Title: Über die Probenächte der teutschen Bauermädchen
Author: Friedrich Christoph Jonathan Fischer
Release date: September 30, 2015 [eBook #50101]
Language: German
Sr. Hochfreiherrl.
Exzellenz
dem
Königl. wirklichen geheimen Staats-
und Justiz-Minister
Freiherrn von Zedlitz
Chef des geistlichen Departements,
Ober-Curator der Universitäten und Schulen,
&c. &c.
Verwegenheit wird es scheinen, dass ich eine Schrift Euer Hochfreiherrlichen Excellenz zu überreichen wage, die ihrer äusserlichen Gestalt nach eines hohen Mäcens nicht sehr würdig ist, ja dem Anscheine nach mit der heutigen Sittlichkeit kontrastiret. Allein die genauere Einsicht davon, hoffe ich, solle dise ersten übeln Eindrüke wider austilgen, und ihr neben andern Werken, die zur Aufklärung der Menschheit, zur Verbesserung der Sitten und zur Aufnahme unsrer Gattung geschrieben sind, ein Plätzchen erlauben. Doch, was für ein Schicksal sie auch haben mag, so kan ich in Untertänigkeit versichern, dass bloss tife Verehrung der erhabensten Verdinste, innigste Empfindung von Dankbarkeit für empfangene Gnadenbezeugungen und brünstiger Eifer, Proben der vollständigsten Anhänglichkeit abzulegen, die Beweggründe gewesen sind, die mich zu disem Schritte hinleiteten.
Ich bekenne mich mit aller Ehrfurcht
Euer Hochfreiherrl. Excellenz
Seite | |
I. | |
Beschreibung der Sitte und ihre Ursache | 3 |
II. | |
Beispile aus der Geschichte des mittlern Zeitalters | 12 |
III. | |
Ueberbleibsel in den barbarischen Gesezbüchern und rechtliche Folgerungen | 24 |
IV. | |
Spuren unter den meisten rohen Völkern des Erdbodens | 37 |
V. | |
Dergleichen unter den kultivirten Nationen | 49 |
VI. | |
Aehnliche Gewohnheiten in der alten und neuen Welt, und Betrachtungen darüber | 53 |
Beinahe in ganz Teutschland und vorzüglich in der Gegend Schwabens, die man den Schwarzwald nennet, ist unter den Bauren der Gebrauch, dass die Mädchen ihren Freiern lange vor der Hochzeit schon dieienige Freiheiten über sich einräumen, die sonst nur das Vorrecht der Ehmänner sind. Doch würde man sehr irren, wenn man sich von diser Sitte die Vorstellung machte, als wenn solche Mädchen alle weibliche Sittsamkeit verwahrlost hätten, und ihre Gunstbezeugungen ohne alle Zurükhaltung an die Libhaber verschwendeten. Nichts weniger! Die ländliche Schöne weiss mit ihren Reizen auf eine ebenso kluge Art zu wirtschaften, und den sparsamen Genuss mit ebensoviler Sprödigkeit zu würzen, als immer das Fräulein am Puztische.
Sobald sich ein Bauermädchen seiner Mannbarkeit zu nähern anfängt, sobald findet es sich, nachdem es mehr oder weniger Vollkommenheiten [pg 4]besizt, die hir ungefähr im ähnlichen Verhältnisse, wie bei Frauenzimmern von Stande, geschäzt werden, von einer Anzahl Libhaber umgeben, die solange mit gleicher Geschäftigkeit um seine Neigung buhlen, als sie nicht merken, dass einer unter ihnen der Glücklichere ist. Da verschwinden alle Uebrigen plözlich, und der Libling hat die Erlaubnis, seine Schöne des Nachts zu besuchen. Er würde aber den romantischen Wohlstand schlecht beobachten, wenn er den Weg geradezu durch die Hausthür nehmen wollte. Die Dorfsetiquette verlangt nothwendig, dass er seine nächtlichen Besuche durch das Dachfenster bewerkstellige. Wie unsere ritterbürtige Ahnen erst dann ihre Romane glüklich gespilt zu haben glaubten, wenn sie bei ihren verlibten Zusammenkünften unersteigliche Felsen hinanzuklettern und ungeheure Mauren herabzuspringen gehabt; oder sich sonst den Weg mit tausend Wunden hatten erkämpfen müssen, ebenso ist der Bauerkerl nur dann mit dem Fortgange seines Libesverständnisses zufriden, wenn er bei iedem seiner nächtlichen Besuche alle Wahrscheinlichkeit für sich hat, den Hals zu brechen, oder wenn seine Göttin, während dem er zwischen Himmel und Erde in grösster Lebensgefahr dahängt, ihm aus ihrem Dachfenster herunter die bittersten Nekereien zuruft. Noch in seinen grauen Hahren erzehlt er mit [pg 5]aller Begeisterung dise Abenteuer seinen erstaunten Enkeln, die kaum ihre Mannheit erwarten können, um auf eine ebenso heldenmütige Art zu liben.1
Dise mühsame Unternehmung verschaft anfangs dem Libhaber keine andere Vorteile, als dass er etliche Stunden mit seinem Mädchen plaudern darf, das sich um dise Zeit ganz angekleidet im Bette befindet, und gegen alle Verrätereien des Amors wol verwahrt hält. Sobald sie eingeschlafen ist, so muss er sich plözlich entfernen, und erst nach und nach werden ihre Unterhaltungen lebhafter. Ja in der Folge giebt die Dirne ihrem Buhler unter allerlei ländlichen Scherzen und Nekereien Gelegenheit, sich von ihren verborgenen Schönheiten eine anschauliche Erkenntnis zu erwerben; lässt sich überhaupt von ihm in einer leichtern Kleidung überraschen, und gestattet ihm zulezt alles, womit ein Frauenzimmer die Sinnlichkeit einer Mannsperson befridigen kan. Doch auch hir wird immer noch ein gewisses Stufenmass beobachtet, wovon mir aber das Detail anzugeben, die Zärtlichkeit des heutigen Wolstands verbeut. Man kan indess viles aus der Benennung [pg 6]Probenächte erraten, welche die leztern Zusammenkünfte haben, da die Erstere eigentlich Kommnächte heissen.
Sehr oft verweigern die Mädchen ihrem Libhaber die Gewährung seiner lezten Wünsche solang, bis er Gewalt braucht. Das geschiht allezeit, wenn ihnen wegen seiner Leibesstärke einige Zweifel zurük sind, welche sie sich freilich auf keine so heikle Weise, als die Witwe Wadmann aufzulösen wissen. Es kömmt daher ein solcher Kampf dem Kerl oft sehr teuer zu stehen, weil es nicht wenig Mühe kostet, ein Baurenmensch zu bezwingen, das iene wollüstige Reizbarkeit nicht besizt, die Frauenzimmer von Stande so plözlich entwafnet. Disen Umstand meinen Lesern etwas begreiflicher zu machen, muss ich mich auf eine Reisebeschreibung2 berufen, worinn von den Europäern mit den schönen Tschirkassirinnen verschidene Versuche angestellt worden sind; denn sonst laufe ich Gefahr, dass man auf meine Erfahrungen ein ganz unverdintes Vertrauen sezt.
Die Probenächte werden alle Tage gehalten, die Kommnächte nur an den Sonn- und Feiertagen und ihren Vorabenden. Die Erstere dauren solange, bis sich beide Teile von ihrer wechselseitigen physischen Tauglichkeit zur Ehe genug[pg 7]sam überzeugt haben, oder bis das Mädchen schwanger wird. Hernach tut der Bauer erst die förmliche Anwerbung um sie, und das Verlöbnis und die Hochzeit folgen schnell darauf. Unter den Bauren, deren Sitten noch in grosser Einfalt sind, geschiht es nicht leicht, dass Einer, der sein Mädchen auf dise Art geschwängert hat, sie wieder verliesse. Er würde sich ohnfehlbar den Hass und die Verachtung des ganzen Dorfs zuzihen. Aber das begegnet sehr häufig, dass beide einander nach der Ersten oder Zweiten Probnacht wider aufgeben. Das Mädchen hat dabei keine Gefahr, in einen übeln Ruf zu kommen; denn es zeigt sich bald Ein anderer, der gern den Roman mit ihr von vorne anhebt. Nur dann ist ihr Name zweideutigen Anmerkungen ausgesezt, wenn sie mehrmals die Probzeit vergebens gehalten hat. Das Dorfpublikum hält sich auf disen Fall schlechterdings für berechtiget, verborgene Unvollkommenheiten bei ihr zu argwöhnen. Die Landleute finden ihre Gewohnheit so unschuldig, dass es nicht selten geschiht, wenn der Geistliche im Orte einen Bauren nach dem Wohlsein seiner Töchter frägt, dieser ihm zum Beweise, dass sie gut heranwüchsen, mit aller Offenherzigkeit und mit einem väterlichen Wolgefallen erzehlt, wie sie schon anfiengen, ihre Kommnächte zu halten. Keyssler [pg 8]gibt in seinen Reisen3 uns eine sehr drollichte Erzehlung von einem Prozesse, den die Bregenzer Bauren ehmals zur Verteidigung einer solchen Gewohnheit geführt haben, die sie fügen nennen. Die Kasuisten, die sich eben nicht immer von den erlaubten und unerlaubten Begattungsarten die richtigsten Begriffe machen, und manchmal dasienige für Sünde halten, was keine ist, und dasienige nicht dafür halten, was doch eine ist, ereiferten sich von ie her sehr über disen ländlichen Gebrauch. Er musste ihnen daher sehr oft zum Stoffe dienen, ihre Beredsamkeit auf eine sehr vorteilhafte und pathetische Weise zu zeigen. Die katholischen Landprister, die mit den Angelegenheiten und mit dem Charakter ihrer Seelenbefohlnen zuweilen etwas näher, als die Protestanten mit den Jhrigen bekannt sind, und mithin die Untadelhaftigkeit diser Sitte besser einsehen, äussern darüber mehr Duldsamkeit als die Leztere, die nie unterlassen, ihre Bauren deswegen mit den heftigsten Strafpredigten zu verfolgen, und weil doch leider heutzutage, wo die Welt so ganz im Argen ligt, dise Züchtigungen nicht allezeit von Wirkung sind, so verabsäumen sie keine Gelegenheit, zu Vertilgung dises heidnischen Greuels den weit kräftigern weltlichen Arm zu Hülfe zu [pg 9]rufen. Die Klagen eines gewissen geistlichen Aufsehers im Herzogtume Würtemberg vom XVI. Jahrhundert habe ich im II. Bande meines Versuchs über die Geschichte der teutschen Erbfolge4 bekannt gemacht. Der Kanzler von Ludewig5 verwarf ebenfalls disen Gebrauch mit Geringschäzung, und tat auf den Kardinal Heinrich von Segusio, welcher denselben schon im XIII. Jahrhundert bei den Sachsen beobachtete, einen sehr hastigen Ausfall. Wenn es [pg 10]der Wohlstand nicht untersagte, gewisse Forschungen allzuweit zu verfolgen, und ihr endliches Resultat enthüllt darzustellen, so könnte ich ihn leicht überführen, dass dise Sitte nicht nur in der Physiologie des Menschen gegründet, sondern auch eine für die Bevölkerung sehr heilsame Anstalt sei. Denienigen Teil meiner Leser aber, der sich so schlechterdings nicht abfertigen lässt, und verschidene Erläuterungen wünscht, muss ich an die Aerzte und an dieienigen Advokaten weisen, die vor den Ehegerichten Prozesse führen. Denn dergleichen Herren allein besizen das veriährte Vorrecht, dass ihnen die Welt, ohne schamrot zu werden, über alles Gehör gibt. Sollten aber einige von ihnen die Hörsäle der Rechtsgelehrten besucht haben? O! die können sich hir alles das widerhohlen, was dort sehr oft mit Einmischung der ärgerlichsten Anekdoten von der bezihungsweisen Unvermögenheit der Geschlechter gelehrt wird.6 Wem dise gelehrte Nachfragen nicht bequem sind, der belibe einen flüchtigen Blik auf das zu werfen, was in grossen Städten alle Tage zu geschehen pflegt. Wie vile Ehen findet man da nicht, wo die Männer im besten Alter erschöpfte Greise sind; wo blühende Damen durch die allzu[pg 11]frühzeitige und nicht selten unnatürliche Wollüste ihrer Gemahls zu einer beständigen ehlichen Nüchternheit verdammt sind? Wie sehr müssen dise ihre weibliche Sittsamkeit nicht verläugnen, wenn sie sich entschliessen, vor einem halbduzend Männer, die sie in ihren Leben nie gesehen haben, über eine solche Angelegenheit Klage zu führen, und darüber die unverschämten Einwürfe eines widrigen Advokaten anzuhören, dem man oft zur Replik die Antwort widerholen möchte, die schon lange die Gemahlin des Germanikus dem Tiber gegeben hat! Weil es also für die Bauermädchen eine Apologie zu machen, und die moralische Unschädlichkeit ihrer Galanterie zu zeigen nicht taugt, so will ich wenigstens beweisen, dass sie allen Ständen unserer Nation gemein gewesen, und eine Ursitte der Menschheit ist.
Es hat es schon lange Grupen7 beobachtet, dass sich in ältern Zeiten alle teutschen Bräute vor der Hochzeit hätten beschlafen lassen. Wir treffen noch in der spätern Zeit unter dem hohen Adel Beispile an. Der Professor Koehler zu Göttingen8 lifert uns eine Urkunde, nach welcher Graf Johann IV. von Habsburg 1378. da er schon ein [pg 13]ganzes halb Jahr die nächtliche Probezeit mit der Herzland von Rappoltstein gehalten hatte, zulezt von ihr den Korb bekam, weil sie ihn der Unmännlichkeit beschuldigte. Gleich in dem nächsten Jahrhundert kommt im Habsburgischen Hause ein anderes Beispil vor. Nachdem Kaiser Friederich III. sich die Prinzessin Leonore von Portugall durch seine Gesandten verlobt hatte, und dises Verlöbnis bereits zu Rom durch den Pabst bestättiget war, so zauderte er doch mit der Vollzihung der Ehe unter dem Vorwande, dass er keine Italienische Kinder zeugen wollte. Die Prinzessin, der diser Verzug etwas lange Weile ver[pg 14]ursachen mochte, wandte sich deswegen an ihren Oheim, den König Alfons von Neapel. Allein da diser nicht vil mehr bei dem Kaiser auszurichten vermochte, so brach er zulezt in dise Worte aus: „Du wirst also meine Nichte nach Teutschland führen, und wenn sie dir dort nach dem ersten Beischlafe nicht gefällt, mir wider zurüksenden, oder sie villeicht gar vernachlässigen, und dich mit einer andern vermählen; beschlafe sie vilmehr hir, damit du, wenn sie gefällt, die angenehme Wahre mit dir nehmen, oder wo nicht, uns die Bürde zurük lassen kanst.“ Der phlegmatische Friderich fand auf einmal dise Vorstellung so nachdrüklich, dass er im Augenblik iene bekannte Ceremonie veranstaltete, die den Portugisischen Damen ein so grosses Aergernis [pg 15]verursacht hat.9 Man kan sie unten nach den eigenen Worten des Pabst Pius II. nachlesen, wobei seine Bemerkung, dass es eine allgemeine Gewohnheit der teutschen Fürsten gewesen, Aufmerksamkeit verdint.10 Mit der Tochter dises Kaisers, Kunigunde, hielt Herzog Albrecht IV. von Baiern das Beilager zu Innsprugg, und feierte erst nach der Heimführung zu München die Hoch[pg 16]zeit mit ihr,11 oder wie sich ein österreichischer Schriftsteller ausdrükt: „Herzog Albert beschlief Fräulein Kunigunden vor der Vermählung.“ Adlzreiter, oder vilmehr der verkapte Jesuite Vervaux12 widerspricht disem aus dem Grunde, weil Veit Arenbek nichts davon melde. Man kan hirauf antworten, der Chronikschreiber Arenbek beschreibe nur die Hauptceremonie und übergehe ienen Umstand, als eine allgemeine Gewohnheit, wovon zu seiner Zeit iedermann wusste, dass sie vorhergehen musste. Die Sache wird ausser Zweifel gesezt, wenn man die Stelle mit einer andern vergleicht,13 wo er eine artige Begeben[pg 17]heit von einer Probenacht erzählt, die Herzog Ludwig I. von Baiern mit der schönen Gräfin Ludmille von Bogen, einer gebohrnen böhmischen Prinzessin gehalten hat. Man war um dise Zeit von der alten Heiligkeit der Sitten so sehr abgewichen, dass den Mannspersonen die Probezeit oft nur eine bequeme Gelegenheit war, die Unschuld ihrer Damen zu missbrauchen. Ludmille, die ebenso klug als schön war, erfand eine List, ihren Freier gewiss zu fesseln. Der Herzog musste ihr in der Probenacht vor drei Rittern, die sie sich auf ihre Bettdecke gemahlt hatte, schwören, dass [pg 18]er sie zu seiner Gemahlin machen wollte. Er tat es ohne Bedenken, weil er sich für aller Ueberweisung sicher glaubte. Allein kaum hatte er sich dem Vergnügen übergeben, so öffnete die Prinzessin die Gardinen, wo sich plötzlich drei leibhafte Ritter zeigten, die den Herzog an die Erfüllung seines Gelübdes erinnerten. Er bekannte sich überlistet und vollzog nach dem Herkommen die Ehe in Jahresfrist. Bei den Alten hat dise Begebenheit sovil Beifall gefunden, dass sie ihr Andenken in einem eigenen Gedichte verewigten, daraus ich eine Stelle anführen will.14
In ältesten Zeiten fieng die Probezeit mit dem Raub des Frauenzimmers an, und erst ein Jahr hernach geschah die Vermählung. Auf dise Weise heiratete z. B. König Suigger von Norwegen die Tochter des Königs Grims von Dännemark.15
Trogill Arnkiel16 schloss aus einer gewissen Stelle Saxens des Grammatikers,17 dass der Beischlaf, der vor der Hochzeit geschiht, bei den alten nordischen Völkern als etwas abscheuliches [pg 20]angesehen worden. Diser Beobachtung widersprechen aber nicht nur die übrigen Nachrichten dises Saxens, sondern überhaupt alle nordischen Monumente. Ueberall kommen Beispile von gehaltenen Probenächten vor. Man muss daher, um allem ungeräumten Widerspruche auszuweichen, iener Stelle die Deutung geben, dass König Högnus von Jütland sich aus der Ursache gegen seinen Eidam Hythin von Norwegen entrüstet habe, weil er seine Tochter vor dem förmlichen Eheverspruch schon beschlafen, und sie folglich auf den Fuss einer gemeinen Beischläferin behandelt hätte; oder welches mir noch wahrscheinlicher dünkt, weil er ohne Erlaubnis und Vorwissen des Vaters die Probezeit mit der Tochter hielt. Die gleichfolgende Begebenheit, und die daraus entstandene langwierige Fehde bestärkt mich in meiner Meinung.
[pg 21]Der alte König Harald in Norwegen wollte die schöne Asa, eine Tochter des Grafen Hrings, mit Gewalt zur Gemahlin nehmen, und ward deswegen von Kol Krappe, dem man sie bereits verlobt hatte, zum Zweikampf herausgefordert. Ohngeachtet der Kämpfer, der für ienen gefochten hatte, überwunden geworden war, so erlaubte der Siger doch, dass noch Einer gestellet werden durfte. Allein diser wollte um keinen geringern Preis, als um den eigenen Besiz der Schönen fechten, den man ihm auch bewilligen musste. Nun hielt er die Probenacht mit ihr, und dann trat er erst den Zweikampf an, worinn er seinen Gegner glüklich überwand.18
[pg 22]Frithiof, Herr von Frammesien, beschlief die Prinzessin Ingibiorg, eine Schwester der beiden Könige Helgos und Halfdans von Sognien, gleich nach dem Verlöbnisse in dem heiligen Tempel zu Baldershagen, obschon er sie erst nach dem Tode des K. Krings zur Gemahlin bekam.19 Ein sehr merkwürdiges Beispil von einer Probenacht in Schweden erzehlt uns Bartholin aus der Illugur Saga,20 das meine Leser in der Note selbst nachlesen mögen. Ich will dagegen ein anderes aus der alten Fränkischen Geschichte anführen: Teudebert, König in Austrasien, liess die Witwe [pg 23]Teuderia schon im Jahr 533 bei sich schlafen, ohngeachtet er sich erst ein Jahr nachher förmlich mit ihr vermählte.21
Es bestärkt sich daraus die Anmerkung des P. Le Cointe,22 dass dieienige Weiber, welche die Fränkischen Könige neben ihren rechtmässigen Gemahlinnen hatten, keine Beischläferinnen oder Kebsweiber gewesen seyn, obschon die gleichzeitigen Annalisten aus Mangel einer genauen Kenntnis der teutschen Gebräuche, und durch ihre allzugrosse Anhänglichkeit an römische und morgenländische Sitten oft verleitet wurden, ihnen dise Beinahmen zu geben. Es waren allezeit solche Gattinnen, die noch in der Probzeit stahnden, und erst in der Folge durch die Gebährung eines Kindes zur Würde einer rechtmässigen Gemahlin gelangten. Wenn die Schöpfung des ehlichen [pg 25]Brautschazes und die Haltung eines öffentlichen Hochzeitsmahls dazu kam,23 so war die Ehe in der besten Form gemacht; wenn dise beide Stüke aber mangelten, so war es entweder eine auf die Morgengabe geschlossene Ehe, oder nur die ehliche Probzeit. Bei der erstern, die eine Heirat nach Salischem Gebrauche in den alten Urkunden heist, waren die Kinder keiner ordentlichen Erbfolge fähig, wol aber im leztern Fall, weil hir noch die abgängige Ceremonien des ächten Germanischen Ehebündnisses nachgehohlt werden konnten. Dahingegen iene, wo man ebenfalls den Ehkaufschilling erlegte, und vor der Heimführung die Probenacht hielt, als schon in ihrer Art vollständig, keine weitere Feierlichkeit zuliess. In der Note ist ein Beispil aus den Nordischen Sagen,24 die also auch in disem Stüke mit den [pg 26]übrigen teutschen Sitten übereinstimmen. Noch heutzutage fängt an vilen Orten die ehliche Gemeinschaft der Güter nicht eher an, als bis die Eheleute ein Kind miteinander gezeugt haben.25 In der Schweiz verspricht sich der Bauer einen glüklichen Erfolg seines Ehstands, wenn seine Gattin noch im ledigen Stand schwanger geworden ist.26 Daraus erklärt sich’s warum [pg 27]unter den beiden ersten Stämmen der Fränkischen Herrscher die Bastarden,27 (wenn anders Prinzen, die ihre Mütter in der Probzeit zur Welt gebracht haben, mit disem Namen gebrandmarkt werden dürfen!) ohne Unterscheid mit den Ehlichen zugleich erbfolgten.28
Ebendises Erbrecht hatten die natürlichen Söhne in Dännemark,29 wie in den meisten nördlichen und südlichen Reichen.30
[pg 28]Unsere barbarischen Gesezbücher zeigen noch hin und wider Ueberbleibsel von der Probezeit. Nach dem LII. Gesez der Alemannen musste einer, der seine Braut aufgegeben hatte, schwören, dass er sie weder aus Argwohn irgend eines Gebrechens auf die Probe gestellt, noch auch wirklich etwas dergleichen bei ihr entdekt habe.
In den Sächsischen31 und Alemannischen Landrechten,32 desgleichen in dem alten Goslarischen Stadrechte33 wird eine in der Probenacht vorgegangene Gewaltsamkeit der Notzucht gleich geachtet.
Es entwikelt sich der wahre Grund, warum nach dem allgemeinen germanischen Rechte die rechtliche Wirkungen der Ehe von dem ehlichen Beischlaf beginnen. Denn durch disen wird die physische Ehestandsfähigkeit der beiden Personen [pg 29]ausser Zweifel gesezt. Eigentlich ist er aber doch von iener darinn verschiden, dass bei ihm die wirkliche Zeugung anfängt, da sich dieselbe bloss mit der vorläufigen Untersuchung der Zeugungsfähigkeit beschäftiget. Ebendaher beziht sich34 das Geschenke, das man die Morgengabe nennt, in gewisser Art auf beiderlei Ceremonien, weil es zum Beweise dint, dass die Ehe im fleischlichen Verstande vollkommen in Richtigkeit gebracht ist.
Unter den Karlingischen Kapitularen hebt das LXXX. des VII. Buchs den alten Gebrauch der Probzeit ganz auf, und will, dass beide Teile keusch und unbeflekt zu einander in die Ehe treten sollten.35 Der longbardische König Rothahr befahl, die Bräute, die mit andern einen [pg 30]zweideutigen Umgang gehabt hätten, als Ehbrecherinnen zu bestrafen.36 Aus der Ursache durfte ein Bräutigam seine Braut nicht mehr aufgeben,37 weil sie die Vermutung einer unangetasteten Keuschheit nicht mehr für sich haben konnte.38 Es gab aber doch zuweilen niderträchtige Männer, die ihre Libsten vernachlässigten. König Froto III. in Dännemark gab daher ein Gesez, welches alle Mannspersonen nötigte, die einmal beschlafene Dirnen zur Ehe zu behalten.39 Nach dem Lübischen Rechte wird einer, der sich [pg 31]einer Probenacht mit Unwahrheit rühmt, ausserordentlich gestraft.40
Bei der Gelegenheit, da der Byzantische Geschichtschreiber Prokop dise allgemeine germanische Sitte, die Bräute nicht mehr aufzugeben, beobachtet, macht er die spizfündige Anmerkung, dass bei den Teutschen die Keuschheit der Bräute, wenn sie auch wirklich unverlezt sei, doch für zweifelhaft gehalten werde.41 Allein er war mit unsern Sitten nur nicht zureichend bekannt, denn sonst würde er das Gegenteil wahrgenommen haben.
„Quardus von Cambridge sagt in seiner Beschreibung von Wallis, dass man sich ehmals nicht leicht ohne eine vorhergegangene Beiwohnung verheiratet hätte, indem es gewöhnlich gewesen, dass die Eltern ihre Töchter iungen Mannspersonen gegen eine gewisse Summe Geldes auf die Probe gegeben, und dass das Gelt verfallen ware, wenn die Mädchen wider zurükgeschikt worden.“ Home42 dem ich dise Nachricht [pg 32]abgeborgt habe, beschuldigt hir seinen Gewährsmann eines Irrtums, und erklärt die Sache aus dem bekannten Kaufe der Weiber unter den rohen Völkern. Man wird aber vermutlich nach Durchlesung dises ganzen Aufsazes keine weitere Verteidigung des alten Annalisten von mir begehren, und ich wage dagegen die allgemeine Beobachtung hir zu machen, dass die Welt von dem Verfasser der Kritik nach dreisig Jahren Arbeit allerdings ein anderes Werk zu erwarten berechtiget war, als er uns wirklich durch seine Geschichte des Menschen gelifert hat. Noch heutzutage geniesst in ganz England eine Braut, wenn sie bei dem Tode ihres Bräutigams das neunte Jahr zurükgelegt hat, den gewöhnlichen brittischen Wittum auf seinen Ländereien.43
Der Kanzler Estor hat vollkommen recht. Das Beilager und die Brautnacht sind bei Standspersonen, wie bei gemeinen Leuten ehmals ganz verschidene Gebräuche gewesen.44 Die Probenacht scheint den Ursprung zu den Vermählungen durch Gesandte gegeben zu haben. Es überzeugt uns davon Jacob Unrest, ein alter [pg 33]Oesterreichischer Kronikschreiber,45 wenn er die Heirat des römischen Königs Maximilians I. mit der Prinzessin Anna von Brettagne beschreibt. „Kunig Maximilian — sagt er — schickt seiner Diener einen genant Herbolo von Polhaim gen Brittannia zu emphahen die Künigliche Braut: der war in der Stat Remis erlichen empfangen, und daselbs beschluff der von Polhaim die Künigliche Prawt, als der fürsten Gewonhait is, das ire Sendpotten die fürstlichen Prauwt mit ein gewaptn Man mit den rechtn Arm und mit dem rechten fus blos, und ain plos schwert darzwischen gelegt, beschlaffen. Also haben die alten Fürsten gethan, und ist noch di Gewonhait. Da das alles geschehen was, war der Kirchgang mit dem Gotsdienst nach Ordnung der heiligen Kahnschafft mit gutem Fleiss verpracht.“46
Man siht, dass das mit dem Gesandten gehaltene Beilager vor der ehlichen Einsegnung in der Kirche vorhergegangen ist. Folglich war es blos [pg 34]eine symbolische Vorstellung der alten Probenacht. Nachdem bald darauf dise Prinzessin von dem König Karl VIII. von Frankreich entführt wurde, so stritten die französischen und teutschen Rechtsgelehrten sehr darüber, ob sie eine wirkliche Gemahlin Maximilians gewesen wäre, und Karl sich folglich eines Ehebruchs schuldig gemacht hätte.47 Beide Teile hatten aber keinen richtigen Begrif von dem Ursprunge dises Geprängs, und nekten sich blos mit wizigen Einfällen, oder zogen mit Sentenzen aus dem römischen und kanonischen Rechte bewaffnet gegen einander zu Felde. Da die Probenacht zu dem Ende eingeführt worden ist, um die bezihungsweise Tauglichkeit der iungen Gatten zum Ehestande zu prüfen, so ist ausser Zweifel, dass aus einer solchen Ceremonie noch keine vollkommene ehliche Verbindung entspringen kan. Mithin kan auch das von einem Gesandten mit der Braut seines Prinzen gehaltene Beilager, weil es nur [pg 35]ein Sinnbild der alten Probenacht ist, für keine Vollzihung der Ehe gehalten werden, und die allgemeine praktische Meinung, dass eine solche Heirat keine rechtliche Wirkungen hervorbringen könne, entwikelt sich von selbst. Doch man verstehe das nur von der neuern Zeit. Denn im mitlern Zeitalter war das gesandtschaftliche Beilager zugleich ein Beweis, dass Sponsalia de praesenti vorgegangen sind, die nach kanonischem Rechte nicht mehr aufgehoben werden können.48
Der grösste Teil der Gelehrten hat den Unterscheid inter Sponsalia de praesenti et de futuro für eine leere Vernünftelei gehalten. Sie hätten aber gleich aus der langen Reihe Heiratsberedungen grosser Herren, worinn immer eine oder die andere Gattung der Verlöbnisse genau bestimmt wird,49 urteilen können, dass die Sache einmal auf wichtigen Gründen beruht haben muss. Wirklich gehört sie auch unter die Menge ächter Volkssitte, die noch heutzutage im kanonischen Rechtskörper verwahrt ligt; denn Sponsalia de praesenti sind deswegen unauflöslich, weil [pg 36]bei ihnen ehmals die Probenacht vorhergegangen ist. Dise wahre Ursache zeigt sich in verschidenen Dekretalen deutlich. Pabst Alexander III. verordnet, dass unter zwo Bräuten dieienige die wahre Ehfrau bleiben sollte, die zum wirklichen Beischlaf gelangt sei.50 Bonifaz VIII. erklärt alle Sponsalia de praesenti, die zwischen Minderiährigen gehalten worden, für unwirksam, wenn anders kein Beischlaf darauf gefolgt ist.51 Man siht aus der unten angezeigten Urkunde,52 dass im mitlern Zeitalter vile Heiraten rechtsgültig bestanden haben, ohne dass eine pristerliche Einsegnung dabei vorgegangen, und dise oft sehr spät nachgehohlt worden ist. Es kömmt bei der Frage, ob das gesandtschaftliche Beilager ehliche Wirkungen haben kan, ganz auf die Entscheidung des Vordersazes an, ob dasselbe ein Sinnbild des hochzeitlichen Beischlafs oder nur der Probnacht ist. Im ersten Falle ist sie zu beiahen, im leztern aber nicht. Doch wenn man auf den Ursprung des ehlichen Beischlafs zurükgeht, so läuft aller Streit auf eine Logomachie hinaus.
Die Gebräuche unter den Negern zu Kongo stimmen mit den unsrigen, so wie im Ganzen, besonders in disem Stüke überein. Auch sie erforschen vorher die wechselseitige Fähigkeit zur Begattung sorgfältig, ehe sie sich in ein förmliches Ehebündnis einlassen. Wenn der Freier bei dem Mädchen eine Untauglichkeit entdekt hat, so bekömmt er den Kalün zurük. Mangelt es ihm aber an hinlänglicher Tüchtigkeit, so ist derselbe den Eltern des Mädchens verfallen.53 In dem Afrikanischen [pg 38]Königreiche Fula54 bleibt einer solchen verschmähten Weibsperson der bestimmte Wittum. Bei den Otahiten begatten sich beide Geschlechter solange unter einander, bis ein Mädchen schwanger wird; dann muss der Vater des Kinds die ge[pg 39]schwächte Dirne ehligen.55 Etwas ähnliches scheint auch auf der Insel Ceylon üblich zu sein.56 Von den meisten östlichen Bewohnern Russlands erzehlt uns der Ritter Cook: Die Heiratsgebräuche diser Völker sind sehr vernünftig, ob sie mir schon mit den Gewohnheiten irgend eines andern Landes, das ich kenne, nicht zu harmoniren scheinen. Sehet da! worinn sie bestehen. Ein iunger Mensch und ein iunges Mädchen kommen miteinander überein, ein Jahr lang als Ehmann und Ehfrau beisammen zu leben und zu wohnen. Wenn die Frau in diser Zeit ein Kind [pg 40]bekömmt, so ist die Ehe bestättigt und gesezmässig. Hat sie keines, so verstehen sie sich entweder miteinander, die Probezeit noch um ein Jahr zu verlängern, oder sie trennen sich, und die Sache hat für das Weibsbild gar keine nachteilige Folgen, indem sie gleich ein anderer wider mit eben der Begirlichkeit auf die Probe sezt, als wenn ihre Jungferschaft ganz ungekostet wäre.57 Die Gewohnheit unter den Taxilern und Brachmanen erklärt sich iezo selbst.58
Unter den Kamtschadalen59 muss der Freier in dem Hause seiner Gelibten Dinste nehmen, und sich unter diser Zeit um ihre Gunst zu bewerben suchen. Erhält er den Beifall der Eltern, so darf er sie gleich auf der Stelle beschlafen, und den andern Morgen in seine Heimat führen. Nach Verlauf einiger Zeit kehren beide Verlobte wider zurük, und feiren erst iezo bei der Braut El[pg 41]tern die Hochzeit. Unter den Mingreliern60 Kalmaken61 und Jaiker Kosaken62 beschläft der Bräutigam seine Braut schon während der Zeit, da er noch die Summe des Ehkaufschillings aufzubringen hat, und es geschiht auch meistenteils, dass sie um dise Zeit schwanger wird. Sonderbar ist das Gepränge bei der Vermählung eines Negers auf der Goldküste mit einem unmannbaren Mädchen,63 und dem Beispile von Kaiser Friderich III. zimlich gleichartig.64
[pg 42]Wenn einer an der Massachusetsbay in ein Frauenzimmer verlibt wird, so erklärt er seine Wünsche ihren Verwandten, und wenn dise einwilligen, so gestattet ihm iene den Tarry, d. i. er darf eine Nacht bei ihr zubringen. Vater und Mutter entfernen sich um die gewöhnliche Stunde, und lassen die iungen Leute in Freiheit. Dise wachen hernach beieinander den grössten Teil der Nacht über, und legen sich am Ende zusammen ins Bette. Doch darf weder er seine Beinkleider noch sie ihren Unterrok ablegen. Wenn sie mit[pg 43]einander zufriden sind, so erfolgt unverzüglich die Hochzeit; wo nicht, so scheiden sie sich, um einander nimals wider zu sehen; ausgenommen das Mädchen wäre schwanger geworden, da ist er (der Pursche) bei Strafe des Bannes verbunden, sie zu heiraten.65 Ueberhaupt fordern die Sitten der Wilden, dass der Libhaber seine Gelibte in den ersten Nächten mit grosser Schonung behandle. Man sehe davon die merkwürdige Beschreibung des Capitaine Cook,66 und vergleiche dabei Kraften.
Der P. Lafitau scheint also von den Sitten der [pg 44]Amerikaner nicht genau unterrichtet gewesen zu sein, wenn er geglaubt hat, dass sie ein ganzes Jahr hindurch miteinander in der Ehe lebten, ohne sie zu vollzihen.
In Lithauen verweigern die Eltern gemeiniglich die Ehen ihrer Töchter solange, bis dise von den Freiern aus dem elterlichen Hause geraubt werden, und ihnen die Jungferschaft mit Gewalt genommen wird: dann geben sie erst das Hochzeitfest. Es ist auch bei ihnen wahrzunehmen, dass sie eine iunge Gattinn beständig für eine Jungfer halten, bis sie in die Wochen kömmt.67 Der Professor Müller hat in Sibirien bemerkt, dass die Bräute dort ebenfalls geraubt und vor der Hochzeit beschlafen würden.68 In den äussersten Nordländern darf die Neuvermählte ihren Mann, mit dem sie nicht zufriden ist, verlassen, und zu ihren Eltern zurükkehren.69
[pg 45]„Wenn in Neufrankreich, sagt Kraft,70 sich eine Person verheiratet, so wird es für die grösste Schande gehalten, wenn die neuverheiratete Frau im ersten Jahre nach der Hochzeit schwanger wird; solange dises erste Jahr dauert, muss der iunge Ehmann sich zu seiner Braut stehlen, und sie nur allein des Nachts sehen.“ Wer siht nicht, dass hir erst nach der Vermählung die Probezeit gehalten wird? Man kan also iezt den wahren Grund der Ehstandssitte erkennen, die der P. Lafitau,71 unter den meisten wilden Völ[pg 46]kern von Amerika beobachtet hat, und iederman wird davon überzeugt werden, wenn er damit vergleicht, was Home72 und Millar73 über disen Punkt gesammelt haben. Schon von dem ältern Sparta und Athen sind uns ähnliche Sitten bekannt. Spuren von der ehmals gehaltenen Probzeit siht man noch in Grönland, und es widerlegt sich daher die Behauptung eines gewissen Schriftstellers, dass ein Grönländer seine Neuvermählte, die ihm wegen seiner Unvermögenheit entlaufen ist, wider mit Gewalt zurüknehmen könne. In Afrika trift man die förmliche Probenacht unter den Hotentotten an.74 Sie ist hir mit viler [pg 47]Gewalttätigkeit verknüpft, und geschiht etliche Tage vor der Trauung. Home hat davon dise Beschreibung: „Sobald als alle Materien unter den alten Leuten berichtigt sind, so wird das iunge Paar miteinander in ein Zimmer eingeschlossen, wo sie die Nacht zubringen, um mit einander um den Vorzug zu streiten, welches immer ein sehr ernsthaftes Werk wird, wenn sich die Braut recht zur Wehre sezt. Ist sie nun halsstarrig bis ans Ende, ohne sich zu ergeben, so wird der iunge Mann wider fortgeschikt; behält er aber die Oberhand, welches gemeiniglich geschiht, so wird die Heirat durch eine andere Ceremonie vollzogen, die nicht weniger sonderbar ist.“ Entweder ist dise Stelle vom Uebersezer unrecht verteutscht, oder Home hat seine Autoren nicht verstanden. Sie sprechen deutlich. Der Grund der Sitte ist kein abgeschmakter Streit um den Vorrang, sondern eine Untersuchung, ob der Freier die zureichende Leibsstärke besizt. Ebenden Endzwek hat auch die ähnliche Gewohnheit bei den Kamtschadalen,75 [pg 48]worauf hernach unmittelbar die Probenacht folgt.76
Selbst bei Völkern, die sich zu einem hohen Grade von Cultur emporgeschwungen haben, findet man die ehliche Probzeit, oder es zeigen sich wenigstens Spuren von ihrer ehmaligen Beobachtung. Schon zur Zeit Mosis erfolgte bei den Hebräern unmittelbar auf das Verlöbnis der Beischlaf, und doch erhielt die Braut dadurch die Rechte einer Gemahlin noch nicht,77 obschon sie, wenn sie sich hernach mit einem andern vergieng, als eine Ehebrecherin gestraft wurde.78 Dise Probenacht ist bei ihnen nicht erst durch die Rabbinen eingeführt worden, wie der P. Calmet glaubt,79 [pg 50]sondern sie war schon in der ältesten Zeit herkommlich, wie Buxtorf80 und Ugolini81 erwisen haben. Die ausserordentliche Genauigkeit, mit welcher bei disem Volke die Zeichen der Jungferschaft gefordert worden, streitet nicht gegen unsere Gewohnheit. Denn kan man wol von der beiderseitigen Ehestandstauglichkeit der iungen Gatten besser überzeugt sein, als wenn iene Zeichen zum Vorschein kommen? Man sehe hierüber die Betrachtung des Hofrath Michaelis zu Göttingen.82
Ihre Philosophen, die praktischen Essener, hiengen den alten Gebräuchen am strengsten an, und nahmen daher ihre Weiber vorher drei Jahre auf die Probe, ehe sie sich förmlich mit ihnen verheirateten, und enthielten sich ihrer Umarmung wider, wenn sie zur Zeugung untüchtig geworden waren.83 Die Grichen und Römer, die sich besonders angelegen sein liessen, das Andenken ihrer [pg 51]Ursitten durch eigene symbolische Gebräuche zu erhalten, haben ebenfalls davon Ueberbleibsel aufbewahrt. Es ist bekannt, dass bei ihnen das feierliche Hochzeitmahl84 und die förmliche Heimführung85 zum Beweise einer vollzogenen Ehe dinten. Noch ehe bei den Grichen dise beiden Ceremonien vor sich giengen, durfte der Bräutigam seine Braut in ihres Vaters Wohnung beschlafen.86 Lykurg, der bei seiner Gesezgebung immer am wenigsten von den ächten Sitten der Menschheit abwiech, befahl den Spartanern, dass sie ihren neuvermählten Weibern solange verstohlener Weise beiwohnen sollten, bis sie schwanger würden.87 Im ältern Rom musste die Braut nach dem geschehenen Beilager etliche Zeit in einem besondern Gartenhause zubringen, ehe ihre [pg 52]Ehe durch die Heimführung, durch das Ehkaufsgepränge und durch die Confarreation die gewisse Bestätigung erhielt.88
Bei den meisten Völkern finden sich also Kennzeichen der Probenacht. Und wenn sie mit gewissen ähnlichen Gebräuchen anderer Nationen verglichen werden, so kömmt man zur Erkenntnis einer allgemeinen Ursitte der Menschheit. Auch die Wahrnehmung, dass vile Gebräuche unter den Menschen, die man verschiden zu sein glaubt, oder die wenigstens moralische Unschiklichkeiten an sich zu haben scheinen, aus einer und ebenderselben Quelle herrühren, wird dadurch ungemein beleuchtet und ins Klare gebracht. Sie sind meist in der physischen Beschaffenheit unsers Körpers gegründet, und bestehen daher mit der natürlichen Unschuld unsrer Gattung sehr gut. Fast alle rohen Völker auf dem Erdboden sind bei ihrer Verheiratung auf die Zeichen der bewahrten Jungfrauschaft aufmerksam, und verlangen diselbe bei ihren Bräuten ohne Nachsicht.89 An[pg 54]dere Nationen scheinen über disen Punkt etwas gleichgültiger zu sein,90 und verschidene Völkerschaften in Asien erlauben ihren unverheirateten Töchtern, sich der öffentlichen Wollust in dem Tempel preis zu geben.91 Unter den Afrikanischen Stämmen werden vorzüglich die Mädchen zu Gattinnen ausgesucht, die ihre Reizungen vile [pg 55]Jahre auf Wucher gesezt, und schon im ledigen Stande Kinder gebohren haben.92 An andern Orten wird die Schöne dem Fremden bei seiner Ankunft zum Beischlafe angeboten, und macht er von diser vorteilhaften Anerbitung Gebrauch, so strebt hernach ieder Bidermann nach der Ehre, ihr Gemahl zu werden.93 Ueber die Brautnacht selbst hat es bei den südlichen und nördlichen Völkern ganz entgegenstehende Gewohnheiten. [pg 56]Bei ienen wird sie den Fremden oder geringern Personen, und nicht selten neben der Bezahlung überlassen und für ein entehrendes Werk gehalten;94 dahingegen sie bei disen nur ein Vorrecht des Herrschers, des Adels, oder, besonders in In[pg 57]dien, der Pristerschaft ist.95 Ebendaher verehrt man in Egypten und andern Asiatischen Ländern die plözliche geile Ueberraschungen, die von den Mönchen auf der Strasse geschehen, als andächtige Handlungen.96 Man findet die Brautnacht noch in andere Gebräuche gehüllt, die uns zweifelhaft lassen, welchen moralischen Begrif man damit verband. Von der Art ist z. B. iener, wo die Braut vorher von allen Hochzeitgästen oder Verwandten, und am Ende erst vom Bräutigam beschlaffen wird.97
[pg 58]Dem Anscheine nach sollte alles dises die Richtigkeit unsrer Beobachtung von der Allgemeinheit der ehlichen Tüchtigkeitsprobe bei den neuen Gatten bezweifeln. Der erste Einwurf von der Sitte, die Kennzeichen der bewahrten Keuschheit bei der Verheiratung zu fordern, ist auch wirklich sehr wichtig, indem nicht geläugnet werden kan, dass dises bei allen rohen und Urvölkern gebräuchlich gewesen und zu vermuten ist, dass bei einer Probzeit die Jungfrauschaft verloren gehen muss, folglich bei der erst lange darauf folgenden Vermählung nicht mehr bewisen werden kan. Nichtsdestoweniger wird man bei der nähern Untersuchung diser Sitte finden, dass sie in den ältesten Zeiten neben der Probzeit in Uebung gewesen ist, und in der Folge mit iener einerlei Endzwek gehabt hat. Weil die Absicht der Ehestandsprobe nur dahin gieng, die wechselseitige Zeugungstauglichkeit zu erforschen, so war sie schon erreicht, wenn der Bräutigam die Beweise der iungfräulichen Keuschheit erhalten hatte. Es konnte der Fall, dass die Ehe nicht zu Stand käme, und folgbar das Frauenzimmer mit einem andern neue Proben machen müsste, aus dem Grunde nicht entstehen, weil derienige, der ihr einmal die Jungferschaft geraubt hatte, sie notwendig zur Ehe behalten musste. Es ist auch zu glauben, dass verschidene Völker bei mehrerer [pg 59]Polizirung die Probenacht wegen ihres leichten Misbrauchs abgeschaft, und allein die Auffindung der iungfräulichen Kennzeichen beibehalten haben, als wodurch ebenderselbe Endzwek erreicht wurde. Denn wo unstreitige Beweise der geraubten Jungferschaft vorhanden sind, da müssen gewiss die wechselseitige Zeugungsfähigkeiten ausser Zweifel sein. Ebensowenig als dise Hauptsitte der Probenacht widerspricht, sowenig geschiht es von den andern. Vile Philosophen haben es bemerkt, dass bei den meisten Gewohnheiten, die oben erzehlt wurden, die Versicherung der weiblichen Fruchtbarkeit die Hauptabsicht gewesen. Sie kommen daher auch so weit mit der Probzeit überein, als sie die Früchte des Ehestands befördern helfen, und sind nur darinn verschiden, dass sie etwas einseitig und bei einer zufälligen Untauglichkeit der Mannsperson ienen Hauptzwek der Begattung dennoch verfehlen. Die Sitte, dass der Genuss der Brautnacht fremden Personen überlassen wird, scheint von einer gewissen Schlaffheit der männlichen Körper herzurühren, und da wäre ungefehr wider ebenderselbe Endzwek, wie bei der Probenacht, vorhanden. Denn was disen Männern selbst an zureichender Leibesstärke und Mannheit abgeht,98 das wissen sie durch andere [pg 60]tauglichere Subiekte zu ersezen, und ihre Ehe, die ohne dises Hilfsmittel ganz unfruchtbar bleiben müsste, ihrem Zweke näher zu bringen. Man darf desto weniger zweifeln, dass sich der Fall in heissen Ländern häufig zuträgt, als man selbst in verschidenen grossen Städten Europens dergleichen sichere Erfahrungen gemacht hat. Zu was für verzweifelte Mittel zuweilen die Amerikanerinnen bei der Kaltblütigkeit ihrer Männer die Zuflucht nehmen, das sehe man in der Note.99
[pg 61]Jene Gewohnheiten, wo sich die Mädchen in öffentlichen Tempeln der gemeinen Wollust überlifern, oder wo die Hochzeitgäste die ersten Früchte ihrer Annehmlichkeiten pflüken, oder wo nur dieienigen unter ihnen sich die gröste Hofnung zum Heiraten machen dürfen, die schon im ledigen Stand vile Kinder gebohren, oder sonst ihre Keuschheit am meisten verwahrloset hatten, scheinen blos auf der Seite des weiblichen Geschlechts alle Zeugungshindernisse und Anstände hinwegzuräumen; dahingegen die Gebräuche, wo die Bräute mit der grösten Gefahr und mit viler Mühe geraubt werden,100 und andere Ceremo[pg 62]nien vorgehen, die eine solche Gewalttätigkeit anzeigen, oder wo der neue Ehemann die ersten Nächte mit seiner Gattin sehr heimlich, und mit viler Ungemächlichkeit zubringen muss, zu der Gattung zu gehören, welche die Erprobung der männlichen Leibesstärke zum Grunde ihrer Einführung hat. Alle dise hochzeitlichen Ceremonien haben also Verwandtschaft mit der Probnacht, und man erkennt, wie allgemein ehemals auf die Bevölkerung gearbeitet worden ist. Der Herr von Paw101 hat hierüber schöne Beobachtungen angestellt, und sie passen auf unsern Gegenstand vollkommen.
Home102 deutet den symbolischen Raub der Bräute auf den Sklavenstand, worein nach seiner Meinung die Gattinnen unter allen rohen Völkern geraten sollen. Die erste Quelle diser Sklaverei siht er in dem Ehkaufsgepränge; hirdurch erwerbe sich nemlich der Gemahl das Eigentum seiner [pg 63]Libsten, und sei deswegen berechtiget, sie als seine Magd zu behandeln. Wie sehr verkennt er hir nicht den wahren Ursprung des Ehekaufs! Bei allen Barbaren sind die Weiber, so wie die Minderjährigen, unter der Münde103 des Mannstamms; das ist, ihm ligt die Sorge ihrer Verteidigung und Bewahrung für allen Unfällen ob; dagegen bleibt er auch nach ihrem Tode in dem Besize ihres Vermögens. Durch die Heirat kömmt die Frau unter die Mundbürde ihres Gemahls, oder des Geschlechts, zu welchem er gehört. Der Vater, oder die Familie, von der sie ausgeht, verliren also den Vorteil, den ihnen einmal ihre Vererbung eingebracht hätte. Sie lassen sich daher zur Entschädigung beim Verlöbnis eine gewisse Summe ausbezahlen oder Geschenke reichen, und das ist der sogenannte Ehekauf. Man siht seine Beschaffenheit in unsern barbarischen Gesezbüchern ganz deutlich. Ich kan aber, um nicht zu sehr abzuschweifen, und um eine Sache, die in einem andern Werke vorkömmt, nicht zweimal abzuhandeln, iezo nur die Longobardischen104 anführen, und berufe mich wegen dem Weitern auf [pg 64]einen Schriftsteller,105 der bereits das alte Mundium, (wie es in der Urkundensprache heist) aus Angelsächsischen Gesezen dargestellt hat. Unter andern Gründen führt Home106 auch die Wahrnehmung für sich an, dass bei allen rohen Völkern die Weiber die Haus- und Feldgeschäfte verrichteten. Allein, wie wenig ward hir widerum den Ursachen der Dinge nachgespürt! Zeigte nicht schon Kraft,107 dass dises von dem Wahne der Wilden herrühre, als wenn in dem weiblichen Geschlechte eine gewisse allgemeine Befruchtungskraft läge, wodurch alles, was sie berührten, einen gedeihungsvollen Wachsthum erhielte? Unter allen rohen Völkern ziht der rüstige Mann in den Krieg, oder geht auf den Strassenraub aus; indes das fleissige Weib, der entkräftete Greiss und der schwächere Knabe zusammen den Landbau und Wirtschaft besorgen. Sind dise deswegen Sklaven des Erstern? — O wenn werden wir einmal aufhören, den eiteln Tand des Ausländers zu begaffen, und darüber die bessere Waare unsrer eigenen Landsleute zu vergessen! Wahr ist’s, unter etwas kultivirtern Nationen im Morgenlande geht die Ablösung der Münde zuweilen in einen Kauf[pg 65]handel über, und an sehr vilen Orten werden die Weiber in einem Zustande angetroffen, der von der wirklichen Sklaverei eben nicht sehr verschiden ist. Wenn man aber dise Gegenden geographisch untersucht, so zeigt sich’s, dass sie unter lauter heissen Himmelsregionen ligen.108 In solchen Erdstrichen steigt nicht selten der weibliche Trib zur Begattung bis zu einer Art von geiler Wut.109 Die Männer, die dort zumal von schwächerer Gattung sind, verliren alle Achtung gegen sie, und haben keine Ursache, sich um dasienige erst durch Gefälligkeiten und mit emsiger Geschäftigkeit zu bewerben, was ihnen mit frecher Stirne freiwillig angeboten wird.110 Wie entgegengesezt sind aber nicht die Sitten in den gemässigtern und rauheren Gegenden des Erdbodens. Da macht die kältere Luft die Weiber frostig und spröde. Sie sind unempfindlich gegen alle Tribe, die bei ihnen die Männer erregen wollen, und diss vermehrt gerade die Begirlichkeit der Leztern; deren Hize, während dem die scheinbare Tugend sie mit Hochachtung erfüllt, beständig angefacht wird, die Neigung diser stolzen Geschöpfe einmal zu [pg 66]überwinden. Daher das Ansehen des Nordischen Frauenzimmers, sein Stolz und seine Gewalt in allen öffentlichen Angelegenheiten.111 Auf der andern Seite aber auch die sittliche Verfeinerung des männlichen Geschlechts, seine schlaue Bigsamkeit und Galanterie. Die verschidene Behandlungsart der Weiber hängt ganz von dem Einflusse des Klima ab. Der Ehekauf hingegen ist in Norden, wie in Süden, im Gebrauche und verursacht nimals eine Herabwürdigung. Wenn Home mehr aus Reisebeschreibungen gesammelt, mehr dem Stande des Menschen nach den verschidenen Graden seiner Kultur nachgeforscht, mehr die Gattungen untereinander verglichen, und die Quellen ihrer Verschidenheit aufgespürt, endlich das Allgemeine von dem Zufälligen iederzeit sorgsam genug abgesondert hätte, so würde sein VI. Versuch des I. Buchs gewiss besser geraten sein, und eine ganz andere Gestalt bekommen haben, als wir ihn wirklich besizen. Der Behauptung, dass die bessere Behandlung des weiblichen Geschlechts erst aus der Sittenverbesserung entstan[pg 67]den sei, will ich die gerade entgegenstehende Bemerkung Kraftens112 an die Seite stellen, und denn auf das hinweisen, was der verständigere Millar113 gesammelt und der P. Lafitau114 auseinandergesezt hat.
Textgrundlage dieses e-Books ist eine Neuausgabe des Originals von 1780. An zweifelhaften Stellen wurde die Originalausgabe herangezogen. Orthographie und Zeichensetzung wurden nicht modernisiert oder vereinheitlicht.
Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Ende des Buches versetzt.