The Project Gutenberg eBook of An geöffneter Tür

This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.

Title: An geöffneter Tür

Author: Clara Sudermann

Release date: September 14, 2019 [eBook #60293]

Language: German

Credits: Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK AN GEÖFFNETER TÜR ***

An geöffneter Tür

von

Clara Sudermann

Dritte Auflage


Felix Lehmann Verlag / Berlin W

Alle Rechte vom Verleger gewahrt
Copyright 1914 by Felix Lehmann
Verlagsbuchhandlung Berlin W 35

An geöffneter Tür

Wie das sonderbar ist, ... eigentlich wie ein Traum. Ich sitze ganz allein in einem Passantenzimmerchen des Glarner Hofs in Glarus. In den Gartenanlagen vor meinem Fenster plätschert hinter dickblätterigem Buschwerk das Wasser eines Springbrunnens. Das wird heute mein Wiegenlied sein und mir einen guten Schlaf bringen. Aber noch will ich nicht schlafen. Ich habe das Herz so voll.

Es ist ganz still im Hause und auf der Straße. Als ich vorhin am Fenster stand, kam der Mond gerade hinter dem Glärnisch vor und schüttete schimmernde Streifen über Schroffen und Halden und Wasserfäden, die sich hinunterringeln. Da wurde der Riese lebendig und bekam eine Stimme.

Ach, du lieber, geliebter Riese, ich verstehe ja deine Sprache, ich fühle sie, und als Antwort möchte ich mich an dich hinanschmiegen, dich ganz umfassen mit all deinen Gipfeln, deinen Abgründen und den stillen, grünen Matten ...

Ich bin frei, und ich glaube an das Leben, an mein Leben, über dem Jahre hindurch das Schwert hing!

Als heute vor vierzehn Tagen in Davos Dr. Herholz in mein Zimmer kam und mir ganz ohne Vorbereitung sagte: »Fräulein Lydia, wir sind so weit, rüsten Sie sich zur Heimfahrt,« ... da stand mir das Herz still vor Schreck.

Wie oft hatte ich mir diesen Augenblick ausgemalt, in dem der lächelnde Henker vor mich treten und mir sagen würde wie schon so vielen vor mir: »Sie sind als geheilt entlassen.«

Wie hatte ich in voller Fassung und Würde dieses Todesurteil entgegennehmen wollen, auch lächelnd und dem Anschein nach den lügnerischen Worten Glauben schenkend. Und nun ...?

Ich fühle jetzt noch die eiskalte Leere, die plötzlich um mich war. Meine Jugend, meine armen vierundzwanzig Jahre schrien jammernd um Hilfe. »Wie lange also noch, Doktor?« brachte ich endlich vor.

Doktor Herholz, übrigens einer der wenigen unter der Herde von Ärzten, die mein Leben durchzieht, der mir immer gleichmäßig freundliche Teilnahme gezeigt hat, nahm meine Hand und fühlte gewohnheitsmäßig den Puls.

»Ruhig, ruhig – es ist Ernst, Fräulein Lydia,« sagte er und sah mich treuherzig und froh an. »Sie brauchen nicht mißtrauisch zu sein. Ich habe das aber bei Ihrer skeptischen Veranlagung vorausgesehen und Ihnen den Krankheitsbericht seit der drittletzten Injektion mitgebracht. Kommen Sie, sehen Sie selbst.«

Es flimmerte mir vor den Augen. Ich las wohl mechanisch ... Gewicht ... Temperatur ... Sputum ... usw. Diese ganze entsetzliche Reihenfolge, die tagaus, tagein Gedanken und Gespräche beherrscht hatte, und ich mußte mich von dem günstigen Ergebnis überzeugen, das ja meinen eigenen Wahrnehmungen entsprach. Aber hinter der leise aufdämmernden Hoffnung sprangen die schwarzen Kreuzchen auf, die in meinen Erinnerungsbüchern bei so vielen Namen stehen, – Namen von armen Menschenkindern, mit denen ich ein Stückchen Weg gemeinsam gemacht hatte, und denen fast allen einmal, wie heute mir, verkündigt worden war: »Sie sind als geheilt entlassen.«

»Sie dürfen das nicht, Doktor,« sagte ich dann. »Es ist eine überflüssige Grausamkeit. Das ist alles Täuschung, ein vorübergehendes Aufflackern, ... ich weiß zu genau Bescheid, und ich will mich nicht selbst betrügen und mir auch keine falschen Erwartungen einimpfen lassen ...«

»Ich gebe Ihnen die ehrliche Versicherung, daß es Ihnen verhältnismäßig gut geht, Fräulein Lydia. Natürlich sind Sie kein Riese, – dürfen sich nie für ganz gesund halten, – müssen vorsichtig und maßvoll in jeder Beziehung leben, – körperlich und geistig ...«

Und nun begann er einen ganzen Strom ärztlicher Weisheit über mich zu ergießen. Mir war wunderlich dabei zumute. Ich widerstrebte innerlich, aber hier und da fing etwas in seinen Auseinandersetzungen an mir einzuleuchten, und endlich, als er von den Gefahren eines Rückfalls, ja des »letalen Ausgangs« sprach, die durch Erkältungen, Anstrengungen oder Erregungen herbeigeholt werden könnten, denen aber durch Willenskraft und Überlegung vorzubeugen war, – da schwankte ich schon in dem festen Vornehmen, mich trügerischen Hoffnungen zu verschließen, und die Möglichkeit, daß er die Wahrheit sprechen möchte, hob sich zaghaft und verlangend in mir.

»Doktor, Sie begehen eine schwere Sünde, wenn Sie mich betrügen. Sie könnten mich ruhig so weiter dämmern lassen. Es ist ja gerade in Ihrem Sanatorium ganz vergnüglich. Man lebt so von der Hand in den Mund und täuscht sich über vieles hinweg in der schönen Natur ... Und Sie wissen ja, verlangen nach mir, um mich noch pflegen und lieben zu können, wie das so üblich ist, tut zu Hause niemand ...«

»Das weiß ich gar nicht,« sagte der gute Doktor etwas verlegen, »aber es spricht auch gar nicht mit. Hören Sie doch zu. Wenn's so wäre, wie Sie annehmen, wie es leider ja auch oft geschieht und aus Menschlichkeit und tausend anderen Gründen geschehen muß – erinnern Sie sich nicht an den Gebrauch in solchen Fällen? – Dann führe ich den betreffenden Patienten doch zum Chef, und der weiß mit seiner exorbitanten, sachlich scheinenden Beredsamkeit jedes Bedenken ganz anders totzuschlagen als ich. Das wäre ihm auch bei Ihnen eine Kleinigkeit gewesen. Sie kennen doch die leuchtenden Augen, mit denen die vollkommen Überzeugten dann aus dem heiligen Arbeitszimmer zu kommen pflegen, auch wenn Sie vorher noch so mißtrauisch waren.« Das stimmte. Wie eine Bestätigung dieser Worte glitt das Bild des Einen, Unvergeßlichen durch meine Gedanken, der sich auch nie durch die berüchtigte Endunterhaltung hatte täuschen lassen wollen, der dann doch beglückt dahergekommen war wie alle die anderen und doch denselben Weg gegangen war wie sie ...

»Sehen Sie, Fräulein Sargent,« sagte der Doktor weiter, »wir zwei haben uns doch ganz hübsch eingelebt miteinander, der Chef weiß das. Und als wir bei der letzten Konferenz gestern endgültig feststellten, was wir eigentlich schon seit Monaten wissen, daß von uns aus, im Augenblick nämlich, nichts mehr für Sie zu tun ist, sagte er mir großmütigerweise: »»Sie können dem Wurm die Nachricht bringen. Sie stehen ihr ja näher als ich, und wenn Sie wollen, besorgen Sie auch die Korrespondenz mit den Angehörigen,«« – was, nebenbei gesagt, bereits geschehen ist« ...

Nun wurde mir doch schwindlig, und – was soll ich es vor mir selbst nicht eingestehen – eine ungeheure Freude brannte wie eine Flamme in mir auf. Fassungslos warf ich mich dem guten Doktor an den Hals und weinte, – weinte bis zum Vergehen ...

.... Und dann sind die Reisevorbereitungen gekommen, vor allem der Briefwechsel mit den Meinen, der mich nicht sonderlich enttäuschte, weil dieses brausende Glück, das aus dem Hinterhalt über mich hergestürzt ist, ihm das Gegengewicht hielt.

Im Grunde benahm man sich genau so, wie ich es mir hatte vorstellen können. Eine matte, etwas ungläubige Freude und Verlegenheit, viel Verlegenheit. Man weiß augenscheinlich nicht, was mit mir anfangen. Die ganze Familie sitzt in Gastein. Ob ich dorthin kommen wolle, ob es ein geeigneter Ort als Übergang für mich wäre. Die Kur könnte man nicht unterbrechen, Papa hätte sie so nötig gebraucht, und meine Mutter dürfte ihn nicht verlassen.

Natürlich bin ich ihnen mit der Idee entgegengekommen, daß ich zuerst noch ein wenig für mich bleiben wolle, in einer gut empfohlenen Schwarzwaldpension vielleicht, jedenfalls meine Kräfte erst einmal erproben und die Welt mit den Augen der Gesundenden sehen lernen. Und dieser Wunsch traf auch auf keinen Widerspruch. – Seit ich mündig bin, habe ich mir ohnedies die sonst nötig und standesgemäß gefundene Begleitung abgeschafft. – Und mein Stiefvater schrieb mir sogar einen ganz herzlichen Brief. Er wolle mit seinem vollen Titel – »der Ministerialdirektor imponiert auch in der freien Schweiz« meint er irrtümlicherweise – mein Zimmer in dem Züricher Hotel bestellen, in dem ich die erste Station machen sollte.

Und Mama? ...

Jedenfalls ist ihr eine Last von dem hin und her gezerrten Herzen gefallen, und sie wird sicher mit der frohen Steigerung ihres Wesens, die sie immer so liebenswürdig macht, die nächsten Wochen in Gastein genießen.

Ich aber bin nach fröhlichem Abschied von Davos, – von dem Hofrat, den ich gar nicht, dem Doktor Herholz, den ich sehr gern mochte, heute früh abgereist und, einer plötzlichen Eingebung folgend, in Weesen ausgestiegen und anstatt in Zürich in Glarus gelandet.

Das ist so gekommen:

In meinem Coupé sprachen zwei Herren von einer gewaltigen Arbeit, die man eben im Glarnerland, im Klöntal, unternähme. Man staue einen großen Bergsee, mache sein Gefälle höher und gewänne durch eine Leitung, die bis nach Zürich ginge, eine ungeheure Kraft, die industriell verwertet werden solle.

Nie im Leben hatte ich etwas Ähnliches gehört und, ich weiß nicht, als mir der Gedanke durch den Kopf schoß, was es nun alles für mich auf der Welt zu sehen und zu erleben gäbe, war ich auch schon entschlossen, mir diese Sache, die mir ganz ungeheuerlich erschien, zu betrachten.

Vielleicht hat bei diesem plötzlichen Entschluß auch ein klein wenig die Abneigung gegen das in Zürich von dem »Ministerialdirektor« bestellte Zimmer mitgesprochen, jedenfalls sitze ich hier in Glarus mit meinem glücklicherweise ausreichenden Handgepäck, während das große nach Zürich weitergereist ist.

Und ich freue mich ... Freue mich des einfachen Zimmers, das man der einzelnen Dame ohne Koffer angewiesen hat, freue mich meiner Selbständigkeit und meiner Einsamkeit. Ich möchte die große, gierige Lebensfreude, die in mir rumort, hinausschreien, und doch ist mir's gerade recht, daß kein Mensch da ist, in dem sie wiederhallt.

Ich brauche niemand auf der Welt, wie mich niemand braucht.

Ich stelle mich ans Fenster, und der Glärnisch mit dem Mondgeriesel über seiner machtvollen nächtigen Schönheit gibt mir, was ich in diesem Augenblick nötig habe – so an der geöffneten Tür zu Leben und Welt....


Nach traumlos durchschlafener Nacht ein halbes Erwachen voller Beklemmung und Bangen. Vergebliches Suchen nach der heißen Milch ... Die Hand greift nach dem Fieberthermometer ... Schwester Marie ist nicht da ...

Ach, und dann die Seligkeit! ... Das ist ja alles vorbei für immer oder – seien wir vernünftig – für lange Zeit ...

Ich habe gefrühstückt, einen Wagen bestellt, um ins Klöntal zu fahren, und warte nur noch auf meinen grünen Schirm, dessen Stock mir der Portier gestern zerbrochen hat, und den ich heute repariert zurückerhalten soll.

Die Sonne liegt schon mit voller Glut auf den Bergen und in den breiten, nüchternen Straßen der Stadt. Die Stimmung von gestern abend ist's nicht, aber dafür zittert eine satte Sommerfreude in der klaren Luft. Wär' ich nur schon draußen! ... Nein, so gut ist mir's nicht geworden.

Eine Depesche. Da liegt sie neben mir auf dem Tisch und mahnt: hinter den Bergen wohnen Leute, die sich wie ein Keil in das drängen, was sich eben in mir zusammenfügen will aus dem Durcheinander, das Krankheit und Einsamkeit in mir geschaffen haben ... Natürlich Mama – natürlich sehr lang – das spart einen versprochenen Brief, der nicht geschrieben wird, was der Ärmsten dann doch wieder ein paar schlaflose Nächte macht....

»Warum Glarus? Bitte jetzt jedenfalls dortbleiben. Kommerzienrat Hillmann, Jugendfreund deines Vaters, mit Sohn wollten dich Zürich aufsuchen, kommen nun Glarus. Bitte herzlich aufnehmen. Näheres brieflich. Soll ich Edina schicken? Treue Grüße. Mama.«

Unglaublich ..., unerhört ... Hätte ich doch auf den Schirm nicht gewartet – dann wäre ich jetzt unterwegs, erst übermorgen zurückgekommen, und die eiligen Herren, die die Familie mir auf den Hals schickt, hätten das Nachsehen gehabt. Was können sie denn von mir wollen? Ich habe zwar eine Verbindung mit »Hillmann«, aber nur eine in Geldsachen, und ich weiß im Augenblick nicht einmal, welcher Art.

Was hindert mich übrigens auch jetzt noch, einfach meiner Wege zu gehen?

Mamas Bitte?

Nein ... Mama ist eine liebe, fremde Frau, die sich bereitwillig unter das Joch des »Ministerialdirektors« geduckt hat und nur manchmal aus ihrem behaglichen Nest nach ihrer verlassenen Ältesten angstvoll hinüberstarrt ... Ach ..., ich klage sie nicht an. Ich klage niemand an, aber ich habe sie mir alle abgewöhnt – jeden einzeln und die ganze Familie zusammen.

Eine dunkle Erinnerung aus einem anderen Leben rührt hier und da an mein Herz.

In einem schönen Lande am blauen Meer, an dem Palmen stehen – die Riviera – San Remo, wo mein armer Vater an der Schwindsucht gestorben ist und auch begraben – war ich ein geliebtes und vergöttertes Kind. Unzertrennlich von meiner traurigen Mutter, die vor Sehnsucht und Gram um den Heimgegangenen fast verging. Mein kleines Bett stand neben dem ihren, ich kletterte zu ihr, wenn ich sie weinen hörte, kuschelte mich an sie, und dann schliefen wir zusammen ein. Sie war sehr schön und gut, meine Mama – und liebte mich sehr. Vielleicht ist das Übermaß an Liebe, das sie damals auf mich geschüttet hat, das gewesen, was sich sonst auf ein ganzes Leben verteilt.

Als ich sieben Jahre alt war, lernten wir den Ministerialdirektor kennen, der aber damals noch Regierungsrat war. Ich begreife es ganz gut, daß der energische, herrische Mann mit seiner schnurgeraden, unanfechtbaren Korrektheit und meine weiche, hochgestimmte und haltbedürftige Mutter sich so gut zusammengefunden haben. Auch mein kleines Herz jubelte ihm damals entgegen, denn Mama wurde zusehends heiter und glücklich im Verkehr mit ihm, und ich selbst war sein großer Verzug ... Blieb es auch eine kurze Zeit – in der neuen Häuslichkeit in Berlin sogar noch, – bis der Alltag und eine große Geselligkeit mich allmählich von ihm und auch von der Mutter abzudrängen begannen ... Zu meinem maßlosen Erstaunen....

Edina erschien auf der Bildfläche. Mit ihrem Schweizer Französisch, ihrer peinigenden Ordnungsliebe und der barbarischen Strenge, wenn ich allein mit ihr war, doch – um gerecht zu sein – auch mit einem im Grunde liebevollen Herzen und dem heißen Wunsch, die ratlose kleine Entthronte zu entschädigen. Mama wurde sogar ein ganz klein wenig eifersüchtig und wollte sie fortschicken.

Die gute Mama! Heute ist Edina ihr im Hause alles, und daß sie sie mir herschicken will, ein Opfer, das die ganze Wirtschaft aus dem Gleichgewicht brächte, wenn ich es annähme. Aber das tue ich nicht. Ich brauche Edina nicht mehr, wenn ich mich auch damals an die zankende kleine Französin klammerte. Damals, als sich das Herz meiner Mutter langsam von mir abwendete, weil die Vergangenheit versank – versinken sollte, und ich mit dem Gesicht eines, der auch nicht mehr da sein durfte, als Mahner daran dastand.

Das ist ja wohl ganz einfach und nur menschlich, aber die junge, heiße Kinderseele konnte sich in diesem wirren Rätsel nicht zurechtfinden und wußte nicht wohin mit aller unerwünschten Liebesfähigkeit. Dann kamen die kleinen Geschwister, und die habe ich mit einer Seligkeit in mein banges Herz geschlossen, die ich zuweilen heute noch nachempfinden kann. Und eine kurze Zeit frohen Kinderglücks ist mir ja dann auch noch beschieden gewesen unter den süßen, strampelnden Geschöpfchen, die die Arme nach Liddy ausstreckten und sich heiser nach ihr schrien.

Und – da ich einmal diese alten Erinnerungen zurückrufe – mein Stiefvater fing in dieser Zeit an, sich mehr als je mit mir zu beschäftigen. Wohl seiner im Grunde gerechten Natur folgend – um dann mit gutem Gewissen seine eigenen zwei mit der ganzen echten Liebe zu überschütten – die er für mich natürlich nicht empfinden konnte. Und noch einmal ist mein Herz für ihn aufgeglüht mit unbeschreiblicher Anbetung. Ich habe wahrhaftig den bon Dieu, zu dem ich abends meine prières sagen mußte, abgeschafft und den heißgeliebten Papa an seine Stelle gesetzt.

Gott, Gott, was kann solch ein kleiner Mensch lieben und leiden, und wie gut ist es, daß ich das alles in so jungen Jahren habe abstreifen müssen! Wie hätte ich wohl mein hartes Schicksal, wie dieses schwerste des letzten Jahres, tragen können, wenn Liebes- und Leidensfähigkeit mit dem Alter noch gewachsen wären! ...

Als die erste Lungenentzündung kam, ist wohl das bißchen bleiche Sonne aus meinem Kinderleben ganz verschwunden. Natürlich bin ich sorgsam gepflegt worden, aber als ich genesen war, fiel mir das blasse Entsetzen, von dem meine arme Mutter bei meinem leisesten Hüsteln oder dem leichtesten Unwohlsein geschüttelt wurde, doch als etwas Ungewöhnliches auf.

Bei dem nächsten Katarrh, wie ihn Annie und Mia auch eben durchgemacht hatten, wurde mein Bett aus dem Kinderzimmer geschafft und meine Arbeitsstunden so gelegt, daß sie in die Zeit fielen, in der die Kleinen wach waren und sonst mit mir gespielt hatten. Ich durfte sie auch nicht mehr herzen und küssen wie früher, und es schien mir, daß man mir aus dem Wege ging, wo ich mich zeigte.

Natürlich war das eine übertriebene Ängstlichkeit und wohl auch noch Sorge um mich dabei, aber das konnte ich nicht begreifen, und eine furchtbare Verdüsterung kroch in mich hinein. Sie wuchs zu einer grenzenlosen Verzweiflung an, die mich heute noch in der Erinnerung erbeben läßt, als eines Tages mein Stiefvater mich unsanft beiseite stieß, wie ich, das Verbot vergessend, die kleine Mia in die Arme nahm und sie lachend und tollend abküßte.

Ach, dieser Blick, dieser eisige, böse Blick, der sich in mein Herz bohrte, den ich nie, nie vergessen werde, wenn mein Stiefvater und ich auch auf dem angenehmsten Verkehrsfuße stehen!

Ich glaube, jenes kleine Ereignis ist die Veranlassung gewesen, daß man mich fortbrachte.

In ein Pensionat für lungenleidende Kinder. Nach Davos – mit einer jungen, sanften, freundlichen Erzieherin. Man erwies dem armen Ding damit zugleich eine Wohltat, denn sie war eine schwer Leidende, und sie ist auch die erste geworden, deren Namen mit einem schwarzen Kreuz in meinem Fremdenbuch den langen Zug des Todes eröffnet hat, der von da an mein Leben geleitet.

Eine Heimat habe ich seitdem nicht mehr gehabt. Bis zur Konfirmation das Pensionat mit seinen leidenden Insassen, meist Waisen oder Halbwaisen wie ich. Daß man mich durch die Übersiedelung aus dem Hause nach einem verseuchten Orte, – mich und manche andere vermutlich in bester Absicht – erst aus der Welt des Blühens in die des Vergehens gestoßen hat, ist mir übrigens feste Überzeugung geworden. Ich habe mich wenigstens ohne die Anzeichen der furchtbaren Krankheit, die ich ererbt haben sollte, gehalten, bis ich vierzehn oder fünfzehn Jahre alt war. Die ersten Fieberanfälle bei den rasch aufeinander folgenden Katarrhen waren ein Geschenk für die erwachende Jungfrau.

Und damit hat das Wandern von Sanatorium zu Sanatorium und jenen Hotels, in denen man Lungenkranke aufnimmt, begonnen – unterbrochen durch einen kurzen Aufenthalt in der jeweiligen Sommerfrische der Eltern, in Begleitung der eben lebenden Erzieherin oder später Gesellschafterin, unter sorgfältiger Beobachtung aller nur denkbaren Desinfektionsveranstaltungen, unterbrochen durch einen mehrtägigen Besuch der Mutter, zuweilen auch des Vaters, in meinem Winterasyl.

Ich kenne sie alle – Andreasberg, Badenweiler, Wehrawald – Ospedaletti, Mentone, Nervi, San Remo – Davos und wieder Davos. – Im Grunde, wenn das Fieber schlief, ein sorgloses Leben voll äußeren Behagens. Ich bin nur in den teuersten und vornehmsten Anstalten und Hotels gewesen, dank dem Reichtum von meinem verstorbenen Vater her. Um mich herum ein buntes, internationales Treiben, eine verzärtelte Kultur, viel unbeschützte Jugend neben den lebenserfahrenen reiferen Leidensgenossen. Allen gemeinsam eine gesteigerte Lebens- und Liebesgier und allen gemeinsam der Tod im Nacken. Ich habe von allem gekostet, innerhalb der Grenzen, die ein gewisses, wohl ererbtes Schicklichkeitsgefühl meinem Temperament immer gezogen hat, und der Gesamtinhalt dieser Jugendjahre ist überhitzter Flirt, überhitzte Fröhlichkeit, überhitzte Trauer und Einsamkeit – Einsamkeit – Einsamkeit....

Mit einer kurzen Unterbrechung.

Ich taste jetzt manchmal mit scheuen Händen in dieser Erinnerung herum, die mich noch vor einem Jahre bis dicht vor den Abgrund der Selbstvernichtung riß.

Heute, in diesem Augenblick, ist es mir sogar beinahe Bedürfnis, mir Walter Hertog hierher zu rufen, ihn vor mir zu sehen, wie ich ihn in Arosa zuerst sah. Groß, schmalschulterig, damals noch sehr aufrecht – ein Römerkopf mit brennenden Augen und einem Zug so verbitterten Leidens um den schmallippigen Mund, daß mir jetzt noch bange wird, wenn ich daran denke.

Wir haben uns sehr bald zusammengefunden.

Ich war der rechte Kamerad für einen, dessen schmerzvoller Kampf gegen das Sterbensollen ein viel härterer war als der der vergehenden Kreatur, den ich so oft mit angesehen hatte, denn bei meinem neuen Freunde wurde er verschärft durch einen fressenden Ehrgeiz, dem die Todeskrankheit plötzlich das Ziel entrissen hatte.

Hertog, obwohl auf dem Boden der bestehenden Staatsformen stehend, hielt sich – wohl nicht mit Unrecht – für einen großen sozialen Reformer. Er hatte eben als junger Assessor den ersten Schritt getan, der ihn der Verwirklichung seiner Pläne zuführen sollte, er war ins Ministerium berufen, und das Feld für seine offene und heimliche Arbeitsgier lag frei vor ihm. Da hatte ihn die Familienkrankheit, der er mit seinem eisernen Willen zu entwischen hoffte, nach einer starken Influenza gepackt und niedergeworfen.

Zwei Jahre lang sind wir Weggenossen gewesen im Schwarzwald, in den Schweizer Bergen und am Mittelländischen Meer.

Mein Gott – welch ein wildflackerndes Leben! – Und dabei Liegestuhl an Liegestuhl!

Er hielt mich natürlich ganz und gar in seinem Bann. Er war ja so weise wie niemand, den ich kannte. Er hatte den Dingen dieser Welt auf den Grund geschaut. Er konnte das anscheinend Gute, mit dem sie sich umkleideten, von ihnen reißen und ihr nacktes Skelett offenbaren.

Alles war Moder – alles, was leuchtete, Verwesungserscheinung. Der Tod beherrschte sein ganzes Denken, weil er sich ihm verfallen sah. Und mich mit ....

Oft sprachen wir über das alles, bis sich das Fieber über uns warf. Dann waren wir für Tage getrennt, und wenn wir uns wieder trafen, fingen wir auch wieder an, das Leben zu zerteilen und zu verhöhnen. Wir verspotteten jedes Gefühl, unser eigenes zuerst.

Denn natürlich – trotz allem – liebten wir uns.

An Frühlingsabenden, wenn in der Halle die Italiener »vorrei morire« heruntertremolierten, dann kam es wohl, daß uns Jugend und Rausch doch packten.

Wir liefen hinunter zu den Bambusbüschen oder zu den roten Rosensträuchern, die eben aufblühen wollten, und lagen uns in den Armen und küßten uns voller Leidenschaft.

An die Zukunft zu denken, hüteten wir uns. Wenn wir am Tage über das süße Erlebnis der schwachen Stunde sprachen, fanden wir großartige Worte, bald der Entsagung, bald des Hohnes.

Manchmal gingen wir in unseren Gesprächen auch bis auf das Äußerste – die gänzliche Vereinigung in Rausch und Glut....

Einmal ganzes, volles Menschenglück ... einmal vor dem Tode....

Aber dann kam jedesmal eine große Abkühlung. Wir höhnten wohl über die höhere Tochter und den Regierungsassessor – aber aus ihnen herauskriechen konnten wir doch nicht....

Nach einer längeren Sommertrennung trafen wir uns in Davos wieder.

Da fing es plötzlich an, ihm besser zu gehen. Ach wie hab' ich jeden kleinen Fortschritt mit ihm erlebt und genossen! Wie hab' ich für ihn gejubelt! Er selbst blieb lange Zeit ungläubig.

Bis eines Tages Dr. Herholz ihn zum Professor rief.

Da kam er denn glühend und mit leuchtenden Augen zu mir, setzte sich an meinen Liegestuhl und sagte in staunender Glückseligkeit nur immer vor sich hin: »Geheilt entlassen – geheilt entlassen.«

Und dann hat er die Lehne meines Stuhls umklammert. Ich habe mich aufgerichtet, seinen Kopf in meine Hände genommen, – und habe ihn küssen wollen.... Und da – Aug' in Auge – sah ich in dem seinen plötzlich etwas aufblitzen.... Bangigkeit – Furcht – Grauen....

Ein Blick, ähnlich wie jener, der meine Kindheit vergiftet hat, damals, als ich mein Schwesterchen küssen wollte, und mein Stiefvater mich zurückriß....

Er hat sich dann rasch losgemacht und allerlei gesprochen – von der Ehrlichkeit, auf die unsere Freundschaft sich gründete – – er hätte in der Tat eben ein wohl entschuldbares Gefühl von Furcht gehabt – die Furcht des Genesenden vor dem Kranken – das wäre etwas ganz Animalisches und hätte nichts mit unserem Seelenbund zu tun ... ich solle das richtig und gütig auffassen ....

Nein und tausendmal nein. – Ich habe ihm äußerlich recht gegeben und bin beherrscht und freundlich geblieben bis zum Abschied. Aber nächtelang habe ich gewinselt wie ein geschlagener Hund – und hab' ihn gehaßt und verwünscht und bin doch nicht von ihm losgekommen, wie sehr ich auch nach einem Abschluß gejammert habe....

Nun, der war ja bald da, ein ganz radikaler dazu....

Sechs Wochen später kam seine Todesnachricht.... Überarbeitung – Lebensrausch – Erregungen – sagte man uns – alles vernichtende Dinge für einen »geheilt Entlassenen«....

Gilt das nicht auch mir? Ahne ich nicht jetzt eben schon den langsam aufstechenden Schmerz in den kranken Stellen? – Steigt mir nicht eben schon der fade, flaue Geschmack des ausströmenden Blutes in die Kehle? ... Nein, ich will nicht.... Ich habe mit dem Tode jetzt nichts zu schaffen –, leben will ich – unter Lebenden will ich mir meinen Platz suchen. Fort mit den Toten....

Mamas Freunde sollen kommen – sie haben Fleisch und Blut und werden die Schatten, unter denen ich hause, verscheuchen....

Ich werde keine einsame, mehrtägige Fahrt unternehmen, um ihnen aus dem Wege zu gehen – ich will Stimmen hören, die nicht aphonisch geworden sind, ich will mir von Dingen erzählen lassen, die in der Welt des Lebens vorgehen.

Ich will auch den beiden Abgesandten der Familie zeigen, daß ich zu den Gesunden gehöre.

Und darum hole ich mir jetzt Frische und Klarheit für meinen etwas schwindelnden Kopf.... Mein Wagen steht vor der Tür – also hinaus in die Sonne –, und um das neue Leben nicht mit einiger Folgerichtigkeit zu beginnen –, an den schönen Bergsee, den sie zwingen wollen, weitab von seiner heiligen Stille mit 45 000 Pferdekräften für sie zu arbeiten.


Also die Begegnung mit dem Kommerzienrat Hillman ist mir geradezu ein Erlebnis geworden.

Meine Gedanken schwirren auf allen möglichen Lebensfeldern umher und praktische, bange, kokette, glückverlangende Erwägungen überstürzen sich in mir. Seit einer Stunde laufe ich in dem kleinen hellen Salon, den ich mir habe geben lassen, hin und her, unstet und ruhelos.

Nur wenn ich an dem blumenumrankten Eckspiegel haltmache, schießt ein Gefühl von – ich kann nicht anders sagen – stolzem Entzücken in mir auf. Ich habe eine hohe Freude an meiner Schönheit. Sie ist, mit allem anderen, ein Erbteil meines Vaters. – Und gerade jetzt, wo die Hoffnung neues Leben in mein Gesicht gezaubert hat, dessen Züge ich so genau und so sachlich studiert habe, – muß ich selbst staunen, welche Kraft und welchen Glanz meine blauen Augen bekommen haben.

Ich gleiche genau dem vielbewunderten letzten Bilde meines armen Papa, dem das Schicksal die letzte Grausamkeit, den Verfall durch die gräßliche Krankheit ersparte, indem es ihm einen plötzlichen Tod bescherte.

Merkwürdig übrigens, daß Todesnähe und intensives Lebensbewußtsein so gleiche Ausdrucksmittel haben können....

Vielleicht, weil beide die Blicke für noch Ungeschautes weiten?

Ach, ich fühle ja bei jedem Schritt, den ich im Verkehr mit der lebendigen Welt mich vorwärts taste, daß Neues, Wunderbares auf mich wartet, und ich muß für mich immer wieder auf das Bild zurückkommen, daß ich an einer geöffneten Tür stehe, hinter der viele Wege in das schöne, große, unbekannte Leben führen.

Welchen werde ich wählen unter den sonnen- und mondglänzenden, den dämmerigen und den dunkeln? ...

Ob der Freund meines Vaters, der mich vorhin verlassen hat, dieser weltkundige alte Mann mit den jungen, zärtlichen Augen irgendwo als Wegweiser dastehen wird?

Es ist so merkwürdig, wie da plötzlich eine Brücke von dem alten verschollenen Kinderland über die Gegenwart hinweg in die Zukunft führt.

... Als der Kommerzienrat Hillmann pünktlich auf die Minute seiner Anmeldung bei mir eintrat, hatte ich in demselben Augenblick ein ganz deutliches Bild vor mir, dessen ich mir eigentlich nie klar bewußt gewesen bin.

... Ein Balkon, von stark duftenden blauen Blumen überhangen, ein Stückchen grauer Himmel, im Winde raschelnde Wedel einer Dattelpalme, die hoch über das Haus ragt, – ein Liegestuhl mit einem Kranken darin, der schwer atmet und hüstelt. Über ihn gebeugt – dieser Mann, der eben eintrat, meine Hand festhielt und mich anstarrte wie ich ihn.

»Es ist geradezu wunderbar wie Sie ihm gleichen, liebes Kind,« sagte er und nahm auch meine andere Hand.

Mir war's, als tauche hinter dem Forschen seiner herrschenden dunklen Augen etwas wie Güte und Teilnahme auf, aber es rührte mich nicht.

»Ich glaube Sie wiederzuerkennen, Herr Hillmann. Ich muß Sie an der Riviera irgendwo, als kleines Kind gesehen haben,« sagte ich. Wir setzten uns, und ein kleines Schweigen entstand....

»Sehr richtig, in San Remo,« sagte er dann, und das menschlich Herzliche verschwand aus seinem Blick. Er war nun ganz der aufs äußerste soignierte, gut erhaltene ältere Lebemann, ein Typ, den ich – ach wie genau! – kenne, und mit dem ich immer gut fertig werde.

Diese Art Männer, die ihr Leben auf das Weib gestellt haben, scheinen mir in der gewissen Abendbeleuchtung, die über ihrem Wesen liegt, anziehend und rührend; sie sind dankbar für jedes Lächeln, und nehmen jede Augenblicksstimmung als das, was sie ist, ohne Versprechen für die Zukunft.... Und sie haben so viel von den schauerlich-schönen Lebensgeheimnissen ergründet, die uns Junge so mit Qual und Erwartung füllen – und sie lieben die Jugend mit einer so schmerzlichen Liebe und wissen ohne Worte darüber zu reden.

Ja, auch mein Gast und ich verständigten uns in diesem Sinne – und ich will es gar nicht leugnen, daß mir bei seinen Blicken voll sanfter und diskreter Bewunderung sehr wohl war.

Und dann gab er in liebenswürdiger und wohltuender Weise der Freude Ausdruck, mich in so blühender Frische vor sich zu sehen. Welche Überraschung das wohl für die Meinen sein würde, deren noch ganz warme Grüße er mir übrigens zu bringen hätte – und die schon jetzt ganz fassungslos wären vor Glück – meine Mutter natürlich am meisten....

»Sie zweifeln doch nicht daran, gnädiges Fräulein?« fragte er vorwurfsvoll auf mein unwillkürliches Lächeln....

»Gott bewahre – aber – pardon, ich bin in Gedanken bei der Depesche meiner Mutter, die mich etwas erregt und neugierig gestimmt hat.« So ging ich nun aufs Ziel los.

»Ihre Frau Mutter hat Ihnen Andeutungen gemacht, um was es sich handelt?«

»Nur über Ihre Jugendfreundschaft zu meinem Vater, und daß Sie mich eigentlich in Zürich aufsuchen wollten.«

»Ja, aber merkwürdigerweise waren wir ohnedies auf dem Wege nach Glarus. Ein großes technisches Unternehmen hier – interessiert uns aus verschiedenen Gründen.«

»Wohl der See?« sagte ich in Gedanken....

»Ah – Sie wissen also doch, um was es sich zwischen uns handelt?«

Ich war ganz betroffen. Nein, ich wußte gar nichts. War es ein Zufall? – oder hatte irgendeine unbekannte Strömung mich mit sich getragen? – Ich konnte mir zwischen den beiden Herren, dem Klönthaler See und meiner armen Person nicht die mindeste Beziehung denken.

Herr Hillmann warf mir wieder einen seiner weichen, schmeichelnden Blicke zu und strich dann mit der feinen, unberingten Hand über die Augen.

»Es ist keine leichte Sache,« sagte er, »mit einer geschäftlichen Angelegenheit über Sie herzufallen. Der Geschäftsmann möchte hinter dem Freund ganz und gar verschwinden.«

»Warum denn? Der Freund kann ja für den Geschäftsmann – wie Sie sagen – sprechen.«

»Sie haben recht, liebes Kind – gestatten Sie mir diese Anrede.... Ihr Vater und ich sind wirklich nahe Freunde gewesen.... Schul- und Studentenzeit hindurch, bis zu seinem frühen Tode.... Und darüber hinaus.... Seine sorgende Freundschaft hat mir mein Leben aufbauen helfen.... Und nun hören Sie gut zu, um was es sich handelt, damit Sie sich überlegen können, ob Sie meine Bitte gewähren wollen.«

Ich habe gut aufgepaßt, und mir, was ich nicht gleich verstand – denn es war mir alles neu – wiederholen lassen. Die Sache ist folgende, ich mache sie mir im Aufschreiben noch einmal klar:

Mein Vater hat seinem Freunde Hillmann, der damals ein unbekannter und vermögensloser Ingenieur war, und für dessen Pläne er sich lebhaft interessierte – es handelte sich um neue Konstruktionen von Brückenträgern und irgendwelchen Maschinen – kurz vor seinem Tode ein großes Kapital, 200 000 Mark auf zwanzig Jahre, mit vier Prozent verzinsbar, geliehen, – Herrn Hillmann oder seinem Rechtsnachfolger, wie es heißt.

Nachdem er gestorben war, hatte Mama zuerst die Verwaltung des ganzen hinterbliebenen Vermögens, von dem die Hälfte mir gehörte, übernommen, sich aber bei ihrer zweiten Heirat mit meinem Vormund auseinandersetzen müssen. Mein Anteil war auf Wunsch meines Stiefvaters ganz für sich niedergelegt worden. Nur das Kapital, das in den Fabriken des Herrn Hillmann festlag, war von der Teilung ausgenommen geblieben.

Man hat mir, als ich vor drei Jahren mündig wurde, wie ich mich auch ganz dunkel erinnere, davon Mitteilung gemacht. Ich habe aber auf die einzelnen Posten nicht geachtet und alles unterschrieben, was mir auf dem Gericht vorgelegt wurde. Die Zinsen sind nach wie vor an Mama gegangen, die sie dann auf mein Bankkonto eingezahlt hat. Natürlich hat mein Stiefvater das besorgt, denn Mama versteht von diesen Dingen noch weniger als ich.

Nun sind in einem halben Jahre die zwanzig Jahre um, und Herr Hillmann hat auf seine Anfrage von Papa eine Kündigung des Anteils von Mama erhalten. Das ist ihm im Augenblick sehr unangenehm, da er mit seiner ganzen Kapitalkraft auch außerhalb der eigenen Maschinenwerke in großen Unternehmungen festliegt. Er ist darum nach Gastein gegangen, um durch persönliche Rücksprache eine Verlängerung von fünf Jahren zu erwirken.

Mama wäre in Erinnerung an die alte Freundschaft wohl nicht abgeneigt gewesen, seinen Wunsch zu erfüllen, aber mein Stiefvater hätte klipp und klar und mit Gründen, gegen die er, Herr Hillmann, nichts hätte erwidern können, alles abgeschlagen. Meinen Entschluß wolle er in keiner Weise beeinflussen, das Geld seiner Frau müßte er aber unter allen Umständen herausziehen.

Da hätte Mama ihm den Rat gegeben, mit mir zu sprechen, da für mich die Erwägungen, die für sie als Familienmutter ausschlaggebend wären, nicht in Betracht kämen. Vielleicht, so hätte sie gemeint, würde ich gern an die Stelle meines verstorbenen Vaters treten.

Das zu tun, und auch Mamas ihm entzogenen Anteil, wenn irgend möglich, aus meinem anderweitigen Kapital zu ersetzen, wäre, kurz gesagt, seine Bitte an mich. Das Geld stände sicher, ich erhielte es verzinst wie bisher, und ihm erwiese ich eine Gefälligkeit, für die er mir stets dankbar bleiben würde.

»Was soll ich nun antworten?« dachte ich. »Warum stellt man mich vor eine solche Entscheidung? Wer rät mir? Vielleicht ein Rechtsanwalt? Mein Vormund ist tot, mein Stiefvater lehnt es ab, und seine Ansicht liegt ja auch in seinem eigenen Vorgehen.

Dazu brannten die dunklen Augen dieses Mannes – ich kann nicht anders sagen, als beunruhigend – in die meinen, und ich muß es vor mir bekennen, daß etwas in mir sich ihm unterwarf.«

»Ich habe ja keine Ahnung, was ich Ihnen antworten soll,« quälte ich mir endlich ab.

Da fing er noch einmal an mit Zahlen und Geschäftsberichten auf mich einzureden, so daß ich fühlte, er machte es wie für ein Kind zurecht.

Ich verstand doch nichts, ich wollte auch gar nicht recht zuhören. Mein Kopf und mein Rücken taten so weh. Und schließlich dachte ich: Wenn du da mit der Hand, die mein toter Vater noch gedrückt hat, meine nehmen oder mein Haar streicheln wolltest, so würde ich wenig nach Zinsen und Kapital, Maschinen, Aktien und Jahresabschlüssen fragen.

»Denken Sie nach, ziehen Sie Erkundigungen ein,« sagte er schließlich, »ich werde Ihnen Adressen dalassen. Sie werden sich ja doch, bis ein Berufener Ihnen diese Sorgen aus der Hand nimmt, damit beschäftigen müssen. Übermorgen bin ich hier und gebe Ihnen selbst noch jede gewünschte Auskunft.«

Dann sah er mich schärfer und voller Mitleid an.... »Ich quäle Sie, armes Kind, Sie sind ganz weiß geworden. Vielleicht hat mein Sohn doch recht gehabt.«

»Ja, Ihr Sohn sollte doch auch mitkommen. Wo ist er?« fragte ich gleichgültig.

Herr Hillmann sah etwas verlegen über mich weg. »Mein Sohn, – o, – er ist geschäftlich verhindert, – das heißt, offen gestanden, – mein Sohn ist ein wundervoller Mensch, – aber ein Träumer, – ein Träumer sage ich Ihnen – mit dem man sich oft kaum verständigen könnte, wenn man ihn nicht so lieb haben müßte.«

»Und?« fragte ich nun etwas neugierig.

»Ja, als wir über Sie und die Ihren eingehend sprachen, war er schließlich dagegen, Sie in meine Geschäftsangelegenheiten zu ziehen. Es würde zu weit führen, wollte ich Ihnen erklären, warum.«

Ich konnte nur verständnislos die Achseln zucken.

»Und die Meinen?« fragte ich, da er noch nicht aufstand. »Sie haben mir noch nicht erzählt, wie Sie sie fanden.«

»In vollem, fröhlichem Leben, liebes gnädiges Fräulein. Der Anblick, als wir auf die Hotelveranda geführt wurden, gab ein unvergeßliches Bild. Die immer noch schöne Mama, in jedem Arm eins der bezaubernden Mädels, – alle drei die blonden Köpfe lachend zusammengesteckt, – dazu der vornehme, schöne Vater – Herr v. Hasberg ist eine auffallend distinguierte Erscheinung.« ...

Herr Hillmann brach ab. Ich fürchte, er sah, daß meine Augen voll Wasser standen.

»Ich ermüde Sie – Sie leiden,« sagte er, »vergeben Sie mir. Und noch eins, liebes Kind ... ich weiß nicht, sind Sie ganz allein hier? – Sorgt man für Sie?«

»O, ich brauche niemand,« sagte ich schnell. »Ich bin sonst ganz frisch, nur das lange Sprechen und Zuhören heute hat mich, ehrlich gestanden, etwas angegriffen.«

»Vergeben Sie mir und hören Sie noch etwas, das mir eben durch den Kopf geht. Ich kenne Ihre Pläne nicht, weiß nur, daß Sie vorläufig noch nicht nach Gastein gehen. Ich kann Ihnen für mich keine Gastfreundschaft anbieten, denn ich führe nur eine Garçonwirtschaft, – ich bin seit Jahren Witwer. – Aber, liebes Kind, ich habe in Heidelberg einen großen und anregenden Kreis. Sie fänden da guten Anschluß und auch meine Freundschaft – von der Sie überzeugt sind, nicht wahr? Ich meine natürlich nur, bis Ihre Verhältnisse geordnet sind ... und wenn Sie nichts Besseres wissen.«

»Bis ich nach Hause gehe,« sagte ich bange.

Er sah merkwürdig ausdruckslos zur Seite.

»Sie sind sehr gut, Herr Hillmann, aber ich fühle selbst, daß ich nach dem langen Sanatoriumleben noch eine Zeit für mich sein muß, ehe ich unter Menschen gehe.«

Dann hat er mich endlich verlassen, mit herzlichen Worten und mitleidigen Blicken.

Und ich habe mich auf meine Chaiselongue geworfen und gegrübelt und in Schlaf geweint.

Dann eine Depesche an Papa mit der Bitte um Rat. Ich will äußerlich nichts versäumen, ich muß ja auch irgend jemand fragen. Was fange ich sonst an? Die Antwort lautet:

»Halte es für unpraktisch, größere Kapitalien in Privatunternehmungen zu stecken, doch will deinen Entschluß und Mamas Wunsch nicht beeinflussen. Adresse tüchtigen Rechtsanwalts Heidelberg, Liepelhausener Straße 21, Dr. Pförtner. Alles Gute von uns allen.«

Eine Stunde später noch ein Telegramm:

»Bin mit allen Gedanken und heißer Sehnsucht bei Dir, geliebtes Kind. Mama.«

Ach, ... es schreit wieder etwas in mir ganz jammervoll.

Das Glücksbild, das mir der Fremde geschildert hat, steht vor mir und peinigt mich.

Sie wollen mich nicht – ich habe es geahnt – jetzt weiß ich es.

Ich werde wie ein Gespenst in diesem glücklichen Hause auftauchen. Man glaubt nicht, daß ich gesund bin, man will es nicht glauben.

Ach, ich hasse die Familie.... Nein, ich vergehe vor Gram, und Sehnsuchtsschauer machen mich krank.

Was soll ich allein mit dem Gelde? Herr Hillmann soll haben, was er will! Er soll auch wiederkommen, er war gut gegen mich. Ich schreibe ihm gleich und gebe auch der Nationalbank den Auftrag, ihm das Kapital zu überweisen....

So, das wäre geschehen, und ich habe ein leises Gefühl von Erleichterung.... Habe ich es?

Schließlich ... was hat sich denn seit gestern abend geändert?

Gerade um diese Zeit saß ich auch an diesem Tisch und schrieb unter Glückstränen und voll seliger Ahnungen.

Ich reiße meine Fenster auf. Der Mond fließt wie gestern an dem Glärnisch hernieder, und die Bäche funkeln....

Ich will das stolze Gefühl der Einsamkeit wieder haben, wie ich es bei diesem Anblick gestern empfand, als ich noch nicht durch die geöffnete Tür gesehen hatte.

Was ist das nur?!

Ich fürchte mich hinauszutreten – es kommt niemand, wenn ich rufe....

Diese grausige Leere wird mich wieder krank machen. Ich soll mich nicht erregen, und ich fühle, das Fieber steigt auf....

Ach – ich habe Sehnsucht nach meinem Bett in Davos – ja, wahrhaftig, auch nach der Schwester und den Ärzten.

Ich brauche die Gesundheit nicht....

Ach ... meine stolze Einsamkeit heißt ... Verlassenheit....


»Wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen.« Drei Tage bin ich allein, und jeder hat mich durch Glück, Ängste, Verlangen, Haß und warmes Empfinden gejagt ...

Und jetzt? ...

Ich weiß gar nicht, wie mir zu Mut ist.... So frei – so gelöst von allem Bitteren und Schweren.... Ob ich Fieber messen soll? Meine Gedanken quirlen so merkwürdig durcheinander, und der Puls jagt....

Vorsicht! ... Jetzt will ich nicht sterben, auch nicht von neuem hinsiechen.

Ich habe einen Weg vor mir, wenigstens die Andeutung eines Weges ... und er führt in heiliges Land. Alles versinkt, was drohend und gespensterhaft vor mir aufgetürmt lag. Ich stehe da wie eine Träumende....

Aber ich will nicht phantasieren. Mich zusammenfassen will ich und mit glücklichem Bewußtsein das Erlebnis der letzten Stunde noch einmal durchleben....

Ich bin ja gesund dadurch geworden. Weg sind die gefährlichen, stechenden Schmerzen nach der furchtbaren Nacht mit ihren Todesängsten, Atemnöten und gierigen Lebenswünschen.

Auch von dem Kummer über Mamas Brief, der mir trotz der Liebesworte doch nur die Bestätigung meiner Verlassenheit brachte, fühle ich mich befreit.

Und war doch so elend. Die öden Stunden den langen Vormittag über, mit beängstigenden Zweifeln ausgefüllt, die ich mit aller Willenskraft nicht bannen konnte, wollten nicht vergehen. Wenn Herr Hillmann doch wiederkäme! So stark, so frisch und so voller Teilnahme!

Nach meinem einsamen Mittagessen lag ich im Halbschlaf und von jagenden Bildern gequält auf meiner Chaiselongue, als meine Madline, das junge Zimmermädchen, eine Karte brachte: Herbert Hillmann, Dr. ing.

Ich fuhr in Enttäuschung auf ... Die Worte Herrn Hillmanns über seinen Sohn fielen mir ein.

Gut, des Vaters wegen wollte ich ihn mir ansehen – aber über die Geldangelegenheit würde ich mit ihm nicht sprechen. Dieser elende kaufmännische Jargon sollte mir nicht noch einmal eine Stunde verderben.

Müde und so in Gedanken, daß ich nicht einmal einen Blick in den Spiegel warf, schleppte ich mich in den kleinen Salon, und da stand er, eine dunkle Silhouette gegen den hohen, hellen Wandschirm.... Nichts von der Stattlichkeit des Vaters, mich selbst mit seiner schmalen Gestalt nur um weniges überragend. Nichts von dem Fluidum des herrschenden, sieggewohnten Mannes, das gestern von dem Vater wie ein Funke auf mich übergesprungen war.

Ein hageres, durchgearbeitetes Gesicht mit sehr hoher Stirn, ganz beherrscht von hellen Augen voller Stetigkeit und Klarheit – eine feste, kühle Hand, die meine heiße einen Augenblick herzhaft drückt.

»Sie sehen aber gar nicht so übermäßig frisch aus,« sind die ersten Worte, die ich von der hallenden Stimme höre, deren Klangfarbe mich ganz hinnimmt.

Ich wundere mich über diese Aufrichtigkeit und sage ebenso offenherzig: »Daran ist Ihr Herr Vater schuld.«

»Haben Sie trotzdem ein wenig Zeit für mich?«

»Natürlich.«

Er interessierte mich als völliger Gegensatz zu seinem Vater doch zu sehr, als daß ich hätte Nein sagen mögen.

Und so setzten wir uns, und ich wartete. Nach einer kleinen Pause sagte er:

»Ich komme auf eigene Rechnung und Gefahr....«

»Warum Rechnung, und warum Gefahr?« warf ich in meinem üblichen, flirtbereiten Ton hin, mit dem ich immer Anschluß zu finden pflegte.

Das war hier nicht der Fall.

Mein Besuch schien zu überlegen, sah zur Seite und dann wieder mich an. Sehr ernst und forschend.

»Woraufhin prüfen Sie mich, Herr Doktor Hillmann?«

»Auf die Möglichkeit, von Ihnen ausgelacht oder als zudringlich abgewiesen zu werden....«

»Ja, um was handelt es sich denn?«

»Im Grunde um nichts Positives. Ich wollte Ihnen die Hand drücken, Ihnen sagen, daß Sie mir leid tun, daß ich Sie bedaure.«

Mir wurde etwas unbehaglich zumute.

»Ja, vielleicht bin ich zu bedauern, aber, mein bester Herr Doktor, das pflegt man doch, auch wenn man Grund hat, es anzunehmen, den Leuten nicht so ohne weiteres ins Gesicht zu sagen.«

»Das ist wohl wahr, und wenn es Sie verletzt, muß ich um Verzeihung bitten und meinen Hut nehmen.«

»Nein, das werden Sie nun natürlich nicht. Sie werden mir erklären, warum Sie hergekommen sind und warum Sie mich so offen Ihres Mitleids versichern.«

»Ich konnte doch nicht anders.«

»Das ist mindestens etwas ungewöhnlich.«

»Es weicht von den gesellschaftlichen Regeln ab,« sagte er wie in Gedanken und sah mich unverwandt an.

Und dabei glitt über sein junges, scharfes Gesicht ein so seltsam träumerischer, weicher, liebevoller Ausdruck, daß ich mich plötzlich bis ins Tiefste erschüttert fühlte. Und wußte doch nicht, warum. Aber ich konnte ihn nicht mehr ansehen, ich mußte auf den Fußboden starren, weil ich fürchtete, ich würde anfangen zu weinen....

»Ich hatte mir, offen gestanden, das alles anders gedacht,« sagte er dann etwas freier. »Als ich in Gastein von Ihnen sprechen hörte, habe ich mir ein hilfloses, kränkliches, junges Mädchen vorgestellt, und nun finde ich eine schöne, sichere und heitere Weltdame. Nein, heiter sind Sie doch nicht.«

»Welch ein seltsames Gespräch! Mir ist noch niemals etwas Ähnliches begegnet. Gestern mit Ihrem Vater, und ...«

»Damit habe ich nicht das mindeste zu tun, wie ich schon bemerkte,« entgegnete er eifrig.

»Nun, die Angelegenheit ist auch ein für allemal erledigt,« sagte ich, eigentlich um festen Boden zu gewinnen. »Ihr Vater hat seine Antwort und meine Bank ihren Auftrag.«

»Sehen Sie,« sagte er, mit einem Ruck sich aufrichtend, »das gerade ist nun auch etwas, das mich in Ihrem Interesse beunruhigt und über das ich mit Ihnen sprechen will, weil ich es mir ungefähr so vorstellte.«

»Ich verstehe kein Wort. Sie meinen vielleicht, daß ich das Geld doch verlieren könnte.«

»Dieses Geld nicht. Dafür bürgt mein Vater. Aber wie durften Sie so schnell entscheiden? Wie kann man Sie in solchen Dingen ganz sich selbst überlassen?«

»Man hat mich wohl immer mir selbst überlassen,« fuhr es mir heraus. »Eigentlich aber müßte ich Ihnen antworten: Ich bin mündig, und mein Entschluß hat seine Gründe.«

Er sah mich wieder zweifelnd und traurig an.

»Es wäre ja immerhin möglich, daß ich mich geirrt habe, daß Sie gar nicht so hilfsbedürftig sind und so allein, wie es mir den Anschein hatte« ....

Mir war, als hätte ich einen Peitschenhieb von diesem fremden Mann empfangen.

»Was wollen Sie von mir? Was kümmert Sie mein Alleinsein? Wie kommen Sie zu solchen Reden?«

Ich glaube, ich schrie ihm das zu. Und er war eine kleine Weile still. Dann sagte er:

»Ich wollte Ihnen helfen. Ich wollte mit Ihnen sprechen als Mensch zum Menschen. Und in Ihrem blassen Gesicht liegt etwas, das mir sagt, ich habe recht getan, als ich meiner Eingebung folgte, und ich will auch ohne konventionelle Bedenken reden, wie ich's mir vorgenommen habe.«

»Ja, was denn nur? – was denn?«

»Liebes Fräulein, ich ging mit meinem Vater nach Gastein – übrigens ohne die näheren Verhältnisse zu kennen – um die Geldangelegenheit ordnen zu helfen, von der Sie ja wissen und an der Sie beteiligt sind. Wir kamen in eine Familie, die mit dem ganzen Egoismus der Glücklichen zusammengeschlossen stand – gegen ...«

»Gegen mich?!«

»Gegen etwas, das sie als unverdientes Schicksal zu empfinden schien.... Die sich wehrte gegen das, was Sie hineintragen könnten, Krankheit, Siechtum, Rücksichtnehmenmüssen.«

»Und das hat man Sie, den Fremden, merken lassen? Mein Stiefvater mit seiner Weltläufigkeit? Meine Mutter – meine Mutter? – ich glaube Ihnen einfach nicht.«

Ach, ich glaubte ihm wohl. Ich hätte ihm von den Einsamkeitsschauern erzählen können, die mich heute Nacht zerbrochen und die Sehnsucht nach meinem Krankenanstaltsleben neu aufgeweckt hatten ...

Ich tat es nicht, noch nicht. Aber als ich aufsah, diesem jungen Menschen ins Gesicht, das wie durchleuchtet schien, von etwas Gutem, Hohem, Hilfsbereitem, da stieg plötzlich, mit einem scharfen Herzstich zugleich eine große Gier nach dem Menschen, dem Genossen in mir auf, an den ich mich anklammern konnte in schwarzen Stunden, wenn die eisige Furcht angeschlichen kam.

Dieses Gefühl tauchte auf und ging, wie eine Ahnung, wie ein Traum.

»Einmal, vor ein paar Jahren,« sagte mein Gast dann, »als ich in einer verzweifelten Lage war, aus der ich, weltfremd, jung wie ich war, keinen Ausweg mehr sah – ich will Ihnen später einmal, wenn sich's so fügt, davon erzählen – kam ein großer und guter Mensch ganz unerwartet zu mir. Ein Zufall hatte ihn meine Not ahnen lassen und, ohne mich zu kennen, kam er und half mir, ganz uneigennützig und ohne jede äußere Veranlassung. Das Leben führte uns verschiedene Wege, wir haben uns seitdem nie mehr gesehen, aber ich habe mir damals gelobt, wenn ich je von einem hören würde, dem es nützen könnte, daß man ihm die Hand entgegenstreckte, dann wollte ich es tun. Versuchen, ob ich ihm helfen könnte, wie mir damals geholfen wurde. Nur ihm sagen: da bin ich, ich will mit dir in deiner Einsamkeit beraten, welchen Weg du gehen mußt, wie du dein Leben für dich und deinesgleichen ausnützen kannst, lieber Bruder oder liebe Schwester!«

Wenn ich ein langes, langes Leben vor mir habe, diese Worte werden in mir fortklingen, wie sie jetzt in mir zittern, wie sie vorhin heiße Tränen in meine Augen drängten.

»Und so haben Sie mich gesucht, auch ohne etwas mehr von mir zu wissen, als daß es mir nicht gut gehen dürfte, daß ich allein wäre?«

»Die in die Augen springende innere Kälte Ihres Stiefvaters, seine schroffe Ablehnung, Ihnen in der besprochenen Geldangelegenheit zu raten, machte mich auf Ihre Lage aufmerksam. Dann schlug Ihre Mutter vor, Sie nach Gastein kommen zu lassen. Herr von Herholz wies das unbedingt ab. Sie hätten selbst wohl das richtige Gefühl gehabt, daß es nicht anginge, aus einem verseuchten Hause in eine erholungsbedürftige Familie hineinzufallen. Da müßten vorher noch Übergänge geschaffen werden. Sie wären sicher wohl besser orientiert über Orte, in denen Genesende eine zusagende Unterkunft fänden, an denen es sich herausstellte, ob sie wirklich Genesende wären – und in dem Ton weiter.«

Ich kannte diesen Ton. Der Hals wurde mir trocken. »Und Mama?«

Ich solle versuchen, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sie habe nach etwas bewegtem Hinundher zugestanden, daß sie als Mutter gesunder Kinder Opfer zu bringen hätte, auch wenn sie innerlich auseinandergerissen würde.... Von da ab hätte er immer und immer an mich denken müssen! ... Das arme Mädchen, wie mag es leiden, wie einsam sein im Vergleich zu den lachenden blonden Schwestern, die mit ihrem blühenden Leben den ganzen Raum füllten. »Nein, sagte ich mir, ganz allein soll die andere nicht bleiben, und sich nicht darum grämen, daß die Familie die Tür vor ihr zuschließt. Meine eigene dunkle Lebensstunde stand wieder vor mir, ich fühlte wieder die Hand meines gütigen Retters auf meinem Kopf, und da war ich auch schon entschlossen: Jetzt versuche ich, ob ich ein Mensch bin, der es wert ist, einem anderen, der es dunkel hat, ein bißchen Licht zu bringen. Die Auseinandersetzung mit meinem Vater habe ich Ihnen nicht ersparen können, so sehr ich mir das auch gewünscht habe – aber – nun – wenn Sie einen brauchen – zum Aussprechen, zum Plänemachen, nur um da zu sein, wenn Sie einen Zusammenhang mit dem Leben suchen....«

Ich griff nach den ausgestreckten Händen und hielt sie fest.

Und dann haben wir lange gesprochen. Zuerst habe ich erzählt von allem, was bisher mein Leben ausgemacht hat, von allem Leid, mit dem wir Armen uns von Anstalt zu Anstalt schleppen, von Wehrawald nach Andreasberg, nach Arosa, nach – lieber Gott, überall hin, wo man ein bißchen Lebensluft aufzusaugen glaubt und wo die gierig um sich greifenden Hände doch schließlich immer nur den einen fassen: den Zerstörer. Von den vielen, die, von der Familie ausgestoßen, wie ich, allein und in jammervoller Sehnsucht nach einem Zuhause in den Tod mußten.

Da hat mein neuer Freund mich unterbrochen: Ich wäre jetzt in der Lage, mich innerlich von der Familie zu lösen oder mein Verhältnis zu ihr auf einer anderen Basis neu zu erbauen, wenn ich den Zusammenhang nicht entbehren könnte.

Es verwirrte und erregte mich zuerst ganz, was er im Anschluß daran sagte, aber als ich ihn begriff, tat sich eine neue Welt vor mir auf, und meine Seele wurde groß und weit.

Die hohen und guten Worte, mit denen er in mich eindrang, vermag ich nicht zu wiederholen, aber ich fühle jedes, und es soll in mir wachsen.

Die klagenden Stimmen hinter den Freuden der Welt vernehmen und ihnen nachgehen, sagt er, den mitleidenden Menschen zeigen ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht oder Stand. Den Gedanken des Entbehrens ausschalten, – das Bewußtsein des geistigen und gemütlichen Überflusses, von dem man geben und immer geben kann, in sich stärken, – durch das eigene reine Menschentum den Menschen in dem anderen wachrufen, – und so in aller Stille eine menschliche Gemeinsamkeit mitschaffen helfen, die unter der Asche der gesellschaftlichen Einrichtungen tief verschüttet liegt.

»Wieviel selbstverleugnende Güte muß man sich aber erwerben, um solche Wege gehen zu können,« sagte ich endlich. »Ich bin sicher nicht gut genug dazu.«

»Das kann ich noch nicht beurteilen, aber seien Sie es zunächst mit dem Verstande, tun Sie vor sich selbst so, als ob Sie es wären. Nach dem ersten Erfolg wird ein Glücksgefühl in Ihnen erwachen, das mit nichts vergleichbar ist. Und damit zugleich wird Ihre Macht, Irrungen, Trübsal, Einsamkeiten zu bannen, stetig wachsen. Mit Ihren Hilfsmitteln, Schönheit, Temperament, Reichtum, ist sie von vornherein sehr groß.«

Er sah mit seinen lichtvollen Augen über mich weg.

»Sind Sie denn glücklich auf diese Weise, und brauchen Sie nichts anderes?« fragte ich.

»Wenn ich mit der Überzeugung von Ihnen gehe, daß ich den Willen zum Glück, wie ich es verstehe, in Ihnen erweckt habe, daß Sie meiner kleinen heimlichen Gemeinde angehören und dadurch für sie werben wollen, werde ich da unten in einem Rausch herumlaufen und nach Ihrem Licht sehen, als ob es aus einer anderen Welt käme.«

Das Herz brannte in mir. Ich habe die Arme ausgebreitet, mein Gesicht an seines gelegt und ihn fest an mich gepreßt. Und es ist kein Hauch von Liebesverlangen in mir gewesen. Nur ein heiliges, machtvolles Gefühl von Gebundensein an ein Wesen meiner Art.

... Morgen früh kommt er wieder, und wir werden überlegen, wohin ich gehen, was ich zunächst mit dem Leben beginnen soll.

Leben ... Leben ... alles ist, wie es war. Draußen ragt der Glärnisch gegen den dunkelnden Himmel. Glocken läuten wie gestern das Ave, und geschäftige Menschen laufen hin und her.

Wer seid ihr, meine Brüder, meine Schwestern? Was freut euch? Wie leidet ihr?

Ich sitze an demselben Platz, allein wie gestern und immer, aber es braust um mich und in mir wie ein mächtiger Orgelklang....


Man läutete zum Diner.

In dem Speisesaal hatte die Hotelgesellschaft an den kleinen, runden Tischen Platz genommen, die mit ihrem Blumenschmuck und den gelbumschirmten Lichtern lustig und festlich aussahen.

Einer, an dem die junge Dame von Nummer 27 sonst gesessen hatte, war noch leer.

Eben aber fragte man nach ihr.

Eine einsame Nachzüglerin kam mit hastigen Schritten vom nahen Bahnhof und trat in die Vorhalle zum Eßsaal. Mit schriller, kleiner Stimme rief sie der Saaltochter französisch zu, daß sie Fräulein Sargent, deren Gesellschafterin sie sei, zu sprechen wünsche. Geschwätzig erzählte sie dem sie hinaufgeleitenden Mädchen, daß Madame, die Mutter des Fräuleins, sie hergeschickt und daß sie, Edina Petitpierre, Fräulein Sargent sozusagen großgezogen hätte.

Das Zimmermädchen klopfte. Edina Petitpierre trat ein.

In dem Korbsessel am Fenster vor dem Schreibtisch lehnte Lydia Sargent.

Eine große Bogenlampe leuchtete von der Straße her mit milchweißem Schein in ihr Gesicht.

Mit ausgebreiteten Armen lief die alte Französin auf das Fenster zu.

»Chérie, est-ce que tu dors?«

Aber Lydia Sargent schlief nicht.

Sie atmete nicht mehr.

Ein dünner Blutfaden sickerte aus dem linken Mundwinkel.

Aus dem weißen Gesicht mit den weitgeöffneten, blicklosen Augen lag ein Ausdruck verklärten Staunens, als ob sie unsagbar Feierliches und Schönes hörte und sähe.

Enrique Bisterro und Heinrich Biester

... Das alte Tor warf einen wunderlichen, langgestreckten Schatten auf den großen Marktplatz, sonst lag gelbe, glühende Sonne auf der ganzen Fläche, in deren weitem Rechteck sich nichts regte.

Und ringsum standen die alten, kleinen Häuser, gerade wie sie vor zwanzig Jahren dagestanden hatten – eins oder das andere wohl mit grellem, neuem Anstrich versehen – die meisten grau, dürftig und hier und da mit schwarzen Firmenschildern gezeichnet, die auch schon alle vor langen Zeiten da ebenso gehangen hatten.

Nicht einmal die Namen waren andere geworden. Und das war auch schon immer so gewesen. Die Ignee, die Pflug, die Voß, und wie sie sich auf den Schildern nannten, schliefen schon damals lange. Die Leute, die in den kleinen Läden mit dem gleichen Kram weiter handelten, hießen vielleicht Wiesenberg und Gädicke und Cohn – aber der alte Geist, der Geist der Ignee, der Pflug, der Voß, regierte weiter, und unter seinem Zeichen schien das ganze kleine Nest wohl auch heute noch zu leben, in dem gleichen Tempo, mit den gleichen Bedürfnissen und den gleichen Ansprüchen.

War das wirklich möglich? ...

An einer der Eingangstraßen zum Markt stand ein Mann, der eben den langen, sonnigen Weg von der Station zur Stadt geschlichen war und mit einem bänglichen, erwartungsvollen Gefühl, wie es seinen Jahren gar nicht mehr zukam, auf diesem stillen Platze Umschau hielt.

Die Sonne tat ihm nichts. Die hatte ihm in Südamerika auf dem schattenlosen Plateau von Caracas in langen Jahren den Körper ausgetrocknet. Hier streichelte sie den Fröstelnden nur mit ganz leisem Finger und störte seine Gedanken nicht.

Gedanken waren es übrigens kaum. Nur unbestimmte Empfindungen. Und auch die kamen nicht von innen heraus – nein, sie strömten aus den kleinen Häusern ringsherum auf den schmalbrüstigen, hüstelnden Mann zu und zerrten tüchtig an ihm herum. Er widerstrebte nicht, aber er wunderte sich, denn diese wehmütigen, beunruhigenden Dinge, die um ihn raunten und durcheinander flatterten, waren gar nicht mit dem verknüpft, was hier vor langer Zeit seine junge und heiße Jugend ausgemacht hatte.

Die Gestalten, die unklar und schattenhaft um ihn her auftauchten und zu ihm flüsterten, waren keine, die in seinem Empfinden eine Rolle gespielt hatten. Sie sahen nur wie zufällig aus den Fenstern ringsum – der alte Bluhm mit dem würdevollen Gesicht und dem schneeweißen Schifferbart – der alte Puppel, der sich bis an sein Lebensende nicht hatte beruhigen können, daß er Töpfer Walters Tochter nicht hatte heiraten dürfen – eben huschte auch sie, ein verschrumpeltes altes Jüngferchen, mit mächtigem, buntem Strickbeutel schemenhaft um die Ecke – die Faktorsfrau Blez, die täglich in die Apotheke geschlichen war, um »Hoffmannstropfen« zu holen – und so viele andere noch, die das tägliche Leben des damals jungen Provisors gestreift hatten, ohne daß er ihnen näher gekommen wäre.

Der Fremde strich mit der Hand über die feuchte Stirn und sah sich noch einmal um.

»Dummes Volk, was wollt ihr eigentlich von mir?« dachte er mit wehmütigem Lachen – »wenn die anderen nicht kommen – die beiden Alten – der Merten – und alle, alle, mit denen ich in der Erinnerung was zu tun gehabt habe.«

Nein, die kamen nicht. Auch die kleine schwarze Käthe kam nicht. Und die anderen, die eben noch um Heinrich Biester – oder, wie er schon seit langen Jahren hieß, »Enrique Bisterro« – herumgegaukelt waren, die verschwanden auch. Und nun lag der Marktplatz wieder leer und sonnendurchglüht da wie jeder andere in jedem anderen eingeschlafenen Landstädtchen um die Mittagstunde.

Ein paar Hunde, die in dem schmalen Schattenstreif an den Häusern die Einsamkeit bewachten, wurden auf den fremden Mann aufmerksam. Der Wolfsspitz, der sich ihm zunächst sielte, stand auf und fing zu bellen an.

Da öffnete sich das Fenster in einem niedrigen ersten Stock, und eine junge Frau mit großen, verschlafenen Augen sah auf den noch immer stille Stehenden. Sie rief etwas ins Zimmer, da kam auch ein Mann mit rotem, verarbeitetem Gesicht, und beide fragten voller Staunen ohne Worte herunter: Was willst du denn hier? Was suchst du denn hier? ...

Ja, was wollte er hier? Er ging nun weiter auf das einzige größere Haus zu, das neben dem alten Ordenstor in tiefem Schatten stand. Es war die Apotheke, und dahin wollte er....

Sein eigenes Haus – auch eine Apotheke – in Entechua in Caracas, war ein leichtgebautes Holzhaus mit herumlaufenden Veranden. Er hatte mit der Zeit aus der schmucklosen Bude, die er vorgefunden, mit den reichlichen Mitteln, die er daran wenden konnte, etwas sehr Zierliches, Hübsches und Zweckmäßiges gemacht.

Sogar seine Frau, Doña Eustachia, von der doch alle Welt wußte, daß sie sehr große Ansprüche an Behaglichkeit stellte, war mit ihrer Hazienda sehr zufrieden, und wenn sie gut aufgelegt war, lobte sie ihn wohl auch einmal für sein Bauwerk und nannte ihn einen destinguido arquitecto.

Das schönste an seinem Besitztum aber hatte ihm die Natur geschenkt. Der Blick auf die mächtigen Bergschroffen war von einer unerhörten Großartigkeit, und von dem weiten Bogenfenster seiner Offizin aus sah er beständig eins der herrlichsten Bilder der Welt: den Bergpfad, unten von schaukelnden Yukkas bestanden, weiterhin an einer halben Kehre in geheimnisvollem Blau verlaufend. Menschen und Tiere, fremdartig und bunt gekleidet und gezäumt, belebten ihn.

Und alle trugen ihm Brot hinunter ins Haus.

Er war heute ein reicher Mann, verglichen mit seinem ehemaligen Prinzipal hier, obgleich der für ihn doch damals schon längst zu den oberen Zehntausend gehört hatte.

Manchmal in seinen Träumen sprach er mit ihm und rühmte sich seines Reichtums und seiner Angesehenheit und sagte:

»Sehen Sie wohl, als ich Lehrling bei Ihnen war und dann Provisor, da hielten Sie immer nichts von mir. Ihre Käthe gaben Sie mir nicht und sagten: ›Heinrich Biester, Sie sind ein Faselkopf und werden auf keinen grünen Zweig kommen. Bleiben Sie im Lande, und nähren Sie sich redlich. Solch ein ausgemachter Phantast wie Sie gehört zu Muttern, die ihn an der Strippe hält, und nicht in die weite Welt ...‹

Das sagten Sie, lieber Herr Prang; und ich bin doch gegangen und an einen der herrlichsten Orte der Welt gekommen. Da stand schon alles für mich bereit: die Apotheke, die auf einen Herrn wartete, und die wunderschöne Tochter darin. Und alles, alles hab' ich gewonnen und noch viel Hab und Gut dazu. Sehen Sie da: Weib und Kind und Freunde und gute Nachbarn und – welch ein Leben!«

Er schilderte es mit prunkenden Worten, und dann – immer im Traum – pflegte Herr Prang ihm begeistert die Hand zu drücken und ihn und sein selbstgeschaffenes Los über alles Sagen und Denken zu preisen ... Und alles auf spanisch ...

Aber am Tage, wenn die Sonne näher und näher kam wie ein glühendes Gespenst, das den Atem aufsaugen will – er konnte nicht schlafen wie Doña Eustachia in ihrem Schaukelstuhl und die schwarzhaarigen Kinder, die zusammengerollt auf den Matten der Veranda herumlagen – dann fiel alles Spanische und alles Rühmenwollen von ihm ab, und eine ganz klägliche, tränenselige Sehnsucht nach dem kleinen Nest im fernsten Osten Deutschlands, nach der schattenkühlen Apotheke darin mit der großen mahagonigetäfelten Vorhalle und den herumlaufenden ausgesessenen Bänken kam angeschlichen und hielt sein Herz so fest umkrampft, daß es gar nicht mehr schlagen wollte ...

Wenn es Abend wurde, dann war's wieder besser. Dann fielen Heimweh und Melancholie wie lästige Schleier von der Seele, und der frische Bursch wachte auf, der dem alten Lande kurz entschlossen den Rücken gedreht hatte, als das Glück ihm dort nicht willfährig gewesen war.

Hier genoß er es nun. Er saß mit den Seinen und den neuen Freunden an dem fremden Strom ... er sah die violetten Schatten den Monte Avila hinaufklimmen und das Kreuz an dem schwarzblauen Himmel funkeln. Die Fächer klapperten – langgezogene, dunkeltönige Melodien klangen um ihn her, starke Düfte berauschten, und schöne, braune Menschen mit seltsam gehaltenen Bewegungen redeten in vertraut gewordener Sprache über Tages Freud und Leid.

Dann flogen nur flüchtige Gedanken in das kleine Städtchen hinüber, das plötzlich nüchtern und kahl schien – ein Wunsch: könntet ihr doch einmal hier sein und mich sehen, ihr alle, die ihr in Enge und Philisterei dort eingerammt geblieben seid ... und im Traum sprach er dann wieder mit dem Prinzipal und rühmte sein Glück und sein Leben in der neuen, schönen Heimat.

Tageswerk und Gewohnheit arbeiteten natürlich nicht umsonst daran, das allzu Unausgeglichene in diesen beiden Stimmungen zu mildern – ganz gelang es aber nie.

Die Leute um ihn sagten zuweilen, wenn sie ihn so vor ihren Augen zusammenfallen und sich wieder aufrichten sahen: »Der arme Don Enrique leidet an den Giften in seiner Apotheke.«

»Ach nein,« pflegte er dann zu erwidern, »die Sonne ist hier zu stark. Mein Organismus ist auf so viel Glut nicht eingerichtet.«

Allmählich, als die Jugend Abschied genommen hatte, fing er auch körperlich zu kränkeln an. Das Fieber kam. Es warf ihn nicht ganz nieder, es riß nur immer ein bißchen an ihm herum. Er konnte seines Lebens gar nicht mehr froh werden.

Und seine Freunde, der »große« französische Arzt Terrifet, der einen neuen Nasenspiegel erfunden hatte, und der gute, kleine deutsche Pastor, der aus lauter Selbstzucht und Tugend nur einmal im Jahr in seinem vergötterten Gottfried von Straßburg las, beratschlagten, was sie mit ihm anfangen könnten. Weil neuerdings in seinen halben Fieberreden die alte Apotheke in der deutschen Heimat mit dem dunklen Holzgetäfel und den breiten Bänken wieder auftauchte, faßten sie nach vielem Hin- und Herdenken den Entschluß, ihn zu einer Erholungsreise in das Jugendland zu überreden.

Doña Eustachia, im Lauf der Jahre sehr fromm und sehr dick geworden, hatte den Torheiten der Eifersucht auf fremde Weiber und fremde Länder längst entsagt. Sie redete darum mit den Freunden eindringlich auf den armen Señor Enrique ein, sorgte in ungewohnter Hausmütterlichkeit für äußerliche Reisebequemlichkeiten und versöhnte sich sogar mit dem assistente, der ihr sonst ein Dorn im Auge, weil er kein Messenläufer war ...

Und so kam es denn, daß sich Señor Enrique Bisterro nach einer wie im Traum vergangenen Fahrt, nach zwanzig langen »süß und bitteren« Jahren an diesem heißen Julivormittag auf dem Marktplatz in Bartenberg und vor der dunklen Tür seiner alten Apotheke als Heinrich Biester wiederfand ...

Nun stand er da und sah mit übergehenden Augen auf den blanken Messingklopfer, der ihn ehemals in der Nacht oft aus beginnendem Schlaf geschreckt hatte. Schwerfällig ging er die zwei ausgetretenen Steinstufen hinauf. Es war nicht Sitte, bei Tage mit dem Löwenkopf an die Tür zu hämmern, denn sie war nur nachts geschlossen. Das hätte er wohl noch wissen können, aber in Gedanken tat er's doch und erschrak zugleich über den hallenden Klang.

»Mit solchem Geräusch in die alte, stille Halle zu kommen,« dachte er unwillig und drückte die Klinke auf. Aber sie gab gar nicht nach, bis endlich auch von innen dagegen gedrückt wurde. Erst dann ging sie auf, und er bohrte die gierigen Augen über die Person weg, die ihm geöffnet hatte, in das dunkle, kühle Paradies seiner Träume.

Ein paar brennende Tropfen waren ihm über die Backen gelaufen, ohne daß er darauf geachtet hatte – aber nun, nun stand er wie erstarrt da und sah und sah ...

»Wer sind Sie denn, und was wünschen Sie?« fragte man ihn.

Er schob die Fragende beiseite und sah wie verzaubert um sich.

Was war das nur?

Statt des rotdunkeln Holzgetäfels und der Bänke um Wände und Fensternische herum sah er einen weiten, weißen Raum mit viel grünen Palmen darin, Palmen und feinblättrigem Bambus. Schaukelstühle und Strohsessel standen auf den Matten wie bei ihm zu Hause. Es war überhaupt, als erinnere ihn manches an seine Veranda in Entechua. Verwirrt blickte er nach dem abgeteilten Raum, in dem der Verkaufstisch und die Medikamentenschränke stehen mußten. Da war er, aber der Tisch stand nicht mehr drin, und der dunkle Holzbogen der ihn von der Halle trennte, war wie ein großes Fenster von Hängepflanzen eingerahmt. Die Flaschen und Kruken waren von der Wand verschwunden, dafür leuchtete eine tropische Berglandschaft, von einer orangegelben Sonne bestrahlt, wie ein matter Gruß der gewohnten Glut und Farbe zu ihm herüber.

Er mußte die Augen schließen, denn er glaubte im Fieber zu sein. Der feine Apothekenduft, der noch alles durchdrang, ermunterte ihn.

»Ich wollte doch in die Prangsche Apotheke,« stammelte er und machte die Augen wieder auf.

»Ja, wo kommen Sie denn her, daß Sie die hier noch suchen?« fragte eine hohe, helle Stimme. »Sie mußten in das Haus nebenbei gehen.«

Da rüttelte er sich zusammen und sah wieder mit nüchternen Blicken um sich.

Vor ihm stand eine zierliche Frau in einem weißen Kleide von etwas phantastischem Schnitt. Sie hatte ein bläßliches Gesicht mit sprechenden, dunklen Augen und sah ihn halb lachend und halb ungeduldig an.

»Verzeihung, Señorita, aber wer sind Sie eigentlich?«

»Señorita?« fragte das Mädchen erstaunt. »Nun, ich bin doch Justine Prang – aber Sie, wer in aller Welt sind ...?«

Da schrie Enrique Bisterro ordentlich auf.

»Sie, Sie sind das kleine Justinchen ... Sie? ... Und Käthe? ... Und der Vater? ... Und wo ist meine Apotheke geblieben?«

Er war sehr schwach, der Arme – sonst hätte er sich nicht so schwer in den weißen Korbstuhl sinken lassen und so atemlos und bang um sich gesehen. – Und er hätte wohl auch bemerkt, daß das Mädchen geisterhaft blaß vor ihm zurückwich und ebenso bang suchend nach ihm starrte, wie er nach den verschwundenen Bildern seiner Jugend.

Sie faßte sich dann wohl zuerst.

»Sind Sie etwa ...?«

»Enrique Bisterro ...« Er stand mit der zur Gewohnheit gewordenen Grandezza auf und verbeugte sich tief.

Sie hielt die Hände vor's Gesicht und murmelte etwas wie »nein, nein, nein.« Aber dann nahm sie sich zusammen, ergriff seine Hände und zog ihn zu der großen Fensternische, in der viel hohe Bambusbüsche standen.

Und da sahen die beiden sich prüfend an und fragten und antworteten allerlei ohne Worte.

»Also Sie sind das kleine Justinchen, das der Käthe wie ein Schatten hinterher war?« sagte er dann.

»Lang, lang ist's her,« sagte sie. »Und die Käthe ist schon zehn Jahre tot.«

Lieber Gott! ... Es bewegte ihn nicht sonderlich. Ihm war seine Jugendliebe längst aus der Welt der Wirklichkeit verschwunden, und wo er sie zuweilen suchte, da lebte sie so lange wie er. Aber dieses Mädchen, noch jung, doch schon am Rande des Welkens, was war das mit der? Warum sah sie ihn so an, so voller Staunen, so voller Bewunderung – und was zwang ihn, sich zu seiner vollen Höhe aufzurecken, sich recht, recht spanisch zurechtzurichten und ihr mit ein paar Koseworten in der Sprache der neuen Heimat über die dunklen Scheitel zu streichen?

Warum neigte sie so demütig den Kopf und sagte so leise und zitternd: »Ich hab' es ja immer gewußt, daß Sie wiederkommen würden!«

»Traum ... Traum ...« sagte er. »Warum hast du das immer gewußt?«

»Erst hat meine Schwester Käthe gewartet,« sagte sie. »Und ich war noch ein Kind und hörte begierig all die Geschichten, die da in dem schönen Tropenland passierten. Und Sie sah ich immer – ich weiß nicht – so wie in goldener Rüstung und im Kampf mit allerlei Tieren und wilden Menschen ... Und dann, als die Sachen kamen, die Sie schickten ...«

Sie zog ihn nun in den Verkaufsraum, wo er früher seine Tage und einen Teil seiner Nächte zugebracht hatte, und wo jetzt im Bilde ein schwacher Abglanz südländischer Herrlichkeit von der Wand herunterleuchtete.

Dort fand er mit rührender Sorgfalt die wertlosen kleinen Sachen geordnet, die er einst, in der ersten Zeit des Tropenrausches, nach dem alten Heimatnest gesendet hatte. Kokosnüsse, Indianerflechtarbeiten, Muschelketten, elfenbeinweiße Kugeln, aus der Wurzel der Lagospalme gedreht, Skorpione und Riesenspinnen und in einem Glaskasten an der Seitenwand die leuchtenden blauen Schmetterlinge, die er selbst in südlicher Sonne über den Riesengräsern der Pampas hatte flattern sehen, blauen Flämmchen gleich.

Er konnte gar nichts sagen. Die Stunden heißer Sehnsucht aus der neuen Heimat in die alte hatten hier eine Stimme bekommen, die leise und eindringlich murmelte.

»Das ist ja aber alles so unendlich lange her, Justinchen –« sagte er dann. »Ein ganz anderes Leben liegt dazwischen ... Und ich habe auch nie geahnt, daß ich hier bei euch in so gutem Andenken stand.«

»Bei mir, nur bei mir – aber die anderen mußten einfach mit,« sagte sie mit einem kindlichen Eifer, der dem verblühenden Gesicht seltsam anstand. »Und gutes Andenken müssen Sie auch nicht einmal sagen ... Zuerst, als die Käthe heiratete, da nahm ich mir vor – kindisch, wie ich ja noch war – daß eine wenigstens Ihnen Treue halten sollte ...«

»Ist die Käthe glücklich geworden?« fragte er.

»Sehr ... Ich habe das ja nicht begreifen können – denn schließlich war sie doch Ihre ...«

Er wehrte ab. »Nicht doch, sie brauchte nicht treu zu sein, liebes Kind ... ich auch nicht ... Was uns in jenen schönen Tagen band, war ja so flüchtig. Ich kann jetzt nicht einmal mehr sagen, wie und was es war. Meine Sprache ist mir auch gar nicht mehr geläufig genug dafür ... Aber Sie, sagen Sie mir, Sie ... oder du? Warum hast du denn an mich gedacht ... und wie? Du hast dir doch ausrechnen müssen, daß ich ein alter Mann bin, und schließlich ist es doch ein Zufall, daß ich herkam ... nachdem wir seit langen Jahren nichts mehr voneinander wußten ...«

»Kein Zufall, o nein.« Sie schüttelte den Kopf und sah ihn mit großen, nassen Augen an. »Und alt? Das hätte ich nie gedacht, und nun ist's ja auch nicht so ... Wer draußen in der großen Welt und in fremder Schönheit lebt, der kann ja gar nicht alt werden für einen, der in Enge und Einsamkeit sitzt. Und wenn man dann so jemand hat, an den man seine große Sehnsucht anhaken kann, wissen Sie, das zieht einen mit in allerlei schöne Träume ... Ich bin ja so glücklich gewesen all diese langen Jahre, daß ich die hatte ... Ach, was für Freunde diese Schmetterlinge und dieser große bunte Arara mir geworden sind! ... So was Fremdes und Heißes und Schönes war immer um mich, wenn ich an Sie denken konnte. Und wissen Sie, was ich jetzt eigentlich glaube? Dies alles ist nur ein Traum, und wenn ich aufwache, wird's nicht wahr sein. Oder ist dieses wahr? Und das andere ein Traum ...? Nein, nein – Träume sind schöner als das Leben. Ach, lassen Sie mich reden ... es ist so wundervoll, zu Ihnen reden zu können, zu Ihnen in Wirklichkeit reden zu können ...«

Und das tat sie denn auch und sagte noch viel schöne Dinge zu Heinrich Biester. Oder zu Enrique Bisterro – oder zu wem ... zu wem?

Voll traumseligen Staunens hörte er zu. Und allmählich rauschte ein heißes Entzücken in seinem Blut auf. Alter, Kränklichkeit, Fieber, das gab es ja gar nicht mehr. Jung wie vor dreiundzwanzig Jahren konnte er dieses Mädchen in seine Arme reißen, wenn er nur wollte. Er, der Starke, der Stolze, der Märchenprinz, für den hier die Palmen wuchsen und die blauen Schmetterlinge gaukelten. So empfand er für Augenblicke mit der fortgerissenen Phantasie. Aber der legt die Wirklichkeit schließlich doch Zügel an, und vom Empfinden zum gesprochenen Wort führt ein langer Weg.

Darum zog er zuletzt Justine Prang nur sanft zu sich und streichelte sie mit seiner mageren, heißen Hand. Und sagte nur ein paarmal: »Laß es dir nie leid tun, Kind, laß dir diese Stunde nie leid tun ...«

»Wenn ich sie wirklich erlebe, dann soll sie die schönste in meinem Leben sein ... die Höhe ...«

»Still, still,« sagte er, sie immer noch leise streichelnd. »Ich danke Ihnen schön, Justinchen ... Und – und, ich möchte nun am liebsten fortgehen. Was sagen Sie dazu? Noch bevor Sie mich in der Sonne von Bartenberg sehen!« ...

Nun sah sie ihn forschend an, ebenso wie er sie, und er bemerkte, wie das glühende, begeisterte Gesicht unter seinem Blick zusehends spitz und blaß wurde, und wie der Freudenschimmer in den großen, dunkel umrandeten Augen erlosch.

Sogar die Stimme schien ihm anders, als sie zu reden anfing, und wenn nicht die weiße Halle und der Arara und die Palmen dagewesen wären, hätte er denken können, er hätte die ganze kurze Zwiesprache geträumt.

»Das ginge wohl nicht,« sagte sie. »Was sollte der Vater dazu sagen und Hellmund ...?«

»Wer ist denn Hellmund?«

»Ach ja, Sie können das ja alles nicht wissen. Der Vater ist doch ganz alt und sehr müde. Manchmal könnte man denken, sein Geist wäre nicht mehr ganz, – aber dann merkt man doch wieder, daß er – wie soll ich das sagen? ... daß er bloß so schläft. Und Hellmund ist schon sechs Jahre da und besorgt alles – und die neue Apotheke gehört zur Hälfte ihm ... und wir ... und ich ...«

Sie hielt befangen inne. Aber Heinrich Biester merkte darauf nicht.

»Der Vater ...« Er strich ein paarmal aufgeregt über den ergrauenden Bart. Ja, nun kam man doch wieder auf wirklichen Boden. Nun war die Stunde da, wie er sie sich unterwegs oft ausgedacht hatte. Nun stand er alsbald dem Mann gegenüber, dem er das Recht gab, ihn abzuhören, ob er seine Lebensaufgabe auch gut zu Ende gebracht hätte.

Wie gut es nach dem phantastischen Begebnis der letzten Viertelstunde tat, sich wieder darauf zu besinnen, daß er vorzeiten hier gescholten und gelobt und von einer festen, aber warmen Hand hin und her geschoben worden war, bis er sich allein hatte zurechtfinden müssen!

»Ja, ja, Justinchen, führen Sie mich zum Vater ... Kommen Sie ...«

»Ich muß es ihm erst sagen ... und dann ist doch auch Hellmund bei ihm.«

»Ich werde ihn doch allein sehen und sprechen?« fragte er ängstlich.

Sie nickte und ging steif und gerade an ihm vorüber nach der Tür, die früher zum Laboratorium geführt hatte. Sie war niedrig, und der Prinzipal hatte sich immer bücken müssen, wenn er in den Laden trat.

Heinrich Biester vernahm den erstaunten Ausruf einer tiefen Männerstimme und ein Geräusch, als ob ein Stuhl rasch beiseite geschoben würde. Dann öffnete Justine die Tür, und er konnte eintreten.

Vor dem Fenster, an dem ehemaligen Platz des Experimentiertisches, sah er einen Krankensessel mit einem Schachtischchen davor und flüchtig einen weißhaarigen Kopf. Vor dieses Bild aber drängte sich ein junger, großer, massiver Mensch mit einem derben, roten Gesicht und lustig blitzenden Augen. Der streckte ihm beide Hände entgegen, und in seiner dröhnenden Stimme klang ein Ton warmer Herzlichkeit.

»Also, es geschehen wirklich Zeichen und Wunder,« rief er. »Nein, nein, Gott! Hat das phantastische kleine Frauenzimmer doch wahr und wahrhaftig recht behalten ... Ich geh schon, Goldchen – sehen Sie, wie sie mir winkt. Natürlich sollen Sie den Vater für sich haben, aber da der zum erstenmal eine längere Sitzung nicht vertragen wird, hoffe ich, Sie nachher zum Frühstück bei mir zu sehen, Herr – oder wie sagt man auf spanisch? – Señor Enrique – nicht? Wiedersehn! – Wiedersehn!«

Und er ging, sich bückend wie früher Herr Prang, durch die niedrige Tür und streichelte vorher noch im Vorübergehen dem still dastehenden Justinchen mit seiner großen, runden Hand das farblose Gesicht. Heinrich Biester empfand das lärmende, gesunde Leben, das sich hier an der Stätte seiner Träume breitmachte, wie einen Mißton, aber nur für eine Sekunde, denn aus dem Lehnstuhl winkte ihm der Mann, der klein, mager und zusammengekauert darin ruhte.

Scharfe, doch ausgeblaßte Augen blickten ihm aus einem runzligen Greisengesicht entgegen, und an diesen Augen allein erkannte er den hohen, gebieterischen Mann, mit dem er sich in den Nächten daheim auf spanisch unterhielt.

»Sieh, sieh,« sagte dieser fremde Greis mit klangloser Stimme, »das also ist der Strudelkopf ... der Lockenkopf ... der Ausländer, für den die imprägnierten Palmen in meiner alten Apotheke wachsen ... Komm doch mal her, mein Sohn ... die Justine sagt, du bist der Heinrich Biester – aber mir scheint, wir erkennen uns nicht mehr ...«

»Doch, doch,« sagte Heinrich Biester eifrig, »die Augen ... und der ganze Ton ...«

Er nahm die welke, kalte Hand, die matt heruntersank, als er sie losließ. Dann schwiegen beide. Aber die Blicke des alten Mannes bohrten sich in das Gesicht seines Gastes mit eigenem, hellseherischem Spähen. Sie leuchteten auf und erloschen dann ganz schnell.

»Justine,« rief Heinrich Biester ängstlich, aber die blieb an ihrem Platze.

»Sprechen Sie nur etwas,« sagte sie, »dann ermuntert er sich.«

»Herr Prang,« sagte da Biester, »ich habe mich so auf dieses Wiedersehen gefreut. Ich habe Ihnen so viel zu erzählen, Sie glauben ja gar nicht ...«

Der alte Mann ließ den Kopf mit den halbgeschlossenen Augen auf der Lehne seines Stuhls liegen.

»Ich hab's schon gesehen ... alles ... dir ist's nicht gut gegangen, mein Sohn ...«

»Mir ist's doch aber sehr gut gegangen, Herr Prang,« sagte Heinrich Biester verwirrt.

Herr Prang machte nun die Augen wieder auf und hob die müden, weißen Hände.

»Erzähl davon den Kindern ... der neuen Zeit, mein Sohn,« sagte er mit der ausgeklungenen Stimme. »Die Schubfächer in meinem Kopf sind alle voll ... Mit deinen grauen Haaren und dem ausgetrockneten Gesicht krieg ich dich nicht mehr herein ... Ich hab' dich drin, wie du noch ein lieber, leichtsinniger Junge warst und meine Käthe nicht bekamst ... Nachher, wie meine Frauenzimmer den Señor Enrique Bisterro mit Indianerfedern und Heldentum aufputzten, da hab' ich ja noch ein Weilchen mitgemacht, so aus Spielerei – ich alter Hansnarr ... Aber jetzt – nehmen Sie's mir nicht übel, lieber Heinrich Biester, ich werde mich schon auch noch freuen, wenn Sie wiederkommen ... aber ich bin ein sehr alter Mann ... ein sehr alter Mann, und die weiße Verschalung auf meinem schönen Mahagonigetäfel ... Sehen Sie mal zu, daß Sie die abreißen und auch das ganze staubige Zeug samt den Schmetterlingen und den Palmen, und dann wird ja auch die Justine mit ihrem Hellmund wie andere Leute ...«

Da flatterte Justine in ihrem weiten, weißen Kleid heran und sagte mit ihrer hohen und klingenden Stimme: »Die Justine wird gar nichts. Wenn man sein lebelang unter Palmen gewohnt hat ...«

Der Alte winkte ihr zu schweigen und gab Heinrich Biester die Hand.

»Glauben Sie nicht, Sie Weitgereister, daß es sich auch unter einem schönen, strammen Lindenbaum gut hausen läßt?« sagte er, und ein halb wehmütiges, halb verschmitztes Lächeln lief über sein runzliges Greisengesicht.

Eine Antwort erwartete er aber nicht. Er behielt die Hand seines Gastes noch einen Augenblick in seiner, kroch dann in sich zusammen und fing an zu murmeln: »Wenn du wieder so spät nach Hause kommen wirst – mein Junge ... warte mal ...«

Heinrich Biester hatte es verstanden. Es war wie das Gespenstchen der Stimme von früher, und das rief allerlei Fremdes und Empfindsames in ihm an.

Als er mit Justine wieder draußen stand, stiegen ihm die Tränen in die Augen, und er wußte gar nicht, was er mit dem Gemisch von Wehmut, Verdrießlichkeit und Verlangen in sich anfangen sollte.

»Wollen wir jetzt nicht hinübergehn –?« fragte da Justine niedergeschlagen. »Vielleicht frühstücken?«

Er sah sie groß an und schüttelte nur den Kopf. Ihre brennenden Augen, die von ihm zu den weißen Wänden irrten, taten ihm wohl und weh zugleich – aber der heiße Strom von vorhin rauschte nicht wieder in ihm auf.

Merkwürdigerweise mischte sich sogar in alles widerspruchsvolle Durcheinander seiner Gedanken ein Stimmengewirr von weit her – ein paar tiefe und ein paar gellende Töne – Rufe von Frau Eustachia und den Kindern, die er zu Hause oft genug mit Mißbehagen gehört hatte, aus denen ihm in diesem flüchtigen Augenblick jedoch ein Klang unersättlicher Lebensfülle entgegenschwirrte.

Das dauerte aber auch nur eine Sekunde und war vielleicht seinem Wunsche fortzugehen entsprungen. Denn dieser Wunsch war da und beherrschte das sanfte Gefühl von Dank und Rührung.

»Ich will dir lieber Lebewohl sagen, Justinchen, jetzt, dir allein, und keinen und nichts mehr sehn und wiedersehn. Begreifst du das? Und weißt du, wie reich ich durch dich geworden bin?«

Sie lächelte bitter und traurig und sagte: »Reich? ... Reich?« ...

Da blieben ihm die spanischen Koseworte, die ihm durch den Kopf schossen, in der Kehle stecken.

Er küßte mit kalten Lippen ihre Stirn und ging langsam hinaus.

Sie blieb ganz still.

Er hatte die Tür aus alter Gewohnheit offen gelassen und sah sich noch einmal nach ihr um: da stand sie mitten in der dämmrigen Halle in ihrem weißen Kleide mit den nackten Armen und hatte die Hände gerungen.

Aber als er noch länger nach dem geheimnisvoll schönen Bilde starrte, da schien es sich mit silbrig grünem Schleier zu umhüllen und zerfloß ihm vor den Augen.

Dann wurde die Tür zugemacht, und er sah noch eine Weile wie im Traum auf diese dunkle Pforte mit dem leuchtenden Messinglöwenkopf, die die Vergangenheit für ihn abschloß, und hinter der sich ihm doch ein neues, wunderliches Seelenheim aufgetan hatte ...

Der Markt lag wie vor einer halben Stunde sonnenüberglüht und ausgestorben da, aber nun hatten auch die kleinen Häuser tote Augen, und keine Stimme mehr. Kein Fenster öffnete sich, und keine Schatten huschten über die Straßen.

Nur der Löwenkopf an der Apothekentür funkelte und sprach.


Nun saß Enrique Bisterro längst wieder auf der Veranda in Entechua unter den Seinen und den rauchenden und schwatzenden Freunden. Er hörte den Guairastrom rauschen und sah die Yukkas am Fuß des Monte Avila emporstreben. Duft und Glut waren um ihn, und die Schönheit der taghellen Mondnächte kaum zu ertragen.

Das war früher auch alles so gewesen – aber er wußte nicht, wie es kam – seit seiner Heimkehr sah er die alten Bilder mit neuen Blicken, ja, er nahm sie oft mit einer Befriedigung auf, die an Freude grenzte. Seine Freunde fanden, daß die Reise in die Heimat Wunder an ihm getan habe, sie machten sogar kleine, anzügliche Bemerkungen, die Doña Eustachia nicht zu Ohren kommen durften. Er selber gab ihnen nicht Unrecht, wenn er sich auch den Wechsel in seinem Empfinden und seinem ganzen Wesen nicht ganz erklären konnte.

Während des Tages, den er in der lähmenden Glut sonst verdrossen und kränklich, voller Mattigkeit und unbestimmter Sehnsucht, hingeschleppt hatte, dachte er an die Heimat jetzt nie mehr. Die schöne Wirklichkeit um ihn triumphierte über den matten Widerschein, den er dort angetroffen hatte. Er schaffte mit frischer Kraft und Freudigkeit. Er fühlte sich in seinem Beruf, als Familienvater, als Würdenträger in der kleinen, zusammengewürfelten Gemeinde von Entechua ganz als der Enrique Bisterro, den man hier von ihm erwartete, und wußte nichts von dem Heinrich Biester des Jugendlandes.

Seine Träume dagegen führten ihn nach wie vor in das alte Heimatnest, aber er prahlte nicht mehr wie früher mit seinem Glück und seinem Wohlergehen. Er sprach auch nicht mehr Spanisch – und nicht mehr mit dem Prinzipal. Er stand in der dämmrigweißen Halle – und ihm gegenüber, neben dem feinblättrigen Bambus, unter den ewig lebenden Palmen, die für ihn da hingepflanzt waren, das Justinchen – mit leuchtenden, verständnisvollen Augen ihm die Worte von den Lippen lesend. Und was der heiße Tag von Entechua an starkem, jungem Fühlen, an Wehmut und Verdrossenheit, an Traum und Jugendsehnen erstickte, das strömte da in den langen und beweglichen Zwiesprachen aus. – In denen klang kein Ton von dem würdigen, arbeitsfrohen Don Enrique, die quollen ganz aus dem Herzen und aus der Seele des Heinrich Biester.

Jungfräuliche Königin

Der Doktor auf einem Schimmel, vor sich im Sattel den Terrier Fips, hatte die Tête. Der Hauptmann und der Leutnant von Wachowski ließen die Gäule mit lockerem Zügel laufen und wechselten zwischen mattem Trab und Schritt.

Der Doktor sah sich um, und als er wahrnahm, daß sich die Entfernung zwischen ihm und den anderen vergrößerte, hielt er.

Weites, ebenes Land breitete sich bis zu dem fernen bläulichen Waldbande aus. Regelmäßig angelegte, gut gehaltene Wege führten kreuz und quer zu den Äckern, die in gelben, taufunkelnden Stoppelbreiten ruhten, oder in frisch aufgebrochenem Erdreich mit ihrer Wintersaat kommenden Segen erwarteten. Obstbäume mit weißgestrichenen Stämmen beugten sich an den Wegrändern in gleichmäßiger Entfernung voneinander unter der Bürde ihrer goldenen und roten Früchte, Kirschalleen liefen, schmuck und schön, von trockenem Astwerk gesäubert, geradlinig wie zwei Reihen Soldaten, zu einem noch nicht abgeernteten Kohlfeld, dessen blaurote Köpfe in schier unwahrscheinlicher Größe und Üppigkeit auf dem schwarzen Boden lagen.

»Donnerwetter, ist das eine Kultur!« rief der Doktor den näherkommenden Herren zu. »Schon Terkittener Boden, nehme ich an.«

»Hören Sie, Doktorchen,« sagte der liebenswürdige Hauptmann Riesberg, »dies Terkitten ist ein Paradies, höre ich eben von dem Leutnant, – und das Merkwürdige bei der Sache – das Paradies wird von einem Teufel regiert.«

»Ich hab' auch schon so was gehört ... der alte Terkittener ist wohl sein Lebelang ein berüchtigter Rauf-, Saufbold usw. gewesen?«

»Ne, ne, ne – der Teufel ist diesmal feminini generis. Neues ist aus den Ruinen erblüht, wie der Dichter sagt. Wachowski hat mir nette Chosen erzählt.«

In diesem Augenblick stieg seitwärts aus den Stoppeln ein Volk Hühner auf und schwirrte surrend über den Weg. Das war zuviel für Fipsens Terrierherz. Mit einem Satz war er unten, mit einem zweiten im Felde.

»Um Gotteswillen,« ... »den Köter zurück« ... »Fips«, ... die hallende Stimme seines Herrn, – ein kurzer Knall, – atemloses Schweigen – fast auf den Bruchteil einer Sekunde fiel das alles zusammen. Und einen Moment später waren die Herren abgesprungen und beteiligten sich mit erleichterten Zurufen an der Abstrafung des Schuldigen, der seine Jagdhiebe an Stelle der Todesstrafe in Empfang nahm.

»Hätte sie mir meinen kleinen Kameraden beinah totgeschossen,« sagte der noch ganz blasse Doktor, der sich den Terrier selbst aufgezogen hatte und ihn wie ein menschliches Wesen liebte.

»Wissen Sie, meine Herren, das ist unerhört,« rief der Hauptmann entrüstet. »So was tut man doch nicht. Man knallt doch keinen edlen Hund einfach nieder, wenn man sieht, daß er nicht herrenlos ist.... So 'n verfluchter Kerl ... das soll ihm angestrichen werden ... dem wollen wir's besorgen.«

Der Leutnant deutete stumm auf einen Ebereschenweg links.

»Die hohe Herrin selber!«

Zwischen den noch kleinen Bäumen, die unter der Last von glühend roten Beeren leuchteten, stand eine hochgewachsene, sehr schlanke Frau, die sich eben langsam umwandte und in entgegengesetzter Richtung weiterging.

Man sah über der graugrünen Lodenjoppe unter einem kleinen Jägerhut eine festgerollte Fülle brandroten Haares, Lenox und Jagdtasche hingen zur Seite, und der kurze Rock ließ ein paar Stiefel frei, die nichts mit koketter Damensportbeschuhung gemein hatten. Beim Schreiten aber machte sich eine böse Störung in der sonst untadligen Harmonie dieser Erscheinung bemerkbar: Der rechte Fuß schleppte erheblich, und bei der energischen Bewegung des ganzen federnden Körpers fiel das um so mehr auf.

»Da haben wir also den berufenen Teufel wie auf Stichwort,« bemerkte der Leutnant.

»Und hinken tut er wirklich auch noch, wie alle Teufel« ...

Der Doktor fing jetzt erst an, sich von dem ausgestandenen Schreck zu erholen und seiner Entrüstung freien Lauf zu lassen.

»Bei diesem Frauenzimmer muß man Gastfreundschaft genießen ... den Ruhetag noch dazu!? ... das ist hart ... wenn Herr Hauptmann mich noch beurlauben könnten ...«

»Stopp, stopp!« rief der Hauptmann. »Ich habe mir sagen lassen, daß für jeden passionierten Jäger die Versuchung nahe liegt, ein wilderndes Tier abzuschießen, und Fräulein von Terkuhn soll ja eine sehr temperamentvolle Dame sein, wie unser Leutnant mir eben erzählt.«

»Fräulein von Terkuhn? Nicht Frau?«

»Na, Wachowski, schießen Sie mal los ... und erzählen Sie, warum Sie so erpicht auf dieses Quartier waren, und woher Sie so orientiert sind.«

»Wenn Herr Hauptmann gestatten,« sagte der Sommerleutnant etwas verlegen, und sein auffallend hübsches, offnes Jünglingsgesicht nahm an der Verlegenheit der Stimme Teil. »Eine kleine entfernte Cousine von mir ist Gesellschaftsdame bei dem Fräulein von Terkuhn. Wir sind sozusagen zusammen aufgewachsen, haben uns ein Jahr lang nicht gesehen ...«

»So, so – also sehr begreiflich. Und die junge Dame hat Sie auch über die Verhältnisse unterrichtet?«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann! Ich habe das Gefühl, die Terkittener Herrschaften und den ganzen alten Kasten genau zu kennen. Ich wundere mich auch gar nicht, daß Fräulein Adalisa von Terkuhn dem Doktor seinen Fips so ohne weiteres niederknallen wollte. Wie sollte Eine tierfreundlich sein, die so menschenfeindlich ist!«

»Na unter den Verhältnissen mußte sie das vielleicht werden ... denken Sie, Doktor, der Leutnant erzählt, als vierjähriges Kind hat ihr Vater sie im Suff einem Kumpan als Fangball zugeworfen ... dabei ist ihr die Hüfte ausgerenkt, oder so was ... Dann eine gräßliche liederliche Fräuleinwirtschaft, – die Mutter tot ...«

»Und dann ist sie nach Gnadenfrei gebracht worden,« erzählte der Leutnant weiter, »aber da ist sie ausgerissen – und das hat dem Alten imponiert. Er hat sie im Hause behalten und ganz als Junge aufgezogen. Sie hat ihm mit der Zeit all seine boshaften Triks abgelernt, ihn aber bald noch überholt. Was ich darüber so von meiner Cousine höre – ich kann Ihnen sagen, meine Herren, es ist kaum zu glauben, daß in unseren Tagen so was an mittelalterlichen Verhältnissen existiert.«

»Und Ihr Fräulein Cousine ist doch schon längere Zeit dort?«

Wachowski lächelte: »Die, ja die ist ein so sanftes, liebes und tüchtiges Mädel, daß da selbst der Teufel Halt macht. Und dann sagt sie auch ganz richtig: All das ganze Wesen geht mich ja eigentlich nichts an, ich werde meine Brotherrin ja doch nicht erziehen. Ich tue meine Arbeit, eher noch etwas darüber, und damit fertig.«

»Sagen Sie mal, der alte Herr lebt doch noch?«

»Jawohl ... aber wie. Rechts gelähmt, – sitzt wie ein böser alter Uhu im Krankenstuhl ... und hat schlimme Tage. Wissen Sie, die liebenswürdige Tochter, die nun natürlich ganz das Regiment führt, hat einmal ganz offen gesagt, als Lena – meine Cousine – einige Anordnungen zu seinen Gunsten machen wollte: »Nein, lassen Sie, – er hat mir meine Jugend verdorben, ich will ihm dafür sein Alter verderben.«

»Na erlauben Sie mal, das ist ja einfach unglaublich ... So was äußert sie zu ihrer Gesellschaftsdame?«

»Ja, sie soll alles offen sagen und tun. Sie sagt solche Dinge auch zum Diener oder zum Briefträger. Sie ist so hochmütig, daß es ihr auf niemandes Meinung ankommt.«

»Natürlich hat dieser Engel Geld,« meinte der Hauptmann.

»Viel,« sagte Wachowski. »Und die Dukaten wachsen ihr nur noch so zu, da sie geschäftsschlauer sein soll als zehn Juden, und – alles was wahr ist – auch sehr tüchtig und tätig ... Und nun läuft alles, was an Männlichem hier in der Gegend in Betracht kommt, hinter ihr her, trotzdem jedermann weiß, wess' Geistes Kind sie ist ...«

»Ja, Geld und ein schönes Gut sind und bleiben einmal Magneten,« sagte der Hauptmann, »und weiß Gott, vielleicht denkt auch dieser oder jener, daß ein Petrucchio in ihm steckt.«

»Wie meinen Herr Hauptmann?« fragte Wachowski unbefangen.

»Na, den Kerl aus der Widerspenstigen mein' ich.«

»Shakespeare,« sagte der Doktor lächelnd.

»Ach so, ach so ... ja, ich erinnere mich schon ... Aber, pardon, lachen Sie mich nur aus, Doktor, ich bin kein Schriftgelehrter – mehr fürs praktische Leben ...«

Die beiden Herren nickten ihm wohlwollend zu. Er war ihnen in der Manöverzeit mit seiner heiteren, wasserklaren Liebenswürdigkeit ein angenehmer Kamerad gewesen. Sie kannten sein einfaches, arbeitsvolles Landwirtsleben, seine Lehr- und Wanderjahre auf mehreren großen Gütern der Provinz, seine bescheidenen Zukunftspläne bis zu dem Obstgütchen, auf das er nach der Übung die Hand legen wollte, so genau, daß sie ordentlich erstaunt über die bisher nicht erwähnte Cousine waren. Das fiel wohl beiden im Augenblick ein, aber hinter diesem freundlichkleinen Schicksal tauchte die böse, hinkende, schöne Rothaarige auf, die dem Vater das Alter verdarb und die fremde, edle Hunde gnadenlos niederknallte.

»Im Moment, in dem der Köter hinuntersprang, sah ich ja den Rotkopf, kam aber natürlich nicht dazu, sie mir näher anzuschauen,« sagte der Doktor. »Ich sah sie anlegen ... Herr Hauptmann nicht?«

Der Hauptmann schüttelte den Kopf und strich seinen Schnurrbart. Er war ein bißchen Idealist und lief, wenn sich's so traf, dem Fünkchen Romantik nach, das irgendwo an seinem Weg aufleuchtete. Man sah ihm jetzt ordentlich an, daß er träumte.

»Natürlich Petrucchio« dachte der Doktor, der ihn mit einem aufmerksamen Blick streifte. Aber er sagte nichts, teils aus Gutmütigkeit und teils aus Disziplin.

Schweigend ritten sie nun eine Weile weiter ...

»Das ist die große Pappelallee, die zum Hof führt,« sagte dann Wachowski lebhaft und ein wenig unruhig. »Ja, da stehen auch unsere Kerls.« ...

Man nahm den Weg unter den hohen Pappeln in schlankem Trab, sprach an der Ecke mit den wartenden Burschen, die schon seit einer Stunde da waren und bog dann in den Hof.

Das Gutshaus, ein einstöckiges, weinumranktes Haus mit aufgesetztem Giebel, lag rechtwinklig zu dem Wirtschaftshof, dessen prachtvolle Stallungen und Scheunen dem Leutnant einen Ausruf der Bewunderung entlockten, obgleich ihm doch andere Gedanken näherlagen.

Auf der einfachen, von Pfeifenkraut umwucherten Holzveranda, an der die Herren hielten, stand ein alter Diener, der sie, nachdem ihnen die Burschen ihre Pferde abgenommen hatten, in eine große, niedrige Halle führte.

Eine zierlich gewachsene junge Dame mit klarem, brünettem Jungmädchengesicht trat ihnen entgegen, – die Cousine. »Hauptmann Riesberg«, stellte dieser sich vor, und dann den Doktor, da der Leutnant sich zurückhielt und nun erst sich einen herzlichen Blick und Händedruck holte. Die erwartungsvolle Stimmung der letzten halben Stunde verschwand angesichts der anmutigen Unbefangenheit, mit der das junge Mädchen die verbindlichen Worte erwiderte, mit denen die Gäste die verwandtschaftlichen Beziehungen noch einmal feststellten.

»Ich habe als Schaffnerin des Hauses den Auftrag, für die Behaglichkeit der Herren zu sorgen,« sagte sie dann. »Das Frühstück ist auf den Zimmern bereit, der Diener wird führen. Und wenn die Herren in bezug auf die Zeit des Mittagessens einen Wunsch haben ...«

Sie fügten sich gern den Gewohnheiten des Hauses und waren mit der üblichen Tischzeit um 2 Uhr sehr einverstanden. – Wann sie den Herrschaften ihre Aufwartung machen dürften?

»Das gnädige Fräulein bittet vor Tisch im Salon.«

Während der Hauptmann sich bei den Burschen nach der Unterkunft von Leuten und Pferden erkundigte, die er vor dem Frühstück noch gesehen haben wollte, verweilten die beiden anderen mit Fräulein Lena Aussig in der Halle.

Wachowski und sie reichten sich wieder die Hände und jetzt mit mühsam unterdrücktem Jubel ...

»Entschuldigen Sie,« bat sie den Doktor mit feuchten Augen, »aber ich habe mich so sehr auf meinen Vetter gefreut ... Dir, Hans, will ich nur noch schnell sagen, daß ich dich nach Tisch eine Stunde für mich haben darf, wenn der Dienst es dir erlaubt. Jetzt muß ich mich verabschieden. Die Wirtschaft ruft.« ...

»Ein liebes Menschenkind,« sagte der Doktor. Wachowski sah ihr mit weit offenen, glücklichen Augen nach. Dann folgten beide dem Diener über eine breite, ausgetretene Treppe in ihre altväterisch behaglichen, asterngeschmückten Zimmer.


Adalisa von Terkuhn erwartete die Einquartierungsgäste in dem großen Gartensaal, der Sommer und Winter ihr Lieblingsaufenthalt war. Noch blieb eine Stunde Zeit bis zum Mittagessen, und sie hatte sich die Tageszeitungen mitgenommen, die ihre einzige Lektüre bildeten. Aber sie las nicht, sie ging in einer kleinen, ihr sonst nicht gewohnten Unruhe hin und her.

Der große, niedrige Saal mit seinen vier bogigen Glastüren nach dem verwachsenen Garten und seinem Eckfenster nach dem Wirtschaftshof hin, wirkte wie ein eigens für sie geschaffenes Umbild.

Er hatte eine altmodisch grüne Wandbekleidung, von der sich ein paar Familienporträts aus alten Zeiten lebensvoll abhoben. Keine eigentliche Ahnengallerie, dazu waren es zu wenige. Die Terkuhns, Jahrhunderte lang auf derselben Scholle ansässig, hatten nur ein paar Vertreter ihres Namens in die Welt entsandt, wo sie sich Geltung und Lorbeeren holen konnten. Es waren immer wenig Kinder in der Familie gewesen, und wer bleiben konnte, blieb in dem alten Waldwinkel, in dem er hochgewachsen war. Bis in die alten Preußenzeiten wollten die Terkuhns ihren Ursprung hinunterleiten, und wunderlich mischten sich in den Familiensagen Heidentums-, Ordensritter- und Polengeschichten durcheinander. Da es aber selten einen Schriftgelehrten im Hause gegeben hatte, beruhte fast alles, was man von den alten Zeiten erzählte, auf mündlicher Überlieferung. Nur ein paar auf dickem Pergament gemalte Urkunden mit Wachssiegeln daran gab es – die lagen als Gerippe der von einer rohen und blutdürstigen Romantik durchwehten Begebnisse der Familiengeschichte in der plumpen, uralten Eisenkiste, die unter dem Bildnis des weiland kurbrandenburgischen Fahnenjunkers ihren Platz hatte.

Dieses und ein paar andere aus den verschiedenen Jahrhunderten übrig gebliebene Terkuhnbilder sahen alle unter demselben Rothaar hervor, aus denselben hellen Raubvogelaugen um sich, und die Allen gleiche kinnvorstreckende Haltung des kleinen Kopfes war sicher nicht von dem jeweiligen Maler erfunden worden.

Auch Adalise von Terkuhn, die letzte des alten Stammes, gehörte so ganz und gar zu ihnen, als ob sie aus einem der alten, ungefügen Rahmen heruntergestiegen wäre. Und sie empfand das so stark, daß dieses Gefühl zwischen ihr und Allem was um sie lebte eine Schranke zog.

Es war ein Lieblingsträumen von ihr, sich die Jahrhunderte hinabzuschleichen bis zu dem alten Preußenführer hin, der, die Steinkeule um die rote Mähne schwingend, hinter der heiligen Eiche hervorsprang um den Fremden gnadenlos zu erschlagen, der das Heiligtum betrat.

An dieser selben Eiche zu stehen und all das Dunkle, gar nicht in Worte zu Fassende in sich aufwachen und beben zu fühlen, war ein Gottesdienst für sie.

Daß sie sich aus solchen Träumen ihren seelischen Bedarf an Steigerung holte, machte sie sich in richtig zusammengefaßten Gedanken nicht klar, aber wenn die Alltagslasten, die sie sich mit brutaler Energie aufgeladen hatte, sie zu ermüden anfingen, dann vertiefte sie sich in diese Zwiesprache mit »ihresgleichen«, den Gleichen, die sie um sich her nicht finden wollte. Was sie in ihren Tag daraus heimtrug, hieß Kampf.

Und sie kämpfte mit dem vernachlässigten Boden, mit der Trägheit und Dummheit ihrer Leute, mit den Getreide- und Viehhändlern, die in früheren Zeiten jahraus, jahrein aus der lässigen Arbeit ihres Vaters den Vorteil gezogen hatten – und endlich gegen die Freier, die das schöne Terkitten mitsamt ihrer streitbaren Person als ehehörig an sich reißen wollten ...

Aber es war kein frischer und fröhlicher Kampf. Ein verbissener Groll wohnte auf seinem Grunde, und die Waffen, mit denen sie ihn führte, waren durch Hohn und Bitterkeit vergiftet. Sie empfand ihren körperlichen Schaden, obgleich sie ihn mit eiserner Willenskraft ihrer Beweglichkeit untertan gemacht hatte, als eine Schmach für die Terkuhns, und aus dem Haß gegen ihren Vater, der sie zu einer Gezeichneten herabgewürdigt und zugleich die Schönheit des ganzen Geschlechts geschändet hatte, wuchs mit der Zeit noch allerlei Hartes und Zersetzendes heraus, das sie mit einer gewissen Freude pflegte.

So war sie trotz ihres Reichtums und ihrer Schönheit keine begehrenswerte Freundin oder Frau. Das wußte sie sehr wohl! Aber sie wollte es auch nicht sein. Und daß man sich ihr trotzdem immer wieder näherte, erfüllte sie mit einer grenzenlosen Nichtachtung und einem unbesiegbaren Mißtrauen gegen alles und alles, vornehmlich aber gegen den Mann.

Dabei sagte sie sich täglich und stündlich, daß sie zu der engsten Lebensgemeinschaft, der Ehe, verurteilt sei.

Der Gatte, den sie wählen würde, sollte nach Königsbestimmung den Namen Terkuhn tragen – auf ihr lag die Verpflichtung, das alte, heilige Geschlecht zu erhalten.

Wo aber war der, den sie als würdig betrachten konnte, ihren Namen zu führen und Vater ihrer Kinder zu werden? So eifrig sie auch im Geheimen mit ihren hellen Augen Umschau gehalten hatte, bisher war es unmöglich gewesen, einen Mann zu finden, den sie in eine Reihe mit »ihresgleichen« hätte stellen können.

Ihr Herz hatte nie, ihre Sinne ein paarmal gesprochen.

Einmal, vor mehreren Jahren, war es ein hübscher, rotköpfiger Stallknecht gewesen, zu dem eine unerklärlich heiße Wallung sie gezogen hatte. Als sie merkte, daß dieses Fremde in ihr sie überwältigen wollte, hatte sie dem ahnungslosen Burschen bei einem geringfügigen Versehen, das er begangen, die Reitpeitsche um die Ohren geschlagen und ihn davongejagt.

Das andere Mal kam eine standesgemäße Verirrung. Der bekannte Don Juan, Graf Revetzow, der als Reichstagskanditat des Bundes der Landwirte seine Besuche in dem Kreise machte und mit seiner glänzenden, draufgängerischen Persönlichkeit auch trotz höherer Semester eine ständige Gefahr für das ewig Weibliche geblieben war.

Seine festen Händedrücke, seine heißen Blicke und gewagten Worte, bei ihm Klischee, für Adalisa von Terkuhn eine neue, seltsame Erfahrung, verursachten ihr noch längere Zeit in der Erinnerung eine schwindelnde, wonnige Sehnsucht.

Aber der Graf war Familienvater, wohnte weit ab und kam nie wieder. Da erlosch das Feuer, das er angezündet hatte allmählich, und die kühle, verständige Gattensuche der letzten Jahre begann von neuem.

Und immer und immer vergeblich. Und es wurde Zeit, Ernst zu machen. Sie hatte ihren 30. Geburtstag gefeiert, und es verging kein Tag, an dem ihr Vater von seinem Rollstuhl aus ihr nicht ein paar rohe, wie Peitschenhiebe treffende Worte über ihr vergebliches Bemühen und ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit ins Gesicht geworfen hätte.

Da sah sie sich denn auch in weiteren Kreisen um, wo sie es konnte, ohne ihrem Hochmut allzu große Opfer aufzuerlegen. Auf Pferdemärkten, auf den Rennen in Königsberg. Sie hatte sich bei einem Besuch des Kaisers in der Provinz vorstellen lassen; und überall, schön, scheu und abstoßend wie sie war, hatte sich dasselbe Spiel wiederholt, das sie nun seit Jahren kannte. An den Tagen nach solchen Festlichkeiten, denen sie, stilgerecht und kostbar gekleidet, beigewohnt hatte, häuften sich Blumen und Briefe, von fremden Namen unterzeichnet, in denen man ihr Herz und Hand zu Füßen legte. Zähneknirschend buchte sie es dann jedesmal, daß nur die Minderwertigen sich ihr näherten und suchte und suchte weiter.

Sie fing an, auf den Zufall zu rechnen, und seit vor acht Tagen die Meldung der Einquartierung gekommen war – in dem abgelegenen Winkel eine Seltenheit – beschäftigten sich ihre Gedanken auch mit diesen in ihren Gesichtskreis tretenden Männern, die als Offiziere und adlig, wie sie annahm, immerhin in Betracht kommen konnten.

Sie war ihnen am Morgen mit Absicht entgegengegangen, um sie, selbst ungesehen, zu beobachten, und in der Wut über diesen unwürdigen Entschluß, vielleicht auch darüber, daß sie von keinem der drei den gewünschten Eindruck empfangen, hatte sie auf den wildernden Hund gezielt.

Jetzt war es ihr übrigens doch lieber, daß sie ihn nicht getroffen hatte. Es wäre ein peinliches Zusammenkommen gewesen, die Entschuldigung schon jetzt nicht angenehm, solchen gleichgültigen und ungeladenen Gästen gegenüber. Dem, der den Terrier mit sich schleppte, grollte sie geradezu. »Warum kommt keiner wie du?« dachte sie, voll von der neuen Enttäuschung vor dem Bilde des Fahnenjunkers stehen bleibend. »Und warum muß ich wie eine Hündin hinter den Männern herlaufen, die ich verachte?«

Es klopfte. Fräulein Lena trat ein.

»Was wünschen Sie?«

»Ich wollte fragen, ob das gnädige Fräulein noch einen Blick auf die Tafel werfen möchte ... und dann wegen der Plätze ...«

»Der Tisch interessiert mich nicht – und die Ordnung? Mich führt natürlich der Hauptmann und rechts der Nächstälteste ...«

»Das wäre der Stabsarzt ...«

»Warten Sie mal ... wer ist denn mit einer Töle angekommen? Den möchte ich nicht an meiner Seite haben. Den können Sie sich nach unten nehmen.«

»Der Stabsarzt hatte, so viel ich sah, einen Hund bei sich, den er dem Burschen übergab,« sagte Fräulein Lena ein klein wenig enttäuscht. »Dann käme also der Leutnant von Wachowski rechts vom gnädigen Fräulein.«

»Wer von den Herren war doch Ihr Verwandter, Fräulein?«

»Leutnant von Wachowski« sagte Fräulein Lena mit einem kleinen Hoffnungsschimmer in den Augen, der ihrer Herrin nicht entging.

»Also den Leutnant rechts, und den Hauptmann – wissen Sie, wie er heißt? ...«

»Riesberg ...«

»Gut« nickte Fräulein von Terkuhn und machte eine entlassende Bewegung. Dann besann sie sich noch einmal. »Fräulein!«

»Gnädiges Fräulein befehlen?«

»Wie kommen Sie zu einem Vetter, der adliger Leutnant ist? Und wird es ihm nicht unangenehm sein, Sie hier in dienender Stellung zu finden?«

»Ach nein« sagte Fräulein Lena mit einem halb stolzen Lächeln. »Meine Mutter war eine Wachowski. Unsere Güter lagen im Posenschen nebeneinander. Wir sind fast zusammen aufgewachsen, und wir haben uns sehr gefreut auf dieses Zusammentreffen ... Ja und dann ist er ja auch nur Reserveleutnant ...«

»So so, – was treibt er denn sonst?« ...

»Er ist Landwirt, gnädiges Fräulein, und er wird sich nach der Übung ein kleines Gut in der Mark kaufen. Er hat eins in Aussicht ...«

»Hat er Ihnen das in aller Eile beim Empfang erzählt? Ich hoffe, Sie haben die Verwandtschaft bei den anderen Herren nicht betont. Sie müssen sich selbst sagen, daß das in Ihrer Stellung sehr wenig passend gewesen wäre ...«

»Es ist auch nicht geschehen, gnädiges Fräulein. Die Herren sind gleich auf ihre Zimmer gegangen, – ich habe meinem Vetter nur gesagt, daß ich Erlaubnis hätte, nach Tisch eine Stunde mit ihm zusammen zu sein ...«

»Wenn nichts Besonderes dazwischen kommt,« sagte Fräulein von Terkuhn. »Sagen Sie also dem Ferdinand Bescheid, daß er die Herren hier hereinführt, und lassen Sie dann sofort anrichten ...«


Und nun traten die Herren ein und standen alle drei in leiser Befangenheit der königlich schönen Hausherrin gegenüber, die doch selbst immer ihren ganzen Hochmut zu Hilfe nehmen mußte, um ihre Weltungewandheit zu verbergen. Wenn sie mit niedergeschlagenen Augen da stand, wie eben jetzt, war sie neben all ihrer stolzen und regelmäßigen Schönheit auch noch lieblich. Nur wenn sie sie aufhob, diese graugelben Terkuhnaugen hinter den starken roten Wimpern, dann huschte ein böser Zug über ihr Gesicht, der seinen Reiz verminderte und ihm Schärfe und Charakter gab.

Der Doktor beobachtete das kritisierend, der Hauptmann und der Leutnant aber waren wie geblendet, der eine von gesteigertem Lebensgefühl, der andere von einer fast ängstlichen Scheu ganz erfüllt.

Fräulein von Terkuhn entschuldigte mit ein paar Worten ihren Vater, der die Herren bei Tisch begrüßen würde, gewann es auch über sich, für die geplante Entschuldigung die passenden Worte zu suchen. Nur wandte sie sich damit nicht an den Doktor, sondern an den Hauptmann, und sah, während sie sprach, mit großen Blicken nach dem armen Wachowski, dem dabei heiß und kalt wurde.

Und dann meldete der Diener, daß serviert wäre, und Fräulein von Terkuhn ging an dem Arm des Hauptmanns in den nebenan gelegenen düsteren Eßsaal.

An einer Schmalseite der Tafel saß im Rollstuhl der alte Herr, der die Tischgäste mit lauter, heiserer Stimme willkommen hieß und einige bittere, humoristisch sein sollende Bemerkungen über seine Hilflosigkeit machte. Neben ihm stand vor der Suppenterrine Fräulein Lena. Ihr anmutiger Gruß nahm den Fremden das Gefühl der Unbehaglichkeit und gab vor allem dem Leutnant seine verschwundene Fassung wieder.

Es wurde aber doch ein merkwürdiges Mittagessen. Äußerlich sah alles üblich und anmutend aus. Der blumen- und weinlaub-geschmückte Tisch in der Mitte des langen, mit schwerem Urväterhausrat ausgestatteten Zimmers trug plumpe Silberschaustücke und uralte dickfüßige Gläser mit eingeschnittenen Wappen. Ihre Anzahl ließ übrigens auf eine sehr ausgiebige Mahlzeit schließen – eine sonst im Manöver mit angenehmen Empfindungen begrüßte Aussicht. Aber heute nahm außer dem alten Herrn, der mit gierigen Blicken die üppige Anordnung streifte, kaum jemand Notiz davon. Schon daß Fräulein von Terkuhn den Leutnant, der sich seiner Cousine genähert hatte, zu sich herüberwinkte, gab Veranlassung zu einer gewissen nachdenklichen Stimmung – bei ihm mit Enttäuschung und dem bangen Gefühl gemischt, das ihn neben der rothaarigen Gutsherrin wieder ganz gefangen nahm.

Nur mit Anstrengung des Hauptmanns kam das Tischgespräch anscheinend in heiteren Fluß. Allerlei Worte flogen hin und her, über Krieg und Frieden, über ehemalige Kameraden des Hausherrn, Pferdemärkte und Geselligkeit in Königsberg, über Manöver und Dienst, über Jagd und Ernte.

Aber hinter all diesen gesprochenen Worten vereinten sich die gedachten zu einem Strom, der Herz und Sinne mit Spannung und Unruhe überflutete und in jedem einzelnen Empfindungen wach rief, die mit dem, was man sagte, in geringem Zusammenhang standen.

In dem alten Terkuhn kämpfte der Groll, von den Lebensfreuden vorzeitig ausgeschlossen zu sein, mit dem Verlangen danach – der Hauptmann, benommen von seiner Nachbarin, zitterte innerlich, wenn ihr Kleid ihn streifte –, der Doktor beobachtete nach seiner Art und machte sich Bilder von dem persönlichen dieser schwatzenden Menschen zurecht; zwischen Wachowski und Fräulein Lena flogen sehnsüchtige Blicke hin und her, und das Merkwürdigste erlebte Adalisa von Terkuhn an sich, obgleich gerade sie scharfe und treffende Bemerkungen in die allgemeine Unterhaltung warf und auch hier und da ihren begeisterten Verehrer, den Hauptmann, mit einem vollen Augenaufschlag beglückte und erschreckte.

Sie hatte zuerst angefangen, sich mit dem stillen, fast abweisenden Gesicht des Doktors zu beschäftigen, der, wie sie mit Unbehagen merkte, nur gerade aus Höflichkeit Notiz von ihr nahm, aber dann hatte sie einen Blick Lena Aussigs nach Wachowski hin aufgefangen. Ganz flüchtig, aber so voller Innigkeit und Bangen, daß Adalisa von Terkuhn erschrocken und empört darüber war.

Es fiel ihr zum erstenmal ein, ihre Gesellschafterin, die ihr bisher nur wie eine gutgehende, leistungsfähige Maschine erschienen war, als Persönlichkeit zu betrachten. Und da fand sie, daß da ihr gegenüber ein sehr anmutiges, junges Mädchen saß, das in dem anspruchslosen Sommerkleide, mit den glatten, tiefschwarzen Scheiteln, den blühenden Farben und den dunkeln, vielsagenden Augen Reize entwickelte, die ihr selbst ganz und gar fehlten. Jetzt erinnerte sie sich, daß jedermann von dem »Fräulein« eingenommen zu sein schien, nicht nur ihr Vater, dessen ausgesprochene Vorliebe sie wohl der senilen Neigung für alles Jungweibliche überhaupt zugeschrieben hatte.

Auch die Herren heute, wie verhielten sie sich diesem dienenden Geschöpf, diesem Nichts gegenüber? Den Hauptmann hielt sie selbst in ihrem Bann, das fühlte sie, aber dieser Doktor, der ihr mit gleichgültigem Respekt begegnete, hatte einen zutraulichen Ton in der Stimme, wenn er mit seiner Nachbarin sprach. Und der Leutnant, der sogenannte Vetter? Sie beobachtete ihn von der Seite, und nun nahm sie auch in seinen Augen jenes zärtliche Blicken wahr, das auf Einverständnis und Zusammengehörigkeit schließen ließ.

In heißem Groll zog sich ihr Herz zusammen. Warum hatte sie noch nie in ihrem Leben ein solches Spiel zartsinniger Hingabe über sich erstehen gefühlt? Sie sah, wie ihre Dienerin sich ordentlich verschönte dabei, wie ein träumerischer Glanz die braunen Augen vertiefte und das junge Gesicht von innen heraus zu leuchten begann.

Freilich, der sogenannte Vetter rechtfertigte wohl diese auffällige und beinahe anstößige Verliebtheit.

Welch ein schöner Bursch' war das mit der schlanken, sehnigen Gestalt, dem offenen, braunen Gesicht, in dem die graublauen Augen wie zwei Lichter brannten, in dem der volllippige, rote Mund unter dem braunen Bärtchen lockte.

Wenigstens leicht entzündbare Personen, wie diese Lena, die augenscheinlich ganz vergaß, daß sie an dem herrschaftlichen Tisch ihre Privatangelegenheiten denn doch in anständiger Verborgenheit zu halten hatte.

Ob's nicht an der Zeit war, ihr und ihrem vis-à-vis das deutlich zu machen? Ein dunkler Instinkt warnte sie, und sie schwieg, während heiße Wellen von Groll und Neid in ihr auf und ab fluteten.

Sie hatte, in ihre Gedanken vertieft, den jungen Leutnant so scharf ins Auge gefaßt, daß der Hauptmann in Verlegenheit geriet und sprach, ohne zu wissen was, und daß Wachowski selbst, als er es endlich merken mußte, einen halb unbehaglichen Schauer in sich aufsteigen fühlte.

Der alte Herr brach den Bann, den außer Adalisa die ganze Gesellschaft zu spüren anfing.

»Ja, warum nimmst du denn den Leutnant so aufs Korn, Adalisa?« rief er mit seiner heiseren, gebrochenen Stimme, »der bekommt ja ordentlich das Graulen.«

Nun fuhr sie zusammen und schlug die Augen nieder wie ein verlegenes, junges Mädel. Das halbe geheimnisvolle Lächeln um den großen, weichen Mund gab ihr einen plötzlichen Liebreiz, der nicht Einem ging. Dem jungen Leutnant, der eben noch voller Sehnsucht und Zärtlichkeit nach seiner Cousine geblickt hatte, begann das Herz zu schlagen, und er wartete in Unruhe auf das Wort, das kommen mußte.

»Ich suchte etwas in dem Gesicht des Herrn von Wachowski,« sagte Fräulein von Terkuhn und lächelte weiter.

»Eine Ähnlichkeit natürlich,« half ihr der Hauptmann. »Es ist sonderbar, Wachowski, erinnern Sie sich nur, wer hat nicht alles schon Ähnlichkeit zwischen Ihnen und Bekannten oder Verwandten zu finden gemeint? Ich nicht. Ich habe kein Talent dazu.«

Der Leutnant konnte sich durchaus nicht erinnern und sah sich mit fragenden Blicken um. Ihm war gar nicht behaglich zu Mute, er hatte das Gefühl, daß die hellen Falkenaugen seiner schönen Nachbarin durch die Lider hindurch in ihn hineindrangen.

Was in aller Welt konnte sie in seinem Gesicht zu suchen haben?

Ja, was suchte Adalisa von Terkuhn in diesem klaren, glattwangigen Jünglingsgesicht? –

Sie suchte nicht mehr, sie hatte schon gefunden. In dem Moment der Frage ihres Vaters war der Gedanke wie ein Blitz in ihr aufgesprungen. Nun nahm er, getränkt von Herrschfreude, Begehren und einer Spur vorschauender Überlegung ganz und gar von ihr Besitz: diesen Mann wollte sie zu einem Herrn von Terkuhn, ihrem Gatten und Sklaven machen.

Von diesem Augenblick an gab sie sich keine Mühe mehr, die Wirtin auch nur zu markieren. Sie wendete sich von dem Hauptmann ab und ganz dem jungen Wachowski zu, während ihr Vater die Unterhaltung mit den anderen nach seinem Belieben, immer lauter im Ton und kräftiger im Stoffe, führen durfte. Die arme kleine Lena hätte wohl rot werden können bei all den derben agrarischen Späßen des losgelassenen alten Junkers, aber sie hörte nicht hin. Sie antwortete auch nur mechanisch auf die Fragen des Doktors, der ohne viel Erfolg den Hausherrn zu unterbrechen versuchte – sie mußte voll Staunen und Bangen immer wieder nach dem Paar ihr gegenüber sehen.

Was bedeutete das nur? Was wollte das Fräulein von Terkuhn, die Hochmütige, die Männerfeindin, gerade von ihrem Vetter? Und was wußte sie von ihm? Jedenfalls würde nur Schlimmes für den armen Hans dabei herauskommen, denn Fräulein Adalisa war gefährlicher in ihrer festlichen Freundlichkeit, als in der grollenden Alltagsstimmung, das hatte sie an sich erfahren. Wenn nur erst der Kaffee serviert würde, dann konnte sie ihm ein Wort der Warnung zuflüstern und dann kam ja auch die heißersehnte Freistunde, die sie mit ihm zusammenführen sollte. Wie hatte auch er sich vorher darauf gefreut!

Plötzlich war es ihr, als ob zwischen den liebevollen Blicken, die sie noch vor kaum einer halben Stunde gewechselt hatten und seinem jetzigen An-ihr-vorübersehen Ewigkeiten lägen. Was war das nur? Was ging in ihm vor? ...

Ja, was ging in ihm vor?

Als sich die wunderschöne Frau – »Mädchen« wagte er sie kaum vor sich zu nennen – mit einem Ruck ihm zugewendet hatte, als dann ihre scharfen Augen sich mit großen Blicken in die seinen tauchten, um ihn nicht mehr loszulassen, da war mit einem elektrischen Schlage zugleich eine heiße Angst in ihm hochgestiegen.

Dann fing sie an zu fragen, so geradezu, wie sonst fremde Damen in Gesellschaft nicht zu fragen pflegen, nach Familien- und Vermögensverhältnissen, nach Alter, Gesundheit und Neigungen. Darüber war er halb erstaunt und halb empört, aber er antwortete doch wie unter einem Zwange. Einmal überflog ihn die Idee, daß sie ihn Lenas wegen so ausfrage, aber dann kam eine eigentümliche Bemerkung von ihr, die ihn von diesem Wege wieder abbrachte.

Sie erkundigte sich, ob es eine Geschichte seiner Familie gäbe, und ob sein Adel Sobieski-Adel wäre.

Das war nun seine schwache Seite, da man seinen polnischen Namen oft nicht für vollgültig ansah.

Nein, sie waren zwar verarmt, aber ein altes Starostengeschlecht. In der Polengeschichte wimmelte es von stolzen und tapferen Wachowskis. Bei Rednitzko lagen die Trümmer ihrer alten Raubburg. Da hatte z. B. vor drei Jahrhunderten ein Bogis Wachowski gehaust, dessen Schandtaten, wie er leider bekennen mußte, heute noch in den Liedern des Volkes lebten.

Da rief das Fräulein von Terkuhn ganz laut und triumphierend: »Wie mich das freut! Wie mich das freut!«

»Warum nur?«

Er erhielt keine Antwort. Und nun schoß es ihm durch den Kopf: »Sie braucht einen Güterdirektor und will mich engagieren – und hochmütig wie sie ist, freut sie sich, daß ich von Adel bin – aber daraus wird nichts« – und mit einem lächelnden Blick sah er endlich wieder zu Lena herüber.

Da aber lehnte Fräulein von Terkuhn sich fest an seinen Stuhl, ihre Schulter streifte ihn, und ihre Augen blickten in die seinen so herausfordernd, so heiß und weich zugleich, daß er mit einemmal wußte, was sie von ihm erwartete. Er gefiel ihr als Mann, er dieser unnahbar Stolzen, vor deren Falkenauge sonst keiner Gnade fand – er, der kleine Sommerleutnant dieser wunderschönen Herrin – seine Jugend – seine Person rissen dieses Weib zu ihm. – Das Weib. – Nur das Weib.

Wie ein heißer Traum sank es über ihn, und von nun an sah er alles um sich her durch einen rotgoldenen Schleier. Die arme Lena stand dahinter wie eine liebe, aber halb vergessene Bekannte aus fernen Zeiten, zu der man im Vorübergehen freundlich hinüberwinkt ...

Als endlich die Tafel aufgehoben wurde, trat sie zu ihm und sagte, daß sie ihn nach dem Kaffee zu einem Spaziergang erwarte.

Er sah sie verträumt und lächelnd an und nickte ein »Ja«, aber dann stand er schon wieder neben Fräulein von Terkuhn und fand es ganz selbstverständlich, daß sie den Arm in den seinen legte.

»Sorgen Sie für Kaffee und Likör, Fräulein Aussig« sagte sie über die Schulter weg, »und leisten Sie den Herren, so lange es gewünscht wird, Gesellschaft. Sehen Sie auch nach meinem Vater. Ich gehe mit dem Herrn von Wachowski nach den neuen Obstpflanzungen.«

Den Herren kurz und mit lässiger Handbewegung zuwinkend, stieg sie die breite Treppe zum Garten hinab, – Hans von Wachowski schweigend und glühend neben ihr. Der rote Kopf überragte seinen dunkeln um ein Weniges, und wie der leichte Gang ihres Begleiters sich dem wiegenden, schleppenden unterordnete, den sie sich für ihre Person zurechtgestimmt hatte, schien er der Unsichere, während sie den Schritt angab.

»Jungfräuliche Königin,« entfuhr es dem Hauptmann, der den so ohne Umstände sich Absondernden verblüfft nachblickte.

»Ich möchte sagen: der Teufel mit der armen Seele« erwiderte der Doktor achselzuckend und sah sich nach Fräulein Lena um.

Die unterdrückte mit der Selbstzucht, die ihre Stellung sie gelehrt hatte, die Tränen, die aus bangem Herzen aufquellen wollten. Sie bot den Gästen den Kaffee an, überredete Herrn von Terkuhn sein Zimmer aufzusuchen, und verabschiedete sich dann, dem Wunsch ihrer Herrin entgegen, von den Beiden, die voll mitleidiger Rücksichtnahme keinen Widerspruch wagten. – – Das Fräulein von Terkuhn und ihr Begleiter gingen inzwischen durch den alten Lindengang, und ihre Füße wühlten in gelben, raschelnden Blättern.

Es war ein goldner Septembertag, die Laubbäume standen in ihren herbstlichen Prunkkleidern bunt und leuchtend umher, und die mächtigen Weymouthskiefern zeichneten ihr tiefdunkles Grün doppelt düster dagegen. Der Himmel spannte sich so hoch und klarblau wie im Süden, aber die Sonne mit all ihrem Goldgefunkel wärmte nicht mehr. Große Blumenbüsche sahen hinter Hecken und Sträuchern hervor – gelbe Sonnenblumen, rote Malven, alles leuchtend, aber ohne den süßen Sommerduft. Dafür atmete der Herbst kräftig und herb durch Baum und Strauch über die glattgemähten Wiesen und von den jungen Schonungen her, die sich jenseits des alten Staketenzauns aufreckten. Es war so still, daß das liebliche Zirpen des Zaunkönigs schon wie ein helles Stimmchen aus dieser Stille aufsprang – und das Schweigen der beiden Menschen darin war eine Selbstverständlichkeit.

Übrigens gingen beide so tief in Gedanken, daß es ihnen gar nicht auffiel.

Adalisa von Terkuhn fühlte eine trunkene Freude. Eine Art von Jägerinstinkt sagte ihr, daß sie eine gute Wahl träfe, wenn sie diesen Mann an sich zog. Es war nicht Zärtlichkeit, die sie empfand, wenn sie seine sanften, dunkelbewimperten Augen an sich hängen sah, auch nicht eine der Aufwallungen, die sie als »Niedrigkeiten« in sich hier und da zu bekämpfen hatte, – es war mehr eine aufquellende Dankbarkeit, weil sie sich ihrem Ziel endlich nahe fühlte. Und dann tauchte auch noch etwas anderes dahinter auf, etwas Schlimmes, was doch zu den seltenen Freuden gehörte, die das Leben ihrem Wesen bot – das Bewußtsein, einem anderen Menschen wehe zu tun, darben zu machen, während sie genoß. Ohne daß sie das alles in Worte faßte, kochte es in ihrem Hirn durcheinander – praktische Fragen quirlten mit auf – Bedenken, ob dieser junge Mann Kenntnisse und Überblick genug für eine so große Herrschaft besitzen werde, – denn der Oberinspektor mußte natürlich fort – der rote Kopf des Fahnenjunkers tauchte dazwischen auf – auch eine flüchtige Vorstellung von rothaarigen Buben, die auf wilden, kleinen Pferden über die Felder jagten. In all dieses phantasierende Denken und Bedenken hinein rief eine Stimme immer ganz laut: »Greif zu, greif zu.« ...

Durch die Obstkulturen waren sie nun schon gegangen und kamen an den weißgestrichenen, stachelbewehrten Zaun, der den Obstgarten von einem Wiesengelände schied. Da blieb sie stehen und legte den Arm um einen glatten Stamm. Ihre Augen suchten mit forderndem Blicke die seinen. Er strich mit der feinen, braunen Hand darüber, als ob er den Schlaf daraus wegwischten wollte und betrachtete aufmerksam den Baum.

»Es ist eine Grumbkow mit einer Muntos okuliert,« sagte er verwirrt ... »merkwürdig, daß das Experiment gelungen ist.« ...

Sie sah ihn unverwandt und lächelnd an.

»Wir wollen über die Wiese in den Eichenkamp,« sagte sie dann mit emporgehobener weisender Hand. Und dort gingen sie auf schmalem Pfad dicht nebeneinander zu den Eichen, unter denen auf einer kleinen Bodenerhöhung jene sagengeweihte mit ihrem mächtigen, knorrigen Stamm und dem harten, kleinblätterigen Geäste stand.

»Sie wissen doch von dem heiligen Hain Romove und seiner Eiche?« fragte sie.

Er schüttelte den Kopf, sagte dann doch »ja, ja« und sah ganz abwesend um sich.

»So eine ist dies auch,« sagte das Fräulein von Terkuhn und lehnte sich an den Stamm.

Und plötzlich faßte sie den Träumenden an beiden Schultern und drehte ihn sich zu.

»Was denken Sie von alledem, junger Wachowski?« flüsterte sie.

Er stand blaß und mit wildschlagendem Pulse da. »Ich wag' es kaum – ich wag' es kaum« ... und doch wagte es sein verlangender Mund, den ihren zu suchen. Aber da traf ihn das helle Funkeln der Raubtieraugen, und es war, als ob die beiden Hände auf seinen Schultern ihn mit schwerem Gewicht zu Boden drückten. Er fiel vor ihr nieder, seine gleitenden Arme umfaßten sie, und er preßte den Kopf in ihren Schoß ...

Nach einem Augenblick, in Flammen verlebt, machte sie sich los und kniete neben ihm nieder.

Ihr Kopf mit den leuchtenden Haaren lag nun an der alten Terkuhneiche, und die breiten Lider deckten die gefährlichen Augen. Da war sie ein Weib wie andere, und der junge, heiß Betörte fühlte mit einer Wonne ohnegleichen, wie Scheu und Traumbefangenheit von ihm abfielen und daß er als Mann und Herrscher dieses königliche Geschöpf in seine Arme zwingen konnte.

Er tat es, ohne daß sie ihm wehrte, und küßte sie stürmend und fordernd ...

– – In die außerweltliche Stille dieser Augenblicke tönte scharf und mahnend die Vesperglocke vom Hof her.

»Steh auf,« sagte da Adalisa von Terkuhn. »Weißt du, daß du jetzt ein Terkuhn werden wirst, – einer von uns – ein Terkuhn?« ...

Er folgte ihr benommen und mit schwerem Kopf. »Ich kann das alles noch gar nicht glauben,« sagte er und fuhr in ihr schweres, an der rechten Seite halb gelöstes Haar, wie um sich zu überzeugen, daß er nicht träume.

Sie schüttelte seine Hand ab, nahm sie aber wieder und hielt sie fest während des ganzen Weges.

Er stammelte hier und da ein zärtliches Wort, aber er konnte das rechte, das er suchte nicht finden. Sie achtete auch nicht darauf, aber von Zeit zu Zeit blieb sie stehen und sah ihn mit großen, forschenden Blicken an. So gingen sie zuletzt ganz schweigend denselben Weg zurück, den sie gekommen waren.

Als sie den langen Lindengang mit den raschelnden Blättern wieder betraten, sahen sie am Ende auf der Terrasse die Uniformen der beiden Herren und das helle Kleid Fräulein Lenas.

Hans Wachowski zuckte zusammen und wollte unwillkürlich seine Hand lösen, aber Adalisa von Terkuhn hielt sie fest.

Sie kamen näher und näher. Nun hatte man sie bemerkt.

»Ich glaube, Sie müssen Ihr Haar in Ordnung bringen,« sagte er, nach der herabhängenden Strähne blickend, in der sich ein paar rote Herbstblättchen verfangen hatten.

Sie lächelte hochmütig und ließ seine Hand endlich los.

»Ich zeige mich jedermann, wie ich bin – du mußt's auch lernen,« sagte sie.

Und dann zog sie ihn zu der kleinen Gruppe, die ihnen in schweigendem Staunen entgegensah.

Nicht sie, aber die beiden Männer, von Wachowski mechanisch nach der Vorschrift begrüßt, sahen verlegen zur Seite. Fräulein Lena trat sehr ernst und blaß zu ihr und dem Vetter.

Das Fräulein von Terkuhn nahm keine Notiz davon. »Haben Sie sich Garten und Hof angesehen, meine Herren?« fragte sie ein wenig von oben herab: »Ich kann mich Ihnen leider heute nicht widmen. Ich bitte, Leutnant von Wachowski ...«

Der blickte wie gebannt nach der Jugendfreundin.

»Gnädiges Fräulein, ich habe mit meinem Vetter noch zu sprechen, und bitte, ihn mir für eine halbe Stunde zu überlassen ... Hans!« wandte sich Fräulein Lena mit dringendem Ton an ihn.

»Später, Fräulein, später,« lächelte Adalisa von Terkuhn, das ganze Gesicht in Schadenfreude getaucht. »Auf Wiedersehn!«

Und sie deutete Hans von Wachowski den Weg, den er zu nehmen hatte, und ging hinter ihm langsam und großartig in ihrem zerdrückten Kleid und dem hängenden Haar an den drei stumm Dastehenden vorbei. Durch den Festsaal und über den Korridor zu einer niedrigen, breiten Tür, hinter der laute Scheltworte hallten.

»Wohin führen Sie mich? – Und meine Cousine Lena muß ich in der Tat dringend sprechen,« sagte Wachowski endlich beklommen.

»Zu meinem Vater. Es ist eine leere Form, aber sie muß gewahrt werden.«

Sie klopfte. Der alte Diener öffnete, von einem Donnerwetter aus dem Rollstuhl begleitet, und verschwand auf einen Wink seiner Herrin.

Die Luft war von Tabaksqualm so dick, daß man das Schimpfen hörte, dessen Urheber aber nicht sah. Hans von Wachowski konnte in dem beizenden Rauch die Augen kaum offen behalten. Seine Führerin schien daran gewöhnt. Sie zog ihn zu dem Fensterplatz, an dem der alte Herr seine Kutscherpfeife rauchte.

»Vater, ich habe mich mit dem Herrn von Wachowski verlobt. Ich bringe dir deinen Schwiegersohn, den zukünftigen Herrn von Terkuhn-Terkitten.«

Der Alte stieß ein grelles, dröhnendes Lachen aus.

»So ... so ... so ... Also gelungen ... also endlich. Na mir soll's recht sein. Ich liebe zwar die edlen Pollen nicht –«

»Bitte, ich mache dir die Mitteilung, Vater – eine Kritik wird nicht verlangt.«

»Also meine untertänigste Gratulation zum Prinz-Gemahl. Seid fruchtbar und mehret euch, meine Kinder, – aber bringt mir keine Pollacken in die Familie – wie gesagt die edlen Pollen ...«

»Wir werden von der bevorstehenden Heirat noch heute Mitteilung machen ...«

»Nee, das werden wir nich,« grinste der Alte. »Das schickt sich nich – meine vieledle Tochter. Wir sind die Terkuhns auf Terkitten, und wir greifen uns keinen Sommerleutnant zwischen Diner und Tee – oder vielmehr, wir tun's schon – aber wir zeigen's nicht – verstanden?«

Hans von Wachowski fuhr nun endlich aus seiner Benommenheit auf. »Fräulein von Terkuhn, ich bin in einer unwürdigen Situation. Ich liebe Sie heiß, aber von allem, was Sie sagen, von Heirat und Verlobung ist doch kein Wort zwischen uns gefallen. Ich würde ja gar nicht wagen – wie sollte ich? – ich denke nicht ...«

»Das Jungchen will nicht,« höhnte der Alte. »Nutzt Ihnen nichts, mein Sohnchen, wenn die Adalisa einmal zugreift, hält sie fest, da hilft kein Wehren. Was wollen Sie auch? Erbarmen! Terkitten ist ein schönes Stück Erde, und die Freier haben sich Dackelbeine danach gelaufen.«

»Ich muß bitten, mich zu entlassen,« sagte Hans Wachowski, zitternd vor Scham und Ingrimm. »Ich habe keine Veranlassung zu dieser peinlichen Szene gegeben. Ich kann nicht fassen, daß mir derartiges begegnen soll.«

Da langte, von blauem Rauch umflossen, die große, weiße Hand Adalisa Terkuhns zu ihm herüber. Die eben noch scharfe Stimme sänftigte sich zu einem Anflug von Zärtlichkeit.

»Was haben wir zwei mit Brutalitäten zu schaffen, die uns beschimpfen sollen? Ich hab' dich als den besten, den lange Gesuchten, erkannt, gleich, als du in den Saal tratst. Und an unserer Eiche haben wir uns verstanden ... Daß ich dich nicht aus Leichtsinn oder zum Zeitvertreib küßte – das wußtest du doch.«

Er schwieg.

Da neigte sich das zarte Gesicht mit dem leuchtenden Rothaar darüber zu ihm. Ernst und feierlich küßte sie ihn auf den Mund und sagte:

»Hans Terkuhn, du sollst gesegnet sein und Segen bringen.«

Er fühlte die weichen Arme um sich, und die heiße Seligkeit von vorhin stieg wieder in ihm hoch. Aber das Wort, das sich ihm entringen wollte, blieb ungesprochen – und was er mit Mühe unterdrückte, war – ach wie er sich schämte! – ein bitterliches Schluchzen, wie manchmal in längst vergangenen Schülerzeiten, wenn er im Ringkampf besiegt worden war und Haltung hatte bewahren müssen.

»Donnerwetter!« sagte der Alte, »also es wird Ernst. Da will ich also meinen Rat wiederholen, mit der Veröffentlichung bis nach dem Manöver zu warten. Gründe sind klar.«

»Ja!« sagte Adalisa nach kurzem Bedenken. »In allseitigem Interesse ist es vielleicht richtiger. Obgleich die Herren natürlich gemerkt haben, was vorgegangen ist.«

»Und Lena?« brach nun Hans Wachowski los. »Was soll die denken? Ich weiß nicht, wie ich der unter die Augen treten soll. Wir sind doch so gut wie ...«

»Still!« unterbrach Adalisa gebieterisch. »Das werden wir in Ruhe besprechen und drüben bei mir. Guten Abend, Vater« ...

»Sie scheinen ein anständiger Junge zu sein« – knurrte der alte Terkuhn, Wachowskis Hand pressend und ihn einen Augenblick zurückhaltend. »Wie wär's, wenn Sie ausrissen? – Ne – ne – ich meine man so – ich bin grundsätzlich gegen die Ehe – gegen die Ehe.«

Die Tür schloß sich, und Hans Wachowski sah wirr und mit innerlichem Zittern den nächsten Augenblicken entgegen. Wie ein Zuschauer und mit gebundenen Händen stand er jetzt in demselben Gartensaal, in dem vor wenigen Stunden dieses rothaarige Schicksal in sein friedliches Leben gebrochen war – und wußte nicht aus noch ein.

»Du mußt dich nicht fürchten, mein Freund,« sagte Adalisa von Terkuhn, »weil das alles so schnell kommt. Ich kann keine schönen Worte finden, aber ich möchte es dir gern erklären. Ich sehe doch, es ist immer nur der eine Augenblick der Entscheidung, der wichtig ist. Alles vorher – die Vorbereitungen – sieh mal, das hält doch alles auf, und ist eigentlich überflüssig, nicht? Komm, wir wollen uns hier zu meinen toten Vorfahren setzen, das sind die wahren Verwandten, bald auch die deinen, da wollen wir ordentlich besprechen, wie wir alles einrichten müssen.«

Und sie erzählte, – und der übermäßige Eifer, mit dem sie sprach, belebte wie ein feuriger Strom die stockenden und ungewandten Worte, – daß nach dem unheilbaren Erkranken ihres Vaters, als sie notgedrungen die Generalvollmacht für die Verwaltung hatte bekommen müssen, der Rechtsanwalt des Hauses das vielbesprochene Immediatgesuch an den Kaiser aufgesetzt hatte, nach dem der Mann, den sie heiratete, den Namen Terkuhn führen und das stolze Geschlecht vertreten sollte. Es war zustimmend beantwortet worden. Sie sprach dann von geschäftlichen Dingen, von der Lebensarbeit, die in ihrer Hand nun vor ihm lag, von dem erhöhten Ansehen, das sie Beide dem alten Namen schaffen würden, von dem Glück, diesem und diesem, – sie deutete auf die rothaarigen Zuschauer an der Wand – zu beweisen, daß die Gegenwart doch auch wieder etwas wert sei, nachdem manch ein Terkuhn um die Ecke gegangen wäre.

Sie sprach und sprach, und ihre leise, harte Stimme rüttelte an dem jungen Zuhörer, der in bebender Haltlosigkeit dasaß.

»Nun sprich du, sag mir etwas Gutes, sag, wie du dich freust,« schloß endlich das Fräulein von Terkuhn, und sah ihn mit einem ermunternden Blicke an.

Er wollte auch etwas Kluges und Warmes sagen, aber es fiel ihm nichts ein. So sah er bange vor sich hin und versuchte dann nach ihrer Hand zu fassen.

Sie gab sie ihm mit kräftigem Druck. »Also gute Gemeinschaft, Hans von Wachowski.«

Da stammelte er endlich: »Ach von dem allen versteh ich nichts.« Und dann brachen die angesammelten Worte sich Bahn, und er fuhr hastig fort: »Es ist mir über den Kopf gekommen, ich weiß nicht, wie. Ich habe nicht einmal geahnt, daß ich mich getrauen könnte, eine Frau wie Sie nur leise zu berühren, und nun ...«

»Du mußt »du« sagen.« –

»Du, also du,« rief er nun aufspringend. »Dann laß uns nicht von allem sprechen, was noch in weiter Ferne liegt, laß mich in deinem schönen Haar wühlen, laß mich mich satt küssen, damit ich etwas Wirkliches habe. Ich bin ja wild vor Verlangen nach dir, du Schöne, du – du – du –!! Dein Sklave will ich ...«

»Sklave – – Sklave,« wiederholte sie mit ihrem geheimnisvollen Lächeln und legte seine beiden heißen Hände an ihre Schläfen. »Also unbedingte Ergebenheit – ja, die erwarte ich.«

Ihn an den Handgelenken haltend, fühlte sie das Schlagen seiner Pulse, und seine Jugend zitterte in ihr nach. Aber alles, was sie empfand, steigerte sich zu einer heißen Gier, die Beute nun auch so in Sicherheit zu bringen, daß nichts sie ihr mehr streitig machen konnte, und in diesem Gedanken ließ sie die zuckenden Hände fallen und sagte in ihrem harten Alltagston:

»Wir wollen zunächst also Fräulein Aussig rufen und ihr mitteilen, was wir beschlossen haben. Natürlich darf sie aber dem anderen Personal nichts sagen.«

Das war nicht klug. Die Gluten erloschen bei dem kühlen Wort. Die eben niedergerissenen Schranken richteten sich wieder auf, und hüben und drüben standen nicht mehr der Liebe heischende Mann und das sich neigende Weib, sondern die Gutsherrin und der an Gehorsam gewöhnte Inspektor, in dem sich jetzt ein entschiedener Widerspruch regte.

»Ich muß meine Cousine allein sprechen!« sagte er. »Es geht auch nicht, daß sie zum Personal gerechnet werden soll, – nein, das geht ja alles nicht!« rief er laut, »Fräulein von Terkuhn, das geht ja alles nicht.«

Ein heißer Wutschauer, mit brennender Scham gemischt, überflog Adalisa von Terkuhn, aber noch hielt sie an sich. Der Jägerinstinkt gebot: »Selbstbeherrschung und Ruhe.«

»Du hast mich wohl nicht ganz verstanden,« sagte sie leise. »Ich will doch gerade deine Cousine als Verwandte begrüßen. Ich rufe sie jetzt.«

»Nein, nein,« bat Hans voll Pein und Ratlosigkeit. »Ich will das nicht.«

Aber da war es schon zu spät. Auf das zweimalige Glockenzeichen trat nach leisem Klopfen Lena Aussig in den Saal.

Wie blaß und ernst sie in dem dämmerigen Herbstabendlicht dastand! Kein Wort auf den weißen Lippen, die Augen gesenkt – denn wie sollten sie das Bild ertragen, das sich ihnen bot!

In einem der großen Fensterbogen standen die beiden eng aneinander geschmiegten Gestalten. Das Fräulein von Terkuhn hatte den Kopf an die Schulter von Hans Wachowski gelehnt.

Blutrote Weinranken schwankten hinter ihnen, und der rötliche Dunst der vergehenden Herbstsonne war um sie wie ein Schimmer, der aus ihnen selbst herausstrahlte. Zwei Glückliche, von roter Lebensglut umflossen. Das wollte die arme Lena länger nicht sehen, und darum ging sie zur Tür zurück.

»Fräulein Lena, Sie sollen uns gratulieren. Ihr Vetter, Hans Wachowski, und ich haben uns eben verlobt,« sagte das Fräulein von Terkuhn und trat mit dem Mann an der Hand aus dem roten Licht.

Nun fand Lena Aussig ihre Haltung wieder. »Ach nein,« sagte sie. »Den Glückwunsch wird mir Hans wohl ersparen. Er kann ihn auch nicht erwartet haben. Guten Abend, gnädiges Fräulein ...«

Da riß Hans Wachowski sich von den Fingern los, die ihn umklammert hielten und trat dicht zu dem jungen Mädchen hin. Ihm war in diesem Augenblick, als müßte sie ihm zusprechen, ihn trösten, als wäre er ganz allein mit ihr, und könnte ihr klagen und mit ihr beraten.

»Lena, Lena,« sagte er. »Ich hätte dich vorher sprechen müssen, vergib. Ich bin ja selbst ganz wirr, sie hat mir alles über den Kopf weggenommen.«

Das Fräulein von Terkuhn richtete sich kampfbereit auf. Ihre Augen begannen zu funkeln.

»Schweig,« rief sie heiser.

Aber in seiner großen Erregung sah und hörte Hans von Wachowski sie nicht.

»Lena, Lena,« sagte er mit einer Zärtlichkeit in der Stimme, von der Fräulein von Terkuhn trotz des heißen Küssens nichts vernommen hatte, »sieh mich nicht so an; es wird alles wieder gut.«

Nun geriet auch Lena außer sich.

»Was soll gut werden, nachdem du dich von dem Fräulein da hast fangen lassen, wie?«

»Sie Unverschämte,« zischte das Fräulein von Terkuhn und sprang, von den fliegenden Haaren umflattert, auf das hochaufgerichtete Mädchen zu. In diesem Augenblick trafen sich ihre gelben, funkelnden Augen mit denen des Junkers an der Wand, der seine kurbrandenburgische Fahne in steifer Hand vorstreckte und starr und feierlich wie immer zusah, was die Terkuhns von heute taten und trieben. Aus dem dunkeln Zugehörigkeitsgefühl zu diesem toten Bundesgenossen schäumte eine rasende, besinnungslose Wut in Adalisa von Terkuhn auf. – Beutegier, Berechnung, Sinnesrausch – alles ertrank darin. Wie mit tausend Händen aller vergangenen Terkuhns regte es sich in ihr, um die Plebejer da niederzureißen und zu vernichten. Rote Ströme rauschten, wie aus Blut und Glut gemischt, und das Weib, das daraus auftauchte, Spitzenfetzen in den ausgespreizten Armen, die Raubtieraugen in übermenschlichem Glanz sprühend, fremde, unverständliche Töne schreiend, war in seiner furchtbaren Schönheit etwas so entsetzliches, daß die beiden vor ihr in Grauen und Furcht erstarrten.

Mechanisch trat Hans Wachowski vor seine Cousine, um sie vor dem zu schützen, was kommen konnte, aber das Fräulein von Terkuhn rührte sich nicht, nur ein fauchendes Hohnlachen löste den furchtbaren Krampf in ihr und zwischen zusammenschlagenden Zähnen stieß sie ein »Hinaus« hervor.

»Geh,« sagte auch Hans Wachowski und schob die zitternde Lena durch die Tür nach dem Korridor.

Er hatte sich auf sich selbst besonnen. Die fremde schöne Bestie, die da noch zuckend und keuchend an ihrem Platz stand, hatte keine Gewalt mehr über ihn. Zwar, der innerste kleine, feige Mensch in ihm zitterte, aber er mußte tapfer sein und dann kam die Manneszucht ihm zu Hilfe. Er durfte sich von diesem Weib nicht hinausweisen lassen.

Und so trat er dicht an sie heran.

»Verzeihung, gnädiges Fräulein« sagte er leise und heiser, »ich bitte um die Erlaubnis, mich zu verabschieden.«

Es klang ihm selbst dünn und ärmlich, was er da sagte, – so als ob er gegen einen tosenden Wasserfall spräche. – Das verächtliche Lachen, das wie mit Peitschenhieben über ihn herfiel, befreite dann die unterdrückte Empörung in ihm. »Sie ..., was denken Sie sich eigentlich? ..., Sie ...«

Er kam zu keinem weiteren Wort. Das Weib sah mit wilden Augen und fletschenden Zähnen um sich und duckte sich wie zu einem Sprunge.

Unwillkürlich hielt er die Hand schützend vor sich. Da riß sie sie hinunter und mit einem rauhen, stöhnenden Schrei schlug sie die spitzen Zähne in das Handgelenk.

Und dann eine Sekunde tiefes Schweigen. Blaß und schlotternd richtete sie sich auf und sah wie ein klagendes Tier nach dem Fahnenjunker an der Wand.

Der andere war nicht mehr da für sie. Sie bemerkte es nicht, daß er in dumpfem Erstaunen die hervorquellenden Blutstropfen betrachtete, noch einen scheuen Blick voller Grauen und Widerwillen auf sie warf und dann hinausging.

Vor der Tür stand der alte Diener. Mit gesenktem Kopf auf den Zehenspitzen ging er führend vor dem Leutnant her und geleitete ihn zu der Zimmertür des Hauptmanns.

»Der Herr Hauptmann wünschen den Herrn Leutnant dringend zu sprechen.«


Um 6½ Uhr war zum Aufbruch geblasen. Man hatte von den Herrschaften nichts mehr gesehen und schon gestern Abend sich in formellster Weise von dem alten Herrn verabschiedet – mit Ausnahme des Leutnants von Wachowski, der wegen starken Kopfwehs sein Zimmer nicht verlassen hatte. Die Damen waren nicht mehr zum Vorschein gekommen. Fräulein Aussig war sogar plötzlich in das nahe Städtchen gefahren und hatte ihren Vetter durch einen Brief über diese schnelle Abreise verständigt.

Jetzt ritt man zu dreien, wie gestern morgen, aber in entgegengesetzter Richtung davon. Leute und Pferde waren über die Chaussee gegangen, die drei Herren nahmen den kürzeren Waldweg durch den Eichenkamp.

Wieder wie gestern, der Doktor mit Fips, dem Terrier, voran, die beiden anderen schweigend hinterher.

Über Nacht hatte es einen Sturm gegeben. Die bunten und gelben Blätter lagen über abgeschlagenen, dürren Ästen in Haufen auf dem Wege und raschelten. Die Sonne war noch nicht durch, und der graue, tropfende Herbstnebel verschleierte die Ferne und zog in Ballen und Streifen über die rostroten Gebüsche und die kahlen Stämme. Hier und da hob er sich, und dann sah man in einem Ausschnitt über Wiesen und Lichtungen weit in den Wald hinein.

So geschah es jetzt eben. Und da stand mitten auf einem kahlen, nur von kleinem Eichengestrüpp überwucherten Platz eine uralte Eiche mit weit ausgreifendem, verknorrtem Geäst. Unten an dem mächtigen Stamme bewegte sich etwas Graugrünes. Der Weg nahm die Richtung auf den Baum zu und führte in etwa 20 Schritte Entfernung daran vorbei.

Der Leutnant sah auf und fuhr zusammen.

Auch der Doktor hielt und wartete.

»Vorsicht!« sagte er, »ich schlage vor, wir nehmen den Leutnant in die Mitte und reiten da Schritt vorüber. Ich kann an der Spitze bleiben.«

Der Hauptmann hatte sich auch orientiert.

»Nein, Sie mit Fips dürfen nicht voran. Ich nehme die Tête.«

Und so geschah es. Ohne weitere Worte über die Gründe dieser Vorsicht, in gespannter Aufmerksamkeit, mit weit geöffneten Augen zogen die Reiter hintereinander langsam und lautlos den Weg hinunter, auf dem noch die Schatten der Wünsche von gestern kauerten.

Einen Augenblick hob sich an dem zerklüfteten Stamm ein leuchtend roter Fleck aus den grauen Nebelschleiern. Aber gerade als die drei an der Wegbiegung anlangten, von der aus man den ganzen Platz hätte übersehen können, jagte ein leiser Wind flatternde Nebelwolken aus dem Linksgebüsch auf und verhüllte die alte Terkuhneiche und was darunter stand.

Es war nun nichts mehr zu sehen als ein paar kahle Arme des mächtigen Baumes, und nichts zu hören, als der krächzende Schrei von streifenden Krähen ...

Von dem Fräulein von Terkuhn war nichts mehr zu spüren ...

Nach zehn Jahren

Wie ein Fremder in eine fremde Stadt zog Doktor Wilhelm Born an einem kühlen Septembernachmittag in Eyslau, seinem Geburtsnest, wieder ein.

Niemand erwartete ihn. Die wenigen Personen auf dem Bahnsteig sahen ihm nach wie einem Unbekannten, der weiter nichts Auffälliges oder Interessantes an sich hat, und auch er streifte sie mit den gleichgültig übersehenden Blicken des Wandernden, der nur körperlich und ohne inneres Aufmerken um sich schaut.

Dem kleinen, zerlumpten Jungen, dem er seinen vielgebrauchten Handkoffer auflud, gab er an:

»Nach dem Grünen Kranz zur alten Frau Born.«

»Is kein Wirtshaus mehr,« sagte der Bursche.

»Weiß ich, vorwärts,« lautete der kurze Bescheid. Der Junge sah ihn groß an und setzte sich in Trab. Er selbst ging langsam hinterher. Durch die Bahnhofstraße mit ihrer kümmerlichen Kastanienallee, deren Bäume halb entblättert und zerzaust in dem kalten Winde schwankten. Durch die enge Badergasse, in der ein hoher Getreidespeicher mitten unter kleinen Armeleutshäuschen aufragte. Dann kam der Markt, ausgestorben und kahl, ein Tanzplatz für zusammengewirbelte Herbstblätter, und nun rechts hinauf die Grüne Straße, aus der schon Dämmerungsschatten stiegen.

Die Häuser, dürftig und grau, standen ziemlich dicht einander gegenüber. Sie waren alle gleichmäßig aufgebaut und getüncht und alle gleichmäßig kahl. Das vierte hatte neben dem Hauseingang einen großen Torweg, der mit einer schiefen, fahlroten Holztür verschlossen war.

Da blickte Doktor Born auf, lohnte seinen Kofferträger ab und ging durch die Einfahrt auf den Hof. Hier, am Fenster der großen Stube, die den Anbau ausfüllte, saß in einem braunen Großvaterstuhl die alte Frau Born. Sie hatte die Brille auf der Nase und das Strickzeug in den verkrümmten Gichthänden. Ein Ausdruck von Zufriedenheit lag auf dem alten Gesicht ... Nun hob sie es langsam und gewahrte den Draußenstehenden. Verwundern, Erschrecken, Erkennen flogen darüber hin, und zuletzt, wie ein aufflackerndes Licht, ein frohes Lächeln.

Da ließ Doktor Born den Koffer fallen und lief in die dämmerige Stube hinein. Er nahm die alte Frau an seine Brust und drückte sie fest an sich.

»Gott sei Dank, daß du noch da bist, Mutter!«

»Du – du –« sagte sie, sich freimachend. »Beinahe hätt' ich dich nicht erkannt ... Herrgott, ich dacht' ja, der Vater stand draußen ... Und schon graue Haare? ... Und nun wirst du hier zu Hause doktern? Jung', Jung' ... zehn Jahre! ... Wir dachten, du wolltst erst am Freitag kommen. Zu tun wirst du schon haben. Der alte Sanitätsrat hatte ja die meisten ... Zu dem Doktor Heymann gehn sie ja nicht. Bloß die paar Kathol'schen und die Juden ... Konnt' das nicht der Vater erlebt haben? ... Der Wilhelm! Und hier bei uns Doktor!« So und mehr schwatzte das alte Weibchen und lief dabei in der Stube herum und rückte hier an den birkenen Stühlen und glättete dort das gehäkelte Deckchen auf der Kommode und blieb zuletzt vor dem Sohn stehen, der sich in den Großvaterstuhl gedrückt hatte.

»Ja, Mutter, da wären wir also zu Hause ... Gut gegangen ist mir's gerade nicht. Geschuftet hab' ich mir das Fleisch von den Knochen.« Er streckte einen vermagerten Arm vor. »Jünger bin ich auch nicht geworden, und herausgekommen ist gar nichts dabei.«

»Na, jetzt bist du doch in schönem Amt und Brot,« sagte die Mutter. »Und hier legen sie ja alle was zurück. Essen mußt du bei uns, wenn du vorlieb nimmst, Wilhelm ... Wohnen? Das wird hernach ja wohl nicht gehn.«

»Nein, das ist schon alles abgemacht, Mutter. Als mir der Sanitätsrat schrieb, daß er fortgehen wolle, und mir seine Praxis anbot, hat er mir auch vorgeschlagen, seine Wohnung zum Teil zu übernehmen. Das ist bequem und gut so ...«

»Also da ... am Markt? Beim Kürschner Bartke? ... ja, ja ...«

Die blöden alten Augen wurden vor Stolz naß. Sie trocknete sie mit dem Handrücken ... »Ja, ich dacht', du wollt'st schreiben, wenn du kommst ... Aber deine Stube haben wir schon zurecht ... Betten bezogen und alles. Die Käthe sagte gleich: »Der kommt ungemeldet.«

Der Doktor stand auf und ging eine Weile schweigend im Zimmer umher. »Noch der alte Flickenteppich,« sagte er dann. »An dem hab' ich nähen geholfen ... Ja, die Käthe ist nun also ganz bei dir, schreibst du? ...«

Die Mutter nickte: »Ja, gottlob ... Es bringt sich doch alles ein ... Was hat der Vater damals geredet und geredet ... weißt du noch? Wie der Kantor Müller starb, und die Marjell, die Käthe, mitten im Lehrerinlernen, und nichts mehr da, daß sie's zu Ende bringen konnt' ... Na, und da sagt' ich zu Vater ... Nein, Born, sagt' ich, das Kind übernehm' ich, und wenn ich's mir am Mund absparen sollte ... Und ist es nun nicht gut für mich, daß ich sie auf meine alten Tage hab'? ... Ich brauch' mich nun nicht mehr viel zu rühren ... das heißt, ihr ist es auch wohl ... Sie hat sich mit ihrem kranken Herz schändlich abrackern müssen, wie sie noch Gouvernante war ... Gottchen, die weiß ja noch nichts! Herrje, ich hol' sie schon.«

Der Doktor strich in Gedanken seinen Bart.

»Wo ist sie denn?«

»In der alten Kontorstube ... Da wohnt sie jetzt wieder ... Ich geh' schon ...«

»Laß, Mutter, ich werde selbst ...«

Die Mutter nickte zufrieden.

»Ja, ja ... Ich mach' derweil die Lampe zurecht, daß ich dich doch ganz zu sehn krieg', du ...«

Draußen auf dem dunkeln Hausflur blieb Wilhelm Born einen Augenblick stehen. Dann schüttelte er sich und machte schnell, ohne anzuklopfen, die Tür rechts auf.

In dem einfenstrigen Zimmerchen war noch bleichgraues Taglicht. Neben der andern Tür, die auf die Einfahrt hinausführte, vor der alten Kommode, kniete eine dunkelgekleidete Frau.

Bei dem Geräusch des Eintretenden wandte sie sich um und sprang auf. Ein jähes Zucken lief über ihr Gesicht. In den Augen, die unter vorstehenden Stirnbogen und dichten schwarzen Brauen versteckt lagen, brannte eine hohe Erregung auf.

Sie streckte die Hände aus und ließ sie wieder sinken ...

»Wilhelm ...«

»Sieh mal, du erkennst mich also gleich?« sagte er mit nicht ganz freiem Ton. »Und ich hätte an dir ruhig vorbeigehn können ... Du mußt damals doch noch ein Kind gewesen sein ... Jetzt bist du so groß wie ich ...«

Sie richtete sich höher auf und sagte nichts. Die Hände auf dem Rücken sah sie ihn voll an.

Unter seinen matt neugierigen Blicken verfinsterte sich ihr blasses, großzügiges Gesicht. Die Augen funkelten, der üppige Mund zog sich zusammen, und der Atem drängte sich gepreßt über die Lippen.

Auch sein Ausdruck veränderte sich. Statt des verlegen freundlichen Lächelns, das durch tiefe Kummerfalten melancholisch eingeschränkt war, überzog zuletzt eine gemachte verletzende Gleichgültigkeit sein hageres Gesicht, und seine scharfen, kleinen Augen hefteten sich fest an die ihren.

So standen sie sekundenlang ohne ein Wort.

Dann trat der Doktor einen Schritt näher.

»Sag mal, Käthe, was soll das eigentlich heißen? Wir starren uns an wie ein paar Feinde, und waren doch gute Kameraden ... Ich komme ganz friedlich ...«

»Nach zehn Jahren,« stieß sie höhnisch hervor. »Und was für Jahren!«

»Ja,« sagte er, »Käthe, das ist nun mal nicht anders im Leben. Wir haben eine schöne Zeit zusammen verlebt – der Sommer war schön, wir beide jung, und gaben uns gegenseitig, was wir hatten.«

»Du hast mein Leben schimpfiert – ich war siebzehn ...«

Wilhelm Born zuckte die Achseln.

»Und ich vierundzwanzig ... Mein Gott, Käthe, was soll es dir geschadet haben, daß wir toll und voll glücklich waren? ...«

»Gebrandmarkt hat es mich ... körperlich, seelisch verelendet ... Ein Wort von dir, ein gutes Wort in der ersten gräßlichen Zeit, und alles wäre anders gewesen ... Aber so ... Als ich nach den Sommerferien damals wieder in die Selekta kam, elend zum Sterben – und wartete und wartete ...«

»Herrgott, Käthe, das ist eine Ewigkeit her. Und du hast doch das wirkliche Leben kennen gelernt und solltest dich jetzt nicht mit kindischen Sentimentalitäten abgeben ... Außerdem hat's nie einer geahnt ...«

»Nein, ich habe mich immer nur vor mir allein zu schämen gehabt, daß ich dem ersten, der kam, alles hingeworfen habe, Jugend und Gesundheit und alles ... Einem, der es hinterher nicht einmal der Mühe für wert hielt, zu fragen ... nachzusehen ... o pfui, pfui ... das war roh ... das war schlecht ... das soll dir auf der Seele brennen ... das soll ...«

»Sei still!« befahl er. »Was verlangtest du denn eigentlich? ... Hast wohl gar, trotz der Abrede, noch an Heiraten gedacht? ... Nein, mein Kind, dazu langte es nicht ... Nicht die Kraft und nicht die Neigung ... Auf mich wartete nach ein paar Feierstunden die schwere Arbeit ...«

»Ich hasse dich, ich verabscheue dich,« sagte sie tonlos.

»So?! Weshalb kamst du denn gerade zu meiner Mutter? ... Die Welt ist doch groß genug. Und du bist jung und konntest dich auch anderswo nützlich machen. Nützlicher als hier ...«

»Wilhelm,« schrie sie und fuhr sich mit beiden Händen durch die schwarzen Haare, »wo sollte ich denn hin? Ich habe niemand, und ich bin krank ... Acht Jahre von Haus zu Haus gegangen, und immer mehr arbeiten müssen, als ich konnte ... Meine letzte Stelle wurde mir gekündigt. Da trieb mich die Not her, Wilhelm. Not und Krankheit ... Und wer konnte denn ahnen, daß du auf immer herkommen wolltest?«

»Ja, das konnte keiner ahnen,« sagte er und setzte sich auf den Stuhl am Fenster. »Wenn mir einer vor zehn Jahren gesagt hätte, daß ich in diesem verwünschten Nest einmal die Praxis vom alten Burkhard übernehmen würde, dem hätte ich ins Gesicht gelacht ... Und nun sitzt man doch da ...«

Er zog eines der fahlen Schnurrbartenden durch die Lippen und brütete vor sich hin.

»Warum denn? Warum bist du nicht in Wien geblieben?« fragte Käthe mit demselben Widerwillen im Ton.

»Ach ... warum soll ich's übrigens auch nicht aussprechen ... Es ist mir schlecht gegangen, Käthe ... Ich habe mich – nun, sagen wir unter uns – etwas blamiert.«

Er lachte voll Bitterkeit.

Käthe kam einen Schritt näher und sah ihn musternd an.

»Ja, man merkt's ... Du hast viel durchgemacht?« sagte sie hart, aber doch voll auffordernder Teilnahme. »Du bist wohl irgendwie ins Unglück geraten, wie es ja euch Ärzten durch einen Zufall passieren kann? Wohl gar mit dem Staatsanwalt?«

Er stand auf.

»Unsinn ... Es ist eine elende Sache, an der man erstickt ...«

»So sag's doch.«

»Warum nicht? – ja doch,« sagte er gleichgültig. »Es tut sogar gut, einmal so etwas hinauszuschreien, zur Abwechslung einmal nicht bloß gegen den Wind. Außerdem wußtest du auch schon vor Jahren, aus meiner letzten Studentenzeit, daß ich hinter einer neuen Entdeckung herjagte – Adernerkrankungen ... weißt du noch?«

Ihr Gesicht verzog sich in Bitterkeit.

»Höhne nur, höhne! Das schadet nichts. Wenn man Tag für Tag und Nacht für Nacht auf sich selber herumhaut, müssen ein paar Nadelstiche von einer boshaften Frau ja eine wahre Erleichterung sein.«

Nun sah sie ihn wirklich böse an.

Er aber warf die Lippen geringschätzig auf.

»Ja, vor fünf Jahren war meine große Idee in der Theorie da ... Eine neue Kontraktionsmethode, teils durch chemische ... doch – das ist ja gleichgültig – etwas Neues, Großes war es ... Ein weites Feld abgerungen, vielen Verlorenen eine Hilfe – und für einen selbst der Gipfel ... Ich brauchte Experimente – das Glück verschaffte mir die Gelegenheit. Ich kam in die Abteilung für innere Krankheiten zu Frotha, unbesoldet ... Die Privatpraxis, die sich zugefunden hatte, gab ich auf ... Ich habe unter Schwierigkeiten ... ach, das läßt sich ja gar nicht erzählen – so kaltblütig ... Aber die Entbehrungen, diese Intrigen, Verantwortung, Verschleierung bei den Experimenten ...«

»Auf so ein paar Menschenleben kam es dir dabei natürlich nicht an?« fragte sie höhnisch.

»Nicht im geringsten,« gab er ebenso zurück. »Nein, nein« – er richtete sich auf – »in ehrlichem Ernst gesprochen – es kam mir nicht darauf an ... Ich habe die Sterbegeschichten von fünf Menschen – wertloses und verlorenes Menschenmaterial übrigens – ja, die hab ich verwertet ... Unter Blutschwitzen hab' ich also mein Buch geschrieben ... der letzte Strich fertig – alles zum Druck fertig – auch der Verleger da – und ich betrunken vor Freude – da ...«

Er ballte die Fäuste gegen die Schläfen ...

»Was – was?«

»Da kommt dieser verfluchte Italiener, der Kamazotti, Und bringt seine Abhandlung über meine Materie. Schon fertig – Und meine sollte erst gedruckt werden ... Aber nun das Schlimmste ... Ich lese – und lese – mit einem Teil meiner Experimente das Gegenteil meiner Aufstellungen bewiesen – und – der Hund hat recht ... Der Hund hat recht ...«

Er schlug mit der umgekehrten Hand auf das Fensterbrett und sah abwesend vor sich hin.

Käthe warf den Kopf zurück.

»Wenn dein Buch noch nicht gedruckt war, ahnt ja niemand ...«

»Schöner Trost ... Und meine verlorene Arbeit? Meine Hoffnungen? Mein verlorenes Selbstvertrauen? ... Meinst du, wenn ich davon noch einen Funken übrig hätte, säße ich hier auf dem Sande?«

Käthe trat dicht vor ihn hin.

»Und meine verlorene Jugend? und meine Gesundheit? Mein verlorenes Selbstgefühl? – Siehst du!«

Er schob sie von sich.

»Ja, so,« sagte er. »Ich vergesse ja, wem ich von meinem Unglück erzähle ... Du bist ja selbst so voll von deinem eigenen eingebildeten, und ich sehe ... ja, wahrhaftig ... das ist ja Schadenfreude ... Pfui, Käthe – laß mich hinaus ... Und ein für allemal ... wir sehen uns ja ab und zu – wenn du hierbleibst – bilde dir nicht ein, daß wir noch einmal von intimeren Dingen reden werden. Und mäßige deine Blicke – deinen Ton – sonst –«

»Sonst?« fragte sie.

»Ach nichts –« sagte er widerwillig. »Mir ist ja alles egal. Ich habe den Kopf voll von anderen Sachen ... Also tu und mach, was du willst – aber mich laß in Frieden mit Vorwürfen und Erinnerungen und solchen Geschichten.«

Sie biß die Zähne zusammen und schlug die Augen nieder.

Er sah noch einmal nach ihr. Sie stand in dem Fensterrahmen. Ihre hohe Gestalt in dem schwarzen Kleide schien das kümmerliche Dämmerlicht, das vorher noch die Stube gefüllt hatte, aufgeschluckt zu haben. Es war fast dunkel.

Einen Augenblick blieb der Doktor noch stehen. Als sie kein Wort sagte, ging er hinaus.

In der Wohnstube jenseits des Korridors brannte die Lampe. Die Mutter hantierte in der Küche nebenan.

»Ich geh' noch fort,« rief er ihr zu, »und mach dir keine Umstände mit mir, Mutterchen. Verwöhnt bin ich nicht ...«

Die alte Frau kam doch angelaufen. Sie hatte die Küchenlampe in der Hand, hob sie hoch und besah ihn.

»Und das is mein Kind ... mein Jung' ...«

»Ja, das ist dein Jung'. Und nun setz mal die Küchenlampe hin und nimm seinen alten, häßlichen Kopf in deine Hände und wünsch ... Ach – das ist ja alles gräßlicher, sentimentaler Unsinn ... Guten Abend! Und wenn ich wiederkomme, Mutter, laß mich still in dem alten Großvaterstuhl sitzen ... Und allein wollen wir zwei den ersten Abend sein, ohne Fremde, ja?«

Damit lief er hinaus.

Und lief durch das Städtchen. Vorbei an der verwitterten Mauer des Amtshofes, die ehemals den Zuggraben der alten Ritterburg eingefaßt hatte, den Landweg zur Oberförsterei hinunter und dann entlang an den weiten Mooren, aus denen raschelnde Schilfbüschel aufstiegen, über die verspätete Wasservögel geräuschlos strichen, deren jenseitige Ufer schwarzes Kieferngestrüpp, zwerghaft und häßlich in den Umrissen, abgrenzte.

Trostlos, einsam, reizlos ... Ein dunkles Bild, von laufenden Abendschatten überhuscht, mit gelben, verblassenden Lichtern am Horizont spärlich gefleckt, eine Welt verkörpernd, aus der Freude, Hoffnung und Vorwärtsstreben gewichen sind.

Dieses Bild begleitete den Doktor Born, der frierend den Fußweg am Ufer entlang ging, der scheuen, widerwilligen Blicks aufsog, was sich um ihn ausbreitete und der zuletzt auf dem Rückwege, als es immer dunkler und stiller wurde, die Fäuste ballte und abgebrochene Worte vor sich hin sprach. Als er wieder in die Stadt einbog, waren schon die Laternen angesteckt. Sie brannten trübe und in langen Abständen, und alles sah weiter und größer aus in diesem ungewissen Licht.

Auch sein Elternhaus. Die Fenster darin waren dunkel, nur aus dem der alten Kontorstube fiel ein gelbes Lichtherz durch den Ausschnitt der Holzläden auf die Straße.

In Gedanken starrte er darauf hin, dann ging er zum Torweg und machte die Tür auf.

Die Einfahrt war ganz dunkel. Auch die Hoftür schien geschlossen, nur ein paar trübgraue Streifen fielen als einzige Lichter durch ihre Ritzen in den Raum.

Doktor Born tastete die Wand entlang.

Da drängte sich etwas an ihn. Er fuhr zurück. Da schlangen sich ein paar Arme um ihn, fest und weich.

»Wer? ... Käthe?« ...

»Wilhelm, ja, ich bin es ... Wilhelm, ich sah dir vorhin nach, als du über die Straße gingst. So elend – so elend ... Ach ... Wilhelm – da hab' ich auf dich gewartet ... Du kamst ja immer durch die Einfahrt ...«

»Was willst du?« ...

Die Arme schlangen sich fester um ihn.

»Armer Wilhelm ... armer Wilhelm ...«

Sein Gesicht wurde von ihren Tränen naß.

»Laß mich doch, Käthe,« sagte er in schwacher Abwehr.

»Nein, Wilhelm – nein ... Hier, im Dunkeln muß ich's dir sagen ... Ich habe dich ja lieb wie damals – nein, tausendmal mehr ... Ich hab' ja all diese zehn Jahre nur an dich gedacht ... Tag und Nacht ... Und immer gewartet ... Und vorhin, in die Arme wollt' ich dir fliegen ... aber du ... Und jetzt seh' ich, wie du dich grämst ... Da drängt sich etwas aus mir heraus ... Und für mich will ich nichts – gar nichts ... nein ... nein ... Aber das Herz möcht' ich mir ausreißen und dir hinhalten ... nur daß du wieder lachst und arbeitest.«

Er schüttelte sie von sich.

»Laß mich, Käthe ...«

Sie hielt ihn fest.

»Laß mich ... wir haben zusammen nichts mehr ... Was fehlt dir? – So laß mich doch ...«

»Nein ... Nein.« Sie zog ihn mit sich.

»Sieh diese Tür ... vor zehn Jahren hast du den Pfahl da« – sie bückte sich und zog einen anscheinend fest eingerammten Pfahl aus dem Boden vor der Tür, an der sie standen – »den hast du damals losgemacht, damit du unbemerkt zu mir herein konntest ... Weißt du nicht mehr?«

»Ich weiß schon,« sagte er fröstelnd.

Sie stieß die Tür auf. Die führte in die Kontorstube, ihre Stube.

Beide standen nun im hellen Lampenlicht.

Sie ein glühendes, schönes Weib, sehnsüchtige Liebe, heißes Mitleid in den Augen – er ein grämlicher, alternder, verbitterter Mann, lichtscheu nach der dunkelsten Ecke der Einfahrt blickend, als ob er sich vor dem Überschwall an Licht und Liebe dorthin verkriechen wollte.

Aber schon hatte sie ihn in das Zimmer gezogen, aus dem er vor ein paar Stunden zornig und widerwillig hinausgegangen war.

»Was bedeutet das alles? ... Was soll ich hier?« fuhr er sie an.

»Du sollst an die Sommernächte denken,« sagte sie leise und demütig, »in denen wir da auf dem Bettrand saßen, Hand in Hand ... oder dein Kopf an meiner Brust ... Und an die schöne, gute Welt von damals sollst du denken – und dann ...« sie breitete die Arme aus – »dann sollst du wiederkommen und hier – hier weinen – weil alles so anders ist, als man's sich gedacht hat – und dann ...«

»Liebes Kind,« sagte er und sah nach der Tür, »quäl dich nicht und quäl mich nicht ... Was du da sagst – –«

»Hör nicht auf das, was ich sage,« unterbrach sie ihn hastig. »Ich hab' ja solche Herzensangst, daß ich nicht das Richtige finde – denn wenn ich das fände, dann mußt du ja kommen und bleiben ... Es ist ja menschenunmöglich ... Sieh, ich will ja nur dasein, wenn du keine bessere hast. Ich bin bloß für dich da ... Leib ... Seele ... jeder Gedanke ... all die zehn Jahre ... Und jetzt, wo ich dich wieder hier hab' ... Komm, komm ... Geh nicht weg ohne ein gutes Wort ... Du nimmst mein Leben mit, wenn du gehst – mit so kalten Augen – vielleicht böse wegen vorhin ... Ach nein ... das war ja ...«

Glühend, schwer atmend, mit angstvoll bettelnden Augen sah sie ihm ins Gesicht.

Aber er streckte abwehrend die Hände aus.

»Du bist sehr aufgeregt, Käthe,« sagte er mit erzwungener Ruhe. »Du mußt dich zusammennehmen. Ich kann da nicht mit, und ich will auch nicht ...«

»Du willst auch nicht ...« sagte sie nach.

Und die Glut aus ihrem Gesicht wich, die Spannung der Glieder ließ nach, und eine plötzliche Erschöpfung machte sie schlaff und weich.

Sie schleppte sich die zwei Schritte zum Bettrand, setzte sich darauf und sah mit verblaßten Augen zu ihm auf.

»Geh nun,« sagte sie matt.

Er reichte seine Hand herüber. Sie nahm sie nicht.

»Nein, Käthe – ein für allemal – mir ist die Lust an Aufregungen solcher Art längst vergangen, wie die Lust zur Liebe überhaupt ... Ich kann dich nicht brauchen – ich kann keine brauchen. Willst du das nicht begreifen, dann können wir eben nicht zusammen hier hausen – und es ist besser –«

»Ich gehe,« sagte sie tonlos.

»Versuch's mit dem Bleiben, Käthe ... Du überwindest es schon ... Es ist ja auch alles nicht wahr ... Einbildung ... Vorhin warst du ganz vernünftig. Quäl uns nun nicht mehr.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Gute Nacht, Käthe ... Komm nicht mehr herüber ... Wir sind beide wohl müde ... Gute Nacht!« ...

»Du sagst das so weich und gut ... Noch einmal ...« Sie machte die Augen zu.

»Gute Nacht,« sagte er und ging.

Eine Stunde wohl nach dem einfachen Abendbrot saß er erschöpft bei der Mutter, die ihm tausenderlei erzählte, was in der langen Zeit im Ort vorgegangen war. Dann suchte er seine alte Studentenstube im Giebel auf und streckte sich in den dicken, lavendelduftenden Federbetten.

Einmal, schon halb im Schlaf, sprang er auf. Er hatte vergessen, die Tür zuzuschließen.


Am nächsten Morgen weckte ihn lautes Klopfen.

»Wilhelm! Wilhelm!«

Es war die Mutter.

»Komm doch schnell, die Käthe macht gar nicht auf. Am End' ist ihr was passiert. Ich hab' schon solche Angst ...«

In wenigen Augenblicken war er fertig und stand mit der Mutter an Käthens Stubentür.

Alles Rütteln vergeblich.

»Hol' ein Hackmesser ... oder Beil.«

Die Alte lief in die Küche.

Er rüttelte noch einmal, da gab das Schloß nach, die Tür wich.

Hoch oben, der Tür gegenüber, die zur Einfahrt führte, baumelte ein Strick, ein umgefallener Stuhl lag davor.

Er sprang vorwärts.

An dem rechten Türpfosten zusammengesunken, augenscheinlich vom Stuhl herabgestürzt, ehe sie ihren Vorsatz ausführen konnte, so fand er Käthe. Sie war nur mit ihrem langen Nachthemde bekleidet, der Kopf hing über die Brust, und die langen schwarzen Zöpfe fielen auf den Boden.

Er riß hastig den Strick herab, dann hob er sie auf und schleppte sie in das Bett, das noch die Eindrücke ihres Körpers zeigte.

»Starken Kaffee ... Äther,« rief er angstvoll der Mutter zu, die eintrat und aufschreiend davonlief.

Und dann, allein mit ihr, stieß er die Läden auf und begann zu arbeiten ... unaufhörlich ... die üblichen Bewegungen mit ihren Armen, die sich gestern noch so fest um seinen Hals geschlungen hatten und nun schon kalt waren.

Vergebens ... Das Herz schlug längst nicht mehr. Der Tod hatte schon hinter ihr gestanden, als sie ihn rief ...

Schwindlig richtete Wilhelm Born sich endlich auf. Eine kümmerliche, gelbe Herbstsonnenwelle schlug eben ins Zimmer.

Da sah er, wie die offenen, gebrochenen Augen klagend aufstarrten, wie die Brauen schmerzvoll zusammengezogen waren und wie ein krampfiger Leidenszug den erblaßten Mund umschloß.

Der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er griff nach der Decke.

Aber wie seine Blicke noch einmal diesen blühenden Menschenleib umspannten, der nur für ihn auf der Welt gewesen war – »Leib – Seele – jeder Gedanke« – da zwang es ihn plötzlich zu Boden.

Er legte den Kopf auf die erkaltete Brust. Erlösende Schauer leidenschaftlicher Sehnsucht überrieselten ihn ...

»Käthe – wach auf – Käthe ... Käthe!«

Der leuchtende Tag

Herr und Frau Doktor Lohrer bildeten in dem locker zusammengefügten Teil der Berliner Gesellschaft, der aus einem fließenden Durcheinander von öffentlichen vornehmen Festen und Wohltätigkeitsvorstellungen besteht – mit ein wenig militärischem Einschlag und, wenn das Glück günstig ist, auch einmal unter hoher offizieller Protektion –, etwas wie einen festen Punkt.

Das elegante Paar mit seiner unbeirrten Sicherheit des Auftretens, vor allem mit der überzarten, fremdartig dunklen Schönheit der Frau, gab jeder geselligen Zusammenkunft Schmuck und Stil.

Die jungen, noch ungewandten Frauen und Jungfräulein studierten sogar Haltung und Toilette an Frau Erika Lohrer. Sie achteten darauf, wen sie begrüßte und mit welcher Abtönung sie das tat. Es war immer das Vorgeschriebene und der augenblicklichen Lage genau Angemessene – und das, was daran fehlte, das Persönliche oder gar Herzliche, konnte ja immer und nach Temperament oder Liebenswürdigkeit hinzugefügt werden.

Denn daß man etwas wie einen eigenen Ton in dem tadellosen und anmutigen Gebaren der schönen Frau vermißte, war nicht zu leugnen.

Niemand konnte sie sich mit verschwiegen oder heiß strömenden Tränen oder mit lautem, glücklichem Lachen vorstellen. Sie lächelte wohl, und bei gebotener Gelegenheit sah man es auch in ihren schönen, braunen Augen feucht aufschimmern, aber der Mangel an innerer Beteiligung fiel selbst in einer Gesellschaft auf, deren betontes Ziel es ist, sich in schönem Gleichmaß an der Oberfläche zu halten, Tiefen im eigenen Leben nicht ahnen zu lassen und in dem anderer nicht zu bemerken.

Dabei wußte man durch Verbindungen mit der thüringischen Fabrikstadt, in der die großen Farbwerke der Familie Lohrer lagen und die auch bis vor kurzer Zeit ihr Wohnort gewesen war, daß diese Frau, die in schönen Kleidern durch alle Fährlichkeiten des Lebens zu steuern, Gefühlen und Irrungen still und freundlich auszuweichen schien, durchaus nicht ohne Schicksalsschläge ihren äußerlich so glatten Weg hatte gehen dürfen.

Frau Erika stammte aus einer ostpreußischen Mittelstadt, in der ihr Vater, ein bekannter und sehr beschäftigter Rechtsanwalt, ein für die dortigen Verhältnisse herausfordernd großes Leben geführt hatte. Von der jungen, zu holdseliger Schönheit erblühten Tochter wußte man zu erzählen, daß sie eine voreilige Verlobung mit einem Ulanenoffizier eingegangen war, bei der es aus Vermögensrücksichten zu keiner Heirat habe kommen können. Die Eltern hatten sie, damit sie dieses Erlebnis leichter verwinden lerne, zu den reichen Verwandten Lohrer nach Thüringen geschickt. Während sie dort war, nahm die falsche Herrlichkeit des Vaterhauses ein Ende mit Schrecken.

Justizrat Lollin und seine Gattin waren eines schönen Tages tot, an Kohlendunst erstickt, in ihren Betten gefunden worden. Niemand hatte an einen unglücklichen Zufall geglaubt, berechtigte Gerüchte über die Notwendigkeit, sich durch den Tod vor Not und Schande zu retten, waren aufgetaucht, aber auch sofort wieder verstummt. Denn der junge Doktor Lohrer war erschienen, hatte die Sichtung des Nachlasses in die Hand genommen und alles so geordnet, daß niemand im geringsten geschädigt worden war.

Die junge Erika hatte Eltern und Heimat nie wiedergesehen. Sie war im Lohrerschen Hause geblieben und nicht lange nach dem schrecklichen Ereignis die vielbeneidete Frau des Doktor Lovis Lohrer geworden.

Ein furchtbarer Schlag hatte sie einige Jahre später allerdings auch noch getroffen. Ihr einziges Kind, ein schöner blondlockiger Junge, natürlich Abgott der Eltern, war bei einer Autofahrt mit der Bonne zusammen verunglückt.

Man hörte, daß Doktor Lohrer verhältnismäßig schwerer daran getragen habe als Frau Erika, bei deren zarter Gesundheit auf keinen Ersatz des Verlorenen zu rechnen war. Schließlich aber – überwunden hatten es nun wohl beide in ihrem ruhelosen Berliner Leben. Was Frau Erika vielleicht als sichtbare Spur des Erlebten zurückbehalten hatte, eine weiße Strähne, die seltsam in das schwarze Haar hineingewachsen war, diente noch dazu, den Reiz ihrer Erscheinung zu erhöhen.

Ihr Gatte, der in Fragen der Ästhetik auch bei Übelwollenden als Autorität galt, liebte und bewunderte diese Locke sehr und überwachte selbst die Unordnung der Frisur, wenn er mit seiner Frau »Staat machen« wollte, wie er lachend oder vielmehr lächelnd erzählte.

Laut war nämlich auch Doktor Lohrer selten oder nie in seinen Meinungs- und Gefühlsäußerungen. Aber bei ihm fühlte man zuweilen den Zwang, den er sich antat, um so unpersönlich und korrekt zu erscheinen, und wer ernsthaft mit ihm zu tun hatte, wußte, daß diese übergroße, schmale, etwas schlappe Gestalt sich plötzlich, wie von Federn gestrafft, aufrichten und daß der gleichmütig verbindliche Ausdruck des glattrasierten Fuchsgesichts sich je nach Veranlassung in einen beängstigend energischen oder abschreckend zynischen verwandeln konnte.

Im allgemeinen stand er der Welt, in die er sich verpflanzt hatte, näher als seine Frau, vielleicht gerade durch die hervorbrechenden kleinen Schwächen, die man ihm nachweisen konnte, wenn man wollte. Einen hervorragenden, wenn auch versteckten Platz darunter nahm die für das ewig Weibliche ein. Man verargte sie ihm nicht, da er in der Öffentlichkeit stets unzertrennlich von seiner schönen Frau erschien und sie vor aller Augen mit zartester Aufmerksamkeit umgab.

In Herrengesellschaft und zu vorgerückter Stunde war er ein guter Kumpan, der mit erfrischendem Gelächter über salonunfähige Witze quittierte und gelegentlich selbst welche zum besten gab, die vielleicht an Pikanterie die vorhererzählten noch übertrumpften.

Dann konnte er auch aufrichtig und harmlos von seinem zweiten Heim in der Eichstädter Straße sprechen, das er sein »hemdärmeliges« zu nennen pflegte, und von der »Kleinen«, die dort das Herdfeuer hütete.

Hier gab er auch zuweilen ein paar befreundeten Junggesellen hübsche Abende in vorgeschrittenem Kabarettstil. Das geschah aber sehr diskret und in einem engen Kreise zuverlässiger Gesinnungsgenossen, und wohl nie, ohne daß Herr Doktor Lohrer in leuchtender Vaterfreude einen süßen, blondhaarigen Buben präsentierte, »zu dem die Mutter nun doch einmal gehörte« ... »Und was wollen Sie, ich bin nun einmal ein Kindernarr, und leider ... leider ...«

Er zuckte dann bekümmert die Achseln, und man begriff die kleine »Unregelmäßigkeit«, wo man von ihr erfuhr. Sie war schließlich zu entschuldigen und vielleicht auch nur eine Art Ausruhen von all der tadellosen, wohltemperierten Vornehmheit und Stille des eigentlichen Hauswesens und dessen Herrscherin.

Frau Erika hatte natürlich keine Ahnung von dieser Abweichung ihres Gatten über den geraden Weg der ehelichen Treue hinaus, – wenn auch der Verkehr zwischen der Eichstädter und der Bendlerstraße telephonisch ein ziemlich reger war.

In der Abwesenheit des Hausherrn besorgte ihn die treue Lina, die Jungfer der Frau Erika, – eine Person, auf die man sich in jeder Hinsicht unbedingt verlassen konnte, wie Frau Lohrer gleichgültig und gläubig annahm und wie Herr Doktor Lohrer ausgiebig erprobt hatte.

... Es war ein Novembervormittag und ein launenhaft aufspringender Wind peitschte große Regentropfen auf das Glasdach des Ganges, der in der Lohrerschen Wohnung die hinteren mit den vorderen Räumen verband. Dieser Gang enthielt auch die Telephonzelle, aus der eben die treue Lina auf die Diele hinaustrat, auf der sie den Schritt des heimkehrenden Herrn gehört hatte.

»Ob Herr Doktor um 7 Uhr in der Eichstädter Straße erwartet werden dürfte?« fragte sie mit dem vorschriftsmäßig bewegungslosen Gesicht, dem nur ein kleiner, schräg glitzernder Seitenblick die Andeutung vertraulichen Einverständnisses gab.

»Wollen sehen – glaube kaum, Lina.«

Sie nahm ihm den nassen Überrock ab. –

»Grauenhaftes Wetter ... Nichts passiert?« ...

»Gnädige Frau hat Besuch.«

»Besuch? ... Jetzt? ... Die gnädige Frau empfängt doch nur Dienstags ... Und mit ihrer Erkältung! ... Wer ist's denn?« ...

»Eine ... Dame ... Sie trägt Reform ... Das ... das ist ihr Regenschirm.«

Sie wies auf einen nassen, nichts weniger als eleganten Schirm, der in der Garderobe stand.

»Teufel auch ... also eine Bettelei ... Aber Lina! Besser aufpassen! Die gnädige Frau ist viel zu unwohl, um sich Strapazen mit Fremden auszusetzen. Das wissen Sie doch ...«

Die treue Lina schüttelte den Kopf.

»Gnädige Frau machte eben die Salontür auf, als ich öffnete, und nahm das Fräulein selbst in Empfang. Es scheint gar keine Fremde. Ich hatte im Nebenzimmer das Fenster zu schließen ... die Damen sprachen sehr laut von Ostpreußen, und die gnädige Frau war auch sehr lebhaft ...«

Herr Doktor Lohrer sah nachdenklich vor sich hin und ging dann achselzuckend fort sich umzukleiden, während die treue Tina im Nebenzimmer noch ein Fenster schloß.

In dem kleinen, grünen Salon, einem von berühmter Künstlerhand auf die Erscheinung der Hausfrau gestimmten Raum, saßen in wahrer Treibhaustemperatur und in einer von einer Fülle mattfarbiger Chrysanthemen überhangenen Ecke – Frau Erika blaß, fröstelnd und hustend, mit ihrem Besuch, einem frischen, blondhaarigen Mädel in braungrauem Hängekleid.

Frau Erika hörte meist zu, sprach aber, wenn sie etwas sagte, mit mehr innerem Anteil, als es sonst in ihrer Art lag.

Kein Wunder ... Das Mädchen war die jüngste Tochter eines Hauses, in dem vor Jahren, als die Eltern noch lebten, die junge Erika in Jugendfrohsinn und Glückstraum unvergeßliche Tage verlebt hatte.

Jene Beziehungen waren längst abgebrochen. Die befreundete Familie auseinandergestoben, und die damals sechsjährige Kleine lebte allein hier in Berlin und studierte Musik.

Die bittere Not einer erkrankten Studiengenossin hatte sie nach langem Überlegen veranlaßt, das Lohrersche Haus aufzusuchen und die Hilfe der Frau zu erbitten, deren Name unter keiner der glänzenden Wohltätigkeitsveranstaltungen fehlte.

Die Angelegenheit war, nachdem Frau Erika sich von dem ersten Staunen erholt hatte, rasch erledigt. Der lungenkranken Patientin sollte geholfen werden. Nun waren in raschem Gespräch, dessen Kosten Fräulein Marta trug, vergessene Namen, verschwundene Gestalten, an deren Wiederkehr sie nie gedacht hatte, in Frau Erikas Erinnerung aufgetaucht, und ein Schimmer der untergegangenen Jugendsonne begann hier und da aufzuglänzen.

Sie vergaß darüber die quälende Influenza, die sich steigernden Schmerzen beim Atmen und hörte mit träumerischem Interesse zu.

»Ja und wissen Sie, gnädige Frau,« sagte das junge Mädchen mit ihrem stark ostpreußischen Tonfall, »was ich auch nie vergessen habe? ... Wie Sie damals, vor unserem Ball in die Kinderstube kamen ... noch nicht angezogen, in einem weißen Spitzenunterrock und langem Frisiermantel ... Ganz toll lustig waren Sie und sangen: »Da kam aus dem Wasser ein großes Krokodil ...« Und wie es weiterging: »Galopp, Menuett und Walzer, wer weiß, wie das geschah!« ... Da nahmen Sie mich auf den Arm, und wirbelten mich durch die ganze Stube ... und da bekamen Sie so das Lachen, daß wir beide hinfielen und gar nicht mehr aufstehen konnten!« ...

»Ich? ...« sagte Frau Erika verwundert ... »das war wirklich ... ich? ...«

»Na ja, freilich!« lachte Fräulein Marta, »der feine Schlußrefrain ist mir ja dann auch Leitmotiv geworden: »Gelobet seist du allezeit, Frau Musika! ...«

»Ja richtig ... Sind Sie denn schon weit? ... und wo studieren Sie eigentlich?« ...

Da erzählte Fräulein Marta, und ihr glühendes Gesicht fing an zu strahlen.

Sie liebte ihre Kunst und ihre Arbeit ... Ach, wie heiß sie sie liebte! ... »In all dem knappen Leben ... ostpreußische Gutsbesitzer ... Sie wissen ja ... und wir waren sechs Geschwister ... aber man freute sich doch auf jeden neuen Tag ... Wenn man mal ein Mittagessen überschlug, hatte man eine Mark für ein Busoni- oder d'Albertkonzert und konnte sich dann gar träumen, daß man an ihrer Stelle steht ... Überhaupt, wie war das wundervoll! ... Von einem Traum immer in den anderen geworfen ...«

Frau Erika lächelte beklommen und hustete.

Das junge Mädchen stand auf.

»Ich habe Ihre Güte zu lange in Anspruch genommen, gnädige Frau ... Sie müssen sich pflegen, zu Bett gehen, Aspirin nehmen ... verzeihen Sie! ...«

»Nicht doch, liebes Fräulein. Ihr Besuch ist mir sehr lieb gewesen. Sie haben mir einen so frischen Wind hereingebracht ... und dann all die Erinnerungen ... Sie müssen wiederkommen ...«

»Gern, wenn ich darf,« sagte Fräulein Marta und drückte die Hand, die sich ihr entgegenstreckte.

»Telephonieren Sie aber vorher,« bat Frau Lohrer, »ich bin so viel aus.«

Sie geleitete sie bis auf die Diele und küßte sie auf die pralle, frische Backe, was die treue Lina, die die Außentür öffnete, staunend und mißfällig bemerkte.

Frau Erika wurde rot und ging schnell in ihr grünes Zimmer zurück.

Eben steckte Doktor Lohrer den kurzgeschorenen, blonden Fuchskopf zur Tür herein.

»Die Luft rein?« fragte er. »Was bedeutete denn das? ... Das war ja die unverfälschteste Robert-Johannes-Vorstellung ... Und nach nassen Kleidern und Schmierstiefeln hat dein Besuch auch gerochen ...«

»Oh ... ich bitte dich ... es war ...« Und nun erzählte Frau Erika ihrem Mann, sehr heiser, aber mit einer Spur von Freude im Ton, von dem jungen Mädchen aus der vergessenen Heimat. Herr Doktor Lohrer hörte schweigend zu und sagte dann:

»Peinlich! ... hoffentlich kommt sie nicht wieder ... Sie soll jedenfalls nicht angenommen werden ...«

»Ja, warum nicht? Ich will sie gerne wiedersehen, und ich habe sie eingeladen! ...«

»Aber ... aber! Unbesonnen bis zum Übermaß,« tadelte Herr Doktor Lohrer sanft. »Verzeih', liebes Kind ...«

»Ja, erkläre mir ...«

»Nun, findest du es angenehm ... wenn vergangene Geschichten ... ich möchte nicht undelikat sein, aber ... verzeih' ... es läuft noch mancher in der alten Gegend herum, der durch deines Vaters ... sagen wir ... Versehen ... um Haus und Hof gekommen wäre – wenn ...«

»O! ...«

Frau Erika seufzte schwer.

»Nun, nimm es nicht wieder tragisch, Liebe,« sagte er beruhigend. »Es ist ja alles geordnet. Aber ich meine doch, gerade jetzt –, wo wir eine Position zu erhalten – eine noch höhere zu erwarten haben ... muß man vorsichtig mit allem sein, was nicht ganz durchsichtig – nicht ganz ...«

»Ich bitte dich ... laß das ... du hast recht ... sicher ... aber ...« ein heftiger Hustenanfall unterbrach sie.

»Nun, siehst du ... ich weiß es ja, daß wir immer einer Meinung sind, liebes Kind ... Übrigens siehst du schlecht aus ... und dein Husten ist auch nicht besser. Ob wir nicht gut daran tun, auf die Philharmonie heute zu verzichten?«

»Sicherlich,« sagte Frau Erika. »Ich fühle mich gar nicht frisch.«

»Und übermorgen, für die Sitzung im Unterrichtsministerium, mußt du es ja unbedingt sein, liebes Herz. Das ist für den ganzen Winter von großer Tragweite ... Die Erkundigungen wegen der verschämten Armen, die du Exzellenz Berens abgenommen hast, sind erledigt, nicht? ... Du weißt, daß du Exzellenz übermorgen triffst? ...«

Frau Erika nickte.

»Bis auf eine,« sagte sie tonlos ... »Du bist sehr gut, daran zu denken.«

Er strich leicht über ihr Haar und zog mit spitzen Fingern die weiße Locke tiefer in die Stirn.

»Abends werde ich dann allein etwas unternehmen, wenn du einverstanden bist ... Die Philharmonie lasse ich auch ...«

Natürlich war Frau Erika einverstanden, und die treue Lina telephonierte einen zusagenden Bescheid des Herrn Doktor nach der Eichstädter Straße.

... Als der Abend gekommen war und eine fast fühlbare Stille über den Räumen lag, in denen eine feingestimmte Beleuchtung die Farbenzauber des Tages geheimnisvoll vertiefte oder verschwimmen ließ, ging Frau Erika, das ungewohnte abendliche Alleinsein unbewußt genießend, in der Zimmerflucht hin und her.

Ihre Gedanken wanderten erst in den gewohnten Geleisen:

... Bazar für das Säuglingsheim ... Toilette dazu ... Anprobe ... Sie sah in ihrem Notizbüchelchen nach, wann? ... zwei five o'clocks ... die Erkundigung nach dem lahmen Mädchen für Exzellenz Berens ... Neue Franzosen bei Cassirer ... Zwölf-Personen-Diner im Hause ... Das alles tauchte kraus durcheinander in ihren Überlegungen auf.

Aber sie war dabei voller Unruhe, und wahrscheinlich fieberte sie, – denn mitten in diesen notwendigen und auch wichtigen Tageseinteilungen glaubte sie beständig die Stimme ihres Vormittagsgastes zu hören, die sehr laut geklungen haben mußte ... Daher wohl auch die Eindringlichkeit der Worte, die schließlich doch nichts anderes gewesen waren, als der Ausdruck erwartungsvoller Lebensfreude, – wie sie selbst sie vor Jahren hätte aussprechen können ...

Damals ... als sie das Studentenlied von dem lustigen Musikanten gesungen hatte ... wenn sie das wirklich gewesen war ...

Sie versank in Grübeln und Brüten, und verscheuchte Erinnerungen rangen sich zaghaft wieder hervor.

... Jetzt ein Bild ... ein Brief mit guten Worten aus längst vergangenen Zeiten ... oder etwas von den kleinen Heiligtümern, die ihr als Reste von dem jauchzenden Leben des Kindes übrig geblieben waren.

Ihr Mann nannte das Ballast, und alle Dinge, die nicht in den Stil des neuen Lebens paßten, hatten wohlverpackt auf dem großen Boden des Saalfelder Hauses zurückgelassen werden müssen.

Aber eine kleine Kiste fiel ihr ein, die irrtümlicherweise mit nach Berlin gekommen war, und die sie nicht hatte öffnen lassen, weil sie wußte, daß sie nur Wertloses enthalten konnte.

Heute hatte sie Sehnsucht, irgendeinen Gegenstand aus jenen vergangenen Zeiten vor sich zu sehen.

Sie klingelte und gab den Befehl, die kleine Kiste herbeizuschaffen.

Die treue Lina zog die Augenbrauen in die Höhe. Das Kistchen stünde wohl auf einer Bodenkammer, aber da wäre doch, soviel sie wüßte, nur ein Porzellankopf drin ...

Ob sie es denn geöffnet hätte? ...

Jawohl, die gnädige Frau würde sich doch erinnern, daß sie es selbst befohlen hätte ...

Nein, – sie erinnerte sich nicht, wiederholte aber den Wunsch, die Kiste bei sich zu haben.

Die treue Lina holte es also und setzte es mit einem leidenden Seufzer auf den perlmuttereingelegten Hocker, wo es plump und frech in der zarten Umgebung dastand.

Frau Erika konnte es kaum erwarten, den darin verpackten Gegenstand zu enthüllen.

Nun sie ihn in der Hand hielt, gab es eine große Enttäuschung.

Es war ein häßlicher Matrosenkopf in grell bemaltem Porzellan, wie ihn vor vielen Jahren, vielleicht zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, die Seefahrer aus England herübergebracht hatten. Die großen, hervortretenden Augen starrten. Blanke Goldringe steckten in den Ohren und eine Pfeife hing aus dem breiten, roten Mund. Den Schädel verdeckte ein schwarzer Lackhut, den man abnehmen mußte, wenn man zu dem Tabak gelangen wollte, der in dem hohlen Innern aufbewahrt wurde. Man spürte jetzt noch den schwachen Geruch, – – und wie lange mochte wohl nichts mehr darin gewesen sein? ...

Frau Erika schloß die Augen, und dann riefen die Erlebnisse aus den Kindheitstagen sie an, in die dieser Kopf von seiner Ecke her, oben auf dem eintürigen Schrank, hineingeschaut hatte.

Und wie sie den verödeten Gedankenwegen nachging, tauchten von Neuem lang vergessene Bilder in ihr auf. Einfache und bedeutungslose, – aber sie hauchten ein wunderlich starkes Leben aus ...

... Da war in dem kleinen Haus in der ostpreußischen Hafenstadt ein Stübchen, wie eine Schiffskabine ausgestattet ... Auf dem schwarzen Ledersofa sah sie den alten Großohm mit dem breiten, roten Gesicht und dem schneeweißen Bartkranz drum herum. Neben ihm, zart und fein, die kleine Großtante im schwarzen Kopftuch, lange, schmale Fidibusstreifen aus weißem Papier faltend.

Sie selbst auf kleinem Schemel neben dem Tisch. Es wurde stark duftender Tee aus hohen, goldenen Tassen getrunken, und kleine Gewürzkuchen gab es dazu, die die Großtante aus einer Blechbüchse hervorholte.

Und dann erzählte der alte Mann Geschichten. Wunderliche Geschichten ... von Seestürmen, ... von lachenden Küsten, wo die Menschen nackt gingen, – von Meerungeheuern, die die langen Arme aus dem Wasser reckten und sich mit tellergroßen Saugnäpfen am Schiffe festsogen, von den wilden Späßen, wenn man die Linie passierte ... und auch von dem Schattenschiff, das in der Meerenge Bab-el-Mandeb sein grausiges Wesen trieb.

Von den siebzehn Menschen, denen er dann hier in seiner Tätigkeit als Oberlotse das Leben gerettet hatte, erzählte wieder seine alte Frau, – und zuweilen kam auch ihre, Erikas eigene schöne, junge Mutter dazu und streichelte mit ihren weißen Händen die knotigen Gichtfinger des Alten und lachte so leise und lustig, wie nur sie lachen konnte, wenn er sie dran erinnerte, daß sie oben im Sund auf einem Heringsschiff zur Welt gekommen war. Und die Sonne funkelte in die Fenster des Puppenhäuschens, und abends kam der Mond und schimmerte auf den weißen Tauen und Segeln des Schiffes, das in der Mitte des Zimmers von der Decke hing – oder er glitzerte auf dem Matrosenkopf, der so lebendig zu werden schien, daß man sich ordentlich vor ihm fürchte.

Wie fluteten diese Bilder aus goldenen Kinder- und Ferientagen, einfach und doch so vielsagend, durch das Van-de-Velde-Zimmer!

Mit welch ergreifend rauher Stimme rief jenes Leben die weiche Existenz von heute an. Aber nun nicht weiter ... Nichts von Elternhaus, nichts von lustigen Ritten und tränenschwerem Abschied – nichts von alledem, was dann kam ... In Gedanken an der See bleiben – – bei den lieben, alten Leuten.

Frau Erika legte die heiße Stirn an den häßlichen Matrosenkopf – man konnte schon sagen »zärtlich«, meinte die treue Lina an ihrer Türspalte – dann setzte sie ihn behutsam auf die Schreibtischecke neben ein spiegeltragendes Tanagrafigürchen, dessen ausgestreckter zarter Arm sich gegen die gemeine Nachbarschaft zu wehren schien ...

Es war schon spät, und Frau Erika schlief unter dumpfem Brausen ein, das von irgendwoher kam. Sie wußte nicht, rauschte das fiebernde Blut in ihr, oder schlug die Ostsee mit langen, schäumenden Wellen an den Strand, den sie damals von den kleinen Fenstern des Lotsenhäuschens in Pillau hatte sehen können ...

Am nächsten Morgen wunderte sie sich über die Stimmungen des vergangenen Tages und glaubte, sie geträumt zu haben. Das Aufstehen wurde ihr schwer, die Glieder wollten ihr nicht gehorchen, und die Brust schmerzte sie beim Atmen noch mehr als gestern. Aber es ließ sich überwinden, und so saß sie beim Frühstück mit ihrem gewohnten Lächeln dem Gatten gegenüber, der, in seine Zeitungen vertieft, nicht auf sie achtete.

Schwindlig ging sie dann in ihr grünes Zimmer und legte sich auf die Chaiselongue unter die großen Latanie.

Der Matrosenkopf, den sie gestern mit so viel wehmütiger Zärtlichkeit auf den Eckplatz gestellt hatte, war heute in seiner rohen Häßlichkeit geradezu eine Verunstaltung des schönen Raumes. Und doch konnte sie die Augen nicht von ihm lassen und glaubte sogar, den schwachen Tabakgeruch zu verspüren, der doch nur in nächster Nähe zu merken war.

»Ich muß ihn fortsetzen, ehe Lovis kommt,« dachte sie, aber sie rührte sich nicht.

Und da trat Doktor Lohrer schon ein. Gedämpft fröhlich und mit aufmerksamem Lächeln um den spitzen Mund.

»Nun,« sagte er – »dir geht's also besser? ...«

Sie mußte jetzt »ja« sagen. Sie wußte, das erwartete er. Aber plötzlich regte sich der Wunsch in ihr, bedauert und gepflegt zu werden, und so sagte sie statt dessen:

»Nein, ich möchte mich am liebsten wieder zu Bett legen.«

»Wegen einer kleinen Erkältung, mit der du sonst die anstrengendsten Dinge unternimmst? Wenn du dich jetzt legst, bricht unfehlbar der Schnupfen los, der dich für morgen unmöglich macht.«

Sie schwieg.

»Hast du etwa die fade Absicht, die Sitzung und den Tee im Ministerium abzusagen?«

»Ich weiß nicht,« sagte sie ängstlich, »ob ich hinkann.«

Jetzt hatte er sich umgewendet und den Matrosenkopf gesehen.

»Erika« ... rief er ganz fassungslos vor Entsetzen ... »Bist du von Sinnen? ... Wie kannst du das Monstrum da vor dir dulden? ... Ist das etwa ein Geschenk von deiner neuen Freundin?«

Frau Erika bemerkte, wie aufgebracht er war. Sie lenkte ein.

»Verzeih ... ich ließ mich vielleicht wirklich etwas gehen ... das Scheusal da ist aus Versehen stehen geblieben ... Ein Überbleibsel aus meiner Kinderzeit ... ich will mir's aufbewahren« ...

»Aber möglichst unsichtbar, wenn ich bitten darf ... Und, – daß du dich auf deine Verpflichtungen besinnst und dich nicht hängen läßt, liebes Kind, freut mich, – ist aber wohl selbstverständlich.«

»Und du bist überzeugt, daß es sehr wichtig ist?« fragte Frau Erika, ohne Ton in der Stimme.

»Das ist doch keine Frage! ... Es hat Mühe genug gekostet, dich dahin zu lanzieren ... Da wir leider keine Kinder haben, will ich wenigstens für meine Person und für deine natürlich ... aber warum das immer wiederholen. Wir sind ja einer Meinung und haben uns oft genug darüber ausgesprochen ...«

Dieser in bösen Stunden immer wiederkehrende Hinweis auf ihre Kinderlosigkeit, vereint mit dem Vorwurf über ihren Mangel an Vorsicht bei jenem schrecklichen Unfall, der ihnen das Kind geraubt hatte, wirkte jedesmal auf Frau Erika, als ob sie zu Boden geschlagen würde. Wenn sie sich dann erhoben hatte, ging sie wieder gehorsam den gemeinsamen Weg.

Er war übrigens in ihren eigenen, wie den Augen der Welt weit entfernt davon, ein Dornenweg zu sein ...

Nach dem Lunch, als Herr Doktor Lohrer längst fortgegangen war, hatte Frau Erika noch ein paar Schwächeanfälle, Frost- und Hitzeschauer. Wenn sie dann die Augen zumachte, wollte sie sich von neuem die beruhigenden Bilder vergegenwärtigen, die sich gestern beim Anblick des alten Porzellankopfes eingefunden hatten.

Sie holte ihn auch wieder aus dem Schränkchen hervor, in dem sie ihn verborgen hatte, aber heute stand er einfach in seiner kulturlosen Häßlichkeit da und wollte ihr nichts Schönes erzählen.

Im Gegenteil – die Gedanken irrten von ihm ab zu verbotenen Wegen, auf denen einstmals alle Schrecknisse des Menschenlebens, Unglück, Sorge, Schande und Verlassenheit über sie hatten herfallen wollen ...

Und das waren Töne, die hier nicht anklingen durften ... Mit Gewalt mußten sie vertrieben werden ... Ein ander Bild ... ein frohes ... Galopp, Menuett und Walzer ... Nein, das war ja nicht jenes Lied, das sie als Kind mitgesungen hatte, wenn in den Sommerferien alt und jung vor der Tür des Lotsenhäuschens zusammensaß ... Das hieß doch: »Morgen, da geht's in die brausende See ... morgen, da geht's in die brau ... au ... sende See ...«

Sie fuhr auf ... Was war das? ... Sie phantasierte ja am hellen Tage ... Sie wollte vielleicht doch den Arzt kommen lassen.

Sie stand auf, um zu ihrem Telephon an den Schreibtisch zu gehen.

Da trat die treue Lina ein.

»Herr Doktor telephonieren eben, gnädige Frau möchte nicht vergessen, die Erkundigung Eichstädter Straße 9 einzuziehen ...«

»Eichstädter Straße 9?« fragte Frau Erika. Die treue Lina senkte bestürzt die gefärbte Tolle. Sie hatte den Auftrag eben von der Eichstädter Straße aus bekommen und, in Gedanken noch dort, diese vielgebrauchte Adresse versehentlich ausgesprochen.

»Ach nein ... nicht Eichstädter – Heilbronner Straße.«

»Ja gut, Heilbronner, ich hab's ja notiert,« sagte Frau Lohrer. »Bringen Sie meine Sachen, ich will dann gleich hin ...«

Sie mußte sich zusammennehmen ... Der Doktor hatte bis morgen abend Zeit ... nach dem Tee bei der Ministerin.

Es war schwer, mit den stechenden Schmerzen in der Brust, gegen den Wind anzukämpfen, und in den Gliedern lag's ihr wie Blei.

Alle melancholischen Schauer eines grauen Novembernachmittags gingen um ... Der erste Schnee war in losen Flocken gefallen und auf dem Pflaster zu schmutzigem Wasser geworden. Schwere, bleifarbene Wolken drückten sich immer tiefer in die Straße hinein, und ein leise winselnder, müder Wind versuchte hier und da vergebens, sie aufzujagen.

Es war noch früh, aber trübe Dämmerung verwischte die Umrisse der Häuser und Bäume. Menschen und Gefährte bewegten sich wie Schatten.

Von aufspringenden und wieder verschwindenden Gedanken gequält, ging Frau Erika ihres Weges, und weiter, als sie beabsichtigt hatte. Mitten in der Potsdamer Straße fiel ihr ein, daß sie mit ihren Brustschmerzen eigentlich gar nicht gehen durfte, und sie stieg in ein Auto.

Die zuletzt gehörte Adresse klang noch in ihren Ohren, und sie nannte sie: »Eichstädter Straße 9.«

Die Gegend, in die sie kam, war ihr fremd.

Phantastische Formen sprangen aus dem zitternden Nebel auf. Hier glitzerte ein Goldbeschlag aus massigen Steinen heraus – da grüßte eine fratzenhafte Maske mit aufgerissenem Rachen von einem hohen Torpfeiler herunter ... dort hob sich eine schwere schmiedeeiserne Einzäunung, hinter der Zypressen wuchsen, und nun ein Goldgitter ...

Wo war sie? ... Das Auto hielt. Sie zahlte mechanisch.

Aus dem Eingangstor des Hauses, vor dem sie stand, fiel ein breiter, blutroter Schein auf das nasse Pflaster und rang mit dem blendenden Lichte einer großen elektrischen Kugellaterne, die eben aufflammte.

»Alles Neubauten,« sagte ein Gedanke in dem fiebernden Hirn der kranken Frau. Und weiter:

»Wie bin ich hierher gekommen, so weit ab von meiner Wohnung ... und was will ich hier? ... Ach, das steht in meinem Notizbuch.« ...

Und Frau Erika drückte auf die Glocke.

Die Tür öffnete sich. Sie stand in einem roterleuchteten Vorraum, an dessen Wänden ein Gewirr von weißen Arabesken, Früchten, Masken und Putten lebendig zu werden schien ...

Und dann, während Frau Erika in ihrer Handtasche nach dem Notizbuch kramte, kam ein Wunder: Die weiße Tür links wurde aufgerissen – ein paar tappende Schritte ... und auf der obersten Stufe der Treppe die herunterführte, stand ein Bübchen in weißem, zottigem Mantel, die weiße Kappe aus dem blühenden Gesicht mit dem blonden Kraushaar geschoben, die dicken Händchen gespreizt ... und mit Augen, die ganz weit vor Verwunderung hinunterblickten ... mit Augen!!

Wie kam ihr toter Junge hierher?!?

»Mein Kind ... mein Bub' ... mein alles ... wo warst du so lange? ... wo haben sie dich versteckt? ... liebes ... liebes ...«

Sie war oben und riß das Bürschchen an sich.

Das war einen Augenblick stumm vor Schreck. Dann fing es zu strampeln und zu schreien an.

»Loslassen ... loslassen ... Mutti ... Mutti!«

»Was gibt's denn?«

In der offenen Tür stand eine schöne, lebenstrotzende Frau, im eng anliegenden Schneiderkleid, zum Ausgehen fertig.

Das blühende, breite Gesicht unter dicken, rotbraunen Haarwellen leuchtete vor Gesundheit. Jeder Muskel des starken Körpers schien von Kraft gespannt und geschwellt.

»Setzen Sie mal sofort den Jungen hin,« rief sie laut und grell. »Was bedeutet denn das? ... Ah ... Sie?!! ... Sie?!! ...«

Ihre Stimme überschlug sich. In den schmalen, glitzernden, grauen Augen brannte eine vernichtende Feindseligkeit auf ... das ganze junge Weib wand sich in Verlegenheit und giftigem Haß.

Frau Lohrer achtete nicht darauf.

Sie hatte den Buben zur Erde gleiten lassen und stand weiß und stumm da.

»Verzeihung,« sagte sie dann. »Er gleicht zum Verwechseln meinem verstorbenen Kinde« ...

Die schöne, kraftvolle Person hob das Bürschchen hoch, drückte es an sich und lachte laut und höhnisch auf.

Dann trat sie hastig in die Wohnung zurück und schloß die Tür hinter sich zu.

Frau Erika stand noch einige Sekunden da und starrte den Verschwundenen nach.

Der Portier öffnete sein Fenster und kam dann heraus.

»Zu wem wünschen gnädige Frau?« fragte er höflich.

Frau Erika schüttelte den Kopf und sagte nur: »Nach Hause.«

»Soll ich Auto besorgen?«

Sie nickte, achtete nicht darauf, wie lange sie wartete, und bemerkte auch das verwunderte Kopfschütteln des Portiers nicht, als sie ihre Adresse angab.

Die Augen fielen ihr zu, und sie fuhr aus dem Dämmerzustand erst auf, als der Wagen vor dem Hause in der Bendlerstraße hielt.

Wie im Schlaf ging sie hinauf, vorbei an der treuen Lina, die ihr beim Ablegen helfen wollte, und in ihr grünes Zimmer.

Eine beklemmende Angst nahm ihr den Atem. Sie wußte nicht mehr, wo sie war. Sie konnte nicht mehr Traum und Wirklichkeit unterscheiden – nicht mehr Leben und Sterben ...

Ja ... das blühende Leben hatte die Tür vor ihr zugeschlagen und ihr Kind im Arm davongetragen, und sie ... sie stand hier ganz allein, ganz fremd. Sie brauchte etwas, um sich daran zu halten ... denn sie fiel um ... irgendwohin in die Finsternis ... Aber da war nichts ... kein Mensch ... kein Ton ... kein Bild ... Nur Schönheit, bunter Farbenzauber, fremdes Gerät, an das sich kein Erleben knüpft ...

... Doch! ... Der Matrosenkopf stand noch von vorhin auf dem kleinen Tischchen neben der Chaiselongue und grinste ...

Nach ihm streckte sich ihre Hand aus.

Da fiel er zur Erde, gegen ein bauchiges Bronzegefäß, und zerbrach in ein paar große Stücke ... Frau Erika griff voll Entsetzen nach dem einen – es war ein Ohr, mit dem blanken Ohrring darin –, dann warf sie sich auf die Chaiselongue und fing fassungslos zu weinen an.

Nicht, wie ein Mensch weint, dem ein großer Kummer das Herz getroffen hat. Es war ein Winseln, wie das des müden Windes draußen, der die grauen Wolken nicht verjagen konnte. Ein jammervolles, grauenhaftes Weinen.

Die treue Lina beugte sich verständnislos zu der Liegenden.

»Fehlt der gnädigen Frau etwas?«

»Mein einziges, ... mein letztes« ...

Nur eine matte Handbewegung nach den Scherben am Boden.

Achselzuckend sah die Jungfer darauf nieder.

»Beruhigen sich gnädige Frau doch ... gnädige Frau schaden sich. Herr Doktor ist auch schon zu Hause und kann jeden Augenblick hereinkommen« ... Das jammernde Weinen hörte nicht auf. Leise und eintönig klagte es weiter.

Die treue Lina stand ratlos daneben und ließ in Gedanken die im Hause verkehrenden Herren an sich vorübergehen.

So irgendeine heimliche Geschichte mußte doch dahinter stecken! ... Was konnte nur geschehen sein? ... Sie hatte schon immer gedacht ... diese Stillen ... Ob sie nun nicht doch den Herrn rief?

Da schlug matt draußen das Telephon an.

Sie ging schnell hinaus und nahm mit überraschtem Aufschrei die Meldung entgegen.

Dann klopfte sie, nachdem sie die Bluse zurechtgerückt und den Rock über den Hüften heruntergestrichen hatte, an die Arbeitszimmertür des Herrn Dr. Lohrer.

Diese Stunde nun war die, in der er durchaus ungestört zu sein wünschte, – in der er die Geschäftsdispositionen für den übernächsten Tag ausarbeitete, – in der allein er auch vor sich selbst alle ästhetischen und gesellschaftlichen Rücksichten wegwarf und seiner eigentlichen Natur die Zügel schießen ließ.

Sogar die treue Lina hatte um diese Tageszeit doppelt tadellos zu sein, wenn sie, im Notfall, ihn an seinem Schreibtisch aufsuchen mußte.

Heute trat sie etwas hastiger ein als sonst.

»Darf ich Herrn Doktor stören?«

»Zum Kuckuck ... nein! Was gibt's? ...«

»Gnädige Frau liegt auf der Chaiselongue und weint ganz furchtbar.«

Doktor Lohrer drehte sich auf seinem Stuhl um. »Und?« ... fragte er eisig.

»Sie sagt, weil sie den gräßlichen Puppenkopf zerschlagen hat ... Aber ...«

»Aber? Nun? ...«

Die treue Lina trat einen Schritt näher:

»Aus der Eichstädter Straße telephoniert man eben ... die gnädige Frau ist in der Wohnung gewesen, – und es scheint, – sie hat den Bubi fortnehmen wollen ...«

Doktor Lohrer sprang auf.

Seine hohe, schlaffe Gestalt streckte sich, und sein schmales Fuchsgesicht bekam den gefürchteten Raubtierausdruck.

»Hallo!!«

Und er ging unverwandt in das Zimmer seiner Frau.

Der Anblick, der sich ihm bot, war nicht geeignet, seine Empörung über die verbrecherische Geschmacklosigkeit, von der er eben erfahren hatte, zu besänftigen.

Frau Erika lag mit verschobenen Kleidern, noch in Hut und Mantel, mit niedergesunkenem Kopf über der Chaiselongue und winselte wie ein gepeinigtes Tier.

»Erika,« ... rief Doktor Lohrer in fassungslosem Zorn.

Sie rührte sich nicht.

Er rüttelte sie an den Schultern. Der Körper gab nach, aber sie öffnete die Augen nicht, aus denen unaufhörlich die Tränen hervorquollen.

Er griff nach der herabhängenden Hand. Sie war behandschuht, aber er fühlte die Glut durch das Leder. –

Es war keine Frage, – seine Frau fieberte. Sie war krank, kränker leider, als sie es in Anbetracht der morgigen Sitzung im Unterrichtsministerium und der gesellschaftlichen Aussichten, die sich für den Winter daran knüpften, sein durfte. Und es war auch nicht an der Zeit, um Taktlosigkeiten, die in solchem Zustande begangen worden waren, zu rechten.

Mit Hilfe der treuen Lina wurde Frau Erika der Straßenkleidung entledigt. Eine sanfte Gewalt mußte angewandt werden, als die Hand, die den Scherben des Matrosenkopfes fest umklammert hielt, von dem Handschuh befreit werden sollte.

Dann erst durfte nach dem Arzt telephoniert werden.

»Wie konnten Sie die gnädige Frau in einem solchen Zustande ausgehen lassen?« ... schrie Doktor Lohrer die treue Lina an.

Sie wollte aufbegehren. Aber ein Blick in das verbissen grübelnde Gesicht und die zornigen Augen belehrten sie, daß dies im Augenblick unangebracht war.

»Gnädige Frau ist doch nicht leicht zu beeinflussen ... bei aller Güte ...« wagte sie zu bemerken. »Auch mit dem häßlichen Porzellankopf ...«

Er winkte abwehrend.

»Telephonieren Sie sofort nach der Eichstädter Straße, daß das, was Sie vorhin sagten, unbedingt ein Irrtum sein müsse ... die gnädige Frau läge mit hohem Fieber zu Bett ... Ich lasse das sagen ... verstehen Sie? ...«

Natürlich verstand die treue Lina und richtete die Bestellung aus, während Doktor Lohrer, peinlich erregt, neben seiner zusammenhanglos murmelnden Gattin den Arzt erwartete. – – – – –

Es war eine doppelseitige Lungenentzündung, bei dem schwachen Herzen und der zarten Konstitution der Kranken von vornherein eine böse, fast aussichtslose Sache.

Herr Doktor Lohrer stand anfangs ungeduldig und voller Erbitterung und Staunen an dem Bette seiner Frau und spielte in Gedanken mit allen Möglichkeiten – aber er spielte.

Daß das Äußerste in Wirklichkeit eintreten könnte, fiel ihm noch nicht ein zu glauben. Noch empfand er, was geschah, als eine ihm zugefügte Beleidigung, sogar als die Lage schon fast hoffnungslos war.

Der harte Kampf dauerte länger, als man gedacht hatte. Der ganze Apparat, der der Krankheit zu Leibe geht, wenn sie in ein reiches Haus eingebrochen ist, war in Tätigkeit.

Der Wagen des berühmten Spezialisten hielt morgens, mittags und abends vor der Tür. Der vornehme Hausarzt wich kaum von dem Krankenlager, und ein jüngerer Kollege war zur Hand, wenn er seiner anderen Praxis nachgehen mußte.

Im Krankenzimmer selbst waltete eine barmherzige Schwester mit trüben Augen und fest zusammengezogenem Munde ihres Amtes. Was die Medizin an Hilfsmitteln geben konnte, war in Anwendung, aber das Fieber, das an dem zarten Körper fraß und schüttelte, übertrumpfte alle Sorgfalt, alle Bäder und alle Medikamente. Atemnöte und Beklemmungen füllten die langen, bangen Stunden ... und wenn die Temperatur nur ein weniges zurückging, wollte das Herz seinen Dienst nicht mehr tun.

Nach mühseligem Kampf gegen die zunehmende Schwäche kam der Augenblick, in dem die Ärzte andeuteten, daß man, wenn nicht ein Wunder geschähe, in kurzem auf das Schlimmste gefaßt sein müßte ...

Herr Doktor Lohrer, der seinen vollen Anteil an der Pflege aufopfernd Tag und Nacht getragen hatte, nahm die Botschaft stumm und mit gebotener Fassung entgegen und achtete nach wie vor auf die peinlich genaue Ausführung der ärztlichen Anordnungen.

Inzwischen lief er ruhelos zwischen dem Krankenzimmer und seinem Schreibtisch hin und her.

Auf einer dieser Wanderungen, nachdem er minutenlang das arme zuckende und gedunsene Gesicht der Sterbenden kummervoll betrachtet hatte, ging er zu dem Marmorporträt in seinem Zimmer hinüber, das vor zwei Jahren in Brüssel Lambert von ihr geschaffen hatte.

Aus dem, wie es die Mode betont, teilweise roh gebliebenen Marmor, hob sich das feine Köpfchen Erikas mit dem überzarten Halsansatz. Ein träumerisch scheues Lächeln, eine kleine melancholische Ironie belebten die regelmäßigen Formen.

Ja, das war die Gattin von Lovis Lohrer, das war das Bild der Frau, die seinem schönen Hause den Stempel zartester Ästhetik aufgedrückt hatte, das war das Bild, vor dem er erleichtert aufatmete. Von dem der armen Leidenden, die schmerzentstellt, Vernichtung in den verzerrten Zügen, da drüben kämpfte, wendete sich etwas ihm ab ...


Draußen kroch der Tag langsam und grau heran.

Da hörte auf dem Sterbelager das stoßweise Atmen und Röcheln plötzlich auf.

Die Schwester schreckte zusammen und beugte sich über ihre Kranke.

Die lag, plötzlich weiß und schmal geworden, mit großen, schimmernden Augen da.

Die Schwester trocknete ihre feuchte Stirn und nahm ihre Hand.

»Muß ich sterben?« flüsterte Frau Erika heiser, an der Pflegerin vorüberblickend.

Die sah sich mit scheuem Auge um, und als auch im Nebenzimmer alles still blieb, sagte sie feierlich und laut:

»Ja! ... Wir wollen beten!« ...

Frau Erika antwortete nicht.

Sie richtete sich mühsam auf und flüsterte Unverständliches vor sich hin.

»Das ist ja alles nicht wahr,« sagte sie dann plötzlich ganz klar. »Wenn ich leben bleibe, dann will ich wirklich ... wirklich ... nicht bloß zum Schein ... nicht hindämmern« ...

»Nach der Dämmerung bricht der leuchtende Tag des Herrn an,« sagte die Schwester, »der leuchtende Tag, der Tag der Erlösung. Der Friede ...«

»Finster ... Finster ...« ächzte Frau Erika und griff mit zuckenden Händen um sich.

Dann taumelte sie in den Abgrund, in dem Schein und Sein versinken.


In dem kleinen Wintergarten, der sich an das grüne Wohnzimmer schloß, unter weißen Rosen und weißem Treibhausflieder ruhte nun die Herrin dieser Räume noch eine kleine Stunde, ehe sie unter die verschneite Erde gebettet wurde.

In einer Stunde nämlich versammelte sich der Bekanntenkreis, und dann kam auch der Geistliche, die Verstorbene für die letzte Fahrt einzusegnen, die sie nach der thüringischen Heimatstadt antreten sollte, um neben ihrem Kinde zu schlafen, wie sie es wohl gewünscht haben würde, wenn ihr in ihrem geräuschvollen Leben der Gedanke an ewige Ruhe je gekommen wäre.

Herr Doktor Lohrer ging durch alle Räume, um mit dem Blick des Herrn festzustellen, ob alles der Sachlage und seinen Anordnungen gemäß auf der Höhe wäre.

Zuletzt kam er in den Wintergarten und warf einen prüfenden Blick auf die Tote, deren leise Stimme noch in diesem Raum zu klingen schien.

Er hatte sich mit dem Ungeheuerlichen, das über ihn hergefallen war, als Mann von Selbstbeherrschung äußerlich abzufinden gesucht. Aber seine Gestalt sah sehr zusammengefallen und das Fuchsgesicht spitz und gelb aus.

Er schloß einen Augenblick die Augen, deren Lider rot und geschwollen waren. Als er sie wieder öffnete, fiel ihm die rötliche Orchidee in den starren Händen der Ruhenden auf, und er überlegte, ob dieser einzige Farbfleck die Harmonie des weißgrünen Bildes herabsetzte oder erhöhte. Er bemerkte auch, daß irgend etwas um das holde, friedvolle Gesicht nicht stimmte, es leer scheinen ließ ... Natürlich! Wie hatte er es übersehen können! Die weiße Locke, die viel bewunderte, fiel ja nicht in die Stirn wie im Leben. Der Friseur hatte sie ungeschickterweise versteckt. Er fuhr mit spitzen Fingern in das Haar und zog sie vor.

Aber sie hatte das Flockige verloren und lag rauh und ohne Glanz da.

Welch ein Glück, daß er im letzten Augenblick das noch ändern konnte!

Er rief nach der treuen Lina, die in angemessener Trauerhaltung nach kurzem Schaudern mit der Brennschere die gewohnte Ordnung herstellte.

Den scheuen Blick, mit dem sie aus zitternden Lidern ihren Herrn streifte, bemerkte er nicht.

Er winkte ihr, hinauszugehen, und dann nahm er doch die blaßrote Orchidee fort, die »wie ein Tropfen Lebensblut das Bild des Todes in seiner Absolutheit störte.« So dachte er.

Er legte sie auf den Kübel der Latanie, die sonst über die Chaiselongue im Nebenzimmer ihre großen Blätter hängen ließ ...

Die Blume fiel auf einen Scherben, ein rotes Ohr mit einem blanken Ring darin. Vor einigen Tagen hatte man ihn der fieberglühenden, jetzt erstarrten Hand entrissen und ihn auf den Platz geworfen, auf dem er achtlos liegen geblieben war.

... Und nun konnte die Trauerfeier vor sich gehen. Die Wachskerzen, die Doktor Lohrer selbst anzündete, legten ihren klaren, gelblichen Schein auf ein Bild von unbeschreiblicher, ruhevoller Schönheit und Poesie.

Er stand davor voller Bewunderung und Rührung. Mit einem Gefühl von Dankbarkeit streichelte er die eisigen Hände und rechnete in Wehmut und Güte mit der Toten ab.

»Sie hat ihren Zweck erfüllt ... sie war der Schmuck meines Lebens ... Vielleicht durfte sie nicht hinwelken ... um mir ein unvergeßliches Bild zu hinterlassen ... Aber auch ich hatte sie weich gebettet nach ihrem traurigen Jugendschicksal ... in Glück und Glanz ... Nicht jeder ... aber gleichviel ... es ist hart ... bitter hart ...«

Nach einem letzten trüben Blick auf die Ruhende richtete Doktor Lohrer sich straff auf und dachte an seine Pflicht.

Aus den Nebenräumen drang Stimmengemurmel. Er schob den Vorhang zur Seite – – und mit noch feuchten Augen, war das erste, was er leise befriedigt wahrnahm –, der weiße Spitzbart des Unterrichtsministers ...

Unter gleichem Winde

Gerade als die buntfarbigen Laternen in der nebeligen Dämmerung des Novemberabends die ganze Tauentzienstraße hinunter unnatürlich groß aufflammten, sprang eine Dame an der Haltestelle der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche von einem Wagen der A-Bahn, ehe er noch vollständig stillstand. Ein großgewachsener, hagerer Herr, der anscheinend mitfahren wollte, kam in ihren Weg und streckte höflich den Arm aus, um sie zu stützen. In der Heftigkeit des Sprunges aber taumelte sie gegen ihn, und eine aus dem Mantel herausfliegende Lorgnonkette hängte sich so fest an den Knopf seines Überziehers, daß er sie nicht schnell genug losmachen konnte und den Wagen, den er hatte benutzen wollen, vorüberfahren lassen mußte.

»Pardon – wie ärgerlich!« sagte die Dame und zog an der Kette.

»Wollen gnädige Frau vielleicht bis zum Schaufenster dort treten, damit wir in dem helleren Licht die Schnur, oder was es ist, lösen können, ohne sie zu zerreißen?«

Die Dame fuhr zusammen und sah ihm ins Gesicht. Sie hatte eine kleine und zierliche Gestalt, rasche, lebendige Bewegungen, und ihre Farben schienen hinter dem Punktschleier jung und rosig, aber die Art ihrer eleganten Straßenkleidung zeigte doch auf den ersten Blick, daß sie mehr auf Würde als auf Jugendlichkeit Anspruch zu machen hatte.

Sie standen nun in der strahlend weißen Beleuchtung der Tapetenhandlung und sahen einander an, ohne an die Kette zu denken, prüfend und voll ängstlichen Staunens.

»Ist das möglich,« sagte die Dame leise und riß mit einem Ruck ihre Kette los, »Doktor Ender?«

Er hob den Hut und fuhr sich über die kahle Stirn. »Ja, gewiß. Und Sie? Wie ich Sie zu nennen habe, weiß ich nicht einmal. Man hat mir vor Jahren erzählt, daß Sie sich nach dem Tod von Major Splettner wieder verheiratet haben.«

Sie nickte. »Frau von Betzwold ... Irmgard Betzwold ...«

Ein nervöser Zug, der wie ein verzerrtes Lächeln aussah, zuckte um seinen Mund.

»Jawohl ... Irmgard! ... Leben Sie denn hier?«

»Ja, seit langem. Mein Mann ist Beamter. Geheimrat – im Verkehrsressort ... Und Sie?«

»Ich halte mich seit mehreren Jahren hier auf.«

Sie waren ein paar Schritte weitergegangen und blieben nun wieder stehen. Fragende, verstehende, überquellende Blicke senkten sich ineinander.

Die Frau schüttelte zuerst den Bann des Schweigens ab, der sich auf sie gelegt hatte.

»Da vermeidet man sich ein halbes Leben lang, und dann kommt solch ein närrischer Zufall und kettet einen sozusagen wieder aneinander ... Wollen wir eine Viertelstunde zusammenbleiben?«

»Gewiß,« sagte er. »Es wäre unnatürlich, wenn wir uns jetzt mit höflichem Gruß trennen wollten. Wo befehlen Sie?«

»Möchten Sie ein Stück mit mir gehen? Ich wohne in der Leibnizstraße und wollte ohnedies zu Fuß nach Hause.«

Er schwieg erst und deutete dann auf die Menge der Menschen, die beide Seiten des Kurfürstendamms hinauf und hinunter strömte, schwatzend, eilend oder schlendernd und gegeneinander drängend. »Können wir nicht eine Viertelstunde irgendwo ungestört sitzen?« fragte er. »Ich weiß hier in einer Nebenstraße ein kleines Restaurant, in dem man um diese Zeit sicher niemand trifft.«

»Nein,« sagte sie, ein wenig lächelnd. »Es dürfte doch befremdend wirken, wenn zufällig jemand von meinen Bekannten mich in so einem Lokal sähe. Dagegen können wir hier in die Konditorei eintreten. Da kennt man mich – wir sitzen in dem Erker da – sehen Sie – vor aller Augen und doch ganz allein.«

Er musterte sie einen Augenblick verwundert, als ob er fragen wollte: Was fürchtest du denn noch? Sie verstand und antwortete auf die stumme Frage: Nein, nein. Sie mache durchaus Gebrauch von dem Recht ihrer weißen Haare – aber in dem Beamtenstaat, in dem sie lebe, wäre alles gewissermaßen numeriert, die Leute, mit denen man umginge, die Orte, die man besuche. Übrigens hätte sie auch aus den Erfahrungen ihrer früheren Jahre gelernt, etwas wie Schutz in einer umzäunten Lebensenge zu finden ... Sie könne gut mit einem Jugendbekannten in einer vornehmen, großen Konditorei zusammensitzen – in einer obskuren, kleinen Restauration, die sie sonst nicht beträte, würde es aussehen, als ob sie mit ihm über wer weiß was zu reden hätte ...

Sie sagte das lächelnd, im Eintreten; und sich geschickt durch die enggestellten Tische windend, dirigierte sie ihn zugleich in den vorhin bezeichneten Erker, der durch zwei Goldsäulen von dem großen Raum geschieden war.

Und nun saßen sie einander gegenüber. Ein Paar Tassen zwischen sich, von dem faden Geruch der süßen Backware, des Kaffees, des Grogs eingehüllt, von dem leisen Rauschen der Zeitungsblätter in den Händen der ringsumher Lesenden, von dem Kommen und Gehen der Gäste, von durcheinanderhallenden Gesprächsbrocken umgeben.

Doktor Ender hatte sich aufgestützt und ließ den kahlen Kopf hängen. Frau von Betzwold nestelte an dem Schleier, musterte zerstreut und unruhig das Publikum und wandte sich dann, in den Schatten der Säule rückend, ganz dem Schweigenden zu.

»Wir müssen aber die kurze Zeit, die wir uns schenken, ausnützen ... Erzählen Sie zuerst von sich, lieber Freund! Was haben Sie in all den langen Jahren angefangen?«

Der verbitterte und traurige Zug um seinen Mund vertiefte sich, und das nervöse Zucken zitterte sekundenlang über eine Hälfte seines Gesichts.

»Ich habe nicht viel Tatsächliches zu erzählen ... Mein Onkel Farrstein – wenn Sie sich noch erinnern,« Frau von Betzwold nickte – »starb ein paar Jahre nach – nach unserer Trennung und hinterließ ein viel größeres Vermögen, als ich erwartet hatte. – Übrigens machte ich damals den letzten Versuch, mich Ihnen zu nähern – ich bekam aber meinen Brief, den ich nach Sagan schickte, wohin Ihr Gatte doch gegangen war, als unbestellbar zurück.«

»Das wird wohl in der Zeit gewesen sein, in der ich in Sanatorien herumwanderte – die Jungen im Korps waren – mein Mann auf irgendeiner der Probestellungen, die er nach seiner Pensionierung in allen möglichen Branchen suchte ... Schließlich landeten wir ja dann doch wieder in Sagan, wo er auch starb ... Aber zu Ihnen, lieber Freund – was fingen Sie nun an?«

»Meine Erbschaft ermöglichte es mir, die Last des traurigen Berufs abzuwerfen.«

»Sie waren doch Lehrer aus Passion! ...«

»Nicht mehr nach unserem Erlebnis! ...«

»Und womit beschäftigten Sie sich denn? ... Sie hatten doch einen so ungeheuren Tätigkeitsdrang....«

»Nicht mehr nach unserem Erlebnis,« wiederholte Doktor Ender. »Ich bin in der Welt herumgewesen, habe gesehen und erlebt, was man als Reisender ohne Anhang und ohne Ziel erlebt ... Und zuletzt, als mich das zu ermüden anfing – ich auch die eine Note begriffen hatte, auf die mein ganzes Wesen – seit damals – gestimmt war – habe ich mich in eine Tätigkeit gestürzt, die nun eine Art Lebenszweck geworden ist ... Ich versuche nämlich, unschuldig Verurteilten zu helfen – nach meiner Meinung ist ihr Prozentsatz ein erschreckend hoher. – Alle großen Mordprozesse, bei denen die Täterschaft zweifelhaft ist, durcharbeite ich mit und suche sie mit Aufwand all meiner Kräfte und Mittel aufzuhellen. Hier und da habe ich auch schon einen kleinen Erfolg gehabt, – die öffentliche Meinung beeinflußt im Sinn der Gerechtigkeit. – Ich betrachte meine Arbeit als eine Art Sühne ... Sie werden das begreifen, nicht? ...«

Die Geheimrätin sah sehr bestürzt vor sich nieder und erwiderte nichts.

»Und Sie?« fragte er, als sie schwieg.

»Ach, mit mir hat's das Leben schließlich noch gut gemeint. Wohl als Revanche für die schrecklichen Erfahrungen ... Daß ich damals – nachdem ich Sie verließ, an der See schwerkrank war, und von da gleich nach Jena in eine Nervenheilanstalt geschickt wurde, haben Sie wohl noch erfahren ... Dann haben Sie ja aufgehört, nach mir zu fragen, wofür ich Ihnen übrigens von Herzen dankbar gewesen bin – denn ich hätte ein Zusammenkommen nicht mehr ertragen, wie ich auch lieber gestorben wäre, als nach Kreuzstadt zurückzugehen ... Nachdem dann die gräßliche Geschichte dort ihre – Erledigung gefunden hatte und ich wieder fähig war, unter gesunden Menschen zu existieren, bin ich nach Sagan gekommen. Daß der Tod meines Mannes, der bald darauf erfolgte, mich nicht besonders tief traf, werden Sie begreifen ... Zwei Jahre danach lernte ich in Thüringen meinen jetzigen Gatten kennen, und da ist dann alles Böse und Traurige versunken, und ich bin eine recht glückliche Frau geworden ...«

»Und die Buben – die Zwillinge?!« fragte Doktor Ender.

»Beide vor dem Oberleutnant – prachtvoll geworden. Und meine beiden Mädel aus dieser Ehe auch liebe, schöne Geschöpfe ... Ich bin eine sehr stolze Mutter – und, wie gesagt, ich habe allen Grund, zufrieden zurück und wohl auch in die Zukunft zu sehen.«

»Irmgard Splettner,« sagte Doktor Ender nach kurzem Schweigen, »ich bewundere Sie. Ich bewundere Ihre Selbstbeherrschung und Ihre Lebenskraft ... Fast noch jugendlich und blühend an der Schwelle des Alters ... Ich habe mich nicht so bemeistern können. Mir hat unser Erlebnis – unsere Schuld das Leben zerbrochen, jedes Streben vernichtet ... Dabei habe ich mir noch Vorwürfe gemacht, daß ich dich, das Weib, die schwächere, nicht stützen und trösten konnte – und nun bist du ...«

Bei diesem »Du« zuckte Frau Irmgard zusammen und machte eine kleine, abwehrende Bewegung.

Doktor Ender bemerkte es nicht. Er saß zusammengesunken da und sah mit den ausgeblaßten, trüben Augen starr vor sich hin.

»Lieber Freund – wir haben, seitdem das – das Peinliche sich ereignete, so viel erlebt und erfahren, Schlimmes und Gutes, jedenfalls Ausfüllendes – Sie doch auch – daß jenes Erlebnis restlos, man kann wohl sagen – verschlungen ist ... Warum jetzt noch einmal darauf zurückkommen? ...«

»Haben Sie denn wirklich und wahrhaftig vergessen – und ohne Gewissensqualen weiter leben können? ...«

Frau Irmgard seufzte ein wenig beklommen.

»Mein Gott, natürlich habe ich seinerzeit viel ausgestanden, tödliche Angst vor allem – aber es ist doch auch viel geopfert worden – alle Wünsche – und – das, ja – Sie wissen es ja am besten – wir haben uns doch nie wiedergesehn seitdem.«

»Ich weiß, daß wir auseinandergegangen und aneinander vorübergeschlichen sind wie zwei Feiglinge, wie zwei Verbrecher, die wir schließlich auch waren ...«

Frau Irmgard wurde weiß bis in die Lippen.

»Ich bitte Sie – leise! Was wollen Sie mit diesen pathetischen Worten – mit diesem gewaltsamen Aufwecken längst verschollener Dinge? Das war ein anderes Leben, so weit ab von dem jetzigen ...«

»Natürlich, natürlich.« Er nickte und lachte mit einem gequälten, höhnenden Ton. »So weit ab, wie etwa das Lokal hier – von der Wirtschaft – dem Heidekrug ...«

»Schweigen Sie!« befahl Frau von Betzwold. »Sonst gehe ich auf der Stelle ... Ich will das nicht – ich bin fertig damit ... Wie können Sie nur,« lenkte sie ein, als sie in sein graues, vergrämtes Gesicht mit den trostlosen Augen sah. »Warum quälen Sie sich und schließlich auch mich so? ...«

»Sie haben recht, es ist ganz überflüssig. Aber ich bitte Sie – bleiben Sie. Sie mögen mich für einen sehr schwachen Menschen halten. Aber bedenken Sie – das lebenslange Schweigen, das Herumirren in der Welt unter Fremden, immer in der Maske des Ehrenmanns, der man vor sich doch nicht ist – und nun plötzlich die einzige, die einen kennt, mit der man sprechen kann über all diese verquälte Zeit, weil sie die gleiche Last durch das Leben geschleppt hat ...«

»Nein, nein, ich sagte schon wiederholt, ich habe das längst abgetan ... Mein Gott – unsere gemeinsame Schuld – gewiß, es war eine, – in meiner Welt von jetzt genau wie in der von damals – ich war sicherlich eine untreue Frau – aber wenn man die mürrische, grausame Strenge meines Mannes bedenkt – – und wir zwei hatten uns lieb – waren so jung und so froh! ... Was haben wir zusammen gelacht und geschwärmt ... Schöne Zeiten waren es trotz alledem!« ...

Ja, jene Zeiten!

Durch den bläulichen Dunst, das leise Stimmengeschwirr, durch die hastende Unruhe im Kommen und Gehen schlichen sie in den Erker und schütteten die Erinnerungen an harmlose Freuden und Leiden, an verschwiegenes Wünschen und erfülltes Sehnen über die beiden Menschen, die traumverloren da saßen ...

Frau Irmgard sah ein paar längst versunkene Lebensbilder zum Greifen deutlich vor sich aufzucken.

Das kleine Haus der Bezirkskommandantur in der stillen Straße hinter dem Ordenstor, ihr damaliges Heim ... Major Splettner, ihr damaliger Gatte, grämlich und verbittert wegen der zu früh abgeschlossenen Karriere ... Seine ewig scheltende Stimme mischt sich mit dem zwitschernden Jubel der Zwillingspuppen, mit denen sie selbst kindlich froh herumtobt, wenn der Hausherr nicht da ist ...

Wie ein Schatten huscht der lange Adjutant über die Straße, der vierte in dem lustigen Bund, und in der Kaprifoliumlaube des verwilderten Hausgartens kräht er zum Ergötzen seines dankbaren Publikums wie ein Hahn, gackert wie ein Huhn, wenn es ein Ei gelegt hat, und läßt mit dem Mund Champagnerpfropfen knallen ...

Aber das Tollen muß aufhören, die Jungen, noch nicht sechsjährig, sollen zu lernen anfangen, bestimmt der Major. Und da bringt eines Tages der Adjutant seinen Freund Doktor Ender ins Haus. Er ist Reserveoffizier bei dem Infanterieregiment, von dem zwei Bataillone im Städtchen liegen; das legitimiert den jungen Gymnasiallehrer bei dem Major, der ihn sonst nicht ernsthaft genug und bedenklich jung findet ... Mutter und Lehrer bemißtrauen sich im Anfang anscheinend, sind eifersüchtig aufeinander und beklagen sich gegenseitig bei dem gemeinsamen Freunde. Aber auf dem ersten Spaziergang mit ihm und den Kindern, an einem Märztag, längs den abfallenden Ufern der raschfließenden Aller – beim Kätzchenpflücken – stehen sie plötzlich voreinander – tief erschrocken, einander stumm anblickend: das bist du ... das hab' ich ja nicht gewußt ...

»Es ist sonderbar, daß man in einem Augenblick ganze Monate in der Erinnerung durchleben kann,« sagte Frau Irmgard von Betzwold aufatmend ...

»Ja, ich habe eben auch vieles deutlich gesehn und empfunden, was über dem grausigen Abschluß längst vergessen war ... Vieles Schöne und Liebe.«

»Und schließlich war es auch nicht einmal eine Schuld,« sagte Frau Irmgard unbewußt. »Es hätte so aussehen können, wenn es je einer geahnt hätte ... Was nahm ich ihm denn? ... Gar nichts! Ich versteckte unser kurzes Glück vor ihm, wie ich vor seiner Gehässigkeit jede kleinste Lebensfreude verbergen mußte ...«

»Freilich war diese Schuld eine geringfügige gegen das andere,« sagte er. »Sonderbar übrigens, daß das, was uns zum erstenmal einander in die Arme jagte, auch ein Mord war ... Denkst du daran? ...«

Ob sie daran dachte ... An den unvergeßlich grauenhaften und doch schönen Tag ...

Die Nachbarkatze hatte das einzige, was der Major auf der Welt liebte – seinen Kanarienvogel, gefressen – und er, mit dem Burschen gemeinsam, sie gefangen und mit einem alten Degen lebendig an die Wand gespießt.

Sie schauderte noch heute, wenn sie daran zu denken wagte. Halb bewußtlos vor Grauen, war sie zitternd aus der Wohnung gelaufen. In der Abenddämmerung durch den Garten über den Wiesenweg zu dem kleinen Haus neben dem Tannenkrug, in dem Doktor Ender allein wohnte ...

Fassungslos war sie ihm um den Hals gefallen und hatte nicht mehr fortgehen wollen – und war dann doch selig – als sein Weib – unempfindlich gegen das, was sie zu Hause erwarten konnte, heimgeschlichen ...

»Hätten wir damals – nach jenem Maiabend, den Mut gehabt, uns zueinander zu bekennen« – sagte Doktor Ender nachdenklich.

»Um Gottes willen,« rief die Geheimrätin. »Ohne Existenzmittel – die Kinder in seinen Händen ... Sie selbst haben das doch damals für unmöglich gehalten ... Ich hätte es ja auch gar nicht überlebt – Splettner hätte mich wie jene Katze, glaube ich – doch warum diese überflüssigen Erwägungen? ... Vier Jahre später war er tot ...«

»Und wieder ein paar Jahre später war ich ein wohlhabender Mann – aber was half uns beiden das? Uns hatte die Nacht vom 8. September auseinandergefegt. Und doch hätte sie uns zusammenkitten müssen, wenn man's recht bedenkt ...«

»Nein, nein, es war schon richtig so, daß wir uns nicht mehr sahen ...«

»Angst war es vor der Welt – bei mir mißverstandenes Ehrgefühl dazu. Darüber haben wir einen unschuldigen Menschen ins Verderben und in einen frühzeitigen Tod gejagt. Haben Sie daran nie gedacht? ...«

»Dieser Kellner Hake war ohnedies ein verlorener Mensch. Er hatte allerlei Schandtaten auf dem Gewissen. Ich habe mich später erkundigt ...«

»Aber die, wegen der er lebenslänglich verurteilt, wurde und dann auch im Zuchthaus starb, hatte er nicht begangen. Und wir wußten es.«

»Wir konnten es nicht genau wissen – es war immerhin möglich ...«

»Beschönige es nicht. Sieh noch einmal das Ganze, wie es war ...«

Frau von Betzwold stützte sich auf und sah mit überquellenden Augen in ihre Schokoladentasse, aber sie schwieg. Sie ließ die Worte des Mannes über sich hinstreichen wie einen Wind, dem man schutzlos preisgegeben ist.

»... Wir hatten uns drei Wochen nicht gesehen. Ihr wart an der See – in Cranz, und wolltet noch den ganzen September dort bleiben. Da warst du auf die Idee gekommen, irgendeine Reparatur in deiner Wohnung vornehmen zu lassen, und kamst für einen Tag herüber. Weißt du es?«

Sie nickte. »Leider ...«

»Am Tage zeigtest du dich im Städtchen. Die Nacht gehörte uns. Du kamst über den Wiesenweg – ganz feucht von den Abendnebeln kamst du ... Am Morgen schlichen wir hinaus. Auf der schiefen Bank im Ellernbusch, oben am Ufer, dicht neben der Gartenpforte hinter dem Tannenkrug, setzten wir uns nieder. Wir drückten uns schweigend aneinander und sahen glückssatt in die fahle, stumme Welt um uns, und ich weiß noch, wie eine große Eule vor dir aufflog, ohne daß man sie hörte ... Und da schlurrte das Schicksal heran ...«

»O Gott,« seufzte Frau Irmgard.

»Da, es war der Gastwirt Passinner. Er kam über seinen Hof geschlichen, und wir sahen ihn erst, als er mit der Last, die er schleppte, dicht neben unserm Busch stand, so dicht, daß wir durch das Blattwerk auch die wilden Augen sehen konnten, mit denen er um sich spähte, bevor er den blutigen Sack das steile Ufer hinab in das Wasser warf ... Er keuchte und stöhnte – es war wohl keine leichte Last gewesen, und der schwarze Zopf ...«

»Ich sterbe, wenn du nicht schweigst,« unterbrach Frau Irmgard mit vergehenden Blicken.

»Das war ja alles ... Weiter gab's ja nichts ... Wir rührten uns ja nicht ... Wir sahen einen Mörder davontaumeln und blieben muckstill ...«

»Ja, natürlich ... vor Entsetzen ... Wie gelähmt waren wir, konnten nicht sprechen und saßen wie versteinert da.«

»Aber du mußtest doch nach Hause. Heimbringen durfte ich dich nicht. Ich blieb im Ellernbusch und sah dich wie einen Schatten durch den Nebel gleiten ...«

»Ach, ich in meiner schauerlichen Angst rannte und rannte. Ich riß zu Hause meine paar Sachen zusammen und lief auf den Bahnhof und saß zwei Stunden im Wartesaal und klammerte mich an unseren Kohlenlieferanten, der auch mit dem Morgenzug fahren wollte, und der sich meiner dann später auch angenommen hat. An dich habe ich gar nicht gedacht ... Es war in mir alles wie ausgelöscht, Liebe und alles. Mit einem Mal und für immer ...«

»Also bei dir auch?« sagte Doktor Ender. »Ich wollte es mir anfangs gar nicht zugeben. Auch war ja die Sehnsucht nach dir oft groß ... Keine Liebessehnsucht – nein –. Aber du hattest ja das Wundermittel der Erlösung in Händen – ein mutiges Wort von dir, und der unglückliche Kellner – den sie schuldig sprachen, als der Mord, trotz der unzugänglichen Stelle am Fluß, bekannt wurde – während der wirkliche Mörder als Hauptbelastungszeuge auftrat – – und er ist ja dann auch bis an sein seliges Ende frei herumgelaufen ...«

»Ach, es war ja alles verlorenes Volk, lieber Freund. Selbst die unglückliche, ermordete Hausiererin mußte ihr Leben wegen einer Diebsbeute lassen ... Wir dagegen hatten alles zu verlieren, Kinder, Stellung ... Sagen Sie selbst: wie hätten wir weiter leben sollen, wenn wir öffentlich bekannt hätten? ... O Gott, nein – so furchtbar das alles war, käme es heute noch einmal – ich würde genau so handeln wie vor zwanzig Jahren – oder, besser gesagt, mich gerade so treiben lassen ...«

»Das ist doch aber das Schrecklichste von allem gewesen – dies sich gegen seinen Willen Treibenlassenmüssen,« sagte Doktor Ender. »Da stehen die Gerechtigkeit und die Wahrheit. Man ist ein anständiger Kerl, kann sich eine Weltordnung ohne die nicht vorstellen – und man schleicht an ihnen vorbei. So ins Nichts, ins Dunkle ... Ich kann Ihnen sagen, Irmgard Splettner, keine Stunde hab' ich meinen Jungen in der Klasse mehr geben können – mittendrin kam's über mich – so einer wie du, der Mitwisser einer scheußlichen Tat – der ganz ruhig zusieht, wie ein armer, unschuldiger Mensch seiner Ehre, seiner Freiheit beraubt wird – mit welchem Recht will der Jugend belehren und erziehen? Ich hatte ja keinen Grund mehr unter den Füßen – ich hab' ihn nie wieder erobern können ...«

»Leiser ... man wird sonst aufmerksam auf uns,« sagte die Geheimrätin ängstlich ... »Ich begreife es ja nicht, daß Sie innerlich nicht ruhiger wurden, als es bei den Verhandlungen herauskam, was für ein Verbrecher dieser Kellner Hake auch ohne diesen Raubmord war – aber sagen Sie mir eins. Wenn Sie mich schonen wollten, und das mußten Sie natürlich – warum meldeten Sie sich nicht allein zur Zeugenschaft? Niemand wußte von mir – kein Mensch hatte mich gesehen ...«

Doktor Ender beugte sich zu ihr hinüber.

»Das ist's ja eben, was Sie nicht wußten, und was ich Ihnen auf keine Weise mitteilen konnte ... Er hat Sie gesehen, und er hat auch mich gesehen, wenn ich auch den Kopf gleich wieder in den Busch zurückzog und er ganz ruhig blieb ...«

»Wer – um Himmels willen, wer? ...«

Starr und leichenblaß saß Frau von Betzwold da.

»Der Passinner, der Mörder,« flüsterte Ender. »Als du davonliefst und ich dir wenigstens schutzbereit nachsah, raschelte es am Zaun, und ich sah ihn, schwer auf den Querpfahl gelehnt und mit seinen Glotzaugen dir folgend und auch mich streifend, als ich tödlich erschreckt vortrat, um dir zu Hilfe zu eilen ...«

»Und?«

»Nichts weiter. Er ließ den Kopf hängen, ich zog mich in unüberlegtem, feigem Abwarten zurück und sah ihn dann sich nach dem Haus schleppen.«

»Und hast ihn nie gesprochen?«

»Nie ... Es war ja alles wie ein quälender Traum, und ich konnte mir manchmal auch denken, daß meine vernichteten Nerven mir das vorgespiegelt hätten – nur ...«

»Mein Gott, wir wollen jetzt nicht mehr alle Möglichkeiten erwägen ... er ist ja lange tot ... Gott sei Dank, lange tot ... Und welch ein Glück, daß ich dies letztere nie erfuhr ... Ach, alle längst vergessene Bangigkeit und herzbeklemmende Sorge war in einem Moment wieder aufgewacht ... Lassen Sie uns anderes reden ... Wissen Sie, daß mein Interesse für ähnliche Vorgänge mich eigentlich mit meinem Gatten zusammengeführt hat? ...«

»So, weiß er also? ...« fragte Doktor Ender freudig interessiert.

»Um Gottes willen! ... Aber ich habe doch über alles, auch das Juristische Bescheid bekommen – und ich bin ganz, ganz ruhig geworden ...«

Doktor Ender sank wieder zusammen.

»Aber es steht doch alles für Sie auf einem schwankenden Boden. Haben Sie das nie bedacht? Das Wirkliche an sich, das ganz einfach Wahre haben wir doch verschleiern geholfen. Damit haben wir unseren Anteil an der einzig allgemeinen Kulturaufgabe, die zugleich das einzige Bindeglied zwischen Mensch und Mensch ist, fortgeworfen – das einzige Steuer, mit dem man an der Bosheit und Dummheit der Welt vorüberkommen kann, zerbrochen. Im Licht wandeln ... Haben Sie nie daran gedacht, welch ein Glück es sein muß, nichts zu verbergen zu haben? ... Im Licht wandeln ...«

»Sind Sie ein Frommer?« fragte Frau Irmgard ängstlich mit der unbestimmten Erinnerung an ein Bibelwort und drückte seine gestikulierende Hand auf den Tisch.

»Was ich bin? Weiß ich das? Jedenfalls ein Lügner, einer, der das Weltgefüge zerstören helfen wollte, und dabei, wie alle seinesgleichen, sich selbst zerstört hat.«

»Das werden Sie tun, wenn Sie mit solchen Grübeleien fortfahren, die Sie ja unglücklich machen müssen ... Ich verstehe Sie ja nicht und bin froh, daß ich all das so anders auffasse ... Mein und der Meinen Leben hab' ich dabei nicht verdunkelt, im Gegenteil ...«

»Und das wieder ist mir ein unlösbares Rätsel,« sagte Doktor Ender müde. »Das gleiche Schicksal, der gleiche Sturm faßt uns, und Sie treibt er in ein stilles friedliches Leben – mich in eine wüste Einsamkeit, in die keine warme Menschenstimme mehr dringt – nichts als die Schreie der unschuldig Verurteilten aller Zeiten.«

»Lieber Freund, Sie haben sich in böse Phantasien eingesponnen, und ich bin nicht stark genug, um Ihnen diese gefährlichen Entstellungen der klaren Wirklichkeit zu zerstören.«

»Entstellungen der klaren Wirklichkeit? ... Mir? ... Und das sagen Sie – Irmgard Splettner, deren ganzes Leben sich wie hinter einer getrübten Scheibe abspielt?«

Die Geheimrätin lächelte halb nachsichtig, aber doch mit einem kleinen, ungeduldigen Blick in den noch immer schönen, ruhigen Augen.

Doktor Ender zuckte darunter zusammen. Er stand auf. Sein eben noch in Bewegung zuckendes Gesicht nahm einen starr höflichen Ausdruck an.

»Meine gnädige Frau, unser Zusammentreffen hat mir die allerletzte Illusion genommen, daß es einen Menschen auf dieser Welt gibt, mit dem gemeinsam ich eine gleich schwere Last trage. Im Grunde müßte ich in Ihrem Interesse wohl froh darüber sein ... Leben Sie wohl. Hoffentlich tauche ich mit der Vergangenheit in die Verdunklung zurück, die Ihnen das Leben so leicht gemacht hat.«

Frau von Betzwold streckte ihm die Hand entgegen. »Das sicherlich nicht. Ich will an das Liebe und Schöne denken, das unsere Jugend uns beschert hat und ...!«

Doktor Ender beugte sich fremd über die gebotene Hand, und mit bitterem Lächeln um den zusammengekniffenen Mund ging er hinaus, ohne noch einmal in das Gesicht zu sehen, das ihm doch einst das liebste gewesen war.

Die Geheimrätin blieb noch einen Augenblick in ihrem Erker. Anfangs als sie sich wieder allein sah, hatte sie das Gefühl, die letzte Viertelstunde geträumt zu haben.

Dann schäumte ein wildes Durcheinander von Stimmen, Bildern, Ängsten, – ein beklemmendes Entsetzen in ihr auf, peitschte ihr Blut und ließ ihr Herz jagen ... Was war das? Wie hatte sie das erleben können? ... Wie durfte sie das erleben? ... Dieser arme Phantast, – was war aus dem lachenden Jungen geworden? Jetzt waren ihre Zwillinge so alt wie er damals.

Dieser Gedanke riß sie wieder in die gewohnte Bahn.

Nicht mehr diesen verschollenen Geschichten nachhängen, nicht mehr daran denken – nie mehr. Das war man sich und dem Leben mit seinen großen und kleinen Anforderungen als pflichttreue Gattin, Mutter und Frau von Welt schuldig ...

Heute abend machte man Kammermusik bei ihr. Brahms H-Moll. Ihr Gatte war ein vorzüglicher Cellist – ihre Tochter Eva fast Meisterin auf der Geige.

O, es tat gut, in diese Welt der Harmonie zurückzukehren, die vor schreienden und klagenden Stimmen, vor schuldvollen Erinnerungen, vor begrabenen Jugendsehnsüchten und Ängsten ihre klingenden Tore schloß.

Todesbotschaft

Der alte Sandsteinheilige stand auf dem Hügel und breitete über das lachende, sonnengebadete Tal segnend seine Armstümpfe. Die Hände waren ihm nämlich in Wirklichkeit vor Jahrhunderten gerade an diesem Fleck abgehauen worden, ehe man ihn erschlug. Daß er nun schon lange in steinernem Bilde seinen Segen gerade von dem Ort her spendete, der sein Blut getrunken hatte, schien dem blühenden Lande, wie es da vor und unter ihm lag, wohl zugute zu kommen.

Es war, als ob es alle Sonne auffinge. Die gelben Ährenfelder leuchteten, die harzigen Spitzen der jungen Fichtenpflanzungen funkelten wie kostbare Steine, das Wässerchen, das sich durch die saftgrünen Wiesen wand, glitzerte und sprühte mit blausilbernen Funken – kurz, es war ein Lachen und Leuchten in dem ganzen Gesichtsfeld des heiligen Mannes, das ihm wohl gefallen konnte. Dafür sah es hinter seinem Rücken ganz anders aus. Da führte ein schmaler Weg in einen mächtigen, düsteren Wald. An dem schien die Sonne abzuprallen. Seine uralten Buchen wehrten sich gegen die heiße Flut, die draußen das Tal überströmte, und nur ärmliche, grüngoldene Wellchen zitterten über den Weg, der, langsam ansteigend, sich in grüner Dämmerung verlor.

Am Eingang dieses Weges stand eben eine einsame Frau, die aus einem der großen Sanatorien des Badeortes drüben hierhergekommen und im Vorübergehen mit dem alten Steinbild und all der goldenen Lebendigkeit ringsherum gut Freund geworden war.

Sie stand auch noch ein Weilchen da und sah mit den stillen Augen, aus denen das Leben Lachen und Weinen herausgeholt hatte, voller Verwunderung über so viel Glanz und Fülle um sich. Zu ihren Füßen standen Blumen in unbeschreiblicher Mannigfaltigkeit.

Als ob sie einen Teil der Sommerschönheit für sich bergen wolle, bückte sie sich trotz ihres kranken Herzens, dem, wie sie wohl wußte, hastige Bewegungen verderblich werden konnten, und fing an, eifrig davon zu pflücken ... Rote Kuckucksnelken und tiefblaue Glockenblumen, weißglänzende Schafgarben, Wicken, Windengeranke, den gelben Steinbrech, der so stark und schwül duftet, und mancherlei anderes buntes und liebliches Sommergewächs.

Ehe sie sich dessen versah, hatte sie einen ganzen Armvoll. Und den Kopf mit dem schon silbern schimmernden Haar hineingedrückt, schlug sie nun in Gedanken den düsteren Waldweg ein.

Kühle und Dämmerung unter den hohen Bäumen strichen wie liebkosende Hände über ihren heißen Leib. Ein paar blasse, huschende Lichter tauchten in dem dunkeln Laub auf oder kletterten zitternd an den Stämmen empor. Ein Specht pochte in der Ferne, sonst war alles still ... Die Wirklichkeit schien in dem Sonnental geblieben. Hier im Schatten standen die Träume auf ...

Zuerst ging die Frau mit dem Arm voller Blumen weiter und weiter, unbewußt sich ihres Alleinseins freuend, ohne um sich zu hören und zu sehen. Allmählich aber sprangen aus dem Walddunkel Töne und Worte über sie her, ohne Zusammenhang – hier eines und dort eines, und plötzlich war es ein altes Studentenlied, das ihr in den Sinn kam.

Vor vielen Jahren hatte sie es von einem gehört, der schon lange tot war und der ihr auch eine Geschichte dazu erzählt hatte, die sie nicht mehr wußte. Aber die Worte waren nun da, und sie summte sie vor sich hin, im Takt danach schreitend:

Wo seid ihr
Zur Zeit mir
Ihr Lieben
Geblieben,
Die einen –
Sie weinen –
Die andern –
Sie wandern,
Die dritten –
Noch mitten
Im Strome der Zeit.
Gestorben –
Verdorben –
Zu den Toten
Entboten –
Ach alle, wie weit ...

Im Gehen dämmerte ihr auch der Sinn der gedankenlos hingemurmelten Verse auf, und damit kam eine flüchtige Erinnerung angeschlichen. Dahinter eine andere und dann mehr und immer mehr, bis zuletzt nichts als ein großes Fragen in ihrer Seele war: »Ja, wo seid ihr alle, mit denen ich einmal wanderte, ich, die ich jetzt so allein bin?« Sie setzte sich auf eine Bank, die sich in ein Erlengebüsch schmiegte und von der aus man endlos weit in den grün dämmerigen Weg sehen konnte, lehnte den Kopf an den Stamm hinter sich und machte die Augen zu.

Aus den Fragen wurde eine große Sehnsucht und aus der Sehnsucht ein Rufen:

»Ach, wenn ihr doch wiederkämt – wenn ihr doch wiederkämt – du – und du – und du!« Und wie sie dann aus halbgeöffneten, traumverschleierten Augen aufsah, schien es ihr, als ob Schatten um sie her aufstiegen und langsam vorüberglitten. Sie fürchtete sich nicht.

»Ja, kommt nur,« sagte sie und suchte, ob sie nicht liebe entschwundene Gestalten unter den gleitenden zu erkennen vermöchte.

Fast war es ihr auch, als ob sie einen und den andern von ihren Heimgegangenen den dunkeln Weg heraufziehen sähe. Hier und da tauchte ein wohlbekanntes Gesicht hinter einem Baumstamm auf, aber es zerfloß, und ein anderes erschien, das irgend eines Weggenossen kurzer Stunden.

Und niemand von ihnen machte vor ihr Halt. Niemand hauchte ihr im Vorüberstreifen ein gutes Wort zu, auch die Liebsten glitten mit weit offenen und doch blicklosen Augen an ihr vorbei und zerflatterten in dem grünen Dämmer.

»Ich habe nicht Kraft genug, euch zu rufen oder zu halten,« dachte sie traurig, »sonst sprächt ihr wohl mit mir.«

Sie senkte die Blicke und drückte das Gesicht in die lebendigen Blumen ...

»Was machst du mit all dem blühenden Unsinn?« fragte da aus dem Schattenzuge her eine spöttische Stimme.

Ja, was macht man mit blühendem Unsinn? – Man freut sich daran – man hebt ihn auf – man wirft ihn weg.

»Doch – wer fragte mich denn? – wer war das?«

Sie schaute auf, und da sah sie dicht vor sich den, der sie vor langer, langer Zeit jenes Lied gelehrt hatte, mit dessen Versen sie diesen Weg gegangen war.

»Wie kommst denn du her zu mir? An dich hab' ich kaum gedacht – und gerade du bist da?«

Ein leises Lachen. Und wie der Schatten immer körperlicher wurde! Zum Erstaunen lebendig, gar kein Traum mehr ... die große, gedrungene Gestalt mit der nachlässigen Haltung ... die breiten, festen Hände – das Gesicht, häßlich mit seinen hervortretenden Backenknochen, dem grausamen Munde, um den Zärtlichkeit und Hohn spielten ... Und die Augen. Ja auch diese merkwürdigen grauen Augen mit dem rasch wechselnden Blick ...

»Es ist kaum zu glauben, wie deutlich ich dich sehe,« sagte die Frau. »Dich ... dich? ... Ja, hab' ich dich denn noch »du« genannt, als wir uns zuletzt sahen?«

»Ja, sage nur ›du.‹ Dein Mann ist ja nicht da. Auch keine beste Freundin ... Und vergißt du ganz, daß ich schon lange gestorben bin?«

»Du lebst ja – du lebst vor mir in diesem Augenblick wie in jenen Jahren, als ich, kaum erwachsen, zu meiner alten Pate Stephany kam und wir in eurem Haus über eurer Schlosserwerkstatt wohnten ... Und du Student auf Ferien, zum Examenarbeiten ... Und wenn ich konnte, lief ich hinunter in den Garten über dem Moor ... in dem der Kibitz schrie ... und die Wasserhühner pfiffen ... Und wir saßen zusammen und sahen zu, wie die Sternschnuppen fielen, und wünschten uns tausenderlei ... so lebst du ... jetzt mit einem Male, und warst doch so lange tot ...«

»Ich lebe von deinen Gnaden. Ich feiere meine Auferstehung auf deinen Ruf.«

»Ich rief dich nicht; du warst gar nicht in meinen Gedanken.«

»Dein Sehnen rief mich, du weißt's nur nicht.«

»Wie sollte das wohl zugehen?« fragte sie. »Ich weiß, daß ich träume. Ich bin im Walde eingeschlafen. Du hast dich in meinen Traum geschlichen.«

»Soll ich wieder fortgehen?« fragte er, und es war, als ob er in das Gebüsch hinüberflösse.

»Nein, nein, bleibe. Und sprich. Es ist ein so merkwürdiger Ton in deiner Stimme. Keine hat je wieder so geklungen. Und dabei hast du mir nicht einmal viel Gutes gesagt damals.«

»Es war aber alles wahr. Und darum hast du es in deinem Herzen aufbewahrt. Darum ist anderes, was deinem Sinn schmeichelt, was du gerne hörst und doch innerlich nicht anerkennst, verklungen. Heute sind die Lebendigen tot, und ich, der Tote, lebe ...«

»Du mußt nicht sagen, daß du tot bist. Wenn wir hier nebeneinander sitzen, sollst du diese Stunde ganz leben und mit mir reden ...«

»Wie einst im Mai ...« höhnte er.

»Geradeso war es immer mit dir,« sagte sie. »Wenn man ernst oder eindringlich mit dir sprechen wollte, fingst du an zu spotten.«

»Ich konnte Sentimentalität nie vertragen,« sagte er. »Du hattest immer Anlage dazu. Sonst hättest du auch später den langen Erwin, genannt ›Latte‹, nicht genommen, als er nach seiner auseinandergegangenen Verlobung Trost bei dir suchte.«

»Laß doch meinen Mann aus dem Spiel. Hat er nicht das Leben gezwungen?«

»Jawohl ... Leiter so einer großen Bank ist eine schöne Sache ... Ich wäre jetzt höchstens Justizrat irgendwo in Posemuckel – wenn ich nicht zugrunde gegangen wäre.«

»An den Weibern ...«

»Sag: am Weibe, das ist präziser ... Aber freilich Präzision und du! – Du mit den huschenden Gedanken und den phantastischen Reden ... Wie hat mein vielgeliebter Korpsbruder Erwin, die präzise Klarheit in Wort und Wandel, da wohl gestaunt! Kennen tat er dich ja kaum, als ihr heiratetet ...«

»Das ist auch nicht nötig. Dazu ist das gemeinsame Leben lang genug ... Und dann – schließlich – nach allen Versuchen, sich kennen lernen zu wollen, ist doch jedes Menschen Los die Einsamkeit ...«

»Ja – wenn der Lebensweg des sogenannten Gefährten in der Börse mündet, während die Frau Traumwege sucht und mit Toten geht ...«

»Hätte ich Kinder, wäre das anders. Aber – es ist auch so gut. Ich bin jetzt längst jenseits aller Wünsche – ich gräme mich nicht mehr – ich freue mich nicht mehr – aber ich bin zufrieden.«

»Ist das deine Endweisheit, Sonntagskind? Als deine Haare noch dunkel waren, verlangtest du andres.«

»Sonntagskind?« sagte sie. »Das hab' ich vergessen in meinem langen Leben. Es hat auch keiner mehr danach gefragt, seit damals – seit wir unter der großen Birke – dein Vater hatte sie an deinem Geburtstag gepflanzt, erzähltest du« – er nickte und sah sie an wie damals, schien es ihr – »als wir unter jener Birke saßen an einem schönen Sonntagvormittag, an dem ich die Kirche geschwänzt hatte. Meine Pate und ihre Tochter waren fromm hingegangen. Da kamst du den langen Gang hinter eurer Schlosserwerkstatt her und wolltest mir Gedichte vorlesen. Aber die Sonne brannte, und darum gingen wir in eure Kaprifoliumlaube, in die du mir jeden Morgen ein paar schöne Verse legtest. Schade, daß ich sie nie zu nehmen wagte.«

»Ja ... ich, ich, ich, den das Weib schon damals in den Fängen hielt, ich dichtete ein unreifes Mädel an ...«

»An diesem Sonntag aber sagtest du eins aus dem Kopf, das ich schon kannte: ›Es war ein Kind in Avelun.‹ Und da erzählte ich dir, daß ich auch ein Sonntagskind wäre, und du sagtest, das hättest du längst gewußt.«

»Und jetzt müßte ich armer heraufbeschworener Schatten wohl den hübschen Schlußvers sagen: ›Wer Liebe singt, der singet Leid – o Sonntagskind – o Sommerzeit! ...‹ Übrigens sprachen wir damals von Liebe noch wenig ... wir sprachen von Wagner und Raabes Abu Telfan, von Genie und Charakter, von Ruhm und Zukunft ...«

»Ja, ja, und von einem Roman, den du schreiben wolltest, haben wir viel geredet ... Wahrhaftig, ich besinne mich ... Vitium cordis sollte er heißen ... Ach, wie war ich stolz auf ihn! ... Wenn ich's mir recht überlege, war er naturalistisch vorempfunden ...«

»Erlaube, das ist eine Bemerkung, die in das Reich der Lebendigen gehört. Vergiß nicht, daß ich da nicht mehr zu Hause bin.«

»Denk doch nicht an die Lebendigen,« sagte sie eifrig; »ich bin ja so froh, da nun all diese Bilder und Gedanken kommen, die ganz verschüttet in mir waren. Sprich weiter, sprich! ...«

»Ich spreche ja eigentlich nicht ... du bist es ...«

»Ja, und weißt du, ich vergesse ganz, daß ich eine alte Frau bin und ein krankes Herz habe. In diesem schönen Traume schlägt es so stark wie in der Jugend.«

»Schlug es stark? Ja,« sagte er in dem halb nachdenklichen, halb spöttischen Ton, den sie so gut an ihm gekannt hatte, »ja, für allerhand Kinkerlitzchen – für den Sultan Abdul Hamid – für du-Bois-Reymonds Grenzen des Naturerkennens.«

Sie lachte hell und froh.

»Geradeso sagtest du damals und wolltest, ich sollte mich mit meinen Gefühlen auf meine Umgebung konzentrieren ... Es lag wohl nahe, auf wen!«

»Glaubst du, daß dir das Schaden an deiner Seele getan hätte? Glaubst du, daß deine Lebenden von heute zu kurz gekommen wären, wenn? ...«

»Nichts von den Lebenden. Das Leben liegt in diesem Augenblick so farblos hinter mir. Dieser Traum wird so schnell vergehen, und das Leben ist noch so lang ...«

»Glaubst du?« fragte er.

»Glaubst du?« klang es wie ein leiser Widerhall in allen Büschen, von allen Seiten.

Sie drehte sich um.

»Aus dieser Frage kommt es wie ein kalter Hauch,« sagte sie erschauernd. »Was willst du damit sagen? Sollte mir der Abschied von der Erde so nahe sein? Willst du das damit sagen?«

»Hast du nicht schon Abschied genommen, als du sagtest, das Leben läge farblos hinter dir? Schlägt dein Herz, sonst so kraftlos und müde, nicht stark und jung, wenn du den alten Garten, wenn du mich siehst, und wenn du alles mit dem vergleichst, was dir da vorn in Tag und Sonne lebt?«

»Wenn ich Kinder hätte,« seufzte sie, »dann ginge ich mit in die Zukunft und brauchte meine Seele nicht an die Vergangenheit zu haken.«

»Du wolltest ja keine. Was überhaupt wolltest du je mit dem starken Willen, der schon Tat ist?«

»Bist du wiedergekommen, um mich zu quälen? Glaubst du, ich weiß nicht, daß ich mich verirrt habe? Zu den Höhen wollte ich ...«

»Und bist in die fruchtbaren Niederungen der guten Diners gekommen, aus denen Rangordnung die Kraft des Empfindens und Handelns verjagt hat.«

»Ich höre dich sprechen wie einst, ich sehe dich blicken ... ach, wie habe ich diesen Blick vergessen können? Wie sich die wehtuende Kälte darin löste – zu Weichheit, zu Liebe, zu bedingungslosem Aufgehen ...«

»Wunder auch!« sagte er. »Du machtest mir ja damals meine Seele gesund. Und zweimal gab es in unserm fernen gemeinsamen Leben dieses heiße, geheimnisvolle Überströmen von Zusammengehörigkeit, das noch keine Weisheit erklärt hat ... Weißt du? Ruf es dir ins Gedächtnis das erste Mal. Frau von Stephany hatte Gäste geladen und bewirtete sie in dem Garten. Für den Hauswirtssohn, dem sie sonst wohlwollte, war diesmal unter den vielen adligen Verwandten und Freunden kein Platz gewesen. In Erbitterung darüber hatte ich mich in die Laube, unsre Laube, gesetzt, von wo aus ich ungesehen alles beobachten konnte. Und ich sah dich mit einem Gefolge von dreien herumschwirren, sah, wie der alte Wüstling, der Landrat, in falscher Väterlichkeit deinen Arm drückte und dich um die Taille faßte ... Und ich hörte dein Lachen, und ich fühlte einen großen Haß gegen dich. Aber da – wie ich wieder aufsah, standest du ganz allein, mit herabhängenden Armen und suchenden Augen, und dann kamst du langsam auf mein Versteck zu ... und wußtest doch nicht, daß ich drin war.«

»Ach, ich hab's dir ja später gesagt – ich wußte es – ich weiß nicht, woher ... Und als ich vor dir in der Laube stand, gaben wir uns die beiden Hände und sahen uns an.«

»Und da war es – das selige, glückselige Fühlen – du und ich – eins sind wir – eine unendliche Welt wir beide – ein starkes, heißes Gefühl – über den Worten stehend – weißt du?«

»Ich weiß, wie ich stumm und erschüttert fortging zu den Gästen, und mich bewegte und sprach und wußte nicht, wie und was ... Und dann die Nacht durch saß ich auf meinem Fensterbrett, bis der Morgen zu dämmern anfing, und fragte mich immerzu: Was war das in der Laube? Was hatte mich da gepackt? Was ist über mich gekommen? Ich kann doch diesen Mann nicht lieben, der Jagd auf die Dienstmädchen der Nachbarschaft macht, der über Ehre und Recht lacht, der keine Gnade hat mit der Schwäche und keine Achtung vor der Kraft.«

»Von allem war etwas in mir, gerade wie du es dir dachtest. Und heute weißt du aus Erfahrung: das Leben ist eine Mischung von unendlich Rohem, Brutalem, Gemeinem und zierlichen Gebilden, die in unschuldiger und unbegreiflich zarter Schönheit dazwischen aufblühen. Solch ein schillerndes Ding war jene Minute.«

»Selig, wem sie beschieden war! ... Leben, wo bist du? ... Weiter – sprich weiter ...«

»Ich wiederhole es dir – du bist es, die alle Worte aus mir quellen läßt. Dem Tode die Hand hinstreckend, empfängst du die Macht, die Toten in dir zu erwecken und sie zu dir zu rufen – zum Selbsterkennen – und zum Gericht ...«

»Gericht?«

»Welcher Lebende, an den dich schmerzende Fäden binden, könnte richten über ein Wesen seiner Art, das noch mit ihm im Drang des Wollens, des Kämpfens und Unterliegens steht?«

»Wir wollen nicht von Kämpfen und Unterliegen sprechen. Nur noch einen Blick in das Versunkene und Vergessene, ehe ich aufwache. Laß uns davon reden, wie wir uns wiedertrafen.«

»Drei Jahre später. Über die scheuen und reinen Tändeleien der alten Zeit hatten sich Erfahrungen aller Art gehäuft ... Auch bei dir ... Weißt du, wie wir uns am Tage meiner Ankunft zufällig in der kleinen Buchhandlung am Markte trafen? Wie wir uns mit kühlen Blicken maßen und uns dann doch mit einem Frohgefühl die Hände drückten?«

»Ja, ja – und doch störtest du mich und beunruhigtest mich, wo wir zusammenkamen auch später. Und dazu gab es viel Gelegenheit. Man feierte so viele Feste bei uns.«

»Niemand wußte, daß wir uns mehr als flüchtig kannten. Und es kümmerte sich auch eigentlich einer um den andern nicht, aber das Geheimnis unserer Geißblattlaube koppelte uns aneinander. Und manchmal ohne irgendeine Veranlassung gab's ein plötzliches Zucken hinüber und herüber, und ein Wort, ein Blick tauchte in die versteckten Seelen ... War's nicht so? Und dann kam ja auch wieder ein Sommertag ...«

»Ja, es war wieder Sommer. Du solltest nun bald fort. Oft stand mir das Herz still, wenn ich daran dachte, aber dann schien es mir auch wieder, als ob ich mich freuen würde, wenn ich dich nicht mehr zu sehen brauchte – damit ich endlich zur Ruhe käme.«

»Als eine Art Abschiedsfest für mich war ein Ausflug in den Stadtwald, den »Wolfswinkel«, verabredet worden ... Man ging zu zweien und dreien durch reifende Felder, über Wiesen, auf denen Heu ausgebreitet lag. Wir beide schlenderten zusammen dahin, von diesem und jenem sprechend, dann wurden wir stiller und stiller, gaben zerstreute Antworten, und zuletzt schwiegen wir ganz, benommen von Sonne und Sommerduft und hin und her schwirrenden Gedanken.«

»Mir war ganz verstört und seltsam zumute, und ich wachte aus meiner Versunkenheit erst auf, als du weit weg von mir warst. Jeder lachte und sprach nun doppelt so viel mit den andern, und unsere Blicke, die sich zuweilen streiften, sagten sich: Siehst du, wie wohl ich's mir hier sein lasse ohne dich.«

»Du trugst eine weiße Rose an deinem blauen Sommerkleid und spieltest damit. Sie fiel zur Erde.«

»Du sprangst hinzu und hobst sie auf, und unsere Hände kamen zusammen ... Und da war's wieder wie vor Jahren ... Aber jetzt wußte ich, was es bedeutete ... Ein sekundenlanger heißer Traum voller Sehnsucht, voller Wonne, voller Glut und Erfüllung ... Du warst ganz blaß, und deine Augen brannten ... Keiner merkte etwas – die jungen schwatzten und liefen durcheinander, und die alten saßen auf den langen Holzbänken und waren mit sich beschäftigt.«

»Und wir standen mitten darunter und doch auf einer außerweltlichen Insel, an der berghohe Wellen heißesten Sehnens brandeten. Unter all dem zahmen Hausgetier zwei wilde Vögel, denen die Natur ein brausendes Lied von der höchsten Lebensvollendung in die Herzen schrie ...«

»Still – still – ich hab's nie wieder gehört.«

»Dann liefen wir auseinander und machten die kindlichen Scherze und Spiele der anderen mit und sorgten dafür, daß wir uns nicht trafen.«

»Bis der Abend kam und ein glücklicher Zufall uns für den Heimweg zusammenführte. Erst sagtest du viel Böses und Höhnisches über den Zwang der öden Stunden – dann –«

»Deine Hand in meiner, jede mit Zucken sich wehrend, so gingen wir über das Waldmoos, den anderen weit voran ... der Mond stand groß und rötlich hinter der alten heiligen Eiche ... ein feuchtschwerer Nachtwind raschelte durch ihre Blätter ... die alten Heidengötter sprachen.«

»Du sprachst ... du ... deine Worte brannten. Ein Glück so voller Glut, daß seine Seligkeit in den göttlichsten Schmerzen ersterben muß. Vernichtung des Menschen und Aufwachen des Gottes. Wo hast du die Töne hergenommen, woher quollen diese Worte, die mich mit Entsetzen und Wonne durchschüttelten?«

»Ich glaubte, du wärest eine Feuerseele, aber du warst nur ein zahmes Hausfrauenseelchen. Du ersticktest den kleinen Widerhall, den meine Glut in dir löste, du warfst dich nicht dem verschuldeten Referendar in die Arme und sagtest: Sturm, nimm uns und trag uns fort, gleichviel wohin ... Du starrtest zitternd in die raschelnden Bäume am Wege und horchtest schon halb auf die näherkommenden Schritte des biedermeiernden Justizrats und des langen Erwin ... die Schritte deines Schicksals ...«

»Ja ... ist es denn ein so schlimmes geworden? Habe ich Erwin nicht liebgehabt? Bin ich nicht glücklich gewesen? Hab' ich nicht lachen und weinen können, als ich noch nicht müde war? Hab' ich an dich und all die tollen Sehnsüchte und Träume gedacht, die du in mir erwecktest und die doch sterben mußten?«

»Sie sind nicht gestorben. Sie schliefen nur in dir, wie ich. Solange das Leben fließt und die Alltagswellen darüberströmen, so lange schläft das Unterdrückte, das Innerste. Aber es kommt der Tag, an dem der Strom einen anderen Lauf nimmt und den Lebenswillen nicht mehr trifft, es kommt die Stunde, die euch in den Schattenweg führt, wie eben dich. Dann wacht das auf, was widerrechtlich zum Schweigen gebracht war, und es ruft stärker und stärker, bis es uns Tote in euch auferweckt ... dann stehn wir mit der vergewaltigten Natur zusammen richtend vor euch und heulen euch in die Ohren: »Was habt ihr aus euerm Leben gemacht? – – –«

Mit einem hellen Schrei sprang die Frau auf.

Es war niemand da – alles leer, nur die Sommerblumen lagen verstreut um sie herum.

Das Blut jagte mit tausend Stichen durch ihren Körper, das kranke Herz flatterte, ein eisiges Grauen kroch über sie hin und verzehrte ihre Gedanken. Sekundenlang stand sie da und starrte um sich. Aber es blieb alles totenstill in der grünen Dämmerung. Nur der Specht hämmerte in der Ferne ... Da stürzte sie den dunkeln Weg zurück, über Wurzeln stolpernd, mit versagendem Atem, bis zu dem Waldeingang, wo in der leuchtenden Sonne der Heilige das Tal bewachte.

»Sonne, Leben ... haltet mich, behaltet mich!« stöhnte die Erschöpfte und sank bei dem Bildnis in die Knie ...

»Welche Wirrnis, welches Grauen!« dachte sie, sich allmählich beruhigend. Diese verschollene kleine Liebesgeschichte! Wie ein Todesgruß!

Und doch – erhob sich in allem Fürchten und Verwundern nicht schon wieder eine schwache Stimme, die sie in das Versunkene zurücklocken wollte, dem sie eben in Todesangst entflohen war?

»Is Ihna net recht?« fragte da ein altes Weibchen, das mit seinem Rückenkorb den Weg heraufkam. »Se schaun aber schlimm us!«

Die Frau nickte ihr mit mühsamem Lächeln zu. »Es geht schon, ich habe mich übermüdet und war im Wald da eingeschlafen.«

Das Weibchen schüttelte den Kopf.

»Oh, oh, das is aba nimma gut in den sprindigen, kalten Wald. Wenn ma kann, soll ma schon in de Sonn bleibe.«

Und sie ging langsam weiter.

»Ja, solange man kann, soll man in der Sonne bleiben,« dachte die Frau, von heißen und kalten Schauern überrieselt.

Und dann schlich sie mit stechend schlagendem Herzen den lieblichen Weg hinab zu ihresgleichen – Menschen, die lebten und atmeten. Wie heute auch sie noch.... Heute noch! ...

G. Pätz'sche Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S.


Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. Da Absatzeinzüge fehlen, ist die Absatzbegrenzung teilweise nicht eindeutig.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen, mit folgenden Ausnahmen,

Seite 14:
"nächttigen" geändert in "nächtigen"
(über seiner machtvollen nächtigen Schönheit)

Seite 14:
".." geändert in "..."
(Schwester Marie ist nicht da ...)

Seite 17:
"Re-,gierungsrat" geändert in "Regierungsrat"
(der aber damals noch Regierungsrat war)

Seite 34:
"«" hinter "unterwarf." entfernt
(daß etwas in mir sich ihm unterwarf.)

Seite 43:
"«" eingefügt
(Gestern mit Ihrem Vater, und ...«)

Seite 64:
"«," geändert in ",«"
(»Ich wollte doch in die Prangsche Apotheke,« stammelte er)

Seite 73:
"«" eingefügt
(wir erkennen uns nicht mehr ...«)

Seite 86:
"«" an das Satzende verschoben
(wenn Herr Hauptmann mich noch beurlauben könnten ...«)

Seite 89:
"«" eingefügt
(jedermann weiß, wess' Geistes Kind sie ist ...«)

Seite 90:
"." eingefügt
(edle Hunde gnadenlos niederknallte.)

Seite 91:
"näherlageu" geändert in "näherlagen"
(obgleich ihm doch andere Gedanken näherlagen.)

Seite 92:
"Einqartierungsgäste" geändert in "Einquartierungsgäste"
(Adalisa von Terkuhn erwartete die Einquartierungsgäste)

Seite 111:
"«," geändert in ",«"
(»Jungfräuliche Königin,« entfuhr es dem Hauptmann)

Seite 114:
"«?" geändert in "?«"
(und seiner Eiche?« fragte sie)

Seite 123:
" ...«" eingefügt, die Textzeile endet im Original unvermittelt
(Dein Sklave will ich ...«)

Seite 138:
"«" eingefügt
(Käthe ist nun also ganz bei dir, schreibst du? ...«)

Seite 147:
"," eingefügt
(Ein dunkles Bild, von laufenden Abendschatten überhuscht)

Seite 165:
"«" eingefügt
(»das war wirklich ... ich? ...«)

Seite 169:
"Exzellens" geändert in "Exzellenz"
(dem lahmen Mädchen für Exzellenz Berens)

Seite 185:
"»" eingefügt
(»Aber? Nun? ...«)

Seite 197:
"Haltestellte" geändert in "Haltestelle"
(an der Haltestelle der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche)

Seite 204:
"," eingefügt
(so viel erlebt und erfahren, Schlimmes und Gutes)

Seite 205:
"«" eingefügt
(und schließlich auch mich so? ...«)

Seite 208:
"«" eingefügt
(Denkst du daran? ...«)

Seite 211:
"«," geändert in ",«"
(»Ich sterbe, wenn du nicht schweigst,« unterbrach)

Seite 217:
"«" eingefügt
(das unsere Jugend uns beschert hat und ...!«)

Seite 223:
"unb" geändert in "und"
(sprach und wußte nicht, wie und was)

Seite 235:
"«" hinter "warst." entfernt
(als du weit weg von mir warst.)

Seite 235:
"«" eingefügt
(wie wohl ich's mir hier sein lasse ohne dich.«)