Title: Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XII, Heft 7-9
Monatsschrift für Heimatschutz, Volkskunde und Denkmalpflege
Author: Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Release date: April 16, 2023 [eBook #70564]
Language: German
Original publication: Germany: Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so markiert.
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Dresden
Monatsschrift für Heimatschutz, Volkskunde und Denkmalpflege
Band XII
Inhalt: Der Lößnitzer Weihnachtsberg, die Deutsche Weihnacht in der Jahresschau 1923 – Vom Wendelstein zum Bendelstein – Die sächsischen Urnenfelder – Der Dresdner Totentanz – Herbstwanderung von Bienhof nach Gottleuba – Aus unsrer Tätigkeit – Herbstwege – Das Trompeterschlößchen zu Dresden – Volkskunde und Heimatschutz – Janko alias Hanka – Zur Weihe der Karl-Schmidt-Bank in Bienhof
Einzelpreis dieses Heftes 2 Goldmark
Geschäftsstelle: Dresden-A., Schießgasse 24
Dresden 1923
Bitte um eine Beitragszahlung von 1 Goldmark
Dresden, den 23. November 1923
An unsre werten Mitglieder!
Nur schweren Herzens haben wir uns entschlossen, das beifolgende Heft, das Weihnachtsheft, das dritte Heft dieses Jahres, jetzt zu versenden. Die Gründe sind unschwer zu erraten. Die andauernde Markverschlechterung vermindert fast jede, uns auf dem Weg über das Postscheckamt, über die Girokassen, über die Banken zugehende Zahlung, während wir anderseits unsern Verpflichtungen in Goldmark nachkommen müssen. So sind uns bedauerlicherweise in letzter Zeit alle Beiträge, die über die genannten drei Institute gezahlt wurden, fast wertlos gutgeschrieben worden. Geht das in Zukunft so weiter, so stehen wir vor dem Eingang unserer Bewegung. Das veranlaßte uns, mit der Herausgabe dieses Heftes, das schon seit langem fertig ist, zu zögern. Wenn wir nunmehr den Versand wagen, so veranlaßt uns einerseits dazu der Umstand, daß es ein Weihnachtsheft ist, daß seine Beiträge eng mit dem großen Fest der Liebe verbunden sind, und anderseits die immer mehr zunehmende Einsicht bei den meisten Deutschen, daß auch unsre Beiträge wertbeständig, d. h. so gezahlt werden müssen, daß wir einen Nutzen und keinen Schaden davon haben.
Heute bitten wir um eine Beitragszahlung von 1 Goldmark nach dem Kurse des Zahlungseingangstages bei uns. Wir müssen daher recht herzlich bitten, diese Summe uns in wertbeständigem Gelde durch gewöhnliche Briefpost, Einschreibebrief oder Geldbrief übermitteln oder für den Fall, daß Post-, Giro- oder Bankverkehr gewählt wird, gleich den unvermeidlichen Entwertungszuschlag mit einzurechnen und den Beitrag auf 1.50 bis 2.— Goldmark zu erhöhen, damit wir keinen Schaden erleiden.
Die erbetene Summe von 1 Goldmark ist selbstverständlich der Mindestbeitrag, den wir zu fordern gezwungen sind in Rücksicht darauf, daß die Kosten dieses Heftes ganz erhebliche sind, und daß ja alle Veröffentlichungen heute weit höher bezahlt werden müssen, als in Friedenszeiten. Man nehme sich ein Beispiel an den Zeitungen, an den illustrierten Zeitschriften, die das zwei- bis dreifache des Vorkriegspreises kosten.
Um deswillen bitten wir alle diejenigen, die das weitere Durchhalten unsres Vereins anerkennen, die verstehen, was es heißt, daß wir heute noch genau dieselben Veröffentlichungen herausgeben wie vor dem Kriege, freiwillig nach ihrem Können die obenerbetene 1 Goldmark zu erhöhen und uns dadurch in die Lage zu versetzen, der ganz beträchtlichen Zahl der Erwerbslosen, der Kleinrentner, die wir ohne Beitragszahlung auch heute noch als Mitglieder führen, weiterhin unsre Hefte von der Heimat, vom Vaterland zugehen zu lassen.
Eine besondere Bitte haben wir an alle diejenigen, die bisher sich in dankenswerter Weise dem Einkassieren unsrer Beiträge widmeten. Wir haben ausdrücklich betont, daß der Kurs der Goldmark zum Tage des Einganges bei uns gerechnet wird, und wir möchten alle diejenigen, die nicht in der Lage sind, im Automobiltempo einzukassieren, bitten, die Beiträge in wertbeständigem Geld zu verlangen, damit uns das Einkassieren, für das wir herzlich dankbar sind, keine Verluste bringt, denn das liegt ja nicht in der Absicht der lieben Menschen, die uns helfen.
Das letzte Heft unsrer diesjährigen Mitteilungen ist ebenfalls in Druck und wird nach Weihnachten mit der Einforderung eines weiteren Beitrages versandt.
Wir fügen diesmal keine Zahlkarte bei, damit der Anreiz, die langwierige Postschecküberweisung zu wählen, nicht gar zu groß wird.
Allen denen, die uns bisher halfen, unsern Verein durchzuhalten als einen der wenigen, die die schwere Zeit bis hierher überstanden haben, sagen wir aufrichtigsten, herzlichsten Dank mit der Bitte, uns weiter treu zur Seite zu stehen, bis dem deutschen Vaterland wieder einmal die Sonne scheint.
Mit deutschem Gruß!
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
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Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern herausgegeben
Abgeschlossen am 1. Oktober 1923
Die Deutsche Weihnacht in der Jahresschau 1923
Von Edgar Hahnewald
Über eine ziemlich phantasielose Aneinanderreihung mehr oder minder guter Industrieerzeugnisse kam auch die Jahresschau Spiel und Sport nicht hinaus. Es war eine Messe der Hersteller. Der »Laie«, dem Spielzeug noch etwas andres ist als eine übersichtlich zu ordnende Handelsware, suchte immer wieder die erzgebirgische Spielwarenwerkstätte auf, in der Spielzeug vor seinen Augen entstand. Er verweilte nachdenklich vor den kindlichen Basteleien in der Sonderabteilung im Kapherrschen Palais und betrachtete die rührenden Erfindungen kleiner Hände und Hirne. Die Spielwarenfabrikanten haben sich diese Kinderbasteleien wohl nicht angesehen. Sie hätten es tun sollen. Sie hätten beschämt erkannt, daß sie auf ganz falschem Wege sind, wenn sie Kinderspielzeug zu Vitrinenfigürchen verzärteln oder, was sie noch beflissener tun, zu unkindlichen Karrikaturen verzerren. Das Kind arbeitet, wenn es spielt; es schafft, es gestaltet, wenn es sich Spielzeug selbst bastelt. Seinen arbeitsamen Eifer, seinen Ernst beim Spiel haben viele der Fabrikanten vergessen. Sie hätten sonst manches ihrer Erzeugnisse weniger anspruchsvoll oder gar nicht ausgestellt.
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Der innerlichen Armut der Ausstellung entsprach die Phantasielosigkeit der Aufmachung. Nur in der Halle der erzgebirgischen Spielwarenindustrie war durch die Andeutung einer Jahrmarktsbudenreihe eine gefälligere und belebtere Gliederung in das bunte Vielerlei gebracht worden. Die meisten Aussteller begnügten sich mit nüchterner Symmetrie. In einzelnen Fällen führte das Bestreben, zu »dekorieren« zu bösen Verirrungen. Die schlimmste Leistung dieser Art war der von vielen angestaunte Weihnachtstraum der Kinder in der Halle der Sonneberger Spielwarenindustrie. Es war eine wahre Wolke von Kitsch. Als Beispiel, wie es nicht gemacht werden darf, wenn man sich nicht den Vorwurf der Geschmacklosigkeit zuziehen will, ist auch diese Sonneberger Dekoration für diese Blätter aufgenommen worden.
Ein einziger Raum hob sich von der Langweiligkeit der einen und den verunglückten Dekorationsversuchen der andern Abteilungen gleich wohltuend ab: der Raum Deutsche Weihnacht, den Professor Oskar Seyffert im Verein mit dem Architekten Professor Menzel eingerichtet hatte. Professor Seyffert hat in diesem Raum eine neue Probe seiner feinen Kunst abgelegt, für die sein Museum für sächsische Volkskunst und Volkskunde ein so erfreuliches und vorbildliches Zeugnis ist: seiner Kunst, zerstreute Dinge zu einer schönen, beseelten Einheit zu verbinden. Sein Raum war der einzige in der ganzen Ausstellung, in dem alles gut war.
Ein tiefes, edles, nächtliches Blau erfüllte den Raum mit ruhevoller, festlicher Stimmung. Goldene Sterne funkelten an der Wölbung, von der ein großer, mehrteiliger Leuchter, ein farbiger Stern aus Holz herabhing. Silberne und goldene Schaumglaskugeln schmückten ihn. Auch die Milchglaskugeln der Beleuchtungsanlage waren als Schmuck verwendet. Am Tage schimmerten sie weich wie tauende Eisbälle. Am Abend beleuchteten sie mit mildem Licht die glitzernden Weihnachtsbäume. Der feierliche Glanz einer stillen, blauen, deutschen Weihnacht lag über allem – mit so einfachen, aber fein abgewogenen Mitteln, ohne alle Apotheose, ohne alle Stimmungsmache wurde die Stimmung geschaffen, die der schon vorher beschlossenen Benennung des Raumes entsprach: Deutsche Weihnacht. So schlicht löste Seyfferts feinfühlige Hand die Aufgabe, die manchen andern zu pompösen oder gefühlvollen Dekorationskunststückchen verleitet hätte.
Auch auf den Gedanken, in diesen blauen Raum schlichte grüne Waldbäume, weihnachtliche Fichten zu stellen, konnte nur ein Künstler wie Professor Seyffert kommen, der ja, so wenig »poetisch« er sich auch geben mag, bis in die Fingerspitzen Poet ist. Grüne, im Glasschmuck glitzernde Weihnachtsbäume vor diesem nächtlichen Blau – das war nicht nur gut »gemacht«, das war gestaltete Dichtung eines Herzens, das sich auf Volkslieder, auf Märchen und Kinder versteht.
Auch an der Verwendung des Glasschmuckes erkannte man die künstlerisch fühlende Hand. Da war ein Baum nur mit bleichem Silber und mattem Gold behängt – er glitzerte wie bereift und hob nur ganz behutsam die Lößnitzer Krippe aus ihrer notwendigen Umrahmung in die Geschlossenheit des Raumes. In der einen Ecke flankierten die Weihnachtsbäume einen spätgotischen Altar aus dem Altertumsmuseum. Das edle, verblichene Gold der Holzschnitzerei durfte nicht[133] überfunkelt werden – in das Gold und Silber des Glasschmuckes sprühten nur ganz wenige blaue und rote Kugeln einige funkelnde Lichter. In der andern Ecke im kirchenhaften Licht der schmalen Fenster glitzerten die Bäume bunt um bunte Weihnachtspyramiden und über farbenfrohem Spielzeug. Aber auch da wurde das Silber, Gold, Blau, Grün, Rot der Glaskugeln mit sorgsamem Bedacht auf geschlossene Wirkung in das tiefe, weiche Grün der Bäume verteilt. Und wie nun eine solche goldene Glaskugel im vollen Lichte glitzerte, eine rote aus dem Zweigschatten glühte, wie das Bunt die Bäume überrieselte, das war nicht ohne weiteres die Schönheit des Glasschmuckes, das war die Wirkung seiner geschickten Verwendung.
Unter den geschmückten Bäumen breitete Professor Seyffert aus, was er an Spielwaren ausgewählt hatte. Alles in diesem farbigen Gewimmel war mustergültig. Im Raume waren die kleinen Dinge die bunten, belebenden Tupfen, die sich dem Ganzen einfügten, ohne sich vorzudrängen. Für die Weihnachtsstimmung des Raumes bedurfte es dieser kleinen, bunten, hübschen Dinge nicht – das spricht nicht gegen[134] die Dinge, sondern für die meisterhafte Beherrschung der schlichten Mittel, mit denen Professor Seyffert diesen Raum schuf, der wieder nur der edle Rahmen sein sollte für das größte und schönste Werk volkskünstlerischer Herkunft, das in Sachsen, ja wohl in ganz Deutschland zu finden ist: für den Weihnachtsberg des Lößnitzer Bergvereins.
Beim Anblick dieses geschnitzten Weihnachtsmärchens murrte ein Arbeiter: »Damit sollen die Kinder verdummt werden.« Ein andrer Besucher, der das hörte, erwiderte gereizt: »Wenn da lauter rote Fahnen hängen würden, würde es Ihnen gefallen.«
Beider Einstellung war falsch. Der eine lehnte das Werk ab, weil er darin nur eine Verkörperung biblischer Geschichten sah; der andre verteidigte es aus dem gleichen Grunde. Man denke sich den Dialog eines Ungläubigen und eines Gläubigen vor der Sixtinischen Madonna, vor Rembrandts religiösen Gemälden geführt, um zu erkennen, wie weit beide davon entfernt sind, dem Kunstwerke gerecht zu werden. Ähnlich verhält es sich hier. Gewiß stellen die Schnitzwerke biblische Legenden dar und augenscheinlich war fromme, religiöse Empfindung der Antrieb zum Werke, da ohne seelischen Antrieb kein beseeltes Kunstwerk entsteht; aber entscheidend für die Beurteilung eines Kunstwerkes ist in der Regel nicht der Stoff, sondern seine künstlerische Gestaltung.
Und um ein Kunstwerk handelt es sich bei diesem Weihnachtsberg, den die Mitglieder des 1879 gegründeten Lößnitzer Bergvereins, Schuhmacher, Weichenwärter, Waldarbeiter, Landbriefträger und wer sonst noch, im Verlaufe mehrerer Generationen erdacht, geschnitzt, bemalt und aufgebaut haben. Es ist ein Kunstwerk; es ist Volkskunst, beseelt von naivem, dichterischem Empfinden einfacher Menschen, wie es in Volksliedern und Volksmärchen lebt. Und obwohl fast jede Gruppe von andern Händen geschnitzt wurde, obwohl mancher Schnitzer schon im Grabe lag, als andre das gemeinsame Werk fortsetzten, scheint alles von einer Hand geschaffen zu sein. Da und dort entdeckt man wohl bei genauerer Betrachtung leise Verschiedenheiten in der Führung des Schnitzmessers, in der plastischen Bildung der Figuren, in der farbigen Behandlung, aber das Ganze ist von einem Empfinden durchdrungen. Die Spuren der einzelnen Schöpfer verschwinden im gemeinsamen Werk. Und wohl ist die Folge der Gruppen willkürlich. Mariä Verkündigung, die Geburt im Stall zu Bethlehem, die Verkündigung an die Hirten auf dem Felde, die heiligen drei Könige, die Flucht nach Ägypten – das alles schließt sich eng um die Weihnachtslegende. In den andern Gruppen schweifen die Schöpfer durch das Leben Christi. Sie gestalten die Darstellung im Tempel, das Tempelgespräch des zwölfjährigen Jesus mit den Schriftgelehrten, die Taufe im Jordan, die Bergpredigt, Jesus und die Samariterin. Mitten drin steht der Palast des Herodes. Der König sitzt auf rot überhangenem Thron und wartet gleichsam auf die Rolle, die er im Leben Jesus spielen soll. Man fühlt, daß die Schöpfer der einzelnen Gruppen sich nur von den Reizen führen ließen, mit denen dieser oder jener Vorgang zur Gestaltung lockte – die bunte Pracht im Königspalast oder das bewegte Figurengewimmel der Bergpredigt. Und doch wird keine Lücke fühlbar. Alle Gruppen schließen sich zu einem großen Bilde zusammen, in das man hineinblickt[137] wie in ein gleichzeitiges, einheitliches Geschehen. Zeitliche Verschiedenheit der Entstehung, persönliche Verschiedenheit der Schöpfer, enge Aneinanderreihung weit voneinander liegender Vorgänge – alles dreis geht lückenlos auf in der großen seelischen und volkskünstlerischen Einheit des ganzen Werkes.
Das wird noch verstärkt durch die Einfügung der Gruppen und Einzelfiguren in die überraschend gut erfundene Landschaft, die aus phantastisch gewachsenen Wurzelhölzern und aus Moospolstern aufgebaut ist. Wer es nicht vorm Werke selbst entdeckte, findet vielleicht auf einer der photographischen Aufnahmen heraus, wie groß, wie landschaftlich echt, wie felsenhaft diese Wurzelknorren um eine Herde kleiner Schäfchen, um das Beieinander gestenreicher Figuren wirken. Diese Landschaft gibt dem Ganzen die einheitliche Szenerie, und das silbrige Grau des knorrigen Holzes, das verblichene Gelbgrün des Mooses hält die bunten Farben der Gruppen und Figuren gut zusammen. So wirkt das Ganze noch stärker als ein Werk.
Betrachtet man dann die Einzelheiten, die ruhenden Kamele der Weisen aus dem Morgenlande, die Hirten auf dem Felde, die weidenden Schafe und die kletternden Ziegen, die wundervoll sprechende Gebärde der Maria in der Tempelszene, die farbige Schönheit der Palastgruppe, so findet man immer von neuem entzückende Feinheiten, und je öfter man vor den Weihnachtsberg tritt, desto mehr liebt man das Werk.
Ist das verborgene, höchst komplizierte Werk der Rollen und Fäden im Gange, dann wenden sich da kleine Köpfchen und heben sich da zierliche Hände[138] und Arme, pilgernde Menschen und hoheitsvolle Kamelreiter ziehen still und fließend zwischen den Felsknorren ihres Weges, die winzige Axt Josephs in der Werkstatt zu Nazareth tickt wie das verhalten klopfende Herz dieser Schöpfung, und aus himmlischen Höhen, aus schwebenden Wolken und himmlischen Heerscharen herab läßt sich mit bestürzend heftiger Gebärde in kleinen Rucken der verkündende Engel unter die aufschauenden Hirten fallen – man fühlt, wie unerwartet, überwältigend das Geschehnis die Hirten überfällt, und man glaubt fast die beglückende Botschaft in der großen Stille zu hören: Friede auf Erden und allen Menschen ein Wohlgefallen! Und dann schwebt der Engel mit leiser Drehung wieder aufwärts. Und nach Sekunden stürzt er von neuem …
In dieser stillen Bewegung war der Weihnachtsberg am schönsten. Und dann wieder sah man ihn abends, wenn sich die Schar der Besucher schon verlaufen hatte, wenn nur zwei, drei Menschen still vor dem frommen Berge verweilten. Das verborgene Werk ist abgestellt. Alles ruht in feierlicher und doch so schlichter Stille im weißen Lichte der bereiften Glaskugeln. Die goldenen Sterne funkeln und das dunkle Blau wölbt sich als nächtlicher Himmel. Und nun meinte man: so, in dieser großen Stille, sei das Werk am schönsten.
Immer aber war dieser Weihnachtsberg der köstlichste Anblick, den die Jahresschau bot. Und daß er da war, ist Professor Seyfferts Verdienst. Der erzgebirgische Bergverein, dessen gehüteter Besitz er ist, gab ihn nur schweren[139] Herzens her. Sie brachten ihren Schatz selber, die Figuren in sorgsamer Verpackung, Moos und Wurzelfelsen in großen Kisten. Und sie bauten ihn auch selber auf.
Aber daß er so aufgebaut wurde, ist wiederum Professor Seyfferts Verdienst. Im Erzgebirgsstädtchen Lößnitz, wo er alle Jahre einmal um Weihnachten zwei Wochen lang zu sehen ist, erhebt er sich vor einem gemalten palästinischen Panorama und umgeben von vielerlei störender Zutat. Seyffert ließ das alles weg. Er stellte den ganzen Weihnachtsberg einfach unter die nachtblaue Wölbung, an der die goldenen Sterne funkeln, und nun wirkte das schöne, schlichte Werk so groß, so edel, wie es in Lößnitz nie zu sehen war. Hoffentlich verzichtet nun auch der Lößnitzer Bergverein bei der Wiederaufstellung seines Weihnachtsberges daheim auf alles überflüssige und störende Beiwerk. Es käme dem schönen Kunstwerke zugute, denn ein Kunstwerk ist der Berg, ein Kunstwerk, eines edlen Rahmens wert.
Von Dr. Trögel, Auerbach
Mit Aufnahmen von K. Richter, Auerbach i. V.
Höhenwanderungen haben ihren eigenen Reiz. Auf dem Rücken der breit dahingelagerten Berge läuft der Pfad, waldumweht oder frei nach allen Richtungen der Winde. Er klettert empor zu jäher Felsschroffe und senkt sich wieder in gemächlichem Gang, aber immer liegt das Menschenland und seine Maße tief unter ihm; nichts stört den Höhenwanderer in seiner Einsamkeit, was drunten im volkreichen Tal mit seinem hastenden Alltagsleben die Sinne unruhig macht. In überwältigender Fülle drängen sich Bild um Bild auf, wenn jemand den Kammweg vom Kapellenberg an Böhmens Grenze bis zum Altvatergebirge im schlesischen Osten bewältigt oder auf dem uralten Rennstieg über Thüringens Höhen zur Wartburg wandert. Die gleichen reizvollen Eindrücke, in weit bescheidenerem Ausmaße zwar, aber dafür vom Zauber des Heimatlichen umgeben, vermag eine Wanderung auf dem schmalen Felskamm zu bieten, der im Friedrich-August-Stein zu Schöneck seinen südwestlichen Eckpfeiler auftürmt, in Wendel-, Loch- und Bendelstein machtvolle Klippen bildet und sich dann unterhalb von Auerbach allmählich verliert.
Die zackigen Felsmassen, die nach Südosten in steiler Wandung abfallen, bringen eine seltsam eigenwillige Note in das ruhige Gleichmaß des vogtländischen Landschaftsbildes: kühn und herrisch streben sie aus dem stumpfen, breiten Rücken der welligen Hochfläche empor, Zeugen aus der überaus bewegten erdgeschichtlichen Vergangenheit der Heimat, da die harten Quarzite und Quarzitschiefer allen Unbilden der Verwitterung trotzig standhielten, während das weichere Gestein, dem sie eingelagert sind, ringsum zerstört und zu Tal gespült wurde. Seltsam scharfkantig, zerrissen und zerklüftet, vom Wetter zu Gebilden gestaltet, die der Deutkraft vergangener Geschlechter freien Raum ließen (Wendelstein, Katzenstein), in längeren oder kürzeren Zwischenräumen aus dem Erdreich auftauchend wie Klippen aus der wogenden Brandung, Mauerreste verfallener Riesenburgen, so erscheinen die Felsen[141] dem Auge des Wanderers aus der Ferne. In unmittelbarer Nähe verstärkt sich der Eindruck des Unruhig-Zerrissenen, Trümmerhaften; zu den Füßen des Felskammes liegen abgerollte Blöcke im Beerengestrüpp und Moospolster, und wie vernarbte Wunden im Antlitz des ruhmvollen Kämpfers zucken Quarzadern durchs schiefrige Grundgestein.
Der steil aufragende, schmale Fels (siebenhundertvierunddreißigeinhalb Meter hoch) inmitten von Schöneck bildet unter dem Namen Friedrich-August-Stein, den er zur Erinnerung an den Besuch des Königs Friedrich August II. im Jahre 1834 erhalten hat, den Stolz der Stadt, die ihre Häuser um ihn schart. Verdankt sie doch dem »Stein« Namen und Dasein. Dort oben auf windumbrauster Höhe, die über meilenferne Länder ins Land spähte, stand frühzeitig schon – die Urkunde spricht 1225 zum ersten Male von einem Schoenegge – eine Burg auf kargem Raume, kaum mehr als den Burgfried und bescheidenes Wohngelaß für Ritter und Roß umfassend, aber um so wehrhafter und wagelustiger. In ihrem Schutze wuchs das Waldstädtlein, das 1370 ausdrücklich »Stadt unter Schoneneck« genannt wird. Krieg und Brand zerstörten die Burg, die Trümmer des Rundturms[142] wurden 1763 völlig abgetragen, und nur der Name der Gastwirtschaft am Fuße der Anlage »Zum alten Söll« bewahrt die Erinnerung an eine Spanne heimatlicher Geschichte, wie ein spärlicher Lichtstrahl in dunklem Raume einen glänzenden Gegenstand hell aufblitzen macht. Heute ist der Friedrich-August-Stein nur noch Aussichtspunkt. Aber welch eine Welt tut sich dem trunkenen Auge auf! Von der Landesvermessungssäule mit ihrer Orientierungstafel schweift es frei nach West, Nord und Süd über die bewaldeten und bebauten Bodenwellen des Vogtlandes mit Dörfern und Teichen bis weit hinaus, wo Fichtelgebirge und Frankenwald ihre Berghäupter strecken und niedrige Vorberge zum Thüringerwald hinübergleiten. Berg und Wald, Himmel und Land verschwimmen im weichen Blau der Ferne, Dächer und Türme blitzen auf, und der Beschauer fühlt sich als Pünktlein in dem ungeheuren Meer dieser fernen Weite. Nur ungern steigt er die Felsstufen hinunter ins Städtlein zurück, wie in eine andere Welt.
Der Weg nach dem Wendelstein führt fast schnurgerade durch hochstämmigen Wald ins Tal des Geigenbachs und über Siehdichfür nach Grünbach. Fast gleichhoch wie der Schönecker Fels (siebenhundertzweiunddreißig Meter) übertrifft der Wendelstein alle anderen Glieder der Kette durch seine Längserstreckung. Der vom Dorfe heraufführende Weg steigt durch eine Senke, die den langen Zug in zwei Teile auseinandergerissen hat. Eine granitene Säule (Triangulierungsstation) auf dem hinteren Felsen bezeichnet die höchste Erhebung. Aufatmend nach nicht ganz[143] ungefährlicher Kletterei über glattes Gestein eng an der fast senkrecht abstürzenden Südostseite vorüber, steht dort der Wanderer zu schauender Rast. Ein Rundblick von ähnlicher Schönheit wie vom Friedrich-August-Stein ist sein Lohn. Die hohen, dunklen Wälder Schönecker und Auerbacher Reviers stehen um einsame Dörfer mit schieferblauen Dächern; jenseits des Göltzschtals, das seine Wände in einer Tiefe von über hundert Metern in den leicht verwitternden Urtonschiefer genagt hat, setzen die Erzgebirgshöhen die vogtländischen Waldberge fort bis hin zum Pöhlberge; im offeneren Tale der Göltzsch Ort an Ort, drüben im Westen und Nordwesten niedrige Kuppen, flache Rücken, sanft geschwungene Hochflächen, oft turmgekrönt; unmittelbar am Fuße des Felsens im Geigenbachtal die beiden Seen der Plauener Talsperre. Deutlich erkennbar wird, wie der Höhenrücken die Wasserscheide zwischen Göltzsch und Elster bildet; freilich empfängt jene den größten Teil ihrer Zuflüsse von rechts, weil links der schmale Rücken nur geringen Raum zur Entwicklung von Bächen verstattet. Der vordere Wendelsteinfelsen erinnert mit einer Gedenktafel an den »Unvergeßlichen«, an einen der Männer von 1848, Adolf von Trützschler, der am 14. August 1849 zu Mannheim seinen Traum von Deutschlands Einheit[144] mit dem bitteren Tode enden mußte. Wie eine dunkle Sage raunt die Volksüberlieferung in Falkenstein von einem herzblutgetränkten Taschentuch, das die freiherrliche Familie im Schlosse als kostbare Relique aufbewahrt. Der Wendelstein liegt auf Trützschlerschem Gebiet.
Der Weg läuft, immer in gleicher Richtung mit der Straße Grünbach–Falkenstein, durch Jungwald und hochstämmige Fichten, bald zur Rechten einen Durchblick auf Häusergruppen des langgestreckten Dorfes Grünbach freigebend, bald zur Linken freie Schau nach Südwesten eröffnend. Da drängen sich in der Nähe des Wendelsteinfußes auf wiesigem Hang mehrere Gehöfte unter Ahorn und Vogelbeerbaum aneinander: die Karte verzeichnet sie unter dem Namen Winn, die Mundart nennt sie auch Wind (eine Form, die sich eng an die urkundlichen schließt: 1421 Wynden, 1529 Winde). Die auffällige Ähnlichkeit der Namensformen des einsamen Weilers und der zackigen Felskette macht enge Beziehung der beiden Örtlichkeiten wahrscheinlich. Irrig wäre jedoch der Schluß, daß die kleine Siedlung, verhältnismäßig spät als Rodung entstanden, dem Felsgebilde seinen Namen gegeben habe. Die Grundbedeutung von Wendelstein war in althochdeutscher Zeit Schneckenhaus; der in Windungen emporsteigende Fels erschien den bildhaft denkenden und redenden Vorfahren als das ins Riesenhafte verzerrte Gehäuse einer Schnecke; in Wendeltreppe, ursprünglich aus Stein gehauen, schimmert dieser Wortsinn deutlich erkennbar durch, heißt ja noch im siebzehnten Jahrhundert eine solche Treppe auch Schnecke. Vom Felsen als dem Naturhaft-Ursprünglichen hat also die Ansiedlung ihren Namen, der in einer althochdeutschen Glosse (Erläuterung eines lateinischen Wortes) durch Stufe erklärt ist: winden-stuophon. So ergibt sich als Weg der Bedeutungsentwicklung: eine alte Dingbezeichnung – Wendelstein – ist zum Eigennamen[145] geworden. Übrigens gibt es auch in den Alpen Felsen und Berge desselben Namens.
Nachdem eine kleine Felsschroffe, nur wenige Schritte links vom Wege hinter den Bäumen versteckt, als Verbindungsglied zwischen Wendelstein und Lochstein gewürdigt worden ist, nähert sich der Wanderer den beiden hochaufragenden Felsen, die gleich ruinenhaft verwitterten Tortürmen am Waldausgange steil empordrohen. Der westliche ist vom Falkensteiner Naturverein zum bequem zugänglichen Aussichtspunkt gestaltet worden, wagemutigen Kletterern bietet auch der gegenüberliegende höhere und massigere Stein keine unüberwindliche Schwierigkeit. Weit sichtbar ist eine viereckige Fensteröffnung am östlichen Fels, von eigenwilliger Naturlaune kühn gestaltet. Der Volksmund führt auf dieses »Guckloch« den sonst scheinbar jeder Deutung widerstrebenden Namen der beiden Felsgebilde zurück. In dem ersten Teil der Zusammensetzung verbirgt sich aber ein altes Hauptwort loh = Busch, Holz, Wald; die Lochsteine grüßen hinüber zum Lohberg und noch weiter zu dem in tiefster Waldeinsamkeit lieblich gelegenen Trützschlerschen Jagdhaus Hanneloh, dessen Name gleichbedeutend ist mit Hohenlohe. Der westliche Lochstein gewährt klare Einsicht in Werden und Wachsen einer schnell aufstrebenden Industriestadt. Drei Zeitfolgen in Falkensteins Geschichte sind rein äußerlich im Stadtbilde deutlich erkennbar. Dort die Baumgruppen inmitten der Häuserviertel und Straßenzüge, aus denen der Schloßfelsen ragt, umschließen den Wohnsitz der Freiherren von Trützschler auf Falkenstein, die seit einem halben Jahrtausend in ununterbrochenem Besitze der ausgedehnten Herrschaft stehen. Wie ein Falke horstete die Burg auf dem Felsgeviert inmitten des Waldmeeres, ein Sproß des altadeligen Geschlechts der Vaßmann[146] hatte dort im dreizehnten Jahrhundert seine Behausung und empfing von ihr den Namen ritterlichen Klanges. Frühzeitig ward die Burg zerstört; schon 1530 trug der Fels nur noch eine unbewohnte Trümmerstätte. Die Gegenwart läßt auch von einer Ruine nicht eine Spur mehr erkennen. Vielhundertjähriger Efeu umkleidet das graue Gestein wie eine Grabstatt aus längst entschwundener Zeit. Eine Erinnerungstafel gibt uns Nachlebenden Kunde von dem Band, das sich Jahrhunderte einst um Stadt und Herrensitz geschlungen: 1400–1900 dem Hause derer von Trützschler auf Falkenstein zur Feier des fünfhundertjährigen Besitzes der Herrschaft Falkenstein in Verehrung und Dankbarkeit die Stadt Falkenstein. Denn ein Städtlein hatte sich allmählich am Fuße des wehrhaften Gemäuers entwickelt; schlecht und recht fristete es sein Leben; eine kurze Zeit blühenden Zinnbergbaues, an die das Stadtwappen erinnert, ging vorüber wie ein Sonnenblick an nebeldunklem Tag; in den Flammen der großen Brände von 1859 und 1862 sank es in Schutt und Asche, und nur wenige der armseligen Weberhäuslein entgingen der allgemeinen Verheerung. Abseits der Stadtmitte stehen sie noch heute im hinteren und oberen Anger, im Grund und am Holzbrunnen (Ortsteile von Falkenstein) in ängstlicher Niedrigkeit neben den behäbigen zwei- und dreistöckigen Gebäuden der letzten Bauperiode, da die aufblühende Stickerei die Einwohnerzahlen des Weberstädtleins sprunghaft emporschnellen machte und das äußere Gepräge von Grund auf umgestaltete. Neue Straßen zogen sich nach außen, und ganze Häuserblocks erwuchsen an ihnen besonders nach dem Göltzschtal zu und zwischen der Ölsnitzer und der Plauenschen Straße. Wie dort die Stadt in den[147] weit ausholenden Bogen der Bahn Herlasgrün–Muldenberg hineinwächst! Neue Schule und Amtsgericht geben dieser Neustadt ihren Mittelpunkt. In weitem Umkreise bilden Dörfer, dunkle Hügelketten und freundliche Täler den natürlichen Rahmen zu dem Bilde der modernen Stadt auf dem Höhenrücken, deren lebendige Wirksamkeit durch den Reichtum an rauchenden Fabrikschornsteinen gekennzeichnet wird. Eine breite Treppe führt durch das Felsentor abwärts zur Stadt. Die Brücke über die Bahn zeigt das angeschnittene grauwackenartige Quarzitgestein, das jene Felsmassen in wechselnden Abständen emporwölbt. Der schlanke Turm der Kirche zum heiligen Kreuz, die 1362 zum ersten Male als Pfarrkirche urkundliche Erwähnung findet, ist Richtpunkt. Der Hauptstraße folgend, gelangt der Wanderer nach kurzer Zeit an die schattige Promenade, die sich in Stufen an den Schloßfelsen lehnt. Die sogenannte Allee begleitet jetzt den Zug der Felsen in unmittelbarer Nähe. Als Schulfelsen sind sie den Kindern von Falkenstein und all denen, die es einst gewesen, eine vertraute Stätte, um die Erinnerung ihre zarten Schleier webt. Die Knaben erproben ihre Kletterkunst an ihnen, die Alten steigen die steinernen Stufen zu den Ruhebänken hinauf, sinnen hinunter auf das Schulgebäude aus roten Ziegeln mit seinen beiden Spielplätzen im Schatten der steilen Felswand und sinnen zurück in das Land der Kindheit; acht Jahre lang sahen sie während der Pausen zwischen den Schulstunden auf zu den Felsen, von denen man raunte, daß sie in dunklem Spalt Gräber bergen. Drängende Neugier, gemischt mit ängstlichem Gruseln, versuchte oft das Geheimnis zu ergründen, freilich immer vergeblich. Und doch verlor es nie den Reiz der Wahrscheinlichkeit; denn die Schule steht tatsächlich auf dem Platze des alten Kirchhofs.
Fast ununterbrochen zieht die Felskette in geringer Höhe den hinteren Anger entlang; sie bildet den natürlichen Abschluß für die Gärten hinter den Häuschen und trägt mehrmals Lauben zu vergnüglicher Rast am Feierabend. Jenseits des Bahneinschnittes der Linie Zwickau–Ölsnitz steigt der Kamm im Krankenhausfelsen wieder empor. Auf der Höhe bezeichnet eine schlanke Esse inmitten von Baracken ein Schotterwerk, das gleich dem ehemals Hochmuthschen großen Steinbruch hart am Fuße des Lochsteins den Quarzitzug abbaut. Nun beginnt die Wanderung auf der Hochfläche, die im Osten ins Göltzschtal abfällt und sich westlich langsam in das Tal des Treuenschen Wassers senkt. Einst war der breite Rücken bewaldet: kärgliche Reste niederen Buschwerks, Heidekraut und Beerengesträuch wuchern um offene Wunden kleiner Steinbrüche. Die dünne Krume auf winddurchwehter Höhe gibt geringe Feldfrucht; um so verschwenderischer streut die Natur alle Reize eines wahrhaft großartigen Rundbildes auf jeden Fußbreit des Feldweges, der gleichlaufend mit der Baumlinie der alten Falkensteiner, der sogenannten »hohen« Straße, in mancherlei Windungen gleichsam alle Schönheiten auskostend auf den zinnengekrönten Wasserturm am Bendelstein zustrebt. Noch einmal haben verborgene Gewalten alle Kraft zusammengefaßt, als sie diese Felsenriffe in einer Länge von zweihundert Metern und einer Höhe von zehn bis fünfzehn Metern über den etwa fünfhundertfünfundfünfzig Meter hohen Rücken preßten und zu einer grotesken Riesenmauer dem Wendelstein ähnlich formten. Was sich dem Auge von Bendel- oder Pennelstein aus darbietet, wenn die scheidende Sonne mit ihren letzten Strahlengarben die[148] Fenster der Häuser am östlichen Hang in Feuer taucht, oder wenn der Sturmwind graue Wolkenmassen gegen das düster drohende Gebirge jagt, entzieht sich fast der Kraft des bloßen Wortes. Das sind Offenbarungen der Natur von majestätischer Größe und Kraft, wie sie das alpine Vorgebirge nicht anders zu geben vermag.
Zurückschauend auf seinen Höhenweg, entdeckt der Wanderer am südwestlichen Horizonte zwischen den Wäldern die Essen von Grünbach und die zackige Linie des Wendelsteins; die Lochsteinfelsen ragen wie riesige Wächter, und der nahe Wasserturm mit seiner Zinnenkrone trotzt gleich einem Stück lebendig gewordenen Mittelalters in eine heroische Landschaft. Diesen Eindruck gesammelter Heldenkraft nimmt der Wanderer als beste und bleibende Gabe mit heim von seiner Heimat Höhen. Langsam und allmählich senkt sich die Felskette ins Tal der Göltzsch, das sie in Rodewisch erreicht, nachdem sie im Katzenstein ihre letzte geringe Erhöhung gebildet hat.
Von Dr. J. Deichmüller, Dresden
Unter den vorgeschichtlichen Funden aus dem Freistaat Sachsen nehmen die unter dem Namen »Urnenfelder« bekannten großen Gräberfelder mit Brandbestattungen einen breiten Raum ein. Ihr Auftreten bedeutet einen wichtigen Abschnitt in der Vorgeschichte des Landes. Machte sich gegen den Ausgang der Steinzeit und noch in der beginnenden Bronzezeit eine auffallende Bevölkerungsabnahme, die in den spärlichen Einzel- und Grabfunden zum Ausdruck kommt, bemerkbar, so findet man von der mittleren Bronzezeit ab überall im Flach- und vereinzelt auch im Hügellande unvermittelt in großer Zahl ausgedehnte Gräberfelder oft mit Hunderten von Einzelbestattungen, die eine in der Nähe seßhafte dichte Bevölkerung voraussetzen. Diese Bevölkerungszunahme ist nur durch Zuwanderung neuer Volksmassen in die entvölkerten Landschaften zu erklären. Mit ihrem Erscheinen fällt eine gewaltige Veränderung im Totenkult zusammen: die in der Stein- und frühesten Bronzezeit gebräuchliche Totenbestattung wird durch die Leichenverbrennung ersetzt. Die Frage, woher jene Einwanderer kamen und welches Stammes sie waren, ist bis jetzt in allseitig befriedigender Weise noch nicht beantwortet worden. Germanen, deren Vorläufer die gegen Ende der Steinzeit in Mitteldeutschland auftretenden Schnurkeramiker waren, thrakische Stämme aus der Karpathengegend, selbst Slawen sind als das Volk der Urnenfelder in Anspruch genommen worden. Die jüngste Ansicht bezeichnet als Träger der neuen Kultur illyrische Völker, die aus ihrer südeuropäischen Heimat die Leichenverbrennung mitbrachten, eine Sitte, die zwei Jahrtausende hindurch bis zur Völkerwanderungszeit in unsrer Gegend die alleinherrschende geblieben ist. Der Tote wird auf einem Holzstoß verbrannt, der Rest des Skeletts in einem Tongefäß gesammelt und mit Schmucksachen und kleineren Gefäßen, den »Tränenkrüglein« des Volksmundes, unter einem Erd- oder Steinhügel oder in einer Grube (1), oft mit Steinen umstellt und bedeckt (2 bis 4), beigesetzt. Beide Grabformen kommen in der Bronzezeit bei uns nebeneinander vor, die Hügelgräber verschwinden aber mit dem Beginn[149] der Eisenzeit, sind überhaupt seltener, vielleicht nur infolge der nivellierenden Arbeit des Pfluges, und liegen nicht in so großer Zahl beisammen wie die Flachgräber der Urnenfelder.
Der Charakter der älteren, der bronzezeitlichen Urnenfelder ist kein einheitlicher; sie lassen sich leicht in zwei zeitlich aufeinanderfolgende Gruppen trennen, in die der mittleren Bronzezeit, etwa 1600 bis 1200 v. Chr., und die der jüngeren, von 1200 bis 800 v. Chr. Die Unterschiede beider kommen vor allem zum Ausdruck in der reichhaltigen Keramik, die man als den »Lausitzer Typus« bezeichnet. Beiden Gruppen gemeinsam ist die kantige Profilierung der Gefäße, die scharfe Trennung von Hals und Bauch, ihre helle Farbe, grau, gelb, hellbraun und rötlich, und die Herstellungsweise aus freier Hand ohne Benutzung der Töpferscheibe. Immer wiederkehrende Formen des älteren Lausitzer Typus sind ein Napf aus zwei umgekehrt aufeinandergestellten abgestumpften Kegeln, deren[150] unterer fast stets flacher als der obere ist (5), ein eiförmiger Topf mit niedrigem, nach außen geschweiftem Hals (8), terrinenartige bauchige Gefäße ohne oder mit eingezapften oder angeklebten Henkeln (6), Krüge, deren Henkel den Oberrand nicht überragen (9, 13), breite, meist als Deckel der Urnen benutzte Henkelschüsseln (7) und kegelige oder halbkugelige Tassen und Näpfchen (10, 12). Eine für die ältere Gruppe charakteristische Form ist das Buckelgefäß in Gestalt schön profilierter Krüge (9), breiter henkelloser Näpfe mit ausladendem Rande oder bauchiger Terrinen (11) mit fast zylindrischem Hals. Ihren Namen haben diese Gefäße von den buckelartigen, der Frauenbrust nachgebildeten plastischen Verzierungen, die auf dem Oberteil des Gefäßbauches aus der Wandung herausgeformt, aufgeklebt, nicht selten eingezapft sind und von einem oder mehreren konzentrischen Höfen umgeben werden. Einfacher Art sind die Verzierungen der Gefäße: perlschnurartig aneinandergereihte Tupfen oder Einkerbungen auf vorstehenden Kanten (7, 5), Horizontalfurchen am unteren Halsrand (5, 13), Gruppen senkrechter Striche (11) oder schräge Rippen auf der Schulter (13) oder radial angeordnete Striche auf der Bauchseite (5). Große dickwandige, kesselartige, außen meist gerauhte Gefäße tragen am Halsansatz als Schmuck häufig eine aufgeklebte, kettenartig gekerbte Tonleiste.
Die Formen des jüngeren Lausitzer Typus sind jenen zwar ähnlich, eine gewisse Verflachung ist aber nicht zu verkennen. Die Buckelverzierung wird jetzt nur noch durch konzentrische Bogenlinien angedeutet (16); an den doppelkonischen Näpfen (14) vermißt man oft die scharfe Mittelkante und an den eiförmigen, meist außen gerauhten Töpfen (18) die deutliche Abgrenzung des Halses. Der Krug (25) wird schlanker, das früher weitbauchige Unterteil eiförmig, der Hals höher, der Henkel überragt den Rand und reicht nicht mehr bis zur Gefäßschulter. Der Boden[151] der flachen Schalen ist nach oben gewölbt (19). Eine neue Form tritt uns in der sogenannten »Pilgerflasche« (22) entgegen, einem Gefäß mit sehr weitem Bauch, engem niedrigen Hals und Henkelösen an dessen Unterrand. Unter den Ornamenten herrschen dicht aneinandergereihte breite Horizontalfurchen (14, 16, 20 bis 22, 24, 25) vor, die das Gefäß kanneliert oder facettiert erscheinen lassen. Die Gefäßschulter ist mit kurzen, senkrechten (23) oder mit schrägen, ihre Richtung wechselnden Furchen (17) bedeckt. Neu ist das Wolfszahnornament aus aneinandergereihten, parallel gestrichelten Dreiecken (22).
Weniger deutlich tritt der Zeitunterschied beider Gruppen in den Bronzebeigaben hervor. Geflügelte Pfeilspitzen (36), Messerklingen, zuweilen ein Angelhaken vertreten das Kleingerät des täglichen Gebrauchs; einfache oder spiralgewundene Finger- und Armringe aus glattem oder tordiertem Draht (35), flache Knöpfe mit Ösen, Röllchen aus spiraliggewundenem Draht oder Bronzeband, flache Drahtspiralen, zum Teil vielleicht Bruchstücke von Brillenfibeln (33), den Kleinschmuck. Derartige Dinge kommen in beiden Gruppen vor und haben sich aus der älteren bis in die jüngere Zeit vererbt. Sehr beliebt scheinen Schmucknadeln (26 bis 32) gewesen zu sein, die sich überall vorfinden. Solche mit quergeriefelt-linsenförmigem (26), kugeligem, kegel- (27) oder scheibenförmigem Kopf (28) oder mit breitgehämmertem, eingerolltem Ende (29) treten in den älteren wie jüngeren Bronzezeitgräbern auf, in den ersteren auch hirtenstabartig gebogene (30), in den letzteren solche mit quergeripptem, keulen- (31) oder mit vasenförmigem Kopf (32). Viereckige Rasiermesser mit Griffansatz (34) gehören zu den Beigaben der jüngeren Gruppe. Auch Edelmetall, Gold, ist den bronzezeitlichen Bewohnern unsrer Gegend nicht unbekannt gewesen, wie kleine Spiralröllchen und Armringe bezeugen. Scheiben- und erbsenförmige Perlen aus Ton oder Bernstein, tönerne Spinnwirtel und pyramidenförmige Gewichte, weiter kleine Ringe und Anhänger (Amulette?) aus flachen Steinen und flaschenförmige Tonklappern (38) in der jüngeren, ei- oder tonnenförmige (37) in der älteren Gruppe vervollständigen das Inventar der Gräber, in deren Steinsetzungen auch Getreidemühlen aus Sandstein oder Quarzporphyr zuweilen Verwendung gefunden haben.
Wenig Veränderung in die während der Bronzezeit herrschenden Verhältnisse hat das Eisen gebracht, dessen Kenntnis sich etwa um 800 v. Chr. durch die nordwärts über Mähren und Schlesien vordringende, in Südeuropa heimische ältere vorrömische Eisenkultur, die Hallstattkultur, über die Lausitz bis zum Elbtal verbreitete. Auf ihrem Wege hat die neue Kultur durch Berührung mit der älteren bronzezeitlichen neue Typen geschaffen, es entstand eine Mischkultur, besonders in der Keramik, die nach dem am längsten bekannten Fundort an der[152] Oder als »Billendorfer Typus« bezeichnet wird. Die den älteren Gefäßen eigenen scharfkantigen Profile sind verschwunden, es entstehen weichere, gerundetere Formen von großer Mannigfaltigkeit und sorgfältigster Ausführung, die einen großen Fortschritt in der Kunst des Töpfers bekunden. Als Typen erscheinen jetzt flaschenförmige Gefäße mit nach oben verjüngtem Hals, dessen Rand nach außen umgelegt ist (39, 40), ähnlich gestaltete Krüge mit hochgeschwungenen Henkeln und kleiner Standfläche (41), zuweilen nach unten zugespitzt (43), und weitmundige Tassen, Formen, die unverkennbar auf den Einfluß der Hallstattkultur hinweisen. Hierzu treten schmucklose, tonnenförmige Gefäße mit zwei Henkeln (46), ovale Dosen mit Scheidewänden (50), die aus zwei oder drei Einzelgefäßen zusammengesetzten Zwillings- und Drillingsgefäße (51) und die sogenannten Räuchergefäße mit durchbrochenem Fuß (47), die oft auf flachen Tellern stehen. Auch äußerlich unterscheidet sich der Billendorfer Typus von dem Lausitzer durch die vorwiegend dunkle, schwarze oder tiefbraune Färbung der Gefäße. Nicht selten ist die Außenfläche mit einem glänzenden Graphitüberzug versehen und reich verziert mit schmalen Horizontalfurchen, die durch Bündel von Quer- oder Bogenrillen (45) unterbrochen werden, mit Gruppen paralleler Striche in Dreiecksstellung (41, 42) und Tupfenreihen (45), die Innenseiten von Schalen zuweilen mit sternförmigen, in Graphit gemalten Mustern. Zum ersten Male erscheinen auch figürliche Darstellungen von Menschen, Tieren und Bäumen in einfacher Strichzeichnung (39, 40).
Neben bronzenen findet man nun, wenn auch noch spärlich, Beigaben aus Eisen. Geschlossene, offene (62) oder spiraliggewundene Ringe und Schmucknadeln[153] mit vielgestaltigem Kopf (52 bis 55, 58, 59), unter diesen die typische Schwanenhalsnadel mit S-förmig gekrümmtem Hals (54, 55) aus Bronze oder Eisen, gehören zu den häufigen Beigaben. Seltener sind eiserne Bügelfibeln mit kurzer Spiralfeder und senkrecht umgebogenem Fußende (56), mit getriebenen Buckelchen geschmückte Anhänger aus Bronzeblech (64), eiserne oder bronzene Pinzetten mit oder ohne Schieber (63), Knochennadeln (60, 61), Glasperlen, gerade eiserne Messer mit Resten des Holzgriffs und tönerne Klappern in Vogelgestalt (57). Hügelgräber sind in der frühen Eisenzeit in unsrer Gegend unbekannt, nur Flachgräber mit zum Teil recht ansehnlichen Steinsetzungen.
In den letzten Jahrhunderten v. Chr., in der jüngeren vorrömischen oder Latène-Zeit, nehmen die Urnenfelder an Zahl und Ausdehnung ab und beschränken sich auf Nordwestsachsen bis zum Elbtal. Die Gräber stammen mit wenigen Ausnahmen aus den älteren Abschnitten dieser Periode. Bekannt sind nur Flachgräber, die sich durch Armut an Gefäßen von denen der älteren Zeit unterscheiden. Die Urnen kann man leicht in zwei durch Herstellungs- und Verzierungsweise auffallend verschiedene Gruppen trennen. Die der einen Gruppe sind freihändig aus grobsandigem Ton hergestellt, schmutziggrau oder braun gefärbt,[154] terrinen- (65 bis 67) oder tonnenartig (68), zum Teil mit kaum abgegrenztem Hals und meist ohne Henkel, die an einzelnen durch paarig senkrechte oder hufeisenförmige Wülste ersetzt sind. Als Verzierungen werden Tupfenreihen (65), horizontale und winkelig gebrochene, von Einstichen begleitete Furchen (66) oder mit einem mehrzinkigen Werkzeug ausgeführte Bogenlinien (67) angebracht, auch ist der Gefäßbauch zuweilen in abwechselnd rauhe und glatte, auch gestrichelte Felder eingeteilt (68). Die Gefäße der anderen Gruppe dagegen sind aus feingeschlämmtem Ton auf der Töpferscheibe angefertigt, sauber geglättet und schwarz gefärbt. Nach oben und unten konisch verjüngte Näpfe (69, 75) und becherartige Formen (70), durch aufgeklebte Tonleisten gegliedert, herrschen vor. Auf einzelnen Stücken sind innen oder außen konzentrische Ringel in Dreiecksstellung (75), selten S-förmige Ornamente um den Boden herum eingestempelt. Die Gefäße der ersten Gruppe dürften heimische Erzeugnisse, die der letzteren Importware aus Westdeutschland sein. Beigefäße, roh gearbeitete Näpfchen und Täßchen (71 bis 74), enthalten die Latène-Gräber nur in geringer Zahl.
Schmuck- und Gebrauchsgegenstände werden jetzt dem Toten reichlicher beigegeben. Hier sind vor allem die für die Altersbestimmung wichtigen Gewandnadeln oder Fibeln zu nennen, deren älteste Form mit freiem Schlußstück (77) aus den meisten Latène-Gräbern, deren jüngste mit ungetrenntem Nadellager und Schlußstück (79) aber nur in wenigen Exemplaren bekannt ist. Zu den häufigeren Metallbeigaben gehören weiter Gürtelhaken in mancherlei Gestalt, einfache Bänder mit umgebogenen Enden (80), sporn- (81) oder stabförmige (86) aus Eisen, dreieckige, durchbrochene aus Bronze oder aus einer mit verziertem Bronzeblech und Knöpfen besetzten Eisenplatte (85). Neue Typen sind eine eiserne oder bronzene Nadel mit Kopfscheibe und aufgenietetem Bronzekegel, die Tutulusnadel (82), der mit Buckeln verzierte Paukenring, eiserne und bronzene Ketten mit in Tierköpfen endenden Haken, wohl Wehrgehänge, und die geschmackvoll ornamentierten Segelohrringe (84).
Aus der Zeit nach Christi Geburt, der römischen Kaiserzeit, sind nur noch wenige Urnenfelder bekannt; Sachsen scheint damals durch die beginnenden großen Völkerbewegungen bereits entvölkert zu sein. Aus den ersten beiden Jahrhunderten stammen zwei Brandgräberfelder in Sachsen westlich der Elbe, aus dem dritten und vierten Jahrhundert außer einzelnen Gräbern nur ein solches in der Lausitz[155] das aber eine Sonderstellung einnimmt durch die Art der Bestattung der Knochenreste wahrscheinlich in Holzgefäßen, nicht in Urnen aus Ton. Das Inventar der Gräber unterscheidet sich namentlich durch die Keramik. Die Gefäße der älteren Urnenfelder haben ausschließlich Becherform (87, 89), sind tiefschwarz, oberflächlich glänzend geglättet und reich verziert, oder rotbraun und schmucklos. Das häufigste Verzierungsmotiv ist der Mäander, meist als Treppenmäander, nach unten durch eine Reihe von Dreiecken abgeschlossen; der Gefäßbauch wird durch Doppellinien in Felder geteilt, in denen Ringe oder auch Hakenkreuze angebracht sind (87). Alle Linien werden von mehrfachen Reihen viereckiger Grübchen, die mit einem Rollrädchen eingedrückt sind, gebildet. Daneben kommen als Ornament auch Dreiecke, mit Grübchen gefüllt (89), vor. Alle Gräber enthalten nur eine Urne, keine Beigefäße, Steinsetzungen fehlen. Anders ist die Keramik der jüngeren Urnenfelder der römischen Kaiserzeit, in denen neben rohgearbeiteten Näpfen (88) Terracottagefäße römischer Arbeit (90, 91) gefunden werden.
Im Inventar der Gräber der frührömischen Kaiserzeit spielen Waffen eine große Rolle: eingerollte eiserne Schwerter (92), Lanzen (93, 94), Schildbuckel (105) und Schildfesseln (102), diese auch aus Bronze. Zum Schleifen der Waffen dienten Wetzsteine aus feinkörniger Grauwacke (100). In den Gräbern der späteren Gruppe ist dagegen fast immer die Axt (99) enthalten, daneben Lanze und Pfeil. Beiden[156] Gruppen gemeinsam sind gerade und sichelartig gebogene Messer (96, 95), Hakenschlüssel (98) und Federscheren (97) aus Eisen und eiserne oder bronzene Schnallen (104, 106). Von Schmucksachen enthalten die Gräber der ersten beiden Jahrhunderte n. Chr. reichlich provinzialrömische Fibeln in verschiedenster Ausführung (103, 108 bis 110), selten ein goldenes Ohrgehänge (107), die des späteren Abschnitts vereinzelt eine silberne oder goldbelegte Rollenfibel, einen Knochenkamm oder Glasperlen.
Mit dem Ende des römischen Kultureinflusses und dem Vordringen des Christentums verschwindet aus unsrer Gegend auch die Sitte der Leichenverbrennung und der Anlage von Urnenfeldern. Ihre Stelle nimmt seit der Mitte des ersten nachchristlichen Jahrtausends wieder die älteste Bestattungsform, die Beerdigung der Toten, ein, die bis in die Gegenwart die allein übliche geblieben ist. Erst der jüngsten Zeit ist es vorbehalten gewesen, aus wirtschaftlichen und hygienischen Gründen die Leichenverbrennung wieder einzuführen.
Von Edgar Hahnewald
Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts tauchen in der bildenden Kunst die Totentänze auf, reigenartige Darstellungen, in denen der Tod Menschen aller Stände in sein dunkles Reich führt. In der graphischen Kunst fand Hans Holbein für dieses Thema den geistigsten, erschöpfendsten Ausdruck.
Auch die plastische Kunst hat sich mit diesem Thema beschäftigt. Dresden darf sich rühmen, eins der wertvollsten Werke dieser Art zu bergen. Es ist der um 1535 vom Steinmetzen Hans Schickentantz geschaffene Reigen des Todes – es ist ein merkwürdiges Spiel des Zufalls, daß der Meister so hieß, der den Tanz schilderte, in den sich jeder schicken muß. Seit 1733 – Flechsig nennt die Jahreszahl 1737 – ist dieses Werk nicht gerade glücklich an der Mauer des Neustädter Friedhofes an der Friedensstraße aufgestellt. Dieser entlegene Standort mag schuld daran sein, daß nur die wenigsten Dresdner das Werk kennen, das unter den Wettern langsam, aber unaufhaltsam der Zerstörung anheimfällt. Leider haben sich alle Versuche, dem fortschreitenden Verfall Einhalt zu tun, als nutzlos, eine Versetzung in den trockenen, geschützten Raum etwa einer Kirche hat sich als unmöglich erwiesen, und spätere Geschlechter werden sich mit dem Abguß begnügen müssen, den der Sächsische Altertumsverein hat anfertigen lassen.
Ursprünglich stand dieses gewaltige memento mori den Dresdnern immerdar vor Augen, denn es zierte die der Elbbrücke zugekehrte Schauseite des Georgenbaues, der an der Stelle des heutigen Georgentores stand.
Im Jahre 1533 wurde mit diesem Bau begonnen, der errichtet wurde, weil das alte Schloß für den Hof zu eng geworden war. Mit diesem Bau verknüpft[157] ist der Annaberger Hüttenstreit, der während des Baues der Annaberger Stadtkirche ausbrach und bei dem die Annaberger Steinmetzen gegen die fremden Dombaumeister die Verkürzung der Lehrzeit und die Einführung der Renaissanceformen forderten. Herzog Georg trat auf die Seite der Annaberger, entschied so den Streit zu ihren Gunsten und stellte dadurch die Dresdner Bauhütte unter Hans Schickentantz an die Spitze der sächsischen Hütten. Sie führte nun auch den Georgenbau aus, und damit hielt die Renaissance ihren Einzug in Dresden, nachdem sie schon um 1500 in der lichten Weiträumigkeit der Annaberger Stadtkirche vorgeahnt war.
Der prächtige Bau Georgs, zu dem der aufblühende Annaberger Silberbergbau die Mittel lieferte, wandelte, wie es die Renaissance überall in Deutschland tat, die mittelalterliche Burg zum Schloß um. Er fügte sich den alten Teilen als turmartiges Bauwerk mit vier reichverzierten Giebeln ein. Reiche, steinerne Ornamentik, Friese, Erker, Tore, Wappen, Medaillen und Reliefs schmückten die beiden Schauseiten, deren eine der Elbbrücke, die andere der Elbgasse, der heutigen Schloßstraße zugekehrt war. Zwei zeitgenössische Kupferstiche in Wecks Chronik geben ein deutliches Bild von der Schönheit des Baues, der nach seiner Vollendung den römischen König Ferdinand I. so vom Reichtum Herzog Georgs überzeugte, daß er sich von ihm zwanzigtausend Gulden leihen ließ.
Im Jahre 1701 zerstörte der große Schloßbrand auch den Georgenbau bis auf wenige Reste, von denen sich nur ein Relief, den biblischen Brudermord darstellend, das schöne Nordportal, das beim Umbau von 1899 in den Schloßwinkel gegenüber der Katholischen Hofkirche versetzt wurde, und der Totentanz erhalten haben.
Dieser Totentanz war ein Teil des reichen bildnerischen Schmuckes, der den Georgenbau zierte und dem – im Gegensatz zu der heiteren Zierlichkeit des Baues – eine einheitliche, ernste, ja düstere Idee zugrunde lag. An der Elbseite war der menschliche Sündenfall und die ihm folgende Strafe des Todes, auf der Stadtseite die Versöhnung durch Christi Opfertod dargestellt. Fast scheint es aber, als ob der ausführende Meister stärker von der Unerbittlichkeit und Allgewalt des Todes als von der versöhnlichen Erlösung überzeugt gewesen sei, denn der Totentanz packt den Beschauer mit der Macht eines durch und durch gefühlten Werkes. In ihm faßte ein Renaissancemensch, der auf die Charakterschilderung der gotischen Meister verzichtete, den zugrunde liegenden Gedanken zu einer einheitlichen, geschlossenen, zwingenden Stimmung zusammen, die stärker spricht als die Gestalten im einzelnen, die da in willenloser Dumpfheit der grausigen Schalmei des Todes hinterdreinziehen. Wohl tragen einige, vielleicht sogar alle der Gestalten die Züge damals lebender Menschen: als Kaiser zieht Karl V., als[160] König Ferdinand I., als Herzog Georg, als Werkmeister der Schöpfer Hans Schickentantz selbst und unter den Frauen Barbara, die Gattin Georgs, dem Tode nach, aber die Bildnisse drängen sich nicht auf, Kaiser und König, Herzog und Herzogin gehen als Splitter, als Teilchen der großen Masse Mensch mit, unter der der Tod Ernte hält – er führt den Zug, aber er schaut nicht hin, wen er führt. Und tut er es doch, so tut er es als Gebieter, empfindungslos für Rang und Würden und alle Unterschiede, die den Menschen vom Menschen trennen. Vor ihm sind alle gleich.
Der geistige Vater dieses Gedankens, die Renaissance-Heiterkeit des Georgenbaues mit diesem düsteren Memento zu überschatten, war Herzog Georg selbst. Todesstimmung bewegte den Fürsten dazu, dieses Denkmal seines menschlichen Leides schaffen zu lassen.
In den achtunddreißig Jahren seiner Ehe mit Barbara, der Tochter des Königs Kasimir IV. von Polen, hatte ihm die Gattin fünf Söhne und fünf Töchter geboren. Sechs der Kinder entriß ihm der Tod schon zu Anfang seiner Regierung. Noch während des Baues des Georgentores im Jahre 1534 starb die Gattin. Die vierte Tochter starb. Und auch die zwei letzten Söhne starben noch vor ihm. Zehnmal stand dieser Mann an der Bahre. Zum Zeichen der Trauer ließ er sich nach dem Tode der Gattin den Bart unverschnitten wachsen – als Georg den Bärtigen kennt ihn die Geschichte.
Zum Todesleid kam andrer Kummer. Georg hatte schon vor Luther den Ablaßhandel bekämpft und war für eine Reform der katholischen Kirche eingetreten. Aber die Spaltung der Kirche, wie Luther sie hervorrief, lehnte er ab. Er war ein hartnäckiger Gegner der Reformation und trat nach dem Reichstage zu Augsburg in offner Feindschaft gegen Luther auf, den er einen »verloffenen Mönch« nannte und der ihn wiederum in Schmähschriften von unerhörter Grobheit befehdete. Luther nannte den Fürsten den »Meuchler zu Dresden« und sagte ihm nach, daß er vor Gott nicht höher als Pilatus, Herodes und Judas stehe und ein Tyrann sei schlimmer als Pharao und selbst der Papst. Und Georg erwiderte schließlich kaum minder grob. Aber je länger sein Kampf gegen die Reformation dauerte und je mehr sich die Gegensätze zwischen den beiden Bekenntnissen verschärften, desto sicherer erkannte er seine unabwendbare Niederlage. Sein Bruder Heinrich, den die Geschichte später den Frommen nannte, fiel von ihm ab und schlug sich auf die Seite der Gegner und trat schließlich mit seinem Sohne Moritz dem Schmalkaldischen Bunde bei. Nun sah der Herzog seine ganze Familie im feindlichen Lager. Verzweifelte Versuche, den Bruder deshalb von der Thronfolge auszuschließen, mißlangen. Und als er gar auf den Ausweg verfiel, den schwachsinnigen Sohn Friedrich zu verheiraten, um Heinrich durch einen thronberechtigten Erben zu verdrängen, entriß ihm der Tod einen Monat nach der Heirat auch diesen letzten Sohn.
Alle diese tragischen Schicksalsschläge – denn tragisch ist auch der Kampf eines von vornherein hoffnungslosen Kämpfers – erhärteten und verdüsterten[161] seinen Sinn. Einsam und gebeugt, besiegt und von den Schatten seiner Toten heimgesucht, ersann dieser Mann den einen Trost, sein Haus mit der ewigen Mahnung an den Tod zu schmücken.
Am 17. April 1539 starb er selbst.
Sein Bau überdauerte ihn um anderthalb Jahrhunderte. Dann zerfraßen die Flammen die steinerne Pracht.
Als August der Starke über den Ruinen von neuem bauen ließ, wurde der Totentanz, der als Fries zwischen dem zweiten und dritten Obergeschoß angebracht war und durch einen reich verzierten Erker in zwei ungleiche Hälften geteilt wurde, herabgenommen. Da aber die Skulpturen mit eisernen Bändern, Ankern und Klammern und eingegossenem Blei befestigt waren, ging diese schwierige Arbeit nicht ohne Trümmer ab. Die fünf letzten Figuren stürzten herab und zerbrachen.
Den Fries überwies man der Kirchengemeinde zu Dresden-Neustadt, die ihn aber erst 1721 an der Mauer des alten Friedhofes am Ende der Rähnitzgasse aufstellte, nachdem der Bildhauer Johann Emanuel Brückner die zerbrochenen Teile durch vier neue Figuren ersetzt hatte, die trotz dem offensichtlichen Versuch, sie dem Stil des Renaissancemeisters anzupassen, das barocke Empfinden des Nachschöpfers nicht verleugnen.
Magister Hilscher dichtete Verse zu den Gruppen des Totentanzes, die unter das wieder aufgestellte Werk geschrieben und ihm später auch am neuen Standort beigefügt wurden. Die Verse sind hier auf diesen Blättern in der älteren Fassung nach einem alten Lichtbilde wiedergegeben, in der sie von der jetzigen Fassung in einzelnen Worten abweichen.
Als dann 1733 wegen des Neubaues der Dreikönigskirche der alte Friedhof in der Rähnitzgasse beseitigt und ein neuer bei den Scheunenhöfen angelegt wurde, versetzte man auch den Totentanz dorthin, wo er heute noch steht.
Auf allen diesen Wegen veränderte sich auch das Aussehen des Frieses nicht zu seinem Vorteil. Denn ursprünglich waren die Figuren auf himmelblauem, später auf dunkelrotem Grunde farbig bemalt. Nach der Neuaufstellung wurde aber das Ganze einmal weiß, einmal gelb überstrichen, und nach 1813 prangte der Fries sogar einmal in den sächsischen Landesfarben: weiße Figuren auf grünem Grunde.
Die Verwitterung tat das ihrige, die ursprüngliche Schönheit anzugreifen. Aber auch heute noch, trotz allen Spuren des Verfalls, spricht das Empfinden seiner Schöpfer erschütternd aus diesem Reigen.
Auch in diesem Totentanz tritt der Tod als der unerbittliche Führer auf, dem alle ohne Unterschied folgen müssen. Er schreitet voran, einen Weinkelch erhebend und die Schalmei blasend. Nach der Schar seiner Opfer sieht er sich[162] nicht um – er weiß: sie folgen ihm alle. Sein wehender Haarschopf, grausig an diesem kahlen Gebein, deutet das unaufhaltsame Dahin an, an das die Verse mahnen:
Und sie folgen ihm. Der Papst und der Kardinal, der Bischof und der Domherr, der Abt, der Prediger und der Mönch. Und aus den Versen klagt der katholische Herzog, der im Streite gegen die Lutherlehre unterlag:
Und noch einmal führt der Tod. Er schlägt die dumpfe Trommel mit Gebein und wendet sich gebieterisch gegen die weltlichen Machthaber, die sich seinem Zwange fügen müssen: der Kaiser und der König, der Herzog und der Kanzler, der Graf und der Ritter. Der Herzog trägt Georgens Züge. Er wendet sich traurig zum Kanzler und betet einen letzten Rosenkranz – auch ihm ist beschieden, im Reigen aller mitzugehen.
Dem Zuge der Fürsten folgen die Stände: der Ratsherr, der Werkmeister Hans Schickentantz mit Winkelmaß und Spitzhacke, der Soldat mit der Streitaxt, der Bauer mit dem Dreschflegel. Und, mühselig und beladen noch im Tode, humpelt hinterdrein der Bettler auf hölzernem Stelzfuß. Keiner ist dem Tode zu gut, keiner zu schlecht:
Auch die Frauenzier schont er nicht. Die behäbig-fromme Äbtissin, die stolzgeschmückte Fürstin mit Barbaras Zügen, die Bauernfrau mit der Gänsekiepe zwingt er gleichermaßen zum letzten Tanz. Er ist kein Frauenfreund. Barsch, ja beinahe ärgerlich, als kenne auch der Tod die Widerspruchslust der Weiber, herrscht er die Frauen an:
Brückners Figuren schließen den Reigen: der Geizhals umklammert noch im Tode seinen Geldsack vor den Bitten eines Bettlers, den ein Kind führt. Alle drei nimmt der Tod mit.
[163]
Und damit ihm keiner entwische, geht der Tod noch einmal hinterdrein und kehrt mit seiner Sense das Leben vor sich her. Und mit beinahe komisch wirkender Resignation schließt der Dichter:
So zieht dieser Reigen des Todes an der Friedhofsmauer dahin. Menschen in schwarzen Kleidern stehen manchmal davor, lesen die Verse und betrachten stumm das ernste Werk, das langsam, unaufhaltsam verwittert und so zwiefach mahnt an die Vergänglichkeit aller Dinge.
Der Novemberwind blättert rauh im Efeu. Er weht über die Gräber und zaust die raschelnden Papierblumen des Totensonntags. Aus seinem Geflüster um die Hügel der Dahingesunkenen spricht die Mahnung der Toten:
Wir wissen es. Und weil wir es wissen und weil einmal der Tag kommt, an dem wir nicht mehr ausweichen können, wollen wir still die Toten grüßen und hingehen und das Leben lieben und bejahen und uns des Lebens, des Daseins freuen und vorwärtsgehen, auf und ab über Sieg und Niederlage vorwärts bis zum letzten Schritt im letzten Reigen.
Wanderung von Bienhof nach Gottleuba
Von Prof. Dr. Arno Naumann
Endlich wieder einmal einige von der Alltagsbürde freie Wandertage! Die Wahl des Zieles ist für mich nicht schwer, hat mir doch der Heimatschutz eine herrliche Unterkunft in unserm Bienhof gewährt! Also auf, dahin! Und wenn auch der Zug erst in der herbstlichen Dämmerung in Gottleuba einfährt. Von dort ist’s ja für den rüstigen Wanderer nur eine gute Stunde, allerdings mitten durch den abendlichen Wald. Am Schlusse taste ich mich nur noch durch den hohen Fichtenwald, aber ich erreiche unser liebes Heim, ohne mich im Nachtdunkel zu verirren.
Bald umfängt mich in Zimmer Nr. 3, welches dem Heimatschutzdienst geweiht ist, eine freundliche Behaglichkeit und recht bald eine wohlige Müdigkeit. Noch im Entschlummern höre ich das klagende »Komm’ mit, komm’ mit« der in dem nahen Gutsgebäude hausenden Käuzlein. Im Volksglauben bedeutet dies das baldige Sterben eines Lieben; vielleicht als Nachklang germanischer Heidenzeit. Und wahrlich! Als ich am andern Morgen hinausschaute auf Wiese und Wald, da wußte ich, wem das »Komm’ mit!« gegolten hatte: Die Natur lag im Sterben, es war[164] Herbst geworden. Aber als Abschiedsgruß will sie noch einmal aufleuchten in herrlichem Farbenbunt, das durch Morgennebel und dampfenden Wald zu mir herüberglänzt. Ich will diesen Scheidegruß genießen auf kurzer, aber inhaltsreicher Wanderung vom einsamen Bienhof zum betriebsamen Bad Gottleuba. Noch erfreuen späte Blüten das Auge. Unten auf feuchter Wiese sind’s Distelarten: »Kohl- und Sumpfdistel«, welche mit der unterseits silberblättrigen Alantdistel allerlei blühende Bastarde gezeugt haben. Gleich hinterm Heimatschutzhaus auf steilem Wiesenweg nach Oelsen ist eine Weidekoppel. Die wogenden Halme der Gräser mit ihrem schmückenden Blumenwerk sind gemäht, aber noch finden sich als Zeugen ungehemmter Werdekraft die purpurblütigen Büsche der Perückenflockenblume mit den gelbblühenden Familienverwandten der Habichtskräuter, der Goldrute und des sternblütigen Hainkreuzkrautes, das gleich Blitzähren das nahe Strauchwerk durchleuchtet. Der Herbstlöwenzahn reckt seinen Blütenkopf empor, während der Frühlingslöwenzahn, die »Maiblume« der Dresdner, schon zum zweitenmal verblüht, seine Laternen zum Ausblasen der Flugfrüchte darbietet. Die Blütensterne der Wucherblume und die weißen Doldenschirme des Bibernells locken die letzten Herbstbummler der Insektenwelt, während Augentrostarten[1] mit ihrer Blütenlieblichkeit sich bescheiden in die wiederaufsprossenden Gräser ducken. Hie und da zeigt sich ein Trupp weißblühenden Labkrautes. Die Glockenblumen, zumal die dunkelblauen, läuten den Sommer aus, und auf flachgründigem, daher trockenem Gelände glänzen zahlreich die Goldsterne des Jakobskrautes. Dazwischen heben sich über die Grasnarbe gleich feinem dunkelgrünen Federwerk die aromatischen Büsche der Bärwurz, des Keppernickels unsrer Gebirgler. Hie und da hat es noch eine Herbstdolde angesetzt, aber einzelne Blätter leuchten schon im herbstlichen Zitronengelb oder Goldbraun. Auf nahen Brachfeldern blühen noch wilde Möhre, die lilaköpfige Knautie, der löwenmaulähnliche Frauenflachs, die drüsige Gänsedistel, und als Dauerschmuck des Jahres die allbeliebte Kornblume.
Vom Nahen schweift unser Blick ins Ferne: Eine laubholzbewachsene Steinrücke zieht durch ihr köstliches Bunt unsre Blicke auf sich. Der Spitzahorn hat ein goldenes, ins Orange spielendes Herbstkleid angezogen, dazwischen blitzt das Zitronengelb der Birke und das Rotorange der Eberesche, während die Edelesche, das Weltbild unsrer germanischen Altvordern, noch in unbezwungenem Grün prangt. Des Herbstes Farben sind an trockenen und sonnigen Standorten am frühesten zu spüren: die tief im feuchten Grunde verankerte Esche erhält sich daher noch lange frisch. Der Haselbusch gilbt bereits an den Blatträndern, um später im Schmucke braunen Altgoldes dazustehen. An der Steinrücke selbst locken uns blaubereifte Schlehenfrüchte, scharlachrote Hagebutten und schwarzglänzende Brombeeren. Nahe dem wintergrünen, wasserlaufdurchrauschten Fichtenwald hat der glasfrüchtige Schneeball, die »Glosbär« der Einheimischen, sein Laub dunkelweinrot gefärbt, und am Waldeseingang steht als seltene Erscheinung ein[165] schwarzfrüchtiger Kreuzdorn mit noch völlig grünem Blattwerk. Überhaupt hat im Schattenschutz und in der Feuchtkühle des Nadelwaldes die Herbstfärbung nur zögernd eingesetzt, höchstens die Heidelbeerbüsche bringen mit ihrem Mennigrot eine farbige Note in die grüne Eintönigkeit. Doch halt! Hier leuchtet das Fahlgelb des Waldschachtelhalmes und, weißverbleichend, schieben sich Farnwedel dazwischen, und noch entringt sich der Nadelstreu des Waldes ein Heer bunter Gesellen: Die Hutpilze, welche gar lange gezögert, haben sich von der günstigen Herbstwitterung gelockt, emporgedrängt. Rote, gelbe, lilae und grüne Täublinge, kupferfarbene Perlschwämme, braune, weißgetupfte Pantherpilze, formenschöne Scheidenwulstlinge, rotbraune Milchlinge, büschelige Schwefelköpfe beleben das Schwarzbraun des Waldbodens. Am Wasserlauf aber, der seinen Randgewächsen noch immer Nahrung spendet, zeigt sich die blaue Spätblüte des Sturmhutes neben dem hellroten Rupprechtskraut und der Sterndolde der Astrantia; am Wegrande erweisen noch Waldsilche und Sitter[2] ihre späte Blühfähigkeit. Durch das Dunkelblutrot ihres Blattwerkes locken in Menge würzige Brombeeren; gerade recht für ein leckeres Frühmahl.
Vorüber an der Apothekerwiese, die ihren feuchten Charakter durch die flatternden weißen Fruchtfahnen des Wollgrases und die kleinen Purpurköpfchen der Sumpfdistel verrät, steigen wir empor zur Gotteszeche, einer Zeugin vergangener Bergbauherrlichkeit. Die steinige Halde umspinnt glanzblättriges Immergrün und überwuchert sich bräunendes Farnwerk. Das leise Zittern einer kupferblättrigen Eberesche verrät uns ein zierliches Eichhorn, welches uns furchtlos mit seinen klugen Äuglein anschaut, dann aber erschreckt auf einer nahen, noch unverfärbten Eiche sichere Zuflucht sucht.
Oberhalb der rechtsbleibenden Feldscheune des Oelsener Gutsbesitzers Sommerschuh wird uns ein prächtiger Ausblick auf das im herbstlichen Duft verschwimmende, traulich in den Grund gebettete Hellendorf. Wir überschreiten die zur Pfingstzeit so blütenreichen Bergtriften mit ihren jetzt rosablühenden Heideinseln und dem zierlichen Sonnenröschen, die beide den Trockencharakter des Geländes erweisen, aber die reichen Schmelzwässer des Frühlings durchfeuchten den Boden so gründlich, daß sein Wassergehalt ausreicht bis zur Sommerszeit zur Erzeugung solch reicher Blütenfülle. Am Rande eines feuchten Wäldchens aus Fichten und Espen ist noch eine reizvolle Herbstgenossenschaft aus lilaköpfigem Abbiß, aus Bertramschafgarben, purpurähriger Betonie und leuchtendroter Waldnelke[3] versammelt, dazwischen verrät ein kräftiges Scharlachrot eine angepflanzte amerikanische Eiche mit ihren ausgezackten Blättern. Nun wenden wir uns aufwärts durch den auf blockreichem Gelände erwachsenen Baschkens-Busch. Längst schon ist der Besitzer dahingegangen, aber sein Name ist in diesem Flurstück geblieben. In ländlichen Bezirken bedarfs nicht hervorragender geistiger Tüchtigkeit, nicht des Tummelns des Dichterrosses oder blutrünstiger Schauertat, um in der Erinnerung fortzuleben: Der Besitz ist alles, er macht unsterblich.
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Beim Überschreiten einer Wiese fallen uns die weißverblichenen, vom Vieh herausgerupften Büschel des wertlosen Borstgrases auf; wir schließen uns aber nicht der eigenartigen Meinung an, die im Herausrupfen des nährstoffarmen Grases eine zielbewußte Tat des Weideviehes erblickt. Nunmehr treten wir ein in Baschkens-Busch. Märchenschön ist er mit seinem herbstlichen Buchengold und alabasternen Säulen der Birkenstämme; mit seinen im Altgold leuchtenden Wedeln des Adlerfarns und den weißen Riesentrichtern des Pfeffermilchlings. Überall rieselt es gleich großen goldenen Funken von den Bäumen herab, und schon ist der Boden weithin belegt mit tausenden gefallener Buchen- und Ahornblätter, so daß wir fast lautlos dahinschreiten.
All diese Farbenherrlichkeit regt uns unwillkürlich zu der Frage an: »Woher dieser bunte Zauber des Herbstes mit seinen Farbentönen?« Die Wissenschaft gibt uns darauf eine annähernde Antwort. Das sommerliche Grün der Blätter rührt her von einem »Chlorophyll« genannten Farbstoff, der in den Zellkammern aller grünen Pflanzenteile, vornehmlich in den Blättern, in Gestalt winziger, grünschimmernder Körnchen zu Hunderten gehäuft ist. Alkohol löst diesen Farbstoff heraus, und dieser grüne Auszug erscheint bei auffallendem Licht dunkelblutrot. Durch Ausschütteln mit Benzin aber läßt sich erweisen, daß dieses Grün kein einheitlicher Farbstoff ist, sondern sich spalten läßt in einen widerstandsfähigen gelben und einen leicht zerstörbaren blauen. Infolge der im Herbste geringeren Nährstoffzufuhr, vielleicht auch als natürliche Alterserscheinung, zersetzt sich der blaue, »Cyanophyll« genannte Farbton, und das gelbe haltbare »Xantophyll« bleibt als Grundton des Herbstes bestehen. Um aber all die andern Farbenwandlungen des Herbstes erklären zu können, muß uns ein weiterer Farbstoff dienen: das »Anthocyan«. Es ist nicht in Körnchen sichtbar, sondern im Zellsaft gelöst und wandelt sich bei Anwesenheit von Säuren vom Blau in Rot. Es ist derselbe Farbstoff, der das Tiefblau der Clematis und die Purpurfarbe unsres Rotkohls bedingt. Dieser Farbstoff erscheint gebunden an in den Zellen erzeugten Traubenzucker. Während derselbe in der warmen Jahresperiode durch Ableitung und Atmung aus den Blättern verschwindet, stockt dieser Vorgang bei kühlerer Witterung. Traubenzucker kann sich somit im Blatt anhäufen und gibt dem blauen bzw. dem roten Farbstoff die Entstehungsmöglichkeit. Durch dieses Zusammenwirken von Grün, Gelb, Blau und Rot in wechselndem Mengenverhältnis wird dieses herbstliche Farbenspiel in der Natur geschaffen. Ein in den Herbst hineinreichendes Farbenwunder ist auch der beim Austritt aus dem Wäldchen uns grüßende Hainwachtelweizen mit seinen blauen Hochblättern und seinen goldgelben Rachenblüten, deren Unterlippe orange getönt ist. Ähnliche Färbung zeigt eine einsame Königskerze, aus deren gelben Blüten blauviolette Staubfadenhaare emporragen. Ehe wir auf die neue Autostraße von Hellendorf–Gottleuba einbiegen, säumen den Wegrand noch die Purpurblüte der Steinnelke[4] und die rosaen Blütenähren des duftblättrigen Quendels. Traulich winkt alsbald die Gottleubaer Pfarrkirche zu uns herüber. Auf den Feldern drängen sich frohe Menschen, um die Kartoffelernte zu bergen, die Weideglocken buntscheckiger[167] Rinder tönen mit dem lustigen Gesang der Hüterjungen zu uns heran, und bäuerlicher Fleiß bereitet den herbstlichen Boden durch Pflügen zu neuer Saat. Gar öde mutet uns die Autostraße an, nach all der Blütenherrlichkeit, auf der wir bisher dahinschritten. Wie zur Entschädigung teilt die Sonne das Nebelgewölk, und lichtübergossen leuchtet von den nahen Hartmannsbacher Hängen noch einmal die bunte Pracht, aus der sich in feierlichem Ernste dunkelpurpurn die frisch umbrochenen Äcker abheben und auf künftige segensreiche Ernte hoffen lassen.
[1] Im östlichen Erzgebirge sind es besonders Euphrasia pratensis Fr., Euphr. nemorosa Pers. und stricta Rost.
[2] Selinum carvifolium und Epipactis latifolia.
[3] Dianthus Seguieri = silvaticus als Charakterpflanze des östlichen Erzgebirges.
[4] Dianthus deltoides.
Von Dr. Paul Goldhardt
Infolge des verlorenen Krieges und der dadurch bedingten starken Abnahme der Bautätigkeit haben in den vergangenen Jahren bauliche und künstlerische Fragen in unsern »Mitteilungen« einen viel geringeren Raum eingenommen, als unsre Leser das von früher her gewohnt waren. Hinzutrat die mit Kriegsende einsetzende und von uns aufs eifrigste geförderte Wanderbewegung und die Erstarkung der Liebe zur Natur und ihre Erforschung, Strömungen, denen wir in unsern Mitteilungen breiten Raum lassen mußten.
Die nachstehenden Zeilen sollen den Beweis liefern, daß deswegen unsre Tätigkeit auf dem Gebiete der Bauberatung nicht erlahmt ist, sondern daß wir unverdrossen an der wichtigen Kulturaufgabe, der Beeinflussung der Bautätigkeit im Sinne künstlerischer Vertiefung, an der Erhaltung der künstlerischen Eigenart der uns überlieferten Bau- und Kunstdenkmäler, an der Veredlung neuer kunstgewerblicher Aufgaben weiterarbeiten. Da sei gleich eingangs hervorgehoben, daß keineswegs, wie dies hie und da vermutet und behauptet wird, unsre Tätigkeit im Festhalten am historisch Gewordenen sich erschöpft, sondern daß wir an der folgerichtigen Lösung der modernsten Aufgaben teilhaben. Wir erinnern nur an die im Frühjahr von uns gemeinsam mit dem Deutschen Bund Heimatschutz veranstaltete Ausstellung vorbildlicher Ingenieur- und Industriebauten, die in bunter Folge meisterliche Lösungen aus alter und aus neuer Zeit brachte und die – wir dürfen das hoffen – zur weiteren Klärung dieses für die Ausdruckskultur unsrer Zeit so ungeheuer wichtigen Aufgabenkreises wesentlich beigetragen hat und noch beitragen wird.
Zahlreiche Entwürfe für Fabrikbauten haben in den letzten Jahren uns zur Begutachtung vorgelegen und in sehr vielen Fällen haben wir durch Skizzen und Beratung wertvolle Erfolge bei der Verbesserung der Pläne erzielt. Dabei war es unsre vornehmste Aufgabe, auf die oft fehlende Harmonie mit der Umgebung, mit der landschaftlichen Struktur und dem vorhandenen architektonischen Charakter der Umgebung hinzuwirken. Vielfach ist es uns auch gelungen, die Bauherren zur Annahme eines tüchtigen Architekten zur weiteren Lösung der Aufgabe zu bewegen und sie hatten in keinem Falle Veranlassung, diesen Entschluß zu bereuen.
Einen großen Umfang nahmen auch die landwirtschaftlichen Bauten an. Schon die allerorts notwendig werdenden kleinen An- und Ausbauten der Gutsgebäude mußten unsre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, denn hier trat in vielen[168] Gegenden fast seuchenartig das Bestreben hervor, die Eigenart der wert- und reizvollen Bauernhäuser durch häßliche flache Anbauten, die weder im Grund- noch im Aufriß überlegt waren, zu zerstören. Es war betrüblich zu beobachten, welchen geringen Sinn viele der Besitzer solcher Güter für die Schönheit ihrer Gebäude haben und wie sie oft um eines geringen geldlichen Vorteiles willen, auf der Verunstaltung ihres Eigenbesitzes bestanden haben. Wo das geschah und unser Warnungsruf ohne Erfolg verhallt ist, dürften schon heute bei der inzwischen eingetretenen Geldentwertung die Bauenden sich von der Kurzsichtigkeit ihrer Handlungsweise überzeugt haben.
Erfreulicherweise aber ist die Erkenntnis von der Unwirtschaftlichkeit solcher Behelfsbauten, denn das sind sie im Grunde, im Fortschreiten begriffen. Das zeigt sich besonders beim Um- und Erweiterungsbau größerer ländlicher Wohnhäuser und insbesondere von ländlichen Herrschaftshäusern.
Meist handelt es sich darum, das zu eng und unwohnlich gewordene Gutswohnhaus zu erweitern oder durch ein neues zu ersetzen. Hier zeigte sich einerseits vielfach eine bedenkliche Vorliebe für Prunkfassaden und geringes Verständnis für die künstlerischen Feinheiten des Gutscharakters, die durch Hineinstellung eines Fremdkörpers gründlich verdorben worden wären. Es offenbarte sich hier deutlicher als irgendwo, daß solche Aufgaben in die Hand eines feinsinnigen Baukünstlers gehören, denn gerade das Einfügen eines Neubaues in eine alte wertvolle Baugruppe, wie sie unsre prächtigen Gutsgehöfte fast immer sind, bedarf großen künstlerischen Taktes.
Es ist heute einfach ein Naturgebot, daß alles was geschaffen wird, möglichst hochwertig entsteht, denn wir können uns eine Verschleuderung wertvoller Werkstoffe und Arbeitskräfte an minderwertige Leistungen einfach nicht mehr gestatten. Von einer Verteuerung durch die Annahme eines tüchtigen Architekten kann auch keine Rede sein, da durch diese meist auf Vereinfachung hingewirkt und eine wirksame Rechnungskontrolle ermöglicht wird.
Anderseits soll hier gern hervorgehoben werden, daß viele der altansässigen Gutsfamilien stolz auf das bauliche Erbe ihrer Vorfahren sind und alles daran setzen, um die künstlerische Einheit zu wahren, wenn sie daran gehen, Neues erstehen zu lassen.
Hier spielt unsre Tätigkeit hinüber in das Gebiet der Denkmalpflege und die in Frage kommenden Arbeiten werden in solchen Fällen in engem Meinungsaustausch mit dem Landesamt für Denkmalpflege im Ministerium des Innern durchgeführt.
Wir werden in nächster Zeit über diese Aufgabe näher berichten können.
Abb. 1 und 2 zeigen uns den Entwurf des in Ausführung begriffenen Herrenhauses Dr. Lieber in Stroga bei Großenhain, er stammt von Architekt Dr. Otto Schubert, Dresden und wurde im Einvernehmen mit uns aufgestellt. In diesem Fall waren uns wegen der wenig günstigen Bauweise des in den siebziger Jahren erbauten Hauses – es handelt sich um einen Umbau – bei Gestaltung des Äußeren die Hände sehr wenig gebunden, weshalb ein völlig neuer Baukörper geschaffen werden konnte. Gewählt wurde das allseitige Mansardendach mit zeltartigem Anbau an der Parkseite als Betonung des angefügten Hallenvorbaues, der dem Haus Eigenart und Vornehmheit geben wird.
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Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß wir dem Kleinwohnungsbau und Siedelungsproblem und der damit verknüpften Fragen ständig unsre größte Aufmerksamkeit zugewendet haben. In bestem Einvernehmen mit den Verwaltungsbehörden haben wir in Hunderten von Fällen Gegenvorschläge für ungenügende Eingabezeichnungen angefertigt oder aber, wo dies angängig erschien, auf Zuziehung tüchtiger Architekten gedrungen. Nicht immer war uns Erfolg beschieden, aber in zahlreichen Fällen fanden wir verständnisvolles Entgegenkommen der Bauherren und Ausführenden. Besonders dankbar aber begrüßen wir die Förderung unsrer Ziele durch das Landeswohnungsamt, die Amtshauptmannschaften und Stadträte, die – besonders in einigen Gegenden unsres Sachsenlandes – mit zäher Ausdauer den Kampf gegen die Unkultur und Kunstlosigkeit gemeinsam mit uns durchkämpfen.
Dieser Unterstützung bedürfen wir auch, wenn es sich um die Einflußnahme auf die Gestaltung ländlicher Schul- und Verwaltungsgebäude sowie kirchlicher Gebäude handelt. Letzten Endes muß eben der Heimatschutz in die Herzen aller eindringen, von allen gewollt werden und Angriffe auf unsre schönen alten Städte- und Dorfbilder als auf uns alle persönlich gerichtet erkannt und abgewehrt werden.
Die Schönheit des Friedhofs ist ein Ideal, von dem wir noch himmelweit entfernt sind. Sowohl die Großstadtfriedhöfe als die der kleinen Orte bieten noch immer ein betrübliches Bild der Anhäufung von Schlechtem und Aufdringlichem. Hier liegt noch viel ernste und harte Arbeit vor uns. Soweit wir einwirken konnten, haben wir durch zeichnerische oder plastische Vorschläge zunächst einmal auf die Schaffung einer Generalidee gesehen, der sich das gesamte Friedhofsbild unterzuordnen hat. In vielen Fällen konnte als Ausgangspunkt der neuen Ordnung die eben im Entstehen begriffene Ehrung der Opfer des Weltkrieges dienen. So haben wir in Eppendorf gemeinsam mit Bildhauer Lippert Kirche, Denkmal und Friedhof zu einer festen Einheit zusammenschließen können und erkennen gern das verständnisvolle Entgegenkommen des Kirchenvorstandes an.
Anderorts war es nötig, durch strenge Vorschriften auf die Erhaltung des Charakters alter Friedhöfe zu sehen, so galt es in Cavertitz einen wundervollen alten Friedhof, der lange Zeit nicht mehr belegt worden war, zu schützen und die künftige Belegung zu regeln. Hier drangen wir, wie in ähnlichen Fällen, darauf, daß weder Baum noch Strauch noch die wichtigen alten Denkmäler angerührt wurden, daß vielmehr die neue Belegung auf alle diese erhaltenswerten Bestandteile des einzigartigen Friedhofsbildes Rücksicht nehmen mußte. Die besonders schwierige Lösung einiger Familiengrüfte, von denen leider zwei in schlechter Form schon aufgestellt waren, vertrauten wir im Einverständnis mit dem Kirchenvorstand und den ausführenden Gewerken Herrn Professor Groß von der Kunstgewerbeakademie an. Wir halten es überhaupt für die wichtigste Forderung bei der Verbesserung der Friedhöfe, daß die künstlerische Gesamtlösung in die Hände eines tüchtigen Bildhauers oder Architekten gelangt, denn die Praxis lehrt, daß mit geschriebenen Friedhofsordnungen nicht viel geholfen ist, solange nicht ein künstlerisch Tätiger ihre Durchführung überwacht; also auch hier kann sich der Heimatschutz nicht auf die Verhinderung des Schlechten beschränken, sondern er muß Positives schaffen.
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Bei dem Arbeitsausschuß der Landesberatungsstelle für Kriegerehrungen gingen in den vergangnen Jahren täglich mehrere Entwürfe zur Begutachtung ein. Auch hier konnte ganz allgemein festgestellt werden, daß gute Lösungen nur dort entstanden, wo rechtzeitig ein tüchtiger bildender Künstler zugezogen worden war. Die vielen schlechten Ehrendenkmäler, die leider im Lande stehen und die wir trotz energischer Werbetätigkeit nicht verhindern konnten, beweisen, wie gering im Volke noch immer das Verständnis für künstlerische Werte ist. Glücklicherweise können wir aber auf eine stolze Reihe von Denkmälern blicken, die auf unsre Einwirkung hin entstanden sind und die, hoffen wir es, dazu beitragen werden, Urteil und Kritik zu schärfen. Allein von Beginn des Jahres 1922 bis jetzt wurden in etwa fünfzig Gemeinden Denkmäler nach unsren Vorschlägen ausgeführt, während die Ausführung unsrer Vorschläge an zehn andren Orten beschlossen wurde.
Nicht immer wurden unsre Anregungen freundlich aufgenommen, oft hielt man unsre Einwirkung für Besserwisserei und oft glaubte man unsre Einwände damit abtun zu können, daß man erklärte, man könne für sein Geld bauen, was man wolle. Solche Denkungsweise entspricht nicht der Kultur eines hochstehenden Volkes und ist der Ausdruck rohester materieller Gesinnung.
Wenn wir die Denkmäler des Weltkrieges mit denen andrer Völker vergleichen, können wir immer noch stolz auf die Leistungen unsrer bildenden Künstler sein, die sich glücklicherweise freihalten von Schematisierung, und wenn wir der Ursache des Erfolges nachspüren, so finden wir, daß unsre deutschen Künstler es viel besser verstanden haben, landschaftlich geeignete Aufstellungsplätze zu finden und was noch wichtiger ist, die Eigenart des Aufstellungsplatzes im Denkmal zum[171] Ausdruck zu bringen, also der künstlerische Takt der Einfügung des Kunstwerkes in die Umgebung ist auch hier ausschlaggebend für seine Wirkung.
Aber auch kunstgewerbliche Aufgaben, die mit dem Orts- und Landschaftsbild irgendwie zusammenhängen, haben uns laufend beschäftigt. Hierzu gehören vor allem Orts- und Warnungstafeln, Flaggen, Standarten, Ehrenurkunden und dergleichen. Zur Lösung dieser Aufgaben stellte sich uns Professor Rößler von der Kunstgewerbeakademie in uneigennütziger Weise zur Verfügung und ihm ist es zu verdanken, daß unter Heranziehung seiner Schülerschaft eine große Reihe dekorativer Arbeiten öffentlichen Gepräges in gute Form gebracht wurde. Gleichzeitig bereitet uns diese Art der Erledigung die Befriedigung, dem akademischen Unterricht durch Überweisung praktischer Aufgaben positiven Gehalt verschaffen zu können. Aber auch die im Erwerbskampf stehenden dekorativen Künstler konnten wir des öfteren zu größeren Aufgaben heranziehen.
Überhaupt lag es uns daran, nicht nur auf dem Gebiet der reinen Architektur sondern auch auf dem der übrigen bildenden Künste, insoweit sie Stadt- und Landschaftsbild beeinflussen, mitzuarbeiten und zur Lösung der auftauchenden Probleme mitzuwirken. Hierbei beschäftigten uns in erster Linie zwei Probleme: die Farbe im Stadtbild und die Außenreklame.
Ausgehend von den zahlreichen verunglückten farbigen Bemalungen in unsern Groß- und Kleinstädten hielten wir mehrmals im Kreise unsrer Sachverständigen eingehende Beratungen über diese für das Ortsbild so wichtigen Frage ab und kamen dabei einheitlich zu der Überzeugung, daß bessere Lösungen nur dann erwartet werden[172] können, wenn eine behördliche Melde- und Genehmigungspflicht eingeführt und rechtzeitige Heranziehung künstlerischer Kräfte durchgesetzt wird. Wir hatten hier Gelegenheit, den Herren Vertretern der Stadt Dresden gegenüber die alsbaldige Erlassung eines besonderen Gesetzes zum Schutze des Ortsbildes zu fordern, in dem wir auf zahlreiche andre sächsischen Städte hinwiesen, wo dies bereits in vorbildlicher Weise geschehen ist. Inzwischen haben wir in einigen Orten, so in Königstein, Neustadt, Hartenstein usw., bereits für die praktische Lösung farbiger Straßenbemalung positive Vorschläge gemacht, die von Erfolg begleitet sind. Anderorts, so in Meißen, haben wir eine aus wenigen schaffenden Künstlern und dem Bürgermeister bestehende Kunstkommission zur Überwachung des Stadtbildes ins Leben gerufen und wir hoffen, auf diesem Wege fortzuschreiten, bis überall der Gemeinsinn geschärft, bis überall die Schönheit unsrer Städte und Landschaft Gemeingut aller geworden ist. Allenthalben haben wir dabei uns möglichst von der Theorie und dem Aufstellen von Richtlinien ferngehalten, sondern glaubten der Allgemeinheit am besten durch praktische Vorschläge dienen zu können.
Die Reklame ist die am meisten umstrittene Aufgabe, mit der wir uns befaßt haben. Sie hat uns oft mehr als uns lieb war in Anspruch genommen. Seit Bestehen unsres Vereins haben wir ihre Auswüchse bekämpft und versucht, ihre Formen in bessere Bahnen zu lenken, sind aber nie Reklamefeinde gewesen, wie man uns gern in die Schuhe schieben will. Als nach Kriegsende unsre Reichsverkehrsbehörden – Post und Eisenbahn – dazu übergingen, eine schranken- und geschmacklose Reklame an ihren Bauten zuzulassen, die ihnen nachweislich ganz geringe Einkünfte und wenn man die Beamtengehälter einrechnet, eigentlich nur Verluste einbringt, legten wir gemeinsam mit allen in Frage kommenden Künstlerverbänden und Wirtschaftsvereinigungen eine energische Verwahrung gegen die Verunstaltung des Stadtbildes ein, die Presse schloß sich unserm Vorgehen auf der ganzen Linie an. Nachdem auch der Reichskunstwart auf unsre Seite getreten ist, hoffen wir bestimmt, daß die gröbsten Verunstaltungen binnen Kurzem verschwinden werden.
Die erregteste Form nahm der Reklamekampf aber bei der Beurteilung der sogenannten Reklamestraße am Stadion auf den vormaligen Güntzwiesen an.
Wir hatten uns in einer Ausschußsitzung mit dem auftauchenden Plan der Reklamestraße beschäftigt und in einer Sachverständigensitzung beschlossen, die Zerreißung des wundervollen vom Großen Garten, den Güntzwiesen, der Bürgerwiese und dem Garten des Prinzenpalais gebildeten Grüngürtels abzulehnen und zu bekämpfen. Wie berechtigt unsre Bedenken waren, hat die Stellungnahme der breiten Öffentlichkeit nach Ausführung der Reklamestraße bewiesen. Die Reklamestraße ist als Versuch der Konzentration der Reklame entstanden und wir betonen hier ausdrücklich, daß wir alle großzügigen Versuche zur Verbesserung der Reklame nur begrüßen, aber die Güntzwiesen sind ein Gebiet, das für solche Versuche nicht geeignet ist.
Wie schon hervorgehoben, bringt der innige Zusammenhang zwischen Heimatschutz und Denkmalpflege mit sich, daß unsre Bauberatungsstelle eine Reihe der vorliegenden Aufgaben im ständigen Einvernehmen mit dem Landesamt für Denkmalpflege im Ministerium des Innern erledigt. Bei allen Veränderungen, Erweiterungen[173] und Zutaten an Baudenkmälern, bei denen die Beratungsstelle gehört werden sollte, werden Gutachten und Vorschläge nur nach gemeinsamen Beratungen abgegeben. Es handelt sich vielfach um sehr wichtige Fragen, die öfters im Kreise der maßgebenden Dresdner Künstler besprochen werden. So machten wir einen Vorschlag für den geplanten, bisher allerdings noch unterbliebenen Ausbau von Schloß Übigau für die Zwecke der Schiffswerft Übigau, und hatten die Genugtuung, daß unser Vorschlag angenommen wurde. Ebenso bearbeiteten wir gemeinsam mit dem Stadtbauamt Löbau einen Entwurf für die Wiederherstellung des »Goldenen Schiffs« in Löbau und seine Verwendung für städtische Diensträume sowie die Verbindung des Gebäudes mit dem benachbarten Rathaus durch einen Übergang. Bis auf den kleinen Dachgiebel an der Marktseite, den wir nicht wünschten, sind dabei unsre Vorschläge durchgeführt worden und damit die reizvolle Barockarchitektur des früheren Hotels wieder hergestellt worden.
Weiterhin beschäftigten uns noch Planungen von Bankneu- und -umbauten für Meißen, insbesondere ein geplanter Neubau am ehemaligen Franziskanerkloster. Hier waren Probleme der Denkmalpflege mit städtebaulichen und Verkehrsfragen innig verknüpft und es gelang trotzdem zwischen Bauherrschaft, entwerfendem Architekten und Baupolizei eine Einigung in unserm Sinne zu erzielen, wenn freilich auch die Verwirklichung der Pläne noch aussteht.
Von Max Zeibig, Bautzen
Über all das deutsche Elend strahlt der Herbsthimmel sein schönstes Blau. Fast südliche Heiterkeit strömt von ihm zur Erde, als wollte er Gnade bringen, nichts als Gnade.
Und in all die graue deutsche Armut sprüht der Herbst seine lachenden bunten Farben und streut der Blätter Gold verschwenderisch zu unsren Füßen, bis wir darin wühlen können.
Was ist dies Sterben? Ein Aufleuchten. Ein Jubeln und Jauchzen. Ein letztes Sammeln von Kraft und Schönheit. Und ein leises Verkünden von fernem Auferstehn.
Laßt uns gehen in den Herbst!
Wir wandern und wandern. Mächtige alte Bäume geleiten uns die Straße, die immer weiter will, stundenlang durch Heide, der Sachsengrenze zu, wo um Muskau rauschende Wälder träumen.
Junge Frauen arbeiten in blumenbunten Schrebergärten, ernten karge Frucht und harren der Heimkehr des Mannes, um sich nach des Tages Arbeit ein Stündlein auf eigenem Boden zu erfreuen. Aufleuchten die vergrünenden Wiesen im herbstlich blassen Sonnenglanz. Bestellt und besorgt ruhen die braunen Felder. Nur manchmal noch steigt der Rauch von späten Kartoffelfeuern in die klare Luft.
Im Südosten zieht die heimatliche Bergkette ihre sanftgebogene blaue Linie an den Himmel hin. Dann und wann wölbt sich ein Hügel und nimmt ein Dorf zur[174] Krone. Der Kirchturm von Hochkirch guckt keck und neugierig über die selige Landschaft. Und die Kreckwitzer Höhen denken mit Schrecken an die reitende Batterie Probsthayn und an den alten Vater Blücher und sind froh, daß sie ihren Frieden haben. Im Norden winken die Heidewälder und locken mit dem Schweigen und der Ruhe ihrer Trosteinsamkeit.
Aber wir biegen von der großen Straße ab, sehen die verknorrte Napoleonskiefer mit dem hellen Gewirr ihrer Äste und wenden uns rechts den Teichen zu. Da stellt sich eine mächtige Eiche in den Weg. Man weiß nicht genau, ist sie vier- oder sechshundert Jahre alt. Vor Tagen umschloß eine ganze lustige Kinderschar den gutmütigen Riesen mit weitgeöffneten Armen, daß der Alte ganz behaglich schmunzelte.
Der schmale Weg an den Teichen ist von Laub fast verschüttet. Ahorn, Buchen, Eichen, Spiräen und Akazien werfen ihre Blätter auf den weichen Boden. Hoch steht das Schilf im Wasser. Kanonenputzer wiegen ihre braunen Köpfe im leichten Wind und wilde Vögel fliegen erschreckt auf, wenn wir ihrem Nest zu nahe kommen.
Der birkenbesäumte Poetensteig führt hinüber zum Gutsweg. Auf einem Bauernhof freuen wir uns eines Storchnestes, kehren um und schauen vom Platze des liebevollen Kriegerdenkmals noch einmal auf das freundliche Dorf.
Wie warm und herdfroh liegt es im milden Glanz der Abendsonne! Wie friedlich stehen seine Häuser beieinander! Wie ist das alles selig, still und schön! Ein Heimatdorf! Ein deutsches Dorf!
Deutschland! Daß du unsre Heimat bist, das ist unser Herzensglück … Dennoch!
Die vom Wasser zerbrochene Brücke lassen wir beiseite und gehen, immer zwischen Wiesen und Feldern, heim in unsre Stadt. Da leuchtet aus rotglühenden Fenstern ein Widerschein all der beseligenden Freude, die wir heute genossen.
Und ob wir nun andre Wege wählen, ob wir uns südlich wenden und die Bergstraße hinaufziehen durch das Dorf Soculahora, ob wir bei der Roten Schenke den Czorneboh grüßen und rechts in den Wald biegen, um wundervolle Ausblicke in das Lausitzer Land zu haben, ob wir ein Stück mit dem Zug in die Wendei fahren, um am Schwarzen Adler einen Garten mit seinen Herbstblumen, mit Strohblumen weiß, rot und gelb, mit Petunien, Mohn und Löwenmaul, mit kinderaugenblauen Lobelien und ockergelben Studentenblumen zu bewundern, ob wir eine malerische Wendensiedlung betrachten und im stillen Friedhof der frommen Brüdergemeinde andächtig werden ob der Stimmung, die der Herbst in seinem königlichen Sterben darüber zaubert, ob wir dann endlich an einem prächtigen Barock-Schloßbau vorbei, heimkehren und unsre Stadt in stets neuen, wechselreichen Bildern vor uns aufsteigt, immer und auf allen Heimatwegen ist unser Innerstes feierlich erhoben. Aus Heimatschönheit blühen Heimatliebe und Heimattreue als die Gefühle, die, seien wir hoch oder niedrig, reich oder arm, uns doch zu dem Bewußtsein führen müssen, daß deutsch, wie unser Land, auch unser Leben und unsre Liebe sein müsse.
Noch ist es Herbst; aber ferne schon dämmert die Winternacht herein. Und ein schwerer deutscher Winter steht uns bevor. Er soll uns gerüstet finden in Liebe, Kraft und Treue. Das sei der Sinn und die Ernte, das sei die Sonne unsrer Herbstwege.
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Also beginnt das lange Gedicht, womit der Dresdner Dichter Theodor Hell (mit seinem eigentlichen Namen Winkler) im Jahre 1816 oder 1817 das Hochzeitsfest eines seiner Freunde verherrlichte, der im Trompeterschlößchen zu Dresden wohnte. Und weiter erzählt Hell in diesem Gelegenheitsgedicht, was ihm angeblich eine alte Krückenfrau über den Ursprung des »Sinnbildes« vom blasenden Trompeter berichtet habe. Im Dreißigjährigen Kriege kam einst ein verirrter Trompeter in ein abgelegenes Wirtshaus, »suchend für die Nacht sich Schutz gegen Ungewitters Trutz«. Aber das Haus ist vom Kriege zerstört und vermag ihm kein Obdach zu bieten. Der Wirt belehrt den Trompeter:
Aber der Trompeter, im Kriege gehärtet, hat frohen Mut; er spornt sein ermattet Roß, eilt flugs zu dem hochgetürmten Schloß empor und sucht sich dort ein Unterkommen in einem der vom Besitzer verlassenen, prächtig ausgestatteten Zimmer. Als aber »auf fernem Turme Mitternacht die Glocke schlägt,« erwacht der Trompeter von einem fürchterlichen Rumor, der das Schloß durchtobt; ein Geist, in der Faust ein Schwert, tritt mit wütender Gebärde in das Zimmer des Trompeters, ein Sturmwind entführt diesem die schnell gezückte Klinge, und der[176] Geist hebt schon »den Sarras blutig rot«, um den Trompeter den Garaus zu machen. Der aber greift in seiner letzten Not, einer plötzlichen Eingebung folgend, zu seiner Trompete und bläst einen tüchtigen Tusch. Ganz verdutzt läßt der Geist seinen Sarras sinken, der Trompeter erfaßt rasch die Sachlage und bläst »rasch, bald kalt, bald heiß, alle Stückchen, die er weiß«. Da nimmt der Geist von der Wand seine eigene Trompete, winkt dem Trompeter und führt ihn in einen großen Saal.
Der Trompeter muß sekundieren und eine ganze Stunde blasen die beiden ihre schauerlichen Melodien zum Fenster hinaus.
Als es Eins schlägt, hört der Geist auf zu blasen, winkt dem Trompeter und führt ihn
Hier eröffnet der Geist dem Trompeter, daß er einst ein böser Ritter gewesen sei und alle Fremden erschlagen habe, die in seinem Schlosse eingekehrt seien im Glauben, hier ein gastliches Obdach zu finden. Da traf ihn des Himmels Strafe: er sollte nicht eingehen zum Frieden, sondern müsse jede Nacht fortan die Trompete blasen, bis ihm zu seinen »Jammertönen« ein Trompeter sekundieren würde, allen Erdensöhnen aber, die nur Neugier herführen würde,
Der Geist verschwindet und der Trompeter füllt, nachdem er sich von dem Schrecken und der Anstrengung erholt hat, flott seinen Mantelsack voll Gold, bläst[177] am Morgen noch einen lauten Tusch zum hohen Bogenfenster hinaus und reitet froh von dannen.
Reicher Beifall der Hochzeitsgäste lohnte dem Dichter nachdem er geendet hatte, und seitdem erzählt man sich in Dresden die Sage vom Trompeterschlößchen. In der sagenfrohen romantischen Stimmung der Zeit fand sie vollen Widerhall. Ob Theodor Hell irgendwelchen Anhalt für sein Gedicht aus mündlicher Überlieferung erhalten, oder ob er, was wahrscheinlicher ist, nur aus seiner eigenen Phantasie geschöpft hat, bleibe dahingestellt. Aber die Sage spann sich weiter. Hell veröffentlichte seine Dichtung 1817 in der »Zweiten Gabe des Komus«, eines Taschenbuchs, das er mit befreundeten Dichtern seit 1816 herausgab. Noch in demselben Jahre ward es nachgedruckt in dem Buche: »Poetische Sagen der Vorzeit als: Legenden, Volkssagen, Märchen und Schwänke ernsten und launigen Inhalts für Freunde der Dichtkunst und als Stoff für Deklamation gesammelt vom Deklamator C. F. Solbrig,« worin sich eine lange Reihe Dichtungen ähnlicher Art von Castelli, Göcking, Theodor Hell, Friedrich Kind, dem Dichter des Weberschen Freischütz, Theodor Körner, Langbein, Pfeffel, Wilhelm Schlegel, Schwab, Schubert und zahlreichen längst vergessenen Dichtern jener Zeit finden. Auch Goethe ist darin mit dem Gott und der Bajadere sowie mit dem Hufeisen vertreten.
In ganz anderer Fassung tritt uns dann die Sage vom Trompeterschlößchen in Widar Ziehnerts Volkssagen 1834 entgegen. Dieser verlegt den Spuk in das Trompeterschlößchen selbst, das er ein »vielbesuchtes, rühmlichst bekanntes Gasthaus« vor dem Seetor in Dresden nennt.
Der Trompeter ist bei Ziehnert ein grober Bayer, namens Claus. Er übernachtet trotz der Warnung in dem verlassenen Spukhause. Um Mitternacht treten vierundzwanzig Gerippe in Leichentüchern in den Saal. Sie fordern den Trompeter auf, ihnen zum Tanz zu blasen und beginnen dann unter fürchterlichem Geheul einen fliegenden Reigen, bei dem der Trompeter für jeden falschen Ton, den er in Todesängsten bläst, einen Backenstreich erhält. Um ein Uhr hört der Tanz[178] auf. Die Tänzer drängen sich zur Tür hinaus und kreischen dumpf: »Zur Grabesruh, zur süßen Ruh.«
Der von Angst erfüllte Trompeter gewinnt endlich seine Fassung wieder.
Der Wirt erscheint, nimmt den Trompeter mit in sein zweites Haus, zählt ihm eine lange Reihe blanker Gulden hin und fordert ihn auf, bei ihm zu bleiben, er solle auch immer »freies Bier« haben. Aber der Trompeter will nichts davon wissen, er sattelt sein Roß und reitet davon.
Ziehnert schließt seine moralisch gewendete Dichtung, die aus dem gottlosen Trompeter einen gottesfürchtigen Mann werden läßt, mit folgender Strophe:
Wie man hieraus ersieht, ist Widar Ziehnert der eigentliche Erfinder der Sage, wie sie sich in Dresden erhalten hat. Er hat die Mär aufgebracht, daß der Spuk vom blasenden Trompeter sich im Trompeterschlößchen selbst zugetragen habe. Wer wissen will, wie sich die Sage in der sagenfrohen Zeit der Romantik weiter mannigfach gewandelt hat, der lese nach in Friedrich Gottschalks Deutschen Volksmärchen (Leipzig 1846) und in der Konstitutionellen Zeitung, Jahrgang 1854, Nr. 3 ff., wo ein Schriftsteller namens Winter als den Trompeter einen Polen namens Thaddäus Slawkowsky nennt und die Sage in das Jahr 1524 verlegt.
Auf die mündliche Überlieferung in Dresden und auf Theodor Hells »Ballade« beruft sich auch J. P. Lyser in seiner Sammlung »Abendländische Tausendundeine Nacht«, der den Spuk in Dresden spielen läßt und ihm durch die Hochzeit des verwundeten Wallensteinschen Trompeters mit der Tochter des Wirtes vom Trompeterschlößchen – nach der Rückkehr aus dem Dreißigjährigen Kriege – einen fröhlichen Abschluß gibt. Derselbe Lyser behandelt in Saphirs Humoristen den Stoff unter dem Titel Trompeter und Graumännchen wieder in anderer Weise.
[179]
Die Wirklichkeit ist nüchterner als die romantische Sage, die, wie es scheint, erst im neunzehnten Jahrhundert entstanden ist und in immer neuen Wandlungen auftaucht. Sicher ist, daß auf dem Grundstück, das am Dippoldiswaldaer Platz steht, seit 1635 Gasthofgerechtigkeit ruht und daß es sich um 1650 im Besitze des kurfürstlichen Feldtrompeters Peter Andreas befand. Schon im siebzehnten Jahrhundert wurde es als das »Schlößchen« bezeichnet. Nach dem Trompeterschlößchen wurde 1874 der westliche Teil der ehemaligen Großen Oberseergasse und das Weststück der anstoßenden früheren Kleinen Oberseergasse Trompeterstraße genannt. Ob – wie Gottschalk sagt – an Stelle des jetzigen Trompeterschlößchens, das seine gegenwärtige äußere Gestalt dem Jahre 1764 verdankt, ein Jagdschloß bestanden hat, das der Burggraf Konrad von Dohna im neunten Jahrhundert erbaute und das späterhin mit dem Untergange des Grafengeschlechts derer von Dohna allmählich verfallen sei, bleibt ungewiß.
Ohne weiteres falsch ist die Mär, daß die Stätte des Trompeterschlößchens um das Jahr 1150 mit dem Jakobshospital überbaut gewesen sei, denn dieses stand, wie aus jedem alten Plane Dresdens zu ersehen ist, vor dem Wilschen Tor am[180] Eingange der Annenstraße. Sicher aber ist, daß das Trompeterschlößchen mindestens seit dem siebzehnten Jahrhundert ein vielbesuchter Gasthof war. Hier mündeten die Straßen, die von Dippoldiswalde und von Dohna her nach Dresden führten. Von dem Schlößchen aus führte zwischen den beiden Seen, nach denen die Straßen Am See und Oberseergasse benannt sind, die Straße nach dem Seetor, und die Fuhrleute, die von Dippoldiswalde, Dohna usw. nach Dresden fuhren, sei es, um hier ihre Ladung abzulegen oder weiter über die Augustusbrücke nach Bautzen usw. zu fahren, pflegten im Schlößchen zu übernachten und erst am andern Morgen weiter zu fahren. Weiter nennt Iccander in seinem Buche von 1726 »Das fast auf dem höchsten Gipfel seiner Vollkommenheit und Glückseligkeit prangende Königliche Dresden in Meißen« im 32. Kapitel ›Von Gasthöfen in und vor Dresden‹ auch das Trompeterschlößchen am See, in welchem »die Garde du Corps oder reitende Trabanten ihre stets währende Estandart-Wacht hat.«
Eine gleichzeitige Nachricht über das Trompeterschlößchen stammt aus dem Jahre 1719. Als damals die Hochzeit des Kurprinzen mit der Kaiserstochter Maria Josepha in prunkenden Festlichkeiten verherrlicht wurde, ward gleichzeitig aus Furcht vor Unruhen wegen der herrschenden Teuerung und Hungersnot eine Art Belagerungszustand über die Stadt verhängt. Unter anderm waren in den Vorstädten 26 Tage lang Dragoner mit dem Sicherheitsdienst beauftragt. Bezeichnend[181] für die Schattenseiten der üppigen Festlichkeiten war, daß sich nachträglich die Gastwirte in dem Schlößchen (das ist das Trompeterschlößchen), in der Lilie (Fischerdorf) und im Roten Hirsch (Pirnaische Gasse) beschwerten, »daß sie genötigt gewesen seien, während dieser Solennitäten viele Reiter und Pferde bei sich aufzunehmen, ihnen alle Nacht Licht zu geben und dabei viel Ungemach von ihnen sowie vielen Schaden dadurch zu leiden gehabt, weil ihre Pferde, weil sie wenig Futter bekommen, aus Hunger die Krippen, Rauffen und sogar die Planken, wo sie angebunden gewesen, angefressen und so zerbissen hätten, daß neue dafür angeschafft werden mußten.« Nachdem sich der Rat von der Richtigkeit der Beschwerde überzeugt hatte, bewilligte er den drei Wirten eine auch auf Stall- und Lichtgeld sich erstreckende Vergütung von 24 Talern und 16 Groschen, ließ aber diese Summe (laut Resolution vom 7. Dezember 1719) von den zehn vorstädtischen Gemeinden aufbringen, zu deren »Sicherheit« jene Mannschaften dahin postiert worden waren.
Der Siebenjährige Krieg brachte dem Trompeterschlößchen schweres Unheil. Im Jahre 1760 brannte es bei der Belagerung Dresdens durch die Preußen vollständig ab. Erst vier Jahre später erstand es von neuem in der Gestalt, die es im Äußeren heute noch hat. Damals erhielt es auch als Wirtshausschild den blasenden Trompeter in der zeitgenössischen Tracht mit der Unterschrift:
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Auch in der Napoleonischen Zeit erlitt das Trompeterschlößchen manches Ungemach. Während der Schlacht bei Dresden am 26. und 27. August ritt Napoleon wiederholt am Dohnischen Schlag vorüber, als er die feindlichen Stellungen und Pläne zu erkunden suchte; er soll auch einmal vor dem Schlößchen gehalten und die zum Ausfall vorüberziehenden Truppen begrüßt und angefeuert haben. Dem Trompeterschlößchen wurde in diesen Tagen von den Soldaten übel mitgespielt: Vater Jäppelt, der damalige Wirt, hat oft erzählt, man habe ihm nicht einen Tropfen in den Flaschen gelassen und von allen Eßvorräten sei nur ein fast fleischloser Kalbskeulenknochen übriggeblieben.
Im ganzen neunzehnten Jahrhundert bis heutigentags war und ist nun das Trompeterschlößchen als gut bürgerliches Gasthaus wohlbekannt und geschätzt. Da gab es unter anderm einen Stammtisch, an dem sich regelmäßig eine Anzahl Dresdner Bürger, besonders Handwerksmeister, beim Glase Bier zu fröhlicher Unterhaltung zusammenzufinden pflegten. An hundert Jahre hat dieser ehrbare Stammtisch bestanden.
Noch eine literarische Erinnerung knüpft sich an das alte gute Gasthaus. Eine Inschrift, die jetzt im großen Gastraum angebracht ist, berichtet darüber folgendes:
»In diesem Hause wohnte der Dichter Otto Ludwig aus Eichsfeld mit Unterbrechungen vom September 1849 bis zum Juni 1852; sein Drama ›Der Erbförster‹ wurde währenddem am 4. März 1850 vom Dresdner Hoftheater zum ersten Male aufgeführt, und er arbeitete damals an der Makkabäer-Tragödie. Hier erlebte der neununddreißigjährige Mann auch die glückliche Frühzeit seiner am 27. Januar 1852 geschlossenen Ehe mit Emilie geb. Winkler aus Meißen.« Er schrieb darüber an seinen Freund:
»Unsere Wirtschaft hat vor der Hand noch etwas studentenartiges, ich und meine Frau Studentin stecken zu zweit in demselben Zimmer des Trompeterschlößchens, das ich als Junggeselle schon innegehabt, einem Zimmer, das zehn Schritte lang und fünf breit und einem Kämmerlein, das eben Raum hat für die Betten, Koffer, Waschtisch und zwei Leute, die sich eben mühsam dazwischen und aneinander vorbei bewegen können.«
Dieses alte Dresdner Gasthaus, das an sich ein Stück Alt-Dresdner Heimat darstellt, hat nun in den letzten beiden Jahren im Innern eine neue Einrichtung und Ausstattung erhalten, die wir in ihrer Art von unserm Standpunkt aus als vorbildlich bezeichnen dürfen. Sie ist gutbürgerlich, ohne den Luxus oder den Schein von Luxus, durch den uns die vorige Generation von Architekten und Dekorateuren an so vielen Stellen, wo wir ihn weder brauchten noch suchten, den Aufenthalt verleidet hat, und doch so, daß Leute mit künstlerischen Anschauungen ihr Genüge finden und gern dort verkehren. Alles gewaltsam Humoristische, das[183] einen mit der Zeit anwidert, alles falsch verstandene Volkstümliche, alles Unechte und Talmihafte ist vermieden, der künstlerische Grundzug des Ganzen aber ist einerseits aus den geschichtlichen und sagenhaften Erinnerungen des Hauses, anderseits aus den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen unsrer Zeit gewonnen. Die alte Grundfläche ist vollständig geblieben, modernen Verhältnissen aber entspricht, daß an Stelle der Ställe und Schuppen für Pferde- und Lastwagen zweckmäßige Autohallen getreten sind. Die Fremdenzimmer mit Raum für insgesamt hundertfünfunddreißig Betten sind einfach aber gediegen mit allem ausgestattet, was ein bürgerlicher Reisender im Gasthause, das nicht ein luxuriöser Fremdenhof sein will, erwartet. Die Gasträume sind behaglich, anheimelnd und gediegen zugleich. Was in der Ausstattung an alte Zeiten erinnert, drängt sich nicht auf, als ob ein Gasthaus ein Altertumsmuseum wäre.
Die derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnisse im kunstgewerblichen Betrieb aber wußte der Meister des Umbaus Professor Oswin Hempel in vollem Verständnis dafür mit genialem Blick auszumünzen. Bildhauer und Maler beanspruchen infolge der tariflich geordneten Gehälter und Löhne heute nicht mehr als der kunsthandwerkliche Arbeiter, der Ausführende, sie führen in gewissen Schranken selbständig aus, was der Meister nach seinem einheitlichen Plan in allgemeinen Zügen vorschreibt, ohne daß er bis in alle Einzelheiten gehende Modelle liefert. Die mechanische Übertragung fällt weg und jedes Stück Arbeit wird so zum kunsthandwerklichen Original. Damit ist ja eine neue Grundlage für eine Blüte des Kunsthandwerks gegeben. Der Meister liefert nur Skizzen, der handwerklich schaffende Bildhauer, Holzschnitzer, Metallarbeiter, Glasmaler, führt sie in freihändig schaffender Technik, die sich aus dem Material ergibt, aus. Was Künstler, wie Karl Groß in Dresden, Hofmann in Wien und andere anstreben, ist hier an einem größeren Beispiel trefflich in die Tat umgesetzt. Eine Reihe jüngerer kunstgewerblich arbeitender Künstler, wie der Bildhauer Rudolf Born, die Maler Skade, Creutz und Petzold haben hier gezeigt, wie sie handwerklich und persönlich zugleich zu schaffen verstehen; kunsthandwerkliche Betriebe wie die deutschen Werkstätten in Hellerau, Fickler in Hainsberg, Eichler und Bernhardt in Dresden haben in bester Einzelausführung die Wandvertäfelung in dunkler Eiche, die fichtene Decke u. a. hergestellt, und Meister Oswin Hempel hat dafür gesorgt, daß alles wie aus einem Guß dasteht, ohne daß die Handschrift der einzelnen Mitarbeiter verloren ging.
Schon an dem rundbogigen Eingang beginnen die geschichtlichen Erinnerungen. Ein Relief in Stein zeigt ein schlichtes Gasthaus, vor dem ein Fuhrmann seine Pferde tränkt, wie es einst war, als die Botenfuhrleute von Plauen, Dippoldiswalde und von weiterher an diesem wichtigen Verkehrspunkte kurze Rast machten oder Einkehr hielten. Der Innenraum, den wir nun betreten, ein ansehnlicher, aber erfreulicherweise nicht für Massenbetrieb gedachter Raum ist durch eine dreifache Bogenstellung in rotem Porphyr und einen mächtigen behaglichen blauen Kachelofen mit bunten Schildereien abgeteilt. Die Kämpfer der Bogen zieren Reliefs mit Darstellungen von Brot, Fischen und vier Kartenkönigen. Eines der stilgerecht kräftigen Fenstergemälde erinnert an die Sage, daß an der Stelle des Trompeterschlößchens einst ein Jagdschloß der Burggrafen von Dohna gestanden haben soll,[186] und in dem wuchtigen Unterzug ist das Wappen der Dohna, Ritter und Edelfräulein in Eichenholz geschnitten; die weiteren Fenster zeigen volkstümliche Gestalten: Koch, Kellnerin, Altenburgerin, Wendin, Dudelsackpfeifer und Postillion. Die Fenstergewände in rotem Porphyr sind mit ornamentalen Reliefs geschmückt.
Die Hauptinnenwand des größeren Raumabschnitts ist der Trompetersage im Bilde gewidmet. Hier hat der Maler Skade in kräftigen Farben gemalt, wie der mutige Trompeter den Gerippen zum Tanz aufspielt und wie er dann vom rosenumrankten Balkon seinen Triumph in die Welt hinausbläst. Dazwischen stehen auf Holztafeln, kunstvoll geschrieben, die ganz vortrefflichen Verse, in denen unser heimischer Dichter Ottomar Enking die Sage vom kecken Trompeterlein – im Inhalt sich nicht an Theodor Hell sondern an Widar Ziehnert anschließend – lebendig und frisch erzählt.
Eine besondere Überraschung bietet ein dem Hauptraum sich anschließendes Nebenzimmer. Es ist dem Andenken Otto Ludwigs gewidmet und in freier Verwendung von Biedermeier-Einzelheiten behaglich ausgestattet. Möbel in hellem Kirschbaumholz, zwei Dresdner Ansichten von Canaletto, Bildnisse Otto Ludwigs und seiner Frau, ein Kronleuchter in Kristallglas, ein eigenartiger Ofen, das alles von hellgelben Wänden umschlossen, ergibt ein charakteristisches Gesamtbild, dem Wesen Otto Ludwigs verwandt zu der Zeit, da der damals noch schwer ringende Dichter im Trompeterschlößchen heimte.
Eine Vorhalle mit Kachelverkleidung und einem blasenden Trompeter zu Pferd über dem Kamin und eine schlichte gemütliche Likörstube, genannt die Trompeterschänke, die sich an das alte Haus nach der Reitbahnstraße zu anschließt, vervollständigen das Trompeterschlößchen, das sein jetziger Besitzer Herr Louis Tögel in schwerer Zeit mit kühnem Mut zu neuer Gestalt erweckt hat. Für die vornehme Baugesinnung, die ihn dabei leitete, fand er in Oswin Hempel und seinen künstlerischen Helfern die Männer, die mit Lust und Liebe mit vollem Verständnis und Können für moderne Bedürfnisse zu sorgen und dabei die geschichtlichen Erinnerungen zu wahren verstanden.
So ist dem alten Trompeterschlößchen der Ruf eines besseren Hotels, einer gut bürgerlichen Gaststätte gewahrt, wie es in der Großstadt so selten und doch so notwendig ist, in seiner Einrichtung ein Beispiel des einfach Gediegenen und Anheimelnden gegeben. Ein Inschriftspruch im großen Gastzimmer lautet:
Die Grundlagen dazu sind in dem neuen Trompeterschlößchen zu Dresden gegeben. Die Gäste mögen das übrige tun; denn
Von Ottomar Enking
Paul Schumann.
[187]
Von E. Mogk
Eine Hochzeit nannte Oskar Seyffert auf der letzten Tagung des Vereins für Sächsische Volkskunde dessen Vereinigung mit dem Heimatschutz. Ja, eine Vermählung war es, keine Totenfeier für die Volkskunde. Die Volkskunde will und wird auch unter und mit dem Heimatschutz weiter arbeiten und weder ihr wissenschaftliches noch ihr praktisches Ziel aus dem Auge lassen. Das Museum wird auch fernerhin zur Belehrung unsers Volkes und zur Anregung volkstümlicher Kunsterzeugnisse dienen und Archiv und Bibliothek werden auch in Zukunft eine Sammelstätte unsers Volkstums für die Gegenwart und Zukunft sein. Die Schale ist eine andre, der Kern ist geblieben. Volkskundliche Aufsätze werden in der Zeitschrift des Heimatschutzes erscheinen wie bisher in unsern Mitteilungen. Nur bitten wir, was für diese bestimmt ist, in möglichst allgemeinverständlicher Form zu verfassen. Sammlungen volkskundlichen Materials aber sollen nach wie vor dem Archiv einverleibt werden. Und wie die früheren Beiträge, so sind auch diese wie bisher an meine Adresse zu senden (Prof. Dr. E. Mogk, Leipzig, Salomonstraße 25B). Dasselbe gilt von den Austauschexemplaren, für die die Vereine und Gesellschaften, mit denen wir als Verein für Volkskunde in Verbindung standen, die Monatshefte des Heimatschutzes erhalten werden. Wir bitten diese wie unsre alten Mitarbeiter auch nach unsrer Vermählung uns treu zu bleiben; beide werden bald sehen, daß sie den Kürzeren nicht ziehen.
So schwer die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die uns zu dieser Verbindung gezwungen haben, unser armes Volk drücken, die Liebe zu unsrer Heimat und zu unserm Volkstum kann und wird man nicht ertöten. Das beweisen zahlreiche Veröffentlichungen, verschiedene neue Vereine für Volkskunde und Volkstum, die seit den grauen Tagen des Novembers 1918 das Licht der Welt erblickt haben. Sie alle wollen uns von der elenden Hast nach Geld und Gewinn und dem phrasengeschwollenen Internationalismus ablenken und hinführen auf den gesunden Kern unsers Volkes, von dem wir allein Rettung aus dem Wirrwarr der Zeit zu erhoffen haben. Noch besteht der Verband Deutscher Vereine für Volkskunde. In seinem Auftrage hat E. Hoffmann-Krayer die volkskundlichen Bibliographien für 1918 und 1919 herausgegeben, die einen Einblick in die intensive Tätigkeit auf volkskundlichem Gebiete geben. Die Sammlung von Volksliedern wird in aller Stille in den einzelnen deutschen Ländern fortgesetzt. Neue Mittelpunkte und Sammelstätten entstehen. So an der Universität Halle das Volksliedarchiv der Provinz Sachsen; der Leiter dieser, Prof. Voretzsch, hat diesem lokalen Gebiet einen anregenden Aufsatz im Halleschen Heimatkalender gewidmet. Neue Vereine und Zeitschriften sind ins Leben getreten, durch die die Liebe zur Heimat gepflegt und zu volkskundlicher Beschäftigung angeregt werden soll. So erscheint seit 1923 die Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde unter der trefflichen, zielbewußten Leitung E. Grohnes in Hamburg, in Göttingen gibt B. Crome den Wanderer im Cheruskerlande heraus, der die eingegangenen Göttinger Blätter für Geschichte und Heimatkunde ersetzen soll und das Gebiet vom Harz bis zur Weser umspannt. Alle deutschen Tiroler[188] will über ihr Volkstum aufklären und für dieses wecken die von der Verlagsanstalt Tirolia in Innsbruck herausgegebene Tiroler Heimat, deren Aufsätze ebenso gründlich wie lehrreich sind. Ganz besonders in den alten österreichischen Ländern wird sich der Deutsche immermehr der Wurzeln seiner Kraft, seines Volkstums bewußt. Um das Deutschtum gegen das vordringende Tschechentum im Böhmerwaldgebiete zu schützen, erschienen unter Dr. Kubitscheks Leitung seit 1919 die Böhmerwäldler Dorfbücher in Budweis, seit 1922 die Böhmerwäldler Volksbücher in Passau. Hierin sind die Hinschauerstücklein ein treffliches Gegenstück zu den Schildbürgersagen, Watzliks Böhmerwald-Sagen zeugen von dem Reichtum der Volkssagen, die hier noch fortleben, Kubitscheks Bauernrätsel vom Volkswitz, Leppas Kornsegen von der Gemütstiefe und Sprache des Böhmerwäldlers. Aus dem östlichen Böhmen, dem Leitmeritzer Gaue, veröffentlicht J. Kern eine stattliche Anzahl lokaler und geschichtlicher Sagen aus dem Volksmunde und älteren schriftlichen Quellen, die unsre Sagenkunde nicht unwesentlich erweitern (Reichenberg 1922, Sudetendeutscher Verlag F. Kraus). In Sachsen hat sich besonders die Oberlausitzer Heimatzeitung (Reichenau in Sachsen, A. Marx) der Veröffentlichung volkskundlichen Stoffes aus der Oberlausitz angenommen. In ihrem Verlage gab G. Schöne das Sagenbuch des Zittauer Gebirges und die Oybin-Sagen heraus, die bisher ziemlich zerstreut in älteren Sammlungen oder Lokalblättern veröffentlicht waren. Das Leben und Treiben des Erzgebirglers hat in H. Thümmlers Verlag in Chemnitz eine Pflegstätte gefunden. Bilder aus dem Erzgebirge sind hier bald in schlichter Prosa, bald als Gedichte erschienen, meist im Dialekt. So veröffentlichte Emil Müller »Mei liebes Aarzgebärg« und »E Sackel voll Schwamme«, M. Wenzel, »Pfaffernüsseln«, worin der trockne Humor, aber auch das tiefe Gemüt des Erzgebirglers trefflich zutage tritt. In letzterem Heftchen liefert Wenzel in der Schilderung der Herbstbräuche und des Johanniszaubers auch gute Beiträge zu Sitte und Brauch. Als besondere Leistung desselben Verfassers seien die »Erzgebirgischen Christ- und Mettenspiele« hervorgehoben, worin er nicht nur die zerstreut veröffentlichten Weihnachtsspiele des Erzgebirges sammelt und ihrer Geschichte nachgeht, sondern auch auf Grund alter Volksüberlieferungen einen recht ansprechenden Text zusammenstellt, der sich besonders zu volkstümlichen Aufführungen eignet.
In Südwestdeutschland ist vor allem der Landesverein »Badische Heimat« bemüht, die Liebe zur Heimat zu pflegen, das Land vor Verschandlung zu schützen und Interesse für Volkskunde zu wecken. Seine bilderreichen Zeitschriften »Badische Heimat« und »Mein Heimatland« trotzen der Not der Zeit. Ihnen gesellen sich die Heimatschutzblätter »Vom Bodensee zum Main« unter M. Wingeroths trefflicher Leitung, unter denen vor allem die anregenden Artikel E. Fehrles »Heimat und Volkskunde in der Schule« und K. Günthers »Heimat- und Naturkunde in der Schule« hervorgehoben seien. In Westdeutschland ist Rektor K. Wehrhan eifrigst bemüht, volkskundlichen Stoff in den Dienst der Jugenderziehung zu stellen. Das von ihm und J. Dillmann herausgegebene Heftchen »Vierzehn Engel fahren« enthält eine Sammlung von Reimen im Kinderspiel, Jugendspiele, Rätsel und Rätselfragen. Die Sagen, die sich an die berühmten Externsteine knüpfen, veröffentlicht Wehrhan[189] mit einer Schilderung der Externsteine und einer Geschichte der Forschung, die deren Bedeutung aufklären soll. (»Die Externsteine im Teutoburger Walde in Natur, Kunst, Dichtung. Geschichte und Volkssage«. Detmold, Meyersche Hofbuchhandlung.) Besonders tiefschürfend sind seine Untersuchungen des in Niederdeutschland weitverbreiteten Volksliedes »Van Herrn Pastor siene Koh«, dessen Entwicklung, Verbreitung, Form und Singweise nach allen Richtungen hin verfolgt wird und dessen Heimat aller Wahrscheinlichkeit nach Westfalen ist.
Dem niederdeutschen Kreis gehört auch der erste Band »Deutsche Volkskunst« an, das schöne Werk W. Peßlers »Niedersachsen«. Es ist ein gewagtes Unternehmen, das der Reichskunstwart E. Redslob leitet, in einer Reihe Bänden die Volkskunst der einzelnen deutschen Stämme darstellen zu lassen und unser Volk auf die Gestaltungskraft, die aus ihr spricht, wieder zurückzuführen. Hier konnte kein Besserer als Peßler die Reihe eröffnen: in klaren Ausführungen charakterisiert er die vorzüglichen Bilder vom Haus, Hausrat, Tracht, Schmuck, Kirche und Friedhof des niedersächsischen Kreises. Ihm schließt sich als gleichwertig an E. Schoneweg »Das Leinengewerbe in der Grafschaft Ravensberg« (Bielefeld, E. Gundlach Aktiengesellschaft). Hier wird die Entwicklung und Geschichte eines Handwerks, alles was mit dem Flachs und der Verwendung der Leinwand zusammenhängt, in Wort und Bild bis ins einzelnste dargestellt. Der Technik des Leinengewerbes wird nach den Berichten alter Leute und älteren Quellen ebenso Rechnung getragen, wie den Sitten und Bräuchen mit ihrem Volksglauben, die sich an Aussaat und Verarbeitung des Flachses und Hanfes knüpfen. Ein klassisches Werk für die Geschichte eines Handwerks.
Von zusammenfassenden Darstellungen der Volkskunde besaßen wir bis 1914 ein einziges Werk, E. H. Meyers Deutsche Volkskunde. Jetzt sind sie wie die Pilze emporgeschossen, ein Zeugnis für das hohe Interesse, das man der Volkskunde entgegenbringt. Unter der Leitung des geschäftskundigen Fr. v. d. Leyen erscheinen bei Quelle und Meyer in Leipzig Darstellungen der einzelnen deutschen Stämme mit guten Bildern. Bisher hat A. Wrede die Rheinische Volkskunde herausgegeben, die zwar schon in zweiter Auflage vorliegt, der man aber doch anmerkt, daß ihr Verfasser in der volkskundlichen Forschung nicht aufgewachsen ist. Das Buch ist mehr ein fleißiges Sammelsurium als eine entwicklungsgeschichtliche Arbeit. Ungleich besser und tiefer ist P. Sartoris Westfälische Volkskunde. In demselben Verlage, aber in geringerem Umfang erschienen in der Sammlung »Wissenschaft und Bildung« O. Lauffers »Niederdeutsche Volkskunde«, worin auf die geschichtliche Entwicklung und die Verbindung der Volkskunde mit der Altertumskunde besonders eingegangen wird, und H. Naumanns »Grundzüge der deutschen Volkskunde«. Das letztere Bändchen erhält dadurch vor allem Bedeutung, daß sein Verfasser schärfere Grenzlinien zieht zwischen alter Gemeinschaftskultur und zum Volksgut entartete höhere Kultur; in seiner »Primitiven Gemeinschaftskultur« hat Naumann diese Auffassung eingehender begründet. Auch in B. G. Teubners »Aus Natur und Geisteswelt« ist die Volkskunde in Angriff genommen worden. Es erschien der erste Teil von K. Reuschels »Deutscher Volkskunde«, worin Reuschel in seiner klaren Weise über das Wesen und den Wert der Volkskunde, die Sprache und die Dichtung[190] des Volkes handelt. In derselben Sammlung hat E. Fehrle die »Deutschen Feste und Volksbräuche« bearbeitet und damit die elende Sudelei von H. Rehm durch eine ungleich bessere und tiefere Darstellung ersetzt. Eine weitere Darstellung volkstümlicher Sitte veröffentlicht C. Clemen in der Bücherei der Volkshochschule (»Deutscher Volksglaube und Volksbrauch«, Bielefeld und Leipzig, Velhagen & Klasing), worin vor allem dem Zusammenhang des Volksbrauchs mit der Volksreligion nachgegangen und durch die zusammenfassenden Fragen am Schlusse jedes Abschnitts zu intensiverer Beschäftigung mit der Volkskunde angeregt wird.
Endlich muß ich noch hinweisen auf die Rektoratsrede O. Lauffers an der Hamburger Universität, der einzigen reichsdeutschen Universität, die einen Lehrstuhl für deutsche Altertums- und Volkskunde hat. (Hamburg, E. Boysen 1923.) Lauffer spannt den Begriff der Volkskunde weiter als es gewöhnlich geschieht. Er versteht darunter das gesamte Gebiet des volkstümlichen Lebens, und dieses in vergangenen Zeiten zu verfolgen, ist ihm deutsche Altertumskunde. Im Grunde genommen läuft die Verschmelzung dieser beiden von Lauffer vertretenen Wissensgebiete auf eine geschichtliche Entwicklung und Darstellung der einzelnen Gebiete der Volkskunde hinaus, wie sie bereits vor Jahren von mir gefordert worden ist. Das ist mit Freude zu begrüßen, denn nur dadurch kann sich die Volkskunde unter den Geisteswissenschaften Sitz und Stimme erobern.
Ein Geständnis von Karl Lucas, Meißen
In Heft 4 bis 6, XII unsrer Heimatschutzmitteilungen habe ich vom Janko berichtet. Heute bin ich gezwungen, um nicht mit dem bekannten Presseparagraphen in mißliche Berührung zu kommen, ein Geständnis abzulegen. Janko will es so haben. Von irgendeiner Seite muß er von meiner Erzählung erfahren haben und ist mit ihrem Inhalte nicht ganz einverstanden.
Als ich ihn im Juli 1923 in Krinitz besuchen wollte, schnitt er mich vollständig. Er war für mich buchstäblich nicht zu Hause. Sein Pflegevater suchte mich damit zu trösten, daß er mir mitteilte, Janko trage auch ihm etwas nach. Er wisse auch, was ihn uns gegenüber mißgestimmt und wenig heiter mache. Dabei wies Vater Trähne hinauf zum Storchennest. Von dort schaute über den Rand zu uns herunter ein – Ei. Ich dachte bei mir: Das ist doch ganz in der Ordnung. In ein Nest gehört auch ein Gelege Eier. Nur auf dem Rande mag es zum Bebrüten nicht günstig liegen. Es ist auch zum Eierlegen etwas spät im Jahre. Aber vielleicht ist es so etwas wie ein Johannistrieb im Pflanzenleben, also ein Johannisei. Auch im Menschenleben lassen sich ja solche Vorkommnisse registrieren. Ich wundere mich also über Vater Trähne, und der hat seinen Spaß darüber. Endlich lüftet er den Schleier des Geheimnisses. »Das ist Jankos Werk!« – »Na«, sage ich, »das ist ja fein. Da hat Janko geheiratet, und das[191] junge Storchenehepaar will mit einem Schlage dem Storchenrückgang in Sachsen dadurch ein Ende bereiten, daß es gleich das erstemal zwei Gelege in einem Jahre durchbringen will.« – »Nein, Janko hat nicht geheiratet.« – »Aber nu brat’ mir eener een Storch und die Beene recht knusprig!« Dieser schon mehr wie sächsische Ausdruck lief mir über die Leber. »Allein kann er doch das Ei ebensowenig wie ich oder du gelegt haben!« – »Sachte, sachte, lieber Freund! Das, was sich Janko geleistet hat, das haben sich meine Bauern- und deine Schulweisheit auch nicht träumen lassen. Er hat das Ei selbst gelegt und selbst bebrütet.« – »Ja, dann ist er doch gar kein Janko, dann ist er, ist sie, ist es eine Hanka?« – »Stimmt, eine leibhaftige, jungfräuliche Hanka! Um die Osterzeit kommt ein älteres Weibchen und bezieht das Nest. Es bleibt unbemannt, legt aber Eier, die unbefruchtet waren. Danach erscheint ein etwas kleinerer Storch, ein jüngerer. Der vertreibt die alte Störchin und besetzt selbst das Nest. Er tut recht bekannt, weiß sich aber allen unsren Annäherungsversuchen erfolgreich zu entziehen. Er ist Janko und doch auch wieder nicht.
Eines schönen Tages wirft er die Eier der alten Störchin vom Neste, plustert, dreht und wendet sich, setzt sich und hat gar nichts Jankomäßiges mehr an sich. Das wiederholt sich zwei-, drei-, viermal. Dann sitzt er und brütet auf seinen vier unbefruchteten Eiern. Die Wochen vergehen, aber die Wärme des jungfräulichen Körpers hat im Gelege kein Leben zu wecken vermocht. Der Bruttrieb läßt nach. Die Eier bleiben sich selbst überlassen. Sie werden dahin, dorthin verschoben. So liegt eins noch am Nestrand als Zeugnis dafür, daß Janko eben kein Janko, sondern eine Hanka ist. Vielleicht hat er es nur deinetwegen noch liegen gelassen, damit du dich von seiner Weiblichkeit überzeugen kannst. Aber laß dir um der Geschichte willen keine grauen Haare wachsen. Wenn ein kleiner Menschenjanko noch im Röckchen und Leibchen und langen Haaren umherläuft, dann kannst du ihn auch nicht gleich von einer Menschenhanka unterscheiden. Du kannst ruhig sagen: Der kleine Junge ist aber ein hübsches Mädel – und auch umgedreht. Es ist vorläufig beides noch richtig. Aber später will kein Junge mehr für ein Mädel gehalten werden und kein Mädel für einen Jungen. Das wird dir in beiden Fällen übel vermerkt.
Du hast unsre Janko-Hanka gar in die Presse gebracht. Das geht gegen ihr jungfräulich-frauliches Empfinden. Sie will nicht mehr verkannt sein. Sie glaubt es hinreichend bewiesen zu haben. Siehe das Ei da oben!«
Ich beuge mich vor der erdrückenden Wucht der Tatsache: Janko ist kein Janko mehr, er war überhaupt kein Janko; er, nein sie ist eine Hanka.
Wir schütteln uns mit Vater Trähne zum Abschiede die Hände. Die Sonne neigt sich. Janko, nein, Hanka ist noch nicht heimgekommen, wie sie es sich überhaupt angewöhnt hat, das Nest nicht mehr regelmäßig als Schlafstätte zu benutzen. Auf den Torfwiesen von Luga stolziert eins aus der Storchensippe. Das muß er sein. Ach, schon wieder falsch! Das muß sie sein. Ich nähere mich ihr. Auf zwanzig Schritt komme ich heran und rufe. Und was rufe ich? Janko! Natürlich wieder verkehrt. Hanka dreht sich um, mißt mich von oben bis unten, legt Hals und Kopf zurück, klappert, streckt den Hals nach vorn und fliegt ab nach Krinitz. Ich hatte[192] das Gefühl, als ob ich es nunmehr ganz mit ihr verdorben hätte. Daß ich sie im vergangenen Jahre verkannt hatte, das mochte vielleicht verzeihlich gewesen sein, aber in diesem Jahre denselben Fehler, nachdem sie Eier gelegt hatte, das ist einfach unverzeihlich.
So hoffe ich durch diese Zeilen mein Vergehen zu sühnen und bitte alle, die den Janko, nein, die die Hanka treffen, ihr mein Schuldbekenntnis mitzuteilen, damit ich nicht am Ende bei der gesamten sächsischen Storchensippschaft in Verruf komme.
(In Bienhof bei Bad Gottleuba unter einem der schönsten Bäume des Tales, das sich von Hellendorf nach Bienhof hinzieht, errichteten Freunde unsers Vereins zur Erinnerung an unsern Gründer: eine »Karl-Schmidt-Bank«)
Arno Naumann
Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Werner Schmidt – Druck: Lehmannsche Buchdruckerei
Klischees von Römmler & Jonas, sämtlich in Dresden
Heimatbücherei des Landesvereins
Sächsischer Heimatschutz
Band I: Gerhard Platz
Vom Wandern und Weilen im Heimatland (2. Auflage)
Band II: Max Zeibig
Bunte Gassen, helle Straßen (2. Auflage)
Band III: Edgar Hahnewald
Sächsische Landschaften
Band IV: Martin Braeß
Meine Brüder im stillen Busch, in Luft und Wasser
Jeder Band für Heimatschutz-Mitglieder 4 Goldmark
(sonst 5 Goldmark)
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Dresden-A., Schießgasse 24
Vom 1. bis 24. Dezember
im Sitzungssaal des Heimatschutzes, Dresden-A., Schießgasse 24
Spielwaren-Ausstellung
Vom 16. Dezember
im Landesmuseum für Sächsische Volkskunst, Dresden-N., am Zirkus
Weihnachts-Ausstellung
Lehmannsche Buchdruckerei, Dresden-A.
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.