The Project Gutenberg eBook of Guirlanden um Die Urnen der Zukunft

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Title: Guirlanden um Die Urnen der Zukunft

Author: A. K. Ruh

Release date: May 14, 2014 [eBook #45644]

Language: German

Credits: Produced by Jens Sadowski (based on page scans made
available by John J. Pierce and by the Staatsbibliothek
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GUIRLANDEN UM DIE URNEN DER ZUKUNFT ***

Wahrhaftig — eine Sideley!

Guirlanden
um
Die Urnen
der
Zukunft.

Eine
interessante, originelle
Familiengeschichte
aus dem drei und zwanzigsten Jahrhunderte
von
A. K. Ruh.

Leipzig 1800.
Im Verlag der Jos. Poltischen Buchhandlung.

Guirlanden
um
Die Urnen
der
Zukunft

Eine
Familiengeschichte
von
A. K. Ruh.

In drei Theilen oder Abschnitten.

Prag und Leipzig 1800.
Im Verlag der Jos. Poltischen Buchhandlung.

Dem
Herrn Stadtrath
Franz Pablitschek,
und
seiner Gemahlin
zugeeignet
vom
Verfasser.

Potui quod feci.

Erster Abschnitt.

Erstes Kapitel.
Blicke in die Zukunft.

An der unendlichen Uhr der Zeiten wird der Zeiger der Jahrhunderte, auf den dreiundzwanzigsten Punkt deuten. Fünf Generationen des Menschengeschlechts werden noch erstehn, wie im Frühling des Jahrs der Fluren Blumengewand ersteht: wie im Herbste das bunte Laub von krafterschöpften Bäumen rieselt, werden sie fallen.

Eine neue Mennschensaat wird keimen, sprossen und reifen, gesäet von den Händen der Zeit.

Schwach und matt noch dämmert die allbelebende Sonne Wahrheit durch den dichten Nebelflor der Vorurtheile und den dunkeln Wolkendampf des Dünkels; aber sie werden erhellt werden, sinken werden die Nebel und Wolken, sich zertheilen und nimmer seyn. Und eine Sonne tritt hervor aus der Schacht des Wahnes, hell und glänzend wie der geläuterte Morgen nach der Sturmnacht, mild wie der Thau in Perlen am Frühlingshalm, und labend wie Abendkühle den schweißtriefenden Schnitter. Edle Thaten der Menschen verketten und verdrängen sich vor meinem Blicke, wie lieblich in einander flirrende Träume. Ein Odem durchweht die eine Seele der neuen deutschen Familien; geadelt durch Geistes und Herzenkraft handlen sie edel und — menschlich.

Aus dem bunten Gewirr künftiger Begebenheiten drängt sich mir eine vor allen auf — nicht der Schönsten, schönste, aber auch nicht der Edelsten lezte.

Nehmt sie erwartungsvolle Leser, gefällig aus meinen Händen. Schwebet mit mir in dem Kahne der Fantasie auf, dem Meere der Zeiten 500 Jahre vorwärts. Seht diese neue Welt um euch und hört. Aber erwartet nicht vollkommen glükseelige Bewohner, vielleicht den Geistern der uns unbekannten andern Welt gleich. Auch dann — laßt über unserm Staube noch tausend Generationen wandeln, laßt Meere austroknen zu Ländern, und Gebirge in Meere sich verändern — auch dann bleiben der Erde Bewohner unvollkommne Geschöpfe — Menschen, gemischt aus guten und niedrigen Neigungen.

Und du, o Genius der Zukunft, der mit sonnigten Finger dem kühnen Späher den Flor der Nacht vom Sonnenhell der Zukunft hobst, belebe meinen Pinsel, daß ich mahle, mit jenen Farben mahle, so die Natur zeichnet, die einst als der alleinige Ring alle Seelen umringen wird. Daß vielleicht wenn ich Stäubchen lang in Vergessenheit verwitterte, jene Vorwelt meiner Kühnheit lächelt, und spricht: Dieser las im Buche der Zukunft.

Zweites Kapitel.
Graf von Wallingau.

Nicht Erbrecht, nicht Geburt, der Geist
macht groß und klein.

Hagedorn.

Edle Thaten, Verdienst um das Wohl der Nation, oder Erfindungen, welche den Menschen nützen, und sie erhöhen, adeln den Bürger des Staats. Er sey der Sohn eines Fürsten oder eines Ackermanns.

Der erfahrneste, weiseste Mann ist der Kaiser Germaniens; gleich verdient um sein Vaterland durch mannigfaltige Kenntnisse, Geistes und Herzenstugenden, als auch berühmt durch erhabne Handlungen um das Wohl des Menschengeschlechtes. Ausgezeichnete Vorzüge, alle gemein erkannte Ueberlegenheit an den trefflichsten Eigenschaften über alle, machen ihn des Thrones würdig.

Der Bürger, der gleichfalls nur durch moralische Vorzüge, und ohne diesen unedel war, und sollte er des Goldes vollauf haben, lebte froh und ungestört im Genuße der Früchte seiner Thätigkeit; häuslich und voll der Liebe, voll der innigen Verehrung seines Kaisers, der ein Vater aller war, lebte er begeistert vom Gefühl des Friedens im Ueberfluß.

Unter so manchen Biedermännern gab es einen gewissen Grafen von Wallingau, der Edelsten einer die Germaniens Boden trug.

Sein Vater war ein Landmann gewesen, stark und schlicht, wie sein Pflug, mit dem er sein Brod baute; herzensgut und redlich. Sein ungemeiner Fleiß erwarb ihm ein großes Vermögen, das ohngeachtet seiner Mildthätigkeit die oft sogar an Verschwendung gränzte, immer grösser wuchs, und nach seinem Tode dem einzigen Sohne Welly zufiel, der seinem kindlich betrauerten Vater nacheifernd Herzensgüte mit Talent, Seelenstärke mit Eifer und Thätigkeit vereinte, um so seinem Vaterlande Ehre und Vergnügen zu machen.

Anfangs blieb auch Welly bei dem Geschäfte, des Ackerbaus. Die Natur seine stäte Führerinn, hatte den Drang zu Wissenschaften in sein Herz gelegt, der immer stärker und endlich zum Bedürfnisse ward, das Befriedigung heischte.

Die Naturgeschichte war unter vielen andern Gegenständen, welche die treffliche Einrichtung des Staats jeglichem Gliede zur Kenntniß ans Herz legte, sein Lieblingsstudium. Das von seinem Vater ererbte Vermögen sezte ihn in den Stand seine Wißbegierde auf Reisen zu sättigen. Er durchzog einige Jahre lang im Vaterlande und den angränzenden Reichen die Fluren der Gelehrsamkeit, sog überall den Honig aus den Blumen, und kam ein geschikter Physiker in seine heimischen Auen zurük, wo er rastlos seinem Fache oblag und es darinn soweit brachte, daß er in einem Raum von acht Jahren durch unermüdetes Forschen und Streben verschiedene nützliche Maschienen erfand. Dies, und Wellys geschäzte Eigenschaften überhaupt, vorzüglich seine Verdienste um die Armen, denen er oft im größten Frost, Holz, Speise und Kleider und Geld trug, wurden denn auch belohnt, da überall Gerechtigkeit in der Belohnung des Verdienstes und Aufmunterungseifer die ganze Nation beseelte.

Eben war durch den Tod des Besitzers die Grafschaft Wallingau leer. Welly ward als Kandidat vorgeschlagen, und da seine Verdienste grösser und edler als jene aller andern Kandidaten waren, so entschied für Welly der Kaiser, und Welly ward Graf von Wallingau.

Drittes Kapitel.
Der Spaziergang in das Kastanien Wäldchen.

In seeligen Frieden lebte nun der neue Graf den Mittag seines Lebens. Eine treue zärtliche Gattin zur Seite. Sie geliebt und nachgeeifert von allen Mädchen und Frauen, er das Muster, nach dem sich die Jünglinge der Gegend und des Dorfes bildeten, das im halben Kreise das gräfliche Schlos umgab. So war Elisium ihr Ländchen, und glükliche Unterthanen, thätig und reich, segneten mit frohen Thränen die Stunde, die ihnen dieser Vater gebahr, bekränzten im blühenden Frühling als eines Heiligen Statue das Ehrendenkmal, so die Gemeinde Wellys den verstorbnem und von Jedem geschäzten Vater gesezt hatte, und dankten der Vorsicht die im Sohne den Todten erstehen ließ.

Zur ungemeinen Erhöhung des Lebens, gebahr Wellys geliebte Gattin Jadilla zwei Kinder. Salassin einen Knaben, ganz das Bild des Vaters, und ein Mädchen das den Namen der Mutter und den schönsten Keim zur künftigen Grazie trug.

Also waren in beneidenswerthen Freuden sechs Jahre entflohn, schnell wie ein Pulsschlag und hold wie ein blühender Frühling. Salassin zählte sechs und die plappernde Jadilla vier Sommer. Aber nun erwachte das Glük, das im achtzehnten wie im 23. Jahrhundert nie das menschliche Leben ungetrübt läßt, aus seinem Schlummer, und schüttete Wermuth in den Kelch der Freude.

Eben streifte mit rosichten Finger der Morgen vom dämmernden Kastanienhaine die Nebelwolken der Nacht. Der Sonne halbe Goldscheibe strahlte hinter dem östlichen Berge hervor, und der Thau rann an Grashalmen in spiegelnde Perlen.

Da saß Welly mit seiner kleinen Familie im elisischen Parke des Schlosses am Frühmale. In einer duftigen Schasminlaube mit grünen Bänken und einem Mahonitischchen, genoßen sie das ländliche Mahl von frischgemolkner Milch, gewürzt von vertraulichen Scherze der Gattin, und naiven Fragen und Schäckereien der herzigen Kinder; voll Heiterkeit der Seele wie der Morgen, der durch die Lichträume des Schasmingeflichts seinen purpurnen Strahl, auf die liebliche Milch und die Wangen der Frohen goß.

„Wie so herrlich der Morgen auf uns lächelt, meine Jadilla! — sprach der muntre Vater und drückte inniger der Gattin Hand. Wie alles lebt und sich regt! Düftet und blühet! Wollen wir nicht einen Spaziergang in das nahe Kastanienwäldchen machen, das dort an dem Berge in bläulichen Gruppen an den Wald sich schließt? Komt! komt meine Trauten! Schöner ist Mutter Natur im Freyen! Dort athmen wir den Odem der Liebe, die uns das allwirkende Wesen in jedem Grashalm und Wurm erkennen läßt! Komt!

Ja! — lieber Vater! — rief hastig der muthige Salassin, und küßte ihm die Hand. — Ich will Schmetterlinge fangen, so schöne Schmetterlinge, wie du aus dem fremden Lande gebracht hast.

Ja ja! — liebe Mütterchen — stammelte hüpfend die kleine Jadilla, und schmiegte sich an die Mutter. Schöne Blümchen da giebts — dir Sträuschen und dem Vater auch, und dem Salassin auch — komt! komt! mit dir im Grase springen.

Mit einem zärtlichen Blick, der ganz die Seeligkeit des Gefühls ausdrückte, so das holde Geschwätze der Unschuld erregte, begegneten sich die Gatten, und wandelten auf das Kastanienwäldchen zu; ein Diener folgte mit dem Sonnenschirme.

Dies war die gewöhnliche Stunde, in der Welly seine Kinder belehrte. Am Morgen wo die Seele heiter und sorgenlos, gefühlvoller das Herz für das Schöne der Natur, und faßlicher für jeden Unterricht ist nahm er sie in das Freye mit, und brachte seinen Kindern angemessene Begriffe von Gott und manchen andern Sachen bei. Der Schmetterling, den Salassin mühsam gefangen, das Blümchen so Jadilla gepflükt, war Stoff und Gegenstand, von dem er auf den Urheber und Erhalter des Universums in leichten Gesprächen kam, und so die Begriffe von Milde, Güte, Weisheit und Ordnung des Urwesens spielend in das Herz und Gedächtniß der Kinder pflanzte.

Auf schlängelnden Wegen der Wiesen, die ein Kieselbach murmelnd in zwei Fluren theilte, neben rauschenden Weidengesträuchen Hollunder und Hagedornhecken giengen sie dahin im lachenden Thale, und achteten nicht des glänzenden Thaues, der ihre Schuhe benäßte.

Da rief ein singendes Mädchen, die blinzelnde Sichel in der Hand, unter welcher die Blumenglieder stürzten, der kommenden Familie herzlich und lächelnd ihren Morgengruß zu. Dort am Fahrwege that es ein Ackersmann hinter dem knarrenden Pflug — hier ein Knabe, der zottige Ziegen am Felber weidete — dort der Schaafhirt am Abgang des Hügels mit der Flöte.

O Natur! Natur wie bist du so schön! — rief Welly über den Anblik dieser Szenen entzükt, und schmiegte sich heißer an die mitfühlende Gattin.

Endlich nahm sie das niedliche Kastanienwäldchen in seinen moosichten Schoos auf. Sie lagerten sich im Schatten, denn die Sonne stand schon viel höher über den waldigen Ostberg, und die wachsende Schwüle trieb die Wandlenden ins erfrischende Kühl. Salassin und Jadillchen jagten herum in riechenden Wacholderbüschen, und liefen bald einem Schmetterling, bald einem Blümchen nach. Ein bunter Vogel flog um den andern auf, und der Knabe wußte nicht, welchem er folgen sollte: ein Waldblümchen um das andere lokte das kleine Mädchen, das schon alle Händchen vollgepflükt hatte. Immer warf sie die Gepflükten hinweg, und brach sich Neue. Willot der Diener hatte Mühe, die beiden im Gesichte zu erhalten, er folgte bald diesem, bald jener, sie liefen zertheilt herum, und kaum rief er den hastigen Salassin, war ihm schon wieder das geschäftige Jadillchen aus dem Auge.

Die kleine Pflückerinn verlor sich denn dabei einmal soweit in einen Birkenschlag, daß Willots Ruffen sie nicht mehr hörte. Sie verfolgte die Blüthen, im eifrigen Pflücken hatte die Schuhe verlohren, das florne Schürzchen und das leichte Kleid an den Dornen der Hambutensträuche zerrissen, und gerieth endlich soweit, bis sie unvermuthet am Ende des Schlages um den ganzen Hügel herum gekommen war, wo sie ein Thal, das sich vor ihren Füssen aufschlos, mit einiger Verwirrung erblikte.

Sie kam eben auf eine Strasse, ein neues schöneres Blümchen blühte vor ihr, sie grief nach ihm, und ach! — eine Biene stach Jadillchen in das weiße Händchen.

Der Schmerz erpreßte ihr Thränen und sie weinte laut.

Eine Kutsche rollte grade die Strasse heran, darinn saß eine ältliche Dame. Sie ließ den Kutscher halten.

„Warum weinst du? Mädchen! — sagte die Dame freundlich. Ein Bienchen hat mich stochen — in die Hand hat es mich stochen! — weinte das Mädchen und blies auf die brennende Wunde.

„Was machst du denn da im Walde?“

Blümchen pflüken dem Vater und Mutter und Salassin.

„Wo ist denn Vater und Mutter?“

Jadillchen schaute sich herum, die neue Gegend verwirrte sie, sie zeigte in das fremde Thal hinab wo ein Dorf lag. Da ist Mutter!

„Komm mit mir Mädchen, weine nicht, ich will dein Händchen heilen!“

Ja du bist nicht meine Mutter.

„Komm ich bringe dich zu ihr, du möchtest dich verlaufen!“

Jadillchen ließ sich nicht zweimal bitten, man hob sie in den Wagen, und die Dame beschäftigte sich mit dem Bienenstich, der das arme Kind so schmerzte, daß es Mutter und Vater, Salassin und Blümchen vergaß, und weinte. Die Dame zog ein Balsambüchsgen heraus, und der Schmerz ließ nach, sie fuhren dem Dorfe zu, auf das die wirre Jadilla gezeigt hatte.

Viertes Kapitel.
Auf Sonnenschein folgt Regen.

Willot hatte damals Salassin nachgeruffen, der nach einer ganz entgegengesezten Seite des Birkenschlages lief; und weil er nicht folgen wollte, sprang Willot ihm nach, um ihn mit Jadillen beisamm zu erhalten. Aber der Knabe zerrte sich und entlief dem Diener immer weiter; so geschah es denn, daß jenseits das Mädchen ganz aus den Augen schwand, und schon mit der Dame fortfuhr, als er den muthwilligen Salassin kaum noch gebändigt hatte.

Nun lief er den ganzen Schlag durch. Jadillchen! Jadillchen! Aber Jadillchen war verschwunden, das Echo wiederhallte die Antwort: Jadillchen! Fort über Stock und Stein durch Hecken und Sträuche suchend und ruffend; aber Jadillchen war verschwunden. Müde gelaufen und heiser geschrien lief er auf die Eltern zu, und konnte kaum ein Wörtchen vor Bestürzung stammeln. Salassin saß dem Vater zur Seite abgemüdet vom Papilionenfang.

Wo ist Jadillchen? — fragte die Mutter.

Daß sie sich nicht verirre! Der daranstossende Wald ist groß und verworren. — Fügte der Vater bei.

Ach Herr! — stotterte der todtenblasse Willot. — Ich kann kaum mehr sprechen — überall war ich — Jadillchen ist verschwunden! — Er sprachs keuchend und lief sogleich wieder in den Schlag, lieber athemlos, müd und erschöpft bei dem Suchen liegen zu bleiben, als hier die erschrokenen Gesichter länger anzusehn.

Welly eilte nach, mit Mutter Jadilla an der Hand. Salassin folgte den Vorauslaufenden.

Sie suchten und riefen, und riefen und suchten; aber freylich — vergebens. Mit jedem Pulsschlage ward ängstlicher die bange Mutter, besorgter der Vater.

Die Sonne stand hoch am Himmel, die Schwüle des Tages, die heftige Bewegung im Herumrennen, und die Angst ermattete bald die Forschenden. Jadilla gieng eilig dem Schlosse zu frische Leute zu schicken. Eine Kutsche ward bespannt, sie fuhr mit andern ins Wäldchen zurük.

Die Hälfte der Dorfbewohner vergaß des Mittagmahles, das sie eben genoßen, vergaß Ruhe und Geschäfte, und lief der Gräfinn nach in das Wäldchen. Vereint suchten Alle — kein Pläzchen im Walde blieb unbesehn: aber freylich — das Mädchen ward nicht gefunden.

Müde und matt schliechen die Guten zurük: bestürzt kam der Vater, todtenblaß die Mutter in das Schloß: ihres Kummers heiße Thränen bewegten auch den Knaben Salassin zum weinen, und er rief schluchzend: „So ist Jadillchen nicht da? Jadillchen! ach Jadillchen! bist verloren! nun springst du nimmer mit mir im Grase herum!

Zwei unbeschreiblich jammervolle Nächte waren bereits vorüber, der Mutter schienen sie Jahrhunderte, und noch war keine Spur. Am zweiten Morgen kam endlich Welly zurük — mit seinen Leuten: sie hatten alle an den Hügel anstossende Wälder durchspürt, in den nahen Dörfern herumgefragt, ach! des Vaters Besorgniß ward folternder Schmerz; denn alle Mühe war vergebens.

Aus dem Fenster sah die Hoffnung und Furcht erschütterte Jadilla dem kommenden Gatten, entgegen, sie sprang eilends hinab auf den Platz vor dem Schlosse; halberschöpft war sie, denn Tag und Nächte hatte sie durchhärmt Ruhe und Schlummerlos. Er komt! Er komt! und bringt mein geliebtes Kind wieder! — rief sie von Freude gespannt, und drängte sich entgegen den Kommenden; aber die Kutsche war leer an Jadillchen.

Welly sprang heraus und fieng sie in seine Arme. Mein Kind — schrie sie, und sank leblos auf den kummervollen Gatten.

Jadilla! Jadilla! Mein Weib! — Erwache! Erwache! rief Welly erschüttert, und schlos die Ohnmächtige ungestimzitternd an sein Herz.

Das Volk drängte sich geschäftig an das blasse Paar, und Thränen der innigsten Theilnahme glänzten in jedem Auge. Ein Fläschgen Kraftgeistes ward gebracht, ein Tropfe auf die Schläfe — Jadilla schlug die Augen auf. — Wo ist meine Tochter? fragte sie mit matter Stimme.

Sie lebt! Sie lebt! — rief das Volk untereinander, und freute sich wieder.

Sie lebt? Wo? Wo? — fragte hastig erhohlt die Mutter.

Jadilla! Mein Weib! Sey getröstet! — versezte Welly, indem er die Wankende dem Zimmer zu führte. — Wir sehen Jadilla wieder — sey getröstet!

In der Schlosallee wand sich zur versammelten Gemeinde der edle Pfarrer des Dorfes, entblöste sein schneelockigt Haupt, und begann mit zitternder Stimme: „Meine Kinder! —

Aber der Haufe errieth sogleich, was er wolle, man ließ ihn gar nicht ausreden — Jeder, der gesunde und auch nur halbgesunde Füsse hatte lief begeistert fort. Zwei Drittheile des Dorfes strömten dem Walde zu, zertheilten sich in alle Gegenden, forschten überall, suchten alles aufs neue durch, kamen viele Meilen weit in der Runde herum, keine Seele hatte zum Unglük das kleine Mädchen, so nun den vierten Tag schon verschwunden war, gesehen; sie wiederholten ihre Mühe; aber — edles Völkchen! dein ward nicht die Wonne den geliebten Grafen, die verehrte jammervolle Mutter zu trösten mit dem gefundenen Kinde, an dem sie mit ganzer Seele hieng!

Fünftes Kapitel.
Der Gasthof.

Jadillchen fuhr inzwischen mit der fremden Dame immer weiter von der heimischen Flur. Sobald ihr Wundenschmerz nachgelassen hatte, wurde das Mädchen sehr munter, sie plauderte mit der Dame, die ihr allerlei Näschereien gab und mit ihr spielte. Die niedliche Schwätzerinn behagte jener immer mehr und mehr, so daß in der Seele der Fremden der Wunsch sich regte: Wenn doch das liebe Kind bei mir bleiben könnte.

Endlich wekte der Anblik eines fremden Schlosses sie aus dem Spiele, und Jadillchen schlug vor Freuden die Händchen zusammen: Mütterchen! Mütterchen da ist! Vater und Salassin.

Das unbekannte Frauenzimmer mochte es aber nur zu gut merken, daß Jadillchen durch die noch ungesehnen Bilder nicht wisse, wo es sey. Sie ließ vor dem Schlosse den Wagen halten, stiegen ab, ein finstrer grämlicher Mann trat tiefsinnig aus dem Gebäude, und gieng dem Garten zu, ohne beide eines Blickes zu würdigen.

Ist das der Vater? — fragte die Dame, die Jadillchen bei der Hand hielt.

Jadillchen schüttelte bestürzt den Kopf, und sah bald das Haus, bald ihre Gefährtin an.

So müssen wie weiter fahren!

Jadillchen schluchzte. „Da ist nicht Vater und Mutter und Salassin!“

Wir werden sie schon finden! tröstete sie die Dame, und hob sie wieder in den Wagen, wo das Mädchen durch den Reitz artiger Spielwerke bald wieder allen Kummer vergaß, und nur dann es fallen ließ und Mütterchen! rief, wenn sie ein Weib irgendwo oder ein Gebäude, dem väterlichen Schlosse ähnlich, erblikte.

So fuhren sie ungefähr, bis der heiße Mittag allmählig seine segnenden Strahlen auf die Fluren warf. Der Staub wirbelte in leichten Wolken unter den Hufen den Rosse und Rädern des Wagens, und die schwüle Luft länger zu athmen, war der Reisenden zu beschwerlich — Sie kehrten in einem der nächsten Gasthöfe an der Landstrasse grade zur Zeit schon ein, als Willot dem Grafen anzeigte, Jadillchen könne er nicht finden.

Der Wirth des prächtigen Gasthofes, ein höflicher artiger Mann, kam ihnen sogleich entgegen, und half den Ankommenden aus der Kutsche: faßte die Dame beim Arme und erschrak als er ihr ins Gesicht blickte. Doch verbarg ers und wies ihr ein Zimmer an, worinn alles war, was der bedürfnißvolleste Mensch nicht gebraucht hätte, und doch war es blos ein noch ganz gewöhnliches Zimmer. Tapeten üppiger an Gold und Seide als vor 500 Jahren Persiens Monarchen sie besaßen, dekten die Wände: grünsamtne Ottomanen zum Ausruhn, niedliche mit den schönsten Holzgattungen ausgelegte Tische, Spiegeln in den Fensterläden und an den Wänden mit silbernen Rahmen. — Ein Wink und zwei geschäftige Diener flogen um das Verlangte.

Jadillchen machte große Augen. Außer den Gemächern des väterlichen Schlosses, die zwar weit schöner und geschmakvoller waren, hatte das Mädchen noch keine andern gesehn, und der Reitz der schönen Neuheit bezauberte sie, daß Mütterchen spät erst wieder ihr in Erinnerung kam.

Sie genossen beide das Mahl. Die Reise hatte den Hunger erregt, und der ist wie bekannt, nicht nur bei armen Poeten und Schuhflickern unsers Jahrhunderts, sondern auch im 23. bei Damen und Kindern.

Nach dem Mittagsessen kam der Gastwirth und fragte nach einigen gewöhnlichen Komplimenten.

Meine Dame, du scheinst mir nicht unsers Landes zu seyn?

„Ich bin hier fremde.“

Vergieb — daß ich fragen muß, woher? wohin? wer? in welchen Geschäften? — aber es ist Landessitte.

„Ich komme aus dem roten Kreise Deutschlands, von meinem Bruder dem Edlen von Winzor, und reise zurük in meine Heimath nach England.

Und das ist ohne Zweifel — deine Tochter? oder Enkelin das kleine Mädchen da?

Die Dame nickte halbverlegen: Ja!

Der Gastwirth reichte ein großes Quartbuch mit stark vergoldetem Einbunde der Dame hin, brachte Schreibzeug, und fuhr fort: — Ich bitte, sey so gut, deinen Namen hineinzuschreiben. Es ist Sitte bei uns, alle Durchreisenden wo sie einkehren aufzuzeichnen. Theils der Ehre wegen, viele Gäste und vorzüglich Edle aufweisen zu können, theils um aus der Menge der Passagiers den Standwerth des Gasthofs taxiren zu können.

Die Dame schrieb ihren Namen in das Buch.

Wie? Saline Melson? Aus England?

„Ja! mein Herr!“

Dein Bruder — Edler von Winzor?

„Ja! wie fragst du so auffallend?“

Und hast du deinen Bruder getroffen?

„Mein Herr —“

Erlaube — wenn ich nicht irre — ich habe dich, meine Dame jemal schon gesehen.

„Sehr möglich wenn du in England vielleicht gewesen —“ Sollte dir denn meine Phisognomie gar nicht eine bischen bekannt vorkommen?

„Wie das? Ich —“

(Der Gastwirth küßt ihr bewegt die Hand) Kennst du —

(Die Dame ward frappirt) Wen?“

(Zu ihren Füssen stürzend) Deinen verstoßnen Sohn nimmer?

„Gott im Himmel mein Sohn! mein Jehnson! — Die Stirnnarbe!“ Sie umarmten sich zärtlich, und als die erste Begeisterung des Entzückens verflogen war, rief die Dame:

„Welch frohes Wiedersehen nach langen Jahren!“

Der Gastw. (im Erguß seiner Freude) Ja wohl nach langen, langen Jahren! Wie so unverhoft! O meine Mutter was hab ich gelitten, was hab ich erduldet, seit ich aus deinen mütterlichen Armen verstossen bin. Tausendmal wollt ich zurük an dein Herz, das mich immer zärtlich geliebt, tausendmal zurück in mein Vaterland fliehen, aber — ach, mein Vater —

Die Dame. Sohn — er ist — gestorben! Er hat —

Der Gastw. Gestorben? Gestorben? Ach, und hat auf seinem Sterbelager —

Die Dame. Den Fluch zurükgenommen, dich gesegnet!

Der Gastw. (freudig) Gesegnet? Gesegnet? O denn Ruhe, Ruhe seiner Asche — er hat mir ja verziehen, mich gesegnet! O meine Mutter! wie hat mich sein Fluch in der weiten Welt herumgejagt! Irrend in fremden Ländern, aus meinem Vaterland gestossen, lebte ich nur zur namenlosen Qual. Von einem Orte zum andern trieb es mich unaufhörlich, überall und überall verfolgte mich sein entrüstet Bild. Ueberall und immer klangen in meinen Ohren die Worte des Grimes: Fluch dir, Schande deines Vaters! Wo ich gieng und stand, wo ich schlief und wachte, und saß und eilte, klangs um mich und peitschte Ruhe und Frieden aus mir. Lange, lange, nach vielen Monden konnt ich Fremdling der Welt keinen Reiz meinem Leben abgewinnen: melankolisch war meine Seele und durchstürmt von tausend Martern, die mich oft zum verzweifelten Gedanken des Selbstmordes brachten. In dieser namenlos elenden Lage, meine Mutter! irrt ich umher in Gottes weiter Welt, ohne Obdach ohne Vater, ohne Mutter, ohne einem tröstenden Freunde; keine Seele nahm Antheil an meinem stillen Jammer, der noch immer folternder wurde, je länger ich aus meinem Vaterlande, von meinen Eltern verstossen, von Marlon getrennt, und vielleicht, ach vielleicht verwünscht in fremden Ländern herumschweifte. Bis ich endlich nach Norland kam, wo man mich unter das Kriegsheer steckte, das gegen meine itzige Heimath Germanien Krieg führte, bis ich hier im Schlachtgewühl betäubt nur den Retter verlangte, der meine Wunden heilen auf immer heilen konnte, den Tod. Aber ich fand den Ersehnten nicht. Zu meiner Stirnnarbe, die mir damals der entflammte Vater mit dem Schwerte schlug, als er mich fortjagte, gesellten sich neue Wunden — gefährlich, tödtlich nennt man sie, aber ich nannte sie heilsam, denn ich meinte der Tod würde diese Wunden bald heilen.

Die Dame. Mein armer, armer Jehnson!

Jehnson. Aber ich hatte falsch gerechnet — die Wunden bluteten noch als ich von den Deutschen gefangen ward. Doch welch eine Gefangenschaft! Freyheit, Freyheit war sie in diesem teutschen Lande! Die Normänner wurden einmal um das andermal geschlagen, und zum Frieden gezwungen. Ich ward wieder gesund, die Gefangenen erhielten die Willkühr, sich zurük zu begeben, oder wenn sie fleisige Glieder seyn wollten, da sich anzusetzen. Ich blieb da, man gab mir in wenig Monden das Bürgerrecht, und ich arbeitete für dies Land. Die Erinnerung an meine Unfälle ward nach und nach schwächer, ich fand Beruhigung und einige Vergessenheit in meinen Arbeiten. Die Baukunst war meine liebste Beschäftigung. Man gab mir Mitteln an die Hand, mich zu bilden, ich bemühte mich mit Freuden dieser Grosmuth gegen mich Fremdling werth zu seyn, und es gelang mir in einigen Jahren mich auszuzeichnen. Ich machte einen Riß für ein Gasthaus, und ward aufgemuntert das Gebäude nach der Angabe aufzuführen. Glüklicherweise stellt ich es her, und es übertraf an Simetrie, Feste und Bequemlichkeit des Baues alle noch stehenden Gasthöfe; das Kollegium der Edlen belohnte mich mit diesem besten Gasthofe da, wo ich nun seit vier Jahren in Frieden, aber doch nicht glüklich lebe. O wie oft sehnte ich mich, wenn es mir auch am besten gieng, an die Brust meiner Eltern — wie oft war ich schon auf der Reise zu dir gute Mutter; aber ich kannte des Vaters unversöhnliche Härte — ich empfand, daß mein Tropfen Freude dann nur noch gar vertroknen würde, wenn er erbittert mich nicht hätte sehen wollen; dann ward ich trübsinniger und gab mich meiner Melankolie preis. Ich segne die Stunde, die mich, Mutter! dich wiedersehen ließ. Sey mir tausendmal willkommen! Ich darf ja wieder mich an dein Herz drücken, der Vater nahm ja den Fluch von mir, er segnete mich!

Jehnson umarmte mit Sohnes Zärtlichkeit die gerührte Mutter, die den vielen Leiden ihres Jehnson manche Thräne weinte; sie erwiederte mütterlich und freudenvoll des Sohnes Umarmungen.

Glaube, mir lieber Sohn! — sprach sie nach einer Pause, in der sich beide den süssesten Gefühlen stumm überlassen hatten — Glaube mir, daß ich nie des Vaters harten übereilten Endschluß billigte. Ich sprach laut für dich, und gab mich dadurch seinem Ungestüm und vielen Vorwürfen blos. Nur zu oft dachte ich deiner. Wie wird es ihm ergehn? Wo irrt er herum, was wird er leiden, den ich unter meinem Herzen trug? So sprach ich zu mir in vielen bangen Stunden; und weinte im stillen Dunkel um dich. Vielleicht seh ich ihn nie wieder vor meinem Tode, nimmer der Mutter geliebten Sohn. Also ängstigte sich mein Herz. Marlon —

Jehnson. Meine Marlon — was ward aus Marlon?

Die Dame. Sie rang über deine Trennung mit der Verzweiflung. Kaum warst du wenige Wochen entwichen als in unsrer Monarchie ein fürchterliches Wetter los brach. Lohnstohn ihr Vater ward einiger Verbrechen wegen in die Jammerburg gesezt, die beiden Kinder nebst der ganzen Familie des Landes verwiesen. Marlon hatte einen Knaben gebohren; und ehe ihr Bruder noch als Geächteter das Land verließ, war sie bereits mit ihrem Kinde fort. Niemand wußte wohin? Man sprach, sie sey dir nachgefolgt, du hättest ihr den Vorschlag schriftlich gethan, mit dir in einem andern Lande sich zu vermählen, darüber ward dein Vater wüthend, und zog sich eine dreijahrwährende Krankheit zu. Seit dem wußt ich kein Sterbenswörtchen von euch Allen.

Jehnson. Barmherziger Himmel! Wo irrt nun Marlon mit dem Geschöpf herum, das meiner Schwachheit sein kümmerlich Leben verdankt! Wo soll ich sie finden? Ich hörte nie von ihr! Aber suchen will ich die Leidende! Suchen in aller Welt! Vielleicht führt mir ein seeliger Augenblik die Unvergeßliche zu, und ich kann den Kummer, den ich ihr bereitet habe, in Freude verwandeln! Aber — ach! vielleicht hat er sie schon lange getödtet!

Das ist nicht der Vater! unterbrach die Schwätzerinn Jadilla die Pause, nachdem sie lange Jehnson scheu angeblikt, und die Dame beim Kleide gezerrt hatte. — Gelt, du bist nicht Vater?

Liebliche Unschuld! — sprach Jehnson und nahm sie auf seine Arme, und küßte Jadillchen, die sich mit kindlichen Unwillen sträubte.

Du bist nicht Väterchen! — küssen — ey!

Die Dame lächelte, und Jehnson fragte:

Meine Mutter — du scherzest — ist das wirklich mein Schwesterchen?

Nein, lieber Jehnson!

Jehnson. Als ich damals England verließ, war Sara schon zehn Jahr alt. Was macht Schwester Sara?

Die Dame. Sie vermählte sich mit einem braven Manne, und ist bereits Mutter von zwei Kindern, vielleicht wenn ich sie in acht Tagen wieder sehe, treffe ich sie zum Drittenmale im Wochenbette.

Jehnson. O meine Mutter — Sobald willst du wieder von mir. Kaum sind es ja zwei Stunden, seit wir uns fanden. Bleibe, bleibe bei deinem Jehnson — theile mit ihm! Ich will dein Sohn, nur dir, nur dir leben! Will kindlich und so gut wie Sara dich pflegen, den Kummer, die Tage des Alters dir erfreulich machen, will all meine Kraft anwenden, deine mütterliche Sorgfalt einigermassen zu vergelten. Bleibe bleibe bei deinem Jehnson!

Die Dame. Dringe nicht in mich Lieber! So gerne ich dir willfahren möchte —

Jehnson. O was kann dich abhalten? Du sollst sehen, wie froh mein neues Leben —

Die Dame. Hör auf! Man stirbt so gerne da wo man gebohren ist, und Mutterherzen hängen doch immer mehr an Töchtern. Sara bedarf meiner — drei Monde schon bin ich fern. Ich bin überdies schon sehr schwach — krank — vielleicht folg ich bald dem Vater.

Jehnson. Das wird der Himmel verhüten! Aber eben weil du alt und schwach bist — meine Mutter! bleibe, die Reise möchte dir schaden!

Die Dame. Laß ab, ich kann von Sara fern nimmer ruhig seyn. Morgen zeitlich muß ich fort, vermehre meine Sorgen nicht.

Jehnson. Das ist traurig — und darf ich nicht mehr bitten. Aber sobald es möglich, sehen wir uns wieder.

Sie verplauderten noch die kurze Zeit, und als der Morgen den Osthimmel röthete, lauer der kühle Nachtwind wehte, und die Schwalben ihr Morgenlied schmetterten, trennten sie sich bewegt. Jehnson führte seine Mutter und Jadillchen, um die er in seiner Wonne gar nicht mehr gefragt hatte, auf die Strasse. Sieh da! Die Kutsche war nicht hier, aber eine Luftgondel flatterte mit den ausgespannten Seegeln.

In diesem Reisewagen, wirst du bequemer und schneller heim kommen, meine Mutter! — sprach Jehnson und schied tief gerührt von seiner geliebten Mutter! Leb wohl! mein Sohn! leb wohl, meine Mutter! riefen sie sich nochmal zu, und die Gondel trug auf den Fluthen des Aethers die Dame und Jadilla fort. Jadilla — so nannte sich das verlohrne Mädchen, wenn es die Dame um ihren Namen fragte. — Die Fluren Germaniens dämmerten allmählig wie durch einen Flor, und der unten nachsehende Jehnson bemerkte bald nichts, als einen schwarzen Punkt von der hohen Gondel, bis sie endlich ganz verschwand.

Jadilla weinte und rief. Mutter! Vater! Salassin! Ach wo sind sie denn? — Die Dame tröstete das arme Kind, so gut sie konnte.

Sechstes Kapitel.
Die Abreise.

Mit stillem Schmerze betrauerten indessen Welly und Jadilla, den unersezlichen Verlust des hoffnungsvollen Kindes. Der Graf hatte Jadillchens Beschreibung in alle Zeitungen sezen lassen; aber vergebens! Die Laune des Schicksals, fand es einmal für besser, daß das Mädchen getrennt von seinen Eltern unter fremden Menschen leben müsse. Alsdann alle Nachfrage unbeantwortet, alles Forschen fruchtlos blieb, hielten die Eltern ihr Kind für todt, errichteten ihm eine Urne, und beweinten an diesem Denkmale Jadillchens Andenken. Die edlen Unterthanen halfen treulich die Betrübten erheitern; aber in eben dieser allgemeinen Theilnahme, wenn sich das gepreßte Herz auch noch so sehr erleichterte, fühlten sie ihren Verlust nur noch mehr. Selbst als der Balsam der Zeit ihre Wunde vernarbt hatte, galt noch manche ernste Miene Wellys, noch manche stille Thräne Jadillas dem Andenken der verlohrenen Tochter.

Sie ketteten sich nun um so enger an den einzigen Salassin, den beide mit elterlichem Eifer erzogen. Diese Erziehung war nun ihr süssester Unterhalt. Salassin ein Knabe von Mutter Natur zum Liebling erkohren, begabt mit Talenten des Körpers und der Geistes, unter den Händen eines klugen Vaters, der weise zu lohnen und zu strafen verstand, unter den Augen einer von aller Afterliebe freien Mutter — wie sollte so ein Knabe zu großen Erwartungen nicht berechtigen?

Die ersten Jahre der Kindheit wurden einer vernünftigen physischen Erziehung gewidmet, und darauf die moralische gebaut.

Schon an dem Knaben ward mancher Zug bemerkt, der keinen gewöhnlichen Alltagsmenschen einst hoffen ließ. Ein hartnäckiger Muth zeigte sich schon in seinen Spielen, und ein gewisser Edelmuth, Gerechtigkeitsliebe war unverkennlich. Soldaten zu spielen mit den Knaben des Dorfes war ihm eine sehr angenehme Beschäftigung. Er formirte kleine Legionen, und war ihr Anführer; theilte sie in 2. Partheien und sie kriegten zu Land und zu Wasser.

Bei einem dieser Spiele war einmal Salassins Armee ziemlich im Gedränge. Das Schlachtfeld war eine Wiese, das Lager am Bache, der um das Dorf floß. Salassin ward angegriffen von seiner Gegenparthei, und an den äußersten Rand den Ufers zurükgedrängt, seine Mannschaft bereits zerstreut und gefangen, und er allein vertheidigte sich gegen zweie noch, die dem lieben Generalen so hart zu Leibe giengen, daß er nothwendig sich hätte fangen lassen müssen. Aber dies hielt er für den größten Schimpf. Indem ihn die beiden Feinde schon zu Boden reißen wollten; stürzt er sich unbesiegt zu bleiben, gerade in den Bach, riß aber einen von den Gegnern mit hinab, wo sie, weil es zum Glücke nicht tief war, sich noch immer balgten. In dieser Hartnäckigkeit mitten im Bach trieben sie sich immer weiter, bis beide in eine unvermuthete Grube geriethen. Ja — nun war der Kampf freilich aus! Salassin der besser schwamm als sein Gegner, vergaß geschwind allen Kriegsgroll, und schlepte großmüthig den Andern mit hinaus aus dem Bache.

Oft kämpften sie im Bade in der größten Tiefe schwimmend ihre kleinen Kämpfe.

Ein andermal waren die Knabenpartheien so verwegen, und führten den Krieg in Luftgondln. Derjenige Theil, — sagte Salassin als er mit Hilfe des Luftkutschers die Seegeln spannte, der in seiner Gondel den Andern hinabjagt, hat den Sieg. Sie stiegen empor und der Streit begann. Salassin geübter als sein Feind in der Luft, zerschlug die morsche Seegelstange der feindlichen Gondel, welche schnell hinabsank, und auf einem hohen Baume hangen blieb. Die Besiegten schwebten in einer ziemlich großen Lebensgefahr. Der Ball hatte sich in den Zweigen und Aesten verwickelt, und die Knaben steckten wie in einem Sack. Salassin eilte mit seinem Schiffe zur Rettung herbei, war aber diesmal so ungeschikt, daß seine Gondel herunterfiel, der sich die Nase zerschlug, jener den Finger brach, und jeder einen kleinen oder größern Schmerz durch den Fall erbeutete. Oben in dem noch hängenden Ballon hatten sich indessen die Eingewickelten durch ihr starkes Trampeln und Rütteln los gerissen, und stürzten grade auf Salassin, und seine weinende Parthei. Mit deinem verwünschten Krieg! schrie einer um den andern. Bleiben wir lieber auf der Erde! Ich wäre bald erstikt! Ich habe meinen Finger gebrochen! Mich schmerzt mein Kopf! Mir blutet die Nase! So scholls und die erzürnten Knaben wären bald noch einmal über den Herrn Kommendanten Salassin hergefallen, um ihn für seinen Vorschlag weidlich zu dreschen.

Vater Welly ließ Salassin auch das Euphon lehren, und um ihn mehr anzueifern gesellte er ihm einen andern Knaben zu. Beide wetteiferten, und wenn sein Gespiele sein Blatt besser als Salassin selber las, und richtiger am Euphon ausdrückte, mußte Salassin als Gemeiner im Soldatenspiele ihm folgen, was dessen Ehrgeiz mächtig traf, doch nie so, daß er diesen Keim zur Pflanze hätte sprossen lassen, denn er war erfahren mit diesem sehr gefährlichen Triebe, der so herrliche Wirkungen erregt, wenn er sorgfältig und klug geleitet wird; eben so fürchterliche Folgen dann hat, wenn er zum bloßen Sporne des Jünglings ohne aller Rüksicht gebraucht wird.

Welly bemerkte an seinem nun zehnjährigen Sohne nicht ohne geheimer Freude den Muth, die Entschlossenheit, den Edelsinn und eine gewisse Energie des Geistes, aber auch nicht ohne Bangen das große Maas des so irrführenden leicht erregbaren Gefühls. Seine Gabe alles leicht zu fassen, alles spielend zu erlernen, alles leicht zu verstehen, brachte den Vater eher an das Ziel, so man dem Knabenalter steckt, als er erwartet hatte.

Und war Salassin ein hoffnungsvoller Knabe, so war er noch weit hoffnungsvoller als Jüngling. Dieser wichtige Zeitpunkt des menschlichen Lebens war allmählig herangenaht. Hier gleicht der Mensch einer Flamme die wenn sie nicht vorsichtig und vernünftig genährt wird, leicht zum lodernden verheerenden Brand empor schlägt; die wenn sie zu unklug und zu gewaltsam gedrükt wird, leicht erstickt; die aber wenn ein weiser Mann sie besorgt, wie eine belebende Sonne am Mittag des Lebens aufsteigt, dem ein ruhiger seeliger Abend folgt.

So ein weiser Mann, war Salassins Vater, der, des Sohnes Flamme geschickt besorgte, daß sie jene Früchte trug, die meine Leser und Leserinnen erfahren werden, wenn mein Büchelchen im Stande ist, ihre Aufmerksamkeit bis dahin zu spannen, wo Salassin sich überlassen, selbst handelt.

Der Grund war gut und feste gelegt, auf dem das Gebäude des künftigen Wohles Salassins unerschütterlich dauerhaft ruhen sollte. Er hatte Kenntnisse mannigfaltiger Art, durch des Vaters Bestreben sich erworben. Des Dorfes Pfarrer ein geschickter Mann, ein würdiger Priester, und um mich bündig auszudrücken, ein wahres Gegenstück zu vielen Pfarrern des achtzehnten Jahrhunderts; war nebst andern Männern sein Lehrer, und Salassin erhielt Unterricht in allen jenen Wissenschaften, die ein Jüngling dieses Zeitalters nöthig hatte. Vater Welly beschloß nun zu Ende des Baues zu schreiten, und Salassin sollte die Welt kennen lernen, um seine Bestimmung, ein thätiger Staatsbürger und Vertheidiger des Menschheitswohls zu werden, allmählig zu erfüllen. Dazu war die Haupt- und Residenzstadt des vortrefflichen deutschen Kaisers ein sehr schickliches Mittel, von dem er sich alles versprach. Salassin sollte also nach einem Monden in die Stadt, so war es beschlossen und so blieb es.

Der Monden verflog, wie die Sekunde eines Traumes; — wochenlang bereitete man sich schon zur Abreise vor, die endlich da war.

Da stand vor dem Schlosse der angespannte Wagen mit zwei muthigen Gaulen zum Fortfahren bereit. Salassin wand sich aus dem Arm der Mutter, empfieng gerührt ihren segnenden Abschiedskuß, sah sich zärtlich noch einmal nach der heimischen Gegend, dem Park wo der Vater ihn Gärtnerey und Naturgeschichte gelehrt hatte, den Aeckern wo er den müden Schnittern im schwülen Sommer einen Labetrunk trug, den schilfumgrünten Teich, den Kieselbach wo er so oft gebadet, so manchen Fisch gefangen, so manchen Kahn geleitet hatte, die Hecken und Gesträuche in deren dunkeln Geflicht er der Nachtigall zuhorchte, die Wiese wo sein Hut einen Schmetterling erhaschte, die Haide wo er die Knaben kriegend anführte, das Wäldchen wo er im kühlen Schatten weilte, las und lernte, oder auf der Flöte blies, den Hügel von dem er im Winter auf Schlitten herabglitt, sah mit wehmüthiger süsser Erinnerung seines Knabenalters noch einmal diese traute Heimath, und stieg mit dem Vater in die Kutsche, die schneller denn eilende Winde vom heimischen Schlosse fortrollte.

Siebentes Kapitel.
Der Besuch.

Graf Welly hatte theils der Witterung, theils des Anschauens so mancher schönen Gegend wegen statt der flüchtigen Luftgondel die Kutsche zur Reise gewählt. Es waren gegen dreisig deutsche Meilen zur Stadt und der Vater hatte seinem Sohne noch manches zu sagen, zu errinnern, zu ermahnen, warnen, lehren u. s. w. Wie es denn die guten Väter bei solchen Gelegenheiten auch im achtzehnten Sekulum nicht daran ermangeln lassen.

Sie fuhren durch die herrlichsten Gegenden, die überall das natürliche Gepräge glückliche, zufriedene Bewohner zu haben, an ihrer Kultur trugen. Abwechselnde Ebenen mit sanften Gebürgen, bald licht, bald dicht bewaldet, bald mit Akacien, bald mit guten Kastanien, bald mit Citronen, Pomeranzen, bald mit Birken, Tannen, und andern schon in unserm Jahrhunderte verbreiteten Waldbäume waren überall zu sehen.

Wie? Citronen, Pomeranzen, Mandelbäumen im deutschen Vaterlande, und das noch dazu in Wäldern? Gedeihen sie doch izt kaum in Treibhäusern gut! Meine theuersten Leser, das ist wieder eine Eigenschaft des 23ten Jahrhunderts. Das Klima war schon zu Franz des II. römischen Kaisers Zeiten nicht das nemliche, so einst zu Herrmanns Zeiten war, schon nicht so rauh unfruchtbar und ungesund. Die ungeheuere Waldungen wurden verkleinert, die unzähligen Sümpfe darinn in urbare Wiesen gemacht, und in dem neuen Zeitraum ist nun das Klima ungemein angenehmer, sanfter, milder, und trägt nun so gut und fruchtbar jene Pflanzen, Sträuche und Bäume, die vor fünf hundert Jahren nur in den warmen südlichern Erdgegenden gediehen — dahin brachten es ebenfalls Menschen.

Sonstige Moräste sind itzo die lachendsten Wiesen. Hügel die sandigt, felsigt, nakt, und kahl waren, tragen nun die schönsten Weingärten, oder Kastanienwälder, und vom kleinsten Strauche bis zur Eiche zeigt jedes Gewächse das Gepräge einer bessern Veränderung.

Unsre zwei Reisenden waren am ersten Tage der Woche aus den vaterländischen Gefilden gereist, (das ist nach der itzigen Rechnung der Donnerstag) und kamen am Dritten in eine der lieblichsten Landschaften. Es war ein blumichtes Wiesenthal, das ein silberblinkender Bach dicht umbüscht mit Papeln, Erlen und Weiden durchmurmelte. Die Strasse wand sich regelrecht in einer graden Linie hindurch, von Nußbaumalleen beschattet, links und rechts mit den duftigsten Blumenbeeten eingefaßt, mit Rasen und Marmorbänken, mit Lusthäusern nicht im abgeschmakten bizaren chinesischen im rein deutschen Geschmake, niedlich zierlich und bequem für die Labungsbedürftigen gebaut. Quellen heller als Diamante sprudelten hie und dort aus künstlich angelegten und natürlichen Felsennischen an dem Wege, und in den nahen Gesträuchen und auf den Bäumen, sangen Fink und Hänfling den Reisenden ihre angenehme Lieder.

„Mein Sohn! — Wir kehren hier in diesem Schlosse, das mitten im Thal im Abendscharlach mit seiner vergoldeten Kuppel aus dem Baumwipfeln glänzt, bei meinem alten braven Freunde Bengler ein. Er war einst mein Jugendgefährte, ein deutscher Jüngling, und noch ein deutscher Mann, er wird uns freundlich aufnehmen, und bewirthen!“ Sagte Welly zu Salassin.

Wie ward Bengler adelich? — fragete der Sohn. Er hat verschiedne sehr gute Erfindungen gemacht entgegnete Welly. Er baute eine Windmühle — sieh! Dort klappert sie ja auf dem Felsenhügel! — mit vierzehn Rädern, wo der leiseste Wind das erste bewegt, die andern alle sich nachdrehn, und wo man in einem Tage dreimal so viel mahlen kann, als auf einer Wassermühle von eben so vielen Gängen in einer Woche. Es wird darinn Papier, Getraide, Hülsenfrüchte und so gar Drechslerarbeit zu Stande gebracht, jedes Rad treibt eine von der andern verschiedenen Gewerbsmaschiene. Bengler hat auch noch eine andere Mühle gebaut, wo blos Papier aber aus verschiedenen Gewächsen so gut und schön verfertigt wird, daß aus dem achtzehnten Jahrhundert das holländische so zu sagen nur ein gemeines Papier dagegen ist. Wir werden es besehen, wenn eine Weile übrig bleibt.

Sie kamen nach einer Viertelstunde bei dem Schlosse an. Der Besitzer saß eben mit einer Gesellschaft unter einer hochästigen Eiche, deren moosigten Stamm, dick, kaum von vier Männerarmen zu umspannen, ein niedlicher Marmortisch dunkel roth, und gelblicht weiß geädert umrundete. Rasensitze daran, auf denen die Gäste herum saßen, die fröhlich im Kranz herum den Rheinwein, aus hochhalsigen Kristallflaschen sprudelnd, in Pokalen tranken. Schon in der Ferne vernahmen die Reisenden den Wiederhall von ihrem Rundgesang, und als sie beide durch das grün und weiß angestrichene Staketenthor fuhren, klang eben die lezte Stropfe von dem edlen Liede eines Dichters aus dem 18ten Jahrhunderte.

Mit dem lezten abgesungenen Verse stand der Gastherr aus dem Kranze seiner Gesellschaft auf, und kaum hatte er Welly erkannt, so eilte er mit ausgestrekten Armen seinem alten Herzensfreunde entgegen. Der ganze Ring folgte, und brachte den Kommenden den Willkommenspokal.

Dies ist ein Becher, der in jedem Hause des Landes nach Verhältniß des Vermögens von Gold, Silber, oder bei minderbegüterten Landleuten wenigstens aus feinem Porzellain gebildet ist. Bei einem Gastmahle steht er in der Mitte des Tisches, und dem Gaste reicht ihn der Gastherr, der ihm aus einem zweiten das frohe Willkommen zutrinkt, worauf ein kleines Mahl beginnt.

Von Golde mit spielenden Brillianten besezt war der, den Bengler Welly reichte. Das Bild der Gastfreiheit und Freundlichkeit mit den Worten: Willkommen! war darauf geäzt.

O so drück ich denn noch einmal wieder dich, mein guter Wallingau, an mein Herz! — Sprach Bengler freudig. Sey willkommen!

Willkommen! Willkommen! scholls unter den andern, und die beiden Wallingauer wurden wie im Triumpf nach dem Rasensitz unter der Eiche geführt. Die ganze Gesellschaft ward munterer. Welly kannte außer seinem Freunde keins der Glieder, und doch waren alle so vertraulich und frei gegen ihn, als hätte man sich zu tausendmal gesehen, und seit unzähligen Jahren gekannt.

Salassin ward hingerissen von der lautern Munterkeit des Kranzes fröhlicher Menschen. Die Mädchen schielten mit lüsternen Blicken nach ihm, und wünschten ihm als sie erfuhren, er reise in die Residenzstadt, ein recht angenehmes Leben in der vergnügenvollen Stadt.

Der Abend sank vom leicht bewolkten Himmel auf rosigten Flügeln hinab, die Sonne glänzte am westlichen Horizont in halber Goldscheibe, und ein rother Strahl spiegelte in dem weniggefüllten Pokal. Man beschloß einen Spaziergang in den Park, und die Gesellschaft begab sich paarweise dahin.

Lolly — sagte Spengler zu seiner Tochter, einem Mädchen, dem an den Rosenwangen der Frühling zum sechzehntenmale blühte — Lolly unterhalte doch unsern jungen Gast recht gut.

Ja, Vater: das will ich schon thun! — meinte sie, und ihre Wange ward höher roth. Sie schloß sich an Salassin, und wandelte mit ihm in die schönen Gänge des Gartens.

Heute war ein sehr schwüler Tag! begann Lolly, indem sie schalkhaft ihren Führer anlächelte, der zum erstenmal an einer so schönen Seite gieng. — Ihr beiden werdet müde auf der Reise geworden seyn.

Um so angenehmer labt uns die Ruhe, und besonders hier, wo der kühle Abend, und so liebliche Blüthen um uns sind! — sprach Salassin etwas verblüft; denn ihm ward es schon bei Lollys ersten Anblicke wunderlich ums Herz. Wenn das Mädchen zehnmal ein allerliebstes Gesprächsel anfieng, ließ der schüchterne Salassin sonst so gewandt um frey — zehnmal ließ er den Faden fallen. Ein niegefüllter Drang klopfte schneller in seinem Pulse, und die Glut seines Gesichtes stieg höher bei jeglichen Blicke, den Lolly mit ihrem freundlichen Auge auf ihn warf.

Unsre Väter sind so gute Freunde, wie kommt es, daß sie sich selten besuchten? Ich sah dich noch niemal? — fieng Lolly wieder an.

„Mein Vater hat immer der Geschäfte so viele“ — Auch meiner und doch ist er fast jede Woche irgendwo zu Gaste.

„Die Entfernung von Wallingau nach — Wie nennet man dieses Dorf?“

Wallbach!

„Sind volle fünfzehn Meilen.“

Die kann man in einem Tage zurücklegen mit flüchtigen Luftgondeln.

„O ja! — es ist aber nicht immer gut Wetter.“

Sage lieber Laune daheim zu bleiben — Du fährst also nach der Residenz?

„Ja!

Wirst du nicht bald zurückkommen?

„Das läßt sich nicht bestimmen.

O du mußt uns öfter —

„Recht gerne!“

Das Gespräch hätte wieder sein Ende, und sie wandelten weiter in den labyrintischen Gängen des Parks. In der Mitte plätscherte eine Kaskade. Ein kristallener Erlenbaum schoß aus jedem künstlich gebildeten Zweige das flimmernde Wasser, das wie ein Staubregen in das Becken rieselte, und in einen schilfigten Teich rann.

Die Beiden weilten und sahen bald das schöne Schauspiel, bald — sich an, und ihr Lächeln, ihr schnell sich begegnender Blick fiel schneller zurück auf die Kaskade.

Eine Goldrose schwamm mitten im Teiche. Die leichten Wellen gaukelten sie näher an das Röhriggestade.

Eine Goldrose! — rief Lolly, und zeigte in den Teich. Salassin sammelte Kieseln, um die Blume durch ein geschicktes Werfen näher an den Damm zu treiben. Es gelang, und die Rose war fast mit der Hand zu erreichen. Schnell um dem schönen Gast zuvorzukommen, kniete Lolly auf den Grasdamm, und langte nach der Goldrose. Salassin der eben ein Stäbchen vom nächsten Strauche brach, stand mit dem Rücken gegen den Teich, und bemerkte die Müherinn nicht, die, indem sie nach der Blume tappte, das Gleichgewicht verlor, und mit einem lauten Ach! in den tiefen Teich sank. Erschrocken über den Schrey sprang Salassin dahin, als Lolly eben untertauchte.

Im Augenblick stürzt er sich nach, erhaschte sie, und schwamn das Mädchen in einem Arm haltend, damit er mit dem andern rudern könne, heraus.

Einen Theil der Gesellschaft führte der Zirkelweg auf die andere Seite des Teiches, sie erblickten mit lautem Hilfeschrein die klägliche Szene, aber kaum waren die meisten herbeigeeilt, als das Paar ganz naß schon wieder auf dem Damme stand.

Ich war so ungeschikt, — sagte Lolly, und streifte das triefende Wasser vom Gewand — und fiel in den Teich! O ich danke dir lieber Gast! Wie der Wind schnell trug er mich aus den Wellen!

„O nicht doch — ich war so unachtsam“ — wendete Salassin ein — „brach ein Stäbchen vom Strauche, um damit eine Rose aus dem Wasser zu ziehn, und bemerkte nicht, daß Lolly mir zuvorkomme, und indem sie sich nach der Blume bükte in den Teich sank.“

O gehe doch! ich bin Schuld daran! — eiferte das nasse Mädchen. Warum war ich —

Jaja! — rief ein anderes Mädchen schäckernd. Ich wette die Rose wars wohl eben nicht!

„Ey und was denn sonst?“

Gewiß sie standen beide da am Uferrand, und fielen, weil Lolly einem Kuß sich entsträuben wollte, unachtsam hinein.

Warum nicht gar“ — sagte Lolly mit jungfräulicher Verschämtheit. — Und wenn ich es thue, er hat mich ja aus dem Wasser getragen!

Und die Goldrose doch erhascht! — dachte Salassin, und die Gesellschaft verscherzte den leichten Schrecken.

Ihr seyd mir ein paar Unglückskinder! — rief Bengler lächelnd. Zum erstenmal sehn sie sich, und bestehen schon ein Abentheuer in einem gefährlichen Element! Kinderchen! Scheut künftig das Wasser!

Eiliger gieng man itzo dem Schlosse zu, und aller Gespräche Stoff war — die Rosenfischerei. Man lachte und schäckerte und würzte damit den Rest des Abends, bis man in den Schoos des Schlummers eilte. Lolly — träumte mit offnen Augen von — der Goldrose. Und Salassin? Dem verwandelten Salassin trieb ein süßes Empfindunggemisch den Schlaf vom Augenlied. Er schwamm mit der schönen Goldrose aus dem Teiche! Dies Bild wich ihm nicht aus dem Traume.

Achtes Kapitel.
Komm bald wieder zur Rosenfischerei!

Mit würzigen Kränzen aus Rosen gewebt,

Verketten sich Herzen durch Liebe.

Nicht leichter erhellet der mondliche Schein

Das kühlige Dunkel im flüsternden Hain

Als Herzen der Sonnenglanz — Liebe.

Kaum hatte der Nachtwächter Hahn in seine kreischende Trompete gestossen, kaum röthete blaß noch der neue Tag den Ost da erwachten mit dem Geflügel des Hofes die Gäste im Schlosse.

Heiterkeit glänzte an jeglicher Stirne, wie an der Stirne des Tages der heitre Morgen glänzt. Freude, Munterkeit erwachten mit ihnen, und alle riefen sich: Guten Tag!

Fröhlicher als alle noch war die reizende Lolly, lieblich wie die sich entwickelnde Morgenröthe, scherzend und sanft wie das Lüftchen vom Fächer erregt, und unschuldig, wie ein junges Ringeltäubchen. Ein anderes Gewand aus feinstem Flor umfloß ihren rohrschlanken Wuchs, das lange, blonde, kunstlos geringelte Haar flatterte im Morgenwind, der ihre blühenden Wangen küßte.

Guten Morgen! — sagte sie ein paarmal zu Salassin, den ihr Anblik wie ein Zauberbild verwirrte.

Guten Morgen! — erwiederte er sanft, und schaute verlegen durch die auf ihn gehefteten Blicke der weiblichen Gäste, auf — Lollys Schuhe. Auch er hatte sich netter als sonst gekleidet, zwar gab er vor, es sey geschehen, weil gestern sein Reisekleid naß geworden, und noch nicht getrocknet sey.

Aber seht mir doch den Schalk! — um Lolly zu gefallen, zog er sein schönstes Gewand an. Um dem reizenden Mädchen zu gefallen, schmükst du dich, guter Salassin! mit deinem besten Kleide? Zwar du mögtest dir selbst nicht so ganz deutlich sagen können, warum? Doch meintest du — es stünde dir doch besser, und — und — Aber fast meint ich, du wärest ein Stutzer des 18ten Jahrhunderts, die alle ihre Schönheit, und wohl auch ihre Menschenähnlichkeit dem Kleide verdanken, aber in deinem Sekulum wo das sinnlich Schöne weniger als das Geistige gesehen wird? Je nu, man besucht itzo und immer zuerst das Kleid der Rose, eh man an den Honig denkt! — Aber dir war es wohl immer nöthig guter Jüngling! Im ersten Worte, das ihr beide spracht, waren eure Seelen verflossen. Da blick einmal hin, wie sie nach dir zurükschilt, wenn ihr der Vater zuflüstert, sie solle das oder jenes für die Gäste besorgen! Wie sie alles schnell und eilig verrichtet, um — nur bald wieder unter die Gäste zu kommen. Unter die Gäste? — Ja, deutsch gesagt — zu Salassin. Lieber wie ist dir zu Muthe, wenn sie dich zärtlich fragt, wie du nach dem gestrigen Schrecken geschlaffen? Ob du dich nicht erkühlt hast? Wie sie so vollmondfreundlich zurüksieht, wenn dein Lächeln ihrem begegnet? Salassin! Denk’ an die Stadt! Ohne Herzchen darfst du beileibe nicht dahin kommen! Ja wenn die Damen in deinem Jahrhunderte wie diese in unsern wären, daß sie darauf Verzicht thäten! Doch sey guten Muths! Du erhältst für dein Herzchen ein anderes dir gewiß noch wertheres — Lollys — zur Lebenszehrung.

Der Kranz der Gäste sammelte sich um das Frühmahl. Ein Lied gefühlvoll wie die Sänger ward angestimmt. Lolly schlug das Euphon dazu, und Salassin mit seinem ganzen Ich ein Ohr, bemerkte nicht, daß alle über ihn lächelten. Schlägst du nicht auch Euphon? — fragte Bengler den aufmerksamen Träumer.

Ich — bin ein Klimperer gegen Lollys Spiel! war seine Antwort.

Das ist zu bescheiden! Eine Schmeichelei! — riefen einige der Gäste. Versuch es, laß uns doch hören!

„Spannt aber die Erwartung nicht zu sehr — ich —“ Jaja! — sagte Lolly, indem sie ihn an das Euphon zog, — Du konntest gestern so gut schwimmen, also — Mußt du auch gut Euphon schlagen! Ueber den Mädchensyllogismus! — lachte Bengler.

Salassin faßte sich, und spielte. Wie er vorhin die schöne Künstlerinn bewunderte, bewunderten ihn alle itzt, am meisten was ganz natürlich zu enträthseln ist, die Blume des Gastherrn selbst.

Salassin goß den Schwall der Empfindungen, die in seinem Herzen rangen in eine harmonische Fantasie. Alle fühlten die sanfte Wehmuth, wenn er im schmelzenden Moll klagte, alle waren hingerissen von dem Feuer, wenn er seine Gefühle in die wiedertönenden Saiten stürmte, alle bewegten die Füsse wenn er im lieblichen Allegro tändelte. Lolly wäre dem Zauberer beinahe um dem Hals gefallen.

Meisterhaft! Vortreflich! — riefen die Gäste, und klatschten ihm ihren Beifall. Du mußt dich in der Stadt bewundern lassen!

Um Vergebung! — sprach Salassin, — nicht meine Geschicklichkeit — das vortrefliche Euphon, das sich so gut ausnimmt —

„Weil du so gut spieltest — sagte Lolly — warte, laß uns doch auch deinen Gesang hören. Hier ist ein Duetto von dem Musiker des 18ten Jahrhunderts, Mozart.

Richtig! Der Einfall war schön! — riefen die Andern. — Sie sangen, O welch ein Gesang! Der liebliche Tenor mit des Mädchens Nachtigallsoprano schmolz so zärtlich — so gefühlvoll, so süß ineinander — Natur und Kunst war so schwesterlich vereint, — alle vergaßen wie bezaubert des Frühmahles im Hören verloren.

Die beiden Väter blickten sich mit frohem Gesichte an, in jedem stieg der leise Wunsch auf: Welch ein herrlich Paar könnten unsre Kinder werden!

Graf Welly wurde mit Lob und Schmeicheleien über seinen Sohn überströmt, und freute sich innig. Man schloß endlich das ergötzende Schauspiel, und Welly sprach von der Abreise.

„Nicht doch Freund! Bleibe noch da! Du versäumst ja nichts! Wir sahen uns lange Jahre nicht! Die Stadt entläuft ja nicht!“ — warf Wallbach ein; als dieser sich zu empfehlen begann.

„Halte mirs zu Guten, theurer Wallbach! Meine Gattin würde bangen, träf ich zur bestimmen Stunde nicht ein in der Heimat.“

O dann sey unbesorgt! ich schick eine Luftgondel um sie!

„Ein andermal Freund! Ein andermal! Nun — wie du willst. Zwang ist meine Sache nicht!

Die beiden Wellyngauer empfahlen sich; allen war leid, und alle bedauerten die kurze Dauer des Vergnügens, das dieser Besuch gewährte, am leidesten war’s — Lolly. Sie hätte gern alle Kutschen und Pferde, Gondeln und Fahrzeuge verzaubert, wenn es in ihrer Macht gestanden wäre; ach! ihr war der schöne Schwimmer, der geschickte Euphonschläger lieber und theurer geworden, als den Mädchen des 18ten Jahrhunderts die — Schminke.

So gefiel es dir nicht bei uns? — fragte sie trübe, den eben nicht sehr heitern Salassin.

„Mir? Könnte mir der Himmel besser gefallen?“

Und doch dringst du so auf die Abreise?

„Mein Wille muß des Vaters Wille seyn.“

Aber du kömmst doch bald wieder?

„Land und Meer!“ — sprach Salassin, und verbarg die schnellaufsteigende Gesichtsröthe mit dem Schnupftuch. Eine kleine Pause, worinn sich die Beiden wechselseitig anblickten, und die Augen sprechen ließen, was wir freilich nicht verstehen, da wirs nicht hören — zulezt ein unwillkührlicher Händedruck — endlich ein feuriger Abschiedskuß, und Leb wohl! Lolly! — Leb wohl! Salassin — Das war das Finale ihres Duetto.

Die Pferde wieherten im Hofe, und wühlten mit den Hufen im Boden, da traten alle vor das Schloß, man schied unter gewöhnlichen Abschiedsumarmungen, und die beiden Wellyngauer rollten in der Kutsche unterm Zuwinken der Zurückgebliebenen die Strasse weiter.

Salassin! Daß du ja bald wieder Euphon in Walbach schlägst! — rief Lolly ihm zu, als er in die Kutsche stieg. Er nikte stumm die Antwort, und das weiche Mädchen, suchte auf der Erde, als hätte sie etwas verloren, inzwischen, verbarg sie so nur ein kleines Thränchen, das ihr wider Willen entquoll. Jaja! Komm nur bald wieder zur Rosenfischerei! scherzte ein anderes Mädchen.

Neuntes Kapitel.
Die müden Wanderer.

Warum bist du so traurig? — fragte Vater Welly, nachdem sie Walbach weit im Rücken gelassen hatten. Du warst doch gestern heiterer auf der Reise!

„Ich dachte — was wohl die Mutter machen würde?“ Welly lächelte über die unvermuthete Wendung, und sah ihn mit einem forschendem Blicke an. Darum sprichst du heute kein Wörtchen? Sitzest da ohne Geist und Seele, wie ein mechanisch sich bewegender Fleischklumpen? Gukst immer zurück, woher wir kommen? Seufzest wohl auch gar, wenn du glaubst, ich bemerk es nicht.

„Mir ist — vom Fahren bange geworden, und das Wetter, so da plötzlich den schönsten Tag, in den trübsten verwandelt hat, ist —“

Doch nicht etwa im Barometer deiner Seele auch auf den Regenpunkt gerükt?

„Der Einfluß —“

Des Regenwetters, war ja nie auf dich so groß, daß du trübe geworden wärest. Hattest du nicht immer sonst deine Freude daran, wenn die blitzenden Tropfen flimmernd vom Himmel rieselten? und das staubichte Baumlaub abwischten, die Luft heitrer und angenehmer zu athmen war? Salassin?

„Mein Vater —“

Mein Sohn! Du hast nicht Ursache deinem Vater und deinem Freunde diese Bewegung, die in dir vorgeht, so sorgsam zu verbergen. Lolly —

Salassin schlug die Augen nieder, und hörte bei diesem werthen Namen aufmerksam zu.

„Lolly ist ein edles liebenswürdiges Mädchen, deine keimende Liebe, die ein nicht blinder Vater sehr leicht bemerken muß, tadl’ ich nicht.

„Liebe? mein Vater!“ sagte Salassin und drückte sich mit inniger Rührung an des Vaters Brust.

Ich glaub es dir gerne, daß du deinem Empfindungsgemische den Namen nicht zu geben weist. Deine Unerfahrenheit — aber Salassin! Laß diesen Trieb in deinem Innern noch nicht zu stark sprossen, daß er deinen andern Seelenkräfte nicht zu sehr verdränge, deine Lebens und Geisteskräfte nicht erschlaffe! Werd ein edler Mann! Sammle dir Verdienste, und ich will die Stunde zu meinen seligsten zählen, in der Lolly dir als Gattin zugeführt wird.

Der düstre Salassin ward mächtig getröstet, und erheitert. „Ja mein Vater! — rief er — edel und rechtschaffen will ich immer in deine Fußstapfen treten, deine väterliche Liebe sey mir ein Leitstern, der mich nie im Labyrinthe der Laster vom graden Weg der Tugend irren lassen wird!“

So mein Salassin! Und dann komm als unsre einzige Lebensfreude in die Arme deiner beglückter Eltern!

Der Regen hatte nachgelassen. Die Wolken waren zertheilt, und des Himmels freundliches Blau lachte durch die zerstreuten Wolken. Die Sonne glänzte lieblicher auf die erfrischten Gefilde.

O Vater! — fieng schnell Salassin an, indem er auf die Strasse sah — Dort gehet ein paar Menschen. Sieh! ein junger Mann mit einer kränklichen Frau. Wie ihre dürftigen Kleider vom Regen triefen. Der junge Mann trug sie auf dem Rücken, führte sie bald, bald nahm er sie wieder auf sich —. Die sind gewiß sehr müd und matt. Nehmen wir sie doch in unsern Wagen. Ich setze mich zu Thomas auf den Bock.

„Brav, mein Sohn! — Thomas!“

Herr!

„Jage die Pferde, und wenn du dies Paar Leute eingehohlt hast, halte!“

Gut, Herr!

In wenigen Augenblicken stand der Wagen, Salassin sprang heraus, und führte die matte kranke Frau auf seinen Sitz, ohne viel Worte zu wechseln. Ihr Führer dankte mit herzlicher Freude, und wollte zu Fusse fort.

„Nur auch herein! — sprach Salassin!“

O guter Mann! ich bin ja noch jung, und rüstig, wenn nur meine liebe Mutter — Nein, mein Sebald — sagte die Mutter halb erschöpft. — Herr nimm ihn statt meiner in den Wagen, wenn du so gut seyn willst. Er hatt mich schon einige Stunden weit auf dem Rücken getragen — er kann seine Füsse kaum mehr heben.

Beide, beide herein! — sagte Salassin, — half ihnen in die Kutsche, und sezte sich zu dem Kutscher der Bequemlichkeit der Müden halber auf den Bock. Der junge Mensch gewahrt es kaum, als er schnell aus dem Wagen sprang und sprach: diese Güte kann ich nicht annehmen — laß lieber mich dahin, — warum sollst du dich deiner Bequemlichkeit berauben.“

Wie haben alle viere Platz! — entschied Welly, und sie saßen beisammen. Die müde zitternden Fremden sahen sich bewegt an, und nickten sich zu: Gott hat uns diese Edlen zu Rettern geschickt!

Zehntes Kapitel.
Geschichte dieser müden Wanderer.

Salassin vergaß an — Lolly, er war so froh und munter, und wußte nicht warum? Woher kommt ihr guten Leute! — fragte Welly als sie sich einigermassen erholt hatten. Ihr habt heute eine garstige Witterung zur Reise gehabt.

Wir wanderten — nahm der junge Mensch das Wort — schon viele Monden aus den nördlichen Provinzen Deutschlands. Ich bin ein Mahler meiner Kunst, und wollte nach der Residenzstadt des Kaisers.

Ein Mahler? — dachte Salassin, und bei der Vorstellung von Gemälden schwebt Lollys Bild schnell vor seiner Seele. Mahler haben in unserm Lande viel Verdienst! Die Vorstäher des Mahlermusäums belohnen Geschicklichkeit, wenn sie ausgezeichnet ist, sogar mit Beifall und Gütern.

Der junge M. Ich kenne Germanien wiewohl England mein Geburtsort ist, denn ich bin hier aufgewachsen; und habe mir seit mich mein Lehrmeister fähig hielt durch Fertigkeit mein Brod zu verdienen, manchen schönen Gulden verdient. Vor acht Monden wurden wir an der Küste Hollands, von Seeräubern überfallen, die uns außer dem Leben und dem Kleide, so wir angezogen hatten, nichts, nicht einmal meine nöthigsten Werkzeuge liessen. Meine Mutter erkrankte mir überdies bald darauf, und da mir alle Mitteln zu arbeiten fehlten, schlepten wir uns elend von Ort zu Ort. Zwar haben wir der braven Menschen viele angetroffen, die uns gastfreundlich aufnahmen. In einem Orte waren wir wohl vier volle Wochen, wo ein edler Pfarrer meine liebe Mutter vom Fieber kurirte: er sammelte noch überdies bei seiner Gemeinde einen Zehrpfennig für uns, wir reisten gemächlich bis auf wenige Meilen hieher, wo wir nun sind, aber vorgestern schon war ein Trunk Wasser und ein Stück Brod unsre einzige Labung. Die Leute können uns die Ehrlichkeit nicht im Gesichte lesen, und also betteln — Herr

Welly. Was ein Mahler in unsrer Zeit betteln?

Der junge M. Das fiel mir schwer — so unmöglich — aber doch war meine Mutter nicht anders zu erhalten. Ich nahm all meine Stärke zusamm, und sprach einem der reichsten Häuser im Dorfe zu. Ein Mann saß darinn am Tische, und zählte eben eine ungeheure Summe Geldes, das in hohen Haufen aufgeschlichtet war. Der Mann war ein Gerippe, und als er mich ersah, sprang er schnell von seinem Sitze und stieß mich zur Thüre hinaus. Auf immer abgeschrekt empfahl ich meine Mutter und mich Gott, und trug sie weiter von Ort zu Ort, bis ihr uns traft.

Welly. In England bist du gebohren? Deine Denkart ist aber sehr deutsch; du warst gewiß nicht lange da!

Das glaub ich — nahm die erholte Mutter das Wort — Mein Sebald war noch in den Windeln als ich ihn in meinen Armen aus England zum Vater trug, der bei der Armee der Normänner, die damals gegen Deutschland im Felde war, seyn sollte; denn er war entflohn, und gewiß wußt ich es nicht wo er lebte. Wir zogen überall herum, und fanden ihn nicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach war er todt. Wir verliessen Norland und kamen nach Germanien. Eines Tages am Abend lag ich eben im thauigten Grase an der Strasse, mein Sebald war schon sechs Jahr alt, neben mir, und wollten hier die Nacht verschlafen, von allen entblöst was uns ein besseres Lager hätte bereiten können. Ein wohlhabender Mann sah unser Elend, und ließ uns, da wir auf den Füssen nimmer stehen konnten, in ein nahes Städtchen fahren. Er gewann Neigung für uns, behielt mich, da seine Gattin kurz vorher gestorben, und 4 unerzogene Waisen gelassen hatte, in seinem Hause, wo ich der Arbeit genug, und keinen Mangel hatte. Eben dies war der Mann, der meinen Sohn die Mahlerei lehrte, die er selbst trieb und wodurch er ein sehr wohlhabender Mann geworden war. Weit und breit war er berühmt, und aus fremden Ländern bestellt man sogar Gemälde bei ihm. So lebten wir bis der wohlthätige Mann zu unserm Jammer starb.

Sebald. Das ist seit zwei Jahren. Er war mir ein zärtlicher sorgsamer Vater. Ach! nie kann ich vergessen, wie er mich liebte, wie er seinen Kindern gleich mich erzog. Ruhe, süsse Ruhe seiner Seele! Wir verliessen damals dieses Städtchen, und kamen nach den Unfällen, die ich bereits anführte, hieher, wo uns Gott in euch einen zweiten Retter sandte.

Welly. Das war meine Pflicht, euch beizustehn. Daß würde jeglicher gethan haben. Wir sind morgen in der Stadt, und junger Mann ich will die Vaterstelle übernehmen, will fernhin für dich sorgen. Sey selbst auch thätig, dann wirst du einmal über nichts zu klagen haben. In unserm Jahrhundert verhungert nun kein geschickter Künstler mehr. Die Zeit der Barbaren, wo die Dumköpfe im Ueberfluß schwelgten, die verdientesten Köpfe darbten, ist gottlob nicht mehr. Ich will den Tag unter die schönsten meines Lebens aufzeichnen, an dem ich dich fand, und dem Vaterlande einen braven Bürger und geschickten Künstler, durch eine so geringe Hilfe erhielt. Salassin! — Ihr bleibt Gefährten — Freunde, Brüder! meine Söhne!

Sebald drückte voll ungestümmer Freude Wellys Hand, auf die eine glühende Thräne des stummen Dankenden rann.

Du kennst mich so wenig — stammelte er — und zeigst dich so edel gegen mich. Diese Güte — dies Zutraun richtet mich auf! Nimm — ich habe nichts als stille Thränen zum Danke — Die Geretteten — hier deutete er wortlos auf seine entzückte Mutter, welche wie er keine Silbe sprechen konnte.

Salassin umarmte seinen neuen Bruder. Ihre Neigungen trafen sich, der Ring der Freundschaft umschlang ihre Herzen, sie wurden Freunde, Brüder und blieben es.

So kamen sie in einer seelerhebenden Freude allmählig der Stadt näher. Sebalds Leiden gefurchte Stirne glättete die namenlose Wonne, die ihm im Innern glühte. Er war ein blühender junger Mann, voll Fähigkeiten, voll Streben, seine Anlagen zu bilden, und mit einem edlen Herzen von Mutter Natur beschenkt. Seine Seele trug er im Gesichte, das schwarze Aug funkelte von dem Feuer, das ein Abstrahl seines Geistes war. Aus seinen abgetragenen Kleidern schimmerte er hervor, wie der Vollmond durch ein zerrissenes Gewölke.

Seiner Mutter eine ungefähr vierzigjährige Frau, mit den unverkennlichen Spuren ehemaliger Schönheit, hatte der Kummer, das Elend und ein gewisser Harm (dessen Ursache meine Leser, wenn sie es noch nicht errathen haben, doch bald erfahren werden) die Wangen gebleicht, aber sie erregte dadurch in jeder Seele nur um so mehr Theilnahme, und ihr ganzes Betragen verrieth gar zu deutlich, daß sie einst edel erzogen, der Dürftigkeit nicht bestimmt war, die sie nun drückte.

Seelenvergnügt war Welly und sein Bewustseyn maaß ihm bereits ein hohes Gefühl süsser Empfindungen, wenn er Sebald und seine Mutter ansah. Salassin wurde bald vertraulicher mit Sebalden. Unter Erzählungen und Gesprächen vergaßen die aufgenommenen Pilger ihr voriges Leid, und träumten von dem Himmel, der sich vor ihren Blicken aufschliessen würde. Salassin durch diese zerstreut, dachte allenfalls noch manchmal, wenn der Mahler von Bildern sprach, an Lollys lebendiges Bild.

Eilftes Kapitel.
Die Stadt.

Hoffe Ruh im Mißgeschicke,

So das Daseyn dir vergällt.

Bald entwölkt sich deinem Blicke

Eine Flur, vom goldnen Glücke

Für den Dulder aufgehellt.

Fort rollte der Wagen die Strasse zur Stadt. Der lezte der Berge verbarg sie nur noch. Itzt waren sie auf seinem Nacken, und ausgegossen lag in einer unermeßlichen Ebene die unübersehbare Residenzstadt. Welch ein entzückender Anblick für die Reisenden! In der Mitte stand die Residenz des germanischen Kaisers, mit stark vergoldeten Dächern, mit Erkern und spiegelnden Fenstern wie eine kleine Stadt. Im Kreise um sie herum die Paläste der Fürsten in schöner Ordnung, jeder vom andern durch einen prächtigen Garten abgesöndert. Um die Fürstenwohnungen in mäßiger Ferne die Gebäude der Edlen, und an diese schloßen sich die simetrischen Häuser der Bürger, auch diese immer durch Gärten getrennt, in welchen hochwipflichte Bäume über die blanken Dächer grünten. Eine dreifache Schanze mit ungeheuren Wällen und Gräben umhügelte in einem Ring die ganze Stadt, durchschnitten von breiten regelmäßig angelegten Strassen und Gassen, mit unzähligen Plätzen, wo Alleen und Denksäulen standen. Auf vier Seiten gleich an der Stadt ragten vier unbezwingbare Kastelle auf Hügeln empor, ein majestätisch gleitender Strom mit blauen Wasserspiegel, mit Schiffen und Kähnen besäet umarmte den einem halben Kranz der Stadt. Wie blinkten die Thürme mit gelben Spitzen im Sonnengolde! Wie mischte sich das Farbenspiel der Mauern, der Dächer, der Bäume mit den bläulichen Wolken die aus Schorsteinen stiegen!

Die Reisenden kamen zum Thore. Ein Mann trat an die Kutsche, und fragte ganz artig: Wer bist du? den Grafen.

„Graf Wallingau.“

Sogleich traten die wachthabenden Soldaten auf des Thorstehers Wink unter Gewehr, schulterten, und Welly fuhr ungehalten weiter.

Das bunte Menschengewimmel, der itzt noch lebhaftere Anblick der Gebäude, der schönsten Baukunst Meisterstücke, die mannigfältige Abwechslung gewährte den Ankommenden ein süsses Schauspiel. Sie hielten auf dem Platze der Gasthöfe, den eine lange Reihe der schönsten Einkehrhäuser formte. Die vergoldeten Schilde glänzten. Hier hieß es: zur Treue, dort zur Liebe. Da: zur Hoffnung. Hier: zur Menschlichkeit. Wieder dort: zum Vaterlande.

Im Vaterlande kehren wir ein! — sagte Welly; sie stiegen ab, und ein halbdutzend windschnelle Diener bedienten die Gäste. —

Der Abend sank vom Himmel und zog seinen Purpurglanz von den wiederspiegelnden Thurmspitzen.

Unsre Reisenden machten eine kleine Promenade, und ruhten von den Beschwerlichkeiten der Reise auf sammtnen Kanapeen aus. „Morgen gehn wir in die Residenz, den Vater des Landes zu sehn! Und dann soll uns die Abwechslung der Stadtvergnügen ergötzen! — sagte Welly, ehe man zur Ruhe gieng.

Zwölftes Kapitel.
Das unvermuthete Wiedersehen.

Noch glänzte das Licht der Kristalsonnen, die in den Zimmern statt Kerzen dienen, viel heller als der Strahl der aufgehenden Sonne. Da wachten alle vom lärmenden Getöse der beschäftigten Stadtmenschen auf. Kaum waren unsre Pilger angegleidet, da wurden schon Diener gemeldet mit Willkommensbriefchen von Bekannten und Freunden, die Welly in der Stadt besaß, und die seine Auskunft sogleich durch die gewöhnliche Anzeige der Gastwirthe erfahren hatten.

Der lud ihn zum Morgenbesuch, dieser zum Mittagmahle, jener zur Abendpromenade, ein anderer zur Gesellschaft ins Theater ein. Einer von Wellys geliebtesten Freunden drang in ihn, den Gasthof zu verlassen, und bei ihm einzukehren; dieser war der Fürst Tellmann, Minister und Polizeyobrist des Monarchen.

„Wenn du — schrieb der Fürst in dem Briefchen — meiner Bitte nicht erfüllst, so sollst du nicht die Freude haben mich noch einmal deinen Freund zu nennen.“

Das ist mir eine gar fürchterliche Drohung! — sagte Welly lächelnd, und zeigte es seinen Gefährten an. Für Sebald und seine Mutter waren inzwischen neue Kleider herbeigeschaft, und die Beiden erkannten sich in dem neuen Anzug kaum. Sie giengen durch unzählige Gassen und über Plätze dem tellmanschen Palaste zu, an dem das fürstliche Wappen auf einer Silberplatte mit dem Namen des Fürsten, an dem Marmorportale hieng.

Hier sind wir am rechten Orte! — rief Welly und sie betraten die Treppe. Sogleich ward er gemeldet, und Fürst Tellmann kam ihnen im Vorsale entgegen, rief: Willkommen! und lag in den Armen des Freundes. Willkommen! Willkommen! mit den Deinen! — sprach er und führte sie in den Gastsaal zum Willkommensbecher.

Sebalds Mutter wankte wie betäubt über den Anblick des Fürsten, der, indem er den Pokal Welly reichte, sie anblickte, den Becher fallen ließ, und — auf sie mit offnen Armen zulief.

Meine Schwester!

Mein Bruder! riefen sie, und Sebald schloß sich an den Fürsten. Die beiden Wallingauer standen voll Verwunderung.

Das ist mein Sohn! — sagte Sebalds Mutter, indem sie auf ihn zeigte, der sich an den Oheim mit herzlicher Freude schmiegte.

Mein Schwestersohn! Mein Sohn!

Mein Oheim!

O Freund Welly welch angenehmes Geschenk brachtest du! Wie hast du mich überrascht! — sprach voll Entzücken der Fürst, und taumelte aus einer Umarmung in die andere. Man sammelte sich endlich und ließ sich auf Ottomanen nieder.

Nun bleibst du bei mir, meine Schwester! — fieng Tellmann nach einer Weile an — Ha! der Gram in deinem Gesichte verräth mir nur zu sehr, es sey dir trübe gegangen!

„Laß mich das vergessen, was ich gelitten! An deiner Seite mein theurer Bruder! will ich ein neues Leben beginnen.“

Tellm. So recht! Mir Einsamen ist jedes Vergnügen so unschmakhaft! Allein bin ich, allein! Was nützt mir Ehre, Rang, und Reichthum, wenn ich keine freundschaftliche Seele um mich habe. Meine Gattin starb, meinen Sohn würgte der Krieg, meine Tochter folgte der Mutter. Welly! Welcher Genius führte diese zu dir?

Welly. Ein Zufall —

Tell. Ward ihr schon lange bei einander?

Welly. Seit drei Tagen.

Tell. Seit drei Tagen? Und wußtest du, welche Freude du mir brächtest?

Welly. Wer hätte das geahnet, daß ich meines Tellmanns Schwester auf der Strasse fände, in einem so mitleiderregenden Zustand fände?

Tell. Wie das? Welche Schicksale? — O erzähle, erzähle mir liebe Schwester! Wie gieng es dir seit du das Vaterland verlassen, seit wir uns nicht sahen?

Und dem freudetrunkenem Tellmann ward erzählt was meine Leser bereits wissen. So manche Stunde schwand in dem Vergnügen des Wiedersehns schneller als der Augenblick, in welchem der Fürst seine Schwester erkannte.

Dreizehntes Kapitel.
Die Audienz.

Nun also in die Residenz! — sprach der Fürst, und sie erhoben sich von ihren Sitzen. Sie giengen über den großen Platz vor der kaiserlichen Wohnung, der zum Lustwandeln mit hochästigen Kastanien, Pomeranzen und Nußbäumen in mannigfaltiger Abwechslung mit Marmor- und Rosenbänken unter den Schattendächern der Bäume eingerichtet war. Marmorne Ehrendenkmäler berühmter Männer prangten überall zwischen den Bäumen. Das Volk wandelte hier und sah nie solch ein Denkmal an, ohne des edlen Mannes Andenken, dem es gesezt war, zu segnen, wenn er noch lebte, ihm eine lange Erhaltung zu wünschen, der seine Kraft zum Besten des Vaterlandes und der Menschen anwand, oder seiner Asche, wenn er nimmer lebte, eine dankende Thräne zu weinen. Durch das grau und dunkelrothe Marmorthor der Kaiserburg, an der das Wappen Deutschlands der doppelte Adler auf einer Goldplatte glänzte, führte Fürst Tellmann seine Freunde über unzählige Treppen und Stiegen in den Audienzsaal des Kaisers. Die Wachten präsentirten vor ihnen, wo sie vorbei giengen. Sie standen in dem Vorsaal der Minister, meldete sie, und ohne zu säumen wurden sie vorgelassen.

Mit heitrer Miene nahte sich der Vater des Vaterlands, Milde und Majestät, Ernst und Freundlichkeit im Gesichte, vom Goldthrone ihnen entgegen.

Seid mir im Herzen des Landes gegrüst, meine Kinder! sprach er.

„Jeder meiner Bürger ist mir immer willkommen, und meine Seele weidet sich an den Vergnügen, das mir die Besuche der Rechtschaffenen gewähren. Seid mir willkommen!“

Unser Vater! — sprach Graf Welly mit gerührtem Herzen und sanfter Stimme — Dein Herablassen rührt uns, die wir freudig den geringen Zoll des stummen Dankes dir weihn. Lange hab ich die hohe Wonne dein Antlitz, Allverehrter zu sehn, lange hab ich sie entbehrt, still und ungesehen meine frommen Wünsche für dein Wohl, für das Wohl unsrer Aller zu dem Urwesen gesandt. Hier stehen meine Söhne erfurchtsvoll vor dir, Erlauchter! um aufgemuntert zu werden, durch deine mächtig wirkende Worte zur Thätigkeit, zum Eifer und zur Liebe für dich und das Vaterland, um durch den Anblick deiner Majestät belebt dem Staate Germaniens als Bürger unzertrennlich sich anzuketten.

Meinen Seegen! entgegnete mit feierlicher Majestät der Monarch, indem er nach dem goldnen mit Edelsteinen aller Art besezten Szepter grif. — Meinen Seegen, ihr jungen Männer! Folgt dem Beispiel eures Vaters! Bleibet redlich und bieder! Seid rastlos, eifervoll und unermüdet in eurer Vervollkommnung! Das Wohl des Staates, und das Wohl der Menschheit sey euer Wohl! Seelengröße, Geistesstärke und Herzensgüte adeln den Menschen! Sammelt euch Verdienste, damit ihr ruhmvoll in die Fußstapfen eures Vaters tretet.

Er reichte den Szepter hin, und Salassin und Sebald berührten es schweigend mit dem Zeigefinger der rechten Hand. Der Monarch entließ sie mit freundlich ernstem Gesichte.

Diese feierliche Szene prägte sich tief in das Herz und Gedächtniß der Beiden ein, in deren Seele sich fest und unerschütterlich der Entschluß entspann: Eh ich mich einst leiten lasse von der Bahn der Tugend in die Labyrinthe des Laster, eh ich wanke, treu muthvoll und unaufhörlich mich dem Vaterlande zu weihen: eh treffe mich die Schande des Gefühls, daß ich unwürdig des Vaterlandes bin, daß ich unwerth meines Kaisers war, daß ich nicht die Achtung der Edlen verdiene.

Dies war die gewöhnliche Art der Aufmunterung für deutsche junge Männer, die sich dadurch erhoben und aufgerichtet sahen, die dadurch begeistert, ihr kraftvereintes Bestreben dem Lande widmeten. Dadurch entstanden die wackersten Männer, und so viele Eiferer für das Menschenwohl, als es in unserm Jahrhunderte Egoisten giebt.

Fürst Tellmann führte sie durch die ganze Residenz, und zeigte ihnen Millionen der Sehenswürdigkeiten. Tausend der schönsten Erfindungen deutscher Köpfe, und Salassin und Sebald im Enthusiasmus über den Anblick dieser Herrlichkeiten schwelgten in Wonne.

Wir haben noch nicht das geringste gethan — sprach Salassin, zu seinem Freunde, was uns die Ehre gäbe, hier aufgestellt zu werden. Aber, ich will kein Deutscher seyn, wenn ich nicht auch soviel leiste.

Dein Schwur ist der meine! Entgegnete Sebald. Zwar bin ich gebohren auf Englands Boden, aber Germanien ist mein Vaterland, dem ich alles verdanke, und auch mich soll der Spott des sklavischen Normanns treffen, verachten soll mich jeder Edle, wenn ich des freien deutschen Landes, so mich trägt, nicht würdig werde!

Viele Stunden waren gedankenschnell im Anschaun dieser Sehenswürdigkeiten verflossen, und noch war des Nichtgesehenen Unzähliges. Sie kamen in einen zehnten Saal, wo die prächtigsten Denkmale bewahrt wurden, unter denen die Urnen ehmaliger Beherrscher auch waren. Unter den Urnen der Herrscher war eine dem Joseph II. römischen Kaiser gesezt mit dem Bilde einer aus dichten Wolken hervorstrahlenden Sonne. Eine andere Leopold II. mit einem Palmzweige und den Worten: Er segnete durch Weisheit und Frieden. Eine dritte Franz II. mit einem Taubenpaar dem Sinnbild der Milde und Menschenfreundlichkeit und dem Spruche: Sein Szepter war Liebe des Volks.

Endlich verliessen sie die bewunderte Residenz, und begaben sich zurück in Tellmanns Pallast, wo ein deutsches Mittagsmahl ihrer wartete.

Nach dem Mahle werden wir die Stadt besehen! — sagte Welly, und Tellmann sezte hinzu: Abends gehen wir in das Theater. Heute ist ein schönes Stück von dem unsterblichen Dichter des 18ten Jahrhunderts Ifland! — Doch itzo geniesset, die Tafelmusik beginnt schon.

Vierzehntes Kapitel.
Eine fürchterliche Begebenheit.

Noch saß man bei Tische und unterhielt sich mit mancherlei Gegenständen. Salassin und Sebald sprachen von dem Gesehenen in der kaiserlichen Burg, da krachte plözlich ein betäubendes Geprassel und wiederdonnerte durch die Stadt. Die festesten Gebäude erbebten, daß die Fenster klirrten; der Wein tanzte in den Bechern, und die Musikanten liessen Instrumente und die Kannen vom Munde fallen. Eine ungeheure Staubwolke verdunkelte das Licht des Tages, es knallte und schallte, als donnert und prasselte mit fürchterlichem Getöse der Feuerschwangre Vesuv.

Auf den Plätzen und in den Gässen war alles in schrecklicher Bewegung, Geschrei und Gelärme. Alles rannte durch einander mit schreckengebleichten Gesichtern, und zitternden Füssen.

Was ist das? — rief einer um den andern im Saale, und sprang an das Fenster. Ein Strom ungeheurer Mauerstücke, Wolken von Asche und Staub rauchende und flammende Brandhölzer stiegen auf der westlichen Seite der Stadt hoch in die Luft, und sanken donnernd wieder herunter. Sebald und Salassin liefen schnell aus dem Saal über den Platz nach der Seite zu, wo das Getöse am fürchterlichsten hallte, und das Schuttwetter die Luft verdunkelt hatte.

Die Pulverfabrike! — scholls überall. Sie ist in die Luft gesprengt!

Die beiden rannten dem Volksgedränge nach und nach einer halben Stunde waren sie vor den Thoren der Stadt. Welch ein kläglicher Anblick.

Hunderte der Menschen waren zerschmettert zerstückelt, zerstümmelt, verwundet, mit Schutt und Brändern überdeckt, und eine ungeheure Schlucht gähnte an dem Orte wo die große Pulverfabrike gestanden war — Das Gewimmel der unzählbaren Menschen, die aus den Thoren strömten, das Röcheln der Sterbenden, das Stöhnen der Halbverschütteten, das Winseln und Wimmern der Halbzerschmetterten und stark Verwundeten und das Klaggeheul der Herbeilaufenden waren ein gräßliches Schauspiel.

Eilends half man den Unglücklichen. Hier warfen einige den Schutt auseinander, und zogen Erschlagene oder Verstümmelte heraus, dort verbanden andere die Wunden. Sebald nahm einen Mann auf den Rücken, der einer Fuß zerschlagen hatte, und Salassin trug einen andern, dem der Kopf und das Gesicht vom Blute röthete und eine Hand fehlte. Ihrem Beispiele folgten die andern Zuschauer, da packte ein Mann ein ohnmächtiges Weib, dort ein Weib einen wunden Mann auf den Rücken, hier führte ein reizendes Mädchen eine blutende Freundin, dort schlepte eine Zahl rüstiger Jünglinge andere wieder, und in wenig Minuten war das Theater des Jammers von den traurigen Akteurs leer. Dem sonderbaren Zug, der mit seiner Bürde truppenweise nach der Stadt wanderte, stürzten andere Schwärme von Menschen entgegen. Mein Vater! Meine Mutter! Bruder! Schwester! So tönte überall das Jammergeschrei derjenigen, die ihre unglücklichen Freunde in dem Zustande erblickten. Wie regegemachte Ameisen in einem aufgestörten Haufen untereinander wimmeln, diese Eyerchen, jene Weyrauchkörnchen tragen, und surren: so wimmelten die Schwärme der Zusamgelaufenen.

Sebald hatte seinen Mann vor das Haus gebracht, so dieser mit vollem Bewustsein ihm beschrieb, o wehe! da stürzte ein jammerndes Mädchen mit flatternden Haaren entgegen, und schloß weinend den blutenden Vater an ihren ungestümm schlagenden Busen. Ein Bach heißer Thränen rieselte über die schreckensblassen Wangen und sie taumelte neben den blassen Vater ins Haus. Sebald vergaß die Jammerszene und verlor sich im Anblick des huldvollen Geschöpfes, das der Jammer noch schöner kleidete. Er stand halbbetäubt und steif wie eine Bildsäule, und wußte nicht ob er gehen oder bleiben sollte. Das schöne Mädchen faßte sich endlich in ihrem Schmerz, und dankte dem Träger ihres Vaters mit einem herzlichem Kusse, der Sebalden durch Mark und Bein, und Herz und Seele wie ein Feuerstrom glitt.

Ein Wundarzt! — rief der verwundete Vater, und Sebald sprang fort und kam mit einem zurück, der den Fuß besichtigte und alle mit dem Ausruf tröstete: Ist nicht gefährlich! In 4 Wochen kannst du wieder grade gehen! Jilla — so nannte sie der Vater — hüpfte vor Freude auf, wie ein Täubchen auf dem Ast, um das Lager des Kranken und Sebalds Augen waren auf Jilla geheftet, als wären sie angenagelt. Endlich verließ er sie, nachdem er versprochen hatte, sie bald wieder zu besuchen.

Die unglückliche Pulverfabrike! Nicht genug daß sie Menschenkörper durch ihren Schuttsturm verwundete, da muß sie auch schuld seyn, daß sogar unsers lieben Sebalds Herzchen, der doch so ziemlich weit davon war, verwundet ward! Jaja! Schau du nur das Haus und die Gasse wohl an, lieber Sebald! Das jammernde Mädchen hat deinem Herzchen so ziemlich auch eine Portion überlassen.

Die Freunde trafen spät in Tellmanns Palaste wieder zusammen. Graf Welly war mit Sebalds Mutter so eben zurückgekommen, als auch Salassin und Sebald erschienen. Das Menschengewühl war noch immer zu stark. Geschäftige Wundärzte rannten von Haus zu Haus, von Mitleiden getrieben und ohne erst — wie die Wundärzte im 18ten Jahrhunderte im Gehen die Summe des Verdienstes zu berechnen.

Tellmann kam vom Kaiser aus der Burg, und brachte die Nachricht: daß des Kaisers Majestät über den unglücklichen Vorfall, den man sobald als möglich untersuchen würde, bestürzt vorgeschlagen habe, die Trost und Pflegbedürftigen zu besuchen, und eine beträchtliche Summe unter die Armen zu vertheilen.

Der gute Kaiser! — sagte Tellmann ist immer bereit, die Unglücklichen aufzusuchen.

Sie folgten dem Beispiele des Monarchen, und verbrachten den Rest des Tages in mancherlei Ergötzungen, von deren Sorten es in dieser ungeheuern Stadt eben so viele Arten gab, als Blumen im Frühlinge sind.

Fünfzehntes Kapitel.
Trennung.

Graf Welly entschloß sich endlich die Stadt zu verlassen, um bald zu seiner um ihn bangenden Gattin nach Hause zu kommen.

Mein Sohn! — sprach er — Lebe nun wohl! Die Stunde der Trennung schlägt! Wandle fort den graden Weg zum Ziele, laß dich nie auf Schleichwege leiten. Mein Tellmann übernimmt nun Vaterstelle, und wird väterlich dich lieben. Du wohnst bei ihm und bleibst mit Sebalden unzertrennlich. Werdet der Liebe der Edlen werth! Wenn dein Bewustseyn dir sagen wird, du hast deine Pflicht gethan, dann komm zurück in deines Vaters Arme, an deiner Mutter Herz, die Freude unsers Alters, unser Trost wirst du seyn. Nun leb wohl!

Er sprachs und umarmte mit väterlicher Innigkeit seinen Sohn, gab ihm den Abschiedskus, und wand sich an den Freund und Fürsten Tellmann.

„Freund! Hier geb ich dir meinen Sohn — ich gebe dir mein Alles. Sey ihm Vater und Freund, leite ihn — bleibe mein Tellmann —“

Sie umarmten sich gerührt. Itzo wand sich Sebald zu dem Grafen, und sagte mit bewegter Stimme: Du hast meine Mutter und mich so menschenfreundlich gerettet, hast uns entrissen dem Elend und in einen Himmel uns versezt — erlaube daß ich dir noch einmal mit dankdurchdrungenem Herzen danke — Ich will dich verehren; Salassin als meinen Bruder lieben, uns trennt in Leiden und Freuden nur der Augenblick, der die Sterblichen trennt. — Sie schlossen sich bewegt in die Arme.

Sebalds Mutter konnte nichts sprechen, aber ihre Miene, die halben Worte, die sie mühvoll dem hemmenden Gefühle abzwang, die nassen Wangen waren das unverkennbare Gepräge des reinsten Dankes, der in schönen Worten nicht glänzt.

Sie schieden von tiefer Rührung durchschauert — Der Vater vom Sohne, der Freund vom Freunde — der Sohn vom Vater, und die Zurückgebliebenen sahen mit gesenktem Blicke der fortrollenden Kutsche nach, und geleiteten ihn mit ihren Wünschen. —

Wie in einem Traume stand Salassin, die Seele von einem Empfindungsgemisch durchwallt. Er dachte — Mein Vater ist glücklicher als ich! Er wird Lolly bald wieder sehen! —

Sebald und Salassin ketteten sich immer fester an sich, und machten den Plan zum neuen Stadtleben.

Zweiter Abschnitt.

Erstes Kapitel.
Fürst von Tellmann.

Wir verlassen unsre Helden auf eine kurze Zeit. Sie mögen sich indessen ein bischen mehr in der Stadt umsehn, und an ihre neue Lebensart gewöhnen. Sie mögen bald die Akademien der Wissenschaften, bald die Musäen der Künste, bald die Geschäftssäle der Großen, bald Promenaden, Theater, und Kirchen besuchen, wir schlagen das Buch auf in dem Tellmanns Schicksale beschrieben sind.

Also ist er ein geborner Engländer? Kennt den Grafen Wallingau? Ist Minister? Wie erstieg er in einem fremden Lande diese Stuffe.

In diesem 23ten Jahrhundert kann jeglicher Fremdling durch ausgezeichnete Verdienste ein Glied des Staats werden. Seine Treue, seine Anhänglichkeit und Liebe für den Monarchen und das Land, dem er zu dienen sich entschlossen hat, müssen allgemein erprobt seyn. Und das waren Tellmanns Verdienste, die ihn auf diesen hohen Gipfel der Ehre und als einen Freund an des Monarchen Seite gehoben hatten.

Tellmann war der Sohn eines Edlen in dem Königreiche England. Seine Schwester Sebalds Mutter und er, die einzigen Kinder wurden von ihren Eltern ihrem Stande angemessen erzogen. „Sohn! — sprach der Vater — Ich bin ein Edler, Verdienste adelten mich. Werde des Vaterlandes und meiner würdig!“

„Tochter! — sagte die Mutter — Sey deiner Eltern, und einst der Liebe eines wackern Mannes werth!“ und die Kinder wurden es.

Germaniens Monarch gab, eh noch die Kaiserkrone auf seinem Haupte prangte, einem seiner Freunde in England einen Besuch. Seine blühende Tochter war mit ihm, und manches Jünglings Blick, der die deutsche Grazie traf, goß das Feuer der schnellauflodernden Liebe in die leichtfangende Brust. Zwei vorzüglich, die Söhne der edelsten Staatsdiener, sahen sich plözlich von der mächtigsten Neigung für die germanische Fürstentochter gefesselt. Ihrer Väter Rang, ihr eigner schön aufkeimender Ruhm, schien beiden kühnere Wünsche zu erlauben, und beide nährten die Flamme, beide spornten ihre Kraft an, die deutsche Blume zu erringen. Selmson wars und Lohnston, unser jetzige Tellmann, zwei Jugendfreunde, an Alter, Rang und Kraft nicht ungleich; aber jeder suchte dem Andern sich zu verbergen.

In einem Ring vergnügter Menschen, die einen heitern Sommerabend in dem Park des Kanzlers feierten, wandelte die Gesellschaft durch die Alleen.

Selmson und Lohnston umgaben Rosalien, (so hieß die deutsche Prinzessin) und beide wurden durch diesen Umgang immer mehr noch gefesselt.

Unvermuthet erschien in einer Seitenallee ein krankes, mattes, dürftig gekleidetes Weib mit zwei kleinen Kindern an der Hand, und setzte sich müde in das Gras. Lohnston gewahrte sie kaum, als er Rosalien sich empfahl, und das standhaft unterdrückte Gefühl der Liebe dem Mitleid Raum gab. Er gieng zu dem Weibe, half ihr auf, und führte sie mit dem einem Kind in dem Arm auf dem Park in ein kleines Häuschen, wo er sich gutherzig um ihr Befinden fragte, und sich als er ihrer Noth abgeholfen hatte, wieder unter die Gesellschaft mischte.

Rosaliens Aug war ihm nachgefolgt, sie leitete ihre Schritte in die Gegend des Gartens, dahin Lohnston mit der armen Familie gegangen war. Unbemerkt kam sie von der Gesellschaft, nachdem sie Selmson ersucht hatte, sie auf einige Augenblicke zu verlassen, hinweg, und trat eben so unbemerkt von allen in das Häuschen, aus welchem Lohnston vor ihr gekommen war, ohne Rosalien, die sich in den Gesträuchen verborgen hatte, gesehen zu haben.

Sie forschte das arme Weib aus, und erfuhr, daß Lohnston ihr Wohlthäter sey, der täglich in ihrem Elende sie besuche, und ihre Klagen verstummen mache.

„Meinen Gatten — sagte das Weib — erschlug eine alte Mauer, an deren Fuße er gegraben hatte. Ich fiel in das größte Elend. Dürftigkeit war stäts mein Loos. Meines seeligen Mannes Fleiß half uns, wir lebten arm aber froh. Mit seinem Tode war ich und meine 2 Kinder in Gefahr, den Hungertod zu sterben. Zu Betteln, ertrug ich nicht. Lohnston spürte meine Noth aus, und hilft mir großmüthig, daß ich wieder arbeiten und mich und meine Waisen ernähren kann.“

Rosalie hörte bewegt zu, und gieng zur Gesellschaft. Rührung und Liebe regten sich in ihrem Herzen — Liebe — schon bei dem ersten Augenblicke, als Lohnston sie sah, gewann er ihre Liebe, und Selmsons Bemühungen und Bewerben ward ihr bloß dadurch nicht unlästig, weil sie bemerkte, daß beide junge Männer Freunde wären.

Unter einem Kastanienbaum harrten die Beiden und jubelten als Rosalie wieder kam. Ihr erster Blick schien Lohnston zu sagen, daß sie um seinen Edelsinn wisse: und die deutsche Tochter zeichnete ihn überall mit einiger auffallenden Theilnahme aus.

Selmson war bestürzt, als er dies bemerkte. Mit minderer Neigung und Empfindung für Freundschaft hätte er leicht auf Ränke gedacht er kämpfte mit sich — die entstandene Liebe war mächtig — aber mächtiger die alte Freundschaft, er mißgönnte dem Freunde sein Glück nicht, und lebte lange im Kampf mit seinem Herzen.

„Ich will nicht Liebe — nur Achtung soll sie mir nicht versagen! —“ dachte er und suchte sich diese zu erringen. Auf einem Felsenberge standen eben Rosalie und er (Lohnston war etwas abgewendet) bei einem sehr tiefen in den Fels gehauenen Brunnen. Rosalien entsank ein goldverbrämtes Tuch; es fiel in die schauerliche Tiefe. Selmson schwang sich in verliebter Begeistrung in den Brunnkessel, und ließ sich zum Schrecken Rosaliens in die grause Tiefe hinab, um das Tuch zu erhaschen.

Auf der Prinzessin ängstlich Geschrei, um Hilfe! sprang Lohnston herbei, und — Selmson hatte unten in der grausen Kluft bereits glücklich das Tuch gefaßt. Man wand den Kühnen empor, und er überreichte unbeschädigt und lächelnd Rosalien das Tuch.

„Selmson — sagte Rosalie — Ich ehre Entschlossenheit und Muth, aber Tollkühnheit nicht.“

Sie sprachs, reichte Lohnston den Arm, und Selmson stand beschämt wie eine Marmorsäule da. Er war erbittert. Achtung verlangte er, und ihre Miene schien ihm Verachtung zu sagen. Das ertrug er nicht: der flammende Jüngling ward rasend, und — stürzte sich in den Brunnen.

Dieser unglückliche Vorfall erschütterte Rosalien, die ihn nichts weniger als verachtet hatte. Sie drang in ihren Vater, England zu verlassen, und der Vater reiste in seine Heimat, eh Lohnston und Rosalie sich noch ihre heiße Liebe gestanden.

Lohnstons Vater starb in diesem Zeitpunkte, seine Mutter war schon vor vielen Jahren auch unter den Verklärten. Seine Schwester Marlon liebte unglücklich. Ihr Erkohrner hatte den Haß seiner Familie. Warum? Er war ein etwas leichtsinniger Jüngling voll Feuer, das ihn zu manchem unedlen Streich hinriß. Er liebte Marlon — die Liebenden vergaßen sich. Marlon ward Mutter eines Knaben. Den Verlezzer dieses Gesezes strafte die Verbannung aus dem Vaterlande. Er floh, und Marlon folgte mit ihrem einjährigem Kinde dem Vater, ohne zu wissen, wohin? Sie war bisher nicht so glücklich ihren Geliebten zu finden, und irrte in unsäglich jammervoller Lage in Germanien herum, bis Graf Wallingau sie mit ihrem schon erwachsenen Sohne auf der Strasse traf.

Lohnston, dem alle Bande, die ihn an sein Vaterland ketteten, theils zerrissen, theils schwach waren, verließ von seiner unbezwinglichen Liebe für Rosalie, sein Vaterland, und bot seine Kraft Germanien an. Gelegenheit und Thätigleit erhoben ihn auf die höchste Schwelle der Menschen Glückseeligkeit. Er stieg von Ehrenstuffe zu Stuffe, und erhielt Rosalien zur Gattin, mit der er sein Vermählungsfest grade an dem Tage feierte, an dem Rosaliens Vater mit Germaniens Krone gekrönt wurde.

Aber ach — sie starb im 8ten Jahr der beneidenswerthesten Ehe, und Tellmann stürzte vom höchsten Gipfel der Menschenseeligkeit in den tiefsten Abgrund des Jammers. Zeit — dieser unvergleichliche Seelenarzt und der Schwall von Geschäften, die er dem Staat schuldig zu besorgen war, heilten ihn, und mit dem Wiedersehn seiner Schwester dämmerte die Sonne der Freude aus den Nebeln der Leiden hervor, um ihm bis an die Stunde des Scheidens zu strahlen.

Zweites Kapitel.
Eine Eroberung.

An einem Tage wurden die beiden Freunde zu einem Besuche geladen. Der Kranz der versammelten Gäste war groß, und man unterhielt sich sehr lebhaft. Salassin gewann vorzüglich die Neigung eines der reizendesten Mädchen, das ihn mit ungemeiner Aufmerksamkeit auszeichnete.

Später am Tage zerstreute sich die Gesellschaft im Garten. Salassin stahl sich in eine entlegene Laube. Er ruhte auf einer Rasenbank, eine Kaskade plätscherte, ihr Murmeln melodirte so lieblich mit dem Gesang einer Nachtigall — er horchte sinnig, und das Plätschern der Kaskade machte die Erinnerung an Lolly rege.

Durch die schmalen sandbestreuten Gänge des Gebüsches rauschte es plözlich — Er drückte sein Gesicht in die Hand, und träumte. Sie da! — das geschäftige Mädchen, das sich seiner im Gastsaale so annahm — stand wie ein Frühlingsengel am Eingang der Laube, und erblickte den holden Träumer in seiner tiefsinnigen Lage.

So allein? — sprach sie lächelnd! und indem sie ihn sanft auf den Arm mit dem Fächer schlug — du fliehst die Gesellschaft, und sinnest allein in einer dunkeln Laube?

Salassin fuhr aus seinem Sinnen, und wand sich an das reizende Mädchen. „Ich bin nicht so allein schönes Mädchen! wie du glaubst — mich umgaben —

Träume allenfalls — diese sind für die Nacht gut; aber bei Tage soll man —

„Vergieb, ich kenne die Lebensart der Stadt noch nicht so genau. Ich bin ein Fremdling den Sitten der Städte — ich bin auch blöde und fühle mich zu unfähig — mit lieblichen Mädchen —

Sage lieber — mir gefällt es nicht, mit Mädchen zu schäckern —

„Dann sagt ich eine Lüge — mir gefällst du recht sehr! —“

So? Du überraschest mich mit diesen Geständnisse und zeigst eine große Anlage unsern Modisten an Schmeichelein bald gleichzukommen.

„Nicht doch! Ich denke wie ich spreche —“

Und schmeichelst wie du sprichst.

„Der Bescheidne nimmt Lob für Schmeichelei.

Das thust du!

„Ich? Du scherzest mit meiner Unerfahrenheit, und machtest mich schon bei der Gesellschaft verlegen.“

Das ist mir recht leid — ich sah aber nichts weniger als Verlegenheit in deinen Antworten. —

„Ich bin vom Lande —“

So? hat das Land nichts Liebenswürdiges?

„O ja! — mich entzückt eine blühende Rosenflur — ein Schattenwäldchen — ein murmelnder Kieselbach —“

O wer spricht von dem?

„So verstehe ich dich nicht!“

Weil du nicht willst —

Salassin blickt sie forschend an — sie lächelt und wirft ihm einen schmachtenden Blick zu —

„Vergieb — ich bin nicht fein —“

Das find ich eben nicht. —

„Und ungalant —“

Das gefällt mir.

„Und schüchtern gegen süsse Mädchen —“

Das läst sehr hübsch.

„Vergieb — wenn dich meine Gesellschaft nicht wohl ergötzen kann, wie —“

Soll ich mich entfernen?

„O das meint ich nicht!“

Du bist vielleicht lieber einsam?

„So wollen wir zur Gesellschaft —“

O warum willst du das?

„Du versäumst“

(sie kickert und schielt zärtlich durch den Fächer nach ihn)

Salassin verstummt — sie rükt näher an ihn — er wird verwirrt — sie schmiegt sich liebvoll an ihn — er zittert und rieß sich gern los —

Salassin! ruft eine Stimme: beide fahren erschrocken auseinander — Sebald tritt in die Laube.

Ach! ich wollte nicht stöhren — die Gesellschaft wartet im Tanzsaale — man fragte —

„So müssen wir dahin! — sprach Salassin, und schöpfte freier Athem. Wellmine gieng verstört an seinem Arme — Sie kamen in den Saal. Die Musik hallte entgegen, und die Tänzerreihen waren schon geordnet.

Sie doch — Wellmine kirrt den rüstigen Landjüngling schon wieder! — rief eine Dame ihrem Tänzer zu.

Warum er nur mit Wellminen so vertraulich ist — dachte eine Andere.

Ich glaube, er fände würdigere Gesellschafterinnen! — sagte eine Dritte.

Er mag eben nicht besondern Geschmak haben — eine Vierte.

Wenn er doch mit mir auch tanzte! meinte ein genügsameres Mädchen —

Wellmine ist verblüft in den Fremdling! Eine sechste.

Mir gefällt sein Freund besser — flüsterte die Eine — er ist nicht so kalt —

Der müht sich mehr um mich! — Die 2te.

Wie herrlich er durch den Saal schwebt! — Eine 3te.

Wellmine hängt sich doch an jeden an — sagte wieder Eine.

Er ist so stolz — und lächelt uns höchstens ein bischen freundlich an! — Die 2te.

So flüsterten und wischperten die Mädchen unter einander, und hefteten die Blicke unwillkührlich auf Salassin. Er wechselte mit Tänzerinnen — Ach! nun nimmt er doch einmal eine Andere! — fieng Eine wieder an —

Nun wird mich die Reihe vielleicht doch auch treffen — Eine 2te.

Wie göttlich es sich mit ihm tanzt! — Eine 3te.

Sebald walzte mit Wellminen.

Hm! rümpfte die Eine ihr Näschen — um die zerrt sich doch Jeder!

Die nimmt uns die schönsten Tänzer! —

Muß denn die grade mit den Beiden zuerst walzen? —

Die Beiden sind vernarrt in Wellminen! —

Sie weiß sich zu drehn und zu wenden!

Sie muß sich doch auch einmal entschädigen, die Hungrige!

Und so gab jede ihr Schärflein von Mißgunst. Der Ball war aus, und die Mädchen klagten nun nimmer über die neuen Tänzer, die so galant waren und mit allen wechselten.

Salassin und Sebald empfahlen sich ihren Tänzerinnen — Wellmine drückte Salassin feurig die Hand, und geleitete ihn an die Thüre.

Hm! seht sie — wie sie um ihn sich dreht!

Die hat sich vergaft!

Sie ist eine Klette, die überall hängen bleibt!

Hm! er soll das Wetterhänchen nur erst kennen! —

So wetteiferten die Züngelchen der andern Mädchen — die sich allmählig zur Ruhe schliechen — ein Traum umschwebte Alle — die neuen Tänzer. —

Salassin und Sebald schliefen ruhig.

Drittes Kapitel.
Das Bildniß.

So verflogen Tage, Wochen, Monden und die beiden Helden lebten im schönsten Genuße der Wonne. Eines Tags kam Salassin zurück in sein Zimmer von einer Promenade.

Sebald war nicht da. Salassin gieng in des Freundes Zimmertheil, denn das Zimmer trennte nur eine goldgewirkte Tapete in Zweie. Auf einem Tische lagen Zeichnungen und Kupferstiche. Sieh da! Ein Bildniß lag bald ausgemahlen auf dem Tische.

Salassin erschrack wie vom Blitze getroffen! Es war Lollys Bild. Das blaue schmachtende Auge, die hohe glatte Stirne, der lächelnde Zug voll Milde um den Mund — die Wange so blühend, so frisch gemahlen das blonde Lockenhaar, das sich in sanften Wallungen auf den Lilienbusen goß — Lolly mit Leib und Seele! rief Salassin, und sah das Mädchen wie sie vor ihm stand, als sie Euphon schlug.

Hat er meiner Beschreibung nach, sie so richtig zeichnen können? Wie ist das möglich? Er sah sie nie —

Trunken von Begeisterung drückte er das Bild an seine Lippen, und — verwischte das Gemälde, das noch nicht getrocknet war. Verdammt! rief er, und fuhr aus dem Traume, ich habe da einen dummen Streich gemacht! Was wird Sebald sagen?

Eben kam jener — sah den Freund vor seinem Tische, warf den Blick auf das verwischte Gemälde, und indem er etwas unwillig auf Salassin sah — kam ihm dieser mit einer Abbitte zuvor.

Ich gab nicht acht — daß die Farben noch naß seyn — sagt er — und da hab ichs verwischt.

„Das seh ich an der Farbe, die an deine Lippen gedrückt ist —“ antwortete Sebald, und sein Unwille ergoß sich in ein Lachen.

„Es war mir so ziemlich gelungen — und Beyfall hätte es gewiß gefunden; denn es reizte dich halbfertig schon zu — einem Kusse.“

Du thust mir Unrecht — Sebald! ich verwischtes mit dem Tuche, und damit mahlt ich mir gewiß die Lippe an, indem ich das Tuch an den Mund brachte —

„Kennst du das Mädchen?“

Ob ich sie kenne? Sagt ich dir nicht tausendmal schon — daß ich — daß sie so herrlich Euphon schlage?

„Ey wohin denkst du? — — Dies sah ich ja nicht — wie konnt ich sie kennen?“

(bestürzt) Nicht? — Ich meinte, du trafst sie meiner Beschreibung gemäß — Das Mädchen, die kennst du also? Wo ist sie? ich will sie sehen?

„Das kann geschehen! Komm einmal mit mir durch die Morgengasse: da wohnt sie bei ihrem Vater, den ich damals bei dem Vorfall mit dem Pulvergebäude heim trug, er hatte seine Füsse zerschmettert — ist nun aber ganz hergestellt — und ich — — sah sie damals. Ich habe dir ja zuweilen von ihr erzählt.“

Unmöglich! Das ist Lolly, wie sie leibt und lebt! (Stuzt) „Ha das wäre sonderbar!“

Sebald! O komm, zeige mir sie — ich will — ich muß sie sehen — —

„Gedulde — das geht sogleich nicht an! — Warte bis an Ruhtag: da wandelt sie in der Promenade auf dem Ruinplatze.“

O mein Gott! — bis dahin sterbe ich vor Ungeduld — Wir können unter einem schicklichen Vorwande sie besuchen —

„Das geht nicht!“

Warum?

„Weil — ach so warte nur — heut Abends im Schauspielhause will ich dir sie zeigen?

Sebald?

„Nun?“

Du warst verlegen, als du mir sagen solltest, warum wir sie nicht unter einem schicklichen Vorwande besuchen dürfen?

„Weil — ich — es — nicht — grade nicht — recht finde!“

Dir gefällt das Mädchen.

„Und? —“

Dir gefällt das Mädchen?

„Nun ja — hab ich keinen Sinn das Schöne zu sehen, zu empfinden? Darum zeichnete ich sie auch ab, weil ich mich nicht erinnere — irgendwo ein schöneres Gesichtchen erblickt zu haben. —“

Dir gefällt sie?

„Was willst du damit sagen? Du siehst mich so sonderbar an?

Es ist Lollys Bild!!

„Was kann ich dafür — das wußt ich ja nicht, und ist das ein Vergehen, daß ich sie zeichne? Wenn es Lolly ist — so solltest du mir noch Dank wissen —“

Warum willst du mich nicht dahin führen?

„O so geh doch — weil es sich nicht schickt —“

Sebald — gehst du redlich mit mir um?

„Welch ein Mißtraun! Was muthest du mir zu?“

Du liebst sie!

„Ey, wenn hab ich das gesagt?“

Ich merke es — du warst immer so verstimmt, wenn ich dich auf jenes schöne Mädchen brachte, von dem du mir zuweilen wie ich mich entsinne, begeistert erzähltest — wie sie gejammert habe, wie ihre Thränen so häufig über die Wangen rieselten — Du bist in mancher Stunde nicht ganz mit deiner Seele da wo du sprichst —

„So gliech ich wohl gar dir am Ende!“

Spotte nicht, ich verbarg meine Empfindung für Lollyn nicht. Sebald! Freund! Ich bitte dich — zeige mir das Mädchen.

„Von Herzen gerne! Aber —“

Wieder?

„Aber gleich, — meint ich — geht es nicht an. Heut Abends —“

Heut Abends?

„Ja!“

Im Schauspielhause?

„Wenn sie dahingeht!“

Und wenn sie nicht —

„Dann heute nicht —“

(Rasch) Zeige mir das Haus!

„Mein Gott, du bist toll!“

Ich kann nicht ruhen — mir brennt es im Innern — mir stürmts und tobts — ich habe nicht Ruhe bis ich sie gesehen. —

„So komm!“

Sie giengen. Salassin in unbeschreiblicher Angst, mit dem bangen Wunsche: Wenn es Lolly wäre! Wenn sie es doch nicht wäre! Ist sie es — ach so bin ich oder mein Sebald unglücklich. Ist sie es nicht — wie bitter ist dann meine Hoffnung, sie wieder einmal zu sehn getäuscht!

Sebald selbst war in der quälendesten Lage. Seine Seele hieng an der Grazie, die das Bildniß trug. Immer stand das schöne jammernde Mädchen mit dem thränenden Auge vor ihm — er liebte sie — und hatte es sich selbst nicht gestanden. Er zeichnete sie — und wußte nicht warum sie so richtig getroffen sey? Und nun? welch ein verwünschter Zufall, daß Salassin gerade Lollyn in ihr erkennen mußte?

Je näher sie der Gasse kamen, desto banger war ihm ums Herz! Je näher das Haus rückte, desto schneller klopfte es im Busen. Salassin flog, und Sebald wäre gern zurückgekehrt. Endlich standen sie vor dem Hause. Sie traten hinein — der Besitzer bewillkommte sie freundlich — und umarmte voll Liebe Sebalden, den er als seinen wackern Träger kannte.

Man sprach so von dem und jenem — der Herr führte sie in seine Zimmer kein Mädchen war zu sehen. — Sie wandelten im Garten, keine Seele da.

Ach! gäb es nur schon lieber keines in der Welt! dachte jeder der Beiden, und ich stimme von Herzen in ihren Wunsch. — Sie blieben eben vor einigen marmornen Wasen stehen, die sehr schön gearbeitet in einer Laube lagen.

Ich werde morgen — begann der Greis — meinen Bruder besuchen auf dem Lande: die Vasen sind ihm bestimmt: er wird eine Freude haben, — meine Tochter ist bereits da.

Versteinert standen die beiden Freunde über das: „Meine Tochter ist bereits da.“

Gern hätte Salassin mit tausend Fragen, wo? wohin? warum? wie so? u. s. w. den guten Mann bestürmt, wenn ihm nicht jedes Wort im Munde gestorben wäre. Doch war er getrösteter. Lolly meinte er, ist ja Benglers Tochter. Wie käme sie daher. Gefaßt fragte er:

Und wirst du, Herr, lange dich da aufhalten? Nachdem es mir gefallen wird. Ohngefähr 3 Wochen, hoffe ich, bin ich wieder da. —

Drei Wochen soll ich in einer solchen Ungewißheit leben? dachte Salassin und Sebald:

Drei Wochen lang soll ich sie nicht sehen?

Nun war freilich nichts anders zu thun, als den verwirrten Zwirn geduldig auseinander zu wickeln, wenn man durch Ungeduld ihn nicht noch mehr verwickeln oder gar zerreißen sollte.

Sie empfahlen sich bald dem freundlichen Greise, und begaben sich schweigend nach Hause.

„Wie blüht manchmal ein Rosenpaar so ähnlich einander, und gleich an Duft Farbe und Form, daß man sie von einander nicht unterscheiden kann. Aber sind sie darum Eine und Dieselbe? Schau doch nur auch auf den Strauch und den Garten, wo sie blühen! — sagte Sebald, und begann sein verwischtes Gemälde frisch zu mahlen.

Salassin sezte sich an das Euphon — dichtete ein Liedchen an — Lolly, und sang es zu dem Harmonikamoll des schmelzenden Euphons.

Viertes Kapitel.
Das Gesellschaftshaus.

Sich von seinen Grillen zu befreien suchte einmal Salassin Zerstreuung, und gerith in ein Gesellschaftshaus.

Zu unsrer Zeit nennt man sie Koffeehäuser: weil aber diese Aufgeklärten dies Gesäufe kaum dem Namen nach kennen, und in dergleichen Gebäuden nicht Koffee wohl aber ächter Wein aller Sorten geschenkt, und der Gast mit allen möglichen Speisen bedient wird, findet er immer eine sehr große Gesellschaft aller Art Menschen und tausend Ergötzungen in so einem Gesellschaftshause.

Er trat in eines der nächsten Zimmer, da saß eine Menge Männer, die theils tief die Augen in die Zeitungen steckten, theils untereinander sprachen, theils stumm saßen.

Salassin ergriff ein Blatt, und las eine Anzeige der Vorsteher des Musäums der bildenden Künste.

Wir sind entschlossen unsern verdienten allgeliebten Vater des Landes — hieß es darinn — einen kleinen Beweis unsrer Liebe zu geben; und setzen auf das vollkommste Portrait des verehrten Kaisers eine Prämie von einer goldnen Ehrenmedaille, die auf einer Seite das Wappen des Musäums, auf der andern das Brustbild des Kaisers tragen wird. Wir machen den Mahlern des Landes unsre schuldige Anzeige.

Die Vorsteher des Musäums.

Mit dem Blatt in der Hand rannte Salassin fort, er reichte es seinem Freunde, der entzückt über die Gelegenheit sich auszeichnen zu können, dem Freunde um den Hals fiel.

Schnell wurden Farben und Pinseln, Stafeleyen und die nöthigen Materialien herbeigeschaft, und im Nu saß Sebald an der Arbeit.

Bist du toll? — rief Salassin — du sahst den Kaiser ein einzigesmal, und da mit schüchternen Augen die ohnmöglich jede Miene, jeden Zug, jede Linie der Stirne so genau bemerkt haben können, als zur Vollkommenheit des Bildnisses nöthig ist, und du willst um den Preis ringen.

Da laß du mich sorgen! Mahleraugen sehen, wo du eine Warze bemerkst, die Wurzeln und Fasern derselben.

Nun — so wünsch ich dir Glück!

Danke!

Fünftes Kapitel.
Die Bestellung.

An der Hand des Fürsten von Tellmann wanderte jeden Tag Salassin in Geschäftssale der Regierung, und lag hier seinem Studium mit ungemeiner Thätigkeit ob. Er erwarb sich den Beifall der Fürsten und Edlen durch seinen Eifer, und sie freuten sich über den treflichen Staatsmann, den er versprach.

An einem Tage wandelte er eben von seinem Geschäfte durch die große Residenzallee, und starrte einige neuangekommenen Luftgondeln an.

Leise trat ein Diener herbei, drückt ihm unversehens ein Briefchen in die Hand, und verschwand wie ein Gedanke.

Er öffnete rasch das Blatt und las:

Wie lange schmacht ich in meiner quälenden Einsamkeit, seit ich dich, liebenswürdiger Fremdling gesehen habe. Meine ganze Seele lebt in dir: süß ist mir die Stunde, in der ich dich bei meinem Fenster vorüber wandeln sehe, da klopft mein Herz im schnellem Pulse, mir glüht es im Innern und brennts vor wehen und wohlen Drang. Jüngling, ich liebe dich — mein Geständniß kostete mir eine große Ueberwindung, lange Tage, lange Wochen hat die unbezähmbare Liebe mit dem weiblichen Gefühle gerungen; aber vergieb, wenn die erstere mit weit mächtigern Waffen siegte, und mich zu einem Schritt trieb, den nur ein gränzenloser Harm entschuldigen kann. Ich lechze vor Sehnsucht dich einmal wieder zu umarmen. Jüngling laß dich rühren von meinem Schmerze. Heute Abends, wenn des Mondes Goldlampe mit freundlichem Blicke auf die Liebenden blickt, irr ich einsam am Ufer des Stroms — bei dem 8ten Stadtthore. Willst du mich sehen, so wandle durch die Erlenallee am Strome, dort harrt deiner mit unbeschreiblicher Sehnsucht

Eine
dich gränzenlos liebende
Freundin.

Salassin staunte, seine Augen verschlangen die Schrift, er las 2 — 3mal und sein Erstaunen stieg immer höher.

Wer mag das kühne Mädchen seyn? Wenn es — doch nein! die kann es nicht seyn! Soll ich dahin? — Handle ich recht? Wenn es ein lockendes Irrlichtchen wäre? Aber — doch, ich will meine Neugierde sättigen — Ich sehe ja keine Gefahr — Lollys Bild lebt in meiner Seele — und die Reize eines andern Mädchens — sind Tulpen gegen Rosen. Das Abentheuer muß ich doch der Sonderbarkeit wegen bestehn.

Er dachts und gieng als der Mond durch die Kastanienwipfeln seinen lächelnden Strahl senkte, durch Gassen und Strassen an das achte Thor, und wallte begierig die Erlenallee am Ufer des Stromes entlang.

Die liebliche Abendfrische, die aus den Weiden und Fliederhecken und den schlanken Erlen rauschte, des Stromes schöner Anblick, der majestätisch mit sanften Wellen durch thauige Wiesen sich wälzte — sein liebliches Murmeln, das sich mit den Mollackorden der liebesingenden Nachtigall und dem Instrumentalklang ferner Musikanten vermengte, das Echo, das diese schmelzende Harmonie wiederklang, das Blinken der flimmernden Sternensaat am bläuchlichten Himmel — ein Herz voll sehnender Liebe — alles das wirkte auf Salassin bezaubernd, und führte ihn zu süssen Abendschwärmerein.

Allen Rasensitzen vorüber, durch alle Gänge der Allee, durch alle Hecken und Büsche war er gewandelt, aber nirgends hatte sich ein Mädchen gezeigt, das sich als die Senderinn des Briefchens an seinen Arm geschlossen hätte.

„Vermuthlich hat sich jemand den Scherz gemacht, mich ein bischen bei der Nase zu führen. Doch das Vergnügen, das mir der schöne Abend im Freien gewährt, entschädigt mich süß genug — und ich will noch da bleiben.“

Er lagerte sich an den Bach unter dichtlaubigen Hollunder ins weiche hohe Gras, zu seinen Füssen plätscherten die Wellen, am wurzelvollen Ufer, und spielten mit Wasserröschen und Vergißmeinnichtblümchen. Eine Laute, die er bei sich trug — wie es damals Sitte ist — wurde zum sanfttönenden Echo seiner Gefühle ergriffen, er wühlte in den silbernen Seiten, und sang:

Im Abendthau

Näßt Flur und Au,

Der Dämmrung Grau

Beflort das Thalgemälde.

Mit Zweigen spielt

Der Wind und kühlt

Die Trift, und wühlt

Im wallenden Roggenfelde.

Der Frösche Chor

Hallt dumpf empor

Aus Wiesenmoor

Im Abendglocken Klange.

Sanft rauschen nach

Der Quell und Bach,

Sie singen nach

Das Echo vom Felsenhange.

Durch Astgeflicht

Und Blätter bricht

Des Vollmonds Licht

Und zittert sanft auf Moosen.

Die Sternchen streun

Blashellen Schein

Durch Dorngezäun

Auf junge verschloßne Rosen.

Ich irre lang

Mit regem Drang

Im Erlengang

Mit stillen Seelentrauern.

Ach liebend streicht

Die Wangen feucht

Auch sie vielleicht

Durch Wiesen in Ahnungschauern.

Und suchet mild

Im Mond das Bild

Das sie erfüllt

Und weint dem Wahn die Thräne,

Und sehnet sich

Nach mir, wie ich

Beklommen mich

Ans liebende Herzchen sehne.

Dann fächle du

O Lüftchen, Ruh

Der Bangen zu,

Daß frey ihr Herzchen schlage.

Und flüstre traut

Wie Flötenlaut,

Wo Kühlung thaut

Daß einsam, ich um sie klage.

Daß auf der Trift

Im Felsenklüft

Im Thalgedüft

Die Ruhe säuselnd walle,

Nur Quällenklang

Und Bachgesang

Zu meinem Drang

Mir stürmend im Innern halle.

Im Wiesenborn

Tönt Dumpf verworrn

Das Stundenhorn

Des jungen Tages Keime:

Vom Sternenfeld

Sank Ruh, sie hält

Des Dörfchens Welt

In Armen und bildet Träume.

Zur Ruhe schleicht

Die Wangen feucht

Auch sie vielleicht

Mit bangen Herzens Spannen.

Und kann allein

Im Mondenschein

Der Träumerein

Erregendes Bild nicht bannen.

Und sinnt und denkt

Den Blick gesenkt

Und scheucht gekränkt

Den Schlaf vom Augenliede

Dann glänze licht

Als Traumgesicht

Wie Rosenlicht

Der Sinnerinn, Seelenfriede.

Und Vollmond, du

Blick Trost und Ruh

Der Bangen zu,

Und lächl ihr sanft im Harme.

Und Lüftchen dich

Umschlinge ich,

Du flügelst mich

In ihre mir offnen Arme.

Eben klang die letzte Strophe, das geschäftige Echo nach — Salassin verstummte in stiller Wehmuth, und Schwärmerei, und blickte starr auf den Spiegel des vorüber gleitenden Stroms, sieh da! Eine weiche Schwannenhand schlang sich zärtlich um den überraschten Schwärmer — und ein glühender Kuß ward auf seine Lippe gedrückt. Er sah auf und — Wellmine lag in seinen Armen an seinem Herzen.

Der Jüngling entwand sich mit Kälte — Wellmine — bist du es? — war sein erstes, als er sich vom Ueberraschen erholt hatte.

Ja, Jüngling — den ich unendlich liebe — ich bins! Ach vergieb meiner Zudringlichleit. Wenn in deinem Herzen auch nur ein Funke von dem Feuer meiner Liebe brennt — dann vergiebst du meiner Kühnheit, dich hieher zu bestellen, dich überall aufzusuchen.

Wellmine — du schwärmst —

O laß mir diese Schwärmerei, sie ist Thau der schmachtenden Blume, sie ist Trost meiner Seele. Noch einmal gesteh ichs dir — Jüngling mein Herz liebt dich unsäglich. Wo ich gehe, geht dein Bildniß vor mir. Ich wache und träume von dir, überall und immer — Seit wir in jener stillen Laube mit einander saßen — fühl ich mich umschlungen von deinem Arm, wie du mich umschlangst als ich damals im Tanze mit dir in Elisien zu schweben schien.

Dein Geständniß — ungestümmes Mädchen schmeichelt mir zu sehr — ich — weiß nicht — wie —

O sprich nicht aus, Lieber! Ach, ich habe so lange mich gesehnt an deiner Seite wieder einmal zu fühlen, des Himmels Entzücken.

Mädchen, — ich habe Geschäfte. —

O kalter Jüngling, mit den Geschäften der Männer! Wenn vom Tage dir die Hälfte frei bleibt — eine Minute nur — eine Minute könntest du ja doch der heissen Liebenden schenken. Aber ach — dein Herz ist kalt.

Wellmine — ich nehme Theil an deiner Unruh, und — (etwas lasser) Theil nimmst du blos — und an meiner Unruh? und — bemitleidest mich vielleicht auch? — (Sie schweigt, und einige Thränen fallen auf Salassins Hand, der gerührt das reizende Mädchen anblickt —)

Wellmine! Deine Thränen glühen an meiner Hand — Wellmine — Wellmine — du quälst mich —

(Mit verstellter Kälte und einiger Ironie) Es sind Thränen eines Mädchens — Jüngling! Ich heuchle, wie alle Mädchen — vergieb — ich habe dich getäuscht — mein Geständniß war Lüge — ich bin ja ruhig — mein Herz ist kälter als das Deine —

O bei Gott nicht — Wellmine — mir bangts im Innern — du hast die Nattern der Unruh in mir aufgeregt — Wellmine— — verschone —

(im vorigen Tone) O das sind Schäckereien — ich scherzte nur — glaube keinem Worte — was ich sprach — du träumest selbst nur —

Foltre mich nicht — Mädchen! Dein Ton ist bitter, und geißelt mein Herz — ich liebe —

(voll Entzücken an seine Brust sinkend) O so bin ich gränzenlos glücklich — vergieb meines verstellten bittern Tons — ach auch er war der Sporn, den Liebe mir gab — Jüngling — ich bin dein —

(Salassin gewahrt den Mißverstand, und wendet sich gleichgültig ab.)

(Wellmine erblast und verstummt in sprachloser Verwirrung.)

Ein Diener kömmt eilig, und sagte: Die Schlafstunde schlug. Die Thore werden gesperrt. Wir kommen sonst nicht in die Stadt mehr!

So müssen wir nimmer säumen — sprach Salassin und führte Wellminen verstimmt in die Stadt. Ohne viel Worte zu wechseln kamen sie nach Hause.

Süssen Schlummer! Wellmine sagte Salassin etwas wärmer.

Süsse Ruhe! wiederholte das Mädchen, und schlüpfte über die Stiege in ihr Gemach, warf sich auf eine Ottomane, und saß die ganze Nacht in Sinnen und Härmen.

Seine Brust ist kalt — sagte sie weinend — sein Herz ein Eisklumpen — und ich Tollkühne — Gott, ich habe mich blos gegeben — Er verachtet mich nun — ha verachten? Ha! vergebens soll ich um den Gefühllosen mich härmen? — Doch — er ist ja doch Mensch — sein Blut rollt heiß in den Adern, sollen ihn Reize nicht rühren? — Ha er muß fallen — der Stolze — durch meine Kunst soll er fallen — aber welch verzweiflendes Mittel wähl ich? Und kann ich dies brennende Verlangen, dies marternde Härmen, kann ich meines Herzens Toben anders stillen? — Ha so stähle mich denn, Liebe! die du mich an den Kalten so unbezwinglich zaubertest! —

So dachte sie, so sann sie auf Schlingen für das Vögelchen, das sie mit aller Gewalt fangen wollte.

Sechstes Kapitel.
Die Portraitsvorzeigung.

Doch nun lassen wir sie an ihrem Plänchen schmieden, wir werden am Ausgang genug sehen. Genug wenn der fertig gestrickte Strumpf uns zu Gesichte kömmt; warum sollen wir zusehen, wie er gestrickt wird.

Die Zeit, wo die von den Vorstehern ausgeschriebenen Bildnisse gezeigt werden sollten, war erschienen. Hundert der geschicktesten Mahler bemüthen sich ein Meisterstück ihrer Kunst zu liefern, und arbeiteten rastlos mit Ehre ihr Werk vorzulegen, voll dem Wunsche nach der schönen Belohnung.

Am Tage des Vorzeigens versammelten sich die Vorsteher in einem Saal des Musäums, saßen in einem Kreise, und die Mahler wurden mit ihren Produkten unter dem Donnern der Trompeten und Pauken in einen Vorsaal des Musäums gelassen.

Wer wird den Preis erhalten? — sprach Einer — Ich bin begierig den Glücklichen zu sehen! Ein Anderer. Welcher wird den Kaiser am besten gefaßt haben! Der Dritte. Ich wette der berühmte Haning, der den Kaiser alle Tag belauschte, um ihn recht zu fassen, liefert das vollkommenste Bild! Der Vierte.

O wer wird die Prämie erhalten, als der göttliche Fillner — der mahlt alle weg —! Der Fünfte.

So lispelten die Vorsitzer untereinander voll Neugier den zu wissen, der die Braut nach Hause führt.

Den Mahlern, die mit ihren verhüllten Produkten im Vorsaal standen, zitterte das Herz im Leibe vor Sehnsucht, Hoffnung und Zweifeln. Einer sah den andern mit scheelen Augen an, jedes Miene schien zu sagen: Ich bin der Glückliche! mir fällt der Kranz zu! Endlich erscholl das Zeichen zum Anfang, als die Mahler versammelt waren. Sebald war der lezte in den Vorsaal gekommen, und erschrak über den Anblick so vieler Meister, worunter er den Unbedeutendsten geschickter als sich selbst hielt. Er wollte zurück mit seinem lieben Werkchen den Weg nach Hause treten, aber nun ward keiner herausgelassen, und die Schande hören zu müssen: „Seht der hat ein armselig Vorgefühl, er geht lieber bei Zeiten fort:“ — Diese Schande wäre Sebalden zu unerträglich gefallen. Lieber will ich der Lezte eintreten, als unter dem Gespotte dieser da aus dem Saale weichen! dachte er, und stellte sich in einen Winkel, wo ihn niemand mehr fixirte: allenfalls daß der oder jener von den berühmtesten Künstlern mit einem schiefen Blick auf Sebalden vorüber gieng, die Nase rümpfte, den Mund in ein hönisches Lächeln zog, und die Lippen aufwarf als wollt er sagen: der junge Laffe da will auch mit uns Meistern sich messen?

Das Zeichen ward mit Trompeten und Pauken gegeben, die Saalthüre wurde geöffnet, und einer der berühmtesten Künstler trat mit seinem nun enthülltem Bildnisse in den Saal.

Schön! trefflich! riefen diese — andre Herrlich! man hieng es auf und der Nahme des Mahlers ward einprotokollirt.

Die Trompeten und Pauken schmetterten, und es trat ein 2ter ein — so ein 3 —4 — 5 — so traten 50 nach und nach herein, und alle so trefflich, so vollkommen gezeichnet, daß man nicht wußte, wem der Preis entschieden werden sollte.

Endlich stand Sebald ganz allein im Vorsaale da, mit klopfendem Herzen, zitternden Schritten, und wankenden Knien, unentschlossen ob er itzt doch herein oder fortgehen solle.

Jeder Mahler, der sein Portrait abgegeben, und einprotokollirt war, reihte sich unter die Zuseher und Beurtheiler. So waren denn alle da und jubelten denn jeder, mich hat keiner übertroffen.

Sind der Herrn Künstler noch viele im Vorsaale, sprach der Präsident des Musäums. —

Ein einziger — antwortete der Vorletzthereingekommene.

Der wird mir auch nicht den Dukaten aus der Hand reißen! — dachte einer.

Der konnt sich wohl lieber nach Hause zeigen lassen! — Ein Anderer.

Der muß ein sauberer Gesell seyn, daß er zuletzt bleibt — Ein Dritter.

Du wirst mich auch nicht in den Graben stossen — Ein Vierter.

So dachte jeder durch die Reihe, und starrte begierig bis die Thüre sich öffnen würde.

Das gewöhnliche Zeichen erscholl, und alle Blicke hiengen starr auf die Thüre, voll Erwartung des Endes.

Sebald faßte das Bild bei dem Rande, und hielt es vor sich her, so daß das Bildniß auf die Zuseher, auf ihn aber der unbemahlte Theil der Leinwand zu stehen kam; er war so zu sagen ganz bedeckt.

Die Thüre wurde geöffnet, und Sebald schritt herein.

„Der Monarch selbst! — riefen alle — standen von ihren Sitzen auf, und verbeugen sich erfurchtsvoll vor dem Gemälde.

Aber wie erstaunten alle — als sie ihren Irrthum bemerkten.

O vortrefflich! vortrefflich: Göttlich! Das vollkommenste ohne Gleichen! Unübertrefflich! Der hat den Preis! — schrien alle, und wähnten troz dem erkannten Irrthum den Kaiser in persona leibend und lebend vor sich.

Jeder Pinselzug war Leben! Jedes Fäserchen so natürlich ausgedrückt! Die hohe Stirne mit dem lebendigen Ernst und der Majestät, wie sie in des Kaisers Gesicht selbst schwebt. Die Milde und Freundlichkeit in dem Zug um den Mund, das Feuer der Augen — alles — alles so lebhaft daß die Vorsteher des Musäums und die Kenner und Mahler getäuscht werden mußten.

Der Beifall war unendlich, und der Preis ward Sebalden einstimmig zuerkannt; wiewohl Gall und Neid in unzähligen Gesichtern so richtig sich mahlten, als Sebalds Preisbildniß gemahlt war.

Einige schäumten vor Groll und Gift, andere ärgärte es, sich von dem Jungen da übertroffen zu sehn. Besonders haderten diejenigen mit sich, die vorhin so wenig in ihm suchten, ihn mit spottischen Näschen, oder scheelen Blick anguckten.

Der Präsident gebot Stille, und sogleich schwieg der Strom der Mißgunst zu brausen.

Empfange junger Mann! dem einstimmig die ausgeschriebne Prämie für das unübertreffliche Bildniß unsers Monarchen zuerkannt wird, empfange aus meinen Händen im Namen der Vorsteher den Preis! diese Ehrenmedaille auf die der Name noch geprägt wird! durch deine Geschicklichkeit — durch dein Verdienst! bist du werth des Vaterlandes! Fahre fort ihm Ehre zu machen, und bleib ihm ein treues würdiges Glied.

Der Präsident umarmte ihn, die andern folgten ihm, wünschten ihm Glück. Die Trompeten und Pauken schmetterten stärker. Die Versammlung trennte sich; Sebald ward im Kranze der Vornehmsten unter dem Getöne einer lieblichen Musik, und von dem in Schwärmen herbeigeeiltem Volk in seine Wohnung begleitet.

Fürst Tellmann und Salassin waren gerade aus der Residenz zurückgekommen, erstaunten und taumelten im höchsten Entzücken auf den beneidenswerthen Sebald zu, der bescheiden da stand, die Huldigungen der Menge tiefgerührt annahm, und unaussprechlich seelig durch Tellmanns und Salassins Jubel eine dankbare Thräne vergoß.

Der Tag war ein Fest der allgemeinen Freude, Jünglinge und Mädchen beschäftigten sich um ihn, und führten ihn im Triumph — er mogte sich sträuben wie er wollte — zur Aneiferung Anderer durch die Stadt.

An den Theaterzetteln stand sogar: Dem neuen Künstler Sebald Kaiserbild zu Ehren.

Nach dem Schauspiele gieng es zum Ball, im Pallaste des Präsidenten des Musäums, und Sebald als der Held des Balles, der Gesellschaft, des Tages, begann den ersten Reigen.

Fürst Tellmann selbst vergaß sein Alter und tanzte wie ein Jüngling. Alle Mädchen drängten um sich Sebald, aber Sebald — nun? er ist doch etwa nicht traurig? unzufrieden?

Je nun — ganz zufrieden ist er — aber doch auch nicht! Sein Gesicht ist der lachende Blüthenmond — aber sein Herz? — ein öder Wintertag. Warum? Ist ihm das alles zur Last? Gewiß ersah er das nicht — was sein Herzchen ersehnt? Getroffen, mein Leser! getroffen.

Mit forschendem Blicke durchirrt er die Reihen der Mädchen — das schöne jammernde Mädchen war aber nicht darunter. Doch ließ er sich das von keinem abmerken, höchstens daß sein trauter Salassin etwas geahndet hätte; aber der war zu sehr mit der Gesellschaft und dem Tanze beschäftigt.

Siebentes Kapitel.
Das Abentheuer.

Da schäckert eben ein Kranz muthwilliger Mädchen mit dem Helden des Tages und seinem Freunde.

Ist Wellmine nicht darunter? Nein! Sie plaudert an der Seite mit dem Kellner. Ihr Plänchen ist geschmiedet, und dazu braucht sie den Kellner, die Mundschenker und einige Diener, denen sie Goldberge verheißet für eine kleine Gefälligkeit.

Den besten stärksten Wein — so spricht sie zu diesem — schenkt dem Einen ein, der dort mit dem Ballhelden immer so vertraulich umgeht. Recht häufig und recht stark! Hört! vergeßt nicht! Er ist ein außerordentlich lustiger Mensch, wenn er ein klein Räuschchen im Kopfe hat. So stirbt er vor Leid!

Da wollen wir schon helfen, sagten die Diener, es soll der Himmel und die Erde mit ihm tanzen!

Armer Salassin! Was hat Wellmine heute mit dir vor? Was wird dir noch geschehen?

O wehe, da wirket der Geist des Trunkes schon. Unvorsichtiger, wehe dir — es ist um dich geschehen!

Salassin ward ungemein munter — so witzig — so zum Scherzen und Schäckern, zum Tändeln und Tanzen aufgelegt, als ihn noch niemand im Leben gesehen. Tausend artige Gallantrien sagt er den Mädchen und Frauen, die den Jüngling bewunderten und liebten.

Mit allen trank er Brüderschaft — sein Herz floß über seine Lippen — kurz Salassin der lustige, galante, schöne Jüngling zog diesmal aller Aufmerksamkeit ungetheilt auf sich.

Sebald merkt es dann bald, was ihn begeistere, und beschwor ihn bei Zeiten sich des fernen Trunkes zu hüten, weil der überall geschätzte, leicht der überall belachte hätte werden können.

Salassin folgte zwar lange dem Rathe des Freundes, als aber der letzte der Reigen getanzt wurde, konnte Salassin dem Durste nicht länger widerstehen, und trank ein Gläschen um das andere leer.

Zum Glück war es spät nach Mitternacht, und das Ende des Balls da. Salassin mächtig vom Weine betäubt irrte fort nach Hause zu.

Ja nun war die Wirthschaft sauber. Das Gebäude lag in einer ihm etwas unbekannten Gegend der ungeheuern Stadt, die blos an Pallästen 4000 und an gewöhnlichen Bürgerhäusern wohl der 20000 zählte. Wohin nun?

Allein war er fort, klug genug um keinem andern seine Lage zu verrathen.

Vor dem Hause stand ein Wagen, man zog Salassin hinein, er ohne vielen Bedenken fuhr fort. Er stieg vor einem Pallaste ab — das ist meine Wohnung meint er, und stieg die Treppe hinauf.

Er tappte im Dunkel eine lange Treppe fort, und schob unvermuthet eine leichte Zimmerthüre auf, wo ein Lichtstrahl von einer Kristallsonne den Weg erhellte. Er stand in dem Zimmer, es ward wieder dunkel, denn die Sonne war plötzlich verschwunden.

Bin ich doch einmal zu Hause! — dachte er — und zog den Rock ab — und indem er denselben auf eine Ottomanne werfen wollte, erhellte sich plözlich das Gemach von der enthüllten Kristallsonne.

Salassin sah umher, und sah — welch ein Anblick! Auf einem Ruhebette lag ein Mädchen halbverschleiert; Er wankte näher, das verstellt schlaffende Mädchen ergriff wie im Schlummer seine Hand, und stammelte den Namen Salassin! — Ha! rief Salassin zitternd und zurückfliehend — es ist Wellmine! Ha verächtliche — deine Lockungen reizen mich nimmer! — Er ergriff den hingeworfenen Rock, und floh, als loderte über ihm das Gemach zur Thüre und zum Hause hinaus.

Rasend sprang nun Wellmine auf — rasend über den mißlungenen Plan. Sie verfluchte ihren unseligen Einfall und zerraufte ihr schönes Rabenhaar, und rannte weinend im Gemache herum.

So kann nichts, nichts die kalte Marmorseele locken? Das verlezte Gefühl der schönsten weiblichen Tugend, Schamhaftigkeit — die unbelohnte dürstende Liebe — Die Vorstellung sich Verachtung statt Achtung gesponnen zu haben, verfolgte das unglückliche Mädchen wie Furien — sie kämpfte im unaufhörlichen Kampf. — Vom Selbstgefühle so tief herabgesezt verwirrte sie Wahnsinn nach langen unaussprechlich jammervollen Stunden — und das blühende Rosenmädchen hatte sich bald zum Gespenste gehärmt.

Salassin war inzwischen durch Gassen und Strassen geeilt — und kam endlich an die Residenz des Kaisers; von da er bald seine Wohnung traf. Er sank betäubt in einen unruhigen Schlummer.

Achtes Kapitel.
Das Aerntefest.

Der Jubel des gestrigen Tages war endlich mit dem Schlaf und Traume verwichen. Schwere Köpfe, schläfrige Augen, und müde Füsse waren den Tänzern noch die deutlichsten Spuren, daß gestern ein Festtag gewesen. Alles gieng nun wieder seinen ordentlichen Gang. Salassin wachte spät von einem doppelten Rausche auf.

Du bist gestern oder eigentlich heut morgens spät nach Hause gekommen — sagte Sebald lächelnd. Du wadetest gewiß einem lockenden Irrlichtchen nach in Sümpfen herum!

Bin aber doch glücklich und bei Zeiten herausgekommen — antwortete Salassin etwas trübsinnig.

So? laß mich doch hören! Wie ist dir heute zu Muthe, und im Kopfe?

Nirgends gar zu wohl!

Da bedaure ich dich, daß mein Jubeltag dir so garstig bekommen! Nun, Ritter, hast du alla Don Quinxotte mit Windmühlen oder Riesen gekämpft?

Ach — mit noch ärgern Feinden?

Und den Kampf siegreich bestanden?

Jenu — das Feld hab ich zwar geräumt — aber dadurch eben gesiegt.

Du wärst ein kluger Feldherr!

Wer weiß! nur möchte ich meine Taktik gegen Mädchen nicht gar zu oft versuchen.

Wie so?

Salassin erzählte mit Treuherzigkeit den ganzen Vorfall. In Sebalds Seele drängte sich Abscheu mit Mitleid.

Seb. Darum plauderte sie mit den Weinschänkern so oft.

Sal. Jawohl hat sie die Schuld — meine Gewohnheit mich zu berauschen ists nicht; es war das erstemal in meinem Leben.

Seb. Du warst noch glücklich. Alle waren über deine thätige Munterleit entzückt. Niemand ahndete die Ursache derselben, und dabei hast du ja gewonnen, du bist nun der Liebling aller Schönen; aber die Schlange, weich ihr aus, Salassin!

Sal. Das that ich, und nun noch mehr.

Seb. Wir müssen uns heute erhohlen —

Sal. Erhohlung hätt ich nöthig!

Seb. Wir machen einen Spazierritt aufs Land.

Sal. Weit?

Seb. Wie du willst!

Sal. Wann kommen wir zurück?

Seb. Morgen!

Sal. Meinetwegen.

Seb. In einem Dorfe 4 Stunden von der Stadt ist das Lager abgesteckt für die Armee. Der Kaiser selbst wird dahin sich begeben, um das Heer zu mustern, sich den Soldaten zu zeigen, und ihnen Muth und Liebe einzuflößen. Man hat Bemerkungen gemacht, daß die unruhigen Normänner sich zu einem Streifzug ins nördliche Germanien rüsten. Der Sicherheit halber kampirt unsrer Armeen eine gegen Norden bin.

Sal. Reuten wir allein, oder in Gesellschaft?

Seb. Wie du willst.

Sal. Also allein.

Sie meldeten sich dem Fürsten von Tellmann drum und fort im flüchtigen Gallopp flogen die rüstigen Pferde durch Gassen und Strassen zum Thore.

Sie erreichten bald das erste der Dörfer. Eine Menge geschmückter Jünglinge und Mädchen, tanzten in Reigen in einem Wiesenthale. Sie feierten das Aerntefest. Die Musik hallte so lieblich aus der Ferne den Reutenden entgegen. Büsche und Hecken rauschten, und der Wind säuselte den Wiederklang der Töne.

Neuntes Kapitel.
Die Einsiedelei.

Die sanfthallende Harmonie regte Beiden Empfindungen auf, sie ließen den Zaum aus der Hand sinken, und hörten nur die lieblichen Töne, sahen nur nach der volkreichen fröhlichen Wiese. So traf es sich daß sie die Strasse abritten, und ihren Irrthum nicht eher als hinter dem Dorfe bei einem Bach gewahrten, über den keine Brücke führte.

Wohin sind wir gerathen?

Wo hatten wir die Augen?

Riefen beide, und bemerkten die verfehlte Strasse.

Wir müssen lings gegen Norden zu!

Da geht kein Weg durch den Wald!

Je — so müssen wir ihn uns suchen!

Gesagt! Gethan! Und sie ritten dem Wald zu, ernahen einen etwas unbefahrnen Fuhrweg, der sie grade in das dunkelste Dickicht des Waldes führte, Tannen, Fichten kaum über die Spitzen zu schauen, verschlangen sich mit ihren Aesten, und selten blizte durch der Zweige dicke Dämmerung ein Sonnenstrahl auf das feuchte Waldmoos. Immer dunkler wurde der Wald — 3 lange Stunden irrten sie darinn nicht auf Wegen und Stegen, — von diesen waren längst alle Spuren vergebens aufgesucht: wo ein etwas breiteres Pläzchen durchzukommen war, da ritten sie, stiegen hundertmal ab, und führten die Pferde sich nach.

Seb. Wir rittern ja doch etwa nicht im 12ten Jahrhundert?

Sal. Wenn uns doch ein Abentheuer mit Geistern und Hexen aufstieße.

Seb. Wie kämpften wir denn? mit Fingern?

Sal. Narrchen — da liegen Stöcke und Aeste genug!

Seb. Ja wohl — wir könnten eine Fichte zum Spaß aus dem Boden wurzeln, und sie als Schwerdt brauchen.

Sal. Oder die Felsenstücke wie Kartätschen verschleudern!

Seb. Horch! Da klingt so ein menschlicher Ton aus dem Walde.

Sie standen und horchten.

Sal. Wahrhaftig — das tönt ja wie ein Euphonklang!

Seb. O du Euphonschläger! Warum nicht gar wie ein Nachtigallied!

Sal. Wahrhaftig — ich irre nicht! Ich vernehm es immer deutlicher! Wie ein Mädchengesang!

Seb. Ey wenn wir doch auf ein Feenschlos kämen!

Sal. Und ein Duzend verzauberte Prinzessinnen enthexen müßten!

Seb. Halt! da wirds heller vor uns!

Sal. Die Waldnacht dämmert! — Still! horch! — Nun wenn da kein Euphon mollirt: so will ich keins gehört haben! — Pst! — Hörst du wie die Harmonie so klagend durch die Bäume rauscht? — Da wohnen Menschen.

Seb. Richtig — der Wald ist zu Ende — junge Schläge grünen da vor uns!

Sal. Die Tannen und Fichten wechseln mit lichtern Birken, und dort wehen hohe Buchen.

Seb. Da seh ich einen Fußsteig! Wir sind zu Ende!

Sal. Aber wo? Sieh links zur Seite — da dämmert zwischen den dichten Buchen ein Gebäude!

Seb. Wahrhaftig — eine Siedeley! Nun, nun Herr Bruder, wir sind richtig in einer alten Ritterwelt!

Sal. Ey! da wird er ja betrettner. Ein dunkler Buchenwald mit einer grauen Mauer umgeben — was —

Seb. Spornen wir doch die Rosse — meine Neugierde regt sich —

Sal. Sieh über die Mauer ragen 2 schwarze Säulen zwischen einigen Cypreßen —

Seb. Vielleicht gar die Eremitage eines Melankolikus!

Sal. Dort graut ein kleines Haus durch die Büsche!

Seb. Was ist das für ein Einfall! Schwarz angestrichen — das Dach sogar schwarz!

Sal. Aber es läst gut — das dunklere und hellre Grün der Zweige — und das melankolische Schwarz! — Aber horch! Der Klang hallt wieder! — Aus dem Hause! Nun höre doch, — ist das kein Euphon?

Seb. Was du für ein feines Gehör hast: schon auf eine halbe Stunde, im Dückicht noch, erkennst du den leisesten Ton!

Sal. Mahleraugen sehen — sagtest du einmal — die Wurzeln und Fasern, wo ein Andrer kaum die Warze bemerkt. Musikerohren unterscheiden die Töne bestimmt, wo du den Wind rauschen zu hören wähnst.

Seb. Eine Thüre! wir binden die Rosse an einen Baum — denn durch die kleine Thüre können wir einmal doch nicht reiten.

Sal. Was sollen wir aber in der Einsiedeley?

Seb. Menschen suchen und fragen, wo wir auf die Strasse kommen. Der Abend thaut schon!

Sie banden die Rosse fest an einen Baum, öffneten die kleine Gartenthüre mit Gewalt, und schliechen durch Büsche auf das schwarze Haus zu. Die Gänge waren voll Grau und Diesteln; sehr verwildert lings und und rechts geschlängelt. Die Hecken mit hohen Buchen und Tannen untermischt, wurden immer höher und sie verloren das Gebäude aus dem Gesichte.

Endlich endete der labyrintische Schlag, und 12 Eichen umrundeten einen Platz voll hohen Grases in der Form eines Ringes. Eben so viele Cypressen bildeten wieder in der Mitte des Platzes einen kleineren Zirkel, wo 2 Grabhügel mit blühendem wilden Tymian und Dyanthen sich erhoben, an jedem derselben stand eine kohlenschwarze Marmorsäule weiß geädert, auf deren jeder ein welker Blumenkranz hieng.

Die beiden Freunde schauerte es, die feierliche Stille, die der Wind nur manchmal störte, wenn er die Aeste knarrend an einander blies, und in dem Laube stöhnte oder wenn ein Aestchen oder Blatt herabrauschte — die beiden Grabhügel, die düstre Melankolie in dem ganzen Platze, das schwarze Monument — alles das wirkte auf die Fremdlinge so neu und mächtig, daß sie stumm und den Odem anhaltend diese erfurchtsvolle Stelle durchschweiften.

An der einen Säule stand die weiße Inschrift:

Gottlieb Edler von Felsthal im 26ten Frühling seines Alters im Jahre 2300.

An der andern Seite das Bild einer jungen Eiche, die vom Blitz zerschmettert wird; mit den Worten: „Kein Blitz zersplittert nun die Eiche mehr.“

Die andre Säule der vorigen an der 4 eckigen Form und an Größe gleich trug das Bildniß einer Rose vom Strauche fallend, mit dem Motto:

Schöner konnte sie nicht blühen, aber länger!

An der andern Seite: Ernestine Losenau im 18ten Frühling ihres Alters im Jahr 2298.

An dem Fusse der beiden Gräber ein 3ter Hügel mit einer runden weißen Säule, hier das Bild eines abgewelkten Baumes mit dem Spruche; Dort grünest du ewig! und auf der andern Seite: Karl Edler von Felsthal im 79 Herbste seines Lebens, im Jahre 2295.

Neben diesem ein noch frisches leeres Grab — Gewiß für eine noch lebende bestimmt. Oben an den Hügeln hob sich ein brauner Fels hie und da mit Moos und jungem Grase bewachsen empor, an dem eine stark vergoldete Metallplatte angekettet war, mit der Allegorie wie durch die Wolken des Leidens, hie und da durchs zerrissenes Gewölk ein Sonnenstrahl der Freude bricht, und mit der Inschrift:

Einem liebenden Paar einst getrennt, nun immer vermählet,

Und dem Gatten, ist dies Denkmal der Trauer gesezt.

Schlummert im Schoose der Ruh, ihr langebeweinten Geliebten;

Bis ein schönerer Tag ewig uns alle vereint.

Leudalie v. Felsthal.

Schweigend blickten Salassin und Sebald bald sich, bald die Monumente an, und verließen es endlich, da die Dämmerung des Abends sich immer mehr und mehr in Nacht verlor. Sie irrten noch lange umher, überall die ernste feierliche Einsamkeit, schaurig und doch nicht unangenehm, alles gemacht, die Seele einer bessern Welt vorzubereiten.

Endlich erblickten sie das romantische Haus, und traten leise an die halbgeöffnete Thüre. Eine weibliche Gestalt saß am Euphon und sank in den Klang der Saiten ein Klagelied. Sie war verlohren in ihre Wehmuth, und bemerkte die Fremdlinge nicht, die hinter ihr an der Thüre stille standen, und dem Gesange zuhörten. Sie sang ein Lied von Mathisson.

Wann ich einst das Ziel errungen habe,

In den Lichtgefilden jener Welt:

Heil der Thräne dann auf meinem Grabe

Die auf hingestreute Rosen fällt.

Sehnsuchtsvoll mit hoher Ahndungswonne

Ruhig wie der mondbeglänzte Hain

Lächelnd wie beim Niedergang der Sonne

Harre ich, göttliche Vollendung dein!

Eil’ o eile mich emporzuflügeln

Wo sich unter mir die Wellen drehn

Wo im Lebensquell sich Palmen spiegeln,

Wo die Liebenden sich wiedersehn.

Sklavenketten sind der Erde Leiden

Oefters ach! zerreißt sie nur der Tod

Blumenkränze gleichen ihren Freuden

Die ein Westhauch zu entblättern droht.

Sie sang so rührend und klagend — die Beiden lauschten und — fühlten — fühlten diese süsse Wehmuth, diese verlangende Sehnsucht — und eine Thräne glänzte in ihrem Auge: Die Seele schien in jenen Lichtgefilden zu schweben. — Die Dame stüzte den Kopf auf die Hand, und trocknete einige Thränen: stand auf und erschrak über den Anblick der Fremden, die sich voll Rührung ihr näherten.

Vergieb, daß wir dich gestört haben. Bange Dulderinn, wir sind Verirrte, und wissen die Strasse nicht zu finden die nach der Stadt führt.

Fremdlinge seyd mir Einsamen willkommen — sagte die Dame — Es ist spät Abends und vor 4 Stunden trefft ihr aus dem Walde nicht auf die Strasse. Wenn es euch gefällig ist — das Nachtlager hier zu halten — in einem Zimmerchen findet ihr Ruhe —

Die Dame verschwand in ein Nebenstübchen, und ein alter Wann wies ihnen das Zimmerchen.

Wie haben unsre Pferde vor der Mauer an einen Baum gezäumt. Könnten sie nicht bequemer hier im Garten irgendwo stehen?

Der Alte nickte; Gleich!

Die Beiden giengen mit ihm, und führten die Rosse durch ein Thor, das er ihnen zeigte: sie banden sie bei dem Hause an eine hohe dickstämmige Buche an, der Alte brachte Gras und Wasser, und den Fremden blieb nichts übrig als nach einem kleinen Mahle von Obstfrüchten sich müde in das einsame Zimmerchen zur Ruhe zu legen.

Zehntes Kapitel.
Wohlthun bekäme bald übel.

Der Morgen vergoldete den romantischen Garten: der alte Mann wünschte guten Tag! und brachte Früchte zum Morgenmahle —

Könnten wir mit der Dame nicht sprechen — guter Mann, sagte Salassin — Sebald sah durch das Fensterchen in den Garten.

Ohne ihr wehe zu thun — nicht! War die Antwort. Rede mit mir, was du zu sagen hast: ich höre und rede für sie.

Wer ist die Dame?

Sonst hast du nichts zu fragen? Dann geh ich —

Nicht doch — für das Nachtlager, für die freundliche Bewirthung wollten wir uns bedanken!

Für nichts — dankt man nicht!

Ist das nichts, uns bewirthet zu haben? Uns, die sie nicht kannte? Wir wünschten doch das edle Weib zu kennen.

Wird euch wenig frommen. Sie ist eine Dame, der Gatte und Kinder gestorben sind, die nun ihr Leben in stiller Trauer verweint — und ich bin ihr alter Diener — hier ist die ganze Geschichte — nun kommt! ich will euch aus dem Walde führen. Die Pferde hab ich schon gesattelt.

Weile noch ein bischen! Ich —

Habe nicht Zeit — mein Taggeschäfte bleibt ohnehin zurück, da ich vor 2 Stunden nicht wieder komme, wenn ich die Strasse euch deuten soll.

Das thut uns leid — wenn du durch uns versäumst. Wer waren denn die beiden Liebenden, denen das Denkmal dort im Garten gesezt ist.

Habt ihrs gesehen?

Ja!

So werdet ihrs auch gelesen haben? Weiter kann ich nichts sagen.

Vergebens war Beider Müh, etwas mehr von dem Gesehenen, das sie so neugierig machte — zu erfahren; aber der Alte wich allen Fragen aus, und sie mußten endlich ohne die Dame noch einmal gesehen zu haben, die Reise wieder antreten! Sie blickten noch einmal auf den Garten, und giengen vor ihren Pferden her.

Setze dich auf mein Pferd — sprach Sebald. Deine Füsse tragen dich kaum, und du sollst so weit uns führen?

Meine Füsse tragen mich schon.

Du bist alt — nein — wir reiten lieber auf gut Glück herum, eh wir dich, guten Mann nebenher keuchen lassen.

So will ich mich aufsetzen.

Sie halfen ihm auf den Gaul, und wanderten langsam durch dunklere und lichtere Strecken des Waldes, von den hohen Wipfeln tropfte der Thau, der im Sonnenstrahl schmolz, unten war noch tiefe Nacht.

Du bist gewiß schon lange bei der Dame?

Ja!

Wie lange denn so ungefähr?

Bis heute.

Erzähl uns doch was —

Ich weiß nichts!

Das eine Grab schließt vermuthlich den Vater, das andere den Sohn ein?

Ich denke.

Das offne ist ohne Zweifel der Dame bestimmt, wenn sie einmal sterben wird.

So scheint mir.

Das eine worinn ein Mädchen ruht, das einen von der Familie verschiedenen Namen hat — wer war denn die?

Ein Mädchen.

So viel konnt ich mir schon sagen. Wie kömmt sie in diese Reihe?

Weiß es nicht.

Vielleicht eine Blutsverwandte?

Mag seyn —

Und gestorbne Geliebte des gleichfalls todten Sohns?

Ja!

Eine gewöhnliche Geschichte mags wohl nicht seyn, die sich mit diesen Beiden zutrug; die Inschriften und Bilder an den Marmorsäulen lassen so etwas seltneres vermuthen.

So?

Edler von Felsthal? Ich glaub, er war ein Feldherr, und zog gegen —

Reh und Hirsche.

Sein Sohn liebte ein Mädchen, das der Vater aus gewissen frommen Gründen — ich glaube das Mädchen war katholisch, und der Felsthal protestantisch — und der Sohn wollte sich heimlich mit dem Mädchen trauen lassen?

Von Rabinern.

Das Mädchen härmte sich, weil sie den Sohn so einzig und innig liebte, und ihn nie den ihren nennen sollte — ward sie nicht wahnsinnig und nahm sich das Leben im Was—

Ja, in der Buttermilch.

Ach quäle mich doch nicht Alter! Erzähl uns doch —

Ihr wißt ja schon alles.

Ich glaube so einmal etwas gehört zu haben von dieser Geschichte —

Das hör ich.

Ist der Sohn nicht darauf auch gestorben? Nein ich glaube er hat sich —

Zu todt gewimmert.

Nicht doch, auf ihrem Grab ist er —

Vor lauter Lieb erfroren.

Ach, diese Todesart findet man in Romanen des 18ten Jahrhunderts. Itzt ist Mode sich —

Lebendig zu begraben; oder —

Weist du das von deiner Dame her?

Sich todt zu fragen.

Hm — meinte Sebald — Salassin! Da erfahren wir nichts.

Sie erreichten endlich die Strasse. Naß vom feuchten Waldmoos waren die modischen Stiefelchen: Rock und Hut trieften vom herabrieselnden Thau.

Dahin geht die Strasse nach der Stadt — dorthin, von der Stadt. Lebt wohl, sprach der Alte, stieg vom Pferde und trat den Rückweg an.

Dank, lieber Mann! — sagten die Beiden, und drückten ihm ein Goldstück in die Hand.

Wozu das? — Ich habe Kräuter und Früchte — bin nicht in der Welt —

Nims zum Andenken.

Hört — wenn ihr so gut seyn wollt — sprach vertraulicher der Mann, und lächelte zum erstenmale ein bischen — Wenn ihr da in das Dorf kommt — wird euch ein grünangestrichenes Häuschen entgegen schimmern. Da geht hinein, und gebt es dem, den ihr antreffen werdet, und sagt — aber von Wort zu Wort: Das schickt euch Thoms der Murrkopf aus dem Walde.“

Der Alte sprachs, drehte sich um, und lief fort bis er ihnen aus den Augen war.

Ein sonderbarer Mann! dachten beide, schüttelten den Kopf, und zauberten sich das Gesehene zurück.

Sie kamen in das Dorf: klopften an die Thüre des grünen Häuschens: Ein Mann hager, blaß, ein Skelet von einem Menschen, streckte den Kopf zur Thüre hinaus.

Salassin gab ihm einige Geldstücke, und sagte: Thoms der Murrkopf im Walde schickt euch das!

Der Mann verdrehte grimmig das Gesicht, und klapperte mit den Zähnen, biß in die Lippen und brüllte wild grinsend. Wollt ihr mich foppen, ihr Gauner! schrie er, ergriff einen Stab, und schlug nach den erstaunten Reutern, die nicht schnell genug auf dem Gaule fortgallopiren, und dem rasenden Mann, den sie für närrisch hielten, entfliehen konnten. —

Er lief bellend wie ein Hund, und geifernd wie Rezensenten durch das ganze Dorf ihnen nach, bis er über einen Stein stolperte, und auf der Erde liegen blieb, wo er vor Grimm in den Stein biß.

Einige von den Dorfleuten sahen dem Spektakel zu, und riefen: Hans Narr ist von der Kette los!

Dacht ichs ja gleich, der Mann sey närrisch! — sprach Salassin, und die Beiden hielten still.

Ach Herr — sprach ein grauer Mann — du hast ihm gewiß ein Allmosen von dem Murrkopf Thoms im Walde gebracht?

Ja! und drum ist der Mann so wüthig?

O da schlägt er im Zorne den todt, der ihms bringt!

Warum? Was bedeutet das? Will er vom Thoms nichts annehmen?

Beileibe nicht! Thoms? ist ein grundbraver Mann, und lebt viele Jahre mit der Alten Frau im Walde. Der Mann, der euch so geifernd nachlief, ist sein Bruder, der Thomsen einmal um Haus und Hof betrog, Thomsens Weib und Kinder vergiftete, und —

Warum hat man ihn denn nicht in die Jammerburg gesezt?

Der ist ganz und gar nicht närrisch —

Aber Weib und Kinder vergiften ist ja ein unerhörtes Verbrechen in unserm Lande?

Das konnte man nicht beweisen: er lud sie einmal zum Essen, da mischte er untern Salat giftige Kräuter, und weil er selbst mit davon aß, sagte das sterbende Weib selbst, Hanns habe es mit Vorsatz nicht gethan; aber ich sah wohl ein, daß er auf seine Seite die guten — jenseits aber die giftigen Kräuter theilte — und es war um Haus und Hof zu thun.

Der Mann ist kein Deutscher?

Er ist ein entlaufener Fremdling, der sich da ansetzte; anfangs sich durch Fleis und Eifer hübsch bereicherte; aber sein Geiz konnte dem redlichen Thoms nichts vergönnen. Thomsen jagt er betteln, der arme Tropf kam endlich zu der Frau im Walde, und schickt dem teuflischen Bruder alles, was er sich verdient und abspart. Sein Bruder, den das Gewissen wie der Satan geiselt, wird denn immer ganz toll, wenn er vom Thomsen etwas annehmen soll.

Das ist eine garstige Rache vom Thoms.

Ey behüte Gott! Er thuts mit dem besten Willen. Seit vielen Jahren war er bei seinem Bruder hier im Dorfe nicht: er mußte einmal erfahren, daß dieser nun elend und krank sey, daher schickt er ihm, was er schicken kann. Er sagte immer: Auch dem, der mich unglücklich gemacht hat, muß ich Gutes thun!

Das ist ein edler Mann!

Ein braver Mann! rief Sebald und Salassin, und bedauerten, daß er nur so einsilbig geantwortet habe.

Aber guter Mann, kannst du mir nicht sagen, wer die Frau in dem Walde ist?

Ihr Mann war ein reicher Kriegsmann — reich — o je reich, der hatte der Dukaten so viele als Steine in unserm Dorfe sind. Er wurde im Krieg erschossen, die Frau lebt nun in der Einsamkeit und weint sich zu todt.

Hatte sie nicht auch einmal einen Sohn?

Ja! Der ist auch im Krieg ums Leben gekommen. Er hat ein Schätzgen, ein liebes gar schönes Kind, und brav war sie — brav und gut, sanft wie ein Lamm, sie that allen Leuten Gutes; ich kannte sie recht gut, denn sie ist aus unserer Nachbarschaft eines vermöglichen Predigers Tochter gewesen. Der Sohn des alten Kriegsmannes hatte sie denn so außerordentlich lieb — und sie ihn auch — so lieb und werth wie ich meinen kleinen Philip, mein Enkelchen lieb und werth habe. Er wollte sie ehlichen; sein Vater sagte, du bist ein Bube, hast noch kein Verdienst, sieh dich erst in der Welt um, und wollte ihn erschiessen wofern er das Mädchen noch einmal sähe. Darauf kam der Krieg mit den Normännern aus — ach Herr ist es denn wahr, daß die Sprudelköpfe schon wieder anfangen und unser gute Vater Kaiser seine Soldaten zum Kriege mustert?

Seyd getröst lieben Leute, es ist so gefährlich noch nicht — Nun da kam also der Krieg aus — wie war es weiter!

Nun ja — da kam also der Krieg mit den Normännern aus, der Sohn zog in der Rasch mit in die Schlacht, und wollte lieber sterben als ohne seiner Herzallerliebsten Leben. Ach! er fand ihn nur gar zu bald, den bittern Tod. Der Vater wurde erschossen, und der Sohn zusammengehauen, denn er war gar zu muthig, und der erste der voraus ritt. Die Nachricht kam denn in die Ohren des Liebchens, die sich kränkete und keine Lebensfreude mehr hatte. Sie wurde krank und starb bald darauf. Wir haben alle herzlich geweint — es wäre ein so gutes Paar Leutchen gewesen — die alte Frau im Walde hat nun ihnen ein Grabmal gebaut. Ich komme alle Jahre einmal dahin, und bete für die Seligen. Da ist alles so traurig in der Einsamkeit, und die schwarzen Grabsäulen machen einem das Herz so wehmüthig — seyd ihr auch da gewesen? Herren?

Ja! lieber Mann! Und gab eben der alte Thomas an seinen Bruder etwas mit, der uns denn so weidlich erschreckte. Habt ihr viele Armen im Dorfe?

Nein! Gott sey Dank wenige —

Da nehmt das Geld und theilt es unter sie!

Gotteslohn braver Herr! Sie werden bethen für euch und den alten Thoms!

Leb wohl, lieber Alter! Dank für deine Erzählung!

Hier hast du ein klein Andenken (Er warf ihm ein Geldstück in die Hand)

Ach ich danke — bin gottlob nicht arm. Ich wills den Armen beilegen.

Fort sprengten sie wieder im raschen Gallopp die gepflasterte Strasse.

Sollen wir noch ins Lager oder reuten wir zurück in die Stadt — fragte Sebald Salassin.

Ach —! Wir fragten nicht einmal wohin wir da kommen. Doch, da geht ein Mädchen, das können wir fragen.

Mädchen führt hier die Strasse zur Stadt?

Zu welcher denn Herrn?

Die beiden sahen sich erstaunt an. Sind wir denn so weit von der Hauptstadt, daß ein paar Duzend andere noch dazwischen lägen?

In die Stadt, wo der Kaiser ist!

Ja — sprach das Mädchen — da habt ihr noch gute 4 Meilen, und müsset euch zurückwenden; denn grade vorwärts kömmt ihr auch in eine, dort wohnt aber der Kaiservater nicht — dort sind nur Soldaten — o je Soldaten — ihr konntet in 8 Tagen sie nicht alle zählen, sie haben dort ihr Lager.

Ist weit dahin?

Eine Stunde nur.

Und grade vorwärts!

Jaja! über den Berg oben werden euch die Häuser und Thürme schon entgegenblitzen.

Eilftes Kapitel.
Die Erscheinungen im Lager.

Sie kamen zu der kleinern Stadt. In einer unendlichen Ebene waren die Zelte des Lagers geordnet, wie eine kleine weiße Hügelsaat. Die blanken Flinten blizten im Sonnenglanze, und die zerstreuten Soldaten wimmelten wie ein Bienenschwarm. Eine unzählige Volksmenge von einheimischen Bürgern und fremden Menschen, die der Neugierde halber in das Lager gereiset waren, drängte sich in allen Gassen auf allen Plätzen der Stadt, und im ganzen Lager.

Die Luft war mit Gondeln die theils herabsanken, theils hinaufstiegen, und mit ihren bunten Segeln flatterten, angefüllt.

In der Mitte des Lagers ist ein viereckigter Platz für eben diese Gondeln, herum sind die Zelte der lustigen Marketender wimmelnd von fröhlichen Gästen.

Salassin und Sebald besorgten ihre Pferde, und verloren sich im Gemische des Haufens.

Eben kam Sebald an eine Ecke des Gondelvollen Lagerquadrats. An einem Luftschiffe wurden die Seegeln gespannt, und zum Aufsteigen bereitet. Ein Mann und Mädchen stieg eben hinein, er blickte flüchtig dahin, welch ein süsses Schauern durchfuhr ihn! Er erkannte das Mädchen und hätte auf des Kaisers Ehre geschworen es sey das und kein anderes, so ihm einst da jammernd entgegensprang als er den verwundeten Alten auf dem Rücken trug.

Er rief einige Grüsse den Aufsteigenden zu, die alle unbeantwortet blieben.

„Sie ists, beim Himmel! sie ists! Sie kennt mich nimmer! Sie blickte herab, als ich sie grüßte, und dankte mir nicht einmal! Ich bin verloren — sie kennt mich nimmer.

So gieng er voll Unmuth mit einem gekränkten Herzen, nachdem er lange unverwandten Blickes der Gondel nachgesehn hatte, traurig und mit sich im Streite, ob sie es vielleicht doch nicht gewesen seyn könne, oder ihn nicht erkannt habe, das Lager auf und ab.

Eilends flog nach langem Suchen Salassin voll Hast und Staub, und ohne Athem fast, auf Sebalden zu. Ich habe sie gesehen! O ich habe sie gesehen!

Wen? — fragte der aufmerksame Freund.

Lolly hab ich gesehen. Sie fuhr eben in einer Gondel davon. Ihren Gefährten sah ich nicht recht, denn er war bereits eingestiegen; aber es war ihr Vater. Lolly blickte hinab, ich erkannte sie: winkte ihr, grüßte sie: aber ach! sie mußte mich nicht kennen — sie dankte mir nicht! — Lolly — sie dankte mir nicht!

Seb. (hastig) An welchem Ecke sahst du sie?

Sal. An dem Ersten, aus dem man in das Stadtthor kömmt. Sie wars — mit Leib und Seele — ihre Kleidung zwar hatte sie nicht — die sie trug als ich mit meinem Vater in ihrem Schlosse war; aber Mädchen haben der Kleider so viele als Launen.

Seb. Was soll das heissen? Wisse — ich sah das Mädchen auch; aber in dem letzten der 4 Ecke — sie fuhr eben mit einem alten Mann davon: es muß ihr Vater gewesen seyn; auch ich konnt ihn nicht sehen, auch mir nickte sie keinen Dank auf meinen Gruß!

Sal. Wie sollen wir uns das erklären? Das schöne Mädchen sahst du, so du abzeichnetest?

Seb. Ja, ja! Mit Leib und Seele!

Sal. Wart einmal! Mir fällt ein — (Himmel, wenn Lolly es wäre, die er gesehen! Ach Gott — dann wäre mein Unglück gereift!)

Seb. Nun — (Wenn er das Mädchen sah — o gewiß Lolly und dieses ist einst — Er liebt sie — meine Seele hängt auch an ihr — mein Elend ist unendlich groß!)

Sal. Wie — miethen wir uns eine Gondel und fahren nach!

Seb. Aber wohin?

Sal. Ja — auf Lollys Landgut!

Seb. Es ist zu weit. Wir kommen zu spät zurück!

Sal. Ist dir nicht bekannt, wo sich der Edle aufhält bei seinem Bruder, ich meine des Mädchens Vater —

Seb. Ja wenn ich das wüßte.

Sal. — — Mir fällt ein — Was trug das Mädchen für ein Kleid? Nicht ein lichtblaues mit rosenrothen Streifen?

Seb. (bebt und stottert) O wehe! Lolly und das Mädchen ist eins — (Sie hatte ein lichtblaues mit rothen Streifen!) (Weh mir!) (Er faßt sich und sagt laut zu Salassin) Ja das hab ich in der Eile nicht bemerkt — ich — dächte eher — ein grünes oder rothes —

Sal. (etwas freudiger) O so waren es 2 verschiedene Schönen! Aber — sie dankte mir nicht einmal — sie grüßte mich nicht wieder! — Erkennen hätte sie mich doch sollen!

Seb. (in stummer Angst für sich hin) Jaja! Freund! 2 verschiedene Mädchen! — Ich gönne dir deine Freude, und will sie dir nicht entreissen! Ha — mein Herz muß still schweigen — Salassin hat ältere Rechte — er ist mein Freund — mein Retter — (laut) Ein blaues Kleid trug sie?

Sal. Ja, Sebald, ja! Ich sah es sogleich; denn mir fiels in die Augen, weil ich Lollyn in keinem andern als einem weißen gesehen habe. — Aber was fehlt dir? Du blickst zur Erde? Du willst sprechen? und verstumst — Sebald?! —

Seb. Wenn ich sie doch nicht gesehen hätte!

Sal. Warum? Du erregst mir Unruh! —

Seb. (lacht laut auf) Aber ob wir nicht Thoren sind! Da machen uns 2 Mädchen bange! Wer weiß wer sie waren! Sie kannten ja uns nicht; denn sie wären doch so artig gewesen, und hätten uns wiedergegrüßt! Geh doch — furchtsame Augen sehen immer Gespenster, und verliebte den Mond fürs Liebchen an!

Sal. Mein Auge trügt sich nicht leicht — und du — ein Mahler?

Seb. Der manchmal zuviel sieht! — Komm wir kehren zurück.

Sal. Ich komme nach! Und willst du meiner nicht warten, so reute voraus — in die Stadt zurück — natürlich!

Seb. Komm bald nach.

Wenn die innigsten Freunde sich auch die kleinste Falte des Herzens nicht verdecken; so giebt es doch zuweilen welche, die sie nicht gerne sich aufwickeln, besonders im Punkt der Liebe. Oft sieht man sich selbst nicht gerne in das liebende Herzchen, und in diesem Falle einen andern, wenn er auch meinem Ich noch so sehr verwebt ist, drein gucken zu lassen? Das ist dem Menschen nur zu sehr unerträglich.

Beiden war es lieb, allein mit sich selber so ein Gesprächsel führen zu können — und jener irrte noch lange im Lager herum, vergaß der Stadt, und, daß Sebald wenn er nicht bald folge, fortreuten würde: dieser dachte wieder nicht, daß Salassin noch im Lager schwärme, sattelte sein Roß, und ließ sich von ihm tragen, wohin es nur immer gehen wollte.

Der gute Gaul, der sein eigner Herr itzt war, trappte andern nach, die vor ihm hertrabten, und in einer Stunde war Sebald in einer ganz fremden Gegend; zwar war er auf der Chaussée, aber diese war es nicht die nach der Hauptstadt führte — soviel gewahrte er plötzlich, ohne eben vielweniger zu schwärmen als vorher.

Zwölftes Kapitel.
Unfall und Zufall.

Er trieb den Gaul fort. — Ich werde ja doch ein Dorf wo noch erreichen?

Das Roß flog und in einer kleinen Weile waren sie in einem Thale, aus dem ein Schloß schimmerte.

„Gewonnen! — rief Sebald beim Erblicken desselben —

„Mir däucht ich sah schon einmal dies Gebäude!“

Lieber Ritter! Du bekriegst dich wohl garstig! Die Schlösser dieses Jahrhunderts so symetrisch und meisterhaft sie gebaut sind, sind manchmal das Werk eines und desselben Baumeisters; daher kamen sich die Produkte oft so ähnlich, daß man das eine Schloß in Norden für das hielt, so man in Süden sah.

Auf der Weide eine viertel Stunde weit vom Schlosse grasten Pferde. Sebalds Hengst wieherte vor Herzensfreude. In einem Satz gallopirte er unter sie; und Sebald hatte Mühe sich auf ihm zu erhalten. Alle Kraft strengt er an, ihn abzulenken; aber es war umsonst, der Hengst bäumte sich und schlug aus — Endlich trieb Sebald ihm die Sporne so in die Haut, daß der Hengst ganz toll wurde, von der Strasse ab über Stein und Stock, Hügel und Gräben dem Dorfe zu nachrannte.

Das tolle Thier war nimmer zu bändigen: des Reuters einziges Bemühen war sich im Sattel zu halten. Aber o wehe! Da setzt er über einen Graben, es stürzt hinein. Sebald liegt unter dem Pferde, es wälzt sich auf ihn — o wehe! um Sebald ist es geschehen!

Die Leute, die hie und da standen, liefen eilends erschrocken herbei und halfen dem Halblebenden. Von dem Schlosse sahen eben einige Menschen aus den Fenstern den Vorfall, und über Hals und Kopf flog alles zu dem Unglücklichen her! Der Herr des Schlosses ließ Sebalden, der ohne Bewustseyn lag, sogleich in seine Wohnung tragen. Der Pfarrer der Arzt zugleich ist, war schon da — alles beschäftigte sich um den Blut- und Schlammvollen gestürzten Reuter, der bald gar nicht, bald nur matt und schwach athmete — die Augen aufgeschwollen, die Nase blutig und den linken Fuß gebrochen hatte. Nach langen Versuchen allen Lebenselixire gelang es den Bemühenden, ihn zur Sprache und zur Besinnung zu bringen? Er stammelte schwach und leise, und röchelte oft: Wo bin ich? Wie ist mir? Wer —

Pst! sprach der Pfarrer, und gebot ihm zu schweigen, damit er durch das Reden, so ihn anstrengte, nicht gar erschöpft werde. Er sank in einen konvulsivischen langen Schlummer, immer von wachenden Menschen umgeben, die ihn bedauerten und sorgfältig bedienten.

Ein Mädchen guckte zur Thüre hinein, und fragte leise den Nächststehenden: Schlummerte er? Ist er stark krank? Er stirbt doch etwa nicht?

Pst! er schlummert — war die leise Antwort, und das Mädchen schlich auf den Zehen an Sebalden, sah ihn voll inniger Theilnahme an, und schien durch ihr Bangen, ihre Furcht, er könne sterben, durch die frohe Hoffnung, wenn er bald genäse, durch alles dies, so in ihrem Innern kochte, und so das Gesichtchen deutlich ausdrückte, schien sie etwas mehr als ein gewöhnliches Mitleiden zu verrathen.

Sie hatte unverwandten Auges den armen Schlummrer angesehn — hätte ihm gerne das noch immer quellende Blut gestillt, gerne die Schmerzen gelindert, die ihn oft aus dem Schlafe aufzuschreien zwangen, wenn die geschäftigen andern sie nicht überflüssig gemacht hätten. Sie sah ihn noch einmal an — noch einmal voll Wehmuth — und schlich mit einem zärtlichem Blicke, den eine Thräne begleitete, aus dem Gemache, grade hin in das ihres Vaters.

O Vater er ists! er ists doch!

Wer?

Der Jüngling aus der Stadt, der dich wunden damals nach dem Schrecken mit dem zersprungnem Pulvergebäude auf seinem Rücken nach Hause getragen!

O weh, der gute Mann! Ist er stark hergenommen? Ach ja! sagte mir der Arzt. Wenn er nur heute ausdauert, so wird er morgen schon nimmer sterben — Der arme, arme Jüngling!

Sie sollen recht sorgfältig seyn! — die ganze Nacht bei ihm wachen! — Mein Himmel! wer hätte mir das gesagt; ich würde einmal bei meinem Bruder ihn, der mich so brav einst behandelte, in dieser Lage sehen! — Nur recht sorgfältig sollen sie seyn — nichts sparen — alles — alles versuchen und anwenden!

Ach das sagt ich schon — ich will selbst bei ihm wachen? sagte das Mädchen und schlich wieder in Sebalds Gemach.

Allmächtiger! athmete Sebald freier, schlief milder, fuhr seltner im Schmerze aus dem Schlaf — das Mädchen kam nicht von seiner Seite. —

Tiefe Mitternacht herrschte in dem Garten, der durch die Fenster des Zimmers wo Sebald lag im Mondenschein flimmerte. Die müden Diener schliefen alle, nur Jilla — wer kennt sie nun wohl nicht? Nur sie saß unaufhörlich beschäftigt bei ihm.

Hier wohnte der Bruder des Edlen von Wackerbach, der vor einigen Wochen daher kam, wo Jilla seine Tochter schon war, als Salassin und Sebald damals nach dem Vorfall mit dem verwischten Bildniß sie in der Stadt in ihres Vaters Hause aufsuchten und erfuhren, das Mädchen, so sie durchaus sehen wollten, sey bereits bei seinem Bruder auf dem Landgute, wohin er selbst auch reisen und dann wieder in die Stadt kommen wolle.

Sebald! Welche Freude wartet deiner! Wie angenehm wirst du aufwachen, wenn deine aufgeschlagenen Augen die Schöne an deinem Ruhelager so beschäftigt, so bang und ängstlich um dich bekümmert erblicken werden? Das Mädchen, um das du so lange mit stiller Herzenspein dich harmtest, das deine Seele so sehr erfüllte, daß du gestern vom rechten Wege abrittst, da du im Andenken an sie verloren den Gaul dahin traben liessest, wohin er wollte. Wie wird dich Schwachen die Wonne stärken, wenn dein erster Blick sie sieht, sie, die du gestern im Lager ersehen und entfliehn gesehen hast — die überall und immer dein süssester Gedanke, und der Sporn dir Verdienste zu sammeln, war.

Und Jilla — wie selig wirst du nicht den Erhohlten aufwachen sehen! Wie wird dich sein erstauntes Gesicht, und das frohe Lächeln, wenn er dich anschaun wird, nicht entzücken! Wie wird dein Bangen um ihn nicht in die schönste Freude verwandelt werden! O gesteh es dir nur, zärtliches Mädchen, dein Herz schlägt lange für ihn — gesteh es dir nur daß nicht Mitleid bei Unglück deine Wangen blässet, deines Beiseins Sturm erhebet, sondern ein schöneres edleres Gefühl. — Du glaubst ihm durch deine Sorgfalt die Schuld zu bezahlen, weil er einst deinen Vater auf dem Rücken nach Hause trug; o das ist schon recht — aber sey nur dir selbst auch so aufrichtig zu gestehn, nicht das allein, auch eine andere Empfindung erhält dich an seiner Seite wach — gesteh dir nur, daß du ihn lange schon — still und innig liebtest.

Der Morgen warf seinen ersten schwachen Lichtstrahl in das Zimmer — wo Sebald noch immer schlummerte, und Jilla wachte. Jilla die immer ruhiger und freier Athem schöpfte, wenn der Kranke ruhiger schlief, die immer angstvoller zitterte, und in quälender Furcht und Hoffnung schauerte, wenn der Kranke vom neuen Schmerz überwältigt, schwerer athmete, sichtlich mehr litt.

Endlich, endlich erhellt das Gemach der reifere Morgen! Endlich erwacht Sebald und forscht mit scheuen Blicken in dem stillen Zimmer.

Jilla saß auf einer Ottomanne, die Natur hatte ihre Rechte nicht vergeben — die müde Wärterinn war eingeschlummert, den Kopf auf die schöne Hand gelehnt. Sebald erblickte sie — aber er erkannte sie nicht wegen des bedeckten Gesichtes. Er fühlte sich gestärkt — dankbar fleht er zum Himmel für seine Rettung, und seine Seele ward gerührt über den Anblick der müden Schläferinn.

Er dachte an gestern, soviel und deutlich als ein Kranker in dieser Lage denken kann. Wo wird Salassin seyn? dachte er, das Traumbild des gestrigen Tages im Lager flirrte lieblich in seinen Träumereien. Ach! nun seh ich gewiß keins sobald wieder! —! —!

Eben trat der edle besorgte Pfarrer herein, und freute sich herzlich, den Patienten mit offnen Augen und besser zu finden.

Wie steht es mein Lieber? — sprach er mit leiser Stimme — Mir ist wohl! — antwortete Sebald.

Sprich nicht zu laut — Lieber! es könnte dir schaden — deine Brust hat stark gelitten! — Du hast doch etwas milde geschlafen; und fühlst dich gestärkt?

Sebald nickte freundlich.

Deine Schmerzen werden bald geschwunden seyn. Den gebrochnen Fuß hab ich gestern schon in Faschen gelegt — du wirst bald wieder gehen — die Brust soll auch nicht viel gelitten haben — das bedacht ich schon. Hier bring ich dir wieder ein Stärkungsmittel unsers Jahrhunderts — du wirst genesen, daß du nie von dem Unfall einige Spuren fühlen sollst. Ich habe das Remedium heute Nacht elaborirt.

Sebald nahm ein. Der Arzt gewahrte Jilla. Sieh doch welche treffliche Wärterinn du hast? Nun wirst du schon gar nolens volens genesen müssen!

Wer ist das edle Mädchen!

Die Tochter des Bruders von unserm Gutsherrn — Sie sind aus der Stadt schon einige Wochen da.

Aus der Stadt? — Ich komme auch von da —

Wer bist du? Laß mich deinen Namen wissen?

Ich heiße Sebald Kaiserbild.

Was? Der vor 3 Tagen seinen Festtag erst hielt?

Ja!

Edler Mann! Ich schätze mich glücklich, wenn meine Mühe dir zum fernern Leben half — ich habe einem edlen Staatsbürger geholfen.

Wie ist dir mein Name —

Durch Zeitungen. Unser Dorf feierte gleich den 2ten Tag auch dein Fest, wie dies zur Aufmunterung und Nacheifrung aller Jünglinge im ganzen Vaterlande geschieht. Wer hätte da denken sollen, wir würden den edelsten Mann sobald in unseren Auen sehen, und ach! in dieser Lage — O wenn das meine Dorfkinder erführen — Du würdest auf den Händen im Dorfe herumgetragen.

Ich bitte — schweige von mir.

Das muß ich auch, wenn sie dir nicht alle auf den Hals mit ihren Glückwünschen kommen sollen, wodurch deine Genesung verspätet werden könnte, weil du Ruhe noch brauchst. — Nun halte dich gut — ich habe noch einen Gang itzt zu einem andern Kranken — bin aber eh der Thau im Sonnenstrahl schmilzt, wieder da.

Er sprach es und gieng. Die Thüre fiel unvermuthet ein bischen geräuschvoll zu, und Jilla fuhr aus dem Schlummer, sprang an des Kranken Ruhelager, um zu sehen, ob er etwas bedürfe.

Sebald erblickte sie, und erschrak vor Freude, daß es ihm bei dem angestrengten Ausruf: Das Mädchen! durch alle Wunden bohrte.

Jilla sah ihn munter, und fragte zärtlich lächelnd: Ist dir wohl, lieber Mann! Leidest du noch immer große Schmerzen? Ach erhohle dich nur bald und erkranke nicht mehr — Sebalds Herz klopfte schneller, Erstaunen und Freude belebten ihn — er fand lang kein Wörtchen zu sprechen, endlich sprach er: Wie kömmst du hieher? und eine leichte Röthe übergoß die blassen Wangen.

Jilla. Je ich bin ja mit meinem Vater schon lange lange da — o gut daß dich der Himmel zu uns bringen ließ — ich will deiner recht warten — ich habe dich gleich erkannt und wäre lieber gestorben, eh ich nicht jede Minute hätte sehen sollen ob du besser wirst. —

Seb. Ich danke dir von Herzen — gute Seele. Wie lange sah ich dich schon nicht!

Jilla. So? Hast du zuweilen doch an mich gedacht? das freuet mich herzlich — ich bin so froh, daß du da bist — nun mußt du auch recht lange bleiben. In 3 Wochen wirst du noch kaum fortkönnen. —

Seb. Der Arzt sagte in 3 Tagen — dann muß ich wieder in die Stadt.

Jilla etwas bestürzt, wünschte fast, der Kranke möchte nur lieber noch 3 Wochen lang nicht genesen, nur daß sie um ihn seyn könnte.

Ach — der Arzt macht dir nur Hoffnung!

Seb. Und du willst sie mir nehmen?

Jilla. (besinnt sich) Ach nein! — du sollst nur länger da bleiben.

Seb. (sehr heiter) So — siehst du mich wohl gern? —

Jilla. (rasch) Und da frägst du noch? Ich — bin dir — ja — Dank schuldig — mein Vater damals —

Seb. (lächelt, in seiner Seele lebt Hoffnung) O schweige doch — deßwegen nur?

Jilla. (verschämt) O ich — bin dir ja schon sonst auch gut —

Seb. (zärtlich) So?

Jilla. (erschrikt über das, was sie da sagte, und kehrt um) Man muß ja dankbar seyn.

Seb. Auf Dank darf ich doch nicht rechnen?

Jilla. Warum denn nicht?

Seb. Warum denn?

Jilla. Weist du — wie mein Vater in der Stadt — —

Seb. O laß das — Jeder hätte es gethan —

Jilla. Aber nicht jeder so schön — ich habe schon gesehen damals, wie du durch meinen Jammer gerührt — bald auch geweint hättest — das hätte ein Anderer nicht — du hast ein empfindsames Herz. Und wie mein Vater rief: Jilla geschwind nach einem Arzt! Da liefst du schneller als ich — o das weiß ich alles recht gut!

Seb. Ach! erinnere mich nicht daran —

Jilla. (theilnehmend) Hebt sich wieder dein Schmerz? du Armer! Wie das mich selbst auch schmerzet!

Seb. Du reichst mir ja lindernde Mittel!

Jilla. O sprich nur, sprich! Wie denn? Welche?

Seb. Unschuld! durch — deine Theilnahme!

Jilla. So? freut dich das? Ach — wenn du wüßtest — (sie sieht ihn verschämt an)

Seb. Nun?

Jilla. (schüttelt ihr Köpfchen und schaut lächelnd auf das Fenster) Ja — das — sag ich nicht —

Seb. Wenn es kein Geheimniß ist — das dir Jemand —

Jilla. Ach — Niemand — ich —

Seb. O so zage nicht — —

Jilla. Ja — das soll ich nicht sagen.

Seb. (stellt sich als fieng sein Schmerz zu toben an) O wehe lindere —

Jilla. (bestürzt) Wie denn? Wo ist das Medicinfläschgen?

Seb. (lächelnd) Du hast es ja — die Linderung —

Jilla. Ach ja — nun — ich — bin dir herzlich gut! — (Sie springt aus dem Zimmer, blickt noch einmal durch die Thüre nach ihm, und schließt sie.)

Sebalds Wunden waren wie durch Zauberei geheilt. Wenigstens ließ ihn das Entzücken seiner Seele die Leiden seines wunden Körpers, nicht im mindesten empfinden.

Sie liebt mich! Das unschuldige schöne Mädchen liebt mich wieder! O ich bin entschädigt für meine Leiden! Himmlisch entschädigt!

So dachte er und stieß den schmerzhaften Fuß im Vergessen der Wunde an die Bettstelle, so daß er mit einem Schrei aus seinem Jubel durch den erregten Wundenschmerz auffuhr.

Der Pfarrer kam wieder, mit ihm der Herr des Schlosses und sein Bruder. Sie bedauerten den Unfall, und wünschten ihm nahe Herstellung.

Das unermüdete Bestreben des Arztes, die freundliche Bewirthung der Familie und — Jillas vorzügliche Geschicklichkeit — o welcher Halbtodte ersteht da nicht und wird binnen wenigen Tagen so gesund und stark als hätte ihn nie ein Fingerchen geschmerzt.

In wenig Tagen verließ er das Lager, und gieng im freiern Garten herum. Anfangs natürlich hinkte er so ein bischen; aber die geschäftige zärtliche Aerztin Jilla brachte es durch ihre Kunst soweit, daß Sebald nie begriff, der Unfall sey ein Unfall gewesen.

O — rief er — ich hatte ein Unglück, ein neidenswerthes Unglück! — und blickte liebevoll auf die süsse Jilla an seinem Arm.

Er hatte in einem Brief an seinen Oheim, den Fürst Tellmann die ganze Sache geschrieben.

„Ich bin vollkommen hergestellt, und gesünder als sonst — schrieb er darinn — bald komm ich mit meinem edlen Wirthen wieder in die Stadt, in die Arme meines verehrten Oheims.

Wir lassen inzwischen Sebalden und Jilla immer nicht und mehr sich erklären, lassen sie wandeln im blüthigen Garten im Morgenglanz und Abendthau; lassen sie kosen in stillen unbelaubten Schasminlauben; und kehren zu dem betrübten Salassin.

Wo bleibt der? — denken wohl einige ihm geneigte Leserinnen!

Das will ich kurz erzählen, erlauben sie mir erst ein wenig Erhohlung. Ein Gläschen ächten — sprudelnd wie des 23. Jahrhunderts edler Rebensaft — soll mich zur Erzählung begeistern.

Dreizehntes. Kapitel.
Eine Nachricht aus der Heimat.

Als Sebald aus dem Lager ritt, irrte Salassin in stiller Schwärmerey, aufgeregt durch Lollys Traumbild, das ihm kaum erschienen mit der Luftgondel wieder entflog, um die Reihe der Zelte immer denkend und lebend am und im Traumbilde.

Ist sie es denn doch gewesen, oder nicht? — fragt er sich selbst. Sebald sah — Verwünscht! wenn er auch Lolly gesehen hätte! Ach! — so ist es vielleicht — er hielt sie für das Mädchen! — Aber er sagte ja — jene wäre grün — oder roth gekleidet gewesen; da Lolly blau sich trug? Grün oder roth? Was sind das für zwei verschiedene Farben! Und ein Mahler sah die Farben nicht bestimmt? Hm! wenn sie auch ein blaues Kleid gehabt — wenn er mirs meiner Unruhe wegen verschwiegen hätte? — Sehr möglich! Ach so haben wir beide nur eine gesehen — Lolly ist das Mädchen und das Mädchen Lolly — o wehe! — einer ist verloren! Bei Gott — da will ich der Verlorne seyn — denn auf den stillen Kummer meines Freundes mein Glückgebäude bauen? — Bei Gott nicht — ich will verloren seyn!

So stritt der Edle mit sich, und gieng spät nach der verabredeten Stunde in die Stadt, sattelte sein Roß im Gasthof, wo sie eingekehrt waren, und weil er den Freund nimmer traf, meinte er: Er ist ohne Zweifel vorausgeritten, ich muß ihn einhohlen.

Salassin sprengte nach der Stadt, aber Sebald einzuhohlen gelang ihm natürlich nicht, weil dieser einen andern Weg ritt.

Die Stadtthore waren bereits versperrt, und Salassin mußte sichs gefallen lassen in einem Gasthofe vor den Thoren zu übernachten.

„Sebald ist ohne Zweifel zu Hause schon, und wird um mich bangen — da ich heute nicht nachkomme. Doch — er weiß ja — ich bin kein Lämmchen so das erstemal in eine fremde Flur kommt“ —

So beruhigte er sich, und gieng in dem Garten des Gasthofes im Mondenschein mit verschlungenen Armen herum.

Hehehe! — lachte eine laute Stimme, indem ein Mann Salassin bei dem Arm griff — Herr Salassin! Du kennst mich wohl gar nimmer.

Je — Georg — bist du es? Wie kommst du daher? — sprach Salassin freudig, als er den Diener seines Vaters erkannte. Bist du etwa nimmer bei meinem Vater?

Georg. Hat sich wohl! Er schickte mich eben mit einem Briefchen und vollgefüllten Beutel an euch ab.

Sal. Ey sey mir willkommen! Ich habe eben beides nöthig. Ich hin aus der Stadt gesperrt!

Georg. Kam auch zu spät — dachte, mach ich morgen dem lieben Herrn eine rechte Freude. — Ja, also — nun muß ich meinen Auftrag ausrichten. Der Vater und die Mutter und der Pfarrer und unser ganzes Dorf grüßt dich vom Herzen, und es soll dir nur recht gut gehen! Georg richte dich — sagte der Vater vor 4 Tagen — du gehst mit einem Brief zu Salassin! — Nur her damit — sagt ich — ich will flink wie ein Hirsch seyn! Da hast du den Brief, sagt er, und ich lasse ihn grüssen, und er soll mir Freude und Ehre machen! Und die Mutter zupfte mich so auf die Seite, und da gieb ihm das Geld! sagte sie, daß der Vater nichts hörte.

Sal. (freudig und voll Ungeduld) Die guten — guten Eltern! Geschwind wo hast du den Brief.

Georg. (zog ihn aus der Brieftasche) Und dann gab er mir auch den Befehl — ich solle mich bei dem edlen Bengler aufhalten —

Sal. (voll brennender Begier) Nun? und was —

Georg. Dort hatten sie eine Freude! Der Vater und die Mutter sind allen Wochen einigemal da, und diese wieder bei uns. Wie ich erzählte ich gehe zu dir in die Stadt — Wind und Blitz! — da hättet ihr die schöne Tochter des Benglers sehen sollen — wie sie aufsprang — und fragte — gar nicht auf meine Antworten hörte — und immer nur recht viel des Schönen und Herzlichen und was weiß ich alles an euch auszurichten mir gab. Du mußt sie ja kennen?

Sal. (voll Jubel) O recht gut — recht gut! Erzähle — erzähle!

Georg. Da versprach sie mir ein silbernes Ringelchen, wenn ich ihr eine gute Nachricht von dir zurückbrächte — und schenkte mit allerlei — und da hatte sie eine so herzliche Freude — ich glaube — sie hat — dich recht lieb — so lieb — wie ich einmal meine Marie lieb hatte, als ich sie lieb hatte! hehehe:

Sal. O goldner Georg! Du bringst mir zuviel angenehmes! Den Brief will ich gleich lesen! — Sag mit doch — sind alle gesund? vergnügt? Ist das Mädchen noch immer — was wollt ich denn nur sagen? — ja — sie hat also nach mir gefragt? läßt mich grüssen? —

Georg. Ja ja! Und du sollst bald einmal wieder — ich weiß nicht wie das Ding heißt — das so hübsch klingt und singt — es hat so viele Saiten — und man klappt mit den Fingern darauf — ja — du sollst auf der Orgel bald wieder spielen —

Sal. Ach — sie meint das Euphon — o ich möchte alle Tage dahin!

Georg. So — gefällts dir nicht mehr in der Stadt?

Sal. O ja — doch wünscht ich einmal wieder meine Heimat —

Georg. Aha! und das schöne Töchterchen zu sehen! Verstanden! Ja! — daß ich nicht vergesse — In einigen Tagen kutschirt mein Vater und ich in einem Luftschiff ins Lager — nach — nach ihrer Rechnung — müßte sie heut dort gewesen seyn!

(Salassins Freude sinkt plötzlich durch diese Nachricht) Ich habe sie gesehen! Aber grade stiegen sie in die Luft und — sie erkannte mich gar nicht — — O nun ists gewiß — Lolly und Sebalds Mädchen ist eins! — (sprach er harmvoll für sich —) Komm, komm lieber Georg! — Die Mitternacht ist nahe — du hast Ruhe nöthig — ich will den Brief lesen!

Sie giengen — Salassin fragte noch tausendmal nach mancherlei von Lolly — und ward immer unruhiger, froher, wieder verstimmter. Er las den Brief.

Mein Sohn!

„Du hältest dich wohl, und ich habe meine Freude daran. Wir sind gesund, Gesellschaften erheitern uns, und wenn meine väterliche Sorge für dich schläft bin ich ruhig. Lolly, Benglers Tochter, liebt dich innig — sie soll einst deine Gattin werden. Wir freuen uns alle deß herzlich. Aber nicht eher, bis du edel ihr unter die Augen treten kannst. Ich hoffe Liebe und Ehre wird dich anspornen, den Preis ruhmvoll zu erringen. Bald kömmt Bengler mit Lolly nach der Hauptstadt. Deine Mutter und ich werden es noch überlegen. Ich habe der Geschäfte zu viel noch. — Grüsse meinen Tellmann — und Sebalds Mutter — Sebalden würd ich gerne meinen Sohn nennen, wenn Tellmann hier nicht höhere Rechte besässe. Bleibt Freunde und mein Stolz“

Dein Vater
Welly von Wallingau.

Salassin jubelte — aber doch war sein Jubel zu sehr gemischt mit bittern Empfindungen.

Lolly kömmt in die Stadt! Da muß sich die Sache aufklären! Aber — ach — sprach er mit einem tiefen Seufzer — Wenn Sebald sie als das Mädchen denkt? Und bin ich auch der Geliebte — soll ihn ein Opfer des Harms sehen? ihn Zeuge meines Glückes meiner Seligkeit seyn lassen — ihn so unnembar quälen?

Salassin wachte die ganze Nacht voll Unruh, und eilte in seine Wohnung sobald die Stadtthore geöffnet waren.

Er erschrak, als er Sebalden nicht fand! Er gieng zu dem Fürsten von Tellmann.

Tell. Seid ihr einmal da — ihr Ritter! Nun wie sieht es im Lager aus? Der Kaiser kam erst morgen dahin!

Sal. Ist Sebald noch nicht gekommen?

Tell. So? Ward ihr nicht miteinander?

Sal. Ich habe die bestimmte Stunde der Abreise versäumt — und glaubte, Sebald sey vorausgeritten; denn wir hatten uns im Lager getrennt — ich begreife nicht wo er geblieben — als ich um mein Pferd gieng — war seins schon nimmer neben dem meinen?

Tell. Warum nahmt ihr euch nicht ein paar Diener mit? Ja — da mußten die Herrn allein fort. Hm! Er wird bald nachkommen! Salassin — heut ist ein wichtiges Geschäft, du gehst mit mir in die Residenz! Salassin erzählte dem Fürsten so manches, und von seines Vaters Briefe.

Sie giengen an ihr Geschäfte. Einige Tage verstrichen, und Sebald war noch nicht da. Die Mutter bangte.

Sebalden mags da gut gefallen wo er ist! — sagte Tellmann ohne Sorge.

Nach einigen Tagen erschien endlich Sebalds Brief. Alle wurden bestürzt — aber auch bald wieder getröstet, da sie die Versicherung hatten: Sebald sey hergestellt!

Ich will dahin — sagte Salassin.

Nein! — antwortete Tellmann. Er befindet sich ja recht wohl — in der besten Gesellschaft — wie er schreibt — und sollt ihr denn Beide mich verlassen? Salassin — du bleibst zu meinem Troste da — den Gefallen —

Mit Freuden! — sprach Salassin.

Vierzehntes Kapitel.
Die Verzweiflung.

Die Tage flogen allmählig dahin, wie die Gedanken des Menschen, immer höher und höher stieg Salassins Hoffnung und Furcht.

Er saß eben einsam und traurig in seinem Zimmer, und klagte dem vertraulichen Euphon des wühlenden Herzens Qualen. Ein Diener bracht ihm einen Brief; die Schrift war ihm nicht ganz unbekannt, doch sagt ihm sein Gedächtniß nicht so ganz deutlich, wo er sie einmal gesehen! Er erbrach ihn — „Vielleicht ließ ihn Sebald, wenn er wieder kränker ward, durch eine zweite Hand schreiben!“ — Er las.

Salassin!

„Verschmähe meiner Bitten letzte mir nicht! Das schamdurchdrungene Mädchen wagt es zum letztenmale mit dir zu sprechen. Ich zittre — in meinen Adern raset ein stürmendes Blut — mir schwindelts — in meiner Seele tobt Verzweiflung — ein wilder Kampf — ein wüthender Streit des verschmähten Herzens und des beleidigten Ehrgefühls — Ha Verzweiflung — Verzweiflung raset in mir! Jüngling habe Mitleiden mit mir Verächtlichen — Verächtlich — ja — das bin ich — das ward ich — du edler — mußt mich verachten. Ha Liebe — wohin hat mich deine Wuth verschlagen — was war ich einst — und was bin ich durch dich — O Salassin, wenn ein Fünkchen Mitleid in dir glimmt — o gewähre mir die letzte Bitte — eine kleine Bitte, zu der mich mein wahrer Wahnsinn kühn macht! Du — den ich so tief gekränkt, beleidigt — o vergieb, vergieb mir — in meinem Kopfe flirren blutige Gespenster — ich kenne mich nimmer — Heute wenn der Mond vom bläulichten Himmel seinen blassen Glanz verstreut — erscheine mir — sey ruhig, ich verachte mich selbst — ich bereite dir keine Gefahr mehr — erscheine auf dem hochbuschichten Wall gegen die Citadelle, bei der jener Strom vorüberrauscht, an dessen Ufern ich Schamvergeßne einst im unnennbaren Seelentaumel dir meine Liebe gestand! Salassin — nur diese einzige Bitte dem verzweifelnden Mädchen, das zu tief gefallen seine beschämten Blicke nimmer im Tageshell auf dich werfen kann! Komm, komm, meine Seele erliegt dem wüthigen Krampf — nur ein Wörtchen noch von deinem Munde will ich hören — nur einen mitleidigen Blick — einen leichten Seufzer — daß ich der Verzweiflung, die kralligt mich geißelt — daß ich der Furie nicht erliege. Verschmähe diese kühne Bitte mir nicht.“

Wellmine

Salassin staunte. In seiner Seele mengten sich Abscheu, Mitleid, Stolz und Rührung bunt wie in den Träumen eines Kranken die Fieberbilder.

Sie ist wirklich wahnsinnig! Sie dauert mich! — Was kann ihr das helfen — wenn sie noch einmal mit mir spricht? Kann sie mich noch ansehen? Warum an diesem Orte? — Was hat sie vor? Die blutigen Gespenster in ihrem Kopfe — sie raset wirklich! — Ich will dir die Schande ersparen mir noch einmal unter die Augen zu treten! Aber sie verzweifelt in der Verachtung ihrer selbst! — Kann ich sie — darf ich ihr die Bitte gewähren? — Sie ist so niedrig, ja doch nicht! Denn sie fühlt sie fühlt tief und quälend ihre Schande — sie schämt sich vor sich selber — Mädchen; Du rührst mich — ich will doch an den Ort, wohin du mich bestelltest.

Salassin irrte den ganzen Tag mit sich selber im Streit umher. Des Briefes gräßliche Worte empörten ihn bald — bald durchdrang ihn inniges Mitleid mit der jammervollen Lage der Unglücklichen.

Der Mond streute endlich seinen blassen Todtenglanz vom trüben Himmel durch zertheilte Gewölke. Salassin erstieg den Wall, auf dem hochbuschichte Hecken grünten. Wie ein Felsenberg hoch war der Wall aus Felsen gehauen. Der Strom wälzte sich unter ihm majestätisch in schaumvollen Wirbeln über hervorragende Klippen — Schwindln und Schauern ergriff den Jüngling, und in ihm drängte sich eine fürchterliche Ahndung auf.

Stille wars rund um ihn her — eine tiefe grauenvolle Todtenstille — Kröten und Eidechsen hüpften an seinen Füssen — und in den schwarzen Löchern des Felsen pfiffen Eulen ihr schauerlich Todtenlied.

Salassin sah niemanden, und schauerte vor Ahnungen.

Endlich schimmerte aus naher Ferne eine weiße Gestalt, die die Stiege des Walls kletterte. Ihr Kleid flatterte im Wind — die Gestalt sah Salassin und näherte sich zagend.

Wellmine wars, mit zerrauftem Haare, ein weißflornes Kleid mit schwarzen Krepinen beblümt. Der Mond erhellte das mit sich selber ringende Mädchen, und Salassin erschrak über das Gespenst. Blaß und eingeschrumpft die sonst blühenden Wangen — hager und matt von Westhauch umzuwehn. Die Feueraugen erloschen, hohl und tief eingesunken — ihre Kniee schlotterten — sie sank ohnmächtig zu Salassins Füssen.

Salassin bebte und hob sie auf.

Wellmine wachte wieder auf, mit gräßlichen Zuckungen — sie stönte — der Thränenquell des Auges war versiegt— ihre heischre Stimme kaum vernehmlich — ein tief aus der tobenden Brust gestossener Seufzer — sie konnte lange nicht sprechen. Salassin bebte, und blickte mit einer heißen Thräne des Mitleids auf die Dulderinn.

Endlich stammelte sie mit der Anstrengung ihrer letzten Summe Kraft: Jüngling vergieb — ich büsse schwer! Vergieb mir niedrigen Kreatur.

Salassin ward erschüttert — die Zunge tödtete seine Sprache.

Well. Vergieß mein Vergehen! Vertilge jedes Gedächtniß an mich! Vergieß was du gehört und — gesehen hast, Fluche mir — ich verdien es —

Sie stürzte leblos nieder — Salassin stand ohne Fassung. Gott des Sternenhimmels, wie gräßlich rächt sich das verlezte Gefühl der Scham! — rief er mit einem grossen Blick auf die Ohnmächtige — drückte sie vergebens in seine Arme — ihr qualvolles Leben zurückzupressen. Sie schlug die matten Augen auf!

Wellmine — ich vergesse — ich verzeihe — ich

Well. Fluche mir!

Sal. Beim Himmel! nicht! So tief sankst du nicht — Lebe, lebe — ich will dich schätzen — achten —

Well. Achten — ich verachte mich selbst —

Sal. Nein! nein! Du fühlst dein Vergehn — dein Herz war edel —

Well. Aber ich vergaß mich, und büße — ich bin eine verworfne Kreatur — überall verfolgen mich die Gespenster — Jüngling! ich war eine Schlange — die dich vergiften wollte — und sich selbst vergiftete —

Sal. Ich habe vergessen — Wellmine — um Gotteswillen — dein Wahnsinn ist fürchterlich — dein Gehirn ist zerrüttet — komm, komm hinweg von dieser Stelle! Fort! Fort! Hier wütet Todtenluft.

Well. Todtenluft? Der Odem der Ruhe — Jüngling! Schau hinab in den Strom — schau — wie flimmern die Sterne — da ist der Himmel — dort wohnt Ruhe — Ruhe — hörst du wie der Strom mein Schlaflied rauscht?

Sal. Wellmine — bei aller Seeligkeit — du willst mich morden — dein Wahnsinn ergreift mich mit — Fort! fort! von diesem Abgrund — (er will sie forttragen — sie zieht einen Dolch und zückt ihn —)

Well. Halt! Willst du mir zu sterben verbieten? Hast du mir die Schale des Lebens nicht mit sprudelndem Jammer gefüllt? — Soll deine Verzeihung — deine Großmuth wie dürstende Blutigeln an meiner Seele, an meinen Bewustseyn saugen? — Schau hinab — da winkt mein Freund — er nimmt mich in seinen Schoos — und tödtet meine Nattern! (sie fällt Salassin zu Füssen) Jüngling! Noch einmal — vergieb — vergiß — fluche mir nicht — ich liebte dich — wie kein menschliches Herz dich je liebte — ich rang um dich verzweiflungsvoll — ich vergaß — (Sie springt auf) Ha fluche mir! fluche! Ich will nicht Verzeihung — nicht Vergessen — donnre laut allen — allen meines Gelichters die gräßliche Rache — die ich mir selbst nehme! Fluche mir! (Sie rennt von dem Wall in die Fluth hinab, indem sie Salassin, da er sie halten wollte, mit dem Dolch die Hand durchstieß.)

Sal. (Auf das heftigste erschüttert) Wellmine! Rasende — Gott! Sie ist verloren! Wie ist mir — durch mich — durch mich —! (Er ringt die Hände, und steht in dumpfer Betäubung am Abhang! Wellmine wimmert aus dem Strom und untersinkt. Salassin rennt Bewustlos fort, und stürmt:) Rettung! Rettung! Sie ist verloren! Menschliche Hilfe ist zu schwach — sie ist zerschmettert an den Klippen! Weh mir weh, ihr Gespenst verfolgt mich — durch mich ist sie wahnsinnig — ich bin ihr Mörder! —

Er lief in schrecklicher Raserey in seine Wohnung — und stieß den Kopf an die Wand. Sein Gehirn mahlt ihm das gräßliche Bild — die Schuld warf ihm sein heiklich Gewissen vor — er wüthete gegen sich selber, bis er erschöpft in ein hitziges Fieber sank.

Das ganze Haus wurde wach von seinem Getöse. Vom Ruhebette sprang Fürst Tellmann, Sebalds Mutter, die Diener schwärmten herbei — alles zitterte beim Anblick des Tobenden; der keinen sah und hörte — halbe Worte schrie — Alle bebten über seinen Wahnsinn — und kaum einer wagte zu fragen, was ihm fehlte? was ihm geschehen sey?

Wellmine! — in den Strom! sie hat sich zerschmettert! Durch mich! — das war noch das Verständlichste, und die schnellgeruffnen Aerzte wandten lange ihre Mühe vergebens an.

Nach einem fürchterlichen Schlummer, den die erschöpfte Natur erzwang; ward er endlich ruhiger, so, daß er mit einigen Zusammenhang die fürchterliche Begebenheit erzählen konnte.

Jeder, der es hörte, weinte der Verzweifelten Mitleid — und bangte um Salassin — der sich unaufhörlich die Schuld beimaß, keine Gegenvorstellung hörte — und sich als ihren Mörder in die Jammerburg setzen lassen wollen.

Lange fruchtlos waren Aller vernünftige Gegengründe. — Man schrieb Sebalden den Vorfall — er reiste schnell aus den Armen der zärtlich ihn liebenden Jilla ab — und traf den unglücklichen Freund vom Fieber ergriffen im Bette.

Ihm gelang es eher Salassin zu heilen von seiner wilden Narrheit — der Kranke erholte sich wieder — die trefflichen Wirkungen der Arzneien, der Aerzte Bemühungen und Sebalds Seelentinkturen machten den Unglücklichen bald genesen.

Zwar konnte der mächtige Eindruck nicht so ganz aus seiner Seele gelöscht werden — oft sprach er noch davon — aber Sebald wußte den Wurm zu fassen, und wenn er ihn doch nicht ganz vernichtete, so zerstörte er ihn wenigstens und machte ihn unschädlich.

Fünfzehntes Kapitel.
Begebenheiten.

Sebald hatte von seinem Schicksale dem Freunde nur äußerst wenig erzählen können; denn taub für alles war er; und die Angst, wenn Lolly und das Mädchen eins wäre nährten seine Schwermuth noch mehr; in der er verloren dem frohen Sebald Stunden lang zuhörte, ohne von dem Erzählten ein Wörtchen zu fassen.

An einem Festtage erhob sich der Monarch aus seinem Pallast, und wandelte mit den Aermsten, Elendesten, Dürftigsten leutselig, freundlich und gütig. Seinem Beispiele folgten die Edelsten, und in wenigen Minuten schien kein Dürftiger, kein Armer und Elender in der Stadt mehr zu seyn.

Salassin und Sebald waren lange schon unter dem bunten Gewimmel von glücklichen Menschen.

Du wirst heute Lolly sehen! — sprach Sebald! Hurtig unsre Baarschaften her — die Armen sind zahlreich! — Und du — soll ich das Mädchen nicht auch erblicken? entgegnete Salassin, ehe sie giengen. Meine Unruhe steigt mit jeder Minute! Komm — ich brenne vor Ungeduld —

Warum? — fragte Sebald etwas unverständlich — Warum? — Doch komm! Wir theilen uns itzo vermög den Gebräuchen! — Sebald — (rief er ehe sie noch völlig auseinander waren) — Sebald! Wenn Lolly und das Mädchen eine Person sind — dann (er lief eilends fort, und blickte immer nach Sebalden zurück, der verwundernd da stand) So ist er noch nicht aus dem Irrthum? Hat er euch nicht verstanden? Hab ich ihm nicht zehnmal erzählt, daß das Mädchen Jilla heisse, daß sie und ihr Vater von Lolly gar nichts wisse? Wenn ich ihn doch nur auf einem geheimen Orte sähe!

Er sprachs und schloß sich an den ersten besten an. Salassin verlor sich auf der andern Seite unter dem Wirwar der Versammelten. Er verließ einen 2 — 3 — 4ten Gefährten und schliech in eine abgelegene Gartenlaube — still und dunkel — sich von dem Gewirre der Menschenmenge zu erholen; er setzte sich auf die Rasenbank, sann und dachte an Lolly, hatte nicht Ruh und Rast und wandelte herum in den verworrensten Plätzen des großen Parkes.

Er kam grade in die kühle Schatten der Kastanien und lehnte sich mit verschlungnen Armen mit dem Rücken an einen Stamm.

Heute darf niemand traurig seyn! klang eine Stimme wie Silberklang auf den sinnenden Salassin zu — ein niedlicher schneeweißer Arm faßte ihn. Salassin sah auf — erblickte — Lolly und sank der nicht minderüberraschten Geliebten in die Arme — an das Jubelschlagende Herz.

Endlich — endlich hab ich dich gefunden! — sprach Salassin und umschlang sie inniger. — Wie bange war mir um dich! Wie quälte mich Hoffnung und Furcht! Fast verzweifelte ich, Lolly, dich lange lang ersehnte mehr zu sehen!

Lolly blickte im stummen Entzücken dem Freudeberauschten ins schmachtende Auge — —! Unsre Wonne ist um so höher!

Sal. Jawohl! Jawohl! Die Ueberraschung im Wiedersehn lohnt mir meine Leiden unendlich — Lolly! — noch hast du nie von mit gehört, was meine Seele so oft dir zugestehen strebte. Ich liebe dich — einzig unsäglich lieb ich dich!

Lolly. (schmiegte sich zärtlich mit einem feurigen Kusse antwortend an Salassin.)

Sal. Seit ich dich gesehen — lebt dein Bild in mir, im Wachen und Schlafen — seit ich an deiner Seite am Euphon dich gehört, klingt deine Stimme um mich wie Harmonikaklang — seit ich mein Herz gefühlt habe — lieb ich dich!

Lolly antwortete wieder mit einer feurigen Umarmung: sie vermochte kaum zu stammeln: Auch ich so! auch ich!

Sal. Vergieb — vergieb meinem Dringen — ich glaubte dein Herz empfinde dies Bangen und Verlangen, dies frohe Schauern und Zittern, das in meinem wühlet, es empfinde auch für mich — all die seligen Bilder von dir — all die süssen Worte, die ich von dir gehört — so mancher Schwarm lieblicher Gedanken flirrte in meinem Kopfe — ich sog daraus Honig, daß auch du, auch du für mich fühltest — Mädchen — nur ein Wort — eine Silbe nur sprich, und belebe mich — bestättige meinen süssen Wahn — gieb Zuversicht der Hoffnung — sprich: daß du mich liebst —

Lolly. (an seiner Brust) Ich liebe dich!

Sal. (in der Betäubung des Entzückens) O so bin ich unaussprechlich selig!

Sie ließen sich im stummen Jubel der lange schon verketteten Herzen auf einen Rasensitz nieder, und kosten im süssen Liebesverein. Viel von vergangenen Stunden, von frohen und bangen Gefühlen, von süssen Hofnungen, von der Heimat und unzähligen andern wurde geschwäzt — die Stunden drängten sich angenehm und schneller dahin, als sich Gedanken und Küsse drängen.

Mein Vater kam also nicht in die Stadt! das thut mir leid! — begann Salassin wieder — Und dein Vater?

Ist unter dem Volke: wir werden ihn bald sehen. Ja doch — daß ich nicht vergesse — dein Vater erzählte mir von den Pilgern, die ihr einst auf der Reise in euren Wagen aufnahmt so vieles — den Jüngling laß er väterlich grüssen — sagt er mir.

Salassin dachte an Sebald, und ward unruhig, weil ihm dabei das Mädchen einfiel: er fragte hastig:

Lolly — warst du in der Stadt?

O ja! Mit meinem Vater!

Salassin erblaßte — doch besann er sich bald — denn daß Lolly in der Stadt war? mußte sie und Jilla eine Person sein? —

Warst du nicht neulich im Lager der Armee, und fuhrst in einer Luftgondel davon?

Jaja!

Ich habe dich gesehen?

Warst du auch im Lager? Und ich wußte es nicht?

Verwünscht! du warst da und ich wußte ebenfalls nichts davon? Aber ich sah dich, indem das Schiffchen in die Luft stieg: ich winkte dir Grüsse mit dem Hute nach — gleich erkannt ich dich — aber du — mich nicht!

Was? Der sollst du gewesen seyn, der mit dem Hute mir nachwinkte? Ey — von tausenden hätte ich dich erkannt? Du warst es nicht!

So that ein anderer das auch, was ich that? Gewiß, gewiß, das war Sebald!

Ich kannte ihn nicht!

Welche Farbe hatte dein Kleid?

So so? tref ich euch Leutchen da an! Erscholl unvermuthet eine Stimme, die Beide aus dem Gespräche riß. Lollys Vater war es. Salassin bewillkommte ihn herzlich.

Ja ja! — hob Bengler an — der Magnet zieht Eisen an, und das Eisen hängt sich an den Magnet. Schaut, schaut — wie kamt ihr zusammen.

Sal. Durch Ungefähr — ich wich dem Haufen, und gieng da herum, und Lolly erschien mir.

Lolly. Ich war müde von dem langen Herumwandeln — da lagerten wir uns denn in den kühlen Schatten auszuruhn.

Beng. Ja wohl euch Beiden mag wohl ziemlich heiß seyn — ihr glüht ja wie ein Kirchendach.

Die Beiden blickten sich an, und sahen auf die Bäume. Bengler lachte über ihre Verlegenheit.

Beng. Ich wohne im Gasthof zur silbernen Narrheit, Salassin, und bleibe noch einen Tag in der Residenzstadt: Dort kannst du uns morgen finden. Heute mögt ihr euch noch unter die Tänzer mengen. Doch — vergeßt die Landessitte nicht länger! Geschwind kommt — und wandelt wieder mit den Armen oder andern Unbekannten!

Salassin und Lolly drückten sich ungestüm die Hände, als sie unterm Volke wieder waren, und jedes schied von ihnen: Lolly rechts, Bengler lings, Salassin — Lollyn nach, und Lolly Salassin in der Nähe. Doch verloren sie sich bald, und der beglückte Träumer gieng mit unbeschreiblich süssen Wallungen des Innern herum, jeder, dessen Arm er faßte, mußte heiter und froh mit ihm werden.

Unvermuthet stieß er auf Sebalden.

Pst! Auf einige Worte nur, Salassin! — rief jener ihm zu, und drängte sich durch einen Haufen Menschen.

Sebald! Sebald! O ich bin glücklich — entgegnete Salassin — Lolly ist da — ich habe sie gesehen, mit ihr geredet — sie liebt mich — Hast du dein Mädchen schon getroffen?

Seb. Leider nein! Ich war in ihres Vaters Hause — das war leer von Menschen, gekommen sind sie aber schon, das weiß ich. Wo ich sie nur fände!

Sal. (Dem sogleich seine Grille wieder einfiel. Ja ja! Freylich kann sie nicht da seyn — denn Lolly war an meiner Seite — auf 2 Orten kann sie doch nicht seyn?)

Seb. Worauf sinnst du da?

Sal. Hm! — Gehe doch — wir müssen wieder auseinander.

Seb. Ich wandle Abends im Garten —

Sal. Gut!

Seb. Dort trifst du mich. Auf Wiedersehen!

Sal. Auf Wiedersehen!

Sie trennten sich wieder. In Salassins Herzen keimte eine Grille um die andere: von seinem Entzücken abgespannt ward er schnell in einen Tiefsinnigen verwandelt.

Sebald — sah sie noch nicht? O freilich — wie kann das seyn? Lolly war bei mir — o nun ists doch gewiß — Sebald liebt Lolly, die mit jenem Mädchen eins und dasselbe ist — Sebald — gewinne dir ihre Liebe — ich mag in deinem Glücke dir kein Störer seyn! Du sollst sie lieben — sie dich — herzlich will ich eures beneidenswerthen Glücks mich freun, aber Augenzeuge kann und darf ich nicht bleiben.

Sebald traf seine langgesuchte Jilla endlich in dem Garten an, wo Lolly auf Salassin stieß.

Wie taumelten die Beiden entzückt auf einander zu! Wie umrankten sich fest ihre Arme! Die Farbe der Wonne mahlte ihre Gesichter — ihre Blicke flammten Liebe und Zärtlichkeit — sie traten jubeltrunken in eine stille Hollunderlaube, gepflanzt zum Kosen für Liebende.

Lange sprachen sie da von — wer erräth das nicht? Zwei Liebende in einer stillen geheimen Hollunderlaube — die sich langersehnt wiedersahen, wovon können sie sprechen, als von dem was — sie sprachen.

Eben sassen sie im süssesten Geschwätze, als Salassin der Laube zu durch labyrintische Gänge wandelte. An dem Pläzchen, wo er Lolly sah, stand er still, und flüsterte zu sich selber.

Hier überraschte sie mich! An dem Baum gelehnt dacht ich an sie — mein Herz schlug in ungestümmen Regungen! Und als ich sie in meine Arme schloß — als sie so innig an mich sich preßte — mich mit dem Vergißmeinnichtsauge so schmachtend ansah — hier — als ich meine Liebe ihr gestand — als sie mir erwiederte! Ich liebe dich! — O meine Seele — was rang da in dir! Wie ungestimm war da mein Entzücken — aber ach zerstiebt ists wie eine Seifenblase — dies Entzücken — ich kann sie nicht, ich darf sie nicht lieben! — Er sprachs und gieng auf die Laube zu, wo Jilla und Sebald Arm in Arm sassen.

Salassin war am Eingang der Laube: Die Arme verschlungen, den Kopf sinnig auf den Boden gesenkt stand er da, warf einen flüchtigen Blick auf die Beiden darinn, erkannte Sebalden und Jilla, die Lollyn wie eine Rose der andern gliech, hielt er natürlich für Lollyn selber: er erblaßte und lief im bewustlosen Zustande fort durch Hecken und Alleen, fort aus dem Garten, durch Gassen und Plätze, als jagt ihn ein wüthiger Hund.

O nun ists gewiß — gewiß — mein Herz soll verstummen! Lolly saß an Sebalds Seite — sie sassen Arm in Arm, Lipp an Lippe — erschracken bei meinem Erscheinen — Freund — du sollst glücklich seyn — und mir, wenn ich falle, meinem Andenken eine Thräne opfern. Aber Lolly — Arm in Arm? Lipp an Lippe? Himmel! zeugt das nicht von näherer Bekanntschaft? Lolly — der vor einigen Stunden an mir hieng? mir ihr seliges: Ich liebe dich! gestand? Ha das war Heucheley — Mienenspiel gegen mich — und doch — warum das gegen mich? doch nein, nein Lolly kann nicht treulos seyn — aber Sebald liebt sie — fort! fort! von hinnen — sie sollen glücklich seyn!

Ein unbeschreiblich Empfindungsgemisch kochte in ihm. Er sah und hörte nichts — die zerschmetterte Wellmine stand hohlaugigt bleich und zerschlagen plötzlich vor seiner Seele — er ward tobender. Mehrere der Wandler hatten ihn beim Arm gefaßt, keiner erpreßte ihm eine Silbe ab: er irrte herum überall und immer, ihn trieb es als sollt er fort aus dieser Welt, plötzlich stand er am Residenzplatze still, und eine Statue fiel ihm ins Auge. Es war das Ehrendenkmal eines tapfern Kriegers. Die Kanonen und Schwerdten von des Bildhauers Meisterhand gebildet erinnerten ihn an Schlacht und Tod. Salassin vergaß einen Augenblick den Sturm, der ihn durchwitterte, und las die goldne Inschrift:

Dem Andenken des Kriegers Edlen von Felsthal gefallen in der Schlacht —

Felsthal — rief Salassin, und erinnerte sich der Erzählung aus des Dorfbewohners Munde nach dem Nachtlager in dem Walde. Die Urnen des schaurigen Gartens standen vor ihm — er dachte an Felsthal den Sohn, der dem Vater gleich im Schlachtgewühl Tod und Ruhe für sein Herz fand, und durch Salassin fuhr wie ein Blitz durch den Sturm der Gedanke: „Fort! Fort! in den Krieg — dort harrt auch meiner Ruhe.

Sechszehntes Kapitel.
Der neue Krieger.

Germaniens Feinde drangen mit Allgewalt in die nördlichen Provinzen, und des deutschen Kaisers Heere rückten bereits entgegen. Morgen mit der aufsteigenden Sonne sollte auch das Heer des Lagers bei jener Stadt aufbrechen, wo Sebald und Salassin unlängst waren, und die Erscheinungen der Mädchen hatten.

Der Kaiser hatte vom Feste zurück in die Residenz sich begeben, Salassin, flog in den Audienzsaal wo er bald vorgelassen ward.

Der Kaiser kam ihm freundlich entgegen, und grüßte den verstört sich verbeugenden Jüngling.

Vergönne mir Vater des Landes — begann Salassin etwas verwirrt, weil er sich nicht einmal auf das vorbereitet hatte, was er sprechen wollte — des Monarchen milder Anblick machte ihn, der ihn oft sah und wohl kannte, etwas gefaßter —

Sal. Vergönne dem Jüngling, dem deutsches Blut in den Adern glüht, der für sein Vaterland zu leben und sterben gelobte — vergönn ihm eine Bitte erhabener Kaiser!

Der Kaiser. Rede!

Sal. Die Normänner wie ich vernommen, verwüsten den obern Theil deines Reichs — laß o laß, mich unter deinen Kriegern gegen die Feinde ziehen, ich brenne vor Eifer dem Vaterland zu dienen.

Der Kaiser. Jüngling, ist deine Bitte kalter Ueberlegung Frucht, oder der flüchtige Wunsch einer ehrgeizigen Seele?

Sal. (verwirrt) Mein erlauchter Kaiser — ich —

Der Kaiser. Getrauest du dich nicht auf andern Wegen deine Kraft dem Lande zu verwenden? Reizt dich nicht blos der lockende Ruhm, der im Schlachtgewühle so leicht zu verdienen scheint? Wisse, nicht jedem lächelt das Glück und läßt den Lorbeer ihn pflücken — Mancher dir ähnliche Jüngling feurig, entschlossen, der diese Bahn wandelte, fiel unberühmt.

Sal. Er fiel für das Vaterland — die Seinen beweinen ihn — Ruhmes genug. Aber, erlaube mein Vater! Nicht der lockende Ruhm, nicht des Ehrgeizes quälender Durst, treibt mich deine Majestät anzuflehn um die Gewährung meiner Bitte — das Wohl der Mitmenschen ist der Sporn, der mich spornt, auch meinen Arm gegen die Störer unsers Friedens zu erheben. Ich will helfen zu siegen, von meinem Bewustseyn, recht gehandelt zu haben belohnt, oder fallen, unberühmt und vergessen.

Der Kaiser. Jüngling — ist dein Entschluß fest, unerschütterlich?

Sal. Ein Fels.

Der Kaiser. Jüngling — noch einmal — ich gönne dir Ueberlegung! Laß dich von Raschheit und feurigem Muthe nicht zu einem Schritt reissen, den du einst bereuen dürftest — überlege — der Pfade dem Vaterland ruhmvoll zu dienen sind noch unzählige.

Sal. Dieser für itzo der wichtigste.

Der Kaiser. Wohlan denn! Morgen mit dem dämmernden Tage bricht das Heer auf — du hast nicht Zeit dich von Allem so dir theuer ist zu beurlauben — vielleicht auf immer — zagst du nicht?

Sal. Entschlossen und muthig, will ich gegen Feinde kämpfen.

Der Kaiser. (legt ihm die Hand auf die Schulter mit forschendem Auge) Ich gewähre dir die rasche Bitte nicht!

Sal. (entflammt) Mein Kaiser! Vergönne — vergönne mir dies einzige — erbarme dich meines Jammers — ich will der letzte im Rang, der erste im Vordringen seyn!

Der Kaiser. Wohl! Es sey dir gewährt — aber sogleich, ehe eine Stunde vorübereilt, sollst du in das Lager!

Sal. (fällt dankend auf die Knie, und faßt ungestüm und stumm des Kaisers Hand) Mein gütiger —

Der Kaiser. (der Kaiser sieht ihn mit einiger Verwunderung an) Ist dir alles das erwünscht? Du willst fort, sogleich fort, dahin, wo Tod in jedem Pulverstäubchen lauert, woher du vielleicht nie zurückkehrst — und doch willst du nicht erst von deinen innigsten Freunden dich zum Lebewohl umarmen lassen? Entzückest über den schnellen Raum einer Stunde?

Sal. Deine Güte — deine väterliche Weisheit löscht meine Flamme nicht!

Der Kaiser. So zieh denn hin! Jüngling — ich wollte dämpfen die Glut, die leicht auflodernd und eben so leicht verglimmend schien — ist dein Entschluß die Frucht eines nicht ganz edlen Gefühls — dann büsse für die Folgen — ich warnte dich.

Der Kaiser trat an ein Schreibpult, schrieb, und gab Salassin, der halb froh, halb harmbetäubt, auf seinen Knien lag, das Billet.

Morgen, wie gesagt, bricht das Heer auf — wenn es dir Ernst ist — so zieh dahin — und komm als Held zurück.

Der Kaiser reichte dem Jünglinge das Papier, der trunken vor Freude und Harm nach einer ehrfurchtsvollen Verbeugung dem Antliz des Monarchen entschwand.

Schnell durch das Volksgewimmel dem tellmannischem Pallaste zu, rannte er das Papier in der Hand, so ihm einige der niedern Militärstellen bestimmte —

In seinem Zimmer ergriff er hastig Diente und Feder, und schrieb einige Briefe in wenigen Minuten. Seinem Vater und seiner Mutter, dem Fürsten von Tellmann und Sebalden. Er empfahl sich, allen dankte u. s. w. sagte aber Keinem wohin er gehe.

An Sebalden schrieb er folgendes:

Sebald!

„Sey glücklich! Ich wünsche das dir — Du liebst Lolly, ich sah euch beide im Garten in einer Laube vertraut, — Lolly liebt auch dich. Die Freundschaft muß meine Flamme, die für Lolly brennt, verlöschen. Noch einmal — sey glücklich — und weine dem Freunde eine mitleidige Thräne, dem eine wohlthätige Hand bald Ruh und Frieden geben wird.“

Salassin.

Keine Seele war in dem Hause — alles bei dem Feste noch — das war dem Stürmischen lieb: er konnte sich unbemerkt wegbegeben. — Die Briefchen ließ er auf dem Tische liegen: Lollys Bildniß hieng an der Tapetenwand ob seinem Ruhebette — schon stand er in der Thüre, ein Blick auf das Bildniß und er blieb wie eingewurzelt stehen. Unwillkührlich langte seine Hand darnach — seine Seele ward mächtig erschüttert.

Lolly! Mädchen — der schönsten schönstes — edelstes der edelsten — Ach ich darf dich nicht lieben — Vielleicht wirst du gerührt einst meiner Urne eine Thräne schenken, wenn mich des Krieges Schlund verschlungen haben wird — dann sprichst du vielleicht mit nassem Auge: „Er war auch ein guter Jüngling! Er liebte mich — und opferte sich meinem Heile.“ Ja — Unendlich Geliebte — dein Heil — deins ist mir theurer als meines — Sebald ist ein edler Mann — der dich ganz mit voller Seele liebt — du wirst glücklich in seinen Armen seyn.

Salassin ergriff das Bildniß, drückte es glühend an seine Lippen, blickte es noch einmal an — gierig — stand wieder — ein Geräusch flüsterte in den Tapeten — schnell flog er aus dem Zimmer: sattelte sich ein Roß, und entfloh mit unbeschreiblichem Drang im Herzen der Residenzstadt. — Die Strassen die er unlängst geritten — die Erinnerung der kleinen Vorfälle auf der Reise damals mit Sebalden — die Urnen im Walde wurden nur schwach durch den Anblick der Plätze erregt — wo es geschah und er nun vorüberritt — so betäubend war das Gewitter in seinem Innern.

Mächtiger war der Eindruck des im Schlachtdampfe gefallenen Felsthals, der mit Salassins itziger Lage viel Nahes hatte. Ihn trieb einst Verzweiflung in den Krieg — sich den Adel zu erkämpfen, und die Geliebte des Herzens dadurch zu erringen — und ach! er fand den Tod —! Ich will Ruhe finden — ich muß Sebalden glücklich wissen —

Noch stand die Sonne am Himmel, die Wölkchen spiegelten wie blanke Muscheln an dem Gewölbe des Firmaments — als Salassin im schnellsten Galopp in das Lager an seinen Posten kam.

Mit der ersten Röthe des Tages brach das Heer auf, und Salassin ritt schweigend in sich gekehrt in dem Zuge. Die muthigen Helden sangen zum Musikhall ihre Kriegslieder, und glühten vor Eifer nach Schlacht und Tod oder Sieg, ihre Gesänge weckten den mit sich ringenden Salassin nur selten.

Dritter Abschnitt.

Erstes Kapitel.
Die Wahrheit in der Lüge.

Die Krieger ziehn dahin, wohin das Wohl des Vaterlandes sie bestimmt, schon sind sie nahe dem verheerenden Schwarm der Feinde — schon stossen sie auf Spuren der feindlichen Verwüstungen. Wir lassen sie eiferglühend den Feind aufsuchen, und wenden uns in die Stadt zurück.

Noch weiß keine Seele von Salassins Entschluß außer dem Kaiser. Die Freunde noch immer den Ergötzungen des Festes überlassen, ahnten nicht einmal was der übereilte Jüngling unternommen. Zwar sprang Sebald von seinem Sitze in der Laube von Jillas Seite auf, als Salassin Beide in ihrem Kosen geweckt hatte, und ergriffen von Empfindungen, die wirklich aus übertriebnen Begriffen und Irrthum entsprangen, wie ein Flüchtling fortlief.

Aber Sebald — wer hätte mit menschlichem Auge Salassins Seelengewitter vermuthen können? Die Beiden blieben lange noch da, in ihren traulichen Umarmungen.

Lolly suchte unter dem Gewimmel den Ersehnten — ach — Arme Bangende! Wie hättest du ahnden können, was deinen Geliebten so weit und vielleicht auf immer trennte! Lolly begnügte sich, weil sie schon manche Stunde vergebens nach ihn gespäht hatte, mit dem nicht ganz süssen Troste: „Morgen kömmt ja Salassin in unsre Miethwohnung!“

Aber als mit der Mitternacht das Fest zu Ende gieng, alle Wandler theils schon dem Schlummer huldigten, theils schon am Wege waren, zur Ruhe zu eilen, als schon nur hie und da in dunklen Alleen und Gartengängen einzelne Paare Liebender wandelten im Mondenscheine, und auch Sebald aus Jillas Armen in seine Wohnung kam: wie verdampfte der Rausch der Liebe, den er sich an Jillas Lippen geholt hatte.

Er glaubte Salassin schon im Schlafe zu finden — aber natürlich der war nicht da.

Meinen Bruder läßt gewiß nicht die reizende Lolly von der Seite! meinte Sebald, und trat im Tageshell der Krystallsonne von ungefähr an Salassins Schreibpult.

Die Briefe fielen ihm auf — Die Freunde kein Geheimnis sich verbergend, theilten sich jeden Gedanken mit, wenn der Eine oder der Andere es nur hören wollte: daher ergriff Sebald die Briefe — las — und erschrak, als er den an ihn gerichteten gelesen hatte.

Als wäre der Pallast auf ihn gestürzt, stand Sebald mit schwerem Herzen da.

Gott der Freundschaft! Was ist da geschehen — rief er und starrte unentschlossen, was er thun solle, die Papiere an. — Der Unglückselige — Wohin trieb ihn sein schrecklicher Irrthum —! Was unternimmt er! Eine Thräne deiner Blindheit will ich weinen — kaum verdienst du ja — Blödsinniger — — Ich liebe Lollyn? Ich wäre mit Lolly in der Laube gesessen? Narr! Deine edle Aufopferung für Freundschaft ist Grille — ha — wie könnt ich da glücklich seyn — glücklich, wenn dein Herz blutet! — Unseliger Irrthum! — Er rannte mit den Briefen in der Hand zu Tellmanns Gemach, und öffnete schon die Thüre. Das stille Dunkel des Ruhezimmers riß ihn plötzlich aus dem Traume, und errinnerte ihn, er habe vergessen daß es Mitternacht sey, und Tellmann schlafe.

„Weck ich den müden — erfährt er Salassins Entweichen — dann hab ich ihn um seine Ruhe gebracht! — Und was nützt das, wenn er itzo noch drum weiß? — Kann ich sagen wo der Verblendete hingeirrt ist? Können wir ihn finden?“ — Sebald begab sich zurück, und haderte mit der Nacht, die dem harmdurchdrungenen Bangen so lange nicht zu Ende schenkte, und kaum flüsterte des Morgens lauer Wind durch die Jalusien, als Tellmann die Geschichte erfuhr, und die Hände unwillig an einander schlagend vom Lager sprang.

Sein Edelmuth ist am unrechten Orte! Wo ist er hingerennt! Sebald sogleich auf Erkundigung! — sprach Tellmann, und rafte sich verstört zusammen.

Eben erwachte das Getümmel der Menschen auf den Strassen: Trompeten und Pauken schmetterten, und Musiken hallten vom Platz der kaiserlichen Residenz.

Ha! der Kaiser bricht auf! — scholl es überall. Wohin? — rief hier eine Schaar und steckte die Köpfe zusammen. In den Krieg! — schrien die Andern.

Gott gieb ihm Heil und Sieg! Gott erhalte ihn! — Erklang es allenthalben, und die unzählige Menge der Menschen, die sich wie der Blitz geschwind aus den Armen der Ruhe gerissen hatten, sobald das Abschiedszeichen ertönte, umgab den innigverehrten Monarchen, der dem kleinen Kriegsheere, so in der Stadt noch lag, vorausritt, sein Lebetwohl, meine Kinder! dem Volke zurief, das sein kaiserlich geschmücktes Roß kaum traben ließ, und Millionen Segenswünsche der Majestät nachrief.

Sebald lief inzwischen die Stadt ab und auf, ohne zu wissen warum?

„Ja wo sollte er Salassin aufzusuchen? Keine Spur — kein Wörtchen schrieb er von dem, wohin er fliehen würde. Ohne Zweifel — sagte Sebald — wird er in seine Heimat zurückgekehrt seyn, und dann auf Reisen gehen!“

Mit dem Strassengetümmel stand auch Bengler in dem Gasthof zur silbernen Narrheit auf. Lolly schlief die ganze Nacht sehr unruhig. Sie hatte trübe Ahnungen, die sich durch die Wonnegefühle des Wiedersehens drängten, und sich vermischten, daß dieses Empfindungsgemengsel einem süssen Weine gliech, in den man Meerwasser schüttet. Daß sie von dem träumte, an dem einzig und allein ihre ganze Seele hieng — das fragen doch meine Leser schon gar nicht! Sie sprang wohl zehnmahl vom Ruhebette an das Fenster, und liebäugelte mit dem Mond, der blaß und trübe sie anguckte. Und als die Nacht ihr Schattenkleid kaum abzustreifen begann, war Lolly die erste im ganzen Gasthofe munter und wach. Die Freude — heute morgen kommt er! erheiterte sie, wie die Morgensonne die Flur, und der Gedanken morgen seh ich ihn schon wieder nicht mehr! war ein trübes Wölkchen, das manchen Strahl der Wonne auffieng. Sie harrte voll banger Erwartung des Geliebten.

Der Kaiser war bereits aus der Stadt geleitet, das Volk begab sich allmählig an seine Taggeschäfte, der Morgen wich schon dem Mittage; aber Salassin — natürlich konnte Lollyn nicht erscheinen!

Wo mag er seyn? Was hält ihn ab zu mir zu kommen? Er versprach hoch und theuer mit dem frühesten Sonnenglanz da zu seyn — er kömmt nicht — schon ist Mittagsschwüle — Salassin! Salassin! Erscheine.

So härmte sich das liebende Mädchen, mit jedem Pulsschlage wurde das Herz banger, mit jeder Minute ihre Unruh bittrer. In jedem Manne, der in dem Gassengewimmel sich drängte, wähnte sie — da kömmt er einmal! Aber wie herb war dann immer die Täuschung!

Als endlich die eilfte Stunde des Tages mit unaussprechlichem Verlangen und Sehnen schon heranschnekte, und Salassin noch nicht da war, da konnte das arme Mädchen nimmer die Unruhe, die ihre ganze Seele erschütterte, verbergen. Sie theilte dem Vater ihre Besorgniß mit, der selbst nicht begreifen konnte, wie ein Liebender weilen könne zu seiner brünstig harrenden Erkohrenen zu eilen.

Er ist mir ungetreu — er heuchelte Liebe — er ist falsch, würde ein Mädchen unsers Sekulums in diesem Falle sagen — Aber Lollyn kam der Gedanke gar nicht bei, Salassin, der ein so edler Mann war, könnte treulos seyn, so sehr war sie überzeugt.

Sebald kam zu dem Gasthofe der silbernen Narrheit, und las den Thorzettel auf dem die Namen der Einkehrenden angezeigt waren. Wer? Woher? Wohin? Wie lange? Auf alle diese Fragen war die Antwort auf dem Zettel.

Edler Bengler von Palmhain, mit seiner Tochter Lolly — stand unter andern da!

Ha — rief Sebald freudig — da sind sie! Er sprachs und ließ sich vom Diener die Zimmer zeigen.

Er trat herein, Lolly lag im Fenster und sah nach der Gasse, wand sich hurtig nach der Thüre, als sie rauschte, und kam dem Eintretenden entgegen, den sie für den Ersehnten hielt, freudig rief sie: Endlich ist er einmal da! Aber bitter getäuscht stieß sie einen lauten Schrei aus, als sie Sebalden erblickte, der mit unbeschreiblichem Entzücken sie faßte: Jilla! Jilla! Wie kömmst du daher?

Lolly verwunderte sich — und zog sich erschrocken zurück. Mein Herr —

Sebald’s Auge starrte das Mädchen plötzlich an, das in jeglicher Miene der schönen Jilla gliech, und bat verlegen um Vergebung seines Irrthums. Ha beim Himmel (sprach er für sich hin) Salassins Irrthum ist verzeilich — die Beiden sind kaum unterscheidbar — Armer — armer Salassin! rief er etwas laut.

Lolly fuhr über der theuern Namen zusammen. Salassin! Kennst du Salassin? — sagte sie einfallend, und ihre Blässe der Wangen verschwand in ein liebliches Rosenroth!

Seb. Ob ich ihn kenne? Salassin ist mein Bruder —

Lolly. (ungeduldig) Ach der Salassin mags wohl mehr geben, aber der, den ich meine, hat keinen Bruder.

Seb. Ich bin sein Freund — sein adoptirter Bruder — er ist von Wallingau.

Lolly. (mit losbrechendem Entzücken) O so kennst du ihn? Wo ist er? wo ist er? Wo zögert er? Geschwinde —

Seb. Er ist — (die verwünschte Verlegenheit! Was soll ich nun sagen!) vermuthlich — war er nicht da?

Lolly. Leider! Leider! Er versprach es mir gestern! Heiß und bange ward er erwartet — aber (sie ward feuerroth)

Seb. (blickte traurig auf den Boden und dachte) Unselige Uebereilung! Salassin! Das Mädchen liebt dich! Was unternahmst du! Wie helf ich mir aus dem Graben! (läuft zu Lolly) Er war des Morgens schon nimmer zu Hause —

Lolly. (starrt ihn an) Und kam doch nicht hieher noch?

Seb. Vielleicht hat er den Kaiser mitgeleitet — und verspätete sich —

Lolly. Aber es ist hoher Mittag schon —

Seb. Wahrhaftig — er sagt mir diesmal kein Wörtchen, wohin er gehen wolle —

Nun kam Bengler dazu, Sebald grüßte ihn und verbarg seine Verlegenheit — Lolly schlüpfte auf die Seite in unaussprechlicher Wallung, sie wußte nicht, was das werden sollte, und verließ die Beiden, um dem gepreßten Herzen durch lindernde Thränen im Nebenzimmer Luft zu machen.

Bengler und Sebald saßen auf einer Ottomanne.

Bengl. Das ist mir lieb — dich, Salassins Freund kennen zu lernen. Welly hat mir viel von dir erzählt. — Was macht Salassin? Warum kommt er nicht hieher? Was ist vorgefallen!

Seb. (faßte Benglers Hand voll Treuherzigkeit) Nimm es nicht übel — ich bin in einer schrecklichen Unruh — Deine Tochter liebt Salassin!

Bengl. Das ist mir nicht unbekannt — ich merkt es mit herzlicher Freude — wenn wir Väter gesellschaftlich beisammen waren, scherzten wir oft vergnügt über das Band, das unsre Kinder einmal verbinden kann — Ihre Seelen sind längst verlobt!

Seb. Das weiß ich als Salassins einziger Freund, und es ist mir darum recht sehr lieb, daß ich mit dir reden kann — deine Tochter verdient Schonung —

Bengl. Was heißt das? Erkläre — du bringst Nachrichten ohne Zweifel, die mir nicht angenehm —

Seb. Ich kann mich nicht einmal fassen, wenn ich an Salassin denke! Er ist fort — keine Seele weiß wohin?

Bengl. (erschrocken) Wann? Gestern versprach er uns heute zu besuchen —

Seb. Er muß gestern Abends noch sich verloren haben. Als ich gegen Mitternacht nach Hause kam, lag dieser Brief auf seinem Schreibpult — ich sah mit Schaudern und Beben, daß er fort sey.

Bengler erbrach den Brief an ihn, den ihm Sebald überreichte, und las befremdet:

Lollys Vater!

„Ich liebte deine Tochter — ich liebe sie noch. Aber ich kenne die Pflicht des Freundes, und weiß mich aufzuopfern, mit Freuden aufzuopfern. Sebald mein Bruder hängt mit voller Liebe an ihr — er wäre verlohren, blieb ich da —“

Ein unseliger Irrthum! — unterbrach Sebald den Leser — Ein unglücklicher Mißverstand! Ich will dir die Sache erzählen.

Bengler las mit Erstaunen weiter:

„Auch Lolly liebt ihn, ich bin überzeugt —“

Bei der Würde des Kaisers nicht! — rief Sebald hastig! — Doch lies nur weiter!

„Dieses Menschenpaar, das mir unendlich theuer ist, das ich unaussprechlich schätze, kann nie anders glücklich seyn, als durch meine Entfernung. Ich gehe also dahin, wo ich Ruhe und Vergessenheit des Seelensturms mir holen kann, daß die Geliebten ungestört von mir einen beneidenswerthen Himmel ihrer Seligkeiten geniessen können. Denkt dann — an den unglücklichen Freund

Salassin.“

Benglern zitterte die Hand, mit der er den Brief hielt, er saß lange da, ohne ein Wort zu finden, das ausdrückte, was in seinem Innern vorgieng. Was er unternommen? Warum? Erkläre —

Sebald erzählte ihm offenherzig die ganze Sache, soviel als er selbst des deutlichen wußte. Die außerordentliche Aehnlichkeit Lollys mit einem andern Mädchen, den Vorfall mit dem Bildniß, Salassins untrüglichen Irrthum, selbst seine Geschichte mit Jilla von Wort zu Wort. — Mir ist bange um deine sanfte Tochter! — fügte er endlich hinzu als er mit der Erklärung fertig war. — Was wird sein Vater — was seine Mutter sagen! — Salassin! Was hast du gethan! — rief Bengler mit zitternder Stimme, seine Stirne furchte sich, die Hand fiel auf den Schoos, der Brief auf den Boden. — Wohin hat dich deine Raschheit verleitet! Welchen Jammer machst du deinen Eltern! Er der einzige Sohn, an dem sie mit aller Liebe unzertrennlich und einzig hiengen — die ihre 6jährige Jadilla mit unbeschreiblichem Kummer verloren und betrauern — auch Salassin — ihre einzige Hoffnung — Was werd ich den Eltern sagen! Wie werden sie jammern die Unglücklichen! O des traurigen Festes! Wie soll ich die Mutter vorbereiten —!

Und Lolly — lispelte Sebald!

Ach! an sie vergaß ich schon gar beim Gedanken des elterlichen Kummers! — Wir sagen er sey krank!

Seb. Verwünscht — ich habe geplaudert, Salassin wäre seit der Morgenstunde nicht zu Hause mehr gewesen!

Bengler legte bedrängt die Hand an den Kopf, und sann und wußte nicht worauf. Das geht nun freilich nicht an — und wenn es wäre, glaube mir, sie lief in der leidenschaftlichen Theilnahme wohl gar mit dir, um des Kranken zu pflegen. — O des Leichtsinnigen! Wenn wir doch nur wüßten, wohin er geirrt?

Nach einer tiefen Pause, in der sich beide dem bittersten Gefühl preis gaben, sprach Bengler:

Der Kaiser zog heute in den Krieg?

Seb. Ja!

Bengler. Wenn Salassin im Heere wäre?

Seb. Ich zweifle — zwar Muth, Entschlossenheit fehlt ihm nicht —

Bengler. Es mag angehen! Wir bereden Alle — der Kaiser habe ihn an seine Seite verlangt, und Salassin folgen müssen.

Seb. Tröstet das Lolly? Die Vorstellung der Gefahr — des Todes —

Bengler. Hältst du meine Tochter für so unedel, daß sie der Ehre, dem Wohle des Vaterlandes ihre eigne Zufriedenheit nicht opferte? Das geht! Sie ist ein deutsches Mädchen — sie wird stolz auf den Geliebten seyn! Salassins Eltern — auch diese werden dennoch ruhiger die Schreckenspost hören, als wenn sie nicht einmal müßten wohin Salassin gekommen sey.

Seb. Aber es ist ein Brief an sie da!

Bengler. Das übrige will ich vermitteln. Den behalt mir vor, bis die Zeit uns mehr von ihm aufhellt! — Richtig! — So mags wohl noch am besten gehen! — Hätt ich doch — fuhr Bengler etwas heitrer fort — Hätt ich doch nie gesagt, daß ich das erstemal itzt in meinem Leben, und ziemlich spät eine leidentliche Lüge erfinden könnte. Nun trösten wir vor allem Lolly, die gewiß nimmer schon weiß, was sie vor Liebesangst und Erwartung thun soll. Lolly! — rief Bengler mit lauter Stimme, indem er an ihre Zimmerthüre trat.

Lolly trocknete eilig das nasse Gesicht, und flog auf den Vater zu. Was willst du, mein Vater!

Bengler. Salassin!

Lolly. (zitterte bei diesem Namen) Wo ist er?

Bengler. Du liebst ihn?

Lolly. Mein Vater —

Bengl. Lieb ihn als ein deutsches Mädchen, und sey edel und stark wie diese. Salassin ward vom Kaiser für das Vaterland gefodert — er ist an seiner Seite, in den Krieg gezogen, und sagt dir sein Lebewohl!

Lolly erblaßte; aber vom angebornen Stolze und Edelmuth ermannt, vergaß sie des Harms, der in ihr wüthete, und sprach: Darum kam er also nicht? Wohl ich bin ein deutsches Mädchen! Du bist mein, ja, Vater, Ich will seiner harren mit Lieb und Treue, die Lorberkränze winden für den Sieger, der zurückkömmt, oder — ich habe auch Thränen, den Edlen, wenn er fürs Vaterland fällt, stolz zu beweinen!

Sie fiel dem Vater herzlich um den Hals.

So bist du meine Tochter. Der Monarch ließ ihm nicht Zeit dich noch einmal zu sehen, dir nicht einmal schreiben zu können. Bleibe ruhig! Wir fahren in einer Stunde der Heimat zu!

Der erste heftigste Schrecken war nun vorüber. Die Freunde trösteten sich allmählig; Sebald unterrichtete seinen Onkel Tellmann von dem Beschlusse als er zurückkam, und Bengler verließ mit Lollyn, die für sie so traurige, leere Residenzstadt!

Sebald hatte versprochen Salassins Bildniß Lollyn zu senden. Sie beurlaubten sich gerührt und in kurzer Weile waren alle an ihrem Orte, zwar nicht so ganz ruhig, vielleicht auch unruhig; doch lächelte jeder Munterkeit, wenn das Herz auch im Innern bange pochte; sie scherzten wohl gar über den Helden, wenn er zurückkommen würde, und die Wangen so hübsch zerhauen und zerfezt mitbrächte. Ach sagte Lolly — die Wangen sind zu nach dem Kopfe, in dem das Leben sitzt; es wäre doch Schade um ihn.

Zweites Kapitel.
Eine Hochzeit.

Ein ganzer Monden vergangen, noch hatte niemand eine Silbe von Salassin gehört. Vater Welly und Jadilla die bedrängte Mutter lebten in quälenden Unruhe. Bengler hatte es ihnen auf eine gute Art beigebracht. Zwar schmeichelte es ihrer Ehre, den Sohn an des Kaisers Seite in seinem Angesichte kämpfend zu wissen, aber was ist Ruhm für ein Trost dem zärtlichen Elternherz? Ein Mondstrahl, der matt das Dunkel des finstern Haines erhellt. Es war ihr geliebter Sohn, ihr einziger Sohn — und den in den fürchterlichsten Gefahren zu wissen, das trübt auch den Muth der stolzesten Seelen. Des langverlornen Kindes Jadilla Erinnerung wachte herber wieder auf. — Auch diesen Einzigen soll ich noch verlieren? War ich nicht unglücklich genug meine vierjährige Tochter nimmer zu finden. — Dachten oft die bangen Eltern, und waren öftrer als sonst in Benglers Gesellschaft, der ein gutmüthiger, launigter Mann, sie zu erheitern und zu trösten all seinen Witz aufbot. Viel des Trostes empfanden sie noch, wenn mit ihnen eine gute Seele um den Fernen trauerte, wenn Lolly in voller Begeisterung von Salassin sprach.

Welly schrieb an den Fürsten Tellmann und Sebald, und lud sie ein auf das Land zu kommen, um sich mit dem Gefährten des Sohnes im angenehmen Freudenkranze des trüben Herzens zu entledigen.

Tellmann hatte nun einen der stärksten Antheil an dem Regierungsgeschäfte, weil der Kaiser beim Heere war, und konnte die Residenz nicht verlassen, aber Sebald entschloß sich Salassins des edlen Freundes Vater zu Liebe auf einige Tage die Residenzstadt und — Jilla, mit der er alle Tage enger sich verband, zu verlassen, und auf dem Lande Welly und Jadilla einigermassen zu erheitern. Sein Herz war schwer, wenn er an Salassin dachte, von dem noch nicht die geringste Nachricht gehört wurde, wiewohl es bereits 2 Monden waren, dreie der fürchterlichsten Schlachten in Lüften und auf der Erde, die Krieger zu tausenden gewürkt hatten, und schon manche verstümmelte, verwundete Helden, die nach dem Treffen gewöhnlich zurück in das vaterländische Lazareth geschifft wurden, bereits wieder gesund herum giengen, und stolz darauf waren, einen Arm oder Fuß zur Rettung des Vaterlandes aufgeopfert zu haben.

In den Zeitungen forschte jeder von Salassins Freunden, die ihn im Heere glaubten, was freilich wahr gewesen, für das es aber Tellmann Sebald und Bengler, die diese Lüge und doch Wahrheit ausgesprengt hatten, leider nicht hielt. In jedem Zeitungsblatte so erschien, zählten sie begierig die angezeigten Krieger, die sich hervorthaten oder verwundet wurden, oder fielen. Salassin stand nie unter einer Rubrike davon.

Sebald traf in Wallingau ein, eine zahlreiche Gesellschaft war bereits versammelt. Man spazierte eben durch das Wallingauer Dorf, indem alles Jung und Alt, Mann, Weib und Kinder und Greise in einer lebhaften Bewegung war.

Sebald wurde von allen mit inniger Freude bewillkommt. Er war ja Salassins Vertrauter, und als dieser allein schon recht freudig gesehen, von Vater Welly, von Jadilla, und besonders von — Lolly. Wenn der Geliebte fern ist, wie ist da der Freund desselben nicht geschätzt. Ein duzend Zungen hätte Sebald noch haben sollen, und noch einmal soviel Ohren (nur etwa keine Zungen unsrer Zeitungsschreiber) wenn er alle Fragen auf einmal hätte hören und beantworten sollen.

Lolly schloß sich an Sebalds Arm, und giengen in dem Kranze der Andern der Dorfkirche zu, wo die Gemeinde geschmückt und frohlockend versammelt war. Es wurde ein Vermählungsfest gefeiert. Die große majestätische Kirche umrundet mit hohen Linden, ganz gebaut die Seele des Betenden zur Ehrfurcht, Größe und Erhabenheit des ewigen Allvaters zu erheben, ragte mitten im Dorfe hervor. Ein prunkloser Altar aus Marmor mit einem Bildniß Gottes stand da, vor dem ein junger Mann ohne dem linken Arme, mit frischen Narben in dem Gesichte an der Seite eines sehr schönen Dorfmädchens kniete, das Kränze vom Rosmarin im braunen Lockenhaar verflochten trug. Die Väter der Beiden standen hinter dem Bräutigam, die Mütter hinter der Braut, und die Anverwandten und Freunde schlossen sich an die Vorigen.

Der Priester sprach eben das Amen! und die Anwesenden beteten laut für das neue Ehepaar, das nach einem kurzen Gottesdienst, dem Zug voraus unter Begleitung einer lieblichen Musik der Wohnung der Braut zugieng.

Wellys Gesellschaft mischte sich unter die frohen Hochzeitsfeirer.

Das hübsche Mädchen nimmt den häßlichen Krippel zum Manne? — sprach Sebald zu Lolly, als sie aus der Kirche getreten waren.

Häßlich? — warf Lolly ein.

Seb. Er ist ja im Gesicht zerfezt, und ohne der einen Hand! Und ein Mädchen —

Lolly. So? ein braves Mädchen taxirt also den Mann nach Gesicht und Händen? Ey, du mußt verzweifelt wenig von uns Mädchen halten! Die Braut ist grade ein doppelt schätzbares Geschöpf, weil sie den nimmt!

Seb. Vermuthlich wäre sie sonst —

Lolly. Vielleicht gar mannlos geblieben? O beileibe nicht. Der Bräutigam war ein bildschöner wackerer Jüngling. Vor 14 Tagen kam er aus dem Kriege so verunstaltet wie du ihn itzo siehst. Das Paar wollte eben sein Vermählungsfest feiern, als das Aufgebot wider die unversöhnlichen Feinde des Landes in dem Dorfe hier vorgetragen wurde. Er war der erste Freiwillige, der sich von seiner Geliebten trennte, und in die Schlacht zog. Der Freier wohl zwanzig warben um das Mädchen, als in der Zeitung stand, Mienchens Erwählter sey gefährlich verwundet; aber Mienchen wankte nicht. — Wenn ich Philipen nicht wiedersehe, sagte sie, so mag ich keinen mehr zum Manne, und wiß alle Andere ab. Aus der Nachbarschaft hielt auch ein recht hübscher guter und gar reicher Jüngling noch um sie an, den Mienchen nicht so ungern sonst hatte; aber ihr Philip war zu sehr ins Herz gewurzelt, und als er endlich ohne Hand und kaum kennbar im Gesichte nach Hause kam, da hüpfte Mienchen vor Freuden und das heutige Fest ward sogleich verabredet.

Seb. Das ist brav von dem Mädchen! Ihr gleichen — denk ich — aber doch nur wenige, die so einem Bräutigam treu blieben.

Lolly. Ey, du kennst die Mädchen doch in der That wenig. Welches wäre wohl in dem Falle nicht so? Darauf sind sie mit Recht stolz einen unglücklichen Kriegshelden durch ihr liebendes Herz lohnen zu können.

Seb. Wenn nun Salassin ohne Hand und mit solch einem Gesichte zurückkäme, reizende Lolly?

Lolly sah Sebalden mit einem abweisenden Blick an. Nun? Sollt ich ihn dann nicht noch lieber lieben? O ich wünschte nur — er wäre schon lieber da. Ohne Händ und Füsse, nur mit Kopf und Herz, ach! und du solltest sehen, wie überaus glückselig wir zum Altare träten!

Wahrhaftig unter den Mädchen des 18ten Jahrhunderts wäre wohl so ein Geschichtchen in allen Zeitungen und von allen Romanzendichtern besungen.

Der festliche Zug war inzwischen in das Haus der Braut gekommen, in einer großen reinlichen Stube standen die Gäste herum um das Brautpaar, das die Eltern noch einmal segneten. Der Bräutigam kniete nieder, sein Vater ein ehrwürdiger Greis, legte seine zitternde Hand auf des Sohnes Schultern — alle sahen mäuschenstill der feierlichen Szene zu.

Dem Greise bebten die Lippen, eine Thräne hieng ihm an der Augenwimper, indem er sprach: Mein Sohn! Sey — ein guter Vater! — ihm erstarben die Worte, er fiel dem tiefbewegten Sohn um den Hals, indem er mit Mühe stammelte: ach mein Sohn —!

Gerührt wünschten nun die Gäste dem neuen Ehepaar Heil und Segen zu dem neuen Stande, manch weichherziges Mädchen hatte über den schönen Auftritt auch ihr Thränchen vergossen, und — wenn ich recht gesehn habe — den leisen Wunsch verrathen: Segnete mich doch auch mein Vater nur auch schon! —

Nun ertönte die Musik, bald drauf wurde das Gastmahl begonnen, und unter dem reinsten Vergnügen genossen. Als die letzte der Schüsseln aufgetragen ward, grief die Braut rasch in ihre Schürze, und warf dem uralten Brauch gemäß eine Handvoll Rosinen auf den Brautführer, der Bräutigam auf das Kranzmädchen, ihnen nach regnete es nun von allen Seiten Rosinen und Zuckerkörner, und in wenigen Minuten lag der Tisch mit den süssen Sachen bedeckt. Die fröhliche Freude gieng in leichten Muthwillen über, und allgemein überließ man sich dem lachenden Jubel.

Das frohe Getöse rauschte eben am stärksten, als der launigte Küster mit einem Pack Papier unterm Arm in die Stube trat, und mit unzähligen tiefen Verbeugungen gegen das Brautpaar und die Gäste figurirte. Alle drehten sich nach dem komischen Mann, der bei allen Hochzeiten und Festen als Lustigmacher seine Sporteln hatte, wofür er die hochachtbaren Gönner mit launigten Späschen, lächerlichen Schwänken und lustigen Liedern unterhielt, die er aus alten uralten Folianten sog.

Er wandte sich vor allen an die neuen Ehleute, und begann seine Gratulazion also:

Sintemal und alldieweilen

Thut Eur Hochzeitsfest aneilen

Ich also von Herzen schön

Thue gratuliren gehn.

Das war der Eingang, und der gute Küster mit dem Hut unterm Arm, die andre Hand in der aufgeknöpften Weste räusperte sich und sammelte Athem zum fernern Vortrag. Alle sahen mit stillem Lachen auf den spassigen Rhapsodensänger unverwandten Blickes.

Der Herr Gratulant verzog den Mund und fuhr fort.

Weilen Gott die Welt zu mehren —

Lolly kicherte laut auf und bedeckte ihr glühend Gesicht mit der Hand, ihr nach platzten mehrere mit lautem Gelächter los, der ganze Ring endlich lachte mit, und der frappirte Küster blieb in seiner Gratulation unangenehmerweise stecken: Seine Kupfernase röthete sich vor Verlegenheit mit Karfunkelglanz, er stotterte und rüttelte sich zitternd, um das übrige seiner eigendsverfaßten Prekation noch hinauszubeuteln. Glücklicherweise kam ihm das Brautpaar mit der Danksagung zuvor und der Küster schöpfte freien Athem, und beruhigte sich, daß man zu stark gelacht und ihn unerwarteterweise nicht habe aussprechen lassen. Nun erklangen seine poetischen Gesundheiten, Lieder, Schwänke, auf welche die Musikanten ihre Antworten gaben.

Endlich packte er seinen Kram Papier aus — Pst! Pst! Zeitungen sinds, neue, die neuesten, das heutige Blatt unaufhaltsamerweise aus der Stadt geschickt, und Briefe von meinen hochgelehrten Korrespondenten!

Er kramte die Zeitungen ordentlicherweise auf den Tisch hin, griff nach seiner Brille, und las mit meckernder Stimme:

Vermöge eingelaufenen —

Nein! das ist das Alte schon — ich habe mich vergriffen! — rief er und wühlte unter dem Pack, suchte wohl zehn der Blätter hervor, und legte sie zehnmal wieder hin, mit dem Worte: Das Alte! das ist das Alte? Das heutige vom 9ten. Endlich fand ers und las: Alle waren ein Ohr für den Neuigkeitsbringer unmaßgeblicherweise:

„Der Deutschen ruhmvoller Kaiser hat mit seinem tapfern Kriegsheere eine gänzliche Niederlage dem Feinde beigebracht.“

Es lebe der Kaiser, und unsre Krieger! — scholls plötzlich und die Becher wurden unter Musik geleert.

Und Salassin — dachte Lolly, indem sie aufmerksam auf den Küster kein Aug verwandte, und wünschte von Salassin eine fröhliche Nachricht zu vernehmen.

Der Kaiser und unsre Krieger! — rief der Küster, und feuchtete seine trockene Kehle an. Er las weiter:

„Um die dritte Stunde des Tages noch im schwarzen Dunkel der Nacht griff der Feind den linken und rechten Flügel der k. deutschen Armee an, indem er zugleich mit einem Luftgeschwader auf das Centrum sank, wo der Kaiser selbst mit den tapfersten wachte. Mit ungestümmen Feuer drangen die Feinde auf uns vor, und ohne einer plötzlichen Hilfe wäre der Monarch und das Heer verloren gewesen.“

Der Küster blies sich Kühlung, und schöpfte Kraft aus dem Glase zum Weiterlesen: alle Gäste schwiegen ernsthaft als wäre nie ein frohes Gefühl unter ihnen gewesen. Die Aufmerksamkeit ward gespannter, alle Blicke hiengen fest an dem Küster.

„Der rechte Flügel stand allein noch unverrückt. Der Anführer sank von einer Kanonenkugel zerschmettert vom Pferde, und auch hier schon begann die Verwirrung einzureißen, die am Linken und auch sogar im Centrum schon ziemlich verderblich ward. Aber nun bekam plötzlich die Sache eine andre Gestalt. An der Seite des Anführers beim rechten Flügel kämpfte ein Held, ein junger Mann der nach dem Fall seines Generalen, wie ein Blitz alle Krieger entflammte, mit unbeschreiblicher Entschlossenheit und Muth seinen Mitsoldaten zudonnerte: Mir nach! Und in kurzer Zeit wichen die Feinde von dieser Seite, geschlagen und zerstreut, daß von 10000 Feinden wenigstens zwei Drittheile Leichen waren.“

Es lebe der junge Held! — ertönten die Jubelstimmen Aller, und schwiegen sogleich wieder, begierigst den Ausgang zu vernehmen.

„Der Kaiser ist in Gefahr! Das Centrum geräth in Unordnung! Ein abgeschickter Adjutant brachte dem rechten Flügel sogleich die Nachricht. Itzt wand sich der junge Held mit seinen Truppen, und kam dem Feind, der immer tiefer in das Herz der Armee drang, auf den Rücken. Das feindliche Luftgeschwader sank fürchterlich herab, denn itzt erhob sich ein ziemlicher Regen, und brachte seine eigenen auf der Erde vordringenden Leute in Verwirrung. Der junge Held benützte diesen Vortheil, und der Feind war gänzlich auch in Centrum aufgerieben. Nur der linke Flügel des kaiserlichen Heeres kämpfte noch zweifelhaft, bis die Normänner benachrichtigt von der Niederlage ihrer Leute eiligst flohen, und den Deutschen das Schlachtfeld räumten. Im Centrum waren die Feinde bereits an das Zelt des Monarchen selbst vorgerückt, der Kaiser schon umrungen als der obenbenannte Held glücklich zur höchsten Zeit erschien, und als er die fürchterliche Gefahr des Landesvaters bemerkte, wie ein Rasender focht. Schon bauten die feindlichen Waffen blutige Wälle von Menschen um den Monarchen, als der tapfere Unteranführer des rechten Flügels den Monarchen der Gefahr entriß, und einen vollkommenen Sieg erstritt. Ein Schwarm Normänner als sich schon alles für uns entschieden hatte, fiel unvermuthet auf der unbesetzten Seite auf den Kaiser, der neue Held gewahrte dies, und machte sie zu Gefangenen, indem er aber eben einen feindlichen Reiter vom Rosse hieb, sank er selbst von Wunden erschöpft vom Pferde.“

Die ganze Gesellschaft betrauerte den Tapfern. Doch nicht todt? — rief Bengler.

Der Küster hatte sich schnell an einem Zuge aus dem Glase gestärkt, und sprach: Hier ist noch ein Nachtrag erfreulicherweise! — Es ward wieder todtenstill.

„Die Feinde verloren 18000 Todte, und gegen 8000 Gefangene: unser Verlust an Todten beträgt gegen 11000 an Gefangenen vielleicht keine 500. Der umständlichere Bericht nebst der Anzeige der Namen von Gefallenen, wird noch nachgetragen. — — Eben läuft die Nachricht ein, daß der vortreffliche Held nur vom vielen entronnenen Blute erschöpft vom Pferde gesunken sey, und allmählig sich erhohlt habe. Er ist der Sohn des Edlen —“

Der Küster läßt vor Entzücken die Zeitung fallen, und wirft seinen Hut in die Höhe. Ueber den Ausbruch seines komischen Jubels drängt sich alles von seinen Sitzen und zerrt sich um die Zeitungsblätter.

Es lebe unser Graf! Der Held ist Salassin sein Sohn! schrie der Küster, und lief wie unsinnig in der Stube herum. Die Musik erklang stärker, das Gewimmel der Gäste reger, das Getöse lärmender. Wellyn sank seine Gattin Jadilla in den Arm, Welly selbst war fassungslos, Lolly schlug vor Entzücken den Sessel um, und fiel Sebalden um den Hals, Bengler stand vor Erstaunen und Freude wie eine Bildsäule. Sebald vergaß daß es Lolly sey die ihm am Halse hänge, und küßte brünstig das unbefangene Mädchen. Lauter Jubel hallte und schallte, alle Gesichter glänzten vor sprechendem Entzücken. Der Küster dachte nicht einmal, wie er nun zu der Ehre und Freude seinem theuersten Grafen recht poetisch gratuliren werde.

Drittes Kapitel.
Eine Entdeckung.

Das Hochzeitsmahl war vorüber unter abwechselnden Ergötzungen: nun schloß das Fest ein ländlicher Tanz, und die wonnetaumelnden Freunde Wellys giengen erst spät zur Ruh. Konnte einst Mutter Jadilla nicht schlafen vor Kummer, als sie ihren trauten Salassin von Gefahren umlagert wußte, so konnte sie nun noch weniger schlummern vor Jubel.

Aber ist denn das schon so ganz gewiß, wahr und richtig was in der Zeitung stand? Wie möchte die laute Freude der Guten in kränkenden Kummer übergehen, wenn die Zeitung gelogen hätte? Den Blättern des drei und zwanzigsten Sekulums kann man ohne allem Zweifel Glauben beimessen. Eine so verächtliche Person fast in unserm jetzigen Jahrhundert ein Zeitungsschreiber geworden ist, durch seine Erfindungen von unverschämten Lügen und Partheilichkeit, eine so geachtete und verehrte ist die eines solchen im 23ten. Man kann sich auf die Worte desselben verlassen, daß Wahrheit darinn liege, dem man beweisen konnte, er habe eine falsche oder partheyische Nachricht eingerückt, der mußte für jedes Wort, das er darüber schrieb, einen Dukaten in die Armenkasse geben. Du lieber Himmel! Wenn man mit den jetzigen Zeitungsschreibern so verführe, und sie statt Dukaten nur Heller zahlen sollten, ich glaube, die Armen müßten bald reich werden.

Die Nachricht, die süsse herzerquickende Nachricht von Salassins Ruhm war also zuverlässig wahr. Lolly träumte schon, wie sie den wackern Helden empfangen würde, auf welche Art er bewillkommt werden müsse, welch ein herrlicher Augenblick es seyn werde, wenn Salassin der bekränzte Sieger voll des beneidenswürdigsten Ruhms belohnt vom Vaterland wieder in ihre Arme kehren wird.

Sebald! — sprach Bengler vertraulich am andern Tage. Wer hätte glauben sollen, daß unsre Lüge die wahrste Wahrheit sey? Bin ich doch wirklich zum erstenmale in meinem Leben ein so guter Lügner gewesen, daß ich fast Gefallen daran fände. Nur Schade, daß es selten so gut ausfällt! Sieh mir nur einmal den seltnen Fall an! Hat der Kukuk den Feuermann doch in den Krieg getrieben! Nun, Nun! weil es nur so gut noch ablief.

Ich will — setzte Sebald hinzu — Salassin die ganze Sache mit wenigen Worten schreiben. Gewiß weiß ich, er ist längst bei seiner herrlichsten That nicht so froh und ruhig als wir. Lolly wird er mit mir glücklich wähnen, und ich wette, wenn der Friede die Kriegsheere zurückschickt, er macht uns den Streich und läßt sich nicht sehen.

Da sollt ihn der Kaiser in die Jammerburg setzen lassen, wenn er das zu thun im Stande wäre! — sagte Bengler.

Seb. Ja — übertriebner Edelmuth — Am besten also ich fahre heut nach der Residenz Tellmann — wie lange mag es seit dieser lezten Schlacht seyn?

Bengl. Hm! Heute zählen wir den letzten Herbstmond — ungefähr 14 Tage.

Seb. Dann wird uns Tellmann vielleicht neue frohe Nachrichten geben.

Bengl. Ich will Wellyn die Geschichte erzählen. Nun kann ichs ja getröst thun. Wir wissen einmal wo Salassin ist, und — nun ists leicht die Sache gut zu machen.

Sebald kam zurück in die Residenzstadt, wo ihm Tellmann mit freudefunkelnden Augen entgegenstürzte, und rief: „Salassin ist beim Heere des Kaisers. Er hat sich tapfer gehalten! Der Monarch zieht zurück; die Feinde trugen den Frieden an, der für uns ganz natürlich sehr vortheilhaft ausfällt. Salassin hat den Kaiser und das Vaterland gerettet!“ —

Wir haben es auf dem Lande erfahren, theurer Oheim! sprach Sebald freudig, und erzählte den Vorfall. „Wann könnte das Heer wieder hier eintreffen?

In wenigen Tagen! — antwortete Fürst Tellmann. In wenigen Tagen? Und Salassin kommt als Sieger, als Retter des Kaisers und des Landes! Welch eine Wonne für uns Alle!

Nichts als billig — versetzte Tellmann — daß er uns für das Leid, so uns seine übereilte Hitze verschafte, mit solch einem Jubel entschädige. Ich habe bereits an ihn geschrieben, zweifle aber daß er meinen Brief erhalten, noch ist alles im Heere ziemlich verwirrt. Salassin war lange dem Tode nah; aber die Aerzte, besorgt solch einem Helden dem Lande zu erhalten, haben ihn wieder hergestellt.

Sebald wollte sich von Tellmann nach einer Weile entfernen.

Daß ich nicht vergesse, lieber Sebald! — rief der Fürst, ihm plötzlich zu. Geh sogleich zu Wolling — er ist seit acht Tagen krank — seine Tochter schickte ein Briefchen an dich, worinn sie dich dahin zu kommen bittet, ihr Vater habe wichtig mit dir zu sprechen.

Das ist Jillas Vater? mein Oheim! — fragte Sebald hastig, und hielt die Thüre offen.

Richtig! Jilla Wolling — so unterschrieb sie sich. Doch da ist das Briefchen selbst. Nimm es nicht übel daß ichs in deiner Abwesenheit erbrach. — Schloß Tellmann und gab Sebalden das Briefchen, der es mit heftiger Unruhe las, und auf den Fittigen der Liebe zu seiner langentbehrten Geliebten flog.

Er trat in das Haus, und Jilla bewillkommte ihn mit dem Ausbruch der herzlichsten Freude. Kömmst du einmal zurück? — sprach sie und sah ihn mit einem zärtlich strafenden Blick an.

Meine Jilla — dein Vater ist krank? Noch nicht besser? Leider nicht! — antwortete Jilla, und führte ihn in des Kranken Gemach. Pst! er schlummert! Da dürfen wir ihn nicht stören! — rief das Mädchen, als sie die Thüre halbgeöffnet hatte.

Sie blieben in einem Nebenzimmer, und plauderten, ja, was plauderten sie denn? Von dem kranken Vater? Oder —

Die Antwort kann ich nicht wörtlich geben; denn das Buch der Zukunft, in dem ich diese Geschichte lese, meldet nichts davon. Doch sollt ich rathen; schöne Leserinnen, soll ich rathen, so kommt es wohl ziemlich auf den Punkt — von dem zwei Liebende sprechen, die sich nach kurzer Trennung wiedersehen, und vielleicht gar wenn das Schicksal keinen Strich durch die Rechnung macht, bald — was denn? — Was? — Hören sie das gerne meine Leserinnen? — Mann und Frau werden.

So? sind sie schon nahe bekannt?

Ja freylich! du lieber Himmel, wie bald stehen zwei Liebchen nicht in enger Verbindung? und welche kleine Spanne Zeit verfliegt zwischen bekannt werden, und dem Entschlusse sich zu vermählen. Ein kleiner Sprung ists, ein — bald hätt ich gesagt ein Flohsprung nur. In unserm Jahrhunderte giebt es für Liebende freilich der Hindernisse zu viele. Ein Stammbaum zum Beispiel einerseits und Tugend und Armuth anderseits ist schon ein faßt unüberwindlicher Riese! Elterngroll, wenn die Kinder auch gar nichts gegen einander haben, ist ein zweiter unübersteiglicher Stein. Ach und was giebts der Steine und Riesen die in unserm Sekulum die Leutchen trennen, nicht noch? Ich glaube deren so viele als es Verliebte nur immer geben kann. Aber in dem beglückten neuen Zeitraume wählten die Mütter nicht die Schwiegersöhne für ihre Töchter, und eben so wenig die Väter ihre Schwiegertöchter den Söhnen. Da mißt man das ehlige Glück nicht nach Dukaten oder Stammbäumen. Die jungen Leute gefallen sich, gestehen sich ihre drückende Herzensnoth und zeigen es den Eltern an: „Vater! Ich liebe deine Tochter, sie erwiedert meine Liebe, gieb sie mir zum Weibe, wir wollen arbeiten und dem Ruf der Natur folgen!“ So hält der Jüngling an, und die Eltern bestättigen freudig die Wahl, wenn sie vernünftig vorsehen, daß ihre Kinder glücklich seyn können. Eine Familie machen dann alle aus, und Groll und Hader, wenn ja zuweilen so ein Distelchen unter Blumen blüht, ist vergeben und vergessen.

Die Mädchen selber halten es für Ehre, um ihre Geliebten zu frein, und solch einer entschlossenen Bräutigamswerberinn wird die Bitte schon gar nicht abgeschlagen. Daher treffen sich manchmal drolligte Späschen. Mancher recht hübsche junge Mann, wenn er mehrern den Hof machte, hat die Freude, daß sich zuweilen ein halb Duzend Mädchen um ihn bewerben, wo er dann der Erkohrenen den Apfel reicht. Oefters kömmt der Vater oder die Mutter dem Schwiegersohne, wenn er blöde oder scheu ist, selbst zuvor, und tragen ihr Kind an. Kurz, ungezwungener, freier, zuvorkommender ist man bei diesem Geschäfte im 23ten Sekulum als im jetzigen die Frauen.

Doch — wohin gerath ich? Geschwind, was machen unsre Liebchen im Nebenzimmer! Plaudern sie noch immer? Nicht doch! Jilla! Jilla! — stöhnt der kranke Wolling, und das Mädchen entreist sich windschnell Sebalds Armen.

Ist Sebald noch nicht zurückgekommen? sprach mit schwacher Stimme der Kranke.

Ja, Vater! Er ist schon da! Wir merkten, daß du schlummertest, und wollten dich nicht wecken von deiner bedürftigen Ruhe. Entgegnete Jilla.

Gutes Mädchen! — Ich — werde bald — o vielleicht sehr bald — fester — schlafen; als — daß mich Menschen würden wecken können! — Führe Sebalden her! — Stammelte mit einigen Lächeln der Vater, wand seine geringe Summe von Kraft an, erhob sich vom Ruhelager, und drückte mit mattem Drucke dem hereintretenden Sebald die Hand: Willkommen, Lieber! — Setze dich mit Jilla nah zu mir — daß ihr mich vernehmt — was ich noch werde sprechen können.

Sebald und Jilla rückten an das Ruhlager, und horchten mit Aufmerksamkeit.

Der Greis schöpfte Athem, und streifte mit der Hand das kreidenweiße Haar in Ordnung. Er nahm Sebalden bei der Hand, und blickte mit wehmüthig frohem Blick auf ihn.

Sebald! du liebst Jilla?

Einzig und immer — entgegnete dieser feierlich, und sein etwas ungestümmer Händedruck hätte fast den guten Alten zum lauten Schrey bewegt.

Jilla — du liebst Sebalden!!

Mein Vater — stammelte das Mädchen überrascht, und schmiegte sich traulich an ihn.

Der Vater. Ihr werdet ein glücklich Menschenpaar! Bleibt unbefangen und gut, wie ich euch Beide kenne. Handelt edel, seyd thätig, lebet rechtschaffen! — Frieden und Eintracht umknüpfe euch immer eng und fest — bleibt tugendhaft und edel —, dann segnet euch der Verklärte jener bessern Welt, der hier Jillas Vaterstelle vertrat.

Vaterstelle nur? — fuhren Beide auf und horchten.

Der Vater. Ja — blos Vaterstelle — Jilla ist meine angenommene Tochter —

Nein! nein! du bist mein Vater — du bleibest mein geliebter Vater! Geliebt und geduldet hast du für mich — gesorgt und gekümmert für mich — väterlich. Ich kenne dich seit ich denke — wie sollst du mein Vater nicht seyn? — Ergoß sichs Jillas langes Herz; sie herzte zärtlicher den lächelnden Greis.

Der Vater. Ich liebte dich als meine Tochter. Du warst mir anvertraut, deine kindliche Unschuld fesselte mein Herz mit unzerbrechlichen Banden. Meine größte Sorge warst du — bist unter meinen Augen ein braves tugendhaftes Mädchen geworden — bist durch meine Sorgfalt fähig einen edlen Jüngling als Gattin zu beglücken, dann — hab ich meine Pflicht gethan.

Seb. O das hast du, edler Mann! Mann ohne gleichen redlich und bieder. Jilla verdankt dir —

Jilla. Alles, alles Vater! Zu gering ist meine Liebe allein, dir die kleinste deiner Müh zu vergelten.

Der Vater. Still, meine Theuren! Hört mich an — mir wirds schon wirrer im Kopfe — schwerer im Herzen — mein Athem schwach. — Vor siebzehn Jahren — starb — mein seliges Weib — Ich reiste — zu ihren Anverwandten — in den 8ten Kreis Deutschlands, und — war auf der Rückreise einige Stunden hinter Ostende — wo ein Luftschiff von Regen und Sturmwind verschlagen herabsank. Eine alte Frau fiel als die Gondel eben auf den Boden stieß, heraus. Sie hatte sich wund geschlagen, alt war sie ohnedem — sie übergab mir ein kleines Mädchen — und beschwor mich Vatersorge zu tragen — Jilla, das Mädchen warst du — Aber — auch sie war deine Mutter nicht. — Sie hatte dich gefunden — in einem Walde — und wollte dich nach England mitnehmen. — Sterbend bat sie mich, ihrem Sohne das Unglück zu berichten, das sie getroffen. Jilla — deine Kleider, die du damals trugst als ein vierjähriges Kind, und ein goldenes Kreuzchen, ein Halsgehänge — das in dem Pult dort verschlossen aufbewahrt ist — mag dir vielleicht — einmal — deine Eltern erkennen — lassen. — Wir — lebten hier — einsam — und nur von Wenigen — gekannt, und besucht in der — Residenzstadt — — — meldet — meinen — Tod — dem — Sohne — dieser Dame — dem — Gastwirth — auf der Landstrasse nach England — beiläufig — vierzig — Stunden — von hier — zum Vollmond — er heißt — Jehnsen —

Also lispelte noch der Greis, seine Stimme ward immer matter, bis sie endlich nimmer vernehmlich war. Er warf einen fröhlichen Blick auf die Beiden, die in tiefen Trauer um ihn standen, schöpfte noch einmal Athem, und — verschied, wie der letzte Sonnenstrahl am abendlichen Himmel noch einmal auf dem Wipfel der Eiche glänzt, zittert und verlischt.

Jillas Schmerz über den Verlust des Mannes, den sie als ihren Vater verehrte, ergoß sich in häufigen Thränen: sie küßte den Erlöschenden, und nezte seine Hand mit dem Opfer der nassen Augen. Sebald drückte mit tiefer Betrübniß des biedern Greises halbverschlossne Augen zu, und betrauerte kindlich den braven Mann, der Jillan väterlich erzogen hatte. Lange, lange konnten Beide nicht von der Leiche wegtreten, der Magnet der Dankbarkeit zog sie unwiederstehlich dahin. „Er kann nicht todt seyn, mein Vater, er schlummert nur!“ rief Jilla! Aber er war es einmal, und deine Zähren gutes Mädchen erwecken ihn nimmer.

Die Allgewalt des ersten Schmerzes verlor sich allmählig, so wie lindernde Thränen dem gepresten Herzen zu Hilfe kamen, in hohe Betrübniß. Man machte Anstalten zum Begräbnisse, die Leiche ward feierlich am Begräbnißplatze verbrannt, und eine Urne mit der Asche des Seligen gefüllt. Die Worte des Sterbenden beschloß Sebald sogleich zu befolgen, und reiste mit Jilla und seiner Mutter nach dem Dorfe, wo der angezeigte Gasthof war, in der Gegend ohnweit von Wallingau, wo Wellys Landgut lag, und wo sie auf der Rückreise einige Tage versäumen wollten.

Sie fuhren stumm, von dem Bilde des geliebten Greises umschwebt, mit trauerndem Herzen in dem schnellen Luftschiffe. Nur manchmal lächelte Jadilla heiter auf Sebalden, wenn er sie mit den Worten der Liebe tröstete, und auf ihr nahes seliges Leben wiß. Sebalds Mutter war in banger Erwartung: der Name Jehnsen erregte ihr frohe Unruh.

Viertes Kapitel.
Der Gastwirth im Vollmond.

Endlich kamen sie an. Geschäftig sprang aus dem Gasthofe Jehnsen. Sebald und Jilla halfen der Mutter aus dem luftigen Wagen, und Jehnsen lief mit einem lauten Schrey auf sie zu.

Marlon! Marlon! Mein Weib! — rief er, und Sebalds Mutter sank ihm in die Arme:

Mein Vater! mein Vater!? schrie Sebald, und schloß sich an den endlich einmal gefundenen Vater. Es war eine rührende Gruppe, werth des Meissels eines Phidias. In sprachlosem Entzücken umarmten sich die fünf Lustern lang getrennten Gatten, der Vater den Sohn, der Sohn den Vater, die beide sich noch nie gesehen hatten.

„O ich hatte dich sogleich erkannt meine langbetrauerte Marlon! Mit dem ersten Blick erkannt ich dich — denn in meiner Seele lebte noch in Jugendfrische dein Bild. Laß uns den Rest unsers Leben nun freudig und ungetrübt in stetter Vereinigung verleben. Ach, wir entbehrten uns sogar lange. Alt sind wir geworden, seit wir uns getrennt haben, aber jung noch und immer neu ist das Gefühl, so in mir sich regt. Laß uns ausruhen von den Mühseligkeiten, die wir erlitten, seit uns ein feindlich Geschick geschieden, aber nun mit um so süsserer Wonne auf immer vereinet hat!“

So sprach der beglückte Jehnsen, als der Jubel des Herzens Worte fand. Er drückte den gefundenen Sohn mit dem Ungestüm der Zärtlichkeit an sein Herz, mit dem ein Vater einen Sohn, den er zum erstenmal sieht, umarmen kann. — Vergieb, vergieb, mein Sohn! — rief Jehnsen zu ihm. Ich war dein Vater noch nicht. Unglück genug für mich, daß ich die Wonne nicht geniessen konnte dich unter meiner Sorge aufwachsen zu sehen. Ich beneide die Guten, die an dir das thaten, was ich hätte thun sollen eben so sehr, als ich ihnen danke. Doch nun — da uns meines Lebens seligste Stunde vereinte, nun will ich dein Vater für dich leben und handeln.

Im Erguß seines Entzückens hatte er Jillan gar noch nicht einmal begrüst. Sie stand mächtig gerührt an Sebalds Seite.

„Lieb Mädchen, du nimmst mir, dem Gastwirthe es doch nicht übel, daß ich zuletzt dich bewillkomme? — wandte sich Jehnsen an Jilla. Das sind freilich meine Leute, aber wahrhaftig doch auch seltnere Gästen, als du, Jilla, dich sah ich ja faßt alle Jahr ein paarmal. Was macht der gute Vater?“

Die Angekommenen erwachten plötzlich durch diese Frage aus ihrem hohen Entzücken. Jilla sah Sebalden mit einer halbentquollenen Thräne im Auge an, Sebald trüb auf Jilla. Was deutet eure stumme Verlegenheit meine Lieben! — fragte Jehnsen. Redet, redet — Jilla du verbirgst dein Gesicht? Sebald— du kennst ihn ja wie kämst du sonst mit Jilla zusammen — redet —

Er ist nicht mehr! — rief Sebald — Vor acht Tagen starb der edle Greis, auf dem Todtenlager und entdeckte, Jilla sey seine angenommene Tochter, die ihm einst deine Mutter — so sagt er — als sie das Unglück hatte nahe bei Ostende zu verscheiden, übergab.

Jehn. Leider, leider erzählte mirs der wackre Mann, mit dem ich vor 6 Jahren durch eben diese Post bekannt wurde. Ich hatte meine liebe Mutter kaum einen halben Tag hier bewirthet, hatte sie — seit wir, meine Marlon, England verliessen, nicht gesehen, war so von Herzen froh, daß sich mein trübes Schicksal einmal erhellen würde — aber es ward noch trüber. Der edle Greis starb also? Er war ein Deutscher, das ätzet seiner Urne ein.

Und mein unvergleichlicher Vater — stotterte Jilla, und schlug die Augen zur Erde.

Das war er — fügte Jehnsen bei — Dich unbekanntes Mädchen nahm er in seine Obsorge, und wie ich oft gesehen habe, als ich ihn besuchte, konntest du Jilla in keine bessere Hand gerathen. Doch — Fried und Ruh dem Verdienten! — Itzt kommt — wir feiern unser Fest des Wiedersehens! Kommt in meine Behausung! Marlon! Mein Sohn! In welch unaussprechlich Entzücken setzte mich euer Wiedersehen!

Sie giengen in den Gasthof, alle des lautesten Jubels voll, und erzählten sich wechselseitig ihre Schicksale. Wie sprang Jehnsen froh vom Sitze auf, als Sebald in seiner Geschichte auf Jilla kam, und er erfuhr, Jilla sey Sebalds Verlobte! Er umarmte das schöne Mädchen, dem der Karmin der Wangen in höheres Roth stieg. Brav mein Sohn! — rief Jehnsen! Dir wird ein edles Mädchen zur Gattin! Ha wie will ich mich vergnügen an deinem Hochzeitsfeste! Wie will ich trotz dem feurigern Bräutigam mit meiner Braut Marlon die Reigen durchschweben! Das soll mir ein Fest werden! Marlon — nicht wahr meine Liebe, wir — lassen uns doch aufs neue vom Bande des Priesters umweben, wenn auch andere Ketten uns längstens fest verkettet haben.

Marlon, Sebalds vergnügenstumme Mutter, nickte ihr frohes Ja! und in reinsten Vergnügungen flohen die wenigen Tage dahin, wie Sekunden, die Sebald bei dem Gastwirth zum Vollmond vermöge des Auftrags des alten Wolling zu verweilen dachte. Zwar meint er nur wenige Stunden wären hinlänglich, dem noch damals unbekannten Gastwirthe die traurige Todesnachricht zu bringen, um sogleich von da nach Wallingau zu Salassins Eltern zu fahren; aber die unvermuthete Entdeckung seines Vaters machten aus acht Stunden, acht Tage frohe, selige Tage, von denen der letzte schon erschien, ohne daß sie begreifen konnten, wie die sieben andern so schnell verträumet wären.

Endlich brachen sie auf. Selbst Jehnsen übergab seine Geschäfte der Obsorge seines treuesten Dieners, und sie kamen bald in Wallingau an, wo eine zahlreiche Gesellschaft versammelt war.

Fünftes Kapitel.
Jillas Eltern.

Jilla trug das goldne Kreuzchen am Halse, sie hatte sich einfach gekleidet, aber um so reizender war sie. Ein kleiner Zug der Trauer über des Vaters unvergeßlichen Tod im blühenden Gesichte, das sanfte Lächeln, das Heiterkeit lächelte, wenn man sie noch zu trösten bedürftig fand, ihre Grazie — alle Herzen wurden ihr sympathetisch angezogen.

Als sie vor dem Schlosse Wellys, in Wallingau aus dem Schiffe stiegen, erkannte der Graf Sebalden sogleich, und bewillkommte ihn mit offnen Armen. Die ganze Gesellschaft (worunter natürlich auch Bengler und Lolly war) die sich eingefunden hatte, um Wellyn und Jadillen zu dem Ruhme ihres Sohnes, der wie ein Lauffeuer sogleich im ganzen deutschen Lande verbreitet war, ihre theilnehmende Freude zu bezeigen, folgte dem Grafen hinab in den Schloßplatz, und begrüsten die neuen Gäste.

Bengler war eben aus dem Garten gekommen, und mischte sich schnell unter das Gedränge. Er erblickte seine Tochter Lolly aus dem Luftschiff steigend, und fragte hastig: Blitzmädchen, wie kommst du aus dem Schiffe? — Aber Jilla lachte etwas laut — über Benglers Ausruf, der sie für seine Lolly hielt, und sich vor die Stirne schlagend lächelnd rief: „Ey der tausend! Hab ich doch selbst meine Tochter verkannt, was denn also Salassin, wenn er dich Sebalden in der dunkeln Laube mit dem Mädchen da erblickte! Nun verzeih ich ihm den Irrthum schon gar! —“ Man lachte über Benglern und jeglicher schwur, als Jilla und Lolly beisammen standen, nie habe die Natur zwei ähnlichere Blumen gezeugt.

Die Gesellschaft unterhielt sich lange mit der seltnen Erscheinung: es wurde geschäckert, erzählt und — kurz die Gesellschaft unterhielt sich so gut, als sich ein solcher Kranz froher Menschen unterhalten kann.

Von der Gesellschaft hinweg stahl sich Jilla mit Sebalden, und wandelten lieber im freieren Parke. Der Herbst schmickte bereits das Laub der Bäume mit bunten Farben: in leichten Regen rieselten von fruchtbeladenen Aepfeln u. Birnbäumen die Blätter; die Grashalme rauschten welk und falb im kühlern Wind, des Gartens Schmuck starb allmählig, und die Schasmin und Fliederlauben verbargen, des Laubes beraubt, die Liebenden die darin kosen wollten, kaum mehr.

Es war einer der heitersten Herbsttage, die Sonne schien alle ihre Kraft und Wärme noch einmal auf die Erde zu strahlen, und die Schatten der Kastanienalleen waren heute so lockend, als im schwülen Sommer. Zu dem liebenden Paar gesellte sich bald darauf Wellys Gattin Jadilla mit Lolly, sie spazierten unter mancherley Gesprächen in den ziemlich verödeten Gartengängen, und blieben bei einer Kaskade stehen, die des Baches Wehr, der den Park umrieselte, machte. Die Aussicht war hier freier, man konnte weit durch ein Wiesenthal schauen, das eben dieser buschumränderte Bach mit schlängelnden Krümmungen zertheilte. Das Thal schloß sich an einen Hügel, der dem Dorfe zu ein Kastanienwäldchen und auf der andern Seite Birken und Kiefernschläge zeigte, die höhere Fichten und Tannen umgaben, und über welche hie und da eine falblichte Eiche ragte. Es war eben dieses Wäldchen, meine Leser, in dem sich einst Jadillchen verloren hatte.

Die jungen Leutchen blickten mit Vergnügen in die schöne Gegend; Jadilla hingegen sah mit merklicher Betrübniß dahin. Sie wand öfters ihre Augen von dem Wäldchen auf die Kaskade, und da die Andern etwas lange verweilten, und die liebliche Aussicht zu loben nicht satt wurden, stiegen Mutter Jadillen Thränen in die Augen, und eine leichte Blässe übergoß ihr Gesicht.

Was fehlt dir verehrte Jadilla! — sprach Lolly sobald sie das bemerkt hatte; die Gräfin faßte sich schnell und entgegnete: Nichts, meine Theure! Es war eine trübe Erinnerung, die mir jenes Kastanienwäldchen erregte.

Das Wäldchen dort am Hügel? Eine trübe Erinnerung? fragte Sebald und Jilla wechselseitig. Wie so?

Es sind fünfzehn Jahre vorüber, seit ich mit meinem Gatten einmal an einem heitern Frühlingstage dahin lustwandelte. Unsre beiden Kinder, Salassin, den du Sebald wohl kennest, und meine vierjährige Tochter Jadilla hüpften an unsrer Seite, und verfolgten Blumen und Schmetterlinge. Die kleine Jadilla verlor sich unvermuthet aus unsern Augen, und verlief sich im Walde. Ach! wir haben sie seitdem mit unsterblicher Trauer beweint, und so oft ich diese Gegend sehe, macht mich immer die Erinnerung bewegt.

Und hörtest du seit dem keine Silbe von dem verlornen Kinde? — fragte Sebald aufmerksam weiter.

Die Gräfin. All unser Forschen war vergebens. Die ganze brave Nachbarschaft half uns suchen, aber — vergebens. Wir fanden nicht die geringste Spuren von Jadillen, und es war uns auch alle Hoffnung benommen, sie einst wieder zu sehen; wir beweinen sie als todt.

Sebald starrte sinnig Jilla an, hielt alles was er vor dem Mädchen erfahren zusammen, und ward immer aufmerksamer je mehr er forschte. Wenn Jilla Jadilla wäre? dachte er, und eine nicht unwahrscheinliche Möglichkeit schien es ihm, seine Freude mahlte sie ihm stets ausdrucksvoller im Gesichte, seine Vermuthung ward immer gegründeter, jemehr er Jillas Begebenheiten vergliech, bis ihn endlich die Hoffnung zur Frage trieb:

Kannst du theure Gräfin, kannst du dich nimmer der Kleidung deines verlornen Töchterleins erinnern? Hatte es nichts von irgend einem Schmucke?

Jadilla entgegnete mit gespannter Aufmerksamkeit: Was bringt dich auf diese Frage: Hast du Vermuthung etwa gar? Nicht möglich, Salassin ist mit dir gleich an Jahren, und der war damals sechs Frühlinge alt.

Seb. Ich bitte dich — nur eine geringe Beschreibung der Kleiderstücke — vielleicht —

Die Gräfin. O täusche mich mit keiner so lieblichen Vermuthung, ach! — meine geheilte Wunde würde nur um so heftiger wieder bluten! Sie trug ein himmelblautafftnes Oberröckchen mit rosenrothen Schleifen und ein goldnes Kreuzchen als Halsgehänge.

Seb. (mit kaum zurückhaltender Freude) und hieß Jilla?

Die Gräfin. Jadilla — sie selbst lallte ihren Namen nicht anders als Jilla — Sebald was hast du vor? — du zitterst —

Seb. Vor Freude (Er führt Jilla zur Gräfin, und zeigte auf das goldne Kreuzchen) Kennst du —

Die Gräfin erschrak, daß sie halbohnmächtig wankte — das ist Jadillas —

So ist dies Mädchen deine Tochter — Jilla! deine Mutter! O der seligen Ueberraschung! — rief der wonnetaumelnde Sebald, und die Gräfin drückte sprachlos ihre wiedergefundene Tochter, ihre langbeweinte Jadilla an ihr hochschlagendes Herz. Jilla wußte nicht wie ihr geschah, noch weniger ihre Mutter. Sebald und Lolly weideten Aug und Herz an der schönen Scene, lange dauerte es eh sich das Entzücken in Worte ergoß.

Wie ist das möglich gewesen? — erholte sich endlich die Mutter Jadilla, und hieng noch in Jillas Armen, Sebald erklärte das, so viel er von dem sterbenden Wolling vernommen, vermuthet und errathen hatte, und was unsre Leser bereits aus dem Kapitel des ersten und dem Kapitel des dritten Abschnittes wissen. So zielten dahin meine süssen Ahndungen, dies unwillkührliche Wohlgefallen, diese entlockte Zuneigung das unverwendbare Aug, als ich dich unbekanntes Mädchen zum erstenmal sah? — sprach die Gräfin, und seit fünfzehn Jahren röthete zum erstenmal wieder ihre Wange vom Hochroth der längstentbehrten Wonne. So hab ich doch nicht meine leise Hoffnung umsonst genährt — o meine Jilla — meine Tochter! — fuhr sie fort, und ergab sich dem lautesten Ausbruch der Freude.

Inzwischen war Lolly zur Gesellschaft gesprungen, und sprach schäckernd zu Welly dem Grafen, als sie ihn auf die Seite gewinkt hatte: Wie lohnst du mich Welly, wenn ich dir eine recht fröhliche Nachricht gebe?

Kann Lolly so eigennützig seyn? entgegnete Welly lächelnd.

Lolly. Ja — ohne Botenlohn thu ichs einmal nicht, und denke nur — denke — du wirst vor Freude nicht wissen was du beginnen sollst!

Welly. Das muß ja gar eine erschrecklich fröhliche Nachricht seyn!

Lolly. Je nu — scherze nicht! scherze nicht! Wer weiß ob du vor Freude nicht zitterst, daß dir der Weinbecher aus der Hand fällt! Denke nur — denke!

Welly. Ey, so sprich doch, Schäckerinn! Spanne meine Neugierde nicht länger —

Lolly. Erst der Lohn — der Lohn —

Welly. Nun so fodre! Mein Bestes, mein allerliebstes Gut —

Lolly. Auf dein Ehrenwort?

Welly. Je nu — was will ich denn gegen dich machen? Nun also — ist vielleicht — Salassin da? oder zieht wenigstens aus dem Kriege zurück?

Lolly. O gehe doch! Das ist ein Mondstrahl gegen die Sonne selbst! Etwas viel, viel angenehmeres!

Welly. Schäckerinn, du übertreibst — Ich habe sonst keine Hoffnung zu einer frohern Nachricht! So sprich doch einmal — kläre auf — dein Lohn — je — was hältst du denn für mein bestes Gut?

Lolly. Dich selbst!

Welly. (lachend) Du wirst mich doch nicht fodern wollen?

Lolly. Also den größten Theil deines Ichs!

Welly. Und der wäre? —

Lolly. Salassin!

Welly. Hier ist meine Hand! Ein Wort ein Mann, Lolly! Wie klug deine Sache du verstehest! Mädchen, du wärst ein trefflicher Advokat! Doch — die Nachricht?

Lolly. Komm, komm geschwind in den Park —

Welly. Die fröhliche Nachricht erst —

Lolly. Dort hörst du sie —

Welly. Hier erst — hier, nicht dort!

Lolly. Deine — Jadilla ist gefunden!

Welly. (etwas empfindlich) Lolly, dein Scherz that wehe!

Lolly. Ey was Scherz — voller Ernst — Sebalds Verlobte ist deine Jadilla — doch sieh, Zauderer! da kommen die Beglückten schon!

Meine Tochter! Jadilla — sie ist gefunden! — stürzte die Greisin auf den erstaunten Welly zu, indem sie Jilla bei der Hand hielt, die den freudezitternden Vater umschlang. Unter den Gästen war eine frohe Bewegung, alle nahmen Theil, und drängten sich an die herrliche Gruppe.

Sagt ichs nicht! — fieng endlich Lolly an — Sagt ichs nicht Welly du würdest vor Freude zittern?

Aber wie hätt ich mir so etwas träumen sollen? — erwiederte Welly. Sebald du hast unsrer Wonne die Krone aufgesetzt! Zum Dank nimm dir sie die du uns gegeben hast! — Er legte Jillas Hand in Sebalds, und die Beiden umrankten sich mit ihren Armen, wie sich zwei Reben um den Ulmbaum schlingen, um den Vater. Die Gäste, alles in Wellys Schlosse war in der lebhaftesten Bewegung; sie feierten dieß Fest einige Tage lang.

Nun ward alles erzählt, was Jilla betraf. Jehnsehn erstaunte froh, in dem Mädchen das vor 15 Jahren seine verunglückte Mutter, als sie unvermuthet in seinem Gasthofe mit der damals erst lallenden Jilla eingekehrt war, erst für sein eigenes Schwesterchen ausgegeben hatte, nun in diesem Mädchen Wellys Tochter und seines Sohnes Braut zu finden, und trug sein Schärflein Wissen zur weitern Erläuterung ihrer Geschichte bei, und es war nicht schwer sich ganz zu überzeugen — daß Jilla die verloren gewesene Jadilla sey.

Sobald Salassin — mit seinem Lorberkranz zurückkommt, feiern wir ein doppelt Hochzeitsfest — rief Welly und Bengler.

Ein Dreifaches! — setzte Jehnsen hinzu, und nahm seine Marlon bei der Hand! Uns hat ebenfalls noch des Priesters Band nicht umschlungen! — Man fragte um Jehnsens Geschichte, die er erzählte.

Wahrhaftig, sprach Bengler — als man mit den Erzählungen allenthalben fertig war — Wahrhaftig das sind der Freuden gar zu viele! Fast wünscht ich einmal wieder etwas bitteres zu geniessen. Das immerwährende Süsse wird beinahe unschmackhaft.

Kaum hatte dies Bengler ausgeredet, als des Dorfes Pfarrer unter die Gesellschaft trat, und nach einigen Grüssen sich zu Welly wandte.

Mein Graf! Eben sind zwei verwundete Krieger in unser Dorf gebracht worden. Sie empfingen die Wunden in jener Schlacht, die dein Sohn für das Vaterland erkämpfte. Ich fragte sie nach Salassin, und der Lage in der itzt unser Kriegsheer stehe. Sie antworteten, es sey Friede mit dem Feinde, die Armeen wären schon im Heimzuge, in 8 Tagen würde das Friedensfest gefeiert werden.

Und was sagten sie von Salassin? — versetzte Graf Welly hastig, Lolly horchte bei dem lieben Namen hoch auf, die Hälfte der Gäste schlossen einen Kreis um den ehrwürdigen Priester, der fortfuhr:

Sehr viel Rühmliches, aber auch eine Nachricht, die — du gefaßt ertragen must. Salassin, sagten sie, ist von dem Heere abgegangen. Niemand wisse wohin?

Ha! — unterbrach Bengler die Erzählung. Wird uns doch einmal wieder eine bittre Speise aufgetischt? Das Konfekt wird dann um so besserer behagen!

Das ist nur gar zu bitter! — meinte Lolly.

Muß man denn aber, wenn das Süsse zu häufig da ist, von allen so viel geniessen, daß man hernach den Geschmack daran verliert? — dachte Sebald.

Der Greis fuhr in seiner Erzählung fort:

Daß den Tag darauf, als sie fortgeschifft wurden, im ganzen Lager es verbreitet gewesen wäre, der tapfere Salassin sey in ein fremdes Land gereiset. In acht Tagen, wie gesagt, ist das Friedensfest, der Kaiser kömmt in 10 Tagen in die Residenz an.

Die von so vielen Freuden gespannten Sehnen der Anwesenden erschlaften ziemlich durch diese Neuigkeit.

So soll ich Salassin wieder sobald nicht sehen? — meinte Lolly, und schlich auf die Seite.

Trübt er sich denn immer selbst seine Lebensquelle? — dachte Welly.

Ist er von seinem Wahn denn noch nicht geheilt? — sprach Sebald für sich.

Nun wird unser Vermählungsfest ziemlich noch fern seyn! — flüsterte Jilla zu Sebalden.

Ach das ist verzeihlich! Er weiß ja von der Sache mit dir lieber Sebald, noch nichts tröstliches. Rief halb laut Bengler zu diesem. Seyd gutes Muths er ist ja darum noch nicht aus der Welt! Wir bändigen Wildfang gewiß! — sprach er laut zu dem verstummt um ihn stehenden Zirkel, ergriff den Festpokal und rief: Es lebe der wackere Salassin!

Er lebe! er lebe! — erklangs sogleich in dem Saale, und der Eindruck des Unangenehmen ward schwächer, durch Benglers vergnügenbewirkendes Beispiel. Bald ward wieder die halbentflohene Heiterkeit an jedem Gesichte, die unangenehme Nachricht endlich fast vergessen, und man erzählte sich wie vorher.

Zum Friedensfeste fahren wir in die Residenzstadt! fieng Bengler an, als der Kranz fröhlicher Menschen sich späterhin trennte.

Zum Friedensfest in der Residenzstadt! — wiederhallte es, und der Kranz zerriß sich.

Sechstes Kapitel.
Der Zurückzug der Sieger.

Wir lassen sie hier indessen sich rüsten zur Abreise von Wallingau, und kehren in das Lager der tapfern Kämpfer. Haben wir doch Salassin schon lange nicht begleitet. Was macht er? Sind seine Wunden geheilt? Ist er wirklich fort von dem Heere in ein andres Land, oder hat ihn die Bedenkzeit, so ihm der Kaiser gab, zum bessern Entschlusse gestimmt?

Das sind zu viele Fragen auf einmal meine Leser! Ich will erst Athem schöpfen und dann antworten.

Salassin ist noch im Lager. Seine körperlichen Wunden sind vernarbt, und schmücken die hohe Stirne; aber — mit seinem Herzen ist er noch immer im Kampf, wo er sich selber noch manche neue Wunde schlägt.

Seine unvertilgliche Liebe zu Lolly und seine nicht minder starke Freundschaft für Sebald, den er mit seiner eignen Aufopferung mit Lolly glücklich wissen will, trieben ihn durch die gefährlichsten Reihen Soldaten in die Schlacht, wo der Tod alle seine Kraft verstürmte.

Anfangs der erwähnten großen Schlacht stritt er — das muß ich zu seinem Anlobe gestehen — nicht sowohl aus Vaterlandsliebe so tapfer und entschlossen, er suchte den Tod und Ruhe für den Sturm seines Innern zu finden; aber der gefoderte Tod maß sich mit Salassin nicht. Als er aber von der Gefahr des Kaisers benachrichtigt wurde, vergaß er seinen Wunsch, und das Wohl des Vaterlands schwebte ihm hängend an einem Haare vor seiner Seele. Hier focht er ein rasender Roland, für seine Pflicht, und ward durch den herrlichsten Sieg durch den glänzendesten Ruhm belohnt, daß man nur ihm die Rettung des Monarchen verdankte.

Kaum hatten die gänzlich geschwächten Feinde demüthig, und mit unendlichem Verluste um Friede gebeten, kaum waren die Gesandten aus dem Zelte des Kaisers zurück mit dem abgeschlossenem Friedenskontrakt in ihr Land, als Salassin den Monarchen, mit der jenen unerwarteten Bitte um Entlassung vom Heere sich meldete.

Warum? — fragte ihn verwundernd der erlauchte Monarch, und Salassin konnte nur schwache Gründe entgegensetzen. Als die Stunden die ihm zur Ueberlegung überlassen waren, verschwunden, und Salassin wieder im kaiserlichen Zelte um seine Entlassung bat, begann der Kaiser:

„Wohlan! Da beharrest bei deinem Entschlusse?“

Salassin stand erschüttert, unentschlossen ob er gehen solle oder nicht. Der Monarch fuhr fort:

Du bist entlassen.

Salassin fühlte die Bitterkeit dieser kurzen Rede, er wankte, aber bei der Erinnerung an seine Freunde, stand Sebald und Lolly vor ihm, und — er taumelte unwillkührlich aus dem Zelte.

„Verweile noch! — sprach der Kaiser: Salassin! Noch eins! Eh du das Lager verläßt.

Mein Monarch! — rief Salassin niedergedonnert, und sank vor der Majestät nieder —

Wenn es dich so viel kostet, in deinem Vaterlande auf den Lorbern des belohnten Ruhms zu ruhen, wenn es vielleicht dein eigen Wohl gälte — dann fodre ichs nicht. Aber nur einen Tag genüsse die Früchte des Friedens in der Residenzstadt, dann geh du hin, wohin jenes Gewitter deines Innern dich jagt, so du für gut findest mir zu verbergen.

Salassin begab sich verwirrt in sein Zelt.

Der zum Aufbruch bestimmte Tag dämmerte, und das Heer brach unter wiederhallenden Musiken das Lager ab. In wenigen Tagen glänzten die vergoldeten Thurmspitzen der Residenzstadt den Siegern in die Augen, auf viele Meilen kam das Volk laut frohlockend entgegen, und begleitete sie in die wimmelnde Stadt.

Siebentes Kapitel.
Der Flüchtling in der Jammerburg.

Aus allen Provinzen Germaniens waren Menschen nach der Stadt gereist, um den Helden und die beneidenswürdigen Sieger zu sehen. Ein undurchdringliches Gemenge der Menschen regte sich auf den Plätzen und in den Strassen, wo das Heer durchziehen sollte. Alle Fenster waren gefüllt mit Menschen, und Bäume der Alleen in den Gässen und die Dächer der Gebäude trugen Zuschauer, die voll der gespanntesten Erwartung ihre Blicke dahin hefteten, wo die Tapfern zogen.

Im tellmannischen Pallaste waren die Wallingauer und ihre Freunde, mit klopfenden Herzen und unaufhörlich forschenden Augen den geliebten Helden zu ersehen; denn sie bezweifelten, daß Salassin das Heer doch verlassen habe, wiewohl sie keinen andern Grund dazu hatten, weil es ihre Herzen nicht glauben konnten, Salassin würde so übereilt seyn.

Die donnerngleich schmetternden Trompeten und Pauken erhallten und schallten endlich in der ersten Strasse beim Thore, das Volk rief laut sein kosendes Willkommen! Es lebe der Kaiser! Es lebe der Held!

Die Musiken erklangen, und das Heer stimmte sein Triumpflied an, daß es wie ein Strom durch die Stadt sich wälzte:

Triumpf! Triumpf! Triumpf! Erschallt

Ihr Siegeshymnen tönt und hallt

Durch Lüfte hoch empor!

Der vor den Feinden uns erhob

Dem Gott des Sieges Ruhm und Lob

Erhalle Jubelchor!

Triumpf! Erklinge Liederklang!

Wir ziehen unter Jubelsang

In unser Vaterland!

Um unsre Häupter grünt das Reiß

Vom Eichenbaum, der Helden Preis,

Der Tapferkeit Gewand!

Wir standen in dem Schlachtgewühl

Ein Fels im Wogenschaumgespühl

Und standen fest und kühn.

Die Brust vom hohen Muth geschwellt

Ein Gott war unsers Kaisers Held,

Er schlägt, die Feinde fliehn!

Sie fliehn zerschlagen durch die Fluth

Der Brüder schwarzgeronnen Blut,

Ersiegt ist Heil und Ruh!

Wir kämpften ja in Gottes Sold,

Der Tapferkeit mit Siegen zollt,

Uns floß sein Segen zu!

Triumpf! Wir kommen im Gewand

Der Sieger heim ins Vaterland,

Wo unsre Lieben sind!

Mit doppelt hohem Brustgefühl

Vertauschen wir das Schlachtgewühl,

Und unser Friede grünt!

Triumpf! Triumpf! Triumpf! Erschallt

Ihr Siegeshymnen, tönt und hallt

Im Vaterland empor!

Der vor den Feinden uns erhob,

Dem Gott des Sieges Ruhm und Lob!

Erhalle Jubelchor.

So sangen die Helden in den wiederhallenden Klang der Kriegsmusiken, und das Volk stimmte mit ein.

Der Kaiser mit den vornehmern Führern voran, das Heer nach über den großen Platz zur Residenz des Monarchen, an den sich die lärmende Menschenmenge unaufhörlich mit dem lauten Ruf ihres Jubels drängte.

Schon zog der letzte Trupp in schöner Ordnung bei dem Fürstenpallaste Tellmanns vorüber, und noch hatten die Freunde Salassins vergebens ihre Blicke in die Glieder des Heeres gelenkt. Salassin schloß mit einem zweiten Theil der vornehmern Offiziers den ganzen Zug.

Alle wähnten nun sicher und gewiß: Salassin ist doch fort! Der Kaiser ritt voran, und wenn Salassin das Heer nicht verlassen hätte, warum wäre er denn nicht an der Seite der Majestät, als ein so berühmter Held? — So glaubten die Guten und zogen traurig die Blicke zurück, als sie im Gefolg des Monarchen den Ersehnten nicht gesehen hatten.

Nun spähen wir schon vergebens! — rief Jadilla an Wellys Seite, und drehte sich vom Fenster.

So hat ihn doch sein Sturm in die Fremde verschlagen! — sprach Bengler!

Ach! — Wenn er mich so liebte wie ich ihn — er wäre gewiß da! — seufzte Lolly traurig, und sah noch ganz allein auf den Zug hinab.

Aber welch ein süsser Schrecken übergoß plötzlich ihre blassen Wangen mit Morgenröthe, als der letzte Trupp näher rückte, und Salassin in der Mitte der Offiziers auf einem stolzwiehernden Fuchse ritt! Ihr lautes Freudengeschrey: Salassin! Salassin! riß schnell alle wieder zum Fenster, und die Freunde erblickten ihn endlich. Er saß sinnig in sich gekehrt auf dem Pferde, und schien des Volkes Geschrey nicht zu hören, nicht zu sehn das Gedränge um ihn, und das Winken der Freunde, der Eltern, und Geliebten.

Ach! — sein kämpfendes Herz befürchtete nur zu sehr, wie wehe es ihm werde, blickte er auf den tellmannischen Pallast, und sähe Lolly mit Sebalden da!

Dem Himmel sey Dank! Da ist er doch! — riefen die Versammelten und schwammen in Entzücken.

Wie traurig er auf dem Pferde sitzt! Er sieht nicht einmal her auf uns. Er hört unsre Grüsse nicht! Sprachen sie wechselweise, und Lolly lief von einem Fenster zum andern.

Endlich stand der Zug grade vor Tellmanns Fenstern. Salassin war in der regesten Bewegung. Er warf einen flüchtigen Blick auf den Pallast, und — wäre beinahe vom Gaule gesunken; denn Jilla lag neben Sebald im Fenster, er hatte diese sogleich erblickt, und die ungemeine Aehnlichkeit mit Lolly machte, daß er nun für ganz gewiß ihn mit Lolly glücklich und eins hielt.

Wie von Donner gerüttelt ermannte er sich, spornte das Roß, und gallopirte aus der Reihe heraus der kaiserlichen Residenz zu, mit dem festen Willen, sogleich die Stadt und das Land zu verlassen.

Noch war der Monarch mit dem herum sich drückenden Volke beschäftigt, das ihn Salassins Worte gar nicht einmal hören ließ, als Salassin Pflicht vergessend fortrannte, um durch das erste beste Thor in das Freye zu kommen.

Seine hitzige Eile machte alles aufmerksam — Ein grosser Theil sah ihm nach, der größere drängte sich an ihn, hielt ihm des Pferdes Zaum und er mußte halten. Zwar that dies das Volk blos aus leidenschaftlicher Begeistrung, das den Retter des Vaterlandes vergötterte, und Salassin hatte Mühe das nächste Stadtthor zu erreichen.

Wohin? — fragte der Thorsteher, und hielt den Zügel des Pferdes mit Mühe.

Salassin spornte den Renner, und wollte gewaltsam durchdringen. Jener winkte und die Thore schlossen sich.

„Nicht weiter! Wir dürfen heute Niemanden herauslassen.“

„Ich bin Salassin.

„Schon gut! So muß ich meinem Befehle gehorchen, und dich in dieses Gebäude da führen.“ Er zeigte auf ein nahes Haus.

Mich? Warum? —

Der Thorsteher wies ihm des Kaisers Handschrift, und Salassin mußte sichs gefallen lassen, ihm zu folgen.

Im Vertrauen — begann sein Verhaftsnehmer, als er den Helden in ein ganz artiges Zimmer geführt hatte — Du wirst bald in Freiheit kommen. Sey so gut und bleibe hier — mein Leben haftet für dich — Du sollst alle Bequemlichkeit haben. Bis ich es dem Kaiser vorgezeigt habe, nur so lange verhalte dich da —

Es ist ohne Zweifel zu deinem Besten gemeint. Ich zeig es sogleich an.

Salassin warf sich in einen Sessel, und war zufrieden, wenigstens allein, und ungestört von allem, was ihm lästig fiel, worunter sogar des Volkes Freudenäußerungen waren, mit sich selbst zanken zu können.

So eben war der Monarch in den Gesellschaftssaal der Residenz getreten: Tellmann und seine Gäste nebst unzähligen Andern Edlen standen da, als der Thorsteher mit einem Papiere in der Hand hereintrat, und es Tellmann als dem Vorsteher der Polizey zur Seite gewinkt ins Ohr flüsterte, was mit Salassin vorgegangen war.

Warte nur! Du Wildfang! sprach Tellmann für sich. Du sollst uns entschädigen für die Streiche, die du machst. — Er theilte den Vorfall seinen Freunden mit, mit denen er bald darauf den Residenzsaal verließ.

Alle brannten vor Begierde, den geliebten Flüchtling einmal wieder zu umarmen; am meisten was am wenigsten zu verargen ist — Lolly.

Mädchen überzieht euch geschwinde! Aber ihr müßt Beide so ähnliche Kleider nehmen als ihr nur immer habt! Wir wollen uns zu gutem Ende mit dem Erstaunen Salassins ergötzen. — So sprach Tellmann, und Lolly und Jilla thatens. Sie kleideten sich einfach und kunstlos, ein blaues Gewand mit rosenrothen Schleifen, Herbstveilchen im natürlich gelockten Haare — kurz mit dem Zauber der Grazien geschmückt standen die Mädchen da, ähnlich daß ihren Eltern beinahe schwer zu rathen wurde, welches Jilla, welches Lolly sey.

„Ihr fahrt in dem Wagen, der hier unten vorm Pallaste steht — fuhr Tellmann fort, als die beiden Anadyomenen fertig waren — dahin wo der Kutscher euch führen wird. Das Zimmer, wo Salassin ist, wird man euch deuten. Ihr überreicht ihm diesen Verhaftsbefehl, und bringt den unbändigen Flüchtling in der Kutsche hieher. Doch die Fensterchen müßt ihr verschliessen, und wann er aussteigen soll, ihm die Augen verbinden. Nur stellt es hübsch klug an, und macht als kenntet ihr ihn nicht!“

Die Beiden fuhren dahin, das Zimmer ward ihnen gezeigt, sie traten hinein als Salassin eben in einer schwermüthigen Stellung Lollys Bildniß, das er damals mit forttrug, als er in den Krieg zog, in seinen Händen hielt. Eine Thräne stand dem Helden im Auge, und er drückte das Bildniß an seinen Mund.

Er erschrak bei dem Anblick der beiden Grazien so sehr, daß er das Bild aus den Händen fallen ließ.

Leb ich in einer Feenwelt? stotterte er vor sich hin, unentschlossen ob er ihnen entgegen kommen sollte oder nicht.

Wie nach einem Traumbild, das seine ganze Seele mit magischen Zauber verwirrte, streckte er unwillkührlich seine Arme aus; aber zog sie eben so schnell zurück, denn hier waren zwei Mädchen und eine nur konnte Lolly seyn, wenn es ja nicht etwa gar Geister sind.

Die Mädchen kicherten halb laut auf einander, als sie Salassin in seiner Verlegenheit sahen. Er starrte sie an, wie ein Träumer, der sein Traumbild plötzlich, wenn er erwacht, in Wirklichkeit sieht.

Kommt ihr aus den Gefilden der Feenwelt, Mädchen! — fieng er endlich lächelnd an, als er sich von seinem Erstaunen erholt hatte: Die Mädchen blieben stumm. Nehmt mich auf in eure seeligen Fluren! Wer seyd ihr? Schwebt ihr hernieder aus Griechenlands Götterthum, oder aus Geßners Hirtenwelt? Führt mich, führt mich dahin woher ihr kommt! Wer seyd ihr?

Jilla wies schalkhaft auf Lolly, und diese auf jene, als wollten sie sagen, ich bin sie, und sie ist ich.

Redet, redet — fantasirte Salassin trunken vom Zauberwein der schönen Empfindung fort — Redet — wo bin ich? Oder könnt ihr nicht sprechen?

Lolly hatte das Bildniß, so Salassin aus der Hand fallen ließ, aufgehoben, zeigte es Jillan und warf einen Blick auf den wirren Salassin, als wollte sie fragen, wer das sey?

Das bist du — antwortete Salassin, indem er auf Jilla zeigte, welche das Köpfchen schüttelte, und auf Lolly wies.

O so mußt du es seyn! — wandt er sich nach Lolly, die lächelnd nickte. Mit herzlichem Ungestümm wollte sie Salassin umarmen, aber sie sträubte sich mit erborgten Unwillen von ihm, und zog den Verhaftsbefehl aus dem Busen.

Salassins Augen verschlangen das Papier, das er kaum durchlesen betäubt fallen ließ.

Ich als ein Flüchtling gegen des Monarchen Gebot in die Jammerburg? Beim Himmel, fast glaub ich, mein Verstand ist dahin! O bringt mich, bringt mich nur immerhin in dies Gefängniß — wenn ihr mir zur Seite bleibt, dann bin ich der seligste der beneidenswertheste Wahnsinnige.

Die Beiden lächelten und verbanden ihm die Augen, führten ihn in den Wagen, und rollten fort in den tellmannischen Pallast, wo alle mit unbeschreiblicher Spannung harrten.

Endlich kamen die Mädchen mit dem Flüchtling zurück, die Thüre öffnete sich, und sie führten den Augenverbundenen Salassin auf den Gesellschaftssaal, wo Welly und Jadilla, Bengler, Jehnsen und Marlon mäuschenstill saßen, und trotz der stürmenden Wonne, die ihnen im Innern arbeitete, kaum freien Athem schöpften, um Salassin nicht zu verrathen, daß er unter mehrern Menschen sich befände.

Als er in der Mitte des Saals stand, erhob sich Bengler, und sprach mit verstellter Stimme:

Junger Mann, diese Wohnung sey dein künftiger Aufenthalt! Du handeltest wider das Gebot deines erhabenen Monarchen, man hat Beweise von deiner Narrheit — hier wirst du dein Leben verbringen.

Ich bins zufrieden — antwortete Salassin mit etwas ernsthafter Stimme — Nehmt mit nur die Binde ab, damit ich doch meine Wohnung sehen kann.

Beng. Gleich! Deine Freiheit hast du gesezmäßig verloren — du wirst zwar alle Bequemlichkeiten des Lebens hier finden, aber aus diesem Gefängnisse kömmst du nie heraus. Des Monarchen Großmuth giebt dir überdies eine von den beiden stummen Führerinnen zur Pflegerinn, damit du bei ihrem Anblicke für das gestraft werdest, was du gegen Lolly deine ehmalige Geliebte verbrachst.

Sal. Das ist eine grausame Großmuth!

Beng. Nicht wieder voreilig! Bist du zufrieden mit dieser Strafe? Willst du nimmer entweichen diesen Banden, so dich jetzo umschlingen?

Sal. (den Lolly ihren Armen umschlang) Was bleibt dem Gefangenen übrig!

Beng. (Indem er Salassin die Binde vom Auge nimmt) Nun bleibe lebenslänglich in dieser Gefangenschaft.

Die Binde fiel ihm von den Augen, und Lolly hielt ihn in ihren Armen, indem sie sich zärtlich an ihn preßte, und Salassin! mein Geliebter! rief.

Sprachlos stand Salassin, die Ueberraschung tödtete alle Worte, er warf einen Blick auf die aufstehenden Freunde, und schloß Lolly in seine Arme.

Noch immer fand er die Sprache nicht, als seine Mutter und sein Vater und die Andern ihn brünstig umhalsten. Eine marmorne Bildsäule stand er da, als fühlt er nichts, als wäre das Bewustseyn auf immer entflohen.

Endlich erholte er sich, und eine heiße Freudenthräne rann über seine blasse Wange als Sebald ihn an sein Herz drückte. „Mein Sebald! vergieb! ich that dir Unrecht. Ja hielt dich mit Lolly einverstanden, und wollte mein Vaterland auf immer fliehen!“ So sprach er und nun — bricht die Urkunde aus dem Archiv der Zukunft ab, vermuthlich sah der Autor ein, daß seine Feder eben so schwach wie die meine sey — alle die herzlichen Ergüssungen der namenlosen Freuden zu schildern, die hier jegliches Herz, wie die Frühlingssonne die verjüngten Gefilde durchstrahlten; wie Welly und Jadilla dem Bruder die Schwester, die er einst in der Fieberfantasey der Liebe in Sebalds Armen für Lolly hielt, zuführten; wie Salassin erstaunte, als man ihm alles enträthselte.

Soviel als ich vermuthen kann, dachte von itzo an Salassin nie wieder nach fremden Ländern zu fliehen, und es war ihm in der That wunderlich und banger zu Muthe als in der gefährlichsten Schlacht.

„Kinder!“ — sagte Bengler lächelnd — „Wenn euch des Priesters Band wird umschlungen haben, irrt euch ja nicht einmal mit den Weibern. Du Salassin, daß du nicht Jilla für Lolly, und du Sebald, daß du nicht Lolly für Jilla in die Schlafkammer führst.“

Ende.

Epilog an meine Leser.

So weit war die Geschichte dieser Familie in dem Buche der Zukunft erzählet. Noch so manche Andere ist darinn beschrieben; erst will ich aber abwarten, ob mich ein süsses Beifallächeln meiner Leser aufmuntern wird, meine Mühe nicht unbelohnt zu verwenden. Von Vergangenheit und Gegenwart erfährt man in tausend tausendmal Büchern, es war wenigstens meine Absicht gut, wenn ich auch sehr wenig geleistet habe, einmal ein etwas neueres Gerücht aufzutischen. Manchmal wagt man ja doch auch, einen Blick weiter voraus zuwerfen, und ich bin hinlänglich belohnt, wenn mir hie und da ein freundliches Lächeln sagt: „Dein Büchelchen ist doch kein fader, gespenster wunder und märchenstrotzender Ritterroman. Du hast uns in einem kleinem Bändchen das erzählt, was ein Anderer in drei Alphabeten geliefert hätte.“ Dann reut mich die Stunde nicht, die ich auf dieses Kind meiner Muse anwandte, und ich werde mich bemühen, den Beifall der Leser verdienter zu ärndten.

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Erster Abschnitt.
Seite
I. Kapitel. Blicke in die Zukunft. 5
II. — — Graf von Wallingau. 8
III. — — Der Spaziergang im Kastanienwäldchen. 12
IV. — — Auf Sonnenschein folgt Regen. 21
V. — — Der Gasthof. 28
VI. — — Die Abreise. 46
VII. — — Der Besuch. 56
VIII. — — Komm bald wieder zur Rosenfischerey! 71
IX. — — Die müden Wanderer. 81
X. — — Geschichte der müden Wanderer. 87
XI. — — Die Stadt. 95
XII. — — Das unvermuthete Wiedersehen. 99
XIII. — — Die Audienz. 104
XIV. — — Eine fürchterliche Begebenheit. 111
XV. — — Trennung. 118
Zweiter Abschnitt.
I. Kapitel. Fürst von Tellmann. 121
II. — — Eine Eroberung. 131
III. — — Das Bildniß. 140
IV. — — Das Gesellschaftshaus. 151
V. — — Die Bestellung. 154
VI. — — Die Portraitsvorzeigung. 169
VII. — — Das Abentheuer. 179
VIII. — — Das Aerndtefest. 185
IX. — — Die Einsiedeley. 190
X. — — Wohlthun bekäme bald übel. 203
XI. — — Die Erscheinungen im Lager. 219
XII. — — Unfall und Zufall. 227
XIII. — — Eine Nachricht aus der Heimat. 247
XIV. — — Die Verzweiflung. 258
XV. — — Begebenheiten. 270
XVI. — — Der neue Krieger. 286
Dritter Abschnitt.
I. Kapitel. Die Wahrheit in der Lüge. 296
II. — — Eine Hochzeit. 317
III. — — Eine Entdeckung. 336
IV. — — Der Gastwirth im Vollmond. 353
V. — — Jillas Eltern. 360
VI. — — Der Zurückzug der Sieger. 378
VII. — — Der Flüchtling in der Jammerburg. 383
Epilog an den Leser.

Anmerkungen zur Transkription

Die kräftig variierende Schreibweise, Grammatik und Interpunktion des Originales wurden unverändert beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):