sich hatte bitten lassen. Die Aerzte waren soeben bei ihm gewesen und hatten auf sein ausdrückliches Verlangen ihm die Frist genau bezeichnen müssen, welche seinem Leben noch gestattet wäre, die sie auf höchstens vierundzwanzig Stunden schätzten. Er hatte das mit Ruhe vernommen und sie alsdann entlassen, da er die letzten Stunden allein zu sein wünschte. So fand ihn denn auch der Prinz allein und eingeschlummert. Leise näherte er sich seinem Sessel; die Windspiele blieben ruhig, da sie mit des Prinzen Erscheinung bekannt waren, und dieser ließ sich in der Nähe seines Oheims nieder, das Auge auf das bleiche, eingefallene Antlitz gerichtet, in welches der nahende Tod bereits seine charakteristischen Linien gezeichnet hatte. Der Schlummer des Fürsten war wie gewöhnlich unruhig, oft unterbrochen durch wenige unverständliche, leise gemurmelte Worte, oder eine matte Armbewegung. Dergleichen Momente pflegen auf den Beobachtenden selten ihre eigenthümliche Wirkung zu verfehlen, und dies fand auch in Bezug auf den Prinzen statt, der aufmerksam lauschte, um den Sinn der gesprochenen Worte zu verstehen. Dies gelang ihm jedoch anfangs nicht, bis der Fürst allmälig vernehmlicher und hastiger sprach und endlich mit dem Wort: »Sidonie« ängstlich auffuhr und die Augen aufschlug. Sein glanzloser Blick erkannte den Prinzen nicht sogleich; als dies jedoch erfolgte, bemerkte er mit schwacher Stimme: »Da bist Du ja!« und deutete auf einen kühlenden Trank, der in seiner Nähe stand. Der Prinz beeilte sich, ihm denselben zu reichen, und der Fürst trank mit kurzen Zügen, da ihm die Kurzathmigkeit, an welcher er litt, es nicht anders gestattete. Alsdann überwand er einen kurzen Husten, sammelte Kräfte und begann darauf mit schwacher Stimme: »Die Aerzte haben mir nur noch wenige Stunden Leben zugesprochen, und so will ich Dir noch einen Wunsch mittheilen, den Du sogleich nach meinem erfolgten Tode erfüllen sollst. Er betrifft Sidonie und den Grafen Römer; gieb sie sofort frei.« »Wie, mein Fürst?!« fragte der Prinz, durch das Vernommene, das er nicht erwartet hatte, in hohem Grade überrascht. »Du möchtest Dich dazu vielleicht nicht bequemen wollen?« »Wenn Sie befehlen, soll es geschehen,« entgegnete der Prinz kalt. Der Fürst sann einige Augenblicke nach und bemerkte alsdann: »Es ist besser, ich bringe diese Angelegenheit selbst in Ordnung. Geh' dort an den Tisch und fertige die Befehle aus.« Schweigend that der Prinz das Gebotene. »Gieb die Blätter her und auch die Feder, ich will unterzeichnen; es wird mein letzter Namenszug sein,« sprach der Fürst darauf. Der Prinz legte die Mappe mit dem Schreiben vor ihm auf die Knie; der Fürst ließ sich alsdann die Stelle bezeichnen, woselbst er seinen Namen hinzusetzen hatte; -- denn sein Auge war bereits ganz schwach; -- und als dies geschehen war, unterzeichnete er mit zitternder Hand. »Mein Tod soll ihnen eine Freude bereiten, die ich ihnen -- -- schuldig bin,« bemerkte er, die Schriftstücke dem Prinzen hinreichend. »Ich verstehe Sie nicht, mein Fürst,« sprach der Prinz überrascht und indem er ihn fragend anschaute. »Gut für Dich, wenn Du mich nicht verstehst,« fiel der Fürst matt ein und fügte dann hinzu: »Doch lassen wir das! Ich habe die Prinzessin soeben im Traum gesehen; sie erschien mir nicht traurig, sondern ernst und ruhig und fragte mich etwas.« -- -- Er brach kurz ab und blickte sinnend vor sich hin. »Und welche Frage richtete sie an meinen Oheim?« fragte der Prinz nach kurzer Pause. »Eine Frage, die mein letzter Namenszug beantwortet hat,« entgegnete der Fürst mit sichtlicher Erregung. Der Prinz trat erstaunt einen Schritt von ihm zurück. »Ist die Begnadigung etwa ein Zeichen, daß Sie sie nicht für so schuldig erachten, um eine verlängerte Verbannung zu rechtfertigen?« fragte der Prinz. Der Fürst verrieth eine ungewöhnliche Bewegung und schien hinsichts der zu gebenden Antwort unentschlossen; nach kurzer Ueberlegung entgegnete er alsdann mit Betonung und einem flüchtigen Aufblick zu dem Prinzen: »Die Prinzessin war ~niemals~ schuldig.« »Wie, mein Fürst?!« fiel der Prinz überrascht und betroffen ein und fügte hinzu: »Die vorhandenen Beweise zeugen doch gegen sie!« »Still davon! Möglich, daß Du an ihre Schuld glaubst; ich habe mich davon niemals überzeugen können; doch opferte ich sie der Nothwendigkeit und dem Staatsinteresse. Sie weiß es, denn sie hat mir in's Herz gesehen.« »Sie überraschen mich, mein Fürst!« »Lass' das! Dergleichen paßt nicht zu der gegenwärtigen Situation! Der beabsichtigte Erfolg ist erzielt; Geschehenes läßt sich nicht ungeschehen machen; mein Tod ist jedoch der beste Moment, dieser Angelegenheit für immer einen guten, den Adel versöhnenden Abschluß zu geben. Der letzte Funken Leben in mir ist daher nicht verloren.« Der Fürst hatte mit Anstrengung und schwacher Stimme gesprochen, lehnte sich darauf erschöpft in den Sessel zurück und schloß die Augen. Der Prinz erwiderte nichts darauf; denn er sah sich zur Anerkenntniß des Vernommenen genöthigt, wenn er auch hinsichts Sidoniens Schuldlosigkeit trotz des Fürsten Meinung in Zweifel war. Er würde sich daher zu der Begnadigung selbst gegen sein gegebenes Versprechen vielleicht nicht veranlaßt gefühlt haben, und das eben erkannte des sterbenden Fürsten Scharfblick und darum wandte er seine letzten Kräfte zur Unterzeichnung des Befehls an. »Du wirst weder der Prinzessin noch dem Grafen in ihren künftigen Maßnahmen irgend welchen Widerstand bieten,« bemerkte der Fürst darauf. »Sie werden sich vermählen, vermuthe ich; sie haben auf diesen Moment lange harren müssen; ihre Zuneigung ist viel geprüft; so hoffe ich, sie werden einen Ersatz dafür in der Ehe finden. Sidonie paßte zur Fürstin nicht; denn sie besitzt zu viel von dem, was Fürstinnen nicht gebrauchen, wenn sie auf dem Thron eine Figur machen wollen. Aber sie ist ein seltenes Weib und darum selten, weil sie Charakter besitzt und weiß, was sie will. Ihr Benehmen hat mich trotz meiner Abneigung gegen die Frauen dennoch zur Bewunderung gezwungen; diesen Stolz und dieses klare, ruhige Auge hat nur das Selbstbewußtsein der Unschuld und ein edler, fester Sinn. -- Sie wußte sich trotz Allem zu behaupten, und das ist viel.« Er hatte hastig und in Absätzen gesprochen und deutete nun auf das Glas mit dem Getränk, das ihm der Prinz reichte. Als er getrunken hatte, fuhr er fort: »Sie, Sidonie, hatte in vieler Hinsicht Recht; aber auch Unrecht, da sie die wirkliche Welt mit ihren größeren Ansprüchen nicht anerkennen und sich derselben nicht unterordnen wollte. Doch Du wirst mich nicht verstehen, denn Deiner Natur liegt dieser Charakter zu fern, da Du in dem Weibe nichts als Fleisch und Bein siehst. Du hast nun, was Du brauchst, und ich wünschte, schon anfangs in meiner Wahl auf eine solche Frau gestoßen zu sein; es wäre Alles besser gewesen.« Wieder schwieg er und nahm erst nach kurzer Ruhe das Gespräch wieder auf. »Du hast viele Schurken unter Deinen Freunden; so lange Du Prinz bist, erträgt sich das; der Regent muß sich von ihnen frei zu machen bedacht sein. Es ist das nicht eben leicht; aber es muß geschehen, soll er nicht endlich ihr Sklave werden. Ich lasse Dir gute Räthe; achte sie und folge ihren Vorschlägen. -- -- Lass' die Weiber! Sie entnerven Dich, machen Dich feig und ziehen Dich in ihre sinnliche Tiefe, darin Du untergehst. Man muß durchaus ganzer Mann sein, um etwas Tüchtiges zu leisten; aber ~nur~ Mann im Sinne des Geschlechts ist der Verderb aller wahren Mannheit. Du bist bisher nur dies eine gewesen; sei bedacht, Dich mit dem Ernst Deiner Stellung von Deinen sinnlichen Neigungen zu befreien, wenigstens diese zu beschränken, um nicht gleich einem weibischen Sardanapal unterzugehen. -- Du wirst die Begnadigung noch heute abgehen lassen, damit die Prinzessin sie während des Glockengeläutes empfängt, das ihr meinen Tod verkündet.« Der Fürst schwieg, sammelte sich ein wenig, reichte dem Prinzen die Hand und bemerkte: »So lebe wohl! Geh', ich will ein wenig schlummern, denn das viele Sprechen hat mich angegriffen.« Durch die einfache, aber um so wirkungsvollere Mahnung des Sterbenden in hohem Grade erschüttert, wagte der Prinz keine Erwiderung auszusprechen, wozu er sich überdies auch nicht fähig fühlte, sondern ergriff schweigend die ihm dargereichte welke Hand, drückte sie leicht an die Lippen und verließ alsdann das Gemach. So trennten sich Oheim und Neffe für immer. Der Fürst schloß die Augen und sank in den Sessel zurück. »Er wird wie Sardanapal in den Armen seiner Buhlerinnen untergehen,« murmelte er vor sich hin und fiel alsdann bald in einen ohnmachtähnlichen Schlummer. Sein Aussehen änderte sich rasch. Niemand erschien; überall ängstliche Stille und Einsamkeit. Nur das Picken eines Spechtes an einem morschen Baume im Park tönte herein und klang, als klopfte man Nägel in einen Sarg. Die Aerzte hatten sich nicht geirrt; des Fürsten Lebenskraft schwand rasch hin. Als die Sonne niederging und ihre feurigen Strahlen über den Park ausgoß, schlug er zum letzten Mal die Augen auf und schaute mit erweiterten Blicken in die heller und heller auflodernde Abendgluth, und als sie verblaßte und in die dunkle Nacht versank, seufzte er auf und verschied. Er starb, wie er es gewünscht; nur mit dem Tod allein. Denn Niemand war bei ihm; nur seine Lieblinge blickten in sein brechendes Auge und legten sich alsdann zu den erkalteten Füßen ihres Gebieters. * * * * * So war denn, wie wir erfahren haben, des Fürsten wohlmeinende Absicht wirklich in Erfüllung gegangen; die Glockenklänge brachten Sidonien die beglückende Botschaft ihrer Freiheit. Dieselbe wurde anfangs allerdings durch die nahe liegende Besorgniß, es könnte der Graf vielleicht nicht in ähnlicher Weise erfreut worden sein, beeinträchtigt; jedoch nur für kurze Zeit, da schon nach wenigen Tagen von der Gräfin Römer die Nachricht von seiner Entlassung aus der Haft einlief und somit aller Sorge ein freudiges Ende machte. Jetzt entstand für Sidonie die nahe liegende Frage, wohin sie sich begeben sollte. Sie, eine Fürstentochter, hatte nirgends eine Heimath, denn in ihre ursprüngliche zurückzukehren, fühlte sie in Hinblick auf die ihr von ihrem Bruder gezeigte Lieblosigkeit keine Neigung. Ehe sie sich jedoch darüber entschied, eilte sie zu ihrer Tochter, um die Langentbehrte an das Herz zu drücken. Aber sie verweilte daselbst nur zwei Tage und kehrte alsdann wieder in ihr einsames Schloß zurück. Die Herzogin hatte sie kalt und gemessen empfangen; denn trotz der Begnadigung vergaß man Sidoniens Vergehen nicht. Der Schein war gegen sie, sie mußte das hinnehmen. Um so größer war daher ihre Freude, als sie bei ihrer Rückkehr einen Brief der Gräfin Römer und des Geliebten fand, der, aus der Haft entlassen, sofort zu seiner Mutter geeilt war. Die Gräfin lud sie zu einem baldigen Besuch ein, indem sie ihr zugleich ihr Schloß zum künftigen Aufenthalt anbot. Römer hatte diese Einladung durch seine eigene Bitte und den Hinweis auf die besonderen Verhältnisse, welche ein passenderes Wiedersehen nicht gestatteten, unterstützt. Sidonie erkannte das und war nach kurzer Berathung mit Aurelien entschlossen, das Schloß für immer zu verlassen, die Einladung der Gräfin, bei ihr zu wohnen, jedoch aus nahe liegenden Rücksichten abzulehnen und sich nach jenem Badeort zu begeben, den sie früher besucht hatte. Derselbe lag, wie wir wissen, in der Nähe der gräflichen Besitzung und gewährte ihr daher einen bequemen Verkehr mit der Gräfin und dem Geliebten. Auf dem Wege dahin wollte sie der Gräfin den von dem eigenen Herzen so heiß gewünschten Besuch machen, wollte sie den theuern Mann nach so langer, langer trüber Zeit endlich wieder sehen und das so schmerzlich entbehrte Glück der Wiedervereinigung genießen. O, wie drängte ihr Herz zu ihm, und mit welcher Hast ordnete sie ihre Abreise an und führte diese trotz der rauhen Witterung mit glücklichem Herzen und ohne Zögern aus. Die Bewohner des Schlosses und der Umgegend sahen sie mit betrübtem Herzen scheiden, und mancher Glückwunsch tönte der Forteilenden mit aufrichtigem Herzen nach; denn sie war ja so gütig und ach! auch so sehr unglücklich gewesen, wie dies oft ihre kummervollen Züge und verweinten Augen verrathen hatten. Und Sidonie hatte Allen, Allen mit freundlichen Worten gedankt, sie beschenkt und dem See und den Wäldern, den Fluren und Gärten mit feuchtem Auge ein Lebewohl zugerufen. Alsdann rollte der Wagen dahin, und das Schloß war wieder so einsam und öde wie ehemals. Es verfiel nach wenigen Jahren rasch und dient heute einer gewerblichen Thätigkeit. Niemand ahnt, wie viele Thränen das Unglück einst in diesen Räumen vergossen hat. Sidonie legte die unbequeme Reise bis zu dem Schloß der Gräfin mit großer Ausdauer zurück, und sank der edeln Dame, die sie zum ersten Mal sah, mit bewegtem Herzen in die Arme. Römer war Sidonien bis zu dem nächsten Ort entgegen gefahren, und hier fand ihr Wiedersehen statt, das sich jeder Beschreibung entzieht. Beider Augen schimmerten von Thränen, als sie sich gegenüber standen und in das von Kummer gefurchte Antlitz schauten, bis sie sich, von ihren Empfindungen überwunden, schweigend in die Arme sanken und jetzt, von keiner Fessel mehr gehemmt, dem Glück des Augenblicks mit ganzer Seele hingaben. Römer's einst dunkle Haare waren ergraut, seine Stirn mit Falten durchzogen, seine Gestalt gebeugt und nur noch ein Abglanz seiner einst so ritterlichen Erscheinung. Er mußte sehr schmerzlich gelitten haben. Und wie wir wissen, hatte Sidoniens Erscheinung nicht mindere Veränderungen erfahren. Den Schmelz der Jugend hatte der Kummer längst aus ihrem Antlitz gestohlen und manche Furchen darin gegraben; aber waren sie auch körperlich gealtert: ihre Liebe war in ihren Herzen jung geblieben und hatte sich in den erlittenen Prüfungen nur noch mehr veredelt. Tage des reinsten, süßesten Glücks folgten diesem Wiedersehen. Was Sidonie ganz besonders wohl that, war die große Güte, mit welcher ihr die bereits hoch bejahrte Gräfin entgegen kam, so wie die hohe Achtung, welche man ihr von Seiten des Adels zu Theil werden ließ. Denn es bedurfte nur eines kurzen Umganges mit ihr, um jedem vorurtheilsfreien und edeldenkenden Menschen die Ueberzeugung von ihrer Schuldlosigkeit und ihrem sittlichen Charakter aufzunöthigen. So Mancher von ihnen bat ihr im Stillen das Unrecht ab, zu welchem ihn das Vorurtheil verleitet hatte. Von ihrem neuen Wohnort aus richtete Sidonie die Bitte an den Fürsten, ihr die Tochter wieder zu geben; jedoch fruchtlos. Er wies sie ein- für allemal ab, obgleich er den früheren Verkehr zwischen ihnen gestattete. Der verstorbene Fürst hatte, als er ihr die Freiheit schenkte, ihre Tochter vergessen, und sein Neffe erachtete es im Interesse seines Ansehens für nothwendig, die ursprüngliche Anordnung festzuhalten, und so blieb Isabelle von Sidonien für immer getrennt. Diese Gewißheit war ein schmerzlicher Mißklang in die reinen Freudentöne ihres unendlichen Glücks, das ihr die Liebe und Freiheit gewährte. Um sich aus aller Verbindung mit dem Fürsten zu setzen, hatte sie diesem sogleich nach Aufhebung ihrer Verbannung ihren Verzicht auf die bisher bezogene Pension angezeigt. Sie wurde dadurch allerdings nur auf die Einkünfte ihres eigenen kleinen Vermögens beschränkt; dennoch fühlte sie sich in dieser Beschränkung freier und beruhigter, da damit die letzte Fessel zerbrochen wurde, welche sie mit der unheilvollen Vergangenheit noch verband. Auch wußte sie nur zu wohl, daß sie durch diese Maßnahme den geheimen Wunsch des Geliebten erfüllte. Trotz der Winterzeit flohen ihr die Tage jetzt rasch und lieblich dahin, durch die Besuche des Geliebten und seiner Freunde verschönt, und mit jedem neuen Tage wurde ihr Auge heller, wichen die kummervollen Falten mehr und mehr aus ihrem feinen, lieblichen Antlitz, kehrte die Heiterkeit zurück. Und gleich ihr geschah es auch dem Grafen, wenngleich sein Wesen ernster als früher blieb und er trotz Sidoniens inniger Liebe die erfahrene Ehrenkränkung nicht zu vergessen vermochte. So nahte der Lenz, und mit ihm nahte leider für die Geliebten auch ein herber Schmerz. Die Gräfin fühlte ihr Ende nahen. In den letzten Monaten hatte ihre Körperschwäche rasch zugenommen, so daß ihr baldiger Tod mit Gewißheit erwartet werden durfte. Einige Wochen vor demselben, als sich Sidonie bei ihr befand und sie mit ihr allein war, nahm sie deren Hand, sprach in ruhigem Ton von ihrem baldigen Scheiden und bemerkte alsdann, wie sehr es sie beglücken würde, vor ihrem Heimgange Sidonie mit ihrem Sohn vereinigt zu sehen. Obgleich die Letzteren überein gekommen waren, sich in dem nächsten Frühjahr nach Italien zu begeben und daselbst zu vermählen, erklärte sich Sidonie doch sogleich zur Erfüllung des ausgesprochenen Wunsches bereit, und wenige Tage darauf wurde sie in aller Stille und nur in Gegenwart der Gräfin, Aureliens und einiger Verwandten des Grafen mit diesem vermählt. Ihre Verbindung wurde jedoch geheim gehalten, ebenso bezog Sidonie auch nicht das gräfliche Schloß, sondern blieb in ihrer Wohnung, doch verschönte sie durch längere Besuche die letzten Lebenstage der hinscheidenden Gräfin, die durch das Glück ihres Sohnes sich selbst hoch beglückt fühlte. Ueber die anderen Personen dieser Erzählung wäre nur noch wenig zu sagen. Mühlfels genoß die ihm von dem Fürsten geschenkten Begünstigungen nicht lange. Er blieb der Vertraute des Regenten, der seinen verwerflichen Leidenschaften, seitdem er nach Belieben schalten und walten konnte, ganz und gar die Zügel schießen ließ, zu seinem und des Landes Verderben. Wenige Jahre, nachdem der Prinz den Thron bestiegen hatte, fand Mühlfels auf einer Jagd durch den jähen Sturz mit dem Pferde den Tod, ehe er noch seine Absicht erreicht und das Ansehen seines Hauses durch eine glänzende Vermählung erhöht hatte. Marianens Wunsch ging in Erfüllung. Bald nach dem Tode des Fürsten wurde sie in den Grafenstand erhoben und spielte fortan eine sehr wichtige Rolle am Hofe des fürstlichen Geliebten, den sie durchaus beherrschte. Niemand erkannte in der stolzen, hoffärtigen Dame, vor welcher sich Alle beugten, jene Waldtaube, die einst aus der Verborgenheit ausgeflogen war, um mit kindischer Neugier die Herrlichkeiten der Welt zu schauen. Sie beherrschte jedoch nicht nur den Regenten und den Hof, sondern selbst die Gemahlin des Ersteren mußte ihrem Uebergewicht weichen, das sie bis zur letzten Stunde zu behaupten verstand. Und so regierte sie im wahren Sinn des Wortes allein und umgab sich mit Glanz und Reichthum. Als der Fürst starb, ereilte jedoch auch sie die Vergeltung. Sie wurde verbannt und starb, von ihren Freunden verlassen, in Vergessenheit. In Bezug auf das Ende seines Neffen traf die Voraussage des Fürsten durchaus zu. Durch sinnliche Genüsse vollständig entnervt und nachdem er dem Lande eine ungeheure Schuldenlast durch seine Verschwendung aufgebürdet hatte, starb derselbe, kaum einige dreißig Jahre alt, in Marianens Armen, welche sich das Recht anmaßte, in Gegenwart der Fürstin und deren Kinder an seinem Sterbelager zu erscheinen. Und man duldete das. -- -- Der Tod der Gräfin Römer erfolgte mit dem Beginn des Frühlings, und einige Wochen darauf und nachdem der Graf seine Verhältnisse geordnet hatte, führten die Vermählten ihre Absicht aus und begaben sich nach Italien. Eine reizend gelegene Villa am Gardasee nahm sie auf, und die durch so viele Prüfungen nur noch erhöhte Liebe verlieh ihrem Leben fortan jenes reine, ungetrübte Glück, zu welchem ihre edeln Herzen im vollsten Maß berechtigt waren. Aurelie fand den Lohn ihrer treuen, aufopfernden Freundschaft in dem Glück ihrer Freunde, bei welchen sie in voller Hingabe und hoch geliebt und geachtet blieb. Sidonie besuchte in jedem Jahre ihre lieblich heranblühende Tochter, deren Verlust ihr ein gütiges Geschick in der Folgezeit durch den Besitz nicht minder lieblicher Kinder weniger fühlbar machte. ~Ende.~ Druck von G. Pätz in Naumburg a/S. Im Verlage von Friedrich Fleischer in Leipzig sind ferner erschienen: Altenberg. Ein Roman von Victor von Strauß. 4 Bde. Preis 6 Thlr. Friedrichsburg, die Colonie des deutschen Fürsten-Vereins in Texas. Von Armand. 2 Bde. Preis 3 Thlr. Novellen und Skizzen von Arthur Stahl. 3 Bde. Preis 4 Thlr. Altnordischer Sagenschatz in neun Büchern. Uebersetzt und erläutert von =Dr.= +Ludwig Ettmüller+, Professor in Zürich. Preis 2 Thlr. 20 Ngr. Volksbrauch, Aberglauben, Sagen und andere alte Ueberlieferungen im Voigtlande, mit Berücksichtigung des Orlagau's und des Pleißnerlandes. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte der Voigtländer von =Dr.= Joh. Aug. Ernst Köhler. Preis 2 Thlr. 20 Ngr. Gräfin Ida Hahn-Hahn. Ein Lebensbild nach der Natur gezeichnet von Marie Helene. Mit Portrait. Preis 27 Ngr. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK PRINZESSIN SIDONIE (BAND 3/3) *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. 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