The Project Gutenberg eBook of Der Sinn und Wert des Lebens This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Der Sinn und Wert des Lebens Author: Rudolf Eucken Release date: April 22, 2015 [eBook #48765] Language: German Credits: Produced by Peter Becker, Norbert H. Langkau and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER SINN UND WERT DES LEBENS *** Produced by Peter Becker, Norbert H. Langkau and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net +--------------------------------------------------------------+ | Anmerkungen zur Transkription | | | | Gesperrter Text ist als _gesperrt_ dargestellt, Fettschrift | | als ~fett~. Eine Liste der Korrekturen befindet sich am | | Ende des Buchs. | +--------------------------------------------------------------+ [Illustration: Rudolf Eucken.] Der Sinn und Wert des Lebens Von Rudolf Eucken Fünfte, völlig umgearbeitete Auflage Achtzehntes bis zwanzigstes Tausend Verlag von Quelle & Meyer in Leipzig 1917 Satzanordnung und Einbandzeichnung von Professor Georg Belwe. Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co., Altenburg, S.-A. Die Wohnung des Lebens sind viel weiter denn die Wohnungen des Todes. Luther. Vorwort zur ersten Auflage. Mit einer Behandlung der Frage nach dem Sinn und Wert des Lebens suche ich die inneren Probleme der Gegenwart jedem einzelnen möglichst nahe zu bringen und ihn zur Teilnahme daran zu gewinnen. Solche Fassung der Aufgabe zog der philosophischen Erörterung bestimmte Grenzen: daß es aber innerhalb dieser Grenzen genug zu klären gibt, das hofft die Untersuchung selbst zu zeigen. Dem einen oder anderen Leser wird vielleicht der erste kritische Teil zu weit ausgesponnen scheinen. Aber es konnte die entscheidende Hauptthese, an der die Möglichkeit einer Wiederbefestigung des Lebens und einer Verjüngung der Kultur hängt, ihre volle Überzeugungskraft nur erlangen, wenn sie als der einzig mögliche Weg zum Ziele erwiesen war; dafür aber war jene Kritik unentbehrlich, sie steht nicht neben, sondern in der Sache. _Jena_, Dezember 1907. Vorwort zur fünften Auflage. Zwischen der vierten und der fünften Auflage liegt der Beginn und der Verlauf des Weltkriegs; notwendig mußten seine Eindrücke und Erfahrungen auch auf das Gesamtbild des menschlichen Lebens wirken, und solche Wirkung mußte sich auch auf eine Untersuchung erstrecken, welche sich mit dem Sinn und Wert des Lebens befaßt. So ist denn diese neue Auflage aufs gründlichste umgestaltet, ja völlig erneuert worden, ganze Abschnitte sind stark verkürzt, andere neu hinzugefügt worden, das Ganze ward straffer zusammengefaßt und mehr in den Dienst eines einzigen Hauptgedankens gestellt. So wenig ich meine Grundanschauungen zu verändern brauchte -- die Erfahrungen des Krieges haben sie nur bestätigt --, ihre Darstellung mußte kräftiger werden, die Gegensätze waren schärfer zu scheiden, die Forderungen deutlicher herauszuheben. So hoffe ich, daß das Buch an innerem Leben gewonnen hat, und daß zugleich sein Verhältnis zur Gegenwart in Ja und Nein enger geworden ist. Mein Hauptwunsch geht dahin, in unserer wirren Zeit möchte es suchenden und kämpfenden Seelen irgendwelche Förderung bringen. _Jena_, im Juli 1917. ~Rudolf Eucken.~ Inhaltsübersicht. Seite _Einleitung_ 1 ~Die Antworten der Zeit.~ Die älteren Lebensordnungen. Die religiöse Lebensordnung 4 Die Lebensordnung des weltlichen Idealismus 10 Die neueren Lebensordnungen. Die gemeinsame Grundlage 17 Die Lebensordnung des Naturalismus 19 Die Wendung des Menschen zu sich selbst. Die Sozial- und die Individualkultur 28 Erwägungen und Vorbereitungen 40 ~Versuch eines Aufbaues.~ Die Eröffnung eines neuen Lebens. Der Aufstieg zur Hauptthese 50 Die Entwicklung der Hauptthese 60 Hauptzüge des neuen Lebens 73 Geistiges Leben und menschliche Lage 86 ~Auseinandersetzung mit der Welt und der Lage des Menschen.~ Die Übermacht der Natur 96 Die Unsicherheit des menschlichen Geisteslebens 105 Die moralische Verwicklung des Menschenlebens 113 Auseinandersetzung mit dem Zweifel 134 ~Folgerungen aus der Gesamtbilde des Lebens.~ Folgerungen für das Leben des Einzelnen 144 Folgerungen für die Aufgaben der Gegenwart 156 Folgerungen für die Ausbildung eines deutschen Lebensstiles 161 _Sachregister_ 170 _Namenregister_ 172 Einleitung. Die Frage nach einem Sinn und Wert des Lebens macht ruhigen Zeiten wenig Sorge, da dann die Umwelt dem Einzelnen einen festen Lebenszusammenhang zuführt, ihm darin einen sicheren Halt und eine Antwort auf etwaige Zweifel gibt; sie wird erst dringend, wenn über den Grundstock des Lebens eine Unsicherheit entsteht, wenn sich in ihm Spaltungen bilden und das Handeln nach verschiedenen Richtungen ziehen. Dann müssen wir wohl oder übel unsere Zuflucht zum eigenen Denken nehmen, dann müssen wir suchen, mit seiner Hilfe wieder eine Hauptrichtung des Lebens zu gewinnen und in der Arbeit dafür eine Wehr und Waffe gegen all das Dunkle und Feindliche, das unaufhörlich auf uns eindringt. So erweist das Fragen und Mühen um einen Sinn und Wert des Lebens immer einen geistigen Notstand, einen solchen erweist es auch heute. Dieser Notstand ist keineswegs eine bloße Folge des Krieges, er reicht weit hinter ihn zurück und ist aus dem Ganzen des modernen Lebens mit Notwendigkeit hervorgegangen. Dieses Ganze hat sich in verschiedenartige Ströme gespalten, die auseinandergehende Richtungen verfolgen und abweichende Wertschätzungen enthalten. Namentlich stehen hier gegeneinander eine unsichtbare und die sichtbare Welt. Der früheren Zeit galt jene als der Kern der Wirklichkeit und als der Hauptstandort echten Lebens, während die Neuzeit mehr und mehr die sichtbare Welt auch zur geistigen Heimat des Menschen macht und alle seine Ziele von ihr erhofft. Innerhalb der Hauptrichtungen aber erschienen weitere Unterschiede und trieben das Leben auseinander, das freudige Ja der einen wurde den anderen zum herben Nein, eine peinliche Unsicherheit griff um sich und mußte zur Schwächung alles Strebens wirken, das die Notwendigkeit des Lebens und die selbstischen Zwecke überschreitet. So mußte die Menschheit bei aller Fülle äußerer Berührungen sich innerlich mehr und mehr zerwerfen und ein gegenseitiges Verständnis verlieren. Ernsteren Seelen waren diese Gefahren schon vor dem Kriege deutlich geworden, und an Bemühungen, sie zu überwinden, hatte es nicht gefehlt. Aber die Breite der Zeit fühlte sich viel zu sehr in reichem Kulturbesitz und wurde durch die Befassung mit ihm viel zu sehr festgehalten, um diesen Fragen viel Aufmerksamkeit zu schenken; so blieb das Mühen um sie im Hintergrunde und erlangte nicht die nötige Kraft. Der Krieg hat die Lage weiter verschärft, er stempelt die willenlose Ergebung in die Widersprüche des Daseins zu flacher und niedriger Art. Er zeigt uns handgreiflich die völlige Abhängigkeit unseres Lebens und Strebens von dunklen Geschicken, er zeigt die Menschheit bei sich selbst gespalten und bis zu wildem Haß verfeindet, er zeigt im Völkerleben eine häßliche Mischung moralischer Unlauterkeit und intellektueller Schwäche, er zeigt freilich auch viel Kraft in den Völkern und viel Aufopferungsfähigkeit für gemeinsame Zwecke, aber im Gesamteindruck stellt er die Lage der Menschheit als höchst verworren und ihr Streben als eines deutlichen Zieles entbehrend dar, er erschüttert aufs stärkste den Glauben an das Walten einer Vernunft bei ihr. Einer so verworrenen Lage gegenüber versagt alles bloße Grübeln und Deuten, Scharfsinn und menschlicher Witz werden uns nicht von ihr befreien; die einzige Hoffnung einer Rettung besteht darin, daß durch alles menschliche Meinen und Suchen hindurch eine tiefer gegründete Tatsächlichkeit im Leben waltet, auch uns sich eröffnet und unser Handeln zu sicheren Zielen leitet. Dieser Tatsächlichkeit den Weg zu bahnen, zunächst der Richtung inne zu werden, in der sie zu suchen ist, das muß einer Selbstbesinnung zur Aufgabe werden. Sie kann das aber nicht tun ohne vorherige Orientierung über den heutigen Lebensstand mit all seinem Durcheinander. Denn was an vermiedenen Strömen wirkt und sich gegenseitig zu hemmen droht, das sind keineswegs bloße Lehren, die sich behaupten und zurücknehmen lassen, sondern das enthält tatsächliche Leistungen, Bewegungen des Lebens selbst, Konzentrationen, welche ihrem ganzen Bereich eine eigentümliche Beschaffenheit verleihen; wir kämpfen daher nicht um bloße Deutungen eines gegebenen Lebensstandes, sondern wir kämpfen um den Lebensstand selbst, wir kämpfen nicht um Bilder, sondern um Wirklichkeiten. Die Verwicklung aber stellt sich nun dahin, daß jede einzelne dieser Lebensentfaltungen Berechtigtes und Wertvolles enthält, das, einmal belebt, sich nicht wieder aufgeben läßt, daß sie aber, anscheinend untrennbar, mit diesem anderes verquickt, was wir unmöglich festhalten können, wovon wir uns befreien müssen. Daß so Notwendiges und Unmögliches bei uns zusammentrifft und vielfach ineinander verfließt, das versetzt uns in ein peinliches Schwanken zwischen dem Ja und dem Nein; wir sehen nicht, wo das eine sich gegen das andere abgrenzt, wir werden nach dem Wechsel der Stimmung bald hierher, bald dorthin gezogen. Um so mehr bedürfen wir einer überlegenen Tatsächlichkeit, die uns Wahres und Falsches scheiden, das Wahre aber miteinander verbinden und mutig in den Kampf führen lehrt. Ohne den Glauben an das Bestehen und das Wirken einer solchen Tatsächlichkeit wäre alles Streben nach Rettung vergeblich, auch unsere Untersuchung ruht auf einem solchen Glauben, sie wird getragen von der Überzeugung, daß in der Tiefe des Lebens Notwendigkeiten walten, die nicht an menschlicher Meinung hängen. Im Vertrauen auf solche Notwendigkeiten beginnen wir unser Werk. Die Antworten der Zeit. Die älteren Lebensordnungen. Die religiöse Lebensordnung. Von den verschiedenen Lebensordnungen, die den Menschen der Gegenwart umwerben, wirkt am stärksten auf das Ganze noch immer die der Religion. Ein Erbe uralter Zeiten hat die Religion durch besondere Erfahrungen des ausgehenden Altertums eine herrschende Stellung erlangt; jene Zeiten ließen den Menschen sowohl die Nichtigkeit des gewöhnlichen Lebens als das eigene Unvermögen mit peinlicher Schärfe empfinden und erfüllten ihn zugleich mit einer tiefen Sehnsucht nach einem neuen Leben, ja einer neuen Welt. Ein solches Leben hat in unserem westlichen Kulturkreise das Christentum ausgebildet, es hat, nachdem das leidenschaftliche Verlangen nach Rettung der Seele sich später geklärt und gemildert hatte, ein religiöses Lebenssystem geschaffen und ihm alle Kulturarbeit angefügt; dies Lebenssystem hat durch die Kette der Jahrhunderte hindurch seine Macht bis zur Gegenwart behauptet und hält auch heute den Anspruch auf Beherrschung der Seelen noch aufrecht. Diese religiöse Lebensordnung setzt mit einer heroischen Kraft die Welt, die uns umgibt, zu einer niederen herab und macht eine unsichtbare Welt des Glaubens und des Gemütes zur geistigen Heimat des Menschen; zugleich vollzieht sie eine energische Konzentration, indem sie zum alleinigen Ziel des Lebens und Strebens die Einigung mit dem Geist vollkommener Macht, Weisheit und Güte erhebt. Mit ihrer Einführung absoluter Maße wird sie der Quell aller Erhabenheit, die das menschliche Leben kennt, zugleich aber läßt sie, und sie allein, das Leben eine reine Innerlichkeit, ein volles Beisichselbstsein, gewinnen, indem es hier an erster Stelle ein Verhältnis von endlichem und unendlichem Geiste wird. Aus solcher Innerlichkeit vermag es den Menschen unvergleichlich mehr sich selbst zu erschließen, und lehrt es zugleich die Menschen sich gegenseitig besser verstehen und inniger miteinander fühlen. Das hier entwickelte Leben hat bei seinem Wurzeln in göttlicher Liebe eine große Weichheit und Zartheit, aber der Liebe verbindet sich eng die Heiligkeit einer sittlichen Ordnung und gibt dem Leben bei aller Innigkeit einen unermeßlichen Ernst. In diesem Zusammenhange durfte der Mensch von sich und seinem Tun aufs Höchste denken. Als Ebenbild Gottes bedeutete er den Mittelpunkt der Wirklichkeit, um den sich das All bewegte, und dessen Tun über seine Geschicke entschied. Wohl hatte der Einzelne sich dem Ganzen des Gottesreiches gliedmäßig einzufügen, aber zugleich bildete er einen eigenen Kreis und wurde als ein Selbstzweck behandelt; zur Vollendung des Ganzen, das kein Glied missen durfte, gehörte auch seine Rettung. Diesem Leben fehlte es nicht an Sorgen, Nöten und Schmerzen, die Höhe der Forderung und der weite Abstand des Menschen verhinderten alles bequeme Behagen und alles spielende Glück, ja das Gewicht von Leid und Schuld schien mehr zu wachsen als abzunehmen. Aber die Grunderfahrung der Religion, die Befreiung von drückender Schuld und die Schöpfung eines neuen Lebens durch göttliche Liebe und Gnade, hob den Menschen über den ganzen Bereich von Kampf und Not hinaus; die Einigung mit Gott ließ ihn ein vollkommenes Leben und hohe Seligkeit teilen, in die freilich für den Menschen immerfort der überwundene Schmerz hineinklingt. Wohl verblieb der Widerstand einer gleichgültigen, ja feindseligen Welt, aber in Zweifel versetzen und das Streben lähmen konnte er nicht. So war es kein leichtes Leben, das hier entstand, aber es war ein Leben voller Bewegung und in sicheren Zusammenhängen, es war kein leeres, kein sinnloses Leben. So hat die religiöse Lebensordnung lange Jahrhunderte beherrscht, sie hat Individuen und ganze Völker verbunden, sie hat unzähligen Seelen sowohl eine kräftige Aufrüttelung als seligen Frieden gebracht. Ihr eigentümlich sind besonders die schroffen Kontraste, worin sie das menschliche Leben versetzt: die Gottheit zugleich in weltüberlegener Hoheit und in nächster seelischer Nähe (»Gott ist mir näher als ich mir selber bin«, Meister Eckhart), der Mensch verschwindend klein und doch zur Gemeinschaft mit dem Höchsten berufen, Liebe und Ehrfurcht, Milde und Ernst eng miteinander verflochten, tiefes Dunkel und strahlendes Licht, Elend und Seligkeit sich gegenseitig steigernd, ein Aufstieg zum Ja durch ein Nein hindurch, eine volle Anerkennung, aber zugleich auch Heiligung des Leides, in dem allen eine starke Bewegung, die allererst der Seele des Einzelnen wie dem Leben der Menschheit eine wahrhaftige Geschichte eröffnet und diese zum Kern aller Wirklichkeit macht, ein unablässiges Hinausstreben über alle Gegenwart bloßer Zeit, aber zugleich ein sicheres Ruhen in einer gegenwärtigen Ewigkeit. Eine so heroische Größe und zugleich eine solche Innigkeit hat das Leben an keiner anderen Stelle erreicht. Trotzdem haben sich gegen dieses Leben starke Zweifel erhoben, Zweifel nicht bloß aus eitler Widerspruchslust flacher Seelen, sondern auch aus dem heiligen Ernst eines Ringens um lautere Wahrheit. Bedenken entstanden zunächst aus der eingreifenden Veränderung, welche seit Beginn der Neuzeit das Bild der Natur und bald auch das der Geschichte empfing, es ergab das wachsenden Widerspruch nicht nur an einzelnen Stellen, wie bei der Frage der Wunder, sondern die ganze Welt der Religion konnte von hier aus als zu eng und mit viel menschlicher Zutat behaftet erscheinen. Dieser Widerspruch der Weltbetrachtung läßt sich überschätzen, er läßt sich aber auch unterschätzen. Sicherlich ist Religion etwas anderes als bloße Weltanschauung, aber einen Widerspruch mit gesicherten Zügen des Weltbildes kann auch die Religion nicht ohne schweren Schaden ertragen; ihre Wahrhaftigkeit leidet darunter, wenn sie einer Auseinandersetzung mit ihm aus dem Wege geht. Tiefer freilich geht die schärfere Scheidung der geistigen Arbeit vom menschlichen Seelenstande, wie das moderne Denken sie vollzogen hat. Der Mensch konnte danach als ein Sonderwesen erscheinen, das ganz unfähig ist, die Welt in seine Begriffe zu fassen und ihre Tiefen zu ergründen; die Religion erschien von da aus leicht als ein bloßes Hineintragen menschlicher Bilder und Wünsche in das All, sie konnte diesem Gedankengange schließlich als ein bloßes Wahnbild erscheinen. Aber gegen das alles hätte sich kämpfen und die Grundwahrheit der Religion auch gegen den schroffsten Widerspruch durchsetzen lassen, wäre das Ganze des Lebens in der Verfassung geblieben, aus der die Wendung zur Religion hervorging. Hier aber war ein Umschlag erfolgt, der den Gesamtstand völlig verschob. Jene Wendung war in einem Bruch mit der nächsten Welt entstanden, zu einer Zeit, wo die Menschheit den Glauben an sich selbst und ihr Vermögen verloren hatte, wo sie im besonderen einen schweren moralischen Zwiespalt empfand, und wo nur das Ergreifen einer neuen Welt ihre geistige Vernichtung schien verhüten zu können. Nun aber hatten neue Völker in langen Jahrhunderten der Erziehung neue Kraft gesammelt, und diese Kraft strebte mit dem Beginn der Neuzeit nach voller Betätigung, die nächste Welt wurde ihr zum willkommenen Vorwurf, und das Wirken in ihr drängte die moralischen Probleme, drängte im besonderen den moralischen Zwiespalt der Seele weit in den Hintergrund. Wenn aber solche Wandlung des Lebensgefühls kein starkes Verlangen nach einer Erlösung und völligen Umwandlung aufkommen ließ, so verlor die Religion ihre seelische Nähe und ihre Überzeugungskraft; die Gefahr entstand, daß sie mehr als ein Erbstück der Vergangenheit fortgeführt wurde, als aus eigener Erfahrung hervorging, ja daß sie als eine bloß gesellschaftliche Einrichtung erschien und als solche aus Gründen der Wahrhaftigkeit hart angefochten wurde. Eine derartige Bewegung hat sich von der Höhe der Gesellschaft, wo sie entstand, immer mehr in die breiten Massen gesenkt; wie weit sie auch bei uns Deutschen um sich gegriffen hat, das würde noch deutlicher zutage treten, wenn nicht die sehr problematische Hilfe, welche bei uns der Staat der Religion noch immer zukommen läßt, den wirklichen Stand der Dinge schonend verdeckte. Auch dürfen wir nicht erwarten, daß der gegenwärtige Weltkrieg diese Lage wesentlich ändert. Gewiß bringt er mit seinen ungeheuren Gefahren und schweren Verlusten einen großen Ernst in die Stimmung und lenkt zwingend die Gedanken auf die Fragen des Geschicks und der Bestimmung des Menschen, auf die Fragen von Zeit und Ewigkeit. Aber einer einfachen Beantwortung dieser Fragen im Sinne der überkommenen Religion widerspricht der unabweisbare Eindruck des Wirkens eines dunklen Schicksals, das unbekümmert um menschliches Wohl und Wehe nur die blinde Notwendigkeit walten läßt, den einen opfert, den anderen rettet, wie es sich eben trifft. Auch das gewaltigste äußere Ereignis kann ohne ein inneres Entgegenkommen keine seelische Wandlung erzeugen; so dürfte auch dieser Krieg auf die Seelen verschieden wirken, je nachdem was sie an ihn bringen: er wird die Gläubigen gläubiger und die Ungläubigen ungläubiger machen; er wird die Religion wieder mehr als eine unabweisbare Frage empfinden lassen, aber eine Frage ist keine Antwort. So kann es scheinen, als sei die Zeit der religiösen Lebensordnung abgelaufen, und als müsse die Religion als ein irreleitender Wahn aus dem menschlichen Leben verschwinden. Aber so einfach, wie ihre Gegner sich die Sache denken, ist diese nicht. Denn die Religion hat weit über alle Lehren und Einrichtungen hinaus in den Grundbestand des menschlichen Lebens eingegriffen und ihm Weiterbildungen gebracht, deren Preisgebung es einer kläglichen Verarmung ausliefern würde. Von ihr kam eine Befreiung von dem schweren Druck des Daseins, das uns sonst unbarmherzig umklammert; sie eröffnete mit ihrer Erhebung über dieses und ihrer Erschließung einer neuen Welt die einzige Möglichkeit, alles Unzulängliche und Verfehlte des menschlichen Lebensstandes vollauf anzuerkennen, ohne darüber die Festigkeit des Glaubens und den Mut des Handelns einzubüßen; mit ihrer Umkehrung des Lebens wurde sie ein Quell heroischer Größe und mit ihrer Vorhaltung absoluter Maße eine gewaltige Kraft der Aufrüttelung und nimmer fertigen Bewegung; die einzigartige Stellung, welche gemeinsame Schätzung der Menschheit der moralischen Aufgabe zuerkennt, rechtfertigt sich vollauf nur in der Welt der Religion; dazu ihre Entfaltung reiner Innerlichkeit -- auch die eigentümlich deutsche Färbung des Ausdrucks Gemüt ist der Religion zu verdanken --, sowie ihr Vermögen, den Menschen wie der Menschheit der kaum erträglichen Vereinsamung in einem seelenlosen Weltall zu entziehen, der sie sonst verfallen sind; -- wahrlich, wir können die flachen Seelen nur bedauern, die ohne Schaden und Schmerz glauben das alles aufgeben zu können; jedenfalls sind sie mit ihrer Flachheit nicht die berufenen Vertreter der Menschheit, und bringt ihre leichtherzige Verneinung die Sache nicht schon zum Abschluß. Aber zugleich bleibt alles bestehen, was sich gegen die Religion an Bedenken und Zweifeln erhob; so steht das Geistesleben der Gegenwart zwischen dem Ja und dem Nein in haltloser Mitte, und es ist uns die Religion, mit ihr auch die religiöse Lebensordnung, aus einem festen Besitz zu einem schweren Problem geworden; auch das Ewige, was sie enthalten mag, hat sich der Gegenwart neu zu bewähren, es ist zu einer offenen Frage geworden. Die Lebensordnung des weltlichen Idealismus. Die Verwicklungen der Religion zu vermeiden, ohne die Tiefe des Lebens zu mindern, glaubt ein der Welt zugekehrter, sie umfassender und durchdringender Idealismus, ein Idealismus, der mit seiner Entfaltung einer Geisteskultur seit Jahrtausenden eine selbständige Art neben der Religion entwickelt, bald sie freundlich ergänzend, bald ihr als Feind begegnend. Die Lebensordnung des Mittelalters hatte diesen Idealismus ihren eigenen Überzeugungen angegliedert, die Neuzeit gab ihm eine wachsende Selbständigkeit, so daß er sich schließlich der Religion überlegen fühlte und ihr die Beherrschung des Lebens bestreiten konnte. Auch dieser Idealismus nimmt seinen Standort in einer unsichtbaren Welt, aber ihm bedeutet diese nicht ein neben dem sinnlichen Dasein befindliches, von ihr abgelöstes Reich, sondern seinen eigenen Grund, seine belebende Seele; daß das All nicht in das Nebeneinander der einzelnen Erscheinungen aufgeht, sondern eine dem äußeren Auge verborgene Tiefe besitzt, daß es ein Ganzes bildet und ein inneres Leben führt, das ist die Grundüberzeugung, mit der diese Lebensordnung steht und fällt. Aus solcher Überzeugung verbindet dieser Idealismus den Menschen eng mit dem All und läßt ihn sein Leben aus diesem schöpfen, aber zugleich gewährt er ihm eine einzigartige Stellung und ein ausgezeichnetes Werk. Denn alles Untermenschliche scheint das Leben bewußtlos und aus dunklem Zwange zu führen, es verwandelt das Vermögen des Ganzen nicht in den Besitz der einzelnen Stelle; dies aber geschieht beim Menschen, der den Gedanken des Ganzen denkt und dieses selbst damit weiterführt. Erst bei ihm erhebt sich die Welt zu voller Klarheit und Freiheit und erlangt damit ihre Vollendung; der Mensch darf groß von sich denken, indem sein Wirken so viel für das Ganze bedeutet. Diese Lebensordnung bewegt sich vornehmlich um den Gegensatz von Innerem und Äußerem, von unsichtbarer und sichtbarer Welt. Das Innere hat als der Hauptträger des Lebens das Äußere zu ergreifen und zu beseelen, es tut das namentlich in Kunst und Wissenschaft, aber auch durch Entwicklung einer in der menschlichen Natur angelegten Moral; das Äußere aber ist unentbehrlich, um das Innere von mattem Umriß zu voller Durchbildung zu bringen. So entsteht ein geistiges Schaffen, das, getragen von einer Weltvernunft, gegenüber der gebundenen Natur, auch gegenüber der äußeren Ordnung des Menschenlebens, wie die Zivilisation sie vertritt, ein höheres Leben schafft, eine Geisteskultur, deren Wahres, Schönes, Gutes den Menschen den reichsten Gehalt gewinnen und den ganzen Umkreis des Daseins veredeln läßt. Dieses Leben bedarf keines außer ihm gelegenen Lohnes und ist nicht auf einen Nutzen gerichtet, es findet vollste Befriedigung in seiner eigenen Entfaltung und freudigen Selbstanschauung; bei unablässigem Wirken ruht es sicher im eigenen Wesen und bewahrt bei allem Streben ins Weite einen beherrschenden Mittelpunkt. Dies Leben ist verschiedener Färbungen fähig, je nachdem Wissenschaft, Kunst oder Moral den leitenden Grundton geben, und an Kämpfen im eigenen Bereich hat es ihm nicht gefehlt. Aber alle Mannigfaltigkeit beläßt ihm der Religion gegenüber eine eigentümliche Art. Die Religion ist mehr auf die Schärfung, die Weltkultur mehr auf die Ausgleichung der Gegensätze bedacht; jene richtet das Leben auf einen Punkt, diese gibt ihm mehr Weite; jene sieht mehr Schwäche und Kleinheit, diese mehr Kraft und Größe am Menschen; ist sie es doch, die vor allem das Menschsein zu einem hohen Wertbegriff erhoben und Achtung vor allem geweckt hat, was menschliches Angesicht trägt; jene findet den Weg zur Lebensbejahung erst durch schwere Erschütterung und herbe Verneinung hindurch, diese glaubt sie durch vollste Anspannung eigener Kraft unmittelbar vollziehen zu können; jener gilt das Böse mehr als eine Verderbtheit, dieser dagegen als eine Schwäche und Mattheit des Wollens. Vielleicht mag ein Leben weiterer Art den Gegensatz umspannen und zu einer Ausgleichung führen, zunächst ist ein weites Auseinandergehen nicht zu verkennen. Dieser weltliche Idealismus gewann eine besondere Höhe im altgriechischen Leben; im Mittelalter ein bloßer Nebenstrom, brach er in der Neuzeit mit frischer Kraft hervor, aus ihm entsprang bei uns Deutschen die Epoche geistigen Schaffens, welche wir unsere klassische nennen, und die uns den Ruf eines Volkes der Dichter und Denker eintrug. Von den reichen Schätzen, welche die Gesamtbewegung des weltlichen Idealismus mit ihrer Geisteskultur erzeugte, zehren wir heute alle, und können uns gar nicht denken, wie sie zu entbehren wären. Aber mit dem Anspruch, das Leben zu führen, ist es dem weltlichen Idealismus nicht anders ergangen als der Religion: die Grundlage wurde erschüttert, das Grunderlebnis verdunkelt; so erhielten feindliche Mächte die Oberhand und vertrieben diese Gestaltung aus dem Mittelpunkte des Lebens. Daß die Welt eine Tiefe habe, und daß diese dem Menschen zugänglich sei, das ist jetzt dem vorwiegenden Zuge des Lebens nicht minder zweifelhaft geworden als die Grundwahrheiten der Religion. Der weltliche Idealismus hatte stets Mühe, seine Behauptung in vollem Sinne zu erhärten. Eine sichere Überzeugungskraft gaben ihm nur besondere Höhepunkte geistigen Schaffens, seltene Sonn- und Festtage der Menschheit, wo eine Gunst des Schicksals mit hohen Aufgaben der weltgeschichtlichen Lage selbstwüchsige Persönlichkeiten großen Stils zusammenführte; dann wurde allerdings eine unsichtbare Tiefe der Welt zu allergewissester Nähe und zum sicheren Standort des Handelns. Aber solche schaffenden Zeiten sind Ausnahmezeiten, und der Alltag übt sein Recht, jenes hohe Leben sinkt und zugleich sein Vermögen, den ganzen Menschen an sich zu ziehen und einzunehmen; aus der eigenen Betätigung wird dann ein bloßes Aneignen und Genießen überkommener Schätze, es verflacht damit das geistige Schaffen unvermeidlich zu einer bloßen Bildung, einer geschmackvollen Formung des Lebens; gewiß hat auch eine solche ihren Wert, aber sie bewegt nicht die letzten Tiefen des Lebens, und sie ist dem Dunklen, ja Dämonischen in der Menschennatur bei weitem nicht gewachsen; sie befreit nicht genügend von innerer Leere, und sie erleidet leicht dadurch Schaden an ihrer Wahrhaftigkeit, daß sie oft weniger aus einer Notwendigkeit eigenen Verlangens als der sozialen Umgebung halber gesucht wird. Alles in allem erscheint die Bildung mehr als ein Leben aus zweiter Hand, ein solches aber kann schwer den Angriffen Widerstand leisten, welche der Grundbehauptung erwachsen. Der Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts hat diese Angriffe mächtig anschwellen lassen. Zunächst wirkt die Erschütterung der Religion auch zu einer Schwächung des weltlichen Idealismus. Denn seine Überzeugung von einer Tiefe des Alls und von dem Walten eines unsichtbaren Ganzen hat die Menschheit meist nur im Anschluß an eine religiöse Überzeugung gewonnen, nur eine solche machte den Bruch mit der sichtbaren Welt auch dem Einzelnen zur zwingenden Notwendigkeit, und die Veredlung, welche jener Idealismus an der Welt vollzieht, ist kaum denkbar ohne das verklärende Licht, das die Überwelt der Religion auf diese wirft; je mehr die Zurückdrängung der Religion dieses Licht verblassen läßt, desto mehr verliert auch jener seine leitende Stellung im Leben, wird er aus dessen Mittelpunkte an die Außenseite gedrängt. Sodann aber hat die neueste Zeit der sichtbaren Welt eine Selbständigkeit gegeben, welche sie nie zuvor für uns hatte; immer energischer hat die wissenschaftliche Arbeit aus ihr alles Seelenleben vertrieben, dafür aber ein neues Reich reiner Tatsächlichkeit eröffnet und aus ihm eine überströmende Fülle neuer Aufgaben abgeleitet, deren Lösung das menschliche Wohlsein aufs erheblichste zu steigern verspricht. Zugleich hat die Forschung die Besonderheit und Gebundenheit des menschlichen Lebens und Strebens aufs stärkste hervorgekehrt, es scheint ihr in enge Schranken gebannt und dadurch gänzlich verhindert, jene Welt starrer Tatsächlichkeit sich innerlich anzueignen und ihre Unermeßlichkeit als ein Ganzes zu erleben; sie wird bei aller äußeren Annäherung unserer Seele immer fremder. Kann ein solcher Gedankengang im Menschen den Vollender des Weltalls sehen? Aber mehr als alles das widersprechen dem weltlichen Idealismus im modernen Leben die Erfahrungen innerhalb der Menschheit selbst. Es erschien hier so viel wilde Leidenschaft und unbegrenzte Selbstsucht, so viel Kleinheit der Gesinnung, so viel moralische Unlauterkeit, so viel Mangel an geistiger Größe und an Kraft der Persönlichkeit, es stellte sich das menschliche Dasein so sehr als ein wirres Chaos dar, daß alle Hoffnung verflog, in ihm ein Reich der Vernunft entdecken oder es in ein solches verwandeln zu können. Wie vermöchte sich aber bei solcher Lage geistiges Schaffen und edle Bildung als der Kern des Lebens zu behaupten? Auch der gegenwärtige Krieg muß den Eindruck ihrer Ohnmacht über die menschliche Seele verstärken. Wäre eine gemeinsame Vernunft die Grundkraft menschlichen Lebens, so müßte sie die Menschheit zusammenhalten und einen etwaigen Zwiespalt rasch überwinden, sie müßte allem Rohen und Gemeinen siegreich widerstehen, das an einzelnen Stellen erscheinen möchte. Deutlich genug aber sehen wir, daß das keineswegs geschieht. Was hilft uns dann aber jene Geisteskultur mit ihrer gepriesenen Bildung? Ist sie nicht bloß ein gefälliger Schein, mit dem sich das menschliche Leben umkleidet, um seine nackte Gestalt zu verhüllen? Und lohnt es sich dann, so viel Muße und Arbeit an diesen Schein zu verwenden? So ist es kaum zu verhüten, daß viel Geringschätzung dieses weltlichen Idealismus aufkommt und um sich greift. Und doch haben wir uns zu hüten, solcher Stimmung nachzugeben und die Güter geringzuschätzen, die er mit Behauptung und Leistung vertritt. Denn sie berühren keineswegs die bloße Oberfläche des Lebens, sie wirken weit über die Stimmung und Neigung der Individuen hinaus zu seiner Durchbildung von innen her, sie haben eine Klärung, Vertiefung, Veredlung an ihm vollzogen, deren Preisgebung uns in den Stand der Barbarei zurückschleudern würde; mag einer besonderen Zeit unter besonderen Geschicken sich ihr Bild verzerren, sie hören darum nicht auf, im Grunde des Lebens tätig zu sein und mehr aus dem Menschen zu machen, als sein eigenes Bewußtsein ihm zeigt. Das Reich der geistigen Güter verbleibt, auch wenn sich dem Menschen der Zugang zu ihm durch manche Hemmung zeitweilig versperrt. Immerhin verbleibt solche Hemmung und will vollauf gewürdigt sein; die führende Stellung des weltlichen Idealismus wird jedenfalls durch die Erfahrungen der Gegenwart schwer erschüttert. Und zugleich machen sie zweifelhaft, wieviel wir an ihm überhaupt besitzen, und wo sein Recht innerhalb eines weiteren Lebensganzen liegt. So verwandelt sich uns auch hier in eine unsichere Frage, was früheren Zeiten eine zuversichtliche Antwort gab. * * * * * Demnach ist die Lebensordnung des weltlichen Idealismus heute nicht weniger erschüttert als die der Religion, wir verspüren die Erschütterung nur nicht so stark, weil sie weniger durch einen direkten Angriff als durch ein allmähliches Verblassen und Ermatten erfolgte; wie der weltliche Idealismus nicht die Kühnheit der Religion besitzt, so entzündet der Streit um ihn auch nicht so gewaltige Leidenschaft. Aber hier wie da kommen wir zu demselben Endergebnis: Lebensmächte, welche Jahrtausende lang die Menschheit beherrschten, ihrem Leben Ziele gaben und ihm dadurch einen Sinn verliehen, haben eine feste Wurzel im Bewußtsein des heutigen Geschlechts verloren und erhalten sich mehr durch träge Gewohnheit als durch eigene Erfahrung. Nur die Verstrickung in die Geschäfte des Alltags und das Überwiegen von Einzelfragen läßt uns übersehen, wie Ungeheures bei uns vorgeht. Oder ist es nicht etwas Ungeheures, wenn Ziele, an die Jahrtausende ihre beste Kraft gesetzt haben, und im Glauben an die sie lebten und starben, nunmehr eine bloße Einbildung scheinen und damit der bisherige Hauptzug des Strebens als ein leerer Wahn befunden wird? Ist es nicht etwas Ungeheures, wenn die unsichtbare Welt, früher als eine sichere Zuflucht ergriffen und als ein Quell der Liebe und Wahrheit gepriesen, nunmehr sich völlig auflösen muß? Wir müßten die Umwälzung anerkennen, wenn das Gebot der Wahrheit sie forderte; aber nur flache Denkart kann leicht und vergnüglich alles hinter sich werfen, was bisher als heilig galt. Zum mindesten dürfte sie nicht übersehen, daß das Durchschauen eines so langen Irregehens der ganzen Menschheit allen Glauben an ihr Vermögen zur Wahrheit aufs tiefste erschüttern müßte. Die neueren Lebensordnungen. Die gemeinsame Grundlage. So schwer wir die Erschütterung der Gegenwart durch das Verblassen der unsichtbaren Welt nehmen mögen, es sei nicht vergessen, daß zu ihrem Ersatz ein vielverheißender Aufbau im Werke ist, und daß einem neuen Leben die sichtbare Welt unvergleichlich mehr geworden ist, als sie früheren Zeiten war. Diese Welt hat sich nicht nur in der Natur um uns wie in der eigenen Geschichte der Menschheit der Erkenntnis in ungeahnter Weise erschlossen, sie hat auch dem menschlichen Wirken immer mehr Angriffspunkte gezeigt; der Befund der Dinge, sonst wie ein unentrinnbares Schicksal hingenommen, zeigt sich jetzt sehr wohl einer Veränderung und Verbesserung fähig: Elend und Roheit werden angegriffen, das Leben durchgängig in rascheren Fluß versetzt und zu mehr Fülle und Freude gebracht. Den Kern des neuen Lebens bildet aber die Arbeit, das heißt die Tätigkeit, welche den Gegenstand ergreift und ihn für den Menschen bereitet; was von altersher davon vorlag, das hat die Neuzeit erheblich dadurch gesteigert, daß ihr die Arbeit weit mehr über die Kräfte und Zwecke der Individuen hinauswächst, ja durch Bildung eigener Zusammenhänge eine Selbständigkeit gegen den Menschen erlangt. So zeigen es Wissenschaft und Technik, so zeigen es auch politisches und soziales Wirken; sie alle machen den Menschen zum Gliede eines Arbeitsganzen, dessen Forderungen er unbedingt nachkommen muß. In solcher Unterordnung der Einzelnen gewinnt das Ganze eine gewaltige Macht, es faßt das Nebeneinander der Kräfte und das Nacheinander der Zeiten zu gemeinsamem Wirken zusammen, das in sicherem Zuge vordringt und keine Grenze als endgültig anerkennt. So gewinnt die Menschheit einen frischen Mut und ein stolzes Selbstvertrauen, sie entwickelt in ihrem eigenen Bereich ein mannhaftes, klares, zielbewußtes Leben, das auch zu entsagen vermag, aber durch das Entsagen keineswegs niedergedrückt wird. Denn für alles, worauf zu verzichten ist, scheint der Gewinn an Sicherheit und an Wahrhaftigkeit vollen Ersatz zu bieten. Unerschütterlich fest scheint der Boden, der hier die Arbeit trägt, alle Einbildungen und Vorurteile, die gleich trübem Nebel die Dinge umhüllten, sind gewichen und machen hellem Sonnenlicht Platz, die Tätigkeit findet nach allen Seiten ein offenes und unbegrenztes Feld; so scheint erst hier das Leben sich selbst und seine Kraft zu finden, von einem Schlummerstand in volle Wachheit überzugehen. Alles Wirken hat dabei den Reiz eines frischen Sehens und selbständigen Entdeckens. Dürfen wir uns wundern, daß dieses Leben eine starke Anziehungskraft ausübt, und daß ihm das Goethewort zugute kam. »Er stehe fest und sehe hier sich um, Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm«? Die Wendung vom allgemeinen Gedanken zur näheren Durchführung ließ jedoch ersehen, daß das hier gebotene Leben keineswegs einfach ist. In zwei Bereichen liegt uns das Dasein vor: in der Natur und im Menschheitsleben. Jeder dieser Bereiche läßt sich zur Hauptsache machen, jeder kann von sich aus eine allumfassende Lebensordnung zu bilden suchen. So entspringen aus dem gemeinsamen Grunde zwei verschiedene Lebensströme und wollen gesondert behandelt sein. Es sei zunächst als der einfachere derjenige behandelt, dem das Verhältnis des Menschen zur Natur als das Grundverhältnis seines Lebens gilt. Die Lebensordnung des Naturalismus. Eine Lebensordnung des Naturalismus konnte nicht entstehen, bevor das Bild der Natur alles Fremdartige ausgeschieden und seine Eigentümlichkeit deutlich ausgeprägt hatte; das aber ist zuerst seit Beginn der Neuzeit geschehen. In Abweisung aller religiösen und spekulativen Deutung wird hier zum Ziel der Forschung die Erfassung der Natur in ihrer reinen und bloßen Tatsächlichkeit; hier entsagt jene aller inneren Eigenschaft und allem seelenartigen Streben und verwandelt sich in ein Reich unbeseelter Massen und Bewegungen, das sich in festen Zusammenhängen und unwandelbaren Ordnungen darstellt, ohne dem Menschen eine besondere Stellung einzuräumen und ihn zum Gegenstand besonderer Sorge zu machen. Von Anfang an bestand viel Neigung, dies Reich der Natur für das Ganze der Wirklichkeit auszugeben und zugleich alle Wissenschaft nach Art der Naturwissenschaft zu gestalten; schon Bacon (1561 bis 1626) nannte die Naturwissenschaft »die große Mutter und die Wurzel alles Erkennens«, diese Neigung hat immer mehr Boden gewonnen und Naturbegriffe immer tiefer in alle Gebiete eindringen lassen, so daß heute »naturwissenschaftliche Weltanschauung« vielen als Weltanschauung überhaupt gilt. Um sich so zum All zu erweitern, mußte die Natur auch den Menschen an sich zu ziehen und ganz und gar in sich aufzunehmen suchen. Das konnte so lange nicht gelingen, als eine unübersteigbare Kluft Ursprung und Wesen des Menschen von der Natur zu trennen schien; aber der Anerkennung einer solchen Kluft hat die Naturwissenschaft immer entschiedener widersprochen, sie hat immer mehr verbindende Fäden aufgewiesen, bis die moderne Entwicklungslehre eine völlige Verkettung herzustellen schien. Gehört aber der Mensch ganz und gar zur Natur, so muß auch sein Leben ganz dem der Natur entsprechen, so hat alles auszuscheiden, was im überkommenen Befunde dem widerspricht. Die Natur aber erscheint hier als ein Nebeneinander einzelner Elemente, die in vielfachste Beziehung treten und auch manche Verwebung bilden, deren Verbindung aber nie mehr als eine Anhäufung und Zusammensetzung ist; es gibt hier keinen inneren Zusammenhang und daher auch kein Wirken aus einem Ganzen, auch kein Selbständigwerden eines Inneren. Wie die Natur in reiner und bloßer Tatsächlichkeit verläuft, so kann auch das Menschenleben, das zu ihr gehört, keine die natürliche Selbsterhaltung überschreitende Wertschätzung, kein Gut und Böse anerkennen; nur die Entfaltung der Kraft und die sie begleitende Lust kann dem Leben einen Antrieb geben, und, soweit hier überhaupt von Zielen die Rede sein kann, haben sie in die Kraftsteigerung einzumünden. Die Übertragung dieser Maße auf das menschliche Leben erwies ein gutes Recht dadurch, daß sie Tatsachen zur vollen Anerkennung brachte und untereinander zusammenschloß, die früher vereinzelt geblieben und als Nebensachen behandelt waren. So die Gebundenheit aller seelischen Betätigung an körperliche Bedingungen, so die elementare Macht der Naturtriebe und der natürlichen Selbsterhaltung, so die überwiegende Macht der materiellen Faktoren im Menschenleben, so das aufrüttelnde und vorwärtstreibende Wirken des Kampfes ums Dasein, so die weite Ausdehnung der blinden und sinnlosen Tatsächlichkeit auch im Bereich des Menschen. Alles zusammen ergibt einen eigentümlichen Lebenstypus, der sich auch der geistigen Arbeit, die er an sich zieht, mitteilen muß. Da diese Lebensordnung dem geschichtlich überkommenen Stande schroff widerspricht, so muß sie mit einer entschiedenen Verneinung beginnen, mit einer Verneinung alles dessen, was die Natur überschreitet und damit die Wirklichkeit auseinanderzureißen scheint. So geschah es nach ihrer Überzeugung in Religion und Metaphysik, gemeinsam war ihnen der Fehler, das menschliche Subjekt von seiner Umgebung abzulösen und seiner ungezügelten Phantasie eigene Wege zu gestatten. Dadurch entstanden erdichtete Bildungen, die, so meint man, einen vielfachen Druck auf den Menschen üben und mit ihren Satzungen und Vorurteilen das Leben verengen und entstellen. Es scheint ein großer Gewinn an Freiheit, wenn das aus dem Leben verschwindet. Zugleich ein Gewinn an Einheit, indem die verhängnisvolle Spaltung aufhört, die aus jener Überhebung des Subjekts hervorging. Im eigenen Aufbau aber verheißt dies Leben eine gewaltige Steigerung der Kraft, der anschaulichen Nähe, ja der Wahrhaftigkeit. Denn nur in Berührung mit dem Gegenstande draußen scheint das menschliche Vermögen sich vollauf zu entfalten, ja erst Leben in vollem Sinne zu werden. In endloser Weite und Fülle breitet sich dabei vor dem Menschen das Reich der Arbeit aus, und was in ihr das Erkennen erringt, das findet hier, wo sich der Tätigkeit deutliche Angriffspunkte bieten, ohne viel Mühe den Weg zum Handeln; wie aus der modernen Naturwissenschaft unmittelbar die moderne Technik entsprang, so scheint diese Denkweise überhaupt der gegebene Weg, die menschlichen Verhältnisse zu verbessern und den Gesamtstand menschlichen Wohlseins zu heben. Auch die einzelnen Gebiete bringt diese Lebensordnung in eine starke Bewegung nach eigentümlicher Richtung. Überall ein ausgeprägter Realismus, der von erträumten Höhen abruft, alle Ziele, der Kunst wie der Wissenschaft, der Erziehung wie der Moral, des politischen wie des sozialen Lebens, innerhalb der sinnlichen Erfahrung findet und ihren Gehalt damit eigentümlich gestaltet. Durchgängig gilt es, die sinnlichen und materiellen Faktoren als die Wurzeln aller Kraft voll zur Wirkung zu bringen, das Leben dadurch zu sättigen, es in frischen Fluß und sicheren Fortgang zu bringen. So inmitten alles Realismus ein Leben mit so viel Spannung, Leistung und Hoffnung, daß es auf die weltüberfliegenden Ausblicke früherer Zeiten ohne Schmerz scheint verzichten zu können. Ein neuer Tag scheint hier anzubrechen, dessen helles Licht alle frühere Zeit zu einer trüben Dämmerung herabsetzt. Dieser Lebensstrom hat viel zu viel Kräfte in Bewegung gesetzt, viel zu viel Leistungen hervorgebracht, ja den Gesamtstand des menschlichen Daseins viel zu sehr umgewandelt, als daß sich seine Macht verkennen und seine Bedeutung angreifen ließe. Was in Frage kommen kann, ist lediglich dieses, ob er das ganze Leben zu erfüllen und seinen Gesamtstand zu beherrschen vermöge. Denn dagegen erheben sie freilich schwere Bedenken, sie gehen von einem Punkte aus, der bei flüchtigem Anblick nebensächlich scheinen mag, der sich aber bei näherer Prüfung als so bedeutend herausstellt, daß jener ganze Lebensstrom mit all seiner Tatsächlichkeit dadurch an die zweite Stelle gedrängt wird und sich damit bescheiden muß, ein Stück eines weiteren Lebens zu bilden. Jener behandelt den Menschen als ein bloßes Stück der Natur und verlegt in sie sein ganzes Leben. Aber woher kennen wir die Natur, wie wissen wir überhaupt von ihr? Wir kennen sie nur als ein Erlebnis der menschlichen Seele, wir kennen sie nur in ihrer Wirkung auf die Seele, und nur von der Seele aus wird das Bild entworfen, mit dem sie uns vor Augen steht. Diesen Aufbau der Natur von der Seele her hat eben die neuere Philosophie mit besonderer Klarheit aufgewiesen, sie hat gezeigt, daß sowohl was in ihm an festen Elementen als an Zusammenhängen vorliegt, uns nicht von außen zugeführt, sondern von der Seele aufgebracht und von ihr in das auf uns eindringende Chaos zu seiner Bewältigung hineingelegt wird; die Seele ist es, welche die Natur erst im wissenschaftlichen Sinne entdeckt und aus der Flut der Eindrücke herausarbeitet; dabei ist völlig klar, daß das nicht von der sinnlichen Empfindung aus, sondern aus der Arbeit des Denkens geschieht; das kann verkennen nur, wer wissenschaftliche und naive Stellung des Menschen zur Umgebung in eins zusammenwirft. Mit der Anerkennung des Unterschiedes tritt vor die sinnliche Empfindung die Denkarbeit, also eine geistige Tätigkeit, und es zeigt sich zugleich, daß im Bilde der Natur die Eindrücke auf ein Gerüst von Gedankengrößen, von Begriffen aufgetragen und nur dadurch in ein Ganzes verwandelt worden sind. In Wahrheit ist die Welt des Forschers mit ihrer Umsetzung der Natur in Kräfte, Beziehungen, Gesetze etwas wesentlich anderes als das, was die Sinne uns übermitteln. Diese Überlegenheit des geistigen Wirkens bekundet aber eine Selbständigkeit des Seelenlebens gegen die Natur und läßt uns zugleich verstehen, daß es seelische Antriebe sind, welche über den Zwang der Selbsterhaltung hinaus der Befassung mit der Natur einen Wert verleihen. Der Anhänger des Naturalismus legt, wenn auch unwillkürlich, selbst dafür Zeugnis ab. Denn was ihn bewegt, ist nicht bloß der Trieb, seine Kraft in Bewegung zu setzen, sondern ein Streben nach Befreiung von irreleitendem Wahn, nach mehr Einheit und nach mehr Wahrhaftigkeit der Weltanschauung; sind aber solche Ziele von der bloßen Natur aus irgendwie zu begreifen, bekunden sie nicht ein aller Natur überlegenes Leben und Streben? Kurz, es hat der Naturalist, indem er die ganze Weite der Welt überdachte, leider etwas vergessen, was im Grunde das Allernächste ist, er hat sich selbst, die eigene Seele, vergessen. Aber die Seele ist nun einmal da und läßt sich nicht wegdisputieren; selbst wer sie leugnet, tut es aus einem Drange nach Wahrheit, damit aber aus einem Antriebe seelischer Art. Und die Seele ist nicht bloß da, sondern sie zeigt auch eine eigentümliche Art und stellt aus ihr Forderungen, denen die naturalistische Lebensordnung nicht zu entsprechen vermag. Das seelische Leben ist kein bloßes Nebeneinander, es umfaßt alle Mannigfaltigkeit und bezieht sie auf einen Mittelpunkt, es geht nicht in die Beziehungen nach außen hin auf, sondern es bildet sich einen eigenen Kreis und gewinnt damit ein Beisichselbstsein; es erschöpft sich nicht in bloße Tatsächlichkeit, sondern es entwickelt Maße und Ziele aus sich selbst heraus und prüft danach alles, was bei ihm vorgeht, kurz es ist ein wesentlich anderes Leben, was hier entsteht, als das der sinnlichen Natur. Auch ist dieses Leben nicht ohne ein gemeinsames Werk großen Stiles geblieben, welches das menschliche Dasein wesentlich umgewandelt hat, in nichts anderem liegt dies vor als in der Hervorbringung eines Kulturstandes, womit der Mensch sich über die Natur hinaushob und ihr gegenüber ein neues Reich mit eigentümlichen Größen und Gütern erzeugte. Das ergibt allerdings eine Zweiheit, aber sollen wir den Aufstieg bekämpfen und zugleich alle Kultur verwerfen, weil sie das Leben minder einfach macht? Sehr wohl kann bei dieser Bewegung der Mensch die Natur zu weit zurückgeschoben und sich in seiner Meinung zu sehr von ihr abgelöst haben, -- die Bekämpfung dessen ist ein unbestreitbares Verdienst des Naturalismus --, aber wenn der Kulturmensch zur Natur zurückkehrt und ihr eine höhere Schätzung für das Ganze des Lebens verleiht, so wird er dadurch nicht im mindesten ein bloßes Stück der Natur, seine geistige Überlegenheit bleibt dabei unangetastet. Von solcher Überlegenheit aus muß ihm aber die naturalistische Lebensordnung als durchaus unzulänglich erscheinen. Denn folgerichtig durchgedacht muß sie alles Bestehen einer Innerlichkeit und allen Wert von inneren Gütern, muß sie zum Beispiel Größen wie Gesinnung, Pflicht, Ehre, Persönlichkeit, Charakter als völlige Einbildungen verwerfen, als ebenso verderbliche Einbildungen, wie es nach ihrer Meinung die Ideen von Gott und Weltvernunft sind. Das will jene Lebensordnung nicht, gewiß nicht; auch sie hält an jenen Größen fest, auch sie will Moral, auch sie will eine Veredlung des Menschen, aber sie kann das nur in Widerspruch mit den eigenen Grundgedanken. Selbst den Begriff der Wahrheit kann sie nur in solchem Widerspruch beibehalten. Denn wie kann von einer gemeinsamen und zwingenden Wahrheit die Rede sein, wenn nur einzelne Individuen mit ihren verschiedenen, unablässig wechselnden Meinungen nebeneinanderstehen, und wenn aus ihrem Zusammensein höchstens ein gewisser Durchschnitt hervorgeht? Auch für echte Kultur ist hier kein Platz. So sehr jene Ordnung die Lebensbedingungen nach allen Richtungen hin zu verbessern vermag, sie gibt damit dem Leben weder eine innere Bildung noch irgendwelchen Gehalt, sie überliefert es geistiger Leere; über die bloß äußere Ordnung der Lebensverhältnisse, die Zivilisation, kommt sie mit eigenen Mitteln nun und nimmer hinaus. So kann die naturalistische Lebensordnung die höheren Forderungen des Menschenwesens nur in Widerspruch mit sich selbst festhalten; daß bei solchem inneren Widerspruch zur Erfüllung jener viel geschehen kann, ist schwerlich zu erwarten. Die Leere und Sinnlosigkeit, in die hier das Leben gerät, muß augenscheinlich und zugleich unerträglich werden, sobald die Frage aufs Ganze gerichtet wird, was der zum Denken erwachte Mensch schließlich doch nicht unterlassen kann. Was wird hier aus dem Ganzen des Lebens, was aus dem Lebensstand der Menschheit? Kein inneres Band verknüpft hier die Menschheit mit dem All, auch kein solches Band die Menschen untereinander. Wir mühen und hasten uns im wilden Lebenskampf, damit sich mehr und mehr Kraft entfalte, aber es gibt nichts, dem diese Kraft zugute komme, es gibt keine Möglichkeit, sie in ein wahrhaftiges Leben eines Beisichselbstseins überzuführen. Die der Kraftentfaltung anhangende Lust steht in grellem Mißverhältnis zu all der Mühe und Arbeit, all der Aufregung und Aufopferung, welche die Erhaltung des Lebens vom Kulturmenschen fordert. So viel Verwicklung und Umständlichkeit in Erziehung und Bildung, in staatlicher Ordnung und sozialem Aufbau, und das alles, damit wir im wesentlichen dasselbe erreichen, was das Tier so viel leichter erreicht! Über solche Bedenken sich leicht hinwegsetzen kann nur, wer einem starken Optimismus gegen den Menschen und die menschliche Lage huldigt, wer keine inneren Verwicklungen, keine schweren Probleme in ihr anerkennt. So ging in der Tat der Naturalismus oft mit einem flachen Optimismus zusammen. Dieser Optimismus hatte schon vor dem Kriege manche Erschütterung erlitten, es waren im menschlichen Leben manche Probleme und Widersprüche ersichtlich geworden, denen gegenüber der Naturalismus vollständig wehrlos ist; so waren seine Flitterwochen schon vorher abgelaufen. Die Erfahrungen des Weltkrieges müssen das weiter vertiefen. Denn wären wir in den ungeheuren Erschütterungen, die er bringt, und den Problemen, die er eröffnet, allein auf die Hilfen angewiesen, die der Naturalismus zu bieten vermag, so bliebe nichts anderes als eine völlige Verzweiflung, ein trostloser Pessimismus. Und einem solchen Abschlusse wird doch die Menschheit mit aller Kraft widerstehen, selbst in den schweren Verlusten und den durch sie geweckten Zweifeln wird sie eine Überlegenheit gegen die bloße Natur empfinden. Das Leid selbst erweist sich als der stärkste Gegner des Naturalismus, sobald es ins Innere gewandt wird. So wird dieser seinen Anspruch auf eine führende Stellung nicht durchzusetzen vermögen. Aber glauben wir deshalb nicht, daß wir schon mit ihm fertig sind, daß nicht viele offene Fragen verbleiben. Die naturalistische Lebensordnung hat nicht nur einzelne Daten aufgedeckt und zur Geltung gebracht, ihr Verdienst ist, in zwingender Weise einer ganzen Seite unseres Lebens zur Anerkennung verholfen zu haben, die ihr früher mit Unrecht versagt ward. Diese Anerkennung läßt sich aber nicht vollziehen, ohne daß schwierige Fragen erwachen, manche Zweifel entstehen, das Ganze unseres Lebens eine neue Beleuchtung erhält. Den Naturalismus zu schelten mag der landläufigen Apologetik als ein billiges Vergnügen überlassen bleiben; die vom Naturalismus vertretene Tatsächlichkeit im Ganzen des Lebens zu würdigen ist eine Aufgabe, die noch immer recht viel zu tun gibt. Der Mensch ist nicht bloß Natur, aber er ist weit mehr Natur, als die älteren Ordnungen ihm zuerkennen, und dieses Mehr wird nicht eher zur Ruhe kommen, als bis es sein Recht gefunden hat. Die Wendung des Menschen zu sich selbst. Die Sozial- und die Individualkultur. Wenn das Dasein Gottes dem Menschen ungewiß wird und die Weltvernunft ihm verblaßt, wenn zugleich die Natur eben bei wachsender äußerer Annäherung ihm innerlich fremder wird und sein seelisches Leben leer läßt, so scheint, um unserem Dasein einen Sinn und Wert zu bewahren, nur noch ein einziger Weg zu verbleiben: die Wendung des Menschen zu sich selbst, die Ergreifung, Nutzung, Ausbildung alles dessen, was im eigenen Bereiche vorgeht. Solche Wendung läßt sich aber in zwiefachem Sinne verstehen. Einmal kann sie bedeuten, daß der menschliche Kreis die Stätte bildet, wo allein sich uns Tiefen der Wirklichkeit erschließen, von wo aus alles zu entwickeln ist, was mehr aus uns machen soll; dann geht der Mensch keineswegs in das Bild auf, das sein unmittelbarer Anblick zeigt, dann können große Möglichkeiten in ihm liegen und weitere Zusammenhänge von Welt und Leben von ihm aus ersichtlich werden. So erfahren wir es heute in erhebender Weise, wenn uns der Mensch in Staat und Nation weit über den nächsten Anblick hinauswächst. Dies aber soll uns später beschäftigen, an dieser Stelle kommt nur in Frage, ob das moderne Leben eine Bewegung enthält, vom Menschen, wie er in der Erfahrung vorliegt, vom Menschen, wie er leibt und lebt, eine allumfassende Lebensordnung als eine reine Menschenkultur aufzubauen. Das würde die Behauptung schärfer zuspitzen und dem Leben eine engere Bahn abstecken. Eine derartige Behauptung ist aber in der Tat vorhanden und hat einen eigentümlichen Anblick vom Leben und Sein hervorgebracht. Während von früheren Zeiten her und bis in die Gegenwart hinein der Mensch sich selbst und seinen Kreis im Lichte einer unsichtbaren Welt, sei es des Gottesreiches, sei es einer Weltvernunft, sieht und versteht, ist neuerdings auch eine breite Bewegung dahin aufgekommen, ihn ganz und gar auf das sichtbare Dasein zu stellen, hier alle Ziele zu suchen, ihn mit seinesgleichen nicht durch irgendwelche Vermittlung eines Gedankenreiches, sondern nur durch das tatsächliche Zusammentreffen auf dem Boden des Daseins zu verbinden. Eine solche Wendung darf sich auf tatsächliche Veränderungen des Lebens berufen. In der Neuzeit sind auf Grund der modernen Technik und der Beschleunigung des Verkehrs die Berührungen und Beziehungen von Mensch zu Mensch unermeßlich gewachsen, die Kräfte haben sich mehr zu fruchtbarer Arbeit zusammengefunden und dadurch ihr Vermögen gesteigert, auch die Individuen sind weit mehr in Bewegung versetzt und zu mehr unmittelbarem Empfinden geweckt; durch alles zusammen ist der Mensch sich selbst und dem Menschen weit mehr geworden. Solche Erfahrungen lassen es nicht als überkühn erscheinen, daß der Mensch sein Schicksal selbst in die Hand nimmt und mit emsigem wie zielbewußtem Handeln einen zusagenden Stand des Lebens herbeiführt, der alle berechtigten Wünsche zu erfüllen verspricht; ist ein überschwängliches Glück unerreichbar, wie es die Religionen dem Menschen versprachen, so kann doch recht viel zur Hebung des Daseins geschehen, in tatkräftigem Wirken dafür kann der Mensch seinem Leben ganz wohl einen Sinn und Wert verleihen. Ihm mag es bei solchem Zuge ein nicht geringer Vorteil dünken, wenn die Bindungen und Hemmungen entfallen, welche von den älteren Lebensordnungen her einen Druck auf das Handeln üben, wenn der Mensch nunmehr allen Anregungen der Erfahrungswelt mit voller Unbefangenheit nachgehen kann. Auch die einzelnen Lebensgebiete müssen sich damit eigentümlich gestalten, sie müssen an Schlichtheit, an seelischer Nähe und Wärme gewinnen, wenn sie lediglich daraufhin angesehen und danach bemessen werden, was sie dem Menschen als Menschen leisten. Aller Verwicklung der Weltprobleme enthoben, sieht sich hier das Handeln vor erreichbare Ziele gestellt, die doch keineswegs geringfügig sind und menschliche Kraft ganz wohl in Bewegung zu setzen vermögen. So ist es sehr begreiflich, daß ein derartiges Streben vielen Anklang fand und einen eigentümlichen Lebensstrom erzeugte. Solche Fassung des menschlichen Daseins muß auch den Gegensatz eigentümlich gestalten, der von altersher durch die menschliche Gemeinschaft geht, und dessen Zusammenstoß ein Hauptantrieb der Bewegung auf diesem Gebiete ist, den Gegensatz des Gesamtstandes und des Befindens der einzelnen Individuen, den Kampf darum, ob möglichste Unterordnung unter das Ganze oder freie Bewegung der Einzelnen das Hauptziel bilde, ob mehr das Gemeinsame oder das Eigentümliche den Charakter des Lebens zu bestimmen habe, ob mehr eine Organisation oder eine Emanzipation der Kräfte zu erstreben sei. Dieser Gegensatz von Gesellschaft und Individuum, von Zusammenstreben und Auseinandergehen, von Ordnung und Freiheit durchdringt in weitester Fassung die ganze Weltgeschichte, er wirkt von ihr zur Gegenwart sowohl aus der Arbeit der Jahrtausende als aus den Erfahrungen des letzten Jahrhunderts. Nachdem der Verlauf des Altertums mehr und mehr die überkommenen Ordnungen zersetzt und den Schwerpunkt des Lebens den Individuen zugewiesen hatte, erfolgt gegen sein Ende ein immer stärkerer Rückschlag zugunsten einer festeren Verbindung der Kräfte, philosophische Schulen wie religiöse Kulte schließen die Individuen enger zusammen und lassen sie einander helfen und stützen; das Christentum nimmt die Bewegung auf und führt sie bei wachsendem Verlangen nach einem sicheren Halt und nach Befreiung von eigener Verantwortung schließlich dahin, daß die religiöse Gemeinschaft, die Kirche, zur alleinigen Trägerin göttlicher Wahrheit und göttlichen Lebens wird, der Einzelne einen Anteil daran nur durch ihre Vermittlung erlangt. Wir wissen, wie das auch in die Gegenwart hinein eine große Macht erstreckt. Eine völlig entgegengesetzte Richtung verfolgt die Neuzeit durch alles ihr eigentümliche Schaffen hindurch, sei es der Aufklärung, sei es des Humanismus. Aus allen ihren Bildungen spricht der Glaube an den Wert und das Vermögen der Individuen, so daß auf deren Wirken das Leben zuversichtlich gestellt wird; nichts unterscheidet die Kulturarbeit der modernen Völker mehr voneinander als das Gebiet und die Art, worin sie den Freiheitsgedanken zur Herrschaft brachten; auch für das Leben der Gegenwart hat jener seine Macht keineswegs eingebüßt, er erzeugt immer neue Bewegung. Sodann aber entsteht auf dem Boden des letzten Jahrhunderts von verschiedenen Seiten her ein starkes Verlangen nach mehr Zusammenschluß der Einzelnen zu einem Ganzen und nach ihrer Befestigung dadurch, das aber sowohl aus der inneren Bewegung des geistigen Lebens als durch neue Aufgaben und Verwicklungen auf dem Boden der Erfahrung. Die spekulative Philosophie lief in eine Verkündigung eines alles beherrschenden Gesamtgeistes aus, dem der Einzelne unbedingt dienen müsse, stärker noch wirkte das Aufkommen einer historischen Denkart mit ihrer Einfügung des Einzelnen in große Zusammenhänge, am stärksten aber tat es das Aufkommen schroffer wirtschaftlicher Gegensätze, der Konflikt von Arbeit und Kapital, der die Menschheit zu zerreiben drohte und daher ein wachsendes Verlangen nach einer Ordnung ihrer Verhältnisse durch die überlegene Macht des Staates hervorrief. Alles miteinander hat manche auf die mittelalterliche Denkart zurückgreifen lassen, vornehmlich aber hat es auf dem eigenen Boden der Zeit eine neue Bewegung erzeugt, die Bewegung zu einer lediglich bei sich selbst befindlichen und befriedigten Sozialkultur. Wieviel in der modernen Gestaltung des Lebens ihr förderlich ist, daran wurde schon früher erinnert; eben jene Gestaltung ließ den Menschen deutlich empfinden, wie sehr er inmitten aller scheinbaren Freiheit am Ganzen hängt, ja wie die freiere Bewegung selbst stark zur Einschränkung des Einzelnen wirkt, indem sie ihn in mehr Berührung mit der Umgebung bringt und deren Einfluß von allen Seiten auf ihn eindringen läßt. Alles derartige zusammenfassend und die Kräfte zu gemeinsamer Arbeit verbindend, erstrebt die moderne Sozialkultur eine Ordnung des menschlichen Daseins, welche den Gesamtstand wesentlich hebt, im besonderen eine Atmosphäre des Wohlwollens und des Wohlseins schafft, in der sich alle Kräfte entfalten und alle Zustände bessern können. Es liegt in der Natur der Sache, daß ein solches Wirken vornehmlich von außen nach innen geht, daß es mit der Herstellung glücklicher Lebensbedingungen, sowie zweckmäßiger Einrichtung des Zusammenlebens beginnt, in festem Vertrauen darauf, daß dem ein Fortgang des Inneren entsprechen werde. Denn was das Ganze gewinnt, das scheint sich notwendig auch in die einzelnen Seelen zu senken. So wird hier das Handeln vornehmlich auf die Umgebung gerichtet, es findet seine Höhe in eifrigem Wirken für andere und das gesellschaftliche Ganze; damit wird alle Ethik zur Sozialethik, und statt der Gottheit wird hier die Menschheit zum Gegenstand der höchsten Verehrung. Demgemäß ist es auch die Leistung für den gemeinsamen Lebensstand, die über die Bedeutung und die Gestaltung der einzelnen Lebensgebiete, zum Beispiel der Kunst und der Wissenschaft, entscheidet. Daß auch der Wahrheitsbegriff sich dieser Denkweise anpassen kann, das zeigt der Pragmatismus, der, aus Amerika stammend, auch in Europa zahlreiche Anhänger fand. Der Gefahr, die von dieser Sozialkultur aus der Selbständigkeit der Individuen droht, wird dadurch zu begegnen gesucht, daß sich mit jener Bewegung eine demokratische Tendenz zu verbinden pflegt, das Streben, möglichst alle zur unmittelbaren Teilnahme und Entscheidung aufzubieten und so einem jeden die Ordnung des Ganzen auch zur eigenen Tat zu machen oder doch als eine solche erscheinen zu lassen. Bemerkenswert ist auch, daß eben auf modernem Boden das freie Zusammenleben und die eigene Bewegung der Kräfte viel Organisation hervorgebracht hat, wie sie früher nur von oben herab aus einer überlegenen Gedankenwelt möglich schien; denken wir nur an die Gewerkschaften und ihr hervorragendes Wirken im Kriege! Die Leistungen dieser Sozialkultur liegen deutlich zutage. Ihre Richtung der Arbeit auf die Wohlfahrt aller hat viel Not und Härte ausgetrieben, mehr Freude und Milde in das Leben gebracht, sie hat hilfreiche Tätigkeit in alle Verzweigung des Daseins eingeführt, jedem Menschenwesen ein Recht zuerkannt und es damit auch im eigenen Bewußtsein gehoben, sie hat zugleich ein Gefühl der Verantwortlichkeit jedes Einzelnen für den Stand des Ganzen geweckt, sie hat mit dem allen eine höchst wertvolle Weiterbildung des menschlichen Daseins vollzogen. Aber das alles berechtigt sie noch keineswegs zur ausschließlichen Führung des Lebens; sie kann eine solche nicht unternehmen, ohne auch ihre Schranken erkennen zu lassen. Diese Schranken betreffen aber sowohl das hier gesteckte Ziel als die Mittel zu seiner Erreichung. Der Mensch geht in Wahrheit nicht auf in das Verhältnis zum Nebenmenschen, er hat auch ein Verhältnis zu sich selbst und in engem Zusammenhang damit eins zum All und muß von daher Maße des Lebens entlehnen; auch kann er sich unmöglich so in seinen Zustand verschließen und alles nach der Wirkung dafür bemessen, daß ihm alles Gegenständliche gleichgültig wird, da erst dessen Aneignung dem Leben eine innere Weite und zugleich eine reine Freude zu geben vermag. Einem Wesen, das mit seinem Denken sich zur Unendlichkeit und Ewigkeit zu erheben und von da den eigenen Stand zu betrachten vermag, wird die bloße Wohlfahrt, ein möglichst schmerzfreies und genußreiches Leben, und sei es auch das Leben aller, ein viel zu geringes Ziel; auch dessen Erreichung beließe ihn in einer völligen inneren Leere, die als endgültiger Stand gedacht peinvoller ist als aller Schmerz. Wer direkt auf Glück im Sinne der Wohlfahrt ausgeht, der muß alles Wagnis und Opfer möglichst fern von sich halten und fein säuberlich gebahnte Heeresstraßen wandern, wo doch die Erfahrung lehrt, daß der Weg zu hohen Zielen nur durch den Schmerz von Zweifel und Verneinung geht, und daß bedeutende Kraft nur das zu wecken vermochte, was nicht wegen des bloßen Glückes, sondern aus dem Zwange geistiger Selbsterhaltung angestrebt wurde, wie immer dabei das subjektive Befinden ausfallen mochte. Jenes allein vermag dem Handeln einen heroischen Charakter zu geben, während das bloße Glückverlangen es unvermeidlich einem Philistertum gröberer oder feinerer Art überliefert. So droht das Voranstellen der Sorge um die Bedingungen und Mittel des Lebens das Leben selbst schwer zu schädigen, ja tief herabzusetzen. -- Auch die Menschheit böte insofern kein hohes Ziel, als die Zusammenhänge der Sozialkultur ihr keine innere Einheit zu geben vermögen und sie statt eines zusammengehörigen Ganzen in ein bloßes Nebeneinander einzelner Elemente verwandeln; fast unvermeidlich wird damit der Durchschnitt zur Norm, und die Masse muß die Menschheit vertreten; so verstanden wird der Menschheitsgedanke auf den Einzelnen eher niederdrückend als erhöhend wirken, er bedroht ihn mit der Gefahr einer Verwischung der Unterschiede und einer abschleifenden Gleichmacherei. Aber angenommen, das Ziel der Sozialkultur bliebe unangefochten, wie will sie die Kräfte und die Gesinnungen zu seiner Erreichung finden? Sie hofft alles von einem Handeln für andere, einem »altruistischen« Handeln, und sieht nicht, daß ein solches Handeln eine bewegende Kraft nur erlangen kann, wenn der andere nicht bloß neben mir steht, sondern mit mir durch eine innere Einheit des Lebens verbunden, in mein geistiges Selbst aufgenommen wird. Aber ein derartiger Begriff muß der Sozialkultur als schlechthin unverständlich erscheinen und die Sache als unerreichbar; jene läßt den anderen neben mir stehen und verlangt doch, daß ich meine Kraft für ihn einsetzen soll. Nie aber kann ein Mensch oder ein Ding eine starke Bewegung erzeugen, solange es nicht ein Bestandteil meines eigenen Lebens wird. Eine solche Bewegung geht nur aus innerer Notwendigkeit, namentlich aus unerträglichen Widersprüchen des eigenen Lebens hervor; nur sofern der Mensch auf sich selber steht und für sich selber schafft, kann er etwas erreichen, das auch den anderen wertvoll ist; wer vornehmlich an die Wirkung bei anderen denkt, der hat damit auf das Erstgeburtsrecht des Schaffens verzichtet. -- In der Gesinnung aber setzt die Sozialkultur freundliche, wohlwollende, zahme Menschen voraus, Menschen, die kein radikales Böses kennen, nichts von wilden Leidenschaften und dunklen Abgründen der Seele wissen, denen alles Dämonische oder gar Diabolische, zugleich freilich auch alles Heroische, eine unverständliche Größe ist. Mußten wir schon früher bezweifeln, ob die Menschen so zahm, so gutartig sind, so hat der gegenwärtige Krieg solchen Zweifel wohl zu vollem Siege gebracht. Damit aber wird der Sozialkultur eine Hauptstütze entzogen, dem Bösen gegenüber hat sie keine Wehr. Bei solchen Bedenken verkennen wir keineswegs die Bedeutung edler Humanität und rastloser Hilfstätigkeit, die nach jener Richtung hin entfaltet wird, auch nicht den Wert des Strebens, alles Menschenbild zu heben und zur Selbsttätigkeit zu berufen; aber das geschieht nur unter Überschreitung der begrifflichen Schranken jener Lebensordnung, die Leistung geht hier, wie so oft, weit über die Lehre hinaus. Im besonderen erhält die Menschheit oft einen tieferen Sinn, als der eigene Boden der Sozialkultur begründet, sie wird, oft in Nachwirkung der älteren Lebensordnungen, ein hoher Idealbegriff, der echte Begeisterung erweckt. Solche Verschiebung der Begriffe macht dem Herzen der Bekenner alle Ehre, das Problem aber löst sie nicht. Diese Gefahren und Schranken mußten auch innerhalb der Menschenkultur zur Empfindung kommen und eine Gegenbewegung erzeugen. Das ergab die Bildung einer Individualkultur, welche sich ebenfalls ganz und gar auf den Boden der Erfahrung stellt und jede Abhängigkeit des menschlichen Daseins von weiteren Zusammenhängen ablehnt, welche aber innerhalb der Erfahrung einen völlig anderen Ausgangspunkt nimmt, nämlich das Fürsichsein, den seelischen Zustand des Individuums. Indem sie die Sozialkultur als eine Mechanisierung und Schablonisierung des Lebens bekämpft, stellt sie ihr ein Leben entgegen, welches vornehmlich das Individuum zu stärken, es unter Befreiung von aller Bindung ganz auf sich selbst zu stellen und zur vollen Ausprägung seiner Eigentümlichkeit zu bringen verspricht. Indem sie alle Lebensverhältnisse und alle Lebensgebiete zu Mitteln für die Entfaltung und den Selbstgenuß des Individuums macht und zugleich alles, was von der Vergangenheit zu uns wirkt, in lebendige Gegenwart verwandelt, ergibt sich viel Freiheit und Frische, ein überströmender Reichtum verschiedener Bildungen, entsteht ein leichtbeschwingtes, freischwebendes, frohgestimmtes Leben; es wird sich selbst um so mehr zu verstärken glauben, je mehr es das Unterscheidende pflegt und den Abstand von anderen hervorkehrt; die Freude, etwas Eigenes, Unabhängiges, Unvergleichliches zu sein, wird alles Tun durchdringen und heben; Hauptgehilfen dieses Lebens werden Kunst und Literatur, natürlich in einem besonderen Sinne verstanden. Zustimmung hat diesem Leben namentlich sein Widerspruch gegen den Massencharakter und die Gleichförmigkeit der Sozialkultur gebracht; daß es mit seiner Auflösung des Daseins in lauter Einzelpunkte und seinem Mangel alles Kernes unmöglich das Menschenleben ausfüllen und führen kann, das bedarf keiner näheren Darlegung. Nur das sei bemerkt, daß die Individualkultur im Kern ihrer Behauptung denselben Fehler begeht wie die Sozialkultur: wie diese aus der Menschheit unversehens etwas weit besseres macht als ihre Begriffe gestatten, so muß die Individualkultur das Individuum idealisieren, um es zum Hauptträger des Lebens machen und in ihm dessen Hauptzweck finden zu können. Sie denkt dies Individuum als groß und als Quell einer starken Bewegung, mit höchsten Problemen befaßt und eine Welt der Wahrheit und Schönheit in der eigenen Seele erbauend. Aber woher soll das alles innerhalb des gegebenen Daseins kommen, dem doch einmal das Individuum nur ein Glied einer weitschichtigen Verkettung bedeutet, nicht eine Stätte ursprünglichen Lebens, nicht den Durchbruchspunkt einer neuen Welt. Wie die Individualkultur das Individuum versteht, kann die ihm beigelegte Selbständigkeit nur eine erträumte und das daraus entstehende Leben nur ein eingebildetes sein. Schätzbare Anregungen im einzelnen und manche vollberechtigte Kritik seien dabei dieser Individualkultur bereitwillig zugestanden. So scheitert die bloße Menschenkultur in jeder der Richtungen, die sie einschlagen kann, und zwischen denen sie wählen muß; weder das Zusammenstreben noch das Auseinandergehen der Menschen gibt dem Leben einen Sinn und Wert und läßt die Seele ein Beisichselbstsein erreichen. Denn auch die Individualkultur gelangt nicht zu einem solchen, da sie die Seele in lauter einzelne Lagen und Stimmungen zersplittert, ohne ihnen eine Einheit des Wesens und eine Innenwelt entgegenzusetzen. Wenn die Ausführung beider Arten der Menschenkultur die Oberfläche überschreitet, so tut sie das in schroffem Widerspruch mit der Grundbehauptung des Ganzen. Das empfindet auch die Gegenwart immer stärker, schon vor dem Kriege war vielfach das Bloßmenschliche als viel zu klein erkannt und mit dem Überdruß an seinem selbstgefälligen Gebaren eine tiefe Sehnsucht nach Durchbrechung seiner Schranken und nach Erringung eines weiteren, reineren, wahreren Leben erwacht. Augenscheinlich wurde, daß die Ablösung des Menschen von der großen Welt und die Bildung eines Sonderkreises ihn einer Enge und Kleinheit überliefert, die er selbst auf die Dauer nicht aushält, die ihm die Tiefe seines eigenen Wesens verschließt. So hörten wir viel von Übermenschlichem und von Übermenschen reden. Aber alle echte und innige Sehnsucht, die aus solchem Streben spricht, führt über ein ungestümes Wogen und Wallen der Seele nicht hinaus, wenn dieses Übermenschliche innerhalb der Welt der Erfahrung gesucht wird. Denn viel zu streng binden hier den Menschen Natur und Schicksal, und zwar mehr noch von innen als von außen, als daß ein kühner Aufschwung ihn davon befreien und ein neues Leben schaffen könnte. Es muß das Menschenwesen überhaupt einer inneren Umwandlung und Erhöhung fähig sein, wenn der Einzelne wesentlich mehr aus sich machen soll; sonst ist alles Mühen verloren. Der Krieg hat uns diese Wahrheit noch stärker eingeprägt, er stellt uns die Unzulänglichkeit des bloßen Menschen und damit aller bloßen Menschenkultur so deutlich vor Augen, daß nur eine flache Denkweise sich folgendem Dilemma entziehen kann: entweder steht das Menschenleben in tieferen Zusammenhängen und schöpft aus ihnen neue Ziele und Kräfte, welche die bloße Wohlfahrt des Menschen überschreiten, oder das ganze menschliche Sein ist eine, freilich unbegreifliche, Verirrung des Weltlaufs, und alles Streben nach einem Sinn und Wert unseres Lebens ist zu sicherem Scheitern verdammt. Es wäre ein großer Gewinn unserer harten Zeit, wenn sie uns dieses Entweder -- Oder klar durchschauen ließe und damit allen verwirrenden und verflachenden Mittelgebilden ein dauerndes Ende bereitete. Erwägungen und Vorbereitungen. Wir sahen, daß es der Gegenwart an Bestrebungen nach kräftiger Zusammenfassung des Lebens keineswegs fehlt, auch daß diese Bestrebungen in Vorhaltung beherrschender Ziele den Lebensstand schärfer beleuchtet und das Handeln vielfach aufgerüttelt haben. Aber wir sahen auch, daß keine dieser Bestrebungen sich zu sicherer Herrschaft über die anderen hinaushebt, daß sie nicht nur weit auseinandergehen, sondern einander schroff widersprechen und das Leben unter widerstreitende Antriebe stellen. Besonders gilt das von dem Gegensatz der älteren und der neueren Denkart, der Versuch einer Ausgleichung verbietet sich bei ihm ganz und gar. Hatte die ältere Denkart, namentlich die religiöse, alle Hingebung an die sichtbare Welt als einen Raub an einer höheren Ordnung und als ein Sinken des Lebens von unerläßlicher Höhe behandelt, so besteht die neuere um so mehr auf einer vollen Selbständigkeit, ja Ausschließlichkeit dieser Welt, so gilt ihr alle Befassung mit übersinnlichen Dingen als eine Verirrung des Strebens und eine Vergeudung der Kraft; des einen Gott ist dem anderen zum Abgott geworden. Da ein so harter Widerspruch ein freundliches Sichvertragen unbedingt ausschließt, so müßte eine der Antworten die Oberhand gewinnen; auch das aber zeigte sich als unmöglich. Die Lebensordnungen, die auf dem Boden der älteren Denkart stehen, wie Religion und weltlicher Idealismus, entbehren in der Kulturarbeit der Gegenwart einer sicheren Begründung und festen Stellung, die modernen Denkweisen aber entsprechen viel zu wenig den durch die Gesamtgeschichte der Menschheit eröffneten Tiefen des Lebens, um einen Abschluß bieten zu können; so finden wir das Alte erschüttert, auch vielfach in einer für uns zu engen Gestalt, das Neue aber verbleibt in einer Fläche, über die wir notwendig hinausgehen müssen. Dazu spalten sich die Hauptströme wieder in verschiedene Äste mit weit auseinandergehender Richtung. Auf dem Boden der unsichtbaren Welt sieht die Religion am Menschen die Schwäche, der weltliche Idealismus die Stärke; jene spaltet die Wirklichkeit, diese verlangt ihre Einheit. Innerhalb der modernen Daseinskultur aber ziehen die Versuche einer Einfügung des Menschen in die Natur und einer Ausbildung seines besonderen Kreises nach verschiedener Richtung, jene wird dieser leicht zu kalt und seelenlos, diese jener zu eng und dumpf. Und die Unversöhnlichkeit von Sozial- und Individualkultur trat mit voller Klarheit vor Augen. Indem alles dies nicht nur Verschiedenartige, sondern Entgegengesetzte auf uns eindringt, und dabei gerade das Streben nach Einheit die Geister auseinanderführt und ihre Zerwerfung steigert, entsteht eine geistige Anarchie, deren buntes Durcheinander den Augenblick ergötzen mag, die aber für die Dauer zur Zerstörung wirken muß. Denn sie macht alles ungewiß, was bisher als sicherer Besitz galt, und läßt Zweifel und Streit an den tiefsten Wurzeln des Lebens nagen. Die Neuzeit stritt zuerst über die nähere Fassung und Begründung der Religion, schließlich wird ihr das Ganze der Religion zur Frage; vor den Verwicklungen der Metaphysik fliehen wir in das Gebiet der praktischen Vernunft und suchen in der Moral eine unangreifbare Wahrheit, bald aber wird auch diese zunächst in ihrer überkommenen Fassung, dann aber auch im Grundgedanken angegriffen und erschüttert. Gegenüber solchem Unsicherwerden ganzer Lebensgebiete schien wenigstens der Mensch als Ganzes, als lebendige Persönlichkeit, zu bleiben und einen gewissen Halt zu gewähren, aber auch hier zeigt ein genaueres Zusehen bald, daß der Streit sich auch auf jenen vermeintlich sicheren Träger erstreckt, und daß im Begriff der Persönlichkeit ganz verschiedene, ja entgegengesetzte Fassungen durcheinanderlaufen; eben das, was dem einen an ihr groß erscheint, das erklärt der andere für verwerflich. Die Ausdehnung und die Tiefe der Erschütterung entgeht uns leicht, weil der Einzelne sie zunächst nur im Gebiet seiner eigenen Arbeit empfindet und annimmt, daß es draußen besser steht. Ein Überblick des Ganzen zeigt aber bald, daß die Unsicherheit eine durchgängige ist, und daß keinerlei gemeinsames Lebensideal die heutige Menschheit verbindet. Alles miteinander ergibt eine geistige Krise, wie sie so gewaltig in der ganzen Vergangenheit nicht war, denn auch die größten Umwälzungen früherer Zeiten beließen eine gewisse Gemeinsamkeit des geistigen Lebensraumes, sie veränderten mehr die Wege als die letzten Ziele selber. Heute gibt es in prinzipiellen Fragen keinen einzigen Punkt, auf den wir uns aus der Verwirrung als auf ein gemeinsames Bekenntnis zurückziehen könnten. Eine derartige Auflösung versetzt eine hochentwickelte Kultur in eine höchst peinliche Lage. Zahlreiche Kräfte sind da und fordern Beschäftigung, eine genügende Bindung aber und eine sichere Zielrichtung fehlt; so suchen sie tastend umher und erzeugen statt echten Lebens mehr ein bloßes Lebenwollen, ein Sehnen und Haschen nach Leben. Das ist ein Stand, wo eine freischwebende Reflexion die Stelle geistigen Schaffens erschleicht, wo eine flache Klugheit eine ungebührliche Macht erlangt, eine große Gewandtheit oft mit innerer Leere zusammengeht, wo wir alles sagen können, was wir sagen wollen, wo wir nur nichts Rechtes zu sagen haben. Ein solches Leben entbehrt wie eines gehaltvollen Kernes, so auch eines festen Haltes und eines sicheren Maßes, es läßt den Menschen wehrlos gegen all den Wirbel von Eindrücken und Anregungen, der unaufhörlich auf ihn eindringt, zugleich macht es ihn unfähig, Wesenhaftes und Wesenloses, Wahres und Scheinbares, Bedeutendes und Unbedeutendes im Bestande der Zeit auseinanderzuhalten, alles fließt ihm durcheinander, und der Wechsel der Strömungen der Zeitoberfläche wirft ihn bald hierher, bald dahin, läßt ihm aber dabei den Schein, als ob er selber denke. Dazu die Zersplitterung der Menschheit, die ein solches Auseinandergehen des Lebens erzeugt. Indem die Individuen nach der Besonderheit ihrer Art, ihrer Lage, ihrem Beruf an verschiedenen Punkten Stellung nehmen und verschiedene Richtungen wählen, entsteht eine Sonderung in Sekten und Parteien, es droht ein Behandeln aller Probleme vom Standpunkt der Partei, ein Verschwinden innerer Gemeinschaft, die Gefahr einer seelischen Vereinsamung inmitten aller Fülle äußerer Berührung. Unsere Welten spalten sich immer mehr, bis schließlich jeder nur in seiner Privatwelt lebt. Eine solche innere Vereinsamung erträgt die Menschheit nicht auf die Dauer. Zugleich muß auch der Stand des geistigen Schaffens sinken. Und mit dem Schaffen sinkt auch der Glaube, sein Zwillingsbruder. Vollauf verständlich wird von hier aus, wie unsere Zeit, im Durchschnitt des Kulturbürgertums betrachtet, sich als eine Zeit des Unglaubens, des Mäkelns und Verkleinerns darstellt, des Unglaubens nicht an bloße Dogmen, sondern an das Leben selbst und an sein Vermögen zur inneren Erhöhung und Erneuerung. Was daraus an Stockung und Hemmung hervorgeht, das wiegen alle äußeren Erfolge nicht auf. Eine derartige Lage mag so lange keinen tiefen Schmerz bereiten und keine Gegenbewegung erzeugen, solange der Einzelne sie nur wie ein draußen vorgehendes Schauspiel betrachtet; sie muß unerträglich werden, sobald sie zur eigenen Erfahrung, zum eigenen Erlebnis wird. Daß sie das aber wird, dahin wirkt der gegenwärtige Weltkrieg mit elementarer Gewalt; um den ungeheuren Aufgaben und Schicksalen nicht zu erliegen, die er uns bringt, bedarf der Mensch eines festen Haltes und eines sicheren Zieles; eine Kultur, die ihm das nicht bietet, droht zum bloßen Schein zu werden, zu einem Kulturersatz, wie man das mit einer heutigen Wendung sagen könnte. * * * * * Aber so schwer wir das alles nehmen, vergessen sei nicht, daß keineswegs unser ganzes Leben in die geschilderten Gegensätze aufgeht, daß vielmehr manches in ihm von der Verwicklung unberührt bleibt. Denken wir nur an das kräftige nationale Leben der Gegenwart, an die moderne Wissenschaft, an die moderne Technik! Unsere Zeit ist grundverschieden vom ausgehenden Altertum, dem es zu Unrecht oft gleichgestellt wird; denn während damals eine greisenhafte Ermattung durch die Gemüter ging und außer der Religion sich alle Lebensgebiete in trauriger Stockung befanden, sehen wir heute die regste Tätigkeit, ein gewaltiges Vordringen an manchen Stellen, ein Erwachen immer neuer Probleme. Darin freilich liegt die Schranke, daß die Bewegung mehr auf die einzelnen Gebiete als auf das Ganze des Menschen geht, daß die Expansion die Konzentration weit überwiegt, daß die verschiedenen Antriebe und Ansätze sich nicht zueinander finden. Hier ist ein schweres Problem, ja ein gefährlicher Notstand unverkennbar; aber diese Begrenzung der Frage ist doch eine entschiedene Abweisung eines völligen Pessimismus. Auch das wollen wir ja nicht übersehen, daß die Bildung so verschiedener Lebensströme nicht nur eine Schwäche, sondern auch eine Stärke der Gegenwart bedeutet. Zeigt dieser Reichtum von Bildungen doch, daß wir den verschiedenen Anregungen eine große Offenheit entgegenbringen und die Lebensfragen mit besonderer Energie ergreifen; so kommt vieles erst jetzt zur deutlichen Aussprache, was früher verborgen blieb oder doch abgeschwächt wurde. Die Gegensätze, unter denen wir jetzt leiden, sind wahrlich nicht von gestern und heute, jede genauere Betrachtung entdeckt sie auch in früheren Zeiten. Aber zu unversöhnlichen Widersprüchen sind sie erst uns gewachsen, die wir, schon weil wir geschichtlich denken und die Zeiten miteinander vergleichen, das Eigentümliche und Unterschiedliche der Lebensgestaltungen schärfer sehen, zugleich aber aus einem stärkeren Einheitsverlangen uns nicht wie das Mittelalter mit einem bloßen Nebeneinander und einer geschickten Abstufung der verschiedenen Gestalten begnügen können. So ist nicht sowohl unser Vermögen kleiner als die Aufgabe größer geworden; die Aufgabe aber hat nicht menschlicher Eigensinn ersonnen, es legt sie uns eine weltgeschichtliche Notwendigkeit auf. Sie ist uns zunächst ein Geschick, aber ein Geschick, das wir in Freiheit verwandeln und zugleich zu einer inneren Erhöhung unseres Lebens wenden können. Endlich sei auch das erwogen, daß, wenn ein letzter, allumfassender Abschluß überall auf unüberwindlichen Widerspruch stieß, dieser Widerspruch selbst auch ein positives Verlangen zu erkennen gab und dem Streben damit eine gewisse Richtung wies. Die Religion scheint uns nicht fest genug begründet, nicht weil die ganze Zeit von Zweifelsucht befallen ist, sondern weil wir höhere Ansprüche an den Erweis ihrer Wahrheit stellen, sie nach dem Stande des Geisteslebens notwendig stellen müssen. Ihre Gestaltung erscheint uns als zu eng, nicht weil uns der Sinn für charaktervolle Geschlossenheit verloren ging, sondern weil unser Leben durch Erfahrung und Wandlung hindurch eine größere Weite gewonnen hat, und die Religion ohne schwere eigene Schädigung sich dieser Erweiterung nicht entziehen darf. Auch der weltliche Idealismus scheint uns nur deshalb nicht sicher genug begründet und nicht voll unser Wesen durchdringend, weil neue Erfahrungen neue Forderungen in dieser Richtung zu stellen zwangen. Daß der Naturalismus unsere Seele nicht befriedigt, und daß uns die Ziele der Menschenkultur in ihren beiden Hauptformen als unzulänglich gelten, das bekundet ein Verlangen nach einem Beisichselbstsein des Lebens und ein Hinausstreben über alles selbstsatte Menschentum. So steht durchgängig hinter der Verneinung eine Bejahung, es gilt nur die verschiedenen Bejahungen aus der Unbestimmtheit und Verworrenheit herauszuarbeiten und zueinander in Beziehung zu setzen. Gewisse Punkte sind damit festgelegt, gewisse Aufgaben uns gewiesen. So zweifellos sich daher die Gegenwart als höchst unfertig und voller Verwicklung darstellt, sie bringt an uns große Ziele und ruft unsere Kraft zu höchster Anspannung auf. Hüten wir uns also, von dieser Zeit wegen jener offenen Fragen gering zu denken! Keine Zeit hat die Möglichkeiten des Lebens in solcher Fülle ergriffen und mit solchem Eifer behandelt, keine die Probleme in solchem Umfang aufgenommen und so sehr aus Selbsttätigkeit wie aus eigener Erfahrung zu lösen versucht. Freilich sind die Probleme einstweilen größer als unser Vermögen zur Lösung, aber dies Vermögen ist nicht an eine starre Grenze gebunden; warum sollte es nicht so gut wie auf den besonderen Gebieten auch bei diesen zentralen Fragen einer Steigerung fähig sein und uns der Aufgabe mehr und mehr gewachsen machen? Stellen wir uns also zur gegenwärtigen Lage aktiv, verlieren wir nicht den Mut, und vertrauen wir darauf, daß in dem Streben über sie hinaus nicht der Mensch zum gegebenen Lebensstande aus eigener Klugheit etwas hinzuersinnt, sondern daß das Ganze des Lebens selbst in einem Streben zu neuem Aufstieg begriffen ist, wir aber im Dienste dieses Aufstiegs unserem eigenen Streben einen Gehalt, ja eine Größe zu geben vermögen. * * * * * Für die Denkarbeit gilt es vor allem die Richtung des Weges zu finden, der uns über die gegenwärtige Verwicklung hinausführen kann; es handelt sich für sie zunächst darum, welches Ziel dem Streben vorschweben muß, sodann darum, welche Wege zu diesem Ziele offenstehen. Was das erste betrifft, so bedürfen wir zweifellos einer Tatsächlichkeit allumfassender Art, näher einer Gesamttat, welche über die geschilderten Gegensätze hinauszuheben und ein Auseinanderfallen des Lebens zu verhüten vermag. Ohne das gibt es keine Einheit und auch keine Festigkeit. Aber zugleich gilt es klarzumachen, wie mit der überlegenen Einheit einer solchen Gesamttat die Verschiedenheit der Lebensbahnen vereinbar ist, die wir vorhanden sahen. Es muß in der Art, wie wir Menschen zu jener Gesamttat stehen, angelegt sein, daß wir sie nur von verschiedenen Seiten her erfassen können, daß daher, was als Einheit zugrunde liegen muß, zugleich ein hohes Ziel und eine schwere Aufgabe bildet. Der Boden aber, von dem aus nach jener Gesamttat zu streben ist, kann kein anderer sein als das Leben selbst, nicht irgendwelches draußen befindliche Datum, das Leben im Ganzen betrachtet, nicht in einzelnen Betätigungen, auch nicht als bloßes Denken. Wenn irgendwie, so muß sich von jenem aus ein Weg zum Ziel finden lassen. Denn das Leben ist das Erste und Ursprünglichste, das, worauf alles zurückkommt, und innerhalb dessen alles vorgeht; das, was niemand leugnen kann, da das Leugnen selbst einen Erweis des Lebens bilden würde. Wenn also jene Gesamttat, von der wir einen Zusammenhang des Lebens hoffen, überhaupt erreichbar ist, so muß sie nicht nur vom Leben aus, sondern innerhalb des Lebens erreichbar sein. Sehen wir also, ob eine Durchmusterung seiner in Wahrheit etwas derartiges aufdeckt. Finden können wir jenes aber nur, wenn wir das Leben nicht wie etwas Fremdes betrachten, das wie ein Naturprozeß nur an uns vorgeht, sondern wenn wir uns in seine eigene Bewegung versetzen, es als eigenes ergreifen, es selbst zu erleben suchen. Es gilt, den Tatbestand, der hier in Frage steht, das Zusammengehen des Lebens in eine umfassende und überlegene Gesamttat, in uns selbst zu erwecken und bei uns zu entwickeln, nur eine Kräftigung und Vertiefung des eigenen Lebens kann uns das Ganze naherücken. So muß das Streben selbst eine Lebensbewegung in sich tragen; ohne den Mut und die Kraft zu geistiger Selbsterhöhung und zur Bezwingung der Widerstände kommen wir hier nicht weiter. Einem solchen Emporklimmen aber wird alles eine Bereitschaft entgegenbringen, was in der Menschheit nicht greisenhaft, sondern jugendlich fühlt; Jugend aber mißt sich bei diesen Dingen nicht nach der Zahl der Jahre. Versuch eines Aufbaus. Die Eröffnung eines neuen Lebens. Der Aufstieg zur Hauptthese. Um eine neue Höhe zu erklimmen, gilt es zunächst den Ausgangspunkt richtig zu wählen; es kann dieser aber für unser Werk kein anderer sein als das Leben selbst, das Leben zunächst dem bloßen Umrisse nach mit Vorbehalt aller näheren Bestimmung. Denn was immer uns an Tatsachen oder an Tätigkeiten begegnet, das setzt das Leben voraus und liegt innerhalb seines Bereiches; auch seine Beschaffenheit hängt wesentlich an dem, was sich beim Ganzen des Lebens herausstellt. Wenn demnach von diesem Ganzen zu beginnen ist, so wird die erste Frage dahin gehen, ob es einfacher Art ist, oder ob es verschiedene Arten und Stufen in sich trägt. Nun bildet den ersten Angriffspunkt zur Beantwortung dieser Frage die Tatsache, daß das Gefüge der uns umgebenden Natur sich mit seinen Kräften und Gesetzen weit auch in das seelische Gebiet erstreckt; unverkennbar bilden wir auch innerlich weithin ein Stück der Natur. Denn wie in der Natur so treffen auch in einer gewissen Fläche des Seelenlebens lauter einzelne Elemente zusammen, bilden kleinere oder größere Verkettungen und Zusammenhänge, die sich aller bewußten Einwirkung entziehen; der gesamte Komplex aber ist in einer Selbstbehauptung gegenüber der Umgebung begriffen, die unablässig auf ihn eindringt, aller Antrieb kommt hier von draußen, und nach draußen hin geht alles Streben; so wird das Leben ein Austausch von Wirkung und Gegenwirkung, es ist, was es ist, nicht für sich, sondern nur zusammen mit anderem und in der Beziehung auf anderes. Ein derartiges Geschehen bildet ein großes Stück unseres menschlichen Lebens, ein weit größeres, als unser Bewußtsein ihm zuzuerkennen pflegt. Aber zugleich ist darauf zu bestehen, daß unser Leben sich nicht in diese Art erschöpft, daß es mit kräftigen Bewegungen ihren Rahmen durchbricht, und daß diese Bewegungen sich zum Ganzen einer neuen Art verbinden, die eine Selbständigkeit gegenüber der bloßen Natur erweist. Sehen wir, wie sich das näher ausnimmt. Wie auf der Naturstufe alles Leben aus den gegenseitigen Berührungen einzelner Punkte hervorgeht und zwischen diesen verläuft, so ist es gebundener und damit sinnlicher Art, es trägt durch und durch ein sinnliches Gepräge; diese sinnliche Art kann verblassen und übersehen werden, nie aber kann sie völlig verschwinden; soweit das Naturgeschehen reicht, kann sich nichts von ihr befreien und ihr selbständig entgegentreten. Nun aber erscheint beim Menschen eine derartige Befreiung, und zwar nicht nur in vereinzelten Zügen, sondern in einer Gesamtentfaltung des Lebens, in der Entfaltung nämlich, die vom Denken getragen wird. Denn in diesem erscheint eine Kraft der Selbsttätigkeit und der Selbständigkeit, mit ihrer Hilfe vermag der Mensch die Bindung an die Umgebung zu zerreißen, dieser gebieterisch entgegenzutreten und seine Macht an ihr zu erweisen; ein auf Denken gestelltes Leben bringt eigene Forderungen an die Dinge und zwingt sie, sich ihnen zu fügen. Solche Selbständigkeit kann aber das Denken nicht erweisen, ohne mit einer überlegenen Einheit die einzelnen Vorgänge zu umspannen und sie miteinander zu verbinden, das aber nicht nach ihrer sinnlichen Nähe, sondern nach einer sachlichen Zusammengehörigkeit, die vom bloßsinnlichen Dasein aus völlig rätselhaft scheinen muß. Ein Gesamtentwurf geht hier voran und wirkt im Fortschreiten vom Ganzen zum Einzelnen zur Gliederung und Abstufung des gesamten Bereiches; gegenüber der bloßen Anhäufung der sinnlichen Elemente erscheint ein von Gedanken beherrschtes Ganzes, ein System, das jenes Ganze den einzelnen Stellen gegenwärtig hält und sie dadurch erhöht. Hand in Hand damit vollzieht das Denken eine Ablösung des Gegenstandes vom menschlichen Befinden und die Zuerkennung einer eigenen Art und eines eigenen Rechtes an ihn; das besagt eine durchgreifende Scheidung, die Nebel des ersten Anblicks weichen, klar erhebt sich vor uns die Welt. Aber die Scheidung bildet nicht den letzten Abschluß, der Mensch hört nicht auf, kraft seines Denkens sich mit dem zeitweilig ferngerückten Gegenstand zu befassen und ihn möglichst zu sich zurückzuziehen; indem das gelingt, erfolgt eine innere Erweiterung des Lebens, und es entsteht ein selbständiger Lebenskreis; diese Bewegung treibt schließlich zum Gedanken eines bei sich selbst befindlichen Zusammenhanges, einer allumfassenden Wirklichkeit. Eine solche wird nicht von draußen dargeboten, sie kann nur von innen her entspringen. Im Zusammenwirken alles dessen erwächst mehr und mehr gegenüber dem sinnlichen Dasein eine vom Gedanken getragene, eine unsinnliche Welt; die Menschengeschichte erweist durch ihren Gesamtverlauf ein unablässiges Vordringen dieser gegen jenes, eine fortgehende Verschiebung vom Sinnlichen ins Unsinnliche, damit aber eine Erhebung des Menschen über die Stufe der bloßen Natur. Mehr und mehr verlegt sich nämlich das Leben in Gedankengrößen und wird seine Bewegung ein Kampf dieser Größen. Wie ein vordringendes Leben das Sinnliche zu bloßen Mitteln und Werkzeugen seines Strebens macht, das zeigt besonders greifbar die Sprache, nicht minder aber das Recht und die Religion, auch das Weltbild der Wissenschaft hebt sich immer deutlicher von dem des naiven Menschen ab und läßt uns damit in zwei Welten leben. In allen diesen Stücken hat die Neuzeit einen tüchtigen Ruck vorwärts gemacht, denn wo hat je das Leben so sehr wie hier seinen Hauptantrieb und seine Hauptkraft aus der Bewegung von Ideen und Prinzipien gezogen? So dürfen wir wohl von einer Umkehrung des Lebens reden, die sich in der Gesamtgeschichte bei uns vollzieht; was ein bloßer Anhang war, das macht sich als die Hauptsache geltend, und was zunächst die ganze Welt bedeutete, das wird mehr und mehr zu einer bloßen Umgebung. Die Folgen solcher Wandlung erstrecken sich aber in alle Verzweigung des seelischen Lebens hinein und ergeben durchgängig mehr Selbständigkeit, mehr Wirken aus dem Ganzen, mehr Erhebung über die bloße Zuständlichkeit durch Ausbildung eines Reiches der Gegenstände. Aus solchem Selbständigwerden des Lebens baut das Erkennen ein Reich der Begriffe gegenüber dem sinnlichen Eindruck auf, vermag aber auch das Fühlen sich dem sinnlichen Reiz zu entwinden und Freude und Schmerz aus unsinnlichen Größen zu schöpfen. Wie weit hat sich oft das, was die Menschen als höchstes Gut erstrebten, vom sinnlichen Wohlsein entfernt, wie oft geriet es mit diesem in schroffen Widerspruch! Ohne die Kraft, diesen zu ertragen, hätte es schwerlich Helden und Märtyrer gegeben. Das menschliche Wollen zeigt eine verwandte Bewegungsrichtung, indem es sich dem dunklen Zwange des Naturtriebs zu entwinden, eine eigene Entscheidung zu treffen, eine eigene Bahn zu verfolgen vermag. Was dabei an inneren Kämpfen entsteht, das ist grundverschieden von allem Zusammenstoß nach draußen hin. -- Solches Selbständigwerden des Inneren wird begleitet von einer Erhebung aller Lebensbewegung über das bloße Nebeneinander einzelner Punkte. So im System der Wissenschaft mit seiner Bewegung vom Ganzen zum Einzelnen, seiner Durchgliederung des ganzen Bereiches; so im Verlangen eines Gesamtstandes des Wohlseins, der auf die Schätzung der Einzelerlebnisse zurückwirkt und wohl gar Freude in Schmerz, Schmerz in Freude verwandeln kann; so auch in der Unterordnung aller einzelnen Bestrebungen unter ein beherrschendes Gesamtziel und ihre Bemessung nach der Leistung dafür. In Wahrheit haben auf religiösem, politischem, sozialem Gebiet nur solche Bewegungen die Hingebung und die Kraft des ganzen Menschen gewonnen, welche ihm einen neuen Gesamtstand verhießen; daß alle Verbesserungen im Einzelnen dagegen nicht aufkommen können, das haben die Mittelparteien oft zu ihrem Schaden erfahren. -- Endlich zeigt alle Verzweigung des Lebens eine Bewegung zur Scheidung und Wiederverbindung, darin aber eine Überwindung der anfänglichen Verworrenheit und eine Bildung eigener Lebenskreise; so tut es die Wissenschaft mit ihrer Scheidung von Subjekt und Objekt und ihrem Erstreben einer gegenständlichen Wahrheit; so konnte das Gefühl Liebe und Mitleid von der Enge des bloßen Punktes befreien und sie die innerste Seele großer Weltreligionen werden lassen, so konnte es in anderer Richtung reine Freude aus dem Recht und dem Fortgang der Sache schöpfen; das Streben nach dem höchsten Gut aber fand die Befriedigung des bloßen Subjekts viel zu klein, es wollte ein Weiterkommen im eigenen Bestande, es wollte nicht dem Menschen, wie er sich unmittelbar darstellt, genügen, es wollte mehr aus dem Menschen machen, ihm ein neues Selbst bereiten. In allen diesen Bewegungen erscheint unverkennbar der Aufstieg eines neuen Lebens. Denn wir brauchen nur, was im Einzelnen leicht als selbstverständlich hingenommen wird, ins Ganze zu fassen, um eine durchgreifende Wendung in ihm zu entdecken, die auch auf das Weltbild wirken muß. Wenn das Denken nicht bloß eine vorgefundene Welt so oder so zurechtlegt, sondern das Gefäß eines selbständigen Lebens wird, beginnt damit nicht eine neue Ordnung? Eine Innerlichkeit entsteht, die mit aller sinnlichen Gebundenheit bricht und sich auf sich selber stellt; verkündet das nicht eine andere Welt? Und ist das geschilderte Leben aus dem Ganzen, ist ferner das Sichselbersuchen des Lebens durch ein Auseinandertreten und Wiederzusammengehen hindurch nicht ein Zeugnis für einen von Grund aus neuen Aufbau? Daß diese Bewegung wie aller bloßen Natur so auch aller menschlichen Willkür weit überlegen ist, das erhellt besonders deutlich aus dem Erscheinen neuer Lebensformen, das damit verbunden ist. Solche Lebensformen erscheinen namentlich in der Arbeit und im geistigen Schaffen. Beide wollen uns den Gegenstand näher bringen und durch ihn gewinnen lassen, aber die Arbeit behandelt jenen als uns gegenüberliegend, während das Schaffen ihn in das eigene Leben hineinzieht und von hier aus zu entwickeln sucht; so bleibt das Verhältnis dort ein äußeres, während es sich beim Schaffen ins Innere zu wenden sucht. Bei der Arbeit ein Messen der menschlichen Kraft mit der gegenständlichen Welt, eine intellektuelle, technische, praktische Unterwerfung dieser, damit nicht nur eine unermeßliche Erweiterung, sondern auch eine Befestigung des Lebens, der Gewinn eines Weltbewußtseins. Aber bei aller Größe behält die Arbeit eine Schranke, über die es hinaus zum Schaffen drängt. Denn wie jene die Sache nur als ein Gegenüber behandelt, so vermag sie nicht sie innerlich an sich zu ziehen, so setzt sie nicht sowohl das Ganze der Seele als einzelne Kräfte in Bewegung und fördert mehr diese als jene; das der Stufe der Arbeit angehörige Forschen führt noch nicht zu einem Gehalt der Dinge, und alles praktische und soziale Wirken zur Hebung der menschlichen Lage mag noch so sehr die Kräfte verketten, es verbindet damit keineswegs schon die Seelen und schützt sie nicht durch eine gemeinsame Innenwelt vor schmerzlicher Vereinsamung. Mag daher diese Stufe der Arbeit den Hauptschauplatz unseres Wirkens bilden, sie bringt nicht unser Streben zum Abschluß; es kann trotz aller Gefahr einer Irrung und Verirrung nicht umhin, auch eine innere Überwindung des Gegensatzes von Kraft und Gegenstand, von Mensch und Welt zu fordern; eine solche aber kann nur einem Schaffen gelingen, das jenen Gegensatz von innen her umspannt und aus einem überlegenen Wirken seine beiden Seiten belebt und erhöht. Daß solche Forderung kein müßiger Einfall ist, das zeigt die Tatsache der Kunst mit ihrer Überwindung des Gegensatzes von Subjekt und Objekt im Schaffen und Schauen, das zeigt aber auch echte Liebe mit der Bildung eines inneren Zusammenhanges, der aus seinen Gliedern weit mehr macht, als sie in der Vereinzelung sind. Wie weit das menschliche Leben diese Stufe zu erklimmen vermag, das ist eine Frage für sich, aber schon das Verlangen danach bekundet den Aufstieg zu einer neuen Höhe; nur in Erfüllung dieses Verlangens ist entstanden, was in Religion, Philosophie und Kunst dem menschlichen Zusammensein eine Seele gab und von bloßer Zivilisation eine Geisteskultur abhob. Alle Aussicht auf diese Höhe versperren, das heißt auf ein tieferes Verständnis des menschlichen Strebens verzichten; ja es wird sich wohl zeigen, daß, was hier als die äußerste Höhe erscheint, schon von Anfang an gewirkt haben muß, um eine Bewegung über die bloße Natur hinaus überhaupt hervorzubringen; auch der Arbeit muß es schon als Antrieb und Hoffnung gegenwärtig sein. Wie haben wir diese Bewegung zu einem neuen Leben zu verstehen, wie ihren Ursprung zu erklären? Ausgeschlossen ist durch alle bisherige Betrachtung eine Ableitung von der bloßen Natur her; es kann das nur unternehmen, wer über den natürlichen Bedingungen auch alles Höheren den ihm eigentümlichen Gehalt vergißt, der doch schließlich die Hauptsache bildet. Aber Bedingungen für schaffende Gründe auszugeben, das ist ja leider ein Fehler, den die heutige Forschung oft begeht. Scheidet für uns die Natur hier aus, so bleibt als Erzeuger des neuen Lebens in unserem Erfahrungskreise nur der Mensch. Aber beim Menschen, wie er leibt und lebt, ist das neue Leben viel zu matt und schwach, um sich gegen die alte Art durchzusetzen; auch ist es hier mit dieser viel zu sehr vermengt und an sie gebunden, um sich in ein Ganzes zusammenzuschließen und sich zu reiner Gestalt auszuprägen. Dazu würde das neue Leben als Erzeugnis des bloßen Menschen zugleich ein Werk des einzelnen Menschen sein; die unbegrenzte Mannigfaltigkeit der individuellen Sorgen und Geschicke würde es dann aber gänzlich auseinanderfallen lassen, ohne daß sich die mindeste Möglichkeit böte, solcher Auflösung entgegenzuwirken. So blieben wir im Widerspruch stecken und müßten allen Antrieb zum Weiterstreben verlieren, wenn nicht noch eine andere Möglichkeit und damit ein Ausweg bestünde. Diese Möglichkeit aber kann keine andere sein als die, daß das neue Leben nicht von uns Menschen erzeugt, sondern uns mitgeteilt wird, daß es in uns erscheint und zwar als Eröffnung einer neuen Stufe, die wir nicht von uns aus bereiten, die wir nur aufzunehmen und weiterzuführen haben. Einen solchen übermenschlichen Ursprung verrät schon der weite Abstand, ja schroffe Gegensatz der Grundformen des neuen Lebens, wie sie uns namentlich Arbeit und Schaffen zeigten, und der Beschaffenheit des menschlichen Daseins. Dieses bietet ein bloßes Nebeneinander und Durcheinander; Arbeit und Schaffen verlangen einen inneren Zusammenhang und ein gemeinsames Reich der Wahrheit, nur ein solches macht es verständlich, daß sie jede Behauptung und Leistung als allgemeingültig geben. Der natürliche Mensch ist in seinen Zustand eingeschlossen und berührt den Gegenstand nur von außen; Arbeit und Schaffen überwinden die Kluft und stellen einen Zusammenhang her, die Arbeit mehr von außen, das Schaffen rein von innen. Der Mensch steht in der Zeit und unterliegt einem ständigen Wechsel, sein Leben ist ein Dahingleiten von Augenblick zu Augenblick; Arbeit und Schaffen fordern für ihre Erzeugnisse eine Überlegenheit gegen die Zeit, ein Beharren gegenüber allem Wechsel. Der natürliche Mensch mißt den Wert der Dinge nach der Wirkung auf sein Befinden, Arbeit und Schaffen geben den Dingen selbst einen Wert und lassen diesen Wert uns unmittelbar bewegen; so nur kann sich ein Gutes und Schönes von dem Angenehmen und Nützlichen scheiden. Kurz, wir gewahren bis in die Grundformen hinein im neuen Leben eine Bewegung zu einer neuen Welt; eine derartige Bewegung kann nicht von den bloßen Punkten, sie kann nur von einer Welt selbst aufgebracht sein. Wir haben daher in dem neuen Leben eine neue Stufe des Weltlebens anzuerkennen, worin es nicht mehr in die Beziehungen einzelner Elemente sowie in die Selbsterhaltung von Punkten gegen Punkte aufgeht, sondern wo es sich in ein Ganzes zusammenfaßt und in der Entfaltung dieses Ganzen neue Ziele gewinnt. Damit vollzieht sich im Seelenleben eine durchgreifende Veränderung. Auf der Naturstufe tierischen Lebens steht alle seelische Leistung im Dienst der natürlichen Selbsterhaltung des Einzelnen wie der Gattung; was immer jenes Leben an Klugheit und Geschicklichkeit aufbringen mag, das setzt, soweit unsere Wahrnehmung reicht, jener Selbsterhaltung gegenüber keine neuen Ziele; auch sehen wir nicht, daß hier eine Selbsttätigkeit der Gebundenheit der Triebe und Vorstellungsverkettungen entwüchse und sich neue Wege bahnte. Ein derart in lauter einzelne Fäden zerlegtes und lediglich im Nebeneinander verlaufendes Leben käme nie zu irgendwelchem Beisichselbstsein, nie zu einer selbständigen Innerlichkeit, daher auch nie zu etwas, was Gehalt heißen könnte; ist nun tatsächlich in der Menschheit eine derartige Innerlichkeit mit einem Gehalt erschienen, so muß die Außenwelt bei allem unermeßlichen Getriebe als eine völlige Leere erscheinen, als ein ungeheurer Widerspruch; welche Fülle von Kraft und Kampf, welche Mühe der Lebenserhaltung, und das alles in fortwährender Selbstaufhebung begriffen, das Ergebnis des Ganzen ein Nichts! Trotzdem müßten wir uns den Widerspruch als letzten Abschluß gefallen lassen, erschiene nicht im menschlichen Leben, wenn auch nicht seiner ganzen Ausdehnung nach, so doch mit unbestreitbarer Tatsächlichkeit eine neue Art des Lebens, ein Leben aus dem Ganzen und Innern, ein Leben, das ein Beisichselbstsein erreicht und einen Inhalt zu entwickeln strebt. So haben wir in diesem Leben das Durchbrechen einer neuen Stufe des Weltlebens anzuerkennen, wir überzeugen uns, daß das All mehr ist als bloße Natur, daß sich in ihm eine Fortbewegung vollzieht, indem die Wirklichkeit eine Tiefe entwickelt und in sie den Menschen hineinzieht. Indem so das Innere selbständig wird, erlangt der Begriff des Geistes und des Geistigen erst einen deutlichen Sinn; nun bezeichnet er nicht bloß eine besondere Seite des Seelenlebens, sondern die selbständig gewordene Innerlichkeit; der Hauptabschnitt der Welt liegt dann nicht zwischen Äußerem und Innerem, zwischen Natur und Seele, sondern zwischen gebundener und freier Innerlichkeit, zwischen einer auch die niedere Stufe der Seele umfassenden Natur und der Stufe des Geisteslebens. Die Entwicklung der Hauptthese. Unsere bisherige Untersuchung führte zu dem Ergebnis, daß, was an Aufstieg des Lebens bei der Menschheit vorliegt, nicht eigenem Vermögen des bloßen Menschen entstammen kann, sondern das Wirken eines überlegenen Lebens erweist. Das aber verändert wesentlich den Anblick und auch die Aufgabe unseres Lebens. Denn wenn so unser Leben nicht einen in sich abgeschlossenen Kreis bedeutet, sondern sich als ein Gesetztsein durch ein überlegenes Leben, als Wirkung einer Ursache darstellt, so muß es zu einem zwingenden Antriebe werden, uns möglichst in jene Ursache zu versetzen, damit zu klären, was bei uns vorgeht, auch seine einzelnen Züge fester zusammenzuschließen, ferner die eigene Kraft durch die Herstellung einer Verbindung mit den schaffenden Gründen zu stärken. Es gilt zu den Quellen zurückzugehen, um der Gebundenheit und Verworrenheit überlegen zu werden, die uns fesselt und niederdrückt, es gilt von da aus in frischen Fluß zu versetzen, was sonst träge und matt dahinschleicht. Mit der Ursache wird uns ein Ideal vorgehalten, das zugleich zur erweckenden Kraft bei uns wird, das mehr aus uns zu machen und unserem Leben mehr Sinn zu geben verspricht. Was bei uns als bloßes Streben vorliegt, das muß in der Ursache Volltat sein, damit es unser Streben erzeugen kann, als solche aber wird es auch inhaltlich den bei uns erreichten Stand weit überschreiten. Es erscheint im Bereich des Menschen ein Überschreiten des bloßen Nebeneinander, ein starkes Verlangen nach inneren Zusammenhängen, ja nach möglichster Gestaltung des Lebens von einer beherrschenden Einheit her. Diese Bewegung aber schwebt in der Luft und muß an den harten Widerständen des natürlichen Daseins scheitern, wenn nicht das Leben von Grund aus ein Ganzes bildet, wenn nicht ein Gesamtleben, eine Welteinheit geistiger Art besteht und wirkt; so wenig unser Vorstellen diese Einheit zu fassen vermag, sie bleibt die Grundvoraussetzung der Bildung einer neuen Lebensstufe gegenüber der der Natur, einer Welt ist nur eine Welt, nicht der bloße Mensch gewachsen. Die Anerkennung solcher Welteinheit muß aber dahin drängen, alles, was an Verzweigung geistigen Lebens bei uns vorliegt, von einer umfassenden Einheit her zu verstehen, es dadurch zu beleben und zu erhöhen. Wie so der Bewegung zur Einheit, so ist auch der zur Innerlichkeit eine Überlegenheit gegen den bloßen Menschen zuzuerkennen, wenn, was bei uns in jener Richtung vorgeht, nicht ins Leere fallen soll. Denn was beim Menschen an eigentümlicher Innerlichkeit erschien, das wollte kein bloßer Nachklang, auch kein bloßes Abbild bleiben, sondern das wollte einen selbständigen Lebenskreis bilden, das wollte eine Innenwelt werden. Wie könnte es aber das unternehmen, wie könnte es in seinen Bereich die ganze Weite hineinzuziehen suchen, wäre das All ein seelenloses Nebeneinander, bestünde nicht auch in ihm als einem Ganzen eine Innerlichkeit, auch das natürlich in voller Überlegenheit gegen unser Vorstellungsvermögen. Dabei bleibt es: entweder erlangt bei uns die Innerlichkeit keine Selbständigkeit, oder sie ist in einem Innenleben der Welt begründet. Das Selbständigwerden aber, das allein echte Innerlichkeit entstehen läßt, verlangt eine Stellung des Lebens auf eigene Tat; so gibt es keine Innerlichkeit der Welt ohne das Entstehen einer Tatwelt gegenüber dem Dasein, das uns zunächst umfängt; auch die Welt als Ganzes muß schließlich in einer Gesamttat begründet sein, sonst kann die Tatwelt nicht dem Dasein gewachsen und überlegen werden. Die Tatwelt darf aber, um volle Selbständigkeit und Selbstgenugsamkeit zu besitzen, nichts außer sich liegen lassen, sie muß alles an sich ziehen und von sich aus zu gestalten suchen; das erklärt auch den Trieb zur Unendlichkeit, der dem menschlichen Streben innewohnt, es nimmer ruhen und rasten läßt. Diese Forderung der Selbstgenugsamkeit geht aber nicht nur nach außen, sondern auch nach innen, die Tätigkeit darf nicht an etwas anderem haften und an es gebunden bleiben, sie muß ganz auf sich selber stehen; das aber kann sie nicht, wenn sie irgendwelches Sein außer sich duldet und bloß an ihm sich zu schaffen macht; so muß sie, was sie an Sein anerkennt, aus sich selbst hervorbringen, zugleich den Begriff des Seins aber gegen die gewöhnliche Fassung wesentlich umgestalten. Von einem Sein innerhalb des Lebens kann nur die Rede sein, sofern verlangt wird, daß ein Ganzes des Lebens an jeder einzelnen Stelle gegenwärtig sei, damit das Leben sich eine Tiefe gebe und seine Ausbreitung zum Ausdruck dieser Tiefe gestalte. Das macht erst die Forderung verständlich, daß der Mensch im Handeln etwas sei, gemäß dem Schillerschen Worte: »Gemeine Naturen zahlen mit dem, was sie tun, edle mit dem, was sie sind.« Denn offenbar bezeichnet hier das Sein nicht ein hinter dem Leben befindliches Ding, sondern eine ihm selbst gegenwärtige Einheit und Tiefe. Mit ihrer Bildung vollzieht sich eine innere Abstufung des Lebens, und es rechtfertigt sich damit erst die Bedeutung, welche wir Begriffen wie Gesinnung, Überzeugung, Denkart usw. zuzuerkennen pflegen. Eine solche Anerkennung eines Seins im Leben befreit uns auch von der Alleinherrschaft des »Dinges an sich«, das, unserem Verhältnis zur Außenwelt entsprungen und dafür berechtigt, bei Übertragung auf die innere Welt alles Wahrheitsstreben lähmen, ja zerstören müßte. Denn wenn uns auch unsere Seele zur Außenwelt wird, so besteht keine Möglichkeit einer Wahrheit. Damit aber das Ganze des Selbst die Ausbreitung des Lebens voll durchdringe, darf die Mannigfaltigkeit des Tuns nicht ein bloßes Nebeneinander bleiben, sondern sie muß zu einem festen Zusammenhange verbunden werden, in dem alles Einzelne einander ergänzt und sich gegenseitig näher bestimmt, zugleich aber das Ganze einen eigentümlichen Charakter ausprägt. So entstehen zunächst einzelne Gebiete geschlossener Art, über sie alle hinaus aber drängt es zum Schaffen eines Gesamtzusammenhanges, und erst ein solches Gesamtwerk ergibt etwas, das in vollem Sinne Wirklichkeit genannt werden darf. Wir erkannten in Arbeit und Schaffen bei uns eine Bewegung zur Hervorbringung einer Wirklichkeit, da erst mit ihrer Erreichung das Leben eine Festigkeit und einen bestimmten Gehalt gewinnt, ja erst vollständiges Leben wird. Da eine derartige Wirklichkeit letzthin aber nur von innen her, als eine Selbstentfaltung des Lebens entstehen kann, dieses aber eine Welt in sich tragen muß, so erkennen wir wiederum das Angewiesensein des Menschen auf ein umfassendes Weltgeschehen; ohne ein Wurzeln darin und ein Schöpfen daraus ist alles menschliche Streben nach Herstellung einer Wirklichkeit und damit nach Vollendung des Lebens verloren. Denn nur so hört der Geist auf, bloß über den Wassern zu schweben, nur so kommt er in volles Schaffen hinein und findet sich selbst in solchem Schaffen. Durchgängig erhellte, daß bei dem Aufstieg, der durch unser Leben geht, nicht einem vorhandenen Stande nur dieses oder jenes hinzugefügt oder auch jenem eine besondere Richtung gegeben wird, sondern daß die Frage viel tiefer geht. Sie geht auf das Ganze des Lebens selbst: dieses hat sich aus einem bloß anhangenden Halb- und Scheinleben zu selbständigem und echtem Leben erst zu erheben, alle besonderen Aufgaben sind nur Stücke und Seiten dieser einen Gesamtaufgabe, und es ist ihre Lösung letzthin an die Entscheidung über diese gebunden. An solchem Erringen eines wahrhaftigen Lebens, eines Lebens, das bei sich selber ist und einen Inhalt besitzt, arbeitet die ganze Menschengeschichte, sofern sie geistige Züge trägt; sie erhält ihren tiefsten Sinn und zugleich ihre stärkste Kraft daraus, daß in ihr das Leben in unserem Bereich sich selber sucht; sie verläuft nicht auf gegebener Grundlage, sondern sie ist in stetem Mühen um einen sicheren Grund begriffen. So ist das Leben in seiner neuen Erschließung allem Wunsch und Vermögen des bloßen Menschen zweifellos überlegen. Aber ebenso will die Tatsache anerkannt und gewürdigt sein, daß dieses Überlegene zugleich innerhalb des Menschen als eigene Kraft zu wirken und weiterzutreiben vermag, daß das »Über dem Menschen« zugleich ein »In dem Menschen« werden kann, eine Tatsache, die um so wunderbarer scheint, je mehr man sich in sie vertieft. Und doch ist ein solches Innewohnen des neuen Lebens unentbehrlich, wenn alles, was sich uns beim Menschen an Aufstieg des Lebens zeigte, echt, kräftig, ja überhaupt möglich sein soll. Umfinge den Menschen ganz und gar eine begrenzte Sondernatur, und müßte sie ihm auch alles vermitteln, was vom Gesamtleben an ihn kommt, so könnte er nie eine innere Gemeinschaft mit diesem gewinnen, so würde alles an ihn Herangebrachte durch jene besondere Art verzerrt und verbogen, so könnte das Neue nie bei ihm die Kraft einer Selbsterhaltung gewinnen, die doch für alles Vordringen unentbehrlich ist. Daß es in Wahrheit anders steht, daß unser Leben das Übermenschliche zugleich als ein Innermenschliches haben kann, das erweist sich durch das Ganze des Lebens bis in seine Grundformen hinein. Durchgängig besteht die Möglichkeit, daß etwas die volle Kraft und Hingebung des Menschen gewinne, was den Zwecken und dem gesamten Glück des bloßen Menschen schnurstracks widerspricht. Dies allein erklärt zum Beispiel die Macht und rechtfertigt die übliche Schätzung der Pflichtidee. Hier kommt im Menschen etwas zur Wirkung, was seinem Handeln feste Schranken zieht und seinen Naturtrieben schroff widerspricht, und zugleich wird es ihm zu eignem Entscheiden und Wollen, es gibt ihm eben in der Unterordnung das Bewußtsein vollster Freiheit. Der Pflichtgedanke ist aber nur ein besonders reiner Ausdruck einer Bewegung, die durch das ganze Leben geht. Denn wo immer es die Stufe der bloßen Natur überschreitet, da tritt es unter bindende Normen, die ihm kein fremdes Gebot, sondern seine eigene Zuwendung auferlegt, die den Menschen in Wahrheit erhöhen, indem sie ihn herabzusetzen scheinen. So beim Denken, das mit seiner Versetzung in die Sache und seiner Vertretung ihrer Forderungen das Wohl des bloßen Menschen ganz wohl schwer schädigen kann. Wie oft zwang uns das Denken, namentlich auf politischem und sozialem Gebiet, Folgerungen zu ziehen, die uns höchst unbequem waren, und wie oft haben die von ihm herausgestellten Widersprüche das Leben aus seinem Gleichgewichtsstand unsanft aufgescheucht! Das konnte das Denken nur als ein eigenes Werk und als eigene Triebkraft des Menschen; hinter der Selbstverneinung, die es vollzog, stand schließlich notwendig irgendwelche Selbstbejahung. Am deutlichsten ist die Bewegung des Menschenlebens über den bloßen Menschen hinaus bei der Religion, das aber sowohl im Gedankengehalt als in der Gestaltung des Handelns. Die Religion enthält, wie schon der Begriff des Heiligen zeigt, einen starken Trieb, einen gewissen Bereich vom gewöhnlichen Leben abzusondern, ihn darüber hinauszuheben und ihm Verehrung darzubringen; wo sie mit ursprünglicher Kraft die Gemüter einnahm, da war sie kein bloßes Hinausstrahlen menschlicher Größen und Wünsche in das All, wie es fälschlich oft dargestellt wird, sondern ein Kampf gegen die Festlegung des Strebens bei diesen Größen und Gütern. Xenophanes Wort, daß die Menschen nach ihrem eigenen Bilde das der Götter gestaltet hätten, stimmt nicht zur Erfahrung der Geschichte; sie zeigt vielmehr ein Verlangen, etwas Andersartiges, etwas wesentlich Höheres gegenüber dem Menschen zu erreichen. In früheren Zeiten hat sich das Streben dabei oft ins Ungeheuerliche verloren und Gestalten geschaffen, die uns Späteren fratzenhaft scheinen mögen; bleibt aber nicht auch in einem weiten Abstand, ja Gegensatz zum menschlichen Dasein, wer bei der Gottheit etwas Reingeistiges, Ewiges, Unendliches sucht? Daher hat die Religion, sofern sie nicht bloß das Leben angenehm umsäumt und damit einer sicheren Auflösung entgegengeht, einen herben und strengen Charakter; das Wort »Niemand wird Gott sehen und leben« hat einen guten Sinn. Für das Handeln aber bildet in ihrem Gebiet den Zentralbegriff der des Opfers. Auch hier hat sich im Fortgang des Lebens die Sache vom Sinnlichen ins Unsinnliche verschoben, aber nur eine Verflachung und Verflüchtigung kann das Beharren, ja das Wachstum des Opfergedankens auf der geistigen Stufe verkennen. Die Religion hat genau so viel Macht über das menschliche Seelenleben, als sie zu Opfern zu treiben vermag. Aber -- merkwürdig genug -- bei allem, was sie an Verneinung und Entsagung fordert, haben die Menschen in ihr die höchste Seligkeit gesucht und auch zu finden geglaubt; konnten sie das, wenn sie nicht in ihr die letzte Tiefe ihres eigenen Wesens zu erreichen glaubten? Dieses Ja und Nein, dieses Stirb und Werde, was alle Verzweigung der Lebensgebiete durchdringt, faßt sich insofern auch in ein Ganzes zusammen, als das Kulturleben der Menschheit für jede eindringende Betrachtung nicht ein fortlaufendes Gewebe bildet, sondern sich in den Gegensatz einer durch die Zwecke des Menschen beherrschten Menschenkultur und einer ihr überlegenen, ja entgegengesetzten Geisteskultur zerlegt. Die Menschenkultur war und ist unablässig bemüht, die Geisteskultur zu sich herabzuziehen und in ihre Dienste zu stellen, die Vorkämpfer dieser haben mit jener stets einen harten Kampf zu bestehen gehabt, sie sind in ihm oft zu Märtyrern geworden und mußten durchgängig ein einsames Leben führen, aber nicht nur haben sie die Kraft dazu und eine Freudigkeit darin gefunden, sondern sie sind es, welche mit ihrer Belebung der Tiefen allein dem Menschenleben eine Seele erhalten und ihm einen Sinn und Wert verleihen. Streichen wir sie und was sie vertreten, und das Menschenleben wird ein verworrenes Chaos, ein vergebliches Mühen, die Naturstufe wesentlich zu überschreiten. Auch in das Dasein des Einzelnen erstreckt sich der Gegensatz. Der naturhaften Individualität tritt gegenüber die Persönlichkeit mit ihrer Selbsttätigkeit; sie kann sich nicht ausbilden und dem Menschen ein neues Leben erringen, ohne an jener eine scharfe Kritik zu üben, zu sondern und auszuscheiden, sie findet dabei mannigfachen Widerstand, den sie ohne Schmerz und Entsagung nicht überwinden kann. Aber allem solchen Nein hält ein Ja vollauf die Wage, und unter vielfacher Aufopferung kann sich das Leben doch zu einem Gewinn gestalten. Wie haben wir dies alles zu verstehen? Wie kann im Menschen etwas Wurzel schlagen und die bewegende Kraft seines Lebens werden, was seiner besonderen Art so schroff widerspricht? Augenscheinlich kommt an ihn etwas wesentlich Überlegenes und hält ihm neue Ziele vor. Aber dies Überlegene mit seinen Zielen wird zugleich zum eigenen Leben des Menschen, es kann ihm etwas, das sein bisheriges Leben entwertet, zu wahrem Leben werden. Wie anders klärt sich das auf, und wie anders kann das neue Leben Kraft gewinnen als dadurch, daß das Gesamtleben mit seiner Tatwelt unmittelbar in den Menschen als eine ursprüngliche Lebensquelle gesetzt ist, daß schaffendes Leben ihm unmittelbar als sein eignes eingepflanzt wird. Eine Welt im Menschen aufbauen und von ihr der ganzen Umwelt den Kampf ansagen läßt sich nur, wenn in ihm selbst ein Weltleben von Haus aus angelegt ist; das kann aber nur durch eine Eröffnung, eine Schöpfung des Gesamt- und Urlebens in ihm geschehen. Daß er ein selbständiger Mittelpunkt, ein geistiges Selbst, man könnte sagen, eine geistige Energie ist oder doch werden kann, das besagt offenbar ein Gesetztsein, eine Tat, die nur aus dem Gesamtleben stammen kann und daher stets an diesem hängt. Das stimmt zu einer Erfahrung der Gesamtgeschichte geistigen Lebens. Denn diese zeigt, daß durchgängig den schaffenden Höhen der Menschheit das Gesetztsein durch eine überlegene Macht und ein Getragenwerden durch sie mit voller Klarheit gegenwärtig war. So fühlte sich das künstlerische Schaffen großen Stiles nicht als ein bloßes Erzeugnis individuellen Vermögens, sondern als Eingebung einer höheren Macht, als eine zu Ehrfurcht und Dank verpflichtende Gnade. Auch große Denker mußten unter einer inneren Notwendigkeit stehen, wenn sie die Forderung einer neuen Denkart -- und sie forderten alle eine neue Denkart, nicht bloß einzelne Veränderungen -- zuversichtlich allem entgegenstellen konnten, was von altersher und allen anderen als sichere Wahrheit galt. Auch die Helden der Tat pflegten sich als Werkzeuge einer höheren, wenn auch geheimnisvollen Macht zu fühlen; sonst hätten sie schwerlich den moralischen Mut zu ihrem Handeln gefunden, das so viel Verantwortlichkeit in sich trug. Daß aber das Überlegene sie mit solcher Gewalt ergreifen und der Kern wie die treibende Kraft ihres eigenen Lebens werden konnte, das hellt sich erst auf mit der Anerkennung dessen, daß in ihnen selbst das Ganze des höheren Lebens als eine ursprüngliche Quelle gesetzt war. So nur konnte ihnen jenes Höchste das Allernächste und Innerlichste werden, so nur wurde das Gegründetsein in einer höheren Ordnung mit vollster Freiheit des Handelns vereinbar, ja eine Grundbedingung dieser, so nur konnte Meister Eckhart sagen: »Gott ist mir näher als ich mir selber bin«, und Luther bekennen, daß »nichts Gegenwärtigeres und Innerlicheres sein kann in allen Kreaturen denn Gott selbst und seine Gewalt«. Es erscheint aber das Leben des Menschen mit solcher Anerkennung einer selbständigen Eröffnung des Gesamtlebens in ihm als ein ungeheurer Widerspruch. Der Mensch ist seiner Lebensform nach begrenzt, er kann diese Begrenzung unmöglich überspringen. Aber in dieser begrenzten Form soll ein unendlicher Gehalt zur Entfaltung kommen. Das muß einmal das Leben in eine unermüdliche Bewegung versetzen, es läßt es nicht ruhen und rasten, es treibt über jedes erreichte Ziel immer weiter zu neuen Zielen. Zugleich aber ruft es ein Streben hervor, durch Ausbildung einer Gemeinschaft und auch durch ein Zusammenwirken der Zeiten jene naturgegebene Enge zu überwinden. Das nämlich ist der tiefste Antrieb zur Ausbildung einer Gesellschaft und einer Geschichte eigentümlich-menschlicher Art, daß das Individuum hier ein seiner Besonderheit und seiner Vergänglichkeit überlegenes Leben erstrebt und damit das dem Einzelnen völlig Unmögliche wenigstens einigermaßen anzunähern sucht. Bei allem Aufschwung bleibt aber stets die Gefahr, daß das Engmenschliche sich einschleiche und mit schillernden, zweideutigen Formen die Bewegung zu sich zurückziehe. Das geschieht zum Beispiel oft durch den Begriff der Persönlichkeit und die ihm gezollte Schätzung. Persönlichkeit gehört zu den Begriffen, bei denen sich alles Mögliche denken läßt, und bei denen daher leicht gar nichts gedacht, leicht keine Rechenschaft gegeben wird. In diesem Begriff rinnt heute Höheres und Niederes vielfach zusammen, man denkt oft dabei an die Bildung eines geistigen Einzelkreises, der sich möglichst in sich selbst befestigt und alles Erlebnis auf sich als den beherrschenden Mittelpunkt und Selbstzweck bezieht. Bei solcher Fassung schützt alle Weite der Interessen nicht vor einer inneren Absonderung von der großen Welt, einem selbstischen Sicheinspinnen in einen besonderen Kreis und schließlich einem verfeinerten Epikureismus. Dem sei die Behauptung und die Forderung entgegengesetzt, daß das Gesamtleben den Hauptstandort zu bilden habe, damit das Streben volle Offenheit und Weite behalte; was an der besonderen Stelle an eigentümlichem Leben entsteht, das ist von jenem her als seine Individualisierung und Gestaltung zu verstehen. Daß eine solche eigentümliche Gestaltung des Gesamtlebens an den einzelnen Stellen möglich ist, und daß sie gewaltige Kraft zu üben vermag, das zeigen deutlich die großen geschichtlichen Persönlichkeiten, das wird zur Aufgabe für jedes Einzelleben. So viel bleibt gewiß, daß das geistige Schaffen beim Menschen durch jenes Zusammentreffen von unendlichem Gehalt und endlicher Lebensform nicht nur in rastlose Bewegung versetzt wird, sondern daß es auch unter einander widerstreitende Richtungen gerät. Einmal zwingt jene Begrenztheit es nach geschlossenen Gestaltungen zu streben, um zusammenfassen und übersehen zu können, von der anderen Seite aber treibt die uns innewohnende Unendlichkeit zur Ablehnung aller Grenzen und damit in das Gestaltlose, Fließende, die bloße und reine Stimmung hinein. Daß hier große Lebenswogen gegeneinandergehen, das zeigt besonders deutlich die Kunst mit ihrem Kampf zwischen klassischem und romantischem Schaffen, im Grunde aber durchdringt der Gegensatz alle Weite des Lebens. So scheinen wir großer Unfertigkeit, ja Unsicherheit ausgeliefert. Aber wir tun das nur für den ersten Anblick, jede tiefere Erwägung zeigt, daß inmitten aller Unfertigkeit das Leben einen festen Halt gewinnt und in sichere Bahnen geleitet wird, auch daß jene Unfertigkeit selbst eine unvergleichliche Größe bekundet. Jenes neue Leben in uns kann, so sahen wir, unmöglich vom Menschen selbst hervorgebracht sein; es als sein Werk verstehen, das heißt es verflachen, verkümmern, zerstören. Ist es aber vom Gesamtleben in uns gesetzt, so erfahren wir einmal darin, daß dieses Leben eine dem Gemenge der menschlichen Welt überlegene Wirklichkeit hat, wir erfahren aber zugleich, daß es bei dieser Überlegenheit sich uns mitteilt, nicht in einzelnen Wirkungen oder Stücken, sondern mit seiner ganzen Unendlichkeit; gerade daß das in so schroffem Gegensatz zur eigenen Lage und zum eigenen Wollen steht, bezeugt, daß sich damit eine Uroffenbarung in uns vollzieht, ein neues Leben uns mitgeteilt, ein hohes Ziel eingeprägt wird. Es ist nicht eigene Kraft, es ist verliehene Kraft, woraus wir streben und wirken. Mag dabei alle nähere Ausführung noch so unsicher und fließend bleiben, wir erkennen in jener Schöpfung eines neuen Lebens eine Grundtatsache, die uns allem Zweifel enthebt und zugleich das sichere Bewußtsein einer Bedeutung unseres Lebens gewährt. Derartige Umwälzungen und Erneuerungen liegen über aller bloßen Einbildung. Auch gewinnen wir hier die Gewißheit, nicht bloß ein Stück einer gegebenen Welt, ein Stiftchen eines seelenlosen Mechanismus zu sein, sondern jenes neue Leben mit seiner neuen Welt verlangt unsere Ergreifung und Aneignung, es versichert uns damit einer Freiheit. So gewiß Freiheit ein Unding, solange wir nur ein Stück einer natürlichen Ordnung bilden, sie wird zur unerläßlichen Forderung und felsenfesten Gewißheit, sofern ein Zusammentreffen und ein Zusammenstoß zweier Welten in unserem Lebensbereiche ersichtlich wird, in dem uns eine Entscheidung auferlegt ist. Mit der Sicherheit und der Freiheit gewinnt unser Leben aber zugleich ein hohes Ziel und eine unvergleichliche Größe. Denn nun gilt es, an unserer Stelle das Gesamtleben auszubilden und weiterzuführen, wir werden Mitarbeiter an der Weltbewegung, an einem Aufstieg des Lebens, und eben darin finden wir zugleich ein echtes Selbst. Die Tiefen des Lebens eröffnen sich uns damit zu eigenem Besitz, das Ringen nach Aneignung und Förderung seiner Unendlichkeit kann uns eine Freudigkeit bereiten, die aller bloßen Lust weitaus überlegen ist. Gewinnt damit unser Leben in seinem Kern ein helles Licht, so kann es ganz wohl alle Dunkelheit der Umgebung ertragen; auch kann dann kein Zweifel darüber bestehen, daß es so verstanden einen vollen Sinn und einen hohen Wert besitzt. Hauptzüge des neuen Lebens. Die Gestaltung des Lebens, die sich für uns ergab, in alle Breite zu verfolgen, kann nicht unsere Aufgabe sein; wohl aber scheint es zur Erreichung eines deutlicheren Bildes nötig, einige seiner Hauptzüge herauszuheben. Zunächst zeigte sich, daß das Leben zum Selbständigsein nicht gelangen konnte ohne eine Aufrüttelung aus dem vorgefundenen Gemenge, ohne einen Bruch mit der nächsten Lage und das Erringen eines neuen Standorts. Es zeigte sich, daß es nicht nur einzelne Aufgaben, sondern eine Aufgabe auch als Ganzes enthält, es ist nicht nur hier und da zu verbessern, es ist im Ganzen umzuwandeln. Daher paßt für sein Grundgefüge nicht der Begriff der Entwicklung als eines sicheren, ja notwendigen Hervorgehens des Höheren aus dem Niederen, hier verwandt führt er unvermeidlich unter Naturbegriffe zurück. Jener Abbruch fordert eine Entscheidung und Tat, und zwar eine Tat, die, wenn auch bei besonderen Temperamenten als eine plötzliche Erleuchtung und Bekehrung erscheinend, sich nicht in den Augenblick erschöpft, sondern fortdauernder Art sein muß; denn das Neue ist dem Alten gegenüber immerfort aufrechtzuhalten, immerfort durchzusetzen. Mit solcher Tathaltung, wie man sagen könnte, erhält das ganze Leben einen Charakter ethischer Art, das Ethische entwächst dabei der Einschränkung auf ein besonderes Gebiet und dehnt seine erhöhende Kraft über das gesamte Leben aus, es betrifft dann keineswegs bloß das Verhältnis von Mensch zu Mensch und das dem zugewandte praktische Handeln, sondern durch alle Verzweigung des Lebens, so auch durch das Erkennen und das künstlerische Schaffen geht ein völliger Gegensatz, indem entweder vom Standort und von den Zwecken des bloßen Menschen aus gehandelt wird, oder aber darin selbständiges Leben mit seiner neuen Welt zur Entfaltung strebt. Demnach liegt die ethische Aufgabe nicht in einer Reihe mit anderen, sondern als eine Wendung des Ganzen geht sie allen anderen voran und macht ihr Gelingen erst möglich. So gefaßt kann die ethische Betätigung keine Knechtung und Herabdrückung, sondern nur eine Befreiung und Erhöhung des Lebens bedeuten. Denn bei ihr steht in Frage, daß das selbständige Leben voll zu eigenem werde; dies aber kann nur dadurch geschehen, daß das Gesamtleben an dieser Stelle eine selbständige Wurzel schlägt und auch sie zur Bildung eines Selbst, zu einer Selbsterzeugung befähigt. Diese Erzeugung eines neuen, eines geistigen Selbst ist der Punkt, an dem das Gelingen des Lebens hängt; denn kein Streben gewinnt rechte Kraft, das nicht als Ausdruck eines Selbst und zur Erhaltung dieses Selbst geführt wird; ein Pseudoselbst, einen Selbstersatz bildet im nächsten Lebensstande das natürliche Ich, das mit unheimlicher Macht auch das Kulturleben ergreift und entstellt; seine Macht ist nur dadurch zu erschüttern, daß dem Pseudoselbst ein echtes, ein geistiges Selbst entgegentritt und der Bewegung die elementare Kraft und Glut einer Selbstbehauptung verleiht. Das ist die Hauptwaffe gegen das Scheinwesen und die Stumpfheit der Durchschnittskultur, das allein macht ein kraftvolles Leben ohne allen Egoismus möglich. Wenn demnach das Entstehen eines selbständigen Lebenszentrums die Hauptsache beim Aufstieg des neuen Lebens bildet, so erscheint dabei das Merkwürdige, ja Wunderbare, daß eben das, was gegenüber der Welt und auch gegenüber der ihrer Verkettung unterliegenden Seelenlage unser Allereigenstes und Ursprünglichstes ist und uns allein auf uns selber stellt, der höheren Ordnung gegenüber sich als ein Geschaffenes und uns Verliehenes darstellt. So hatte Luther in seinem Gedankenkreise völlig Recht, wenn er das, was ihm als das Innerlichste und Wesentlichste am Menschen galt, den Glauben, in keiner Weise als ein Werk des Menschen, sondern eine göttliche Gabe und Gnade verstand: »das Übrige wirkt Gott mit uns und durch uns, dies allein wirkt er in uns und ohne uns.« Nur eine flachere Fassung des Glaubens kann das Leben aus Glauben und Werken zusammensetzen. Wir brauchen jenen Grundgedanken Luthers nur weiter zu fassen, um ihn schlechterdings unentbehrlich zu finden. Nur er gestattet, mit tiefer Bescheidenheit und Demut im Grunde des Lebens eine volle Selbständigkeit, Unerschrockenheit, ja, wenn es sein muß, Trotz gegen alles Menschengetriebe zu verbinden. Zur Vertiefung des Lebens, so sahen wir, muß sich notwendig eine Gestaltung gesellen: das aufsteigende Leben muß, um volles Leben zu werden, sich einen festen Zusammenhang, eine eigene Wirklichkeit bilden. So gilt es durchgängig, vom neuen Leben aus einen eigentümlichen Kreis zu bereiten unter Führung des Schaffens, unter Ausführung durch die Arbeit. Sonst bleibt die Umwandlung bei aller seelischen Wärme leicht ein bloßer Aufschwung, der keine genügende Kraft gegenüber der Starre und Sinnlosigkeit des gewöhnlichen Lebens aufbieten kann. So bleibt namentlich auf religiösem Gebiet viel ehrliche Begeisterung ohne rechte Frucht, weil sie nicht den Weg zur werktätigen Arbeit fand. Auch diese aber muß sich durch die Verbindung mit dem geistigen Selbst erhöhen. Denn erst diese läßt sie einen inneren Zusammenhang und eine durchgehende Beseelung gewinnen und sich damit deutlich von aller bloßen Nutzung der Kräfte unterscheiden, der ein geistiger Hintergrund fehlt. Wie aber die Einzelstelle ihre Kraft letzthin aus dem Ganzen zu empfangen hat, so muß auch der Fortgang ihres Lebens vom Gesamtleben umfangen bleiben. Das um so mehr, als das Gesamtleben kein leeres Gefäß ist, sondern als schaffendes bestimmte Richtungen in sich trägt und Forderungen stellt, auch besondere Erfahrungen in Auseinandersetzung mit der menschlichen Lage macht; diese Forderungen und Erfahrungen hat die Einzelstelle erst herauszuarbeiten und bei sich zur Wirkung zu bringen; ihr Geschick wie ihre Aufgabe klärt sich ihr nur vom Ganzen her auf. Indem aber ihr Ziel und Los auf das des Ganzen aufgetragen wird, gewinnt ihr Leben unmittelbaren Anteil an Weltgeschehnissen und damit eine Größe; wird jene Verbindung unterbrochen und der Einzelpunkt lediglich auf sich selbst und sein Verhältnis zur Umgebung gestellt, so muß das Leben rasch in ein Sinken kommen; denn dann bleibt es an den kleinmenschlichen Kreis gebannt, und aller Radikalismus, mag er sich noch so wild geberden, der innerhalb dessen entstehen mag, befreit nicht von jener inneren Bindung und kleinmenschlichem Spießbürgertum. Es gibt keine Freiheit und keine Größe ohne ein Durchdringen zu den ursprünglichen Quellen des Lebens, wie es nur durch ein selbständiges Aneignen des Gesamtlebens möglich wird. Demgemäß haben auch die Wirklichkeiten der besonderen Kreise innerhalb der Bewegung des Gesamtlebens zur Wirklichkeit zu verbleiben, darin ihre Aufhellung und auch ihr Maß zu finden. Darin allein können sie sich auch untereinander zu einem Lebensgewebe verbinden. So stellt sich das Leben als eine unbegrenzte Fülle von Teilwirklichkeiten innerhalb einer Gesamtwirklichkeit dar; die Beziehung der Einzelenergie zur Gesamtenergie hat dabei als begründend allen Beziehungen zu den einzelnen voranzugehen, da diese eine innere Erhöhung, ja Umwandlung erst von jener zu empfangen haben. Es hatte daher guten Grund, wenn nicht nur große Religionen, sondern auch philosophische Gedankenwelten darauf bestanden, daß alle Beziehungen von Mensch zu Mensch, alle gegenseitige Liebe auf das Verhältnis zu Gott und die in ihm erwiesene göttliche Liebe gegründet und dadurch veredelt werde. Nur eine solche Begründung ergibt eine innere Gemeinschaft des Lebens und ein gegenseitiges seelisches Verständnis, während der dem bloßen Nebeneinander angehörige Mensch einer seelischen Vereinsamung nicht entgehen kann. Wie aber in der Kraft, so müssen auch in ihrer Arbeit die einzelnen Lebensgebiete vom Ganzen umfangen und von ihm gerichtet bleiben, um nicht den Zusammenhang mit den ursprünglichen Lebensquellen zu verlieren. Die verschiedenen Lebensgebiete bedürfen das in verschiedenem Maße, im besonderen notwendig ist die Wahrung des Zusammenhanges den Gebieten, die als Träger geistigen Schaffens nur dadurch eine eigentümliche Aufgabe und eine sichere Stellung gewinnen wie die Religion, die Kunst und auch die Philosophie. Sie alle sinken und lassen den geistigen Gehalt zugunsten technischer Leistung verkümmern, wenn sie jenen Zusammenhang lockern oder wohl gar verschmähen. Wie wollte zum Beispiel die Philosophie mehr werden als eine Zusammenstellung der Einzelwissenschaften oder eine nicht sehr fruchtbare Fachwissenschaft neben anderen, wenn sie nicht ihre Hauptaufgabe darin fände, die Forderungen, welche der Aufstieg des Lebens zur Selbständigkeit enthält, deutlich herauszuarbeiten und sie gegen den Widerspruch der nächsten Welt zu vertreten? Solche Fassung macht die Einzelgebiete keineswegs zu bloßen Anwendungen einer schon gesicherten und abgeschlossenen Wahrheit, ihre besonderen Erfahrungen und Leistungen können auch das Gesamtleben fördern und weiterführen, aber das nur unter Versetzung auf seinen Boden. Diese Forderung eines Zusammenhanges der Einzelgebiete mit dem Ganzen der Lebensentfaltung gibt der weltgeschichtlichen Bewegung der Menschheit einen hohen Wert auch für das Lebensproblem, sie drängt zur Ausbildung einer weiteren Gegenwart gegenüber der des bloßen Augenblicks. Denn den geistigen Kern jener Bewegung bildet das Sichselbersuchen und Entfalten des Lebens; darin sind eigentümliche Linien vorgezeichnet, Eröffnungen erfolgt und Erfahrungen gemacht, welche sich von der Zufälligkeit der Zeitlagen abzulösen vermögen, alle weitere Bewegung begleiten und Forderungen an sie stellen; so wenig das der Gegenwart die eigene Arbeit abnimmt, es kann sie in dieser erheblich fördern, sofern nur im geschichtlichen Befunde eine gründliche Scheidung von Zeitlichem und Ewigem erfolgt; eine solche Scheidung läßt sich aber nur vom Ganzen des Lebens aus vollziehen. Denn nur bei diesem kommen wir auf den letzten Punkt der Entscheidung, nur von hier aus wird ein endgültiges Urteil darüber möglich, was von den Erzeugnissen der bloßen Zeit angehört, und was über sie hinaus in eine ewige Ordnung weist. Die durch das alles gehende Anerkennung eines Hervorgehens der Welt und Wirklichkeit aus der eigenen Bewegung des Lebens ist das sicherste Mittel, den Menschen von der Herrschaft des bloßen Intellekts zu befreien, wonach gerade unsere Zeit aus ganzer Seele schmachtet, ohne es genügend erreichen zu können. Denn solange die Welt als eine gegebene Wirklichkeit uns gegenübersteht, wird es immer der Intellekt sein, der eine Verbindung mit ihr herstellt und damit die Führung des Lebens an sich nimmt, erst wenn die Welt als ein Erzeugnis schaffenden Lebens und innerhalb dieses befindlich erscheint, tritt die Tat an die erste Stelle. Gewiß wird auch bei ihr als einer geistigen das Denken eine große Rolle spielen, aber es bildet dann nur die Form, in der sich das Leben entfaltet, eine Form, die eine Erfüllung und Belebung erst von dem wirklichkeitschaffenden Selbst erwartet; von diesem Selbst abgelöst werden die Erzeugnisse des Denkens bloße Schatten und das aus diesen bestehende Reich ein Scheinersatz echter Wirklichkeit. Die Welten aller großen Denker waren an erster Stelle Erweisungen ihres Selbst, Erhaltungen dieses Selbst; nur das gab ihnen ihren Charakter. Alles miteinander verlegt das Leben mehr in die Innerlichkeit zurück, aber in eine Innerlichkeit, welche nicht nachbildender, sondern schaffender Art ist, welche nicht neben den Dingen steht, sondern sie aus ihrem eigenen Grunde hervorbringt. In einer solchen Innenwelt wird für die Einzelenergie zum Grundverhältnis des Lebens das Verhältnis zur Gesamtenergie, nur dann vollzieht sich die gesamte Lebensentfaltung innerhalb einer bei sich selbst befindlichen Welt, und gehört dieser Welt alles an, was den Grundbestand des Lebens betrifft. Hier steht in Frage das, was in der Sprache der Religion Rettung der Seele heißt. Das besagt zugleich, daß, was hier geschieht, gewonnen oder verloren wird, an Gehalt und Wert alles andere unvergleichlich überragt, was sonst dem Menschen zufallen und zur Aufgabe werden kann. Eine derartige geistige Innerlichkeit kann sich aber nur behaupten unter steter Abwehr eines Eindringens bloßmenschlicher Elemente und eines Sinkens unter die Zwecke der bloßen Menschen. Die Geschichte zeigt hier einen durchgängigen Gegensatz niederer und höherer Art. Einerseits das Streben, alle Lebensbewegung dem Wohl des bloßen Menschen dienen zu lassen und ihn in seiner natürlichen Lebenshaltung dadurch zu stärken, andererseits eine Entfaltung vom Ganzen des Lebens her und damit eine Emporhebung über den bloßen Menschen; dort bei aller Geschäftigkeit eine innere Leere und ein Abhängigbleiben von der menschlichen Vorstellungsweise; hier eine Herausbildung von Lebensinhalten und das Aufnehmen eines Kampfes gegen jene Vorstellungsweise; dort bleibt der Mensch bei allem Sichstrecken nach außen hin im Kerne unverändert, hier heißt es, ihn innerlich zu erweitern und den Schwerpunkt seines Wesens zu verlegen. Am deutlichsten ist dieser Gegensatz wohl bei der Religion. Denn alle Gemeinschaft von Worten, Formeln und Einrichtungen verdeckt nicht den weiten Abstand zwischen einer Religion, die dem Menschen, ohne ihn wesentlich umzuwandeln, Glück und Fortbestand verheißt, und einer Religion, welche ein neues Leben verkündet und in dieses den Menschen versetzen will. Nur so gefaßt kann sie als lauterer Selbstzweck wirken, nur so auch den Vorwurf widerlegen, ein Erzeugnis bloßmenschlicher Begehrung und Meinung zu sein. Denn nun wird sie aus einer Selbsterhaltung des bloßen Menschen eine Selbsterhaltung des Lebens beim Menschen; was sie aus einer solchen an neuen Gehalten eröffnet und mit überlegener Macht an ihn bringt, das kann mit seiner Unendlichkeit, Ewigkeit, Vollkommenheit kein Machwerk des bloßen Menschen sein, das bedeutet augenscheinlich die Erschließung eines neuen Lebens. Ähnlich steht es mit den anderen Lebensgebieten; sie mußten oft genug dem bloßen Menschen dienen, aber sie verloren damit eine Selbständigkeit, einen inneren Zusammenhang, einen eigentümlichen Gehalt. Das ändert sich nicht wesentlich, wenn für den einzelnen Menschen das Nebeneinander der Menschen, die Masse, eingesetzt wird; denn die Summierung befreit nicht von der Abhängigkeit gegen bloßmenschliches Wohl und Wehe, sie ergibt keine höheren Ziele. Hier liegt eine nicht geringe Gefahr für die an sich so segensreiche soziale Bewegung, sie kann ein inneres Sinken nicht vermeiden, wenn sie als ein bloßes Mittel für das menschliche Wohlsein behandelt, was ohne innere Zerstörung keine solche Unterordnung verträgt. Wo zum Beispiel das Recht in dieser Weise behandelt wird, da verliert es alle eigentümliche Art, da steigert es nicht den Lebensgehalt, da hört es auf ein selbständiges Lebensgebiet zu sein. Das Durchschauen dieses inneren Gegensatzes einer bloßmenschlichen und einer selbständigen Behandlung der Lebensgebiete erzeugt aber unmittelbar die Forderung, die Vermengung, die das Durchschnittsleben beherrscht, mit aller Energie zu bekämpfen und den Geistesgehalt der Gebiete als Glieder eines großen Lebenszusammenhanges deutlich herauszuarbeiten. Was die eigentümliche Art dieser Lebensbewegung an die einzelnen Lebensträger und Lebensbereiche an Forderungen stellt, das dürfte besonders deutlich aus der Vergleichung mit der modernen Lebensordnung erhellen. Diese hat einen eigentümlichen Charakter vornehmlich dadurch erhalten, daß sie die Kraft zum Kern des Lebens machte und in ihrer Entfaltung und Steigerung seine Hauptaufgabe fand, an ihre Lösung vornehmlich Gelingen und Glück des Lebens band. So hieß es beim Individuum alle Kraft zu entfalten, so wurde in Staat und Gesellschaft möglichst alle Kraft zur Betätigung aufgerufen und auch das gemeinsame Wirken vornehmlich auf das Ziel der Befreiung aller Kräfte gelenkt, so wurden die verschiedenen Kulturgebiete namentlich danach geschätzt und gestaltet, was sie der Kraftentwicklung leisteten, so bestand selbst die Neigung, das Weltall als einen großen Kraftkomplex zu verstehen. Mit solcher Steigerung der Kraft schien auch das Glück ins Unermeßliche zu wachsen. Die Durchführung dieses Strebens hat unendlich viel Schlummerndes geweckt, Starres in Fluß gebracht, uns mehr Macht nicht nur über die Umgebung, sondern auch über uns selbst gegeben, sie hat damit den Gesamtstand des Lebens beträchtlich gehoben. Aber diese Lebensordnung der Kraftentfaltung ließ auch manches verloren gehen, sie hat eine sehr bestimmte Grenze gezeigt. Denn so notwendig die Entwicklung der Kraft, sie ist mehr ein Mittel für ein höheres Ziel als ein vollgenügender Selbstzweck; wird sie als ein solcher betrachtet und behandelt, so entsteht die Gefahr, daß das Leben ein rastloses Weiter- und Weiterstreben werde, nie zu einem Ruhen in sich selbst und daher auch nie zur Herausbildung eines Inhalts gelange, demnach bei aller Aufregung und bei allen Erfolgen im Einzelnen als Ganzes schließlich ins Leere verlaufe. Die Gegenwart empfindet das schon deutlich genug, und sie empfindet zugleich die Notwendigkeit, über diesen Abschluß des Lebens hinauszukommen. Das kann aber nur geschehen, wenn die Kraftentwicklung einer überlegenen Ordnung des Beisichselbstseins des Lebens und der Inhaltsbildung eingefügt wird, es gilt durchgängig von den bloßen Kraftkomplexen zu bei sich selbst befindlichen Lebensenergien, zu Lebenszentren zu streben, so bei allen Lebensträgern und in allen Lebensgebieten. Eine solche Lebensenergie mit einem selbständigen Zentrum muß das Individuum, müssen Staat und Gesellschaft, müssen die einzelnen Lebensgebiete, muß schließlich auch das Ganze des Weltalls werden. Die Bildung einer solchen Energie fordert aber das Erringen einer inneren, der Mannigfaltigkeit überlegenen und sie durchdringenden Einheit, das kann aber den einzelnen Stellen nur innerhalb des Ganzen und im Schöpfen aus ihm gelingen. So gilt es durchgängig eine Wendung des Lebens nach innen, während die bloße Krafterweisung es unvermeidlich nach außen kehrt und bei sich selbst zerspaltet. Der Kulturarbeit ergeben sich damit weite Ausblicke und fruchtbare Aufgaben, die sich hier nur andeuten lassen. Das Erkennen einer Grundtatsache des Lebens vor aller näheren Gestaltung vermag auch der menschlichen Überzeugung einen festeren Halt zu geben. Die nähere Durchbildung der Bewegung bringt viel Arbeit und verwickelte Fragen mit sich, welche die Individuen und ganze Kreise leicht weit auseinanderführen; der Zwiespalt und Streit läßt dann leicht die Gesamtbewegung als unsicher erscheinen. Suchen wir dagegen die erste Tatsächlichkeit beim Leben selbst, arbeiten wir sein Grundgefüge heraus, so läßt sich in der Ausführung das Auseinandergehen und selbst der Kampf wohl ertragen, ohne daß uns das Ganze wankend wird. Das gilt zum Beispiel von der Religion. Nach der Verschiedenheit der Individuen, der Bildungsstufen, der Kulturkreise wird ihre Gestaltung unvermeidlich recht verschiedener Art sein; aber wir brauchen uns dieser Spaltung nicht endgültig zu ergeben, wir können uns bemühen, vom Grundbestande des Lebens her ein gemeinsames Geschehen herauszuheben, das der Zersplitterung entgegenzuwirken vermag. Zugleich aber auch dem Zweifel, der über der Unfertigkeit der Durchbildung die bewegende Kraft übersieht, welche auch den Streit erst möglich macht, der so den Wald vor Bäumen nicht sieht und eine im Fluß befindliche Bewegung nach einem starren Maßstabe mißt. Eben dieses muß dabei zur Befestigung der Überzeugung wirken, daß die Bewegung nicht an einzelnen Punkten hängt, sondern einen Kampf von Ganzem zu Ganzem in sich trägt. Einzelne Vorgänge lassen sich je nach der Fassung des Ganzen verschieden deuten und wenden, wie denn ein starkes Mißtrauen gegen sogenannte innere Erfahrungen berechtigt ist, da der eine sie so, der andere anders zu deuten vermag; ja selbst ganze Komplexe sind verschiedener Deutungen fähig und sehen wohl ihre Ursprünglichkeit bestritten. Besteht doch selbst darüber in der Wissenschaft keine Übereinstimmung, ob Größen wie Pflicht und Gewissen Urphänomene oder abgeleiteter Art sind. Wird aber der Kampf von Ganzem zu Ganzem geführt und die innerste Seele eingesetzt, so kommen wir auf das letzte, das ursprüngliche Geschehen; wenn irgendwo, so wird hier unsere Überzeugung eine elementare Festigkeit gewinnen. Denn hier wird uns nicht etwas von außen her zugeführt oder auch als ein innerer Zustand nur wahrgenommen, sondern hier steht die Sache auf unserer Tat und Entscheidung; es handelt sich dabei um nichts Geringeres als um unsere geistige Selbsterhaltung, um geistiges Sein oder Nichtsein. Diese Selbsterhaltung mit ihrer Selbstbejahung ist aber die Wurzel aller Gewißheit, aus ihr entspringt alles Suchen einer solchen. Dabei sei stets gegenwärtig, daß, was wir einerseits als eine Grundtatsache ergreifen, sich andererseits als eine unermeßliche Aufgabe darstellt. Denn volle Festigkeit kann uns das Leben nicht mit einem Schlage gewinnen, sondern nur durch ein fortschreitendes Zusammenschließen, durch ein Wachstum in gegenseitiger Verschränkung und Durchbildung der Mannigfaltigkeit, das aber innerhalb eines umfassenden Selbst, das durch alles hindurch sich entfaltet und den ganzen Umkreis beseelt. Je mehr das Leben das Gewebe einer Wirklichkeit aus sich entwickelt, zugleich aber ein volles Beisichselbstsein gewinnt, desto stärker wird die Befestigung; das Einzelne wird um so sicherer werden, je enger es sich dem Ganzen verkettet, und je mehr das Leben des Ganzen in ihm gegenwärtig ist. Wenn demnach volle Sicherheit uns Menschen als ein hohes und fernes Ziel gelten muß, so bleibt die Bewegung zu diesem Ziele mit ihrer Überlegenheit gegen alle menschliche Willkür eine Tatsache ursprünglicher und unbestreitbarer Art; wir könnten jenes Ziel nicht suchen, nicht unsere Seele daran setzen, wirkte es nicht von vornherein als treibende Kraft in uns; das aber kann es nicht, ohne irgendwie in uns selbst gegründet zu sein. Was so vom Ganzen des Lebens gilt, das gilt auch von seinen einzelnen Trägern: auch die Kulturepochen, die Völker, die Individuen erlangen eine Festigkeit der Überzeugung und eine Sicherheit des Weges nicht durch angestrengtes Grübeln, hinter das immer wieder ein neues Grübeln treten kann, sondern nur durch einen inneren Zusammenschluß ihres Lebens und seine Lagerung um einen beherrschenden Mittelpunkt; nur das verscheucht den Zweifel und gibt dem Handeln eine freudige Zuversicht, nur von hier aus wird uns das Leben aus halber zu voller Wirklichkeit. Geistiges Leben und menschliche Lage. Daß ein neues Leben in der Menschheit und auch beim einzelnen Menschen erwacht, sie über den nächsten Stand hinaustreibt und dafür eine große Wendung fordert, das spricht zu uns mit zu viel Tatsächlichkeit, um sich bestreiten zu lassen. Aber zugleich ist nicht zu verkennen, daß nicht das gesamte Leben in diese Bewegung aufgeht, daß das Dasein mit seinen eigentümlichen Lebensformen ihr gegenüber beharrt, daß damit das Ganze des Lebens unter einen Widerspruch gerät. Selbständiges Leben fordert eine Überlegenheit gegen Raum und Zeit, der Mensch des Daseins bleibt streng an diese gebunden; jenes entwickelt ein Ganzes der Gedankenwelt, das menschliche Leben verläuft in der Fläche des Bewußtseins mit seiner begrenzten Fassungskraft und seiner unablässigen Veränderung; inmitten alles geistigen Aufschwungs beharren die Bedürfnisse der natürlichen Selbsterhaltung mit starkem Zwange; eine Losreißung vom gesellschaftlichen Durchschnitt, ja ein Kampf gegen ihn erwies sich als unentbehrlich, und doch bleibt der Mensch ein Stück von jenem und muß hier seine Stellung wahren. So behauptet sich das Dasein, das von der Tatwelt aus als eine niedere Stufe erschien, mit zäher Kraft ihr gegenüber und macht eigentümliche Rechte geltend. Ein solcher Stand der Dinge muß den Menschen in starke Unruhe versetzen, er hat ihn auf weit abweichende Bahnen getrieben. Als einfachster Weg zur Lösung der Verwicklung konnte aufstrebenden Seelen und Zeiten das Unternehmen erscheinen, die niedere Welt völlig abzustoßen und den ganzen Umfang des Lebens von der in kühnem Sturm gewonnenen Höhe aus zu entwickeln. So ward es in der Religion, so in der Moral, so auch in der Philosophie gewagt. Aber überall hat sich gezeigt, daß solche Ablösung von der Erfahrungswelt, solcher Versuch, alle Wirklichkeit von innen her zu erzeugen, unüberwindliche Widerstände fand und das Geistesleben selbst mit Verarmung bedrohte. So geschah es der Mystik, wenn sie sich nicht damit begnügte, eine allumfassende Einheit zu verkünden und ihre Gegenwart an jeder Stelle zu fordern, sondern wenn sie alle Mannigfaltigkeit zu bloßem Scheine herabsetzen wollte; denn unrettbar verfiel sie dabei in ein Gefühlsleben völlig gestaltloser Art, und sah sie sich vom höchsten Aufschwung oft in einen Stand gänzlicher Verlassenheit zurückgeschleudert. Ähnliches erfuhr die Moral, wenn sie die notwendige Begründung des Handelns auf das alle Mannigfaltigkeit tragende Gesamtleben so verstand, daß nun alle Befassung mit menschlichen Angelegenheiten als ein Raub am Höchsten erschien; denn so kamen Gottesliebe und Menschenliebe in einen schroffen Widerspruch, und jene Gottesliebe selbst drohte erzwungen und innerlich leer zu werden. Auch die Philosophie hat die notwendige Überlegenheit des Denkens wohl dahin überspannt, aus seiner Bewegung die ganze Wirklichkeit entspringen zu lassen, sie hat diese aber damit in ein Gewebe formaler Größen verwandelt; sie hätte das noch mehr getan, wäre ihrer Arbeit nicht immerfort aus der Erfahrungswelt eine versteckte Ergänzung zugeflossen. Demnach muß überall die geistige Bewegung allerdings volle Selbständigkeit erreichen und ihre Überlegenheit wahren, aber unmittelbar aus eigenem Vermögen kommt sie über Entwürfe und Umrisse nicht hinaus, auch gewinnt sie damit nicht die erforderliche Kraft, um die harten Widerstände zu brechen. Das Dasein ist keineswegs bloß etwas Niederes, über das sich ohne Verlust hinweggehen ließe, sondern in ihm stecken Tatsachen, deren Ergreifung der geistigen Bewegung erst eine genauere Richtung gibt, in ihm stecken Kräfte, die gewonnen sein wollen, damit das geistige Leben die notwendige Stärke erhalte. Freilich wird sich dabei nicht einfach aufnehmen lassen, die Aneignung muß zugleich eine Umwandlung sein, aber es bleibt die Forderung einer Ergänzung des Lebens von dorther. Das bildet eine entschiedene Wendung und einen erheblichen Fortschritt der Neuzeit, daß sie das Dasein keineswegs bloß als ein niederes, für das geistige Leben gleichgültiges, ja gefährliches Gebiet behandelt, daß sie vielmehr auf die Notwendigkeit dringt, sich unbefangen auch in jenes zu versetzen und es für das Hauptziel zu verwerten. Vorher hatte das Bestehen auf einen aller individuellen Willkür überlegenen Gesamtstand die einzelnen Menschen und auch die einzelnen Lebensgebiete von vornherein als Glieder eines Ganzen behandelt und jede Selbständigkeit ihm gegenüber zu einem Unrecht gestempelt, jetzt haben wir uns überzeugt, daß das Gelingen des Ganzen selbst einer freieren Entwicklung der Elemente bedarf; früher ging das Streben auf eine zeitüberlegene Ordnung, die alle Veränderung zu etwas Niederem, ja Verwerflichem herabsetzte und damit der Geschichte nur eine untergeordnete Stellung zuwies, die Neuzeit brachte zur Geltung, daß sich uns Menschen viel Wertvolles, ja Unentbehrliches nur mit Hilfe der Bewegung zu eröffnen vermag, obschon es selbst der Bewegung überlegen ist, sie erhob damit die Geschichte zu einer wesentlichen Seite des Lebens; die sinnliche Welt schien vorher durchaus untergeordnet und das Streben nach sinnlichen Gütern als ein Ausdruck niedriger Gesinnung, der Neuzeit hat sich herausgestellt, daß das Leben der Erfahrungen der sinnlichen Welt zur eigenen Weiterbildung bedarf, und daß die sinnlichen Güter auch die seelische Kraft zu steigern vermögen. So wird durchgängig dem Dasein ein höherer Wert zuerkannt und der Tatwelt seine Aneignung geboten. Solches Angewiesensein der Tatwelt auf das Dasein bringt aber manche Fragen mit sich und legt Wendungen nahe, die das menschliche Leben auf eine falsche Bahn verleiten. Vornehmlich diese Wendung, daß, was das Dasein in der Beleuchtung und der Behandlung von der Tatwelt aus leistet, als sein eigenes Werk erachtet, der Tatwelt aber damit alle Selbständigkeit abgesprochen wird. So geschieht es, wenn man glaubt, aus bloßer Erfahrung ein Ganzes der Erkenntnis gewinnen zu können, da die Bildung einer Erfahrung selbst das Wirken des Denkens fordert und damit die Tatwelt voraussetzt; so geschieht es weiter, wenn der Naturalismus ein wissenschaftliches Bild der Natur, eine Umsetzung der sinnlichen Eindrücke in Gedankengrößen, aus sich zu gewinnen hofft, da jenes Bild von der Tatwelt aus entworfen wird; hierher gehört es auch, wenn eine flachere Fassung der Sozialethik das bloßmenschliche Zusammensein Moral erzeugen läßt, da ohne eine Ursprünglichkeit der Moral jenes Zusammensein nun und nimmer eine Wendung zur Moral vollziehen könnte. Es kann aber solche Verkehrung nicht die zweite Stelle zur ersten machen, ohne daß der Bestand des Lebens in ein jähes Sinken gerät; so erklärt sich vollauf der Ernst, ja die Leidenschaft des um diese Fragen geführten Kampfes. Minder stark ist die Irrung, aber es bleibt eben bei der Verfeinerung eine gefährliche Irrung, den Bestand des Lebens aus Tatwelt und Dasein zusammenzusetzen, etwa das Erkennen aus Denken und Sinnlichkeit. Denn einmal erzeugt eine solche Zusammensetzung unvermeidlich einen Streit darüber, welche der beiden Seiten die wichtigere sei und das Maß zu geben habe, wie das zum Beispiel der Streit des Idealismus und des Realismus um das Verständnis Kants mit voller Deutlichkeit zeigt; dann aber erreicht eine bloße Zusammensetzung nie eine innere Einheit und daher auch kein volles Leben. Von altersher bis in die Neuzeit hinein ward versucht, das Leben aus einem Zusammenwirken von Stoff und Form zu erklären, aber das genügt nicht einmal für die Kunst, die jener Versuch zunächst im Auge hatte. Denn Form und Stoff ergeben miteinander keineswegs schon ein lebensvolles Kunstwerk; sonst würde ja die »akademische« Kunst den Gipfel aller Kunst bedeuten. Noch weniger ergibt die peinlichste Anwendung von Denkgesetzen auf den Stoff der Erfahrung eine lebendige Wissenschaft, am wenigsten aber die gewissenhafteste Anwendung moralischer Regeln auf die Fülle der Lebenslagen die lebendige Selbstentfaltung einer Persönlichkeit. Freilich muß dem Dasein eine gewisse Selbständigkeit zuerkannt werden, aber es ist auf den Boden des Höheren zu versetzen und hier umzugestalten, um das Ganze des Lebens weiterzuführen. So ist, wenn die Kunst eines Goethe Inneres und Äußeres untrennbar miteinander verbindet, das keine Zusammensetzung aus gleichwertigen Faktoren, auch kein bloßer Parallelismus, sondern das Innere bleibt überlegen, es zieht das Äußere an sich und teilt ihm seine Seele mit, es selbst aber findet erst in der Darstellung nach außen seine Durchbildung und Vollendung. Demnach ist die Lebensbewegung anders zu verstehen als eine Zusammensetzung von Form und Stoff oder auch von Kraft und Gegenstand. Eine Erhebung über den Gegensatz muß schon in der Tatwelt durch ein volltätiges Schaffen erfolgen; dieses bleibt nur insofern begrenzt, als es unmittelbar aus sich selbst nur die Grundlinien festzustellen, nur den Umriß zu entwerfen vermag; eben darin enthält es auch einen Antrieb zur Weitergestaltung. Dieser ist aber nur zu befriedigen, indem das Dasein auf den Boden der Tatwelt gezogen wird und Anhaltspunkte für die erstrebte Weiterbildung gewährt, aber so gewiß damit die Tatwelt eine gewisse Bindung erfährt, sie ist es, in deren Bereich der Aufstieg erfolgt. Zur ersten Aufgabe wird damit, die Wirklichkeitslinien und Umrisse feststellen, welche die Tatwelt aus sich hervorbringt, erst das ruft eine Bewegung hervor und stellt Fragen an das Dasein, deren Beantwortung das Leben weiterzubilden vermag. Immerhin behält auch bei solcher Unterordnung das Dasein eine gewisse Selbständigkeit, das Leben aber bekommt zwei Ausgangspunkte, die sich nicht miteinander vermengen dürfen. Nur wenn das Dasein eine unbefangene Betrachtung und Würdigung findet, kann es seinen vollen Beitrag zum Gelingen des Lebens liefern. So wenig damit unser Leben im Grunde zwiespältig wird, es behält eine Abstufung in sich selbst, und es kann auf gewisse Fragen keine schlechthin einfache Antwort geben. Nehmen wir zum Beispiel die Frage des Glücks. Gewiß können wir den Kern unseres Glückes nur in dem Gewinn eines selbständigen Lebens suchen, aber auch als Teilhaber einer Geisteswelt bleiben wir Menschen zugleich Wesen von Fleisch und Blut sowie Bürger eines gesellschaftlichen Zusammenseins; auch hier steht ein Gelingen oder Mißlingen in Frage, wir können, wir dürfen, was hier geschieht, nicht als gleichgültig von uns weisen, wir können das nicht, weil es tatsächlich in den Gesamtstand des Lebens eingreift, wir dürfen es nicht, weil durch eine Mißachtung dessen, was hier geschieht, auch der innere Bestand des Lebens Schaden leidet. Mit einem solchen Auseinanderhalten der Ausgangspunkte braucht aber das Leben selbst nicht auseinanderzufallen, es wird das nicht tun, solange die Überlegenheit der Tatwelt voll gewahrt wird. Freilich liegt hier die Möglichkeit schwerer Verwicklungen nahe, und daß es nicht bei der bloßen Möglichkeit bleibt, das wird uns bald zu beschäftigen haben. Zum Abschluß dieser Betrachtung sei nur noch dieses bemerkt, daß eben das Auseinanderhalten von Tatwelt und Dasein es möglich macht, den verschiedenen Lebensordnungen, die heute sich gegeneinander stellen, ein gewisses Recht zuzuerkennen, ohne sie durch einen flachen Ausgleich nur aneinanderzukleben, es möglich macht, die Gegensätze vollauf anzuerkennen und ihnen dabei überlegen zu bleiben. Die Lebensordnungen der unsichtbaren Welt verfechten das höhere Recht der Tatwelt und sind darin unangreifbar; sie können aber ins Unrecht geraten und vermögen ihren Idealismus nicht vollauf durchzubilden, wenn sie das Dasein mißachten und damit auf die Hilfen verzichten, die sie für ihre eigenen Zwecke aus ihm gewinnen könnten. Die Lebensordnungen der sichtbaren Welt sind demgegenüber im Recht mit dem Ausweis, daß sie nicht bloß einzelne Daten, sondern ganze Seiten des menschlichen Lebens vertreten, die als Charakterzüge auch in sein Gesamtbild stärker einfließen müssen, als es in früheren Zeiten geschah. Wir haben innerhalb des Idealismus realistischer zu denken, ohne damit dem Widersinn eines »Realidealismus« zu verfallen. Auch die Verzweigung innerhalb der beiden Hauptrichtungen ist aus dem Zusammenhange unserer Betrachtung ganz wohl zu verstehen und zu würdigen. Er macht begreiflich, daß das geistige Leben einerseits alle Ausbreitung zurückstellen und sich in sich selbst befestigen muß, um eine sichere Weltüberlegenheit und ein volles Beisichselbstsein zu finden, daß andererseits aber zu seiner Durchbildung die Entfaltung zu einer Welt schlechterdings unentbehrlich ist. Ganze Lebensgebiete folgen mehr der einen oder der anderen Richtung und bekennen damit eine Überzeugung vom Ganzen; die einen beherrscht der Kontrast, die anderen der Zusammenhang der Wirklichkeit. Jenes geschieht bei der Religion und auch bei der Moral, wo sie in strengem Sinne genommen wird, mit ihrer Schärfung des Gegensatzes rütteln sie auf und treiben sie das Leben weiter; dieses geschieht bei der Kunst und der Wissenschaft, sie wirken damit zur Verbindung und zugleich zur Befestigung des Lebens. Ein Überwiegen jener droht das Leben zu sehr im bloßen Umriß zu halten und die durchbildende Kraft der Arbeit zu unterschätzen, ein Überwiegen dieser hemmt leicht die volle Anerkennung der Tiefen und auch der Abgründe des Lebens. Wie die menschliche Lage einmal ist, müssen die beiden Ströme eine gewisse Selbständigkeit gegeneinander bewahren, um ihre Eigentümlichkeit und ihre Kraft voll erweisen zu können. Wenn demnach alles Ineinanderfließen fernzuhalten ist, so darf auch die Erhebung über die Welt nicht so verstanden werden, daß sie nur vorgenommen wird, um der Welt mehr Gehalt bei sich selbst zu geben. Die Überlegenheit darf kein bloßer Durchgangspunkt sein, sie ist auch bei kräftiger Erfassung der Welt festzuhalten, damit nicht ein Pantheismus entstehe, der zugleich verneint und bejaht und daher nur eine Übergangserscheinung sein kann. Auch die Lebensordnungen der sichtbaren Welt werden gegenseitig ihre Grenze zu wahren haben; die Natur mit ihrer reinen Tatsächlichkeit und ihrer durchgehenden Verkettung, und das Menschenleben mit seinem unablässigen Weiterstreben und seinen schroffen Gegensätzen dürfen nicht ineinander verfließen. Das ist es, was den Positivismus eines Comte zu einem durchgehenden Widerspruch macht, daß er einmal in naturwissenschaftlicher Denkart eine bloße Schilderung, eine Beschreibung des Tatbestandes sein will, andererseits aber mit höchstem Eifer eingreifende Wandlungen des gesellschaftlichen Zusammenseins fordert. An solchem Widerspruch leidet auch die Soziologie, indem sie das Leben der Gesellschaft unter Naturgesetze stellt, aber es zugleich wesentlich umbilden will. So ist es als eine Eigentümlichkeit der menschlichen Lage anzuerkennen, daß das Leben sich vollauf zu entfalten nur vermag, indem es verschiedenen Strömen eine gewisse Selbständigkeit gewährt. Zugleich freilich ist mit größtem Nachdruck zu fordern, daß ein Ganzes des Lebens den einzelnen Strömen überlegen bleibe und ihre besonderen Erfahrungen in eine Gesamterfahrung verbinde, die aus ihnen erwachsenden Lebensbilder an einem Gesamtbilde prüfe und daraus berichtige. Das kann nur geschehen, wenn ein der Verzweigung überlegener Standort gewonnen und zugleich das Lebensproblem weiter zurückverlegt wird. Das wird aber möglich, wenn die Bildung eines selbständigen schaffenden Lebens im Bereich des Menschen zum Problem der Probleme wird, wenn die Frage des Lebens überhaupt vor alle Fragen der besonderen Gestaltung tritt. Zur Aufgabe wird damit, jeden einzelnen Strom auf den Punkt zurückzuführen, wo er aus dem Ganzen hervorbricht, und seine Bedeutung danach zu messen, was er für das Ganze des Lebens leistet. Auch das stellt Aufgaben über Aufgaben, und es erscheint auch von hier aus unser menschliches Leben als mitten im Werden begriffen und daher als höchst unfertiger Art. Aber warum sollte uns das erschrecken und niederdrücken, wenn nur feststeht, daß Bedeutendes bei uns vorgeht, und daß die Sache hoch über aller menschlichen Willkür liegt. Und darüber kann nicht wohl ein Zweifel sein. Auseinandersetzung mit der Welt und der Lage des Menschen. Bisher hatten wir ein Gesamtbild des Lebens entworfen, ohne die Frage zu stellen, wie weit unser menschlicher Bereich es zur Ausführung bringt, was er an Hemmungen, aber auch an Überwindungen enthält. Nun aber gilt es sich auch damit zu befassen; wir werden dabei nicht nur einen eigentümlichen Tatbestand finden, wir werden im Bilde des Lebens selbst weitere Züge entdecken. Es erwachsen aber Hemmungen vornehmlich in dreifacher Richtung: aus der Übermacht der Natur, aus der Unsicherheit des Geisteslebens, aus der Unlauterkeit und dem inneren Widerspruch des menschlichen Standes. Diese Punkte wollen gesondert behandelt sein. Die Übermacht der Natur. Verhält sich Geistesleben und Natur, wie unser Lebensbild behauptet, wie eine höhere und niedere Stufe, so wäre zu erwarten, daß die Natur durchgängig sich unterordnete und einen Zusammenhang mit dem Geistesleben zeigte. Dem aber widerspricht zunächst die Unermeßlichkeit der Natur, der gegenüber, was in der Menschheit an geistiger Art erscheint, zu winziger Kleinheit herabsinkt. Es klingt vermessen, ein so Verschwindendes für den Kern der Wirklichkeit auszugeben. Weiter aber scheint der Natur alle Verknüpfung mit dem Geistesleben zu fehlen. Frühere Zeiten haben wohl gewagt, eine solche aufzuweisen, so glaubte das Mittelalter in der Pflanzen- und Tierwelt durchgängig Hinweise auf das Leben, Leiden und Auferstehen Jesu zu entdecken, eine sinnbildliche Deutung wob ein Band zwischen der Außen- und der Innenwelt. Wie fern ist uns heute, schon durch die unermeßliche Erweiterung der Natur ins Große wie ins Kleine hinein, diese Denkart gerückt! Nach dem jetzigen Bilde scheint die Natur ganz und gar in sich selbst zu ruhen und bei sich selbst zu verlaufen, scheint auch das Gebiet organischer Bildung nicht über sich selbst hinauszuweisen. Welche Beziehung könnte zum Beispiel die wunderbare Lebensfülle und der erstaunliche Formenreichtum der Tiefseewelt zur Entwicklung des Geisteslebens haben? Wohl führt in der Natur ein Strang zu der Höhe, wo sich solches Leben entfaltet, aber dieser Strang ist nur einer neben vielen anderen, die sich an mannigfachen Stellen abzweigen und ohne irgendwelchen Zusammenhang mit jenem Leben verlaufen. Wie ein dunkles Rätsel steht vor uns das Ganze der Natur. Ein Aufstieg der Bildung und des Lebens ist unverkennbar, aber er erfolgt unter harten Widerständen und so, daß das Höhere streng an die niederen Stufen gebunden bleibt. Schwerlich wird die Natur sich letzthin mechanisch erklären lassen, die Anerkennung bildender Kräfte aber macht es zu einem rätselhaften Widerspruch, daß vielfach die Natur die Wesen gegen einander hetzt und sie auf gegenseitige Zerstörung anweist; indem sie die Angriffswaffen des einen, die Schutzwehr des anderen verstärkt, scheint sie sich selbst entgegenzuwirken. Zweckmäßigkeit an den einzelnen Stellen, aber kein erkennbarer Zweck im Ganzen. So bleibt zunächst völlig unklar, wie das Geistesleben eine innere Verbindung mit diesem Reiche haben könnte; hat es sie aber nicht, so scheint es vereinsamt in dem unermeßlichen All, dessen Seele zu sein es behauptet. Dazu zeigt sich der Lauf der großen Welt, dem auch wir aufs engste verflochten sind, völlig gleichgültig gegen unser Ergehen; von altersher hat den Menschen die Wahrnehmung beschäftigt, aufgeregt und wohl gar zur Verzweiflung getrieben, daß das, was ihm von innen her als das Höchste gilt und woran er sein Hauptstreben setzt, im Ganzen der Welt aller Schätzung und Bedeutung zu entbehren scheint; wie im Spiel zerstört die Natur, sei es in langsamer Verzehrung, sei es in gewaltigen Umwälzungen, was geistig von höchstem Werte ist, sie kennt kein gut oder böse, ihr gilt kein Unterschied. Es hat nicht an Bemühung gefehlt, den Widerspruch wegzudeuten und nachzuweisen, daß mit jenem Befunde ein Reich der Gerechtigkeit und sittlichen Ordnung, ja der Liebe und gütigen Vorsehung, wohl vereinbar sei, aber mochten weite Kreise und lange Epochen in solchen Gedankengängen eine Befriedigung finden, die Menschheit ist aus einer solchen immer wieder aufgescheucht und von dem Zweifel befallen, ob jene Ausgleichung nicht eine bloße Ausrede sei, ein Erzeugnis bloßer Wünsche und Träume. Dazu unterliegt der Mensch nicht nur nach außen hin, sondern auch im eigenen Bereich der Herrschaft der Natur. Alle Entfaltung seelischen Lebens bei ihm zeigt eine solche Abhängigkeit von körperlichen Zuständen und Vorgängen, daß versucht werden konnte, sie ganz und gar darauf zurückzuführen. Auch in das Handeln reicht solche Bindung hinein. Denn das Sinnliche nimmt in ihm eine überragende Stellung ein; statt geistigen Zwecken zu dienen, bemächtigt es sich der seelischen Kräfte, das aber über den eigenen Entschluß der Menschen hinaus, aus bitterem Zwange der Notwendigkeit. Wie die Menschheit sich im Durchschnitt der Erfahrung ausnimmt, wird die natürliche Selbsterhaltung des Individuums wie der Gesellschaft der beherrschende Haupttrieb des Lebens. Unablässig haben wir um die Behauptung unseres Daseins zu kämpfen, und zwar so hart, daß diese Aufgabe oft das ganze Streben einnimmt, das nicht nur bei den Individuen, sondern auch bei den Völkern und der gesamten Menschheit. Nicht die Ideen, sondern die Interessen, und zwar die materiellen Interessen, beherrschen den Durchschnitt des menschlichen Daseins. Wie sehr sie auch bei großen geschichtlichen Wendungen, zum Beispiel bei religiösen Umwälzungen, im Spiele sind, das hat eben die neueste Zeit mit ihrer Hervorkehrung der ökonomischen Betrachtungsweise anzuerkennen gezwungen. Dabei müssen wir zugestehen, daß der Kampf mit seiner harten Not und seiner Aufrüttelung der Kräfte für den Menschen, wie er nun einmal ist, sich nicht entbehren läßt; bloßgeistige Ziele bewegen ihn viel zu wenig, ein sorgenfreies Leben würde für die meisten ein träges und schlaffes werden. Dazu kommt die Selbsterhaltung der Gattung mit ihrer Voranstellung der geschlechtlichen Seite des Lebens. Mit Unrecht hat eine ältere Denkart unter dem Einfluß theologischer Dogmen der Menschheit den Geschlechtstrieb als eine sittliche Schuld aufgebürdet, da vielmehr der Zwang der Natur ihn ihr eingepflanzt hat und er für ihr Fortbestehen durchaus unentbehrlich ist. Demnach erscheint durchgängig die sinnliche Lebenserhaltung als die stärkste Macht im menschlichen Dasein, und es behält Schiller Recht mit dem Wort, daß Hunger und Liebe die Welt regieren. Von hier aus mag alles geistige Leben eine bloße Nebensache scheinen, die anderen Zwecken zu dienen hat. Solchem Übergewicht des Sinnlichen entspricht die Tatsache, daß die Formen des natürlichen Daseins in Raum und Zeit, die das schaffende Leben überwinden wollte, in Wahrheit beharren und unser Streben beherrschen. Das bloße Nebeneinander des sinnlichen Daseins umfängt uns mit starrer Tatsächlichkeit und isoliert den einen gegen den anderen, während alle Entfaltung geistigen Lebens ein Wirken aus dem Ganzen verlangt; nicht minder befinden wir uns in dem Nacheinander der Zeit, wo keine Leistung und kein Zustand beharrt, vielmehr alles fließt und der Wandel der Dinge leicht das heutige Recht morgen in Unrecht verkehrt. Einen wie raschen Wechsel der Ziele, der Überzeugungen und des Geschmackes zeigt das menschliche Dasein, während das geistige Schaffen seinen Gehalt als zeitüberlegen gibt und auf solcher Forderung bestehen muß, um seine Kraft voll einzusetzen. Das alles läßt sich nicht leugnen, noch auch beiseite schieben, es bleibt bei der Tatsache, daß geistiges Leben bei uns Menschen in starker Abhängigkeit steht und sich oft recht kümmerlich ausnimmt. Das anerkennen heißt aber keineswegs einem endgültigen Nein unterliegen. Dem widersteht schon die Tatsache, daß inmitten unseres Daseins weit über die bewußte Absicht des Menschen hinaus eine Weiterbewegung gegen die bloße Natur und ihre Maße im Gange ist. Denn vielfache Erfahrung zeigt, daß, was der Mensch unter dem Zwange der Not und seiner Selbsterhaltung wegen ergriff, sich ihm durch den eigenen Verlauf des Lebens verwandelt und veredelt: was zunächst nur äußerlich war, das wird ins Innere gewandt; was als bloßes Mittel diente, das gewinnt einen Wert bei sich selbst; auf solchem Wege erfolgt durch die ganze Weite und Breite des Lebens ein Aufstieg zu geistiger Höhe. Betrachten wir die persönlichen Verhältnisse von Mensch zu Mensch in Liebe und Freundschaft. Was Liebe genannt wird, ist zunächst dem Naturtrieb verwachsen und oft recht flacher Art, es trägt geistige Züge nur nebenbei, der andere Mensch erscheint vornehmlich als ein Mittel zur Erhöhung des eigenen Wohlseins. Aber im Zusammensein vollzieht sich nach und nach eine Wendung dahin, daß jener auch bei sich selbst einen Wert erhält, und daß der Förderung seines Wohles das Ich sich unterordnen, ja aufopfern kann, daß unter Durchbrechung der anfänglichen Enge eine innere Erweiterung des Lebens erfolgt. Nicht anders steht es mit der Freundschaft. Äußere Gründe der Nützlichkeit und der Annehmlichkeit pflegen die Menschen zusammenzuführen, es ist meist eine Gemeinschaft der Zwecke, welche sie zusammenhält. Aber bei einiger Dauer pflegt das gegenseitige Verhältnis sich ins Innere zu wenden, und jedes Glied eine innere Teilnahme, ja Freude am anderen auszubilden. Schon Aristoteles hat geschildert, wie der Verlauf des Lebens aus dem zunächst bloß Nützlichen und Angenehmen etwas an sich Wertvolles, etwas Gutes bereitet, und wie damit der Mensch seinen eigenen Beweggründen entwächst, wie hier nach dem Ausspruch des Denkers auch in dem Menschen niederer Art etwas Göttliches wirkt, das stärker ist als er selbst. Auch unser Verhältnis zu den Gegenständen, mit denen unsere Arbeit zu tun hat, nimmt teil an solcher Erhöhung. Wir pflegen die Arbeit um der Selbsterhaltung willen aufzunehmen, in der Not des Kampfes ums Dasein müssen wir notgedrungen einen Lohn für sie verlangen; die Sache mag uns dabei zunächst völlig gleichgültig sein. Aber nach und nach wird uns die Arbeit durch ihren eigenen Gehalt lieb und wert, ihr Fortgang wird zur Herzenssache, die Sorge um ihr Gelingen läßt uns willig große Mühen und Opfer ertragen. Das namentlich, wenn sich die Arbeit über einzelne Leistungen hinaus zur Lebensarbeit steigert, einen eigentümlichen Beruf erzeugt und damit allem Handeln eine beharrende Richtung gibt. Das widersteht mit besonderer Stärke einem Beharren bei kleinlicher Selbstsucht und wirkt zur inneren Erhöhung des Lebens. Wie so im Verhältnis zu Menschen und Gegenständen das Leben vom Äußeren ins Innere, vom Natürlichen ins Geistige übergeleitet wird, so trägt der Einzelne auch in seiner eigenen Seele eine Macht, die ihn vorwärts treibt. Das ist die Besonderheit seiner Art, seine Individualität. Sie ist zunächst eine Gabe der Natur, in der Niederes und Höheres zusammenfließt; diesen Befund zu wahren und durchzusetzen entspricht dem Naturtrieb der Selbsterhaltung und gewinnt daher leicht die Neigung des Menschen. Aber die Bewegung, die damit in Fluß kommt, führt immer mehr und mehr über den Anfang hinaus, es drängt den Menschen dahin, jenen Kreis enger zusammenzuschließen, einen beherrschenden Mittelpunkt auszubilden, Haupt- und Nebensachen zu scheiden; je mehr das gelingt, desto deutlicher wird eine Hauptrichtung ersichtlich und wird die Wendung von einem niederen Selbst der Natur zu einem höheren des Geistes gefördert. Die individuelle Art erscheint damit als ein Pfeiler, an dem sich das Leben in die Höhe rankt. Auch das menschliche Zusammenleben zeigt einen ähnlichen Aufstieg vom Niederen zum Höheren, ein Hinauswachsen des Menschen über seine eigenen Triebe. So in der Verbindung der einzelnen Kräfte. Zunächst ist es das äußere Nebeneinander und der Zwang der Lebenserhaltung, welche die Menschen zusammenführen und zu kleineren oder größeren Gruppen verbinden. Aber nun ergibt die Verbindung gemeinsame Erfahrungen und Kämpfe, gemeinsame Erfolge und Leiden; sowenig daraus unmittelbar eine innere Gemeinschaft hervorgeht, eine solche wird durch den gemeinsamen Besitz doch vorbereitet, es werden Anhaltspunkte gewonnen, die einem Leben aus dem Ganzen entgegenkommen. So wird, was Volk und Vaterland auf der Stufe des geistigen Lebens dem Menschen bedeuten können, auch durch die natürliche Entwicklung angebahnt. Ähnliches erfahren wir gegenüber der Zeit mit ihrem Nacheinander. Denn gegenüber dem bloßen Nacheinander bildet das gesellschaftliche Leben beharrende Züge und Lagen aus, die sich von der geistigen Arbeit aneignen und einer neuen Stufe zuführen lassen. Es erscheint damit eine gewisse Vermittlung zwischen der bloßen Zeit, die das nächste Dasein beherrscht, und der Ewigkeit, die das geistige Schaffen fordert. Demnach erweist schon im Bereich des Daseins das Leben selbst ein erziehendes Wirken. Wir verstehen von hier aus, wie Plato von einer dem Niederen innewohnenden Sehnsucht nach Ewigkeit reden und eine Stufenleiter des Strebens im Weltall aufsuchen konnte; nur sei das nicht als ein bloßes Hervorgehen aus der Natur verstanden, sondern als eine Emporhebung durch die Kraft des Geisteslebens. Die Natur könnte unmöglich in jenen Aufstieg gelangen, wirkte nicht ein tieferer Grund in ihr und gäbe ihr den Trieb zur Weiterbewegung. Uns aber erschöpft sich die Wirkung des geistigen Lebens nicht in eine solche Emporbildung der Natur, sondern, wie wir sahen, erzeugt dieses Leben ein selbständiges Reich, das wesentlich anderer Art ist als das der Natur. Nicht nur in besonderen Richtungen vollziehen sich erhebliche Wandlungen, nicht nur weichen hier die Güter des Nützlichen und Angenehmen denen des Guten, Wahren und Schönen, sondern es verwandelt sich der Grundbegriff der Wirklichkeit, indem diese nicht mehr ein bloßes Nebeneinander in Raum und Zeit, nicht ein bloßes Gewebe von Einzelpunkten bildet, sondern alle Mannigfaltigkeit mit einem Ganzen des Lebens umfaßt und sie sich innerhalb dieses entfalten läßt. Wie das eine Erhebung über Raum und Zeit vollzieht, so erweist hier ein Geschehen seine Tatsächlichkeit nicht durch ein Vorhandensein im zeiträumlichen Nebeneinander, sondern durch die Zugehörigkeit zum Leben des Ganzen. Hier bildet nicht die Beziehung von Einzelnem zu Einzelnem, sondern das Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen das Grundverhältnis des Lebens, im Gesamtleben hat jedes seine Stelle und sein Recht aufzuweisen, was als wahr gelten will. Jenes ist nach unseren Darlegungen nicht eine Welt neben einer anderen, sondern es ist die Welt, in der allererst das Leben ein Beisichselbstsein erreicht; es muß daher als die Grund- und Hauptwelt, als der Kern alles Geschehens anerkannt werden. Erst von hier aus sahen wir auch ein wissenschaftliches Bild der Natur entstehen, dies Bild aber läßt eine überschauende Erwägung manche Züge gewahren, welche bei aller Rätselhaftigkeit eine größere Tiefe des Ganzen verraten, als der Mechanismus des bloßen Nebeneinander zu erklären vermag; so die Wechselwirkung der Elemente, so das Durchgehen einfacher Grundgesetze, so die Macht der Formbildung in der Natur, so auch der Aufstieg zu höheren Stufen in ihr. Ja selbst die enge Verkettung unseres geistigen Vermögens mit der Natur wird einer naturalistischen Deutung entzogen, sobald anerkannt wird, daß im Beisichselbstsein des Lebens etwas der Natur wesentlich Überlegenes eintritt. Denn dann wird der Gedanke unabweisbar, daß die Natur zu einer derartigen Erhöhung nicht führen könnte, besäße nicht sie selbst einen tieferen Grund, und stellte sie sich damit nicht als eine bloße Stufe eines weiteren Geschehens dar. Freilich müssen uns zugleich die Grenzen unseres Erkennens und die Überlegenheit der Natur über alle menschlichen Maße gegenwärtig bleiben; daß aber ein innerer Zusammenhang von Natur und Geist besteht und auch uns sich eröffnet, das erweist die Kunst mit ihrem das Leben durchwaltenden Wirken. Denn sie läßt das Sinnliche zum Ausdruck des Geistigen werden und seiner Fortbildung dienen, ihr vermögen Worte, Töne, Farben innerlichste Seelenlagen zu verkörpern, nicht minder aber bringt sie zur Anerkennung, daß beim Menschen das Geistesleben solcher Verkörperung bedarf, um ihm volle Wirklichkeit zu werden. So erweist die Kunst den Zusammenhang beider Welten und gibt, um mit Goethe zu reden, »von des Daseins ewiger Harmonie die seligste Versicherung«. Mag demnach im Gesamtbild des Lebens die Natur eine gewaltige Macht behaupten und für den äußeren Eindruck weit überlegen bleiben, in unserer Seele erhebt sich eine neue Welt, deren Tatsächlichkeit alle Schranken des Menschen nicht aufheben können. Denn diese Welt hat von Haus aus eine Selbständigkeit und Überlegenheit gegen den Stand und das Befinden des Menschen, sie aber ist uns das Allernächste und Allergewisseste, das, von wo aus wir die Natur innerlich erst erleben; wer daher der Macht der bloßen Natur unterliegt, der bekundet damit nur die Schwäche seiner eigenen Stellung im Geistesleben. Die Unsicherheit des menschlichen Geisteslebens. Gegen die übermächtige Sinnenwelt suchten wir einen festen Halt im Selbständigwerden des Lebens. Aber mit diesem Selbständigwerden scheint es beim Menschen schlecht genug bestellt; wer möchte leugnen, daß das Geistesleben dem ersten Eindruck hier sehr schwankende Umrisse zeigt: die einzelnen Menschen und Kreise gehen bei seiner Fassung weit auseinander bis zu völligem Gegensatz; nicht minder tun es die verschiedenen Zeiten; gegenüber ihren Bewegungen und Wandlungen erscheint jenes als völlig biegsam und weich, als etwas, das jeder Forderung nachgibt, sich jeder Lage bereitwillig anpaßt. Solche Schmiegsamkeit gewährt menschlichem Meinen und Wünschen den weitesten Spielraum, der Streit der Parteien zieht die Sache an sich, auf Deutung und Nutzen des bloßen Menschen scheint alles hinauszukommen, damit aber eben das, was über den Menschen hinausheben sollte, ein Spielball seines Beliebens, ein Werkzeug seiner Zwecke zu werden. So das Chaos des ersten Eindrucks. Aber der Zusammenhang unserer Betrachtung gestattet diesem Eindruck zu widerstehen. Das Leben entbehrt keineswegs alles festen Tatbestandes, weil die Menschen sich über seine Fassung streiten, es gilt nur die Tatsächlichkeit an der rechten Stelle zu suchen, sie nicht gegenüber dem Leben, sondern innerhalb seiner zu suchen. Denn auch Bewegung und Streben enthüllen einen eigentümlichen Tatbestand, eröffnen bestimmte Züge, zeigen eine Richtung des Weges, lassen ein Vermögen des Geistes ersehen. Es erwacht zum Beispiel in der Menschheit, wie wir sahen, ein Streben nach einer neuen Art der Geschichte, nach einer Erhebung über das bloße Vorüberziehen der Zeiten, nach einer inneren Festhaltung dessen, was äußerlich versank; erweist das darin bekundete Vermögen, die Zeiten zu überschauen und in ein Gesamtbild zu fassen, ihrem Wandel Bleibendes abzuringen und in Aneignung dieses Bleibenden eine zeitüberlegene Gegenwart zu bilden, erweist ein derartiges Vermögen nicht eine eigentümliche Beschaffenheit des Lebens, und zugleich eine Tatsächlichkeit, die kein bloßes Deuten hervorbringen könnte? Gegenüber solcher Zurückverlegung der Tatsächlichkeit in das Grundgewebe des Lebens erscheint die übliche Behandlung der Sache als viel zu flach und summarisch. Diese fragt nur nach dem Endergebnis wie der Händler nach der fertigen Ware, die Arbeit ist ihr gleichgültig; so gewahrt sie nicht, daß auch diese im Entfalten der Kräfte einen eigentümlichen Tatbestand enthält. Ja, es kann bei diesen inneren Fragen das Wie der Arbeit wichtiger sein als ihr Erzeugnis, da jenes neue Fragen stellen, neue Möglichkeiten eröffnen, den Lebensprozeß vertiefen kann. Auch sind es nicht bloß einzelne Bewegungen, die einen Tatbestand in sich tragen, sondern es entstehen auch innerhalb des Lebens größere Zusammenhänge, geschlossene Gebiete mit eigentümlichen Gesetzen und Forderungen, wie Kunst und Wissenschaft, Moral und Religion. Auch bei diesen Lebensgebieten, die im Lauf der Geschichte immer selbständiger geworden sind und namentlich in der Neuzeit ihre eigentümliche Art deutlich hervorgekehrt haben, verdeckt leicht der Streit um die nähere Fassung die Grundtatsache, welche schon ihr Entstehen und Bestehen enthält; man sieht den Wald nicht vor lauter Bäumen. Weil zum Beispiel bei der Moral und der Religion die näheren Fassungen weit auseinandergehen, erscheinen jene leicht als ein bloßes Machwerk menschlicher Meinung; sie können das nicht mehr, wenn gegenüber allen besonderen Arten von Moral und Religion eine überlegene Tatsache darin erkannt und anerkannt wird, daß überhaupt Religion und Moral im menschlichen Kreise entstehen und nicht bloß die Einzelnen beschäftigen, sondern das Ganze des Lebens eigentümlich gestalten. Denn durch alles, was die einzelnen Religionen voneinander trennt, geht ein gemeinsamer Zug des Lebens, geht die Abhebung einer höheren Art von seinem sonstigen Stande, geht die Forderung, alles menschliche Wohlsein gegenüber jener zurückzustellen; das ergibt eine eigentümliche Welt der Gedanken nicht bloß, sondern auch der Gefühle, eine Entwicklung von Erhabenheit und Gnade einerseits, von Ehrfurcht und Glaube andererseits; auch läßt sich das nicht in seine Geschichte verfolgen, ohne in dieser einen Aufstieg vom Sinnlichen ins Unsinnliche, vom Einzelnen ins Ganze, von äußerem Werk zur Gesinnung des Herzens zu erkennen, allen Zweifeln und Irrungen gegenüber erscheint darin eine eigentümliche Entfaltung des Lebens. Ähnlich steht es mit der Moral. Allem Unterschied ihrer Gestaltungen und allem Streit der Moralsysteme bleibt die Tatsache überlegen, daß die Menschheit sich überhaupt der Herrschaft des bloßen Naturtriebs entwand und die Wendung zu einer Ordnung vollzog, welche ihr schwere Gebote auferlegt und doch als ihr zugehörig anerkannt wird. Es lag darin ein Aufruf zur Befreiung von allen selbstischen Zwecken, auch die Forderung einer freien Entscheidung und Zuwendung, dabei der Anspruch, allen anderen Zwecken überlegen zu sein und unbedingten Gehorsam verlangen zu dürfen. Mag eine solche Bewegung langsam vordringen und immerfort harten Widerstand finden, sie ist vorgedrungen und hat sich gegenüber allem Widerstande behauptet. Ist nicht auch das eine aller Willkür überlegene Tatsächlichkeit? Welche Macht solche Lebenskomplexe ausüben können, das zeigt besonders deutlich die Wissenschaft mit ihrer Erhebung des Denkens zu voller Selbständigkeit. Sie fordert eine sachliche Verkettung, die alle Mannigfaltigkeit zum Ganzen eines Systems verbindet, jeden Satz streng in seine Konsequenzen entwickelt, keinerlei Widerspruch der einzelnen Behauptungen duldet; es kann das seinem Inhalt nach den Interessen des bloßen Menschen geradezu widersprechen, und doch zwingt es ihn mit unwiderstehlicher Macht zum Gehorsam, den Einzelnen sowohl als das Ganze des Völkerlebens. Solche Zurückverlegung der Tatsächlichkeit stellt auch die Überzeugungen des Menschen vom Ganzen der Welt auf einen festeren und breiteren Grund, als die übliche Art es tut, die alle Wahrheit von bloßem Verstande erwartet. Wie die einzelnen Lebensgebiete eine Bewegung des Gesamtlebens hinter sich haben und sie zum Ausdruck bringen, so vertritt jedes in der Durchführung seines Unternehmens eine Überzeugung vom Ganzen; auch innerhalb der einzelnen Gebiete wird keine Leistung wahrhaft groß, die nicht ein Bekenntnis vom Ganzen enthält. Dabei erschließt aber die Arbeit der verschiedenen Gebiete verschiedene Seiten des Ganzen, wie schon vorher beim Gegensatz des Überweltlichen und Innerweltlichen ersichtlich wurde. Hier sei nur noch hinzugefügt, daß das Erziehungswerk eine Vermittlung beider Richtungen und ihrer Bekenntnisse fordert und auf seiner Höhe vollzieht. Denn wenn es einerseits die Schärfe der Gegensätze voll anerkennen muß, um genügende Tiefe und Kraft zu erreichen, so könnte es keinen Mut zu seiner Aufgabe finden, schlummerte nicht in jeder Menschenseele ein geistiger Keim und bestünde nicht die Möglichkeit, ihn durch treue Arbeit zu wecken. Solches den Lebensgebieten innewohnende Bekenntnis erklärt es auch, daß die Überzeugungen der Individuen wie die ganzer Zeiten sich nach den Lebensgebieten zu richten pflegen, denen ihre Arbeit dient, daß zum Beispiel die Wege der Naturforscher und die der Geistesforscher meist auseinandergehen. Aber eben dies Auseinandergehen zeigt, daß die von den einzelnen Gebieten gebotene Tatsächlichkeit nicht auslangt, daß wir, um völlig sicher zu werden, auch eine Gesamtleistung suchen und fordern müssen, die den Gesamtumfang des Lebens eigentümlich gestalte und aller Tätigkeit eine deutliche Richtung weise. Nun kommt uns freilich eine solche Gesamtleistung nicht als eine fertige Tatsache entgegen, wohl aber zeigt die weltgeschichtliche Arbeit eine unablässige Bewegung nach diesem Ziele, ja diese Bewegung bildet den Kern und die Hauptspannung der Weltgeschichte. Das nämlich bezeichnet die Höhepunkte menschlichen Strebens, daß dort eine aller Mannigfaltigkeit überlegene und sie durchdringende Art des Schaffens gewonnen wurde, alle Verzweigung der Lebensarbeit zusammenhielt und dem Gesamtbereich einen ausgeprägten Charakter verlieh. So schuf die Höhe des Griechentums eine Lebenseinheit künstlerischer, namentlich plastischer Art, und suchte ihren Zielen und Forderungen gemäß alle Lebensgebiete zu gestalten. Solche Behandlung nach der Art eines plastischen Kunstwerks ließ nicht nur das Weltall eigentümlich als einen herrlichen Kosmos sehen, sie gab auch der staatlichen Gemeinschaft wie der Seele des Einzelnen ein festes Gefüge und hielt ihnen ein Gesetz der Anordnung und Abstufung vor. Was aus solchen Bewegungen hervorging, das hat neue Seiten des Lebens erschlossen und viel Schlummerndes geweckt; auf seiner Höhe konnte dieses Schaffen sich als den letzten Abschluß betrachten. Es hat dann freilich die Erfahrung gezeigt, daß jenes künstlerische Gestalten den Umfang und die Tiefe des Lebens nicht erschöpft, aber es wird dadurch keineswegs zu einer Erscheinung vorübergehender Art, sondern was es an bildendem und veredelndem Vermögen eröffnet hat, das bleibt als eine Quelle des Lebens allen folgenden Zeiten gegenwärtig und widersteht mit mächtiger Kraft einer sonst drohenden Barbarei. Jener künstlerischen Behandlung des Lebensproblems ist die ethisch-religiöse des Christentums gefolgt und hat die Herrschaft über weite Kreise der Menschheit gewonnen. Auch sie hat später Widerspruch erfahren, aber ihre Umwandlung des Lebensbestandes, die von ihr bewirkte Vertiefung, ihre Aufdeckung schroffer Gegensätze im Menschenwesen, aber auch einer Erhebung darüber durch göttliche Liebe und Gnade, ist ein unverlierbarer Besitz der Menschheit; wo das aufgegeben oder auch nur verdunkelt wurde, da geriet das Leben rasch in ein jähes Sinken. Dem Christentum widersprach dann eine moderne Lebensordnung, welche das Wachstum der Macht sowohl nach außen als auch nach innen zum Ziel der Ziele machte, dabei der intellektuellen Arbeit eine hervorragende Stellung zuwies und im Fortschreiten um des Fortschreitens willen das höchste Glück zu finden hoffte; der Lebensbestand geriet dadurch in einen rascheren Fluß, neue Ziele wurden erreichbar, das Handeln gewann unermeßlich an bewegender Kraft. Das erhält sich auch in die Gegenwart hinein und wird aus dem Lebensbestande nicht wieder zu streichen sein. Aber auch ihm gegenüber steigt unverkennbar wieder eine neue Woge des Lebens auf, welche mehr Beisichselbstsein und zugleich mehr Gehalt des Lebens verlangt, die inneren Probleme mit ihren Verwicklungen stärker hervorkehrt, weitere Tiefen und Zusammenhänge fordert und in Durchbildung solches Strebens alle Gebiete umwandeln muß. Demnach überliefert die Geschichte dem Menschen freilich keinen fertigen Besitz, wohl aber gewährt sie mit ihren Eröffnungen dem Streben bestimmte Anhaltspunkte und Ziele, sie stellt es damit auf eine eigentümliche Höhe und entzieht es zugleich der Willkür des Menschen. Den Forderungen dieser Höhe muß alles entsprechen, was über bloße Tagesmeinung hinaus in den Lebensbestand eingreifen und dauernd fördern möchte. Jene Folge der Lebensordnungen bildet demnach kein bloßes Auf- und Abwogen, es stecken darin Erfahrungen bleibender Art, die freilich anzueignen und miteinander auszugleichen sind, um voll zum Besitz zu werden. Denn die Macht, mit der das Ganze zu uns wirkt, ist nicht mechanischer Art, die vom Leben gebotene Tatsächlichkeit ist nicht für den vorhanden, der sich von der Bewegung fernhält und das Ergehen der Menschheit mit stumpfer Gleichgültigkeit betrachtet. Die Schuld des unsicheren Hin- und Herschwankens liegt dann aber nicht am Leben, sondern an dem Menschen, der Früchte genießen will, ohne sich mühen zu wollen. Möge ein solcher des indischen Wortes gedenken: »Wenn die Fledermaus bei Tage nicht sieht, so ist das nicht Schuld der Sonne.« Immerhin seien die Verwicklungen gewürdigt, welche das Problem gerade der Gegenwart bereitet. Zwischen den schöpferischen Höhepunkten liegen Zeiten, wo das Alte verblaßt und das Neue noch unfertig ist, wo daher Kritik und Verneinung eine Hauptrolle spielen; eine derartige Zeit der Ebbe ist bei allen glänzenden Leistungen an der Außenseite des Lebens unverkennbar die Gegenwart. Die Lage verschärft sich bei diesen höchsten Lebensfragen weiter dadurch, daß wir mehr als alle früheren Zeiten ein historisches Bewußtsein ausgebildet haben, das heißt, daß uns die Unterschiede der Zeiten und der Abstand früherer Gestaltungen von der Gegenwart völlig deutlich vor Augen stehen; so können die einzelnen Zeiten eher als Gegner denn als Freunde erscheinen und sich keineswegs mühelos zu einem Ganzen verbinden. Aber wenn solches Auseinandertreten der Zeiten allen festen Besitz zu gefährden scheint und uns damit unruhig macht, so liegt der letzte Grund wiederum nicht in den Dingen, sondern in uns, die wir nicht stark genug sind, die verschiedenen Leistungen zu umspannen und miteinander auszugleichen. Auch hier gilt es das Problem mutig anzugreifen und durch eine Zurückverlegung seiner Behandlung dem Reichtum der weltgeschichtlichen Arbeit gerecht zu werden und ihn dem eigenen Leben zur Förderung zu wenden. Gefahren sind sicherlich da, aber unterliegen kann ihnen nur eigene Lauheit und Schwäche. Die moralische Verwicklung des Menschenlebens. Was bisher an Widerstand und Hemmung erschien, sei es vom überwältigenden Eindruck der Außenwelt her, sei es von der Unsicherheit des Lebens bei sich selbst, das schien ganz wohl überwindlich, wenn nur die ganze Seele des Menschen die Aufgabe auf sich nahm und ihre volle Kraft an sie setzte; es bildet insofern die moralische Gesinnung in weitester Bedeutung verstanden die Grundbedingung alles Gelingens. Aber gerade bei ihr erscheinen Verwicklungen schwerster Art, Verwicklungen, welche allem, was sonst das Leben an Gefahren und Mißständen bietet, erst ihre volle Schärfe geben. Wie steht es mit dem moralischen Verhalten des Menschen? Ein sicheres Urteil darüber zu bilden ist schon deshalb schwer, weil die einzelnen Menschen hier sehr verschieden sind, und neben höchsten Höhen sich tiefste Niederungen finden. Dazu hängt das Urteil wesentlich an dem Maß, das an die Sache gelegt wird. So kann sein weites Auseinandergehen keineswegs wundernehmen; je nachdem es dem Optimismus oder dem Pessimismus folgt, entsteht ein grundverschiedenes Bild der menschlichen Lage. Der Optimismus erachtet den Kern des Menschen als gut, das Böse nur als etwas Anhangendes, als eine Ausnahme und eine verzeihliche Schwäche, er kann das aber nicht, ohne das Maß sehr niedrig zu nehmen und sich schon mit der bloßen Vermeidung grober Vergehen zu begnügen. Damit aber setzt er sich in Widerspruch mit allen großen Denkern nicht nur, sondern auch mit der durchgehenden Schätzung im gemeinsamen Leben. Denn mochten die Denker in ihrem Weltbilde noch so weit auseinandergehen und die einen beim All mehr Vernunft, die anderen mehr Unvernunft sehen, darin gingen sie alle zusammen, den moralischen Stand der Menschheit höchst ungenügend zu finden. Und zwar beschränkten sie sich dabei nicht auf ein summarisches Urteil, sie pflegten auch mit näherem Eingehen den weiten Abstand, ja den Widerspruch des Durchschnittsstandes gegen das zu zeigen, was ihnen als unerläßlich galt. Die antiken Denker verlangten für ein Leben gemäß der Vernunft ein sicheres Maß und eine harmonische Ausgleichung, auch ein festes Beharren inmitten der Tätigkeit, zugleich aber fanden sie die große Menge von unersättlicher Gier erfüllt und in unablässiger Veränderung begriffen; das Christentum berief die Liebe, seine beherrschende Weltmacht, auch zur Leitung des menschlichen Lebens, aber alle seine führenden Geister stimmen überein in der Klage über den Mangel an Liebe und über die Gleichgültigkeit der Menschen gegeneinander, über die zerstörende Macht der Selbstsucht; die Neuzeit forderte eine Entfaltung aller Kräfte und ein volles Teilnehmen des Menschen am aufsteigenden Zuge des Lebens, aber sie mußte zugleich anerkennen, daß der Durchschnitt dumpf und träge die Aufgabe von sich weist und nur durch künstliche Mittel leidlich in Bewegung zu bringen ist. Das läßt sich näher auch zu den einzelnen Hauptdenkern verfolgen und dabei zeigen, daß je höher einer von der moralischen Aufgabe dachte, er um so schmerzlicher den weiten Abstand des Durchschnitts von der Forderung empfand; so zum Beispiel Kant mit seinem Bestehen auf lauterer Wahrhaftigkeit und strenger Gerechtigkeit. Solche Stellung der Denker entspricht aber der durchgehenden Überzeugung der Menschheit. Denn nicht nur galten überall nicht die Optimisten, sondern die Pessimisten für die besseren Menschenkenner, auch die gemeinsamen Einrichtungen pflegen vorauszusetzen, daß der Mensch das rechtlich und sittlich Notwendige nicht aus Liebe zur Sache tut, sondern durch Lohn oder Strafe dazu angehalten werden muß. Lassen alle solche Erfahrungen den moralischen Optimismus als eine flache Denkart erscheinen, so ist es begreiflich, daß der Rückschlag dagegen seine Stärke in möglichster Hervorkehrung der menschlichen Schlechtigkeit suchte. So vornehmlich in den Religionen und hier wieder vor allem im Christentum. Wir wissen, wie das zu der Lehre von der Erbsünde und von der völligen moralischen Verderbtheit des Menschen geführt hat, ja wie hier alle Schuld des Übels im All auf den Menschen geworfen und auf seinen Abfall von Gott zurückgeführt wurde. Der tiefe Ernst dieser Denkweise ist sicherlich anzuerkennen, und auch darin vertritt sie eine unbestreitbare Wahrheit, daß das Böse kein bloßes Nebeneinander einzelner Vorgänge ist, sondern einen Gesamtstand bildet, der den Einzelnen mit überlegener Gewalt umfängt. Aber das schwere Problem wird hier wie ein Knoten zerhauen, und sowohl das Woher wie das Wohin bereitet dabei größte Verwicklung. Wie kommt der Mensch zu solcher Schuld, und wie kann sie solche Folgen haben, da in Wahrheit der Kampf der Wesen mit seiner Wildheit und seiner Zerstörung, da der Schmerz und der Tod weit über die menschliche Sphäre hinausreicht, auch die Natur mit ihren Notwendigkeiten und ihren Trieben den Menschen fest umklammert? Und wie soll bei einem Stande völliger Verderbtheit und Stumpfheit an dieser Stelle ein neues Leben erwachen? Wird dieses ganz und gar, ohne alles Zutun des Menschen, durch eine höhere Macht ihm eingeflößt, so sieht man nicht, wie das zu eigenem Leben werden, und wie eine moralische Identität zwischen früherem und späterem Stande bleiben könnte. So haben denn auch die Gedankenwelten, welche im Prinzip den Menschen ganz und gar verwarfen und ihn zu völliger Passivität verdammten, in der Ausführung doch auch seinem Handeln irgendwelches Pförtchen geöffnet. Dazu entspricht jene völlige moralische Preisgebung des Menschen nicht dem Tatbestande des Lebens. Denn zunächst erweist schon dieses, daß der Mensch sein moralisches Ungenügen so schmerzlich empfindet und sich so viel damit zu schaffen macht, daß er nicht gänzlich in jenen Stand aufgeht; es fehlen aber auch in der Wirklichkeit des Lebens edlere Züge nicht, es fehlt nicht an Liebe zum Menschen und an Hingebung an die Sache, ja nicht an edler und aufopferungsvoller Gesinnung; was dem Ganzen daran mangelt, das erscheint oft in begrenzten Kreisen, und namentlich lassen Gefahr und Leid oft eine moralische Größe ersehen, die vom Alltagsleben aus wie ein Wunder erscheinen mag. Immerhin bleibt die Verwicklung und das Rätsel, daß das Höhere nicht den Gesamtstand beherrscht, sondern mehr als eine Ausnahme und als eine Sache besonderer Fälle erscheint, daß also eben das, was die Größe des Menschen ausmacht, von ihm selbst als eine Nebensache behandelt wird. Die Zusammenhänge unserer Betrachtung geben der Sache ein eigentümliches Licht. Die Aufgabe geht dahin, das Leben von der Bindung an die Natur abzulösen, ihm ein Beisichselbstsein zu erringen und es aus solchem eine Welt der Gehalte und Güter erzeugen zu lassen; das bedarf der vollen Hingebung der Gesinnung und der Richtung aller Kräfte auf dieses Ziel. In Wahrheit pflegt jene Hingebung zu fehlen, die Kräfte lehnen alle Bindung ab, gehen ihren eigenen Weg und geraten dabei leicht unter die Macht eben dessen, das überwunden werden sollte; der Vorteil des Individuums bleibt dem Handeln das höchste Ziel und zieht alles Streben zu sich zurück. Ein derartiger Stand läßt das Leben bei allem äußeren Aufputz innerlich leer, ein Wirken für höhere Ziele entspringt hier weniger aus der Notwendigkeit einer geistigen Selbsterhaltung als es zur Aufrechterhaltung des Scheines nach außen hin und zur Verbesserung der eigenen Stellung erfolgt. So zeigt das Leben durchgängig ein großes Manko, ja einen schroffen Widerspruch. Da den Menschen zunächst die niedere Stufe einnimmt, so bedarf die Wendung zur höheren einer inneren Umwälzung, und diese ist nicht möglich ohne ein starkes Verlangen, ohne das, was Männer wie Plato und Goethe Liebe nennen, wer aber möchte behaupten, daß eine solche Liebe überwiegend vorhanden ist, wer kann leugnen, daß Kälte und Gleichgültigkeit die vorherrschenden Züge bilden? Die Entfaltung des Höheren verlangt ein inneres Selbständigwerden des Lebens, nur kraft eines solchen kann es eine Ursprünglichkeit erreichen und aus sich selber schaffen; wer aber kann leugnen, daß ein solches Insichselberwurzeln, eine Selbstwüchsigkeit eine seltene Ausnahme ist? Das neue Leben hat sich gegenüber einer feindlichen oder doch gleichgültigen Welt zu behaupten, die äußerlich weit überwiegt; dazu bedarf es heroischen Mutes und völliger Unerschrockenheit; läßt sich bestreiten, daß eine derartige tapfere Gesinnung dem Durchschnitt des Lebens fehlt, daß bei diesen Fragen Ängstlichkeit, ja Feigheit weit überwiegen, die das Spiel von vornherein verloren geben? Alles miteinander erweist freilich nicht eine völlige Verderbtheit des Menschen, wie die altprotestantische Dogmatik sie lehrte, wohl aber einen Stand der Vermengung und der Unlauterkeit, in dem das Niedere das Höhere weit zurückdrängt und es nicht voll aufkommen läßt. Das Übel wurzelt viel zu tief, als daß sich eine allmähliche Überwindung durch eine geschichtlichgesellschaftliche Kultur hoffen ließe. Wohl fühlt das gesellschaftliche Zusammensein sich als einen Vertreter und Vorkämpfer des Guten, es vermag in der Tat gewisse Erscheinungen des Bösen erfolgreich zu bekämpfen, ja unter besonderen Umständen Begeisterung und Aufopferung für die gemeinsamen Zwecke zu erzeugen, wie der gegenwärtige Krieg das deutlich zeigt, und zwar keineswegs bloß in Deutschland. Aber solche großen Augenblicke sind Ausnahmszeiten, die wieder vorübergehen, im allgemeinen wirkt das gesellschaftliche Leben mehr zur Oberfläche als zur Tiefe des Menschen, es unterdrückt mehr als es bessert, seinerseits aber erzeugt es mit Weckung des Macht- und Herrschaftsverlangens und seiner Spaltung der Menschen in Parteien neue moralische Gefahren und Schäden. Nun bleibt noch die Hoffnung eines moralischen Fortschritts in der Geschichte, aber so gewiß ihr Verlauf in anderen Stücken uns weiterbringt: ob das auch in moralischer Hinsicht der Fall ist, steht in völliger Unsicherheit. Nach mancher Richtung ein Fortschritt, nach anderer eher ein Rückschritt, ein Wachstum raffinierten Genusses, ein Wachstum auch selbstischer Machtgier, ein Abschütteln von Bindungen ohne dafür einen Ersatz zu schaffen. Im großen und ganzen verbleibt die Verwicklung, und zugleich verbleibt es dabei, daß die Menschheit einer Aufgabe, an der alle innere Größe und Würde ihres Lebens hängt, sich nicht gewachsen zeigt, daß sie damit sich selbst widerspricht, ja vielfach an ihrer eigenen Zerstörung arbeitet. Wie kommen wir über diesen Widerspruch hinaus, welche Wege bieten sich zur Befreiung von ihm? Wir können unmöglich alle verschiedenen Wege schildern und prüfen, welche die religiösen wie die philosophischen Gedankenwelten an dieser Stelle versuchten, wir müssen uns an die beiden Hauptleistungen halten, welche unseren westlichen Kulturkreis beherrschen. Die eine ist philosophischer, die andere religiöser Art, jene verkörpert sich vornehmlich im Stoizismus, der uns hier über die besondere Schule hinaus als ein besonderer Typus der Denkweise gilt, diese im Christentum, das wir ebenfalls nicht sowohl als ein kirchliches Bekenntnis, sondern als eine Macht des Geisteslebens verstehen. Die Grundlage der stoischen Gedankenwelt bildet die Überzeugung, daß, wie immer der Mensch der Erfahrung beschaffen sein mag, das Menschenwesen eine Vernunft in sich trägt, die allem Getriebe des Alltags sicher und weit überlegen ist, die aller Widerspruch der Weltumgebung nicht zu erschüttern vermag; es steht uns frei, in heroischer Erhebung uns in diese Vernunft zu versetzen, uns fest in ihr zu verschanzen und damit jene Überlegenheit uns zu eigenem Besitz zu machen. Hier gilt es die Güter der höheren Welt zu reiner Gestalt herauszuarbeiten und in voller Treue zu wahren, diese Welt gegen allen Widerstand, auch den in der eigenen Seele, tapfer aufrechtzuhalten, durch alle Widerwärtigkeiten des Lebens sich die Sicherheit und Freudigkeit der Gesinnung nicht im mindesten trüben zu lassen. In diesem Zusammenhange wird zur Forderung, das Gute lediglich aus innerer Achtung und Schätzung zu tun, allen Lohngedanken als eine Erniedrigung abzuweisen, der Außenwelt gegenüber volle Unabhängigkeit, ja, wenn es sein muß, trotzigen Stolz zu wahren. Aus solchem Gedankengange entwarf Plato in leuchtenden Zügen sein Bild vom leidenden Gerechten -- in weitem Abstand von der christlichen Fassung dieses Begriffes --, dessen innere Hoheit alles Leid und alle Verfolgung nur steigern, der eben dadurch das volle Bewußtsein seiner überlegenen Größe gewinnt. In verwandter Gesinnung wollten große Erzieher die sittliche Aufgabe ja nicht von den Erfahrungen des Weltlaufs abhängig machen, sie etwa auf die Lehre gründen, daß es dem Guten wohl und dem Bösen schlecht zu ergehen pflege, vielmehr sei die Seele genügend im Guten zu stärken, um die Freude an ihm allem Leid überlegen zu machen. »Eben die Besiegung oder vielmehr die Durchdringung und so Vernichtung der äußeren Hemmnisse des Lebens durch die eigene Willens-, durch die gesteigerte Tatkraft, diese ist es, welche dem Menschen im eigenen Bewußtsein Frieden, Freude und Freiheit gewährt« (Fröbel). Diese Denkweise hat selbstwüchsige Menschen erzeugt und Erz in das Leben gebracht, sie hat einer Verweichlichung der Menschheit widerstanden, sie hat auch in trüben Zeiten den Lebensmut aufrechtgehalten; so muß diese männliche Denkweise ein Stück unseres Lebens bleiben. Aber sie hat gewisse Voraussetzungen und Schranken, die einen Abschluß bei ihr verbieten. Sie hat vornehmlich den Einzelnen und die Wahrung seiner Unabhängigkeit im Auge, der Stand des Ganzen macht ihr weniger Sorge, und den Aufbau eines geistigen Zusammenhanges unternimmt sie nicht; zugleich denkt sie den Einzelnen als stark und als den Verwicklungen nicht nur der Außenwelt, sondern auch der eigenen Seele vollauf gewachsen; so spricht sie mehr zu den Höhen als zum Gesamtstand der Menschheit, und bei aller Beteuerung der Würde alles Menschenwesens befaßt sie sich wenig mit den Niederungen des Menschenlebens. Auch wird das Leben hier mehr ein Abwehren als ein Vorwärtsschreiten. Die Grundüberzeugung wird tapfer gegen alle Zweifel und Widerstände behauptet, nicht aber das Leben durch Erschütterung, Zweifel und Leid hindurch wesentlich weitergebildet. Das Ganze ist mehr Festhaltung des alten Standes als Anbahnung eines neuen; ein solcher ist aber nicht zu entbehren, wenn das menschliche Leben im eigenen Innern schroffe Widersprüche enthält. So genügt die bloße Abwehr nicht, ohne Vorhaltung und Antrieb eines erhöhenden Ziels würde das Leben seine Spannung verlieren und leicht in trägen Stillstand kommen. Solches Stocken gilt es fernzuhalten, und das zu tun unternimmt die Religion. Die Wendung zur Religion tritt in unsere Untersuchung nicht plötzlich und unvermittelt ein, denn unsere Überzeugung von der Eröffnung einer höheren Stufe des Lebens beim Menschen und seinem Getragenwerden dadurch enthält von Haus aus einen, wenn auch nicht direkt religiösen, so doch der Religion verwandten Charakter. Zu einer weiteren Ausbildung dieses Charakters treibt aber die Erfahrung der ungeheuren Widerstände, die das Geistesleben in der Welt des Menschen erfährt, sowie seiner Ohnmacht gegen sie; die Hemmungen mögen so lange sich leidlich ertragen lassen, als sie nur von außen kommen; sie werden unerträglich, wenn sie auch den tiefsten Grund des Lebens ergreifen, und mit unheimlicher Klarheit sich dort ein schroffer Zwiespalt auftut. Dann führt die Sachlage unvermeidlich auf dieses Entweder -- Oder: entweder kommt das Gesamtleben mit seiner bisherigen Eröffnung bei uns nicht weiter, und es wird damit das menschliche Leben völlig sinn- und zwecklos, oder es muß sich über den bisherigen Stand hinaus noch eine weitere Tiefe und Kraft erschließen, womit die Hemmungen freilich nicht einfach entfallen, aber eine Befreiung von ihrem Drucke möglich wird und das Streben wieder in Fluß gerät. Hier setzt nun die Behauptung des Christentums ein und eröffnet neue Möglichkeiten. Freilich können wir diese als Philosophen und als Kinder der Gegenwart nicht entwickeln, ohne uns mit der überkommenen kirchlichen Fassung offen und ehrlich auseinanderzusetzen. Nach dieser Fassung ist der Mensch aus freier Entscheidung von Gott abgefallen und hat dadurch die ganze Welt in Tod und Elend verstrickt. Diese Schuld hat den Zorn Gottes erregt, Zorn natürlich nicht im Sinne eines Affektes, sondern als Ausdruck des sittlichen Ernstes; dieser Zorn ist zu beschwichtigen, und das kann nur durch eine Sühnung der Schuld geschehen. Eine solche Sühne kann aber nicht der durch seinen Fall alles sittlichen Vermögens beraubte Mensch vollbringen, sie kann nur dadurch erfolgen, daß Gott in seiner alles überwindenden Liebe selbst Mensch wird, die Schuld auf sich nimmt, sie durch Leiden und schmachvollen Tod sühnt und dadurch das Liebesverhältnis in voller Herrlichkeit wieder herstellt. -- Wir können unmöglich an dieser Stelle eine kritische Erörterung dieses Gedankenganges unternehmen[1], dessen gewaltigen Ernst und dessen aufrüttelnde Kraft wir aufrichtig anerkennen, aber der Behauptung wird sich kaum widersprechen lassen, daß er, dem Mittelalter entsprungen, heute vielen ernsten Seelen schlechterdings unhaltbar geworden ist, daß deren religiöse Überzeugung jener mittelalterlichen Fassung entwachsen ist. Es ist eine Torheit und ein Unrecht, sie deswegen einer geringeren Tiefe zu bezichtigen. Damit aber entsteht die Frage, ob sich das Christentum von jener Fassung ablösen läßt und doch eine Weltmacht bleibt, sowie dem Leben die gesuchte Erhöhung verspricht. Wir bejahen diese Frage zuversichtlich, wir bejahen sie von den Grundtatsachen des Lebens aus, die allem Wandel der Zeiten überlegen sind. Eigentümlich ist hier zunächst die Verschärfung des Problems. Das Übel wird hier nicht so sehr im Verhältnis zur Welt als im Innern selbst gefunden, die sittliche Schuld wird zur Wurzel alles Übels, zu dem, was allem Leid erst seine volle Schwere verleiht. Aber aller Erschütterung, die daraus hervorgeht, tritt die felsenfeste Überzeugung entgegen, daß das Göttliche nicht in jenseitiger Höhe über der niederen Sphäre verbleibt, sondern daß es in alle ihre Abgründe eingeht, ohne sich darin zu verlieren, daß es durch seine volle Selbstmitteilung dem Menschen ein aller bisherigen Betätigung überlegenes Leben mit einem neuen Mittelpunkt schafft, das aber aus einem unmittelbaren Verhältnis zum Ganzen des Lebens im Gegensatz zu allem Wirken und Schaffen an der Welt, in Bildung eines neuen Bereiches der Wirklichkeit auch gegenüber aller Geisteskultur. Damit wird die Grundtatsache der Setzung göttlichen Lebens im Menschen, diese Voraussetzung aller Geistigkeit, ein gutes Stück weitergeführt: was vorher sich über das ganze Leben ausbreiten sollte, das wird nun in sich selbst konzentriert und eröffnet damit noch mehr ursprüngliche Tiefe. Alle Größen und alle Begriffe müssen sich damit steigern. Die Innerlichkeit prägt nun noch stärker ihre Überlegenheit aus, indem sie sich in vollem Kontrast zur Welt entwickelt, die Gesinnung wird hier bei sich selbst zur Tat, die Idee des Geisteslebens wächst zur Gottesidee und das Reich des Geistes zum Gottesreich. Die Eröffnung des neuen Lebens an den Menschen wird damit weit mehr zur freien Tat, zur rettenden und erhöhenden Tat, zu einer Bekundung der Liebe, die nichts verloren gehen läßt und sich mit ihrer ganzen Fülle gibt. So durchgängig eine seelische Erwärmung und zugleich eine festere Einwurzelung des erhöhenden Lebens. Der eigentümliche Charakter dieses neuen Lebens erscheint besonders deutlich in seinem Verhalten zum Leid. Jenes flieht nicht das Leid und sucht es nicht irgendwie abzuschwächen, sondern es würdigt es vollauf und geht in seine ganze Ausdehnung ein, nicht um es stehen zu lassen, wie es steht, sondern um es in einen Gewinn zu verwandeln. Solche Verwandlung ist keineswegs so leicht und einfach, wie oft behauptet wird. Denn der oft gehörten Meinung, daß das Leid die Seele veredle und vertiefe, widerspricht schnurstracks die Erfahrung. Im gewöhnlichen Lauf der Dinge macht das Leid den Menschen eher eng, klein, scheelsüchtig, es bringt viel Jämmerlichkeit zutage, während die Befreiung von Not und Sorge das Herz erweitert und hilfsbereit macht. Vertiefend kann das Leid nur wirken, wenn der Erschütterung des Menschen eine höhere Macht entgegenkommt und ihm durch die Erschütterung hindurch sich selbst erschließt. Dann läßt sich auch im Menschen etwas wecken, das ihm bis dahin unzugänglich blieb, dann läßt sich auch ein Glaube an den Menschen wiedergewinnen, an den Einzelnen wie an die Völker und an das Ganze der Menschheit. Dieser Glaube geht dann aber nicht auf den natürlichen Stand und die Naturbegabung des Menschen, sondern auf das in ihm eröffnete und ihm als eigenes Selbst verliehene göttliche Leben. Von hier aus erhält erst die Tatsache volles Licht und einen festen Zusammenhang, daß in schwerem Leid oft Edles unerwartet im Menschen hervorbricht, und daß damit dasjenige, was bisher unser ganzes Wesen dünkte und uns starr zu binden schien, sich als eine besondere Stufe erweist, über die es zwingend hinaustreibt. So geschieht es wohl auch den Kulturen: was besonderen Zeiten die endgültige Lösung scheint, das erweist sich in großen Prüfungen, wie wir eine solche auch heute erleben, als unzulänglich und schal; auch im Gelingen leben die Kulturen sich aus und werden greisenhaft; ein Verzagen und Verzichten wäre kaum zu vermeiden, bestünde nicht eine Möglichkeit des Hervorbrechens neuer und reiner Anfänge, die Möglichkeit eines Jugendlichwerdens der Menschheit. Aber woher soll diese neue Jugend kommen, wenn sich nicht der Menschheit ursprüngliche, von der Verwicklung unberührte Lebensquellen erschließen? So macht diese Lebensoffenbarung, und wohl nur diese, es möglich, das Leid in seiner vollen Herbheit anzuerkennen und darüber den Mut des Lebens nicht zu verlieren, ihn vielmehr weiter zu steigern. Da aber auch beim Siege das Leid nicht völlig verschwindet, sondern sein Wirken fortsetzt, so kann dieses Leben beide Pole gegenwärtig halten: Schmerz und Freude, Hemmung und Überwindung, und die Seele dadurch in unablässige Bewegung versetzen. Jener Aufstieg zum Ja durch das Nein macht mit seiner Forderung einer durchgreifenden Wandlung erst eine Geschichte der Seele möglich, erhebt auch die Weltgeschichte erst zu einer wahrhaftigen Geschichte, während sie sonst eine bloße Evolution, ein bloßer Naturprozeß bleibt. Es hängt damit zusammen, daß, wie William James bemerkt, sich gehaltvolle Selbstbiographien in der Weltliteratur fast nur auf dem Boden des Christentums finden. Was hätte man auch zu berichten, wenn die Seele als Ganzes keine Aufgabe in sich trägt? Bei der näheren Entwicklung dessen sei aber mit voller Kraft und Klarheit der Gedanke gegenwärtig gehalten, der unsere Erörterung leitet, der Gedanke, daß das Ganze selbständigen Lebens, das nunmehr als ein göttliches anerkannt wird, den Menschen nicht nur mit einzelnen Wirkungen berührt, sondern mit seiner ganzen Fülle als eine selbständige Lebensquelle unmittelbar in ihn gesetzt wird. Das entspricht dem Grundgedanken des Christentums von dem vollen Eingehen Gottes in die Welt und dem Göttlichwerden des Menschen. Es ergeben sich daraus notwendig zwei Forderungen, die einander leicht widersprechen können: das neue Leben muß in jeder Seele schlechterdings ursprünglich sein und zum Kern ihres eigenen Wesens werden, zugleich aber muß es das Ganze einer Welt in sich tragen, es muß daher, um sich zu entfalten, auch im menschlichen Bereich ein großes Lebensreich bilden, es darf nicht eine Sache des bloßen Individuums bleiben. Wir dürfen nicht alles nur auf uns beziehen und meinen, wovor Eckhart warnt, Gott habe »die ganze Welt vergessen bis auf mich allein«. Wir wissen, wie diese Zweiheit sich geschichtlich im Gegensatz von Kirche und Persönlichkeit ausdrückt, dort die Gefahr einer Bindung des Einzelnen und eines Zurücktretens der Gesinnung vor den Leistungen, den »religiösen Pflichten« -- ein höchst unsympathisches Wort --, hier die einer Zersplitterung in lauter individuelle Kreise, zugleich die Gefahr eines Überwucherns subjektiver Zuständlichkeit, eines Mangels an geistiger Substanz. Jener Gedanke der Untrennbarkeit beider Seiten gestattet ein Streben nach einer Überwindung des Gegensatzes, er verhindert, die Spaltung in Katholizismus und Protestantismus als endgültig hinzunehmen, da jede Seite eine unentbehrliche Wahrheit vertritt, die sich ohne schweren Schaden nicht verdunkeln läßt. Zu solcher Verwicklung der Gestaltung gesellt sich die Schwierigkeit einer Umsetzung der Grundtatsachen in eine Gedankenwelt. Da jene Tatsachen über dem Bereiche der Arbeit liegen, der unsere Begriffsbildung beherrscht, so können sie in Begriffen nur annähernd dargestellt werden, so müssen oft Bilder genügen, um das Erlebnis faßbar zu machen. So namentlich beim Gottesbegriffe selbst. Es erscheint hier viel Schwanken zwischen verschiedenen Fassungen, zwischen ontologischen Größen, wie absolute Einheit, absolutes Sein, die mehr eine philosophische als eine religiöse Bedeutung haben, und Größen, welche den Begriff dem menschlichen Empfinden näherrücken, wie namentlich dem der Persönlichkeit, die damit mehr Wärme gewinnen lassen, aber zugleich der Gefahr eines Verfallens ins Bloßmenschliche ausgesetzt sind. Tatsächlich pflegen zwei verschiedene Gottesbegriffe ohne eine genügende Auseinandersetzung ineinander zu verfließen. Diese Spaltung von Weite und Ferne einerseits, von Nähe und Enge andererseits, die das religiöse Leben nach entgegengesetzter Richtung treibt, ist nur zu überwinden, wenn als Grundbegriff nicht das absolute Sein, sondern das absolute Leben gilt, zugleich aber die Gegenwart dieses Lebens beim Menschen anerkannt und er damit über die bloße Besonderheit hinausgehoben wird. Auch so verbleibt es freilich bei bloßen Annäherungen, aber das macht uns den Grundgehalt mit seiner Erhöhung des Lebens keineswegs unsicher oder machtlos. Die Sache sinkt dadurch nicht zu einem bloßen Spiel der Phantasie, daß der Mensch zu ihrer Darstellung der Bilder nicht entraten kann. Daß jene Schranke dem Leben der Religion nicht allzu gefährlich wurde, das bewirkt vornehmlich die tatsächliche Gestaltung des Christentums auf dem Boden der Geschichte. Wir denken dabei namentlich einerseits an den Aufbau einer religiösen Gemeinschaft als einer lebensvollen Gegenwärtighaltung einer höheren Ordnung, eines Reiches Gottes auf Erden, wie die Kirche sie bildet oder doch zu bilden strebt, andererseits an die starken Persönlichkeiten, welche das Christentum aufweist, und deren vollste Kraft es gewann, vor allem an die begründende Persönlichkeit Jesu. Die Eigenschaften, die sich uns zur Entfaltung alles höheren Lebens in der Menschheit vornehmlich notwendig zeigten, erscheinen hier in einer das sonstige Maß weit überschreitenden Verkörperung. Wir forderten Liebe, damit die Bewegung zur Höhe alle Hemmungen des niederen Standes überwinde, hier finden wir eine Liebe, welche die von Plato und Goethe gepriesene Liebe mit ihrer Innigkeit und Opferwilligkeit weit übertrifft; wir forderten volle Selbständigkeit und Ursprünglichkeit; wie könnte sie größer sein als hier, wo ein von Grund aus neues Leben entsteht und ganz und gar aus sich selber schöpft; wir forderten Tapferkeit und Unerschrockenheit; wo könnte sie größer sein als hier, wo nicht dieses oder jenes in der vorgefundenen Welt, sondern diese ganze Welt angegriffen und entwertet wird? So ging von hier ein Lebensstrom aus, der den Jahrtausenden ursprüngliches Leben zuführt und die Menschheit immer wieder zu sich zurückruft, damit sie an ihm sich läutere und aus ihm ein neues Leben schöpfe. Die verschiedenen Zeiten sahen und fanden bei ihm verschiedenes, aber wer immer in nähere Berührung mit ihm trat, der fühlte sich zur Ehrfurcht vor der schlichten Hoheit des Zimmermannssohnes gezwungen und fand sein Leben durch ihn gehoben, ja in neue Bahnen getrieben. Nur führe alle Verehrung nicht zu einem Jesuskult und zu einer Anbetung, die dem göttlichen Wesen selbst allein vorbehalten sei; sie darf das auch deshalb nicht, weil damit leicht der Zusammenhang mit dem gemeinsamen Menschheitsleben gelockert und das Christentum zu sehr als eine einmalige Tat, zu wenig als ein die ganze Geschichte durchdringendes, jeden Einzelnen zur Mitarbeit und zur Fortführung aufrufendes Werk verstanden wird. Die alte Kirche, zum Beispiel der größte Kirchenlehrer des Morgenlandes, Origenes, fand die Forderung nicht zu kühn, jeder solle nicht bloß ein Anhänger Christi sein, sondern selbst ein Christus werden; wir Neueren werden den Gedanken wohl anders fassen, aber darauf müssen auch wir bestehen, daß das Christentum einen fortlaufenden Lebensstrom, ein gemeinsames Werk bilden muß, wenn es die Menschheit geistig führen und in jedem Einzelnen sichere Wurzel schlagen soll. Wir sehen, an Verwicklungen fehlt es nicht, aber es sind Verwicklungen nicht der Kleinheit, sondern der Größe, und allen Verwicklungen gegenüber erhält sich die eindringliche Wahrheit und die schlichte Einfalt des Grundbestandes. Vieles Grübeln führt dabei nicht weiter, geben wir uns vielmehr rückhaltslos der Größe dieser Welttatsache hin, gedenken wir der Worte Pestalozzis: »Das Staunen des Weisen in die Tiefen der Schöpfung und sein Forschen in den Abgründen des Schöpfers ist nicht Bildung der Menschheit zu diesem Glauben. In den Abgründen der Schöpfung kann sich der Forscher verlieren, und in ihren Wassern kann er irre umhertreiben, fern von der Quelle der unergründlichen Meere. -- Einfalt und Unschuld, reines menschliches Gefühl für Dank und Liebe ist Quelle des Glaubens. Im reinen Kindersinn der Menschheit erhebt sich die Hoffnung des ewigen Lebens, und reiner Glaube der Menschheit an Gott lebt nicht in seiner Kraft ohne diese Hoffnung.« So vollzieht die Religion eine Erhebung über das Gebiet der Hemmung, indem sie dem Menschen ein in Gott gegründetes und von göttlicher Liebe getragenes Leben eröffnet; es tritt damit zur kämpfenden Geistigkeit eine überwindende, und was der zunächst vorhandene Lebensstand an Gutem getrübt und gebunden aufwies, das erlangt nunmehr eine Selbständigkeit, es vermag sich zusammenzuschließen und eine reine Gestalt zu erstreben. Aber so gewiß solche Wendung zeigt, daß der Lebenskampf nicht vergeblich ist, sie besagt keinen reinen Sieg, sie löst nicht glatt das Problem. Dazu läßt die Bewegung viel zu viel unergriffen, dazu behält das Feindliche viel zu viel Wirklichkeit, die Welt des Menschen wird damit keineswegs ein Reich der Vernunft. Das kann freilich nicht dem Zweifel die Oberhand geben, denn die Tatsache des Erscheinens eines neuen Lebens wird durch allen Widerstand keineswegs aufgehoben; ja wenn sie außer allem Zweifel steht, so muß der Widerstand selbst ihre Selbständigkeit und Überlegenheit bestärken, denn eben die Verworrenheit und die Unlauterkeit des Weltgetriebes, sowie das moralische Unvermögen des Menschen macht klar, daß nicht von da aus jene Erhöhung des Lebens stammen kann, daß sie nicht ein Erzeugnis des bloßen Weltlaufs ist, daß sie aus göttlicher Macht stammen muß. So die eigentümliche Denkweise der Religion, die nicht mit dem »weil«, sondern mit dem »obgleich« schließt, die nicht aus der Vernunft, sondern aus der Unvernunft der Welt und den ihr innewohnenden Widersprüchen die Gewißheit des Bestehens einer höheren Ordnung schöpft, eine Denkweise, die freilich nicht ohne Gefahr ist und leicht überspannt werden kann. So viel aber ist gewiß: das Beharren des Widerstandes zwingt zu einem eigentümlichen Urteil über die Gesamtlage der Menschheit. Das Ganze der Welt, das sie umfängt, mit seiner Unfertigkeit und seinen Gegensätzen, mit seinem Angewiesensein auf eine der Verwicklung überlegene Ordnung, kann nicht das Ganze der Wirklichkeit bilden und nicht in sich einen Abschluß tragen, es ist ein Stück einer weiteren Wirklichkeit, eine besondere Art des Seins, die tieferer Gründe und weiterer Zusammenhänge bedarf, um überhaupt zu bestehen und einen Sinn zu erlangen. So suche auch unser Handeln nicht in dieser widerspruchsvollen Welt seine letzten Ziele, es bleibe vielmehr inmitten alles Kampfes unbeirrt auf eine Welt überlegener, selbständiger Geistigkeit gerichtet, um sie bei uns aufrechtzuhalten und möglichst zur Wirkung zu bringen, in festem Vertrauen darauf, daß letzthin nichts von dem verloren sein kann, was dem Aufbau wahrhaftigen Lebens dient. Unser Leben behält auch dann einen Sinn und Wert, wenn es mehr ein inneres Vordringen als ein äußeres Überwinden, mehr ein Wecken und Sammeln der Kräfte als ein volles Erreichen der Ziele ist, wenn es in Zusammenhängen steht, die wir nicht klar durchschauen. So dachte auch Luther, wenn er sprach: »Es ist noch nicht getan und geschehen, es ist aber im Gange und Schwange, es ist nicht das Ende, aber der Weg. Es glühet und glänzet nicht alles, es feget sich aber alles.« Solcher Stand der Dinge führt notwendig auf die Unsterblichkeitsfrage und zugleich unter all die Verwicklung, welche dieser Frage innewohnt. Wie viele Gründe den Menschen der Gegenwart an einer glatten Bejahung hindern, das bedarf keiner näheren Darlegung, nur das eine sei angeführt, daß ein unbegrenztes Fortbestehen in dieser zeiträumlichen Existenz, ein Fortbestehen der besonderen Individualität mit all ihrer Enge und Zufälligkeit, manchem von uns weniger ein Glück als ein schweres Unglück dünken möchte; wir brauchen das nur durchzudenken, um es geradezu unerträglich zu finden. Aber trotzdem macht es sich auch nicht so leicht mit einer völligen Verneinung. Zunächst ist es nicht bloß niedrige Lebensgier, welche eine Fortdauer suchen heißt, und es handelt sich dabei nicht bloß um eine Rettung unserer natürlichen Besonderheit, sondern um das selbständige Leben, das bei uns durchbricht, uns zu selbsttätigen Lebensträgern macht und uns an Unendlichkeit und Ewigkeit teilnehmen läßt. Erlösche alles, was an Geistigem im Menschenwesen belebt wird, mit dem körperlichen Untergange, so würde ja auch das ganze Menschengeschlecht dahinschwinden, wie die welken Blätter vom Baume fallen, und all sein Mühen und Wirken, das ja, wie wir sahen, kein Reich der Vernunft ergibt, sondern in den Gegensätzen stecken bleibt, mitten im Streben abbrechen und damit völlig sinnlos werden. Das müßten wir uns so lange gefallen lassen, als wir die Sache vom bloßen Menschen aus betrachten; steht sie aber so, daß darin das absolute Leben sich dem Menschen eröffnet und ihn zu selbständiger Mitwirkung aufruft, so würde der Zweifel und die Verneinung jenes Leben selber treffen; ist der Aufbau des Geisteslebens in der Menschheit ein göttliches Werk, so kann sie nicht schlechthin vergehen. Daher verficht die religiöse Überzeugung die Unsterblichkeit nicht vom bloßen Menschen, sondern von Gott her, nach den Worten Augustins: »Für sich selbst kann nicht untergehen, was für Gott nicht untergeht.« Wird aber dieser Gedankengang eingeschlagen, so ist er auch zu Ende zu führen; Unsterblichkeit kann dann nicht eine unbegrenzte Fortdauer in Zeit und Raum, sie muß eine Erhaltung im göttlichen Leben mit seiner ewigen Ordnung bedeuten. Worauf es ankommt, ist die Überzeugung, daß des Menschen Leben und Streben sich nicht in die bloße Zeit erschöpft, sondern auf Ewiges geht, und daß dies Ewige nicht auf einzelne Leistungen beschränkt bleibt, sondern den Kern des Wesens betrifft. Eine derartige Ewigkeit dürfen wir um so getroster verfechten, als wir sie nicht erst von der Zukunft erwarten, nicht bloß auf sie hoffen und harren, sondern sie schon besitzen, mitten in ihr stehen, in ihr den Standort unseres geistigen Lebens haben. Insofern können wir mit Goethe zusammengehen, wenn er meint, daß »das Beständige der ird'schen Tage uns ewigen Bestand verbürge«, wir können sogar mit Kant einen Vorteil darin finden, daß uns bei dieser Frage alle nähere Vorstellung versagt ist, da eine solche uns leicht an der vollen Hingebung an das gegenwärtige Leben hindern würde, das uns wahrlich genug zu tun gibt. Ein Glaube an eine ewige Ordnung und unsere Zugehörigkeit zu ihr sei unbedingt festgehalten; ohne eine Begründung in solcher Ordnung wird alles Leben und Streben in der Zeit zu bloßem Schatten und Schein, und verfällt unser Leben unrettbar einer völligen Sinnlosigkeit. Dafür aber steckt doch zu viel in ihm. Auseinandersetzung mit dem Zweifel. Unsere Untersuchung hat wiederholt den Zweifel gestreift, der ihrem Hauptzuge widerspricht, aber es fehlt bisher noch eine gründliche Auseinandersetzung mit ihm; eine solche aber ist nicht zu entbehren, wenn unsere Überzeugung die notwendige Sicherheit erreichen und sich auch nach verschiedenen Seiten hin noch deutlicher ausprägen soll. Jenes können wir aber nicht tun, ohne dem Zweifel selbst das Wort zu geben. Der Zweifel: »Du hast eine Reihe von Gründen vorgebracht und dabei den Eindruck zu erwecken gesucht, als entsprängen sie einer unbefangenen Würdigung der Sache. In Wahrheit ist das ein bloßer Schein. Denn du hast eine bestimmte Tendenz an die Sache herangebracht und sie in ihrer Beleuchtung gesehen. Du suchtest mit aller Kraft eine Bejahung des Lebens durchzusetzen, du hobst hervor, was ihr günstig ist, und schobst zurück, was ihr widerspricht. Wohl anerkanntest du die Übermacht der Natur, das Schwanken im Geistesleben, selbst die moralische Verwicklung der Menschheit, aber du strebtest durchgängig möglichst rasch über das Hemmnis hinaus, und wenn du es überwunden zu haben glaubtest, so ließest du es hinter dir liegen und behandeltest es als ein Nebending. So erhielt deine Untersuchung einen optimistischen Einschlag, und es ergab sich ein viel zu beruhigtes, ein schöngefärbtes Bild unseres Lebens.« Ich: Ich bestreite entschieden, die Untersuchung im Dienst einer bloßen Tendenz zu führen. Aber ich behaupte, daß jede Arbeit, die nicht fruchtlos auslaufen soll, eine bestimmte Richtung haben muß, nicht ziellos hin und her schwanken darf. Zu verlangen ist nur, daß sie diese Richtung aus der Sache und nicht aus bloßer Neigung des Menschen erhalte. Nun aber suchte ich durchgängig zu zeigen, daß die Wendung des Lebens zur Selbständigkeit, dieser Leitgedanke unserer ganzen Untersuchung, nicht dem Vermögen des bloßen Menschen entspringt, und daß sie seinen Neigungen eher widerspricht, daß sie vielmehr eine Bewegung aus dem Weltall bedeutet, die in sich selbst eine Richtung trägt und mit überlegener Kraft das Streben des Menschen in diese zwingt. Daß diese Bewegung in unserem Bereich härtesten Widerständen begegnet, das weiß ich wohl und habe es auch möglichst zum Ausdruck gebracht, aber ich finde, daß sie diesem Widerstande keineswegs erliegt, sondern sich gegen ihn behauptet und ihn an Hauptstellen siegreich überwindet. Daß vieles nicht in die Überwindung eingeht, das habe ich nicht verschwiegen und auch nicht zu verkleinern gesucht. Mir tritt damit das ganze Leben unter den Anblick eines Kampfes, und ich meine, daß dieser Kampf nicht gelingen kann, wenn der Gegner unterschätzt wird. Aber ein anderes ist es, den Gegner nicht zu unterschätzen, ein anderes, keinen Kampf gegen ihn zu wagen; letzteres scheint mir schon deshalb verkehrt, weil mir geistiges Leben kraft seiner Begründung in Weltzusammenhängen keine starre Größe bedeutet, sondern einer unermeßlichen Steigerung fähig dünkt. Diese Steigerungsfähigkeit auch mitten im harten Kampfe anzuerkennen, ist noch keineswegs Optimismus; will jemand das aber so nennen, so bekenne ich mich gern zu einem derartigen Optimismus, zum Glauben an die unbegrenzte Macht des Lebens. Der Zweifel: »Du übersiehst, daß du bei allem dem bloße Möglichkeiten für Wirklichkeiten gibst. Weil der Mensch nach deiner Behauptung sich über die Natur erheben kann, nimmst du an, er tue das in Wirklichkeit; weil der Gewinn eines festen Bestandes im Leben nicht unbedingt ausgeschlossen ist, behandelst du ihn als schon gewonnen; weil Sehnen und Hoffen des Menschen den elenden moralischen Durchschnittsstand überschreitet, dünkt dir ein Mehr schon vorhanden. Du übersiehst, daß der Durchschnittsstand der Menschheit unter eben den Hemmungen bleibt, die deine Betrachtung übersprang: die Natur bleibt übermächtig auch beim Menschen, den höchst unsicheren Stand des menschlichen Strebens läßt eben die Gegenwart deutlich empfinden, und wie wenig die Moral die tiefste Gesinnung der Menschheit beherrscht, das haben gerade die führenden Geister der Religion aufs schmerzlichste empfunden.« Ich: Den weiten Abstand des tatsächlichen Verhaltens der Menschen von den ihnen gesteckten Zielen anerkenne ich vollauf, aber dieser Abstand setzt die Ziele noch nicht zu bloßen Möglichkeiten herab und damit, wie du zu meinen scheinst, zu bloßen Gebilden menschlicher Meinung. Mögen die Individuen noch so wenig die geistige Bewegung teilen, mag der Durchschnittsstand ihre Forderungen noch so wenig erfüllen, die Bewegung selbst bleibt eine Tatsächlichkeit, die der bloße Mensch nun und nimmer ersinnen könnte, die als überlegen und von ihm unabhängig an ihn kommt, ihn mit erhöhendem Wirken umfängt, ihm starke Antriebe zuführt. Aber als Quell eines Reiches der Freiheit läßt sie sich nicht mechanisch übertragen, verlangt sie eine Anerkennung und Aneignung seitens des Menschen, mag sie insofern für den Einzelnen eine bloße Möglichkeit heißen. Nicht aber ist sie dieses an sich selbst, nicht auch ist sie es für das Ganze der Menschheit. Dieses hat mit der Ausbildung einer Geisteskultur eine Überwindung der Natur vollzogen, es hat der weltgeschichtlichen Arbeit bestimmte Richtungen und Forderungen eingeprägt, es hat mit der Bewegung zur Religion eine durchgreifende Vertiefung des Lebens vollzogen; das alles bildet eine Tatsächlichkeit, ohne welche der Einzelne überhaupt nicht aufstreben könnte. Nur darf man die Tatsachen nicht neben und außer dem Leben, man muß sie innerhalb seiner suchen; solche Lebenstatsachen, die sich deutlich genug von allen sogenannten inneren Erfahrungen, subjektiv-seelischen Zuständen unterscheiden, ergeben überhaupt erst Festigkeit, und können auch dem, was von außen kommt, erst den Charakter der Tatsächlichkeit verleihen; es ist daher eine Verkehrung der Sache, wenn diese grundlegenden Tatsachen als bloße Einbildungen hingestellt werden. In der Entfaltung des Geisteslebens nur Wechsel und Wandel, nur Widerspruch und Streit gewahren kann nur, wer sie lediglich von außen betrachtet und mit Händen greifen will, was ihm als wirklich gelten soll. Wer aber in die Bewegung eintritt und sie als eine eigene miterlebt, der wird alsbald die Tatsächlichkeit erfahren, welche ihr innewohnt, und die Kraft, die von ihr ausgeht, der wird erkennen, daß auch im Streben und Suchen sich ein wirklichkeitbildendes Schaffen erweist; ihm wird gewiß sein, daß geistige Festigkeit sich nicht von außen her übermitteln, sondern nur aus eigener Bewegung erringen läßt, so daß letzthin alle und jede Gewißheit auf einer Selbstbefestigung ruht. Der Zweifel: »Du magst sagen, was du willst; deine Beweisführung ist zu künstlich, zu verwickelt; sie wird nie den Menschen als Menschen gewinnen, er muß seine Überzeugung auf einen festeren Grund bauen können als auf weitausgesponnene philosophische Erörterungen. Wie schwer muß es einem schlichten Manne sein, den Begriff eines selbständigen Lebens auch nur zu fassen und ihn gar zu einer Macht für sein Handeln zu erheben! Durch zu viel Gestrüpp ist hier der Weg zu bahnen und zu viel davon ist zu beseitigen, damit nur ein Ausblick möglich werde; ehe man dazu gelangt, wird man ermüdet sein. Was zu den Menschen wirken will, muß einfacher Art sein und unmittelbar zum Herzen sprechen; alles andere bleibt Sache der bloßen Schule.« Ich: Du verkennst die Eigentümlichkeit philosophischer Behandlung, würdigst nicht die besondere Art unserer Zeit und gibst auch unserer Arbeit nicht ihr volles Recht, wenn du bei ihr lediglich Verwicklung siehst. Um dieses vorauszuschicken, so meine ich, daß alle Mannigfaltigkeit unserer Erörterung einen einzigen Grundgedanken bekennt, und daß sich von ihm aus ein Entweder -- Oder ergibt, welches das ganze Leben durchdringt und auf entgegengesetzte Bahnen treibt. Das ist aber die Behauptung, daß im Menschen aus überlegener Macht ein neues Leben gesetzt wird, das ihn in eine Weltbewegung aufnimmt und zugleich zur selbständigen Mitarbeit an dieser Bewegung aufruft. Nur kraft eines solchen Lebens kann er es unternehmen, der Natur ein Reich der Geisteskultur gegenüberzusetzen; nur ein solches Leben vermag durch seinen Gehalt ihn der schwankenden und tastenden Reflexion zu entwinden und ihm inmitten aller Unfertigkeit eine volle Sicherheit zu geben; nur die Selbstvertiefung dieses Lebens macht ihm gewiß, daß jene überlegene Macht nicht in jenseitiger Hoheit beharrt, sondern ihn in die Verwicklungen des Daseins begleitet und ihn über sie hinaus einer höheren Stufe zuführt. In Wahrheit entwickelt das alles nur jenen einen Grundgedanken, die Grundtatsache eines dem Menschen nicht aus eigener Kraft geschöpften, sondern ihm verliehenen neuen Lebens; sicherlich kann nur eine solche einfache Grundwahrheit unserem Streben einen festen Halt und einen inneren Zusammenhang geben. Diese Grundwahrheit, die alle Geistesgeschichte der Menschheit durchdringt, wurde früheren Zeiten mehr aus gemeinsamer Überzeugung, im besonderen durch die Religion zugeführt; wir wissen, wie die Wandlungen der Neuzeit sie für viele weit zurückgedrängt und arg verdunkelt haben, so daß dadurch für die ewige Wahrheit eine neue Form notwendig wird. Für solche Aufgabe ist die Arbeit der Philosophie nicht zu entbehren, diese Arbeit kann aber nicht so unmittelbar wie die Religion zur Seele jedes Einzelnen sprechen, ihr Weg führt durch begriffliche Erörterung hindurch; so mag die Sache von außen betrachtet als künstlich und verwickelt erscheinen, obwohl sie im Grundgehalt einfach ist. Wer besitzt, kann auch in der Form einfacher sein als wer erst sucht; daß wir aber suchen müssen, das liegt an der ganzen Zeit, dafür trifft den Einzelnen keine Verantwortung und keine Schuld. Der Zweifel: »Alle deine Reden und Gründe lösen nicht das Problem, das von altersher mit schwerer Wucht auf der menschlichen Seele lastet, sie lösen nicht die Frage, warum denn die höhere Macht, als deren Offenbarung du das in der Menschheit neu aufquellende Leben betrachtest, sich nicht in unseren Geschicken mit deutlichen Zügen erweist, warum nach unbefangenem Eindruck der Weltlauf das Wohl und Wehe des Menschen mit voller Gleichgültigkeit behandelt, weshalb Gut und Böse bei ihm nicht in die Wage fallen, weshalb so viele zerstörende Kräfte in unserem Dasein walten. Der gegenwärtige Krieg mit seinem unbarmherzigen Vernichten so vieles blühenden Lebens und seiner Wendung so vieler Geschicke aus hellem Licht in trübes Dunkel muß solche Frage noch weit eindringlicher und peinlicher machen als der gewöhnliche Lauf der Dinge. Wie kann eine Macht der Liebe, und sei es auch nur der Gerechtigkeit, eine derartige Auslieferung der Menschheit an sinnlose Mächte dulden? Erschüttern solche Eindrücke nicht allen Glauben an jene höhere Macht, ja lassen sie diesen Glauben nicht als ein bloßes Wahnbild des Menschen erscheinen?« Ich: Das ist fürwahr ein gewichtiger Einwand, den nur die Flachheit leicht nehmen kann. Jeder Einblick in die innere Geschichte der Menschheit zeigt aber, daß er keineswegs neu aufgetaucht ist, sondern von altersher ernste Seelen beschäftigt und aufgeregt hat, ohne daß sie darüber ihren Glauben verloren haben. Da sie wahrlich die Sache nicht leicht nahmen, so müssen sie Gründe gehabt haben, die ihnen freilich nicht die Verwicklung glatt lösten, wohl aber sie ihrem niederdrückenden Einfluß entwanden. Diese Gründe kommen aber schließlich auf das Eine hinaus, daß ihnen trotz jenes Mangels greifbarer Bekundung jene höhere Macht kein bloßer Hintergrund des Weltgeschehens blieb, sondern daß sie ein unmittelbares Wirken von ihr auch innerhalb jenes fanden und anerkannten, das aber in der Erschließung eines höheren, wesenhafteren Lebens sowohl in der Menschheit als in der Seele jedes Einzelnen. Es war das Wunder des Geistes, das ihnen eine äußere Durchbrechung des Weltlaufs, das ihnen sinnliche Wunder entbehrlich machte. Ein echtes Wunder erkannte der Einzelne vornehmlich darin, daß ihm das Leben inmitten des Kampfes gegen eine gleichgültige, ja feindliche Welt nicht nur aufrecht gehalten wurde, sondern eine innere Erhöhung erfuhr; eine weiterblickende Betrachtung mußte aber die ganze Menschheit umfassen und dabei voll zur Geltung bringen, daß in ihr weit über ihr eigenes Vermögen hinaus, ja ihrem eigenen natürlichen Streben zuwider ein Reich des Geistes, ja der Liebe begründet und gegen alle Widerstände nicht nur behauptet, sondern weiter und weiter verstärkt ward. Eben dies, daß das nicht aus dem Menschen, sondern eher trotz seiner geschah, und daß, was dabei bei ihm selbst zur Wirkung gelangte, nicht aus eigener, sondern aus verliehener Kraft gewirkt ward, gab ihm die felsenfeste Überzeugung, daß er nicht bloß seine eigene Sache führt, sondern in inneren Zusammenhängen steht und durch die Kraft des Ganzen getragen wird. So befestigt aber fühlte er sich stark genug, den Widerspruch der Außenwelt zu ertragen, so wenig er ihn leicht nehmen konnte. Aber nunmehr gewann die Sache den Anblick, daß wir Menschen auf die innere Welt gestellt sind und ihr treu bleiben sollen, auch gegenüber der Undurchsichtigkeit der äußeren Geschicke und all ihrer Hemmungen. Diese Undurchsichtigkeit selbst nimmt sich dabei anders aus, wenn sich nunmehr das Gesamtbild des Lebens verändert. Müßten wir unser höchstes Ziel darin finden, daß es uns wohl ergehe und wir lange leben auf Erden, so wäre allerdings gegen jenen lähmenden Eindruck nicht aufzukommen und der Unvernunft bliebe das letzte Wort. Nun aber haben sich uns höhere Ziele aufgetan: es gilt einen inneren Aufstieg des Lebens im Bereich der Menschheit, und dies kann bei der tatsächlichen Schroffheit der Gegensätze nicht in ruhiger Entwicklung, sondern nur durch Kampf und Schmerz, durch Wandlung und Entsagung hindurch geschehen. Für solches inneres Aufklimmen, für dies »Stirb und Werde« kann aber manches dienlich sein, was sich, äußerlich angesehen, wie ein bloßer Verlust ausnimmt. Bringt das zunächst bloße Möglichkeiten, und bleibt es uns in tiefes Dunkel gehüllt, woher so schroffe Gegensätze im Weltbestande und so harte Widersprüche im menschlichen Wesen stammen: alles Dunkel verkümmert uns nicht im mindesten den Aufstieg eines neuen Lebens und die Verwandlung unseres Wesens dadurch. Stellen wir uns auf diese eine Grundtatsache und halten uns fest an sie, so können alle Rätsel der Weltlage uns nicht dem Zweifel zur Beute geben, so kann der Widerstand selbst uns nur in der Überzeugung von der Ursprünglichkeit und der Überlegenheit jener Grundwahrheit bestärken. So vermögen wir uns mit dem Zweifel nicht zu verständigen, verstehen aber können wir ihn sehr wohl. Es liegen schwere Verwicklungen und ungeheure Widersprüche im Weltstande und im Menschenleben, die sich aller Aufklärung durch menschliche Einsicht entziehen, die wir einfach als Tatsachen hinnehmen müssen. Diesen Widerständen gewachsen und überlegen werden können wir nur dadurch, daß wir uns selbst in die Bewegung versetzen und sie als die unsrige führen, damit ihre Kraft erfahren, damit in ihr eine unerschöpfliche Welt entdecken. Freilich muß, wer die Bewegung teilt, auch ihre Mühen und Kämpfe teilen, auch Zweifel werden ihn nicht verschonen. Aber die Zweifel liegen dann innerhalb der Bewegung, ja sie entspringen erst aus ihr; so können sie nun und nimmer ihre Tatsächlichkeit erschüttern, ja es kann der Zweifel selbst zur Überwindung des Zweifels wirken. Denn vom Zweifel gilt dasselbe, was von der moralischen Verwicklung: nichts hat die Menschen mehr eines naturüberlegenen Lebens gewiß gemacht als das Gewahren und Durchleben schwerer Probleme in der eigenen Seele; die völlige Unmöglichkeit, diese Probleme liegen zu lassen, ward das sicherste Zeugnis dafür, daß das Ganze keine bloße Einbildung ist; die Befassung mit diesen Problemen ließ das Leben auf sich selber stehen und unabhängig von seiner Umgebung werden, es gewann eben dadurch echte Freiheit, daß es eine innere Notwendigkeit in sich aufnahm. Zugleich erzeugte die Stärke des Schmerzes über den Nichtbesitz unentbehrlicher Güter die Hoffnung, den Glauben, die felsenfeste Gewißheit, daß jenes, was wir schmerzlich entbehren, irgendwie besteht und schließlich auch uns zugehen wird. Wo hingegen der Zwang innerer Probleme fehlt, der Mensch die Bewegung von außen her betrachtet und sie wie etwas Fremdes von sich schiebt, da überwältigen ihn leicht die Eindrücke der gleichgültigen oder feindseligen Welt, da verliert der Zweifel seine aufrüttelnde und vorwärtstreibende Macht, da wird er matt und schlaff, da weicht die Welt vor dem Menschen zurück, und alles kluge Räsonnement vergrößert nur die damit entstehende Kluft. Mit Recht hatte Goethe besondere Freude an der Erzählung von dem Wandeln Jesu auf dem Wasser, alles Große verlangt einen festen Glauben, ja einen Trotz gegen die Maße der Welt, während der Kleingläubige versinkt. Größe aber verlangt das Leben durchgängig von dem zwischen zwei Lebensstufen befindlichen Menschen, eine Größe, vor der alle Unterschiede gesellschaftlicher Stellung verschwinden; so hatte Luther Recht, wenn er meint, niemand dürfe den Glauben fahren lassen, daß Gott mit ihm große Dinge tun wolle. Auch zusammenfassend dürfen wir mit Luther sagen. »Darum nur getrost und frisch dahin gesetzt, was auch die Welt nehmen kann. Die Wohnungen des Lebens sind viel weiter denn die Wohnungen des Todes.« Die Folgerungen aus dem Gesamtbilde des Lebens. Folgerungen für das Leben des Einzelnen. Wie jede Lebensordnung sich am Dasein des Einzelnen zu bewähren hat, so muß es auch die unsrige tun; sie tut das, indem sie auch im Einzelleben eine hohe Aufgabe findet, ihm einen inneren Zusammenhang gibt, es den Widersprüchen entwindet, die es zu zerstören drohen. Diese Widersprüche stammen vornehmlich daher, daß der Mensch kraft seiner geistigen Anlage der bloßen Natur entwächst und bei ihr kein Genüge mehr findet, daß der Durchschnitt seines Daseins aber geistiges Leben nicht genügend entfaltet, um ihm Selbständigkeit zu erringen; so schwebt der Mensch in unsicherer Mitte, und da die Versuche einer Hilfe sich bald als unzulänglich erweisen, so läuft das Ganze schließlich in trübe Entsagung aus; das Leben erscheint nach dem Ausdruck Schopenhauers als ein Geschäft, das seine Kosten nicht deckt. Der Verlauf des Lebens durch die verschiedenen Alter hindurch stellt sich zunächst als ein Aufstieg, bald jedoch als ein Abstieg dar, damit aber als ein überwiegender Verlust, als eine herbe Enttäuschung. Beim Eintritt in das Leben wird das Individuum vom engen Kreise der Seinigen freudig begrüßt und zärtlich gepflegt, auch den Weg des Heranwachsenden behüten Liebe und Güte, und was an kleinen Sorgen und Schmerzen erscheint, das stört nicht die Lebensfrische und Lebenslust. Da die Abhängigkeit noch nicht drückend wirkt, so hat das Kindesalter einen Stand harmlosen Glückes, nach dem das spätere Leben oft wie nach einem verlorenen Paradiese zurückschaut. Dann aber erwacht ein Verlangen nach voller Selbständigkeit, das Leben drängt ins Freie und Weite, der Mensch sucht eigene Wege und schließt in Freundschaft und Liebe selbstgewählte Bünde; neue Triebe erwachen und neue Wünsche steigen auf, schwellende sinnliche Kraft führt auch dem geistigen Leben fruchtbare Antriebe zu. Ins Endlose geht hier das Sehnen und Hoffen, unbegrenzte Möglichkeiten stellen sich zur Wahl vor den strebenden Geist, das ursprüngliche Aufquellen frischer Kraft erzeugt das Gefühl, daß jetzt erst die Welt ihren Lauf beginne, jetzt erst die Sonne voll leuchte, jetzt erst Lust und Liebe ihren Zauber entfalten. Die Vergangenheit dünkt dabei leicht eine bloße Vorstufe dessen, was jetzt an den Punkt der Entscheidung gelangt, eben jetzt wird die Zukunft geschmiedet, eben jetzt aller Folgezeit der Weg gewiesen. So groß kann die Jugend nicht von sich denken, ohne auch manche Sorgen und Schmerzen auf sich zu nehmen, die hochfliegenden Pläne selbst lassen den Widerstand der Erfahrung mit besonderer Stärke empfinden. Aber ein freudiges Kraftgefühl schöpft daraus mehr Antrieb als Hemmung; auch waltet ein fester Glaube an die Macht der Einsicht und der Gerechtigkeit in menschlichen Dingen, ein Glaube auch an eine Überlegenheit freier Entscheidung über alle starre Gewöhnung. Aus der Zeit der Entwürfe und Pläne tritt der Mensch mit beginnendem Mannesalter in die Zeit der Arbeit ein, nun gilt es selbst Hand anzulegen, nun das Vermögen in Tat umzusetzen; ein Beruf wird ergriffen, ein eigenes Heim begründet. Das bringt dem Leben eine gewisse Verengung und lenkt es in eine ruhige Bahn. Aber wenn der Sturm und Drang der Jugend verfliegt, so verflicht sich dafür das Leben enger mit seiner Umgebung und gewinnt es einen festeren Boden; klarer stehen die Ziele vor Augen, und das Wirken gewinnt an Sicherheit. Aus emsiger Arbeit quillt Liebe und Freude hervor, die Hingebung und Opfer zu erzeugen vermag und zur ethischen Erhöhung wirkt. Aber diese Wendung bringt das Leben bald an einen kritischen Punkt, den am meisten kritischen Punkt unseres Daseins. Die Arbeit zwingt, das Streben auf die Leistung zu richten, sie lenkt damit den Menschen vom eigenen Innern ab, sie verlegt den Schwerpunkt des Lebens mehr und mehr in das Verhältnis zur gesellschaftlichen Umgebung und unterwirft den Einzelnen ihren Forderungen. Das ergibt so lange keine schwere Verwicklung, als das Feuer der Jugend noch anhält und das Werk des Tages erwärmt; aber allmählich erlischt jenes Feuer, es erschlafft mehr und mehr die Jugendkraft der Natur, und es fragt sich nun, ob, was damit verloren geht, irgendwelchen Ersatz erhalte. Damit aber wird das Leben vor eine folgenschwere Entscheidung gestellt. Nur geistige Kraft vermöchte die sinkende Natur zu ersetzen, sie könnte das aber nur, wenn die geistige Anregung, die dem Individuum zugeführt wurde, in ihm tief genug Wurzel geschlagen hätte, um eine Selbständigkeit zu erreichen und den Hemmungen gewachsen zu werden. Dies aber geschieht, wie der Augenschein zeigt, in den meisten Fällen nicht, das geistige Leben wird weniger durch eigene Kraft als durch das verwickelte Triebwerk des gesellschaftlichen Lebens aufrecht gehalten; das aber besagt gerade nach unserer Darlegung deshalb einen schroffen Widerspruch, weil geistiges Leben ein Selbständigwerden der Innerlichkeit bedeutet; eine Beugung unter eine fremde Ordnung muß es verflachen und entstellen, ja setzt es schließlich zu bloßem Aufputz und Schein herab. Das muß auch das Individuum am eigenen Leibe erfahren: es kann nicht vornehmlich nach draußen blicken und die Wirkung auf die Umgebung berechnen, ohne daß die Kraft des Lebens sinkt und seine Gefühle ermatten; ursprüngliches Schaffen weicht träger Gewöhnung, und eine geistlose Mechanisierung gewinnt immer weiteren Raum. Die Arbeit sinkt zur Routine, und was feurige Liebe schuf, das muß die Gewohnheit des Alltags und kühle Erwägung der Zweckmäßigkeit mühsam aufrecht erhalten. Zugleich weicht das stürmische Hochgefühl der Jugend einem nüchternen Realismus, der Trägheitswiderstand der Verhältnisse, der die Jugend so wenig bekümmerte, wird nun überschätzt und lähmt allen kühnen Aufschwung; dasselbe gilt von der Macht des Kleinen und Gemeinen, sowie des Zufalls, der oft mühsame Arbeit und wohlerwogene Pläne in spielender Laune zerstört. Ist es dem Individuum zu verdenken, wenn solche Eindrücke und Erfahrungen es auf eine Beherrschung der Dinge verzichten und möglichst eine Anpassung an seine Umgebung suchen lassen? Auch unterstützt das gesellschaftliche Leben eine derartige Wendung, indem es sich eifrig bemüht, den Menschen die drohende innere Leere nicht voll empfinden zu lassen. Die Gesellschaft läßt es an Anerkennung der Leistung nicht fehlen, sie stachelt den Ehrgeiz des Individuums an und schmeichelt mit mannigfachen Mitteln seiner Eitelkeit; oft verkehrt sich das in wunderlicher Weise dahin, daß das Nichts dem Nichts eine Bedeutung zuspricht und ihm damit ein Selbstbewußtsein verleiht; auch ersinnt die Gesellschaft mit großem Geschick Unterhaltungen und Zerstreuungen, Spiele, Sport usw., Ersatzmittel echten Lebens, die durch unablässige Erregung der einzelnen Augenblicke die Leere des Ganzen verdecken möchten. Aber das Gefühl der Leere verscheuchen, heißt nicht die Leere vertreiben, in aller künstlich erzeugten Erregung führen die Seelen kein wahrhaftiges Leben, sind sie, innerlich angesehen, tote Seelen, geistig tot, bevor der körperliche Tod sie dahinrafft. Und nun erwacht oft eine wehmütige Sehnsucht nach der Kindheit, wo das Leben in so weitem Ausblick vor dem Menschen lag, wo alle Möglichkeiten noch offen standen, und die Pulse so viel kräftiger schlugen. Schließlich versagen die Kräfte zur Arbeit, und gilt es ein Scheiden von ihr, das Greisenalter beginnt. Dieser Abschied von der Arbeit, die mehr und mehr zu einer lastenden Bürde wurde, mag zunächst wie eine Erleichterung und Befreiung erscheinen, die Ruhe wird zum Genuß, der harte Kampf erlischt, die Stimmung wird weicher, das Urteil des unbeteiligten Zuschauers milder; zugleich wird er selbst, da er nun ja aus der Wettbewerbung ausschied, freundlicher beurteilt oder doch schonungsvoller behandelt. Das Greisenalter ist die Zeit der Selbstbetrachtung, aber einer Betrachtung, die sich vom Schaffen abgelöst hat; so hat diese Weisheit einen matten und unfruchtbaren Charakter, sie erleichtert mehr das Scheiden vom Leben, als sie diesem nachträglich einen Wert verleiht. Die Beleuchtung, welche sein Verlauf beim Rückblick erhält, gibt eher dem Pessimismus als dem Optimismus Recht. Die Natur versah jeden von uns mit einem Kapital für das Leben, aber dieses Kapital war begrenzt, und wir haben es allmählich aufgezehrt; was sollen wir nun noch beginnen? Wir hatten manche Erfolge, aber sie ließen die Seele vergessen und verkümmern, und sie selbst geraten in Unsicherheit, wenn der Sinn und Wert des gesamten Lebens zweifelhaft wird, und wie sollte das hier nicht geschehen? Wir strebten von Augenblick zu Augenblick und hofften stets mit dem Erklimmen der nächsten Höhe den höchsten Gipfel gewonnen zu haben, aber immer wieder erschienen neue Höhen und zwangen uns weiter zu wandern. Das Leben kam nicht zu sich selbst und ging nicht in ein Ganzes zusammen; so hatte es dem Strom der Zeit nichts entgegenzusetzen, sondern trieb wehrlos mit ihm dahin. Im Hoffen und Harren auf ein Glück, das irgendwoher kommen sollte, entrann uns die Gegenwart und schließlich das ganze Leben, es war mehr ein Suchen und Haschen, ein Verlangen nach Leben als wahres und wirkliches Leben. Zugleich verschiebt sich durch den Verlauf des Lebens in schmerzlicher Weise das Verhältnis des Einzelnen zur Zeit und zur menschlichen Umgebung. Im Aufstreben fühlte er sich seiner Zeit aufs allerengste verbunden, und ihre Förderung bildete den Hauptantrieb seines Strebens. Am Schluß aber entweicht ihm die Zeit, die alten Probleme treten zurück und machen neuen Platz; das macht ihn fremd in der Zeit und mit seinem Hangen an der Vergangenheit selbst zu einer Vergangenheit. Nicht viel anderes erfährt er mit den einzelnen Menschen. Als er aufstrebte, hatte er viele Genossen, deren Teilnahme er sicher war, und die er zu führen oder doch zu fördern hoffte. Diese Genossen und Freunde werden ihm nach und nach entrissen, und Fremde besetzen ihren Platz. So findet er sich immer weniger verstanden, und muß sich immer einsamer fühlen, ja schließlich mag er sich wie ein bloßes Überbleibsel erscheinen, das die Wogen des Geschickes bisher verschonten, nun aber bald dahinraffen werden. Das alles führt zu der Stimmung, der Goethe den Ausdruck gab: »Ein alter Mann ist stets ein König Lear. Was Hand in Hand mitwirkte, stritt, Ist längst vorbei gegangen, Was mit und an dir liebte, litt, Hat sich wo anders angehangen; Die Jugend ist um ihretwillen hier, Es wäre thörig zu verlangen: Komm ältele du mit mir.« Solchen Zweifeln und Enttäuschungen gegenüber ist es ein bloßer Scheintrost, daß unsere Arbeit der Heranbildung eines neuen Geschlechtes diene, unsere Mühe diesem fromme. Denn was wird damit gewonnen, wenn das neue Geschlecht auch nur wieder ein neues heranzieht, und dieses wieder ein anderes, wenn jedes die Frage einem anderen zuschiebt, und damit das Leben nie über das Suchen hinaus zu einem Beisichselbstsein gelangt? Schließlich erscheint das unermüdliche Streben von Geschlecht zu Geschlecht als ein bloßes Mittel, die Menschheit physisch zu erhalten; es mag dann eine grobe Irrung dünken, daß wir uns als einen Selbstzweck behandeln und vom Leben einen Inhalt begehren. Alle solche Größen stellen sich dann als bloße Lockmittel heraus, die uns vorgespiegelt werden, um uns aus natürlicher Trägheit aufzurütteln. Wir alle werden damit bloße Durchgangspunkte des Lebens, Wogen, die sich rasch zusammenballen und ebenso rasch zerrinnen, Wogen, die einander unaufhörlich verdrängen. Dieser Stand der Dinge mag so lange verborgen bleiben, als der Blick nur an einzelnen Geschehnissen haftet; sobald aber ein überschauendes Denken die Erfahrungen ins Ganze faßt, wird die Sinnlosigkeit dessen offenbar, und das letzte Wort behält die Verneinung. So pflegt es zu sein, so braucht es aber nicht zu sein; daß es so ist, das liegt am Menschen selbst, der sein Leben allein auf die Umgebung richtet und es von ihr abhängig macht, statt ihm eine Selbständigkeit zu erringen und die Bildung des Innern voranzustellen. Wir sahen, wie hohe Ziele das menschliche Leben enthält, auch der Einzelne kann sie ergreifen, sein Dasein in Tat verwandeln, eine Unendlichkeit in der eigenen Seele entdecken, den Kampf gegen alles Schicksal getrosten Mutes unternehmen. Er kann das von der Überzeugung aus, daß überlegene Macht in ihm ein neues Leben und eine ursprüngliche Quelle erschließt; zu dessen Aneignung und Entfaltung aber bedarf es seiner Gesinnung und Tat. Das Leben erhält einen völlig anderen Anblick, wenn es nicht bloß an uns vorgeht, sondern unser eigenes Werk werden kann, wenn es nicht eine vorgeschriebene Linie nur fortsetzt, sondern die Forderung einer großen Wendung in sich trägt, die Forderung eines Überlegenwerdens nicht nur gegen die Natur, sondern auch gegen den flachen und widerspruchsvollen gesellschaftlichen Durchschnitt, die Forderung, das Ganze der Lebenswelt im eigenen Wesen zu ergreifen. Es stehen dabei nicht bloß einzelne Leistungen in Frage, sondern ein einziges aller Mannigfaltigkeit überlegenes Ziel, die Erhebung des Menschen zu einem selbständigen Lebenszentrum, die Bildung eines geistigen Kernes, einer geistigen Energie, die Geburt eines Geistesmenschen statt des bloßen Daseinsmenschen. Denn »der Mensch muß zweimal geboren werden, einmal natürlich und sodann geistig, wie der Brahmine« (Hegel). Brahminen in diesem Sinne sind aber wir alle, mag der Daseinskreis des Einzelnen noch so bescheiden sein. So darf es mit Goethe heißen: »Gott begegnet sich immer selbst; Gott im Menschen sich selbst wieder im Menschen. Daher keiner Ursache hat, sich gegen die Größten gering zu achten.« Zum Gelingen der Wendung bedarf es einmal eines unablässigen Hochhaltens der Gesinnung, es bedarf aber auch einer emsigen Arbeit, welche dem Menschen einen eigenen Bereich erringt, ihm eine eigentümliche Wirklichkeit schafft und ihn sich darin befestigen läßt. Die Bewegung bleibe nicht ein bloßes Wogen und Wallen, sie strebe auch zu irgendwelchem geschlossenen Werke, weniger wegen der Leistung, die stets unvollkommen bleibt, als zur notwendigen Aufrüttelung, Zusammenfassung und Lenkung der Kräfte; ohne das kann das Leben nicht stark in sich selbst und zur vollen Wirklichkeit werden. Gewiß wird es so gefaßt alles eher als ein sicheres Fortschreiten oder gar ein behagliches Genießen. Mit seiner Forderung, Unendliches im Endlichen, Zeitüberlegenes im Zeitlichen, Freischaffendes im Gegebenen und Gebundenen, Liebe in der Welt der Selbstsucht und des Streites zur Macht und Wirkung zu bringen, enthält es einen durchgängigen Widerspruch; diesen Widerspruch kann das Alltagstreiben verdunkeln und vergessen, den Höhen menschlichen Strebens aber war er mit voller Klarheit gegenwärtig: die edelsten Menschen machten sich die meisten moralischen Sorgen, »die Heiligen pflegen sich für Sünder und die Sünder für Heilige zu halten« (Pascal), die größten Künstler fühlten besonders schmerzlich den weiten Abstand zwischen Wollen und Vollbringen, und tiefste Denker fühlten sich namentlich getrieben, einer Überschätzung des menschlichen Erkenntnisvermögens entgegenzuwirken und scharf seine Grenzen zu ziehen. Aber das alles kann nicht erschrecken, wenn der Mensch der lebendigen Gegenwart erhöhender Mächte gewiß ist und sein Werk nicht als eine Privatangelegenheit, sondern als eine ihm zugewiesene, aber zugleich vom Gesamtleben getragene Aufgabe führt, nicht aus eigener, sondern aus verliehener Kraft. Dabei fällt auch das ins Gewicht, daß das Leben des Menschen verschiedene Schichten enthält, und daß selbst das Mißlingen bei einer von ihnen für das Ganze ein Gewinn werden kann. Wir haben uns zunächst im Bereich der Natur und des gesellschaftlichen Zusammenseins zu erhalten, über die dort waltende Notwendigkeit und Nützlichkeit erhebt weltbauendes geistiges Wirken und Schaffen in ein Reich der Geisteskultur, über diesem aber wölbt sich als letzter Abschluß ein Reich weltüberlegener Innerlichkeit und weltüberwindender Liebe. In diesem letzten kann auch das einen Wert erlangen, was äußerlich nicht zur vollen Wirkung kam, ja es verschwinden hier alle Unterschiede der Leistung. Denn hier wird zum entscheidenden Hauptwerk die Gesinnung, Gesinnung als tätige Haltung, nicht als passiver Zustand, hier gilt das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, das auch die geringste Arbeit nicht verwirft, wenn sie nur aus der treuen Einsetzung der ganzen Seele hervorging. Steht es so mit dem Menschen, so kann er den Gefahren trotzen, welche sein Leben nach kurzem Aufschwung in ein Stocken und Sinken zu bringen drohten. Nun kann er dem Schicksal, das ihn umfängt, ein ursprüngliches Leben entgegensetzen und damit sein Dasein in einen unablässigen Kampf zwischen Schicksal und Freiheit verwandeln; nun kann er die entweichende physische Jugend durch eine geistige ersetzen und gegenüber einem erstarrenden Mechanismus das Leben in frischem Fluß erhalten. Auch erschöpft sich nunmehr das Leben nicht mehr in ein Nacheinander einzelner Vorgänge, es bleibt kein bloßes Kommen und Gehen, sondern nunmehr vermag es gegen den Wirbel und Wandel eine Hauptrichtung festzuhalten und eine beharrende Gegenwart auszubilden, die alles, was dem inneren Fortgang dient, verbinden und durcheinander befestigen kann. Hat unser Leben so viel bei sich selbst zu tun und verheißt sein Verlauf so reichen Gewinn, so kann es auch nicht mehr echte Weisheit bedeuten, das Leid, das uns traf, einfach abzuschütteln und möglichst alle Spur von ihm auszutilgen, sondern dann hat es einem Ganzen des Lebens gegenwärtig zu bleiben und zu seiner Förderung zu wirken. Solche innere Bildung vermag durch den ganzen Verlauf des Lebens im Aufstieg zu bleiben und an geistiger Frische zu wachsen; es wird von hier aus die Forderung der Mystik verständlich, der Mensch solle jeden Tag jünger werden, jeden Tag mehr aus der Zeit in die Ewigkeit treten; nur werden wir dabei weniger mit der Mystik an bloße Kontemplation als an schaffende Tätigkeit denken. Wie in diesem Zusammenhange das Leben sich nicht als ein Aufzehren eines gegebenen und begrenzten Kapitals darstellt, sondern als das Schaffen eines neuen, das ins Grenzenlose zunehmen kann, so wird nun das sentimentale Zurückblicken auf die Jugendzeit und das Klagen über den Verlust ihrer Frische und Spannkraft zu einem Ausdruck matter und flacher Denkart, ja zu einem Zeugnis dessen, daß das Leben sein Ziel verfehlte. Nicht minder als dem Sinken der Jugendkraft läßt sich auch der Mechanisierung der Arbeit und dem Unterliegen unter starre Routine erfolgreich Widerstand leisten. Uns bezwingen nicht sowohl die Außendinge als unsere innere Schwäche, unser Unvermögen, inmitten der Arbeit ein Werk des ganzen Menschen zu wahren und von ihm aus die Arbeit zu beseelen. Werfen wir nicht auf das Schicksal, was in Wahrheit wir selbst verschulden! Wenn die Festhaltung einer durchgehenden inneren Aufgabe das Leben in ein fortlaufendes Werk verwandelt und der Verlust nach außen hin sich durch einen inneren Gewinn ersetzen läßt, so behalten auch die späteren Lebensstufen ein eigentümliches Recht und einen eigentümlichen Wert. Auch Güter wie Kraft und Schönheit beschränken sich nicht auf die Jugendzeit, auch die späteren Alter können sie besitzen, nur werden diese sie anders gestalten und mehr ins Seelische wenden müssen. Wir ergeben uns gewöhnlich viel zu früh und machen weit weniger aus uns, als wir könnten, unser schlimmster Feind ist die eigene Verzagtheit, ist der Mangel an rechtem Glauben. Richtig verstanden hat auch das Greisenalter seinen besonderen Wert, es braucht kein mattes Verklingen zu sein, es kann ein inneres Zusammenfassen des Lebens werden und eine Emporhebung über alle äußeren Maße vollziehen. Wohl lockert sich das Verhältnis zur Zeit, jedoch nur das zu ihrer Oberfläche, nicht zu dem Ewigkeitsgehalt, der allein den Zeiten eine Tiefe gibt und sie zu einem gemeinsamen Werke verbindet. Auch das Einsamerwerden gegen die Menschen braucht keine Vereinsamung zu bedeuten, wenn Liebe zum Menschenwesen bleibt und immer neue Tätigkeit wachruft, wenn vor allem der Mensch in den Zusammenhängen des geistigen und göttlichen Lebens sich sicher geborgen fühlt und als Glied einer ewigen Ordnung weiß. Dann mag das Leben nach dem Ausdrucke Leibnizens gegenüber der früheren Evolution eine Art von Involution vollziehen, eine Einkehr in sich selbst, aber es fällt damit nicht ins Leere, wenn es von innen her eine Welt zu eigen gewann, die den Grundbestand aller Wirklichkeit bildet, der gegenüber alles Dasein zu einer niederen Stufe herabsinkt. So erscheint das Greisenalter als ein Prüfstein für den Ertrag des Lebens, für sein Gelingen oder Mißlingen. Wir erwähnten vorhin ein trübe gestimmtes Goethewort; wie der große Lebensweise sich selbst über solche Stimmung hinaushob, das zeigt ein anderer Ausspruch, der seine individuelle Art in unnachahmlicher Sprache verkörpert: »Die Jahre nahmen dir, du sagst, so vieles: Die eigentliche Lust des Sinnenspieles, Erinnerung des allerliebsten Tandes Von gestern; weit und breiten Landes Durchschweifen frommt nicht mehr; selbst nicht von oben Der Ehren anerkannte Zier, das Loben, Erfreulich sonst. Aus eignem Tun Behagen Quillt nicht mehr auf, dir fehlt ein dreistes Wagen! Nun wüßt ich nicht, was dir besondres bliebe.« »Mir bleibt genug! Es bleibt Idee und Liebe.« Folgerungen für die Aufgaben der Gegenwart. So gewiß in den Bewegungen der Weltgeschichte die philosophische Arbeit nur einen bescheidenen Platz einnimmt, so ist sie doch unentbehrlich bei den Fragen, die den ganzen Menschen und die Gesamtrichtung des Lebens betreffen. Daß aber die von uns vertretene Gedankenwelt nach dieser Richtung hin wohl einiges nützen kann, das sei an einigen Hauptpunkten kurz gezeigt. 1. Wir gehen vom Begriff des Lebens aus und stellen uns damit in einen zwiefachen Gegensatz, in einen Gegensatz zu allem Beginnen vom Sein und in den einer Voranstellung besonderer Tätigkeiten. Was jenen betrifft, so geht er freilich mehr die eigentliche Philosophie als das Leben an, so sei hier nur das bemerkt, daß beim Ausgehen vom Leben das Erkennen nicht auf eine gegebene Welt, nicht auf ein starres Ding an sich gewiesen wird, und daß überhaupt ein Leben sich weit leichter und weit reicher eröffnen kann als ein Sein. Auch die Religion stellt sich anders dar, wenn ihr höchstes Ziel nicht ein absolutes Sein, sondern das absolute Leben bildet. Hier aber liegt uns vor allem an dem Gegensatz des Lebens als eines Ganzen zu seinem Auseinandergehen in die Besonderheit der Verzweigung. Es ist ein Hauptzug des modernen Lebens, die Eigentümlichkeit der Einzelgebiete mehr zu entwickeln und stärker hervorzukehren als frühere Zeiten es taten. Diese Verstärkung aber hat bei allen Erfolgen mangels eines Gegengewichts immer mehr dazu geführt, daß die Gebiete auseinandergingen und wohl gar in einen schroffen Gegensatz zueinander gerieten. Da ihrer Arbeit naturgemäß die Menschen folgten, so entstand eine ungeheure Zerklüftung und Zersplitterung, wie wir heute schmerzlich empfinden. Mit diesem überwiegenden Eingehen in die Verzweigung hängt auch zusammen, daß das Leben sich mehr ins Technische wendet und immer komplizierter geworden ist, daß einfache Grundgedanken den Spezialproblemen immer mehr weichen mußten. Dem muß begegnet werden, dem läßt sich aber nur begegnen durch ein Zurückgehen auf ein überlegenes Ganzes des Lebens. Es steht zu hoffen, daß, wenn die großen Lebenswahrheiten und Lebensnotwendigkeiten kräftiger herausgearbeitet und bewußter angeeignet werden, unser Lebensstand eine Verjüngung und Vereinfachung erfährt, daß die Menschen gemeinsame Aufgaben erkennen und sich bei ihnen zusammenfinden. Alle schönen Worte von Menschenwürde und Humanität überwinden nicht die Kluft, das kann nur durch eine Verstärkung der gemeinsamen Aufgaben erfolgen, an deren Lösung das Gelingen und der Sinn alles Lebens hängt, bei denen wir aber zugleich uns aufeinander angewiesen und innerlich verbunden fühlen. Hier gilt es ein Bauen von innen heraus. 2. Das Leben als Grundlage dessen nehmen konnten wir nicht, ohne anzuerkennen, daß ein derartiges Leben nicht ein Erzeugnis bloßmenschlichen Vermögens ist, daß es vielmehr aus größeren Zusammenhängen stammt, und daß damit innerhalb des Menschen etwas Übermenschliches ersichtlich wird. Aus solcher Überzeugung läßt sich der heutigen Unsicherheit in der Schätzung des Menschen entgegenwirken. Es war der Neuzeit eigentümlich, beim Bilde der Welt wie bei der Gestaltung des Lebens vom Menschen auszugehen und ihn damit sehr zu steigern. Es hat das aber neben großem Gewinn auch manche Verwicklung gebracht, im besonderen die Gefahr, daß der bloße Mensch die Rechte und Ansprüche an sich riß, die nur dem schaffenden Leben gebühren. Solche Mißstände wurden so lange minder bemerklich, als von früheren Lebensordnungen her noch ein Glanz auf der Menschheit lag und sie als ein Glied größerer Zusammenhänge sehen ließ. Aber diese Verklärung ist mehr und mehr gewichen, und der Mensch hat sich immer ausschließlicher auf sein natürliches und gesellschaftliches Dasein gestellt. Wenn dabei manche Grenze und Schwäche sich nicht verkennen ließ, so suchte man das wohl durch eine Summierung der Kräfte zu überwinden, sei es in dem Nacheinander der Geschichte, sei es in dem Nebeneinander der Gesellschaft. Wie wenig das aber auslangt, das hat sich unserer Erörterung oft erwiesen; die Eindrücke des Krieges bekräftigen das, indem sie den Menschen mit sehr widersprechenden Zügen zeigen, im Verhältnis der Nationen unermeßlich viel Haß und Neid, Unwahrheit und Ungerechtigkeit, innerhalb der Nationen aber viel Kraft und Aufopferungsfähigkeit, wie wir das auch unseren Gegnern zuerkennen müssen; so ein höchst verworrenes Bild des Menschen. Die Unsicherheit, ja Hilflosigkeit wird dadurch verstärkt, daß die moderne Wissenschaft die Bedeutung des Menschen im Weltall immer geringer anschlägt; wir auf unserem kleinen Planeten und mit unserer zeitlich begrenzten Dauer scheinen völlig nebensächlich und gleichgültig im Ganzen der Wirklichkeit. Und doch können wir unmöglich auf eine Schätzung der Menschheit verzichten, wenn unser Handeln hohe Ziele entwerfen und unserem Vermögen sie zu erreichen vertrauen soll. So geht ein Sehnen durch die Menschheit der Gegenwart, den Menschen von innen heraus zu erhöhen. Das aber kann unmöglich vom bloßen Dasein aus geschehen, es verlangt die Eröffnung einer neuen Welt, einer Tatwelt, in der menschlichen Seele, und die Schöpfung eines selbständigen Lebens im Menschen; unsererseits bedarf es dabei einer kräftigen Herausarbeitung jenes Übermenschlichen im Menschen und zugleich eines Zusammenschlusses der Streiter für eine echte Geisteskultur zu einer festen Gemeinschaft; früher haben die Kirchen sich dieser Aufgabe angenommen, vieles in ihnen ist sicherlich heute veraltet, aber der sie beseelende Grundgedanke bleibt schlechterdings unentbehrlich und wird sich durch alle Verneinung und Bekämpfung hindurch immer wieder Geltung verschaffen. 3. Wir verlangten für das Leben die Bildung eines festen Kerns im Menschen, eines Selbst, das alle Mannigfaltigkeit trägt, sich erhöhend in sie hineinlegt, damit aber das Leben zu einem Beisichselbstsein erhöht. Wir verlangen zugleich einen Lebensinhalt und eine Wesenskultur. Damit widersprechen wir einer bloßen Kraftkultur, wie sie in der Neuzeit die Herrschaft an sich gerissen hat. Auch hier lag zugrunde eine unverwerfliche Forderung. Die früheren Lebensordnungen nahmen den Menschen zu sehr als eine fertige Größe und setzten daher nicht genügend den ganzen Umfang seiner Kraft in Bewegung. Nun zeigte die Neuzeit, wieviel sich im Menschen steigern und in den Verhältnissen bessern läßt; darüber ist aber die Steigerung zum Selbstzweck geworden, und es entsteht die Gefahr, das Beisichselbstsein des Lebens und alle Inhaltsbildung als nebensächlich, ja gleichgültig zu behandeln. Denn mag die Kraft in der einen Richtung als Wachstum materiellen Vermögens, in der anderen als eine Steigerung des seelischen Standes mittels eines durchleuchtenden Denkens verstanden werden, weder hier noch da kommt es zu einem wahrhaftigen Leben, wird das Leben mehr als ein bloßes Lebenwollen, als ein ruheloses Hasten und Jagen. Wollen wir aber dem mit Aussicht auf Erfolg widerstehen, so gilt es gegenüber dem Kraftideal ein neues Ideal zu gewinnen und durchzusetzen; das aber kann nur durch eine Wesensbildung mit ihrer Vertiefung des Lebens geschehen. 4. Jene Wesenskultur erhebt den Anspruch, allein dem Leben einen Selbstwert und eine innere Freudigkeit zu verleihen. Damit stellt sie sich in Gegensatz zu einer Gestaltung des Lebens, welche die materiellen Aufgaben zur Hauptsache macht und die ideellen nur als einen Anhang und eine Hilfe behandelt. Auch hier entspringt die Gefahr aus einer Wendung des Lebens, die viel Förderung mit sich brachte. Die wirtschaftlichen Fragen waren in früheren Zeiten viel zu sehr im Hintergrunde geblieben, und es hing damit eng zusammen, daß die geistige Bewegung in vollem Sinne auf enge Kreise beschränkt blieb, daß die Kultur sich zu wenig von unten her emporhob, zu sehr nur von oben her niedersenkte. So tun sich neue Ausblicke auf, wenn darin eine Wandlung erfolgt. Aber wiederum entsteht die Gefahr, daß dies Neue das ganze Leben und alle Kraft des Menschen an sich reißt und im Gewinn selbst den Gesamtstand niederdrückt; die wirtschaftlichen Fragen nehmen schon jetzt die leitende Stellung ein, wie auch der gegenwärtige Weltkrieg im letzten Sinne einen wirtschaftlichen Grund hat: das gewaltige wirtschaftliche Vordringen Deutschlands, der Widerstand und der Neid der anderen Völker dagegen. Die Notwendigkeit, die ungeheuren Verluste dieses Krieges leidlich wieder auszugleichen, drohen die wirtschaftlichen Fragen noch mehr zur Hauptsache zu machen. So elementaren Forderungen gegenüber vermögen schöne Worte und salbungsvolles Zureden nichts, sondern ihnen ist nur dadurch eine Schranke zu ziehen, daß die innere Leere aller bloßmateriellen Erfolge durchschaut wird, und daß zugleich eine starke Sehnsucht nach einem Lebensinhalt erwacht, dieser Sehnsucht aber auch die Möglichkeit einer Erfüllung geboten wird. Es muß eine Bewegung entstehen, welche die Hauptrichtungen des schaffenden Lebens in Religion, Philosophie und Kunst wieder mehr in ein ursprüngliches Wirken versetzt, aus eigener Erfahrung, nicht aus der vergangener Zeiten, welche damit der sichtbaren Welt eine innere Welt entgegenhält, welche nicht den Menschen, wie er ist, befriedigt, sondern wesentlich mehr aus dem Menschen macht. Schließlich gilt es heute einen Kampf um eine geistige Selbsterhaltung, nicht bloß des einzelnen Menschen, sondern der gesamten Menschheit, um die Rettung einer Seele des Lebens, für die alle Erfolge nach außen hin keinen Ersatz gewähren. Solcher Kampf fordert neben anderem auch eine Selbstbesinnung und Selbstvertiefung durch Denkarbeit. Und wie der Ausgangspunkt, so ist auch das Hauptproblem des Denkens das Leben sowohl in dem, was es uns bietet, als in dem, was es von uns fordert. Folgerungen für die Ausbildung eines deutschen Lebensstiles. Es liegt in der deutschen Art, die Probleme der Zeit mit großem Ernst und Eifer mitzuerleben; zugleich aber haben wir auch bei uns besondere Probleme, für die vielleicht auch eine Philosophie des Lebens nicht nutzlos ist. Diese Probleme erwachsen aber vornehmlich aus der Schwierigkeit, die gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mit ganzer Seele festzuhalten und dabei einen eigentümlich deutschen Lebensstil auszubilden. 1. Es hat aber diese Schwierigkeit zwei Hauptgründe: einmal sind uns die Grundelemente geistigen Lebens zunächst von draußen zugeführt, und es besteht die Gefahr, daß wir sie uns nicht genügend in Fleisch und Blut verwandeln; sodann aber enthält unser eigenes Wesen Gegensätze, die sich schwer miteinander ausgleichen lassen. Was jenes betrifft, so empfingen wir unsere Religion vom Christentum; gewiß entsprach im innersten Wesen des Christentums manches der deutschen Art, und hat der Deutsche diese Art eben durch das Christentum erst voll zur Geltung gebracht; aber alle Anerkennung dessen läßt die Frage offen, ob die Form, in der das Christentum vom sinkenden Altertum her an den Deutschen kam, nicht auch manches ihm Fremde enthält, und ob hier nicht eine Aufgabe vorliegt, die auch durch die Reformation noch nicht genügend gelöst ist. Die Kultur aber kam uns vom Altertum her, und am Empfangenen haben wir unsere eigene Art herangebildet, gerade an den Höhepunkten unseres Schaffens erwies sich die Berührung als fruchtbar. Und doch ist der Zweifel nicht abzuweisen, ob die Verbindung von Altem und Neuem vollauf gelungen ist, ob hier nicht auch Elemente in unser Leben eingeflossen sind, die wir als halbfremd empfinden, wie zum Beispiel selbst bei den Schöpfungen des späteren Goethe, ob demnach nicht auch hier noch manches zu klären und sichten bleibt. Endlich aber sind uns von den westlichen Völkern nicht nur äußere Lebensformen, sondern auch politische Ideale zugeführt; wir haben dadurch manche Aufrüttelung und Förderung erfahren, aber zugleich wird uns auch viel Fremdes auferlegt und oft zu bereitwillig aufgenommen. Jene Völker haben zum Beispiel einen eigentümlichen Begriff von Freiheit, der sich von dem in unserem Wesen angelegten wesentlich unterscheidet: jene erstreben mehr eine Gleichheit, während wir auf eine Gliederung nicht wohl verzichten können; so ist ihr Begriff von Demokratie sehr verschieden von dem, den wir gemäß unserer Art fordern müssen. Daß wir in all diesen Punkten viel zu nachgiebig sind, viel zu wenig unsere eigene Art herausarbeiten und zur Geltung bringen, kann kein Unbefangener leugnen. Der Deutsche bleibt hier sich selbst eine Aufgabe, eine Aufgabe gerade am heutigen Tage. Daß aber die Herausarbeitung des eigenen Wesens so viel Mühe macht, das liegt zum guten Teil daran, daß dieses Wesen in sich selbst verschiedene, ja entgegengesetzte Bewegungsrichtungen trägt, ja daß es eine eigentümliche Doppelheit aufweist. Als Hauptgegensatz erscheint dabei der von Seele und Arbeit, er geht durch die ganze deutsche Geschichte. Einmal enthält unsere Art das Verlangen, eine selbständige Innenwelt zu bilden und von ihr aus, ja für sie das Leben zu führen. Zugleich aber enthält sie ein nicht minder starkes Verlangen, in der sichtbaren Welt zu wirken und sie den Zwecken des Menschen zu unterwerfen. Daraus entsteht leicht eine Gefahr für das Ganze des Lebens, denn wenn diese beiden Forderungen sich nicht genügend zusammenfinden, ja sich miteinander zerwerfen, so ist ein Sinken nicht zu verhüten; die seelische Tätigkeit wird sich dann leicht von der Welt ablösen und ins Formlose verlieren, die Arbeit aber zu sehr ein bloßstoffliches Sammeln und Anhäufen werden. Schon das treibt den Deutschen über den nächsten Stand der Dinge hinaus, daß zur Überwindung dieses Gegensatzes der Gewinn eines neuen Standortes unentbehrlich ist; ja man darf sagen, daß schon durch diesen Gegensatz der deutschen Art ein Zug zur Metaphysik unausrottbar eingepflanzt ist. Weitere Konflikte aber erzeugt die geistige Arbeit selbst. Denn einerseits sehen wir die Deutschen eifrig bemüht, alle Mannigfaltigkeit zusammenzuhalten, alle Gegensätze auszugleichen, nichts vom Lebensbestande aufzugeben, alles in eine Harmonie oder doch in eine zusammenhängende Bewegung zu bringen, kurz in einem versöhnenden Sowohl -- Als auch zu denken. Nicht minder stark aber wirkt im deutschen Wesen das Verlangen, die Gegensätze mit vollster Schärfe hervorzukehren, das Unterscheidende jeder Seite zu betonen, alle Vermittlung oder Abschwächung als eine Verflachung abzuweisen, das Leben damit unter ein unerbittliches Entweder -- Oder zu stellen. Jenes gewahren wir in Persönlichkeiten wie Leibniz, Goethe, Mozart, Hegel, die andere Art bei Luther, Bach, Kant, Schiller, Beethoven. Jene Art enthält die Gefahr einer Abschleifung und eines zu raschen Hinwegeilens über die Dunkelheiten des Lebens, diese die andere, das Leben auseinanderzureißen und auseinanderfallen zu lassen. So haben beide Seiten dem Ganzen des deutschen Lebens gegenwärtig zu bleiben. Das kann aber nur geschehen, wenn der Gesamtbegriff des Lebens aller besonderen Gestaltung überlegen bleibt, und somit jene beiden Richtungen gleichberechtigte Antriebe werden, die sich gegenseitig sowohl ergänzen als steigern können. Das alles steckt dem deutschen Leben hohe Ziele und legt ihm schwere Aufgaben auf, notwendig wird damit der Mensch auf größere Zusammenhänge gewiesen, und zu Hauptzügen seines Lebens werden tiefer Ernst und aufrichtige Ehrfurcht werden. Uns wird das Leben nicht leicht gemacht, und wir empfinden oft schmerzlich den weiten Abstand zwischen der von unserm eigenen Wesen geforderten Höhe und dem Durchschnitt des Alltags; vielleicht ist er größer als bei irgendeinem anderen der leitenden Völker. So haben wir jene Höhe stets mit allem Eifer neu zu erringen und müssen zugleich nach verschiedensten Richtungen hin einen Kampf gegen drohende Verflachungen führen. Zahlreich sind heute diese Verflachungen; wir möchten nur eine von ihnen erwähnen, da sie mehr empfunden als ausgesprochen zu werden pflegt, das ist die von der Reichshauptstadt, von Berlin, ausgehende Verflachung, der Berlinismus, wie es kurz heißen könnte. Wir hegen die aufrichtigste Hochachtung vor dem Eifer des Strebens und der Tüchtigkeit der Arbeit, die dort geleistet wird, wir wissen zugleich, wie viele Männer und Frauen dort übereinstimmend mit uns denken, aber das kann und darf uns nicht verhindern, die Gefahr für die innere Lebenshaltung zu bezeichnen, die von dortigen Massenwirkungen ausgeht. Mangels einer großen Tradition wird das Leben dort überwiegend auf den freischwebenden Verstand gestellt, und es erhalten damit unvermeidlich Reflexion, Kritik und Verneinung eine übergroße Macht; formale Gewandtheit und Geschicklichkeit, oft auch bloße Redefertigkeit, sollen geistigen Gehalt ersetzen; man kennt keine offenen Probleme; wie man sich selber fertig fühlt, so vollzieht man überall einen raschen Abschluß; die großen Lebensfragen, an denen aller Sinn und Wert unseres Daseins hängt, finden wohl ein lebhaftes »Interesse« und eine »geistreiche« Erörterung, aber nicht das Einsetzen einer Wesenstiefe und den ehrfurchtsvollen Ernst, worauf sie bestehen müssen. Daß Ernst und Ehrfurcht keine Gedrücktheit zu erzeugen brauchen, vielmehr mit innerer Frische und Fröhlichkeit ganz wohl vereinbar sind, das zeigt zum Beispiel die Gestalt eines Luther. Wehren wir uns also dagegen, daß uns für echte Kultur ein bloßer Kulturersatz aufgedrängt werde! 2. Weitere Schwierigkeiten bereitet die Frage, einen dem deutschen Wesen gemäßen Typus für unser Staatsleben zu erreichen, auch hier stehen wir in nicht geringer Verwicklung; das aber namentlich durch einen unausgeglichenen Streit zwischen alter und neuer Art. Unsere Geschichte war bei aller geistigen Fruchtbarkeit und aller Durchbildung der Einzelnen politisch wenig glücklich, war doch der Erbe des römischen Weltreichs schließlich zu kläglicher Ohnmacht gesunken und zu einem Spielball fremder Mächte geworden. Wir können daher nicht dankbar genug dafür sein, daß die Entwicklung des preußischen Staates einen festen Kern für die Sammlung der deutschen Stämme gewinnen ließ. Das aber trieb notwendig dort die politische Gestaltung in eine Einseitigkeit, indem allen anderen Aufgaben voran die Aufgabe trat, die Macht des Staates zu stärken und zu steigern. So entstand der Obrigkeitsstaat, der für jenen Zweck Hervorragendes geleistet hat, der überhaupt viel tüchtige Verwaltungsarbeit verrichtet und weiteste Kreise zu treuer Pflichterfüllung gebildet hat. Aber die selbständige Tätigkeit der Einzelnen sowohl als die der kleineren und größeren Kreise kam dabei zu kurz, der Obrigkeitsstaat wurde nicht genügend zum Volksstaat. Das wurde namentlich als ein Mißstand empfunden, als der industrielle, überhaupt der wirtschaftliche Aufstieg ein neues Deutschland erstehen ließ, neue Schichten der Gesellschaft emporhob, sie berechtigte Ansprüche auf selbständige Teilnahme am Staatsleben stellen ließ. Es ist eine Torheit, sich einer solchen aller menschlichen Willkür überlegenen Wandlung starr zu verschließen, aber es ist eine nicht geringere Torheit, die Verwicklung summarisch durch einfache Übertragung ausländischer, namentlich romanischer Staatsformen auf deutsche Verhältnisse lösen zu wollen. Dafür sollte man zu hoch vom deutschen Wesen und Geiste denken, um sich auf diesem Hauptlebensgebiet eine bloße Nachahmung genügen zu lassen. Wir haben unsere eigenen Begriffe von staatlichen und gesellschaftlichen Dingen, wir denken viel zu hoch vom Beruf, um ihn bei der Volksvertretung vollständig auszuschalten und alles Heil von der bloßen Masse zu erwarten; wir verlangen mehr Recht der Persönlichkeit, mehr Selbstverwaltung und Gliederung; da wir das Bewußtsein haben dürfen, für die innere Freiheit der Geister mehr getan zu haben als irgendein anderes Volk der Neuzeit, in Luther für die religiöse, in Kant für die philosophischmenschliche, in Goethe für die künstlerische Freiheit, so dürfen wir hoffen, daß es uns auch gelingen wird, für die unentbehrliche Freiheit im menschlichen Zusammensein eine Form zu finden, die unserer eigenen Art entspricht. Die erste Bedingung dessen ist aber, daß wir dieser Art deutlich inne werden, und daß wir von dem Zufälligen und Angreifbaren scheiden, was in ihr wesentlich und wertvoll ist. Dazu bedarf es wiederum energischer Selbstbesinnung durch Denkarbeit, dazu bedarf es auch einer Klärung der gemeinsammenschlichen Ziele, innerhalb derer wir unsere Aufgabe suchen müssen. 3. Eine weitere Aufgabe stellt uns endlich die durch den Weltkrieg erzeugte Lage. Wir haben im Verhältnis zu anderen Völkern schwere Enttäuschungen erfahren und sind zwingend auf die eigene Kraft zurückgeworfen. Das treibt dazu, unsere nationale Art stärker herauszuarbeiten und auch der Vergangenheit gegenüber mehr Selbständigkeit zu erringen. Aber es gilt dabei die Gefahr einer Verengung fernzuhalten, die Gefahr, uns vom Ganzen der Menschheit abzusondern, das doch vom Beisichselbstsein des Lebens her seinen unantastbaren Wert behält, die grundgeistigen Aufgaben vor den Forderungen des Tages zurückzustellen, auch über einem Hangen am Augenblick zu vergessen, daß wahre Gegenwart nicht innerhalb des Zeitlaufs liegt, sondern nur in Erhebung über ihn entstehen kann. Früher ließ uns das Streben nach Weite des Lebens oft die Sorge um seinen Charakter vergessen, nun wollen wir über dem erstrebten und höchst notwendigen Charakter nicht die Weite verlieren! So dringen von allen Seiten her Forderungen auf uns ein, denen wir ohne eine Selbstvertiefung und ein Ergreifen innerer Zusammenhänge unmöglich entsprechen können. Zu einem glücklichen Fortgang bedarf es vor allem voller Wahrhaftigkeit und Selbständigkeit, damit ursprüngliches Leben in uns entstehen könne; entsteht es aber, so wird es mit seiner Weltüberlegenheit uns auch den Mut und die Kraft verleihen, das als notwendig Erfaßte gegen allen Widerstand durchzusetzen und allen Schein als bloßen Schein zu entlarven. So ergab sich durchgängig eine große Unfertigkeit als dem deutschen Leben eigentümlich. Das ist ein Nachteil, gewiß; aber es ist auch ein nicht geringer Vorteil. Denn daß wir so viele noch zu lösende Probleme in uns tragen, das zeigt, daß wir uns noch keineswegs ausgelebt haben, sondern uns noch im Werden befinden und noch weiter wachsen können, daß wir trotz einzelner greisenhafter Züge im Kern noch ein jugendliches Volk sind. So werden wir auch, wenn wir auf eine glückliche Zukunft unseres Volkes hoffen, dabei vornehmlich auf unsere Jugend vertrauen. Sie hat in diesem gewaltigen Kriege in harten Kämpfen wie in ausdauerndem Ertragen eine herrliche Kraft und Gesinnung erwiesen; überträgt sie das in das Werk des Friedens, das vor uns liegt, so dürfen wir hoffen, daß sie sich auch den inneren Aufgaben gewachsen zeigen und durch mutige Arbeit an den großen Fragen unseren Glauben an den Sinn und Wert des menschlichen Lebens stärken wird. Sachregister. _Altertum_, sein Lebensgefüge 110. _Arbeit_, Kern des modernen Lebens 18; ihr emporbildendes Wirken 101; ihre Größe und ihre Gefahren 146, 154. _Arbeit und Schaffen_ 55 ff., 58. _Arbeit und Seele_, ihr Zusammentreffen im deutschen Wesen 163. _Berlinismus_, seine Gefahr 165. _Beruf_, seine Bedeutung und Wirkung 101. _Bildung_, ihre Bedeutung und ihre Schranke 13. _Böses_, seine Tatsächlichkeit 115 ff.; Arten seiner Überwindung 119 ff., 140. _Christentum_ 111, 122; Forderungen dafür 129; sein Verhalten zur deutschen Art 162; überragende Bedeutung Jesu für das Christentum 128. _Christlicher und stoischer Lebenstypus_ 119 ff. _Dasein und Tatwelt_, ihr Verhältnis 86 ff. _Denken_, seine Bedeutung für das Leben 51 ff., 65 ff. _Deutsche Art_, ihre Größe und ihre Verwicklungen 161 ff. _Deutscher Lebensstil_, Forderungen dafür 161 ff. _Ding an sich_, Grenze dieses Begriffes 63, 156. _Einsamkeit_, Gefahr und Überwindung 44, 149, 155. _Einzelgeschick und Gesamtgeschick_ 76 ff. _Entwicklung_, ihre Schranke 73 ff. _Erbsünde_, abgelehnt 115 ff. _Erfahrung_, ihre Unentbehrlichkeit 87 ff. _Erziehendes Wirken des Lebens_ 100. _Erziehung_, ihre Weltanschauung 109. _Festigkeit des Lebens_, wie erreichbar 83 ff. _Form und Stoff_ 90. _Fortschritt_, Problem des moralischen Fortschritts 118 ff. _Freiheit und Schicksal_ 153. _Freiheit des Handelns_, ihre Notwendigkeit und ihre Möglichkeit 72. _Freundschaft_, ihr emporbildendes Wirken 100 ff. _Gegenwart_, Notwendigkeit einer zeitüberlegenen Gegenwart 78, 153. _Geistige Jugend_, ihre Möglichkeit 153. _Gemeinschaft_, ihre emporbildende Kraft 102. _Geschichte_, ihre Bedeutung für das Lebensproblem 78; Eigentümlichkeit der menschlichen Geschichte 106; keine bloße Evolution 126. _Geschichte der Seele_, ihre Bedeutung 126. _Gesellschaft_, Schranke ihres moralischen Wirkens 118; ihr Wirken auf den Einzelnen 147 ff. _Glaube und Werke_ 75. _Gottesbegriff_, Doppelheit seiner Fassung 127. _Greisenalter_ 148, 155. _Heroismus_, seine Notwendigkeit für das Leben 118, 143. _Historisches Bewußtsein_, seine Bedeutung 112. _Ideen und Interessen_ 99. _Ideen und Prinzipien_, ihre Macht in der Neuzeit 53. _Individualität_, ihr emporbildendes Wirken 102. _Individualität und Persönlichkeit_ 68. _Individualkultur_, ihre Bedeutung und ihre Grenze 37 ff. _Individualleben_, sein Verlauf und seine Probleme 144 ff. _Innere Konflikte_, ihre weitertreibende Kraft 142. _Intellektualismus_, Möglichkeit seiner Überwindung 79, 109. _Jugendalter_ 144 ff. _Katholizismus und Protestantismus_ 127. _Kindesalter_ 144. _Kirche_, ihre Notwendigkeit 159. _Klassische und romantische Kunst_ 71. _Konkurrenz_, ihre Unentbehrlichkeit 99. _Kraftidee_, Beherrscherin der modernen Kultur 82 ff., 111, 159. _Kultur_, Geisteskultur und Menschenkultur geschieden 67; Altern der Kulturen 125. _Kultur und Zivilisation_ 11. _Kunst_, ihre Leistung 56, 90 105. _Leben_, notwendiger Ausgangspunkt 48 ff., 156; sein Gesamtziel 131. _Lebensalter des Menschen_ 144 ff. _Lebensenergien_ 69, 83. _Lebensgebiete_, ihre zusammenhaltende und richtende Kraft 107 ff.; ihre höhere und ihre niedere Gestaltung 80 ff. _Lebensgeschichten_ 152. _Lebensstufen_ 50 ff. _Lebenstatsachen_, unterschieden von subjektiven Erfahrungen 137. _Lebenszusammenhänge in der Weltgeschichte_ (griechische, christliche, moderne) 110 ff. _Leid_, verschiedene Stellung der Lebensgefüge zu ihm 124; als Bestandteil des Lebens 153 ff. _Liebe_, ihre Grundbedingung 77; ihr erhöhendes Wirken 100. _Liebe und Mitleid_ 54. _Lust_, ihre Unzulänglichkeit 53. _Mannesalter_ 145. _Materielles_, seine Bedeutung und seine Überschätzung 160. _Mensch_, sein Hinauswachsen über die Natur 51; Gefahr seiner Überhebung 158. _Menschenkultur und Geisteskultur_ 67, 80 ff. _Moderne Lebensordnung_ 111. _Moral_, ihr universaler Charakter 74; ihre Tatsächlichkeit 108. _Moralischer Stand der Menschheit_, seine Schätzung bei den Denkern 114. _Mystik_ 87, 154. _Natur_, ihre Übermacht 96; ihr innerer Widerspruch 97; ihre Gleichgültigkeit gegen den Menschen 97 ff.; eine Stufe des Alls 104. _Naturalismus_, sein Lebenssystem 19 ff. _Optimismus und Pessimismus_, ihre verschiedene Beurteilung des moralischen Standes des Menschen 114 ff. _Persönlichkeit_, verschiedene Fassungen 42; Gefahr des Begriffes 70. _Persönlichkeit und Individualität_ 68. _Pessimismus_, abgelehnt 142 ff. _Pflichtidee_, ihre Zusammenhänge 65. _Raum und Zeit_, als Beherrscher des Daseins 99 ff.; Kampf des Lebens gegen sie 103 ff. _Religion_, ihre Lebensordnung 4 ff.; ihre Bewegung über den Menschen hinaus 66 ff.; ihre echte und ihre unechte Art 80 ff.; ihre gemeinsame Art 108; Begründung der Wendung zu ihr 121; ihre Art des Schließens 131, 143 ff. _Religiöse Pflichten_, Ablehnung dieses Begriffes 127. _Routine_, Gefahr und Überwindung 147, 154. _Schaffen und Arbeit_ 55 ff. _Sein im Leben_ 62. _Sozialethik_, ihre Bedeutung und ihre Grenze 33 ff. _Sozialkultur_ 31 ff. _Soziologie_, ihr innerer Widerspruch 94. _Stoizismus_, als Lebenstypus 119 ff. _Tatwelt und Dasein_, ihre Scheidung 62 ff.; ihr Verhältnis 86 ff. _Tote Seelen_ 148. _Unsinnliche Welt_, ihre Selbständigkeit und Macht 52. _Unsterblichkeitsproblem_ 132 ff. _Verneinungssucht der Gegenwart_ 44. _Weltgeschichtliche Bewegung der Menschheit_ 78 ff. _Weltlicher Idealismus_, seine Lebensordnung 10 ff. _Weltkrieg_, seine Wirkung 2, 15, 27, 40, 118, 139, 158. _Wirklichkeit_, ihre verschiedene Fassung 103 ff. _Wirtschaftliche Fragen_, ihr Überwiegen in der Gegenwart 160. _Wissenschaft_, ihre Macht 108. _Zweifel_, prinzipielle Auseinandersetzung mit ihm 134 ff. Namenregister. Aristoteles 101. Augustin 133. Bacon 20. Comte 94. Eckhart 6, 69, 126. Fröbel 120. Goethe 19, 105, 117, 133, 143, 149, 156, 162. James (William) 126. Kant 115, 133. Leibniz 155. Luther 70, 75, 131, 143. Origenes 129. Pascal 152. Pestalozzi 130. Plato 103, 117, 120. Schiller 62, 99. Schopenhauer 144. Xenophanes 66. Fußnoten [1] Für eine solche Erörterung muß ich auf meine religionsphilosophischen Schriften verweisen, besonders auf die Schrift: »Können wir noch Christen sein?« +--------------------------------------------------------------+ | Anmerkungen zur Transkription | | | | Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen | | gebräuchlich waren, wie: | | | | Ausnahmezeiten -- Ausnahmszeiten | | Inneren -- Innern | | Kernes -- Kerns | | Standortes -- Standorts | | Stiles -- Stils | | unserem -- unserm | | Weltkrieges -- Weltkriegs | | | | Die folgenden Änderungen wurden vorgenommen: | | | | S. 26 »ans« in »aus« geändert. | | S. 28 »den stärksten« in »der stärkste« geändert. | | S. 31 »Anseinandergehen« in »Auseinandergehen« geändert. | | S. 103 »Anangenehmen« in »Angenehmen« geändert. | | S. 110 »Höhenpunkte« in »Höhepunkte« geändert. | | S. 111 »eiue« in »eine« geändert. | +--------------------------------------------------------------+ End of Project Gutenberg's Der Sinn und Wert des Lebens, by Rudolf Eucken *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER SINN UND WERT DES LEBENS *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. 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