The Project Gutenberg eBook of Kean: Schauspiel in fünf Akten nach Alexandre Dumas

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Title: Kean: Schauspiel in fünf Akten nach Alexandre Dumas

Author: Kasimir Edschmid

Release date: November 4, 2019 [eBook #60626]

Language: German

Credits: Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
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Digital Library.

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK KEAN: SCHAUSPIEL IN FÜNF AKTEN NACH ALEXANDRE DUMAS ***

KASIMIR EDSCHMID

KEAN

SCHAUSPIEL IN FÜNF AKTEN
NACH
ALEXANDRE DUMAS

DRITTE AUFLAGE

VERLEGT BEI ERICH REISS / BERLIN
1921

Alle Rechte, insbesondere das der Aufführung und Übersetzung, sind vorbehalten. Den Bühnen gegenüber Manuskript. Das Recht der Aufführung ist nur durch den Verlag Erich Reiß zu erwerben

Copyright 1921 by Erich Reiß Verlag

FÜR GUSTAV HARTUNG

FIGUREN

HELENE GRÄFIN KOEFELD APACHE
AMY GRÄFIN GOSWIL ANDRER APACHE
DAISY MILLER KONSTABLE
RINY FRISEUR
JULIA TOM
GIZA DAVID
AMME BARDOLPH
KEAN ARZT
PRINZ VON WALES REGISSEUR
GRAF KOEFELD HAUSINTENDANT
LORD MEVIL DIENER
SALOMON TÄNZERIN
BOB WIRT
PEPI STEUERMANN
GONSCH BOTE
WELL APACHEN
VIKTOR PUBLIKUM
KAUKA WEIBER

ZEIT: VOR NEUNZEHNHUNDERTVIERZEHN

AKT EINS

Diele bei dem Grafen Koefeld. Kamin. Dreiflügliger Riesenspiegel. Der Hausintendant. Eine Kette Diener, beschäftigt.

SZENE EINS

BOTE tritt rasch ein, zu einem Diener: Helène Gräfin Koefeld? Diener weist mit dem Daumen zum nächsten, Bote zum nächsten: Helène Gräfin Koefeld? Diener weist mit dem Daumen ihn zum nächsten, Bote zum nächsten: Helène Gräfin Koefeld? Diener weist mit dem Daumen ihn zum nächsten, Bote zum nächsten, dem Hausintendanten: Helène Gräfin Koefeld?

HAUSINTENDANT: Hier.

BOTE: Ich muß sie sehen.

HAUSINTENDANT: Geben Sie mir den Auftrag.

BOTE: Der Auftrag ist privat.

HAUSINTENDANT: Daher in meine Hände.

HELENE eintretend: Wer ist das?

BOTE: Helène Gräfin Koefeld ...

HELENE: Was wollen Sie?

BOTE: Ein Paket.

HELENE: Wer sendet Sie?

BOTE: Der Prinz von Wales.

HELENE reißt das Paket auf, ein Fächer, sie schwenkt ihn, dreht um: Ah. Hinaus.

HAUSINTENDANT: Gehen Sie. Bote ab.

SALOMON durch die Tür, verdrückt: Ist mein Herr da?

HAUSINTENDANT: Wo kommen Sie hierher?

SALOMON: Durch leere Zimmer.

HAUSINTENDANT: Wer bist du?

SALOMON: Souffleur.

HAUSINTENDANT: Warum hast du da einen Herrn?

SALOMON: Warum? Er tritt mich. Wie alle. Verachtet mich. Ich liebe ihn.

HAUSINTENDANT: Wer ist der Stachel, den du liebst?

SALOMON: Kean.

HAUSINTENDANT: Der Schauspieler. Hein?

SALOMON: Der bedeutendste Mann seiner Zeit, wenn er sich zu mäßigen verstände.

HAUSINTENDANT: Das könnte er, meinst du, in einem Haus lernen, wo eine Frau herrscht, die so ist wie unsere?

SALOMON: Ich suche ihn nur, irgendeine Frau verlangt nach ihm, das andere weiß ich nicht. Es kam mir nur in den Sinn, daß er krepieren wird oder sich festlegen. Die Zeit ist kritisch geworden. Ich kann es nicht mehr sehen, wie er mich mit sich in seine Launen reißt, Huren, Prinzessinnen, gut, zornig. Wo soll das hin? Denken Sie nicht, daß er mich nur tritt, er ist manchmal freundlich zu mir.

HAUSINTENDANT: Lauf davon.

SALOMON: Das kann ich nicht.

HAUSINTENDANT: Der Herr verkehrt nicht bei uns.

SALOMON: Hätten Sie gleich sagen können. Schicksal. Ich gehe. Warum suche ich ihn hier? Ab.

HELENE mit dem Fächer herein: Sind Spieltische aufgestellt?

HAUSINTENDANT: Zwei Whist, einer Bridge, drei Bac.

HELENE: Die Pagen am Gartentor in neuer Livree?

HAUSINTENDANT: Gelb und rot. Mit silbernen Schnüren.

HELENE: Die Küche?

HAUSINTENDANT: Schwitzt.

HELENE: Sind die Musikanten mit Strafe bedroht, wenn sie unpünktlich sind?

HAUSINTENDANT: Punkt neun marschieren sie durch den Salon.

HELENE klatscht in die Hände: Tee und Punsch dann ins Boudoir.

HAUSINTENDANT klatscht in die Hände, zu den andern: Tee und Punsch ins Boudoir. Diener ab.

HELENE: Sie verlassen mit keinem Schritt die Soirée. Fehlen Sie einmal auf meinen Fingerwink, schick ich Sie aufs Land zu Fasanen und Kälbern. Was sagen Sie?

HAUSINTENDANT: Ich würde eine schlechte Figur machen zwischen Geflügel und vorziehen, da ich Ihnen nicht mehr dienen kann, mich in die Kirschbäume zu henken.

HELENE: Chüt. Sieht ihn an, hebt mit der Fingerspitze sein Kinn, pfeift leis, jagt ihn mit einer Handbewegung hinaus.

DIENER: Die Gräfin Goswil.

HELENE: Rasch. Rasch. Zur Eintretenden: Amy, Süßes, welches Glück, vor der Soirée noch Ihre Anwesenheit allein zu haben.

AMY: Ihnen zu sagen, daß zwischen soviel Blond und Blau beim Rennen das Dunkel Ihrer Haare als Bestes fehlte.

HELENE: Unmöglich da, wo Ihre Taille bebte, Ihre Hände winkten.

AMY: Ich winkte. Mein Wettpferd fiel, ein Signal. Sie waren im Theater?

HELENE: In Drury-Lane.

AMY: Es spielte George?

HELENE: Kean.

AMY: Das Pferd, das stürzte, hatte einen grünen Jockey. Der Stall aus England. Der Name: Kean.

HELENE: Sie machen mich gespannt mit ihren Sprüngen, Liebe.

AMY: Ihr Kean fiel nicht vorm Start?

HELENE: Ausgezeichnet im Start.

AMY: Endlich Begeisterung.

HELENE: Endlich die Frage: Was bedeutet Ihr Lächeln?

AMY: Den Ausdruck aller Gesichter, wenn Ihr Name fällt.

HELENE: Sie reizen meine Neugier lange.

AMY: Aus Furcht, Sie zu verletzen.

HELENE plötzlich die Brust öffnend: Ich habe die unempfindlichste Haut, Liebe.

AMY: Aber Sie tragen sie zu empfindlich ins Theater.

HELENE: Kurz, um was handelt es sich?

AMY: Um Ihre Begeisterung.

HELENE: In Ihrer Sprache ein Mann. Welchen? Reden Sie nun. Offen gesprochen.

AMY: Der einzige, der in Betracht kommt.

HELENE: Präziser.

AMY: Nicht um George.

HELENE: Miserabler Anfang. Fügen Sie das Ende hinzu.

AMY: Ich trenne mich ungern von Übergängen.

HELENE: Schluß.

AMY: Kean.

HELENE: Welches Terrain! So tief! Es ist nicht Ihre Ansicht. Sie kennen mich. Man redet so. Gut. Wer?

AMY: Man sagt es nicht. Man lächelt.

HELENE: Gut. Wenn Sie mich heut frügen, an meiner Stelle, ob ich glaube, daß zwischen Kean und Ihnen etwas bestände ...

AMY: Ich begreife nur, was ich erlebe. Die Frage ist zwecklos. Ich habe kein Talent für philosophische Entzückungen.

HELENE: Gut. Sie weichen aus. So werden Sie ein Lächeln lernen, das Ihr früheres hinwegblitzt. Verdacht entwaffnet man nicht mit Beweis. Eher durch Geständnis. Ich liefre nur meinen Geschmack. Glauben Sie, eine Sekunde hätte vermocht, mich zu reizen, anzunehmen, daß das, was zwischen von Damen ausgehaltenen Equipagen und betrunkenen Matrosen hintaumelt, den Ruhm eines bedeutenden Schauspielers sich zugesellt, zur Erfüllung von Wünschen auch nur bedacht werden könne, die wahrlich anderes verlangen als solche Episoden? Mich ekelt. Ich rede frei.

AMY: Ich bin Ihre Freundin. Ich werde es Ihren Freunden sagen.

HELENE: Gut. Aber ... Süßes ... Sagen Sie es nicht Devonshire.

AMY: Sie erschrecken mich.

HELENE: Er ist ein Geschichtenerzähler.

AMY: Sie peinigen mich.

HELENE: Ein galanter Junge. Kavalier. Fit. Sportiv.

AMY: Erlösen Sie mich.

HELENE: Ein Nacken wie ein Mädchen. Schöne Hände, meine Süße.

AMY: Sie nehmen eine furchtbare Revanche, mich zu quälen.

HELENE: Ein Ring daran mit Onyx und Brillanten. Ich erinnere mich statt dem Onyx Aquamarin gesehen zu haben. Damals trug ihn Ihr Gatte. Zwei Ösen ausgebrochen, schlecht verbessert. Nehmen Sie einen besseren Juwelier, Gräfin. Der Ring ist sonst indiskreter wie sein Besitzer.

AMY: Ihre Grausamkeit ...

HELENE: Wiegt Ihr Lächeln auf, Süße. Erzählen Sie Devonshire nicht meine Geschichte, er könnte sie ins Gegenteil verkehren wie die Ihren.

HAUSINTENDANT mit Stock meldend: Graf Koefeld.

AMY: Ich bin vernichtet. Ich kann niemand sehen. Läuft in den Nebenraum.

SZENE ZWEI

GRAF KOEFELD verbeugt sich: Meine Gattin. Es floh jemand. Ein Mann. Stürmisch hinter Amy her, bringt sie zurück. Halali. Eine Frau. Gräfin Goswil. Verzeihung. Sich fassend: Den ersten Zivilminister Europas würde ich versetzen, um Ihnen die Hand zu küssen. Zum Sekretär hinter ihm: Diese Telegramme. In Codeschrift. Stafetten einlegen. Ein eignes Schiff nehmen. Als Kurier fährt Graf Schlitz. Für wichtige Sachen nur ehemalige Offiziere der Botschaft. Depeschen Seiner Majestät in Uniform zu übergeben ... Darf ich mich setzen? Charmant Ihr Aussehn, Gräfin.

AMY: Wer tadelte meinen Puder gestern? Ihre Komplimente bluffen wie jede Uniform.

GRAF KOEFELD: Ungalant, Gräfin. Verleumdung. Großer Sänger Ihres Ruhms. Beschwöre Sie, den Rock des Königs aus dem Spiel zu lassen. Ansonsten für Frivoles weitgeöffnetes Herz. Rock des Königs Privileg. Zum Necken zu heilig. Sanktuarium. Auch schönstem Mund. Aufspringend: Meine Gattin ... Welch ein Fächer?

HELENE: Ein Geschenk.

GRAF KOEFELD: Wer schenkt Fächer? Frauen? Nein. Ein Mann!

HELENE: Der Prinz von Wales.

GRAF KOEFELD stramm: Auszeichnung. Welche Gnade. Hohe Ehre. Herrlich. Monseigneur wird überdies überrascht sein. Eine neue Surprise: Ich lasse Tontauben schießen. Spezialvergnügen Monseigneurs. Versuche, ihm sekündlich das Leben mit Lieblingsbissen zu garnieren. Stößt ein Fenster auf, zielt mit einer an der Galerie dem Büchsenschrank entnommenen Büchse im Hintergrund: Peng ... halo ... vorbei ... Ihr Gatte, Gräfin ...

HELENE: Wird nicht erwartet.

AMY: Er bemüht sich, Lord Mevil mit irgendwem zu verheiraten.

GRAF KOEFELD: Verdammte, Mesalliance. Pardon, Gräfin. Ich sagte ab. Habe siebzehn souveräne Ehebetten in Europa gerüstet. Skandal, daß Mevil mich einzuladen sich erdreistet. Mich. Dieser Zertrümmerer feudalen Ansehns.

AMY: Ihr Name?

GRAF KOEFELD: Undurchdringlich. Wer heißt nicht so? Alle Welt: Daisy Miller.

AMY: Eine halbe Million Pfund.

GRAF KOEFELD: Unverzeihlich. Sabotage des Bluts. Demokratisierung der Gesellschaft. Die Phalanx der Jahrhunderte wird ruiniert.

HELENE: Daisy Miller. Jenes Mädchen, dessen Dauerhaftigkeit uns erstaunte, vis-à-vis unserer Loge, im Theater.

GRAF KOEFELD: Sie hätte unsere Standhaftigkeit mit größerem Recht bewundern können. Das Amt telephoniert ab neun nur noch nach Drury-Lane. Im Theaterportal Attachés. Im Foyer Sekretäre. In der Loge die Post.

HELENE: Ich bat Sie nie um Ihre Begleitung. Von heute ab erübrigt es sich, davon zu reden. Ich besuche das Theater nicht mehr.

GRAF KOEFELD: Neues Arrangement schon vorbereitet. Es kommt dann zu Ihnen. Die Dekoration nur ist ausgewechselt. Kean ist zur Soirée geladen.

HELENE: Kean?

GRAF KOEFELD: Kean. Ich verstehe. Sie zucken zusammen: ein Komödiant. Ich finde es abscheulich. Allein: Wunsch des Prinzen von Wales. Kann ich es abschlagen? Unmöglich. Immerhin Wunsch des zukünftigen Königs. Ich lud sofort.

HELENE: Ich empfange die bitterste Beleidigung, der ich seit meiner Verheiratung ausgesetzt war. Ich empfange sie von meinem Gatten.

GRAF KOEFELD: Ihr Gatte ist Ihr tapferster Verteidiger. Jede Stunde. Unbedingt zu rechnen. Ich stehe wie Thron und Altar.

HELENE: Sie empfanden nicht einmal das Bedürfnis, mich zu befragen. Ihren Salon repräsentiere ich, nicht Sie.

GRAF KOEFELD: Fürstlicher Wunsch ist Befehl. Auszuführen oder sterben. Karriere oder Lump. Selbst die Marseillaise wird in diesem Sinn God save the king.

HELENE: Ein Affront.

GRAF KOEFELD: Keine Zeremonie. Ich engagiere ohne gesellschaftliche Verpflichtung. Sie geben ihm Essen, Zigarren, Wein. Ich Geld. Der Bursche tanzt und zitiert. Wen soll der Kerl genieren, hält Monseigneur ihn als Affen.

HELENE: Die Gräfin Koefeld empfinge den Künstler. Dem Takt ihres Gatten aber bringt sie Erwartungen entgegen, die nicht ahnen, daß er sie zwänge, vor einem Wüstling sich wie ein Themsemädchen zu fühlen.

GRAF KOEFELD der einen Brief bekommt und öffnet: Beruhigen Sie sich. Neue Zeit. Fortschritt der Zertrümmerung: Kean ist durch Unaufschiebbares gehindert, seine Aufwartung zu machen. Infame Beleidigung. Er sagt ab.

HELENE: Die Verhinderung ist taktvoller als die Einladung.

GRAF KOEFELD: Takt? Ausgeschlossen. Ich bin auf Zwischen-den-Zeilen-Lesen dressiert. Schon mit sechzehn schrieb ich über Forellen und meinte eine Bar. Als Louis Bourbon den Sessel statt den Fuß einer Prinzessin unterm Tisch mit der Zehe dauernd streichelte, signalisierte ich Unheil. Er nahm sie nicht. Mein Minister, mir ungläubig, optimistisch, flog in die Luft.

HAUSINTENDANT mit einem Stock meldend: Monseigneur, der Prinz von Wales.

PRINZ VON WALES: Ich komme lachend, Gräfin. Verzeihung.

HELENE: Sie würden sie erhalten, wenn Sie weinten.

AMY: Sie erhalten sie nicht, wenn Sie nicht sofort erzählen.

PRINZ VON WALES: Skandal.

GRAF KOEFELD: In der Gesellschaft. Schmerzlich. Ich grimassiere statt zu lachen ... untertänigst mit Erlaubnis.

PRINZ VON WALES: Es gibt nichts Amusanteres.

GRAF KOEFELD: Die Zeit ist angefressen. Revolten zittern unter unseren Füßen. Wir müssen Eisengesichter haben. Nieder die Kanaille ... Pardon.

PRINZ VON WALES: Die Weisheit ist nicht eingestellt auf das Knochenzerschlagen, sondern sie lächelt, da sie nicht gewohnt ist, die Dinge zu ernst zu nehmen. Man verdirbt sie dadurch.

GRAF KOEFELD: Skandale haben mitten in die Revolte hineingeführt. Allons enfants ... lieber Mitrailleusen ... mit devoter Genehmigung gesagt.

PRINZ VON WALES: Im Gegenteil. Der sogenannte Volksgroll geht in kleinen Vapeurs in den Azur. Gewitterbildung unmöglich.

AMY: Der Skandal?

GRAF KOEFELD: Säbel. Patronentasche. Panier hoch. Damit fürchten wir letzten Endes selbst Wotan nicht. Versohlen die Fläbsche. Versohlen gehorsamst.

AMY: Der Skandal?

PRINZ VON WALES: Alte Schule, Koefeld. Ihr Weltgefühl ist korsettiert. Demokratisch ist für Sie ein Purgier. Mir heitres Brausepulver. Beschäftigen Sie sich branchekundiger. Stiften Sie Ehen.

AMY: Aber: der Skandal?

GRAF KOEFELD stramm: Untertänigst, gehorsamst ... der Skandal?

AMY: Ich sterbe vor Ungeduld.

PRINZ VON WALES: Lord Mevil ...

AMY: ... der heute heiratet ...

PRINZ VON WALES: Lord Mevil, der heute heiratet, fand die Braut entführt. Sein Riesenaufwand ist verpufft. Sein Goldvogel hat sich verflogen. Ein Klügerer als dieser schöne Satan Mevil hat ihm das Haus ausgeraubt zehn Minuten, eh er es betrat. Mevil ist nun bankrott.

HELENE: Und wer ...?

AMY: Wer?

PRINZ VON WALES: Der schönste Name Englands.

AMY: Das wäre Monseigneur.

PRINZ VON WALES: Ich mische mich nicht in die Bourgeoisie.

GRAF KOEFELD: Horrä. Horrä. Horrä.

PRINZ VON WALES: Man könnte mich dort abweisen. Man hat auch da Stolz. Höher.

AMY: Der König.

PRINZ VON WALES verneigt sich in den Spiegel, spielt mit der Drehung, hustet. Koefeld macht Zeichen.

GRAF KOEFELD näher kommend: Monseigneur.

HELENE mißverstehend: Unmöglich.

PRINZ VON WALES lächelnd: Noch illustrer.

HELENE: Wie kann das sein?

PRINZ VON WALES: Herrlicher. Voll Ruhm. Voll Auszeichnung. Angebetet. Von frischem Erfolg sekündlich umgeben.

HELENE: Ich kenne niemand. Nennen Sie ihn.

PRINZ VON WALES: Kean.

HELENE: Das ist unmöglich ...

PRINZ VON WALES: Woher wissen Sie das?

HELENE: ... daß Sie sich in Vergleiche begeben, die Beleidigungen für Sie sind.

GRAF KOEFELD: Gnade Gott, daß der Kerl absagte. Rechts um Marsch. Das Ganze Halt.

PRINZ VON WALES: London wird illuminieren. Flaggt. Läßt das Betschuanenregiment mit Niggermusik und Trommeln über die Plätze ziehn. Die Männer haben Schlaf. Kean ist gefesselt.

AMY: Wie reizend.

PRINZ VON WALES: Liverpool empfängt vom Meer her seine letzten Grüße.

Langsam anschwellendes Lärmen, ohne Übereilung herankommend, lauter, weit geht die Tür auf. Mit großer, weltmännischer Bewegung herein tritt Kean.

SZENE DREI

KEAN: Ein Zufall, den ich preise, obwohl er nicht ohne Tragödie ist, setzt mich in den Stand des Vorzugs, der Gräfin Koefeld die Hände zu küssen, dem Prinzen von Wales, Monseigneur, meine Achtung in dem höchsten Maße der Ergebenheit zu bezeigen und dem Grafen Koefeld den Widerspruch zwischen meiner Absage und meinem Erscheinen in einem Wort der Bewunderung und der Bitte zugleich zu erklären.

PRINZ VON WALES: Wir zählten nicht auf Sie, in der Tat. Ich danke für die doppelte Konfusion. Ich erinnere mich eines Gascogners, der daran litt, doppelte Muskeln zu haben. Man gab ihm Milchbäder, er machte sie zu Butter. In der Tat, ich erinnere mich mit Vergnügen der Geschichte.

KEAN: Die Gerüchte sind falsch, die Konsequenzen ungültig, ich unschuldig. Darf ich Beweise ...

PRINZ VON WALES: Ich also ein Lügner?

KEAN: Monseigneur, der, welcher Sie belog.

PRINZ VON WALES: Ihre Dokumente?

KEAN: Ich kam hierher, da ich Sie hier wußte. Man betritt kein Haus lieber als das, in dem man sicher ist, die Verfolgten geschützt zu sehen.

PRINZ VON WALES: Seltsam, damit zum Prinzen von Wales zu kommen.

KEAN: Und dies mit einem Brief, der beweist, daß es keine schönere Aufgabe ist, als für die Verteidigung einer Frau und der Wahrheit selbst vor der Ungnade des höchsten Protektors zu stehen. Den Brief ließ Daisy Miller in meinem Zimmer, als sie mich nicht antraf. Der Spion versäumte zu sagen, daß sie es nach zwei Minuten verließ.

AMY: Lesen Sie.

KEAN: Nicht ich.

PRINZ VON WALES: Lesen Sie.

KEAN: Wer bin ich, Monseigneur? Ich bin der Schauspieler Kean. Ich bin nicht töricht genug, zu wissen, daß dies viel ist, so wenig es vor Ihnen ist. Aber was bedeute ich in einer Sache, die Keuschheit und Würde verlangt. Habe ich ein Echo in feinen Dingen? Man schreit Don Juan, Verräter, Wüstling, Komödiant. Man horcht auf meine Stimme, wenn ich Romeo spiele. Was bin ich als Mensch diesen anderen Menschen? Nimmt jemand mich voll außer Monseigneur? Ich fürchte, daß meine Stimme nicht den Vorzug hat, so vor der Wahrheit zu stehen, wie mein Wille es tut.

GRAF KOEFELD: Akzeptiert. Unaufgefordert. Da Sie den Prinzen von Wales suchen, bitte, Ihre Bitte nicht aufzuschieben, mit der Sie sich annoncierten. Seine Wünsche sind Ordres. Höflichkeit, sie zu befolgen, die geringste Pflicht der Untertanen.

KEAN: So darf ich mich vor der Gräfin Koefeld neigen, denn nur wenn die Ehre dieser Frau und ihr Name sich anschickt, ja sagend und gütig sich beugend, zur Unschuld der ärmeren und unbedeutenderen Schwester herunterzukommen, wird erst Gerechtigkeit sein und die Unschuld so gut gepaart sein, daß es überzeugt.

PRINZ VON WALES: Kean.

KEAN: Selbst Ihr Rang und Ihre Macht, Monseigneur, sind nur eine Stufe der gestaffelten menschlichen Vollkommenheit und ein schöner Vorposten der menschlichen Gesetze. Verzeihen Sie meine Kühnheit, wenn ich die große Rührung, die von dem schlichten Mund der unbestechlichen und erhabenen Wahrheit ausgehen, darüber stelle. Die Unbedingtheit der gerechten Äußerung kommt nur aus der Würde einer verehrungswürdigen Frau.

PRINZ VON WALES: Geben Sie der Gräfin den Brief.

AMY: Sagen Sie Ihr Kommentar.

HELENE: Ich möchte ihn nicht lesen.

KEAN: Ich verehre das Übermaß an Zartgefühl, das nicht in die Feinheiten anderer Schicksale fassen will, Gräfin. Ich, der ich erbärmlich bin vor der Größe Ihrer Augen, nur ein Sujet, ein Quelconque, nur ein Mann, irgendwelcher, nur Kean, ich flehe Sie an, aus einer übertriebenen Feinfühligkeit kein Opfer zu machen.

GRAF KOEFELD: Geben Sie der Gräfin diesen Brief. Unbesorgt. Voran. Junger Mann. Zivilcourage!

KEAN: Darf ich die größte Beleidigung wagen, die Monseigneur angetan wurde, und ihn bitten, die Gräfin meine Erklärungen allein aufnehmen zu lassen, damit die Wahrheit, die ja im einzelnen der private Besitz anderer Menschen ist, aus ihrem Munde Ihnen zurückgegeben, ohne jeden Klatsch nur mit der endgültigen Sicherheit des Satzes schließe: Kean ist unschuldig, und die verfolgte Frau ist es auch.

Der Prinz führt die beiden in den Hintergrund, lächelnd, sich verbeugend.

GRAF KOEFELD: Tontauben, Monseigneur. Sie gehen zum Balkonfenster hinaus. Peng ... Schräg ... zu hoch – Patronen. Dank ... Monseigneur. Man sieht sie draußen, hört sie, sieht ihre Schatten.

HELENE: Sie haben mich in eine Lage gebracht, die ich Sie büßen lasse.

KEAN: Da ich in einer guten Sache mein Leben zum erstenmal dem Ihren mische, kann nur ein gutes Schicksal über uns stehn.

HELENE: Ich wünschte, Sie verließen mich in derselben Sekunde.

KEAN: Ich werde Sie verlassen, wenn ich, nicht, wenn Sie es wollen.

HELENE: Den Brief. Liest, hält ein, weicher, beruhigter: Sie haben recht.

KEAN: Versprechen Sie mir, den Brief fertig zu lesen.

HELENE: Ich las.

KEAN: Die Rückseite ist auch beschrieben. Ich fürchtete, meine Stimme würde nicht reichen, diese Minute zu ertragen.

HELENE: Die Rückseite ...

KEAN nimmt ihr das Papier aus der Hand, hält es vor sich: Ich werde es Ihnen lesen, Gräfin, ich kann es Ihnen lesen. Ich lese rasch, Gräfin, es geht um jede Seligkeit; ich habe eine Stunde seit Monaten gesucht, die eine Dame Ihrer Position mir geben kann, ohne sich zu kompromittieren, ich gäbe mein Leben für diese Stunde, es sind nur zwei Minuten jetzt, sie vorzubereiten, Gräfin, zwei zufällige Minuten, zwei noch vor einer halben Stunde ungeahnte Minuten; auch sie genügen, aber ich bin kurz. Lassen Sie Ihren Wagen vor dem Theaterbüro halten, nehmen Sie ein Billett, winken Sie mit dem Fächer. Der Billetteur ist mir ergeben. Sie kommen in Schwarz, mit einem Schleier. Durch einen geheimen Gang kommen Sie in meine Loge. Ich werde es Ihnen ins Blut setzen, daß Sie es nie vergessen ...

HELENE: Halt. Ich habe genau zugesehen. Sie haben gelogen. Es stand nichts auf der Rückseite. Das Papier war leer.

KEAN: Als ich hierher ging, hatte ich nichts im Sinn als das Schicksal einer Unschuldigen.

HELENE: Sie vergaßen den Grund Ihres Kommens rasch.

KEAN: Ich riß aus der Sekunde, als sie mir nahte, was sie mir geben konnte.

HELENE: Sie setzen Ihr Leben aufs Spiel.

KEAN: Tue ich es nicht auch, wo ich für die Unschuldige eintrete?

HELENE: Das erste war echt. Ist das zweite mehr wie Wahnsinn? Gibt es zwei Dinge so nebeneinander? Und echt? Verwunderlich.

KEAN: Prüfen Sie.

HELENE: Ich kann es. Ich kann auch die Hunde rufen.

KEAN: Sie kommen in die Loge!

HELENE: Verlassen Sie sich nicht auf die Kühnheit Ihres Wahnsinns.

KEAN: Durch den Gang in meine Loge. Sie kommen das erstemal, wenn ich wieder spiele. Die Gräfin Koefeld stampft mit dem Fuß auf, Kean klatscht in die Hände, verbeugt sich vor Helène, ruft nach rückwärts: Monseigneur, Graf Koefeld, die Gräfin Goswil auch, ich vergaß ... ich erbitte tausendfach Entschuldigung ... die Gräfin hat gehört. Ich habe geredet.

HELENE stockend: Der Herr ist ... unschuldig – – und Daisy Miller ... auch.

Schluß des ersten Akts.

AKT ZWEI

Zimmer bei Kean. Links Ausgänge nach zwei Nebenräumen. Rechts Eingang. Atelierhaft, Holzskulpturen, Teppiche, Diwane. Nach einer Nacht. Betrunkene in grotesken Schlafstellungen: Kean, Tom, David, Bardolph. Es ist noch dunkel.

SZENE EINS

LORD MEVIL erscheint mit drei Leuten und Laternen: Besetzt die Türen. Geht durch den Raum und rasch in die anderen schauend. Hier sieht es nicht nach Weibern aus. Alles Betrunkne. Gebt sofort Knebel, wenn sich einer regt. Welches ist der Entführer? Eine Laterne zeigt auf Kean. Der soll sie mir geraubt haben? Für meinen Stolz unmöglich. Für den Plan gut. Diese Kreatur voll Wein bindet mit mir an? Gelächter, Mevil! Er ist in meiner Macht, ich werde ihn nicht berühren. Wie kann ein Bursche, der jedem Feind so preisgegeben lebt, ein Gegner sein? Belauert ihn. Was ich besitzen will, werde ich besitzen. Was ich greife, laß ich nicht los. Hinunter an die Tore. Ich brauche Geld in irrsinnigem Ausmaß. Welches Ziel hab ich noch nicht erreicht? Bewacht die Ausgänge gut. Ab mit seinen Leuten. Aus einem Nebenraum mit einer Kerze Salomon. Er stellt die Kerze neben Kean, dann schießt er mit einem Terzerol in die Luft; Kean steht auf.

KEAN: Wie oft hast du geschossen?

SALOMON: Einmal.

KEAN: Ist ein Brief von einer Frau da?

SALOMON: Nein. Kean mit einer Geste ins Nebenzimmer. Durch den Eingang ein Jüngling. Halt. Woher? Wen suchen Sie?

JÜNGLING: Kean.

SALOMON: Den sucht jedermann. Hast du nicht vielleicht einen Busen über deinen Männerhosen? Mit welcher Legitimation?

JÜNGLING: Der, daß ich frage, wollen Sie, daß ich auf dem Seil oder den Fingerspitzen einmarschiere? Schlägt ein Rad.

SALOMON: Welche Truppe?

JÜNGLING: Truppe Bob.

SALOMON erschrocken: Truppe Bob. Wird Kean erfreut sein oder geärgert? Sieht er heut seine Vergangenheit verliebt oder verächtlich? junger Mann, wenn Sie Mut haben, bleiben Sie, wenn Sie ängstlich sind, verschwinden Sie.

JÜNGLING: Ich habe Aufträge und bleibe.

SALOMON: Dann ist zweierlei zu bedenken. Kommt er und sieht die Kerle, saufen sie bis zum Abend. Scheinbar wird aber eine Frau erwartet. Ich weiß nicht, welche. Am besten jagt man die Bande weg. Wie es kommt, ich werde das Falsche getan haben. Schicksal. Singt: Ach Gottsche, schenk mern Hambelmann, un e Kordel dezu, daß er zawwele kann.

JÜNGLING öffnet ein Fenster, dämmrighell: Wirf sie in die Themse.

SALOMON: Wassertod wäre die grausamste Exekution. Du hast Humor. Ich liebe nicht Affairen mit den Konstablen. Wir haben genug. Dafür gibt es einen andern Stil. Weckt mit einem Hammer Tom.

TOM: Caramba, Sennor. Die Faust in Ihre Gurgel.

SALOMON: Ich werde Euch eine Sache an den Hintern henken, an der Ihr kein Werft schleppt, bis Ihr verreckt.

TOM: Ich trete dir in den Bauch, daß der Hund in deinem Wanst zu bellen anfängt.

SALOMON: Du Bauchredner deiner Trübseligkeit, er würde vor Vergnügen zu lachen anheben, weil er dich für einen Hirsch hält, obwohl du in Wahrheit nur eine Sau bist, die den faulsten Huren die Männer zutreibt.

TOM: Dafür sollst du dreimal gespien verdammt sein, daß du solche Lügen erfindest. Ich bin sowenig ein Hirsch wie du ein Hund, denn du stinkst schon zu verwest, du Aas.

SALOMON: Wegen der Hörner, du Klauenbiest.

TOM: Dann hast du deshalb gelacht in deinen Wanst, weil deine Augen vor Besoffenheit so verklebt sind, daß du gar nichts siehst.

SALOMON: Weil vor einer halben Stunde ein Rotrockweib auf einem Kahn vorbeipaddelte, heraufgrinste und eine Harmonika erbärmlich schaukelte.

TOM: Wenn das um zehn war, ist es jetzt halb elf.

SALOMON: Aber wenn du bis in die Ewigkeit hinein meckerst, kriegst du den Wettlauf mit der halben Stunde nicht wieder herein, und wenn dein Rüssel sich zu einer Kilometerschnauze auswächst, denn damals waren hier vier und nun sind drei.

TOM: Dann schlag ich dem Kean den Stirnknochen auf und schlitze die rote Sau von unten bis oben, wenn ich sie erwische. Dann kannst du betteln, alter schlottriger Darm. Geht dröhnend ab.

JÜNGLING: Hast du ihm nicht gefährlich eingeheizt?

SALOMON: Sein Hirn ist so feig, wie sein Maul vor Unflätigkeit groß. Es ist schon so ausgefranst, daß es bald die Ohren erreicht hat und sie abfrißt auf seinem Weg um den Kopf.

JÜNGLING: Wie das Zeug hinausgeht, ist gut. Aber wie kam das Zeug herein?

SALOMON: Kean wollte eingeschlossen sein und ausruhn. Aber er hat seine verdammten Launen.

JÜNGLING: Ihr schloßt ein.

SALOMON: Er holte sich Gesindel durchs Fenster. Achtzehn Flaschen dann auf vier Mann. Wie leicht Hoch und Niedrig sich einigen, ahnt man nicht. Weckt David.

DAVID fällt aufs Knie: So will ich Gott den milden Herren beim Aufgang jedes Gestirns loben, daß er mich einfältige und fleischliche Kreatur über Nacht auf dieser Erde wohlgefällig erhielt.

SALOMON: Fromme Wanze. David!

DAVID abwesend: Eins, zwei, drei, vier, fünf. Anwesend. David anwesend.

SALOMON: Amen. Willst du eine Heldentat vollbringen?

DAVID: Ich habe keine Neigung nach dem Tod. Wenn der Herr zwar mich ausersehen, so sage ich: Ich bin bereit.

SALOMON: Du hast Kean dreiundachtzigmal geschworen, daß du alles ihm opfern willst. Vergißt du deine sanfte Grimasse, wenn die Flaschen wie leere Kinderhälse rülpsen?

DAVID: Warum beschämst du mich falsch? Weißt du nicht, daß, wenn Kean will, ich folge mit verbundenen Augen.

SALOMON: Vor einer halben Stunde, als Kean am Fenster stand, fiel ein Kind in die Themse und Kean sagte ...

DAVID: Was sagte Kean?

SALOMON: David ...

DAVID: Er erinnerte sich meiner Armseligkeit.

SALOMON: ... David ist der einzige, der es retten könnte ...

DAVID: Hei, ein gütiger Gedanke von Kean, Herr.

SALOMON: Denn er ist, sagte Kean, der einzige, der mit Salbung so geölt ist, daß ihm Wasser nicht schadet, er schwimmt wie mit Schwimmfüßen auf heiligen Sprüchen stundenlang.

DAVID: Es war sein Wunsch? Du sagst mir es jetzt erst. Nach welcher Seite floß das Kind?

SALOMON: Stromaufwärts wie alle Kinder. Hinauf. Hinauf. Es schrie nicht mal.

DAVID: Welch ein Glück, Salomon. Du bist weiser wie Sancho Pansa und Hamlet. Kean wird zufrieden sein mit dem schwachen Theologen. Welches Glück. Sagt Kean: Gehe – so geh ich. Bleibe, so bleib ich. Er sagte: Gehe. So geh ich. Ab.

SALOMON: Der heißeste Topf. Wird mit Wasser gelöscht. Weckt Bardolph. Meine Gratulation. Meinen Glückwunsch.

BARDOLPH in einem Löwenfell, brüllt, bläst sich auf.

SALOMON: Welche Haltung!

BARDOLPH: Du gratulierst mir.

SALOMON: Dieselbe Haltung, in der du Kean erledigtest.

BARDOLPH: Ich gab es ihm.

SALOMON: Allzutrefflich. Nie hörte man solches Geschrei. Ohnmächtig rutschte Kean seine Stimme in den Magen. Er spie.

BARDOLPH: Ich hätte ihn gern erwürgt, wenn er auf der Bühne alle Applause einsteckte, als seien es Äpfel. Wer war es aber, der dem Publikum den Eisschreck in die Blase gejagt? Wir müssen auch einmal an die Rampe, der Tag des Sieges hat auch für uns seinen Sonnenaufgang. Glaubst du, ich werde nun Hamlet spielen? Er verzichtet?

SALOMON: Nein.

BARDOLPH: Warum?

SALOMON: Kean läßt sich den Magen auspumpen. Er schwor, dich totzusaufen, damit du ihm nicht gefährlich wirst.

BARDOLPH: Dann ists im Sinne der Menschheit, wenn ich meine Stimme erhalte. Gehe ich, bin ich der Sieger. Bleibe ich, spielt mir das Schicksal einen Streich. Seien wir klug, Bardolph.

SALOMON: Wenn dich der Sieg Aug in Aug nicht reizt. Mit diesem Brustkasten, solchen Muskeln.

BARDOLPH: Roheit. Ich will in einer höheren Arena nunmehr meine Nüsse knacken.

SALOMON: Halleluja. David wartet. Mann, vergiß dein Fell nicht, deine Stimme könnte drin stecken.

BARDOLPH: Roheit. Stelzt mit Ringerpose ab. Jüngling ihn verhöhnend hinterher.

SZENE ZWEI

KEAN in fabelbaftem Bademantel: Meinen Kragen, mein Frühstück. Ist Rotwein da? Wo sind die anderen?

SALOMON: Sie haben sich eilig verabschiedet.

KEAN: Du läßt meine Gäste laufen, schaß dich in deinen Souffleurkasten. Man läßt meine Gäste nicht ohne Frühstück laufen. Ist Rotwein da?

SALOMON: Jamaika-Rum.

KEAN: Pest. Schreiend. Was ist das für einer?

SALOMON: Ich drehe die Dusche im Badezimmer ab. Ab.

KEAN: Was bist du für einer?

JÜNGLING: Artist.

KEAN: Welches Engagement verschafft mir die ... Zufälligkeit?

JÜNGLING: Auf dem Seil, auf den Händen. Die Truppe Bob erinnert sich an Kean.

KEAN: Sapristi. Du bist ein Neuling. Ich kenne dich nicht. Welche Zeit ist es? Mach die Läden auf. Ganz hell. Beweis dein Handwerk. Jüngling schlägt ein Rad. Was willst du?

JÜNGLING: Soll ich über den Fenstergurt laufen?

KEAN: Wie geht es Bob?

JÜNGLING: Seine Frau legte ihm das dreizehnte Ei, rötlich, gesund, mit O-Füßen, es wird Clown. Den Mittag wird es getauft. Bob verplatzt an seiner Trompete vor Wonne. Sein Herz ist zerbrochen, seit Kean ihn verließ.

KEAN: Well?

JÜNGLING: Macht den Niagarasprung mit drei Säbeln.

KEAN: Riny?

JÜNGLING: Damned. Die schwarze Maus liegt in allen Betten. Verdorren soll ich.

KEAN reißt ihm die blonde Perücke ab: Ich war der erste, der dich hatte. Ich habe dich sofort erkannt, Riny. Setz dich her. Küß mich.

RINY: Warum machst du ein zorniges Gesicht?

KEAN: Weil, wenn ich dich sehe, ich mein Leben leid werde.

RINY: Du kannst mich schlagen.

KEAN: Du verstehst mich nicht. Die Strecke, seit du das erstemal bei mir lagst, bis heut ist zu lang für dein Hirn. Hör, hast du mich spielen sehen, hast du gedacht, daß es eine Sache sei, mein Spiel, meine Rolle, meine Stimme, wie ich gehe, wie die Leute schreien, klatschen?

RINY: Ich habe es gedacht.

KEAN: Hast du gesehen, mit wem ich im Wagen fuhr – seid Ihr so lang schon hier –, wie ich angezogen bin, wie ich esse, lebe, wohne? Hast du gedacht, daß ich zufrieden, glücklich sei, daß meine Position, Geld, Ansehn Dinge sind, in denen sich leben läßt?

RINY: Ich habe es gedacht.

KEAN: Dann hast du einen idiotischen Unsinn zusammengedacht. Dies Leben ist zum Kotzen elend. Ich tauschte sofort mit dir. Iß Austern, ich aus dem Sack. Gute Zeit war, als wir auf dem Planwagen von London nach Essex zogen.

RINY: Ich habe eine Frage.

KEAN: Was willst du? Was will man, wenn man zu mir kommt? Karriere. Empfehlung. Verkuppelung. Dummes Tier. Du weißt nicht, wie gut es dir ging. Pfui Teufel!

RINY: Meine Mutter muß vor der Geburt meinen Verstand mit dem Stock versohlt haben. Ich verstehe dich nicht.

KEAN: Das gefällt mir. Besser in Lappen Berge sehn wie als Hure schlemmen. Ich beneide dich um den Himmel voll Freiheit. Wiesen, Dörfer, Flüsse, – habe ich das nicht einmal gesehen? Man zündet Feuer an, wann man will. Man zieht in kleine Städte mit Trompeten, nachts still hinaus. Rechts oder links fahren ... wie man will. Ich habe meine Jugend gelebt. Verdammt, es war schön. Könnte ich das noch einmal durchmachen, ich platzte. Das sind so Träume. Was willst du eigentlich?

RINY: Ich wollte nachsehn, ob du nicht so verrückt geworden seist, daß du den Mittag an der Taufe von Bobs dreizehntem Ei mitmachen könntest.

KEAN: Warte! Eine Sekunde. Wenn ich von Tom einen Anzug liehe und einen Wagen kaufte, würden die Mäuse, der Regen, die Kälte, die ja nicht so arg sind wie Neid und Gemeinheit und Lügerei, dich anziehn oder abstoßen? Vielleicht kommt mir einmal der Plan. Was weiß man von seinen Plänen?

RINY: Ich ziehe es dann vor, Kean auf seinen Landkonzerten zu begleiten.

KEAN: Süßer Affe. Küß mich. Ich sag dirs, wenns mir so ist. Bob grüßt du, den Mittag komm ich zur Taufe. Hast du Geld? Wo feiert ihr?

RINY: Bei Patt. Ich marschiere. Dein Diener sagt, du erwartest eine Frau. Ich lasse Patt herrichten.

KEAN: Der Teufel soll den kneifen, der lügt, ich erwarte eine Frau. Vergiß das Geld nicht. Geh jetzt. Vergiß das andere nicht.

RINY: Du könntest sagen ebensogut, ich solle meinen Kopf nicht vergessen. Ab.

KEAN: Salomon! Erscheint. Wer wird erwartet?

SALOMON: Kann ich erwarten, besser zu wissen wie Sie, welche Erwartungen Sie haben?

KEAN: Du hast dem Seiltänzer von einer Frau gesprochen, die ich erwarte.

SALOMON: Ich habe erwartet, daß er eine Frau sei, deshalb habe ich vielleicht die Erwartung einer Frau ausgesprochen.

KEAN: Ich werde dich auf Warten dressieren. Du gehst jetzt gleich in die Straße und vor das Haus, das dieses Bild zeigt und diese Adresse, und wartest, bis die Dame herauskommt. Oder du fragst nach ihr, indem du etwas zu verkaufen vorgibst. Du merkst dir die Dame und ihren Gang so, daß du sie auch in Verkleidungen erkennst. Dann kommst du zurück.

SALOMON: Den Gang will ich gerne sparen. Die Dame kenne ich.

KEAN: Woher?

SALOMON: Als ich Sie gestern suchte, frug ich bei Monseigneur und hörte, daß Sie dort frühstücken. Ich bin nicht faul und gehe dahin, aber es war ein Irrtum. Da sah ich die Dame.

KEAN: Warum hast du mich gesucht?

SALOMON: Eine Dame war hier und bat mich, Ihnen zu sagen, daß sie wiederkomme.

KEAN: Also wird doch eine Frau erwartet. Warum schleichst du auf Umwegen immer ans Ziel, du Serpentine?

SALOMON: Ich fand Sie nicht mehr, und wenn die Dame sagt, sie erwarte morgen Sie zu sprechen, so wird sie doch nicht erwartet, sondern sie hat selbst nur Erwartungen.

KEAN: Laß den Unfug, mit dem du deine Vergeßlichkeit groß machen willst. Du meldest den Mittag dich bei mir auf dem Artistenfest. Du bist dann zeitig im Theater und auf alles gespannt. Am Büro öffnest du die separate Tür. Du läßt die Gräfin Koefeld, auch wenn sie verschleiert ist, in meine Loge durch den Gang und die Wandtür führen. Vor der Vorstellung. Wenn dir mein Lachen lieb ist. Wenn sie nicht kommt, werde ich verrückt.

SZENE DREI

DIENER mit Karte: Die Dame wird erwartet.

KEAN: Daisy Miller.

SALOMON: Ich warte nicht länger. Im Abgehen. Es ist der Name der Dame, die erwartet, erwartet zu werden. Singt: Ach Gottsche, schenk mern Hambelmann, un e Kordel dezu, daß er zawwele kann.

KEAN: Herein die Dame. Mein Frack. Springt hinter eine Portiere, wo er sich, sichtbar dem Parkett, aber nicht der Eintretenden, fertig umzieht mit Hilfe des Dieners, der zu ihm kommt, nachdem er Daisy hereingeführt. Daisy bleibt mitten stehen, sieht sich um. Sie haben mich verfehlt, verzeihen Sie; durch die unentschuldbare Haltung meines Dieners erfuhr ich zu spät ... Sie sind Daisy Miller?

DAISY: Ich kann nicht widersprechen. Doch ich wünschte, es nicht zu sein.

KEAN: Dann könnte Ihr Wunsch nur sein, Lady Mevil zu sein.

DAISY: Dem widerspricht meine Handlung.

KEAN: Die werden verfolgt?

DAISY: Als ich auf die Straße trat, war ich verstoßen, Waise, vermögenslos.

KEAN herauskommend im Frack: Ich sehe keine Verzweifelte. Nur Anmut.

DAISY: Ich nahm Ihren Namen mit.

KEAN: Den schlechtesten Kredit.

DAISY: Es wog mir den Mut auf, den Tod nicht diesem Gespräch vorzuziehen.

KEAN: Kommen Sie zu Ihren Wünschen.

DAISY: Da ich ein Leben ohne Glück geführt habe, bin ich auf seine Änderung bedacht. Ich war im Kloster bis vor Wochen erzogen. Ich löste, als ich die Enge meiner mir aufgeredeten Entschlüsse erkannte, die Verlobung mit Mevil. Ich verließ eine Stunde vor der Vermählung das Haus meines Vormunds. Ich komme zu Ihnen, weil ich Ihren Beruf ergreifen will.

KEAN: Ich habe keine Verantwortung für Ihr Leben.

DAISY: In Drury-Lane dachte ich: wenn ein Mensch sich in so vielen anderen verkörpern kann und ihre Leidenschaft und ihr Herz mit so strenger Wahrhaftigkeit von sich zu geben vermag, muß es ein zuverlässiger Mensch sein. Wären Sie groß und mächtig nur, hätten Sie mich nie gesehen.

KEAN: Was habe ich mit meinen Rollen zu tun? Sie kennen mich nicht.

DAISY: Wer mein Herz zu solchen Tränen gerührt hat, kann nichts anderes als mein Vertrauen verdienen.

KEAN: Ihr Vertrauen belastet mich. Ich lehne es ab. Was wollen Sie?

DAISY: Ich sah Sie spielen. Das änderte mein Leben ...

KEAN: Chüt ... chüt ...

DAISY: Das hat mich zu meinen Entschlüssen tapfer gemacht. Denn wenn ein Mensch vermag, sich in anderen so sehr zu erschöpfen und darin zu leben, ist das der einzige Weg aus der Enge in die Freiheit.

KEAN: Kein Weg für Sie.

DAISY: Ich fühle den Drang zu keinem andern. Im Traum, am Tag kamen die Stimmen, die Bewegungen der Frauen aus den Stücken, in denen ich Sie sah, und verbinden sich mit mir. Ich ahme sie nach und bin voll Freude. Helfen Sie mir, so werde ich die einzige Hilfe haben, deren ich bedarf.

KEAN: Ich verweigere sie.

DAISY: Dann werde ich den Tod leicht zu nehmen wissen in der Gewißheit, daß dies der bessere Ausweg für mich ist, den Sie beschlossen haben, um mich, zu Schwache und Unwichtige, anderem Schicksal zu entziehen.

KEAN: Ihre Drohung ist groß. Diese Belastung von mir ist schon Irrsinn. Sie verdienen die grausamste Antwort.

DAISY: Ich kann nichts anderes von Ihnen erwarten wie die Wahrheit.

KEAN: Setzen wir Ihr Talent voraus. Haben Sie das Leben bedacht?

DAISY: Ich kenne es nicht.

KEAN: Bleiben wir bei den sichtbaren Dingen. Fünf Monate Anfangsstudium ist das Minimum für ein Genie. Sie debütieren. Mit auffallendem Erfolg. Ich nehme die phantastisch-günstigsten Fälle. Man bietet Ihnen eine Jahressumme, die die Hälfte dessen deckt, was Sie für seidene Strümpfe brauchen.

DAISY: Das Vermögen, das ich seit meiner Flucht nicht mehr besitze, war durch meiner Vorfahren äußersten Fleiß erworben. Ich bin gewohnt, zu entsagen.

KEAN: Zu hungern. Schlechte Romantik. Gut. Aber ... die Kleider, die Ringe, die Pelze, die Reiher, den Samt?

DAISY: Ich werde sparen.

KEAN: Womit? Die Zeit ist grausamer als das Leben. Sechs Jahre braucht eine Venus, um unvergleichlich zu sein. Sie werden vorher Ihr einziges wichtiges und letztes Kapital angreifen und verzehren müssen.

DAISY: Ich habe keines.

KEAN: Sie haben eines. Daß Sie sehr schön sind, ist gut und ist schlecht. Sie werden Ihre Liebhaber haben.

DAISY läßt ihren Schleier fallen.

KEAN: Daß Sie unvergleichlich hohe Beine haben, wird Ihnen ebenso unvergleichlich schaden. Daß Ihr Haar reich und Ihr schmaler Busen köstlich ist, wird Signal zu dem Wettlauf der Vielzuvielen werden. Daß Sie in Notlage sind und vom Schicksal arm bestimmt durch Ihren tragischen Entschluß, wird Sie vor die bitterste Entscheidung zwingen, ob Sie sich, ob Sie Ihr Ziel erreichen wollen. Geben Sie sich selbst aber in das Furioso der Preise, die darauf geboten werden, um auf der anderen Seite Ihrer Sehnsucht Ihr Ziel zu erreichen, so haben Sie alles eingesetzt, um vielleicht nichts zu erreichen. Dann ist Ihr Herz verdorben, und Ihre Beine sind verbraucht von den Männern, und Ihre Brust hat keine Frische mehr, und Ihr Herz ist elend.

Beweisen Sie, daß Sie robust genug sind, die heulende Furie der Kunst auch durch das Dasein so entsetzlicher Perspektiven mit gleicher Kraft wie Ihre Sehnsucht danach zu tragen. Dann rede ich Ihnen erst zu.

Haben Sie im günstigsten Fall Männer, die Ihnen geben und nicht fordern, die Sie lieben und die Sie nicht kaufen, bricht die Kloake der Angriffe in anderen Höllenstürzen los. Affenhafte haarige kleine Schreiber, krähende Regisseure, geschwollene Intendanten werden Sie tadeln, schmähen, fordern, zurückstellen, verfolgen mit einer Systematik, von deren Gründlichkeit Sie sich keine Vorstellung geben. Und wenn Sie, von grellen Reflektoren bis in Ihr intimstes Boudoir jeweils beleuchtet, ausgeschrien und entkleidet, gejagte Hindin, atemlos von der Jagd, verzweifelt einem der Jäger sich geben, hat der andere Schwarm schon sein Halali begonnen. Sie entweichen nicht. Haben Sie das Leben bedacht? Gestehen Sie, daß Sie die Barriere unterschätzten, die es vor Ihre Absicht legt. Ihre Knochen sind sehr zart, aber Ihr Herz ist groß. Ihre Beine sind zu schön für solche Exkursionen.

Beweisen Sie mir, daß die Zartheit Ihres Lebens so stählern und hart ist, um unbeschmutzt und unzerschlagen aus dem herauszukommen, und ich rede Ihnen zu.

DAISY: Ich kann Sie nicht bitten, zu schweigen.

KEAN: Sonst hätten Sie das Recht, mich später zu verfluchen.

DAISY: Jeder Ausgang kann nur Dank für Ihre Güte sein.

KEAN: Sie werden die Arme nach der Gerechtigkeit ausstrecken, aber Sie werden ein Schwein umarmen.

DAISY: Was müssen Sie gelitten haben.

KEAN: Ich?

DAISY: Nichts von alledem kann an Ihnen vorübergehn.

KEAN: Ich bin ein Mann.

DAISY: Ich bedaure Sie. Daß eine gerechte Sache soviel kostet ist teuflisch.

KEAN: Was kümmert mich der Kleinkram? Habe ich nicht eine Leistung in der Hand wie wenige im Jahrhundert? Kümmern mich die Schreiber, Spione, Paraden des Schmutzes? Oh. Wissen Sie, daß ich ein gutgewachsener Mann bin und zu lachen weiß? Wer kann an mich heran? O, das ist alles nichts, wo die tragische Lüge unserer Berufung uns immer viel tiefer sekündlich verhöhnt.

DAISY: Wer solche Tränen geweckt, solche Leidenschaften gelöst und solche Liebe gerufen hat, kann nur glücklich sein.

KEAN: Ich zöge es auch vor, lieber als Publikum vor meinen Talenten zu grinsen, statt die teuflische Meute selbst im Bauch zu haben. Bin ich denn nicht auch alles das, was ich spiele, und reißt es mein Leben nicht in sechs Teile auseinander? Seltsame Späße reißen mein Dasein ein; sapristi, wenn Sie die Späße kennten, die durch einen Tag meines Verstandes durchrollen! Ich will auf dem Rücken liegen und Wolken ansehn immerzu, Gnädige, am Wasser über Bergzacken hin. So bin ich einer. Ich will ein Heer kommandieren, so bin ich in einer Stunde. Ich will einen Mord begehen zum Mittag, so bin ich einer. Ich will im grünen Wagen hinausfahren durch Feuer und Dörfer und Kinder hinter mir her haben, die meinen Namen schreien, so bin ich einer später. Das alles drängt und stößt durch meine Brust und wechselt einander ab wie die Schildwachen, straff und mit Gewalt, gespannt und auf Letztes bereit. Ahnen Sie, an welchen Abgründen ein Tag vorbeiführt? Vermögen Sie zu verstehen, welche Höllen neben welchen Seligkeiten liegen? Und doch im Grunde bin ich nichts, was bin ich? Werde ich Wolken ansehn, werde ich Soldaten haben, welche Späße, Gnädigste, werde ich niemals mit dem grünen Wagen fahren? Ich werde keine von den Späßen leben, die mir ins Hirn gerollt sind. Es bleibt nur der fahle Schatten, der abends von Applaus umbellt ist, wenn er die Lüge dieser oder jener Existenz heruntergespielt hat. Es bleibt die Übelkeit, in Wahrheit nichts gelebt zu haben und sich und anderen für Stunden ein Betrug gewesen zu sein. Bleibt eine Tat, eine Handlung, etwas mehr als drei Tage Geschrei, wenn ich diese Sümpfe mit den seligen vertausche? Und wen soll ich gerührt, wen erschüttert, wen, mein Gott, für sein Leben gezeichnet sehen, wenn nach dem Abklatschen des Vorhangs und dem Erlöschen der Lichter ich alle Menschen die Gesichter wechseln und mit gewohnten Fratzen in den Karneval ihrer Erbärmlichkeit zurückkehren sehe?

DAISY: Wer mit solcher Kraft in einer Hölle steht, muß ein gerechter Mensch sein. Warum haben Sie die Hölle sonst nicht verlassen?

KEAN: Weil ich sie liebe.

DAISY: Trotzdem sie zerreißt?

KEAN: Fragt eine Leidenschaft nach Gefahr?

DAISY: Sie leiden. Aber Sie wissen nicht, warum.

KEAN: Drehen Sie die Lanze herum? Reden Sie mir plötzlich zu? Was soll dieser Ton?

DAISY: Ich habe eine seltsame Erkenntnis gemacht.

KEAN: Ihr Entschluß?

DAISY: Richtet sich nach Ihrer Äußerung.

KEAN: Kehren Sie zurück.

DAISY: Ich werde dort bedenken, was Sie gesagt haben.

KEAN: Denken Sie nicht nur. Entschließen Sie sich.

DAISY: Vielleicht werden Sie meinen Entschluß so nötig haben wie ich den Ihren.

KEAN: Was planen Sie?

DAISY: Nichts, als daß ich von jetzt ab weiß, daß ich eine neue Mission habe.

KEAN: Gehen Sie zurück, und beweisen Sie mir, daß Sie, ohne das Wichtigste zu verlieren, das Leben nicht zu ertragen, sondern zu beherrschen verstehen. Zeigen Sie mir an einer Bagatelle, an einem Spaß, an einem Nichts, daß Sie die Kräfte und die Elastizität einer stählernen Seele haben. Und ich rate Ihnen zu.

DAISY: Ich wohne Richmond Street Vierundachtzig. Bei einer Amme.

KEAN: Ich werde Mittel finden, Ihnen Unterkommen zu sichern.

DAISY: Ich danke Ihnen, denn ich weiß, daß ich selbst Ihre Grausamkeit ertragen könnte. Weil ich Sie gesehen und besser verstanden habe als Sie sich.

SZENE VIER

DIENER blitzschnell den Kopf hereinsteckend: Prinz von Wales. Kean reißt Daisy an eine Fensterportiere und wirft die darüber, bleibt selbst beschattet. Knapp hinter dem Ruf des Dieners kommt der Prinz.

PRINZ VON WALES zum Diener: Ich bin durchnäßt. Vom Gaul und Regen. Mein Pferd wartet. Leihen Sie mir einen Mantel.

DIENER: Hier.

PRINZ VON WALES: Equipieren Sie mich möglichst. Handschuhe.

DIENER: Hier.

PRINZ VON WALES: Einen Shawl.

DIENER: Hier.

PRINZ VON WALES: Einen Melonhut.

DIENER: Hier.

PRINZ VON WALES zu Kean: Sie sind da? Um diese Zeit? Erstaunlich.

KEAN: Treten Sie nicht an das Fenster.

PRINZ VON WALES mit der Gerte: Zwei Füße!

KEAN: Es wäre ein Unglück.

PRINZ VON WALES mit der Gerte: Da?

KEAN: Für mich. Weil ich Monseigneur hindern müßte.

PRINZ VON WALES: Ihre Sorge um mich hat Pech, weil sie immer eine Sorge um Sie töten will. Sie täten sich keinen Gefallen, denn Sie machten einen Mund stumm eines Grundes halber, wegen dem er vom Pferd stieg, um ihn zu stärken. Sie haben das Unglück, das Übele nicht zu sehen, wenn Sie auf Anständiges aus sind. Sie sind ein guter Mensch, Kean.

KEAN mit abwehrender Bewegung: Ein Vorwurf.

PRINZ VON WALES: Eine Anerkennung, wo das Meskine so leicht ist. Wägen Sie das aneinander ab, wissen Sie, warum ich kam, obwohl ich nicht naß bin, und da es mit meinem Pferd zusammenhängt.

KEAN: Ich warte.

PRINZ VON WALES: Um die Ecke flitzte Mevils Wagen. Seine Leute halten mein Pferd. Unterschätzen Sie den Mann nicht. Er brüllt seine Pläne zusammen. Es gewittert um ihn. Ich sende Ihre Sachen zurück. Ab.

KEAN: Ich danke Monseigneur. Salomon, er reißt Daisy heraus: Die Dame über die Leiter. Durch das Treppenfenster. In den Garten. Über die Themse weg. Niemand soll sie sehen.

Schluß des zweiten Akts.

AKT DREI

Hafenbar, ordinär, aber phantastisch. Links und rechts wie Badekabinen Séparés, mit hellen Vorhängen verschlossen. Hinten zwei Ausgänge. Zwischen ihnen in der Wand in der Art der Café-Biards hufeisenförmige Bar, in der der Wirt steht. Viele Eingänge durch die Séparés. Eine Mausefalle von Raum.

SZENE EINS

HERR mit Maske, zum Buffet: Eine Dame kommt heute mittag, groß, elegant, schwarz. Sofort in das beste Zimmer. Gut bewacht.

WIRT: Ich kenne Sie nicht.

HERR hebt die Maske.

WIRT steif vor Ehrerbietung: Sieben Damen, wenn Sie wollen, Mylord.

HERR: Respekt, du Schwein. Es ist eine Dame. Verschaff mir ein Boot. Schaluppe.

STEUERMANN auf des Wirts Pfiff: Zehn Knoten die Stunde. Zwei Apachen bleiben hinter ihm stehn.

HERR: Unauffällig? Zu jeder Fahrt und Zeit bereit? Verschwiegen? Bist du kühn, riskant? Preis?

STEUERMANN: Ich fahre Euch damit bei Regen ins Parlament, Mylord. Ihr könnt wie von einem Karussell eine knorzige Rede gegen die Wuchrer halten darin.

HERR: Eine Kabine wird sofort eingerichtet. Die Sachen sind im Wagen. Abends wird Abfahrtspermiß geholt. Ist es weit? Ich fahr dich hin. Beide ab, Apachen geduckt hinterher.

KEAN: In exotischer Matrosentracht, mehr Apache als Matrose, stößt mit den abrückenden Apachen zusammen. Hände weg.

APACHE: Sie werden eine Hochzeit in deinem Gesicht machen. Ab.

WIRT: Die ersten zwei Séparés für Ihre Gesellschaft.

KEAN: Was hast du angemacht? Nichts von Katze, Hund, Ratte, Laus?

WIRT: Oliven, Hering frisch, Steinbutt, Hammelbuckel, Chester mit Himbeer. Züngelt nicht das Spritzeln der Butter ins Ohr? Treten Sie in die Küche. Kean hinein.

DAISY stürmisch herein: Ein Zimmer ist bestellt für mich. Führen Sie mich hinauf. Eilen Sie. Ich erwarte einen Herrn. Voran. Rasch.

WIRT: Ich führe Sie selbst. Ab mit ihr.

KEAN zurückkommend: Der Fisch tropft besser ab als die Gäste herein. Seitentür zwischen Séparés geht auf mit Riny und sieben Artisten, die fast faschinghaft gekleidet sind. Riny, du Affe, hierher.

RINY: Vorstellend. Die Menagerie ... Well, der die Eisengewichte stemmte ...

KEAN: Du fandest mich über einem Zaun einmal, der meinen Hals wie eine Gabel würgte ... Küßt ihn.

RINY: Gonsch ... der mit dem Hintern die Pauke schlägt, während er Feuer frißt ...

KEAN: Wir sind bei Perth zusammen über den Fluß geschwommen, um einen Konstable zu verhauen, und fanden einen Esel, der sich haarte. Küßt ihn.

RINY: Kauka, der auf dem Seil ...

KEAN: ... einmal seinen schlechten Charakter nicht durch den Mund, sondern die Nieren blies ... du Ferkel. Küßt ihn.

RINY: Pepi, eine Neuigkeit.

KEAN: Akzeptiert.

RINY: Der Froschesser Viktor mit den Kaninchen ...

KEAN: Ich fand dich zuerst auf der Landstraße unter einem Pflaumenbaum, wie ein Gaul krischst du, der Teufel habe dich, aber es hatte dich eine Kolik. Küßt ihn. Die zwei Apachen kehren zurück, schleichen an verschiedene Séparés, pfeifen zwischen den Zähnen, es schleichen zwei kleine Kokotten zu ihnen.

KEAN: Wo ist Bob?

RINY: Im Bett. Kean schaut erstaunt. Die Artisten „im Bett“.

KEAN zu Riny: Da will ich mit dir sein. Warum Bob?

RINY: Sein Weib, prrr, ging vor mit dem Täufling, den Pastor zu suchen, der immer betrunken ist. Dumme Gans, sagte zu mir Bob, weil auf der Treppe ich ihm über die Schulter sprang, hol meine Trompete. Wozu, frage ich. Für Kean. Ich lache einen Ast. Dumme Hure, schreit er, hol das Horn. Du hast es auf dem Kopf, sag ich. Da macht er seinen Spaß, tritt nach mir. Er ist nicht eleganter als ich, also kriegt die Luft den Tritt, ich pirouettiere und er schreit mit allen Katzen um die Wette.

KEAN: Aus Luft? Ich habe ihn nur im Alkohol schreien hören.

RINY: Er hatte zu stark getreten, der Schwung warf ihn wie im Schlagfluß um. Seine Seite war knallrot wie sein Kopf.

BOB hinkend, seine Trompete blasend, herein: Wo ist der Affe?

KEAN tief gebückt: Hier, Meister.

BOB: Die Ohren? Faßt daran.

KEAN: Ihr werdet das andre Bein brechen.

BOB: Als du vor sieben Jahren entliefst, hatte ich ein Pfund Verlust. Willst du sie gutwillig geben. Nein? Sprich. Rede.

KEAN: Gutwillig.

BOB: Willst du um Verzeihung bitten?

KEAN: Indem ich Euch heut abend eine Benefizvorstellung gebe.

BOB: Gnade dir Gott. Hättest du einen Schwanz, ich hätt ihn dir hochgezogen. Zu Riny: Halt das Maul.

RINY: Du wolltest ein Hornsolo blasen. Ich wollte nur helfen, dir auf dem Kopf stehen.

KEAN: Mein Lehrer ist mit Respekt zu grüßen.

BOB: Willst du mir sofort schriftlich geben, daß du mir ein Benefiz hältst?

KEAN: Den Brief ans Theater. Schreibt gegen die Wand, alle umdrängen ihn.

APACHE zu seiner Midinette: Nimm ihm die Trompete. Der Hund stieß mich ins Rohfleisch. Die Midinette schleicht hinüber. Rache in seine Visage.

ANDRER APACHE: Wie weit liefst du dem Wagen des Mevil nach?

APACHE: Bis ich Sand schluckte. Müssen am Abend genauer aufpassen und die Falle für ihn exakter am Hafen legen.

ANDRER APACHE: Rupfen Mevil im Dunkeln das Huhn schon warm aus dem Schoß. Wirds teuer zahlen, Mylord. Eine schöne Falle!

APACHE: Hat mal auf dich gesetzt, zwanzig Pfund beim Mätch.

ANDRER APACHE: Hab ich dankbar zu sein, daß ich aus des Niggers Maul Zahnsalat hieb? Nein, er. Werde ihm das Lösegeld erhöhen. Very well. Die Midinette greift die Trompete, zurück damit, Bob heult auf. Zuerst aber diesen Hund veraasen.

APACHE setzt an, bläst. Zwei Heerlager einander gegenüber: Das Blech furzt wie ein Bauerngaul.

KEAN: Was an dem Mundstück hängt, muß wissen, was es ist.

APACHE: Du sprichst so glatt, als hätt dich ein Walfisch ausgekotzt, weil du ihm zu stinkig. Wenn du Arme wie Zunge hast, kann man eine schöne Blindschleiche zertreten.

ANDRER APACHE: Gib mir Mädchenfleisch, neben dir, für das Blech. Dann hat deine Nase von mir Schonzeit.

KEAN: Willst du nicht den blauen Perpendikel über deinem Aug dazugeben, er fällt dir sonst in die Blutsuppe, die dein Riecher sich anrührt, wenn ich in die Nähe niese.

APACHE: Merde alors. Rotznase, Spüllumpenzuckler, Saligot.

KEAN zieht den Rock aus: Ein guter Tag, Bob. Ich will mehr als durch das Benefiz meine Freundschaft beweisen.

APACHE zum andern: Drei Medaillen in Montmartre. Zwei in Edinburgh, Sieger über Tommy Burns. Wieviel Zähne wettest du? Sieben? Neun? Das Mädchen als Zugabe? Ein blasses Biest.

WIRT: Konstable.

KONSTABLE: Ich präsidiere die Boxkämpfe meines Viertels. Seile! Pflöcke! Den Ring!

Man schlägt in der Mitte ein durch zwei Taue oben und unten umschnürtes Viereck um vier Pflöcke auf. Die Boxer mit nackten Oberkörpern stehn in den diametralen Ecken, werden von zwei Kampfrichtern massiert und abgewaschen. Blitzschnell.

KONSTABLE setzt sich auf einen Rücklingsstuhl mit dem Rücken gegen das Publikum vor einen kleinen Tisch: Ich Time-keeper. Wieviel Runden?

APACHE: Zehn.

KONSTABLE: Zehn.

KEAN: Zehn.

KONSTABLE: Schiedsrichter?

WELL: Ich.

KONSTABLE: Ring frei.

Konstable schellt. Schiedsrichter: Pfeife. Boxer umzischen sich, kommen in Umklammerung, Pfeife, Schiedsrichter: „trennen“ – „break away“. Pfeife. Weiter. Apache schlägt Kean unterm Gürtel. Pfeife. „Saustoß“. Pfeife. Weiter. Am Seil. Pfeife. „Break away“. Konstable schellt. „Time“. Pause. Die Gegner auf Stühlen zurückgelegt in ihren Ecken werden massiert, abgewaschen, bekommen mit nassen Tüchern Luft in die zurückgeworfenen Köpfe geweht. Schelle. „Ring frei“. Pfeife. Weiter. Pfeife. „Foul blow ... unfair blow“. Pfeife. „Break away“. Schiedsrichter stürzt stets trennend mit erhobenen Armen zwischen den Kämpfenden, sich Umspringenden, durch. Pfeife. „Break away“. Pfeife. Weiter. Pfeife. „Foul“. Apache knirscht eine Fratze. Pfeife. Weiter. Schelle. Konstabler. „Time“. Pause wieder. Abreiben. Massieren. Luft wedeln. Schelle. „Ring frei“. Pfeife. Weiter. Pfeife. „Clinch“. Pfeife. Weiter. Pfeife. „Break away“. Pfeife. „Break away“. Pfeife. Weiter. Kean schlägt den Apachen in die Herzgrube, er fällt zusammen. Schiedsrichter, Uhr in der Hand, zählt: „one ... two ... three ... four ... five ... six ... seven ... eight ... nine ... out“. Pfeife. „Knock out“. Schelle. Apache wird rausgeschleift, Ring abgebrochen.

KONSTABLE die Hände Kean schüttelnd: Solar plexus blow. All right, Splendid.

KEAN: Mittelmäßig.

KONSTABLE: No splendid. Double ... ah ... splendid. Swinging blow ... splendid. All right.

BOB: Schülerarbeit. Einfältig. Hättest ihn im ersten Gang knock out machen müssen.

KONSTABLE: Swinging blow. Splendid. All right.

RINY: Ich hielt den Daumen.

KEAN: Ich werd dir bald was anderes halten.

BOB: Zweiter Gang. Miserabel. Finte kindisch. Parade schlecht. Nachstoß zum Heulen. Wer ist der Narr: splendid?

RINY: Das dreizehnte Ei. Frau mit Baby, Pfarrer, Gefolge kommen. Bob setzt sich mit der Trompete, hinkend, an die Spitze, zur anderen Seite hinaus.

KEAN zum Wirt: Lad die Weiber ein, daß sie für ihr gefallenes Pferd andres Fleisch kriegen.

WIRT: Die Taufe im Nebensaal. Ich werde umdecken, wenn Sie alle Puffs dazu laden.

KEAN: Warum bist du neidisch auf das, dem du dich besser dünkst?

RINY kurz zurückeilend: Denkst du an den Wagen, Kean?

KEAN: Ich denke, Riny. Riny ab. Halo ... halo ... Rufend zum Wirt: Einen Boten für den Brief. Theater Drury-Lane. Gibt ihm den Brief.

WIRT in die Küche: Den Sekt aus meinem eigenen Zimmer. Keinen gepantschten hier.

SZENE ZWEI

DAISY: Endlich. Ihre Stimme. Ich wartete nicht im Zimmer. Konnte nicht bleiben. Hielt mich an der Klinke. Sie gab nach.

KEAN: Mein Erstaunen – verzeihen Sie – ist nicht geringer als mein Entsetzen.

DAISY erstarrt: Unmöglich. Gott kann so grausam nicht sein.

KEAN: Ein Lokal für Verbrecher und Hafendirnen.

DAISY: Ich habe nicht gezögert, zu kommen.

KEAN: Aber Sie wagen, mir eine Erklärung zu geben, die keine ist.

DAISY: Ich kam auf Ihren Brief.

KEAN: Wer ist hier irrsinnig geworden?

DAISY: Sie bestellten mich hierher. Sie schrieben mir: Kommen Sie; Sie wohnen unsicher. Ich kann Sie nicht holen, ich bin bewacht. Es gab für mich nur einen Gedanken: zu folgen.

KEAN: Der Brief.

DAISY: Hier.

KEAN: Sie sehen, welche Seite meines Namens man für kreditwürdig hält. Tod, Hölle, Heilige. Man hat meine Schrift gefälscht und meinen Namen ausgenutzt.

DAISY: Ich habe nur an die rechte Seite Ihres Wesens gedacht. So mußte ich kommen.

KEAN: Sie waren daran, Ihrem Lieblingsteufel ins Boudoir zu laufen.

DAISY: Ich habe Sie nicht gesucht und finde Sie auch in dieser Gefahr durch die Schickung.

KEAN: Sie schlagen besser dem schönen Zufall ein Stück Nase ab, um ihm dankbar zu sein, statt ihn aufzubauschen.

DAISY: Ich hatte Sie nie gesucht. Als ich zum erstenmal im Theater Sie sah, änderten Sie schon nicht nur meinen Weg. Sie retteten mein Leben.

KEAN: Haben Sie keine anderen Entscheidungen wie immer den Tod?

DAISY: Nicht für mich. Ich kam aus dem Kloster, sprach nicht, hörte nicht, sah nicht. Man gab mir Bäder und Ärzte. Durch eine List lockte man mich ins Theater, ich hörte Romeo, Hamlet, der Tiefsinn riß auf in mir.

KEAN: Konstable.

DAISY: Sie werden keine Gewalt ausführen.

KEAN: Sie haben an Edmond Kean appelliert, als Sie zu mir kamen.

DAISY: An Ihre Güte.

KEAN: Ich habe eine Verpflichtung gegen das Unrecht übernommen, die auch Ihr Einspruch nicht erledigt.

DAISY: Wenn ich Sie bitte, nichts zu unternehmen gegen den Mann, der mich hierher bestellte, tu ichs, weil ich die Absicht habe, ihm zu folgen.

KEAN: Dem Entführer ...

DAISY: Ich habe eine Mission. Was kümmert mich alles andere?

KEAN: ... vor dem Sie heut früh noch sterben wollten.

DAISY: Ich werde mich an ihn gewöhnen lernen.

KEAN: Sie sind wahnsinnig.

DAISY: Es wird leicht sein, denn ich weiß, warum ich es tue.

KEAN: Sie opfern sich.

DAISY: Ich tue, was ich vorhabe, mit Liebe und Bedacht.

KEAN: Für eine Mädchenträumerei, eine ideale Hysterie, einen tragischen Irrsinn.

DAISY: Als ich Ihr Haus verließ, wußte ich, es gab nur eins für mich: irgend etwas zu suchen, was Ihr Leben auch nur im Geringsten fester gestalten könnte. Ich will nichts von Ihnen. Aber ich erbitte die Freiheit, zu tun, was ich muß.

KEAN: Sie glauben, es sei etwas wert, eine der Beschwerlichkeiten, die einen Tag mir durchschwirren, wegzunehmen, indem Sie das Leben einsetzen? Sie schwärmen, Kind.

DAISY: Ich hätte gedacht, meine Dankesschuld höher abtragen zu können. Aber die Gewißheit dieser Kleinigkeit schon wird mich leicht das wagen lassen, was mir entgegensteht. Es hat keine Schrecken mehr.

KEAN: Konstable! Zu Daisy: Kommen Sie. Ich befehle es Ihnen.

DAISY: Wenn Sie mich zwingen, muß ich folgen. Und daran glauben.

KEAN: Konstable!! Erscheint. Ich führe diese Dame in ihr Zimmer. Sie bleiben davor, und wenn Skelette angeritten kommen. Ich bin Kean.

KONSTABLE: Der Boxer?

KEAN: Der Schauspieler. Konstable steht stramm.

DAISY: Nun wollte ich für Sie etwas tun, wieder tun Sie es für mich. Wie belastet mich Gott, daß Sie mich sogar dazu zwingen. Was kann ich tun, um auch dies zurückzugeben?

KEAN: Zum Teufel mit der Güte, mit der Sie mich bombardieren. Ich kann nichts anfangen damit. Gehen Sie. Wir werden eine Jagd heute noch haben. Öffnet die Tür. Daisy voran, dann er, dann der Konstable.

SZENE DREI

SALOMON von einer, Wirt von anderer Seite: Kean?

WIRT: Sofort zurück.

SALOMON mit Journal: Weißt du, daß die Zeitungsschreiber schlimmere Idioten sind als Zapfkellner?

WIRT: Hein?

SALOMON: Weißt du, warum die Zapfkellner kleinere Idioten sind wie die Zeitungsschreiber?

WIRT: Hein?

SALOMON: Weil sie mit giftigem Schaum, die Kellner mit gutem betrügen. Kann ein Mann, dem ein andrer ein Weib ausspannte, gut über den andern reden?

WIRT: Nein.

SALOMON: Doch, du Nashorn, du Idiot. Das muß er, wenn er ein anständiger Mensch ist. Dieses Wurm aber windet sich und schreibt, Kean sei ein wildes Aas gewesen und hätte in einem Zirkus als Pavian brüllen sollen.

WIRT: Es wird ein Zoologe gewesen sein.

SALOMON: Weil Kean ihm Hörner aufgesetzt hat. O yes. Kann ein Mann, dem ein andrer viel Geld gibt, vom Konkurrenten dieses Mannes gut reden?

WIRT: Nein, Sir.

SALOMON: Was ... Sir ...? Doch er muß gut reden, du Kannibale, du Biertrompete. Diese Zuckerstange lutscht sich ab, Kean habe mondscheinhaft wie eine Jungfrau im Monatlichen gesäuselt. Singt: Ach Gottsche, schenk mern Hambelmann, un e Kordel dezu, daß er zawwele kann. Artisten mit Pfarrer, Amme, Taufzug, Bob an der Spitze mit Trompete, zurück. Parademarsch. Stellen sich in einer Reihe auf.

GONSCH: Ich will ihm zeigen, daß ich noch Feuer fresse wie ein Tapir.

KEAN zurückkommend: Salomon! Gut. Geh beizeit.

VIKTOR: Ich will ihm zeigen, wie meine Frösche und Kaninchen sich paaren. O lala. O lala.

KEAN zu Salomon: Am Gang. In die Garderobeloge. Sie kommt in Schwarz. Mit einem Schleier. Die Türen müssen auf sein. Weiter ist nichts nötig. Kontrollier!

WELL: Ich will ihm zeigen, daß ich das ganze Lokal auf die Nase stemme.

KEAN: Ich will Riny tanzen sehn. Erste Programmnummer. Ein Tisch. Rasch.

Die Artisten: „hip hip hurrä“. Riny auf dem Tisch rechts. Jemand singt, die anderen mit scharfem, raschem Händeklatschen während des Tanzes; alle oval um den Tisch rechts. Trommel.

A me me gusta un harenque

porque es muy dulce por dentro

con la garotin con la garotan

con la vera vera vera lan ...

A me me gusta un harenque

potque es muy dulce por dentro

con la garotin con la garotan

con la vera vera vera lan.

Während Riny, Kopf zurück, wild tanzt, öffnet sich links durch zwei weit auseinanderfliegende Vorhänge das vorderste Séparé. Eine Anzahl uniform gekleideter Apachen mit Weibern, hell geschminkt, sitzen um einen Tisch, pfeifen auf den Fingern, schieben blitzschnell beim Fallen des Vorhangs den Tisch vor, daß er parallel zu dem der Artisten steht, eine Apachin springt rauf, tanzt, Riny zu übertrumpfen, wüster. Apachen im Oval drum herum, die Artisten rasen rascher mit dem Händeklatschen, die Apachen stampfen den Takt ihres Liedes mit den Füßen. Ihr Lied, frecher:

Elle avait un petit cadenaz,

elle avait un petit cadenaz,

et pour que ça se ne voie pas,

elle a mis là dessous

une chemise à vingt sous,

elle avait un petit cadenaz,

cadenaz, cadenaz, cadenaz.

Jede Partei feuert ihre Tänzerin an, der Rhythmus überschlägt sich. Es wird ein Jazz. Die Artisten hämmern mit Deckeln und Tamburinen, die Apachen schießen mit Revolvern. Die Körper bis zur Schulter tanzen wie Schlangen. Die Schultern und Köpfe, Zigaretten im Mund, bleiben völlig unbewegt. Apachen wechseln plötzlich zu Riny hinüber. Da schießt die Apachin wütend darüber mitten im Tanz Riny über den Haufen. Dann wirft sie sich sofort heulend auf Riny, wird beiseite geworfen. In einem Séparé geht eine Weile noch Musik und Gesang weiter.

WIRT: Konstable.

KEAN: Arzt.

RINY: Kean.

KEAN: Ein dünnes Loch, Kind. Heilt in acht Tagen. Auch dir ein Benefiz.

RINY: Vom grünen Wagen.

KEAN: Das wird der fabelhafteste Sommer, den du sahst ... Arzt! zum Teufel ... Verdreh die Augen nicht. Hör. Gehorche. Ich befehle.

RINY: Kean. Stirbt über den Tisch.

ARZT erscheint: Tot. Herzspitze. Herzbeutel. Blutung nach innen. Thorax. All right.

KONSTABLE: Wo ist das Vieh?

KEAN: Zurück an Ihren Posten. Auf der Stelle. Verflucht, zurück. Ich befehle es. Kean.

KONSTABLE: Das Gesetz ...

KEAN: Schützt zuerst das Leben. Marschier. Konstable marschiert ab, Artisten mit Riny in eines der Séparés, Kean den Revolver in der Hand.

BOB: Spiel nicht Hamlet, Stümper.

KEAN: Wiesen, Gärten, Flüsse. Meine besten Träume.

BOB: Wärst nicht mit ihr gefahren. Hast damit gespielt. Hattest als Junge sieben Mücken im Hirn, fingst keine. Bist Dreiviertelmann geblieben. Willst, tust nicht. Solar plexus blow war nicht splendid, war Saustoß, Konstable ist besoffen. Selbst Boxen kannst du nicht.

KEAN: Du tadelst mich recht, Meister, du kennst mich allein.

BOB: Hast sieben Köpfe, verlierst sechs, findest mit dem siebenten nicht zurecht. Solltest unter meine Fuchtel.

KEAN zur Apachin, die unterm Tuch hervorkriecht: Durchs Fenster Kanaille.

BOB: Schlag sie tot. Apachin ab.

KEAN: Warum soll sie sterben? Armes Tier, stachelgewickelt, ausgestoßen, arm wie wir. Der Tod fliegt mir vor die Füße, wenn ich bei euch ausruhe.

BOB: Geh über das Bündel weg, mein Sohn.

KEAN: Ich bin nicht glücklich, Meister.

BOB: Man hat dir eine Laune erschlagen. Erlaub dir andre. Ich hab dich mehr als die andern geliebt. Durchschau den Humbug Tod. Ist nichts hinter der Knallerbse. Du hast die falsche Bange. Mit sechzehn Jahren warst du schon schwach begabt, fielst beim Seiltanz in die Nesseln. Dein Hochschlag ist miserabel. Lern Boxen.

KEAN: Die Welt soll Gott auf dem Zinken verkrachen, wenn ich mir die Laune verderben lasse, Meister. Zumal ich noch bedeutsame Pläne heute habe, Bob, die mich anziehn. Meister. Hättest du das gedacht früher? Paß auf. Soll ich ... mit meinen ... Freunden ... im Dreck nicht ... gut ... zusammen sein. Tanzt, schreiend. Kauka, ich will dich Frösche essen sehen ... is a long way to Tipperary ... Die Artisten kommen, steif, gespenstisch, geometrisch, stellen sich in einer Reihe auf ... Well, deine Nieren sollen rasseln ... Viktor, die zahmen Kaninchen werden Löcher in die Wände brüllen müssen ... Is a long way to Tipperary ... is a long way to go ...! Mann in Maske erscheint, stößt an den torkelnden Kean.

SZENE VIER

HERR in Maske: Weg, Walfischkeeper.

KEAN: Is a long way to Tipperary ...

HERR: Fünf Schilling, gehst du weg. Hilf mir.

KEAN: Atout auf deine Nase, wenn du pokern willst. Nimm erst die Fratze ab.

HERR hebt den Stock: Auf deinen Buckel eine Fratze, Teerschwein.

KEAN torkelnd: Auf deine Fratze einen Buckel. Knock out.

HERR um ihn herum zur Tür nach innen, Kean davorschnellend: Auf die Seite. Hand weg.

KEAN: Maske ab.

HERR: Ein Irrer.

KEAN: Gutwillig?

HERR: Wirt, Diener, zehn Pfund.

KEAN: Zwecklos. Maske ab. Reißt sie weg. Lord Mevil.

MEVIL: Gauner, Stromer, du büßt mir die Falle.

KEAN mit vollem, großem Organ, weltmännischer Haltung: Wer dreht die Schuldurteile um? Wer büßt? Ich, Lord Mevil?

MEVIL: Kean! Verdammt. Unterschätzt. Stampft auf. Dreht rasch hinaus.

KEAN: Wenn Sie das Zimmer verlassen, eh ich meine Aufgabe hier erfüllt habe, schieß ich Sie zusammen.

MEVIL: Du ... schießt ... Bursche ...

KEAN: Hat der fliehende Mädchenräuber andres zu erwarten?

MEVIL: Rückwärtsschuß von dem, welchem kein Hund Satisfaktion gibt.

KEAN: Zu edel noch dem Feigling, der meinen Namen mißbraucht, hinter der Maske sich verbirgt, für seine zerfressenen Rippen.

MEVIL: Unmöglich, mich zu beleidigen. Genug. Was willst du, Komödiant? Geld? Pferde? Wagen? Enfin? Seiltänzer! Herbei, Wirt, Matrosen.

KEAN: Der Seiltänzer hat eine Absicht mit Ihnen. Er will ihm nichts nehmen, er will ihm etwas geben.

MEVIL: Stockprügel zurück für dein Geschenk.

KEAN: Schluß. Tun Sie den Mund, ungebeten, noch einmal auf, laß ich Sie über den Tisch legen und auf hier usuelle Art behandeln. Winkt. Neben ihn! Zwei der Artisten mit aufgekrempelten Ärmeln, Fäuste in den Hüften, neben Mevil.

WELL: Ein adliges Kotelett.

KEAN ruhig: Ich bin kein Richter. Mich geht es nichts an, daß Sie Wechsel fälschten, Männer kränken, Frauen mit Geldsäcken rauben, selbst meinen Namen pfuschen und schänden. Mich geht es irgendwie nichts an, aber ich bedaure Sie in Ihrer Maske. Sie sind nie ohne Maske ausgegangen. Das ist ein schweres Versäumnis.

MEVIL: Was habe ich versäumt?

KEAN: Sahen Sie Gehenkte zwischen den Schornsteinen die Zunge blecken? Heizer an Öfen, Kondukteure beim Schwung über verfaulte Brücken, Zerquetschte zwischen Eisenbahnpuffern? Wer, verdammt, die Keucherei eines Dockarbeiters gesehen, weiß, wie elend sein Existieren ist, wer die Absynthsäufer in der Gosse röcheln hörte, weiß, wie abscheulich dieses verfluchte Dasein ist, wer die entsetzliche Stumpfheit der Auslader kennt, weiß, wie melancholisch das Leben ist. Man verachtet dann nicht mehr. Man bestaunt. Das haben Sie nicht gesehen.

MEVIL: Dahin soll ich gehn?

KEAN: Kenne ich nicht vom Bordell bis zu Monseigneur die Welt! Hätte ich die Anmaßung, Ihnen sonst Ratschläge zu geben, der Sie länger und besser aus dem Vollen lebten wie ich. Bin ich ein idealistischer? Ein Stümper bin ich, ein Komödiant, ein bißchen Mensch. Habe ich mich je gesträubt gegen etwas, was mir die Welt entgegenwarf, etwas verschmäht: einen Frauenbauch voll Wildheit, irgendeinen Luxus, eine Segelfahrt, ein Gelage, ein Diner mit Krammetsvögeln und Tanzweibern? Nie. Alles nahm ich. Aber ich habe nicht das Gefühl: hier fängt Welt an. Hier hört Welt auf. Wie wäre ich aufgeschmissen und was für ein kleiner Snob. Ich vergesse nicht, wo ich herstamme. Sie aber müßten es vergessen. Ich marschiere von unten nach oben. Sie sind nicht von oben nach unten marschiert. Das ist Ihr Fehler. Ich messe das verdammte Dasein nicht zwischen Laster und Parfum mit den Zentimetern, sondern mit der Riesenspanne aus dem Hafen bis nach Buckingham.

MEVIL: Das soll ich tun?

KEAN: Eine Anleitung zum Leben für Sie. Grotesk. Welche Situation. Lieben Sie die W. C. und die Kokotten, Ihre Damen und die Säue, dann kommen Sie aus der Schaukel und spüren Boden. Anleitung zur Kühnheit. Das Leben breitet sich aus, wird wilder. Man kennt die Gefahren und bewundert die Abgründe, schließt sich nicht ein, sondern macht eine Offensive hinein. Man versteht dann mehr. Anleitung zur Bewunderung.

MEVIL: Sie wünschen es?

KEAN: Ich könnte Sie zerschlagen. Habe ich nicht Grund dazu? Lasse Sie in Ketten abführen, Sie sind mit Haar und Seele in meiner Gewalt. Sie haben mich geduzt, um mich zu kränken. Gehen Sie, Sie sind frei. Vergessen Sie nicht, was ich sagte.

MEVIL Faust auf den Tisch hämmernd: Verflucht. Stürzt ab.

BOB: Hättest schlagen sollen. Neue Rolle. Bergpredigt. Stümper, Kean. Splendid, wenn du ihn mit left hand lead off at the mark genommen, abgeblitzt sein ducking away, dann infighting auf die Arme, dann back spring und darauf gewaltig knock out. Knockout, Knockout, mein Sohn. Das ists. Wird dirs schwer heimzahlen, daß du in Anstand machtest. Hab dich mehr geliebt als alle, die ich Niagarasprung lernte. Bist Dreiviertelmann geblieben, Kean, Stümper. Edmond Kean. Ich heule. Selbst Boxen kannst du nicht. Lern Boxen.

KEAN: Vielleicht irrst du, Meister.

Schluß des dritten Akts.

AKT VIER

Keans Garderobe im Theater. Durch Portiere mehrfach gespaltener Raum.

SZENE EINS

REGISSEUR zu Kean, der eintritt: Knallvoll.

KEAN: Kassenrapport?

REGISSEUR: Ausverkauft. Die Summe ist noch nicht ausgearbeitet. Ausverkauft ohne Freikarten.

KEAN: Was wollen Sie?

REGISSEUR: Eine Bitte.

KEAN: Wagen Sie sie.

REGISSEUR: Man trampelt auf den hinteren Reihen.

KEAN: Salomon!

SALOMON: Hier. Anwesend.

KEAN: Umziehn.

REGISSEUR: Eine Viertelstunde.

KEAN: Zehn Minuten. Regisseur ab. Zu Salomon: Wie kommt das? Du bist früher da wie ich.

SALOMON: Ich lief von der Taufe noch über die Wohnung.

KEAN: Und ...

SALOMON: Nach dem sechsten Akt.

KEAN: Sofort.

SALOMON: Die Nacht gekneipt. Tags Tauffest, Boxkampf, Mord. Vor der Aufführung noch Galle. Schonen Sie Ihr Leben.

KEAN: Du fandest ...

SALOMON: Siegel auf allem.

KEAN: Der beschnittene Jude ...

SALOMON: ... ist nicht mehr der Schuldner.

KEAN: Aber ...

SALOMON: ... der Konstable vertrat vier Parteien. Vierhundert Pfund.

KEAN: Ein Arrangement. Zuckt die Achseln.

SALOMON: Robustestes Verfahren. Die Anwälte entschuldigten sich.

KEAN: Sie vertraten ...

SALOMON: Lord Mevil.

KEAN: Sakrament. Die Bremse. Sticht rasch. In wenigen Stunden. Ein ganzer Plan. Ich habe es vermutet. Was tun?

SALOMON: Ein Journalist nahm eine Besichtigung vor.

KEAN: Ein Schlachtplan. Ah. Jeden Tag schreibt ein Stallknecht. Was tuts?

SALOMON: Der Staatsanwalt hat eine Untersuchung eingeleitet wegen Raubversuch.

KEAN: Gegen Mevil.

SALOMON: Gegen Kean.

KEAN: Er wird auf meinen Brief hin glatt erledigt.

SALOMON: Sie haben den Brief nicht mehr. Aber er hat einen, in dem Sie ihn in die Taverne locken.

KEAN sucht: Ich habe ihn nicht mehr. Man hat ihn mir rasch geklaut. Einen anderen wieder gefälscht. Das Böse hat sich konzentriert. Ein Plan, eine Front, eine Umzinglung. Ich werde sie durchbrechen. Paß auf. Ich kann großmütig sein. Ich kann es auch wieder vergessen. Ich kann auch anders. Sacré.

SALOMON: Wo werden Sie heute nacht schlafen?

KEAN: Im Hotel. Nein. Bestell einen Taxi. Ich fahre die Nacht durch die Parks von London, es ist ja Mond. Welches Panorama.

SALOMON: Looping the loop. Nehmen Sie lieber die vierhundert Pfund aus dem Benefiz.

KEAN: Teufel. Wie widerlich. Den Seiltänzern was nehmen.

SALOMON: Borgen.

KEAN: Noch schlimmer. Lakaienrat. Kein Wort mehr. Ich fahre. Verschwinde. Es klopft. Kean, halb umgekleidet, öffnet eine geheime Schranktür. Helène erscheint. Kean schließt die Tapetentür. Schließt mit dem Schlüssel die Garderobentür. Zurück. Fassungslos. Welches Glück. Welch sinnloses Glück.

SZENE ZWEI

HELENE: Was wollen Sie noch? Welche Probe? Welches Kunststück haben Sie mir noch vorzuschreiben?

KEAN: Sie demütigen mich.

HELENE: Welche Steigerung haben Sie bereit? Welche Kühnheit? Welche Tollheit soll Sie jetzt noch reizen, wo Sie das erreicht.

KEAN: Es gibt kein Höher mehr. Denn bald werden Sie wieder gehen.

HELENE: Ihr einziges Gefühl Entgeisterung? Trauer? Deshalb kam ich nicht. Gestehen Sie: Sie zwangen mich.

KEAN: Ihre Neugier.

HELENE: Zweifeln Sie an meiner Liebe? Nach dem, daß ich hierher kam?

KEAN: Eine sehr große Probe. An Kühnheit größer als mein Wunsch.

HELENE: Was wünschen Sie noch? Entkleiden Sie mich. Schlagen Sie mich.

KEAN: Ich bin kein Verführer. Ich liebe Sie nur.

HELENE: Welche Bemühung wollen Sie also noch? Sagen Sie es. Ich erfülle es. Mein Teil ist dann gegeben, mein Teil ist dann klar.

KEAN: Fordern Sie jede Handlung von mir, das Unmögliche.

HELENE: Später frage ich Sie. Jetzt antworten Sie mir. Was soll ich tun? Sie können alles sagen.

KEAN: Was ich besitze, ist schon nicht mehr mein. Die Erde ist neidisch. Was ich nicht ganz besitze aber, will ich allein haben.

HELENE: Mein Gatte?

KEAN Handbewegung: Mehr.

HELENE: Furcht? Ein Gefühl, das ich nicht vermutet. Reden Sie.

KEAN: Wenn ich weiß, daß ich auf meiner Seite groß bin, so weiß ich, es gibt nur eines, groß genug, was ich zu fürchten brauche: Macht.

HELENE: Wales ...

KEAN: Ich sah Sie nie ohne ihn. Erklomm meine Sehnsucht die Fahnenstange, riß mich die Eifersucht dunkel herunter, ich kann nichts dafür, daß mein Herz toll ist.

HELENE: Ich werde ihn nicht mehr sehen. Genügt es?

KEAN: Zuviel. Sie können das nicht halten. Heute abend ...

HELENE: Ich verlasse das Theater. Sie sehen ihn allein in der Loge.

KEAN: Fehlt er aus Zufall, sterbe ich, Sie könnten mit ihm zusammen sein.

HELENE: Seltsame Frauen, die Sie früher getroffen haben müssen. Glauben Sie nicht, daß ein Entschluß so groß, ein Plan so kühn sein kann, daß man den Einsatz glauben muß.

KEAN: Ich glaube.

HELENE: Nun frage ich.

KEAN: Fragen Sie groß, viel.

HELENE: Sie irren. Was an ungeheurem Einsatz gegeben werden kann in dieser Partie, trage ich allein als Risiko. Sie nichts. Was geben Sie?

KEAN: Mich. Liebe. Meinen Beruf. Fliehen Sie mit mir.

HELENE: Schwärmerei. Was soll ich mit Dingen, die uns schaden?

KEAN: Meine irrsinnige Verehrung.

HELENE: Voraussetzung. Wäre ich sonst da?

KEAN: Was wollen Sie? Garantien, Geld, Stellung, von mir?

HELENE: Würde ich das bei Ihnen suchen?

KEAN: Kein Opfer?

HELENE: Die gebe ich.

KEAN: Keine Handlung? Keine Tollheit? Also Tod.

HELENE: Spielerei. Romantik für Kinder. Worte. Worte. Ich brauche Beweis. Keine Phantastik. Gibt es Phantastischeres, als was ich gewagt?

KEAN: Was kann an so Deutlichem und Kleinem die Gegenwagschale füllen, daß unsere Partien auf gleich stehn?

HELENE: Ein großes und ruhiges Herz. Unbedingte Sicherheit. Das Zuverlässige. Der Ruhepunkt.

KEAN: Sie werden es haben.

HELENE: Ich wage die Probe. Auch gegen das Unzuverlässige Ihrer unbiegsamen Männlichkeit. Ein Vertrag. Vergessen Sie nicht, man kann ihn verlieren. Ich wage den Pakt.

KEAN umarmt sie: Welches Glück. Ihre Stimme. Ihre Brust. Ihre Hüften.

HELENE: Nehmen Sie dies Bild. Lassen Sie sich dadurch warnen. Denken Sie immer an mich. Jede Sekunde. Nehmen Sie diese Dose. Jede Sekunde.

KEAN: Welches Wunder. Dieser Körper, dieser stolze Geist. Es klopft. Abgeschlossen. Keine Erregung.

PRINZ VON WALES draußen: Kean.

HELENE mit Haltung: Wales.

PRINZ VON WALES: Ich, Kean.

GRAF KOEFELD: Ich, Koefeld.

KEAN: Verschleiern Sie sich. Welcher Irrsinn. Welcher Schmerz. Haltung. Ich liebe Sie. Ruhe ... Nach außen: Welche Betrügerei. Sind Sie Prinz von Wales, beweisen Sie es ... Ihre Tasche, Helène. Lassen Sie Ihr Gefühl zu mir die Widerwärtigkeit nicht vergelten. Sie sind sicher ... Nach außen: Man will meine Garderobe pfänden, man verfolgt mich wegen vierhundert Pfund ... Es klopft dauernd. Helène, dicht an der Grenze des Glücks, ich zittre ... Nach außen: Sind Sie Prinz von Wales, schreiben Sie Ihren Namen auf und reichen Sie ihn herein. Sind Sie ein Betrüger, werden Sie es nicht wagen. Zieht den Schlüssel heraus, hängt ein Tuch vor, zurück.

PRINZ VON WALES: Amüsant. Was tun Sie?

KEAN: Ich öffne die Tür weit genug für Ihren Namen.

HELENE an der Tapetentür. Helfen Sie mir.

PRINZ VON WALES: Halo, nehmen Sie doch.

KEAN an der Tapetentür arbeitend: Sofort. Der Knopf springt ein, die Tapetentür auf, Kean zurück, zieht aus der Garderobentür ein Papier. Einen Augenblick. Ich kontrolliere. Mein Licht ist schlecht. Zu Helène: Sie nehmen mein Herz mit und meinen Stolz. Welches Glück, Ihr Hals, Ihre Kühnheit. In der Todesstunde werde ich es nicht vergessen. Sehn Sie, wie ich zittre. Ich habe noch nie gezittert.

PRINZ VON WALES: Außen ist alles hell. Lehnen Sie mich ab?

KEAN: Der Schlüssel, Monseigneur, das Aas von Schlüssel.

HELENE: Denken Sie an den Pakt. Jede Sekunde. Diesen Ring noch. Jede Sekunde, Kean. Ich darf mich nicht irren dieses Mal.

KEAN: Bleiben Sie im Theater.

HELENE schon innen im Gang: Dann sehen Sie mich das letzte mal mit dem Prinzen. Ertragen Sie es?

KEAN: Gerade. Mein Herz ist groß genug. Ich will es ertragen. Taumelnd, auf die Knie geworfen, als die Tapetentür zufällt, schwindelnd, dann auf, es klopft, gefaßt zur Tür, schließt auf. Eine Note von vierhundert Pfund. Diese Größe haben nur die Buchstaben im ABC von Monseigneurs Güte. Der Schlüssel. Öffnet. Wales und Koefeld treten ein.

SZENE DREI

PRINZ VON WALES: Der Graf will die Kulissen sehen. Im Diplomatischen kennt er das, erfahrungsweise. Was ist das?

KEAN Salomon und Friseur hinter ihnen hereinkommend: Souffleur und Friseur. Salomon übergibt dem Prinzen von Wales die Banknote mit meinem Dank. Prinz macht eine Bewegung. Trag sie an die Kasse. Monseigneur zahlt damit die Loge für das Benefiz der Kranken. Besichtigen Sie die Loge, Graf. Friseur führt Koefeld in den Nebenraum.

PRINZ VON WALES: Keine Portiere? Keine Falltreppe im Betrieb?

KEAN: Monseigneur, nehmen Sie Platz. Kennen Sie das Fell?

GRAF KOEFELD im sichtbaren Nebenraum zum Friseur: Heben Sie den Fächer auf, der mir fiel. Betrachtet ihn sorgfältig, steckt ihn ein, zurück. Meine Komplimente. Das ist ja gar nicht ungewöhnlich. Könnte Ankleideraum höherer Militärs sein. Charge ab Generalmajor. Komplimente. Auch Säbel. Heilo! Waffen auch. Bardala. Famos.

KEAN: Ich habe das Außergewöhnliche nie bei Menschen getroffen. Bei einem Bären einmal, eine zu lange Geschichte. Entschuldigen Sie mich zwei Minuten zum Frisieren. Es schellt irrsinnig. In den Nebenraum, wo er voll umgezogen wird, die Romeojacke erhält.

PRINZ VON WALES zu Koefeld: Enttäuscht? Daß keine Weiber da waren? Sehen Sie. Armer. Zu Kean hinter der Portiere. Haben Sie Ärger? Nervös? Ein Kummer? Ich sah Sie nie so eilig.

KEAN: Enttäuschungen, Monseigneur.

PRINZ VON WALES: Falsche Einstellungen, Kean. Erwarten Sie nichts, ist alles ein Geschenk. Erwarten Sie vieles, schlägt alles Ihnen auf das Dach. Undank die Regel. Dank die Ausnahme. Merken Sie sich Napoleons: le genre humain m’embête. Il me faut de la solitude. Damit erklimmen Sie jede Entzückung.

KEAN: Unschwer, bei Gott, von einem König gesagt.

PRINZ VON WALES: Erfahrungen, die hunderte von Jahren im Blut liegen, Freund. Wer stößt öfter auf die Erbärmlichkeit wie wir?

KEAN: Wem schadet sie weniger?

PRINZ VON WALES: Die Köpfe, manchmal, Guter, in meiner Familie. Weil wir das Renommeestück, den Menschen, kennen, ob wir ihn verachten oder uns für ihn interessieren, wissen wir um seine Dummheit und Feindlichkeit. Revolutionäre aus Neigung, sind wir, von der Nutzlosigkeit der Revolten überzeugt, Reaktionäre aus Weisheit. Wir erwarten gar nichts und haben vor den Barrikadejünglingen, die stets enttäuscht ihre verbrannten Finger in den Hades trugen, ungewöhnlich voraus, daß wir, als zurückhaltende Skeptiker, ihn zu lieben uns erlauben können auch in seiner tiefsten Erbärmlichkeit. Keine Voraussetzungen – und Sie umarmen die Weisheit ... Ah Biribi ... Romeo.

KEAN erscheint aus dem abgeteilten Raum, fast fertig: Lernen Sie mich diese Distanz der Gefühle. Ich lerne Sie die Leidenschaft, Monseigneur.

PRINZ VON WALES: Ich bedarf sie nicht. Ich habe mehr.

KEAN: Ein Geheimnis.

PRINZ VON WALES: Wie jede Macht, mein Freund, solang man sie nicht selbst erobert hat, atmet, ruhig besitzt.

REGISSEUR hereinstürzend: Ay ... a ... i ... Strafe, Strafe zahlen. Sieht Wales. Verzeihung. Untertänig. Respekt. Gehorsam. Ab.

GRAF KOEFELD: Darf ich die Loge meiner Frau suchen? Pünktlichkeit im Dienst und zu Frauen stets Prinzip.

PRINZ VON WALES: Ich folge. Ich weiß noch nicht, wo ich sitze. Welche Nummer? Drei. Ich danke. Vielleicht. Koefeld ab.

KEAN: Darf ich wagen zu sagen, es sei ein Geschenk, Sie in Koefelds Loge zu sehen.

PRINZ VON WALES: Nirgends anders?

KEAN: Nirgends anders.

PRINZ VON WALES: Aus Interesse? Soll ich Sie decken? Ein toller Wunsch. Sie lieben?

KEAN: Bin ich weise genug, dann Ihre Anwesenheit zu ertragen?

PRINZ VON WALES: Ihre Gründe.

KEAN: Mein Gefühl ...

PRINZ VON WALES: Genügt nicht. Deutlicher.

KEAN: Sie mißtrauen.

PRINZ VON WALES: Ich sehe nicht klar.

KEAN: Lassen Sie, ich bitte, beiseite, was Liebe heißt. Ein Irrsinniger könnte nur den größten womöglichen Gegner ersuchen, an seine Stelle zu treten. Kurz: ich adressiere.

PRINZ VON WALES: Ich bin kein Schauspieler.

KEAN: Es wäre ein Geschenk. Mein Sinn, daß Hohes sich ausgleicht, ist sehr bestimmt. Träte zur schönsten Frau der bedeutendste Mann, würden meine Spannungen und Verehrungen unmenschlich wachsen an solcher Harmonie, zu der ich mich wende. Ich spiele für Personen, nie für die Masse, Monseigneur.

PRINZ VON WALES: Ich habe Ihnen noch keinen Wunsch abgeschlagen.

KEAN: Ich werde noch nie so entflammt gespielt haben vor Monseigneur.

PRINZ VON WALES: Immerhin ... es ist schwer, mich in Erstaunen zu setzen. Im Hinausgehn.

KEAN: Da Sie nichts erwarten ...

PRINZ VON WALES: ... oder alles. Das ist gleich. Ab.

KEAN: Er wird es Helène sagen, daß ich ihn zu ihr gehetzt. Sie wird die Unerschütterlichkeit des Herzens nicht verkennen, das diese Qualen arrangiert, um sie als Zeichen für sie zu erdulden. Herz, sei stark genug, dies Training zu ertragen.

REGISSEUR kommt: Sind Sie in fünf Minuten nicht fertig, haben wir eine Oper. Aber im Publikum.

KEAN: Warfen Sie Monseigneur schon einmal hinaus? Sie Taschenmesser.

REGISSEUR zu Salomon: Bewach ihn. Treib ihn an. Schleif ihn hinüber. Deine Anstellung als Pfand. Ab.

KEAN: Lassen Sie die Ouverture anfangen. Ich spiele sechs Akte aus vier Stücken zum Benefiz. Ich habe zehn Wölfe im Herzen. Ich habe nie so gespielt. Friseur. Wird geschminkt. Klopfen an der Tapetentür. Salomon öffnet. Giza.

GIZA: Die Gräfin ... der Fächer?

KEAN: Vergessen? Welcher? Such ihn. Neben.

GIZA: Mit Türkisen und weißen Pfaufedern.

KEAN: Von Wales. Verdammt. Ist er da?

FRISEUR: Der Herr bei Monseigneur steckte ihn ein.

KEAN: Du sahst es. Ließest es. Sagtest nichts. Läßt mich bestehlen. Schaf, Hornisse, du Roß ... Salomon, nicht da? Salomon aus dem Nebenraum, kopfschüttelnd. Kean, nicht mehr schreiend, zu Giza, ruhig: Mein Kind, Sie flüstern in der Loge ins Ohr der Gräfin, ihr Gatte habe den Fächer. Sofort. Ohne Aufsehn. Und ruhig. Ich rechne, sagen Sie, mit der ganzen Klugheit der Gräfin. Giza durch die Wand ab.

KEAN fassungslos: Gewitter über meinem Haupt. Prasselt alles wie ein Taubenschlag herunter? Habe ich das gewollt? Verknallter Frühlingstag, mein Gott. Ganz verloren. Alles entzwei. Keine Rettung. Kein Ausweg, eins, zwei, drei, vier. Ich habe verloren. Ich kann schlafen gehn. Abtreten. Aus. Schnallt den Dolch ab. Ich spiele nicht.

FRISEUR: Die Augenbrauen noch schwarz.

KEAN: Trottel, Intrigant. Ich spiele nicht.

SALOMON: Das Benefiz.

KEAN: Weg.

SALOMON: Bob?

KEAN: Schlag Plakate an. Ich laufe Seil über Hydepark. Fünf Pfund der Platz. Ich werde Seiltänzer, charmanter Abgang. Fünf Pfund, ich garantiere den Absturz. Schelle.

FRISEUR: Die Ouverture hat begonnen.

REGISSEUR kommt: Kean. In die Kulisse. Avanti.

KEAN: Ich spiele nicht, Herr.

REGISSEUR: Ihr Vertrag.

KEAN: Gebrochen.

REGISSEUR: Angestelltenrat?

KEAN: Ich werde Seiltänzer.

REGISSEUR: Die Kasse abgeschlossen. Unmöglich mehr, zurückzuzahlen. Sie zünden das Theater an.

KEAN: Rösten Sie.

REGISSEUR: Ich befehle Ihnen, aufzutreten.

KEAN: Befehlen Sie Ihrem Bauch. Ich will nicht. Ich kann nicht. Herr, sehen Sie nicht: ich bin verrückt. Mein Herz ist explodiert. Ich bin schwer verwundet. Innerlich. Hundert Geschoßfetzen. Kann ich singen, wenn ich verrecke? Schlägt vor Erregung einen Tisch dem Regisseur vor die Beine. Bob erscheint.

BOB: Spiel, Junge, sonst schlag ich dir die Knochen entzwei. Regisseur feuert ihn mit Gesten an. Ich blas dich in die Luft. Stümper. Nicht einmal spielen kannst du. Solar plexus blow. Stößt ins Horn. Splendid. Narrenhaus.

KEAN: Halt das Maul, Bob. Hinaus, Zigeuner. Stramm gestanden. Ich kommandiere nun. Ich spiel nicht.

BOB: Respekt vergißt du. Heuschrecke. Quatsch. Boxen kannst du nicht. Seiltanz kannst du nicht. Niagarasprung ... schmonzes. Spielen willst du nicht. Knockout. Stümper. Auf die Knie. O ... u ... adet. Rabenaas, unfaires. Sollte dich erledigen mit savate, ins Parterre mit upper cut. Vatermörder. Spiel oder krepier. Splendid, sträubt sich. Krieg dich an den Ohren.

KEAN: Mein Lehrer ... guter Lehrer, Gott verzeih mir, hinaus, du Hund. Schmeißt ihn raus.

REGISSEUR: Ich gehe zur Bühne und zurück und zähle auf zwanzig. Vor der Tür. Kommen Sie nicht bei einundzwanzig, laß ich Sie auf die Bühne schleifen, Herr, und aufs Podium werfen in einem Sack.

KEAN: Gut. Schmeißt mich in die neue Karriere. Zirkus. Ketten bereit. Fesselsprenger über dem Seil – – – a me me gusta un harenque ... porque es muy dulce – – – Regisseur hinaus. Salomon mit ausgebreiteten Armen gegen die Tür. Du ... sperrst mich ein? Du auch ... spritzt gegen mich Gift? Wegen deiner Stellung? Bist du schon so zertreten? Schiebt mit dem Fuß nach ihm, Salomon heulend ihm zu Füßen.

SALOMON: Treten Sie mir den Bauch ein. Hab ich diese elende Position nicht nur wegen Ihnen behalten? Ich schütze Sie vor dem Schleifen.

KEAN: Steh auf! Fieberhaft. Alles verloren. Ich habe auf eine Karte alles gesetzt und rasch verloren. Der Fächer ist die falsche Karte, die man mir ins Spiel gemogelt. Wales muß den Fächer decken gegen Graf Koefeld. Wales renkt das Spiel wieder ein, das ich schon fast verlor. Vor fünf Minuten bestürmte ich ihn, weil ich mich oben dachte, im Übermut in die Loge der Gräfin zu gehen, nun sitzt er dort und muß mich decken. Die Leute haben andere Waffen wie wir. Man vermeidet dort den Angriff, man ist klüger wie wir, Salomon. Er wird sich zurückziehn, verschwinden, von Helène zurückeilen. Das Feld ist frei. Ich habe keinen sichtbaren, aber einen unsichtbaren Konkurrenten.

SALOMON: Was kann ein Gegner schaden, der kein Stichwort hat, aufzutreten?

KEAN: Daß ich ein Werkzeug des Wales bin, ein Perpendikel seiner Laune. Wenn er gut ist, überdacht von seiner Güte. Wenn er gemein ist, ein Tänzer auf dem Zufall. Immer geschenkt, dargeboten, geduldet. Gibt es eine Frau, die das erträgt? Gibt es einen Mann, der in dieser Rolle wirkt? Unerträglich. Unmöglich.

SALOMON: So werde ich den Prinzen aus der Welt schaffen, um einen guten Abgang aus ihr zu haben.

KEAN: Zu grob. Das schafft seinen Schatten nicht fort. Treue Trottelei, Salomon. Das verstehst du nicht.

SALOMON: Das scheint meine Schwäche.

KEAN: Ich kann ihn nur wieder mit Großmut überwinden. Solche Partien können nur auf dem höchsten Terrain gesiegt werden. Helène kennt die Niveauunterschiede genau, und man hat sie nur, wenn man deutlich sie erobert. Ich muß auf sie verzichten. Das ist die einzige Waffe, sie doch zu bekommen. Ich überlasse sie Wales als dem Größeren. Ich trete zurück, um ihn zu erhöhen. Ich muß mich auswetzen wie ein Geschwür und ihm freie Bahn lassen. So wird sie mich wieder holen. Du bist zu wenig Mann, um das zu begreifen. Hier wird mit großen Einsätzen der Kühnheit pointiert. Ich kann nicht kleinmütiger sein wie seine Großmut. Aber ich spiele um alles. Denn ich liebe sie mehr als ein Toller. Ich muß ruhig bleiben und lächeln. Nur so kriege ich sie.

SALOMON: Das scheint mir der ungefährlichste Ausweg.

KEAN auf und ab gehend, man hört den Regisseur draußen zählen. Aber wird mein Herz größer sein wie mein Blut? Kann ich Wales nun in Helènes Loge sehen? Vor einer Viertelstunde ein Kitzel für den Sieger. Als Unterlegener ein Gelächter. Kann ich stolzer sein als Besiegter wie der Sieger, der sich nichts merken läßt? Werde ich es aushalten, mein Gott? Ich bin ohne Kraft, Salomon, und brauche ein kühnes Herz. Man lernt soviel in seiner Leidenschaft. Ich muß größer sein wie mein Schmerz. Kühner als mein Glaube. Ich muß es haben, Salomon ... woher? ... ich muß es haben, oder ich bin kaput. – – – Den Dolch, Salomon ... den Dolch ... Ich muß spielen.

SALOMON: Er spielt. Singt: Ach Gottsche, schenk mern Hambelmann, un e Kordel dezu, daß er zawwele kann.

REGISSEUR herein: Spielt. Fällt gleichzeitig erschöpft in die Knie.

SZENE VIER

Verdunkelung. Kean hinaus. Vorhang. Sofort Musik in die Verdunkelung. Kean sofort durch den Vorhang auf die Vorderbühne. Blitzschnell. Sofort auf der Vorderbühne Beginn der Romeoszene. Musik verklingt hinein.

JULIA:

Willst du schon gehn? Der Tag ist noch so fern.

Es war die Nachtigall und nicht die Lerche,

Die wilden Rufs dein banges Ohr durchsüßt.

Geliebter, glaub: es war die Nachtigall.

ROMEO:

Die Lerche wars, die Tagansagerin.

Nicht Nachtigall. Schon neidet uns ein Streif

des Osts der Wolken liebevollen Samt.

Die Nacht hat ihre Kerzen abgebrannt.

Der Tag hat sich schon auf den Berg getanzt.

Nur Gehen ist uns gut, Verzug ist Tod.

JULIA:

Glaub mir, dies Heil ist nicht das Tageslicht.

Fanal ist es, das dir die Sonne schenkt,

wenn du ins Helle jetzt die Nacht durchdringst.

Signal nach Mantua, wenn du zum Gang dich schickst.

Verweile du. Noch ist zu gehn nicht not.

ROMEO:

Laß sie mich packen. Tod ist mir bestimmt.

Ich bleibe gern, wenn du mich fassen willst.

Ich will, dies Dämmern ist noch nicht das Morgenaug.

Der Mond hat nur den großen Kreis bereist.

Die Lerche ist das nicht, aus deren Sang

der unsichtbare Himmel um uns reißt.

Ich bleibe nun. Das Gehn ist mir verhaßt.

Herbei, du Tod, wenn Julia dich liebt.

Ruhig, Herz. Das ist nicht Tag, noch flüstern wir uns zu.

JULIA:

Der Tag. Der Tag. Auf. Renne rasch von hier.

Es ist die Lerche, die so heiser droht.

Sie ists, die uns in falsche Wirbel flammt.

Man hat gesagt, die Lerche sei so süß.

O wie zerreißt uns diese unser Herz.

Sie hat der Kröte Blick in ihrem Aug.

Hätt sie den Sang mit diesem Tier getauscht,

da sie dein Herz von meinen Brüsten reißt!

Wie hat der Jagdruf dich zur Flucht erbleicht.

Geh jetzt, Geliebter, es wird rot und hell.

ROMEO:

Ich seh nur schwarz. Und dunkler Leid und Gram.

AMME kommt:

Die Mutter regt sich. Bald tritt sie herein.

Der Tag hebt an. Das Haus wird voll Geräusch.

JULIA:

Tag schwingt herein. Du Leben, breche aus ...

ROMEO:

Wenn deine Lippe noch auf meiner einmal knospt.

Umarmt Julia, läuft die Treppe der Vorderbühne herunter, stürzt mit einem Aufschrei zurück, an Julia vorbei, dicht an der Rampe.

Ist mir von Irrsinn so mein Herz zerschleißt,

das zuckt und brüllt, daß ich in Fremdem wühl?

Ich Komödiant, ich Kean, Hanswurst, Idiot, Kamel

geht ehr durch Nadelöhrn als ich durch dieses Spiel.

Halunken, Publikum. Clowns, weh, ein Heringsbauch,

schlägt höhnend eure Fratzen jetzt mein Schmerz.

Wo nehm den Mut ich her, jetzt groß zu sein,

wo ich wie eine Kröte hier mich wind

und dort die Größe lächelnd auf mir bäumt?

Für dieses Spiel bin ich zu sehr zerspellt,

Hanswurst ich, Kean, nicht Romeo. Hanswurst.

Wär ich jetzt groß, wie Feuer trieb dies Spiel.

O Gott, mach jetzt mein Herz voll Einsamkeit,

daß ich es trag und alles Gute sag.

Hilf mir. Umsonst flamm ich nicht wie ein Wurm.

Schon quillt mir Gift auf meines Herzens Schlag.

Schon würgt mein Haß der Zunge guten Laut.

Es frißt die Leidenschaft das Gute aus dem Herz.

Erbärmlich ich. Hanswurst. Mein Kean, du Frosch.

Is a long way to Tipperary – – flattert mirs so auf?

Is a long way to go. Ich hin von Haß entstellt.

Halb verkrampft, tanzend, torkelnd, jetzt voll an die Rampe. Zu der nun mitten im Rang erleuchteten Loge Helènes, Koefelds, des Prinzen von Wales gerichtet.

Ich klag den Prinzen Wales des Irrsinns an,

weil er Geheimnis hat, das in den Staub mich schmeißt.

Erträgt ein Mensch so ruhigen Übermut?

Schlägt Schicksal mir stets Größe ins Gesicht,

die mich erniedert ... Aus der Lüge dieses Spiels

pflück ich Sekunden. Hier ist mein Triumph.

Hier rede ich. In die Manege, Monseigneur,

hier auf die Knie. Tanzt vor den Affen nackt

den Foxtrott Ihrer Laster. Guillotine Marsch.

Zu meinem Fuß. Mein Herz lacht wie ein Wolf.

Die Haselrutensehnsucht Ihrer Schenkel ist nicht schwach.

Gekuscht im Winkel. Ab Monokel. Glasaug hol die Pest.

Entschleiert das Geheimnis. Sansculotte. Größe keine Spur.

Sagespäne, Glas statt Hoheit, werft die Puppe in

die Eimer der Verachtung ohne Schmerz.

LORD MEVIL in einer Loge, mitten im Publikum, der anderen Seite, erleuchtet: Die Hundepeitsche ins Gesicht dem Schuft.

KEAN: Ach, Mevil – Bursche, Wechselfälscher, Mäuschenjäger, Gladiator deiner Frechheit. Her den Stock.

LORD MEVIL: Verhaftet diesen Hund. Konstable. Ketten. Stellt vor den Prinz euch. Vor die Krone. Schießt. Knallt nach der Bühne.

KEAN:

Schieß weiter, Fälscher. Abgeprallt die Tücke,

kreid ich dich an die Ewigkeit, du Hure

der Rechtsprechung im Parlament. Ich schlag

den Leib mit Prügeln feist dir wie ein Frosch.

Nur Monseigneur kann mehr geschwollen sein

als du. Kean. Ich Hanswurst. Sacré. Mein Puls. Mein Herz.

Hinter ihm Menschen. Toller Foxtrott. Man beschwört ihn. Salomon kommt aus dem Souffleurkasten. Aus der Intendantenloge klettern Entsetzte auf die Bühne. Der Regisseur stürzt herbei. Kean faßt ihn, tanzt den Foxtrott des Orchesters mit ihm, irrsinnig.

Wales am Hund, das Herz in Quasten,

Kean kaputt, Wales liquidiert ... Fällt zusammen.

Der Regisseur geht langsam bis an die Rampe, schneidet mit dem erhobenen Arm haarscharf den Foxtrott ab.

REGISSEUR: Der Wahnsinn ist über Kean ausgebrochen. Die Billette zurück. Ich schließe. Verzeihung.

Ein Schrei aus der Loge der Wales und Koefeld.

REGISSEUR: Arbeiter. Chor. Die Bahre. Arzt. Den Arzt. Bob hinkt herbei, stößt zweimal ins Horn.

BOB:

Ich hab dich mehr geliebt. Dreiviertelsmann.

Du Stümper. Vielgeschrei. Du warfst mich auf,

da schlug dich Undank lahm. Angriff blieb schlecht.

In Großmut Dilettant. Stop. Hier der Rest: knockout.

Schluß des vierten Akts.

AKT FÜNF

Zimmer bei Kean. Zwei Ausgänge links. Ausgänge rechts. Aufmarschiert die vier Artisten: Viktor, Well, Gonsch, Kauka. Die Mitsäufer Tom, David, Bardolph. Salomon aus dem Nebenraum.

SZENE EINS

SALOMON: Man muß schon irrsinnig zu sein im Geruch stehn, damit die Menschen anständig werden. Hilfe für Gesunde erdenkt niemand. Überall steht der Verstand auf dem Kopf. Wär ich sonst Souffleur?

VIKTOR: Bob ist entschuldigt. Das Geld des Benefiz war zuviel. Er hing sich auf.

SALOMON: Splendid. Ein Narr nahm den gewöhnlichen Abgang.

GONSCH: Wir haben draußen abgelegt.

VIKTOR: Zehn Flaschen Pommard.

WELL: Zehn Flaschen Chambertain.

KAUKA: Fünf Flaschen Portwein.

GONSCH: Zwanzig Flaschen Sekt.

VIKTOR: Sieben Flaschen Haut Sauternes.

WELL: Zwanzig Flaschen Château Latour.

KAUKA: Zehn Flaschen Jules Bernin.

GONSCH: Eine kleine Tonne Whisky.

SALOMON: Das habt ihr gut hereingeschifft. Was soll der Herr damit?

TOM: Sechs Renntierschinken.

DAVID: Vierzig Kilo Honig.

BARDOLPH: Zehn große Hummer.

SALOMON: Das habt ihr gut hereingesetzt. Ihr Trockenen. Ob ihr vom Festen nicht aufs Nasse spekuliert?! Ihr Trinkerchen.

TOM: Wenn wir auch Hunde sind, saufen wir nicht aus Krankenkübeln. Was sagt der Arzt?

DAVID: Wenn mich Gott in schweinige Versuchungen auch führt, bewahrt er mich, aus dem Elend Vorteil zu ziehen. Wie gehts dem Herrn?

BARDOLPH: Wenn wir auch verdammt dickfellige Därme sind, kann nur ein Dünndarm wie du meinen, daß unsere nach Arznei lüstern sind. Wie stehts um die Gesundheit?

SALOMON: Den Arzt hat es bei der Diagnose durchs Bein gezuckt. Handfester Wahnsinn. Man hält Kean schwer ab, seine Hitzigkeit aus dem Hirn in die Fäuste laufen zu lassen. Schlimm. Ich rieche Attentate. Mein Hals fühlt sich schon wie ein Korkzieher stranguliert. Da ich sein Pfleger bin, muß ich bleiben.

DAVID: Er soll bei Gott das Bett nicht fiebrig verlassen. Gute Gesundheit.

TOM: Ruhe und Eisbeutel aufs Hirn. Beste Besserung.

BARDOLPH: Die Hände gefesselt. Meine Empfehlungen. Alle drei exakt ab.

SALOMON: Der Herr ist in eine Krise gefahren, aus der er mit Donner und Blitz wohl nicht herauskommt, sondern wohl etwas sanfter. Es ist Zeit, aus den frühen Launen in den Sommer einzulaufen. Ich kann das Hinundherreißen nicht mit. Wenn ihr noch bleiben wollt, werdet ihr die Konstables als Hundemeute anrücken sehen. Ich melde euch.

KAUKA hält ihn zurück: Unnötig. Unsere Grüße genügen. Und das andere. Wir sind schon oft für andere gefangen worden. Bekam man die Hirsche nicht, nahm man die Hasen. Ein Feigling, wer sich unnötig in Gefahr begibt. Alle vier exakt ab.

SALOMON: Hier sitze ich. Mönch sollte von der Mutter her ich werden. Man schlägt mich. Ich besorge die Geschäfte. Habe ich nicht mehr Hirn wie diese alle? Man tritt mich. Und ich fühle mich wohl. Sonderbarer Mensch ich. Singt: „Ach Gottsche, schenk mern Hambelmann, un e Kordel dezu, daß er zawwele kann.“ Und doch reicht meine ganze Hirnhaut nicht aus, zu ahnen, wie dieser Tag ausgeht. Etwas Wichtiges muß fehlen bei mir. Au Backe! Aber was?

KEAN kommt aus dem Nebenraum, geht durchs Zimmer, ohne Salomon zu beachten.

SALOMON: Die Siegel sind entfernt. Die Schuld ausgelöst. Unbekannterweise.

KEAN: Das Gerücht von meinem Wahnsinn läuft weiter.

SALOMON: Ich fürchte nur, daß diejenigen, die es nachträglich glauben sollen, nicht von seiner Dauer zu überzeugen sind.

KEAN: Ich habe nicht das Gefühl, gestern ein vernunftbegabter Mensch gewesen zu sein, da ich es bis gestern wahrscheinlich überhaupt nicht war.

SALOMON: Dann muß Ihre Normalität ihren Geburtstag mit Prozessen, Kerkern, Verfahren beginnen.

KEAN: Kümmre dich um deinen Kopf. Man fällt nicht so heftig auf die Rampe, ohne daß man aus seinem Kostüm herausrutscht. Die Listen?

SALOMON: Sind aufgelegt. Die Einzeichnung der Krankenbesuche gemischt. Adel keiner. Bürger wenig. Viel kleine Leute.

KEAN: Keine Frau? ... Nein ... Ich bin doch wahnsinnig.

SALOMON: Der Wagen steht immer noch an der Ecke. Sie können noch jetzt fliehen. So gut wie vor zwei Stunden.

KEAN: Ich kann fliehen. Ich kann nicht fliehen. Ich bleibe da.

SALOMON: Seit Jahren der größte Skandal.

KEAN: Wüßtest du, wies in mir ausschaut, tätest du mir so keinen Pimpam erzählen.

SALOMON: Mit Monseigneur ist nicht mehr zu rechnen. Die letzte Barriere fällt. Laufen Sie zu dem Wagen.

KEAN: Wenn du eine Ahnung hättest, wie wenig ich mich etwas entziehen will und wie sehr ich auf etwas warte.

SALOMON: Wenn Sie auf die Gräfin warten, können Sie auch auf den Mond warten.

KEAN: Aber du weißt nicht, daß ich warte, um etwas gutzumachen.

KONSTABLE kommt, überreicht ein Blatt: Mein Papier. Salutiert.

KEAN: Es ist keine Zeit darauf.

KONSTABLE: Es gibt keine Zeit für Verbrecher, sondern nur das Gesetz.

KEAN: So gibt es Zeit für das Gesetz. Kannst du ihm nicht eine halbe Stunde zuschieben?

KONSTABLE: Mein Papier verhaftet Sie auf der Stelle.

SALOMON: Aber das Abführen hat Zeit bis nach Besichtigung der Räume, Teller, Flaschen.

KONSTABLE: Bestechungsversuch. In deine Fresse zurück.

KEAN: Ich warte auf jemand. Steht der Zeiger auf Sieben-Groß, komme ich mit. Mein Ehrenwort. Vielleicht kommt gar niemand.

KONSTABLE: Die Verhaftung ist geschehen. Über den Transport gibt es keine Vorschrift. Also kommandiere ich diesen Fehler. Es hängt an mir. Ich habe selten swinging blow so in mein Herz gehen sehen wie Ihren. Knockout zum Kasperllachen. Sie sind mein Freund, Herr. Ich warte eine halbe Stunde, auf Ihr Ehrenwort. Das habe ich nunmehr beschlossen. Ich habe noch nie etwas zu beschließen gehabt. Ab. Salomon mit ihm.

KEAN: Eine halbe Stunde. Geht durchs Zimmer. Dann ist es aus.

SALOMON zurück: Die ... Gräfin.

KEAN: Helène ...

SALOMON: Auf der Treppe.

KEAN: Rasch.

SALOMON: Da. Verbeugt sich, hinaus.

SZENE ZWEI

KEAN: Helène.

DAISY sich entschleiernd: Ich.

KEAN: Was wollen Sie?

DAISY: Sie in eine Heilanstalt bringen, wenn Sie krank sind.

KEAN: Ich bin nicht krank.

DAISY: Dann will ich es bedauern, daß Sie es waren.

KEAN: Sie sind ärmer als ich.

DAISY: Irrtum. Seit gestern besitze ich mein Vermögen. Mein Vormund war ein Betrüger. Er ist entlarvt.

KEAN: Man darf Ihnen gute Verwendung wünschen.

DAISY: Ich habe alle Vorbereitungen getroffen.

KEAN: Sie reisen?

DAISY: Gezwungenermaßen.

KEAN: Glückwünsche zu dem Zustand, der mir verweigert ist.

DAISY: Ich verstehe Sie nicht.

KEAN: Ich bin verhaftet.

DAISY: Irrtum. Sie sind frei.

KEAN: Sie haben den Konstable draußen gesehen.

DAISY: Ist widerrufen. Der neue Entscheid.

KEAN: In Ihren Händen? Ausgefertigt?

DAISY zögernd: Von dem Staatsanwalt. Durch den Prinzen von Wales.

KEAN: Ich hasse ihn nicht mehr.

DAISY: Als Mittelmann gegen Mevil.

KEAN: Sie erröten.

DAISY: Der wollte nicht nachgeben. Der Appell des Prinzen war einflußlos.

KEAN: Was taten Sie?

DAISY: Ich komme, mich von Ihnen verabschieden.

KEAN: Was taten Sie?

DAISY: Ich trat ihm die Mitgift ab.

KEAN: Sie haben ihn geheiratet.

DAISY: Unnötig. Das Geld genügte.

KEAN: Die Hälfte Ihres Vermögens.

DAISY: Eine kleine Schuld der großen gegenüber, die mein Leben Ihnen schuldet.

KEAN: Und Sie reisen ...

DAISY: Um den Skandal zu verwischen. Lord Mevil zwang mich dazu. Ein Pakt mit Mevil.

KEAN: Ich erkenne für mich Ihre Handlungen nicht an.

DAISY: Damit werden Sie mich kompromittieren. Ich bin bereit.

KEAN: Sonderbar. Ich sagte Ihnen beim ersten Mal: Beweisen Sie mir, daß Sie etwas im Leben meistern, ich rede Ihnen dann zu, in meinen Beruf zu springen. Heute kann ich es, aber ich stehe beschämt vor Ihnen.

DAISY: Da ich England verlasse ...

KEAN: Sie haben ein anderes Aussehen bekommen. Ich habe Sie nicht so gekannt.

DAISY: Sie schulden mir nichts. Ich habe meine Ansicht in diesem Punkt des Berufs geändert. Ich gab meinen Plan auf.

KEAN: Sind Sie mutlos geworden?

DAISY: Ich war nie entschlossener.

KEAN: Opfer zu bringen, die nicht anzunehmen ich entschlossen bin. Weinen Sie nicht.

DAISY: Die Sie nicht von mir empfangen, sondern von der Vorsehung, die Ihre Absichten damit klärt und die darum keine Opfer sind.

KEAN: Gestern hätte ich das nicht verstanden. Heute ist es schon zu weit. Es schmerzt mich, das zu sehen, was Sie tun und äußern. Denn ich habe es versäumt.

DAISY: Ich habe nie daran gedacht, daß eine Handlung anders als zu der ihr bestimmten und richtigen Zeit kommen könne.

KEAN: Sie täuschen sich. Ich sah zum erstenmal, wie ungeheuer viel ein Herz vermag, indem es sich schrankenlos preisgibt. Aber ich sehe es zu spät.

DAISY: Ich verstehe Sie nicht.

KEAN: Weil Sie nicht wissen, welche Spanne mein Leben von gestern zu heute durchmessen hat. Weil ich aus Enttäuschungen und Eitelkeiten so tief abgestürzt heute hinaufblicke, kann ich nicht wagen, erkennen zu wollen, von wie hoch her Ihre Güte zu mir herunterkommt.

DAISY: Warum beschämen Sie in mir so sehr das, was ohne Absicht geschah?

KEAN: Hätte ich früher erkannt, als ich zwar falsch, aber immerhin auf der Höhe meines Lebens schweifte, welch unvergleichlicher Besitz mir nah war, wäre das eine große und erhabene Entdeckung gewesen. Ich wäre glücklich gewesen. Daß ich es jetzt erst sehe, wo ich verlassen, schutzbedürftig und niedrig bin, nimmt mir vor mir jedes Recht, es zu ergreifen. Ich weiß, was ich verliere, denn ich verliere alles. Aber ich kann mich dem nicht entziehen.

DAISY: Wenn ich nicht glaubte, trotzdem glücklich zu sein, müßte ich denken, daß ich verflucht bin.

KEAN: Gehen Sie. Reisen Sie. Und denken Sie, daß Sie einem Mann das größte Glück geschenkt haben, indem Sie ihn zum ersten Male die ganze Größe eines reinen Gefühls sehen ließen. Und vergessen Sie nicht, daß er, obwohl er zufriedener und klarer ist wie früher, aufs tiefste leidet und nur die eine Bemühung kennt, sich Ihrer würdig zu erweisen.

DAISY: Leben Sie wohl.

SALOMON: Die Gräfin. Zieht die Tür hinter sich zu.

KEAN: Ich will sie jetzt nicht mehr sehen.

DAISY: Ich stehe, auch hierin, nicht im Wege. Lassen Sie sie eintreten. Ich bitte darum.

KEAN zögernd, dann: Warten Sie hier. Öffnet Daisy das eine Seitenkabinet.

HELENE eintretend, mit großer Bewegung sich entschleiernd, sie ist verkleidet: Sie haben verloren. Die Einsätze zurück.

KEAN: Ich habe eine Torheit begangen, die ich aber in einem gewissen Sinne loben muß, so sehr es Sie kränken mußte.

HELENE: Nur Besessenes, was man verliert, kränkt. Der mißlungene Versuch platzt in die Luft.

KEAN: Was kann ich tun, Ihre Verzeihung zu erlangen?

HELENE: Unnötig von mir. Ich bin ohne Zorn. Ich ordne die Dinge exakt. Das Medaillon.

KEAN: Hier.

HELENE: Die Dose.

KEAN: Hier.

HELENE: Der Ring.

KEAN: Hier.

HELENE: Ohne Widerspruch. Gut. Die Partie ist ausgeglichen. Die Pfänder eingesammelt. Leben Sie wohl.

KEAN: Sie ziehen die Summen. Ich aber möchte Ihre Verzeihung erlangen ... dafür ...

HELENE: Die Trüks sind ausgespielt.

KEAN: Verzeihung ... dafür, ... daß ich Sie nie geliebt habe.

HELENE: Deshalb verloren Sie. Aus keinem anderen Grund. Glauben Sie zu anderem Zweck als der Erforschung dieser Sache willen hatte ich den Pakt abgeschlossen?

KEAN: Ich will Sie nicht kränken ...

HELENE: O, es war Größe schon um Sie, als ich Sie sah.

KEAN: Es war Eitelkeit.

HELENE: Gemischt. Mich reizte, zu was Ihr Wesen sich entschlösse. Sie kamen und plaidierten für die armselige Verfolgte und warfen mir in der gleichen Sekunde Ihre Leidenschaft ins Gesicht. Beides war echt. Ich setzte mich ein, es zu lösen. Meine Liebe. Ich habe alles an diese Frage gesetzt. Nicht ich verlor. Sie verloren. Ich riskierte nur alles.

KEAN: Ich habe gewonnen ...

HELENE: Vielleicht. Sicher nicht hier.

KEAN: Hier ward nur gesetzt. Nur gespielt. Pointiert. Nicht geopfert.

HELENE: Verstanden Sie das damals so gut? Habe ich das nicht? Habe ich nicht vielleicht Sie geopfert? Wissen Sie denn, ob ich Sie nicht dennoch mehr liebte, als Sie ahnen, und daß ich dieses Gefühl hingab dem, größere Klarheit zu erreichen. Mein Herz ist kein Mädchen und durch Enttäuschungen zu großer Art gegangen, einem Gatten an die Seite gegeben, der es weder an Höhe versteht noch an Tiefe und es durch Teilnahmlosigkeit täglich kränkt und beleidigt. Ich habe nach dieser Seite keinen Sinn für das Wort Pflicht, wo sie mir täglich gebrochen wird, aber ich habe nach der anderen Seite noch weniger Gefühl für das Uferlose. Was ist Leidenschaft am Ende? Ein Nichts. Muß man nicht kühl sein, je wilder man erlebt, distanzierter, je zerhackter man ist aus Leidenschaft? Sie haben das nie gewußt. Ich suchte Weisheit über dem Blut. Sie gaben, was ich verachte, Skandal. Ich suchte Opferung, bereit dann selbst zu jedem Opfer. Ich fand ein zerrissenes, unbeherrschtes Dasein. Ich habe keine Lust an bürgerlichen Sensationen. Ich ziehe es vor, meine Wege zu beherrschen. Ich kalkuliere mir das Schicksal.

KEAN: Ich habe verloren.

HELENE: Daß Sie es einsehen, beweist eine Erschütterung. Zeigt eine Erkenntnis. Also haben Sie dennoch gewonnen. Hier aber zu spät.

KEAN: Ich habe vor Ihnen vorhin etwas Kurioses erblickt, das Grenzenloseste, Gräfin: ein schlichtes, einfaches Herz.

HELENE: Erkenntnis marschiert auf vielen Wegen. Ich stellte das Wagespiel ein zwischen Ihrer überlegenen Güte, die ich ahnte, und Ihrer Zerrissenheit, die ich sah. Es schlug nicht zu mir aus. Aber es schlug aus. Traf es nach anderen hin, bedeutet es Bindung Ihrer Kräfte. Ich wünsche Glück. Ich bin neidlos. Zersplittern ist Unfug. Konzentration alles. Liebe nur ein Augenblick. Ein gebändigtes Herz hat keine Pause.

KEAN: Welche Schuld habe ich gegen Sie!

HELENE: Keine. Sie lieben Ihre Eitelkeit nicht mehr, die sich allein vielleicht verging.

KEAN: Habe ich so blind gelebt, nichts geschaut, alles versäumt?

HELENE: Kein sentimentales Schauspiel. Sie werden nun wohl, wenn Sie besser zu sehen verstehen, der Größe, die Sie auf der Rampe spielten, die des Menschen hinzufügen. Mein Spiel ist aus. Sie spielen mit andern.

KEAN: Und Sie?

HELENE: Meine Vorbereitungen sind gelegt.

KEAN: Sie entschieden sich ...

HELENE: Die Dinge entscheiden sich. Ich entscheide mich mit ihnen. Irrtum, daß irgendeine Entscheidung bei uns liegt. Man geht mit den Möglichkeiten und beherrscht sie, indem man in ihre Kurven nicht eingreift. Was heute ich liebe, ist in einem halben Jahr vielleicht taub. Verlangen Sie Garantien der Seele vom Leben? Ich nicht. Liebten Sie mich mit Holzbein, ich Sie ohne Magen? Unausdenkbar. Die Partie hatte zwei Seiten.

KEAN: Ich schied aus. Wales blieb.

HELENE: Der Fächer ist gedeckt. Die Endposten sind erreicht. Ich war nur Zuschauer. Was blieb, hatte recht. Das eine versagte. Das andere lächelte, als ich es ansah. Ich habe mich für die Macht entschieden.

KEAN: Welche Kühnheit. Soviel kann Erfolg bedeuten!

HELENE: So kommt von selbst zu mir, was ich brauche. Ohne Bemühung. Sie werden es schmerzlos sehen.

SALOMON draußen: Unmöglich. Ich verbiete. Ich hindere Sie.

KEAN rasch die Tür des zweiten Kabinets öffnend: Einen Augenblick. Hier. Eilen Sie.

HELENE überlegen, betont: Keine Angst um mich. Ich bin in guten Händen.

SALOMON draußen: Zurück. Achtung. Das haut. Schreit. Tür auf. Graf Koefeld tritt ruhig ein.

SZENE DREI

KEAN: Ich hielt Sie für den Konstable.

GRAF KOEFELD: Es gibt drei Dinge, die auf meinem Inneren geschrieben stehn wie auf Bronze: Pflicht, Frauenehre, König.

KEAN: Ziehn Sie daraus ein Recht, bei mir einzubrechen?

GRAF KOEFELD: Kennen Sie diesen Fächer?

KEAN: Ich kenne fünf dieser Sorte, die Monseigneur verschenkte.

GRAF KOEFELD: Ich fand ihn in Ihrer Loge.

KEAN: Sie werden an die Adresse des Prinzen von Wales sich zu wenden haben, wenn Sie keine Entschuldigung hier anzubringen haben, daß Sie ihn bei mir raubten.

GRAF KOEFELD: Monseigeur. Welche Adresse. Danke. Verzeihung. Kontrollierbar. Jedoch ...

KEAN: Fassen Sie sich kurz.

GRAF KOEFELD: Meine Frau wird überwacht. In meinem Auftrag. Die Kontrolleure flitzen. Sie ist hier.

KEAN: Königliche Pflicht, Frauenehre mit Detektivs zu schützen.

GRAF KOEFELD: Schweigen Sie. Die Kontrolle ist hier am Ort möglich. Dieses Mal ist sie sicher. Ich werde Ihre Räume ansehn. Ist die Besichtigung frei?

KEAN: Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht.

GRAF KOEFELD: Sieben Schlachten. Eine Belagerung. Meine Auszeichnungen die höchsten. Herr, ist die Besichtigung frei?

KEAN: Nein.

GRAF KOEFELD: Dann akzeptieren Sie meine Forderung. Zehn Meter Abstand. Kugelwechsel bis zum Schluß. Ich schieße zuerst.

KEAN: Einen Narren weist man hinaus. Ich läute.

GRAF KOEFELD: Sie akzeptieren nicht?

KEAN: Bin ich verrückt?

GRAF KOEFELD: Ich erinnere Sie daran. Man wird Sie feig nennen.

KEAN: Kein Teufel glaubt das.

GRAF KOEFELD: Die Pflicht des Kavaliers, Ihres Verkehrs, Ihrer Männlichkeit. Waren Sie nie Soldat? Des Königs Rock, Herr. Ihre Ehre?

KEAN: Steht in meiner Brust.

GRAF KOEFELD: Wenn Sie die Beleidigung nicht sühnen und schießen, bin ich genötigt, mich zu erschießen. Ich hätte anderen Soldatentod gewünscht. Herr, ich bitte dringend, herzlich: nehmen Sie die Forderung an.

KEAN: Habe ich Sie denn gekränkt?

GRAF KOEFELD: Sie weigern die Besichtigung. Passage ist nicht frei. Dann bleibt nur ein Ausweg vorher. Ich schieße Sie zusammen. Zielt.

KEAN: Gut.

GRAF KOEFELD: Verlassen Sie die Tür. Ich warne. Eins, zwei ... Die Tür geht auf, Daisy heraus. Außer sich.

DAISY: Ich bin seine Geliebte. Gehen Sie, Herr.

KEAN: Was tun Sie?

GRAF KOEFELD mit dem Rücken nach der Tür ab: Verzeihung, Gnade, Gnädigste. Eine ungeahnte Bestürzung. Ich bin überrascht. Ich stehe, beschämt, in allem zur Verfügung.

KEAN: Ich zürne Ihnen nicht.

DAISY Hände vor das Gesicht werfend: Nun bleibt nur noch ein Weg. Stürzt, fassungslos, nach dem Fenster.

KEAN ihr nach: Gott, Gott, halten Sie. Daisy, Daisy. Faßt sie, trägt sie zurück.

DAISY: Warum haben Sie das getan?

KEAN: Du wolltest dich töten, Böse. Ich liebe dich doch. Ich liebe dich doch.

DAISY: Sie haben mich eben noch zurückgestoßen.

KEAN: Kann man so vielem widerstehen?

DAISY: Sie übereilen sich. Sie übereilen Ihr Herz.

KEAN: Nicht mehr. Was ist das Stückchen Stolz, das sich gegen dich wehrte, gegen dieses Maß an Stolz, das du ohne Bedenken verschwendest.

DAISY: Was habe ich denn getan?

KEAN: Daß ich dein Herz an meine Brust schlagen höre. Ich bin zu Haus. Das ist alles.

DAISY: Was hast du an mir?

KEAN: Ich muß offen sein, um mein Leben zu erzählen. Ich habe nach einer Jugend, von der ich nicht reden will, die Möglichkeit gehabt, alles zu besitzen, was gelobt wird. Ich lebte wie ein Herr und nahm gläubig alles, was Glück zu sein schien. Ich habe an Frauen kein geringes Teil meines Lebens gehängt und in guten Schlössern übernachtet und Fische in Parks gefangen und mit den besten Leuten meiner Rasse Verkehr gehabt. Ich habe dies nur für einen Teil des Lebens gehalten und nicht zu hoch geschätzt und habe in Kaschemmen geschlafen und keines niederen Menschen Los nicht auch geteilt. Es kam mir zu, daß ich glaubte, das Leben zu kennen, denn ich war wohl tapfer und auch feig, das wußte ich, sondern auch klug und töricht. Ich befahl und richtete sowohl, als ich unterwarf mich und wurde geschmäht. So konnte nicht fehlen, daß ich mir dachte, daß ich das Leben kenne und es auch umspanne, ja ich hätte vielleicht gedacht in manchen Minuten, daß ich weiser sei als viele, ohne dabei zu denken, daß ich Hochmut treibe. Aber ich habe sicher nie gewußt, was an Glück das Dasein zu geben vermöge, denn ich habe die Gelegenheit, daß es der Probe nicht gewachsen ist. Es mußte das Seltsame sich ereignen, daß mir das Ganze leblos aus der Hand fällt, und daß ich, von der Reinheit der Absichten eines Menschen erschüttert, von solchen Schlägen getroffen dastehe, daß alles um mich herum wie unter Gewittern fällt.

DAISY: Ich habe nichts Besonderes getan.

KEAN: Als du kamst und mir sagtest, an mir wärest du aufgerichtet und vertrauend auf die Wahrheit geworden, irrtest du. Das Umgekehrte hat das Recht. Nicht du an mir, sondern ich an dir, ich ward an soviel Hingabe erst sehend und gläubig.

DAISY: Willst du dieser Frau nicht die Tür öffnen, damit du nicht mehr die Unwahrheit zu sagen brauchst, wenn nach ihr gefragt wird?

KEAN: Glaubst du nicht, es sei edelmütiger, durch Lüge zu retten, statt mit der Wahrheit zu vernichten?

DAISY: Ich glaube, daß eine Lüge selbst in diesem Falle nicht zum Besten führen kann. Man lehrte uns im Kloster, daß wir nicht gezwungen seien, die Wahrheit zu sagen, daß wir aber nie lügen dürften.

KEAN: Ich werde dein Schüler sein. Man muß alles neu anfangen. Nimm die Führung. Ich habe zu viel geführt, um die Irrtümer nicht zu sehen. Der Rest war Einsamkeit. Ich folge dir, weil ich dich liebe. Öffnet die Tür, ruft: Leer ... das Zimmer ... das Fenster auf ...

DAISY läuft hin, hinein, zurück: Ahnte ich es? Tot? Meine Schuld. Meine Strafe, weil ich log, ich sei deine Geliebte. Bin ich verflucht? Ich bin doch verflucht.

KEAN: Durch das Fenster ... Faß dich. Sie ist entflohen.

DAISY: Und unten?

KEAN: Wer nicht geführt wird – die Themse.

DAISY: Meinen Weg. Sie hat dich mehr geliebt wie mich.

KEAN: Das weißt du nicht. Das ist unmöglich.

SZENE VIER

KONSTABLE erscheint, die Uhr in der Hand: Der Zeiger ist auf Sieben eingetroffen. Sieben-Groß. Das Ehrenwort ist fällig. Die Verhaftung ist gültig seit einer halben Stunde. Eine halbe Stunde später setzt der Transport ein. Marsch.

DAISY: Er ist frei.

KONSTABLE: Ich habe keine Benachrichtigung. Hier ist mein Blatt nur gültig, wenn kein anderes auf vorgeschriebenem Weg in meine Hand kommt. Nichts ist widerrufen. Amtlich. Folgen Sie.

KEAN: Sehen Sie nicht. Ein Mensch ist verschwunden. Ist in die Themse geraten. Sie sind verrückt. Helfen Sie.

KONSTABLE: Ich habe einmal einen Beschluß zu fassen gehabt in meinem Leben. Den habe ich heute entschieden. Eine halbe Stunde Transportaufschub. Respekt vor der Töterei um Sie herum. Respekt vor Serien. Aber glauben Sie, das hält meinen Beschluß auf? Widersetzen Sie sich nicht. Mein eines Auge weint, wenn ich Sie rauh anfasse, denn ich sah nie einen boxen so schön. Splendid.

DAISY: Hier ... das Papier.

SALOMON hereinspringend: Dann schlag ich dich zusammen. Vielleicht hat mir ein Mord gefehlt, um dieses Leben zu kapieren.

KONSTABLE: Ich kenne nur amtliche Papiere. An mich adressiert. Andres existiert nicht. Was das Boxen betrifft, Herr, bin ich nur unparteiisch. Time-keeper. Ich verhafte dich mit.

PRINZ VON WALES erscheint, spricht dauernd, unbeweglich, sehr laut: Hinaus, Konstable. Du auch. Salomon und Konstable verschwinden. Mein Fräulein Daisy Miller. Herr Kean. Er verbeugt sich. Sie, Herr, erwarten Strafe und Zorn. Meine Einsicht hat keinen Grund, Sie aus dem Gesetz zu reißen. Meine Freundschaft übergibt die Dinge einer milderen Prüfung. Sie gehen an einen Ort des Gebirgs oder ein Tal der Landschaft, wo in der freieren Luft der Natur sich Ihr Sinn erholt, bis Sie mein Wort zurückruft. Gehen Sie.

KEAN: Monseigneur, es ist ein grauenhaftes Geschick ereignet.

PRINZ VON WALES: Was kann Ihnen bekannt, mir unbekannt sein?

KEAN: Mäßigen Sie Ihre Milde. Halten Sie Ihren Großmut zurück, damit Sie ihn nicht zurückzurufen brauchen.

PRINZ VON WALES: Maßen Sie sich keine Korrekturen an. So stehen Sie nicht da, selbst wenn ich Sie auf den Boden des Vergessens heraufgestellt habe, daß Sie nörgeln dürfen an dem, was ich rede und was das Recht in meinen Entschlüssen ist.

KEAN: So werden Sie hören, daß die Dame, deren Namen ich laut nicht zu sagen wage, durch dieses Fenster verschwunden ist. Es führt in die Themse. Ich stehe hier in der Bitte und Erwartung, daß keine Strafe zu klein sei, auf mich zu fallen.

PRINZ VON WALES: Schwärmer.

KEAN: Verfügen Sie über mich. Ich bin zu sehr zerborsten, daß nur Strafe mich befriedigen kann.

PRINZ VON WALES: Sie lebt.

KEAN: Unmöglich.

PRINZ VON WALES: Sie fährt im Wagen eben durch die Stadt.

KEAN: Wie kann sie das?

PRINZ VON WALES: Durch mich. Durch meine Leute. Meinen Befehl. Durch meine Leiter, mein Boot, meine Voraussicht. Meine Hand war um sie, von Anfang an.

KEAN: Sie haben mich erlöst. Ich beuge mich. Ich habe sehr verloren. Ich erkenne Ihren Sieg an, neidlos. Es ist Zeit, daß wir zur Ruhe kommen, um den Anfang gut weiter zu führen. Zu Daisy: Denn ich habe ein Herz entdeckt.

PRINZ VON WALES fast herrisch: Schauen Sie mir in das Gesicht. Lassen Sie die Pupille nicht von meiner. Dann wissen Sie, Herr, daß Sie den bedeutenderen Sieg errungen haben. Daß Sie am Beginn einer größeren Weisheit stehen. Ich neige mich. Verlassen Sie die Stadt. Man wird Sie als einen anders Gewordenen zurückrufen. Entfernen Sie sich mit Eile aus dem Umkreis. Gehen Sie. Ich wünsche nicht, das Sie etwas hinzufügen.

Schluß des fünften Akts.

PERSÖNLICHES ALS NACHWORT

Das Schauspiel mein Stück zu nennen, ist vielleicht kühn, aber nicht ohne Berechtigung, wenn es nicht noch toller wäre und nicht ohne Torheit, es eines von Dumas zu nennen. Dumas ist ein verteufelt armes Luder, weil er tot ist, und ich habe keinen Orgueil an der Frage. Man kann auf ihr wie eine schöne Frau auf einem Dagobert die gewagtesten Positionen einnehmen. Ich überlasse die Lösung meinen kleinen Feinden, die mir seine Fehler vorzuwerfen nicht ermatten werden und auch mit Sicherheit bereit sind, meine Vorzüge in sein Talent zu jonglieren.

Was mich an dem Schmarrn des Franzosen reizte, war das Genialische, das auch im Kitsch noch zuckt als Geste und Kerl und Blut. Ich hatte wahrlich nicht den Ehrgeiz, mich von dem Schmiß der Sache zu einer neuen Sache locken zu lassen, da ich ja die Freiheit und Möglichkeit wohl hätte, von mir selbst mich zu allen möglichen Stücken reizen zu lassen, und ich hatte keineswegs die Lust, den Franzosen zu schlucken, sondern die Absicht, ihn zu vervollkommnen und diesen verruchtesten und geliebten Reißer zu einem neuen Stück von Haltung zu machen. Es ging weniger um die Polierung, eher um das Fundament, und gewiß nicht um eine Bearbeitung, sondern bestimmt nur um Theater und um sicher besseres Theater, als in zehn dünnseeligen Geiststücken meiner immer abstrakter vom Blut wegwandernden Generation.

Der europäische Gascogner hatte sich die Sache leicht gemacht, wußte prêcher pour sa paroisse und sagte umgekehrt wie die Englischen gern Baumwolle, wenn er Jesus meinte, was Heine nicht in seiner Begeisterung störte, als in der Hauptrolle Frédérik Lemaître dem romanischen Sketsch am einunddreißigsten August Achtzehnhundertsechsunddreißig im Théâtre des Variétés vor den Untertanen einer demokratisierenden Bourgeoisie und vor verprügelten Aristokraten die Weltrichtung gab ... und Dumas damit aus dem Gekrisch literarischer Diebstähle herausriß, in das ihn Gardisten seines lächelnden Freundes Victor Hugo gewickelt hatten. Damals wars rassiger Bluff. Heut ist die Innerlichkeitssubstanz Geschwätz und Geplausch. Zwischen die (wundervollen) Trüks muß nun Seele hineinschmettern. Es müssen Menschen dahin, wo er Dramatisches suchte und Effekte fand, es darf Wahrheit dort sein, wo er gaunerte und Glissandos machte. Wo er gallisch krähte, muß Schicksal hinein.

Denn schließlich handelt es sich darum, daß dieses funny animal, dieser tolle Bursche, Kean, nicht aus Unordnung schlampig, sondern aus elementaren Leidenschaften ungesammelt ist. Daß es nicht auf das Kostüm ankommt, sondern auf dies Exemplar von Menschen, nicht auf die Verwirrungen, sondern auf die Dämonie. Daß es von Bedeutung ist, daß die Backfische und Mondänen und Kokotten des französischen Theaters nicht aus Bleichsucht gütig und aus Hurerei lasziv und aus Neugier abenteuerlich sind, sondern daß sie aus Güte konsequent und aus Lebenskenntnis tragisch und aus Enttäuschungen überlegen scheinen. Und daß schließlich nicht bei sentimentalen Saucen verblieben, sondern wahrhaftig zu festeren Ergebnissen fortgeschritten werden muß. Alles andere ist Unsinn. Das ist der Weg der Operation.

Der Weg, der keinen anderen Ehrgeiz der Exkursion kannte als den handwerklichen zum sachlichen Theater in einer theaterlosen Zeit, schob in alle Kurven eine amüsante Grenze. Man erblickte stets die Neigung, den alten Faiseur des Genialischen mit einer schonen Brüskheit aus dem Wagen zu schmeißen, aber man behielt ihn mit Respekt und lächelnd bei. Die Fahrt erhielt eine seltsame Mischung von Gefahr und Grazie, von Respekt und Tragödie, von Fatum und Causerie.

Man spiele daher in den Untergründen, ohne die Eleganz zu verletzen. Man spiele ganz modern, aber zeitlos. Man boxe und morde exakt, mit Kenntnis, aber nicht ohne Verständnis für die Not der Herzen. Man spiele schließlich mit voller Aktualität, aber durch Stilisiertes ins Breitere der Gefühlsvorgänge gedämpft. Momentan, aber nicht salonhaft. Tragisch, aber mit Verschweben. Scharf, rasch, nicht ohne viel Graziles und mit bedeutender Phantasie.

Kreuzeckhaus, Februar 1921.

KASIMIR EDSCHMID

Manuldruck der
Spamerschen Buchdruckerei
Leipzig

Von
KASIMIR EDSCHMID
erschienen:

BEI ERICH REISS

ÜBER DEN EXPRESSIONISMUS IN DER LITERATUR UND DIE NEUE DICHTUNG

BEI KURT WOLFF

DIE SECHS MÜNDUNGEN
NOVELLEN

DAS RASENDE LEBEN
NOVELLEN

TIMUR
NOVELLEN

BEI PAUL CASSIRER

DIE FÜRSTIN
NOVELLEN

DIE DOPPELKÖPFIGE NYMPHE
AUFSÄTZE ÜBER DIE LITERATUR UND DIE GEGENWART

DIE ACHATNEN KUGELN
ROMAN

Anmerkungen zur Transkription

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