The Project Gutenberg eBook of In der Mondnacht: Märchen

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Title: In der Mondnacht: Märchen

Author: Hans Wachenhusen

Release date: February 17, 2015 [eBook #48287]

Language: German

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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IN DER MONDNACHT: MÄRCHEN ***

Mondnacht-Märchen.

In
der Mondnacht.

Märchen
von
Hans Wachenhusen.

Leipzig,
Verlag von Otto Spamer.
1854.

Fräulein
Marie Seebach
gewidmet
vom

Verfasser.

Inhalt.

Seite
Wie ich zu den Märchen kam 1
Des Königs Fernrohr 7
Etwas Höheres 14
Die unglücklichen Heuschrecken 22
Die beiden Engel 29
Der blanke Dreier 34
Der kriegerische Floh 42
Der blasirte Stieglitz 46
Der Rattengang 58
Die kleine Meta 68
Warum der Storch immer so geht 89
Jeder nach seiner Weise 95
Lebenslauf der Scheere 99
Die zehn Rosen vom Sinai 111
Das Sperlingsnest 114
Christ ist geboren 118
Der Kalendermann 128

Wie ich zu den Märchen kam.

In einem einsamen Wirthshause des Thüringer Waldes übernachtete ich im letzten Sommer, als ich auf der Reise war. Ich konnte nicht einschlafen und dachte allerlei bei mir, was man so denkt, wenn man nichts Anderes zu thun hat.

Da ging der Mond hinter dem Inselberge auf und leuchtete in mein Zimmer, ich aber rieb mir die Augen und sagte zu mir: »es ist nur gut, daß der Mond da ist, so sind wir doch unsrer Zwei in dem einsamen Zimmer; du willst ihm nur das Fenster öffnen, damit er herein kann!«

Das that ich denn auch, und während ich vom Bett aus in den Mond schaute, sah ich einen hellen, breiten Strahl herein dringen, der fast wagerecht von draußen auf meine Brust fiel.

Ich betrachtete mir den sonderbaren Strahl genauer, und da sah ich denn, daß er eine Mondstraße war, die war wie eine Chaussee mit Kies gedämmt, ganz wie eine rechtschaffene Chaussee, für die man mit gutem Gewissen Zollgeld einnehmen kann, nicht wie die Chausseen der Leipziger Promenaden, auf die man immer halbe Pfund-Kieselsteine streut, damit der Schuster nur recht viel Geld verdient. Und auch die Meilensteine standen ganz regelrecht in gewisser Entfernung von einander da, ordentlich mit Zahlen darauf, aus denen ein gewöhnliches Menschenkind nie recht klug werden kann. Aber was noch das Beste war: mein kleines Fenster, durch welches diese Straße ging, sah aus, als wäre es das Chausseehaus mit dem Schlagbaum.

– So was lebt nicht! dachte ich bei mir. Seit wann werden denn schon die Mondstrahlen gepflastert?... »Aber«, dachte ich weiter, als ich's mir recht überlegt hatte, »im Grunde ist das doch schön, du kannst hier nun den Chausseegeld-Einnehmer spielen und also auf der Reise noch Geld verdienen. Du willst jetzt Zöllner sein und der erste Wagen, der des Weges kommt, muß Zoll bezahlen!«

Kaum hatt' ich dies gedacht, da sah ich in der Ferne einen Wagen die Mondchaussee herabkommen. Aber was war das für ein wunderliches kleines Fuhrwerk!

Der Wagen bestand aus einem reifen Mohnkopf, an den ein paar Sternblumen als Räder geklebt waren. In dem Mohnkopf saß ein kleiner Fuhrmann, kaum einen Käse hoch, der hielt die vom feinsten Spinngewebe gedrehten Zügel in der Hand und schwang das Fühlhorn eines Goldkäfers als Peitsche. Vor dem Wagen aber galoppirten vier große Mücken von denen mit dem Büschel auf dem Kopf, wie im Winter die Schlittenpferde. Diese Mücken hatten ordentlich ein kleines Gebiß im Munde, sie waren ganz nach alter Fuhrmannsregel aufgeschirrt und ich glaube, sie hatten auch kleine Hufeisen unter den Füßen, denn sie galoppirten mit ihren langen Beinen daher, daß es eine Lust war. Aber mager waren sie doch ganz entsetzlich; sie mochten wohl von echt englischer Raçe sein.

– Hollah! rief ich dem Fuhrmann zu, als er an's Fenster kam; hier wird Chausseegeld bezahlt.

Er aber ließ sich gar nichts merken, war wie ein Wind durchs Fenster und kutschirte gerade auf mich zu.

– Oho! rief ich, als er mir auf den Leib kam; mein Bett ist doch keine Ausspannung für Wagen und Pferde?

Er aber ließ sich wieder nichts merken, rief »Brr!« stieg aus, band seine Pferde an mein Nachtlicht und marschirte auf der Bettdecke zu mir.

– Guten Abend, alter Kamerad! rief er mir so ungenirt zu, als wären wir zusammen in die Schule gegangen.

– Guten Abend! antwortete ich, den kleinen Kerl groß ansehend. »Wer bist Du, und hast Du auch einen Paß bei Dir?«

– Brauche keinen Paß! Reise überall frank und frei umher!

– So? Dann mußt Du wohl sehr weit herkommen? Laß das nur die Polizei nicht merken!

– Giebt für mich gar keine Polizei! sagte er so stolz, als wäre er mindestens der Kaiser von Rußland.

– Höre 'mal, kleiner Patron, Du scheinst mir ein Landstreicher zu sein!... Doch gleichviel, ich will Dich nicht verrathen; sag' mir nur, wer Du bist.

– Du kennst mich also nicht mehr! Was für ein kurzes Gedächtniß Ihr Menschen doch habt!... Ich bin ja Puck!

– So? Du bist Puck?... Und wer ist denn Puck, wenn ich fragen darf?

– Was? Du willst ein Dichter sein und kennst den kleinen Puck nicht einmal?... Schämen solltest Du Dich!

– Nun ja, Du närrischer Kauz, da wir unter uns sind, will ich das ja gerne thun; aber sage mir wenigstens...

– Ich bin ja der kleine Puck, der Euch einfältigen Leuten, die Ihr Euch Dichter nennt, alle die schönen Märchenträume erzählt. Was wäret Ihr wohl ohne mich?

– So? Also Du bist der kleine Schelm?

– Das will ich meinen! Ich reise in der ganzen Welt umher und erzähle, was ich weiß, den Märchenschreibern. Andersen in Dänemark, die beiden Grimm's in Deutschland, Asbjörnsen und Jörgen Moe in Norwegen, Alle haben sie ihre Märchen von mir und noch gestern Nacht war ich in England und habe dem Charles Dickens ein ganz famöses Märchen erzählt.... Alle, wie sie da gebacken sind, wüßten sie nicht so viel ohne mich! rief der kleine Wicht, mir ein Schnippchen vor der Nase schlagend.

– Aber was willst Du denn bei mir? fragte ich ihn.

– Dir auch was erzählen!

– Aber doch was Gescheidtes?

– Das versteht sich! Thu' nur die Ohren auf!

– Gut; so fange an!

Rittlings setzte sich nun der kleine Knirps auf eine Falte meiner Bettdecke, fing an zu erzählen und machte dabei immer so und so mit den Händen wie der Pastor, wenn er auf der Kanzel steht.

Das dauerte wohl bis gegen Morgen. Als er fertig war, griff er in die Tasche, legte mir ein Mohnkörnchen in jedes Auge, und ich schlief ein.

Wo er geblieben ist, weiß ich nicht; was er mir aber erzählt, das habe ich hier getreulich nieder geschrieben.

Des Königs Fernrohr.

Hört an: Es war einmal ein König, der hatte viel Land und Leute, sein Reich erstreckte sich von Aufgang bis Niedergang der Sonne, auch herrschte viel Gelehrsamkeit und Verkehr in demselben, und Das, meinte er, sei sein Werk.

Aber seine Unterthanen sagten ihm nach, er sei zwar ein recht guter König, doch lasse er sein Land durch seine Minister und Beamten regieren, die es aussögen, den König hintergingen und nur für ihre eigenen Säckel sorgten.

So kam es denn, daß sehr viele Bittschriften von Unglücklichen im Schlosse einliefen. Von diesen aber kamen nur sehr wenige in die Hand des Königs und auf die wenigen, welche ihm vor Augen gelangten, antwortete er, es sei unmöglich, daß er Alles selbst übersehen könne, seine Minister seien alle brave Männer, die würden das schon besorgen; übrigens sei sein Land das allerglücklichste der Welt.

Das war aber keineswegs der Fall, denn im Lande sah es von Jahr zu Jahr immer trüber aus; die Bürger verarmten, die Reichen verschluckten den Schweiß der Armen und je mehr Minister der König anschaffte, desto schlechter wurde es.

Da kam eines Tages ein reisender Brillenhändler in das Schloß des Königs, der sagte, er komme aus dem fernen Orient und habe Gläser erfunden, durch welche man Alles sehen könne, was man wolle.

– Das wäre! – sagte der König. Wenn Du also wahr sprichst, so gieb mir ein Glas, durch welches ich über mein ganzes Land blicken und Alles sehen kann, was in demselben vorgeht!

Und der Brillenhändler gab ihm ein großes Fernglas, das war von außen ganz schwarz und wohl drei Ellen lang. Darauf reiste er ab.

Der König aber stieg auf die höchste Zinne seines Schlosses und schaute hinaus in sein Land.

Aber was sah er durch dieses Fernglas? Fast nichts als Armuth und Elend in den Hütten, Hader und Neid in den Häusern der Reichen, Uebermuth und schändliche Ausschweifungen in den Palästen. Er sah in den Hütten der Armen die Söhne ihre eigenen Eltern hinausstoßen und abgezehrte Kinder an trocknen Knochen und Schuhsohlen nagen; er sah in den Werkstätten der Handwerker die Arbeit ruhen und die Väter und Mütter ihre Hände vergebens nach Brot ringen; er sah an den Schwellen der Reichen den Bettler unbarmherzig verjagen und in den Palästen der Vornehmen das Geld aufgestapelt, das er alljährlich prägen ließ.

– Das ist ein schändlicher Betrüger! rief der König aus und warf das Glas bei Seite. So sieht es in meinem Lande nicht aus, denn mein Land ist das allerglücklichste der Welt!

Und der König schaute nie mehr durch dieses Glas, und setzte einen Preis aus für Denjenigen, welcher ihm den Betrüger zur Stelle schaffen könne, der ihm dieses Fernglas verkauft.

Aber Niemand fand ihn und alle Nachforschungen blieben vergebens.

Wohl ein Jahr war verflossen, da trat der reisende Brillenhändler wieder in das Schloß. Der König fuhr ihn hart an und befahl, ihn zu verhaften und in Ketten zu legen.

– Hoher König, sagte der Brillenhändler, Du befahlst mir ja, Dir ein Fernglas zu geben, durch welches Du Alles sehen könnest, was in Deinem Lande vorgehe!

– Dein Glas lügt aber! rief der König. Mein Land ist das glücklichste der Welt! Gieb mir ein Fernglas, durch welches ich meine Unterthanen glücklich sehen kann, so soll Dir vergeben sein!

Und der Brillenhändler gab dem König ein anderes Fernglas, das war außen ganz weiß und ebenfalls wohl drei Ellen lang. – Dann reiste er wieder ab.

Der König aber stieg auf die höchste Zinne seines Schlosses und schaute in sein Land hinaus. Wohl sah er viel weniger durch dieses, als durch das vorige Glas, aber was er sah, das war Glück und Frieden.

So sieht mein Land aus! Ich wußte ja, daß es glücklich sei! sagte er und stieg wieder von der Zinne herab und lobte seine Minister dafür, daß sie sein Land so glücklich verwalteten.

Also verging wohl ein Jahr, während dessen der König alle vier Wochen auf die Zinne seines Schlosses stieg und ausschaute.... Er sah mit jedem Male immer weniger durch das Glas, aber was er sah, das war Glück und Frieden.

Endlich konnte er gar nichts mehr durch das Fernglas sehen. Er gab es seinen Dienern, die sollten es putzen, denn der König meinte, es sei von dem langen Gebrauch blind geworden. Aber so viel die Diener auch putzten, das Glas blieb blind. Der König indeß wußte, daß sein Land glücklich sei.

Und wieder verging ein Jahr. Da brach im Lande ein Bürgerkrieg aus; die Paläste der Reichen gingen in Flammen auf und eine Seuche verbreitete sich über alle Provinzen. Die Unruhen ließ der König zwar dämpfen, aber die Seuche wüthete fort und warf den König selbst aufs Krankenlager, der noch immer geglaubt hatte, daß sein Land glücklich sei; denn seine Minister hatten es ihm ja gesagt.

Da lag nun der arme König und mehr als die Krankheit folterte ihn der plötzlich in ihm aufgetauchte Gedanke, daß sein Land doch wohl nicht glücklich sein müsse.

Seine Krankheit wurde immer gefährlicher und die Aerzte meinten, er werde wohl sterben müssen.

Da kam eines Tages ein Fremder vor das Schloß gefahren, der sagte, er sei ein Wunderdoctor aus fernen Landen, er wolle den König wieder herstellen, wenn man ihn allein mit dem Kranken lasse.

Als der König dies vernahm, befahl er seiner ganzen Umgebung, hinaus zu gehen; und als nun der Wunderdoctor an sein Bett trat, da erkannte er den Brillenhändler. Dieser legte dem kranken Könige die Hand auf die Brust; sogleich ward ihm wohler und noch an demselben Tage konnte er das Bett verlassen.

– Auch das zweite Fernglas, welches Du mir gegeben, ist falsch gewesen! sagte der König zu dem Brillenhändler; denn während es mir nur Glück und Frieden im Lande zeigte, brachen Bürgerkrieg und Seuchen aus, und zuletzt wurde es ganz blind. Du hast mich und mein Land sehr unglücklich gemacht!

– Du hast es ja so gewollt, antwortete der Brillenhändler. Als Du ein Fernglas von mir verlangtest, durch welches Du Alles sehen könnest, was in Deinem Lande vorgehe, da gab ich Dir das schwarze und Du sahst durch dasselbe, wie es in Deinem Lande zuging. So sah es aus; aber Du wolltest es nicht glauben. Als ich wiederkehrte, verlangtest Du ein Glas von mir, durch welches Du Deine Unterthanen glücklich sehen könntest. Ich gab Dir ein solches. Du sahst die wenigen Stätten Deines Landes, in welche Hader und Elend noch nicht gedrungen, und als auch diese endlich vom Unglück verheert waren, da sahst Du nichts mehr durch dieses Glas. Du glaubtest, das Glas sei blind, aber Du selbst nur warst blind.

– So gieb mir denn ein drittes, durch welches ich Alles, Alles sehen kann, was in meinem Lande vorgeht, mag es Gutes oder Böses sein!

Und der Brillenhändler gab dem Könige ein drittes Fernrohr.

– Es ist das letzte! sagt er, und verschwand.

Der König aber stieg mit dem Fernglase auf die höchste Zinne seines Schlosses, und diesmal sah er viel Elend, aber auch manches Glück; er sah viel schlechte Thaten, die strafte er auf's härteste; er sah auch gute Thaten, und die belohnte er königlich.

Viele Jahre vergingen, das Land jedoch ward nun blühend und seine Bewohner wurden glücklich. Der König aber war zufrieden und sagte: »jetzt ist nicht nur mein Land glücklich, ich selbst bin es auch!«

Und als er endlich auf dem Sterbebette lag, da erschien ihm der Brillenhändler zum vierten und letzten Male.

– Ach, sagte der König; mein Lieber, dieses Fernglas ist unbezahlbar! Laß es mir, damit es auf meinen Sohn vererbe!

– Es sei! antwortete der Brillenhändler, denn die Blicke eines Königs sollen nicht nur die Glücklichen, sondern noch mehr die Unglücklichen sehen. Nun aber höre noch Eins: Dieses letzte Fernrohr, das ich Dir gab, enthielt gar kein Glas; ich habe Dir nur die Augen geöffnet

Etwas Höheres.

Eine Stahlfeder und ein Gänsekiel lagen eines schönen Sommermorgens auf dem Pulte eines Dichters. Dieser war verreist, und da das Stubenmädchen nach dem Auskehren des Zimmers das Fenster offen gelassen hatte, so konnten die beiden Federn recht nach Herzenslust die frische Luft genießen. Aber daran dachten sie gar nicht, denn sie hatten viel wichtigere Dinge zu besprechen.

Wie es gewöhnlich geht, daß die Dienerschaft groß spricht, wenn die Herrschaft nicht zu Hause ist, führten auch die Stahlfeder und der Gänsekiel eine gelehrte Unterhaltung über die Dichtkunst und beide strichen ihre Verdienste um dieselbe heraus.

– Ich bin doch eigentlich viel mehr als Du, sagte die Stahlfeder, denn mit mir hat unser Herr sein berühmtes Gedicht »an den Mond« geschrieben; ich bin also im Grunde eine berühmte Stahlfeder. Es ist doch recht beruhigend, wenn man sich sagen kann: Du hast etwas Großes geleistet! Andere Federn freilich können sich dessen nicht rühmen! setzte sie mit einem spöttischen Blick auf den Gänsekiel hinzu.

– O ja, das können sie wohl! sagte der Gänsekiel, sich seine schöne Fahne streichend. Mit mir z. B. hat unser Herr sein berühmtes Gedicht über »die Unsterblichkeit der Seele« geschrieben, und die ist doch etwas viel Höheres als der Mond!

– Das ist nicht wahr! entgegnete die Stahlfeder; der Mond ist etwas viel Höheres als die Seele.

– Nein, die Seele ist höher!

– Nein, der Mond, behaupte ich!... Aber dazu muß man Astronomie verstehen und von der hat eine Gans wie Du natürlich keine Ahnung!

So stritten sich Beide darum, ob der Mond oder die Seele höher sei und Jeder vertheidigte seine Ansicht.

Endlich machte die Stahlfeder, um den Streit zu schlichten, den Vorschlag, es solle Derjenige Recht haben, welcher den feinsten Haarstrich machen könne.

– Nein, wer den dicksten Grundstrich machen kann! rief der Gänsekiel, und das war eigentlich recht gescheidt von ihm, denn in solchen kann ein Gänsekiel etwas leisten.

– Gut, auch Das! sagte die Stahlfeder, sich auf die Biegsamkeit ihrer langen Beine verlassend; ich bin nicht so streitsüchtig wie andere Leute, und nur um Dir dies zu beweisen, nehme ich Deinen Vorschlag an.

Die Stahlfeder sollte nun zuerst schreiben. Stolz richtete sie sich auf, tauchte ihre spitzen Beine recht tief in die Tinte, stellte sich auf das Papier, und um dem Gänsekiel doch auch zugleich einen Begriff von der Feinheit ihrer Haarstriche zu geben, machte sie zuerst einen Haarstrich, der war so dünn wie eine Stecknadelspitze.

– Das muß wahr sein, sagte der Gänsekiel, fein ist der Strich; aber ich kann ihn auch so machen.... Jetzt den Grundstrich, der ist die Hauptsache!

Die Stahlfeder lächelte sehr vornehm, wie Einer, der seiner Sache gewiß ist, steckte ihre Beine noch einmal in die Tinte, bog sie dann auf dem Papier recht weit auseinander und machte einen Druck.

Knack! Da brach ihr das eine Bein, daß es hoch in die Luft flog und das Papier mit ihrem schwarzen Blut bespritzte; und da sie mit dem andern Bein weder einen Grundstrich machen, noch sich auf demselben aufrecht erhalten konnte, so sank sie mit einem Seufzer um.

– Daran bist Du mit Deinem Grundstrich Schuld! sagte sie zum Gänsekiel; aber so ergeht es Einem immer, wenn man sich mit solchem Gesindel, wie Du bist, einläßt!

Der Gänsekiel freute sich über die Maßen und konnte doch der Stahlfeder die Antwort nicht schuldig bleiben.

– Gesindel? rief er. Oho! Ich bin von sehr achtbarer Herkunft!

– Ja wohl, Du stammst von einer Gans!

– Und woher stammst denn Du, wenn man fragen darf?

Ich bin weither aus einem Gebirgslande, in welchem nur edle Metallfamilien leben. Der Stahl ist von jeher etwas Aristokratisches gewesen; schon die alten Ritter trugen uns auf der Brust.

– Und uns Federn trugen sie auf den Helmen; das ist doch viel höher.

– Ja, Federn trugen sie wohl, aber nur keine Gänsefedern, hahaha! lachte die Stahlfeder trotz ihren Schmerzen. Unser Geschlecht dahingegen hat schon, so lange es Krieg giebt, das Vaterland mit Ehren vertheidigt.

– Und das unsre hat einst das Kapitol gerettet! Mit uns Gänsefedern hat Luther die Bibel übersetzt; wir haben die Weltgeschichte geschrieben, Schiller und Göthe haben mit uns ihre unsterblichen Werke gedichtet, ehe man an Euch Stahlfedern dachte! rief der Gänsekiel, seine Fahne aufblähend.

Da aber fuhr gerade ein Windzug durch das Zimmer, faßte den leichten Gänsekiel und wehte ihn zum Fenster hinaus. Die Stahlfeder hingegen ließ er ruhig liegen, denn die war wohl ein halbes Loth schwerer als der Gänsekiel.

Und wie erging es nun der armen Gänsefeder?

Als sie unten auf der Straße ankam, schritt gerade ein Spielzeughändler vorüber, der sah sie flattern und auf die Erde fallen; er nahm sie auf und besah sie mit Wohlgefallen.

– Du kommst mir ganz gelegen! sagte er, die Feder zu sich steckend, und trug sie nach Hause.

Hier schnitt er sie mitten durch, machte aus dem unteren Theil einen Zahnstocher und legte diesen zu den übrigen, welche er zum Verkauf in seinem Laden hatte; den oberen Theil aber bemalte er mit den schönsten Farben und steckte ihn an einen Federball.

Die arme Gänsefeder verspürte zwar viel Schmerz, als sie so mitten durchgeschnitten wurde, aber sie fühlte doch, daß sie hiedurch ihrer Bestimmung näher komme und tröstete sich mit dem Gedanken, daß sie jetzt etwas Höheres werde.

– Es ist doch merkwürdig, sagte sie zu sich selbst, wie hoch Mancher steigt, während Andre, z. B. ordinäre Stahlfedern, immer bleiben, was sie sind. Das liegt aber an der Erziehung. Was wird meine bisherige Kollegin Augen machen, wenn sie mich so vor ihrem Fenster hoch in die Luft fliegen sieht! Jetzt bin ich wirklich etwas Höheres!

Ganz ebenso dachte der untere Theil der Gänsefeder, der nunmehrige Zahnstocher.

– Jetzt bin ich doch etwas mehr geworden, sagte er zu sich; ich bin jetzt ein respectabler und wohlgeborner Zahnstocher; vielleicht, ja wahrscheinlich kauft mich ein König oder ein Fürst, dann komme ich an eine königliche Tafel, in irgend einen durchlauchtigen Mund; vielleicht kann ich sogar die Lippen irgend einer Prinzessin küssen. Ach, das wäre einmal schön!... Ja, ja, jetzt bin ich unstreitig etwas Höheres! Die arme Stahlfeder, die sich mit mir auf eine Stufe stellen wollte, sie thut mir wirklich leid!...

So vergingen vier Wochen.

Inzwischen war der Federball einem Knaben zum Geburtstag geschenkt worden, und jedesmal wenn dieser ihn hoch in die Luft schnellte, rief die Feder sich zu: »jetzt bin ich etwas Höheres!«

Der Zahnstocher war mit seinem Schicksal schon weniger zufrieden. Er war allerdings an eine vornehme Tafel gekommen, aber unbenutzt liegen geblieben. Als der Diener die Tafel abtrug, bemerkte er den Zahnstocher, nahm ihn in den Mund und ging aus, um die Geschäfte seines Herrn zu besorgen. Er ärgerte sich aber darüber, daß er für seine Herrschaft so viel laufen müsse und da er unterwegs zum Zeitvertreib den Zahnstocher im Munde trug, so ließ er an diesem seinen Aerger aus und zerbiß und zerkaute ihn so, daß der arme Zahnstocher hätte Ach und Weh schreien mögen. Als der Diener zurückkehrte, warf er ihn auf der Straße auf einen Kehrichthaufen, gerade vor der Thür des Dichters.

Der Letztere war ebenfalls von seiner Reise wieder heimgekehrt. Er sah die zerbrochene Stahlfeder, zog sie aus dem Halter und warf sie zum Fenster hinaus. Seufzend fiel sie auf denselben Kehrichthaufen.

– Die Menschen sind doch entsetzlich undankbar! klagte die arme Stahlfeder. Ich habe doch meinem Herrn sein berühmtes Gedicht »an den Mond« geschrieben, und nun wirft er mich hier auf den Kehricht; und gerade bei diesem erschrecklichen Regenwetter! Ich werde mich sehr vorsehen müssen, damit ich nicht verroste!

Der Zahnstocher hörte die Stahlfeder neben sich seufzen.

– Was hilft mir nun all mein Dichten! sagte er zu sich selbst. Da liege ich jetzt in dem abscheulichen Platzregen! Und zerkaut hat mich dieser Lakai bis auf die kleinste Faser!... Die Menschen sind doch recht undankbar!

Inzwischen kam noch ein Dritter zu der Gesellschaft. Der Knabe hatte trotz dem Regenwetter auf dem Platze mit seinem Federball gespielt; er warf ihn hoch in die Luft, und als er wieder herabkam, waren alle die schönen Farben der Feder in einander gelaufen. Die Feder sah jetzt recht häßlich aus.

Unwillig riß der Knabe sie aus dem Ball und warf sie auf den Kehricht.

– Da liege Du, wenn Du nicht Farbe halten kannst!

– Gott, wie sind doch die Menschen undankbar! seufzte die Feder, sich vornehm auf dem Kehrichthaufen umschauend. Aber ich habe doch die Beruhigung, etwas Höheres gewesen zu sein. Wenn nur das garstige Regenwetter erst vorüber ist, so schwinge ich mich schon wieder auf, denn meine Federkraft fühle ich noch immer in mir!

– Entschuldigen Sie, daß ich so frei bin zu fragen, redete die Stahlfeder sie an, wir müssen uns kennen: waren wir nicht bei dem Dichter zusammen in Condition?

Die Gänsefeder aber blähete sich auf und warf der Stahlfeder einen verächtlichen Blick zu, obgleich sie dieselbe wohl erkannte.

– Mit wem habe ich die Ehre? fragte sie vornehm.

Da aber kam ein kleiner Lumpensammler, der wühlte in dem Kehricht und fand sie Alle, den Zahnstocher, die Stahlfeder und die vornehme Gänsefeder; er nahm sie und steckte sie in seinen Sack.

– Jetzt werde ich wieder etwas Höheres, sagte die Gänsefeder, als sie nun zu einem Federreißer kam... Der aber riß ihr die schöne Fahne ab, steckte sie in ein Kopfkissen und warf den kahlen Stiel hinter den Zaun zu vielen andern.

– Das schadet mir doch nicht, sagte der Stiel zu sich selbst; ich bin dennoch mehr als alle die übrigen hier; ich bin doch immer etwas Höheres, denn ich habe das berühmte Gedicht über »die Unsterblichkeit der Seele« geschrieben.

Die unglücklichen Heuschrecken.

In einem Kornfelde wohnten zwei Heuschreckenfamilien, die waren sehr anständig und ehrbar und lebten glücklich; aber die eine Familie war grau und die andere grün.

Die eine von ihnen hatte nun einen Sohn, das war die graue, und die andere hatte eine Tochter, das war die grüne. Beide Kinder liebten sich und wollten sich gern heirathen.

Aber der Vater des jungen Fräuleins hatte einen Widerwillen gegen den jungen Heuschreck, weil er nicht grün war wie seine ganze Familie seit verschiedenen Geschlechtern, sondern grau und nur ganz wenig grün gesprenkelt. »Das gehe nicht an«, meinte der Vater, »Art müsse immer bei Art bleiben und nie werde er zugeben, daß in seiner Familie eine Mißheirath vorfalle.«

Das war nun recht schlimm für die beiden Kinder. Die Mutter hätte es freilich gern gesehen, wenn aus ihnen ein Paar geworden wäre, aber da der eine Vater es nicht zugeben wollte, so mochte der andere auch nichts davon hören, daß sich sein edel graues Geschlecht mit dem hoffärtigen Grün vereine.

Die beiden Kinder waren äußerst betrübt, denn eine unglückliche Liebe geht noch weit über Zahnschmerzen und Ohrenreißen, das kann Euch Jeder erzählen, der sie erfahren hat.

Eines Abends kam nun der Vater des jungen Fräuleins sehr ermüdet nach Hause, denn er hatte viel im Felde zu thun gehabt. Er wollte ausruhen, setzte sich hin und zirpte.

Da sprach seine Frau zu ihm:

– Lieber Mann, unser Kind ist so unglücklich, daß es uns sterben wird, wenn wir nicht nachgeben. Ich wasche meine Hände in Unschuld, denn Gott weiß, daß ich dem Glück unserer Tochter nicht im Wege stehe!

– Kann nichts daraus werden! sagte der alte Heuschreck. Er ist einer von den Grauen und gehört also zu den unteren Classen; meine Tochter soll sich nicht unter ihrem Stande vermählen.

Als er das gesagt hatte, zirpte er gemüthlich weiter.

Aber seine Frau wußte ihm doch das Herz weich zu machen, so daß er endlich nachgab.

Da nun der alte Heuschreck ein sehr abergläubischer Mann war, ließ er die beiden Kinder holen und sagte zu ihnen:

– Ich weiß, daß Ihr Euch Beide lieb habt; aber Ihr wißt auch, daß ich als Vater immer gegen Eure Verbindung gewesen bin. Deine Mutter jedoch, mein Kind, sagte er zu seiner Tochter, hat mein Herz zu dringend bestürmt, und darum will ich denn allenfalls in Eure Heirath willigen, aber nur unter einer Bedingung, die sich auch in meiner Ehe bewährt hat. Es besteht nämlich in unserer Familie folgende Sitte. Wenn sich zwei junge Personen lieb haben, so gehen sie am Johannisabend ins Feld und suchen drei neben einander stehende, junge und gleich große Grashalme. Um den einen derselben binden sie einen rothen, um den andern einen grünen und um den dritten einen schwarzen seidenen Faden. Wächst nun in der Johannisnacht der Halm, an welchem der rothe Faden sitzt, so werden sie glücklich, wächst der grüne, so bekommen sie viele Kinder, wächst aber der schwarze, so werden sie sehr unglücklich in der Ehe und es wäre eine Sünde, wenn sie sich dennoch heirathen wollten. Da wir nun heute Johannisabend haben, so geht hin und thut nach der Vorschrift. Prophezeit Euch der Grashalm eine glückliche Ehe, so sollt Ihr Euch haben; wo nicht, so bleibt Ihr von einander.

Und die beiden Kinder gingen hin und fanden am Grabenrand neben einander drei gleiche, junge Grashalme. Um den einen banden sie einen rothen, um den andern einen grünen und um den dritten einen schwarzen seidenen Faden; und dann gingen sie nach Hause und konnten die ganze Nacht hindurch vor Angst und banger Erwartung nicht schlafen.

Am andern Morgen ganz früh aber hüpften die Eltern und die Kinder und alle Verwandte in feierlicher Procession nach dem Grabenrand, um die Grashalme zu besehen.

Und siehe da: der Halm, an welchem der schwarze Faden saß, war wohl um einen Zoll über die beiden andern in die Höhe geschossen!

– Ich hab' es ja immer gesagt; jetzt seht Ihr, daß ich Recht hatte! sprach der alte Heuschreck, und dann gingen sie wieder nach Hause.

Am selbigen Abend saß das Heuschreckfräulein unter einem wilden Rosenstrauch, wo sie immer mit dem jungen Heuschreck zu plaudern pflegte, und weinte. Bald darauf kam der Geliebte auch und hatte ebenfalls ganz nasse Augen.

– Ich kann's nicht aushalten, wenn wir uns trennen sollen! sagte er traurig.

– Ich nun vollends nicht! antwortete sie schluchzend.

– Ich mag nicht mehr leben, denn ohne Dich ertrage ich mein Dasein nicht! fuhr er fort.

– Ich auch nicht! schluchzte sie wieder.

– Weißt Du was? sagte der Heuschreck, wie wenn er einen großen Entschluß gefaßt hätte. Wir wollen unserm Leben ein Ende machen!

– Ja, das wollen wir thun! Aber wie sollen wir es nur anfangen? meinte sie.

– Du weißt, sagte er, daß hier, etwa tausend Sprünge hinter diesem Rosenstrauch, ein großer See liegt; in den wollen wir hineinspringen, und dann ist es aus mit uns und unsern Leiden.

– So soll es geschehen! Es bleibt uns nichts Anderes übrig, rief das unglückliche Heuschreckfräulein, denn so geht es nimmermehr!

– Nein, so geht es nimmermehr!

Und so hüpften sie melancholisch fort, und als sie Beide am Ufer des Sees standen, da faßten sie sich ein Herz, umarmten sich zärtlich, sprangen zusammen in die Tiefe und die Wellen schlugen über ihnen zusammen.

– Hättest Du das Wasser für so trocken gehalten? fragte der Heuschreck die Geliebte nach einer Pause, während welcher er vergebens den Tod erwartet hatte.

– Ich glaube fast, es ist gar kein Wasser, in das wir uns gestürzt haben. Eher riecht es hier wie in einem Flachsfelde, das in voller blauer Blüthe steht. Vor Entsetzen zitterten sie aber noch alle Beide.

– Wahrhaftig, es ist eine Flachssaat. Ich erkenne die Stengel ganz deutlich und die blauen Blumen darüber und noch höher den blauen Himmel.

– Ein Wunder hat uns gerettet und Thorheit wär's, das Wunder nicht mit Dank anzunehmen. Aber wie siehst Du aus, mein Lieber? fuhr das Fräulein mit Erstaunen fort. Das ist nicht der Widerschein, das ist die leibhaftige Farbe Deiner Haut. Du bist grasgrün geworden.

– Ich? rief der Jüngling und richtete sich stolz empor. Wahrlich, so hellgrün, daß mich ein Laubfrosch beneiden könnte.

– Mein Gott und ich dagegen – ich bin über und über in Grau gekleidet. Nicht ein Streifen mehr von meiner früheren Farbe! Es muß die Angst, es muß der furchtbare Schrecken gewesen sein, der unsere Farben vertauscht hat.

– Ich kann mir die neue Tracht wohl gefallen lassen, sagte der Jüngling, sich immer wohlgefälliger betrachtend. Da brach jedoch das verwandelte Fräulein in heiße Thränen aus... Wenn wir nun nach Hause kommen, so wird am Ende Dein Vater den Vornehmen spielen, mich als Schwiegertochter zurückweisen oder der meinige mich enterben. Höchstens daß wir wieder ein dummes Orakel befragen dürfen – und es ist doch nur einmal im Jahr Johannisnacht.

– Weißt Du was? entgegnete der männliche Grashüpfer. Wir kehren gar nicht nach Hause zurück. Was sollen wir uns schikaniren, in Tod und Verzweiflung jagen lassen durch den Farbeneigensinn und das Vorurtheil unserer Familien? Laß uns durch diese rettenden Fluthen ans jenseitige Ufer waten und dort ein neues Leben beginnen. Grau ist grün und grün ist grau geworden durch die Liebe – Du glaubst gar nicht, wie schön Dir Dein veränderter Teint steht, meine Holde, – und derselbe Irrthum, der uns hier den Tod suchen ließ, schützt uns jenseits vor Verfolgung. Brechen wir auf zur Fahrt in ein freies, in ein glückliches Land.

Sie willigte ein, und während ihre Eltern um sie weinten und sie vergebens in alle Zeitungen setzen ließen, zogen Beide durch die Wogen des Flachsoceans hinüber an die andere Küste. Diese fanden sie trotz ihrer Fruchtbarkeit ziemlich heuschreckenleer, nur mit einigen wilden kupferfarbenen Stämmen besetzt, denen sie durch Bildung, Sitte und künstliche Hülfsmittel weit überlegen waren. Seit jener Zeit sind dem ersten Paare viele Tausende in die neue Welt nachgefolgt, so graue als grüne Grashüpfer, und sie sind die Patriarchen eines gesprenkelten Volkes geworden, das immer mächtiger selbst in die alte Welt hinüberragt: Yankee-Heuschrecken genannt. Die Wanderlust und den kühnen Unternehmungsgeist ihrer Voreltern haben sie treu bis auf unsere Tage bewahrt und von den unzähligen Vorurtheilen der Heimath nur ein einziges behalten, aber ein sehr verstärktes, das gegen die schwarze Farbe, die sie bis heute nicht blos als eine unglückliche, sondern auch als eine verächtliche betrachten.

Die beiden Engel.

Sterbenskrank lag der kleine Carl auf dem Bettchen. Die Nachtlampe brannte auf dem Tische, viel heißer aber brannte das Fieber in den Adern des Knaben. Dunkelrothe Rosen hatte es auf seine Stirn und auf seine Wangen gesäet, seine Lippen bewegten sich dürstend und das treue Auge war so todesmatt.

Die zitternden Händchen faltend saß er im Bett und flehte: »Abba, lieber Vater, laß mich noch nicht sterben!« Denn Carl war ein frommes Kind und der Arzt hatte ja zu seiner Mutter gesagt, er werde in dieser Nacht sein Auge für immer zumachen und sie nicht mehr sehen.

In der Ecke des Zimmers kniete die Mutter mit verweinten Augen, sie hatte drei Tage und drei Nächte hindurch für ihn geweint und jetzt war der Schlummer tröstend in ihr Auge getreten und hatte ihre müde Stirn auf den Sessel gebettet, an dem sie niedergekniet war.

Die Nachtlampe flackerte zuweilen so matt auf, als wollte sie sagen: »Lieber Carl, wollen wir nicht zusammen einschlafen?« Carl aber faltete noch immer seine Hände und betete sein frommes Abba. Das hatte die Nachtlampe ihn alle Abende beten gesehen und wenn er dann eingeschlafen war, pflegte auch sie bald ihr helles Auge zu schließen. Freilich wußte sie nicht, daß der Arzt gesagt hatte, sie würden sich heute zum letzten Male gemeinschaftlich zur Ruhe begeben.

Auf Carls Bette lag ein Bild, das hatte ihm einst die sterbende Großmutter geschenkt. Es war das betende Kind, das Ihr wohl kennt, und unter das Bild hatte die Großmutter zum Andenken geschrieben:

»Abba, lieber Vater,
Mach mich gut, mach mich fromm,
Daß ich in den Himmel komm'!«

Ueber dem betenden Kinde in der schönen Randverzierung aber saßen ein paar liebliche Engel, die sah Carl immer so gern und die Großmutter hatte ihm versprechen müssen, daß er auch ein solcher Engel werden solle.

Auf diesen beiden Engeln ruhte heute Carls mattes Auge, während er betete, er hatte sie ja so gern, und es wäre ihm schon recht gewesen, zu sterben, wenn er nur die beiden Engel und die gute Mutter hätte mitnehmen können. Da erlosch die Nachtlampe, denn sie glaubte, Carl sei schon eingeschlafen, weil er so still war.

Aber das Bild auf Carls Bette verklärte sich jetzt mit einem Male in wunderbarem Glanz, es leuchtete wie tausendfacher sanfter Lampenschimmer und aus der Randverzierung traten leibhaftig die beiden Engel heraus. Die wuchsen vor seinem Blick, ihre Flügel wurden größer, ihr Gewand wurde zum Sternenkleide, ihre Augen nahmen einen überirdischen Glanz an.

So stellten sich die Engel zu beiden Seiten von Carls Bette, legten ihre Hände auf seinen fieberheißen Arm und schauten ihn so freundlich an, wie es nur die Engel thun können.

Carl erschrak anfangs, aber er erkannte ja seine Engel und streichelte ihnen mit den Händchen die Wangen.

– Ist es wohl wahr, daß ich sterben soll? fragte er. Wollt Ihr mich zur Großmutter in den Himmel holen?... Ach ja! Laßt mich mit Euch gehen, aber laßt mich mein Mütterchen mitnehmen, denn sonst kann ich nicht froh sein in Eurem Himmel!

– Nein, Du sollst noch nicht mit uns kommen, antwortete der eine Engel; aber dereinst werden wir uns wieder sehen, und dann gehst Du mit uns.

Hierauf erhoben sich Beide und bestiegen eine goldene Leiter, die wie ein großer Sonnenstrahl in die Luft führte. Carl sah, wie sie immer höher stiegen, bis die Wolken sich hinter ihnen schlossen.

Trauernd sah Carl sie droben verschwinden; eine heiße Thräne trat in sein Auge. Plötzlich aber klatschte er sich freudig in die Hände, denn die Wolken theilten sich wieder und die Engel kehrten zurück. Sie trugen auch Etwas in den Händen, das sah aus wie ein wunderschönes Schreibebuch, so schön wie er noch nie eins gesehen.

Und die Engel kehrten auf der Sonnenstrahl-Leiter zurück und traten wieder an sein Bett. Und der Eine von ihnen zeigte ihm ein Buch, dessen Deckel so purpurroth war, wie der schönste Sammet, und der ein großes goldenes Kreuz trug.

Und der Engel legte das Buch auf Carls Bett und sagte zu ihm:

– Dieses Buch sendet Dir Dein Vater im Himmel; es stehen schöne Worte und eine große Lehre darin, die sollst Du verkünden weit und breit, diesseits und jenseits der Meere, und deshalb sollst Du leben.

– Ach, das schöne, schöne Buch! rief Carl und drückte es an das kleine Herz.

Die Engel aber küßten ihn Beide auf die Stirn.

– Dereinst sehen wir uns wieder! sagten sie und verschwanden.


Viele Jahre waren verstrichen, da lag weit, weit fort in China ein Mann auf dem Sterbebette.

Sein Haar war noch nicht ergraut, seine Kraft war groß, sein Wort mächtig gewesen. Tausend und abertausend Meilen war er gewandert und hatte das Wort Gottes unter den Heiden verkündet. Er hatte viel Ungemach und Leiden ertragen, aber viele Tausende hatte er zum Christenthume bekehrt, die glaubten jetzt an den Gekreuzigten und zerschlugen die Götzen, zu denen sie in ihrer Blindheit gebetet.

Er selbst aber lag auf dem Sterbebette; keine Verwandte, kein Vater, keine Mutter, keine Gattin, keine Kinder standen an seinem Schmerzenslager; er aber war getrost, denn er sollte ja zu seinem Vater zurückkehren.

Und seine Hand ruhte auf einem rothen Buche mit einem goldenen Kreuz, darin stand mit vielen Millionen Buchstaben ein einziges Wort geschrieben: das Wort Gottes.

Und als es Abend wurde, da betete er noch einmal, denn sein Auge wollte brechen.

Plötzlich ward es hell im Zimmer wie vom Schein der untergehenden Sonne. Noch einmal schlug er das Auge auf und sah an seinem Bette zwei Engel stehen.

– Als wir Dich vor mehr denn vierzig Jahren sahen, begann der Eine, da versprachen wir Dir, Du sollest uns wiedersehen. Wir sind gekommen, um Dich mit uns zu nehmen, denn Du hast genug gethan. Du sollst ausruhen und vor das Antlitz Dessen treten, den Du verkündet hast.

Die Engel legten ihre Hand auf sein Auge und das Buch auf seine Brust. Sie ließen seinen Leib ruhen und führten seine Seele hinüber auf derselben Leiter, auf welcher sie ihm einst erschienen waren.

Die Welt hieß ihn Carl Gützlaff, der Vater im Himmel aber nannte ihn seinen treuesten Sohn.

Der blanke Dreier.

In Minchens Sparbüchse lagen viele Groschen, Zwei- und Vier-Groschenstücke, mehrere Thaler, ein Friedrichsdor, den sie vom Vater zum Geburtstag erhalten hatte, und endlich ein Dreier, der war so blank, als wäre er soeben aus der Münze gekommen, und bildete sich ein, er sei von Gold.

– Um Verzeihung, was sind Sie für eine Geborne? fragte der Dreier die neben ihm liegende Goldmünze.

– Ich bin von Gold und stamme noch aus der guten alten Zeit, wie Sie auch auf meiner Rückseite sehen können, antwortete der Friedrichsdor, der nicht wenig stolz darauf war, daß er noch einen Zopf trug. »Ich bin von sehr gediegenem alten Adel!« setzte er hinzu.

– Sie von Gold? rief der Dreier lachend. Wie können Sie das mir nur in's Gesicht sagen, dem man es doch auf den ersten Blick ansieht, daß ich vom feinsten Ducatengolde bin. Sehen Sie nur, wie ich glänze!

– Ja, aber es ist nicht alles Gold, was glänzt! antwortete der Friedrichsdor. Sie sind nur ganz ordinärer Herkunft; Sie sind ein Kupferdreier und an Ihrer Stelle würde ich mich doch geniren, in so anständiger Gesellschaft zu erscheinen.

Damit drehte ihm der Friedrichsdor den Rücken zu.

– Was sich dieses Pack wohl denkt! sagte der Dreier zu sich selbst. Aber so ergeht es Einem immer, wenn man herablassend ist; ich will mich auch in meinem Leben nicht wieder populär zu machen suchen, denn man hat doch nur Undank dafür.

Mit diesen Worten drehte sich der Dreier auch herum und den ganzen Tag hindurch wurde in der Sparbüchse kein Wort mehr gesprochen.

Am Abend kam Minchen mit ihrem Vater und holte die Sparbüchse aus dem Schrank. Minchen sollte nämlich eingesegnet werden und sich für ihre Sparbüchse das erste schwarze Atlaskleid kaufen.

Sie zählte nun mit ihrem Vater die Groschen, die Zwei- und Vier-Groschenstücke, die Thaler und endlich auch den Friedrichsdor. Nur den blanken Dreier ließ sie ganz bei Seite liegen.

– Aha, dachte der Dreier, das Gute läßt man immer bis zuletzt. Wenn sie dich erst mit hinzuzählen, dann wird die Summe noch einmal so groß werden!

Aber der Dreier konnte lange warten, bis er mitgezählt wurde, und als endlich Minchens kleiner Bruder herein hüpfte, gab ihm der Vater den Dreier und erlaubte ihm, sich einen Kuchen dafür zu kaufen.

Der Kleine sprang mit ihm zum Kuchenbäcker und plump! fiel der Dreier in die dunkle Kasse des Bäckers, in der schon viele schwarze Kupfermünzen lagen.

– Es ist doch merkwürdig, wie sehr sich die Leute oft in der Taxirung Anderer täuschen! Das ist denn doch ein sehr grober Irrthum! sagte der Dreier. Na, mir kann es gleich sein, denn mein Schade ist es nicht!

So blieb er denn in der Kasse ganz obenauf liegen, um sich recht anstaunen zu lassen.

– Aber nehmen Sie doch Lebensart an! rief der blanke Dreier, wenn ihm dann und wann durch das Loch der Kasse ein schweres, dunkles Kupferstück auf den Kopf fiel. Sehen Sie denn nicht, daß ich von Gold bin?

Mehre Tage lang lag der Dreier in der Bäckerkasse. Da kam ein kleiner Schornsteinfeger und bat um ein Trinkgeld für das Reinigen der Ofenröhren. Der Bäcker griff in die Kasse und legte dem kleinen Schornsteinfeger fünf Dreier, darunter auch den blanken, auf den Tisch hin.

– Fassen Sie mich nicht an! rief der Dreier; ich werde sonst blind!

Aber der kleine Schornsteinfeger nahm das Geld und ging fort. Dem armen Dreier war ganz entsetzlich zu Muthe, als er so in der schwarzen Hand saß, er paßte eine Gelegenheit ab, entschlüpfte derselben unbemerkt, lag auf der Straße und rollte nach der Straßenrinne zu.

– Herr Gott, Herr Gott! rief er aus, wenn ich nur nicht dahinein falle; das wäre mein Tod! Aber ich bin so im Schwunge, ich kann mich gar nicht halten!

So rief der Dreier in seiner Herzensangst und rollte immer weiter. Zum großen Glücke blieb er gerade am Rande des Rinnsteins liegen.

– Gott sei Dank! Es wäre doch zu schrecklich gewesen, wenn ich in diesen Abgrund gestürzt wäre! sagte der Dreier.

Bald darauf kam ein Vergoldergehülfe des Weges; er sah den Dreier, steckte ihn als gute Prise ein und trug ihn nach Hause. Da er nun heute noch eine Kette zu vergolden hatte und ein wenig von dem Golde übrig behielt, so nahm er den Dreier aus der Tasche und vergoldete ihn auch.

– Jetzt werde ich immer vornehmer! sagte der Dreier, als er sich besah, und in der That nahm er sich sehr schön aus.

Der Vergoldergehülfe mochte dies auch einsehen, denn er bohrte ein ganz kleines Loch durch den Rand des Dreiers, zog einen feinen Ring durch dasselbe und hängte ihn an seine Uhrkette.

– Das wird schön, sagte der Dreier zu sich, als er auf die Straße kam. Jetzt bin ich eine Schaumünze und kann alle Tage spazieren gehen.... Sehe ich nicht recht stolz aus! rief er allen Leuten zu, die ihn ansahn, als er so an der Weste des Vergolders hing. Ich bin aber auch von purem Golde!

Eines Abends ging sein Herr mit ihm über die Straße. Der Dreier sah, daß die Laternen mit ihm liebäugelten, und um sich recht zu zeigen, zappelte er in dem Lichtschein so arg an der Kette hin und her, daß der Ring sich öffnete und er auf die Straße fiel.

– Hochmuth kommt vor dem Fall! sagte ein alter verrosteter Pfeifendeckel, der neben ihm lag und ihn zappeln gesehen hatte. Ich bin auch einmal etwas Besseres gewesen, wir können uns zusammen trösten!

Der Dreier aber sah ihn hochmüthig an.

– Was so ein schlechter Pfeifendeckel wohl glaubt! sagte der Dreier zu sich selbst; ich werde mich hüten, mich mit ihm gemein zu machen!

Kaum hatte er das gesagt, da kam ein junger Taugenichts des Weges, er sah den Dreier und hob ihn auf in der Meinung, er habe ein Goldstück gefunden.

– Ei, ei! Ein vornehmer Dreier! sagte er getäuscht. Ich glaubte, du wärest ein Goldstück!

– Sie irren, rief der Dreier; ich bin wirklich von Gold!

Der junge Taugenichts überlegte nun, was er mit dem vergoldeten Dreier anfangen solle. Da es Abend war, ging er zu einem Trödler, von dem er wußte, daß er schlecht sehen konnte, und kaufte sich einen Sommerrock. Der Trödler nahm den Dreier richtig für ein Goldstück hin und zahlte dem Käufer noch zwei blanke Thaler heraus.

– Endlich doch Einer, der meinen wahren Werth erkennt! sagte der Dreier. Man muß sich nur nichts von seinem Ansehen vergeben!

Am andern Morgen schaute der Trödler in seine Kasse und wollte sich die Haare ausraufen, als er das falsche Goldstück erkannte.

Er nahm den Dreier, trug ihn auf die Polizei und verklagte den Betrüger, der ihm diesen gegeben. Der ward denn auch ausfindig gemacht, verhaftet und sollte vor das Geschwornen-Gericht gestellt werden. Der Dreier aber wurde dem Gericht übergeben.

Endlich kam auch der Tag, an welchem der Prozeß öffentlich verhandelt werden sollte. Der Dreier staunte nicht wenig, als die Richter ihn vor sich auf den grünen Tisch legten und er eine große Versammlung von Zuschauern auf den Gallerien sah, die mit Fingern auf ihn zeigten. Der arme Dreier schämte sich entsetzlich; er wurde zwar als unschuldig freigesprochen, aber die Blamage konnte ihm doch Keiner abwaschen, denn die ganze Stadt sprach von dem falschen Goldstück und in allen Zeitungen standen von ihm sehr ehrenrührige Dinge geschrieben.

Noch an demselben Tage ward er in Freiheit gesetzt. Er kam in mancherlei Hände, Alle aber betrachteten ihn mit großem Mißtrauen. Der Dreier grämte sich hierüber so sehr, daß er vor Schaam an einigen Stellen ganz roth wurde.

Endlich kam er zu einem Gewürzkrämer.

– Aha! sagte dieser; das ist ja der berüchtigte Mosje, der in dem Dreier-Prozeß eine Rolle gespielt! Den wollen wir doch unschädlich machen!

Er nahm also ein spitzes Instrument und bohrte ihm ein Loch durch den Leib, daß der arme Dreier vor Schmerz große Thränen hätte vergießen mögen; dann nahm er einen Nagel und einen Hammer, nagelte ihn neben mehre falsche Geldstücke auf den Ladentisch und schrieb mit Kreide daneben: »üb' immer Treu und Redlichkeit.«

– Da sollst du sitzen, bis du wieder ein ehrlicher Dreier geworden bist! sagte er zu ihm.

Und so oft Leute in den Laden kamen, betrachteten sie den armen Dreier schadenfroh und sagten: »Ah! ist das der berüchtigte Dreier, von dem in den Zeitungen stand?«

So vergingen viele Wochen. Der Dreier wurde vor Schaam immer rother, ja er hätte was darum gegeben, wenn ihm Einer das übrige Gold ganz abgenommen hätte.

Endlich eines Morgens klapperte ein Goldstück auf dem Ladentisch. Der Dreier wurde aufmerksam und erkannte denselben Friedrichsdor, mit dem er einst in der Sparbüchse gelegen.

– Ei sieh da! rief der Dreier. Kennen Sie mich nicht mehr?

– Muß sehr bedauern, antwortete der Friedrichsdor. Aber wenn ich nicht irre, sind Sie derselbe, der in dem berüchtigten Dreier-Proceß kompromittirt ist!

Damit wanderte der Friedrichsdor in die Kasse.

Dem Dreier aber ging diese Antwort mehr als alles Andere zu Herzen; er bat den Krämer, er solle ihn doch um Gotteswillen nur losmachen, denn dies könne er nicht länger ertragen.

Der Krämer aber ließ ihn noch einige Wochen hindurch sitzen, und als er glaubte, daß der Dreier jetzt genug gebüßt und wieder ganz ehrlich geworden sei, machte er ihn los und warf ihn zu den Uebrigen.

Lange mußte der Dreier hier noch beißende Worte hören, endlich aber vergaß man die ganze Geschichte. – Sollte Dir, lieber Leser, ein Dreier begegnen, der ein rundes Loch gerade unter der Drei hat, er ist es und kann Dir genau dieselbe Geschichte erzählen.

Der kriegerische Floh.

Es war einmal ein Floh, der wohnte bei einem Bauern und war sehr blutdürstig. Obgleich er nun Gelegenheit genug hatte, seinen Blutdurst zu befriedigen, so genügte ihm dies doch nicht.

– Diese Bauern haben ein so ordinäres Blut, sagte er eines Morgens zu sich, und das bekommt mir nicht: es macht mich so träge. Ich muß feineres Blut genießen und darum wird es wohl am besten sein, wenn ich mich auf die Wanderschaft begebe.

Er überlegte nun, wie er es anfangen solle, um einmal anderes Blut zu kosten, und beschloß, in den Krieg zu gehen, denn dort, meinte er, werde er zugleich Gelegenheit haben, sich auszuzeichnen. Von da wollte er dann direct in die Hauptstadt zu der königlichen Familie gehen und ein sehr vornehmer Floh werden. Mit einem Worte: der Floh wollte Carriere machen.

Noch an demselben Tage begab er sich auf den Weg und kam an den Kriegsschauplatz. Er ging ins Lager und verlangte von dem General, er solle ihn anwerben.

Der General maß ihn von Kopf bis zu Füßen, was bei einem Floh nicht viel sagen will, und lachte ihn aus. Da er aber aus Erfahrung wußte, daß die Flöhe sehr tapfer und blutdürstig sind, so ließ er ihn doch unter das Maaß stellen.

Aber der Floh hatte das Soldatenmaß nicht und war viel zu klein.

– Steckt ihn zur Probe unter die leichte Kavallerie und bringt ihm ein Pferd! sagte der General zu seinen Untergebenen.

Aber der Floh wollte von keinem Pferde wissen und behauptete, er könne viel schneller galoppiren als der beste Vollblutshengst, das sei ein Vortheil, den er gegen alle übrigen Soldaten voraushabe.

Da man ihm nicht glauben wollte, so mußte er eine Probe machen, und der Floh legte in fünf Minuten eine halbe Meile zurück.

– Du bist ein ganzer Kerl! sagte der General, gab ihm einen Säbel und Pistolen und ließ ihm Sporen anschnallen. Dann wurde er unter die braunen Husaren gesteckt.

Am andern Tage gab es eine große Schlacht und der Floh richtete ein entsetzliches Blutvergießen an. Dafür bekam er einen Orden und der General gab ihm eine ganze Schwadron zu kommandiren.

– Das ist auch nichts mehr für mich, sagte der Floh eines Tages, als er des Krieges überdrüssig war. Die Soldaten essen alle so grobes Commißbrot, das giebt ein ganz ordinäres Blut und das schmeckt mir nicht mehr.

Der Floh legte also die Waffen nieder und machte sich abermals auf den Weg, um sich in die Hauptstadt zu der königlichen Familie zu begeben.

– Das Prinzessinnenblut muß die allerfeinste Sorte sein! dachte der Floh und trat seine Reise an.

Im ganzen Lager glaubten sie, der Floh sei in der letzten Schlacht gefallen, und setzten ihn in die Liste der Todten.

Unterwegs kam der Floh an ein Gasthaus, das sah ihm ganz anständig aus und er beschloß, hier zu übernachten.

Aber das war sein Unglück. Denn in dem Bette, in welchem er ausruhen wollte, lag schon Einer, und Den peinigte er tüchtig, um ihn heraus zu beißen. Er war jedoch gerade an den Unrechten gekommen, denn der Mann, der im Bette lag, war ein Flohbändiger und reiste eben nach der Hauptstadt, um seine kunstfertigen Flöhe zu zeigen.

Den kannst Du gebrauchen! sagte der Flohbändiger. Er stellte eine Jagd nach ihm an und jetzt half dem Floh alle seine Tapferkeit nicht, denn er wurde gefangen und in eine Glaskapsel gesteckt.

– Das ist doch eine schmähliche Gefangenschaft! sagte der Floh. Wäre ich doch lieber mit Ehren auf dem Schlachtfelde gefallen!

So war denn der Floh gefangen und mußte viele, viele Kunststücke lernen.

Im vorigen Jahre habe ich ihn noch unter vielen andern kunstfertigen Flöhen gesehen; er war als Kanonier angestellt, mußte große Kanonen abschießen und trug einen feinen silbernen Draht um seinen Hals, den ihm der Flohbändiger umgelegt hatte, damit er ihm nicht entwische, denn er hatte gehört, daß der Floh schon einmal desertirt sei. Er beklagte sich bei mir über diese unwürdige Behandlung, er meinte, er wolle viel lieber dem Vaterlande dienen und fragte, ob ich mich nicht beim Könige für ihn verwenden könne.

Solltest Du, lieber Leser, Gelegenheit haben, den König zu sprechen, so kannst Du es ihm wieder sagen, denn tapfer ist der Floh, das muß ihm der Neid lassen.

Der blasirte Stieglitz.

Auf einem Zweige im Walde saß ein junger Stieglitz. Er hatte sich die Federn aufgeblasen und saß da so stolz und so selbstgefällig und machte sich wirklich dick, wie man im gewöhnlichen Leben zu sagen pflegt.

– Quirewitt! sagte er dann und wann vor sich hin. Was bin ich doch für ein unglücklicher Mensch! Gar nichts habe ich mehr, was mir Freude macht. Das Leben ist doch das Aufstehen und zu Bette gehen nicht werth.

So klagte der Stieglitz, denn wie jung er auch noch war, litt er doch am Weltschmerz, wie es vielen Menschen ergeht, die selbst nicht wissen, was sie wollen.

Da kam ein Zeisig herbei geflogen, der war ein Jugendfreund von ihm, denn er war mit dem Stieglitz, als sie fliegen lernten, auf einem und demselben Zweige in die Schule gegangen.

– Was fehlt Dir denn? fragte der Zeisig.

– Was mir fehlt? Alles! antwortete der Stieglitz. Ich bin europamüde und kann es hier gar nicht mehr aushalten.

– Du bist wohl nicht recht bei Trost, Stieglitz? Du hättest früher lieber weniger lustig in den Tag hinein leben sollen, so könntest Du jetzt mehr Freude am Dasein finden. Du bist entweder blasirt oder Du bist auch verliebt.

– Ach, das Alles haben wir längst hinter uns! sagte der Stieglitz, als wäre er schon ein Greis, während er doch noch im vorigen Jahre wie alle jungen Vögel einen gelben Rand am Schnabel getragen hatte und also eigentlich noch ein rechter Gelbschnabel war.

– Du bist nicht recht klug! rief der Zeisig, flog davon, um nicht auch melancholisch zu werden und ließ den Stieglitz allein sitzen.

– Ich glaube, er hat Recht, ich bin wirklich blasirt! sagte der Stieglitz zu sich selbst. Aber was kann ich denn dagegen thun? Es liegt einmal in meiner Gemüthsart... Ich will mir doch die Sache beschlafen.

Und so schlief er auf dem Zweige ein, denn ein eigenes Nest hatte er gar nicht.

Am andern Morgen, als er am Ufer eines Quells auf einem Kieselstein saß und Kaffee trank, hielt er folgendes Selbstgespräch:

– Ich habe mir das nun während der Nacht überlegt und gefunden, daß es am besten sein wird, wenn ich mich verändere, das heißt, wenn ich mich verheirathe; denn im Grunde langweilt mich das Junggesellenleben. Vielleicht finde ich Zerstreuung in der Ehe. Schön genug bin ich, daß mich Jede nimmt, sagte er, sich selbstgefällig in dem Wasserspiegel betrachtend, aber ich mag nicht eine Jede nehmen. Am klügsten thue ich wohl, wenn ich eine Wittwe heirathe, die schon ein eigenes Nest hat, denn mir erst ein solches zu bauen, das ist mir zu langweilig. Da ist z. B. die junge Dame in dem Erlenbaum, deren Mann im vorigen Monat von dem Jäger erschossen wurde; sie ist eine ganz rechtschaffene Stieglitzenfrau und jung und hübsch ist sie auch noch. Ich will doch um sie freien.

Und der Stieglitz machte sich schön, indem er den Quell als Spiegel benutzte, strich sich namentlich die gelben Federn in seinen Flügeln, auf die er sehr stolz war, durch den Schnabel, kämmte sich sorgfältig sein rothes Käppchen und flog sobald es Mittagszeit war, wo man Damenvisite machen kann, nach dem Erlenbaum.

Die junge Stieglitzen nahm ihn auch ganz freundlich auf, denn sie mochte wohl ahnen, was der blasirte junge Herr wollte, und als er ihr sein Anliegen gesagt hatte, war sie auch ganz einverstanden; aber sie bat ihn doch, mit der Hochzeit noch acht Tage zu warten, denn dann sei ihr Trauermonat abgelaufen. Den Anstand müsse man nie verletzen, sagte sie.

Und richtig war um acht Tage Hochzeit im Erlenbaum, aber keine große; nur die Nachbarn waren geladen, denn der Bräutigam meinte, eine große Hochzeit sei viel zu langweilig.

So war denn der Stieglitz ein Ehemann geworden.

Aber fühlte er sich wohl glücklich? Nein, er war noch ebenso unzufrieden wie vorher, denn als die Flitterwochen vorüber waren, langweilte es ihn, daß seine junge Frau Tag und Nacht im Neste lag und die Eier ausbrütete, was doch ihre Schuldigkeit war. Der Stieglitz aber meinte, das sei gar zu einfältig; überhaupt habe er die Bemerkung gemacht, daß seine Frau nur für die Wirthschaft und zu sonst gar nichts zu gebrauchen sei; hätte er das gewußt, so würde er sie gar nicht geheirathet haben.

Noch mehr aber verdroß es ihn, als nun die Jungen aus den kleinen Eiern schlüpften, die Nahrungssorgen anfingen und er den ganzen Tag hindurch Futter für die Kinder suchen mußte. Ja, als sie größer wurden, hatte er nicht einmal Platz in seinem eignen Neste und mußte die Nächte hindurch am Rande desselben auf einem Beine stehend schlafen. Das sei doch zu dumm, sagte er zu sich selbst.

– Kiriwitt! sprach der Stieglitz eines schönen Abends, als seine Frau die schon flügge werdenden Jungen auf dem Zweige exercirte. Ich bin doch eigentlich gar nicht zum Ehemann geboren!

Und als nun die Jungen ausgeflogen waren, um ihr Glück in der Welt zu versuchen, und er mit seiner Frau wieder allein war, da machte ihr der unzufriedene Stieglitz eines Tages bittre Vorwürfe. Sie sei auch zu gar nichts als zur Wirthschaft zu gebrauchen, sie habe nicht die geringste gesellschaftliche Bildung, sagte er zu ihr; eine solche Frau könne ihn nicht glücklich machen, sie allein sei Schuld daran, daß er seinen Lebenszweck verfehlt habe.

Die arme Frau fing an bitterlich zu weinen, denn sie war ja so herzensgut und hatte ihn auch immer so lieb gehabt; aber da sie seinem Lebensglück nicht hinderlich sein wollte, so willigte sie endlich ein, als er ihr vorschlug, sie wollten sich scheiden lassen.

– Er wird schon wieder zu mir zurückkehren, wenn es ihm einmal schlecht geht, dachte sie bei sich; er weiß das häusliche Glück noch gar nicht zu schätzen.

Und so flogen sie Beide zu einem Dompfaffen, der mußte sie scheiden.

– Gott sei Dank, dachte der Stieglitz; jetzt bin ich wieder frei! Ich will nur mit der nächsten Gelegenheit nach Amerika auswandern, denn hier in Deutschland ist es mir viel zu enge. Vielleicht, sagte er, machst Du in Amerika Dein Glück, und wenn Dir dies gelingen sollte, so giebst Du den Vögeln Gesangunterricht, denn die sollen dort zwar alle sehr schön von Gefieder sein, aber keinen Ton zu singen verstehen; und wie die Drossel mir gesagt hat, wird die Kunst in Amerika sehr hoch bezahlt. Vielleicht kannst Du da noch berühmt werden!....

Das war nun Alles recht gut, aber wie sollte er über das weite Wasser kommen! Er konnte zwar sehr schnell fliegen, aber, ohne ausruhen zu können, war doch die Reise über das große, endlose Meer zu weit.

Stieglitz überlegte sich diesen Punkt und flog nach einem Hafen. Hier lagen viele, viele Schiffe und eins von ihnen war eben im Begriff, mit vollen Segeln in die See zu gehen.

– Das ist gerade eine günstige Gelegenheit, sagte der Stieglitz; mit dem Schiffe willst Du fahren.

Also flog er ihm nach, setzte sich oben in den Mastkorb und fuhr Tage und Nächte, ohne sich was merken zu lassen, daß er auch da sei. Der gute Stieglitz hatte leicht reisen, denn er brauchte kein Passagiergeld zu bezahlen. Tags verhielt er sich oben in seinem Mastkorb ganz still, aber Nachts, wenn die Passagiere und die Matrosen fast alle schliefen, dann flog er auf das Verdeck herab und pickte die Brodkrümel auf, welche die Schiffsmannschaft beim Essen verloren hatten.

So ging die Reise wohl volle sechs Wochen. Dem guten Stieglitz wurde in seinem Mastkorb Zeit und Weile lang, aber hier hieß es: mit gegangen, mit gefangen, und so war er nur froh, daß er nicht seekrank wurde.

Endlich erblickte er eines Morgens in der Ferne eine Küste. Sogleich flog er auf, verließ das Schiff und eilte in das fremde Land hinein.

Ja, wie sah das Alles so anders aus als zu Hause! Das soll ein Leben werden! dachte der Stieglitz; hier kannst Du Dein Glück machen!... Du willst nur gleich einmal die Tonleiter singen, um Dich zu überzeugen, ob Du auch unterwegs nicht Deine Stimme verloren hast!

Er ließ sich auf einen Baum nieder, der war dick mit granatrothen Blüten besetzt und stand mitten in einem Walde.

– Kiriwitt, Kiriwitt! sang er zur Probe... O, es geht noch! Du mußt nur erst wieder in Zug kommen, sagte er zu sich selbst... Kiriwitt, sang er ganz vergnügt, hob den Schwanz in die Höhe und flog von einem Baume zum andern.

– Arrah, Arrah! hörte er plötzlich unter sich schreien und erblickte einen großen, ganz schneeweißen Vogel, der hatte einen gelben Kamm auf dem Kopf, auf den er sich viel einzubilden schien. Und um ihn her saßen eine ganze Menge andrer bunter Vögel, die waren grün, gelb, grau und roth und stimmten ein gefährliches Geschrei an. Stieglitz meinte, wenn er sich nicht irre, müßten dies Papageien sein.

– Aha, dachte er, da sind schon welche von den Wilden! Du mußt ihnen nur gleich einen Begriff von der deutschen Bildung und Kunst beibringen. Wie man sich einführt, so wird man hernach beurtheilt. Was werden Die staunen, wenn sie Dich singen hören.

– Kiriwitt! sang er und setzte sich mitten unter die großen Vögel.

– Ei sieh doch, was bist denn Du für ein kleiner Knirps? fragte der große weiße Vogel. Was soll denn das heißen: Kiriwitt? Wir sprechen keine fremden Sprachen; wir sprechen hier nur englisch.

Und dabei fing er wieder an zu kreischen, daß dem Stieglitz ganz übel wurde.

– Pfui, Ihr solltet Euch schämen mit Eurem Geschrei; das ist ja, als wäre man in einer Judenschule. Ihr seid doch noch gar zu sehr in der Bildung zurück! rief der Stieglitz.

– Mit Erlaubniß zu fragen: was bist Du denn für Einer? sagte ein großer grauer Papagei.

– Ich bin ein Stieglitz und stamme aus einer sehr noblen Familie des Schwarzwaldes in Deutschland, antwortete der Stieglitz. Da ich aber hörte, daß man hier im Gesange noch so weit zurück ist, ja gewissermaßen sogar nichts davon versteht, so bin ich herübergekommen, um Euch in dieser Kunst zu unterrichten.

– Na, dann singe uns 'mal was vor! sagte der Papagei.

Der Stieglitz nahm eine sehr künstlerische Haltung an, wetzte sich den Schnabel und räusperte sich.

– Kiriwitt – witt – witt! stimmte er an, wie es die Sänger zu thun pflegen, ehe sie eigentlich beginnen, und dann quinquilirte er ihnen was vor, das sollte eine deutsche Arie sein, wie er sagte.

– Hahaha! Das ist also eine deutsche Arie? Die kann mir gestohlen werden! rief der große weiße Vogel. Jetzt höre zu, wir wollen Dir eine Arie nach unsrer Weise vorsingen.

Und wieder fingen sie an zu schreien, daß es durch den ganzen Wald schallte und der Stieglitz vor Schreck beinahe von dem Zweige gefallen wäre.

– Das ist ja eine wahre Katzenmusik! rief er, als sie fertig waren mit ihrer Arie. So etwas Gesang zu nennen! Pfui!

Aber kaum hatte er dies gesagt, da fielen sie Alle, als wenn sie sich verabredet hätten, mit ihren dicken Schnäbeln über ihn her und wollten ihn todtbeißen. In seiner Angst flog der Stieglitz davon; sie aber verfolgten ihn und hätten ihn gewiß auch bald erreicht. Wie wäre es dem armen Stieglitz wohl ergangen, wenn er nicht zu seinem Glück hinter dem Walde ein Landhaus gesehen hätte, dessen Fenster offen standen.

Er flüchtete sich in das Zimmer und verbarg sich ängstlich hinter der Gardine.

Aber nun denke man sich seinen Schrecken, als er plötzlich bemerkte, wie sich eine pechschwarze Hand nach ihm ausstreckte, und gleich darauf sah er zu seinem Entsetzen auch einen kohlenschwarzen Kopf, ein paar weiße Augen und große weiße Zähne.

Huh! der arme Stieglitz dachte nicht anders, als daß der Teufel selbst ihn packte. Er wollte davonfliegen und hätte sich lieber von dem bösen weißen Vogel als von der schwarzen Hand greifen lassen, aber er verwickelte sich mit seinen langen Nägeln in den Gardinenfranzen. Da zappelte er nun, und die große schwarze Hand packte ihn und eine andre streichelte ihm das rothe Käppchen.

– Wie schlug dem Stieglitz das kleine Herz! Jetzt ist es vorbei, dachte er; wäre ich doch lieber zu Hause bei meiner Frau geblieben... Nun machen sie mich todt!

Aber die große schwarze Hand, die einer Mohrin gehörte, brachte ihn zu einer Frau, die war ihre Herrin, und zu seiner Freude sah der Stieglitz, daß diese ganz weiß war, ja er hörte, daß sie sogar deutsch sprach.

Die Sache verhielt sich nämlich so: Stieglitz befand sich bei einer deutschen Pflanzerfamilie, die viele Mohren und Mohrinnen als Sklaven hatte.

An seinen Gesangsunterricht dachte der Stieglitz gar nicht mehr, ja er war nur froh, als die Hausfrau ihn in einen Käfig setzte, ihm Hanf und Wasser gab und zu ihrer Dienerin sagte, sie wolle sich den Stieglitz zahm machen, denn sie habe ihn sehr gern, weil er ja aus ihrem Vaterlande komme.

– Hier mußt du klug sein! dachte Stieglitz. Und er stellte sich, als sei er schon ganz zahm und ließ sich alle Tage von der Hausfrau liebkosen, so viel sie wollte. Dabei guckte aber der Schelm immer nach dem Fenster, und als er eines Tages gewahrte, daß dieses offen stand, war er draußen in der freien Luft, eh' sich Einer dessen versah.

– Kiriwitt! sagte er, sich dem Hause gegenüber auf einen Baum setzend. Ihr kriegt mich nicht wieder!

Die Frau aber lief zu ihrem erwachsenen Sohn, der gerade von der Jagd kam, und sagte ihm, daß der Stieglitz entwischt sei und im Baume sitze. Dieser lockte ihn mit allerlei Leckerbissen, Stieglitz aber rief: ich bin nicht so dumm, wie Ihr glaubt! und hüpfte vergnügt im Baume herum.

Da wurde der Sohn so böse, daß er seine Flinte vom Nacken nahm und eh' Stieglitz daran dachte, hörte er einen Schuß und sah, wie der Hagel um ihn her in die Zweige schlug.

– Jetzt machst du dich aus dem Staube! sagte er für sich, flog eine halbe Meile weit weg und ruhte dann aus.

– Ich glaube, dachte er hier, du begiebst dich wieder auf den Heimweg. Hier in dem fremden Lande blüht dein Glück doch nicht; Pulver hast du nun schon gerochen und wenn die ungebildeten bösen Vögel dich wieder zu sehen bekommen, so ergeht es dir auch schlecht.

So flog er denn wieder zum Hafen zurück und sah zu seiner Freude, wie gerade dasselbe Schiff wieder auslaufen wollte, mit dem er gekommen war.

– Kiriwitt! Nehmt mich mit! rief er, flog ihm nach und setzte sich an seinen alten Platz im Mastkorb.

Also kam denn der Stieglitz wieder heim und flog in den Wald, um reuig zu seiner geschiedenen Frau zurückzukehren.

Als er aber in den Erlenbaum kam, da lag seine arme Frau im Sterben. Die hatte sich so viel um ihn gegrämt, daß sie schwer krank geworden war.

Stieglitz setzte sich auf den Rand des Nestes und küßte seine gute Frau, sie aber konnte ihm nur noch einen Blick zuwerfen, und dann war sie todt.

– Das habe ich nun von meiner Thorheit! sagte Stieglitz, sich mit dem einen Fuß die Augen wischend. Hätte ich nur zu schätzen gewußt, was ich besaß, so wäre ich jetzt glücklich!

Und Stieglitz begrub seine arme Frau unten am Fuße des Erlenbaums; dann aber setzte er sich auf den Rand seines Nestes, weinte drei Tage lang und grämte sich so sehr, daß sein rothes Käppchen ganz blaßgelb wurde. Alle seine schönen Federn verlor er, und als es Herbst wurde und die Blätter von den Bäumen fielen, da war auch der Stieglitz todt und lag erstarrt auf dem Grabe seiner Frau.

Diese Geschichte ist buchstäblich wahr und jeder Stieglitz kann sie Euch erzählen.

Der Rattengang.

Es war Sylvesterabend und der Christbaum noch ganz grün. Aber das war im Grunde kein Wunder, denn die Tannenbäume sind ja das ganze Jahr hindurch grün, und das ist wohl das Einzige, worauf sie sich was zu Gute thun können. Das eigentliche Wunder bestand vielmehr darin, daß an Linchens Tannenbaum noch alle die schönen Sachen hingen und er noch ebenso geputzt war, wie am Weihnachtsabend. Herr Gott, was war das für ein schöner Christbaum!

Aber was ich sagen wollte: es war heute der letzte Dezember und der war Linchens Geburtstag. Sechs Jahre war sie alt und seit fünf Jahren wurde der Christbaum regelmäßig am Sylvesterabend noch einmal angezündet und am Neujahrsmorgen geplündert. Die eine Hälfte von den schönen Sachen behielt Linchen, die andere Hälfte mußte sie den armen Kindern im Dorfe bringen; und das that sie gern.

Also war heute Sylvesterabend. Linchen aber schlief bereits bei der Mutter und im Zimmer nebenan stand der Tannenbaum ganz mutterseelenallein. Dunkel war es indeß nicht in dem Zimmer, denn durch die dünnen Vorhänge der Glasthür drang der matte Schimmer von Linchens Nachtlicht herein.

Unter dem Christbaum lag nun Linchens Wachspuppe, Amanda hieß sie, in ihrem Bettchen; sie hatte zu diesem Christfest einen nagelneuen Anzug bekommen und war im Ganzen drei Nasenstüber hoch.

Es dauerte auch nicht lange, bis Amanda sich die Augen rieb, denn sie war von der Freude des Abends noch sehr aufgeregt und konnte nicht schlafen.

Neben ihr stand an den Christbaum gelehnt ein Schornsteinfeger von lauter Pflaumen; er war sehr viel größer als Amanda, aber dafür war er ja auch ein Mann. Sie stieß den Schornsteinfeger mit dem Ellenbogen an und klagte ihm, daß sie nicht schlafen könne.

– Leg' Dich auf die andere Seite! sagte er zu ihr. Der Rath war wohl nicht schlecht, half aber doch nicht, Amanda konnte auch auf der andern Seite nicht schlafen, denn auf der Seite saß gerade das kleine Herz und das wollte sich nicht drücken lassen. Vielleicht genirte sich Amanda auch, zu schlafen, weil eine Mannsperson zugegen war, denn das schickt sich eigentlich nicht.

Amanda richtete sich auf, setzte sich auf den Bettrand und guckte den Schornsteinfeger mit großen Augen an.

– Weißt Du, was ich mir erdacht habe? fragte sie.

– Wird wohl nichts Gescheidtes sein! antwortete er verdrießlich.

Doch, Du närrischer Schornsteinfeger! Ich will es Dir sagen: wir wollen alle zusammen Linchens Geburtstag feiern.

– Hm, sagte der Pflaumenmann, das ließe sich hören! Aber wie wollen wir es anfangen?

– Ich will's Dir sagen: wir wecken alle unsere Bekannte, die da über uns im Tannenbaum hangen, und machen eine Wasserpartie.

– Wo denkst Du hin? rief der Schornsteinfeger. Eine Wasserpartie mitten im Winter! Das wäre ja, als wollte man mitten im Sommer Schlittschuh laufen!

– Warum denn aber nicht? Ist es doch noch gar nicht Winter geworden! Es ist ja warm wie im Frühjahr und der kleine Weidenbusch im Garten hat mir heute Mittag noch gesagt, wenn es so fortgehe, so könne er es nicht mehr aushalten und sehe sich genöthigt, auszuschlagen.

– Nun meinetwegen! sagte der Pflaumenmann, dem dies noch nicht recht einleuchten wollte; und nun ging es an das Aufwecken.

Zuerst rüttelten sie den Nachtwächter von Chocolade, der am untersten Zweige hing und von Amtswegen wie alle seine Collegen den festesten Schlaf hatte. Der wußte gar nicht, wie ihm geschah, als er das Horn vor den Mund nehmen, die Backen aufblasen und tuten mußte. Man kann sich denken, was für einen Lärm er machte. Darauf wurde der Marzipan-Postillon geweckt, und auch der mußte blasen, was das Zeug halten wollte. Am lautesten aber tutete der Nachtwächter und viele von der kleinen Gesellschaft am Tannenbaum wachten jählings auf und fragten, »wo denn das Feuer sei.«

Nun aber hätte Einer sehen sollen, welche Thätigkeit der Schornsteinfeger entwickelte. Vor allen Dingen stieg er zu der Schwefelholzverkäuferin von Tragant, ließ sich Feuer geben, steckte ein Wachslicht an und brachte es dem Zucker-Eichhorn, das mußte Zweig auf, Zweig ab springen und auf allen Seiten ein Licht anstecken, damit die Herrschaften beim Herabsteigen auch sehen konnten; da ihnen der Schornsteinfeger seine Leiter hinhielt, so kamen sie allmählich alle unten an, ohne Schaden zu nehmen. Nur ein Bonbon war zu neugierig gewesen, hatte sich um hinaus zu schauen, die kleine Papierhülle zu weit geöffnet, war herausgefallen und unten auf der Erde mitten entzwei gebrochen. Das hatte er von seiner Neugier.

Als sie nun Alle unten waren, sagte Amanda zu ihnen, daß sie eine Wasserfahrt nach der Schwaneninsel in dem Teiche machen wollten. Alle waren einverstanden. Der Kellermeister auf dem großen Weinfaß schlug vor, sie wollten sich dort eine Bowle machen, der Ballmeister wollte einen Ball arrangirt wissen, und Beides sollte denn auch geschehen.

Jetzt aber fragte es sich, wie sie aus dem Zimmer kommen sollten. Daran hatte bisher Keiner gedacht.

Der Schornsteinfeger meinte, sie wollten mit Hilfe seiner Leiter auf den Stuhl, von diesem auf das Fenster steigen und sich einzeln an dem Rouleauband in den Hof hinab lassen. Aber das war ihnen denn doch zu halsbrechend: der Schornsteinfeger hatte wohl gut reden, denn er konnte ja klettern, aber das verstanden die Uebrigen nicht.

Da wußte Amanda zu helfen. Die Ratten in den Ställen wühlten sich nämlich zuweilen große Gänge in das Haus und Amanda hatte gesehen, daß Linchens Vater erst heut' Abend ein Stück Holz vor ein solches Rattenloch im Zimmer gelegt hatte, das morgen vom Maurer verstopft werden sollte.

– Hu! Durch das Rattenloch! riefen mehre Damen von Marzipan, die natürlich sehr schwache Nerven hatten. Aber sie waren doch alle zu tanzlustig, und so machten sie sich denn daran, das große Brett vor dem Rattenloche weg zu schaffen. Das war kein kleines Stück Arbeit; und gefährlich war es auch, denn es konnte ja jeden Augenblick eine garstige Ratte herausspringen.

Nun aber entstand in Einigen das Bedenken, daß es doch nicht geheuer sein dürfte, so ohne Schutz durch den Rattengang zu marschiren, denn wenn sie auch ihrer Viele waren, so konnte ja doch der Eine oder der Andere von den Unthieren angefallen werden, denn sie hatten ja Alle so süßes Blut.

– Vorsicht ist zu allen Dingen gut! sagte der furchtsame Schneider, obgleich er doch mit einer großen Stopfnadel bewaffnet war; und da die Furcht ansteckend ist, so beschlossen sie, daß der riesige Marzipan-Ritter mit dem langen Spieß vorangehen und der schwarze Schornsteinfeger, vor dem die Ratten gewiß Respect haben mußten, den Zug beschließen solle.

Aber der Marzipan-Ritter war nicht zu finden; überall suchten sie ihn, bis er endlich an seinem alten Platz am untersten Zweige des Tannenbaums entdeckt wurde.

Der arme Ritter, er konnte nicht von der Stelle, denn Bergmann, der krummbeinige kleine Dachshund, war heute Morgen unter dem Tannenbaum hin gelaufen, was ihm streng verboten worden, er wußte, was gut schmeckt, und hatte im Vorbeigehen dem Ritter ein Bein abgebissen. Da mußte er nun wohl zu Hause bleiben, denn wenn man ihn auch gern mitgenommen hätte, so konnte er doch beim Balle nicht auf einem Beine tanzen, und dann hätten ihn die Ratten ja auch ausgelacht, wenn er sie mit seinem einen Beine hätte graulich machen wollen.

Aber wo in aller Welt sollte man jetzt einen Rattenvertilger hernehmen?

Amanda wußte abermals Rath. Sie ging zu der Schachtel mit Zinnsoldaten, die neben Wilhelms großer Kanone stand, und klopfte höflich an.

– Herein! sagte einer von den langen Gardisten in der Schachtel. Der Deckel that sich auf und vor Amanda stand der Unterofficier in seiner ganzen Länge da. Soldaten sind immer höflich gegen Damen, und so legte denn der Unterofficier die Hand an seine Mütze und salutirte.

Amanda bat ihn mit einem tiefen Knix, er solle es doch ja nicht übel nehmen, daß sie ihn so spät störe, auch wisse sie recht gut, daß sich dies für sie als Dame überhaupt nicht wohl schicke, aber es handle sich um die öffentliche Sicherheit, zu deren Schutze sie ja da seien. Hierauf sagte sie ihm, daß sie eine Wasserpartie zu machen beabsichtigten und sie ihn höflich bitten wolle, er möge doch so gütig sein, ihnen ein paar Mann Soldaten mitzugeben; sie würde ihn gewiß nicht incommodirt haben, aber Bergmann habe dem Ritter ein Bein abgebissen u. s. w.

– Hm! hm! meinte der Unterofficier, sich den großen Schnurbart streichend; das wird nicht angehen, dazu müssen wir erst die Erlaubniß von unsrem Major haben, und der ist heute Mittag ausgeritten.

Amanda aber bat ihn doch gar zu sehr. Endlich sagte der Unterofficier, es sei zwar gegen alle Disciplin, aber da er die Nothwendigkeit einsehe, so wolle er die Sache auf seine eigne Kappe nehmen und ihnen sechs Soldaten mitgeben, die er auch sogleich in Reih' und Glied aufmarschiren ließ.

So war denn Alles gut. Der Kellermeister rollte sein Weinfaß auf einen kleinen Wagen und legte Citronen und Liqueurbonbons für die Bowle hinzu. Amanda räumte ihre Küche aus und legte eine Terrine auf den Wagen, auch Gläser und Teller so viele sie ihrer waren. Endlich wurden auch Biscuit, Kuchen, Nüsse, Rosinen und Mandeln zum Dessert nicht vergessen.

Die Gesellschaft sollte nun Arm in Arm zu Zweien abmarschiren; als sie aber an das Rattenloch kamen, fand es sich, daß dieses zu eng für Zwei war, und sie mußten daher einen Gänsemarsch antreten.

Vorn, in der Mitte und zu Ende des Zuges gingen zwei Soldaten. Hinter den beiden ersten kam die Musik: der Orgeldreher mit seinem Leierkasten, der Nachtwächter mit seinem Tuthorn und der Knarre und der Postillon mit seinem Posthorn. Herr Gott im Himmel, war das eine erschreckliche Musik! Aber sie konnten doch nicht anders, denn sie hatten ja keine Noten!

Indeß hätten sie wenigstens alle drei eine und dieselbe Melodie spielen können, denn der Orgeldreher leierte »o du lieber Augustin«, der Nachtwächter tutete Feuerlärm und sang dazwischen »hört Ihr Herrn und laßt Euch sagen« und der Postillon blies immerweg Schnengterengtengteng. Es war eine gottlose Musik, aber es marschirte sich doch gut darnach, und dann verscheuchte sie ja auch die Ratten, was eine sehr gute Eigenschaft an aller Musik ist.

Also kam man unangefochten über den Hof und an den Teich, an dessen Ufer das kleine Schiff lag, welches des Pächters Sohn immer auf dem Wasser segeln ließ. Es waren auch hölzerne Matrosen auf demselben, die hatten den Sylvesterabend etwas stark gefeiert und einige hatten über den Durst getrunken und sich schon in ihren Kajüten zu Bett legen müssen. Die andern aber brachen in ein lautes Hurrah aus, als sie die Gesellschaft kommen sahen, sie brachten Alle aufs Schiff und zuletzt auch den Wagen mit den Lebensmitteln. Gott sei Dank, daß der nicht vergessen wurde!

Die Matrosen hißten nun die Segel, das Schiff ging ab; die Soldaten machten linksumschwenkt und marschirten trapp, trapp wieder durch das Rattenloch zurück.

Nach einer Viertelstunde landete man an der Insel, lustig ging der Zug in den Pavillon. Der Kellermeister, der auf Alles bedacht gewesen war, zündete eine Menge Lichter an, daß es hell war wie am Tage; die Bowle wurde bereitet und duftete süß wie reiner Maitrank. Der Kellermeister spielte den Wirth, und da zufällig eine Marketenderin aus der »Regimentstochter« sich unter der Gesellschaft befand, so mußte diese die Gläser kredenzen.

Nun ging auch der Ball los. Der Nachtwächter, der Leiermann und der Postillon kletterten auf einen Stuhl, den sie als Orchester benutzten und schmetterten und bliesen und leierten, daß es eine Art hatte; freilich konnte man dabei leicht aus dem Takt kommen, aber wer gern tanzt, dem ist ja leicht gepfiffen.

Den Ball eröffnete der Tanzmeister mit einer feierlichen Polonäse und beschloß ihn mit einem sinnreichen Cotillon.

Da war es denn Zeit geworden, wieder nach Hause zurück zu kehren. Man bestieg das Schiff, landete glücklich und – so viel Courage hatte ihnen die Bowle gemacht! – marschirte lustig ohne Soldatenbedeckung durch den Rattengang, als spaziere man durch einen Rosensteig.

Schließlich versicherte man sich gegenseitig, daß man sich ganz außerordentlich amusirt habe, und daß sie, wenn sie am nächsten Sylvesterabend noch lebten und beisammen seien, wieder ein solches Fest veranstalten wollten.

Mit diesem Versprechen begaben sich alle wieder an ihre respectiven Plätze, nur der Kellermeister hatte des Guten zu viel gethan, er konnte gar nicht mehr stehen und mußte unten am Fuße des Tannenbaums liegen bleiben. Gott, wie schnarchte der dicke Kellermeister! Es war wirklich unanständig.

Wohl hatte man sich zum nächsten Sylvesterabend wieder ein solches Vergnügen verabredet, aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Als das nächste Christfest kam, war Alles still im Hause; Linchen war bei den Engeln droben und freute sich mit diesen an dem Christbaum, den ihnen der liebe Gott bescheert, und an dem er gewiß viele tausend Sternlein angezündet. Keiner wußte zu erzählen, wohin das Schicksal den dicken Kellermeister, den schwarzen Schornsteinfeger und die Anderen verschlagen, und die artigen Zinnsolden mochten längst im Kriege umgekommen sein.

Amanda saß verlassen im Glasschrank, man sah es ihr an, daß sie viel Thränen darum geweint, daß Linchen sie nicht mit sich in den Himmel genommen, wo es ja so schön sein muß; denn ihre Wangen waren ganz blaß und abgehärmt, und wenn die Mutter zuweilen die bleiche Puppe anschaute, dann weinte auch sie um das kleine Linchen, das jetzt bei den Engeln war.

Die kleine Meta.

In einem Dorfe dicht am Walde lebte eine alte Wittwe mit ihrer Stieftochter.

Beide bewohnten ein kleines Häuschen am Ende des Dorfes an der Waldscheide. Das Häuschen war so wunderhübsch, denn die großen Buchen wölbten ihre grünen Zweige über das Dach und wilder Wein umrankte es von allen Seiten. Oben in den Zweigen kletterte das Eichhorn und warf so muthwillig die Bucheckern auf alle Vorübergehenden, namentlich auf den dicken, wichtigen Schulzen, den es wohl nicht recht leiden konnte, und oben in der Krone des Baumes hatte ein kleiner Blauspecht sein Nest, der lief den ganzen Tag wie eine Maus an dem Baum auf und ab, als wenn er Wunder was zu besorgen hätte, und pickte mit dem Schnabel in die Rinde, daß es in dem Baum tickte wie in einem Uhrgehäuse.

Das sah nun Alles wol recht friedlich aus, aber drinnen in der Hütte keifte die alte Stiefmutter den ganzen Tag und nichts war ihr nach Wunsch, ja es war ihr ganz unwohl, wenn sie einmal nicht zanken konnte, und da sie Niemanden außer der kleinen zwölfjährigen Meta bei sich hatte, so mußte diese recht viel aushalten. War in der Nacht das Gemüse nicht gewachsen, so war die arme Meta daran Schuld, hatten die Hühner keine Eier gelegt, so war die arme Meta daran Schuld, war dem alten Gaul im Stalle sein Bein lahm geworden, so war Meta daran Schuld – kurz es gab in der ganzen weiten Welt nichts, was die arme Meta nicht verbrochen hatte.

Aber Meta war ein artiges Kind und that Alles gern, wie ihr geheißen wurde, das konnte ihr das ganze Dorf bezeugen, und wenn es der Stiefmutter dennoch nicht gut genug war, so suchte sie es immer besser zu machen, bis die Stiefmutter denn endlich wohl zufrieden sein mußte. Ebenso betete sie jeden Abend beim Schlafengehen zum lieben Gott, daß er doch das Gemüse wachsen, die Hühner recht viel Eier legen und dem alten Gaul seinen Hinterfuß nicht steif werden lasse.

Einen Fehler hatte die kleine Meta aber doch. Sie hatte von ihrem Pathen, der zum Jahrmarkt gewesen war, ein kleines hübsches Federmesser geschenkt bekommen, und mit diesem spielte und schnitzte sie trotz allen Verboten der Stiefmutter, bis es denn das Unglück wollte, das sie sich eines Abends bis tief auf den Knochen in den Finger schnitt.

Das war nun eine schöne Geschichte! Wenn es die böse Stiefmutter erfuhr, so bekam sie ganz erschrecklich viel Schelte. Sie suchte daher, was sie an Leinen finden konnte, und wickelte es um den Finger. Aber das Blut wollte und wollte sich nicht stillen lassen, was sie auch dagegen thun mochte. Damit nun ja kein Tröpfchen auf die Erde fallen sollte, hielt sie die Wunde an den Mund und sog das Blut mit den Lippen auf.

Da, o weh, kam die Stiefmutter herein. Meta hielt in ihrer Angst schnell den schlimmen Finger hinter sich und preßte ihn fest in die Hand.

– Was hast Du denn da Rothes am Mund? fragte die Stiefmutter.

– Ich habe im Garten Himbeeren gegessen, liebe Mutter! antwortete Meta, ward aber dabei so roth, wie alle Himbeeren im Garten zusammen nicht waren.

– Dahinter steckt etwas! dachte die Stiefmutter bei sich und kam näher.

– Was ist das da auf der Erde? fragte die Stiefmutter, auf einen kleinen Blutstropfen zeigend.

– Das ist von der Farbe, mit der wir gestern die Blumentöpfe angestrichen haben, antwortete Meta, und ihr Gesicht wurde wieder so roth, wie alle Blumentöpfe zusammen nicht waren.

Nun höre nur Einer, wie die kleine Meta schon lügen konnte!

Aber die Stiefmutter ließ sich nichts weiß machen und es dauerte auch nicht so lange, da war sie hinter die ganze Bescheerung gekommen. Nun sagte sie der Kleinen sehr viel böse Worte: sie werde acht Tage lang nicht arbeiten können, das dumme Federmesser solle in den Brunnen geworfen werden u. s. w.

Was half das indeß Alles, der Finger blutete noch immer fort, alles Leinen war umsonst, das Blut ließ sich nicht stillen.

Da lief die Stiefmutter in ihrer Angst zu der alten Nachbarin, die konnte dicke Hälse und Backen, Geschwulste und Gott weiß, was sonst noch, an Menschen und Thieren besprechen und galt im ganzen Dorfe für eine sehr gelehrte Person, denn ihr Mann war Kuhhirte gewesen und hatte, während er auf der Weide Strümpfe gestrickt, seine Tage hindurch an viele Dinge denken können, an welche andre Leute, die nicht die Kühe hüten, zu denken keine Zeit haben.

Also: die Nachbarin kam, besah Meta's Finger, murmelte lateinische oder griechische oder hebräische Worte, die sie selbst nicht verstand, spuckte (denn das darf beim Besprechen niemals vergessen werden) dreimal auf den Finger und machte allerlei Kreuze und Zeichen und andern dummen Hocuspocus, um das Blut zu stillen. Aber das Blut stand doch nicht still.

Als die Alte nun sah, daß ihre Kunst betteln ging, schüttelte sie den Kopf, meinte, so etwas sei ihr doch ihre Lebtage noch nicht vorgekommen, und begab sich sammt ihrer Sympathie unverrichteter Sache wieder nach Hause.

Da lief die Stiefmutter in ihrer Angst zu dem Feldscherer des Dorfes, der Morgens den Bauern die Bärte abkratzte und Nachmittags Menschen und Thiere curirte und zur Ader ließ. Der Feldscherer kam, besah sich den Finger, schüttelte auch mit dem Kopf und meinte: Hm! hm!

Aber damit war dem Finger wieder nicht geholfen und je mehr der Feldscherer doctorte, desto mehr blutete der Finger.

Der Gregorius (so nannten sie im Dorfe den Chirurgus) meinte ebenfalls: so etwas sei ihm noch gar nicht vorgekommen, er wolle nach Hause laufen und von seiner unfehlbaren Salbe holen, die müsse helfen.

Er ging, kam aber nicht wieder, denn er mochte wohl selbst an seine unfehlbare Salbe nicht glauben.

Inzwischen saß die arme Meta ganz bleich auf dem Rande ihres Bettchens und hielt den Finger über eine Schüssel. Die alte Stiefmutter war außer sich vor Aerger und da sie diesen doch an irgend Etwas auslassen mußte, so nahm sie das Federmesser, ging in den Hof und warf es in den Brunnen.

In demselben Augenblick aber hörte die kleine Meta eine ganz feine Stimme – und was sah sie? Auf dem Rande ihrer Schüssel saß rittlings ein kleiner Däumling.

– Kleine Meta, sagte er zu ihr, das Federmesser, das eben in unsren Brunnen gefallen, hat mir da unten in unsrer Wohnung unter dem Brunnen gesagt, es habe Dich, ohne selbst dafür zu können, in den Finger geschnitten; Du seist aber ein so liebes, artiges Kind, und deshalb sollte ich Dir doch helfen.

– Du?... Aber wie kannst Du denn das? fragte Meta verwundert.

– Davon sollst Du Dich sogleich überzeugen; höre nur zu! antwortete der kleine Däumling. Sieh, wir sind der Däumlinge da unten im Brunnen sehr viele und helfen guten Menschen sehr gerne, indem wir uns in Däumlinge von Gemsleder verwandeln und uns auf ihre Finger setzen lassen; aber wir müssen immer gewiß sein, daß wir nicht gemißbraucht werden, denn wir haben eine geheime Kraft, die den Menschen gar zu leicht verführt, wenn er davon hört. Setze mich also auf Deinen wunden Finger und das Blut wird sogleich gestillt werden; nimm mich aber ja nicht eher wieder ab, als der Finger ganz geheilt ist, denn sonst fängt der Finger gleich wieder an zu bluten und jeder Bluttropfen wird zu einem blanken doppelten Goldstück. Das Gold kann Dir aber dann nichts mehr nutzen, denn der Finger heilt nie wieder und Du mußt sterben.

Man kann sich denken, wie froh die kleine Meta war, als ihr der kleine possirliche Däumling von dem Schüsselrand auf den Arm hüpfte, auf diesem bis zu ihrer Hand balancirte, sich im Nu in einen Däumling von Gemseleder verwandelte und auf ihrem Finger saß. Mit einem Male war auch das böse Blut gestillt.

Gleich darauf kam die Stiefmutter zurück, die dem Federmesser einen tüchtigen Streich gespielt zu haben glaubte und gar keine Ahnung von der Botschaft hatte, die das Federmesser da unten im Brunnen ausgerichtet.

– Was hast Du denn da auf dem Finger sitzen? fragte sie die kleine Meta.

Diese war anfangs ein wenig verlegen, aber da es ja nichts Böses war und ihr der Däumling auch nicht zu schweigen befohlen hatte, so erzählte sie der Stiefmutter, was vorgefallen war.

Nun hätte Einer sehen sollen, was für Augen die alte Stiefmutter mit ihrer Habichtsnase und dem spitzen Kinn machte, als sie von den blanken doppelten Goldstücken hörte. Die Augen hatten ganz gewiß nichts Gutes zu bedeuten.

Da es schon dunkel geworden war, so sagte sie zu der kleinen Meta: sie solle sich ins Bett legen, denn sie sehe so matt und angegriffen aus; sie wolle ihr beim Auskleiden auch behilflich sein.

Das Letztere that sie nun ganz wider ihre Gewohnheit. Meta legte sich ins Bett und die Stiefmutter ging hinaus und sagte: sie wolle nur den Taubenschlag zumachen, dann gehe sie auch sogleich ins Bett.

Kaum war die arme Meta eingeschlafen, als die Stiefmutter leise wieder hereinkam. Aber was hatte sie bei sich? Einen großen, großen Sack, in den wohl drei Scheffel Erbsen hineingingen. Als sie sich nun überzeugt hatte, daß Meta fest schlafe, legte sie den Sack vor Meta's Bett, so daß die offene Seite nach oben gekehrt war, nahm die Hand der Kleinen vom Bette und betrachtete sich den Däumling mit gierigen Augen.

– Laß mich in Ruh, Alte! rief der Däumling; aber das half ihm nicht, die Alte nahm ihn von Meta's Finger und trug ihn zappelnd in ihre Kommode, die sie doppelt und dreimal verschloß. Dann kehrte sie zu der schlafenden Meta zurück.

Am Bette aber ging es inzwischen: klapp, klapp! Ein Goldstück fiel nach dem andern in den Sack. Mit funkelnden Augen setzte sich die Alte an Meta's Bett und freute sich über die vielen Goldstücke, mit denen sich ihr Sack füllte.

So ging es denn klapp, klapp! die ganze Nacht hindurch. Endlich fielen die Goldstücke immer langsamer; aber auch Meta's kleines unschuldiges Herz klopfte immer langsamer und als der erste matte Strahl der Morgensonne ins Kämmerchen drang, da schwiegen die Goldstücke und auch Meta's Herzchen, denn sie hatte sich verblutet und war todt.

Die Alte überschlug nun, wieviel Goldstücke wohl in dem Sacke seien; ihrer Meinung nach mußten es wenigstens einige Tausend sein und da sie alle doppelt, so war sie eine reiche Frau geworden.

Jetzt mußte aber der Sack bei Seite geschafft werden, und das war gewiß nicht so leicht. Er sollte in die Speisekammer kommen; da er aber so schwer war, daß wohl vier Männer daran zu tragen gehabt hätten, so nahm sie von den Goldstücken immer eine halbe Schürze voll, trug diese in die Speisekammer und schleppte so lange, bis auch nicht ein einziges mehr in dem Sack war. Eine volle Stunde hatte sie zu der Arbeit gebraucht.

Was sollte sie nun mit der kleinen Meta anfangen, die todt auf dem Bette lag und so bleich war, wie ein kleiner trauriger Engel, der vom lieben Gott Schelte bekommen hat. Wenn sie aussagte, Meta habe sich in der Nacht verblutet, so bekam sie die Leute im ganzen Dorf auf den Hals, weil sie keine weitere Hilfe herbeigerufen hatte; aber was sollte sie anders sagen?

Da fiel ihr ein Gedanke ein. Sie wollte die todte Meta in den Brunnen werfen und aussagen, Meta sei gestern in den Wald gegangen, um heilende Kräuter für ihren Finger zu suchen, und nicht wiedergekommen.

So geschah es denn auch, sobald sie Meta heimlich in den Brunnen geworfen und ihre Kleider bei Seite geschafft hatte. Und der Schulze bot die ganze Dorfmannschaft auf, der Pächter und der Pfarrer schickten ihre Knechte, die mußten den ganzen Tag hindurch nach der verlornen Meta im Walde suchen. Aber sie fanden das Mädchen nicht, und das hätte ihnen die garstige Alte wohl vorher sagen können. Desto mehr jedoch weinte sie und stellte sich untröstlich, die böse, alte Hexe!

Acht Tage darauf lud die Alte eines Abends ganz spät, als es recht dunkel war, mehre Säcke und einen kleinen Kasten auf ihren Leiterwagen, mit dem sie immer Gemüse zu Markt zu fahren pflegte, spannte ihren Gaul vor und sagte den Nachbarn, sie wolle Kartoffeln nach der Stadt fahren, die schon am Morgen ganz zeitig abgeliefert werden müßten. Das war aber gar nicht wahr, denn in den Säcken hatte sie ihre Goldstücke und nur oben auf lagen Kartoffeln, in dem Kästchen aber hielt sie den kleinen Däumling verschlossen, den sie bewachte wie ihren Augapfel.

Sie verschloß und verriegelte ihre Hausthür, kutschirte ab und kein Mensch hat sie wieder im Dorfe gesehen. Gott weiß, was für Absichten sie hatte, aber in ihrem Hause konnte sie's nicht mehr aushalten, denn alle Abende sah sie an dem Strick des Brunnens eine Menge kleiner gelber Männchen auf und ab klettern, die waren so groß wie ein Daumen und riefen ihr immer zu:

»Wart', Alte, das ist Dir nicht geschenkt,
Du hast ja die kleine Meta ertränkt.
Auch glücklich wirst Du nicht auf der Erd',
Denn Du hast unser Brüderchen eingesperrt!«

Wenn sie das hörte, da zitterte sie an Händen und Füßen und war nur froh, daß die Nachbarn nicht so nahe wohnten, es mit anhören zu können.

Inzwischen war die kleine Meta in einem wunderschönen unterirdischen Schlafzimmer erwacht, das war so hell erleuchtet wie am lichten Tage, denn es brannten wohl hundert prächtige Kronleuchter von Bergkrystall darin. Sie besah sich und fand sich auf einem Bette, dessen Laken so fein waren wie Spinngewebe, die Bettstelle aber war von gediegenem Gold und Silber und die Vorhänge des Bettes waren so weiß wie frischgefallener Schnee. Ueber ihr aber bestand die Decke des Himmelbettes aus einem schönen Spiegel. In den schaute sie und erschrak, denn sie war ja so weiß wie die Kreide an der Wand.

Meta richtete sich im Bette auf und blickte umher. Da sah sie denn durch die Glasthür ihres Schlafgemaches mehre wunderschöne Säle, in denen saßen wohl an fünfhundert kleiner gelber Männchen an langen silbernen Tischen. Sie tranken gerade Kaffee und stippten Zwiebacke ein, so klein wie Perlemutterknöpfchen. An Meta's Bette saßen sechs kleine Frauen, die sagten, sie seien zu ihren Kammerzofen ernannt und hätten von dem Obersten der Däumlinge den Auftrag, der kleinen Meta pünktlich Alles zu schaffen, was sie verlangen werde.

Meta wollte jetzt wissen, wo sie sei. Man erzählte ihr, was die böse Stiefmutter mit ihr gemacht und wie diese im Dorfe dann ausgesagt habe, sie sei in den Wald gegangen und nicht wiedergekehrt. Meta weinte nun sehr und wollte doch wieder zu ihrer Stiefmutter. Die Kammerzofen aber zeigten ihr wunderschöne von Gold und Silber und himmelblau gestickte Kleider, die schon für sie bereit lagen. Diese mußte sie anziehen und als das geschehen war, führte man sie zu dem Könige der Däumlinge; der saß auf einem Throne von Perlen, Rubinen und Diamanten und war so klein, daß man ihn recht gut zum Zierrath auf die Kommode hätte stellen können.

Es war possirlich mit anzusehen, wie all die kleinen Däumlinge, an denen sie vorbeikam, aufstanden, ihr einen Kratzfuß machten und dann ehrerbietig den Saum ihres Kleides küßten.

Der König der Däumlinge aber empfing sie sehr freundlich, sie mußte vor ihm niederknien, damit sie ihn recht hören könne, denn sie war wohl an zehnmal größer als er sammt seinem Diamanten- und Rubinen-Thron. Er aber sagte ihr: die Stiefmutter sei ganz plötzlich aus dem Dorfe verschwunden, und wenn das auch nicht der Fall wäre, so hätte sie doch nicht wieder zu ihr gehen können, da sie bei ihr des Lebens nicht mehr sicher sein würde; Meta sei so unvorsichtig gewesen, ihr das Geheimniß des Däumlings zu verrathen, der nun dafür büßen müsse, indem die Alte ihn eingeschlossen halte und sorgfältig bewache, um ihn zur Sättigung ihrer Habsucht zu mißbrauchen. Gehe sie aber wieder zu der alten Stiefmutter, so werde ihr diese doch das Leben wieder nehmen, und einmal könnten die Zwerge sie nur vom Tode erretten.

Meta weinte nun bitterlich darüber, daß sie ihre schönen rothen Wangen verloren habe.

– Ja, sagte der König der Däumlinge achselzuckend, das kommt daher, daß Du all Dein Blut verloren hast; Du wirst Dein ganzes Leben hindurch bleich sein, aber da Du ein so gutes Kind bist, wollen wir dafür sorgen, daß Du glücklich werdest. Einstweilen mußt Du nun bei uns bleiben.

So tröstete sich Meta denn und lebte sechs Jahre lang glücklich bei den Däumlingen unter dem Brunnen; sie wurde auch größer und schöner, aber bleich blieb sie doch.

Wollt Ihr nun wissen, was inzwischen aus der bösen Stiefmutter geworden ist?

Die fuhr mit ihrem Gaul und ihren Kartoffelsäcken immer und immer fort, bis sie in eine fremde Stadt kam. Dort fuhr sie vor ein großes Gasthaus und sagte zu dem Wirth: sie sei eine sehr vornehme Dame, da sie aber viele Schätze bei sich führe, so habe sie diese schlechten Kleider angezogen und sich diesen unscheinbaren Wagen gekauft, um unterweges nicht von Räubern angefallen und geplündert zu werden.

Als der Wirth ihre Säcke von Gold sah, glaubte er ihr aufs Wort, denn wenn die Leute nur Geld sehen, so glauben sie ja Alles.

Die Alte aber kaufte sich seidene und sammetne Kleider, Diamantenschmuck, schöne Ketten und Armspangen, eine mit Gold ausgeschlagene Equipage mit vier Schimmeln, miethete sich stattliche Lakaien, die einen dreieckigen Tressenhut auf hatten und so viel Goldschnüre auf dem Leibe trugen, daß man die Farbe ihrer Röcke nicht unterscheiden konnte, und so fuhr sie dann in eine große Hauptstadt, in welcher der König lebte und sehr viele vornehme Leute wohnten.

Hier gab sie sich für eine Gräfin von altem Adel aus, kaufte sich eins der prächtigsten Häuser, gab glänzende Bälle und Feste und sah Barone, Grafen und Fürsten bei sich, die ihr das viele Geld verzehren halfen.

So ging das Alles gut; aber natürlich kam sie bei diesem Leben ihren Geldsäcken bald auf den Boden. Der Reichthum jedoch hatte schon ihr Herz so schlecht gemacht, daß sie sich vor gar keiner Missethat mehr scheute. Um wieder frisches Geld zu heben, lockte sie sich Abends fremde Kinder ins Haus, denen zeigte sie alle ihre schönen Sachen und gab ihnen Confect, das mit einem Schlaftrunk gefüllt war. Wenn nun diese Kinder einschliefen, so schnitt sie dieselben in den Finger, setzte ihnen einen Augenblick den Däumling auf, den sie dann sorgfältig wieder verschloß, und das Blut der Kinder wurde zu lauter Goldstücken. Viele arme Kinder hatte sie nun schon ums Leben gebracht wie die kleine Meta.

Endlich war wieder einmal ihr Geld erschöpft. Mehre Tage schaute sie aus, ob sie nicht einige Kinder in der Nähe sehen könne; aber es ließ sich kein solches blicken, denn in der Stadt ging das Gespräch, man habe schon mehrmals kleine Kinder in dieses Haus gehen, aber nie wieder herauskommen sehen, deshalb hüteten alle Eltern ihre Kinder vor der Nähe dieses Hauses. Allerdings sagten die Leute dies einander nicht laut, denn behüte, wer konnte es wohl wagen, einer so reichen und mächtigen Dame so etwas laut nachzusagen; aber was sich die Leute nicht laut erzählten, das erzählten sie sich doch leise und auch die Eltern der armen, umgebrachten Kinder wagten es nicht, eine so hohe Dame öffentlich zu beschuldigen.

Genug: es kam kein Kind mehr in die Nähe der Alten. In ihrer Verzweiflung machte sie daher eines Nachts kurzen Proceß, schnitt sich selbst in den Finger, setzte den Däumling auf, nahm ihn wieder ab und hörte zu ihrer Freude alsbald die doppelten Goldstücke klappern.

Als sie nun glaubte, es seien ihrer vorläufig genug, setzte sie den Däumling wieder auf. Da aber bekam sie einen erschrecklichen Schmerz in die Hand; es brannte ihr in allen Fingern, als sitze lebendiges Feuer darin und dieser Schmerz zuckte ihr durch alle Glieder. Eilig lief sie zum Waschbecken und steckte die Hand hinein, um den Schmerz zu kühlen; aber Alles half nichts; der Schmerz wurde ärger und ärger.

Sie warf den Däumling wüthend in die Ecke, der aber fing an zu lachen und rief: Etsch! Siehst Du, Alte, jetzt hast Du Dich selbst angeführt; du mußt sterben!

Da erinnerte sich die Alte der Worte, welche ihr Meta gesagt hatte, nämlich: daß die Wunde nie wieder heile, wenn man den Däumling einmal vom Finger genommen.

Eine entsetzliche Angst überfiel sie; alle ihre Diener mußten zusammen kommen und noch in der Nacht zu den Aerzten laufen. Diese kamen auch, wohl zwanzig an der Zahl. Einer von ihnen war immer klüger als der andre, und wollte noch ein besseres Mittel wissen; indeß die Wunde ward immer schlimmer, der Schmerz immer ärger, trotz all den Aerzten, Professoren und Medicinalräthen der Welt, die sie zusammen holen ließ, und ehe der zehnte Tag verstrichen, war der kalte Brand dazu gekommen; die Hand wurde ihr abgenommen, aber da schlug der Brand in ihren Arm und als der zwölfte Tag gekommen war, starb sie unter den schrecklichsten Schmerzen.

Kaum war sie nun todt, da stellten sich wohl ein Dutzend vornehmer Personen ein, mit denen sie näheren Umgang gehabt und die sie bei ihren Lebzeiten für ihre Verwandten ausgegeben hatte. Diese erklärten, sie seien die Erben der seligen Gräfin und wollten sich in ihren schönen Palast, in die glänzenden Möbeln, Equipagen, Pferde etc. theilen.

Als nun aber diese Theilung gerichtlich vor sich gehen sollte und die Richter und die Erben in dem großen Saale versammelt waren, saß der kleine Däumling, der nun wieder seine Freiheit hatte, in einem Blumentopf versteckt auf dem Fenster und rief immer: »Sie war ja gar keine Gräfin, und Ihr seid auch gar nicht ihre Erben; aber ich weiß Eine, die ihre rechte Erbin ist, und die kann jeden Tag hier sein!«

Die Richter und die falschen Erben horchten hoch auf, wußten jedoch nicht, woher die Stimme kam, und setzten ihr Geschäft ruhig fort; der Däumling aber saß immer in seinem Versteck und wiederholte seine Worte alle Tage. Am letzten Tage nun, als die Theilung zu Ende gehen sollte, rief er: »Ihr seid Alle falsche Erben; die einzige rechte Erbin ist eben vor das Haus gefahren und kann jeden Augenblick hier sein!«

Und wieder horchten die Richter und die Erben hoch auf. Da öffnete sich die Thür und ein wunderschönes Mädchen in einem von Gold und Silber gewirkten Kleide trat ein; sie war so überaus schön, daß es sich gar nicht beschreiben läßt, aber bleich war sie, sehr bleich, und wir wissen auch, warum sie so bleich, denn sie war ja die schöne Meta, die von den Däumlingen hergeschickt worden, um die Erbschaft ihrer Stiefmutter in Empfang zu nehmen.

Meta faßte sich ein Herz und erklärte den Richtern und den falschen Erben, daß sie die rechte Erbin, nämlich die Stieftochter der Verstorbenen sei; dieser Reichthum gehöre ihr, da er aus ihrem Herzblut gekommen sei, und ihn in Empfang zu nehmen, sei sie erschienen. Gleichzeitig erzählte sie ihnen auch, wer die Todte eigentlich gewesen und wie sich Alles zugetragen habe.

Aber die Richter schüttelten ungläubig den Kopf, und die falschen Erben erklärten sie für eine Lügnerin und Betrügerin und verlangten sogar von den Richtern, sie solle als eine solche eingesperrt werden.

Die Richter hingegen erklärten, das könnten sie nicht verantworten, wenn aber Meta wirklich die Stieftochter der Verstorbenen sei, so solle sie dies durch Zeugen beweisen.

Die Erben bestanden jedoch auf ihrem Willen und da sie lauter vornehme Leute waren, so gaben die Richter ihnen endlich nach, und die arme Meta wurde in ein Gefängniß geführt, wo man ihr sagte: sie habe nun vier Wochen Frist, ihre Rechte durch glaubwürdige Zeugen zu beweisen, wenn sie das aber nicht könne, so werde sie als eine Betrügerin zu schwerer Strafe verurtheilt werden. Damit schlossen sie die Gefängnißthür und Meta war allein.

Da hatte sich nun die gute Meta eine schöne Suppe eingebrockt! Sie fühlte sich so unglücklich, so verlassen, und wie sollte sie wohl der Strafe entgehen, da sie ja keine Zeugen aufbringen konnte!

Plötzlich hörte sie leise an's Fenster klopfen; sie öffnete und siehe da: die sechs Däumlinge, welche sie in einem stattlichen Wagen bis zu dieser Stadt geführt hatten, stiegen durch das Fenster herein.

– Ich wußte ja, daß Ihr mich nicht verlassen würdet! rief Meta erfreut und trocknete ihre Thränen.

Die Däumlinge aber meinten, das sei eine böse Geschichte, aus der sie Meta mit allen Ehren herausziehen müßten, denn eine solche Wendung der Dinge hätten sie nicht erwartet.

Nun hielten sie einen Rath und noch an demselben Tage wurde ein Bote nach dem Dorfe geschickt, in welchem Meta früher gelebt hatte. Dieses Dorf aber war so weit, daß der Bote erst in drei Wochen frühestens wieder zurück sein konnte. Meta mußte sich daher in Geduld fassen; die Däumlinge thaten alles Mögliche, ihr die Gefangenschaft zu erleichtern, und die Richter gestatteten ihr, alle Tage zwei Stunden in dem Hofe des Gefängnisses spazieren zu gehen.

Bei solchen Gelegenheiten wurde sie nun von Manchen gesehen und alsbald verbreitete sich der Ruf von ihrer wunderbaren Schönheit in der ganzen Hauptstadt.

Auch der einzige Sohn des Königs, der Kronprinz, hörte davon und war neugierig, die seltene Schönheit zu sehen. Er ließ sich daher eines Tages in das Gefängniß und an ein Fenster führen, von welchem aus er Meta im Hofe sehen konnte. Lange schaute er sie an; dann aber wandte er sich plötzlich vom Fenster, trat mit seinem Begleiter vor die Thür, stieg in den Wagen und fuhr davon. Wahrscheinlich mochte ihm Meta doch nicht so schön erschienen sein, wie er sie dem Gerüchte nach erwartet hatte.

Eine Woche verstrich, zwei, drei und vier Wochen verstrichen. Da kam der lange erwartete Bote am Tage vor Ablauf der Frist zurück; aber Zeugen brachte er nicht mit, denn im Dorfe hatten ihm Alle gesagt, die kleine Meta sei schon vor sechs Jahren gestorben.

Meta weinte wieder und rang in ihrem Gefängniß verzweifelt ihre Hände; die Däumlinge aber suchten sie zu trösten und sagten ihr: sie solle sich nur ruhig von den Richtern verurtheilen lassen, denn wenn sie auch in einen Kerker von Eisen und Granit geworfen würde, so wollten sie Meta dennoch befreien, das sei für sie gar kein Kunststück.

Und der Morgen kam, an welchem Meta als eine Betrügerin vor die Richter geführt und verurtheilt werden sollte. Meta weinte wiederum bitterlich, die Däumlinge aber warfen sich ins Geheim lächelnde Blicke zu und sagten ihr, sie solle nur ganz unbesorgt sein, denn es sei nicht Alles so schlimm, wie es aussehe. Meta aber wäre so gern bei den Menschen geblieben, denn wenn es ihr bei den Däumlingen auch sehr wohl erging, so liebte sie doch die freie Natur und die Sonne und die Sterne so sehr, die sie unter der Erde sechs Jahre lang nicht hatte sehen können.

Da hörte sie einen Wagen vorfahren.

– Jetzt holt man mich! rief sie erschreckt.

– Ja, antworteten die Däumlinge, innerlich lachend; man holt Dich, aber es ist doch nicht Alles so schlimm, wie es aussieht.

Die Thür ging auf. Meta barg ängstlich das Gesicht in den Händen. Aber anstatt der Richter oder der Gefängnißknechte trat, von vier Hofherren mit Orden auf der Brust begleitet, der Kronprinz herein. Der ging auf Meta zu, nahm ihre Hand und sagte zu ihr: er habe sie neulich im Gefängnißhofe gesehen und seiner Mutter, der Königin, von ihr gesagt. Diese sei nun willens, sie zu ihrer Hofdame zu machen, und habe ihm den Auftrag gegeben, sie abzuholen. Sie solle also mit ihm kommen, sein Wagen stehe vor der Thür.

Gleichzeitig hängte ihr einer der Hofherren einen kostbaren Mantel von Hermelin und dunkelrothem Sammet um und der Kronprinz führte die schöne Meta hinab in den Wagen, wo er neben ihr Platz nahm.

Nach einigen Minuten hielten sie vor einem Palast, der war mit Blumen und Kränzen ausgeschmückt, zahllose Herren und Damen, alle wunderschön geputzt, hatten sich versammelt. Der Kronprinz aber führte Meta zu einem Thron, auf welchem sein Vater und seine Mutter saßen; diese umarmten und küßten Meta und nannten sie ihre Tochter.

Jetzt wußte die verwirrte Meta endlich, woran sie war, denn ehe sie sich dessen versah, wurde Hochzeit gehalten und sie war die Frau des schönen Kronprinzen.

So wurde die kleine Meta Kronprinzessin und nach einigen Jahren eine große und glückliche Königin. Bleich aber ist sie immer geblieben – das kam daher, weil sie sich als Kind in den Finger geschnitten; hätte sie das nicht gethan, so wäre allerdings nicht geschehen, was ich hier erzählt, aber da dieses nicht alle Tage passirt und es überhaupt noch nicht erwiesen, ob diese Geschichte wahr ist, so nehme man lieber seine Finger in Acht, das ist das Sicherste.

Warum der Storch immer so geht.

Auf einem spitzen Felsen im Steyrischen Hochgebirge horstete ein Adler mit seiner Frau und einer einzigen Tochter, die seine größte Freude war.

Das Adlerfräulein war auch schon in dem Alter, daß sie recht gut heirathen konnte, und das hätte sie auch sicherlich gethan, wenn in der ganzen Umgegend noch eine zweite Adlerfamilie gewesen wäre. Aber die war nicht da.

Diesen Umstand benutzten nun der junge Storch, der unten im Bauernhofe ein eignes Nest hatte, und der Sohn einer Eulenfamilie, welche in dem alten verfallenen Kloster ganz in der Nähe wohnte. Beide suchten sich dem Adlerfräulein angenehm zu machen und wollten sie gern heirathen.

Eines Tages also putzte sich der Storch die Federn sehr fein, polirte sich den Schnabel und die Beine, daß sie glänzten wie Karfunkelstein, und flog dann zum Adler hinauf. Der saß gerade mit seiner Tochter und speiste einen Rehbraten zu Abend. Storch mußte an der Mahlzeit Theil nehmen, und als sie gegessen und sich die Schnäbel mit der Serviette gewischt hatten, da meinte der Storch, daß es nun wohl die beste Zeit sei, die Werbung anzubringen. Er faßte sich also ein Herz und hielt bei dem Adlervater um die Hand seiner Tochter an.

Der Vater rollte seine großen Augen sehr und sagte, das komme ihm ganz unerwartet und wie schmeichelhaft ihm auch diese Werbung sei, so müsse er doch den Storch auf Verschiedenes aufmerksam machen, womit seine Tochter gewiß ganz einverstanden sei.

Erstens, meinte er, werde es dem jungen Herrn Storch wohl bekannt sein, daß die Familie der Adler, wie schon der Name andeute, vom ältesten und reinsten Adel sei; die Adler seien alle adlich und ihr Urvater sei bekanntlich noch mehre Tage vor Adam erschaffen worden, wohingegen die Störche nur bürgerlicher Herkunft seien und ja auch stets bei den Bauern wohnten. Indeß, sagte er weiter, er sei nicht stolz und wolle also von diesem Punkte ganz absehen. Aber ein Vater müsse immer auf Anstand halten und deshalb könne er es nicht zugeben, daß seine Tochter einen Mann mit so langen nackten Beinen heirathe, mit denen er sich ja in keiner Gesellschaft von gutem Ton sehen lassen dürfe. Er als Vater müsse sich also gegen diese Heirath erklären und sei überzeugt, daß seine Tochter ihm hierin beipflichte, denn er habe sie stets nach den Grundsätzen des feinsten Anstandes erzogen.

Dabei warf der Vater einen Blick auf seine Tochter; diese machte ein sehr sprödes, zimperliches Gesicht und sagte: »ja, lieber Vater, Du hast ganz Recht!«

Man kann sich denken, wie dem armen Storch zu Muthe war, als er diesen Korb bekam.

Aber der Vater fuhr fort:

– Da hat sich auch schon der Sohn der Frau Eule hier in der Nachbarschaft gemeldet und ich muß sagen, daß mir der junge Herr Eule recht sehr gefällt, denn er hat Geschmack und trägt namentlich seine Beinkleider nach der neuesten Mode bis über die Füße. Aber wie sehr erwünscht es mir auch wäre, meine Tochter mit einem geistlichen Herrn zu vermählen (denn seine Familie wohnt schon seit Menschengedenken in der Abtei hier nebenan) so hat er doch einen großen Fehler: er ist nicht solide genug, er hat zu viel noble Passionen, verschläft den ganzen Tag und schwärmt die ganze Nacht umher. Aus diesem Grunde kann ich auch ihm meine einzige Tochter nicht geben!

Während der Vater noch sprach, kam gerade der junge Herr Eule aus seiner Wohnung, setzte sich auf das Dach des Klosters, gähnte und schaute umher, ob denn die langweilige Sonne noch nicht untergegangen sei. Man sah es dem Nachtschwärmer an, daß er soeben erst aufgestanden war.

Storch musterte prüfend von weitem den Anzug des Herrn Eule, dem die Federn so hübsch bis tief auf die Fußspitzen gewachsen waren, betrachtete dann seine eigenen dünnen Beine und mußte gestehen, daß ihm jener Anzug wohl gefalle. Wenn der also nobel und in der Mode sei, meinte er, so wäre es ihm ein Leichtes, sich auch Beinkleider anzuschaffen.

Der Adlervater sagte, wenn er das könne, so lasse sich über die Sache weiter sprechen, und Storch erklärte, er werde morgen früh pünktlich um 10 Uhr unten auf der Wiese in seinem neuen Anzuge spazieren gehen, der Adler und seine Tochter sollten nur von ihrem Horst aus hinabsehen, so würden sie ihn bemerken.

So weit war man einig und der Storch empfahl sich mit einem tiefen Bückling, wie er ihn gewöhnlich macht.

Noch an demselben Abend traf der Storch den Bauern, als er vom Felde kam. Er ging auf ihn zu und fragte ihn, ob er ihm nicht ein paar Beinkleider borgen könne.

– Hoho!? Was willst Du denn mit Beinkleidern? rief der Bauer und erklärte ihm, für so dünne Beine habe er keine Beinkleider. Indeß ließ er sich doch überreden, ging in das Haus, brachte dem Storch eine weite Pluderhose und sagte ihm, er solle mit derselben ja nicht nach seiner Gewohnheit in den Sumpf gehen, damit sie nicht schmutzig werde, denn sie gehöre seinem Sohn.

Storch flog mit dem Beinkleid in sein Nest, probirte das Ding hier an und meinte, es werde schon gehen, man müsse sich ja an Alles erst gewöhnen.

Am andern Morgen saßen der Adler und seine Tochter auf dem Rande des Felsens und schauten neugierig aus, ob der Storch noch nicht auf der Wiese zu sehen sei. Und richtig, da kam er angewackelt!

Aber, meines Lebens, wie sah der Storch aus! Er hatte so weite Hosen an, als hätte er einen ganzen Sack mit Aepfeln darin stecken, und hob dabei die Beine so hoch und machte so lange Schritte, daß der Adler und seine Tochter sich vor Lachen nicht zu bergen wußten.

Der Storch war aber auch in einer jämmerlichen Lage! Er hatte es sich so schön gedacht, Hosen zu tragen, und was geschah? Kaum kam er auf der Wiese daher spaziert, als sämmtliche Frösche und Kröten laut zu lachen anfingen. Sie hüpften ihm nach und damit er sie nicht kriegen könne, sprangen sie ihm von unten in seine weiten Pluderhosen und in die Taschen hinein, machten sich da über ihn lustig und riefen:

»Etsch, etsch, Klappermann,
Quak, quak, hat Hosen an!«

So ging es immerfort und um ihn her stimmten alle Frösche auf der Wiese mit ein, daß dem armen Storch ganz übel und schlimm dabei wurde. Aber er sah, daß der Adler und seine Tochter oben saßen, und dachte: »blamiren darfst Du Dich nicht; Du mußt wenigstens Deine Ehre retten!«

Deshalb machte er immer höhere Schritte, um die garstigen Frösche herauszuschütteln. Die aber tanzten um seine nackten Beine und riefen immerfort: »quak, quak, hat Hosen an!« Daher war er denn nur froh, daß er bald die Ecke des Felsens erreichte, hinter welcher ihn der Adler nicht sehen konnte.

Aber ehe er diese noch erreicht hatte, hörte er den Adler und seine Tochter laut auflachen, und als hätte sie sich mit den Fröschen verabredet, rief ihm die Tochter zu:

»Klappermann hat Hosen an!«

Das war nun allerdings sehr unartig von ihr, aber warum hatte der Storch auch Hosen angezogen!

Dies war dem Storch denn doch zu schimpflich; er ließ alle Liebesgedanken fahren, und kaum war er um die Ecke, als er das Beinkleid den Fröschen preisgab und hinter dem Felsen herumflog, so daß ihn niemand bemerken konnte.

An demselben Abend noch hatte der Storch sein Nest verlassen und war nach dem Süden gezogen, und die Bauern meinten, nun werde es wohl bald Winter werden, denn jetzt habe sich auch der letzte Storch auf die Reise begeben.

Seit jener Zeit aber kann der Storch gar nicht anders als so gehen.

Jeder nach seiner Weise.

Draußen in der Abendluft schwärmte ein großer Brummer, der kam an das offene Fenster eines reichen Mannes, flog in das Zimmer und machte hier einen Mordspectakel, wie es die Brummer zu thun pflegen. Bald summte er in der einen, bald in der andern Ecke, bald an dieser, bald an jener Seite und bald wieder stieß er sich den Kopf an den Fensterscheiben, der dumme Brummer, der keine Ahnung davon hatte, daß es Glaser in der Welt gebe.

– Summ, summ, summ! ging es im Zimmer; summ, summ! an den Fenstern; summ, summ! in allen Ecken. Ihm war das Zimmer viel zu eng und hätt' er es sich recht überlegt, so wäre er lieber draußen geblieben.

Plötzlich fing der Theekessel auf dem Tisch an zu singen, denn das Kohlenbecken unter ihm machte ihm das Leben recht heiß, und der Theekessel meinte, der wilde Brummer sei doch ein recht glückliches Thier, der habe Flügel und könne fliegen, wohin er wolle.

– Simm, simm, simm! klagte der arme Theekessel, als die Abendkühle ins Fenster drang, denn er stand wirklich auf Kohlen.

Brummer hörte den Theekessel; er setzte sich oben auf den Rand des Ofens, von wo aus er das Zimmer übersehen konnte, und horchte, wer hier außer ihm im Zimmer noch singen möge.

Da erblickte er den Theekessel und machte sich wieder auf den Weg.

– Summ, summ, summ ... supp! Da saß er auf der Tischdecke und glotzte den Theekessel groß an.

– Was machst Du denn da für eine dumme Musik? sagte er zu dem Theekessel, nachdem er sich einige Male unwillig mit den Vorderfüßen über den dicken Kopf gefahren war.

– Simm, simm, simm! sang der Theekessel, denn ihm war ja so heiß.

– Das ist gar nichts gesagt! fuhr der Brummer fort; wenn Du Dir einbildest, Du könntest singen, so thust Du mir wirklich sehr leid.

– Ich muß ja singen, wenn ich heiß werde, antwortete der Theekessel; das ist so meine Gewohnheit... Simm, simm! sang der Theekessel.

– Du mußt singen? Wo liegt denn die Nothwendigkeit, wenn ich hier schon singe? Ich gehöre zu den Singvögeln, sagte der Brummer und spazierte näher, als wäre er ein ganzer Polizeimeister.

– Laß mich in Ruhe! rief der Theekessel.

– Willst Du zugeben, daß ich besser singen kann als Du? fragte der Brummer.

– Jeder nach seiner Weise! antwortete der Theekessel; wenn es darauf ankommt, singe ich doch höher als Du.

– Das ist nicht wahr, Du einfältiger Theekessel! Gieb nur Acht, ich will es Dir beweisen!

Damit flog der Brummer auf, wirthschaftete im Zimmer hin und her und sang so hoch er konnte; aber es war doch immer nur die alte Tonart.

– Nun, was sagst Du jetzt? fragte er, sich wieder auf den Tisch setzend.

– Ich will nicht mit Dir streiten, aber ich kann doch höher singen; das ist so meine Natur... Simm, simm, simm! rief der Theekessel und sang die höchsten Töne, denn je heißer ihm ward, desto höher mußte er singen.

– Oho! So hoch kann ich auch! Was ist wohl die Natur gegen die Kunst! rief der Brummer.

Und abermals flog er auf, aber es ging doch immer nur summ, summ! Der gute Brummer sang einen erschrecklichen Baß. Der Theekessel jedoch stimmte noch höher mit ein und ließ dabei aus dem kleinen Loch in seinem Deckel den Dampf in die Höhe steigen.

Brummer sah wohl ein, daß er nicht so hoch kommen könne, aber er wollte es doch nicht zugestehen.

– Laß uns noch einmal von vorn anfangen, sagte er; ich werde anstimmen!

Und wieder flog er auf und machte summ, summ, und der Theekessel ließ seinen Dampf aufsteigen und machte simm, simm! noch einmal so hoch als vorhin.

Das war dem Brummer doch zu toll; in seinem Aerger umkreiste er den Theekessel.

– Komm mir um Gotteswillen nicht zu nahe, denn ich bin sehr heiß! warnte ihn der Theekessel.

Brummer aber war zu böse; er glaubte nicht anders, als daß der Theekessel aus dem kleinen Loch singe durch welches er den Dampf aufsteigen ließ, und umschwärmte dieses immer enger.

– Bleib mir vom Leibe! rief der Theekessel. Brummer aber besaß einen entsetzlichen Künstlerneid und ließ sich nicht warnen.

– Summ, summ, summ ... supp! Da saß er auf dem kleinen Loch, durch welches der heiße Dampf ausströmte, und im nächsten Augenblick lag er todt auf der Tischdecke.

– Simm, simm! Ich kann nicht dafür. Jeder nach seiner Weise! sagte der Theekessel.

Brummer aber lag auf dem Rücken und streckte die Beine von sich. Da liegt er noch.

Lebenslauf der Scheere.

Eine kleine Scheere lag am Fenster einer jungen Gräfin und ließ sich von der schönen Morgensonne bescheinen. Sie war sehr hübsch und hatte ein paar Ringe vom feinsten Elfenbein.

– Nein, wie schön ich doch bin! rief sie aus, wenn ein Sonnenstrahl recht hell auf sie schien, daß es durch die ganze Stube blitzte. Man sollte glauben, ich sei von purem Gold!... Aber was sage ich! Stahl ist ja noch viel edler als Gold, denn so wie ich blitzt kein Gold auf der ganzen Welt!... Aber ich bin auch eine sehr vornehme Scheere, und ich kann wohl sagen, daß meine Freundin, die junge Gräfin, recht viel von mir hält!

Während sie so da lag, kam die Stubenmagd herein. Sie sah die schöne Scheere, auf welche sie schon längst ein Auge geworfen hatte, blickte vorsichtig im Zimmer umher, um sich zu überzeugen, ob sie auch allein sei, nahm die Scheere und steckte sie in die Schürzentasche. Weg war sie!

– Willst Du mich wohl wieder hinlegen! rief die Scheere. Ich werde Dir doch nichts nutzen können, denn ich bin es gar nicht gewohnt, mit so groben Händen umzugehen; ich breche sogleich entzwei, wenn mich ein andrer als meine Freundin, die Gräfin, anfaßt.

Aber die Stubenmagd hörte sie nicht und so blieb sie denn in der dunklen Schürzentasche, bis sie oben in der Bodenkammer in einen noch dunkleren Koffer eingeschlossen wurde. Da lag sie bis zum Sonntag, wo sich die Stubenmagd anputzte, die Scheere wieder in die Tasche steckte und ausging.

Eine Stunde darauf befand sie sich in einer ganz andren Gegend der Stadt und in den Händen einer jungen Stickerin.

– Ach, das ist ja eine kleine prächtige Scheere! rief diese, sie betrachtend und fuhr mit den Fingern in die beiden schönen Elfenbeinringe.

– Ja, das will ich meinen! sagte die Scheere; aber viel Nutzen werden Sie nicht von mir haben, denn ich bin nur gewohnt, mit sehr vornehmen Fingern umzugehen, und wenn meine Freundin, die Gräfin, wüßte – – –

– O, das wollen wir doch sehen! sagte die Stickerin und benutzte sie gleich bei ihrer Arbeit. Siehst Du, fuhr sie fort, es geht ganz gut, und wir werden auch schon Freundinnen werden!

– Das glaube ich nicht, antwortete die Scheere, denn wir haben eine zu ungleiche Erziehung; und dann ist auch das Zeug, das Sie hier sticken, lange nicht zart genug; so grobe Arbeit bin ich gar nicht gewohnt!

Aber es ging Alles doch recht gut und die Scheere fügte sich endlich in ihr Schicksal.

– Was Sie für ein niedliches Wesen sind! sagte eines Tages der Stickpfriem, der neben ihr auf dem Tische lag und auch ganz hübsch war, denn er war von ganz blitzblankem Stahl und hatte einen Kopf von rothen Corallen, in welchen ein Gesicht geschnitten war. Auch hatte er Augen, in denen ein paar vergißmeinnichtblaue Perlen saßen.

– Ja, man findet meines Gleichen auch so leicht nicht! antwortete die Scheere stolz.

Ich bin aber auch nicht übel, fuhr der Stickpfriem fort; sehen Sie nur, wie schlank und blank ich bin, und dann betrachten Sie nur mein Gesicht; es hat recht aristokratische Züge, nicht wahr!

– Es ist mir nur zu roth, antwortete die Scheere; im Uebrigen sind Sie ganz passabel.

– Meinen Sie nicht, daß wir ein recht hübsches Paar geben würden? fragte der Stickpfriem.

– Ein Paar? Wohin denken Sie? rief die Scheere. Nein, wenn ich mich hätte verändern wollen, so hätte ich es schon längst thun können.

– Ei, sind Sie denn so spröde, meine Gnädige? fragte der Stickpfriem.

– Nein, das nicht; aber ich will mich nicht übereilen, denn verheirathen kann ich mich jederzeit; es fehlt mir, Gott sei Dank, nicht an Anträgen!

– Wenn das nur gewiß ist! sagte der Stickpfriem zweifelnd.

– Was Sie sich denken! rief die Scheere sehr vornehm. Ich habe schon so viel Anträge gehabt, daß ich sie gar nicht zählen kann; noch ganz zuletzt bei meiner Freundin, der Gräfin, mußte ich einen solchen ablehnen. Der Vater der Gräfin hatte nämlich sieben ganz feine und noble Rasirmesser, die wohnten alle in einem Hause, das inwendig ganz mit rothem Sammet austapezirt und mit einem großen Trumeau versehen war. Es waren sieben Brüder, alle von sehr guter Herkunft; der Eine hieß Lundi, der Andre Mardi, der Dritte Mecredi u. s. w. Alle wollten sie mich gern haben, und namentlich ist der Jüngste, er heißt Samedi, recht unglücklich um meinetwillen geworden; aber ich wollte keinen Unfrieden zwischen den Brüdern anstiften, sonst hätte ich ihn wohl genommen, denn Platz hätte der junge Samedi in seinem hübschen Häuschen wohl noch für eine Frau gehabt. Der Arme ist nun aus Gram ganz rostig geworden, zu gar nichts mehr zu gebrauchen und wird es wohl nicht mehr lange machen.

Dem armen Stickpfriem that dieser Korb recht weh. Er wiederholte noch einmal seinen Antrag, bekam aber wieder eine abschlägliche Antwort. Das schmerzte ihn so, daß er klare Thränen vergoß und sich seine beiden blauen Vergißmeinnichtsaugen aus dem Kopfe weinte. Jetzt war er also blind, und da sie sehr herzlos war, konnte er nicht einmal erwarten, daß die Scheere ihn jetzt aus Mitleid nehmen werde.

Vierzehn Tage hindurch verschloß er den Gram in seiner Brust, dann aber konnte er es nicht länger aushalten.

– Ich muß meinem Leben ein Ende machen, wenn Sie sich meiner nicht erbarmen wollen, klagte er der Scheere. Blind bin ich nun schon um Ihretwillen geworden, das Leben hat also gar keinen Reiz mehr für mich!

– Das bedaure ich sehr! antwortete die Scheere recht herzlos. Aber wer kann für seine Gefühle!

Der Stickpfriem faßte innerlich den Entschluß, nunmehr vom Leben zu scheiden, und da er gerade am offnen Fenster lag, so sprang er hinaus, um entweder auf dem Steinpflaster das Genick zu brechen oder in den Wellen des Rinnsteins seinen Tod zu finden.

Und richtig geschah das erstere. Er brach den Hals und der schöne Corallenkopf sprang mitten auseinander.

– Da sieht man wieder, wohin eine unglückliche Liebe führen kann! sagte die Scheere, ihm nachblickend. Wer hat ihn auch geheißen, sich in mich zu verlieben! Weiß Gott, ich konnte ihm doch nicht helfen!

Darauf schaute sie in den kleinen Spiegel, der neben dem Nadelkissen angebracht war, und fand sich sehr schön.

– Es ist kein Wunder, wenn sich Alles in mich verliebt! sagte sie; aber umsonst bin ich auch nicht so schön!

Inzwischen ward es Abend. Der Nähtisch wurde zugeklappt, und die Scheere meinte: Nun, da es dunkel ist, kannst Du schlafen! – – – Und sie schlief und dachte mit keinem Gedanken an den unglücklichen Stickpfriem.

Am Morgen aber wartete sie vergebens, daß der Nähtisch geöffnet werden solle. Tage vergingen, der Tisch aber blieb verschlossen, so daß der armen Scheere endlich schon ganz bange wurde. Sie wußte ja nicht, daß ihre Herrin, die Stickerin, in der Nacht gestorben war, daß Leute gekommen, die das Zimmer versiegelten, und acht Tage lang kein Mensch hereinkam.

Endlich am neunten Tage ward der Nähtisch geöffnet. Die Scheere sah zu ihrer Verwunderung wohl zwanzig Menschen im Zimmer und Einer war unter ihnen, der einen Hammer in der Hand hielt; es war der Auctionator, der den kleinen Nachlaß der Stickerin versteigerte.

Alles wurde nun zu Spottpreisen verkauft, und die schöne Scheere fiel – man denke sich! – für zwei Groschen einer armen Nähterin zu.

– Fassen Sie mich nicht an! rief ihr die Scheere zu; ich passe gar nicht für Sie; es war auch schon unter meiner Würde, als ich mich bei einer Stickerin aufhielt. Sie wissen gar nicht, wer ich bin, sonst hätten Sie viel mehr für mich gegeben. Wenn meine Freundin, die Gräfin, hier gewesen wäre, sie hätte hundert Thaler für mich bezahlt!

Um den Händen der Nähterin zu entgehen, machte die Scheere einen Sprung vom Tisch, und – o weh! – sie brach einen von ihren Elfenbeinringen!

– Wie Schade! rief die Nähterin. Aber das läßt sich noch flicken!

Sie nahm die Scheere und das Stück, welches aus dem Ring gebrochen war und ging zu einem Drechsler, der mußte einen andern Ring einsetzen.

So kam die Scheere zu der Nähterin. Schön war sie noch immer, obgleich sie schon geflickt war.

Bei der Nähterin machte sie nun die Bekanntschaft eines Federmessers, das eine recht niedliche Perlemutterschale und auf derselben ein Vergißmeinnicht von Neusilber hatte.

Das Unglück wollte, daß auch das Federmesser sich in die Scheere verliebte und sie fragte, ob sie nicht ein Paar werden wollten.

– Ach, dann hätte ich wohl auf Sie zu warten brauchen! rief die Scheere hochmüthig. Aber ich will Ihnen doch einen guten Rath geben: es sind schon Viele um meinetwillen an gebrochenem Herzen gestorben; sehen Sie sich nur vor, daß es Ihnen nicht auch so geht, es sollte mir Leid um Sie thun!

– So? Na, da wäre ich doch neugierig! rief das Federmesser. Erzählen Sie mir doch!

Und nun erzählte die Scheere von dem jungen Samedi, der um ihretwillen ganz rostig geworden und wenn er noch lebe, es gewiß nicht lange mehr machen werde, und von dem Stickpfriem, der sich um ihretwillen die beiden Vergißmeinnichtaugen ausgeweint und sich endlich aus unglücklicher Liebe zum Fenster hinausgestürzt habe.

– Sie haben also alle Ursache, auf Ihrer Hut zu sein, schloß die Scheere ihre Erzählung, zumal Sie auch ein Vergißmeinnicht tragen, das mich lebhaft an den armen Stickpfriem erinnert. – Ich bin zu schön, als daß sich ein Federmesser auf mich Hoffnung machen könnte! setzte sie stolz hinzu.

– Nun, mit Ihrer Schönheit geht es doch noch an; es giebt noch viel Schönere als Sie. Sehen Sie doch nur, Sie sind ja schon geflickt! sagte das Federmesser auf den einen Ring zeigend.

– Das ist kein Fehler, entgegnete die Scheere; das ist so Mode, es sieht interessant aus... Vergessen Sie mich nur, denn sonst bricht Ihnen am Ende auch noch das Herz; Beispiele sind da!

– Ich werde mich hüten! antwortete das Federmesser verletzt, denn eine zurückgewiesene Liebe ist kein Spaß, die kann die besten Freunde erzürnen; davon sind auch schon Beispiele da.

So redeten die Scheere und das Federmesser von dem Augenblick ab kein Wort mehr mit einander, und wenn die Scheere nach der Ursache dieser Feindschaft gefragt wurde, antwortete sie, das Federmesser sei verwegen genug gewesen, das Auge zu ihr zu erheben, und da sie ihm einen Korb habe geben müssen, so seien sie böse auf einander geworden. Die Scheere hätte über diesen kitzlichen Punkt auch wohl lieber schweigen können, aber sie war ja ein Frauenzimmer.

Als das Quartal zu Ende ging, konnte die Nähterin ihre Miethe nicht bezahlen, mußte über Hals und Kopf ausziehen, und der Hauswirth nahm ihre Sachen in Beschlag, unter diesen auch die kleine Scheere, die nun in die rauhen Hände einer Schlosserfrau wanderte, an welche sie verschenkt wurde. Diese Frau hatte viele Kinder, die immer mit der hübschen Scheere spielten und ihr endlich beide Ringe abbrachen. Der Schlosser wußte indeß zu helfen und machte ihr ein paar Ringe von Draht, so daß sie wenigstens noch zu gebrauchen war.

– Das ist das Loos des Schönen! Jetzt ist mein ganzer Stolz dahin! seufzte die Scheere und weinte; ich glaube nicht, daß ich dies lange überleben werde!

Aber man stirbt doch nicht immer sogleich vom Gram. Die Scheere lebte noch weiter und hatte sie keine Elfenbeinringe mehr, so prahlte sie doch damit, daß sie welche gehabt hatte, und erzählte einer knöchernen Nadelbüchse alle Tage von den vielen Eroberungen, die sie gemacht, von dem unglücklichen jungen Samedi, dem Stickpfriem und dem Federmesser, von welchem letzteren sie der Nadelbüchse vorlog, es habe sich aus unglücklicher Liebe zu ihr vergiftet.

– Man muß nicht Alles glauben, was die Leute prahlen! sagte die Nadelbüchse zum Troste für sich selbst, denn um sie hatte sich noch nie Jemand ein Leid's angethan.

Eines Tages nun hatten die Kinder draußen vor der Hausthür mit der Scheere gespielt und ließen sie auf der Straße liegen. Ein Mädchen kam vorbei, nahm sie mit und brachte sie ihren Eltern. So kam die Scheere in das Haus eines Sattlers.

– Wie ordinär es hier nach Leder riecht! sagte die Scheere, als sie in der Arbeitsstube des Sattlers neben mehren Werkzeugen lag. Diesen Geruch ertrage ich nicht, meine Nerven sind für eine solche Atmosphäre viel zu fein!

– Nur nicht so zimperlich, Fräulein Scheere! rief eine kleine Zange neben ihr; wirst's schon gewohnt werden, und so fein siehst Du mir auch eben nicht aus, daß Du etwas Besseres wärest als wir Andern!

– O ja, ich bin aus sehr vornehmem Hause! Gott, wenn meine Freundin, die Gräfin, wüßte, daß ich hier bin! – – – Uebrigens habe ich gar nicht die Ehre, Sie zu kennen, antwortete die Scheere, sich umdrehend. – – – Das ist gar kein Umgang für eine gebildete Scheere, wie Du bist! sagte sie zu sich selbst; die Zangen haben immer ein so böses Maul!

Da erblickte sie auf ihrer andren Seite eine Sattlerahle, die ein ganz neues Heft hatte. Sie wollte ihren Augen nicht trauen, als sie in derselben den ehemaligen Stickpfriem erkannte.

– Gott, wie ist der Arme heruntergekommen! sagte sie für sich – – – – Aber ist's denn möglich, sind Sie noch am Leben? Sie glauben nicht, wie mich das freut! rief sie dem ehemaligen Stickpfriem zu. So können wir ja jetzt unsere alte Bekanntschaft erneuern!

Aber der ehemalige Stickpfriem erkannte sie nicht mehr oder wollte sie nicht mehr kennen; er war nämlich seit jener unglücklichen Geschichte ganz tiefsinnig geworden und jedesmal wenn er ein Stück Leder vor sich sah, bohrte er sich tief hinein aus reinem Lebensüberdruß. So war er denn dem Leder recht gefährlich.

Die Scheere dachte nun bei sich: im Grunde sieht er doch noch ganz reputirlich aus; vielleicht könnte doch noch ein Paar aus uns werden! – Sie ließ sich dies auch ganz gut merken, er aber haßte Alles, was ihn umgab, und von der Scheere wollte er erst recht nichts wissen. Ja, die Letztere vergaß sich in ihrer Heirathssucht, um nur an den Mann zu kommen, so weit, daß sie ihm ganz unzweideutige Anerbietungen machte, und daß die Zange sich genöthigt sah, ihren Mund aufzuthun und den übrigen Werkzeugen zu erzählen, ein solches Frauenzimmer sei ihr noch gar nicht vorgekommen, man müsse auf seinen Ruf bedacht sein und sich ja nicht mit ihr abgeben, denn sie habe dem ehemaligen Stickpfriem Heirathsanträge gemacht, vor denen jedes sittsame Frauenzimmer erröthen müsse.

So kam es denn, daß Keiner mit ihr umgehen wollte und die Scheere immer allein blieb. Einmal wurde ihr aber doch die Zeit lang, sie mischte sich unter die Andern, wurde von diesen jedoch so gedrängt und gestoßen, daß sie auf die Erde fiel und ihre eine Spitze brach.

– Das ist mein Letztes! rief die Scheere, vor Schmerz laut aufschreiend. Schickt nur schnell nach dem Doctor, sonst bin ich gar nicht mehr zu heilen!

– Bring' das schlechte Ding auf den Boden und wirf es zu dem alten Eisen! sagte die Sattlerfrau, ihrer Tochter die Scheere gebend. Diese trug sie auf den Boden und warf sie in einen Kasten, in welchem lauter alte verrostete eiserne Werkzeuge lagen.

– Die müssen hier alle von recht altem Adel sein, sagte die Scheere, sich in dem großen, offenen Kasten umschauend; sie sehen alle so ehrwürdig verrostet aus!

Mit diesem Gedanken tröstete sich die Scheere und fing alsbald an, ihren Nachbarn, alten verrosteten Nägeln, Feilen und Haken, von ihren früheren Eroberungen zu erzählen. Die aber waren alle sehr mürrisch und sprachen Tage lang kein Wort. Endlich wurde auch die Scheere immer stiller, denn es regnete durch das Dach in den offenen Kasten, und als sie sich eines Morgens besah, war sie über und über voll Rostflecken.

– Ich glaube, ich fange auch schon an, alt zu werden, sagte die Scheere zu sich; es wird wohl Zeit, daß ich mich mit höheren Dingen beschäftige! –

Und da wurde denn die Scheere fromm und sprach den ganzen Tag hindurch von nichts als vom ewigen Himmelreich. –

Die zehn Rosen vom Sinai.

Hoch oben auf dem Berge Sinai da wächst seit Jahrtausenden ein großer, unendlicher Rosenstock, der breitet seine Zweige hoch über das ganze Weltall; die Gerechten und Frommen erkennen den Himmelsschimmer seiner Blüthen an dem Glanze des Morgen- und dem Purpurscheine des Abendlichtes und beten unter dem Blüthendom, ja selbst die schwarzen Stämme des Aequators kennen schon den Rosenstock und beugen sich unter seinen heiligen Blüthenschauer.

Dieser Rosenstock lebt ewig – ewig und unzählich wachsen seine Blumen, und jedesmal wenn ein Kind geboren wird, dann fallen aus einer der zehn Rosen des Sinai zehn Samenkörner herab in des Kindes Brust. Dort keimen sie, wenn die Mutter an der Wiege sitzt, sie schlagen ihre Wurzeln, wenn der Säugling in süßem Schlummer lächelt, und der Engel zu Häupten des Kindes pflegt ihre ersten Keime.

Das Kind aber wächst und in seiner Brust entwickeln sich langsam die Knospen und gießen ihren sanften Schimmer über des Kindes Wangen. Gute Eltern wachen über die Rosen in seiner Brust, gute Lehren befruchten sie, daß sie gedeihen und zur vollen Blüthe kommen.

An jenem Tage aber, wo das Kind zum ersten Male an den Tisch des Herrn tritt, da bethauen sich die zehn Knospen mit den Freudenthränen der Eltern, unter dem fruchtbringenden Hauch eines göttlichen Evangeliums schwellen sie zu vollen üppigen Rosen, und Christi Blut, das über des Kindes Lippen fließt, färbt die Rosen mit dem wunderschönsten Purpurglanz.

So werden die Rosen bis zur Blüthe gepflegt; mit ihnen tritt der Knabe in die Welt, die ihm nicht immer nur Sonnenschein bietet und wohl Demjenigen, der ihren Keim unversehrt erhält, wenn unter den Stürmen des Lebens die eine oder die andere der Rosen traurig das Haupt senkt und ihm klagend zuruft: »willst Du mich denn sterben lassen?«

In der Brust des bösen Kindes hingegen wollen die Rosen keine Wurzeln fassen; der Engel, der an seinem Bette sitzt, sie zu pflegen, wendet trauernd sein Antlitz ab und kehrt endlich zu Dem zurück, der ihn als Gärtner gesandt. Und an der Stelle der Rosen beginnt nun das Unkraut zu wuchern, aus diesem wächst mit dem Kinde selbst ein Dorn empor, der immer größer wird, und um seinen Stamm windet sich eine Schlange, die auch die letzte Rosenblüthe erstickt. – Also folgen auch die Rosen dem Engel in seine Heimath zurück und auf dem Grabe des Kindes wächst dereinst nur der Dorn, und an dem großen Rosenbaum droben welkt jene Blüthe, aus der einst die zehn Körner in seine Brust gefallen, denn sie trauert um eine verlorene Seele.

Am Sarge des guten Kindes jedoch flicht der Engel zehn weiße Rosen um die bleiche Stirn desselben zu einem Kranze; die Rosen folgen ihm in das Grab, schlagen dort neue Wurzeln, wachsen aus dem Hügel und sagen der Welt: »hier ruht ein gutes Kind!« – Und das Abendroth leuchtet doppelt schön über dem Grabe, der große Rosenbaum droben rauscht mit seinen Blättern, in seinen Zweigen sitzen Millionen von Engeln, die empfangen mit lieblichem Gesang den Bruder, der ihnen die Seele des guten Kindes, einen neuen Gespielen hinauf bringt.

Die zehn Rosen aber sind die Rosen vom Sinai, die zehn Gebote Gottes.

Das Sperlingsnest.

Es war ein wunderschöner Sommermorgen. Die Sonne spiegelte sich in dem großen Teiche, der mitten im Dorfe lag und auf dem wohl zehn alte Enten mit ihren Familien umherschwammen, die Dorfjugend spielte auf dem freien Platze vor dem Herrenhause, die Bäume streckten ihre mit süßen Früchten beladenen Zweige über den alten von Brombeerranken durchwachsenen Zaun, vor dem Bauernhause las ein alter Mann mit schneeweißem Haar und einer großen Brille auf der Nase in der Bibel und vor des Pfarrers Hause spielten seine Kinder mit einem weißen Zicklein, das die tollsten Kapriolen machte, obwohl es Kirchzeit war, in der man sich hübsch sittsam und still verhalten soll.

Der Pfarrer war nicht zu Hause, denn er stand in der Kirche auf der Kanzel und predigte der Dorfgemeinde, man solle nur Gutes thun; ja der ehrwürdige Mann hielt eine so wunderschöne Predigt, daß die Gemeinde nach dem Schluß derselben ganz gerührt nach Hause ging.

Draußen an dem großen Kirchfenster, dicht an einer der kleinen, zerbrochenen Scheiben hing ein Sperlingsnest, darin saß die Mutter mit ihren Jungen, die nun bald flügge waren. Die Sperlingsmutter horchte sehr andächtig auf die Predigt, denn sie war ausnahmsweise sehr fromm, und das war kein Wunder, denn wenn man in einer Kirche wohnt, kann selbst ein Sperling wohl fromm werden.

– Was ist das Gute, von dem der Pfarrer sagte? so fragten die Jungen die Sperlingsmutter, als die Predigt zu Ende war.

– Das werde ich Euch später sagen, denn jetzt seid Ihr noch zu dumm, es zu begreifen, sagte die Sperlingsmutter, ganz gerührt von der Predigt.

Am Abend fragten die Jungen wieder, was das Gute sei, und die Sperlingsmutter gab ihnen dieselbe Antwort.

Den nächsten Morgen flogen die Jungen aus dem Nest und kratzten dem armen Büdner seine Wintersaat aus.

– War das gut? fragten sie die Mutter, als sie nach Hause kamen.

– Nein, antwortete diese, das war nicht gut.

Am zweiten Morgen flogen die Jungen aus dem Nest und bissen die zarten Schwalben, die sich auf einer Dachröhre im Fliegen übten.

– War das gut? fragten sie die Mutter, als sie nach Hause kamen.

– Nein, antwortete diese, das war nicht gut.

– Aber was ist denn gut? fragten sie wieder.

– Das werde ich euch sagen, wenn ihr das Gelbe an den Schnäbeln abgelegt habt, denn jetzt seid ihr noch zu dumm, antwortete die Sperlingsmutter.

Am dritten Morgen flogen die Jungen aus dem Nest und fraßen dem Küster alle seine schönen Melonen an.

– War das gut? fragten sie die Mutter, als sie wieder nach Hause kamen.

– Nein, das war nicht gut.

Am vierten Morgen erwachten die Jungen in ihrem Nest, als die Mutter schon ausgeflogen war, um Frühstück für sie zu besorgen. Zu ihrem Schrecken sahen sie ein Netz über ihr Nest ausgebreitet und vor ihnen stand ein rothköpfiger Knabe auf der Leiter, der das ganze Nest aushob.

Die Sperlingsmutter kam gerade nach Hause, umflog den bösen Knaben und rief ängstlich: piep, piep! als sie das Unglück sah.

Da aber kam der Küster des Weges, er nahm dem rothköpfigen Knaben das Nest ab, stieg die Leiter hinauf und setzte es wieder an seinen Platz.

– Ach, das ist gut, das ist gut! riefen die Jungen, noch zitternd vor Schreck.

– Seht ihr! sprach die Sperlingsmutter. Jetzt wißt Ihr mit einem Male, was gut ist. Ihr habt gestern dem Küster alle seine schönen Melonen angefressen, und doch hat er euch Gutes gethan. Macht's künftig ebenso! – Kinder wissen überhaupt immer, was gut ist, sie wollen es oft nur nicht wissen.

Christ ist geboren!

– Es ist sehr unrecht von dem Pfarrer, daß er da drüben in der Kirche immer von der Vergeltung Gottes bis in's unendlichste Glied spricht und auch stets so schlecht von den Dornen redet! sagte der Dornbusch, der vor dem verfallenen Stallgemäuer der Schloßruine, der Dorfkirche gegenüber stand. Es ist sehr unrecht von ihm, denn er kann ja z. B. nicht wissen, was es mit mir für eine Bewandtniß hat! – Auf dem Blutsacker bei Golgatha, da stand vor bald 2000 Jahren mein Stammbaum, ein Kreuzdorn, aus dessen Zweigen flochten sie die Dornenkrone des Heilands. Der Pfarrer drüben aber weiß nicht, daß ich von diesem Kreuzdorn stamme, daß alle directen Abkommen desselben rothe Blüten treiben, in der Christnacht blutige Thränen weinen, und daß wir Dornen uns ewig verjüngen wie Christi Lehre, denn wir sind ja mit ihr verflochten!

So sprach der Dornbusch. Und da fuhr der Wind in seine Zweige und schüttelte sie, daß Schnee von denselben fiel.

– Freilich, die Bewandtniß muß man kennen! seufzte der Dornbusch.

Es war nun aber heute Christabend und darum stellte der Dornbusch seine frommen Betrachtungen an, die er indeß auch an andern Tagen hegen mochte, wenn es mit seiner Abkunft wirklich »die Bewandtniß« hatte, deren er sich rühmte. Inzwischen ward es dunkler, der Mond ging auf und die Häuser warfen dichte Schatten auf die Schneedecke, die über der gefrorenen Dorfstraße lag. In der Kirche läutete man zur Vesper und der fromme Pfarrer schritt daher, um die Abendpredigt zu halten.

– Da geht er gleichgültig an mir vorüber! sagte der Dornbusch. Natürlich: er kennt ja meine Bewandtniß nicht! Und die Uebrigen eilen auch alle an mir vorbei in die Kirche, und wenn der Herr Gott nicht in's Verborgene schauen könnte, er würde seine Gläubigen an den Fußspuren erkennen, die von den Häusern in die Kirche führen. Aber er kennt sie Alle, denn er selbst leitet ja ihre Spuren... Ich jedoch kenne Zwei im Dorfe, die nicht heute und nicht das ganze Jahr in die Kirche gehen, weil sie gottlos sind: es ist der finstre Schloßherr und der wilde Steffen, den der Erstere gestern aus seiner Hütte gejagt, weil er den Miethzins nicht bezahlt, und dessen armes Weib mit ihren halbnackten Kindern nun hier in dem verfallenen Stalle liegt, vor dem ich Wache halte. – Ich muß mich doch einmal nach der armen Frau und dem kranken Kinde umschauen! sagte der Dornbusch und reckte seine Zweige, um in das zerbrochene Fenster zu blicken.

Aber es war dunkel drinnen und der Nachtwind ächzte an den feuchten Wänden und durch das offene Fenster.

– Ach Gott, das arme Weib ist so gut und doch so elend! Hier in dem Stalle sind Jammer und Zähneklappern heute die Christbescheerung. Das ist doch zu traurig! seufzte der Dornbusch.

Und drüben in der Kirche begann die Orgel mit den feierlichen Tönen. – Christ ist geboren! sang die Gemeinde dazu von dem Chor und von den Bänken. – Christ ist geboren! rief auch der Wächter vom Thurm herab.

Und der Dornbusch hatte Recht. Drinnen in dem alten verödeten Stalle lag ein armes Weib auf den Knien und betete. Heiße Thränen rannen über ihre Wangen, krampfhaft hatte sie die Hände gefaltet, starr heftete sie das Auge auf das Stroh, das sich in der alten steinernen Krippe befand, denn in dieser Krippe lag ihr Jüngstgebornes, ein halbjähriges krankes Kind, zitternd von Fieberfrost und Kälte.

Der Mond schien durch die Fensteröffnung auf diese Gruppe, mitleidig fielen seine Strahlen auf das kranke Kind; aber sie konnten es nicht wärmen und die Mutterbrust vermochte dies auch nicht mehr, denn sie war ja selbst so eisig. Und durch die Spalten des morschen Daches, dessen Lücken der Schnee deckte, fielen zu Hunderttausenden die kleinen glitzernden Schneesternchen herab und spielten in den Mondstrahlen. Aber auch sie leuchteten und wärmten doch nicht.

– Heiland der Erde, der Du in dieser Nacht geboren wardst, der Du lebtest und starbst für uns Alle, der Du heute in einer Krippe lagest wie dieses arme, hülflose Geschöpf, rette, o rette mein krankes Kind! – So betete das unglückliche Weib, und die kalten Händchen des Kindes streckten sich jammernd nach der Mutter aus. Ihre Kraft aber war gebrochen, ermattet ließ sie die Stirn auf den eisigen Rand der Steinkrippe sinken, ihr Auge schloß sich, ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust. Tage und Nächte hindurch hatte sie gewacht, Tage und Nächte des tiefsten Elends hatte sie verlebt; jetzt aber brach sie zusammen und der Schlummer erbarmte sich ihres Jammers.

– Du armes Weib, wo ist Dein Gatte? Du armes Kind, wo ist Dein Vater? sagte mitleidig der Dornbusch draußen, in's Fenster schauend.

Ja, wo war der Gatte, wo war der Vater? – Der wilde Steffen, wie man ihn im Dorfe nannte, war, wie gesagt, gestern Abend mit Weib und Kind aus seiner Hütte gejagt worden; er hatte bei seinen Nachbarn ein Obdach gesucht, die aber hatten von ihm nichts wissen wollen, denn sie fürchteten sich vor dem gottlosen Steffen, der nie gut gethan, wie sie sagten. Und so war er denn mit den Seinen in das verlassene Stallgemäuer gezogen. – Am Morgen aber war er racheschnaubend fortgeeilt und vergebens hatte sein Weib, ein Unglück befürchtend, ihn zurückzuhalten gesucht. –

Wo war der wilde Steffen? – Die Glocken läuteten, die Orgel tönte, die Gemeinde sang fromme Lithurgien in der Kirche und der brave Pfarrer stand auf der Kanzel und predigte, der Heiland sei geboren.

Droben in dem alten Schlosse aber in einem großen, unheimlichen Gemache saß neben dem längst erloschenen Kamin ein Mann mit finstern, abstoßenden Gesichtszügen. Es war der Schloßherr, ein hartherziger Mann, den man fürchtete, so weit seine Grenzen reichten. Das Licht vor ihm auf dem Tische war tief herabgebrannt; sein Antlitz war starr und regungslos, sein Auge geschlossen. Es schien, als schlafe er, aber er war so entsetzlich bleich.

Und während nun unten in den Hofgebäuden die Dienerschaft sich den Christbaum schmückte, schlich ein Mann die Treppe hinauf und durch den finstern Corridor. Leise öffnete er die Thür des großen Gemaches, leise trat er herein und neben den Sessel, in welchem der Gutsherr schlummerte. Das Auge des Fremden leuchtete in wilder Gluth, ein Hohnlachen entstellte seine verwitterten Züge. Einen Blick that er scheu im Zimmer umher. Ein Messer glänzte hoch in seiner Rechten, die Linke packte die Hand des schlafenden Gutsherrn. Das Messer zuckte – –

– Christ ist geboren! sang man in der Kirche drüben.

Der wilde Steffen fuhr entsetzt zurück, die Hand des Gutsherrn war eisig kalt; er hatte eine Leiche gefaßt.

– Christ ist geboren! rief auch der Thürmer herab, denn die Predigt war zu Ende und die Gemeinde eilte nach Hause.

Das Messer entsank Steffens Hand; noch einmal starrte er die Leiche an; es war ihm, als schlage sie strafend das kalte Auge auf. Sein Antlitz mit beiden Händen verhüllend, stürzte Steffen fort. Niemand hatte ihn in das Haus schleichen sehen, Niemand sah ihn jetzt vor dem verödeten Stalle verweilen und durch das Fenster starren – Niemand außer dem Dornbusch. Fürchterlich bleich schaute Steffen in das Innere des Stalles; dort sah er sein Weib knien, ebenso regungslos wie die Leiche dort oben im Schlosse, nur schöner, und mild und rein wie die Unschuld, das Kind in der Krippe. Da rannte Steffen fort, sich selbst unbewußt stürzte er durch die offne Kirchthür und sank ohnmächtig an den Stufen des Altares nieder.

Der Pfarrer aber ging soeben nach Hause, um den Seinigen die Christbescheerung zu bereiten. Er kam an dem Dornbusch vorüber und sah zwei kleine Knaben unter demselben im Schnee sitzen. Sie froren und bargen ihre rothen Händchen in den Lumpen.

– Nimm sie mit Dir! sagte der Dornbusch zum Pfarrer, es sind die Kinder des wilden Steffen; sie wagen sich nicht hinein aus Furcht, daß der Vater sie schlage, wenn sie mit leeren Händen nach Hause kommen! – Nimm sie mit Dir, denn ich kann sie nicht erwärmen; ich bin ja selber arm und nackt!

Wir wissen nicht, war es der Dornbusch oder das Herz des Pfarrers, das also sprach; er aber nahm die Kinder mit sich in sein Haus.

– So; nun habe ich doch eine Sorge weniger! sagte der Dornbusch zu sich selbst. Jetzt zünden sie hier – und da – und dort schon den Christbaum an! Wie schade, daß ich dort nicht unter den Fenstern stehe, denn hier in dem öden Stalle wird's nichts zu sehen geben.

Aber der Dornbusch irrte, denn das Innere des Stalles erhellte sich alsbald mit tausendfachem Licht. Noch immer kniete das arme Weib mit geschlossenen Augen da, aber das kranke Kind es wachte und streckte lächelnd seine kleinen Arme aus; denn das Dach öffnete sich und herabschwebten, von einer Lichtwolke umgeben, zwei wunderliebliche Engel, von denen der Eine einen kleinen Christbaum mit unzähligen Lichtern, der Andre aber köstliche Geschenke trug. Und es ward warm in dem Stall und das Licht warf einen solchen Schein über die Straße, daß der Dornbusch sich verwunderte.

– Es ist doch keine Hütte so schlecht, wo heute nicht Christus wäre! sagte er.

Die Engel aber schwebten herab und während der Eine den Christbaum bescheerte, trat der Andre zu dem kranken Kinde und legte heilend seine Hand auf dessen Brust. Dann schwebten sie wieder hinauf und verschwanden; in dem Stalle aber blieb es Licht.

Inzwischen lag der wilde Steffen auf den kalten Altarstufen. Endlich kam er jedoch wieder zum Bewußtsein. Er hob den Kopf vom Stein; er hatte ein wunderbares Gesicht im Traume gehabt, denn er hatte zwei liebliche Engel gesehen, die segnend ihm zur Seite traten; und jetzt eben noch, da er erwachte, sah er sie neben sich stehen, er fühlte, wie jeder von den Engeln sein warmes Händchen in die seinige legte und sie ihn zur Kirche hinausführten.

Steffen war es, als träumte er noch, als werde er im Schlafe von den beiden kleinen Engeln vor die Kirche und zu dem Stalle geführt, in welchem er sein armes Weib, seine jammernden Kinder wußte. Willig ließ er sich führen; als er aber unter sein ödes Dach trat und er hier Alles warm, licht und hell sah, als er die Christbescheerung gewahrte, da rieb er sich die Augen, er starrte auf die Engel hinab, die ihn hierher geführt und nah an seiner Seite standen. Steffen erkannte in ihnen seine beiden ältesten Knaben, festlich und schön gekleidet, wie er sie nie gesehen.

Noch immer glaubte er, es sei ein Traum. Er hob die beiden Kinder in seine Arme; er hielt und küßte sie – – Nein, das konnte kein Traum sein!

– Christ ist geboren! rief der Wächter vom Thurm herab.

– Ja, ja, er ist geboren, und auch in mir ist er es! rief Steffen aus und mit den beiden Knaben im Arme stürzte er zu seinem Weibe; er umschlang sie, drückte sie an sich und rief: Hanna, erwache! Christ ist ja geboren!

Und sie schlug die Augen auf und schaute verwundert umher.

– Wie ist mir denn? rief sie. Bist Du es wirklich, Steffen? – – Und dieses Licht hier? – Ist es denn wahr, was mir träumte? – Zwei Engel sah ich kommen, sie trugen einen Christbaum und schöne Geschenke, und der Eine trat an die Krippe hier und legte heilend die Hand auf meines Kindes Brust! – – Ja, ja, es ist wahr! Es lebt! jauchzte sie, nahm das lächelnde Kind aus der Krippe und drückte es an die Brust. – – Es ist wahr, Steffen! rief sie, das Kind in seine Arme legend. Der Heiland ist geboren, er hat mir auch mein Kind nicht sterben lassen!

Und während sie Alle die Christbescheerung anstaunten, trat der Pfarrer hinter dem Christbaum hervor, denn er war es, der durch seine beiden kleinen Töchter die Weihnachtsbescheerung gesandt, er war es, der den wilden Steffen an den Stufen des Altars hatte hinsinken sehen, er war es, der seine Knaben festlich gekleidet und sie zu dem Vater in die Kirche geführt hatte.

– Christ ist geboren, sagte der Pfarrer, und Er will, daß er heute auch in der kleinsten Hütte nicht fehle. Wo er aber zum ersten Male eingekehrt, das ist in Eurem Herzen, Steffen; wahrt ihn dort wohl, denn Ihr wisset, es ist im Himmel mehr Freude über einen Sünder, als über neun und neunzig Gerechte! –

Und der Dornbusch schaute noch immer ins Fenster, es rauschte vor Freuden in seinen Aesten, und wie es der Kreuzdorn in jeder Christnacht thut, trieben seine Zweige purpurrothe Augen, die weinten blutige Thränen in den Schnee.

Am andern Morgen aber ging Steffen mit Weib und Kindern zur Kirche; und die Leute des Dorfes gingen in Festkleidern an dem Dornbusch vorüber, und als sie den Schnee unter ihm gleichsam mit rothen Perlen bestreut sahen, riefen sie:

– Seht nur, der Kreuzdorn hat in der Nacht rothe Blüten getragen!

– Ja, antwortete der Kreuzdorn, denn Christ ist ja geboren! Wir Dornen, wir wissen es, denn wir haben ihn ja im Tode gekrönt, und Ihr Menschen, Ihr müßt es auch wissen, denn er ward ja für Euch gekreuziget.

Der Kalendermann.

Jetzt muß ich Euch schnell noch ein Neujahrsmärchen erzählen; hört also zu:

Ihr kennt doch Alle den Kalendermann, der immer schon ein ganzes Jahr voraus den Kalender macht und darin das Wetter bestimmt, ehe der liebe Gott noch an dasselbe gedacht hat, welcher übrigens dem Kalender zu Liebe das Jahr hindurch auch nicht einen einzigen Regentropfen mehr oder weniger fallen läßt, als er für gut hält. Der Kalendermann thut den ganzen Tag hindurch nichts Andres, als daß er Sonne, Mond und Sterne betrachtet und aus ihnen seine Prophezeiung macht. Er wohnt ganz oben auf dem Dach eines großen Hauses, das man die Sternwarte nennt, sein Zimmer hat Fenster rund herum, damit er nur ja nach allen Seiten ausschauen kann, und vor dem einen derselben steht ein riesengroßes Fernrohr, das aussieht wie jene Sorte von Kanonen, die man Feldschlangen nennt.

An den Wänden hat er Erd- und Himmelskarten hangen, Globen, Barometer, Thermometer, mathematische Instrumente aller Art stehen und hangen in seinem Zimmer umher, und Gott mag wissen, was er sonst noch für curiose Dinge um sich hat, die er zum Kalendermachen gebraucht. Auf der Nase hat er eine große Brille sitzen, Stunden lang guckt er oft Nachts durch sein langes Fernrohr zu den Sternen hinauf und thut, als könne er dem lieben Herr Gott in seinen Himmel schauen; der aber läßt Niemanden in seine Geheimnisse blicken, und wenn der Kalendermann so recht andächtig zum dunklen Horizont hinaufschaut und einen besonderen Stern ins Auge gefaßt hat, so machen ihm die lieben Engel vor dem Schlafengehen noch einen Streich; wuppdich! lassen sie ihm den Stern vor der Nase verschwinden und der arme Mann kann ihn sich wieder suchen, was übrigens nicht so leicht ist. Man nennt das eine Sternschnuppe.

Aber ich wollte Euch ja erzählen, wie es dem Kalendermann in der Neujahrsnacht erging!

Es war gerade am Schluß eines Jahres, in welchem er, was das Wetter anbetraf, wieder einmal recht tüchtig gelogen hatte. Wenn in seinem Kalender schönes Wetter stand, goß der Regen vom Himmel herab; wenn er Unwetter prophezeit hatte, war der schönste Sonnenschein, und so Alles umgekehrt; kurz der Kalender hatte sich erschrecklich blamirt.

Es war nun also Neujahrsnacht. Der Kalendermann schlief oben in seinem Zimmer, von seinem weiten Schlafrock umhüllt, in einem großen Lehnstuhl. Auch in dieser Nacht hatte er Stunden lang die Sterne beobachtet, bis die Engel sie ihm plötzlich alle vor der Nase ausgeputzt, was ihn verdrossen hatte. Mich dünkt auch: wenn Einer das ganze Jahr hindurch Sterne guckt so kann er sie in der Neujahrsnacht doch einmal in Ruhe lassen. –

Während nun seine Studirlampe ganz matt auf dem Tische brannte und große Lust hatte, es wie die Sterne zu machen und auszugehen, mußte der Kalendermann in seinem Lehnstuhl einen sehr lebhaften Traum haben, denn er bewegte fortwährend die Arme und wackelte hin und her; dabei war ihm die Brille von der Nase und das Käppchen von dem kahlen Schädel gefallen. Vielleicht mochte ihm träumen, daß um's Jahr die Welt untergehe; dem Kalendermann kann man Alles zutrauen!

Während er nun so schlafend mit dem Kopfe wackelte, thaten sich plötzlich um ihn her die Fenster auf und durch jedes derselben stieg ein ganz wunderlicher Geist herein. Zwei von ihnen waren ganz grün, denn sie waren so mit Grünzeug behangen, daß man den ganzen Winter hindurch eine Ziege damit hätte füttern können; der dritte war halb grün, halb gelb, man hätte ihn für einen Strohmann halten können, wenn er nicht lauter Trauben, Pfirsiche und Weintrauben im Haare gehabt hätte, die andre vernünftige Leute viel lieber in die Speisekammer oder in den Mund stecken, und der vierte endlich war ganz grau und weiß und sah recht bärbeißig aus; auch blieben ihm die andern Drei immer einige Schritte vom Leibe, wozu sie wohl ihre Gründe gehabt haben mögen.

Diese vier Geister waren nun die vier Jahreszeiten, die dem Kalendermann ihren Neujahrsbesuch machen wollten. Aber sie mußten wohl alle Vier nicht in den friedlichsten Absichten kommen, denn sie waren böse auf den Kalendermann, weil er in seinem Kalender so viel dummes Zeug prophezeit hatte, daß es von ihnen gar nicht mehr mit anzusehen war. Die Jahreszeiten haben ja bekanntlich auch ihre Launen!

– So, da sind wir jetzt, sagte der Griesgram, der Winter, als sie den Kalendermann umstanden, der im Schlafe gar keine Ahnung von seinen Gästen hatte und mit den Armen immerfort gesticulirte, als sei er allein im Zimmer. – Was fangen wir nun mit dem Patron an? setzte der Winter hinzu, indem er seine mit Reif bedeckten Fausthandschuhe schüttelte.

– Wir müssen ihm einmal einen Streich spielen, damit er Respect vor uns bekommt! sagte der lustige Frühling.

– Nein, wir wollen ihm lieber ganz ernstlich die Leviten lesen, damit er uns in Zukunft nicht wieder lächerlich macht! sagte der besonnene Herbst.

– Nein, nein, einen Streich, einen tüchtigen Possen! fiel der Sommer ein, der ja bekanntlich immer mit dem Frühling an einem Strange zieht. – Strafe muß sein, und deshalb sind wir ja gekommen – – – Bin ich so schlecht gewesen, wie Du mich gemacht hast, Du Sternegucker? rief der Sommer, dem Kalendermann ins Gesicht schauend und ihm einen Nasenstüber gebend.

– Habe ich alle Wiesen und Felder ertränkt, Du Ofenhocker? rief der Frühling, dem Beispiel seines Collegen folgend.

– Habe ich so viel gehagelt und geregnet, daß die ganze Weinlese verdorben ist, Du Wassertrinker? rief der Herbst, seine feuchten Locken über dem Kalendermann schüttelnd, daß ihm gewiß träumte, er sitze unter einer Dachtraufe.

– Bin ich so hart und unbarmherzig gewesen, daß die armen Vögel aus der Luft gefallen sind, Du Unglücksprophet? fragte der Winter, den Fausthandschuh ausziehend und ihm über die Wangen fahrend, daß den schlafenden Kalendermann ein Schauder bis in die Fußspitzen durchlief.

Der arme Wetterprophet aber saß noch immer da und schlief; er mochte wohl im Traume sehen, was um ihn her vorging, denn er wand sich und stöhnte in seinem Lehnstuhl, als wäre ihm all das Unwetter des verflossenen Jahres in die Glieder gefahren.

– Nun laßt uns nachdenken, was für eine Strafe wir über ihn verhängen! sagte der Frühling, und da setzten sie sich alle Vier um den armen Sünder und hielten einen großen Rath, in welchem sie beschlossen, es solle ihm Jeder ein Andenken zurücklassen, damit er wisse, wer bei ihm gewesen sei.

Gesagt, gethan. Der Frühling stand auf, trat zu dem Kalendermann und baute ihm unter jede seiner Augenwölbungen ein kleines Schwalbennest; in jedem saßen zwei ganz kleine, junge Schwalben, die piepten und schrien, streckten ihre Hintertheile zum Nest heraus und machten ihm etwas – nun, Ihr wißt ja! – gerade in seine weite Kravate.

– So, sagte der Frühling, jetzt kannst Du in Deinen Kalender schreiben, daß eine Schwalbe noch lange keinen Frühling macht!

Und der Sommer trat zu ihm und ließ ihm eine große Gurke an seine Nase und dichtes, grünes Spargelkraut aus den beiden Taschen seines Schlafrocks wachsen.

– So, sagte er. Der Sommer läßt grüßen! Da hast Du Spargel und Gurkensallat auf einmal; laß sie Dir gut schmecken!

Und der Herbst trat zu ihm und ließ ihm eine essigsaure Weintraube an jedes Ohr, ein paar große Astern aus seinen Westentaschen und einen kleinen Zwetschenbaum aus jedem seiner neben ihm stehenden Stiefel wachsen.

– So, sagte er; das schenkt Dir der Herbst, und wenn Dir selbst die Trauben auch sauer sind, so läßt er sie für Andre doch desto süßer reifen!

Und auch der Winter trat zu ihm; er machte ihm eine Schlittenbahn auf seinen glatten Schädel, setzte ihm in jede seiner Hände einen kleinen Schneemann, zog ihm die Morgenschuhe aus und schnallte ihm dafür Schlittschuhe an; alsdann überzog er den ganzen Boden mit einer Eisdecke, ließ seine Waschschüssel dick voll Eis frieren und blies mit seinem kalten Athem das Feuer im Kamin aus.

– So, sagte er. Der Winter läßt grüßen; jetzt hast Du Gefrornes für das ganze Jahr!... Und dann ging er zur Stubenthür und schrieb mit seinen weißen Fingern große Schneebuchstaben an dieselbe.

Eine Minute später waren sie auf demselben Wege wieder verschwunden.

Nun dauerte es auch nicht so lange, da erwachte der Kalendermacher. Ein Fieberfrost schüttelte ihn und zugleich ging es ihm so heiß durch die Adern, daß er nicht wußte, ob er im Backofen oder im Eise stecke; ihn schwitzte und fror zugleich, denn alle Jahreszeiten wirkten ja mit einem Male auf ihn ein.

– Herr Gott im Himmel, was ist das? rief er aufspringend. So ist mir ja noch nie zu Muthe gewesen! Aber ebenso schnell lag er am Boden, denn er wußte ja nicht, daß er seine Morgenschuhe nicht mehr anhatte... Wie ist das möglich! rief er; bin ich etwa im Traum Schlittschuh gelaufen?...

Damit schleuderte er die letzteren von sich und ebenso die Schneemänner, die ihm wie ein paar Puppen in die Hände gewachsen waren. Er faßte sich nach den Augen, da aber fingen die jungen Schwalben an zu piepen; er griff sich nach der Nase und faßte die große Gurke, die mit jeder Minute in die Länge und Breite wuchs; er griff nach den Ohren und da schwollen die schönsten Trauben; er fuhr sich mit den Händen über den Schädel, da war die schönste Schlittenbahn; und dabei schwitzte und fror ihn noch immer ganz entsetzlich.

In seiner Angst rannte er zum Waschbecken, um seine glühenden Hände zu feuchten, aber das Wasser war dick zugefroren und als er das Eis anfaßte, durchschauderte ihn wieder ein jäher Frost, so daß ihm die Zähne im Munde klapperten. Da eilte er zum Ofen, um sich zu wärmen; aber der war eisig kalt.

Jetzt litt es ihn nicht mehr im Zimmer; er mußte hinaus auf die Straße, um sich Luft zu verschaffen. Aber als er seine Stiefel anziehen wollte, lächelten ihn die schönsten kleinen Zwetschenbäume an... Ganz wild rannte er im Zimmer umher; überall um ihn war es Winter, in und an ihm Frühling, Sommer, Herbst und Winter zugleich; der Arme hatte seinen ganzen Kalender im Leibe.

Endlich kam er vor den Spiegel... Himmel, da erblickte er die ganze Bescheerung, und vor Allem die große Gurke, die ihm an die Nase gewachsen war. Entsetzt sank er in den Lehnstuhl zurück und verfiel in eine tiefe Ohnmacht.

Am Morgen spät, als schon die Neujahrsglocken zur Kirche läuteten, erwachte der arme Kalendermann aus seiner Betäubung. Ihn fror erschrecklich, denn er hatte in der Nacht, als er mit dem Sternegucken fertig gewesen, das Fenster zu schließen vergessen; der kalte Wind blies herein und das Feuer im Kamin war längst erloschen.

Noch von dem bösen Traume zitternd, öffnete er die Augen. Nichts war zu sehen von Allem, was er im Traum erlebt hatte; die große Gurke, die Schlittenbahn, die Trauben, die Schneemänner, die Schwalben und die Zwetschenbäume... Alles war verschwunden.

– Also war es nur ein Traum... Gott sei Dank! rief der Kalendermann und rieb sich die Augen.... Nein, und dennoch war es kein Traum! setzte er, die Stubenthür anstarrend, hinzu. Und richtig, dort an der Thür stand mit weißen Buchstaben groß und breit geschrieben:

»Du Narr, Du machst zwar den Kalender,
Doch's Wetter macht der liebe Gott!«

Der Kalendermann sprang auf; er rieb und rieb an der Thür und verbrauchte vergeblich zehn Wischtücher, um die häßliche Schrift fortzureiben; die aber war nicht zu löschen und sie steht heute und diesen Tag noch da.... Ob sie 'was nutzen und der Kalendermann sich diese Lehre merken wird, das müssen wir nun erleben.


Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

Verlagsbericht
von
Otto Spamer in Leipzig.

Die nachstehenden, in den letzten Monaten erschienenen Schriften zeichnen sich sämmtlich ebenso durch ihren innern Werth, wie tüchtige äußere Ausstattung aus, und können sich Interessenten von dem Gesagten durch Inansichtnahme derselben überzeugen; wozu ihnen jede renommirte Buchhandlung des In- und Auslandes bereitwillig behülflich sein wird.

I.
Festgeschenke. Kinder- u. Jugendschriften. Illustrirte Werke.

Schönstes Festgeschenk für die Jugend aller Stände und jeden Alters.

Das illustrirte goldene Kinderbuch.

Neue Jugend- und Hausbibliothek.

Mit mehr als 1200 Abbildungen.

Herausgegeben vom Lehrer Louis Thomas.

Jeder Band wird einzeln gegeben.

Preis elegant geheftet 22½ Sgr. = Fl. 1. 20 Xr.

In eleg. colorirtem Umschlag cart. 25 Sgr. = Fl. 1. 30 Xr.

In prachtvollem engl. Einband Thlr. 1. = Fl. 1. 48 Xr.

Inhalt des I.-VII. Bandes:

Band I. Der illustrirte Kinderfreund.
oder Erstes ABC-, Lese- und Denkbuch.

Die Kinderwelt mit ihren Freuden, die Menschen mit ihren Beschäftigungen, die Thiere und ihre Lebensweisen. In Belehrungen und Erzählungen einer Mutter durch Wort und Bild.

Mit 465 Abbildungen und colorirtem Titelbild.

Inhalt: 1. ABC-Buch. Anschauungsunterricht in Darstellungen nach alphabetischer Reihe. – 2. Lesebuch. – 3. Fabelbuch. – 4. Denk- und Begriffsbuch. – 5. Rechnenbuch. – 6. Sprichwörterbuch. – 7. Jahrbuch. – 8. Gebetbuch.

Band II. Der illustrirte Jugendfreund.

Schilderungen des Weltgebäudes und seiner Wunder; in Bildern aus der Natur, dem Leben der Menschen und der Thiere, der Vergangenheit und Gegenwart.

Mit 182 Abbildungen und colorirtem Titelbild.

Inhalt: 1. Das Buch der Religion. – 2. Das Buch vom Menschen. – 3. Die Thierwelt. Die Hausthiere. Ein Besuch im städtischen Museum. – 4. Das Weltgebäude. Der Himmel und seine Welten. Die Erde und ihre wunderbaren Erscheinungen. – 5. Geschichtliche Denkwürdigkeiten. Geschichtstafel. Wohlthäter der Menschheit. Heldenbuch.

Band III. Das Buch der Erfindungen.

Mit 100 Abbildungen und colorirten Bildern.

Inhalt: Die Erfindung der Buchdruckerkunst, – des Schießpulvers, – des Blitzableiters, – des Luftballons, – des Telegraphen, – des Telescops und Microscops, – der Dampfmaschinen, – der Eisenbahnen, – der Dampfwagen und Dampfschiffe, – die Entstehung der Baumwollenmanufactur, – die Daguerreotypie.

Band IV. Das Buch der denkwürdigsten Entdeckungen.

Mit 72 Abbildungen und colorirten Bildern.

Inhalt: Die Schifffahrt. – Der Seecompaß und die Leuchtthürme. – Die Dampfschifffahrt. – Der Seeweg nach Ostindien. – Die Entdeckung von Amerika. – Die Entdeckung von Oceanien. – Die Entdeckungen am Nord- und Südpol.

Band V. Das Buch der Arbeit. I.

Wanderungen durch die Werkstätten des Gewerbfleißes; in Bildern aus den Beschäftigungen des Menschen.

Mit 85 Illustrationen und colorirtem Titelbild.

Einleitung. – I. Der Zimmermann. Der Maurer. Der Baumeister. – II. Die Glasfabrikation. Der Glaser. Die Glasmanufactur. – III. Die Töpferei und das Porzellan. – IV. Das Fett. Der Talg. Das Leuchtgas. – V. Die Weberei. Die Baumwollenmanufactur. Die Gobelins. – VI. Der Bergbau und das Hüttenwesen. – VII. Die Verarbeitung der Metalle. – VIII. Der Maschinenbauer Der Uhrmacher.

Band VI. Das Buch der Wunder. I.

Wanderungen durch die Ruinen der Vergangenheit und die Riesenwerke der Gegenwart.

Mit 85 Illustrationen und colorirtem Titelbilde.

Einleitung: Die Ruinen der Vergangenheit und die Riesenwerke der Gegenwart. I. Die Wunderbauten und Ruinen der Vorzeit. – II. Die Ruinen der Metropolen des Alterthums und die Welt- und Fabrikstädte der Gegenwart. – III. Die Tempel des Alterthums und die christlichen Kirchen der Neuzeit. – IV. Die Stätten des öffentlichen Lebens der Völker des Alterthums und der Neuzeit. – V. Der Völkerverkehr in der Vergangenheit und Gegenwart. – VI. Brücken und Wasserleitungen aus alter und neuer Zeit. – VII. Leuchtthürme und wunderbare Thürme aus alter und neuer Zeit. – VIII. Denkmäler aus alter und neuer Zeit. – Schlußwort: Rückblick auf die vergleichende Darstellung der denkwürdigen Bauten aus alter und neuer Zeit.

Band VII. Das Buch der Thierwelt. I.

Denkwürdige Erzählungen aus der Lebensweise, den Sitten und Gewohnheiten der Thiere.

Mit gegen 120 Illustrationen und colorirtem Titelbild.


Die Kritik hat sich einstimmig aufs Vortheilhafteste über dies empfehlenswerthe tüchtige Kinder- und Familienbuch ausgesprochen. Es erscheinen davon jährlich 2-3 Bände, jeder von 11-12 Bogen mit vielen hundert Illustrationen und colorirten Bildern.

Die Ausstattung dieser Bände ist von der Art, daß sie von keiner französischen oder englischen ähnlichen Jugendschrift übertroffen wird. – Alle Buchhandlungen des In- und Auslandes nehmen Bestellungen an und gewähren Subscribentensammlern auf 12 Exemplare das 13. unentgeltlich.


Alphabetischer Thiergarten

auch das »rothe« Thierbuch genannt.

Ein naturhistorisches Bilderbuch für die Jugend jeden Alters. Enthaltend 25 Abbildungen von Thieren. Mit deren Namen in 11 Sprachen und erklärendem Texte von Dr. A. B. Reichenbach.

In prachtvollem Umschlage.

Colorirte Ausgabe Preis 25 Sgr. = Fl. 1. 30. Xr.
Schwarze Ausgabe   "   12½ Sgr. = Fl. – 45 Xr.

Dieses wegen seines prachtvoll rothen Umschlags unter dem Namen das rothe Thierbuch bekannt gewordene, höchst lehrreiche Buch kann Eltern am besten durch die Einladung empfohlen werden, dasselbe in der nächsten Buchhandlung in Ansicht zu nehmen.


Das illustrirte Soldatenbuch.

Herausgegeben von Major R. v. Berndt.

Erlebnisse und Mittheilungen aus dem Soldatenleben im Kriege und Frieden.

Mit gegen 85 Illustrationen und colorirten Abbildungen.

I. Ausgabe mit 1 col. Bilde in prachtvollem reichvergoldeten Einband 1½ Thlr. = Fl. 2. 20 Xr.

II. Pracht-Ausgabe mit 19 colorirten Uniformbildern, Porträts etc. Thlr. 2. 20 Sgr. = Fl. 4. 40 Xr.

Es giebt keine Jugendschrift, welche Eltern aus dem Militärstande mit mehr Recht empfohlen werden könnte. Das Buch ist nicht allein belehrend, es ist vom Anfang bis zum Ende fesselnd. Der Verfasser führt seinen freundlichen Lesern die großen Napoleonischen Kriege vor Augen, macht mit ihnen Wanderungen durch die Lager und Festungen Deutschlands, Oesterreichs und Preußens und erzählt in fesselnder Weise von dem Kriegsgetöse, welches in den letzten Jahren einen Theil Europa's erschütterte. –

Es sei insbesondere den Militärs und allen jenen empfohlen, deren Erinnerungen in die vergangenen Jahre der großen Kriege und Prüfungen hineinragen.


Festgeschenk für das erste Kindesalter.

Die Kinderstube.

Kleine Erzählungen, Gedichte und Liedchen für Kinder von 3 bis 8 Jahren. Der lieben Kinderwelt und deren Freunden gewidmet.

Zwei Bändchen in buntem Umschlag. Mit 260 Abbildungen.

1. Bändchen vom Lehrer L. Thomas: Unterweisungen einer Mutter durch Wort und Bild für brave Kinder, welche lesen lernen wollen. Mit 200 Bildern.

Preis 15 Sgr. = 54 Xr.

2. Bändchen vom Cantor F. A. Glas: Kleine Erzählungen, Gedichte und Verschen. Mit 60 Bildern.

Preis 20 Sgr. = Fl. 1. 12 Xr.

Dieses allerliebste, reich mit Bildern aller Art ausgestattete Büchlein wird seines kindlichen und gemüthlichen Inhalts wegen überall ein Lieblingsbuch der lieben Jugendwelt werden, und kann jedem Familienkreise, allen Kinderschulen und Kindergärten mit gutem Gewissen auf's Wärmste empfohlen werden.


II.
Festgeschenke. Bücher für das Haus. Illustrirte Werke.

Mitgabe für Frauen und Töchter gebildeter Stände.

Das Buch der Hausfrau.

Herausgegeben von Dr. H. Berndt.

Zur Verbreitung häuslichen Wohlstands und Comforts. Mit 170 in den Text gedruckten Abbildungen, enthaltend auf 430 Seiten mehr als 800 gemeinnützige, sorgfältig ausgewählte, größere und kleinere Mittheilungen über Hauswesen im Allgemeinen, insbesondere über:

I. Die Wohnung im Allgemeinen.

Wahl der Wohnung. – Lage u. Eintheilung der Räumlichkeiten. – Ausschmückung der Zimmer. – Instandhaltung des Hauses u. seiner Theile. – Reinhaltung der Wohnung – Heizung. – Beleuchtung.

II. Die einzelnen Theile der Wohnung.

Das Wohnzimmer. – Das Schlafzimmer. – Das Badezimmer. – Das Kinderzimmer. – Das Krankenzimmer. – Das Garderobezimmer. – Das Arbeitszimmer. – Das Damenzimmer. – Das Empfangzimmer. – Das Speisezimmer. – Das Vorzimmer. – Die Küche. – Die Speise- und Vorrathskammer. – Der Keller. – Das Dienerzimmer. – Das Waschhaus.

III. Der Garten.

IV. Das häusliche Rechnungswesen.

Die häusliche Feuerordnung. – Die Gründung, Erhaltung u. Vermehrung häuslichen Wohlstandes.

In einem Bande. 28 Bogen. Preis geheftet Thlr. 2. = Fl. 3.30 Xr.

In eleg. reichem Einband. Preis 2 Thlr. 10 Sgr. = Fl. 4.10 Xr.

Die Reichhaltigkeit dieses höchst brauchbaren Werkes ergiebt die vorstehend angedruckte Inhaltsangabe. Die dem Buche beigegebenen 170 Abbildungen sind neu und den besten Mustern nachgebildet. Es ist bei der äußeren Ausstattung des Ganzen Nichts gespart, so daß dasselbe zu einem Festgeschenke für Hausfrauen und Töchter ganz besonders geeignet ist.


Elegante Festgeschenke für Frauen und Töchter.

Illustrirte Agenda für Frauen.

Haushaltungs-, Tage- und Notizbuch, sowie Familienchronik.

Mit 24 brillanten Illustrationen.

Inhalt: Küchen-, Blumen- und Zimmergarten. – Vollständiger Speisezettel auf ein Jahr. – Speise- und Vorrathskammer. – Brief- und Besuch-Journal. Einnahmen- u. Ausgaben-Conto. – Wohnungs-Inventar. – Adressen- und Erinnerungs-Kalender. – Sinnsprüche auf jeglichen Tag.

Preis: In eleg. Umschlag cart. 15 Sgr. = 54 Xr. – In reichem Einband mit Papier durchschossen Thlr. 1⅓ = Fl. 2.24. – Dasselbe undurchschossen Thlr. 1. = Fl. 1.45 Xr.


Für alle Familien in Stadt und auf dem Lande.

Der Arzt. Herausgegeben von Dr. C. Reclam.

Ein volksthümliches Lehrbuch der vernünftigen Lebensweise; besonders zum Schutze gegen die Krankheiten der Gelehrten, des Landmanns, der Handwerker und Künstler.

Preis 25 Sgr. = Fl. 1.30 Xr.

Durch ihren überaus reichhaltigen, tiefdurchdachten aber leichtverständlich geschriebenen Inhalt macht diese Schrift die segensreichen Fortschritte der neuen Medicin auch dem Nichtarzt zugänglich.


Deutsche Familienblätter.

Erzählungen, Geschichten und Bilder aus dem Leben, der Natur und der Gesellschaft.

In Beiträgen von: C. v. Holtei, L. Bechstein, J. Rank, E. Monecke, R. Giseke, Th. Mügge, Bernd von Guseck, A. Schönbach, A. Bölte, Mor. Busch, Fr. Gerstäcker, M. Solitaire, Ernst Ritter, Jègor von Sivers, A. Viedert, B. Zeise u. v. A.

Mit reich ausgestatteten Umschlägen, enthaltend: Rebus, Räthsel und Chiffre-Aufgaben, Zauberquadrate, wissenschaftliche Aufgaben, Fragen etc.

Jährlich 12 Hefte von je 4 Bogen zu 12 Seiten;
sammt Umschlag 642 Seiten gefälligen Drucks umfassend.
Preis halbjährlich nur 1⅓ Thlr. = 2 Fl. 24 Xr.

Bei diesem Preise und ihrer gediegenen Ausstattung ist diese reichhaltige Zeitschrift entschieden das billigste Unterhaltungsblatt der Gegenwart, denn seine Anschaffung erfordert eben nur eine Ausgabe von monatlich 7½ Sgr. = 27 Xr., eine Ausgabe, welche für ein so gediegenes Blatt auch dem weniger Bemittelten möglich ist. –

Als Zeugniß für seine Reichhaltigkeit führen wir an, daß ein Jahrgang der Familienblätter so viel Unterhaltungsstoff bietet, als sonst

20 gewöhnliche Romanbände.

Daß wir fortwährend bestrebt sind, unsern Lesern eine ausgewählte, anregende Lekture zu bieten, dürfen sie überzeugt sein. – So werden die folgenden Hefte wiederum in Mannigfaltigkeit und Werth des Dargebotenen mit einander wetteifern, und wenn wir als Bürgschaft für das Gesagte, Namen wie Holtei, Bechstein, A. Bölte, J. Rank, E. Monecke nennen, von denen schon die nächsten Hefte Beiträge enthalten, so werden die Freunde unseres Blattes daraus erkennen, daß wir für die gefundene Unterstützung in der gewiß geeignetsten Weise unsern Dank aussprechen.


III.
Vermischte Schriften.

Interessante Neuigkeit.

Die Geheimnisse des Tages.

Ein Blick
in das Dunkel der Geisterwelt und das verborgene Walten ungeahnter Naturkräfte. Nach Henry Spicer's »Sights and Sounds« und auf Grund anderer englischer, amerikanischer und deutscher Autoritäten, sowie unter Hinweisung auf einschlagende Stellen der heil. Schrift bearbeitet und mit vielen Ergänzungen und Zusätzen bereichert
von Dr. F. W. Rechenberg.

»Und es trat ein Weiser herein und ein Narr. Der Weise untersuchte erst und urtheilte dann, der Narr urtheilte sogleich und untersuchte gar nicht.«

Ein starker Band von 17 Bog. Preis 25 Sgr. = Fl. 1.30 Xr.

Der deutsche Herausgeber hat auf Grund der sorgsamsten Forschungen alle die in vergangenen Zeiten bis heute bekannt und berühmt gewordenen Erscheinungen im Gebiete des Spiritualismus ihrem Werthe nach besprochen und wissenschaftlich in das Ganze der Geschichte dieser wunderbaren Thatsachen eingereiht. Er führt dem Leser als Zeugniß für das früher schon bekannt gewesene Dasein jener Erscheinungen Beweise aus den verschiedensten Zeiten und Ländern vor Augen. Er findet für die Streiche, welche die Klopfgeister Mitte vorigen Jahrhunderts im Braunschweigischen nicht blos einfachen ungebildeten Landleuten, sondern auch juristischen und theologischen Behörden spielten in den Manifestationen, denen ein Fenimore Cooper, ein George Bancroft und viele andere Notabilitäten der Wissenschaft beiwohnten und das Wunderbare jener Thatsachen bereitwilligst zugestanden, denselben innern Zusammenhang, wie für die Wunderdinge, welche uns die Zeitungen über die Experimente der Misses Fox, Hayden und anderer Media, sowie über den Schabernack der tanzenden und redenden Tische berichten.


Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription sind gesperrte Schrift, Textanteile in Antiqua-Schrift sowie Fettdruck jeweils markiert.

Vertauschungen der Buchstaben "u" und "n" wurden korrigiert.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden Ausnahmen,

Seite 13:
"«" entfernt hinter "geöffnet!"
(ich habe Dir nur die Augen geöffnet!«)

Seite 19:
"«" entfernt hinter "verroste!"
(mich sehr vorsehen müssen, damit ich nicht verroste!)

Seite 36:
"«" entfernt hinter "nicht!"
(kann es gleich sein, denn mein Schade ist es nicht!)

Seite 39:
"kaum" geändert in "kam"
(Endlich kam auch der Tag, an welchem der Prozeß)

Seite 42:
"." eingefügt
(das bekommt mir nicht: es macht mich so träge.)

Seite 42:
"." eingefügt
(zugleich Gelegenheit haben, sich auszuzeichnen.)

Seite 91:
"Famlie" geändert in "Familie"
(seine Familie wohnt schon seit Menschengedenken in der Abtei)

Seite 101:
"vergißmeinichtblaue" geändert in "vergißmeinnichtblaue"
(in denen ein paar vergißmeinnichtblaue Perlen saßen)

Seite 113:
"weise" geändert in "weiße"
(flicht der Engel zehn weiße Rosen um die bleiche Stirn)

Seite 120:
"Zähneilappern" geändert in "Zähneklappern"
(sind Jammer und Zähneklappern heute die Christbescheerung)

Seite 121:
"," eingefügt
(sie fürchteten sich vor dem gottlosen Steffen,)

Seite 125:
"dem" geändert in "den"
(mit den beiden Knaben im Arme stürzte er zu seinem Weibe)

Seite 129:
"Gheimnisse" geändert in "Geheimnisse"
(der aber läßt Niemanden in seine Geheimnisse blicken)

Seite 130:
"vernüftige" geändert in "vernünftige"
(die andre vernünftige Leute viel lieber in die Speisekammer)

Seite 144:
"der" geändert in "Der"
(Der Weise untersuchte erst und urtheilte dann)