The Project Gutenberg eBook of Thomas, der Leutpriester This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Thomas, der Leutpriester Erzählung aus der Reformationszeit Author: Margarete Lenk Release date: September 12, 2023 [eBook #71619] Language: German Original publication: Zwickau: Johannes Hermann, 1909 Credits: Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK THOMAS, DER LEUTPRIESTER *** ======================================================================= Anmerkungen zur Transkription: Die Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden. Folgende Zeichen sind für die verschiedenen Schriftformen benutzt worden: ~gesperrt gedruckter Text~ +antiqua gedruckter Text+ ========================================================================= Thomas, der Leutpriester [Illustration] Erzählung aus der Reformationszeit von Marg. Lenk. [Illustration] Zwickau i. Sa. Verlag und Druck von Johannes Herrmann. 1909. Alle Rechte vorbehalten! Herrn Pastor J. Kunstmann in herzlicher Dankbarkeit gewidmet. 1. Der Markttag. Es war im Jahre 1523. Auf den zahlreichen, für jene Zeit sehr guten Landstraßen, die zu der großen, reichen niederländischen Hafenstadt Antwerpen führten, herrschte schon am frühen Morgen reges Leben. Es war Markttag, und die Landleute der Umgegend brachten auf großen und kleinen Wagen, auf Schiebkarren und in Tragkörben allerlei Erzeugnisse ihrer wohlbestellten Felder und Gärten herbei, zur Nahrung für die hunderttausend Menschen, die damals die mächtige Handelsstadt bevölkerten. Die Tore wurden geöffnet, und in langer Reihe bewegten sich die Fuhrwerke dem Marktplatze zu. Unter den letzten Nachzüglern befand sich ein Wagen, der wohl recht weither kommen mochte, denn er war mit Staub bedeckt, und das wohlgepflegte Rößlein schien herzlich müde. Als aber der Eigentümer die Leinwand wegzog, die seine Waren bedeckte, zeigten sich nicht nur Feldfrüchte der besten Art, sondern auch herrliches Obst und eine Fülle frischer Blumen, zierlich zu Sträußen gebunden und in Körbe geordnet. »Faß zu, Thomas«, rief der Mann dem etwa zehnjährigen Knaben zu, dem er die Zügel zu halten gegeben. »Hilf mir das Leintuch zusammenfalten! Nicht so! Mußt denn alles verkehrt machen? Nur hurtig! Es wird bald zur Frühmesse läuten, und wir sind noch weit vom Marktplatz.« Nun fuhren sie wieder die jetzt schon belebte Straße entlang. Der Vater freute sich, wenn jemand im Vorübergehen seine frischen Waren bewunderte; die schönen blauen Augen des blonden Knaben schweiften ins Weite. »Na, Thomas«, begann der Vater, »'s ist das erstemal, daß du die große Stadt siehst. Nun schau brav um dich, daß du die Welt kennen lernst.« »Wohl, Vater«, erwiderte der Junge. »Eben flog ein Vöglein auf von jenem Dache! Wie frei und leicht schwang sich's empor bis zum blauen Himmel! Wie glücklich mag's sein dort oben!« »Dummer Bub! Vögel kannst daheim übergenug sehen! Betracht' doch die stattlichen Häuser, die Säulen, die Erker, die Schildereien an Fenstern und Türen! Sieh doch, wie emsig die Leute laufen! Ja, hier hat keiner Zeit zum Träumen! Jeder treibt sein Gewerbe, seine Kunst, seinen Handel! Jungens und Mädel in deinem Alter verdienen schon manch blankes Geldstück. Sieh dort die prächtige Kutsche! Da sitzt gewiß ein Edelmann drin oder ein reicher Kaufherr! Und guck mal die Gasse hinab! Ich will ein wenig stillhalten, daß du die vielen, vielen Masten und die flatternden Wimpel von ferne sehen kannst. Dort unten ist der Hafen; wenn du wacker hilfst, führ' ich dich nachmittags hin. Wie wirst du staunen über die Menge der Schiffe!« »Sieh, sieh, Vater«, rief der Junge dazwischen, »das Mägdlein dort hat eine rote Nelke am Brustlatz! Just eine solche, wie auf meinem Gartenbeet blühen. Ob sie Grete wohl begießen wird?« Der Vater schwieg. Es war nichts zu machen! Sein Jüngster blieb ein Träumer, der nimmer in die geschäftige Welt paßte! Böse konnte man dem Buben nicht sein; war er doch immer freundlich und gehorsam. »Nun«, sagte er endlich, »halt' dich nur heute brav und geh mir wacker zur Hand.« »Gewiß, Vater; ich hab's ja der Muhme Lene versprochen.« Kaum war der große Marktplatz erreicht, als die Glocken der vielen Kirchen fast zu gleicher Zeit zur Frühmesse läuteten. Die beladenen Wagen wurden im sicheren Schutz bewaffneter Markthüter gelassen. Die Landleute aber eilten der nahen prächtigen Marienkirche zu; etliche wohl in aufrichtiger Andacht, andere, um Auge und Ohr zu weiden an der Pracht des Gotteshauses, dem herrlichen Orgelspiel und lieblichen Gesang der wohlgeschulten Chorknaben. Thomas aber kniete neben dem Vater und wagte kaum zu atmen vor Staunen über etwas Wunderherrliches, von dem er kein Auge abwenden mochte. Es war ein buntes Fenster, ihm gerade gegenüber. Die Jungfrau Maria war darauf abgebildet in einem Gewand so blau wie der Himmel, das goldene Haar unter weißem Schleier hervorquellend. Auf dem Haupte trug sie eine Krone, besetzt mit Edelsteinen, die herrlich in allen Farben glänzten. In den Armen hielt sie das JEsuskindlein, klein und mager, nur mit einem Hemdchen bekleidet, aber mit wunderbar ernsten, tiefen Augen. War wirklich die Messe schon vorüber? Ja, der Gesang verstummte, das Gemurmel der Priester an den Altären hörte auf; die Lichter in den goldenen Leuchtern wurden ausgelöscht. Auf einen Rippenstoß des Vaters erhob sich der Knabe mit bösem Gewissen. Ach, er hatte ja gar nicht gebetet! Immer nur das Bild angeschaut und den Kranz von leuchtenden Sternen, der es umgab! Aber jetzt war keine Zeit nachzudenken, denn bald war das Marktgewühl in vollem Gang. Thomas mußte, auf dem Wagen stehend, dem Vater herunterreichen, was die Frauen und Mägde zu kaufen wünschten. Oft mußt' er auch einer den schweren Korb ein paar Straßen weit nachtragen, und hatte dann viel Mühe, sich wieder zurückzufinden. Ach, ach! Einmal kam sogar eine Schar spanischer Soldaten die Gasse entlang, so daß alles, an die Häuser gedrängt, Platz machen und warten mußte. Furchtbar erschienen sie dem weltfremden Knaben mit ihren klirrenden Schwertern und blanken Spießen! Hu, wie scharf mochten die sein! Ob sie wohl schon jemand damit totgemacht hatten? Ach gewiß! Sie sahen finster und bös aus! Dennoch fand er sich immer glücklich wieder zum Vater, wenn's auch manchmal etwas lange dauerte. Wenn er so freundlich lächelnd um den Weg fragte, wies ihn keiner zurück. Ja, in seiner Tasche klingelten sogar einige kleine Geldstücke, die man ihm als Trägerlohn geschenkt. Es war das erste Geld, das in seine Hände kam. Was konnte er wohl dafür kaufen für Muhme Lene und die Geschwister daheim? Unter den Säulenhallen in den Gassen bot man allerlei Herrlichkeiten feil, die das Landkind kaum dem Namen nach kannte. Aber dort gab's ja bunte Halstücher! Das war was für Muhme Lene. Ihr zuliebe raffte er all seinen Mut zusammen, zeigte auf eins der glänzenden Tücher und bot zwei seiner Gröschlein dafür. O weh, wie ward er ausgelacht! Feuerrot im Gesicht rannte er davon. Die Tücher waren von kostbarem Brabanter Seidenstoff! Aber sieh, da gab's Bilder, und hier hatte er mehr Glück. Für die Geschwister erhandelte er ein paar lustige Holzschnitte mit Verslein darunter; für Muhme Lene aber, o Wonne! erlangte er ein genaues, wenn auch sehr kleines Abbild des Kirchenfensters, das ihn so sehr entzückt. Wie würde sie sich freuen! Nun schnell zurück zum Vater! Aber da war wieder etwas, das seinen Blick mächtig anzog. Dort vor jenem stattlichen Hause herrschte reges Leben. Prächtige bunte Tücher hing man zu den Fenstern heraus; Blumenranken wurden in zierlichen Bogen an den Mauern befestigt, und die zur Haustür emporführenden Stufen belegte man mit einem prächtigen Teppich. Dienende Knaben und Mägde liefen geschäftig ab und zu mit verdeckten Körben, Blumenkränzen und allerlei kostbarem Gerät. Trotzdem fanden nur wenige Vorübergehende Zeit, zuzuschauen; jeder ging emsig seinem Beruf nach. Thomas aber zupfte schüchtern eine blumentragende Magd am Gewand und fragte: »Wohnt der Kaiser in diesem Hause, daß ihr es so herrlich schmückt?« »O du Einfalt!« rief das Mädchen. »Der Kaiser ist weit weg im Krieg! Dies Haus gehört meinem gütigen Herrn, dem Goldschmied van der Groot! Er feiert heute Hochzeit mit einer tugendsamen Jungfrau.« Ganz erfüllt von dieser Neuigkeit sprang der Junge auf des Vaters Wagen zu, ward aber mit Scheltworten empfangen wegen seines langen Ausbleibens. Schnell eingeschüchtert schwieg er und zeigte sich doppelt emsig, um den Vater wieder freundlich zu stimmen, was ihm auch bald gelang. Um die Mittagszeit war der Wagen leer bis auf einige Blumen, und des Vaters Lederbeutel voll. Man labte sich in der Herberge an einem guten Hirsebrei und gesottenem Fisch. Horch, da begannen die Glocken von St. Marien von neuem zu läuten. »Warum wohl?« fragten die Tischgenossen. »Ich weiß«, sprach Thomas errötend; »der ehrenfeste Goldschmied van der Groot macht Hochzeit mit einer tugendsamen Jungfrau. Ich sah, wie man sein Haus schmückte. O Vater, laß uns hingehen und den Zug sehen!« Schon hatte der Vater eine rauhe Antwort auf den Lippen, als ihm einfiel, wie selten sein Kleinster etwas verlangte, während die älteren Buben, wenn er sie mit in die Stadt genommen, kein Ende gefunden hatten mit Wünschen und Betteln. »So mach' hurtig«, sprach er, »daß wir nicht zu spät kommen.« Im Vorbeigehen griff Thomas noch in den Blumenkorb und nahm einen schönen Lilienstengel heraus, der auf seinem Gartenbeet gewachsen war. Als sie die Kirche erreichten, waren die Pforten schon geschlossen, aber das feine Ohr des Knaben vernahm zarten Orgelklang und lieblichen Gesang. Vor der Haupttür hatte sich eine wunderliche Gesellschaft versammelt. Alles, was blind, lahm, gebrechlich und elend war, belagerte die Stufen, die zur Kirchtür führten, in froher Erwartung der Dinge, die kommen sollten. Was aber frisch, gesund und arbeitsfähig war, blieb in bescheidener Entfernung stehen. Horch! Da brauste die Orgel in festlichen Klängen; die Tür flog auf, zwei Herolde mit vergoldeten Stäben traten heraus, gefolgt von schöngekleideten Knaben, die aus umgehängten Beuteln Geldstücke auswarfen. Jubelnd wurden sie von den Bettlern und ihren Führern aufgesammelt. Jetzt aber erschien das edle Paar in prächtiger, mit Gold und Edelstein reichgeschmückter Kleidung. Herr van der Groot war ein stattlicher, ernster Mann mit geistvollen Zügen und wunderbar klaren blauen Augen. Sein holdes Ehegemahl war viel jünger; zart und fein von Gestalt, glich sie einer Blumenranke, die sich an den Eichbaum klammert. Als sie nun, gefolgt von edeln Gästen, feierlich durch die versammelte Menge schritten, erklang plötzlich eine hohe, helle Kinderstimme: »Heil dem ehrenfesten Goldschmied van der Groot und seinem holden Ehegemahl!« »Heil, Heil!« antwortete jubelnd die Menge, bis die Herolde Ruhe geboten. Der ernste Mann aber hatte den zarten Knaben, der den Ruf getan, wohl bemerkt. Er winkte ihm, näher zu treten. Schüchtern gehorchte Thomas und bot den Lilienstengel der lieblichen Braut, die ihn mit freundlichem Lächeln annahm. »Du wünschest mir Heil, mein Kind«, sprach der Goldschmied; »das kommt allein von Gott. Bete zu Ihm, daß Er es über mein Haus ausschütte. Nimm dies, nicht als Almosen, nur als Andenken an diese Stunde!« Damit reichte er dem Kinde ein großes, glänzendes Goldstück. Verwundert blickte Thomas auf. Seine ernsten Augen begegneten denen des vornehmen Mannes; dann zog ihn der Vater am Kittel zurück, und der glänzende Zug ging vorüber. »Wie konntest du den Heilruf anstimmen vor so vielen Menschen?« fragte der Vater. »Bist ja sonst so blöde, daß du kaum ein Wort hervorbringst?« »Ich weiß nicht, Vater. Der Mann sah so wacker aus, und die Frau so lieblich. Muhme Lene hat mir erzählt, daß einmal alle Leut' gerufen haben: ›Heil, Heil dem Kaiser!‹ Das hat mir so gut gefallen. Das Goldstück will ich wohl bewahren und tun, was mir der edle Herr gesagt hat.« Damit war die Sache abgetan, und der Vater kam nie mehr darauf zurück. Nun war's die höchste Zeit, nach dem Hafen zu gehen. Ja, da gab's Wunderdinge zu sehen! O welche Menge von Schiffen! Und so große waren darunter, die haushoch aus dem Wasser emporragten und sogar Guckfensterlein hatten. So weit das Auge blicken konnte, nichts als Schiffe! Manche still vor Anker liegend, andere mit geschwellten Segeln hinausziehend in die Ferne. Und dazwischen schlüpften die kleinen Fischerboote hindurch! Es war ein Wunder, daß sie nicht zerdrückt wurden. Das größte, stolzeste Fahrzeug lag weit draußen vor Anker; es war eben erst angekommen aus dem fernen Indien. Auf kleinen Kähnen wurden die Reisenden ans Land gebracht. Welch ein Getümmel war um sie her! Wie begrüßte man sie! »Waren sie lange weg?« fragte Thomas leise. »Eine ganze Woche oder gar einen Monat?« »Dummer Bub! Zwei Jahre sind sie weggewesen! Weit, weit weg, wo die Leut' schwarz aussehen. Guck, wie das junge Weib dem heimkehrenden Manne das feine Knäblein hinhält, daß er's liebkose! Das ist geboren, während er weg war! Vielleicht ist er als armer Mann ausgezogen und reich heimgekehrt. Gelt, das muß schön sein?« Aber Thomas schüttelte den Kopf und sprach: »Ich tät ja sterben vor Heimweh! 's ist mir heut schon bange, daß ich in der Herberg' bleiben muß und der Muhme Lene nicht gute Nacht sagen kann.« Von dem reichlichen Abendbrot in der Herberge mochte Thomas nur wenig genießen. Die Eindrücke des Tages hatten ihn sehr müde gemacht, so daß er froh war, als man ihm erlaubte, sich im Winkel des großen Raumes ins Stroh zu verkriechen, das dort zum Nachtlager für die Marktleute aufgeschüttet war. Besondere Gaststuben mit Betten gab es damals nur für hohe Herren. Todmüde hatte sich der Junge hingestreckt, war aber viel zu aufgeregt, um gleich einzuschlafen. Solange die Männer am Tische laut redeten, lachten und scherzten, auch den Bierkrügen wacker zusprachen, hing er seinen Gedanken nach, ohne sich um sie zu kümmern. Schon fielen ihm die Augen zu, als man am Tische plötzlich leise und geheimnisvoll zu reden begann. Unwillkürlich lauschte Thomas nun gespannt, und was er vernahm, mußte wohl schrecklich und tiefergreifend gewesen sein, denn er weinte so sehr, daß die Tränen ins Stroh tropften, bis der blonde Kopf endlich niedersank, und fester Schlaf den müden Knaben umfing. Ganz früh am andern Morgen weckte ihn der Vater. Hurtig mußte er alles zur Heimfahrt richten helfen, und bald trabte das Rößlein munter die Landstraße entlang. Der Vater war gutes Mutes, ließ den Jungen die Zügel halten, zog den gefüllten Lederbeutel hervor und reichte ihm einen silbernen Groschen. »Das ist dein Lohn fürs wackere Helfen. Tu's zu dem, was dir die Leute geschenkt haben.« »Ei, Vater, dafür hab' ich feine Bildchen gekauft für Muhme Lene und die andern daheim.« »O du Nichtsnutz, du Dummkopf!« schalt der Vater. »Weißt du nicht, daß das Geld das Beste ist auf der Welt? All das Rennen und Laufen, all das Schaffen und Arbeiten, das du in der Stadt gesehen hast, geht ums Geld. Und du wirfst das erste, das du gewinnst, für ein paar Blättlein Papier hin!« »Nicht für die Blättlein«, sagte der Junge schüchtern, »für die Freude, die sie daheim haben werden.« Wie harmlos sah das Kind aus; man konnt' ihm nicht böse sein! »Aber das Goldstück, das dir der edle Herr gab, verschleuderst du nicht, gelt?« »Nimmer, Vater! Es ist ja ein Andenken! Täglich will ich beten um Heil und Segen für den Herrn.« Nun waren sie draußen zwischen wogenden Kornfeldern, üppig grünen Wiesen und wohlgepflegten Gärten. O wie viel, viel schöner war's hier als zwischen den Stadtmauern! »Nie, nie will ich in der Stadt wohnen«, dachte Thomas; »man wird so müde und zuletzt hat man böse Träume. Was war es doch, das ich gestern abend träumte? Es war so traurig, daß ich weinen mußte, und jetzt hab' ich's ganz vergessen!« Sieh, da tauchten schon die Hütten des heimatlichen Dorfes am Horizonte auf! Jetzt sah man die zwei uralten Linden, die vor des Vaters Hoftor standen. Eilig lief das brave Rößlein; es freute sich auf seinen Stall und eine Krippe voll Hafer. Und jetzt! Nein, Muhme Lene stand nicht am Tor, um ihren Liebling zu begrüßen, wie sie versprochen hatte. Wohl aber kam Grete, die älteste Schwester, heraus, mit Tränen in den freundlichen Augen. »Muhme Lene ist krank, liegt oben in ihrem Kämmerlein und mag nicht essen noch trinken.« Bald saß der Knabe am schmalen Bett im Dachkämmerchen. Muhme Lene war sehr alt, doch hatte niemand daran gedacht, weil sie immer so munter, so freundlich und geschäftig gewesen war. Aber jetzt sah man es! Wie eingefallen waren ihre Wangen, wie spärlich das schneeweiße Haar, wie mager die abgearbeiteten Hände und Arme, die aus dem sauberen Nachtgewand hervorsahen! Thomas wollte sie umarmen und küssen, wagte es aber nicht; sie sah so feierlich aus. Er küßte nur ihre Hand und ließ sich auf dem Kasten, der am Bett stand, nieder. »Wo tut dir's weh, liebe Muhme? Soll Mutter nicht Salbe bringen oder einen Saft?« »Nein, Herzensbub! Mir hilft nicht Salbe noch Saft. Schon lang fühl' ich die Kräfte schwinden, aber ich klag' nicht gern; das weißt du! 's hat ja auch keiner Zeit, darauf zu hören! Gestern brach ich zusammen am Waschfaß. Die Beine sind mir gelähmt, und auch der linke Arm. Der Hans und der Knecht mußten mich herauftragen. Ich komm nicht wieder herunter, bis man mich ins letzte Bett legt. Gelt, mein Liebling, du bleibst bei mir und pflegst mich gern?« »O so gern! Nimmer, nimmer verlaß ich dich, gute, liebe Muhme!« rief der Knabe mit ausbrechenden Tränen. »Ich hab' dir auch was mitgebracht, was ganz Schönes.« Damit zog er das Marienbildchen aus dem Brustlatz und hielt es ihr hin. »Dank, Dank, du guter Bub! 's ist ein fein Bild; ich hab's oft angestaunt in der Marienkirche. Doch hat's einen Fehler.« »Wo ist er denn? Ich seh' ihn nicht«, sprach der Knabe. »Deine Augen sind noch zu jung. Laß es für heute gut sein. Kleb' es da fest an die Bettwand, wir reden ein andermal davon. Jetzt geh, zieh dein Sonntagswams aus und hol' dir was zu essen. Kannst mir ein Becherlein Milch mitbringen.« 2. Muhme Lene. Nirgends ist ein Kranker überflüssiger als auf dem Bauernhof. Das Vieh darf ja nicht warten; es muß zuerst versorgt werden, es bringt ja Geld ein! Und dann kommen die Gesunden dran, sie müssen ja essen, ehe sie zur Arbeit ausziehen. Der Kranke hat Zeit, zu warten; er ist eben nur eine Last. Aber Muhme Lene hatte es gut. Der kleine, träumerische Junge ward alsbald zu ihrem Pfleger bestimmt, und man war eigentlich froh, ihn beschäftigt zu wissen, da er in Haus und Hof nicht recht zu brauchen war und viel Verdruß anrichtete. Die Dorfschule, die er sonst gern und fleißig besuchte, war bis nach der Ernte geschlossen, und länger würde es die Alte wohl kaum treiben. So dachte die Bäuerin, eine harte, starke Frau, vor der alles, was schwach, zart, ängstlich und hilfsbedürftig war, nur wenig Gnade fand. Ihr war's ein Greuel, daß ihr Jüngster so anders geriet als ihre älteren, handfesten Sprößlinge. Sie hatte ihm selten ein liebreich Wort gegönnt; er war vom ersten Tag an »Muhme Lenes Bub« gewesen. Auf der ganzen Welt gibt's keine bessere Lehrmeisterin als die Liebe. So begriff auch der Junge gar bald, was zur Behaglichkeit der Kranken diente. Er schüttelte ihr die Kissen, er kühlte ihre heiße Stirn, rieb ihr die steifen, schmerzenden Glieder, und wenn sie schlummerte, verjagte er unermüdet die Fliegen und Mücken, die ihren Weg durchs Dachfensterlein nur allzu zahlreich fanden. Sie war geduldig und bescheiden, nur fein sauber mochte sie's gern um sich sehen. Sie sagte, sie sei das von Jugend auf gewöhnt. Auch darin war der Junge ihr ähnlich; alles Unreine war ihm zuwider. So fegte und putzte er jeden Morgen im Stübchen umher, bis alles blitzblank war, sorgte auch stets dafür, daß auf dem Kasten neben dem Bette, der das ganze Besitztum der Muhme in sich barg, täglich ein frischer, duftender Strauß im irdenen Gefäß stand. Die Blumenzucht war schon damals recht allgemein in den Niederlanden, und es gab selten ein Bauerngut, das nicht ein blühendes Gärtlein aufzuweisen hatte. O wie liebte Thomas die Blumen! Wie lange konnte er stehen und in den Kelch einer Lilie oder in eine volle Rose blicken! Wie oft hatte man ihn darum geneckt, auch wohl gescholten! Nur Grete, seine älteste Schwester, verstand ihn darin, und war überhaupt die einzige im Hause, die ihn niemals schalt, auch niemals verspottete wegen seines träumerischen Wesens. Sie war groß und stark und konnte nicht mehr allzu jung sein, denn zwischen ihr und Thomas stand eine stattliche Reihe rotwangiger Mädel und stämmiger Burschen. Jetzt war sie auch die einzige, die täglich Zeit fand, einen Besuch im Krankenstübchen zu machen und den beiden Einsamen etwa einen Leckerbissen zu bringen. Einen Arzt für die Kranke zu holen, kam keinem in den Sinn, war überhaupt bei dem Landvolk jener Zeit nicht gebräuchlich. Wer so alt war, wie Muhme Lene, taugte ja nicht mehr viel auf der Welt und konnte wohl abkommen. Dennoch zog sich die Krankheit in die Länge, ja es ging der guten Alten sogar zeitweise besser, daß sie allerlei schönes Gespräch mit ihrem kleinen Pfleger führen konnte. »Zünd' doch das Lämpchen an«, bat sie eines Abends, »es ist ja schon sticheldunkel.« »Laß es noch ein Weilchen so«, bat der Knabe, der lange still auf seinem Schemel gesessen hatte. »Ich möchte dir heute was sagen, das mir schon lang auf dem Herzen liegt. Erst meint' ich, es sei ein Traum gewesen, aber es war doch keiner.« »So sag's, mein Bub, solang es noch Zeit ist.« »Weißt, Muhme, den Tag, als du krank wurdest, war ich doch mit dem Vater in der Stadt.« »Ja, Kind, ich weiß.« »Und abends lag ich im Stroh, und die Männer am Tisch dachten wohl, ich schliefe. Da erzählt' einer was halblaut, und ich mußt' horchen, ich mocht' wollen oder nicht. Der Mann hat erzählt von zwei jungen Mönchen, Johannes und Heinrich haben's geheißen. O denk' nur, Muhme, die hat man in einem großen Feuer verbrannt, ganz lebendig! Nichts Böses haben sie getan, sind schön, fromm und brav gewesen; aber sie haben etwas geglaubt, was man nicht glauben darf! Was es war, konnt' ich nicht verstehen. Und doch haben sie sich nicht gefürchtet! Sie haben gesagt, es sei, als streue man ihnen Rosen unter die Füße! Der Mann, der's erzählte, sah sich ängstlich um, als dürfe man nicht davon reden. Ich aber mußt' bitter weinen, o so bitter; schlief aber bald darüber ein, und am Morgen dacht' ich, es sei ein Traum gewesen.« »Hast du seither zu jemand davon gesprochen?« fragte die Kranke. »Nein, Muhme! So was sag' ich nur dir.« »Das ist recht! Und wenn ich nimmer da bin, sag' es Gott, und bitte Ihn, daß Er dich auf den rechten Weg führt. Jetzt zünd' das Lämpchen an, schieb mir ein Kissen untern Kopf und laß mich einen Schluck Milch trinken. Du bist noch kindisch; wenn du aber männlicher wirst, bin ich nimmer da, darum will ich dir jetzt was aus meiner Jugend erzählen. Du weißt, ich bin deines Großvaters Schwester. Wir waren arm und früh verwaist. Im Norden des Landes, bei der Stadt Zwolle, waren wir daheim. Für den Knaben sorgten Anverwandte; es ist ihm gut gegangen, und er hat endlich dies Bauerngut erworben. Mich aber nahmen fromme Frauen in ein großes Haus auf, wo ich gar stille, friedliche Jahre verlebt und viel Gutes gelernt habe. Diese Frauen waren keine Nonnen und hatten kein Gelübde getan. Freiwillig wohnten sie beisammen und nannten sich ›Schwestern des gemeinsamen Lebens‹. Gar emsig ging's bei ihnen zu. Alles, was Frauenhände nur schaffen können, hab' ich dort gelernt, und mit mir eine große Zahl armer Mägdlein, die man dort erzog. Im Hause blitzte alles vor Sauberkeit, und das Paradiesgärtlein kann kaum schöner gewesen sein als unser Garten. Wir lernten auch beten, lesen und schreiben, und wenn wir spinnen oder nähen mußten, las man uns oft vor aus dem Bibelbuch. Nicht lateinisch, sondern in der trauten Muttersprache. O wie gern hörten wir zu! Alle die schönen Geschichten von Abraham, Joseph, David und dem hochgelobten HErrn Christo, die du so gern hörst, weiß ich von jener Zeit her. Auch wenn man uns zur Kirche führte, hörten wir die liebe Muttersprache. Auf der Kanzel stand dann oft ein kleiner Mann mit gar wunderbar leuchtenden Augen, den wir alle gern hatten. Ich war noch ein sehr kleines Ding, konnt' aber doch schon verstehen, wie er uns lehrte, unsere Hoffnung allein auf den HErrn JEsum zu setzen, der für uns am Kreuz gestorben sei. Auch mahnt' er uns gar freundlich zu Lieb' und Frieden, zu Treu' und Gehorsam. Als ich größer ward, predigt' er nimmer; er verließ das Sankt Agnes-Kloster nicht mehr, war auch schon sehr alt. Sein Name war Thomas von Kempen, und du bist nach ihm genannt.« »Ist er bei uns gewesen, als ich zur Welt kam?« fragte der Junge. »Red' nicht so albern! Wenn er schon alt war, als ich ein klein Mädel gewesen bin, wie konnt' er da noch leben, als du in die Welt gucktest? Aber als ich dich aus dem ersten Bad hob, und deine Mutter kein freundlich Gesicht machte, weil du ein jämmerlich Büblein warst, schlugst du die Augen weit auf und sahest mich an mit wunderbar tiefem Blick, der mich an ein Auge erinnerte, in das ich vor langer Zeit gern geschaut. Ueber Nacht fiel mir's ein, daß es des Predigers Thomas Auge war, und bat den Vater, dich Thomas zu nennen.« Erschöpft schwieg die Kranke. Der Junge aber fragte: »Ja, Muhme, das mag ein guter Mann gewesen sein, aber was hat er mit den jungen Mönchen zu tun, die man jüngst verbrannt hat?« »Wart' nur, laß mich ein wenig verschnaufen. Sieh«, fuhr sie nach einer Weile fort, »du denkst wohl, den guten Pater Thomas und die braven Brüder und Schwestern des gemeinsamen Lebens hätten alle Leute lieb gehabt? Gar nicht! Viele, besonders Priester und Mönche, haben sie beschimpft, gehaßt und verspottet.« »Aber warum denn? Sie taten ja niemand ein Leid?« »Nein; aber sie wußten mehr von himmlischen Dingen und lebten reiner und frömmer als die andern, waren auch so kühn, zum Himmelskönig selbst zu beten, statt zu den Heiligen. Darum hat man sie gehaßt und verachtet, und würde sie gern ausgerottet haben, wenn das Volk sie nicht so geehrt und geliebt hätte. Sieh, die zwei Knaben, Johannes und Heinrich, sind wohl auch gottseliger gewesen als die andern Mönche, und der Heiland hat sich ihnen offenbart vor andern. Das können die stolzen Priester nicht vertragen, und deshalb hat man sie verbrannt. Ihrem Leibe hat's ja weh getan, aber im Herzen haben sie himmlischen Trost gehabt; darum war's ihnen, als streue man Rosen unter ihre Füße.« Eine Zeitlang herrschte tiefes Schweigen im Kämmerlein; dann sprach die Alte: »Halt still im Herzen, was ich dir gesagt hab'. Ich weiß, du bist kein Schwätzer! Wer weiß, wie bald du mehr davon erfährst! Jetzt leg' mich nieder, denn ich bin matt.« Es war das letztemal gewesen, daß die Muhme lange und zusammenhängend sprach. Am andern Morgen war eine Wendung in ihrer Krankheit eingetreten; sie war müde und hinfällig an Leib und Seele; ja, zuweilen wanderte ihr Geist, so daß sie seltsame Dinge redete, und dem einsamen kleinen Pfleger bange ward. Doch beklagte er sich gegen niemand darüber. Es hätte ihm auch nichts genützt, da die Ernte eben in vollem Gange war und alle Hände reichlich beschäftigte. Ja, man hätte wohl oft vergessen, ein Süppchen oder einen Brei für die beiden Stillen im Dachkämmerchen zu kochen, wenn es Grete nicht getan hätte. Sie war es auch, die den Vater mehrmals erinnerte, daß es wohl Zeit sei, den Priester zu holen, damit er der Kranken die Sterbesakramente reiche. Er hätt' es wohl getan, doch wollte die Mutter nichts davon wissen. »'s hat wohl Zeit, bis das Korn herein ist«, sagte sie. »Wenn der Pfaff den weiten Weg machen soll, müssen wir ihm einen guten Tisch rüsten und den Schmutz aus der Diele schaffen. Dazu hat jetzt niemand Zeit. Die Alte hat ein gar zähes Leben!« Droben im Kämmerlein aber ward's stiller und stiller. Die Kranke litt nicht viel und lag meist mit gefalteten Händen. Eines Abends, als es schon dämmerte, fragte sie leise: »Thomas, was ist das da unten am Bettrand?« »Das Bildchen, gute Muhme, das ich dir jenesmal aus der Stadt mitbrachte. Aber du kannst's nicht erkennen, 's ist ja fast finster.« »O, ich seh' es wohl! Du mußt's ändern! Nimm der Mutter das Krönlein ab und setz' es dem Kinde auf.« »Wie kann ich? 's ist ja nur gemalt.« »Du hast's schon getan! Ich seh' Ihn ja mit der Himmelskrone! Die Arme breitet Er aus, die ganze Welt an Sein Herz zu ziehen! Auch mich, die arme Alte! O mein Heiland, mein Erlöser!« Nun ward sie still; nur schwacher Dämmerschein drang noch durchs kleine Fenster. Der Knabe kniete am Bett und wagte nicht aufzustehen, um das Lämpchen anzuzünden. Die Muhme atmete so schwer. Es dauerte lange; der Kopf des kleinen Pflegers sank auf den Bettrand nieder, leichter Schlummer umfing ihn. In Haus und Hof ward es lebendig; man brachte die gefüllten Erntewagen herein. Sobald Grete einen Augenblick frei hatte, sprang sie die Treppe hinauf ins Krankenstübchen. Sie fand den Bruder schlafend; die Muhme tot mit stillen, verklärten Zügen. Nur von Grete und Thomas ward sie schmerzlich beweint und in liebreichem Andenken behalten. Die andern meinten, sie sei eben alt und unnütz geworden, und es wäre recht gut, daß sie nicht länger zur Last gelegen habe. Niemand dachte dankbar daran, daß sie ihre Kraft dem Wohle des Hauses geopfert, und alle Kinder, vom ältesten bis zum jüngsten, zärtlich auf den Armen getragen hatte. Nach wenig Tagen ruhte ihr müder, abgezehrter Leib im Grabe. Die beiden Getreuen hätten es gern gesehen, wenn man eine schöne Steinplatte darauf gelegt hätte, aber davon wollten der Bauer und seine Frau nichts wissen. Doch ließ man ein paar Seelenmessen für sie lesen, damit sie die Qual des Fegefeuers nicht allzulange leiden müsse. Immerhin war's schlimm, daß man den Priester nicht früher geholt. Thomas aber hatte dabei seine eigenen Gedanken, die er niemand anvertraute, nicht einmal der guten Grete. Er wußte fest und gewiß, daß Muhme Lene nicht im Fegefeuer war, sondern im Himmel bei Gott und dem HErrn Christo. Sie hatte Ihn ja selbst im Geist gesehen und ganz laut zu Ihm gerufen! Immer und immer wieder klang ihm dieser letzte Ruf in den Ohren und noch lauter im Herzen. Eines Tages erbat er sich vom Schulmeister ein Stücklein reines Papier, saß lange damit in einem Winkel und schrieb endlich ein Verslein drauf: »Schlaf wohl, du liebe Muhme In deinem stillen Grab! Nur eine Rosenblume Ich drauf gepflanzet hab'. Von langer Arbeit ruhet Dein müder Leib sich aus; Die Seel' ist aufgeflogen Zu ihres Gottes Haus. Mein Heiland! Mein Erlöser! So riefst du himmelwärts; Und wer so ruft, den drücket Der Heiland an Sein Herz. Es wäscht ihn der Erlöser Von allen Sünden rein, Führt ihn im weißen Kleide Zur Himmelstür hinein.« Dann riß er ein Stück der Silberborte ab, die sein Sonntagswams schmückte, ging still hinaus zum Kirchhof und band das Zettelchen an den Rosenstock, den er mit Grete aufs Grab gepflanzt. Nun hatte doch Muhme Lene eine Grabschrift! Aber über Nacht kam ein Sturmwind, riß das Blättlein los und trug es hoch hinauf in die Luft, bis es in den Wolken verschwand. Am andern Tage ging der Priester am Grabe vorüber, blieb einen Augenblick stehen und lächelte über das Silberschleifchen. Da war's gut, daß die Grabschrift weg war. Den Winter über lief der Knabe fleißig den weiten Weg zur Schule und lernte schnell und gut, was es dort zu lernen gab; es war nicht allzuviel! Kam er müde nach Hause, so dachte er sehnsüchtig an die gute Muhme, die ihm stets sein Essen warm gehalten hatte. Jetzt fand er Topf und Schüssel oft leer, und mußte mit einem Stück Brot vorliebnehmen. Dazu ward ihm alle Arbeit aufgespart, zu der sonst niemand Lust hatte. Was allen zu gering, zu schmutzig, zu langweilig war, das konnte ja der Thomas tun, der sonst zu nichts taugte. Grete konnte ihm dabei wenig helfen, da sie unterm strengen Regiment der Mutter stand. Da war's eine rechte Erleichterung für den Jungen, als ihn der Schulmeister den Chorknaben zugesellte, die an Sonn- und Feiertagen im Dorfkirchlein singen und auch die Woche hindurch bei den Messen und Vespern am Altar dienen mußten. Hätte er das Bildchen vom Bettrand der Muhme noch gehabt, würde er sich vielleicht gewundert haben über die hohe Ehre, die man der Jungfrau Maria gönnte, während des Heilandes der Welt nur wenig gedacht wurde. Leider aber war das Bildchen zerrissen, als er's vom Holze ablösen wollte. Auch über die Predigt, die meist nur aus Heiligenlegenden, Anpreisung von Wallfahrten und Reliquien und dergleichen Dingen bestand, würde er sich gewundert haben, wenn er älter und erfahrener gewesen wäre. Ja, er dachte wirklich manchmal daran, daß Thomas von Kempen wohl anders geredet haben mochte. Aber das geschah nur selten, da träumerische Kinder meist erst spät zusammenhängender Rede folgen lernen. Dazu kam, daß die Zeit in Schule und Kirche seine beste war. Daheim hieß er nur zu oft Taugenichts, Traumtoffel oder unnützer Bengel, während Priester und Lehrer seinen Gesang und sein sittsames Betragen lobten. Ach, daheim war's nimmer schön! Dem Vater war über den Winter die Gicht in die Beine gefahren, so daß Robert, der älteste Bruder, nun das Regiment führte. Der war ein riesenstarker Mensch, arbeitete für zwei, kommandierte aber auch die andern wie der beste General. Die ließen sich's nicht immer gefallen, so daß es oft zu Streit und Zank, ja zu hitzigen Balgereien kam, die den schüchternen Jungen mit Todesangst erfüllten. O wie gern entfloh er dann in den Frieden des Dorfkirchleins, wo die Klänge der kleinen, sehr geringen Orgel und die weichen Knabenstimmen sein trauriges Herz beruhigten und geheimnisvoll über alles Erdenleid erhoben! Hinauf zu Gott, zum Heiland und zu Muhme Lene! Indessen ließen sich die Brüder die Tyrannei des Aeltesten nicht lange gefallen. Stand ihnen denn nicht die Welt offen? So verdingte sich der eine auf ein Schiff, das weit weg in die neuentdeckten Länder fahren wollte; der andere zog in die Stadt, um ein Handwerk zu lernen. Da war's gut, daß Schwester Grete, deren Gemüt so weich und liebreich war, fast Manneskräfte hatte und mit Roß und Wagen meisterlich umgehen konnte. Darum überließ man ihr die Stadtfahrten an den Markttagen und gab ihr Thomas zum Gehilfen mit, so oft es sein Kirchendienst erlaubte. Das waren Freudentage für die beiden. Schon auf dem Wege schmiedeten sie Zukunftspläne. Thomas wollte sicherlich dafür sorgen, daß es seine Grete einmal sehr, sehr gut haben sollte, wenn er erst groß genug war, um Geld zu verdienen. Nimmer würde er eine Frau nehmen; Grete sollte ihm die Suppe kochen und das Gewand flicken, und abends wollten sie zusammensitzen und einander wundersame Dinge erzählen. Aber was er werden wollte, wußte er immer noch nicht. Er war allzu schüchternen Sinnes und traute sich wenig zu. Bei jedem Handwerk, das ihm Grete vorschlug, meinte er, das könne er ja sein Lebtag nicht begreifen; es sei allzu schwer. In die Marienkirche kam er noch oft, aber das Bild war nimmer da. Ein Hagelschlag hatte es zerstört, und man hatte es durch das Bild irgend eines Heiligen ersetzt. Am Hause des Goldschmieds, dem er den Heilruf gebracht, kam er an jedem Markttag vorüber. Er sah in dem Säulengang neben der Haustür die kostbaren Waren ausgebreitet, streng bewacht von den Gehilfen. Nur aus ehrfurchtsvoller Entfernung durften Vorübergehende die glänzenden Becher, Schalen und Krüge, die goldenen, edelsteinbesetzten Armringe, Ketten, Schwertgriffe, Gürtel und Stirnbänder betrachten, denn die starke seidene Schnur, die von Säule zu Säule gespannt war, ward nur für Käufer zurückgezogen. Die Gehilfen aber priesen die prächtigen Waren mit lauter Stimme an. Thomas hatte wenig Sinn für diese Herrlichkeiten, zog aber die Mütze tief, so oft er das ernste Gesicht des Goldschmieds am Fenster der Werkstatt erblickte. Wenn sein Gruß freundlich erwidert ward, errötete er und war den ganzen Tag fröhlich, ohne recht zu wissen, warum. Noch freudiger stimmte es ihn, als er, den Blick zu den Fenstern der Wohngemächer erhebend, die liebliche junge Frau erkannte, noch zarter als am Hochzeitstag, aber mit glücklichem Lächeln ein feines Kindlein emporhaltend, damit es auf die Straße hinabblicke. Fröhlich schwenkte Thomas seine Kappe; das kleine Mägdlein aber bewegte das zierliche Händchen, wie man es zum Gruße gelehrt. Noch mehrmals sah er es in diesem Jahre und freute sich seiner Lieblichkeit. Im nächsten Sommer aber führte es die Wärterin schon vor der Haustür auf und ab, und es jauchzte über das Marktgewühl. Da flog Thomas zu seinem Wagen, holte die allerschönste Rose aus dem Blumenkorb, bückte sich zu dem Kinde nieder und steckte sie ihm ins ausgestreckte Händchen. Da hob es das goldblonde Köpfchen, lächelte gar holdselig und küßte die gebräunte Wange des Knaben. »Was hast du denn, Bub?« fragte die Schwester, als er atemlos wieder angerannt kam. »Bist ja feuerrot und siehst ganz verklärt aus.« »Wie sollt' ich nicht?« rief der Junge mit strahlenden Augen. »Hat mir doch eben ein holdes Mägdlein die Wange geküßt.« »Na, du machst mir schöne Sachen! Was gehen dich kleinen Knirps die Mägdlein an? Wie alt war's denn wohl?« »Noch nicht zwei Jahre! Es war des Goldschmieds Töchterlein.« Da lachte die gute Grete herzlich, faßte den Buben beim Kopf und küßte ihn, aber viel derber als das feine Kind des reichen Mannes. 3. Im Kloster. Die Zeit verstrich. Thomas war im vierzehnten Jahr und hatte alles gelernt, was in der Dorfschule zu lernen war; ja, sogar etwas mehr, da der Lehrer ihm sehr zugeneigt war und ihn tiefer in die Anfangsgründe der lateinischen Sprache eingeführt hatte als die andern Chorknaben. Was sollte nun aus ihm werden? Zum Bauer fehlten ihm die Körperkräfte, zum Handwerk die Geschicklichkeit, zum Kaufmann die Klugheit und die Liebe zum Geld. Er hätte ja am liebsten alles verschenkt! Da blieb nur noch das übrig, was damals für den bequemsten Lebensberuf galt: »Geistlich werden!« Man fragte ihn nicht allzuviel. Als Bruder Robert eine Frau ins Haus gebracht hatte, die ihm gar nicht gewogen war, fühlte er sich vollends nicht mehr daheim, und erklärte sich bereit, in die Schule des Dominikanerklosters einzutreten. »Aber ein Mönch werd' ich nimmer«, fügte er mit großer Entschiedenheit hinzu. »Ein Leutpriester werd' ich, der sein eigen Häusel hat mit einem Gärtlein daran. Da nehm' ich die Grete mit hinein.« Nun, das würde sich alles finden. Wenn er nur einmal im Kloster war, würde ihm das bequeme Leben schon gefallen. Grete nähte ihm ein paar neue Hemden und schnürte sein kleines Bündel. Die glänzende Münze, die ihm der Goldschmied damals geschenkt, gab er ihr zum Aufheben. Nach schwerem Abschied vom kranken Vater, von Grete und dem Grab der guten Muhme, und sehr leichtem von den andern, fuhr ihn Robert der neuen Heimat zu, wo er ihn schon angemeldet und ein Opfer in die Klosterkasse gelegt halte. Dicht vor den Toren der Stadt bildete das reiche Kloster fast ein Städtlein für sich. Da war das große Bruderhaus, das die Zellen der Mönche, die Bibliothek und den Kapitelsaal enthielt, das Abthaus, in dem der hohe geistliche Herr in fast fürstlicher Pracht lebte, das Refektorium, die Wirtschaftsgebäude, die Häuslein der Klosterknechte, die Schule und endlich die große herrliche Klosterkirche. Schattige Säulengänge, weitläufige Höfe und blühende Gärten umgaben diese Gebäude, der Felder und des Klosterwaldes außerhalb der Mauern gar nicht zu gedenken. Von all diesem Reichtum bekam Thomas jetzt nichts zu sehen. Nach kurzem Abschied von Robert führe ihn ein dienender Bruder zu einem alten, schmucklosen Hause, umgeben von einem großen, mit etlichen Bäumen bepflanzten Hof. »Warte hier, bis die Schule aus ist«, sagte sein Begleiter, auf eine Bank zeigend, wo sich schon ein kleinerer, schwarzlockiger Junge niedergelassen hatte, der, das Antlitz in die Hände verborgen, bitterlich weinte. Das war etwas, was Thomas durchaus nicht ertragen konnte. Schon als ganz kleines Kind hatte er oft Muhme Lenes und Gretels Tränen mit seinen winzigen Händlein abgewischt. Leise trat er hinzu, ließ sich bei dem Fremden nieder und fragte schüchtern: »Warum weinst du denn so sehr?« Da fuhr der Kopf empor, und ein paar blitzende Augen sahen den guten Jungen zornig an. »Ich weine nicht!« rief der Kleine heftig. »Niemand soll mich weinen sehen! Mußt' herumschleichen und andere Leut' belauschen?« »Nein, nein, du weinst jetzt nicht mehr«, versicherte Thomas. »Aber sehr traurig bist du doch. Bist du auch ein neuer Schüler wie ich?« Der Junge nickte und ballte die kleine, derbe Faust. Dann musterte er den andern mit forschendem Blick und fragte endlich: »Bist du willig hierher gekommen oder gezwungen?« »Recht willig«, erwiderte Thomas. »Ich mag gern geistlich werden, denn mein Sinn steht nach innen.« »Der meine aber steht nach außen!« rief der andere aufspringend. »Ein Reiter will ich werden mit Schwert und Schild, oder ein Schiffer, der in die weite Welt fährt und mit dem Sturm kämpft.« »Wer hat dich denn gezwungen, hierher zu kommen?« »Mein Vater! Als Buße für eine schwere Schuld gelobte er mich dem Kloster. Und ich soll nie mehr heraus! Er hat's gelobt, daß ich ein Mönch werde!« »So sei zufrieden. Sie sagen, es sei ein gut und friedlich Leben.« »Das mag ich eben nicht; es ist mir ein Greuel! In frischen, lustigen Kampf möcht' ich ausziehen und viel Wunderbares erleben. Aber du gefällst mir! Du hast Augen wie mein lieb Mütterlein, das gestorben ist, und sprichst gut und sanft wie sie. Reich' mir die Hand, wir wollen Freunde sein.« Freudig faßte Thomas die derbe, braune Hand des Ritterbuben, sein Name war Dietrich, und es ward ein Bund geschlossen, der für beide folgenreicher wurde, als sie jetzt ahnten. Wären sie Mägdlein gewesen, hätten sie einander wohl gleich ihre Lebensgeschichte erzählt; Knaben aber tun das selten und erst nach lang bewährter Freundschaft. So saßen sie still nebeneinander, mit den Beinen baumelnd und der Dinge wartend, die kommen sollten. Es dauerte auch nicht lange, da erhob sich auf den Klang eines Glöckleins Lärm im Hause; die Tür sprang auf, und die ganze Schülerschar kam herausgeflattert wie ein Schwarm freigelassener Vögel, um die kurze Erholungszeit zu genießen. Die Kleinen fingen muntere Spiele an; die Großen, Jünglinge bis zu achtzehn oder zwanzig Jahren, lustwandelten paarweise unter den Bäumen. Am geöffneten Fenster aber zeigte sich der geschorene Kopf des Lehrers, der den Neulingen befahl, zu ihm hereinzukommen, und alsbald ein scharfes Examen mit ihnen anstellte. Bei dem wilden Schwarzkopf fiel es kläglich aus. Auf dem Burgstall, wo sein Vater hauste, hatte er sich unter Reitern und Rossen herumgetrieben, auf Eichkätzchen und Vögel Jagd gemacht, von der Zinne des Turmes in die weite Welt hinausgeschaut, oder mit den Kindern der Knechte Krieg gespielt, der nur zu oft in wilde Rauferei ausgeartet war. Wenn aber der Kaplan von der Burg gekommen war, um ihn lesen und schreiben zu lehren, war er meist nirgends zu finden gewesen. Thomas dagegen wunderte sich selbst, daß er die Fragen des Lehrers so gut beantworten konnte. Hatte er doch daheim so wenig Gelegenheit gehabt, seine Gelehrsamkeit zu zeigen, daß er sich derselben kaum bewußt war. Sein deutliches Lesen, seine gute, feste Handschrift, besonders aber der tüchtige Anfang, den er im Lateinischen gemacht, erfreuten den Lehrer sichtlich. Er legte die Hand auf den blonden Kopf des bescheidenen Jungen und sagte freundlich: »Ei, du bist ja ein ganz gelehrtes Bäuerlein! Der kleine schwarze Rittersmann aber hat noch nicht tief in die Weisheit geguckt! Ich hab' wenig Zeit für ihn, denn meine Scholaren sind alle viel weiter. Nimm du dich seiner an und sorge, daß er bald die Geheimnisse der Lese- und Schreibekunst erfaßt. Kannst du auch singen?« »Ich denk's wohl.« »So sing' was!« Eine Weile besann sich der Junge, dann sang er glockenhell: »+In dulci jubilo+, Nun singet und seid froh, Unsers Herzens Wonne Liegt in +praesepio+ Und leuchtet als die Sonne +Matris in gremio, Alpha es et O, Alpha es et O+!« »Brav gemacht! rief der Lehrer.« »Aber warum ein Weihnachtslied zur Herbstzeit?« »Ich weiß nicht. Ich denk', ich war so froh, weil Ihr mich lobtet, Herr Magister.« »Singen kann ich auch!« schallte die kecke Stimme des kleinen Burgknappen dazwischen. »So? Zeig' mal deine Kunst!« Ohne sich lange zu besinnen, begann Dietrich aus voller Kehle zu schreien: »Wo soll ich mich hinkehren, Ich dummes Brüderlein? Wie soll ich mich ernähren? Mein Gut ist gar zu klein! Wie wir ein Wesen han, So muß ich bald daran! Was ich heut soll verzehren, Ist gestern schon vertan!« Dem Magister war gleich bei der ersten Zeile ein Husten angekommen, daß er sich abwenden mußte. Dann aber rief er entrüstet: »Willst du wohl 's Maul halten mit deinem Schelmstückel?« »Ist keins«, rief der Junge keck. »Ist ein munteres Reiterliedel! Hab's im Stall gelernt.« Da faßte ihn der Magister beim Ohr und sprach eindringlich: »Das glaub' ich wohl. Aber hier bist du nicht im Stall, hier bist du im Kloster. Darum sei manierlich, halt dich zum Thomas, und tue, wie er tut; sonst geht dir's übel. Horch! Es läutet zum Essen. Folget den andern zum Schulrefektorium.« Als der Hirsebrei verzehrt war, ging's zum Nachtgebet in die Kirche und dann gleich in den Schlafsaal, wo man den beiden Neulingen zusammen eins der harten Klosterbetten anwies. Thomas war gutes Mutes; den armen Dietrich aber überkam das Heimweh gewaltig, so daß er noch lange, das Gesicht an der Schulter des Freundes bergend, vor sich hin schluchzte. Was war das für ein schlechter Ort, wo man nicht einmal ein munteres Reiterliedel singen durfte! Wenn Thomas sich darauf gefreut hatte, in stillen Kreuzgängen oder unter schattigen Bäumen nach Herzenslust zu wandeln und zu träumen, so hatte er sich gründlich geirrt. Zum Träumen war weder Raum noch Zeit. Denn obgleich der Lehrer ein braver Mann war und kein Tyrann, so galt doch auch von dieser Schule das Wort Luthers: »Die Kinder lernten mit großer Arbeit und unmäßigem Fleiß, doch mit wenigem Nutzen.« Nicht nur für die Kirche, auch für die Schule ist Luther ein großer Reformator gewesen. Hatten die Größeren ihre Aufgaben bewältigt, mußten sie mit den Kleinen üben, und Thomas plagte sich im Schweiße seines Angesichts, um in den harten Kopf des wilden Reiterleins einiges Licht zu bringen. Nicht immer konnte er den kleinen Bengel vor der langen Rute des Lehrers bewahren, doch machte er sich wenig aus den Schlägen, wenn sie nicht allzu derb kamen. Bei den Faustkämpfen mit den Burgbuben hatte es genug Beulen und Striemen gegeben! Bestand er allzu schlecht in seiner Lektion, sperrte man ihn wohl über Mittag, während die andern zum Essen gingen, in der Schulstube ein. Da geschah aber nachmittags regelmäßig etwas Unerwartetes. Vielleicht krachte plötzlich eine Bank zusammen, die bisher noch ganz fest gewesen war, so daß alles, was darauf saß, zu Boden purzelte. Oder es zeigten sich Tintenkleckse, wo niemand sie vermutet hätte, wohl gar auf der Rückseite des Lehrers. Zuweilen hatte auch die ganze Schar Mühe, das Lachen zu verbeißen, wenn an irgend einer Stelle, die die kurzsichtigen Augen des Magisters nicht erreichten, ein lächerliches Bildchen angemalt oder ein Verslein hingeschmiert war, das ganz und gar nicht ins Kloster paßte, als zum Beispiel: »Rück' an den Schweinebraten, Dazu die Hühner jung; Darauf mag baß geraten Ein frischer, kühler Trunk.« Auch die damals übliche Strafe des Eselreitens mußte er oft erdulden. In einer Ecke der Schulstube stand der »+Asinus+«, das heißt, eine fast lebensgroße hölzerne Eselsfigur mit scharfkantigem Rücken und durch langen Gebrauch spiegelglatt geriebenen Seiten. Dieses ungefüge, rauchgeschwärzte Tier mußten faule, nichtsnutzige Schüler besteigen, und hatten schwere Mühe, sich darauf festzuhalten und zugleich die Tränen der Scham und des Schmerzes abzuwischen, die ihnen über die Wangen rollten. Purzelten sie herunter, gab es Hohngelächter und obendrein noch Schläge. Dietrich aber schwang sich gleichmütig und behende auf dies häßliche Reittier und trieb es, sobald der Lehrer den Rücken kehrte, durch allerlei komische Gebärden zum Laufen an. Das alles trug zwar dazu bei, die Schule in guter Laune zu erhalten, doch ward Dietrich mehr und mehr das schwarze Schaf in der kleinen Herde. Im zweiten Jahre aber schien der frische Mut des Wildlings erschöpft. Er war trotz der schmalen Kost tüchtig gewachsen, trieb aber fast keinen Schabernack mehr, lernte, soviel er eben mußte, und ging still und mürrisch seines Weges. Nur dann und wann erinnerte noch ein toller Streich an seine wilde Natur. Freundschaft hatte er mit keinem geschlossen, außer mit Thomas, dem er so zugetan war, wie etwa ein kleiner gezähmter Bär seinem Herrn. Saß Thomas lesend unter einem Baum im Hofe, oder zur Winterszeit am Feuer der Schulstube, während die andern allerlei Kurzweil trieben, so geschah es manchmal, daß Dietrich sich zu seinen Füßen niederließ, das heiße Gesichtchen in seiner Kutte verbarg und nach einigem Seufzen und Stöhnen in bittere Tränen ausbrach. Ach, das arme Reiterlein hatte bitteres Heimweh nach der goldenen Freiheit und tief, tief im Herzen ein unbefriedigtes Sehnen nach Liebe und inniger Freundschaft! Dann zog ihn Thomas an sich und sprach leise Worte zu ihm von JEsu, dem Heiland aller Welt, der auch den wilden Dietrich liebte, schützte und führte, der auch für ihn am Kreuz gestorben war und ihn ewig selig machen wollte. Er wunderte sich oft selbst, daß er zu dem Knaben ganz so sprechen konnte, wie Muhme Lene einst zu ihm geredet. Er wunderte sich auch, daß er, den man daheim so gering geachtet, hier nach und nach zu Ehren gekommen war. In der Schule ging's ihm gut; ja, der Lehrer nannte ihn nicht selten ein feines, gelehrtes Männchen. Auch beim Sangmeister war er wohl angeschrieben, und das Singen in der Kirche machte ihm Freude, wenn's nur nicht allzuviel gewesen wäre. Im Sommer ging's noch; aber im Winter war's wirklich kein Spaß, im dünnen Röcklein stundenlang, ja bis in die Nacht hinein, zu üben, bis der mehrstimmige Kunstgesang, der damals in den Niederlanden in hoher Blüte stand, fehlerlos von statten ging. Auch während der vielen Gottesdienste froren die armen Jungen entsetzlich. Die Mönche sahen dann meist recht dick aus, als hätten sie sich unter den Kutten wohlverwahrt, wenn sie auch nicht kostbare Pelzmäntel hatten wie der Herr Abt und die andern hohen Würdenträger. Auch waren sie ja inwendig besser ausgepolstert als die armen Schüler. Dietrich, der zuzeiten heimliche Entdeckungsreisen machte, über Mauern kletternd und durch enge Guckfensterlein schlüpfend, war auch einmal in die Klosterküche geraten und hatte einen Blick getan auf die mächtigen Braten und das duftende Backwerk, das zum Anrichten bereit stand. Daß ihn einer der Köche erwischt, mit dem Holzlöffel tüchtig gedroschen und unsanft hinausgeworfen hatte, brauchte niemand zu wissen. Ja, bei solcher Kost ließ sich's schon leben! Freilich gab's auch unter den Mönchen abgezehrte Gestalten mit unheimlich glänzenden Augen und hohlen Wangen. Das waren solche, denen es ein rechter Ernst war mit der Weltentsagung, und die durch Fasten, Wachen und Beten, ja durch allerlei selbstauferlegte Qualen Gott zu versöhnen trachteten. Wenn Thomas sie nachdenklich beobachtete, fiel ihm allerlei ein, was Muhme Lene ihm erzählt, er sah im Geist ihr friedliches Antlitz während der langen Krankheit und hörte ihren letzten Ruf: »Mein Heiland, mein Erlöser!« Aber er war noch jung, und die Zeit selbständigen Denkens war für ihn noch nicht gekommen. Drei Jahre waren vergangen, seit Thomas und Dietrich in die Klosterschule getreten, da kam ein Herbst, der eine ganz ungewöhnlich reiche und schöne Aepfelernte brachte. Wie Purpur und Gold glänzten die Früchte in ungeheurer Menge zwischen dem dunkelgrünen Laub, während herrliches, sonniges Wetter das Reifen begünstigte. Da ward zur Freude der ganzen Schule ein voller Vakanztag angekündigt, an dem man hinausziehen und die Aepfelernte besorgen sollte. Da der Magister keine Lust hatte, an einem so lebhaften Vergnügen teilzunehmen, sondern einen wohlverdienten Ruhetag in seiner Kammer vorzog, ward die Aufsicht über die muntere Schar einigen Laienbrüdern anvertraut, die ein Auge zudrückten gegen manchen Unfug. Ei, das war ein Jauchzen und Springen, ein Lachen und Jubeln in den weiten, von Mauern umgebenen Obstgärten! Auf hohen Leitern, auf schwankenden Aesten standen und saßen die jungen Gestalten, die schönsten Früchte sorgsam in Körbe sammelnd, die geringeren abschüttelnd, daß die Aufsammler manch derbe Kopfnuß bekamen. Aber ganz hoch oben in den Wipfeln hingen fast die schönsten! Es war schade, sie herabzuschütteln; aber wer sollte so hoch hinauf? Dietrich! Das Reiterlein! Ja, das verstand zu klettern! Wie ein Vogel wiegte es sich in den höchsten Zweigen, füllte das Körbchen und glitt damit hinab wie ein Eichkätzchen. Manchmal war's auch gar nicht herunter zu bringen, sondern saß lange droben, sehnsüchtig in die weite Welt hinausschauend. Am Mittag labte man sich an Brot, Wurst und Käse mit einem reichlichen Nachtisch von den besten Aepfeln. Es war eine angenehme Abwechslung von dem ewigen Hirsebrei und Habermus. Nur gar zu früh neigte sich die Oktobersonne zum Untergang. Der Wagen mit den vollen Körben war schon abgefahren; die Pflücker aber trieben sich spielend, neckend, singend oder plaudernd unter den Bäumen umher, bis es die höchste Zeit zum Aufbruch war, wenn man das Abendgebet in der Kirche nicht versäumen wollte. Schnell ordnete sich der Zug. Den paarweise Wandelnden hätte niemand mehr die muntere Kurzweil angesehen, die sie eben noch getrieben. Aber wie? Zuletzt nur einer? Wer fehlt da? »Das Reiterlein!« »Der Bengel sitzt wohl noch auf einem Baum und stopft sich übervoll? Dietrich! Nichtsnutz! Wildfang! Wo steckst du nur? Na warte, wenn du die Kirche versäumst!« Keine Antwort. »Nun, er findet schon den Weg; vielleicht ist er vorausgelaufen, um stibitzte Aepfel im Bettstroh zu verstecken!« Aber Dietrich war nicht im Schlafsaal, nicht in der Schulstube, nicht in der Kirche; er war verschwunden. Erst am andern Morgen ward's dem Lehrer offenbart, und auch dieser hoffte noch, der Schelm habe sich irgendwo versteckt und befinde sich bei einem Haufen Aepfel ganz behaglich. Der gute Mann durchstreifte selbst die Gärten, die Höfe, die Felder, rufend und suchend, aber ganz umsonst. Ja, es blieb kein Zweifel, der Freiheitsdrang war ihm zu stark geworden, als er von den Baumwipfeln in die weite Welt guckte, und er war entflohen. Nachforschungen in der volkreichen Handelsstadt, wo täglich Scharen von Fremden zu den Toren ein- und wieder herausströmten, wo stündlich Schiffe den Hafen verließen, um in alle Welt zu ziehen, wären ganz vergeblich gewesen. Auch war Flucht aus dem Kloster zu jener Zeit nichts allzu Seltenes. Im Grunde war man froh, den Wildling los zu sein, der doch nur eine Last für die Bruderschaft geworden wäre. Nur Thomas trauerte um den Flüchtling. Der dunkle Kopf, der sich beim Einschlafen an ihn geschmiegt, die frische Stimme, die ihn am Morgen geweckt, der dankbare Blick der schönen schwarzen Augen fehlte ihm allzusehr! Jetzt erst fühlte er, wie lieb ihm der Knabe gewesen, schloß auch mit keinem andern engere Freundschaft. Er war nun ins Jünglingsalter getreten, wo man weicher empfindet und gern träumt und schwärmt. Musik und Gesang, ja die ganze, den Sinnen schmeichelnde Art des Gottesdienstes, die Bilder, die Statuen, das geheimnisvolle Licht der ewigen Lampe, dies alles machte mehr und mehr Eindruck auf sein Gemüt. Wäre es doch vielleicht besser, sich von allen irdischen Banden loszureißen, alle Wünsche auszugeben und als frommer Bruder sein Leben im Kloster zu verbringen? Dann kamen wieder Zeiten ganz entgegengesetzter Gefühle. Er war nun fast der Gelehrteste in der Schule; nur drei oder vier machten ihm dann und wann den Rang streitig. Da regte sich der Ehrgeiz, von dem er bis jetzt nichts gewußt. Er wollte und mußte der Erste sein, und wenn er's einmal nicht war, konnte er dem, der ihn überholt, kaum ein freundlich Wort zusprechen. Es half ihm gar nichts, wenn er es dem Priester beichtete und dann lange vor dem Altar kniete, um die auferlegten Bußgebete zu sprechen. Sobald er wieder aufstand, kam's ihm schon in den Sinn, ob er wohl morgen seine Sache am besten machen würde, am aller-, allerbesten! Nun, wenn er nur erst unter den frommen Brüdern wohnte, würde das ganz von selbst anders werden. Schneller als er gedacht verstrich die Schulzeit, und er war im Kloster. Hier aber erwartete ihn die bitterste Täuschung. Mit dem Studieren war's ganz vorbei, und die niedrigsten Dienste wurden ihm aufgetragen. Gänge und Säle fegen, Teller und Schüsseln waschen, Wasser vom Brunnen und Holz aus dem Schuppen schleppen, das war seine Arbeit, zu der er sich ungeschickt genug anstellte. Das Schlimmste aber war, daß es unter den frommen Brüdern ganz anders zuging, als er sich's vorgestellt. Statt brüderlicher Liebe herrschte nur zu oft Streit und Eifersucht, statt heiligen Ernstes leichtfertiger Scherz, statt Nüchternheit Völlerei, und ein Aufwand im Essen, der ihn oft anwiderte. Die bleichen, stillen, hohläugigen Brüder aber, die unbekümmert um dies alles ihren Weg gingen und ihrem Leibe auch die allernötigste Pflege versagten, gefielen ihm auch nicht, da er bald merkte, daß sie in geistlichem Hochmut geringschätzig auf die andern herabsahen. Endlich mutete man ihm etwas zu, was ihm im Grunde zuwider war. Es ging ihm wie Doktor Luther; er mußte mit dem Sack auf dem Rücken von Haus zu Haus laufen, um Gaben für das Kloster zu betteln. Für das Kloster, das hinter seinen Mauern so unermeßlichen Reichtum barg! Aber das ging ihn ja nichts an; er hatte nur zu gehorchen. Immerhin war's schön, wieder einmal unter Menschen zu kommen, die keine Kutten trugen, und die altbekannten Straßen wieder zu durchlaufen. Da war der Markt, wo er als Knabe Gemüse und Blumen verkauft; da war die Straße, wo der Goldschmied wohnte! Keine Macht der Welt hätte ihn dazu gebracht, in seinem Hause zu betteln; kaum wagte er zu den Fenstern emporzublicken. Es war alles recht still da oben; nur einmal erkannte er ein feines Köpfchen mit langen goldblonden Zöpfen. Das war das holde Mägdlein, das ihn damals geküßt. Unter den Säulen waren an Markttagen die Gold- und Silberwaren ausgebreitet wie ehemals; wenn aber der Goldschmied sich zeigte, wandte Thomas schnell das Gesicht ab. Dagegen beobachtete er oft zwei Knaben, ein paar Jahr älter als das Mägdlein, die sich spielend vor dem Hause umhertrieben oder beim Verkaufsplatz kleine Dienste taten. Einer blondhaarig, rotwangig und freundlich; der andere dunkel, feurig, mit unruhigen Augen. Wer mochten sie wohl sein? Da die Stadt so groß, und der Bettelsack oft recht schwer war, mußte Thomas oft ein wenig ruhen auf dem Steinsitz vor einer Tür, oder auf einer Bank im Hofe. Da konnte es nicht fehlen, daß er manches Gespräch mit anhörte, das Nachbarn oder Gesellen miteinander führten. Zuweilen wurde dabei von Ketzern geredet, die hier und da in der Stadt aufgetaucht, meist aber bald auf geheimnisvolle Weise verschwunden waren. Der ärgste Ketzer schien ein Doktor Luther zu sein, der drunten im Sachsenland sein greuliches Wesen trieb. Auch im Kloster hatte man furchtbare Verwünschungen gegen ihn ausgestoßen. Was aber ein Ketzer eigentlich sei, konnte sich Thomas nicht recht vorstellen, jedenfalls etwas ganz Erschreckliches. Daß die liebe, fromme Muhme Lene eine Ketzerin gewesen, ja daß der Vers, den er ihr aufs Grab gehängt, ein rechter Ketzervers gewesen war, das ahnte er nicht. Als er etwa zwei Jahre im Kloster war, drängten sie ihn, das Mönchsgelübde abzulegen; doch konnte er sich nicht dazu entschließen und bat immer von neuem um Aufschub. Seinen Wunsch, Leutpriester zu werden, hatte er auf Rat des Lehrers geheim gehalten. »Wenn sie merken, daß du dir's wünschest, wird sicher nichts daraus«, hatte er gesagt. »Befiehl's Gott; Er wird's wohl machen!« Endlich ward ihm der Bettelsack abgenommen; doch konnte er sich nicht recht darüber freuen, denn als er ihn zum letztenmal geschleppt, hatte er etwas gar zu Trauriges gesehen. Aus dem Hause des Goldschmieds hatte man einen Sarg herausgetragen, dem viele Trauernde nachfolgten. Der erste war der Goldschmied selber, gebeugt und ergraut, sein holdes Töchterchen an der Hand führend. O wie bitterlich weinte das arme Kind! Die zwei Knaben folgten in langen Trauermänteln. Ja, die liebe, schöne Frau, der er damals an der Kirchtür den Lilienstengel gereicht, war gestorben? War das nicht gar zu traurig? Doch hatte er nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn man führte ihn in die Klosterbibliothek, die er bisher nur selten betreten, und sich über die vielen Bücher, aber noch mehr über den dicken Staub, der darauf lag, gewundert hatte. Diesen Staub einmal gründlich zu entfernen, und die Bücher in gute Ordnung zu bringen, trug man nun dem Jüngling auf. So war er auf lange Zeit beschäftigt und versorgt. Mit gewaltigem Eifer machte er sich an die Riesenarbeit und wirbelte einen so dichten Nebel auf, daß die wenigen Brüder, die noch nach Büchern fragten, ihn beim Eintreten kaum erkennen konnten. Nach und nach aber fiel ihm ein, daß Bücher nicht nur zum Abstäuben auf der Welt sind; er schlug dann und wann eins auf und sammelte allerlei Gelehrsamkeit, ohne daß das Suchen und Fragen seines Herzens dadurch gestillt wurde. Endlich aber fand er hinter einer Reihe mit uraltem Staub bedeckter Folianten einige lose zusammenhängende, vergilbte Blätter. Es schien ein Teil eines Buches zu sein, das man zerrissen. Als Thomas die dicke Staubdecke entfernt und eine darinsitzende Spinne totgetreten hatte, las er auf dem ersten Blatt deutlich den Namen: »Johann Wessel.« Stehend begann er zu lesen, ließ sich aber bald auf einen Stoß Bücher nieder und las und las! O Wunder, es war, als spräche Muhme Lene zu ihm; als erzähle sie ihm von den Schwestern des gemeinsamen Lebens und dem guten Prediger Thomas von Kempen. So, wie diese Blätter redeten, mochte er wohl gepredigt haben. »Mein Heiland, mein Erlöser!« Das war der Grundton, der sich hindurchzog. Mehrmals studierte er die Blätter durch, verbarg sie aber dann jedesmal hinter einer Reihe Bücher, die niemals gebraucht wurden. Der Inhalt schien ihm fast allzu kühn. »Nicht die Werke, der Glaube allein macht selig!« Wie konnte dieser Wessel wagen, das zu behaupten? Und doch klang es ihm süß und einladend. Der helle Klang des Glöckleins, das zum Mittagsmahl rief, erschreckte ihn fast. Schnell warf er die Blätter in einen Winkel und wollte hinauseilen, sich am Brunnen zu waschen. Da öffnete sich die Tür, und Bruder Ignatius, einer der strengen Asketen, der nur selten am Essen teilnahm, trat herein. Sich tief neigend, sprach Thomas: »Welches Buch wünschet Ihr, ehrwürdiger Vater, daß ich's Euch herabhole und reinige?« Aber die scharfen Augen des Mönches bemerkten eine Erregtheit im Antlitz und Wesen des Jünglings, und in demselben Augenblick sah er die gesäuberten Blätter am Boden liegen. Er hob sie auf, blickte hinein und schleuderte sie in den Kamin, wo der großen Kälte wegen einige Holzscheite loderten. Hätte Thomas sich zu einem Ausruf des Bedauerns hinreißen lassen, wär's sein Unglück gewesen; doch hatte er in der Klosterzucht schweigen gelernt, bediente den Pater aufs eifrigste und öffnete ihm zuletzt mit Ehrerbietung die Tür. Als der Winter sich zu Ende neigte, hatten sich die frommen Brüder eines Tages zur Beratung im Kapitelsaal versammelt. Da ward auch berichtet, daß der alte Leutpriester eines Fischerdorfes unweit der Stadt gestorben sei. Die Stelle gehörte dem Kloster; aber wer würde Lust haben, sie anzutreten? Das Kirchlein war klein und schlecht, das Häuschen vernachlässigt, der Garten wüst, die Gemeinde arm und nicht allzu gut angeschrieben. Da erhob sich Pater Ignatius und sprach: »Setzet Thomas, den Bauernsohn, darauf!« »Ist's nicht schade um ihn? Er hat einen feinen Kopf«, wandte ein Bruder ein. »Mir aber«, fuhr Ignatius gereizt fort, »ist eine Offenbarung geworden, daß er nicht für das Kloster taugt.« Da bat man ihn alsbald, doch ja nicht zu zürnen. Was er spreche, sei sicher vom Himmel geredet. Thomas müsse ins Fischerdorf, er möge nun wollen oder nicht. So gab man ihm die Priesterweihe, und er hielt mit großer Andacht seine erste Messe. Seine Freude über den Beruf tat er niemand kund als Schwester Grete. Man hatte sie, seit beide Eltern gestorben waren, in Roberts Hause wenig besser gehalten als eine Magd. Nun jubelte ihr treues Herz, daß sie dem Liebling den Haushalt führen sollte. Mit ihm besuchte sie noch einmal das Grab der guten Muhme; dann ward allerlei geringer, alter Hausrat, den niemand mehr mochte, auf den Wagen geladen, und die beiden hielten still und glücklich ihren Einzug ins Leutpriesterhäuschen. 4. Der Goldschmied und sein Haus. Als Thomas bei seiner letzten Bettelfahrt den Leichenzug vor des Goldschmieds Hause gesehen, hatte er zwar den Tod der lieblichen Frau herzlich beklagt, aber doch von der Größe und Tiefe der Wunde, die Gott in des Mannes Herz geschlagen, keine Ahnung gehabt. Der Klosterzögling wußte ja nichts von der Liebe, die zwei Herzen so verbindet, daß sie eigentlich nur ~ein~ Herz sind. Wird dies Band zerrissen, so lernt sich der Zurückbleibende wohl nach langem, heißen Kampf in Gottes Willen ergeben, doch bleibt sein Herz zerbrochen. Ein Teil ist emporgeschwebt zu Gottes Herz, das andere irrt sehnend und suchend unter den Menschen umher, die es, ach! so selten verstehen. Der einzige irdische Trost des einsamen Mannes war das lieblich heranwachsende Töchterlein Anna, das an Leib und Seele der Mutter ähnlich zu werden versprach. Am Lehnstuhl, und später am Lager der Mutter, hatte das wohlbegabte Mägdlein lesen und schreiben und noch mancherlei Schönes und Gutes gelernt. Jetzt führte es der Vater selbst weiter, so gut er vermochte, da er sich durchaus nicht von ihm trennen wollte, und die Klosterschulen, in denen man Mägdlein höherer Stände erzog, nicht leiden konnte. Ueberhaupt mißfiel dem tätigen, tief denkenden Manne das müßige Leben der Mönche und Nonnen aufs höchste. Damit es aber der kleinen Anna auch nicht an leiblicher Pflege und Anleitung zu häuslichen Tugenden fehlen möge, hatte der wackere Mann schon vor mehreren Jahren, als sein liebes Weib anfing zu kränkeln, die Witwe eines seiner Gehilfen ins Haus genommen. Ihren einzigen Sohn Gottfried, einige Jahre älter als Annchen, durfte sie mitbringen. Freundlich, gehorsam, sanftmütig und dabei doch männlichen, ritterlichen Sinnes, ward er der lebhaften Kleinen ein williger Spielgefährte und wackerer Beschützer. Das war der hübsche blonde Junge, den Thomas unter den Säulen gesehen. Aber wer war wohl der hitzige Schwarzkopf mit den feurigen Augen? Den hatte der Goldschmied eines Tages mit heimgebracht, und nur wenige wußten, wo und wie er ihn aufgefunden. Um es genau zu berichten, muß man ein wenig weit ausholen. Seit dem Jahre 1519 regierte der deutsche Kaiser Karl V. über die Niederlande, die vorher unter burgundischer Herrschaft gestanden, aber wegen ihrer vielen Freiheiten und Privilegien fast für einen Freistaat gegolten hatten. Karl V. aber ward nach seines Vaters, Philipp des Schönen, Tode Erbe der Niederlande und der österreichischen Hausmacht; von seiner Mutter aber erbte er Spanien und die neuentdeckten Länder Amerikas. Mit Recht sagte man daher, in seinem Reiche gehe die Sonne nicht unter. Karl war in den Niederlanden geboren, liebte das geistig hochstehende, gewerbfleißige und biedere Volk, und ward, wenigstens in der ersten Hälfte seiner Regierung, auch von ihm geliebt. Nur die ungeheuern Geldsummen, die er von diesen seinen reichsten Untertanen als Steuern forderte, erregten zuweilen den Unwillen der Bevölkerung. Damit dieser nun nicht in offene Empörung ausarten möchte, hielt der Kaiser stets eine Macht spanischer Soldaten unter Waffen, die dem unkriegerischen Handelsvolk gewaltigen Respekt einflößten. Als der Goldschmied einst am Hafen auf und nieder ging, um allerlei Geschäfte abzutun, war eine große Menschenmenge versammelt, um der Abfahrt eines Schiffes zuzuschauen, das eine Schar spanischer Soldaten in ihre Heimat zurückbringen sollte. Als das Fahrzeug endlich mit geschwellten Segeln dahinglitt, die Menge sich zerstreute, und der Lärm aufhörte, vernahm der Goldschmied das laute, bitterliche Weinen eines Kindes. Er schaute um sich und sah auf einem Stein einen schwarzlockigen Knaben sitzen, dessen kleiner, zarter Körper von heftigem Schluchzen erbebte, während die Tränen zwischen den vorgehaltenen Händen herausdrangen. Das war mehr, als der brave Mann ertragen konnte. »Was fehlt dir, armes Kind?« fragte er, die Hand auf den struppigen Schwarzkopf legend. »Was geht's Euch an?« war die mürrische Antwort. »Ihr helft mir doch nicht!« »Gern will ich dir helfen; nur mußt du mir erst dein Leid klagen. Hast du vielleicht Hunger?« Der Junge richtete sich auf, schüttelte den Kopf und sprach: »Aus Hunger mach' ich mir nicht viel; hab' ihn schon oft gehabt. Aber dort«, fuhr er fort, nach dem dahineilenden Schiffe zeigend, »dort fährt sie ins Heimatland, und mich hat sie verlassen! Schon oft nannte sie mich eine Last, einen Kobold, einen kleinen Teufel!« »Wer nannte dich so?« »Nun, meine Mutter, die den Soldaten Brot und Fleisch verkauft und viel Wein einschenkt. Sie schickte mich in die Stadt zurück, um etwas zu holen, und als ich wiederkam, war das Schiff fort.« »Wer ist denn dein Vater?« »Hab' nie einen gesehen! Wird wohl tot sein oder weg! Ich wollt', ich wär' auch tot und läg' im Grund; das Leben ist schlecht!« Diese, für ein junges Kind so unnatürliche Rede ging dem wackeren Mann tief zu Herzen. »Armes Kind!« sprach er. »Komm mit; du sollst wenigstens zu essen haben und ein Lager für die Nacht. Wie heißt du?« »Carlos. Ich bin ein Spanier«, erwiderte der Junge stolz. »Eure häßliche Sprache hab' ich erst hier gelernt; die unsere ist viel schöner.« Nachdem Carlos in des Goldschmieds Küche gegessen und in einem Nebenkämmerlein seinen Kummer ausgeschlafen hatte, fragte er nicht, ob er dableiben dürfe, sondern blieb eben da und war gleich daheim in den Wirtschaftsräumen des Hauses. Wenn er wollte, konnte er dem Gesinde hurtig und geschickt zur Hand gehen; wollte er nicht, so war nichts mit ihm anzufangen. Auch in der Schule, die er mit Gottfried besuchte, lernte er zuweilen mit großem Eifer, um dann wieder eine Zeitlang mürrisch und verschlossen einherzugehen. Oft zeigte er Leidenschaft und Rachsucht, dann aber wieder ein stürmisches Verlangen nach Liebe und Freundschaft. Solange Frau Elsbeth, die holde Gemahlin des Goldschmieds, noch im Hause waltete, übten ihre sanften Ermahnungen und ihr liebreiches Wesen auch auf den kleinen Wildling einen wohltätigen Einfluß. Vor ihrer ernsten, freundlichen Rede schmolz sein Trotz; er versprach alles Gute und hielt es auch wirklich eine Zeitlang. Als sich aber ihr Leiden verschlimmerte, hatten die Knaben keinen Zutritt mehr zu ihr; nur Annchen saß zu ihren Füßen und war nur selten zu bewegen, auf kurze Zeit ins Freie zu gehen. Bald überließ auch der Goldschmied Werkstatt und Verkaufsplatz seinen treuen Gehilfen, um sich ganz der Pflege der geliebten Kranken zu widmen. Im Haushalt aber waltete Gottfrieds Mutter nun unumschränkt und weit strenger als die nachsichtige Hausfrau. Dem stolzen Bettelbuben, dem Carlos, war sie gar nicht gewogen; war er doch in allen Stücken das Gegenteil von ihrem treuherzigen, gehorsamen Sohne. »Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen«, diesen Wahlspruch wandte sie mit aller Strenge auch auf Carlos an. Hatte er die aufgetragenen Geschäfte für unter seiner Würde gehalten, nun wohl, so gab's auch keinen Platz für ihn am Tische, und sein Schüsselchen blieb leer. Dann schmiedete er wohl allerlei Fluchtpläne; aber wo sollte er hin? Arbeitete in dieser verhaßten Stadt nicht alles? Saßen nicht kleine Knaben und Mädchen auf den Steinsitzen vor den Häusern, mit allerlei mühsamer Arbeit beschäftigt? Liefen sie nicht schon am frühen Morgen scharenweise in die Spinnereien und Tuchfabriken, um sich mit den emsigen Händlein ihr Brot zu verdienen? O, wenn er wieder heim könnte nach Spanien! Er hatte eine schwache Erinnerung, daß er dort als ganz kleiner halbnackter Bube unter dunkelgrünen Bäumen im Gras gelegen, den tiefblauen Himmel angeguckt und süße Früchte gegessen hatte. Freilich war sein Hemdchen schmutzig und zerlumpt gewesen, aber das schadete ja nichts! Wie, wenn er sich auf ein Schiff schliche und erst zum Vorschein käme, wenn es weit draußen auf der See war? Aber was würde man dann mit ihm tun? Vielleicht halbtot schlagen oder gar ins Wasser werfen? Hu, wie schrecklich! Ach ja, Stolz und Mut sind nicht immer beisammen; und der kleine stolze Spanier war im Grunde ein Feigling! So blieb ihm nichts übrig, als sich mit innerlichem Groll der Zucht des Hauses zu fügen, dem er so viel verdankte. Indessen senkte sich die schwere Wolke der Trauer, die über diesem Hause schwebte, tiefer und tiefer herab. Sehr, sehr still, aber friedlich und freundlich lag die Kranke. Ein Wort der Liebe für Mann und Kind war das einzige, was noch über ihre bleichen Lippen ging. Endlich aber ward die Sterbende unruhig; die schönen Augen blickten angstvoll umher, und oft entrang sich ein schwerer Seufzer der schwachen Brust. Eines Morgens bat sie, ihren Beichtvater zu holen, daß er ihr die Sterbesakramente reiche. Bald stand der alte, milde Priester, der sie getauft, ihr die Erstkommunion gereicht, und sie auch dem Gemahl angetraut hatte, an ihrem Lager. Der Sitte gemäß ließ man die beiden allein. Der traurige Gatte wunderte sich nicht, daß es lange dauerte, ehe der Mann wieder herauskam, da er die heiligen Handlungen mit Ernst und Feierlichkeit zu verrichten pflegte. Endlich trat er tiefbewegt zu dem Goldschmied, reichte ihm die Hand, sprach einige teilnehmende Worte und entfernte sich. Aus dem Antlitz der Kranken aber war alle Angst verschwunden. Sie lag mit gefalteten Händen, die Lippen bewegend wie im leisen Gebet. Endlich erhob sie die lieben Augen zu dem Gemahl und sprach leise: »Traure doch nicht zu sehr, du Inniggeliebter! Ich weiß ein wunderbares Geheimnis, das mir Pater Anselmus verriet. Ich soll es niemand sagen. Du bist niemand, denn du bist mein zweites Ich! -- Mir war so bange vorm Sterben! Dich und das Kind verlassen, vor den heiligen Gott treten! O wie schwer erschien es mir! Meine Sünden ängstigten mich so sehr!« »Deine Sünden, Geliebte? Ich weiß nichts von ihnen! Hold und rein gingst du durchs Leben, Liebe und Güte spendend«, sprach der Mann, ihre Hand streichelnd. Sie aber schüttelte das schwache Haupt. »Gott siehet das Herz an«, sprach sie leise. »Vor Ihm, dem Heiligen, ist niemand rein! Erst wenn der Weg zu Ende geht, sieht man, wie oft man gestrauchelt hat! Der Pater verwies mich auf die Fürbitte der Heiligen, auf Almosen und Seelenmessen. Wie sollte das die Sünden tilgen? Meine Angst war groß! Da sprach er zögernd: ›Mein Kind, so wende dich zu dem größten Heiligen, zu dem HErrn Christo selber! Bete noch einmal mit mir das +Agnus Dei+! Der die Sünden aller Welt trug, trug auch die deinen! Der da sprach: »Es ist vollbracht!« vollbrachte auch deine Erlösung!‹ O mein Geliebter! Das brachte mir Frieden! Ich will nichts vor Gott bringen als Seines Sohnes Verdienst. Das wird Er nicht verschmähen.« Das Sprechen hatte sie sehr ermattet. Noch ein paar Tage lag sie still und friedlich, und entschlummerte dann sanft wie ein Kind im Mutterarm. Ueber zwei Jahre waren seitdem vergangen, aber noch immer wandelte der Goldschmied manche Nachtstunde in seinem Gemach auf und nieder, weinend und händeringend. Ach, es war ihm zumute, als sei sein Herz entzweigeschnitten, und eine Hälfte davon mit ins Grab gelegt. Die andere aber, wund, krank und blutend, mußte er nun mit sich herumtragen bis zum Ende! Ja, die erste Zeit nach dem Tode der Geliebten war keineswegs die schwerste gewesen! Ihr sanftes, seliges Scheiden hatte den Schmerz in Schranken gehalten; sein Kind, sein ganzes Haus, ja alle Freunde hatten mit ihm getrauert und sich noch oft liebend der Entschlafenen erinnert. Es war ja damals noch nicht die Zeit, da es für unpassend gilt, von den Toten zu sprechen! Dennoch war die Teilnahme nach und nach schwächer geworden. Die Freunde erlebten neues Glück und neues Leid; ja, selbst das Töchterlein ward wieder fröhlich bei Spiel und Arbeit, wenn es auch noch oft und gern von der lieben Mutter sprach. Er selbst fühlte, daß er, eben um des Kindes willen, ins tätige Leben zurücktreten müsse. So saß er wieder in der Werkstatt, mit kunstgeübter Hand neue Muster und Formen erfindend und aufzeichnend zu allerlei kostbarem Schmuck und Gerät. Geduldig schliff er die funkelnden Edelsteine und beobachtete das Schmelzen der edlen Metalle. Aber zuweilen fuhr er auf, barg das Gesicht in die Hände, und schwere Seufzer entrangen sich seiner Brust. Ach, es war ihm gewesen, als berühre eine liebe, leichte Hand seine Schulter; als mahne ihn eine holde Stimme, doch nicht allzu eifrig und allzulange zu arbeiten. Dann sprang er auf, winkte hastig einen Gehilfen an seine Stelle, und lief, die Hände vors Gesicht schlagend, hinauf in die Wohnräume, um seinem Schmerz freien Lauf zu lassen. Dort oben war's früher oft prächtig und lebhaft zugegangen, da viele der Fremden aus allen Ländern, die damals in Antwerpen ab- und zureisten, in van der Groots Hause Unterkunft und köstliche Bewirtung gefunden hatten. Jetzt aber war's still geworden, da nicht jeder gern in einem Trauerhause einkehrt. Nur einige deutsche Kaufleute, ernste, sinnige Männer, stellten sich noch dann und wann ein, und jeder versuchte nach seiner Weise dem Hausherrn Trost zuzusprechen. Dieser erfüllte zwar die Pflichten der Gastfreundschaft mit edlem Anstand, war aber meist froh, bald wieder mit seinem Kinde und seinem Schmerze allein zu sein. Für Annchen war es oft recht schwer, daß der liebe Vater so lange traurig und gedrückt blieb. Gott hatte ihr ein heiteres, sonniges Gemüt gegeben, und sie hätte den Geliebten so gern, ach, so gern wieder heiter gesehen. Ach, das gute Kind hatte wochenlang tief genug getrauert, war bleich und elend geworden vor Sehnsucht nach dem Mütterlein, und hatte oft bitterlich weinend das Gesichtchen an des Vaters Brust geborgen. Das hatte ihn so gejammert, daß er ihm endlich das Geheimnis des alten Priesters verriet. Mit lieblichen Worten schilderte er ihm den himmlischen Paradiesgarten, wo die Mutter nun im Lichtkleid wandelte, in den Gesang der Engel einstimmte und mit ihnen anbetend vor dem Thron des Heilandes kniete, ganz befreit von Krankheit, Not und Schmerz! Und o Wunder! Was der Mann kaum zu glauben wagte, erfaßte das Kind sofort. Der Vater sagte es; da mußte es ja wahr sein! Es lächelte unter Tränen und sprach verwundert: »O, warum sagst du mir das erst heute? So darf ich ja wieder fröhlich sein, wenn's lieb Mütterlein so sehr gut hat! Gelt, nun wird sie nimmer krank? Und nicht wahr, herzer Vater, uns holt Gott auch bald in den schönen Himmelsgarten?« Des Vaters Mund sprach ein zögerndes »Ja«, aber sein Herz blieb in Unruhe und Zweifel. Nun sah er, wie das Mägdlein allmählich wieder heiter ward, sein Püppchen liebkoste, sein kleines Gartenbeet im Hofe pflegte, ja endlich den bunten Ball wieder in die Luft warf, hüpfte und jauchzte. Doch belauschte er es auch einmal, als es, vor seinem Bettchen knieend, Gott unter Tränen bat, es nun recht, recht bald in den Himmelsgarten zu holen, da es sich oft sehr, o so sehr! nach Mütterlein sehne. Das Kind glaubte des irdischen Vaters Wort! Ach, warum redete der himmlische Vater nicht auch zu ihm, damit sein gequältes Herz endlich Ruhe finde? Einmal, es war im dritten Sommer nach dem Tode der Geliebten, trat der Goldschmied, einen Brief in der Hand, freudig erregt in das Stübchen der Haushälterin. »Sputet Euch, gute Frau Berta«, sprach er; »mir ist Kunde geworden, daß mein lieber Jugendfreund, Hans Burkhardt, der sich in Magdeburg niedergelassen hat, unsere Stadt besuchen und einige Zeit in meinem Hause verweilen will. Sorget, daß das beste Gastgemach für ihn bereit sei, und bringt auch etwas Gutes auf den Tisch. Annchen wird, wie immer, an meiner Seite sitzen; die Knaben mögen in zierlicher Kleidung aufwarten. Mein Freund ist zu ansehnlichem Reichtum gelangt, und hat, wie man sagt, einen vornehmen Haushalt.« Alsbald entfaltete sich in dem sonst so stillen Hause eine gewaltige Tätigkeit. Ueberall, auch an Orten, die der Gast keinesfalls betreten würde, ward geputzt, gescheuert, gefegt und gelüftet. In der Küche duftete es nach allerlei guten, seltenen Dingen, und das allerbeste Tischgerät ward nach langer Ruhe ans Tageslicht gebracht und blitzblank geputzt. Die nun vierzehnjährigen Knaben hatten die Schule verlassen, arbeiteten in der Werkstatt und leisteten nach damaliger Sitte dem Hausherrn allerlei Dienste, zu denen auch das Aufwarten bei Tische gehörte. Gottfried tat es gern und geschickt; Carlos nachlässig und mit bösem Gesicht, da er es tief unter seiner Würde hielt. Dabei war er aber nicht zu stolz, die Schüsseln heimlich zu benaschen, und manches Stück Backwerk in der Tasche verschwinden zu lassen. Endlich kam der Gast. Ein hochgewachsener Mann mit blondem Haar und Bart, frischen Wangen und hellen, klugen, überaus freundlichen Augen. Das Wiedersehen war zwar freudig, aber auch sehr wehmütig. Nachdem der Reisende ein Bad genommen, und mit bequemem Hausgewand versehen worden war, führte ihn der Freund hinauf in das beste Gemach, den sogenannten Saal, wo der Tisch aufs zierlichste zum Abendessen gedeckt war. Hier empfing ihn auch das nun zwölfjährige liebliche Annchen mit schüchterner Verneigung. Er aber zog es an sich, drückte einen väterlichen Kuß auf die weiße Stirn und sprach zu dem ernsten Freunde: »Da hat dir Gott ein Trostengelein gelassen. Das Kind ist ja das Ebenbild der Entschlafenen! Nun freue dich auch sein, und laß mich ein Lächeln auf deinem Angesicht sehen.« Der Goldschmied aber schüttelte traurig das Haupt. »Wohl ist sie mir ein Trost; doch kann ich ihr die Mutter nimmer ersetzen. Mein Haar wird grau, und der Schmerz zehrt mir am Leben. Was wird aus ihr werden, wenn ich sie mutterlos verlassen muß?« »Armer Freund«, erwiderte der Gast; »sprichst du doch, als gebe es keinen barmherzigen Gott!« Der Wirt antwortete nicht, sondern nötigte zur Mahlzeit. Der hungrige Reisende ließ sich's wohlschmecken und erzählte dabei so frisch und fröhlich von allerlei Erlebnissen, daß alle mit Vergnügen zuhörten. »Du hast da einen hübschen Jungen«, sagte Meister Burkhardt endlich, als beide Knaben das Gemach verlassen hatten, um den Nachtisch aus der Küche zu holen. »Meinst du den Blonden oder den Schwarzen?« »Ei, den Blonden! Den Schwarzen tät' ich noch heut aus dem Hause, wenn ich an deiner Stelle wäre.« »Du bist hart! Er ist ein verlassenes Kind, und dies Haus seine einzige Zuflucht.« »So hüte dich wenigstens vor ihm; er hat einen falschen Blick.« Nun traten die Knaben wieder ein. Gottfried trug eine kostbare Kristallschale, worin Früchte und feines Backwerk zierlich geordnet waren; Carlos einen herrlichen Goldpokal, mit dem besten Wein gefüllt. Ganz gegen seine Gewohnheit schien er etwas befangen zu sein. Der Fußboden war blank und glatt; der Pokal groß und schwer. So konnte es geschehen, daß Carlos plötzlich ausrutschte, mit seiner Last zu Boden fiel, und der edle Wein sich über den Flur ergoß. »Tölpel«, rief der Goldschmied erzürnt. »Aber wie? Bist du auch ein Näscher?« Ach ja; im Fallen hatte sich der Gurt gelöst, der das Sammetwams des Jungen zusammenhielt, und aus seinen Falten und Taschen rollten etliche der herrlichsten Früchte und einige Stücke Konfekt. »Geh hinaus!« befahl der Hausherr. »Du wirst deiner Strafe nicht entgehen.« Obgleich die Haushälterin mit Gottfrieds Hilfe die Spuren des Unfalls schnell vertilgte, war doch die heitere Stimmung gestört. Vom Nachtisch ward nur wenig gekostet, und Annchen bald aus dem Zimmer geschickt. Als die Freunde in bequemen Armsesseln am lodernden Kaminfeuer saßen, das man auch an Sommertagen gern anzündete, kam das Gespräch bald wieder auf den schweren Kummer des Goldschmieds zurück. »Wenn ich nur ganz gewiß wüßte«, seufzte der Trauernde, »daß es der Geliebten nun wohl ist, und daß ich sie einst wiedersehen werde, so wollte ich mich wohl trösten. Aber das ist eben das Schreckliche, daß uns die Kirche durchaus nichts Sicheres bietet. Wie kann man jemals wissen, ob man genug gegeben, gebetet und gebüßt hat? Wie kann man sich auf die Fürbitte der Heiligen verlassen, die doch auch nur Menschen waren? Es ist alles unter dunkelm Schleier verborgen! Dazu kommt, daß mein Mißtrauen gegen die Priester mehr und mehr wächst. Führen sie doch meist ein träges, unnützes, ja wollüstiges Leben. Seit der fromme alte Beichtvater meiner geliebten Frau ihr so schnell im Tode nachgefolgt ist, habe ich zu keinem mehr Vertrauen.« »Schriebst du mir nicht, er habe sie in der letzten Not zu Christo gewiesen, und sie sei daraufhin sanft entschlafen?« Der Goldschmied neigte zustimmend das Haupt. »So tue ein Gleiches«, rief der Freund. »Halte dich an das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, so bist du jetzt schon im Glauben wieder mit ihr vereint.« »Wie kann ich?« seufzte der andere. »Wie mag ich sündiger Mensch mich dem erhabenen Himmelskönig und Weltenrichter unvermittelt nahen? Und ich kenne Ihn ja nicht; ich weiß nur sehr, sehr wenig von Ihm! Ach, mein Kind sieht in harmlosem Glauben die Mutter im Paradiese wandeln, weil ich ihm die Botschaft des alten Priesters anvertraute. Aber wo vernehme ich armer Sünder die Stimme des Trostes?« »Mein Freund«, fragte der Gast nach einigem Zögern, »bietet dein Haus wohl ein Kämmerlein, einen Winkel oder irgend ein Gelaß, wo kein neugieriges Auge, kein lauschendes Ohr zu fürchten ist?« Der Goldschmied nickte, trat in eine Ecke des Gemachs, bückte sich nieder und drückte auf eine in der Wand verborgene Feder. Ganz geräuschlos fuhr ein Teil der Wandbekleidung zurück, und es zeigte sich eine Oeffnung, eben groß genug, einen Mann einzulassen. Beide schlüpften hindurch, und der Wirt entzündete eine kleine silberne Lampe, die einen zwar engen, aber behaglichen Raum erleuchtete. Ein Tisch, einige Sessel und ein niedriges Schränkchen bildete die ganze Einrichtung. »Hier bewahre ich zuweilen besondere Kostbarkeiten auf«, erklärte der Freund. »Hier führe ich manch mühsame Arbeit aus, deren Kunstgriffe mir allein bekannt sind. Hier überwinde ich auch manche Stunde tiefster Trauer, wo ich niemand, ja selbst nicht mein Kind sehen mag.« »Und hier«, erwiderte der Gast, »sollst du von nun an den größten Schatz der Welt bewahren, und den süßesten Trost für deinen Schmerz finden!« Damit nahm er ein in Leder gebundenes Buch aus dem verschlossenen Reisesack, den er eilend aus dem Gastgemach geholt, legte es auf den Tisch und schlug den Titel auf. Es war das Neue Testament in Doktor Luthers Uebersetzung. Der Goldschmied aber erbleichte und sah sich ängstlich in dem schmalen Gelaß um, als könne doch irgendwo ein Lauscher verborgen sein. »Um aller Heiligen willen, mein Freund; was wagst du? Weißt du nicht, daß das Lesen dieses Buches, sowie aller Schriften des deutschen Doktors und seiner Genossen in diesem Lande bei furchtbaren Strafen verboten ist? Ach, wie viele schmachten in feuchten Kerkern, wie viele starben schon durchs Schwert, durchs Feuer, ja auf noch grauenhaftere Weise, nur weil sie diese Schriften gelesen hatten!« »Wohl weiß ich das, Geliebter! Aber ich weiß auch, daß viele Tausende den Frieden ihrer Seele und den sicheren Weg zum Himmel darin fanden. Ich weiß, daß die, die es mit dem Leben büßen mußten, nun selig ruhen in Gottes Arm und Schoß! Erlaube mir nur heute, dir an diesem sicheren Ort daraus vorzulesen; magst du das Buch dann nicht als Gastgeschenk behalten, nun, so nehm' ich's eben wieder mit! Im lieben Magdeburg ist's, gottlob! in aller Händen; und in den Kirchen wird das süße Evangelium frei gepredigt.« Noch einmal prüfte der Hauswirt den geheimen Verschluß des Raumes, dann ließ er sich, bleich und ängstlich, aber doch erwartungsvoll, neben dem Freund nieder. Zuerst übermannte ihn die Furcht noch öfter. Er lauschte; ja, der starke, sonst so feste Mann bebte vor Angst und Erregung! Nach und nach aber, als alles still blieb, und er wußte, daß die Hausgenossen in tiefem Schlaf lagen, ward er ruhiger und hörte immer gespannter dem Freunde zu, der zuweilen das Lesen unterbrach, um einige erklärende Worte zu sprechen. Vor dem geistigen Auge des Goldschmieds aber entfaltete sich das Bild des Gottessohnes, den er bisher für einen unnahbaren Himmelskönig und schrecklichen Richter gehalten hatte. Er sah Ihn arm und gering durchs Leben wandeln als Arzt der Kranken, als Tröster der Betrübten, als Helfer der Armen, besonders aber als Heiland der Sünder! »Fürchte dich nicht; glaube nur!« »Stehe auf, gehe hin; dein Glaube hat dir geholfen!« O welch köstliches Kleinod mochte dieser Glaube sein! Der Freund besaß ihn und nannte ihn sein höchstes Gut, für das er alles, alles, ja sogar sein Leben hinzugeben bereit sei. So sprachen die beiden bis tief in die Nacht hinein, und ringsum war alles still. Doch nicht alles! Leise, leise hatte sich gegen Mitternacht die Tür des großen Zimmers geöffnet, und Carlos war im bloßen Hemd hereingeschlichen, ein Lämpchen in der Hand. Ach, als ihm das Naschwerk aus dem Gewand fiel, war auch ein Geldstück aus seiner Tasche gerollt, das er heimlich entwendet. Das suchte er nun ängstlich, da er wohl wußte, daß man ihn sogleich aus dem Hause jagen werde, wenn es bekannt ward, daß er nicht nur ein Näscher, sondern auch ein Dieb war. So kroch er leise, leise am Boden umher, mit dem Lämpchen leuchtend. Und, o Glück! da lag das Silberstück in einem Winkel! Horch! Was war das für ein leises Geräusch? Klang es nicht, als spräche ein Mensch ganz leise, ganz ferne? Nun, was ging es ihn an? Hatte jemand ein Geheimnis, ei, er hatte auch eins! Geräuschlos schlüpfte er in die Kammer, die er mit Gottfried teilte, der in festem Schlafe lag. Er bückte sich in einem Winkel nieder und entfernte ein Stück des Holzgetäfels, mit dem die Wand bekleidet war. Es zeigte sich eine kleine Höhlung, die er durch Entfernung eines Mauersteins zustande gebracht. Ei, wie es darin blitzte und funkelte! Geldstücke, Klümpchen edlen Metalles, kleine wertvolle Steinchen und Perlen, Gold- und Silberfäden und Stücklein glänzender Borten, dies alles stak festgedrückt in dem Loch, als habe es ein diebischer Rabe zusammengetragen. Nachdem Carlos seine Augen daran geweidet, die Holzplatte wieder vorgeschoben und das Licht ausgelöscht hatte, huschte er ins Bett und gab sich noch lange glänzenden Träumen hin. O, wenn es nur erst reichte zur Fahrt über das Weltmeer nach den neuentdeckten Ländern! In wenig Jahren würde er ein Mann sein, und dann wollte und mußte er dort hinüber. O welche Wunderdinge erzählte man am Hafen, wo er sich so oft als möglich herumtrieb, von jenen Ländern! Welch unermeßliche Schätze gab's da zu heben! Mit welch unumschränkter Gewalt herrschten die Spanier über die Ureinwohner des Landes und rissen ihre Reichtümer an sich ohne alles Erbarmen! Freilich hörte er auch, daß viele dabei jämmerlich zugrunde gingen. Er aber würde sicher zu hohen Ehren und unermeßlichem Reichtum gelangen! Ja, der elende Feigling Carlos hielt sich für einen großen Helden, weil er den Mut hatte, aller Zucht und Ermahnung zu trotzen. Dennoch zitterte er am andern Morgen aus Furcht vor der Strafe, die ihm der Hausherr wegen seiner Näscherei angedroht. Sie blieb jedoch aus. Des Goldschmieds Herz war viel zu bewegt, viel zu beglückt, um noch an den kleinen Zwischenfall zu denken. Am Nachmittag aber sprach er zu seinem Gast: »Willst du mich wohl auf einen Spaziergang begleiten? Du weißt, ich hatte von jeher die Gewohnheit, fern vom Geräusch der Stadt zwischen Feldern und Gärten Erholung von der Arbeit zu suchen. Mag man darüber lächeln; ich lasse mich dadurch nicht stören. Heute habe ich ein besonderes Ziel. Weit draußen, in der Nähe des Hafens, habe ich ein altes, halbverfallenes Gemäuer erworben und lasse es zu einem Sommerhäuschen umbauen, damit Annchen sich an Blumenduft und Vogelgesang ergötzen, und die warmen Monate in frischer, freier Luft zubringen kann.« Wacker schritten die Freunde zum Tore hinaus, und Meister Burkhardt ergötzte sich an den reichen, wogenden Feldern, den herrlichen Blumengärten und Obstpflanzungen, die man durchwandelte. Sagte man doch damals, die Niederlande seien ein einziger großer Lustgarten, weil jeder noch so kleine Landstrich wohl angebaut und sorgfältig gepflegt war. Endlich führte ein schmaler Pfad ein wenig aufwärts, und es zeigte sich zwischen allerlei Buschwerk ein kleines altertümliches Gebäude mit vorgeschobenem runden Wartturm. Eine Anzahl Männer war mit Abtragen verfallener Mauern und Ausbauen wohlerhaltener Wände beschäftigt. »Sieh«, sprach der Goldschmied, »das ist meine kleine Burg! Ehemals sollen Strandräuber hier gehaust haben, um nahende Schiffe zu beobachten. Steige nur bis zum Türmchen empor, so wirst du dich an dem Ausblick ergötzen!« Ja, da bot sich dem Auge ein herrliches, mannigfaltiges Bild! Am Abhang lagen die Hütten eines Fischerdorfes, aus deren Mitte sich ein altersgraues Kirchlein erhob. Auch hier war jedes Stückchen Land nutzbar gemacht, und fast jede Hütte von einem Gärtchen umgeben. Obstbäume waren angepflanzt und Wege geebnet, auch auf die Gefahr hin, daß dann und wann eine Hochflut das mühsame Werk zerstören werde. Zur Rechten erblickte man in nicht zu weiter Entfernung den Hafen mit seinen unzähligen Masten und Segeln; weiter hinaus sah man Schiffe dem Meere zueilen. »Uebers Jahr soll's, so Gott will, wohnlicher hier aussehen«, sprach der Goldschmied, den Freund aus der Nähe der Arbeiter führend. »Da ist mein Schlößlein fertig, und Annchen soll zwischen Blumen lustwandeln. Wie wohl wird mir's tun, zuweilen das Geräusch der Stadt zu verlassen, und besonders die Sonntage hier zu verleben! Einmal besuchte ich schon das Kirchlein, und es gefiel mir ausnehmend darin. Obgleich der junge Leutpriester erst ein Jahr lang hier ist, hat er doch schon Wunder geschafft. Sieh nur, wie nett und blank sein Häuschen zwischen den jungen Obstbäumen hervorsieht! Ehemals sah's schwarz und vernachlässigt aus. Auch um die Hütten her ist alles sauberer geworden. Und seine Predigt!« fügte er leise hinzu. »Man möchte fast denken, er habe einen Blick in dein Buch getan! Hier draußen werde ich es auch recht ungestört lesen können.« »Tue das nicht«, warnte der Freund. »Laß es ruhig in dem sicheren Versteck! Nimm es nie heraus; es sei denn, daß seine Lehren in der Stadt anerkannt werden. Bald wird sein Inhalt in deiner Seele so lebendig sein, daß du es geistigerweise immer mit dir herumträgst.« -- Vier Wochen lang weilte Hans Burkhardt in Antwerpen, den Tag über eifrig seine Geschäfte besorgend, am Abend aber den Freund immer tiefer in die tröstlichen, neues Leben schaffenden Lehren des evangelischen Glaubens einführend. Als er endlich schied, das kostbare Buch zurücklassend, war der Goldschmied ein anderer geworden. Obgleich er noch immer um die geliebte Gattin trauerte, öffnete er sein Herz doch dem himmlischen Troste. Er hatte die Stimme des Vaters gehört, und den Heiland gefunden, der dem Tode die Macht genommen hat. 5. Der Leutpriester. Als Thomas und Grete mit ihrem Wäglein im Fischerdorf ankamen, fühlten sich beide etwas enttäuscht. Obgleich sie keinen feierlichen Empfang erwartet hatten, hofften sie doch, das Häuschen in sauberem Zustande zu finden. Aber ach, die Schaffnerin des alten Leutpriesters war eine Fremde gewesen, die sich die Reinlichkeit und Ordnungsliebe der Niederländerinnen jedenfalls nicht zum Muster genommen hatte. Ihr alter dicker Herr war ja nach und nach so stumpfsinnig geworden, daß er gar nicht mehr merkte, ob Schüssel und Teller gewaschen, ob der Fußboden gescheuert und die Fenster geputzt waren. Nur aufs Essen und Schlafen hatte er bis zuletzt gehalten, und der Bierkrug war sein bester Trost gewesen. Für wen hätte denn da die alte Lotte fegen und putzen sollen? So war im Laufe der Jahre alles gar jämmerlich vernachlässigt, und der arme Thomas stand ganz ratlos zwischen dem wackligen, verschwärzten Hausrat, der dem Kloster gehörte und wohl seit undenklichen Zeiten nicht erneuert worden war. Grete aber verlor den Mut nicht so leicht. »Mit Händeringen und Seufzen ist nichts getan, Pater Thomas«, sagte sie lachend. »Faß tapfer zu, Brüderlein! Für heut ist's zu spät. Es ist gut, daß ich ein Abendbrot und saubere Bettstücke mitgebracht habe. Jetzt laß uns essen und schlafen; morgen aber geht's wacker an die Arbeit. Heut ist Montag; wenn's Sonntag zur Frühmesse läutet, muß alles blinken und blitzen.« Das ward eine saure Woche! Allein hätten's die beiden nicht fertig gebracht; doch wußte man sich Hilfstruppen zu verschaffen. Das neugierige Kindervolk, das nach und nach am Gartenzaun und am Hoftor erschien, ward alsbald von Grete in den Dienst gezwungen. Unter den mitgebrachten Vorräten befand sich ein Sack gedörrter Pflaumen und Birnen, die sich als Lockspeise und Belohnung gar wohl bewährten. Blitzschnell verbreitete sich die Kunde davon im ganzen Dorf, so daß schon am dritten Tage der Andrang der Helfer fast zu groß wurde. Dennoch gab's Arbeit für alle, da nicht nur das Haus, sondern auch Hof und Garten in trübseligem Zustande war. Daheim erzählten die Kinder, wie freundlich Jungfer Grete mit ihnen gescherzt, wie ihnen der Pater die Hand aufs Haupt gelegt und die Wangen gestreichelt habe. In der täglichen Messe war das Kirchlein recht leer gewesen, aber am Sonntag hatte sich alles versammelt, was nicht eben draußen auf dem Meere zu schaffen hatte. Als Thomas an den kleinen, mit allerlei seltsamem Schmuck behangenen Altar trat, stießen die Weiber einander mit den Ellenbogen und flüsterten: »Sie hat das Meßgewand gewaschen!« »Sie hat auch das große Loch im Aermel geflickt!« Und welch schöne, klare Stimme hatte der neue Pater! Schade nur, daß kein Mensch verstand, was er sang und las, weil ja alles lateinisch war. Als aber der Altardienst beendet war, und der Leutpriester die Kanzel bestieg, setzten sich nach alter Gewohnheit alle zu einem Schläfchen zurecht, da sie sich unter einer Predigt ein für allemal was schrecklich Langweiliges vorstellten. Auch die Reliquien, die der alte Pater manchmal während der Predigt gezeigt hatte, kannte man schon lange. Es war ein Knochen des heiligen Sebastian, ein wenig Heu aus dem Kripplein Christi und ein ganz kleines Läppchen vom Kleide der heiligen Agnes. Aber horch! Der neue Pater sprach ja gar nicht davon, daß man Geld geben müsse, daß man fasten, wallfahrten oder gar ins Kloster gehen solle. Nein, er erzählte eine Geschichte, und zwar von dem hochgelobten Mariensohn JEsus Christus, von dem man so sehr, sehr wenig wußte. Als Er noch auf Erden wandelte, war Er einmal an einen See gekommen, der hieß Genezareth. Da hatten Schifflein am Ufer gelegen, und die Fischer waren ausgetreten und wuschen ihre Netze. »Ei, das war ja gerade wie bei uns«, dachte mancher, der sich zum Schlafen gerüstet hatte, und hob den Kopf wieder empor. Der Leutpriester aber erzählte weiter: »Da trat Er in der Schiffe eines, das Simon Petrus gehörte, ließ es ein wenig vom Lande führen und lehrte das Volk aus dem Schiff. Als Er aufgehört hatte, sagte Er den Fischern, sie sollten die Netze auswerfen, damit sie einen Zug täten. Sie hatten zwar die ganze Nacht gearbeitet, ohne etwas zu fangen; aber weil der HErr Christus so schön gepredigt hatte, warfen sie auf Sein Wort das Netz noch einmal aus, und fingen eine große Menge Fische. Da fiel der heilige Petrus vor dem Gottessohn nieder und rief: ›HErr, gehe von mir hinaus; ich bin ein sündiger Mensch.‹ Der aber sprach: ›Folge mir nach; ich will einen Menschenfischer aus dir machen.‹ Da verließ der heilige Petrus alles und ward JEsu Jünger und der höchste von allen Aposteln, der viele Fische gefangen, das heißt, viele Menschen ins Himmelreich gebracht hat. Ich bin kein Petrus«, fuhr der Leutpriester fort, »ich bin nur ein armer, junger Mann, der noch viel, sehr viel zu lernen hat. Dennoch spricht heute der Heiland der Welt auch zu mir: ›Ich will dich zum Menschenfischer machen.‹ Ja, ich soll euch alle lehren, für euch beten und die heiligen Handlungen am Altar verrichten, damit ihr die himmlische Seligkeit erlangt.« Und nun versicherte er so freundlich, wie gern er das alles tun wolle; nur müßten sie auch fleißig zur Kirche kommen und gern hören und lernen, auch für ihn beten. In aller ihrer Not sollten sie nur getrost zu ihm kommen; er wolle ihnen so gern raten und helfen. Das war den armen Leuten was ganz Neues! Zum alten Leutpriester hatte sich niemand gern gewagt, es sei denn, daß er ihm Geld brachte für Seelenmessen oder irgend eine kirchliche Handlung. Geschlafen hatte diesmal keiner während der Predigt, und alle gingen heim mit der festen Ueberzeugung, daß der neue Leutpriester eine gute Errungenschaft sei. Dennoch machten sie ihm in den ersten Jahren das Leben oft recht schwer, und setzten seinem Wirken Hindernisse in den Weg, an die er nie gedacht hatte. Ach, er war gar so kindlich, unerfahren und weltfremd! Die Schule und das Kloster war ja bisher seine Welt gewesen. Zuerst mußte er lernen, daß fast alle seine Kirchkinder einen ganz andern Gott hatten als er! Sein Gott war der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden; der Gott der armen Leutlein war das Geld! Was in der reichen Stadt unter besserer Bildung, unter allerlei Schönem und Großartigem verborgen war, das trat hier nackt und häßlich hervor. Um einen Groschen mehr zu verdienen, nahm man die Kinder aus der Schule, blieb man fern von Messe und Predigt. Man ließ den Kranken hilflos in der Hütte zurück; man schleppte den Säugling in Wind und Wetter mit hinaus, ums Geld! Um des Geldes willen lebten Nachbarn in Feindschaft; um des Geldes willen kam es zu wildem Streit, zu blutigen Wunden! Sprach Thomas ein Wort dagegen, so hieß es: »Das versteht Ihr nicht, Herr Pater! Ihr habt ja weder Weib noch Kind; und was Ihr braucht, fliegt Euch zu!« Nun, es war herzlich wenig, was dem Leutpriester zuflog; doch verstand es Grete zu vermehren. Sie grub den verwilderten Garten um, beschnitt und düngte die Obstbäume, und baute sogar mit Hilfe des Bruders eine kleine Laube. Auf dem Hofe spreizte bald ein stolzer Hahn seine bunten Federn, und muntere Kücklein liefen den Gluckhennen nach. Im ersten Jahre staunte man das alles verwundert an; im zweiten begann man es schon nachzuahmen. Die Kinder gruben und pflanzten um die Hütten her, und bald merkten auch die Alten, wie gut ein Gericht Kohl oder Salat zum gesottenen Fisch schmeckte, und wie ein Blumenstrauß das ganze Stübchen freundlich machte. Obgleich nun Thomas sich über dies alles freute, fühlte er doch, daß es nicht die Hauptsache sei. Nicht für den Leib seiner Leute sollte er sorgen, sondern für die Seele! Ach, diese war während der langen Amtsführung seines Vorgängers gar sehr vernachlässigt worden! Zuerst ging Thomas in die Schule, da mit den Erwachsenen an Wochentagen gar nichts anzufangen war. Trübselig saß das kleine Volk über den Büchern und Schreibtafeln, die Stunde herbeisehnend, da es wieder im Ufersand waten und in den Wellen plätschern durfte nach Herzenslust. Es waren nur sehr junge Kinder; die älteren mußten schon beim Fischfang helfen oder den kleinen Haushalt führen. Der Schulmeister war alt und kränklich, dazu gar sehr unwissend, kannte auch kein anderes Mittel, die Kinder zu ziehen, als die Rute. Thomas aber gedachte der Zeit, da er an Winterabenden zu Muhme Lenes Füßen gesessen und ihren Erzählungen gelauscht hatte. So begann er zu reden vom schönen Paradiesgarten, von Adam und Eva, von Kain und Abel, von Noah und den vielen, vielen Tieren im Kasten. O wie hingen alle die hellen Augen an seinem Munde! Wie beweinten die Mägdlein den frommen Abel; wie ballten die Buben die kleinen Fäuste gegen den bösen Kain! Aber ganz umsonst waren die schönen Geschichten nicht zu haben. Man mußte sie verdienen durch fleißiges Lernen. Durch alle Finsternis des Papsttums hatten sich doch noch drei scheinende Lichter erhalten: die zehn Gebote, das Apostolische Glaubensbekenntnis und das Vaterunser. Luther selbst sagt, diese drei Stücke seien in den Schulen noch gelernt worden, während man in den Kirchen nichts mehr davon gelehrt habe. So sprach sie auch Pater Thomas den Kindern fleißig vor, und erklärte sie ihnen so schlicht und einfältig, daß sie es wohl fassen konnten. Auch beten und singen ließ er sie; nicht lateinisch, sondern in der trauten Muttersprache, wie die liebe Muhme ihn gelehrt. Dem alten Schulmeister begegnete er so freundlich, daß er ihn liebgewann und seinen Worten lauschte, als sei er selbst noch ein Schülerlein. Die Kinder aber hingen bald wie die Kletten an dem neuen Leutpriester. Vor dem alten waren sie ausgerissen; wenn der neue durchs Dorf ging, sprangen sie ihm entgegen, hingen sich an seine Hände, und er unterhielt sich mit ihnen so eifrig, als seien es große Leute. Von ihnen erfuhr er auch, daß etwa der Großvater krank liege, die Ahne blind sei, oder das kleine Brüderchen am Fieber leide. Wer ihn dann zu dem Kranken führen durfte, war stolz und glücklich. Selten trat er mit ganz leeren Händen an ein ärmliches Lager. Eine Frucht, einen Wecken, ein paar Eier oder auch nur ein Blumensträußlein legte er gar zu gern auf die Bettdecke. Er dünkte sich ja so reich! Aber da bekam er's mit Grete zu tun. War sie bisher allzusehr als Magd gehalten worden, so behagte ihr jetzt die Herrschaft desto besser. Daß ihr kleiner Thomas sich dagegen sträuben werde, hätte sie nie gedacht. Sie war nicht geizig; gab auch gern, wo sie wirkliche Not sah. Aber nur so zum Vergnügen heute dies, morgen jenes wegzuschenken, nein, dazu hatte man's nicht! »Du drehst den Spieß um«, schalt sie den Bruder. »Sie sollen dir geben, nicht du ihnen!« Aber es half ihr nichts. Der große Thomas war nicht mehr so fügsam als der kleine. War's nicht zu arg, daß er ein ganz gutes Bettlaken heimlich aus der Truhe genommen, die alte gelähmte Katharine selbst aus dem Bett gehoben und es ihr untergelegt hatte? Und den kleinen Hans hatte er mit Gefahr des eigenen Lebens aus dem tiefen Wasserloch geholt, in das sich der Bengel aus reinem Uebermut gewagt! Da hatte sie ernstlich gescholten; Thomas aber hatte nur dazu gelächelt. Auch mit seinen Predigten war sie nicht ganz zufrieden; sie kosteten viel zu viel Zeit und Mühe! Selbst wenn's im Garten haufenweis zu tun gab, saß er schon am Freitag stundenlang über der lateinischen Postille, las und schrieb, oder ging mit gefalteten Händen im Stübchen auf und nieder. Und wieviel Oel verbrannte unnütz, wenn er am Samstagabend gar nicht ins Bett zu bringen war! »Du gibst dir viel zu viel Müh' für die dummen Leut'«, sprach sie endlich. »Mach' dir's doch bequem! Hast schon längst nimmer so rote Wangen wie ehemals. Erzähl' doch eine Heiligengeschichte; das hören sie gern! Und wenn du was sagen willst, das sie nicht gern hören, so schilt ordentlich, daß man so selten zur Messe kommt und allzu knapp gibt. Dann hast du genug getan. Sieh, es war ja lieblich anzuhören, wie du letzthin vom Frieden predigtest. Ich hab' helle Zähren dabei geweint. Na, wir zwei zanken uns ja, gottlob! nimmer. Aber wie macht's das Volk? Am selbigen Abend war im Dorf der böse Streit, wo es blutige Köpfe gab! Das hast du von deiner Friedenspredigt!« Ganz still hatte Thomas die Schwester ausreden lassen. Jetzt stand er auf, klopfte sie sachte auf die Schulter und fragte lächelnd: »Grete, wer ist denn eigentlich der Leutpriester, du oder ich?« Da wurde sie rot und ging in die Küche. Der Leutpriester blieb nachdenklich zurück. Waren der guten Schwester seine Predigten zu reich und tief, so schienen sie ihm selbst zu arm und leer! Jetzt, da er ganz frei war von klösterlicher Zucht und Umgebung, auch reichlich Zeit und Ruhe hatte zum Sinnen und Nachdenken, ward alles, was er in früher Jugend von Muhme Lene gelernt, alles, was er in jener Schrift Johann Wessels gelesen, wieder klar und lebendig in seinem Herzen. Die Gestalt JEsu, des einigen Heilandes, Erlösers und Seligmachers, stand oft hellstrahlend vor seinem geistigen Auge. Sollte er dies herrliche, tröstliche Bild nicht auch seinen Kirchkindern zeigen? Ach nein, das wagte er nicht! Wen man in der Kindheit allzuoft dumm, töricht, unnütz und träumerisch gescholten, der behält meist ein stilles Mißtrauen gegen sich selbst. Ach ja, Thomas hatte von klein auf vieles bewundert, geliebt und hochgeschätzt, das andere, Klügere, gering achteten. Wie, wenn es auch jetzt so wäre? Daß die Kirche einer Erneuerung und Umwandlung bedurfte, war ihm gewiß. Aber sollte diese nicht vom römischen Stuhle, vom Statthalter Christi, den man ihm im Kloster fast als einen Gott dargestellt, ausgehen? Was erzählte man dagegen von dem Wittenberger Doktor für entsetzliche Dinge! Kein Laster war ja zu groß und zu häßlich, das man ihm nicht andichtete. Auch verbreitete man Bilder von ihm, da er mit dem Kopf nach unten von zwei gräßlichen Teufeln in die Hölle gerissen ward. Und doch verlangte Thomas im stillen danach, einmal eine der vielen Schriften dieses wunderbaren Mannes zu lesen, dessen Lehre ganze Länder samt ihren Fürsten zufielen. Es war ihm aber nie eine zu Gesicht gekommen, und er scheute sich, in der Stadt danach zu fragen. Zwar war man in letzter Zeit in der Verfolgung der Ketzer etwas matt geworden, da der Kaiser weit im Süden Krieg führte, und seine Räte allzuviel mit weltlichen Händeln zu tun hatten, doch trieb das sogenannte »geistliche Gericht« sein unheimliches Wesen in aller Stille. Hier und da verschwand ein Mann, eine Frau, ja sogar eine ganze Familie spurlos aus der Stadt, und die heilige Kirche nahm ohne weiteres Besitz von ihrem Haus und Gut. Ach, man wußte nur zu wohl, daß, wer so verschwand, nimmer wiederkehrte; ja, daß es gefährlich war, nach ihm zu fragen! Er schmachtete in irgend einer andern Provinz im finsteren Kerker, um endlich eines qualvollen Todes zu sterben. In einer kleineren Stadt mit abgeschlossener Bevölkerung würde dies unheimliche Verschwinden große Aufregung erzeugt haben. In Antwerpen aber, wo man an stetes Kommen und Gehen, an Auswanderung zu Wasser und zu Lande und stets wechselnde Bevölkerung gewöhnt war, schlossen sich diese Lücken viel leichter. Dazu war die Scheu vor der geheimnisvollen Macht der Kirche unter dem Volke noch sehr groß. Auch dem jungen Leutpriester erschien diese Macht viel zu heilig und unwiderstehlich, als daß er gewagt hätte, sich ihr offen entgegenzusetzen. Aber wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Darum wies Thomas seine armen Leute gar oft zu Christo hin, ohne die Heiligen als Vermittler dazwischen zu stellen. Noch weniger scheute er sich an Kranken- und Sterbebetten, der zagenden Seele den einzig rechten Weg zum Himmel zu zeigen. Dennoch ließ man ihn in Frieden. Pater Ignatius, der damals Johann Wessels Buch verbrannt, war bald darauf gestorben; den andern Klosterbrüdern aber war der Weg zum Fischerdorf zu weit und zu beschwerlich. Die Fische, die dem Kloster zu liefern waren, trafen viel regelmäßiger ein als ehemals. Mord und Totschlag war nimmer geschehen, seit Thomas das Amt führte. Wenn er vierteljährlich im Kloster erschien, um Bericht zu erstatten, lamentierte er nicht über allzu knappes Einkommen wie sein Vorgänger, sondern wußte nur Gutes zu erzählen, so daß der dicke Herr Abt seine Genügsamkeit hoch rühmte. Dennoch kehrte der junge Leutpriester von diesen Besuchen im Kloster jedesmal traurig und gedrückt heim. »Ach«, dachte er, »wenn unter diesen Männern, die man für heilig hält, nur ein einziger wäre, den ich um Rat und Belehrung bitten könnte! Ich bin zu jung und unwissend, das Heil so vieler Seelen auf dem Herzen zu haben. Ich hatte es mir leichter gedacht! Ich wollte, ich wäre niemals geistlich geworden!« Wenn er aber dann sein Häuschen wiedersah, und die Dorfkinder ihr Spiel verließen, um ihm entgegen zu springen, gefiel es ihm wieder so gut! Da der Weg zur Stadt am Schlößchen vorüberführte, hatte Thomas dem Bau oft etwas zugeschaut, und auch erfahren, daß er dem Goldschmied van der Groot gehöre. Da war's ihm warm ums Herz geworden, und seine Wangen hatten sich gerötet. Doch sagte er sich sogleich, daß der reiche Herr den armen Gärtnerbuben, dem er einst manchmal zugenickt, längst vergessen haben werde. Und das Mägdlein, das ihn damals geküßt, schwänzelte wohl schon im seidenen Schleppkleidchen einher; es mußte ja nun zwölf Jahre alt sein, wenn nicht gar dreizehn. Dennoch suchte Thomas das Goldstück, das ihm der Herr bei der Hochzeit geschenkt, hervor, putzte es blitzblank und legte es, in ein sauberes Tüchlein gehüllt, in den Kasten, wo er sein Schreibgerät verwahrte. Eines Tages fiel's ihm auf, daß es trotz des schönsten Frühlingswetters recht still im Dörfchen war und kein Jauchzen spielender Kinder an sein Ohr drang. »Wo steckt denn heute das kleine Gesindel?« fragte er Grete, die eifrig im Garten säete und pflanzte. »Na, du Bücherwurm«, erwiderte sie, »hast du den Heidenlärm nicht gehört, als das ganze Chor hier vorbeirannte, hinauf zum Schlößlein? Hochbepackt mit allerlei Hausgerät sind ja droben zwei Wagen angekommen. Der Goldschmied wird wohl einziehen.« »Er selbst wohl nicht. Was sollte dann aus der Werkstatt werden? Ich hab' gehört, er werde sein Töchterlein herausschicken im Schutz der ehrsamen Witwe, die es seit dem Tode der Mutter so wohl gehütet. Um uns wird sich kaum jemand kümmern.« Aber schon am nächsten Tage klopfte es an Gretes Küchentür, und eine nettgekleidete Bürgersfrau mit sehr freundlichem Gesicht trat herein, ein liebliches Mägdlein mit langen blonden Zöpfen an der Hand führend. Ganz kindlich war das holde Gesichtchen und auch der Anzug, aber die hohe, schöngeformte Stirn, die großen, sinnigen Augen und der feine Mund deuteten auf einen lebhaften Geist. Die gute Grete, die viel Respekt vor Reichtum hatte, verbeugte sich tief und fing schon an für die hohe Ehre des Besuchs zu danken, als sie von der andern unterbrochen ward: »Die Ehr' ist nur bei mir! Ihr seid, denk' ich, des Herrn Paters Schwester; ich bin nur die Haushälterin des Meisters van der Groot.« »So tretet doch wenigstens in die Stube«, bat Grete. »Nein, nein; mein Geschäft paßt eben für die Küche! Die Bank ist ja schneeweiß gescheuert und gibt Platz für drei! Komm, Annchen, grüße Jungfer Grete fein und setze dich zu uns.« Das Mägdlein gehorchte und gewann durch den freundlichen Blick der schönen Augen sogleich das Herz der guten Grete. »Ich soll hier wirtschaften den Sommer hindurch mit einer Magd und dem Gartenknecht«, begann Frau Berta, die Haushälterin. »Es gefällt mir nur halb! Fürs Kind mag es gut sein, es ist zart und klein für seine dreizehn Jahre. Aber für den Herrn ist's bös! Ich fürcht', er wird bald den Kopf hängen wie ein Schilf, wenn ihm sein Trostengelein fehlt. All' Sonntag will er herauskommen. Da gilt's für ein gutes Essen sorgen, denn die Woch' hindurch wird er's bald merken, daß die dumme Trine kocht statt Frau Berta. Na, er will's, also muß es sein! Nun sagt mir doch, was hier zu kriegen ist für die Küche? Milch, Mehl, Eier und Butter gibt's doch wohl?« »Ei freilich«, erwiderte Grete, »und gesottenen Fisch dazu im Ueberfluß.« »Ja, soll denn mein Goldkind alle Tag' Fisch essen?« rief die gute Frau. »Das geht nimmer! Ein gebraten Täubchen muß es haben und dann wieder ein Huhn, oder ein kräftig Süppchen. O, ich hab's gut gehalten; 's war ja zum Zerblasen elend, als ich's zuerst sah. Grämte sich allzusehr ums Mütterlein.« Während nun Grete darzulegen begann, wie der Tisch des kleinen Fräuleins am besten versorgt werden könne, ward Annchen immer unruhiger, und ihr Gesichtchen immer röter. Sie mochte gar nicht gern hören, wieviel Umstände und Mühe man sich um ihre kleine Person machte. Als endlich die Küchenfrage erledigt war, und Frau Berta anfing zu rühmen, wie klug das Kind schon sei, fast klüger als ihr einziger Sohn Gottfried, der doch schon unendlich viel gelernt habe, rutschte die Kleine flink von der Bank herunter und war, husch, husch! zur Tür hinaus. »Laßt sie doch«, rief Grete, als die Pflegerin ängstlich nachlaufen wollte. »Draußen im Sonnenschein ist's lustiger für das Kind, als zwischen uns zwei alten Weibern! Seht, da schlüpft es schon in den Garten. Mein Bruder ist drinnen; der mag Kinder allzu gern!« »Ja, seht«, fuhr die Gesprächige fort, »von meinem Jungen wollt' ich erzählen. Das ist ein Prachtbub! Sechzehn Jahre alt und größer als ich! Und wie klug und geschickt im Handwerk! Meister Groot nannt' ihn neulich einen kleinen Künstler! Klein ist er ja nimmer, aber noch gar kindlichen Gemütes. Ihr werdet ihn oft sehen, denn er hält sich auch Sonntags am liebsten zu seinem Herrn und zu dem Kinde. Der andere aber, der Carlos, der Spanier, das ist ein Nichtsnutz. Hab' in einer Woche mehr Verdruß mit ihm, als mir mein Bub im ganzen Jahre macht. Hat rein nichts gelernt, trotzdem er die Schul' und die Lehre gehabt hat wie sein Kamerad. In der Werkstatt tat er nur Schaden! Jetzt dient er in Haus und Hof, macht aber auch da noch viel Verdruß. Der Herr ist allzu gut: er hätt' ihn längst fortjagen sollen. ›Du nimmst noch ein Ende mit Schrecken‹, sag' ich oft zu ihm, und, was gilt's, ich behalte recht!« Nach diesem Herzenserguß vertieften sich die beiden Frauen wieder in häusliche Angelegenheiten, fanden viel Wohlgefallen aneinander, und freuten sich schon auf häufige Zusammenkünfte beim Spinnrocken und Nähzeug. -- »Mach' ja die Gartentür fein zu, daß das Hühnervolk nicht hereinkommt«, hatte Grete zu dem Bruder gesagt, als er mit Hacke und Rechen bewaffnet hinausgegangen war. Daß er ein Buch unterm Rocke trug, ahnte sie nicht. Die vordere Tür gewissenhaft schließend, ging er mit großem Eifer an die Arbeit, und gönnte sich erst nach einer Stunde ein wenig Rast bei seinem lateinischen Buche, das auf der Bank in der kleinen Laube lag. Hier draußen studierte sich's prächtig, besonders am Vormittag, wenn Grete in der Küche gut aufgehoben war. Gedankenvoll ließ er das Buch sinken, und den Blick über den Garten schweifen. Aber was war denn das? Auf den frischbepflanzten Beeten wimmelte es ja von jungen Hühnerchen, die mit viel Geschick wieder herauskratzten, was er eben gepflanzt! Vater Hahn und drei Hennen sahen wohlgefällig dem Zerstörungswerk zu. Wie waren sie nur hereingekommen? Ach, es gab ja auch noch eine hintere Gartentür, und die hatte Thomas, als er ein paar Hände voll Unkraut hinauswarf, weit offen gelassen. O weh, o weh! Was würde Grete sagen? Nun jagte er die Hühner, aber nicht gegen die offene, sondern gegen die geschlossene Tür, aus einem Winkel in den andern. Im ganzen Garten rannten sie herum, gerieten sogar über sein Buch und versuchten es von der Bank zu zerren. Atemlos vertrieb der Leutpriester die Unverschämten, und bemerkte plötzlich, daß er einen Kampfgenossen bekommen hatte. Eine helle, schlanke Gestalt war wie durch Zauberei erschienen, flog wie ein Vöglein die Wege auf und nieder und wußte mit ihrem buntseidenen Schürzchen, ja mit den langen Bändern, die ihre blonden Zöpfe schmückten, die kleine freche Gesellschaft so geschickt zu scheuchen, daß sie endlich in Reih' und Glied durch die weitgeöffnete Vordertür abzog. Erhitzt stand das Kind dem Manne gegenüber, faßte sich aber sofort, neigte sich zierlich und sprach den gewohnten Gruß: »Gelobt sei JEsus Christ!« »In Ewigkeit, Amen!« erwiderte Thomas mechanisch. Er wußte jetzt, wer das Mägdlein war! Vor elf Jahren hatte er ihm die Rose gebracht, und es hatte ihn geküßt! Ja, wenn er nicht schon heiß und rot gewesen wäre, würde er's jetzt geworden sein. Aber er war ja ein geweihter Priester; was ging ihn das Kind an? »Habet Dank für Eure schnelle Hilfe, Jüngferlein«, sprach er so würdig als möglich. »Ich heiße Annchen«, erwiderte die Kleine. »Aber die Beete sind arg zertreten!« »Freilich«, seufzte Thomas sorgenvoll; »was ist da zu tun?« »Glatt machen! Gebt mir nur den Rechen! Ich kann's! Hab's daheim in meinem winzigen Gärtlein im Hofe oft getan.« Ja, sie konnt' es so gut und flink, daß Thomas ihr staunend zusah. Als sie dann mit vereinten Kräften die Pflänzchen wieder eingesetzt, und sich am Trog die Hände gewaschen hatten, ruhten sie wie gute Gesellen auf der Bank in der Laube. Das Kind, das in der Küche still und scheu gewesen war, plauderte jetzt ganz zutraulich, da nichts so schnell verbindet, als gemeinsame Arbeit. Endlich schlug es sogar das Buch auf, das neben ihm lag. »Das kannst du nicht lesen«, sagte Thomas, »es ist ja lateinisch.« »O doch!« erwiderte die Kleine. »Mein Vater hat längst angefangen, mich's zu lehren; doch werd' ich im Sommer vieles vergessen. Aber horcht, Herr Pater; Muhme Berta ruft mich! Sie mag nicht gern warten.« Noch ein zierliches Knixchen, und das Vöglein flog zum Garten hinaus. 6. Gute Freundschaft. Am nächsten Samstag machte sich Grete viel im Kirchlein zu schaffen mit Lüften, Fegen, Abstäuben und Putzen. Thomas war wieder einmal zu gar nichts zu gebrauchen; er saß in sein Buch vertieft, und wandelte abends noch lange nachdenklich auf und nieder. Er meinte, der Goldschmied werde wohl das ärmliche Kirchlein gar nicht betreten, sondern die Frühmesse in der Stadt besuchen, ehe er sich auf den Weg machte. Aber er war doch da, und blickte während der Predigt mit seinen großen traurigen Augen so forschend zur Kanzel empor, daß es Thomas fast ein wenig ängstlich ums Herz ward. Wie, wenn er von den Priestern der Marienkirche beauftragt wäre, nach Ketzerei zu suchen? Doch faßte er sich schnell und war bald so vertieft in seine Predigt, daß er den fremden Zuhörer ganz vergaß. Zuerst hatte er schlicht und kurz die Geschichte von dem Schäflein erzählt, das in die Dornen fiel, und von dem guten Hirten gesucht, gefunden und auf der Achsel heimgetragen wurde. Dann sprach er von den Dornen der Sünde, in denen wir alle von Natur verstrickt liegen. Da griff er tapfer ins Leben ein und zeigte dem Fischervolk ganz unverzagt die Sünden, die sie besonders gefangen hielten. Selbst heraushelfen konnten sie sich nicht durch Messe hören, fasten, beten, Almosen geben. Sie verstrickten sich nur tiefer in die Dornen, indem sie meinten, Gott einen Dienst zu tun mit solchen äußerlichen Werken. JEsus allein sei der gute Hirte, der das Schäflein sicher heraushebt und heimträgt in den Stall, das heißt, ins Himmelreich. »Ja, Er trägt es! Es braucht nicht etwa blutend und mühsam nebenher zu laufen. Es muß sich nur tragen lassen! Der Hirte schert ihm auch nicht die Wolle ab, um sich bezahlt zu machen für seine Hilfe! O nein; das Schäfchen braucht gar nichts zu tun oder zu geben. Im Gegenteil; der Hirte hat es gewiß gefüttert, geliebkost und ihm im Stall ein warmes Lager bereitet. Aber gelt, es wird ihm dankbar gewesen sein? Es ist gewiß nicht sobald wieder davongelaufen, sondern gehorsam dem Hirten nachgefolgt und hat auf seine Stimme gehört. Seht, so kommen auch die guten Werke ganz von selbst, lustig und ohne Zwang, wenn man nur erst durch den Glauben JEsu Schäflein geworden ist.« Das Schlafen während der Predigt hatten sich die Fischersleute ziemlich abgewöhnt, und nur noch wenige waren ganz stumpf und gleichgültig geblieben. Etliche horchten gespannt und sichtlich bewegt; andere blickten sich verstohlen um, ob nicht etwa ein zorniges Mönchsgesicht in irgend einem Winkel zu sehen sei. Denn daß Thomas anders dachte und lehrte als die Klosterleute, hatten sie längst gemerkt. Jedenfalls aber lebte sich's auch besser mit ihm, als mit seinem geizigen, habsüchtigen Vorgänger. Der hatte die Schäflein zwar nicht getragen, aber das Scheren sehr wohl verstanden! Einige musterten auch den vornehmen Gast mit forschenden Blicken. Aber er sah aus, als gefalle ihm die Rede wohl, als sei sie so recht nach seinem Sinn! Am Nachmittag, als das Fischervolk in wohlverdienter Sonntagsruhe in der milden Frühlingsluft vor den Hütten saß, wandelte der reiche Goldschmied mit dem armen Leutpriester freundlich grüßend durchs Dorf, und man sah sie lange auf und nieder gehen in eifrigem Gespräch. Mitten drin zog Thomas das Goldstück aus der Tasche und hielt es lächelnd dem Goldschmied hin, mit kurzen Worten an den Tag erinnernd, da er es erhalten. Lange betrachtete es der ernste Mann mit Tränen in den Augen. Dann reichte er Thomas die Hand und sprach: »Aus dem sinnigen Knaben ist ein sinniger Mann geworden. Laßt uns Freunde sein, lieber Leutpriester!« Nach dem Vespergottesdienst mußten Thomas und Grete mit hinauf ins Schlößlein kommen zur Abendkost. Annchen begrüßte den Leutpriester gar sittsam; doch flog dabei ein Lächeln über ihr Gesicht, als gedenke sie noch der lustigen Hühnerjagd. Grete war nicht zu bewegen, mit zu Tische zu sitzen; sie leistete Frau Berta in der blanken Küche Hilfe und Gesellschaft. Als Gottfried die Schüsseln abgetragen und zwei goldene Becher mit Würzwein vor die Männer gestellt hatte, entfernte er sich; Annchen aber ward vom Vater zurückgehalten. »Ich höre, Herr Pater«, begann er, »daß Ihr Euch der Schule wacker angenommen, und wirklich einiges Licht in die harten Bubenköpfe gebracht habt. Ihr seid ein geschickter Lehrer! Darum möchte ich wegen dieses Kindes mit Euch sprechen. Ich habe es selbst unterrichtet; es ist im Deutschlesen und Schreiben wohlbewandert, zeigt auch sonst einen guten Verstand. Zwar soll es sich den Sommer über viel im Freien tummeln, muß aber doch etwas Ernstes zu tun haben, da es sonst leicht übermütig wird. Würdet Ihr es wohl im Lateinischen, worin es schon einen guten Anfang gemacht hat, ein wenig fördern? Ich schätze diese Sprache besonders hoch. Zeige doch dem Herrn Pater, was du kannst, Töchterlein! Rede ihn lateinisch an, und bitte ihn, dich zu lehren.« »Lasset mir Zeit, Herr Vater, daß ich mich bedenke«, bat das Kind und zog sich in ein Fenster zurück. Ein schelmisches Lächeln spielte um seinen Mund, als es nach einer Weile wieder hervortrat und einen Reim sprach, der deutsch etwa so lauten würde: »Half ich Euch lustig die Hühner vom Garten verjagen, Sollt Ihr Euch nun mit der schlechten Lateinerin plagen. Ist uns das erste in munteren Sprüngen gelungen, Wird wohl das zweite in redlicher Mühe bezwungen.« Nun aber ward dem Kinde die Erinnerung an die verzweifelten Sprünge des Paters gar so stark, daß es in ein helles, harmloses Lachen ausbrach. Thomas ging es ebenso; doch faßte er sich schnell und berichtete dem Goldschmied kurz und schlicht das kleine Erlebnis. Das Kind aber wünschte, sich zierlich verbeugend, gute Nacht und verließ das Zimmer. Als Gottfried in recht später Stunde mit leuchtender Fackel die bescheidenen Gäste heim geleitete, war Thomas sehr, sehr ernst geworden, so daß er das harmlose Geplauder seiner Schwester kaum beachtete. Im Leutpriesterhäuschen ward es nun lebendiger. Zweimal in der Woche erschien das Englein, wie Grete die Tochter des Goldschmieds nannte, und blieb den ganzen Nachmittag, da die eingebrockte Milch, die es zum Abendessen gab, viel besser schmeckte als alle Leckerbissen, die ihr Frau Berta bereitete. Zuerst ward lateinische Stunde gehalten, der Grete mit Spinnrocken oder Nähzeug staunend beiwohnte; ja, sie merkte sich selbst zuweilen lateinische Worte, um den Bruder damit zu überraschen. Ward aber endlich das dicke Buch zugemacht, und das Schreibgerät weggeschoben, ließ auch sie die Hände ruhen und lauschte gespannt, wie ihr kleiner Thomas zu dem Kinde von himmlischen Dingen sprach, mutiger und klarer, als er's in der Kirche zu tun wagte, und ganz, ganz anders, als sie es von Jugend auf gehört. Aber schön und tröstlich war es; es brachte Frieden ins Herz, nahm die Sündenangst weg, und alle Furcht vor dem Tode. JEsus, der Sohn Gottes, den man ihr dargestellt als »schrecklichen Richter, auf einem Regenbogen sitzend«, erschien ihr nun als der gute Hirte, der Heiland der Sünder, der Erlöser aus aller Not. Wo mochte nur der Bruder, den sie zwar immer herzlich geliebt, aber doch für einen Träumer, für einen jungen, unerfahrenen Menschen gehalten hatte, diese wunderbare Weisheit hernehmen? Es war ein schöner, freundlicher Sommer für alle! Schlößlein und Leutpriesterhaus standen in stetem Verkehr, und auch in den Hütten rühmte man die Wohltätigkeit der Stadtgäste. Klein-Annchen war bald im ganzen Dorfe bekannt, da ihr das freie Umherlaufen gar wohl gefiel, nachdem man sie in der Stadt fast allzu ängstlich gehütet hatte. Mit den Alten und Kranken plauderte sie freundlich, erquickte sie wohl auch mit allerlei Leckerbissen, die sie sich selbst vom Munde absparte. Am besten gefielen ihr aber die kleinen Kinderlein, die noch in der Wiege lagen und ihr so freundlich zulachten, wenn sie das Wiegenband zog und so lieblich dazu sang: »Dort oben auf dem Berge, Da rauschet der Wind, Da sitzet Maria Und wieget ihr Kind; Sie wiegt es mit ihrer schneeweißen Hand, Dazu braucht sie kein Wiegenband.« Die große Nürnberger Puppe, die ihr Herr Burkhardt einmal mitgebracht, ward gegen diese lebendigen Püppchen sehr zurückgesetzt, erregte aber desto mehr die Bewunderung der kleinen Dorfmädchen, die noch nie etwas so Prächtiges gesehen hatten. Daß ihr Kopf nur von Holz, ihre früher sehr roten Wangen verblichen, ihr Näschen bestoßen, und das Werg, das die Stelle des Haares vertrat, arg verfitzt war, störte die Kleinen gar nicht. Trug sie doch ein prächtiges Brokatkleid mit langer Schleppe, ein rotes Sammetmieder, mit Goldlitzen verziert, und eine große, von Frau Bertas kundiger Hand verfertigte Spitzenhaube, die den häßlichen Wergschopf verbarg. Wenn Annchen sie spazieren trug, folgten ihr die Dorfmägdlein staunend nach, und wer sie ein wenig halten durfte, war stolz und glücklich. Je mehr aber Annchen bei Pater Thomas lernte, desto seltener kam die schöne »Adelheid« zum Vorschein. Des Kindes Geist entwickelte sich in dieser Zeit sehr schnell, und es entwuchs dem Puppenspiel. Das Hüpfen und Springen im Freien tat ihm aber an Leib und Seele wohl; darum entfaltete sich an jedem schönen Abend munteres Leben auf dem grünen Platze zwischen Kirche und Pfarrhäuslein. Da sammelte sich die Kinderschar zu fröhlichem Reigentanz; Pater Thomas, Grete und Frau Berta, zuweilen sogar der Goldschmied saßen auf der Bank und ergötzten sich an der harmlosen Kinderlust. Annchen aber wußte immer neue Spiele anzugeben und Liedlein zu singen, die sie in vergangenen glücklichen Tagen von der Mutter gelernt. Bald schallte es im munteren Chor: »Es sitzt eine Frau im Ringelein Mit sieben kleinen Kinderlein. Was essen's gern? Fischelein! Was trinken's gern? Roten Wein! Sitzt nieder!« Oder ein Mägdlein mußte trauernd in der Mitte sitzen als gefangene Prinzessin, während die andern ringsum tanzend sangen: »Kling, klang, Gloria! Wer sitzt in diesem Turme da? Sitzt eine Königstochter inn', Lehrt uns feine Seide spinn'; Ist so arg belauert, Ist so stark vermauert Mit Stein, mit Bein, Sitzt sie ganz allein!« -- Manchmal ward auch ein ganz weiter Kreis gebildet, und Annchens bunter Ball flog lustig von einem zum andern. Da konnte es geschehen, daß Pater Thomas ihn geschickt wegfing und in seiner Tasche verschwinden ließ. Das gab einen Jubel! Doch waren nur die Kleinsten keck genug, sich um ihn zu drängen, und das Spielzeug unter Lachen und Jauchzen wieder zu erobern. Sank endlich die Sonne mit Purpurschein tiefer und tiefer über der fernen Flut nieder, so stiegen die Läuteknaben zum Kirchturm empor und ließen das Betglöcklein ertönen. Dann traten alle um den Pater her und sprachen andächtig die Abendgebete. Die Schulknaben sangen auch wohl einen lateinischen Hymnus, dessen Uebersetzung so lautet: »Christe, der Du bist Tag und Licht, Vor Dir ist, HErr, verborgen nichts: Du väterliches Lichtes Glanz, Lehr' uns den Weg der Wahrheit ganz. Wir bitten Dein' göttliche Kraft, Behüt' uns, HErr, in dieser Nacht; Bewahr' uns, HErr, vor allem Leid, Gott Vater der Barmherzigkeit. Gedenk', o HErr, der schweren Zeit, Darin der Leib gefangen leit; Die Seele, die Du hast erlöst, Der gib, HErr JEsu, Deinen Trost.« Allen war es leid, als im Herbst das Schlößchen wieder leer stand. Grete aber brummte wieder einmal ernstlich, daß der Bruder in allem Wind und Wetter zweimal die Woche zur Stadt wanderte, um Annchens Unterricht fortzusetzen. Hatte das Kind nicht schon übergenug gelernt? Und wie lange blieb er aus! Was konnte einem so schwachen, weltfremden Menschen nicht alles passieren, wenn er noch nach Sonnenuntergang auf der Landstraße wandelte! Als sie ihn aber darüber zur Rede setzte, sprach er lächelnd: »Ob ich schon wanderte im finstern Tale, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir; Dein Stecken und Stab trösten mich.« Ja, das klang lieblich! Er redete jetzt öfter in dieser Weise, als sei er ein Dichter geworden. -- Der Winter war eingezogen, und Grete wirtschaftete emsig im Keller und auf dem Boden umher, um Aepfel und Birnen, Rüben und Kohlköpfe vor dem Erfrieren zu schützen. Da kam einst Thomas, der sich sonst herzlich wenig um die Hauswirtschaft kümmerte, ganz dreist mit einem großen Korbe dazwischen, prüfte erst genau, in welchem Strohhaufen die besten Aepfel verborgen waren, und füllte seinen Korb bis zum Rande. »Die brauchst du nicht erst zu verwahren, die werden bald weggegessen«, sagte er ganz ruhig. »Von wem denn?« fragte Grete, sich innerlich zum Kampf rüstend. »Ei, von den Kindern! Ich hab' mir schon alles schön ausgedacht. Ich mach' am Christabend ein Fest; ganz herrlich! Und zuletzt kommt ein Engel, der teilt Aepfel und braune Küchlein an die Kinder aus.« »Wo kriegst du denn die Küchlein her?« »Ei, die mußt du backen!« »Ich tu's nicht«, rief Grete sehr entschieden. »Alles willst du verschenken! Bringst uns noch an den Bettelstab! Von den neuen Hemden ist auch schon eins weg; gesteh's nur!« »Gewiß! Es tat dem armen, kranken Peter gar sanft auf seinen wunden Leib. Aber wenn dich die Aepfel dauern, so behalt' sie nur! Ich eß dann freilich keinen. Und die Küchlein brauchst du auch nicht zu backen. Horch dann nur recht auf meine Mettenpredigt. Der leg' ich einen feinen Spruch zugrunde!« »So? Wie heißt er denn?« »Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen; der HErr ist nahe!« Mit seiner allersanftesten Stimme hatte Thomas diese Worte gesprochen; dann ging er still hinab in sein Stübchen. Es währte nicht allzulange, da steckte Grete den Kopf zur Tür herein und sprach leise zu dem eifrig Lesenden: »Nimm nur die Aepfel, Thomas. Sie sind ja doch dein eigen! Und die Küchlein kriegst du auch; ich gönn' sie ja dem kleinen Volk. Aber wo nimmst du einen Engel her? Bengel gibt's genug im Dorfe; aber einen Engel sah ich nimmer.« »Nicht?« rief der Bruder aufspringend und sie umfassend. »O du blinde Grete! Hat nicht ein Englein hier am Tisch die lateinischen Worte gelernt? Hat's nicht neben dir gesessen und mit süßer Stimme zum Schnurren des Spinnrads gesungen?« »Das Annchen?« rief Grete erstaunt. »Thomas, Thomas! Du wirst mir allzu keck! Willst noch gar die Sterne vom Himmel holen! Was wird der reiche Herr dazu sagen?« »Grete«, sprach der Bruder, »der reiche Herr ist mein Herzensfreund.« »Ich merk's längst, daß ihr was miteinander habt«, entgegnete die Schwester. »Geb' nur Gott, daß es nicht Gefahr bringt! 's ist ja wohl manches nicht recht unterm Priester- und Mönchsvolk; aber ihr beiden werdet's nicht ändern.« Der Leutpriester antwortete nicht; wohl aber brachte er von seinem nächsten Stadtbesuch die Nachricht mit, daß das Englein zu haben sei, und nach Kräften zur Verherrlichung des Festes beitragen, ja sogar die alte große Nürnberger Puppe in ein schönes Christkindlein umwandeln wolle. Alsbald begannen die Vorbereitungen. Der alte Schullehrer genoß viele Ruhestunden, da Pater Thomas schwere Mühe hatte, den Kindern etliche Weihnachtslieder, die er als Chorknabe im Kloster gelernt, einzuüben. Endlich gelang es und beglückte jetzt schon das kleine Volk. Des Abends brannte das Lämpchen im Leutpriesterhaus sehr lange; die Fenster waren aber so gut verhangen, daß kein neugieriges Auge ergründen konnte, was da drinnen vorbereitet ward. Zwei Knaben und ein Mädchen, besonders brave Schüler, durften ein paarmal ins Stübchen kommen, um etwas Geheimnisvolles einzuüben, verrieten aber, stolz auf das Vertrauen, das man ihnen geschenkt, nicht das Geringste. Endlich, endlich kam der Weihnachtsabend, und des Leutpriesters Feier mochte wohl Gott gefallen, denn Er schickte das allerschönste Winterwetter dazu. Es war nicht sehr kalt; eine leichte Schneedecke lag auf der Erde, und am blauen Himmel leuchtete ein Sternlein nach dem andern auf. Auch droben im Schlößchen war Licht zu sehen. Schon längst trappelten die Kinder unruhig zwischen den Hütten umher, doch war's ihnen streng verboten, vor dem Vesperläuten zur Kirche zu kommen. Endlich, endlich schallte die kleine Glocke feierlich durch die Dämmerung, und erwartungsvoll eilte alt und jung herbei. Nur die Erwachsenen durften in die Kirche, während sich die Kinder vor des Leutpriesters Häuschen zum festlichen Zuge ordneten. Ja, die rosigen Gesichter strahlten in Festfreude, und die hellen Augen glänzten erwartungsvoll; der Anzug aber war bei vielen nichts weniger als festlich. Gar seltsame Hüllen hatte man den Kleinen umgelegt, um sie vor der Kälte zu schützen. Das Tuch der Großmutter, die alte Mütze des Vaters, besonders aber der leere Sack spielte dabei eine große Rolle. Nun stellte sich Thomas an die Spitze seiner kleinen Schar, die singend herüber ins Gotteshaus zog: »Es kommt ein Schiff, geladen Bis an den höchsten Bord, Trägt Gottes Sohn voll Gnaden, Des Vaters ewig Wort. Das Schiff geht still im Triebe, Trägt eine teure Last; Das Segel ist die Liebe, Der Heil'ge Geist der Mast. Der Anker schlägt zur Erden: So ist das Schiff am Land! Das Wort zu Fleisch soll werden, Der Sohn ist uns gesandt. Zu Bethlehem geboren Im Stall ein Kindelein; Gibt sich für uns verloren: Gepriesen müss' es sein! Und wer dies Kind mit Freuden Umfangen, küssen will, Der muß erst mit Ihm leiden Der Pein und Marter viel. Danach auch mit Ihm sterben Und geistlich auferstehn, Das ew'ge Heil zu erben, Wie an Ihm ist geschehn.«[A] [A] Die in der Weihnachtsfeier angeführten Verse waren mit Ausnahme der letzten schon vor der Reformation bekannt. Wären die Kinder nicht schon recht gut gewöhnt gewesen, hätten sie gewiß mitten im Gesang aufgehört, um in einen Ruf der Bewunderung auszubrechen über das, was sie erblickten. Aber sie blieben fest und zogen singend in die vordersten Bänke ein, wo sie endlich mit gefalteten Händen saßen, die glänzenden Augen nach dem Altar gewendet. Da war etwas ganz Wunderherrliches zu sehen! Auf weißbehangenem, mit immergrünen Zweigen geschmückten Tische stand eine Krippe. Es war ein mit Heu und Stroh gefüllter Korb, in einem hölzernen Gestell hängend. Darin lag, in schneeweiße Windeln gewickelt, das blonde Köpfchen mit einem goldenen Schein umgeben, das Christkindlein! Daß es Annchen van der Groots Puppe war, ahnte niemand; von weitem sah es wirklich aus, wie ein sehr kleines lebendiges Kindchen. Ochs und Esel, sauber aus Holz geschnitzt, standen dabei und schauten es aus großen Augen an; ja, es schwebten sogar Englein mit goldenen Flügeln und langen weißen Hemdchen ringsumher, von unsichtbaren Fäden gehalten. Nun trat Thomas daneben, erzählte schlicht und einfach die Geschichte der Geburt des Heilandes, und ermahnte Große und Kleine, Ihm ihre Herzen zu öffnen. Während er sprach, waren ein Knabe und ein Mädchen zu der Krippe getreten und sangen, als er geendet hatte, das Körbchen sanft hin und her wiegend, abwechselnd: »Laßt uns das Kindlein wiegen, Das Herz zum Kripplein biegen, Im Geist uns zu erfreuen, Das Kindlein benedeien. Laßt uns dem Kindlein singen, Ihm unsre Opfer bringen; Laßt uns Ihm Ehr' erweisen Mit Loben und mit Preisen. Laßt uns das Kindlein tränken, Laßt süße Milch Ihm schenken; Es wird uns wohl belohnen Im Himmel mit der Kronen. Laßt volle Chöre schallen, Dem Kindlein zu gefallen, Ein Freudlein Ihm zu machen: Das Kindlein wird eins lachen!« Nun fiel der ganze Chor ein: »Laßt uns beim Kindlein wachen, Ihm tausend Freuden machen; Wollt' Gott, wir könnten's loben Hier zeitlich und dort oben. O JEsulein süß, o JEsulein süß!« Den beiden an der Krippe gefiel das Wiegen so wohl, daß sie gar nicht aufhören wollten, und erst durch einen Wink des Leutpriesters erinnert werden mußten, daß ihre Rolle aus sei. Kaum hatten sie sich entfernt, als auch schon ein schlanker, hübscher Knabe, als Hirte gekleidet, mit Tasche und Stab hinter dem Altar vorgewandert kam und sich umschaute, als suche er etwas. Jetzt gewahrte er das Kripplein, tat einen Freudensprung und lief darauf zu. Eine Weile stand er, darüber hingebeugt, in Anschauen und Anbetung versunken; dann wendete er sich den Kindern zu und sprach: »Als ich bei meinen Schafen wacht', Ein Engel mir gute Zeitung bracht'. Des bin ich froh! froh! froh! +Benedicamus domino!+ Er sagt', es soll geboren sein Zu Bethlehem ein Kindelein. Das Kindlein lieg' in einem Stall, Sollt' doch die Welt erlösen all. Als ich nun kam zum Stall hinein, Das Kind fand ich gewickelt ein. Das Kind die Augen zu mir wandt'; Mein Herz gab ich in Seine Hand. Als ich wollt' heim, das Kind wollt' mit, Und wollt' von mir abscheiden nit; Es legt sich selbst an meine Brust Und macht mir da viel Herzenslust. Den Schatz muß ich bewahren wohl, So bleibt mein Herz der Freuden voll. Des bin ich froh! froh! froh! +Benedicamus domino!+« Als der Hirte wieder verschwand, begannen die Kinder zu singen: »Das Heil der Welt, ein kleines Kind, Man jetzo hier auf Erden find't. Drum singen wir alle mit Schalle, Mit Fröhlichkeit, mit Innigkeit Dem Kindelein in Ewigkeit! O JEsu! O JEsu! Gegrüßet seist Du, JEsus Christ, Der uns zum Heil geboren ist! Drum singen wir alle mit Schalle, Mit Fröhlichkeit, mit Innigkeit Dem Kindelein in Ewigkeit! O JEsu! O JEsu!« Schon während des letzten Gesanges begannen die Kleinsten etwas unruhig zu werden, mochten auch wohl an die Füßlein frieren. Darum war's Zeit, daß nun noch das Beste kam. Die Kinder standen alle auf, bildeten, einander an den Händen fassend, eine lange Reihe, und zogen nun fröhlich in tanzendem Schritte beim Kripplein vorbei und rings um den Altar herum. Dabei sangen sie ganz lustig: »Seid fröhlich und jubilieret JEsu, dem Messiä; Der die ganze Welt regieret, Ist ein Sohn Mariä, Und liegt im Krippelein Beim Ochsen und Eselein. Jauchzt und klinget, singt und springet! Aus der Höh', aus der Höh', aus der Höh' Ist gekommen Christ, das Söhnlein Mariä, Mariä, Mariä! Und hat von uns weggenommen Alles Weh, alles Weh, alles Weh! Hilf, daß wir bald zu Dir kommen, o Christe!« Als sie zum zweitenmal hinter dem Altar hervorzogen, war indes vor der Krippe etwas Herrliches erschienen. Ein wunderschöner Engel stand da! Er trug ein langes schneeweißes Gewand und hatte goldene Flügel, die fast noch heller glänzten als die langen Locken, die ihm um die Schultern wallten. Ihm zu Füßen standen zwei große Körbe; einer war mit leckeren braunen Küchlein gefüllt, aus dem andern lachten den Kindern die schönsten rotbäckigen Aepfel entgegen. Mit heller, lieblicher Stimme sprach der Engel: »Ihr Kinderlein, kommt all' herbei, Und füllet eure Händchen frei Mit Aepfeln aus dem Paradies, Mit feinen Küchlein, honigsüß! Dann lernt auch wacker, bleibet fromm, Bis übers Jahr ich wiederkomm'; Bis uns der Heiland allzugleich Einführt ins goldne Himmelreich!« Zuerst waren die Kinder sehr zaghaft, so daß keines wagte, sich dem Himmelsboten zu nahen. Endlich faßte der kleine Hans, des Leutpriesters Liebling, ein Herz, trippelte auf den Zehen heran, tat einen scheuen Blick ins holde Engelsangesicht, stopfte schnell zwei Küchlein vorn ins Wämschen, nahm in jede Hand einen Apfel und sprang flugs zurück an seinen Platz. »Fürcht' dich nicht«, flüsterte er seinem Nebenmännlein zu. »'s ist ein braver Engel! Mir ist, als hätt' ich ihn schon einmal im Traum gesehn!« Da wagte es auch der kleine Freund, und damit war der Bann gelöst. Immer noch etwas bange, aber sehr glücklich, zog die ganze Reihe langsam vorüber, um sich das himmlische Geschenk zu holen. Indes waren die Lichtlein an der Krippe verlöscht, und bei sanftem Orgelspiel verließ jung und alt die Kirche. 7. Der Verräter. »Was einmal recht schön war, wird nimmer wieder so schön.« Dieses Sprichwort traf in bezug auf die Weihnachtsfeier nicht ein, da man im Kirchlein noch zweimal mit lieblichem Gesang das Kindel wiegte, und der Engel noch zweimal süße Gaben austeilte; das letztemal sogar Zuckerkringel, die der Goldschmied aus der Stadt geschickt. Eins der kleinen Mädchen fragte daheim die Mutter, ob wohl das gute Essen dran schuld sei, daß der Weihnachtsengel so gar groß geworden wäre. »Vielleicht ist's heut ein anderer gewesen«, sprach die Frau. »Nein, nein; es war derselbe! Ich hab' ihn gleich wiedererkannt an den freundlichen Augen und der holden Stimme!« Ja, Annchen war sehr gewachsen und viel ernster geworden. Sie hüpfte und sprang nicht mehr so munter, wie damals bei der Hühnerjagd. Es wäre auch in dem langen Kleide, das sie nun trug, gar nicht recht gegangen. Ihr blondes Köpfchen war jetzt mit einer kleinen goldgestickten Haube geschmückt, und nicht selten hingen die Schlüssel zu Speisekammer und Keller an ihrem Gürtel, da sie von Frau Berta fleißig in den Geschäften des Haushaltes geübt ward. Obgleich sie sich redlich bemühte, im Verkehr mit dem Vater die sonnige Heiterkeit zu zeigen, die ihm so wohl tat, lastete doch schwere Sorge auf ihrem jungen Herzen. Kam sie abends in ihr Stübchen, so saß sie oft noch lange am Fenster und schaute, den Kopf in die Hand gestützt, gedankenvoll zu dem schmalen Streifen Sternenhimmel empor, der zwischen den Giebeln der hohen Häuser sichtbar war. Ach, es war wohl gut, daß lieb Mütterlein dort oben geborgen war im ewigen Frieden, da hier unten Angst und Furcht herrschte vor etwas Schrecklichem, das früher oder später kommen mußte! Als ihr Verstand reifte, und ihr Gemüt tiefe Empfänglichkeit zeigte für das, was Pater Thomas sie lehrte, hatte ihr der Vater gesagt, daß dies das wahre, seligmachende Evangelium sei, während man in den Kirchen der Stadt die armen Seelen auf falschen Weg führe. Sie wußte nun, daß viele ihrer Mitbürger, Männer, Frauen, ja sogar Kinder um des wahren Glaubens willen eines grausamen Todes gestorben seien. Hatte auch die Verfolgung in den letzten Jahren ein wenig geruht, so stand zu erwarten, daß sie bald desto heftiger wieder ausbrechen werde. Während das liebreiche Mägdlein an sich selbst nur wenig dachte, zagte sein Herz um den teuren Vater und den geliebten Lehrer. Auch an Gottfried, dem sie herzlich zugetan war, dachte sie mit schwerer Sorge. Ein bestimmter Abend in jeder Woche war besonders angstvoll für das Mägdlein. Da kamen im Schutz der Dunkelheit (von Straßenbeleuchtung wußte man damals noch nichts) einige wackere Männer ins Haus, dessen Tür der Vater selbst öffnete und sorgfältig wieder schloß. Leise stiegen sie die Treppe empor und verschwanden im großen Saale. Annchen wußte wohl, was sie dort trieben. Pater Thomas las mit ihnen die Bibel, die der Vater jetzt in der Landessprache besaß; auch wurden die Schriften Doktor Luthers eifrig studiert. Sehr leise mußte das wohl geschehen, da das Kind, als es einst, von unbestimmter Angst getrieben, ein wenig an der starken eichenen Tür lauschte, auch nicht das Geringste vernahm. Der Winter war vergangen, und die Zeit des Umzugs nach dem Schlößlein nahte heran, doch konnte sich Annchen diesmal nicht so harmlos darauf freuen wie sonst. Ging doch auch Pater Thomas ernst und sorgenvoll einher. Wenn auch niemand offen davon sprach, so waren sich doch die Ernstgesinnten in seiner Gemeinde wohl bewußt, daß er, wenn auch noch zaghaft, die neue Lehre predigte, die von den Priestern in den Abgrund der Hölle verdammt ward. Auf der Kanzel tat er es zwar nur vorsichtig, bekannte sich aber in der Seelsorge desto freier dazu. Freilich ward nur eine kleine Schar ergriffen von der süßen Lehre des Evangeliums; bei der Menge ging eben alles zu einem Ohr hinein und zum andern wieder heraus. Jedenfalls dachte bis jetzt noch niemand daran, den stillen, freundlichen, wohltätigen Mann an die stolzen Klosterleute zu verraten. Es lebte sich ja so gut mit ihm! Und wenn man ihn einem grausamen Tode oder ewiger Gefangenschaft preisgäbe, was würde der Lohn sein? Man würde doch nur einen feisten, dummen, habgierigen Mönch zum Ersatz bekommen. Trotzdem verrichtete Thomas sein Amt mit schwerem, angstvollem Herzen. Ach, er liebte seine Leute so sehr, die Großen wie die Kleinen; und es war ihm zumute wie einem Vater, der seine Kinder verlassen soll. Wenn ihn auch niemand anklagte, so durfte er doch nicht bleiben! Er hatte ja bisher noch die tägliche Messe gehalten, obgleich ihm immer klarer ward, daß sie ein Mißbrauch sei. Tat er aber das nicht mehr, so war er rettungslos verloren, wenn er nicht eilend entfloh. Dazu kam, daß ihn die gute Grete, so empfänglich sie sonst für die himmlische Wahrheit war, täglich mit Bitten bestürmte, diesen letzten Schritt noch ein wenig hinauszuschieben, nur noch ein ganz klein wenig! Dagegen stärkte er sich an des Goldschmieds Mut. »Gott ist allmächtig; Er kann uns wohl hindurchretten«, sprach er. »Er kann auch des Kaisers Herz lenken, daß er die neue Lehre, die er in vielen deutschen Städten, ja in ganzen Ländern dulden muß, endlich auch hier freigibt. Er muß doch einmal erkennen, daß sie eine göttliche Kraft ist, der er nicht widerstehen kann. Laß uns nur immer fester werden in der Wahrheit! Will es Gott anders, nun, so sterben wir mutig und gehen ein zur himmlischen Herrlichkeit.« Wo der Same des Wortes Gottes ausgestreut wird, fällt er immer auf verschiedenen Acker. So ging es auch im Freundeskreis des Leutpriesters. Die brave Frau Berta hatte im Anfang gern zugehört, wenn das Kind ihr die schönen biblischen Geschichten erzählte und so lieblich von himmlischen Dingen zu reden wußte. Auch Pater Thomas' Predigten gefielen ihr wohl; es war ja recht und nötig, die rohen Fischersleute zum Guten zu ermahnen. Als er aber anfing tiefer zu gehen, und Christum als den Sünderheiland darstellte, der alles, alles für uns getan und gelitten hat, zog sie sich mehr und mehr zurück. War doch ihr Leben eigentlich nichts anderes als eine Kette von guten Werken. Von Jugend auf war sie sittsam, ehrbar, fleißig und wohltätig gewesen. Niemand sollte ihr diesen Ruhm rauben, auch Pater Thomas nicht! Schwächen und kleine Fehler hatte man ja, aber dafür opferte man seine Gebete und ein schönes Stück Geld! Sünder gab's allerdings in der Welt, Räuber, Mörder, Ehebrecher, nichtsnutzige Faulpelze wie der Carlos! Für solche wäre des Leutpriesters Predigt passender gewesen, als für sie, die feine, ehrbare Matrone! Und nun hielt eine Anzahl braver, angesehener Männer gar noch heimliche Versammlungen bei ihrem Herrn! Ja, sie kannte sogar den Raum, in dem die Verblendeten zusammenkamen; keinem war er sonst bekannt! Nimmermehr würde sie ihren guten Herrn verraten; aber es galt doch, sich beizeiten zurückzuziehen von einer so gefährlichen Sache. Vor Jahren hatte sie einmal selbst gesehen, wie man Ketzer gefangen fortführte, mit Stricken gebunden und einen Knebel im Munde! Wer weiß, wie bald es wieder so weit kommen würde! Darum besuchte sie wieder regelmäßig die Messe in der Marienkirche und sorgte dafür, daß sie auch gesehen ward. Vielleicht wär's das beste, dem Goldschmied den Dienst aufzusagen! Lag doch im tiefsten Grund ihrer Truhe ein schwerer Beutel voll Geld, reichlich genug, sich zur Ruhe zu setzen. Wäre nur ihr Herzblatt, ihr Gottfried, mit ihr eines Sinnes gewesen! Aber ach, der ging durchs Feuer für die neue Lehre, für seinen Herrn und besonders für das Kind! Tag für Tag verstrich, ohne daß es zur Kündigung kam. Wer würde das Essen so kochen, wie es dem Herrn schmeckte? Wer würde Annchens schönes Haar so gut pflegen? Wer würde ihr den Hustentee zur rechten Zeit kochen? Ein klein wenig hatte sie doch die schwache Brust von der Mutter geerbt! Indessen hatte die warme Frühlingssonne den damals ganz bodenlosen Schmutz der Landstraßen getrocknet. Der Himmel strahlte so heiter und blau; Gärten und Felder begannen zu grünen, und in der Stadt war gar keine Zeit zu ernsten, trüben Gedanken. Alles befand sich in freudiger Aufregung, da ein Besuch des Kaisers angemeldet war. Alsbald begannen die großartigsten Vorbereitungen. Auch an des Goldschmieds Hause sollte der glänzende Zug vorbeikommen, und Frau Berta hatte mit den Mägden alle Hände voll zu tun mit Vorrichten der Teppiche, die man auf die Gasse breiten, der seidenen Banner und Bänder, mit denen man die Fenster und besonders den schönen Erker schmücken wollte, von dem aus der Hausherr und sein holdes Töchterlein den glänzenden Zug betrachten wollten. Für Annchen ward ein Kleid von himmelblauem Sammet gefertigt, dessen geschlitzte Aermel weißen Atlas durchschauen ließen. Das Leibchen war zwar tief ausgeschnitten, aber Brust und Hals zierlich und züchtig mit weißem Atlas und kostbaren Spitzen verhüllt. Freilich wurden diese heiteren Geschäfte durch häuslichen Verdruß etwas gestört. Carlos, der in der letzten Zeit immer unnützer, träger und hochmütiger geworden war, verschwand plötzlich ganz spurlos, nachdem ihm der Goldschmied einen wohlverdienten Verweis gegeben. »Wenn du dich nicht besser beträgst«, hatte er endlich gedroht, »werde ich dich während der Festtage in deiner Kammer einschließen, so daß du von der ganzen Herrlichkeit nichts zu sehen bekommst. Jahrelang trug ich dein wüstes Wesen mit Geduld; jetzt ist sie zu Ende.« Ein böser, wilder Blick aus den kohlschwarzen Augen des unnützen Burschen hatte den milden Herrn fast erschreckt, so daß er begütigend hinzufügte: »Du bist nun bald ein Mann; so lege doch endlich die kindischen Unarten ab! Raffe dich auf, sei fleißig und gehorsam, so will ich's noch einmal mit dir versuchen und dich wieder in die Werkstatt nehmen. Fährst du aber in deinem bösen Wesen fort, so ist deines Bleibens in meinem Hause nicht mehr lange.« Da ward des Jünglings Gesicht glühend rot, er ballte die Faust, wandte sich ab und verließ das Gemach. Am andern Morgen war er nirgends zu finden, und hatte keine andere Spur hinterlassen, als ein tiefes Loch in der Wand hinter seinem Bett. Im Grunde war man froh, ihn los zu sein, und fürchtete mehr als daß man hoffte, er werde nach den Festtagen, von Hunger getrieben, plötzlich wieder erscheinen. Endlich erscholl von Gase zu Gasse der Ruf: »Der Kaiser kommt!« Das Wetter war günstig. Tiefblau wölbte sich der Himmel über der herrlich geschmückten Stadt. Auf den Balkonen und in den Erkern harrten reichgekleidete Patrizierfrauen und holde Mägdlein des Augenblicks, da sie dem Herrscher einen Gruß zurufen sollten. Schon längst waren ihm die geistlichen und weltlichen Häupter der Stadt in reichen, goldgestickten Gewändern auf prächtigen Rossen entgegengeritten. Endlich, endlich nahte sich der glänzende Zug. Voran des Kaisers spanische Leibwache, ernst und streng, mit blanken Schwertern in den Händen. Dann das Geleit der Stadt, und endlich der Kaiser selbst auf schneeweißem Roß in kleidsamer spanischer Tracht. Ueber ihm und seinen nächsten Begleitern wölbte sich, von vornehmen Jünglingen getragen, ein reichgestickter Thronhimmel. Karl V. stand jetzt im kräftigsten Mannesalter. Hoch und stattlich saß er zu Roß; seine großen, sonst sehr ernsten Augen blickten heute lebhaft und heiter umher, und der Mund, dessen etwas zu dicke Oberlippe der dichte Bart verbarg, lächelte freundlich zu dem Jubelruf der Menge, der ihn am Tor begrüßte und immer von neuem wiederholt ward. Hier war er ja in seinem eigenen Erbland, wo er selbständig regierte, ohne daß ihm irgend ein eigenwilliger Fürst hereinreden durfte. Hier war ihm auch die Dankbarkeit des Volkes gewiß, dessen Handel zu Wasser und zu Lande er kräftig schützte, und dessen Wohlfahrt er auf alle Weise förderte. Es war ja sein Heimatland, dessen Sprache ihm schon das Herz erwärmte. Sein Begleiter zur Rechten, ein frischer niederländischer Edelmann, war offenbar in derselben heiteren Stimmung. Er machte den hohen Herrn hier und da aufmerksam auf ein neues Gebäude, einen schönen Brunnen, oder eine Gruppe edler Frauen, die ihn vom hohen Balkon herab begrüßte. Stets erhielt er eine heitere, wohl gar scherzhafte Antwort im treuherzigen niederländischen Dialekt. Eine Weile hatte der hohe geistliche Würdenträger, der zur linken Seite ritt, dies harmlose Gespräch geduldet. Alle Kleiderpracht verschmähend, trug er nur die Ordenstracht der Dominikaner; doch hing auf seiner Brust an schwerer goldener Kette ein prachtvolles goldenes Kreuz, mit funkelnden Edelsteinen besetzt, das ihm der »heilige Vater« zum Lohn für seinen Eifer in Verfolgung der Ketzer verliehen. Seinem finsteren Wesen und seiner Verachtung des Volkes behagte es nicht, daß der Kaiser so leutselig um sich blickte; darum suchte er ihn in halblaut geführtes ernstes Gespräch zu ziehen, was ihm auch endlich gelang. Des Kaisers Blick verdüsterte sich, und seine Züge wurden streng und hart. Da flog plötzlich ein Kränzlein zarter, frischer Frühlingsblumen durch die Luft, und blieb, von geschickter Hand geworfen, an dem kostbaren Zaumschmuck des kaiserlichen Rosses hängen. Lächelnd löste er es und blickte empor. Da stand im weitgeöffneten Erkerfenster eines stattlichen Bürgerhauses ein gar liebliches Mägdlein, kaum dem Kindesalter entwachsen. Es trug ein himmelblaues Sammetkleid, mit weißem Atlas ausgeschmückt. »Heil, Heil dem Kaiser!« rief es mit glockenheller Stimme; der mächtige Herr aber nickte ihm freundlich zu und bewegte grüßend die Hand. Als der düstere Nachbar gleich darauf sein Gemurmel wieder begann, wehrte der Kaiser ungeduldig ab. »Nicht jetzt!« sprach er halblaut. »Erst will ich mich dieses Kränzleins freuen, als eines Liebeszeichens meiner Niederländer.« Die Lust und Freude, die sich während der nächsten Tage in der reichen Stadt entfaltete, war ganz unbeschreiblich. Die sonst so emsige Arbeit ruhte. Die Maschinen standen still, die Werkstätten waren geschlossen; arm und reich, vornehm und gering gab sich der Festfreude hin. Während die Patrizier einander in ihren Häusern köstlich bewirteten, suchte das Volk seine Lust gern auf den Gassen und freien Plätzen. Auf dem Markte briet man an großem Feuer einen ganzen fetten Ochsen, um ihn dann der Menge preiszugeben. Schier unerschöpflich ward roter und weißer Wein aus mächtigen Fässern gezapft; an die Kinder wurden Brezeln und Kuchen ausgeteilt. Von hohen Tribünen erklang heitere Musik; alles lachte, spielte, hüpfte, aß und trank nach Herzenslust. Selbst die Schiffe im Hafen hatten bunte Wimpel aufgezogen, und geschmückte Kähne schaukelten sich auf der Flut. Der aber, um deswillen alles so sang und sprang und sich schmückte, durfte sich keineswegs ungestörter Freude hingeben. Die Verhandlungen und Berichte im Rathause verliefen in gutem Frieden. Wenn Karl V. schwere Steuern von seinen Niederländern verlangte, nun, so hatte er sich ein Recht dazu erworben, indem er ihnen immer neue Wege des Handels und Gewinnes öffnete. Darum gab man ihm willig, was er begehrte. Man konnte es auch, da der Reichtum des Landes, besonders der Stadt Antwerpen, damals fast unermeßlich war. Auch sonst herrschte gute Ordnung, Frieden, Fleiß und Treue unter der emsig tätigen Bevölkerung. Dagegen hatten die Diener, oder vielmehr die Herren der Kirche viel zu klagen. Ach, die Ketzerei schlich zwar heimlich, aber doch mächtig durch die gute Stadt! Wohl waren Kirchen und Beichtstühle immer noch gefüllt mit gehorsamen, gläubigen Seelen, dennoch war ihre Zahl im Abnehmen, während sich doch die Bevölkerung der Stadt von Jahr zu Jahr mehrte. Wer sollte aber bei dem steten Ab- und Zuzug der Menge, zu Land und zu Wasser, die Schafe von den Böcken scheiden? Und welche Menge von ketzerischen Büchern und Schriften mochten die kühnen deutschen Kaufleute, die vielleicht heute kamen, um morgen wieder zu gehen, heimlich unter das Volk verbreiten? War es da nicht die höchste Zeit, durch die strengsten Gesetze und die emsigste Nachforschung diesem Uebel zu wehren? -- Obgleich Karl V. kein grausames Herz hatte, wie sein Sohn Philipp II., so war er doch ein strenger Herrscher, und dazu ein eifriger Anhänger der alten Kirche. Daß er die Ausbreitung der Reformation in so vielen deutschen Städten und Ländern nicht hindern konnte, da mächtige Fürsten ihr zufielen, war ihm im tiefsten Grunde zuwider. Desto mehr fühlte er sich verpflichtet, die neue Lehre in seinen Erbländern mit allen nur möglichen Mitteln im Keim zu ersticken. Redeten ihm doch die Priester ein, daß er damit ein gutes Werk tue, seine eigenen Sünden bedecke und den Himmel verdiene! Fröhlich war er in die gute Stadt eingezogen; finster, schweren Herzens und ganz in der Stille verließ er sie wieder. Das wackere Volk aber ahnte bis jetzt noch nichts von der schweren Gewitterwolke, die sich über ihm zusammenzog. Es ging, als die Freudentage vorüber waren, mit erneuter Lust an die Arbeit. Der schlanke, blasse Bursche in guter, aber arg vernachlässigter Kleidung, der dort mißmutig einherschlenderte, schien zur Arbeit gar keine Lust zu haben. Mit wilder Gier hatte er sich von einem Genuß in den andern gestürzt, war fast immer berauscht gewesen, und bemerkte nun erst mit Schrecken, daß seine Barschaft bald zu Ende sei. Es war Carlos. Noch wirr im Kopf von dem ganz ungewohnten Genuß des Weines, voll Wut über die leichtsinnigen Gefährten, die ihm im Würfelspiel nicht nur sein Geld, sondern auch alle die kleinen Spielereien und Kostbarkeiten, die er heimlich entwendet, abgewonnen hatten, fühlte er sich ganz ratlos und elend. Betteln war in der wackeren Stadt nur den Krüppeln und Altersschwachen erlaubt; wenn er arbeiten sollte, hätte er ebensogut beim Goldschmied bleiben können! Stehlen war allzu gefährlich; es brachte zu jener Zeit an den Galgen! Horch! Tönte da nicht die Stimme eines Ausrufers? Ja, dort stand er, einen langen Zettel in der Hand, in der Mitte einer schnell wachsenden Menge. Carlos eilte herbei und horchte gespannt. Was war es doch, das der Mann mit lauter Stimme vorlas? Warum malte sich auf den Gesichtern der Zuhörer teils bleicher Schrecken, teils heimlicher Triumph? Es war ein Gesetz, das im Namen des Kaisers alles Lesen reformatorischer Schriften, alle Versammlungen zu heimlicher Erbauung, alles Singen ketzerischer Lieder, ja sogar das Sprechen über die neue, verfluchte Lehre bei den grausamsten Strafen verbot. Wem aber Leute bekannt seien, die sich solcher Todsünden schuldig machten, der solle ja nicht zögern, sie seinem Beichtvater anzuzeigen. Es solle ihm, als ein verdienstlich Werk, reich belohnt werden. Da auch die Priester in den Kirchen dies schreckliche Gesetz verkündeten, ward es bald in der ganzen großen Stadt bekannt, und machte auf die Bevölkerung, die sich in den letzten Tagen harmloser Freude hingegeben, einen furchtbaren Eindruck. War doch dadurch der Feindschaft, der Rachsucht und der Mißgunst Tor und Tür geöffnet! Wer durfte unter solchen Verhältnissen noch dem Freunde, dem Nachbar, dem Geschäftsteilhaber trauen? Ein unbedachtes Wort, ein Scherz, das Lesen einer Schrift, das Singen eines Liederverses konnte ins Verderben stürzen. Schwüle Stille herrschte auf den sonst so belebten Gassen. Viele Werkstätten blieben geschlossen, Fabriken stellten aus Mangel an Kräften die Arbeit ein; selbst auf der Börse stockte der gewohnte Verkehr. Dagegen verließen viele fleißige, ehrsame Bürger im Schutz der Dunkelheit die Stadt, von der mühsam erworbenen Habe nur so viel mit sich führend, als auf dem Saumroß oder auf dem Wäglein neben Weib und Kind Raum fand. Auch am Hafen mischten sich begüterte Familien unter die Schar der Fremden, die dort täglich auf und nieder wogte, um sich unbemerkt mit einzuschiffen nach irgend einem fernen Land, wo man auf Religionsfreiheit hoffen durfte. Indessen ruhten die Feinde nicht. In besonders verdächtigen Häusern durchsuchten finstere Mönche jeden Kasten, jeden Winkel nach ketzerischen Büchern. Schon loderten auf öffentlichen Plätzen die Flammen, die sie verzehrten, während man die unglücklichen Eigentümer gefesselt in unterirdische Gefängnisse warf wie gemeine Verbrecher. Auch des Goldschmieds Haus hatte man durchsucht, aber nicht das geringste Verdächtige gefunden; und der kluge, hochbegabte Mann hatte so ruhig und geschickt auf alle Fragen geantwortet, daß man ihm nichts anhaben konnte. Da aber die Feinde mit drohenden, mißtrauischen Worten das Haus verlassen hatten, schickte er das Kind mit Frau Berta schleunig heraus ins Schlößlein. Weinend hing Annchen beim Abschied am Halse des Vaters, als könne sie sich kaum von ihm trennen. Er aber tröstete sie freundlich: »Sei tapfer, mein Liebling! Ich hoffe, die Gefahr ist für diesmal vorüber. Dennoch glaube ich nicht, daß unseres Bleibens hier noch lange ist; nur noch einiges möchte ich ordnen um deinetwillen, mein Kind. Je ruhiger ich mein Geschäft fortführe, je offener ich mich zeige, desto weniger Verdacht wird man schöpfen. Aber höre! Sollte irgend etwas geschehen, das eilige Flucht nötig macht, so folge willig dem Boten, den ich dir sende, sei es bei Tag oder Nacht. Hier! Birg dies Beutelchen mit Goldstücken im Gewand und zeige es niemand, auch Frau Berta nicht. Sie ist verdrossen und übellaunisch, seit uns Gefahr droht. Weiber sind furchtsam! Du aber, Töchterlein, sei tapfer und treu! Hier, mein Sohn Gottfried, geleite das Kind hinaus und befiehl es Jungfer Grete zum besonderen Schutz. Dann aber kehre schleunig zurück; es gibt Arbeit für dich.« Am nächsten Tage schlich Carlos behutsam durch die Gasse, an der das Haus des Goldschmieds stand. Ob er wohl geflohen war? »O, wenn er doch geflohen wäre!« rief eine leise Stimme in seinem Herzen. Aber nein! Die Werkstatt stand offen; die scharfen Augen des Spaniers erkannten ganz deutlich die hohe Gestalt seines guten Herrn, der emsig schreibend am Arbeitstisch saß, während Gottfried am Juwelenschrank zu schaffen hatte. »Nun wohl!« dachte der böse Bube. »Wenn du so kühn bist, deinem Schicksal zu trotzen, so soll es dich ereilen! O, der dumme Carlos ist klüger, als du denkst; er weiß dein Geheimnis! Mein letzter Pfennig ist vertan; die Zeit der Rache ist gekommen!« Der finstere geistliche Herr, der neben dem Kaiser geritten, war nicht mit diesem wieder abgereist, sondern im Dominikanerkloster vor dem Stadttor geblieben, wo Thomas einst glückliche Schuljahre verlebt hatte. Seit dieser hohe Herr im Kloster weilte, waren die Mönche plötzlich sehr fromm geworden. Nichts von Behaglichkeit, nichts von Scherz, Spiel und losem Geschwätz war zu spüren; die leckeren Speisen und vollen Weinkrüge waren spurlos verschwunden. Jedermann wandelte mit niedergeschlagenen Augen einher, aufs allerstrengste die Ordensregel beobachtend. Dagegen strahlte die Kirche im reichsten Schmuck von Sammet und Seide, von goldenem und silbernem, mit funkelnden Edelsteinen besetzten Gerät. Herrliche, süße Gesänge erklangen vom Chor herab, und heute hörte der fremde Heilige selbst die Beichte. Es dauerte geraume Zeit, ehe er die lange Reihe der Andächtigen abgefertigt hatte. Er gähnte mächtig in seinem seidenen Lehnstuhl, und war ganz und gar nicht befriedigt. Statt der vielen Anklagen auf Ketzerei, die er erwartet, waren nur zwei oder drei erfolgt. Der biedere, freundliche Charakter der Niederländer neigte wenig zum Verrat. Da nahte sich noch zuletzt ein blasser Jüngling in sehr vernachlässigter Kleidung. Er sah hungrig und übernächtig aus und schien in großer, innerer Erregung. Als er einige kindische Verfehlungen gebeichtet und die Lossprechung empfangen hatte, bat er noch einmal um Gehör und sprach lange in wachsender Erregung. Der Priester gähnte nicht mehr, sondern horchte gespannt, und seine dunkeln Augen leuchteten unheimlich, wie die eines Raubtiers, das reiche Beute wittert. Die Gestalt des Jünglings aber zitterte wie im Fieber, und kalte Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, als er seinen Bericht zu Ende brachte: »Ich ahnte schon längst, was da oben vorging, konnte aber lange nichts Sicheres entdecken. Einmal aber, es war im letzten Winter, hatte man des kalten Windes wegen die dichten Vorhänge zugezogen, und es gelang mir, unbemerkt hinter einen derselben zu schlüpfen. Zitternd stand ich, denn wehe mir, wenn man mich entdeckt hätte! Aber die heilige Jungfrau beschützte mich. Ganz harmlos sah ich sie hereinkommen, sechs an der Zahl, lauter vermögende, angesehene Männer. Zuletzt den Leutpriester Thomas, den Goldschmied und meinen untreuen Gefährten Gottfried. Einer nach dem andern verschwand in der Oeffnung; sie schloß sich, und bald hörte ich das leise murmelnde Geräusch, das mir aufgefallen war, als ich vor Jahren meinen Groschen suchte. Im Schutz der nächsten Nacht entdeckte ich die verborgene Feder, die den Raum erschließt, und bin bereit, als Führer zu dienen. -- Wie schwer es mir wird, ehrwürdiger Vater, den zu verraten, dessen Brot ich, wenn auch in Mühsal und Verachtung, gegessen habe, werdet Ihr mit mir fühlen. Aber der Gehorsam gegen die heilige Kirche -- --« »Es ist genug, mein Sohn. Durch Schweigen hättest du dich schwer versündigt! Aber sage mir, weiß das Mägdlein von der Ketzerei?« »Gewiß! Seit Jahren hat der Leutpriester ihre junge Seele vergiftet. Aber sie ist fast noch ein Kind! Wenn's möglich ist, gönnt ihr das Leben!« »Wohl! Sie war es, die dem Kaiser das Kränzlein zuwarf; das soll sie retten. In strenger Zucht frommer Klosterschwestern kann ihre Seele wohl noch genesen. Du aber melde dich in der Gastherberge; Obdach und Nahrung soll dir nicht fehlen, bis das Werk vollbracht ist. Morgen abend sollst du es ausführen helfen. Gehe hin in Frieden!« In Frieden! Ja, wenn er gesagt hätte, in Qual, Angst, Unruhe und Schrecken, da hätte er die Wahrheit gesprochen! Das gute Essen, das man Carlos in der Herberge reichte, verzehrte er gierig, da er sehr hungrig war. Den Tag über lungerte er in den Höfen umher, allerlei sehend und hörend, um es im nächsten Augenblick wieder zu vergessen. Zeitig warf er sich auf sein Lager, wälzte sich aber lange umher, ehe der Schlaf ihn umfing. Endlich machte sich die Erschöpfung geltend; die heißen Augen schlossen sich, und bald kam ein Traum geflogen aus ferner Vergangenheit. Ihm träumte, er sei noch ein kleiner Knabe, und säße mit Gottfried auf einem Bänkchen am Lehnstuhl von Annchens Mutter. In die Kissen zurückgelehnt, hielt sie ihr holdes Töchterchen auf dem Schoß und erzählte den lauschenden Kindern vom Leiden und Sterben des Heilandes. »Aber einer unter den zwölf Jüngern«, sprach sie, »hieß Judas, und er war ein Verräter!« Da schwand der Traum; Carlos fuhr vom Lager empor, und mit dem Schlaf war's vorbei. »Er war ein Verräter!« klang's um ihn her, wie von tausend Stimmen gerufen, die ganze, lange, dunkle Nacht! Nun, wenn nur erst alles vorüber war, wollte er diese Stimme schon zum Schweigen bringen. Fort, weit, weit fort wollte er, übers unermeßliche Meer nach den Inseln, wo es immer Sommer war, wo man ohne Arbeit reich ward und die Kinder des Landes unter die Füße trat! Von einem Genuß zum andern eilend würde er bald alles Vergangene vergessen. -- Am nächsten Abend ward es zeitig dunkel in der Stadt, da der Himmel mit schwarzen Wolken bedeckt war, die, vom Sturme gejagt, in wilden, unheimlichen Gestalten einherflogen. Tiefe Stille herrschte auf den sonst so belebten Gassen. Kein fackeltragender Diener geleitete seine geputzte Herrschaft zu festlicher Mahlzeit; kein Mägdlein winkte der Nachbarin, um ihr in der Haustür ein Geheimnis mitzuteilen; kein Lautenspiel ertönte vom Balkon; kein junger Bursche stahl sich heimlich zur Weinschenke. Alles war totenstill, als läge ein Bann auf der Stadt. Auch des Goldschmieds Haus lag in Ruhe und Dunkelheit. Gottfried, der noch in der Werkstatt beschäftigt war, hatte den schweren Laden vorgeschoben, so daß kein Schein seines Lämpchens auf die Gasse fiel. Die Fenster des Saales im Oberstock befanden sich auf der Rückseite des Hauses. Lautlos, in dichte Mäntel gehüllt, huschten drei Gestalten die Gasse entlang und verschwanden in der Haustür, die sich leise öffnete und schloß. »Nur drei?« fragte der Goldschmied seine Gäste. »Ja! Zwei unserer Brüder haben die Stadt verlassen; der dritte ist furchtsam, vielleicht gar wankend geworden. Auch wir halten's für besser, eine Zeitlang unsere Versammlungen einzustellen. Heute sind wir wohl noch sicher, da man dein Haus durchsucht hat. Ist Pater Thomas da?« »Ja; treu und fest wie immer, beschämt er uns alle.« Leise stiegen sie die Treppe hinauf und verschwanden im Saale. Auch im verborgenen Gemach sprach man nur wenig und leise, denn schwerer Druck lag auf den Gemütern. Thomas aber schlug die Bibel auf und las die Worte des 56. Psalms: »Wider die Verfolger.« Bei den Schlußworten erhoben sich die gesenkten Häupter seiner Zuhörer und ihr trüber Blick hellte sich auf. »Auf Gott hoffe ich, und fürchte mich nicht; was können mir Menschen tun? Ich habe Dir, Gott, gelobet, daß ich Dir danken will. Denn Du hast meine Seele vom Tode errettet, meine Füße vom Gleiten, daß ich wandeln mag vor Gott im Lichte der Lebendigen.« -- Horch! Was war das? Geräusch im Hause! Es mußte schon stark sein, wenn man es hier hörte! Nun war wieder alles still. Aber jetzt, o Schrecken! Jetzt glitt das geheime Pförtchen geräuschlos zurück, und in der Oeffnung erschien ein totenbleiches, von wirrem schwarzen Haar umrahmtes Antlitz. Carlos, der Verräter! Im Nu war er hinter seinen Begleitern verschwunden, und diese, handfeste Klosterknechte, drangen in den engen Raum, gefolgt von mehreren Mönchen. »Im Namen des geistlichen Gerichts, ihr seid Gefangene«, rief einer derselben. »Auf frischer Tat ertappt in verbotener Versammlung, beim Lesen ketzerischer Bücher! Bindet die Verfluchten, und sammelt die heillosen Schriften, daß man sie verbrenne.« Da jeder Widerstand vergeblich, Flucht aber ganz unmöglich war, ergaben sich alle, bleich und verstört, aber doch mit männlichem Mut in ihr Schicksal. »Bald wird unsere Seele wandeln im Lichte der Lebendigen«, sprach der Goldschmied, die Arme um des Leutpriesters Hals schlingend. »Gott stärke dich im letzten Kampf, Thomas, mein geliebter Sohn!« »O wie süß klingt es mir, daß du mich so nennst!« flüsterte der Leutpriester, dem helle Tränen über die Wangen liefen. »Dein Töchterlein wird Gott behüten; eine innere Stimme sagt mir's.« Da riß man sie voneinander, band ihnen die Arme auf den Rücken und steckte ihnen, als den Sprechern der kleinen Schar, einen Knebel in den Mund. So schleppte man diese edlen Männer, die zu den Besten und Vornehmsten der Stadt gehörten, wie gemeine Verbrecher die Treppen hinab. Im Hausflur stand Carlos, an allen Gliedern zitternd. »Sprachst du nicht von einem Jüngling?« fuhr ihn einer der Mönche an. »Wir fanden keinen unter den Verfluchten.« Der Verräter aber konnte kein Wort hervorbringen; ein Blick des Goldschmieds hatte ihn vollends aller Fassung beraubt. Da packte ihn der Mönch und stieß ihn zur Tür heraus. Nun durchsuchte man die unteren Räume, fand aber alles leer, denn das wenige Gesinde hatte tödlich erschrocken das Weite gesucht, von Gottfried aber war keine Spur vorhanden. 8. Die Flüchtlinge. Als Gottfried das gewaltsame Oeffnen der Haustür und die rauhen Stimmen der Klosterknechte gehört hatte, war er einen Augenblick wie gelähmt gewesen vor Schreck und Grauen. Ach, er ahnte sogleich, was nun oben vorgehen werde. »Ich will mit meinem lieben Herrn sterben!« war sein erster Gedanke; doch gedachte er gleich darauf des Kindes, das der Vater oft seinem Schutze anbefohlen hatte. »Sollte ich den Feinden in die Hände fallen«, hatte er gesagt, »so bringe mein Kind nach Magdeburg in Herrn Burkhardts Haus. Wohl ist die Reise weit; doch werden euch Gottes Engel geleiten!« Ja, das wollte er tun! Aber es war ja stockfinster um ihn her, da er beim ersten Schlag an die Tür sein Lämpchen gelöscht hatte. So erbrach er im Finstern mit aller Macht die Schublade, wo das Geld verwahrt lag, griff hinein und füllte die geheime Tasche seines Wamses. Aber wie sollte er aus dem Hause kommen? Horch! Laute Stimmen ließen sich im Hausflur vernehmen. »Habt ihr die Verfluchten?« rief es die Treppe herauf. »Ja, aber nur fünf! Den Leutpriester und den Goldschmied bringen wir gleich gefesselt herab. Schiebt den Karren dicht vor die Tür, daß wir sie hineinwerfen; schnell! Ein Bube sollte noch bei der Rotte sein; wir fanden keinen!« »Ihr sollt ihn auch nicht finden, ihr Grausamen!« dachte Gottfried. Behende kletterte er zum hinteren Fenster hinaus in den Hof, erklomm eine Mauer, und war gleich darauf mit gewaltigem Sprung im engen Hintergäßchen angelangt. Oft hatte er im Knabenspiel diesen Weg genommen, jetzt lief er in heißer Todesangst die öden Gassen entlang bis zum Stadttor. Es war geschlossen, aber im Häuschen des Torwarts brannte noch Licht. Er war ein Freund der neuen Lehre, aber ein furchtsamer, wollte auch nicht hören, was der Jüngling zu sagen hatte. Doch öffnete er ihm willig das kleine Nebenpförtchen und löschte sofort sein Lämpchen, damit niemand Verdacht schöpfen möge. Gottfried aber stand im Finstern auf der öden Landstraße, legte die Hand aufs klopfende Herz und rang nach Fassung. Ach, nun war es da, was man schon lange gefürchtet! O wie traurig, wie schrecklich war es! Mit Grauen und bitterem Jammer dachte er an das Schicksal der beiden edlen Männer, die er so sehr liebte und ehrte! Kein Mensch konnte sie retten! O, wenn sie nur erst droben wären vor Gottes Thron! Welch schrecklicher, schmach- und schmerzvoller Weg stand ihnen bevor! Aber Annchen und die brave Grete konnten, ja sie mußten noch gerettet werden; und er mußte es tun! Darum vorwärts, vorwärts! O, wenn er nur Flügel hätte! Der Weg war so weit, so uneben, so schwer zu finden im Dunkeln! Im Laufen gedachte er auch seiner Mutter, die ihn früher so liebreich, in der letzten Zeit so kalt behandelt hatte. Was würde sie nun tun? Und welch ein Kampf stand ~ihm~ wohl bevor? Im Laufe fiel er mehrmals zu Boden, über Steine und Wurzeln stolpernd, geriet auch in schmutzige Pfützen, daß sein Gewand übel zugerichtet ward. Aber jetzt! Jetzt zerteilten sich die Wolken, und das Mondschifflein glitt leuchtend dazwischen hervor! Nun konnte er eilen; ja, er flog dahin wie ein Wettläufer im Kampfspiel! Es galt ja Annchen zu retten! Wie kam es doch, daß er jetzt erst merkte, wie lieb sie ihm war? Indessen war's draußen im Leutpriesterhäuschen friedlich und still. Die kleinen Vorhänge waren zugezogen. Grete ließ fleißig das Spinnrad schnurren; auf einem Schemel daneben, das Köpfchen an ihren Schoß gelehnt, saß Anna. Frau Berta war nicht zu sehen. Jetzt erhob sich das Mägdlein und bat: »Bringt mich nun heim, liebe Grete; es wird spät. Ach, könnt' ich doch bei Euch bleiben! Frau Berta ist nimmer wie früher. Heute schalt sie mich sogar eine Ketzerin, und drohte, mich und den Vater zu verlassen. Zu Euch will sie nie mehr kommen, seit Euer Bruder am Sonntag so herrlich gepredigt hat vom heiligen Sakrament. Mir gefiel es so gut! Und es muß doch recht und wahr sein, da der Heiland selber gesagt hat: ›Trinket ~alle~ daraus!‹ Er ist doch ein Herr über alles; wie durften die Priester Seine Worte ändern?« »So bleib doch bei mir, Kind«, erwiderte Grete. »Thomas kehrt erst morgen früh heim. Ach, was ist das jetzt für eine Zeit der Angst und Unruhe! Ehemals war's doch so friedlich.« »Vater sagt, der Friede des Herzens bleibe uns doch, mitten im Kampf! Aber nun bringt mich heim, ehe Frau Berta kommt, um mich zu holen, und noch mehr erbittert wird.« »So zieh das Tuch dicht übers Köpfchen, mein Liebling; die Nacht ist kühl! Horch! Da schlägt ja der Hund an! Hallo! Wer ist so spät noch draußen?« »Oeffnet schnell«, klang es leise zurück. »Ich bin's, Gottfried! Ich bringe wichtige Botschaft!« Wenn auch der wackere Bursche gefaßt und ruhig eintrat, bewies doch sein erhitztes, nach und nach aber erbleichendes Antlitz, sein angstvoller Blick und die beschmutzte Kleidung, daß er den Weg in höchster Erregung zurückgelegt hatte. »Seid tapfer, Jungfer Grete«, sprach er, »und Ihr, liebes Annchen, gebt euch geduldig in Gottes Willen! Ihr müßt noch diese Nacht Haus und Dorf verlassen, da die Verfolgung täglich mehr überhandnimmt.« »In der Nacht!« rief Annchen erschrocken. »O, warum kommt der Vater nicht, mich zu holen? Und wo ist Pater Thomas? O Gottfried, Gottfried, wie bleich bist du! Wie unheimlich funkeln deine Augen! O, sage mir schnell, wo ist mein Vater?« »In der Stadt«, stammelte Gottfried, erschöpft auf die Bank niedersinkend. Annchen aber trat zu ihm und sprach: »Gottfried, sprich die Wahrheit! Ich will alles tragen, was Gott schickt, aber die Wahrheit will ich wissen. Ist mein Vater gefangen?« »Ihr sagt es!« stammelte der Bote, schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte laut. »Ihn und unsern guten Leutpriester schleppte man gebunden aus dem Hause.« Da schrie Grete laut auf, rang die Hände, warf sich nieder und gebärdete sich schier unsinnig. Das Kind aber stand still weinend am Fenster, schaute gen Himmel und flüsterte: »Mütterlein, lieb Vater ist nun bald bei dir, und bald, bald komme auch ich.« Dann schlang sie die Arme um Grete und bat: »O, schützet mich, gute Jungfer; ich bin ja nun ganz allein auf der Welt! O, laßt die schwarzen Klosterleute nicht kommen und mich wegholen! Ich fürchte mich vor ihnen!« Da bezwang Grete ihren Schmerz, rang aber ratlos die Hände und fragte: »Was sollen wir tun? Wohin sollen wir fliehen?« »Eine weite Reise liegt vor uns; wir müssen nach Magdeburg zu Meister Burkhardt«, sprach Gottfried. »Ich sehe jetzt nach meiner Mutter. Indessen müßt Ihr ein Bündel schnüren, wie Wandersleute es tragen, auch für Anna geringere Kleidung schaffen und wohl auch für mich. Ihr, gute Jungfer, könnt in Eurem ländlichen Rock und Mieder wohl als unsere Mutter gelten. Bevor der Morgen graut, muß jede Spur von uns verlöscht sein. Unterdrückt Euer eigenes Leid, und gedenket nur des Kindes.« Mitternacht war vorüber, als Gottfried bleich und traurig vom Schlößlein wieder herabstieg zum Leutpriesterhäuschen. All sein Bitten, Weinen und Mahnen war vergeblich gewesen; ja, zuletzt hatte sich die Mutter von ihm losgesagt als von einem verfluchten Ketzer. O wie schwer war ihm das Herz! Doppelt schwer, da er wohl wußte, daß seine Mutter der neuen, seligmachenden Lehre zuerst gern gelauscht, sich aber zurückgezogen hatte, sobald die Verfolgung ausbrach. O wie elend mußte sie sich fühlen, wie friedlos! Viel unglücklicher war sie, als die beiden edlen Männer in ihren Banden! Gottfried aber fühlte, daß es jetzt Zeit sei, sein eigen Leid ganz zu vergessen und sich mit männlichem Mute der Rettung des Kindes hinzugeben. Grete hatte indes die Nachbarsleute geweckt, die für ihren Leutpriester durchs Feuer gegangen wären. Der verständige Mann riet, die Flucht zu Wasser zu beginnen, um sogleich jede Spur zu verlöschen. Während er seinen großen Kahn flott machte und allerlei drin barg, was gut für die Reisenden war, kleidete man Annchen in den Sonntagsanzug der ältesten Tochter. Auch für Gottfried fand sich ein bäurisches Wams und grobe Schuhe. Nun war alles bereit. Annchen hatte, bleich und still, alles mit sich machen lassen. Jetzt faltete sie die Hände und betete mit sanfter Stimme: »Der HErr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf grüner Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um Seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir; Dein Stecken und Stab trösten mich.« Den andern war es, als habe ein Engel vom Himmel gesprochen. Einen Blick warfen sie noch zurück ins freundliche Stübchen, nach dem Kirchlein und dem Schlößchen, dann ging's in Nachtstille und Dunkelheit hinab zum Strand. Wolken flogen über den Mond, so daß sein Licht nur dann und wann den Pfad erhellte. Aber nun begann Annchens Kraft zu erlahmen. Sie zitterte und schwankte; der Fischer hob sie empor und trug sie in den Kahn, wo Grete fürsorglich ein Kissen zurechtgelegt hatte. Da schwanden ihr die Sinne, und als sie endlich aus tiefer Ohnmacht erwachte, schaukelte das Schifflein schon weit draußen auf den Wellen. Zuerst war es dem Mägdlein, als habe es nur schwer geträumt; als es aber zu voller Besinnung kam, machte sich der Jammer in heißen Tränen Luft, und Grete weinte mit ihr, während Gottfried seinen Kummer männlich bezwang. Aber in Zeiten besonderer Trübsal gibt Gott auch besondere Kraft; und wenn das Auge kein irdisches Glück mehr sieht, blickt es um so klarer in die himmlische Herrlichkeit hinein. Darum trösteten die drei Flüchtlinge einander mit lieblichen Sprüchen der heiligen Schrift, und befahlen sich und die teuern Gefangenen immer aufs neue in Gottes Hände. Dennoch war es eine schwere, jammervolle Fahrt! Gegen Morgen kehrte der Fischer den Kiel dem Lande zu und ließ das Schifflein in eine kleine Bucht einlaufen. »Sieh«, sprach er zu Gottfried, »Ihr müßt nun über den Ufersand jenem Wäldchen zustreben, dann findet Ihr leicht die Landstraße, die nach Morgen zu führt. Weiter kann ich Euch nicht raten, da ich nur ein unwissender Mann bin. Ihr aber seid zur Schule gegangen und findet Euch wohl auf der Welt zurecht?« »So Gott will, ja«, erwiderte Gottfried. »Die Namen der Städte und Marktflecken, durch die man reisen muß, wenn man nach Magdeburg will, kenne ich wohl. Mein guter Herr hat sie mich gelehrt.« »Auch mir erzählte er viel davon, der gute, liebe Vater«, sprach Annchen. »O, wenn wir nur schon bei Herrn Burkhardt wären! Denkt ihr, daß er etwas tun kann, den Vater und Pater Thomas zu retten?« Niemand antwortete auf diese kindliche Frage. Aengstlich schaute Anna von einem zum andern, barg das Gesicht eine Weile an Gretes Brust und war dann wieder still und gefaßt. »Nun behüte und geleite euch der starke Gott«, sprach der Fischer, als er die drei ans Land gebracht. »Ich fahre nun heim und rüste stille zur Auswanderung, werde auch nicht der einzige sein, der das tut. Wir mögen keinen dummen Mönch an der Stelle unseres treuen Hirten sehen!« Lange blickten die Flüchtlinge dem Kahne nach, stärkten sich mit ein wenig Speise und wanderten dann dem Wäldchen zu. Dort ward das zarte Mägdlein von Müdigkeit übermannt und sank, treu behütet von den Gefährten, in einen langen, tiefen Schlaf. Zu derselben Zeit ward es lebendig im Fischerdorf. Warum läutete wohl niemand zur Frühmesse? Warum blieb es so still im Pfarrhof? Das Hühnervolk war wohl noch eingesperrt im Stalle, dagegen heulte der Hund von Zeit zu Zeit ganz jämmerlich und zerrte an seiner Kette. Ein paar Männer machten sich auf, um nachzusehen. Tor und Türen fanden sie offen, und alles an seinem Platz, doch war kein lebend Wesen zu sehen. Was mochte wohl geschehen sein? So groß war die Angst vor dem geistlichen Gericht, daß man sich nur leise allerlei Vermutungen zuflüsterte, die sich nur zu bald bestätigten. Als die Sonne höher gestiegen war, nahte sich von der Stadt her eine seltsame Prozession. Allerlei Gerät tragend, wandelten einige Mönche voran; ihnen folgte auf zahmem, wohlgepflegtem Rößlein ein Würdenträger des Klosters. Dann kam ein geschlossener, mit Vorhängen versehener Wagen, wie ihn zu jener Zeit Frauen höherer Stände zum Reisen benutzten. Den Schluß machten einige bewaffnete Klosterknechte. Auf dem Kirchplatz hielt der Zug, um den sich bald alle versammelten, die sich wohl die Freundlichkeit des Leutpriesters gefallen lassen hatten, gegen seine Lehren aber stumpf geblieben waren. Dagegen zogen sich seine Anhänger traurig in ihre Hütten zurück. »Läutet die Glocke und öffnet die Kirchtür«, befahl der Priester. Es geschah, und die Versammelten drängten sich, meist noch in sehr mangelhafter Kleidung, in das Kirchlein. Auch Frau Berta erschien, bleich und überwacht, einen schwarzen Schleier über das Haupt geworfen. Sie kniete in der vordersten Reihe neben den fremden Nonnen. Nun erhob der fremde Pater seine gewaltige Stimme und belehrte die Versammlung, daß dieser Altar schrecklich verunreinigt sei, da ihn der Fuß eines Ketzers betreten, und seine Hände die heiligen Bücher und Geräte berührt hätten. Er sei gekommen, die Reinigung des Heiligtums vorzunehmen und den bösen Geist der Ketzerei zu bannen. Und nun begann er mit fürchterlicher Stimme und seltsamen Gebärden seine lateinische Teufelsaustreibung zum großen Entsetzen der Zuhörer, die freilich kein Wort davon verstanden. Ein Mönch reichte ihm einen Wedel, der andere hielt das Becken mit Weihwasser, womit er nun nicht allein Altar und Kanzel mit allem Zubehör, sondern auch die Wände und die Köpfe der Zuhörer reichlich besprengte. Nun erst durfte man hoffen, die Wirksamkeit des treuen, liebreichen, kindlich frommen Pater Thomas gänzlich unschädlich gemacht zu haben, so daß man getrost die Messe halten konnte. Die Klosterknechte hatten nicht an der Feier teilgenommen, da etliche den Pfarrhof bewachen mußten, zwei aber hinauf zum Schlößchen gesandt worden waren. Nach beendigtem Gottesdienst wandelte der Pater befriedigt hinüber zum Pfarrhofe, war aber sehr empört, daß von der Schwester des Gefangenen keine Spur zu entdecken war, wohl aber etliche Anzeichen schleuniger Flucht. Nun, an Jungfer Grete war wenig gelegen; das Töchterlein des Goldschmieds war bessere Beute. Gewiß hielt es die Pflegerin im Schlößlein verborgen. Aber sieh, da nahte sich Frau Berta dem Gewaltigen, kniete vor ihm nieder und sprach: »Eure Knechte, ehrwürdiger Vater, haben das Schlößlein durchsucht bis in den äußersten Winkel; dennoch wollen sie mir nicht glauben, daß das Kind des Ketzers geflohen sei mit der Schwester des Verführers. Jetzt stärken sie sich mit Speise und Trank in meiner Küche, und ich bitte Euch, ein Gleiches zu tun im besten Gemach, und mich dann von den Zudringlichen zu befreien.« Sich huldvoll neigend, erwiderte der Priester: »Ihr waret die Pflegerin des Jungfräuleins? Habt Ihr keine Ahnung, wo es sich hingewendet haben mag?« »Ach, ehrwürdiger Vater, mir ist davon nichts bewußt! Groß und weitverbreitet waren die Handelsverbindungen meines unglücklichen Herrn, zahlreich und mächtig seine Freunde. Wer kann wissen, wo es Zuflucht gesucht hat? Mein Herz ist schwer, und mein Denken verwirrt, da ich nicht nur das Kind, sondern auch meinen einzigen Sohn verloren habe.« Sie brach in Tränen aus, und der Priester gab sich zufrieden. War doch die Zahl der Opfer, die in diesen Tagen dem geistlichen Gericht in die Hände fielen, so groß, daß die Blutgier der »heiligen Kirche« reichlich befriedigt ward. So zogen die Nonnen, die gekommen waren, Annchen in ihr Kloster zu führen, allein wieder ab, und taten es gern. Die armen Dinger hatten ihre liebe Not mit den vielen Ketzerkindern, die nach ihren gefangenen oder getöteten Eltern jammerten, und begehrten nicht noch eins dazu. -- Während Anna im fernen Wäldchen fest schlief, hielten ihre beiden treuen Begleiter ernstlich Rat, wie der lange gefährliche Weg am sichersten zurückzulegen sei. Daß es zu jener Zeit noch keine Eisenbahn gab, weiß wohl jeder Leser dieses Buches, aber wie mangelhaft und unsicher die damaligen Reisegelegenheiten, wie schlecht die Wege und wie groß die Beschwerden des Wanderers damals waren, ist nicht allen bekannt. Von Vergnügungsreisen war überhaupt nur bei Fürsten und sehr reichen Leuten die Rede, und die meisten Frauen und Kinder kamen nie über die nächste Umgebung ihrer Stadt oder ihres Dorfes heraus. Zuerst zählten Grete und Gottfried das Geld aus Annchens Beutel und Gottfrieds Tasche. Es war sehr viel; weit mehr, als man erwartet hatte. Ja, es hätte sogar gereicht, um einen mit Vorhängen versehenen Wagen und ein Pferd dazu zu kaufen, wie es geistliche Herren und vornehme Damen zur Reise benutzten. Aber das ging nicht. Ein solcher Wagen ward nur auf Bestellung gefertigt. Man hätte in der nächsten größeren Stadt lange darauf warten müssen; man wäre erkannt worden, und dann? -- Nein, als schlichte Landleute gekleidet, mußte man auch reisen wie diese. Zwei zahme Rößlein wollte man sobald als möglich erhandeln. Eins für Gottfried, der manchen Ritt mit seinem Herrn getan, eins für Grete, die von Jugend auf die Ackergäule ihres Vaters herein- und herausgeritten hatte. Annchen würde bald lernen, sich hinter ihr zu halten; es war damals nichts Seltenes, daß zwei auf einem Rosse saßen. Tief, tief verbargen nun die beiden Getreuen ihren Reichtum im Gewande, nur etwas kleine Münze für den Gebrauch bereit haltend. Endlich erwachte das Mädchen und drängte selbst zum Aufbruch. Aber ach, wie bleich sah es aus! Wie trübe waren die lieben Augen, wie matt die holde Stimme! Dennoch schritt es, von Grete geführt, tapfer dahin, als man bald darauf die Landstraße erreicht hatte. Diese war nicht, wie jetzt, sorgfältig geebnet, auch nicht mit Ablaufgräben und Fußwegen eingefaßt, noch weniger mit Schattenbäumen bepflanzt. Rauh und steinig, reichlich mit Löchern und allerlei Unebenheiten versehen, zog sie sich, von der Sonne bestrahlt und ausgedörrt, dahin, wenn nicht hier und da ein Baumgarten oder gar ein Wäldchen Schatten gab. Aber fruchtbar und wohlangebaut war das Land ringsumher. Frischgrüne, mit Blumen besäete Wiesen wechselten mit sprossenden Feldern ab. Bauernhöfe, Edelsitze, Dörfer sah man liegen, auch hier und da ein Kloster, an dem man so schnell als möglich vorüber eilte. Menschen begegnete man genug! Obgleich man damals nur wenig reiste, so war doch die Landstraße, als einziger Reiseweg, meist recht belebt. Zu jener Zeit ward manches Handwerk im Umherziehen betrieben. Da kam ein Kesselflicker, ein Glaser, ein Zimmermann gezogen, sein Werkzeug im Sack auf dem Rücken, oder in kleinem Karren vor sich her schiebend. Ein Metzger fuhr einher, in dessen Wagen ein paar Kälber blökten, während eine angebundene Kuh traurig hinterher trabte. Die Ledertasche über seiner Schulter ward wohl an manchem Ort sehnlich erwartet, da er zugleich Briefträger war. Dort trat unter den Bäumen ein Bettelmönch hervor, zudringlich eine Gabe heischend. Es war nicht geraten, ihn abzuweisen; nicht selten bargen diese Leute Waffen unter der Kutte. Horch! War das nicht Lautenklang? Ja, da stand der arme Lautenschläger; neben ihm sein Weib mit der Harfe, das Kindlein, in ein Tuch gebunden, auf dem Rücken. Sie sangen ein schwermütiges Volkslied und dankten herzlich für den Groschen, den Gottfried ihnen reichte. Wandernde Schüler und Handwerksburschen zogen lustig ihre Straße; ein Wunderdoktor pries seine Salben an, um Annchens bleiche Wangen zu röten. Aber jetzt beschleunigten die Flüchtlinge ihre Schritte, denn es nahte sich ein stattlicher Zug. Auf schneeweißem Roß kam ein hoher geistlicher Herr geritten, umgeben von zahlreicher Dienerschaft. Ein Lastesel trug das reichliche Gepäck des wohlbeleibten Reisenden. Ein paar Stunden war man gewandert, als Annchens Kraft anfing zu erlahmen. Es konnte ja nicht anders sein nach dem furchtbaren Schreck und dem bitteren Kummer im Herzen! In einer Baumgruppe nicht weit vom Wege ließ man sich nieder, um zu ruhen und etwas zu essen. Ach, das Mädchen und auch die arme Grete benetzten ihr Brot mit Tränen; selbst Gottfried hatte Mühe, nicht das gleiche zu tun. Sorgenvoll stützte er den Kopf mit der Hand. Wie sollte er, der junge, unerfahrene Bursche, diese beiden, die sich auf ihn verließen, ans Ziel bringen? Würde das zarte Kind, das er, ach! so sehr liebte, in seiner tiefen Trauer die Anstrengungen der Reise ertragen? Ach, war nicht auch ihm das Herz so schwer, daß er kaum die Gedanken zusammenhalten konnte? Aber horch! Klang das nicht wie das Rollen und Knarren vieler Räder? Richtig! Es nahte sich ein Zug von mehreren mit Leinwand überspannten Wagen, von einigen bewaffneten Reitern geleitet. Später erfuhren die Flüchtlinge, daß sie überseeische Waren enthielten, die, im Hafen von Antwerpen angekommen, nun nach Deutschland gebracht wurden. Gottfrieds scharfer Blick bemerkte gleich, daß der erste Wagen nicht ganz gefüllt war. Zwischen den Ballen und der Plane war noch schöner, schattiger Raum. Da faßte er sich ein Herz und trat, bescheiden grüßend, auf den ersten Reiter zu. »Was begehrst du, Bube?« fuhr ihn dieser an. »Nichts für mich«, war die Antwort, »nur für jene Frau und das Mägdlein, die dort ermattet ruhen. O, wenn sie eine Strecke mitfahren dürften! Wir müssen heute noch das Städtlein N. erreichen.« Mißtrauisch betrachtete der Reiter den Jüngling, dessen Sprache nicht recht zu dem groben Wams paßte. Indessen war der zweite, viel besser gekleidete Reiter herangekommen. Sobald Gottfried ihm seine Bitte vortrug, gebot er den Wagen Halt und sprach: »Steigt getrost auf, ihr Armen! Hat mir Gott meine Waren sicher übers Meer geleitet, so darf ich den Bedrängten wahrlich keine Gunst versagen. Greif zu, Klaus«, gebot er dem Fuhrmann; »heb das Jüngferlein empor und hilf der Frau! Laßt euch nur auf die vorderen Ballen nieder; sie sind weich! Spring mit auf, Bube! Bist ja so bleich wie eine Wand! So, nun vorwärts!« Uns verwöhnten Leuten im zwanzigsten Jahrhundert hätte diese Art zu reisen wohl wenig behagt, da die Wagen gewaltig schwankten und es bei den Unebenheiten der Straßen manch harten Stoß setzte, so daß Grete den starken Arm um ihren Schützling schlingen mußte. Aber die Flüchtlinge gewöhnten sich bald an diese Dinge, und dankten Gott für den sicheren Sitz und den Schutz der Leinwand vor den brennenden Sonnenstrahlen. Und wie schnell kam man vorwärts! Schon um die Vesperzeit war das Städtchen N. erreicht, an dessen Wirtshaustür der freundliche Kaufherr alle seine Leute und auch seine Schützlinge mit einem kühlen Trunk Bier erquickte. Bald nach Sonnenuntergang gelangte man zu dem Marktflecken, wo Nachtrast gehalten werden sollte. Aber ach! Wie überfüllt von allerlei lärmendem, streitendem, singendem oder trübselig herumsitzendem Volk war die einzige große Gaststube der Nachtherberge! Hier zog sich einer die schmutzigen Stiefel aus, dort im Winkel wechselte ein anderer das Hemd. Dazu war's drückend heiß in dem niedrigen Raum, und die dicke Luft angefüllt mit allerlei übeln Gerüchen. Aengstlich und zitternd blieb Annchen an der Tür stehen. »Hier kann ich nicht bleiben, gute Grete«, flüsterte sie ihrer Beschützerin zu; »mir wird so bange! Auf dem großen Strohlager dort hinten könnt' ich kein Auge zutun!« »Kommt heraus«, riet Gottfried. »Vielleicht erlaubt euch der Herr, auf den Ballen im Wagen zu schlafen.« Da stand er ja schon im Gespräch mit dem dicken Wirt, der hier unumschränkte Gewalt ausübte. »Ist die Kammer für mich bereit, die der reitende Bote bestellte?« fragte der Kaufmann. »Ist in den Ställen saubere Streu für Roß und Mann?« »Alles besorgt. Herr«, erwiderte der Wirt. »Ich brauche aber heute noch eine Kammer für jene Frau und das zarte Mägdlein ihr zur Seite.« »Gibt es nicht! Gibt es nicht!« rief der Wirt ganz verändert. »Fehlte mir noch, Kammern vorzurichten für Bauernvolk! Hinein mit euch«, schrie er den Flüchtlingen zu, »die Suppe wird gleich aufgetragen. Nehmt, was euch gebührt, oder schert euch aus dem Hof!« Statt aller Antwort drehte ihm der Kaufherr den Rücken und rief seinen Fuhrleuten zu: »Halt! Klaus, Joseph, Peter! Spannt nicht aus! Wir sind dem Herrn Wirt zuviel! Wollen noch eine Strecke im Mondschein fahren!« Das half! »O, ich bitt' euch«, rief der Mann, »tut mir das nicht zuleid! Mein bester, mein vornehmster Gast! Weib! Mädel! Wo steckt ihr denn? Flink die hintere Kammer gerüstet; ein sauberes Lager hinein! Eine Schüssel Suppe hierher auf die Bank vor der Tür und weißes Brot dazu!« Schnell, wie durch Zauberei, wurden alle Befehle erfüllt, und bald ruhten Grete und Annchen nach diesem unendlich schweren Tage auf reinlichem, mit einem Laken bedeckten Strohlager, während Gottfried noch ein Gespräch mit dem Kaufherrn hatte, und ihm nicht verschwieg, daß Magdeburg das Ziel der Reise sei. »So könnt ihr noch drei Tage mit mir fahren«, sprach der brave Mann, »dann scheiden sich unsere Wege. Bauersleute seid ihr nicht; das bekundet deine und des Jüngferchens Sprache und Sitte. Die Frau kann eher dafür gelten! Was ihr seid, begehre ich nicht zu wissen, ahne es aber, da ich im Hafen von Antwerpen entsetzliche Kunde vernahm. Von der neuen Lehre weiß ich noch wenig; doch bin ich dem Volke der Pfaffen und Mönche nicht sehr zugetan, und jedes grausame Blutvergießen ist mir ein Greuel! Nun geh, mein Sohn, und schlafe bei den Fuhrknechten im Stalle. In deinem Alter hab' ich mich oft mit solchem Lager begnügen müssen.« Bei Sonnenaufgang ging's nach einem guten Frühstück von Milch und Brot wieder auf die Fahrt. Gegen Mittag erreichte man eine Stadt, wo einer der Reiter wegen allerlei Geschäften zurückbleiben mußte. Gottfried durfte das ledige Roß besteigen; bald rief ihn der Kaufherr an seine Seite und fragte nach mancherlei, endlich auch nach dem Weg, auf dem die Flüchtlinge Magdeburg erreichen wollten. »Mein Sohn«, sprach er nach einigem Nachdenken, »dieser Weg mag wohl für einen erfahrenen Mann passen, der in allen diesen Städten Freunde hat, aber für euch ist er viel zu beschwerlich. Wie lange würde die kleine holde Jungfer dies angestrengte Reiten aushalten? Was würde sie in den Nachtherbergen zu leiden haben! Vertrauet euch mir; ich meine es gut mit euch, wenn ich euch auch zuerst etwas weiter nach Mittag zu führen muß, als richtig scheint.« »Vollkommen vertraue ich Euch!« rief Gottfried. »Ihr seid uns gekommen wie ein Engel von Gott gesandt! Schwer lag mir die Verantwortung für das Mägdlein auf dem Herzen. Ihr werdet uns gewiß sicher ans Ziel bringen. Aber horcht! Was ist das für ein Lärm? Wilder Gesang, Geschrei, Harfen- und Flötenton, alles durcheinander!« Ja, da nahte sich ein seltsamer Zug. Wohl zwanzig bis dreißig wilde, schwarzhaarige, sonnenverbrannte Männer, teils in malerisch bunter, teils in jämmerlich zerlumpter Kleidung schritten dem Wagenzug entgegen. Auf mehreren, von struppigen mageren Rößlein gezogenen Karren saßen wildblickende, dunkeläugige Weiber, mit allerlei Flitterstaat behangen, halbnackte braune Kindlein in den Armen. Größere Buben und Mädchen, halbnackt und reichlich mit dem Schmutz der Landstraße bedeckt, stürmten mit bittend ausgestreckten Händen auf die Wagen zu. »Es sind Zigeuner«, sprach der Kaufherr; »eine rechte Landplage! Wohl könnten wir stracks zwischen ihnen hindurchfahren, oder sie gar durch ein paar Schüsse einschüchtern, doch ist das nicht geraten. Sie sind listig und wissen sich wohl zu rächen. Besser ist es, sie durch eine kleine Gabe zufrieden zu stellen.« Schon waren die Wagen, die auf einen Ruf des Herrn stillstanden, von dem wilden Schwarm umringt. Etliche streckten bettelnd die Hände aus, andere wollten wahrsagen, heilende Salbe verkaufen und Wunderwasser, das in allen Krankheiten helfen sollte. Es gelang ihnen auch, einige kleine Münzen von den Reitern und Fuhrleuten zu erlangen. Aber jetzt rief der Kaufherr den Anführer der Bande zu sich und sprach, zwei blanke Silberstücke emporhaltend: »Genug des Lärms! Gebiete deinem Volk, ruhig seine Straße zu ziehen, so ist eins von diesen dein; das andere reicht wohl zu gutem Abendtrunk für alle!« Das wirkte Wunder! Die Augen des Mannes funkelten. Er rief einige unverständliche Worte; schnell bildete sich der Zug, die braune Hand schloß sich über den Münzen, und die Wagen setzten sich in Bewegung. Ein kleiner brauner Bube hatte den vorderen Wagen erklettert und betrachtete Annchen mit neugierigem Blick, fing aber ein Zetergeschrei an, als er sich von seinen Genossen getrennt sah. Ganz ruhig packte ihn der Fuhrmann beim Schopf und warf ihn wie einen Ball hinunter in den Staub der Landstraße. Doch schien er an solche Behandlung gewöhnt, rappelte sich hurtig auf, um etwas hinkend seinem Volke nachzueilen. Gottfrieds Herz schlug leichter, seit er volles Vertrauen zu dem edlen Kaufherrn gefaßt und sich und seine Leidensgefährten seiner Führung anvertraut hatte. Schon mehrmals hatte man auf Brücken oder durch Furten kleinere Flüsse überschritten, als man endlich die Maas erreichte, wo die Wagen einer nach dem andern auf schwerfälliger Fähre ans andere Ufer gebracht werden mußten. Während Gottfried tüchtig mit angriff, saßen Grete und Anna im weichen Gras und freuten sich der Ruhe. Lange lehnte das Mädchen still das Haupt an die Schulter der treuen Beschützerin; dann begann es leise: »Gute Grete, glaubt Ihr, daß Gott den lieben Vater und Euern Bruder erretten wird?« »Ja«, erwiderte Grete, »gewiß wird Er es tun. Wer weiß, ob Er's nicht schon getan hat! Gestern abend, als du schon schliefst, sprach ich mit Gottfried darüber; er ist so klug! Er sagt, sie seien vielleicht schon droben im Himmel.« »So meine ich's nicht«, erwiderte Anna. »Ich sehne mich so bitter nach dem Vater, und Euer Herz, gute Grete, verlangt nach dem Bruder; ich weiß es wohl! Pater Thomas erzählte mir einst, ein Engel habe den Apostel Petrus durch viele feste Türen aus dem Gefängnis hinaus auf die Straße geführt. O sage, kann das nicht auch mit unsern teuern Gefangenen geschehen?« »Gewiß kann es Gott tun«, erwiderte Grete zögernd, »aber ich glaube nicht, daß Er es tun wird! Erzählte dir nicht Thomas auch, daß alle heiligen Apostel außer Johannes den Märtyrertod erlitten haben? Ihnen sollen unsere Geliebten wohl nun nachfolgen, aber dann auch im Himmel neben ihnen glänzen wie helle Sterne.« Eine Weile schwieg das Mädchen, dann sprach es traurig: »Ach Grete, wie schwer ist mir das Herz! Ich bin ein böses, untreues Kind! Sieh, in den ersten Reisetagen hab' ich ja immer getrauert und geweint, so lang ich nur Tränen hatte. Gestern aber, als alles ringsum so lieblich grünte und blühte, und die Vöglein so lustig sangen, ach, da hab' ich wirklich eine Zeitlang mein Leid vergessen und mich an Gottes schöner Welt gefreut. Und über den kleinen drolligen Zigeunerbuben hab' ich sogar gelacht! Ach Grete, das vergeb' ich mir nimmer!« »Herzliebes Kind«, rief Grete, das Mägdlein liebkosend, »quäle dich doch nicht ohne Not! Hast ja wahrlich schwer genug zu tragen! Sieh, wenn unsere Gefangenen schon im Himmel sind, leben sie ja in lauter Freude und Wonne, schauen den Heiland, singen und spielen mit den Engeln, und haben das finstere Gefängnis ganz vergessen. Liegen sie aber noch drin, so werden sie sicher nicht immer trauern. Freuen werden sie sich auf den Himmel, dem sie nun ganz nahe sind. Und, was gilt's, sie werden auf dem Stroh ruhiger schlafen, als ihre Feinde im Daunenbett! So darfst du wohl auch einmal dein Leid vergessen, armes Kind, und dich an Gottes schöner Welt freuen.« Endlich waren alle Wagen über den Fluß geschafft und zogen nun auf deutschem Boden dem Rheinstrom zu. Die letzte Nachtherberge war überfüllt, da eben Jahrmarkt im Städtchen gehalten wurde. Als man am Morgen weiterzog, wimmelte die Landstraße von allerlei Volk, das auf dem Markte Gewinn oder Lustbarkeit suchte. Da führte ein als Türke verkleideter Mann ein Kamel am Zügel, auf dessen Rücken zwei possierliche Aeffchen ihre Künste zeigten; dann umringte eine Schar Possenreißer die Wagen in wilden Sprüngen. Einer trug eine Eselsmaske vorm Gesicht und ahmte das Geschrei dieses Tieres täuschend nach. Der andere führte in bunter Hanswurstkleidung einen lustigen Tanz auf. König und Königin schritten gravitätisch in zerlumpten roten Mänteln einher, von jedem Reisenden Tribut heischend. Als aber gar ein greulicher Teufel mit garstigen Hörnern die Wagen umtanzte, barg Annchen entsetzt das Gesicht in Gretes Schoß. Durch reichliches Almosen befriedigt, zog das tolle Gesindel endlich seine Straße. Mit Bangen dachten die Flüchtlinge daran, daß sie nun bald von ihrem edlen Beschützer scheiden und die Reise allein fortsetzen müßten. Schneller, als man gedacht, war das Ufer des Rheinstroms erreicht, der hier nicht, wie weiter im Süden, von malerischen, mit stolzen Burgen gekrönten Höhen und Felsen umgeben ist, sondern durch flaches, ebenes Land strömt. Nun, so hatte man auch nicht zu fürchten, daß von irgend einer Höhe eine gewappnete Schar herabsprengen, die Fuhrleute niederwerfen, die Waren rauben und den Kaufherrn ins Burgverließ schleppen werde, um hohes Lösegeld zu erpressen. Trotz des strengen kaiserlichen Verbotes kam solche Gewalttat noch oft genug vor. Als die Wagen unweit des Ufers hielten, rief der Kaufherr seine Schützlinge zu sich und sprach: »Ich ziehe jetzt am Rheinufer hinauf nach Köln. Für euch aber hab' ich einen Plan gemacht, der Jungfer Annchens schwache Kraft am besten schont. Seht, das Schifflein dort am Ufer gehört mir, und liegt bereit, um eine Anzahl Warenballen nach der Stadt Wesel zu bringen. Fahret mit! Der Schiffer ist mir treu ergeben; etwas Reisekost könnt ihr hier im Dorfe einkaufen. Weißt du wohl, Gottfried, welcher Fluß bei Wesel in den Rhein mündet?« »Gewiß; die Lippe.« »Nun seht, mein Schiffer wird euch dort einem andern übergeben, der euch mitnimmt, so weit die Lippe schiffbar ist. Dann müßt ihr freilich wandern oder reiten, falls ihr ein Rößlein erlangen könnt.« »Es ist Gebirgsland; man nennt es den Teutoburger Wald«, sprach Gottfried. »Jawohl; es ist liebliche Gegend! Spart nur die Kraft des Jungfräuleins, daß sie bis zuletzt ausreicht! Herberge sucht in den Hütten der Armen oder im Schatten des Waldes. Wer weiß, ob ihr nicht hier und da Glaubensgenossen findet, die euch mit Rat und Tat beistehen, und euch den Weg nach der schönen Stadt Goslar am Harzgebirge zeigen! Denn wenn ihr die erreicht habt, ist alle Not zu Ende, da die ganze Gegend die neue Lehre angenommen hat. Man sagte mir, bei euch schütze ein Glaubensbruder den andern, ohne auch nur Dank dafür zu heischen, geschweige denn Lohn! Nun, ich wünsch' euch von ganzem Herzen Gottes Schutz und Geleit, denn ihr seid das Widerspiel von dem Bilde, das man mir von den Ketzern gemacht. Als wilde, rohe, vermessene und hoffärtige Leute hat man sie mir geschildert; euch fand ich sanftmütig, bescheiden und dankbar. Ohne Worte habt ihr mir gepredigt, und ich werde einer Lehre, die so edle Früchte trägt, weiter nachforschen. Reicht mir die Hand und gehabt euch wohl.« Mit Tränen des Dankes nahmen die Flüchtlinge von dem braven Manne Abschied; den Fuhrleuten und Reitern aber spendete Gottfried eine reiche Gabe aus seinem Beutel, so daß sie ihm alle die Hand schüttelten und den Frauen lauten Abschiedsgruß zuriefen. Endlich zogen die Wagen ihre Straße; das Schifflein aber glitt leicht und schnell auf der grüngoldig schimmernden Flut dahin. Der Schiffer, durch eine reichliche Gabe günstig gestimmt, spannte ein Segeltuch über die Warenballen, die den Frauen zum Sitz dienten, so daß sie vor Sonne und Wind geschützt waren. Dennoch merkten Grete und Gottfried wohl, daß Annchens Wangen bleicher, ihre schönen Augen matter und ihr Gemüt gedrückter wurde. Aber, was gilt's? Die Schilderung der Reise, die man jetzt mit der Eisenbahn schnell und mühelos vollendet, wird dem Leser schon zu lang? Darum sei nur gesagt, daß die Flüchtlinge nach vollendeter Wasserfahrt auf zwei zahmen Rößlein, die sie im nächsten Dorfe erhandelten, geduldig ihre Straße zogen, durch Sonnenschein und Regen, auf steinigen Straßen oder lieblichen Waldwegen, durch Furten oder auf Fähren mehrere Flüsse überschreitend, sich aber auch an allem Schönen, was sie umgab, wehmütig erfreuend. Denn die Welt ringsum ward mehr und mehr ein rechter Gottesgarten. O wie herrlich war das duftige, kühle, geheimnisvolle Waldesdunkel! Wie erquickte es die müden Wanderer! Wie überraschend war der weite Ausblick von den Bergeshöhen für die Kinder des flachsten Landes! Süße Beeren würzten das trockene Reisebrot, an sprudelnden Quellen löschte man den Durst. Jetzt wäre es wohl an der Zeit gewesen, einmal gründlich auszuruhen, doch wagten es die ungelehrten Reisenden nicht. Wie konnten sie wissen, welch weite Verbreitung die neue Lehre in den deutschen Ländern schon erreicht hatte? Sie ahnten nicht, daß ihre Verkündiger, durch Geleitsbriefe mächtiger Fürsten geschützt, mutig umherreisten, um überall, wo man es nur begehrte, das helle Licht des Evangeliums anzuzünden. Besonders Grete fürchtete immer, ausgefragt und zurückgehalten zu werden, und trieb, nicht um ihretwillen, sondern wegen des Kindes, stets zur Eile. Ueberhaupt hatte sie sich die Welt lange nicht so groß gedacht, und staunte, von Bergeshöhen umherblickend, immer von neuem, daß nirgends ein Ende abzusehen war. Obgleich die Gebirgsbewohner meist freundlich und gastfrei waren, wagten die Reisenden doch nicht, sich ihnen anzuvertrauen, baten nur um Annchens willen hier und da um einen Trunk Milch, und zogen dann weiter, um endlich, endlich die ersehnte Stadt Goslar zu erreichen. Aber ach, wie langsam kam man vorwärts! Oft waren des Mägdleins Kräfte schon erschöpft, wenn die Sonne noch hoch am Himmel stand. Dann bereiteten ihr die Getreuen ein weiches Lager von Gras und Waldkräutern, und hüllten sie in die warme wollene Decke, die man von einem fahrenden Händler gekauft hatte. Grete blieb, still weinend und betend, bei ihr sitzen, während Gottfried etwa im nächsten Dorf Reisekost einkaufte und nach dem Weg fragte. Die Nacht hindurch wachten die beiden Getreuen abwechselnd bei dem Mägdlein, das oft, von schrecklichen Träumen geplagt, emporfuhr und unter heißen Tränen nach dem Vater verlangte. Doch war sie bisher, wenn auch matt und still, am Morgen zum Aufbruch bereit gewesen, wenn auch kein Lächeln mehr auf ihre Lippen trat, und die schönen blauen Augen mit mattem, trübem Blick in die herrliche Gotteswelt hinausschauten. Endlich aber kam ein Morgen, da an Weiterziehen nicht zu denken war. Unruhig warf sich das Mädchen auf dem Lager hin und her, wirre Worte sprechend und laute Angstrufe ausstoßend. Ach, es lag in heftigem Fieber! Flehentlich bat es, es doch zum Vater zu bringen, in den Kerker oder ins Grab! Es müsse zu ihm! Es höre ihn ja rufen und könne die Trennung nimmer ertragen. Alles liebreiche Zureden der Gefährten war vergeblich; auch das frische Wasser, das Gottfried aus der Quelle holte, konnte die Fieberglut nicht stillen. Da sank auch Gretes Mut. »Ach, was sollen wir tun?« jammerte sie. »Unser Liebling wird sterben! Wir werden nimmer die sichere Zuflucht erreichen! Gott hat uns verlassen!« »Sprecht nicht so, gute Grete«, mahnte Gottfried. »Bleibt bei der Kranken und betet; ich gehe, um Hilfe zu suchen.« Etwa eine Viertelstunde war er den Waldpfad hinabgelaufen, als er plötzlich hinaustrat ins offene Land. Und, o Wunder! Dort unten, wohl nur eine halbe Stunde entfernt, lag die ersehnte Stadt im Glanz der Morgensonne. Ja, sie mußte es sein! So schön und lieblich hatte ihm der Kaufherr ihre Lage geschildert. Seine Freude war so groß, daß er, Annchens Krankheit einen Augenblick vergessend, laut aufjauchzte. Ach, wie schwer hatte die Verantwortung für die Reisegefährten auf seinem jungen Herzen gelegen! Dann aber fiel er auf die Knie und dankte Gott herzinnig für Schutz und Beistand auf der langen Fahrt. Ach, wenn nur der Anlaß zur Reise nicht gar so traurig, gar so entsetzlich wäre! Lange hatte er sich um der Frauen willen bezwungen, jetzt stürzten ihm die Tränen aus den Augen, und sein Dankgebet ging in heißes Flehen über, das Schreckliche standhaft zu tragen. Horch! Tönte da nicht Gesang? Näher und näher kam es, und jetzt gewahrte er eine Anzahl Männer und Frauen, die singend eine nahe Landstraße entlang zogen. In ihrer Mitte führten sie ein Wäglein, mit zwei Pferden bespannt. In fliegender Eile lief er über Stock und Stein darauf zu, und verstand bald die Worte des Gesanges, nach dessen frischer Weise sich's prächtig wandern ließ: »Gott der Vater wohn' uns bei Und laß uns nicht verderben; Mach' uns aller Sünden frei Und helf' uns selig sterben! Für dem Teufel uns bewahr', Halt uns bei festem Glauben Und auf Dich laß uns bauen, Aus Herzensgrund vertrauen; Dir uns lassen ganz und gar, Mit allen rechten Christen Entfliehen Teufels Listen, Mit Waffen Gott's uns fristen. Amen, Amen, das sei wahr, So singen wir: Halleluja!« Das Lied war ihm bekannt. War es doch die alte Bittfahrtlitanei, die Doktor Luther »gebessert und christlich korrigiert« hatte. Da faßte er sich ein Herz und lief mit lautem Ruf auf die Wanderer zu, die alsbald stillhaltend seine Ankunft erwarteten und seinem Bericht mit herzlicher Teilnahme lauschten. Es waren Landleute, die zum Gottesdienst in die Stadt zogen. Horch! Da tönte schon feierlicher Glockenklang durch die klare Morgenluft. Im Wäglein saßen geputzte Leute, die ein wohleingewickeltes schlafendes Kindlein zur Taufe führten. Einer sprach zu dem Jüngling: »Ganz unnütz habt ihr euch geängstet. Ringsum ist alles Land evangelisch, so daß man euch in jeder Hütte freundlich aufgenommen hätte. Eilet«, rief er einigen Männern zu, »bringt das Mägdlein herbei, daß wir's sanft in den Wagen betten! Seid getrost, braver Bursch; die Mühsal eurer Wanderschaft ist zu Ende.« Wie ein Traum erschien es den Flüchtlingen, als man sie wie geehrte Gäste in die schöne Stadt einführte, und sich um die Freude stritt, sie zu pflegen und zu herbergen. Nach kurzer Zeit ruhte Annchen in einem Patrizierhause auf weichem Lager; der beste Arzt der Stadt stand mit ernstem Angesicht dabei und verhehlte den Gastfreunden nicht, daß das Leben des zarten Jungfräuleins in großer Gefahr sei. Mehr noch als die ungewohnten Anstrengungen der Reise habe wohl der lange zurückgedrängte Kummer um den Vater die Krankheit verursacht. »Beginnt sie einmal um ihn zu klagen, so laßt sie getrost sich ausweinen, und macht ihr ja nicht Hoffnungen, an deren Erfüllung ihr selbst nicht glaubt. Was Gott schickt, das hilft Er auch tragen.« Von Grete und der edlen Hausherrin aufs zärtlichste gepflegt, lag das Mädchen lange in schweren Fieberträumen, so daß man um sein Leben zagte. Doch kam das Schlimmste erst, als es zu vollem Bewußtsein erwachte, und das schreckliche Schicksal des geliebten Vaters ihm klar vor Augen stand. »O, warum durfte ich nicht sterben?« jammerte es. »Warum reicht ihr mir Arznei und Stärkung? O, laßt mich doch ins Himmelreich gehen zum lieben Vater! Was soll ich armes Kind noch auf der Welt?« Niemand gebot ihren Tränen Einhalt, niemand wendete sich ungeduldig oder gar gekränkt von ihr ab, wenn sie so jammerte. Ach, alle hatten ja erfahren, mit wie inniger Liebe Vater und Kind aneinander gehangen! Wohl aber saß der freundliche Stadtpfarrer oft am Krankenbett und ermahnte das Mägdlein mit sanften, ernsten Worten, sich in Gottes Ratschluß zu fügen. Er wußte auch gar lieblich zu schildern, wie der Heiland des Vaters Herz mit reichem Trost erfüllen und ihm im Himmel die Krone der Ueberwinder aufs Haupt setzen werde, so daß Annchens empfängliches Herz sich nach und nach dem Trost öffnete. Auch für die gute Grete waren das köstliche Stunden, denn wenn sie auch gewöhnt war, das Empfinden ihres treuen Herzens vor der Außenwelt zu verbergen, trauerte sie doch gar bitter um den geliebten Bruder. Wenn die Kranke schlief, erhielt Gottfried, der im Geschäft des Hausherrn fleißig mit zugriff, zuweilen Erlaubnis, sie zu sehen. Dann ließ auch er den Tränen freien Lauf, die er sonst männlich zurückdrängte. Ach, die beiden andern trauerten um Glaubenshelden, die vielleicht schon die Krone der Ueberwinder trugen! Er trauerte um eine, die die wohlerkannte Wahrheit aus Menschenfurcht und Kreuzesscheu verleugnete! Inzwischen hatten schnelle Postreiter die Nachricht von der Ankunft und dem Schicksal der Flüchtlinge längst nach Magdeburg gebracht; ja, unter Annchens Kopfkissen lag ein gar herrlicher Brief, den Herr Burkhardt ihr gesendet. So oft ihr das Herz zum Zerspringen schwer ward, las sie ihn immer von neuem durch, und konnte die lieblichen Trostsprüche, die er enthielt, schon auswendig. Inzwischen war das fromme, liebliche Mädchen der kinderlosen Hausfrau so lieb geworden, daß sie es gern ganz bei sich behalten hätte. Doch ging das nicht an, da des Vaters Wille erfüllt werden mußte. Darum hielt eines Tages ein schöner verhangener Wagen, mit zwei edlen Pferden bespannt, vor dem Patrizierhaus, denn Herr Burkhardt und sein Weib waren selbst gekommen, die Tochter des Freundes und ihre Gefährten heimzuholen. Nach einigen Rasttagen reisten sie ab, begleitet von den Segenswünschen der Gastfreunde und vieler Bürger, die sich versammelt hatten, um den Flüchtlingen, die so Schweres erduldet, Gottes Geleit zu wünschen. Die Frauen saßen auf weichen Polstern, reichlich versorgt mit allerlei köstlichen Erquickungen, während Herr Burkhardt und Gottfried zur Seite ritten. O wie lieblich reiste sich durchs evangelische Land! Ueberall Glaubensgenossen, überall Herzen, die Gottes Wort für ihren höchsten Schatz ansahen! Wie herrlich klangen die Lieder, die Luther und seine Freunde der Kirche geschenkt! Wie tröstlich erschallte in jedem noch so geringen Kirchlein, das man betrat, die Botschaft von der freien Gnade Gottes in Christo! Und ringsum verkündeten die waldigen Berge, die blumenreichen Auen, die goldenen Felder die Liebe und Allmacht des himmlischen Vaters. Da war's kein Wunder, daß selbst Annchens Blick sich wieder öffnete für die Schönheit der Gotteswelt, und leise, leise Trost und Frieden in ihr krankes Herz einzog. 9. Im Gefängnis. Als man an jenem Abend den Goldschmied und den Leutpriester gefangen genommen, brachte man sie, getrennt von ihren Leidensgefährten, nach dem Dominikanerkloster, in dessen Schule Thomas glückliche Jugendjahre verlebt hatte. Den abgelegenen, von hohen, kahlen Mauern umgebenen Hof, in den man ihn und den Freund jetzt schleppte, hatte er damals nie betreten. Nur Dietrich, das wilde Reiterlein, war auf seinen tollkühnen Entdeckungsfahrten einmal hineingeraten, und hatte dann dem Freunde schaudernd erzählt, er habe ganz deutlich Jammertöne gehört durch ein Luftloch in den düsteren Steinwänden. Nachdem man den Gefangenen die Knebel aus dem Munde genommen, stieß man sie eine Treppe hinab in einen finsteren Kerker, wo sie todesmatt aufs halbverfaulte Stroh niedersanken. Die Tür fiel zu, und alles war still. Lange, lange lagen sie regungslos, erstarrt an Leib und Seele durch die schreckliche Wendung ihres Schicksals. Endlich tastete der Goldschmied mit der gefesselten Hand nach der des Freundes und drückte sie zärtlich. »Gott sei gelobt«, flüsterte er, »daß wir beisammenbleiben durften! Laß uns nun tapfer den letzten Kampf bestehen! Auch uns wird der Heiland Rosen unter die Füße streuen, wie jenen ersten Märtyrern unserer Stadt.« »Wird man uns gleich töten? Vielleicht morgen schon?« fragte Thomas mit bebender Stimme. »Ich glaube es nicht! Man wird erst versuchen, uns zum Widerruf zu bringen. Sei gewappnet, Freund! Du bist tiefer in die göttliche Wahrheit eingedrungen als ich. Streite mutig für sie!« »Ich will, ich will!« rief Thomas. »Aber bete du für mich, denn dein Herz ist frei und stark. Ach, das meine erzittert vor dem Tode! Das Leben war so schön, und ich bin noch so jung!« Der Goldschmied sah nicht die Tränen, die das Antlitz des Freundes unaufhaltsam überströmten, hörte aber wohl die tiefen, schmerzlichen Seufzer, in denen sein kindliches Gemüt von der schönen Gotteswelt Abschied nahm. Leiser und schwächer wurden sie und schwiegen endlich ganz, denn Thomas war eingeschlafen. Der Goldschmied aber durchwachte die ganze Nacht in heißem Gebet und Flehen für sich und den Freund und für sein geliebtes, verlassenes Kind. Erst gegen Morgen schlossen sich seine Augen zu leichtem, kurzen Schlummer, und ein wunderlieblicher Traum umfing ihn. Es war ihm, als stehe er am Fuße eines hohen, steilen Berges, dessen Abhang mit Dornen, Disteln und scharfen Steinen bedeckt war, während wunderherrlicher Strahlenglanz seinen Gipfel umleuchtete. Nur auf halber Höhe befand sich, wie eine Oase in der Wüste, ein liebliches Ruheplätzchen, von einem weitästigen, blühenden Baume überschattet. Dort saß, zwischen einer Gruppe schöner Kinder, sein Töchterlein, Blumen zum Kranze windend. Den dornigen Pfad nicht achtend, wollte er zu ihm emporsteigen, als in dem Strahlenglanz des Gipfels eine andere Gestalt sichtbar ward. Schneeweiß gekleidet, eine Krone auf dem blonden Haupt, stand sie regungslos, die Hände nach ihm ausstreckend. »Elsbeth, meine Elsbeth! Ich komme!« rief er laut, und erwachte im dunkeln Kerker. »Ja«, sprach er zu sich selbst, »Gott wird mein Flehen erhören und mein Kind nach mancher Mühsal zu den Freunden bringen; ich aber werde bald, o wer weiß, wie bald, Hand in Hand mit der Geliebten vor Gottes Thron knieen. Dann wird der rauhe, dornenvolle Weg ganz vergessen sein.« Matter Lichtschein, der durch eine Oeffnung hoch oben in der Mauer drang, verkündete endlich den Morgen; bald klang Glockenton zu den Verlassenen hinab und erweckte auch Thomas aus dem Schlaf der Erschöpfung. »Wer wird jetzt in meinem Kirchlein vor den Altar treten?« seufzte er schmerzlich. »Sicher wird er alle Kraft anwenden, einzureißen, was ich mit Lust und Mühe gebaut habe.« Endlich öffnete sich die Kerkertür, und ein Mönch stellte schweigend Brot und Wasser vor die Gefangenen hin. Thomas wandte sich mit Widerwillen davon ab, doch bat ihn der Freund, einige Bissen zu essen. »Sie werden kommen, mit uns zu streiten, um uns zum Widerruf zu bringen«, sprach er. »Wie willst du tapfer kämpfen, wenn dein Leib halb verschmachtet ist?« Aber diesen und noch manchen langen Tag warteten sie vergeblich auf Gelegenheit, ihren Glauben zu bekennen. Niemand nahte sich ihnen, als der Mönch, der die dürftige Nahrung brachte; und kein Laut drang zu ihnen herab, als der dumpfe Ton der Klosterglocken. Wäre Thomas allein gewesen, würde er wohl seine Kraft in Klagen und Jammern erschöpft haben, denn die Sehnsucht nach seinem bescheidenen Heim, nach der Schwester, nach seinen Leuten und der gewohnten, ihm so lieb gewordenen Arbeit war allzu stark in seinem jungen Herzen. Der Goldschmied aber schien ganz abgeschlossen zu haben mit dem irdischen Leben; sein Sinn war nur aufs Himmlische gerichtet, und endlich gelang es ihm, den Freund mit sich fortzureißen. Manche Stunde verging in eifrigem Gespräch über die Lehren, die den Feinden besonders zuwider waren. Dann war es den beiden, als tue sich über ihnen der Himmel auf, als hörten sie schon des Heilandes Stimme, die sie einlud ins selige Paradies: »Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein! Ihr frommen und getreuen Knechte, gehet ein zu eures HErrn Freude!« Eines Morgens aber öffnete sich endlich die Kerkertür, und zwei Klosterbrüder traten ein. Es waren nicht solche, deren feisten Gesichtern und runden Bäuchen man ansah, daß sie nur Wohlleben im Mönchsstand suchten. Nein, ihre hohen Stirnen, ernsten Augen und eingefallenen Wangen bezeugten, daß sie nicht nur eifrig studiert, sondern auch in strengster Befolgung der Ordensregel gelebt hatten. Und nun begann hier unten ein Kampf der papistischen Finsternis gegen das neue Himmelslicht des Evangeliums, der durch viele Tage mit List und Gewandtheit von der einen, aber auch mit wachsender Begeisterung von der andern Seite geführt wurde. Doch ging es dabei, wie Luther in jenem Liede spricht: »Sie sungen süß, sie sungen sau'r, Versuchten viele Listen; Die Knaben stunden wie ein' Mau'r, Veracht'ten die Sophisten.« Wohl waren die Mönche gewandter und gelehrter, doch stützten sie sich auf das schwankende Rohr menschlicher Weisheit, während die armen Gefangenen nur eine einzige, aber eine unüberwindliche Waffe hatten, »das Wort Gottes«. Oft konnten die Klosterbrüder nur mit Mühe ihren Zorn zurückhalten, wenn diese elenden Menschen jede Irrlehre, jeden Mißbrauch mit klaren Worten der heiligen Schrift zurückwiesen. Wohl verstand der Goldschmied seinen Glauben auch in begeisterter, tiefempfundener Rede zu verteidigen; dagegen bewies der Leutpriester die göttliche Wahrheit schlicht und felsenfest mit den Sprüchen, die er in glücklichen Tagen Annchen und seine lieben Schulkinder gelehrt hatte. Dies letztere erbitterte die Feinde am meisten. Dieser junge Mann, der ihnen noch vor wenig Jahren als demütiger Klosterzögling gedient, widerstand ihnen jetzt mit kurzen, schlichten Worten, die schon ein Kind nachlallen kann! Und all ihre Weisheit, all ihre spitzfindige Beredsamkeit konnte ihn nicht besiegen! Gewiß, sie konnte es nicht; ebensowenig, als ein Mensch Gott besiegen kann. Aufs höchste erbittert, mit drohenden Gebärden, verließen die Mönche eines Tages den Kerker, um nicht wiederzukehren. Als sich am nächsten Morgen sehr frühe die Tür wieder öffnete, waren die Gefangenen ganz bereit, den letzten Gang anzutreten. Von einer Anzahl bewaffneter Klosterknechte bewacht, brachte man sie hinab zum Flußufer und stieß sie in einen Kahn. Zwei der Knechte sprangen herein, und das Fahrzeug ward von kräftigen Ruderern stromaufwärts geführt. Während der ziemlich langen Fahrt begegneten des Leutpriesters Augen ein paarmal dem Blick eines Klosterknechtes, der unverwandt auf ihn gerichtet war. Der Mensch war von hoher Gestalt und mochte wohl riesenstark sein. Das wettergebräunte Antlitz trug nicht den stumpfen, geistlosen Ausdruck, der sonst dem Klostergesinde eigen war; die schönen schwarzen Augen blickten bald wild, bald schwermütig in die Welt hinaus. Nun, was ging es Thomas an? Er konnte ja keinem mehr etwas zuleid oder zulieb tun. Ein schrecklicher, bitterer Tod war ihm gewiß. Nur selten richtete das geistliche Gericht seine Opfer in der Heimat; sie wurden meist in eine andere Provinz gebracht. Fern von Verwandten und Freunden sollten sie sterben, damit ihre Marter und ihr Tod nicht allzuviel Mitleid errege und zur Rache auffordere. Darum hielten auch die beiden Gefangenen diese Kahnfahrt für ihren Todesweg. Sie hatten sich indes geirrt. Sieh, dort erhob sich eine Insel aus der Flut. Zwischen grünen Büschen schaute ein fester Turm hervor, am jenseitigen Flußufer aber stand in nicht allzuweiter Ferne ein stattliches Kloster. Jetzt legte der Kahn bei der Insel an. Unter den Bäumen, die den Turm umgaben, spielten zwei liebliche blondhaarige Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, entflohen aber beim Anblick der Bewaffneten eilig in ein Häuschen, das dem Turme gegenüberstand. Jetzt trat ein Mann herzu, einen Schlüsselbund in der Hand. Die starke Turmtür ward geöffnet, und man führte die Gefangenen eine Treppe hinab in einen Raum, der dem Klosterkerker sehr ähnlich war. Nur drang durch ein größeres Fenstergitter hoch oben in der Mauer etwas mehr Licht und Luft herein; ja, es fiel eben jetzt ein warmer Sonnenstrahl auf die zwei Strohlager und die alte hölzerne Bank, die die ganze Einrichtung des öden Raumes bildeten. Die Tür fiel hinter den Freunden zu, und sie sanken auf das Lager nieder. Sollten sie hier wohl ihr Urteil erwarten, oder waren sie zu ewiger Gefangenschaft bestimmt? Eine Stunde mochte vergangen sein, als der Schlüsselbund wieder rasselte, und die schwere Tür sich öffnete. Der Kerkermeister trat ein, einen Topf in der Hand tragend, in dem zwei hölzerne Löffel steckten. »Mein Weib hat euch eine Suppe gekocht«, sprach der Mann; »die Morgenluft war eiskalt, und ihr seid erschöpft. Ich weiß einen Unterschied zu machen zwischen Mördern und Räubern und Männern eurer Art. Was ich kann, werd' ich für euch tun; doch ist es nicht viel. Reichet die Hände her; es ist mir erlaubt, euch die Fesseln abzunehmen. Aber denket nimmer an Flucht! Ich bürge für die Gefangenen mit meinem eigenen Leben, und bewaffnete Knechte bewachen den Turm.« Damit stellte er den Topf auf die Bank und verließ den öden Raum. Die Freunde aber labten sich mit dankbarem Herzen an der ersten warmen Speise, die ihnen seit jenem Schreckensabend geboten ward. Als sie so einander gegenüber saßen, fielen die Sonnenstrahlen durch die Fensteröffnung auf die Gestalt des Goldschmieds, und Thomas erkannte mit Schrecken, wie sehr er sich in den letzten Wochen verändert hatte. Nicht nur war sein dunkles Haar völlig ergraut und seine Wangen eingefallen, auch seine ganze Haltung war gebeugt und die Glieder furchtbar abgemagert. Er sah aus wie ein ganz alter Mann! »Bist du krank, Geliebter?« fragte Thomas ängstlich, den Löffel hinlegend. »Ich habe keine Schmerzen«, erwiderte der Gefährte, »wohl aber fühle ich ein stetes Schwinden aller Kräfte. Ich bin ja viel älter wie du, könnte wohl dein Vater sein! Obgleich ich mein Leben in redlicher Arbeit zugebracht habe, ist doch der Leib von Jugend auf etwas verwöhnt worden. Weiches Lager, warme Kleidung und kräftige Speise war immer für mich bereit, während du, mein Sohn, von klein auf hart gehalten wurdest. Nun ist mein Geist zwar willig, jede Entbehrung zu ertragen, aber der alternde Körper bricht darunter zusammen; das fühle ich wohl. Ja, mein Herzensfreund; wenn die Feinde meinen Tod beschlossen haben, so müssen sie eilen, sonst kommt Gott ihnen mit sanfter Hand zuvor.« Wie ein scharfer Pfeil durchbohrten diese Worte das Herz des Leutpriesters! Ganz unerträglich erschien es ihm, vielleicht bald allein zurückzubleiben im öden Kerker. Doch bezwang er sich sogleich, streichelte die magere Hand des Freundes und erwiderte: »Nun wohl; will dich Gott sanft gen Himmel tragen, so will ich gern allein den rauhen Weg gehen, der mich zu Ihm und zu dir führt.« Wirklich nahmen des Goldschmieds Kräfte von Tag zu Tag ab. Bald konnte er nur noch selten in dem düsteren Raume auf und nieder gehen, sondern mußte Tag und Nacht auf dem Strohlager zubringen, das der Hüter des Turmes, gerührt durch die Geduld und edle Haltung der Gefangenen, durch ein Kissen und eine alte wollene Decke verbessert hatte. Auch konnte der Kranke das schwarze Brot nicht mehr genießen, und hätte elend verhungern müssen, wenn der barmherzige Mann nicht täglich ein Töpfchen Suppe oder ein Krüglein Milch hereingebracht hätte. Ueberhaupt war dies zweite Gefängnis nicht ganz so finster und öde als das erste. Die Sonnenstrahlen, die am Morgen auf ein paar Stunden durch das Fenster drangen und die schwarze Wand vergoldeten, wurden täglich sehnsuchtsvoll erwartet, und an trüben Tagen schmerzlich vermißt. Die Fensteröffnung mußte dicht über dem Erdboden sein, denn siehe, etliche frische Grashalme zeigten sich darin und endlich sogar ein blaues Wiesenblümlein, dessen Entfalten und Verwelken die Freunde wehmütig beobachteten. Ein Vöglein sang auch manchmal ganz fröhlich vor dem Loch, und oft, sehr oft schallte das Jauchzen und Lachen der beiden Kinder bis hinunter zu den Verlassenen. Einmal kam es ganz nahe, und, o Wunder! ein kleines Händchen streckte sich durch die Oeffnung, ließ etwas niederfallen und verschwand. Am Boden aber lag ein schöner weißer Wecken, ein Festmahl für den Kranken! Aber ach, die Stimmen der Kinder hörte man von da an nicht wieder! Man hatte wohl gemerkt, was sie getan, und erlaubte ihnen nicht mehr, in der Nähe des Turmes zu spielen. Still und einförmig schlich die Zeit dahin, und ward besonders dem jungen, an stete Arbeit gewöhnten Manne fast unerträglich lang. Das Lebenslichtlein des Aelteren glimmte fort von einem Tage zum andern, von einer finsteren Nacht zur andern. Oft und gern ließ er sich von dem jungen Freunde Psalmen oder andere tröstliche Stellen der heiligen Schrift vorsagen. Dann vergaßen beide ihr Leid und schauten durch eine goldene Tür ins ewige, selige Leben. Die müden Augen des Kranken strahlten, sein Mund lächelte, und die abgezehrten Hände streckten sich verlangend aus nach der himmlischen Heimat. Ja, sein geistiges Auge erblickte schon den Heiland, und unter den Lichtgestalten, die Seinen Thron umgaben, war Eine, die er auf Erden so innig geliebt! »Sage mir doch, Herzensfreund«, bat Thomas leise, »gedenkst du nicht auch sehnsüchtig deines Kindes, das nun verlassen zurückbleibt?« »Oft gedenke ich seiner«, erwiderte der Kranke; »doch habe ich es ganz in Gottes Hände gegeben, wo es sicherer ist, als in den meinen. Ich hoffe, nein, ich weiß, daß es wohlgeborgen in Magdeburg ist. Gott hat mir die Gewißheit ins Herz gegeben! Und nun versinkt das Irdische mehr und mehr vor meinem Blick; das Himmlische aber wird täglich klarer! Das Kind wird mir Gott bewahren; das geliebte Weib aber werde ich wiedersehen in ganz, ganz kurzer Zeit! Anbetend werden wir zusammen vor Seinem Throne stehen. Sollte ich mich des nicht freuen?« Thomas schwieg lange. Endlich aber schlug er die Hände vors Gesicht und begann bitterlich, o so bitterlich zu weinen. »Herzensbruder, was betrübt dich so sehr?« fragte der Kranke erschrocken. »Fürchtest du den Tod?« »Nein, nein«, schluchzte der andere, »aber ich beklage das Leben! Ich kann nicht anders; es war so schön, so wunderschön!« Sanft streichelte der alte Freund das Haupt des jüngeren und sprach: »Schütte dein Herz aus, du Armer; verbirg mir nichts!« Thomas war vom Schemel herab aufs Stroh gesunken und jammerte: »O, es war so schön, so lieblich! Schon lange kämpfe ich dagegen, schämte mich aber, es dir zu sagen. Du bist ein Held; ich aber bin der Märtyrerkrone nicht würdig, denn mein Herz hängt noch am Irdischen! Wenn ich an mein Häuschen denke, so traut und freundlich, an die liebe Schwester, die so emsig drin waltete, an meinen Garten, an das schmucke Kirchlein, o wie weh wird mir da! Aber am meisten vermiß ich die Kinder! O meine Kinder! Mein kluger Hans, mein sanftes Mariechen! O meine Kinder, meine lieben Kinder!« Das Gesicht im Stroh verbergend schluchzte der Arme so heftig, daß seine abgezehrte Gestalt wie vom Fieber geschüttelt ward. »Und wie wird es jetzt sein?« fuhr er bitter fort. »Mit Schlägen wird man ihnen austreiben, was ich sie mit Liebe gelehrt! Wer am schnellsten herplappern kann, was er nicht versteht, wird der beste Schüler sein; aber die Herzen werden leer bleiben. O meine Kinder, meine lieben Kinder!« Der Körper des jungen Mannes bebte vor Erregung, und das Stroh ward naß von den strömenden Tränen. Der ältere Freund ließ ihn voll ausweinen, dann sprach er mit sanfter Stimme: »Armer Thomas! Es mußte so kommen! Ein junges Herz hängt am Leben! Sei nur ganz getrost! Ist's Gottes Wille, daß du ein Märtyrer wirst, so wird Er dir zur rechten Zeit Mut, ja Heldenmut verleihen, denn den Aufrichtigen läßt es der HErr gelingen! Doch hat Er auch Macht, dich zu erretten, und dir noch auf Erden alles zwiefach wiederzugeben, was du jetzt verlassen mußtest. Ja, Ihm ist's ein leichtes, dir diese Kerkertür aufzutun, daß du hinausgehest und Sein Wort predigest, vielen zur Seligkeit! Bedenke doch, deine geliebten Kinder sind noch viel mehr Gottes Kinder! Er kann den edlen Samen, den du in ihre Herzen gestreut, aufgehen lassen, wo und wann Er will! Bete du nur für sie und sei getrost!« Erschöpft schwieg der Kranke, und lange war alles still. Der letzte Lichtschimmer, der durch das Gitter fiel, erlosch, und endlich ward es ganz finster. »Schläfst du, Geliebter?« fragte Thomas leise. »Nein; mein Gemüt ist zu bewegt.« »Darf ich dir noch etwas sagen, ganz, ganz leise?« »Gewiß.« Sanft schlang Thomas den Arm um des Freundes Hals und sprach ganz leise wenige Worte zu ihm. Dann hielten sich beide noch eine Zeitlang umfaßt, bis die Müdigkeit sie übermannte und der ruhige Schlaf sie umfing, den Gott Seinen Kindern oft auch in tiefster Seelennot schenkt. Von diesem Abend an nannte Thomas den Goldschmied: »Lieber Vater.« -- Hatten die Gefangenen im Anfang ihrer Haft ängstlich die Tage gezählt, dann die Wochen, endlich einen Monat nach dem andern, so war dies nun vorüber. Es gab für sie überhaupt keine Zeit mehr; dagegen strahlte die Ewigkeit vor ihrem geistigen Auge. Daß Sommer und Herbst vorüber waren, wußten sie, denn die grünen Halme im Fensterloch waren gelb geworden und endlich ganz verschwunden. Kein Vöglein sang mehr draußen, wohl aber hörte man das Rauschen des kalten Regens. Die Steinmauern wurden feucht, und die wollene Decke schützte die Armen nur ungenügend in den kalten Nächten. Eines Morgens aber hatte der Regen aufgehört und, zum erstenmal seit langer Zeit, erhellten einige Sonnenstrahlen das Gefängnis. Nicht mit Schrecken, wohl aber mit tiefer Wehmut sah Thomas, wie tief die Wangen des Freundes eingefallen waren. Die Augen strahlten in überirdischem Glanz, aber wenn sie geschlossen waren, glich das Antlitz dem eines Toten. Seit einigen Tagen waren nur wenige Worte des Gebets und der Liebe zu dem Gefährten über die bleichen Lippen gekommen. Das Ende mußte ganz nahe sein! Der Kerkermeister hatte die warme Milch gebracht, und Thomas war bemüht, dem Freunde ein wenig davon einzuflößen, mit sanfter Stimme Worte des Trostes sprechend. Horch! Da rasselte zu ganz ungewohnter Stunde der Schlüssel des Wärters; die Tür ging auf, und zwei Männer in geistlichem Gewand traten ein. Der erste war nur ein dienender Bruder, der einen gepolsterten Schemel und eine Pelzdecke trug; in dem andern aber erkannte Thomas sofort den finsteren Ketzerrichter, der damals neben dem Kaiser geritten war. Aber Thomas erschrak nicht mehr vor seinem grimmigen Blick! Die Zeit der Furcht und des Schreckens war auch für ihn vorüber; das Irdische war überwunden, die offene Himmelstür strahlte in herrlichem Glanz! Ruhig und mit edler Freimütigkeit blickte er dem Schrecklichen ins Auge, der sich alsbald neben dem Lager auf den Polstersitz niederließ und dem Kranken mit rauher Stimme gebot, sich zu erheben. »Ich kann es nicht«, flüsterte der Goldschmied, »es geht mit mir zu Ende!« »So widerrufe heute noch deine Teufelslehren, verfluchter Ketzer«, schrie ihn der andere an; »sonst laß ich dich zum Scheiterhaufen tragen, wenn du nicht mehr gehen kannst.« »Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, und die Seele nicht mögen töten«, flüsterte der Sterbende, ohne sich zu regen. »Mein armer Freund kann kaum mehr sprechen«, wandte Thomas ein. »Ich bitt' Euch, laßt mich für ihn das Wort führen, denn sein Glaube ist auch der meine!« »Wohlan, so antworte! Aber bedenke wohl! In wenig Wochen wird man Gericht halten über alle, die hartnäckig bei der verfluchten Lehre des Wittenbergers verharren. Dem Feuer sind sie verfallen ohne alle Gnade! Sprich, was hältst du von der Anrufung der Heiligen?« »Daß sie nichts ist«, erwiderte Thomas. »Sie sind sündige Menschen gleich wie wir. Ihrem Wandel und ihrem Glauben sollen wir nachfolgen, sofern er der rechte war. Anzurufen sind sie keinesfalls.« »Aber Maria, die gebenedeiete Jungfrau, rufst du doch an?« »Nimmer! Nannte sie sich doch selbst eine Magd des HErrn! Irrte sie doch menschlich, und ist selig durch den Glauben an ihren, an Gottes Sohn!« »Wie denkst du über das Lesen der heiligen Schrift?« »Daß alle, Große und Kleine, Gelehrte und Ungelehrte, sie lesen, lernen und darin suchen sollen, um das ewige Leben darin zu finden.« »So meinst du wohl auch, daß Christi Blut im Sakrament allen zu reichen sei?« »Sicherlich! Spricht doch der HErr ausdrücklich: ›Trinket alle daraus!‹« So ging es eine Weile fort in immer heftiger werdender Frage und sanfter, fester, in Gottes Wort gegründeter Antwort. Aber ach, Thomas hatte fast die ganze Nacht bei dem kranken Freunde gewacht, und heute noch nichts gegessen, als einige Bissen hartes Brot. Darum erlahmte seine Kraft endlich; er legte die abgemagerte Hand an die Stirn, und konnte die klaren Sprüche der heiligen Schrift, die den Gegner widerlegen sollten, nicht mehr so schnell finden. Darauf hatte der schlaue Feind gewartet, und fing nun erst an, den Kern und Stern der heiligen Schrift, die Lehre von dem alleinseligmachenden Glauben, mit Macht und List zu bestreiten. Lange widerstand Thomas tapfer, sank aber endlich mit dem Rufe: »Ich kann nicht mehr«, aufs Stroh nieder. Da geschah etwas Wunderbares. Der Sterbende, der schon seit mehreren Tagen das Haupt nicht erhoben hatte, richtete sich auf und sprach, die abgezehrte Hand erhebend, laut und feierlich die Worte: »So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben! -- Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat!« Dann sank das matte Haupt aufs Lager zurück, und Totenstille herrschte in dem halbdunkeln Raum. Dem hohen Würdenträger aber ward es seltsam zumute, als fühle er den Einfluß einer Macht, der er nicht gewachsen war. Er stieß die Pelzdecke hinweg, rief dem draußen harrenden dienenden Bruder, und verließ, auf ihn gestützt, das öde Gemach. »Bring den Ketzern eine Suppe«, rief er dem Kerkermeister zu. »Sie sind erschöpft; ich möchte nicht, daß ein natürlicher Tod dem Feuer zuvorkäme, dem sie verfallen sind.« Damit bestieg er den Kahn und verließ die Insel. Als der Kerkermeister bald darauf mit dem dampfenden Suppentopf das Gefängnis betrat, fand er Thomas in tiefer Ohnmacht, den Goldschmied aber tot, mit gefalteten Händen und wunderbar verklärten Zügen. Sein Glaube hatte die Welt überwunden! 10. Der Befreier. Als Thomas aus seiner Ohnmacht erwachte, kannte sein Jammer und Schmerz über den Tod des geliebten Leidensgefährten keine Grenzen. Laut weinend warf er sich über ihn hin, rief ihn mit den zärtlichsten Namen, küßte die erblaßten Lippen und streichelte die eiskalten Hände. Ach, wie furchtbar war es, nun ganz allein zu bleiben, und auch den letzten entsetzlichen Weg allein gehen zu müssen ohne Zuspruch und Vorbild des väterlichen Freundes! Ach, es war fast zu schwer! Doch dauerte dieser heftige Ausbruch des Schmerzes nicht lange. »O wie selbstsüchtig bin ich doch!« sprach er bald. »Sollte ich mich nicht freuen, daß er den Händen der Grausamen entronnen ist, und Gott ihn sanft hinübergeführt hat ins Himmelreich? O, ich seh' ihn im Geist am Throne des Heilandes knieen, der ihm die Krone der Ueberwinder aufsetzt! Bald, bald werd' ich ihm folgen, wenn auch auf rauherem Wege. Was sind einige Stunden irdischer Qual gegen die himmlische Freude, den ewigen Frieden? Ich will an die zarten Jünglinge denken, von denen mir Muhme Lene erzählte.« Dennoch flossen seine Tränen unaufhaltsam, als er, an dem elenden Sterbelager sitzend, immer von neuem die abgemagerten Hände und die edle, hohe Stirn des Ueberwinders küßte. Gegen Abend trat der Hüter wieder ein und sprach: »Es ist Befehl vom Kloster gekommen, daß Euer Freund noch heute an abgelegener Stelle eingescharrt und sein Grab mit Steinen bedeckt werden soll.« »Nun wohl«, entgegnete Thomas; »er wird trotzdem am Jüngsten Tage die Posaune der Auferstehung hören, und hervorgehen zu ewiger Freude und Wonne! Aber ich bitt' Euch, laßt mich Euch begleiten, wenn man ihn ins letzte, kalte Bett legt! O, versagt mir's nicht! Still und geduldig will ich dann wieder ins Gefängnis zurückkehren. Ihr seht ja selbst, daß ich kaum mit Mühe einige Schritte tun, geschweige denn entfliehen kann!« »Es sei«, erwiderte der Mann. »Ihr seid Leute, deren Wort man trauen darf. Mein Weib will ein sauberes Laken hergeben, den Toten einzuhüllen.« So wusch Thomas das teure Antlitz und die treuen Hände des Freundes, strich das ergraute Haar glatt und gab ihm den Abschiedskuß. Dann hüllte er ihn mit Hilfe des Kerkermeisters in das Leintuch, kniete nieder und betete lange. Nun kamen zwei rauhe Klosterknechte, den Toten fortzutragen, und Thomas erkannte einen davon wieder; es war derselbe, der im Kahn ihm gegenüber gesessen. Auf des Kerkermeisters Arm gestützt wankte er aus der Tür, und die klare, frische Luft, die er so lange nicht geatmet, berauschte ihn fast. Am Abendhimmel blinkte schon hier und da ein Sternlein auf, und leise rauschten die Wellen des Flusses. Nicht weit vom Turme, mitten in dichtem, jetzt noch blätterlosen Gebüsch, hatte man das Grab gegraben; der Leichnam ward still hineingesenkt, eine Schicht Erde und viele Steine darauf geworfen. Als Thomas niederkniete, um zu beten, entblößten auch die rauhen Männer das Haupt, und lauschten den herrlichen Worten, die ihnen ganz fremd waren: »Wenn der HErr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens, und unsere Zunge voll Rühmens sein. Da wird man sagen unter den Heiden: ›Der HErr hat Großes an ihnen getan!‹ Der HErr hat Großes an uns getan, des sind wir fröhlich! HErr, wende unser Gefängnis, wie Du die Wasser gegen Mittag trocknest. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen, und tragen edlen Samen, und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.« Nun war alles vorüber, und nach wenig Minuten lag Thomas einsam auf dem nun so verlassenen Lager. »Schlaf wohl in deinem stillen Grab, du frommer, edler Mann! Du hast viele zum Kreuze Christi gewiesen; aber auf dein Grab ward kein Kreuz gesetzt! Du hast viele Nackende gekleidet; dir aber versagte man das Totenhemd! Dein Herz war so warm, so liebreich, daß es gern jedem helfen, jeden erfreuen wollte; und doch bist du vergessen, ja man scheut sich wohl gar, deinen Namen zu nennen! Aber dies alles schadet dir nicht mehr! Hat dich doch der Heiland an Sein Herz geschlossen, und deine Stirn mit Seinem Kreuz bezeichnet! Kleidet Er dich doch in die weiße Seide Seiner Gerechtigkeit, und wischt alle, alle Tränen ab von deinen Augen!« Das waren die Gedanken des Leutpriesters in dieser endlos langen, einsamen Nacht. Ach, in der bitteren, schauerlichen Einsamkeit, die ihn nun umgab, fühlte Thomas doppelt lebhaft, welcher Trost und Halt ihm der ältere Freund gewesen. Da war es ein kurzes Sprüchlein, das er besonders liebte, das ihn immer von neuem aufrichtete, ihm Geduld und Kraft gab, und das schwache Lichtlein des Glaubens und der Hoffnung nicht gänzlich verlöschen ließ. Es war das herrliche Wort, das schon manch einsames Herz getröstet hat: »Siehe, Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende!« Ja, der allmächtige, liebreiche Heiland war bei ihm! An Seine Brust legte er sich, wenn er aufs harte Lager sank; Sein Geist sprach ihm manch süßes Trostwort zu! Aber nach einigen Wochen schien es, als kümmere sich auch ein irdischer Freund um den Verlassenen. Es ward manchmal etwas durchs Fenstergitter geworfen, das kaum aus Kinderhänden kommen konnte: ein derbes Stück Wurst oder Rauchfleisch, ein Käse, ja sogar ein Lederfläschlein voll Wein, wie es die Reiter gern bei sich trugen. Obgleich die geschwächte Natur des Gefangenen das stärkende Getränk nur tropfenweise vertragen konnte, tat es ihm doch gar wohl! Endlich, an einem stürmischen, ganz besonders dunkeln Abend, gab sich der geheimnisvolle Freund zu erkennen, als Thomas schon längst auf seinem Lager ruhte. Ein barmherziger Traum ließ ihn sein Elend vergessen, und trug ihn zurück in den Schlafsaal der Klosterschule. Dietrich, das wilde Reiterlein, lag neben ihm im Bett und fing halblaut an zu singen: »Ich bind' mein Schwert zur Seiten Und mach' mich bald davon; Hab' ich dann nicht zu reiten, Zu Fuße muß ich gahn. Ich taumle als ein Gänselein, Das ziehet auf die Wacht. Das tut das Heu und auch der Wein; Ade, zu guter Nacht!« »Dietrich, willst du wohl still sein?« rief Thomas, aus leichtem Schlaf erwachend. »Noch lang' nicht!« rief es von oben her zurück. »Der Nachtwächter darf doch sein Liedel singen!« Da fiel es dem Gefangenen wie Schuppen von den Augen. Ja, der schwarzäugige starke Knecht, den er im Kahn und am Grabe gesehen, war sein Schlafkamerad Dietrich, das wilde Reiterlein! »Dietrich, alter Freund, bist du's wirklich?« rief er mit hervorbrechenden Tränen. »Ja, ich bin's! Aber still! Ein Liedel darf ich wohl singen, wenn ich die Nachtwache habe; aber Gespräch möcht' übel geraten! Wundere dich nur über nichts, was des Nachts geschieht, und halt dich still, ganz still! Wenn Gott hilft, rett' ich dich!« Von da an vermehrten sich die Gaben, die zum Gitter hereinflogen, so sehr, daß die geschwächten Kräfte des Gefangenen sich wirklich etwas hoben. Wohl vergingen die Tage in der tiefen Einsamkeit entsetzlich langsam. Dagegen brachte die Nacht mehrmals ein seltsames Geräusch mit sich, das dem Einsamen die Nähe des Jugendfreundes verriet und die Hoffnung auf Befreiung stärkte. Wie sie gelingen sollte, konnte er sich nicht vorstellen; auch fehlte ihm die Kraft, darüber nachzugrübeln. Ach, er war so matt und müde, und die Sehnsucht nach dem heimgegangenen Freund war so groß, daß er ihm am liebsten in sanftem Tode nachgefolgt wäre. Dazu kam, daß er das Reiterlein als einen wilden, tollkühnen Gesellen kannte. Wie leicht konnten seine wagehalsigen Rettungsversuche mißlingen, so daß der arme Bursche selbst mit ins Verderben gestürzt würde! Und doch erschien ihm der Feuertod mit allem, was voranging, so schmachvoll, so entsetzlich! Selbst im Traume sah er oft die Scheiterhaufen geschichtet, die hilflosen Opfer gebunden, geknebelt, verhöhnt und beschimpft, umgeben von der rohen, in Erwartung des schrecklichen Schauspiels schwelgenden Menge! Wenn er dann auffuhr, in kalten Angstschweiß gebadet, erhob er wohl flehend die Hände und rief: »O Gott, rette mein junges Leben, wenn es Dein Wille ist!« Und, o Wunder! In einer Nacht schallte auf diesen Ruf von oben her die leise Antwort: »So komm! Es ist alles bereit!« Als er emporschaute, erkannte er deutlich eine dunkle Gestalt vor der Fensteröffnung, aus der alle Gitterstäbe entfernt waren und ein starkes Seil herabgelassen wurde. »Kannst du daran emporklettern?« fragte eine rauhe, gedämpfte Stimme. »O nein; dazu fehlt mir die Kraft«, seufzte Thomas. »So binde dir's um den Leib! -- Nicht so, du Dummkopf! Unter den Armen hindurch! Rasch! Nun zieh ich dich empor und durch das Loch! Dünn genug bist du wohl! Schrei nicht, wenn's kratzt!« Ach, es kratzte sehr! Aber wer achtet das in solcher Stunde? Endlich lag Thomas' abgemagerter Körper draußen auf dem feuchten Boden. »Lieg' still, bis ich's Gitter wieder fest mach'«, flüsterte Dietrich. Es war eine angstvolle Zeit und dauerte lange! Die alten verrosteten Stäbe waren fast alle zerbrochen. Dietrich aber setzte andere dafür ein, die den Anschein morschen Alters trugen. Auch an den Steinen vertilgte er durch allerlei Mittel, die er aus den Taschen zog, jede Spur seiner Befreiungsarbeit. Inzwischen blickte die Mondsichel dann und wann aus den Wolken und beleuchtete endlich die Stätte hinreichend, um zu erkennen, daß alles aussah wie am Tag vorher. Nun ging's durchs bleiche Wintergras dem Ufer zu, langsam, langsam, da der Befreite am ganzen Leibe vor Erregung und Angst bebte. Aber dort war ja das Grab des Freundes! Eine Minute lang mußte er daran knieen und die kalten Steine küssen; Dietrich wehrte es ihm nicht! Nun ging es festeren Schrittes dem Ufer zu, wo ein Kahn bereit lag. Jetzt waren sie drin; er stieß vom Lande und ward von starker Strömung den Fluß herabgetragen. Die Klosterkirche drüben auf der Anhöhe war matt erleuchtet; es war die Zeit der nächtlichen Hora. Lachend zeigte Dietrich hinüber und flüsterte: »Wenn die's jetzt wüßten!« Aber Thomas antwortete nicht. Der ungeheuern Erregung war eine tiefe Ohnmacht gefolgt. Dietrich erschrak nicht wenig über die eiskalte Stirn und die starren Hände des Freundes. »So stirb doch jetzt nicht, du dummer Kerl«, rief er, während heiße Tränen in den struppigen Bart rannen. »Dazu hast du ja lange Zeit gehabt da drüben! So freu' dich doch, daß du frei bist! Iß und trink!« Aber es dauerte doch recht lange, ehe der Gerettete die Augen aufschlug, einige Schlucke Wein trank und ein wenig weißes Brot aß, das der Retter aus einem Kasten zog. Dann aber umfing bald ein fester Schlaf den Ermatteten. »Das ist gut«, brummte Dietrich; »da will ich gleich hier aus dem Klosterknecht einen Schiffsmann machen, ehe der Morgen graut. Das Schifflein kann ich wohl eine Weile der Flut überlassen.« Und nun warf er alles ab, was er auf dem Leibe trug: Wams, Gürtel, Waffen, Hosen, Schuhe und sogar das Hemde. Alles war Klostergut und ging ihn nichts mehr an! Eins nach dem andern flog in den Fluß, wo es versank oder weggespült ward. Aus einem Sack aber kam ein grober Anzug hervor, wie ihn die Schiffsknechte trugen; in den kleidete er sich und zog eine Fischermütze über die Ohren. »So«, sprach er zufrieden, »das wär' getan! Jetzt gilt's, die Jammergestalt dort unter die Hand zu nehmen! Heda, Thomas«, rief er im alten Schülerton, »steh auf, du Faulpelz; 's ist hohe Zeit!« Und nun fing der rauhe Reitersmann an, seinen Schützling zu waschen, zu kämmen und ihm das wirre, ungepflegte Lockenhaar zu verschneiden, mit der Zartheit und Geduld einer liebreichen Mutter. Es war eine lange, schwere Arbeit, da er oft davon mußte, um den Kahn in rechtem Laufe zu erhalten. Aber jetzt war's vollendet, und Thomas saß, von der Wandlung etwas erschöpft, in einen anständigen Mantel gehüllt, das Haupt mit einer warmen Mütze bedeckt, aufrecht im Kahne. Man war eben zu rechter Zeit fertig geworden, denn zunehmende Helle kündigte den nahen Morgen an. Der Fluß war nun schon so breit, daß man die Ufer nur noch undeutlich erkannte, und als es heller ward, erhob sich in geringer Entfernung der Mastenwald des Hafens. Ein mittelgroßes Schiff lag, getrennt von den andern, vor Anker; die Flagge trug die Farben der Handelsstadt Hamburg. Dietrich steuerte darauf zu, einen lauten Ruf ausstoßend, der alsbald vom Schiff aus erwidert ward. Man ließ die Strickleiter herab, denn von den bequemen Treppen, auf denen man jetzt zum Verdeck des Schiffes emporsteigt, wußte man damals noch nichts. Hilfreiche rauhe Hände streckten sich nach dem Schwachen aus, und nach kurzer Zeit ruhte er auf einem weichen Lager, das man auf einem geschützten Teil des Verdecks bereitet hatte, wo er bald wieder in tiefen Schlaf sank. Die plötzliche, ihm ganz unbegreifliche Rettung erschien ihm ja selbst wie ein wunderbarer Traum, und als er nach einigen Stunden etwas gestärkt erwachte, meinte er wirklich noch auf dem feuchten Stroh des Kerkers zu liegen, und rief, sehnsüchtig die Arme ausstreckend, den Namen des teuern Leidensgefährten, wie er in den letzten trübseligen Wochen so oft getan. »Der ist droben im Himmel und hat's besser als du«, sprach eine rauhe, aber freundliche Stimme neben ihm, und er erkannte den wilden Schulkameraden, der im groben Schifferkittel neben ihm saß. Den Kopf mit beiden Händen haltend, richtete er sich mühsam auf. »Bist du's wirklich, Dietrich?« fragte er ängstlich. »Ist's keine Täuschung, kein Fiebertraum?« »Da, faß meine Hand«, rief der Retter. »Gelt, die fühlt sich nicht traumhaft an? 's ist alles wahr, und ich will dir erzählen, wie's gegangen ist. Schau' dich doch um! Du bist ja auf hoher See! Dort drüben liegt, kaum noch sichtbar, deine alte Heimat und der Schauplatz deiner Leiden. Dies gute Schiff aber bringt dich nach Hamburg, wo du viele Glaubensgenossen findest, die dich lieben und pflegen werden. Auch der Schiffsherr und alle seine Leute sind dem neuen Glauben zugetan, und mich armen Kerl verlangt wenigstens, ihn kennen zu lernen. Für was mein Thomas sein Leben einsetzt, das muß was Gutes sein. Aber dumm bin ich noch, jämmerlich dumm in allem, was geistlich ist; du sollst mich lehren. Denn wo du nun bleibst, du einziger Freund, den ich je auf Erden hatte, da bleib' ich auch. Los wirst du mich nimmer!« Der schwarze Kopf senkte sich, und Thomas vernahm ein Schluchzen. Aber gleich darauf rief Dietrich befehlend: »Hübsch liegen geblieben, daß dich nicht das garstige Seeleiden überfällt! Kannst mich noch oft um den Hals fassen, wenn du wieder auf den Beinen bist! Sieh, da schickt dir der Schiffsherr ein Essen von seinem eigenen Tische. Es wird dir guttun!« Nachdem der Gerettete sich an der sehr einfachen, aber kräftigen Speise gelabt, erzählte Dietrich: »Weißt auch noch, wie ich damals bei der Aepfelernte Reißaus nahm? Ich hatt' erst nicht daran gedacht; aber als ich vom hohen Baum herab in die Welt guckte, kam's auf einmal über mich! Wie der Wind hinab auf die Mauer und heruntergesprungen ins Feld, ohne daß es jemand gesehen! Dann fortgerannt durch dick und dünn, bis ich des Klosterlandes quitt war. Dann lang' in einer Höhle gelegen, und bei armen Hüttenvolk ein bißchen Brot erbettelt, bis ich wußte, daß das Nachsuchen nach dem wilden Dieter wohl nun aufgehört habe. Dann aber fort! In die weite Welt, meinst du wohl? O nein, so dumm war ich doch nicht, daß ich nicht gewußt hätte, daß ich viel zu kindisch und jung sei, mich durchzufinden. Nein! Geradeswegs in die gute Stadt Antwerpen, und dort herumgedient und gelernt bei allerlei Leuten und unter allerlei Namen, um mich nur satt essen zu können. Da bin ich so ziemlich alles gewesen, was ein so dummer Kerl, wie ich, werden konnt'. Gelernt und geholfen hab' ich beim Bauer, beim Schneider, beim Metzger und Bäcker, beim Schmied und beim Schlosser, und sogar beim Quacksalber und Apotheker. Dies letzte war dein Glück; denn ich hab' gestern dem Kerkermeister und den andern Knechten ein Pülverlein in den Abendtrunk geschüttet, daß sie gewiß bis zum hellen Morgen geschnarcht haben wie die Bären. Na, endlich hatt' ich mich groß gegessen und wollt' was von der Welt sehen, aber nit zu Fuß, sondern zu Roß! Da ward ich, da ich doch, dir sei's gedankt, ordentlich lesen und schreiben konnte, ein Postreiter, und verdiente einen guten Groschen! Doch war der Dienst streng, und -- na -- es kam eine Zeit, wo ich ein wilder Kerl ward, und manches tat, was mich jetzt reut. Wenn ich dann nach wüst verlebter Nacht auf dem Lager ruhte, mußt' ich oft an die Zeit denken, als du neben mir lagst. Und einmal stand mir's klar vor Augen: Du wandertest wohl stracks gen Himmel als ein frommer Mönch, und ich, ach, ich taumelte nur so zur Hölle hinab! Was sollt' ich tun? Da ward ich ein Klosterknecht, und hoffte, wenn ich des Herrn Abts Rosse wohl hielte, werde vielleicht was abfallen für mich von der überschüssigen Heiligkeit der Geschorenen. Aber 's war nichts damit! O, ich lernte sie kennen! -- In jener Zeit hab' ich dich ein paarmal laufen sehen mit dem Bettelsack auf dem Rücken. Endlich erfuhr ich, daß du der Leutpriester im Fischerdorf seiest, von dem sie munkelten, er wäre ein Ketzer. Andere sagten, er sei ein Heiliger. Da bin ich einmal, ein einzigmal, in deinem Kirchlein gewesen; ganz hinten im Winkel hab' ich gestanden, in einen alten Mantel gewickelt. Ach Thomas, da fiel ein Licht in meine Seele, das niemand auslöschen kann! Du sprachst mehrmals die Worte aus: ›Mein Heiland, mein Erlöser!‹, und mahntest uns, sie nachzusprechen, und fest zu glauben, daß JEsus auch alle, alle unsere Sünden getilgt habe. O Thomas, da ward mein Herz weich; und heiße Tränen rannen mir in den Bart! Und ein paar Wochen darauf! O Schrecken, da sah ich dich geknebelt, gefesselt vor mir im Kahne liegen, und hätte fast laut aufgeschrien vor Jammer! Von da an strebt' ich danach, Turmwächter auf der Insel zu werden, und endlich gelang es. Vor kurzem hatte man Gefangene aus hohem Stand in den Turm gebracht, die viel mächtige Freunde in der Stadt hatten. Darum führte man bewaffnete Nachtwachen ein, und ich kam auch dann und wann an die Reihe. Aber es gab ja so viel vorzubereiten auf die Befreiung und Flucht, daß du, armer Thomas, noch lange im Loch stecken mußtest, denn ich hatte selten einen freien Tag zum Umherlaufen. Ach, wie gern hätt' ich deinen edlen Freund auch mit gerettet, aber 's ging nicht an! Nun, endlich war mit List und Mühe alles bereit, und der brave Schiffsherr versprach, uns bei Morgengrauen aufzunehmen! Aber sieh, wie nützlich war mir jetzt, daß ich die Nase in allerlei Handwerk gesteckt hatte! O wie werden sie sich die Köpfe zerbrechen, um zu erraten, wie du herausgekommen bist!« »Wenn nur dem Kerkermeister kein Leid geschieht«, sprach Thomas; »er hat mir viel Gutes getan!« »Das sieht dir ähnlich, du frommes Lamm, auch noch um den Kerkermeister zu sorgen! Da sei ganz ruhig! Sie werden ein feines Märlein erdenken, wie dich der Teufel lebendig geholt, und mit dir zum engen Gitterloch hinausgefahren ist. Aber nun ist's genug geschwätzt, und du mußt ruhen! Ich will irgendwo mit angreifen, daß ich doch mein Essen verdiene.« So sehr auch Thomas um den teuern heimgegangenen Freund trauerte, so sehnsüchtig er nach der Gegend zurückschaute, wo er im Fischerdorf so glücklich gelebt und gearbeitet, ja so freudig er auch den Märtyrertod erduldet haben würde, so erwachte doch gar bald die Lust zum Leben und die Freude an Gottes schöner Welt in seinem jungen Herzen. O wie herrlich war's, den klaren blauen Himmel über sich zu haben statt der feuchten, mit Schmutz und Spinnweben reichlich behangenen Balken des Gefängnisses! Wie frei folgte sein Blick dem weißen Seevogel, der sich in der frischen Luft wiegte! Wie munter klang der rauhe Gesang der Schiffer in sein Ohr! Und endlich quoll ein inniges, von heißen Freudentränen begleitetes Dankgebet aus seinem übervollen Herzen. Bald konnte er sich erheben und den Tag über auf dem Verdeck umhergehen, während er des Nachts in einem engen, ja sehr engen Raume mit dem Freund auf einem Lager ruhte, wie ehemals in der Klosterschule. Auch die Segelschiffe legen jetzt bei günstigem Winde ihren Weg viel schneller zurück, als zu jener Zeit, da ihre Bauart weit schwerfälliger war. Darum verging mancher Tag, ehe man den Hafen von Hamburg erreichte. Am Vorabend der Ankunft stand Thomas etwas erhöht mitten unter der Schiffsmannschaft und hielt eine kurze, aus tiefstem Herzen quellende Predigt. Man hatte ihn darum gebeten, und er erfüllte gern den Wunsch. Gar andächtig lauschten alle, als er von jener Schiffahrt erzählte, die der Heiland mit Seinen Jüngern auf dem See Genezareth gemacht. »Die Wellen brausten und wollten das Schifflein verschlingen, der HErr aber schlief ruhig auf einem Kissen. Ach, so geht es oft im Christenleben! Wenn die Not am größten ist, und das arme Herz ganz verzagen möchte, da scheint der HErr zu schlafen, als gehe Ihn das arme verlassene Menschenkind nichts an. Aber die Jünger schrien: ›HErr, hilf uns; wir verderben!‹ Ja, sie wußten: Er konnte, Er wollte helfen! Und im Nu war der Sturm gestillt, und alle Not in Dank und Freude verwandelt.« Gar lebhaft und herzbewegend schilderte er das alles, denn er hatte es ja an sich selbst erfahren. Als er geendet, stimmten etliche, die der deutschen Sprache wohl mächtig waren, das herrliche Lutherlied an: »Ein' feste Burg ist unser Gott, Ein' gute Wehr' und Waffen: Er hilft uns frei aus aller Not, Die uns jetzt hat betroffen. Der alt' böse Feind Mit Ernst er's jetzt meint, Groß' Macht und viel List Sein' grausam' Rüstung ist; Auf Erd' ist nicht seinsgleichen.« Der Schiffsherr hatte dem Geretteten viel Ehre erwiesen und mit großer Aufmerksamkeit dem Bericht gelauscht, den er von seinem Schicksal gab. »Gedenkt Ihr in Hamburg zu bleiben?« fragte er, als er ihn an diesem letzten Abend an seinem Tisch bewirtete. »Nein«, erwiderte Thomas, »mein Sinn steht gen Magdeburg. Dort hoffe ich sicher, meine treue Schwester Grete und das holde Töchterlein des heimgegangenen Freundes zu finden. Für diese beiden zu sorgen soll mir eine Lust sein! Vielleicht kann man mich irgendwo zum Unterricht zarter Kindlein gebrauchen, da das so recht eigentlich meine größte Lust war!« »Und wie gedenkt Ihr nach Magdeburg zu gelangen?« »Auf einem Elbschiff«, entgegnete Thomas. »Dietrich, mein Retter, will gern für zwei arbeiten, um meine Fahrt mit zu verdienen. Ein wenig werd' ich ja auch mit angreifen können; bin nur leider zu solchen Geschäften recht ungeschickt.« »Und meint Ihr wirklich«, erwiderte der Schiffsherr lächelnd, »die Hamburger Glaubensgenossen würden Euch, der so viel gelitten hat, ja kaum dem Märtyrertod entronnen ist, ganz still und ungeehrt Eures Weges ziehen lassen, wohl gar im groben Kittel eines Schiffsknechtes? Ihr seid ein gar bescheidener Mann; desto mehr soll man Euch ehren! Ihr müßt mit Eurem wackeren Befreier einige Tage bei uns bleiben, uns Eure Schicksale erzählen und ein wenig Pflege und Guttat von uns annehmen. O wie wohl wird's Euch tun, so frei Euren Glauben bekennen zu dürfen, die herrlichen Gottesdienste mit zu feiern, und die große Schar von Glaubensgenossen um Euch versammelt zu sehen! Für Eure Reise nach Magdeburg überlaßt mir die Sorge. Ich bin bekannt im Hafen, und werd' Euch das beste Fahrzeug und den wackersten Schiffer aussuchen.« 11. In Magdeburg. Das Haus des Kaufherrn Burkhardt war eins der stattlichsten und schönsten in der reichen Stadt Magdeburg. Der mit allerlei feinem, sinnigem Bildwerk geschmückte Giebel war der Straße zugewendet. Ein großes Tor führte in den geräumigen Hausflur, ein anderes aus diesem in den weiten Hof, wo ganze Gebirge von Fässern, Säcken, Ballen und Kisten aufgespeichert lagen. Gar zu gern kletterten die sechs kleinen munteren Burkhardtsbuben darauf herum, versteckten sich dahinter, benutzten sie als Burgen und Festungen, und schossen mit kleinen, ungefährlichen Armbrüsten daraus hervor. Doch war das nur erlaubt, wenn der Hausherr sich auf Reisen befand, und der weißhaarige, nachsichtige Obergehilfe die Aufsicht führte. Dann durfte das kleine, unruhige Volk auch einmal zuschauen, wenn Warenproben aus fernen Ländern ausgepackt und geprüft wurden. Dabei gab's oft etwas zu naschen, ein paar Datteln oder Rosinen und Mandeln, ein Stück Zucker oder ein Zimmetstengelchen. War aber der Herr Vater daheim und saß vor dem großen Schreibtisch am Fenster des Hinterhauses, herrschte viel strengere Zucht. Da huschte die kleine, muntere Gesellschaft geräuschlos durch den Hof und verschwand durch das Hinterpförtchen, das zum Garten führte. Dort war's ja noch viel schöner als im Hofe! Jetzt freilich, im ersten Frühjahr, standen die Obstbäume noch kahl, das Gras begann hier und da zu sprossen, und einige zarte Blümchen streckten neugierig die Köpfchen hervor. Aber heute schien die Sonne schön warm, und es war ein schulfreier Tag; darum waren alle sechs Jungen mit großem Eifer daran, ihr eigenes kleines Gartenstück umzugraben und zu besäen. Der zwölfjährige Franz, ein feiner, sinniger Knabe, wollte dies Jahr nur Blumen ziehen, um die Mutter damit zu erfreuen; Peter, Paul und Konrad stritten sich, ob Rettiche oder Erdbeeren auf ihrem Land wachsen sollten, denn etwas Eßbares mußte es jedenfalls sein. Die vierjährigen Zwillinge, Martin und Philipp, wühlten seelenvergnügt in dem kleinen Stücklein Land, das man ihnen überlassen, machten Berge und Täler und steckten Grashälmchen und Gänseblümchen ringsherum. Dazwischen verlangten sie aber immer wieder, das zarte, einzige Schwesterlein zu küssen, das von einem schlanken, schönen, aber sehr bleichen Mädchen im Sonnenschein auf und ab getragen ward. Mit großer Geduld und Freundlichkeit hörte »Goldschmieds Annchen« auf das Geplauder der munteren Jungen, beantwortete ihre Fragen und gab ihnen guten Rat. Wenn sie aber, das Kindchen zärtlich im Arm wiegend, den langen Gang auf und nieder wandelte, schweifte der Blick ihrer ernsten, dunkeln Augen sehnsüchtig ins Weite, und dann und wann fiel eine Träne auf das weiße Kissen des zarten Kindleins. Das war den Zwillingsbrüderchen nicht entgangen. Sie suchten eifrig im jungen Grase, fanden wirklich einige halbgeöffnete Schneeglöckchen und Veilchen und reichten sie der Traurigen lächelnd hin. »Anna muß nicht mehr weinen«, baten sie. »Liebe, gute Herzensanna muß sich freuen! Es gibt ja wieder Blumen!« Zärtlich erwiderte die Jungfrau, die sich auf eine Bank niedergelassen hatte, die Liebkosungen der Kleinen; aber ihre Tränen flossen unaufhaltsam! Ach ja! Alles ward nun mit neuem, frischem Leben erfüllt; aber wer im finsteren Kerker schmachtete, oder gar schon im verlassenen geschändeten Grabe lag, dem blühte kein Blümlein mehr! Da kam Franz, der im Hofe gewesen war, eilig gesprungen. »Mutter ruft dich, liebes Annchen«, sprach er. »Du möchtest Klein-Mariechen zu Muhme Grete bringen und dann das Gastgemach rüsten helfen. Es ist ein Bote vom Landungsplatz gekommen; Vater wird zwei fremde Gäste mit heimbringen.« Ueber Annas Gesicht flog ein schnelles Aufleuchten, als sie das Kindchen in ein behagliches Stüblein trug, wo die gute Grete eifrig nähend am Fenster saß. Sie war sehr gealtert; weißes Haar sah unterm Häubchen hervor, und ihre rüstige Kraft war gebrochen durch den Kummer um den geliebten Bruder. Aber der mächtige Korb voll hilfsbedürftiger Kleidungsstücke, der neben ihrem Armstuhl stand, bewies, daß sie nicht unnütz war in dem gastfreundlichen Hause. »Ihr möchtet das Kindlein ein wenig hüten«, sprach Annchen mit bebender Stimme. »Herr Burkhardt bringt zwei fremde Gäste mit vom Hafenplatz.« Ihre Stimme war so erregt, und die Hände zitterten so sehr, daß Grete ihr schnell das Kindlein abnahm. »Armes Kind!« sprach sie zärtlich. »Hoffst du immer noch? Ach, gib doch unsere Geliebten in Gottes Hand! Gewiß haben sie längst überwunden und tragen das Lichtkleid droben im Himmel.« »Es sind ~zwei~ fremde Gäste«, wiederholte das Mädchen halb träumend und ging still hinaus. -- Der Tisch im besten Gemach war aufs sauberste gedeckt, in der Küche duftete es nach allerlei guter, kräftiger Speise, auch war das Mittagläuten längst verklungen, aber auf den Hausherrn und die Gäste wartete man immer noch vergebens. Die Knaben hatten sich sauber waschen und in die Sonntagswämschen kleiden müssen, da der Vater es gern sah, wenn sie, sittsam und bescheiden am unteren Ende des Tisches stehend, an der Mahlzeit teilnahmen. Endlich währte ihnen das Warten zu lange. »Dürfen wir wohl bis auf den Marktplatz laufen«, fragte Franz, »und sehen, wo der Herr Vater bleibt?« »Ja, aber du allein«, entgegnete die Mutter; »Peter und Paul sind zu wild und möchten stören.« Der Knabe enteilte, kehrte aber bald ganz aufgeregt zurück: »O Mutter, sie kommen! Der Herr Vater führt einen ganz bleichen, abgemagerten Mann, und mit ihnen ist ein rauher schwarzlockiger Gesell in Schifferkleidung. Sie kommen nur langsam vorwärts, da sich viele Leute um sie drängen, um dem blassen Manne die Hand zu reichen. Aber sieh, Mutter, sieh! Was ist mit Annchen?« Frau Burkhardt sprang eben noch schnell zu, um das Mädchen in die Arme zu schließen, das ohnmächtig umsank. Man brachte es in sein sauberes Kämmerlein, legte es ins schneeweiße Himmelbett, und die treue Grete übernahm die Pflege ihres Lieblings. Die Ohnmacht ging bald vorüber, und ein beruhigender Trank verschaffte dem Mägdlein einen langen Schlaf, aus dem es erst am späten Nachmittag erwachte. Aber Grete saß nicht mehr am Lager; Frau Burkhardt hatte ihren Platz eingenommen, und war sichtlich bewegt, als Annchens große traurige Augen ängstlich fragend zu ihr aufblickten. »Mein teures Kind«, begann sie endlich, »gib dich geduldig in Gottes Willen! Der bleiche Mann ist nicht dein geliebter Vater; es ist Pater Thomas, Gretes Bruder! In ihrem Stübchen sitzen sie jetzt zusammen und haben einander viel zu erzählen. Gelt, du gönnst es ihnen?« »O wie sehr, wie sehr!« rief das Mädchen. »Aber wo ist mein lieber Vater?« »Komm, lege deinen Kopf an meine Brust! Dein teurer Vater ist da, wo kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz mehr ist; nichts als Freude und Wonne, Lob und Preis!« »Haben ihn die Grausamen getötet?« fragte das Mädchen leise. »Nein! Ganz sanft und friedlich ist er entschlafen, mit einem herrlichen Bekenntnis seines Glaubens auf den Lippen! Der Freund hat an seinem Grabe gekniet und darüber gebetet! Droben im Himmel trägt er die Krone der Ueberwinder; dort wirst du ihn wiedersehen, um nie, nie mehr von ihm getrennt zu werden!« Lange lag das Haupt des Mägdleins an der Brust der Beschützerin, und die heißen Tränen flossen unaufhaltsam. Endlich aber richtete es sich auf und rief, die Hände emporhebend: »O Gott, ich danke Dir! Sie durften ihn nicht martern, nicht zum Scheiterhaufen schleppen! Sie durften ihn nicht von dem Freunde trennen, der ihm solch ein Trost war! Und nun hat er auch lieb Mütterlein wieder, nicht wahr?« »Gewiß! Sie sind vereint vor dem Thron des Heilandes!« »So will ich jetzt aufstehen und den guten Pater Thomas grüßen. Er soll mir alles, alles erzählen vom lieben Vater!« »Nicht heute abend«, mahnte Frau Burkhardt; »es möchte für dich und auch für ihn zuviel werden. Er sitzt jetzt mit Gottfried zusammen und läßt sich von eurer Flucht erzählen. Dann muß er zu Ruhe gehen, denn er ist sehr ermattet. Versuche ein wenig zu essen und dann schlafe wieder, mein armes Kind.« Das Mädchen gehorchte. Aber am nächsten Tage, als die Knaben wohl aufgehoben waren bei dem strengen Magister, der sie täglich einige Stunden lehrte, saß es mit dem Leutpriester im stillen Erker und lauschte gespannt seinen Worten. Sie war sehr gewachsen in diesem Jahre, so daß Thomas sie mit tiefer Verneigung grüßte. »Ach, lieber Herr Leutpriester«, hatte sie ganz erschrocken gesagt, »ich bin ja das Annchen! Kennt Ihr mich denn nimmer?« Ach, er kannte sie nur zu gut! Er glaubte nie etwas Lieblicheres gesehen zu haben, als dies edle und doch so kindliche Antlitz, diese herrlichen, ernsten Augen, diese feine, schlanke Gestalt. Aber jetzt erzählte er ihr vom Vater, und durchlebte dabei selbst die Leidenszeit noch einmal. Er sprach auch von dem himmlischen Trost, der ihnen so reichlich zugeflossen; er schilderte die innige Freundschaft, die ihn mit dem teuern Gefährten verbunden und alles Leid versüßt hatte. Wie nahe er nach dem Tode des Freundes der Verzweiflung gewesen und nur durch Gottes Gnade davor bewahrt worden sei, verschwieg er ihr nicht. Nur die eine leise, zögernde Frage, die er einst an den Leidensgefährten gerichtet, blieb sein Geheimnis. Es war noch nicht Zeit, die Antwort zu verraten, denn das treue, liebreiche Kindesherz meinte, das Leben werde nur noch ein Warten sein auf Wiedervereinigung mit den seligen Eltern. »Werde ich die Geliebten auch erkennen?« fragte es, als Thomas seinen Bericht geendet. »Werde ich sie herausfinden aus der Menge der Seligen, die in weißen Kleidern den Thron des Lammes umgeben?« »Gewiß, liebe Jungfer Anna! Erkannten doch die Jünger den Moses und Elias, deren verklärte Gestalten auf dem Berg Tabor erschienen! Hoffte doch David, zu seinem Söhnlein zu fahren, da es nicht wieder zu ihm kommen konnte!« Anna schwieg eine Weile in tiefem Sinnen, dann begann sie zögernd: »Zürnt mir nicht, lieber Pater Thomas, wenn ich noch mehr frage. Seht, der Vater war bereit, sein Leben zu opfern um des Glaubens willen. Wird er nicht droben unter der Schar der Märtyrer leuchten, so daß ich armes Kind gar nicht zu ihm gelangen kann?« »Liebe Jungfer Anna«, erwiderte Thomas, »Ihr stellt Euch dies alles zu menschlich, zu irdisch vor! Bedenket doch, alle Seligen werden den Heiland schauen, alle werden vor Gottes Angesicht stehen! Wie sollten sie einander nicht kennen? Raum und Zeit werden ja nicht mehr sein; kein Harren, kein Sehnen, kein Warten! Was kein Auge gesehen, was kein Ohr gehört, was in keines Menschen Herz gekommen ist, ~das~ hat Gott bereitet denen, die Ihn lieben!« »Das ist wohl herrlich«, erwiderte das Mädchen; »aber wenn ich nun in den Himmel komme, werde ich doch gleich Gott bitten, mich zu Vater und Mutter zu weisen. Gelt, das ist nicht unrecht?« Auf diese kindliche Rede erwiderte Thomas nur durch leises Kopfschütteln, blickte noch lange nach der Tür, durch die das Mädchen verschwand, und seufzte tief. Gottfried hatte ihn gestern begrüßt. Er wohnte im Hause des besten Goldschmieds der Stadt, in dessen Werkstatt er lohnende Arbeit gefunden. Ein bildhübscher Bursche war er immer gewesen, jetzt aber hatte er in männlicher Schönheit vor der abgemagerten Gestalt des armen Leutpriesters gestanden. Von klein auf war er Annchens Gespiele und ritterlicher Beschützer gewesen, und was hatte er im letzten Jahre für sie getan! Die alternde Mutter verlassen, auf sein Erbe verzichtet, alle Gefahren und Beschwerden der Flucht ertragen. Ja, er hatte ein treues Herz! Unaufhaltsam waren seine Tränen geflossen, als er gestern vom Tode seines geliebten Meisters hörte. Sollte er nicht den ersten Platz in Annchens Herzen einnehmen? Nun, es mußte sich ja bald entscheiden. Er wollte ganz still sein, und gern einsam durchs Leben gehen, wenn das Kind nur glücklich ward! Aber was war denn aus Dietrich, dem wackeren Retter, geworden? Ei, der saß im Hofe unter den Knechten und Gehilfen und ließ sich ein gutes Frühstück von Brot, Käse und Bier gar trefflich schmecken. Am ersten Tage hatte man ihn genötigt, sich mit an die Herrentafel zu setzen, und ihm viel Ehre erwiesen. »Einmal macht man das wohl durch«, hatte er dann zu Thomas gesagt, »aber zum zweitenmal nicht.« Ich bin von grobem Holz und paß nicht zu Silber und Kristall. Daß ich dir aus dem Loch geholfen hab', ist mir eine Lust gewesen; aber nun ist's abgetan! Solang du bei Herrn Burkhardt bleibst, dien' ich ihm gern; wenn du fortgehst, geh ich mit. Wirst mich schon brauchen können.« So griff er überall mit an, und trug Lasten, die sonst für zwei zu schwer waren, spielend auf dem breiten Rücken. Bald hingen alle sechs Jungen an ihm wie die Kletten, waren seines Lobes voll, ritten auf seinen Schultern und lauschten atemlos dem Bericht seiner unzähligen lustigen Abenteuer. Die Liedlein, die sie ihm ablernten, gefielen der Mutter freilich nicht immer und erschallten nur im Kinderwinkel des Gartens. Bei der schnellen Ausbreitung der Reformation fehlte es oft, besonders auf dem Lande, an Predigern und Lehrern, die fähig waren, das arme, geistig so ganz vernachlässigte Volk zu unterrichten. Sehr viel war darin schon geschehen, so daß Luther rühmen konnte, die kleinen Knäblein und Mägdlein in den Schulen wüßten jetzt mehr von Gottes Wort zu reden, als früher alle Stifte und Klöster zusammen. Dennoch trafen immer neue Bitten um Prediger und Lehrer ein, und, ach, wie gern wäre Thomas recht bald einem solchen Rufe gefolgt! Da aber sein von Natur zarter Körper durch die Leiden des letzten Jahres erschöpft war, ließen es die Freunde noch nicht zu. Desto fleißiger besuchte er die Prediger der guten Stadt, unterredete sich mit ihnen, und brachte so viel große, dicke Bücher in sein Stübchen geschleppt, daß die Buben meinten, es müsse sich eine prächtige Festung daraus bauen lassen. Wenn er dann zur Erholung im Garten auf und nieder wandelte, wo jetzt alles gar herrlich grünte und blühte, gesellte sich Annchen oft ganz harmlos zu ihm und wollte immer wieder vom lieben Vater erzählen hören. Ihre Trauer aber war milder geworden; der himmlische Trost haftete mehr und mehr in ihrem frommen Herzen, und auch die reiche Liebe, mit der sie umgeben war, beglückte sie. War doch im ganzen Hause niemand, der nicht versucht hätte, sie zu erfreuen und ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Wohl hatte sie schon bisher gar andächtig die schlichten evangelischen Predigten gehört, und fleißig an der Katechismuslehre teilgenommen, die mit jung und alt gehalten wurde. Aber gar oft war es ihr schwer geworden, ihre Gedanken recht zu sammeln. Gar so gern schweiften sie zurück in die glückliche Vergangenheit, oder flogen sehnsüchtig und ängstlich in die Ferne. »Wo mochte der liebe Vater wohl sein? Schon droben im Himmel oder noch im finsteren Gefängnis? Ach, er hatte ja gar nichts Böses getan, ringsum nur Liebe und Wohltat erwiesen! Sie mußten ihn ja bald freilassen!« So hatte ihr Herz zwischen Furcht und Hoffnung geschwankt; jetzt aber war das alles vorbei. Nun war ihr sehnlichster Wunsch, dort recht heimisch zu werden, wo der so sehr Geliebte jetzt wohnte. Wenn sie sich zum Kirchgang bereitete, klopfte ihr Herz freudig; es war ihr, als besuche sie den Vater. Wenn sie einstimmte in die herrlichen Lieder, die Luther und seine Gefährten der jungen Kirche geschenkt, da meinte sie oft, des Vaters Stimme im Chor zu hören. War es doch der Seligen schönstes Vorrecht, am Thron des HErrn Loblieder zu singen! Wenn ihr Blick auf die prächtigen Glasmalereien der Fenster fiel, ward sie erinnert an den von wunderbar leuchtenden Edelsteinen bedeckten Grund des himmlischen Jerusalems! Auch der Predigt lauschte sie jetzt viel gesammelter als früher. Galt es doch, den Weg des Glaubens, der zum ewigen Leben führt, immer besser zu lernen, immer gehorsamer zu wandeln! Am meisten gingen ihr des Leutpriesters Worte zu Herzen. Man ließ ihn oft predigen, und er tat es gern, denn seine erwachende Kraft sehnte sich nach Tätigkeit. Den herrlichen, prächtigen Dom zu füllen, reichte seine Stimme freilich nicht aus, aber in einer der zahlreichen kleineren Kirchen der Stadt bestieg er gern die Kanzel oder den Lehrstuhl, und hatte andächtig lauschende Zuhörer. So zog leise, leise Trost und Frieden und endlich auch ein wenig Freude am Leben in Annchens junges Herz ein. Aber war's nicht seltsam, daß Thomas sich mehr und mehr von ihr zurückzog, je heiterer sie ward? Selbst die Knaben merkten es. »Du«, sprach Paul einst geheimnisvoll zu Peter, »ich denk', der Herr Leutpriester und Annchen haben sich gezankt.« »Red' nicht so dumm! Große Leut' zanken sich nimmer.« »Doch! Wenn sie sonst so traurig in der Gartenlaube saß, den Kopf in die Hand gestützt, und immer mit dem Tüchlein die Augen wischte, da hat er sich zu ihr gesetzt und ihr Trost zugeredet. Wenn aber unsereins kam und was von ihr begehrte, war's nicht recht. Jetzt ist's ganz anders! Sie mag nimmer mit ihm allein sein, und macht sich alleweil mit den Kleinen zu schaffen, wenn er kommt.« »Das macht, weil er ein Pfarrer ist«, entgegnete Peter mit großer Sicherheit. »Die Pfarrer machen sich immer am liebsten an die traurigen Leut'; darum werd' ich auch mein Lebtag keiner.« »Ich auch nicht«, stimmte Paul bei. »Ich werd' ein Reiter oder ein Fuhrmann. Ein Roß muß ich haben; das ist gewiß!« »Ich werd' aber ein Schiffer«, rühmte sich Peter. »Dann fahr ich die Elbe hinab und übers Meer; da kannst du mit deinem Roß nimmer hin.« »Prahlhans du!« rief Paul entrüstet. »Dann sind wir ja nimmer beisammen!« »'s ist auch wahr! Zusammen müssen wir bleiben, sonst wird's langweilig. Komm, laß uns hinten im Garten einen Turm bauen.« Der Sommer war vergangen; der Herbst mit seinem frischen Wind, seinem tiefblauen Himmel und milden Sonnenschein färbte auch in Burkhardts Garten die Aepfel und Birnen goldig und rot. Da konnte Dietrich nach Herzenslust auf die Bäume klettern, der jubelnden Kinderschar die Früchte herunterschütteln und die schönsten sorgfältig in Körbe pflücken. Jetzt aber schaute er nimmer sehnsüchtig hinaus in die Welt; dazu hatte er den blassen, ernsten Mann, der fern von den jauchzenden Buben den langen Gartenweg auf und nieder wandelte, viel zu lieb. Ja, Thomas hatte gar ernste Gedanken; er sollte nun wirklich ein Prediger der evangelischen Lehre werden, für die er so viel gelitten. Er war zum Pfarrer eines großen Dorfes, ein paar Stunden von der Stadt entfernt, berufen. Als er für den alten, kranken, nun sanft entschlafenen Vorgänger einigemal gepredigt, hatten ihn die Leute liebgewonnen, und taten nun ihr möglichstes, das geräumige Pfarrhaus sauber und wohnlich zu machen. »Ihr tut zuviel«, hatte der bescheidene Mann gesagt. »Meine Schwester und ich sind Bauernkinder und mit allem zufrieden. Zwei saubere Stüblein sind genug für uns.« »Jetzt wohl«, erwiderte ein alter freundlicher Mann, »aber es soll ja nicht so bleiben! Gott schenk' Euch bald ein treues Ehegemahl und muntere Kinderlein. Die werden das Haus schon füllen!« Lächelnd wandte er sich ab, da ihm nicht entging, daß heiße Röte das bleiche Antlitz des neuen Pfarrers überzog. Ach, dieser neue Pfarrer, der so viel erlebt, so tapfer gekämpft und so geduldig gelitten hatte, war, wenn es galt, etwas für sich selbst zu verlangen, der kleine, schüchterne Thomas geblieben, der Trost und Rat bei der Schwester suchte. »Grete«, sprach er geheimnisvoll, als er sie in ihrem Stübchen aufgesucht, »die Leute draußen sagen, ich solle ein Weib nehmen.« »Da haben sie recht«, war die Antwort. »Bist ja längst alt genug dazu. Auch fürs Kind ist's besser, wenn es bald weiß, woran es ist.« »Für welches Kind?« fragte der Bruder. »Na, fürs Annchen, du Träumer! Hast du denn nicht gemerkt, daß sie dich schon gern hatte, ehe all das Herzeleid über uns kam? Und jetzt wär' ihr wohl das Herz gebrochen, wenn ~du~ ihr nicht Trost gebracht hättest. Gelt, du hast sie auch gern?« »Gern?« rief Thomas in ganz verändertem Ton. »Lieb hab' ich sie, tausendmal mehr als mein Leben! Als sie mir die ersten lateinischen Worte nachsprach, schien sie mir schon ins Herz wie ein helles Lichtlein. Aber damals hielt ich's ja für eine große Sünde und kämpfte es nieder.« »Nun, so sei jetzt ein Mann«, sprach Grete ernsthaft; »geh bald zu Herrn Burkhardt und bitt' ihn um die Hand des Mägdleins, eh' es zu spät ist.« »Warum zu spät?« »Ei, es ist neunzehn Jahr, schön, klug und geschickt; auch wird es Herr Burkhardt nicht ohne Mitgift ziehen lassen.« »Danach frag' ich nicht«, rief Thomas stolz. »Aber andere tun's, und könnten dir zuvorkommen.« »Sag' mir nur noch eins. Wie steht's mit Gottfried? Schön, stattlich und vornehm geht er einher. Wie, wenn ihr Herz sich zu ihm neigte?« »Da sei ganz ruhig! Den hält sie wie einen Bruder; das ist ein ganz ander Ding.« »Es ist seltsam, wie Frauen das alles bedenken und verstehen«, sprach Thomas und ging nachdenklich davon. Aber schon am nächsten Abend gab es ein Brautpaar im Hause, zur herzlichen Freude von groß und klein. Des Vaters Segen war schon ein Jahr vorher leise im Gefängnis gesprochen worden; jetzt gaben Herr Burkhardt und sein Weib den ihren dazu. Allzulanger Brautstand war damals nicht Sitte; darum hoffte Thomas, sein Annchen gleich mit hinaus ins Pfarrhaus nehmen zu können. Doch litt es Frau Burkhardt nicht. »Das liebe Kind ist zart«, sagte sie, »und würde sich erkälten und überanstrengen in dem zugigen Hause, wo Maurer und Zimmerleut' immer noch zu tun haben. Auch laß ich es nicht unbegabt ziehen. Da mir aber Gott erst vor kurzem ein Töchterlein geschenkt hat, sind meine Truhen zwar mit Leinwand wohl gefüllt, doch ist noch nichts verarbeitet. Darum behelft Euch noch eine Zeitlang mit Eurer Schwester, mein guter Herr Pfarrer, und der treue Dietrich geht wohl auch mit.« Und ob er mitging! Ja, er brachte sogar ganz neues Leben in die Maurer und Anstreicher, die damals schon für langsame Gesellen galten. Und wo's nicht vorwärts ging, half er mit einem Puff nach, legte selbst mit Hand an und tat's allen zuvor. Im Patrizierhaus aber wandelte man zwischen ganzen Gebirgen von schneeweißem Leinen und schimmernder Wolle. Alle weiblichen Hände regten sich emsig, ja etliche arme Näherinnen der Stadt wurden in Dienst genommen, um die mit reichem Schnitzwerk geschmückten, silberbeschlagenen Truhen zu füllen, die Herr Burkhardt seinem Pflegetöchterchen verehrt. Zu aller Freude begannen sich die bleichen Wangen dieses Töchterleins zu röten, ihr Schritt ward elastischer, ihr Gemüt heiterer, und ihr dankbares Herz war bemüht, allen noch so viel Liebe als möglich zu zeigen, ehe sie das Haus verließ. Daß dies überhaupt geschah, war den Buben nicht ganz recht; doch trösteten sie sich mit der Hoffnung auf ein prächtiges Hochzeitsfest, wo manche Lust und manch guter Bissen für sie abfallen würde. »Es wird so werden«, erklärte Peter mit großer Bestimmtheit, »wie letztes Jahr, als Bürgermeisters Magdalene den jungen Ratsherrn Langsdorf heiratete. Weißt du noch, wie prächtig die Gasse geschmückt war, die zum Domplatz führt? Kein Steinlein war zu sehen vor bunten Teppichen und gestreuten Blumen.« »Gibt jetzt keine Blumen«, wandte Konrad ein. »Doch! Annchen kriegt ein Myrtenkränzlein aus Gärtner Fischers Warmhaus.« »Das ist gut«, meinte Paul; »und ein Kleid von weißem Atlas, mit Gold gestickt, muß sie auch haben. Sie ist ja viel holder und hübscher als die Magdalene.« »Ach was!« wandte Peter ein. »Nach dem Weiberstaat schau' ich nit! Aber die wackere Musik, die damals vom Balkon des Rathauses gemacht ward, die mocht' ich leiden! O, Musik hab' ich gar zu gern! Der Herr Vater hat mir zum Christtag eine Laute versprochen.« »Da geh ich in Stall, wenn du drauf 'rumklimperst«, bemerkte Paul ruhig. »Ich lob' mir das Essen! Magdalenens Bruder hat mich ja in Saal gucken lassen, als die Tafel gedeckt war. O welch eine Pracht! Gefunkelt hat's von Gold, Silber und Edelstein! Und wie roch's in der Küche!« »Ja«, stimmte Konrad bei, »ich weiß noch! Und gegen den Abend kamen Knecht' heraus mit großen Körben, die warfen süße Küchlein und buntes Zuckerwerk aus unters Volk. Da haben wir wacker mit aufgefangen!« »Und des andern Tags hat uns der Herr Vater wacker gescholten«, wandte Peter ein. »Er sagt', wir seien Patrizierkinder, und sollten uns schämen, nach Geschenk zu haschen. Den Franz aber hat er gelobt, denn der hatt' so lieblich die Einzelstimme gesungen unter dem Knabenchor, das das schwere Stück ausführte nach der Traupredigt im Dom.« »Ja, der Franz, der ist eben alleweil brav«, schloß der kleine Konrad. »Das denk' ich mir langweilig. Na, Kuchen kriegen wir diesmal gewiß soviel wir nur mögen, denn es ist ja ~unser~ Annchen, das Hochzeit hält.« Die kleinen Schelme hatten vergeblich gehofft auf große Gesellschaft, auf Pracht und Glanz, auf herrlichen Gesang und Orgelspiel im Dom und auf seltene Leckerbissen. Ihres Annchens Hochzeit ward ganz still im Hause gefeiert. Aber schön und feierlich war es doch, und die Buben durften, still in der Fensternische stehend, alle dabei sein. Bald nach dem Weihnachtsfeste, als wohl etwa ein volles Jahr vergangen war seit des Goldschmieds Tode, traten sein Leidensgefährte und sein Töchterlein zusammen an Herrn Burkhardts kleinen Hausaltar. Thomas trug einen neuen, pelzverbrämten Pfarrersrock, so schön und fein, wie er noch nie etwas gehabt; Annchen sah im dunkeln seidenen Gewand und der feinen weißen Spitzenkrause gar lieblich aus. Ihr blondes Haupt war wirklich mit dem frischen Myrtenkränzlein aus Gärtner Fischers Warmhaus geschmückt. Mit gefalteten Händen stand die kleine tiefbewegte Hausgemeinde umher, Franz rührte zart die Laute, und alle stimmten das schlichte, dem Psalm nachgebildete Hochzeitslied Doktor Luthers an: »Wohl dem, der in Gottesfurcht steht Und auch auf Seinen Wegen geht! Dein' eigne Hand dich nähren soll, So lebst du recht und geht dir wohl! Dein Weib wird in dein'm Hause sein Wie ein Reben voll Trauben fein, Und dein' Kinder um deinen Tisch Wie Oelpflanzen gesund und frisch. Sieh, so reich' Segen hangt dem an, Wo in Gottesfurcht lebt ein Mann; Von ihm läßt der alt' Fluch und Zorn, Den Menschenkindern angeborn. Aus Zion wird Gott segnen dich, Daß du wirst schauen ewiglich Das Glück der Stadt Jerusalem, Vor Gott in Gnaden angenehm.« Mit gar herzlichen, innigen Segensworten gab dann der weißhaarige Dompfarrer, der auch viel Kampf und Leid um des Evangeliums willen erduldet hatte, die beiden so hart geprüften, jetzt aber so glücklichen Leute zusammen und sprach den Segen des HErrn über sie. Wohl flossen Annas Tränen reichlich, als sie der teuern Eltern gedachte, aber bald siegten Dank und Freude über die Traurigkeit. An dem feinen, aber schlichten Festmahl, was darauf stattfand, mußte Dietrich trotz allem Widerstrebens teilnehmen, und zwar in neuer, stattlicher Kleidung. Er hatte sich so lange gesträubt, daß Thomas endlich ungeduldig in den alten Schulton gefallen war und, ihn beim Arm fassend, gesagt hatte: »Dummer Kerl! Ohne dich wäre ja gar keine Hochzeit! Ich stäk' noch im Loch oder wäre tot, und das Annchen welkte dahin in Sehnsucht und Herzeleid! So ein Bursch, wie du, wird doch sein eigen Werk anschauen können!« Zuerst dünkte das Tischgespräch den Knaben unten an der Tafel allzu ernst für eine Hochzeit. Als aber die Rede auf des jungen Ehemannes Vergangenheit kam, und er so rührend und ergötzlich erzählte von Muhme Lene, von der Klosterschule und zuletzt vom Fischerdörflein mit seinem lieblichen Weihnachtsfest, da vergaßen sie fast das Essen über dem Zuhören und flüsterten einander zu, schöner könne es auf des Ratsherrn Hochzeit auch nicht gewesen sein. Nur Konrad hatte ein kleines Bedenken, und vertraute es der Mutter an, als sie an seinem Bettchen knieend mit ihm das Abendgebet gesprochen hatte. »Sag', Mütterchen, sind wir ebenso reich als der Herr Bürgermeister?« »Ei, was fragt mein kleiner Bub nach Reichtum?« entgegnete die Mutter lächelnd. »Für mich nicht«, sprach der Kleine, »nur fürs Annchen! Es ist so viel schöner und holder als Bürgermeisters Lene. Warum habt Ihr nicht eine so prächtige Hochzeit gemacht? Bäckers Friedel sagte, Ihr tätet's nicht, weil sie ein armes Waislein sei. Ist's wahr, Mutter?« »Nein, mein Kind! Anna ist nicht arm! Sie bringt dem Herrn Thomas viel edlere Güter mit als Gold und Silber. Ein reiches Hochzeitsfest haben wir nicht bereitet, weil Annchens liebe Eltern nicht mehr auf Erden sind. Auch ist jetzt eine schwere, ernste Zeit, und vielleicht sendet Gott bald Krieg und allerlei Unglück. Darum feiert man keine glänzenden Feste. Ihr Kinder versteht noch nichts davon, aber doch sollt ihr zu Gott beten um Frieden und Schutz gegen die Feinde. Falte deine Händchen noch einmal und sprich mir das Verslein nach: ›Verleih' uns Frieden gnädiglich, HErr Gott, zu unsern Zeiten! Es ist ja doch kein andrer nicht, Der für uns könnte streiten, Denn Du, unser Gott, alleine!‹« 12. Krieg und Frieden. Ja, die Evangelischen hatten zu jener Zeit wenig Lust, frohe Feste zu feiern. Aus Wittenberg traf immer neue Kunde ein, daß der tapfere Held, der fast dreißig Jahre lang unermüdet für die Wahrheit gekämpft hatte, nun alt und müde ward. Ach, eine schwere Sorge lastete auf seinem treuen Herzen! »Krieg um des Glaubens willen!« Dieser Gedanke war ihm stets furchtbar gewesen. Nur eine einzige Waffe sollten seine Anhänger führen: das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes! Bisher war es gelungen! Während die Gegner das Blut der Märtyrer in Strömen vergossen, hatte noch kein Protestant das Schwert erhoben zur Verteidigung seines Glaubens. Freilich waren schon im Jahre 1531 einige evangelische Fürsten zum sogenannten Schmalkaldischen Bunde zusammengetreten und hatten gelobt, »alle für einen und einer für alle« zu stehen im Fall der Not. Schon längst hatte der Papst dem Kaiser vorgeworfen, daß er wohl gegen auswärtige Feinde, ja gegen Türken und Seeräuber kämpfe, aber im deutschen Reich der Ketzerei freien Lauf lasse. Aber der Kaiser hatte immer noch den Wunsch und die Hoffnung, in seinem ganzen Reiche eine Reformation an Haupt und Gliedern vornehmen zu lassen, und hoffte das durch Konzilien und Kirchenversammlungen zustande zu bringen. Da aber der Papst fest auf seinen Irrtümern, die Evangelischen dagegen fest auf der Wahrheit bestanden, wurden alle diese Pläne vereitelt. Da schloß Karl V. endlich mit seinen ausländischen Feinden Frieden, ließ die Streitigkeiten mit dem Papst ruhen und verband sich mit ihm gegen die Protestanten. Ja, wohin man schaute, drohte Gefahr; darum war das Verslein, das Frau Burkhardt ihren kleinen Sohn lehrte, gar sehr an der Zeit. Für das Heil der Kirche zu beten, hielt ja auch Luther für die Pflicht und Aufgabe der Frauen und Kinder. Das Sprechen und Urteilen über geistliche und weltliche Streitigkeiten blieb jedoch zu jener Zeit fast ganz den Männern überlassen. So bestürmten auch Frau Burkhardt und Anna ihre Männer nicht mit Fragen, wie wohl alles stehe und werden würde, sondern begnügten sich damit, ihnen die Heimat so traut und behaglich zu machen als möglich, damit sie an Leib und Seele ausruhen konnten von Sorge und Arbeit. In gutem Frieden führten Annchen und Grete des Leutpriesters Haushalt. Doch nein, er hieß ja jetzt Herr Pfarrer Brandt, und freute sich kindlich, den ehrlichen Vatersnamen wieder tragen zu dürfen, den er seit seiner Klosterzeit kaum mehr gehört. Grete besaß ein eigenes Stübchen, so behaglich eingerichtet, daß sie sich nach der Arbeit gern dahin zurückzog. Thomas klagte zwar, die Schwester reiße jedesmal aus, wenn er das Wohngemach betrete, doch ließ sie sich nicht stören. »Junge Leut' wollen auch einmal für sich sein«, sagte sie zu dem schneeweißen Kätzchen, das ihr schnurrend entgegenkam, »und meinen Beinen tut's wohl, wenn ich sie auf dem wackeren Ruhebettlein ausstrecken kann, das mir Herr Burkhardt verehrt.« Auch für Dietrich, den braven Retter, hätte man gern eine schöne Kammer und ein weiches Bett hergerichtet, wenn er's nur gelitten hätte. Aber ihn zog's zu dem schmucken Rößlein, das den neuen Pfarrer in das entfernte Dorf, das zu seinem Amtskreis gehörte, tragen sollte. Wieder einmal im Stall zu schlafen, was er als Knabe so gern getan, gefiel ihm gar zu wohl! Einen Schuppen daneben richtete er sich als Wohngemach und Werkstatt ein, und fühlte sich sehr behaglich darin, da ihn der etwas wüste Raum an den geliebten Burgstall seiner Kindheit erinnerte. Dort betrieb er alle die Handwerke und Künste, die er in seiner unsteten Jugend gelernt, und die Bauern ließen sich's gern gefallen, daß im Pfarrhof nicht nur für die Seelen gesorgt, sondern auch zerbrochenes Werkzeug geflickt, stumpfe Messer geschliffen, krankes Vieh geheilt, ja selbst manches gute Tränklein für leidende Menschen gebraut wurde, ohne daß es einen Heller kostete. Am liebsten aber hatten ihn die Buben! Durch dick und dünn kamen sie gelaufen, um, an dem kleinen Feuerherd hockend, den er sich gebaut, Dietrichs Erzählungen zu lauschen. Da schwärmte er ihnen vor von dem freien, wilden Leben, das er als kleiner Junge auf der Burg geführt, von den tollkühnen Ritten, die er mit den Knechten getan, von allerlei Gefahr und Abenteuer, das er erlebt. Aber das Allerbeste war doch die Geschichte von der Klosterschule. Gar zu gern hörten die Kinder, wie's dort zugegangen war, und mancher fuhr mit dem Aermel über die nassen Augen, wenn der riesenstarke Mann so zärtlich, ja so ehrfurchtsvoll schilderte, welch frommer, fleißiger Knabe der Herr Pfarrer gewesen, und wie treu er sich des Wildlings angenommen. Freilich waren diese prächtigen Geschichten nicht für alle zu haben. Wer in der Kinderlehre seinen Spruch oder seine Katechismusfrage nicht gewußt hatte, der kam gewiß nicht an Dietrichs Tür; er wäre doch fortgejagt worden, noch dazu mit einer Kopfnuß begabt. Für recht fleißige Schüler gab's dagegen Belohnungen, selbstgemachte Bälle, hölzerne Schwerter, Fähnlein oder dergleichen Dinge, die jedem Knaben willkommen sind. Als aber der Frühling ins Land zog, ward das alles anders. Er brachte dies Jahr wohl Blümlein, grünende Wiesen und sprossende Felder, aber man konnte sich seiner nicht recht freuen. Trauer und Sorge erfüllte die Herzen; der Pfarrer mahnte ernstlich zur Buße und zum geduldigen Tragen des Kreuzes, das Gott senden werde. Den Tag über schaffte Dietrich mit gewaltigem Eifer und viel Geschick im Pfarrgarten, am Feierabend aber verschwand er in seiner Burg, wie er seine Wohnung nannte. Kein neugieriger Bube wagte, die Tür zu öffnen; es wäre ihm auch übel bekommen. Doch flüsterten sie untereinander, drinnen werde allerlei altes Gewaffen ausgebessert und geschliffen, denn es werde wohl Krieg geben. Wie eine schwere Gewitterwolke, die sich jeden Augenblick entladen kann, um Tod und Verderben über das Land auszuschütten, hing die Kriegsgefahr über den evangelischen Ländern. Den großen Mann aber, der am brünstigsten um Abwendung der Gefahr betete, hatte Gott vor dem Unglück zu sich ins Reich des ewigen Friedens genommen. Mit Windeseile verbreitete sich die Trauerbotschaft weit und breit, daß Doktor Luther am 18. Februar in seiner Geburtsstadt Eisleben sanft und selig entschlafen sei. Um Frieden zu stiften zwischen den Grafen von Mansfeld, hatte er, schon matt und leidend, im kalten Winter die Reise unternommen, nun hatten die Engel seine Seele emporgetragen zum ewigen Frieden. Groß war der Schrecken und Jammer in ganz Deutschland! In feierlichem, immer mehr wachsendem Trauerzug ward die Leiche nach Wittenberg gebracht und einige Tage lang in der Schloßkirche aufgestellt. Bitterlich weinend kniete Frau Käthe mit ihren Kindern am Sarge des treuen, liebreichen Gatten und Vaters. Von nah und fern kamen viele, um noch einen Blick auf das edle Antlitz des entschlafenen Helden zu werfen. Auch Herr Burkhardt machte sich eilend auf den Weg, und neben ihm im schnellen Wäglein saß Thomas, beide trauernd um den großen, gewaltigen Mann. Anna schaute ihnen vom Fenster aus nach, bis der Wagen zwischen Waldbäumen verschwand. Dann erhob sie den Blick zum Himmel, der heute freundlich und blau erglänzte wie in Frühlingsahnung. Sie sah im Geist die Engel Gottes die erlöste Seele des Helden ins Paradies einführen. Sie sah ihn knieen vor dem Thron des Lammes, dessen Namen er hienieden gepredigt. Sie sah, wie er sich, geschmückt mit der Krone der Ehren, unter die Schar der Seligen mischte. In dieser Schar aber erblickte sie einen, um den sie gar oft noch im stillen weinte. O, könnte sie doch einmal an seinem verlassenen Grabe knieen, nur einmal ein Kränzlein darauf legen und Tränen der Liebe und Treue darauf weinen! Aber er war ja selig! Von seinen Augen waren alle Tränen abgewischt! Ob er wohl den kennen würde, der jetzt ins Himmelreich einzog? Ob er sich seines Anblicks freuen würde? -- War's nicht seltsam, daß er lebte, selig lebte, und doch von seinem geliebten Kinde gar nichts wußte? Daß es so war, bezweifelte Anna nicht; hatte es doch Thomas gesagt, der so viel, viel klüger war als sie! Aber begreifen konnte sie es nicht. Es wäre so schön gewesen, zu wissen, daß er sich ihres Glückes freue! Aber wie? Schauten nicht die Männer und auch ihr lieber Thomas mit Bangen in die Zukunft? Ach, wie bald konnte aller Frieden, alle harmlose Freude dieses irdischen Lebens sich in Angst und Herzeleid verwandeln! Ja, da war's besser, daß die seligen Ueberwinder droben im Himmel nichts wußten von den Mühsalen und Aengsten der Kämpfer auf der armen Erde! Mit dem Frühling des Jahres 1546 begann die Trübsal. Es war nun kein Geheimnis mehr, daß Kaiser und Papst sich zur Unterdrückung der Protestanten verbunden hatten. Daß die katholischen Fürsten dem Kaiser ihre Hilfe anboten, verstand sich von selbst. Wer aber hätte geglaubt, daß ein protestantischer, ja ein sächsischer Fürst sich mit dem Feinde verbinden würde? Und doch geschah es! Dem jungen, klugen, tapferen Herzog Moritz von Sachsen lag mehr an weltlicher Macht als an seinem Glauben. Er hatte sich dem Schmalkaldischen Bunde nicht angeschlossen. Der Kaiser kannte seinen Ehrgeiz gar wohl, als er ihm das Kurfürstentum versprach, wenn er sich mit ihm verbände. Er tat es zum großen Jammer des Volkes und des frommen Kurfürsten Johann Friedrich, der ja freilich kein Kriegsheld war. Aber noch herrschte Frieden im Sachsenland; der Kampf wütete zuerst in Süddeutschland, wo der wackere Feldhauptmann Schärtlin die evangelischen Scharen schnell von einem Sieg zum andern führte. Indessen hatte der Papst den Kurfürsten Johann Friedrich und den Landgrafen Philipp von Hessen in die Reichsacht erklärt, und nun zogen sie mit ansehnlichen Heereshaufen gegen ihn ins Feld. Von großen stehenden Heeren wußte man damals noch nichts; erst wenn der Feind das Land bedrohte, und die Werbetrommel erklang, sammelten sich Männer und Jünglinge um die Fahnen des Fürsten. Auch aus Magdeburg zog eine stattliche Schar Gewaffneter zum Heere des frommen Kurfürsten. Dietrich war eine Zeitlang still und nachdenklich seines Weges gegangen und hatte Thomas oft mit fragendem Blick angesehen. Eines Tages aber fand ihn dieser in seinem Studierstüblein und zwar lesend. Das war etwas sehr Seltenes! So gern er auch Gottes Wort hörte, ja sogar mit den Kindern den Katechismus lernte, so bestand doch zwischen ihm und den Büchern eine angeborene Feindschaft. Heute aber studierte er eifrig eins der kleinen Büchlein Doktor Luthers, mit dem harten Finger von einem Wort aufs andere zeigend. »Ei, Dietrich! Willst du ein Gelehrter werden?« fragte Thomas lächelnd. »Nein; aber 's liegt mir was auf dem Herzen, was ich dir nicht sagen wollt'. Darum hab' ich mir dies Büchlein gesucht, von dem du letzthin sprachst, und bin, Gott sei Dank! bald durch. 's ist heiße Arbeit!« »Und was hast du draus gelernt?« »Wart' nur; ich bin gleich fertig. -- So!« schloß er, das Büchlein dem Freunde hinreichend. »Ich weiß nun, daß auch Kriegsleut' in gottseligem Stande sind, wenn sie dem Landesherrn in den Kampf folgen für eine ehrliche Sache.« Er schwieg eine Weile, fuhr sich mit der rauhen Hand über die Augen, reichte sie dann dem Freunde und sprach: »Leb' wohl, Thomas! Ich zieh zum Heer des Kurfürsten. 's wär' eine Schande, wenn ein starker Kerl wie ich daheim sitzen bliebe!« Niemand hielt den Wackeren zurück; doch ward sein Sack mit guten Dingen und sein Beutel mit Geld gefüllt. Burkhardts Buben weinten ihm nach; Peter und Paul ballten die derben kleinen Fäuste und meinten, sie seien ja fast groß genug, könnten auch brav schießen. Warum wollte man sie wohl nicht mit lassen? Noch einer machte sich ganz in der Stille davon, von dem's niemand gedacht hätte. Gottfried hatte seit Annas Brautstand Herrn Burkhardts Haus nur noch selten betreten, und dringende Arbeit als Entschuldigung angegeben. Freilich war seine Zeit wohl ausgefüllt, da er die rechte Hand seines Meisters war und die feinsten, mühsamsten Arbeiten ihm aufgetragen wurden. Ja, man sagte, er sei nicht ein Handwerker, sondern ein Künstler. Wäre er nur nicht allzu ernst und schwermütig gewesen! Warum zog er sich wohl von jeder harmlosen Freude zurück? War's nur der Kummer um die Mutter oder war's noch mehr? Auf dem weiten Plan vor der Stadtmauer aber, wo sich Männer und Jünglinge im Waffenwerk übten, fand er sich jetzt fleißig ein, und -- machte seine Sache herzlich schlecht! Von klein auf stillen, etwas schüchternen Sinnes, von der zärtlichen Mutter weich erzogen, den Frieden über alles liebend, paßte er zu nichts weniger, als zum Kriegsmann. Sein eigen Blut und Leben für den Glauben zu lassen war er ganz bereit, aber im Kampf einen Feind niederzustechen oder von ferne mit tödlicher Kugel zu durchbohren, das war ihm ein entsetzlicher Gedanke! Und doch rüstete er sich zum Streit, war aber nicht bei der frischen, mutigen Schar, die eines Tages auszog, um zu Johann Friedrichs Heer zu stoßen. Ach, er mußte doch erst den feinen Goldpokal, den der Herr Bürgermeister bei seinem Herrn bestellt, vollenden! Ein rechtes Kunstwerk sollte es werden, alles, was er bisher geleistet, übertreffend! Und nun stand das herrliche Gefäß fertig da; ein kurzer Abschiedsbrief an den braven Meister war geschrieben, und in der Morgendämmerung verließ der Jüngling einsam die Stadt durch ein Nebenpförtlein, das ihm der Torwart öffnete. Es war Sommerszeit; die Felder reiften zur Ernte, die Wiesen grünten, die Blümlein dufteten, und die Vögel sangen lustig ihr Morgenlied. Wehmütig durchwandelte der Jüngling diese schöne Gotteswelt. O wie bald würde dies alles vielleicht verwüstet sein, von den Hufen der Rosse zertreten, mit dem Blute der Erschlagenen getränkt! Warum zog er nicht die Landstraße, sondern machte einen weiten Umweg? O, er hatte noch einen Abschiedsgruß zu bestellen! Sich wieder und wieder bückend, sammelte er die schönsten Wiesenblumen, wand, auf einem Steine sitzend, ein Kränzlein daraus, schmückte es mit einem Silberfaden und befestigte ein feines Blättchen Papier daran. Dort drüben stand das Pfarrhaus des Leutpriesters; dort war das Fenster des Wohngemachs! Schon hatte es die Magd geöffnet. Da flog ein Blumenkränzlein zu ihren Füßen mit etwas Geschriebenen, das sie nicht lesen konnte. Gedrucktes konnte sie schon ziemlich; die gute Frau lehrte es sie mit unendlicher Geduld! Sorgfältig legte sie das Kränzlein auf den Tisch. Solch kleine Liebeszeichen von Kindern oder Bedrängten waren nicht allzu selten. Freilich wurden sie sonst durch die Tür gereicht und nicht durchs Fenster geworfen, hatten auch nichts Geschriebenes bei sich. Nicht allzulange danach setzten sich der Pfarrer und seine Frau an den Tisch, die Morgensuppe zu essen. »Welch feines Kränzlein!« rief Anna erfreut. »Wer mag es so früh schon gebracht haben? Sieh, da steckt ja ein Zettel daran!« Lächelnd begann sie zu lesen, ward aber bald ganz ernst: »Es waren zwei frohe Kinder, Die wuchsen zusammen groß. -- Der Sturm hat das Haus zerbrochen; Sie wanderten heimatlos. Dem Mägdlein baute die Liebe Gar bald den eigenen Herd. Der Knabe nur stand verlassen, Zu sterben hat er begehrt. Da hört er die Kriegsdrommete; Der Feind den Glauben bedroht! O Mägdlein, gönne dem Knaben Den frohen Soldatentod!« Helle Tränen standen in Annas Augen, als sie das Blättchen Thomas hinreichte und den Arm um seinen Hals schlang. »Der arme, gute Junge«, sprach sie leise. »Nichts ahnte ich davon!« »Und wenn du es geahnt hättest?« fragte Thomas, ihr ernst ins Auge blickend. »So hätte ich ihm auch nicht helfen können«, erwiderte sie innig, »denn mein Herz gehörte dir, seit ich dem Kindesalter entwuchs.« »Gott wird ihm helfen«, sprach Thomas zuversichtlich. »Laß uns nur treu und ernstlich für ihn beten.« -- Der Weg, den Gottfried zurücklegen mußte, ehe er hoffen durfte, mit einer Schar evangelischen Kriegsvolks zusammenzutreffen, war weit, und sein Gemüt unruhig und gedrückt. Oft mußte er ein wenig ruhen, und ließ seine Gedanken zurückschweifen in vergangene Tage. Seine Mutter! O wie oft gedachte er ihrer! Wie zärtlich hatte sie ihn geliebt, wie gern und eifrig hatte er ihr gedient, wie innig waren ihre Herzen verbunden gewesen, ehe sie in die Gewalt der kalten, grausamen Klosterleute geriet! O, wenn er zu ihr eilen könnte, sein müdes Haupt an ihre Brust zu legen und ihr alles zu klagen! Was denn? Ach, das wagte er sich selbst kaum zu gestehen. Es war ja längst vorüber; das holde Mägdlein, das ihm von Kind auf vertraut gewesen, ging ihn gar nichts mehr an. Es war ja das glückliche Weib eines braven, frommen Mannes! O, er gönnte beiden das Glück! Aber ach, er sehnte sich, einem Menschen, nur einem einzigen, die Wunde zu offenbaren, die in seinem Herzen brannte. Doch nein! Er wollte stark sein und tapfer! Wer weiß, wie nahe ihm die ewige Ruhe war, dort, wo kein Sehnen, kein Verlangen mehr ist, nichts als volles Genügen, Friede und Freude! Ohne einzukehren, den Hunger nur mit dem Brot, das er mitgenommen, den Durst nur aus klaren Quellen stillend, wanderte er den ganzen Tag, und erreichte bei einbrechender Dämmerung ein nettes Städtchen. Da seine Barschaft reichlich war, bat er in der Herberge um ein besonderes Kämmerlein mit gutem Bett. Die Zeit, auf Stroh oder auf dem kalten Grund zu schlafen, würde ja bald genug kommen! Auf der Bank vor der Tür sitzend plauderte er ein wenig mit dem Wirt. Der war zu jener Zeit eine gar mächtige Person, die es dem Gast recht behaglich, aber auch unerträglich zu machen verstand. Zuerst war die Kriegsgefahr Gegenstand des Gesprächs. Der Herr Wirt war kein Held und hatte große Angst vor des Kaisers spanischen Soldaten, von deren Habgier und Grausamkeit man Schreckliches erzählte. »Und in solch gefährlichen Zeitläuften reist eine alte Frau allein mit einem Tölpel von Buben!« sprach der Wirt halblaut vor sich hin, war aber gar nicht böse, daß der Gast ihn verstanden hatte. »Vielleicht sucht sie Zuflucht bei Gefreundten wegen der unruhigen Zeiten«, erwiderte Gottfried ruhig. »Nein, nein!« flüsterte der geschwätzige Mann. »Weither kommt sie, o schrecklich weit her! Der Bub hat mir's verraten. Wie der Ort heißt, hab' ich vergessen, aber grausam weit mag's sein. 's ist was Vornehmes! Wollt Ihr den stattlichen Wagen und die braven Rößlein sehen? 's steht hinten im Schuppen.« »Was geht mich der Wagen einer fremden Frau an?« fragte Gottfried. »Ei, ich mein', was den Wirt erfreut, gefällt auch dem Gast«, sprach der Mann beleidigt. »Da ist's Euch wohl auch einerlei, daß das tollkühne Weib hier bei uns krank geworden ist?« »Krank? So allein, und fern von den Ihren!« rief der weichmütige Jüngling in ganz verändertem Ton. »Das ist mir herzlich leid! Habt Ihr denn dienliches Gelaß für einen Kranken?« In diesem Augenblick öffnete sich im Hause ein Fenster; ein Mägdlein schaute heraus und rief: »Vater, kommt doch herauf und helft mir! Die Kranke liegt im Fieber und weiß nicht, was sie tut. Allzeit strebt sie vom Bett empor; ich kann sie nimmer halten!« »So ruf der Mutter! Ich bin ein Wirt und kein Krankenhüter«, war die rauhe Antwort. »Habt Ihr denn keinen Arzt im Städtchen?« fragte Gottfried. »Ist über Land! Kommt erst morgen wieder.« »Meine Mutter war in der Arzneikunst wohlbewandert«, sprach Gottfried zögernd; »ich pflegte gern von ihr zu lernen und könnte wohl Linderung schaffen. Führt mich doch zu der Kranken!« »Braucht's keinen Führer! Dort ist die Tür und drin ist die Treppe!« Am Brunnen, der mitten im Hofe plätscherte und von allerlei fahrendem Volk umlagert war, erbeutete Gottfried einen Krug, füllte ihn mit frischem Wasser, und erklomm die wacklige Stiege. Droben fuhr er erst zweimal in falsche Kammern und ward von den Bewohnern unsanft angeschrien; aus der dritten aber tönte mattes, ängstliches Rufen, und, o Wunder! es war ihm, als höre er seinen eigenen Namen. Eine seltsame Ahnung durchzuckte ihn. Wer, ach wer, mochte die alte Frau wohl sein, die ganz allein so weit herkam? Nur wenig konnte er erkennen in dem Halbdunkel der dritten Kammer, wo das Bett im düstersten Winkel stand. Freundlich trat ihm das Wirtstöchterlein entgegen. »Seid Ihr ein Arzt«, bat sie, »so helft der Armen schnell; sie leidet große Angst.« »Ein Arzt bin ich nicht; will aber tun, was ich kann. Zuerst nehmt ihr das schwere Federbett ab, das sie fast erdrückt. So, das Leintuch ist genug! Aber es ist ja fast finster; könnt Ihr kein Lämpchen verschaffen?« »Es wird nicht gern erlaubt in den Kammern wegen der Feuersgefahr. Wollt Ihr für alles haften mit Silber?« »Ich will; aber eile, gutes Mädchen!« Nun war er allein mit der Kranken, die halblaut vor sich hin sprach: »Er war ein guter Herr! Haben sie ihn gemordet? O wie heiß ist's! Wasser! Wasser!« Tastend fand Gottfried einen irdenen Becher, füllte ihn, suchte das Haupt der Kranken zu stützen und reichte ihr den erquickenden Trank. »O, das war gut! Bist du ein Engel? Kommen Engel hierher? Ich bin ja im Feuer!« sprach sie halblaut vor sich hin. Die Stimme, so matt und heiser sie auch klang, bewegte ihn seltsam. Aber nein, die Mutter konnte es nicht sein! In starken Zöpfen hatte das volle Haar ihr Haupt umgeben, als er mit zerrissenem Herzen von ihr schied; stattlich war ihre Gestalt, voll ihre Wange gewesen! Aber die Kranke, die er jetzt aufrecht hielt, um ihr noch einmal den kühlen Trank zu reichen, war dürr und abgezehrt, und nur eine spärliche ergraute Haarflechte hing lose über das Nachtkleid herab. O, wenn doch endlich Licht käme! »Fühlt Ihr Euch erquickt durch den Trank?« fragte er sanft. »Darf ich Euch ein feuchtes Tuch um die heiße Stirn winden?« Da fuhr die Frau empor: »Wer spricht zu mir? Wo bin ich? Haben sie ihn getötet? Er war so fromm; wie kann er da sein, wo ich bin?« Sanft legte er ihr Haupt an seine Brust. Die Tür ging auf; der helle Schein des Lämpchens fiel auf ihr abgezehrtes Antlitz. »Meine Mutter!« rief der Jüngling. »Meine geliebte Mutter! Du bist bei mir, und nimmer, nimmer will ich dich verlassen!« Da schlang sie die matten Arme um ihn, weinend und schluchzend, und küßte ihn wieder und wieder. »So bin ich noch auf Erden?« fragte sie endlich. »Ach, mir war, als sei ich schon an dem Ort, von dem die Priester so viel sprechen. Es war so heiß, so glühend heiß; aber ein Engel erquickte mich!« »Ich brachte dir Wasser, liebe Mutter! Gott hat mich zu rechter Zeit zu dir gesandt. Gib dich ganz in Seine Hände und glaube fest, daß JEsus alle deine Sünden getragen hat, da Er am Kreuz für dich starb. Nichts, gar nichts hast du abzubüßen! Verlaß dich nur getrost auf Ihn und ruhe!« Aber ach, die Macht des Fiebers war noch nicht gebrochen, und es ward eine schwere, bange Nacht. Am nächsten Morgen, als Frau Berta endlich in unruhigen Schlaf gesunken war, bat Gottfried das Wirtstöchterlein, bei ihr zu bleiben, und suchte eilend im Städtchen nach einem besseren Gelaß für die Kranke. Endlich fand sich in anständigem Bürgerhause eine Stube mit anstoßendem Kämmerlein und der nötigste Hausrat dazu. In der Abenddämmerung trug man die schlummernde Kranke auf verdeckter Bahre dahin, und nun pflegte der Sohn die Mutter nach Herzenslust. Sein durch mühsame Arbeit erworbenes Geld kam ihm jetzt zu statten; es fehlte nicht an guter Arznei, an kühlendem Getränk und feiner Krankenkost. Der junge Bursche, der Frau Bertas Wagen geführt, war ein Schüler des guten Leutpriesters gewesen, und erwies sich brauchbar und willig zu jedem Dienst. Gleich am ersten Morgen brachte er den schweren Kasten geschleppt, der im Wagen gestanden und Frau Bertas Hab und Gut enthielt, dazu wohlverborgen einen nicht allzu schweren Geldbeutel. Der Wagen selbst blieb im Schuppen der Herberge stehen, und man flüsterte, daß die Wirtsfamilie ihn zu sonntäglichen Ausfahrten benutze. Gottfried fragte nichts danach; sein Herz war voll Freude und Dank gegen Gott, als das böse Fieber überstanden war, und die liebe Mutter, mit weichen Kissen gestützt, ihm gegenüber saß und sich an seinem Anblick ergötzte. Wo war der Lebensüberdruß, die Wehmut, die ungestillte Sehnsucht, die ihn lange gequält? Ganz verschwunden! O, er wollte leben! Er wollte emsig schaffen und arbeiten, um der Mutter, die ihn mit Mühe großgezogen, ein behagliches Alter zu bereiten. Auch für ihre zagende Seele wollte er sorgen, und sie in aller kindlichen Ehrfurcht auf den Weg führen, der im ewigen Leben endet. Sie aber weidete sich an seinem Anblick und vertraute ihm nach und nach alles an, was sie seit jener Schreckensnacht erlebt und gelitten. »Als du weinend von mir gingst, mein Sohn«, sprach sie, »war mir zumute, als gehe meine Sonne unter. Der Priester, dem ich mein Leid klagte, gebot mir, alle Liebe zu dir, ja jeden Gedanken an dich aus meinem Herzen zu reißen. Einen ketzerischen Menschen zu lieben, wenn es auch der einzige Sohn sei, wär' eine Todsünde. Ein Gott wohlgefällig und verdienstlich Werk aber sei es, die Mutterliebe zu dir ganz zu ertöten. O wie hab' ich mich gequält und zermartert, diesem unmenschlichen Rat zu folgen; doch gelang es mir nicht!« »Weil es ein Streit wider Gott war«, sprach Gottfried sanft. »Er sagt ja selbst in Seinem Wort: ›Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes?‹« »Ach, mein Kind«, fuhr die Mutter fort, »ich hatte genug von der göttlichen Wahrheit gehört, aber ach, ich widerstrebte ihr aus Stolz und Kreuzesscheu. Darum hatte ich keine frohe Stunde, keine ruhige Nacht mehr. Aber arm und verachtet ins Elend, vielleicht in den Tod zu gehen um der Wahrheit willen, das vermochte ich nicht. -- Zuweilen raffte ich mich auf, ging wieder erhobenen Hauptes einher, besuchte die Frauen in der Stadt, mit denen ich in guten Tagen verkehrt, doch gab ich's bald wieder auf. Sie sahen mich scheel an, weil ich so lange einem Ketzer gedient hatte und so bitter um dich trauerte. So saß ich endlich vereinsamt im Schlößlein mit einer nichtsnutzigen Magd und dem Buben, der den Garten besorgte. Ins Dorf hinab kam ich nie mehr, denn die besten Leute hatten sich davon gemacht, und die andern versanken wieder in Roheit und Aberglauben. Von dem Leutpriester und meinem guten Herrn hörte ich nichts. Erst von dir, mein lieber Sohn, hab' ich erfahren, wie Gott den einen erlöste, den andern wunderbar rettete. Wohl aber drang etwa vor Jahresfrist die Kunde zu mir, daß man ein furchtbares Ketzergericht in der Umgegend gehalten, und auch eine Anzahl Antwerpener Bürger den Flammen übergeben habe. Ach Gottfried, da war's ganz aus mit mir! ›Da sind die beiden frommen, edlen Männer dabei gewesen‹, sprach eine Stimme in meinem Herzen, ›die dir und deinem Sohne unzählig viel Wohltat erwiesen haben an Leib und Seele! Du weißt, alte Berta, daß sie die Wahrheit lehrten, aber dir ist die Welt lieber als der Himmel, das Geld lieber als Gottes Gnade!‹ Die stete Unruhe des Herzens, die Einsamkeit, die Sehnsucht nach dir, mein einziges Kind, zehrte auch an meinem Körper. Meine Kraft verfiel, mein Haar bleichte, meine Augen erloschen fast vor vielem Weinen. Der Priester fing an mißtrauisch zu werden, weil ich nicht mehr so oft zur Messe und Beichte kam. Ich entschuldigte mich mit Krankheit. Da drang er in mich, all mein Geld und Gut der Kirche zu verschreiben, ehe es zu spät sei. Allzuviel war's ja nicht mehr, denn eine Zeitlang hatt' ich mit vollen Händen gegeben, Altargerät und allerlei Zierat gestiftet, um nur zum Seelenfrieden zu kommen. Da gedacht' ich, daß mein einzig Kind vielleicht Mangel leide in der Fremde, während ich mein ganzes Gut dem reichen Kloster verschreiben sollte. Und in einer Nacht entschloß ich mich, dich zu suchen in der Stadt Magdeburg, die du mir beim Abschied genannt. Klaus, der Bube, war des Leutpriesters Schüler gewesen und hängt noch an ihm. Er ward mein Vertrauter. Er ist eine Waise und mir zugetan. Trotz des Mordens und Brennens hängen in Antwerpen noch viele an Luthers Lehre. Solchen vertraute der Bub in aller Stille mein Vorhaben. Und als einmal ein großes Kirchenfest im Kloster gefeiert ward, und im Dorf niemand zurückgeblieben war als etliche Alte und Kinder, da entwich ich, geführt von Klaus, aus dem Schlößlein. Das Hab und Gut, das ich mitnehmen wollte, hatte er schon in den Kasten verpackt und heimlich fortgebracht. An der Landstraße unweit des Dorfes wartete der Reisewagen, den mir einer verschafft, der unsern guten Herrn gekannt und geliebt hatte. Freilich um teures Geld! Für dich ist nicht viel übriggeblieben, mein armes Kind. Doch birgt der Kasten noch manch wertvolles Geschenk unseres lieben Herrn; das ist alles dein, mein Sohn! Ach, die Reise war lang und hart für meine gebrochene Kraft. Nur die Sehnsucht nach dir hielt mich aufrecht, bis ich endlich doch zusammenbrach. Nun weißt du alles! Frisch und frei wolltest du in den Kampf ziehen, nun sitzest du bei einem alten sterbenden Weibe!« »O Mutter, liebe, liebe Mutter, sprich nicht so! Du sollst, so Gott will, noch viele stille, friedliche Tage haben, und ich will dich pflegen nach Herzenslust! In den Krieg wollt' ich nur, weil mein Herz krank war. Jetzt ist's genesen am treuen Mutterherzen!« -- Etwa drei Wochen mochten seit Gottfrieds Auszug vergangen sein, als Peter und Paul Burkhardt eines Tages ganz aufgeregt aus der Schule kamen und in die Küche stürmten, wo die Mutter am Herde stand und leckere Eierkuchen für den Mittagstisch buk. »Mutter, Mutter«, schrien sie durcheinander, »Gottfried ist wieder da! Die Buben auf der Gasse sagen's! In einem verhangenen Frauenwagen ist er gekommen! Da brächt' mich keiner 'rein; ich tät' mich schämen! Und eine ganz alte, dürre Frau hat er mitgebracht, in dichten Mantel gehüllt. Und 's ist seine Mutter; die hat er unterwegs gefunden! Wie kann einer eine Mutter unterwegs finden? 's wird ihm wohl bange gewesen sein vorm Krieg. Und denk' nur, der Goldschmied hat ihm Gelaß gegeben in seinem alten Haus. Und nun will er nimmer in 'n Krieg! Ist das eine Schande! Bei der Mutter bleibt er sitzen; steckt wohl den Kopf unter ihre Schürze, damit er's Schießen nicht hört, wenn's hier mal losgeht.« »Schweigt!« rief Frau Burkhardt, die Pfanne schnell vom Feuer hebend und dem letzten Sprecher eins hinter die Ohren gebend, daß er erschrocken zurückprallte. »Nicht Gottfried muß sich schämen, sondern ihr, die ihr so herzlos redet! Schon gestern abend erzählte mir der Herr Vater, daß Gott dem treuen Sohne die kranke, verlassene Mutter in den Weg geführt, und er mit ihr zurückgekehrt ist, um sie schweres Leid vergessen zu lassen und kindlich für sie zu sorgen bis an den Tod! Mein Peter hätt' es freilich anders gemacht. Wenn der mich im Elend gefunden, hätt' er mich verderben lassen, und wär' als tapferer Held in den Krieg gezogen. Gelt, das hätt' Gott gefallen?« »O Mutter, Mutter, sprich nicht so!« schluchzte der wilde Junge, das schamrote Gesicht im Gewand der Mutter bergend. »O, ich hab' garstig geschwätzt! Vergib mir's doch.« »Von Herzen gern! Aber ihr müßt bescheidener werden, und nicht lieblos urteilen über Dinge, die ihr nicht versteht. Wir alle sind froh, daß der brave Gottfried nicht in den Krieg gezogen ist. Er paßt nicht dazu, und in der Stadt brauchen wir auch wackere Leute. Ich will gegen Abend einen Korb rüsten mit allerlei Stärkung und Erquickung für die kaum genesene Frau. Wollt ihr ihn hintragen?« »O so gern!« riefen beide. »Gelt, du bist uns wieder gut, und wir kriegen auch Eierkuchen zu Mittag?« »Gewiß! Legt nur die Bücher weg und lauft in den Garten zu den Kleinen.« Magdeburg hieß schon zu jener Zeit eine große Stadt, war aber doch noch nicht so groß, daß das Schicksal des Einzelnen verborgen und unbeachtet geblieben wäre. Nein, man sprach bald in allen Gassen davon, daß der wackere junge Niederländer seine Mutter krank und verlassen aufgefunden und in die Stadt gebracht habe. Auch in Thomas' Pfarrhaus drang die Kunde gar bald, und gar zu gern hätte Anna die treue Pflegerin ihrer Kindheit besucht und ihr ein Geschenk gebracht. Doch lag ihr Gottfrieds Verslein schwer auf dem Herzen, und sie scheute sich, ihm zu begegnen. Es tat ihr so leid, denn sie hatte ihn lieb wie einen Bruder. Eines Nachmittags aber, als Thomas in Amtsgeschäften auswärts war, hielt Burkhardts Wäglein vor dem Hoftor, und Franz, der es führte, berichtete, Frau Berta verlange gar sehnlich ihr Annchen wiederzusehen. Ob es nicht einsteigen und ihr einen Besuch gönnen wolle? Wer durfte da »Nein« sagen? »Ach, wenn Thomas doch mit wäre!« seufzte die junge Frau im stillen. »Es wird ein recht ungeschicktes Wiedersehen werden! Nun, vielleicht ist Gottfried bei der Arbeit und läßt sich gar nicht sehen.« Aber es war eben Vesperzeit, als das Wäglein vor dem alten Hause hielt, und der gute Sohn führte die Mutter im milden Sonnenschein vor der Tür auf und nieder. »Mein Kind, mein herzliebes Annchen!« rief die bleiche Frau, alle Schwachheit vergessend, ließ den Arm des Sohnes los und schloß ihre Pflegetochter zärtlich an die Brust. »O wie barmherzig ist Gott, daß Er mir beide Kinder wiedergibt! Wart ihr doch von klein auf wie Bruder und Schwester; und, gelt, so ist es geblieben?« »Ja, Mutter«, erwiderte Gottfried innig; »und so soll es bleiben bis ans Ende!' Damit reichte er Anna die Hand, blickte ihr ernst ins Auge und bat, so leise, daß es nur die junge Frau vernahm: »Schwester, verbrenne das Verslein!« 13. Unseres HErrgotts Kanzlei. Bei Donauwörth trafen die Heere der protestantischen Fürsten zusammen. Jetzt wäre wohl die Zeit gewesen, in voller Kraft und Einigkeit gegen den Kaiser zu ziehen und einen herrlichen Sieg zu erkämpfen. Leider aber fehlte es an einem recht entschlossenen kriegskundigen Anführer. Die gute Jahreszeit verstrich, ohne daß etwas Entscheidendes geschah, und endlich kam der Winter, wo das Fortkommen eines Kriegsheeres zu jener Zeit mit unsäglichen Schwierigkeiten verbunden war. Dennoch eilte Johann Friedrich mitten im Dezember nach Sachsen zurück, als er hörte, Moritz habe die Kurwürde angenommen und sich huldigen lassen. Mit Jubel begrüßte das Sachsenvolk seinen treuen, frommen Herrn, und schnell war das Land wieder in Johann Friedrichs Händen. Auch die niederdeutschen Städte sandten ihre Hilfstruppen, so daß das Kriegsglück auf seiner Seite schien. Aber schon hatte der Kaiser die Gefahr erkannt, sammelte in großer Schnelligkeit ein bedeutendes Heer, verband sich mit dem klugen, tapferen Moritz und zog in Eilmärschen nach dem Sachsenland. Bei dem Städtchen Mühlberg an der Elbe kam es am 24. April 1547 zur Schlacht. Johann Friedrich war zum Gottesdienst in die Kirche gegangen, da er nicht ahnte, daß der Feind schon am andern Ufer heranzog. Man sagt, ein Müller, dem des Kurfürsten Soldaten ein paar Pferde genommen, habe den Kaiserlichen eine Furt gezeigt. So schnell sich auch das sächsische Heer sammelte, so tapfer es sich auch hielt, war es doch der Uebermacht nicht gewachsen. Johann Friedrich kämpfte selbst mit Heldenmut; als er aber einen Säbelhieb in die Wange erhielt, und das Blut sein Antlitz überströmte, mußte er sich ergeben, und der Sieg war auf seiten des Kaisers. Bald darauf ward auch Philipp von Hessen bezwungen und fiel dem Kaiser in die Hände, der beide Fürsten mehrere Jahre lang gefangen mit sich herumführte. Durch diese Schlacht war die Macht des Schmalkaldischen Bundes gebrochen; die Anhänger des Papstes triumphierten, die Evangelischen aber weinten und klagten! Ach, sie hatten wohl Ursache dazu, denn schweres Kreuz und allerlei Drangsal brach über sie herein. Der Kaiser stand auf der Höhe seiner Macht, und hätte wohl am liebsten ganz Deutschland wieder zur katholischen Kirche zurückgeführt. Da er aber wohl wußte, daß das unmöglich sei, dachte er auf einen andern Ausweg, auf eine Art Vergleich zwischen beiden Konfessionen. Einige katholische Theologen und ein falscher evangelischer Prediger namens Agrikola stellten ein seltsames Gemisch von Wahrheit und Irrtum zusammen, in dem die allertröstlichsten Lehren des Evangeliums gänzlich getrübt und abgeschwächt waren. Dieses Machwerk, das man das Interim nannte, sollte nun allen protestantischen Städten als Glaubensbekenntnis aufgedrungen werden. Leider fügte sich eine Stadt nach der andern, trotz des Bittens und Abmahnens treuer Prediger, die lieber ins Elend gehen, als von Gottes Wort abweichen wollten. In Süddeutschland fügte man sich leichter als im Sachsenlande, und am festesten blieb die gute Stadt Magdeburg, auf der noch die Acht des Kaisers lag. Nicht nur stand sie einmütig treu beim lutherischen Bekenntnis, sie nahm auch viele der um ihres Glaubens willen abgesetzten und vertriebenen Prediger mit Weib und Kind in ihren Mauern auf. Weil nun aus diesen Mauern auch eine große Menge Streitschriften, Verteidigungen der Wahrheit, ja auch Spottverse und sinnige, lächerliche Bilder, die das Interim verhöhnten, in die Welt hinausflogen, nannte man die wackere Stadt »Unseres HErrgotts Kanzlei«. -- Von der mutigen Schar, die aus ihren Toren zum Kampf gezogen war, kehrte nur ein Teil wieder; nicht wenige hatten Blut und Leben für ihren Glauben gelassen. Auch Dietrichs Behausung stand noch leer, und der Brave ward von vielen, besonders aber von Thomas und Annchen, als tot betrauert. O wie gern hätten sie ihm das muntere rotwangige Knäblein gezeigt, das gerade am Christfest die blauen Augen geöffnet, und deshalb den Namen Christoph erhalten hatte! Jetzt saß es schon strampelnd und lachend im Gras, rupfte Blümchen ab, und machte ungeschickte Versuche, auf vier Beinchen zur Mutter zu gelangen, die eifrig nähend in der Laube saß. Brachte aber Gottfried seine Mutter hinaus zu ihrer Pflegetochter, damit sie einige Tage Landluft und Sonnenschein genieße, durfte Klein-Christoph überhaupt nicht sitzen, sondern ward von Muhme Berta den ganzen Tag umhergetragen, geliebkost und bewundert nach Herzenslust. Konnte es doch auf der ganzen Welt kein klügeres und schöneres Kind geben, als ihres Annchens Söhnlein. Hatten die Erwachsenen den braven Dietrich fast aufgegeben, so taten's die Buben noch lange nicht! Ei, in den prächtigen Ritter- und Kriegsgeschichten, die er erzählte, besonders aber in den Märlein, war's gar nichts Seltenes, daß einer jahrelang wegblieb und dann doch heimkam, noch dazu mit Gold und Edelstein beladen! Wer weiß, ob's mit Dietrich nicht auch so gehen würde! Darum hielten sie am Feierabend gar oft Ausschau von der Anhöhe, wo sie Abschied von ihm genommen, ob er nicht etwa von ferne zu sehen sei, kehrten aber immer getäuscht zurück. Eines Abends aber, kurz vor der Erntezeit, saßen Thomas und Anna in der Gartenlaube beim Abendessen, während Christoph in einem Wäglein schlief, als sich plötzlich im Hofe ein wahrer Heidenlärm erhob. Zürnend wollte Thomas die Ruhestörer verjagen. Aber wie? Sie drangen sogar in den Garten ein! Das war doch allzu frech! Im nächsten Augenblick aber stürmte der ehrwürdige Herr Pfarrer selbst den Gartenpfad hinab, als sei er noch ein wilder Bube, und fiel dem staubbedeckten struppigen Mann, den die Buben im Triumph hereinführten, um den Hals. Es war ja Dietrich, sein Retter! Ein Junge trug das Schießgewehr, ein anderer das kurze Schwert, der dritte ein Bündel, und alle waren bitter getäuscht, als sie die Sachen gleich ablegen und ihres Weges gehen mußten. Der Herr Pfarrer war doch sonst so brav und freundlich; warum wollte er nur diesmal die Freude ganz für sich allein haben? So dachten die Buben. Nun, ihre Zeit würde schon kommen! Ei, was würde Dietrich für Abenteuer erzählen, wenn man wieder im Schuppen ums Winterfeuer hockte! Ihre Hoffnung hat sich auch reichlich erfüllt; nur die Geschichte, die Dietrich dem Freund erzählte, als er noch spät abends mit ihm im Studierstüblein saß, erfuhren sie niemals. Selbst Anna hörte sie erst nach langer Zeit. »In manch heißem Kampf war ich gewesen«, berichtete Dietrich, »aber immer mit ziemlich heiler Haut davongekommen. Bei Mühlberg ging's anders. Mein braves Rößlein ward mir unterm Leibe erschossen; ich selber blutete aus einer Kopfwunde und erhielt noch tüchtige Schrammen, als das Roß zusammenstürzte. Es währte eine gute Weile, bis ich mich aufrappeln konnte. Der Kampf hatte sich in die Ferne gezogen, und ich war allein. Mit Mühe humpelte ich einem Wässerlein zu, das in der Nähe rauschte. Da hört' ich im Gebüsch ein Stöhnen, und fand einen Kriegsmann am Boden liegen, dem der Tod sein Zeichen schon aufgedrückt hatte. ›Wasser, Wasser‹, ächzte er, sobald er mich erblickte. Ich füllte mein Becherlein und ließ ihn trinken, wieder und wieder. Es ward mir nicht leicht, denn 's war einer aus des Feindes Heer und noch dazu ein Spanier. Du weißt ja, wie die's treiben, und wie verhaßt sie sind. Aber ich dacht' an die letzte Kinderlehr', die ich mit angehört, wo du den Spruch: ›Liebet eure Feinde‹, so schön auslegtest. Unheimlich sah der Kerl aus! Von Todesschweiß feucht hing ihm das pechschwarze Haar ums gelbe Gesicht, und die Augen traten ihm vor Schmerz und Angst weit hervor. ›Sterben muß ich‹, ächzte er, ›jämmerlich sterben! Hu, wie brennt das Feuer schon inwendig!‹ Sein Anblick stieß mich ab, aber seine Sprache heimelte mich an. Es war die niederländische Mundart, die mir und dir noch so lieb ist. Es währte noch Stunden, schreckliche, schauerliche Stunden! Wenn ich Miene machte, ihn zu verlassen, krallte er seine Hand fest an mein Wams und jammerte entsetzlich. Wasser konnt' ich ihm endlich nicht mehr holen, da mein von dem stürzenden Roß gequetschtes Bein stark anschwoll und arg schmerzte. ›Sei doch ein Mann!‹ sprach ich zu ihm. ›Bedenk' doch, wie viele heut ihr Leben lassen mußten! Bete zu Gott und dem Heiland, daß Er deine Seele in Gnaden zu sich nehme!‹ Da schrie er ganz laut auf, und, o Schrecken! er nannte deinen Namen und den des Goldschmieds! ›Wie kann ich beten‹, rief er, ›wenn diese zwei mir den Weg zu Gott versperren? Land und Meer hab' ich durchzogen, um sie zu bannen, aber ganz umsonst! Ueberall blicken sie mich mit hohlen Augen an!‹« »So war es Carlos!« sagte Thomas tiefbewegt. »Er war es! Ich sah ihn ja nimmer; doch hattest du mir von ihm erzählt.« »Und was tatest du?« »Ach Thomas! Ich griff nach meinem Messer und wollt's ihm in die Brust stoßen! Doch war's nur ein Augenblick! Gott wolle mir's vergeben! Dann kniet' ich dicht zu ihm hin und sagt' ihm alles, was ich wußte von der Gnade des Heilandes, vom Schächer am Kreuz, und von der Freude der Engel über einen Sünder, der Buße tut. Was ich etwa für Trostsprüchlein gelernt hatte, seit ich bei dir bin, die sagt' ich ihm alle. Ich sagt' ihm auch, daß du gerettet seist, und der Goldschmied in Frieden gestorben!« »Und er?« »Er ward endlich ruhiger und faltete seine Hände. Aber ich ward auch matt, und zuletzt sank ich um, und die Sinne vergingen mir. Als ich erwachte, schien der Mond still am Himmel; ein alter Bauer beugte sich über mich, und freute sich, daß ich wieder zum Leben kam. Der Spanier aber lag kalt und tot dicht neben mir. Der Alte brachte mich mit Mühe in seine Hütte, verband meine Wunden und pflegte mich lange Zeit, denn ein schleichendes Fieber hatte mich ergriffen. Zum erstenmal in meinem Leben war ich krank! Als ich genas, blieb ich lange schwach und konnte nicht ans Wandern denken; half nur dem braven Alten ein wenig in seinem Garten, der arg verwüstet war. Und du siehst ganz bleich aus, Thomas! Mach', daß du zu Bett kommst und schlaf in Frieden!« Da schlang der Pfarrer den Arm um des Freundes Hals und sprach: »Ich danke dir, Dietrich! Du hast mich an meinem Todfeind gerächt, wie es Christen ziemt. Ob deine Worte in das geängstete Herz gedrungen sind, weiß Gott allein.« Ganz geräuschlos, als sei er überhaupt nicht fortgewesen, übernahm Dietrich all seine verschiedenartigen Geschäfte wieder, wußte die Dienstleute im Pfarrhause, die es bei Thomas und Anna fast zu gut hatten, in Respekt zu erhalten, und war Hausfreund und Ratgeber im ganzen Dorfe. Thomas aber war damit nicht ganz zufrieden. »Herzensfreund«, sprach er eines Abends zu ihm, als sie noch spät zusammen im Garten auf und nieder gingen, »es wird nun hohe Zeit, an dich selbst zu denken. Ein schmucker Bursch bist du immer noch, aber aus dem Kriege hast du auf deinem Schwarzkopf etliche weiße Haare mitgebracht.« »Die sind von der Nacht, da ich des Spaniers Todesangst mit erlebte.« »Das glaub' ich wohl; aber Zeit ist's, dir selbst eine Heimat zu gründen. Sieh, ich verdank' dir ja mein Leben! Laß mich dir doch helfen, ein Häuslein bauen, und führ' eine wackere Bürgerstochter herein als Ehegemahl. Deiner fleißigen, kunstfertigen Hand wird's an Gewinn nicht mangeln.« Ganz erschrocken blickte Dietrich auf. »Das hätt' ich nimmer gedacht, daß du meiner überdrüssig würdest«, sprach er traurig. »O Dietrich, sprich nicht so! Ich möchte dich nur glücklich sehen, da ich so sehr, ach, so sehr glücklich bin! Und sieh, Gottes Wort sagt ja auch: ›Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. Ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.‹« »Als ob ich allein wäre!« rief Dietrich. »Den ganzen Tag geht's bei mir aus und ein, so daß ich den Riegel vortun muß, wenn ich mal Ruh' haben will! Und eine Gehilfin? Wozu denn? Sauber instand hält mich dein Annchen, und mein Essen hab' ich auch bei dir. Und die Jungen reißen sich drum, wer mir an der Schnitzbank oder beim Schmiedefeuer helfen darf. Wart' nur, Thomas, 's können noch Tage kommen, wo einer, der nicht für Weib und Kind zu sorgen hat, übergenug zu tun findet. Nein, als ich dich im Kahn wusch und kleidete und fütterte wie ein Kindlein, da hab' ich mich dir gelobt fürs Leben, und dabei bleibt's!« Da schloß der Pfarrer sein treues Reiterlein in die Arme und ließ es ungestört seines Weges gehen. Es war damals eine trübe, sorgenvolle Zeit für das evangelische Deutschland. Mit unumschränkter Gewalt und eiserner Strenge herrschte der Kaiser; ja, man sprach davon, er werde seinem Sohne, dem finsteren, grausamen Philipp, die Kaiserkrone hinterlassen. Wehe dann allen, die am Evangelium festhielten! Magdeburg ward immer von neuem aufgefordert, das Interim anzunehmen, stand aber felsenfest bei Gottes Wort und Luthers Lehre. Da verbreitete sich die Schreckenskunde, Kurfürst Moritz, vom Kaiser gesandt, ziehe mit großem Kriegsheer heran, die widerspenstige Stadt zu belagern. Größer noch, als in der mit starken Mauern und Bollwerk umgebenen Stadt, war der Schrecken in der Umgegend. In blinder Eile flüchteten die Landbewohner hinter die schützenden Mauern. Alle Häuser taten sich gastlich auf, die Heimatlosen zu empfangen, und endlich schlossen sich die wohlverschanzten Tore vor dem anrückenden Feind. Auch Thomas hatte mit Anna, die ein halbjähriges Töchterlein in den Armen trug, als letzter das geliebte Dorf verlassen. Dietrichs Hilfe aber war unschätzbar gewesen. Von einem Haus zum andern eilend, hatte er geraten, geholfen, und die Bauern, die alles im Stich lassen wollten, wacker gescholten. Aber wenn auch große Mengen von Korn und allerlei Frucht in die Stadt gebracht, und viel Vieh hereingetrieben worden war, so ward es doch ein schweres Angst- und Notjahr für die vielen, vielen eng zusammengedrängten Menschen. Aber wie stand es um Moritz, der als Liebling und rechte Hand des mächtigen Kaisers die glaubenstreue Stadt belagerte? Finster und unbefriedigt ging er einher! Was half es ihm, daß er Kurfürst von Sachsen war, wenn das ganze Volk ihm entfremdet war und ihn wohl gar für einen Verleugner des Glaubens hielt? Wer weiß, wie bald es sich wider ihn empören würde? Und warum ließ der Kaiser trotz aller seiner Bitten die gefangenen Fürsten noch nicht frei? Dazu mochte ihn sein Gewissen wohl quälen, daß er so schändlich an seinen Glaubensgenossen gehandelt. Und was würde aus Deutschland werden, wenn der grausame Spanier die Herrschaft erhielt? Nein, Karl mußte gedemütigt werden, und er allein vermochte es zu tun. Durch Verrat am Kaiser wollte er den Verrat an den Glaubensgenossen wieder gutmachen. Nach einem Jahr der Belagerung kapitulierte Magdeburg, und Moritz hielt am 4. November 1551 seinen Einzug. Doch hielt er sich nur kurze Zeit darin auf und verfuhr mild mit den Einwohnern, da sein Sinn ihn zum Kampf gegen einen gewaltigeren Feind trieb. Der Kaiser weilte damals, schwer an der Gicht leidend, in Innsbruck, ohne Heer und genügende Geldmittel bereit zu haben. Da vernahm er plötzlich, Moritz, den er mit Gunst und Ehren überladen, wiegele alles Land gegen ihn auf und ziehe in Eilmärschen nach seinem Zufluchtsort. In Schnee und bitterer Kälte mußte der kranke, alternde Mann bei Nacht übers Gebirge fliehen, während sein falscher Günstling ungehindert in Innsbruck einzog. Doch konnte er sich dieses Triumphes nicht lange freuen. Schon zwei Jahre später fand er, gegen seinen Jugendfreund Albrecht von Brandenburg kämpfend, in der Schlacht bei Sievershausen seinen Tod. Die gute Stadt Magdeburg erholte sich schnell von den Schäden und Leiden der Belagerung. Ringsum ward das zertretene und verwüstete Land wieder angebaut, und auch Thomas' Kirchkinder machten sich rüstig daran, ihr übel zugerichtetes Dorf wieder wohnlich zu machen. Nur waren sie gar nicht zufrieden, daß sie ihren Pfarrer nicht wiederbekommen sollten. Den wollte man in der Stadt behalten und zu hohen Ehren bringen. Aber das war nicht nach seinem Sinn. Von klein auf zur Stille und Zurückgezogenheit geneigt, sehnte er sich wieder hinaus in Wald und Feld. »Laßt mich ziehen«, bat er mit bewegter Stimme. »Ich bin nicht ein Mann des Kampfes, sondern des Friedens. Arbeitet ihr heldenmütig in unseres HErrgotts Kanzlei, streitet in Wort und Schrift für das Evangelium, daß man's in aller Welt hört! Mich aber laßt den Einfältigen und Kleinen das Brot des Lebens bringen, wie ich's einst tat im lieben Fischerdörflein. Es muß ja auch Leute geben, die dies erwählen!« So ließ man ihn ziehen, und draußen ward er mit Jubel empfangen. Noch ein paar Jahre lang gab es viel Streit in weltlichen und geistlichen Sachen, bis endlich der Augsburger Religionsfriede den Protestanten im deutschen Lande Glaubensfreiheit brachte. Das war dem Kaiser im Grunde zuwider, und es war ganz nach seinem Sinn, daß sein finsterer Sohn Philipp, dem er die Niederlande übergeben, dort mit Feuer und Schwert gegen die Evangelischen wütete und in wenig Jahren Tausende hinmorden ließ. Er selbst legte bald darauf krank und entmutigt die Kaiserkrone nieder und zog sich in das Kloster St. Just zurück. Man sagt, er habe in seiner Einsamkeit versucht, viele Uhren zu ganz gleichzeitigem Schlag und Gang zu bringen. Als es ihm nicht gelang, habe er gesagt: »Ich kann nicht einmal den Gang dieser Uhren nach meinem Willen lenken, und meinte doch, den Glauben so vieler Menschenseelen nach meinem Sinne wenden zu können!« Thomas ging die Not seines Vaterlandes tief zu Herzen, und Anna trauerte mit ihm, so oft neue Schreckenskunde eintraf! Mit desto innigerem Dank gegen Gott blickten sie auf den Wohlstand und Frieden, den Gott der Dorfgemeinde schenkte. Der Same, den Thomas so eifrig ausstreute, brachte reiche Frucht, so daß man die kleine Gemeinde einen Garten Gottes nannte. Dennoch kamen Stunden, da der Pfarrer still und traurig einherging und Blick und Gedanken ins Weite schweiften. »Ich weiß, woran der Vater jetzt denkt«, sprach einst Christoph zu seinem Schwesterlein Elsbeth. »Ich auch! Ans Fischerdörflein und seine Kinder dort«, erwiderte das blonde Mägdlein. »Er sagt, die wären noch braver gewesen als wir und hätten so gut gelernt.« »Ja, weil sie nichts zu spielen hatten«, meinte Christoph; »wenn man aber solch wildes Steckenpferd hat, wie mir Dietrich gemacht, vergißt mans Lernen wohl einmal. Drum hab' ich's jetzt in Stall geschafft, und 's darf nicht eher wieder 'raus, bis ich mein Lied kann.« »Ich lern' auch!« rühmte sich das Schwesterchen. »Muhme Grete sagt mir's vor, daß ich zu Weihnachten mit singen kann. Und Mütterchen sagt, 's wird wunderschön, fast so schön wie im Himmel! Aber denke nur; meine Puppe ist weg! Ich hab' gesucht, Muhme Grete hat gesucht, und lieb Mütterlein auch! Aber sie ist ganz weg!« »Da bin ich froh«, erwiderte Christoph lachend. »Zum Gruseln hat sie ausgesehen mit dem struppigen Wergschopf und der halben Nase!« »Sie war aber doch mein Kind, und ich hatte sie so lieb! Ach, wenn sie doch das Christkind wiederbrächte! Vielleicht ganz gesund!« »Ach was! Puppen sind garstig. Da lob' ich mir Waffen! O, wenn ich eine Armbrust geschenkt kriegte, da wollt' ich so brav werden wie -- na, wie der Vater!« »Das wird nimmer«, entschied das Schwesterchen. »Dietrich sagt, der sei so brav gewesen, so fromm und lieb und fleißig, fast wie ein Engel.« »Das glaub' ich! So ist er ja noch jetzt. O, ich hab' ihn so lieb, so lieb! -- Aber weißt? Jetzt wird der Kuchenteig gemacht unten in der Backstube! Komm, laß uns zusehen! Da fällt schon manchmal ein Rosinlein ab für uns!« Ja, Thomas wollte diesmal Weihnachten feiern, wie er's einst im Fischerdorf getan. Bescheidener Wohlstand war wieder im Dorfe eingekehrt, Felder und Gärten hatten ihre Frucht gebracht; da durfte man wohl den Kindern eine Freude bereiten. Wenn er nun in der etwas engen, dumpfen Schulstube sich mit dem alten Lehrer vereint bemühte, Verse und Sprüchlein in die kleinen harten Bauernköpfe zu bringen, ach, da dachte er oft an seinen munteren Hans, an das kluge Mariechen, an alle, die er damals ~seine~ Kinder genannt! Wie mochte es ihnen wohl gehen? Waren sie treu geblieben samt ihren Eltern? Gedachten sie noch seiner oder war er vergessen? Ach, es ist schwer, vergessen zu sein von solchen, denen man sein ganzes Herz, seine ganze Kraft hingegeben hat! Aber am Christabend herrschte eitel Freude im Dorfe und im Pfarrhaus. Das Wetter war ebenso schön als vor vielen Jahren bei jener ersten Weihnachtsfeier im Fischerdorf. Selbst von Magdeburg waren etliche herausgewandert, um das Fest mitzufeiern. Stundenlang hatte Dietrich in der Kirche gewirtschaftet, gepocht und gehämmert und unzählige Lichtlein aufgesteckt. Als Thomas an der Spitze einer weit größeren Schar als damals in das hellstrahlende Gotteshaus einzog, konnte er nicht mitsingen, da ihm heiße Tränen über die Wangen liefen, ward aber bald ganz hingenommen von der herrlichen Feier. Gar lieblich schallten die Gesänge, frisch und freudig kamen die Antworten, aber ein viel schöneres Kindel ward gewiegt als damals im Fischerdorf! Hatte es doch Herr Burkhardt im Herbst aus Nürnberg mitgebracht! Und darüber wölbte sich ein richtiger kleiner Stall, den Dietrich in seiner Werkstatt gezimmert. Nun wußten auch die Buben, warum er sie so lange nicht eingelassen hatte. Müllers blondes Lieschen war für die Kleinen ganz gewiß ein richtiger Engel, als es Kuchen und Aepfel so freundlich austeilte. Und der fröhliche Reigen am Schluß wollte gar kein Ende nehmen, weil die Schar so groß war. Dann aber stimmte groß und klein ein Lied an, das man im Fischerdorf noch nicht gekannt: »Vom Himmel hoch, da komm ich her, Ich bring' euch gute neue Mär, Der guten Mär bring' ich so viel, Davon ich sing'n und sagen will. Euch ist ein Kindlein heut geborn Von einer Jungfrau auserkorn, Ein Kindelein so zart und fein, Das soll eur' Freud' und Wonne sein.« Im Pfarrhause war ein langer Tisch gedeckt zum einfachen Abendbrot, da die Stadtgäste den Rückweg bei Mondschein doch nicht hungrig antreten sollten. Es waren Burkhardts heranwachsende Knaben, Gottfried und noch ein fremder junger Mensch mit dunkelm Lockenhaar und gebräuntem Antlitz. Ehe man sich niedersetzte, trat er auf Thomas zu und fragte: »Herr Pfarrer, kennt Ihr mich nimmer?« »Wie sollt' ich? Ihr seid mir ganz fremd.« »Beinah' wär' ich vorgesprungen«, sprach der Jüngling lächelnd, »und hätt' mir einen Apfel aus des Engels Korb geholt. Vor zwölf Jahren war ich der erste, der's wagte!« »'s ist mein Hans, mein kleiner Hans!« rief der Pfarrer, den errötenden Jüngling mit den Armen umschlingend und küssend. Auch Grete begrüßte freudig ihren Liebling. »Ihr tut mir viel zu viel Ehr' an«, sprach dieser; »aber o, wie lacht mir's Herz, Euch wiederzusehen! Und so wacker und frisch nach allem, was Ihr gelitten! Erst in Magdeburg erfuhr ich, daß Ihr lebt.« »O sage mir, bist du der einzige, der noch meiner gedenkt? Nein, nicht meiner, sondern der himmlischen Wahrheit, die ich euch lehrte?« »Der einzige? Wo denkt Ihr hin! Viele, viele gedenken Euer und sind treu geblieben. Nach Hamburg zogen die meisten, als Ihr uns entrissen wurdet; etliche auch weit übers Weltmeer. Auch ich hab' mehr auf dem Wasser gelebt als zu Lande; aber das, was Ihr mir ins Herz gelegt, hab' ich nimmer vergessen! Als ich jüngst von langer Fahrt heimkam, waren die Eltern gestorben, und Lotte, meine Schwester, ganz verlassen. Da nahm ich sie zu mir und wandte mich gen Magdeburg, weil ich hörte, daß es eine wackere, reiche Stadt sei, wo jeder sein Brot fände für Leib und Seele. Ich hab' auch gute Arbeit, die mich und die Schwester reichlich nährt. Aber daß ich Euch gefunden hab', ist doch das Beste!« Als die Gäste fort, und die Kinder, mit Armbrust und Puppe beglückt, zu Bett waren, saßen der Pfarrer und seine Frau noch lange beisammen. »Nun erst bin ich hier so recht glücklich«, sprach Thomas. »O wie oft hab' ich mich gesehnt, zu wissen, ob meine erste, so angstvolle Arbeit wohl etliche Frucht gebracht habe! Nun darf ich auch von meinen Niederländern sagen: ›Hier bin ich, HErr, und die Kinder, die Du mir gegeben hast!‹« »Es kann ja nicht anders sein, mein Thomas«, erwiderte Anna. »Wer sich so ganz seinem heiligen Amt hingibt, wer nicht Ehre, nicht Gut, nicht behaglich Leben sucht, sondern nur die Seligkeit der anvertrauten Seelen, wer den Verlorenen so geduldig nachgeht und der Schwachen wartet, dessen Arbeit muß Gott ja segnen! Aber auch ich kann dir fröhliche Botschaft bringen. Gottfried trat zu mir, nach seiner Weise errötend wie ein Mägdlein, und verriet mir ein tiefes Geheimnis. Er hat Lotte, die Schwester deines Hans, liebgewonnen, obgleich sie erst wenige Wochen in Magdeburg ist. Nun fragt der gute Junge mich, was er tun soll! Frau Berta weiß es schon, und will das arme Kind, das nichts mitzubringen hat als fleißige Hände und ein frommes Herz, mit Freuden als Tochter annehmen. Da sieht man, wie Gottes Wort den Sinn wendet!« »So hat uns Gott beiden ein köstliches Weihnachtsgeschenk gesendet, und weggenommen, was unsere Herzen bedrückte«, erwiderte Thomas. »Horch, was singt unser Christoph noch in seinem Bettchen?« »Das hat Er alles uns getan, Sein' groß' Lieb' zu zeigen an. Des freu' sich alle Christenheit, Und dank' Ihm des in Ewigkeit!« [Illustration] *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK THOMAS, DER LEUTPRIESTER *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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