Title: Gräfin Elisa von Ahlefeldt, die Gattin Adolphs von Lützow, die Freundin Karl Immermann's
Author: Ludmilla Assing
Release date: February 7, 2015 [eBook #48192]
Language: German
Credits: E-text prepared by the Online Distributed Proofreading Team (http://www.pgdp.net) from page images generously made available by the Google Books Library Project (http://books.google.com)
Note: | Images of the original pages are available through the Google Books Library Project. See http://www.google.com/books?id=Md05AAAAcAAJ |
Eine Biographie
von
Ludmilla Assing.
Nebst Briefen von Immermann, Möller und Henriette Paalzow.
Mit dem Bildniß Elisa's.
Berlin.
Verlag von Franz Duncker.
(W. Besser's Verlagshandlung.)
1857.
Meinem theuren Onkel
K. A. Varnhagen von Ense,
in
herzlicher Liebe und Verehrung
zugeeignet.
Wenn ich es unternehme, ein Lebensbild der Gräfin Elisa von Ahlefeldt zu entwerfen, so geschieht dies einmal für ihre zahlreichen Freunde, die ihr ein liebendes, verehrungsvolles Andenken widmen, und denen, wie ich weiß, alles wichtig und theuer ist, was sie betrifft, andrerseits aber auch, weil diese Frau durch ihre seltenen Geistes- und Herzenseigenschaften sowohl, wie durch ihre merkwürdigen, wechselvollen und oft wahrhaft romanhaften Lebensschicksale eine ungewöhnliche Bedeutung in der Gesellschaft und in der Literatur erlangte. Wenn ihre zu große Bescheidenheit sie nicht als Schriftstellerin auftreten ließ, sie, die dazu mehr Befähigung besaß als viele Frauen, die sich auf diesem Gebiete Anerkennung erworben, wenn sie sich auch überhaupt niemals in die Oeffentlichkeit wagte, so hat sie doch auf ihre Zeit und die ausgezeichneten Menschen, die sich ihr angeschlossen, einen so weitgehenden und entscheidenden Einfluß ausgeübt, daß ihr Name vor vielen andern verdient aufbewahrt und gefeiert zu werden. Wie Madame Roland die edlen Girondisten in der französischen Revolutionszeit zum aufopferndsten Kampfe für die Freiheit anfeuerte, so begeisterte und beseelte Gräfin Elisa von Ahlefeldt die jungen Helden der Lützow'schen Freischaar für die Befreiung des unterdrückten Vaterlandes. Trug sie nicht wie Johanna d'Arc selbst die Fahne in die Schlachten, so umschwebte doch ihr edler, hochfliegender Geist die tapferen Streiter in Kampf und Gefahr. Nachdem der Krieg beendet war und Deutschland seine innere Herstellung begann, finden wir die seltene Frau in stiller, poetischer Zurückgezogenheit als die Muse eines begabten deutschen Dichters, dessen Lorbeer ohne den Sonnenschein ihrer Nähe nie so schön erblüht wäre. Dann, als ein tragisches Geschick sie von dem Dichter trennte, verlor sie trotz ihres tief verwundeten Herzens doch nicht die edle Fassung, die ihr zu allen Zeiten eigen war. Noch im späteren Lebensalter, in dem sie sich die zarte Anmuth und Grazie der Jugend in seltenem Grade bewahrt hatte, war sie der Mittelpunkt, die Beschützerin und Erweckerin eines Kreises junger Talente, die sie mit begeisterter Verehrung und zärtlicher Neigung umgaben; so ist ihr ganzes Dasein für alle die ihr nahten, anregend, erhebend und segensreich gewesen. Wenn ihr Leben von schwerem Unglück durchflochten war, so müssen ihre Freunde sich mit schmerzlicher Bewunderung gestehen, daß sie mit einer minder großartigen, uneigennützigen und aufopfernden Seele vielleicht glücklicher geworden wäre. Wo sie verkannt wurde, was übrigens nur von ihr Fernstehenden geschehen konnte, da war dies nur der Fall, weil man so viel zarte Rücksicht, Edelmuth und Schonung, wie sie solche in allen Lebenslagen ausübte, für unwahrscheinlich hielt. Die holde Liebenswürdigkeit ihrer persönlichen Erscheinung ist denen schwer zu schildern, die sie nie sahen, aber um sie in dem vollen Glanz ihres Charakters zu zeigen, braucht man nur einfach und wahr ihr Leben zu erzählen. Dies hat mich zu der vorliegenden Biographie ermuthigt. Für die Wahrheit dieser Mittheilungen kann ich um so mehr einstehen, da ich nicht nur das Glück hatte, mit der ausgezeichneten Frau auf das innigste vertraut und befreundet zu sein, sondern da mir auch die Einsicht geworden in alles, was sich von ihrem handschriftlichen Nachlaß erhalten hat.
Elisa Davidia Margaretha Gräfin von Ahlefeldt-Laurwig wurde im Jahre 1790 den 17. November an dem Geburtstage ihres Vaters auf dem Schlosse Trannkijör zu Langeland geboren. Ihr Vater, Graf Friedrich von Ahlefeldt-Laurwig, geboren den 17. November 1760, gehörte einem altadlichen Geschlechte an, welches im Jahre 1665 von Kaiser Leopold dem Ersten in den Reichsgrafenstand und 1672 vom König von Dänemark in den dänischen Grafenstand erhoben und mit der Grafschaft Langeland belehnt wurde. Er genoß durch Rang, Macht und Reichthümer eines ungewöhnlichen Ansehens; er war ein besonderer Liebling des Königs Friedrich des Sechsten von Dänemark, in dessen Dienst er als Kammerherr und als Offizier stand; der König zeichnete ihn nicht nur mannigfach aus, sondern bewies ihm eine fortwährende Freundschaft; gern und oft besuchte er ihn auf dem prächtigen, nahe am Meeresufer belegenen Trannkijörschlosse, wo auch viele andere Mitglieder des Königlichen Hauses häufig einkehrten. Am Kopenhagener Hofe spielte Graf Friedrich eine um so bedeutendere Rolle, da man seinen Einfluß auf den Königlichen Gebieter allgemein kannte. Er war ein kräftiger, stattlicher Mann, lebhaften Temperaments, dem Wohlleben, der Jagd und anderen Vergnügungen leidenschaftlich ergeben. Seine Gemahlin, Louise Charlotte, geborene von Hedemann aus Holstein, schön, fein, verständig und edlen Sinnes, war ihrem Gatten mit zärtlicher Neigung zugethan. Ein Sohn, welcher der Erbe aller Besitzungen geworden wäre, starb gleich nach der Geburt. So blieb Elisa ohne Geschwister.
Sie genoß als Kind der äußersten Sorgfalt und Aufmerksamkeit beider Eltern, eine glänzende Zukunft schien vor ihr zu liegen, alle äußeren Glücksgüter sich ihr in reicher Fülle darzubieten. Alles was zum Schloß gehörte, wollte der kleinen Comtesse seine Zuneigung bezeigen, sechs Tanten wetteiferten mehr noch als sie zu erziehen, sie auf den Händen zu tragen, ihre körperliche und geistige Ausbildung ließ man sich in jeder Weise angelegen sein.
Eine sehr glückliche Wahl traf man in ihrer Erzieherin, Marianne Philipi aus Hamburg, die durch Gemüth und Charakter ausgezeichnet war, und lebenslänglich mit ihrer Pflegebefohlenen in der innigsten Beziehung blieb. Marianne, von jener schlichten Tüchtigkeit, wie sie oft den Hamburgerinnen eigen zu sein pflegt, liebte Elisen mit mütterlicher Anhänglichkeit, und war schon früh bemüht, in einer Umgebung voll Genuß und Zerstreuung, den Sinn ihres Zöglings auf jenen Kern der Dinge aufmerksam zu machen, der so leicht ob ihres äußeren Prunks und Schimmers in solchem Kreise übersehen wird. Den Menschen nach seinem Menschenwerth zu schätzen und zu beurtheilen, und nicht nach Rang und Geburt, in ihrer bevorzugten Stellung bescheiden, frei von allen Vorurtheilen, ohne allen Stolz und Hochmuth zu bleiben, das lernte Elisa von der vortrefflichen Philipi; eine lebhafte Verehrerin Klopstock's, Herder's und Schiller's, suchte diese auch Elisens Theilnahme für die Werke dieser Schriftsteller zu erwecken. Elisens frischer Geist ergriff mit jugendlicher Wärme und Begeisterung diese Lectüre, und lebte neben dem äußeren Leben voll einschmeichelnder Oberflächlichkeit, mit ihrer Erzieherin ein inneres voll ernsten Nachdenkens, sinniger Betrachtung und poetischer Träumerei. Der Genuß der Natur, der großartige Anblick des Meeres, das sie aus den Schloßfenstern beständig in jeder Beleuchtung vor Augen hatte, wirkte mächtig auf sie, und wir dürfen wohl sagen, daß die Stunden, welche sie in solcher Anschauung oder mit ihren Lieblingsdichtern zubrachte, ihr lieber waren, als alle die ausgesuchten Artigkeiten, mit denen man ihr begegnete.
Elisa wuchs heran und die Reize ihrer blühenden Jugend entfalteten sich im Verein mit denen ihres Geistes und Herzens. Sie war mittlerer Größe, von zarter, anmuthiger Gestalt, die schönste Fülle blonder Locken umkränzte ihren schneeweißen Teint, aus den großen, sanften, himmelblauen Augen sprachen Güte, Geist und Liebreiz, die Nase war fein geschnitten, die frisch geschwellten Lippen umspielte ein Lächeln voll milder Freundlichkeit, und die fröhlichste Munterkeit belebte ihre Züge; ihre Hände und Füße zeichneten sich durch ungewöhnliche Kleinheit und Zierlichkeit, so wie durch die vollendetste Form aus; sie schwebte mehr als sie ging, in jeder ihrer Bewegungen war Harmonie und Ebenmaß. Sie tanzte wie eine Sylphide, ritt mit eben so viel Kühnheit als Grazie; begabt mit einer herrlichen Stimme, sang sie mehrmals in der Kirche bei der Aufführung von Oratorien die Hauptparthien. Am Hofe zu Kopenhagen erregte sie Bewunderung durch ihre Liebenswürdigkeit, Schönheit und Anmuth, und von den Mitgliedern des Königlichen Hauses wurde ihr gehuldigt.
Die mannigfaltigen Kreise und Lebensverhältnisse, die sich früh ihrem Auge darboten, schärften ihren Blick, der immer unbefangen und klar die Dinge betrachtete, und schnell lernte sie sich ein eigenes Urtheil bilden. Im Trannkijörschloß war immer ein bunter Menschenverkehr; der gastliche Graf, der Geselligkeit liebte, lud außer den benachbarten Adlichen auch durchreisende Fremde aus allen Ständen an seine prächtige Tafel. Elisa, die sich freimüthig mit Allen unterhielt, machte so Bekanntschaft mit Künstlern, Gelehrten, Militairs, Kaufleuten und Seefahrern, und erweiterte ihren Gesichtskreis, indem sie sich von fremden Ländern, Gegenden und Zuständen erzählen ließ. Ihrer Beobachtung konnte es hiebei nicht entgehen, daß feine Bildung und gründliche Kenntnisse nicht immer vorzugsweise auf Seiten der Vornehmen waren. Eine alte Gräfin aus Holstein, die wenig von ihrem Gut gekommen war, und bei ihrem Besuche auf dem Schlosse, als sie den Mohren des Grafen bei der Tafel aufwarten sah, ängstlich zusammenfuhr und leise fragte: »Färbt der Mensch auch ab?« war wohl nicht das einzige Beispiel von Unwissenheit, welches Elisa unter der hohen Aristokratie wahrnahm, während sie aus dem Verkehr mit dem intelligenten Mittelstand viel mehr Belehrung und Anregung zog. Marianne Philipi hatte, um Elisa vor Eitelkeit zu bewahren, ihr oft versichert, die Herren pflegten junge Damen nur dann mit leeren Schmeicheleien zu unterhalten, wenn sie ihnen nicht Geist und Verstand genug zutrauten, um mit ihnen über ernstere Dinge zu reden. Als daher eines Tages ein vornehmer Herr ihr seine ziemlich faden Huldigungen darbrachte, und sich davon den günstigsten Eindruck versprach, fühlte sich das junge Mädchen bitter gekränkt, und rief in naiver Empörung: »Wie so halten Sie mich denn für so einfältig, daß Sie meinen, mich nicht von interessanteren Gegenständen unterhalten zu dürfen?« –
Wie sehr Elisa überall gefiel, ahnte sie selbst nicht; unschuldig und bescheiden, war sie immer erstaunt und überrascht, wenn ihr irgendwo besondere Verehrung entgegentrat. Daß sie schon von ihrem zwölften Jahre an die zärtliche Neigung eines ausgezeichneten Mannes erregte, beweist uns ein Brief des hannöverischen damaligen Obersten Karl von Alten, der später als Führer der hannoverschen Truppen in Portugal und Spanien sich großen Ruhm erwarb, dann 1815 in der Schlacht von Belle-alliance, wo er eine schwere Verwundung erlitt, sich auszeichnete, und als General in den Grafenstand erhoben wurde. Er starb erst 1840, und sein ehernes Standbild, welches von Kümmel entworfen und 1848 auf dem Waterlooplatz zu Hannover aufgestellt wurde, feiert sein Andenken. Karl von Alten, damals einundvierzig Jahre alt, schrieb an die noch kaum fünfzehnjährige Elisa aus Hamburg den 29. August 1805 die folgenden Zeilen, die eben so viel zarte Achtung als leidenschaftliche Ergriffenheit aussprechen, und von dem Schreiber, wie von der noch so überaus jungen Empfängerin die vortheilhafteste Vorstellung erwecken: »Gnädigste Gräfin! In dem Augenblick, da das traurige Schicksal, das mein Vaterland betroffen, mich veranlaßt dasselbe zu verlassen und nach England zu gehen, hoffe ich Verzeihung zu erhalten, wenn ich Sie, gnädigste Gräfin, mit denjenigen Gesinnungen bekannt zu machen wage, die beinahe seit drei Jahren mein ganzes Wesen erfüllen. Alles das Gute, was ich von allen denen, die das Glück haben Sie zu kennen, erfahren hatte, mochte wohl Veranlassung sein, daß meine erste Bekanntschaft mit Ihnen auch den Grund zu einer Leidenschaft legte, die keine Zeit und keine Abwesenheit hat auslöschen, sondern vielmehr nach einer näheren Kenntniß Ihres fürtrefflichen Charakters zum Nachtheil meiner Ruhe nur zu sehr zugenommen hat. Ihre damalige Jugend, und nachher die mißliche Lage meiner Gesundheit machten es mir zur Pflicht zu schweigen, und meine Empfindungen, so schwer es mir auch ward, in mich zu verschließen. Auch noch jetzt, obgleich diese Hindernisse gehoben sind, und meine Gesundheit längst völlig wiederhergestellt ist, erlaubt mir meine jetzige Lage nicht, etwas Entscheidendes über mein künftiges Glück von Ihnen, noch von Ihren theuren Eltern zu hoffen. Alles was ich jetzt von Ihrer edlen Denkungsart erwarten darf, ist bloß die Versicherung, daß Sie meine freimüthigen Aeußerungen nicht beleidigen, und wenn ich das Glück habe, Ihnen nicht ganz gleichgültig zu sein, mir nicht alle Hoffnungen zu benehmen, im Fall glücklichere Zeiten wieder eintreten sollten. Verzeihen Sie, theuerste Gräfin, die offene, ungekünstelte Sprache eines Soldaten, es war mir aber unmöglich länger zu schweigen, es war durchaus nothwendig zu meiner Beruhigung, daß ich Ihnen mein Herz eröffnete. Nur aus diesem Grunde verspreche ich mir Ihre gnädige Nachsicht, und wenn mein hartes Schicksal es auch wollte, bei Ihnen diejenigen Gesinnungen nicht anzutreffen, die mich zum glücklichsten Menschen machen würden, so hoffe ich wenigstens daß Sie mich Ihrer Achtung nicht unwerth halten werden.« – Elisa war gerührt durch diesen Brief, doch empfand sie keine Neigung für den so viel älteren Mann.
Eine Huldigung ganz anderer Art wurde Elisen zu Theil, als sie im Jahre 1806, sechzehnjährig zum erstenmal einen Ausflug nach Hamburg machte. Sie ging dort an der Seite ihrer Erzieherin über den Jungfernstieg, als ein junger muntrer Matrose ihnen begegnete. Das schöne junge Mädchen, frischer und blühender als die frische, blühende Rose, die er an seinem schwarzen Strohhut trug, mochte ihm wohl besonders gefallen, denn er hob sie wie ein Kind vom Erdboden auf, gab ihr einen Kuß, und setzte sie dann sanft wieder nieder, zu ihrem eigenen großen Schrecken und dem nicht minderen ihrer bestürzten Erzieherin, die dem dreisten Burschen sprachlos nachblickte, als er rasch und vergnügt davon eilte.
Graf Friedrich war ein eifriger Musik- und Theaterliebhaber; er besoldete nicht nur eine große Schaar ausgezeichneter Musiker, die seine beständige Kapelle bildeten, sondern er zog auch ganze Schauspielertruppen zu sich auf das Schloß, die deutsche und französische Komödien aufführen mußten. Er verlangte, daß seine schöne, begabte Tochter dabei mitwirke durch Spiel und Gesang; sie that es, aber sehr ungern, da die Schauspieler ihr durch manche Rohheit und Leichtfertigkeit bald mißfielen, und durchaus nicht den idealen Vorstellungen entsprachen, die sie sich anfänglich von solchen Künstlern gemacht hatte, und es entstand bei ihr eine Abneigung gegen den Schauspielerstand, die sie für immer beibehielt.
So schön und vielversprechend Elisens Jugendleben begonnen hatte, so sollte es doch bald durch manchen Kummer getrübt werden. Zwischen den Eltern entstanden Zwiespalt und Entfremdung in solchem Maße, daß es Elisens Augen nicht verborgen bleiben konnte. Der Vater, vergnügungssüchtig, leichtsinnig und gewohnt sich keinen Genuß zu versagen, machte einen Aufwand, der selbst für die außerordentlichen Mittel, die ihm zu Gebote standen, zu bedeutend war, und seine mannigfaltigen Liebesverhältnisse mußten das häusliche Glück auf das bedenklichste stören. Die Mutter, die ihren Gatten innig liebte, fühlte sich tief gekränkt und unglücklich, sie trennte sich von ihm, und zog nach dem Gute Ludwigsburg, wohin ihr die Tochter folgte. Elisa, die immer besonders zärtlich an der Mutter gehangen, theilte mit ihr Schmerz und Betrübniß, und litt schwer von diesen so traurigen und zerrissenen Verhältnissen.
Nach einem still und zurückgezogen verlebten Winter in Ludwigsburg, beschloß die Gräfin Charlotte, deren Gesundheit etwas zu leiden begann, im Sommer 1808 mit ihrer Tochter nach dem Bade Nenndorf zu gehen. Eine Freundin Elisens, eine junge Engländerin, Namens Fanny Harward, die seit einiger Zeit bei ihnen lebte, begleitete sie dahin.
Mit frischem Jugendmuth, der trotz aller Trübung doch immer wieder fröhlich hervorbrach, sahen die beiden jungen Mädchen dieser Reise entgegen. Wie viel Unerwartetes, Schönes, Abentheuerliches dachten sie sich aus, das ihnen unterweges begegnen könne! Sie wurden nicht müde, sich auszumalen, was ihnen alles Neues und Bedeutsames bevorstehen möchte, und beide waren bereit, alles mit offenem, empfänglichem Sinn aufzunehmen. Diese Vorahnung wurde zum Theil mehr als bestätigt, denn was Elisen betraf, so sollte allerdings ihr Aufenthalt in Nenndorf für ihr ganzes Leben entscheidend werden.
Die Reise wurde gegen die Mitte des Juni angetreten; man kehrte zuerst in Holstein bei Gräfin Charlottens Bruder, dem Gutsbesitzer von Hedemann-Heespen auf Deutsch-Nienhof ein, bei jenem vortrefflichen Onkel Elisens, dem sie immer, mehr noch wie ihrem Vater, zugethan war, und der sich ihrer in der Folge auch stets väterlich annahm; dann verweilte man einige Tage in Hamburg, wohnte einer Revüe bei, welche der damalige Fürst von Ponte-Corvo, der nachherige Kronprinz von Schweden, auf dem Walle über holländische Truppen abhielt, und besuchte die schönen Elbufer. In Hannover wurden die Gärten von Herrenhausen besehen, und als man in Nenndorf anlangte, glaubten Elisa und ihre Freundin schon viel des Interessanten und Hübschen erfahren zu haben.
Wie viel mehr noch sollte ihnen das bunte Badeleben von Nenndorf darbieten, wo sich eine mannigfaltige Gesellschaft froh bewegte! Die verständige Gräfin, ihre reizende Tochter und die muntre Fanny waren überall gern gesehen, man kam ihnen von allen Seiten mit Beeiferung und Freundlichkeit entgegen; sie hörten die Conzerte des dort anwesenden berühmten Violinspielers Kiesewetter, sie tanzten und fuhren spazieren in der angenehmsten Umgebung und heitersten Laune. Einige französische Offiziere, die sich in der Gesellschaft befanden, wußten den jungen Damen in feinster und liebenswürdigster Weise den Hof zu machen, Elisa besonders war immer der Hauptgegenstand aller Auszeichnung.
Eines Tages saß an der Table d'hôte neben Elisen ein ihr bereits bekannter junger französischer Offizier, der sich in ein lebhaftes Gespräch mit ihr vertiefte. Plötzlich geschah es, daß er in dem Eifer der Unterhaltung ihre Hand erfaßte. Elisa erschrack auf das heftigste, und die Berührung war ihr so widrig, daß sie ohne sich zu besinnen in ihrer Angst eine Wasserflasche ergriff, die vor ihr auf dem Tische stand, und vor aller Augen ihre Hand damit begoß und abwusch. Der Franzose sah sie bestürzt an.
Einige an der Tafel sitzende preußische Offiziere hatten aus einiger Entfernung dem Vorgang zugesehen; unter diesen waren Adolph von Lützow, der nachherige berühmte Freischaarenführer, und sein Freund, Gustav von Bornstedt, welcher in der Schlacht von Auerstädt große Proben von Unerschrockenheit abgelegt und nach dem Tilsiter Frieden seinen Abschied genommen hatte. In jener Zeit, wo das Vaterland von Napoleon unterdrückt war und man den Franzosen so vielfältig mit Haß begegnete, war es leicht erklärlich, daß die Preußen die Meinung faßten, die ihnen unbekannte junge Dame wolle durch ihre Handlung ihren deutschen Patriotismus an den Tag legen, und damit ausdrücken, daß ihre Hand ihr durch die geringste Berührung eines Franzosen wie befleckt erschiene, ja, sie waren so erfreut über diesen energischen Haß, für den sie es hielten, daß sie am Nachmittag bei Elisens Mutter um die Erlaubniß anhielten, ihr die Aufwartung machen zu dürfen, um die schöne, franzosenfeindliche deutsche Jungfrau kennen zu lernen.
Sie hatten sich indessen sehr geirrt. Ganz abgesehen davon, daß Elisa eigentlich keine Deutsche, sondern eine geborene Dänin war, so lag es überhaupt durchaus nicht in ihrem Charakter, einem Einzelnen, mit dem sie sich noch eben harmlos unterhalten hatte, und dem sie auch außerdem ganz freundlich gesinnt war, eine so harte Kränkung zuzufügen, und ihn allein ungerechterweise entgelten zu lassen, was seine Nation, oder vielmehr Napoleon an Deutschland verbrochen hatte. Im Gegentheil bedauerte sie, wie sie sich von ihrem Schreck erholt hatte, den Franzosen so verletzt zu haben und suchte sich möglichst bei ihm zu entschuldigen. Dieser Vorfall war es jedoch, der den ersten Anlaß zu Elisens Bekanntschaft mit Adolph von Lützow gab, und noch in ihrem späteren Alter pflegte sie zuweilen scherzend zu sagen, jenem seltsamen Mißverständniß habe sie ihren Gatten verdankt.
Wenn Adolph von Lützow auch nicht die Franzosenfeindin in Elisen fand, die er in ihr erwartete, so fand er dafür besseres in ihr. Wenn auch von Geburt eine Dänin, so war sie doch dem Sinn und Geiste nach eine Deutsche, die deutsche Mutter und die brave Marianne Philipi hatten in diesem Betreff entschiedenen Einfluß auf sie ausgeübt, und viel mehr fühlte sie sich zu den Deutschen hingezogen als zu den Dänen. Mit ihrem warmen Herzen, mit ihrer lebhaften Phantasie hatte sie tief den Druck mitempfunden, der auf Deutschland ruhte, und in ihrem begeisterten Gemüthe fanden die Freiheitshoffnungen, die sich in der ganzen deutschen Jugend mächtig regten, ihren reinsten Wiederhall.
Es war nicht anders möglich, Adolph von Lützow, welcher bereits die Kriege am Rhein mitgemacht, sich in der Schill'schen Freischaar ausgezeichnet hatte, und bei der ruhmvollen Vertheidigung von Kolberg gegenwärtig war, wofür er als Hauptmann schon den Orden pour le mérite erhielt, mußte Elisens besonderen Antheil erwecken. Die Wunden, welche er von Kolberg davongetragen, und deren Heilung ihn nach Nenndorf geführt, durften ihr Interesse für ihn nur erhöhen; sie sah in ihm einen deutschen Krieger, welcher mit ganzer Seele für das Vaterland glühte, das auch sie wie das ihrige liebte.
Adolph von Lützow war damals sechsundzwanzig Jahre alt, von mittlerer Größe; er sah weder regelmäßig schön, noch geistreich und bedeutend aus, aber gutmüthig und angenehm; seine großen blauen Augen trugen den Ausdruck von Treue, Wohlwollen und Bravheit; sein rundes Gesicht war von schlichten blonden Haaren umgeben, ein blonder Bart bedeckte die Oberlippe; das Kinn war kurz und etwas vorspringend. Sein offenes, männliches Wesen durfte gefallen, und ein Zug von soldatischer Munterkeit stand ihm wohl an.
Elisa trat ihm entgegen in der vollen Blüthe ihrer Jugend und Schönheit, eine wahrhaft ätherische Erscheinung, achtzehn Jahre alt, voll Geist, Leben und Frische, mit liebenswürdig kindlicher Unschuld schon ernsten Sinn und tiefere Einsicht verbindend, und jene süße Anmuth, die alles bezauberte, was ihr nahte. Gewiß, sie durfte darauf rechnen, sich viele Herzen zu gewinnen, auch wenn sie nicht die vornehme Grafentochter, die künftige Erbin großer Reichthümer gewesen wäre!
Lützow bezeigte ihr seine Verehrung und Bewunderung auf das lebhafteste; als er sie kennen lernte, hatte er seine Abreise schon festgesetzt, die nach zwei Tagen erfolgen sollte; nun konnte er sich aber nicht entschließen, sich so rasch aus solcher Nähe zu verbannen, und er blieb von einem Tage zum andern.
»Welche von den beiden Damen ist es denn,« fragte ein alter Graf Löwenhielm leise und lächelnd zu Elisen und Fanny gewandt, indem er auf Lützow deutete, »die jenen schnurrbärtigen Offizier dort festhält, der immer morgen abreisen will und immer hier bleibt?« – »Ich nicht!« rief Fanny, aber Elisa erröthete.
Lützow verweilte beinahe drei Wochen und trat immer offener und dringender mit seinen Bewerbungen hervor. Daß er Elisens Neigung erobert, durfte er hoffen, und auch der Gräfin Charlotte wußte er Zutrauen und Wohlwollen einzuflößen. Beide Frauen konnten sich aber nicht verhehlen, welche Schwierigkeiten einer Verbindung im Wege standen, da sie wohl wußten, daß Graf Ahlefeldt sich nicht leicht entschließen würde, seine Tochter außer Landes zu geben, und noch dazu einem jungen preußischen Offizier, der zwar von guter Familie war, tapfer und brav, aber weder durch Rang noch Vermögen die Ansprüche befriedigte, die jener an seinen künftigen Schwiegersohn glaubte machen zu dürfen; in der That fanden sich überall Gelegenheiten zu glänzenderen Parthien. Die zärtliche Mutter freilich konnte der Wahl der Tochter nicht entgegen sein, und fand, daß ein wahres Herzensglück, wie es sich hier darzubieten schien, solchen äußeren Vortheilen vorzuziehen sei. Lützow seinerseits betheuerte, daß er nicht eher ruhen würde, bis alle Hindernisse hinweggeräumt seien, und er Elisen errungen hätte.
So reiste er ab. Bald nach ihm verließ auch die Gräfin Charlotte mit ihrer Tochter und Fanny das freundliche Nenndorf, um nach Pyrmont zu gehen, wo noch eine Nachkur gebraucht werden sollte.
Dort erhielt Elisa den ersten Brief von Lützow; wir theilen denselben, so wie einige folgende mit, da es interessant sein dürfte, Adolph von Lützow, der meist nur als muthiger Offizier und Führer der Freischaar genannt wird, hier als eifrigen Liebhaber und Bewerber kennen zu lernen. Er schrieb ihr aus Welle bei Tangermünde an der Elbe, den 2. August 1808: »Gnädige Gräfin! Nicht allein Eigennutz, etwas von Ihren weißen Händen zu besitzen, veranlaßt mich, Ihnen zu schreiben, sondern ich verbinde noch das Vergnügen damit, mich mit Ihnen unterhalten zu können, und weiß doch gewiß, daß während Sie diese Zeilen lesen, Sie die Güte haben müssen – an mich zu denken. – Meine Reise habe ich bisher glücklich zurückgelegt, der Himmel war klar und unbewölkt, mich konnte dies aber nicht freuen, denn ich kann es nicht ausstehen, wenn alles um mich her heiter ist, während ich mich den Träumen einer zweifelhaften Zukunft überlasse. – Wie ist es Ihnen in Nenndorf gegangen? Ich hoffe, vergnügt, und wünsche doch so herzlich, daß Sie wenigstens den ersten halben Tag nach meiner Abreise nicht ganz froh gewesen sein möchten. So groß ist meine Selbstsucht, daß ich sogar auf Kosten Ihres Vergnügens die Hoffnungen meines Herzens recht sehr ungern getäuscht wissen möchte. – Wie wird es aber in Pyrmont werden? Werden Sie nicht dort, meine innigverehrte Gräfin, über alle interessante Bekanntschaften der blauen Farbe treu zu bleiben vergessen? Die Farbe der Beständigkeit hat, vorzüglich jetzt, tausendfachen Werth für mich, und das Schönste aus Ihren Händen selbst, ohne diese keinen Reiz für mich. – Aber was schreibe ich für dummes Zeug! Sie versprechen mir ein Geschenk, und ich mache schon Bedingungen. Um Gotteswillen, Gräfin, nehmen Sie sich in Acht! – Habe ich nur etwas Hoffnung, so werde ich übermüthig. – Sagen Sie nicht, daß Sie mir nicht abgeneigt sind, dann übertreibt meine Phantasie, dann werde ich unbändig und glaube schon das zu besitzen – was ich herzlich empfinde, aber nicht nennen will, weil es so Viele nennen, ohne es zu empfinden. Ist diese Hoffnung erst zur Ueberzeugung geworden, dann möchte mein lahmes Bein mich umsonst abhalten wollen, den weitesten Weg zurückzulegen, um mein Glück zu erreichen, meine krumme Hand stark genug sein, es festzuhalten, und mein deutsch ehrlicher Kopf die Mittel wohl finden, wodurch es mein werden muß.« –
Lützow täuschte sich nicht, wenn er auf Elisens Treue rechnete; sie hatte mit jener Energie, die ihr in allen wichtigen Lagen ihres Lebens eigen war, fest beschlossen, keinem Anderen als Lützow ihre Hand zu geben.
Auf der Rückreise von Pyrmont wurde Hamburg wieder berührt, und die Reisenden suchten in Altona den Schriftsteller und Arzt, Professor Johann Christoph Unzer auf, mit dem und dessen Gattin sie in Nenndorf zusammengetroffen, und in freundlichen Verkehr getreten waren. Es ist dies derselbe Unzer, welcher mit der schönen, berühmten Schauspielerin Charlotte Ackermann befreundet war, deren Andenken durch Otto Müller's interessanten Roman dieses Namens neu aufgefrischt worden ist. Professor Unzer war damals zweiundsechzig Jahre alt, und starb das folgende Jahr in Göttingen auf einer Reise.
Ende Augusts langte man wieder in Ludwigsburg an, und nun mußte ernsthaft daran gedacht werden, den Vater für die beabsichtigte Verbindung zu gewinnen. Dies war nicht leicht. Unterdessen schrieb Lützow an Elisen aus Treptow, den 1. Oktober 1808: »Ihrer verehrungswürdigen Frau Mutter küsse ich die Hände in Gedanken, und bitte Sie, ihr zu sagen, daß ich mich gerne, um ihren Beifall zu haben, in allen Tugenden üben wollte, aber Geduld – in einem gewissen Punkte, das ist eine Tugend, die ich nicht erreichen werde, und unter uns gesagt, nach der ich nicht strebe. Schlimm genug, wenn das unglückliche Schicksal jemanden so hart prüft, wie mich; wie lange wäre ich nicht schon so kühn gewesen, nach Ludwigsburg zu kommen, aber leider haben es die Verhältnisse nicht gestattet, und was würden Sie von einem Manne denken, der seine Pflicht nicht erfüllt, und wenn ihm dies auch noch so schwer würde.« –
Nach langem Zögern sprach der Vater seinen Willen aus, der aber sehr wenig die Wünsche der Liebenden befriedigte; er war der Verbindung entschieden abgeneigt, und verlangte vor allem, daß Lützow nicht eher nach Ludwigsburg komme, als bis er ihm die Erlaubniß dazu gebe; er wies die Tochter schnöde zurecht, meinte, sie würde es ihm später einmal Dank wissen, daß er so und nicht anders handle; es gebe der schlechten Romane genug in der Welt, er wünsche nicht, daß Elisa sie vermehre, und »z. B. eine irrende Ritterin werde, wie die Ahlefeldten von Saxtorf!« – Das war wenig tröstlich!
Mit immer sich steigernder Sorge und Ungeduld schrieb Lützow aus Berlin, den 1. Januar 1809: »Liebe, gute Elise! Von ganzem Herzen habe ich mich gefreut, einen Brief von Ihnen zu erhalten, ich eile zu danken und versichere, daß mich nichts glücklicher macht, als der Beweis, daß ich noch bei Ihnen in gutem Andenken stehe. Zugleich danke ich für die Abschrift des Briefes an Ihren Vater, was aber das Mißtrauen betrifft, so traue ich so fest, daß ich selbst diese nicht verlangt hätte. Habe ich Mißtrauen, so ist es an meiner eigenen Liebenswürdigkeit, so entspringt es aus dem Zweifel, daß Ihnen ein schlichter, grader Sinn nicht Ersatz genug sein wird für Bildung und feine Welt. – Ich mache mir die Freude Ihnen mein Ideal der Treue zu übersenden[1]; ich versichere, daß ich in meinem ganzen Leben nicht schlechter als dieser Pudel sein werde, der fest entschlossen ist, und nichts inniger wünscht, als seine liebenswürdige Gebieterin nie zu verlassen. Er ruht auf dem Beweis, daß ich Kraft genug habe, dem, was ich liebe, alles zu opfern.« –
[1]: Lützow schickte Elisen einen Ring mit einem Pudel verziert.
Dieser Verkehr mit dem Entfernten erfüllte Elisens Herz beinahe ausschließlich in dem Winter in Ludwigsburg, den sie wieder still und einsam mit ihrer Mutter dort zubrachte. Lützow schrieb ihr aus Berlin, den 7. Januar 1809: »Wie muß einem Menschen zu Muthe sein, dem sich der Himmel öffnet, er glaubt das höchste Glück erreicht, und wird in den tiefsten Abgrund des Unglücks gestürzt. – Die Natur schuf mich fest und resignirt, doch diesen Wechsel würde ich nie aufhören zu empfinden, er raubte mir das letzte Vertrauen an die Menschen. – Was ein Mensch opfern darf, lege ich Ihnen zu Füßen, mit Ihnen vereinigt, will ich an jedem Ort der Welt glücklich leben. Alle äußeren Verhältnisse will ich zerbrechen, bleibt mir nur die Aussicht meinem Vaterlande noch in meinem Leben einmal nützen zu können. Was wäre ich Ihnen ohne dieses Gefühl, was wäre Ihnen ein Mann ohne feine Politur, wenn diese nicht durch einigen inneren Werth ersetzt würde.« –
Lützow versäumte unterdessen nicht, seinen Eltern, seinen Brüdern und seiner Schwester in Berlin von seiner herrlichen Braut soviel mitzutheilen, daß sie gleich ihm dem Augenblick mit Ungeduld entgegen sahen, wo er sie heimführen würde. Wie sehr er Elisens Werth fühlte, drücken lebhaft die folgenden Zeilen aus, die er ihr aus Berlin den 27. Jan. 1809 schrieb: »Liebe Elise! Sie sind besorgt für mein Glück? Sie verstehen sich wenig auf Ihre eigenen Vorzüge; wer nicht mit Ihnen glücklich ist, dem hat die Natur stiefmütterlich den Stoff der Freude versagt. – Ich bin kein so eifriger Verehrer des Plato, daß die Vorzüge Ihrer Gestalt keinen Eindruck auf mich schwachen Menschen machen sollten. – Ich bin nicht so ernst, daß Ihre frohe Laune nicht auch mich zur Freude umstimmen müßte. Ihre liebenswürdige Aufrichtigkeit gäbe auch einem Greise dieses Prädikat der Jugend zurück. Bei wem nur ein Funke Gefühl für Großes und Edles ist, dem wird Ihr Umgang dies zur erwärmenden Flamme erheben. Wen der Himmel nicht mit einem Staar gestraft hat, der muß täglich neue Vorzüge an Ihnen entdecken und sich glücklich fühlen! – Aber daß diese Eigenschaften nicht zur Geduld einladen, welche Sie, meine schöne Priesterin, predigen, das ist begreiflich, und Ihr Vater, den die erste dieser Eigenschaften schon allein hinreißt, der sollte etwas billiger denken. – Nur für Elise allein will leben Ihr Adolph.« –
Erst als nach einiger Zeit Graf Friedrich selbst nach Ludwigsburg kam, konnten Mutter und Tochter diese Gelegenheit benutzen, ihn etwas günstiger zu stimmen. Die Beständigkeit der Neigung Elisens mochte denn doch wohl Eindruck auf ihn machen, aber er wollte noch nichts festsetzen und verlangte als erste Bedingung, daß Lützow Preußen ganz verließe und nach Dänemark übersiedelte, wo er vielleicht eine Anstellung im Forstwesen oder am Hofe fände, die Graf Friedrichs Einfluß ihm wohl verschaffen konnte. Die Bedingung, Vaterland und Beruf aufzugeben, war hart für Lützow; er schrieb hierüber: »Der Segen, den Ihr Vater über Sie die Güte haben will, auszuschütten, dieser goldene Segen ist hinreichender Grund alle übrigen Forderungen des Vaters als rechtskräftig zu beweisen? – Ich verwerfe diesen kalten Richter! Schon die uralte Fabelzeit übergab dem Weibe die Wage der Gerechtigkeit; ein fühlend Herz muß über das Schicksal der Menschen entscheiden, sprechen Sie das Urtheil! – Muß ich unbedingt dem Willen des Vaters gehorchen? Ihr Wille sei mein Gesetz. Hören Sie aber meinen Vorschlag. Ihr Vater erlaubte uns vielleicht in Ludwigsburg zu wohnen; eine prosaische, ökonomische Untersuchung fände diesen Vorschlag vernünftig, und wir erhielten die gewünschte Einwilligung. Wir reisten, damit ich die Freude hätte, meine Gemahlin meinen Eltern vorzustellen, nach Berlin. – Ich wüßte schon vorher bestimmt, daß man mir Dienste anböte, und ich aus falscher Scham überrascht, nehme diese an, dann bin ich gefesselt. – Glauben Sie, Sie werden von meinen Landsleuten artiger als ich von den Ihrigen empfangen. – Ist dieser Plan auszuführen? entscheiden Sie!« –
Elisa beklagte, den Willen des Vaters nicht ändern zu können; sie verlangte keine glänzende Stellung für ihren Gatten, und versicherte ihrerseits in den bescheidensten Verhältnissen mit ihm glücklich werden zu können. Er antwortete hierauf: »Ich will nie aufhören, Ihr treuer Sclave zu sein, bleiben Sie meine gütige Herrin, welche die Ketten, in die sie mich legte, durch Freundschaft und Liebe zu den süßesten umschuf. – Sie haben zu viel eigenes Verdienst, um das Ererbte höher zu schätzen; es gehört aber viel Geistesstärke dazu, dem Fehler des Zeitalters, der Sucht zu glänzen, zu widerstehen. Wenn der Vater Fürst ist, wird der Tochter ein fühlend Herz Ersatz genug für äußeren Glanz sein? Meine Vorfahren haben zwar das Herzogthum Verona besessen, mir aber, gute Elise, bleibt nichts übrig als die Leiter, welche diese Stadt und ich im Wappen führen. Doch eine Leiter ist genug für mich, ist mir das Glück beschieden, damit Ihr Herz zu erstürmen, und versichern Sie, daß das, was ich besessen habe, mir durch keinen entrissen werden kann. Geben Sie mir diesen Trost, und ich bin glücklich. Adolph.« –
Da zuletzt nichts anderes übrig blieb, entschloß sich Lützow einstweilen Preußen zu verlassen, nahm seinen Abschied, und erklärte sich bereit, dem mißtrauischen Grafen Friedrich alle darauf bezüglichen Papiere, unter denen auch Königliche Kabinetsschreiben, die sehr zu seinem Vortheil sprachen, mitzutheilen; allein trotzdem versagte der Vater noch immer seine Einwilligung. Lützow schrieb darüber aus Schöneiche, den 27. Juli 1809: »Aus Deinem letzten gütigen Schreiben habe ich leider ersehen, daß Dein Vater fortfährt, sich unserer Verbindung zu widersetzen. Wie hart von ihm, zwei Wesen zu trennen, welche wahrhaftig für einander geschaffen sind, wie hart von ihm, uns in diesem Augenblick trübe Tage der Einsamkeit verleben zu lassen, da wir so glücklich mit einander sein könnten! – Deinem Vater habe ich keine Gelegenheit zur Unzufriedenheit gegeben. Das Aeußere habe ich menagirt, und sonst haben Leute von Gefühl dieselben Gesinnungen, wenngleich das Alter klüglich schweigt, wo die Jugend aufbraust. Genug von Verhältnissen, die waren und nicht wiederkehren können. Glücklich der, dem das Glück beschieden, sie in so zärtlichen Armen wie die Deinigen zu vergessen. – Wir wollen eine Welt für uns im Kleinen bilden und die große vergessen, welche nicht einmal die Gefühle eines Mannes zu würdigen versteht, viel weniger nachzuahmen weiß. Du aber wirst mich verstehen, wir werden uns gegenseitig schätzen und glücklich sein! Wie kamst Du in Deinem Lande zu solcher Freiheit von Vorurtheilen?« –
Lützow reiste nun nach Königsberg, um vom König die Erlaubniß nachzusuchen, in fremde Dienste treten zu dürfen. In einem Briefe von dort vom 6. September 1809 drücken sich seine kräftige Gesinnung und seine Ansichten über die Umgebung des Königs so entschieden aus, daß wir nicht unterlassen können, ihn mitzutheilen; er lautet: »Meine beste Elise! Dein Brief war mir ein wahrer Trost in der Wüste. Königsberg bleibt für mich eine Wüste, denn was ist die schönste Gegend ohne Bewohner, und was helfen uns Menschen, wenn nicht gleiche Charaktere uns verbinden. Liegt es an mir, kurz, ich gefalle mir nicht hier. Ich finde hier dieselben Leute, mit welchen ich in Potsdam lebte, als ich bei der Garde stand. – Die Umgebungen des Königs sind mit weniger Ausnahme dieselben, und das herbe Schicksal hat sich umsonst erschöpft, ihnen die Augen zu öffnen. – Das Corps Offiziere der Garde, welches die ganze Campagne durch beinah nie vor dem Feinde gewesen, ist schwach genug zu glauben, es sei ein größeres Verdienst bei dem Könige zu leben, als für ihn zu sterben. – Die Menschen hier sind in zwei Partheien getheilt und hassen sich auf eine fanatische Art; und dennoch sind beide Theile sich völlig gleich, denn jeder liebt nur sich selbst. – Die eine Parthei sucht zwar durch einen sogenannten Patriotismus sich einen Werth zu geben, die andere setzt in eine kalte Klugheit ihren Werth, beide sind aber darin gleich, daß sie mit einem Heißhunger jeden einträglichen Posten zu verschlingen suchen. – Keiner weiß, was ich eigentlich hier will, denn etwas für sich zu suchen und zu bitten, natürlich, darum kann man nur in Königsberg sein. – Daß ich mir die Sache eigentlich besehen will, wie man in die Komödie geht, ohne selbst Lust zu haben, etwas vom Gehalte des Schauspielers zu erwischen, das glauben sie nicht. – Oefters stoßen sie sich auch an und glauben, ich sei verrückt, wenn ich deutlich zu erkennen gebe, daß fürchterliche Ordenssterne himmelweit von großen Verdiensten verschieden sind. – Die Frau, deren Mann der Zufall früh einen tiefen Blick in den Glanz der großen Welt thun ließ, braucht nicht zu besorgen, daß er das stille häusliche Glück diesem Prunke zurücksetzen werde. Am wenigsten dann, wenn sie eine Elise ist, und so zärtlich von ihrem Gemahl geliebt wird, als Du von Deinem Adolph.« – Die Betheurungen, die Verheißungen der Beständigkeit, die er hier und an so vielen anderen Stellen so verschwenderisch aussprach, sie mögen ihm später, wenn er ihrer gedachte, manchmal schwer auf die Seele gefallen sein! –
Elisa fühlte, daß endlich eine Entscheidung erfolgen müsse, und reiste nun zu ihrem Vater nach Langeland, und dort scheinen ihre Vorstellungen ihn endlich bestimmt zu haben, in ihre Wünsche zu willigen. Nach langen Verhandlungen, die den Liebenden endlos vorkamen, waren endlich alle Verhältnisse geordnet, und Lützow eilte zu seiner Braut, die so treu und unerschütterlich an ihm festgehalten hatte, und die den 20. März 1810 die Seine wurde. –
Bald nach der Hochzeit reiste Lützow mit seiner jungen Frau nach Berlin, um sie seiner Familie vorzustellen. Sie gewann bald deren Zuneigung, und besonders schloß sich Lützow's jüngster Bruder Wilhelm ihr mit brüderlichem Zutrauen und unbegränzter Verehrung an. Das Leben in Berlin machte auf Elisa den günstigsten Eindruck; sie besuchte den Hof, der aber bald nach ihrer Ankunft durch den Tod der Königin Luise in Trauer versetzt wurde; in den sonstigen geselligen Kreisen knüpfte sie manche interessante Bekanntschaft an, und befreundete sich auf das herzlichste mit dem Philosophen Solger und seiner Frau. Sie besuchte auch das Theater, und erfreute sich der vortrefflichen Darstellungen classischer Stücke, die durch das ausgezeichnete Spiel Iffland's und der Bethmann besonders anziehend waren. Nur die Ungewißheit ihrer Lage hatte etwas Störendes; Lützow war noch immer ohne Thätigkeit, nach der er doch so sehr verlangte; da sich eine dänische Anstellung nicht sogleich erwirken ließ, so war die Rede davon, ob er ein Gut in Langeland übernehmen solle; doch er und Elisa wünschten lebhaft, in Preußen bleiben zu können.
Unterdessen hatten die schlimmen Zeiten, und zugleich der Aufwand, den er machte, Elisens Vater in mancherlei Verwicklungen gebracht, und der Ertrag seiner Güter verminderte sich immer mehr. Die großen Einkünfte, die Elisen bestimmt waren, mußten unter solchen Umständen ausbleiben.
Nach zwei Jahren peinlicher Spannung rief ein trauriges Ereigniß Elisen plötzlich in die Heimath zurück: ihre Mutter war durch den Kummer über den Gemahl, die Trennung von ihrer einzigen, ihr so theuren Tochter und die unglücklichen allgemeinen Zustände sehr niedergedrückt, ihre Gesundheit litt, und sie starb den 30. März 1812 zu Kopenhagen.
Das war ein Schmerz für Elisen, den sie ihr ganzes Leben lang fühlte; sie konnte sich nicht trösten, und nach langen Jahren noch gestand sie, daß die Zeit ihre Betrübniß nicht zu lindern vermöge. Vor Kummer verlor sie plötzlich ihre schöne Stimme, und nie konnte sie wieder singen.
Mit den traurigsten Gefühlen kehrte Elisa in der Begleitung Lützow's, der ihr nach Kopenhagen gefolgt war, um sie abzuholen, nach Berlin zurück. Hier sollten bald neue unerwartete Umstände ihr Leben zu einem unruhigen und wechselvollen machen.
Das Jahr 1813 begann, und mit ihm jene denkwürdige Zeit unserer Geschichte, die ewig unvergessen dastehen wird. Des Königs Friedrich Wilhelm des Dritten Ruf zu den Waffen: »Die Jugend meines Volkes rüste sich zum Schutze des Vaterlandes!« schlug wie ein Blitzstrahl in die aufgeregten Gemüther, und in den hochfliegenden Geistern ging die Hoffnung auf, das geliebte Vaterland von fremder Unterdrückung zu befreien, und ihm zugleich eine Freiheit im Inneren zu gewinnen, wie es sie nie zuvor besessen.
Lützow brannte vor Ungeduld wieder in Dienst zu treten; die Begeisterung seiner Gattin entflammte und steigerte noch die seinige. Es ist bekannt, wie er als Major jene Freischaar bildete, welche eine so wunderbare und eigenthümlich gemischte Genossenschaft ausmachte, und von Geschichtschreibern und Dichtern so vielfach gefeiert wurde.
Lützow eilte nach Breslau, um dort seine Truppen anzuwerben. In dieser Stadt war ein so großer Zusammenfluß von Menschen, daß Lützow in den ersten Tagen, ehe sich später im Hotel zum »Scepter« Platz fand, für sich und Elisen kein anderes Unterkommen erlangen konnte, als in einer ganz geringen Schenke.
Während ihn seine Geschäfte außerhalb des Hauses in Anspruch nahmen, übertrug er Elisen, die sich zum Kriegsdienst meldenden Freiwilligen anstatt seiner zu empfangen, und sofort anzuwerben. Dort nahm sie, da kein anderer Raum vorhanden war, in einer elenden Bierstube mit hölzernen Bänken jene stürmische Jugend auf, die sich zum Befreiungskampf herandrängte.
In dieser ärmlichen Umgebung erschien den jungen Leuten die schöne, edle, von den lebhaftesten Vaterlandsgefühlen beseelte Frau wie ein höheres Wesen, von dem sie wie bezaubert wurden, ja, wie der Genius der Freiheit selbst, der ihnen ihre Bahn anwies und ihnen Todesmuth und Opferfreudigkeit verlieh. In der That war Elisens ganzes Wesen in jener großen Zeit wie von einem ungewöhnlichen Glanze verklärt; sie liebte ihren Gatten treu und warm, aber jene höchste Höhe feurigster Leidenschaft und extatischster Begeisterung, wie sie sie damals an den Tag legte, konnte ihre große Seele nie für einen einzelnen Menschen, sondern nur für ein mächtiges Weltgeschick, für Vaterland, Freiheit und Poesie empfinden. Hier floß alles zu Einem Brennpunkt zusammen, die Geschichte selbst schien einer wunderbaren Dichtung gleich, die Dichter griffen mit zum Schwerte, und der Donner der Schlachten vereinigte sich mit ihren enthusiastischen Vaterlandsgesängen.
In der kleinen, ärmlichen Schenke zu Breslau wurden viele Tapfere von Elisen angeworben; zu diesen gehörte auch Theodor Körner, der von Wien herbeigeeilt, und so viele Andere, die sich ihr mit Verehrung anschlossen und ihr für immer ergeben blieben.
Bald nach Theodor Körner's Eintritt in die Schaar sollte dieselbe im Mai in dem Dorfe Rogau bei Zobten feierlich den Eid der Treue ablegen, und in der Kirche eingesegnet werden. Der junge feurige Dichter, der zu dieser Festlichkeit ein Lied gedichtet hatte, das als Choral vorgetragen werden sollte, war in der äußersten Verlegenheit, weil der Schneider ihm trotz aller Vorstellungen betheuerte, er sei so mit Arbeit überhäuft, daß es ihm unmöglich falle, ihm bis dahin seine Uniform anzufertigen. In der Verzweiflung eilte Körner zu Elisen, und klagte ihr sein Mißgeschick. Diese zeigte auch bei diesem Anlaß, wie bei vielen größeren, ihre gütige und hülfreiche Fürsorge. »Niemand als Sie, gnädige Frau,« rief Körner, »kann mir helfen, Sie aber vermögen alles!« Auf sein dringendes Ersuchen versprach ihm Elisa, selbst zu dem Schneider, der zufällig in dem Hofe ihres Hauses wohnte, zu gehen, und ihn selbst um die Anfertigung der Uniform zu bitten. Sie that dies denn auch wirklich, ging in die Werkstatt des Schneiders, und stellte ihm die Begeisterung und Ungeduld des jungen Mannes vor, so wie seine Betrübniß, wenn er bei dem Feste fehlen müßte. Der Schneider war so entzückt und hingerissen von der holden, liebenswürdigen Frau, daß er ihr verhieß, er wolle die Nächte zu Hülfe nehmen, und die Uniform zur bestimmten Zeit liefern. Nicht nur hielt er Wort, zur größten Freude Körner's, der Elisen für die glückliche Entscheidung, die sie herbeigeführt, lebhaft dankte, sondern so sehr hatte die letztere den einfachen Handwerker begeistert, daß er sich selbst sogar eiligst noch eine Uniform nähte, und gleichfalls in die Freischaar mit eintrat. –
Nie ist Schiller's Ausspruch: »Schöne Seelen wirken durch ihr Sein« mehr bestätigt worden als durch Elisen; der Einfluß, den sie auf die ganze Freischaar ausübte, war ein ungeheuer; man versteht erst recht den Geist; welcher diese jungen feurigen Helden beseelte, die aus den ausgezeichnetsten Männern, aus Künstlern, Aerzten, Geistlichen, Dichtern, Lehrern und Naturforschern, aus Vornehmen und Geringen seltsam gemischt waren, diese Verbrüderten, die zum großen Theil jenem deutschen Bund angehörten, der mit kühnen Planen umging, diese Schwarzen, welche nur diese und keine andere Farbe trugen, weil sie damit ausdrücken wollten, daß das deutsche Leben noch verfinstert sei, diese ganze Schaar, welche eben so richtig von Theodor Körner die »wilde, verwegene Jagd,« als von Karl Immermann die »Poesie des Heeres« genannt werden konnte, diese ganze Gestaltung versteht man erst recht, wenn man weiß, daß eine reizend schöne, von den kühnsten Idealen beseelte Frau ihren Mittelpunkt bildete, und die Herzen entflammte. Darum waren die Schwarzen ebenso gesittet als muthvoll und tapfer, ebenso poetisch gefühlvoll als hartnäckig im Kampfe. Indem sie sich »die Lützower« nannten, trugen sie ja auch Elisens Namen, und ihr wollten sie Ehre bringen, wie dem Vaterlande; ein Blick Elisens stimmte sie zu ihren Liedern, und trieb sie todesfreudig in den Kugelregen; wie in den alten Ritterzeiten stritten sie zugleich für die gute Sache und für den Ruhm ihrer Dame.
Elisa war so durchaus edel, daß sie gewissermaßen alles um sich her zwang, nur edle Empfindungen für sie zu hegen, aber diese steigerten sich denn auch bei der Mehrzahl zur innigsten Verehrung und Freundschaft, ja zur Anbetung. Sie war keine wilde Amazone, sie blieb immer zart und mild und weiblich, aber durchglüht von dem reinsten Feuer der Begeisterung. Dürfen wir Lützow, den braven, tapferen Führer, dem seine ganze Schaar, wenn er auch nicht immer so rasch in seinen Unternehmungen war, als diese brausende Jugend es wünschen mochte, mit Liebe und Hochachtung anhing, das kräftige Schwert der Schaar nennen, das wacker dreinschlug, und dem alles nacheiferte, so war Elisa dagegen der Geist, der sie beherrschte, und über sich selbst hinaushob.
Elisa hielt sich immer in möglichster Nähe des Kriegsschauplatzes auf; bei den häufigen schweren Verwundungen, welche Lützow erlitt, kam sie gleich herbei, und pflegte ihn mit aufopferndster Treue und Liebe; auch viele der anderen Verwundeten pflegte sie mit ihren eigenen Händen, und erschien bei den leidenden Kriegern wie ein hülfreicher Genius, voll zarter Sorgfalt, tröstend und wohlthuend. Wie sie die Lebenden ermuthigte, betrauerte sie die Gefallenen auf das tiefste.
So sehr strebte jeder danach von Elisen geachtet zu werden, daß, als ein Offizier eine Verpflichtung, die er gegen einen andern hatte, nicht erfüllen wollte, dieser letztere sich an Elisen wandte, mit der Bitte, sie möchte jenen doch daran mahnen, dann würde er es thun, da er doch noch nicht so sehr ohne Ehrgefühl sei, um ertragen zu können, vor ihren Augen so schlecht zu erscheinen.
Viele Siegesbeuten, die gemacht wurden, schenkten die Lützower Elisen, da sie dieselben in ihren Händen am liebsten sahen. Lützow selbst gab ihr mehrere solche; noch im letzten dieser Feldzüge, im Jahre 1815, als nach der Schlacht von Belle-Alliance der Lieutenant Leo Palm der Erste war, der in den eroberten Wagen Napoleons hineinstieg, verschmähte dieser von den vielen Schätzen, die sich darin befanden, etwas für sich zu nehmen, aber zwei Gläser und ein paar Handschuhe des Kaisers überbrachte er Elisen als Andenken. Sogar ein auf dem Schlachtfeld gefundener großer Hund von seltener Schönheit wurde ihr geschenkt, und ist viele Jahre lang ihr treuer Begleiter geblieben.
Werfen wir nun einen Blick auf die Männer, aus denen die Freischaar gebildet war; wir finden da viele Gestalten von besonderer Eigenthümlichkeit, viele, welche sich Namen und Ruf erwarben. Da war der wunderliche Alte im Bart, der Turner Friedrich Ludwig Jahn, der »erste deutsche Freiwillige,« wie er genannt wurde, mit seiner Devise: »frisch, frei, fromm, fröhlich«! Theodor Körner, der edle Dichter, welcher kämpfend dichtete, und dichtend fiel in der Blüthe der Jugend; der mehr als siebzigjährige Rittmeister von Fischer, die komische Figur unter ihnen, der die Listen des Odysseus geerbt zu haben schien, und der mit einem alten Richtschwert bewaffnet einher ging, weil ihm kein anderes groß genug war; dann Peter Beuth, welcher sich seltsam gerüstet hatte, Lützow's Brüder Leo und Wilhelm, sein Schwager Graf zu Dohna, die braven Petersdorff's, Palm, Thümmel, Helmenstreit, Ennemoser, Kruckenberg, Reil, Eckstein, Dorow, Berenhorst, Karl Müller, Meckel, Friedrich Förster, August von Vietinghoff, der Freund von Friedrich Friesen, und endlich Friedrich Friesen selbst, der edle, schöne, blonde Jüngling, mit den feinen, fast mädchenhaften Zügen, welcher von allen, die ihn kannten, heiß geliebt wurde, »an Leib und Seele ohne Fehl, voll Unschuld und Weisheit, beredt wie ein Seher, eine Siegfriedsgestalt von großen Gaben und Gnaden«, wie ihn Jahn beschreibt, »ein lichter Schönheitsstrahl«, wie Arndt von ihm gesungen. Sein früher Tod in den Ardennen, und die Ausdauer, mit welcher sein Freund Vietinghoff seine Ueberreste aufsuchte, getreu seinem Wort, ihn in deutscher Erde bestatten zu lassen, ist vielfach bekannt geworden.
An Friesen, Palm, Friedrich von Petersdorff und Thümmel, einem Verwandten des bekannten Schriftstellers, gewann sich Elisa Freunde für das ganze Leben. Sie und Friesen fühlten sich auf das innigste zu einander hingezogen, es bestand eine schwärmerische Freundschaft zwischen ihnen, sie waren sich ihrem ganzen Wesen nach verwandt, in Friesen fand Elisa eine Seele, die dem hohen Flug der ihrigen folgen konnte.
Da wir keine Kriegsgeschichte schreiben, so kann es nicht unsere Aufgabe sein, die übrigens vielfach bekannten Schicksale der tapfern Lützow'schen Freischaar hier einzeln vorzuführen. Als den 16. September 1813 das Gefecht bei der Görde stattfand, wo Lützow lebensgefährlich verwundet wurde, eilte Elisa gleich zu ihm, um sich ganz seiner Pflege zu widmen.
Wir lassen nun einen Brief von Friedrich Friesen an Elisen folgen vom 30. October 1813, in welchem er ihr die tödtliche Erkrankung seiner Mutter meldete. Er lautet: »Das inliegende Blatt sagt Ihnen, theure Frau, mein Unglück. Ich versuche vergeblich mich frei zu halten. Sie verstehen meine Scheinruhe, weil Sie männlichen Gleichmuth besitzen, und feinfühlend sich in das Wesen Andrer versetzen.
Mich erfreut und stärkt Ihre Theilnahme, der ich gewiß bin. – Ich verliere eine wackere Mutter, der ich unendlich viel verdanke. – Sie haben mich schreibend gefunden. Erhalten Sie mir Ihre Güte, und lassen Sie dieses Blatt und mein offenes Geständniß, dessen ich mich gegen Sie nicht schäme, ein harmloses Geheimniß sein. – Ich bin nicht gewöhnt mit meiner Lage, mit meinen Wünschen und meinem Unglück zu stören, aber von Ihnen erwarte ich weder Vorwurf noch von mir Reue – die bei Fehlgriffen schmerzlich kränkt. Friesen.«
Friesen eilte nun athemlos nach Berlin, wo er seine Mutter noch lebend antraf, und ihr in ihren letzten Augenblicken beistehen konnte. Nach ihrem Tode schrieb er Elisen aus Berlin, den 6. November 1813: »Meine Freunde suchen meinen Schmerz durch ihre wahrhafte Theilnahme zu mindern. Ich erkenne das mit Dank. Ihnen aber, theure Frau, fühle ich mich besonders verpflichtet für Ihren Zuspruch und Trost. – Unglückliche sind mißtrauisch, gegen Sie bin ich es nicht. Tiefes Gefühl, eigener Verlust, und die unverkennbare Wahrheit Ihres Wesens verbürgt mir Ihre Mitempfindung, und Ihnen die Gewißheit meiner Anerkennung. – Wie geht es Ihrem Gemahl? – Ich bitte Sie recht dringend, versuchen Sie alles ihn seinen Freunden in wahrer Gesundheit zu erhalten, wenn noch eine Prüfung von Muth und Ausdauer beschlossen sein sollte. Ich weiß, was ich von Ihnen fordere und was Sie der Zeit opfern – aber ich kenne Sie, um gewiß zu sein über vieles, was Sie mit Selbstverläugnung und edlem Stolz gegen das Schicksal über sich vermögen. In der jetzigen Zeit wird der Begriff wahrer Weiblichkeit dem ungetrübten Blick erst klar und verständlich. Ich denke an Sie mit unbedingtem Vertrauen. – Ich versuche mich aufzurichten, und freien Blickes in die Zukunft zu sehen, und des eigenen Unglücks zu vergessen, oder es doch mit ruhiger Besonnenheit zu tragen. – Mir ist nicht wohl. – Denken Sie meiner. Ich verehre in Ihnen das erfreuliche Bild einer Frau, die nicht in der Zeitbildung befangen, ein schönes Leben in ruhiger Würde lebt. Friesen.«
Diese wenigen Zeilen, die wir um so lieber mittheilen, da wir wissen, wie besonders theuer Friesen allen seinen Waffengenossen war, sie charakterisiren genau das edle Verhältniß, welches zwischen ihm und Elisen bestand, und zeigen ein feines, tief empfindendes, liebenswürdiges Gemüth.
Wie die Freischaar in's Holsteinische eingerückt war, schrieb Friedrich von Petersdorff an Elisen vom Vorposten zu Syke bei Oldeslohe, den 8. Dezember 1813: »Wir hoffen noch immer, daß mit Dänemark thätig am Frieden gearbeitet wird, und daß dieser Krieg, der nicht unmittelbar gegen den Erbfeind geht, bald geendigt sein werde. – Vergessen Sie uns nicht, liebe, gute Elisa, und rechnen Sie es nicht uns an, wenn Ihre Landsleute etwas hart mitgenommen werden, wir steuern, was wir können, dankt Adolph doch dem Lande das Glück seines Lebens, und ich das Glück der göttlichen Freundschaft. Ihr Friedrich.«
In der Nacht des 15. März 1814 war es Elisen als träte Friesen vor ihr Bett, und zeige ihr eine tiefe Wunde, die er erhalten habe; bewegt und erschrocken rief sie ihr Mädchen herbei, ob sie die blutige Gestalt dort nicht stehen sehe; diese sah jedoch nichts. Fünf Tage später, an ihrem Hochzeitstage, erfuhr Elisa, daß Friesen damals grade, als sie geglaubt hatte, ihn zu sehen, geblieben war. –
Sie war tief ergriffen. In einem kleinen Notizbuche, welches sie bei sich führte, finden wir dieses Ereigniß mit den kurzen, aber schmerzlichen Worten bezeichnet: »Der erste und beste Mann, Deutschlands Stolz und das höchste Glück seiner Freunde, verlor auf die schrecklichste Weise sein Leben.«
Auch Lützow, dessen Adjutant er gewesen war, betrauerte ihn schmerzlich, und äußerte, von allen Menschen, die er kennen gelernt, sei Friesen derjenige, welcher am wenigsten zu missen sei, und an dem das Vaterland am meisten verliere.
Wir können nicht umhin, hier eine Schilderung anzuführen, welche Karl Immermann im zweiten Bande der »Epigonen« von Elisen entworfen hat. Immermann ließ seine Heldin nicht die Freundin, sondern die Geliebte Friesens gewesen sein, und sie, anstatt Vietinghoff's, jenen Sarg mit seinen Ueberresten bei sich aufbewahren. Diese und noch einige andere kleine Abweichungen, welche der Roman erforderte, wird der Leser leicht herauserkennen, außer diesen aber Elisens Bild wie in einem Spiegel wiederfinden.
Es ist von der Zeit des Befreiungskrieges die Rede.
»Sie war die hohe Brautwoche, der süße Honigmonat meines Lebens! rief Johanna und ihre Augen glänzten. Ich war zwanzig Jahre alt, auf meines Vaters Schlosse erwachsen, der, wie ihn die Leute auch beschelten mögen, mir ein guter Vater war, und mich aufstreben ließ, frei und ungezwängt, gleich den Tannen in unserm Park. An seiner Seite zu Pferde, oder im leichten Jagdwagen, wenn der Hirsch verfolgt wurde, war es mir oft, als müßten Flügel mir an beide Schultern wachsen, so leicht und rein rollte in mir das muthige Leben! Daheim horchte ich den Erzählungen der Reisenden und klugen Männer, welche meinen Vater besuchten, und von fremden Ländern und Menschen sprachen, oder ich las Geschichte mit meiner alten, würdigen Erzieherin. Denn, Dank sei es denen, welche über mein Geschick geboten, nichts Gemeines und Eitles durfte mich berühren, und ich erinnere mich noch, daß in meinem Zimmer der Spiegel fehlte. Welt und Vorzeit umgaben mich wie ein schönes, sinnvolles Mährchen, in dessen Mitte ich, allen Helden und Weisen vertraulich nahe, liebe Tage hinspann.«
»Nun erschien jener große Winter mit seinen Eis- und Leichenfeldern, mit seinem Stadt- und Herzensbrande! Meines Vaters Entschluß war sogleich gefaßt, als die ersten Zuckungen des wiedererwachenden Lebens sich verspüren ließen. Obgleich, nach der Sitte seiner Jugend, gern die fremde Sprache redend, war er ein deutscher Mann und Edelmann geblieben; sein Herz hatte bei dem Jammer des Vaterlandes oft geblutet. Wir zogen, damit er thätiger eingreifen könnte, auf eine Zeitlang nach der großen Stadt, welche der Heerd des heiligen Feuers war. Was schwatze ich Ihnen vor? Sie waren ja selbst dabei, haben selbst die Waffen getragen. Welche Tage! Welche Gefühle! Nun waren Rom und Griechenland und die Ritterzeit kein Mährchen mehr für mich, alles Größte strahlte wiedergeboren im grünen, frischen Lichte mich an. Mein Mädchenherz wollte mir oft die Brust zersprengen, wenn ich bis Mitternacht, ja bis an den frühen Morgen die Binden zuschnitt, welche das Blut der Wunden hemmen sollten. Ich weinte, daß mein Vater reich war, daß ich nicht auch mich genöthigt sah, mein Haupthaar auf dem Altare der allgemeinen Begeisterung zu opfern. Nie, nie kann ich das vergessen, und wenn die ganze Welt umher in Zweifel und Klügelei starr wird, so soll der Busen einer armen Frau wenigstens ewig das Fest der Erinnerung feiern!«
»Sie war aufgestanden und ging mit großen Schritten durch das Zimmer. Ihre Züge hatten sich verklärt, sie glich einer Priesterin, einer Velleda. Nach einer Pause, während welcher ihr Antlitz vom herrlichsten Angedenken wie durchsichtig zu werden schien, stand sie still und rief: Ja, wenn es eine Liebe je auf Erden gegeben hat, so habe ich geliebt! Und o des Glücks! Die zärtlichste Empfindung war nur eins mit der heiligsten und größten! Im Waffenschmuck trat er mir entgegen, dem Kampfe sich entgegensehnend, in den er nach wenigen Wochen zog. Mild war er und edeln Zornes zugleich voll, nie hat ein reineres tugendhafteres Herz unter dem Rocke des Kriegers geklopft. Er war wie ein Verschlagner von einer fernen seligen Insel unter uns Andern. Die Augen pflegte er zu senken, als erliege seine Seele unter ihrer eignen Größe. Stumm war unsre Liebe und ohne Erklärung. Nur, als ich ihm beim Abschiede die Feldbinde reichte, verstanden sich unsre Blicke. Er zog dahin und ich sah ihn nicht wieder.«
»Er trug, wie alle jugendliche Frühlingsherzen, die Todesahnung im Busen. Sein einziger Wunsch war, in deutscher Erde zu ruhn, er schauderte vor dem Gedanken, fern unter den Fußtritten des feindlichen Volkes vermodern zu müssen. Das Schicksal ist oft grausam, es kann uns nicht allein das Leben, wie wir es wünschen, sondern auch den Tod, wie wir ihn zu sterben würdig gewesen wären, versagen. Nicht in einer der großen herrlichen Befreiungsschlachten fiel mein Freund, nein, vereinzelt, seiner Schaar nachgeblieben, wurde er von umherstreifendem Gesindel auf dem fremden Boden erschlagen. Ich erfuhr seinen Tod, noch ehe die Nachricht davon zu mir gelangte. In der Nacht aus tiefem Schlummer ohne vorhergegangnen Traum emporschreckend, sah ich das blutige Haupt des Ermordeten am Fuße meines Lagers aufsteigen, und alsobald auch wieder verschwinden. Augenblicklich wußte ich um meinen ungeheuren Verlust, aber zugleich durchdrang mein Herz ein unvergänglicher Trost, der es so ganz erfüllte, daß ich mich kaum erinnere, damals geweint oder sonst getrauert zu haben. Nur jetzt, nach manchem Jahre fließen meine Thränen zuweilen. Als die Ruhe hergestellt war, beschäftigte uns Alle, die wir ihn geliebt hatten, sein Wunsch. Ein treuer Gefährte seiner Tage machte sich endlich in der Stille auf, scheute nicht Mühe noch Gefahr unter dem noch immer schmerzlich empörten Volke, fand die Grube, in welcher man den Körper verscharrt hatte, kaufte die theuren Reste los, und brachte sie in die Heimath.«
»Sie näherte sich einer schmalen, länglichen Kiste, welche in der Ecke des Gemachs stand, öffnete sie und warf sich mit Lauten des tiefsten Schmerzes über sie. Hermann trat hinzu und fuhr zurück; ein menschliches Gerippe starrte ihm aus der Kiste entgegen. Warum erschrickst Du? Was macht Dich zu fürchten? rief sie. Dies ist mein lieber, mein einziger Freund, den ich nun wiederhabe, und nicht von mir lasse. Betrachte den holdseligen Mund, die guten, schönen Augen, die denkende Stirn! Nun ruht er, umweht vom Hauche der Liebe, nun ist ihm wohl!«
»Theure, warum gaben Sie der Erde nicht wieder, was der Erde gehört? fragte Hermann, als er sich einigermaßen von seinem Erstaunen erholt hatte.«
»Sie versetzte nichts. Mit den zärtlichsten Namen rief sie den geschiedenen Freund, schmeichelnd strich sie über den kahlen Schädel, ihre Lippen küßten die leeren Augenhöhlen. Dazwischen führte sie Reden, deren Sinn und Bedeutung Hermann nicht verstand. Sie sprach von dem Vampyr, der, auferstandne Leiche, umhergehe, und den Lebenden das Blut aussauge, und beschwor die Gebeine des Todten, sie wie bisher, so auch ferner vor dem Schreckniß zu schützen.« –
Im Sommer 1814 hielt sich Elisa eine Weile mit Beuth's Mutter in Kleve auf, dann bezog sie ein Landhaus vor der Stadt, wo Lützow mit seinen Kameraden sie Abends zu besuchen pflegte; unter den schattigen, grünen Bäumen, in einer freundlichen Natur kam dort bei Elisen ein Kreis zusammen, bestehend aus Palm, Karl und Friedrich von Petersdorff, Wilhelm von Lützow und Andern, die alle noch spät mit Entzücken von der reizenden Geselligkeit erzählten, die Elisa um sich her zu schaffen, und mit dem Zauber ihres anmuthigen Geistes zu beleben wußte. Aehnliche Abende wiederholten sich etwas später in Aachen, wo sie auf der alten Ketschenburg in einem Zimmerchen, welches so niedrig war, daß die Freunde es scherzend »die Schiffskajüte« nannten, sich ein blumengeschmücktes und überaus wohnliches Asyl geschaffen hatte; hier war auch der Dichter Max von Schenkendorff ein häufig und gern gesehener Gast.
Im Sommer 1815 hatte Lützow das Unglück in der Schlacht von Ligny in französische Gefangenschaft zu gerathen, aus der ihn jedoch der bald darauf erfolgende Frieden wieder befreite. Elisa war sehr in Angst um ihn; sie theilte so gern alle seine Mühen und Gefahren, sie war nur immer darauf bedacht, ihn zu pflegen, und für sein Behagen zu sorgen, um so mehr, da die vielen Verwundungen ihn viel leiden ließen. Heinrich Pröhle sagt, in seiner Biographie Jahn's, von Lützow, daß er fast in jedem Gefecht verwundet wurde; »wenn er ging,« heißt es dort, »so war er durch seine vielen Wunden halb Invalide; stieg er zu Pferde, so bedurfte er ihrethalben einiger Hülfe – aber saß er einmal im Sattel, so war er das Muster eines Husarenoffiziers, ein Ritter ohne Furcht und Tadel.«
Die liebevolle Sorgfalt, welche Elisa ihrem Gatten erwies, konnte dieser ihr wohl nicht in gleichem Grade erwiedern, denn unpraktisch, und in allem, was nicht zu seinem Kriegesberufe gehörte, unkundig oder zerstreut, war er selbst bei dem besten Willen wenig geeignet, eine zarte Frau in seine Obhut zu nehmen; sie, die auf dem Trannkijörschlosse in den glänzendsten Lebensverhältnissen erwachsen war, ertrug aber mit der äußersten Entsagung und ohne Klage Entbehrungen aller Art, und es war wie wenn ihr starker Geist ihrer zarten Gestalt dazu die Kraft verliehe.
Endlich beschloß die blutige Völkerschlacht von Belle-Alliance diese großartige Kriegszeit. In jener Schlacht gehörte ein junger Mann von neunzehn Jahren, von gleicher Begeisterung für die deutsche Sache erfüllt, wie Elisa, zu den Mitkämpfern, welcher dazu bestimmt war später in ihrem Leben eine bedeutende Rolle zu spielen: es war Karl Immermann. Damals wußten sie noch nichts von einander; erst nach Jahren sollte das Geschick sie zusammenführen. –
Nachdem der Krieg beendet, ging Elisa im Anfang des Jahres 1816 nach Berlin, wo Ernst Moritz Arndt sie besuchte, den sie schon das Jahr zuvor in Düsseldorf kennen gelernt hatte; sie war so erfreut über die Erscheinung des gefeierten Mannes, den sie schon lange als patriotischen Dichter und Schriftsteller geliebt und verehrt hatte, daß sie sagte, kein Besuch eines Königs würde sie so glücklich gemacht haben.
Elisa verweilte nicht lange in Berlin, da sie bald Lützow nach Königsberg nachfolgte, welche Stadt seinem Regiment als Garnison angewiesen war. Dort lernte sie den alten Kriegsrath Scheffner kennen, den Freund von Kant und Hippel, der sie sehr hochschätzte, und Johanna Motherby, welche später die Gattin Dieffenbach's wurde, eine energische und ausgezeichnete Frau, von der noch öfter hier die Rede sein wird, und die sogleich zu Elisen eine leidenschaftliche Zuneigung faßte.
Sie begegnete Elisen zuerst in einer Gesellschaft, und bei ihrem lebhaften Gefühl für Schönheit fiel ihr die ungewöhnlich anmuthige und liebreizende Erscheinung sogleich auf. Sie hatte die Eintretende kaum einige Minuten betrachtet, als sie mit den Worten: »Wir werden und wir müssen Freundinnen sein!« auf sie zueilte. Sie wurden es in der That.
Es konnte nicht leicht einen größeren Contrast geben, als diese beiden Frauen; während in Elisen alles Schönheit, Harmonie und Zartheit war, erschien Johanna beim ersten Anblick scharf und eckig; sie war klein, von starker Figur, von scharfgeschnittenen, bedeutenden, aber eher häßlichen als schönen Gesichtszügen; doch war ihr Geist und Schönheitssinn so mächtig, daß im Gespräch und der Begeisterung, welche in demselben über sie kam, Grazien und Amoretten ihr ganzes Wesen zu umgaukeln schienen, so daß sie nicht nur anmuthig, sondern gradezu schön aussehen konnte. Die Häßlichkeit lag nur wie ein Flor auf ihr, unter dem die innere Schönheit siegreich durchschimmerte. Auch besaß sie wahrhaft großartige Charaktereigenschaften, Thatkraft und Entschlossenheit, Aufopferungsfähigkeit und Herzensgüte in seltenem Grade; ihr ganzes Wesen war Leidenschaft und erregte auch die heftigsten Leidenschaften; ihr stürmisches Feuer konnte fortreißen, während Elisens milde Ruhe bezauberte.
Sie lebte damals mit ihrem Gatten, dem Arzte Motherby, einem geistvollen und vorzüglichen Manne, noch im besten Einvernehmen, und auch er trat mit Elisen in freundschaftliche Beziehung.
Auch manche von Lützow's Kriegskameraden besuchten ihn und Elisen in Königsberg, Friedrich von Petersdorff kam aus dem nahen Memel, Helmenstreit wurde dorthin versetzt; mit Palm trafen sie in Graudenz zusammen.
Noch ehe ein Jahr verflossen war, im Mai 1817, wurde Lützow nach Posen versetzt, wo sie aber kaum angelangt waren, als seine Versetzung als Brigade-Kommandeur nach Münster erfolgte.
Auf dem Wege dorthin berührten sie Nenndorf, wo sie unerwartet Karl von Alten sahen, und es war nicht ohne Bewegung, daß er und Elisa sich hier begegneten. Außerdem mochte der Anblick von Nenndorf manche schwermüthige Gefühle in Elisen wecken; wie sie vor neun Jahren als fröhliches Mädchen hier weilte, da hatte sie doch mit andern Erwartungen in die Zukunft geblickt, als sie jetzt erfüllt sah! –
Im Juli langten sie an ihrem neuen Bestimmungsort an. Elisa fühlte sich dort anfänglich sehr fremd, und die kleine Stadt, die engen Verhältnisse sagten ihr wenig zu. Lützow, dem nach dem bewegten Kriegsleben der leere Friedensdienst gar nicht behagte, suchte sich durch seine Leidenschaft für Pferde in seiner freien Zeit möglichst zu zerstreuen; er schaffte sich deren viele an, die der Gegenstand seiner beständigen Beobachtung waren; auch liebte er es sehr mit Elisen auszureiten, welche eine so ausgezeichnete Reiterin war, daß er oft behauptete, von ihr habe er erst die wahren Feinheiten der Reitkunst gelernt. Konnte er sich nun noch dann und wann mit einigen seiner Kameraden unterhalten, wo dann seine ihm so lieben Pferde beinahe immer den Stoff zum Gespräche lieferten, so war für ihn leidlich gesorgt. Aber Elisens feiner und lebhafter Geist, der sich immer nach Anregung sehnte, konnte hier keine Befriedigung finden. In den begeisterten Kriegsjahren, wo ihr ganzes Wesen in der Liebe zum Vaterlande aufging, war es ihr gewissermaßen nicht möglich gewesen, an sich selbst, an ihr persönliches Geschick zu denken. Jetzt aber konnte sie sich nicht mehr verhehlen, daß der Verkehr mit ihrem Gatten den höheren Ansprüchen, die sie zu machen berechtigt war, nicht mehr genügte.
Der Abstand zwischen ihr und Lützow trat immer schärfer hervor; gutmüthig und brav und nicht ohne natürlichen Verstand, war er doch weder an Bildung noch an Geist und Feinheit Elisen ebenbürtig. Im Laufe der Jahre hatte sich ihr Wesen immer reicher entwickelt, und überflügelte immer mehr ihre Umgebung. Ihre Heiterkeit verwandelte sich in wehmüthigen Ernst; sie suchte, wie es ihre Art war, Trost in der Natur und bei ihren Dichtern, aber ihr Herz sehnte sich vergeblich nach einem Glücke, das sie einst geträumt, und das ihr nicht beschieden zu sein schien. Sehr wohlthuend war ihr die Freundschaft ihres Schwagers Wilhelm von Lützow, der ihren ganzen Werth zu würdigen wußte, und mit rückhaltsloser Offenheit sie an allem Theil nehmen ließ, was ihn betraf.
Mochte nun aber auch Münster noch so geistig todt, so steif, so kleinlich und bigott katholisch sein, alles Eigenschaften, die Elisen in tiefster Seele zuwider waren, so konnte sie bei ihrer besonderen Gabe, einen angenehmen und geistig bewegten Kreis um sich zu gestalten, doch nicht lange diesen Ort bewohnen, ohne alle jene Elemente aufgefunden, und um sich gesammelt zu haben, welche sich dazu eigneten.
Hier machte sie die Bekanntschaft von Henriette Paalzow, geb. Wach, die damals noch nicht als Schriftstellerin aufgetreten war, viel anspruchslose Liebenswürdigkeit besaß, und bis an ihr Lebensende mit Elisen befreundet blieb; hier begegnete sie zuerst der edlen, feinen, liebevollen Adele von A. und ihrem Gatten, die sie sehr lieb gewannen; Adele, eine durchaus weibliche und sinnige Natur, wurde bald ihre Herzensfreundin; hier wurde der Consistorialrath und Schulrath Friedrich Kohlrausch, dessen deutsche Geschichte damals alle Gemüther erfreute, ihr Freund; auch mit Wilhelmine von G. trat sie in lebhafte Beziehung. Eine alte Freifrau von Aachen, die sich in Malerei, Dichtkunst und Musik versuchte, und mit dem damaligen Kronprinzen Ludwig von Baiern, den sie in Italien kennen gelernt hatte, im Briefwechsel stand, wurde zuweilen mit in den Kreis gezogen, so wie einige Offiziere, die Bildung und höheren Sinn besaßen. Hier auch lernte Elisa den würdigen Oberconsistorialrath Anton Möller kennen, der ihr besonders theuer wurde, und dessen segensreiche Wirksamkeit als anregender und begeisternder Universitätslehrer, als Schriftsteller und Prediger vorzüglich in Münster, wo er so lange gelebt, in Aller Andenken steht.
Eine so eigenthümliche Erscheinung wie Möller, dürfte selten zu finden sein; damals war er schon in den Fünfzigen, aber vereinigte jugendliche Frische mit einem enthusiastischen Gemüthe. Er war ein eifriger Anhänger der Kantischen Philosophie, liebte feurig das classische Alterthum der Griechen und Römer, die er häufig zu citiren pflegte, las Goethe mit Entzücken, und mit einer Vorurtheilslosigkeit, welche einem geistlichen Herrn doppelt hoch anzurechnen ist; an der Natur, der Musik, den schönen Künsten hatte er die innigste, reinste Freude; er war ein durch und durch edler Mensch, sein ganzes Wesen war von Poesie durchglüht; eine seltene Gabe der Beredtsamkeit, die dem lebhaften Manne fortwährend von den Lippen strömte, verlieh nicht nur seinen Vorträgen, sondern auch seiner Unterhaltung eine fortreißende Gewalt. Ohne alle priesterliche Salbung war er immer menschlich offen, freien Sinnes, natürlich, anspruchslos wie ein Kind, und verbarg nie seine warme Freude an der Schönheit dieser Welt. Eine Schilderung von ihm, die im »Westphälischen Merkur« erschien, beschreibt ihn folgendermaßen: »Von Charakter war Möller ein echter deutscher Mann, und wie gediegen auch sein Geist, so war doch auch sein Gemüth nicht minder tief und zart. Seine äußere Erscheinung war stattlich, freundlich und ehrwürdig. Seine hohe, gewölbte Stirn verrieth sofort den Denker, seine Lippen umschwebten Anmuth und Heiterkeit; seine ganze Persönlichkeit war liebenswürdig und herzgewinnend, und gewährte den Eindruck eines im Dienste der Ideen ergrauten Lebens. Zeigte er schon ein rein menschliches Wohlwollen und eine aus dem Herzen kommende Freundlichkeit gegen Jedermann, so war insbesondere seine Freundschaft ihm selbst ein Seelenbedürfniß – hingebend und treu, und für Geist und Gemüth gleich genußreich. Die Gesellschaft, welche er angenehm zu unterhalten und zu beleben wußte, liebte und suchte er, besonders solche erlesenere Kreise, wo der Geist den Vorsitz führt, und war in ihnen gern gesehen, bis in seine letzten Tage.« –
In Münster sind noch viele Charakterzüge und kleine Anekdoten von dem seltsamen Manne aufbewahrt. Als er einmal bei einem Festmahl einen begeisterten Toast ausbrachte, lehnte er sich in seiner Lebhaftigkeit etwas zu weit zurück, so daß er das Gleichgewicht verlor, und mit sammt seinem Stuhl hinten über auf die Erde fiel; dadurch ließ er sich aber in seiner feurigen Beredtsamkeit nicht stören, und erst als er seinen langen Vortrag ganz beendet hatte, richtete er sich vom Boden auf. – Schon früh zum Wittwer geworden, lebte er lange für sich allein, aber so sehr in seine Studien und Gedanken vertieft, daß er seiner Umgebung wenig achtete. Als später seine würdige Freundin, die alte, vortreffliche Christiane Engels zu ihm zog, um seine Wirthschaft zu führen, fand sie nicht nur, daß er von seinen Leuten um beträchtliche Summen bestohlen worden war, sondern auch, daß in seiner großen, wüsten Wohnung sich Ratten vollauf, groß wie junge Katzen, umhertrieben, die Abends oft drei, vier zugleich, in Gegenwart der Mägde auf den Tisch sprangen, und den Talg von den Leuchtern fraßen. Hatte Möller dies alles nicht bemerkt, so bemerkte er doch das neue Behagen im Hause und den neu geordneten Garten, und dankte der Freundin ihre Fürsorge. – Wie Möller Besuchsreisen zu seinen verheiratheten Kindern machte, geschah es zweimal, daß er nahe daran war, ihnen das Haus anzustecken, da er in seiner Zerstreutheit vergessen hatte, Abends sein Licht auszulöschen; es fehlte wenig, daß in solcher Weise das Feuer, welches er in seinem Gemüthe trug, oben zum Dach herausgeschlagen wäre! –
Für Elisen faßte Möller eine schwärmerische Zuneigung, wie die Briefe beweisen mögen, welche wir von ihm im Anhang mittheilen, da sie, wie wir glauben, von ihm so wie von Elisen ein lebhaftes Bild geben, denn es ist eigenthümlich, daß man diese weit mehr aus den von ihren Freunden an sie gerichteten Briefen, in denen sich der Eindruck, den sie hervorbrachte, abspiegelt, kennen lernt, als aus ihren eigenen Aufzeichnungen und Briefen, die zwar sehr fein und anmuthig sind, aber doch nur einige Seiten ihres Wesens wiedergeben. Sie brauchte darin nie eine leere Phrase, jedes Wort war beseelt, innig, und ihr aus dem Herzen kommend, und entzückte wohl den Empfänger, der sie kannte, und gewissermaßen den Duft ihrer Seele darin empfing, aber die ganze Bedeutsamkeit und Tiefe ihres Innern war daraus nicht wahrzunehmen. Auch in ihrer Art zu sprechen, konnte sie leicht von Andern, selbst von solchen, die geistig weit unter ihr standen, überglänzt werden, denn sie besaß keine Beredtsamkeit, wie zum Beispiel der edle Möller, und wenn sie sich auch wohl graziös und artig auszudrücken wußte, so war dies doch nicht das Hervorstechendste an ihr.
Dagegen konnte sie nicht übertroffen werden an seltenem Schönheitssinn, an Tiefe, Feinheit und Schärfe der Auffassung. Es lag ein Zauber darin, sich mit ihr über Lebensverhältnisse und über Gegenstände der Kunst und Literatur zu unterhalten, weil sie mächtig von allem Schönen ergriffen wurde, und es, wie mit seinen Fühlfäden begabt, überall herausfand; eine edle Regung in einem Menschen, eine bedeutende Idee in einer Dichtung, eine Schönheit in einem Kunstwerk entgingen ihrem Auge nie; sie hatte wie einen sechsten Sinn dafür. Darum war ihr Beifall und ihr Umgang vielen Dichtern und Schriftstellern so unschätzbar, weil sich in Einem Kopfnicken, in Einem zustimmenden Lächeln, in Einem leise hingeworfenen Worte Elisens mehr Verständniß und mehr tiefes Eingehen aussprach, als in mancher geistreichen und wohlgesetzten Rede eines Andern. So sehr wie alles Hohe, Edle und Poetische sie anzog, so sehr war ihr alles Rohe und Gemeine in tiefster Seele zuwider; wenn sie gegen ein Buch, oder einen Menschen ihre Abneigung erklärte, so konnte man sicher sein, daß etwas Unschönes oder Geringes an ihm war. Ihr Urtheil war im Ganzen sehr milde, aber durchaus fest und entschieden; sie ließ sich nie durch fremden Einfluß bestimmen, sondern schöpfte es nur aus ihrem eigenen Geiste und eigenen Gefühl. Eine Dichtung würdigte sie nur als solche, allein vom ästhetischen Standpunkt aus, ohne sich je durch Partheirücksichten dabei beschränken zu lassen. Auf ihre ganze Umgebung wirkte sie so mächtig, daß Jeder, durch sie angefeuert, seine edelsten Seiten herauskehrte, und was von Geist und Talent noch als verschlossene Knospe geruht hatte, ihr gegenüber zur schönsten Blüthe sich entfaltete.
Hiermit glauben wir einigermaßen angedeutet zu haben, wie sehr Elisa befähigt war, der Mittelpunkt einer anregenden und reizvollen Geselligkeit zu sein, ein Talent, das leider immer seltener wird, und beinahe zu verschwinden droht. Sie liebte es, daß man bei ihr vorlas, und dann über das Mitgetheilte seine Gedanken austauschte. Wir nehmen aus dem Briefe einer ihrer Freundinnen die folgende Schilderung jener schönen Abende bei Elisen. »Es bestanden damals Abendcirkel bei der geliebten Elise, an denen sie uns viel, wenn ich nicht sagen will, fast immer Theil nehmen ließ. Es wurde dann vorgelesen, auch mit vertheilten Rollen, wie namentlich »Tasso,« zu dem sie auch uns welche zutheilte. Dabei waren Henriette Paalzow, dann eine würdige, alte, geistreiche Dame, Frau von Aachen, der alte Consistorialrath Möller, zwei Offiziere, Lieutenant Hoffmann und Lieutenant Rördantz, und noch einige Andere, so wie überhaupt dieser Cirkel kein streng abgeschlossener war, und Lützow, so wie noch mehrere ganz heterogene Elemente, den Thee mit dabei tranken, und darauf in abgesonderter Unterhaltung und abgerücktem Platze den Abend auf ihre Weise auch da verlebten. – Sie, die liebliche Sylphe, mit den treuen, blauen Augen, den blonden, klaren Locken, den zarten, durchsichtig weißen, feinen Händen, war die Seele der kleinen Versammlung, und wenn wir uns spät von ihr trennten, und bei Sternenhimmel und Mondenschein der kleine Schwarm heimzog, so war es immer noch in Begeisterung und im Nachhall der schönen Stunden, die wir bei ihr zugebracht, was Eins vom Andern hörte, bis wir uns allgemach auf dem Heimwege von einander abgetrennt hatten. Das war eine liebe, unvergeßliche Zeit!« –
Ein seltsames Mißverständniß war es, daß, als im März 1819 Kotzebue von dem Studenten Sand ermordet worden war, ein ganzer Zug von Münsteranern, die freilich nicht zum nächsten Umgang Elisens gehörten, zu ihr kam, um ihr, die sie an allen Dichtern ein so lebhaftes Interesse nähme, wegen dieses Ereignisses ihr Beileid zu bezeigen. Elisa mußte lächeln, denn grade, weil sie die echten Dichter liebte, war ihr der rohe und gemeine Kotzebue immer zuwider gewesen! –
Im Frühjahr 1819 verließ Adele von A. mit ihrem Gatten Münster, um es gegen Königsberg zu vertauschen. Elisa trat nun mit ihr in eifrigen Briefwechsel, wie sie überhaupt mit allen ihren entfernten Freunden in beständiger Beziehung blieb. Sie vermißte Adelens vertraute Nähe; doch sollte bald darauf eine andere Erscheinung in jenen Kreis voll Empfänglichkeit für alles Schöne und Gute, voll Geist und Leben treten, und dieser schönen Geselligkeit einen neuen Reiz geben; es war dies ein junger Dichter in der ersten Frühlingsfrische seines Daseins, sich des Genius noch kaum ganz bewußt, der eben erst in ihm seine Schwingen zu regen begann. Karl Immermann, geboren 1796 zu Magdeburg, war, nachdem er bei Belle-Alliance den Kampf für das Vaterland mitgekämpft, 1817 in den Staatsdienst getreten, und nachdem er bis 1819 als Referendar in Magdeburg und Groß-Aschersleben gearbeitet, als Auditeur nach Münster versetzt worden.
Der erste Anlaß der Bekanntschaft war ein geschäftlicher. Bei den verwirrten Vermögensverhältnissen des Grafen Friedrich, erhielt Elisa weder ihr mütterliches Erbtheil, noch die ihr von ihrem Vater verheißenen Einkünfte ausgezahlt, und in diesen widrigen Angelegenheiten, die sich jahrelang schon hingezogen hatten, bedurfte Elisa des Raths und der Hülfe eines Rechtskundigen. Der junge Auditeur schien hiezu vorzüglich geeignet, und wurde ihr zugeführt.
Gleich bei dem ersten Besuche war dieser von der neuen Erscheinung, die sich ihm in der reizenden Dame zeigte, wie geblendet und berauscht. Er hatte bisher in ziemlich engen und beschränkten Verhältnissen gelebt, nie war ihm eine Frau vorgekommen, die auch nur entfernt an diese heranreichte. Alle die Eigenschaften, welche wir an ihr geschildert, mußten ihn unwiderstehlich zu ihr hinziehen; er glaubte das Ideal seiner Träume verwirklicht zu sehen. Nie hat Tasso mit mehr Bewunderung und Liebe zu der Prinzessin von Este aufgeblickt, als Karl Immermann zu Elisen. Dieser Vergleich liegt uns um so näher, da Elisens Freunde sie häufig der edlen Leonore ähnlich fanden; sie hatte dieselbe feine, vornehme Seele, den milden Ernst, die mondscheinartige Schwermuth, die sanftglühende Innigkeit wie jene, und die Hoheit ihres Wesens gebot zugleich Scheu, indem sie anzog.
Immermann hatte wohl schon auf der Universität seine ersten dichterischen Versuche gemacht, aber hier in Münster erst, in so begeisternder und fördernder Nähe, erwachte in ihm mächtig die Lust zum dichterischen Schaffen, und in rascher Folge entstanden in den vier Jahren, welche er in Münster zubrachte, unter den Augen Elisens die Gedichte »Jung Osrik« und »das Requiem,« das Lustspiel »die Prinzen von Syracus,« die Trauerspiele »das Thal von Ronceval,« »Edwin,« »Petrarca,« eine Sammlung Gedichte und der viel zu wenig bekannt gewordene Roman »die Papierfenster eines Eremiten,« in dem die Seelenzustände eines feurigen, jungen Herzens mit großer Wahrheit geschildert sind. Dann dichtete er das Trauerspiel »König Periander und sein Haus,« das Lustspiel »das Auge der Liebe« und endlich die feine und geistvolle Novelle, »der neue Pygmalion.«
Er selbst war nicht weniger als seine Freunde erstaunt über diese plötzliche Productionskraft, die wie ein neues Glück über ihn gekommen war; in zarten, lyrischen Ergüssen, die er niemand zu zeigen wagte, feierte er diejenige, welche durch ihre Anregung all diesen Reichthum in ihm geweckt hatte, und in seine entzückte Dankbarkeit mischte sich der Schmerz, daß sie ihm so unerreichbar fern stand, noch ferner als Tasso'n Leonore.
Elisa genoß mit reiner Freude diesen Verkehr mit einem jugendlich strebsamen Geiste, der sich so schön entfaltete. Ihre Gesellschaftsabende nahmen einen noch lebhafteren Aufschwung als zuvor; oft las Immermann dort mit seiner kräftigen, wohltönenden Stimme aus Goethe, Kleist, Shakespear und Calderon vor, und fesselte durch seinen ausdrucksvollen Vortrag; dazwischen las er seine eigenen Werke, in denen er die Empfindungen seines Herzens frei ausströmen ließ; die Gespräche, welche sich daran knüpften, waren für den jungen Dichter von unbeschreiblichem Werth, und besonders Elisens Urtheil entscheidend für ihn. Seine glänzenden Gaben kamen hier zur schönsten Geltung; eine eigenthümliche Mischung von scharfem Verstand und lebhafter Phantasie, eine liebenswürdige Erregtheit, gaben seiner Persönlichkeit etwas ungemein Gewinnendes.
Adolf Stahr, in seiner vortrefflichen Biographie Immermann's, schildert uns den Dichter, wie er ihn gesehen, als er bereits in den Vierzigen war, von mittler Größe, aber stark und kräftig gebaut, eine gedrungene, antike, römische Gestalt mit breiter Brust und starken Schultern, wie einer der alten Imperatoren. »Eine breite, hohe majestätische Stirn,« sagt Stahr weiter, »von dem starken, dunkeln, schon hier und da in's Graue neigenden, schlichten Haare mäßig beschattet, spiegelte eine gehaltene Hoheit und Ruhe, welche durch die kräftig geschlossenen Lippen und das scharf und tief blickende Auge zu dem Charakter strengen Ernstes und fester Entschlossenheit gesteigert wurde.« Damals jedoch, wo Elisa Immermann kennen lernte, war er dreiundzwanzig Jahre, schlank und jugendfrisch, ein poetischer Schmelz verklärte seine Züge, und aus den dunkeln, herrlichen Augen strahlte Geist und Leben.
In dem Freundeskreis, der Elisen umgab, mußte sie umsomehr Trost suchen, da die Betrachtung der allgemeinen Zustände wenig Erfreuliches hatte. Man mußte sich eingestehen, daß die Hoffnungen, welche man auf den Befreiungskrieg gesetzt, nicht in Erfüllung gegangen waren, dem Aufschwung war eine Erschlaffung gefolgt, die verheißenen Freiheiten nicht gewährt worden; die Lützower besonders waren unzufrieden, und hatten Ursache es zu sein, da man sie eher zurücksetzte, als nach Verdienst anerkannte. – Lützow war oft verstimmt, und fühlte sich gekränkt, Friedrich von Petersdorff, den die Gegenwart so wenig befriedigte, daß sein sehnlichster Wunsch dahin ging, sich einmal mit seiner Familie in die tiefste Stille auf's Land zurückziehen zu können, schrieb aus Memel klagend an Elisen: »Seit Friesen nicht mehr ist, sind Sie die Einzige, mit der ich die alten Zeiten mit den neuen vergleichen kann. Das Ideal, das uns damals vorschwebte, worauf wir mit graden Schritten loszugehn glaubten, das wir zu erreichen gewiß hoffen konnten, ist nicht allein weit entfernter von uns, sondern sogar jede Hoffnung es zu erreichen verschwunden. – Meine Idee von der Menschheit Glück ist noch dieselbe wie damals in Breslau, wo die Unterhaltung mit Ihnen darüber mir viele herrliche Stunden bereitete, doch bald nachher, noch in den ersten sechs Monaten, fand ich, daß meine Idee nur Wenige ansprach, und ich zog mich in mich selbst zurück, und ließ geschehn was ich nicht ändern konnte, ohne weiter Theil zu nehmen an dem, was geschah. – Wenn wir uns zu Zeiten einige Stunden sprechen könnten, dann wäre ich ganz glücklich, Elisa! Denn das ist, was mir hier ganz fehlt, ein Freund oder eine Freundin aus jener Zeit der glücklichen Ideenwelt. Die Zeit ist nun ganz vorüber, der schimmernde Stern verlosch schnell, so sehr schnell und bald, daß er nur ein schönes Traumgesicht gewesen, aber Sie, theuerste Elisa, sahen mit mir den Stern hell leuchten, und seine Strahlen werden unsre Herzen bis in den Tod erwärmen.« –
Elisa fühlte mit dem Freunde, daß die damaligen Zeiten verklungen waren, hatte aber doch wirksame Worte des Trostes für ihn, auf die er erwiederte: »Ihre Freundschaft macht mich unendlich glücklich, sie giebt meinem Leben einen goldenen Schein der freudigsten Phantasie, durch den ich immer in jenen Zeiten erhalten werde, wo die Hoffnungen zur Erreichung einer allgemeinen Beglückung uns beseligten. Durch das Andenken an jene Zeit, in welcher mir Ihre Freundschaft zuerst zu Theil wurde, schwindet die allgemeine Gegenwart, und jeder Brief von Ihnen überzeugt mich, daß, obgleich werthlos für's Allgemeine jene Zeit hinabgesunken, ist mir doch ein köstlicher Juwel – Ihre Freundschaft geblieben. Manchmal scheint es mir, als hätte ich in voriger Zeit geträumt, dann denke ich an Sie, an die hohe Begeisterung, die sich in Ihnen aussprach, und ich fühle mich wieder in die Wirklichkeit versetzt, die Ueberzeugung gewinnt neue Stärke in mir, daß, wenn ich es auch nicht erlebe, doch einmal gewiß die Zeit der Wahrheit kommen wird. Ihr Blick strahlte diese Zuversicht in mein Herz, die unveränderliche Verehrung für Sie wird sie mir bis an das Ende meines Lebens erhalten!« –
Von allen Seiten trafen Elisen in jener Zeit betrübende Eindrücke. Von ihrem Vater erhielt sie nur wenig Nachrichten; er war ihr um so mehr entfremdet worden, als er sich schon vor längerer Zeit mit einer Frau verheirathet hatte, die an Stand, Alter und Erziehung sehr verschieden von ihm und wenig seiner würdig war. – Lützow's Bruder Wilhelm verlobte sich Ende 1819, und Elisa konnte sich dabei einer stillen Wehmuth nicht erwehren, weil sie richtig vorausfühlte, daß die künftige Gattin für den Schwager wenig passen, und ihn schwerlich befriedigen würde; doch konnte sie damals noch nicht ahnen, daß jene dazu bestimmt war, später ihre eigene Stelle einzunehmen! –
Im Jahre 1820 trafen von Johanna Motherby beunruhigende Briefe ein; die leidenschaftliche Frau hatte ihren Gatten und ihre beiden Kinder verlassen, um dem jungen Arzte Johann Friedrich Dieffenbach nachzureisen, von dessen eigenthümlich gewinnender Persönlichkeit sie in dem Grade bezaubert war, daß sie glaubte, nicht ohne ihn leben zu können. Viele ihrer Freunde wandten sich in Mißbilligung und Tadel von ihr ab, Elisa aber, die ganz andere Begriffe von Freundschaft hatte, bewahrte ihr nur um so treuer ihre Anhänglichkeit, und erwies sich ihr um so eifriger hülfreich und antheilvoll, da sie die Arme bedauerte, und dabei fürchten mußte, daß das neue Verhältniß ein unglückliches Ende nehmen würde.
Ein Vetter Elisens aus Dänemark kam zum Besuch zu ihr, um sich in ihrer Nähe Trost und Zerstreuung zu suchen gegen häusliche Verdrüsse, da er im Begriff war, sich von seiner Frau scheiden zu lassen. Auch Henriette Paalzow lebte in sehr unglücklicher Ehe.
So sah Elisa, Adele von A. ausgenommen, die in sehr beglückenden Verhältnissen lebte, rings um sich her lauter unglückliche Ehen! –
Eine Reise, die sie mit Lützow an den Rhein machte, dessen poetische Ufer sie sehr liebte, gab einige angenehme Zerstreuung.
Im Herbst dieses Jahres bezog sie mit Lützow das Wittig'sche Haus in Münster, ein ehemaliges Kloster, welches jetzt zur Dienstwohnung eingerichtet war. Die äußeren Mauern des alterthümlichen Gebäudes waren mit Statuen von Heiligen und anderer Schnitzarbeit verziert. Die inneren Räume sahen ernst und feierlich aus; die hohen Fenster, die mächtigen Flügelthüren hatten etwas Schloßartiges; Elisa erschien darin wie eine Ritterdame aus der alten Zeit. Sie besaß ein besonderes Talent, sich ihre Zimmer mit Sinn und Geschmack auszuschmücken. Man glaubte in eine schönere Welt zu gelangen, sicher in eine, in der ein guter Genius waltete, wenn man ihre Wohnung betrat. Dort lebte sie unter Blumen, Büsten, Büchern und Bildern, umgeben von ihren Vögeln und Hunden, unter denen der große, schöne Hector, vom Schlachtfeld von Belle-Alliance, eine Hauptperson war, meist entweder an ihrem Schreibtisch oder dem Stickrahmen beschäftigt, oder auch lesend. Die holde Freundlichkeit, mit der sie jeden Besucher empfing, hatte darum etwas so Herzgewinnendes, weil sie aus dem Herzen kam.
Einen zu ihrer Wohnung gehörenden Garten besorgte Elisa selbst wie eine Gärtnerin, und die Blumen und Gesträuche gediehen auf das schönste unter ihrer Pflege; eine schattige Weinlaube vereinigte oft den Freundeskreis, der sie umgab. Immermann erschien auch oft allein, da Elisa, die des Englischen sehr kundig war, ihm in dieser Sprache Unterricht ertheilte; in artigen, englischen Billetten schalt sie ihn aus, wenn er nicht fleißig genug war, und er entgegnete ihr darauf in scherzhaften englischen Gedichten. Ein deutsches Gedicht Immermann's aus jener Zeit an Elisen theilen wir mit, das, am Todestage ihrer Mutter verfaßt, sie in zarter Weise über diesen Verlust zu trösten sucht. Es lautet:
Auch die folgenden Verse Immermann's gehören hierher:
Im Herbst 1821 reiste Elisa mit Lützow nach Berlin, wo sie alte Freunde und Bekannte wiedersahen. Im Anfang des folgenden Jahres kam Johanna Motherby nach Münster, und ihr scharfer Blick entdeckte bald die heftige Neigung Immermann's, die er bisher möglichst zu verbergen gesucht hatte, und die Elisa noch nicht in ihrem ganzen Umfang ahnte. Hier wären zwei Menschen, die für einander bestimmt seien, äußerte Johanna in ihrer lebhaften Weise, und beklagte, daß die Verhältnisse sie trennten. Sie selbst war damals von den leidenschaftlichsten Empfindungen zerrissen, die durch die Trennung von ihren Kindern, und die mancherlei Hindernisse, welche ihrer Verbindung mit Dieffenbach noch im Wege standen, veranlaßt wurden.
Lützow's Ernennung zum General, die im Jahre 1822 erfolgte, brachte in Elisens Verhältnissen keine Veränderung hervor.
Wir haben schon früher erwähnt, daß die Charaktere von Lützow und Elisen eigentlich wenig zu einander paßten, doch hatte letztere immer in dem Gedanken Beruhigung gefunden, daß sie an ihm einen treuen Freund besäße, der ihr von ganzem Herzen ergeben sei. Um so mehr wurde sie betroffen, als Lützow eines Tages mit einem alten Kriegskameraden plaudernd im Garten saß und in ihrer Gegenwart darauf die Rede kam, daß Lützow, der anwesende Freund und noch zwei andre Offiziere sich als junge Leute verabredet hatten, sie wollten alle darauf ausgehen, reiche Frauen zu heirathen. Es wurde davon ganz offenherzig und in etwas derben Scherzreden gesprochen und zugleich erwähnt, daß keiner von den Vieren sein Ziel erreicht habe, denn zwei blieben unvermählt, und die andern beiden waren in ihren Erwartungen getäuscht worden, indem sie mit ihren Gattinnen nicht so bedeutendes Vermögen erhielten, als sie vermutheten. Zu diesen Letzteren gehörte auch Lützow, da ja Elisen das ihr gebührende Vermögen vorenthalten war.
Wie ein Stich in's Herz traf sie diese Entdeckung! Daß solche Motive bei Lützow's Bewerbungen mitgewirkt, wie hätte sie das je ahnen können! Und hier hörte sie von ihm selbst dieses Geständniß, ohne Rückhalt, wie einen lustigen Spaß, der niemand verletzen könne! – Welche andre Illusionen hatte sie gehegt, als sie bei ihrem Vater so treu und beständig diese Verbindung durchgesetzt! So jung, so schön, so liebenswürdig und begabt, und doch um des Geldes willen geheirathet! – Eine so schmerzliche Täuschung war schwer zu überwinden. –
Wir würden Lützow Unrecht thun, wenn wir glauben wollten, daß nur ein solcher Beweggrund ihn hätte Elisen erwählen lassen, gewiß erkannte er ihre edlen Eigenschaften, aber schlimm genug blieb es immer, daß ihr Reichthum eine so große Rolle dabei gespielt. Johanna Motherby und Adele von A. scheinen die Einzigen gewesen zu sein, denen Elisa ihr Leid anvertraute. Tröstend schrieb ihr die Letztere, den 16. November 1822: »Wehre dem Trübsinn! Fühlst Du es nicht, wie Dein eigentliches Sein und Wesen gewiß nur beglückt und darüber jegliches andere Gut, das doch nur der bloßen Existenz wegen zu berücksichtigen bleibt, gänzlich davon abfallen muß. Traute Elise, sei doch froh! – In Dir liegt ein reicher Schatz, Du hast der köstlichen Gaben so viele – und Du beglückst!« –
Im Sommer 1823 machte Elisa mit Lützow eine Reise nach Bremen, bei welcher Gelegenheit sie ihre alte Erzieherin wiedersah; diese wohnte seit längerer Zeit in Hamburg und war ihrem geliebten Zögling bis nach Rothenburg entgegen geeilt. Wie sehr Marianne Philipi Elisen schätzte, geht unter anderem aus der folgenden Briefstelle hervor: »Auch Du, meine gute, fromme, sanfte Elisa, kannst hoffnungs- und vertrauungsvoll in die Zukunft blicken, denn Du hast viel geliebt, viel gelitten, viel geduldet. Das Geschick, indem es meine Kindheit und Jugend durch rauhe Wege führte, verfuhr ernst mit mir, wodurch sich jedoch manches in meinem Innern glücklicher für mich entwickeln mußte. Wenn die Vorsehung aus uns unbegreiflichen Absichten einen andern Weg mit Dir ging, wer darf sich erkühnen, sie zu tadeln? Auf den Händen der Liebe in Deiner Kindheit getragen, von den Menschen und dem Glück geliebkoset, verzärtelt, Dir unbewußt von tausend Gefahren umringt, mußte das Leben eine ganz andre Gestalt gewinnen, die Täuschungen des schönen Frühlingsalters Dir erst später entschwinden. Setze mich in Deine so vortheilhaft scheinende Lage, ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, aber gewiß keine sanft duldende, genügsame Elisa.« –
Das Jahr 1824 brachte nur düstre und verhängnißvolle Ereignisse. Elisens Vater, welcher trotz aller Bedrängniß seiner Vermögensangelegenheiten sein vergnügungssüchtiges Leben unverändert fortsetzte, war bei einer Gesellschaft, die er am Geburtstage des Königs von Dänemark bei sich vereinigt hatte, von einem Nervenschlag betroffen worden, und man mußte ihn bewußtlos von der Tafel forttragen; er erholte sich zwar wieder, jedoch sehr langsam. Von seiner zweiten Gattin hatte er sich bereits wieder getrennt.
Nun war auch der Zeitpunkt gekommen, wo Immermann Münster verlassen mußte, da er als Kriminalrichter nach seiner Vaterstadt versetzt wurde. Mit schwerem Herzen schied er aus Elisens Nähe, gegen die ihm das prosaische Magdeburg einen traurigen Contrast bieten mußte. Er sollte von dort aus einen Theil von Elisens dänischen Vermögensangelegenheiten weiter führen, außerdem aber hatten sie ausgemacht, daß sie sich wöchentlich schreiben wollten, und sich alles Interessante mittheilen, was ihnen begegnete. Wir geben im Anhang Immermann's Briefe aus Magdeburg, die uns den Dichter in frischer Jugendlichkeit zeigen, und schon jene Lust an der Poesie und jene feine Beobachtung der Schauspielkunst bekunden, die er später so entschieden an den Tag legte. Außerdem tritt uns in diesen Briefen deutlich sein Verhältniß zu Elisa vor die Augen, eine zarte Neigung, welche niemals wagt, über die Gränzen eines freundschaftlichen Gedankenaustausches hinauszugehen.
Grade in jene Zeit, als dieser Briefwechsel zwischen Immermann und Elisen stattfand, fiel ein Ereigniß, welches letztere schmerzlich aufregte. Lützow, der leicht von unbedeutenden und koketten Frauen angezogen wurde, hatte die Bekanntschaft einer jungen reichen Dame gemacht, welche ihm außerordentlich gefiel, und deren Neigung er sich versichert zu haben glaubte; in seiner Schwäche und verliebten Verblendung ging er sogar so weit zu äußern, daß er hier ein Glück vor sich sähe, das ihm über alles werth sei.
Elisen war es nie in den Sinn gekommen, sich von ihrem Gatten zu trennen; trotz der bittern Enttäuschungen, die ihr durch ihn geworden, hielt sie das Band, welches sie an ihn knüpfte, für ein unauflösliches. Als sie aber seinen Wunsch vernahm, jene junge Dame heirathen zu können, erklärte sie sogleich, sie wolle seinem Glücke nicht entgegen sein, und sich von ihm scheiden lassen. Lützow war gerührt von solcher Großmuth und Entsagung, aber so sehr erfüllt von dem Reiz des neuen Verhältnisses, welches er vor sich sah, daß er Elisens Vorschlag annahm.
Kein hartes, leidenschaftliches Wort fiel zwischen den Gatten vor; es wurde alles mit äußerer Ruhe und Würde besprochen und überlegt; Lützow bat dringend, daß Elisa immer seine Freundin bleibe, daß sie einen fortwährenden Briefwechsel unterhalten möchten, daß sie ihm erlaube auch ferner, wie er es bisher gethan, sich um ihre Geschäfte in Dänemark zu bekümmern.
Elisa hatte keinen Augenblick geschwankt, Lützow seine Freiheit anzubieten, aber sie litt tief dabei, sie sah sich plötzlich verlassen und heimathlos, und so fest, wie ihr Entschluß stand, fortzugehen, so wußte sie doch noch nicht, wohin sie sich wenden sollte. Ihr Leid einstweilen still in sich verschließend, scheint sie es damals noch keinem ihrer Freunde mitgetheilt zu haben, und auch Immermann, ohne zu ahnen, was vorgegangen, schrieb ihr noch lange unbefangen und harmlos wie bisher. Erst als sie beschlossen hatte vorerst nach Dresden zu gehen, wo ihre Freundin Henriette Solger als Wittwe lebte, scheint sie ihm über diese Absicht und die Ursache derselben einige unbestimmte Andeutungen gemacht zu haben, wie aus seinen Briefen zu ersehen ist. Bald darauf gerieth Immermann durch die nähere Mittheilung von dem Schicksal der geliebten Freundin in die größte Aufregung; so sehr, wie er sie bedauerte, so hoffnungsvoll machte ihn zugleich der Gedanke, daß sie bald frei sein würde; er schrieb ihr voll Herzlichkeit, aber doch mit zarter Furcht, sie durch dringende Fragen zu verletzen.
Gegen die Mitte des Augusts reiste Elisa von Münster ab, nicht ohne Wehmuth einen Ort verlassend, an dem sie manche Freude, aber auch vielen Kummer erlebt hatte. In Dresden wollte sie außer Henriette Solger wenig Menschen sehen, da sie nach Einsamkeit und Stille verlangte; doch ließ sie sich von ihrer Freundin bei Ludwig Tieck einführen, wo er selbst sowohl als seine Familie und die Gräfin Finckenstein ihr auf das freundlichste entgegenkamen.
Wie sehr Lützow von Elisens Abreise erschüttert war, möge der folgende Brief beweisen, den er ihr von Münster den 26. August 1824 schrieb: »Meine ewig geliebte Elise! Glücklich – nein unglücklich bin ich hier angekommen, und habe freilich alles – nur Dich nicht gefunden. – Besonders vermißte ich die Dir lieben kleinen Gemälde von Solger, seiner Frau, Friesen und Wilhelm – da sie Dir theuer sind, haben sie für mich einen hohen Werth, und krampfhaft fahre ich zurück, wenn ich die leeren Plätze sehe. – Hector ist viel bei mir, und freute sich mehr, mich wiederzusehen, als er sonst zu thun pflegte, – er stieß mich mit der Schnauze und forderte Dich von mir. – Ein altes holsteinisches Schaustück, was ich zum Block an dem Tage unserer Hochzeit gebraucht, findet sich auch wieder vor und macht einen tiefen Eindruck auf mich. – Unser Platz im Garten ist beinah wie eine Laube zusammengewachsen, die Leute machen die Stege rein, und fast möchte ich böse werden und fragen für wen? – Neulich war ich bei G.'s in Loburg, es war Vogelschießen, ich erschien unerwartet und wurde ungewöhnlich freundlich aufgenommen; ich wollte in dieser Gesellschaft, die Dich so sehr liebt, auf Dein Wohl trinken, ich vermochte es aber nicht, denn Thränen würden mich erstickt haben; nur von der lustigen Stimmung der Gesellschaft konnte meine innere Bewegung unbemerkt bleiben. – Mein Urlaub nach Kopenhagen ist angekommen. Auf jeden Fall erwarte ich vor der Abreise noch ein Schreiben von Dir und schreibe noch einmal an Dich. Hast Du die Solger wohl gefunden, bist Du ein wenig froh? Sei es ja – und sei fest überzeugt, daß Dein Glück mein höchster Wunsch ist, und unter allen Umständen bleiben wird, sei offen und wahr gegen mich, ich werde es auch sein, denn es ist nun einmal meine Natur so zu sein. – Lebe ein wenig vergnügt und schreibe bald an Deinen Dich herzlich liebenden Mann Lützow.« –
Nachdem er seine Reise nach Kopenhagen, die er in ihren Angelegenheiten machte, beendet, schrieb er ihr aus Münster, den 26. Oktober 1824, nachstehende Zeilen, in denen sich bereits die Reue über sein Betragen lebhaft ausspricht: – »Schlüsser hat Immermann gesprochen; des ersteren Brief hat mich einigermaßen über Dein künftiges Schicksal beruhigt. – Deine Zufriedenheit wünsche ich von ganzem Herzen, diese zu befördern, ist mein höchster Wunsch, meine heiligste Pflicht; unendlich fühle ich, daß ich nicht immer so gehandelt habe, wie ich gesollt, aber die unglücklichen Geldverhältnisse am Anfang unserer Verbindung, Vaterlandsliebe und Ehrsucht zogen mich aus dem häuslichen Verhältniß störend in eine äußere Welt. – Mit Thränen bereue ich die Art und Weise, wie ich Dich von Aachen in Kleve eingeführt habe. Vergieb mir! – Nun noch eine Bitte; laß Dich von dem besten Maler in Dresden malen – es koste, was es wolle, mir ist kein Preis zu hoch – und schicke mir Dein Bild, Dein ewig unvergeßliches Bild! – Schlüsser wird Immermann in Magdeburg besuchen; ich erwarte ihn mit großer Bewegung. – Lebe wohl, glücklich, und gedenke Deines treuesten Freundes mit Güte und Freundschaft. Adolph.« –
Wie sehr das Andenken an Elisen Lützow ergriff, zeigt ein Schreiben von Wilhelmine von G. an Elisen, aus Loburg, den 29. Oktober 1824, die, noch nicht ahnend, daß Elisa von Münster für immer abgereist sei, sich folgendermaßen äußert: »Ehe Lützow wegreiste, theilte er uns immer mit, wie es Dir ging, er vermißte Dich unendlich, dies war aus allem zu merken, er war immer ganz ergriffen, wenn er von Dir sprach, so daß ich scheute nach Dir zu fragen, auch jetzt, als er nach Hamburg kam, war er ganz glücklich, von mir zu hören, daß Du wohl wärest, und er war kaum im Zimmer, als er fragte: »Was schreibt Elise? Ist sie vergnügt?« Ich konnte nicht unterlassen, ihm Deinen Brief vorzulesen; am Ende sagte er: »Nicht wahr, sie ist vergnügt und wohl?« Nun, Du kennst ja seine Art, wenn ihn etwas sehr interessirt; er war ganz weich und sprach immer über Dich mit vieler Liebe, ich hätte ihn dafür küssen können. Zwar zweifelte ich nie an seiner Liebe zu Dir, denn wer Dich kennt, muß Dich lieb haben, aber an Lützow sucht man so tiefe Empfindungen nicht, er gewinnt, je mehr man ihn sieht, er hat ein herrliches Gemüth, und bei mir hat er den Vogel abgeschossen, nun ich sehe, wie wahrhaft er Dich liebt und jetzt vermißt. Deine Gesundheit haben wir oft getrunken, und Lützow brachte sie immer aus.« –
Von Lützow's Gemüthsstimmung geben die folgenden, auf einer Dienstreise geschriebenen Zeilen ein deutliches Bild: »Meine herzlich geliebte, höchst seltene Elise! Mir geht es unter Pferden, Kuirassieren und Husaren viel besser als es sein sollte! – Nur selten schleiche ich fort, und Thränen müssen meinem zerrissenen Herzen in diesem Augenblick Luft machen. – Nicht was die Zukunft bringen wird, bekümmert mich, denn das fühle ich, daß Dein Glück möglichst zu befördern, meine heiligste Pflicht ist, – aber wie habe ich Dich schon gequält, wie quäle ich Dich noch in diesem Augenblick, – Deine zarte Gesundheit, wie habe ich sie nicht untergraben! – Schreibe mir doch ja mit der zurückkehrenden Ordonanz, wie Du Dich befindest, und tröste den, der ohne Ausnahme in dieser Welt Dein treuester Freund ist.« –
Unterdessen war die Scheidung der beiden Gatten eingeleitet, und ihre Trennung konnte nun niemand mehr ein Geheimniß bleiben; Freunde und Verwandte geriethen dadurch in Sorge und Bestürzung. Lützow's Schwester, die Gräfin Minona von Dohna-Wundlacken, schrieb im ersten Schrecken darüber, nicht an ihren Bruder, sondern an Elisen zu der sie ein unbegränztes Vertrauen hatte; ihr Brief aus Köslin, den 22. Dezbr. 1824, zeigt wie sehr sie die Schwägerin liebte und anerkannte. Es heißt darin: »Ich höre durch Briefe meiner Brüder, die ich eben empfange, Du seist noch in Dresden, es wäre auch möglich Du kämest nach Berlin. Zu gleicher Zeit giebt man mir Nachrichten von Gerüchten, welche mein Herz zerreißen, und mit innigem Schmerz und Betrübniß die Seele erfüllen. Ein dichter Schleier umhüllt noch das Ganze, nur mit banger Besorgniß bin ich befangen, ich bitte Dich um Gotteswillen, reiße mich aus dieser tödtlichen Ungewißheit; mein treuer Dohna theilt meinen Jammer, er bittet mit mir, Dich doch uns anzuvertrauen, und doch recht treu und wahr Dich gegen mich auszusprechen; Du weißt ja, meine theure, einzige Elisa, wie innig ich Dich liebe, schätze und verehre, Du weißt, daß ich nicht einseitig denke, Du weißt, wie ich Dein Verhältniß mit Adolph kenne, und wie ich es beurtheile – Du weißt, wie sehr wir Alle Deine Vorzüge und herrlichen Eigenschaften zu schätzen wissen, Du weißt, wie hoch ich Dich stelle, und wie ich Dein vorzügliches Benehmen gegen Adolph zu würdigen wußte. Ich weiß, daß Dir der Himmel in den Jahren Deiner Verbindung mit Adolph harte Prüfungen und ein schweres Loos auferlegte, mit Bewunderung sah ich, wie schön, zart, liebevoll und nachsichtig Du das Band hieltest, welches ich durch gegenseitiges Reiferwerden immer fester geknüpft glaubte; was kann Euch lieben Menschen bewegen, bestimmen, ein Band zu lösen, eben jetzt, wo, jemehr man in die Zukunft blickt, Ihr Euch immer mehr und mehr bedürfet? Ich bin trostlos über die Möglichkeit dieses Gedankens! Kleine Verirrungen, unbedeutende Mißverständnisse können doch nur die Veranlassung zu demselben gegeben haben! Ich bitte Dich himmelhoch, geliebte Elisa, überlege diesen wichtigen Schritt; könntest Du glücklich, ruhig und zufrieden werden? Gedenke doch der Zeit, wo Du Dich Deinem Manne mit so vieler Aufopferung hingegeben hast, wie Du ihn liebtest und bewundertest! Sollte der Arme nicht mehr derselbe sein? Sollte er Dich jetzt nicht mehr verdienen, Deiner nicht mehr würdig sein? Wolltest Du ihn verlassen, da Ihr endlich im Hafen der Ruhe seid, und so glücklich leben könnt? – Zwei so edle Naturen, so ausgezeichnet, und ich möchte sagen, doch für einander geschaffen! Geliebte, einzige Elisa, flehentlich bitte und beschwöre ich Dich, sag' mir ein tröstliches Wort, und gieb mir Klarheit. – Schreibe mir doch gleich, und halte Dich der treuesten, unwandelbarsten Gesinnungen überzeugt, mit welchen ich ewig bin und sein werde, Deine treue, Dich innig liebende Minona.« – Alle, welche in die näheren Verhältnisse eingeweiht waren, erkannten Elisens uneigennützige Handlungsweise und bedauerten sie, während sie Lützow's Benehmen mißbilligten. »Du hast edel gehandelt, meine Elisa,« schrieb ihre Jugendfreundin Fanny Harward, »und so wie ich es von Dir erwarten konnte. Du hast das größte Opfer gebracht, welches eine Frau bringen kann, Du hast alle Befriedigung und Dein ganzes häusliches Glück aufgegeben, um das Glück dessen zu sichern, der vierzehn Jahre der Gefährte aller Deiner Sorgen und Freuden war. Der große, uneigennützige Charakter meiner Elisa erscheint mir in einem noch höheren Glanze als bisher, während der von Lützow, ich kann es nicht läugnen, in meinen Augen gesunken ist. Es ist unbegreiflich, daß er ein solches Opfer annehmen, daß er sich entschließen konnte die Gattin seiner Jugendtage, die Erwählte seines Herzens freiwillig ihr Glück opfern zu lassen, um das seinige zu sichern. Wäre er noch in dem Alter jugendlicher Leidenschaften, so dürfte man ihn eher entschuldigen, aber er ist ein Mann, der mehr als vierzig Sommer dahinschwinden sah, und im Stande hätte sein müssen, eine Leidenschaft zu beherrschen, die so schnell eine schuldige wurde. Er hätte sich bestreben müssen, sie in ihrem Beginn zu ersticken, anstatt sein, Dein und ihr Glück auf's Spiel zu setzen.« –
Liest man die Briefe von Lützow, so wird man versöhnt durch seine Reue; er schrieb an Elisen aus Münster, den 24. Februar 1825: »Wenn ich lange nichts von Dir erfahre, wird mir immer so bange. – Eine Veränderung des Aufenthalts wünsche ich mir sehr, und denke sie zu erhalten. – Dein Glück ist mein einziger Wunsch, wenn ich weiß, daß Du es bist, habe ich meine Ruhe wieder, meine zerreißenden Gewissensbisse schweigen, denn ich bin zu wahr, um mich selbst zu betrügen. – Aus Mitleid gegen mich sei glücklich!« –
Adele von A., die liebevolle, zärtliche Freundin, schrieb Elisen aus Keimkallen, den 24. Februar 1825: »Ich hatte, wie Du es vermuthest, schon etwas von dem gehört, was Du mir nun selbst geschrieben. Mein Herz war mit großer Betrübniß erfüllt, und ich konnte es nicht glauben, was das Gerücht sagte – nun ist es dennoch wahr! – Ach, denke es doch nicht, Geliebte, daß dieser Schritt, den Du gethan, uns bewogen hätte, lieblos über Dich zu urtheilen. Auch nicht einen Augenblick! Wir kennen ja Dich, und Du hast gehandelt nach langen Kämpfen und bester Einsicht. – Mir ist es sehr wehmüthig, wenn ich daran gedenke, und die Versicherung, die Du mir giebst, daß Deinerseits kein anderer Grund ist, als der, den Du nennst, und den ich von ganzem Herzen ehre, giebt mir einen großen Trost, und eine rechte Freudigkeit. Du liebe Elise, wenn dies doch klar und deutlich der Welt vor Augen stehen könnte, was Dich bewogen – und Du verbietest es zu nennen! Ich erkenne darin Dein edles Herz. – Wie ist es denn mit Lützow, und ist er noch in Münster? Und glaubst Du, daß er hoffen darf, und es auch wirklich seine Absicht ist, das Ziel seiner Wünsche zu erreichen?« –
Elisens Onkel, von Hedemann-Heespen, bat sie sogleich zu ihm auf sein Gut zu kommen, und ganz bei ihm zu leben. Zugleich schrieb er ihr bei dieser Gelegenheit aus Deutsch-Nienhof, den 1. März 1825: »Nicht leicht hätte eine traurige Nachricht mir unerwarteter kommen können, als wie die, die Du, meine beste Elisa, mir mitgetheilt hast. Auch nicht die entfernteste Ahnung habe ich von einem solchen Stand der Dinge zwischen Dir und Lützow gehabt. Wie wäre dies auch möglich gewesen, keinem Andern wie Dir selbst, würde ich es geglaubt haben. Noch immer kann ich den Gedanken nicht fassen, und mir als möglich denken. Ein Mann wie Lützow, der über die Jahre der Jugend hinaus ist, der nach allen seinen Aeußerungen ein so richtiges Gefühl von Ehre besitzt, der einen so Zutrauen einflößenden, offnen und biedern Charakter zu haben scheint, ein solcher Mann könnte eine solche unwiderstehliche Leidenschaft für eine Andere fassen, daß er seine Frau, die seine eigne Wahl ist, mit der er bereits vierzehn Jahre glücklich gelebt, die ihm keine Veranlassung zu Mißverhältnissen gegeben, ohne allen andern Grund verstoßen könnte, als um eine Leidenschaft zu befriedigen, der Welt auch solches ärgererregendes Schauspiel, als eine Ehescheidung ist, zu geben. Mit kaltem Blut könnte dieser Mann seine Frau, die er doch früher geliebt, unglücklich machen und wissen? Die ganze Sache ist mir wie ein unglücklicher Traum, von dem mir die Wirklichkeit ganz unmöglich scheint. Was hast Du gute, arme Seele, denn verbrochen, daß das Schicksal Dir so hart mitspielt, daß Du, die Du so viele Erwartungen von der Welt zu hegen berechtigt warst, nun isolirt und verlassen darin stehen sollst? Ich bedaure Dich von ganzem Herzen, meine beste, gute Elisa, und um so mehr, da Du nach Deinem Briefe Lützow noch zu lieben und zu achten scheinst. Hast Du, gute, liebe Seele, Dich nicht übereilt, indem Du ihm zu rasch seine Freiheit angeboten? Hätte ich nur irgend etwas der Art ahnen können, ich zweifle fast nicht, daß es mir geglückt wäre, Lützow hier zu bewegen, so daß alles wenigstens wieder in ein ruhiges Geleise gebracht wäre. Ist denn wirklich alles schon zu spät, und sind die Schritte, die zu Eurer Trennung geschehen, nicht wieder rückgängig zu machen?« –
Auch Lützow's Brüder fühlten sich gedrungen Elisen zu schreiben. Leo von Lützow's Brief aus Berlin, den 23. März 1825, lautet: »Die Nachricht, daß Sie, liebe Elisa, sich von Adolph zu trennen beabsichtigen, hat mich sehr erschüttert, und betrübt mich ernsthaft. Ueber dem Zusammenhang dieses Vorgangs liegt für mich noch ein solcher Schleier, daß ich ihn immer noch nicht zu beurtheilen vermag. Ich habe die Hoffnung gehegt, daß vielleicht augenblickliche Verstimmungen die Veranlassung wären, und daß sich noch alles wieder einrichten würde, und noch jetzt möchte ich diese Hoffnung noch nicht ganz aufgeben. Ich habe mich an Adolph gewendet, und um Aufschluß gebeten, seine Briefe sind voller Achtung und Herzlichkeit für Sie, liebe Elisa, aber ohne mir Klarheit zu gewähren. Ich gestehe, daß das Dunkel, welches über dieser Angelegenheit liegt, die Veranlassung gewesen ist, daß ich Ihnen bis jetzt nicht geschrieben habe, ich glaube es Ihnen aber schuldig zu sein, daß ich Ihnen endlich meinen herzlichen Antheil bezeige, und Sie bitte, von meiner Achtung und treuen Anhänglichkeit überzeugt zu sein. Meine Frau ist mit mir von der ganzen Sache innig ergriffen. Seien Sie überzeugt, daß Bertha und ich, daß wir beide für Sie immer recht wahrhaft freundschaftliche Gesinnungen gehabt haben, vielleicht mehr als Sie hin und wieder geglaubt haben, und seien Sie überzeugt, daß die gegenwärtige, traurige Verwicklung in unseren Gesinnungen nichts ändert. August wollte Ihnen schreiben, vielleicht haben Sie seinen Brief schon bekommen, von Wilhelm werden Sie Briefe gehabt haben. Welchen herzlichen Antheil Minona an dem ganzen Vorgang nimmt, und wie sehr Dohna diesen Antheil theilt, hat sie Ihnen selbst ausgesprochen. Daß Ihre Gesundheit gelitten haben muß, ist sehr natürlich; sehr wünsche ich, daß das herannahende Frühjahr vortheilhaft wirken möge. Ich bitte sehr, daß Sie mir sagen, welche Absichten Sie für die nächste Zukunft haben. Seien Sie überzeugt, daß wir uns sehr freuen werden, wenn Sie vielleicht nach Berlin kommen wollten, und daß wir Sie mit der alten Herzlichkeit aufnehmen werden.« –
August von Lützow schrieb Elisen aus Potsdam, den 27. März, 1825 die folgenden anerkennenden Zeilen: »Es ist mir Bedürfniß wenigstens in wenigen Worten mich über den von Ihnen und meinem Bruder gefaßten entscheidenden Entschluß, der von der ersten Zeit an, wo ich ihn in Erfahrung gebracht, ein sehr häufiger und sehr schmerzlicher Gegenstand meiner Gedanken gewesen ist, gegen Sie auszusprechen, indem bei der großen und gewiß von allen Mitgliedern der Familie anerkannten Schonung und Standhaftigkeit, mit welcher Sie von jeher manche Eigenthümlichkeit meines Bruders ertragen haben, und da Adolph uns ihr Andenken jetzt wiederholentlich auf das lebhafteste anempfohlen hat, meine Anhänglichkeit gegen Sie bei diesem betrübenden Ereigniß unverändert geblieben ist. Erlauben Sie mir daher Ihnen hierdurch meine innige Theilnahme über die Sie betroffenen Fügungen des Himmels zu bezeugen, und Sie zu ersuchen, mich ferner mit Ihrer Freundschaft beglücken zu wollen. – Höchst glücklich würde es mich machen, wenn ich je Gelegenheit haben sollte, Ihnen meinerseits Beweise der fortdauernden hohen Achtung, welche ich sowohl, als alle meine Geschwister stets für Sie hegen werden, geben zu können, und bitte ich Sie inständigst, es nicht zu verabsäumen, wenn Sie Ihrerseits dazu auf irgend eine Weise jemals Veranlassung geben können. – Mir von Ihrem ferneren Ergehen Nachricht zu verschaffen, werde ich gewiß jede Gelegenheit benutzen. Zum großen Trost würde es gewiß allen Mitgliedern der Familie gereichen, wenn Sie darüber von Zeit zu Zeit etwas an einen von uns Geschwistern mittheilen wollten, in so fern Sie sich nicht eben entschließen sollten, uns in der Nähe Ihren Wohnsitz aufzuschlagen, was uns gewiß allen sehr angenehm sein würde. – Ich sage Ihnen herzlich lebe wohl. Die Erinnerung an so viele Gegenstände der Vergangenheit und die Zukunft erregt mich in diesem Augenblicke zu lebhaft, als daß ich Ihnen mehr sagen könnte. Meine Frau, welche meine Gefühle ganz theilt, empfiehlt sich Ihnen auf das herzlichste.« –
Während die geschiedene Frau so von allen Seiten Beweise der Zuneigung und Achtung erhielt, bat Lützow Elisen ihn mit ihren Verwandten in gutem Einvernehmen zu erhalten. Als ihr Vetter August von Hedemann, der nachherige General, ihm nicht geantwortet hatte, schrieb Lützow Elisen aus Münster, den 31. März 1825: »August Hedemann hat mir nicht geantwortet; ich will mich nicht entschuldigen, ich thue es bei mir selbst nicht, ich bin nicht ganz schlecht – aber ein Mensch, und es ist unser Schicksal, daß die verschiedensten Gefühle uns peinigen. Ich erbitte mir von Deiner Güte seine Freundschaft zurück. – Ewig werde ich Deinen Werth fühlen, achtend anerkennen, kein Mißton regt sich in mir, nur die herzlichste Theilnahme, die unwandelbarste Freundschaft.« – Unterdessen fuhr Lützow fort, Elisens Geschäfte weiter zu führen, und zum Weihnachten und den Geburtstagen schickten sie sich regelmäßig einander Geschenke.
Im Laufe des Sommers reiste Elisa, um sich etwas zu erholen, da ihre Gesundheit sehr gelitten hatte, mit Fanny Harward, und einer befreundeten Familie von Dresden nach Ems und Schlangenbad. Wieder eine Badereise mit der Jugendfreundin, aber siebzehn Jahre lagen dazwischen, damals war sie voll froher Hoffnung, jetzt resignirt und freudlos! –
In diese Zeit fällt ein Brief von Elisens Onkel Hedemann-Heespen aus Deutsch-Nienhof, den 4. August 1825, in dem es heißt: »Von Lützow weiß ich nichts; wie Du weißt, habe ich ihm auf seine mir gemachte kurze Anzeige geantwortet; nachdem hat er nicht wieder geschrieben. – Seid Ihr denn nun förmlich geschieden? und hat Lützow schon Schritte zu einer neuen Verbindung gemacht? Wäre das erstere, so wünschte ich für Dich das letztere, und daß es ihm damit glücken möchte, damit jeder die wahre Veranlassung erführe, und es nicht länger in der Willkür eines Jeden liegt, eine Auslegung zu machen wie er will. Ein kluger General sondirt doch wohl vorher das Terrain, auf dem er seinen Angriff zu machen gedenkt, bevor er Schritte unternimmt, die nachher nicht zurück geschehen können; man sollte daher von ihm glauben, daß dieses von ihm schon längst geschehen sei, er seines Sieges gewiß war, bevor er die Scheidung veranlaßte. Daß er für Dich nach besten Kräften sorgt, ist seine Pflicht, und das Wenigste, was er für Dich thun muß. Thäte er auch dieses nicht mal, so würde er alle Achtung in den Augen jedes redlich Denkenden verlieren.« –
Während dem war schon den 22. April 1825 die Publikation des Scheidungserkenntnisses erfolgt, dessen Gründe lauteten: »Obgleich diese Ehe anfänglich glücklich war, so ward doch der eheliche Friede späterhin durch verschiedene Ansicht von der Welt und dem menschlichen Leben gestört. – Keinem Theil ist ein Uebergewicht der Schuld beizulegen. Beiden Theilen ist die Wiederverheirathung in unverbotenen Graden gestattet.« –
Die Freunde bedauerten, daß Elisa aus zarter Schonung gegen Lützow den Wenigsten die Ursache ihrer Scheidung mittheilte, und durften mit Recht fürchten, daß Fremde sie sich anders auslegen möchten. »Wäre es doch erst klar,« schrieb Adele von A. aus Keimkallen den 30. November 1825, »weßhalb dieser Schritt geschehen; ich wollte viel darum geben, wenn alle Welt es wissen könnte, weshalb es so gekommen.« –
Elisa war lange unentschlossen, welchen Wohnort sie wählen solle; es war ihr alles gleichgültig, sie wünschte nur Ruhe und Stille. Nach beendigter Badereise, ging sie endlich nach Magdeburg, mit der Absicht, sich dort in der Nähe der Stadt ein kleines Landhaus zu kaufen. Immermann begrüßte die geliebte Freundin, die ihm nun unter so ganz andern Verhältnissen gegenüberstand, mit tausend Freuden; er machte sie mit seiner Mutter und seinen Brüdern bekannt, die sich ihr freundlich anschlossen. Außer diesen wollte sie aber niemanden sehen; niemand kannte sie dort, die Wenigsten wußten wer die verschleierte Dame sei, die man nur flüchtig auf der Straße gesehen hatte. Sie machte mit Immermann im Herbst in den schönen Octobertagen noch einen Ausflug nach dem Harz, und bezog, nach Magdeburg zurückgekehrt, da der Ankauf eines Landhauses noch nicht erfolgt war, einstweilen eine Wohnung in der Stadt.
In jener Zeit ließ Elisa ein junges Mädchen aus Hamburg zu sich kommen, die sie sich zur Gesellschafterin erwählt, und wie eine Pflegetochter behandelte. Dieses Mädchen war eben erwachsen, und trotz großer Verschiedenheit wollte man doch in ihren Gesichtszügen manche Aehnlichkeit mit denjenigen Elisens erkennen. Wer war sie? Wo kam sie her? War da nicht ein geheimnißvoller Zusammenhang? so fragte man neugierig, selbst im Kreise der Bekannten. Wie viele Mährchen wurden da nicht ersonnen, und bald flüsterte man sich zu, daß man hier wahrscheinlich eine natürliche Tochter der Frau Generalin von Lützow vor sich habe, die vielleicht gar den Anlaß zu der Scheidung von ihrem Gemahl gegeben! – Wie falsch dies war, zeigt unter anderem eine Briefstelle Lützow's, in welcher er erwähnt, sie habe sich des jungen Mädchens »so großmüthig angenommen,« und dann hinzufügt: »Wie bleibst Du Dir doch immer gleich, selbst hülflos, findest Du einen Trost, Andern beizustehn!« –
Der Zusammenhang war folgender: Elisens Vater hatte mit einer Schwester von Marianne Philipi, welche auf dem Trannkijörschlosse eine Stelle als Wirthschafterin vertrat, ein Liebesverhältniß gehabt; sie gebar eine Tochter, und Elisa war gleich so großmüthig gewesen, ihrer würdigen Erzieherin zu versprechen, daß sie sich dieses Kindes, dieser Tochter ihres Vaters, annehmen wolle. Man ertheilte ihr die sorgsamste Erziehung, und als sie herangewachsen, nahm Elisa sie in ihre Nähe. Sie äußerte sich nie über die Herkunft des Mädchens, und ließ sich lieber falsch beurtheilen, als daß sie andre angeklagt hätte.
Die belebende Nähe Immermann's war dasjenige, was Elisens einsamem Leben in Magdeburg den meisten Reiz darbot; sie war es wieder, die ihn zum Schaffen anregte, und an allem Antheil nahm, was er dichtete. In jener Zeit vollendete er die Uebersetzung von »Ivanhoe«, von der in den mitgetheilten Briefen die Rede ist, dichtete »Cardenio und Celinde«, und schrieb die Abhandlung über den »rasenden Ajax« des Sophokles. Immermann hat später im dritten Bande der »Epigonen« Elisen in folgender Stelle geschildert, so wie sie ihm damals erschien: »Es giebt nichts Erquickenderes, als den Anblick einer großen, vornehmen Seele, welche das Unglück als etwas ihr Gehöriges, als das ihr von den oberen Mächten verliehene Eigenthum nimmt und hinnimmt, während kleine Gemüther sich gegen dieses Erbtheil unsres Lebens unter Winseln und Wehklagen fruchtlos sperren. Johanna war ruhig, selbst heiter. Sie verhehlte gegen Hermann nicht, daß ihr Loos ihr für immer zerstört zu sein scheine, aber, setzte sie hinzu, wie unendlich wohler ist mir jetzt, wo ich die Brandstätte überschaue, als damals, wo ich noch mit Rauch und Flammen unselig kämpfte! – Ueber die Geheimnisse ihrer unglücklichen Ehe, über Medon's Charakter, und die plötzliche Wendung seines Schicksals beobachtete sie ein strenges Stillschweigen. Einmal hatte Hermann versucht, von weitem und in der bescheidensten Weise ihre Lippen über diese Dinge aufzuschließen, war aber mit den Worten, daß man von unheilbaren Schäden nicht reden müsse, zurückgewiesen worden. Alle diese sonderbaren Verwicklungen blieben ihm also tief zugehüllt, und er brachte von denselben nur in Erfahrung, was die Gerüchte aus der Hauptstadt meldeten.« –
Während Elisa ihrer Schwermuth nachhing, verlebte auch Lützow in Münster keine frohen Tage. Die junge Dame, deren Gunst er so sicher zu sein glaubte, lehnte seine Hand ab; auch seine Leidenschaft verrauschte dadurch schnell, und nun in der Ferne Elisens Werth doppelt empfindend, beklagte er um so tiefer das Unglück, welches er über sie und sich selbst gebracht hatte. Trösten und aufrichten konnte ihn nur Elisens Freundschaft, und die bewahrte sie ihm auch getreulich aus aufrichtigem Herzen. Im Anfang des Jahres 1827 starben schnell hintereinander seine beiden Brüder August und Wilhelm; auch diesen Kummer theilte Elisa mit ihm, die ganz davon ergriffen war.
Immermann wünschte feurig, sich mit Elisen zu verbinden, aber diese konnte sich zu einer zweiten Ehe nicht entschließen. Wohl war sie dem Freunde von Herzen zugethan, der betheuerte, nicht ohne sie leben zu können, wohl war sie von seiner heißen Liebe ergriffen, aber sie hatte nun schon so viel Unglück erlebt, und konnte sich der bangen Vorstellung nicht erwehren, daß seine jetzt so heftige Zuneigung nicht immer die gleiche bleiben würde. Die sechs Jahre, welche sie älter war, als er, schienen hierbei am wenigsten in Betracht kommen zu können, da Schönheit, Geist und Liebenswürdigkeit dies wohl auszugleichen vermochten, aber Elisen flößte diese Ungleichheit Bedenken ein, und dann – war es eine Ahnung, war es eine richtige Kenntniß seines Charakters – sie fürchtete, ihm einstmals eine Fessel werden zu können, und war von ihrer Verneinung nicht abzubringen. Hätte sie diese Scheu, der so edle Ursachen zu Grunde lagen, überwunden, mehr an sich, als an den Freund gedacht, ihr Schicksal hätte wahrscheinlich eine glücklichere Wendung genommen! –
Als Immermann in jener Zeit grade die Ankündigung seiner Versetzung als Landgerichtsrath nach Düsseldorf erhielt, bestürmte er Elisen mit neuen Bitten. Da verhieß sie ihm dann endlich, ihm nach Düsseldorf zu folgen; heirathen wollte sie ihn nicht, dagegen gaben sie sich aber gegenseitig das Gelöbniß, daß keiner von ihnen je eine andre Heirath eingehen würde; dies war die Bedingung, die Elisa stellte, und die Immermann, da sie einmal die Seine zu werden verweigerte, mit Freuden einging. Elisens Nähe war ihm mehr werth, als jede andere Verbindung; durfte er sie nicht zu seiner Gattin machen, so war er doch halb getröstet in dem Gedanken, sie als seine Freundin, seine Gefährtin, seine Muse, an sich zu fesseln.
Elisens ideale Ansprüche an das Leben waren durch diesen Entschluß ganz befriedigt, sie wurde ruhiger, nachdem sie ihn gefaßt hatte. Sie war mehr phantastisch, als leidenschaftlich, sie dachte es sich schön, einem begabten Dichter in solcher Art sein Dasein zu versüßen, mit zarter Sorgfalt und antheilvollem Geiste, und nur für ihn zu leben. Wie dachten sie sich zu erheben über alles Niedere und Gemeine, aus ihrer Umgebung alles Widrige und Gewöhnliche zu verbannen, und nur in der Natur, in Kunst und Poesie, und in der Freundschaft ihre Befriedigung zu suchen! War es nicht eine würdige Bestimmung, die Leonore eines Tasso zu werden? – Ein neuer Sonnenschein verschönte Elisens Tage, ihre Züge verklärten sich in froher Hoffnung, ein neues Lebensglück schien sich ihr reizend aufzuschließen. – Die Welt, und was die urtheilen würde, kam ihr hiebei durchaus nicht in Betracht; diejenigen, welche nicht fähig waren, eine solche Freundschaft zu verstehen, konnten ihr gleichgültig sein, und von ihren Freunden durfte sie gewiß sein, daß sie von ihr nur Edles und Schönes voraussetzten. Da war auch nicht Einer, den ein so ungewöhnliches Verhältniß irre gemacht hätte! Der würdige Consistorialrath Möller, die streng sittliche Henriette Paalzow, alle Freunde und Freundinnen ohne Ausnahme bewahrten Elisen unverändert ihre Verehrung und Liebe. Auch benahm sie sich so zart, so sicher, und so tactvoll, daß Alle sie bewundern mußten.
Immermann ging im Anfang des Jahres 1827 an seinen neuen Bestimmungsort ab; Elisa reiste in Begleitung ihrer Pflegetochter nach Ems, und folgte ihm dann mit dieser nach, die noch mehrere Jahre bei ihr blieb, und sich später verheirathete.
Es war im August 1827, daß Elisa in Düsseldorf anlangte. Ein Landhaus, das sie mit Immermann in dem freundlichen Dorfe Derendorf bezog, schien ganz dazu geeignet, das stille Asyl eines Dichters zu sein. Ein großer Garten, der es umgab, wurde von Elisen anmuthig angepflanzt; bald entfalteten eine Fülle von Rosen darin ihre Pracht, alle Beete waren damit eingefaßt, und am schönsten blühten sie unter des Dichters Fenstern. Zwei Büsten, Plato und Aristoteles darstellend, schimmerten durch die schattigen Gebüsche. Eine hohe Weißdornhecke, die Immermann später in einer Liebesscene seines »Merlin« verewigt hat, erglänzte in duftigen Blüthen. In zwei aneinanderstoßenden Zimmern, die durch seine Bibliothek und Münzsammlung angefüllt, und durch Gemälde, Kupferstiche, Statüetten und mancherlei Zierrathe geschmackvoll ausgeschmückt waren, und deren harmonische Anordnung eine Frauenhand verrieth, überließ sich Immermann seinen Arbeiten. Seine Erholungsstunden brachte er in den Räumen der Freundin zu, bei der er immer Anregung und Erfrischung fand.
Düsseldorf hatte damals grade plötzlich einen frischen Aufschwung genommen, den uns Immermann selbst in seinen »Düsseldorfer Anfängen« im dritten Band der »Memorabilien« so vortrefflich geschildert hat. Wilhelm von Schadow war Ende 1826 eingetroffen, und hatte die Stelle von Cornelius an der Akademie übernommen. Mit ihm waren Lessing, Hildebrandt, Sohn, Mücke und Hübener angelangt. Bendemann und Schirmer folgten bald darauf. Eine neue Kunstepoche blühte unter Schadow's Leitung schnell empor. »Gemälde waren etwas Neues geworden,« sagt Immermann in den »Düsseldorfer Anfängen«, »da die Baiern schon zwanzig Jahre früher die Galerie entführt hatten; die inhaltreiche Conversation des Künstlers, der Menschen, Werke, Welt gesehen hatte, war auch etwas Neues. All dieses Neue erhielt einen pikanten Zusatz durch die Figuren der jungen hübschen, bescheidenen Künstler, welche bloße Hälse und lange Bärte trugen, und von denen der Meister mit Sicherheit den späteren Ruhm vorhersagte.«
Immermann fühlte sich wohl in diesem heiteren Kreis, »dessen Arbeit auf die Schönheit ging«; er nahm Theil an der angenehmen Gesellschaft, die sich in dem Schadow'schen Hause vereinigte. Er hatte eben »Andreas Hofer« vollendet, und wurde bald zu neuem Schaffen angeregt; er schrieb 1828 das Trauerspiel: »Kaiser Friedrich der Zweite,« die Lustspiele: »Die Verkleidungen,« und: »Die schelmische Gräfin,« 1829: »Die Schule der Frommen,« ließ eine neue Folge der »Gedichte« erscheinen und einen Band »Miscellen.« 1830 schrieb er sein »Tulifäntchen,« dieses scherzhafte Heldengedicht, das Heine einen »epischen Kolibri« genannt, dichtete die Trilogie »Alexis,« und den phantastischen, tiefsinnigen »Merlin,« und arbeitete an den »Epigonen.«
Unterdessen wurde der Kunstverein gegründet, Lessing malte sein Königspaar, Bendemann die Ebräer im Exil, Sohn den Hylas, Hübener den Roland, Hildebrandt Judith und Holofernes, Schirmer malte Landschaften, es war ein reges Leben, das Immermann ein zweites Studentenleben nannte, »aber kein rüdes, sondern ein phantasievolles.«
Mit Schadow trat Immermann in lebhafte Beziehung; trotz der großen Verschiedenheit ihrer Naturen zog ihn sein unläugbarer Künstlergeist an, und wenn auch Schadow's eifriger Katholizismus später das Verhältniß erkalten machte, so hörte Immermann doch nie auf, ihn zu schätzen, und seine seltenen Verdienste zu würdigen. Wie sehr dies der Fall war, beweist folgende Stelle in den viel später geschriebenen »Düsseldorfer Anfängen.« – »Wir haben hier Großes werden sehen. Ein Mann kommt vor dreizehn Jahren daher, gefolgt von fünf Schülern, die recht hübsche Sachen gemacht haben, doch aber noch völlig unfertig sind. Er betritt ein fremdes Terrain, ohne mächtige Verbindungen zu haben, er muß sich alles erst selbst schaffen. Sein Gouvernement unterstützt ihn wohl, jedoch nur mäßig; keines Königes mächtiger Arm hält ihn, stellt ihm die geniusentflammenden Aufgaben. Einen Namen bringt er mit, genannt allerdings in der Kunstwelt, keineswegs aber mit der Glorie allgemeiner Berühmtheit. Und nach dreizehn Jahren steht er an der Spitze einer Anstalt, worin die Hunderte nun fast statt der ursprünglichen Einheiten zählen. Die Räume sind zu eng für den Andrang, der Ruf der Anstalt geht durch Europa, und zieht die Lehrlinge aus allen Landen, bis zum hohen Norden hinauf, herbei. Die Werke der Schule zieren Königs- und Kaiserpaläste, die Erben großer Reiche besuchen den Chef, und treten zum Theil unter sein Dach. Der Kunstverein, der doch auch ohne ihn nicht entstanden wäre, hat jährlich zwanzigtausend Thaler zu verwenden. Die Schule sandte Kolonien aus nach Dresden und Frankfurt. Was aber noch mehr: das Haupt wurde längst von den Gliedern überflügelt, und dennoch lösen sich viele der edelsten Glieder nicht ab, wohl wissend, daß der Zusammenhang, wie er war, ihnen auch noch jetzt fromme.« –
Noch andere Gestalten traten in diesen Kreis; Friedrich von Uechtritz, der liebenswürdige Dichter der Trauerspiele: »Alexander und Darius,« und »Rosamunde,« der bald mit Immermann dessen literarische Interessen theilte, und zugleich sich mit den Malern befreundete, denen besonders seine Geschichtskenntnisse werthvoll und anregend waren; Schnaase schloß sich an als Kunstforscher und sinniger Kunstbetrachter, dessen Wissen und combinatorischen Scharfsinn Immermann rühmend anerkannte.
Elisa wollte sich anfänglich von aller Geselligkeit fern halten, aber der frische Strom all dieses Wirkens und Genießens drang doch bis in ihre idyllische grüne Einsamkeit zu Derendorf, vielfach wünschte man in ihre Nähe zu gelangen, und oft vereinigte sich Abends in ihren Räumen ein auserlesener Kreis näherer Freunde: der Maler Hildebrandt, Uechtritz, Schnaase, die Dichterin Elisabeth Grube, und manche Andere. Von der letzteren sei hier ein Gedicht aus ihrem »Liederkranz« mitgetheilt, welches Elisen und Immermann anmuthig schildert:
Bei Elisen, im traulichen Freundeskreise, fühlte sich Immermann stets am wohlsten, und entfaltete voll froher Laune und heitren Geistes seine ganze Liebenswürdigkeit. Er war befriedigt wie nie zuvor, und gewiß wird jene Zeit, die er in täglichem, beglückendem Verkehr mit der angebeteten Freundin, in Ruhe und Stille dem dichterischen Schaffen hingegeben, und von neuen Kunstanschauungen und belebendem Verkehr getragen, in Derendorf zubrachte, die glänzendste seines Lebens genannt werden müssen. Alle Prosa, über die er so oft in Magdeburg geklagt, war plötzlich verschwunden, er lebte in Wahrheit ein Dichterleben! – Wenn ihn die Kritik mitunter verstimmte, die ihm nicht immer die gewünschte Anerkennung gewährte, wenn ihn der Angriff von Platen ärgerte, den er seinerseits erwiederte, so wußte ihn Elisa doch immer zu erheitern. Nun sollte noch eine neue Wirksamkeit für ihn hinzukommen, die ihn ganz in Beschlag nahm; das Theater.
Die halböffentlichen Vorlesungen dramatischer Werke, die er zwei Winter hintereinander vor einer großen Versammlung hielt, und die förmlich in Düsseldorf Mode geworden waren, bildeten dazu eine Art Uebergang. Die Kunst des Vorlesens, in der zuerst Tieck sich auszeichnete, und in der ihm bald Holtei und Andere nachstrebten, diese Kunst, welche Immermann schon in Münster in Elisens Abendgesellschaften so gern geübt, bildete er nun noch weiter aus. Die befreundeten Maler hatten ihm ein Atelier eingeräumt, das man bemüht war, möglichst würdig für die elegante Welt einzurichten und zu erleuchten, dessen eigentliche Bestimmung aber doch lustig zu Tage kam, durch die Zeichnungen, Cartons und Farbenskizzen, welche die Wände bedeckten, und das gute Einvernehmen anzeigten, in dem hier verschiedene Künste neben einander gingen. Iphigenie, Blaubart, Wallenstein, König Johann, Romeo und Julia, das Leben ein Traum, der standhafte Prinz, das Däumchen, Hamlet, der Prinz von Homburg, der gestiefelte Kater, König Oedipus, und Oedipus in Kolonos wurden dort von Immermann vorgetragen, mit Kraft der Stimme, mit Feuer des Ausdrucks, mit mimischem Talent.
Bald entstand dadurch das Verlangen in ihm, nun auch dergleichen auf der Bühne vorstellen zu lassen, in Wirklichkeit zu sehen, was hier nur in idealen Umrissen sichtbar war. Es wurde ein Theaterverein gestiftet, und mit einer Reihe von Mustervorstellungen Versuche gemacht, die Immermann, unterstützt von seinen Freunden, der Düsseldorfer Schauspielergesellschaft einstudierte. Das neugebaute, hübsche Theater kam ihnen hiebei vortrefflich zu statten; fremde Künstler wurden aus der Ferne dazu herangezogen, Seydelmann kam um den »Nathan« zu spielen, Weymar nahm an der »Braut von Messina« und dem »Andreas Hofer« Theil. Uechtritz leitete die Proben von »Stille Wasser sind tief,« und war thätig mit Rath und Hülfe; Felix Mendelssohn nahm sich der beiden Opern »Don Juan« und »der Wasserträger« an; das meiste leitete Immermann selbst.
Schadow hatte ihm eine abgelegene, klösterliche Zelle auf der Akademie zu den Leseproben abgetreten. »Unter den Fenstern rauschte der Rhein, die weißen Wände röthete die Frühlingssonne. Bei dem Klange der Wellen, in dem rosigen Schein wurden da Sylben gemessen, Accente festgestellt, die Schattirungen der Rede ausgearbeitet,« sagt Immermann davon in den »Düsseldorfer Anfängen.« Zu der Vorstellung des »standhaften Prinzen« entwarf Schirmer die Ansicht von Fez, Hildebrandt stellte die Ausschiffungs- und Kriegsgruppen, Felix Mendelssohn componirte die Musik, zwei herrliche Sclavenchöre, und zur Erscheinung des Geistes einen ganz eigenthümlichen Marsch, der »wie aufgelöste katholische Kirchenhymnen« klang. So reichten sich alle Talente freundschaftlich die Hände zu einem schönen Ganzen. Der Erfolg war überraschend.
Man ging nun weiter; eine bedeutende Summe wurde durch Actien gedeckt, Immermann erhielt auf ein Jahr Urlaub, um sich ganz der Leitung des Theaters widmen zu können. So erstand eine Bühne, die nach edlen Idealen strebte, die poetischen Schöpfungen in ihrer wahren Höhe und Schönheit darzustellen suchte, ohne sie herabzuziehen in die gewöhnliche Bretterwelt. Es war kein geringer Regisseur oder unwissender Cavalier, sondern ein Dichter, der sich in den Geist der darzustellenden Werke versenkte, und ihn voll Begeisterung zur Erscheinung zu bringen sich bemühte. Es war wieder Elisens feiner Hauch, welcher diese Bestrebungen beseelte, denn von ihr empfing ja Immermann die Anregung zum Schaffen und Wirken, an sie und ihren Beifall dachte er dabei unablässig, und so wie die Lützow'sche Freischaar nie geworden wäre, was sie war, ohne Elisen, so ist es auch mit jenen Düsseldorfer Bühnenversuchen, die sich eine Veredlung der Schauspielkunst zum Ziel gewählt hatten, und ohne Elisen niemals einen so hohen Flug genommen hätten, der bei verhältnißmäßig so beschränkten Mitteln doppelt staunenswerth war. Elisa verlangte nie hervorzutreten, und genannt zu werden; sie besaß nicht die geringste Eitelkeit, und es war im Gegentheil ihre Freude, den Glanz, welcher von ihr ausging, auf Andre zu übertragen. So wirkte sie stets im Stillen, aber ihr Einfluß war immerfort wirksam, und den Vertrauten unverkennbar.
Der beständige Fremdenverkehr brachte fortwährend neue, interessante Persönlichkeiten nach Düsseldorf, von denen manche, angezogen durch die künstlerischen und literarischen Kräfte, die sich dort vereinigten, länger verweilten. Zu diesen gehörte besonders der Dichter Michael Beer, mit dem sich Immermann sehr befreundete, wie auch der zwischen ihnen geführte Briefwechsel beweist, der nach Michael Beer's Tode erschienen ist; dann Wilhelm von Normann, Verfasser des Gedichtes: »Mosaik,« ein liebenswürdiger junger Mann, der lange und innig eine schottische Dame liebte, und bald nachdem er sich endlich, nach vielen Hindernissen mit ihr verbunden hatte, noch nicht dreißig Jahre alt, starb. Ferner Felix Mendelssohn, der berühmte, geniale Componist; mehrmals kam auch der gute, begeisterte Möller zum Besuch, so wie Elisens Freundin Johanna, die sich mit Dieffenbach verheirathet hatte, aber nach kurzem Glücke von ihm geschieden worden war, da ihre leidenschaftliche Eifersucht, zu der er übrigens wohl manchen Anlaß geben mochte, ihm unerträglich wurde. Henriette Paalzow, die sich über ein Jahr in Köln aufhielt, sprach gleichfalls mit ihrem Bruder, dem Maler Wilhelm Wach, in dem freundlichen Derendorf ein.
Wir dürfen auch Dietrich Christian Grabbe nicht vergessen, dieses verwilderte Genie, das Immermann vergeblich strebte, zu sich zu erheben. Grabbe, 1801 zu Detmold geboren, war bekanntlich der Sohn eines Zuchtmeisters, er selbst hatte auf dem Zuchthofe das Licht der Welt erblickt; rings um ihn her waren die Zellen der Verbrecher. Sollte man nicht glauben, jene ersten Eindrücke hätten ihm jene Lust am Gräßlichen und Rohen eingeflößt, die sich in seinen Dichtungen ausspricht? – Grabbe eröffnete die Bekanntschaft mit Immermann dadurch, daß er ihm schrieb: »Ich und eine alte Mutter sind verloren, wenn Sie mir nicht zu helfen suchen.« – Immermann forderte ihn sogleich freundlich auf, nach Düsseldorf zu kommen, sorgte für seine häusliche Einrichtung, lud ihn häufig zu sich in größere und kleinere Gesellschaften, führte ihn bei mehreren seiner Bekannten ein, unterstützte ihn mit seinem Rath bei der Tragödie »Hannibal,« die Grabbe unvollendet mitgebracht hatte, und bewies die größte Nachsicht mit seinen Launen und seiner mangelhaften Erziehung. Grabbe seinerseits nahm dagegen den lebhaftesten und eifrigsten Antheil an Immermann's Theaterbestrebungen. Immermann erkannte in Grabbe eine schöpferische Kraft, wenn auch mehr eine Kraft der Häßlichkeit, als der Schönheit, mehr Ungeheuerlichkeit als wahre Größe, mehr Verzerrung als Genialität, wie er denn auch den »Theodor von Gothland« ein »Conzert der Verzweiflung« nannte.
Immermann entwirft in den »Memorabilien« folgendes Bild von Grabbe: »Nichts stimmte in diesem Körper zusammen. Fein und zart – Hände und Füße von solcher Kleinheit, daß sie mir wie unentwickelt vorkamen – regte er sich in eckigten, rohen und ungeschlachten Bewegungen; die Arme wußten nicht, was die Hände thaten, Oberkörper und Füße standen nicht selten im Widerstreite. Diese Contraste erreichten in seinem Gesichte ihren Gipfel. Eine Stirn, hoch, oval, gewölbt, wie ich sie nur in Shakespear's (freilich ganz unhistorischem) Bildnisse von ähnlicher Pracht gesehen habe, darunter große, geisterhaft weite Augenhöhlen und Augen von tiefer, seelenvoller Bläue, eine zierlich gebildete Nase; bis dahin – das dünne, fahle Haar, welches nur einzelne Stellen des Schädels spärlich bedeckte, abgerechnet – Alles schön. Und von da hinunter alles häßlich, verworren, ungereimt! Ein schlaffer Mund, verdrossen über dem Kinn hängend, das Kinn kaum vom Halse sich lösend, der ganze untere Theil des Gesichts überhaupt so scheu zurückkriechend, wie der obere sich frei und stolz hervorbaute.« –
Es muß ein ergötzlicher Anblick gewesen sein, wenn Grabbe zu Immermann zum Besuch kam. Letzterer erzählt davon: »Zuweilen kam er aber auch zu mir, wenn die verdrossenen Füße ihm den Gang nach meiner entlegenen Wohnung erlauben wollten. Da gab es denn den lächerlichsten Anblick. Weil er sich nämlich nie in den Wegen finden lernte, so mußte ihn seine Magd jederzeit zu mir begleiten. Auf diese Weise aber langte das Paar in meinem Garten an: Grabbe mit ernfthaftem Gesichte hinter der Magd unsicher einherschreitend, die Magd aber ihr erröthendes Antlitz halb in der Schürze verborgen, sich schämend, »daß sie einen so großen Herrn bei Tage über die Straße führen müsse.« –
Elisa, an der alles feine Sitte, Anstand und Schönheitssinn war, mußte von der äußeren und inneren Vernachlässigung, und dem wilden und formlosen Wesen des seltsamen Mannes unangenehm berührt werden, nahm sich seiner aber dennoch mit Wohlwollen und Güte an, und zu ihrer Verwunderung über ihn, gesellte sich das Mitleid. In der ersten Zeit seines Aufenthaltes nahm sie ihn mehrmals in ihrem Wagen zu kleinen Ausflügen in die Umgegend mit, wo er dann mit der übrigen Gesellschaft Berge steigen mußte, was er sonst nie that. Einmal improvisirte er bei Sonnenuntergang, auf einem Berge stehend, so schöne Verse, daß Elisa und ihre Begleitung ganz entzückt davon waren. Gleich darauf benahm er sich aber wieder so cynisch, daß das Entzücken sich in Widerwillen verwandelte. Elisa durfte ihm mit ihrer schönen Hand nicht zu nahe kommen, sonst biß er sie hinein, weil sie »so appetitlich« sei. »Er war wie ein Kind,« sagte sie oft von ihm, »so gut, so unartig, so lenksam, aber auch so schmutzig!« – Grabbe verehrte sie sehr, und fühlte sich geschmeichelt durch die Freundlichkeit einer so vornehmen und edlen Frau. Wenn er sich gegen Karl Ziegler rühmte, Elisa habe ihm täglich lange Briefe geschrieben, wie letzterer in seinem Buche: »Grabbe's Leben und Charakter« mittheilt, so halten wir das für eine Uebertreibung von Grabbe.
Leider war der wunderliche Mann schon zu sehr gesunken, als daß es möglich gewesen wäre, ihn an eine thätige und geregelte Lebensweise zu gewöhnen; er wurde bald selbst seiner eigenen Anstrengungen müde, sich zu erheben, ergab sich dem zu häufigen Genuß geistiger Getränke, und zuletzt verkannte sein mißtrauischer Sinn Immermann's wahre, uneigennützige Freundschaft und Güte. Das Verhältniß war ziemlich erkaltet, als er 1836 nach seiner Vaterstadt Detmold zurückkehrte, wo er den 12. September desselben Jahres, erst fünfunddreißig Jahre alt, starb. –
Werfen wir nun wieder einen Blick zurück, auf Lützow! Dieser, der sich in seine vereinsamte häusliche Lage, welche er selbst herbeigeführt, gar nicht finden konnte, hatte sich plötzlich, im Jahre 1828, entschlossen, die Wittwe seines Bruders Wilhelm zu heirathen. In einem Briefe, der seinen aufgeregten Gemüthszustand ausdrückt, und in dem er sich vor Elisen gewissermaßen zu entschuldigen sucht, zeigt er dieser seinen Schritt an; er lautet: »Meine liebe, beste Elise! Es war mir unmöglich, Dir das zu schreiben, was Schlüsser's Brief ausspricht. Ich fühle, daß ich mich eigentlich zu keinem häuslichen Verhältniß passe – sonst wäre ich gewiß vom Anfange an mit Dir unaussprechlich glücklich gewesen, denn wer könnte mehr wünschen, als ich besaß. – Auguste ist allerdings eine angenehme Frau, indessen mehr noch die Wittwe Wilhelms hat eine Lage der Dinge herbeigeführt, wozu ich den Himmel um seinen Schutz anrufe, denn eine verkehrte Persönlichkeit und ein zerrissenes Gefühl machen mir einen höheren Beistand nöthig und unentbehrlich. – Die Liebe und Freundschaft bis in den Tod zu einem Wesen, was ich unendlich verehre, meine beste Elise, die bleibt sich gleich, nichts kann Dich aus meinem Herzen reißen! – Von Deiner Großmuth erwarte ich auch jetzt Liebe, Freundschaft und Theilnahme. – Deine großherzigen Absichten für Wilhelms Tochter erkenne ich mit Dank. Jedoch Dein Vermögen gehört Deiner Familie. Ein kleines Andenken dereinst für die Kleine, nehme ich in ihrem Namen um so lieber an, da unserem Wilhelm alles so lieb war, was von Dir kam. – Glaubst Du Deiner Familie näher zu treten, wenn Du Deinen Geburtsnamen wieder annimmst, so thue dies, meinem Herzen bleibst Du gleich theuer und nahe. – Aus der Fülle meiner Seele Dein Dich unbeschreiblich liebender Freund Adolph. – Schreibe mir nach Münster; Deine Briefe kommen nicht in fremde Hände, darauf rechne!« –
In einem schnell darauf folgenden Briefe aus Münster, den 19. Juli 1828 schrieb er: »Auguste hat gute und ausgezeichnete Eigenschaften; – das Unglückliche ihrer Lage, eine zärtliche Freundschaft für Wilhelm, haben mein Gefühl aufgeregt, meinen Entschluß schnell erzeugt, und machten, daß ich mich sogleich erklärte; schenke Du mir Nachsicht, der Himmel seinen Segen. Wilhelms Tochter wird Elsbeth genannt, und heißt Elisabeth. – Mich zerreißen die widersprechendsten Empfindungen. Dein Andenken, meine beste Elise, bleibt mit eisernen Ketten an mein Herz gefesselt. Adolph.« –
Es ist bereits in dem ersten dieser Schreiben erwähnt, daß Elisa, als sie von Lützow's zweiter Heirath vernahm, wieder ihren Familiennamen Ahlefeldt anzunehmen wünschte, da sie die etwanige Verwechselung mit jener neuen Frau von Lützow aus manchen Gründen vermeiden wollte; sie wandte sich deßhalb an den König von Dänemark mit dem Ansuchen, sich wieder Gräfin von Ahlefeldt nennen zu dürfen.
Auch Lützow's neue Verbindung konnte die freundschaftliche Beziehung zwischen ihm und Elisen nicht hindern; sie wechselten Briefe nach wie vor in herzlicher Weise. Von Elisens Seite kam bald noch Mitleid für den unglücklichen Freund hinzu, der vergeblich Ruhe und Befriedigung suchte. Er bedurfte theilnehmenden Trostes, und Elisa, die geschiedene Gattin, war die Einzige, die ihm solchen bieten konnte. Keine kleinliche Regung war in ihrer Seele; sie hatte ihm alles vergeben.
Man wird nicht ohne Rührung die folgenden Zeilen lesen können, die er ihr aus Münster, den 25. April 1829 schrieb: »Meine liebe, beste Elise! Ich schreibe Dir gleich nach meinem Eintreffen in Münster, und erwarte so sehnlich eine freundliche Antwort von Dir! Wenn Du mir in's Herz sehen könntest, Du würdest mir diese nicht versagen. Ich bin unaussprechlich unglücklich! – Mit Recht kannst Du sagen, ich habe mich selbst unglücklich gemacht; so richtig dies auch ist, so würdest Du mich entschuldigen, wenn Du von allen Verhältnissen unterrichtet wärest. Es gehe mir wie es wolle, nur den Trost Deiner freundschaftlichen Theilnahme, den laß mir, sonst gehe ich unter! – Könnte ich Dich nur einmal wiedersehen! – Noch einmal bitte ich Dich, beglücke mich recht bald mit einigen theilnehmenden Zeilen. – Von ganzem Herzen, selbst wenn ich es nicht wollte, dennoch, ich fühl's, bis an das Ende meines Lebens, Dein Freund Lützow.« –
Das Verlangen, Elisen wiederzusehen, von welcher er sich in einer nur so kurz dauernden Verblendung getrennt hatte, wurde so mächtig in ihm, daß er ihm nicht länger widerstehen konnte, und so schrieb er ihr aus Münster, den 6. Mai 1829: »Meine liebe, beste Elise! Sei mein Verhältniß wie es wolle, ich muß Dich sehen, von Dir Trost und Leben erhalten! – Ich reise von Paderborn mit der Schnellpost nach Düsseldorf, kann von hier nicht wohl ganz genau bestimmen, wann ich ankomme, gegen den 16. oder 17. kannst Du mich erwarten. Du wirst doch nicht so unmenschlich sein, mich abzuweisen? Das wäre schrecklich! – In der Erwartung des hohen Glücks Dich wiederzusehn, von ganzem Herzen der Deinige, Adolph.« –
Er reiste nun wirklich nach Düsseldorf, und mit tiefer Bewegung sahen sich die ehemaligen Gatten wieder. Lützow konnte sich kaum fassen, beklagte tausendmal, die theure Frau durch seine eigene Schuld auf ewig verloren zu haben, und vertraute ihrem treuen Antheil all den Kummer und all das Leid, die ihn drückten. Wie sehr dies Wiedersehn ihm wohlgethan, zeigen die folgenden Worte, die er ihr nach seiner Rückkehr, aus Münster, den 31. Mai 1829 schrieb: »Für mich werden dereinst die Thränen reden, die ich bei Deinem Andenken weine, wenn ich die Schuld verantworten soll, die ich gegen Dich begangen. – Du bist zu großmüthig, zu gütig, und so darf ich denn überzeugt sein, Du verzeihst mir, und läßt mir den Trost Deiner Freundschaft, wie ich bis in den Tod der Deinige bin. – Wie bereitwillig bist Du nicht stets, um Andern nützlich zu sein, das Glück Anderer liegt Dir stets am meisten am Herzen, an Dich denkst Du zuletzt; möchte Dir doch vergolten werden!« –
Ueber seine Versetzung nach Torgau schrieb er ihr aus Münster den 8. April 1830: »Du wirst vielleicht schon erfahren haben, daß ich Brigade-Kommandeur in Torgau geworden bin. – Seitdem Du nicht mehr in Münster bist, habe ich mich immer so sehr von hier weggewünscht, um Erinnerungen los zu werden, die mein Herz zerreißen!« –
Seine Abreise an den neuen Bestimmungsort meldete er ihr in einem Briefe aus Münster, den 15. April 1830, der nichts enthielt, als die Worte: »Meine beste Elise! Morgen verlasse ich Münster, wo ich das Glück meines Lebens eingebüßt habe. – Wenn es Dir nur gut geht, so mag der Himmel über mir zusammenschlagen. Mit den tiefsten Gefühlen, der Deinige, Adolph«. – Wie viel gepreßter Schmerz in diesem Ausruf! – Elisens Antworten las er nie ohne Thränen der Wehmuth, und wenn sie einmal etwas länger mit dem Schreiben zögerte, klagte er immer auf's Neue, es sei ihm so bange um's Herz.
Als nach eingetroffener Erlaubniß des Königs von Dänemark Elisa wieder den Namen Gräfin von Ahlefeldt-Laurwig annahm, schrieb ihr Lützow aus Erfurt, wohin das Armeekorps, dem er angehörte, marschirt war, den 28. Mai 1831: »Sehr angemessen finde ich es, daß Du Deinen Familiennamen angenommen, es bringt Dich Deiner Familie wieder näher, und wird beim äußeren Auftreten manche schmerzhafte Erinnerung vermeiden – und in dieser Beziehung ein neues Leben begründen. – Doch den Menschen beherrschen doppelte Gefühle, und so konnte ich mich der egoistischen Thränen nicht erwehren, als ich erfuhr, daß Du meinen Namen nicht mehr trägst; – ich fürchtete, Du wärest mir dadurch entfernter getreten. – Ueber die Inconsequenz der Menschen, die erst handeln, und dann erst begreifen, was sie gethan haben!«–
Da der Zustand von Elisens Vater damals große Besorgnisse einflößte, und man vermuthen durfte, daß ihr Vetter Christian, der sie dringend zu sich einlud, bald der Besitzer von Langeland sein würde, so drückte Lützow den Wunsch aus, sich dort mit Elisen treffen zu dürfen, denn, sonderbar genug, verbinde er mit Langeland noch immer den Begriff, als wäre er dort in der Familie, und, setzte er hinzu, wäre er frei, so möchte er seinen Abschied nehmen, sich auf Langeland eines der ehemaligen Musikantenhäuser miethen, und im Andenken an Elisen dort ganz still leben. Es ist gewiß sehr ungewöhnlich, daß ein Mann solche Gefühle für seine geschiedene Gattin hegt, wie es in diesem eigenthümlichen Verhältniß der Fall war. –
Die Befürchtungen in Betreff von Elisens Vater trafen bald ein. Den 8. März 1832, in demselben Monat, in dem sie ihre Mutter verloren hatte, erfolgte sein Tod; sanft und ohne Schmerzen entschlief er an den Folgen eines Nervenschlages, zweiundsiebzig Jahre alt. Elisa hatte ihm mehrmals und zu verschiedenen Zeiten angeboten, zu ihm nach Langeland zu kommen, und ihn zu pflegen, aber er hatte dieses Opfer abgelehnt, und ein solches wäre es unläugbar für sie gewesen, da in dem Kreise, in welchem er schon lange Zeit lebte, seit Jahren keine Dame von Erziehung und wirklicher Bildung gewesen war, und ein roher Ton und leichtfertige Sitten herrschten.
Er hinterließ beträchtliche Schulden. Elisa schloß nun mit ihrem Vetter, dem Grafen Christian von Ahlefeldt-Laurwig, an den nun die Grafschaft fiel, einen Vergleich, der darauf hinauslief, daß ihr auf Lebenszeit eine jährliche Rente ausgezahlt wurde; sie erhielt freilich nicht die Reichthümer, die ihr in der Jugendzeit zugedacht gewesen, aber zum wenigsten sah sie sich doch endlich in geordneten und sichren Verhältnissen.
Die erste Anwendung, die sie von einem Theil ihres neuen Einkommens machte, war, daß sie ihrer theuren alten Erzieherin, die bereits sechsundsiebzig Jahre alt, noch in Hamburg lebte, eine jährliche Pension gab, die Graf Friedrich von Ahlefeldt ihr auf Lebenszeit verheißen, aber seit einundzwanzig Jahren nicht mehr ausbezahlt hatte. –
Im Frühjahr 1833 wurde Lützow ganz unerwartet zur Disposition gestellt; er schrieb Elisen hierüber aus Torgau den 1. Mai: »Meine beste Elise! Der König hat meine Brigade dem Prinzen Albrecht gegeben, und wenn es nun allerdings nichts Ungewöhnliches ist, einem Königssohn zu weichen, so bleibt es doch allerdings nichts Angenehmes. – Es sind mir die allerschönsten Versprechungen gemacht worden, indeß ist haben besser als bekommen, die Leute, denen meine Art zu denken eben nicht gefällt, schätzen mich sehr hoch, finden aber, daß es schade sei, so oft verwundet zu sein, u. s. w. Im ersten Augenblick fehlte mir die Kraft nicht, indeß läugne ich nicht, daß ich im Inneren verstimmt bin; meine Absicht ist, eine Wohnung im Thiergarten zu miethen, und dort das Weitere abzuwarten. Erstlich wollte ich nach Dresden gehn, wo ich gewesen bin, und wo es mir ganz besonders gefällt, indeß wünscht Witzleben, daß ich in Berlin bleiben möchte. Ich bin ganz wohl, und habe zu wenig Uebung mich selbst nur allein mit mir zu beschäftigen, um auf eine Anstellung völlig verzichten zu dürfen.« –
Auch über diese Kränkung, die er tief fühlte, sprach er sich am liebsten gegen die Freundin aus; er konnte sich schwer in seine neue Lage finden. Er ging nun nach Berlin, und bezog eine Wohnung im Thiergarten. An die höflichen Redensarten, mit denen man ihn hinhielt, glaubte er wenig, und nahm sich vor, noch einige Zeit die Dinge ruhig zu erwarten, wenn er aber nicht, wie man ihm mündlich und schriftlich zugesichert, auf eine angemessene Art angestellt werde, so wollte er Preußen verlassen, und es nie wiedersehen. –
In einem Briefe aus Berlin, den 28. November 1833 sprach Lützow seinen allerdings gegründeten Unmuth aus; er lautet: »Meine beste Elise! Ich habe lange nicht geschrieben, aber es wird mir schwer, Dir zu sagen, wie ich lebe! Beinahe schäme ich mich, es zu erzählen. Meine Wohnung im Thiergarten ist allerdings angenehm, außerdem bin ich völlig ohne Geschäfte; kein Mensch, sage keine menschliche Seele erinnert sich meiner. Leo ist der einzige, der alle Monat einmal pflichtmäßig zu mir kommt, er ist mehr achtbar als angenehm, und verläßt mich nie, ohne mein Gefühl verletzt zu haben. – Daß der Lützow'sche Name nicht florirt, ist ihm allerdings unangenehm, mir persönlich mag er wohl eine Demüthigung gönnen, wenn er auch darüber – wie die Menschen in so vielen Verhältnissen – nicht ganz klar sich selbst Rechenschaft giebt. – Ich bin stumpf geworden, die Dinge haben ihren Eindruck auf mich verloren. Es bedarf eines äußeren Anklangs, um mich wieder zu erheben, ich werde ihn suchen und finden! – Berlin ist übrigens ein fatales Offiziantenloch. Alles äfft dem Hofe nach. Bildung des Verstandes will ich den Berlinern nicht allgemein absprechen; das Gemüth ist ohne Fülle, sie sind in Vielwisserei, äußeren Schein und Vornehmthun versunken. Der Luxus ist groß. Ein Hausvater läßt seine Kinder nach seinem Tode lieber betteln, als seine Gäste ohne Champagner. Die Frauen bedürfen unaufhörlich neuer Lumpen, und bedenken nicht, daß ihre Kinder dereinst zerlumpt einher wandern müssen. In diesem Augenblick passiren lauter schöne Wagen und Pferde, die Livreen gleichen den Hoflivreen, denn jede arme Lieutenantsfrau glaubt ein Stück des Hofes sein zu müssen. – Hinter dem Wagen steht ein Neufchateller Jäger, der nie einen Hasen geschossen, und noch überdies das Französische seiner gnädigen Frau nicht recht zu deuten versteht, so laut sie auch das ganze Publikum damit unterhält. Vor 1813 hatte das Unglück die Berliner vernünftig gemacht, seitdem die Staatskassen richtig zahlen, und die Orden fliegen, sind sie die alten, und noch schlimmer wie vor 1806. – Darf ich Dich besuchen, wenn ich im Frühjahr nach dem Rhein komme? Gern sagte ich Dir mündlich, daß ich nie aufhören kann der Deinige zu sein.« –
Immer auf's Neue äußerte Lützow den Wunsch Elisen wiederzusehen, um sich bei ihr zu entschädigen für sein häusliches Leid. »Lange bin ich in Dresden gewesen,« schrieb er ihr aus Berlin, den 1. November 1834, »und habe eigentlich die Absicht dort für immer zu leben. Dir hat es ja auch stets dort gefallen, kommst Du nicht vielleicht einmal wieder nach Dresden? Wir wollten recht freundlich zusammen leben. Ueberlege Dir meinen Vorschlag, der aus meinem tiefsten, innersten Gefühl hervorgegangen. – Die Tochter unseres Wilhelms würde Dich interessiren, sie ist stark, kräftig, und ob sie gleich für das ungezogenste Mädchen gehalten wird, und alle Dinge mit ihren eigenen Augen ansieht, so ist dennoch in ihrem kleinen Herzen eine Welt von Empfindungen und unendliche Tiefe des Gefühls. – Meine felsenfeste Gesundheit ist erschüttert, und ich bin oft krank. Gemüthsbewegungen kann ich durchaus nicht vertragen, diese machen, wie Aerger, da ich nicht wie sonst durch heftiges Aufwallen Luft mache, mich stets krank. – Ich erwarte viel von einer gänzlichen Zurückgezogenheit im herrlichen Dresden, besonders wenn auch Du durch Deine Gegenwart das Leben verherrlichen wolltest. Mit tiefer Anhänglichkeit und treuer Freundschaft der Deinige Adolph.« –
Was Lützow hier von seiner Gesundheit sagte, war leider nur zu wahr! Ein Brief aus Berlin, den 18. November 1834, in welchem er Elisen nachträglich auf gewohnte Weise zu ihrem Geburtstag Glück wünschte, und lebhaft über ein dreitägiges Fieber klagte, war der letzte, den er der geliebten Freundin geschrieben, denn schon den 4. Dezember 1834 starb er plötzlich, erst zweiundfünfzig Jahre alt. –
Er wohnte, da seine Frau in Dresden lebte, und er dadurch wieder ganz allein war, die letzte Zeit im Thiergarten beim Hofjäger, wo er ein einzelnes Zimmer seiner früheren Wohnung gemiethet hatte. Er war den Abend, über Unwohlsein klagend, nach Hause gekommen, und den andern Morgen fand ihn sein Diener todt im Bette. Seine Gesichtszüge sahen so ruhig aus, als wenn er schliefe. Auf einem Tische neben ihm lagen einige Bände Shakespear, Tasso, Faust und Wallenstein, Werke, die ihm nur als Erinnerung an Elisen lieb sein konnten, da er sonst an solcher Lectüre keinen Geschmack fand.
Elisa war tief erschüttert von der Nachricht, welche die treue Johanna Dieffenbach sogleich an Immermann schrieb, damit dieser sie in schonender Weise der Freundin mittheile. Allgemein wurde der tapfre und ruhmreiche Freischaarenführer betrauert, der durch seine Unerschrockenheit und Biederkeit, durch seine Gutmüthigkeit und Offenheit viele Freunde besaß, und von der ganzen preußischen Armee hochgeachtet wurde. Für die Handlungen, zu denen ihn Leidenschaft und Charakterschwäche verleitet, hatte er bitter gebüßt durch tiefe Reue, und wenn er selbst sich auch sein Unglück zugezogen, so mußte man ihn doch herzlich darum bedauern. Er wurde vor der Zeit alt. Seine zweite Heirath war es vor allem, die ihm viel Kummer bereitete, nun kam noch seine leidende Gesundheit dazu, und die kränkende Zurücksetzung, die er, der sich um das Vaterland so sehr verdient gemacht hatte, erfahren mußte. – Sein Andenken wird fortleben in der Geschichte, wenn diejenigen, die ihn in den Schatten zu stellen suchten, längst vergessen sind.
Wir müssen verschiedene Reisen erwähnen, welche Elisa während ihres Aufenthalts in Düsseldorf machte, theils begleitet von Immermann, theils allein. Die schönen Rheingegenden forderten zu manchen romantischen Ausflügen auf; in Dresden wurde Tieck besucht, dessen Kreis vielfach Anregung bot, und der mit Immermann das Interesse für die Bühne theilte. Als Immermann 1831 jene Reise machte, die er in seinem gedruckten »Reisejournal« geschildert, schrieb er alle jene darin enthaltenen Briefe an die in Derendorf zurückgebliebene Elisa; sie legen in manchen kleinen Zügen dar, wie auch in der Ferne sich alle seine Gedanken zu der Freundin richteten, wie er nichts genoß und nichts erlebte, was er nicht mit ihr zu theilen verlangte. Im Jahre 1834 unternahmen er und Elisa eine gemeinschaftliche Reise nach Holland, auf der die Malerin Karoline Lauska sie begleitete. Sie gingen über Nymwegen, Rotterdam, Delft, den Haag, nach Scheveningen. Hier hatte Elisa die Freude nach langen, langen Jahren wieder einmal das Meer zu erblicken, das Meer, bei dessen majestätischem Anblick, bei dessen geheimnißvollem Wogen und Brausen sie ihre Kindheit und ihre Mädchenjahre verlebt, und manche goldene Jugendträume geträumt. Froh schlug ihr Herz, als sie am frühen Morgen am Strand von Scheveningen entlang gingen, und ihnen die grünlich silberne Fluth entgegenschäumte; sie jubelte vor Entzücken, sie athmete mit Wonne eine Luft, die sie an die Heimath erinnerte. Ihr scharfes Auge entdeckte zuerst die mächtigen Segelschiffe, die am Saume des Horizonts wie ferne Nebelgestalten grau und geisterhaft erschienen, und die Elisa wie Freunde begrüßte. Die Wellen hatten die zierlichsten Schaumlinien auf dem Strande zurückgelassen, und das Meer warf phantastische grüne Schilfkränze und die leuchtendsten Muscheln und Schneckenhäuser zu Elisens Füßen, wie wenn es ihr, der Tochter des Meeres, damit Geschenke darreichen wollte. Alle diese Schätze wurden als Andenken gesammelt.
Sie gingen weiter über Harlem nach Amsterdam. Als sie an dem letzteren Orte nach Frascati kamen, einem Wirthshaussaal, den man ihnen sehr empfohlen hatte, trafen sie dort in dem hellen Raume ein paar hundert Menschen, welche rauchten und tranken. Sie fanden an einem Tisch in einer Ecke mühsam Platz, und Immermann, mit seinem Sinn und Auge für das Charakteristische ergötzte sich die vielen seltsamen Gruppen ringsumher zu betrachten. Da waren viele Nordholländer und Nordholländerinnen, die letzteren an Kopf, Hals und Nacken mit Goldplatten und Brillanten bedeckt, übrigens in bäuerlicher Tracht. Ihre Begleiter saßen, die Hüte auf dem Kopf, neben ihnen, sahen starr vor sich hin, bliesen den Rauch aus den Thonpfeifen, und gaben keinen Laut von sich. Das Ganze sah aus wie ein gemaltes Bild. Immermann entdeckte hier mit Vergnügen so komische Originale, wie er sie später in seinem »Münchhausen« geschildert, aber Elisa, die stets den größten Widerwillen gegen Wirthshausluft und Tabacksqualm gehabt, wurde es plötzlich so unheimlich dort, daß sie mit Einemmale, ohne sichtbares Motiv sich voll Entsetzen erhob, und mit einem Ausdrucke des Grauens erklärte, daß sie es hier unmöglich länger aushalten könne. Von ihren Gefährten gefolgt, verließ sie eilig den Saal. –
Wie Immermann im Museum zu Amsterdam ein Gemälde von Gerhard Dow, welches man, um es besser zu schützen, unter Glas gebracht hatte, anfaßte, um es in helleres Licht zu bringen, schoß ein langer, wunderlicher Galeriediener wüthend auf ihn zu und rief mit giftigem Blicke: die Schildereien wären zum Bekeeken und nicht zum Anfassen da! Dieser komische Auftritt blieb Elisens lustigste Reiseerinnerung aus Holland. – Ueber Utrecht und Arnheim kehrten sie nach Düsseldorf zurück. –
Immermann dichtete nichts, das er nicht zuerst Elisen vorlas, und ihrem Urtheil unterwarf. So sehr sie sein Talent liebte und anerkannte, so war sie doch keinesweges eine blinde Bewundrerin seiner Werke; weit entfernt, wie so viele Frauen, die den Schriftstellern, welche ihnen nahe stehen, durch ein maßloses Lob, welches größtentheils aus Beschränktheit und Mangel an Geist entsteht, mehr schaden als nützen, sprach sie immer ihre offene Meinung gegen ihn aus, mochte sie nun von der seinigen abweichend oder zustimmend sein. Als sie einmal an seinem »Alexis« etwas tadelte, brach der empfindliche Dichter in den klagenden Ausruf aus: »Wie, auch Sie verstehen mich nicht?« – Elisa ließ sich, so sehr diese Worte sie schmerzten, dadurch nicht irre machen, und hatte die Genugthuung, daß ihr Immermann bald den ungerechten Vorwurf abbat, und an seinem Werk die Veränderung vornahm, die Elisa ihm angerathen hatte. Er schrieb keinen Brief, den er ihr nicht, ehe er ihn abschickte, vorgelesen hätte; alle seine Briefschaften, seine Manuscripte, schenkte er ihr; sie besaß einen Schlüssel zu dem Schrank, in dem er alle seine Papiere verwahrte, er hatte kein Geheimniß vor ihr, und es war ihm lieb, wenn sie in die innerste Werkstätte seiner Gedanken blickte. Mit eigner zarter Hand ordnete sie seinen Schreibtisch, und schmückte ihn auch wohl mit Blumen. Zu wiederholten Malen bat Immermann Elisen, ihm ihre Hand zu reichen, und damit seinem Glück die Krone auszusetzen; er stieß immer auf denselben Widerstand. »Wird er immer so fühlen?« dachte sie zaghaft und bescheiden, und hielt es für das beste, nichts an ihrem schönen Zusammenleben zu ändern. –
Ein großer Schmerz war für Immermann, daß das Düsseldorfer Theater, welches unter seiner Leitung einen so schönen Aufschwung genommen, wegen Mangel an Geldmitteln eingehen mußte. Die Opfer, welche er selbst brachte, es zu erhalten, wollten nicht ausreichen; keine Anstrengung, keinen Verdruß, der bei einer solchen Stellung unvermeidlich war, hatte er gescheut, und mit unermüdetem Eifer sich der Sache gewidmet, die ihm so sehr am Herzen lag. Bis zuletzt hoffte er, daß sich im Publikum so viel Theilnahme finden würde, um die sinkenden Kräfte zu unterstützen, aber mit Bitterkeit mußte er wahrnehmen, daß die Reichen und Großen sich um die Hebung der wahren Kunst viel zu wenig kümmerten, um zu einem solchen Zwecke beizusteuern, und noch viel später, in den »Düsseldorfer Anfängen« klagte er, daß in dem Staate der »Intelligenz« das Gouvernement, während es Hunderttausende für die Frivolitäten des Ballets und der Oper in der Hauptstadt verschwenden, nicht daran dachte, eine jährliche Unterstützung von 4000 Thalern einem Institut zuzuwenden, das bestimmt war, in die Reihe der Rheinischen Kunstanstalten mit einzurücken.
Am 1. April 1837 mußte die Bühne, nach dreijährigem, ruhmreichen Bestehen, geschlossen werden; sie ging unter, aber in höchster Kraft und vollster Blüthe, in einer Weise, die ihrer würdig war. Die Schauspieler fühlten sich so von Eifer beseelt, daß sie bis zuletzt den größten Fleiß auf die schwierigsten Aufgaben verwandten. Immermann sagte selbst, daß sie bis zuletzt so viel leisteten, »weil sie ihre Ehre darein setzten, daß die Bühne im höchsten Glanz ihrer Thätigkeit untergehe.« Die letzte Vorstellung wurde mit einem Epiloge von Immermann geschlossen, den die Schauspielerin, Madame Limbach vortrug, und in welchem, nachdem die Klage ausgedrückt, daß das Glück in dieser bunten Thätigkeit nur so kurz gedauert, es weiter heißt:
Immermann war sehr verstimmt; neben dem Scheitern seiner Bühnenwirksamkeit verdroß es ihn, daß er als Schriftsteller nicht die Anerkennung fand, die er zu verdienen glaubte. Persönliche Verdrüsse kamen hinzu, wie zum Beispiel schon früher das Erkalten seines Freundschaftsverhältnisses mit Schadow. Doch konnten ihn alle solche Verstimmungen nicht an neuem Schaffen hindern; er gab die »Memorabilien« heraus, die »Epigonen,« dichtete an seinem »Münchhausen« und begann »Tristan und Isolde.«
Eine Reise nach der Fränkischen Schweiz, im Jahre 1837, mit der er einen Besuch in Weimar verband, heiterten ihn etwas auf. Er las an dem letzteren Orte sein neuestes Drama »Ghismonda, die Opfer des Schweigens« vor, und leitete dessen spätere Aufführung dort ein. Die Erinnerung an Goethe regte ihn an, und erhob ihn; die freundlichste Aufnahme am Hofe wurde ihm zu Theil, und das Weimarer Theater mochte wohl den Wunsch in ihm erregen, ein solches unter seiner Leitung zu sehen. Die ganze, nach seinem Tode abgedruckte »Fränkische Reise« bestand aus Briefen, die er an Elisen schrieb.
Als bei seiner Rückkehr die Freundin ihn voll Liebenswürdigkeit und Herzlichkeit empfing, dichtete er die folgenden Strophen an sie:
Im Februar 1838 nahm Immermann an dem Fest der Freiwilligen zu Köln Theil, das zur Feier des fünfundzwanzigjährigen Jubiläums begangen wurde. Sein Gedicht: »Die silberne Hochzeit,« das er den Kameraden vortrug, zeigt seine Begeisterung für das Vaterland, und wurde mit lautem Beifall aufgenommen. Seine spätere Beschreibung des Festes feierte die große Zeit, deren er und die Freundin so gern gedachten.
Im Laufe des Sommers erschien unter den Fremden in Düsseldorf auch Adolf Stahr, der damals zuerst die Bekanntschaft von Immermann und Elisen machte; er kam aus Oldenburg mit seinem Freunde, dem humoristischen Schriftsteller Theodor von Kobbe, der sich selbst in seiner lustigen Weise Immermann's enragé nannte. Bald darauf schilderte Stahr sehr anziehend im »Bremer Conversationsblatt« seinen Besuch bei dem Dichter, für den er voll Liebe und Verehrung war. –
Im Herbst dieses Jahres wünschte Elisa nach so langer Zeit endlich einmal wieder ihren guten alten Onkel von Hedemann-Heespen in Holstein zu besuchen, der nun bereits den Siebzigen nahe war, und dringend verlangte, sie wiederzusehen. Da Immermann seine Familie in Magdeburg sehen, und eine Taufe bei seinem Bruder wollte mitfeiern helfen, auch einen Ausflug nach Hamburg, wo er Karl Gutzkow und Ludolf Wienbarg aufzusuchen wünschte, und nach Bremen beabsichtigte, so ließ sich die Reise theilweise gemeinschaftlich machen. Immermann blieb in Magdeburg, während Elisa bei ihren Verwandten verweilte.
Auf der Durchreise durch Münster erwartete Elisen der alte, würdige Möller mit der feurigen Sehnsucht eines Jünglings. Wo sie erschien, bezauberte sie wieder alle Herzen; der alte Onkel wurde beinahe wieder jung vor Freude über ihre Gegenwart; in Hamburg begrüßte sie nach so langer Trennung mit gerührtem Herzen ihre Erzieherin, Marianne Philipi, die nun Zweiundachtzigjährige, deren sehnlichster Wunsch es gewesen war, das »holdselige Angesicht« ihrer Elisa vor ihrem Ende noch einmal zu sehen. Wie wohlthuend und beglückend ihre Erscheinung auf ihre alte Freundin wirkte, mögen die folgenden, bald nach diesem Wiedersehen geschriebenen Zeilen der letzteren, aus Hamburg den 31. October 1838 andeuten: »Herzlichen Dank, Du theuerste Elisa, für Deine mich beruhigenden, liebevollen Zeilen, so wie für Deine wohlthuende Nähe, deren ich mich länger und öfterer, als ich zu hoffen mir getraute, während Deines Aufenthalts in Hamburg erfreute. Möge die uns zu Liebe gemachte Reise in ihren Folgen sich eben so beglückend Dir erweisen! In Gedanken blicke ich Dir noch immer, wie das letzte Mal an meinem Schreibtisch, in Dein seelenvolles Auge, Dein freundliches Gesichtchen, dessen Züge ich mit schwärmerischer Mutterliebe in mein Innerstes einzuziehen und unauslöschbar festzuhalten mich bestrebte. Gestehen darf ich Dir wohl, ohne Deine Bescheidenheit, den Grundton des echt weiblichen Wesens, zu verletzen, daß ich Dich liebenswürdiger, meinem Herzen näher als je, wiederfand. – Mit Deiner holden Erscheinung ist mir ein neues, schöneres Dasein wieder geworden So überwiegt ein Stündchen traulicher, mündlicher Mittheilung den ganzen Inhalt eines Briefwechsels mehrerer Jahre, unter der Furcht unheiliger, über die Schulter einkuckender, mitlesender Augen! Auch darf ich Dir ferner nicht verhehlen, daß Du neue Lebenslust und neuen Lebensmuth wieder in mir angefacht. Wem hätte es je einfallen können, daß das vormals ihre Erzieherin so muthwillig umhüpfende Elischen einst derselben eine so wirksame Arznei reichen würde! – Wie ruhig bin ich, Dich jetzt so wohl, und Deine Angelegenheiten in so guten, geschickten Händen zu wissen. Der Himmel erhalte Dir bei Gesundheit und Frohsinn alles, was zu Deiner Zufriedenheit gereicht, und schenke Dir einen so heitern Lebensabend, als der, dessen ich mich durch Deine Liebe erfreue. Dem gefälligen Immermann bitte ich seinen Gruß freundlichst zu erwiedern, und für sein gütiges Anerbieten zu danken. Welch ein Genuß, könnte ich seinen Vorlesungen und seiner geistreichen Unterhaltung lauschen! – Das Sträuschen, das Du mir scheidend gabst, ruft, wohlverwahrt, alle die lieblichen Bilder, womit Deine holde Gegenwart mein Zimmerchen beseelte, wieder zurück, es wird mir immer zur Seite bleiben. – Lebe wohl, geliebte Elisa! Gedenke mein wie bisher mit Liebe, überzeugt, daß Du keinem Wesen theurer sein kannst als mir, die Dich im Herzen trägt, und tragen wird, bis es bricht. Marianne Philipi.« –
Wer läse nicht mit Wehmuth diese liebenden Wünsche in einem Augenblick, wo das Verhängnis schon das Gegentheil beschlossen hatte! –
Immermann hielt sich unterdessen, wie schon bemerkt, in Magdeburg auf. Das Familienfest bei seinem Bruder Ferdinand versetzte alles in frohe Stimmung. Ein junges, achtzehnjähriges Mädchen, dessen Vormund Ferdinand Immermann war, Marianne Niemeyer, aus Halle, befand sich dort im Hause. Als Immermann in seiner gewohnten Art in dem Kreise vorlas, fiel ihm der eifrige Antheil auf, den Marianne daran zu nehmen schien; dadurch interessirte er sich für sie, und beschäftigte sich mit ihr; doch konnte es zu keiner genaueren Bekanntschaft kommen, da er sich nur so kurze Zeit bei den Seinigen aufhielt, und Mariannen nur ein paar Mal gesehen hatte.
Als er wieder mit Elisen zusammentraf, und mit ihr gemeinschaftlich die Rückreise nach Düsseldorf antrat, machte er ihr auf's neue den Vorschlag, ihn zu heirathen; er that es diesmal mit einer Art von beklommener Heftigkeit, die Elisa nicht zu deuten wußte; sie blieb wie immer bei ihrer Weigerung.
Zu Hause angelangt, schrieb Immermann sogleich an Mariannen; sie antwortete auf der Stelle. Immermann fand den Verkehr mit einem so jungen Mädchen pikant und neu, und setzt den Briefwechsel eifrig fort, den er, der sonst kein Geheimniß vor Elisen hatte, vor ihr verschwieg. Seine Beziehung zu Mariannen gewann durch die kurze Bekanntschaft, die Entfernung, die Hast und Ueberstürzung, einen Anflug von Leidenschaftlichkeit.
Ferdinand Immermann, der Vormund Mariannens, äußerte seine entschiedene Mißbilligung; er verlangte zum wenigsten Einsicht in den Briefwechsel, und machte seinem Bruder die heftigsten Vorwürfe, den er durchaus als gebunden ansah. Die Großmutter Mariannens, die alte Kanzlerin Niemeyer in Halle, betrachtete die Sache von einer andern Seite; sie liebte es, Heirathen zu stiften, und behauptete, sie sähe durchaus nicht ein, warum Immermann ihrer Enkelin nicht seine Hand anbieten könne, da er ja nicht verheirathet sei. Es war ihr leicht, es durch ihren Einfluß dahin zu bringen, daß Immermann in einem Briefe anfragte, ob Marianne die Seine werden wolle? Diese gab sogleich ihr Jawort.
Das alles geschah so plötzlich, so rasch hintereinander, wie wenn ein unvorhergesehener Gewitterregen einbricht, und in Einem Augenblick alle Blüthen schonungslos vernichtet. Immermann wagte nicht Elisen zu gestehen, was er gethan; sein böses Gewissen nahm ihm den Muth dazu. Und dennoch ist nichts so schwer, als eine Verlobung lange geheim zu halten! Bald wußten mehrere Personen in dem Düsseldorfer Kreise darum, nur Elisa nicht! –
Immermann las ihr in jener Zeit ein Gedicht vor, das er an Mariannen gerichtet hatte. Elisa blickte ihn an, und sagte mit ihrer wunderbaren Divinationsgabe, halb ruhig, halb scherzend: »Ich glaube diejenige, an welche dies Gedicht gerichtet ist, werden Sie noch einmal heirathen!« – Immermann läugnete dies auf das entschiedenste; sie aber hatte richtig vorausgefühlt! –
Es waren beklommene, unheilverkündende Tage; Immermann fühlte sich nicht mehr frei und unbefangen Elisen gegenüber, wie sonst; er konnte ihr nicht mehr mit der gewohnten Offenheit begegnen; wenn sie die sanften, blauen Augen zu ihm aufschlug, senkte er verlegen die seinigen. Elisa konnte es sich nicht mehr verbergen, daß sich das Betragen des Freundes gegen sie verändert habe. Was war es, das wie eine dunkle Wolke zwischen ihnen lag? – Sie litt in der Stille, und litt unendlich. –
Niemand als der treuen Johanna Dieffenbach vertraute sie ihre Gefühle. Diese, die ihre Freunde nie im Stiche ließ, wo es galt, schrieb sogleich aus Berlin, den 18. Dezember 1838: »In dieser Minute habe ich Deinen Brief erhalten, und rufe Dir auf der Stelle zu, komm, komm hieher, zu mir, zu mir, Du geliebte Elisa! Für's erste würde Dir die Stille hier auch wohlthun, und weitere Pläne lassen sich hier gemeinschaftlich berathen. Soll ich, soll mein Freund Kaufmann Dich holen kommen? Ein Wort, und Du sollst nicht einsam, mit schwerem Herzen, den Weg hieher machen; denn hieher, und nirgends anders gehe zuerst. – Und wenn innige, herzliche Freundschaft Trost gewährt, so findest Du ihn an meinem Herzen, das mehr als ein anderes Dir nachfühlen kann. Gott hat mir beigestanden, wo ich so ganz verzagte, und mir ein ruhigeres Leben geschenkt, als ich's je vorher hatte. Vertraue Du nur, es wird Dir auch nicht fehlen! Ewig Deine Johanna.« –
Es ist schwer zu glauben, daß ein Verhältniß zerstört sei, das für das Leben dauern sollte, daß nach so vielen Jahren einer poetischen, beglückenden Freundschaft ein solches Ende folgen könne. Elisa duldete weiter. Die Freundin schrieb ihr den 24. Januar 1839 wieder, wie folgt: »Wärest Du armes Herz nur erst hier, fort von da, wo Du jede Stunde auf's neue verletzt werden mußt. Kein Schmerz verwundet so tief, als sich getäuscht zu finden, wo man so ganz vertraut hat, erkaltet zu fühlen, was unser Herz so lange mit unwandelbarer Treue festgehalten, sich abwenden zu sehen, was durch Hingebung unseres ganzen Wesens wir für immer uns verbunden glaubten. O, so grausam scheidet nicht der Tod, unsere theuren Gestorbenen leben uns in der Seele fort, wir dürfen ihrer freudig gedenken. Aber Freunde, die dieses Namens unwerth, aller Liebe, Treue, Hingebung, aller Opfer uneingedenk, dies alles mit engherziger Selbstsucht und Undank lohnen können, die verbittern nicht bloß die Gegenwart, auch der schönen Vergangenheit können wir nicht gedenken, ohne daß uns wie eine dunkle Wolke die schmerzliche Erfahrung vor die Seele tritt. Glaube Du Geliebte, Tag und Nacht beschäftigt Dein Schicksal mich, ich fühle Dir alles nach, weil Dein Loos das meine war. Dieser Zustand des Verlassenseins, der Einsamkeit ist furchtbar, auch ich dachte damals verzweifeln zu müssen, keines Menschen Trost fand bei mir Gehör.« – Mit ihrer großartigen Freundschaft stellte sich Johanna Elisen vollständig zur Verfügung; diese sollte bestimmen, ob sie kommen, und Elisen mit sich führen, ob sie zusammen reisen, wie und wo sie leben wollten; sie hoffte, eine Reise in neue, schöne Gegenden solle Elisen zerstreuen und ihren Kummer heilen.
Diese zögerte noch immer, einen Entschluß zu fassen; sie ahnte, daß etwas Entsetzliches vorginge, ohne zu wissen, was es sei. Was Immermann ihr verschwieg, wurde ihr nun von Andern mitgetheilt: daß er verlobt sei. Das konnte sie nicht glauben! Ihr edles Gemüth hielt es für nicht möglich, daß er dasjenige, was er vor allen Andern ihr mitzutheilen schuldig war, ihr verheimlichen könne.
Die Gewißheit ließ nicht lange auf sich warten. Immermann legte ihr eines Tages auf seinen Schreibtisch, den sie, wie bereits gesagt worden, allein zu ordnen pflegte, und dessen Papiere sie alle lesen durfte, einen Brief, der ihr alles entdeckte. Es war der schrecklichste Augenblick ihres Lebens. Nach zwölf Jahren, die sie dem Glücke des Freundes ausschließlich gewidmet hatte, nach zwölf Jahren voll Treue und liebender Sorgfalt, war nun alles zu Ende! – Ihre bangen Ahnungen hatten sie nicht getäuscht! Und der einfachen Jugendlichkeit eines Kindes war es vom Schicksal bestimmt, den Sieg davonzutragen über eine Frau von so feinem und hohen Geist, von so schönem Herzen, von so bezaubernder Liebenswürdigkeit wie Elisa! – Sie, die vertraute Freundin, wollte er aufgeben, für ein fremdes junges Mädchen, das er nur einige Male erblickt hatte! –
Wie Elisa in Magdeburg lebte, hatte sie bei Immermann's Mutter ein Kind gesehen, das dort fröhlich umherspielte: es war Marianne Niemeyer! So war diejenige, die Elisens Freundschaftsverhältniß zu Immermann stören sollte, schon beim Beginne desselben gegenwärtig gewesen. Seltsame Fügung! –
Diesem tragischen Geschick gegenüber, fühlte Elisa unwiderleglich in ihrem Herzen, daß es nur einen Ausweg für sie gebe: fortzugehen auf immer. Immermann hatte das nicht gedacht, sondern die inneren Vorwürfe, die er sich machen mußte, mit der Hoffnung zu besänftigen gesucht, sie werde sich bereden lassen, trotz seiner Heirath, bei ihm zu bleiben; die Freundin könne einen Platz neben der Frau haben. Aber mit edlem Unwillen wies Elisa solch einen Vorschlag zurück, den anzunehmen unter ihrer Würde gewesen wäre. Immermann war bestürzt, außer sich, als er vernahm, daß er sie verlieren sollte! –
Sie schwieg, außer gegen Johannen, gegen alle Welt über das, was vorgefallen; gegen niemand kam ein Wort der Klage über ihre Lippen. Anders er; in der Aufregung lief er zu allen gemeinschaftlichen Freunden, vertraute ihnen, Elisa zürne ihm, und bat um ihre begütigende Vermittelung und Ausgleichung. In so zarte Verhältnisse kann kein Dritter sich mischen, ohne zu verletzen; die Freunde, die nun kamen, und Elisen bestürmten, sie solle doch bei Immermann bleiben, konnten natürlich nichts ausrichten; vergeblich wollten sie es so schön finden, wenn Elisa die mütterliche Freundin der jungen Gattin würde. – Immermann erwartete damals von Düsseldorf versetzt zu werden, Elisa, meinten sie, solle dann das junge Ehepaar an den neuen Wohnort begleiten. – Elisa empfand aber tief das Widrige solchen Vorschlags, und das Unpassende solcher Unterredungen; sie blieb bei ihrem Vorsatz. Alle wollten sie nicht begreifen können, warum Elisa ginge, nicht begreifen, was doch das einfache Gefühl zu begreifen lehrt! Auch ein Theil von Elisens Familie war unzufrieden mit ihrem Entschluß. Sie ließ sich nicht irre machen, und schrieb an Alle: man möge nicht weiter in sie dringen: Immermann habe ihr früher mehrmals seine Hand angeboten, sie habe sie ausgeschlagen; nun heirathe er, das fände sie in der Ordnung, aber die Art, wie er es gethan, habe sie gekränkt. – So übte sie noch bis zuletzt Schonung und Entsagung für ihn. –
Die Einzige, die Elisen ganz verstand, und begriff, daß hier eine Trennung nöthig sei, war die Freundin Johanna; sie schrieb aus Berlin, den 8. April 1839: »Geliebte Elisa! Schon lange weiß ich nichts von Dir, und erwarte auch jetzt kaum Dein Herkommen. Täglich suche ich in der Zeitung nach Immermann's Versetzung, und da sie bis jetzt nicht erfolgt ist, bleibst Du auch wohl noch dort. Ach, ich kann's nur zu deutlich denken, wie schwer Du Deine Wohnung verlassen wirst, und wie gern Du selbst alles verschiebst, wenn auch das frühere Leben darin geendet hat. Daß Immermann wünscht, Du zögest nach seinem künftigen Wohnort, finde ich natürlich – aber ob Dir's heilsam wäre, wage ich nicht zu glauben, Du würdest fortkranken, ihn so ganz anders zu sehen. – Deine Wunde ist nicht mit Rosenwasser zu heilen, da gehört ein noch tieferer Schnitt, ehe Du auf Genesung rechnen kannst. – Sage mir sehr bald, wie Du Dich fühlst, und was Du beschließest, und gebrauche mich, worin Du glaubst, daß ich Dir dienlich wäre. Ich glaube fest, es würde Dir wohler, bei meiner Liebe zu leben, als jetzt – weil unser Band von Herz zu Herzen geht. – An die Verhältnisse in Halle kann und mag ich gar nicht glauben, doch möcht' ich näheres darüber hören. – Gott schenke Dir Kraft und Geduld, Du theuerste Elisa, und mir erhalte er Deine Liebe. Bis in den Tod Deine Johanna.« –
Elisa verabredete nun mit Johannen eine gemeinschaftliche Reise nach dem Süden, auf welcher der letzteren junger Freund, Philipp Kaufmann, der Uebersetzer von Shakespear und Burns, die beiden Damen begleiten und beschützen sollte.
Während dies sich vorbereitete, lebten Elisa und Immermann zusammen weiter, aber ach! wie anders als ehemals! Nach den ersten Stürmen der Aufregung verkehrten sie scheinbar ruhig miteinander, aber was sie innerlich fühlten, läßt sich nicht schildern. Immermann vertraute einem Freund, wenn er sich das alles so vorher vorgestellt hätte, er würde sich nie zu der Heirath entschlossen haben! Nun war es zu spät; er glaubte sich gebunden. So vergingen Wochen, Monate. In der Mitte des Juli erschien Johanna wie eine hülfreiche Retterin aus diesem unseligen Zustand; sie umschlang voll Zärtlichkeit die geliebte Freundin, und ihr mitfühlendes Herz schlug an dem tieftrauernden Elisa's.
Den 14. August 1839 verließ Elisa in Gesellschaft Johannens ihren heitern, ländlichen Wohnort Derendorf, das stille Haus unter den schattigen Bäumen, wo sie zwölf Jahre ihres Lebens zugebracht hatte, auf immer. Mit schwerem Herzen begleitete Immermann die theure Freundin bis Köln; der Abschied war erschütternd; es war, wie wenn die ganze ehemalige, zarte Innigkeit dieses Verhältnisses noch einmal aufflackerte; es war ein Abschied für ewig! –
Bis dahin hatten sich Elisens Schönheit und Jugendreiz wunderbar erhalten, aber dieser Abschnitt ihres Lebens war auch zugleich die Gränze ihrer Jugend; sie war nun neunundvierzig Jahre, und sah mit vollkommener Entsagung in die Zukunft; sie hoffte, sie wollte und wünschte nichts mehr vom Leben. Johannens Liebe suchte sie zu stützen und aufzurichten. Die schöne Natur that ihr wohl. »Es war das Schrecklichste, was mir begegnen konnte,« sagte sie später einmal zu einer Freundin, »aber wenn man es überwunden hat, wird man sehr ruhig.« – Nachdem der junge Philipp Kaufmann sich den beiden Freundinnen angeschlossen, nahmen sie den Weg über Straßburg und Freiburg nach der Schweiz.
Während Elisa so immer weiter in die Ferne ging, blieb Immermann mit Empfindungen zurück, die von denen eines glücklichen Bräutigams weit abwichen. Der Abschied von Elisen hatte die schmerzlichsten Gefühle in ihm erregt, und schon jetzt begann er zu ahnen, daß mit ihr sein guter Genius von ihm gewichen sei. Welch ein Dämon war es, der ihn einen Theil von jenen zerreißenden Seelenzuständen erleben ließ, die er in seinen »Papierfenstern eines Eremiten« in früher Jugend mit vorahnendem Dichtergeist geschildert! – Noch wenige Tage verweilte der Dichter allein in dem romantischen Häuschen zu Derendorf, dem ehemaligen Schauplatze eines idealen Glückes; er fand keine Ruhe mehr zwischen diesen Blumenbeeten und Rosengebüschen, diesen schattigen Gängen und traulichen Ruheplätzchen, alles sprach zu ihm mahnend und eindringlich von der Vergangenheit, er fühlte ein Weh bis in's innerste Herz, und eilte diesen Ort auf immer zu verlassen. –
Bereits den 20. August schrieb eine Freundin von Immermann und von Elisen, Amalie von S. an die letztere aus Düsseldorf die folgenden Zeilen: »Ich gestehe Ihnen offen, daß ich es Immermann gönnte, Sie nicht so weit von ihm getrennt zu wissen. Der Schmerz des Abschiedes von Ihnen hat das Bild Ihrer Treue und Liebe, welches nie verlöscht war, mit einer solchen Gewalt in ihm hervorgerufen, daß Sie, wenn Sie dies in persönlicher Gegenwart sähen, und Ihre Seele noch nicht zum alten Vertrauen zurückgekehrt wäre, schon in, darf ich sagen, christlicher Milde, etwas zu seiner Beruhigung thun würden. Ich kann es wahrhaft sagen, wie es auch in Zwischenstimmungen gewesen sein mag, jetzt lebt Ihnen kein ergebenerer Freund auf Erden.« –
Bald nach Elisens Abreise wurde Immermann's Verlobung öffentlich erklärt; er reiste nach Halle zu seiner Braut, mit der er sich den 2. October 1839 verband.
Auf der Rückreise nach Düsseldorf nahm er mit seiner jungen Frau den Weg über Weimar, wo ihm wieder von allen Seiten die ehrenvollste Aufnahme zu Theil ward. Am Abend seiner Ankunft wurde er im Theater mit einer Aufführung seiner »Ghismonda« bewillkommnet; seine junge Frau wohnte neben ihm der Vorstellung bei. Da ergriff ihn das Gefühl des ungeheuren Abstandes zwischen jetzt und ehemals; er mußte sich vorstellen, welchen warmen Antheil Elisa an der Darstellung dieser seiner Dichtung genommen haben würde, ihm fehlte überall ihr feines Eingehen, ihr tiefes Verständniß seines innersten Lebens. Es lag eine Art von Ungerechtigkeit in solchen Vergleichen, er konnte, er durfte von einem so jungen Wesen zum wenigsten nicht jene volle Reife des Geistes verlangen, die er an Elisen gewohnt war.
Bei einem Aufenthalt in Dresden ging es nicht anders. Als Marianne Morgens in der Galerie sich für die Bilder nicht so lebhaft interessirte, als er erwartet hatte, als sie Abends bei einer Tieck'schen Vorlesung ermüdete, rief er schmerzlich, solche Gleichgültigkeit wäre bei Elisen unmöglich gewesen! – Er vergaß in seiner Aufregung, daß die arme junge Frau keine Schuld daran hatte, daß sie nicht Elisa war, und daß nur Wenigen die hohen und bezaubernden Gaben zuertheilt werden, welche die letztere besaß! – Immermann empfand Augenblicke der Verzweiflung, in denen er mit Leidenschaft nach Elisen verlangte, ja, er veranlaßte sogar Mariannen ihr zu schreiben, und sie flehentlich zu bitten, zu ihnen nach Düsseldorf zurückzukehren. Das war jetzt zu spät; Elisa hatte mit ihrem früheren Leben bereits abgeschlossen! –
Da aus Immermann's von ihm so lebhaft erhoffter Versetzung nichts geworden war, so mußte er in Düsseldorf bleiben, das er sehnlichst zu verlassen wünschte. Er bezog mit seiner Gattin eine kleine Wohnung in der Stadt, in der unschönen Grabenstraße. Die engen Zimmer, die zwei Treppen hoch gelegen waren, beklemmten und bedrückten ihn; er seufzte laut nach Raum und Luft, nach dem freundlichen Derendorfer Garten; er kam sich wie in einem Käfig vor. Er fühlte sich wie Tasso, der aus den Gärten von Belriguardo verbannt ist. – Außer einigen Gesängen von »Tristan und Isolde« hat er auch nichts mehr gedichtet, seit Elisa ihn verließ. Wie schwer lasteten auf ihm die engen, bürgerlich häuslichen Sorgen, die sein neuer Lebensweg mit sich brachte! Jetzt erst fühlte er ganz, wie er verwöhnt worden war durch Elisens zarte Pflege, wie sie alle hemmende Prosa der Wirklichkeit von ihm entfernt, und eine Atmosphäre der Freiheit und der Schönheit um ihn geschaffen hatte, in der er sich ungestört der »süßen Gewohnheit des Daseins und des Wirkens« hingeben konnte. Die tröstende, hülfreiche, begeisternde Muse war von ihm entflohen, wer konnte ihn für solchen Verlust entschädigen! –
Elisa setzte unterdessen mit ihren Gefährten ihre Reise fort. Sie waren über den Gotthard nach dem schönen Italien gelangt, über Genua, Florenz, Bologna, Ferrara und Padua nach Venedig. Die herrlichen Gegenden, die wunderbaren Kunstwerke entzückten Elisen; sie empfand es als einen beglückenden Trost, daß während alle Menschenbeziehungen so unsicher, so wandelbar sind, die Freuden, welche die Natur, die Kunst und die Poesie gewähren, für denjenigen, der einmal wahren und echten Sinn für sie besitzt, wie unerschütterliche Säulen dastehen, an denen man Herz und Geist ewig aufrichten kann; die reiche Fülle des Schönen, die sich ihr hier auf jedem Schritte darbot, sie mußte wie mit mildem Sonnenschein ihr Inneres erhellen und beleben.
Als sie in Ferrara Tasso's Kerker und das alte Schloß der Este, einst der Sitz der Musen und Grazien, betrachtete, mochten wohl wehmüthige Gedanken in ihr aufsteigen über die Vergänglichkeit alles Glückes. In dem alten verzierten Himmelbette des Hôtels träumte sie von den goldenen Tagen, da Tasso, zu den Füßen der Prinzessin sitzend, dieser seine unsterblichen Werke vorlas. War es nicht zugleich ihre eigene Geschichte, die sie träumte? – Mitten aus diesen Phantasien weckte sie ein heftiger Stich am Finger, und wie sie hinfühlte, fehlte ihr der Trauring ihrer Mutter, den sie immer zu tragen pflegte, und nie fand er sich wieder! – Es war einer jener seltsamen, räthselhaften Vorgänge in ihrem Leben, wie wir schon deren mehrere berichteten.
Von den Wundern Venedigs sprach Elisa noch in später Zeit nie ohne Entzücken. Den Rückweg nahmen sie über Tyrol. Alle Erinnerungen aus Elisens Jugendzeit, wo Andreas Hofer sie mit Bewunderung erfüllte, traten hier lebendig vor ihre Seele; auch ohne Bitterkeit das Andenken Immermann's, und sie gedachte mit Freuden seines Drama's »Andreas Hofer,« dessen wahren Schauplatz sie hier betreten hatte.
Im Wirthshaus des hohen Gebirgsdorfes Achenthal waren die Zimmer so überfüllt, daß sie es verzog, in der reinlichen Küche bei der Wirthin ihr Frühstück zu nehmen, die ihr vom Hofer erzählen mußte, während Elisa dagegen ihr sein schönes Denkmal in Inspruck beschrieb, von dem sie eben herkamen. Während dieses Gespräches hatte sich eine Anzahl Tyroler um den Heerd versammelt; sie hörten ruhig und aufmerksam zu, und als Elisa fortging, gaben ihr mehrere von ihnen herzlich und vertraulich die Hand zum Abschied.
In München fand Elisa die Nachricht von dem Tode ihrer geliebten Erzieherin, Marianne Philipi, die dreiundachtzig Jahre alt geworden war. Das Blumensträußchen, welches ihr Elisa das Jahr zuvor beim Abschied gegeben, hatte die zärtliche Freundin, mit dem Datum und Elisens Namen bezeichnet, und sorgfältig getrocknet, seitdem beständig bis zu ihrem letzten Augenblick bei sich liegen gehabt. Elisa betrauerte innig das treue Herz, welches sie in ihr verloren hatte.
Eine Krankheit Johannens, so wie ihres Reisegefährten, die beide Elisa angestrengt pflegte, gab noch außerdem dem Aufenthalt in München eine trübe Färbung. Nachdem sie sich genugsam erholt und gefaßt, nahmen sie ihren Weg weiter nach Berlin, das sie zu ihrem Wohnort bestimmt hatten.
Es war grade der Weihnachtsabend als Elisa bei einer ihr befreundeten Familie, dem jetzigen Oberregierungsrath Albert Solger und seiner Gattin, in Potsdam anlangte. Wir finden in ihrem Reisetagebuch keine Klage, kein Wort, das man gegen irgend einen Menschen als Vorwurf deuten könnte, aber rührend sind die Schlußworte desselben: »Den 24. Dezember Abends bei treuen, lieben Freunden auf's herzlichste empfangen; welch ein Labsal für die Heimathlose!« – –
Wenige Tage darauf, zu Anfang des Jahres 1840, ging sie nach Berlin. Elisa und Johanna hatten beschlossen, sich nie mehr zu trennen; sie waren sich gegenseitig so viel Dank schuldig, daß sich nicht mehr berechnen ließ, welche mehr für die andere gethan hatte, so wie es in der wahren Freundschaft auch sein muß. Sie bezogen, da sie beide einen ländlichen Aufenthalt liebten, eine freundliche Wohnung auf der Potsdamer Chaussee 38, in der Nähe des botanischen Gartens. Für die Rheingegend konnte das freilich kein Ersatz sein, aber für die Berliner Umgegend war es anmuthig genug. Von dem artigen Balkon hatte man die Aussicht in die weite, grüne Ebene nach dem Kreuzberg, aus den hinteren Zimmern den Blick nach dem Thiergarten, den Pichelsbergen und dem Grunewald, und dazu, wie Johanna sagte, »Sonne und Mond immer aus erster Hand.«
Die lebhafte Freundin ließ Elisen keine Zeit zu einer wehmüthig stimmenden Einsamkeit; sie zog eine Menge Menschen in ihren Kreis; Elisa besaß ohnehin von ehemals her viele Freunde und Bekannte in Berlin, und so hatten die beiden Frauen bald eine interessante und mannigfache Gesellschaft um sich versammelt. Philipp Kaufmann war ein täglicher Gast; sein Interesse für Literatur, sein weiches Gemüth machten ihn angenehm. Johanna pflegte von ihm zu sagen: »Die zarteste Frau kann nicht zarter und feiner empfinden als er, und das ist unendlich wohlthuend, er ist eine echte Kinderseele, aber noch kein Mann.« Mit diesen wenigen Worten ist er treffend charakterisirt.
Berlin mit seinem Reichthum an Kunst, Theater, Musik und bedeutenden Menschen, von dem Elisa oft scherzend gesagt hatte, es wäre die Stadt, wo mehr noch als die Schornsteine, die Köpfe rauchten, bot den beiden Freundinnen die mannigfaltigsten Genüsse. Elisa war mit Cornelius bekannt, dessen großartige Schöpfungen sie bewunderte, mit Rauch, dem begabten Bildhauer, dessen schöner, ausdrucksvoller Kopf noch im Alter aussieht, als wenn er aus seinen eigenen Meisterhänden hervorgegangen wäre, mit Wilhelm von Humboldt, der ein feuriger Anbeter Johannens war, und sich auch zu Elisen sehr hingezogen fühlte; sie sah Ludwig Tieck wieder, den der König unterdessen nach Berlin berufen hatte; dann ihre Freundin Henriette Paalzow, die mit ihrem Bruder Wilhelm Wach in vertrauter Gemeinsamkeit lebte, und sich des Beifalls freute, den die damalige Berliner Gesellschaft ihren Romanen so reichlich spendete. Auch Professor Wilhelm Zahn, der thätige Nachbildner der Wandgemälde von Herkulanum und Pompeji, der oft mit freundlicher Bereitwilligkeit seine schönen Prachtwerke in die Gesellschaft mitbrachte, der geistvolle Henrich Steffens und seine liebenswürdige Familie, Friedrich von Raumer, den Elisa sehr schätzte, und dessen spätere geschichtliche Vorlesungen sie immer eifrig besuchte, der muntre Professor Wilhelm Stier, die fleißige Malerin Karoline Lauska, Geheimerath Kortüm und seine Gattin, Beuth und seine Schwester, wären hier zu nennen.
Auch mit ihren entfernten Freunden, mit denen sie durch ihre Abreise von Düsseldorf und ihren Aufenthalt in Italien außer Beziehung gekommen war, erneuerte Elisa ihren Briefwechsel. Nicht viele Frauen in dem Alter, in dem sie jetzt war, dürfen sich so begeisterter und hingebender Verehrung zu rühmen haben, wie zum Beispiel die Briefe Möller's ausdrücken, mit denen er sie nach ihrer Wiederkehr begrüßte. Ein dänischer Graf R. hielt um dieselbe Zeit um ihre Hand an. Ja, wir dürfen es kühn behaupten, sie gewann sich nicht minder alle Herzen, als in ihren früheren Jahren. Wenn auch ihr Jugendreiz dahin war, so hatte sie doch die feine, zierliche Gestalt, die beseelten blauen Augen, die schönen Hände, die Grazie der Bewegungen behalten; in jenem bedenklichen Alter der Frauen, in welchem der Schimmer der Schönheit und Frische sie verläßt, und es nun unabwendbar an den Tag kommt, ob sie außer diesen anmuthigen aber vergänglichen Vorzügen auch einen wahren Kern von Geist, Charakter und Gemüth haben, zeigte sich von neuem Elisens voller Werth; sie war das seltene und schöne Beispiel, daß auch eine Frau mit Anstand und Anmuth alt werden könne.
Das viele Unglück, welches sie erlebt, hatte nicht die geringste Bitterkeit in ihr erregt; sie trug es still für sich allein, und zeigte ihrer Umgebung beinahe immer eine ungetrübte Heiterkeit; ihr lebhafter Geist, ihr reger, empfänglicher Sinn für alles Schöne, ihre Güte, Milde und Liebenswürdigkeit blieben sich stets gleich, eine wunderbare Harmonie ging durch ihr ganzes Wesen. Niemand konnte seine Freunde mehr im Herzen tragen als Elisa es that; sie lebte in ihren Gedanken beständig mit ihnen. Wenn man sie auch längere Zeit nicht gesehen hatte, mußte man durch tausend kleine Aufmerksamkeiten, die sie einem bewies, die Ueberzeugung gewinnen, daß sie sich so lange fortwährend mit dem Abwesenden beschäftigt, daß sie für ihn alles gesammelt, bewahrt, behalten hatte, von dem sie wußte, daß es ihn interessiren konnte. – Niemals fiel ihr ein, eine falsche Würde annehmen zu wollen, sie blieb durchaus anspruchslos, und verlangte nie zu glänzen. Einer geistreichen und anregenden Unterhaltung zuzuhören, war ihr eigentlich noch lieber, als sie selbst mit zu führen; wo ihr dies zu Theil wurde, rief sie oft entzückt: »Welch ein Glück so zuhören zu können! Ach, wiederholte es sich mir doch immer wieder! Die Klugen finden keine dankbarere Zuhörerin als mich!« –
Eben war Elisa etwas aufgelebt, als eine tragische Nachricht sie tief berührte. Immermann war an einem heftigen Fieber erkrankt, und starb nach kurzen Leiden den 25. August 1840 plötzlich an einem Lungenschlag. Wenige Tage zuvor hatte ihm seine junge Frau eine Tochter geschenkt; selbst noch leidend, konnte sie sich nicht einmal seiner Pflege widmen; doch wachten treue Freunde an dem Lager des Kranken.
Zu seinem Arzte, dem wackern, ihm sehr vertrauten Doctor Ebermayer, sprach er noch ganz kurz vor seinem Tode in herzlichster, innigster Weise von Elisen. – Als man ihm zum erstenmale sein Kind brachte, rief er: »Ach! – Wenn doch Elisens Herz mir einmal vergeben könnte, wie glücklich wär' ich dann!« – Sie hatte ihm vergeben. –
Am 28. August, an Goethe's Geburtstag, wurde der ausgezeichnete Dichter bestattet. Die Akademie, die Regierung, das Landgericht, das Gymnasium und zahlreiche Freunde gaben ihm das letzte Geleite; die Künstler stimmten Gesänge an seinem Grabe an, die ganze Stadt war voll Trauer und Antheil. Von einem Lorbeerbäumchen, das Elisa ihm einst in glücklichen Tagen geschenkt, wurde der Kranz genommen, mit dem man seine edle Stirne schmückte. Es lag etwas besonders Tragisches in diesem Tode, und zugleich etwas Versöhnendes, wie in den Tragödien der Dichter. –
Elisa bewies bei diesem schmerzlichen Verlust ihr edles, großartiges Herz nach allen Seiten; sie, selbst des Trostes bedürftig, war der Trost, die Stütze der jungen Wittwe, der ganzen trauernden Familie Immermann's. Sogleich schrieb sie an Mariannen, und bot ihr auf das liebevollste ihr Haus zur Wohnung an. Da Marianne, die in Düsseldorf zu bleiben wünschte, dies Anerbieten nicht annahm, so setzte Elisa, obgleich der König der Wittwe des Dichters eine Pension bewilligte, Immermann's Tochter eine jährliche Rente aus. Auch auf alle ihr gehörigen Manuscripte Immermann's verzichtete sie zum Besten seines Kindes.
Ein Brief von Ferdinand Immermann über den Tod seines Bruders verdient hier eingeschaltet zu werden, als ein schöner Beweis, wie sehr Elisa von Immermann's Angehörigen verehrt und geliebt wurde; er lautet: »Ihr Brief, liebe Frau Gräfin, ist uns die Stimme eines Engels vom Himmel gewesen. Das ist nicht etwa nur so ein Wort: es ist die vollste und lauterste Wahrheit. O hätten Sie es doch sehen können, wie Sie uns beglückt haben! Denn wer darf es wagen, den tiefen, himmlischen Sinn jenes Augenblicks mit einem Worte anzurühren. Meine Mutter läßt Sie vom Grunde ihres Herzens grüßen, und Ihnen in großer Liebe für die Erhebung Dank sagen, die sie in Ihren Zeilen gefunden hat. – Der furchtbare, ganz unvorbereitet auf uns niederfahrende Schlag traf ihr Haupt so zerschmetternd, daß wir mit aller Gewalt ihren Geist, der zu wiederholten Malen die Besinnung verlieren wollte, innerhalb der Gränzen ungestörten Bewußtseins zurückhalten mußten. Als wir die Abwehr dieses Schrecklichsten endlich erzwungen hatten, da begann die Fülle ihrer Liebe in so herzzerreißenden Schmerzenstönen, mit einem so unergründlichen Jammer um den unwiederbringlich Dahingegangenen, ihren lieben ältesten Sohn, ihren lieben, lieben Karl auszuströmen, daß wir allesammt, den tausendköpfigen Schmerz im eignen Herzen dazu, ein ganz elender und zerschlagener Haufen Menschen waren. – O, Sie sollten die Mutter sehen! Das Gesicht, das Sie kennen, ist inzwischen recht klein, und der Kopf ist ganz weiß geworden. Aber sie ist wohl ein recht erbaulicher Anblick; denn seitdem ihr Schmerz stiller geworden, ist sie nichts als Wehmuth, Ergebung, Fürbitte, Liebe, Sanftmuth und Mütterlichkeit. Ich sollte zu Ihnen reisen; ich wollte es auch: ich habe die lebhafteste Sehnsucht nach Ihnen; aber noch bin ich ganz gelähmt und stumm; auch weiß ich ja noch nichts Genaueres von den Tagen von Karls Krankheit und von seinem Tode. – Die Anlagen, die ich Ihnen sende, sind ein schlechter Trost; aber sie sind doch ein Trost. – Lassen Sie uns, die wir ihn am längsten kannten, und am meisten liebten, fest zusammenhalten, und ein rechtes Bündniß des Trostes, der Erinnerung, der Hoffnung, der liebsten Zuflucht, des unbedingtesten Vertrauens, und einer felsenfesten, herrlichen Zugehörigkeit und Gemeinschaft stiften. Der Gott des Lebens sei mit Ihnen, und lasse für Sie und uns sein ewiges Leben in Liebe aus diesem Tode hervorgehen.« –
Mit Mariannen trat Elisa in einen fortgesetzten brieflichen Verkehr, und nahm den wärmsten Antheil an ihr und ihrem Kinde; Marianne war voll Dankbarkeit für Elisens gütigen, herzlichen Zuspruch, der ihre Seele erquickte, und mit süßem Frieden erfüllte; sie äußerte oft, niemand verstände wie Elisa sie in ihrem Schmerze aufzurichten, und zu erheben. Immermann's kleine Tochter wurde von Elisa durch mannigfache sinnige Geschenke, und später auch durch das Bild des Vaters erfreut. –
Ein Jahr nach Immermann's Tode hatte Elisa einen zweiten schweren Verlust zu erleiden, der auf ihr ganzes Dasein einwirken mußte: ihre theure Freundin Johanna starb nach kurzer Krankheit den 22. August 1842 in ihren Armen. In dieser ausgezeichneten Frau verlor Elisa die treue Gefährtin ihres Lebens, die an all ihren Leiden und Freuden warmen Antheil nahm, und durch ihren lebhaften, feurigen Geist beständige Anregung schaffte. Feodor Wehl, der kurz vor Johannens Tode durch diese Letztere mit Elisen bekannt und befreundet wurde, schildert beide Frauen in einem Briefe, wie folgt: »Die Gräfin Ahlefeldt und die Professorin Dieffenbach waren die ersten bedeutenden Frauenerscheinungen, die in mein Leben traten, und wenn die Erstere darin von größerem Einflusse und tieferer Wirkung wurde, so geschah dies nicht nur, weil sie mir länger blieb und näher trat, sondern auch weil ihr milder Ernst und ihre freundliche Würde mir besonders imposant und zusagend waren. Ich erinnere mich noch sehr genau, daß ich die Professorin Dieffenbach schon geraume Zeit kannte, und doch die Gräfin Ahlefeldt, die mit ihr in Einem Hause und in derselben Etage wohnte, noch nicht gesehen, sondern immer nur hatte von ihr reden hören. Die Gräfin Ahlefeldt war der Professorin Dieffenbach wie der Schatz des heiligen Graal's, und man mußte erst viele Proben und Grade der Tüchtigkeit abgelegt haben, um würdig befunden zu werden, ihres Umgangs zu genießen. Erst als ich damals mein erstes Lustspiel: »Alter schützt vor Thorheit nicht« geschrieben, und bei Johanna Dieffenbach gelesen, ward mir gewissermaßen zur Belohnung die Bekanntschaft der Gräfin Ahlefeldt versprochen. Und nie werde ich die Feierlichkeit vergessen, mit der mich Johanna Dieffenbach zu ihr führte! Ach, es war die höchste und letzte Liebe, die sie mir erwies, denn bald nachher starb sie, ebenso in Eil' und Hast, als sie gelebt hatte! Sie war der größeste Contrast, den es der Gräfin Ahlefeldt gegenüber geben konnte. Nicht nur daß sie klein, corpulent und häßlich, nein, auch ungeheuer beweglich und immer fieberhaft erregt war sie. Aber sie hatte eine unendliche Fülle von Geist und Liebenswürdigkeit, einen unerschöpflichen Fond von Gutmüthigkeit und begeisterter Hingabe an alles Schöne und Gute. Beide Frauen ergänzten sich, und zwar in einer Weise, wie es schwerlich so bald wieder der Fall sein wird.« –
Elisens Freunde suchten möglichst sie in ihrer Einsamkeit zu trösten, und ihr Theilnahme und Liebe zu beweisen. Liebe Bekannte aus der Ferne brachten manche neue Freude und Zerstreuung. Nicht lange bevor Johanna starb, kam Adele von A. aus Preußen zum Besuch, und begrüßte ihre Elisa nach zweiundzwanzigjähriger Trennung. Man muß Elisen gekannt haben, um zu wissen, wie lebhaft sie sich solchen Wiedersehens freuen konnte. Später sahen sich die Freundinnen noch öfter, und immer mit gleicher Innigkeit. Ein anderer Besuch war Marianne Immermann, welche seit ihren Kinderjahren in Magdeburg die verehrte Frau nicht wiedergesehen hatte, und ihr nun die kleine Karoline zuführte, deren Züge an die des Vaters lebhaft erinnerten. Auch diese kehrte mehrmals wieder, mit innigem Danke für Elisens unwandelbare Güte.
Auch die Erinnerungen an den Befreiungskrieg sollten durch einen besondern Anlaß wohlthuend in Elisen erneuert werden. August von Bietinghoff hatte sich die Erlaubniß erwirkt, seinen Freund Friedrich Friesen auf dem Invalidenkirchhof in Berlin bestatten zu lassen, und war zu dieser Feierlichkeit, die am 15. März 1843, dreißig Jahre nach dem Tode stattfand, mit den Ueberresten des Gebliebenen, die er so lange mit sich umhergeführt hatte, nach Berlin gekommen. Er suchte Elisen auf, die er innig verehrte. Bald nach diesem kam auch ihr theurer Jugendfreund Leo Palm, der Freund Lützow's und Friesen's, aus Danzig, zum Besuch, den sie in dreiundzwanzig Jahren nicht gesehen hatte. Palm führte ihr den braven Friedrich von Petersdorff wieder zu, der in stiller Zurückgezogenheit in Berlin lebte, ohne zu wissen, daß Elisa auch dort sei. In erneuerter Herzlichkeit schloß man sich aneinander, und gedachte auch Lützow's mit Liebe. Auf Elisens Anregung veranlaßte Palm, daß die noch lebenden ehemaligen Freiwilligen der Lützow'schen Freischaar ihrem tapfern Führer auf dem Garnisonkirchhof zu Berlin ein Denkmal von Granit setzen ließen, welches vier Jahre später, im März 1847, aufgestellt wurde, wozu wieder die alten Waffenbrüder von nah und fern herbeikamen und eine ehrende Gedächtnißrede, so wie der Gesang der Körner'schen »wilden, verwegenen Jagd« das Andenken des ruhmvollen Kriegers feierte.
Im Jahre 1846 verließ Elisa die Wohnung, in der sie mit Johanna gelebt, und bezog eine der Stadt nähere in der Schulgartenstraße 1 a. Die Freunde werden sich noch gern der freundlichen, sonnenhellen Raume mit dem Balkon und der Aussicht in's Grüne, der geschmackvoll eingerichteten Zimmer erinnern, geschmückt mit den schönen Kupferstichen nach Raphael, Gemignano und Andern, mit den Büsten des Apoll und der Niobe, der Graziengruppe von Canova, dem Dornauszieher, der Statuette von Ludwig Tieck und dem Medaillon von Henrich Steffens, mit den hohen Gummibäumen, dem rankenden Epheu, den anmuthigen Schlinggewächsen. Lützow's Portrait hing neben denen anderer Freunde an der Wand; auf dem Schreibtisch standen die kleinen Bildchen von Friesen, Wilhelm von Lützow, dem Philosophen Solger und seiner Frau. Der Tisch, der immer mit den neuesten Büchern bedeckt war, zeigte, daß neben dem treuen Angedenken an die Vergangenheit auch das neueste, frischeste Leben der Gegenwart hier seine Stätte fand. Alles war so harmonisch und sinnig geordnet, daß man sich wohlfühlen mußte, wie man die Schwelle betrat. Welche glückliche, unvergeßliche Stunden bereitete Elisa hier den Freunden! –
Wir haben noch viele Personen von Namen und Auszeichnung zu erwähnen, mit denen sie in freundschaftlicher, geselliger Beziehung stand, Personen, welche die verschiedensten Richtungen vertraten, aber alle in dem Einen übereinkamen, Elisen anzuerkennen und zu verehren: Eduard Schnaase, der verdiente Kunstforscher und seine Gattin, die von Düsseldorf nach Berlin übergesiedelt waren; Friedrich Krummacher, der berühmte Kanzelredner, der bei Elisen mit manchen Schriftstellern der modernen Literatur sich mit weltmännischem Tact friedlich zu unterhalten wußte; Rudolf v. Auerswald, der spätere Minister; Adolf Stahr, dem Elisa schon von Düsseldorf her ein lebhaftes Interesse bewahrt hatte, und dessen vortreffliches Buch: »Ein Jahr in Italien,« das ihr große Freude gewährte, sie an ihre eigene italienische Reise angenehm erinnerte, Fanny Lewald; Theodor Mundt und seine Gattin; der Maler Louis Blanc; Eduard von Bülow; der Dichter Karl Beck, und noch viele Andere. Sogar der alte achtzigjährige Minister von Kamptz, der Verfolger der deutschen Jugend, welcher mit Elisen in Einem Hause wohnte, kam zuweilen in ihren Kreis.
Als Fremde erschienen die liebliche, anmuthige Therese von Bacheracht, die weit mehr noch als durch ihre Romane, durch ihre seltene Schönheit und Liebenswürdigkeit alle Herzen gewann, Betty Paoli, die interessante östreichische Dichterin, Therese Robinson, die gelehrte Schriftstellerin, die sich unter dem Namen Talvj rühmlich bekannt gemacht hat, Fanny Tarnow, die sich noch im Alter in seltenem Grade einen frischen Geist und eine beinahe jugendliche Lebhaftigkeit bewahrt hat, Heinrich Laube, Gustav Kühne und der talentvolle junge Dichter Julius Rodenberg. – Mild und gütig wie Elisa war, verkehrte sie aber auch mit Menschen, die an Geist und Bildung weit unter ihr standen, doch diese wußte sie bis zu einem gewissen Grade zu sich zu erheben; sie verlangte durchaus nicht immer eine gelehrte Unterhaltung, aber geringe Klatscherei und boshafte Medisance, wie sie auch wohl oft in der sogenannten guten Gesellschaft auftaucht, litt sie nicht in ihrer Nähe.
Zu ihren nächsten und liebsten Freunden gehörten Feodor Wehl, Gustav zu Putlitz, Hermann Sagert, Katharina Diez, die sinnige Verfasserin der »Frühlingsmährchen,« Rudolf Gottschall, Emil Palleske und seine schöne liebenswürdige Frau. Auf alle diese übte sie den entschiedensten Einfluß aus, und widmete ihnen die herzlichste Zuneigung. An den Sonntagabenden pflegte sie immer einen kleinen Kreis von jungen Leuten bei sich zu sehen, die sich für Kunst und Literatur interessirten, oder selbst Künstler und Schriftsteller waren; es wurde vorgelesen, man besah mitunter Kupferstiche und Zeichnungen, und immer knüpfte sich ein angeregtes Gespräch an das Mitgetheilte. Man konnte oft von Elisen eingeladen werden, und doch nicht zu jenen bevorzugten Sonntagen von ihr auserwählt sein, von denen sie gern alle nicht dazu passenden Elemente entfernt hielt. Wie manche junge Talente haben dort ihre ersten Werke vorgetragen, und Ermuthigung und Strebelust durch Elisens Antheil empfangen! Sie waren ihr alle mit einer Begeisterung ergeben, wie eine Frau in ihren Jahren sie selten einzuflößen vermag; es war die vollkommene Schönheit und Zartheit ihres Wesens, die auch ihr Alter verklärte. – Hier las Feodor Wehl sein Trauerspiel: »Hölderlin's Liebe,« hier las Gustav zu Putlitz sein erstes hübsches Lustspiel: »Die blaue Schleife,« das unter Elisens Augen entstanden war, und oft noch später pflegte er voll Dankbarkeit zu versichern, das wären doch die glücklichsten Stunden für ihn gewesen, da Elisen das eben fertig Gewordene vorzulesen, ihm der schönste Zweck seiner Production war; hier begeisterte Rudolf Gottschall, der geniale Dichter, die Anwesenden mit dem Vortrag seiner »Lambertine von Méricourt« und seines »Carlo Zeno«; hier las der begabte Dichter Emil Palleske seinen vortrefflichen »König Monmouth« vor, welchen er Elisen zueignete, da sie so warmen Antheil an der Entstehung und Vollendung dieses Drama's genommen hatte und ihm den lebhaftesten Beifall schenkte. Häufig auch las Palleske Shakespear'sche Stücke vor, und bei dem Ton seiner kräftig schönen Stimme, bei seinem lebendigen, geistvollen Vortrag wurde Elisa oft an jene Zeit erinnert, da Immermann ihr diese selben Dramen vorgelesen hatte.
Feodor Wehl stand Elisen unter den jüngeren Freunden am nächsten, sie war ihm mit wahrhaft mütterlicher Zuneigung zugethan, sie freute sich seines Strebens, und seiner neidlosen Anerkennung Anderer, die in der heutigen Literatur so selten ist. Gustav zu Putlitz erheiterte alles durch seine gute Laune und angenehme Munterkeit, während Hermann Sagert, der ebenso bescheidene als talentvolle Künstler, durch seine stets rege Empfänglichkeit wohlthuend wirkte; Rudolf Gottschall belebte den Kreis durch seine frische Liebenswürdigkeit und seinen eigenthümlichen Humor, und Emil Palleske, der feinsinnige, begeisterte Bewunderer Shakespear's gab der Unterhaltung immer neuen Schwung, indem er durch sein tiefes Eindringen in die einzelnen Dramen des großen Dichters den anregendsten Gedankenaustausch veranlaßte.
Wir fügen hier eine Schilderung ein, die Feodor Wehl in einem längeren Artikel in den »Jahreszeiten« von Elisen und ihrer Gesellschaft entworfen hat. Es heißt darin von ihr: »Durchaus maßvollen Geistes, allem Edlen und Schönen schwärmerisch zugewendet, und stets in einem rührenden Cultus für die Größe im menschlichen Herzen sowohl wie im Bereiche der Literatur und bildenden Künste begriffen, erhob dieselbe durch ihren Einfluß eine Gesellschaft von Künstlern, Literatoren, Staatsmännern, Militairs, und selbst geistig untergeordneten Menschen, zu einer Höhe der Unterhaltung, zu einem Aufschwung der Welt- und Kunstanschauung, wie das wohl nur selten wieder nach ihr der Fall sein wird. – Sonderbar und eigenthümlich an dieser außerordentlichen, nicht genug zu würdigenden Frau war, daß sie ihre Gesellschaften wie der Feldherr eine Schlacht aus dem Zelt heraus, das heißt gewissermaßen nur mit anfeuernden Blicken, zustimmendem Lächeln oder abweisenden Mienen dirigirte. – Sie sprach im Ganzen in ihren Gesellschaften nur wenig, aber doch immer und jeder Zeit, wo es nöthig war. Sie wußte mit wunderbarem Geschick das Gespräch zu entfesseln, und an passender Stelle wie mit einem Zauberwort auch aus sonst unergiebigen und spröden Naturen eine Fülle von schönen Anschauungen und tieferen Bemerkungen herauszulocken. Ihre fein organisirte Seele besaß jene Springwurzel des Geistes, mit der sie alle verborgenen Schätze einer Menschenbrust nicht nur für sich zu entdecken, sondern auch für die gesellschaftliche Conversation in Circulation zu setzen vermochte. – Man wird aus ihren Aussprüchen, Briefen und sonstigem Nachlaß in Schriften wenig Frappantes und gewiß nichts derartiges aufzustellen vermögen, daß sich auch nur annäherungsweise die Bedeutung ermessen ließe, die sie persönlich in der That auf ihren Umgang ausgeübt hat. – Es lag eine gewisse stille Sonntäglichkeit in ihrem Innern, die jeden und auch den betäubendsten Lärm der Geister besiegte. Es klang aus ihren Reden etwas wie ein verlorenes Glockenläuten, wie ein ferner Sphärengesang. Man mußte sich unwillkürlich zum Lauschen veranlaßt sehen, wenn man in ihren Umgang kam. Nie hat es eine Frau gegeben, die würdiger war, das Ideal eines Dichters oder Künstlers zu sein, als sie. Ihr helles, schönes, blaues Auge, auch im Alter noch seelenvoll und tief, ihre hohe schlanke, immer und bis zum Tode jugendlich anmuthige Gestalt, ihre lang und edelgeschnittene Hand mit dem unverwischlichen Pfirsichdufte über der zarten Haut, das stumme, nie lautwerdende Lächeln ihres Mundes, der sonst an sich das wenigst Schöne an ihr war, ihre Milde, Güte und Resignation erschienen wahrhaft bezaubernd. Sie machte edel und gut, und besaß einen feinen Tact, wie er nicht oft gefunden werden kann. Die Kunst des Zuhörens besaß sie in einem seltenen Grade. Es war eine Lust ihr vorzulesen oder etwas zu erzählen, denn es entging ihr nichts, und das Subtilste verstand sie, wie es verstanden werden mußte. Wenn auch selbst keine Dichterin, lag doch im Duft und Hauch ihrer Seele die Welt der Dichtung so ahnungsreich und golden ausgebreitet, daß es nur eines leisen Lichtstrahles von außen, das heißt eines echten und rechten Dichterwortes bedurfte, um sie in aller Pracht aus ihr heraus erkennen und wahrnehmen zu machen. Ihr Herz war ein Vineta der Poesie, das vielen, und wir dürfen sagen, den bedeutendsten Menschen einer bewegten Zeit anmuthend und zauberhaft durch das Wogen und Wallen ihrer Tage heraufgeleuchtet und geschimmert hat.« –
In größere, steife Gesellschaften, wo man, wie Elisa zu sagen pflegte, den Geist im Wagen lassen könne, und im besten Kleide die beste Langeweile genösse, ging sie nicht gern. Am liebsten sah sie ihre Freunde im eigenen Hause.
Ueber ihre liebenswürdige Art zu grüßen, sagt Feodor Wehl in einem andern Artikel in den »Jahreszeiten«: »Ihr Gruß war noch der Gruß mit der ganzen Liebenswürdigkeit und Grazie, welche dabei in natürlicher Weise in Anwendung zu bringen sind. Der Gruß war ein Gruß der ganzen Person, ein Gruß, in dem ein Hauch der schönen und edlen Seele lag, von der er gegeben ward. Aus allen Schleiern und Nebeln der Vergangenheit heraus, sehen wir in unvergänglicher Frische ihn sieghaft in unsere Erinnerung hereinlächeln, diesen Gruß, der im Blick des Auges, in den Zügen des Mundes der Beugung des Kopfes, der Bewegung der Hand, kurz durch die ganze, hohe, edelgeformte und anmuthige Gestalt der Gräfin zu gehen pflegte, ohne doch, wie man vielleicht denkt, ein Knix oder eine Verbeugung zu sein. Sie grüßte mit dem vollen und bezaubernden Ausdruck der Freude, die sie darüber empfand, auf der Straße, in der Gesellschaft oder im Theater unter vielen fremden Personen einen Freund oder Bekannten gefunden zu haben. Sie grüßte, wir können nicht anders sagen, als mit einer gewissen Inbrunst des Herzens, das Glauben und Zuversicht zu seinen Verbindungen hat. Ihr Gruß war eine Art Verpflichtung, die einem auferlegt ward, stets nur lieb und gut gegen sie zu sein, denn die Art, wie sie ihn gab, bewies und bekundete, daß sie nur Gutes und Edles von dem erwartete, dem er geboten wurde. Sie grüßte in jeder Frau eine gleichgestimmte, feine Seele, in jedem Mann ein ritterliches Wesen, und zwar that sie es ebenso weit von Ueberhebung als von Unterordnung entfernt.« –
Wenn Elisa von ihrer großen Vergangenheit erzählte, überflog sie eine jugendliche Begeisterung; ihren Vertrauten zeigte sie dann wohl ein Kästchen, in dem sie eine Locke von Friesen bewahrte, die ihr Vietinghoff nach der Auffindung des verstorbenen Freundes schenkte, eine französische Kugel, von der Lützow getroffen worden war, einige ihr besonders werthe Briefe, und noch mehrere Andenken dieser Art.
Von Lützow sprach sie nie anders, als mit herzlicher Achtung und Freundschaft. Als sich einmal jemand herausnehmen wollte, Lützow's Betragen gegen sie zu tadeln, erwiederte sie sanft aber entschieden: »Sie thun Lützow sehr Unrecht, er ist immer sehr gut gegen mich gewesen; wenn alle Menschen so gut mit mir verfahren wären, wie Lützow, so wollte ich mich nicht beklagen, und sehr zufrieden sein.« – Oft sagte sie, sie würde keiner Frau rathen, sich scheiden zu lassen, und wenn sie auch noch so viel zu erdulden habe. »Lützow ist mir immer ein treuer Freund geblieben,« sagte Elisa einmal zu einer Freundin mit bewegter Stimme, »und wir haben beide oft bereut uns getrennt zu haben.« – An seinem Todestage fuhr sie immer nach seinem Grabe, einen Kranz darauf zu legen. Selbst über Immermann kam niemals ein hartes Wort über ihre Lippen, und sie sprach oftmals mit Wärme von seinem Dichtertalent.
Im Jahre 1848, in der Zeit der Revolution, wo so viele Menschen sich wegen Meinungsverschiedenheiten entzweiten, verlor Elisa nicht einen ihrer Freunde; sie war ihrem ganzen Wesen nach freisinnig, ließ aber auch andere Ansichten gelten, sofern man sie ihr nur nicht mit Gewalt aufdringen wollte. Das viele politische Gezänke in den Gesellschaften war ihr zuwider, und oft klagte sie über eine Zeit, in der alle Theilnahme für Kunst und Poesie zu schwinden drohe. Besonders betrübend war für sie der Krieg in Schleswig-Holstein, da dort ihre theils dänischen, theils holsteinischen Familienmitglieder, die ihr alle theuer waren, sich feindlich gegenüber standen, und der Bruder gegen den Bruder kämpfte; sie sehnte sich auf das lebhafteste nach Ruhe und Frieden, nach einem Ende all des traurigen Blutvergießens.
Als den 28. August 1849 Goethe's hundertjähriger Geburtstag gefeiert wurde, war Elisa ziemlich einsam in Berlin, da alle ihre näheren Freunde verreist waren; da zündete sie sich aber dennoch Abends in ihrem stillen Zimmer alle Lampen und Kerzen an, schmückte es festlich mit Blumen, und las allein für sich, die »Iphigenie,« auf diese Weise das Andenken des geliebten Dichters feiernd.
Im Jahre 1851 hatte sie die Freude, daß ihr edler, würdiger Freund, Leo Palm, der als General seinen Abschied genommen hatte, nach Berlin zog. Die frühe Jugendfreundschaft hatte sich durch ein langes, wechselvolles Leben unverändert erhalten, und sollte nun den Abend desselben verschönen und erhellen. Da sich eine Wohnung für ihn in Elisens Hause fand – später zog er mit ihr in die Dessauerstraße 7, wo sie die letzten Jahre wohnte – so hatte sie den Freund nun ganz in ihrer Nähe, der sich ihr auf das liebevollste widmete, an dem sie einen Beschützer und die erwünschteste Gesellschaft hatte. Er ging mit ihr spazieren, er las ihr vor, und bewahrte mit ihr die Erinnerungen der Vergangenheit. Niemals fehlte er in jenem schönen Gesellschaftskreise Elisens, von dem wir vorhin sprachen, wo alles sich an seiner Gegenwart erfreute, weil er wie Elisa die Gabe besaß, mit der frischen Jugend fröhlich zu verkehren, und mit freiem, unbefangenem Geist und edlem und feinem Sinn an allem Guten und Schönem theilzunehmen. Durch seine Freundschaft war Elisa in ihrem Alter von einer zarten Aufmerksamkeit und Sorgfalt umgeben, um die manche jüngere Frauen sie beneideten.
Beinahe jeden Sommer machte Elisa eine Reise; oft besuchte sie ihre lieben Verwandten in Holstein. Ihre leidende Gesundheit erforderte häufige Badekuren; sie ging nach Gastein und später mehrmals nach Karlsbad, wohin der Freund sie begleitete. An letzterem Orte lernte sie den Dichter Alfred Meißner kennen, dessen frische, jugendliche Erscheinung, und angenehmes Wesen ihr sehr wohl gefiel. In Holstein bei ihrer Cousine, der Gräfin Margarethe von Scheel-Plessen auf Sierhagen sah sie viel die Gräfin Ida Hahn-Hahn, deren Geist sie anzog, wenn sie auch ihren politischen und späteren religiösen Fanatismus nicht theilte: dort auch befreundete sie sich mit der Jugendschriftstellerin Margarethe Wulff, deren allerliebste Kinderschriften unter dem Namen A. Stein erschienen, und vortheilhaft bekannt sind.
Die letzten Jahre wurde Elisens Gesundheit immer schwächer; sie fing auch an etwas am Gehör zu leiden, wodurch ihr mancher Genuß entzogen wurde. Im Sommer 1854 reiste sie nach einem leidensvollen Winter nach Teplitz, begleitet von ihrem Freunde, dessen Pflege und Sorgfalt allein es noch möglich machte, eine solche Reise zu unternehmen. Leider kehrte sie ohne merkliche Besserung von dort zurück.
Sie war beinahe nie mehr ohne Schmerzen, aber die harmonische Gleichmäßigkeit und liebliche Heiterkeit ihres Wesens konnte dadurch nicht gestört werden; bei niemand ist jener Schleier, von dem die Prinzessin im »Tasso« spricht »den uns Alter oder Krankheit überwirft,« durchsichtiger gewesen als bei Elisen. Wenn man bei der Leidenden eintrat, fand man sie immer in ihrem Sessel vor dem Tische sitzend, der stets mit frischen Blumen und Büchern bedeckt war. Sie empfing einen Jeden mit freundlichem Lächeln, fragte nach allen neuen Erscheinungen in Kunst und Literatur, und wenn man sich nach ihrem Befinden erkundigen wollte, sagte sie wohl oft leise abwehrend: »Nicht von meiner Krankheit reden! Still davon!« – Sie ahnte, daß sie nicht besser werden würde, und war ruhig und gefaßt, wenn sie wohl auch gern ein Dasein noch weiter gelebt hätte, das so viele ihrer Freunde beglückte, und das ihr grade in diesen letzten ruhigen Lebensjahren bei ihrem regen Sinn noch manches Gute bieten konnte. Kurz vor ihrem Tode, schrieb sie sich noch, obgleich es ihr bereits schwer wurde, die Feder zu führen, die folgenden Verse des edlen Dichters Moritz Hartmann ab:
Viele ihrer älteren und auch manche jüngere Freunde waren ihr vorangegangen, deren Verlust sie schmerzlich empfand. Im Mai 1846 entschlummerte sanft der edle Möller, vierundachtzig Jahre alt. In demselben Jahre endete Philipp Kaufmann in einem Anflug von Verzweiflung selbst sein Leben in Paris. Im Februar 1847 verlor Elisa ihren würdigen, achtundsiebzigjährigen Onkel von Hedemann-Heespen, und im Herbst desselben Jahres starb nach vielen Leiden Henriette Paalzow. Auch die schöne, liebliche Therese von Bacheracht, später mit einem mecklenburgischen Herrn von Lützow verheirathet, dem sie nach Batavia gefolgt war, endete früh, als sie eben in die Heimath zurückkehren wollte, im Jahre 1850. Elisens ältester Jugendfreund, der brave General Friedrich von Petersdorff, der im späten Alter endlich seinen frühen Jugendwunsch, sich auf das Land zurückzuziehen, ausgeführt, und mit seiner Familie nach Plauenthin bei Kolberg gezogen war, aber die Beziehung mit Elisen nie hatte aufhören lassen, und sich in seinen Briefen noch als Achtzigjähriger als ihr »treuer Verehrer und Anbeter Friedrich« unterzeichnete, starb im Mai 1854. Dieser, so wie Möller, Hedemann und Marianne Philipi haben alle ein ungewöhnlich hohes Alter erreicht, wie wenn Elisens innige und treue Freundschaft ihnen ausdauernde Lebenskraft eingehaucht hätte.
Mit Marianne Immermann, die später eine zweite Ehe einging, so wie mit ihrer Tochter blieb Elisa immer im freundschaftlichsten Einvernehmen.
Elisa selbst schwand langsam dahin. So kam der März 1855 heran; gegen diesen Monat hatte sie stets eine besondere Abneigung gehabt, weil ihr so viel Unglück in ihm begegnet sei; im März hatte sie ihre beiden Eltern verloren, Friesen war im März geblieben, und den 20. März, an ihrem Hochzeitstage, hauchte sie selbst den letzten Seufzer aus, im noch nicht vollendeten fünfundsechzigsten Jahre.
Sie war immer bei vollem Bewußtsein gewesen, und erst den Tag vor ihrem Ende verlangte sie zu Bette gebracht zu werden. Der treue Freund wachte an ihrem Lager. In der Nacht rief sie mehrmals nach ihrer Mutter, die sie so sehr geliebt hatte. Wie sie schon nicht mehr reden konnte, sprachen ihre liebevollen Blicke, ihr sanftes Lächeln ihren Dank für die Theilnahme aus, die sie umgab. Die tieftrauernden Freunde empfanden schmerzlich, daß sie durch das Dahinscheiden dieser schönen, edlen Seele einen Verlust erlitten, der ihnen niemals ersetzt werden könne. Wer sie kannte, wird sich ihrer stets mit unbegränzter Liebe und Verehrung erinnern.
Zuweilen geschieht es, daß ein Verstorbener, der uns theuer war, durch all das, was man bald nach seinem Tode von ihm zusammenträgt, erfährt, bespricht, uns wie noch einmal auflebend erscheint, ja vielleicht war er uns niemals vertrauter und näher, als in solch einem Augenblick, wo gewissermaßen sein ganzes Wesen und Sein zu Einem Bilde vereinigt, vollständig vor uns hintritt. Wie eine Blumenknospe, welche bereits von ihrem Stengel abgeschnitten, noch im Wasser aufblüht, und ihren Kelch erschließt, so blüht die Menschengestalt, die der Tod schon gepflückt, in den Thränen unserer Erinnerung noch einmal vor uns auf. So schließen wir denn diese Blätter mit den Worten Goethe's: »Liebreiches, ehrenvolles Andenken ist alles, was wir den Todten zu geben vermögen.« –
Münster, den 2. Februar 1822.
Da Sie so freundlichen Antheil an den Versuchen eines Neulings nehmen, meine gnädige Frau, so erlauben Sie mir gewiß gütigst, die Ueberreichung der Leichenrede, die ich betrübten Herzens gefertigt habe. Sie ist so durch Druckfehler entstellt, daß ich mit der Zusendung der gereinigten Ausgabe eilen mußte. Sonst möchten Sie das Opus aus andrer Hand früher erhalten, und jene Feinde der Autoren würden auch das Wenige von Gunst zerstören, was Sie der Stachelnuß sonst vielleicht noch zuwenden.
Gehorsamst
Immermann.
Münster, den 16. Februar 1822.
Die anliegende Abhandlung aus der Naturgeschichte darf sich vielleicht heute unter dem ernster, wissenschaftlicher Betrachtung so günstigen Himmel von bekanntem Stoff, Ihrer Aufmerksamkeit erfreuen. Sollten Sie die Ausfüllung der Gedankenstriche wünschen, so werde ich sie mündlich zu geben im Stande sein. Leider kann ich Ihnen morgen den »Prinzen von Homburg« nicht vortragen, da ich noch nicht im Besitz meines Exemplars bin. Indessen wird sich wohl etwas andres finden, vielleicht kann ich »Freia's Altar« von Oehlenschläger verschaffen.
Immermann.
Münster, den 22. Februar 1822.
Mit dem herzlichsten Danke für Ihre so gütige Einladung auf heute Abend, verbindet sich das Bedauern bei mir, nicht folgen zu dürfen, da ich anderwärts versagt bin.
Wollen Sie mir erlauben, morgen zu erscheinen? Ich werde für die Bejahung auslegen, wenn mir kein Verbot entgegenkommt.
Sie kennen meine gesellschaftlichen Freuden, und erlassen mir die Beweisführung, daß ich mit der höchsten Freude den Vorschlag, am Donnerstag und Sonntag Ihnen vorlesen zu dürfen, annehme.
Mit großer Verehrung
Immermann.
Münster, den 5. März 1822.
Ich sende Ihnen eine Folge von Landschaften von Antonius Waterloo, die, wenn Ihr Auge nicht vom alterthümlichen Aufzug dieser Blätter beleidigt wird, Ihnen wegen der geistreichen Ausführung vielleicht gefallen werden. Einige Wille's liegen auch dabei.
Als ich mich heute wieder lebhaft und freudig unsres vorgestrigen Abends erinnerte, kam mir das mitfolgende Gedicht in's Gedächtniß, welches das Gefühl einer einst verlebten wunderbaren Mondnacht bewahrt. Ich habe es für Sie abgeschrieben, weil es mir vielleicht Verzeihung für meine fatale Englische Krankheit erwirkt.
Ich denke, es soll schön und heiter bleiben. Wie herrlich wird dann unser Ausflug sein!
Immermann.
Magdeburg, den 1. Februar 1824.
Die heutigen Stunden der Muße seien Ihnen gewidmet, meine liebe Freundin. Ich bin hier noch nicht recht zur Ruhe gekommen, sonst würde dieser Brief früher abgegangen sein; möchte er sie gesund treffen! Meine Reise war im Ganzen sehr einförmig, das wahre Muster einer Winterreise. Am Dienstag vor acht Tagen kam ich bei meiner Schwester an, fand dort die Mutter, und bin nun seit acht Tagen in der Vaterstadt, die mir aber bei dem reißenden Wechsel aller Verhältnisse fast fremd geworden ist, und worin niemand, bis auf meinen Bruder Ferdinand, der unterdessen außerordentlich sich entwickelt hat, meine Sprache zu reden scheint. Diese Erfahrung haben Sie wohl auch schon gemacht, daß Sie deutsche Worte und Reden hörten, und dennoch merkten, wie die Leute mit diesen Worten ganz andre Begriffe verbanden, als Sie.
Ich wohne im Hause meiner verstorbenen Großmutter, und ihre alte langjährige Freundin, von der ich Ihnen erzählte, sorgt für mich auf das beste, so daß ich nur nöthig habe, mich vor Verwöhnung in Acht zu nehmen, wie man denn in dieser Beziehung sich immer hüten muß, wenn man das Glück hat, ein Gegenstand weiblicher Sorge und Pflege zu sein. Glücklicherweise ist das Leben zu strenge, als daß die weichen und weichlichen Seiten in unsrer Natur so leicht überhand nehmen können.
Die Stadt hat sich in mancher Hinsicht verschönert. So sind zum Beispiel am Fürstenwall, an einer Stelle, wo sich sonst nur eine kahle Mauer befand, schöne grüne Terrassen angelegt, welche mit Rosen und andrem Gesträuch besetzt werden. Das Ganze muß, wenn es fertig ist, einen erfreulichen Anblick geben. Die Anpflanzungen, welche der alte Horn anlegte, scheinen auch gediehen zu sein, soweit sich dies im Winter sehen läßt; kurz, meine Freundin, Sie brauchen sich jetzt grade keine Wüste um Magdeburg zu denken, wenn wir gleich durch Natur und militairisches Verhältniß immer nur auf das Nothdürftige hingewiesen sein werden. – Das Theater ist zweimal besucht worden, außer einem gewissen Hartmann senior, von dem ich den Hugo in der Schuld sah, ist nichts des Nennens Werthes unter der Gesellschaft. Die Erleuchtung ist zu Gunsten derer, welche Ursach haben, ihr Gesicht nicht zu zeigen, denn es ist so finster darin, daß man kaum die Gesichtszüge der Schauspieler erkennen kann. Was man sonst hier für Aesthetik treibt, darum habe ich mich noch nicht bekümmern können.
Denn es ist eine solche Masse von Arbeit über mich gestürzt, daß ich freilich, der ich dort doch eigentlich nur ein Müßiggänger war, alle Hände voll zu thun habe, und die frühen Morgenstunden zum Actenlesen benutzen muß, damit ich vorbereitet am Tage verhören kann. – Hiervon nichts weiter! Wenn ich mich mit Ihnen unterrede, wollen wir in freieren und heiterern Regionen wandeln, als wohin den Juristen sein Pfad führt.
Ueber meine hiesigen Umgebungen und Verhältnisse erwarten Sie wohl noch kein Urtheil von mir. Personen und Sachen darf ich das Mißbehagen, welches mich nicht verläßt, wahrlich nicht zur Last legen. Aber ich habe in jeder Beziehung zu viel verloren, als daß ich vergnügt sein dürfte. Neigung und Dank wandern beständig in die Ferne, da kann man freilich in der Nähe und Gegenwart nicht zu Hause sein. Indessen bin ich gefaßt, denn ich habe, wie Sie wissen, meinen ganzen gegenwärtigen Zustand in Münster schon vorhergesehen.
Die Koffer, worin Ihre Papiere aus Versehen mit eingepackt sind, habe ich noch nicht. Sobald sie ankommen, erfolgen die Papiere zurück. Ich bitte, dieß dem Herrn General nebst meiner besten Empfehlung und nochmaligen Danksagung für alle erwiesene Gewogenheit, zu melden. – Ueber Ihre Geldangelegenheiten nächstens mehr, ich muß diesen Brief gleich absenden, und kann deßhalb jetzt über jenen Punkt mit Ihnen nicht ausführlich reden.
Möge mir nun bald gute und schöne Kunde von Ihnen zukommen! Ich habe den Wunsch und das Bedürfniß mit Ihnen in beständiger naher Verbindung zu bleiben. Die heutigen flüchtigen Zeilen sehen Sie nur wie ein Billet an, welches Ihnen in der Eile von einem fernen Freunde und seiner Gesinnung Nachricht giebt.
Der Reiz, die Anmuth und Würde Ihres Wesens, werden Sie gewiß immer tragen und halten. In dieser Zuversicht sage ich Ihnen heute Lebewohl als
Ihr treuer Freund
Immermann.
Magdeburg, den 8. Februar 1824.
Ich benutze den Sonntag, liebe Freundin, um mich im Gespräch mit Ihnen von manchem Drückenden zu erholen. Möchten Ihnen denn meine Worte auch nur Erholung und Heiterkeit bringen! Ich sehe Sie nun im Geist bald mit dem Garten beschäftigt, und freue mich, daß die Zeit der Erlösung aus dem engen Zimmer nahe ist. Wir hatten hier schon einige sehr heitre, warme Tage, leider haben sie wieder unfreundlichen Platz gemacht.
Wenn alle, die von Münster kommen, jene Stadt so loben, wie ich, so wird bald das Vorurtheil gegen dieselbe verschwinden. Ich mache mir es zum Geschäft, alle ihre Vorzüge herauszuheben, und muß mich nur in Acht nehmen, daß ich nicht bei meinen lieben Landsleuten in den Ruf eines schlechten Patrioten komme. Ernsthaft gesprochen, so scheint es mir in unserem, so verschiedenartig componirten Staate recht eigentlich die Pflicht eines jeden wohldenkenden Beamten, den sein Geschick in eine neue Provinz warf, zu sein, die üble Meinung und das Mißtrauen, welches zwischen den alten und neuen Bürgern herrscht, so viel in seinen Kräften steht, zu zerstreuen.
Möchte man nur immer zu allem seinen Beifall geben können! Auch wir sind hier nicht von Verhaftungen verschont geblieben. Ein junger Mensch, ein Referendarius Caspari, aus einer mir bekannten und befreundeten Familie, wurde vor acht Tagen nach Berlin gebracht. Zur Freude jedes Vaterlandsfreundes hat aber das hiesige Oberlandes-Gericht feierlich gegen diese Handlung protestirt, und den Justizminister offiziell aufgefordert, das Recht zu schützen. – So etwas hilft zwar in der Regel nichts, aber es zeigt doch, daß die Gerichtshöfe in Preußen immer noch ihrer hohen Würde eingedenk sind. –
Wie oft wünsche ich des Abends, bei Ihnen zu sein! Meine Tage gehn hier sehr streng und arbeitsam hin. Ein großer Abstich gegen sonst. Indessen sehe ich ein, daß, wenn ich meine Zwecke erreichen will, doch einmal diese strenge, arbeitsame Zeit eintreten mußte. Ein schönes Leben zu führen, gelingt nun einmal in Norddeutschland nicht, der Fleiß ist unser Apollo, und die Mühe unsere Muse! Nichts ist lächerlicher, als ein norddeutscher Geschäftsmann, der zu seiner Erholung des Sommers vier Wochen in's Bad geht, und nun durchaus nichts mit Zeit und Natur zu beginnen weiß. Ein solcher Mann ist eine ächt komische Figur, und ich muß sie mir für meinen Roman ausbilden.
Ihre Papiere sind angekommen, und ich sende sie Ihnen bald mit der fahrenden Post. Sehr glücklich würden Sie mich machen, wenn Sie mich auch in der Ferne zu Ihrem Geschäftsträger erwählten.
Meine Zeit ist etwas knapp, ich muß Ihnen herzliches Lebewohl sagen.
Ihr Freund
Immermann.
Magdeburg, den 15. Februar 1824.
Heute, meine liebe Freundin, sollen Sie einen Brief voll Stadtneuigkeiten haben, damit Sie sehen, wie nachtheilig die Entfernung von Ihnen auf mich wirkt. Ich fange an zu klatschen.
Unsre Jünglinge hier sind ganz andre Leute, als die dortigen. Auf einem Ball vor acht Tagen ist zwischen einem Referendarius und zwei Offizieren über einen Tanz der heftigste Streit entstanden, der sich durch zwei Duelle, eins auf den Degen und eins auf Pistolen, in dieser Woche ausgeglichen hat. Sie können denken, in welchem Aufruhr die hiesige Damenwelt sich befindet, und es ist nur schade, daß niemand blieb, alsdann würde erst der Jubel vollständig sein.
Ein armer Criminalrichter, der vom Morgen bis zum Abend inquirirt, darf leider an dergleichen nicht denken, und so fehlt ihm jedes Mittel, sich dem schönen Geschlechte interessant zu machen. Wenn ich genöthigt wäre, mich zu schlagen, so müßte ich es wahrhaftig am lieben, heiligen Sonntag thun, denn in der Woche hätte ich keine Zeit dazu.
Ich zähle jetzt jeden Tag, der uns dem Frühlinge näher bringt, mehr um Sie, als um mich. Wenn ich Sie nur erst mit Harke und Spaten im Garten beschäftigt, glühendroth im Antlitz, pflanzend und säend weiß, dann ist mir nicht bange für Sie, dann schweigt vor der äußeren Anstrengung die Erinnerung an die harten Schicksale, mit welchen der Himmel Sie prüfen, durch welche er Sie verklären will. – Unter den vielen guten Gaben, mit welchen Natur und Erziehung Sie bedachte, pries ich immer die Neigung, sich körperlich zu regen und zu bewegen. Es ist unbeschreiblich, was Sie dadurch für Vortheile über die stillsitzenden Damen erlangen. Ich bin zwar kein Wahrsager, aber Ihnen getraue ich mir doch ein recht zufriednes und gesundes Alter zu prophezeihen. Einer gewöhnlichen Frau dürfte man freilich nicht von ihrem Alter reden, entschuldigen Sie mich mit der Freimüthigkeit, die Sie mir immer erlaubten, daß ich zu Ihnen so ungalant sprach.
Liebe Freundin, Sie müssen sich wirklich meiner annehmen, wenn ich nicht dem Schönen absterben soll. Ich meine, daß Sie mir aus Ihrer Lectüre hin und wieder das Wissens- und Merkenswürdige mittheilen. Wenn ich jetzt nicht aufmerksam gemacht werde, so erfahre ich nichts, denn lange zu suchen und zu forschen, dazu fehlt die Zeit. – Wie oft besucht mein Geist den Bücherschrank und alle die Plätze, wo bei Ihnen die Literatur aufgestapelt liegt! Als ich Sie erst kennen lernte, hielt ich Sie für grundgelehrt, und scheute mich, weil ich meiner eigenen Ignoranz mir bewußt war, etwas vor Ihnen. Nachher habe ich denn erfahren, daß Sie etwas viel besseres sind, nämlich gebildet, das heißt nicht in dem abgenutzten Sinne der Zeit, sondern in dem Sinne, wo das Wort die harmonische Gestaltung des ganzen Wesens durch Lehre, Geschick und Nachdenken bezeichnet.
Diese Nacht habe ich im Traum den ganzen Tasso aufgeführt. Das ist ein Zeichen, daß wir uns bald wiedersehn werden, denn ohne Sie kann ich das Stück nicht geben.
Ihre Papiere sind am vorigen Posttage nicht angenommen worden, weil sie in Wachsleinwand eingeschlagen werden mußten. Sie langen nun künftigen Freitag an. Nebst meiner Empfehlung an den Herrn General bitte ich ihn in meinem Namen wegen dieser Verzögerung um Entschuldigung zu bitten.
Es sagt Ihnen herzliches Lebewohl
Ihr treuer Freund
Immermann.
Magdeburg, den 22. Februar 1824.
Ich muß zwar fast verzweifeln, meine liebe Freundin, Ihnen Neues und Interessantes zu melden, denn mein Leben geht hier sehr einförmig hin, indessen will ich die gute Gewohnheit der wöchentlichen Correspondenz doch nicht gleich in ihrem Entstehen wieder vergehn lassen, weil mir gar zu viel daran liegt, mit Ihnen in beständiger Verbindung zu bleiben, und diese nur durch ununterbrochene Correspondenz möglich wird. Briefe müssen sich dem Tagebuche nähern, dann ist ein Leben mit dem Entfernten gedenkbar, setzt man sich nur alle Monat einmal hin, um zu schreiben, so ist es keine Unterredung mehr, sondern ein Bericht, ein Vortrag.
Diese Woche war hier ein großer Ball bei Hake's in köstlich verzierten, nur etwas zu engen Zimmern. Die Dame muß außerordentlich viel Geschmack besitzen, alles zeugte von ihrem feinen Sinn. Ich tanzte nicht, spielte nicht, sondern bewegte mich, den Hut in der Hand, umher, und suchte – Sie! – Ich erinnerte mich nämlich einer ähnlichen steifen Geschichte bei Horn's, vor der ich mich sehr gescheut hatte, die mir aber das Gespräch mit Ihnen noch immer zur vergnügten Erinnerung macht. Sie können sich als Frau – mit angeborenem und durch Ihre Lage ausgebildetem Talente für gesellige Verhältnisse gerüstet, keine Idee von der Befangenheit machen, die mich jederzeit in großen Kreisen, besonders im Anfange befällt. Ich muß jederzeit alle Standhaftigkeit zusammennehmen, um nicht lächerlich zu erscheinen. Indessen tröstet mich zuweilen die Betrachtung, daß ich so viele Andere, welche recht routinirt zu sein glauben, bei dem Bestreben, sich zu produciren, die kuriosesten Figuren machen sehe. Die ächte feine Lebensart und Sitte ist etwas sehr Ausgezeichnetes, und eben so wenig durch Mühe und Arbeit zu erringen, wie jedes andre Talent. – Hake und die Gräfin besitzen es wirklich, es ist nicht möglich, mit mehr Anstand und Würde ein Fest zu geben, als sie thaten.
Sonst sind in dieser Woche für mich zum Theil recht unruhige und unangenehme Tage gewesen. Die Auction des Mobiliarnachlasses meiner Großmutter wurde vorgenommen, wobei ein solcher Lärm herrschte, daß ich immer meinte, sie würden mich mit losschlagen. Meines Verweilens in diesem Hause wird nicht lange sein, es wird höchst wahrscheinlich verkauft. Ich sehe mich deßhalb auch schon nach einer andern Wohnung um, und werde vermuthlich Ostern ausziehen.
Ich freue mich, daß Paulmann's Benefiz so gut ausgefallen ist. Er verdient wohl, daß man ihn achte. Menschen, die einen so hohen Begriff von der Kunst und ihrer Schwierigkeit haben, sind heutzutage selten, weil die Welt mit lauter Genies, denen nichts Mühe macht, besät ist. Es ist unglaublich, wie die ästhetische Oberflächlichkeit um sich gegriffen hat, und man kann es dem Publico nicht verdenken, wenn es am Ende von Kunst und Dichtung gar nichts mehr wissen will. Alles glaubt jetzt, wenn es das Patent der Bildung gelöst hat, musiciren, recitiren und dichten zu können. So verderben die vielen Pfuscher das Handwerk.
Wenn Sie wirklich nicht im »Ivanhoe« übersetzen, so haben Sie wohl die Güte, mir das Buch bald zu übersenden. So lieb mir Ihre Hülfe sein würde – ich glaube doch, daß ich mich nun wieder allein werde daran machen müssen.
Leben Sie wohl, theure Freundin! Mögen diese Zeilen Sie zu guter Stunde antreffen. Dies wünscht
Ihr Freund
Immermann.
Magdeburg, den 1. März 1824.
Recht herzlich freut es mich, liebe Freundin, von Ihnen vernommen zu haben, daß Sie gesund und wohl sind. Ihre Zeilen sind mir eine freundliche Erscheinung in meinem hiesigen strengen und ernsten Verhältniß, sie wehen mir wie die ersten lauen Lüfte des Frühlings Trost und Freude in's Herz, und erinnern mich wieder, daß es noch eine schönere Welt giebt, als die der sauren Arbeit und der todten Mühe. Es ist aber gut, wenn man auch solche Zeitläufte einmal durchmacht, damit man Fleiß an Andern schätzen lernt. Ich komme mir, wenn ich beim Schein meiner Morgenlampe mich zu den Akten setze, vor, wie einer von den Schmiedegesellen des Vulkan, die auch mit frühem Morgen das berußte Schurzfell umnehmen und in der Esse zu hämmern beginnen. Mit meinem Bruder, der in ähnlicher beständiger Arbeit steckt, scherze ich oft über unsere Lage und wir nennen uns gegenseitig die zwei Banausen. Sie erinnern sich des Worts, welches durch Vossens und Stolberg's Streit allgemein bekannt wurde, und in der ursprünglichen Bedeutung einen Menschen anzeigt, der beim Feuer arbeitet, in der abgeleiteten aber jeden bezeichnet, der sich handwerksmäßig abmüht.
Sie sind dort recht reich an Kunstgenüssen gewesen, und ich möchte fast mit Ihnen schelten, daß Sie den »König Lear« verschmähen konnten. Doch werde ich über diesen Punkt wohl nicht mit Ihnen fertig werden und wir wollen die Partie lieber für remis erklären, da ich um der Wahrheit willen mich nicht für matt erklären kann, auf der andern Seite es aber für unbescheiden halte, Ihnen fernerhin immerfort Schach zu bieten. Dem Herrn General danke ich im Namen der Kunst für die Paulmann zuerst angethane Ehre. – Hier steht es schrecklich mit dem Theater – nicht sowohl mit dem Personal, welches wirklich mittelmäßig genug ist, sondern mit dem Publico, welches kalt wie Eis sich nimmt, und nur am Sonntag – wenn das Haus voller Schüler, Handlungsdiener und Handwerksgesellen steckt, warm wird. – Die Musik ist die einzige liberale Beschäftigung, welche hier, wie aller Orten, blüht, wenn man die armselige Koketterie, die mit dieser Kunst getrieben wird, eine Blüthe nennen kann. Doch ist eine Diskantstimme hier – deren Genuß ich Ihnen wohl wünschte. Ein so herrlicher, reiner und unverbildeter Glockenton, daß man nichts Schöneres und Herzergreifenderes hören kann.
Nächstens werde ich auch einige Zeilen des Dankes und der Erinnerung an den alten Horn abgehen lassen. Er bleibt mir immer im Herzen. Hier steht sein Andenken – wenigstens bei den Männern – überall auf das beste angeschrieben. Sie sehen also, daß diese Liebschaft unsres Geschlechts – wie Sie oft die Neigung zu ihm nannten, eine allgemeine ist, und der würdige Herr zu den umworbenen und gefeierten Schönen gehört.
Leben Sie wohl, meine Freundin, und gedenken Sie Ihres Freundes in Gutem.
Immermann.
Magdeburg, den 6. März 1824.
Ihre letzten lieben Zeilen, meine Freundin, habe ich erhalten, und sage Ihnen herzlichen Dank dafür. Ich freue mich, daß Ihnen der projectirte Frauenverein Gelegenheit zur Thätigkeit geben wird, in der Ihnen so wohl ist; nur fürchte ich, daß die edle Errichterin Sie bald aus der schönen Vereinigung jagen wird, da mir ihr Talent zu lösen und zu stören, wohl – die Fähigkeit zusammenzuhalten aber weniger bekannt ist. Sie müssen sich indessen doch zwingen und so lange aushalten als möglich, denn etwas äußeres Leben ist jedem Menschen, besonders aber Ihnen, nöthig, wenn Sie nicht in düstern Trübsinn versinken sollen.
Wäre ich doch einer Ihrer reichen Verwandten, Sie sollten sich gewiß nicht über Verlassenheit zu beklagen haben. Wie traurig ist es, daß Freunde so selten Verwandte und Verwandte so selten Freunde sind! Die Verwandtschaft pflegt in der Regel sich nur durch Hemmen und Schenken bemerkbar zu machen, wenn aber Noth eintritt und man dann nach der Familie sich umsieht, da ist man ganz frei und unbeschränkt.
Vor einigen Tagen fand ich in »Des Knaben Wunderhorn« zwei Gedichte: »Lob der himmlischen Freuden« und »Antonius Fischpredigt,« die Ihrem komischen Sinne zusagen werden und deren Abschrift ich Ihnen das nächste Mal mitschicke. Könnte ich sie Ihnen nur vorlesen! Hier nimmt niemand irgend etwas von mir in Anspruch, als das Geschäftstalent, und das ist meine schwächste Seite. Ein Dichter ist wirklich ein sehr unglücklicher Mensch – alle andren Künste haben doch auch eine Art von Stelle in der Welt, der Dichter aber schwebt vogelfrei zwischen Himmel und Erde. Drum müssen wir uns an den Genuß halten, den wir selbst von unsren Vortrefflichkeiten haben, und unser Heil in der Einbildung suchen. –
Der Winter scheint seine Rechte nachholen zu wollen, es ist empfindlich kalt, jedoch heitrer, klarer Himmel; und wäre ich dort, so holte ich Sie heute zu einem Spaziergange ab. Hier komme ich nicht viel zum Wandern, ich suche mir aber dadurch zu helfen, daß ich stehend arbeite und beim Dictiren hin und her gehe.
Wenn jemand das Unglück hat, zur Festung verurtheilt zu werden, so wünsche ich ihm keinen andern Strafort, als Magdeburg. Denn um hier Glück in der Gesellschaft zu machen, muß man durchaus Staatsgefangener sein – diese dürfen überall erscheinen und erregen das meiste Interesse. Mehrere haben sich schon von hier Frauen geholt. – Mir kommt es mitunter so vor, als sei ich zur Festung verurtheilt, aber von Glück hat sich noch nichts einfinden wollen.
Leben Sie wohl, theure Freundin, und vergnügter als
Ihr Freund
Immermann.
Magdeburg, den 14. März 1824.
Was Sie mir, theure Freundin, von den Carnevalslustbarkeiten und Ihren Aengsten erzählt haben, hat mich (Sie verzeihen mir) sehr ergötzt, und ich sah Sie ganz deutlich bei verschlossenen Thüren hinter dicken Mauern zittern. Ehe ich Sie näher kannte, hielt ich Sie immer für eine Art von Heroine, bei genauerer Betrachtung ist zwar dieser erhabne Glanz von Ihnen abgefallen, dafür sprang aber eine um so angenehmere Aengstlichkeit hervor, wie denn überhaupt alles bei Ihnen sich in Liebenswürdigkeit kleidet. – Ich habe diese Tage, wie alle meine Tage, hier sehr still verlebt, nichts erinnert hier an das Fest, welches den Süden so tumultuarisch bewegt, als die sonnabendlichen Redouten im Schauspielhause, die aber auch herzlich schlecht sind. Sonst waren in den kleinen Städten um Magdeburg Maskenbälle, wozu die Honetten, welche sich auf die hiesigen nicht wagen dürfen, eilten, jetzt ist das auch eingegangen. Was soll aus der Welt werden, wenn wir im trocknen Ernste so fortschreiten, wie bisher? Nicht viel Kluges, meiner Meinung nach, denn die Menschheit bedarf, wie der Einzelne, zuweilen einen Thorensprung, um sich zu erfrischen, und um mit desto größerer Kraft sich nachher wieder auf Tugend und Vernunft legen zu können. Die bedeutendsten, würdigsten Ereignisse in der Geschichte sind immer diejenigen Handlungen, durch welche ein Einzelner oder ein Volk eine große Narrheit oder Sünde gut zu machen strebt, wie soll er aber dazu noch kommen, wenn man am Ende nur regelrechte Verstandesmäßigkeit kennt?
In diesen Tagen las ich in den Charakteristiken und Kritiken von den beiden Schlegel's manches gute, treffende Wort, welches ich Ihnen gern, frisch wie ich es empfangen, wiedererzählt hätte. Lassen Sie sich doch einmal die beiden Bände geben, und lesen Sie was darin über »Romeo und Julia« und über »Wilhelm Meister« gesagt wird. Es ist gar nicht zu läugnen, daß die Schlegel's den Funken, der zuerst durch Lessing entzündet wurde, zur Flamme angefacht, und eine neue Art der Kritik gegründet haben, nämlich die auslegende, ergänzende, nachweisende, statt daß früher die vernichtende, zersetzende, absprechende galt. Der Streit zwischen beiden ist noch nicht ganz ausgefochten, doch neigt sich der Sieg schon sichtbar auf die Seite, welche mir die bessere zu sein scheint.
Der Grundbegriff der Schule, welcher ich auch angehöre, ist: daß man zu einem Kunstwerk nicht mit dem bloßen Verstande, sondern mit dem Einklang aller seiner Kräfte, Phantasie und Gefühl mitgerechnet, treten muß, wenn man es begreifen will, daß man von dem Glaubenssatze ausgeht: alles, was einmal entstand, mußte nach Gesetzen entstehen, und daß man eine unendliche Mannigfaltigkeit der Wege, die das künstlerische Vermögen einschlagen kann, zugiebt. – Hieraus folgen gewisse Maximen. Man wird nichts unbedingt verwerfen, sondern die Gesetze, aus denen sich die einzelne Erscheinung nachweisen läßt, aufsuchen, man wird nicht bei der ersten Lesung oder Anschauung ein Urtheil fällen, sondern zuerst das Werk auf die offene Seele einwirken lassen, und endlich, man wird die kritische Wissenschaft für eine äußerst schwere halten, weil eine große Menge von Erfahrungen, Beobachtungen und Beispielen dazu gehört, um darin nur zu den ersten Resultaten zu gelangen.
Ich steige von meiner Kanzel, auf der ich Ihnen bisher predigte, und Ihre Geduld ermüdete, um Sie zu bitten, den einliegenden Brief an Bilstedt dem Herrn General nebst bester Empfehlung von mir zu geben. – Mit Vergnügen bin ich zu aller ferneren Correspondenz bereit. –
Ein herzliches Lebewohl sagt
Ihr Freund
Immermann.
Magdeburg, den 21. März 1824.
Endlich wird sich doch, theure Freundin, der Himmel bei Ihnen entwölkt haben, wie hier geschehen ist, und Sie zu einem heitern Gefühl Ihres Daseins gelangen lassen. Seitdem ich Ihre vom Wetter abhängige Natur kenne, interessirt es mich sehr, und Sie erlauben mir, da es ein Gegenstand von Wichtigkeit ist für Sie, davon zu reden, wenn man gleich dies Gespräch aus der guten Unterhaltung verbannt hat. Freilich sind die Gespräche über die Fehler der Nächsten ein viel interessanteres und reichhaltigeres Kapitel.
Für das übersendete Buch meinen herzlichen Dank, so wie für den Anfang der Uebersetzung. Ich bedaure nur, daß letztere, wie ein unschuldiges Kind, bei dem ersten Kapitel stehen geblieben ist. Meine Arbeit hat gleich wieder begonnen, und es ist auch hohe Zeit damit.
Ich kann mich ganz in Ihr Gefühl und in Ihren Wunsch nach Beschäftigung hineinfinden, und sinne nur, was für Arbeit ich Ihnen rathen soll. Möglich wäre es, daß Sie für Ihre eigne Rechnung den Frauenverein überbieten, und in der Stille Mutter einiger Dürftigen werden könnten, die Ihr Auge wohl zu entdecken im Stande wäre; denn es giebt in allen Orten des Elendes genug. Wohlthätigkeit und Werke der Menschenliebe haben zu allen Zeiten edle Herzen beruhigt. Glück kann die Erfüllung der Pflicht nie schaffen, wer das behauptet, kennt das Leben und das menschliche Gemüth nicht, aber beschwichtigen kann sie, versöhnen und den herben Schmerz mildern. Auch ich ertrüge ein nüchternes, leeres Dasein nicht, wenn nicht jede Stunde ihr beschiednes Theil Arbeit hätte. Diese fortgesetzte Beschäftigung macht mich allein fähig, zu existiren, und es graut mir vor allen Gesellschaften, vor allen Besuchen bei meinen Bekannten und Verwandten in der Gegend, weil solche arbeitslose Stunden und Tage mich sehr unglücklich machen und verstimmen. – Mitunter kommt es mir so vor, als sei unser jetziges Leben und Treiben besonders veraltet und abgenutzt – dann aber lese ich wieder in einem griechischen Tragiker oder in Shakespear Stellen, die nur aus demselben Gefühl entspringen konnten, und es kommt der Trost über mich, daß das Leben zu keiner Zeit ohne Dissonanzen gewesen ist, und daß sich in allen Zeiten Annäherungen zur Harmonie finden lassen.
Man spricht in der hiesigen Militairwelt von Veränderungen. Hake soll abgehn, wohin weiß ich nicht, und das Generalcommando des 4. Armeekorps hieher kommen. Dem Herrn General bitte ich diese Notizen nebst meiner Empfehlung zu sagen, wenn sie ihn interessiren.
Es fehlt hier in Magdeburg gar nicht an Gelegenheit, das charmanteste Leben zu führen, und jeder junge Mann hat es, wie die Tanten behaupten, sich selbst beizumessen, wenn er nicht in Cours kommt; hohe Generalität, Präsidentschaft, Beamte mit unversorgten Töchtern, Kaufleute, welche die Geige spielen u. s. w. alle Ingredienzien, die zum herrlichsten Dasein gehören. Leider hat es Ihrem Freunde noch nicht gelingen wollen, in dieses große Räderwerk als brauchbare Walze einzugreifen. Ich finde, daß die Leute, die ich zufällig kennen gelernt habe, so unendlich mit sich zufrieden sind, daß ein Dritter ihnen nichts mehr bieten kann, und finde es daher angemessen, sie ihrem Reichthum zu überlassen.
Mit herzlichster Erinnerung und Freundschaft
der Ihrige
Immermann.
Magdeburg, den 27. März 1824.
An diesem regnichten Nachmittage, liebe Freundin, will ich wenigstens im Geiste mich in heitre Regionen – nämlich zu Ihnen flüchten. Es ist ganz abscheuliches Wetter, so recht zum Todtschießen geeignet, wenn man sonst dazu Gelüst hat.
Nun ist es beinahe ein Vierteljahr her, daß wir getrennt sind, und ich weiß nicht, wo die Zeit blieb. Freilich lebe ich hier auch nur wie im Traume, und meine Existenz hat durchaus kein Interesse und keine Bedeutung. Ich hoffe, es soll anders werden, denn würde es nicht, so wäre es freilich schlimm.
Ich freue mich, daß Ihnen der »Kaufmann von Venedig« einen heitern Abend gemacht. Diese herrliche Dichtung gehört zu dem Besten, was ich kenne. Es giebt Poesien, die wie manche Häuser sind, ohne durch Pracht zu blenden, ziehen sie unwiderstehlich an, man verweilt gern darin, man fühlt sich überall heimisch, und wie in guter, bequemer Gesellschaft. Solch einen Eindruck macht immer das Stück auf mich.
Selbst das Gewitter, welches über den armen Antonio heraufzieht, kann nur mäßig erschrecken, denn man ahnet gleich seine Rettung – wo ein Weib wie Portia mit in die Handlung verflochten ist, da kann nichts untergehn. In dieser Portia spiegelt sich die reinste Weiblichkeit, und jene reizende Mischung von tiefem Gefühl, weicher Herzlichkeit, Schalkheit und einem gewissen Hang zur Intrigue ab, die Ihr Geschlecht auszeichnet. Auch die vielen Freier dienen vortrefflich, die Erscheinung hervorzuheben; wenn man einen Mann bedeutend schildern will, so muß man ihn an der Spitze eines Heers, oder unter einem Haufen von Schülern und Anhängern zeigen, soll dagegen eine Frau recht prächtig erscheinen, so muß sie eine vielumworbene sein. – Bassanio und sie werden ein herrliches Paar machen, recht geschaffen Glück und Glanz um sich zu verbreiten.
Ich möchte wohl wissen, ob jemand schon den Grund von Antonio's Traurigkeit, mit der er gleich Anfangs auftritt, erklärt habe. Die Wirkung derselben ist groß, er steht gleich mit Einem Zuge unter den schwatzenden, lachenden Freunden als eine fremdartige, von ihnen nicht begriffene Erscheinung da, seine schwärmerische Freundschaft für Bassanio, sein sonderbares Pfui! als man ihn fragt, ob er verliebt sei? – alles, der Abscheu vor den Zinsen mit dazugenommen, charakterisirt ihn als einen von denen, mit welchen das Schicksal sich gern eine kleine Belustigung macht, und so bringt er gleich einen ernsten Ton in das sonst so fröhliche Stück.
Der Grund seiner Schwermuth läßt sich leicht finden, wenn man ihn in Beziehung auf seinen Stand betrachtet. Kann es wohl eine schlechtere Anlage zu allem Kaufmännischen geben, als er besitzt? Mit dieser Weichheit, Empfindsamkeit, mit diesem ritterlichen Zuge in der Seele, unter Handel und Wandel, Wechsel und Geldverkehr, muß sich ein stilles Mißbehagen in ihm ausbilden, welches er selbst nicht versteht, wie es seinen Freunden unerklärlich ist.
Nehmen Sie, Beste, heute mit dieser Abhandlung statt eines Briefes vorlieb. Ich habe eben nichts besseres zu geben, und wünschte nur, daß ich mich in Ihrer Nähe von manchem ausheilen könnte, was mein Gemüth bedrängt. Gedenken Sie meiner, wie ich Ihrer gedenke.
Immermann.
Magdeburg, Sonntags, den 18. April 1824.
Wenn Sie das Fest, theure Freundin, so heiter verleben, als ich es Ihnen wünsche, muß es Ihnen Festtage bieten. Sie haben nun den Druck der Charwoche überstanden, der auch uns Protestanten dort fühlbar genug wird, der Leib des Herrn ist aus dem Grabe genommen, und die Auferstehung zeigt ihr fröhliches Symbol in den Knospen und Blüthen, die sich schon überall hervordrängen. Ich mag gern ein etwas spätes Ostern, es ist häßlich, wenn das Sommerhalbjahr uns noch mit Schnee und Reif bewillkommnet. – Wie ich bei allem, was mir Gutes begegnet, immer zuerst an Sie denke, so wünschte ich Sie auch in voriger Woche zu mir, da ich die Gewächshäuser des reichen Gutsbesitzers Nathusius in Althaldensleben besah. Sie werden vielleicht von den ausgedehnten Besitzungen und weitgreifenden Wirkungen dieses Mannes gehört haben, der aus einem Bettler ein Millionair wurde, und sein eignes Papiergeld fabricirt, welches bei allen Wechslern Cours hat. Er ist selbst Botaniker, und bei seinen Mitteln lassen sich denn freilich herrliche Pflanzen und Blumen ziehen. Sie würden das alles aber noch vielmehr genossen haben, als ich.
Ein Besuch von Heine fällt in die Zeit, da ich Ihnen nicht geschrieben. Er hat mir einige sehr schöne Gedichte recitirt, von denen eins besonders (eine Rheinfahrt schildernd) mir ungemein gefallen hat. Wenn Sie es lesen wollen, Sie finden es in einer von ihm in den letzten Stücken des »Gesellschafters« abgedruckten Sammlung von 33 Liedern. Es ist das Letzte der Sammlung.
Wenn ich nur durch meine Arbeiten erst durch wäre! Ein und einen halben Band »Ivanhoe« zu übersetzen, einen Aufsatz über das Verhältniß Falstaff's zum Prinzen Heinrich, den ich nothwendig bis zu Johannis liefern muß, zu fertigen, und dabei die Vorbereitungsarbeiten zum dritten Examen zu machen – das ist keine Kleinigkeit. Wenn ich aber erst durch bin, und meine Zwecke damit erreicht habe, dann will ich mir auch wohl sein lassen, und mein Leben genießen.
Leben Sie wohl, meine liebe Freundin, und gedenken Sie Ihres
Freundes
Immermann.
(Ohne Datum.)
– Ruhe und Stille werde ich wohl haben im Sommer, ich ziehe in ein Gartenhaus, und werde da ganz für mich leben. Sie trauen Magdeburg gar nichts zu, Sie sehen aber hieraus, daß wir wenigstens Gärten haben. – Was ich Ihnen eigentlich sagen wollte, ist, daß Eßlair hier angekommen ist, um Gastdarstellungen zu geben, heute beginnt er mit dem Wallenstein. Ich freue mich, daß das stockende Leben doch einmal etwas geistig aufgeregt wird, wie sehnlich wünschte ich, mit Ihnen den Genuß zu theilen. Ich werde mich ohne alle Kritik heute Abend in einen Sperrsitz setzen, und das Schöne mit dankbarer Seele empfangen, werde Ihnen auch getreulich berichten, was ich gesehen.
So schmerzlich der Todesfall den alten Möller getroffen haben mag, so war es doch eigentlich ein Glück zu nennen. Die Jugendlichkeit des Alten wird ihn hoffentlich wieder aufrichten. – Der ** hat sich also wieder einen Korb geholt? Er scheint dazu vom Schicksal vorherbestimmt. Leben Sie wohl!
Ihr Freund
Immermann.
Magdeburg, den 22. April 1824.
Die Wunder treten uns nahe. Ein Schäferknecht, Namens Gottlieb Grabe, hat in Torgau ein Siechenhaus von Gichtbrüchigen und Lahmen um sich versammelt, heilt durch Berührung verjährte Uebel. Mehrere Hunderte von Kranken befinden sich in Torgau, viele Menschen sind von hieraus hingereist, und was man zu vernehmen bekommt, klingt sonderbar genug. Indessen ist der Schäferknecht bereits denen in die Hände gefallen, welche ein Privilegium haben, das Publikum zu schröpfen, den Obrigkeiten, und sie verfolgen bereits den Unprivilegirten. Von Rechtswegen, denn jedes Gewerk haßt den, der hineinpfuscht.
Was Sie mir von dem Baron von Sydow und seiner goldnen Dose sagen, bestätigt die alte Erfahrung, daß den Narren die Welt gehört. Oft ist mir dieser Mann, so unbedeutend er auch sein mag, ein Gegenstand stiller Betrachtung gewesen. Selbst ein Nichts, drehn sich seine Tage um nichts, er kommt, ohne daß man weiß, warum, und geht, ohne daß wir sagen können, zu welchem Zwecke. Und doch lebt er, ist überall eingeführt, gilt so viel als jeder andere, und bringt sich durch – lauter Dinge, die Andere ebenfalls nur mit Kenntnissen und Kraftanstrengungen erreichen. Ich fürchte, er wird Sie, wenn er von Kopenhagen absegelt, wieder heimsuchen. Jetzt wollte ich mich schon besser fassen, noch immer macht mir die Erinnerung an das Vergangene manche unangenehme Stunde. Sich über einen solchen Paradiesvogel zu ereifern, es war wirklich thöricht! Ein Unglück, daß man selbst so schwerfällig angelegt ist. Wie leicht wäre mir's mein Glück zu machen, könnte ich mich nur von manchen Vorurtheilen befreien. Ich glaube, wenn ich mir recht viel Mühe gäbe, wollte ich wohl Clauren oder Houwald überbieten, und beide bei dem Publico ausstechen, denn ich weiß ja auch, wo deren aesthetische Zwiebeln wachsen – und wäre ein angesehener, wohlhabender Mann, es will aber nicht gehn. Mit den Musen geht es einem, wie mit jedem geistreichen Umgange, im Anfang fürchtet man sich davor, wenn man aber einmal vertraut ist, kann man nicht wieder los, und ist für den Gevatterschnack verdorben.
Von Eßlair habe ich noch nachzuholen, daß er einen sehr großen, würdigen Begriff von der Kunst in sich trägt. So sagte er mir, es sei ein Ehrenpunkt bei ihm, wenn ein Componist einen seiner tragischen Charaktere zu einer Oper verarbeitet habe, denselben zurückzulegen. Er spielt z. B. den »Othello« nicht mehr, seitdem Rossini ihn in Musik gesetzt hat. Er ist auch der Meinung, daß wir dem gänzlichen Verfall aller wahren Kunst mit starken Schritten entgegengehn. Eine tröstliche Ansicht, wenn man noch nicht dreißig Jahr alt ist.
Die anliegenden Briefe theile ich Ihnen unsrer Verabredung gemäß mit. Ich werde von der Post reichlich bedacht; was irgend Interesse hat, erhalten Sie von mir. Leider hat mir Heine die Karte, deren sein Brief gedenkt, von Hitzig nicht mitgesendet, ich würde sonst gewiß die Bekanntschaft gemacht haben.
Ich stehe von der Kälte in meiner Gartenstube etwas aus, und schreibe Ihnen dieses mit frostblauen Händen. Ich komme mir mitunter in meiner Klause vor wie ein in den Polargegenden eingefrorner Seefahrer, und stehe oft in Versuchung die Sommerfreude in Pelzstiefeln und Klappmütze zu genießen. Ein seltsamer Zustand in meinem hiesigen überhaupt seltsamen Leben! Wir wollen beide den Himmel um Phlegma anflehen, ich finde, daß die Phlegmatiker die einzigen Weisen sind. Dagegen ein armer empfindsamer Thor sich fruchtlos abhaspelt, bis ihn der Tod zum unfreiwilligen Phlegmatiker macht.
Leben Sie wohl, theure Freundin, und erhalten Sie mir Ihre Gesinnung.
Immermann.
Magdeburg, den 8. Mai 1824.
Wie ich mir es vorgenommen hatte, liebe Freundin, so will ich es ausführen, mich mit Ihnen über Eßlair's Spiel auf der hiesigen Bühne diesesmal unterhalten. Ich beschloß anfangs, an jedem Abend Ihnen den frischen Eindruck hinzuschreiben, indessen ich gab bald diesen Vorsatz auf, da bei einer unerwarteten Erscheinung der Mensch zuerst zu befangen ist, als daß er einem andern ein Bild geben könnte.
Um vom Aeußeren zu beginnen, denken Sie sich einen Mann nahe an den Fünfzigen (so dünkt mich wenigstens sein Alter) in reinen, kraftvollen Verhältnissen aufgebaut, etwas zu viel Embonpoint, welcher jedoch wegen seiner Größe nicht gar zu störend wird, Hände und untere Theile des Körpers von außerordentlicher Schönheit, die Brust eines Löwen, das Gesicht ein herrliches Oval, die Nase groß und gebogen, die dunkeln Augen von unendlichem Feuer, welches durch sehr viel Weißes noch mehr erhöht wird, auf dem Haupte das Zeichen des herannahenden Alters – der Anfang einer Platte – welcher aber, wie dies immer zu sein pflegt, die Verhältnisse des Kopfes um so bedeutender hervorhebt.
Diese Gestalt trat dann am Sonntag vor acht Tagen als »Wallenstein« durch die Flügelthür, in höchst einfacher Kleidung, ruhig majestätisch. Der Anfang des Spiels war ganz gelassen, fast trocken zu nennen, ohne alle Prätention. Nur die große Anmuth aller Bewegungen deutete das Besondre an. Richtiges Einfallen, gutgehaltne Pausen, Benutzung aller Höhe und Tiefe des Theaters gaben dem Zuschauer das Gefühl der Sicherheit, welches der Künstler in sich trug. Was nun aber immer mehr eigentlich fesselte, war der große Sinn, in welchem der Charakter genommen wurde. Ganz vortrefflich entfaltete er denselben in der Scene mit Illo und Terzky, worin er diesen den Traum vor der Lützner Schlacht erzählt. Da trat die Doppelnatur Wallenstein's ganz hervor, die Verachtung der Menschen, welche er unter sich erblickt, und die ahnungsvolle Seite, die den Sternen zugekehrt ist. Die Worte:
sprach er sonderbar heimlich, die Schauder des herannahenden Schicksals wehten über die Bühne, man fühlte sich in seinem Innersten berührt, man war nun schon ganz in seinen Banden. Unübertrefflich war das Spiel bei dem Aufstande der Truppen, nie werde ich diese Feldherrnstellungen, diese militairische Kürze und Schärfe vergessen. Als er zurückkommt, und alles verloren ist, sprach er die befehlenden Worte an Buttler und an Terzky sehr streng, fast tyrannisch – wie mich dünkt außerordentlich richtig. Denn Wallenstein kann das Unglück nur noch fester und herrischer machen. In der Attitüde, worin er zu Max sprach:
hätte ich ihn mögen gemalt sehen, er stand wirklich wie ein Römischer Imperator da, die Füße übereinander geschlagen, den rothen Mantel halb emporgezogen. Das Herantreten an die Liebenden geschah, ohne daß er auch nur die geringste Bewegung machte, und das Wort: »Scheidet!« wurde ohne allen Affekt gesprochen, wirkte aber eben deßhalb um so furchtbarer. Der Ausdruck in seiner Darstellung, als er den Tod des Max erfährt, war einfach groß. Eine bloße Seitenbewegung und ein Zusammenziehn des ganzen Körpers, dann aber wieder der Schein völliger Ruhe und Fassung. Im fünften Auszug erreichte das Spiel stellenweise seinen Gipfel. Als er am Fenster in die Nacht hinausstarrte, sah man wirklich mit ihm in die unendlichen Tiefen des Himmels, nun sank er mit ungemeiner Grazie über den Stuhl, und das Gesicht zeigte die rührendste Trauer, auch wurden die schönen Worte über Maxens Tod ganz ihrem Werthe gemäß gesprochen. Er hielt sich auf dieser Höhe bis zum Ende, wo er mir die Worte:
doch mit zu viel Wichtigkeit aussprach, da sie nach meiner Meinung ganz leicht und sorglos vorgetragen werden müssen.
Sehr oft erscheint die Schönheit in seinem Spiel, welches das höchste ist, was man von einem Künstler sagen kann, so gewaltig das Wort auch verschwendet und gemißbraucht wird. Das sogenannte interessante und charakteristische Spiel ist noch himmelweit davon verschieden. Es ist offenbar etwas Bedeutendes, wenn man die größte Kraft, Wahrheit und Natur schaut, und alles dieses durch eine Anmuth gemildert, und in einem sanften Reize verklärt wird, so daß man nirgends sich erdrückt, sondern immer erhoben und befreit fühlt. Vor allem zu loben ist seine Action, der Körper ist ganz Muskel, er ist im Stande mit dem kleinen Finger mehr zu machen, als andre, wenn sie mit Armen und Beinen hanthieren. Sein Auftreten und Abgehn ist wahrhaft königlich, er sitzt und steht ganz herrlich. Eine Eigenheit von ihm ist, daß er sich gern über den Stuhl lehnt. – Seine Recitation und Declamation ist nicht so tadelfrei, häufige, fehlerhafte Betonung, mitunter leerer Pathos, entstellen sie. Das Organ leidet, obgleich die Stimme tief und sonor ist, an einiger Rauhheit, und der oberdeutsche Dialect spricht zuweilen durch. Am meisten leistet er im ruhigen, würdevollen, kräftigen Vortrag, auch im Ausdruck des Rührenden, weniger in den leidenschaftlichen Scenen, wo zuweilen Uebertreibung ohne eigentliche Gediegenheit eintritt. Eine köstliche, trockne Ironie hat er in seiner Gewalt, glänzend zeigte er sie in seinem Spiel zu den Frauen im »Wallenstein,« die er sichtlich als Beiwerk behandelte, wie sie es auch in dieser Tragödie sind. –
Montag gab er Kriegsrath Dallner in »Dienstpflicht« – Mitwoch »Wilhelm Tell,« Donnerstag Hugo in der »Schuld,« Freitag den Oberförster in den »Jägern.« Morgen wird »Dienstpflicht« repetirt, dann giebt er noch eine Vorstellung, die bis jetzt unbestimmt ist. – Wallenstein ist mir als die großartigste Erscheinung vorgekommen; obgleich er in den übrigen Stücken, namentlich als Dallner eigentlich viel correcter gespielt hat, so fehlte die von innen nach außen dringende Poesie, welche aber freilich auch nur von einem ächten Dichterwerke hervorgerufen werden kann. Das Publikum zeigt sich im Ganzen theilnehmend, empfängt ihn jedesmal mit Applaus.
Wie sehr hätte ich gewünscht, theure Freundin, daß Sie ihn sehen möchten. Ihr feiner Sinn für das Schöne würde großen Genuß gehabt haben. Alles Gute wünscht, wie Sie wissen, mit Ihnen zu theilen
Ihr Freund
Immermann.
Magdeburg, den 16. Mai 1824.
Da ich Ihnen, theure Freundin, nur von dem erzählen kann, was ich sehe und erlebe, und dessen jetzt nicht viel ist, so müssen Sie sich schon gefallen lassen, mit mir in dem engen Kreise meines gegenwärtigen Zustandes umherzuwandern. – Von Eßlair hole ich noch einiges nach. Er hat am vorigen Sonntage den Kriegsrath Dallner, am Montage den Oberförster in den »Jägern« wiederholt, und am Dienstag »Nathan den Weisen« gegeben. Bei näherer Bekanntschaft findet sich unendlich viel zu tadeln, unerträglich falsche Betonungen, ein Singen der Stimme, wie ich es nun leider bei allen ernsten Darstellungen, die ich bis jetzt gesehen, vernommen habe, und welches dem wahren und natürlichen Ausdruck ganz entgegenläuft, eine gewisse Weichheit des Spiels, die auf Kosten des Tiefen und Bedeutenden uns geboten wird, und noch mehrere solche Flecken. Indessen bleibt der Gehalt des Guten und Vortrefflichen sehr groß, und es giebt Seiten an seinem Spiel, die hinreißend schön sind, und entzücken müssen. Seine Stärke ist die Darstellung der Grazie in der Kraft; in allen solchen Scenen, wo der Held gefaßt und ruhig ist, möchte ihn wohl keiner so leicht übertreffen, ja nur ihm gleichen. Da umweht ihn ein wunderbarer Hauch der Anmuth, Worte, Mienen, Stellungen und Bewegungen sind in einem zarten, hellen Dufte zugleich gemildert und verklärt, und alles ist nur eine Musik.
So schuf er aus dem alten Kriegsrath Dallner in »Dienstpflicht« von Iffland ein Bild, welches mich noch jetzt bei der Erinnerung in Staunen versetzt. Das Stück ist eines der elendesten Iffland'schen, welches ich kenne. Lauter miserable, peinliche, armselige Verhältnisse, der Held des Stückes, der alte Dallner, der personifizirte Dienstbegriff, eine ächte Berliner Offiziantennatur. Diesen traurigen Charakter wußte nun aber Eßlair durch die Macht seines Spiels in eine so hohe poetische Sphäre zu rücken, daß man ihn wahrhaft bewundern mußte. Wodurch er dies bewirkte? Durch einen Ton der Sanftmuth, Heiterkeit, Milde und Fassung, wodurch er das Gemälde eines schönen, in sich vollendeten, zum höchsten Seelenfrieden gekommenen Greises hervorbrachte. Dallner ist, wenn man von Correctheit ausgeht, seine beste Leistung, denn sie ist durchaus fleckenlos, Wallenstein bleibt seine größte. Schade, daß er den »Lear« hier nicht geben durfte, den einige nervenschwache Damen von Einfluß sich verbeten hatten. Ich mache Sie besonders auf den Wallenstein und den Dallner aufmerksam.
Er kommt nämlich, wie er mir bei einem Besuche, den ich ihm abstattete, sagte, Ende dieses Monats nach Münster, wohin ihn Pichler zurückbegleitet. Sein ganzen Wesen ist sehr würdig, nichts Komödiantenmäßiges; ein kleiner Umstand erinnerte mich indessen doch bei jenem Besuche, daß ich zu einem Schauspieler gegangen war. Ich hatte mich ihm schriftlich angemeldet, ging gegen zehn Uhr morgens zu ihm, und blickte, als ich in's Zimmer trat, nicht rechts noch links, sondern setzte mich sogleich mit ihm in ein Fenster, den Rücken nach der Thür gewendet. Ich war in einer lebhaften Unterhaltung begriffen, als die Thür sich öffnete, und ein junger Schauspieler hereintrat, der, ohne von uns Notiz zu nehmen, sich seitwärts wandte und sagte: »Mein Gott, finde ich Sie gar im Bette!« Ich wandte mich um, und sah eine Dame im Bette neben der Thür liegen. Eßlair sagte ganz trocken: »Meine Tochter, die nicht recht wohl ist.« – Ich ergriff sogleich den Hut und empfahl mich; wenn ich nicht irre, so war ich in dem Augenblick verlegner, als die Schöne.
Magdeburg sollte von fremden Sternen nicht leer werden. Am Donnerstag langte Madame Neumann vom Karlsruher Theater an, gab die Margarethe in den »Hagestolzen« außerordentlich natürlich und brav, und auf vieles stürmisches Begehren am folgenden Tage die »Preciosa.« Dieser Charakter, oder Rolle, oder wie man es nennen will, ist bekanntlich eine bloße Declamirübung, und die beste Künstlerin kann nichts hineinlegen, was den Freund wirklicher Darstellung zu berühren vermöchte. So ging es auch diesmal, Madame Neumann zeigte ihre geschmackvolle Garderobe, ihre Schönheit, declamirte sehr sentimental, und tanzte recht hübsch, von Spiel konnte nicht die Rede sein.
Das Publikum war sehr dankbar. Gegen den Schluß der Vorstellung regneten von allen Seiten Kränze und Bouquets auf die Bühne; ein Schauspielerkind brachte aus der Coulisse auf einer Schüssel ihr Blumen, die Schauspieler umwanden sie mit allerlei grünem Zeuge, der erste Liebhaber setzte die Rolle in der Wirklichkeit fort, und fiel vor ihr förmlich auf die Kniee, die Schauspielerin, welche die Mutter gespielt hatte, umarmte sie zärtlich, Madame Neumann küßte einen Blumenstrauß, gegen das Parterre gewendet, das Publikum schrie und tobte vor Entzücken, als wollte es aus der Haut fahren, die Schauspieler sangen einen Chor zu Ehren der Gefeierten, unter diesem Spektakel fiel der Vorhang, und ich hatte, an eine Säule gelehnt, meine ganze mephistophelische Fassung nöthig, um nicht auch in dieses gerührte, herzlich theatralische Verderben hineingerissen zu werden.
Was hieran bitter klingt, vergeben Sie. Sie kennen und fühlen meine Lage. Ich bin ein Einsiedler, wie ich noch nie gewesen. So lange ich an Ihrem immer nach dem Guten, Rechten und Schönen mit heitrer Festigkeit gerichteten Sinne mich stärken konnte, und in diesem Sinne volles Verständniß meiner innersten Gedanken fand, hatte ich Trost und Ersatz für die vielen Thorheiten und Gemeinheiten, die uns umgeben, jetzt ist das anders.
Meine Arbeiten schleichen langsam fort. Der Walter Scott schwatzt mir doch fast zu breit. Ich verliere so manche breite Schilderung unter den Händen, weiß nicht, wo sie bleibt, und ich denke, die Recensenten sollen auch nichts merken.
Mit den Gefühlen, welche Sie kennen, immerdar
Ihr Freund
Immermann.
Magdeburg, den 26. Juni 1824.
Wenn Sie solche düstre Regentage dort gehabt haben, theure Freundin, als wir hier, so wird Ihr Herz Ihnen wieder etwas bange geworden sein. Ich lebte in meinem Gartenhause, wie in der Arche Noä, nur Ihre Briefe waren die Oelblätter, welche mir Zeugniß gaben, daß es noch grüne Stellen des Lebens gebe. Ich will diese Zeit, die schwer genug für mich ist, redlich durcharbeiten, es ist eine eiserne, die mich in der Entbehrung und Entsagung übt – dann muß es aber besser werden.
Vor einigen Tagen hatte ich hier eine sonderbare Ansicht. In meiner guten Vaterstadt, worin alles Nützliche wirklich mit großem Eifer emporgebracht wird, ist ein großer Wollmarkt arrangirt. Denken Sie sich auf dem Domplatze, den Dom und grüne Bäume im Hintergrunde, wenigstens 300 Wollwagen in zwei Reihen aufgefahren, einer wie der andre, alle grau, dazwischen Schafknechte und Fuhrleute auf Wollsäcken und Stroh liegend, und Sie haben das vollständige Bild einer auf der Wanderung begriffenen Tatarenhorde, nur die Koch- und Lagerfeuer fehlten. Es sind gute Geschäfte gemacht, und die Einrichtung flicht unserm für das Wohl der Stadt unablässig bemühten Oberbürgermeister Francke eine neue Bürgerkrone.
Quedlinburg ist durch das Conversations-Lexicon jetzt dahinter gekommen, daß Klopstock in seinen Mauern das Licht der Welt erblickte. Am nächsten Mittwoch wird dort zur Feier seines Geburtstages ein großes Musikfest gegeben, der »Messias« von Händel wird aufgeführt und Karl Maria von Weber dirigirt. Ich würde es auf die Gefahr, aus dem Städtlein, welches ich so gröblich beleidigt habe, gewiesen zu werden, wagen, hinzureisen, wenn meine Geschäfte es erlaubten. Der Zusammenfluß von Musikern, Dilettanten und Hörern wird allem Anschein nach sehr groß sein. Bei diesen und ähnlichen Gelegenheiten kann ich mich eines gewissen Unmuths nicht erwehren. Unter allen Aeußerungen des menschlichen Bildungstriebs wird doch der dichterische am schlechtesten behandelt. Was geschieht wohl im Aeußeren für Poesie? Gar nichts. Der Dichter immer muß sich zurückgewiesen sehen, muß zuletzt einseitig werden. Wenn ich bedenke, daß die Athener dem Sophokles für seine Antigone eine Feldherrnstelle gaben, so muß ich das griechische Volk bewundern, dessen ganzes Leben und Dasein nur in der Schönheit ruhte.
Ich lese jetzt Wilhelm von Humboldt's ästhetische Versuche, namentlich den Theil, der über »Hermann und Dorothea« redet. Es ist ein ganz vortreffliches Werk, voll tiefer Einsicht, und doch sehr klar und einfach dargestellt. Hätte ich nicht solche unüberwindliche Abneigung gegen das Abschreiben, so hätte ich schon einige Stellen copirt und sendete sie Ihnen mit. Ich werde Ihnen aber das Buch nach Dresden senden, da sollen Sie sich an ihm erbauen. Ich werde auch fleißig Zeichen einlegen, denn ganz werden Sie es freilich wohl nicht lesen mögen.
Morgen sende ich Ihnen eine Ansicht von Magdeburg, Papier und einige Briefe. Die Ansicht ist schlecht genug, sie darf sich nicht viel Gunst von Ihnen versprechen, die Stadt ist auch bei Ihnen zur Ungnade vorherbestimmt; (Sie wissen, daß ich glaube, Neigung und Abneigung der Damen werde durch ein reines Verhängniß bestimmt,) zerreißen Sie nur das Blatt nicht in Ihrem Zorne. Die Stadt hat wenigstens das Gute, daß sie Ihnen Freunde gab.
Erzählen Sie mir recht viel von sich, und schenken Sie mir, wie früher, volles Vertrauen. Ich hoffe es zu verdienen, und glaube Ihnen sagen zu können, daß meine Gesinnung sich Ihnen in jeder Lage des Lebens bewähren wird; daß es keinen Dienst giebt, den ich Ihnen nicht mit Freuden leisten kann, keine Treue, welche mein Gemüth Ihnen nicht bewahrt. Mit diesen Worten lassen Sie mich diesmal Ihnen Lebewohl sagen.
Immermann.
Magdeburg, den 10. Juli 1824.
Ich habe mich sehr, theure Freundin, gefreut, aus Ihrem letzten Briefe zu sehen, daß Sie ruhiger und heitrer geworden waren. Gewiß verläßt Sie der Himmel nicht, auch Sie sind ein Wesen, welches er dazu bestimmte, Freude und Behagen zu empfinden und des Daseins nach den Gesetzen seiner Natur zu genießen, ja, Sie sind vor Vielen dazu berufen, da Ihr reiches Herz so viel Gutes um sich verbreitet, so manchen Segen um sich zu pflanzen weiß. Dieses Gute, dieser Segen muß aber, nach den ewigen Gesetzen der Welt, zu Ihnen zurückkehren, und gewiß haben Sie dies auch schon in mancher Anhänglichkeit, die Ihnen auf dem Lebenswege wurde, dankbar gegen Gott, empfunden. Daß wir in dem schönen Wolbeck nicht zusammen gewesen sind, bedauert gewiß niemand mehr als ich – ich war so gern mit Ihnen in der Natur, und hatte meine Freude an Ihrem für alle Schönheiten des Daseins aufgeschlossenen Sinn. Sonst haben wir wohl so ziemlich in Münster alle hübsche Parthien mit einander gesehen.
Ihr nächster Brief wird mir sagen, was weiter zu besprechen ist – bis zum Eingang desselben, vermeide ich die Berührung dieser Dinge.
Es freut mich, daß Sie Eßlair auch persönlich kennen gelernt haben, und daß er so galant gegen Sie gewesen ist. Sein Wesen hat wirklich etwas sehr Ansprechendes. Ueber die Jugendgeschichte dieses Mannes ist man noch sehr im Dunkeln. Das Conversations-Lexicon drückt sich mystisch genug aus. Er soll aus einem alten gräflichen Geschlechte sein, von Slavonien herstammen u. d. m. Die Ahnen werden sich daher wohl etwas gerührt haben, als der ungerathne Enkel unter die Schauspieler ging.
Auf meinem Tische liegt der zweite Theil des Tagebuchs von Wilhelm Meister, von Pustkuchen. Dieses Pfäfflein wandelt getrost seinen trutzigen Gang fort, versteigt sich aber in diesem Theile, wie ich aus den ersten zwanzig Seiten bereits ersehen habe, bedeutend in's Ungereimte, und so steht denn zu hoffen, daß das Horn seines Uebermuthes nahe am Zerbrechen ist. Vielleicht rühre ich meine Feder auch noch zu diesem Ende, doch ist es sehr zweifelhaft, da ich eigentlich zu solchen Arbeiten keine rechte Lust habe.
Ich wünsche Ihnen alles, was Sie bedürfen, und bleibe mit alter Anhänglichkeit
Ihr Freund
Immermann.
Magdeburg, den 17. Juli 1824.
Recht leid thut es mir, von Ihnen hören zu müssen, daß Ihre Freundin in Dresden vielleicht behindert sein wird, Ihnen ganz ihre Zeit und Gesellschaft widmen zu können. Doch bietet Dresden so viel Schönes dar, was Sie für sich genießen können, daß Ihnen dennoch der Aufenthalt dort sehr heilsam werden wird. Die Dissonanzen des Lebens gleichen sich am ersten in der ewigen Harmonie der Natur und schönen Kunst aus; indem das Gemüth mit stiller Gewalt auf die ewigen Gesetze der Schönheit aufmerksam gemacht wird, findet es sich selbst zu seiner Klarheit und Schönheit zurück. Recht begierig bin ich aus Ihren Briefen den Eindruck zu vernehmen, welchen die Antiken auf Sie machen werden. Mir ist die Statue immer lieber gewesen als das Gemälde, sie bringt auf mich die reinste und gründlichste Wirkung hervor, nie werde ich die Stunden vergessen, welche ich vor den großen Werken des Alterthums, deren Anschaun mir zu Theil ward, zugebracht habe. Ich glaube auch, daß meine Poesie sich immer mehr zur Sculptur neigen wird – wenn ein heitres und in seinen nothwendigen Wünschen befriedigtes Leben mich überhaupt noch für die Zukunft als Dichter gelten läßt. Schon jetzt empfinde ich eine Abneigung gegen alles, was nicht nothwendig ist, und ein eigenthümlicher Fehler meiner Poesie ist, daß sie der malerischen Perspective entbehrt und alle ihre Gestalten wie eine Steingruppe hinstellt.
Doch Sie können zürnen, daß ich jetzt von mir rede und mich nicht bloß mit Ihnen beschäftige. Mögen die Kräuterbäder Ihnen Heil und Segen bringen. Sie werden diesen Theil Ihrer Kur doch gewiß in Dresden fortsetzen, und haben dazu im Lincke'schen Bade die beste Gelegenheit, zugleich den Vortheil, mit dem Bade eine hübsche Spazierfahrt zu verbinden. Die Brühl'sche Terrasse und die große Brücke müssen Sie ja einmal bei Mondschein besuchen, es ist ein eigenthümlicher, schöner Anblick, den ich mehrmals genossen habe.
Ein böser Stern gab mir vor einigen Tagen die Fortsetzung der falschen Wanderjahre, Wilhelm Meister's Meisterjahre, von Pustkuchen in die Hand. Da der Mensch in seiner doppelten Natur immer auch gern mit dem Schlechten sich bekannt macht, so las ich das Buch in einem Zuge durch, kann aber doch fast den Ekel, den diese abgeschmackte, saft- und salzlose Schüssel in mir zurückließ, nicht beschreiben. Das Frühere ist gegen dieses ein Leckerbissen, ich fürchte sehr, der Verfasser wird nun seinen eignen Anhängern verdächtig werden.
Ich wünsche Ihnen Zurückkehr der Körperkräfte und ruhige Stunden. Mit bekannten Gesinnungen
Ihr Freund
Immermann.
Magdeburg, den 24. Juli 1824.
– Es ist gut, daß Ihre Reise spät fällt, früher würde Ihnen die große Ueberschwemmung manchen Genuß verdorben haben, sie hat unendlich viel Schaden gestiftet, auch in der hiesigen Gegend.
Vor einigen Tagen aß ich in einem Gasthofe (denn meine Mutter ist verreist, und ich lebe wieder wie sonst) mit einer Dame zusammen, die man fragte, ob sie eine Engländerin sei. Sie verneinte dies mit großer Lebhaftigkeit, und fügte hinzu: »Gottlob, ich bin eine Hamburgerin.« Es thut wohl in diesen Zeiten einmal jemand zu hören, der sich seines deutschen Vaterlandes freut. Ich kann von mir behaupten, daß ich diese Liebe immer im Herzen getragen habe. Es fällt meinem Verstande unendlich viel Tadelnswerthes ein, was sich bei uns findet, und dennoch ist mir das Vaterland das liebste, was ich mit keinem andern vertauschen möchte. Es erscheint mir eben in seinem unbeholfenen, zerrissenen Wesen so bedürftig und so würdig des Mitleids, und ich glaube, daß ihm die Besseren durch heiße Anhänglichkeit den Schutz und die Sicherheit geben müssen, welche ihm die Natur und die politische Verfassung nicht giebt. Das ist wohl überhaupt das Wesen jeder Liebe, daß sie ihren Gegenstand ganz und ungestört umfaßt, und seine Mängel und Flecken in ihrer Wärme und Fülle ausgleicht.
Ich sage Ihnen für diesesmal Lebewohl, und bitte Sie, meiner im Guten zu gedenken.
Ihr Freund
Immermann.
Münster, den 25. Dezember 1830.
Daß der wackere Lord Byron, meine Verehrteste, mir Veranlassung giebt, Ihnen zu schreiben, soll ihm noch in seiner Familiengruft zu Nottingham gedankt werden. Nehmen Sie gütigst sein Bild und seine Gedichte als ein Scherflein zum Andenken – an mich! Das ist wohl kühn gesagt! Aber Liebe und Vertrauen wagen etwas. – Seitdem Freundin Engels bei mir ist, theilen wir sehr oft das Verlangen, Ihnen näher, ja ganz und gar mit Ihnen zu sein. Die schönen, unvergeßlichen Tage und Stunden, die einst durch Sie mir hier wurden, ließen sich dann erneuern, und die verbesserte Auflage meines häuslichen Lebens könnte so etwas dazu mitwirken. Unter den vielen Revolutionen unserer Zeit ist die, welche Christiane mit mir, ihrem Häuptlinge, und dem ganzen Gebiete meiner Herrschaft unternommen hat, so weit ich vergleichen kann, noch immer die beste, und würden die andern wohlthun, ihr Muster nach dieser zu nehmen. Die Veränderungen sind nicht nur unblutig, sondern sogar unmerklich, und auch diejenigen, welche dem auf Gewohnheit haltenden Häuptlinge unbequem sind, weiß die Constitutionskünstlerin so fein anzurichten, daß sie am Ende ihm glatt eingehn. Ja, ich muß ihr die Gerechtigkeit widerfahren lassen, – sie bereitet mir ein tägliches Wohlleben; ich nenne sie aus Dankbarkeit mitunter Melitta (die Honigträgerin.)
Ich bitte mich einmal über das andere zu empfehlen dem seltenen Humoristen und trauten Freunde Immermann. – Ungern trenne ich mich von der Rede mit Ihnen. Sie wollen mich weiterhin wieder anknüpfen lassen. Glauben Sie daß mein Geist Sie oft umschwebt, und daß zu meinen liebsten und schönsten Wünschen gehört, daß Sie zugethan bleiben
Ihrem herzlich ergebenen
Möller.
Münster, den 25. April 1831.
– Ich habe nun auch die Frau von Aachen gesprochen, und gehört, daß Sie uns freundlich entgegengesehn, und des schönen Frühlings sich freuen. Ich weiß wie Sie den Himmelsjüngling lieben,
Möchten wir ihm in der Neanderhöhle einen Maitrank opfern können! Christiane präparirte ihn, unser Immermann besänge ihn, Sie, als Priesterin, verrichteten die Libation, und ich (nicht etwa: Ich trinke für Euch Alle!) reichte ihn segnend umher von Mund zu Munde. Welch eine Scene! Ich meine schon dabei zu sein. Zum Schlusse hallten dann die Felsen nach von einer Novelle, deren ich neulich gar schöne in Immermann's »Miscellen« gelesen. Wie reich sind die Gaben unseres Freundes! In unseren Haiden kommt dergleichen nicht vor.
Münster, den 25. Juni 1831.
Wie könnte ich, meine Verehrte, so frühlingsduftige Worte wie die Ihres lieben Grußes, einen Augenblick unerwiedert lassen? Wäre ich doch nur der Frühling selbst, dem Sie immer so hold gewesen, um alles auf's schönste zu vergelten. Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit, ist sie doch lieblicher als alle Gaben des Lenzes. Gewiß hat die blühende Natur auch Ihrem Herzen manches stille Fest bereitet. Möge nur der leidige Medardus Ihnen und allen Kindern der Natur die Freude nicht verderben. Das wäre auch mir sehr genehm, da ich zu großen Thaten hinaus in die Welt will – zum Weltmeer, zum Kampf mit seinen Wogen und Delphinen.
Ihr Staunen über solchen Heroismus wird schnell wie eine Woge sinken, wenn ich sage, daß ich zum Seebade auf der Insel Wangerog (bei Jever im Oldenburgischen Frieslande) mich aufzumachen gedenke. Es ist mir sehr empfohlen. Vier bis fünf Wochen muß ich jedoch noch damit anstehen. Damit wäre denn Zeit genug für die liebe Frau Generalin, sich anzuschließen. Wie würden Sie, eine Tochter des Meeres, mit diesem Elemente mich vertraut machen können, wie mir Muth einflößen, mich auf den Rücken des Oceans, und in dessen Fluthen zu wagen! – Könnte dies nicht wirklich werden, so gönnen Sie mir wenigstens Ihre Erscheinung auf den Wogen oder Dünen, denn wie ich wohl gehört, ist auf Meeren manches Mystische. Bericht soll Ihnen von dem Abentheuer werden; am liebsten mündlich; ich denke nun die lange verschobene Reise nach dem Rhein gleich an die Wassertour zu knüpfen. – Ihnen dann meinen Gegengruß zu sagen, wäre die Krone der Reise.
Viel häusliche Freude ist in diesen letzten Wochen mir geworden durch Besuche von meinem Schwager dem Dichter Krummacher aus Bremen, und dessen Familie; von meinem Sohne zu Lübbecke und meiner Tochter Gessert, die eben jetzt noch bei mir ist, und sich Ihnen mit dem ergebensten Herzen empfiehlt. – Freundin Engels treibt mich, daher ich zum letzten Worte eile – daß Sie mit Ihrem lieben Herzen zugethan bleiben wollen Ihrem innig ergebenen
Möller.
Münster, den 8. November 1831.
Es ist nicht anders, liebe Verehrte, ich muß noch ein Wörtchen Nachruf zu Ihnen herüber lispeln lassen. Wer kann gegen das Getreibe des Herzens. Ich meine Ihnen noch nahe zu sein, trotz den zwischen uns liegenden Strecken,
Möchte ich für so viel Güte Sie mit einer anziehenden Reisebeschreibung erfreuen können. Aber weder die öden Haiden, noch die zahlreiche Passagiergesellschaft, mit der ich in dem großen Kasten eingepfercht war, wollen mir Stoff dazu reichen. Um jene interessant zu machen, müßte mir die Phantasie eines Georg Jacobi, der die in seine Gedichte aufgenommene Winterreise von Halberstadt nach Düsseldorf so lieblich erzählt, und um aus dieser etwas zu machen, der reiche Humor eines uns wohl bekannten Freundes beistehn. – Als ich abfuhr schimmerten noch die Lichter des Himmels, von denen Jesus Sirach sagt: »Sie wachen sich nicht müde!« – Der trübe Morgen verscheuchte sie bald, allmählig wurde der Tag freundlicher, und als er sich neigte, zogen die Sterne wieder herauf, und in schöner Pracht schien der Orion grade in mein Wagenfenster. Immer habe ich diese Himmelskinder geliebt; schon als Knabe konnte ich mich oft nicht satt an ihnen sehn. Seltsam war es mir da zu hören, daß die Grönländer die Sterne für verklärte Grönländer halten, und den Mond für den ersten unter ihnen, weil er einst die mehrsten Seehunde gefangen. Freilich muß der Mensch sich alles vermenschlichen, womit er sympathisiren soll! Ich sah zu ihnen auf, wie zu alten, lieben Freunden, und in einem von ihnen gar freundlichen und milden glaubte ich Ihren Blick zu sehen. Endlich war die Mitternacht gekommen, sie brachte mich an meine Wohnung. Die Augen meiner Freundin hatten sich wacker gehalten; gleich beim Geklingel der Schelle kam sie mir herzlich entgegen, und eine der ersten Fragen waren Sie – ich brachte ihr mit Innigkeit Ihren innigen Gruß. Noch wurde eine Stunde fröhlich verschwatzt, nun aber war es mit meinem langen Heldenlaufe aus, und ich schlich ermüdet zum Schlafe. Heute bin ich wieder frisch auf, und ich habe mich bereits an vorgefundenen Briefen von meinen Kindern und Freunden, von Krummacher, von Professor Augusti in Bonn u. a. m. ergötzt. – Der Letztere, mein herzlicher Freund, thut mir unter anderem den Vorschlag, daß wer von uns beiden den andern überlebt, ihm ein kleines schriftliches Denkmal stifte. »Sie haben dies,« schreibt er, »bei Berg und Nonne mit so viel Liebe und Einsicht gethan, daß ich mir's als etwas recht Erwünschtes denke, eben von Ihnen einen solchen Dienst zu erhalten. Sollte ich aber Sie überleben, so würde ich, obwohl mit schwerem Herzen, Ihnen ein gleiches thun. Lachen Sie nicht über den seltsamen Einfall! Wir sind in Hinsicht der Denkart und des Gefühls nahe genug verwandt, um auch in dieser Hinsicht für einander zu passen, und daß es dem Zurückbleibenden darum nicht übel anstehn würde, zu sagen: »es ist mir leid um Dich, mein Bruder Jonathan!« – Wie sehr hat mich das alles gerührt, und mir meinen Augusti wo möglich noch lieber gemacht!
Jetzt kommt für mich die liebe Arbeit herbei, die mich eine Zeitlang nur zu sehr festhalten wird. Aber für schöne Erinnerungen soll sie mir doch Raum lassen. – Wenn Sie mitunter ein geisterhaftes Säuseln um sich vernehmen, so erkennen Sie darin die Nähe eines Freundes, der zu seinen liebsten Gedanken auch den an Sie zählt! Wie ist es mir so lieb, daß ich nun auch Ihre nächsten Umgebungen weiß. An Immermann meinen besten Gruß. Seinen jüngsten Gedichten habe ich manche schöne Stunde zu verdanken. Ich habe es ihm aber nicht gesagt, weil ich mir zu wenig bin, solchen Dichter zu preisen. – Vorgestern, in eben der Stunde, wo ich dieses schreibe, sagte ich Ihnen ein Lebewohl. Möchte es nicht zu lange dauern, daß ein Willkommen darauf folge! Ganz und von Herzen der Ihrige
Möller.
Münster, den 31. Mai 1832.
Ich kann es nicht bei den mündlichen Herzensgrüßen bewenden lassen, die ich so eben der Freundin Engels auf den Weg gebe, für Sie – verehrte und geliebte Freundin! Ein lebendigeres, aber doch leider in todte Buchstaben gebanntes Zeichen meiner zu Ihnen sich neigenden Seele möchte ich vor Ihnen erscheinen lassen. Noch klingt in meinem Innersten der Silberton Ihres letzten Grußes. Wie sehr danke ich dafür! Möchte ich zugleich mit der Engels in Ihre ländliche Wohnung eintreten können, und so den Frühling doppelt sehen! Aber ich werde nach Bonn, und wie, wenn ich dann mit Ihnen eine Rheinfahrt machen könnte! Sie sind ja eine Vertraute des Wasserelements wie Amphitrite! Der dritte Mann, ein wackrer Tritone, fände sich dann wohl auch. Ich bitte um die Gefälligkeit, ihn zu grüßen; sein Kranz auf Goethe's Sarg hat mich gerührt. Haben Sie, meine Theure, etwa auch schon Falk's Denkschrift auf Goethe gelesen? Ich fand viel Interessantes von dem interessanten Falk. Ich will hoffen, Sie haben sie noch nicht gelesen und darum mir erlauben, sie Ihnen zu senden mit der Bitte, sie in Ihren lieben Händen zu behalten. So etwas kann mir nicht anders als ein süßer Gedanke sein.
Münster, den 4. Septbr. 1832.
– Sie glauben wohl nicht ganz, wie sehr ich Sie liebe, wie der holde Gedanke an Sie mir wie ein frischer Thautropfen ist, in welchem die schönsten Farben des Morgenhimmels sich spiegeln. O bleiben Sie dem alten Freunde treu und ertheilen ihm dadurch eine verjüngende Kraft!
Unser gemeinschaftlicher, lieber Freund Kohlrausch ist im Begriff zu uns zu kommen. Möge er eilen, daß ich ihn nicht noch verfehle. Er hat mir, seit er Münster verlassen, keine Zeile geschrieben, auch selbst da nicht, als ich ihm vor einem Vierteljahr ein Gedicht auf seine silberne Hochzeit drucken ließ und dieses mit einem theilnahmsvollen Briefe an ihn nach Hannover schickte. – Ich bin nicht irre geworden; er liebt dennoch, weil er muß! – Leben Sie wohl, liebe Holde! Gruß an Immermann, aus dessen »Alexis« ich bereits einiges auswendig weiß. Mit vollem Herzen
der Ihrige
Möller.
Münster, den 30. Dezember 1832.
Wie habe ich doch einen so langen Zeitraum hinschwinden lassen können, theure Gräfin, ohne Ihnen zu danken! Ach! Im Getreibe meines Lebens wollen so oft die liebsten Vorsätze nicht zur Wirklichkeit kommen! – Dennoch habe ich mehr als Sie denken mögen mit Ihnen gelebt. Meine täglichen einsamen Ausflüge in's Freie sind meistens solchem idealischen Leben gewidmet. Wollen die Haiden nichts geben, so müssen mir die Wolken eine Schweiz bilden; da besteig' ich dann mit Ihnen den Rigi, oder wandle mir Ihnen im Haslithal, oder wir schiffen auf dem Lac. Oder ich wiederhole mir den Gang nach Derendorf, wo mir eine Gestalt erschien, die mich wundersam hinzog – bald mich ahnden ließ, daß Sie in derselben verborgen seien – bis ein kühner Blick unter Ihren Hut mir die süße Gewißheit gab. – Schöner, unvergeßlicher Augenblick, kehrtest du mir hier wieder! – Vergeblicher Wunsch! – Bei Ihnen werden die friedlichen, die schönen Künste gefeiert. Mit Freude vornehme ich, daß sich um Herrn Immermann ein auserlesener Kreis bildet, ihn vorlesen zu hören. Die Iphigenie hat hoch gefallen. Möchte ich dabei sein können! Es würde ein Fest für mich sein, das Opern, Conzerte etc. weit hinter sich ließe. So habe ich nirgends sonst lesen gehört. Düsseldorf wird sich zur Kunststadt erheben. –
Ich fasse Ihre Hand! – Liebe, liebe Freundin!
Ihr ergebener
Möller.
Münster, 3. November 1833.
Theure Frau Gräfin!
Ihre unerwartete Zuschrift hat mich eben so hoch entzückt, als tief niedergeschlagen. Die letztere Empfindung – ich schreibe dieses, nachdem ich eben erst die Züge Ihrer lieben, lieben Hand empfangen, – ist noch die vorherrschende. Nein! ich kann es mir nicht vergeben, daß ich so unbesonnen rasch, ja, so dumm und toll verfahren.[2] Ein feindseliger, neidischer Dämon muß es gewesen sein, der mir immer zuraunte, daß Sie nicht kämen, sicher nicht kämen, nicht kommen könnten – und mich so zum wüsten Köln entführte. Das in Elberfeld vorgefundene Briefchen Ihrer Güte wollte mich nun auch gewissermaßen hierüber trösten. Nun aber sehe ich alles anders. Sie sind also doch in Godesberg gewesen! Ach, mehr als jemals würde es sich mir verklärt haben, hätte ich es mit Ihnen wieder betreten, mit Ihnen es genossen, wie würde mir der Mißmuth über das Verfehlen meines eigentlichen Reiseziels versüßt, ja, sofort ganz und gar vergessen worden sein! O, wie beschämend ist der Takt und die Standhaftigkeit eines weiblichen Herzens gegen die Verkehrtheit und Unbeholfenheit der meisten Männer, die nach meiner und fremder Erfahrung dem leidigen Schicksal unterliegen, in entscheidenden Augenblicken des Handelns linkisch zu verfahren. Ich bin arg dafür gestraft, so sehr, daß ich lange daran genug habe.
Und nun, großmüthige Freundin, schreiben Sie mir noch dazu! Könnte ich doch in diesem Augenblicke Ihnen die liebe, liebe Hand küssen, in's liebe Auge blicken! Die Ungeduld – o, wie ergreift sie mich, holde, süße Freundin!
Daß die Paalzow meiner noch gedacht, hat mich überrascht. Es waren schöne Tage in Godesberg, wo ich sie sah, und auch an Mondabenden ihr geistreiches Spiel und Gespräch genoß, das noch unvergessen bei mir ist. Die Kohlrausch war auch da. Ich mußte mich mit Gewalt von Godesberg wegreißen. Gern sagte ich der Paalzow meinen schönsten Gruß, wenn ich sie zu finden wüßte.
Sehr danke ich für die Worte über Immermann. Möchte er bald und frisch und wohl wiederkommen. Zu seiner Zeit wird über seine Reise Näheres kund werden, was von ihm mitgetheilt, jeder gern vernehmen wird.
Oft habe ich Sie im Geiste zum Rhein blicken sehen, auf seine empörten Wogen, seinen brausenden Sturm, eine Ariadne, – doch ohne deren Klagen! Wie lange wird es währen, ehe der Himmel die Erde wieder küßt, und sie damit zu seiner blühenden Braut erhebt! –
Ihr innigst ergebener
Möller.
[2]: Elisa und Möller hatten verabredet, in Godesberg zusammenzutreffen, letzterer war aber gleich weiter gereist, weil er dachte, bei dem schlechten Wetter würde die Freundin nicht gekommen sein.
(Ohne Datum.)
Sie bestreuen mir, geliebteste Gräfin, meine letzten Tage bis zur letzten Minute mit Rosen und Vergißmeinnicht. Möchte ich doch von Mund zu Mund und Auge in Auge Ihnen danken können! Ihr eben erhaltenes, liebes Briefchen, sammt dem gestrigen rosigen, nehme ich mit als holde Unterpfänder Ihres so lieben herzigen Wesens. Daß ich heute noch einmal Sie sähe – habe ich schon mit Sehnsucht gedacht in den schlaflosen Stunden der letzten Nacht. Aber ich bin mit dem heillosesten Husten beschwert, der mich schon in der letzten Stunde bei Ihnen matt gemacht hatte. Aufschieben darf ich die Reise dennoch nicht, da sie mit meinem zeitigen Erscheinen auf der Synode in Unna zusammenhängt, und da die Luft nicht kalt ist, fürchte ich nichts. Ich bin nach drei Stunden schon bei meinen Kindern in Elberfeld und kann mich dort pflegen bis morgen Abend. Wollte ich aber auch hier bleiben bis morgen, so gewönne ich nichts hinsichtlich Ihrer, geliebte Freundin, denn ich könnte Ihnen gar nichts sein! – Die armen Erdenkinder! Wie müssen sie verleugnen lernen! – Doch ich habe ja viel Schönes genossen und erfahren. Dank, süßen, schönen Dank Ihnen dafür! – Ich grüße Immermann!
O, leben Sie wohl und erfreuen auch dadurch
Ihren
Möller.
Münster, den 17. Februar 1835.
Kaum weiß ich ein Jahr wie das vorige erlebt zu haben, wo ich so viele mir werthe und befreundete Menschen durch den Tod verloren. Mit welcher Wehmuth erfüllt es mich auch eben jetzt wieder, daß hierzu auch der Name von Lützow zu zählen ist. Ein beweinenswerthes Geschick, das mich so innig auch und anhaltend an Sie, die edle, gefühlvolle Freundin, denken ließ. Auch hier ist Klage erschollen, und es zeigt sich überall Theilnahme. Edelmüthig hat sich hier auch Berlin und der Hof gezeigt; und dies auch neulich noch bei dem Erinnerungsfeste an den Königlichen Aufruf im Februar 1813 von Breslau aus, den ich damals aus erster Hand in Breslau selbst mitvernahm. Die Freiwilligen in Berlin haben bei jenem Feste in herrlicher Weise unseres Lützow gedacht! Gewiß haben Sie die Zeitungsberichte hierüber gelesen. – Wie oft habe ich in der nächstverflossenen Zeit mir die Worte Klopstock's gesagt:
Der Frühling kommt und giebt der Welt und dem Leben wieder neuen Reiz. Ich freue mich der Hoffnung, Sie grade dann zu sehn – liebe, holde Freundin! Mein Herz schlägt Ihnen entgegen! Leben Sie wohl! Ich grüße Immermann.
Der Ihrige
Möller.
Münster, den 9. Oktober 1835.
Ich komme zur Vielgeliebten mit dem Wunsche, daß die Biographie eines Lieblings der deutschen Frauen, Jean Paul's, eine gütige Aufnahme finde. Wie erinnere ich mich in diesem Augenblicke so lebhaft der schönen Stunden, in welchen sein »Komet« in einem Kreise, der Sie so gern umschlang, gelesen wurde! Höchst wahrscheinlich kennen Sie schon beiliegendes Werk, (ich sah es jüngst im Buchladen und sogleich stieg mir Ihr liebes Bild vor meiner Seele auf,) und haben es wohl schon genossen. Aber wenn Sie dann auch nur beim Anblick desselben meiner gedenken, so habe ich sehr viel erreicht. Denn in Ihrem Herzen zu leben – welch eine süße Vorstellung! – Wie willkommen sind mir Ihre jüngsten Grüße gewesen, als holde Laute aus der Ferne, und liebe Zeugen Ihres Andenkens! – Wie lange schon harre ich der Stunde, Sie endlich einmal wiederzusehen! Wie ungeduldig wird oft mein Sehnen! – Gegen Ende der künftigen Woche habe ich eine Reise in die Grafschaft Mark zu machen, zu einem großen Predigerconvent, der leicht zehn Tage währen kann. Da trage ich mich nun mit dem heimlichen, tiefen Wunsche, von dort aus einen Ausflug nach dem Rhein, und so auch nach Ihnen zu machen! O, daß der Himmel mich so lieb hätte, mir ihn zu erfüllen! – Ohne dies in den langen öden Winter hinabzusteigen, würde mir schwer fallen; im entgegengesetzten Falle aber mancher trübe Nebeltag mir heller werden. Warum müssen doch unsre liebsten Wünsche so schwer ihre Erfüllung finden? Warum müssen sie wie Rosen unter Dornen sein? Warum die in der Ferne, mit denen man sich immer gern möglichst nahe sähe? – Wenn ich Ihnen doch die schönsten Stellen in Jean Paul's Leben, in Ihr Auge blickend, Ihre liebe Hand fassend, vorlesen könnte; ganz allein, daß nichts von außen uns störte; oder mehr noch, das dort so anziehend beschriebene Fichtelgebirge durchwandern könnte mit Ihnen! –
Ich habe eine kleine Pause gemacht und mich losgerissen von solchen aufregenden Bildern. Ich muß Ihnen nur eben noch sagen, daß meine liebe Tochter bei mir ist, frisch und roth, und mich bittet sie in Ihr theures Andenken zu bringen. Sie erwähnte eben noch Ihres einstigen Besuches in Lienen mit großem Danke. Gessert kommt auch; er ist sehr wohl, und ist eben von Berlin mit seinem älteren Töchterchen wieder eingetroffen. Manches andere, Sie vielleicht Interessirende, würde ich mündlich besser mittheilen können, und will ich dies inbrünstig zu hoffen fortfahren. Auch die Engels grüßt mit Ergebenheit.
Leben Sie, Holdeste, wohl! Mit Herz und Seele der Ihrige
Möller.
Münster, den 3. Juni 1836.
Heute Mittag, geliebte Freundin, erhalte ich Ihre lieben und abermals lieben Zeilen! Hätten Sie gesehen, wie die Freude aus meinen Augen strahlte! Ich habe recht gefühlt, wie lieb ich Sie habe. Ich mußte bald heraus, Geschäfte abzuthun, Besuche zu machen etc., aber immer dacht' ich an Sie. Nun komme ich gegen Abend nach Hause, müde vom Pflaster, naß vom Regen, schmollend, daß ich bei Ihnen nicht schauen konnte – und eile zum Papiere, das mein Verlangen nach Ihnen, meinen Dank, meine süßesten Wünsche für Sie herüberbringen soll. Nimmer hätte mich das Musikfest hier lassen können, wenn nicht grade an diesem Tage meine Kinder- und Enkelschaar zum Besuch bei mir angekommen wäre. Ich konnte es nicht über das Herz bringen, sie, die nur einmal im Jahr zu mir kommen, sogleich zu verlassen; sie hatten nicht daran gedacht, daß ich an jenem Feste vielleicht theilnehmen würde. – Uebrigens war bei meinem Entschluß, mit Professor Haindorf nach Düsseldorf zu reisen, weniger die Musik, als – Sie, mein Gedanke. Eine solche gigantische Musik erträgt kaum mein Nervensystem; sie würde mich in Entzückungen versetzt und außer mir gebracht haben. Nur eine Weile würde ich haben zulauschen dürfen, um dort einige Vorstellung von einem solchen Ocean von Tönen und Stimmen, von einer solchen Musik der Sphären zu erhalten, alle übrige Zeit hätte ich fern vom Getümmel, an Ihrer Seite zugebracht und damit erfahren, daß es noch etwas giebt, was eine innigere Befriedigung gewährt, als selbst die himmlische Kunst der Polyhymnia. Hier ist viel Rühmens und Preisens von der genossenen Herrlichkeit, und Haindorf bedauert jetzt innig, Ihnen nicht aufgewartet zu haben.
Immermann's, den ich gar sehr grüße, schöne Wirksamkeit, ist anerkannt genug, aber zu zahlreich sind noch die groben deutschen Tolpatschen, mit ihren langen Ohren, die Luther schon gezüchtigt, vor denen die Musen reißaus nehmen müssen. Ein unschlachtiges Geschlecht! – Ich blicke im Geiste Sie an, und bin wieder mit der ganzen Welt versöhnt. Wie lange schriebe ich noch gern! – O, leben Sie wohl! – Mit Herz und Seele der Ihrige
Möller.
Münster, den 13. August 1836.
Es macht mir, vielgeliebte Freundin, eine eigne Freude, Ihnen etwas, das Sie für Ihren Garten gewünscht haben, gleich zusenden zu können. Noch stehen Sie als Gärtnerin vor mir, – den Rechen in der Hand emsiglich arbeitend, indem ich Sie überraschend umschlinge, und in den blauen Himmel Ihrer Augen schaue! – Könnte ich Ihnen nun auch pflanzen helfen und so lange bei Ihnen bleiben, daß ich die röthliche Frucht Ihnen reichte! –
Ich bin nun so weit wieder von Ihnen! – Wie habe ich mich bei Ihnen und mit Ihnen gefreut. Wie sehne ich mich wieder zu Ihnen! Es waren doch liebliche Stunden. Wie danke ich Ihnen für jeden Augenblick, obwohl keine volle Befriedigung! – Es ist mir wie ein Traum flüchtiger Gefühle. Ein so kurzes Zeiträumchen sollte man Sie nicht besuchen. Ich hatte mir eingebildet, ein paar Tage in Rolandseck mit Ihnen zu verleben, ein Wunsch, den ich gleich beim ersten Wiedersehen gegen Sie aussprach. – Erstes Wiedersehen! – Wie gern wiederholt es mir die Phantasie!
Die Engels hat mir mit hellen Farben den schönen Abend bei Ihnen vorgemalt, mit dem Zusatze, daß auch meiner gedacht sei von Ihnen! Sie weiß nicht ganz, wieviel sie mir damit gesagt hat.
Indem ich Immermann grüße und danke, sage ich Ihnen das schönste Lebewohl! O daß eine gütige Schickung mich bald wieder zu Ihnen führe! Fröhlich in Hoffnung küßt Ihre lieben Hände der Ihnen so ergebene
Möller.
Münster, den 25. Mai 1837.
Endlich, theuerste Frau Gräfin, komme ich zu dem frohen Augenblick, Ihnen schreiben zu können. Wie sehr habe ich längst darnach verlangt! Wie vielmehr nach Ihnen selbst! – Ein schönes Wohlgefühl durchdringt mich bei dem Gedanken, daß auf diesen Zeilen Ihre lieben Blicke weilen werden!
Es ist der erste schöne Frühlingsmorgen, den ich erheitert in meinem Garten zugebracht habe und der mir durch die Vorstellung noch schöner geworden, daß ich sofort Ihnen schreiben wollte. Ich habe lebhaft gedacht, daß Sie auch dieses Morgens sich freuten; aber auch wie viel Sie entbehrt bei dem ewigen Zögern des Frühlings. Man hat hier kaum einzuheizen aufgehört. Der Nord hat Blüthen und Nachtigallen fast bis auf heute hier verscheucht. Doch ein Aergeres noch ist uns hier, und namentlich auch mir, durch die Grippe widerfahren. Diese hat mich wie eine Harpye lange umklammert gehalten, wie jene Riesenschlange einst den Laokoon, und monatelang habe ich mich nicht von ihr loswinden können. Ich habe nie solche entsetzliche Gefühle gekannt. – –
Münster, den 22. Februar 1838.
Daß Sie, theure Frau Gräfin, seit kurzem zweimal durch einen lieben Gruß mir Ihr köstliches Andenken bewiesen, hat mich mehr erfreut, als ich zu sagen vermag. Es hat mich gerührt, da ich nach so langem Schweigen solcher Großmuth mich nicht werth gefühlt. Ja, es hat mich entzückt, eine solche immer gleiche Güte und Treue! O, daß ich bei Ihnen wäre, und mit seelenvollen Worten und Blicken Ihnen, holde Freundin, danken könnte. Ach! wie oft wünsche ich mir Ihre liebliche Nähe, versetze mich in dieselbe, vergesse dann den rauhen Winter und athme Frühlingsluft. Noch habe ich es nicht verschmerzt, daß ich im vorigen Spätsommer Sie nicht sah. – Eine plötzliche Versetzung zu Ihnen wäre mir ein Himmel gewesen.
Das alltägliche Lebensgetreibe hat, je länger je weniger Reiz für mich. Ich lebe zurückgezogen, doch freilich nicht ungesellig, was meinem ganzen Wesen widerstrebt. Aber des wahrhaft Freundschaftlichen wird immer weniger bei dem Egoismus und Materialismus der Zeit. Mögen die Eisenbahnen kein Sinnbild eines werdenden eisernen Säculums sein!
Es ließ sich mit Anfang der herben Zeit das gesellschaftliche Leben gut an; sehr gutes Theater u. s. w. Da erhob sich der Kampf mit dem Erzbischof und päpstlichen Stuhle, worüber sich sogar eine städtische Revolution einstellte, von der die Zeitungen zum Ueberfluß berichtet haben. – Die nächsten leidigen Folgen am hiesigen Orte sind ein Zerfall der geselligen Verhältnisse, Partheisucht und Erbitterung. Alle Zurechtweisungen und Belehrungen durch so viel Königliche- und Ministerialerklärungen und so manche treffliche Brochüre sind vergeblich. Adel und Geistlichkeit und das durch letztere aufgeregte Volk meinen, es sei himmelschreiend, so mit einer Erzbischofsmütze und selbst mit dem Abgott zu Rom zu verfahren. – Ich aber habe mich dessen von Herzen gefreut und habe jetzt unsern ritterlichen König noch einmal so lieb. Oft habe ich an Klopstocks Worte in seiner Ode an Kaiser Joseph gedacht, als dieser seine große Fehde mit dem Papste begann:
Eine herrliche Unterbrechung dieser odiösen Dinge war das Fest der Freiwilligen im Anfang dieses Monats. Der Verein war zum Gastmahl der tapfern Männer, deren hier über hundert anwesend waren, mit Trophäen geschmückt; die Kriegsmusik und Körner's Lieder ließen sich hören und auch die deutschen Frauen und Mädchen freuten sich im höhern Chor des Lebens bis in die nächsten Tage fort. Ich versetzte mich nach Breslau, wo mich, wie so viel Tausende, das Wort des Königs, der in unserer Mitte war »an mein Volk!« entzückte und hinriß. Auch Sie waren dort – wie ich viel später hörte – wie sehr hätte ich Sie da sehen mögen – eine wackere Thusnelda!
Die Engels empfiehlt sich Ihnen mit herzlicher Ergebenheit. Sie ist sehr wohl und mit ihrem glücklichen Handel[3] innig vermählt. Ich liebe eigentlich solche Vermählungen nicht. Sie kommen mir so kalt vor, wie einst die Vermählung des Dogen von Venedig mit – dem Meere! – Wie viel lieber vermählte ich mich, holdeste Freundin, mit Ihrem Herzen! – O, leben Sie wohl und auch immer ein Bischen eingedenk des Ihnen mit Wärme ergebenen
Möller.
Unser Immermann ist, wie ich höre, mit Herrn von Voß und Andern auf dem Jubelfeste zu Köln gewesen. Ohne Zweifel hat er es mit poetischen Kränzen geschmückt. – Möchte doch der schöne Cirkel, dessen Mittelpunkt einst Sie und Ihre Güte hier waren, noch fortexistiren! Das dünkt mir jetzt eine goldene Zeit, – leider auch mit Anrufung aller himmlischen Mächte nicht zurückzuführen! – Aber die schöne Erinnerung thut mir noch heute wohl, und Ihre liebe Hand küsse ich noch jetzt dafür mit Dank und süßer Liebe! – Freundlich lächle Ihnen, nach unsern jetzt so herrlichen Sternennächten, jeder Morgenhimmel und verbreite Frieden und Freude über das Herz der Holden, die ich meine! –
[3]: Christiane Engels hatte einen kleinen Handel zum Besten der Armee errichtet.
Münster, den 16. Juni 1838.
Wie sehr, theuerste Frau Gräfin, Ihr jüngstes holdes Schreiben tief im Herzen mich erfreut hat, wie sehr es mich zu Ihnen hingezogen hat – wie wäre das in Buchstaben darzulegen! Es hat bei mir angeklungen, wie einst der Ton der Memnonssäule beim Sonnenaufgang! Es hat in mir eine Sehnsucht erregt nach Ihnen, die zum Schmerz werden würde, wenn ich nicht mit Zuversicht darauf rechnen könnte, Sie bald zu sehen. – Ich reise morgen nach Bremen und will von da zurück, so daß ich in gerader Richtung zum Rhein komme und zu dem heitern Dörflein, wo eine Liebenswürdige waltet, der ich so oft, mehr als sie glauben kann, im Geiste nahe bin! – Es mögen wohl nahe an drei Wochen vergehen, bis ich zu diesem schönen Ziele komme; wahrscheinlich noch früher. Alsdann hoffe ich den Strom noch weiter heraufzukommen. Fände sich doch dort irgendwo auf ein paar Tage ein gemeinschaftliches, schönes Plätzchen! – Sollten Sie etwa um dieselbe Zeit verreist sein, so möchte ich inständig bitten, mir durch ein paar Zeilen Kunde zu geben, wo Sie athmen, wo Sie wandeln, wo die Fluren Ihnen zu Liebe schöner werden, damit ich womöglich Sie aufsuchen könne.
Für die Festbeschreibung von Immermann danke ich Ihrer Güte mehr als einmal! – Sie ist gar schön, glänzend Styl- und Dichtkunst. In unserem ganzen Reich ist sicherlich nichts Schöneres, ja nichts Gleiches erschienen. Wäre ich König, ich sagte zu Immermann: »Setze Dich zu meiner Rechten!« –
Darf ich glauben, daß Sie mir noch gut sind? Ihr Schreiben trägt die grüne Farbe! Das soll mir Hoffnung geben! – Adieu, adieu!
Der treu ergebene
Möller.
Münster, den 26. August 1838.
Wie sehr, meine Theure, hat mich Ihre gütige Nachricht erfreut, daß endlich einmal Ihre holde Erscheinung mir hier werden soll. Kaum kann ich diese Freude aussprechen.
Könnten Sie sich entschließen, hier eine Weile zu sein und sogleich an meiner Wohnung, Böselagerhof auf der Hollenbeckerstraße abzusteigen und das Logis zu nehmen! Ich bin zwar ganz allein, aber desto romantischer für mich! Meine Hausgenossin ist nach Elberfeld.
Könnte ich doch durch Eine Zeile von Ihnen erfahren, an welchem Tage Sie hier eintreffen. Ich würde dann auf dem Posthofe um acht Uhr sein und in der Passagierstube Sie begrüßen, und zur Erquickung etwas darbieten. Erhalte ich die Zeilen nicht, so wird doch vom 2. September an, jeden Morgen ein Wesen auf dem Posthofe sein, das bei der Ankunft des Düsseldorfer Wagens nach Ihnen fragt. – Wäre ich ein freier Mann, statt ein gebundener zu sein, ich führe mit Ihnen bis – Hamburg – Holstein! – Mein Herz will schon jubeln, es wird aber geschwind in das Schnürleib der eisernen Nothwendigkeit eingeklemmt.
Und wenn denn auch nur ein Blick von Ihnen jetzt mir werden soll, so muß ich doch dringend bitten, hoffen, flehen, beschwören, daß Sie auf der Rückreise meine unvergleichlichen Gärten sehen wollen. Mein Haus ist reich an Zimmern, ganze Familien sind oft bei mir – dabei reich an gutem Willen – an Liebe! Ich meine letztere besonders jetzt ganz eigen zu fühlen. Es ist mir innig wohl zu Muthe.
Ich muß abbrechen, da ich zu Vinckens zum Mittag gebeten bin. Prinz Wilhelm wird zum zweitenmale erwartet.
Tausendmal grüßt Sie mein Herz! Wie viel öfter noch ruft es: Willkommen! – Wie sind Sie jetzt schon in meiner warmen Phantasie so nahe
Ihrem ergebenen
Möller.
Münster, den 9. November 1838.
O, wie sehr, Holdeste, haben mich die jüngsten Zeilen Ihrer lieben Hand erfreut. Ich konnte sie nicht ungeküßt lassen und fühlte mich dann wie vermählt mit Ihrem Wesen. O, daß ich Ihrer süßen Lockung nach Derendorf folgen könnte! Ich bin jetzt durchaus gebunden, aber das Möglichste wird, so der Himmel will, geschehen. Ein feindseliges Geschick hat mich schon mehrmals gehindert zu kommen, als sollte ich nur unter Wünschen leben! – Selbst habe ich bei Ihrer zweiten Durchreise Sie – auch nicht einmal – erblicken sollen! Ich weiß dies nicht zu verschmerzen! – Selige Augenblicke, Sie bei mir gesehen zu haben! Sehr Weniges weiß ich jetzt mir selbst davon zu sagen, – denn ich habe nur Sie, nur Sie, Geliebte, empfunden. Meine Wohnung ist mir viel lieber, seitdem Sie in derselben geathmet. Hätte ich Sie doch auch in den oberen Theil derselben geführt – und dann auch Ihr Schatzkästlein gezeigt, voll weißer, grüner, rother, lieber Blätter! Das Alles ist jetzt vorüber, wie der Schmuck der Bäume und Gärten vor den Stürmen des Herbstes. Nur jene Blätter werden mir bleiben – sie tragen ja liebe Worte Ihres Herzens! –
Ich freue mich herzlich, daß Sie Ihre vaterländischen Gegenden glücklich erreicht und die Ihrigen wohlauf wiedergesehen haben. Liebe Erinnerungen werden Ihnen eine schöne Nachlese von dieser Reise geben. Ich war während jener Zeit im alten Soest auf einer Synode von sechzig Predigern und Kirchenältesten, unter welchen ich dem größeren Theile nach befreundet bin. Im Kreise der Geistlichen befanden sich drei Bischöfe: Roß zu Berlin, Eylert zu Potsdam, Dräseke zu Magdeburg. – Nach vierzehn Tagen fuhr ich nach Arnsberg, eine neue Stadt in modernem Styl gebaut, in einer schönen gebirgigen Gegend. Ich begrüßte dort mehrere gute Freunde, unter anderen den Präsidenten Kesler, Verfasser des Lebens seines seligen Schwiegervaters, Doctor Heim, das so unzählige Leser gefunden. Der Aufenthalt war mir um so lieber, da ich in der Nähe des Stammsitzes meiner Familie väterlicherseits, Warstein, mich befand. Die Jahre meiner Kindheit und ersten Jugend sind in diesen romantischen Umgebungen dahingeflogen; fröhliche Erinnerungen ohne Zahl traten mir dort vor die Seele. Aber jetzt hatte ich mit Ossian zu singen:
Keiner war jetzt dort mir, ich keinem bekannt. – Darum halte ich mich so fest an dem, was jetzt noch mein ist. O Theure, bleiben Sie mir zugethan! –
Der 18. Oktober ist hier in einer großen Gesellschaft von Generalen, von Pfuel,[4] von Wrangel etc. und Offizieren und Beamten und ehemaligen Mitstreitern gefeiert. Auch mich ergriff das patriotische Feuer, und ich habe zur Ehre Preußens mit hinreißender Beredtsamkeit geredet, – ohne vorher daran gedacht zu haben. Aber alle dankten mir. Ich weiß noch nicht, wie mir geschehen! – Es ist ein herrliches Gefühl, einmal über sich selbst erhoben zu werden. Wie
selten ist aber Veranlassung, dazu zu kommen, in unserer trockenen schlechten Welt. Am folgenden Tage wurde ich zum Mahl auf's Schloß gebeten, wo ich unter anderen in der Familie von Pfuel wohl aufgehoben war.
Da muß ich nun schließen! Ach, Abschied, immer Abschied – von der ich nimmer scheiden möchte. Da steht sie vor mir, die liebe, holde Gestalt! – – Ich fasse ihre Hände, ich schmiege mich ihr an. – Adieu, Adieu! –
Möller.
[4]: General Ernst von Pfuel, 1848 Ministerpräsident und Kriegsminister.
Münster, den 6. Mai 1839.
Wie haben Sie, Holde, Gütige, mich durch Ihre goldenen Worte erfreut! – Ich hatte sie nicht geträumt, nicht gehofft! – Ich eile, sofort sie zu erwiedern, sofern dies möglich ist! – Ich erröthe, daß ich mir habe zuvorkommen lassen, denn wie oft habe ich schreiben wollen. Ich meine dann immer, ich müsse eine schönere, gedankenreichere Stunde abwarten! – Jetzt ist mir der nächste Augenblick der beste. – Ich fühle mich Ihnen so nahe, und wie könnte ich das, ohne die süßesten Bewegungen des Herzens. – Sie gedenken des Musikfestes. Wie oft habe ich schon desselben gedacht. Es ist mein ernster Wille, es zu benutzen Sie wiederzusehen, denn die Musik wäre mir doch nur, so sehr ich sie liebe, Nebensache. Ich komme aber eher los, wenn ich zum Musikfest reise, wohin alle Welt reist. Was ich beabsichtige, weiß niemand. – Es wird mir nicht leicht gemacht, dahin zu kommen, da alsdann grade geschäftsvolle Tage hier sind. Möge ich wie ein tapfrer Ritter um seine Dame mich durchschlagen! Es treibt mich sehr, vorzudringen. Welche Freude wäre mir ein solches Wiedersehen! Ich muß mich üben zu einer ruhigen Fassung. Auch bin ich hierin schon weitergekommen, so daß ich mit Ossian singen kann:
Daß Sie, vortreffliche Freundin, in dem gräulichen Winter an Unwohlsein gelitten, betrübt mich sehr. Sie müssen immer wohl sein! Ich kann und mag Sie nicht anders denken, als heiteren Blicks, aus blauem Auge. – Kehrten Sie doch noch einmal so in meine Wohnung ein; und dies auf lange und immer längere Zeit! – Im Gärtchen säßen wir dann Morgens unter der Kastanie und Abends in der Weinlaube. – Lange könnte ich noch fortfahren in dieser Weise zu denken und immer weiter und schöner zu träumen. Und warum nicht? Gehört's nicht auch in's Leben? – Hätte ich nur eine Seele neben mir, die also sich gehen zu lassen liebte!
Uebrigens haben wir den Winter hindurch doch manche Erfreuung von außen gehabt; ein sehr gutes Theater und treffliche Conzerte und mancherlei gesellige Kreise. In die Familie von Vincke komme ich oft, und jetzt ist im Schlosse auch noch eine andere, die von Pfuel; er ist ein gar wackerer Mann, und sie eine angenehme, gesellige Dame, so wie ihre Tochter. Beide waren noch gestern Abend bei uns.
Wenn Sie mir Immermann's neueste Schriften nennen, wird mir ängstlich zu Muthe. So auch bei den Namen Freiligrath, Uechtritz, und so manchen andern schönen Geistern, die unter uns auftreten. Wer möchte sich nicht an ihren Gaben erfreuen, laben, erquicken, jubeln! Aber im Strome der Zeit, der täglichen Berufsarbeiten, so vieler anderer nöthiger Studien kommt man zurück, was man dagegen auch thue. Dabei fast lauter Menschen um sich her, die nichts dergleichen denken und suchen, in unserem sterilen und hölzernen Zeitalter.
Den 16. Mai.
Ich bin abgehalten worden, das vorstehende Schreiben zu vollenden. Sie glauben nicht, meine Theuerste, welch ein Leben voll Arbeit und unvermeidlichem Getreibe ich führe. Die Hoffnung zum dortigen Musikfest habe ich noch immer unterhalten, muß sie aber jetzt erwürgen. Welche Schaaren werden dort sein! – Ich aber bleibe wie ein Gescheiterter an der Küste. Was mich tröstet ist einestheils, daß das Getümmel dort so groß sein wird, daß kaum ein musikalischer Genuß möglich ist, und auch Sie in demselben mit begriffen sein werden, daß mir Ihre Nähe wenig erquicklich und genußreich sein würde; das Aergste, was mir begegnen könnte. Daher habe ich jetzt den Entschluß gefaßt, einer mir gewordenen Einladung nach Koblenz zu folgen, und auf diesem Zuge auch Düsseldorf oder vielmehr – Sie zu sehen. O, des süßen Gedankens, der so unzähligemal in meinem Innersten aufgewallt, endlich gestillt werden wird! Das menschliche Leben erstirbt unter Wünschen. Ich erfahre dies in einer ausgezeichneten Weise. Wenn alles geht, wie es soll, bin ich etwa in der zweiten Woche des Junius in Düsseldorf. – Auch jetzt vermag ich beim Gedränge der Geschäfte leider nichts mehr. Von hier sind auch Viele dort. Hätte ich mich diesen anschließen können, – ich hätte die Musica fahren lassen können, um bei und mit Ihnen zu sein. »Selig allein ist die Seele, die liebt.« – Tausend Lebewohl und Herzensgrüße!
Münster, den 4. August 1839.
So eben, holde Freundin, wird mir durch die Engels die Nachricht, daß Sie in eine weite Ferne reisen, und wohl auch künftighin in andern Regionen weilen werden. – Das hat mir eine Thräne in's Auge gerufen. – Ich schmiege mich Ihnen an, als ob ich Sie halten könnte und drücke Ihnen tausendmal küssend die lieben Hände. – Ach, wann sähe, wann fände ich Sie wohl wieder! – Wie könnte ich je aufhören, nach Ihnen zu verlangen, mit meinem Herzen je ferne von Ihnen sein! – Wundersam, wie so unablässig Ihr Wesen mich anzieht. Irgend einmal werde ich doch erfahren, in welchen glücklichen Gefilden Sie weilen; wo Sie durch Ihr Walten, durch Blick und Wort, Güte und Liebe, Anmuth und Liebreiz Herzen erfreuen! – O, wie danke ich Ihnen, daß dies alles so vielfach durch Sie mir geworden. – Möge der Himmel Ihnen durch lauter Liebes, Gutes und Schönes dies alles vergelten! – O, wenn Sie in einer lieblichen Natur, Ihrem Bilde ähnlich – in der Abendröthe, in einer Sternennacht, auch meiner noch einmal gedächten, und in dem sanften Schauer, der Ihre Seele durchdränge, die Herzensnähe eines Freundes ahnten, der so sehr Sie liebt! – Gott befohlen! Holde Freundin! Süßes Leben!
Der Ihrige
Möller.
Münster, den 21. Mai 1840.
Ein wunderschöner Moment des Lebens, Theuerste, ist mir geworden durch Ihr überraschendes, so eben bei mir eingetroffenes, herrliches Schreiben! Ich fühle mich davon wie von einem Nectar berauscht. Sie immer noch in den Gärten der Hesperiden mir denkend, wo ich mich so oft Ihnen nahe geträumt, wird mir auf einmal der Anblick der Züge Ihrer holden Hand, – zweifelnd, ob ich meinen Augen trauen dürfe, bis die Lösung des Siegels Gewißheit gab. Ich muß es Ihnen offenbaren, daß ich bei der Eröffnung Ihrer Zeilen in den ersten Augenblicken mehr geküßt, als – gelesen! Hocherfreut über die treue Freundin, die kaum von den Apeninnen und Alpen zurückgekehrt, sofort auch schon des alten Freundes nicht nur gedenkt, sondern auch alle genossenen Wonnen mit ihm theilt! O, wie dankbar wallt das Herz! Eine so schöne Bewegung hat es lange nicht erfahren!
Sie lächeln des Schwärmers im Alter? – Aber was sind Jahre für's Herz! Es hat nichts mit der Zeit zu thun! – O wie oft habe ich auf Spaziergängen die Wolken über mir gefragt, wo Sie weilen möchten! – Wie oft in nächtlicher Stunde den Sternen zugeflüstert: Sagt mir, wo sie ruht, und zwei andere bläulichte Sterne jetzt zum Schlummer sich geschlossen? – Keine Antwort! – Plötzlich vernehme ich wie ein Echo Ihres Herzens, köstliche Botschaft! – fröhliche Nachricht! – herzgewinnende, liebeathmende Worte! Herrliche Mittheilungen über die Reise, – Lombardei, Genua, Venetia, Padua, Firenze etc. oder über das Beste und Schönste – über Sie selbst! Nun erst gefällt mir Italien vollständig! Habe mehr als zuviel darüber gelesen, daß ich's auswendig kann, – aber erst jetzt hat das große schöne Bild für mich Reiz, Leben, warmen Athem erhalten! Wie jede Stätte uns dann erst recht lieb wird, wo ein uns hochverehrtes und liebes Wesen geruht, gewandelt, gewebt hat, so mir von nun an Italia! – aber auch jedes andere noch so klein und gering scheinende Plätzchen. Noch heute bin ich vorzugsweise gern an der Stelle meines Kanape's, wo Sie vor einiger Zeit – ach, nur für Augenblicke! – meine Wohnung beglückten.
Tausend Fragen und Bemerkungen zu Ihrer Mittheilung kommen mir entgegen – aber mein ganzes Wesen drängt sich zu Ihnen selbst. – Ueber jenes erlauben Sir mir weiterhin mich zu äußern. Ich komme nach einiger Zeit nach Elberfeld und so auch nach Düsseldorf. Dort werde ich Immermann von Ihnen erzählen und auch was Sie ihm gesagt wünschen, in zarter Weise mittheilen.
Mit mir ist einiges vorgefallen, was mich sehr angegriffen hat. – Indem man dem Prediger Daub die mir angehörige Pfarrstelle an unserer hiesigen evangelischen Kirche angewiesen, bin ich nach ganz unrichtiger Angabe beim geistlichen Ministerii (mit Beibehaltung meines Consistorialpostens) als Pfarrer emeritirt worden. Ich habe gleich protestirt. – Schon wollte ich deshalb nach Berlin reisen. Wie hocherfreulich wäre es dann, Sie dort zu sehn und ganz in Ihrer Nähe zu leben! – Ja, so sehr, daß mir dieser herrliche Umstand jenen Vorsatz sehr verstärken und beleben könnte! Auf einmal durchströmt mich schon Leben und Wonne! – O, daß Sie so weit entfernt sind! – Es ist in Münster jetzt viel schöner als früher, und eine auch für mich neue Menschenwelt, mit wenig Ausnahmen. Sie fänden hier gewiß ein freies Leben. – Freundin Engels, die einen großen schönen Handel zum Besten der Armen führt, und hier zahlreiche Verbindungen hat, grüßt tausendmal. – Wie ungern endige ich! Aber die längsten Briefe würden nicht ausreichen zu sagen, wie sehr, wie mit der gefühlvollsten Liebe, Sie, Liebenswürdige, umfaßt, und Ihr ganzes Wesen sich anschmiegt
Ihr treu ergebener
Möller.
In der That, liebe Freundin, es scheint ein guter Vorschlag, daß Sie hierher kommen. Der Adel ist freilich immer auf dem Lande. Unter denen vom Militär sind treffliche Familien, so grade jetzt von Felden, Pfuel's, Grabowsky u. a. m., mit denen wir auch Umgang haben. – Sie können nichts ersinnen, was Ihnen hier unangenehm sein könnte. Und mir ginge ein Morgenstern auf, ein neuer Himmel und eine neue Erde! Wie wollten wir so wonniglich zusammensein! O, bedenken Sie dies Wörtchen und erwägen Sie es in Ihrem feinen und guten Herzen, und fixiren Sie sich nicht ganz und gar an der Potsdamer Chaussee 38, die ich übrigens doch auch gern sähe! Ich fasse Ihre lieben Hände mit Kuß und Gruß!
Münster, den 17. August 1840.
Nachdem ich, holdeste Freundin, für Ihre unvergleichlich lieben Zeilen Ihnen tausendmal im Herzen gedankt, kann ich's nun auch endlich auf diesem Blättchen, das fröhlich unter Grüßen und Küssen zu Ihnen hinüberfliegt. Ich bin nun auch mit Briefen aus Berlin erfreut worden, die mich zur Reise dorthin ermuthigt haben. Leider kann ich sie erst in der zweiten Octoberwoche antreten. – O, weilte ich schon an der Potsdamer Chaussee 38! – Das ist mir, Lieblichste, mehr als alles, was Großes und Schönes mir dort zum Anschaun und Genusse erwiesen werden kann. –
Ich habe lange wie in der Solitüde gelebt, wo ich dann auch Ihrer um so genußreicher gedenken, und unter anderem auch nach Ihrer Italienischen Reiseskizze mit Ihnen lustwandeln konnte; welche süße Freude haben Sie mir hierdurch gemacht, welche liebliche Eindrücke hat Ihre Gestalt bei diesen Wanderungen auf mich gemacht; wie habe ich oft mit Klopstock in seiner Ode an Edone gewünscht:
Des neuen Königs erste Eröffnungen seines schönen Sinnes entzücken die Welt. Arndt's und Jahn's Befreiung von ihren bisherigen Schranken werden mit Jubel begrüßt. Die Befreiung aller sogenannten Demagogen findet ebenfalls überall Anklang.
Ich muß scheiden, wenn auch so ungern! Edle, Liebenswürdige! – Mit den schönsten Wünschen umschwebt Sie täglich
Ihr so sehr ergebener
Möller.
Münster, den 18. September 1840.
Meine theure Freundin!
So viel Regengüsse in diesen Tagen vom Himmel herab, so viel Wünsche und Seufzer zum Himmel hinauf sind aus meiner Brust gestiegen, daß es mir gelingen möge, zu Ihnen zu kommen. Es ist aber der entschiedene Wille der Götter, daß es nicht geschehe. Mein gewaltiges und ungeduldiges Verlangen soll bestraft werden. Dergleichen habe ich so viel im Leben erfahren, daß man wohl zahm werden muß. Ich beklage es dennoch – denn Ihr jüngstes, so liebes seelenvolles Schreiben hatte mein Verlangen auf's höchste gesteigert. Wie kann solche Güte – ich möchte sie neben vielen andern schönen Bezeichnungen auch eine mütterliche nennen – anders als entzücken! Wie könnte ich anders als stolz sein, ein so holdes Wesen mir so geneigt zu wissen! – Wie Thau auf Rosen sind mir Ihre lieben, freundlichen Anerbietungen! – Wie Byron durch die Meerenge, möchte ich durch meine Hindernisse dringen, die mich von der Nummer 38 abhalten. Aber mein Schicksal lacht meines Muthes. Mein einzig möglicher Gefährte, Gessert, ist durch seine Amtsverhältnisse verhindert, jetzt mich zu begleiten. Dazu nun das kalte regnichte Wetter, das den Ofen verlangt und bald ganz winterlich sein wird. – Sie selbst, liebe Freundin, bei Ihrem zarten Wohlwollen, geben mir dies zu bedenken – und ich gehe darauf ein! Doch nur als Aufschub! – Unmöglich ist ganz zu verzichten. Solch Opfer wird mir nicht zugemuthet werden! – Der einmal so tief gefaßte Gedanke wird nicht aufhören und ein rechter Zeitpunkt der Ausführung ergriffen werden. – Finde ich doch auch nach kurzem Aufschub in Ihnen dieselbe wieder! – Dasselbe holde Wesen, geboren um Herzen zu verstehen und durch Vertrauen zu beglücken!
Grade jetzt, liebe, theure Gräfin, wäre ich besonders gern bei Ihnen, da gemeinsame Thränen einen gerechten Schmerz so sehr besänftigen. Als ich Immermanns so unerwartetes Hinscheiden vernahm, gedachte ich in der ersten Erschütterung sogleich auch Ihrer! – In Düsseldorf und der ganzen Gegend ist Trauer gewesen. Mein Schmerz war um so lebhafter, als ich noch so kurz vorher den Freund gesehen. Eine ganze Reihe von Jahren ist er mir ein sehr werther Freund gewesen, an dessen großen Talenten, wie an seiner treuen und immer edelmüthigen Freundschaft ich mich stets so sehr gefreut. Ich kann mich wohl nie gewöhnen an den Gedanken, nicht mehr mit ihm auf Erden zu sein. – Als ich im vorigen Jahre in Düsseldorf über den Markt ging, begegneten wir uns, und als ich auf seine Frage, wohin ich zunächst wolle, antwortete: zur wohlbekannten Gräfin! erwiederte er: – das machen Sie gut! dessen wird sie sich freuen! – Ich sehe noch den bestimmten Blick, die redende, heitre Miene, womit er dies sagte. Wie viel haben so Viele verloren!
Ich habe ein wenig mein Gärtchen durchlaufen – und bin ganz und gar bei Ihnen. Und doch sind Sie so ferne. – Und doch kann ich mit Ihnen reden! – Das ist dann aber immer nur Ein Thema! – Wie viel ist uns mit der Phantasie gegeben! – Und diese soll die ernstere Schwiegermutter – »Weisheit« – (nach Goethe's Erinnerung) mir nimmer rauben! – Von nun an wird jede Zeitung, wo alles voll von Berlin ist, auch Sie mir vergegenwärtigen. – Wie herrlich hat der König in Königsberg gesprochen! – Es ist als ob ein neues Zeitalter begönne! –
Mehr als Sie denken, gedenkt Ihrer mit Grüßen und Küssen
der herzlich ergebene
Möller.
Münster, den 11. Februar 1841.
Endlich, gütigste Frau Gräfin, kann ich für Ihr köstliches Neujahrsgeschenk, Ihre unvergleichliche Zuschrift vom 1. Januar, meinen Dank bezeigen, einen Dank, der nie inniger ausgesprochen ist. Wie hätte ich damit bis hieher zögern können, wenn es mir eher möglich gewesen! – Aber es sind dies die ersten Zeilen meiner Hand seit dem vorigen Weihnachtsfeste, wo die sibirische Witterung, die erstarrende, ewige Kälte meine Natur und namentlich die Brust so angegriffen und mit einem unablässigen Husten, den ich nie gekannt, dergestalt gequält hat, daß mir alle Lust am Leben entfloh. – Jetzt ist alles wieder in guter Ordnung; das schöne Genesungsgefühl durchdringt mich lieblich, und Auge und Herz sind wieder mit neu erwachten süßen Gefühlen auf die edle Freundin gerichtet. Wie oft hat in den schlimmen Tagen und schlaflosen Stunden der Inhalt Ihrer Zeilen mich erquickt – wie oft habe ich an Ihr schönes Herz mich geschmiegt! Und wie schmerzhaft war es mir, Ihnen nichts sagen zu können! – Sie haben mich mit neuer Kraft gestählt; mein Geist schwingt sich über die weite Schneewelt empor; ich kann mich wieder des Lebens und der Freundin freuen! Möchte ich nur aus diesem Schwunge Sie selbst erreichen! – Holdes Wiedersehen – wirst Du mir werden? – O, ich hoffe! – ich glaube. – Bei Ihrem vor mir liegenden Blättchen wird mir zu Muthe, als ob ich in Ihr liebes Auge sähe, was ich immer so gern gethan! – Mit Poesie und Kunst eröffnet mir Ihre schöne Hand die Pforte der neuen Zeit. Möge sie für uns heilbringend sein. – Alle Schritte, Worte, Thaten unseres trefflichen Königs nehme ich zu Herzen. Wie viel Schönes hat er in kurzer Zeit vollbracht. O, hätte ich, trotz dem Regen, ihn selbst gehört! – Es lassen sich Stimmen hören, als halte man den Rosenglanz jener unvergleichlichen Feier schon für erblichen! Ich meine aber, so kann nur hypochondrischer Mißmuth reden. – Daß der König gleich seinen Sitz in Sanssouci genommen, seine erste Verfügung von dort aus ergehen ließ, war mir ein sehr angenehmes und willkommenes Zeichen der neuen Zeit. – Die hiesigen Katholiken – namentlich der Adel – waren nie so preußisch. Doch werden sie sich ohne Zweifel in der Hoffnung betrügen, daß ihnen der Erzbischof wiedergegeben wird! Das kann und will ich nicht denken!
Wie oft gedenke ich Immermann's! O, theurer Name, von so Vielen beweint! – Wie herrlich, daß der König seiner jungen Wittwe nun die volle Summe von 400 Thalern als Pension bewilligt! –
Ach, so ist nun auch schon die kleine Unterhaltung zu Ende. Ich muß schließen, womit ich begonnen habe, mit Ergüssen des Dankes, der Freude und Liebe gegen die edle, die liebenswürdige Freundin – an die ich so gern denke, an deren Bilde ich oft mit ganzer Seele hänge, in die ich mich oft hineinlebe, als wäre ich eins mit ihr. O, daß ich schließen muß, und damit alles sich wieder in die Ferne zieht! – Bis zum Wiedersehen der geliebten Elisa
der ergebenste Freund
Möller.
Münster, den 11. Februar 1842.
Theuerste Frau Gräfin!
Ich bin aus langer Finsterniß an's Licht gekommen, der Erstling meiner neuen Tage sei der innigste Herzensgruß an Sie, meine holdselige Freundin! – Nie kann ein Dank beseelter ausgesprochen sein, als der, den ich hiermit ausdrücke dafür, daß Sie, sich immer gleich, mir hold und zugethan bleiben, Sie sind mir dadurch wie ein Stern aus besseren Welten. Sie denken wohl nicht, wie oft in den nächstvorigen Tagen Sie wie eine holde, unsichtbare Macht aus weiter Ferne mich getröstet und erhoben haben. Ich habe nämlich eine lange Zeit durch den barbarischen Winter gelitten, mit Nervenschwäche und einem grippenartigen Uebel gekämpft. Es kam hinzu, daß auch meine guten Kinder und Enkel von ähnlichen Uebeln heimgesucht wurden. –
Jetzt bin ich an den hellen Tag gekommen und freue mich unaussprechlich, Ihnen wieder frisch und fröhlich schreiben zu können. Die hier eingetretenen frühlingsmäßigen Tage durchströmen mich mit neuer Lebenslust. O, daß ich heute Sie sähe – die Freundin auch der Natur – gewiß röthet die so schön aufgegangene Morgensonne höher Ihre Wange, und die blauäugigte Athene blickt lächelnd zu dem ihr befreundeten Himmel! Gewiß ist es so, denn ich sehe Sie ja! An diese liebliche Vorstellung – (o, wie sie mich anzieht!) knüpft sich eine andere, schon ältere, aber immer wiederkehrende, und immer ungestümer werdende – Sie nicht mehr nur im Geiste – sondern Auge in Auge, Hand in Hand – mit einem Worte – von Angesicht zu Angesicht, leibhaftig zu sehen, und daß ich Sie – Potsdamerstraße 38 begrüße und besuche! Der Mai müßte dazu gewählt, und von mir ein Urlaub auf längere Zeit erbeten werden. Himmel, wenn ich dann ganz frank und frei, gleich den Vögelein über den Wolken mich bewegen, frei athmen, die Welt wie mein fühlen, und das Leben recht eigentlich genießen kann – und das in Ihrer Nähe – des ewigen Zwanges entledigt!
Wie danke ich dem Himmel, daß die Götterkraft der Freuden, der Liebe, mich wieder durchdringt. Wie leicht und schön wird da das Leben! –
Die ganze Reise des Königs ist ein Triumphzug der edelsten Art, nicht nach blutigen Siegen, sondern nach einer unermeßlichen Herzenseroberung. Mehr ist kein Titus geliebt worden. – Ohne Zweifel wird in Elberfeld auch Friedrich Krummacher, meiner Schwester Sohn, zur Cour kommen, und es wird sich nun wohl bald zeigen, ob man ihn nach Berlin will. Er hat mir gar sehr gerühmt, Ihnen seine Aufwartung gemacht zu haben, wie auch der Frau Paalzow.
Eben komme ich von Fräulein von Wrede; sie wurde beredt, als sie Ihr Lob aussprach, und kann nicht genug rühmen von Berlin und des schönen Tages, wo sie mit Ihnen und Wach's zusammengewesen. – Freundin Engels empfiehlt sich sehr. Im Ganzen hält sie sich wohl und thätig in Handel und Wandel.
Herr von Vincke ist dem König entgegengereist, seine Familie sehr wohlauf. So auch die von Pfuel'sche, die uns auch hier sehr werth ist.
Die Berliner Zeitungen lese auch ich sehr fleißig, und grade diese um so lieber, da ich dadurch an Sie zu denken veranlaßt werde. Ist etwas Hübsches vorgefallen, so sehe ich Sie dabei gegenwärtig, z. B. bei den Conzerten des dort so hoch gefeierten Liszt, der übrigens auch bei uns einige große Concerte gegeben.
Wie viel auch historisch Wichtiges haben Sie mir im jüngsten Briefe erzählt. Wie soll ich dabei Ihnen genug danken. Sie verstehen sich vor allem auf die Freuden des Freudemachens.
Buchstaben befriedigen mich so wenig, ich meine immer noch nichts gesagt zu haben. Bei und mit und in Ihnen sein, ist allein das Rechte. Das Sie mir nur hold bleiben mögen! Fräulein von Wrede sagte mir heute, Sie seien eine unvergängliche Schöne! Ich hörte das mit Freude und den besten Wünschen. Hoffentlich führt mich der Mai zum fröhlichen Anschaun! Ihre lieben, holden Hände tausendmal küssend, empfiehlt sich Ihnen mit warmem Herzen der innig ergebene Freund
Möller.
Münster, den 14. April 1843.
Eben, holdselige Freundin, geht die Morgensonne auf und verklärt mein Gärtchen, aber auch, und mehr noch, meinen Sinn, mein Herz und Gemüth. Denn ich habe Muth gefaßt, Ihnen zu schreiben. Emil Krummacher, Prediger in Duisburg, Sohn meiner Schwester in Bremen, Bruder des Fritz Krummacher zu Elberfeld, der im vorigen Jahr Ihnen einen Besuch zu machen so glücklich gewesen, zieht in diesen Tagen nach Berlin, den König einer Kirchensache wegen zu sprechen. Diesem will ich dies Blättchen geben, es Ihnen zu überbringen. – Daß ich so lange habe schweigen können, möchte ich die Götter befragen. Und doch gehören Sie zu einem meiner herrschendsten Gedanken, und wird dies auch nie bei mir aufhören. Sie sind mir auf dem Wege meines Lebens eine so theure, unvergeßliche Erscheinung geworden, daß es keiner Schriftzeichen bedarf; sie reichen nie hin, mein Innerstes auszudrücken; ein holder Genius aus einer schöneren Welt sind und bleiben Sie mir. – O, lassen Sie mir den unentbehrlichen Trost, daß Sie mir zugethan bleiben! Mehr als ich auszudrücken vermag,
Ihr ergebener
Möller.
Münster, den 28. August 1844.
Unmöglich ist es mir, hochgeliebte Freundin, meinen sehr werthen Freund, Consistorialassessor Daub, (Prediger an der hiesigen evangelischen Kirche) nach Berlin zum dortigen Gustav-Adolphverein abreisen zu lassen, ohne ihm ein Wörtchen an Sie mitzugeben, ohne ihn zu bitten, den Muth zu fassen, zu Ihnen zu eilen, daß er meinen Liebes- und Friedensgruß Ihnen bringe, und mir dafür einen Abglanz Ihres holden lieben Wesens zurückgebe. Wie mit erneuerter Liebe werde ich seiner mich freuen, wenn er von Ihnen zu mir gekommen ist. Ich glaube an eine Welt, wo Alles vergolten, an ein Unvergängliches – schon darum, weil meine Liebe, mein Vertrauen, meine Sehnsucht – nach Ihnen, Ihrem Herzen und Wesen schlechthin unveränderlich und unvergänglich ist. Sobald Ihr liebes Bild in mir lebendig wird, ergreift mich ein wundersam schönes Gefühl, dem ich keine Abnahme, kein Ende wünschen möchte. – Sie lächeln wohl eines solchen Bekenntnisses? Wie sollte ich es aber verhehlen! Es ist mir ein gar zu süßes Bedürfniß, es auszusprechen.
Eine völlige Unmöglichkeit wäre es jetzt für mich, mit Herrn Daub mich aufzumachen, bei der Eile, womit gereist werden muß – bei hiesiger äußerster Geschäftigkeit, und bei der Sündfluth des Regens, obwohl ich mir es für Augenblicke romantisch denke, Ihnen zur Seite, auch über den Weltocean in einer Noah'schen Arche zu segeln. –
Meine einzige, herzlichtreue Schwester, Eleonore Krummacher zu Bremen habe ich durch den Tod verloren, was eine Wehmuth über mein ganzes noch übriges Leben bringt. Es ist dadurch auch die ohnehin geschwächte Gesundheit meines Schwagers so stark angegriffen, daß er es schwerlich überwinden wird. Mit diesem Schwager, dem Dichter und Schriftsteller, habe ich das Schönste auf Erden genossen – vollkommene Freundschaft! Diesen Engel des Lebens habe ich in allen seinen Seligkeiten kennen gelernt, so daß ich schon deßhalb sagen darf: Ich habe nicht umsonst gelebt!
Meine alte Freundin Engels hält sich zum Bewundern froh und gesund. Immer dieselbe! gekräftigt und glücklich im Handel für Bedürftige. – Von Pfuel's sind noch nicht aus Ostende zurück; sie sind mir sehr lieb. – Die Milanollo's haben Sie auch gehört? Nichts Schöneres in dieser Art hab' ich vernommen.
Aber wohin habe ich mich verirrt – so zu schwatzen! Doch werden Sie es gütig beurtheilen. Mit Geliebten plaudert sich's so gern! –
Ach, daß ich schließen muß. Es war mir, als ob ich bei Ihnen wäre! Selige Zeit, wo es sich einst wirklich so verhielt! – Lassen Sie mir den Trost, daß Sie noch mein gedenken – mir noch zugethan sind – mich nicht vergessen! Ich habe Sie gar zu lieb! Christiane Engels empfiehlt sich bestens. Ein freundlicher Himmel umschwebe Sie stets! Immer und immer, o, liebe holde Elisa! –
Der herzergebene
Möller.
Berlin, den 29. Oktober 1833.
Es kommt ein Briefchen angeflogen, das will der gütige Freund Immermann Ihnen geben, daß Sie nicht erschrecken und denken, ich bürde Ihnen einen Briefwechsel auf – nichts soll es – nichts will es, als Ihnen sagen: es ist zu schwer, Sie ganz zu lassen, wenn man Sie einmal wieder gesehen hat – und daran knüpft sich die Lust, so ein Blättchen voll zu schreiben mit kleinen Liebkosungen – und daß ich es eben thue, das hat wieder der Freund mit seiner überzeugenden Zusage, Sie gegen jeden Schreck zu bewahren, herbeigeführt. Sie wissen also damit, daß wir ihn wirklich noch hier getroffen, und der Wunsch uns erfüllt ist, ihn zu sehen – dabei war er gut zu uns, wie es unglaublich wär', wüßte ich nicht, daß Sie ihn sicher darum gebeten hatten – aber er war mir nur desto lieber darum, und wir beide sind ihm so recht dreist gleich nachgelaufen, und haben von ihm erwischt, was die Andern über ließen – aber, was ließ das auf Immermann wartende Berlin übrig? Sie können denken, nicht viel – täglich saß er überdieß an den Fleischtöpfen des gräflichen Camachus, so daß mir gleich der Athem stockte, als ich ihm meine kleine zweibeinige Junggesellenwirthschaft anbieten wollte – lange hielte er es nicht aus, trotz der stillen Absonderung bei sich, deren er gewiß in hohem Maaße fähig ist, und der Stempel eines großen Geistes, wie ich immer gefunden.
Wenn man ihm Ruhe und Einsamkeit mitten in Berlin verschaffen könnte – würde ich von nun an nichts wünschen, als er wohnte künftig hier – aber er würde Mode werden, alle Soireen, bei denen Immermann fehlte, würden sich disgustirt halten – müßte man da nicht Trauer um ihn anlegen, oder einen Verhaftsbefehl auswirken, und ihn in ein hübsches, stilles Gefängniß befördern – ich kann mir keine passende Lage für ihn hier denken, und freue mich, wie er wieder hinter der hohen, grünen Hecke in die stillen Raume verschwinden wird, wo die Geister gehorsam und unverscheucht von dem leeren Lärm geschäftigen Müßiggangs ihm dienen.
Wie gefällt er uns so noch bei weitem mehr, als wir sicher hatten – wie ist er über all das andere, still heiter, jugendlich unbefangen und bescheiden wie alle bedeutende Menschen, die sich immer was besseres denken können als sie leisten, gar nicht kraus, gar nicht tragisch oder bitter blickend – wir hatten das alles auch ausgehalten, und ihn doch lieb gehabt, aber nun sich es nicht vorfindig, bin ich so lustig und unbefangen, wenn ich ihn sehe, und wie Kinder sich fragen: wollen wir zusammen spielen? so möchten wir auch was ähnliches.
Ach, könnte ich zuweilen in Ihr Bauernhaus laufen! wie steht es mir vor in all seinen Einzelnheiten – und Sie! wie entzückt mich jeder heitere Blick, den ich Ihnen abgelauscht – diese ruhigen, milden Züge, aus denen der Streit verschwunden, und die Anmuth, mit der Gesundheit zurückgekehrt. Sie müssen glücklich sein, denn so sieht Glück aus!
Dann blicke ich in meinen Räumen umher – und frage, ob es Ihnen just so recht sein würde, und denken Sie nur, ich sage immer: ja! und nicke ordentlich meinem grünen Thurm (wie ich und die Freunde es bei mir nennen) zu, als wär' er unruhig darum. Albern bin ich auch immer noch, das haben Sie längst gemerkt, und besser, ich gestehe es Ihnen ein.
Schön war unsere Rückreise! Einmal an der Ahr saßen wir auf einem Felsen bei dem alten Ahrschloß und dem höchsten Wunder herbstlicher Lichteffecte; wenn mir das einfällt, nun mich Berlin wieder eingefangen hat, so begreife ich nicht, warum wir wiedergekommen sind. Berlin erdrückt mich, dieser Lärm! so viel Leute! so viel Redensarten – ich wünsche oft, es wäre eine große Schlafstube und alle Leute lägen zu Bett und schliefen, vielleicht hätte ich dann Muth zu wachen, aber so kribbelt alles so begierig durcheinander, daß ich die Augen zumachen muß, um nicht zu schwindeln. Besser wird es mit der Zeit, das weiß ich auch – wenn ich erst keine Visitenkarte mehr habe, und des Morgens im Bett mir den Tag eintheile, wie eine fleißige Maid, die noch bei der Mutter ist – dann werde ich jede Stunde heiterer und finde zuletzt alle Menschen liebenswürdig, weil ich sie nicht mehr besuchen muß – einige besuche ich natürlich gern, und diese unterbrechen dann reizend diese glückseligste Ruhe! Ruhe! es ist für mich ein Zauber in dem Worte – mein schwer sich entwickelnder Geist hat sie zu Allem nöthig, ich fühle, ich bin nichts, oder mit dem wenigen, was ich geben kann, ganz verschüchtert, und wie mit festen Deckeln verschlossen, wenn es um mich lärmt und sich beträgt und weiß und thut – und ich alles nicht begreife, und den Anfang nicht verstanden habe, wenn sie schon prätendiren das Ende gemacht zu haben. Denken Sie selbst, wie schlecht ich da zurecht komme, überdieß mit meinem Verlangen die Dinge wirklich zu verstehn.
Wenn da eine liebe Hand kommt, die nicht eine rednerische Stimme bei sich hat und die Deckel springen lassen kann, weil sie nicht darauf hämmert, sondern bloß aufheben hilft, wie ich da glücklich bin. Sie könnten das auch! und da haben Sie meine hundertste Liebeserklärung! – und lassen Sie meinen Bruder noch überdies Ihre schönen Hände küssen und vergessen Sie ihn nicht, wie er Sie verehrt und bewundert – und seien Sie gut und nicht böse über dies styllose Brieffragment – und – Immermann sagt, Sie hätten sich auch zu mir gefreut – und ich glaube es und bin Ihnen gut und getreu bis in den Tod.
Henriette P. geb. Wach.
Berlin, den 17. Dezember 1833.
Mein grüner Thurm war von Dezemberstürmen und Regenströmen wie in ein doppeltes Bollwerk gegen die Außenwelt gehüllt und ich saß vergnüglich mitten drin, und freute mich des schwierigen Hinein- und Hinauskommens. Da kam Ihr Briefchen und mir war, als ob ein Blumenstrauß durch's Fenster geflogen wäre, und wie man nicht aufhört, Blumen zu betrachten, und wie sie bald die Atmosphäre umwandeln, und wie ein Glück ohne Namen uns erhöhn, so war mir und keine liebere Stunde Ihnen zu antworten, als die, die ich Ihnen so schön verdanke!
Als ich es gefunden hatte, daß ich Ihnen antworten müßte, lachte ich ganz lustig hin, und mit allem Guten, was die Stunde mir gebracht, dankte ich dies meiner jungen Freundschaft mit Immermann herzlicher als er denkt.
Denn sicher ist, liebe, theure Freundin, vor Ihren holdseligen Worten wäre ich doch noch mit allen ins Leben springenden Empfindungen blöde stehen geblieben, zweifelnd ob ich antworten dürfe – aber mein junger Freund schenkt mir etwas, und wo seit dem Christenthum hätte man nicht gedankt ob einer Gabe?
Dabei ist es äußerst reizend für mich, daß ich noch nicht weiß, was er mir schenkt; denn mein treuer Diener ringt erst darum mit Sturm und Regen und Postdienern und Packkammern. Ich denke, es ist »Merlin«! – Dies wollte ich längst schon der Welt gern aus den rohen Händen nehmen und wäre ich ein König, wollte ich die Tafelrunde wählen, die es wie ein goldner Reif den Juwel umschließen sollte. Ich erfuhr daran wieder eine Erfüllung! – gleich Ruhe damit! – ein unerschütterliches, reines, drüber Genießen – entweder ein nicht Verstehn, oder ein durch Verstehn dessen, warum die Welt roh mit wird! Wenn es also das ist! was wird es hübsch sein, wenn ich weiß, er selbst dachte es mir zu!
Theure Gräfin! Mein ganzes Briefchen wird – zwar nicht bunt wie ein Blumenstrauß, aber bunt wie heitere Gedanken! – und sie kann ich nicht lassen, wenn ich Sie denke! Nichts Süßeres, als wenn die Welt wieder um eine kleine glückselige Insel größer wird – Felsen und Ströme und Wälder und Schlösser und Hütten, die thun's nicht – sondern die göttliche Staffage der Erde, die Menschen! Weiß ich nur irgendwo dies beste Geschenk des Himmels, ist mir so selig wie dem Astronomen, vor einem sich plötzlich mit einem neuen Sternenbild anfüllenden leeren Himmelsraum! Immer und für immer habe ich Sie bei aller Trennung festgehalten, froh mich begnügend, daß ich wußte Sie waren da! Aber Sie so wiederzufinden, an den langen bescheiden empfundenen Besitz das lebendige Glück eines verstehenden Ineinanderblickens zu reihen, das sind Glanzlichter, zu denen man sagt: das Leben ist doch schön! Leicht sehe ich ein Bild von dem, was mich lebhaft erfaßt hat, und jeder Blick hin giebt mir das Bild – es ist dann das geistige Resultat, was in mir davon gekommen. So sehe ich nicht die Thür zu Ihrem Häuschen, sondern ich sehe einen Eingang zu Ihnen mit goldnen Saiten bespannt! auch Immermann sehe ich nicht dahinter, aber einen Dichter. Drüber sehe ich Sie nicht – aber einen schönen weißen Schwan mit breiten weiten Flügeln – nicht Ihre Zimmer, aber tief grünen, frischen Epheu dicht in einander gerankt, darauf ruht der Schwan, und hört zu! Sehen Sie, so allerliebst kommt es mir jedesmal in die Seele, wenn ich an Sie denke!
Ob ich müde würde, die Thür zu öffnen, an die Sie klopften?
Am liebsten spreche ich mit Wilhelm von Ihnen! Wie glücklich bin ich, daß er so glücklich war, Sie zu sehen! Er küßt Ihre schönen Fingerspitzen! Lassen Sie ihn gut wohnen in Ihren holden Gedanken neben mir!
Von ganzem Herzen
Ihre Henriette, nicht wahr? Wach?
(Ich mache Ihnen Alles nach vor Vergnügen! Dies ist an Immermann!)
»Merlin« war's nicht! sondern was ganz Neues, wo Sie immer mitspielen, was ich noch gar nicht kenne und nun recht vergnügt heute Abend am Kamin ergreifen werde. Wären Sie's nicht just, ein wunderbar alter Freund in ganz neuer Gestalt! – Könnte ich mein Briefchen an unsere Gräfin nur verbrennen, so aber lasse ich es – und fürchte nicht einmal, daß Sie nun »Merlin« nachschicken, da ich kindisch fast meine Lust darauf verrieth. Ich besitze es auch schon – Schadow merkte leicht meinen Wunsch seines Besitzes, er schrieb einen freundlichen Gruß hinein, und ich nahm's mit Freuden! Also war meine Hoffnung »Merlin« käme aus der Hülle, weiter nichts, als Sie sollten es mir damit gönnen – das können Sie nun nachträglich besorgen – wenn's Ihnen so ist, und dann bin ich durch Ihre heutige Gabe im Vortheil! Wie lieb ist es von Ihnen, daß Sie mich anreden, und dann sogar beschenken! Beides danke ich Ihnen herzlich! Was Sie mitbrachten nach dem grünen Thurm – das dachten Sie, fänden Sie vor – Ihr Gefolge saß bloß nieder an unserem Heerd, Sie glauben in Ihrer unergründlichen Bescheidenheit, es seien unsere Hausgötter! – Doch auch so bleibt uns noch ein schöner Antheil, auch daß Sie eintreten wollten, und daß Sie ihre Anwesenheit fühlten, bedenke ich mit Behagen, und lege es mir zum Troste zurecht, wenn viele Gäste kommen und gehen, und der Heerd leer bleibt von dem unsichtbaren Gefolge, das die Götter nur denen geben, die sie lieben! Außer was Sie mir durch Ihr persönliches Kennen an reicherem Antheil geschenkt, haben Sie mir noch so besonders in meinem Bruder wohlgethan – seine jungfräuliche Sprödigkeit fremden Geistern gegenüber, war an Ihnen wie umsonst oder vergessen – dabei sah ich das erstemal nicht zu, wie sie ihn so selten schnell belebt, sondern ich bekam ihn von Ihnen schon als aufgeblühte Blume zurück!
Ich möchte, daß Sie ihn liebten! ja, Sie thun es wahrscheinlich schon, denn ich glaube nicht an eine Liebe ohne die andere! – Mit alledem überlege ich mir immer, ob ich Sie lieber hier möchte, oder dort weiß! Ich habe eine Leidenschaft zur Resignation! – Das spielt mir ebensoviel Streiche, als andern Leuten die Begehrlichkeit – dann träume ich wieder von der stolzen Festigkeit, womit wir das äußere Leben in aller Gestalt zwingen uns den Inhalt zu geben, den wir just nöthig – das wende ich alles auf Sie an! Denn ich will lieber den großen Gewinn hingeben, Sie hier zu wissen, als Ihnen den dürren Boden, auf dem meine dünnen Sohlen oft brennen, unter Ihren cothurnten Fuß wünschen! Aber wenn Sie gut zwingen können, und das traue ich Ihnen zu – schlage ich mir alle Resignation aus dem Sinn!
Auch rechne ich dann zusammen, was wir haben! Koppe, den haben Sie erkannt! und mit dem ganzen Stolz der Freundschaft fühle ich, wie er Ihnen ausreichend sein müßte – an Tiefe und Fülle des Wissens – an gehender und nehmender Kraft der Ideen, an Schönheit des Gemüths und des Herzens! Er machte Ihnen eine Sendung – Grüße von uns contrebandiren schon mit – nun kann ich ihn wieder grüßen von Ihnen und bin dessen froh!
Ob ich Wilhelm noch das Eckchen lasse? ich thue es wegen meiner Leidenschaft zur Resignation! Es gehe Ihnen so gut als Sie verdienen und wir wünschen!
Henriette.
Herzlichen Dank, mein hochverehrter Freund, für die freundlichen Zeilen Ihres Andenkens! Möchten Sie in glücklicher Einsamkeit und Ruhe, welche paradiesisch sein muß, dem unnützen Gehämmere und Geklatsche der Welt zusehen, welches andrerseits Vortreffliches liefert, doch wobei man gern Zuschauer ist, wenn man selbst schafft! Der gnädigen Gräfin mich zu Füßen legend, verbleibe ich in herzlicher Ergebenheit
Wilhelm Wach.
Berlin, den 10. Januar 1834.
Theure, liebe Gräfin! Mit der größten Unruhe erfüllt uns die Nachricht von Immermann's Krankheit, und nachdem wir uns die Nachrichten durch Zufall über ihn als zu ungenügend für unser Gefühl erklärt, wage ich Sie um Vermittlung zu bitten – nicht daß Sie mir selbst schreiben sollten, im Fall er noch bedeutend krank wäre, aber Sie beauftragten einen Andern zu einigen klaren Worten über seinen Zustand!
Sie entschuldigen gewiß diese Bitte mit dem natürlichen, unerläßlichen Interesse, das dies vaterländische Besitzthum, auf das wir alle stolz und angewiesen sind, uns Beiden giebt, und wollen gar nicht – und sollen auch nichts weiter von mir hören – als wie ich Ihnen treu bin und bleibe –
Henriette P. g. Wach.
Berlin, den 14. April 1834.
Ehe ich Ihnen anfing zu schreiben, habe ich mich erst recht in den Gedanken vertieft, daß ich das nun überhaupt jetzt darf, und wie hübsch es von uns beiden ist, dies endlich als eine kleine anmuthige Zugabe unseres Lebens erkannt zu haben – Freund Immermann, welcher sich zuerst liebenswürdig entwickelnd diesem meinem schüchternen Wunsch zur Seite stellte, soll auch immer dafür mit freundschaftlicher Liebe anerkannt und besonders gemeint und gegrüßt sein in jedem Blättchen, das hinüber fliegt! Und so merke ich fast, daß ich die subtilste Spitze eines Briefanfanges niedergeschrieben, und könnte mich nun fortwährend nach allen Regeln betragen, wohnte mir das geringste Geschick dazu bei, und risse mich nicht Andenken und Antheil für den, dem ich schreibe, über so schöne, dezente Gränzen stets hinweg. Aber Sie haben mich ja nie anders gemocht als ich sein konnte, und mich oft erkannt, da wo der spanische Kragen meiner früheren Verhältnisse mein eigentliches Wesen bis zur Unkenntlichkeit einspannte – und was giebt es Süßeres, als dies Zeugniß einer schönen Seele für bange und unverständliche Zeugnisse in uns! – Ich begreife auch gar nicht, warum man sich bloß darum liebt, weil man sich alle Tage genau versteht, einmal muß man es freilich gekonnt haben, und dann für immer! und was das Leben drüber und dran wachsen läßt, begrüßen ohne Frage: woher kömmst du? Immer sicher daher, wo wir einmal die Heimath fanden. – Heimath! könnt' ich einmal aus den hellen Fenstern Ihres wohnlichen Zimmers in die grüne, zierliche Ordnung des kleinen Gartens niedersehn, durch dessen grüne Heckenwand ich Sie nach Jahren zuerst sah – wie Sie leicht dem Hause zuflogen, das uns bald Alle umschloß! – Es sollte mir heimathlich werden, sein Sie gewiß! Oder Sie steckten die kleinen Füße unter meinen Theetisch, und der grüne Thurm hätte keinen Eingang mehr, nachdem er Sie eingelassen! Nun, ich will warten auf Sie! Den ganzen grünen Sommer hindurch, vielleicht wenn Sie so sicher ein Plätzchen wissen, wo Ihnen frohes Willkommen entgegen kömmt, überlegen Sie es auf Ihrem grünen Epheukranz, worauf ich Sie immer ruhen weiß. Wir bleiben, wie Sie daraus sehn, in dem steinernen Berlin! Das ist nur die wahre Bezeichnung, keine Verunglimpfung oder Klage!
Ich liebe mich in verschiedenen Situationen zu finden, mit mir bekannt zu bleiben, und den Aufgaben ihren Inhalt abzufragen; ist man des einen Zustandes gewiß – reizt uns der andere mit seinem Widerspruch, der in uns seine Aussöhnung verlangt!
Die Sonne scheint, während ich schreibe, warm und verheißend auf meine Schultern – es ist gewiß, wir sollen das liebliche Wunder auf's Neue erleben, Blumen, Blüthen und Blätter zu sehn! – Den langen Winter wird man ganz träumerisch, ob solch Glück wiederkommen kann, und naht sich die Zeit, bewegt sie nicht allein die keimende Erde; in der ewig keimenden Brust findet sich auch ein neuer Eifer – etwas soll anders werden, zur Klarheit, zur Blüthe soll durchbrechen, was im Winterschlaf eingehüllt lag, wir fordern von uns, und die Gewährung ist schon halb erreicht – an Licht und Sonne hängt nicht blos das Blüthenleben mit seiner zarten Existenz, der Mensch selbst hofft in diesem freieren Spielraum etwas Größeres zu leisten, zu vollbringen. Fragen wir nicht nach dem Geleisteten, es muß nicht alles nach außen Existenz gewinnen, was darum doch als Errungenes, als Wahrheit aus solchen Epochen der Seele verbleibt! Während Berlin von dem ärgsten Paroxismus des Carnevals befallen war – hüllte mich ein kleines, glückseliges Fieberlein in die grünen Wände meines sichern Thurmes – auch besucht konnte man nicht viel werden, weil die Leute den göttlichen Einfall haben, ihre hohlen Gesichter dem Tageslicht zu déjeunés dansants zu produziren! So kamen nur die Freunde! Sage ich aber Freunde, so fällt mir Ihnen und Immermann gegenüber fast niemand ein, als die herrliche Familie, die ersterer gern hier wiederfand, ich meine Koppens. Liebe Freundin! es ließe sich in einem Urwald, oder auf einer wüsten Insel mit den Elementen, woraus diese Familie zusammengesetzt ist, lange haushalten als reicher Mann!
Gern rede ich mit Ihrem Vetter von Ihnen![5] Jetzt ist er General! es kleidet ihm gut! und ich freute mich, daß er nicht zugeknöpft die Achseln zuckte über eitle Ehre, sondern menschlich und natürlich eingestand – Ehre sei keine Schande! Ich soll Ihnen auch tausend Grüße sagen.
Und nun grüßen Sie Immermann auf's herzlichste! und wenn Sie erlaubt haben, daß Ihnen Wilhelm mit allen Gefühlen der Verehrung die schönen Hände küßt – so sagen Sie auch von ihm dem liebenswürdigen Freund, wie warm anhänglich und erkennend er ihm zugethan bleibt! Und Schadow's? Ob mein Briefchen im Rhein ertrunken ist, oder die holde Frau Schadow in den Carnevalsfreuden? – Ein Lebenszeichen empfing ich nicht wieder! Soll ich wagen sie zu grüßen?
Ach! nicht wahr, ob dies Briefchen glücklich hinüberkam, über den vaterländischen Strom – das erfahre ich bald – und von Immermann auch recht viel – und von Ihren holdseligen Gedanken, und in welcher Rubrik ich eingeschoben bin!
Ihre
Henriette P. g. Wach.
[5]: General August von Hedemann.
Berlin, den 5. Juni 1834.
Meine theure Gräfin!
Wie klar und deutlich blicke ich in den Tag hinein, an dem mein letzter Brief mit der Sendung des Freundes bei Ihnen eintraf, und den Sie so reizend schildern, daß ich die Blüthen zu athmen glaubte, die alle wie aufgeblüht für den Dichter ihn begrüßten.
Es ist gar nicht wahr, lasse ich ihm sagen, daß die Blüthen allein diesen Versuch machen, und wenn er ganz ungeduldig ruft »warum die Menschen es nicht auch thun?« – so sage ich, sie thun es auch, aber können nicht alle es zum Duft bringen, oder gar zur Frucht – sie müssen bald den unschuldigen Versuch ermüdet, mit losgerissenen Blättern am Boden streuen, und wenn keiner zur rechten Zeit Acht gab, als sie sich um den kleinen Stiel reihten, so heißt's hinterher, sie haben sich gar nicht bemüht. Mein eigentliches geheimes Frühjahrsgeschäft ist, die Leute zu belauern – etwas ist in Jedem los – mitunter reine, baare Tollheit! etwa daß Spinat Rosen treiben will, oder Salat zum Cactus alatus befördert sein will durch irgend einen winzigen Schuß, den er hier oder dort hin thut u. s. w. – aber am allerlustigsten bin ich selbst, denn ich bin es mir recht klar bewußt, daß ich was will, und recht was tüchtiges, wovon der Herbst soll noch zu sagen wissen – aber was denn? Glauben Sie nicht, daß ich mich ausnehme, und denke, ich wolle keine andere Blüthe als die Wurzel in der grünen Erde mir verheißen kann – sicher habe ich eben so gut als alle, die ich darauf anschaue, etwas im Sinn, wobei die arme Wurzel seufzend sich tiefer in die Erde gräbt, damit das tolle Pflänzchen nicht an seinem Getriebe um alle Lebenskraft kommt. Aber was wäre es denn auch, wenn nicht dieser Frühjahrstrieb die Menschen wenigstens mit dem Gedanken neuer Gewinne erquickte! – –
Besorgt tragen sich Immermann's hiesige warme Verehrer mit dem Gerücht, daß er seine sichere bürgerliche Stelle aufgebend, sich ganz der Bildung des dortigen Theaters widmen werde. – Jeder fühlt dadurch die Aussicht ihn für einen größeren Wirkungskreis in der Hauptstadt zu gewinnen, bedroht, und um so weniger geneigt diesem Opfer ergeben zu sein, wenn ihm selbst an dem Ort, wo er so große Kräfte verbrauchen will, nicht ein volles geistiges Zuströmen an Menschen und Verhältnissen sicher ist. Es macht mir den Eindruck, als läse ich ein Nachspiel von Torquato Tasso, wenn Sie, holde Eleonora Este, mir von der Krönung des Dichters schreiben! Leider zugleich den, auch des fern Liegenden, einer andern Zeit, einer andern Luft Angehörenden!
Unsere Bühne hat mich von jeder Hoffnung einer dort zu gewinnenden Erhebung rein verschüchtert – ich habe es verlernt dort auf Genuß zu hoffen – aber ich hoffe nicht zugleich die Empfänglichkeit dafür – ja, ich ziehe dies Zürnen, möchte ich sagen, dem Nachgeben vor, mit dem Schlechten vorlieb zu nehmen, wodurch die schädliche Gewöhnung endlich uns von dem Standpunkt zieht, auf den uns freiwillige Entsagung eingehegt läßt, wenigstens für eine höhere Idee unentweiht! – Ich darf mir also wohl eingestehn, daß ich für die unschätzbaren Anziehungskräfte des Rheines oder Derendorfs empfänglich zu werden oder zu bleiben suche, und Ihre lieben Worte um Fortunats Säckel oder Hut trafen ein begehrliches Herz! Aber froh empfinde ich um so mehr wie wir jetzt nicht mehr so ohne alle Beziehung als früher stehn, und freue mich wie Immermann desgleichen unserem geistreichen Freund hier sich anschließt, und wir uns hineinschlingen, daß es ein rechtes Ganzes zu werden denkt!
Wilhelm ist im rechten Sommerdienst begriffen. Schöne und häßliche Frauen begehrten aber seines Pinsels, der Nachwelt sich zu überliefern – dazwischen spielt eine Nymphe mit Blumen, und Amor giebt ihr einen Kuß! – Wenn Sie denken, ich freute mich zur Ausstellung, so irren Sie sich, und halten mich größer als ich bin – ich blute noch aus all den Wunden, die mir einfielen, als man die letzte benutzte, meinen Bruder zu mißhandeln – mein Leben ist wie das Blatt, das sich auf der Welle gerettet hat, es tanzt oben, wenn sie steigt, und ist verschwunden, wenn die nächste sie verschlingt. Sie möchten mich besser – ich weiß es. Es thut Ihnen leid, daß ich so kleinlich diese Zeilen schließe. Beklagen Sie mich, vielleicht wird es mit der Zeit besser, jetzt habe ich nur einen Dämmerschein von dem, was ich unter solchen Leiden sein könnte, aber es ist außer mir, ich bin isolirt in subjectiver Verdorbenheit!
Dem liebenswürdigen Freund, dem herrlichen Dichter die schönsten Grüße, erstlich von mir, dann von meinem Bruder, wenn er erst Ihnen hat in hochachtender Ergebenheit die Hand küssen dürfen.
Ihre Henriette.
Berlin, den 10. November 1834.
Es möchte sogar fein, bescheiden und sehr schicklich erscheinen, wenn ich noch drei bis vier Wochen wartete, ehe ich Ihren inhaltreichen Brief, theure Freundin, beantwortete, und wenn ich statt dem nichts thue, als den ersten ruhigen Augenblick erwarte, um das Gegentheil zu vollführen, muß ich mich Ihnen auf Discretion ergeben! Das thue ich denn mit dem frohsten Muth! und außerdem drücke ich Sie an mein Herz, und sage Ihnen und Immermann den tiefgefühltesten Dank just für dies lang ersehnte Lebenszeichen – das uns so viel mehr sagt als daß Sie athmen und die Sonne auch über Ihnen scheint. Der Eindruck dieser Mittheilungen war erschütternd für uns Alle! – Wir hatten uns im Thiergarten bei den Freunden still zusammengerückt, und wie es die Ankündigung in Ihrem Briefe vorbereitete, mit Ernst und Bewegung fast, die Blätter des Freundes zur Hand genommen, die er uns gönnte, von seinem Innern zu hören!
So sind wir, nicht unwürdig seines Vertrauens, ihm Zeile vor Zeile gefolgt! ich denke, es wird uns Allen ein unvergeßlicher Abend bleiben – aber meine ganze Seele ruft ihm zu, nicht was in der Welt daraus wird, darf er mehr fragen, dürfen die Freunde fragen, wie es in ihm so ward, zur unabweislichen Nothwendigkeit, das ist die Hauptsache, von der aus es keinen Rückblick giebt– nie werde ich von der Welt so gering denken zu glauben, daß eine so mächtige, individuelle Wahrheit als hier ausgesprochen liegt, nicht schon hinübergreift in eine objective Wahrheit, die ihrer Entwicklung sich entgegen drängt; weiß er in sich von der Morgenröthe einer neuen Kunstepoche, so muß sie anbrechen. Der Gedanke, wie er sich durchringt aus der Seele des Menschen – der Gedanke ist schon der Anfang der Erfüllung, ja die Nothwendigkeit seiner wahren Existenz! Sagt es nicht Schiller? Dem Gedanken des Columbus mußte sich die neue Insel aus dem Meere entgegen heben! – er konnte nicht vergeblich nach ihr suchen! So haben sich die Freunde nur still um den muthigen Segler zu schaaren, und immer nur: Glück auf! zu rufen. – Glücklich aber muß er sein, denn jeder muß es sein, der seinem innern Leitstern folgt, und an eine Idee, die sein Inneres ganz durchdringt, das Leben setzt!
Wie rührte uns um so tiefer der Verlauf des Abends, an dem uns Koppe mit der vollen Begeisterung seines ihn verstehenden Herzens einige aus den Juwelen seiner einzelnen kleinen Gedichte auslas. Wie erfüllte sich an uns Allen, was er so schön ausspricht als vorgesetztes Ziel »etwas zu leisten, was den Zustand der Menschen und der Welt erhöht.« Wir fühlten uns Alle erhöht! – Ich fühlte den Zustand, den ich am höchsten und liebsten in mir halte, den einer ganz allgemeinen Begeisterung – in der nichts einzelnes hervortritt, aber alles einzelne inbegriffen ist, aber eben als einzelnes zu gering die weit und groß gewordene Seele zu beherrschen, die in dem Resümé von allen nur die Existenz findet. Es ist zugleich der leidenschaftsloseste und durchfühlteste Zustand der Seele!
Mir gefiel nicht eins oder das andere, weil es just diese oder jene Gefühlswelt mächtig und schön entwickelt – alles erfüllte die tiefe Sehnsucht der menschlichen Brust nach etwas Vortrefflichem, Erreichten, gleichviel in welcher Richtung, und löste, sonderbar genug, von dem Gegenstand los, indem es uns über ihn stellte, just in dem Augenblick, wo wir seiner wahrhaften Entwickelung alles verdankten. Bis zu Thränen waren wir, als wir nun seines Vertheidigungsbriefes gedachten! Derselbe, der uns dies gegeben, mußte sich vertheidigen gegen die knappe, rauhe Form, die ihm auf's Neue über die Flügel gedrückt werden sollte, mit der Hoffnung, er ginge wohl hinein, wenn er nicht ersticke!
Wie fern, wie nah ein Resultat für sein ungemeines Streben sei, dies ist eine Frage, der wir mit allen warmen Grüßen der Freundschaft, dem Glücke vertrauend, entgegensehen! Das Bedürfniß ist da! wird immer mehr erstarken, je mehr der Gegensatz: das Sinken der Bühnen – bis zum Ekel hervortritt. – Beide sich gegenüberstehende hart sich abstoßende Stufen auf der in Immermann gedachten, zu verbinden, ist das natürlich sich als nothwendig ergebende Ziel für die Zukunft. – Ich freue mich um so mehr noch Zeitgenossin dieser Ideen zu werden, da ich mich schüchtern von jeder Hoffnung zurückgezogen hatte, und die Idee eines besseren Zustandes für mich behütete, vor der flachen Berührung mit bloß zeittödtender Zerstreuung sie allein noch vorhanden.
Ich träumte mit den Freunden von einer kleinen Normalbühne, die unter Immermann lebengewinnend die Aufmerksamkeit dahin richtet, und von wo aus sich der wahre Geist über Deutschland, oder für's Erste, dem Vaterlande, ausbreitete. Möge doch der treue Bruder, dessen verständig besorgten Brief man in der Antwort verfolgen kann, ihn nicht mehr beunruhigen, und mein lieber Herr, der König, sich geneigt fühlen zu allen äußeren Arrangements. –
Ihr schöner Brief reihte sich so wohlthuend heran! – Welch eine schöne Landschaft haben Sie gemalt mit Ihrer Beschreibung jenes ersten Abends an der See! Ich sah sie augenblicklich, und hätte nicht einer unserer kühnen Seemaler sein müssen, hätte Sie Ihnen auf Leinwand zurückgesandt.
Dieser Brief blieb acht Tage liegen – ich war indessen in Tegel bei Wilhelm von Humboldt. Es geht ihm wieder viel besser – und wir hoffen, er lebt uns noch eine Zeitlang. Sein Geist blüht zum Erstaunen schön und vollständig aus diesem kaum noch verständlichen Körper! Er hat noch immer diese bezaubernde Heiterkeit, diese Ironie, die den Dingen ihren falschen Schein abstreift, aber wie würde Sie der tiefe, gefühlvolle Ernst überraschen, womit er in sich und andern das Gefühlsleben schätzt, liebt, möchte ich sagen, und entwickelt. – Meine Seele sitzt ihm, wie das Kind dem Vater, zu Füßen, ich bin wie eine junge Verliebte über seine Stuhllehne gebeugt, und werde so sorglos geschwätzig, als wäre ich schon mit ihm aus der Welt! Aber ich kann es Ihnen auch nicht verschweigen – er liebt mich vollständig wieder, und die Kinder bedauern nichts so sehr, als daß ich ihn nicht mehr heirathen kann. Mais, que faire? – seine liebe Hand zittert! Er könnte mir nicht mehr den Ring anstecken!
Ihr Andenken erfreute ihn sehr – er empfiehlt sich Ihnen herzlich, und sprach recht schön, recht bewundernd von Ihnen!
Eben so herzlich empfiehlt sich Ihr Vetter General; ich habe ihm versprochen Immermann's Brief vorzulesen. Dem Minister habe ich davon erzählt – er bewundert Immermann! – ich theilte ihm schon früher den »Merlin« mit – und er hat allerdings auch das Gefühl, daß der Moment vielleicht gekommen ist, eine neue Bühnenwelt heraufzuführen!
Sommergedanken habe ich noch nicht! Erst bau' ich mich im Winter emsig an! Ach! wenn ich nicht fröre – hätt' ich ihn sehr lieb.
Die Kunstausstellung ist wegen Anwesenheit des Kaisers noch offen. Seit gestern hängt dort das letzte Bild meines Bruders, der sehr fleißig gewesen ist. Er küßt Ihre schöne Hand, und bittet Sie, ihn gern unter Ihren Verehrern zu sehn. In der herzlichsten Freundschaft grüßen wir beide unsern lieben Freund Immermann, und stets bleibe ich Ihnen, holde Frau, getreu.
Henriette P. g. Wach.
Berlin, den 12. März 1834
Wenn ich den Wunsch fühlte, Ihnen zu schreiben, theure Gräfin, erschrack ich immer vor dem Umfang des bisher Erlebten! – ein Stoff, den ich keine Kraft fühlte, zu bewältigen – es machte mich müde, oder vielmehr die Müdigkeit meiner Seele und meines Körpers hatte damit zu viel. Wie es mir nun heut doch dazu kömmt, daß die lebhaftere Erinnerung an Sie, die mir ein Bild Ihres freien, schönen, ungetrübten Wesens giebt – mit ungetrübt meine ich, daß Sie in keine fertige Form hineingepreßt worden sind, oder sich haben hineinpressen lassen, sondern schön menschlich sich selbst und andern gerecht bleiben. Ich sehe Sie, wie Sie aus dem Fenster schon die lieben Augen mit tausend lockenden Fragen unter das welke Laub stecken, um die Geheimnisse zu erlauschen, die da unten von Erde, Tropfen und Wärme in der kleinen Werkstatt gezimmert werden, und bald ganz naiv die kleinen grünen Mützen hervorstecken, innerlich so sicher und fertig, und des Erfolges gewiß, wie nie ein armes Menschenherz, das immer überbaut bleibt mit seinen treibenden Keimen von der kalten Erde überdeckt. Möge Ihnen und Ihrer reizenden Seele der Frühling recht erquickend, recht neu belebend einziehn – ich gönne es Ihnen mit alter treuer Liebe – und mußte Ihnen erst recht Gutes wünschen, ehe ich fortfahre.
Gott weiß, womit ich es verdient habe, daß man mir so viel buntes Papier geschenkt hat, daß ich mir ein Gewissen daraus mache, weißes zu kaufen – dabei mußte ich mich mit süßlicher Empfindsamkeit ansehn lassen, als hätte man eine große Zartheit in mir errathen. Es hat mir nichts geholfen, daß ich das Leben ernst, thätig und praktisch ergriffen habe, ich sehe immer noch den schalkhaft erhobenen Finger der Leute, die mir die Augen naß glauben bei Matthison's Mondschein und Cypressengelispel, oder Tiedge's religiösen Uranien. – Man denkt in der Jugend, wenn man nicht für das gehalten wird, was man sich innerlich zugesteht, ist man's nicht, und strebt und ringt, daß sie es begreifen sollen. Ach! liebe Freundin! Das ist recht rührend, wenn mir das Weinen nicht so weh thäte, das könnte mich dazu bringen, aber viel rührender ist es noch, daß man später nichts so wenig erwartet, als verstanden oder gehalten zu werden, für was man sich selbst halten darf! Wie darf man eigentlich einen Zustand, in dem wir mitten drin sitzen, verstehen wollen? Weit von uns gerückt müssen erst die Erscheinungen unseres Lebens sein, ehe sie sich von uns trennen und objectiv werden – mit weißen Locken, die ersten zarten blonden, um derenwillen wir die Kindermütze ablegen, am Rande des Grabes die erste Liebe beschauen und ihre Bedeutung erkennen, das möchte möglich sein, aber von selbst fehlt da die Zeit, wo uns die reiche Sommerzeit des Lebens anzuschauen käme – genug, wir sollen uns für incompetent erklären – und doch, wie sträubt sich das Herz gegen so kaltes Begehren!
Daß ich erst bei der letzten Zeile im vorigen Blatt den Irrthum mit dem Umwenden einsah, mögen Sie gütig entschuldigen, abschreiben – nicht wahr, es wäre unerträglich, abzuschreiben – es hat immer etwas Lügenhaftes – ich würde beschämt sein, den Brief an eine Freundin abgeschrieben zu übersenden – und wozu noch Lügen, deren man sich bewußt ist, da die unbewußten oder als solche uns überraschenden schon so viele sind.
An meinem Geburtstag bekam ich Immermann's sämmtliche Werke, schön grün eingebunden, geschenkt. Welch ein besonderer Reiz liegt darinnen, so etwas zu besitzen – hingehn zu können, und so einen stillen grünen Band herauszuziehen und sich mit der Hoffnung, es werde genug regnen oder schneien, um keinen lästigen Besuch einzulassen, so in einen Armstuhl zu drücken und nun aufzuschlagen und lesen zu dürfen, was das Geheimniß eines Geistes war, der die Sprache der Erde verstand, und sie empfing mit ihren Schätzen, und an den sie sich ergab mit der liebevollen Ungeduld des Gebens, das nur aufsteigt, wo das Empfangnehmen Verstehen und Wiedergeburt ist!
Alle Worte sind schon so oft nach falschem Ziel verschossen, wie schön und richtig könnte ich sonst sagen: ich habe alles so lieb! Auch rührt und beschämt es mich fast, daß wir gedruckt lesen können, und in beliebigen Gebrauch nehmen, was so in heiliger Einsamkeit von ihm ausging, sich selbst erst zur Genüge, weil er's nicht lassen konnte an sich und dem Gegenstand diese Liebe zu thun! Ich möchte um Verzeihung bitten, daß ich so roh darüber herfahre und wünsche, in mir wäre wenigstens Sabbathstille, und ich hörte nichts als die Glocken zum Festtag! Auch danken möchte ich ihm – könnte denken, er röthete sich vor edlem Zorn und früge, um wen anders als mein selbst willen dachtest Du, daß ich's geschehen ließ? – ist dies erledigt, mag es auch seinen Weg bis zu Dir finden, und was Du damit kannst, sei Dein Antheil, mir unbekümmert!– Und möchte er nur so stolz reich thun; da so viel Armuth ist, soll der Reiche ausstreuen, daß der Arme findet, der sucht; was verschlägt es ihm, ob er damit die nothleidenden Stunden fristet, ihm mehrt sich im Geben der Schatz!
Die nothleidenden Stunden! – ich habe deren viele! Wissen Sie, was ich überstanden habe, wissen Sie doch vielleicht nicht, was ich noch zu überstehn habe; denn meine Nerven beben lange nach und verfallen jeden Abend um halb sechs Uhr in schwere Zustände – einen Krampf im Kopf, aus dem sich ein schwermüthiges Deliriren mit Brustbeklemmungen entwickelt. Ich habe eine neue, eine ungeheure Erfahrung gemacht! Ich kannte den körperlichen Schmerz noch nicht – ich wußte nicht, welch ein Ungeheuer er ist, wie er sich über uns wirft und uns verschlingt. Die heiligen Schmerzen, die jede Frau mit eben so viel Hoffnung als Furcht erwartet – sie sollen leicht sein dagegen – wie das natürlich Bedingte gegen das unnatürlich Gewaltsame immer. – Die Aerzte schickten mich dann nach Ems. O, liebe Freundin! saßen Sie schon je zwischen diesen Felsen, wo die kleine monströse Putzschachtel mit dem Greuel aus der vornehmen Welt hineingeklemmt ist? Dort brach mir schon das Herz in unaufhaltsamer Nervenschwermuth! Aber ich täuschte alle, selbst die mich liebten, also beachteten, – ich flatterte wie ein geängstigter Vogel in und um meinen Käfig her, und hatte keine Ruh und keine Rast, und nach einer schlaflosen Nacht, in gegenstandlosen Thränen hingebracht, wünschte ich auf dem höchsten Felsen zu frühstücken und war vor den andern schon oben, und konnte dort nicht bleiben und hoffte auf den Eselritt am Nachmittag – und ging noch zuerst an der Lahn und wünschte an die Table-d'hôte zu kommen und ließ unter ewigem Hören und Sehen und den tödtenden Klängen der Tischmusik Thränen ungezählt über das hastig und gern genossene Mahl fallen – fünf Stunden ritt ich oft an einem Tage, und schloß der frühe Abend dies irre Treiben, glaubte ich, die Zimmer verschlängen mich, und mein kräftiger Gesang war dann oft noch lang zu hören. Dabei glühten Wangen und Augen, und in der ewigen Quarantaine eines steten Angekleidetseins, nöthigte ich jedem die Versicherung ab – ganz gesund zu sein! Dabei – hatte ich die Ueberzeugung, daß ich jeden Abend mit den Kleidern die Haut von meinem Körper zog, des Morgens weinte ich, daß ich über die Wunden mich kleiden mußte. – Gleichgültiger ist niemanden je die ganze Welt gewesen, aber einzelne tödtende Schmerzen über meine Zerstörung, die ich mit fürchterlicher Arglist ganz gescheut war zu beobachten, schnitten durch mein Inneres! – Ich wußte bis dahin nicht, was es heißt, durchaus trostlos sein – erst in dieser schrecklichen Zeit erfuhr ich es – und hatte kein Verlangen als den Tod! Mit der größten Anstrengung erhielt ich mich auf der Rückreise, jeden Morgen bedrohte ich mich, gesund zu erscheinen. – Als man die letzte Station vor Berlin die Pferde vor den Wagen legte, sagte ich: nun kannst Du krank sein!
Im Augenblick lag ich bewußtlos im Wagen, ohne Besinnung brachte man mich in meine Wohnung! Da brachen Krämpfe aus, die mit dem schwersten Deliriren verbunden waren. Seit dem 26. September kehren sie alle Abend wieder. Durch die sorgfältige, umsichtige Behandlung meines Arztes, des Homöopathen Stüler, sind sie ermäßigt bis zu schwachen Anklängen des ersten Zustandes – aber sie sind da – und mein Geist kann wohl nie ausruhen von der Ermüdung, die er erlitten. Ich leide ein tiefes unaussprechliches Leiden, ich weiß, daß ich jetzt erst Leiden kennen lernte – und dachte doch, ich hätte sie gekannt!
Niemals glaubte ich, könnte ich von mir erzählen, wie ich anfing zu schreiben, dachte ich es noch nicht und jetzt – – liebe, wunderbare Frau, verstehen Sie mich?
Meine Handschrift ist schlecht! Leicht ermüdet der rechte Arm!
Grüßen Sie herzlich Immermann! Mein Bruder küßt voll Ehrfurcht Ihre schöne Hand – ach! wie gern hörte ich von Ihnen!
Ihre
Henriette.
Köln, den 13. September 1837.
Liebe, theure Frau Gräfin!
Ihr holdseliges Briefchen erreichte mich später, da ich nicht in Köln anwesend, sondern auf der Kitschburg bei Frau Schaafhausen vier Wochen wohnte. Fast hätte ich die Beantwortung verzögert, bis ich selbst eine wichtige Antwort aus Berlin erhalten und jedenfalls hätte ich Ihnen dann, was ich jetzt nicht kann, über meine nächste Zukunft etwas Sicheres sagen können, aber ich sehnte mich danach, Ihre lieben Zeilen zu beantworten, und sende Ihnen die Entscheidung, die ich erwarte, später nach. Unser früherer Plan war nämlich, wenn mein Bruder hierher kömmt, im Oktober nach Düsseldorf zu kommen, dort von allen Lieben Abschied zu nehmen; der Ausbruch der Cholera in Berlin, der mir lange ganz verheimlicht ward, hat aber, nachdem ich ihn erfahren, meine Abneigung und Furcht vor Berlin so gänzlich überwunden, daß ich meinen Bruder dringend gebeten habe, mich zurück zu berufen, und ich seine Einwilligung oder die Freistellung meines Willens nur abwarte, um sogleich mit meiner Jungfer dahin abzureisen. In diesem Fall würde ich auf das Wiedersehn meiner lieben Düsseldorfer Freunde verzichten müssen und mir so ihren Segen ausbitten! Wie sehr ich es entbehren müßte, Sie nicht wiederzusehn, da ich Sie nur einmal sah – das brauche ich Ihnen nicht zu sagen, denn warum sollten Sie noch an meiner treuen und innigen Liebe zweifeln! Und doch scheint mir das Opfer, daß Sie hierher kommen wollen, so groß, daß, wenn ich nicht dächte, Sie hätten noch ein anderes Interesse, was Sie dazu nöthigt, ich ganz beschämt davon sein würde.
Während ich diese Zeilen schreibe, ist meines Bruders Antwort eingetroffen! Er verbittet meine Rückkehr ganz bestimmt und kündigt seine Hierherkunft auf Anfang Oktober an. Wir kommen dann entweder nach Düsseldorf, oder wir treten unsere Rückreise über Düsseldorf an. Sehn werde ich Sie also gewiß, meine liebe Freundin, denn wenn Sie in anderem Interesse nach Köln Anfang Oktober kommen, richte ich mich jedenfalls ein, Sie hier zu erwarten, wenn ein paar liebe Worte mir die Zeit bestimmen, aber um meinetwillen müssen Sie das Opfer dieser Reise nur nicht bringen, denn ich komme gewiß zu Ihnen! Wenn wir nur unsern lieben Immermann nicht bei den verschiedenen Reisen verfehlen! – Wenn er nur zurück ist zur Zeit, daß wir zu Ihnen kommen, oder wenigstens ich in Köln, wenn er hierherkömmt, obwohl Immermann ein Gut ist, warum man sich mitten in der Freude es zu besitzen, beneidet, weil man es dann auch den Liebsten zugleich gönnt. Doch ich will hoffen, uns einigt ein lieber Abend in Ihrem Hause zu dreien!
Mit welcher Bewegung las ich Ihre Erwähnung einer Sache, die viel bedeutender in meinem Leben eingeschritten ist, als ich ahnte!
Von dem ersten Bogen an, den ich faltete, bis zu der letzten Seite, die das Ganze beschloß, war ich wunderbar von dem Gegenstand beherrscht! Es hatte sich aus mir heraus eine Forderung gestellt, die mich zum dienenden Werkzeug machte. Der Stoff lag gesammelt in mir – er belastete mich, kann ich sagen – aber in welcher Form er sich entladen könnte, blieb zweifelhaft und hielt ihn länger zurück, als er geneigt war. Der Roman kann alle Zustände des Lebens umfassen, am leichtesten legt sich in ihm nieder, was sich als Erfahrung und Beobachtung in uns vorfindet. In die bequeme Form floß nun schnell und ohne Säumen das Innen Gesammelte! Ich – liebe Freundin – habe schöne Stunden damit verlebt! Der erste Theil war fertig – mir nur sollte das Ganze gehören – da verrieth ein Zufall dies Unternehmen meinem Bruder – sein Beifall war eine schöne Befriedigung! Wieder blieb es lange unser Geheimniß; – er verrieth mich einem gelehrten Freund! Es wußten es jetzt drei – man sagt, dies sei für ein Geheimniß zu viel! – Von da an ward ich gebeten, es drucken zu lassen. Wie sicher war ich – das könne und dürfe nie geschehen! Zwei Jahre lag es fertig, abgeschrieben, wie rein oft vergessen! Man verstärkte endlich die Bitten, es drucken zu lassen, durch die Täuschung, es könne dennoch Geheimniß bleiben – ich war zu unerfahren – ich glaubte daran. – Mein Verleger hat die Wahrheit gesagt, er erfuhr meinen Namen erst, als ich die ersten gedruckten Exemplare erhielt. Es blieb lange geheim – und die große Zahl der Autoren, die genannt ward, ließen mich hoffen, ich bliebe unerkannt! Wer es verrathen, noch weiß ich es nicht! – Ich erfuhr aber, was ich immer gewußt, daß eine Frau nicht bestimmt ist, der Oeffentlichteit anzugehören – ich war wund, wund bis in mein tiefstes Leben hinein! Als mein Bruder nach Berlin voranging, entschlossen wir uns, es einzugestehen, ich hoffte damit die Sache bis zu meiner Rückkehr durchgesprochen und abgethan. Wie oft ich an Sie, an Immermann in dieser Zeit dachte, darf ich ja wohl gestehen – daß ich es dennoch Ihnen beiden nicht eingestand, es Ihnen nicht geben konnte, verstehen Sie es wohl? Es gereicht mir nicht und Ihnen nicht zum Vorwurf! Was Sie nun in wenigen Worten liebevoll anerkennend darüber sagen, thut mir sehr wohl! es rührt mich, wenn ich denke, daß Sie lasen, was ich dachte und fühlte – man hat selbst immer nur ein kleines Publikum, das große täuscht sich, wenn es sich dazu rechnet – Sie werden immer zu meinen Autoritäten gehören, und wenn ich Ihrer edlen Seele darin nichts zu leide gethan habe, ist mir viel gelungen!
Sein Schicksal in der Welt ist wunderlich gewesen, und ich sehe ihm nach und möchte fragen: wie kam das? Nachdem ich aber beruhigt bin, genannt zu sein und Zeit und Gewohnheit ihr altes Recht an mir geübt, bin ich so still und gelassen mit ihm, daß ich wohl fühle, es konnte selbst dies abweichende Ereigniß mich nicht mehr meiner Stille berauben, und die Sache ist dadurch, daß sie aus mir herausgetreten ist, zugleich von mir abgelöst, sie hat ihr eigenes Schicksal, und ich sehe wie einem fremden bloß zu!
Wenn es unter uns zur Sprache kam, war ich Ihnen eine Art Uebersicht schuldig! Haben Sie sie jetzt? Und wollen Sie das Gesagte auch für Immermann sein lassen, dessen edler Natur ein theilnehmendes Verständniß meines Verhältnisses dazu nicht fremd bleiben durfte, denn ich denke gern, daß er mein Freund ist und vielleicht nicht ohne Besorgniß mich auf diesem Weg wiederfand. Sagen Sie ihm noch außerdem, er soll gar nicht denken, daß ich mir dicke Sohlen untergebunden habe, und mich als Schriftstellerin salutire! Für nichts auf der Welt habe ich so große Furcht, wie für diesen Namen! – Nichts, denke ich, hat unsere Literatur so krank an schlechten Produkten gemacht, – als die Selbsterhebung zu dem seltensten Beruf der Erde! – Ich bin allerdings eine Frau geworden, die ein Buch geschrieben hat, aber damit noch bei weitem keine Schriftstellerin, ja, ich bin gewiß, der Stoff ist jetzt in mir verbraucht, und ich bin zur Ruhe damit gesetzt!
Nun leben Sie wohl, theure Liebe! Ich bleibe Ihnen treu bis an's Ende meines Lebens!
Henriette P. g. Wach.
Köln, den 4. November 1837.
Meine theure, liebe Gräfin!
Mit wie wehmüthigem Herzen werde ich diese Zeilen niederschreiben, da sie Ihnen sagen sollen, daß ich Sie nicht wiedersehen werde. Eine neue Kette von Leiden hat dies traurige Resultat ergeben, und nur die Gewöhnung langer Geduld und Ergebung in die widerstrebendsten Anforderungen läßt mich dieses schmerzliche Opfer bringen.
Ende September ward ich krank, und das an einer Brustentzündung bis zum Tode – als die dringendste Gefahr vorüber war, stellte sich ein Husten mit gefährlichen Symptomen heraus, der die Ankunft meines Bruders beschleunigte, seit er hier ist (s. d. 24. Okt.) haben die schmerzhaftesten allopathischen Mittel wenigstens einen Stillstand des Uebels hervorgebracht, und wir haben unsere Abreise auf den 6. November festgesetzt.
Aber meine Gesundheit ist dadurch auf den früheren geringen Standpunkt versetzt, und jede Aufregung welcher Art ist für mich nachtheilig. So habe ich eingewilligt Sie nicht wiederzusehn, obwohl es mir ein paar heiße Thränen gekostet hat. –
Leben Sie also schriftlich wohl! Wie viel Liebe, Achtung und Treue dränge ich in diese Worte! Erwiedern, erhalten Sie mir das, was mir so lange den Muth gab, Ihnen meine Liebe zu zeigen!
Wo mag Immermann sein? Vielleicht schon bei Ihnen – und schwerlich finden wir ihn irgendwo, denn unser erstes Nachtlager wird Schwelm sein!
Von Schadow's, wo sie sein mögen, wissen wir auch nichts! Grüßen Sie sie, wenn sie zurückkommen; an dem Abend ihrer Durchreise durch Köln brach die Brustkrankheit aus.
In einigen Wochen werden Sie ein Paquetchen bekommen – was darin ist, bitte ich Sie und Immermann so liebevoll und schonend nachsichtig hinzunehmen, als es mit wahrer Demuth Ihnen dargebracht wird. Ich hoffe diese zweite Auflage wird weniger Fehler enthalten als die erste!
Nicht wahr, Sie schreiben mir einige Trostesworte nach Berlin? nach diesem öden, modernen, ausgeblaßten Berlin!
Wie kalt wird mir, wenn ich daran denke!
Leben Sie wohl! Mein Bruder theilt aus eigner Empfindung meinen Schmerz Sie und Immermann nicht wiedersehn zu können, und er wagt es, Ihre schönen Hände zu küssen, und seine tiefste Verehrung Ihnen zu Füßen zu legen.
Noch einmal sein Sie und Immermann mit dem treuesten Gruß der Freundschaft gegrüßt.
Ihre
Henriette P. g. Wach.
Berlin, den 12. Dezember 1837.
Theure, liebe Frau Gräfin!
Seit dem 14. November bin ich hier und blicke noch immer so blöde und verzagt in die bunte, laute Welt jenseits meines Asyls – daß – schlössen mich nicht die wohnlichen Räume meines grünen Thurms ein, ich nie aus einem tiefen Bangen und Fürchten herauskommen würde. Die Reise war von mancher Seite her unsicher und bedroht, ich reiste ab mit so wenig Kräften, so halb nur von der heftigen Krankheit genesen. – Die Wege waren so schlecht, die Nachtquartiere so winterlich verstört, und nur ein vortrefflicher Reisewagen, wie ein Zimmer warm und hell, gab eine Ausgleichung so vieler Uebelstände.
Ich habe die erste Zeit in einer Betäubung und Abspannung zugebracht, die sich erst langsam verliert, und mich so gefühllos und kalt den Eindrücken, die ich seit lange fürchtete wieder zu empfinden, gegenüberstellte, daß ihre Erscheinung mir bekannt geworden war, ehe ich sie wieder erkannte. Die große Güte, womit meine Freunde mich empfangen haben, hatte vorzüglich diese Wahrheit, meinen Zustand wirklich zu berücksichtigen. Sie kamen alle zu mir, jeden Gegenbesuch ablehnend, und vorher anfragend, so daß ich nicht die Ermüdung und Abspannung, sondern bloß die Dankbarkeit für so viel Liebe empfunden habe. Hedemann's und Bülow's, dies letzte Andenken der herrlichen Humboldt's, sind nie die letzten in treuer Anhänglichkeit – sie sind mir an sich werth, und außerdem wie ein Vermächtniß! – Wie mancher Frage hatten wir Rede zu stehn, nachdem die Leuchtkugel über Köln gestiegen, und die Wege erhellt waren, die das Böse in der alten, seit Jahrhunderten wohlbekannten Maske unter Tonsur und Mitra wohlgehegt, schlich – die schnelle, energische Procedur soll Wege aufgedeckt haben, auf denen sich Viele mit gelindem Entsetzen betroffen finden werden, gewiß ist es, daß diesmal die Hambacher sich im Beichtstuhl versammelten, und zwar Hochverräther, die nach Wien und Paris die Hände ausstreckten, und in Belgien den Succurs fertig wußten. Was mögen bei Ihnen Alt- und Neukatholiken sagen – ich denke die neuen werden besonders das düstere, gesenkte Haupt mit Asche bestreuen, um Verzeihung zu erhalten für den verpönten Namen eines Altpreußen!
Jetzt glaubt man mit der liebenswürdigsten Confusion über Art und Zeit, womit sich die Leute ihre gelegentlichen Einfälle bequem machen – in »Godwie-Castle«, da habe der Verfasser so recht die Dinge beleuchten wollen, und alles sei bloß darum so und nicht anders, jener Confession in eingehender Form eine Fehde zu machen – gelegentlich sagt der Unschuldige wohl, es sei 1835 schon fertig gewesen, nie zum Druck bestimmt, aber oft schweigt er auch, denn wenn die Leute eingefahren sind, muß man sie nicht stören. Sie aber wissen, was ich immer von der schönen, malerisch romantischen Trümmer dieser Kirche gedacht habe, und werden gewiß nichts in den durchgeführten Ansichten finden, was nicht unsere früheren Gespräche enthielten.
*** sehe ich oft – sie ist gänzlich wieder eingebürgert. Ihr heiteres Gesicht, ihre bequeme Weise, macht sie überall zum willkommenen Gast! Ihre kleinen Thorheiten schaden keinem andern, gelegentlich ihr selbst, das haben die Leute gern, und sie lachen dann so mit ihr, als über sie, was sie nicht zu unterscheiden versteht, und die Confusion vermehrt, in der sie mit Jugend, Schönheit, Geist und Talent dahin schwebet, sich gegen jede Enttäuschung sichernd, durch unschuldige Liebkosungen! Wir haben viel Erinnerungen gemeinschaftlich; ihr Gatte hielt diesen Schmetterling immer zwischen Gaze, da hatte sie mehr Puder behalten!
Auf diesem Blättchen nun schenke ich Ihnen und Immermann mit klopfendem Herzen, aber zugleich mit der zärtlichsten, treuesten Anhänglichkeit für Sie beide das beifolgende Buch! Lieber Immermann, wenden Sie Ihr vortreffliches Herz nicht unlustig von mir ab, weil ich das eine Buch habe schreiben müssen! Ich bin darum bei Gott keine Schriftstellerin, die Ihnen gewiß so gründlich zuwider sind, als mir selbst, denken Sie nachher so milde und gütig von mir als vorher, ich verdiene es heute noch, wenn Sie es früher dafür hielten, denn obwohl ich das eine nicht läugnen kann, würde es Sie doch rühren, wenn Sie hörten, wie ich es habe schreiben müssen, als hätte mich einer am Kragen, und daß nur die dumme Vorstellung des Geheimbleibens mich über das Hervortreten getäuscht, und es zugelassen hat – auch würden Sie keine andern bösen Symptome entdecken, weder schwarze Finger, noch ungekämmtes Haar, mein Bruder ißt weder angebrannte Suppe, noch greift er durch die Löcher hindurch – und Sie, geliebte Freundin, Sie, eine Frau in der schönsten Bedeutung, Sie vertreten mich, denn ich weiß, Sie halten Glauben an mich – wie ich an Sie, und beide nehmen die Gabe hin, freundlich wie sie gemeint ist! Ihnen beiden treu ergeben
Ihre
Henriette.
Mein Bruder küßt voll Verehrung Ihre schönen Hände – und grüßt Immermann mit der verehrendsten Liebe! Vielleicht, lieber Immermann, grüßen Sie beide Schadow's freundlich von uns.
Berlin, den 6. Februar 1838.
Meine theure Frau Gräfin!
Wie liebe ich jedes Wort, was Sie niederschreiben, und wie innig fühle ich mich dann immer von dem Verlangen belebt mit Ihnen sein zu können, nur zuweilen mich an Ihrer wahrhaft weiblichen Natur erfreuen zu können, darum wenden Sie immer zuweilen ein paar Zeilen an mich, Sie verschwenden sie nicht.
Ich schreibe Ihnen heute nur einige Worte, denn die Kälte macht mich matt und müde, und ich mußte heute schon viel schreiben. Dies von Köln herübergekommene Exemplar von »Godwie-Castle« ist ein Irrthum, und die Person, die ihn machte, schrieb es mir bereits.
Die Zuckungen über den entführten Erzbischof fühlen sich noch überall. Die Partheiungen sind groß! Der König, der Kronprinz, die Minister nehmen, wie es scheint, eine feste Stellung! Gott erhalte sie dabei! nur Festigkeit kann uns gegen die Geißel Rom's schützen.
Sehr unangenehm ist die Stellung, die *** sich erwählt hat. Ich denke dabei oft an Sie und Immermann! Sie haben sie so oft gesehen – ist Ihnen denn die Ansteckung ihrer religiösen Gesinnungen auffallend gewesen? Wir sind oft recht verlegen über ihr Betragen. Sie vertheidigt in blinder Heftigkeit den Erzbischof, den Papst, die Katholiken, genug alles, was uns jetzt feindlich entgegen tritt, und zwar ohne Gründe, mit schwebelnden Gemeinplätzen in der unweiblichsten Heftigkeit – ich sowohl wie Wilhelm sind ihr so viel als möglich mit Ernst entgegen getreten, weil sie sich den nachtheiligsten Gerüchten aussetzt, wir müssen aber jetzt schweigen, denn sie erklärt uns für Fanatiker! – Sollte die Ansteckung in München geschehn sein? Doch schwerlich in Düsseldorf! Letzthin aber, wo sie von der Beschlagnahme von Papieren hörte, ward ihre Angst und ihr Nachforschen so auffallend, daß ich seitdem die Angst habe, sie könnte bei ihrer wenigen Beurtheilungskraft in die Hände irgend einer Parthei gemißbraucht werden. Dagegen glaubt mein Bruder, daß ihre ganze Art aus der Eitelkeit entspränge, sich durch geheimnißvolle Andeutungen interessant zu machen! Was glauben Sie und Immermann davon? – Ich bin wirklich besorgt um sie.
Theilen Sie mir etwas über die dortige Stimmung mit – es sind Lebensfragen – das ist entschieden!
Ich sage Ihnen heute ein herzliches Lebewohl! Voll Ehrfurcht küßt mein Bruder Ihre Hand, treu und herzlich bleiben wir beide Immermann ergeben, er soll es uns sein!
Ihre
Henriette P. g. Wach.
Berlin, den 23. September 1840.
Wir beide, mein Bruder und ich, nehmen mit rechter Freude Ihre liebe Einladung an – und danken Ihnen sehr, daß Sie uns so ehren wollen – und doch – machte mir diese Einladung einen Eindruck, wie ich nicht beschreiben kann, und ich dachte an Sie mit ein paar heißen Thränen! Liebe, theure, edle Freundin – so sind Sie überall zum Siege bestimmt – Ihre Freunde haben nur das Zusehn – ein schönes, befriedigtes Gefühl, wenn immer das hervortritt, was wir schüchtern wegen der Schwierigkeit doch hofften, Ihres hohen Werthes halber!
Gott schütze Sie weiter!
Ihre
Henriette P. g. Wach.
Berlin, den 8. Mai.
O, meine liebe, theure Freundin!
Wenn Sie wüßten, welch ein leidendes Leben ich seitdem führte – ich bin so nervös seit ein paar Monaten, daß ich wie im Fieber lebe!
Während ich oft zwei, dreimal des Tages mit Ohnmacht ringe – kommen dann Stunden dazwischen, die mich täuschend gesund sein lassen!
Was mich nicht ergreift, mit fortreißt, habe ich nicht, denn ich bin so geistesmatt, daß ich nur nachgebe!
Aber unserer alten Liebe glauben Sie es gewiß, daß ich mich nach Ihnen sehnte, wie nach warmer Sommerluft – und daß ich oft dachte, wüßte sie es doch – sie käme! Nun wollen Sie mich haben – und ich komme jedenfalls ein paar Stunden, wenn ich auch etwas früher fort müßte. – Denn zuweilen halte ich es nicht aus. –
Wilhelm ist nicht zu Hause – ich theile es ihm gleich mit, und er wird so gern kommen.
Nicht wahr – eine große Gesellschaft haben Sie nicht?
Vergeben Sie diesen verworrenen Liebesbrief, wie viel behalte ich zurück!
Ihre
Henriette P. g. Wach.
(Wir theilen diesen Brief mit, da er einen genauen Bericht über das Ende Friesen's enthält, der so oft in diesen Blättern genannt wurde.)
Deinem Wunsche gemäß liefere ich Dir die bei Deinem Hiersein über den Meuchelmord unsres Freundes Friesen mündlich mitgetheilten näheren Umstände, nachstehend, jedoch nur in gedrängter Kürze noch einmal.
Als nach dem unglücklichen Gefechte im Februar 1814 die Unsrigen sich zurückziehen mußten, bestand der Nachtrupp des linken Flügels zum Theil aus der Reiterei der Lützow'schen Schaar und aus einem Schwarm Kosacken. Täglich drängte und verfolgte der Feind die Unsrigen, wobei viele gefallen und in Gefangenschaft gerathen sind. Die noch Freien und Rüstigen aber waren in einzelne kleine Haufen versprengt, und somit den bewaffneten Bauern im Ardennenwalde Preis gegeben.
Am 15. März befand sich unser Freund bei einem dieser Haufen. Unglücklicherweise ritt er gerade an diesem Tage ein sehr schlechtes Pferd, einen Falben von Farbe. Er wurde auf der Straße von Rheims nach Mezières, unweit Rethel angegriffen, in einen Wald gesprengt und darin von den Bauern ermordet und sodann auf Verwendung eines Bürgermeisters auf dem Kirchhofe eines Dorfes feierlich beerdigt.
Dies waren die mir zur Kenntniß gekommenen Thatsachen, als ich den Tod meines Freundes Ende März 1814 erfuhr, wo wir mit dem Fußvolk der Lützow'schen Schaar vor Jülich durch die Mecklenburger abgelöst und auf dem Marsch nach Frankreich begriffen waren. Die Ausführung des mir von dem Augenblick an zur Pflicht gewordenen Vorhabens, die Gebeine meines Freundes aufzusuchen und sie dem vaterländischen Boden zu überliefern, ward indeß durch den bald darauf erfolgten Friedensschluß und unseren Rückmarsch aus Frankreich, wenn auch nicht gänzlich vereitelt, doch wenigstens auf lange Zeit hinaus aufgeschoben. – Nächstdem, daß mir der Ausbruch des Krieges 1815 hinsichts des für mein Vaterland gehofften Heils sehr erwünscht war, hoffte ich auch dadurch von neuem Gelegenheit zur Ausführung meines mehrerwähnten Vorhabens zu finden. Durch mancherlei eingetretene Hindernisse sah ich mich aber leider abermals daran verhindert. Jedoch mein, obgleich in mancher andern Rücksicht sehr ungünstiges Geschick, führte mich bald darauf zum vierten Mal nach Frankreich und zwar gerade unmittelbar in die Gegend, wo mein Freund ermordet wurde, indem ich mittelst Cabinets-Ordre vom 2. Februar 1816 zu meinem jetzigen Regiment, dem 14. (3. Pommerschen), welches im Ardennendepartement beim Armeecorps in Frankreich steht, versetzt ward.
Endlich, Ausgangs November 1816 wurde mir durch einen meiner Kundschafter angezeigt, daß ein Unteroffizier meiner Kompagnie, mit Namen Danner, von seinem Wirthe zu Launoy ein preußisches Dienstsiegel zum Geschenk erhalten habe, welches ein im Monat März 1814 im Bois de Huilleux erschossener preußischer Offizier, der in la Lobbe begraben sei, besessen hätte. Ich ließ mir hierauf sogleich den Unteroffizier nebst seinem Wirth rufen und fand – was ich ahndete – das Dienstsiegel der Lützow'schen Schaar, welches unser Freund, da er Adjutant war, gewöhnlich bei sich führte, und welches mir, als ich es erblickte, um so mehr durch einen in dem Holzknopf befindlichen Kreuzschnitt unverkennbar war, da ich mich hierbei sofort jener Worte meines Freundes lebhaft erinnerte, als ich ihn in Holstein frug, warum er dieses Mal hineingeschnitten, er mir sagte: »Siehe, da kannst Du sehen, wie pfiffig ich bin; ich habe es deshalb gethan, um beim Siegeln sehen zu können, ob der Kopf des Adlers oben steht.« –
Durch das zufällige Vorfinden des Siegels ward mir nun auf einmal die Bahn zur Erreichung meines längst ersehnten Ziels gebrochen. Ich ritt daher am 5. Dezember 1816 nach dem Dorfe la Lobbe, welches drei Stunden von Launoy entfernt ist, und erhielt von dem dortigen Bürgermeister, Namens Deslyon, nicht nur die Bestätigung des oben Gesagten, sondern ersah auch aus der mir von demselben über den ganzen Hergang der Sache aufgenommenen protokollarischen Verhandlung die genausten darauf Bezug habenden Nebenumstände. Denen zufolge war unser Freund am 16. März 1814, des Nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr, in dem etwa eine Viertelstunde von la Lobbe entfernt liegenden Bois de Huilleux, sein Pferd am Zügel leitend, angekommen, und darin auf zwei Bauern aus la Lobbe, die daselbst Brennholz schlugen, gestoßen. Er forderte sie auf, ihn ins nächste Dorf zum Bürgermeister zu bringen. Als sie beinahe aus dem Walde heraus waren, begegnete ihnen ein Haufe mit Flinten versehener Bauern, die, als sie unsern Freund erblickten, von seinen Führern sogleich dessen Auslieferung verlangten, und da sie ihnen dies nicht zugestanden (wobei es wahrscheinlich zum Handgemenge gekommen ist, welches ich aus einem Umstand schließe, den ich Dir weiter unten mittheilen werde), so schoß einer von ihnen, Namens Brodico, Schäfer auf der unweit des Dorfes Grand-Champ belegenen Ferme la Puisieux, seine Flinte auf meinen Freund ab, wobei die Kugel, die ihn tödtete, in die linke Brust durchs Herz und das linke Schulterblatt drang, worauf augenblicklich er todt zur Erde sank, von seinen Mördern ausgeplündert und ganz nackt liegen gelassen ward. – Die beiden Bauern aus la Lobbe machten hierauf dem dasigen Bürgermeister Anzeige, der, ob aus Politik oder Menschlichkeit, will ich dahin gestellt sein lassen, den Leichnam sofort nach la Lobbe bringen, ihn in einen Sarg legen, und am 17. März 1814 des Morgens um zehn Uhr auf dem dortigen Kirchhofe mit allen dabei üblichen Feierlichkeiten, d. h. nach der katholischen Liturgie, beerdigen ließ. – Von den beiden mehrerwähnten Bauern, die ich mir hatte rufen lassen, erhielt ich dann auch die Bestätigung des eben Gesagten, und überdieß, außer mehreren näheren Aufschlüssen, noch eine genaue Beschreibung meines Freundes, hinsichts seiner Gesichtsbildung, Haupthaare, Gestalt und Kleidung, und des mir sehr wohl bekannten schlechten russischen Pferdes. Einer dieser Bauern war auch noch im Besitz einer bei unserem Freund gefundenen Karte von der Champagne, die ich mir natürlich sogleich aushändigen ließ und dieselbe augenblicklich an der mir bekannten Art, wie mein Freund gewöhnlich die Orte bezeichnete, woselbst er gewesen war, erkannte, daß er sie mußte besessen haben.
Nachdem ich nun hinlängliche Thatsachen genug gesammelt hatte, die mich zu der Ueberzeugung führten, daß der in la Lobbe begrabene Preußische Offizier ohne Zweifel unser Friesen sein mußte, schritt ich an die, Behufs des Ausgrabens desselben nöthige Arbeit. Bevorworten muß ich, daß ich beim Vorfinden der Gebeine durchaus keine Täuschung zu befürchten hatte, weil ich an den, mir ganz lebhaft erinnerlichen Zeichen unfehlbar die meines Freundes erkennen mußte.
Erstlich hatte er im Unterkiefer einen Vorderzahn, der ihm einstmals beim Fechten auf dem Fechtboden zu Berlin ausgeschlagen ward, den er sich zwar gleich wieder eingesetzt hatte, der aber dessen ungeachtet (da er etwas nach vorn stand, und auch an dem Hieb des Fechtens unverkennbar war) mir ein untrügliches Kennzeichen gewährte.
Zweitens wußte ich ganz bestimmt, daß ihm nicht nur kein Zahn fehlte, sondern daß er auch vorzugsweise gute und schöne Zähne hatte. Drittens hatte er an der Stirn über dem rechten Auge eine Narbe, die er, wenn ich nicht irre, in seiner frühsten Jugend durch einen Steinwurf erhalten hatte.
Viertens dienten mir auch seine überaus starken Backen- und Augendeckelknochen, so wie überhaupt die ganze Gestalt seines Kopfes zu hinlänglicher Erkennung desselben.
Demzufolge hatte ich an dem mir vom Bürgermeister Deslyon und mehreren Einwohnern des Dorfes bezeichneten Ort, wo unser Freund begraben liegen sollte, bereits sechs Gräber ohne erwünschten Erfolg öffnen lassen, als die Nacht einbrach und mich an allem weiteren Aufsuchen für diesen Tag verhinderte. Am folgenden Tage, nämlich den 6. Dezember v. J. mußte das von mir commandirte Füsilier-Bataillon seine damaligen Cantonnirungen verlassen, und die jetzt von demselben besetzten Orte beziehen, vorher aber nach Charleville marschiren, um daselbst am 7. Dezember vom G. von Zieten besichtiget zu werden. Der Dienst gebot mir daher noch in der Nacht nach Launoy zurück zu reiten, ehe ich aber la Lobbe verließ, machte ich es dem Bürgermeister Deslyon zur ausdrücklichen Bedingung am folgenden Tage mit dem Aufsuchen der Gebeine meines Freundes fortfahren zu lassen, und wenn man sie gefunden, er sie unverzüglich nach Launoy an einen meiner Kundschafter, den ich mit dorthin genommen hatte, überschicken solle. Nach meinem Eintreffen in Launoy befand ich mich aber so höchst unwohl, daß ich mich außer Stand gesetzt sah, mit meinem Bataillon von dort nach Charleville abzumarschiren.
Ueber alle Beschreibung aber fühlte ich mich überrascht, als mir der Bürgermeister Deslyon am 6. Dezember vorigen Jahres des Nachmittags um 3 Uhr meinen Freund ganz so, wiewohl verweset, wie er zur Erde bestattet ward, übersandte. Augenblicklich erkannte ich die Gebeine an den oben erwähnten Kennzeichen für die unseres Friesen, und zwar ganz vollzählig, ausgenommen zweier Vorderzähne am Oberkiefer, die ihm, da sie ihm bei seinen Lebzeiten nicht fehlten, vermuthlich bei dem oben angeführten Handgemenge von seinen Mördern ausgeschlagen wurden, welches mir um so wahrscheinlicher ist, da die beiden Augenzähne eine widernatürliche Richtung haben, indem sie ganz nach hinten stehen, und auch sehr tief im Kiefer stecken, denn wenn sie ihm im Grabe ausgefallen wären, so hätte ich sie im Sarge vorfinden müssen.
Meine Freude und mein Schmerz über den nunmehrigen Besitz dieser theuren und herrlichen Ueberreste ist überaus und gleich groß. – Ich habe beim Anschauen und gewissenhaften Ueberzählen derselben die bittersten Thränen vergossen und seinen wahrhaft königlichen Schädel mit eben der Liebe und Freundschaft geküßt, wie ich dies bei seinen Lebzeiten im Glück und Unglück stets gethan! – Es fehlen mir die Worte um Dir meine Empfindungen in ihrem ganzen Umfange auszudrücken, die mich bei dem Bewußtsein durchdringen, die Gebeine meines Freundes, dessen Andenken die Zeit nie und nimmer aus meiner Seele verwischen kann und wird, in meiner Stube zu wissen.
Das Hirn ist im Schädel noch ganz erhalten, jedoch schon ziemlich vertrocknet. Den Gang der Kugel, durch die er getödtet ward, entdeckte ich sofort im linken Schulterblatt. Ungefähr so viel Haupthaar als zu drei Locken nöthig sind, wie sie die Frauen gewöhnlich in einer Glaskapsel auf dem Busen zu tragen pflegen, sind seltsam genug unter dem Schädel der Verwesung ganz entgangen.
Während der Belagerung von Mezières 1815 hatten die Hessen den Brodico, Mörder unseres Freundes verhaften lassen. Der damalige Bürgermeister von Launoy, jetziger Notaire daselbst, Namens Coche, ließ denselben aber absichtlich entspringen, wofür er seines Postens entsetzt ward und 50 Stockhiebe erhielt. – In Novion soll sich das Schwert und mehrere Kleidungsstücke von unserem Freunde befinden, bis jetzt ist es aber meinen Kundschaftern noch nicht gelungen, die Besitzer derselben auszumitteln, was deßhalb sehr schwer hält, da die Bewohner der ganzen Gegend befürchten, daß sie wegen der Ermordung unseres Freundes noch einmal dürften gezüchtigt werden, und daher alles sehr geheim halten. – Der Bürgermeister Deslyon hat mir bei Uebersendung der Gebeine ein Zeugniß ausgestellt, daß es wirklich die des am 16. März 1814 im Walde de Huilleux getödteten Preußischen Offiziers seien, wogegen ich ihm auf sein Ansuchen einen Empfangsschein gegeben habe.
Eine gleiche Geschichtserzählung, wie die vorstehende ist, habe ich vor Kurzem an den Doctor Jahn nach Berlin gesandt, und mich erboten alle Gebeine unseres Freundes ihm zu übersenden, wenn er, seiner mir früher gegebenen Zusicherung gemäß, sie auf dem Turnplatz bei Berlin unter der Mahlsäule der heimathlichen Erde überliefern will; widrigenfalls ich sie sonst durchaus nicht aus meinem Verwahrsam gebe, sondern sie lieber verbrenne, als wissentlich zugebe, daß sie vertrödelt werden.
Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription werden gesperrt gesetzte Schrift sowie Textanteile in Antiqua-Schrift hervorgehoben.
Eine auf den Halbtitel folgende ganzseitige Illustration wurde hinter die Titelseite verschoben, und der Halbtitel entfernt.
Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden Ausnahmen,
Seite 4:
"Traunkijör" geändert in "Trannkijör"
(auf dem Schlosse Trannkijör zu Langeland geboren)
Seite 49:
"Vaterandes" geändert in "Vaterlandes"
(sein Herz hatte bei dem Jammer des Vaterlandes oft geblutet)
Seite 99:
"Anheil" geändert in "Antheil"
(und wie sehr Dohna diesen Antheil theilt)
Seite 112:
"»" eingefügt
(»da die Baiern schon zwanzig Jahre früher)
Seite 112:
";«" geändert in "«;"
(»dessen Arbeit auf die Schönheit ging«; er)
Seite 114:
"»" eingefügt
(»Wir haben hier Großes werden sehen.)
Seite 130:
"uuter" geändert in "unter"
(sonst gehe ich unter! – Könnte ich Dich nur)
Seite 186:
";«" geändert in "«;"
(und seines »Carlo Zeno«; hier las der begabte Dichter)
Seite 216:
"," eingefügt
(Magdeburg, den 1. März 1824)
Seite 266:
"." eingefügt
(Enkelschaar zum Besuch bei mir angekommen wäre.)
Seite 289:
"«" eingefügt
(Sehnen, das nicht still sein will?«)
Seite 293:
"befrenndeten" geändert in "befreundeten"
(blickt lächelnd zu dem ihr befreundeten Himmel!)
Seite 299:
"kuüpft" geändert in "knüpft"
(und daran knüpft sich die Lust)
Seite 318:
"iu" geändert in "in"
(Begeisterung – in der nichts einzelnes hervortritt)