The Project Gutenberg eBook of Naturstudien im Hause

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Title: Naturstudien im Hause

Plaudereien in der Dämmerstunde; ein Buch für die Jugend

Author: Karl Kraepelin

Editor: C. W. Schmidt

Illustrator: Oskar Schwindrazheim

Release date: May 3, 2023 [eBook #70692]

Language: German

Original publication: Germany: B. G. Teubner, 1921

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NATURSTUDIEN IM HAUSE ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1921 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.

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Original-Einband
Frontispiz

Naturstudien
im Hause

Plaudereien in der Dämmerstunde

Ein Buch für die Jugend

von

DR KARL KRAEPELIN

Mit Zeichnungen von O. Schwindrazheim

Fünfte Auflage

durchgesehen von

Dr. C. W. Schmidt

Verlagssignet

Verlag und Druck von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin 1921

[S. v]

Vorwort.

Die hohe Bedeutung, welche den Naturwissenschaften für die Erziehung der Jugend zukommt, ist nach Ansicht des Verfassers bisher noch keineswegs genügend gewürdigt worden. Namentlich in der Großstadt mit ihren endlos sich dehnenden Straßenzügen ist der heranwachsenden Generation jede innigere Beziehung zur lebenden Natur fast völlig verloren gegangen. Die Schule allein mit ihren kärglich bemessenen Unterrichtsstunden kann hier nicht helfen. So lag denn der Gedanke nahe, das vorliegende Werkchen zu schreiben, das die lern- und wißbegierige Jugend in möglichst lebendiger Darstellung zum naturwissenschaftlichen Denken anregen und ihr die Naturobjekte der nächsten Umgebung, vor allem also des väterlichen Hauses, geistig näherbringen soll.

Die gewählte Form des Dialogs mag als veraltet gelten; sie erschien jedoch dem Verfasser als die für den erstrebten Zweck am besten geeignete, wohl aus denselben Erwägungen, welche den großen Meister der griechischen Philosophie bei der Abfassung seiner klassischen Gespräche geleitet haben.

Der von O. Schwindrazheim mit gewohnter Meisterschaft ausgeführte Bilderschmuck dürfte nicht unerheblich zum Verständnis der behandelten Gegenstände beitragen.

Schließlich sei noch bemerkt, daß diese „Naturstudien im Hause“ den ersten, die geringsten Vorkenntnisse voraussetzenden und daher auch wohl zuerst zu lesenden Band einer Serie von Naturstudien bilden, die nacheinander das Haus, den Garten, die nähere Umgebung des Heimatortes (Naturstudien in Wald und Feld), die entferntere Umgebung (Naturstudien in der Sommerfrische) und schließlich die „fernen Zonen“ behandeln.

Der Verfasser.

[S. vi]

Inhalt.

 
Seite
Erster Abend (Wasser)
Zweiter Abend (Spinne)
Dritter Abend (Kochsalz)
Vierter Abend (Mineralien)
Fünfter Abend (Kanarienvogel)
Sechster Abend (Pelargonium)
Siebenter Abend (Goldfisch)
Achter Abend (Steinkohlen)
Neunter Abend (Stubenfliege)
Zehnter Abend (Pilze)
Elfter Abend (HundBandwurm)
Zwölfter Abend (Blattpflanzen)
Dreizehnter Abend (Hausinsekten)
Vierzehnter Abend (Verschiedene Fragen)

[S. vii]

Erläuterung zu den Abbildungen.

Erster Abend.

Titelbild: Gletscher im Hochgebirge; im Vordergrunde Gletschertor und Endmoräne.

Schlußbild: Schwimmender Eisberg.

Zweiter Abend.

Titelbild: Netz der Kreuzspinne; unten im Wasser Wasserspinne mit Nest.

Schlußbild: Spinnwarzen und Fußklauen der Kreuzspinne.

Dritter Abend.

Titelbild: Salzgärten am Meeresstrand.

Schlußbild: Reisigwand eines Gradierwerkes.

Vierter Abend.

Titelbild: Abhang mit erratischen Blöcken in der norddeutschen Tiefebene.

Schlußbild: Golf von Neapel mit Vesuv.

Fünfter Abend.

Titelbild: Schlafende Zeisige.

Schlußbild: Skelett des Kanarienvogels.

Sechster Abend.

Titelbild: Pelargonium mit Blüten und Früchten (links oben); unten: keimende Bohne und sich einbohrende Pelargoniumfrucht.

Schlußbild: Flugfrüchte und Klettfrucht (Zweizahn).

Siebenter Abend.

Titelbild: Taucher bei der Arbeit.

Schlußbild: Schlafender Seeskorpion.

Achter Abend.

Titelbild: Landschaft aus der Steinkohlenzeit; Schuppenbäume (links) mit Kletterfarnen, Kalamiten (rechts) und Sigillarien (im Hintergrunde).

Schlußbild: Torfstich.

[S. viii]

Neunter Abend.

Titelbild: Stubenfliegen in der Küche.

Schlußbild: Kopf und Fuß der Stubenfliege.

Zehnter Abend.

Titelbild: Pilze im Walde (Fliegenpilz, Steinpilze, Pilze auf Ahornblättern).

Schlußbild: Hefepilze, Schimmelpilze, Bakterien.

Elfter Abend.

Titelbild: Schrank mit Wurmpräparaten: Oben Bandwurm mit Zeichnung von Kopf und Glied, in der Mitte Schafskopf mit Blase des Drehwurms im Gehirn, unten Leber mit Blasen vom Hundebandwurm. Oben rechts Hundebandwurm in natürlicher Größe, vergrößert, und Finnen desselben.

Schlußbild: Hans mit Karo.

Zwölfter Abend.

Titelbild: Kokospalmen am Strande.

Schlußbild: Drachenbaum von den Kanarischen Inseln.

Dreizehnter Abend.

Titelbild: Stall mit Rauchschwalben; unten Mäuse. Draußen Katze, Sperlinge, Storch im Nest.

Schlußbild: Gecko, Kakerlaken jagend.

Vierzehnter Abend.

Titelbild: Weihnachtsbaum im Zimmer, von einem Sonnenstrahl gestreift.

Schlußbild: Wetterhäuschen.

[S. 1]

Titelbild Erster Abend

Erster Abend.

Sonntag ist es und abendliche Dämmerstunde. Draußen fegt der Wind das letzte Laub von den Bäumen, und klatschend schlägt der unfreundliche Herbstregen gegen die Fensterscheiben. Gemütlich im Lehnstuhle seines Studierzimmers sitzt Dr. Ehrhardt; um ihn haben seine drei Knaben Platz genommen: Fritz, der Sekundaner, Kurt, der übermütige Primus der Untertertia, und Hans, der zehnjährige, von seinen Brüdern aber noch immer nicht für ganz voll genommene Quintaner.

[S. 2]

Sieh nur, Vater, sagt Kurt, der ans Fenster getreten, da sind wahrhaftig schon Schneeflocken in dem Regen! Jetzt ist der Winter da, und unsere schönen Ausflüge sind wieder vorbei. Das ist doch zu schade! Du wolltest uns noch so vieles draußen zeigen!

Dr. Ehrhardt: Ja, das werden wir nun wohl auf nächstes Frühjahr verschieben müssen. Aber sollten wir hier im Hause nicht auch Naturgeschichte treiben können? Ich meine, es gibt da so mancherlei, Tiere und Pflanzen sowohl wie Mineralien, an denen noch recht viel zu lernen wäre.

Kurt: Ach, Vater, ich fürchte, das wird doch nur sehr langweilig werden. Hunde und Katzen haben wir schon in der Schule ausführlich genug besprochen, und die paar Gummibäume und Palmen in unserm Balkonzimmer scheinen mir doch recht wenig interessant; die wollen ja nicht einmal blühen. Mineralien haben wir freilich in der Schule noch nicht gehabt; aber die gibt es ja wohl bloß im Gebirge.

Fritz: Na, das ist gut, Kurt! Da bist du, glaub’ ich, doch auf dem Holzwege! „Mineral“ bedeutet zu deutsch weiter nichts wie „Stein“, und Steine gibt es überall. — Was du aber, Vater, mit den Mineralien meinst, die in unserer Wohnung vorkommen, ist mir auch nicht recht klar. Mauersteine gehören ja zu den Kunstprodukten. Denkst du vielleicht an Mutters Edelsteine?

Dr. E.: Die gehören selbstverständlich auch zu den Mineralien im Hause. Aber es wundert mich, daß du als wohlbestallter Untersekundaner noch eine so enge Vorstellung von den Mineralien hast. Muß denn ein Mineral immer hart und fest sein?

Fritz: Ja, das dachte ich allerdings, sonst paßt doch der Begriff Stein nicht.

Dr. E.: Letzteres ist wohl zuzugeben; aber das Wort Stein, wie wir es im gewöhnlichen Leben gebrauchen, stimmt auch nicht so völlig mit dem wissenschaftlichen Begriff Mineral überein, wie du zu glauben scheinst. Wir wollen uns das gleich einmal klarmachen. Ohne Zweifel habt ihr in der Schule gelernt, in welche drei großen Gruppen man alle Naturkörper einteilen kann. Das wirst du sogar schon wissen, mein Hansel.

Hans: O natürlich! Das ist das Tierreich, das Pflanzenreich und das Mineralreich.

[S. 3]

Dr. E.: Sehr schön! Kurt wird mir auch sagen können, wie man die Tiere und Pflanzen von den Mineralien unterscheidet.

Kurt: Das ist ja ganz einfach: Die Tiere und Pflanzen haben Leben; die Mineralien dagegen sind leblose Naturkörper.

Wasser ein Mineral.

Dr. E.: Nun seht ihr! Wenn wir demnach nicht das Wort „Steine“, sondern „leblose Naturkörper“ für Mineralien setzen, so werdet ihr wahrscheinlich keinen Augenblick im Zweifel sein, wohin wir zum Beispiel das Wasser zu rechnen haben.

Fritz: Ja, wenn du so willst, dann muß natürlich das Wasser zu den Mineralien gehören, da es gewiß kein lebendes Wesen ist. Aber komisch klingt es doch, wenn man einen Regentropfen ein Stück Mineral nennen soll.

Dr. E.: Ich denke, nicht komischer, als wenn ich einen Quecksilbertropfen, der im Felsspalt sitzt, als Mineral bezeichne. Du stößt dich, wie es scheint, daran, daß sich das Wasser für gewöhnlich in flüssiger Form findet; aber schon das Beispiel des Quecksilbers zeigt dir, daß das Flüssigsein auch bei andern Mineralien vorkommt. Zudem braucht das Wasser ja gar nicht immer flüssige Form zu haben. Wäre die Temperatur auf unserer Erde beständig unter dem Gefrierpunkt, und hätten wir kein Mittel, künstlich Wärme zu erzeugen, so würden wir das flüssige Wasser überhaupt gar nicht kennen und gewiß nur von dem „Mineral“ Eis wie von andern Gesteinsarten sprechen. Denke dir nur, wir wohnten nicht hier in unserm lieben Deutschland, sondern hoch oben im Norden im ewigen Eis und Schnee. Da würdest du tagtäglich gewaltige Eisberge vor Augen haben, hart wie Glas und doch nur aus Wasser bestehend, Berge, die sich bei der dort herrschenden Temperatur eigentlich in nichts von den andern Gebirgsarten unterscheiden.

Kurt: Ach, da meinst du wohl die Gletscher, die oben in Norwegen und in Grönland weite Länder überdecken und auch in den Alpen so berühmt sind? — Wie sind denn die eigentlich entstanden?

Dr. E.: Wenn du dir ein paar Hände voll Schnee in einen Mörser schüttest und mit der Mörserkeule tüchtig darauf losstampfst, weißt du, was dann geschieht?

Kurt: Ja, dann wird er dichter.

Dr. E.: Gewiß; aber das nicht allein. Wenn ihr euch am Bergabhang eine Schlittenbahn gemacht habt und viele Male mit euren[S. 4] Schlitten oder auch nur auf euren Stiefelsohlen heruntergefahren seid, bleibt dann die Bahn immer Schnee?

Kurt: Nein, dann wird sie zuletzt ganz blank und sieht aus wie Eis.

Dr. E.: Sie sieht nicht nur so aus, sondern sie ist auch wirklich Eis geworden. Und dasselbe geschieht mit dem Schnee, den du im Mörser stampfst. Ihr könnt daraus lernen, daß allgemein durch Druck oder Reibung der Schnee sich in Eis verwandelt, und wenn ihr dies wißt, erklären sich die Gletscher eigentlich ganz von selbst. Im Norden unserer Erde, wie auf hohen Gebirgen, ist es fast immer so kalt, daß die Wolken nicht Regen, sondern Schnee herniedersenden. Dieser häuft sich in den Talmulden und an deren Wänden zu ungeheuren Massen an, so daß die tiefer liegenden Schichten einen großen Druck durch die oberen zu erleiden haben. So wird der Schnee in der Tiefe in wenigen Jahren zu festem Eis, zumal da das durch die Sonnenstrahlen des Sommers erzeugte Schmelzwasser der oberen Schichten in die Tiefe sickert und hier bei der Umwandlung des Schnees in Eis mithilft. Auch die Reibung an dem felsigen Untergrunde spielt hierbei eine Rolle, denn der Gletscher, dessen Eismasse ein gewaltiges Gewicht besitzt, quillt nach Ausfüllung der Talmulde bald über deren Ränder herüber und gleitet nun durch die eigene Schwere wie durch den Druck der nachrückenden Massen ganz allmählich auf den geneigten Hängen des Berges abwärts, während an seinem oberen Ende immer neue Eismassen gebildet werden. Man sagt deshalb, der Gletscher „wandert“ und meint damit: Das Eis, das hoch oben in den Mulden aus Schneemassen entsteht, rückt im Laufe der Jahre immer weiter bergab, bis es endlich an das untere Ende gelangt.

Kurt: Wo hat denn der Gletscher sein unteres Ende? Ich meine, wenn er immer weiter wandert, so müßte er schließlich das ganze Land bedecken.

Dr. E.: Nun, ganz so schlimm ist es denn doch nicht! Hast du mal etwas von der Schneegrenze gehört?

Fritz: O ja. Das ist die Linie in den Gebirgen, bis zu welcher der Schnee auch im Sommer liegen bleibt, da die Wärme in diesen Höhen nicht ausreicht, ihn völlig wegzuschmelzen.

Gletscherbildung. Eisberge

Dr. E.: Siehst du, Kurt, und wie mit dem Schnee, so ist es auch mit dem Gletschereis. Kommt der Gletscher auf seiner Wanderung[S. 5] in immer tiefere Gegenden, wo die Sommer wärmer sind als auf den Höhen, so schmilzt das untere Ende ab, und da sich dies in jedem Sommer wiederholt, so haben wir auch für die Gletscher eine ganz bestimmte Grenze, bis zu welcher sie abwärts vordringen können.

Kurt: Und wie weit ist das wohl, Vater?

Dr. E.: Das ist natürlich in den einzelnen Ländern ganz verschieden. In der heißen Zone finden wir Gletscher wohl kaum unter 4-5000 m Höhe; in den Alpen aber gibt es schon einen — es ist der Grindelwaldgletscher —, der fast bis auf 1000 m ins Tal hinabsteigt. In Grönland endlich reichen die Gletscher direkt bis ins Meer und erzeugen hier die riesenhaften Eisberge, welche so oft im Atlantischen Ozean der Schiffahrt gefährlich werden.

Fritz: Wie kann denn ein Gletscher im Wasser Eisberge bilden? Ich kann mir doch nicht denken, daß nun so ein ganzer Gletscher plötzlich ins Meer fällt.

Dr. E.: Nein, so darfst du dir die Sache auch nicht vorstellen. Um das zu verstehen, müssen wir eine der interessantesten und für das gesamte Leben auf der Erde wichtigsten Eigenschaften des Eises kennen. Ihr habt sie alle schon beobachtet, aber wahrscheinlich nichts dabei gedacht.

Fritz: Da weiß ich wirklich nicht, was du meinst. — Etwa, daß es leicht zersplittert?

Dr. E.: O nein, durchaus nicht. Wißt ihr denn, was geschieht, wenn ich eine Flasche ganz mit Wasser fülle, sie fest zukorke und dann in die Kälte stelle?

Kurt: Ja, dann zerspringt sie. Das habe ich in diesem Frühjahr einmal erlebt, wie wir Birkenwasser gezapft hatten und in einer kalten Nacht das Ganze ein Eisklumpen geworden war.

Dr. E.: Ei, du Strick! Kommt man auf diese Weise hinter deine Schandtaten! Das wollen wir doch in Zukunft hübsch bleiben lassen, damit uns nicht einmal der gestrenge Herr Förster beim Kragen nimmt. — Aber warum ist denn wohl die Flasche gesprungen?

Fritz: Ihr Glas ist wohl durch die Kälte spröde geworden.

Dr. E.: Dann hätte sie nur springen können, wenn etwa eine heiße Flüssigkeit hineingetan worden wäre. Von selbst springt auch eine spröde Flasche nicht.

Kurt: Nein, es war sehr merkwürdig! Wie wir die Scherben wieder über den Eisklumpen legten, da wollten sie nicht mehr aneinander[S. 6] passen; es schien, als wenn der Klumpen dicker geworden wäre, als die Flasche.

Dr. E.: Das war er auch in Wirklichkeit. Und dies ist die wunderbare Eigenschaft, von der ich sprach: Wenn Wasser sich in Eis verwandelt, so nimmt es einen größeren Raum ein als vorher.

Fritz: Was hat denn das mit den Eisbergen zu tun?

Dr. E.: Sehr viel, Fritz, wie du gleich sehen wirst. Wenn ich nun den Eisklumpen, der in der Flasche war, in Wasser lege, wie wird er sich dann verhalten?

Kurt: Dann wird er wieder schmelzen.

Dr. E.: Das ist noch keineswegs gesagt, denn dem Eise auf unserm See fällt es doch gar nicht ein, zu schmelzen, bloß, weil es auf dem Wasser liegt. Das hängt ganz allein von der Wärme ab, die das Wasser besitzt. Ich meine, wird der Eisklumpen oben bleiben oder untersinken?

Fritz: Er wird wohl schwimmen, wie jedes Eis.

Dr. E.: Und wenn wir ihn mit Gewalt in die Tiefe stoßen?

Kurt: Dann kommt er nach kurzer Zeit wieder hoch, gerade wie ein Stück Holz.

Dr. E.: Und wie erklärt sich dies alles?

Auftrieb. Zusammensetzung des Wassers

Fritz: Ach, jetzt weiß ich, worauf du hinaus willst. Wenn Wasser zu Eis wird, so nimmt es einen größeren Raum ein als vorher, folglich muß Eis leichter sein als Wasser, und es schwimmt daher auf demselben. Wird es aber in die Tiefe gestoßen, so entsteht ein Gegendruck des Wassers von unten her, der es wieder an die Oberfläche hebt.

Dr. E.: So, das war endlich, was ich haben wollte. Dieser Gegendruck des Wassers, der leichtere Gegenstände wieder an die Oberfläche empordrückt, wird mit dem Namen „Auftrieb“ bezeichnet, und jetzt wissen wir alles, was zur Erklärung der Eisberge nötig ist. Die Gletscher wachsen, wie ich schon sagte, im hohen Norden bis ins Meer hinein. Das Eis schmilzt in dem eiskalten Wasser nicht, sondern schiebt sich immer weiter schräg abwärts ins Meer in derselben Richtung, in welcher der ganze Gletscher von der Höhe her zum Ufer abfällt. Je größer aber die Menge des Eises wird, die so unter das Wasser gerät, desto stärker wird der „Auftrieb“, der das Eis an die Oberfläche zu heben strebt. Schließlich gewinnt er die Oberhand: der unter Wasser befindliche Teil des Gletschers bricht nahe dem Ufer ab[S. 7] und steigt nun als gewaltiger, wohl 100 und mehr Meter über die Oberfläche aufragender Eisberg empor. Man nennt dies drolligerweise das „Kalben“ der Gletscher.

Kurt: Warum sagtest du denn, daß diese Eigenschaft des Eises für die Menschen und Tiere auf der Erde so wichtig sei?

Dr. E.: Weil dadurch das Eis, das im Winter auf unsern Seen und Flüssen entsteht, verhindert wird, in die Tiefe zu sinken, und es so eine schützende Decke gegen die Einwirkung der Kälte auf das übrige Wasser bildet. Sänke das Eis zu Boden, so würden unsere Gewässer allmählich bis auf den Grund ausfrieren, und diese Menge Eis würde der Sommer schließlich nicht mehr bewältigen können. Du siehst also wohl ein, daß wir hier bald ebenso im ewigen Eise sitzen würden, wie die armen Eskimos im fernen Grönland.

Hans: Vater, was ist denn nun eigentlich Wasser?

Dr. E.: Ja, mein lieber Junge, daß auch gerade du mit dieser unglücklichen Frage kommst! Fritz wird es wohl schon wissen. Für dich aber ist diese Weisheit doch noch ein wenig zu hoch.

Fritz: Gerade in voriger Woche haben wir das Wasser in der Klasse durchgenommen. Es besteht aus zwei Gasarten, Wasserstoff und Sauerstoff. In diese kann man das Wasser zerlegen und umgekehrt kann man durch Verbindung der beiden Gase Wasser herstellen.

Dr. E.: Ganz richtig, und damit du, mein Hansel, auch ein wenig davon begreifst, will ich dir noch sagen, daß der eine Bestandteil des Wassers, der Sauerstoff, auch einen Teil der Luft bildet, und zwar denjenigen, den der Mensch und die Tiere zum Atmen brauchen.

Kurt: Aber doch nicht alle Tiere, Vater! Die Fische leben ja gar nicht in der Luft. Die können doch nur Wasser zum Atmen brauchen.

Dr. E.: Ei, Kurt, das ist ja eine ganz neue Weisheit! Glaubst du wirklich, daß die Fische zum Atmen auf einen andern Stoff angewiesen sind als die Menschen?

Kurt: Ja, die Fische sterben doch, wenn man sie aus dem Wasser in die Luft bringt.

Dr. E.: Da hast du allerdings recht! Allein das hängt mit ganz andern Dingen zusammen, von denen ich dir vielleicht später mal erzähle. In Wirklichkeit brauchen aber die Fische ebensogut Sauerstoff zum Atmen wie wir.

[S. 8]

Fritz: Das ist ja auch gar nicht wunderbar. Denn wenn das Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff besteht, so werden die Fische doch sicher von letzterem immer genug bekommen.

Dr. E.: Ei behüte, Fritz! Jetzt bist du ebenfalls auf ganz falschem Wege. Der Sauerstoff des Wassers ist mit dem Wasserstoff so fest verbunden, daß wir beide nur durch sehr starke Mittel, z. B. durch Elektrizität auseinanderreißen können. Der Fisch ist keineswegs imstande, auch nur die geringste Menge Sauerstoff für sich daraus zu ziehen.

Fritz: Woher bekommt er ihn aber dann?

Dr. E.: O, die Sache ist ganz einfach: Das Wasser besitzt die Fähigkeit, Luft und also auch den Sauerstoff der Luft in sich aufzunehmen, und diese aufgelöste Luft ist es, die der Fisch atmet.

Kurt: Aber, dann müßte man doch die Luftbläschen im Wasser sehen können!

Dr. E.: Warum denn? Ich sagte ja, die Luft sei aufgelöst, d. h. also gerade so im Wasser, wie etwa gelöster Zucker, den du doch auch nicht mehr als Zucker sehen kannst.

Kurt: Ja, Zucker ist auch ein fester Körper. Aber ein Gas —?

Dr. E.: Siehst du es denn einer Flasche Selterwasser an, eine wie große Menge Kohlensäure in ihr steckt? Sie sieht ganz wie gewöhnliches Wasser aus, und erst wenn wir den Kork öffnen, steigen die vielen Gasblasen empor. — Übrigens kannst du auf ähnliche Weise auch die Luft in einem Glase Wasser sichtbar machen. Du brauchst nur das frisch gefüllte Glas eine Weile an einen warmen Ort zu stellen, dann findest du nachher an den Wänden des Glases innen lauter kleine Luftbläschen, welche die Wärme aus dem Glase herausgetrieben hat.

Kurt: Ja, das ist auch wahr. Das habe ich schon öfter gesehen. — Aber wie kommt denn die Kohlensäure in das Selterwasser?

Sauerbrunnen, Mineralwässer

Dr. E.: Ganz auf dieselbe Weise wie die Luft, nämlich durch Druck. Die Luftschicht, welche unsere Erde umgibt und in der wir leben, hat bekanntlich ein recht bedeutendes Gewicht. Sie übt somit auch auf die Oberfläche der Seen und Meere einen beträchtlichen Druck aus und wird dadurch zum Teil in diese hineingepreßt. Das „kohlensaure Wasser“, das wir gewöhnlich trinken, wird meist künstlich hergestellt, indem man Kohlensäure unter starkem Druck in Wasser[S. 9] leitet und die Flaschen dann schnell verschließt. Die natürlichen kohlensauren Wasser aber oder die sogenannten Sauerbrunnen kommen aus tieferen Erdschichten, wo aus irgendeiner Ursache in Spalten und Höhlen des Gebirges Kohlensäure in großer Menge sich angesammelt hat, die dann von unterirdischen Quellen aufgelöst wurde.

Fritz: Braucht man für solche natürlichen Sauerbrunnen nicht auch die Bezeichnung „Mineralwässer“?

Dr. E.: Jedenfalls müssen wir die Sauerbrunnen den letzteren zurechnen, da auch die Kohlensäure zweifellos zu den Mineralien gehört.

Kurt: Nein, das find’ ich wirklich zu drollig, daß die Gase auch zu den Mineralien gehören sollen. Dann wäre doch die Luft schließlich ebensogut ein Mineral.

Dr. E.: Natürlich! Oder wolltest du sie lieber zu den Tieren stellen? Auch die Luft kann man flüssig und sogar fest machen; also ist gar kein Grund, sie als etwas Besonderes zu betrachten.

Fritz: Das ist mir auch bisher noch nicht klar gewesen. — Gibt es denn noch andere Mineralwässer als die Sauerbrunnen?

Dr. E.: Eine ganze Menge! Das Wasser besitzt, wie ihr wißt, die Eigenschaft, viele feste Körper zu lösen, z. B. Zucker oder Salz. Auch von den Stoffen, die sich im Erdboden befinden, vermag es eine ganze Reihe aufzunehmen. Je nach den verschiedenen Gesteinen nun, welche eine Quelle durchfließt, wird sie verschiedene, in diesen Gesteinen befindliche Stoffe in sich auflösen. Neben den Sauerbrunnen, die wir eben schon besprachen, gibt es Schwefelquellen, Salzquellen, Bitterwässer, Eisen- oder Stahlwässer und viele andere, ja man kann sagen, daß jedes Wasser, das wir trinken, das im Meer, in den Flüssen und Seen sich befindet, mehr oder weniger große Mengen von solchen Mineralstoffen enthält.

Kurt: Dann kennt man wohl eigentlich gar kein ganz reines Wasser?

Dr. E.: Beinah könntest du recht haben, wenn wir nicht ein verhältnismäßig einfaches Mittel hätten, um alle fremden Stoffe aus dem Wasser zu entfernen.

Filtrieren, Destillieren. Wolken, Regen

Fritz: Ein einfaches Mittel? Da meinst du wohl das Filtrieren?

Dr. E.: Nein, Fritz, durch Filtrieren kann man wohl diejenigen Stoffe aus dem Wasser entfernen, die darin als feste Teilchen schweben, wie Schlamm, mikroskopische Pflänzchen usw. Die wirklich[S. 10] aufgelösten Mineralien aber laufen natürlich gerade so wie das Wasser selbst durchs Filter. Letzteres liefert uns demnach wohl klares, aber durchaus kein reines Wasser.

Kurt: Und dabei sieht’s doch so rein aus! — Aber wie macht man es denn, wenn man wirklich ganz reines Wasser haben will?

Dr. E.: Die Mineralien des Erdbodens, wie Salz, Kalk, Gips und so fort lösen sich wohl in Wasser auf, aber sie lassen sich nicht in Dampf verwandeln, wie das Wasser, das schon bei einer Temperatur von 100° Celsius gasförmig wird und als sogenannter Wasserdampf aus der Flüssigkeit emporsteigt. Wird dieser aufsteigende Wasserdampf, der ganz unsichtbar ist, aufgefangen und wieder abgekühlt, so bildet er zunächst kleine nebelartige Bläschen, den Wasserdunst, der sich bald zu größeren Tropfen verdichtet, und also aufs neue flüssiges Wasser liefert. Man erhitzt demnach einfach das gewöhnliche Wasser in einem geschlossenen Behälter mit langem Halse, von dem ein Schlauch in ein zweites kalt gehaltenes Gefäß führt. Infolge des Siedens steigt der Wasserdampf aus dem ersten Gefäß durch den Hals empor und wird durch den Schlauch in das zweite Gefäß geführt, wo er sich wieder zu Wasser verdichtet. Im ersten Behälter bleiben dann alle die Mineralstoffe, die im Wasser waren und die sich ja nicht mit in Dampf verwandeln konnten, zurück, so daß im zweiten nun vollkommen reines Wasser ist. Man nennt diesen Vorgang „Destillation“.

Hans: „Destillation“? Aber das steht doch überall an den Läden, wo Branntwein verkauft wird!

Dr. E.: Da hast du wieder einmal recht, mein Hansel. Die Sache erklärt sich aber sehr einfach daraus, daß auch der Branntwein oder Alkohol durch einen ganz ähnlichen Vorgang gewonnen wird. Da nun leider der Branntwein im Leben vieler Menschen eine weit wichtigere Rolle spielt als das beste Wasser, so ist es nur zu begreiflich, daß das Wort Destillation jene seltsame Nebenbedeutung bekommen hat.

Kurt: Können wir denn nicht auch einmal Wasser destillieren? Das scheint mir doch gar nicht so schwer zu sein und wäre doch sehr interessant.

Dr. E.: Ich meine, in der Küche könntest du das eigentlich jeden Tag sehen. Hast du noch niemals den Deckel von einem Kochtopf abgenommen?

Kurt: Ja, oft genug!

[S. 11]

Dr. E.: Und hast du nichts auf der Unterseite des Deckels bemerkt?

Kurt: Höchstens, daß lauter Tropfen daran sitzen.

Dr. E.: Das genügt auch; damit hast du ja schon alles beobachtet. Im Topfe wurde das Wasser gekocht; der Dampf stieg auf und hat sich dann, als er nicht weiter konnte, an der Unterseite des kälteren Deckels zu Tropfen verdichtet. Diese Tropfen sind in der Tat destilliertes Wasser. Sollte dir dies aber noch nicht genügen, so möchte ich dich noch darauf aufmerksam machen, daß in der Natur selbst tagtäglich so viel Wasser destilliert wird, wie alle Fabriken der Welt zusammen nicht liefern könnten.

Kurt: Aber wieso denn und wo?

Dr. E.: Lieber Kurt! Zum Destillieren ist also zunächst Wasser nötig. Ist das in der Natur vorhanden?

Kurt: Ja, natürlich, in den Seen und Flüssen und im Meer.

Dr. E.: Gut. Dann braucht man Wärme. Sollte die wohl auch da sein?

Kurt: Ja, die Wärme, die von der Sonne kommt. Aber davon kocht das Wasser doch nicht.

Dr. E.: Ist auch gar nicht nötig. Das Wasser verwandelt sich zum Teil auch schon bei viel niedrigerer Temperatur in Dampf. Denn wenn unsere Stube gescheuert wurde, so dauert es gar nicht lange, bis alles Wasser in Dampfform aufgestiegen ist und die Dielen wieder ganz trocken sind. Wir wollen aber mal die Sonne recht tüchtig auf das Meer scheinen lassen, so bei etwa 30° im Schatten. Was wird dann geschehen?

Kurt: Da wird also wohl viel Wasserdampf aus dem Meere in die Höhe steigen.

Dr. E.: Richtig. Jetzt brauchen wir ein Ableitungsrohr, um den Wasserdampf fortzuführen.

Kurt: Das ist aber doch nicht da!

Dr. E.: Nein, ein wirkliches Rohr allerdings nicht. Bleibt denn aber der Wasserdampf wohl immer über dem Meere?

Fritz: Wenn Wind weht, so wird er den Wasserdampf mit der Luft auch über die benachbarten Länder tragen.

Dr. E.: Ganz gewiß. Und nun haben wir nur noch eine Kühlvorrichtung nötig, um den unsichtbaren Wasserdampf in sichtbaren Wasserdunst zu verwandeln.

Kurt: Ach, nun verstehe ich! Die Abkühlung geschieht hoch oben in der Luft, wo es viel kälter ist als unten auf der Erde.

[S. 12]

Dr. E.: Schön, Kurt. Jetzt wirst du auch wissen, daß man diesen sichtbaren Wasserdunst im gewöhnlichen Leben als Wolken bezeichnet, daß in ihnen das destillierte Wasser sich ebenfalls zu großen Tropfen ansammelt, die dann durch ihre eigene Schwere zur Erde fallen.

Kurt: Ja, nun ist mir alles klar. Dann muß also der Regen, der aus den Wolken fällt, auch ganz reines Wasser sein.

Dr. E.: Wenigstens das reinste, das wir in der Natur kennen. Freilich hat es unterwegs in der Luft doch schon allerlei wieder in sich aufgenommen, wie Staub, Ruß, mikroskopische Pflanzenkeime und die Gase der Luft; immerhin ist es noch unvergleichlich viel reiner als das Wasser unserer Seen und Quellen.

Kreislauf des Wassers. Hartes Wasser

Hans: Aber wenn immer so viel Wasser aus dem Meere aufsteigt, daß aller Regen daher kommt, dann muß doch das Meer endlich immer weniger werden!

Dr. E.: So? Meinst du wirklich? Weißt du denn, wo der Regen bleibt?

Hans: Ja, der sickert in die Erde.

Dr. E.: Wenigstens zum großen Teil, soweit er nicht direkt ins Wasser fällt oder in Dampfform wieder vom Boden auftrocknet. Wo aber bleibt denn das Wasser, das in die Erde sickert?

Hans: Da werden die Quellen daraus.

Dr. E.: Sehr gut, Hans. Aus den Quellen aber bilden sich die Bäche, aus diesen die Flüsse, und wo die schließlich bleiben, wirst du ja auch wohl wissen.

Hans: Ja, natürlich, die fließen alle ins Meer.

Dr. E.: Aha! Glaubst du nun noch, daß das Meer zuletzt austrocknen muß?

Hans: Nein, Papa! Ich sehe nun ein, daß dasselbe Wasser, das aus dem Meere als Dampf fortgeht, schließlich als Flußwasser wieder ins Meer zurückläuft.

Dr. E.: Und diese großartige Destillationseinrichtung auf der Erde bezeichnet man daher mit Recht als den Kreislauf des Wassers in der Natur. —

Fritz: Vater, was ist denn eigentlich hartes Wasser? Mutter sagt, das Wasser in unserm Brunnen könne man nicht zum Waschen gebrauchen, das sei zu „hart“.

[S. 13]

Dr. E.: Als hart bezeichnet man im gewöhnlichen Leben das Wasser, welches viel Kalkstein in sich aufgelöst enthält. Beim Waschen bildet sich dann eine Verbindung des Kalkes mit der Seife, die für die Reinigung der Wäsche unbrauchbar ist.

Kurt: Kann man denn das harte Wasser nicht weich machen, oder muß man da gleich destillieren?

Dr. E.: Nein, so schlimm ist es nicht. Kocht man das kalkhaltige Wasser lange, so setzt sich schließlich ein großer Teil des Kalkes zu Boden. Es ist dies der berüchtigte Kesselstein, der den Fabriken und Dampfmaschinen so viel zu schaffen macht. Auch in dem Wasserkessel unserer Küche könnt ihr ihn finden, und da hätten wir gleich ein Mineral, das neben dem Wasser fast in jeder Wohnung anzutreffen ist.

Fritz: Aber es ist doch eigentlich ein Kunstprodukt und kein natürlich vorkommendes Mineral.

Dr. E.: In gewissem Sinne hast du recht. Wenn du aber bedenkst, daß es derselbe Stoff ist wie der Marmor, und daß z. B. das Stück Karlsbader Sprudelstein auf meinem Schreibtisch fast genau auf dieselbe Weise sich gebildet hat wie der Kesselstein, nämlich als Absatz aus heißem Quellwasser, so wirst du hoffentlich nicht zu streng darüber urteilen, daß unser Mineral nun gerade in einem Kochtopf zur Welt gekommen.

Doch nun genug für heute. An einem der nächsten Sonntage wollen wir einmal sehen, ob unser Haus nicht noch andere Mineralien aufzuweisen hat. Ihr könnt bis dahin vielleicht ein wenig darüber nachdenken.

Schlussbild Erster Abend

[S. 14]

Titelbild Zweiter Abend

Zweiter Abend.

Heda, Kurt! Hans! ruft Dr. Ehrhardt aus der Tür seines Studierzimmers den von oben herabpolternden Knaben entgegen, wo steckt ihr denn heute so lange? Es ist ja schon ganz dunkel.

Kurt: Ach, Vater, wir sind oben auf dem Boden gewesen und haben das große Puppentheater heruntergeholt, um damit zu spielen. Aber das sah aus!

Hans: Ja, lauter Spinnengewebe saßen in den Ecken, und eine große schwarze Spinne wäre mir beinah in den Ärmel gekrochen, wenn ich sie nicht noch rechtzeitig abgeschüttelt hätte.

Dr. E.: Na, das wäre doch auch nicht so ein großes Unglück gewesen!

Hans: Aber es war ja eine ganz große! Und sie lief so schnell!

Dr. E.: War sie denn größer als du selbst? Ich meine, ein ordentlicher Junge soll sich vor nichts fürchten, am[S. 15] wenigsten vor einem so winzigen Tierchen, das er mit einem Finger zerdrücken kann.

Der Widerwille gegen Spinnen

Hans: Ach, Papa, die Spinnen sind doch zu garstig, die mag ja kein Mensch leiden!

Dr. E.: Höre mal, Hans: Wie du noch ein ganz kleiner Junge warst, daß du kaum laufen konntest, da hast du immer die Kakerlaken in der Küche gegriffen, und wie ich dir eine solche Spinne wie heute in die Hand gab, da hast du laut aufgejauchzt vor Freude über das hübsche Tier.

Hans: Ja, damals! Aber Doris sagt, sie wären giftig und brächten Unglück.

Dr. E.: Nun, da haben wir’s! Dacht’ ich mir doch, daß wieder so ein Kinderstubenklatsch dahinter stecke! Giftig sind unsere einheimischen Spinnen für den Menschen nicht, und Unglück können sie natürlich auch nicht bringen.

Kurt: Aber häßlich sind sie doch, Vater. Ich kann sie auch nicht leiden.

Dr. E.: Ob hübsch oder häßlich, das ist eine sehr schwierige Frage. Hübsch ist doch das, was zweckentsprechend erscheint, und von diesem Gesichtspunkt aus ist die Spinne ebenso wohlgebaut, wie irgendein anderes Tier oder wie wir selbst.

Fritz: Das ist wohl wahr, aber die Spinnen müssen doch etwas in ihrem Wesen haben, was uns unheimlich ist. Sonst würde dieser Widerwille kaum so allgemein sein.

Dr. E.: Dieser allgemeine Abscheu beweist doch weiter nichts, als daß die armen Spinnen von altersher, wie die Kröten, vom unwissenden Volk als giftig und unheilbringend betrachtet wurden, und daß diese irrige Ansicht auch heute noch unser Gefühl beeinflußt. Wie ungerecht der Mensch in dieser Hinsicht sein kann, das lehrt z. B. die geradezu unglaubliche Furcht, welche die Italiener vor den so harmlosen Geckos hegen, einer in den Häusern lebenden Eidechsenform mit Haftscheiben an den Zehen. Ich selbst habe gesehen, wie sie ein solches Tier in grausamster Weise zu Tode marterten. Dabei glaubten sie dann noch ein gutes Werk zu tun.

Kurt: Ja, das mag alles sein; aber die Spinnen kann ich doch nicht anfassen.

Dr. E.: Von dir, lieber Kurt, hätte ich das am allerwenigsten[S. 16] erwartet, da du doch sonst ein vernünftiger Junge bist. Den sogenannten „natürlichen“ Widerwillen, der uns aber erst in der Kinderstube eingeimpft ist, muß man doch, wenn man größer wird, auch ein wenig bekämpfen können. Sieh, da war einmal ein berühmter Astronom, ich glaube Mädler war es, der als Knabe seinen Vater bat, Naturforscher werden zu dürfen. „Das ist nicht so leicht, mein Junge“, sagte der Vater; „ein Naturforscher darf vor nichts zurückschrecken und muß ein ganzer Kerl sein; ein Naturforscher muß Spinnen essen können.“ Mädler ging still hinaus. Als aber 14 Tage verflossen waren, trat er in des Vaters Stube mit einem großen Butterbrot, das dick mit Spinnen belegt war. „Sieh, Vater, nun kann ich’s,“ sagte er, und biß herzhaft hinein. Das war aber eben auch ein Junge, aus dem nachher etwas Großes geworden ist. Da solltet ihr doch wenigstens so viel Selbstüberwindung haben, daß ihr die Tiere gelegentlich einmal anfaßt und sie genauer betrachtet. Auch mir waren sie als Knaben recht widerwärtig. Da beschloß ich mir eine Sammlung von Spinnen anzulegen, und bald war der Widerwille wie weggeblasen.

Grausamkeit der Spinnen

Fritz: Aber es läßt sich doch nicht leugnen, Vater, daß die Spinnen sehr grausame Geschöpfe sind, die andern nachstellen und sie auffressen.

Dr. E.: Diese Eigenschaft hat die Spinne mit recht vielen andern Tieren gemein, denen man ganz und gar keinen Vorwurf daraus macht. Die Spinne frißt Fliegen und Mücken; genau dasselbe tun die Nachtigall und die Schwalbe, ohne daß sie uns deshalb garstig oder grausam erschienen. Ein jedes Geschöpf hat das Recht zu leben und die Nahrung zu suchen, die ihm zuträglich ist. Auch der Mensch tötet Millionen von harmlosen Tieren, um nicht selbst Hungers zu sterben.

Fritz: Aber die Hinterlist, mit der die Spinne ihre Netze spinnt und die armen Tiere darin zappeln läßt!

Dr. E.: Das scheint mir eher ein Grund der Bewunderung als des Abscheus zu sein. Gegen die Schwalbe kann sich eine Fliege nicht wehren; da ist es einfach die rohe Gewalt, welche ihr den Garaus macht. Wo diese aber nicht ausreicht, da muß die Klugheit helfen. Oder wirst du es so völlig verdammen, daß auch der Mensch List anwendet, um solcher Tiere habhaft zu werden, die er sonst nicht erjagen[S. 17] kann? Willst du unsere Fischer deswegen verabscheuen, daß sie ihre Fische mit Netzen fangen?

Fritz: Nein, das gerade nicht. Aber mit dem Menschen ist es doch ganz etwas anderes.

Dr. E.: Aha, ich verstehe. Du willst auf das schöne lateinische Sprichwort hinaus: „Quod licet Iovi, non licet bovi“. Was die Herren der Schöpfung sich erlauben können, das darf so ein jämmerliches Spinnentier noch lange nicht! Allein ich denke, wer im Glashause sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Was wir trotz aller unserer Macht und Klugheit zu tun genötigt sind, um uns zu ernähren, das dürfen wir auch dem so unendlich hilfloseren und schwächeren Tierchen nicht verargen. Hunger tut weh, und sauer genug läßt es sich die arme Spinne werden, um ihr Dasein zu fristen.

Hans: Aber die Spinnen brauchten doch gar nicht in der Welt zu sein! Warum gibt es denn solche Tiere, die nichts tun, als andere aufzufressen?

Dr. E.: Das ist eine Frage, die man leider noch von sehr vielen sonst gebildeten Menschen hören muß, sobald es sich um ein Geschöpf handelt, das dem Menschen nicht nützlich ist oder ihm sogar Schaden bringt. Die stillschweigende Voraussetzung dabei ist natürlich, daß alles auf der Welt nur des Menschen wegen da sei. Das aber ist eine grenzenlose Überhebung. Wir wollen und sollen uns damit begnügen, daß wir von der Natur so glücklich ausgestattet sind, um allmählich die Herrschaft über alles zu erringen, was die Erde hervorgebracht hat. Aber eine Berechtigung zu leben hat jedes Wesen ebensogut wie wir, ja es könnte von seinem Standpunkte aus vielleicht mit noch viel größerem Rechte fragen, wozu denn eigentlich der Mensch da sei, der ihm nichts nützt und es verfolgt, wo es sich nur blicken läßt.

Kurt: Ja, das ist auch wahr, Vater, und ich kann mich immer ärgern, wenn so ein Straßenjunge aus reiner Bosheit einen armen Schmetterling oder Käfer quält, der ihm gar nichts getan hat. Ich will nun versuchen, meinen Widerwillen gegen die Spinnen zu bekämpfen.

Dr. E.: Tu das, lieber Kurt. Du wirst sehen, daß es wenige Tiere gibt, die so sehr unser Interesse verdienen, wie gerade die Spinnen.

[S. 18]

Fritz: Du meinst wohl wegen der Netze, die sie spinnen?

Dr. E.: Das ist wenigstens eine ihrer Fähigkeiten, die schon der Betrachtung wert ist. — Wie sahen denn die Spinngewebe aus, Hans, die in dem Puppentheater waren?

Hans: Sie saßen quer in den Ecken und waren ganz staubig.

Netz der Hausspinne. Spinndrüsen. Spinnwarzen

Dr. E.: Dacht’ ich’s doch, daß es sich um unsere Hausspinne[1] handelte. Habt ihr weiter gar nichts an den Geweben bemerkt?

Kurt: Ja, ich glaube gesehen zu haben, daß die eine Spinne, wie sie gestört wurde, durch das Netz durchkroch und unten heraus kam. Ich wunderte mich noch, wie sie durch das dicke Gewebe durchkonnte.

Dr. E.: Das kann sie auch nicht. Deine Beobachtung war ein wenig flüchtig, sonst würdest du bemerkt haben, daß das Netz nicht ganz wagerecht bis in die Ecke hinein verläuft, sondern dort sich trichterförmig in die Tiefe senkt und sich nach unten öffnet. Dieser Trichter ist der eigentliche Schlupfwinkel der Spinne. Droht ihr von oben Gefahr, so schlüpft sie nach unten durch; kommt aber die Störung von unten, so kann sie nach oben entfliehen. Ihr seht, so ein armes Tierchen sucht sich zu sichern, so gut es kann. Dabei ist unsere Hausspinne noch gar nicht einmal eine besonders hervorragende Baumeisterin, sondern viele ihrer Verwandten sind ihr in dieser Kunst weit überlegen.

Fritz: Ja, das Netz der Kreuzspinne[2] scheint mir z. B. viel kunstvoller und ist wohl auch zum Fang der Tiere besser geeignet.

Hans: Ach, das sind wohl diese großen radförmigen Gewebe, die manchmal zwischen zwei Bäumen hängen und fast aussehen, wie eine Scheibe mit ihren Ringen? In der Mitte sitzt dann meist eine große dicke Spinne mit weißem Kreuz auf dem Rücken.

Dr. E.: Ganz recht, das sind die Fangnetze der Kreuzspinne. Auch ich muß zugeben, daß sie mit zu den schönsten gehören, die ich kenne.

Kurt: Ich habe schon öfter darüber nachgedacht, wie sie wohl so etwas zustande bringen.

Dr. E.: Nun, woher der Stoff kommt, aus dem das Netz angefertigt ist, wißt ihr ja wohl.

Fritz: Natürlich! Die Spinnen haben in ihrem Hinterleib Drüsen, aus denen die Fäden gebildet werden.

[S. 19]

Dr. E.: Das ist wohl etwas unklar ausgedrückt. Allerdings besitzen die Spinnen in ihrem dicken Hinterleib Drüsen. Was aber in diesen gebildet wird, ist nichts als eine klebrige Flüssigkeit, die sich dann allerdings, ähnlich wie unser Speichel, zu langen Fäden ausziehen läßt. Kannst du mir denn auch sagen, Fritz, wodurch dieses Fadenziehen des flüssigen Spinnstoffes herbeigeführt wird?

Fritz: Ich denke, ja. Am Ende des Hinterleibs sitzt eine Anzahl von Höckern, die sogenannten Spinnwarzen, und auf diesen befinden sich an den Enden zarter Röhrchen die Mündungen der Drüsen. Aus ihnen wird der flüssige Spinnstoff herausgepreßt und muß so Fäden bilden.

Dr. E.: Gut, Fritz. Ich will nur noch hinzufügen, daß die sechs Spinnwarzen der Kreuzspinne im ganzen über 1000 solcher Röhrchen tragen, während unsere Hausspinne deren immer noch gegen 400 besitzt. Aus jedem derselben kann nun der flüssige Spinnstoff in einem unendlich feinen Strahl herausgetrieben und zum Fädchen gepreßt werden, so daß demnach der dickste Faden, den die Spinne zu erzeugen vermag, aus 1000 durch ihre Klebrigkeit miteinander verschmolzenen Fädchen zusammengesetzt wäre. Doch ist es wohl sicher, daß nicht alle Spinnwarzen gleichzeitig in Tätigkeit treten. Will nun die Spinne ein Netz fertigen, so muß sie zunächst die Verbindung herstellen zwischen den Zweigen oder Bäumen, zwischen denen dasselbe ausgespannt sein soll. Man hat viel darüber gestritten, wie sie das anfängt. Die gewöhnliche Annahme war, daß sie damit beginnt, ihre Spinnwarzen gegen den Zweig zu drücken, auf dem sie sitzt, den austretenden Faden dadurch festklebt und sich nun fallen läßt. Durch das Gewicht ihres eigenen Körpers wird weiterer Spinnstoff aus den Drüsen herausgezogen, so daß sie bald an einem langen Faden hängt.

Fritz: O, dann kann ich mir schon denken, wie es weiter geht. Dann schwingt sie wahrscheinlich an dem Faden so lange hin und her, bis sie irgendwo den andern Baum mit ihren Füßen erreicht und nun den Faden hier befestigen kann.

Dr. E.: So ungefähr hat man sich tatsächlich den Hergang lange vorgestellt. Neuere Beobachtungen aber widersprechen dem sehr entschieden. Danach kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Spinne die Fähigkeit besitzt, aus ihren Spinnwarzen lange Fäden frei herauszupressen oder herauszuschießen, die dann, mit dem Winde dahinflutend,[S. 20] an benachbarte Zweige oder Bäume derart sich anheften, daß sie ohne weiteres als Brücken benutzt werden können. Die Spinne braucht daher ihren Platz gar nicht zu verlassen und kann auf viel einfachere Weise, als man früher glaubte, die Verbindung mit benachbarten Gegenständen herstellen.

Hans: Wenn aber nun gar kein Wind ist, Papa? Dann können doch die Fäden nicht wegwehen.

Netz der Kreuzspinne

Dr. E.: Ein leichter Lufthauch, der feine Spinnwebfäden in Bewegung setzen kann, dürfte in der freien Natur wohl selten fehlen; außerdem scheint es, als wenn die Spinne bei ganz schwachem Winde noch eine andere Methode anwendet. Sie läßt sich dann so, wie ich es vorhin beschrieb, von ihrem Sitze an einem Faden herunter, der aber kein einfacher Strang ist, sondern außer dem sogenannten Begleitfaden, den das Tier immer nach sich zieht, noch ein ganzes Bündel feiner Fädchen enthält. Diese Fädchen werden, wenn die Spinne frei hängt, an der Mündung der Spinnwarzen abgekniffen oder abgerissen, so daß sie nun mit ihrem unteren Ende frei sind und durch die geringste Luftbewegung seitwärts zu benachbarten Gegenständen geführt werden, wo sie vermöge ihrer Klebrigkeit haften.

Fritz: Aber wenn die Spinne nun auch glücklich einen Faden etwa zwischen zwei Bäumen ausgespannt hat, so sehe ich noch immer nicht recht, wie daraus ein Netz werden kann.

Dr. E.: Das kommt daher, daß du ein solches Spinnennetz wohl noch niemals genauer angesehen hast. Sonst würdest du vielleicht darauf gekommen sein, daß das Wichtigste und Schwierigste der ganzen Anlage der sogenannte Rahmen ist, d. h. diejenigen besonders starken Fäden, welche schräg von einem Baum zum andern und wieder zurücklaufen und das eigentliche Rad zwischen sich zu tragen haben.

Fritz: Dann muß das Tier also jedenfalls, nachdem es auf dem ersten Faden zum andern Baum hinübergelangt ist, zunächst einen zweiten Faden herstellen, der wieder zum ersten Baum zurückführt.

Dr. E.: So wird es wohl in der Regel sein. Wenn wir nun beachten, daß der erste Faden von einem höhern Punkte schräg abwärts nach drüben verläuft und der zweite Faden in ähnlicher Weise etwa schräg abwärts zum ersten Baum zurück, so sehen wir, daß die beiden Fäden einen spitzen Winkel bilden, dessen Scheitelpunkt drüben[S. 21] am zweiten Baume liegt. Wenn die Spinne nun diese beiden Hauptfäden des Gewebes durch zwei senkrechte Fäden verbindet, von denen der eine nahe dem Scheitelpunkt des Winkels, der andere da angebracht ist, wo die Schenkel weiter auseinander stehen, so hat sie dadurch einen etwa trapezförmigen Rahmen geschaffen, in dem dann das eigentliche Netz seinen Platz findet. Ehe dies in Angriff genommen wird, müssen natürlich die Fäden des Rahmens erst gehörig straff gespannt werden, was durch Hilfsfäden, die nach verschiedenen Richtungen verlaufen, erreicht wird. Jetzt wird schräg durch den Rahmen ein Durchmesser gezogen und dann vom Mittelpunkt desselben aus eine Anzahl Strahlen nach allen Richtungen des Kreises, die an den Fäden des Rahmens befestigt werden. Ist auch dieses vollbracht, so sind endlich noch die Strahlen durch spiralförmig um den Mittelpunkt herumgeführte Fäden miteinander zu verbinden, und das Netz ist fertig. Die Spinne begibt sich nun meist in die Mitte des Netzes, wo sie mit ausgespreizten Beinen hängt, um jede Erschütterung an den Maschen des Netzes bemerken zu können.

Kurt: Wie lange braucht denn die Spinne, um so ein Netz zustande zu bringen?

Dr. E.: In der Regel ist sie in wenigen Stunden damit fertig. Ihr kennt ja doch die hübsche Sage vom Mohammed, der seinen Verfolgern nur dadurch entging, daß eine Spinne alsbald ihr Netz in dem Eingange der Höhle ausspannte, in welche er sich geflüchtet hatte.

Fritz: Unklar ist mir doch noch, wie nun die Spinne mit einem solchen radförmigen Netz Insekten fangen kann. Bleiben denn die Tiere an den Fäden kleben? Dann müßte doch auch die Spinne in der Mitte ebensogut einmal festkleben.

Dr. E.: Das Feld in der Mitte des Netzes, wo die Spinne sitzt, die sogenannte Warte, ist aus trockenem, nicht klebrigem Spinnstoff gefertigt, so daß die Spinne dort nicht vorsichtig zu sein braucht. Dasselbe gilt von den Radien und einem Teil der Ringfäden. Zum Fange dienen ganz allein diejenigen Ringfäden, welche durch winzige Knötchen oder Tröpfchen klebrig sind. An diesen Tröpfchen, von denen ein Kreuzspinnennetz über 100000 besitzt, leimen sich die Insekten beim Anfliegen fest, während die Spinne selbst, welche ja mit ihren wie kleine Taschenkämme geformten Klauen vortrefflich auf den Fäden zu laufen[S. 22] versteht, diese Klebfäden sorgfältig vermeidet. Ein starkes Insekt, etwa eine Wespe oder Hornisse, reißt sich übrigens meist wieder los, oder die Spinne selbst hilft dem ungebetenen Gast dadurch, daß sie einige Fäden abbeißt. Kleinere, die noch nicht recht festgeleimt sind, werden hingegen häufig von der hinzueilenden Spinne schnell mit einigen Fäden umsponnen oder durch einen Biß zur Ruhe gebracht. Die erlegte Beute wird dann meist abseits in einem Schlupfwinkel, der aber seine Verbindung mit dem Mittelpunkte des Netzes hat, in aller Ruhe ausgesogen.

Hans: Sag’ mal, Papa, fangen denn alle Spinnen ihre Beute mit solchem Netz?

Dr. E.: Nein, mein Junge. Es gibt auch recht viele, welche ihre Beute einfach erjagen, und manche ahmen sogar die Katzen nach, indem sie sich im Sprunge auf ihr Opfer stürzen.

Kurt: Die können dann wohl gar nicht spinnen?

Dr. E.: Doch! spinnen können sie auch, aber sie benutzen ihre Kunst zu anderen Zwecken.

Kurt: Und was machen sie damit?

Tapezierspinnen. Wasserspinne

Dr. E.: Nun, z. B., sie bauen sich eine Wohnung oder, wenn sie in unterirdischen Höhlen leben, so tapezieren sie sie aus.

Fritz: Was soll denn das nützen, Vater?

Dr. E.: Ich denke, euch würde eine tapezierte Erdhöhle auch besser gefallen, als eine, wo ihr immer direkt auf der kalten, feuchten Erde sitzen müßtet, und wo überdies fortwährend zu fürchten wäre, daß Erde nachstürzt und euch begräbt.

Fritz: Das ist richtig. Gibt es denn bei uns auch solche Höhlenspinnen?

Dr. E.: O gewiß, eine ganze Menge. Die größten Künstler unter ihnen gehören allerdings mehr dem Süden und besonders der heißen Zone an. Dort gibt es Spinnen,[3] die nicht nur eine selbst gegrabene Erdröhre hübsch austapezieren, sondern sie noch überdies mit einem Klappdeckel versehen, der oben wie die Erde der Umgebung aussieht, innen aber ebenfalls wie mit Seide belegt ist und durch ein Band aus Spinnstoff gleich der Tür in der Angel auf- und zugeklappt werden kann.

[S. 23]

Kurt: Dann sieht man also diese Nester von oben gar nicht?

Dr. E.: Nein, und das Drolligste ist, daß diese Tierchen nach Kräften ihr Hausrecht zu wahren wissen. Versucht man einen solchen Deckel aufzuheben, so hält die Spinne ihn von innen mit aller Macht zu, indem sie sich an den Seiten anstemmt und mit einigen Krallen in das Gespinst des Deckels greift, das zu diesem Zweck mit kleinen Löchern zum Einhaken versehen ist.

Fritz: Das ist schade, daß man so etwas nicht einmal beobachten kann.

Dr. E.: Nun, in Südeuropa, z. B. auf den Balearen, wo ich selbst die Nester ausgraben konnte, ist schon eine dieser Tapezierspinnen zu finden, so daß du also doch vielleicht einmal Gelegenheit hast, deinen Wunsch erfüllt zu sehen. Andererseits kenne ich bei uns eine Spinnenart, deren Nest mir noch viel abenteuerlicher erscheint als das der Tapezierspinnen. Und das könntet ihr im Sommer jeden Tag sehen.

Fritz: Aber ich denke, die Kreuzspinne macht das kunstvollste Netz?

Dr. E.: Jetzt wollen wir nicht Netz und Nest miteinander verwechseln. Diesmal sprach ich nicht von einer Einrichtung zum Fang der Tiere, sondern von einer Wohnung, einem Schlupfwinkel, der sowohl in bezug auf seinen Bau, wie namentlich in bezug auf den Ort, wo er sich befindet, etwas ungemein Überraschendes hat.

Kurt: Da bin ich doch wirklich neugierig!

Dr. E.: Es handelt sich um eine Spinne, welche ihre Wohnung im Wasser baut.

Fritz: Im Wasser? Aber die Spinnen sind ja luftatmende Tiere! Wenn man eine Spinne ins Wasser wirft, wird sie doch bald untergehen und ertrinken.

Dr. E.: Für gewöhnlich, ja. Diese Art aber, die Wasserspinne[4], besitzt ein Mittel, ohne Schaden lange unter Wasser aushalten zu können. Sie trägt nämlich einen grauen, seidigen Haarpelz, der so dicht ist, daß die Luft in demselben hängen bleibt. Wirft man eine solche Spinne ins Wasser, so erscheint ihr Hinterleib von der anhängenden Luft wie eine silberglänzende Kugel, und diese Luft liefert ihr denn auch unter Wasser den nötigen Sauerstoff zum Atmen.

[S. 24]

Kurt: Aber wie sieht denn das Nest aus? Das muß doch ungemütlich sein, wenn sie darin immer ganz im Wasser sitzt.

Dr. E.: O, das tut sie auch nicht; sie sitzt unter Wasser ganz im Trockenen.

Fritz: Jetzt machst du wohl Scherz, Vater!

Dr. E.: Nein, mein Sohn, keineswegs. Die Spinne baut unter Wasser ein Nest in Form einer Glocke oder eines unten offenen Fingerhutes, das sie an Wasserpflanzen durch Fäden befestigt. Dann kriecht sie hinein und streift mit den Beinen die Luft von ihrem Hinterleib, die nun als Luftblase zur Wölbung der Glocke emporsteigt, aber von dem dichten Gewebe hier aufgehalten wird. Alsbald wird neuer Luftvorrat von oben geholt, und mit dem Eintragen desselben in das Nest so lange fortgefahren, bis es voll ist. Die Spinne wohnt mit ihrer Brut so mitten im Wasser in einem trockenen Palast, ganz ähnlich, wie es in unseren Märchen von den Nixen und Wassermännern beschrieben wird.

Fritz: Das muß ja allerliebst aussehen! — Kümmern sich denn aber die Spinnen überhaupt um ihre Jungen? Ich habe doch immer gehört, daß die Spinnen sich auffressen, wenn sie sich zu nahe kommen.

Brutpflege. Fliegende Sommer. Spinnmilben

Dr. E.: Das letztere ist wohl richtig, obgleich es auch Spinnen gibt, die gesellig beieinander leben. Allein in bezug auf Mutterliebe kann die Spinne es mit jedem andern Tier und auch mit dem Menschen aufnehmen. Das Mindeste, was eine Spinne tut, ist, daß sie ihre Eierchen mit einem weichen seidenartigen Gespinst umgibt und diesen Eierballen, der oft die zierlichsten Formen besitzt, irgendwo an einem geschützten Orte unterbringt. Viele begnügen sich aber nicht damit; sie beschützen sie in eigenen Wohnungen, oder sie tragen sie sogar als rundliche Kugel zwischen den Hinterbeinen mit sich umher. Ja, selbst die ausgekrochenen kleinen Spinnchen werden nicht selten von der Mutter noch eine Zeitlang auf dem Rücken getragen, bis sie sich selbständig ernähren können.

Kurt: Kann man denn im Winter auch Spinnen finden? Ich hätte wohl Lust, mir eine kleine Sammlung anzulegen.

Dr. E.: Gewiß gibt es im Winter auch Spinnen, die unter Laub, Moos, in Erdhöhlen usw. ihren Winterschlaf halten. Aber ihre Zahl ist gering, denn die meisten überwintern als Eier. Die beste Zeit zum Spinnensammeln ist der Herbst, wenn die Heide blüht und am[S. 25] taufeuchten Morgen Wiese und Feld mit Tausenden der zarten Gewebe bedeckt sind. Um diese Zeit kann man auch die allerschönste Anwendung beobachten, welche die Spinnen von ihrer Webekunst zu machen wissen, nämlich die Herstellung von Luftballons.

Fritz: Ach, damit meinst du wohl die sogenannten fliegenden Sommer? Ich habe immer gedacht, das wären losgerissene Spinnengewebe und mich nur gewundert, daß dies bloß im Herbst geschieht.

Dr. E.: Um zufällig losgerissene Netze handelt es sich keineswegs, sondern diese Fadenmassen, die ja oft wie lange wallende Gewänder durch die Luft ziehen, sind eigens für die Luftschiffahrt gebaut worden.

Fritz: Aber wie machen die Spinnen denn das, und welchen Zweck hat diese ganze seltsame Gewohnheit?

Dr. E.: Die fliegenden Sommer werden ausschließlich von jungen und kleinen Spinnenarten verfertigt. Die kleinen Tierchen begeben sich auf irgendeinen erhöhten Punkt, sagen wir auf einen Kartoffelsack im Felde, drücken die Spinnwarzen gegen die Unterlage und ziehen den Faden dadurch aus, daß sie den Hinterleib nun schräg emporrichten, dabei mit ihren Vorderbeinen an einigen vorher gesponnenen Fädchen sich festhaltend. Der starke Herbstwind spielt mit dem Faden und zieht, ihn verlängernd, weiteren Spinnstoff aus den Drüsen heraus. In ähnlicher Weise werden immer neue Fäden gesponnen. Endlich ist das Floß stark genug; es wird vom Winde emporgehoben, und zwar mitsamt der kleinen Luftschifferin, die nun so lange damit umhersegelt, bis es irgendwo strandet. Dann springt das Tierchen geschwind ab und sucht sich in der neuen Umgebung einen Schlupfwinkel für den Winter. Die ganze Einrichtung ist also als ein Mittel zur weiteren Verbreitung der Art und zur Gewinnung besserer Winterquartiere anzusehen.

Kurt: Neulich habe ich aber noch etwas sehr Merkwürdiges gesehen, das ich mir auch heute noch nicht erklären kann: die Linden auf unserm Schulhof, der Stamm und die Äste waren über und über mit einem feinen Gespinst bedeckt, so daß sie wie mit Reif überzogen aussahen. Unter dem Gespinst bemerkte man namentlich in den Ritzen der Borke zahllose winzige gelbrötliche Tierchen, die ich für junge Spinnen hielt.

Spinnmilben. Verwertung des Spinnstoffs

Dr. E.: Eigentliche Spinnen waren das nun gerade nicht, aber[S. 26] sie gehören wenigstens zur großen Klasse der Spinnentiere. Es handelte sich augenscheinlich um ein starkes Auftreten der sogenannten Spinnmilbe,[5] die vor allen anderen Verwandten ihrer Gruppe, den Käsemilben, Holzböcken, Sammetmilben usw., die Fähigkeit des Spinnens voraus hat. Besondern Schaden werden sie wohl nicht angerichtet haben.

Fritz: Kann man denn solche Gespinste zu Gewebestoffen für den Menschen verarbeiten? Ich sollte meinen, so wie den Seidenspinner müßte man doch auch die Spinnen gewissermaßen als Haustiere züchten und ihr Gespinst weiter verwerten können.

Dr. E.: Diesen Gedanken haben natürlich schon andere Leute gehabt, und gerade in jüngster Zeit ist wieder viel die Rede von einer großen madagassischen Spinne,[6] die sehr starke und haltbare Fäden liefern soll. Auf der letzten Pariser Weltausstellung war sogar eine ganze Garnitur Bettvorhänge aus der Seide dieser Tiere zur Schau gestellt. Allein ich fürchte, sehr weit wird man mit derartigen Versuchen wohl niemals kommen. Darf man doch nicht vergessen, daß die Raupe des Seidenspinners ein Pflanzenfresser ist, für welchen wir das Futter, die Maulbeerblätter, in jeder beliebigen Menge herbeischaffen können, während die Spinnen zu den Raubtieren gehören und daher ungleich schwieriger zu ernähren sind, zumal sie die ihnen in der Gefangenschaft dargebotene Nahrung nur selten willig annehmen. Auch von den madagassischen Spinnen wird berichtet, daß sie nach Abgabe ihres Spinnstoffs alsbald eine Weile in Freiheit gesetzt werden müssen, um sich wieder regelrecht satt zu essen. Unter solchen Umständen werden wir unsere Hoffnungen auf Spinnenseide gewiß nicht allzu hoch spannen dürfen. — Die Fäden der heimischen Spinnen finden nur für die sogenannten Fadenkreuze der Fernrohre Verwendung.

Kurt: Soll ich mir denn eine Spinnensammlung anlegen, Vater?

Dr. E.: Das ist jedenfalls nicht so einfach, wie eine Käfer- oder Schmetterlingssammlung. Die Spinnen sind zu weich, um trocken aufbewahrt werden zu können. Man muß sie also in Spiritus sammeln und jede Art in ein besonderes kleines Röhrengläschen tun. Dabei verlieren dann viele ihre Farben. Außerdem gibt es für das Bestimmen[S. 27] nicht solche hübschen Bücher, wie bei den Käfern und Schmetterlingen, mit denen auch schon ein Knabe etwas anfangen kann. Die Spinnen sind eben auch nach dieser Richtung hin von jeher recht stiefmütterlich behandelt worden, und in ganz Deutschland gibt es augenblicklich wohl kaum ein Dutzend Personen, welche sich etwas eingehender mit diesen Tierchen beschäftigt haben. Willst du es aber versuchen und ernstlich an die Arbeit gehen, so will ich dir gern helfen, soweit ich selbst über die vielen verschiedenen Arten unterrichtet bin.

Spinnwarzen
Fuss einer Kreuzspinne.

[S. 28]

Titelbild Dritter Abend

Dritter Abend.

Nun, Kinder, fragt Dr. Ehrhardt am folgenden Sonntage, als die Knaben zur gewohnten Plauderstunde um ihn versammelt sind, habt ihr euch inzwischen nach weiteren Mineralien im Hause umgesehen?

Kochsalz, Löslichkeit

Fritz: O ja, Vater. Ich habe zunächst gefunden, daß zwar sehr vieles aus dem Mineralreiche stammt, wie der Ofen, die Fensterscheiben, das Porzellan, das Geld, die eisernen, kupfernen und messingnen Gerätschaften, daß aber die wirklichen Mineralien doch nur sehr sparsam vorhanden sind. Zu diesen rechne ich z. B. das Quecksilber im Thermometer, das ja wohl ebenso in der Natur vorkommt;[S. 29] dann aber vor allem das Kochsalz, von dem wir kürzlich gelernt haben, daß es große Lager unter der Erde bildet.

Dr. E.: Gegen das, was du sagst, ist wenig einzuwenden. Quecksilber findet sich in der Tat in Form metallischer Tröpfchen oder, wie man sagt, „gediegen“ hie und da in Gebirgen, wie in Idria und Krain. Auch mit dem Kochsalz hast du recht, denn es wird als sogenanntes Steinsalz in großen Mengen bergmännisch gewonnen. — Kommt denn aber das Salz nur in solchen unterirdischen Lagern vor?

Kurt: O nein, auch im Meer ist viel Kochsalz enthalten.

Dr. E.: Schön, Kurt. Außerdem findet es sich dann noch in sogenannten Solquellen sowie als Steppen- oder Wüstensalz.

Hans: Wovon ist denn das Meer so salzig, Papa?

Dr. E.: Aber Hänschen, weißt du denn nicht, daß im Meere so viele Heringe sind? Da muß es doch wohl salzig davon werden.

Hans: Ach, Papa, jetzt willst du bloß Spaß mit mir machen. Ich weiß ganz gut: die frischen Heringe, die aus dem Meere kommen, sind gar nicht salzig; die werden erst nachher eingesalzen.

Dr. E.: Nun, wenn du es sagst, so muß ich es wohl glauben. Dann heißt es also, einen andern Grund zu finden. Zunächst aber: Woher weißt du denn, daß das Meer salzig ist?

Hans: Ei, es schmeckt ja doch salzig!

Dr. E.: Aber warum schmeckt es denn?

Hans: Ja, das kann ich nicht weiter sagen. Wenn Salz drin ist, muß es doch danach schmecken.

Dr. E.: Das sehe ich noch nicht ein. Warum schmeckt denn das Meer nicht nach Kieselsteinen? Die sind doch auch drin.

Kurt: Das ist doch nicht schwer zu erklären! Kieselsteine schmecken ja überhaupt nicht; Salz schmeckt aber, wenn wir es in den Mund nehmen.

Vorkommen des Salzes. Salzgehalt des Meerwassers

Dr. E.: Und ihr könnt mir nicht in klaren Worten ausdrücken, woher das kommt?

Fritz: O, ich kann es. Salz löst sich im Wasser und also auch im Speichel des Mundes, und so kann es auf die Geschmacksnerven unserer Zunge einwirken. Kieselsteine sind unlöslich, und folglich wirken sie auch nicht auf unser Geschmacksorgan.

Dr. E.: So war’s gut. Was ich wissen wollte, war, daß das Kochsalz im Wasser löslich ist, wie ihr ja übrigens an jeder Fleischsuppe beobachten könnt.

[S. 30]

Kurt: Das hab’ ich schon lange gewußt! Ich weiß auch, daß Tante Lotte gegen ihren Rheumatismus immer künstliche Seebäder braucht. Da wird ein ganzer Eimer Salz in die Badewanne geschüttet, und das löst sich dann in gewöhnlichem Wasser auf.

Dr. E.: Nun, dann hat vielleicht irgend jemand auch ins Meer eine recht große Portion Salz hineingeschüttet, daß es dadurch salzig geworden ist.

Fritz: Aber Vater! Ich kann es mir ja sehr gut denken, daß das Meer alle Salzlager, auf die es traf, aufgelöst hat, und daß es so zu einer Salzlösung wurde. Ich weiß nur nicht, warum alle Meere salzig sind, während dies doch bei den Seen und Flüssen selten oder gar nicht vorkommt.

Dr. E.: Wenn irgendwo Salz im Meere aufgelöst wird, so versteht es sich eigentlich von selbst, daß dieser Salzgehalt auch dem Wasser aller anderen Meere sich mitteilen muß, da, wie ihr wißt, alle Meere zusammenhängen und ihr Wasser durch mannigfache Strömungen miteinander austauschen. Was aber deine zweite Bemerkung anlangt, daß die Seen und Flüsse nie oder doch nur selten Salz enthalten, so beruht dieselbe auf einem vollständigen Irrtum. Im Gegenteil, wir können wohl mit einigem Rechte sagen, daß alles Quell-, Fluß- und Seewasser auf der Erde Salz enthält, wenn auch meist in so geringen Mengen, daß wir es nicht schmecken können. Einen deutlichen Geschmack davon haben wir erst, wenn in 1000 Teilen Wasser mehr als ein Teil Salz enthalten ist.

Fritz: Das habe ich freilich nicht gewußt. Aber klar ist mir die Sache darum doch noch nicht. Denn ich sehe noch immer nicht ein, warum dann das Meer so viel Salz enthält, daß es abscheulich danach schmeckt, während in den Seen und Flüssen so wenig ist, daß man reines Wasser zu trinken glaubt.

Dr. E.: Das ist endlich eine Fragestellung, die ich mir gefallen lasse. Wir wollen doch sehen, wieweit ihr selbst mit deren Beantwortung zustande kommt. — Weißt du noch, Hansel, was wir neulich vom Regen besprochen haben?

Hans: O ja, Papa! Der Regen kommt zuerst als Wasserdampf aus dem Meer. Der Wasserdampf kühlt sich oben in der Luft zu Dunstbläschen ab, und diese bilden dann die Regenwolken.

Dr. E.: Ganz gut. Und hast du behalten, Kurt, wie das Wasser des Regens beschaffen war?

[S. 31]

Kurt: Ja, das war fast ganz reines Wasser, weil es gewissermaßen durch Destillation entstanden war.

Dr. E.: Gewiß. Bleibt dieses Wasser so rein, wenn es in den Erdboden sickert und als Quelle wieder irgendwo zum Vorschein kommt?

Fritz: Nein, dann hat es viele lösliche Stoffe aus dem Boden in sich aufgenommen.

Dr. E.: Richtig, und unter diesen natürlich auch das überall verbreitete Kochsalz, das auf diese Weise in die Bäche und Flüsse gerät.

Fritz: Da aber alle Flüsse zuletzt ins Meer münden, so werden demselben fortwährend die gelösten Kochsalzmengen zugeführt. Das ist ja nicht schwer zu begreifen. Aber dabei handelt es sich doch immer nur um eine ganz schwache Lösung!

Dr. E.: Das wird niemand in Abrede stellen. Wenn du jetzt nur ein klein wenig nachdenken wolltest, würdest du die Lösung des Rätsels schon finden können! Überlege doch noch einmal alles, was wir eben festgestellt haben. Denke auch daran, daß die Menge des Wassers im Meere trotz aller Zuflüsse immer die gleiche bleibt, da annähernd ebensoviel verdampft wie zufließt.

Fritz: Also aus dem Meere steigt fortwährend Wasserdampf auf, der zu reinem Wasser wird; dieses fällt auf die Erde, nimmt Salz auf und fließt dann wieder ins Meer — —

Kurt: O, ich hab’s. Die Salzmenge im Meer wird immer größer, weil die Flüsse immer neues hinzubringen, die Wassermenge aber wird nicht größer, weil soviel in die Wolken geht. Folglich muß das Meer immer salziger werden.

Dr. E.: Nun, es scheint, als wenn du die Sache ahnst; klar ausgedrückt aber hast du sie nicht. Am einfachsten wäre es wohl, wenn wir uns das Meer als ein Glas Wasser vorstellen, das fast bis zum Rande gefüllt ist. Wenn wir nun in dieses Glas unausgesetzt Salz hineintun, wenn auch in noch so winzigen Mengen, ohne die Menge des Wassers selbst zu vermehren, so ist selbstverständlich, daß die Masse des Salzes im Verhältnis zum Wasser mehr und mehr zunimmt. Gerade so ist es im Meer. Der Zufluß des Wassers der Flüsse ist nur eine scheinbare Vermehrung des Meerwassers, da ebensoviel in die Luft verdampft; der Zufluß an Kochsalz ins Meer ist aber eine wirkliche Vermehrung, da dasselbe nicht wieder mit[S. 32] dem Wasserdampf in die Wolken geht. Wir können daher den Kreislauf des Wassers ganz außer acht lassen und uns die Sache einfach so vorstellen, als wenn eben nur kleine Mengen Kochsalz ohne Unterlaß in das Meer eingeführt würden. Auf diese Weise hat das Meer im Laufe der Jahrtausende fortgesetzt eine „Anreicherung“ an Kochsalz erfahren und mußte dadurch soviel salziger werden als die Flüsse, welche es ihm zuführen.

Kurt: Aber wenn das so weitergeht, so wird ja schließlich das Meer aus lauter Kochsalz bestehen!

Dr. E.: O nein, mein Junge. Es ist schon dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen! Zunächst kann das Wasser nicht beliebig viel Salz auflösen, wie du wohl glaubst. Es geht ihm ähnlich wie dem Menschen, der auch nur essen kann, bis er gründlich gesättigt ist. Wenn ich in einem Liter Wasser, das bekanntlich ein Gewicht von 1000 Gramm oder einem Kilogramm hat, etwa 350 Gramm Kochsalz aufgelöst habe, also ziemlich ein Drittel seines Gewichts, so ist das Wasser gewissermaßen satt. Ich kann tun, was ich will, alles Salz, was ich nun noch hineinschütte, fällt einfach zu Boden, als wenn das Salz der unlöslichste Körper von der Welt wäre. Man sagt dann: das Wasser ist gesättigt, oder wir haben eine gesättigte Kochsalzlösung. Weiter könnte es also auch mit dem Meere niemals kommen; es könnte eine gesättigte Kochsalzlösung werden mit 350 Gramm Salz auf 1000 Gramm Wasser; alles weitere Salz aber müßte zu Boden fallen.

Gesättigte Lösung

Fritz: Und ist denn das Meer bald so weit, daß es eine gesättigte Lösung darstellt?

Dr. E.: Keineswegs. Die heutigen Meere enthalten durchschnittlich auf 1000 Gramm Wasser nicht 350, sondern nur 35 Gramm Kochsalz, so daß sie also noch zehnmal mehr aufnehmen könnten, ehe sie gesättigt wären. Und sehr viel weiter als jetzt werden sie mit ihrem Salzgehalt auch wohl schwerlich kommen.

Kurt: Warum denn nicht?

Dr. E.: Ich meine, wenn die Quellen schon viele Millionen Jahre das Kochsalz, das sich in der Erde findet, aufgelöst und dem Meere zugeführt haben, so kann das, was noch übrig ist, nicht so schrecklich viel sein, daß dadurch die ungeheure Wassermenge des Ozeans um ein Beträchtliches salziger würde.

[S. 33]

Fritz: Aber ich denke, da sind doch noch die großen Steinsalzlager in der Erde, die aufgelöst werden können?

Dr. E.: Diese sind im allgemeinen durch Ton und andere Schichten, welche das Wasser nicht durchsickern lassen, vor dem Aufgelöstwerden geschützt, sonst wären sie eben schon längst verschwunden. Auch liegen die meisten so tief unter der Erde, daß das in den Erdboden dringende Regenwasser sie nicht mehr erreichen kann.

Kurt: Weiß man denn, wie diese Steinsalzlager entstanden sind?

Dr. E.: Freilich, Kurt; das ist kein großes Geheimnis. Wir haben bisher nur immer von dem allgemeinen Weltmeer gesprochen, dessen Wasser noch lange nicht mit Kochsalz gesättigt ist und auch nie gesättigt werden wird. Ganz anders aber können sich die Verhältnisse gestalten, wenn es sich um kleinere, vollkommen abgeschlossene Meere handelt, wie etwa das Kaspische Meer, das Tote Meer u. a. Diese liegen, wie ihr wißt, in heißen und ziemlich regenlosen Gegenden. Die Verdampfung ihres Wassers ist also groß, der Zufluß an Wasser durch die Bäche und Flüsse aber so gering, daß er die Menge des verdampfenden Wassers nicht ersetzen kann. Was wird hiervon die Folge sein?

Fritz: Ein solches Binnenmeer muß natürlich immer kleiner werden.

Dr. E.: Das ist sicher die erste Folge. Nehmen wir nun an, dieses Meer habe anfangs auch einen Salzgehalt gehabt, wie das Weltmeer, also 35 Gramm Kochsalz auf 1000 Gramm Wasser, so ist klar, daß nach einiger Zeit, wenn ein Teil des Wassers verdampft und nicht durch genügenden Zufluß ersetzt ist, auf 35 Gramm Kochsalz nicht mehr 1000 Gramm Wasser, sondern nur noch etwa 800, wieder nach einiger Zeit nur 500 Gramm Wasser kommen werden, und dies wird so fortgehen, bis für je 35 Gramm Kochsalz nur noch je 100 Gramm Wasser vorhanden sind, d. h. bis der Sättigungspunkt des Wassers erreicht ist. Ein solches Binnenmeer, in welchem der Sättigungspunkt des Wassers nicht nur erreicht, sondern sogar schon überschritten wurde, ist beispielsweise das Tote Meer. Es führt bekanntlich seinen Namen daher, daß kein Fisch, ja überhaupt kein lebendes Wesen in dieser gesättigten Kochsalzlösung existieren kann.

Entstehung der Steinsalzlager. Salzgärten

Kurt: Was geschieht denn aber nun, wenn das Wasser noch mehr abnimmt?

Dr. E.: Wenn du dir das nicht denken kannst, so könnten wir es ja einmal ausprobieren. Wir stellen uns zunächst eine gesättigte[S. 34] Kochsalzlösung her, indem wir 350 Gramm Salz in einem Liter Wasser auflösen. Diese Lösung gießen wir dann in eine flache Schale, welche das Tote Meer darstellt, und warten nun ab, was geschehen wird, wenn ein Teil des Wassers verdampft ist. Ich denke, am nächsten Sonntag werden wir schon etwas daran sehen können.

Fritz: Das kann man sich doch auch so vorstellen, was dann geschehen wird: Wenn nicht mehr genug Wasser da ist, um alles Kochsalz aufzulösen, so muß voraussichtlich ein Teil zu Boden fallen, ganz so, als wenn wir gleich anfangs zu viel Salz ins Wasser geworfen hätten.

Dr. E.: Nun, wir werden das ja am nächsten Sonntag feststellen. Im allgemeinen aber hast du recht. Ein Teil des Salzes fällt zu Boden und bildet hier eine Kruste, die natürlich immer dicker wird, je mehr das Wasser abnimmt. Schließlich kann, beim Versiegen aller Zuflüsse in der heißen Jahreszeit, auch der letzte Rest des Wassers verdampfen, und wir haben es dann mit ausgedehnten Salzkrusten auf dem trockenen Erdboden zu tun, wie solche als Wüsten- oder Steppensalz in den heißen Ländern vielfach bekannt sind. Auch das Tote Meer hat auf seinem Grunde sicher schon eine beträchtliche Kruste von Salz abgelagert, wie aus gewissen Beobachtungen zu schließen ist. Da aber hier die Zuflüsse, die Sand und Schlamm mit sich führen, nicht völlig fehlen, so leuchtet ein, daß neben dem Salz auch Sand, Ton und Schlick auf dem Grunde sich absetzen werden. Wenn ihr nun bedenkt, daß diese Zuflüsse zur Regenzeit viel Wasser und Schlamm bringen, im Sommer aber fast oder ganz austrocknen und das unter der Sonnenglut verdunstende Meerwasser nicht ergänzen können, so folgt daraus, daß immer abwechselnd Tonschlamm während der Regenzeit und Salz während der trockenen Jahreszeit am Boden sich niederschlagen werden. Dies wird durch Jahrtausende sich so lange wiederholen, bis schließlich, wenn aus irgendeinem Grunde die Zuflüsse mehr und mehr versiegen, das Tote Meer eines Tages völlig ausgetrocknet ist. Ihr seht ein, daß dann die ältesten Salzschichten vielleicht schon viele Hundert Meter unter Schlamm, Erde und Ton begraben liegen, d. h. also so tief, daß das gewöhnliche Regenwasser, das nun aus den oberen Schichten das Salz allmählich wieder auflöst und fortführt, sie lange nicht mehr erreichen kann. Bohrt dann nach vielleicht abermals vielen Jahrtausenden an der Stelle des ehemaligen Meeres der Mensch ein Loch in die Tiefe, so stößt er nach Durchdringung[S. 35] dicker Ton-, Gips- und Sandlagen schließlich auf Schichten, die aus reinem Salz bestehen, und man sagt: Es ist ein Steinsalzlager erbohrt worden.

Fritz: Dacht’ ich mir’s doch, daß du uns schildern wolltest, wie ein Steinsalzlager entsteht. — Solche Lager kommen dann wohl nur in heißen Gegenden vor?

Dr. E.: Nicht doch, Fritz. Wir haben davon auch in Deutschland eine ganze Menge, die zum Teil sehr umfangreich und mächtig sind. Am berühmtesten sind die von Sperenberg bei Berlin und von Staßfurt bei Magdeburg, wo eine reine Salzschicht von mehreren Hundert Meter Dicke gefunden wurde.

Fritz: Wird denn aus dem Meer auch Salz gewonnen?

Dr. E.: O ja, in ziemlich großer Menge, wenn auch nicht gerade in Deutschland.

Kurt: Warum denn nicht bei uns?

Dr. E.: Erstens haben wir schon Steinsalz genug, und zweitens ist bei uns zu viel Regen und zu wenig Sonnenschein.

Kurt: Du meinst, daß durch zu viel Regen das Meerwasser zu sehr verdünnt wird?

Dr. E.: Aber Kurt! Du solltest dir doch nun eigentlich allein ausdenken können, in welcher Weise das Salz aus dem Meere gewonnen werden muß, nachdem ich euch erzählt habe, wie es die Natur macht?

Kurt: Man kann doch nicht ein ganzes Meer austrocknen?

Dr. E.: Nein, gewiß nicht. Und nun weißt du weiter keinen Rat?

Fritz: Man wird wohl einzelne Buchten vom Meere absperren?

Dr. E.: Oder, was dasselbe ist, man wird große flache Bassins in der Nähe des Meeres anlegen, sogenannte „Salzgärten“, und diese durch Schleusen mit dem Meere verbinden. Sind diese Bassins voll Wasser gelaufen, so schließt man die Schleusen und läßt nun das Wasser verdunsten, bis das Salz sich niederschlägt. Es ist klar, daß dies nur dort geschehen kann, wo es wenig regnet, und wo die Sonne so warm scheint, daß das Wasser in den Bassins sich bald in Dampf verwandelt, denn sonst würde sich die ganze Anlage wohl schwerlich lohnen. In Südfrankreich und den Mittelmeerländern ist dieses Verfahren ziemlich häufig in Anwendung.

Kurt: Dann kann man bei uns also nur Steinsalz gewinnen?

[S. 36]

Dr. E.: Das will ich denn doch nicht gesagt haben. Vielmehr kommt bei uns sehr viel Salz in den Handel, das wieder auf ganz andere Art gewonnen wurde.

Fritz: Noch auf eine andere Art? Ich dachte, es gebe bloß Steinsalz und Seesalz.

Salinen. Gradierwerke

Dr. E.: Nein, es gibt auch Salinensalz. Ich habe euch vorhin erzählt, daß die Steinsalzlager in der Regel so tief liegen und so gut durch Tonschichten geschützt sind, daß das Regenwasser sie nicht erreichen kann. Denkt euch aber mal, eine Quelle im Innern der Erde geriete doch in eine salzführende Schicht oder in ein ganzes Salzlager hinein; was wird die Folge sein?

Kurt: Natürlich wird das Salz sich auflösen.

Dr. E.: Und die Quelle, wenn sie nun irgendwo aus dem Boden hervorsprudelt?

Kurt: Die wird salzig schmecken.

Dr. E.: Das heißt mit andern Worten: Wir werden das haben, was man eine Salz- oder Solquelle nennt.

Fritz: Richtig! Die werden gegen Rheumatismus und viele andere Krankheiten gebraucht. Die gibt’s ja in Thüringen und bei Halle und an vielen andern Orten.

Dr. E.: Auch in Norddeutschland, z. B. bei Lüneburg, Stade und Segeberg, sind sie zu finden. Außer zu Heilzwecken werden diese Solquellen nun auch zur Salzgewinnung benutzt.

Kurt: Das sind dann wohl immer ganz gesättigte Lösungen, wenn sie direkt durch so ein Steinsalzlager geflossen sind?

Dr. E.: Leider nicht. In der Regel ist ihnen, ehe sie an die Oberfläche kommen, aus andern oberflächlichen Schichten schon wieder so viel süßes Wasser zugeflossen, daß sie vom Sättigungspunkte weit entfernt sind und häufig kaum mehr Salz enthalten als das Meerwasser.

Fritz: Aber dann muß man das überflüssige Wasser doch auch erst verdampfen lassen, wie beim Meerwasser.

Dr. E.: Selbstverständlich; es geschieht dies jedoch auf eine andere Art, als in den südeuropäischen Ländern bei der Meersalzgewinnung. — Wer sagt mir, wie’s gemacht wird?

Kurt: Man könnte das Wasser in einer großen Pfanne durch Feuer zum Verdampfen bringen.

Dr. E.: Das dürfte ein kostspieliges Vergnügen sein, denn Holz[S. 37] kostet Geld, und Salz ist billig. Freilich, wenn die Sole sehr stark und fast gesättigt ist, macht man es wirklich so, wie du sagst. Enthält sie aber nur wenige Prozent, so muß man erst auf billigere Weise das viele überflüssige Wasser wegzuschaffen suchen. Gibt es denn kein Mittel, die Verdunstung des Wassers zu beschleunigen?

Fritz: Außer der Wärme wüßte ich keins.

Dr. E.: Nun, wir wollen sehen. Wenn ich dieses Glas mit Wasser fülle und es ruhig stehen lasse, wie lange wird es wohl dauern, bis es völlig verdunstet ist?

Kurt: Das ist schwer zu sagen; ich meine aber, 14 Tage würden wohl darüber hingehen.

Dr. E.: Das glaube ich auch. Wenn ich nun dasselbe Wasser mit der Hand über das ganze Zimmer und den Vorplatz aussprenge, wird es dann ebenfalls 14 Tage dauern, bis es in Dampf verwandelt ist?

Fritz: Nein, das währt höchstens ein paar Stunden, dann ist alles aufgetrocknet.

Dr. E.: Seht, und damit habt ihr das unbekannte Mittel, die Verdampfung des Wassers zu beschleunigen. Worin besteht es?

Fritz: Es liegt, wie mir scheint, darin, daß das Wasser fein verteilt werden muß, wenn es schneller verdampfen soll. Dann kann die Luft viel besser ankommen.

Dr. E.: Gut so, Fritz. Jetzt ist das ganze Verfahren leicht erklärt. In der Nähe der Salzquelle werden große Wände von Reisig aufgeschichtet, und über diese läßt man die Sole langsam von Zweig zu Zweig herabrieseln. Mit großer Geschwindigkeit verdampft ein Teil des Wassers, und wenn man das Herabrieseln ein paarmal wiederholt hat, so ist der Salzgehalt verhältnismäßig so viel größer geworden, daß die Sole „sudwürdig“ ist, d. h., daß man sie nun in Pfannen über Feuer weiter verdampfen kann.

Fritz: Ach, solche Reisigwände haben wir schon mal von der Eisenbahn aus gesehen, als wir im vorigen Jahre in Thüringen waren. Du sagtest damals noch, das wären Gradierwerke; aber ich konnte nicht weiter danach fragen, weil du gerade mit einem fremden Herrn im Gespräch warst.

Dr. E.: In der Tat führen die Reisigwände mit den zugehörigen Pumpen den Namen Gradierwerke, weil dadurch ein höherer Grad von Salz in der Sole erreicht wird. Man sagt auch wohl, die Sole[S. 38] wird durch dieses Überrieseln des Reisigs „gradiert“. Immerhin ist die Menge Salz, die in den Gradierwerken gewonnen wird, gering gegen diejenige aus den Steinsalzbergwerken.

Verwendung des Salzes

Hans: Brauchen denn die Menschen so furchtbar viel Salz zum Essen?

Dr. E.: Nicht bloß zum Essen, Hans. Salz ist auch sonst einer der wichtigsten und unentbehrlichsten Stoffe für alle möglichen Gewerbsbetriebe. Daß es zum Konservieren des Fleisches und der Fische dient, weißt du ja schon, denn du hast mir vorhin selbst von den gesalzenen Heringen erzählt. Sodann wird es gebraucht zur Herstellung der Salzsäure, der Soda, des Chlors, des Salmiaks, bei der Seifenfabrikation, in der Gerberei, beim Glasieren der Tongeschirre, zum Düngen und zu vielen andern Zwecken.

Kurt: Ist es denn wirklich zum Essen notwendig? Ich dachte, der Mensch brauche nur Nahrung aus dem Tier- und Pflanzenreich und keine Mineralien.

Dr. E.: Das ist ein Irrtum. Das Kochsalz spielt im Körper eine sehr große Rolle; es bildet einen wichtigen Bestandteil unseres Blutes und liefert z. B. im Magen die für die Verdauung so wichtige Salzsäure. Auch der Schweiß und die Tränen schmecken bekanntlich deutlich salzig. Personen, denen man das Salz entzieht, werden bleichsüchtig und gehen schließlich zugrunde. Übrigens wißt ihr ja selbst, wie nüchtern und fade uns sehr bald die Speisen vorkommen, die nicht genügend von dieser Würze enthalten.

Fritz: Dann wundert’s mich, daß die Tiere so ganz ohne Salz auskommen können. Die finden doch keins in der Natur, wenn sie nicht gerade an eine Salzquelle kommen.

Dr. E.: Freilich, Bergwerke und Salzgärten können sie sich nicht machen. Da aber die Pflanzen aus dem Erdboden Salz aufnehmen, das dann wieder mit der Pflanzennahrung in die Tiere übergeht, so ist klar, daß kein Tier ganz ohne Kochsalz zu leben braucht. Bei den Raubtieren scheint die Menge völlig zu genügen, welche sie mit dem Fleisch und namentlich mit dem gierig getrunkenen Blut ihrer Opfer in sich aufnehmen; bei den Pflanzenfressern jedoch zeigt sich in der Tat häufig ein sogenannter Salzhunger, und der Landmann macht daher seinen Kühen und Schafen durch Verabreichung von Salz eine ganz besondere Freude.

[S. 39]

Fritz: Ja, vom Viehsalz habe ich schon mal gehört. Ist denn das noch etwas anderes als das gewöhnliche Kochsalz?

Dr. E.: Nur insofern, als es absichtlich durch Kohle, Eisenrost usw. verunreinigt wurde.

Kurt: Aber warum macht man denn das? Die armen Tiere könnten doch auch wohl reines Salz bekommen!

Dr. E.: Da das Salz für alle Menschen unentbehrlich ist, so betrachtet der Staat es als eine vorzügliche Einnahmequelle, indem er von jedem Zentner Salz, der gewonnen wird, seine Steuer erhebt. Das gilt indes nur für das zum Genuß für den Menschen bestimmte Salz. Das Viehsalz und das in den Gewerben benutzte hingegen ist steuerfrei. Damit nun dieses billigere Salz nicht doch noch unrechtmäßigerweise seinen Weg in die Küche finde, wird es in der angegebenen Weise verunreinigt oder, wie man sagt, es wird „denaturiert“.

Doch nun habe ich euch genug vom Salz erzählt. Nächsten Sonntag werden mir Kurt und Hans ihre mineralogischen Entdeckungen im Hause vortragen. Dann wollen wir auch sehen, was aus unserm Toten Meer geworden ist, das wir jetzt gleich hier in dieser Glasschale zurechtmachen wollen.

Schlussbild Dritter Abend

[S. 40]

Titelbild Vierter Abend

Vierter Abend.

Kurt, ein Zigarrenkistchen mit allerlei Tüten drin aufklappend und auf den Tisch stellend: Vater, heute komme ich dran! Ich habe mir gleich meine ganze Mineraliensammlung mitgebracht, damit ich nichts vergesse.

Dr. E.: Na, da bin ich neugierig. Dann packe nur mal aus mit deinen Funden.

Alaun, Salpeter, Kreide

Kurt: Mutter hat mir geholfen. Wir haben die ganze Küche und die Speisekammer abgesucht. Hier ist zuerst ein großes Stück Alaun.

Dr. E.: Ja, ein sehr schönes Stück — nur schade, daß es kein Mineral ist.

[S. 41]

Kurt: Aber warum denn nicht? Es ist doch kein Tier und keine Pflanze.

Dr. E.: Nein, aber ein Kunstprodukt! Freilich findet sich Alaun hie und da, wenn auch selten, als Mineral in der Natur; was aber in den Handel kommt, ist ausnahmslos künstlich aus gewöhnlichem Ton hergestellt.

Kurt: O weh, dann wird meine Sammlung wohl sehr zusammenschmelzen. Hier ist ein Stück Soda —

Dr. E.: Ebenfalls Kunstprodukt. Wird jetzt meist aus Kochsalz gemacht, zuweilen auch wohl aus der Asche von Seepflanzen. Als natürliches Mineral ist es ungemein selten.

Kurt: Ach, dann wird es mit dem Salpeter wohl ebenso sein!

Dr. E.: Das ist noch nicht gesagt. Wenn es sogenannter Kalisalpeter ist, wie ich vermute, könnten wir allerdings sicher sein, daß wir es abermals mit einem künstlichen Stoff zu tun haben. Der Natronsalpeter hingegen ist so verbreitet, daß man ihn nicht erst künstlich darzustellen braucht.

Fritz: Ist das dasselbe wie der sogenannte Chilisalpeter, der aus Südamerika kommt?

Dr. E.: Allerdings. Nur in diesen fast ganz regenlosen Gegenden konnte sich ein so leicht löslicher Stoff, wie es der Salpeter ist, in größeren Lagern halten. Bei uns und in unserm Klima sind alle solche leicht vom Regen aufgelösten und fortgespülten Mineralien, wie Alaun, Soda und Salpeter, eine reine Unmöglichkeit.

Kurt: Aber hier habe ich etwas, was sich nicht auflöst und was ja auch wohl bei uns vorkommen könnte, eine Tüte mit Schlämmkreide, die Doris zum Putzen gebraucht.

Dr. E.: Beinah wäre die Schlämmkreide wahrhaftig ein Mineral! Hast du denn keine gewöhnliche Kreide zum Schreiben?

Kurt: Ich habe wohl ein Stückchen in der Tasche, aber das habe ich nicht im Hause gefunden, sondern aus der Schule mitgenommen.

Dr. E.: Ei, ei! Also ein Vergreifen an fremdem Eigentum!

Kurt: Ach, es war nur ein ganz kleines Stückchen, das an der Erde lag und doch zertreten worden wäre.

Dr. E.: Nun, diesmal will ich es noch deinem Sammeleifer zugute halten. — Weißt du denn, woher die Kreide kommt?

[S. 42]

Kurt: Ja, auf Rügen gibt es ganze Kreidefelsen, wie wir in der Geographie gelernt haben.

Dr. E.: Ganz recht. Das ist eine der vielen Gegenden, in denen die Kreidefelsen zu Schreibkreide zerschnitten werden. Mächtige Kreidegebirge finden sich außerdem z. B. an der englischen und französischen Küste zu beiden Seiten des Kanals. Als besonders rein wird ferner die Kreide von der Insel Möen geschätzt.

Fritz: Warum ist denn die Schlämmkreide nur „beinah“ ein Mineral?

Dr. E.: Weil sie in dieser Form, als feines weißes Pulver, doch nicht in der Natur vorkommt. Da muß die gewöhnliche Kreide erst zerstampft und mit Wasser angerührt werden. Das dadurch milchig gewordene Wasser läßt man dann im Klärbecken so lange ruhig stehen, bis sich die feinen Kreideteilchen zu Boden gesetzt haben. Getrocknet stellt das dann die Schlämmkreide dar.

Kurt: Wozu macht man denn das? Man kann doch die Kreide auch ohne Wasser zu Pulver zerreiben.

Dr. E.: Dann hat man aber noch alle die Verunreinigungen der Kreide, wie kleine Kieselsteine usw. darin, und es wäre doch schade, wenn unser Messing beim Putzen durch diese harten Steinchen verschrammt würde.

Bernstein. Meerschaum. Bimsstein. Lava. Vulkanische Asche

Kurt: Ja, das sehe ich ein. — Hier habe ich dann noch mancherlei; ich hätte gar nicht gedacht, daß ich so vieles zusammenbringen würde. Sieh, hier ist ein Stück Bernstein von Mamas Halskette, ein Stück Meerschaum von einem Pfeifenkopf und ein Stück Bimsstein, das Doris zum Waschen gebraucht.

Dr. E.: Da könnten wir ja den ganzen Abend drüber reden, und Hänschen will doch auch noch gehört werden! — Der Bernstein ist das Harz vorweltlicher Tannen, das hauptsächlich in Ostpreußen in der Nähe des Seestrandes und im Sande des Meeres selbst sich findet. Der Meerschaum ist ziemlich selten und wird namentlich in Kleinasien bergmännisch gewonnen. Der Bimsstein indes ist weit verbreitet, da er zu den sogenannten Auswurfstoffen fast aller Vulkane gehört.

Kurt: Wovon ist er denn so löcherig und so leicht, daß er einem gar nicht wie ein Stein vorkommt?

Dr. E.: Das hängt mit seiner Entstehung zusammen. — Hast du mal darüber nachgedacht, woher wohl das Brot und der Kuchen die vielen Höhlungen und Löcher hat?

[S. 43]

Kurt: Die entstehen, wenn der Kuchen aufgeht, beim Backen.

Dr. E.: Und wovon geht er auf?

Fritz: Das kommt durch die Hefe, die man hineintut, oder beim Brot durch den Sauerteig. Wie aber dadurch sich so viele Löcher bilden, ist mir nicht klar.

Dr. E.: Der Kuchenteig bildet doch eine ziemlich zähe Masse. Wenn wir nun Hefe hinzutun, so entwickelt sich in großen Mengen ein Gas, und zwar die euch vom Selterwasser her bekannte Kohlensäure. Diese kann nicht durch den zähen Teig hindurch und nach oben entweichen, wie sie es aus einer entkorkten Selterwasserflasche tun würde. Sie bildet daher eine Masse kleiner Blasen in dem Teig, welche denselben aufblähen und lockerer machen. Ist der Kuchen gar und der Teig fest, so erscheinen diese Blasen als ebenso viele kleine Hohlräume.

Kurt: Aber was hat denn das mit dem Bimsstein zu tun?

Dr. E.: Der Bimsstein war, ehe er abgekühlt wurde, im Innern des Vulkans eine ebenso zähe, halbflüssige Masse, wie unser Kuchenteig. Man nennt das glutflüssige Lava, wie ihr schon wißt. Dringt nun in das Innere des Kraters z. B. Wasser ein, das sich natürlich bei der gewaltigen Hitze bald in Dampf verwandelt, so verfangen sich die aufsteigenden Dampfbläschen gerade so in der zähe flüssigen Lava, wie die Kohlensäure im Teig. Wird dann die Lava aus dem Vulkan ausgestoßen und erstarrt, so zeigt sie uns eben dieses eigentümlich löcherige oder „poröse“ Aussehen. Sie wird dadurch so leicht, daß sie auf Wasser schwimmen kann.

Fritz: Sieht denn alle Lava nachher so aus, wenn sie aus dem feuerspeienden Berg herauskommt?

Dr. E.: Ei behüte. Ist kein Wasser oder Gas vorhanden, so quillt die Lava ganz ruhig über den Rand des Kraters und ist nachher beim Erkalten so dicht und schwer, wie grünes Flaschenglas. Sie wird dann, falls sie aus demselben Material besteht wie der Bimsstein, als Obsidian bezeichnet. Ist dagegen sehr viel Wasserdampf da, so kann dessen Kraft so groß werden, daß er den zähen Lavabrei völlig zerreißt und zerstäubt. Es entsteht dann die sogenannte vulkanische Asche, welche bis hoch in die Wolken geschleudert wird und beim Niederfallen weite blühende Gefilde mit Aschenregen bedeckt.

Kurt: War das nicht bei der Zerstörung von Herkulanum und Pompeji durch den Ausbruch des Vesuvs der Fall?

[S. 44]

Dr. E.: Freilich; es war im Jahre 79 nach Christi. Auch der berühmte Naturforscher Plinius der Ältere, der zu Schiff herbeigeeilt war, um das gewaltige Schauspiel zu beobachten, wurde damals ein Opfer seines Wissensdurstes. Die Aschenschicht, welche noch heute, trotz umfangreicher Ausgrabungen, einen großen Teil jener Städte bedeckt, hat eine Dicke von mehr als 6 Metern. In neuerer Zeit haben wir ja dann noch eine Reihe anderer Vulkanausbrüche mit starkem Aschenregen gehabt, so vor einigen Jahrzehnten den des Krakatau zwischen Java und Sumatra, dessen Asche selbst in unsern Breiten noch die Abendwolken tief rosa färbte, und dann der Mont Pelé auf Martinique, durch dessen furchtbare Gasexplosion Tausende von Menschen in einem Augenblick getötet wurden.

Hans: Es muß doch schrecklich sein, in der Nähe eines solchen Vulkans zu wohnen! — Gibt es denn bei uns in Deutschland auch Vulkane?

Dr. E.: Jetzt glücklicherweise nicht mehr. Früher hat es deren eine ganze Reihe gegeben.

Kurt: Wo war denn das?

Dr. E.: Vor allem ist die Rheingegend zu nennen, besonders das Eifelgebirge. Dort findet man die verschiedensten Sorten von Lava und erkennt oft noch ganz deutlich die kegelförmigen Krater, aus denen sie ehemals herausgeflossen ist. Heute freilich sind diese Krater erloschen, und in ihren Trichtern haben sich meist kleine Seen gebildet, die sogenannten Mare. Auch der bekannte Laacher See, den ihr wohl in der Geographiestunde besprochen, gehört zu diesen Kraterseen.

Doch, Hänschen, nun wird es hohe Zeit, daß wir auch von dir etwas hören. Kurt kann seine zerbrochene Schiefertafel und was er sonst noch an Mineralien hat, ein andermal vorführen.

Hans: Ach, Papa, die andern haben mir ja alles vorweggenommen. Ich habe dann überall gesucht, aber ich habe immer nur Sand gefunden, in der Küche, auf der Diele und auch in deinem Schreibzeug.

Dr. E.: Nun, mein Hansel, das ist wahrhaftig kein schlechter Fund. Sand gehört zu den verbreitetsten Mineralien und verdient wohl, daß wir uns etwas näher damit beschäftigen. Vorher wollen wir uns erst schnell unsere gesättigte Salzlösung vom vorigen Sonntag aus dem Schranke holen und sehen, was aus ihr geworden ist.

[S. 45]

Fritz, die auf den Tisch gestellte Schale betrachtend: Ei, da sind ja lauter allerliebste kleine Würfel drin.

Hans: Ach ja, aber bloß kleine Puppenwürfel.

Wachsen der Mineralien. Kristalle

Dr. E.: Nun, wenn ihr sie größer haben wollt, müßten wir sie noch ein wenig wachsen lassen.

Kurt: Aber die Steine können doch gar nicht wachsen, denk’ ich.

Dr. E.: So? Weißt du das so genau? — Im allgemeinen hast du wohl recht. Ein beliebiger Feldstein draußen auf dem Acker kann nicht, wie die Pflanzen und Tiere, Nahrung aufnehmen und dadurch größer werden. Er bleibt eben, wie er ist. Unter gewissen Bedingungen aber wachsen die Mineralien in der Tat. Es geschieht dies jedoch nur, wenn sie sich in einer Flüssigkeit befinden, in welcher derselbe Stoff aufgelöst ist, aus dem sie selbst bestehen. In unserem Falle haben wir Kochsalzwürfel in einer gesättigten Kochsalzlösung. Verdampft das Wasser weiter, so müssen auch neue Mengen des Salzes in den festen Zustand übergehen, und dies geschieht, indem sie sich an die bereits vorhandenen Würfelchen ansetzen, die dadurch also größer werden. Etwas Ähnliches würde auch eintreten, wenn wir nicht die wässerige Lösung eines Minerals vor uns hätten, sondern etwa ein durch Hitze geschmolzenes Mineralgemisch. Auch dann würden sich beim langsamen Erkalten die kleinsten Teilchen der einzelnen Mineralien zusammenfinden und allmählich wachsende Körperchen von bestimmter Gestalt darstellen, die man Kristalle nennt. Seht diesen Feldstein, den ich gestern vom Spaziergange mitgebracht und zerschlagen habe; er sieht im Innern ziemlich wie der Durchschnitt einer Blutwurst aus mit ihren weißen Speckwürfeln. Diese länglichen weißgrauen Kristalle haben sich im Innern des Steines gebildet, als derselbe noch eine glutflüssige Masse war. Je langsamer so ein geschmolzenes Gestein erkaltet, umso schöner gelangen die Kristalle im Innern zur Ausbildung. Hier bei diesem Stück, das den wissenschaftlichen Namen „Porphyr“ trägt, sind sie über einen Zentimeter lang; bei dem Obsidian, von dem wir vorhin sprachen, sind sie hingegen so winzig, daß man sie nur unter dem Mikroskop zu erkennen vermag. — Ihr seht nun wohl ein, wie wir unsere Kochsalzwürfel größer und schöner bekommen können. Wir müssen einfach das Wasser recht langsam und ohne Erschütterung weiter verdunsten lassen. Am besten tut man, wenn man eins dieser Kriställchen an einem feinen[S. 46] Faden frei aufhängt, damit sich von allen Seiten her neues Salz ansetzen kann.

Fritz: Woher kommt es denn, daß das Kochsalz in solchen Würfeln kristallisiert? In der Regel sehen doch Kristalle ganz anders aus?

Dr. E.: Das ist eine recht schwierige Frage, Fritz. Es ist ungefähr dasselbe, als wenn du fragst, warum ein Eichbaum anders aussieht wie eine Kastanie. Ein ganz klein wenig kann ich dir dies Rätsel aber doch wohl verständlicher machen. Zunächst müssen wir die ganz merkwürdige Erscheinung ins Auge fassen, daß ein Kristall, den man zerschlägt, in Stücke zu zerspringen pflegt, welche genau wieder die Form und die Flächen des ursprünglichen Kristalls haben. Ein Kochsalzwürfel also zerspringt beim Daraufschlagen stets wieder in lauter Würfel, und man kann diesen Versuch so weit fortsetzen, als wir mit dem Mikroskop überhaupt noch die einzelnen Stückchen zu erkennen vermögen. Daraus scheint zu folgen, daß auch die allerkleinsten Teilchen Kochsalz, die überhaupt denkbar sind, und die wir selbst mit unsern stärksten Vergrößerungen nicht mehr wahrnehmen können, eine würfelförmige Gestalt besitzen. Ist dies der Fall, so wäre ein Kristall, wie wir ihn in unserer Salzlösung finden, eben nichts, als eine regelmäßige Aneinanderlegung unendlich vieler solcher kleinster Teilchen, ähnlich so, wie sich aus den Holzwürfeln eines Baukastens schließlich ein großer Würfel aufbauen läßt. Sind nun jene kleinsten Teilchen eines Minerals nicht würfelförmig, sondern anders gestaltet, so wird natürlich in der Regel auch das von ihnen aufgeführte Gebäude, der sichtbare Kristall, eine dementsprechende Form haben.

Kurt: Haben denn alle Mineralien eine bestimmte Gestalt?

Dr. E.: Nein, nicht alle, aber doch die meisten. Freilich sieht man es manchem formlosen Stein nicht an, daß er im Grunde genommen aus zahllosen mikroskopischen Kriställchen zusammengesetzt ist.

Fritz: Das hätte ich wahrhaftig nicht gedacht, daß die meisten Steine kristallisiert sind. Vorhin hast du gesagt, es gäbe nur zwei Möglichkeiten, wie sich Kristalle bilden könnten, entweder in einer geschmolzenen Steinmasse, oder in einer gesättigten Lösung. Der erste Fall mag ja bei Vulkanen recht häufig sein, aber die Vulkane selbst sind doch nur sehr zerstreut; und wo solche gesättigten Lösungen in der Natur herkommen sollen, begreife ich auch nicht. Ich würde also meinen, Kristalle müßten recht selten sein.

[S. 47]

Häufigkeit der Kristalle

Dr. E.: Nein, mein Junge! Diesmal hast du mit deinen beiden Annahmen gründlich vorbeigeschossen. Was zunächst die Häufigkeit des geschmolzenen Gesteins anlangt, so hast du ja wohl schon einmal gehört, daß unsere Erde früher wahrscheinlich ein feurig-flüssiger Ball war. Wie nun eine glühende Eisenkugel, die wir der Luft aussetzen, nach und nach ihre Wärme ausströmt und sich abkühlt, so mußte auch der im kalten Weltenraume kreisende geschmolzene Erdball im Laufe der Zeit von seiner Wärme verlieren. Dadurch bildete sich auf der ganzen Oberfläche eine anfangs dünne, dann mehr und mehr an Dicke zunehmende Kruste aus festem, erstarrtem Gestein. Während des Erstarrens schossen die einzelnen Mineralien dieses Gesteins in Kristallen an, und du siehst nun wohl ein, daß es damals keinen Punkt der Erde gab, wo nicht Kristallbildung in dieser Weise stattgefunden hätte. Doch damit nicht genug. Lange Zeit blieb die Kruste der Erde dünn, und es geschah daher auch noch später an allen Ecken und Enden, daß weitere geschmolzene Gesteinsmassen aus dem Erdinnern durch Spalten und Risse der Kruste hervorquollen und über derselben erstarrten. So kommt es denn, daß es in der Tat nur wenige Gegenden der Erde gibt, wo man nicht auch heute noch Felsarten beobachten könnte, die aus dem glutflüssigen Zustande hervorgegangen sind.

Nicht weniger irrig ist deine zweite Annahme, daß in der Natur gesättigte Lösungen nicht vorkämen, aus denen Kristalle sich ansetzen könnten. Sehr viele Mineralien sind, wie du weißt, im Wasser löslich, wenn auch oft nur in winzigen Mengen. Stecken solche Mineralien in einem Berge oder Felsen, so werden sie naturgemäß durch das einsickernde Regenwasser aufgelöst, und da, wo sie waren, entstehen Hohlräume. Diese füllen sich dann, gleich den durch Frost oder Erschütterung entstandenen Spalten des Gesteins, bald mit dem nachdringenden Sickerwasser an. Das Sickerwasser ist anfangs noch keine gesättigte Lösung der im Berge steckenden Mineralien; allein es wiederholt sich nun hier im kleinen derselbe Vorgang, den wir neulich beim Meer im großen besprochen haben. Etwas von dem Wasser verdunstet durch die Poren des Gesteins, und neues Sickerwasser bringt immer neue Mengen des aufgelösten Minerals. So wird die Lösung in der Höhlung oder in der Spalte allmählich gesättigt, und die Kristalle fangen an sich auszuscheiden. Wenn ihr euch nun vorstellt, daß ein solcher Vorgang Jahrtausende und Jahrhunderttausende im[S. 48] Innern der Berge ungestört weitergehen konnte, und daß die Bedingungen für schöne Kristallbildung — vollkommene Ruhe, gleichmäßige Temperatur und möglichst langsame Verdunstung des Wassers — die denkbar günstigsten sind, so werdet ihr es begreifen, wie man oft in solchen Hohlräumen, den sogenannten Drusen, sowie in den Spalten oder „Gängen“ der Gebirge Kristalle von einer Größe und Schönheit findet, wie wir sie künstlich auch nicht entfernt herstellen können. Hat man doch z. B. beim Bohren des Gotthardtunnels vom Quarz, einem Mineral, das nur spurenweise im Wasser löslich ist, Kristalle gefunden, die fast meterlange, mehrere Zentner schwere Säulen darstellen.

Kurt: Aber wie ist denn nun der gewöhnliche Sand entstanden? Der bildet doch keine Kristalle!

Entstehung des Sandes

Dr. E.: Wenigstens sollte es uns schwer werden, an diesen kleinen runden Körnchen noch irgend etwas von Kristallform zu entdecken. Aber man kann das dem Sande eigentlich nicht übelnehmen. Sieh mal, eine Kartoffel hat doch eine sehr schöne bestimmte Gestalt, wie sie eben jede Kartoffel hat. Wenn du sie aber zerreibst oder zerstampfst, so daß sie schließlich als Kartoffelmus auf den Tisch kommt, dann soll man ihr schwerlich mehr viel von der ursprünglichen Form ansehen. Ganz ähnlich aber ist es mit dem Sande. Ich habe euch vorhin erzählt, daß die ursprüngliche Erstarrungskruste der Erde jedenfalls eine feste, felsige Gesteinsmasse war. Sie bedeckte die ganze Erdoberfläche, und es gab also damals noch keinen Sand. Allein dieser Zustand wird nicht allzulange gedauert haben. Die starre Rinde hat augenscheinlich bald gewaltige Risse bekommen, so daß sie in einzelne Bruchstücke oder Schollen zerfiel, von denen einige in die Tiefe sanken und durch den Druck, den sie hierbei auf die glutflüssigen Massen des Innern ausübten, die andern Bruchstücke noch höher emporsteigen ließen. Diese emporgehobenen Schollen der Erdrinde bildeten die großen Erdteile. Über den in die Tiefe gesunkenen Schollen aber sammelte sich das Wasser an und bildete die Meere. Von jetzt ab waren die aus dem Wasser hervorragenden Teile der Erdoberfläche allen Einflüssen der Luft und des Regens ausgesetzt. Letzterer muß zu jenen Zeiten in gewaltigen Strömen geflossen sein, da bei der hohen Temperatur der Erde viel mehr Wasser verdampfte und in die Wolken überging als heutzutage. Wasser und Luft, ersteres namentlich durch sein unwiderstehliches Ausdehnungsbestreben beim Gefrieren, wirken[S. 49] nun im Laufe der Zeit in hohem Maße zerstörend auf das Gestein. Im Gebirge kann man ja tagtäglich und besonders nach jedem Regen beobachten, wie größere und kleinere Felsblöcke sich ablösen und aus der Höhe zu Tal stürzen. So vollzog sich ganz allmählich im Laufe sehr langer Zeiträume eine Zertrümmerung der festen Felsmassen in den Gebirgen. Die losgelösten Felsstücke wurden durch die reißenden Gebirgsbäche weitergeführt und bei ihrem Transport mehr und mehr zerkleinert; es entstanden die sogenannten Gerölle, der Kies und der Sand. Dabei erhielten die einzelnen Trümmerstücke durch das Reiben und Scheuern gegeneinander eine rundliche Form, wie wir sie jetzt an den Sandkörnchen und Bachkieseln beobachten. Außerdem mußten die vom Gebirge ins Meer fließenden Wasserläufe eine Art von Sortierung dieser Trümmer bewirken, indem die größeren und schwereren lange nicht soweit vom Wasser mitgeführt wurden, als die leichteren und kleineren. Es bildeten sich also hintereinander Ablagerungen von großen Geröllsteinen, Kies, grobem und feinem Sand, sowie endlich, aus den feinsten und leichtesten Zerreibungsteilchen des Gesteins, von Ton, der von den Flüssen bis weit in das offene Meer getragen wird und hier langsam als Schlamm oder Schlick zu Boden sinkt.

Fritz: Aus dem, was du uns erzählt hast, verstehe ich nun wohl, weshalb auf dem Boden der Flüsse und auch an seinen Ufern sich Sand findet. Aber es ist mir noch nicht recht klar, woher wir denn jetzt bei uns überall Sand oder Erde haben, im Walde, auf den Äckern, und selbst in der Stadt. Außerdem hast du gesagt, der Ton bilde sich nur auf dem Grunde des Meeres, und wir haben doch hier ganz in der Nähe auch Tongruben.

Dr. E.: Woher die oberen Lagen von Sand und Ton in unserer norddeutschen Tiefebene stammen, erzähle ich euch vielleicht ein andermal. Im allgemeinen mögt ihr bedenken, daß im Laufe von außerordentlich langen Zeiträumen die ersten Zertrümmerungsprodukte so mannigfache Schicksale erfahren haben, daß wir sie nicht im einzelnen verfolgen können. Sicher ist jedenfalls, daß die Verteilung von Land und Meer im Laufe der Zeiten ganz außerordentlich gewechselt hat, so daß dadurch jene Zertrümmerungsprodukte der starren Erdkruste schließlich über die ganze Erde in buntem Durcheinander verbreitet wurden. Heute ragt vielleicht das als Gebirge empor, was ehemals tief unter dem Meer begraben lag. Den besten Beweis hierfür liefern[S. 50] die Versteinerungen von Meerestieren, welche in fast allen Gebirgen, im Harz so gut wie in den Alpen, aber auch bei uns in manchen Tongruben gefunden werden. Die Kruste der Erde ist eben durchaus nicht so unabänderlich ruhig, wie man es gewöhnlich glaubt. Sorgsame Beobachtungen lehren vielmehr, daß auch jetzt noch gewisse Teile der Erdoberfläche in langsamer Hebung, andere in Senkung begriffen sind.

Kurt: Wie kommen denn aber die Meerestiere in den festen Felsen hinein?

Versteinerungen. Findlingsblöcke

Dr. E.: Ich habe euch vorhin erzählt, wie das zerkleinerte Gesteinsmaterial als Kies, Sand, Lehm und Ton schließlich durch die Flüsse ins Meer gespült wird und dort in die Tiefe sinkt. Hier nun ist es dem Drucke der darüberliegenden Wasserschichten ausgesetzt, der bei großer Meerestiefe ein ganz ungeheurer wird. Das anfangs lockere Material, in welches die absterbenden Meerestiere hineinsinken, wird dadurch im Laufe der Zeit wieder zu festen, felsartigen Massen zusammengebacken. Wenn diese dann nach Jahrtausenden durch Hebung über den Spiegel des Meeres gelangen, so machen sie fast ganz den Eindruck ursprünglicher Gebirgsarten. Zwei Kennzeichen gibt es jedoch, nebenbei bemerkt, an denen man sie ziemlich sicher von den ursprünglichen, anfangs glutflüssigen Gesteinen unterscheiden kann: die Schichtung infolge der schichtenweisen Ablagerung im Meere und die in ihnen steckenden Versteinerungen.

Fritz: Eine Frage möchte ich aber doch noch tun. Wenn unsere Gegend wirklich früher Meeresboden gewesen ist und auf diesem nur Sand und Ton sich ablagern konnten, höchstens vielleicht noch Kies am Strande, woher kommen dann die großen Steinblöcke oder Feldsteine, die man soviel auf den Äckern findet? Gewachsen sind sie doch dort nicht, und ein Gebirge, von dem sie herunterfallen konnten, ist ja auch nicht da.

Dr. E.: Die Frage, die du da eben berührst, hat die Naturforscher viele Jahrzehnte lang beschäftigt. Anfangs glaubte man, diese sogenannten erratischen oder Findlingsblöcke seien zur Zeit, als unser Land noch vom Meer bedeckt war, auf gewaltigen Eisbergen vom Norden und Nordosten hergeschwommen und beim allmählichen Schmelzen der Eisberge in die Tiefe gefallen. Diese Ansicht aber hat man aus verschiedenen Gründen aufgeben müssen und man ist jetzt zu der Überzeugung gelangt, daß jene Blöcke mit Hilfe von Gletschern nach hier getragen wurden. Daß Gletscher wandern, d. h. daß ihre Eismassen[S. 51] von hinten her vorrücken, wenn das Vorderende abschmilzt, haben wir ja schon neulich besprochen. Wir brauchen daher nur noch anzunehmen, daß von Schweden und Finnland bis zu uns eine einzige ungeheure Eismasse das Land bedeckte, ganz ähnlich, wie es heute in Grönland der Fall ist. Die Felsblöcke, welche dort in den nordischen Gebirgen auf das Gletschereis fielen oder unten bzw. in ihm festfroren, wurden mit dem vorrückenden Eise weiter und weiter getragen, bis sie schließlich beim Abschmelzen des Eises am Vorderrande als sogenannte Stirn-Moräne und auf dem ganzen Wege des Gletschers als Grund-Moräne zu Boden fielen. Von manchen unserer erratischen Blöcke kann man sogar ganz genau angeben, von welchem Gebirgsstock im fernen Schweden oder Finnland sie herstammen.

Kurt: Dann kann man hier wohl alle möglichen verschiedenen Steine finden?

Dr. E.: Ganz gewiß. Für den Sammler von Mineralien und Gebirgsarten gibt es kaum eine bessere Gelegenheit, alle möglichen Formen zusammenzubringen als in Norddeutschland; die Natur selbst hat sich in der norddeutschen Tiefebene mit Hilfe der Gletscher gewissermaßen ein mineralogisches Museum angelegt. Es sollte mich freuen, wenn ihr euch im nächsten Frühjahr ein wenig um die Mannigfaltigkeit dieser Gesteinsarten kümmern wolltet.

Schlussbild Vierter Abend

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Titelbild Fünfter Abend

Fünfter Abend.

Ich dächte, es wäre Zeit, beginnt Dr. E. die abendliche Unterhaltung, daß wir uns auch einmal um die Tiere hier in meinem Studierzimmer bekümmerten. Was meinst du z. B. zu unserm Kanarienvogel, Kurt?

Kanarienvogel. Muskeln die Ursache der Kraft

Kurt: Wenn du es gern willst, Vater, so ist es mir recht; aber die Vögel haben wir in der Schule schon durchgenommen, und ich glaube, das meiste davon weiß ich schon.

Dr. E.: Nun, das werden wir ja bald erfahren. Zunächst wollen wir uns das Tierchen aber doch mal ordentlich ansehen.

Fritz: Das wird uns heute abend wohl wenig nützen, Vater. Man erkennt bloß noch einen gelben Klumpen; er schläft ja schon.

Dr. E.: So, er schläft schon! Aber woher weißt du denn das so genau, Fritz?

Fritz: O, er hat sich ganz dick aufgeblasen und seinen Kopf zwischen die Flügel gesteckt. Er sitzt auch ganz still auf der Stange und rührt sich nicht.

Dr. E.: Daß er still sitzt, kann man am Ende als ein Zeichen des Schlafens ansehen. Aber würdest du denn auch so auf einer Stange sitzend schlafen können? Ich meine, es würde gar nicht lange dauern, so wärest du heruntergepurzelt.

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Kurt: Ja, das ist doch sehr einfach; der Vogel hat eben die langen Zehen und Krallen, mit denen er die Stange umgreift. Wenn wir die hätten, würden wir auch so schlafen können.

Dr. E.: Was du schlau bist, mein Junge. Ich glaube, die Sache hat doch ihren Haken! Sieh, unsere Hände sind doch mindestens noch ebensogut zum Greifen eingerichtet wie die Krallen des Vogels. Nun denke dir, du solltest einen dünnen Stock, den du gut umgreifen kannst, auch nur eine Stunde lang fest in deinen Händen halten. Würdest du das wohl aushalten können?

Kurt: Eine Stunde lang möchte ich es wohl mal versuchen; aber freilich so unaufhörlich, wie der Vogel die Stange umklammert hält — da würde mir am Ende doch wohl die Hand lahm werden.

Dr. E.: Das ist sogar ganz sicher! Und zwar liegt der Grund in dem ganz allgemein gültigen Satz, daß Muskeln nur verhältnismäßig kurze Zeit angespannt werden können und bald erschlaffen.

Hans: Papa, was sind denn eigentlich „Muskeln“? Mein Freund Wilhelm sagt, an den Armen hätten wir auch Muskeln, und die würden immer dicker, wenn man ordentlich turnt.

Dr. E.: Da hat dein Freund Wilhelm ganz recht. Wir haben aber nicht bloß Muskeln an den Armen, sondern auch an den Beinen, am Kopf, am Rumpf, kurz überall; denn Muskeln sind weiter nichts als mageres Fleisch, und wenn wir ein Beefsteak essen, so essen wir eben Muskeln.

Kurt: Was hat denn das Fleisch aber mit der Kraft zu tun? Und wieso kann dasselbe angespannt werden, wenn ich den Stock in den Händen halte?

Dr. E.: Das Fleisch, welches ja aus lauter einzelnen Fasern besteht, wie ihr namentlich gut am gekochten Suppenfleisch beobachten könnt, besitzt im lebenden Zustande eine ganz merkwürdige Fähigkeit. Es vermag sich nämlich um einen Teil seiner Länge zu verkürzen, wobei es gleichzeitig entsprechend an Dicke zunimmt. Ihr könnt euch leicht davon überzeugen, wenn ihr z. B. den Unterarm gegen den Oberarm biegt. Ihr werdet dann finden, daß das Fleisch auf dem Oberarm ziemlich viel dicker wird. Diese merkwürdige Fähigkeit des Fleisches, sich ganz nach unserm Wunsch und Willen zusammenziehen zu können, ist die Ursache aller Kraft, die wir in uns fühlen, und die wir[S. 54] gegen unsere Umgebung äußern. Wenn ich jemandem die Hand drücke, so geschieht dies durch Zusammenziehen der mit den Fingerknochen in Verbindung stehenden Fleischmassen, und ebenso ist es, wenn ich den Hammer schwinge oder das Bein zum Gehen erhebe.

Hans: Aber die Gespenster bestehen doch bloß aus einem Knochengerippe und können doch auch gehen!

Dr. E.: Wenigstens in der Phantasie der Abergläubischen! Solche albernen Vorstellungen von dürren Knochenmännern, wie sie uns ja namentlich auch für den Gevatter Tod, den „Sensenmann“, geläufig sind, konnten eben nur entstehen zu einer Zeit, wo man von der Bedeutung des Fleisches als Ursache unserer Kraft noch gar keine Ahnung hatte. Heute weiß alle Welt, daß wir beispielsweise den Unterarm gegen den Oberarm nur biegen können, wenn wir dem Fleisch oder den Muskeln, welche beide Knochen verbinden, den Befehl erteilen, sich zusammenzuziehen, wodurch dann der Unterarm mit Hilfe des Ellenbogengelenks dem Oberarm genähert wird.

Kurt: Aber ich brauche doch gar nicht erst zu befehlen, wenn ich etwa ein Glas Wasser an den Mund bringen will.

Dr. E.: Darin, daß du dies willst, liegt ja schon der Befehl. Hast du keinen Durst oder sonst kein Verlangen nach dem bereitstehenden Glase, so fällt es dem Arm gar nicht ein, sich danach auszustrecken. Der ganze Mechanismus zwischen unserm Willen und den Muskeln ist eben so vollendet eingerichtet, daß der bloße Gedanke schon genügt, die für die Ausführung unseres Vorhabens geeigneten oder zweckmäßigen Bewegungen hervorzurufen. — Wenn wir gehörig ausgeruht und frisch sind, kann das Zusammenziehen des Fleisches oder der Muskelfasern mit großer Kraft erfolgen, so daß wir z. B. beim Biegen des Armes eine recht erhebliche Last mit emporzuheben vermögen. Lange aber hält das Fleisch diese starke Zusammenziehung nicht aus; das Bedürfnis, wieder die gestreckte Form anzunehmen, wird stärker und stärker, so daß wir schließlich die Last und den Arm sinken lassen müssen. Man sagt dann, der Muskel ist ermüdet, und er bedarf erst wieder einer Zeit der Ruhe, bis er aufs neue mit der alten Kraft sich verkürzen kann. Es dünkt euch doch wohl nur eine kleine Arbeit, den Arm eine halbe Stunde lang wagerecht zu halten; ich glaube aber fast, daß er euch schon nach einer Viertelstunde wie Blei heruntersinken wird.

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Fritz: Der Hauptsache nach habe ich dies alles schon von unserm Lehrer gehört; um so neugieriger aber bin ich nun, inwiefern der Vogel mit seinen Zehen immer und sogar im Schlafe die Stange umklammern kann, ohne zu ermüden.

Muskeln. Sehnen. Teile des Vogelbeins

Dr. E.: Um das zu verstehen, müssen wir uns zunächst klarmachen, daß das magere Fleisch sich meist nicht direkt an die Knochen ansetzt, sondern in der Regel mit Hilfe langer, fester Stränge, die man Sehnen nennt. Seht eure Hand und eure Finger an; es ist nur recht wenig Fleisch daran im Verhältnis zu der großen Kraft, die wir in den Fingern haben. Das kommt daher, daß die Muskeln, welche das Biegen und Strecken der Finger besorgen, gar nicht an der Hand sitzen, sondern am Unterarm, der deshalb so dick und fleischig ist. Von diesen Muskeln ziehen lange Sehnen oberhalb und unterhalb der Handfläche bis in die äußersten Fingerspitzen. Es werden die Finger also gewissermaßen aus der Ferne gelenkt, wie die Beine des Hampelmanns durch den Bindfaden. Ihr könnt euch hiervon leicht überzeugen, wenn ihr etwa mit der linken Hand den Unterarm der rechten Hand etwas unterhalb des Ellenbogens umgreift und nun die Finger der rechten Hand zu einer Faust ballt. Nicht wahr, ihr fühlt, wie außerordentlich stark sich dann die Fleischmassen, die hier in der Nähe des Ellenbogens sitzen, zusammenziehen: Ein Beweis, daß sie es sind, welche das Krümmen der Finger bewirkt haben. Da die Sehnen sich nicht zusammenziehen und einfach wie Stricke wirken, an denen gezogen wird, so können sie auch nicht ermüden, wie das Fleisch, und wenn wir dies im Auge behalten, so werden wir auch mit dem Rätsel des nie ermüdenden Vogelbeins bald im klaren sein. Ein Vogelfuß ist ja noch viel dürrer als eine Menschenhand; er besitzt, nebst seinen Zehen, nicht die geringste Spur von Fleisch. Ihr werdet euch also schon vorstellen können, daß auch hier das Krümmen der Zehen vermittels langer Sehnen geschieht, deren zugehörige Muskeln weiter oben am Beine sitzen. Bis so weit ist alles ziemlich einfach und ganz ähnlich, wie an unsern Händen und Füßen. Jetzt aber kommt ein etwas schwieriger Punkt, zu dessen Verständnis wir uns die einzelnen Teile des Vogelbeins und deren Winkelstellung ins Gedächtnis zurückrufen müssen. Wir wollen hierzu diese Abbildung eines Vogelbeins zu Hilfe nehmen. Seht, dieser oberste Teil, der sich an das Becken ansetzt und für gewöhnlich gar[S. 56] nicht zu sehen ist, höchstens an einem gerupften Vogel, ist der Oberschenkel. Den zweiten Abschnitt, den man fälschlicherweise meist als Keule bezeichnet, z. B. bei einer gebratenen Gans, bildet der sehr fleischige Unterschenkel, und nun folgt der Fuß, der wieder aus dem langen, dürren, mit Schuppen besetzten Lauf und aus den Zehen besteht. Zwischen Ober- und Unterschenkel befindet sich das Kniegelenk, zwischen Unterschenkel und Lauf das Fersengelenk, und diese Gelenke ermöglichen es, daß die einzelnen Teile in verschiedenem Winkel zueinander gestellt werden können, und zwar um so mehr, je mehr der Vogel eine geduckte, in sich zusammengesunkene Stellung einnimmt.

Vogelbein

Kurt: O, das Vogelbein haben wir sehr genau in der Schule durchgenommen. Ich weiß auch, daß der Lauf den sogenannten Fußwurzel- und Mittelfußknochen des Menschen entspricht.

Dr. E.: Nun gut, so ungefähr wenigstens. Jetzt wollen wir die Anordnung der die Knochen gegeneinander bewegenden Muskeln betrachten. Was zunächst die eigentlichen Zehenbeuger betrifft, so unterscheiden sie sich in ihrer Lage kaum von unsern Zehenbeugern. Sie verlaufen an der Unterseite der Zehen als lange Sehnen, die sich dann am Grunde des Laufes vereinigen und an dessen Rückseite einen Strang bilden, der schließlich am Unterschenkel in den zugehörigen Muskel übergeht. Die Zehen werden sich krümmen, sobald dieser Muskel durch Zusammenziehen einen Zug auf die Sehne ausübt. Allein — und dies ist die interessante Einrichtung, auf die ich euch aufmerksam machen wollte — diese Sehne des Zehenbeugers kann noch auf eine zweite Art in Bewegung gesetzt werden, da sie an der Hinterseite des Laufes mit der äußerst langen Sehne eines andern Muskels zusammengewachsen ist, der, vom Hinterrande des Beckens kommend, als Sehne vorn über das Kniegelenk verläuft, und dann um den Unterschenkel sich herumwindend, an der Hinterseite des letztern und des Laufes herabzieht. Nimmt nun der Vogel eine[S. 57] hockende Stellung ein, d. h. wird das Knie stark gebeugt, so wird dadurch die lange, über das Kniegelenk herabziehende Sehne straffer gespannt, und sie übt somit auch einen Zug auf die Sehne des Zehenbeugers aus, mit der sie verwachsen ist. Die Zehen werden demnach lediglich durch das Beugen der Knie gekrümmt, ohne daß irgendein Muskel dabei in Frage käme. — Die Sache ist ein wenig schwierig; so ungefähr aber werdet ihr mich ja wohl verstanden haben.

Kurt: Ja, ich denke mir die Sache so ähnlich wie mit unsern Hosen: Wenn wir uns in die Knie setzen, so werden sie vorn über dem Knie straff gezogen und unten werden sie kürzer.

Dr. E.: Ei sieh! Der Vergleich ist gar nicht so übel. Ein Strick oder ein Stück Tuch, welches zuerst zwischen zwei Punkten fast eine gerade Linie bildete, wird eben straff gespannt, wenn wir es zwingen, einen Winkel zu bilden. — Jedenfalls werdet ihr jetzt eingesehen haben, daß der Vogel mit einem solchen Apparat bis in alle Ewigkeit auf seiner Stange sitzen könnte.

Kurt: Das sehe ich ein. — Du wolltest uns ja aber auch noch sagen, warum der Vogel sich so aufgeblasen hat, wenn er schläft.

Sträuben des Gefieders während des Schlafens

Dr. E.: Davon weiß ich kein Wort. Ich habe nur bezweifelt, daß ihr aus diesem Sichaufblähen schließen könntet, daß der Vogel schläft. Oder tun wir vielleicht dasselbe, wenn wir zur Ruhe gehen?

Fritz: Nein, das natürlich nicht. Aber man sieht es doch immer beim Vogel, wenn er schläft, oder wenn er krank ist.

Dr. E.: Wenn du dich einfach auf die Beobachtung berufst, so muß ich dir wohl recht geben. Aber man sollte doch meinen, daß auch wir irgend etwas täten, was dem Aufblähen des Gefieders für die Zeit der Nachtruhe zu vergleichen wäre?

Kurt: Aufblähen des Gefieders? Wie sollten wir das denn nur anfangen!

Dr. E.: Nun ja, Kurt, das Federsträuben müssen wir schon hübsch bleiben lassen. Allein, wißt ihr denn gar keinen Grund anzugeben, warum der Vogel diese seltsame Nachttoilette macht?

Kurt: Vielleicht will er sich größer machen, wie der Frosch, der sich aufbläst?

Fritz: Nein, das würde doch keinen Zweck haben. Aber vielleicht friert ihn?

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Dr. E.: Friert ihn? Was sollte denn dabei das Sträuben der Federn nützen? Wird er etwa dadurch wärmer?

Fritz: Das kann man doch wohl behaupten. Wir haben neulich in der Physik gehabt, daß Luft ein schlechter Wärmeleiter ist, und daß man deshalb eine ruhende Luftschicht häufig anwendet, um die Wärme zurückzuhalten, wie z. B. bei den Doppelfenstern. Da soll es nicht sowohl das dünne Glas, sondern die dazwischen liegende Luftschicht sein, die das Zimmer warm erhält. Wenn nun der Vogel die Federn sträubt, d. h. sie weiter vom Körper abhält, so vergrößert er dadurch die ruhende Luftschicht um seinen Körper, so daß seine eigene Wärme nicht so schnell an die Umgebung abgegeben wird.

Sträuben des Gefieders. „Gänsehaut“

Dr. E.: Bravo, Fritz. Es freut mich, daß du dich nicht irre machen ließest. Deine Erklärung ist vollkommen zutreffend, und jetzt wird mir auch Kurt sagen können, ob wir denn wirklich beim Schlafengehen gar nichts tun, was dem Sträuben des Gefieders beim Vogel entspricht.

Kurt: Ach, dann meinst du wohl das Zudecken?

Dr. E.: Nun siehst du! Da wir keine eigenen Federn haben, so nehmen wir einfach die von unsern Gänsen und schaffen uns damit eine ebensolche Wärme zurückhaltende Schicht, wie sie die Vögel an ihrem Körper selbst herstellen. Ein Vogel führt also gewissermaßen sein Deckbett immer bei sich, so daß er es jeden Augenblick benutzen kann, wenn ihn friert.

Kurt: Aber warum friert ihn denn immer des Nachts?

Dr. E.: Na, Kurt, ich denke, das ist doch eine recht kindliche Frage! Erstens solltest du wissen, daß es nachts immer kühler ist als am Tage, wo die Sonne scheint, und zweitens entwickelt der Körper während der Ruhe lange nicht so viel Wärme, wie während der Bewegung. Wenn du tüchtig gelaufen bist, wirst du bekanntlich so heiß, daß du wie eine Kirsche aussiehst, und wenn du eine Nacht hier auf der Stubendiele schlafen wolltest, so würdest du schon merken, wie dir morgens beim Aufwachen die Zähne klappern. Das alles ist sehr einfach, denn die Wärme unseres Körpers wird eben durch die Arbeit, die er leistet, hervorgerufen. Ist letztere groß, so entsteht viel Wärme, ist sie klein, wie im Schlaf, so entsteht weniger, und wir müssen diese geringere Wärmemenge dann durch bessere Schutzmittel, also durch Zudecken, zu erhalten suchen.

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Ich möchte indes, da wir gerade von dem Sträuben des Gefieders gesprochen haben, doch noch die eine Frage an euch richten, wie dieses Sträuben wohl vor sich gehen mag.

Fritz: Da es sich um eine Bewegung der Federn handelt, so werden dazu auch wohl Muskeln nötig sein.

Dr. E.: Gut geraten, Fritz. Wenn wir die Sache genauer untersuchen, so finden wir kleine Muskelbündel, welche in der Haut liegen und sich an den Grund der Federn ansetzen. Durch ihr Zusammenziehen wird der Schaft der Feder, der schräg aus der Haut herausragt, mehr gerade gerichtet, so daß die Federn steiler zu stehen kommen. — Übrigens hatte Kurt vorhin gar nicht so unrecht, wenn er meinte, daß die Vorrichtung bei passender Gelegenheit dazu benutzt werde, sich größer zu machen. Fast alle Vögel sträuben ihr Gefieder auch, wenn sie einem Feinde gegenüberstehen, und zwar, wie wir annehmen, weil sie demselben auf diese Weise mehr Respekt einflößen.

Kurt: Aber machen die Igel und die Stachelschweine es nicht ebenso?

Dr. E.: Gewiß, Kurt. Im wesentlichen haben wir es hier mit derselben Erscheinung zu tun; nur daß diese Tiere durch das Sträuben ihrer Stacheln nicht bloß größer werden, sondern in den starren Borsten zugleich auch Waffen gewinnen. — Doch, da dir der Vergleich mit diesen beiden Säugetieren eingefallen ist, so möchte ich wohl weiter fragen, ob du nicht auch bei Menschen eine Erscheinung kennst, die wir dem Sträuben des Gefieders vergleichen können.

Kurt: Ich weiß nicht recht. Man spricht ja immer vom Sträuben der Haare bei Furcht oder Schreck; ich habe es aber noch nie gesehen, und ich dachte, das wäre wohl Unsinn.

Dr. E.: O nein, mein Junge, das Haarsträuben gibt es ganz buchstäblich, und dir haben sicher die Haare schon viel öfter zu Berge gestanden als du denkst.

Kurt: Nein, Vater, ganz gewiß nicht.

Dr. E.: So? Wie war es denn neulich beim Baden, als es schon so kalt war, daß ich euch eigentlich nicht hinlassen wollte? Hast du denn gar nichts bemerkt, als du zitternd aus dem Wasser kamst?

Kurt: O doch, da habe ich eine gehörige Gänsehaut gekriegt!

Dr. E.: Aha, da haben wir’s ja! Sieh, diese Gänsehaut war weiter nichts als das Sträuben des Gefieders beim Vogel und der[S. 60] Stacheln beim Igel. Deine Härchen auf der Haut sind nur so klein, daß du es gar nicht bemerktest, wie sie sich aufrichteten. Die kleinen Muskelfasern in der Haut aber hatten ihre Schuldigkeit getan und hatten sich um jedes Härchen zu einem kleinen Höckerchen zusammengezogen. Denn dieses höckerige Aussehen der Haut nennt man ja eben die „Gänsehaut“.

Fritz: Aber die „Gänsehaut“ hängt doch nicht von unserem Willen ab?

Dr. E.: Nein, darin hast du recht. Wir können sie allerdings wohl ziemlich willkürlich hervorrufen, wenn wir an etwas recht Kaltes, recht Saures oder recht Furchtbares denken; aber direkt können wir die Haare nicht sträuben. Ob das indes der Vogel so ganz nach Belieben kann, oder ob nicht auch bei ihm gewisse Empfindungen voraufgehen müssen, dürfte recht schwer zu entscheiden sein.

Warum steckt denn aber der Vogel den Kopf zwischen die Flügel, wenn er schlafen will?

Fritz: Sollte er vielleicht den Kopf noch besonders wärmen wollen?

Dr. E.: Möglich ist es, daß auch das Wärmebedürfnis hierbei eine Rolle spielt. Aller Wahrscheinlichkeit nach aber hat diese Gewohnheit noch einen andern Grund. Es ist eine bekannte Tatsache, daß wir das Einschlafen beschleunigen können, wenn wir die Bettdecke über das Gesicht ziehen. Wir atmen dann einen Teil der eben ausgeatmeten kohlensäurereichen Luft direkt wieder ein; deshalb gelangt durch Mund und Nase weniger Sauerstoff in die Lungen und in das Blut, und das arbeitende Gehirn wird leichter beruhigt. Demnach ist anzunehmen, daß auch beim Vogel dieses Verstecken des Kopfes zwischen die Flügel dazu dient, den Schlaf schneller herbeizurufen und ihn tiefer zu machen. — Übrigens scheint ihr es gar nicht weiter verwunderlich zu finden, daß der Vogel so ganz einfach seinen Kopf zwischen die Flügel steckt.

Kurt: Aber das können doch alle Vögel!

Dr. E.: Freilich können sie es alle; aber hört denn die Sache darum auf, weniger seltsam zu sein? Versuche du es doch einmal, deinen Kopf hinten auf den Rücken zu legen.

Kurt: Ja, das ist nicht möglich, weil unser Hals zu kurz ist.

Dr. E.: Nun, dann bitte mal eine Giraffe, daß sie es tut. Deren Hals ist doch wohl noch etwas länger als der eines Kanarienvogels.

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Beweglichkeit des Halses der Vögel. Folgen derselben

Fritz: Der Hals der Säugetiere ist nicht so biegsam, wie derjenige der Vögel.

Dr. E.: Sehr richtig! Und nun entsteht die weitere Frage: Wodurch wird die größere Biegsamkeit beim Halse des Vogels hervorgerufen?

Kurt: Ach, das weiß ich! Der Hals der Säugetiere besteht nur aus 7-8 einzelnen Wirbeln, und diese sind meist durch Knorpelscheiben miteinander verwachsen; der Hals der Vögel aber hat bis zu 22 Wirbel, und diese sind durch wahre Gelenke gegeneinander verstellbar.

Dr. E.: Es freut mich, Kurt, daß du so gut in der Schule aufgepaßt hast. Diese wahren Gelenke der Wirbel des Vogelhalses sind übrigens ganz eigenartig. Ihr solltet sie einmal präparieren, wenn Mama wieder ein Huhn oder eine Gans für die Küche besorgt hat. Die Wirbel sind nämlich nicht in jeder Richtung gegeneinander beweglich, sondern nur nach zwei rechtwinklig zueinander geneigten Richtungen, etwa so, wie ein Reiter im Sattel sich nach vorn und hinten, sowie nach rechts und links biegen kann. Die Gelenke führen daher auch den Namen Sattelgelenke. Ihnen vor allem verdankt der Vogelhals seine große Biegsamkeit, abgesehen davon, daß auch der Kopf viel beweglicher auf dem Halse befestigt ist als beim Säugetier. — Wissen aber möchte ich nun noch, weshalb wohl Säugetiere und Vögel eine so auffallende Verschiedenheit im Bau ihres Halses zeigen.

Fritz: O, das ist doch klar! Der Vogel soll mit seinem Schnabel die Nahrung vom Boden picken, sich verteidigen und sein Nest bauen, und darum muß der Kopf so beweglich sein.

Dr. E.: Ja, warum muß er denn das alles mit dem Schnabel machen?

Kurt: Womit sollte er’s denn sonst machen? Er hat ja keine Hände!

Dr. E.: Na, das ist nun etwas über das Ziel hinausgeschossen, denn die Hunde, Schweine, Pferde usw. haben auch keine Hände. Aber im Grunde hast du recht. Die Vögel gleichen gewissermaßen einem Menschen, dem beide Arme fehlen, und der daher sehen muß, wie er sich mit seinen Füßen und seinem Munde behelfen kann. Denn die Flügel sind als Apparate zum Greifen, Festhalten, Scharren, Graben, Klettern und was sonst noch alles mit den Vorderbeinen von[S. 62] den Säugetieren geschieht, völlig untauglich geworden. Dafür haben sie denn allerdings die schönste Kunst eingetauscht, die von jeher den Neid der Menschen erregt hat, die Kunst des Fliegens.

Hans: Aber sag’ mal, warum haben denn die Vögel außer den Flügeln nicht doch noch Arme?

Kurt: O Hans, das ist doch klar! Alle Wirbeltiere haben eben nur vier Beine, zwei vordere und zwei hintere. Bei den Vögeln entsprechen die Flügel den Vorderbeinen, wie man aus den Knochen noch deutlich erkennen kann. Es wäre also gar nicht zu begreifen, wo nun plötzlich noch ein zweites Paar Vorderbeine herkommen sollte.

Fritz: Ich finde es erstaunlich, Vater, wie gut die Vögel mit Hilfe ihres beweglichen Halses die schwere Aufgabe lösen, ohne Benutzung der vorderen Gliedmaßen auszukommen. Man sollte daher meinen, eine größere Beweglichkeit des Halses müßte auch für die Säugetiere immerhin noch von großem Nutzen sein.

Dr. E.: Die Sache hat doch auch sehr ihre zwei Seiten. Je länger der Hals und je zahlreicher seine Glieder, desto größere Muskelkraft wird natürlich erfordert, den schweren Kopf an dessen Ende im Gleichgewicht zu erhalten. Denkt euch nur einmal den Kopf eines Hirsches oder Ochsen auf einem langen beweglichen Schwanenhalse! Der Vogel hat denn auch die große Beweglichkeit seines Halses mit einem sehr empfindlichen Verlust bezahlen müssen, an den ihr sicherlich nicht denken werdet.

Kurt: Meinst du, daß er keine Hörner hat?

Dr. E.: Das wäre am Ende nicht so schlimm, denn die Raubtiere, Nagetiere, Affen usf. haben ja auch keine Hörner. Nein, der Verlust, von dem ich spreche, erscheint viel bedenklicher: dem Vogel sind seines Halses wegen die Zähne abhanden gekommen.

Fritz: Ist das wirklich dein Ernst, Vater? Was haben denn die Zähne mit dem langen Halse zu tun?

Dr. E.: Sehr viel, mein Junge. Um Zähne gehörig benutzen zu können, bedarf es kräftiger Knochen, auf welche sie sich stützen, und ebenso kräftiger Muskeln, durch welche sie gegeneinander bewegt werden. Wollen wir eine harte Nuß knacken, so nehmen wir dazu einen festen, eisernen Nußknacker. Wäre dies Instrument in derselben Dicke von Holz, so würde nicht die Nuß, wohl aber der Nußknacker[S. 63] beim Gebrauch zerbrechen. Von Holz müßte er eben bei weitem dicker und stärker sein. Gerade so ist es mit unsern Kiefern, die ja genau wie ein Nußknacker wirken. Sie müssen zum mindesten so stark gebaut sein, daß sie beim Zermalmen der Nahrung sich nicht biegen oder gar brechen, und sie müssen eine bedeutende Größe besitzen, um Platz für den Ansatz der dicken Muskeln zu bieten, durch welche sie bewegt werden. Beide Bedingungen sind aber nicht erfüllbar, ohne daß diese Knochen verhältnismäßig schwer werden, wie wir dies am Schädel der Säugetiere beobachten. Muß nun, infolge der größeren Länge und Beweglichkeit des Halses, der Kopf durchaus erleichtert werden, und geschieht dies mit auf Kosten der Kieferknochen, so ist es mit der Beißkraft vorbei, und die Zähne haben dann natürlich auch keinen Zweck mehr. So ist es gekommen, daß die Vögel im Laufe der Zeiten die Zähne verloren haben — früher hatten sie nämlich welche —, und daß die gesamten Knochen ihres Schädels eine so große Leichtigkeit erlangten, daß es kaum etwas Zierlicheres geben kann.

Kurt: Aber die Vögel müssen doch kauen, was sie essen!

Dr. E.: Die Fleischfresser haben das wohl kaum nötig, wie wir an den Raubtieren und den Schlangen sehen, die ja auch nicht kauen. Wohl aber die Körnerfresser. Nun, für diese hat sich ein ganz wunderbarer Ersatz gefunden, den man eigentlich nur beim Menschen vermuten sollte: sie bedienen sich nämlich falscher Zähne.

Kurt: Ach, jetzt machst du Scherz! Ein Vogel mit falschem Gebiß wäre doch zu komisch.

Kaumagen der Körnerfresser

Dr. E.: Und doch verhält es sich so, wie ich sage. Freilich sitzen diese falschen Zähne nicht im Munde, wie du wohl vermutet hast. Im Schnabel können die Körner nicht zerkleinert werden; so ist denn das eigentliche Kaugeschäft direkt in den Magen verlegt. Die Wände desselben sind demzufolge nicht dünn, wie bei uns, sondern dick und fleischig, wie ihr das sehr schön am Gänsemagen sehen könnt. Innen ist der Magen mit starken Hornplatten belegt, welche mit Hilfe der Muskelwände gegeneinander gerieben werden. Bis soweit ist alles in Ordnung und von künstlichem Gebiß keine Rede. Jetzt aber kommt das Drollige. Die Hornplatten scheinen die Aufgabe des Zerreibens der Körner so für sich allein doch nur mangelhaft ausführen zu können. Darum sucht der Vogel sich Kieselsteine und verschluckt sie. Diese spielen nun im Magen die Rolle unserer Zähne oder, wenn ihr[S. 64] lieber wollt, von Mühlsteinen, zwischen denen das Korn mit Hilfe der Muskelwände und der Hornplatten zerrieben wird.

Fritz: Dann ist also der Strauß gar nicht so dumm, wie man immer meint, wenn er Glas und Kieselsteine frißt.

Dr. E.: Nein, es ist nur der Unverstand der Menschen, der ihn deswegen lächerlich machen will. Hat man doch beobachtet, daß ein gefangener Strauß, trotz reichlicher Nahrung in seinem Magen, verhungern mußte, weil man auf dem Schiff nicht daran gedacht hatte, ihm das nötige Kauwerkzeug, also Kieselsteine, mit in seinen Käfig zu geben.

Kurt: Das hätte ich aber doch nicht gedacht, daß an einem Vogel noch so vieles zu lernen wäre!

Dr. E.: Das nennst du schon „vieles“? Ich meine, was wir besprachen, bezog sich doch eigentlich nur auf die Absonderlichkeiten, die unser schlafender Kanarienvogel darbot. Wollten wir auch seinen übrigen Körper, seine Flügel, Augen, Ohren, seine Stimme und seine inneren Organe näher betrachten, wir würden noch ungleich mehr finden, was eure Verwunderung erregen würde. Doch davon vielleicht ein andermal. Am Ende klingen unserm armen Hänschen schon die Ohren, daß wir soviel von ihm gesprochen haben.

Skelett des Canarienvogels.

[S. 65]

Titelbild Sechster Abend

Sechster Abend.

Dr. E.: Nun, Kurt, wie steht’s? Habt ihr eure Schlittschuhe schon bereit gemacht? — Ich glaube, wenn es so weiter friert wie heute abend, haben wir in zwei Tagen Schlittschuhbahn.

Kurt: Ja, Vater; es waren vorhin schon über zwei Grad Kälte. Sollten wir da nicht lieber unsere Blumen in die Wohnstube nehmen? Sie stehen noch alle im Balkonzimmer.

Dr. E.: Nein, Kurt, laß sie nur ruhig, wo sie sind. Bis zum Gefrierpunkt sinkt die Luft im Balkonzimmer nicht, und da ist es den Pflanzen besser, sie stehen kalt, als im geheizten Wohnzimmer.

Fritz: Du meinst wohl wegen des Leuchtgases und der schädlichen Ofenausdünstungen?

Dr. E.: Die kommen selbstverständlich mit in Betracht. Doch auch schon die Wärme an sich ist ihnen wenig zuträglich.

Fritz: Aber die Pflanzen brauchen doch Wärme zu ihrer Entwicklung!

Dr. E.: Das wohl; indes was im Sommer günstig und unentbehrlich ist, kann deshalb im Winter doch großen Schaden anrichten.

[S. 66]

Fritz: Wie ist das zu verstehen, Vater?

Dr. E.: Das soll heißen, daß die Pflanze zum Wachsen nicht bloß Wärme, sondern auch Licht nötig hat. Letzteres ist aber im Winter nicht genügend vorhanden.

Fritz: Wenn das ist, so begreife ich wohl, daß die Wärme allein nichts nützt; aber warum sie nun noch obendrein schädlich sein soll —?

Bedeutung von Licht und Wärme für die Pflanze

Dr. E.: Nun denn, du Quälgeist, wenn du durchaus hinter das Geheimnis kommen willst, so muß ich es dir wohl sagen. Also: die Einwirkung des Lichts befähigt die Pflanze, ihre Nahrung aus der Luft aufzunehmen und dieselbe in Baustoffe für ihren Körper umzuwandeln, etwa so ähnlich, wie eine Ziegelei die Backsteine für ein aufzuführendes Gebäude liefert. Mit Hilfe der Wärme wird dann aus diesen Baustoffen der Pflanzenkörper selbst aufgebaut, oder, um den Vergleich beizubehalten, die Backsteine werden hergerichtet und zum Hausbau aneinandergefügt. Wollten wir uns die Sache durch Vorgänge in unserm eigenen Körper klarmachen, so könnten wir vielleicht sagen: Das Licht befähigt die Pflanze zu essen und das Gegessene in Stoffe umzuwandeln, die etwa unserm Blute entsprechen; die Wärme hingegen bewirkt, daß aus dem Blute sich neue Körperteile bilden, daß also der Körper wächst. Solange nun Licht und Wärme in ausreichendem Maße vorhanden sind, kann der Pflanzenkörper getrost darauf loswachsen, da ja das Licht dafür sorgt, daß immer wieder neue Baustoffe fertiggemacht werden. Anders dagegen, wenn wir nur Wärme auf die Pflanzen einwirken lassen. Dann wird natürlich die Pflanze zum Bauen angeregt, sie bildet neue Triebe und Blätter. Allein bald ist der Vorrat an Baustoffen erschöpft; es werden nicht genügend neue gebildet, und das, was die Pflanze dann noch bauen kann, ist saft- und kraftlos und trägt den Stempel des Krankhaften deutlich zur Schau. Die Triebe sehen aus wie ein Junge, der bei ungenügender Ernährung lang und dünn emporgeschossen ist. Man nennt dies das „Vergeilen“ der Pflanze. Sie wird krank oder, wenn wir es geradezu sagen wollen, sie verhungert, da sie so wenig essen konnte, obwohl sie so viel arbeiten mußte. Da ist es denn selbstverständlich besser, man läßt die Pflanzen im Winter kalt stehen, damit sie vollkommen ruhen und erst dann wieder anfangen zu wachsen, wenn die Sonne im Frühling genügend Licht spendet, um neue Baustoffe zu bilden.

[S. 67]

Kurt: Wie sieht denn das aus, wenn die Triebe „vergeilen“?

Dr. E.: Ich glaube, gerade eins der schönsten Beispiele hierfür hast du schon oft genug gesehen. Weißt du nicht, was mit den Kartoffeln im Keller wird, wenn es gegen den Frühling geht?

Kurt: Ja, dann bilden sich lange weiße Keime daran.

Dr. E.: Nun also! Und diese sogenannten Keime, die fast wie weißgelbe Wurzeln aussehen, sollten eigentlich grünende, kräftige, beblätterte Zweige sein. Aber der Mangel an Licht hat so jämmerliche Gebilde aus ihnen gemacht. — Ähnliches sieht man ja auch oft genug, wenn man ein Brett oder einen Stein im Garten aufhebt, unter dem Pflanzen gewachsen sind. Wenn es dir Vergnügen macht, können wir ja überdies einen unserer Blumentöpfe ins warme Zimmer nehmen und etwas entfernt vom Fenster aufstellen, damit er recht hungern muß.

Fritz: Ja, das würde mich sehr interessieren. Wir haben ja verschiedene Geranien, die wir vielleicht zu dem Versuch benutzen könnten.

Geranien und Pelargonien

Dr. E.: Nun gut! Sind es denn auch wirkliche Geranien?

Fritz: O, die kenne ich doch; sie haben rosa Blüten und eine lange Frucht, wie ein Storchschnabel.

Dr. E.: Deshalb braucht es noch immer kein Geranium zu sein. Ich dächte, wir hätten nur Pelargonien. Kennst du denn den Unterschied?

Fritz: Nein; aber Pelargonien sind doch auch Storchschnabelgewächse.

Dr. E.: Das ist schon wahr. Aber wenn Geranien und Pelargonien sich nicht unterschieden, so würden sie doch keine verschiedenen Namen haben. — Ist die Blumenkrone regelmäßig oder unregelmäßig?

Fritz: Das weiß ich wirklich nicht genau; ich glaube aber unregelmäßig.

Dr. E.: Nun, Hans, so hole mal einen solchen Geranientopf her. Ich denke, es werden noch einige Blüten daran sein. —

Hans (zurückkehrend): Hier ist der einzige, der noch ein paar Blüten hatte; meist sind es aber schon Früchte.

Dr. E.: Das wird völlig genügen. Also, Fritz, sind alle Blumenblätter gleich groß?

[S. 68]

Fritz: Nein, die beiden oberen sind etwas größer. Diese Blumenblätter sind auch nicht rein rosa, sondern violett geadert und mit dunklem Fleck am Grunde.

Dr. E.: Daraus kannst du eben sehen, daß es ein Pelargonium ist. Das gleiche lehrt uns hier diese merkwürdige Anschwellung, welche von dem Kelche herunterzieht und ein Stück am Blütenstiel entlang läuft. Wißt ihr, was das zu bedeuten hat?

Kurt: Ih, das sieht ja ganz merkwürdig aus! Darf ich es mal durchschneiden?

Dr. E.: Nur zu, wenn du glaubst, daß du damit weiter kommst.

Kurt: Sieh, das ist innen eine hohle Röhre, die am Blütenstiel entlang läuft, und Saft ist darin.

Dr. E.: Gewiß, und diesen Saft nennt man Blütenhonig oder Nektar. Ich meine, den habt ihr schon oft genug in anderen Blüten, namentlich in solchen mit Sporn, beobachten können. Jenes mit dem Blütenstiel verwachsene Röhrchen ist also nichts als ein Honigbehälter, und das Eigenartige liegt eben nur in dieser Verschmelzung mit dem Blütenstiel. Im gesamten Pflanzenreiche kommt etwas Ähnliches nicht wieder vor. — Übrigens ließe sich zwischen Geranium und Pelargonium auch noch ein Unterschied in der Frucht anführen. Ihr wißt doch, wie die Früchte der Storchschnabelgewächse gebaut sind?

Kurt: O ja. Wir haben den Storchschnabel diesen Sommer durchgenommen. Es sind am Grunde fünf einsamige, länglich eiförmige Fächer, die sich zur Reifezeit von unten her ablösen, und deren jedes noch eine Zeitlang mit einem langen Schnabel an dem dünnen Säulchen in der Mitte hängen bleibt. Das Ganze sieht dann fast aus wie ein Kronleuchter.

Dr. E.: Ganz recht. Weißt du auch, warum sich die Frucht in fünf solche Teilfrüchte auflöst?

Kurt: Ich denke, dann können sie leichter zu Boden fallen.

Dr. E.: Das würde doch wohl genau so gut erreicht werden, wenn die Frucht als Ganzes abfiele, etwa wie ein Apfel oder eine Eichel. — Was sollen denn die Früchte am Boden?

Kurt: Aber da sind ja doch die Samen drin und in den Samen die jungen Pflänzchen, die in der Erde keimen müssen.

Dr. E.: Woher weißt du denn, daß in den Samen junge Pflänzchen sind? Ich meine, wenn ihr einen Mandelkern oder eine Eichel[S. 69] oder eine Walnuß aufschneidet, so findet ihr darin eine weiße, oft sehr wohlschmeckende Masse; eine junge Pflanze habt ihr aber doch wohl noch nicht darin gesehen?

Keimpflanzen. Notwendigkeit des Wanderns der Pflanze

Fritz: Ja, aber wenn ich den Samen, also eine Eichel oder Bohne in die Erde stecke, so keimt sie doch, und es kommt ein junges Pflänzchen heraus. Diesen Keimversuch haben wir mit Bohnen immer in der Schule gemacht. Es zeigt sich dann auch, daß das, was wir essen, der sogenannte Kern der Mandel oder der Nuß, eigentlich weiter nichts ist als zwei dicke, fleischige, weiße Keimblätter, die beim Keimen bald mit aus der Erde kommen und dann grün werden.

Dr. E.: Das ist ja sehr schön, daß ihr mich so gut belehren könnt. Nun möchte ich aber doch auch wissen, warum denn das junge Pflänzchen im Samen so ganz anders aussieht, wie später, wenn es „gekeimt“ ist. Überhaupt scheint es mir, als wenn die jungen Pflanzen viel besser an der Wurzel oder unten am Stamm entständen, wo sie ja gleich Wurzel schlagen könnten, als oben an den Zweigen, von wo sie erst auf die Erde herunterfallen müssen, um zu ihrem natürlichen Standort am Boden zu gelangen.

Hans: Ja, Vati, ich glaube auch, daß das besser wäre, und bei den Kartoffeln ist es ja auch so.

Dr. E.: O weh, Hänschen! Da hast du einen bösen Bock geschossen. Freilich vermehrt sich die Kartoffelpflanze durch die bekannten Knollen unter der Erde; aber das sind ja keine Früchte, sondern verdickte Stücke der Stengel, die die Fähigkeit haben, zu selbständigen Pflanzen auszuwachsen!

Fritz: Wenn die jungen Pflänzchen sich an der Wurzel bildeten, so würden sie immer in unmittelbarer Nähe der Mutterpflanze wachsen, und die Art würde sich nicht ausbreiten können, wie es jetzt geschieht, wenn die Früchte herunterfallen und fortkugeln oder sonstwie an eine andere Stelle gelangen.

Dr. E.: Gut, Fritz. Ich merke, daß dir diese Dinge bekannt sind. Es ist in der Tat eine der notwendigsten Einrichtungen für die Pflanze, daß ihre Kinder nicht unmittelbar wieder neben ihr Wurzel fassen.

Kurt: Aber sie könnte sie doch beschützen! Und der Platz, wo die alte Pflanze gut gedeihen konnte, wird doch auch wohl für die jungen der passendste sein?!

[S. 70]

Dr. E.: Höre, Kurt, ich will dir ein Gleichnis sagen. Denke dir einen Handwerker, etwa einen Goldschmied, in einem kleinen Städtchen. Er hat genügend zu tun, um sich und seine zahlreiche Familie zu ernähren. Aber seine fünf Söhne wachsen heran, sie werden alle ebenfalls Goldschmiede und lassen sich neben ihrem Vater im Städtchen nieder. Der Verdienst, der sonst dem Vater allein zufloß, verteilt sich nun auf sechs Familien, die sich jetzt auf das äußerste einschränken müssen, um durchzukommen. Vielleicht geht es aber noch gerade so, daß sie nicht zu hungern brauchen. Nun denke dir, die fünf Söhne hätten dann jeder wieder eine Anzahl Söhne, sagen wir durchschnittlich ebenfalls fünf, die auch nichts anderes werden möchten als Goldschmiede und sich im Orte niederließen, so wären weitere 25 Goldschmiedewerkstätten vorhanden, für die nun Arbeit und Verdienst völlig unzureichend sein müßte. Genau so würde es der Pflanze ergehen, wenn ihre Kinder immer wieder mit und neben ihr auf denselben Boden und dieselbe Nahrung angewiesen wären. Der Mensch hat ja, wie ihr wißt, viele Mittel, sich zu helfen. Die Söhne können etwas anderes werden als der Vater. Wollen sie aber durchaus Goldschmiede sein, so schnüren sie ihr Bündel, gehen auf die Wanderschaft und lassen sich nieder, wo es ihnen für ihr Fortkommen gutdünkt. Die Pflanze kann sich nicht anders ernähren, als wie es nun einmal ihre Natur verlangt; sie müßte ihrer Mutter das Brot vom Munde fortnehmen, auch wenn es ihr noch so schmerzlich wäre. So bleibt denn kein anderes Mittel als das Wandern, um neue Orte ausfindig zu machen, wo ein bescheidenes Pflänzchen noch etwas zu essen findet.

Hans: Ach, Vater, da muß ich an die schöne Geschichte denken von dem Blauveilchen, das sich auch aufs Wandern begibt und seine Würzelchen als Beine gebraucht.

Dr. E.: Ja, die Geschichte ist sehr niedlich, wenn es in der Wirklichkeit mit dem Wandern auch etwas anders aussieht. Der Mensch geht in die Fremde, wenn er erwachsen ist und sich selbständig durch die Welt schlagen kann. In solchem Alter aber sind die armen Pflanzen an den Boden gebannt, aus dem sie einen Teil ihrer Nahrung saugen. Die Pflanze muß daher wandern, wenn sie gewissermaßen noch in der Samenwiege liegt, die die Mutter ihr bereitet hat.

[S. 71]

Kurt: Nun, sie braucht ja auch nicht so weit zu wandern, wenn sie einfach vom Baume herunterfällt.

Verbreitungsmittel der Samen und Früchte

Fritz: Das tut sie ja gar nicht immer! Manche Früchte und Samen haben doch ganz ordentliche Flugapparate, mit denen sie weit wegfliegen können.

Dr. E.: Mich wundert, Kurt, daß du nicht weißt, wie viele Pflanzen für ihre Wanderzeit den Wind benutzen, und wie ihre Früchte hierzu mit breiten Flugrändern oder mit Haaren ausgestattet sind.

Kurt: O, wenn du das meinst — da gibt’s ja den Ahorn und die Ulmen, deren Früchte so breite Ränder haben. Dann gehört auch wohl der gewöhnliche Löwenzahn[7] hierher, der zuletzt wie ein großer Puderkopf aussieht. Wir haben früher die Früchte immer abgepustet und gezählt, wie oft wir blasen mußten, um alle fortzukriegen.

Dr. E.: Siehst du? Man muß dir nur auf die Sprünge helfen. Du hättest neben vielen andern auch die Disteln nennen können, die ja durch ihre Fliegerei zur wahren Plage für den Landmann werden. Hat er mit vieler Mühe sein Feld von dem Distelunkraut gereinigt, so kommen die bösen Früchte aus allen Himmelsrichtungen aufs neue angeflogen, setzen sich fest und keimen munter empor, so daß er die Ausrottungsarbeit bald von neuem beginnen muß. — Aber haben denn die Früchte kein anderes Transportmittel als den Wind?

Kurt: O ja! Da sind noch die Insekten, die sie forttragen.

Dr. E.: Ei, ei, Kurt. Wir wollen nicht zwei ganz verschiedene Dinge durcheinanderwerfen! Die Insekten haben mit den Früchten kaum etwas zu tun. Du hast aber wohl mal gehört, daß sie den Blütenstaub von Blüte zu Blüte tragen.

Kurt: Ach ja, das meine ich; das habe ich verwechselt.

Fritz: Einige Pflanzen schleudern ihre Samen selbst fort, wie unsere Waldbalsamine; bei andern werden die Früchte durch die Vögel zerstreut.

Dr. E.: Und warum tun die Vögel das?

Fritz: Es handelt sich meistens um Beerenfrüchte, die ja eine saftige Schale haben, welche die Vögel fressen. Den bittern Kern, in dem das junge Pflänzchen liegt, lassen sie entweder fallen, oder[S. 72] derselbe ist, selbst wenn sie ihn mit verschlucken, doch so hart, daß sie ihn nicht verdauen können.

Dr. E.: Ganz recht. Wir können also sagen, die Vögel erhalten gewissermaßen ein Trinkgeld dafür, daß sie die Samen austragen, indem ihnen die überflüssig gewordene Fruchtschale überlassen wird. — Gibt es denn nun auch Pflanzen, die für die Beförderung ihrer Kinder keinen Lohn bezahlen, die sie, ich möchte sagen, als blinde Passagiere durch die Welt reisen lassen?

Fritz: Da meinst du wohl die Früchte, die sich an die Kleider und an das Fell der Tiere hängen und so mitgeschleppt werden?

Dr. E.: Gut, Fritz. Ich denke, auf unsern Streifereien im Herbst habt ihr gerade genug davon zu leiden gehabt.

Kurt: Ja, da waren die Kletten[8], das Labkraut[9] und vor allem der abscheuliche Zweizahn[10] mit seinen beiden Spitzen, den man gar nicht wieder los werden kann.

Dr. E.: Kannst du mir denn jetzt vielleicht sagen, Kurt, warum so viele Früchte sich öffnen, um ihre Samen herausfallen zu lassen, und warum unsere Geranienfrucht sich in fünf einsamige Teilstücke spaltet?

Kurt: Ja, nun kann ich’s mir denken. Sonst wäre es ja gerade, als wenn fünf Brüder in einem Hause Goldschmiede würden. Die Samen müssen nicht bloß von der Mutterpflanze fort, sondern auch voneinander getrennt werden.

Dr. E.: Sehr schön, mein Junge. Weißt du denn nun weiter, warum das junge Pflänzchen im Samen so ganz anders aussieht als später, wenn es gekeimt hat? Warum es also keine Würzelchen und Blätter hervorstreckt?

Kurt: Vielleicht ist es darum, weil diese beim Wandern zu leicht abbrechen würden.

Dr. E.: So dürfen wir wohl annehmen. Das junge Pflänzchen erscheint gewissermaßen in eine Kiste eingepackt und zum Verschicken zurecht gemacht. Jetzt bleiben nur noch die dicken, fleischigen Keimblätter zu erklären.

Fritz: O, das weiß ich auch. In diesen Blättern stecken die Baustoffe für die ersten Wurzeln, das Stämmchen und die ersten Blätter.

[S. 73]

Pelargonienfrüchte. Bewegungserscheinungen der Pflanze

Dr. E.: So ist es recht. Und wenn wir unsern Vergleich mit der Wanderschaft weiterführen wollten, so würden wir sagen: Die Mutterpflanze hat dem Kindlein ein paar große Reisetaschen mit auf den Weg gegeben, in denen sich so viel Vorrat befindet, als das Kleine braucht, bis es auf eigenen Füßen steht, d. h. bis es hinreichend Würzelchen und Blätter getrieben hat, um sich selbst ernähren zu können. — Doch nun wollen wir uns unsere Storchschnabelfrüchte einmal näher betrachten. Seht ihr, da sind gerade welche, die sich von unten her ablösen lassen und nun bloß noch mit der Spitze an dem dünnen Stiel in der Mitte hängen.

Kurt: Ei, da sind ja an der Innenseite der Schnäbel lange Haare! Die können also auch fliegen?

Dr. E.: Das können sie. Und diese Härchen an den Schnäbeln lehren uns aufs neue, daß wir es mit einem Pelargonium zu tun haben. Die Geraniumarten haben keine solchen Haare als Flugapparat.

Fritz: Ach sieh nur, Vater, die Teilfrüchte haben sich ganz nach oben umgebogen und ihre Schnäbel fangen an, sich wie eine Spiralfeder einzurollen.

Dr. E.: Das ist ein Zeichen, daß die Luft im Zimmer verhältnismäßig trocken ist.

Fritz: Wieso denn?

Dr. E.: Die Schnäbel der Geranienfrüchte sind, wie man sagt, hygroskopisch, d. h. sie werden durch die Feuchtigkeit der Luft sichtbar beeinflußt. Ist die Luft sehr trocken, so rollt sich der Schnabel in dichten Spiralen auf, ist sie feucht, so streckt er sich wieder.

Fritz: Was hat denn das wohl für einen Zweck?

Dr. E.: O, das ist eine der drolligsten Einrichtungen, die man sich denken kann, und die in dieser Vollkommenheit nur bei gewissen Storchschnabelarten entwickelt ist. Es handelt sich nämlich um einen Apparat, die Samen unter die Erde zu bringen.

Fritz: Und wie geschieht das?

Dr. E.: Das obere Ende des anfangs geraden Schnabels biegt sich rechtwinklig gegen das untere und stemmt sich mit der Spitze gegen den Boden, wodurch auch die Teilfrucht selbst schräg gegen die Erde gestellt wird. Nun beginnt der untere Teil des Schnabels sich in Spiralen aufzurollen, wodurch die Teilfrucht in die Erde gebohrt wird, und ebenso die Spirale selbst, etwa so wie es mit einem sich drehenden[S. 74] Korkzieher geschehen würde. Wird der Schnabel dann wieder feucht, so daß er sich gerade strecken muß, so dreht sich das Ganze im entgegengesetzten Sinne. Da aber die gegen den Boden gestemmte Spitze des Schnabels das Geradestrecken nach oben verhindert, so wird auch durch diese Drehbewegung die Teilfrucht nur noch tiefer in die Erde hineingedreht. — Doch, ihr habt ja hier Früchte genug, und so könnt ihr einmal selbst versuchen, ob unsere Pelargoniumfrüchte es ebenso machen, wie es von gewissen Erodium-Arten beschrieben ist.

Kurt: Aber Vater, das ist doch beinah’, als wenn man es mit einem lebenden Wesen zu tun hätte, das sich verkriechen will.

Dr. E.: Nun, ein lebendes Wesen ist ja die Pflanze auch. Aber es erscheint dir wunderbar, daß sie Bewegungen ausführt, und daß diese Bewegungen zu ganz bestimmten Zwecken dienen. Wenn wir indes die Pflanzenwelt auf derartige Erscheinungen genauer durchmustern, so stellt es sich heraus, daß solche Bewegungen weit häufiger sind, als man früher dachte. Schon die Waldbalsamine[11] stellt ein ähnliches Beispiel dar. Hier werden durch spiraliges Einrollen der Fruchtschalen die Samen von der Mutterpflanze fortgeschleudert; bei der Spritzgurke[12] schießt sogar der ganze Inhalt der Frucht mit großer Gewalt heraus. Aber auch das Öffnen und Schließen der Blüten zu gewissen Tageszeiten — man hat ja eine ganz brauchbare „Blumenuhr“ danach zusammengestellt —, die mannigfachen Bewegungen der Staubgefäße, das Zusammenneigen der Drüsenhaare bei den „fleischfressenden“ Pflanzen und vieles andere gehört in dasselbe Kapitel. Der alte Satz, daß die Pflanze bewegungslos sei, kann heute nicht mehr aufrechterhalten werden. Wollten wir aber gar die niederen, mikroskopischen Pflanzen mit in Rücksicht ziehen, so würden wir sogar völlig freie Ortsbewegung finden, die sich in nichts von derjenigen der niederen Tiere unterscheidet.

Kurt: Aber die Tiere wissen doch, wo sie hin wollen, und wenn ein mikroskopisches Pflänzchen noch so frei im Wasser schwimmt, so wird es doch gewiß nie durch seinen Willen geleitet.

Dr. E.: Das ist eine Annahme, die wir zu machen gewohnt sind, weil wir dabei an die höheren Tiere und Pflanzen denken. Es ist aber doch noch sehr die Frage, ob schon bei den niedersten Tieren etwas vorhanden[S. 75] ist, was wir mit unserm Willen vergleichen können. Die einfache Beobachtung läßt durchaus keinen Unterschied zwischen den Bewegungsformen und Bewegungserscheinungen der mikroskopischen Tiere und denen der Pflanzen erkennen. Da überdies auch alle weiteren Unterschiede, die man früher zwischen beiden Reichen zu finden glaubte, sich als unzutreffend erwiesen haben, so werden wir uns wohl der Ansicht anschließen müssen, daß Tier und Pflanze auf ihren niedersten Stufen ohne scharfe Grenze ineinander übergehen. Vielleicht komme ich ein andermal darauf zurück; für heute wollen wir es genug sein lassen.

Löwenzahn
Ulme.Zweizahn.
Ahorn.

[S. 76]

Titelbild Siebenter Abend

Siebenter Abend.

Kurt: Sag mal, Vater, müssen denn eigentlich alle Tiere schlafen?

Dr. E.: Wie kommst du auf diese seltsame Frage, Kurt?

Kurt: Ja, neulich, als du uns von dem schlafenden Kanarienvogel erzähltest, mußte ich immer an unsern Goldfisch denken. Den habe ich noch nie schlafen sehen.

Schlaf der Fische. Flossen

Dr. E.: Es ist nicht so leicht, deine Frage zu beantworten. Über den Schlaf der Fische z. B. wissen wir nur herzlich wenig. Soviel steht aber wohl fest, daß auch sie der Ruhe bedürfen und dabei in einen Zustand verfallen, der unserm Schlafe ähnlich ist.

Hans: Machen sie denn dabei auch die Augen zu?

Dr. E.: Das nun gerade nicht, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde. Hast du dir schon einmal einen toten Fisch angesehen?

Hans: Ach richtig! Die haben noch ganz große offene Augen, auch wenn sie schon geräuchert sind!

[S. 77]

Dr. E.: Nun also! Wenn einer überhaupt keine Augenlider hat, dann soll er das Augenzumachen wohl bleiben lassen.

Hans: Aber ist denn das nicht schrecklich für so einen Fisch, daß er immer alles sehen muß, auch wenn er noch so müde ist?

Dr. E.: Es wäre doch noch die Frage, ob die offenen Augen wirklich immer sehen müssen. Unsere Ohren können wir ja auch nicht zuklappen und doch hören wir im Schlafe vieles nicht, was sonst unsere Aufmerksamkeit erregen würde. Es handelt sich eben nur darum, ob die äußern Eindrücke auch wirklich in unserm Gehirn zum Bewußtsein gelangen. Selbst wachende Menschen können, wenn sie mit andern Gedanken beschäftigt sind, einen Gegenstand anstarren, ohne ihn wirklich zu bemerken. — Übrigens sind ja auch viele andere Tiere, z. B. die Schlangen, nicht imstande, ihre Augen zu schließen; es muß sich also auch mit offenen Augen ganz gut schlafen lassen.

Fritz: Aber die Fische legen sich ja nicht einmal hin, wenn sie ausruhen wollen. Von einer ordentlichen Erholung kann doch da gar nicht die Rede sein.

Dr. E.: Zunächst darfst du von unserm Goldfisch in seinem Glase nicht so ohne weiteres auf die übrigen Fische schließen, die in der freien Natur leben. Bei manchen von diesen hat man tatsächlich beobachtet, daß sie in ihren Verstecken beim Schlafen mit dem Bauche den Boden berühren, oder, wie die Rochen und Schollen, sich geradezu in den Sand einwühlen. Andererseits scheinst du gar nicht daran zu denken, daß der Fisch, wenn er ruhig im Wasser steht, in bezug auf die aufzuwendende Kraft ganz und gar nicht mit einem auf seinen vier Beinen stehenden Landtier zu vergleichen ist.

Kurt: Und warum denn nicht? Wir haben doch in der Schule gelernt, daß die Brust- und Bauchflossen der Fische dasselbe sind, wie die Beine der vierfüßigen Tiere. Folglich steht er doch gewissermaßen auch auf seinen vier Beinen.

Dr. E.: O nein, das tut er keineswegs. Diese Flossen dienen höchstens dazu, ihn am Umfallen zu verhindern, etwa wie die sogenannten „Schwerter“ an den Seiten kleinerer Küstenfahrzeuge. Von einem Tragen der Körperlast aber, wie es unsern Beinen zugemutet wird, ist doch wahrlich nicht die Rede, denn das wird eben durch das Wasser selbst besorgt.

[S. 78]

Kurt: Aber der Fisch hat doch sein Gewicht!

Dr. E.: Selbstverständlich hat er das. Fritz wird dir indes erzählen können, daß jeder Körper im Wasser so viel an Gewicht verliert, als das Wasser wiegt, welches er verdrängt. Da nun ein Fisch im allgemeinen gerade so schwer ist, wie eine gleichgroße Wassermasse, so wird sein Gewicht gewissermaßen aufgehoben. Er schwebt im Wasser, ohne seine Muskeln auch nur im geringsten anzustrengen.

Fritz: Das wundert mich, daß Kurt nicht darauf gekommen ist. Wir haben ja erst vor wenigen Wochen über den sogenannten Auftrieb bei der Entstehung der Eisberge gesprochen. — Aber ist es denn so ganz gleichgültig, in welcher Tiefe des Wassers der Fisch schwebt? Es scheint doch sicher, daß er am Grunde einem viel größeren Drucke durch die darüberliegende Wasserschicht ausgesetzt ist, als nahe der Oberfläche.

Wasser- und Luftdruck. Tiefenfische

Dr. E.: Das Wasser kann durch Druck nur ganz unmerklich zusammengepreßt oder dichter gemacht werden; ein Kubikmeter Wasser vom Grunde ist daher kaum schwerer, als ein solcher nahe der Oberfläche. Wo also auch der Fisch sich befinden mag, er wird überall annähernd dasselbe Gewicht haben, wie das verdrängte Wasser und somit schweben; in dieser Hinsicht verhält er sich eben ganz wie irgendein „Stück Wasser“ selbst, das ich mir etwa an Stelle des Fisches denke. Anders freilich ist es mit dem Druck, der auf ihm lastet, und der um so größer wird, je tiefer er hinabsteigt.

Kurt: Aber ist denn das so schlimm mit dem Druck des Wassers, wenn man in die Tiefe taucht?

Dr. E.: Man sieht, daß du im Taucherhandwerk noch nicht allzu erfahren bist, Kurt. Du würdest sonst wissen, daß selbst der stärkste Mann nicht tiefer als höchstens etwa 50 Meter zu tauchen vermag. Bei 10 Meter Tiefe erleidet unser Körper auf jeden Quadratzentimeter seiner Oberfläche schon einen Druck von mehr als einem Kilogramm. Das ergibt auf die Gesamtoberfläche eines erwachsenen Mannes ein recht anständiges Gewicht, sagen wir etwa 15000-20000 Kilogramm. Bei weiteren 10 Metern hat sich dieses Gewicht verdoppelt, und bei 50 Metern wird es eben für den menschlichen Körper unerträglich.

Fritz: Dann muß das aber doch mit den Fischen ganz ebenso sein!

Dr. E.: In gewissem Sinne ja. Es ist auch ganz sicher, daß ein bestimmter Fisch nicht in jeder beliebigen Tiefe leben kann. In unsern seichten Flüssen und Seen sind ja die Druckunterschiede im[S. 79] Wasser nicht so groß, daß nicht ein und derselbe Fisch bald oben, bald unten sich aufhalten könnte. Im Meere aber und schon in tiefen Binnengewässern, wie in den Schweizer Seen, sind die einen Arten mehr auf die Oberfläche, die andern mehr auf den Grund des Wassers angewiesen.

Fritz: Ich denke, in der Tiefe ist ein so großer Wasserdruck, daß sie zerquetscht werden müssen?

Dr. E.: Es ist nicht der Druck an sich, welcher für uns das Leben in größerer Tiefe unmöglich macht, sondern der einseitige Druck auf unsern Körper, dem die inneren Gewebe nicht den nötigen Gegendruck entgegensetzen können. Die Sache wird euch klar werden, wenn ich daran erinnere, daß wir ja streng genommen auch am Boden eines Meeres leben, nämlich des über 10 Meilen tiefen oder, wenn ihr wollt, hohen Luftmeeres. Dieses Luftmeer übt auf unsern Körper einen ganz ansehnlichen Druck aus, nämlich denselben, wie eine 10 Meter hohe Wasserschicht. Allein wir merken nichts davon, weil alle Gase und Flüssigkeiten unseres Innern auf diesen Druck gewissermaßen abgestimmt sind und ihm das Gegengewicht halten. Erst wenn wir einen hohen Berg besteigen oder mit dem Luftballon in höhere Luftschichten fahren, wo der Luftdruck geringer ist als unten auf der Erde, wird das Gleichgewicht gestört, und unser Blut, das nicht mehr den gewohnten Gegendruck findet, sucht gewaltsam die Adern zu sprengen.

Fritz: Ach, nun verstehe ich. Es ist also ein solcher Tiefenfisch mit seinem Blute für den stärkeren Druck des Wassers auch gewissermaßen abgestimmt, und es ergeht ihm ähnlich wie uns im Luftballon, wenn er sich einmal in höhere Wasserschichten verirrt.

Dr. E.: Ganz, wie du sagst. Verirren freilich wird sich der Tiefenfisch wohl schwerlich; er kann aber z. B. durch Netz oder Angel emporgerissen werden, und so hat man denn namentlich am Bodensee beobachtet, daß die armen Tiere mit dick aufgetriebenem oder gar zerplatztem Bauche an die Oberfläche kamen.

Hans: Wie macht es denn der Fisch, wenn er im Wasser auf- und niedersteigen will?

Dr. E.: Wie machst du es denn, wenn du tauchen oder wieder an die Oberfläche willst?

Hans: Dann muß ich mit dem Kopf die Richtung nehmen, nach welcher ich will, und mit den Armen und Beinen rudern.

[S. 80]

Dr. E.: Nun siehst du, und geradeso macht es in der Hauptsache der Fisch auch, nur daß er noch ein paar weitere Einrichtungen hat, welche ihm die Bewegung im Wasser überhaupt erleichtern.

Schwanzflosse. Schwimmblase. Seitenlinie

Kurt: Ja, der Fisch ist wie ein Kahn gebaut und hat keinen Hals, so daß er den Kopf ohne Anstrengung immer geradeaus halten kann. Dann hat er auch noch eine Schwanzflosse.

Dr. E.: Und was kann ihm die nützen?

Fritz: O, die ist ja gerade die Hauptsache. Brust- und Bauchflossen dienen vornehmlich nur als Steuerflossen. Das eigentliche Fortbewegungsorgan aber ist der Schwanz, mit dem der Fisch ganz ähnliche Bewegungen ausführt, wie die Fischer, wenn sie ihr Boot durch das sogenannte „Wricken“ mit dem Ruder vorwärts treiben.

Dr. E.: Der Vergleich ist gut gewählt; auch in der Sache selbst hast du vollkommen recht. Schon die große Menge Fleisch, die sich bis zur Schwanzflosse hin erstreckt, läßt ja erkennen, daß die Hauptkraft des Fisches hier konzentriert ist, und die Geschwindigkeit, die er mit diesem gewaltigen Ruder erreichen kann, ist wirklich eine ganz erstaunliche.

Kurt: Hilft denn beim Auf- und Niedersteigen nicht auch die Schwimmblase mit? Unser Lehrer hat uns doch erzählt, diese Blase könne der Fisch zusammendrücken. Dann würde er schwerer und sänke in die Tiefe.

Dr. E.: Gewiß kann der Fisch mit den Muskeln seiner Körperwand die mit Luft gefüllte Schwimmblase zusammendrücken, ganz ähnlich, wie wir unsern Bauch einziehen können. Auch ist es keine Frage, daß dadurch der Raum, den der Fisch einnimmt, verkleinert, er selbst also „spezifisch“ schwerer wird und im Wasser zu sinken beginnt. Seltsamerweise besitzen aber manche Fische, wie die Haie und Schollen, einen solchen Apparat gar nicht, ohne deshalb weniger zum Auf- und Niedersteigen im Wasser befähigt zu sein. Die Schwimmblase mag daher ein Hilfsorgan für diese Tätigkeit sein; schwerlich aber ist sie die alleinige Ursache.

Fritz: Warum meintest du denn vorhin, daß ein Sichverirren der Fische bei diesem Auf- und Niedersteigen nicht anzunehmen sei? Kann der Fisch, wenn er einmal im Emporsteigen ist, es so genau abmessen, bis zu welcher Grenze ihm dies nichts schadet?

Dr. E.: Ich glaube, daß wir dies von vornherein ganz gut annehmen können. Ein Luftschiffer merkt ja auch an den immer stärker[S. 81] werdenden Beschwerden, daß er sich in eine zu große Höhe gewagt hat. Beim Fisch wird das noch viel mehr der Fall sein, denn er besitzt, wie es scheint, sogar einen eigenen Sinn für die Empfindung des auf ihm lastenden Wasserdrucks.

Kurt: Einen besonderen Sinn außer den bekannten fünf? Da bin ich doch neugierig, wo der wohl sitzen mag.

Dr. E.: O, das kann ich dir gleich zeigen, wenn du nur den Goldfisch hierher zur Lampe holst. Siehst du wohl die eigentümliche, wie aus kurzen Längsstrichen zusammengesetzte Linie, welche an jeder Seite des Körpers ziemlich in der Mitte vom Kopfe bis fast zur Schwanzflosse verläuft?

Hans: Ja, wahrhaftig. Man sieht es ganz deutlich, wenn er an der Wand des Glases entlang schwimmt.

Kurt: Und das soll ein Sinnesorgan sein?

Dr. E.: Ein Sinnesorgan jedenfalls. Sieh, die kleinen Striche, die man da bemerkt, sind in Wirklichkeit kleine Kanälchen, welche schräg je eine Schuppe durchbohren und dann in einen größeren Längskanal münden, der unter der Haut verläuft. Die Wandung desselben ist ganz von feinen Nerven umsponnen, die hier endigen. Durch die kleinen Strich-Kanälchen kann nun das Wasser, in dem der Fisch schwimmt, in das Innere des großen Längskanals eindringen. Jeder stärkere Druck des äußern Wassers muß sich daher bis auf die Flüssigkeit in diesem Längskanal und somit auch auf die feinen Nerven, die ihn umspinnen, fortpflanzen.

Kurt: Das ist aber eine gediegene Einrichtung! Davon habe ich noch gar nichts gewußt. Wundern tut es mich nur, daß bei den Fischen alles so ganz anders ist, wie bei den übrigen Wirbeltieren. Erst die Schwimmblase, und jetzt dieses Druckprüfungsorgan oder wie es sonst heißt.

Schwimmblase und Lunge

Dr. E.: Der Name für diesen Apparat ist „Seitenlinie“. Du irrst indessen, wenn du glaubst, daß sie und die Schwimmblase so ganz ausschließlich den Fischen zukomme. Ein ähnliches Organ wie die Seitenlinie, wenn auch anders gebaut, hat man bei den meisten Amphibien beobachtet. Die Schwimmblase aber ist ein Gebilde, das durch die ganze Wirbeltierreihe hindurch geht, und das man also vermutlich auch bei dir finden würde, wenn man dich auf den Seziertisch legte.

[S. 82]

Kurt: O weh, Vater! Das wollen wir doch lieber nicht ausprobieren. Wo soll denn die Schwimmblase bei uns sitzen?

Dr. E.: Sie sitzt in der Brust, wird aber beim Menschen nicht mehr Schwimmblase genannt, sondern —? Nun, Fritz, zeige, was du kannst.

Fritz: Ich glaube einmal gehört zu haben, daß die Schwimmblase unserer Lunge entspräche. Wie man das aber beweisen will, ist mir unklar.

Dr. E.: Einen unanfechtbaren Beweis kann auch ich euch jetzt nicht gut liefern, da er sich vornehmlich auf die Entwicklungsgeschichte beider Organe stützen müßte, die für euch noch zu schwierig ist. Aber daß die Sache in hohem Maße wahrscheinlich ist, werdet ihr schon einsehen lernen. Habt ihr denn schon einmal eine Schwimmblase gesehen?

Kurt: Natürlich! Du meinst doch diese straffen, mit Luft gefüllten Blasen, die unsere Doris aus dem Karpfen herausholt, wenn sie ihn ausweidet, und die so knallen, wenn man drauf tritt.

Dr. E.: Ja, die meine ich. Und habt ihr sonst nichts an diesen Blasen bemerkt?

Fritz: Sie sind in der Mitte eingeschnürt und auf der Oberfläche verlaufen kleine rote Äderchen.

Dr. E.: Nun, das ist schon etwas. Die Hauptsache fehlt aber noch.

Hans: Und an der einen Seite sitzt ein dünner Faden!

Dr. E.: Bravo, mein Hansel. Da hast du einmal mehr gesehen, als deine älteren Brüder. Ein Faden ist das allerdings nicht, sondern ein dünnes Rohr, das von der Schwimmblase in den Schlund führt.

Fritz: Und warum ist dieses Rohr so wichtig?

Dr. E.: Weil es uns den Vergleich nahelegt mit einem Rohr, das auch bei uns in den Schlund führt, und zwar aus den Lungen, deren Luft es in die Mundhöhle zu leiten hat.

Fritz: Das wäre ja unsere Luftröhre!

Dr. E.: Allerdings. Mit dieser muß dies feine Fadenrohr der Schwimmblase verglichen werden, zumal es wohl sicher ist, daß dasselbe ebenfalls zum Austreten von Luft aus der Schwimmblase dienen kann.

Kurt: Aber die Lunge selbst sieht doch ganz anders aus als die Schwimmblase. Sie dient ja auch zum Atmen, die Schwimmblase hingegen zum Auf- und Niedersteigen!

[S. 83]

Dr. E.: Mit dem verschiedenen Aussehen ist es nicht so weit her, wenn du nicht die Lungen eines Säugetieres, sondern etwa die eines Frosches mit der Schwimmblase vergleichst. Vorhin hat Fritz schon gesagt, daß die Oberfläche der Schwimmblase mit feinen Äderchen übersponnen ist. Wenn ihr euch nun vorstellt, daß die äußere Wand der Blase Falten in dem Innenraum bildete, die sich etwa bis zu einem System dünner Scheidewände im Innern entwickelten, und daß die Blutäderchen der Oberfläche sich auch auf diese Scheidewände im Innern fortsetzten, so hättet ihr ein ziemlich getreues Bild einer Froschlunge. Durch das dünne Luftrohr könnte dann die äußere Luft in dieses System von Kammern eindringen und würde nun an die in deren Wänden verlaufenden Blutgefäße ihren Sauerstoff abgeben. Mit andern Worten: Aus dem einfachen Luftbehälter der Fische wäre durch eine verhältnismäßig geringe Weiterentwicklung der Wände und ihrer Blutgefäße ein Atmungsorgan geworden.

Fritz: Das klingt ja alles sehr schön, Vater; aber daß sich eine solche Umwandlung nun wirklich vollzogen hat, scheint mir doch wenig wahrscheinlich.

Dr. E.: Nun, du ungläubiger Thomas, dann will ich dir noch etwas Weiteres erzählen, was deine Zweifel am Ende zerstreuen wird. Es gibt tatsächlich noch heute Fische[13], und zwar in Afrika sowohl wie in Südamerika und Australien, welche für gewöhnlich, d. h. solange sie frei im Wasser schwimmen, durch Kiemen atmen, wie die andern Fische. Zur regenlosen Jahreszeit aber, wenn die Sümpfe, in denen sie hausen, ausgetrocknet sind, leben diese sogenannten „Lungenfische“ monatelang in einer trockenen Schlammkugel und atmen nun mit ihrer Schwimmblase ganz so, wie ich es vorhin als möglich geschildert habe.

Kurt: Dann werden Fritz und ich nun wohl stillschweigen müssen. — Aber du hast eben die Kiemen erwähnt, und von diesen ist es doch wohl sicher, daß sie ganz allein bei den Fischen auftreten. Oder willst du mir am Ende auch Kiemen zuschreiben?

Dr. E.: Das nun gerade nicht. Aber denke doch nur an die Kaulquappen, die anfangs mit ganz prächtigen Kiemenbüscheln ausgerüstet sind. Später verwandeln sich dieselben zunächst in sogenannte innere[S. 84] Kiemen, um endlich völlig zu verschwinden, wenn der junge Frosch sich entwickelt hat. Solche Zustände mit Kiemenanlagen an den Seiten des Halses finden wir nun bei allen Wirbeltieren, selbst bei den Säugetieren, in ihren frühesten Entwicklungsstufen. Allein, da die Reptilien, Vögel und Säugetiere kein fischartiges Jugendleben im Wasser führen, so gehen diese Ansätze schnell zugrunde und sind völlig verschwunden, wenn das Tier aus dem Ei schlüpft oder geboren wird. Kiemen sind eben nur für das Leben im Wasser verwendbar. Es ist daher durchaus begreiflich, daß die höheren Tiere ein Organ frühzeitig verlieren, das ihnen nichts nützen kann.

Kurt: Und warum sind die Kiemen nur im Wasser zu gebrauchen?

Das Atmen im Wasser und in der Luft

Dr. E.: Die Atmung besteht bekanntlich darin, daß der Sauerstoff der Luft in das Blut eindringt, welches in den Adern der Kiemenblättchen kreist. Die Luft muß also die äußere Haut der Kiemenblättchen durchdringen, ehe sie in das Blut gelangt. Nun ist es eine bekannte Tatsache, daß die tierische Haut oder die tierische Membran — denkt etwa an eine Schweinsblase — die Luft in reicherem Maße nur dann durchläßt, wenn sie genügend angefeuchtet ist. Im Wasser ist dies natürlich stets der Fall, und so genügt denn die wenige Luft, die in demselben aufgelöst ist, um das Blut mit dem nötigen Sauerstoff zu versorgen. Sobald ich aber den Fisch aus dem Wasser nehme, trocknet die zarte Haut der Kiemenblättchen derartig ab, daß nun keine oder nur sehr wenig Luft durch sie hindurchdringen kann. Der Fisch muß also trotz des Meeres von Luft und Sauerstoff, das ihn umgibt, den Erstickungstod sterben.

Fritz: Aber der Aal kann doch ziemlich lange außerhalb des Wassers leben!

Dr. E.: Das stimmt. Und zwar verdankt er diese Fähigkeit der äußerst winzigen Öffnung seines Kiemendeckels, welche den Zutritt der abtrocknenden Luft verhindert und die Feuchtigkeit der Kiemen wie in einer fast völlig geschlossenen Höhle zurückhält. Es gibt übrigens noch viel interessantere Beispiele von auf dem Lande lebenden Fischen. Berühmt sind ja z. B. die Kletterfische[14] Ostindiens, welche geradezu auf die Bäume klettern sollen, jedenfalls aber weite Wanderungen[S. 85] über Land unternehmen. Befähigt sind sie zu diesem Leben außerhalb des Wassers durch eine merkwürdige Einrichtung ihrer Kiemenbogen, welche ein ganzes Labyrinth schwammartiger Poren enthalten, aus denen das vorher aufgenommene Wasser tropfenweise auf die Kiemenblättchen fällt und sie so für lange Zeit feucht erhält.

Fritz: Ich verstehe immer noch nicht, inwiefern denn nun die Lungen besser zum Atmen auf dem Lande taugen sollen. In ihnen wird doch die Luft auch erst irgendeine Membran durchdringen müssen, ehe sie in das Blut gelangt, und diese Membran müßte doch eigentlich noch trockner werden als die Kiemenhaut, da sie nie mit Wasser in Berührung kommt.

Dr. E.: Du würdest vollständig recht haben, wenn nicht glücklicherweise mit der Kohlensäure, die wir ausatmen, auch große Mengen Wasserdampf in unsern Lungen entständen. Ihr braucht ja nur daran zu denken, daß unser Atem in der Kälte sichtbar wird, oder wie man sagt, daß man „den Hauch sehen“ kann. Diese Erscheinung rührt bekanntlich daher, daß der Wasserdampf bei niedriger Temperatur in Wasserdunst sich verwandelt, und ihr könnt also aus dem dichten Nebel, den wir dann ausatmen, ersehen, eine wie große Menge Wasserdampf fortwährend in den Lungen gebildet wird. Ein großer Teil desselben bleibt nun selbst beim tiefsten Ausatmen in den Lungenhöhlen zurück; er ist somit die Ursache, daß die zarten Wände der Lungenbläschen unter allen Umständen und auch bei trockenstem Wetter die nötige Feuchtigkeit zum Durchtritt des Sauerstoffes behalten. — Ihr seht, der alte Satz: „Äußere Atmungsorgane für die Wassertiere, innere für die Landtiere“ findet in verhältnismäßig einfachen physikalischen Verhältnissen seine Erklärung.

Hans: Wo hat denn unser Goldfisch eigentlich seine Ohren, Papa?

Dr. E.: O, das wird dir schon einer deiner gelehrten Brüder auseinandersetzen können.

Kurt: Ich weiß nicht recht; aber ich glaube, die Fische haben gar keine Ohren, denn sie sind ja auch alle stumm und brauchen folglich gar nicht zu hören.

Dr. E.: Das sind fast ebensoviel Unrichtigkeiten wie Worte, lieber Kurt. Selbst wenn es wahr wäre, daß alle Fische stumm sind, so würde daraus doch noch keineswegs folgen, daß sie nun überhaupt[S. 86] nicht zu hören brauchten. Der Gehörsinn ist denn doch ein zu wichtiges Mittel, sich in der Welt zurechtzufinden und Gefahren zu vermeiden, als daß wir bei so hoch entwickelten Tieren ein völliges Fehlen desselben annehmen dürften.

Kurt: Aber kann man denn im Wasser überhaupt hören?

Dr. E.: Gewiß kann man das. Ganz ähnlich wie in der Luft, pflanzen sich die Schallwellen im Wasser und in festen Körpern fort. Ja, der Schall wird in diesen Stoffen noch ungleich leichter und vollkommener fortgeleitet, als in der Luft. Ein Taucher am Grunde des Wassers hört jedes Wort, das am Ufer gesprochen wird, und das leiseste Kratzen am Ende eines langen Balkens kann man deutlich am andern Ende wahrnehmen.

Kurt: Dann wundert es mich aber, daß die Fische alle stumm sind.

Dr. E.: Das ist auch gar nicht der Fall. Freilich, Nachtigallen gibt es unter den Fischen gerade nicht; denn ihnen fehlt ja der Kehlkopf, durch den die Stimme der Landtiere erzeugt wird. Aber Töne können doch manche von ihnen hervorbringen. Schon unsere einheimischen Fischer wissen in dieser Hinsicht allerlei vom Schlammpeitzger[15], vom Seeskorpion[16], vom Knurrhahn[17] und anderen Fischen zu erzählen; am berühmtesten aber von allen ist wohl der sogenannte Trommelfisch[18] der amerikanischen Ostküste, dessen Musik den ankernden Schiffern in stillen Nächten oft wie ein fernes Trommelkonzert aus der Tiefe des Meeres zu Gehör kommt.

Fritz: Und weiß man, wie sie das machen?

Dr. E.: Es ist sehr viel darüber gesagt und geschrieben worden. Schon Aristoteles, der nicht weniger als sechs tonbegabte Fische namhaft macht, hat sich darüber geäußert. Bald scheint es sich um ein Reiben verschiedener Körperteile gegeneinander, bald um schnelle Schwingungen gespannter Muskelfasern oder endlich um das Ausstoßen von Luft zu handeln. Jedenfalls sind die Einrichtungen recht verschieden und im einzelnen noch wenig erforscht.

Kurt: Hat man denn schon sicher beobachtet, daß die Fische hören können?

Ohren der Fische. Töne. Sinnesorgane

Dr. E.: Ich denke, ja. Wenigstens wird erzählt, daß man sie daran gewöhnen kann, etwa auf ein Glockenzeichen zur Fütterung zu[S. 87] kommen. Außerdem wäre es doch töricht, die Fähigkeit des Hörens bei Tieren leugnen zu wollen, deren Ohren ganz gut entwickelt sind.

Kurt: Aber man sieht doch nichts davon.

Dr. E.: Nein; ein sogenanntes äußeres Ohr, wie unsere Ohrmuschel, ist auch nie vorhanden, ja selbst ein Trommelfell, wie es die Eidechsen und Frösche haben, fehlt vollständig. Aber da die Schallwellen nicht durch die Luft, sondern durch das Wasser an den Fisch gelangen, so sind derlei Einrichtungen auch gar nicht nötig. Das Gehörorgan liegt bei den Fischen ganz im Innern der Kopfknochen verborgen, und diese pflanzen die Schallwellen des Wassers ebenso auf die Gehörhärchen fort, wie der lange Balken dies tut, von dem ich vorhin sprach. Die physikalischen Verhältnisse im Wasser sind eben andere, als in der Luft, und folglich müssen auch die Sinnesorgane entsprechend anders gebaut sein.

Fritz: Ja, mit den Augen ist es doch ebenso. Die Linse, die bei den Lufttieren verhältnismäßig flach ist, sieht bei den Fischen wie eine Kugel aus, weil die Brechungsverhältnisse des Lichtes für Luft und Wasser so ganz verschieden sind.

Kurt: Das verstehe ich nicht.

Dr. E.: Ist auch noch nicht nötig. Fritz wollte bloß ein wenig mit seiner neuen Gelehrsamkeit aus der Physikstunde glänzen. Recht hat er aber damit, daß die kugelige Form der Augenlinse — ihr habt sie doch wohl schon beim Karpfenessen wie ein rundes weißes Pfefferkorn gesehen — mit dem Leben im Wasser zusammenhängt.

Kurt: Sind denn die andern Sinne, ich meine z. B. der Geruch und der Geschmack, auch für das Leben im Wasser eingerichtet?

Dr. E.: Darüber weiß man leider herzlich wenig, zumal es oft schwer zu sagen ist, ob etwas durch den Geruch oder durch den Geschmack wahrgenommen wird.

Fritz: Wieso denn? Ich weiß doch ganz genau, was an einem Apfel riecht und was an ihm schmeckt.

Dr. E.: Du glaubst es wenigstens zu wissen. Zahlreiche Versuche aber haben ergeben, daß man sich gründlich dabei irren kann. Ist es doch z. B. eine bekannte Tatsache, daß man bei zugehaltener Nase nicht unterscheiden kann, ob man einen Apfel oder eine Zwiebel verspeist.

Kurt: Ih, das will ich doch einmal versuchen. Aber wozu haben wir dann zwei besondere Organe für Geruch und Geschmack?

[S. 88]

Dr. E.: Ein Unterschied zwischen beiden ist ja leicht aufzustellen. Die Zunge scheint vor allem befähigt, diejenigen Stoffe zu prüfen, welche in flüssiger Form mit den Nervenendigungen in Berührung kommen, während die Nase für die Erkennung gasförmiger Substanzen zu sorgen hat.

Fritz: Und das sollte bei den Fischen nicht ebenso sein?

Dr. E.: Das ist ja eben die heikle Geschichte! Wenn Gase sich im Wasser auflösen, so sind sie gar keine Gase mehr, sondern Flüssigkeiten. Es ist also nicht recht einzusehen, inwiefern die Nase der Fische etwas anderes leistet als die Zunge. Höchstens darf man vielleicht annehmen, daß die allgemeine Beschaffenheit des Wassers durch das Riechorgan, der eigenartige Geschmack der Nahrung hingegen durch die Zunge empfunden werde. Möglich ist es ja indes immerhin, wie neuerdings behauptet wird, daß unsere ganze bisherige Auffassung des Riechvorganges eine irrige ist, und daß es sich bei demselben nicht um die Ausbreitung gasförmiger Stoffe handelt, sondern um Wellenbewegungen, wie wir sie für die Verbreitung des Lichtes und des Schalles annehmen.

Hans: Viel Vergnügen wird der Fisch aber beim Essen wohl nicht haben, wenn er bei jedem Bissen immer so viel Wasser runterschlucken muß.

Dr. E.: Das sind alles Dinge, mein Hänschen, die sich schwer beurteilen lassen, weil wir uns nicht in die Lage eines Fisches versetzen können. Die Dichter sprechen ja viel von dem muntern, fröhlichen Fischlein, dem es so wohlig sei auf dem Grunde. Wir dürfen wohl annehmen, daß jedem Geschöpf gleich uns von der Mutter Natur sein reichlich Maß an Leid und Freude beschieden ist.

Schlussbild Siebenter Abend

[S. 89]

Titelbild Achter Abend

Achter Abend.

Fritz und Kurt sind allein, Hans ist zum Geburtstag, und der Vater noch durch Besuch verhindert.

Kurt: Du, Fritz, ich glaube, ich habe noch ein schönes Mineral im Hause entdeckt, an das Vater neulich gar nicht gedacht hat.

Fritz: Nun, und das wäre?

Steinkohlen. Zusammensetzung des Holzes

Kurt: Unsere Steinkohlen.

Fritz: Ach, das ist nichts; die brennen ja!

Kurt: Ich weiß doch nicht, warum Mineralien nicht auch brennen[S. 90] sollen. Der Schwefel brennt auch, und der ist doch gewiß ein Mineral.

Fritz: Wahrhaftig! Da hast du recht. Aber ich habe gehört, daß die Steinkohlen aus vorweltlichen Pflanzen entstanden sind; da können sie doch nicht zu den Steinen gehören.

Dr. E. (eintretend): Nun, worüber streiten sich die gelehrten Herren?

Fritz: Kurt meinte, die Steinkohlen seien auch Mineralien; ich habe ihm aber auseinandergesetzt, daß es die Reste ausgestorbener Pflanzen sind, die daher nicht zu den Steinen gerechnet werden können.

Dr. E.: Das ist allerdings eine recht schwierige Streitfrage. Aber möchtest du denn wirklich diese ungeheuren formlosen Kohlenmassen, die tief unter der Erde ruhen und bergmännisch gewonnen werden, noch heute als Pflanzen bezeichnen? Mir scheint, wir haben hier ein hübsches Beispiel dafür, daß alle unsere Einteilungsversuche der Naturkörper, und selbst die allerallgemeinste Einteilung in drei große Naturreiche, immerhin ihre Schwächen haben. Die Steinkohlen sind aus Pflanzen hervorgegangen, das unterliegt keinem Zweifel; in ihrer jetzigen Form aber nähern sie sich so sehr den Mineralien, daß wir gewiß keinen großen Fehler begehen, wenn wir sie diesen zurechnen.

Fritz: Aber kann man denn nicht oft noch Stamm, Zweige und Blätter ganz deutlich erkennen?

Dr. E.: Nein, das ist nur in seltenen Ausnahmen der Fall. Wohl findet man häufig genug die Abdrücke von Zweigen und Blättern zwischen den Schichten; die Steinkohle selbst aber zeigt kaum noch Spuren des pflanzlichen Baues, und beim Anthrazit, einer andern Kohlenart, sind auch diese verschwunden.

Fritz: Wie ist denn das nur möglich gewesen, daß Pflanzen sich so ganz in steinartige Massen verwandeln konnten?

Dr. E.: Das ist nicht so leicht zu beantworten. Zunächst müßten wir uns mit der Zusammensetzung des Holzes und deren Änderung durch äußere Einflüsse beschäftigen; dazu aber bedarf es chemischer Kenntnisse, von denen ihr noch keine Ahnung habt.

Fritz: Ach bitte, Vater, versuche es doch mal. Ich werde es schon verstehen, und schaden kann es ja dem Kurt auch nicht.

Dr. E.: Nun, dann wollen wir mal sehen, wie weit wir kommen. Also zunächst die wichtige Frage: Aus welchen Stoffen besteht ein Stück Holz?

[S. 91]

Fritz: Das weiß ich nicht; aber Kohlenstoff ist drin, da man das Holz verkohlen kann. Kohle ist überhaupt ein Bestandteil aller lebenden Körper, wie wir in der Schule gelernt haben; ebenso Sauerstoff und Wasserstoff.

Dr. E.: Damit bin ich schon zufrieden. Für Kurt will ich nur bemerken, daß Kohlenstoff ein fester schwarzer Körper ist — denkt euch etwa Lampenruß —, und daß Sauerstoff und Wasserstoff dieselben zwei gasförmigen Stoffe sind, die das Wasser zusammensetzen. Aus diesen drei Stoffen oder Elementen ist auch der Holzstoff aufgebaut, den man wissenschaftlich in der Regel mit dem Namen „Zellulose“ bezeichnet. Außerdem steckt im Holz jedoch noch etwas anderes, was man kaum darin erwarten sollte, nämlich eine Menge Mineralstoffe, wie Kieselsäure, Kalk, Kali usw.

Kurt: Und die kann man wirklich im Holze nachweisen?

Dr. E.: O, die Sache ist sehr einfach. Es gibt ein sehr bequemes Mittel, dieselben von der Zellulose oder dem Holzstoff zu trennen. Dieser nämlich ist brennbar, während die Mineralstoffe unverbrennlich sind. Daraus ergibt sich das einzuschlagende Verfahren ganz von selbst.

Kurt: Dann müßte man also den Holzstoff durch Verbrennen fortschaffen?

Dr. E.: Oder, was dasselbe ist, man muß das tun, was jeden Tag in der Küche geschieht, wenn Holz in den Feuerherd gesteckt wird. Was nach dem Verbrennen übrig bleibt, sind dann die unverbrennlichen Mineralstoffe, welche im Holz steckten und die kurzweg als Asche bezeichnet werden.

Kurt: Ei, das hätte ich mir denken können! Aber wo ist denn nun der Holzstoff selbst beim Verbrennen hingeraten? Der scheint ja dann gänzlich verschwunden zu sein. Hat er sich vielleicht in Dampf verwandelt?

Dr. E.: Gänzlich verschwinden kann überhaupt nichts auf der Erde. Ebensowenig können wir die Zellulose als solche flüssig oder gasförmig machen. Wenn ich sie aber verbrenne, d. h. sie dazu bringe, sich mit dem Sauerstoff der Luft chemisch zu verbinden, so wird sie in ihrer bisherigen Zusammensetzung zerstört, und es entsteht dafür eine Reihe anderer Stoffe, von denen Kohlensäure und Wasserdampf die wichtigsten sind. Da diese aber als Gase für uns[S. 92] unsichtbar sind und sich alsbald in die umgebende Luft zerstreuen, so erscheint es uns, als wenn die Zellulose beim Verbrennen einfach verschwinde.

Kurt: Ohne den Sauerstoff der Luft gibt es also gar kein Verbrennen?

Dr. E.: Im allgemeinen, nein. Du weißt ja auch ganz gut, daß man Zug in einem Ofen machen muß, wenn das Feuer brennen soll.

Kurt: Ja, wenn das nicht geschieht, so raucht der Ofen, und das Feuer geht aus.

Dr. E.: Ganz recht. Nur dürfen wir eigentlich nicht sagen, der Ofen raucht, sondern „aus dem Holz im Ofen entwickelt sich Rauch“. Dieser Rauch bei ungenügendem Zutritt der Luft ist eine sehr auffällige Erscheinung, die wir etwas näher betrachten müssen. Rauch ist nämlich keineswegs dasselbe wie Gas oder Dampf. Letztere beiden sind unsichtbar. Den Rauch aber sehen wir. Er enthält eine Menge fester Teilchen, nebst andern Stoffen hauptsächlich ganz feinen Kohlenstaub, der sich an kalten Gegenständen bald absetzt und eine schwarze Schicht bildet.

Fritz: Meinst du damit den Ruß im Schornstein?

Vollständige und unvollständige Verbrennung. Gasfabrik

Dr. E.: Allerdings. Er bildet sich in jedem Schornstein, da unsern Herden nie genug Luft zugeführt wird, um den Holzstoff völlig zu verbrennen. Wir müssen demnach zwei ganz verschiedene Arten von Verbrennung unterscheiden: Die eine bei viel Luftzutritt, wo die Bestandteile der Zellulose sich völlig in unsichtbare Gase, wie Kohlensäure und Wasserdampf verwandeln; die andere bei ungenügendem Luftzutritt, wo außer diesen Gasen allerlei feste und flüssige Stoffe entstehen, die wir im Ruß des Schornsteins wiederfinden. Aber auch was zurückbleibt, ist in beiden Fällen nicht das gleiche. Bei vollständiger Verbrennung des Holzes bleibt schließlich nur die Asche übrig, also das, was überhaupt unter keinen Umständen verbrennen kann; bei mangelnder Luftzufuhr hingegen bleibt mit den Mineralstoffen noch ein Teil des Kohlenstoffs unverbrannt zurück: Das Holz erscheint uns dann eben nicht verbrannt, sondern nur „verkohlt“.

Fritz: Ah, jetzt begreife ich, wodurch draußen im Walde in den Kohlenmeilern die Holzkohlen entstehen.

Dr. E.: So? Und wie denkst du dir die Sache? Hast du denn schon einmal einen solchen Meiler gesehen?

[S. 93]

Fritz: Ja! Weißt du denn nicht mehr, wie wir im vorigen Jahre in Thüringen waren? Da hatten die Köhler einen großen, runden, aber nicht sehr hohen Holzstoß aufgebaut und ganz und gar mit Rasen bedeckt, so daß er fast wie eine niedrige Hütte aussah. Auch eine Art Tür führte hinein und innen waren schmale Gänge. Wenn dann das Holz in Brand gesteckt war, wurde der Eingang mit Rasen zugesetzt, und nun zog ein dicker Qualm zwischen den Rasenstücken nach außen. Später ist dann das ganze Holz im Innern zu Holzkohle geworden. Nach dem, was du uns soeben erzählt hast, kann das nur daher kommen, daß durch das Zudecken mit Rasen der Zutritt der Luft so weit abgeschlossen wurde, daß eine vollständige Verbrennung zu Asche nicht möglich war.

Dr. E.: Es freut mich, daß du den Vorgang richtig aufgefaßt hast. Doch nun wollen wir unser schwieriges Thema weiter verfolgen. Nach dem, was wir bis jetzt besprochen, sind es also zwei Dinge, welche die Zellulose zerstören: die Hitze und der Sauerstoff der Luft. Wirken beide zusammen, so verbrennt das Holz vollständig bis zu Asche; ist der Luftzutritt vermindert, so erhalten wir bei genügender Hitze Holzkohle und Rauch. Es fragt sich nun, was geschehen wird, wenn entweder nur Hitze ohne Luft, oder nur Luft ohne Hitze auf das Holz einwirkt.

Fritz: Um ersteres zu erfahren, brauchte man ja nur etwas Holz in einem völlig geschlossenen Behälter zu erhitzen. Das wäre doch leicht zu machen.

Dr. E.: Es geschieht dies auch oft genug. Man bringt das Holz in große eiserne Zylinder, verschließt sie und heizt dann tüchtig darunter.

Kurt: Warum tut man denn das? Man muß doch irgendeinen Zweck dabei verfolgen.

Dr. E.: Gewiß, mein Junge. Es wundert mich nur, daß ihr noch nicht dahinter gekommen seid, was ich euch eben beschreiben wollte. Kennt ihr denn wirklich keine Gasfabrik?

Fritz: Eine Gasfabrik? Ich denke, das Gas wird aus Steinkohlen hergestellt?

Dr. E.: Das kommt ganz darauf an. Holz tut genau dieselben Dienste und wird oft genug statt der Steinkohlen angewendet. Doch die Hauptsache ist für uns, was wird aus dem Holz, wenn es bei Luftabschluß erhitzt wird?

[S. 94]

Fritz: Da wird sich natürlich auch aus dem Holz wohl Leuchtgas entwickeln. In den eisernen Zylindern aber, so denke ich mir, wird Holzkohle zurückbleiben, da sie ja nicht zu Asche verbrennen kann wegen des fehlenden Sauerstoffs.

Dr. E.: Deine Vermutung ist richtig; nur hast du noch eine Gruppe von Stoffen vergessen, die außer dem Leuchtgas entsteht, nämlich Flüssigkeiten, die anfangs in Dampfform mit aus den eisernen Zylindern entweichen, dann aber sich bald in besonderen Behältern verdichten und ansammeln. Es sind vor allem Wasser mit etwas Essig, sodann ölartig-schmierige Stoffe, die euch wohl unter dem Namen Teer bekannt sein werden.

Kurt: Aber wie kann denn das alles aus dem Holz kommen; das ist doch ganz trocken?

Wirkung der Hitze und der Luft auf Zellulose

Dr. E.: Ja, mein Sohn, da müßtest du schon Chemiker sein, um das zu verstehen. Nur so viel will ich dir sagen, daß alle diese Körper eben auch aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff zusammengesetzt sind, aus denen ja die Zellulose besteht. Durch das Erhitzen zerlegt sich also die Zellulose in eine Menge einfacherer Verbindungen, die teils gasförmig, teils flüssig sind. Das gewöhnliche Wasser ist, wie du weißt, weiter nichts als eine Verbindung von Wasserstoff und Sauerstoff; folglich muß es sich auch bilden können, wenn ich das feste, trockene Holz, das diese beiden Gase enthält, durch Hitze zerlege.

Kurt: Ja, das sehe ich wohl ein; aber schnurrig bleibt es doch, daß die Chemie aus trockenen Körpern Flüssigkeiten und sogar Gase machen kann.

Dr. E.: Du würdest noch viel mehr staunen, wenn ich dir die ganze Fülle der Stoffe nennen wollte, die durch die Zersetzung des Holzes und der verschiedenen Kohlenarten entstehen. Nur beiläufig will ich indes erwähnen, daß auch unsere Paraffinkerzen, das Naphthalin und vor allem die prächtigen Anilinfarben aus dem Gasteer gewonnen werden. Genug, wir wissen nun, daß der Holzstoff unter dem Einfluß der Hitze sich in eine Menge gasförmiger, flüssiger und teerartiger Stoffe zersetzt, und daß dann schließlich in den Eisenzylindern Kohle zurückbleibt. Jetzt wollen wir die zweite Frage besprechen, ob die Luft allein, ohne Hitze, ebenfalls eine Einwirkung auf die Zellulose ausübt.

Fritz: Das glaube ich nicht. Denn ein Stück Holz bleibt ja unverändert, wenn wir es einfach an der Luft liegen lassen.

[S. 95]

Dr. E.: Dann werden also alle die Bäume, die vor tausend oder zehntausend Jahren im Walde umgefallen sind, dort heute noch ebenso liegen?

Fritz: Das nicht; die sind längst vermodert. Aber sie waren auch schon morsch, als sie umfielen.

Dr. E.: Wenn das Umfallen durch einen Windbruch geschah, wohl schwerlich. Wie ist es denn mit einem gesunden Balken, den man in ein Haus hineinbaut? Behält der etwa durch Jahrhunderte seine Festigkeit?

Fritz: Nein, daran habe ich nicht gedacht; dann muß ich also wohl zugeben, daß auch frisches, gesundes Holz, wenn es der Luft ausgesetzt wird, im Laufe der Zeiten morsch wird und schließlich zerfällt.

Dr. E.: Und was mit dem Balken vielleicht erst nach Jahrhunderten geschieht, das geschieht ungleich schneller mit den Blättern, dem Laub in den Wäldern, welches der Hauptsache nach ebenfalls aus Zellulose besteht.

Kurt: Ja, wenn man das Laub in einem Buchenwalde aufhebt, so sieht man, wie die tieferliegenden Blätter ganz dunkelbraun geworden sind und zergehen, wenn man sie nur anrührt.

Dr. E.: Sehr richtig! Unter diesen zergehenden Blättern aber liegt dann ferner die sogenannte Humusschicht, d. h. Erde, welche durch die aus der Zersetzung der Blätter entstandenen Stoffe schwarz gefärbt ist. Wißt ihr denn nicht, daß jeder Gärtner sich einen sogenannten Komposthaufen anlegt, in dem er alle möglichen Pflanzenabfälle mit Erde mischt und wartet, bis das Ganze zu Humus geworden ist? Schon hieraus könnt ihr sehen, daß der Holzstoff in der Luft nicht unveränderlich ist, wenn wir auch wissen, daß bei dieser Zersetzung oder Verwesung namentlich kleine Pilze, die sogenannten Fäulnisbakterien, beteiligt sind.

Fritz: Aber das ist denn doch wohl eine ganz andere Art der Zersetzung wie durch Hitze?

Dr. E.: Die entstehenden Stoffe sind allerdings zum großen Teil andere. Wir müssen aber auch hier, ganz ähnlich wie bei der Verbrennung, streng unterscheiden, ob der Sauerstoff der Luft wirklich völlig ungehindert auf die Pflanzenstoffe einwirken kann, oder ob er nur in beschränktem Maße Zutritt hat. Im ersteren Falle wird die Zersetzung der Zellulose eine vollständige sein, d. h. es werden schließlich, wie bei der vollkommenen Verbrennung, nur die Mineralstoffe als Asche übrigbleiben, während die Gase in die Luft gehen. Ist dagegen der Zutritt der Luft erheblich beschränkt, z. B. im Walde,[S. 96] wo die zergehenden Blätter von anderem Laube bedeckt werden, oder am Grunde des Wassers, so haben wir es gewissermaßen mit einer unvollkommenen Verbrennung zu tun, und die Stoffe, die sich bilden, erinnern nunmehr an diejenigen, die wir bei der Leuchtgasfabrikation erhalten.

Kurt: Entstehen denn da auch Gase, die brennen können?

Sumpfgas. Unterschied von Holzkohlen und Steinkohlen

Dr. E.: Ja. Und wenn es dir Spaß macht, kannst du dich leicht davon überzeugen. Du brauchst nur an einen Sumpf zu gehen, auf dessen Grunde viele Pflanzenstoffe vermodern, und den Boden mit dem Stock aufzurühren. Dann steigen eine Menge Gasblasen aus der Tiefe empor.

Kurt: Aber die kann ich doch nicht anstecken.

Dr. E.: Wenn du sie einsammelst, warum nicht? Nimm also eine Flasche und einen Trichter mit. Die Flasche füllst du bis oben mit Wasser und steckst den Trichter drauf. Dann drehst du die Flasche unter Wasser um, so daß der Trichter nach unten kommt, und suchst nun die einzelnen Blasen im Wasser mit dem Trichter zu fangen. Sie steigen in der Flasche empor und verdrängen nach und nach das Wasser. Ist die Flasche voll Gas, wird sie unter Wasser fest zugekorkt. Zu Hause werden wir dann sehen, daß das eingefangene Gas brennbar ist; es führt den Namen Sumpfgas. Man muß sich indes hüten, es mit Luft zu mischen, da es sonst eine Explosion geben kann.

Doch jetzt werden wir am Ende so weit sein, daß wir die Entstehung der Kohle begreifen können. Also erste Frage: Sind die Kohlen dadurch entstanden, daß die Pflanzen, aus denen sie sich bildeten, einfach an der Luft vermoderten?

Fritz: Nein, denn dann würden diese Pflanzen durch den Sauerstoff der Luft sich schließlich ganz zu Asche zersetzt haben. Kohle setzt immer den Mangel von Sauerstoff voraus.

Dr. E.: Gut. Nun weiter, zweite Frage: Sind die Kohlen durch Einwirkung von Hitze entstanden?

Fritz: Ja, das wäre möglich, etwa durch die Wärme des Erdinnern. Die Pflanzen lagen schon so tief unter der Erde, daß keine Luft mehr daran kommen konnte. So mußte durch die Hitze eine ähnliche Zersetzung vor sich gehen, als wenn Holz bei Luftabschluß in eisernen Zylindern erhitzt wird.

Dr. E.: Bei dieser Annahme wäre es zunächst unverständlich, wie die betreffenden Pflanzen so tief unter die Erde gelangt sein[S. 97] sollten, daß die Luft sie nicht mehr erreichen konnte. Sodann aber hast du etwas außer acht gelassen, was deine ganzen Schlüsse über den Haufen wirft. Wenn wir Holz bei Luftabschluß erhitzen, so bleibt reine Holzkohle übrig; alle gasförmigen und flüssigen Zersetzungsprodukte hingegen sind aus dem Zylinder gewichen. Diese Holzkohle besteht also nur aus Kohlenstoff und Aschenteilen; durch kein Erhitzen kann ich noch Gas oder Teer heraustreiben. Wenn ich hingegen Steinkohle in dem eisernen Zylinder erhitze, so erhalte ich, wie ihr wißt, eine große Menge Leuchtgas, Gaswasser oder Teer, ganz ähnlich, als wenn ich unversehrtes Holz genommen hätte. Erst nach geraumer Zeit besteht das, was in dem Zylinder zurückbleibt, ebenfalls nur aus Kohlenstoff und Aschenteilen.

Kurt: O, das kenn’ ich, das ist der Koks!

Dr. E.: Ja, so nennt man den Stoff, der beim Erhitzen von Steinkohlen beim Luftabschluß übrigbleibt. Wenn wir in unsern Bergwerken Koks fänden, d. h. also eine Kohle, die beim Erhitzen kein Gas und keinen Teer mehr von sich gibt, so könnten wir sagen, die Pflanzen früherer Zeiten sind durch Hitze unter Luftabschluß in Kohle verwandelt worden. Jetzt aber, wo tatsächlich in den Stein- und Braunkohlen noch so viel Gas und Teer steckt, dürfen wir sie unmöglich mit den Holzkohlen vergleichen, sondern müssen vielmehr schließen, daß größere Hitze nicht eingewirkt hat. Sonst wären sicher die Gase und Flüssigkeiten völlig entwichen.

Fritz: Aber dann bleibt doch weiter gar keine Möglichkeit übrig!

Dr. E.: Nur nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, Fritz! Wenn du ein klein wenig nachdenken wolltest, würdest du sogar finden, daß auch heute noch große Pflanzenmassen auf dem besten Wege sind, sich in richtige Kohle zu verwandeln, wie sie in den Bergwerken gefunden wird.

Fritz: Das könnte doch nur in den Wäldern sein?

Dr. E.: Nein, dort gerade nicht. Aber kennst du denn nicht das Brennmaterial, das namentlich auf dem Lande vielfach angewendet wird? Es sind mauersteingroße Stücke, denen man meist noch sehr deutlich ansieht, daß sie aus dem Pflanzenreiche stammen.

Torf. Entstehung der Kohlen. Steinkohle. Braunkohle

Kurt: Ach, ich weiß es, Vater! Du meinst den Torf.

Dr. E.: Richtig geraten, Kurt. An den hättet ihr aber schon früher denken sollen! — Woraus besteht denn der Torf, und wie bildet er sich?

[S. 98]

Fritz: Überall in unsern Mooren wird ja Torf gestochen. Es sind hauptsächlich Moose, die sogenannten Torfmoose, welche in diesen Mooren wachsen. Unten sterben sie immer ab, und die abgestorbenen Massen werden zu Torf, während oben die Pflanzen weiter wachsen. So kommt es, daß man von derselben Stelle nach einigen Jahren immer wieder Torf gewinnen kann, wenn er auch schon einmal abgestochen war.

Dr. E.: Richtig ist das, was du sagst, nur keine Antwort auf meine Frage. Du hättest sagen müssen: Der Torf besteht aus den abgestorbenen und teilweise zersetzten Resten verschiedener Pflanzen, namentlich Moosarten, die noch heute auf der Erde vorkommen. Meine zweite Frage, wie er sich bildet, hast du aber gar nicht berührt, denn, daß er mit der Zeit nachwächst, ist doch keine Erklärung.

Fritz: Es wird sich dabei wohl um eine Zersetzung der Zellulose bei beschränktem Luftzutritt handeln, da die lebende Moosschicht die Luft nicht in die Tiefe dringen läßt.

Dr. E.: Zugegeben! Aber eine Hauptsache hast du vergessen, wodurch die Luft noch viel erfolgreicher abgeschlossen wird.

Fritz: Die Luft noch erfolgreicher abgeschlossen wird?

Dr. E.: Ja, denke doch nur an den Ort, wo die Torfbildung vor sich geht. Geschieht denn das im Walde oder auf dem Berge?

Fritz: Nein, im Moor. — Ach, dann wird am Ende das Wasser dabei eine Rolle spielen!

Dr. E.: Na, endlich! Soweit unsere Erfahrungen reichen, findet diese eigenartige Umwandlung der Zellulose in Torf nur statt, wenn die Pflanzenmassen durch Wasser von der Luft fast völlig abgeschlossen sind. Nun aber zeigt der Torf schon recht viele der Eigenschaften, welche wir in der Kohle kennen. Er kann sogar sehr hart und fest, fast steinartig sein, so daß man von dem pflanzlichen Bau kaum noch etwas zu erkennen vermag. Sollte sich da nicht auch eine Folgerung für die Entstehung der Kohlen ergeben?

Fritz: Da müssen wir also wohl annehmen, daß auch die Pflanzen, welche später zu Kohlen wurden, im Wasser gewachsen oder ins Wasser gefallen sind?

Dr. E.: In der Tat ist das die einzige Erklärung, die wir heute für die Bildung der Kohlen haben. Man glaubt, daß jene Pflanzen in ganz ähnlicher Weise ausgedehnte Sumpfgebiete am Meer bestanden haben, wie wir es heute von den sogenannten Mangrove-Wäldern[S. 99] in den Tropen wissen, deren stelzenartiges Wurzelgeflecht zur Flutzeit ganz unter Wasser steht. Die absterbenden Pflanzen sanken direkt ins Wasser und bildeten dann im Laufe der Zeit jene dicken, durch den sehr beschränkten Zutritt von Sauerstoff bei niedriger Temperatur äußerst langsam sich zersetzenden und umwandelnden Schichten, die wir heute als Kohlenflöze unter Ton, Sand und andern Ablagerungen des Meeres vergraben finden.

Kurt: Dann sind die Steinkohlen und die Braunkohlen also nicht aus Torfmoosen entstanden?

Dr. E.: Gewiß nicht. Von den Steinkohlen weiß man, daß sie hauptsächlich aus vorweltlichen Baumfarnen, riesigen Schuppenbäumen oder Bärlappen und Schachtelhalmen hervorgegangen sind, während das Material der Braunkohlen wohl vornehmlich von jetzt ausgestorbenen Nadelhölzern geliefert wurde.

Fritz: Wodurch unterscheiden sich denn die Braunkohlen von den Steinkohlen?

Dr. E.: Das ist nicht so leicht zu sagen; auch gehen beide Arten fast unmerklich ineinander über. Braunkohle ist nämlich durchaus nicht immer braun, ebensowenig wie Steinkohle immer steinartig zu sein braucht. Im allgemeinen kann man behaupten, daß die Braunkohle jünger und in ihrer Umwandlung noch nicht soweit vorgeschritten ist wie die Steinkohle. Sie hat daher im Verhältnis noch viel mehr Wasserstoff und Sauerstoff aus der ursprünglichen Zellulose zurückbehalten als die Steinkohle, bei welcher diese Elemente schon weit mehr als gasförmige oder flüssige Verbindungen des Kohlenstoffs entwichen sind. Die Braunkohle brennt infolgedessen mit rußender Flamme und unangenehmem Geruch, während die Steinkohle mit heller Flamme und weniger unangenehmem Geruch verbrennt. Bei der Braunkohle bestehen nur 55-75 Prozent des Gewichts aus reinem Kohlenstoff, bei der Steinkohle hingegen 75-90 Prozent, da, wie gesagt, die beiden andern Bestandteile der Zellulose zum großen Teile sich schon verflüchtigt haben.

Fritz: Sind denn diese gasförmigen und flüssigen Zersetzungsstoffe durch die darüber liegenden Erdschichten einfach in die Luft gegangen?

Dr. E.: Soweit sie durch konnten, jedenfalls; ein Teil aber steckt noch jetzt in den Kohlenlagern. Das Gas ist der Hauptsache nach dasselbe, was wir vorhin als Sumpfgas im Moder der Gräben kennenlernten,[S. 100] und das ihr einfangen solltet. Es ist dem Bergmann leider nur zu wohl bekannt als sogenanntes Grubengas, das, mit Luft gemischt, die furchtbaren schlagenden Wetter in den Kohlengruben verursacht. Hunderte und Tausende braver Bergleute sind diesen schrecklichen, durch irgendeine Unvorsichtigkeit hervorgerufenen Explosionen schon zum Opfer gefallen. Als flüssiges Zersetzungsprodukt der Steinkohlen aber könnte man vielleicht das Erdöl oder Petroleum ansehen, eine Ansicht, die allerdings von anderer Seite bestritten wird.

Fritz: Hat denn nun die Hitze des Erdinnern gar nichts mit der Kohlenbildung zu tun gehabt?

Dr. E.: Eine gewisse Temperaturerhöhung kommt zweifellos dabei mit in Frage. Diese ist aber schon durch den gewaltigen Druck gegeben, welchen die darüber lagernden Erdschichten ausübten. Die allerältesten Kohlen, die wir kennen, dürften am stärksten von höheren Temperaturen beeinflußt sein, denn sie sind fast zu Koks geworden und liefern keine gasförmigen Stoffe mehr. Es ist dies der Anthrazit, der sich auch überall da gebildet hat, wo Stein- oder Braunkohlen mit glutflüssigen Gesteinsmassen, die aus dem Erdinnern empordrangen, in zu nahe Berührung gekommen sind.

Kurt: Gibt es denn sonst weiter keinen Kohlenstoff auf der Erde, als den in den Kohlen?

Dr. E.: O ja! Eine Sorte benutzt du wahrscheinlich täglich bei deinen Schularbeiten, und die andere Sorte — nun, Fritz?

Fritz: Die andere Sorte hat Mutter in ihrem Ring und der Glaser braucht sie zum Glasschneiden.

Dr. E.: So, Kurt, nun rate! — Wenn du mal nach Südafrika kommst, kannst du uns vielleicht ein paar Säcke voll von dieser besonderen Sorte Kohlenstoff mitbringen.

Schlussbild Achter Abend

[S. 101]

Titelbild Neunter Abend

Neunter Abend.

Sieh, Vater, sagt Fritz, ein Blatt Papier aus der Tasche ziehend, das habe ich heute in deinem Papierkorb gefunden. Das brauchst du wohl nicht mehr.

Dr. E.: Was steht denn darauf?

Fritz: Es ist augenscheinlich aus einem Vortrag von dir über die Stubenfliege.

Dr. E.: Ah, ich sehe. Es ist das Ende eines kleinen Aufsatzes, den ich mal für ein Weihnachtsbuch geschrieben habe. Das kannst du ruhig wegwerfen.

Die Stubenfliege. Aufgaben für den Naturforscher

Fritz: Ist es denn wirklich deine Meinung, wie da steht, daß die Naturforscher allein an der Stubenfliege noch so viel zu studieren hätten, daß es andere Tiere gar nicht zu geben brauchte? Sie würden doch noch genug zu tun haben?

[S. 102]

Dr. E.: Natürlich ist das meine Meinung. Sonst würde ich es doch nicht geschrieben haben!

Fritz: Dann ist also die Stubenfliege ein ganz besonders rätselhaftes und interessantes Geschöpf?

Dr. E.: Nicht mehr und nicht weniger als irgendein beliebiges anderes Insekt.

Fritz: Nun, dann verstehe ich dich nicht. Ich dachte immer, diese Tiere, und namentlich solche gemeinen wie die Stubenfliege, seien schon so oft untersucht und beschrieben worden, daß gar nichts Neues mehr an ihnen zu entdecken sei. Man kennt doch gewiß ihre Lebensgeschichte ganz genau, weiß, wo sie ihre Eier ablegen, wie die Maden und Puppen aussehen, was die Fliegen fressen, wie lange sie leben und was sonst etwa noch Bemerkenswertes an ihnen zu finden ist.

Dr. E.: O ja, das weiß man, das ist in jedem Zoologiebuche zu lesen.

Fritz: Nun also —?

Dr. E.: Also schließe ich aus dem, was mein Sohn Fritz soeben gesagt hat, daß er noch genau so oberflächlich denkt wie die meisten andern Menschen, die nichts empfinden, wenn sie die Wunderwerke der Natur vor Augen haben. — Sieh, Fritz, wenn es einem Mechaniker gelingt, das ganze kunstvolle Getriebe einer Taschenuhr in den kleinen Raum einer Erbse zusammenzudrängen, so staunt alle Welt und fragt, wie es nur möglich war, so winzige Rädchen und Federchen herzustellen. Wenn aber ein unendlich kunstvolleres Getriebe, das selbständig sich nährt und wächst, das sich frei bewegt, sieht und hört, wenn, sage ich, ein solches Ding von vielleicht noch viel geringerer Größe als eine Erbse tagtäglich als lebendiger Beweis von dem über alle menschliche Kraft so unendlich erhabenen Schaffen der Natur in unserem Zimmer herumfliegt, dann findet die Menge ganz und gar nichts Außerordentliches dabei. Da hat sie alles Gefühl dafür verloren, wie groß die Fülle der Rätsel ist, die in diesem winzigen Geschöpfe der Lösung harren.

Fritz: Ja, wenn du so willst — das ist natürlich was anderes. Aber ich denke, das eigentliche Leben, ich meine den letzten, tiefsten Grund des Lebens, wird der Mensch ja doch nie völlig enträtseln können.

Dr. E.: Davon spreche ich auch gar nicht. Ich denke tatsächlich nur an solche Fragen, die von der Wissenschaft wirklich gelöst werden können und zum Teil auch gelöst sind.

[S. 103]

Kurt: Da meinst du also den Bau der inneren Organe und die Tätigkeit, welche jedes einzelne derselben auszuüben vermag?

Dr. E.: Das ist jedenfalls eine der Aufgaben, welche die Naturforschung zu bewältigen hat. Nicht minder wichtig ist dann die weitere Frage, wie jedes dieser Organe und somit das ganze kunstvolle Getriebe des erwachsenen Tieres aus den winzigen Anfängen der Eizelle sich entwickelt, wie aus dem Ei die Made, aus dieser die Puppe und schließlich das vollkommene Insekt sich herausbildet, und welche Kräfte hierbei in Wirksamkeit treten. — Doch ich sehe, ich spreche über Dinge, von denen ihr jedenfalls noch keine klare Vorstellung habt. Wir wollen daher, wenn es euch recht ist, nur mal ein wenig näher auf das eingehen, was man äußerlich an jeder Fliege beobachten kann. Ich hoffe, ihr werdet auch hierdurch schon einen kleinen Begriff bekommen von der Mannigfaltigkeit der Aufgaben, die zu lösen sind.

Fritz: Oh, den äußern Bau der Fliege kenne ich besser, als du glaubst! Ihr Körper zerfällt in Kopf, Brust und Hinterleib; sie hat sechs Beine wie alle Insekten —

Gebrauch der Beine. Gewicht der Fliege

Dr. E.: Schon gut, Fritz. Deine Gelehrsamkeit ist ja erstaunlich. Weißt du denn auch, wodurch die Fliege auf ihren Beinen stehen kann, obgleich keine Knochen darin sind?

Fritz: O ja. Die äußere Haut der Insekten ist hornartig; die Beine bilden also gewissermaßen feste hohle Röhren, welche den Körper tragen.

Dr. E.: Sehr schön. Und aus wieviel solchen Röhrenstücken besteht jedes Bein? Die Beine müssen doch auch gebeugt und gestreckt werden können, wenn sie zum Laufen dienen sollen.

Fritz: Ja, das habe ich auch gewußt. Es war fast, wie beim Menschenbein: Oberschenkel, Unterschenkel, Fuß, und oben, ich glaube, da waren auch noch zwei oder drei Stücke.

Dr. E.: Nun, es soll uns nicht so genau darauf ankommen. So ungefähr hast du auch das Richtige getroffen. Ich will nur noch hinzufügen, daß die Fliege alle diese Teile gegeneinander beugen und strecken kann, etwa so, wie wir den Unterschenkel gegen den Oberschenkel biegen. Eine Ausnahme macht allein das oberste Stück, das Hüftglied, welches zur Drehbewegung nach vorwärts und rückwärts befähigt ist. — Jetzt aber weiter: In welcher Weise gebraucht denn nun die Fliege ihre Beine, wenn sie umherläuft?

[S. 104]

Fritz: Wie sie ihre Beine gebraucht? Ich denke, sie beugt und streckt sie etwa geradeso, wie wir es beim Gehen machen.

Dr. E.: Nun wohl. Wir aber haben nur zwei Beine, und die Fliege hat sechs. Es entsteht doch die Frage, in welcher Reihenfolge sie die Beine hebt, da sie sie doch nicht alle sechs mit einmal vorwärts setzen kann.

Fritz: Ja, daran habe ich noch nicht gedacht. Das kann man doch auch gar nicht untersuchen!

Dr. E.: Und warum denn nicht?

Fritz: Ich habe doch kürzlich gelesen, daß es schon sehr schwer sei, zu beobachten, wie ein Pferd seine vier Beine setzt, und daß dies erst mit Hilfe der Momentphotographien und des Kinematographen festgestellt sei. Nun ist eine Fliege so viel kleiner, und dann gar die sechs Beine —

Dr. E.: Dennoch hat man diese Aufgabe gelöst, schon lange bevor die Momentphotographien bekannt waren. Man hat einfach den Fliegen die Fußsohlen mit verschiedener Farbe betuscht und sie dann über weißes Papier laufen lassen. Aus den Fußspuren konnte man dann ohne große Mühe ersehen, in welcher Reihenfolge die Beine gebraucht werden.

Kurt: Das finde ich aber schlau! Und wie war es denn nun?

Dr. E.: Willst du nicht lieber erst einmal raten?

Kurt: Ach, da werde ich wohl vorbeischießen! Aber vielleicht ist es so, daß erst die Vorderbeine gesetzt werden, dann die Mittelbeine und dann die Hinterbeine. Ich glaube, die Raupen kriechen auch so.

Dr. E.: Mit den Raupen hast du recht; bei den Fliegen ist es jedoch ganz anders. Diese benutzen stets drei Beine als Stützpunkte, beispielsweise etwa das linke Vorder- und Hinterbein und das rechte Mittelbein, die also gewissermaßen einen Dreifuß bilden. Die drei übrigen bringen dann die Fliege in der Weise vorwärts, daß das rechte, gestreckte Vorderbein, dessen Krallen sich am Boden festgehakt haben, durch Beugen den Körper zieht, während das linke Mittelbein und das rechte Hinterbein aus der Beugestellung sich strecken und ihn somit schieben. Beim nächsten Schritt ruht das Gewicht der Fliege auf diesen drei Beinen, und die bis dahin zur Stütze dienenden treten nun in Tätigkeit. Man hat die Insekten daher in bezug auf ihren Gang wohl doppelte Dreifüße genannt.

Kurt: Haben sie denn nicht verschiedene Gangarten, wie das Pferd, wenn es trabt oder galoppiert?

[S. 105]

Dr. E.: Nein; es hat sich sogar herausgestellt, daß selbst die Schrittgröße immer die gleiche ist und nicht um Haaresbreite sich ändert, ganz gleichgültig, ob das Insekt gemütlich spaziert oder in wildester Flucht ist. Nur die Schnelligkeit, mit der die Beine bewegt werden, ist dann eine größere.

Hans: Weiß man denn, wie schnell eine Fliege laufen kann?

Dr. E.: Ich glaube nicht, daß man darüber schon genaue Messungen hat. Du kannst ja aber mal versuchen, ob du es nicht feststellen kannst. Wenn ich nicht irre, hausen noch ein oder zwei überwinternde Exemplare hier im Zimmer, die jetzt wohl am warmen Ofen sitzen werden. Die könntest du am Ende auf ihre Geschwindigkeit prüfen.

Hans, der an den Ofen getreten ist: Ja, eine sehe ich schon; aber sie sitzt ganz still hier an der Kachel.

Dr. E.: Wie, Hans, an jener senkrechten, glatten Kachel sollte sie sitzen?

Hans: Ja, ganz gewiß, Vater; da ist doch weiter nichts dabei!

Dr. E.: So? Willst du dich denn nicht freundlichst zu ihr setzen?

Hans: Mich zu ihr setzen? Das kann ich natürlich nicht. Ich bin ja auch keine Fliege.

Dr. E.: Nein; aber ein kleines dummes Hänschen bist du, das gar nicht einmal merkt, was eine Fliege für feine Künste kann.

Hans: O, ich weiß wohl, was du meinst. Die Fliegen klettern ja auch an der Fensterscheibe in die Höhe, was ihnen kein Mensch und auch kein Affe nachmacht. Ich dachte aber, das käme, weil die Fliegen so leicht sind.

Dr. E.: Ih, das ist wahrhaftig ein lustiger Gedanke. Wieviel wiegt denn die Fliege?

Kurt: Aber die kann man doch gar nicht wiegen, Vater.

Dr. E.: Wer hindert uns denn daran? Da wiegt man noch viel leichtere Dinge.

Kurt: Und solche Wagen sollte es wirklich geben?

Dr. E.: O, wenn du willst, kannst du auch unsere gewöhnliche Küchenwage nehmen. Man muß nur ein wenig schlau dabei zu Werke gehen.

Fritz: Ich kann es mir denken, Vater, wie es geht. Wenn eine einzelne Fliege zu leicht ist, als daß die Wage ausschlägt, so nimmt man eben eine größere Anzahl zusammen und dividiert dann das für die Gesamtheit gefundene Gewicht durch die Zahl der Fliegen. Dann hat man den Durchschnitt des Gewichtes eines einzelnen Exemplars.

[S. 106]

Dr. E.: So war’s recht, mein Junge. Wenn es wieder mehr Fliegen gibt, könnt ihr die Wägung mal ausführen. Ich möchte doch gern wissen, ob denn die Fliege in der Fabel, welche glaubt, sie sei für die Hörner des Stieres zu schwer, wirklich so schrecklich albern war.

Kurt: Entschuldige Vater, das war keine Fliege, sondern eine Mücke. Aber dazu müßte man doch auch wissen, welche Last der Stier mit seinen Hörnern überhaupt tragen kann, und wann er anfängt, ein Gewicht auf ihnen zu spüren.

Dr. E.: Sollte er denn nicht jede, auch die allerkleinste Last spüren, wenn sie auf ihn drückt?

Fritz: Ich weiß nicht recht, Vater. Eine Fliege merken wir ja an unserer Haut, weil sie krabbelt; ob wir aber das bloße Gewicht etwa einer toten Fliege spüren, ist mir noch zweifelhaft.

Dr. E.: Nun, da habt ihr ja eine ganze Reihe sehr interessanter Fragen zu untersuchen. Zunächst werdet ihr feststellen müssen, ob es überhaupt Gewichte gibt, so klein, daß wir ihren Druck durchaus nicht merken. Dann wäre ausfindig zu machen, wie groß das Gewicht sein muß, welches auf der Haut noch eben empfunden wird, und dieses endlich wäre mit dem Gewicht einer Stubenfliege zu vergleichen. Da der Stier in seinen Hörnern voraussichtlich kein feineres Gefühl hat, als wir in unserer Hand, so würde die Frage, ob er den Druck der Fliege oder gar der Mücke überhaupt empfinden konnte, mit einiger Wahrscheinlichkeit sich lösen lassen.

Kletterkunst der Fliege

Fritz: Woher kommt es denn nun, daß die Fliege an der Fensterscheibe in die Höhe klettern kann? Sie läuft ja sogar oben an der Zimmerdecke entlang, gleich als wenn alle Schwerkraft für sie aufgehoben wäre.

Dr. E.: Über diese Frage haben die Gelehrten viel hin und her gestritten. Die einen glaubten eine Art Haftscheibe an den Füßen gefunden zu haben, ähnlich wie bei den Laubfröschen, wobei das Anheften mit Hilfe des Luftdrucks geschieht. Die anderen wieder behaupteten, daß aus den feinen Borsten der Fußpolster ein klebriger Saft austrete, mit dem sich die Fliege anleime, etwa wie der Alpenjäger, von dem der kleine Walther in Schillers Tell erzählt. Die letzteren werden wohl recht behalten, denn man hat bei einiger Sorgfalt unter dem Mikroskop tatsächlich die feinen Spuren beobachten können, welche die Klebtröpfchen zurücklassen. Eine recht schwierige[S. 107] Aufgabe für den Chemiker wird es allerdings nun sein, die chemische Zusammensetzung dieses Stoffes ausfindig zu machen.

Kurt: Dann ist also die Fliege immer nur mit drei Füßen angeklebt, da ja die drei andern aufgehoben werden, um weiter zu laufen.

Dr. E.: Das genügt auch vollkommen. Der Versuch hat sogar ergeben, daß bei der nötigen Vorsicht schon ein einziger Fuß imstande ist, die ganze Körperlast am Glase festzuhalten. Sollte die Fliege aber auch wirklich einmal den Halt verlieren und ins Fallen geraten — das Genick würde sie sich deshalb doch schwerlich abschießen.

Kurt: Das will ich wohl glauben! Sie hat ja noch ihre Flügel!

Dr. E.: Weißt du denn, wieviel sie hat?

Kurt: Ja, zwei, wie die Vögel.

Dr. E.: Und ist es bei den andern Insekten ebenso?

Kurt: Nein, die haben vier, z. B. die Schmetterlinge und die Libellen.

Dr. E.: Seht, da stoßen wir gleich wieder auf einen Punkt, der dem Naturforscher viel Kopfzerbrechen macht. Soweit wir bis jetzt in das sehr schwierige Gebiet von dem Fluge der Tiere eingedrungen sind, scheint der Besitz von nur zwei Flügeln für das Fliegen am günstigsten. Warum nun trotzdem die Mehrzahl der Insekten mit vier Flügeln ausgerüstet ist, und warum gerade die Fliegen wieder hiervon eine Ausnahme machen, ist uns zurzeit noch fast völlig unklar. Überhaupt sind unsere Kenntnisse über den Flug der Insekten noch keineswegs abgeschlossen.

Fritz: Es scheint mir doch auch kaum möglich, hierüber irgendwelche Untersuchungen anzustellen. Wie will man denn ein Insekt im Fluge beobachten?

Dr. E.: Nun, so ganz unmöglich ist die Lösung derartiger Fragen doch nicht. Zunächst steht uns ja der ganze Muskelapparat, der die Flügel bewegt, zur genauesten anatomischen Untersuchung zur Verfügung. Aus der Größe, Lagerung und Befestigung dieser Muskeln werden wir auf deren Wirkungsweise schließen können. Andererseits geben uns Gestalt und Beschaffenheit des Flügels einen Anhalt darüber, wie der Luftstrom auf ihn einwirkt, der durch den Niederschlag erzeugt wird. Endlich aber lassen sich auch direkte Versuche anstellen, um die Zahl der Flügelschläge in einer Sekunde ausfindig zu machen oder den Weg, den die Flügelspitze hierbei beschreibt.

[S. 108]

Kurt: Und das hat wirklich einer ausgeführt?

Schwingungszahl der Flügel. Schwingkölbchen

Dr. E.: O ja, sogar mehrere. Man hat lebende Insekten auf ganz feine Nadeln gespießt, ohne edlere Teile zu verletzen, und sie dann in der Nähe eines sich drehenden Zylinders mit berußter Oberfläche aufgestellt. Indem nun die Flügelspitze des flatternden Insekts den berußten Zylinder berührte, zeichnete sie gewissermaßen selbst den Weg auf, den sie in der Luft beschrieb. So konnte man aus der Drehungsgeschwindigkeit des Zylinders, verglichen mit den auf ihm abgezeichneten Auf- und Niederschlägen, mit Sicherheit die Zahl der Flügelschläge während einer Sekunde berechnen.

Fritz: Weiß man denn, wie groß diese Zahl für unsere Stubenfliege ist?

Dr. E.: Selbstverständlich. Sie beträgt etwa 330 in einer Sekunde, während der bummelige Kohlweißling in derselben Zeit nur neun macht. Übrigens kann man bei der Stubenfliege noch auf einem andern Wege zu dem gleichen Ergebnis gelangen. Man braucht nur eine Stimmgabel zur Hand zu nehmen.

Fritz: Eine Stimmgabel? Da bin ich doch neugierig.

Dr. E.: O, die Sache ist ganz einfach. Man weiß, daß der summende Ton, den die Fliege während des Fluges hören läßt, durch die Schwingungen der Flügel hervorgebracht wird. Stellen wir nun die Höhe dieses Tones mit Hilfe einer Stimmgabel fest — es ist das eingestrichene e oder f unseres Klaviers —, so können wir aus der bekannten Schwingungszahl dieses Tones ohne weiteres auf die Zahl der Flügelschläge schließen, welche denselben hervorbringen.

Fritz: Dann kann man ja mit Leichtigkeit auch bei allen andern Insekten, welche im Fluge summen, diese Zahlen ermitteln.

Dr. E.: Gewiß. Man muß sich nur dabei vor Täuschungen hüten. Bekanntlich bringen die Insekten vielfach auch noch andere Töne hervor, die mit der Flugbewegung gar nichts zu tun haben.

Kurt: Und wie machen sie das?

Dr. E.: Durch Ausstoßen der Luft aus den Atemlöchern der Brust. Wir wollen nicht weiter darauf eingehen, da es sich hierbei um Organe handelt, die äußerlich kaum sichtbar sind. Erwähnen nur möchte ich, daß diese eigentliche Stimme meist vom Flügelton völlig übertönt wird. Will man sie hören, so muß man der Fliege die Flügel festhalten. Man vernimmt dann ein ganz hohes Singen.

[S. 109]

Fritz: Sag’ mal, Vater, führen nicht auch die sogenannten Schwingkölbchen ganz ähnliche Bewegungen aus wie die Flügel?

Dr. E.: Ja, soviel ich weiß, schwingen sie mit der gleichen Geschwindigkeit.

Hans: Was sind denn das, „Schwingkölbchen“?

Dr. E.: Das sind ein Paar dünne Stielchen, vorn mit einer knopfförmigen Verdickung, die etwa wie kleine Trommelstöcke aussehen und den letzten Rest der den Fliegen verlorengegangenen Hinterflügel darstellen.

Kurt: Ich meine, bei den großen Schnaken oder Kriebelmücken sind sie sehr lang und deutlich.

Dr. E.: Ganz recht. Bei unserer Stubenfliege sind sie von einer kleinen Schuppe bedeckt, die man erst abheben muß, wenn man sie sehen will.

Kurt: Wozu dienen denn diese merkwürdigen Trommelstöcke?

Dr. E.: Das ist keine so leichte Frage. Als man vor einer Reihe von Jahren vorn am Kopf derselben und auch am Grunde ihres Stielchens höchst merkwürdige sogenannte „Nervenstifte“ gefunden hatte, die auf eine Sinneswahrnehmung hindeuten, da war alle Welt darüber einig, daß nun endlich das lange gesuchte Gehörorgan der Fliege gefunden sei. Neuere Untersuchungen und Experimente führten dann freilich wieder zu einem ganz andern Ergebnis. Danach sind die Schwingkölbchen gewissermaßen die Lenkstangen, mit deren Hilfe das Insekt die Schwenkungen beim Fluge ausführt. Von einem Gehörorgane kann aus verschiedenen Gründen gar nicht die Rede sein.

Fritz: Hat man denn nun dafür ein anderes Gehörorgan gefunden?

Geruchs- und Gehörorgane der Fliege

Dr. E.: Wie es scheint, ja, und zwar an denjenigen Gebilden, welche schon die Zoologen des vorigen Jahrhunderts häufig als die Ohren der Insekten bezeichneten, an den Fühlern.

Kurt: Ei, das wundert mich. Ich dachte immer, die Fühlhörner wären bloß zum Fühlen da.

Dr. E.: Wenn man einen Heuspringer, eine Küchenschabe oder eine Schlupfwespe beobachtet, so kann man gewiß leicht zu dieser Ansicht kommen, denn man sieht es ja deutlich genug, wie diese Tiere mit ihren Fühlern alles betasten. Man muß sich aber hüten, dies nun so ohne weiteres auf alle übrigen Insekten zu übertragen. Bei vielen von ihnen ist ein Tasten mit den Fühlern kaum wahrzunehmen. Dagegen scheint es sicher, daß in den Fühlern ganz allgemein die[S. 110] Geruchsorgane und sehr häufig, wie bei unserer Fliege, auch die Gehörorgane stecken.

Fritz: Aber wie hat man denn das ausfindig gemacht?

Dr. E.: Schwer genug ist es den Naturforschern geworden, und wohl an hundert gelehrte Abhandlungen sind über diese Fragen veröffentlicht. Im allgemeinen will ich dir nur sagen, daß beide Wege eingeschlagen sind, die zum Ziele führen konnten: Die gründliche mikroskopische Untersuchung des feinern Baues der Fühler auf der einen Seite, die Anstellung scharfsinniger Experimente auf der anderen.

Fritz: Und durch solche Versuche will man feststellen, ob ein Insekt riechen kann?

Dr. E.: Daß es überhaupt riechen kann, braucht wohl nicht erst bewiesen zu werden. Ich erinnere euch nur an die Aasfliegen und Mistkäfer, die ihre Nahrung ja auf große Entfernung hin wittern. Die Versuche sollten vielmehr dartun, wo denn dieser Sinn seinen Sitz hat. Schon am Ende des achtzehnten Jahrhunderts hat ein Hamburger Arzt — Lehmann hieß er — in dieser Richtung sehr drollige Experimente angestellt. Er nahm eine Flasche und bohrte seitlich ein Loch hinein, durch welches er den Hinterleib des zu untersuchenden Insektes in das Innere steckte. Wenn er nun durch den Hals den Dampf von Schwefel, gebrannten Federn, Asa foetida oder dgl. in die Flasche leitete, so fingen die eingeklemmten Tiere an zu zappeln, und er glaubte dadurch bewiesen zu haben, daß der Geruchssinn in den Atemlöchern des Hinterleibes seinen Sitz habe, da ja der Vorderkörper außerhalb der Flasche in frischer Luft sich befand.

Kurt: Aber läßt sich denn gegen diesen Beweis etwas einwenden? Es ist doch klar, daß die Tiere zappelten, weil sie eine Empfindung von den schlechten Stoffen hatten, die in ihre Atemlöcher drangen.

Dr. E.: Das letztere läßt sich schwerlich bestreiten. Daß diese Empfindung jedoch mit dem Riechen gar nichts zu tun zu haben braucht, ist leicht einzusehen. Denke nur daran, daß es auch uns ungemütlich wird, und daß wir anfangen zu husten, wenn etwa Schwefeldampf in unsere Lungen gerät. Wir könnten dann mit demselben Rechte behaupten, der Sitz unseres Geruchssinnes sei in den Lungen.

Kurt: Alle Wetter! Das ist wahr! Da muß man ja riesig vorsichtig sein, damit man nicht ganz was Falsches rauskriegt. Wie hat man’s denn nun noch weiter versucht?

[S. 111]

Dr. E.: Auf sehr verschiedene Weise. Man hat z. B. die Fühler abgeschnitten oder lackiert und dann beobachtet, ob das Insekt die versteckte Nahrung noch finden konnte. Kurz und gut, sowohl diese Versuche, wie vor allem die Beschaffenheit der vielen Nervenendigungen in der Oberhaut der Fühler machen es im hohen Grade wahrscheinlich, daß hier der Sitz des Geruchssinnes ist.

Fritz: Und das Gehörorgan, von dem du vorhin sprachst?

Dr. E.: Das steckt in dem zweituntersten Fühlergliede. Die Schallwellen der Luft versetzen zunächst die Borsten des Fühlerendes in Schwingungen, die sich dann auf die zarte Gelenkhaut zwischen dem zweiten und dritten Fühlergliede fortpflanzen. An ihr sind zahlreiche Nervenstiftchen befestigt, welche den Sinneseindruck weiter zum Gehirn leiten.

Kurt: Ich hätte doch gewiß nicht gedacht, daß so eine Stubenfliege ordentliche, erkennbare Organe für das Riechen und Hören hat. Kennt man denn vielleicht auch Geschmacksorgane?

Rüssel der Fliege. Facettenauge

Dr. E.: Freilich. Die sitzen als kleine Nervenstiftchen auf den fleischigen Lippenpolstern des Rüssels.

Kurt: Wo sind denn diese Lippenpolster?

Dr. E.: Ah, ich merke, daß du dir noch niemals diesen interessanten Apparat angesehen hast, mit dem die Fliege ihre Nahrung einsaugt. Das sollten wir gleich einmal machen. Lege doch einige Stückchen Zucker hier auf den Tisch; vielleicht tun uns unsere Fliegen den Gefallen und stellen sich zu Gaste ein.

Fritz: Ich habe mir den Rüssel wohl schon angesehen. Er sieht aus wie ein geknietes Rohr, das abwärts gerichtet ist. Am Ende bildet er eine breite Fläche, mit der die Fliege überall hintupft; das werden wohl die Lippenpolster sein, die du meinst.

Dr. E.: Ja, das sind sie. In einer Rinne des geknieten Rüssels liegt nun das ungemein zarte eigentliche Saugrohr, das vorn bis zu den Polstern reicht, und durch welches die flüssige Nahrung in den Schlund und in den Magen steigt. — Doch seht, da ist schon eine unserer Fliegen; gleich wird sie über den Zucker herfallen.

Kurt: Wahrhaftig. Nun tupft sie mit dem fleischigen Polster immer drauflos. Das sieht ja famos aus, wie sie mit ihrem Rüssel hantiert.

Dr. E.: Ja, das ist ein recht verzwicktes Ding, und es sollte uns schwer werden, ein Modell zu bauen, welches alle diese mannigfachen Bewegungen nachmachen könnte.

[S. 112]

Hans: Aber, Papa, ich denke, die Fliege kann nur Flüssiges zu sich nehmen, und hier frißt sie Zucker!

Dr. E.: Ei, ei, Hansel, das war wieder eine von deinen berühmten Fragen. Über dieses große Rätsel können sich mal deine Brüder den Kopf zerbrechen.

Fritz: Der Zucker wird wohl ein wenig feucht sein, daß sie ihn aufsaugen kann?

Dr. E.: Meinst du? Das glaube ich kaum; sie betupft ja auch Brotkrumen.

Kurt: Vielleicht spuckt sie den Zucker vorher an, daß er flüssig wird.

Dr. E.: Bravo, Kurt! Du hast’s in der Tat getroffen. An der Spitze des dünnen Saugrohrs mündet gleichzeitig auch ein haarfeines Speichelrohr, durch welches je nach Belieben der Fliege — denn das Rohr hat ein Ventil zum Öffnen und Schließen — ein Tröpfchen Speichel vorn an der Spitze des Rüssels heraustritt.

Fritz: Aber wenn das auf den Zucker kommt, so wird es doch in diesen einziehen. Überhaupt weiß ich immer noch nicht, was dann die breite Tupffläche soll. Von dieser kann doch keine Flüssigkeit in das feine Saugrohr eintreten.

Dr. E.: Nun, wir werden gleich sehen. — So, da habe ich sie glücklich erwischt. Hier, Fritz, hast du meine Lupe, und jetzt betrachte einmal die Tupffläche.

Fritz: Ih, die ist ja auf der ganzen Fläche naß, wie mit Wasser überzogen!

Dr. E.: Stimmt genau! Und der Grund hiervon ist eine höchst wunderbare Vorrichtung auf dieser Tupffläche, die wir allerdings nur mit dem Mikroskop deutlich erkennen können. Von der Mitte der beiden Polster nämlich, dort, wo das feine Saug- und Speichelrohr zwischen ihnen mündet, verlaufen über die ganze Fläche hin bis zum Rande strahlig gestellte feine Rinnen mit schmalem Längsspalt. Der Speicheltropfen, der aus dem Saugrohr heraustritt, verteilt sich daher sofort mittels dieser Rinnen über die ganze Fläche und haftet in feiner Schicht so fest auf derselben, daß er vom Zucker nicht aufgesogen wird. So löst sich denn der Zucker in diesem Speichel, die Lösung dringt durch die schmale Längsspalte in das Innere der Rinnen und wird von diesen aus durch das in ihrem Ausstrahlungspunkt gelegene Saugrohr in den Magen gesogen. Die Fliege macht sich also richtiges Zuckerwasser und trinkt es dann. —

[S. 113]

Kurt: Es war doch wirklich merkwürdig, wie schnell der Zucker von unserer Fliege bemerkt wurde, beinah’, als wenn sie ihn gerochen hätte.

Dr. E.: Soviel ich weiß, riecht der Zucker überhaupt nicht. Und da sie ihn auch nicht gehört haben kann, so bleibt wohl nichts weiter übrig, als daß sie ihn gesehen hat. Groß genug sind ja ihre Augen dazu.

Fritz: O, von denen habe ich schon viel gelesen. Das sind diese seltsamen Facettenaugen, die auf der Fläche wie lauter kleine Sechsecke aussehen. Jedes Sechseck stellt ein Auge für sich dar, so daß die Fliege viele hundert Bilder von jedem Gegenstand mit einmal sieht.

Dr. E.: Es ist sehr nett von dir, Fritz, daß du diesen altberühmten Streit über das Sehen der Insekten nunmehr zum Austrag gebracht hast. Ich darf wohl annehmen, daß deine so sicher vorgetragene Behauptung auf gründlichen Untersuchungen beruht?

Fritz: Da habe ich also wohl eine große Dummheit gesagt?

Dr. E.: Nun, das gerade nicht. Aber die ganze Frage nach den Leistungen des Facettenauges ist gerade jetzt, nachdem in den letzten Jahren sehr umfassende und sorgfältige Studien über den Bau des Insektenauges gemacht sind, so wenig entschieden, daß es mir Spaß machte, dich so klug darüber reden zu hören. Noch heute stehen sich zwei Ansichten unvermittelt gegenüber, von denen die eine, zuerst von dem berühmten Johannes Müller begründete, behauptet, daß jede Facette nur einen einzigen Lichtpunkt auf die Netzhaut im Innern des Auges werfe, während die andere durch jede Facette ein ganzes Bild des betreffenden Gegenstandes auf der Netzhaut entstehen läßt. Beide Ansichten lassen sich verteidigen, und ihr habt hier so recht ein Beispiel, wie die Erforschung einer Lebenserscheinung oft um so schwieriger zu werden scheint, je eingehender man dieselbe studiert hat.

Kurt: Aber man muß doch beurteilen können, ob die Fliege gut oder schlecht sieht.

Dr. E.: Selbst das ist keine so leichte Sache. Versuche hierüber sind natürlich angestellt, und zwar in großer Zahl. Man kennt für verschiedene Insekten annähernd die Entfernungen, in welchen sie Gegenstände von bestimmter Größe und Farbe wahrnehmen, man weiß, daß sie sich manchmal irren, und daß sie bewegte Körper leichter sehen als ruhende. Ein sicheres Urteil aber darüber, mit welcher[S. 114] Klarheit irgendein Gegenstand den Tieren zum Bewußtsein kommt, ob scharf und deutlich, ob verschwommen und nur in groben Umrissen, das weiß zurzeit niemand zu sagen.

Fritz: Ist es nicht merkwürdig, daß die Fliege ihre Augen nicht bewegen kann?

Dr. E.: Ja, das ist wieder ein Punkt, der beweist, wie anders das Sehen bei den Insekten eingerichtet sein muß als bei uns. Wenn wir etwas genau betrachten wollen, drehen wir das Auge so, daß das Bild des Gegenstandes auf den Punkt des deutlichsten Sehens, auf den sogenannten „gelben Fleck“ in der Netzhaut fällt. Für die Insektenaugen werden wir wohl annehmen müssen, daß bei jeder der vielen Facetten eines Auges die Lichtpunkte eines Gegenstandes mit gleicher Deutlichkeit von der hinter der Facette liegenden kleinen Netzhaut aufgefangen werden. Da nun jedes Gesamtauge annähernd eine Halbkugel darstellt, so würde das Tier in der Tat nach allen Seiten hin gleich gut sehen können.

Fritz: Und Einrichtungen für das Nah- und Fernsehen gibt es auch nicht?

Dr. E.: Die scheinen durch den höchst eigenartigen Bau der Netzhaut selbst gegeben zu sein. Zudem haben viele Insekten, und so auch unsere Stubenfliege, noch eine zweite Sorte von Augen vorn an der Stirn, die sogenannten Punktaugen. Von diesen behaupten einige Forscher, daß sie zur Betrachtung ganz naher Gegenstände geeignet wären. — Doch nun wollen wir es für heute genug sein lassen. Ich denke, das wenige, was wir von unserer Hausgenossin besprechen konnten, wird schon genügt haben, um euch ein bißchen mehr Achtung vor diesem Kunstwerk der Natur einzuflößen.

Kopf und Fuß der Stubenfliege.

[S. 115]

Titelbild Zehnter Abend

Zehnter Abend.

Fritz: Heute habe ich aber mal ganz was Merkwürdiges gesehen, Vater!

Dr. E.: Nun, was war denn das?

Fritz: An unserm Spiegel oben im Fremdenstübchen, aus dem ich für Mutter etwas holen sollte, saß eine tote Fliege wie festgeklebt, und ringsherum war es wie ein weißer Hauch, so daß ich noch im Scherz zu Kurt sagte: Das sieht aus, als wenn die Fliege hier ihre Seele ausgehaucht hat.

Der Pilz der Stubenfliege. Sporen

Dr. E.: Wenn du das heute zum erstenmal gesehen hast, so glaube ich schon, daß es dir verwunderlich war. Häufig genug ist sonst diese Erscheinung, und wenn du darauf achten gelernt, wirst du sie in jedem Herbst bei zahllosen toten Fliegen beobachten. Die[S. 116] armen Tiere fallen eben in ganzen Scharen einem abscheulichen Pilze[19] zum Opfer.

Kurt: Einem Pilze? Das ist aber doch zu wunderbar!

Dr. E.: Und warum scheint dir das so unglaublich?

Kurt: Erstens hätt’ ich nicht gedacht, daß es so kleine Pilze gibt, die in einer Fliege Platz haben; und dann wußte ich nicht, daß Pilze lebendige Tiere fressen können.

Dr. E.: Was zunächst den letzten Punkt anlangt, so steht der Fall mit unserer Fliege keineswegs vereinzelt da. Alle Pilze, ohne Ausnahme, sind Schmarotzer, d. h. sie können nicht wie die übrigen Pflanzen ihre Nahrung aus der Luft und dem Erdboden allein entnehmen, sondern sie brauchen, ähnlich wie die Tiere, Stoffe aus dem Pflanzen- oder Tierreiche, um zu leben.

Fritz: Aber die Schwämme im Walde wachsen doch auf dem Erdboden!

Dr. E.: Das ist nur scheinbar. In Wirklichkeit ziehen auch sie nicht aus der Erde ihre Nahrung, sondern aus den faulenden und verwesenden Pflanzenteilen, die im Waldboden stecken. Eine große Zahl von Pilzen bewohnt aber lebende Pflanzen, wo sie sich als mißfarbene Flecke auf den Blättern bemerklich machen, und andere wieder schmarotzen auf lebenden oder toten Tieren.

Kurt: Sind denn die großen schwarzen Flecke, die im Herbste fast auf jedem abgefallenen Ahornblatte sitzen, vielleicht auch Pilze?

Dr. E.: Gewiß! Und wenn du dir die Mühe nehmen wolltest, auch die Blätter anderer Pflanzen zu betrachten, sowohl die grünen wie die abgefallenen, so würdest du fast überall Pilze entdecken, die in Form von kleinen schwarzen Pünktchen oder Strichen oder rotbraunen Näpfchen daran sitzen. Wohl die meisten unserer einheimischen Pflanzen haben ihre besonderen Pilzarten, so daß die Zahl der Pilze weit größer ist als die der Blütenpflanzen.

Fritz: Aber schaden denn die den Pflanzen nicht?

Dr. E.: Selbstverständlich! Viele dieser Pilze gehören zu den größten Plagen der Landwirtschaft, wie der Rost und Brand des Getreides, das Mutterkorn, der Pilz der Kartoffelkrankheit und zahlreiche andere.

[S. 117]

Kurt: Ja, wenn das alles Pilze sind, so glaube ich schon, daß es so kleine gibt, daß sie in einer Fliege Platz haben. Ich dachte natürlich an die eßbaren Pilze im Walde. Hat denn der Pilz in der Fliege auch so einen Hut, wie die Champignons und die Steinpilze?

Dr. E.: Nein, Kurt. Eine so feste, dicke Masse, wie die sogenannten Hutpilze, bilden nur wenige. Die meisten bestehen aus äußerst zarten Fäden, die man kaum mit bloßem Auge sehen kann.

Kurt: Ach richtig! Beim Schimmel habe ich auch schon manchmal diese feinen Fäden bemerkt.

Dr. E.: Schön, ganz ähnliche, nur noch viel feinere Fäden durchziehen nun auch den ganzen Fliegenkörper und wachsen schließlich überall zwischen den Körperringen heraus, wenn die Krankheit überhand nimmt.

Fritz: Und was ist der weiße Hauch, der sich rings um die Fliege bildet?

Dr. E.: Wenn wir diesen Hauch unter das Mikroskop legen, so erkennen wir, daß er aus lauter ganz winzigen Kügelchen besteht, die man als „Sporen“ bezeichnet und die gleichsam die Früchte des Pilzes sind. Wenn ihr z. B. einen ausgewachsenen Champignon oder Pfefferling auf weißes Papier legt und schüttelt oder eine Zeitlang liegen laßt, so findet ihr später gerade so ein aus Kügelchen bestehendes Pulver, aus dem neue Pilze werden können. Sie fallen beim Champignon von den strahligen Fächern ab, die an der Unterseite des Hutes sitzen; beim Bovist aber, der bekanntlich so stark stäubt, wenn man darauf tritt, sitzen sie im Innern und gelangen erst durch ein Loch an der Spitze nach außen.

Kurt: Es wundert mich aber doch, wie so ein Pilz gerade in unsere Wohnung kommt, und dort die arme Fliege überfallen konnte.

Dr. E.: Das ist nicht so schwer zu verstehen, wenn man weiß, daß jene kleinen Sporen zu Milliarden in der Luft herumfliegen, und daß wir keinen Ort der Erde kennen, wo die Luft nicht solche Pilzkeime verschiedenster Art enthalten würde. Auch unsere Wohnungen sind reich genug daran, und ich bin überzeugt, daß wir aus unserem Hause mindestens ein Dutzend Pilzarten mit Leichtigkeit zusammenbringen könnten, ohne sie vorher gesäet zu haben.

Fritz: Ih, das möchte ich doch mal sehen, wo du die Pilze herzaubern willst.

[S. 118]

Dr. E.: Schön, Fritz, den Beweis will ich dir bald liefern. Du mußt mir nur für jede Art ein paar Tage Zeit lassen, damit die Pilze sich so entwickeln können, daß man sie erkennt, oder besser, da ihr sie selbst doch meist nicht sehen werdet, bis wir an den Wirkungen auf ihr Vorhandensein schließen müssen. Ich beginne mit den vollkommensten Pilzen, die es gibt, mit den Hutpilzen. Ich will hoffen, daß wir keinen im Hause haben, möglich wäre es aber immerhin.

Fritz: Ja, ich weiß wohl, daß man Champignons im Keller züchten kann; in unserm aber wachsen gewiß keine.

Dr. E.: An den denke ich auch gar nicht. Es handelt sich um einen Hutpilz, der nur sehr selten einen Hut bildet, sondern meist als faserig-schwammige Masse auftritt, und dessen Erscheinen einem Hauswirt graue Haare machen kann.

Fritz: Ach, dann meinst du wohl den Hausschwamm[20], der die Stubendielen und Balken der Häuser zerstört?!

Dr. E.: Geraten, Fritz! Das wäre also schon Pilz Nr. 1, der unten im Holzwerk des Kellers sehr wohl bei uns hausen könnte. Aber wir wollen ihn lieber gar nicht mitrechnen und nur solche zählen, die sicher da sind.

Kurt: Da können wir ja als Nr. 1 den Schimmel nehmen.

Arten der Schimmelpilze; ihre Kultur

Dr. E.: Einverstanden! Aber mit Nr. 1 kommen wir dabei nicht aus. Wir müssen mindestens drei Nummern draus machen. Glaubst du wirklich, daß es immer dieselbe Art ist, die auf all den verschiedenen Stoffen sich bildet?

Kurt: Aber ich kenne ihn doch nur auf dem Käse und manchmal auf dem Brot.

Dr. E.: So? Warum klagt denn Mama immer, daß die eingemachten Früchte verschimmeln? Oder laß doch mal eine gekochte Kartoffel nur wenige Tage liegen; da wirst du sehen, was für ein schöner Schimmel sich drauf entwickelt hat.

Kurt: Kann man denn die verschiedenen Sorten so ohne weiteres unterscheiden?

Dr. E.: Wenigstens manche Arten ganz gut, vorausgesetzt, daß sie Frucht tragen.

[S. 119]

Kurt: Das habe ich aber noch nie gesehen!

Dr. E.: Weil du dir wohl noch nie eine ordentliche Zucht oder „Kultur“ von Schimmelpilzen angelegt hast. Diese müssen natürlich auch Zeit haben zu ihrem Wachstum und wollen ebenso gepflegt sein wie unsere Zimmerpflanzen.

Kurt: Und wie macht man das?

Dr. E.: Du brauchst die verschiedenen Stoffe, auf denen Schimmel wachsen soll, nur in einem zugedeckten Gefäß eine Zeitlang ruhig hinzustellen, dann wird schon alles nach Wunsch gehen. Schimmelpilze können den Luftzug nicht vertragen und brauchen auch eine gewisse Feuchtigkeit. Da letztere zur Genüge aus dem verschimmelnden Stoffe kommt, den du in das Glas legst, so sind alle Bedingungen für ihr Gedeihen vorhanden.

Kurt: Was soll ich denn verschimmeln lassen?

Dr. E.: Nun, ich würde in das eine Glas ein Stück Brotkrume, in das zweite ein Stück Käse, in das dritte eine gekochte Kartoffel, in das vierte etwa eine eingemachte Pflaume legen. Nach einigen Tagen wirst du deine helle Freude daran haben, denn die Schimmelpflanzen sehen wirklich allerliebst aus, wenn sie Früchte tragen.

Fritz: Wie sehen denn die Früchte aus?

Dr. E.: Als eigentliche Früchte müssen wir wohl, wie ich vorhin schon sagte, die winzigen Kügelchen oder Sporen betrachten. Aber diese sind auf langen Stielen zu reizenden kleinen Fruchtständen gehäuft. Bei der einen Art, dem Kopfschimmel[21], stecken all diese Sporen in einer kleinen kugeligen Blase, die später zerreißt; bei einer andern, dem Brot- oder Pinselschimmel[22], bilden sich zierliche, kettenartige Fäden, die wie ein Pinsel von einem Punkte ausgehen, und beim Kolbenschimmel[23] haben wir ein kugeliges Köpfchen, das wie dicht mit Perlen besetzt aussieht. Alle diese Formen können auch zusammen auf ein und demselben Stoffe vorkommen, und das Ganze gewährt dann einen reizenden Anblick.

Fritz: Kommt auf den Kartoffeln nicht manchmal auch ein roter Schimmel vor? Im vorigen Jahr zeigte mir Mutter mal eine Schale mit übriggebliebenen Kartoffeln, auf denen überall rote Flecke saßen.

[S. 120]

Dr. E.: Die roten Flecke, die du gesehen hast, sind allerdings durch einen Pilz[24] hervorgebracht, aber er steht auf viel niedrigerer Stufe als die Schimmelpilze und gehört zu den sogenannten Spaltpilzen. Es ist derselbe, der auch zuweilen auf Mehlbrei, Stärkekleister und feuchten Oblaten vorkommt und deshalb zu dem Wunderglauben an die „blutende Hostie“ geführt hat.

Kurt: Dann hätten wir aber immer erst vier Arten.

Dr. E.: O, den letzten wollen wir gar nicht mal mitrechnen, ebenso wie ich schon eine ganze Reihe von Schimmelsorten unerwähnt gelassen habe, weil ich nicht sicher bin, ob sie gerade jetzt in unserm Hause vorhanden sind. — Was geschieht denn, wenn ich eine angeschenkte Flasche Wein einige Tage stehen lasse?

Fritz: Dann bildet sich oben darauf eine weiße Haut. Ich kann mir schon denken, daß das auch ein Pilz ist.

Kahmpilz. Essigpilz. Milchsäurepilz. Bakterien

Dr. E.: Ganz recht; es handelt sich dabei um Arten der vielgestaltigen Hefepilze[25], die in diesem Falle als Kahmpilze bezeichnet werden. Auch wenn wir gewöhnliches Bier offen stehen lassen, erscheinen bald an dessen Oberfläche ähnliche Kahmpilze. — Wißt ihr denn, was außerdem mit dem Bier geschehen wird?

Kurt: Ja, es wird sauer.

Dr. E.: Und wenn man die Milch selbst nur zwei Tage stehen läßt?

Kurt: Die wird auch sauer. Wir essen ja im Sommer immer dicke Milch, die sauer ist.

Dr. E.: Seht ihr, da haben wir schon wieder zwei Pilze[26] entdeckt, die in jedem Hause sind.

Fritz: Aber aus dem Sauerwerden kann man doch noch nicht schließen, daß ein Pilz da ist!

Dr. E.: Freilich kann man das. Denn diese Pilze ganz allein bewirken das Sauerwerden von Milch und Bier.

Fritz: Aber wie geht denn das zu?

Dr. E.: Ja, das ist eine eigenartige Geschichte. Die Pilze wollen doch auch leben, und so wirken sie denn in eigentümlicher Weise zersetzend und umändernd auf die Stoffe ein, in denen sie sich befinden und aus denen sie ihre Nahrung ziehen. Der Essigpilz[S. 121] verwandelt so den Weingeist des Bieres in Essigsäure oder Essig, und der Milchsäurepilz den Zucker der Milch in Milchsäure.

Kurt: Es wird aber doch fast alles Essen sauer, das lange steht.

Dr. E.: Allerdings. Namentlich der Milchsäurepilz ist auch nicht auf die Milch beschränkt, sondern er findet sich ebensogut in sauer gewordenen Gemüsen, im Sauerkraut, in Zuckerlösungen und so fort. Zudem gibt es noch andere Pilzarten, welche in ähnlicher Weise Säure erzeugen. Ich erwähne nur den Buttersäurepilz[27], durch den die Butter ranzig, die Salzgurke sauer und der Käse „reif“ und wohlschmeckend wird.

Fritz: Kann man denn alle diese Pilze wirklich sehen?

Dr. E.: Mit bloßem Auge nicht, selbst wenn sie in großen Massen auftreten. Denn sie gehören zu den winzigsten Geschöpfen, die wir kennen. Man muß schon ein recht gutes Mikroskop zu Hilfe nehmen, um diese Pflänzchen überhaupt nur entdecken zu können.

Fritz: Dann sind es wohl gar nicht mal Fäden, wie die Schimmelpilze?

Dr. E.: Im allgemeinen nicht. Die meisten von ihnen machen indes verschiedene Entwicklungsstufen durch. Bald erscheinen sie als winzige kleine Kügelchen, bald als kürzere oder längere Stäbchen, bald als unendlich feine Fädchen. Nach der Stäbchenform nennt man sie Bazillen oder Bakterien.

Fritz: Ach, von denen habe ich schon viel gehört! Das sind ja dieselben, die die ansteckenden Krankheiten hervorrufen.

Dr. E.: Ja, diese gehören wenigstens auch dazu. Ich konnte mir denken, daß ihr schon von Kommabakterien, Typhusbazillen und so weiter gehört habt. Ich wollte sie eigentlich nicht erwähnen, da ich hoffe, daß unser Haus so ziemlich frei davon ist. Wir wollen ja nur die Pilze unserer Wohnung studieren.

Kurt: Aber nennen könntest du uns doch noch ein paar, Vater. Ist es denn wirklich wahr, daß alle ansteckenden Krankheiten durch solche Pilze hervorgerufen werden?

[S. 122]

Dr. E.: Soviel wir bis jetzt wissen, ja. Es scheint allerdings, als wenn die Pilze einem vollkommen gesunden Menschen in der Regel nichts anhaben können und erst die Oberhand gewinnen, wenn irgend etwas in unserm Körper nicht recht in Ordnung ist. So würde es sich z. B. erklären, daß die eine Person leichter am Pilze der Schwindsucht, dem sogenannten Tuberkelbazillus[28], erkrankt, als eine andere. Denn daß wir alle diese Krankheitskeime fortwährend einatmen, unterliegt keinem Zweifel; das haben die Untersuchungen des Staubes und der Luft in unsern Wohnungen und auf der Straße zur Genüge erwiesen. Außer dem Tuberkelbazillus und dem Komma- oder Cholerabazillus[29] hat man unter vielen andern mit Sicherheit nachgewiesen den Pilz der Diphtheritis[30] oder Bräune, des Milzbrandes[31], der „Rose“[32], der Pockenkrankheit[33], des Typhus[34]. — Doch das ist ein wenig erquickliches Kapitel, wenn wir uns auch freuen müssen, daß wir wenigstens die Ursachen aller dieser verheerenden Seuchen kennen. Da wird die Wissenschaft schließlich auch Mittel und Wege finden, sie erfolgreich zu bekämpfen. Wenden wir uns lieber wieder unsern gewöhnlichen Hausbewohnern zu. Unter ihnen findet sich noch eine ganze Reihe von Bakterien, die wichtig genug sind, wenn sie auch nicht gerade dem Menschen zu Leibe gehen, wenigstens nicht bei seinen Lebzeiten.

Fritz: Wieso nicht bei seinen Lebzeiten?

Dr. E.: Nun, im Tode sind wir dieser Sippschaft unrettbar verfallen, falls unsere körperlichen Reste nicht im Krematorium verbrannt werden.

Fritz: Sprichst du denn von der Verwesung?

Fäulnisbakterien. Konserven. Desinfektion

Dr. E.: Ja, von der Verwesung, Fäulnis oder wie du es nennen willst. Es ist heute außer allem Zweifel, daß alle diese Vorgänge ganz ausschließlich durch die überall gegenwärtigen Bakterien und ähnliche Pilze hervorgerufen werden.

Kurt: Also wenn ein Ei faul wird, so ist ein Pilz daran schuld?

Dr. E.: Zweifellos. Und ebenso, wenn unsere Äpfel und Birnen faulen, wenn Fleisch und Fische zu riechen anfangen, kurzum, wenn[S. 123] irgend etwas in unserer Wirtschaft „verdirbt“. Dabei handelt es sich wieder um eine ganze Reihe verschiedener Arten, so daß ich denke, wir würden damit schon das versprochene Dutzend Pilze voll bekommen.

Kurt: Ja, wer kann aber ahnen, daß in den Eiern auch Pilze stecken! Läßt sich denn gar nichts dagegen tun?

Dr. E.: O doch. Seitdem man die Ursache der Fäulnis erkannt hat, sind gewaltige Fortschritte in der Abwehr jener ungebetenen Gäste gemacht worden. Ihr wißt es ja selbst, daß wir jetzt mitten im Winter Spargel und junge Erbsen gerade so gut und fast so billig haben können, wie sonst nur im Frühjahr.

Fritz: Und das Fleisch bringen sie jetzt ja wohl schon frisch aus Australien herüber!

Dr. E.: Das geschieht sogar in ganzen Schiffsladungen. Natürlich müssen die Schiffe danach eingerichtet sein.

Kurt: Danach eingerichtet sein? Ich denke, die kleinen Pilzkeime sind überall in der Luft, so daß man sie gar nicht abwehren kann.

Dr. E.: Das ist schon wahr. Aber die Bakterien haben ebensogut gewisse Bedingungen zum Leben und zum Wachsen nötig, wie andere Pflanzen. Hierzu gehört z. B. eine gewisse Wärme, und wenn ich daher in den Schiffen große Eiskammern einbaue und das Fleisch darin unterbringe, so kann ich sicher sein, daß die etwa vorhandenen Pilzkeime in dieser eisigen Temperatur sich nicht weiter entwickeln werden.

Fritz: Aber bei den Spargeln und dem andern Gemüse macht man es doch nicht so.

Dr. E.: Nein, da wendet man wieder eine andere Methode an. Ebensowenig wie in der Kälte können die Pilzkeime sich in übergroßer Hitze entwickeln. Ich kann sogar sicher sein, daß ich bei anhaltendem Kochen alle Pilze in einem Kochtopfe zerstöre. Wenn ich dann das darin befindliche Gemüse noch ganz heiß in gereinigte Gefäße bringe und schnell verschließe, so daß keine Luft wieder dazu kommen kann, so habe ich die Pilze ausgesperrt und darf nun hoffen, daß das Gemüse unverändert bleiben wird.

Fritz: Und gegen die Krankheitsbakterien ist man noch immer machtlos? Es wäre doch famos, wenn man die auch so kochen oder in Eis unschädlich machen könnte!

[S. 124]

Dr. E.: Dann müßten wir schon die ganze Erde kochen oder in Eis setzen, da wir jene Krankheitserreger ja meist mit der Luft einatmen. Immerhin hat man auch hier ganz gewaltige Fortschritte in der Bekämpfung gemacht. Seitdem man weiß, daß das Eitern der Wunden und ebenso die Eitervergiftung[35] vornehmlich durch Pilze[36] bewirkt wird, sucht man auf alle mögliche Weise die Wunde vor diesen Feinden durch peinlichste Sauberkeit und pilztötende Mittel zu schützen. Wo Typhus, Diphtheritis oder eine ähnliche Krankheit im Hause war, werden Decke, Wände und Fußboden des Krankenzimmers gründlich mit chemischen Mitteln gereinigt oder, wie man sagt, desinfiziert. Den Lungenkranken wird empfohlen, nicht auf den Fußboden, sondern nur in Näpfchen mit Wasser zu spucken, da man weiß, daß besonders die aufgetrockneten und dann in der Luft umherfliegenden Keime so gefährlich sind. Unsere Aborte werden mit Karbolpulver, Lysol und ähnlichen Desinfektionsmitteln unschädlicher gemacht, und selbst den Pilzkolonien in unserm eigenen Munde gehen wir gründlicher als früher zu Leibe.

Kurt: Was meinst du denn damit, Vater?

Zahnpilz. Hefepilze

Dr. E.: Ich meine ganz einfach, daß es nicht genügt, mit Kreide oder Lindenkohle u. dgl. die Zähne zu putzen, und daß man jetzt eingesehen hat, es kommt nicht so sehr auf die Weiße der Zähne, wie auf ihre Befreiung von den unheilvollen Pilzen an.

Kurt: Aber wir haben doch nicht alle Pilze im Munde!

Dr. E.: Leider doch, Kurt. Schon als ganz kleines Baby hast du von einem Pilze zu leiden gehabt, dem sogenannten Soorpilz[37] oder Schwämmchen. Der Pilz aber, der uns alle zur größten Sorgfalt in der Pflege der Zähne nötigt, ist der Pilz der Zahnfäule[38]. Er siedelt sich in der Schleimhaut des Mundes zwischen den Lücken und am Grunde der Zähne an und dringt in die feinen Kanälchen des Schmelzes und des Zahnbeins ein, wobei er die abscheulichsten Zerstörungen anrichtet. Ehe wir es uns versehen, ist eines schönen Tages der von außen vielleicht ganz gesund scheinende Zahn innen gänzlich vernichtet, er ist „hohl“ geworden und bald völlig unbrauchbar. Nur die größte Gewissenhaftigkeit in der Anwendung entsprechender Zahnwasser, die auch[S. 125] nicht einen Tag nachlassen darf, kann uns vor der Zerstörung unserer Zähne bewahren.

Hans: Ach, Papa, nun mag ich die Pilze gar nicht mehr leiden. Es scheint ja, als wenn sie überhaupt nur Schlimmes in die Welt bringen.

Dr. E.: Ja, eine böse Gesellschaft ist es im allgemeinen, und dabei von einer Macht, von der man sich vor wenigen Jahrzehnten noch gar keine Vorstellung machen konnte. Dennoch sind sie nicht alle so schlimm, wie du denkst, selbst die ganz kleinen nicht, und es gibt sogar welche, die vom Menschen im großen gezüchtet und gut bezahlt werden.

Kurt: Von den mikroskopisch kleinen? Du meinst doch nicht etwa die eßbaren Hutpilze?

Dr. E.: Nein, ich meine in der Tat welche von den allerwinzigsten. Würden es nicht recht viele Menschen bedauern, wenn es kein Bier und keinen Wein in der Welt gäbe?

Gärung

Fritz: Ach, ich weiß schon, du denkst an die Hefepilze[39], welche die Gärung hervorrufen. Ist das nicht so ähnlich wie mit dem Essigpilz?

Dr. E.: Im Prinzip wenigstens sind die Erscheinungen die nämlichen. Auch hier wirken die Pilze, indem sie gewisse Stoffe als Nahrung herausziehen, verändernd oder „zersetzend“ auf die Flüssigkeit, in der sie leben, ein.

Kurt: Das heißt also in den Weintrauben und im Malz, aus dem das Bier gemacht wird?

Dr. E.: Ja. Das, worauf es ankommt, ist, daß eine Flüssigkeit Zucker enthalten muß, und zwar in der Regel den sogenannten Traubenzucker. Dieser ist bekanntlich in den Trauben schon von vornherein vorhanden, in der Gerste wird er erst durch Keimen, oder, wie der Brauer sagt, durch das Malzen der Gerste aus dem Stärkemehl der Körner gebildet. Wird in diese Lösung von Traubenzucker der Hefepilz gebracht, so vermehrt er sich ganz gewaltig und zersetzt dabei den Zucker in Weingeist und Kohlensäure. Letztere entweicht natürlich, wenn man nicht absichtlich einen Teil derselben zurückhält, wie beim Bier und Champagner.

[S. 126]

Kurt: Dann müßte man ja aus gewöhnlichem Zucker auch Spiritus machen können.

Dr. E.: Das geschieht auch sehr viel, wenn auch meist nur aus demjenigen Zuckersaft, der nicht mehr als Zucker kristallisieren will, also aus dem Syrup. Ich denke, der „Rum“, den man so gewinnt, wird dir zur Genüge bekannt sein.

Fritz: Kann man statt der Gerste auch etwas anderes nehmen?

Dr. E.: Was du willst, wenn es nur Stärkemehl enthält. Es gibt Weizenbiere, Haferbiere, Roggen- oder Kornbranntwein, Kartoffelspiritus, Reisbranntwein oder Arrak und vieles andere. Aus dem Honig, der ja wieder Zucker enthält, bereitet man den Met, das Getränk der alten Deutschen, und die Baschkieren benutzen sogar die gegorene Milch ihrer Stuten, wenn sie sich einen Rausch trinken wollen.

Kurt: Aber die Hefepilze sind doch gewiß nicht in unserer Wohnung.

Dr. E.: Hast du mir nicht neulich verraten, daß du im Frühjahr Birkenwasser gezapft hast?

Kurt: Ja, ich hatte gehört, daß der Birkenwein so schön schmecken soll.

Dr. E.: Was hast du denn da mit dem Wasser angestellt?

Kurt: Ich habe Zucker hinzugetan, wie Wilhelm mir riet, und es dann eine Zeitlang offen stehen lassen. Nach einigen Tagen schäumte es, und wie das vorüber war, haben wir den Wein in Flaschen gefüllt.

Dr. E.: Nun, siehst du! Dieses Schäumen war der Beweis, daß Hefepilze aus der Luft ihren Weg in das Birkenwasser gefunden und dort eine richtige Gärung hervorgerufen haben. Sonst hättest du niemals Wein bekommen. Ich denke also, wir können einige der verschiedenen Hefepilze ganz ruhig zu unseren Hausbewohnern rechnen, um so mehr, da Mama ja häufig genug welche ins Haus bringen läßt.

Fritz: Wahrhaftig! Wenn Mutter Kuchen backen will! Davon hast du uns ja schon neulich gesprochen, wie du uns die Löcher im Bimsstein erklären wolltest. Dann ist die Entwicklung der Kohlensäure im Brot oder Kuchen also auch eine Art Gärung?

[S. 127]

Dr. E.: Ohne Frage; nur warten wir dabei nicht so lange, bis sich so viel Weingeist gebildet hat, daß wir es schmecken könnten.

Kurt: Nun glaube ich selbst, Vater, daß wir mehr als ein Dutzend Pilzarten in der Wohnung haben.

Dr. E.: Ja, Kinder, sorgt nur dafür, durch Reinlichkeit und Vorsicht, daß wir nicht auch einmal welche von den ganz bösen Sorten ins Haus bekommen.

Hefepilze.
Schimmelpilze.
Bakterien.

[S. 128]

Titelbild Elfter Abend

Elfter Abend.

Vati, ruft Hans, in das Zimmer stürmend, Vati, unser Karo ist wieder da; er hat einen großen Strick um den Hals und sieht ganz jämmerlich aus.

Dr. E.: So bring ihn herein; er ist vermutlich gestern von einem Hundefänger aufgegriffen worden und ihm wieder entlaufen.

Kurt und Hans holen Karo, den Pudel, der bellend an seinem Herrn emporspringt und von einem zum andern läuft, um seine Freude auszudrücken.

Ach, du armes Tier, sagt Hans, der ihm den Strick abnimmt, dir werden sie wohl übel mitgespielt haben. Komm mal her und laß dich ordentlich abküssen.

Liebkosungen des Hundes. Bandwurm

Nicht doch, Hans, ruft der Vater strenge, laß diese Kindereien mit dem Hunde. Freundlich sein und spielen könnt ihr mit ihm, soviel wie ihr wollt; aber küssen oder das Gesicht belecken lassen, muß ich unter allen Umständen verbieten.

Hans: Aber warum denn, Papa? Der Karo ist doch so ein gutes Tier!

[S. 129]

Dr. E.: Darauf kommt es in diesem Falle gar nicht an, ob der Hund gut oder böse ist. Ich fürchte auch gar nicht, daß er dir einmal die Nase abbeißt. Aber es gibt andere sehr ernste Gründe, welche jeden verhindern sollten, sich von einem Hunde belecken zu lassen.

Fritz: Du meinst wohl, weil so ein Tier an allem herumschnuppert und vieles frißt, was nicht gerade appetitlich ist?

Dr. E.: Nein, die Sache ist viel schlimmer. Der Kuß von einem Hunde kann unter Umständen schwere Krankheit, ja, selbst den Tod herbeiführen.

Kurt: Glaubst du denn, daß er toll sein könnte?

Hundebandwurm. Übertragung desselben

Dr. E.: O gewiß nicht. Das würde man ihm schon ansehen. Außerdem hättet ihr in einem solchen Falle weit eher einen unvermuteten Biß als Liebkosungen zu erwarten. — Aber habt ihr denn noch nie etwas vom Bandwurm des Hundes gehört?

Kurt: Vom Hundebandwurm? Nein. Ich wußte nur, daß die Menschen manchmal Bandwürmer haben. Einer aus unserer Klasse hat diesen Sommer eine ordentliche Kur deshalb durchmachen müssen.

Dr. E.: Und hast du eine Ahnung, wie dein Freund zu diesem scheußlichen Tier gekommen ist?

Kurt: Ja, der Doktor hat gesagt, das käme von dem vielen rohen gehackten Fleisch, das er nach dem Nervenfieber immer essen mußte.

Dr. E.: Ohne Zweifel. Aber wie kann denn aus dem Fleisch ein Wurm werden?

Kurt: Nun, der wird wohl schon als Junges in dem Fleisch gesessen haben?

Dr. E.: Meinst du? Wie soll denn so ein junger Wurm in das Fleisch eines Ochsen geraten?

Fritz: O, das weiß ich, Vater! Im Fleisch der Ochsen und Kühe sitzen keine Bandwürmer, sondern sogenannte Finnen, und wenn man diese mit ißt, so bekommt man den Bandwurm.

Dr. E.: Nun, das führt uns wenigstens etwas weiter. Was du da sagst, hat seine volle Richtigkeit. Diese Finnen, welche man gar nicht so selten zwischen den Fleischmassen des Rindviehs zerstreut findet, erscheinen wie kleine, fast erbsengroße Bläschen, von deren Wand ein winziges, kaum stecknadelkopfgroßes Knöpfchen ins Innere hineinragt. Dieses kleine Knöpfchen, welches eben wegen seiner Kleinheit leicht dem Hackmesser entgeht, ist das Gefährliche bei der Sache, denn[S. 130] aus ihm entwickelt sich, wenn es in den Magen und Darm des Menschen gelangt, die viele Meter lange Kette des erwachsenen Bandwurms.[40]

Kurt: Wie kann man denn so was beobachten?

Dr. E.: Das ist natürlich nicht so leicht. Vermutet hat man es schon seit alten Zeiten, da dieses kleine Knöpfchen in der Finne ganz genau so aussah, wie der sogenannte Kopf eines erwachsenen Bandwurms mit seinen Saugnäpfen. Bewiesen aber wurde der Zusammenhang zwischen beiden erst dadurch, daß einige Naturforscher sich nicht scheuten, absichtlich rohe Finnen zu essen. Sie konnten so feststellen, daß in jedem Falle nach dem Genuß derselben das Bandwurmleiden auftrat, ja, daß in der Regel gerade so viel Bandwürmer im Menschen sich entwickelten, als derselbe Finnen verschluckt hatte.

Hans: Brr! Papa, da möchte ich doch kein Naturforscher sein!

Dr. E.: Das glaub’ ich dir, Hansel. Appetitlich ist ja so ein Finnenbutterbrot gerade nicht. Wenn es sich aber darum handelt, die Wissenschaft zu fördern, und wenn dadurch die Wege gefunden werden, wie die Menschheit vor schweren Plagen beschützt werden kann, dann kommen solche kleinen Bedenken für den echten Forscher nicht in Betracht. Hoffentlich wirst du einst ebenso denken, wenn du größer bist.

Kurt: Aber wie kommen denn nun die Finnen in das Rindfleisch hinein?

Dr. E.: Ein erwachsener Bandwurm bringt, wie die meisten Tiere, Eier hervor, und zwar eine ungeheure Menge in jedem einzelnen Gliede. Die Eier sind so klein, daß man sie mit bloßem Auge gar nicht sehen kann. Gelangen nun einzelne Glieder des Bandwurms mit dem Kot nach außen, so zerfallen sie allmählich; die Tausende von Eierchen aber, die in ihnen waren und die vielleicht mit dem Dung auf das Feld gefahren werden, zerstreuen sich in alle Winde, heften sich an Blatt und Kraut des Ackers oder der Wiese und geraten so mit den Pflanzen in den Magen des weidenden Viehes. Im Magen der Kuh kriecht alsbald aus dem Eichen ein winzig kleines Geschöpf, das die Darmwand durchbohrt, von dem Blutstrom der Adern bis in das Fleisch des Tieres geführt wird und hier zu einer erbsengroßen Blase, also zu der vorhin erwähnten Finne auswächst.

Fritz: Was hat denn aber dies alles mit unserm Karo zu tun?

[S. 131]

Dr. E.: Nur Geduld, Fritz! Bisher haben wir allerdings nur von dem Bandwurm gesprochen, der im Darm des Menschen lebt und der in seiner Jugend als sogenannte Finne im Fleisch des Rindes steckt. Wir konnten jedenfalls daraus lernen, daß diese seltsamen Geschöpfe in zwei einander sehr unähnlichen Zuständen auftreten, als rundliche, erbsengroße Finnenblase, und als viele Meter lange Bandwurmkette. Sodann ergab sich, daß beide Formen in zwei ganz verschiedenen Tieren, nämlich im Rind und im Menschen, ihren Wohnsitz haben. Nun aber kennt man eine ganze Menge solcher Bandwurmarten. Alle zeigen dieselbe Erscheinung der beiden verschiedenen Formen von Finne und Bandwurmkette, und alle sind in diesen beiden Zuständen auf zwei verschiedene Wohntiere angewiesen.

Kurt: Dann hat also der Hund auch so eine Finne, die im Menschen zum Bandwurm auswächst?

Dr. E.: Nicht doch, Kurt; diesmal ist die Sache gerade umgekehrt. Im Hunde, und zwar in dessen Darm lebt der Bandwurm[41], im Menschen hingegen die dazu gehörige Finne.

Fritz: Ei, da bin ich aber doch neugierig, wie die zueinander passen sollen! Wenn die Finne, die im Fleisch des Menschen sitzt, zu einem Bandwurm im Hunde werden soll, so müßte doch der Hund das Menschenfleisch erst fressen, gerade so, wie wir das rohe Beefsteak essen!

Dr. E.: Da hast du vollkommen recht, und ebenso sicher ist es wohl, daß dieses Ereignis bei zivilisierten Völkern nicht eintreten wird. Wir können daher von vornherein zugeben, daß alle Finnen des Hundebandwurms, die in den Menschen gelangt sind, zugrunde gehen, ohne zu ordentlichen Bandwürmern im Hunde auswachsen zu können. Aber die Erscheinung verliert vieles von ihrer Seltsamkeit, wenn wir erfahren, daß jene Finne im Körper der Menschen nur ein verirrter Gast ist. Die eigentlichen oder regelmäßigen Träger der Hundebandwurmfinnen sind das Schwein und die Wiederkäuer, deren Fleisch ja doch häufig genug den Hunden zur Nahrung dient.

Fritz: Das ist freilich etwas anderes. Aber nun ist mir immer noch unklar, wie der Mensch solche Finnen des Hundebandwurms bekommen kann.

[S. 132]

Übertragung. Wirtswechsel der Bandwürmer

Dr. E.: Das macht sich jedenfalls viel leichter, als du zu glauben scheinst. Zunächst ist hervorzuheben, daß der Bandwurm des Hundes im Gegensatz zu seinem riesigen Vetter, dem Rinderbandwurm im Menschen, ganz außerordentlich klein ist. Er mißt nur einige Millimeter. Seine wenigen Gliederchen sind jedoch jedenfalls dicht mit mikroskopischen Eiern gefüllt, und gelangen wie gewöhnlich mit dem Kot nach außen. Nun wißt ihr, daß ein Hund vor nichts Ekel empfindet, sondern alles beschnuppert und alles beleckt. So kann es denn leicht geschehen, daß eines von diesen eiergefüllten Gliederchen oder auch nur ein kaum sichtbares Stückchen desselben an seiner Zunge hängen bleibt. Wie dann dieses Stückchen in euren Mund gelangt, wenn ihr euch allzu zärtlich mit dem Hund abgebt, will ich nicht weiter ausmalen. Genug, in Hunderten und Tausenden von Fällen geschieht es tatsächlich so. Aus den mikroskopischen Eierchen kriecht dann im Darm des Menschen wieder ein ebenso mikroskopisches kleines rundes Tierchen, das nun in derselben Weise wie die Rinderfinne in die Organe unseres Körpers gelangt.

Kurt: Aber ist denn das gar so schlimm, wenn wir nun wirklich ein paar solche Finnen in unserem Fleisch sitzen haben?

Dr. E.: Allerdings, und zwar aus verschiedenen Gründen. Erstens ist die Finne, welche dem winzigen Hundebandwurm entstammt, durchaus nicht so klein wie die Finne des Rindes, sondern sie kann sich zu einer faust-, ja kopfgroßen Blase mit unzähligen Bandwurmköpfchen im Innern entwickeln. Sodann aber sucht sie sich keineswegs immer die Fleischmassen des Körpers zum Wohnsitz aus, sondern sie wählt vielfach edlere Teile. Namentlich die Leber wird von ihr bevorzugt. Natürlich wird durch eine solche Geschwulst, die häufig genug aus vielen nebeneinander sitzenden oder auch ineinandergeschachtelten Blasen besteht, ein großer Teil des betreffenden Organs völlig zerstört, und oft kann nur eine kühne Operation vor dem sichern Tode retten.

Kurt: Hast du denn schon mal so etwas erlebt, Vater?

Dr. E.: Leider, mein Sohn. Mir sind im Laufe der Jahre auch hier bei uns eine ganze Reihe von Fällen bekannt geworden, die recht schlimm waren. Häufiger noch ist allerdings dieses Leiden dort, wo die Menschen in viel engerer Gemeinschaft mit den Hunden leben als bei uns. So ist namentlich von Island bekannt, daß dort eine[S. 133] Menge Menschen an der Finne des Hundebandwurms zugrunde gehen.

Hans: Nun will ich auch unsern Karo nicht mehr küssen!

Dr. E.: Nein, mein Junge; es wäre doch zu traurig, wenn der Doktor deinen Bauch aufschneiden und die halbe Leber herausholen müßte!

Fritz: Ist es denn aber nicht sehr merkwürdig, Vater, daß ein und derselbe Bandwurm in der Jugend und im Alter in zwei ganz verschiedenen Geschöpfen lebt? Ich meine, wenn der reife Bandwurm glücklich einmal den für ihn günstigen Platz gefunden hat, also z. B. den Darm eines Hundes, so wäre es doch für die Jungen viel vorteilhafter, wenn sie gleich wieder an derselben Stelle zu ordentlichen Bandwürmern auswachsen könnten? Bei diesem Verstreuen der Eier durch den Wind auf Pflanzen, die dann erst wieder von andern Tieren gefressen werden müssen, wird doch gewiß ein großer Teil dieser Eier nie in den Magen irgendeines Tieres gelangen und daher einfach zugrunde gehen?

Dr. E.: Es scheint ja fast, als wenn du recht hast, und als wenn die Natur umständlicher zu Werke ginge, als es nötig wäre. Aber die Sache hat doch einen bedenklichen Haken. Denke dir, es wäre wirklich so, wie du es für zweckmäßig hältst. Dann würden also im Darm eines Hundes neben dem alten Bandwurm bald Hunderte und Tausende von jungen sich entwickeln. Auch diese brächten bald wieder Eier hervor, kein Keim ginge verloren, und das Wurmparadies in diesem Hundedarm wäre anscheinend fertig. Nun aber wird dem Hunde dabei natürlich immer ungemütlicher, und selbst, wenn ihn seine Würmer nicht zu Tode quälen, muß er doch eines schönen Tages ins Gras beißen. Er stirbt, wie eben alle Tiere sterben, und was wird nun aus deiner ganzen Wurmherrlichkeit?

Fritz: Ja, wenn dann die Würmer nicht auswandern können, so müssen sie wohl alle mit zugrunde gehen.

Dr. E.: Das Auswandern würde wohl kaum etwas nützen, da eben ein Bandwurm sich in der freien Natur nicht ernähren kann. Es ist also tatsächlich so, daß von all den Tausenden von Würmern, welche sich im Laufe der Zeit bei unserm Hunde entwickelt hätten, auch nicht ein einziger mit dem Leben davon käme. Da aber nun sämtliche Hunde, die z. B. heute auf der Erde leben, in etwa 20 Jahren[S. 134] gestorben sein werden, so ist es klar, daß, wenn von keinem derselben während seines Lebens ein Bandwurmkeim nach außen gelangte, wenn also auch kein jüngerer Hund einen solchen in sich aufnehmen könnte, nach dieser Zeit mit dem letzten von Würmern besetzten Hunde auch der letzte Bandwurm zugrunde gehen würde. Das Geschlecht der Hundebandwürmer hätte dann überhaupt zu bestehen aufgehört.

Kurt: Aber das wäre doch ganz famos, wenn diese scheußlichen Tiere nicht mehr auf der Welt wären!

Dr. E.: Von unserm Standpunkte aus gewiß. Aber die Natur richtet sich durchaus nicht nach dem, was wir wünschen. Ein jedes Geschöpf ist — ich habe das schon einmal, wie wir von den Spinnen sprachen, hervorgehoben — ebensogut zum Leben berechtigt, wie wir selbst. Wenn wir daher die Einrichtungen in der Natur verstehen wollen, so müssen wir fragen, nicht inwiefern sie für uns, sondern inwiefern sie für das betreffende Geschöpf zweckmäßig sind, für das sie bestehen.

Fritz: Daß die Eier des Bandwurms oder seine Jungen eine Gelegenheit haben müssen, den alten Hund zu verlassen, sehe ich jetzt wohl ein; aber warum können sie nicht gleich wieder in einen jungen Hund gelangen, warum müssen sie erst in einem ganz andern Tier zur Finne werden?

Dr. E.: Diese Frage kann ich dir nur zum Teil beantworten. Es gibt nämlich Eingeweidewürmer genug, deren Eier sofort nach der Auswanderung sich in dem Darm derselben Tierart wieder zu reifen Würmern entwickeln, wie beispielsweise unsere Spulwürmer[42] und die mit Recht so sehr gefürchteten kleinen Madenwürmer[43] oder Pfriemenschwänze. Wenn aber ein solcher Jugendzustand, wie ihn die Finne darstellt, einmal vorhanden ist, so leuchtet ein, daß derselbe am vorteilhaftesten in solchen Tieren sich entwickelt, welche dem Besitzer des reifen Bandwurms zur Nahrung dienen. Hunde pflegen sich gegenseitig nicht aufzufressen. Eine Finne im Hundefleisch hätte also nur wenig Aussicht, in den Darm eines Hundes zu gelangen, um dort zur Bandwurmkette auszuwachsen. Das Schaf aber, das Rind, überhaupt die Pflanzenfresser bilden die natürliche Nahrung der hundeartigen Raubtiere, und so sehen wir auch hier wieder, daß unter den[S. 135] obwaltenden schwierigen Umständen tatsächlich das Zweckmäßigste für die Erhaltung des Geschlechtes der Bandwürmer geschehen ist.

Kurt: Aber es kann doch immer nur ein großer Zufall sein, daß so ein Bandwurmei oder mehrere in eine Kuh geraten!

Dr. E.: Das ist es auch. Aber wie ich schon sagte, ist die Zahl der von einem einzigen Bandwurm hervorgebrachten Eier eine so ungeheure, daß es auf ein paar Hunderttausend nicht ankommt. Wenn von vielen, vielen Tausenden nur eines ans Ziel, d. h. in den Körper eines Wiederkäuers und von da wieder in den Magen eines Hundes gelangt, so ist die Erhaltung der Art gesichert. Zudem sind die Beziehungen zwischen den beiden Tierarten, welche Finne und Bandwurm in stetem Wechsel aufeinander übertragen, in vielen Fällen weit inniger, als zwischen Kühen und Hunden.

Fritz: Wie meinst du das „inniger?“

Dr. E.: Nun, ich denke, zwischen Fuchs und Hase z. B. besteht eine solche engere Beziehung. Der Fuchs frißt jedenfalls in seinem Leben eine ganze Menge Hasen, und diese wieder leben in denselben Waldrevieren, fressen die Kräuter, über welche die Bandwurmeier aus dem Kot des Fuchses durch den Wind zerstreut sind. Noch interessanter ist die Wechselbeziehung zwischen unserm Hunde und der winzigen Hundelaus, die auf seinem Körper lebt. Die Hundelaus beherbergt eine Finne, und der Hund, der sie von seinem Fell wegbeißt, bekommt davon einen ganz gehörigen Bandwurm.[44]

Kurt: Dann hat also der Hund verschiedene Bandwurmarten?

Dr. E.: O ja, eine ganze Anzahl. Einer ist sogar darunter, der dem Menschen jährlich Millionen kostet.

Kurt: Wieso denn? Sterben die Hunde davon?

Dr. E.: Die Hunde nicht, wohl aber die Träger der Finnen, die Schafe!

Drehkrankheit der Schafe

Fritz: Ach, da denkst du wohl an den Wurm, der die Drehkrankheit verursacht?

Dr. E.: Freilich, Fritz! Hast du schon mal davon gehört?

Fritz: Ja, das ist eine große Blase, die im Gehirn der Schafe sitzt und sie ganz blödsinnig macht, so daß sie sich immer auf einem Beine drehen.

[S. 136]

Dr. E.: Gewiß. Und diese hühnereigroße Blase im Schafsgehirn ist nichts als die Finne eines Bandwurms[45], der später als lange Kette im Darm des Hundes lebt.

Hans: Aber wovon weiß man denn, daß ein Schaf blödsinnig ist? Können die denn noch dümmer werden, als sie schon sind?

Dr. E.: Es ist ja wohl wahr, daß alle unsere Haustiere, soweit sie nicht Gefährten des Menschen wurden, wie der Hund und das Pferd, im Laufe der Jahrtausende geistig recht beschränkt geworden sind. Der Mensch hat ihnen ja alle die Sorgen abgenommen, welche das Denkvermögen der wilden Tiere immer aufs neue anregen. Der Mensch ist es, welcher für ihre Nahrung sorgt, sie vor Feinden und Gefahr beschützt, ihnen Obdach und Lager bereitet. So mußten denn unsere Haustiere, der Esel, das Rind, das Schwein und Schaf im Laufe der Zeit völlig verdummen. Sie sind uns ein warnendes Beispiel dafür, daß ein bequemes, sorgenloses Leben den Geist lähmt, und daß dessen Kräfte nur im Kampfe um das tägliche Brot zur vollen Entfaltung gelangen können. Trotz alledem ist ein geistig gesundes Schaf noch sehr wohl von einem blödsinnigen zu unterscheiden. Der stiere Blick, die eigentümlichen Drehbewegungen um ein fest aufgestemmtes Vorder- und Hinterbein, das Hin- und Hertaumeln und andere Erscheinungen, welche die oft völlige Bewußtlosigkeit des Tieres verraten, lehren uns auf den ersten Blick, daß wir es mit einem kranken Schafe zu tun haben. Wundern kann uns das übrigens nicht, denn wenn ein großer Teil des Gehirns zerstört ist, muß es natürlich auch mit dem Verstande zu Ende gehen.

Kurt: Aber ich denke, die Tiere haben überhaupt keinen Verstand.

Dr. E.: Das ist eine Ansicht, die allerdings ziemlich verbreitet ist und noch aus der Zeit stammt, wo der Mensch in seiner Überhebung die Kluft zwischen sich und dem Tier für viel größer hielt, als sie in Wirklichkeit ist. Von denen aber, welche die Handlungen der Tiere vorurteilsfrei beobachten, zweifelt wohl schwerlich jemand daran, daß das Empfinden sowohl wie das Denken bei den höheren Tieren recht wohl entwickelt ist.

Fritz: Daß unser Karo Freude empfinden kann, haben wir ja erst vorhin deutlich genug gesehen. Das kann man nicht bezweifeln.[S. 137] Ebenso merkt man es ganz genau, wenn er bös und zornig ist, oder wenn er Furcht hat. Ich denke aber, sein Handeln ist doch wohl weniger überlegt und bewußt, als vielmehr durch den Instinkt geleitet.

Instinkt. Verstand der Tiere

Dr. E.: Mit diesem unglücklichen Wort „Instinkt“ wird sehr viel Unfug getrieben. Man versteht ja darunter zweckmäßige Handlungen, die nicht durch Überlegung oder Erfahrung veranlaßt sein können, bei denen also gewissermaßen unbewußt von dem Tiere das Richtige getroffen wird. Ganz gewiß gibt es solche Handlungen bei den Tieren, wir brauchen nur etwa an den Nestbau der Vögel oder an die Kunstfertigkeiten der Insekten zu denken. Ebenso sicher aber ist, daß bei den höheren Tieren diese instinktiven Handlungen mehr und mehr zurücktreten und durch bewußte, auf eigenem Nachdenken beruhende ersetzt werden. Ganz verschwunden ist übrigens der Instinkt auch beim Menschen nicht. Namentlich bei Naturvölkern hat man in dieser Hinsicht sehr interessante Beobachtungen gemacht.

Kurt: Daß ein Hund denken kann, das glaube ich auch ganz gewiß. Als ich gestern zur Schule ging, stand vor einem Hause ein Hundewagen mit einem großen Ziehhund davor. Der Herr kam aus dem Hause zurück, ohne daß der Hund es bemerkte, und wollte den Wagen rückwärtsziehen. Der Hund aber stemmte sich mit aller Macht dagegen, weil er es für nicht in der Ordnung hielt, daß der Wagen zurückrollte. Als aber der Herr nach vorn gegangen war und sich dem Hunde gezeigt hatte, half er sofort selbst eifrig mit, den Wagen zurückzuziehen.

Dr. E.: Siehst du, Fritz, da hat Kurt ein sehr niedliches Stück wirklicher Überlegung eines Hundes beobachtet, wobei von Instinkt gar keine Rede sein kann. Zunächst haben wir das Pflichtbewußtsein, welches dem Tiere sagte, daß der Wagen da bleiben müsse, wo sein Herr ihn hingestellt. Daher der Widerstand, als der Wagen aus einem ihm unerklärlichen Grunde nach hinten rollt. Dann sofort beim Erscheinen des Herrn ein Begreifen der ganzen Sachlage, ein Verstehen der Absicht seines Herrn, die nun alsbald nach besten Kräften unterstützt wird. Ich glaube nicht, daß ein Mensch in diesem Falle anders hätte handeln können. Doch, es gibt ja Hunderte von Beispielen, wo Hunde durchaus darüber klar waren, daß ihr Herr in dringender Gefahr, wo sie Kinder aus dem Wasser gezogen, Hilfe herbeigerufen, Übeltäter zur Entdeckung gebracht und was sonst noch für kluge, überlegte[S. 138] Handlungen begangen haben. Jeder Hundefreund weiß, wie das Verständnis des Hundes für die menschlichen Verhältnisse ein ganz überraschendes ist. Auch das so oft zu beobachtende Träumen der Hunde beweist, daß sie selbst im Schlafe lebhafte Vorstellungen haben.

Fritz: Das will ich auch alles gern zugeben. Aber ich glaube doch, daß das Denken der Tiere sich sehr weit von dem der Menschen unterscheidet. Ich meine, daß ein Hund z. B. keinen verallgemeinerten oder abstrakten Begriff fassen kann.

Dr. E.: Mit dem Philosophieren wird es freilich wohl gute Wege haben. Daß die Tiere aber auch allgemeine Begriffe bilden, scheint mir kaum zweifelhaft. Die Vorstellung „Bettler“ hat so ziemlich jeder Hund und richtet danach sein Verhalten, auch wenn er den betreffenden Menschen zum erstenmal sieht. Ebenso wird er wohl Begriffe wie „Wald“, „schönes Wetter“, „Zufriedenheit“ aus seiner Erfahrung sich aufbauen. Wie weit indes diese Fähigkeit der Verallgemeinerung geht, ist schwer zu entscheiden. Um so weniger aber sind wir berechtigt, eine grundsätzliche Verschiedenheit des Denkvermögens bei Tieren und Menschen anzunehmen. In bezug auf Ausbildungsfähigkeit, das unterliegt gewiß keinem Zweifel, stehen die geistigen Kräfte des Hundes tief unter den unsrigen; dennoch dürfen wir nicht vergessen, daß es auch Menschenrassen gibt, die nicht bis drei zählen können, und denen die Fähigkeit, allgemeine Begriffe zu bilden, fast völlig mangelt.

Sprache

Fritz: Aber diese wilden Völkerschaften haben doch eine aus Worten zusammengesetzte Sprache!

Dr. E.: Ja, da hast du recht. Und die artikulierte Sprache ist auch wohl in geistiger Hinsicht der bedeutsamste Unterschied zwischen uns und den Tieren. Seine Gefühle und seine Wünsche durch Laute auszudrücken, ist ja auch der Hund imstande, so daß selbst der Mensch aus dem verschiedenartigen Bellen, Knurren, Heulen, Jaulen erkennt, was er empfindet; aber es fehlt doch die Wortbildung, und was jener amerikanische Professor unlängst von der Sprache der Affen berichtet hat, bedarf doch wohl noch weiterer Bestätigung. Derselbe behauptet nämlich, von den verschiedenen Affen, die er in zoologischen Gärten und in der freien Natur beobachtete, nach und nach über fünfzig Laute vernommen zu haben, die fast wortartig klingen und ganz bestimmte Dinge, wie „Nasses“, „Futter“, „Gefahr“ und so fort ausdrücken sollen.[S. 139] Unmöglich wäre eine solche Spezialisierung der Laute ja nicht, aber vorläufig haben wir wohl kaum Grund, die Affen in bezug auf das Vermögen, sich verständlich zu machen, auf eine viel höhere Stufe zu stellen, als unsere Hunde.

Fritz: Wäre es denn denkbar, daß die Sprache beim Menschen sich auch erst ganz allmählich aus einzelnen Lauten entwickelt hat, so etwa, wie es der Professor von den heutigen Affen behauptet?

Dr. E.: Das ist nicht nur möglich, sondern nach den Ergebnissen der Sprachforschung so gut wie gewiß. Noch heute erkennen wir selbst in den vollkommensten Sprachen an zahlreichen Worten, daß sie ursprünglich Naturlaute waren. Wie sehr aber die Sprache sich im Laufe der Kultur entwickelt hat, das zeigt sich klar, wenn man die außerordentliche Wortarmut der wilden Völker in Betracht zieht. Viele derselben kommen nicht über ein paar Hundert Vokabeln hinaus.

Kurt: Ich will doch mal sehen, ob ich unsern Karo in Zukunft nicht noch besser verstehen lerne. Ich glaube, wenn man ordentlich aufpaßt, wird man noch viel häufiger merken, was er eigentlich will.

Dr. E.: Ganz gewiß; und es soll mich freuen, wenn du mir später über deine Entdeckungen Bericht erstattest. Ein guter Tierbeobachter wird auch dereinst ein guter Menschenbeobachter. Das aber ist eine der notwendigsten Fähigkeiten, wenn man im Leben und in der Welt vorwärts kommen will.

Schlussbild Elfter Abend

[S. 140]

Titelbild Zwölfter Abend

Zwölfter Abend.

Höre, Fritz, sagt Dr. Ehrhardt, als die Knaben versammelt sind, du könntest morgen früh auf dem Schulwege mal bei unserm Gärtner vorgehen und ihn bitten, zu Mutters Geburtstag am Mittwoch noch einige Blattpflanzen zu besorgen. Ich glaube, Mutter würde sich sehr darüber freuen.

Fritz: Gern, Vater. Ist es ganz gleich, was für welche er aussucht?

Dr. E.: Ich denke, wir können uns auf seinen Geschmack verlassen.

[S. 141]

Er soll nur einige recht hübsche wählen, etwa ein Philodendron, eine Acalea und ein paar Palmen.

Blattpflanzen. Palmen

Kurt: Was versteht man denn eigentlich unter „Blattpflanzen“; für gewöhnlich haben doch alle Pflanzen Blätter.

Dr. E.: Das ist wohl etwas zu viel behauptet; an einem Champignon, einer Flechte oder einem Algenfaden sollte es dir am Ende schwer werden, Blätter nachzuweisen.

Kurt: Ja, die meine ich auch nicht. Ich denke an die Pflanzen, die man in Blumentöpfen zieht.

Dr. E.: Dann hast du freilich recht, und ich muß zugeben, daß der Ausdruck „Blattpflanzen“ nicht sehr passend gewählt ist. Man bezeichnet damit aber solche Gewächse, die ganz ausschließlich ihrer hübschen Blätter wegen gezogen werden.

Kurt: Das heißt wohl so viel, daß ihre Blüten nicht hübsch sind?

Dr. E.: Bei den meisten sind sie wenigstens unscheinbar, wie bei unserm Efeu. Andre haben zwar ganz ansehnliche Blüten, aber sie kommen nur selten oder gar nicht zur Entwicklung.

Kurt: Warum denn nicht?

Palmen. Kokosnüsse

Dr. E. Weil sie ein wärmeres Klima verlangen und bei uns ein kümmerliches Dasein führen. Denke an die Palmen in unsern Blumentöpfen. Nach zehn, ja zwanzig Jahren sind es noch die reinen Zwerge, die gar nicht ans Blühen denken; denn auch in ihrer Heimat müssen sie erst zu mächtigen Bäumen werden, ehe sie zum erstenmal ihre gewaltigen Blütenrispen entfalten.

Fritz: Hast du denn solche Palmen schon mal blühen sehen?

Dr. E.: Oft genug, Fritz. Am schönsten natürlich auf meinen Reisen nach Nordafrika und Ostindien, wo ja die Palmen als die eigentlichen Charakterpflanzen des Landes erscheinen. Aber auch schon auf Madeira und den Kanarischen Inseln ist das Klima günstig genug, um eine große Anzahl Arten derselben im Freien zur vollen Entwicklung und zum Blühen zu bringen. Selbst in Süditalien und Spanien gedeiht z. B. die Dattelpalme[46] im Freien, und in dem berühmten, an 60000 Stämme zählenden Palmenwalde von Elche in Südspanien bin ich einen ganzen Tag mit Entzücken umhergewandert und habe mich an den hier zur völligen Reife gelangenden Datteln gelabt. Eine andere[S. 142] Art, die sogenannte Zwergpalme[47], findet sich in diesen Ländern an felsigen Hängen sogar überall wild. — In gut gehaltenen hohen Gewächshäusern wachsen übrigens auch bei uns manche Palmen zu stattlichen Bäumen heran. So erinnere ich mich, in dem wundervollen Palmenhause der berühmten Kew gardens in London verschiedene Prachtexemplare in voller Blüte gesehen zu haben.

Fritz: Dann sind die Blüten wohl sehr hübsch?

Dr. E.: Das kann man nicht gerade sagen; die einzelnen Blüten sind sogar recht unscheinbar. Aber sie sind zu Hunderten und oft zu Tausenden zu gewaltigen Rispen vereinigt, welche in riesigen Büscheln oder Wedeln zwischen dem Schirmdach der Blätter sich herabsenken.

Hans: Und nachher werden das lauter Datteln oder Kokosnüsse?

Dr. E.: O, beileibe nicht. Die große Mehrzahl der Blüten kann gar keine Frucht ansetzen, denn sie enthalten nur Staubgefäße. Aus den Blüten mit Stempeln entwickeln sich aber selbst bei einer reich tragenden Kokospalme selten mehr als 100-150 Nüsse im Jahre. Bei andern Palmenarten, wie der Dattel, bleibt die eine Hälfte aller Bäume beständig ohne Früchte, da sie nur Staubgefäßblüten und keine Stempelblüten besitzen. Beide Arten von Blüten sind hier also auf verschiedene Stämme verteilt. Ein weiblicher Dattelbaum trägt dann allerdings später meist mehrere tausend Früchte.

Fritz: Ich habe mich schon oft gewundert, daß die Pflanzen, die doch zu derselben Familie der Palmen gehören, so verschiedene Früchte haben, wie Kokosnuß[48] und Dattel. Die eine ist eine kopfgroße, harte Nuß mit merkwürdiger Faserschicht um die holzige Schale, und die andere ist außen so fleischig, daß man sie wie eine Pflaume essen kann.

Dr. E.: Die Verschiedenheit ist doch nicht so groß, wie du denkst. Der Bau des Fruchtknotens ist bei allen Palmen der gleiche, und nur in der spätern Ausbildung oder Entwicklung der einzelnen Teile treten dann allerlei Besonderheiten auf. Daß die äußere Fruchtschale das eine Mal holzig, das andere Mal fleischig wird, findet sich ja beispielsweise auch bei unsern Nachtschattengewächsen: Der Stechapfel hat eine trockene, aufspringende Kapselfrucht, die Kartoffel eine Beere. Im innern Bau aber sind beide gleich.

[S. 143]

Fritz: Was hat denn die dicke Faserschicht um die Kokosnuß für einen Zweck?

Dr. E.: Wenn ich dir nach der Anschauung recht vieler Menschen antworten wollte, welche glauben, daß alles in der Natur nur für sie da sei, so würde ich sagen: Damit der Mensch sich allerlei Flechtwerk, Besen, Bürsten und Matten daraus machen könne. Der Botaniker aber weiß, daß diese Faserschicht weiter nichts ist als ein rechter und echter Schwimmgürtel, durch den die Nüsse befähigt sind, weite Reisen zwischen den Inseln des Stillen Ozeans zu unternehmen. Die holzige Schicht darunter verhindert dabei das Eindringen des schädlichen Seewassers in den Kern, der sonst seine Keimkraft verlieren würde.

Kurt: Und die Milch, die im Kern ist?

Dr. E.: Nun, wir haben ja neulich erst besprochen, daß im Innern jedes Samens ein kleines Pflanzenkind schlummert —

Kurt: Ach, das ist großartig, daß die jungen Kokosnußpflänzchen auch Milch bekommen, wie die Kinder!

Dr. E.: Schön wär’s, Kurt. Nur schade, daß diese „Milch“ der Hauptsache nach nichts weiter ist als reines Wasser, — und von Wasser pflegen Kinder doch nicht fett zu werden.

Kurt: Das ist wahr. Dann wird diese Milch den Pflänzchen wohl wenig nützen.

Dr. E.: Wenigstens nicht so, wie du dachtest. Dafür ist ja auch die dicke Außenschicht des Kerns vorhanden, die ihr so gern eßt, und in der eine Menge Nahrungsstoffe aufgespeichert sind, die von dem Keimpflänzchen durch Anlagerung seiner Keimblätter an diese Schicht nach und nach aufgezehrt werden. Trotzdem ist das Wasser im Innern durchaus nicht überflüssig.

Kurt: Oh, daß die Pflanzen beim Keimen Wasser brauchen, weiß ich schon. Deshalb muß man ja die Samen auch immer begießen, die man gepflanzt hat. Aber warum die Kokosnüsse dies Wasser nun gleich bei sich haben müssen, verstehe ich nicht recht.

Dr. E.: Es scheint, als wenn das mit dem Standort zusammenhängt, an dem die Kokosnüsse keimen. Das ist der salzige Meeresstrand, und da dürfte es für die junge Keimpflanze wichtig sein, daß sie zunächst das von der Mutter mitgegebene süße Wasser beim Aufbau ihrer ersten Blätter und Wurzeln verwenden kann, ehe sie zu dem für viele Pflanzen so schädlichen Salzwasser ihre Zuflucht nehmen muß.

[S. 144]

Fritz: Zu wunderbar, wie die Natur sich immer zu helfen weiß! — Sag’ mal, wird nicht aus der dicken Außenschicht des Kerns, die man essen kann, auch das Palmöl gewonnen?

Dr. E.: Nein, Fritz. Da wirfst du zwei Dinge zusammen, die allerdings in ihren Eigenschaften und ihrem Gebrauch ziemlich viel Ähnlichkeit haben. Die Kerne der Kokospalme liefern zerschnitten die sogenannte Kopra, einen wichtigen Handelsartikel Ostindiens und der Südsee. Aus dieser wird Kokosöl gewonnen. Das Palmöl hingegen stammt hauptsächlich von einer afrikanischen Palme, der Ölpalme[49]. Ihre Früchte sind nicht größer als kleine Pflaumen und haben auch wie diese ein saftiges Fruchtfleisch und einen festen Kern. Aus dem Fruchtfleisch gewinnen bereits die Neger durch Kochen und Auspressen eine Menge Öl, das fast wie Butter aussieht; die Kerne aber kommen als Palmkerne meist nach Europa und werden hier ebenfalls auf Öl verarbeitet. — Neben der Ölpalme benutzt man auch noch eine Reihe anderer Arten zur Ölgewinnung.

Kurt: Gibt es denn so viele Palmenarten?

Dr. E.: Jedenfalls mehr als du denkst. Es sind bereits über achthundert verschiedene beschrieben worden.

Kurt: Das hätte ich nicht gedacht. Kennst du denn die alle?

Dr. E.: O nein, mein Junge. Dazu gehört selbstverständlich ein jahrelanges eingehendes Studium. Und an unsern paar Zimmer- und Gewächshauspalmen kann man das überhaupt nicht lernen. Viele Arten sind wohl noch nie in Kultur genommen, und die Mehrzahl der andern bringt bei uns gerade die wichtigsten Merkmale, wie Stamm, Blüten und Früchte, kaum je zur vollen Ausbildung.

Fritz: Sind denn die Stämme auch verschieden?

Dr. E.: Gewiß. Für gewöhnlich gleicht der Palmstamm bekanntlich einer einfachen, geraden Säule, an deren Ende die mächtigen Blätter sich schirmförmig nach allen Seiten ausbreiten. Dieser Stamm kann nun fast glatt oder geringelt sein, oder er ist dicht mit den Überresten abgestorbener Blätter, ja auch wohl mit Dornenreihen besetzt. Bei manchen Arten teilt sich der Stamm in eine Reihe von Ästen, deren jeder eine Blattkrone trägt, wie bei der in Oberägypten[S. 145] so häufigen Dumpalme[50], und noch wieder bei andern ist er ganz kurz und fast unterirdisch.

Kurt: So sieht es ja immer bei unsern Zimmerpalmen aus. Einen ordentlichen Palmenstamm habe ich noch nie gesehen.

Dr. E.: Da wirst du wohl ein wenig im Irrtum sein. Oder solltest du nie in deinem Leben die Bekanntschaft mit einem sehr nützlichen Instrument gemacht haben, das man für gewöhnlich zum Rockausklopfen braucht, manchmal sogar, wenn noch ein Junge in dem Rock drinsteckt?

Kurt: Du meinst den Rohrstock? Aber den habe ich nicht für einen Palmenstamm gehalten. Er heißt ja auch „spanisches Rohr“, und Rohr oder Schilf gehört doch zu den Gräsern.

Dr. E.: Aus allem dem folgt weiter nichts, als daß die Leute, welche zuerst die Pflanzen überseeischer Länder kennenlernten, eben nicht immer Botaniker waren. Es gibt in der Tat zwei ganz verschiedene Dinge, die beide mit dem Namen „spanisches Rohr“ belegt werden. Das eine ist wirklich ein Gras[51], und zwar das größte, das wir in Europa haben, denn es erreicht über doppelte Mannshöhe und hat einen bis armdicken, sehr festen, fast holzigen Halm. Die bekannten, ineinander schiebbaren Angelstöcke sind häufig aus diesem Gras gemacht, das in Südeuropa weit verbreitet ist und zu allen möglichen Dingen verwendet wird. Das andere spanische Rohr, auch Stuhlrohr oder Rotang[52] genannt, ist eine ostindische Palmengattung mit vielen Arten. Sie zeigen allerdings in ihrem ganzen Aussehen etwas Grasartiges, haben sonst aber mit den Gräsern nicht die geringste Verwandtschaft. Aus diesem Rotang werden neben zahllosen andern Sachen namentlich auch unsere Rohrstühle geflochten. Du sitzt also in diesem Augenblicke auf zerfaserten Palmenstämmen, die du noch nie gesehen zu haben glaubtest.

Fritz: Aber wie unterscheidet sich denn das Schilfrohr von dem Rotang?

Dr. E.: Natürlich so, wie sich überhaupt Palmen von Gräsern unterscheiden. Sieh dir doch einmal den Querschnitt eines Rohrstocks an und vergleiche ihn mit dem unseres Schilfrohrs. Ist denn das nicht grundverschieden?

Fritz: Ja, das muß ich zugeben: Der Rohrstock ist ganz solide im Innern; er zeigt lauter kleine Poren, wie mit Nadeln gestochen. Ein[S. 146] Rohrhalm aber ist im Innern hohl und hat nur hie und da feste Zwischenwände, die sogenannten Halmknoten.

Dr. E.: Ich könnte dir außerdem erzählen, daß die Blätter des Rotang ebenso wie die der meisten Palmen gefiedert sind, während die Gräser stets einfache, lineale Blätter haben. Nicht minder verschieden sind dann Blütenbau und Früchte.

Bambus

Hans: Ist denn nun der Rohrstock dasselbe wie Bambus?

Dr. E.: Nein, mein Hansel, da kommst du noch wieder mit einer dritten Sorte von Pflanzen, die zu Stöcken verarbeitet werden. Die Bambusgewächse[53] sind keine Palmen, sondern ebenfalls Gräser, wenn auch von einer Höhe und Gewaltigkeit, von der wir uns kaum eine Vorstellung machen können. Sie sind völlig baumartig, und einzelne Arten erreichen eine Höhe bis zu vierzig Metern. Die undurchdringlichen Dickichte Ostindiens, die sogenannten Dschungeln, bestehen vorwiegend aus diesen Gräsern, welche bekanntlich so schnell emporschießen, daß man dort im wahrsten Sinne des Wortes das Gras wachsen sehen kann. Namentlich die knotigen Wurzelschößlinge, das sogenannte Pfefferrohr, werden bei uns viel zu Schirmstöcken, Pfeifenrohren usw. verarbeitet.

Fritz: Kann man denn die Palmen nicht an den Blättern unterscheiden?

Dr. E.: Bis zu einem gewissen Grade wohl. Im wesentlichen aber gibt es nur zwei Hauptformen des Blattes: Das fächerförmige oder gefingerte, und das gefiederte, wonach man dann gewöhnlich Fächerpalmen und Fiederpalmen unterscheidet. Zu den Fächerpalmen gehören von bekannteren Arten vornehmlich die echte Fächerpalme[54] Indiens und die Zwergpalme[55] Südeuropas; zu den Fiederpalmen die Kokospalme[56], Dattelpalme[57], Ölpalme[58], die echte Sagopalme[59] und die Rotangpalme[60].

Kurt: Und die Dracaenen in unserer Balkonstube, die doch auch so einen schlanken geringelten Stamm haben mit einem Blattschirm am Ende, gehören nicht zu den Palmen?

Dr. E.: Nein, die gehören in die Nähe des Spargels und der Maiblume. Schon die einfachen, lanzettlich linealischen Blätter lassen[S. 147] auf den ersten Blick erkennen, daß wir es nicht mit einer Palme zu tun haben.

Fritz: Warum heißen denn diese Pflanzen eigentlich „Drachenbäume“? Dracaena ist ja nur die lateinische Übersetzung.

Drachenbäume. Harz

Dr. E.: Mit dem Namen „Drachenbäume“ belegt man eine ganze Reihe von Pflanzen, von welchen ein dunkelblutrotes Harz, das sogenannte „Drachenblut“, gewonnen wird. Dasselbe war früher in der Medizin hoch geschätzt und wurde mit Gold aufgewogen, während es heute nur noch zu Polituren, Firnissen usw. Verwendung findet. Das meiste Harz kommt von einer ostindischen Palmenart, der Drachenpalme[61], in den Handel; auch ein westindischer Baum mit Schmetterlingsblüten[62] liefert ziemlich viel davon. Am berühmtesten aber war das Drachenblut einer Dracaena auf den Kanarischen Inseln, des seltsamen, fast vorsintflutlich gestalteten Drachenbaumes[63], deren einer, von gewaltigem Umfange und nach Alexander von Humboldts Schätzung viele tausend Jahre alt, von den Ureinwohnern der Inseln, den tapfern Guanchen, als heilig verehrt wurde. Er stand in dem Städtchen Orotava und ist erst in den 60er Jahren durch einen Sturm vernichtet worden. Von diesem kanarischen Drachenbaum, der übrigens gewiß herzlich wenig Drachenblut lieferte, hat die ganze Gruppe der Dracaenen, die ja zu den beliebtesten Zimmerpflanzen gehört, ihren Namen erhalten.

Kurt: Inwiefern sind sie denn mit unserm Spargel verwandt?

Dr. E.: Nun, du könntest sie auch als baumförmige Lilien bezeichnen. Im Bau ihrer Blüten, die ja gar nicht so selten auch bei uns als reichblütige violette Rispen zur Entwicklung kommen, gleichen sie ihnen vollständig, und die Frucht ist wie beim Spargel und Maiglöckchen eine dreisamige rote Beere.

Fritz: Was für einen Zweck hat denn eigentlich dieses Drachenblut in der Pflanze?

Dr. E.: Wie ich schon sagte, gehört das Drachenblut zu den Harzen, die gleich den flüssigen Balsamen im Pflanzenreiche weit verbreitet sind. Ich erinnere nur an das Harz unserer gewöhnlichen Kiefern und Fichten. Was für eine Bedeutung diese Harze für die Pflanze haben, ist wohl noch nicht ganz sicher festgestellt. Aller Wahrscheinlichkeit[S. 148] nach handelt es sich um Stoffe, die bei den chemischen Vorgängen im Innern der Pflanze als unbrauchbar ausgeschieden wurden und nun in röhrenartigen Hohlräumen zwischen dem Gewebe, in den sogenannten Harzgängen, sich ansammeln. In vielen Fällen indes erscheint die reichliche Harzbildung geradezu als eine Krankheit. So kann man bekanntlich das Holz unserer Tannen „kienig“, d. h. reich an Harzen machen, wenn man sie verwundet.

Fritz: Wird denn nicht auf ähnliche Weise, ich meine durch Reißen von Wunden in den Stamm, das Harz aus unsern Fichten gewonnen?

Terpentin. Gummi. Kautschuk

Dr. E.: Allerdings. Was in den sogenannten Harzgängen unserer Nadelhölzer zunächst vorhanden ist, heißt Terpentinöl und ist dünnflüssig. Nachdem es aber aus der Wunde herausgeflossen ist, verändert es sich teilweise unter dem Einfluß der Luft, es „verharzt“ und wird zäher. Man erhält so den gewöhnlichen Terpentin, der demnach als eine Mischung von Terpentinöl und Harz zu bezeichnen ist.

Kurt: Ist denn der Kirschgummi an unsern Pflaumen- und Kirschbäumen auch durch eine Verwundung hervorgerufen?

Dr. E.: Ja. So wie es eine Harzkrankheit gibt, so gibt es bei manchen Pflanzen auch eine Gummikrankheit. Aus beiden aber weiß der Mensch Vorteil zu ziehen. Denn wie er das Harz einsammelt, um allerlei nützliche Stoffe daraus zu machen, wie Terpentin und Kolophonium, so benutzt er auch das Gummi verschiedener Pflanzenarten zu mannigfachen Zwecken.

Kurt: Oh, Radiergummi und Gummibälle haben wir ja sogar hier im Hause.

Dr. E.: Nein, Kurt, an die habe ich zunächst nicht gedacht; die gehören in ein ganz anderes Kapitel. Ich hatte in erster Linie das Gummiarabikum im Auge, das ihr ja aber auch kennt. Es fließt in ganz ähnlicher Weise wie unser Kirschgummi aus der Rinde afrikanischer Akazien oder Mimosen heraus, um bald an der Luft zu spröden, glasglänzenden Stücken zu erhärten. In Wasser gelöst liefert es dann ein vorzügliches Klebmittel.

Kurt: Aber unser Radiergummi stammt doch auch von einer Pflanze?

Dr. E.: Allerdings, und sogar von einer, die wir hier im Zimmer haben.

Fritz: Du meinst doch nicht unsern Gummibaum?

[S. 149]

Dr. E.: Und warum sollte ich den nicht meinen?

Fritz: Ich habe doch nie auch nur die geringste Spur Gummi an ihm bemerkt.

Dr. E.: Das will ich wohl glauben. Denn hier handelt es sich auch nicht um eine Krankheit, wie bei den Kirschbäumen und Mimosen, bei denen das Gummi aus einer Wunde nach außen tritt. Beim Gummibaum gehört die Bildung des Gummis ebenso zu den regelmäßigen Lebensvorgängen, wie bei den Tannen die Bildung des Harzes in den Harzröhrchen. Wir müssen also das Gummi im Innern der Pflanze suchen.

Kurt: Da wäre ich aber doch riesig neugierig!

Dr. E.: Nun, ich denke, ein Blatt können wir schon opfern. Bringt mal den Baum her. — So, jetzt habe ich den Blattstiel durchgeschnitten. Seht ihr etwas?

Fritz: Ich sehe weiter nichts, als einen Tropfen weißen Milchsaft, wie ihn auch die Wolfsmilch hat.

Dr. E.: Und gerade dieser weiße Milchsaft ist der Saft, aus dem eure Gummibälle gemacht werden.

Kurt: Ach, das ist gediegen! Ein Gummiball aus Milch klingt ja wie die reinste Zauberei!

Dr. E.: Und doch ist die Sache ziemlich einfach. Vorhin habe ich euch erzählt, daß das flüssige Terpentinöl der Tanne an der Luft sich verändert und zu festem Harz wird. Ähnlich ergeht es diesem weißen Milchsaft; er gerinnt an der Luft und bildet dann eine ungemein zähe, elastische Masse.

Fritz: Aber das Gummi sieht doch dunkel aus, und dieser Milchsaft ist weiß!

Dr. E.: Das ist wohl nicht allzuschwer zu erklären, wenn wir an die Zubereitungsarten denken. Die einfachste, im Innern Afrikas gebräuchliche ist die, daß die Eingeborenen ihren Körper mit dem Milchsaft beschmieren, ihn hier eintrocknen lassen und dann die zähe dünne Schicht auf Stäbchen wickeln. Sollte er dabei wohl so ganz sauber bleiben? In andern Gegenden wird der eingesammelte Milchsaft auf sog. Formhölzer gestrichen oder in Pfannen geräuchert und erscheint dadurch später ebenfalls dunkel gefärbt, doch kommen auch weiße oder gelbe Sorten in den Handel.

Kurt: Ich dachte gar nicht, daß es verschiedene Sorten gäbe.

[S. 150]

Dr. E.: Das Gummielastikum oder Kautschuk ist ein sehr verbreiteter Körper. Man kennt nicht weniger als 30 verschiedene Baumarten, aus denen es gewonnen wird. Freilich ist ja die Verwendung des Kautschuks auch so mannigfach und namentlich in jüngster Zeit so massenhaft, daß kaum genug davon beschafft werden kann.

Hans: Ach ja, die Gummischuhe werden auch daraus gemacht und die Gummireifen der Automobile und Fahrräder!

Dr. E.: Ja, mein Junge, und noch viele andere Dinge, von denen du dir wohl nichts träumen läßt. Hätte der Chemiker keine Gummischläuche und Gummikorke, es wäre schlimm mit seinen Experimenten bestellt. In der Medizin werden zahlreiche Geräte aus Gummi angefertigt, in der Physik leistet es als Nichtleiter der Elektrizität ganz hervorragende Dienste. Ja, auch Trinkgefäße, Kämme, Knöpfe, Hörrohre und Musikinstrumente werden aus diesem Stoffe angefertigt.

Fritz: Aber Kämme und Knöpfe müssen doch hart sein!

Dr. E.: Das sind sie auch. Der Kautschuk hat eben unter vielen andern Vorzügen die wunderbare Eigenschaft, zusammen mit Schwefel eine feste, hornartige Masse zu bilden, die ganz so wie Horn oder Holz mit Säge, Hobel und auf der Drehbank verarbeitet werden kann.

Kurt: Das hätte ich doch nicht gedacht, daß unser langweiliger Gummibaum so nützlich wäre. Nun möchte ich auch wissen, was er denn eigentlich für Blüten hat.

Dr. E.: Bei uns wird er dir den Gefallen wohl nicht tun und blühen. Aber dicht neben ihm steht zufällig ein ganz naher Verwandter, an dem kannst du am Ende die Blüten studieren.

Kurt: Da steht bloß ein Feigenbaum; ist der etwa mit ihm verwandt?

Feigenbaum

Dr. E.: Freilich. Beide gehören sogar zu derselben Gattung. Der Feigenbaum führt den lateinischen Namen Fícus cárica, während der Gummibaum als Fícus elástica bezeichnet wird.

Kurt: Schade! Unser Feigenbaum hat gar keine Blüten mehr; er hat nur noch Früchte.

Dr. E.: Sollte das wirklich wahr sein?

Fritz: Ja, Vater, das ist eine wunderbare Geschichte mit dem Feigenbaum. Ich habe schon so oft aufgepaßt und wollte einmal die[S. 151] Blüten sehen. Aber ich hab’s nie beobachten können; es waren immer schon ganz kleine Feigen.

Dr. E.: Das scheint mir allerdings sehr merkwürdig! Hast du denn schon mal eine Feige aufgeschnitten?

Fritz: Nein, das nicht; ich durfte ja keine abpflücken.

Dr. E.: Nun, so will ich’s dir jetzt erlauben. Da, nimm diese hier, die schon fast ausgewachsen, aber noch grün ist.

Fritz, nachdem er die Feige der Länge nach durchgeschnitten: Ih, die ist ja inwendig ganz hohl?

Dr. E.: Und weiter bemerkst du nichts?

Fritz: Ja, es sieht fast aus, als wenn ein Loch an der Spitze nach außen führt, das nur durch ein paar kleine Blättchen verschlossen wird. Der Hohlraum selbst aber ist mit merkwürdigen kleinen gestielten Keulen ausgekleidet. Das können doch nur die Samen sein.

Dr. E.: Wenn die Feige eine Frucht wäre, wie du glaubst, so hättest du recht. In Wirklichkeit aber sind alle diese kleinen Keulen im Innern weiter nichts, als ebensoviele Blüten, in denen sich später je eine kleine harte Frucht, ein sogenanntes Nüßchen, ausbildet.

Fritz: Aber das ist ja kaum zu begreifen, Vater!

Dr. E.: Ja, seltsam genug ist die Sache. Die Feige ist eben keine Frucht, sondern ein hohler Blütenstiel. Während nun bei andern Pflanzen die Blüten, etwa zu einer Ähre vereinigt, außen an diesem Blütenstiel sitzen, sind sie bei der Feige in das Innere desselben versenkt und bilden so die Auskleidung seiner weiten, bauchigen Höhlung.

Kurt: Das hätte ich doch kaum für möglich gehalten, daß ein ganzer Zweig mit vielen Blüten so völlig wie eine einzige Frucht aussehen kann.

Dr. E.: Aber daß ein ganzer Blütenstand aus vielen Blüten wie eine einzige Blüte aussehen kann, hast du doch schon oft gehört.

Kurt: O gewiß! Das ist ja bei allen Korbblütlern so. Die Sonnenblumen, Kamillen und Gänseblümchen zeigen das sehr schön.

Dr. E.: Nun also! Außerdem haben wir ein sehr hübsches Beispiel hierfür an einer unserer häufigsten Blattpflanzen. Seht nur hin, da blüht sie ja!

Fritz: Ach, die Kalla![64] Ja, das haben wir mal in der Schule gehabt. Das weiße Blatt der sogenannten Kallablüte ist nur ein gefärbtes Hochblatt, und der gelbe Kolben, der da herausguckt, ist ein ganzer Blütenstand von vielen kleinen unscheinbaren Blüten.

[S. 152]

Dr. E.: Sehr schön, Fritz. Weißt du denn, wie man die Pflanzenfamilie nennt, zu der unsere Kalla gehört?

Fritz: Ja, das ist die Familie der Arongewächse. Wir haben ja auch in unsern Sümpfen eine Kalla-Art[65], die fast gerade so aussieht wie die Topf-Kalla, und außerdem gibt es noch den Aronstab[66], der in den Wäldern wächst und ein grünes Hochblatt hat.

Dr. E.: Dann könntest du als dritten im Bunde noch den schilfartigen Kalmus[67] nennen, der überall bei uns am Wasser sich findet. — In den Tropen haben übrigens die Arongewächse eine große Bedeutung, und viele werden ihrer schönen Blätter wegen in Treibhäusern gezogen. Auch unser Philodendron mit den seltsamen runden oder ovalen Löchern in den Blättern ist ein Arongewächs.

Kurt: Gehören denn die Begonien auch dazu?

Begonien. Farne

Dr. E.: O, ganz und gar nicht. Die Begonien oder Schiefblätter bilden eine ganz eigenartige Familie, die gar keine näheren Verwandten hat. Ihr braucht euch die ganz ungewöhnlichen Blüten ja nur einmal genauer anzusehen. Verraten will ich noch, daß sie wie bei den Palmen von zweierlei Art sind, indem auch hier Staubgefäße und Stempel sich nicht in derselben Blüte finden.

Fritz: Ist es denn wahr, Vater, daß man diese Pflanzen durch ein einzelnes Blatt vermehren kann?

Dr. E.: Allerdings. Man hat nur nötig, ein abgeschnittenes Blatt an verschiedenen Stellen der saftigen Blattrippen einzuritzen und dann auf feuchte Erde zu legen. An jeder Wundstelle wächst nach kurzer Zeit aus dem Blatt ein junges Pflänzchen hervor.

Fritz: Ist denn das nicht was sehr Merkwürdiges?

Dr. E.: Nun, so ganz vereinzelt ist diese Erscheinung nicht. Bei manchen Farnkräutern[68], die häufig gezogen werden, könnt ihr sogar sehen, wie scheinbar ganz ohne irgendwelche Veranlassung überall auf dem Laube des Wedels junge Pflänzchen hervorknospen, die dann abfallen und am Boden wurzeln.

Kurt: Kann man denn die Farnkräuter auch als Blattpflanzen bezeichnen?

Dr. E.: Ich denke, diese doch wohl in erster Linie. Denn der Blüten wegen wird doch die schwerlich jemand ziehen.

[S. 153]

Kurt: Ja, das will ich glauben! Die haben doch nur so kleine schwarze Tupfen auf den Blättern, in denen ja wohl die Samen stecken.

Dr. E.: Wenigstens kann man dieses staubfeine Pulver, was da herauskommt, insofern mit dem Samen vergleichen, als daraus junge Pflänzchen sich entwickeln. In Wirklichkeit ist die Entwicklung eines Farnkrautes freilich nicht so einfach, und ihr würdet euch schön wundern, wenn ich euch seine ganze Lebensgeschichte erzählen wollte. Dazu aber müßt ihr wohl noch ein wenig älter werden.

Schlussbild Zwölfter Abend

[S. 154]

Titelbild Dreizehnter Abend

Dreizehnter Abend.

Dr. E.: Na, Kurt, was hast du denn da Schönes in deiner Schachtel? Das sieht ja ganz geheimnisvoll aus.

Kurt: Ja, denke nur, Vater, heute, wo wir doch noch im Februar sind, habe ich den ersten Schmetterling gefangen. Nun muß es doch bald Frühling werden.

Dr. E.: Da bin ich doch wirklich neugierig. — Ei, ein hübsches lebendes Tagpfauenauge! Wo ist dir denn das in die Hände gefallen?

Kurt: Heute mittag war es, als ich auf dem Boden das eine Dachfenster ein wenig öffnen wollte, weil die Sonne so schön schien. Da saß das Tier an einem Dachbalken und klappte mit den Flügeln.

Falter als Frühlingsbote. Winterschlaf

Dr. E.: Und wurde dann als Frühlingsbote von dir eingesperrt. — Sollen wir denn nun nicht den Zeitungen Nachricht geben? Sonst kommen dir am Ende andere zuvor und bringen dich um den Ruhm, das Nahen des Lenzes zuerst entdeckt zu haben.

[S. 155]

Kurt: Ich weiß nicht, Vater, warum du so ironisch bist. Ist es denn nicht wahr, daß die Schmetterlinge durch ihr Auskriechen aus der Puppe den Frühling anzeigen? In Schnee und Eis, und wenn alles kahl ist, können sie doch nicht leben. Außerdem steht es ja auch in jedem Frühjahr in der Zeitung, wenn die ersten Schmetterlinge beobachtet werden.

Dr. E.: Das letztere ist allerdings richtig, beweist aber in diesem Falle weiter nichts, als daß weder die Einsender solcher Notizen, noch die Redaktionen der Zeitungen sich in dem Besitz auch nur des bescheidensten Schmetterlingsbüchleins befinden. Sonst würden sie wissen, daß gerade diese Falter, die in den ersten sonnigen Tagen des scheidenden Winters so häufig gefunden werden, wie der Fuchs, der Zitronenfalter, das Tagpfauenauge und andere, durchaus nicht der Puppe entschlüpft sind, sondern vom Herbst her an irgendeinem versteckten Plätzchen überwintert haben. Es sind Weibchen, die erst im kommenden Frühling ihre Eier ablegen wollen, ehe sie sterben. Oft werden die Tiere natürlich durch die wärmeren Strahlen der Sonne hervorgelockt; häufig aber, und namentlich, wenn sie in unsern Häusern Unterschlupf gefunden haben, sind sie einfach in ihrer Ruhe vorzeitig aufgestört worden und werden nun für das Kommen des Frühlings verantwortlich gemacht.

Fritz: Das ist mir auch neu, daß Schmetterlinge überwintern. Da können sie doch keine Nahrung finden.

Dr. E.: Die brauchen sie auch nicht. Sie verfallen eben in eine Art Winterstarre oder Winterschlaf, wie viele andere Tiere. In der Schule werdet ihr das wohl nur von dem Hamster, dem Murmeltier, dem Igel und andern Säugetieren besprochen haben; bei den Insekten aber ist diese Erscheinung jedenfalls noch viel allgemeiner verbreitet.

Kurt: Und wo findet man diese schlafenden Insekten?

Dr. E.: Schade, daß augenblicklich wieder Schnee liegt. Sonst könnten wir mal eine Winter-Exkursion auf Insekten unternehmen. Als Knabe habe ich das fleißig betrieben und viel dabei gelernt. Es war ein hochstämmiger Tannenwald mit dichtem Moospolster, zu dem ich am liebsten meine Schritte lenkte. Da hättet ihr einmal sehen sollen, was ich alles unter dem Moose, unter Laub und aus dem Innern vermorschter Baumstämme hervorzaubern konnte. Nicht bloß Käfer aller Art und Larven und Puppen waren da, sondern auch Wespen,[S. 156] Hummeln, Schlupfwespen, Fliegen, Wanzen, Spinnen, Asseln und Tausendfüße, kurzum die ganze bunte Gesellschaft des Sommers, und viele von ihnen hatten sich niedliche Höhlen gegraben, in denen sie mit ihren erstarrten Gliederchen ausruhten.

Hausbewohner. Ratten. Dorfschwalbe

Kurt: Ach bitte, Vater, das wollen wir doch einmal machen! — Aber ist es nicht interessant, daß dieses Pfauenauge sich gerade unsern Hausboden als Zufluchtsort gewählt hat?

Dr. E.: Ich finde das nicht so außergewöhnlich. Gibt es doch zahllose andere Tiere, die auch gemerkt haben, einen wie prächtigen Unterschlupf die Wohnungen der Menschen gewähren. Viele derselben fühlen sich ja so wohl darin, daß sie kaum noch wo anders zu finden sind und wir sie gar nicht wieder los werden können.

Hans: Ja, Papa, jeden Tag schlägt Doris in der Küche welche von den großen, braunen Kakerlaken tot.

Dr. E.: Das glaub’ ich. Die gehören auch zu dieser Sippschaft. Aber sie sind eben nur ein Beispiel von vielen. Ich glaube kaum, daß es unter den Landtieren — Wassertiere verlangen ja andere Bedingungen — irgendeine größere Gruppe gibt, aus der nicht einige Arten sich die Wohnungen der Menschen zum Aufenthalt gewählt hätten.

Kurt: Also Wirbeltiere auch?

Dr. E.: Na, Kurt, ich denke doch. Oder sollte Mama die Mausefalle nur zum Vergnügen in ihrem Kleiderschranke aufgestellt haben?

Kurt: O weh! Da habe ich mich aber schön blamiert. An die Ratten und Mäuse habe ich gar nicht gedacht.

Dr. E.: Weißt du denn, wie viele Arten davon in unsern Häusern leben?

Kurt: Ich dachte, das wäre immer nur die Hausmaus und die Hausratte.

Dr. E.: Nicht doch. Neben der Hausmaus[69] finden sich wenigstens im Winter häufig noch die Waldmaus[70] und die Brandmaus[71], denen es dann draußen zu ungemütlich wird. Von Ratten aber müssen wir gegenwärtig drei unterscheiden, die sich vollständig dem Menschen angeschlossen haben: Die Hausratte[72], die Wanderratte[73] und die ägyptische Ratte[74].

Fritz: Die ägyptische? Wie kommt denn die hierher?

[S. 157]

Dr. E.: Durch Wanderung, wie auch die beiden andern Arten. Es ist nämlich eine höchst merkwürdige Geschichte mit den Ratten. Zuerst hatten wir wahrscheinlich allein die Hausratte. Sie scheint aus Persien zu stammen, muß aber schon im frühen Mittelalter nach Europa gekommen sein. 1727, nach einem starken Erdbeben, soll dann die Wanderratte aus den kaspischen Ländern ihren großen Zug nach Westen angetreten haben. Es wird berichtet, daß sie zunächst in gewaltigen Scharen über die Wolga setzte, Rußland bevölkerte und dann in wenigen Jahrzehnten nicht bloß ganz Europa, sondern fast die ganze Erde eroberte. Doch erscheint es nach neueren Forschungen nicht ausgeschlossen, daß sie auch schon vor jenem Wanderzuge in Europa heimisch war. Da sie stärker und größer ist als die Hausratte, so muß letztere in dem erbitterten Kampfe, den beide Arten um die Herrschaft führen, überall zurückweichen. Nur in entlegenen Weilern und hie und da in den oberen Stockwerken der Häuser, welche die Wanderratte nicht liebt, fristet sie noch ein kümmerliches Dasein. In neuerer Zeit ist nun namentlich in den südlicheren Ländern Europas auch der Wanderratte ein Konkurrent erwachsen, nämlich die vorhin erwähnte ägyptische Ratte oder Dachratte, deren Ausbreitung nach Westen ebenfalls ziemlich schnell vor sich zu gehen scheint. Auch bei uns hat sie sich schon hie und da heimisch gemacht.

Kurt: Kann man denn die Arten leicht unterscheiden?

Dr. E.: Wenn man die Merkmale kennt, gewiß. Das kannst du ja aber in jedem Zoologiebuche nachlesen, und wenn du wirklich einmal eine Ratte gefangen haben solltest, so will ich dir bei der Bestimmung schon helfen.

Fritz: Zu den Vögeln, die sich die Wohnungen der Menschen zunutze gemacht, würdest du wohl den Sperling[75] und die Hausschwalbe[76] rechnen?

Dr. E.: Die jedenfalls. Es gibt aber noch manche andere, die mit Vorliebe im Gemäuer nisten, wie das Hausrotschwänzchen[77], der Mauersegler[78], die Dohlen[79] und Schleiereulen[80].

Hans: Aber die bauen ihre Nester doch nur außen dran und leben nicht in den Wohnungen!

Dr. E.: Das ist doch nicht immer der Fall. Es gibt sogar einen Vogel, der bei uns niemals außen, sondern stets nur im Innern der[S. 158] Häuser, namentlich der Ställe und Scheunen, baut; es ist die Rauch- oder Dorfschwalbe[81], die eben wegen dieser Gewohnheit in manchen Gegenden auch wohl Stallschwalbe genannt wird.

Fritz: Hat die nicht so einen langen Gabelschwanz?

Dr. E.: Ja. Doch darfst du sie nicht mit dem Mauersegler verwechseln, dessen Schwanz ebenfalls so lang gegabelt ist. Der Mauersegler, der auch wohl Turmschwalbe genannt wird, obgleich er gar nicht zur Familie der Schwalben gehört, ist weit größer und fast einfarbig schwarz, die Rauchschwalbe hingegen hat eine kastanienbraune Kehle und eine hellroströtliche Unterseite. Ihr könnt sie schon aus der Ferne von unsern weißbäuchigen Stadtschwalben unterscheiden.

Kurt: Unter den Reptilien und Amphibien findet sich aber doch sicher keine Art, die sich bei uns eingenistet hat.

Dr. E.: Ich glaube, wenn unser Keller feucht wäre, wie dies ja häufig auf dem Lande der Fall, würdest du bald ein paar Prachtexemplare dickbäuchiger Kröten eingesammelt haben, die sich mit Vorliebe dort einfinden. Reptilien freilich gibt es glücklicherweise in unsern Häusern nicht, doch brauchtest du am Ende gar nicht so weit zu reisen, um auch dieses Vergnügen haben zu können.

Fritz: Ja, ich weiß, daß in den Tropen die Reisenden oft dadurch erschreckt werden, daß sich Schlangen in die Zimmer und selbst in die Betten eingeschlichen haben. Das muß eine grauliche Überraschung sein.

Dr. E.: O, so weit brauchten wir gar nicht zu reisen, um Reptilien in den Wohnungen zu finden, und zwar nicht nur als zufällige Gäste, sondern als ganz regelrechte Mitbewohner, die sich vollständig für das Leben in den Häusern eingerichtet haben.

Kurt: Aber doch jedenfalls nicht in Europa?

Geckos. Kakerlaken

Dr. E.: Doch, Kurt. Schon in Italien, Spanien oder Griechenland kannst du die Bekanntschaft der sog. Geckos[82] machen. Überall klettern sie des Abends mit ihren platten Scheibenfingern an den Wänden umher oder sitzen in den Gardinen und glotzen einen mit ihren großen Augen an.

Kurt: Sind denn die Tiere giftig?

Dr. E.: Nein, es sind die harmlosesten Geschöpfe von der Welt. Aber das abergläubische Volk hat eine heillose Angst vor ihnen, und[S. 159] ich erinnere mich, daß die wohlbeleibte Gattin unseres Türhüters in Neapel beinah in Ohnmacht sank, als ihr bei einer von mir veranstalteten Jagd so ein Tierchen unversehens auf die nackten Schultern fiel. — Doch nun wollen wir, wenn es euch Spaß macht, mal überlegen, was wir denn an wirbellosen Tieren in unserm Hause erwarten dürfen. Von den Weichtieren, die ja der Mehrzahl nach dem Wasser angehören und höchstens in einigen quabbeligen Kellerschnecken vertreten sein könnten, wollen wir absehen und uns gleich zu den Gliedertieren, insbesondere zu den Insekten wenden. — Nun, Hans, was meinst du, wie viele Ordnungen derselben werden wohl vertreten sein?

Hans: Ich weiß ja gar nicht recht, was eine Ordnung ist und wieviel es davon bei den Insekten gibt.

Dr. E.: Dann entschuldige, lieber Hans. Ich dachte nicht dran, daß ihr die Insekten in der Schule noch nicht durchgenommen habt. Aber Kurt wird schon aushelfen.

Kurt: Was eine Ordnung ist, muß er aber doch wissen! Die Klasse der Säugetiere wird ja auch zuerst in Ordnungen, dann in Familien usw. eingeteilt. Von den Insekten haben wir, glaube ich, sieben Ordnungen gehabt: Die Hautflügler, Käfer, Netzflügler, Geradflügler, Schmetterlinge, Fliegen und Schnabelkerfe.

Dr. E.: Damit wollen wir uns vorläufig begnügen. Kannst du mir denn jetzt angeben, Hans, von welcher dieser Gruppe sich Arten in unserer Wohnung finden könnten?

Hans: Ja, von den Käfern und von den Fliegen.

Dr. E.: Welche Käfer meinst du denn?

Hans: Die Feuerkäfer oder Kakerlaken, die so viel in der Küche sind.

Kurt: Ach, das ist gediegen! Die Kakerlaken oder Schaben sind ja gar keine Käfer, sondern Geradflügler, die mit den Heuschrecken zusammengehören.

Dr. E.: Und warum sind es keine Käfer?

Kurt: Weil ihre Flügel nicht hornig, sondern häutig sind und vor allem, weil sie keine ruhende Puppe haben wie die Käfer.

Dr. E.: Gut, Kurt. Hast du denn schon einmal die Eier unserer Kakerlaken gesehen?

Fritz: Sind das die großen braunen Dinger, die fast wie ein[S. 160] Damentäschchen aussehen und manchmal in der Küche liegen? Ich meine, ich hätte schon Tiere damit herumlaufen sehen.

Dr. E.: Was du da gesehen hast, sind nicht die Eier selbst, sondern höchst merkwürdige Eikapseln, wie sie sich nur bei wenigen Insekten finden. Wenn man sie öffnet, sieht man eine ganze Menge Eier in ihnen, zierlich in Reihen geordnet. Die Kapseln sind übrigens verschieden geformt. Die, welche du beschrieben, gehören der großen dunkelbraunen Kakerlake oder orientalischen Schabe[83] an, während die viel kleinere, hellbraune deutsche Schabe[84] mehr flach rechteckige und in der Quere geriefte Kapseln absetzt. Nach einiger Zeit springen diese Kapseln auf und die winzig kleinen, ungeflügelten Tierchen kriechen aus ihrem Gefängnis heraus.

Kurt: Neulich ist mir was sehr Schnurriges passiert. Da sah ich eine ganz schneeweiße Schabe auf unserm Feuerherd. Ich sperrte sie in eine Schachtel und wollte sie dir zeigen; als ich aber nach einigen Stunden wieder nachsah, da war es eine gewöhnliche braune.

Dr. E.: Da wirst du natürlich ein recht geistreiches Gesicht gemacht haben! An sich aber ist die Sache höchst einfach, wenn wir wissen, daß alle Insekten unmittelbar nach der Häutung zunächst ganz weiß sind, und daß die Häutung und Färbung ihres Chitinpanzers erst im Verlauf der nächsten Stunden erfolgt. Ein schwarzer Wasserkäfer, der aus seiner Puppe kriecht, sieht anfangs gerade so weiß aus, wie deine Kakerlake. — Aber gibt es denn nun überhaupt keine Käfer im Hause?

Fritz: O ja, die sogenannten Holzkäfer[85] in den alten Kommoden und Schränken, die so runde Löcher bohren.

Totenkäfer. Geradflügler. Fliegen

Kurt: Sind das dieselben, die ein so sonderbares Ticken verursachen, daß man sie als Totenuhren bezeichnet?

Dr. E.: Ja. Abergläubische Menschen haben in dem Klopfen, das diese Tierchen mit der Stirn gegen das Holz ausführen, und das man namentlich in stiller Nacht deutlich vernehmen kann, ein Zeichen des herannahenden Todes erblicken wollen. In Wirklichkeit ist es, wenn ich mich so ausdrücken darf, ein Lockruf, mit Hilfe dessen die Liebespärchen sich zueinander finden.

Fritz: Gibt es nicht auch noch eine andere Art Totenkäfer?

[S. 161]

Dr. E.: Ja, das sind große, ganz schwarze Tiere[86], die aber in unsern Wohnungen ziemlich selten sind. Ihr Hervorkriechen aus irgendeinem Winkel soll ebenfalls den Tod anzeigen. Weit häufiger sind die verschiedenen Arten der Speckkäfer[87], die Pelz-[88], Brot-[89] und Mehlkäfer[90], die ihr hauptsächlich in Küche und Speisekammer zu suchen habt. Aus alten Vorräten von Graupen, Erbsen, Linsen usw. würde Mutter euch wahrscheinlich ebenfalls allerlei Käfer[91] zur Verfügung stellen können, die aber meist erst zum Vorschein kommen, wenn man jene Früchte in Wasser einweicht.

Kurt: Dann wären also die Käfer sehr reichlich in den Wohnungen vertreten?

Dr. E.: Gewiß, sie bilden ja auch ohnehin die artenreichste Gruppe der Insekten. Neben ihnen machen sich jedoch auch die Geradflügler in mancherlei Formen bemerkbar.

Fritz: Das waren aber doch bloß die zwei Arten Kakerlaken.

Dr. E.: Diesen zweien könnten wir zunächst wohl noch eine dritte Art anreihen, die freilich aus Amerika stammt, jetzt aber namentlich in unsern Hafenstädten schon ziemlich verbreitet ist, nämlich die große amerikanische Schabe, Periplanéta americána. Sodann wollen wir die Heimchen[92] nicht vergessen, die bei jedem Bäcker zu finden sind und sich durch ihr lautes eintöniges „Cri-cri“ bemerkbar machen. In alten Büchern leben die winzigen Staub- oder Bücherläuse[93], die sich als nahe Verwandte der berüchtigten Termiten darstellen, auf unseren Blumentöpfen verschiedene Arten von Springschwänzen[94], die man wenigstens früher auch zu den Geradflüglern rechnete, während in der Speisekammer und zwischen altem Gerümpel das flinke Silberfischchen[95] sich tummelt, dessen flügelloser Körper über und über mit silberglänzenden Schuppen gepanzert ist.

Kurt: Das ist ja eine bunte Gesellschaft. — Dann wird es auch wohl verschiedene Sorten von Fliegen bei uns geben.

Dr. E.: Im Winter wohl schwerlich; da müssen wir uns eben[S. 162] mit den paar übriggebliebenen Stubenfliegen[96] behelfen. Im Sommer freilich ist das anders. Die großen blauen Brummer[97], die ich als Junge immer für die Männchen der Stubenfliege hielt, kennt ihr ja; ebenso die rotäugige Schmeißfliege[98] mit dem schachbrettartig gemusterten Hinterleib. Eine Art, die fast ebenso aussieht wie unsere Stubenfliege, nur ein wenig kleiner ist und einen hellern Bauch hat, ärgert uns durch ihre furchtbare Unverschämtheit, mit der sie sich immer wieder gerade auf unsere Stirn setzt, auch wenn wir sie zehnmal weggejagt haben. Es ist die Hundsfliege, Déxia canína. Wieder eine andere, die Stech- oder Blindfliege[99], ebenfalls einer kleinen Stubenfliege gleichend, quält Mensch und Vieh nicht wenig, denn sie vermag ganz empfindlich zu stechen. Daneben gibt es noch eine größere Zahl, die mehr gelegentlich in unsern Zimmern und an den Fensterscheiben sich herumtreiben.

Fritz: Kommen nicht aus den Käsemaden auch Fliegen?

Dr. E.: Ja, die hätte ich bald vergessen. Ihr könnt sogar zwei ganz verschiedene Arten aus dem Käse züchten. Die Maden der einen sind glatt und zeichnen sich durch ihre famosen Sprünge aus. Das ist die echte Käsefliege, Pióphila cásei. Etwas seltener findet man eine zweite Sorte bestachelter bräunlicher Maden, welche einer sogenannten Blumenfliege, der Anthomýia caniculáris angehören.

Mücken. Flöhe. Wanzen. Läuse

Hans: Im Hochsommer kommen ja auch die Mücken in unsere Schlafstuben.

Dr. E.: Sehr richtig, Hansel! Die haben es allerdings wohl weniger auf unsere Wohnungen, als auf uns selbst abgesehen, indem sie einfach den Menschen gerade für gut genug halten, um mit seinem kostbaren Blut ihren Appetit zu stillen. Wir in unserm kühlern Deutschland sind ja am Ende noch nicht so übel dran, wenn es auch gerade keine angenehme Musik ist, die uns von so einem halben Dutzend dieser Quälgeister beim Einschlafen vorgemacht wird. Wie geradezu unleidlich diese Plage indes in den Tropen wird, wenn die Moskito-Schwärme in solchen Scharen anrücken, daß man, wie Alexander v. Humboldt sagt, seinen Namen mit dem Stock hineinschreiben kann, davon werdet ihr ja wohl schon gehört haben.

Fritz: O, natürlich; das steht ja öfter in den Reisebeschreibungen.[S. 163] Ich habe aber neulich gelesen, daß diese Tiere durch ihren Stich auch das böse Sumpffieber verursachen, das ja wohl an vielen Orten in den Tropen herrscht.

Dr. E.: Ganz recht; es handelt sich hierbei um verschiedene Arten der Mückengattung Anópheles, die beim Stechen zugleich mit ihrem Speichel einen höchst gefährlichen, nur bei starker Vergrößerung sichtbaren Schmarotzer, das sogenannte Plasmódium, in unser Blut einführen, wodurch dann die gefürchtete Malaria-Krankheit entsteht. Tausende von Menschen gehen alljährlich an diesem Fieber zugrunde, und schon in Italien sind weite Landstrecken — denkt etwa an die Campagna und die Pontinischen Sümpfe — durch diese Plage fast unbewohnbar gemacht.

Fritz: Dagegen sind ja dann die andern Blutsauger in unsern Wohnungen noch harmlos zu nennen!

Dr. E.: Die andern Blutsauger? Welche Tiere meinst du denn damit?

Fritz: Ich denke an die Flöhe, die Bettwanzen und die Läuse, von denen es ja wohl auch noch wieder verschiedene Sorten gibt.

Dr. E.: Nun, hoffentlich kennst du diese Tiere nicht alle aus eigener Erfahrung! — Die Bettwanze[100] ist, sozusagen, einzig in ihrer Art; sie hat im Hause keine näheren Verwandten. Von Flöhen leben zwei Arten auf dem Menschen, der echte Menschenfloh[101] und der ihm nahestehende, etwas größere Hundefloh.[102] Von Läusen endlich gibt es drei Sorten, die den Herrn der Schöpfung heimsuchen. Von diesen sind die Kopf-[103] und die Kleiderlaus[104] am bekanntesten.

Kurt: Aber die kommen doch wohl nur bei ganz unreinlichen Menschen vor?

Dr. E.: Für gewöhnlich ja. Es gibt aber Verhältnisse, unter denen auch der Reinlichste sich ihrer kaum erwehren kann, wie im Kriege, wo die Kleider eben nicht nach Belieben zu wechseln sind. In tropischen Ländern, wie z. B. in Brasilien, sind übrigens die Kopfläuse selbst in feineren Familien durchaus an der Tagesordnung.

Hans: Da möcht’ ich dann nicht zu Besuch sein. — Zu welchen Insekten gehören denn die Flöhe und die Läuse?

Dr. E.: Für die Flöhe ist das nicht so leicht zu sagen. Früher[S. 164] hat man sie oft zu den Fliegen gestellt, weil ihre Maden und Puppen ganz denen der Zweiflügler gleichen; neuerdings betrachtet man die Flöhe lieber als eine besondere Ordnung für sich. Die Läuse hingegen gehören, wie die Bettwanze, in die Ordnung der Schnabelkerfe, die durch ihren Stechrüssel und den Mangel eines Puppenzustandes ausgezeichnet ist. Wir hätten somit im ganzen schon fünf Ordnungen von Insekten aufgezählt, die in unsern Wohnungen vertreten sind.

Kurt: O bitte, Vater, für unser Haus könntest du doch höchstens von vier sprechen, denn Wanzen haben wir nicht, und die andern lieblichen Vertreter der Schnabelkerfe, die Läuse, werden uns hoffentlich für immer fern bleiben.

Dr. E.: Dennoch findet sich selbst in diesem Zimmer noch eine ganze Anzahl von Schnabelkerfen, mit denen ich schon lange einen vergeblichen Kampf kämpfe, und für deren Vernichtung ich euch sehr dankbar wäre.

Fritz: Hier im Zimmer? Da würden wir wohl vergeblich suchen.

Blattläuse. Schildläuse. Ameisen

Dr. E.: Du brauchst dir morgen bei Tageslicht nur einmal die verschiedenen Pflanzen am Fenster anzusehen. Ich will gar nicht sprechen von den verschiedenen Blattläusen[105] an der Monatsrose, den Fuchsien und Nelken[106], die namentlich im Sommer ihr Unwesen treiben. Aber auch jetzt, mitten im Winter, sitzen überall am Oleander, an den Palmen, am Feigenbaum, am Efeu die verschiedenen Sorten von Schildläusen[107], welche mit ihrem langen Rüssel die Blätter angestochen und sich so gewissermaßen vor Anker gelegt haben.

Kurt: Ach, sind das diese braunen flachen oder halbkugeligen Dinger, die ganz fest auf den Blättern sitzen und gar nicht aussehen wie Tiere?

Dr. E.: Ja, die meine ich. Wenn die Tiere noch jung und klein sind, können sie noch ziemlich hurtig auf ihren Beinchen umherlaufen. Bald aber werden sie plump und unbeholfen, setzen sich dauernd fest und bekommen ihr schildförmiges Aussehen. Ihre Beinchen sind dann[S. 165] im Verhältnis zum Körper so winzig, daß man sie nur mit einem Vergrößerungsglase sehen kann.

Fritz: Was ist denn das für ein weißes Pulver, das man meist unter dem Schilde findet?

Dr. E.: Das sind ihre Eier. Die Weibchen sterben schließlich, nachdem sie ihre Eier abgelegt, an der Stelle, wo sie sich festgesogen, und bilden so noch im Tode ein Schirmdach für ihre Jungen. Das ist ein sehr hübsches Beispiel für die mannigfache Art, in welcher die junge Brut von den Eltern geschützt wird.

Kurt: Es bleiben nun noch die Ordnungen der Hautflügler, Netzflügler und Schmetterlinge. Von diesen gibt’s doch keine in den Häusern?

Dr. E.: In bezug auf die Netzflügler kann man das wohl zugeben, obgleich gerade die goldaugigen Florfliegen[108] im Hochsommer mit Vorliebe an unsern Fensterscheiben sich tummeln. Hautflügler gibt es völlig genug, wenn auch nicht gerade in unserer Wohnung. Wißt ihr noch, wie wir im vergangenen Sommer die unbewohnte Villa in Thüringen besuchten, was für ein seltsamer Anblick sich da in dem einen Parterrezimmer bot?

Fritz: O, da wimmelte ja alles von geflügelten Ameisen. Ein ganzer Schwarm war hereingebrochen und bedeckte nun Fußboden und Fensterbänke. Das sah ganz merkwürdig aus.

Kurt: An die Ameisen hatte ich wirklich nicht gedacht; die sind ja massenhaft in Tante Lottes Speisekammer. Es ist eine ganz kleine hellgelbe Sorte, die schrecklich beißen kann.

Dr. E.: Dieses Beißen wird wohl mehr ein Stechen sein, da ich nach deiner Beschreibung vermute, daß es sich um eine Art der Gattung Myrmíca handelt. Es nisten sich aber noch manche andere Arten in den Häusern ein, die kaum wieder los zu werden sind. Am tollsten treiben sie es ja freilich in den tropischen Ländern, wo man sich vor diesen gefürchteten Feinden kaum zu schützen vermag.

Hans: Von den Schmetterlingen hast du aber noch gar nichts gesagt.

Kurt: Na, denkst du vielleicht, daß dir die Zitronenfalter oder Ligusterschwärmer in der Stube nur so um den Kopf rumfliegen sollen?

[S. 166]

Dr. E.: O, nicht so voreilig, mein Junge! Auch Schmetterlinge haben wir in unserm Hause mehr als uns lieb ist. Du scheinst ganz vergessen zu haben, warum wir neulich unser hübsches Rehfell dem Feuer überliefert haben.

Motten. Spinnen. Milben. Asseln. Würmer. Infusorien

Kurt: Natürlich! Da habe ich wieder die verehrlichen Motten[109] vergessen! Wer denkt aber auch daran, daß diese ekelhaften Würmer in ihren Gehäusen Schmetterlinge werden!

Dr. E.: Und doch sind diese sogenannten Würmer ganz richtige Raupen, wie du dich leicht überzeugen kannst, wenn du einmal ihre Beine genauer betrachtest.

Kurt: Aber das Gehäuse, das sie machen, —

Dr. E.: Ist eine Gewohnheit, die sie mit vielen andern Schmetterlingen, z. B. den sogenannten Sackträgern, teilen.

Fritz: Durch so ein Gehäuse müssen die Tiere doch im Wachsen riesig beengt werden.

Dr. E.: Das ist nicht so schlimm, da sie es beliebig erweitern können. Das ist ein recht hübscher Versuch, den ihr vielleicht einmal nachmacht. Man setzt die Tierchen zunächst auf blaues Tuch; dann fertigen sie natürlich ein blaues Gehäuse. Bringt man sie dann auf rotes Tuch, so hat nach einiger Zeit jede sich einen hübschen roten Streifen eingeflickt und so ihre Wohnung erweitert.

Kurt: Die müssen ja dann aussehen wie Soldatenhosen! Aber wie ist es denn nur möglich, daß die Mottenraupen von Tuch oder Federn leben können?

Dr. E.: Für unsereinen wäre das allerdings eine recht mangelhafte Kost. Es müssen eben die Tiere eine ganz andere Fähigkeit der Verdauung haben als wir. Ähnliches sahen wir ja schon bei den Totenkäfern, die sich mit dem Holze hundertjähriger Kommoden begnügen, und schließlich ist diese Erscheinung doch kaum wunderbarer, als wenn ein Pferd monatelang mit Stroh und Häcksel allein seinen Hunger zu stillen vermag.

Fritz: Wenn man so alles zusammennimmt, so kommt doch eine ganz stattliche Zahl von Tieren heraus, die mit uns zusammenwohnen.

Dr. E.: Und doch haben wir bisher nur von den Insekten unter den Gliedertieren gesprochen. Jetzt wären noch die Spinnen, die[S. 167] Tausendfüße und Krebse zu betrachten, sowie ferner die Würmer und die übrigen niederen Tiere.

Hans: Ja, die Hausspinne[110] habe ich neulich auf dem Boden gründlich kennengelernt.

Dr. E.: Das ist nur eine Spinne von vielen. Daneben gibt es den drolligen kleinen Bücherskorpion[111] in alten Folianten, der immer so komisch mit seinen großen Scheren droht und rückwärts laufen kann, vor allem aber die zahlreiche Gesellschaft der Milben[112], die am Käse, im Mehl, an alten Backpflaumen zu finden sind. Selbst von unserm armen Kanarienvogel, unserm Hänschen, würden wir wahrscheinlich verschiedene Arten[113] absuchen können.

Fritz: Aber Krebse, Vater, und Würmer oder noch niedrigere Tiere?

Dr. E.: Selbst die wasserbewohnenden Krebse haben es fertiggebracht, sich in den menschlichen Wohnungen anzusiedeln. Freilich zum Essen würden sie euch wohl nicht recht passen; denn ich spreche von den Kellerasseln.[114] Würmer gibt es zunächst in den Blumentöpfen, und zwar nicht bloß Regenwürmer, sondern weit häufiger die kleinen weißlichen Formen, die man wohl geradezu als Blumentopfwürmer[115] bezeichnet. Wenn Mutter uns ferner etwas alten Essig, etwa von eingemachten Gurken, zur Verfügung stellen wollte, so würden wir sicher darin einen mikroskopischen Wurm, das sogenannte Essigälchen[116], in großen Mengen entdecken, und schließlich sind wir nicht einmal sicher, ob nicht in unserm eignen Körper sich allerlei Eingeweidewürmer auffinden ließen. — In bezug auf die allerniedersten Tiere, die sogenannten Infusorien, sind irgendwelche genaueren Angaben darüber, was in unserm Hause zugegen ist, wohl schwerlich zu machen, da sie nur in der Form von Keimen im Staube der Luft vorhanden sein dürften. Wollen wir sie studieren, so müßten wir erst die günstigen Bedingungen für deren Entwicklung herstellen.

Kurt: Also ungefähr so wie mit den Pilzkulturen?

Dr. E.: Na, ein bißchen anders ist es schon, da die Infusorien im Wasser leben. Man legt einfach Blätter, Heu oder ähnliche Stoffe in eine Schale mit Wasser und läßt es eine Zeitlang stehen. Es entwickelt[S. 168] sich dann bald ein reiches Leben der verschiedensten mikroskopischen Tierchen, die eben nach dieser Methode, sie durch Übergießen von Pflanzenstoffen mit Wasser hervorzuzaubern, den Namen „Aufguß“tierchen oder Infusorien erhalten haben. Wenn die Tage wieder länger werden, wollen wir mal so einen Aufguß herstellen, und ihr sollt dann selbst durch das Mikroskop beobachten, welch buntes Gewimmel zierlichster Formen sich aus dem Staube unserer Zimmerluft entwickelt hat.

Schlussbild Dreizehnter Abend

[S. 169]

Titelbild Vierzehnter Abend

Vierzehnter Abend.

Heute, Kinder, sagt Dr. Ehrhardt zu seinen Knaben, wird es wohl zum letztenmal sein, daß wir in diesem Winter unser Plauderstündchen abhalten. Am nächsten Sonntag bin ich verhindert, und in vierzehn Tagen ist der Frühling hoffentlich schon so weit ins Land gezogen, daß wir unsere Spaziergänge im Freien wieder aufnehmen können. Es ist doch ein ander Ding, das Wirken und Walten der Natur dort draußen in Feld und Flur, als hier im engen Studierzimmer zu beobachten.

[S. 170]

Fritz: Ja, Vater, wir sehnen uns auch schon sehr danach. Weißt du denn heute nicht noch etwas recht Interessantes zu erzählen?

Dr. E.: Mir fällt gerade nichts ein. Aber vielleicht könntet ihr einmal allerlei Fragen stellen über Dinge, die ihr beobachtet habt, und die ihr nicht erklären könnt. Das würde einen ganz hübschen Abschluß unserer naturwissenschaftlichen Durchforschung des Hauses geben.

Kurt: Ach ja, Vater! Ich weiß eine ganze Masse Fragen. Zuerst —

Dr. E.: Halt, Kurt, das geht nicht so hastig. Vor einigen Wochen, bei den Mineralien, habt ihr zuerst eure Weisheit vortragen dürfen. Heute, meine ich, sollte deshalb mal Hans den Anfang machen. Drei Fragen kann jeder sich ausdenken. Hoffentlich werde ich sie der Hauptsache nach beantworten können.

Pfefferminzplätzchen. Knistern des Tannenbaums

Hans: Dann will ich gleich mit einer Frage anfangen, über die ich mich neulich mit meinem Freunde Wilhelm gestritten habe. Woher kommt es eigentlich, daß man immer solch luftiges Gefühl im Munde hat, wenn man Pfefferminzplätzchen gegessen hat?

Dr. E.: Ei, du Leckermäulchen, das ist nun eigentlich keine Frage, die zum Hause gehört! Weißt du denn, was in den Pfefferminzplätzchen enthalten ist?

Hans: Ja, Pfefferminze. Und das ist eine Pflanze.

Dr. E.: Gewiß; aber die steckt natürlich nicht drin, sondern nur ein Stoff, der aus dieser Pflanze gewonnen wurde.

Fritz: Das ist das Pfefferminzöl. Ich kann mir auch denken, woher das erfrischende Gefühl beim Essen der Pfefferminzplätzchen kommt.

Dr. E.: Nun?

Fritz: Das Pfefferminzöl gehört doch wahrscheinlich zu den sogenannten ätherischen Ölen, die alle leicht verdunsten, wenn sie der Luft ausgesetzt sind. Durch schnelle Verdunstung aber entsteht Kälte, wie man leicht beobachten kann, wenn man sich etwa ein paar Tropfen Äther auf die Hand gießt. Ich glaube darum, daß es sich bei den Pfefferminzplätzchen einfach um eine Kälteempfindung handelt.

Kurt: Wie kann denn aber durch bloßes Verdunsten Kälte entstehen?

Dr. E.: Das dürfte wohl nicht allzu schwer zu erklären sein. Wir wissen, daß beim Übergang der flüssigen Körper in den gasförmigen[S. 171] Zustand unter allen Umständen Wärme nötig ist. Unter einem offenen Kessel mit Wasser kann ich so viel heizen, wie ich will, das Thermometer steigt nicht über 100 Grad, weil die ganze Wärme, welche durch die Feuerung entsteht, zur Verwandlung des flüssigen Wassers in Dampf verbraucht wird. Hat nun eine Flüssigkeit das Bestreben, in die Gasform überzugehen, ohne daß wir ihr Wärme von außen zuführen, so nimmt sie dieselbe aus der Umgebung, vor allem also aus den Gegenständen, mit denen sie in Berührung ist. Diese werden dadurch kühler, und man spricht dann von einer durch das Verdampfen der Flüssigkeit hervorgerufenen Kälte oder kurz von einer Verdunstungskälte.

Kurt: Also deshalb ist es auch so erfrischend, wenn man durch einen Zerstäuber mit Kölnisch Wasser angeblasen wird? Das macht da auch die Verdunstungskälte?

Dr. E.: Gewiß. Du hättest auch daran denken können, wie kühl und erfrischend die Luft nach einem Gewitterregen ist, und wie wir im Hochsommer die Dielen besprengen, um größere Kühle zu erzeugen. — Ob aber gerade bei den Pfefferminzplätzchen die von Fritz gegebene Erklärung richtig ist, scheint mir doch sehr zweifelhaft.

Fritz: Und warum das?

Dr. E.: Vor allem, weil das Pfefferminzöl durchaus nicht so flüchtig ist, wie du annimmst. Ein Tropfen davon, der Luft ausgesetzt, bleibt lange Zeit unverändert und verdunstet keineswegs so im Handumdrehen, wie der Äther.

Fritz: Aber wie willst du die Wirkung des Öls dann erklären?

Dr. E.: Wirklich erklären kann ich sie nicht. So viel aber ist wohl sicher, daß es sich hierbei ganz allein um eine besondere, dem Pfefferminzöl und dem in ihm enthaltenen Kampfer zukommende Wirkung auf unsere Geschmacksnerven handelt. Wir haben durch diese Stoffe die Empfindung der Kälte etwa in derselben Weise, wie wir beim Genuß des Pfeffers diejenige des Brennens haben.

Hans: Ach, wenn es weiter nichts ist —! Das hätte ich mir viel wunderbarer vorgestellt. — Dann habe ich eine andere Frage, über unsern Tannenbaum. Als wir den nach Weihnachten verbrannten, da gab es ein fortwährendes Geknatter und Gepuffe, als wenn lauter Patronen drin gesteckt hätten. Woher mag das wohl gekommen sein? Es wurde einem ordentlich angst dabei.

[S. 172]

Dr. E.: Wenn er noch sehr frisch war, hättet ihr ihn auch lieber nicht in den Herd stecken sollen; es sind schon öfter Unfälle dadurch hervorgerufen, indem der ganze Herd oder Ofen zersprengt wurde. — Hast du denn schon einmal beobachtet, was geschieht, wenn man ein Stück nasses Holz ins Feuer legt?

Hans: Ja, dann knistert und knackt es auch immer.

Dr. E.: Und kann mir einer von euch sagen, worin das wohl seinen Grund haben mag?

Fritz: Ich denke mir, das Wasser, das im Innern des nassen Holzes steckt, wird sich durch die Hitze in Dampf verwandeln, und wenn der keinen Ausweg findet, so platzt er eben das Holz auseinander.

Dr. E.: Siehst du, Hans, das ist in der Tat die Ursache für das Knistern des nassen Holzes. Man muß nur wissen, daß jede Flüssigkeit, welche sich in Dampf verwandelt, einen ungeheuer viel größern Raum einzunehmen strebt als vorher, und daß diese Spannung oder dieser Druck, den das eingeengte Gas nun nach allen Richtungen ausübt, ganz gewaltig werden kann. Unsere Dampfmaschinen beruhen ja auf dieser Erscheinung; die Kraft, die sie äußern, ist nichts als das Ausdehnungsbestreben des eingesperrten Wasserdampfes.

Hans: Ach so, das ist die Geschichte von dem zugeschraubten Kochtopf; die hat uns Herr Dr. Müller schon mal klargemacht. Aber ist denn in den Tannenzweigen so viel Wasser?

Dr. E.: Nein. In den Tannenzweigen ist es auch nicht Wasser, das sich in Dampf verwandelt, sondern Terpentinöl, von dem wir ja schon neulich einmal sprachen, als von den Harzen die Rede war. Es verwandelt sich erst bei viel höherer Temperatur in Dampf, als Wasser; dieser Dampf aber ist brennbar und gibt, mit Luft gemischt, wie alle brennbaren Gase ein explosives Gemenge. So können denn unter gewissen Umständen kleine Explosionen durch das Verbrennen eines harzreichen Tannenbaumes zustande kommen.

Kurt: Dann rührt es wohl auch von diesem Terpentinöl her, daß die Nadeln so puffen, wenn sie einem Tannenbaumlichte zu nahe kommen?

Dr. E.: Ja. Das Licht verwandelt zunächst durch seine Hitze das Öl in den Nadeln in Gas. Ist dann die Nadel an einer Stelle durchgebrannt, so strömt das Gas heraus, und zwar mit einer solchen Gewalt,[S. 173] daß die Flamme des Lichtes auf Augenblicke in spitzen Stichflammen nach den Seiten hinausschießt, wie wir das ja noch am letzten Weihnachtsabend beobachtet haben. — Doch nun bin ich neugierig, Hans, was du dir als Frage Nr. 3 ausgedacht hast.

Wetterhäuschen. Wetterbilder

Hans: Als drittes möchte ich wohl wissen, wie eigentlich unser kleines Wetterhäuschen am Fenster eingerichtet ist. Ich dachte immer, das wäre nur ein Scherz, daß bei schlechtem Wetter der Mann mit dem Schirm, bei gutem die Frau herauskäme. Aber ich habe öfter gesehen, daß es wahrhaftig so stimmt. Heute früh z. B., wo es so regnete, war die Frau ganz hineingekrochen und der Mann weit draußen. Solche Holzpuppen können doch aber unmöglich ein Gefühl dafür haben, was für Wetter ist.

Dr. E.: Diese letzte große Wahrheit wird dir wohl niemand bestreiten wollen. Aber auch deine Beobachtung, daß die Wetterfiguren sich so selten irren, ist vollkommen zutreffend, wenn sie auch nicht sowohl das Wetter selbst anzeigen, als vielmehr den Gehalt der Feuchtigkeit, der in der Luft ist, und der allerdings in vielen Fällen einen Schluß darüber erlaubt, ob Regen zu erwarten ist oder nicht. Die innere Einrichtung eines Wetterhäuschens ist nun so einfach wie möglich. Sie besteht der Hauptsache nach aus einer senkrecht hängenden, gewöhnlichen Darmsaite, an deren unterem Ende das Querholz mit den beiden Figuren befestigt ist. Diese Saite hat mit vielen andern Stoffen, z. B. mit den menschlichen Haaren, die Eigenschaft gemein, gegen die Feuchtigkeit der Luft sehr empfindlich zu sein, sie aufzunehmen und sich dabei um sich selbst zu drehen. Bei großer Feuchtigkeit dreht sie sich mehr zusammen, bei trockenem Wetter dreht sie sich etwas auf, ganz ähnlich, wie ich etwa die Strähnen eines Bindfadens durch Drehen lockern oder fester aneinanderlegen kann. Da nun, wie gesagt, das Querhölzchen unten mit der Saite fest verbunden ist, so muß es mit seinen Figuren ihren Drehungen folgen, und es wird daher je nachdem die Frau oder der Mann aus dem Häuschen hervortreten.

Hans: Ach, das hätte ich mir auch wieder viel wunderbarer gedacht!

Dr. E.: Du siehst, es kommt oft nur darauf an, daß eine einfache Sache ein bißchen niedlich zurecht gemacht wird, um uns völlig überraschend zu erscheinen. Daß die Wäscheleinen bei feuchter[S. 174] Witterung ganz straff sind, bei trockener hingegen schlaff werden, hast du gewiß hundertmal beobachtet, ohne es weiter auffallend zu finden. Im Grunde genommen aber ist das dieselbe Erscheinung, die dir an den Wetterhäuschen so geheimnisvoll und unerklärlich war. — Doch nun wollen wir hören, was Kurt zu fragen hat.

Kurt: Da wir gerade von dem Wetterhäuschen gesprochen haben, so möchte ich mal nach den merkwürdigen Wetterbildern fragen, die ich neulich im Schaufenster gesehen habe. Es war eine Landschaft, die ursprünglich blau aussieht, bei feuchter Witterung aber immer mehr rot wird, so daß man einfach aus der Farbe des Bildes auf gutes oder schlechtes Wetter schließen kann.

Kobaltsalze. Zündhölzchen

Dr. E.: Auch hier handelt es sich ganz allein um den größern oder geringern Feuchtigkeitsgehalt der Luft, der durch die Bilder angezeigt wird. Die ganze Erscheinung beruht darauf, daß gewisse Stoffe, vor allem die Salze mancher Schwermetalle, an der Luft Feuchtigkeit anziehen und dann eine andere Farbe annehmen, als sie im wasserfreien Zustande haben. Ihr wißt z. B., daß ein Stück Kupfervitriol blau aussieht. Erhitze ich es in einer Schale, so daß das Wasser entweicht, so verwandelt es sich in ein weißes Pulver, das aber sofort wieder blau wird, sowie ich etwas Wasser darauf gieße. Ähnlich verhält es sich mit den Salzen des Eisens, welche den feuchten Lehm gelb färben; wird er gebrannt, so erhalten wir die roten Ziegelsteine. Viel schöner und leichter zeigen solche Farbenveränderungen die Kobaltsalze, welche im trockenen Zustande blau, im feuchten schön rosa aussehen. Sie sind es auch, welche den von dir beobachteten Farbenwechsel der Wetterbilder hervorrufen und auch sonst zu allerlei niedlichen Spielereien benutzt werden.

Kurt: Was läßt sich denn noch weiter damit machen?

Dr. E.: Eine Anwendung kann ich euch gleich einmal vorführen, da ich wohl noch etwas aufgelöstes Kobaltsalz in meinem Schranke habe. — Seht hier die Lösung, die ich einfach dadurch herstellte, daß ich ein Stückchen Kobaltsalz in Wasser tat. Sie sieht schwach rosa aus. Wenn ich nun auf dieses weiße Papier damit etwa den Namen „Kurt“ schreibe, und lasse es ein wenig trocknen, so sind die blassen, fast wie mit reinem Wasser geschriebenen Schriftzüge gar nicht wahrzunehmen. Halte ich nun aber das Papier einen Augenblick über die warme Lampe, so entweicht alle Feuchtigkeit aus dem Kobaltsalz,[S. 175] es wird dadurch tiefblau und die Schrift tritt jetzt, wie ihr seht, deutlich hervor.

Kurt: Ei, das kann man ja als Geheimschrift gebrauchen!

Dr. E.: Freilich, Kurt! Und die schönsten Bilder kann man damit malen, die nach unserm Belieben verschwinden und auch wieder erscheinen. — Nun aber zur zweiten Frage.

Kurt: Kannst du mir denn sagen, Vater, warum man die schwedischen Streichhölzer bloß an der Schachtel anzünden kann und nicht überall, wie die gewöhnlichen?

Dr. E.: Das ist für jeden, der ein wenig von Chemie versteht, leicht zu erklären. Man muß nur wissen, daß es zwei ganz verschiedene Formen des Phosphors gibt, den gewöhnlichen, der an der Luft raucht, sehr giftig ist und sich leicht von selbst entzündet, und den sogenannten roten oder amorphen, der ein unschädliches rotbraunes Pulver darstellt, das erst bei einer Temperatur von über 300 Grad verbrennt, mit chlorsaurem Kali jedoch, dem bekannten Gurgel-Salz, ein leicht entzündliches Gemenge gibt. Die gewöhnlichen Schwefelhölzer enthalten nun vorn in ihrem Köpfchen neben andern Stoffen auch eine Quantität gewöhnlichen Phosphors, dessen Eigenschaften durch Beimengungen, wie Gummi, Bleiverbindungen usw. zwar abgeschwächt, aber nicht aufgehoben sind. Bei jeder durch Reibung hervorgerufenen Temperaturerhöhung fängt daher ein solches Streichhölzchen an zu brennen. Die schwedischen Sicherheitszündhölzer hingegen enthalten in ihrem Köpfchen nicht Phosphor, sondern als wichtigsten Bestandteil chlorsaures Kali, das sich für gewöhnlich nicht durch Reiben entzünden läßt. Werden sie aber an der Reibfläche der Schachtel angestrichen, die zum Teil aus rotem Phosphor besteht, so entflammen sie, weil eben beide Stoffe hierbei zu jenem leicht entzündlichen Gemenge vereinigt werden. — Übrigens gelingt es bei einigen Versuchen auch, die Sicherheitszündhölzchen etwa an einer Glasscheibe oder an andern glatten Flächen zu entzünden, da viele Gemische, die chlorsaures Kali enthalten, schon allein durch ihre starke Reibung entflammt werden. So enthielten beispielsweise die ältesten Reibhölzer, die in den Handel gebracht wurden, gar keinen Phosphor, sondern nur chlorsaures Kali und Schwefelantimon. Sie wurden durch kräftiges Hindurchziehen durch Sandpapier zur Entzündung gebracht.

[S. 176]

Fritz: Na, das muß schön umständlich gewesen sein. Das war wohl zu der Zeit, wo man das Pulver auf der Gewehrpfanne noch mit der Lunte oder mit dem Feuerstein anbrennen mußte?

Dr. E.: Ei behüte, Fritz! Wo denkst du hin! Du scheinst ja gar nicht zu wissen, daß die Zündhölzer erst in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts erfunden wurden. Vorher mußte man sich der Hauptsache nach mit Stahl, Stein und Feuerschwamm behelfen, und das Feueranmachen war damals gar keine so leichte Sache wie heutzutage.

Kurt: Dann werden sich aber die Menschen gefreut haben, wie das mit einem Male durch die Phosphorzündhölzchen so schön leicht ging.

Dr. E.: Vielleicht wäre es so gewesen, wenn die ersten Fabrikate gleich eine ähnliche Vollkommenheit besessen hätten, wie die jetzigen. Zunächst aber erschienen sie wegen ihrer leichten Entzündbarkeit als ziemlich feuergefährlich, und die Folge war, daß sie jahrelang in vielen Staaten polizeilich verboten wurden. — Doch das führt uns zu weit. Es wird Zeit, Kurt, daß du deine dritte Frage zum besten gibst.

Sonnenstäubchen. Brausepulver

Kurt: O, ich weiß noch eine ganze Menge! Wenn ich aber nur noch eine tun darf, so möchte ich wohl fragen, warum die Sonnenstäubchen immer gerade da sind, wo die Sonne hinscheint?

Dr. E.: Wie meinst du das?

Kurt: Wenn die Sonnenstrahlen durch das Fenster ins Zimmer fallen, dann sieht man doch in diesen Strahlen Millionen feiner Stäubchen und flimmernder Pünktchen, die hin und her wogen. Außerhalb dieser Strahlen aber ist die Luft des Zimmers ganz klar und durchsichtig und keine Spur von ihnen zu sehen.

Dr. E.: Und nun glaubst du, jene Stäubchen sind von den Strahlen gewissermaßen angezogen worden und tanzen darin herum, wie die Elfen im Mondschein? Das ist wahrhaftig ein toller Gedanke. Kannst du wirklich keine einfachere Lösung dieser Erscheinung finden? Denke doch daran, daß die Sonne sich fortbewegt und daß ihre Strahlen nach kurzer Zeit in ganz anderer Richtung durchs Zimmer ziehen, ohne daß das Spiel der Sonnenstäubchen in ihnen eine Änderung erfährt.

Fritz: Kurt und ich haben uns schon neulich über diese Frage gestritten. Ich habe darauf einen Versuch gemacht, durch den sich[S. 177] beweisen läßt, daß die ganze Stube mit solchen Stäubchen angefüllt ist, die man aber selbst mit den schärfsten Augen für gewöhnlich nicht sehen kann. Erst wenn der grelle Sonnenstrahl sie beleuchtet, erkennt man die zahllosen Flimmerchen, die in nichts zu verschwinden scheinen, wenn sie aus der Richtung des Strahls herausschweben.

Dr. E.: Sehr gut, Fritz. Was ist denn das für ein schönes Experiment, das dich auf diese Erklärung geführt hat?

Fritz: Zuerst habe ich ein Buch in den Sonnenstrahl gehalten, wo das Licht nicht durchkonnte. Da waren die Stäubchen hinter dem Buch gleich unsichtbar geworden. Dann habe ich einen Spiegel genommen, damit den Sonnenstrahl aufgefangen und in eine andere Richtung gelenkt. Dann wurden auch in diesem, ganz anders gerichteten Strahl Sonnenstäubchen sichtbar, und daraus mußte ich doch schließen, daß eben diese Staubteilchen gleichmäßig im ganzen Zimmer verteilt sind.

Kurt: Aber das ist doch schrecklich, zu denken, daß wir das einatmen müssen!

Dr. E.: Dagegen wird sich wohl schwerlich etwas machen lassen, obschon wir ganz genau wissen, daß Tausende von Keimen aus diesen Stäubchen mit jedem Atemzuge in unsere Lunge geraten. Jedenfalls aber lernen wir einsehen, daß es kein müßiges Gerede ist, wenn die Ärzte immer und immer wieder darauf hinweisen, wie wichtig für jeden Menschen der Aufenthalt in der freien Natur ist, wo im allgemeinen die Luft weit reiner und freier von Keimen ist. — Jetzt aber mag Fritz hören lassen, was er für Wünsche hat.

Fritz: Ich möchte zunächst wohl wissen, was Brausepulver ist, und warum es im Wasser so aufbraust. Ich denke mir, es handelt sich dabei um Kohlensäure. Nun aber haben wir kürzlich in der Schule gelernt, daß Kohlensäure nur durch eine andere Säure, etwa durch Schwefelsäure, aus kohlensauren Salzen ausgetrieben wird. Ich verstehe demnach nicht, wie dies durch bloßes Wasser, in das man das Brausepulver schüttet, geschehen kann.

Dr. E.: Wie du richtig bemerkt hast, wird die Kohlensäure aus ihren Verbindungen nur durch eine andere Säure ausgetrieben. Es braust also z. B., wenn ich ein Stück Kreide oder, was dasselbe, ein Stück kohlensauren Kalk in verdünnte Schwefelsäure werfe. Letztere verbindet sich mit dem Kalk zu schwefelsaurem Kalk, und die Kohlensäure[S. 178] wird frei, wobei sie in Gasform entweicht. Das Brausepulver besteht nun aus zwei Substanzen, deren eine ebenfalls ein kohlensaures Salz, das sogenannte doppeltkohlensaure Natron ist. Der andere Bestandteil aber ist eine der verschiedenen festen Säuren, meist Weinsteinsäure oder Zitronensäure, wie ihr sie wohl bei Mutter in der Küche gesehen habt. Diese festen Säuren haben ebenfalls die Macht, die Kohlensäure aus ihren Verbindungen auszutreiben, aber sie können dies nur, wenn sie in flüssiger Form sind, wie denn schon die alten Alchimisten wußten, daß die Körper meist nur dann chemisch aufeinander wirken, wenn sie in Lösung sind. Kohlensaures Natron und feste Weinsteinsäure vertragen sich also gewissermaßen ganz gut, solange sie beide in Pulverform miteinander gemischt sind. Sowie ich sie aber ins Wasser schütte und sie dadurch in Lösung bringe, übt die Weinsteinsäure ihre natürliche Macht aus, verbindet sich mit dem Natron und zwingt die Kohlensäure, als Gas zu entweichen.

Kurt: Ich habe aber doch auch schon gesehen, daß Brausepulver gar nicht mehr brausen wollte.

Dr. E.: Das will ich wohl glauben. Dann ist es eben schlecht verwahrt gewesen, so daß das Pulver Feuchtigkeit aus der Luft anziehen konnte. In diesem Falle ist dann, ohne daß wir es merkten, schon vor dem Gebrauch alle Kohlensäure durch die feucht gewordene Weinsteinsäure ausgetrieben. —

Fritz: Fast jeden Abend, wenn wir zu Bett gehen, ärgere ich mich über eine Erscheinung, die ich gern erklärt haben möchte. Wenn ich unser Licht anzünde, so brennt es erst ganz hell; dann tut es plötzlich so, als wenn es ausgehen wollte, bis es sich nach und nach wieder erholt und nun dauernd hell brennt.

Lichtflamme. Seife

Dr. E.: Wie du weißt, stellt jedes Licht gewissermaßen eine kleine Gasfabrik dar. Das feste Stearin wird zuerst flüssig, steigt dann in dem Docht empor und zersetzt sich hier in ein Gemisch verschiedener Gase, welche nun durch Verbrennen die Flamme liefern. Hast du nun den Docht oben durch Berührung mit dem brennenden Zündhölzchen erhitzt, so schmilzt zunächst und sehr schnell das wenige Stearin, welches in dem freistehenden Dochtende steckt, und liefert sogleich das nötige Gas für das erste Aufflammen. Diese geringe Menge ist aber natürlich schnell verbraucht, die Flamme würde verlöschen, wenn nicht von dem oberen Ende des Lichtes selbst neue Nahrung[S. 179] zugeführt würde. Da das Stearin des Lichtes aber bei der niedrigen Temperatur in eurem ungeheizten Schlafzimmer nur langsam schmilzt, so dauert es eine Weile, bis sich durch die andauernde Wärme eine genügende Menge davon unterhalb des brennenden Dochtes verflüssigt hat. Erst wenn dies geschehen und aus dem so gebildeten kleinen Reservoir die Flüssigkeit in reichem Maße mittels der Dochtfäden emporsteigt, kann die Flamme ihre ganze Leuchtkraft entfalten.

Kurt: Dann wird man diese Erscheinung also namentlich im Winter beobachten?

Dr. E.: Bei guten Lichtern jedenfalls, da der Fabrikant bei Herstellung seiner Ware gewiß das richtige Verhältnis von Docht und Schmelzbarkeit der Lichtmasse beachten wird. — Nun aber zur letzten Frage, die Fritz noch zu stellen hat.

Fritz: Man hat doch gesagt, der Verbrauch an Seife sei ein Maßstab für die Kultur des Menschen. Nun sehe ich eigentlich nicht ein, warum denn gerade die Seife so gut für die Reinigung ist. Man sollte doch meinen, Wasser allein müßte schließlich dieselben Dienste tun. Ich weiß ja wohl, daß Seife den Schmutz leichter fortnimmt; aber warum das so ist, darüber möchte ich gern etwas wissen.

Dr. E.: Wenn du schon etwas organische Chemie in der Schule gehabt hättest, würdest du dir die Frage leicht selber beantworten können. So aber, fürchte ich, wird dir meine Antwort nicht ganz verständlich sein. Jedenfalls weißt du aber, daß die menschliche Haut überall mit kleinen Drüsen besetzt ist, den Schweiß- und den Talgdrüsen. Letztere liefern ein flüssiges Fett, welches die Haut geschmeidig erhält und in feiner Schicht den ganzen Körper überzieht. Staub und sonstige Unreinigkeiten haften vornehmlich wegen dieser Fettschicht so fest auf dem Körper. Reines Wasser, das sich mit Fett bekanntlich nicht mischt, und es noch viel weniger auflöst, ist daher ein höchst mangelhaftes Reinigungsmittel für unsere Haut. Anders die Seife, die in konzentrierter Form Fett aufzulösen vermag und daher auch die mit Schmutz gemischte zarte Fettschicht unseres Körpers auflöst, so daß dieselbe nun leicht vom Wasser fortgespült werden kann.

Fritz: Das ist ja gar nicht so schwer zu verstehen. — Was ist denn aber nun eigentlich Seife?

Dr. E.: Ei, du denkst wohl, noch eine vierte Frage einschmuggeln zu können? Das darf ich doch nicht zugeben. Ich will euch aber sagen,[S. 180] wie man Seife machen kann; das wird ebensogut sein, weil du die chemischen Bezeichnungen doch schwerlich verstehen würdest.

Fritz: Ach, Vater, das dürfte uns nur wenig nützen; wir haben ja doch keine Chemikalien.

Dr. E.: Die braucht ihr ja gar nicht. Alles, was dazu nötig, findet sich sicher schon im Hause. War es doch früher allgemein Sitte, daß die Hausfrauen sich ihren Bedarf an Seife zum Zeugwaschen selber herstellten.

Kurt: Bitte, dann erzähle, wie’s gemacht wird.

Bereitung der Seife

Dr. E.: In den früheren Haushaltungen gab es immer einen alten Topf, den Unschlitt-Topf, in dem alle fetthaltigen Abfälle, wie Talglichtstümpfe, ranziger Speck usw. gesammelt wurden. Ebenso sammelte man die Asche, welche durch Verbrennen des Holzes, namentlich des Buchenholzes, bei Benutzung des Herdes zurückblieb. Die Asche wurde mit kochendem Wasser übergossen und durch ein Tuch gesiebt. Das durchlaufende Wasser oder die Lauge enthält dann die aus der Asche gelösten Stoffe, von denen uns namentlich einer, die sogenannte Pottasche, interessiert. In dieser Lauge mußte nun der Inhalt des Unschlitt-Topfes längere Zeit kochen, wobei eine Zersetzung des Fettes eintritt und sich aus ihm und dem Kali der Pottasche ein neuer Körper bildet, der euch wohl als grüne oder Schmierseife bekannt ist. Da aber die Hausfrauen eine harte Seife haben wollten, so fügten sie dem in der Lauge kochenden Fett noch einige Hände voll Kochsalz hinzu, wodurch dann die Kaliverbindung der Fettsäuren in die Natronverbindung übergeführt wurde. War dann später der Kessel vom Feuer genommen und erkaltet, so hatte sich oben über der Flüssigkeit eine dicke Schicht schöner, harter Seife gebildet. Sie wurde in Stücken herausgeschnitten, getrocknet und dann nach Bedarf zum Waschen verbraucht.

Fritz: Aber warum machen denn das die Frauen heute nicht mehr, wenn das so leicht geht und eigentlich so gut wie gar nichts kostet?

Dr. E.: Nun, Zeit kostet es immerhin. Sodann ist es heutzutage ein kostspieliges Vergnügen, Buchenholz statt Kohle oder Torf in der Küche zu brennen, während anderseits das Aufsammeln der Fettreste mancherlei Unzuträglichkeiten mit sich führt. Endlich ist durch Fabrikation im großen, bei welcher vorwiegend ganz billige Fette,[S. 181] wie Baumwollsamenöl, Palmöl usw. Verwendung finden, der Preis der Seife ein so geringer geworden, daß es den Hausfrauen wirklich nicht zu verdenken ist, wenn sie ihren Bedarf heute lieber kaufen. — Es geht mit dem Seifenkochen im Hause daher ganz ähnlich, wie mit dem Spinnen, Brotbacken, Stärkemachen, Bierbrauen und vielen andern Tätigkeiten, die früher in jedem Hausstande ausgeführt wurden, jetzt aber mehr und mehr an besondere Berufsklassen und Gewerbebetriebe übergegangen sind.

Kurt: Das kommt wohl, weil es heutzutage für alles Fabriken und Maschinen gibt?

Dr. E.: Zum Teil ja. Man kann diese Erscheinung aber noch von einem allgemeineren Gesichtspunkte betrachten. Je höher unsere Kultur, desto einseitiger und spezieller wird die Berufstätigkeit des einzelnen, weil nur auf diese Weise immer vollkommenere Leistungen erreicht werden können. Der einsam schweifende Wilde ist sein eigner Jäger, Koch, Baumeister und Waffenschmied; der zivilisierte Europäer muß zur Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse Hunderte verschiedener Gewerbetreibender in Anspruch nehmen. „Teilung der Arbeit“, das ist das große Losungswort, das die Menschheit zu immer höherer Kulturstufe emporgebracht hat. Aber indem sie es tat, hat sie den einzelnen von der stolzen Höhe seiner Selbständigkeit herabgedrängt und zum abhängigen, dienenden Gliede jenes höheren Ganzen gemacht, welches wir menschliche Gesellschaft oder Staat nennen. Mit ihm sind wir durch tausend Fäden verbunden: ihm, dem wir alles verdanken, muß die Arbeit, die Kraft unseres Lebens gewidmet sein.

Schlussbild Vierzehnter Abend

[S. 182]

Schlagwörter-Verzeichnis.

Druck von B. G. Teubner in Dresden.

Fußnoten:

[1] Tegenária doméstica.

[2] Epeíra diádema.

[3] Gattung Cteníza.

[4] Argyronéta aquática.

[5] Tetranýchus telárius.

[6] Néphila madagascariénsis.

[7] Taráxacum officinále.

[8] Láppa májor, mínor und tomentósa.

[9] Gálium aparíne.

[10] Bídens cérnua und tripartíta.

[11] Impátiens nóli tángere.

[12] Sícyos angulósa.

[13] Protópterus annéctens in Afrika, Lepidosíren paradóxus in Südamerika, Ceratódus Fórsteri in Australien.

[14] Ánabas scándens.

[15] Cobítis fossílis.

[16] Cóttus scórpio.

[17] Trígla gunárdus.

[18] Pogónias chrómis.

[19] Empúsa múscae.

[20] Merúlius lácrimans.

[21] Múcor mucédo.

[22] Penicíllium glaúcum.

[23] Aspergíllus glaúcus.

[24] Microcóccus prodigiósus.

[25] Saccharomýces.

[26] Bactérium acéti Essigpilz, B. ácidi láctici Milchsäurepilz.

[27] Clostrídium butyracéum.

[28] Bactérium tuberculósis.

[29] Víbrio chólerae.

[30] Microcóccus diphtheríticus.

[31] Bactérium ánthracis.

[32] Microcóccus erysipélatis.

[33] Microcóccus váccinae.

[34] Bacíllus týphi.

[35] Streptocóccus pyógenes.

[36] Staphylocóccus pyógenes aúreus.

[37] Oídium álbicans.

[38] Léptothrix buccális.

[39] Saccharomýces cerevísiae Bierhefe, S. ellipsoídeus Weinhefe usw.

[40] Taénia sagináta.

[41] Taénia echinocóccus.

[42] Áscaris lumbricóides.

[43] Oxyúris vermiculáris.

[44] Taénia cucumerína.

[45] Taénia coenúrus.

[46] Phoénix dactylífera.

[47] Chamaérops húmilis.

[48] Cócus nucífera.

[49] Elaéis guineénsis.

[50] Hyphaéna thebáica.

[51] Arúndo dónax.

[52] Cálamus rótang.

[53] Bambúsa.

[54] Borássus flabellifórmis.

[55] Chamaérops húmilis.

[56] Cócus nucífera.

[57] Phoénix dactylífera.

[58] Elaéis guineénsis.

[59] Ságus Rúmpfii.

[60] Cálamus rótang etc.

[61] Cálamus dráco.

[62] Pterocárpus dráco.

[63] Dracaéna dráco.

[64] Richárdia aethiópica.

[65] Cálla palústris.

[66] Árum maculátum.

[67] Acórus cálamus.

[68] Asplénium vivíparum, bulbíferum etc.

[69] Mus músculus.

[70] Mus silváticus.

[71] Mus agrárius.

[72] Mus ráttus.

[73] Mus decumánus.

[74] Mus alexandrínus.

[75] Pásser domésticus.

[76] Hirúndo úrbica.

[77] Ruticílla títhys.

[78] Cýpselus ápus.

[79] Córvus monédula.

[80] Strix flámmea.

[81] Hirúndo rústica.

[82] Platydáctylus, Hemidáctylus.

[83] Periplanéta orientális.

[84] Blátta germánica.

[85] Anóbium pértinax.

[86] Blaps mortisága.

[87] Derméstes lardárius etc.

[88] Attagénus péllio.

[89] Anóbium panicéum, Trogosíta mauritánica.

[90] Tenébrio mólitor.

[91] Brúchus písi Erbsenkäfer, B. léntis Linsenkäfer, Calándra granária Kornkäfer in Graupen.

[92] Grýllus domésticus.

[93] Tróctes divinatórius, Átropos pulsatória.

[94] Aphorúra armáta, Sminthúrus níger etc.

[95] Lepísma saccharína.

[96] Músca doméstica.

[97] Músca vomitória.

[98] Sarcophága carnária.

[99] Stomóxis cálcitrans.

[100] Címex lectulária.

[101] Púlex írritans.

[102] Púlex cánis.

[103] Pedículus cápitis.

[104] Pedículus vestiménti.

[105] Áphis rósae.

[106] Áphis diánthi.

[107] Aspidiótus nérii an Oleander und Palmen, A. fícus am Feigenbaum, A. héderae und Lecánium hespéridum am Efeu.

[108] Chrýsopa vulgáris etc.

[109] Tínea pellionélla und fuscipunctélla.

[110] Tegenária doméstica.

[111] Chirídium museórum.

[112] Tyroglýphus síro Käsemilbe, T. farínae Mehlmilbe, T. passulárum und Glyciphágus prunórum an Rosinen und Backpflaumen.

[113] Dermanýssus ávium etc.

[114] Oníscus murárius, Porcéllio scáber etc.

[115] Gatt. Enchytraéus.

[116] Anguíllula acéti.

Naturstudien

Von Prof. Dr. K. Kraepelin. (Mit Zeichnungen v. O. Schwindrazheim)

„Zu den Meistern der volkstümlichen Darstellung gehört Dr. Karl Kraepelin, der mit seinen Naturstudien ein Volksbuch im wahren Sinne des Wortes geschaffen hat; denn sie sind so recht geeignet, die lern- und wißbegierige Jugend wie auch den erwachsenen Mann des Volkes zum naturwissenschaftlichen Denken anzuregen und ihnen die Natur mit ihrem Leben und Werden näher zu bringen. Immer beginnt er seine in Form der Unterredung gegebenen Erörterungen mit dem einzelnen Fall und leitet allmählich zu allgemeinen Gesichtspunkten über das gesetzmäßige Walten in der Natur hin; dabei vermeidet er jede Schablone, so daß die dialogische Form niemals ermüdend auf dem Leser wirkt, sondern im Gegenteil anregend.“

(Neue Bahnen.)

Im Hause. Plaudereien in der Dämmerstunde. 5. Aufl. durchges. von Dr. C. W. Schmidt.

In den „Naturstudien im Hause“ wird das Wasser in allen seinen verschiedenen Formen und Wirkungen in der Natur besprochen, in ähnlicher Weise das Salz und die Steinkohlen, Mineralien und Sand. Zoologische Betrachtungen knüpfen sich an den Kanarienvogel und Goldfisch, an die Stubenfliege und Spinne wie an den treuen Karo an. Zu botanischen Bemerkungen geben die Blattpflanzen wie das Pelargonium Anlaß, auch die kleinsten und „modernsten“ Lebewesen, die Pilze und Bakterien, werden nicht vergessen.

Im Garten. Plaudereien am Sonntagnachmittag. 4. Auflage. Gebunden M. 7.—

In diesem Bändchen wird alles, was im Garten an pflanzlichen und tierischen Objekten die Aufmerksamkeit fesselt, in zwangloser Plauderei besprochen: Frühlingspflanzen. — Herbarium. — Regenwürmer. — Einrichtung der Beete. — Küchenkräuter. — Giftpflanzen. — Maikäfer. — Einfluß des Lichtes auf die Tiere. — Leuchtende Tiere. — Saftstrom. — Pfropfen. — Okulieren. — Grasmücke. — Wanderflug. — Pilze des Gartens. — Blattwespen. — Schutzmittel der Tiere. — Unkräuter. — Schutzmittel der Pflanzen gegen Tiere. — Kröten. — Farbenwechsel. — Brutpflege. — Schutzmittel der Pflanzen gegen Wärme, Licht, Regen, Wind. — Blattläuse. — Zier- und Nutzpflanzen. — Züchtung. — Nester und Wespen usw.

In Wald und Feld. Spaziergangs-Plaudereien. 4. Auflage durchgesehen von Dr. C. W. Schmidt. Gebunden M. 6.—

Dieses Bändchen möchte Interesse für die mannigfachen Erscheinungen und Geschehnisse da draußen „in Wald und Feld“ erwecken. Besprochen werden: Laubfall. — Immergrüne Pflanzen. — Wirbeltierleben im Winter. — Rauhfrost. — Flechten. — Lebensgemeinschaften. — Insektenleben im Winter. — Moose. — Anpassung der Pflanzen und Tiere an den Wald. — Gesteine. — Versteinerungen. — Vogelleben im Frühling. — Forstschädlinge. — Forstkultur. — Moor und Sumpf. — Das Tierleben im Süßwasser. — Wasserpflanzen. — Insektenleben im Sommer. — Brutpflege. — Kornfeld. — Fruchtfolge. — Bedeutung des Waldes für das Klima und für die Menschen.

In der Sommerfrische. Reise-Plaudereien. 2. Auflage. Gebunden M. 7.—

In diesem Werkchen zieht der Verfasser die Naturobjekte und Naturerscheinungen in den Bereich seiner Besprechung, die bei der weitverbreiteten Sitte der Ferienreisen und Sommerfrischen vielen Tausenden von Familien nahetreten, ohne daß dabei der Wunsch nach tieferem Verständnis des Gesehenen befriedigt würde. Es soll somit ein weitgehendes Interesse für die Probleme des Seins und Geschehens in der Zeit erwecken, die gerade der ungebundenen Muße inmitten einer an neuen, ungewohnten Erscheinungen so reichen Umgebung dient, wie sie das Gebirge, das Meer für jeden bietet, der zum erstenmal deren Zauber auf sich wirken läßt.

In fernen Zonen. Ein Buch für die reifere Jugend. Gebunden M. 7.—

Der Verfasser glaubte in einem letzten abschließenden Bande auch die so andersartige Welt ferner Zonen der Jugend in zwanglosen Plaudereien näherbringen zu sollen. Als Grundlage hierzu dienten ihm, wie dies für eine lebendige Schilderung unerläßlich, die Beobachtungen und Erfahrungen seiner eigenen Reisen, die dann nach Möglichkeit zur Herausarbeitung allgemeiner Gesichtspunkte verwertet wurden.

Volksausgabe. Eine Auswahl aus des Verfassers Naturstudien „im Hause“, „im Garten“ und „in Wald und Feld“. Veranstaltet vom Hamburger Jugendschriften-Ausschuß. 3. Auflage. Gebunden M. 2.80

Auf sämtl. Preise Teuerungszuschläge des Verlags 120% (Abänd. vorbeh.) u. d. Buchh.


Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin


Preise freibleibend

Naturgeschichtliche Volksmärchen. Von Rektor Prof. Dr. O. Dähnhardt. In 2 Bänden. Mit Bildern von O. Schwindrazheim. Bd. I. 6. Auflage. Geb. M. 7.— Bd. II. 5. Aufl. Geb. M. 6.—

„Die ‚Naturgeschichtlichen Volksmärchen‘ sind eine längst gut eingeführte Jugendschrift. Sie bieten Stücke aus dem Märchenschatze vieler Länder und Völker dar. Der Kette dieser Perlen hat der Herausgeber, ein tüchtiger Fachgelehrter, fleißiger Sammler und geschickter Bearbeiter, in der letzten Auflage noch neue angereiht.“

(Hannoversche Schulzeitung.)

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„Der Verfasser hat mit seinem Büchlein einen guten Griff getan. Eine neue Idee in trefflicher Durchführung.“

(National-Zeitung.)

Neue Geschichten aus dem Tierleben. Von A. Marx. 2. Aufl. Mit 23 Abbildungen. [Unter der Presse Mai 1921.]

„Ein prächtiges Büchlein für jung und alt, voll herzerfrischenden Humors! Schilderungen wie ‚Freßsack‘, ‚Kreuzotter‘ sind auch für uns von speziellem Interesse, aber auch ‚Frühlingsnacht‘, ‚Pica‘, ‚Grimmbarts Nachtbummel‘ und andere wird jeder Naturfreund mit Behagen lesen! ...“

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Versuche mit lebenden Pflanzen. Von Dr. M. Oettli. Mit 7 Abbildungen. Kart. M. 1.60

Ein Bändchen, das Anleitung geben will, an Pflanzen zu experimentieren, den Saftstrom, die Bewegungen und das Wachstum, die Licht- und Schwereempfindlichkeit sichtbar zu machen. In froher Arbeit soll Kopf und Hand geschickt gemacht werden zur späteren Lebensarbeit.

Streifzüge durch Wald und Flur. Eine Anleitung zur Beobachtung der heimischen Natur in Monatsbildern. Von weil. Prof. B. Landsberg und weil. Rektor Prof. Dr. W. B. Schmidt. 6. Aufl., vollst. neubearb. von Dir. Dr. A. Günthart. Mit zahlr. Originalzeichnungen u. Abbildungen. [U. d. Pr. 1921.]

„Ich wüßte für reifere, naturwissenschaftlich interessierte Schüler kein nützlicheres und reizenderes Geschenkbuch als das hier angezeigte gehaltvolle Buch mit seinem gründlichen Wissen und seiner doch so verständlichen Form.“

(Zeitschrift für lateinlose höhere Schulen.)

Physikalische Plaudereien für die Jugend. Von Oberlehrer L. Wunder in Sendelbach. Mit 15 Abbildungen. Kart. M. 2.—

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(Preuß. Lehrerzeitung.)

Chemische Plaudereien für die Jugend. Von Oberlehrer L. Wunder in Sendelbach. Mit 5 Abbildungen. Kart. M. 2.—

„Mit Erfolg wird auf leichte Verständlichkeit besonders Gewicht gelegt; man merkt es dem Buche allenthalben an, daß der Verfasser sich in die Seele des Kindes hineinzudenken gewöhnt ist. Das Büchlein wird gewiß in der jungen Welt viele Freunde finden und dazu beitragen, reges Interesse für den eigentlichen chemischen Unterricht zu erwecken.“

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Der deutschen Jugend Handwerksbuch. Hrsg. von Geh. Ober-Reg.-Rat Prof. Dr. L. Pallat. 2. Aufl. I. Teil. Mit 117 Abb. u. 1 farb. Tafel. Geb. M. 7.50 II. Teil. Mit 136 Abb. u. 3 farb. Taf. Geb. M. 12.50

Inhalt des I. Bandes: I. Bastelarbeit. II. Allerhand unterhaltende und lehrreiche Arbeiten aus Papier und Pappe. III. Beschäftigungsspiele. IV. Festschmuck. V. Kleisterpapiere. VI. Spielgerät und Spielzeug aus Naturholz. VII. Spielzeug aus Brettholz.

Inhalt des II. Bandes: I. Papparbeiten. II. Drucken mit Linoleum und Papier. III. Anfertigen von Gall- und Sprengpapieren. IV. Holzarbeiten. V. Metallarbeiten. VI. Arbeiten an Elementen. VII. Flugzeugstudien.

„Eine Jugend, die in solcher Weise Kopf und Hand bildet und unmerklich zur Kunst kommt, wird auf allen Lebensgebieten tüchtig sein.“

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Der deutschen Jugend Sportbuch. Unter Mitarbeit maßgebender Vertreter der einzelnen Sportarten hrsg. v. Dr. H. O. Simon. Mit 80 Abb. Geb. M. 6.—

„Es ist ein vaterländisches Buch im vollsten Sinn des Wortes. Als Sportbuch bietet es in Fülle all das, wonach jedes Jünglings Herz verlangt, Leben, Lust, Kampf und Sieg, echt deutscher Sport mit allen seinen Segnungen und Freuden.“

(Körper und Geist.)

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