The Project Gutenberg eBook of Der Neuen Gedichte: Anderer Teil This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Der Neuen Gedichte: Anderer Teil Author: Rainer Maria Rilke Release date: October 15, 2010 [eBook #33864] Most recently updated: March 18, 2024 Language: German Credits: Produced by Marc D'Hooghe *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER NEUEN GEDICHTE: ANDERER TEIL *** DER NEUEN GEDICHTE ANDERER TEIL Von RAINER MARIA RILKE LEIPZIG IM INSEL-VERLAG MCMXIX A MON GRAND AMI AUGUSTE RODIN ARCHAÏSCHER TORSO APOLLOS Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt, darin die Augenäpfel reiften. Aber sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber, in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt, sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug der Brust dich blenden, und im leisen Drehen der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen zu jener Mitte, die die Zeugung trug. Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz unter der Schultern durchsichtigem Sturz und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle und bräche nicht aus allen seinen Rändern aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mßt dein Leben ändern. KRETISCHE ARTEMIS Wind der Vorgebirge: war nicht ihre Stirne wie ein lichter Gegenstand? Glatter Gegenwind der leichten Tiere, formtest du sie: ihr Gewand bildend an die unbewußten Brüste wie ein wechselvolles Vorgefühl? Während sie, als ob sie alles wüßte, auf das Fernste zu, geschürzt und kühl, stürmte mit den Nymphen und den Hunden, ihren Bogen probend, eingebunden in den harten hohen Gurt; manchmal nur aus fremden Siedelungen angerufen und erzürnt bezwungen von dem Schreien um Geburt. LEDA Als ihn der Gott in seiner Not betrat, erschrak er fast, den Schwall so schön zu finden; er ließ sich ganz verwirrt in ihm verschwinden. Schon aber trug ihn sein Betrug zur Tat, bevor er noch des unerprobten Seins Gefühle prüfte. Und die Aufgetane erkannte schon den Kommenden im Schwane und wußte schon: er bat um eins, das sie, verwirrt in ihrem Widerstand, nicht mehr verbergen konnte. Er kam nieder, und halsend durch die immer schwächre Hand ließ sich der Gott in die Geliebte los. Dann erst empfand er glücklich sein Gefieder und wurde wirklich Schwan in ihrem Schoß. DELPHINE Jene Wirklichen, die ihrem Gleichen überall zu wachsen und zu wohnen gaben, fühlten an verwandten Zeichen Gleiche in den aufgelösten Reichen, die der Gott, mit triefenden Tritonen, überströmt bisweilen übersteigt; denn da hatte sich das Tier gezeigt: anders als die stumme, stumpfgemute Zucht der Fische, Blut von ihrem Blute, und von fern dem Menschlichen geneigt. Eine Schar kam, die sich überschlug, froh, als fühlte sie die Fluten glänzend: Warme, Zugetane, deren Zug wie mit Zuversicht die Fahrt bekränzend, leichtgebunden um den runden Bug wie um einer Vase Rumpf und Rundung, selig, sorglos, sicher vor Verwundung, aufgerichtet, hingerissen, rauschend und im Tauchen mit den Wellen tauschend die Trireme heiter weitertrug. Und der Schiffer nahm den neugewährten Freund in seine einsame Gefahr und ersann für ihn, für den Gefährten, dankbar eine Welt und hielt für wahr, daß er Töne liebte, Götter, Gärten und das tiefe, stille Sternenjahr. DIE INSEL DER SIRENEN Wenn er denen, die ihm gastlich waren, spät, nach ihrem Tage noch, da sie fragten nach den Fahrten und Gefahren, still berichtete: er wußte nie, wie sie schrecken und mit welchem jähen Wort sie wenden, daß sie so wie er in dem blau gestillten Inselmeer die Vergoldung jener Inseln sähen, deren Anblick macht, daß die Gefahr umschlägt; denn nun ist sie nicht im Tosen und im Wüten, wo sie immer war: lautlos kommt sie über die Matrosen, welche wissen, daß es dort auf jenen goldnen Inseln manchmal singt--, und sich blindlings in die Ruder lehnen, wie umringt von der Stille, die die ganze Weite in sich hat und an die Ohren weht, so als wäre ihre andre Seite der Gesang, dem keiner widersteht. KLAGE UM ANTINOUS Keiner begriff mir von euch den bithynischen Knaben (daß ihr den Strom anfaßtet und von ihm hübt...). Ich verwöhnte ihn zwar. Und dennoch: wir haben ihn nur mit Schwere erfüllt und für immer getrübt. Wer vermag denn zu lieben? Wer kann es?--Noch keiner. Und so hab ich unendliches Weh getan--. Nun ist er am Nil der stillenden Götter einer, und ich weiß kaum welcher und kann ihm nicht nahn. Und ihr warfet ihn noch, Wahnsinnige, bis in die Sterne, damit ich euch rufe und dränge: meint ihr den? Was ist er nicht einfach ein Toter. Er wäre es gerne. Und vielleicht wäre ihm nichts geschehn. DER TOD DER GELIEBTEN Er wußte nur vom Tod, was alle wissen: daß er uns nimmt und in das Stumme stößt. Als aber sie, nicht von ihm fortgerissen, nein, leis aus seinen Augen ausgelöst, hinüberglitt zu unbekannten Schatten, und als er fühlte, daß sie drüben nun wie einen Mond ihr Mädchenlächeln hatten und ihre Weise wohlzutun: da wurden ihm die Toten so bekannt, als wäre er durch sie mit einem jeden ganz nah verwandt; er ließ die andern reden und glaubte nicht und nannte jenes Land das gutgelegene, das immersüße--. Und tastete es ab für ihre Füße. KLAGE UM JONATHAN Ach, sind auch Könige nicht von Bestand und dürfen hingehn wie gemeine Dinge, obwohl ihr Druck wie der der Siegelringe sich widerbildet in das weiche Land. Wie aber konntest du, so angefangen mit deines Herzens Initial, aufhören plötzlich: Wärme meiner Wangen. O daß dich einer noch einmal erzeugte, wenn sein Samen in ihm glänzt. Irgendein Fremder sollte dich zerstören, und der dir innig war, ist nichts dabei und muß sich halten und die Botschaft hören; wie wunde Tiere auf den Lagern löhren, möcht ich mich legen mit Geschrei: denn da und da, an meinen scheusten Orten, bist du mir ausgerissen wie das Haar, das in den Achselhöhlen wächst und dorten, wo ich ein Spiel für Frauen war, bevor du meine dort verfitzten Sinne aufsträhntest, wie man einen Knaul entflicht; da sah ich auf und wurde deiner inne:-- jetzt aber gehst du mir aus dem Gesicht. TRÖSTUNG DES ELIA Er hatte das getan und dies, den Bund wie jenen Altar wieder aufzubauen, zu dem sein weitgeschleudertes Vertrauen zurück als Feuer fiel von ferne, und hatte er dann nicht Hunderte zerhauen, weil sie ihm stanken mit dem Baal im Mund, am Bache schlachtend bis ans Abendgrauen, das mit dem Regengrau sich groß verband? Doch als ihn von der Königin der Bote nach solchem Werktag antrat und bedrohte, da lief er wie ein Irrer in das Land, so lange, bis er unterm Ginsterstrauche wie weggeworfen aufbrach in Geschrei, das in der Wüste brüllte: Gott, gebrauche mich länger nicht. Ich bin entzwei. Doch grade da kam ihn der Engel ätzen mit einer Speise, die er tief empfing, so daß er lange dann an Weideplätzen und Wassern immer zum Gebirge ging, zu dem der Herr um seinetwillen kam: im Sturme nicht und nicht im Sich-Zerspalten der Erde, der entlang in schweren Falten ein leeres Feuer ging, fast wie aus Scham über des Ungeheuren ausgeruhtes Hinstürzen zu dem angekommnen Alten, der ihn im sanften Sausen seines Blutes erschreckt und zugedeckt vernahm. SAUL UNTER DEN PROPHETEN Meinst du denn, daß man sich sinken sieht? Nein, der König schien sich noch erhaben, da er seinen starken Harfenknaben töten wollte bis ins zehnte Glied. Erst da ihn der Geist auf solchen Wegen überfiel und auseinanderriß, sah er sich im Innern ohne Segen, und sein Blut ging in der Finsternis abergläubig dem Gericht entgegen. Wenn sein Mund jetzt troff und prophezeite, war es nur, damit der Flüchtling weit flüchten könne. So war dieses zweite Mal. Doch einst: er hatte prophezeit fast als Kind, als ob ihm jede Ader mündete in einen Mund aus Erz; alle schritten, doch er schritt gerader; alle schrieen, doch ihm schrie das Herz. Und nun war er nichts als dieser Haufen umgestürzter Würden, Last auf Last; und sein Mund war wie der Mund der Traufen, der die Güsse, die zusammenlaufen, fallen läßt, eh er sie faßt. SAMUELS ERSCHEINUNG VOR SAUL Da schrie die Frau zu Endor auf: Ich sehe-- Der König packte sie am Arme: Wen? Und da die Starrende beschrieb, noch ehe, da war ihm schon, er hätte selbst gesehn: den, dessen Stimme ihn noch einmal traf: Was störst du mich? Ich habe Schlaf. Willst du, weil dir die Himmel fluchen, und weil der Herr sich vor dir schloß und schwieg, in meinem Mund nach einem Siege suchen? Soll ich dir meine Zähne einzeln sagen? Ich habe nichts als sie.... Es schwand. Da schrie das Weib, die Hände vors Gesicht geschlagen, als ob sie's sehen müßte: Unterlieg-- Und er, der in der Zeit, die ihm gelang, das Volk wie ein Feldzeichen überragte, fiel hin, bevor er noch zu klagen wagte: so sicher war sein Untergang. Die aber, die ihn wider Willen schlug, hoffte, daß er sich faßte und vergäße; und als sie hörte, daß er nie mehr äße, ging sie hinaus und schlachtete und buk und brachte ihn dazu, daß er sich setzte; er saß wie einer, der zu viel vergißt: alles, was war, bis auf das Eine, Letzte. Dann aß er, wie ein Knecht zu Abend ißt. EIN PROPHET Ausgedehnt von riesigen Gesichten, hell vom Feuerschein aus dem Verlauf der Gerichte, die ihn nie vernichten,-- sind die Augen, schauend unter dichten Brauen. Und in seinem Innern richten sich schon wieder Worte auf, nicht die seinen (denn was wären seine, und wie schonend wären sie vertan), andre, harte: Eisenstücke, Steine, die er schmelzen muß wie ein Vulkan, um sie in dem Ausbruch seines Mundes auszuwerfen, welcher flucht und flucht; während seine Stirne, wie des Hundes Stirne, das zu tragen sucht, was der Herr von seiner Stirne nimmt: Dieser, Dieser, den sie alle fänden, folgten sie den großen Zeigehänden, die Ihn weisen, wie Er ist: ergrimmt. JEREMIAS Einmal war ich weich wie früher Weizen, doch, du Rasender, du hast vermocht, mir das hingehaltne Herz zu reizen, daß es jetzt wie eines Löwen kocht. Welchen Mund hast du mir zugemutet, damals, da ich fast ein Knabe war: eine Wunde wurde er: nun blutet aus ihm Unglücksjahr um Unglücksjahr. Täglich tönte ich von neuen Nöten, die du, Unersättlicher, ersannst, und sie konnten mir den Mund nicht töten; sieh du zu, wie du ihn stillen kannst, wenn, die wir zerstoßen und zerstören, erst verloren sind und fernverlaufen und vergangen sind in der Gefahr: denn dann will ich in den Trümmerhaufen endlich meine Stimme Wiederhören, die von Anfang an ein Heulen war. EINE SIBYLLE Einst, vor Zeiten, nannte man sie alt. Doch sie blieb und kam dieselbe Straße täglich. Und man änderte die Maße, und man zählte sie wie einen Wald nach Jahrhunderten. Sie aber stand jeden Abend auf derselben Stelle, schwarz wie eine alte Zitadelle, hoch und hohl und ausgebrannt; von den Worten, die sich unbewacht wider ihren Willen in ihr mehrten, immerfort umschrieen und umflogen, während die schon wieder heimgekehrten dunkel unter ihren Augenbogen saßen, fertig für die Nacht. ABSALOMS ABFALL Sie hoben sie mit Geblitz: der Sturm aus den Hörnern schwellte seidene, breitgewellte Fahnen. Der herrlich Erhellte nahm im hoch offenen Zelte, das jauchzendes Volk umstellte, zehn Frauen in Besitz, die (gewohnt an des alternden Fürsten sparsame Nacht und Tat) unter seinem Dürsten wogten wie Sommersaat. Dann trat er heraus zum Rate, wie vermindert um nichts, und jeder, der ihm nahte, erblindete seines Lichts. So zog er auch den Heeren voran wie ein Stern dem Jahr; über allen Speeren wehte sein warmes Haar, das der Helm nicht faßte und das er manchmal haßte, weil es schwerer war als seine reichsten Kleider. Der König hatte geboten, daß man den Schönen schone. Doch man sah ihn ohne Helm an den bedrohten Orten die ärgsten Knoten zu roten Stücken von Toten auseinanderhaun. Dann wußte lange keiner von ihm, bis plötzlich einer schrie: Er hängt dort hinten an den Terebinthen mit hochgezogenen Braun. Das war genug des Winks. Joab, wie ein Jäger, erspähte das Haar--: ein schräger gedrehter Ast: da hings. Er durchrannte den schlanken Kläger, und seine Waffenträger durchbohrten ihn rechts und links. ESTHER Die Dienerinnen kämmten sieben Tage die Asche ihres Grams und ihrer Plage Neige und Niederschlag aus ihrem Haar und trugen es und sonnten es im Freien und speisten es mit reinen Spezereien noch diesen Tag und den: dann aber war die Zeit gekommen, da sie ungeboten, zu keiner Frist, wie eine von den Toten den drohend offenen Palast betrat, um gleich, gelegt auf ihre Kammerfrauen, am Ende ihres Weges _den_ zu schauen, an dem man stirbt, wenn man ihm naht. Er glänzte so, daß sie die Kronrubine aufflammen fühlte, die sie an sich trug; sie füllte sich ganz rasch mit seiner Miene wie ein Gefäß und war schon voll genug und floß schon über von des Königs Macht, bevor sie noch den dritten Saal durchschritt, der sie mit seiner Wände Malachit grün überlief. Sie hatte nicht gedacht, so langen Gang zu tun mit allen Steinen, die schwerer wurden von des Königs Scheinen und kalt von ihrer Angst. Sie ging und ging. Und als sie endlich fast von nahe ihn, aufruhend auf dem Thron von Turmalin, sich türmen sah, so wirklich wie ein Ding: empfing die rechte von den Dienerinnen die Schwindende und hielt sie zu dem Sitze. Er rührte sie mit seines Zepters Spitze; und sie begriff es ohne Sinne, innen. DER AUSSÄTZIGE KÖNIG Da trat auf seiner Stirn der Aussatz aus und stand auf einmal unter seiner Krone, als war er König über allen Graus, der in die andern fuhr, die fassungsohne hinstarrten nach dem furchtbaren Vollzug an jenem, welcher, schmal wie ein Verschnürter, erwartete, daß einer nach ihm schlug; doch noch war keiner Manns genug: als machte ihn nur immer unberührter die neue Würde, die sich übertrug. LEGENDE VON DEN DREI LEBENDIGEN UND DEN DREI TOTEN Drei Herren hatten mit Falken gebeizt und freuten sich auf das Gelag. Da nahm sie der Greis in Beschlag und führte. Die Reiter hielten gespreizt vor dem dreifachen Sarkophag, der ihnen dreimal entgegenstank, in den Mund, in die Nase, ins Sehn; und sie wußten es gleich: da lagen lang drei Tote mitten im Untergang und ließen sich gräßlich gehn. Und sie hatten nur noch ihr Jägergehör reinlich hinter dem Sturmbandlör; doch da zischte der Alte sein: --Sie gingen nicht durch das Nadelöhr und gehen niemals--hinein. Nun blieb ihnen noch ihr klares Getast, das stark war vom Jagen und heiß; doch das hatte ein Frost von hinten gefaßt und trieb ihm Eis in den Schweiß. DER KÖNIG VON MÜNSTER Der König war geschoren; nun ging ihm die Krone zu weit und bog ein wenig die Ohren, in die von Zeit zu Zeit gehässiges Gelärme aus Hungermäulern fand. Er saß, von wegen der Wärme, auf seiner rechten Hand, mürrisch und schwergesäßig. Er fühlte sich nicht mehr echt: der Herr in ihm war mäßig, und der Beischlaf war schlecht. TOTENTANZ Sie brauchen kein Tanz-Orchester; sie hören in sich ein Geheule, als wären sie Eulennester. Ihr Ängsten näßt wie eine Beule, und der Vorgeruch ihrer Fäule ist noch ihr bester Geruch. Sie fassen den Tänzer fester, den rippenbetreßten Tänzer, den Galan, den echten Ergänzer zu einem ganzen Paar. Und er lockert der Ordensschwester über dem Haar das Tuch; sie tanzen ja unter Gleichen. Und er zieht der wachslichtbleichen leise die Lesezeichen aus ihrem Stunden-Buch. Bald wird ihnen allen zu heiß, sie sind zu reich gekleidet; beißender Schweiß verleidet ihnen Stirne und Steiß und Schauben und Hauben und Steine; sie wünschen, sie wären nackt wie ein Kind, ein Verrückter und Eine: die tanzen noch immer im Takt. DAS JÜNGSTE GERICHT So erschrocken, wie sie nie erschraken, ohne Ordnung, oft durchlocht und locker, hocken sie in dem geborstnen Ocker ihres Ackers, nicht von ihren Laken abzubringen, die sie liebgewannen. Aber Engel kommen an, um Öle einzuträufeln in die trocknen Pfannen und um jedem in die Achselhöhle das zu legen, was er in dem Lärme damals seines Lebens nicht entweihte; denn dort hat es noch ein wenig Wärme, daß es nicht des Herren Hand erkälte oben, wenn er es aus jeder Seite leise greift, zu fühlen, ob es gälte. DIE VERSUCHUNG Nein, es half nicht, daß er sich die scharfen Stacheln einhieb in das geile Fleisch; alle seine trächtigen Sinne warfen unter kreißendem Gekreisch Frühgeburten: schiefe, hingeschielte kriechende und fliegende Gesichte, Nichte, deren nur auf ihn erpichte Bosheit sich verband und mit ihm spielte. Und schon hatten seine Sinne Enkel; denn das Pack war fruchtbar in der Nacht und in immer bunterem Gesprenkel hingehudelt und verhundertfacht. Aus dem Ganzen ward ein Trank gemacht: seine Hände griffen lauter Henkel, und der Schatten schob sich auf wie Schenkel warm und zu Umarmungen erwacht--. Und da schrie er nach dem Engel, schrie: und der Engel kam in seinem Schein und war da: und jagte sie wieder in den Heiligen hinein, daß er mit Geteufel und Getier in sich weiterringe wie seit Jahren und sich Gott, den lange noch nicht klaren, innen aus dem Jäsen destillier. DER ALCHIMIST Seltsam verlächelnd schob der Laborant den Kolben fort, der halbberuhigt rauchte. Er wußte jetzt, was er noch brauchte, damit der sehr erlauchte Gegenstand da drin entstände. Zeiten brauchte er. Jahrtausende für sich und diese Birne, in der es brodelte; im Hirn Gestirne und im Bewußtsein mindestens das Meer. Das Ungeheuere, das er gewollt, er ließ es los in dieser Nacht. Es kehrte zurück zu Gott und in sein altes Maß; er aber, lallend wie ein Trunkenbold, lag über dem Geheimfach und begehrte den Brocken Gold, den er besaß. DER RELIQUIENSCHREIN Draußen wartete auf alle Ringe und auf jedes Kettenglied Schicksal, das nicht ohne sie geschieht. Drinnen waren sie nur Dinge, Dinge, die er schmiedete; denn vor dem Schmied war sogar die Krone, die er bog, nur ein Ding, ein zitterndes und eines, das er finster wie im Zorn erzog zu dem Tragen eines reinen Steines. Seine Augen wurden immer kälter von dem kalten täglichen Getränk; aber als der herrliche Behälter (goldgetrieben, köstlich, vielkarätig) fertig vor ihm stand, das Weihgeschenk, daß darin ein kleines Handgelenk fürder wohne, weiß und wundertätig: blieb er ohne Ende auf den Knien, hingeworfen, weinend, nicht mehr wagend, seine Seele niederschlagend vor dem ruhigen Rubin, der ihn zu gewahren schien und ihn, plötzlich um sein Dasein fragend, ansah wie aus Dynastien. DAS GOLD Denk es wäre nicht: es hätte müssen endlich in den Bergen sich gebären und sich niederschlagen in den Flüssen aus dem Wollen, aus dem Gären ihres Willens; aus der Zwangidee, daß ein Erz ist über allen Erzen. Weithin warfen sie aus ihren Herzen immer wieder Meroë an den Rand der Lande, in den Äther, über das Erfahrene hinaus; und die Söhne brachten manchmal später das Verheißene der Väter, abgehärtet und verhehrt, nach Haus, wo es anwuchs eine Zeit, um dann fortzugehn von den an ihm Geschwächten, die es niemals liebgewann. Nur (so sagt man) in den letzten Nächten steht es auf und sieht sie an. DER STYLIT Völker schlugen über ihm zusammen, die er küren durfte und verdammen; und erratend, daß er sich verlor, klomm er aus dem Volksgeruch mit klammen Händen einen Säulenschaft empor, der noch immer stieg und nichts mehr hob, und begann, allein auf seiner Fläche, ganz von vorne seine eigne Schwäche zu vergleichen mit des Herren Lob; und da war kein Ende: er verglich; und der andre wurde immer größer. Und die Hirten, Ackerbauer, Flößer sahn ihn klein und außer sich immer mit dem ganzen Himmel reden, eingeregnet manchmal, manchmal licht; und sein Heulen stürzte sich auf jeden, so als heulte er ihm ins Gesicht. Doch er sah seit Jahren nicht, wie der Menge Drängen und Verlauf unten unaufhörlich sich ergänzte, und das Blanke an den Fürsten glänzte lange nicht so hoch hinauf. Aber wenn er oben, fast verdammt und von ihrem Widerstand zerschunden, einsam mit verzweifeltem Geschreie schüttelte die täglichen Dämonen: fielen langsam auf die erste Reihe schwer und ungeschickt aus seinen Wunden große Würmer in die offnen Kronen und vermehrten sich im Samt. DIE ÄGYPTISCHE MARIA Seit sie damals, bettheiß, als die Hure übern Jordan floh und, wie ein Grab gebend, stark und unvermischt das pure Herz der Ewigkeit zu trinken gab, wuchs ihr frühes Hingegebensein unaufhaltsam an zu solcher Größe, daß sie endlich, wie die ewige Blöße aller, aus vergilbtem Elfenbein dalag in der dürren Haare Schelfe. Und ein Löwe kreiste; und ein Alter rief ihn winkend an, daß er ihm helfe: (und so gruben sie zu zwein.) Und der Alte neigte sie hinein. Und der Löwe, wie ein Wappenhalter, saß dabei und hielt den Stein. KREUZIGUNG Längst geübt, zum kahlen Galgenplatze irgendein Gesindel hinzudrängen, ließen sich die schweren Knechte hängen, dann und wann nur eine große Fratze kehrend nach den abgetanen Drein. Aber oben war das schlechte Henkern rasch getan; und nach dem Fertigsein ließen sich die freien Männer schlenkern. Bis der eine (fleckig wie ein Selcher) sagte: Hauptmann, dieser hat geschrien. Und der Hauptmann sah vom Pferde: Welcher? und es war ihm selbst, er hätte ihn den Elia rufen hören. Alle waren zuzuschauen voller Lust, und sie hielten, daß er nicht verfalle, gierig ihm die ganze Essiggalle an sein schwindendes Gehust. Denn sie hofften noch ein ganzes Spiel und vielleicht den kommenden Elia. Aber hinten ferne schrie Maria, und er selber brüllte und verfiel. DER AUFERSTANDENE Er vermochte niemals bis zuletzt ihr zu weigern oder abzuneinen, daß sie ihrer Liebe sich berühme; und sie sank ans Kreuz in dem Kostüme eines Schmerzes, welches ganz besetzt war mit ihrer Liebe größten Steinen. Aber da sie dann, um ihn zu salben, an das Grab kam, Tränen im Gesicht, war er auferstanden ihrethalben, daß er seliger ihr sage: Nicht-- Sie begriff es erst in ihrer Höhle, wie er ihr, gestärkt durch seinen Tod, endlich das Erleichternde der Öle und des Rührens Vorgefühl verbot, um aus ihr die Liebende zu formen, die sich nicht mehr zum Geliebten neigt, weil sie, hingerissen von enormen Stürmen, seine Stimme übersteigt. MAGNIFIKAT Sie kam den Hang herauf, schon schwer, fast ohne an Trost zu glauben, Hoffnung oder Rat; doch da die hohe tragende Matrone ihr ernst und stolz entgegentrat und alles wußte ohne ihr Vertrauen, da war sie plötzlich an ihr ausgeruht; vorsichtig hielten sich die vollen Frauen, bis daß die junge sprach: Mir ist zumut, als wär ich, Liebe, von nun an für immer. Gott schüttet in der Reichen Eitelkeit fast ohne hinzusehen ihren Schimmer; doch sorgsam sucht er sich ein Frauenzimmer und füllt sie an mit seiner fernsten Zeit. Daß er mich fand. Bedenk nur; und Befehle um meinetwillen gab von Stern zu Stern--. Verherrliche und hebe, meine Seele, so hoch du kannst: den Herrn. ADAM Staunend steht er an der Kathedrale steilem Aufstieg, nah der Fensterrose, wie erschreckt von der Apotheose, welche wuchs und ihn mit einem Male niederstellte über die und die. Und er ragt und freut sich seiner Dauer schlicht entschlossen; als der Ackerbauer, der begann und der nicht wußte, wie aus dem fertig-vollen Garten Eden einen Ausweg in die neue Erde finden. Gott war schwer zu überreden; und er drohte ihm, statt zu gewähren, immer wieder, daß er sterben werde. Doch der Mensch bestand: sie wird gebären. EVA Einfach steht sie an der Kathedrale großem Aufstieg, nah der Fensterrose, mit dem Apfel in der Apfelpose, schuldlos-schuldig ein für alle Male an dem Wachsenden, das sie gebar, seit sie aus dem Kreis der Ewigkeiten liebend fortging, um sich durchzustreiten durch die Erde, wie ein junges Jahr. Ach, sie hätte gern in jenem Land noch ein wenig weilen mögen, achtend auf der Tiere Eintracht und Verstand. Doch da sie den Mann entschlossen fand, ging sie mit ihm, nach dem Tode trachtend, und sie hatte Gott noch kaum gekannt. IRRE IM GARTEN DIJON Noch schließt die aufgegebene Karthause sich um den Hof, als würde etwas heil. Auch die sie jetzt bewohnen, haben Pause und nehmen nicht am Leben draußen teil. Was irgend kommen konnte, das verlief. Nun gehn sie gerne mit bekannten Wegen und trennen sich und kommen sich entgegen, als ob sie kreisten, willig, primitiv. Zwar manche pflegen dort die Frühlingsbeete, demütig, dürftig, hingekniet; aber sie haben, wenn es keiner sieht, eine verheimlichte, verdrehte Gebärde für das zarte frühe Gras, ein prüfendes, verschüchtertes Liebkosen: denn das ist freundlich, und das Rot der Rosen wird vielleicht drohend sein und Übermaß und wird vielleicht schon wieder übersteigen, was ihre Seele wiederkennt und weiß. Dies aber läßt sich noch verschweigen: wie gut das Gras ist und wie leis. DIE IRREN Und sie schweigen, weil die Scheidewände weggenommen sind aus ihrem Sinn, und die Stunden, da man sie verstände, heben an und gehen hin. Nächtens oft, wenn sie ans Fenster treten: plötzlich ist es alles gut. Ihre Hände liegen im Konkreten, und das Herz ist hoch und könnte beten, und die Augen schauen ausgeruht auf den unverhofften, oftentstellten Garten im beruhigten Geviert, der im Widerschein der fremden Welten weiterwächst und niemals sich verliert. AUS DEM LEBEN EINES HEILIGEN Er kannte Ängste, deren Eingang schon wie Sterben war und nicht zu überstehen. Sein Herz erlernte, langsam durchzugehen; er zog es groß wie einen Sohn. Und namenlose Nöte kannte er, finster und ohne Morgen wie Verschläge; und seine Seele gab er folgsam her, da sie erwachsen war, auf daß sie läge bei ihrem Bräutigam und Herrn; und blieb allein zurück an einem solchen Orte, wo das Alleinsein alles übertrieb, und wohnte weit und wollte niemals Worte. Aber dafür, nach Zeit und Zeit, erfuhr er auch das Glück, sich in die eignen Hände, damit er eine Zärtlichkeit empfände, zu legen wie die ganze Kreatur. DIE BETTLER Du wußtest nicht, was den Haufen ausmacht. Ein Fremder fand Bettler darin. Sie verkaufen das Hohle aus ihrer Hand. Sie zeigen dem Hergereisten ihren Mund voll Mist, und er darf (er kann es sich leisten) sehn, wie ihr Aussatz frißt. Es zergeht in ihren zerrührten Augen sein fremdes Gesicht; und sie freuen sich des Verführten und speien, wenn er spricht. FREMDE FAMILIE So wie der Staub, der irgendwie beginnt und nirgends ist, zu unerklärtem Zwecke an einem leeren Morgen in der Ecke, in die man sieht, ganz rasch zu Grau gerinnt, so bildeten sie sich, wer weiß aus was, im letzten Augenblick vor deinen Schritten und waren etwas Ungewisses mitten im nassen Niederschlag der Gasse, das nach dir verlangte. Oder nicht nach dir. Denn eine Stimme, wie vom vorigen Jahr, sang dich zwar an und blieb doch ein Geweine; und eine Hand, die wie geliehen war, kam zwar hervor und nahm doch nicht die deine. Wer kommt denn noch? Wen meinen diese vier? LEICHEN WÄSCHE Sie hatten sich an ihn gewöhnt. Doch als die Küchenlampe kam und unruhig brannte im dunkeln Luftzug, war der Unbekannte ganz unbekannt. Sie wuschen seinen Hals, und da sie nichts von seinem Schicksal wußten, so logen sie ein anderes zusamm, fortwährend waschend. Eine mußte husten und ließ solang den schweren Essigschwamm auf dem Gesicht. Da gab es eine Pause auch für die zweite. Aus der harten Bürste klopften die Tropfen; während seine grause gekrampfte Hand dem ganzen Hause beweisen wollte, daß ihn nicht mehr dürste. Und er bewies. Sie nahmen wie betreten eiliger jetzt mit einem kurzen Huster die Arbeit auf, so daß an den Tapeten ihr krummer Schatten in dem stummen Muster sich wand und wälzte wie in einem Netze, bis daß die Waschenden zu Ende kamen. Die Nacht im vorhanglosen Fensterrahmen war rücksichtslos. Und einer ohne Namen lag bar und reinlich da und gab Gesetze. EINE VON DEN ALTEN PARIS Abends manchmal (weißt du, wie das tut?) wenn sie plötzlich stehn und rückwärts nicken und ein Lächeln, wie aus lauter Flicken, zeigen unter ihrem halben Hut. Neben ihnen ist dann ein Gebäude, endlos, und sie locken dich entlang mit dem Rätsel ihrer Räude, mit dem Hut, dem Umhang und dem Gang. Mit der Hand, die hinten unterm Kragen heimlich wartet und verlangt nach dir: wie um deine Hände einzuschlagen in ein aufgehobenes Papier. DER BLINDE PARIS Sieh, er geht und unterbricht die Stadt, die nicht ist auf seiner dunkeln Stelle, wie ein dunkler Sprung durch eine helle Tasse geht. Und wie auf einem Blatt ist auf ihm der Widerschein der Dinge aufgemalt; er nimmt ihn nicht hinein. Nur sein Fühlen rührt sich, so als finge es die Welt in kleinen Wellen ein: eine Stille, einen Widerstand--, und dann scheint er wartend wen zu wählen: hingegeben hebt er seine Hand, festlich fast, wie um sich zu vermählen. EINE WELKE Leicht, wie nach ihrem Tode trägt sie die Handschuh, das Tuch. Ein Duft aus ihrer Kommode verdrängte den lieben Geruch, an dem sie sich früher erkannte, Jetzt fragte sie lange nicht, wer sie sei (:eine ferne Verwandte), und geht in Gedanken umher und sorgt für ein ängstliches Zimmer, das sie ordnet und schont, weil es vielleicht noch immer dasselbe Mädchen bewohnt. ABENDMAHL Ewiges will zu uns. Wer hat die Wahl und trennt die großen und geringen Kräfte? Erkennst du durch das Dämmern der Geschäfte im klaren Hinterraum das Abendmahl: wie sie sich's halten und wie sie sich's reichen und in der Handlung schlicht und schwer beruhn. Aus ihren Händen heben sich die Zeichen; sie wissen nicht, daß sie sie tun und immer neu mit irgendwelchen Worten einsetzen, was man trinkt und was man teilt. Denn da ist keiner, der nicht allerorten heimlich von hinnen geht, indem er weilt. Und sitzt nicht immer einer unter ihnen, der seine Eltern, die ihm ängstlich dienen, wegschenkt an ihre abgetane Zeit? (Sie zu verkaufen, ist ihm schon zu weit.) DIE BRANDSTÄTTE Gemieden von dem Frühherbstmorgen, der mißtrauisch war, lag hinter den versengten Hauslinden, die das Heidehaus beengten, ein Neues, Leeres. Eine Stelle mehr, auf welcher Kinder, von Gott weiß woher, einander zuschrien und nach Fetzen haschten. Doch alle wurden stille, sooft er, der Sohn von hier, aus heißen, halbveraschten Gebälken Kessel und verbogne Tröge mit einem langen Gabelaste zog,-- um dann mit einem Blick, als ob er löge, die andern anzusehn, die er bewog zu glauben, was an dieser Stelle stand. Denn seit es nicht mehr war, schien es ihm so seltsam: phantastischer als Pharao. Und er war anders, wie aus fernem Land. DIE GRUPPE PARIS Als pflückte einer rasch zu einem Strauß: ordnet der Zufall hastig die Gesichter, lockert sie auf und drückt sie wieder dichter, ergreift zwei ferne, läßt ein nahes aus, tauscht das mit dem, bläst irgendeines frisch, wirft einen Hund, wie Kraut, aus dem Gemisch und zieht, was niedrig schaut, wie durch verworrne Stiele und Blätter, an dem Kopf nach vorne und bindet es ganz klein am Rande ein; und streckt sich wieder, ändert und verstellt und hat nur eben Zeit, zum Augenschein zurückzuspringen mitten auf die Matte, auf der im nächsten Augenblick der glatte Gewichteschwinger seine Schwere schwellt. SCHLANGENBESCHWÖRUNG Wenn auf dem Markt, sich wiegend, der Beschwörer die Kürbisflöte pfeift, die reizt und lullt, so kann es sein, daß er sich einen Hörer herüberlockt, der ganz aus dem Tumult der Buden eintritt in den Kreis der Pfeife, die will und will und will und die erreicht, daß das Reptil in seinem Korb sich steife und die das steife schmeichlerisch erweicht, abwechselnd immer schwindelnder und blinder mit dem, was schreckt und streckt, und dem, was löst--; und dann genügt ein Blick: so hat der Inder dir eine Fremde eingeflößt, in der du stirbst. Es ist, als überstürze glühender Himmel dich. Es geht ein Sprung durch dein Gesicht. Es legen sich Gewürze auf deine nordische Erinnerung, die dir nichts hilft. Dich feien keine Kräfte, die Sonne gärt, das Fieber fällt und trifft; von böser Freude steilen sich die Schäfte, und in den Schlangen glänzt das Gift. SCHWARZE KATZE Ein Gespenst ist noch wie eine Stelle, dran dein Blick mit einem Klange stößt; aber da an diesem schwarzen Felle wird dein stärkstes Schauen aufgelöst: wie ein Tobender, wenn er in vollster Raserei ins Schwarze stampft, jählings am benehmenden Gepolster einer Zelle aufhört und verdampft. Alle Blicke, die sie jemals trafen, scheint sie also an sich zu verhehlen, um darüber drohend und verdrossen zuzuschauern und damit zu schlafen. Doch auf einmal kehrt sie, wie geweckt, ihr Gesicht und mitten in das deine: und da triffst du deinen Blick im geelen Amber ihrer runden Augensteine unerwartet wieder: eingeschlossen wie ein ausgestorbenes Insekt. VOR-OSTERN NEAPEL Morgen wird in diesen tiefgekerbten Gassen, die sich durch getürmtes Wohnen unten dunkel nach dem Hafen drängen, hell das Gold der Prozessionen rollen; statt der Fetzen werden die ererbten Bettbezüge, welche wehen wollen, von den immer höheren Balkonen (wie in Fließendem gespiegelt) hängen. Aber heute hämmert an den Klopfern jeden Augenblick ein voll Bepackter, und sie schleppen immer neue Käufe; dennoch stehen strotzend noch die Stände. An der Ecke zeigt ein aufgehackter Ochse seine frischen Innenwände, und in Fähnchen enden alle Läufe. Und ein Vorrat wie von tausend Opfern drängt auf Bänken, hängt sich rings um Pflöcke, zwängt sich, wölbt sich, wälzt sich aus dem Dämmer aller Türen, und vor dem Gegähne der Melonen strecken sich die Brote. Voller Gier und Handlung ist das Tote; doch viel stiller sind die jungen Hähne und die abgehängten Ziegenböcke und am allerleisesten die Lämmer, die die Knaben um die Schultern nehmen und die willig von den Schritten nicken; während in der Mauer der verglasten spanischen Madonna die Agraffe und das Silber in den Diademen von dem Lichter-Vorgefühl beglänzter schimmert. Aber drüber in dem Fenster zeigt sich blickverschwenderisch ein Affe und führt rasch in einer angemaßten Haltung Gesten aus, die sich nicht schicken. DER BALKON NEAPEL Von der Enge, oben, des Balkones angeordnet wie von einem Maler und gebunden wie zu einem Strauß alternder Gesichter und ovaler, klar im Abend, sehn sie idealer, rührender und wie für immer aus. Diese aneinander angelehnten Schwestern, die, als ob sie sich von weit ohne Aussicht nacheinander sehnten, lehnen, Einsamkeit an Einsamkeit; und der Bruder mit dem feierlichen Schweigen, zugeschlossen, voll Geschick, doch von einem sanften Augenblick mit der Mutter unbemerkt verglichen; und dazwischen, abgelebt und länglich, längst mit keinem mehr verwandt, einer Greisin Maske, unzugänglich, wie im Fallen von der einen Hand aufgehalten, während eine zweite, welkere, als ob sie weitergleite, unten vor den Kleidern hängt zur Seite von dem Kinder-Angesicht, das das Letzte ist, versucht, verblichen, von den Stäben wieder durchgestrichen wie noch unbestimmbar, wie noch nicht. AUSWANDERER-SCHIFF NEAPEL Denk, daß einer heiß und glühend flüchte, und die Sieger wären hinterher, und auf einmal machte der Flüchtende kurz, unerwartet, Kehr gegen Hunderte--: so sehr warf sich das Erglühende der Früchte immer wieder an das blaue Meer, als das langsame Orangenboot sie vorübertrug bis an das große graue Schiff, zu dem, von Stoß zu Stoße, andre Boote Fische hoben, Brot,-- während es voll Flohn in seinem Schöße Kohlen aufnahm, offen wie der Tod. LANDSCHAFT Wie zuletzt, in einem Augenblick aufgehäuft aus Hängen, Häusern, Stücken alter Himmel und zerbrochnen Brücken, und von drüben her, wie vom Geschick, von dem Sonnenuntergang getroffen, angeschuldigt, aufgerissen, offen-- ginge dort die Ortschaft tragisch aus: fiele nicht auf einmal in das Wunde, drin zerfließend, aus der nächsten Stunde jener Tropfen kühlen Blaus, der die Nacht schon in den Abend mischt, so daß das von ferne Angefachte sachte, wie erlöst, erlischt. Ruhig sind die Tore und die Bogen, durchsichtige Wolken wogen über blassen Häuserreihn, die schon Dunkel in sich eingesogen; aber plötzlich ist vom Mond ein Schein durchgeglitten, licht, als hätte ein Erzengel irgendwo sein Schwert gezogen. RÖMISCHE CAMPAGNA Aus der vollgestellten Stadt, die lieber schliefe, träumend von den hohen Thermen, geht der grade Gräberweg ins Fieber; und die Fenster in den letzten Fermen sehn ihm nach mit einem bösen Blick. Und er hat sie immer im Genick, wenn er hingeht, rechts und links zerstörend, bis er draußen atemlos beschwörend seine Leere zu den Himmeln hebt, hastig um sich schauend, ob ihn keine Fenster treffen. Während er den weiten Aquädukten zuwinkt herzuschreiten, geben ihm die Himmel für die seine ihre Leere, die ihn überlebt. LIED VOM MEER CAPRI. PICCOLA MARINA Uraltes Wehn vom Meer, Meerwind bei Nacht: du kommst zu keinem her; wenn einer wacht, so muß er sehn, wie er dich übersteht: uraltes Wehn vom Meer, welches weht nur wie für Urgestein, lauter Raum reißend von weit herein. O wie fühlt dich ein treibender Feigenbaum oben im Mondschein. NÄCHTLICHE FAHRT SANKT PETERSBURG Damals als wir mit den glatten Trabern (schwarzen, aus dem Orloffschen Gestüt)--, während hinter hohen Kandelabern Stadtnachtfronten lagen, angefrüht stumm und keiner Stunde mehr gemäß--, fuhren, nein: vergingen oder flogen und um lastende Paläste bogen in das Wehn der Newa-Quais, hingerissen durch das wache Nachten, das nicht Himmel und nicht Erde hat,-- als das Drängende von unbewachten Gärten gärend aus dem Ljetnij-Ssad aufstieg, während seine Steinfiguren schwindend mit ohnmächtigen Konturen hinter uns vergingen, wie wir fuhren--: damals hörte diese Stadt auf zu sein. Auf einmal gab sie zu, daß sie niemals war, um nichts als Ruh flehend; wie ein Irrer, dem das Wirrn plötzlich sich entwirrt, das ihn verriet, und der einen jahrelangen kranken gar nicht zu verwandelnden Gedanken, den er nie mehr denken muß: Granit-- aus dem leeren schwankenden Gehirn fallen fühlt, bis man ihn nicht mehr sieht. PAPAGEIENPARK PARIS Unter türkischen Linden, die blühen, an Rasenrändern, in leise von ihrem Heimweh geschaukelten Ständern atmen die Ära und wissen von ihren Ländern, die sich, auch wenn sie nicht hinsehn, nicht verändern. Fremd im beschäftigten Grünen wie eine Parade, zieren sie sich und fühlen sich selber zu schade, und mit den kostbaren Schnäbeln aus Jaspis und Jade kauen sie Graues, verschleudern es, finden es fade. Unten klauben die duffen Tauben, was sie nicht mögen, während sich oben die höhnischen Vögel verbeugen zwischen den beiden fast leeren vergeudeten Trögen. Aber dann wiegen sie wieder und schläfern und äugen, spielen mit dunkelen Zungen, die gerne lögen, zerstreut an den Fußfesselringen. Warten auf Zeugen. DIE PARKE I Unaufhaltsam heben sich die Parke aus dem sanft zerfallenden Vergehn; überhäuft mit Himmeln, überstarke Überlieferte, die überstehn, um sich auf den klaren Rasenplänen auszubreiten und zurückzuziehn, immer mit demselben souveränen Aufwand, wie beschützt durch ihn, und den unerschöpflichen Erlös königlicher Größe noch vermehrend, aus sich steigend, in sich wiederkehrend: huldvoll, prunkend, purpurn und pompös. II Leise von den Alleen ergriffen, rechts und links, folgend dem Weitergehen irgendeines Winks, trittst du mit einem Male in das Beisammensein einer schattigen Wasserschale mit vier Bänken aus Stein; in eine abgetrennte Zeit, die allein vergeht. Auf feuchte Postamente, auf denen nichts mehr steht, hebst du einen tiefen erwartenden Atemzug; während das silberne Triefen vor dem dunkeln Bug dich schon zu den Seinen zählt und weiterspricht. Und du fühlst dich unter Steinen, die hören, und rührst dich nicht. III Den Teichen und den eingerahmten Weihern verheimlicht man noch immer das Verhör der Könige. Sie warten unter Schleiern, und jeden Augenblick kann Monseigneur vorüberkommen; und dann wollen sie des Königs Laune oder Trauer mildern und von den Marmorrändern wieder die Teppiche mit alten Spiegelbildern hinunterhängen, wie um einen Platz: auf grünem Grund, mit Silber, Rosa, Grau, gewährtem Weiß und leicht gerührtem Blau und einem Könige und einer Frau und Blumen in dem wellenden Besatz. IV Und Natur, erlaucht und als verletze sie nur unentschloßnes Ungefähr, nahm von diesen Königen Gesetze, selber selig, um den Tapis-vert ihrer Bäume Traum und Übertreibung aufzutürmen aus gebauschtem Grün und die Abende nach der Beschreibung von Verliebten in die Avenün einzumalen mit dem weichen Pinsel, der ein firnisklares aufgelöstes Lächeln glänzend zu enthalten schien: der Natur ein liebes, nicht ihr größtes, aber eines, das sie selbst verliehn, um auf rosenvoller Liebes-Insel es zu einem größern aufzuziehn. V Götter von Alleen und Altanen, niemals ganzgeglaubte Götter, die altern in den gradbesehnittnen Bahnen, höchstens angelächelte Dianen, wenn die königliche Venerie wie ein Wind die hohen Morgen teilend aufbrach, übereilt und übereilend--; höchstens angelächelte, doch nie angeflehte Götter. Elegante Pseudonyme, unter denen man sich verbarg und blühte oder brannte,-- leichtgeneigte, lächelnd angewandte Götter, die noch manchmal dann und wann das gewähren, was sie einst gewährten, wenn das Blühen der entzückten Gärten ihnen ihre kalte Haltung nimmt; wenn sie ganz von ersten Schatten beben und Versprechen um Versprechen geben, alle unbegrenzt und unbestimmt. VI Fühlst du, wie keiner von allen Wegen steht und stockt; von gelassenen Treppen fallen, durch ein Nichts von Neigung leise weitergelockt, über alle Terrassen die Wege, zwischen den Massen verlangsamt und gelenkt, bis zu den weiten Teichen, wo sie (wie einem Gleichen) der reiche Park verschenkt an den reichen Raum: den Einen, der mit Scheinen und Widerscheinen seinen Besitz durchdringt, aus dem er von allen Seiten Weiten mit sich bringt, wenn er aus schließenden Weihern zu wolkigen Abendfeiern sich in die Himmel schwingt. VII Aber Schalen sind, drin der Najaden Spiegelbilder, die sie nicht mehr baden, wie ertrunken liegen, sehr verzerrt; die Alleen sind durch Balustraden in der Ferne wie versperrt. Immer geht ein feuchter Blätterfall durch die Luft hinunter wie auf Stufen, jeder Vogelruf ist wie verrufen, wie vergiftet jede Nachtigall. Selbst der Frühling ist da nicht mehr gebend, diese Büsche glauben nicht an ihn; ungern duftet trübe, überlebend abgestandener Jasmin alt und mit Zerfallendem vermischt. Mit dir weiter rückt ein Bündel Mücken, so als würde hinter deinem Rücken alles gleich vernichtet und verwischt. BILDNIS Daß von dem verzichtenden Gesichte keiner ihrer großen Schmerzen fiele, trägt sie langsam durch die Trauerspiele ihrer Züge schönen welken Strauß, wild gebunden und schon beinah lose; manchmal fällt, wie eine Tuberose, ein verlornes Lächeln müd heraus. Und sie geht gelassen drüber hin, müde, mit den schönen blinden Händen, welche wissen, daß sie es nicht fänden, und sie sagt Erdichtetes, darin Schicksal schwankt, gewolltes, irgendeines, und sie gibt ihm ihrer Seele Sinn, daß es ausbricht wie ein Ungemeines: wie das Schreien eines Steines-- und sie läßt mit hochgehobnem Kinn alle diese Worte wieder fallen, ohne bleibend; denn nicht eins von allen ist der wehen Wirklichkeit gemäß, ihrem einzigen Eigentum, das sie wie ein fußloses Gefäß halten muß, hoch über ihren Ruhm und den Gang der Abende hinaus. VENEZIANISCHER MORGEN RICHARD BEER-HOFMANN ZUGEEIGNET Fürstlich verwöhnte Fenster sehen immer, was manchesmal uns zu bemühn geruht: die Stadt, die immer wieder, wo ein Schimmer von Himmel trifft auf ein Gefühl von Flut, sich bildet, ohne irgendwann zu sein. Ein jeder Morgen muß ihr die Opale erst zeigen, die sie gestern trug, und Reihn von Spiegelbildern ziehn aus dem Kanale, und sie erinnern an die andern Male: dann gibt sie sich erst zu und fällt sich ein wie eine Nymphe, die den Zeus empfing. Das Ohrgehäng erklingt an ihrem Ohre; sie aber hebt San Giorgio Maggiore und lächelt lässig in das schöne Ding. SPÄTHERBST IN VENEDIG Nun treibt die Stadt schon nicht mehr wie ein Köder, der alle aufgetauchten Tage fängt. Die gläsernen Paläste klingen spröder an deinen Blick. Und aus den Gärten hängt der Sommer wie ein Haufen Marionetten kopfüber, müde, umgebracht. Aber vom Grund aus alten Waldskeletten steigt Willen auf: als sollte über Nacht der General des Meeres die Galeeren verdoppeln in dem wachen Arsenal, um schon die nächste Morgenluft zu teeren mit einer Flotte, welche ruderschlagend sich drängt und jäh, mit allen Flaggen tagend, den großen Wind hat, strahlend und fatal. SAN MARCO VENEDIG In diesem Innern, das wie ausgehöhlt sich wölbt und wendet in die goldnen Smalten, rundkantig, glatt, mit Köstlichkeit geölt, ward dieses Staates Dunkelheit gehalten und heimlich aufgehäuft, als Gleichgewicht des Lichtes, das in allen seinen Dingen sich so vermehrte, daß sie fast vergingen. Und plötzlich zweifelst du: vergehn sie nicht? und drängst zurück die harte Galerie, die wie ein Gang im Bergwerk nah am Glanz der Wölbung hängt; und du erkennst die heile Helle des Ausblicks: aber irgendwie wehmütig messend ihre müde Weile am nahen Überstehn des Viergespanns. EIN DOGE Fremde Gesandte sahen, wie sie geizten mit ihm und allem, was er tat; während sie ihn zu seiner Größe reizten, umstellten sie das goldene Dogat mit Spähern und Beschränkern immer mehr, bange, daß nicht die Macht sie überfällt, die sie in ihm (so wie man Löwen hält) vorsichtig nährten. Aber er, im Schutze seiner halbverhängten Sinne, ward dessen nicht gewahr und hielt nicht inne, größer zu werden. Was die Signorie in seinem Innern zu bezwingen glaubte, bezwang er selbst. In seinem greisen Haupte war es besiegt. Sein Antlitz zeigte wie. DIE LAUTE Ich bin die Laute. Willst du meinen Leib beschreiben, seine schön gewölbten Streifen: sprich so, als sprächest du von einer reifen gewölbten Feige. Übertreib das Dunkel, das du in mir siehst. Es war Tullias Dunkelheit. In ihrer Scham war nicht so viel, und ihr erhelltes Haar war wie ein heller Saal. Zuweilen nahm sie etwas Klang von meiner Oberfläche in ihr Gesicht und sang zu mir. Dann spannte ich mich gegen ihre Schwäche, und endlich war mein Inneres in ihr. DER ABENTEURER I Wenn er unter jene, welche waren, trat: der Plötzliche, der schien, war ein Glanz wie von Gefahren in dem ausgesparten Raum um ihn, den er lächelnd überschritt, um einer Herzogin den Fächer aufzuheben: diesen warmen Fächer, den er eben wollte fallen sehen. Und wenn keiner mit ihm eintrat in die Fensternische (wo die Parke gleich ins Träumerische stiegen, wenn er nur nach ihnen wies), ging er lässig an die Kartentische und gewann. Und unterließ nicht, die Blicke alle zu behalten, die ihn zweifelnd oder zärtlich trafen, und auch die in Spiegel fielen, galten. Er beschloß, auch heute nicht zu schlafen, wie die letzte lange Nacht, und bog einen Blick mit seinem rücksichtslosen, welcher war: als hätte er von Rosen Kinder, die man irgendwo erzog. II In den Tagen--(nein, es waren keine), da die Flut sein unterstes Verlies ihm bestritt, als war es nicht das seine, und ihn, steigend, an die Steine der daran gewöhnten Wölbung stieß, fiel ihm plötzlich einer von den Namen wieder ein, die er vor Zeiten trug. Und er wußte wieder: Leben kamen, wenn er lockte; wie im Flug kamen sie: noch warme Leben Toter, die er, ungeduldiger, bedrohter, weiterlebte mitten drin; oder die nicht ausgelebten Leben, und er wußte sie hinaufzuheben, und sie hatten wieder Sinn. Oft war keine Stelle an ihm sicher, und er zitterte: Ich bin ---- doch im nächsten Augenblicke glich er dem Geliebten einer Königin. Immer wieder war ein Sein zu haben: die Geschicke angefangner Knaben, die, als hätte man sie nicht gewagt, abgebrochen waren, abgesagt, nahm er auf und riß sie in sich hin; denn er mußte einmal nur die Gruft solcher Aufgegebener durchschreiten, und die Düfte ihrer Möglichkeiten lagen wieder in der Luft. FALKEN-BEIZE Kaiser sein heißt unverwandelt vieles überstehen bei geheimer Tat: wenn der Kanzler nachts den Turm betrat, fand er ihn, des hohen Federspieles kühnen fürstlichen Traktat in den eingeneigten Schreiber sagen; denn er hatte im entlegnen Saale selber nächtelang und viele Male das noch ungewohnte Tier getragen, wenn es fremd war, neu und aufgebräut. Und er hatte dann sich nie gescheut, Pläne, welche in ihm aufgesprungen oder zärtlicher Erinnerungen tieftiefinneres Geläut zu verachten, um des bangen jungen Falken willen, dessen Blut und Sorgen zu begreifen er sich nicht erließ. Dafür war er auch wie mitgehoben, wenn der Vogel, den die Herren loben, glänzend von der Hand geworfen, oben in dem mitgefühlten Frühlingsmorgen wie ein Engel auf den Reiher stieß. CORRIDA IN MEMORIAM MONTEZ, 1830 Seit er, klein beinah, aus dem Toril ausbrach, aufgescheuchten Augs und Ohrs, und den Eigensinn des Picadors und die Bänderhaken wie im Spiel hinnahm, ist die stürmische Gestalt angewachsen--sieh: zu welcher Masse, aufgehäuft aus altem schwarzen Hasse, und das Haupt zu einer Faust geballt, nicht mehr spielend gegen irgendwen, nein: die blutigen Nackenhaken hissend hinter den gefällten Hörnern, wissend und von Ewigkeit her gegen den, der in Gold und mauver Rosaseide plötzlich umkehrt und, wie einen Schwärm Bienen und als ob er's eben leide, den Bestürzten unter seinem Arm durchläßt,--während seine Blicke heiß sich noch einmal heben, leichtgelenkt, und als schlüge draußen jener Kreis sich aus ihrem Glanz und Dunkel nieder und aus jedem Schlagen seiner Lider, ehe er gleichmütig, ungehässig, an sich selbst gelehnt, gelassen, lässig in die wiederhergerollte große Woge über dem verlornen Stoße seinen Degen beinah sanft versenkt. DON JUANS KINDHEIT In seiner Schlankheit war, schon fast entscheidend, der Bogen, der an Frauen nicht zerbricht; und manchmal, seine Stirne nicht mehr meidend, ging eine Neigung durch sein Angesicht zu einer, die vorüberkam, zu einer, die ihm ein fremdes altes Bild verschloß: er lächelte. Er war nicht mehr der Weiner, der sich ins Dunkel trug und sich vergoß. Und während ein ganz neues Selbstvertrauen ihn öfter tröstete und fast verzog, ertrug er ernst den ganzen Blick der Frauen, der ihn bewunderte und ihn bewog. DON JUANS AUSWAHL Und der Engel trat ihn an: Bereite dich mir ganz. Und da ist mein Gebot. Denn daß einer jene überschreite, die die Süßesten an ihrer Seite bitter machen, tut mir not. Zwar auch du kannst wenig besser lieben, (unterbrich mich nicht: du irrst), doch du glühest, und es steht geschrieben, daß du viele führen wirst zu der Einsamkeit, die diesen tiefen Eingang hat. Laß ein die, die ich dir zugewiesen, daß sie wachsend Heloïsen überstehn und Überschrein. SANKT GEORG Und sie hatte ihn die ganze Nacht angerufen, hingekniet, die schwache wache Jungfrau: Siehe, dieser Drache, und ich weiß es nicht, warum er wacht. Und da brach er aus dem Morgengraun auf dem Falben, strahlend Helm und Haubert, und er sah sie, traurig und verzaubert aus dem Knieen aufwärtsschaun zu dem Glänze, der er war. Und er sprengte glänzend längs der Länder abwärts mit erhobnem Doppelhänder in die offene Gefahr, viel zu furchtbar, aber doch erfleht. Und sie kniete knieender, die Hände fester faltend, daß er sie bestände; denn sie wußte nicht, daß der besteht, den ihr Herz, ihr reines und bereites, aus dem Licht des göttlichen Geleites niederreißt. Zu Seiten seines Streites stand, wie Türme stehen, ihr Gebet. DAME AUF EINEM BALKON Plötzlich tritt sie, in den Wind gehüllt, licht in Lichtes, wie herausgegriffen, während jetzt die Stube wie geschliffen hinter ihr die Türe füllt dunkel wie der Grund einer Kamee, die ein Schimmern durchläßt durch die Ränder; und du meinst, der Abend war nicht, ehe sie heraustrat, um auf das Geländer noch ein wenig von sich fortzulegen, noch die Hände,--um ganz leicht zu sein: wie dem Himmel von den Häuserreihn hingereicht, von allem zu bewegen. BEGEGNUNG IN DER KASTANIEN-ALLEE Ihm ward des Eingangs grüne Dunkelheit kühl wie ein Seidenmantel umgegeben, den er noch nahm und ordnete: als eben am andern transparenten Ende, weit, aus grüner Sonne, wie aus grünen Scheiben, weiß eine einzelne Gestalt aufleuchtete, um lange fern zu bleiben und schließlich, von dem Lichterniedertreiben bei jedem Schritte überwallt, ein helles Wechseln auf sich herzutragen, das scheu im Blond nach hinten lief. Aber auf einmal war der Schatten tief, und nahe Augen lagen aufgeschlagen in einem neuen deutlichen Gesicht, das wie in einem Bildnis verweilte in dem Moment, da man sich wieder teilte: erst war es immer, und dann war es nicht. DIE SCHWESTERN Sieh, wie sie dieselben Möglichkeiten anders an sich tragen und verstehn, so als sähe man verschiedne Zeiten durch zwei gleiche Zimmer gehn. Jede meint die andere zu stützen, während sie doch müde an ihr ruht; und sie können nicht einander nützen, denn sie legen Blut auf Blut, wenn sie sich wie früher sanft berühren und versuchen, die Allee entlang sich geführt zu fühlen und zu führen: ach, sie haben nicht denselben Gang. ÜBUNG AM KLAVIER Der Sommer summt. Der Nachmittag macht müde; sie atmete verwirrt ihr frisches Kleid und legte in die triftige Etüde die Ungeduld nach einer Wirklichkeit, die kommen konnte morgen, heute abend, die vielleicht da war, die man nur verbarg; und vor den Fenstern, hoch und alles habend, empfand sie plötzlich den verwöhnten Park. Da brach sie ab; schaute hinaus, verschränkte die Hände, wünschte sich ein langes Buch und schob auf einmal den Jasmingeruch erzürnt zurück. Sie fand, daß er sie kränkte. DIE LIEBENDE Das ist mein Fenster. Eben bin ich so sanft erwacht. Ich dachte, ich würde schweben. Bis wohin reicht mein Leben, und wo beginnt die Nacht? Ich könnte meinen, alles wäre noch ich ringsum; durchsichtig wie eines Kristalles Tiefe, verdunkelt, stumm. Ich könnte auch noch die Sterne fassen in mir; so groß scheint mir mein Herz; so gerne ließ es ihn wieder los, den ich vielleicht zu lieben, vielleicht zu halten begann. Fremd wie niebeschrieben sieht mich mein Schicksal an. Was bin ich unter diese Unendlichkeit gelegt, duftend wie eine Wiese, hin und her bewegt, rufend zugleich und bange, daß einer den Ruf vernimmt, und zum Untergange in einem andern bestimmt. DAS ROSENINNERE Wo ist zu diesem Innen ein Außen? Auf welches Weh legt man solches Linnen? Welche Himmel spiegeln sich drinnen in dem Binnensee dieser offenen Rosen, dieser sorglosen, sieh: wie sie lose im Losen liegen, als könnte nie eine zitternde Hand sie verschütten. Sie können sich selber kaum halten; viele ließen sich überfüllen und fließen über von Innenraum in die Tage, die immer voller und voller sich schließen, bis der ganze Sommer ein Zimmer wird, ein Zimmer in einem Traum. DAMEN-BILDNIS AUS DEN ACHTZIGER JAHREN Wartend stand sie an den schwergerafften dunklen Atlasdraperien, die ein Aufwand falscher Leidenschaften über ihr zu ballen schien; seit den noch so nahen Mädchenjahren wie mit einer anderen vertauscht: müde unter den getürmten Haaren, in den Rüschen-Roben unerfahren und von allen Falten wie belauscht bei dem Heimweh und dem schwachen Planen, wie das Leben weiter werden soll: anders, wirklicher, wie in Romanen, hingerissen und verhängnisvoll,-- daß man etwas erst in die Schatullen legen dürfte, um sich im Geruch von Erinnerungen einzulullen; daß man endlich in dem Tagebuch einen Anfang fände, der nicht schon unterm Schreiben sinnlos wird und Lüge, und ein Blatt von einer Rose trüge in dem schweren leeren Medaillon, welches liegt auf jedem Atemzug. Daß man einmal durch das Fenster winkte diese schlanke Hand, die neuberingte, hätte dran für Monate genug. DAME VOR DEM SPIEGEL Wie in einem Schlaftrunk Spezerein, löst sie leise in dem flüssigklaren Spiegel ihr ermüdetes Gebaren; und sie tut ihr Lächeln ganz hinein. Und sie wartet, daß die Flüssigkeit davon steigt; dann gießt sie ihre Haare in den Spiegel und, die wunderbare Schulter hebend aus dem Abendkleid, trinkt sie still aus ihrem Bild. Sie trinkt, was ein Liebender im Taumel tränke, prüfend, voller Mißtraun; und sie winkt erst der Zofe, wenn sie auf dem Grunde ihres Spiegels Lichter findet, Schränke und das Trübe einer späten Stunde. DIE GREISIN Weiße Freundinnen mitten im Heute lachen und horchen und planen für morgen abseits erwägen gelassene Leute langsam ihre besonderen Sorgen, das Warum und das Wann und das Wie, und man hört sie sagen: Ich glaube--; aber in ihrer Spitzenhaube ist sie sicher, als wüßte sie, daß sie sich irren, diese und alle. Und das Kinn, im Niederfalle, lehnt sich an die weiße Koralle, die den Schal zur Stirne stimmt. Einmal aber, bei einem Gelache, holt sie aus springenden Lidern zwei wache Blicke und zeigt diese harte Sache, wie man aus einem geheimen Fache schöne ererbte Steine nimmt. DAS BETT Laß sie meinen, daß sich in privater Wehmut löst, was einer dort bestritt. Nirgend sonst als da ist ein Theater; reiß den hohen Vorhang fort--; da tritt vor den Chor der Nächte, der begann ein unendlich breites Lied zu sagen, jene Stunde auf, bei der sie lagen, und zerreißt ihr Kleid und klagt sich an, um der andern, um der Stunde willen, die sich wehrt und wälzt im Hintergrunde; denn sie konnte sie mit sich nicht stillen. Aber da sie zu der fremden Stunde sich gebeugt: da war auf ihr, was sie am Geliebten einst gefunden, nur so drohend und so groß verbunden und entzogen wie in einem Tier. DER FREMDE Ohne Sorgfalt, was die Nächsten dächten, die er müde nicht mehr fragen hieß, ging er wieder fort; verlor, verließ--. Denn er hing an solchen Reisenächten anders als an jeder Liebesnacht. Wunderbare hatte er durchwacht, die mit starken Sternen überzogen enge Fernen auseinanderbogen und sich wandelten wie eine Schlacht; andre, die mit in den Mond gestreuten Dörfern, wie mit hingehaltnen Beuten, sich ergaben, oder durch geschonte Parke graue Edelsitze zeigten, die er gerne in dem hingeneigten Haupte einen Augenblick bewohnte, tiefer wissend, daß man nirgends bleibt; und schon sah er bei dem nächsten Biegen wieder Wege, Brücken, Länder liegen bis an Städte, die man übertreibt. Und dies alles immer unbegehrend hinzulassen, schien ihm mehr als seines Lebens Lust, Besitz und Ruhm. Doch auf fremden Plätzen war ihm eines täglich ausgetretnen Brunnensteines Mulde manchmal wie ein Eigentum. DIE ANFAHRT War in des Wagens Wendung dieser Schwung? War er im Blick, mit dem man die barocken Engelfiguren, die bei blauen Glocken im Felde standen voll Erinnerung, annahm und hielt und wieder ließ, bevor der Schloßpark schließend um die Fahrt sich drängte, an die er streifte, die er überhängte und plötzlich freigab: denn da war das Tor, das nun, als hätte es sie angerufen, die lange Front zu einer Schwenkung zwang, nach der sie stand. Aufglänzend ging ein Gleiten die Glastür abwärts; und ein Windhund drang aus ihrem Aufgehn, seine nahen Seiten heruntertragend von den flachen Stufen. DIE SONNENUHR Selten reicht ein Schauer feuchter Fäule aus dem Gartenschatten, wo einander Tropfen fallen hören und ein Wander- vogel lautet, zu der Säule, die in Majoran und Koriander steht und Sommerstunden zeigt; nur sobald die Dame (der ein Diener nachfolgt) in dem hellen Florentiner über ihren Rand sich neigt, wird sie schattig und verschweigt--. Oder wenn ein sommerlicher Regen aufkommt aus dem wogenden Bewegen hoher Kronen, hat sie eine Pause; denn sie weiß die Zeit nicht auszudrücken, die dann in den Frucht- und Blumenstücken plötzlich glüht im weißen Gartenhause. SCHLAFMOHN Abseits im Garten blüht der böse Schlaf, in welchem die, die heimlich eingedrungen, die Liebe fanden junger Spiegelungen, die willig waren, offen und konkav, und Träume, die mit aufgeregten Masken auftraten, riesiger durch die Kothurne--: das alles stockt in diesen oben flasken weichlichen Stengeln, die die Samenurne (nachdem sie lang, die Knospe abwärts tragend zu welken meinten) festverschlossen heben: gefranste Kelche auseinanderschlagend, die fieberhaft das Mohngefäß umgeben. DIE FLAMINGOS PARIS, JARDIN DES PLANTES In Spiegelbildern wie von Fragonard ist doch von ihrem Weiß und ihrer Röte nicht mehr gegeben, als dir einer böte, wenn er von seiner Freundin sagt: sie war noch sanft von Schlaf. Denn steigen sie ins Grüne und stehn, auf rosa Stielen leicht gedreht, beisammen, blühend, wie in einem Beet, verführen sie verführender als Phryne sich selber; bis sie ihres Auges Bleiche hinhalsend bergen in der eignen Weiche, in welcher Schwarz und Fruchtrot sich versteckt. Auf einmal kreischt ein Neid durch die Volière; sie aber haben sich erstaunt gestreckt und schreiten einzeln ins Imaginäre. PERSISCHES HELIOTROP Es könnte sein, daß dir der Rose Lob zu laut erscheint für deine Freundin: nimm das schön gestickte Kraut und überstimm mit dringend flüsterndem Heliotrop den ßülbül, der an ihren Lieblingsplätzen sie schreiend preist und sie nicht kennt. Denn sieh: wie süße Worte nachts in Sätzen beisammenstehn ganz dicht, durch nichts getrennt, aus der Vokale wachem Violett hindüftend durch das stille Himmelbett--: so schließen sich vor dem gesteppten Laube deutliche Sterne zu der seidnen Traube und mischen, daß sie fast davon verschwimmt, die Stille mit Vanille und mit Zimt. SCHLAFLIED Einmal, wenn ich dich verlier, wirst du schlafen können, ohne daß ich wie eine Lindenkrone mich verflüstre über dir? Ohne daß ich hier wache und Worte, beinah wie Augenlider, auf deine Brüste, auf deine Glieder niederlege, auf deinen Mund? Ohne daß ich dich verschließ und dich allein mit Deinem lasse, wie einen Garten mit einer Masse von Melissen und Sternanis? DER PAVILLON Aber selbst noch durch die Flügeltüren mit dem grünen, regentrüben Glas ist ein Spiegeln lächelnder Allüren und ein Glanz von jenem Glück zu spüren, das sich dort, wohin sie nicht mehr führen, einst verbarg, verklärte und vergaß. Aber selbst noch in den Steingirlanden über der nicht mehr berührten Tür ist ein Hang zur Heimlichkeit vorhanden und ein stilles Mitgefühl dafür, und sie schauern manchmal wie gespiegelt, wenn ein Wind sie schattig überlief; auch das Wappen, wie auf einem Brief viel zu glücklich, überstürzt gesiegelt, redet noch. Wie wenig man verscheuchte: alles weiß noch, weint noch, tut noch weh. Und im Fortgehn durch die tränenfeuchte, abgelegene Allee fühlt man lang noch auf dem Rand des Dachs jene Urnen stehen, kalt, zerspalten, doch entschlossen, noch zusammzuhalten um die Asche alter Achs. DIE ENTFÜHRUNG Oft war sie als Kind ihren Dienerinnen entwichen, um die Nacht und den Wind (weil sie drinnen so anders sind) draußen zu sehn an ihrem Beginnen; doch keine Sturmnacht hatte gewiß den riesigen Park so in Stücke gerissen, wie ihn jetzt ihr Gewissen zerriß, da er sie nahm von der seidenen Leiter und sie weitertrug, weiter, weiter: bis der Wagen alles war. Und sie roch ihn, den schwarzen Wagen, um den verhalten das Jagen stand und die Gefahr. Und sie fand ihn mit Kaltem ausgeschlagen; und das Schwarze und Kalte war auch in ihr. Sie kroch in ihren Mantelkragen und befühlte ihr Haar, als bliebe es hier, und hörte fremd einen Fremden sagen: Ichbinbeidir. ROSA HORTENSIE Wer nahm das Rosa an? Wer wußte auch, daß es sich sammelte in diesen Dolden? Wie Dinge unter Gold, die sich entgolden, entröten sie sich sanft, wie im Gebrauch. Daß sie für solches Rosa nichts verlangen, bleibt es für sie und lächelt aus der Luft? Sind Engel da, es zärtlich zu empfangen, wenn es vergeht, großmütig wie ein Duft? Oder vielleicht auch geben sie es preis, damit es nie erführe vom Verblühn. Doch unter diesem Rosa hat ein Grün gehorcht, das jetzt verwelkt und alles weiß. DAS WAPPEN Wie ein Spiegel, der, von ferne tragend, lautlos in sich aufnahm, ist der Schild; offen einstens, dann zusammenschlagend über einem Spiegelbild jener Wesen, die in des Geschlechts Weiten wohnen, nicht mehr zu bestreiten, seiner Dinge, seiner Wirklichkeiten (rechte links und linke rechts), die er eingesteht und sagt und zeigt. Drauf, mit Ruhm und Dunkel ausgeschlagen, ruht der Spangenhelm, verkürzt, den das Flügelkleinod übersteigt, während seine Decke wie mit Klagen reich und aufgeregt herniederstürzt. DER JUNGGESELLE Lampe auf den verlassenen Papieren, und ringsum Nacht bis weit hinein ins Holz der Schränke. Und er konnte sich verlieren an sein Geschlecht, das nun mit ihm zerschmolz; ihm schien, je mehr er las, er hätte ihren, sie aber hatten alle seinen Stolz. Hochmütig steiften sich die leeren Stühle die Wand entlang, und lauter Selbstgefühle machten sich schläfernd in den Möbeln breit; von oben goß sich Nacht auf die Pendüle, und zitternd rann aus ihrer goldnen Mühle, ganz fein gemahlen, seine Zeit. Er nahm sie nicht. Um fiebernd unter jenen, als zöge er die Laken ihrer Leiber, andre Zeiten wegzuzerrn. Bis er ins Flüstern kam; (was war ihm fern?) Er lobte einen dieser Briefeschreiber, als sei der Brief an ihn: wie du mich kennst; und klopfte lustig auf die Seitenlehnen. Der Spiegel aber, innen unbegrenzter, ließ leise einen Vorhang aus, ein Fenster--: denn dorten stand, fast fertig, das Gespenst. DER EINSAME Nein: ein Turm soll sein aus meinem Herzen und ich selbst an seinen Rand gestellt: wo sonst nichts mehr ist, noch einmal Schmerzen und Unsäglichkeit, noch einmal Welt. Noch ein Ding allein im Übergroßen, welches dunkel wird und wieder licht, noch ein letztes, sehnendes Gesicht in das Nie-zu-Stillende verstoßen, noch ein äußerstes Gesicht aus Stein, willig seinen inneren Gewichten, das die Weiten, die es still vernichten, zwingen, immer seliger zu sein. DER LESER Wer kennt ihn, diesen, welcher sein Gesicht wegsenkte aus dem Sein zu einem zweiten, das nur das schnelle Wenden voller Seiten manchmal gewaltsam unterbricht? Selbst seine Mutter wäre nicht gewiß, ob er es ist, der da mit seinem Schatten Getränktes liest. Und wir, die Stunden hatten, was wissen wir, wieviel ihm hinschwand, bis er mühsam aufsah: alles auf sich hebend, was unten in dem Buche sich verhielt, mit Augen, welche, statt zu nehmen, gebend anstießen an die fertig-volle Welt: wie stille Kinder, die allein gespielt, auf einmal das Vorhandene erfahren; doch seine Züge, die geordnet waren, blieben für immer umgestellt. DER APFELGARTEN BORGEBY-GARD Komm gleich nach dem Sonnenuntergänge, sieh das Abendgrün des Rasengrunds; ist es nicht, als hätten wir es lange angesammelt und erspart in uns, um es jetzt aus Fühlen und Erinnern, neuer Hoffnung, halbvergeßnem Freun, noch vermischt mit Dunkel aus dem Innern, in Gedanken vor uns hinzustreun unter Bäume wie von Dürer, die das Gewicht von hundert Arbeitstagen in den überfüllten Früchten tragen, dienend, voll Geduld, versuchend, wie das, was alle Maße übersteigt, noch zu heben ist und hinzugeben, wenn man willig, durch ein langes Leben nur das Eine will und wächst und schweigt? DIE BERUFUNG Da aber als in sein Versteck der Hohe, sofort Erkennbare: der Engel, trat aufrecht, der lautere und lichterlohe, da tat er allen Anspruch ab und bat, bleiben zu dürfen, der von seinen Reisen innen verwirrte Kaufmann, der er war; er hatte nie gelesen und nun gar ein solches Wort, zu viel für einen Weisen. Der Engel aber, herrisch, wies und wies ihm, was geschrieben stand auf seinem Blatte, und gab nicht nach und wollte wieder: lies. Da las er: so, daß sich der Engel bog, und war schon einer, der gelesen _hatte_ und konnte und gehorchte und vollzog. DER BERG Sechsunddreißigmal und hundertmal hat der Maler jenen Berg geschrieben, weggerissen, wieder hingetrieben (sechsunddreißigmal und hundertmal) zu dem unbegreiflichen Vulkane, selig, voll Versuchung, ohne Rat,-- während der mit Umriß Angetane seiner Herrlichkeit nicht Einhalt tat: tausendmal aus allen Tagen tauchend, Nächte ohnegleichen von sich ab fallen lassend, alle wie zu knapp; jedes Bild im Augenblick verbrauchend, von Gestalt gesteigert zu Gestalt, teilnahmslos und weit und ohne Meinung--, um auf einmal wissend, wie Erscheinung, sich zu heben hinter jedem Spalt. DER BALL Du Runder, der das Warme aus zwei Händen im Fliegen oben fortgibt, sorglos wie sein Eigenes; was in den Gegenständen nicht bleiben kann, zu unbeschwert für sie, zu wenig Ding und doch noch Ding genug, um nicht aus allem draußen Aufgereihten unsichtbar plötzlich in uns einzugleiten: das glitt in dich, du zwischen Fall und Flug noch Unentschlossener, der, wenn er steigt, als hätte er ihn mit hinaufgehoben, den Wurf entführt und freiläßt--, und sich neigt und einhält und den Spielenden von oben auf einmal eine neue Stelle zeigt, sie ordnend wie zu einer Tanzfigur, um dann, erwartet und erwünscht von allen, rasch, einfach, kunstlos, ganz Natur, dem Becher hoher Hände zuzufallen. DAS KIND Unwillkürlich sehn sie seinem Spiel lange zu; zuweilen tritt das runde seiende Gesicht aus dem Profil, klar und ganz wie eine volle Stunde, welche anhebt und zu Ende schlägt. Doch die andern zählen nicht die Schläge, trüb von Mühsal und vom Leben träge; und sie merken gar nicht, wie es trägt--; wie es alles trägt, auch dann, noch immer, wenn es müde in dem kleinen Kleid neben ihnen wie im Wartezimmer sitzt und warten will auf seine Zeit. DER HUND Da oben wird das Bild von einer Welt aus Blicken immerfort erneut und gilt. Nur manchmal, heimlich, kommt ein Ding und stellt sich neben ihn, wenn er durch dieses Bild sich drängt, ganz unten, anders, wie er ist; nicht ausgestoßen und nicht eingereiht und wie im Zweifel seine Wirklichkeit weggebend an das Bild, das er vergißt, um dennoch immer wieder sein Gesicht hineinzuhalten, fast mit einem Flehen, beinah begreifend, nah am Einverstehen und doch verzichtend: denn er wäre nicht. DER KÄFERSTEIN Sind nicht Sterne fast in deiner Nähe, und was gibt es, das du nicht umspannst, da du dieser harten Skarabäe Karneolkern gar nicht fassen kannst ohne jenen Raum, der ihre Schilder niederhält, auf deinem ganzen Blut mitzutragen; niemals war er milder, näher, hingegebener. Er ruht seit Jahrtausenden auf diesen Käfern, wo ihn keiner braucht und unterbricht; und die Käfer schließen sich und schläfern unter seinem wiegenden Gewicht. BUDDHA IN DER GLORIE Mitte aller Mitten, Kern der Kerne, Mandel, die sich einschließt und versüßt,-- dieses alles bis an alle Sterne ist dein Fruchtfleisch: Sei gegrüßt. Sieh, du fühlst, wie nichts mehr an dir hängt; im Unendlichen ist deine Schale, und dort steht der starke Saft und drängt. Und von außen hilft ihm ein Gestrahle, denn ganz oben werden deine Sonnen voll und glühend umgedreht. Doch in dir ist schon begonnen, was die Sonnen übersteht. INHALT Archaischer Torso Apollos Kretische Artemis Leda Delphine Die Insel der Sirenen Klage um Antinous Der Tod der Geliebten Klage um Jonathan Tröstung des Elia Saul unter den Propheten Samuels Erscheinung vor Saul Ein Prophet Jeremias Eine Sibylle Absaloms Abfall Esther Der aussätzige König Legende von den drei Lebendigen und den drei Toten Der König von Münster Totentanz Das Jüngste Gericht Die Versuchung Der Alchimist Der Reliquienschrein Das Gold Der Stylit Die ägyptische Maria Kreuzigung Der Auferstandene Magnifikat Adam Eva Irre im Garten (Dijon) Die Irren Aus dem Leben eines Heiligen Die Bettler Fremde Familie Leichenwäsche Eine von den Alten (Paris) Der Blinde (Paris) Eine Welke Abendmahl Die Brandstätte Die Gruppe (Paris) Schlangenbeschwörung Schwarze Katze Vor-Ostern (Neapel) Der Balkon (Neapel) Auswanderer-Schiff (Neapel) Landschaft Römische Campagna Lied vom Meer (Capri, Piccola Marina) Nächtliche Fahrt (Sankt Petersburg) Papageienpark (Paris) Die Parke I-VII Bildnis Venezianischer Morgen Spätherbst in Venedig San Marco (Venedig) Ein Doge Die Laute Der Abenteurer I, II Falkenbeize Corrida (In memoriam Montez, 1830) Don Juans Kindheit Don Juans Auswahl Sankt Georg Dame auf einem Balkon Begegnung in der Kastanien-Allee Die Schwestern Übung am Klavier Die Liebende Das Roseninnere Damen-Bildnis aus den achtziger Jahren Dame vor dem Spiegel Die Greisin Das Bett Der Fremde Die Anfahrt Die Sonnenuhr Schlafmohn Die Flamingos (Paris, Jardin des Plantes) Persisches Heliotrop Schlaflied Der Pavillon Die Entführung Rosa Hortensie Das Wappen Der Junggeselle Der Einsame Der Leser Der Apfelgarten (Borgeby-Gard) Die Berufung Der Berg Der Ball Das Kind Der Hund Der Käferstein Buddha in der Glorie *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER NEUEN GEDICHTE: ANDERER TEIL *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. 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