The Project Gutenberg eBook of Einfache Erzählung von dem schrecklichen Absturze des Schrofenberges und der dadurch erfolgten Verwüstung bei Brannenburg im August 1851

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Title: Einfache Erzählung von dem schrecklichen Absturze des Schrofenberges und der dadurch erfolgten Verwüstung bei Brannenburg im August 1851

Author: Sebastian Dachauer

Release date: June 13, 2013 [eBook #42937]

Language: German

Credits: Produced by Iris Schröder-Gehring and The Online Distributed
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Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EINFACHE ERZÄHLUNG VON DEM SCHRECKLICHEN ABSTURZE DES SCHROFENBERGES UND DER DADURCH ERFOLGTEN VERWÜSTUNG BEI BRANNENBURG IM AUGUST 1851 ***

[Seite 1]

Einfache Erzählung
von dem
schrecklichen Absturze des Schrofenberges
und der
dadurch erfolgten Verwüstung
bei
Brannenburg
im August 1851.

Zum Beßten der Verunglückten.


(Aus dem Oberbayerischen Archive Bd. XIV. Heft 1 besonders abgedruckt.)

——————

München, 1852.

Druck der Dr. C. Wolf'schen Buchdruckerei.

[Seite 3] Südlich von Brannenburg, etwa 1000 Fuß höher als das Dorf, steht der niedrigste unserer Vorberge, der Schrofen genannt. Er besteht aus lauter Gerölle, und hinter ihm und in seiner Höhe mit ihm zusammenhängend ist ein tiefer Sumpf, das Bärnmoos, dessen Feuchtigkeit das vorstehende Gerölle lockert und zum Abfalle geneigt macht, und auch oft genug schon zum wirklichen Abfalle gebracht hat.[A] [Seite 4] Am Fuße dieses Berges ist eine kleine Ebene, genannt „die Schön“, die aber mehr einer steinigen Wüste gleicht, vielleicht vor mehreren [Seite 5] hundert Jahren schön und nur durch oftmalige Abfälle verwüstet ward; wenigstens deutet der Name „Sagbruck“ — eine nahe dabei befindliche schlechte Brücke — auf einen früher besseren Zustand dieses Terrains; denn wahrscheinlich kömmt dieser Name von einer Sägemühle, die einst an diesem Platze stand.

Durch diese kleine Ebene fließen zwei Bäche, der Saubach, der am Fuße des Schrofen heraus quillt, und von dem das Dorf Brannenburg sein Trinkwasser für Menschen und Vieh in Deichen herableitete, und der Kirchbach, der etwas mehr südwestlich von der Rampold-Alpe kömmt. Beide Bäche vereinigen sich nahe oberhalb der Sagbruck, und nehmen dann vereinigt den Namen „Kirchbach“ an.

Seit unfürdenklichen Zeiten ist man hier gewöhnt, größere oder kleinere Stücke des Schrofenberges abfallen zu sehen oder nächtlicher Weile zu hören, und das sonderbare Getöse eines solchen Falles hat schon Manchen nicht wenig Schrecken gemacht, besonders wenn man nicht an den Schrofen dachte, oder von dessen Abfällen nichts wußte. Die Tradition hat noch bis jetzt zwei große Abfälle dieses Berges im Andenken erhalten, den einen i. J. 1610, eben ein Jahr vor der Pest, welche unsere Gegend von Flinsbach, Tegerndorf, Brannenburg und Holzhausen fast ganz entvölkerte, den andern um das Jahr 1770, also gerade vor der bekannten großen Theuerung. Dieses letzteren Bergsturzes erinnert sich noch gut unsere alte 92-jährige Meßners-Wittwe, Annastasia Kiau, und wie man da mit dem hochwürdigsten [Seite 6] Gut in großer Prozession hinauf gegangen sei bis zum Hagerer, Gott um Abwendung der drohenden Gefahr zu bitten.

Anfangs Oktobers 1816, als die große Theurung (leider eine Wuchertheurung) eintrat, erlebte der Schreiber dieser Zeilen selbst einen ähnlichen Bergabfall, zwar nicht unmittelbar vom Schrofen, aber doch im nämlichen Berggehänge, nur einige hundert Schritte weiter südöstlich gegen den Bauerhof Hölnstein hinüber. Der wiederholte, oft heftige Regen jenes Jahres hatte das Erdreich in einer Sinke des Breitenberges ganz erweicht und eine ungeheure Masse Erde und Steine durch den tiefen und breiten Hölnsteiner Graben herab geschlämmt. Langsam, kaum dem Auge bemerkbar, bewegte sich die Schlamm-Masse die steile Höhe herab, und nahm Alles, was im Wege stand, mit sich fort; die stärksten Fichten, Tannen und Buchen von 2-3 Fuß im Durchmesser bog sie um, stürzte und brach sie dann mit fürchterlichem Gekrache. Allmälig kam die Masse durch den weiten und tiefen Graben herab in den Kirchbach und die Menge zerknickter Bäume mit den Stauden und größern und kleineren Steinen, die sie im Schlamme verborgen mit sich fortführte, verlegte in gerader Richtung von dem Lechnerbauer Hofe hinüber das Rinnsal des Kirchbaches, das nach und nach ganz bis oben angefüllt wurde, und es war sehr ungewiß, ob der Kirchbach seine Richtung nach dem Thale hinab behalten, oder gegen Brannenburg herüber nehmen würde. Zehn Tage stand die Masse drohend da; von Stunde zu Stunde schwoll das Wasser; — endlich hatte es sich selbst ganz unten am Boden eine Oeffnung gemacht, die schnell größer wurde; mächtig drang es durch und riß den Schutt mit sich fort; die Masse sank immer tiefer und das Wasser reinigte nach und nach sich selbst das Rinnsal, und die so drohende Gefahr ging damals ohne sehr große Verwüstung vorüber. So war's im Jahre 1816; schrecklicher aber kam es i. J. 1851.

Als wir am Ende des Monats Juli in den öffentlichen Blättern lasen, daß fast alle Flüsse Deutschlands ihre Ufer überströmten und schreckliche Verwüstungen anrichteten, und selbst der Inn unsere Gegend [Seite 7] weithin überschwemmte und gleichsam einen großen See bildete; da wünschten wir uns Glück in unserer höheren Lage und dankten Gott, daß wir von diesem Uebel verschont blieben und ahnten gar nicht, daß wir in wenigen Tagen von einer ganz andern Seite her ein ähnliches, noch schrecklicheres Ereigniß zu beklagen haben könnten.

Es war Samstag, der 9. August 1851, als die Bewohner Brannenburgs und der nächsten Umgebung das Getöse eines bedeutenden Absturzes vom Schrofenberge vernahmen; allein schon daran gewöhnt, machte man sich eben nicht viel daraus; nur unser jetziger Gutsherr Se. Excellenz Herr Fabio Graf Pallavicini[B] wollte sich die Sache besehen, und ging Nachmittags zum Schrofen hinauf. Er kam sehr bedenklich zurück und äusserte sich: „Es könnte schlimmer werden, als man meinen möchte.“ Für den folgenden Tag war die Abreise mit der Frau Gräfin nach Zinneberg festgesetzt.

Am Sonntag nach der Messe ging der Herr Graf nochmal zum Schrofen hinauf und kam mit dem Schreckensrufe zurück: „Da ist alle [Seite 8] menschliche Hülfe vergeblich, da kann nur Gott allein noch helfen!“ — Er beorderte alle seine Holzarbeiter und in seinen Dienste Stehenden an den Ort der Gefahr hinauf, dem Wasser und dem bereits abgefallenen Schutte die Leitung nach dem Rinnsale des Kirchbaches so viel wie möglich zu geben und zu erhalten. Dann reiste er mit der Frau Gräfin ab.

Indeß waren unsere Leute aus dem sonntäglichen Gottesdienste von Holzhausen zurückgekommen und erfuhren jetzt mit Schrecken die Größe der Gefahr des vorhin gering geachteten Absturzes; Alles eilte zum Schrofen hinauf. In der Nacht vom Samstag auf den Sonntag war der Absturz ungeheuer, und die abgefallene Masse, mit dem Wasser der Bäche vermengt, riß von der Waldung des Krappenbauers 2 Tagwerke sammt dem Grunde, auf dem sie stand, mit sich fort, und die hohen Bäume kamen theils stehend, theils umgeworfen, theils zum Falle sich neigend eine Viertelstunde weit herab, und verlegten in der Nähe der Sagbruck das Rinnsal des Baches, und als Folge dessen thürmten sich da ganz schnell zwei haushohe Haufen auf, wovon der größere, höhere gen Brannenburg herab, der andere näher am Rinnsal des Kirchbaches stand. Der unermüdeten Anstrengung sehr vieler Menschen gelang es zwar, das aus und neben den beiden Haufen ablaufende Wasser nach dem gewöhnlichen Rinnsale hinzuleiten; allein es war verhältnißmässig nur sehr wenig; bei weitem das meiste blieb in der Schuttmasse stecken, unterwühlte weit herum den Grasboden und erhöhte immer mehr und drohender die beiden Haufen.

Furcht, Angst und Schrecken hatten sich nun in der nahen Umgebung von Brannenburg verbreitet; es ward ein Eilbote an das kgl. Landgericht und an die Baukommission in Rosenheim abgesendet, und Abends ging in einer großen Prozession mit dem hochwürdigsten Gut, getragen von dem Ortspfarrer Herrn Wolfgang Schmid, die ganze Bevölkerung Brannenburgs und der umliegenden Ortschaften hinauf an den Gefahr drohenden Ort, um den Allmächtigen um Abwendung der bevorstehenden Verwüstung zu bitten.

Montags am frühesten Morgen war der kgl. Landrichter Herr Ebenhöch mit den HH. Baubeamten schon da, und ordneten Alles an, [Seite 9] was menschliche Wissenschaft und Erfahrung vermag; allein die Gefahr wuchs mit jeder Stunde, und es war gar nicht abzusehen, welchen Gang die ganz ungeheure Schuttmasse nehmen, ob gen Brannenburg, oder nach dem Kirchbach hinab, oder welchen Ausgang das schreckliche Ereigniß haben werde. Soviel war gewiß, daß entweder ein Theil des Dorfes Brannenburg oder das Dörflein Gmein verschüttet werden müsse. Dieses Dörflein liegt ganz in der Ebene und sehr nahe bei Brannenburg am Kirchbach, es hat eine Mühle mit Sägmühle und Oelstampf; die Müllerwohnung mit den Oekonomiegebäuden steht bedeutend höher als die Mühle; von da etwa 200 Schritte abwärts sind 5 kleine Häuschen, von denen 3 fast neu und niedlich und schön gebaut waren, auf dem rechten, und eines auf dem linken Ufer. Es wohnten lauter Handwerksleute darin.

Indessen dauerte der Absturz vom Schrofen, und die Anhäufung des Schuttes und die Aufstauung des Wassers den ganzen Montag und die folgende Nacht noch fort; die beiden Haufen an der Sagbruck wurden immer höher und drohender, und von der Sagbruck hinauf gegen den Schrofen und den Sulzberg hatte sich ein ungeheurer See gebildet, und neben den beiden großen Haufen hatte das abstürzende Wasser, gemengt mit Steinen und zerbrochenen Bäumen, ein sehr weites und tiefes Loch ausgewühlt in dem Rinnsale des Kirchbaches.

Den Bewohnern des Dörfleins Gmein wurde der Rath ertheilt, ihre Habseligkeit in Sicherheit zu bringen, was sie mit schweren Herzen, aber der Nothwendigkeit nachgebend thaten, und von entfernteren Nachbarn bereitwillige Aufnahme fanden. Am meisten zu bedauern waren die beiden Wittwen, die Schneiderin mit 5 Kindern und die Müllerin; diese letztere hatte erst 2 Jahre vorher großen Schaden an ihrer Mühle durch den Kirchbach erlitten, und durch Ausbesserung desselben sich in große Schulden versetzt; jetzt mußte sie alle 3 Mühlwerke abbrechen; denn obgleich oben am Berge die Hauptmasse noch fest stand, so häufte sich doch bereits der Schutt um die Mühle schon so sehr an, daß an der gänzlichen Verwüstung nicht mehr zu zweifeln war; für das höher stehende Haus war doch noch ein Rettungsschimmer da; allein es kam bald schlimmer. Das Dorf [Seite 10] Brannenburg hatte bis dahin noch keinen Schaden gehabt, als daß es sein Trinkwasser für Menschen und Vieh verloren; denn Schloß und Bräuhaus haben das Wasser von einer andern Seite her, und dieses ist für das ganze Dorf weit zu wenig.

Während ich am Dienstag Morgens oben an der Sagbruck das Schauerliche dieses Ereignisses betrachtete, war unser Herr Graf wieder angekommen, und sogleich hinaufgeeilt. Wir hatten uns umgangen, und als er Nachmittags vom Berge herabkam, beehrte er mich mit einem Besuche. Noch unter der Zimmerthüre fragte er mich hastig: „Wunderbar, wunderbar! Sie waren heute oben; haben sie die beiden Haufen ruhig stehen gesehen?“ — Ja! war meine Antwort; was ist wieder geschehen? — „Ich fand sie auch ruhig stehen; aber kaum war ich einige Minuten da, so hob sich der größere Haufe und bewegte sich bedeutend weit gegen den Weiher — gegen Brannenburg herab. Wir standen erschrocken und staunend da, und fürchteten das Schlimmste für Brannenburg. Da hörte auf einmal die Bewegung auf; der Haufe stand wieder ruhig da. Plötzlich erhob sich der ungeheure Haufe wieder, und mit einem Male war er wieder oben auf seinem vorigen Platze.“ Dieses hatte der Herr Graf und mit ihm viele Leute gesehen.

Durch diese ganz ausserordentliche Bewegung mußte das Innere dieses Haufens sich gelockert haben, Abends fing er an sich zu entleeren in das tief und weit aufgewühlte Loch an der Sagbruck und in das Rinnsal des Kirchbaches.

Der Absturz vom Schrofen in größern oder kleinen Massen dauerte fort; besonders stark war er in der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch, und am Mittwoch Morgens stand auch das dritte Tagwerk von der schönen hohen Fichtenwaldung des Krappenbauers in der Nähe der vorigen Sagbruck; durch die Gewalt der fürchterlichen Schlamm-Masse war dieses ganze Tagwerk ganz stehend herabgekommen sammt seinem Grunde.

Unermüdet arbeiteten die vielen Leute Tag und Nacht, um den Abzug des Schlammes nach dem Rinnsale des Baches hin zu erhalten, und die vielen herab gekommenen Bäume umzuhacken und fortzuschleppen. Sie wurden durch die Güte des Herrn Grafen — gleich [Seite 11] vom Beginn des Bergsturzes — mit Speis und Trank versehen. Das schwer bedrohte Dorf Brannenburg war für jetzt gerettet; aber um das arme Dörflein Gmein war es geschehen. Am Mittwoch war die Mühle schon bis an das Dach vom Schutte umgeben, und noch am selben Tage hatte das nette Holzerhäuschen das nämliche Schicksal; und in der darauf folgenden Nacht ward auch das Haus des Schuhmachers Veit fast ganz vom Schutte erdrückt. Bei dem nicht sehr schnellen Gange der Schuttmasse hatten die armen Leute noch so viel Zeit, aus ihren bereits geleerten Wohnungen alles Holzwerk bis auf den untersten Stubenboden fortzubringen. Auf Anordnung des königl. Landgerichtes waren von nah und fern Fuhrwerke gekommen, um bei diesem traurigen Geschäfte Hilfe zu leisten. Nur der Besitzer des ärmlichsten Häuschens, der Weber Alois Schrecker, hat im Vertrauen auf den Schutz des Allmächtigen sein Häuschen nicht geleert, sondern Alles in seinem Stand gelassen; und sein Häuschen steht noch unversehrt, freilich nur ein Paar Schritte von dem ungeheuren Schutthaufen; und dieser Schutt häufte sich noch immer an, denn von dem Berge herab kam er jetzt in gewaltigen Massen, und riß an den beiden Seiten des weiten Rinnsales ganze Stücke von Holzungen und Grasflecken mit sich fort. Ueberdieß hatte das von der Sagbruck an weit hinauf gestaute Wasser von den nächsten Bergabhängen das Erdreich erweicht und mit sich fortgeschlemmt. Am Donnerstage war das weite und tiefe Rinnsal des Baches bedeutend hoch mit Schutt angefüllt, und von der Mühle gar nichts mehr zu sehen, und der Bach machte sich nun selbst ein Rinnsal. Wie er vorher tief unter dem Wohnhause des Müllers an der Mühle vorbei brausete, so lief er nun oberhalb des Hauses, und dieses war jetzt bis fast an das Dach im Schutte vergraben. Unten im Dörflein war nun auch das Holzer Häuschen ganz verschwunden, und das Haus vom Schuhmacher Veit vom Schutte ganz erdrückt, sah eben noch aus dem Haufen heraus; die beiden schönen Häuser der Schneiderswittwe und des Schuhmachers Jos. Aestner, die etwas höher stehen und das des Holzmeisters auf der linken Seite des Baches wurden gänzlich demolirt und auf drei Seiten vom hohen Schutte umgeben.

[Seite 12] Das nun immer stärker vom Berge herabströmende Wasser hatte von der Mühle abwärts durchaus kein Rinnsal mehr und ergoß sich auf beiden Seiten über den hohen Schutthaufen hin über die weitum liegenden Getreide- und Grasfelder. Reifes und unreifes Getreide und Grumet mußte in höchster Eile gemäht und fortgeführt werden, um nicht alles zu verlieren; selbst am Maria Himmelfahrtsfeste, dem Patrocinium der hiesigen Kirche mußte den ganzen Tag hindurch gearbeitet werden. Von nun an aber ließ das Herabwälzen der Schuttmassen allmählig ab.

Während dieser traurigen Katastrophe war der Herr Regierungs-Präsident von Bening mit sachverständigen Männern nach Brannenburg gekommen, um sich die Sache zu besehen und auf Mittel zur Abwehr künftiger Abfälle zu denken. Es ward beschlossen, das Bärnmoos abzuzapfen, was auch noch im Spätherbste des nämlichen Jahres geschehen ist. Der Herr Oberbaurath Beyschlag hat selbst den Schrofen in seiner Höhe überstiegen, und gesehen, wie der Berg ganz durchklüftet ist, die Klüfte 4-6 und noch mehr Fuß weit und sehr tief, und daß also neue Abfälle mit Recht befürchtet werden müssen, entweder bei schneereichen Wintern, bei plötzlich einfallendem Thauwetter, oder im Sommer bei Hochgewittern und den sie begleitenden gewaltigen Regengüssen. Der Schreiber dieser Zeilen ist seit 45 Jahren oft genug Zeuge gewesen von den großen Verwüstungen, welche dieser Wildbach angerichtet hat, so daß die Felder auf beiden Seiten überfluthet und mit Schutt bedeckt, und in dem nur eine Viertelstunde weiter hinab liegenden Tegerndorf die Wohnungen zu ebener Erde voll Wasser wurden, die Menschen in die obern Stuben flüchten und die Thiere auf die höher gebauten Tennen gebracht werden mußten; damals war der in und an dem Bache liegende, den Wasserlauf hemmende Schutt im Vergleich zur Gegenwart vielleicht wie 1:10,000; was ist also jetzt zu befürchten, da der Schutt in so erschrecklichen Massen ganz in der Ebene daliegt? und wie leicht kann er durch neue Abstürze von dem ganz zerklüfteten Berge noch ungeheuer vermehrt werden! Von der Gewalt des abstürzenden Baches kann man sich einen Begriff machen, wenn man bedenkt, daß sein Gefälle auf weniger [Seite 13] als einer Viertelstunde gegen 400 Fuß beträgt. Die Fläche des Berges, von welcher dieser Absturz kam, ist nach der Schätzung Sachverständiger ungefähr 40 bis 50 Tagwerke, und die Schuttmasse, die im August herabgekommen in dem ganzen Rinnsale des Kirchbaches, wird auf nicht weniger als 400,000 Schachtruthen geschätzt.

Die Anwohner des Kirchbaches, auf der rechten Seiten der Sixtenbauer, auf der linken Seite der Krebser und die Weiderer Bauerswittwe, und mit ihnen die in der Gmein verunglückten Bewohner wegen ihrer nahen, wenigen, erst vor einigen Jahren mit so vieler Mühe hergerichteten Feldungen, haben seit dem Herbste ihre Besitzungen einigermassen, so viel möglich dadurch vor der nahen Gefahr sich schützen wollen, daß sie durch umgehackte starke Bäume eine Arche am Kirchbache hinab machten und an ihren Feldungen hin Gräben zogen und einige Schuh hohe Dämme aufwarfen; aber sieh da! am 1. April l. J. kam ein, nicht einmal heftiges Gewitter mit einem etwas starken Regen, und um 9 Uhr Abends stürzte das Wasser heftig vom Berge herab, überfluthete auf allen Seiten den ungeheuern Schutthaufen, überschüttete die Feldungen und in der Stallung der Weiderer Bäuerin stand das Vieh schon bis an den Bauch im Wasser. Von Brannenburg, Tegerndorf und von den einzelnen Häusern herum kamen die Leute zusammen und halfen, dem wilden Wasser den Lauf im Rinnsale des Baches zu erhalten; allein die Arbeit wäre vergebens gewesen, wenn nicht der Regen nachgelassen hätte. Die seit dem Herbste gemachte Arche am Bache ward in einem Augenblicke zerrissen und fortgeschwemmt; die Gräben und Dämme an den Feldern hin konnten der Gewalt des Wassers nicht widerstehen, und der Bach war schon daran, sich ein neues Rinnsal durch das schöne Feld des Sixtenbauers zu machen. Alle menschliche Mühe wäre unvermögend gewesen, solches zu hindern, wenn nicht der Regen aufgehört hätte. Wie wird es erst bei stärkeren Gewittern und heftigern Regengüssen gehen?!

Fußnoten:

A Diesen Aufsatz ließ ich dem Herrn Grafen Cäsar Pallavicini, jüngerm Sohne unsers Herrn Gutsbesitzers, am 3. Mai lesen. Er mußte am 5. d. Mts. nach Genua und Turin abreisen. Noch am 4. Abends gab er mir in einer schriftlichen Erwiederung seine Ansicht über die Ursache dieser Schrofen-Abstürze. Er mißt die Veranlassung dieser Abstürze nicht der Auflösung des leichten Gerölles durch die Feuchtigkeit des Bärnmooses, sondern vielmehr den Quellen des am Fuße des Schrofen hervorkommenden Saubaches zu, die dessen Basis unterwühlen und so zum Absturze des Berges wirken. — Seit dem letzten Absturze hat die Wassermasse dieses Saubaches bedeutend zugenommen. Die Ansicht des Herrn Grafen hat daher allerdings große Wahrscheinlichkeitsgründe für sich. Seine obenerwähnte schriftliche Erwiederung enthält aber auch ausserdem noch so viele interessante Notizen, daß ich, dem gegen mich geäußerten Wunsche der verehrlichen Redaction entsprechend und auf die gütige Zustimmung des Herrn Grafen rechnend, das fragliche an mich gerichtete Schreiben desselben seinem vollen Wortlaute nach hier mitzutheilen mir erlaube:

Brannenburg den 3. Mai 1852.

 

Mein lieber Herr Benefiziat!

Erlauben Sie mir einige kleine Bemerkungen Ihnen vorzulegen als Beiträge zu Ihrer trefflichen Schilderung des Bergsturzes im Jahre 1851.

Der Saubach entspringt unmittelbar aus dem Geröll des Schroffen selbst, hat einen sehr kurzen Lauf, bleibt sich Sommer und Winter ziemlich gleich, friert nicht zu, und sein helles reines Wasser, das einzige, wie Sie es ganz richtig bemerkten, das uns in Brannenburg Trinkwasser verschafft, läßt mich zweifeln, daß es als Abfluß der drei oberhalb des Schroffen sich befindenden Moose zu betrachten sei, wohl aber als eine Ansammlung verschiedener unterirdischen Quellen, die sich durch die tuffsteinartige und zusammengehäufte Masse dieser Berge einen Weg bahnend auf der lockersten Seite derselben einen Ausbruch finden, die Basis unterspühlen, und durch ihr langsames, aber beständiges Wirken, nach verschiedenen Zeitperioden, einen Absturz des überhängenden Gerölles herbeiführen. Frühere Ueberschwemmungen haben ohne Zweifel auch in dieser Gegend Berge (durch den Absturz von anderen mächtigeren) in breiten Thälern gebildet, und solchen glaube ich die Entstehung des Schroffen und aller Hügel zuschreiben zu können, die zwischen dem Sulzberg und dem Breitenberg sich bis Brannenburg hindehnen, alle gleich in ihren Bestandtheilen, nemlich Geröll mit einer Schichte von Humus überwachsen.

Als Beweise davon werde ich erstens hindeuten auf die großen Schichten von Lehm, die oberhalb der Schönau (theilweis noch jetzt sichtbar) im vorigen August 1851, durch den Absturz des Schroffen gedrängt und geschoben, den Wald des Krappenbauers dicht und aufrecht mit hinabschleppten, woraus deutlich hervorgeht, daß in früheren Zeiten sich da ein großes Wasserbecken befand, das diese Lehm-Ablagerungen bildete, und über diesem Becken, durch einen Bergsturz überfüllt, entstanden die bewaldeten Hügel, die jetzt mit ihrer Basis von Lehm ins Rutschen kamen.

Zweitens bei der Ausgrabung des neuen Bräuhauses zu Brannenburg wurden in einer Tiefe von 20 Fuß, unter mächtige Steinblöcke versenkt, verschiedenartige Baumstämme gefunden, als Eichen, Buchen und Fichten; dieser Grund war schon fruchtbar im Anfang dieses Jahrtausends, da er zu den Besitzungen der Sulzberger gehörte, Ministerialen der Sibotone, und blieb es seither, da er im fünfzehnten Jahrhundert von den Tarchingern der Kirche von Brannenburg geschenkt wurde. Die Erhaltung der weichern Baumsorten, die durchaus nicht vorkommende Versteinerung der härteren bekräftigen meine Vermuthung, daß, obwohl dieser Bergsturz vor Anno 1000 geschehen, er doch nicht in viel frühere Zeitperioden zurückzuschieben sei, und könnte dieses Ereigniß nicht vorgefallen sein ungefähr nach der ersten Gründung der Kirche von Brannenburg 700-800 und könnte es nicht den Lauf des Baches vom Lechner Graben in sein heutiges, mehr südlich gelegenes Bett hingedrängt haben, für welche Behauptung einigermassen selbst der Name „Kirchbach“ eine Bestätigung darbietet — ? —

Nur durch ein Wunder ist voriges Jahr eine ähnliche Aenderung im Laufe des Baches nicht vorgekommen. Am 1. April 1852 hätten die brausenden Fluthen sich beinahe einen neuen Abfluß gebahnt in die Felder des Sixenbauers, und nur das Nachlassen des Hochwassers, nicht die Anstrengung der Menschen haben diesen armen Bauern vor einer gänzlichen Verschüttung seiner Gründe bewahrt. Vor einigen Monaten war ich selber oben auf der Schneid des Schroffens, und habe mich überzeugen können, daß die durch die tiefen Spaltungen und durch die gesenkte Stellung herabzustürzen drohenden Massen ungeheuer sind. Es zu hindern sind die Menschen mit ihren intellectuellen oder physischen Kräften gänzlich unfähig; nur vom Willen des Allmächtigen hängt es ab zu bestimmen, in welcher Größe sich diese drohenden Massen ablösen werden, wodurch sich die Gefahr verhältnißmäßig berechnen läßt.

Die zwei günstigeren Fälle wären, 1. daß diese Bergstürze in kleineren Abtheilungen successiv vorkämen, wodurch das reißende Wasser des Kirchbaches mit Leichtigkeit den Schutt und Schlamm herausspülen könnte, oder 2. eine plötzliche allgemeine Senkung des obern zerklüfteten Kogels, der einen solchen Damm im Thale aufthürmen würde, daß ein neuer See sich bildete, wo jetzt die Bremau und die Schlüpfgruben-Alpe vom Bache geschieden sind.

Was aber die Regierung in ihrer Weisheit und Wohlthätigkeit vornehmen sollte, um diesen armen Gemeinden zu Hülfe zu kommen, um ihre in der Ebene gelegenen Felder vor einer gänzlichen Verschüttung zu bewahren, wäre, den Lauf des Baches so viel als möglich von der Schönau aus bis zum überschütteten Dörflein Gemeinde zu räumen, und wo er in die Ebene mündet, eine gut vorgenommene Regulirung zu unternehmen, mit festen Dämmen versehen, um die allmälige Fortspülung der Steine und des Schuttes gegen den Inn zu erleichtern.

Empfangen Sie, mein lieber Herr Benefiziat! diese Bemerkungen mit Nachsicht und als Beweis, mit welchem Interesse ich Alles lese, was Sie über unsere schöne Gegend zu schreiben gedenken.

Leben Sie recht wohl Ihr Freund

Cäsar Pallavicini.

 

B Nach dem Tode des letzten Grafen von Preysing aus Brannenburg, Max VI., am 14. August 1841, verkauften dessen Erben das Allodialgut Brannenburg in einer Versteigerung am 29. Juli 1843 an Ihre königl. Hoheit die verwittibte Frau Kurfürstin von Bayern Maria Leopoldina, geb. Erzherzogin von Oesterreich, für 293,000 fl. Diese ließ das ohnehin gut gebaute Bräuhaus mit einem Aufwande von mehr als 10,000 fl. erweitern und zweckdienlicher einrichten, und erbaute eine Viertelstunde vom Dorfe weg, auf eigens dazu angekauftem Grunde, vom Bauer zu Thann am Wege gen St. Margrethen den schönen Sommerbierkeller, der über 30,000 fl. kostete.

Am 23. Juli 1818 wollte die alte hohe Frau von München auf ihr Landgut Kaltenhausen bei Salzburg reisen. Vor ihrer Abreise hatte sie schon eine Ahnung von einem Mißgeschicke auf dieser Reise und hatte als gute Christin sich darauf vorbereitet. Als sie an besagtem Tage Nachmittags halb zwei Uhr von Wasserburg den jähen Gasterberg hinauffahren wollte, kam ihr von oben herab ein Salzfuhrwagen, an dem die Hemmkette gebrochen war, im schnellsten Laufe entgegen. Im eiligen Ausbeugen ihres Wagens fiel solcher um; die alte Frau erlitt zwar keine Beschädigung; aber der plötzliche heftige Schrecken mag ihr einen Schlagfluß zugezogen haben; sie wurde in ein nahestehendes Häuschen gebracht, wo sie nach wenigen Minuten verschied. Ihre Leiche ward auf ihrem Gute Stepperg bei Neuburg an der Donau beigesetzt. Brannenburg kam an ihren jüngeren Sohn, Max Graf von Arko. Dieser, ein außerordentlicher Jagdfreund, hatte zu seinem Jagdbezirke um Brannenburg auch die königl. Jagden von Aurdorf, Fischbachau und Bayerisch-Zell gepachtet, und überdieß auch den Jagdbezirk von Landl und Thiersee im Tyrol — die sogenannten Kommandantenjagden von Kufstein; und hatte diese Jagden in den trefflichsten Stand gesetzt und große Summen darauf verwendet. Durch die bekannten übermüthigen Frevel des tollen Jahres 1848, wurden wie überall auch diese Jagdbezirke gänzlich verwüstet, und dieses schmerzte ihn so sehr, daß er seine 3 Landgüter Brannenburg, Zinneberg und Hohenburg an den Herrn Grafen Fabio Pallavicini verkaufte.

Anmerkungen zur Transkription:

Die Originalausgabe ist in Fraktur gesetzt. In Antiqua gesetzt sind in ihr römische Zahlen und einzelne Wörter aus fremden Sprachen.

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