The Project Gutenberg eBook of Oberon

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Title: Oberon

Author: Christoph Martin Wieland

Release date: May 1, 2000 [eBook #2187]
Most recently updated: April 3, 2015

Language: German

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK OBERON ***

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Michael Pullen globaltraveler5565@yahoo.com

Oberon
Christoph Martin Wieland

Ein romantisches Heldengedicht in zwölf Gesängen (1780)

Inhalt:

* Vorrede * 1. Gesang * 2. Gesang * 3. Gesang * 4. Gesang * 5. Gesang * 6. Gesang * 7. Gesang * 8. Gesang * 9. Gesang * 10. Gesang * 11. Gesang * 12. Gesang * Glossarium A-K * Glossarium L-Z

An den Leser.

Die Romanzen und Ritterbücher, womit Spanien und Frankreich im zwölften, dreyzehnten und vierzehnten Jahrhundert ganz Europa so reichlich versehen haben, sind, eben so wie die fabelhafte Götter—und Heldengeschichte der Morgenländer und der Griechen, eine Fundgrube von poetischem Stoffe, welche, selbst nach allem was Bojardo, Ariost, Tasso, Allemanni, und andere daraus gezogen haben, noch lange für unerschöpflich angesehen werden kann.

Ein großer Theil der Materialien zu gegenwärtigem Gedichte, besonders dessen was man in der Kunstsprache die Fabel nennt, ist aus dem alten Ritterbuche von Huon de Bordeaux genommen, welches durch einen der Bibliotheque Universelle des Romans einverleibten freyen Auszug, aus der Feder des verstorbenen Grafen von Tressan, allgemein bekannt ist. Aber der Oberon, der in diesem alten Ritterromane die Rolle des Deus ex machina spielt, und der Oberon, der dem gegenwärtigen Gedichte seinen Nahmen gegeben, sind zwey sehr verschiedene Wesen. Jener ist eine seltsame Art von Spuk, ein Mittelding von Mensch und Kobold, der Sohn Julius Cäsars und einer Fee, der durch eine sonderbare Bezauberung in einen Zwerg verwandelt ist; der meinige ist mit dem Oberon, welcher in Chaucers "Merchant's-Tale" und Shakspeares "Midsummer-Night's-Dream" als ein Feen—oder Elfenkönig (King of Fayries) erscheint, eine und eben dieselbe Person; und die Art, wie die Geschichte seines Zwistes mit seiner Gemahlin Titania in die Geschichte Hüons und Rezia's eingewebt worden, scheint mir (mit Erlaubniß der Kunstrichter) die eigenthümlichste Schönheit des Plans und der Komposizion dieses Gedichtes zu seyn.

In der That ist "Oberon" nicht nur aus zwey, sondern, wenn man es genau nehmen will, aus drey Haupthandlungen zusammen gesetzt: nehmlich, aus dem Abenteuer, welches Hüon auf Befehl des Kaisers zu bestehen übernommen, der Geschichte seiner Liebesverbindung mit Rezia, und der Wiederaussöhnung der Titania mit Oberon: aber diese drey Handlungen oder Fabeln sind dergestalt in Einen Hauptknoten verschlungen, daß keine ohne die andere bestehen oder einen glücklichen Ausgang gewinnen konnte. Ohne Oberons Beystand würde Hüon Kaiser Karls Auftrag unmöglich haben ausführen können: ohne seine Liebe zu Rezia, und ohne die Hoffnung, welche Oberon auf die Treue und Standhaftigkeit der beiden Liebenden, als Werkzeugen seiner eignen Wiedervereinigung mit Titania, gründete, würde dieser Geisterfürst keine Ursache gehabt haben, einen so innigen Antheil an ihren Schicksalen zu nehmen. Aus dieser auf wechselseitige Unentbehrlichkeit gegründeten Verwebung ihres verschiedenen Interesse entsteht eine Art von Einheit, die, meines Erachtens, das Verdienst der Neuheit hat, und deren gute Wirkung der Leser durch seine eigene Theilnehmung an den sämmtlichen handelnden Personen zu stark fühlt, als daß sie ihm irgend ein Kunstrichter wegdisputieren könnte.

An Se. Durchlaucht den Prinzen
August von Sachsen-Gotha und Altenburg.

Der Grazien schönste weyhet, am Altar der Freundschaft, Bester Prinz, Dir diese Blumen, gepflegt von einer Muse die Du liebst. Sie blühten unter Deinen Blicken auf, und Du ergöztest Dich an ihrem Duft. Bescheiden ist ihr Glanz; allein mir sagt's ein Genius, sie werden nie verblühen: und wenn dereinst nichts übrig ist von mir als sie—und auch von Dir, o Du Geliebter, nichts übrig ist, als Deiner schönen Seele und aller Deiner holden Tugenden Erinnerung: dann werden noch die Musen, stilltraurend—denn wer liebte sie wie Du?— die unverwelklichen um Deine Urne winden.

Erster Gesang.

1
Noch einmahl sattelt mir den Hippogryfen, ihr Musen,
Zum Ritt ins alte romantische Land!
Wie lieblich um meinen entfesselten Busen
Der holde Wahnsinn spielt! Wer schlang das magische Band
Um meine Stirne? Wer treibt von meinen Augen den Nebel
Der auf der Vorwelt Wundern liegt?
Ich seh', in buntem Gewühl, bald siegend, bald besiegt,
Des Ritters gutes Schwert, der Heiden blinkende Säbel.

2
Vergebens knirscht des alten Sultans Zorn,
Vergebens dräut ein Wald von starren Lanzen:
Es tönt in lieblichem Ton das elfenbeinerne Horn,
Und, wie ein Wirbel, ergreift sie alle die Wuth zu tanzen;
Sie drehen im Kreise sich um bis Sinn und Athem entgeht.
Triumf, Herr Ritter, Triumf! Gewonnen ist die Schöne.
Was säumt ihr? Fort! der Wimpel weht;
Nach Rom, daß euern Bund der heil'ge Vater kröne!

3
Nur daß der süßen verbotenen Frucht
Euch ja nicht vor der Zeit gelüste!
Geduld! der freundlichste Wind begünstigt eure Flucht,
Zwey Tage noch, so winkt Hesperiens goldne Küste.
O rette, rette sie, getreuer Scherasmin,
Wenn's möglich ist!—Umsonst! die trunknen Seelen hören
Sogar den Donner nicht. Unglückliche, wohin
Bringt euch ein Augenblick! Kann Liebe so bethören?

4
In welches Meer von Jammer stürzt sie euch!
Wer wird den Zorn des kleinen Halbgotts schmelzen?
Ach! wie sie Arm in Arm sich auf den Wogen wälzen!
Noch glücklich durch den Trost, zum wenigsten zugleich
Eins an des andern Brust zu sinken ins Verderben.
Ach! hofft es nicht! Zu sehr auf euch erbost
Versagt euch Oberon sogar den letzten Trost,
Den armen letzten Trost des Leidenden, zu sterben!

5
Zu strengern Qualen aufgespart
Seh' ich sie hülflos, nackt, am öden Ufer irren:
Ihr Lager eine Kluft, mit einer Hand voll dürren
Halb faulem Schilf bestreut; und Beeren wilder Art,
Die kärglich hier und dort an kahlen Hecken schmoren,
All' ihre Kost! In dieser dringenden Noth
Kein Hüttenrauch von fern, kein hülfewinkend Boot,
Glück, Zufall und Natur zu ihrem Fall verschworen!

6
Und noch ist nicht des Rächers Zorn erweicht,
Noch hat ihr Elend nicht die höchste Stuf' erreicht;
Es nährt nur ihre strafbar'n Flammen,
Sie leiden zwar, doch leiden sie beisammen.
Getrennt zu seyn, so wie in Donner und Blitz
Der wilde Sturm zwey Bruderschiffe trennet,
Und ausgelöscht, wenn im geheimsten Sitz
Der Hoffnung noch ein schwaches Flämmchen brennet:

7
Dieß fehlte noch!—O du, ihr Genius einst, ihr Freund!
Verdient, was Liebe gefehlt, die Rache sonder Grenzen?
Weh euch! Noch seh' ich Thränen in seinen Augen glänzen;
Erwartet das ärgste wenn Oberon weint!—
Doch, Muse, wohin reißt dich die Adlersschwinge
Der hohen trunknen Schwärmerey?
Dein Hörer steht bestürzt, er fragt sich was dir sey,
Und deine Gesichte sind ihm geheimnisvolle Dinge.

8
Komm, laß dich nieder zu uns auf diesen Kanapee,
Und—statt zu rufen, ich seh', ich seh,
Was niemand sieht als Du—erzähl' uns fein gelassen
Wie alles sich begab. Sieh, wie mit lauschendem Mund
Und weit geöffnetem Auge die Hörer alle passen,
Geneigt zum gegenseitigem Bund,
Wenn du sie täuschen kannst sich willig täuschen zu lassen.
Wohlan! so höret denn die Sache aus dem Grund!

9
Der Paladin, mit dessen Abenteuern
Wir euch zu ergetzen (wofern ihr noch ergetzbar seyd)
Entschlossen sind, war seit geraumer Zeit
Gebunden durch sein Wort nach Babylon zu steuern.
Was er zu Babylon verrichten sollte, war
Halsbrechend Werk, sogar in Karls des Großen Tagen:
In unsern würd' es, auf gleiche Gefahr,
Um allen Ruhm der Welt kein junger Ritter wagen.

10
Sohn, sprach sein Oheim zu ihm, der heil'ge Vater in Rom,
Zu dessen Füßen, mit einem reichlichen Strom
Bußfert'ger Zähren angefeuchtet,
Er, als ein frommer Christ, erst seine Schuld gebeichtet;
Sohn, sprach er, als er ihm den Ablaß segnend gab,
Zeuch hin in Frieden! Es wird dir wohl gelingen
Was du beginnst. Allein vor allen Dingen,
Wenn du nach Joppen kommst, besuch das heil'ge Grab!

11
Der Ritter küsset ihm in Demuth den Pantoffel,
Gelobt Gehorsam an, und zieht getrost dahin.
Schwer war das Werk, wozu der Kaiser ihn
Verurtheilt hatte; doch, mit Gott und Sankt Christoffel
Hofft er zu seinem Ruhm sich schon heraus zu ziehn.
Er steigt zu Joppen aus, tritt mit dem Pilgerstabe
Die Wallfahrt an zum werthen heil'gen Grabe,
Und fühlt sich nun an Muth und Glauben zwiefach kühn.

12
Drauf geht es mit verhängtem Zügel
Auf Bagdad los. Stets denkt er, kommt es bald?
Allein da lag noch mancher steile Hügel
Und manche Wüsteney und mancher dicke Wald
Dazwischen. Schlimm genug, daß in den Heidenlanden
Die schöne Sprache von Ok was unerhörtes war:
Ist dieß der nächste Weg nach Bagdad? fragt er zwar
An jedem Thore, doch von keiner Seele verstanden.

13
Einst traf der Weg der eben vor ihm lag
Auf einen Wald. Er ritt bey Sturm und Regen
Bald links bald rechts den ganzen langen Tag,
Und mußt' oft erst mit seinem breiten Degen
Durchs wilde Gebüsch sich einen Ausgang hau'n.
Er ritt Berg an, um freyer umzuschauen.
Weh ihm! Der Wald scheint sich von allen Seiten,
Je mehr er schaut, je weiter auszubreiten.

14
Was ganz natürlich war däucht ihm ein Zauberspiel.
Wie wird ihm erst, da in so wilden Gründen,
Woraus kaum möglich war bey Tage sich zu finden,
Zuletzt die Nacht ihn überfiel!
Sein Ungemach erreichte nun den Gipfel.
Kein Sternchen glimmt durch die verwachsnen Wipfel;
Er führt sein Pferd so gut er kann am Zaum,
Und stößt bey jedem Tritt die Stirn an einen Baum.

15
Die dichte rabenschwarze Hülle
Die um den Himmel liegt, ein unbekannter Wald,
Und, was zum ersten Mahl in seine Ohren schallt,
Der Löwen donnerndes Gebrülle
Tief aus den Bergen her, das, durch die Todesstille
Der Nacht noch schrecklicher, von Felsen wiederhallt:
Der Mann, der nie gebebt in seinem ganzen Leben,
Den machte alles dieß zum ersten Mahl erbeben!

16
Auch unser Held, wiewohl kein Weibessohn
Ihn jemahls zittern sah, fühlt doch bey diesem Ton
An Arm und Knie die Sehnen sich entstricken,
Und wider Willen läuft's ihm eiskalt übern Rücken.
Allein den Muth, der ihn nach Babylon
Zu gehen treibt, kann keine Furcht ersticken;
Und mit gezognem Schwert, sein Roß stets an der Hand,
Ersteigt er einen Pfad, der sich durch Felsen wand.

17
Er war nicht lange fortgegangen,
So glaubt er in der Fern' den Schein von Feuer zu sehn.
Der Anblick pumpt sogleich mehr Blut in seine Wangen,
Und, zwischen Zweifel, und Verlangen
Ein menschlich Wesen vielleicht in diesen öden Höh'n
Zu finden, fährt er fort dem Schimmer nachzugehn,
Der bald erstirbt und bald sich wieder zeiget
So wie der Pfad sich senket oder steiget.

18
Auf einmahl gähnt im tiefsten Felsengrund
Ihn eine Höhle an, vor deren finsterm Schlund
Ein prasselnd Feuer flammt. In wunderbaren Gestalten
Ragt aus der dunkeln Nacht das angestrahlte Gestein,
Mit wildem Gebüsche versetzt, das aus den schwarzen Spalten
Herab nickt, und im Wiederschein
Als grünes Feuer brennt. Mit lustvermengtem Grauen
Bleibt unser Ritter stehn, den Zauber anzuschauen.

19
Indem schallt aus dem Bauch der Gruft ein donnernd Halt!
Und plötzlich stand vor ihm ein Mann von rauher Gestalt,
Mit einem Mantel bedeckt von wilden Katzenfellen,
Der, grob zusammen geflickt, die rauhen Schenkel schlug;
Ein graulich schwarzer Bart hing ihm in krausen Wellen
Bis auf den Magen herab, und auf der Schulter trug
Er einen Cedernast, als Keule, schwer genug
Den größten Stier auf Einen Schlag zu fällen.

20
Der Ritter, ohne vor dem Mann
Und seiner Ceder und seinem Bart zu erschrecken,
Beginnt in der Sprache von Ok, der einzigen die er kann,
Ihm seinen Nothstand zu entdecken.
Was hör' ich? ruft entzückt der alte Waldmann aus:
O süße Musik vom Ufer der Garonne!
Schon sechzehnmahl durchläuft den Sternenkreis die Sonne,
Und alle die Zeit entbehr' ich diesen Ohrenschmaus.

21
Willkommen, edler Herr, auf Libanon, willkommen!
Wiewohl sich leicht erachten läßt
Daß ihr den Weg in dieses Drachennest
Um meinetwillen nicht genommen.
Kommt, ruhet aus, und nehmt ein leichtes Mahl für gut,
Wobey die Freundlichkeit des Wirths das beste thut.
Mein Wein (er springt aus diesem Felsenkeller)
Verdünnt das Blut, und macht die Augen heller.

22
Der Held, dem dieser Gruß gar große Freude gab,
Folgt ungesäumt dem Landsmann in die Grotte,
Legt traulich Helm und Panzer ab,
Und steht entwaffnet da, gleich einem jungen Gotte.
Dem Waldmann wird als rühr' ihn Alquifs Stab,
Da jener itzt den blanken Helm entschnallet,
Und ihm den schlanken Rücken hinab
Sein langes gelbes Haar in großen Ringen wallet.

23
Wie ähnlich, ruft er, o wie ähnlich, Stück für Stück!
Stirn, Auge, Mund und Haar!—Wem ähnlich? fragt der Ritter.
"Verzeihung, junger Mann! Es war ein Augenblick,
Ein Traum aus beßrer Zeit! so süß, und auch so bitter!
Es kann nicht seyn!—Und doch, wie euch dieß schöne Haar
Den Rücken herunter fiel, war mir's ich seh' Ihn selber
Von Kopf zu Fuß. Bey Gott! sein Abdruck, ganz und gar;
Nur Er von breit'rer Brust, und eure Locken gelber.

24
"Ihr seyd, der Sprache nach, aus meinem Lande; vielleicht
Ist's nicht umsonst, daß ihr dem guten Herrn so gleicht,
Um den ich hier in diesem wilden Haine,
So fern von meinem Volk, schon sechzehn Jahre weine.
Ach! ihn zu überleben war
Mein Schicksal! Diese Hand hat ihm die Augen geschlossen,
Dieß Auge sein frühes Grab mit treuen Zähren begossen,
Und itzt, ihn wieder in euch zu sehn, wie wunderbar!"

25
Der Zufall spielt zuweilen solche Spiele,
Versetzt der Jüngling.—Sey es dann,
Fährt jener fort: genug, mein wackrer junger Mann,
Die Liebe, womit ich mich zu euch gezogen fühle,
Ist traun! kein Wahn; und gönnet ihr den Lohn
Daß Scherasmin bey euerm Nahmen euch nenne?
"Mein Nahm' ist Hüon, Erb' und Sohn
Des braven Siegewin, einst Herzogs von Guyenne."

26
O! ruft der Alte, der ihm zu Füßen fällt,
So log mein Herz mir nicht! O tausendmahl willkommen
In diesem einsamen unwirthbaren Theil der Welt,
Willkommen, Sohn des ritterlichen, frommen,
Preiswerthen Herrn, mit dem in meiner bessern Zeit
Ich manches Abenteu'r in Schimpf und Ernst bestanden!
Ihr hüpftet noch im ersten Flügelkleid,
Als wir zum heiligen Grab zu fahren uns verbanden.

27
Wer hätte dazumahl gedacht,
Wir würden uns in diesen Felsenschlünden
Auf Libanon nach achtzehn Jahren finden?
Verzweifle keiner je, dem in der trübsten Nacht
Der Hoffnung letzte Sterne schwinden!
Doch, Herr, verzeiht daß mich die Freude plaudern macht.
Laßt mich vielmehr vor allen Dingen fragen,
Was für ein Sturmwind euch in dieses Land verschlagen?

28
Herr Hüon läßt am Feuerherd
Auf einer Bank von Moos sich mit dem Alten nieder,
Und als er drauf die reisemüden Glieder
Mit einem Trunk, so frisch die Quelle ihn beschert,
Und etwas Honigseim gestärket,
Beginnt er seine Geschichte dem Wirth erzählen, der sich
Nicht satt an ihm sehen kann, und stets noch was bemerket
Worin sein vor'ger Herr dem jungen Ritter glich.

29
Der junge Mann erzählt, nach Art der lieben Jugend,
Ein wenig breit: wie seine Mutter ihn
Bey Hofe (dem wahren Ort um Prinzen zu erziehn)
Gar fleißig zu guter Lehr' und ritterlicher Tugend
Erzogen; wie schnell der Kindheit lieblicher Traum
Vorüber geflogen; und wie, so bald ihm etwas Flaum
Durchs Kinn gestochen, man ihn zu Bordeaux, von den Stufen
Des Schlosses, mit großem Pomp zum Herzog ausgerufen;

30
Und wie sie drauf in eitel Lust und Pracht,
Mit Jagen, Turnieren, Banketten, Saus und Brause,
Zwey volle Jahre wie einzelne Tage verbracht;
Bis Amory, der Feind von seinem Hause,
Beym Kaiser (dessen Huld sein Vater schon verscherzt)
Ihn hinterrücks gar böslich angeschwärzt;
Und wie ihn Karl, zum Schein in allen Gnaden,
Nach Hofe, zum Empfang der Lehen, vorgeladen;

31
Wie sein besagter Feind, der listige Baron
Von Hohenblat, mit Scharlot, zweytem Sohn
Des großen Karls, dem schlimmsten Fürstenknaben
Im Christenthum, (als der schon lange Lust gehegt
Zu Hüons Land) es heimlich angelegt
Auf seinem Zuge nach Hof ihm eine Grube zu graben;
Und wie sie, eines Morgens früh,
Ihm aufgepaßt im Wald bey Montlery.

32
Mein Bruder, fuhr er fort, der junge Gerard, machte,
Mit seinem Falken auf der Hand,
Die Reise mit. Aus frohem Unverstand
Entfernt der Knabe sich, da niemand arges dachte,
Von unserm Trupp, läßt seinen Falken los,
Und rennt ihm nach: wir andern alle zogen
Indessen unsern Weg, und achteten's nicht groß
Als Falk' und Knab' aus unserm Blick entflogen.

33
Auf einmahl dringt ein klägliches Geschrey
In unser Ohr. Wir eilen schnell herbey,
Und siehe da! mein Bruder liegt, vom Pferde
Gestürzt, beschmutzt und blutend auf der Erde.
Ein Edelknecht (von keinem unsrer Schaar
Erkannt, wiewohl es Scharlot selber war)
Stand im Begriff ihn weidlich abzuwalken,
Und seitwärts hielt ein Zwerg mit seinem Falken.

34
Von Zorn entbrannt rief ich: Du Grobian,
Was hat der Knabe dir gethan,
Der wehrlos ist, ihm also mitzuspielen?
Zurück, und rühr' ihn noch mit einem Finger an,
Wofern dich's jückt mein Schwert in deinem Wanst zu fühlen.
Ha! schrie mir jener zu—bist du's? Dich sucht' ich just;
Schon lange dürst' ich nach der Lust
Mein racheglühend Herz in deinem Blut zu kühlen.

35
Kennst du mich nicht, so wiß', ich bin der Sohn
Des Herzogs Dietrich von Ardennen:
Dein Vater Siegewin (mög' er im Abgrund brennen!)
Trug über meinen einst bey einem offnen Rennen
Mit Hinterlist den Dank davon,
Und durch die Flucht allein entging er seinem Lohn.
Doch, Rache hab' ich ihm geschworen,
Du sollst mir zahlen für ihn! Da, sieh zu deinen Ohren!

36
Und mit dem Worte rennt er gegen mich,
Der, unbereit zu solchem Tanze,
Sich dessen nicht versah, mit eingelegter Lanze.
Zum Glück pariert' ich seinen Stich
Mit meinem linken Arm, um den ich in der Eile
Den Mantel schlug, und auf der Stell' empfing
Mit meinem Degenknopf der Unhold eine Beule
Am rechten Schlaf, wovon der Athem ihm entging.

37
Er fiel, mit Einem Wort, um nimmer aufzustehen.
Da ließen plötzlich sich im Walde Reiter sehen
In großer Zahl; doch des Erschlagnen Tod
Zu rächen, war dem feigen Troß nicht Noth.
Sie hielten, während wir des Knaben Wunde banden,
Sich still und fern, bis wir aus ihren Augen schwanden;
Drauf legten sie den Leichnam auf ein Roß
Und zogen eilends fort zum kaiserlichen Schloß.

38
Unwissend, wie bey Karl mein Handel sich verschlimmert,
Verfolg' ich meinen Weg, des Vorgangs unbekümmert.
Wir langen an. Mein alter Oheim, Abt
Zu Saint Denys, ein Mann mit Weisheit hochbegabt,
Führt beym Gehör das Wort. Wir werden wohl empfangen,
Und alles wär' erwünscht für uns ergangen:
Doch, wie man eben sich zur Tafel setzen will,
Hält Hohenblat am Schloß mit Scharlots Leiche still.

39
Zwölf Knappen tragen sie, in schwarzen Flor vermummt,
Die hohen Stufen hinan, und wer sie sieht verstummet
Und steht erstarrt. Sie nehmen ihren Lauf
Dem Sahle zu. Die Thüren springen auf:
Da tragen zwölf Gespenster eine Bahre,
Mit blut'gen Linnen bedeckt, bis mitten in den Sahl.
Der Kaiser selbst erblaßt, uns andern stehn ' die Haare
Zu Berg, und mich trifft's wie ein Wetterstrahl.

40
Indem tritt Amory hervor, hebt von der Leiche
Das blut'ge Tuch, und—"Sieh! (ruft er dem Kaiser zu)
Dieß ist dein Sohn! und hier der Frevler, der dem Reiche
Und dir die Wunde schlug, der Mörder unsrer Ruh!
Weh mir! ich kam zu spät dazu!
Sich nichts versehend fiel dein Scharlot im Gesträuche,
Durch Meuchelmord, nicht wie in offnem Feld
Von Rittershand ein ritterlicher Held."

41
Wie viel Verdrieß dem alten Herrn auch täglich
Sein böser Sohn gebracht, so blieb er doch sein Sohn,
Sein Fleisch und Blut. Erst stand er unbeweglich;
Dann schrie er laut vor Schmerz, mein Sohn! Mein Sohn!
Und warf sich in Verzweiflung neben
Den Leichnam hin. Mir war der bange Vaterton
Ein Dolch ins Herz; ich hätt' um Scharlots Leben
In diesem Augenblick mein bestes Blut gegeben.

42
Herr, rief ich, höre mich! Mein Will' ist ohne Schuld;
Er gab sich für den Sohn des Herzogs von Ardennen,
Und was er that, bey Gott! es hätte die Geduld
Von einem Heil'gen morden können!
Er schlug den Knaben dort, der ihm kein Leid gethan,
Sprach lästerlich von meines Vaters Ehre,
Fiel unverwarnt mich selber mörd'risch an—
Den möcht' ich sehn, der kalt geblieben wäre!

43
Ha! Bösewicht! schreyt Karl mich hörend, springt entbrannt
Vom Leichnam auf, mit Löwengrimm im Blicke,
Reißt einem Knecht das Eisen aus der Hand,
Und, hielten ihn mit Macht die Fürsten nicht zurücke,
Er hätt' in seiner Wuth mich durch und durch gerannt.
Auf einmahl rüttelt sich der ganze Ritterstand;
Ein wetterleuchtender Glanz von hundert bloßen Wehren
Scheint stracks in jeder Brust die Mordlust aufzustören.

44
Die Hall' erdonnert von Geschrey,
Das Ästrich bebt, die alten Fenster klirren.
Aus Jedem Mund schallt Mord! Verrätherey!
Die Sprachen scheinen sich aufs neue zu verwirren.
Man schnaubt, man rennt sich an, man zückt die drohende Hand.
Der Abt, den noch allein Sankt Benedikts Gewand
Vor Frevel schützt, hält endlich unsern Degen
Mit aufgehobnem Arm sein Skapulier entgegen.

45
Ehrt, ruft er laut, den heil'gen Vater in mir
Deß Sohn ich bin! Im Nahmen des Gottes, dem ich diene,
Gebiet' ich Fried'!—Er riefs mit einer Miene
Und einem Ton, der Heiden zur Gebühr
Genöthigt hätt'. Und stracks auf einmahl legen
Des Aufruhrs Wogen sich, erhellt sich jeder Blick,
Und jeder Dolch und jeder nackte Degen
Schleicht in die Scheide still zurück.

46
Nun trug der Abt den ganzen Verlauf der Sache
Dem Kaiser vor. Die Überredung saß
Auf seinen Lippen. Allein, was half mir das?
Die Leiche des Sohns liegt da und schreyt um Rache.
Hier, ruft der Vater, sieh, und sprich
Dem Mörder meines Sohns das Urtheil! Sprich's für mich!
Ja, rachedürstender Geist, dein Gaumen soll sich laben
An seinem Blut! Er sterb' und mäste die Raben!

47
Itzt schwoll mein Herz empor. Ich bin kein Mörder, schrie
Ich überlaut. Der Richter richtet nicht billig
In eigner Sache. Der Kläger Amory
Ist ein Verräther, Herr! Hier steh' ich, frey und willig,
Will in sein falsches Herz, mit meines Lebens Fahr,
Beweisen, daß er ein Schalk und Lügner ist, und war
Und bleiben wird, so lange sein Hauch die Luft vergiftet.
Sein Werk ist alles dieß, Er hat es angestiftet!

48
Ich bin, wie er, von fürstlichem Geschlecht,
Ein Pär des Reichs, und fordre hier mein Recht;
Der Kaiser kann mir's nicht versagen!
Da liegt mein Handschuh, laßt ihn's wagen
Ihn aufzunehmen, und Gott in seinem Gericht
Entscheide, welchen von uns die Stimme dieses Blutes
Zur Hölle donnern soll! Die Quelle meines Muthes
Ist meine Unschuld, Herr! Mich schreckt sein Donner nicht.

49
Die Fürsten des Kaiserreichs, so viel von ihnen zugegen,
Ein jeder sieht sich selbst in meiner Verdammung gekränkt.
Sie murmeln, dem Meere gleich, wenn sich von fern zu regen
Der Sturm beginnt: sie bitten, dringen, legen
Das Recht ihm vor. Umsonst! den starren Blick gesenkt
Auf Scharlots blutiges Haupt, kann nichts den Vater bewegen:
Wiewohl auch Hohenblat, der's für ein leichtes hält
Mir obzusiegen, selbst sich unter die Bittenden stellt.

50
Herr, spricht er, laßt mich gehn, den Frevler abzustrafen,
Ich wage nichts wo Pflicht und Recht mich schützt.
Ha! rief ich laut, von Scham und Grimm erhitzt,
Du spottest noch? Erzittre! immer schlafen
Des Rächers Blitze nicht.—Mein Schwert, ruft Hohenblat,
Soll, Mörder, sie auf deine Scheitel häufen!
Doch Karl, den meine Gluth nur mehr erbittert hat,
Befiehlt der Wache, mich zu greifen.

51
Dieß rasche Wort empört den ganzen Sahl
Von neuem; alle Schwerter blitzen,
Das Ritterrecht, das Karl in mir verletzt, zu schützen.
Ergreift ihn, ruft der Kaiser abermahl;
Allein er sieht, mit vorgehaltnen Klingen,
In dichtem Kreis die Ritter mich umringen.
Vergebens droht, schier im Gedräng erstickt,
Der geistliche Herr mit Bann und Interdikt.

52
Des Reiches Schicksal schien an einem Haar zu schweben.
Die grauen Räthe flehn dem Kaiser auf den Knien,
Dem Recht der Ritter nachzugeben:
Je mehr sie flehn, je minder rührt es ihn;
Bis endlich Herzog Nayms (der oft in seinem Leben,
Wenn Karl den Kopf verlor, den seinen ihm geliehn)
Den Mund zum Ohr ihm hält, dann gegen uns sich kehret,
Und zum begehrten Kampf des Kaisers Urlaub schwöret.

53
Herr Hüon fuhr dann zu erzählen fort:
Wie stracks auf dieses einz'ge Wort
Der Aufruhr sich gelegt, die Ritter alle zurücke
Gewichen, und Karl, wiewohl im Herzen ergrimmt,
Mit stiller Wuth im halb entwölkten Blicke,
Den achten Tag zum Urtheilskampf bestimmt;
Wie beide Theile sich mit großer Pracht gerüstet,
Und, des Triumfs gewiß, sich Amory gebrüstet.

54
Der stolze Mann, wiewohl in seiner Brust
Ein Kläger pocht der seinen Muth erschüttert,
War eines Arms von Eisen sich bewußt,
Der manchen Wald von Lanzen schon zersplittert.
Er hatte nie vor einem Feind gezittert,
Und Kampf auf Tod und Leben war ihm Lust.
Doch all sein Trotz und seine Riesenstärke
Betrogen ihn bey diesem blut'gen Werke.—

55
Gekommen war nunmehr der richterliche Tag,
Versammelt alles Volk. Mit meinem silberblanken
Turnierschild vor der Brust, und, wie ich sagen mag,
Von allen mit Liebe begrüßt, erschien ich in den Schranken.
Schon stand der Kläger da. In einem Erker lag
Der alte Karl, umringt von seinen Fürsten,
Und schien, in offenem Vertrag
Mit Amory, nach meinem Blut zu dürsten.

56
Die Sonne wird getheilt. Die Richter setzen sich.
Mein Gegner scheint vor Ungeduld zu brennen
Bis die Trompete ruft. Nun ruft sie, und wir rennen,
Und treffen so gewaltiglich
Zusammen, daß aufs Knie die Rosse stürzen, und ich
Und Hohenblat uns kaum im Sattel halten können.
Eilfertig machen wir uns aus den Bügeln los,
Und nun, in einem Blitz, sind beide Schwerter bloß.

57
Daß ich von unserm Kampf dir ein Gemählde mache
Verlange nicht. An Grimm und Stärke war,
Wie an Erfahrenheit, mein Gegner offenbar
Mir überlegen; doch die Unschuld meiner Sache
Beschützte mich, und machte meine Kraft
Dem Willen gleich. Der Sieg blieb lange zweifelhaft;
Schon floß aus manchem Quell des Klägers Blut herunter,
Und Hüon war noch unverletzt und munter.

58
Der wilde Amory, wie er sein dampfend Blut
Den Panzer färben sieht, entbrannt von neuer Wuth,
Und stürmt auf Hüon ein, gleich einem Ungewitter
Das alles vor sich her zertrümmert und verheert,
Blitzt Schlag auf Schlag, so daß mein junger Ritter
Der überlegnen Macht mit Mühe sich erwehrt.
Ein Arm, an Kraft mit Rolands zu vergleichen,
Bringt endlich ihn, nach langem Kampf, zum Weichen.

59
Des Sieges schon gewiß faßt Amory sogleich
Mit beiden angestrengten Händen
Sein mächtig Schwert, den Kampf auf Einen Schlag zu enden.
Doch Hüons gutes Glück entglitscht dem Todesstreich,
Und bringt, eh jener sich ins Gleichgewicht zu schwingen
Vermag, da wo der Helm sich an den Kragen schnürt,
So einen Hieb ihm bey, daß ihm die Ohren klingen,
Und die entnervte Hand den Degengriff verliert.

60
Der Stolze sinkt zu seines Gegners Füßen,
Und Hüon, mit gezücktem Schwert,
Dringt auf ihn ein. Entlade dein Gewissen,
Ruft er, wenn noch das Leben einen Werth
In deinen Augen hat. Gesteh es auf der Stelle
Bandit, schreyt Amory, indem er alle Kraft
Zum letzten Stoß mit Grimm zusammen rafft,
Nimm dieß und folge mir zur Hölle!

61
Zum Glücke streift der Stoß, mit ungewisser Hand
Vom Boden auf geführt, durch eine schnelle Wendung
Die Hüon macht, unschädlich nur den Rand
Des linken Arms; allein, mein Ritter, in der Blendung
Des ersten Zorns, vergißt, daß Hohenblat,
Um öffentlich vor Karln die Wahrheit kund zu machen,
Noch etwas Athem nöthig hat,
Und stößt sein breites Schwert ihm wüthend in den Rachen.

62
Der Frevler speyt in Wellen rother Flut
Die schwarze Seele aus. Der Sieger steht, entsündigt
Und rein gewaschen in seines Klägers Blut,
Vor allen Augen da. Des Herolds Ruf verkündigt
Es laut dem Volk. Ein helles Jubelgeschrey
Schallt an die Wolken. Die Ritter eilen herbey
Das Blut zu stillen, das an des Panzers Seiten
Herab ihm quillt, und ihn zum Kaiser zu begleiten.

63
Doch Karl (so fährt der junge Ritter fort
Dem Mann vom Felsen zu erzählen)
Karl hielt noch seinen Groll. Kann dieser neue Mord
Mir, rief er, meinen Sohn beseelen?
Ist Hüons Unschuld anerkannt?
Ließ Hohenblat ein Wort von Widerruf entfallen?
Auf ewig sey er denn aus unserm Reich verbannt,
Und all sein Land und Gut der Krone heimgefallen!

64
Streng war dieß Urtheil, streng der Mund
Aus dem es ging; allein, was konnten wir dagegen?
Das einzige Mittel war aufs Bitten uns zu legen.
Die Pärs, die Ritterschaft, wir alle knieten, rund
Um seinen Thron, uns schier die Kniee wund,
Und gaben's endlich auf, ihn jemahls zu bewegen;
Als Karl zuletzt sein langes Schweigen brach:
Wohlan, ihr Fürsten und Ritter, ihr wollt's, wir geben nach.

65
Doch höret den Beding, den nichts zu widerrufen
Vermögend ist!—Hier neigt' er gegen mich
Herunter zu des Thrones Stufen
Den Zepter—Ich begnadige dich:
Allein, aus allen meinen Reichen
Soll dein verbannter Fuß zur Stunde stracks entweichen,
Und, bis du Stück für Stück mein kaiserlich Gebot
Vollbracht, ist Wiederkunft unmittelbarer Tod.

66
Zeuch hin nach Babylon, und in der festlichen Stunde,
Wenn der Kalif, im Staat, an seiner Tafelrunde,
Mit seinen Emirn sich beym hohen Mahl vergnügt,
Tritt hin, und schlage dem, der ihm zur Linken liegt,
Den Kopf ab, daß sein Blut die Tafel überspritze.
Ist dieß gethan, so nahe züchtig dich
Der Erbin seines Throns, zunächst an seinem Sitze,
Und küß' als deine Braut sie dreymahl öffentlich.

67
Und wenn dann der Kalif, der einer solchen Scene
In seiner eignen Gegenwart
Sich nicht versah, vor deiner Kühnheit starrt,
So wirf dich, an der goldnen Lehne
Von seinem Stuhle, hin, nach Morgenländer-Art,
Und, zum Geschenk für mich, das unsre Freundschaft kröne,
Erbitte dir von ihm vier seiner Backenzähne
Und eine Hand voll Haar aus seinem grauen Bart.

68
Geh hin, und, wie gesagt, eh' du aufs Haar vollzogen
Was ich dir hier von Wort zu Wort gebot,
Ist deine Wiederkunft unmittelbarer Tod!
Wir bleiben übrigens in Gnaden dir gewogen.
Der Kaiser sprach's und schwieg. Allein wie uns dabey
Zu Muthe war, ist nothlos zu beschreiben.
Ein jeder sah, daß so gewogen bleiben
Nichts besser als ein Todesurtheil sey.

69
Ein dumpfes Murren begann im tiefen Sahl zu wittern.
Bey Sankt Georg! (sprach einer von den Rittern
Der auf der Lanzelot und Tristan rauher Bahn
Manch Abenteu'r mit Ehren abgethan)
Sonst pfleg' ich auch nicht leicht vor einem Ding zu zittern;
Setz' einer seinen Kopf, ich setz' ihm meinen dran:
Doch was der Kaiser da dem Hüon angesonnen
Hätt' auch, so brav er war, Herr Gawin nicht begonnen!

70
Was red' ich viel? Es war zu offenbar
Daß Karl durch dieß Gebot mir nach dem Leben trachte.
Doch, wie es kam, ob es Verzweiflung war,
Ob Ahnung, oder Trotz, was mich so tollkühn machte,
Genug, ich trat vor ihn und sprach mit Zuversicht:
Was du befohlen, Herr, kann meinen Muth nicht beugen.
Ich bin ein Frank! Unmöglich oder nicht,
Ich unternehm's, und seyd ihr alle Zeugen!

71
Und nun, kraft dieses Worts, mein guter Scherasmin,
Siehst du mich hier, nach Babylon zu reisen
Entschlossen. Willst du mir dahin
Den nächsten Weg aus diesen Bergen weisen,
So habe Dank; wo nicht, so mach' ich's wie ich kann.
Mein bester Herr, versetzt der Felsenmann,
Indem die Zähren ihm am Bart herunter beben,
Ihr ruft, wie aus dem Grab, mich in ein neues Leben!

72
Hier schwör' ich euch, und da, zum heil'gen Pfand,
Ist diese alte zwar doch nicht entnervte Hand,
Mit euch, dem theuren Sohn und Erben
Von meinem guten Herrn, zu leben und zu sterben.
Das Werk, wozu der Kaiser euch gesandt,
Ist schwer, doch ist damit auch Ehre zu erwerben!
Genug, ich führ' euch hin, und steh' euch festen Muths
Bis auf den letzten Tropfen Bluts.

73
Der junge Fürst, gerührt von solcher Treue,
Fällt dankbarlich dem Alten um den Hals.
Drauf legen sich die beiden auf die Streue,
Und Hüon schläft als wär' es Flaum. Und als
Der Tag erwacht, erwacht mit muntern Blicken
Der Ritter auch, schnallt seine Rüstung an,
Der Alte nimmt den Quersack auf den Rücken,
Den Knittel in die Hand, und wandert frisch voran.

Zweyter Gesang.

1
So zieht das edle Paar, stets fröhlich, wach und munter,
Bey Sonnenschein und Sternenlicht
Drey Tage schon den Libanon hinunter;
Und wenn die Mittagsgluth sie auf die Scheitel sticht,
Dient hohes Gras im Schatten alter Cedern
Zum Ruheplatz; indeß in bunten Federn
Das leichte Volk der Luft die Silberkehlen stimmt,
Und traulich Theil an ihrer Mahlzeit nimmt.

2
Am vierten Morgen läßt ein kleiner Haufen Reiter
Sich ziemlich nah auf einer Höhe sehn.
Es sind Araber, spricht zu Hüon sein Begleiter,
Und aus dem Wege dem rohen Volke zu gehn,
Wo möglich, wäre wohl das beste:
Ich kenne sie als unverschämte Gäste.
Ey, ey, wo denkst du hin? erwiedert Siegwins Sohn,
Wo hörtest du, daß Franken je geflohn?

3
Die Söhne der Wüste, magnetisch angezogen
Von Hüons Helm, der ihnen im Sonnenglanz
Entgegen blitzt, als wär' er ganz
Karfunkel und Rubin, sie kommen mit Pfeil und Bogen,
Den Säbel gezückt, in Sturm heran geflogen.
Ein Mann zu Fuß, ein Mann zu Pferd
Scheint ihnen kaum des Angriffs werth;
Allein sie fanden sich betrogen.

4
Der junge Held, bedeckt mit seinem Schild,
Sprengt unter sie, und wirft mit seinem Speere
Den, der ihr Führer schien, so kräftig von der Mähre,
Daß ihm ein blutiger Strom aus Mund und Nase quillt.
Nun stürzen alle zumahl, des Hauptmanns Fall zu rächen,
Auf seinen Sieger zu, mit Hauen und mit Stechen;
Allein von Scherasmin, der ihm den Rücken deckt,
Wird auf den ersten Schlag ein Pocher hingestreckt;

5
Und auf den andern Troß arbeitet unser Ritter
So unverdrossen los, daß bald ein Zweyter und Dritter
Den Sattel räumt. Auf jeden frischen Zug
Fliegt hier ein Kopf, und dort ein Arm, den Säbel
Noch in der Faust. Nicht minder kräftig schlug
Der Alte zu mit seinem schweren Hebel.
Zu ihrem Mahom schrey'n die Helden fluchend auf,
Und wer noch fliehen kann, der flieht in vollem Lauf.

6
Das Feld liegt grauenhaft mit Leichen und mit Stümmeln
Von Roß und Mann bedeckt, die durch einander wimmeln.
Der Held, so bald sein neuer Spießgesell
Das beste Roß, das seinen Herrn verloren,
Nebst einem guten Schwert sich aus der Beut' erkohren,
Spornt seinen schnaubenden Hengst und eilet vogelschnell
Den Thälern zu, die sich in unabsehbarn Weiten
An des Gebirges Fuß vor ihrem Blick verbreiten.

7
Es schien ein wohl gebautes Land,
Mit Bächen überall durchschnitten,
Die Anger mit Schafen bedeckt, die Auen im Blumengewand,
Und zwischen Palmen die friedlichen Hütten
Der braunen Bewohner verstreut, die froh ihr Tagwerk thun,
In ihrer Armuth reich sich dünken,
Und, wenn sie hungrig und müd' in kühlen Schatten ruhn,
Zum rohen bäurischen Mahl dem Pilger freundlich winken.

8
Hier läßt der Ritter, da ihn die Sonne zu drücken begann,
Sich Brot in frische Milch von einer Hirtin brocken.
Das gute Volk begafft zur Seite, halb erschrocken,
Wie er im Grase liegt, den fremden eisernen Mann;
Allein da Blick und Ton ihm schnell ihr Herz gewann,
So wagen bald Kinder sich hin und spielen mit seinen Locken.
Den tapfern Mann ergetzt ihr traulich frohes Gewühl,
Er wird mit ihnen Kind, und theilt ihr süßes Spiel.

9
Wie selig, denkt er, wär's in diesen Hütten wohnen!
Vergeblicher Wunsch! ihn ruft sein Schicksal anderwärts.
Der Abend winkt. Beym Scheiden wallt sein Herz,
Und, um dem guten Volk das freundliche Mahl zu lohnen,
Wirft Hüon eine Hand voll Gold
Der Wirthin in den Schooß. Allein die Glücklichen wußten
Nicht was es war, und übten das Gastrecht ohne Sold,
So daß die Herren ihr Gold nur wieder nehmen mußten.

10
Nun ritten sie zu, bis endlich, da der Tag
Zu dämmern begann, ein Wald vor ihnen lag.
Freund, spricht der Paladin zum Alten,
Mich brennt's wie Feuer bis ich dem Kaiser Wort gehalten.
Den nächsten Weg nach Bagdad wolltest du
Mich führen? Mir ist's, ich sey vier Jahre schon geritten.
Der nächste Weg, versetzt sein Spießgesell, geht mitten
Durch diesen Wald; allein, ich rath' euch nicht dazu.

11
Man spricht nicht gut von ihm, zum wenigsten noch keiner,
Der sich hinein gewagt, kam jemahls wieder 'raus.
Ihr lächelt? Glaubt mir's, Herr, ein übellauniger kleiner
Boshafter Kobold hält in diesem Walde Haus.
Es wimmelt drin von Füchsen, Hirschen, Rehen,
Die Menschen waren so gut als wir.
Der Himmel weiß in welches wilde Thier
Wir, eh' es morgen wird, uns umgekleidet sehen!

12
Geht nur, erwiedert Siegwins Sohn,
Durch diesen Wald der Weg nach Babylon,
So fürcht' ich nichts.—"Herr, laßt auf meinen Knieen
Euch bitten! Es ist, bey Gott! mir mehr um euch als mich:
Denn gegen diesen Geist, das glaubt mir sicherlich,
Hilft weder Gegenwehr noch Fliehen.
Mit fünf, sechs Tagen später ist's gethan;
Und ach! ihr kommt noch stets zu früh in Bagdad an!

13
Wenn du dich fürchtest, spricht der Ritter,
So bleibe du, ich geh', mein Schluß ist fest.
Das nicht, ruft Scherasmin: der Tod schmeckt immer bitter,
Allein, ein Schelm der seinen Herrn verläßt!
Wenn ihr entschlossen seyd, so folg' ich ohne Zaudern,
Und helf' uns Gott und Unsre Frau zu Acqs!
Wohlan, spricht Hüon, komm! und reitet, bleich wie Wachs,
Den Wald hinein. Der Alte folgt mit Schaudern.

14
Kaum war er in der Dämmerung
Zwey hundert Schritte fortgetrottet,
Als links und rechts in vollem Sprung
Ein Heer von Hirschen und Rehen sich ihm entgegen rottet.
Sie schienen, mit Thränen im warnenden Blick,
(Wie Scherasmin, wiewohl bey wenig Lichte,
Bemerken will) aus Mitleid sie zurück
Zu scheuchen, als sprächen sie: O flieht, ihr armen Wichte!

15
Nun! merkt ihr, (flüstert er zum Ritter) wie es steht?
Und werdet ihr ein andermahl mir glauben?
Trifft's nicht ganz wörtlich ein? Die Thiere, die ihr seht,
Die aus Erbarmen uns so stark entgegen schnauben,
Sind Menschen, sag' ich euch; und wenn ihr weitergeht,
Glaubt mir, so haben wir den Kobold auf der Hauben.
Seyd nicht so hart und rennt aus Eigensinn,
Trotz eines Freundes Rath, in euer Unglück hin!

16
Wie, Alter? spricht der Held, ich geh' mit diesen Schritten
Nach Bagdad, den Kalif um eine Hand voll Haar
Aus seinem Bart und vier von seinen Zähnen zu bitten,
Und du verlangst, ich soll von ungewisser Fahr
Mich schrecken lassen? Wo ist dein Sinn geblieben?
Wer weiß, der Kobold ist vielleicht mein guter Freund.
Mit diesen wenigstens ist's nicht so schlimm gemeint;
Sieh, wie sie all' in einem Huy zerstieben!

17
Indem er's sagt, so sprengt er auf sie zu,
Und alles weicht wie Luft und ist im Huy verflogen.
Herr Hüon und sein Führer zogen
Nun eine Weile fort in ungestörter Ruh,
Stillschweigend beide. Der Tag war nun gesunken,
Und ihren Mohnsaft goß die braune Nacht herab;
Rings um sie lag schon alles schlummertrunken,
Und durch den ganzen Wald war's stille wie im Grab.

18
Zuletzt kann länger sich der Alte nicht entbrechen.
Herr, spricht er, stör' ich euch in einem Grillenplan,
So haltet mir's zu gut; 's ist eine meiner Schwächen,
Ich läugn' es nicht; allein, im Dunkeln muß ich sprechen,
Das war so meine Art von meiner Kindheit an.
Es ist so stille hier als sey der große Pan
Gestorben. Tönte nicht der Hufschlag unsrer Pferde,
Ich glaube daß man gar den Maulwurf scharren hörte.

19
Ihr denkt ich fürchte mich; doch ohne Prahlerey,
(Denn, was der Mensch auch hat, so sind's am Ende Gaben,
Auch leben manche noch, die es gesehen haben)
Wo Schwerter klirren, im Feld und im Turney,
Mann gegen Mann, auf Stechen oder Hauen,
Wär's auch im Nothfall zwey und drey
An fünf bis sechs, ich bin dabey!
Da kann man doch auf seine Knochen trauen.

20
Kurz, hat ein Feind nur Fleisch und Blut,
Ich bin sein Mann! Allein, das muß ich frey gestehen,
Um Mitternacht an einem Kirchhof gehen
Das lupft ein wenig mir den Hut.
Gesetzt, so einem Geist, der querfeld mir begegnet,
Steht meine Fysionomie
Nicht an: was hilft mir Arm und Degen, ventregris!
Wenn's unsichtbare Schläg' auf meinen Rücken regnet?

21
Gesetzt, wie man Exempel hat,
Ich hau' ihm auch den Schädel glatt vom Rumpfe;
Noch weil er rollt, stehn schon an dessen Statt
Zwey neue Köpfe auf dem Stumpfe.
Oft rennt sogar der Rumpf in vollem Lauf
Dem Kopfe nach, und setzt ihn wieder auf
Als wär' es nur ein Hut, den ihm der Wind genommen:
Nun, bitt' ich euch, wie ist so einem beyzukommen?

22
Zwar, wie ihr wißt, so bald der Hahn gekräht,
So ist's mit all dem Spuk, der zwischen eilf und zwölfen
Im Dunkeln schleicht, Gespenstern oder Elfen,
Als hätte sie der Wind davon geweht.
Allein, der Geist der hier sein Wesen treibet,
Ist euch von ganz besonderm Schlag,
Hält offnen Hof, ißt, trinkt, und lebt und leibet
Wie unser eins, und geht bey hellem Tag.

23
Um meine Neugier aufzuschrauben,
Hast du dein bestes gethan, erwiedert Siegwins Sohn:
Man spricht von Geistern so viel, und lügt so viel davon,
Daß Laien unsrer Art nicht wissen was sie glauben.
Einst kam an unsern Hof ein tief studierter Mann,
Der schwor uns hoch, es wäre gar nichts dran,
Und schimpfte weidlich los auf alle Geisterseher;
Auch hieß ihn der Kaplan nur einen Manichäer.

24
Sie disputierten oft bey einer Flasche Wein;
Doch, wenn das letzte Glas zu Kopf zu gehn begonnte,
So mischten sie so viel Latein darein
Daß unser einer kaum ein Wort verstehen konnte.
Da dacht' ich oft: Schwatzt noch so hoch gelehrt,
Man weiß doch nichts als was man selbst erfährt;
Ich wollt' ein Geist erwiese mir die Ehre
Und sagte mir was an der Sache wäre.

25
Indem sah unser wandernd Paar
Sich unvermerkt in einem Park befangen,
Durch den sich hin und her so viele Wege schlangen,
Daß irre drin zu gehn fast unvermeidlich war.
Der Mond war eben itzt vollwangig aufgegangen,
Um durch ein trüglich Dunkelklar
Die Augen, die nach einem Ausweg irren,
Mit falschen Lichtern zu verwirren.

26
Herr, sagte Scherasmin, hier ist's drauf angesehn
Uns in ein Labyrinth zu winden.
Der einz'ge Weg sich noch heraus zu finden,
Ist—auf gut Glück der Nase nachzugehn.
Der Rath (der weiser ist als mancher Klügling meinet)
Führt unsre frommen Wandrer bald
Zum Mittelpunkt, wo sich der ganze Wald
In einen großen Stern vereinet.

27
Und in der Fern' erblicken sie in Büschen
Ein Schloß, das, wie aus Abendroth gewebt,
Sich schimmernd in die Luft erhebt.
Mit Augen, worin sich Lust und Grauen mischen,
Und zwischen Traum und Wachen zweifelhaft
Schwebt Hüon sprachlos da und gafft;
Als plötzlich auf die goldnen Thüren flogen
Und rollt' ein Wagen daher, den Leoparden zogen.

28
Ein Knäbchen, schön, wie auf Cytherens Schooß
Der Liebesgott, saß in dem Silberwagen,
Die Zügel in der Hand.—Da kommt er auf uns los,
Mein bester Herr, ruft Scherasmin mit Zagen,
Indem er Hüons Pferd beym Zaume nach sich zieht:
Wir sind verloren! flieht, o flieht!
Da kommt der Zwerg!—Wie schön er ist! spricht jener—
"Nur desto schlimmer! Fort! und wär' er zehnmahl schöner.

29
"Flieht, sag' ich euch, sonst ist's um uns gethan!"
Der Ritter sträubt sich zwar, allein da hilft kein Sträuben;
Der Alte jagt im schnellsten Flug voran
Und zieht ihn nach, und hört nicht auf zu treiben,
Zu jagen über Stock und Stein,
Durch Wald und Busch, und über Zaun und Graben
Zu setzen, bis sie aus dem Hain
Ins Freye sich gerettet haben.

30
Mit Regen, Sturm und Blitz verfolgt ein Ungewitter
Die Fliehenden; die fürchterlichste Nacht
Verschlingt den Mond; es donnert, saust und kracht
Rings um sie her, als schlüg's den ganzen Wald in Splitter;
Kurz, alle Element' im Streit
Zerkämpfen sich mit zügellosem Grimme;
Doch mitten aus dem Sturm ertönt von Zeit zu Zeit
Mit liebevollem Ton des Geistes sanfte Stimme:

31
"Was fliehst du mich? Du fliehst vor deinem Glück;
Vertrau dich mir, komm, Hüon, komm zurück!"
Herr, wenn ihr's thut, seyd ihr verloren,
Schreyt Scherasmin: fort, fort, die Finger in die Ohren,
Und sprecht kein Wort! Er hat nichts Guts im Sinn!
Nun geht's aufs neue los durch Dick und Dünn,
Vom Sturm umsaust, vom Regen überschwemmet,
Bis eine Klostermau'r die raschen Reiter hemmet.

32
Ein neues Abenteu'r! Der Tag da dieß geschah
War just das Nahmensfest der heil'gen Agatha,
Der Schützerin von diesem Jungfernzwinger.
Nun lag kaum einen Büchsenschuß
Davon ein Stift voll wohl genährter Jünger
Des heil'gen Abts Antonius;
Und beide hatten sich in diesen Abendstunden
Zu einer Betefahrt freundnachbarlich verbunden.

33
Sie kamen just zurück, als, nah am Klosterbühl,
Indem sie Paar und Paar in schönster Ordnung wallten,
Der Rest des Sturms sie überfiel.
Kreuz, Fahnen, Skapulier, sind toller Winde Spiel,
Und strömend dringt die Flut bis in des Schleiers Falten.
Umsonst ist alle Müh den Anstand zu erhalten;
Die Andacht reißt; mit komischem Gewühl
Rennt alles hin und her in seltsamen Gestalten.

34
Hier wadet bis ans Knie geschürzt
Ein Nönnchen im Morast, dort glitscht ein Mönch im Laufen,
Und, wie er sich auf einen Haufen
Von Schwesterchen, die vor ihm rennen, stürzt,
Ergreift er in der Angst die Domina beym Beine.
Doch endlich, als der Sturm sein äußerstes gethan,
Langt athemlos die ganze Korgemeine,
Durchnäßt und wohl bespritzt, im Klostervorhof an.

35
Hier war noch alles voll Getümmel,
Als durch das Thor, das weit geöffnet stund,
Mein Scherasmin sich mitten ins Gewimmel
Der Klosterleute stürzt; denn auf geweihtem Grund
Ist's, wie er glaubt, so sicher als im Himmel.
Bald kommt auch Hüon nach; und, wie er gleich den Mund
Eröffnen will, die Freyheit abzubitten,
So steht mit einem Blitz—der Zwerg in ihrer Mitten.

36
Auf einmahl ist der Himmel wolkenleer,
Und alles hell und mild und trocken wie vorher.
Schön, wie im Morgenroth ein neugeborner Engel,
Steht er, gestützt auf einen Lilienstängel,
Und um die Schultern hängt ein elfenbeinern Horn.
So schön er ist, kommt doch ein unbekanntes Grauen
Sie alle an: denn Ernst und stiller Zorn
Wölkt sich um seine Augenbrauen.

37
Er setzt das Horn an seine Lippen an
Und bläst den lieblichsten Ton. Stracks übermannt den Alten
Ein Schwindelgeist; er kann sich Tanzens nicht enthalten,
Packt eine Nonne ohne Zahn,
Die vor Begierde stirbt ein Tänzchen mitzumachen,
Und hüpft und springt als wie ein junger Bock
So rasch mit ihr herum, daß Schleiertuch und Rock
Weit in die Lüfte wehn, zu allgemeinem Lachen.

38
Bald faßt die gleiche Wuth den ganzen Klosterstand;
Ein jeder Büßer nimmt sein Nönnchen bey der Hand,
Und ein Ballet beginnt, wie man so bald nicht wieder
Eins sehen wird. Die Schwestern und die Brüder
Sind keiner Zucht noch Regel sich bewußt;
Leichtfert'ger kann kein Faunentanz sich drehen.
Der einz'ge Hüon bleibt auf seinen Füßen stehen,
Sieht ihren Sprüngen zu, und lacht aus voller Brust.

39
Da naht sich ihm der schöne Zwerg, und spricht
In seiner Sprach' ihn an, mit ernstem Angesicht:
Warum entfliehn vor mir, o Hüon von Guyenne?
Wie? du verstummst? Beym Gott des Himmels, den ich kenne,
Antworte mir!—Nun kehrt die Zuversicht
In Hüons Brust zurück. Was willst du mein? erwiedert
Der Jüngling.—Fürchte nichts, spricht jener: wer das Licht
Nicht scheuen darf, der ist mit mir verbrüdert.

40
Ich liebte dich von deiner Kindheit an,
Und was ich Gutes dir bestimme,
An keinem Adamskind hab' ich es je gethan!
Dein Herz ist rein, dein Wandel ohne Krümme,
Wo Pflicht und Ehre ruft, fragst du nicht Fleisch und Blut,
Hast Glauben an dich selbst, hast in der Prüfung Muth:
So kann mein Schutz dir niemahls fehlen,
Denn meine Strafgewalt trifft nur befleckte Seelen.

41
Wär' nicht dieß Klostervolk ein heuchlerisch Gezücht,
Belög' ihr keuscher Blick, ihr leiser Bußton nicht
Ein heimlich strafbares Gewissen,
Sie ständen, trotz dem Horn, wie du, auf ihren Füßen.
Auch Scherasmin, für den sein redlich Auge spricht,
Muß seiner Zunge Frevel büßen.
Sie alle tanzen nicht weil sie der Kitzel sticht,
Die Armen tanzen weil sie müssen.

42
Indem beginnt ein neuer Wirbelwind
Den Faunentanz noch schneller umzuwälzen;
Sie springen so hoch, und drehn sich so geschwind,
Daß sie in eigner Gluth wie Schnee im Thauwind schmelzen,
Und jedes zappelnde Herz bis an die Kehle schlägt.
Des Ritters Menschlichkeit erträgt
Den Anblick länger nicht; er denkt, es wäre Schade
Um all das junge Blut, und fleht für sie um Gnade.

43
Der schöne Zwerg schwingt seinen Lilienstab,
Und stracks zerrinnt der dicke Zauberschwindel;
Versteinert stehn Sankt Antons fette Mündel,
Und jedes Nönnchen, bleich als stieg' es aus dem Grab,
Eilt, Schleier, Rock, und was sich sonst im Springen
Verschoben hat, in Richtigkeit zu bringen.
Nur Scherasmin, zu alt für solchen Scherz,
Sinkt kraftlos um, und glaubt ihm berste gleich das Herz.

44
Ach! keicht er, gnädiger Herr, was sagt' ich euch?—Nicht weiter,
Freund Scherasmin! fällt ihm der Zwerg ins Wort:
Ich kenne dich als einen wackern Streiter,
Nur läuft zuweilen dein Kopf mit deinem Herzen fort.
Warum, auf andrer Wort, so rasch, mich zu verlästern?
Fy! graulich schon von Bart, an Urtheil noch so jung!
Nimm in Geduld die kleine Züchtigung!
Ihr andern, geht, und büßt für euch und eure Schwestern!

45
Das Klostervolk schleicht sich beschämt davon.
Drauf spricht der schöne Zwerg mit Freundlichkeit zum Alten:
Wie, Alter? immer noch des Argwohns düstre Falten?
Doch, weil du bieder bist, verzeiht dir Oberon.
Komm näher, guter alter Zecher,
Komm, faß' ein Herz zu mir und fürchte keinen Trug!
Du bist erschöpft; nimm diesen Becher
Und leer' ihn aus auf Einen Zug.

46
Mit diesem Wort reicht ihm der Elfenkönig
Ein Trinkgeschirr von feinem Gold gedreht.
Der Alte, der mit Noth auf seinen Beinen steht,
Stutzt, wie er leer es sieht, nicht wenig.
Ey, ruft der Geist, noch keine Zuversicht?
Frisch an den Mund, und trink, und zweifle nicht!
Der gute Mann gehorcht, zwar nur mit halbem Willen,
Und sieht das Gold sich flugs mit Wein von Langon füllen.

47
Und als er ihn auf Einen Zug geleert,
Ist's ihm, als ob mit wollustvoller Hitze
Ein neuer Lebensgeist durch alle Adern blitze.
Er fühlet sich so stark und unversehrt,
Als wie er war, da er, in seinen besten Jahren,
Mit seinem ersten Herrn zum heiligen Grab gefahren.
Voll Ehrfurcht und Vertraun fällt er dem schönen Zwerg
Zu Fuß und ruft: Nun steht mein Glaube wie ein Berg!

48
Drauf spricht der Geist mit ernstem Blick zum Ritter:
Mir ist der Auftrag wohl bekannt,
Womit dich Karl nach Babylon gesandt.
Du siehst, was für ein Ungewitter
Er dir bereitet hat; sein Groll verlangt dein Blut:
Allein, was du mit Glauben und mit Muth
Begonnen hast, das helf' ich dir vollenden;
Da, wackrer Hüon, nimm dieß Horn aus meinen Händen!

49
Ertönt mit lieblichem Ton von einem sanften Hauch
Sein schneckengleich gewundner Bauch,
Und dräuten dir mit Schwert und Lanzen
Zehn tausend Mann, sie fangen an zu tanzen,
Und tanzen ohne Rast im Wirbel, wie du hier
Ein Beyspiel sahst, bis sie zu Boden fallen:
Doch, lässest du's mit Macht erschallen,
So ist's ein Ruf, und ich erscheine dir.

50
Dann siehst du mich, und wär' ich tausend Meilen
Von dir entfernt, zu deinem Beystand eilen.
Nur spare solchen Ruf bis höchste Noth dich dringt.
Auch diesen Becher nimm, der sich mit Weine füllet,
So bald ein Biedermann ihn an die Lippen bringt;
Der Quell versieget nie, woraus sein Nektar quillet:
Doch bringt ein Schalk ihn an des Mundes Rand,
So wird der Becher leer, und glüht ihm in der Hand.

51
Herr Hüon nimmt mit Dank die wundervollen Pfänder
Von seines neuen Schützers Huld;
Und da er sich des Ostens Purpurränder
Vergülden sieht, forscht er mit Ungeduld
Nach Babylon den kürzesten der Wege.
Zeuch hin, spricht Oberon, nachdem er ihn belehrt;
Und daß ich nie die Stunde sehen möge,
Da Hüons Herz durch Schwäche sich entehrt!

52
Nicht daß ich deinem Muth und Herzen
Mißtraue! aber, ach! du bist ein Adamskind,
Aus weichem Thon geformt, und für die Zukunft blind!
Zu oft ist kurze Lust die Quelle langer Schmerzen!
Vergiß der Warnung nie, die Oberon dir gab!
Drauf rührt er ihn mit seinem Lilienstab,
Und Hüon sieht aus seinem liebevollen
Azurnen Augenpaar zwey helle Perlen rollen.

53
Und wie er Treu' und Pflicht ihm heilig schwören will,
Entschwunden war der Waldgeist seinem Blicke,
Und nur ein Lilienduft blieb wo er stand zurücke.
Betroffen, sprachlos, steht der junge Ritter still,
Reibt Aug' und Stirn, wie einer, im Erwachen
Aus einem schönen Traum, sich sucht gewiß zu machen,
Ob das, was ihn mit solcher Lust erfüllt,
Was wirklichs ist, ob nur ein nächtlich Bild?

54
Doch, wenn er auch gezweifelt hätte,
Der Becher und das Horn, das ihm an goldner Kette
Um seine Schultern hing, ließ keinem Zweifel Platz.
Der Becher sonderlich dünkt dem verjüngten Alten
Das schönste Stück im ganzen Feenschatz.
Herr, spricht er, (im Begriff den Bügel ihm zu halten)
Noch einen Zug, dem guten Zwerg zum Dank!
Sein Wein, bey meiner Treu'! ist echter Göttertrank!

55
Und nun, nachdem sie sich gestärkt zur neuen Reise,
Ging's über Berg und Thal, nach alter Ritter Weise,
Den ganzen Tag; und nur ein Theil der kurzen Nacht
Wird unter Bäumen zugebracht.
So zogen sie, ohn' alles Abenteuer,
Vier Tage lang—der Ritter schon im Geist
Zu Babylon, und glücklich sein Getreuer,
Daß Siegwins Sohn es ist, dem er zur Seite reist.

Dritter Gesang.

1
Am fünften, da ihr Weg sich durch Gebirge stahl,
Auf einmahl sehen sie in einem engen Thal
Viel reiche Zelten aufgeschlagen,
Und Ritter, mehr als zwanzig an der Zahl,
Die gruppenweise umher in Palmenschatten lagen.
Sie ruhten, wie es schien, nach ihrem Mittagsmahl:
Indessen Helm' und Speer' an niedern Ästen hingen,
Und ihre Pferde frey im Grase weiden gingen.

2
Kaum wird die ritterliche Schaar
Der beiden Reisigen noch auf der Höh' gewahr,
So raffen alle von der Erde
Sich eilends auf aus ihrer Mittagsruh,
Als ob zum Kampf geblasen werde.
Das ganze Thal wird reg' in einem Nu,
Man zittert hin und her, man läuft den Waffen zu,
Die Ritter rüsten sich, die Knappen ihre Pferde.

3
Laß sehen, spricht mein Held zu Scherasmin,
Was diese Ritterschaft, die dem Verdauungswerke
So friedlich obzuliegen schien,
In solche Unruh setzt.—Wir selber, wie ich merke,
Erwiedert jener; seyd auf eurer Hut.
Sie kommen uns in halbem Mond entgegen.
Herr Hüon zieht mit kaltem Blut den Degen,
Freund, spricht er, der ist mir für allen Schaden gut.

4
Indem tritt aus dem Kreis, in seinem Wehrgeschmeide,
Ein feiner Mann hervor, grüßt höflich unsre beide,
Und bittet um Gehör. Mit Gunst, Herr Paladin!
Ein jeder, spricht er, ist hier angehalten worden,
Wer noch von unserm Stand und Orden
Seit einem halben Jahr in diesem Thal erschien.
Nun steht's in eurer Wahl, ein Speerchen hier zu brechen,
Wo nicht, sogleich zu thun, warum wir euch besprechen.

5
Und was? fragt Hüon züchtiglich.
Nicht weit von hier, spricht jener, mästet sich
In einer festen Burg der Riese Angulaffer;
Ein arger Christenfeind, ein wahrer Wütherich,
Auf schöne Frau'n erpichter als ein Kaffer,
Und, was das schlimmste ist, fest gegen Hieb und Stich,
Kraft eines Rings, den er dem Zwerg genommen,
Aus dessen Park die Herren hergekommen.

6
Mein Herr, ich bin ein Prinz vom Berge Libanon.
Ich hatte mich dem Dienst der schönsten aller Schönen
Drey Jahre sonder Minnelohn
Verdingt, bevor sie sich so viele Treu' zu krönen
Erbitten ließ: und wie ich nun als Bräutigam
Ihr eben itzt den Gürtel lösen wollte,
Da kam der Wehrwolf, nahm sie untern Arm und trollte
Vor meinen Augen weg mit meinem holden Lamm.

7
Fast sieben Monden sind verflossen,
Seit ich zu ihrem Heil mein äußerstes versucht:
Allein der Eisenthurm, worein er sie verschlossen,
Wehrt mir den Zugang, ihr die Flucht.
Das Einz'ge, was von Amors süßer Frucht
Ich in der langen Zeit genossen,
War, Tage lang von fern auf einem Baum zu lauern,
Und hinzusehn nach den verhaßten Mauern.

8
Zuweilen däuchte mich sogar
Ich sehe sie, in los gebundnem Haar,
Am Fenster stehn, mit aufgehobnen Armen,
Als flehte sie zum Himmel um Erbarmen.
Mir fuhr ein Dolch ins Herz. Und die Verzweiflung nun
Trieb mich, seit jenem Tag, aus bloßer Noth zu thun
Was ihr erfahren habt, wie alle diese Streiter:
Kurz, ungefochten, Herr, kommt hier kein Ritter weiter.

9
Gelingt es euch, was keinem noch gelang,
Aus meinem Sattel mich zu heben,
So seyd ihr frey und reiset ohne Zwang
Wohin ihr wollt: wo nicht, so müßt ihr euch ergeben,
Wie diese Herren hier, mir zu Gebot zu stehn,
Und keinen Schritt von hier zu gehn,
Bis wir das Abenteu'r bestanden
Und meine Braut erlöst aus Angulaffers Banden.

10
Doch, wenn ihr etwa lieber schwört
In seinen Eisenthurm geraden Wegs zu dringen,
Und meine Angela allein zurück zu bringen,
So habt ihr freye Wahl, und seyd noch Dankes werth.
Prinz, sprach der Paladin, was braucht's hier erst zu kiesen?
Genug, daß ihr die Ehre mir erwiesen!
Kommt, einen Ritt mit euch und eurer ganzen Zahl,
Vom übrigen ein andermahl!

11
Der schöne Ritter stutzt, doch läßt er sich's gefallen:
Sie reiten, die Trompeten schallen,
Und, kurz, Herr Hüon legt mit einem derben Stoß
Den Prinzen Libanons gar unsanft auf den Schooß
Der guten alten Mutter Erde.
Drauf kommen nach der Reih' die edeln Knechte dran;
Und als er ihnen so wie ihrem Herrn gethan,
Hebt er sie wieder auf mit höflicher Geberde.

12
Bey Gott, Herr Ritter, (spricht, indem er zu ihm hinkt,
Der Cedernprinz) ihr seyd ein scharfer Stecher!
Doch Basta! eure Hand! Kommt, weil der Abend winkt,
Zum brüderlichen Mahl und zum Versöhnungsbecher.
Herr Hüon nimmt den Antrag dankbar an:
Drey Stunden flogen weg mit Trinken und mit Scherzen;
Und, wie die Ritter ihn so schön und höflich sahn,
Verziehn sie ihm ihr Rippenweh von Herzen.

13
Itzt, spricht er, liebe Herr'n und Freunde, da ich euch
Was mein war ehrlich abgewonnen,
Itzt, sollt ihr wissen, geht's geraden Weges gleich
Dem Riesen zu. Ich war's vorhin gesonnen,
Und thu' es nun mit desto größ'rer Lust,
Weil einem Biedermann ein Dienst damit geschiehet.
Drauf dankt er daß sie sich so viel mit ihm bemühet,
Und drückt der Reihe nach sie all' an seine Brust.

14
Und als sie ihm zur Burg des ungeschlachten Riesen
Durch einen Föhrenwald den nächsten Weg gewiesen,
Entläßt er sie, mit der Versicherung,
Sie sollten bald von ihrer Dame hören.
Lebt wohl, ihr Herr'n!—"Viel Glücks!"—Und nun in vollem Sprung
Zum Wald hinaus. Kaum röthete die Föhren
Die Morgensonn', als ihm im blachen Feld
Ein ungeheurer Thurm sich vor die Augen stellt.

15
Aus Eisen schien das ganze Werk gegossen,
Und ringsum war's so fest verschlossen,
Daß nur ein Pförtchen, kaum zwey Fuß breit, offen stand;
Und vor dem Pförtchen stehn, mit Flegeln in der Hand,
Zwey hochgewaltige metallene Kolossen,
Durch Zauberey belebt, und dreschen unverdrossen
So hageldicht, daß zwischen Schlag und Schlag
Sich unzerknickt kein Lichtstrahl drängen mag.

16
Der Paladin bleibt eine Weile stehen;
Und, wie er überlegt was anzufangen sey,
Läßt eine Jungfrau sich an einem Fenster sehen,
Und winkt gar züchtiglich ihn mit der Hand herbey.
Ey ja! ruft Scherasmin, die Jungfer hat gut winken!
Ihr werdet doch kein solcher Waghals seyn?
Seht ihr die Schweizer nicht zur Rechten und zur Linken?
Da kommt von euch kein Knochen ganz hinein!

17
Doch Hüon hielt getreu an seiner Ordensregel,
Dem Satan selber nicht den Rücken zuzudrehn.
Hier, denkt er, ist kein Rath als mitten durch die Flegel
Geradezu aufs Pförtchen los zu gehn.
Den Degen hoch, die Augen zugeschlossen,
Stürzt er hinein; und, wohl ihm! ihn verführt
Sein Glaube nicht; die ehernen Kolossen
Stehn regungslos, so bald er sie berührt.

18
Kaum ist der Held hinein gegangen,
Indessen Scherasmin im Hof die Pferde hält,
So eilt die schöne Magd den Ritter zu empfangen;
Mit schwarzen Haaren, die ihr am Rücken niederhangen,
In weißem Atlaßrock, der bis zur Erde fällt,
Und den am leicht bedeckten Busen
Ein goldnes Band zusammen hält,
Das zierlichste Modell zu Grazien oder Musen!

19
Was für ein Engel, (spricht, indem sie seine Hand
Nur kaum berührt, das Mädchen süß erröthend)
Was für ein Engel, Herr, hat euch mir zugesandt?
Ich stand am Fenster just, zur heil'gen Jungfrau betend,
Als ihr erschient. Gewiß hat Sie's gethan,
Und als von Ihr geschickt nimmt Angela euch an.
Von ihr, die schon so oft sich meiner angenommen,
Zu Hülfe mir gesandt, seyd tausendmahl willkommen!

20
Nur laßt uns nicht verziehn; denn jeder Augenblick
Ist mir verhaßt, den wir in diesem Kerker weilen.
Ich komme nicht, spricht Hüon, so zu eilen:
Wo ist der Ries'?—O der, versetzt sie, liegt, zum Glück,
In tiefem Schlaf, und wohl, daß ihr ihn so getroffen;
Denn, ist er wieder auferweckt,
Vergebens würdet ihr ihm obzusiegen hoffen,
So lang' der Zauberring an seinem Finger steckt.

21
Doch diesen Ring ihm sicher abzunehmen
Ist's noch gerade Zeit. "Wie so?"—Der tiefe Schlaf,
Der täglich drey—bis viermahl ihn zu lähmen
Und zu betäuben pflegt, ist kein gemeiner Schlaf.
Ich will euch, weil noch wohl zwey ganze Stunden fehlen
Bis er erwacht, die Sache kurz erzählen.
Mein Vater, Balazin von Frygien genannt,
Ist Herr von Jericho im Palästinerland.

22
Beynah vier Jahre sind's, seit mich Alexis liebte,
Der schönste Prinz vom Berge Libanon;
Und wenn ich ihn durch Sprödethun betrübte,
So wußte, glaubet mir, mein Herz kein Wort davon:
Es fiel mir schwer genug! Doch, in den ersten Wochen
Hatt' ich's der heiligen Alexia versprochen,
Nur, wenn der Prinz drey Jahre keusch und rein
Mir diente, anders nicht, die Seinige zu seyn.

23
Ganz heimlich ward er mir mit jedem Tage lieber;
Die Prüfungszeit war lang, allein sie ging vorüber;
Ich ward ihm angetraut,—und kurz, schon sahen wir
Ins Brautgemach zusammen uns verschlossen:
Auf einmahl flog im Sturm die Kammerthür
Erdonnernd auf, der Riese kam geschossen,
Ergriff mich, floh, und sieben Monden schier
Sind, seit mich dieser Thurm gefangen hält, verflossen.

24
Zu wissen, ob der Ries' es mir so leicht gemacht
Ihm Stürme ohne Zahl beständig abzuschlagen,
Müßt ihr ihn selber sehn. Mein Herr, was soll ich sagen?
Stets angefochten, stets den Sieg davon zu tragen,
Ist schwer. Einst, da er mich in einer Mondscheinsnacht
(Noch schaudert's mich!) aufs äußerste gebracht,
Fiel ich auf meine Knie, rief mit gerungnen Händen
Die Mutter Gottes an, mir Hülfe zuzusenden.

25
Die holde Himmelskönigin
Erhörte mich, die Jungfrau voller Gnaden.
Getroffen wie vom Blitz sank der Verruchet hin,
Und lag, ohnmächtig mir zu schaden,
Sechs ganzer Stunden lang. So oft, seit dieser Zeit,
Er den verhaßten Kampf erneut,
Erneut das Wunder sich; stracks muß sein Trotz sich legen,
Und nichts vermag sein Zauberring dagegen.

26
Dieß war erst heute noch der Fall; und nach Verlauf
Der sechsten Stunde (vier sind schon davon verloffen)
Steht er zu neuem Leben auf,
So frisch und stark, als hätt' ihn nichts betroffen.
Des Ringes Werk ist dieß. So lang' ihn der beschützt,
Kann ihm am Leben nichts geschehen.
Ihr glaubt nicht was der Ring für Tugenden besitzt!
Allein, was hält euch, selbst das alles anzusehen?

27
Nun ging's dem Ritter just wie euch.
Er hatte sich, nach Angulaffers Nahmen,
Ein Unthier vorgestellt aus Titans rohem Samen,
Den wilden Erdensöhnen gleich,
Die einst, den Göttersitz zu stürmen,
Den hohen Pelion zusammt den Wurzeln aus
Der Erde rissen, um ihn dem Ossa aufzuthürmen:
Nun ward ein Mann von sieben Fuß daraus.

28
Habt ihr das Götterwerk von Glykon je gesehen,
Den großen Sohn der langen Wundernacht,
Im Urbild, oder nur in Gypse nachgemacht,
So denkt, ihr seht den Mann leibhaftig vor euch stehen,
Der in der schönen Mondscheinsnacht
Die arme Angela aufs äußerste gebracht.
Ihn hätte, wie er lag, von unsern neuern Alten
Der Schlauste für ein Bild vom Herkules gehalten;

29
Für einen Herkules in Ruh,
Als er dem Augias den Marmorstall gemistet;
So breit geschultert, hoch gebrüstet
Lag Angulaffer da; auch traf die Kleidung zu.
Der Ritter stutzt: denn in den Alterthümern
Lag seine Stärke nicht; und so, vorm keuschen Blick
Des Tages, im Kostum der Heldenzeit zu schimmern,
Däucht ihm ein wahres Heidenstück.

30
Nun, flüstert ihm die Jungfrau, edler Ritter,
Was zögert ihr? Er schläft. Den Ring, und einen Hieb,
So ist's gethan!—"Dazu ist mir mein Ruhm zu lieb.
Ein Feind, der schlafend liegt, und nackter als ein Splitter,
Schläft sicher neben mir: erst wecken will ich ihn."
So macht euch wenigstens zuvor des Ringes Meister,
Spricht sie. Der Ritter naht, den Reif ihm abzuziehn,
Und macht, unwissend, sich zum Oberherrn der Geister.

31
Der Ring hat, außer mancher Kraft
Die Hüon noch nicht kennt, auch diese Eigenschaft,
An jeden Finger stracks sich biegsam anzufügen;
Klein oder groß, er wird sich dehnen oder schmiegen
Wie's nöthig ist. Der Paladin begafft
Den wundervollen Reif mit schauerlichem Vergnügen,
Faßt drauf des Riesen Arm, und schüttelt ihn mit Macht
So lang' und stark, bis er zuletzt erwacht.

32
Kaum fängt der Riese sich zu regen an, so fliehet
Die Tochter Balazins mit einem lauten Schrey.
Herr Hüon, seinem Muth und Ritterstande treu,
Bleibt ruhig stehn. Wie ihn der Heide siehet,
Schreyt er ihn grimmig an: Wer bist du, kleiner Wicht,
Der meinen Morgenschlaf so tollkühn unterbricht?
Dein Köpfchen muß, weil du's von freyen Stücken
Mir vor die Füße legst, dich unerträglich jücken?

33
Steh auf und waffne dich, versetzt der Paladin,
Dann, Prahler, soll mein Schwert dir Antwort geben!
Der Himmel sendet mich zur Strafe dich zu ziehn;
Das Ende naht von deinem Sündenleben.
Der Riese, da er ihn so reden hört, erschrickt
Indem er seinen Ring an Hüons Hand erblickt.
Geh, spricht er, eh' mein Blut beginnt zu sieden,
Gieb mir den Ring zurück und ziehe hin in Frieden.

34
Ich nahm dir nur was du gestohlen ab,
Und dem er angehört werd' ich ihn wieder geben,
Spricht Hüon; ich verschmäh' ein so geschenktes Leben;
Steh' auf und rüste dich, und komm mit mir herab!
"Du hättest mich im Schlaf ermorden können,
Versetzt der Reck' in immer sanfterm Muth;
Du bist ein Biedermann; mich dau'rt dein junges Blut;
Gieb mir den Ring, den Kopf will ich dir gönnen."

35
Feigherziger, ruft Hüon, schäme dich!
Vergebens bettelst du! Stirb, oder, wenn du Leben
Verdienst, verdien' es ritterlich!
Jetzt springt der Unhold auf, daß selbst die Mauern beben;
Sein Auge flammet wie der offne Höllenschlund,
Die Nase schnaubt, Dampf fährt aus seinem Mund;
Er eilt hinweg den Panzer anzulegen,
Der undurchdringlich ist selbst einem Zauberdegen.

36
Der Ritter steigt herab, und ungesäumt erscheint
Ganz in verlupptem Stahl sein trotzig sichrer Feind,
Der in der Wuth vergaß, daß vor des Ringes Blitzen
Ihn keine Zauberwaffen schützen.
Allein der erste Stoß, den Hüons gutes Schwert
Auf seinen Harnisch führt, giebt ihm die Todeswunde;
Das Blut schießt wie ein Strom den Hals empor, und sperrt
Des Athems Weg in seinem weiten Schlunde.

37
Er fällt, wie auf der Stirn des Taurus eine Fichte
Im Donner stürzt; der Thurm, das Feld umher
Erbebt von seinem Fall; er fühlt sich selbst nicht mehr,
Sein starrend Auge schließt auf ewig sich dem Lichte,
Und den verruchten Geist, von Frevelthaten schwer,
Schon schleppen Teufel ihn zum schrecklichen Gerichte.
Der Sieger wischt vom blutbefleckten Stahl
Das schwarze Gift, und eilt zur Jungfrau in den Sahl.

38
Heil euch, mein edler Herr! ihr habt mich wohl gerochen,
Ruft Angela, indem sie sich entzückt
Zu seinen Füßen wirft, so bald sie ihn erblickt:
Und dir, die ihn zum Retter mir geschickt,
O Himmelskönigin, sey es hiermit versprochen,
Der erste Sohn, mit dem ich in die Wochen
Einst komme, werd', in klarem dichtem Gold,
So schwer er ist, zum Opfer dir gezollt!

39
Herr Hüon, als er sie gar ehrbar aufgehoben,
Erwiedert ihren Dank mit aller Höflichkeit
Der guten alten Ritterzeit,
Die zwar so fein, wie unsre, nicht gewoben,
Doch desto derber war, und besser Farbe hielt.
Des Ritters große Pflicht war Jungfrau'n zu beschützen,
Und, wenn sein Herz sich gleich unangemuthet fühlt,
Auf jeden Ruf sein Blut für jede zu verspritzen.

40
Die Dame hatte noch nicht Zeit und Ruh genug
Gehabt, den jungen Mann genauer zu erwägen;
Itzt, da sie ihn erbat die Waffen abzulegen,
Itzt hätte sie sich gleich mehr Augen wünschen mögen
Als Junons Pfau in seinem Schweife trug,
So sehr däucht ihr der Ritter, Zug für Zug,
Von Kopf zu Fuß, an Bildung und Geberden,
An Großheit und an Reitz, der erste Mann auf Erden.

41
Nicht, daß sie just mit jemand ihn verglich
Der zwischen ihm und ihrem Herzen stünde;
Ganz arglos überließ sie ihren Augen sich,
Und bloßes Sehn ist freylich keine Sünde.
Kein Skrupel störte sie in dieser Augenlust,
So sanft spielt noch um ihre junge Brust
Der süße Trug; denn, was sie sicher machte
War, daß ihr Herz nicht an Alexis dachte.

42
Ein Glück für dich, unschuldige Angela,
Daß keiner deiner Blick' in Hüons Busen Zunder
Zum Fangen fand. Und freylich war's kein Wunder:
Denn, kam ihr auch, wie dann und wann geschah,
Der seinige auf halbem Weg entgegen,
So war's der Blick von einem Haubenkopf;
Er hätt' auf einen Blumentopf,
Auf ein Tapetenbild, nicht kälter fallen mögen.

43
Ein unbekanntes Was, das ihn wie ein Magnet
Nach Bagdad zieht, scheint allen seinen Blicken
Die scharfe Spitze abzuknicken,
Und macht, daß jeder Reitz an ihm verloren geht.
Vergebens ist ihr Wuchs wie eine schöne Vase
Von Amors eigner Hand gedreht;
Vergebens schließt die sanft erhobne Nase
Sich an die glatte Stirn in stolzer Majestät;

44
Umsonst hebt ihre Brust, gleich einem Doppelhügel
Von frischem Schnee, um den ein Nebel graut,
Den dünnen weißen Flor; umsonst ist ihre Haut
So rein und glatt als wie ein Wasserspiegel,
Worin im Rosenschmuck Aurora sich beschaut;
Vergebens hat ihr königliches Siegel
Die Schönheit jedem Theil so sichtbar aufgedrückt,
Daß ihr Gewand sie weder deckt noch schmückt.

45
Kurz, Angela mit allen ihren Reitzen
Ist ihm vergebens schön und jung;
Und, ferne nach Verlängerung
Der holden Gegenwart zu geitzen,
Wünscht er mit jedem Augenblick
In ihres Bräut'gams Arm recht herzlich sie zurück,
Und kann zuletzt sich nicht entbrechen,
Da Sie nichts sagt, ihr selbst davon zu sprechen.

46
Kaum daß er ihr dazu Geleit und Schutz versprach,
Und ihre Lippen sich in Dank dafür ergossen:
Als ein Getös von Reisigen und Rossen
Im Hof der Burg sie plötzlich unterbrach.
Schon trampelt's laut die langen Wendelstiegen
Herauf. Die junge Frau erschrickt—"Wer kann es seyn?"
Doch bald zerschmilzt ihr Schrecken in Vergnügen,
Denn, siehe da! Alexis tritt herein.

47
Ihm war, zwar etwas spät, zu Sinne
Gestiegen, daß es ihm nicht allzu rühmlich sey,
Wenn Hüon seine Braut dem Recken abgewinne,
Indessen, weit vom Schuß, mit seiner Reiterey
Er, ihr Gemahl, im Schatten, frank und frey,
Sein zärtlich Blut mit Palmenwein verdünne:
Auch konnte ja (wer wird dafür ihm stehn?)
Der Ritter gar davon mit seinem Engel gehn.

48
Demnach, so hatt' er, stracks als ihm sein Ohr gesungen,
Mit seiner Ritterschaft zu Pferde sich geschwungen,
Und kam in vollem Trab, falls etwa die Gefahr
Durch Hüons Tapferkeit bereits vorüber war,
Die Schöne in Empfang zu nehmen,
Dem fremden Ritter Gottes Lohn
Zu wünschen, und—ein wenig sich zu schämen,
(Denkt ihr) allein, er war ein Prinz von Libanon.

49
Herr Hüon, unverhofft des Umwegs überhoben
Mit Angela zurück ins Palmenthal zu gehn,
Läßt von den schönen Herr'n sich in die Wette loben,
Und fühlt sich just dabey so gut, als ob man ihn
Gescholten hätt'. Und nun, die Wohlthat zu vollenden,
Wird, durch des Ringes Kraft, von unsichtbaren Händen
Mit allem was den Gaum ergetzt
Ein großer runder Tisch in Überfluß besetzt.

50
Ah, ruft die schöne Braut, schier hätt' ich es vergessen:
Herr Ritter, ehe wir zum Essen
Uns setzen, geht und schließt mit eigner Hand geschwind
Des Riesen Harem auf; denn funfzig Jungfern sind
Noch außer mir in diesem Thurm verwahret;
Der schönste Mädchenflor, ein wahres Tulpenbeet!
Er hatte sie für seinen Mahomed
Zu Opfern, denk' ich, aufgesparet.

51
Der Harem thut sich auf, und zeigt, in vollem Putz
Und buntem lieblichem Gewimmel,
Ein wahres Bild von Mahoms lust'gem Himmel.
Herr Hüon läßt die Damen all' im Schutz
Der schönen Herr'n, und ist schon weit davon geritten,
Da hinter ihm noch alles lärmt und schnarrt,
Die Ehre seiner Gegenwart
Sich wenigstens zur Tafel auszubitten.

52
Schon schlich, indeß in Grau das Abendroth zerfloß,
Der stille Mond herauf am Horizonte,
Als Hüon, weil sein Gaul nicht länger laufen konnte,
An einem schönen Platz zu ruhen sich entschloß.
Er sieht sich auf der grünen Erde
Nach einem Lager um, indessen für die Pferde
Sein Alter sorgt. Auf einmahl steht, ganz nah,
Ein prächtiges Gezelt vor seinen Augen da.

53
Ein reicher Teppich liegt, so weit es sich verbreitet,
Auf seinem Boden ausgespreitet,
Mit Polstern rings umher belegt,
Die, wie beseelt von innerlichem Leben,
Bey jedem Druck sanft blähend sich erheben.
Ein Tisch von Jaspis, den ein goldner Dreyfuß trägt,
Steht mitten drin, und, was dem essenslust'gen Magen
Zum Göttertisch ihn macht, das Mahl ist aufgetragen.

54
Der Ritter bleibt wie angefroren stehn,
Winkt Scherasmin herbey, und fragt ihn, was er sehe?
O, das ist leicht, erwiedert der, zu sehn:
Freund Oberon ist sichtlich in der Nähe.
Wir hätten ohne ihn die Nacht,
Anstatt uns nun in Schwanenflaum zu senken,
Auf unsrer Mutter Schooß so sanft nicht zugebracht.
Das nenn' ich doch an seine Freunde denken!

55
Kommt, lieber Herr, nach dieser langen Fahrt
Schmeckt Ruhe süß; laßt hurtig euch entgürten!
Ihr seht, der schöne Zwerg hat keinen Fleiß gespart,
Wiewohl im Flug, uns herrlich zu bewirthen.
Herr Hüon folgt dem Rath. Sie lagern beide sich
Halb sitzend um den Tisch, und schmausen ritterlich;
Auch wird, beym Sang Gaskonscher froher Lieder,
Der Becher fleißig leer und füllt sich immer wieder.

56
Bald löset unvermerkt des Schlafes weiche Hand
Der Nerven sanft erschlafftes Band.
Indem erfüllt, wie aus der höchsten Sfäre,
Die lieblichste Musik der Lüfte stillen Raum.
Es tönt als ob ringsum auf jedem Baum
Ein jedes Blatt zur Kehle worden wäre,
Und Mara's Engelston, der Zauber aller Seelen,
Erschallte tausendfach aus allen diesen Kehlen.

57
Allmählich sank die süße Harmonie,
Gleich voll, doch schwächer stets, herunter bis zum Säuseln
Der sanftsten Sommerluft, wenn kaum sich je und ie
Ein Blatt bewegt und um der Nymfe Knie
Im stillen Bache sich die Silberwellen kräuseln.
Der Ritter, zwischen Schlaf und Wachen, höret sie
Stets leiser wehn, bis unter ihrem Wiegen
Die Sinne unvermerkt dem Schlummer unterliegen.

58
Er schlief in Einem fort, bis, da der frühe Hahn
Aurorens Rosenpferde wittert,
Ein wunderbarer Traum sein Innerstes erschüttert.
Ihm däucht, er geh' auf unbekannter Bahn,
Am Ufer eines Stroms, durch schattige Gefilde;
Auf einmahl steht vor ihm ein göttergleiches Weib,
Im großen Auge des Himmels reinste Milde,
Der Liebe Reitz um ihren ganzen Leib.

59
Was er empfand ist nicht mit Worten auszudrücken,
Er, der zum ersten Mahl itzt Amors Macht empfand,
Und athemlos, entgeistert vor Entzücken,
Sein Leben ganz in seinen Blicken,
Im Boden eingewurzelt stand,
Sie noch zu sehen glaubt, nachdem sie schon verschwand,
Und, da der süße Wahn zuletzt vor ihm zerfließet,
Nichts mehr zu sehn die Augen sterbend schließet.

60
Betäubt, in fühlbar'm Tod, lag er am Ufer da
In seinem Traum: als ihn bedünkt, er spüre
Daß eine warme Hand sein starres Herz berühre.
Und, wie vom Tod erweckt, erhob er sich und sah
Die Schöne abermahl zu seiner Seite stehen,
Die keiner Sterblichen in seinen Augen gleicht,
Und dreymahl schöner, wie ihm däucht,
Und holder als er sie zum ersten Mahl gesehen.

61
Stillschweigend schauten sie einander beide an,
Mit Blicken, die sich das unendlich stärker sagten,
Was ihre Lippen noch nicht auszusprechen wagten.
Ihm ward in ihrem Aug' ein Himmel aufgethan,
Wo sich in eine See von Liebe
Die Seele taucht. Bald wird das Übermaß der Lust
Zum Schmerz: er sinkt im Drang der unaufhaltbar'n Triebe
In ihren Arm, und drückt sein Herz an ihre Brust.

62
Er fühlt der Nymfe Herz an seinem Busen schlagen,
Der Glückliche! wie schnell, wie stark, wie warm!
Und—plötzlich hört es auf zu tagen,
Auf schwarzen Wolken rollt des Donners Feuerwagen,
Laut heulend bebt der Stürme wilder Schwarm;
Von unsichtbarer Macht wird schnell aus seinem Arm
Im Wirbelwind die Nymfe fortgerissen
Und in die Flut des nahen Stroms geschmissen.

63
Er hört ihr ängstlich Schrey'n, will nach—o Höllenpein!
Und kann nicht! steht, entseelt vor Schrecken,
Starr wie ein Bild auf einem Leichenstein.
Vergebens strebt er, keicht, und ficht mit Arm und Bein;
Er glaubt in Eis bis an den Hals zu stecken,
Sieht aus den Wellen sie die Arme bittend strecken,
Und kann nicht schreyn, nicht, wie der Liebe Wuth
Ihn spornt, ihr nach sich stürzen in die Flut.

64
Herr! ruft ihm Scherasmin, da er sein banges Schnauben
Vernimmt, erwacht, erwacht! ein böser Traum
Schnürt euch die Kehle zu.—Fort, Geister, macht mir Raum,
Schreyt Hüon, wollt ihr mir auch ihren Schatten rauben?
Und wüthend fährt er auf aus seinem Traumgesicht;
Noch klopft von Todesangst umfangen
Sein stockend Herz, er starrt ins Tageslicht
Hinaus, und kalter Schweiß liegt auf den bleichen Wangen.

65
Das war ein schwerer Traum, ruft ihm der Alte zu:
Ihr lagt vermuthlich wohl zu lange auf dem Rücken?
Ein Traum? seufzt Siegwins Sohn mit minder wilden Blicken,
Das war's! allein ein Traum, der meines Herzens Ruh
Auf ewig raubt!—"Das wolle Gott verwehren,
Mein bester Herr!—Sag' mir im Ernste, (spricht
Der Ritter ernstvoll) glaubst du nicht
Daß Träume dann und wann der Zukunft uns belehren?

66
Man hat Exempel, Herr,—und wahrlich, seit ich euch
Begleite, läugn' ich nichts, erwiedert ihm der Alte.
Doch, wenn ich euch die reine Wahrheit gleich
Gestehen soll, so sag' ich frey, ich halte
Nicht viel von Träumen. Fleisch und Blut
Hat, wenigstens bey mir, sein Spiel so oft ich träume:
Dieß wußten unsre Alten gut,
Und lehrten's uns im wohl bekannten Reime.

67
Inzwischen, wenn ihr mir den Inhalt eures Traums
Vertrautet, könnt' ich euch vielleicht was bessers reimen.
Das will ich auch, spricht Hüon, ohne Säumen.
Kaum röthet noch den Gipfel jenes Baums
Der Morgenstrahl. Wir haben Zeit zum Werke.
Nur reiche mir zuvor den Becher her,
Damit ich meine Geister stärke:
Es liegt mir auf der Brust noch immer zentnerschwer.

68
Indeß der wundervolle Becher
Den Ritter labt, sieht ihn der Alte, still,
Als einer an, dem's nicht gefallen will,
Den wackern Sohn des braven Siegwins schwächer,
Als einem Manne ziemt, zu sehn.
Ey (denkt er bey sich selbst, kopfschüttelnd) im Erwachen
Noch so viel Werks aus einem Traum zu machen!
Doch, weil's nun so ist, mag's zum Frühstück immer gehn!

Vierter Gesang.

1
Der Paladin beginnt nun seine Traumgeschichte
Wie folget: Was du auch, mein guter Scherasmin,
Von dem, was ich dir itzt berichte,
Im Herzen denken magst, so ist's doch kein Gedichte,
Daß ich, Gott sey es Dank! noch stets an Leib und Sinn,
So wie du hier mich siehst, ein reiner Jüngling bin.
Nie hat vor diesem Tag in meinem ganzen Leben
Mein unbefangnes Herz der Liebe Raum gegeben.

2
Es waren zwar der schönen Jungfrauen viel
An meiner Mutter Hof, und an Gelegenheiten,
Die einen Knaben leicht zur Tändeley verleiten,
Gebrach es nicht, zumahl beym Pfänderspiel:
Da gab's wohl manchmahl auch ein Strumpfband aufzulösen;
Allein der schönste Fuß ließ meine Fantasey
In stolzer Ruh; und wär's Genevrens Fuß gewesen,
Es war ein Fuß, mehr dacht' ich nicht dabey.

3
Daß ich von Kindheit an so viele offne Busen
Und bloße Schultern sah, mocht' auch mit Ursach' seyn.
Gewohnheit gleicht in diesem Stück Medusen,
Und für das Schönste selbst verkehrt sie uns in Stein.
Allein, was half mir's, frey geblieben
Zu seyn bis in mein zweymahl zehntes Jahr?
Auch meine Stunde kam! Ach, Freund! mein Schicksal war
Im Traum zum ersten Mahl zu lieben.

4
Ja, Scherasmin, nun hab' ich sie gesehn,
Sie, von den Sternen mir zur Siegerin erkohren;
Gesehen hab' ich sie, und, ohne Widerstehn,
Beym ersten Blick mein Herz an sie verloren.
Du sprichst, es war ein Traum? Nein, Mann! ein Hirngespenst
Kann nicht so tiefe Spuren graben!
Und wenn du tausendmahl mich einen Thoren nennst,
Sie lebt, ich hatte sie, und muß sie wieder haben.

5
O hättest du den holden Engel doch
Gesehn wie ich!—Zwar, wenn ich mahlen könnte,
Ich stellte sie dir hin, so glühend wie sie noch
Vor meiner Stirne schwebt, und bin gewiß, sie brennte
Dein altes Herz zu einer Kohle aus.
O daß nur etwas mir geblieben wär', das Leben
Von ihr empfing! ach! nur der Blumenstrauß
An ihrer Brust! was wollt' ich nicht drum geben!

6
Denk dir ein Weib im reinsten Jugendlicht,
Nach einem Urbild von dort oben
Aus Rosengluth und Lilienschnee gewoben;
Gieb ihrem Bau das feinste Gleichgewicht;
Ein stilles Lächeln schweb' auf ihrem Angesicht,
Und jeder Reitz, von Majestät erhoben,
Erweck' und schrecke zugleich die lüsterne Begier:
Denk alles, und du hast den Schatten kaum von ihr!

7
Und nun, sanft angelockt von ihren süßen Blicken,
Dieß holde Weib, das nur die Luftgestalt
Von einem Engel schien, an meine Brust zu drücken,
Zu fühlen, wie ihr Herz in meines überwallt,
Ist's möglich, daß ich vor Entzücken
Nicht gar verging?—Nun komm, und sprich mir kalt,
Es war ein Traum! Wie schal, wie leer und todt ist neben
So einem Traum mein vorigs ganzes Leben!

8
Noch einmahl, Scherasmin, es war kein Schattenspiel
Im Sitz der Fantasie aus Weindunst ausgegohren!
Ein unbetrügliches Gefühl
Sagt mir, sie lebt, sie ist für mich geboren.
Vielleicht war's Oberon, der sie erscheinen ließ.
Ist's Wahn: o laß ihn mir! die Täuschung ist so süß!
Doch, nichts von Wahn! Kann solch ein Traum betrügen,
O so ist alles Wahn! so kann die Wahrheit lügen!

9
Der Alte wiegt sein zweifelreiches Haupt,
Wie wenn man euch ein Wunderding erzählet,
Wovon ihr nichts im Herzen glaubt,
Wiewohl euch Grund es wegzuläugnen fehlet.
Was denkst du? fragt der Ritter.—Das ist's just
Was mich verlegen macht, versetzt der Unverliebte:
Ich hätte freylich wohl zu manchem Einwurf Lust;
Allein was hälf's am End', als daß ich euch betrübte?

10
Nur, vor der Hand, weil euer fürstlich Wort
Euch einmahl gegen Karl verbindet,
So, dächt' ich, setzten wir den Zug nach Bagdad fort.
Vielleicht daß unterwegs der Zauber wieder schwindet;
Vielleicht daß Oberon dabey sein bestes thut,
Und unversehens sich die Traumprinzessin findet.
Inzwischen, lieber Herr, thut euch die Hoffnung gut,
So hofft! Man macht dabey zum mindsten rothes Blut.

11
Weil dieß der Knappe spricht, steht mit gesenkter Stirne
Der Ritter da; denn plötzlich hatte sich
In seinem liebeskranken Hirne
Die Scene umgekehrt. Ach, spricht er, täusche mich
Nicht auch mit falschem Trost! Feindselige Gestirne
Sind über mir. Was kann ich hoffen? Sprich!
Der Sturm, der sie von meiner Brust gerissen,
Läßt, leider, mich zu viel von meinem Schicksal wissen.

12
Entrissen ward sie mir! Noch streckt sie aus der Flut
Die Arme gegen mich—noch stockt vor Angst mein Blut—
Und ach! wie an den Grund mit Ketten
Geschmiedet, stand ich da, ohnmächtig sie zu retten!
Das war im Traum, spricht Scherasmin: wofür
Euch ohne Noth mit schwarzer Ahnung grämen?
Ein Traum läßt nie von Art. Das beste, glaubet mir,
Ist's, sich daraus nur was uns freut zu nehmen.

13
Daß euch im Traum ein wohl gewogner Geist
Die künft'ge Königin von euerm Herzen weist,
Das hat er gut gemacht! So etwas läßt sich glauben,
Und kurz, wir nehmen's nun für bare Wahrheit an.
Allein den Strom, den Wirbelwind, die Schrauben
An Hand und Fuß, die hat der Traum hinzu gethan.
Mir selbst ist oft in meinen jüngern Jahren,
Wenn mich der Alp gedrückt, dergleichen widerfahren.

14
Da, zum Exempel, läuft ein schwarzer Zottelbär,
Indem ich wandeln geh', der Himmel weiß woher,
Mir in den Weg; ich greif' im Schrecken nach dem Degen
Und zieh', und zieh'—umsonst! Ein plötzlich Unvermögen
Strickt jede Sehne mir in allen Gliedern los;
Zusehens wird der Bär noch siebenmahl so groß,
Sperrt einen Rachen auf so gräßlich wie die Hölle;
Ich flieh' und ängst'ge mich, und kann nicht von der Stelle.

15
Ein andermahl, wenn ihr von einem Abendschmaus
Nach Haus zu gehen träumt, bey einem alten Gaden
Vorbey; auf einmahl knarrt ein kleiner Fensterladen,
Und eine Nase guckt heraus
So lang als euer Arm. Ihr sucht, halb starr vor Schrecken,
Ihr zu entfliehn, und vorn und hinten stehn
Gespenster da, die ins Gesicht euch sehn,
Und feur'ge Zungen weit aus langen Hälsen recken.

16
Ihr drückt in Todesangst euch seitwärts an die Wand
Die gegenüber steht—und eine dürre Hand
Fährt durch ein rundes Loch euch eiskalt übern Rücken,
Und sucht an euch herum, euch da und dort zu zwicken.
Ein jedes Haar auf euerm Kopfe kehrt
Die Spitz' empor, zur Flucht ist jeder Weg verwehrt,
Die Gasse wird zusehens immer enger,
Stets frostiger die Hand, die Nase immer länger.

17
Dergleichen, wie gesagt, begegnet oft und viel;
Allein, am End' ist's doch ein bloßes Possenspiel,
Das Nachtgespenster sich in unserm Schädel machen;
Die Nase sammt der Angst verschwindet im Erwachen.
Ich dächt' an euerm Platz dem Ding nicht weiter nach,
Und hielte mich an das, was mir der Zwerg versprach.
Frisch auf! Mir ahnet was! Es müßte übel enden,
Wenn wir die Dame nicht in Bagdad wiederfänden.

18
Bey diesem Worte springt der Ritter, angeweht
Von frischem Muth, empor, als hätt' ihm nichts geträumt.
Der Morgenluft entgegen wiehernd, steht
Sein Renner schon gesattelt und gezäumet.
Er schwingt sich auf, und wie er aus dem Feld
Zurücke schaut, verschwunden ist das Zelt:
In einem Wink erhob sich's aus dem Rasen,
In einem Wink war alles weggeblasen.

19
Sie zogen nun dem Lauf des hohen Eufrats nach,
Von Palmen und Gebüsch vorm Sonnenstrahl geborgen,
Durchs schönste Land der Welt, stillschweigend, keiner sprach
Ein Wort, wiewohl's an Stoff zum Reden nicht gebrach;
Denn jeder war vertieft in andre Sorgen.
Die reine Luft, der angenehme Morgen,
Der Vögel Lustgesang, des Stromes stiller Lauf,
Weckt beider Fantasie aus leisem Schlummer auf.

20
Der Ritter sieht in ihrem Zauberspiegel
Nichts sehenswerth als das geliebte Bild.
Er mahlt die Göttin sich auf seinen blanken Schild,
Erklimmt auf ihrer Spur des Taurus schroffsten Hügel,
Steigt, sie erfragend, bis in Merlins furchtbars Grab,
Bekämpft die Riesen und die Drachen,
Die um das Schloß, worin sie schmachtet, wachen,
Und kämpfte sie der ganzen Hölle ab.

21
Indessen er, in eingebildeter Wonne,
Die schwer errungne Braut an seinen Busen drückt,
Sieht unvermerkt ans Ufer der Garonne,
Wo er als Kind den ersten Strauß gepflückt,
Von Eufrats Ufern weg der Alte sich verzückt.
Nein, denkt er, nirgends scheint doch unsers Herrgotts Sonne
So mild als da, wo sie zuerst mir schien,
So lachend keine Flur, so frisch kein andres Grün!

22
Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen,
Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand,
Sey immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor allen dir gewogen,
Fühlt überall nach dir sich heimlich hingezogen,
Fühlt selbst im Paradies sich doch aus dir verbannt;
O möchte wenigstens mich nicht die Ahnung trügen,
Bey meinen Vätern einst in deinem Schooß zu liegen!

23
In solcher Träumerey schwind't unvermerkt der Raum
Der sie von Bagdad trennt, bis itzt die Mittagshitze
In einen Wald sie treibt, der vor der Gluth sie schütze.
Noch ruhten sie um einen alten Baum,
Wo dichtes Moos sich schwellt zum weichen Sitze,
Und Oberons Pokal erfrischt den trocknen Gaum;
Als, eben da er sich zum dritten Mahle füllet,
Ein gräßliches Geschrey in ihre Ohren brüllet.

24
Sie springen auf. Der Ritter faßt sein Schwert
Und fleugt dahin, woher die Zetertöne schallen!
Und sieh! ein Sarazen zu Pferd,
Von einem Löwen angefallen,
Kämpft aus Verzweiflung noch, erschöpft an Kraft und Muth,
Mit matter Faust. Schon taumelt halb zerrissen
Sein Roß, und wälzt mit ihm in einem Strom von Blut
Sich um, und hat vor Angst die Stange durchgebissen.

25
Grimmschnaubend stürzt der Löw' auf seinen Gegner los,
Aus jedem Blick schießt eine Feuerflamme.
Indem fährt Hüons Stahl ihm seitwärts in die Wamme.
Der Thiere Fürst, den solch ein Gruß verdroß,
Erwiedert ihn mit einer langen Schramme,
Nach der des Ritters Blut aus tausend Quellchen floß:
Hätt' Angulaffers Ring nicht über ihm gewaltet,
Ihn hätt' auf Einen Zug der Löw' entzwey gespaltet.

26
Herr Hüon rafft, was er an Kraft vermag,
Zusammen, (denn sein Tod blitzt aus des Löwen Blicke)
Und stößt sein kurzes Schwert mit Macht ihm ins Genicke.
Vergebens schwingt sich noch der Schweif zu einem Schlag,
Von dem, wofern der Ritter nicht zurücke
Gesprungen wär', er halb zerschmettert lag;
Vergebens dräuet noch die fürchterliche Tatze;
Ein Streich von Scherasmin erlegt ihn auf dem Platze.

27
Der Sarazen (den reichen Steinen nach,
Die hoch auf seinem Turban blitzen,
Ein Mann von Wichtigkeit) schien noch vor Angst zu schwitzen.
Die Ritter führen ihn am Arme ganz gemach
Den Räumen zu, in deren Schirm sie lagen;
Man reicht zur Stärkung ihm den goldnen Becher dar,
Und auf Arabisch spricht der Alte: Herr, fürwahr,
Ihr habt dem Gott der Christen Dank zu sagen!

28
Mit schelem Auge nimmt der Held' aus Hüons Hand
Den Becher voll, und wie er an der Lippen Rand
Ihn bringt, versiegt der Wein, und glühend wird der Becher
In seiner Faust, der innern Schalkheit Rächer!
Er schleudert ihn laut brüllend weit von sich,
Und stampft, und tobt, und lästert fürchterlich.
Herr Hüon, dem es graut ihm länger zuzuhören,
Zieht sein geweihtes Schwert, den Helden zu bekehren.

29
Allein, der Schalk, der übermannt sich hält,
Hat keine Lust zur Gegenwehr zu stehen;
Wie ein gejagter Strauß läuft er ins nahe Feld,
Wo beide Pferd' im Grase weiden gehen.
Risch schwingt er sich auf Hüons Klepper, faßt
Ihn bey der Mähn', und mit verhängten Zügeln
Rennt er davon, in solcher Angst und Hast,
Als säß' er zwischen Sturmwindsflügeln.

30
Das Abenteu'r war freylich ärgerlich;
Allein was half's, dem Lecker nachzulaufen?
Zum Glücke war ein Ding, das einem Maulthier glich,
Im nächsten Dorf um wenig Geld zu kaufen.
Das arme Thier, durchsichtiger als Glas,
Schien kaum belebt genug, bis Bagdad auszureichen;
Doch däucht's dem Alten noch auf dessen Rückgrat baß
Als seinem Herrn zu Fuße nachzukeichen.

31
So setzten beide nun nach dem gewünschten Port
Den ritterlichen Zug so gut sie konnten fort.
Der Sonnenwagen schwebt schon an des Himmels Grenzen,
Auf einmahl sehen sie, von fern im weiten Thal,
Gekrönt mit Thürmen ohne Zahl,
Der Städte Königin im Abendschimmer glänzen,
Und, durch ein Paradies von ewig frischem Grün,
Den breiten Strom des schnellen Tigers fliehn.

32
Ein wundersam Gemisch von Schrecken und Entzücken,
Geheime Ahnungen, und fremde Schauer drücken
Des Ritters Herz, da ihm der Schauplatz auf sich thut,
Wo mehr sein Wort und angestammter Muth
Als Karls Gebot, ihn treibt ein Wagstück zu bestehen,
Wovon kaum möglich ist ein besser Ziel zu sehen
Als jähen Tod. Gewiß war immer die Gefahr,
Doch schien sie nie so groß als da sie nahe war.

33
Er sieht mit ihren goldnen Zinnen,
Gleich einer Götterburg, in furchtbar stolzer Pracht
Der Emirn Burg, den Thron, der Asien zittern macht,
Und spricht zu sich: Und Du, was gehst du zu beginnen?
Er stutzt. Doch bald stärkt wieder seine Sinnen
Des Glaubens Muth, der ihn so weit gebracht,
Und eine Stimme scheint ihm leise zuzugehen,
Er werde die er liebt in jenen Mauern sehen.

34
Auf, ruft er, Scherasmin, spann alle Segel auf!
Du siehst das Ziel von meinem langen Lauf;
Wir müssen Bagdad noch vor dunkler Nacht erreichen.
Nun geht's im schärfsten Trott, daß Roß und Reiter keichen.
Der Knapp' gießt seinem Thier mitleidig etwas Wein
Aus Oberons Becher auf die Zunge:
Da, spricht er, trink, du guter treuer Junge,
Der Becher trocknet nicht für deines gleichen ein.

35
Er hatte Recht. Kaum saugt des Maulthiers Zunge
So lechzend als ein ausgebrannter Stein
Den süßen Thau des Zaubergoldes ein,
So schießt mit allbelebendem Schwunge
Ein Feuerstrom durch Adern und Gebein;
Von neuer Kraft gespannt, erfrischt an Herz und Lunge,
Läuft's, einem Windspiel gleich, mit ihm davon,
Und eh' der Tag erlischt sind sie in Babylon.

36
Noch irrten sie in seinen ersten Gassen
Unkundig in der Dämm'rung hin und her,
Als Fremde, die sich bloß vom Zufall leiten lassen:
Da kam des Wegs von ungefähr
An ihrem Stab ein Mütterchen gegangen,
Mit grauem Haar und längst verwelkten Wangen.
He Mutter, seyd so gut, schreyt Scherasmin sie an,
Und weiset uns den Weg zu einem Han.

37
Die Alte bleibt gestützt auf ihre Krücke stehen,
Und hebt ihr wankend Haupt, die Fremden anzusehen.
Herr Fremdling, spricht sie drauf, von hier ist's ziemlich weit
Zum nächsten Han; doch, wenn ihr müde seyd
Und wenig euch genügt, so kommt in meine Hütte;
Da steht euch Milch und Brot, und eine gute Schütte
Von frischem Stroh zu Dienst, und Gras für euer Vieh;
Ihr ruhet aus, und zieht dann weiter morgen früh.

38
Mit großem Dank für ihr gastfreundliches Erbieten
Folgt Hüon nach. Ihm däucht kein Lager schlecht,
Wo Freundlichkeit und Treu' der offnen Thüre hüten.
Die neue Baucis macht in Eil die Streu zurecht,
Wirft Quendel und Orangenblüthen
Aus ihrem Gärtchen drauf, trägt fette Milch voll Schaum
Und saft'ge Pfirschen auf, und Feigen frisch vom Baum,
Beklagend, daß ihr jüngst die Mandeln nicht geriethen.

39
Dem Fürsten dünkt, er hab' in seiner Lebenszeit
Nie so vergnüglich Mahl gehalten.
Was der Bewirthung fehlt, ersetzt der guten Alten
Vertrauliche Geschwätzigkeit.
Die Herren, spricht sie, kommen eben
Zu einem großen Fest.—"Wie so?"—Ihr wißt es nicht?
Es ist das einz'ge doch was man in Bagdad spricht;
Die Tochter unsers Herrn wird morgen ausgegeben.

40
"Des Sultans Tochter? Und an wen?"
Der Bräutigam ist einer von den Neffen
Des Sultans, Fürst der Drusen, reich und schön,
Und auf dem Schachbret soll ihn keiner übertreffen;
Mit Einem Wort, ein Prinz, den alle Welt
Der schönen Rezia vollkommen würdig hält.
Und doch—gesagt im engesten Vertrauen—
Sie ließe lieber sich mit einem Lindwurm trauen.

41
Das nenn' ich wunderlich, versetzt der Paladin,
Ihr werdet's uns so leicht nicht glauben machen.
"Ich sag' es noch einmahl, eh' die Prinzessin ihn
So nahe kommen läßt, umarmt sie einen Drachen,
Da bleibt's dabey!—Mir ist von langer Hand
Das Wie und Wann der Sache wohl bekannt.
Zwar hab' ich reinen Mund gar hoch versprechen müssen;
Doch, gebt mir eure Hand, so sollt ihr alles wissen.

42
"Es wundert euch vielleicht, wie eine Frau, wie ich,
Zu solchen Dingen kommt, die selbst dem Fürstenstamme
Verborgen sind und sonsten männiglich?
So wisset denn, ich bin die Mutter von der Amme
Der schönen Rezia, bey der sie alles gilt,
Wiewohl schon sechzehn volle Jahre
Verflossen sind, seit Fatme sie gestillt;
Nun merkt ihr leicht, woher ich manchmahl was erfahre.

43
"Man weiß, daß schon seit Jahren der Kalif,
Auf seine Tochter stolz, nicht selten
An Festen, die er gab, sie mit zur Tafel rief,
Wo schöner Männer viel sich ihr vor Augen stellten.
Allein auch das weiß Stadt und Land,
Daß keiner je vor ihr besonders Gnade fand;
Sie schien sie weniger mit mädchenhaftem Grauen
Als mit Verachtung anzuschauen.

44
"Indessen ward geglaubt, sie könne Babekan
(So heißt der Prinz, den sich zum Tochtermann
Der Sultan auserwählt) vor allen andern leiden.
Nicht, daß beym Kommen oder Scheiden
Das Herz ihr höher schlug; ihn nicht mit Fleiß zu meiden
War wohl das höchste, was er über sie gewann:
Allein, sie war doch sonst für niemand eingenommen;
Die Liebe, dachte man, wird nach der Hochzeit kommen.

45
"Jedoch, seit einem Zwischenraum
Von wenig Wochen, hat sich alles umgekehret.
Seitdem kann Rezia den armen Prinzen kaum
Vor Augen sehn. Ihr ganzes Herz empöret
Sich, wenn sie nur von Hochzeit reden höret;
Und, was unglaublich ist, so hat ein bloßer Traum
Die Schuld daran."—Ein Traum? ruft Hüon ganz in Feuer;
Ein Traum? ruft Scherasmin, welch seltsam Abenteuer!

46
Ihr träumte, fährt die Alte fort,
Sie werd' in Rehgestalt an einem wilden Ort
Von Babekan gejagt. Sie lief, von zwanzig Hunden
Verfolgt, in Todesangst herab von einem Berg;
Ihm zu entfliehen war die Hoffnung schon verschwunden!
Da kam ein wunderschöner Zwerg
In einem Faëton, den junge Löwen zogen,
In vollem Sprung entgegen ihr geflogen.

47
Der Zwerg in seiner kleinen Hand
Hielt einen blüh'nden Lilienstängel,
Und ihm zur Seite saß ein fremder junger Fant,
In Ritterschmuck, schön wie ein barer Engel;
Sein blaues Aug' und langes gelbes Haar
Verrieth, daß Asien nicht sein Geburtsland war;
Doch, wo er immer hergekommen,
Genug, ihr Herzchen ward beym ersten Blick genommen.

48
Der Wagen hielt. Der Zwerg mit seinem Lilienstab
Berührte sie; stracks fiel die Rehhaut ab:
Die schöne Rezia, auf ihres Retters Bitten,
Stieg in den Wagen ein, und setzt' erröthend mitten
Sich zwischen ihn und den, dem sich ihr Herz ergab,
Wiewohl noch Lieb' und Scham in ihrem Busen stritten.
Der Wagen fuhr nun scharf den Berg hinan,
Und stieß vor einen Stein, und sie erwachte dran.

49
Weg war ihr Traum, doch nicht aus ihrem Herzen
Der Jüngling mit dem langen gelben Haar.
Stets schwebt sein Bild, die Quelle süßer Schmerzen,
Bey Tag und Nacht ihr vor, und seit der Stunde war
Der Drusenfürst ihr unerträglich.
Sie konnt' ihn ohne Zorn nicht hören und nicht sehn.
Man gab sich alle Müh die Ursach' auszuspähn;
Umsonst, sie blieb geheim und stumm und unbeweglich.

50
Nur ihre Amm' allein, von der ich, wie gesagt,
Die Mutter bin, wußt' endlich Weg' zu finden,
Das seltsame Geheimniß, das sie nagt,
Aus ihrer Brust heraus zu winden.
Allein ihr wißt, ob mit vernünft'gen Gründen
Ein Schaden heilbar ist, der heimlich uns behagt?
Die arme Dame war sich selber gram, und wollte
Daß Fatme dennoch stets dem Übel schmeicheln sollte.

51
Indessen kam der Tag, vor dem so sehr ihr graut,
Stets näher. Babekan, um bey der spröden Braut
In beßre Achtung sich zu schwingen,
Ließ wenig unversucht; nur wollte nichts gelingen.
Sie war bekanntlich stets den Tapfern sehr geneigt,
Er hatte sich noch nie in diesem Licht gezeigt:
Laß, sprach er zu sich selbst, uns eine That vollbringen,
Der Unempfindlichen Bewundrung abzuzwingen!

52
Nun setzte seit geraumer Zeit
Ein ungeheures Thier das ganze Land in Schrecken:
Es fiel bey hellem Tag in Dörfer und in Flecken,
Und würgte Vieh und Menschen ungescheut.
Man sagt, es habe Drachenflügel,
Und Klauen wie ein Greif und Stacheln wie ein Igel,
Sey größer als ein Elefant,
Und wenn es schnaube, fahr' ein Sturm durchs ganze Land.

53
Seit Menschendenken war kein solches Thier erschienen,
Auch stand ein großer Preis auf dessen Kopf gesetzt;
Allein weil jedermann den seinen höher schätzt,
Hat niemand Lust das Schußgeld zu verdienen.
Nur Babekan hielt's des Versuches werth,
Durch eine kühne That der Schönen Stolz zu dämpfen.
Er geht im Pomp zum Sultan, und begehrt
Vergünstigung, den Löwen zu bekämpfen.

54
Und als ihm's der, wiewohl nicht gern, gewährt,
Bestieg er heute früh vor Tag sein bestes Pferd,
Und ritt hinaus. Was weiter vorgegangen
Ist unbekannt. Genug, er kam, zu gutem Glück,
Auf einem fremden Gaul, ganz leise, sonder Prangen
Und ohne eine Klau' vom Ungeheu'r zurück.
Man sagt, er habe stracks, so bald er heim gekommen,
Sich hingelegt und Bezoar genommen.

55
Bey allem dem sind nun mit unerhörter Pracht
Die Zubereitungen zum Hochzeitfest gemacht;
Unfehlbar wird es morgen vor sich gehen,
Und Rezia sich in der nächsten Nacht
In Babekans verhaßten Armen sehen.—
Eh' dieß geschieht, fuhr Hüon rasch heraus,
Eh' soll das große Rad der Schöpfung stille stehen!
Der Ritter und der Zwerg sind, glaubt mir, auch vom Schmaus.

56
Die Alte wundert sich des Wortes, und betrachtet
Genauer, was sie erst nicht sonderlich geachtet,
Des Fremden blaues Aug' und langes gelbes Haar,
Und seinen Ritterschmuck, und daß er nur gebrochen
Arabisch sprach, und daß er schöner war
Als je ein Mann, der in die Augen ihr gestochen:
Das rasche Wort, das er gesprochen,
Und diese Ähnlichkeit! es däucht ihr sonderbar.

57
Wo kam er her? warum? wer ist er? zwanzig Fragen
Zu diesem Zweck, die schon auf ihrer Zunge lagen,
Erstickte Hüons Ernst. Er that als wäre Ruh
Ihm noth, und legte sich auf seiner Streu zurechte.
Die Alte wünscht, daß ihm was süßes träumen möchte,
Und trippelt weg, und schließt die Thüre nach sich zu.
Allein wurmstichig war die Thür und hatte Spalten,
Und Vorwitz juckt das Ohr der guten Alten.

58
Sie schleicht zurück, und drückt so fest sie kann
Ihr lauschend Ohr an eine Ritze,
Und horcht mit offnem Mund und hält den Athem an.
Die Fremden sprachen laut, und, wie es schien, mit Hitze;
Sie hörte jedes Wort; nur, leider! war kein Sinn
Für eine alte Frau von Babylon darin:
Doch kann sie dann und wann, zum Trost in diesem Leiden,
Den Nahmen Rezia ganz deutlich unterscheiden.

59
Wie wundervoll mein Schicksal sich entspinnt!
(Rief Hüon aus) Wie wahr hat Oberon gesprochen,
Schwach ist das Erdenvolk und für die Zukunft blind!
Karl denkt, er habe mir gewiß den Hals gebrochen;
Auf mein Verderben zielt sein Auftrag sichtlich ab,
Und blindlings thut er bloß den Willen des Geschickes:
Der schöne Zwerg reckt seinen Lilienstab,
Und leitet mich im Traum zur Quelle meines Glückes.

60
Und daß (spricht Scherasmin) die Jungfrau, die im Traum
Das Herz euch nahm, gerade die Infante
Des Sultans ist, die Karl zu eurer Braut ernannte;
Daß alles so sich schickt, und daß auch Sie im Traum,
Wie ihr in sie, in Euch entbrannte,
So etwas glaubte man ja seinen Augen kaum!
Und doch, spricht Hüon, hat's die Alte nicht erfunden;
Den Knoten hat das Schicksal selbst gewunden.

61
Nur wie er aufzulösen sey,
Da liegt die Schwierigkeit!—Mich sollte das nicht plagen,
Erwiedert Scherasmin: Herr, darf ich ungescheut
Euch meine schlechte Meinung sagen?
Ich macht' es kurz und schnitt' ihn frisch entzwey.
Dem Junker linker Hand ließ' ich den Luftpaß frey
Und dem Kalifen seine Zähne,
Und hielte mich an meine Dulcimene.

62
Bedenkt's nur selbst, in ihrer Gegenwart
Die Ceremonie mit Kopfab anzufangen,
Hernach vier Backenzähn' und eine Hand voll Bart
Dem alten Herren abverlangen,
Und vor der Nas' ihm gar sein einzig Kind umfangen,
Bey Gott! das hat doch wahrlich keine Art!
Das Schicksal kann unmöglich wollen
Daß wir das Ziel uns selbst so grob verrücken sollen.

63
Zum Glück, daß Oberon das beste schon versah.
Das Hauptwerk ist doch wohl, dem Hasen
Von Bräutigam das Fräulein wegzublasen;
Und dazu hilft die schöne Rezia
Gewiß uns selbst, so bald sie von der Alten
Berichtet ist, das gelbe Haar sey da.—
Mir liegt indessen ob, zwey frische Klepper, nah
Beym Garten des Serai's, zur Flucht bereit zu halten.

64
Herr Scherasmin, (versetzt der Ritter) wie es scheint,
Entfiel euch, daß ich Karln mein Ehrenwort gegeben,
Dem, was er mir gebot, buchstäblich nachzuleben?
Da geht kein Jot davon, mein Freund!
Was draus entstehen kann, das mag daraus entstehen!
Mir ziemt es nicht so was voraus zu sehen.
Im Fall der Noth (erwiedert Scherasmin)
Muß doch zuletzt der Zwerg uns aus dem Wasser ziehn.

65
Allmählich schlummert der Alte unter diesen
Gesprächen ein. Von Hüons Augen bleibt
Der süße Schlaf die Nacht hindurch verwiesen.
Gleich einem Kahn auf hohen Wogen, treibt
Sein ahnend Herz mit ungeduldigem Schwanken
Auf ungestüm sich wälzenden Gedanken:
So nah dem Port; so nah, und doch so weit!
Es ist ein Augenblick, und däucht ihm Ewigkeit.

Fünfter Gesang.

1
Auch dich, o Rezia, floh, auf deinen weichen Schwanen,
Der süße Schlaf. Du sahst in Klippen dich
Verfangen, woraus dir einen Pfad zu bahnen
Unmöglich schien. Verhaßt und fürchterlich
Ist dir das festliche Roth am morgendämmernden Himmel,
Verhaßt der Tag, der dich an Hymens Altar winkt.
Lang' wälzt sie seufzend sich um, bis endlich, vom innern Getümmel
Der Seele betäubt, ihr Haupt herab zum Busen sinkt.

2
Sie schlummert ein, und, ihren Muth zu stützen,
Webt Oberen ein neues Traumgesicht
Vor ihre Stirn. Sie glaubt, bey Mondeslicht,
In einer Laube der Gärten des Harems zu sitzen,
In Fantasieen der Liebe versenkt.
Ein süßes Weh, ein lieblich banges Sehnen
Hebt ihre Brust, ihr Auge schwimmt in Thränen,
Indem sie hoffnungslos an ihren Jüngling denkt.

3
Die Unruh treibt sie auf. Sie läuft, mit hastigen Schritten
Und suchendem Blick, durch Busch und Blumengefild,
Eilt athemlos zu allen grünen Hütten,
Zu allen Grotten hin; ihr Auge, zärtlich wild
Und thränenvoll, scheint das geliebte Bild
Von allen Wesen zu erbitten:
Oft steht sie ängstlich still, und lauscht
Wenn nur ein Schatten wankt, nur eine Pappel rauscht.

4
Zuletzt, indem sie sich nach einer Stelle wendet
Wo durch der Büsche Nacht ein heller Mondschein bricht,
Glaubt sie—o Wonne! wenn kein falsches Schattenlicht
Ihr gern betrognes Auge blendet—
Zu sehen was sie sucht. Sie sieht und wird gesehn;
Sein Feuerblick begegnet ihren Blicken.
Sie eilt ihm zu, und bleibt, in schauerndem Entzücken,
Wie zwischen Scham und Liebe, zweifelnd stehn.

5
Mit offnen Armen fliegt er ihr entgegen.
Sie will entfliehn, und kann die Kniee nicht bewegen.
Mit Müh verbirgt sie noch sich hinter einen Baum,
Und in der süßen Angst zerplatzt der schöne Traum.
Wie gerne hätte sie zurück ihn rufen mögen!
Sie zürnt sich selbst und dem verhaßten Baum;
Vergebens suchet sie sich wieder einzuwiegen,
Ihm nachzusinnen bleibt ihr einziges Vergnügen.

6
Die Sonne hatte bald den dritten Theil vollbracht
Von ihrem Lauf, und immer war's noch Nacht
Bey Rezia; so groß war ihr Ergetzen,
Den angenehmen Traum noch wachend fortzusetzen.
Doch da sie gar zu lang' kein Lebenszeichen giebt,
Naht endlich Fatme sich dem goldnen Bette, schiebt
Den Vorhang weg, und findet mit Erstaunen
Die Dame wach, und in der besten aller Launen.

7
Ich hab' ihn wieder gesehn, o Fatme, wünsche mir Glück,
Ruft Rezia, ich hab' ihn wieder gesehen!—
Das wäre! spricht die Amm', und sucht mit schlauem Blick
Herum, als dächte sie den Vogel auszuspähen.
Das Fräulein lacht: "Ey, ey, wie ist dein Witz so dick!
Man dächte doch, das sollte sich verstehen!
Ich sah ihn freylich nur im Traum; allein
Er muß gewiß hier in der Nähe seyn.

8
"Mir ahnt's, er ist nicht fern, und sprich mir nichts dagegen,
Wenn du mich liebst!"—So schweig' ich!—"Und warum?
Was wäre denn am Ende so verwegen
An meiner Hoffnung? Sprich! wie sollt' ich sie nicht hegen?"
Die Amme seufzt und bleibt noch immer stumm.
"Was übersteigt der Liebe Allvermögen?
Der Löwenbändiger, der mich beschützt, ist sie;
Und retten wird sie mich, begreif' ich gleich nicht wie.

9
"Du schweigst? du seufzest? Ach! zu wohl nur, gute Amme,
Versteh' ich was dein Schweigen mir verhehlt!
Du hoffest nichts für meine Flamme!
Ich selbst, ich hoffe nur weil beßrer Trost mir fehlt.
Die Stunde naht; schon klirren meine Ketten,
Und mein Verderben ist gewiß;
Ein Wunder nur, o Fatme, kann mich retten,
Ein Wunder nur! wo nicht—so kann es dieß!"

10
Bey diesem Worte zieht mit feur'gem Blicke
Sie aus dem Busen einen Dolch hervor.
"Siehst du? Dieß macht mir Muth! dieß hebt mich so empor!
Mit diesem hoff' ich alles vom Geschicke!"
Die Amme schwankt an ihren Stuhl zurücke,
Wird leichenblaß, und zittert wie ein Rohr.
Ach! ist dieß alles, so erbarme
Sich Gott!—ruft sie, und weint und ringt die Arme.

11
Das Fräulein drückt die Hand ihr auf den Mund:
Still, spricht sie, fasse dich! und steckt in ihren Busen
Den Dolch zurück. Du weißt, im weiten Erdenrund
Ist nichts mir so verhaßt als dieser Fürst der Drusen.
Eh' Der mich haben soll, eh' soll ein giftiger Molch
In meine Brust die scharfen Zähne schlagen!
Kommt mein Geliebter nicht, den Raub ihm abzusagen,
Was bleibt mir übrig als mein Dolch?

12
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen,
So hört man am Tapetenthürchen pochen,
Das aus dem Schlafgemach in Fatmens Kammer führt.
Sie geht, und kommt nach einer kleinen Weile
So schnell zurück, daß sie vor lauter Eile
Und Freudentrunkenheit den Athem fast verliert.
"Nun sind wir aller Noth entbunden!
Triumf! Prinzessin, Triumf! der Ritter ist gefundener

13
Im Nachtgewand, das wie ein Nebel kaum
Den schönen Leib umwallt, fährt jene aus den Lacken
Und fällt entzückt der Amme um den Nacken:
"Gefunden? Wo? wo ist er? O mein Traum,
So logst du nicht?"—Die Amme, selbst vor Freuden
Ganz außer sich, hat kaum noch so viel Sinn,
Die wonnetaumelnde halb nackte Träumerin
In großer Eil' ein wenig anzukleiden.

14
Herein gerufen wird sodann
Die Alte, selbst ihr Mährchen zu erzählen.
Die gute Mutter fängt beym Ey die Sache an,
Und läßt es nicht am kleinsten Umstand fehlen;
Kein Zug, kein Wort das ihrem Gast entrann,
Wird im Gemählde weggelassen.
Er ist's, er ist's! wir haben unsern Mann,
Ruft Fatme aus; es kann nicht besser passen!

15
Die Alte wird von neuem ausgefragt,
Muß drey—und viermahl wiederhohlen
Was er gethan, gesagt und nicht gesagt;
Muß immer wieder ihn vom Haupt bis zu den Sohlen
Abschildern, Zug für Zug—wie gelb und lang sein Haar,
Wie groß und blau sein schönes Augenpaar;
Und immer ist noch etwas nachzuhohlen
Das in der Eil' ihr ausgefallen war.

16
Indeß sich so um zwanzig Jahre jünger
Die Alte schwatzt, entspannt der hohe Lockenbau
Der schönen Braut sich unter Fatmens Finger.
Mit Perlen, glänzender als Thau,
Wird schneckengleich ihr schwarzes Haar durchflochten,
Ohr, Hals und Gürtel schmückt so schimmerndes Gestein,
Daß ihren Glanz im Sonnenschein
Die Augen kaum ertragen mochten.

17
Vollendet stellt nunmehr, von ihrer Nymfenschaar
Zum Fest geschmückt und bräutlich angekleidet,
Gleich einer Sonne sich die Königstochter dar,
Und lieblich wie ein Reh, das unter Rosen weidet.
Kein Auge sah sie ungeblendet an,
Wiewohl sie jetzt nur Mädchenaugen sahn:
Nur sie allein schien nichts davon zu wissen,
Wie neben ihr die Sterne schwinden müssen.

18
Das Feuer, das aus ihren Augen strahlt,
Die Ungeduld, das lauschende Verlangen
Das ihre Lippen schwellt und ihre zarten Wangen
Mit ungewohntem Purpur mahlt,
Setzt ihre Jungfrau'n in Erstaunen.
Ist dieß die widerspenst'ge Braut,
(Beginnen sie einander zuzuraunen)
Der gestern noch so sehr vor diesem Tag gegraut?

19
Indessen sammeln sich die Emirn und Wessire,
Geschmückt zum Fest, im stolzen Hochzeitsahl.
Gerüstet steht das königliche Mahl,
Und, bey Trompetenklang, tritt aus der goldnen Thüre
Des heiligen Palasts, von Sklaven aller Art
Umflossen, der Kalif mit seinem grauen Bart.
Der Drusenfürst, noch etwas blaß von Wangen,
Kommt stattlich hinter ihm als Bräutigam gegangen.

20
Und gegenüber thut die Thür von Elfenbein
Sich aus dem Harem auf, und, schöner als die Frauen
In Mahoms Paradies, tritt auch die Braut herein.
Ein Schleier zwar, gleich einem silbergrauen
Gewölke, wehrt dem Engelsangesicht
Den vollen Glanz allblendend zu enthüllen;
Und dennoch scheint ein überirdisch Licht
Bey ihrem Eintritt stracks den ganzen Sahl zu füllen.

21
Dem Drusen schwillt und sinket wechselsweis'
Sein Herz, indem sein Aug' an ihren Reitzen hanget:
Er sucht im ihrigen was er zu sehn verlanget;
Allein, ein Blick, so kalt wie Alpeneis,
Ist alles was er sieht. Doch, dem Bethörten schmeichelt
Die Eitelkeit, die Selbstbetrügerin,
Daß Rezia den spröden Blick nur heuchelt:
O (denkt er) all der Schnee schmilzt über Nacht dahin!

22
Ob er zu viel gehofft soll kein Geheimniß bleiben.
Doch, ohne jetzt unnöthig zu beschreiben,
Wie drauf, nachdem der Imam das Gebet
Gesprochen, man beym Schall der Pauken und der Zinken
Zur Tafel sich gesetzt, erst Seine Majestät,
Dann rechter Hand die Braut, der Bräutigam zur linken,
Und hundert Dinge, die von selber sich verstehn,
Ist's Zeit, auch wieder uns nach Hüon umzusehn.

23
Der hatte, wie ihr euch erinnert, seine Nacht,
Von Ungeduld erhitzt, von Ahnungen umgaukelt,
Auf seiner Streue nicht viel sanfter zugebracht,
Als einer, den der Sturm in einem Mastkorb schaukelt.
Kaum aber hat dem Tag in seine goldne Bahn
Aurorens Rosenhand die Pforten aufgethan,
So senkt sich nebelgleich ein Dunst von Mohn—und Flieder-
Und Lilienduft auf seine Augen nieder.

24
Er schlummert ein, und schläft in Einem Zug
Noch immer fort, da schon des Sonnenwagens Flug
Den Himmel halb getheilt. Sein Alter ging indessen
Um von der Burg die Lage auszuspähn,
Und zum Entführungswerk das nöth'ge vorzusehn;
Derweil, am kleinen Herd, zu ihrem Mittagsessen
Die gute Wirthin Anstalt macht,
Halb mürrisch, daß ihr Gast so lange nicht erwacht.

25
Sie schleicht zuletzt, um wieder durch die Spalten
Zu gucken, an die Thür, und trifft (zu gutem Glück
Für ihren Vorwitz) just den ersten Augenblick,
Da Hüons Augen sich dem goldnen Tag entfalten.
Frisch, wie der junge May sich an den Reihen stellt
Wenn mit den Grazien die Nymfen Tänze halten,
Hebt sich mit halbem Leib empor der schöne Held,
Und rathet, was zuerst ihm in die Augen fällt?

26
Ein Kaftan, wie ihn nur die höchsten Emirn tragen,
Wenn sich der Hof zu einem Feste schmückt,
Auf goldbeblümtem Grund mit Perlen reich gestickt,
Liegt schimmernd vor ihm da, um einen Stuhl geschlagen;
Ein Turban drauf, als wie aus Schnee gewebt,
Und, um ihn her, den Emir zu vollenden,
Ein diamantner Gurt, an dem ein Säbel schwebt,
So reich, daß Scheid' und Griff ihm fast die Augen blenden.

27
Zum ganzen Putz, von Fuß zu Haupt,
Den Stiefelchen aus übergüld'tem Leder
Bis zu dem Demantknopf der hohen Straußenfeder
Am Turban, mangelt nichts. Der gute Ritter glaubt,
Ihm träume noch. Woher kann solcher Staat ihm kommen?
Die Alte steht erstaunt. Das geht durch Zauberey,
Ruft sie; ich hätte doch sonst was davon vernommen!
Der Zwerg, spricht Scherasmin, ist ganz gewiß dabey!

28
Der Ritter glaubt es auch, und denkt: Durch all' die Helden
Im Vorhof macht mir dieß zum Hochzeitsahle Bahn.
Und flugs ist Kaftan, Gurt, und alles umgethan;
Die Wirthin spudet sich, ihn recht heraus zu kleiden.
"Allein was fangen wir mit diesem Turban an?
Das schöne gelbe Haar sein'twegen abzuschneiden?
Nicht um die Welt!—Doch still! es geht ja wohl hinein;
Er scheint ja recht mit Fleiß dazu gewölbt zu seyn!"

29
Herr Hüon stand nunmehr, bis auf die lilienglatte
Bartlose Wange, wie ein wahrer Sultan da,
Indem das Mütterchen ihn um und um besah
Und immer noch an ihm zu putzen hatte.
Drauf, als der treue Scherasmin
Ihm was ins Ohr geraunt, beginnt er fortzugehen,
Reicht einen Beutel Gold der Wirthin freundlich hin,
Und nun, lebt wohl, auf Wiedersehen!

30
Nichts halb zu thun ist edler Geister Art.
Ein reich gezäumtes Roß steht vor der Thür der Alten,
Und neben ihm zwey Knaben, schön und zart,
In Silberstück, die ihm die goldnen Zügel halten.
Herr Hüon schwingt sich auf; die Knaben frisch voran,
Und führen ihn auf einem Seitenwege,
Am Strome hin, durch blühende Gehäge,
Bis sie der hohen Burg sich gegenüber sahn.

31
Schon ist er durch den ersten Hof gezogen,
Im zweyten steigt er ab, und geht zum dritten ein.
Er scheint ein Hochzeitgast vom ersten Rang zu seyn,
Und überall, von diesem Schein betrogen,
Macht ihm die Wache Platz. Er schreitet frey und stolz
Daher, und nähert sich dem Thor von Ebenholz.
Zwölf Mohren, Riesen gleich, stehn mit gezücktem Eisen
Die Unberechtigten vom Eingang abzuweisen.

32
Allein des Ritters Staat und königlicher Blick
Drückt, wie er sich der hohen Pforte zeiget,
Die Säbelspitzen schnell zurück,
Die fernher sich entgegen ihm geneiget.
Die Flügel rauschen auf. Hoch schlägt sein Heldenherz,
Indem sie hinter ihm sich wieder wehend schließen.
Drauf führt ein Säulengang, an welchen Gärten stießen,
Ihn noch zu einer Thür von übergüld'tem Erz.

33
Ein großer Vorsahl war's, mit Sklaven aller Farben
Kombabischen Geschlechts erfüllt,
Die ewig hier am Quell der Freude darben,
Und, da ein Mann, von Emirsglanz umhüllt,
In ihre hohlen Augen schwillt,
Mit Blicken, die in Knechtsgefühl erstarben,
Die Arme auf die Brust ins Kreuz gefaltet, stehn,
Und kaum so muthig sind ihm hintennach zu sehn.

34
Schon tönen Cymbeln, Trommeln, Pfeifen,
Gesang und Saitenspiel vom Hochzeitsahle her;
Schon nickt des Sultans Haupt von Weindunst doppelt schwer,
Und freyer schon beginnt die Freude auszuschweifen;
Der Braut allein theilt sich die Lust nicht mit
Die in des Bräut'gams Augen glühet:
Als, eben da sie starr auf ihren Teller siehet,
Herr Hüon in den Sahl mit edler Freyheit tritt.

35
Er naht der Tafel sich, und alle Augenbrauen
Ziehn sich erstaunt empor, den Fremden anzuschauen.
Die schöne Rezia, die ihre Träume denkt,
Hält auf den Teller noch den ernsten Blick gesenkt;
Auch der Kalif, den Becher just zu leeren
Beschäftigt, läßt sich nichts in seinem Opfer stören:
Nur Babekan, den seines nahen Falls
Kein guter Geist verwarnt, dreht seinen langen Hals.

36
Sogleich erkennt der Held den losen Mann von gestern,
Der sich vermaß der Christen Gott zu lästern:
Er ist's, der links am goldnen Stuhle sitzt
Und seinen Nacken selbst der Straf' entgegen bieget.
Rasch, wie des Himmels Flamme, blitzt
Der reiche Säbel auf, der Kopf des Helden flieget,
Und hoch aufbrausend überspritzt
Sein Blut den Tisch, und den, der ihm zur Seite lieget.

37
Wie der Gorgone furchtbars Haupt
In Perseus Faust den wild empörten Schaaren
Das Leben stracks durch seinen Anblick raubt;
Noch dampft die Königsburg, noch schwillt der Aufruhr, schnaubt
Die Mordlust ungezähmt im Busen der Barbaren;
Doch Perseus schüttelt kaum den Kopf mit Schlangenhaaren,
So starrt der Dolch in jeder blut'gen Hand,
Und jeder Mörder steht zum Felsen hingebannt:

38
So stockt auch hier, beym Anblick solcher kecken
Verrätherischen That, des frohen Blutes Lauf
In jedem Gast. Sie fahren allzuhauf,
Als sähn sie ein Gespenst, von ihren Sitzen auf,
Und greifen nach dem Schwert. Allein, gelähmt vom Schrecken,
Erschlafft im Ziehn der Arm, und jedes Schwert blieb stecken;
Ohnmächt'gen Grimm im starren Blick,
Sank sprachlos der Kalif in seinen Stuhl zurück.

39
Der Aufruhr, der den ganzen Sahl empöret,
Schreckt Rezien aus ihrer Träumerey:
Sie schaut bestürzt sich um, was dessen Ursach' sey;
Und, wie sie sich nach Hüons Seite kehret,
Wie wird ihm, da er sie erblickt!
Sie ist's, sie ist's ruft er, und läßt entzückt
Den blut'gen Stahl und seinen Turban fallen,
Und wird von ihr erkannt, wie seine Locken wallen.

40
Er ist's, beginnt auch sie zu rufen, doch die Scham
Erstickt den Ton in ihrem Rosenmunde.
Wie schlug das Herz ihr erst, da er geflogen kam,
Im Angesicht der ganzen Tafelrunde
Sie liebeskühn in seine Arme nahm,
Und, da sie, glühend bald, bald blaß wie eine Büste,
Sich zwischen Lieb' und jungferlichem Gram
In seinen Armen wand, sie auf die Lippen küßte!

41
Schon hatt' er sie zum zweyten Mahl geküßt;
Wo aber nun den Trauring her bekommen?
Zum Glücke, daß der Ring an seinem Finger ist,
Den er im Eisenthurm dem Riesen abgenommen.
Zwar, wenig noch mit dessen Werth vertraut,
Schien ihm, dem Ansehn nach, der schlecht'ste kaum geringer;
Doch steckt er ihn aus Noth itzt an des Fräuleins Finger,
Und spricht: So eign' ich dich zu meiner lieben Braut!

42
Er küßt mit diesem Wort die sanft bezwungne Schöne
Zum dritten Mahl auf ihren holden Mund.
Ha! schreyt der Sultan auf, und knirscht und stampft den Grund
Vor Ungeduld, ihr leidet daß der Hund
Von einem Franken so mich höhne?
Ergreift ihn! Zaudern ist Verrath!
Und, tropfenweis' erpreßt, versöhne
Sein schwarzes Blut die ungeheure That!

43
Auf einmahl blitzen hundert Klingen
In Hüons Aug', und kaum erhascht er noch,
Eh' sie im Sturm auf ihn von allen Seiten dringen,
Sein hingeworfnes Schwert. Er schwingt es dräuend. Doch
Die schöne Rezia, von Lieb' und Angst entgeistert,
Schlingt einen Arm um ihn, macht ihre Brust zum Schild
Der seinigen—der andre Arm bemeistert
Sich seines Schwerts. Zurück, Verwegne, schreyt sie wild.

44
Zurück! es ist kein Weg zu diesem Busen
Als mitten durch den meinen! ruft sie laut;
Und ihr, noch kaum so sanft wie Amors holde Braut,
Giebt die Verzweiflung itzt die Augen von Medusen.
Vermeßne, haltet ein, ruft sie den Emirn zu,
Zurück!—O schone sein, mein Vater! und, o du,
Den zum Gemahl das Schicksal mir gegeben,
O spart mein Blut in euer beider Leben!

45
Umsonst! des Sultans Wuth und Dräun
Nimmt überhand, die Heiden dringen ein.
Der Ritter läßt sein Schwert vergebens blitzen,
Noch hält ihm Rezia den Arm. Ihr ängstlich Schreyn
Durchbohrt sein Herz. Was bleibt ihm sie zu schützen
Noch übrig, als sein Horn von Elfenbein?
Er setzt es an den Mund, und zwingt mit sanftem Hauche
Den schönsten Ton aus seinem krummen Bauche.

46
Auf einmahl fällt der hoch gezückte Stahl
Aus jeder Faust; in raschem Taumel schlingen
Der Emirn Hände sich zu tänzerischen Ringen;
Ein lautes Hussa schallt Bacchantisch durch den Sahl,
Und jung und Alt, was Füße hat, muß springen;
Des Hornes Kraft läßt ihnen keine Wahl:
Nur Rezia, bestürzt dieß Wunderwerk zu sehen,
Bestürzt und froh zugleich, bleibt neben Hüon stehen.

47
Der ganze Divan dreht im Kreis
Sich schwindelnd um; die alten Bassen schnalzen
Den Takt dazu; und, wie auf glattem Eis,
Sieht man den Imam selbst mit einem Hämmling walzen.
Noch Stand noch Alter wird gespart;
Sogar der Sultan kann der Lust sich nicht erwehren,
Faßt seinen Großwessir beym Bart,
Und will den alten Mann noch einen Bockssprung lehren.

48
Die nie erhörte Schwärmerey
Lockt bald aus jedem Vorgemache
Der Kämmerlinge Schaar herbey,
Sodann das Frauenvolk, und endlich gar die Wache.
Sie all' ergreift die lust'ge Raserey:
Der Zaubertaumel setzt den ganzen Harem frey;
Die Gärtner selbst in ihren bunten Schürzen
Sieht man sich in den Reihn mit jungen Nymfen stürzen.

49
Als eine, die kaum ihren Augen glaubt,
Steht Rezia, des Athems fast beraubt.
Welch Wunder! ruft sie aus; und just in dem Momente,
Wo nichts als dieß uns beide retten könnte!
Ein guter Genius ist mit uns, Königin,
Versetzt der Held. Indem kommt durch die Haufen
Der Tanzenden sein treuer Scherasmin
Mit Fatmen gegen sie gelaufen.

50
Kommt, keicht er, lieber Herr! Wir haben keine Zeit
Dem Tanzen zuzusehn; die Pferde stehn bereit,
Die ganze Burg ist toll, die Thüren alle offen
Und unbewacht; was säumen wir?
Auch hab' ich unterwegs Frau Fatmen angetroffen,
Zur Flucht bepackt als wie ein lastbar Thier.
Sey ruhig, spricht der Held, noch ist's nicht Zeit zu gehen,
Erst muß das Schwerste noch geschehen.

51
Die schöne Rezia erblaßt bey diesem Wort;
Ihr ängstlich Auge scheint zu fragen und zu bitten:
"Warum verziehn? warum am steilen Bord
Des Untergangs verziehn? O laß mit Flügelschritten
Uns eilen, eh' der Taumelgeist zerrinnt,
Der unsrer Feinde Sinne bind't!"
Doch Hüon, unbewegt, begnüget sich, mit Blicken
Voll Liebe ihre Hand fest an sein Herz zu drücken.

52
Allmählich ließ nunmehr die Kraft des Hornes nach;
Die Köpfe schwindelten, die Beine wurden schwach,
Kein Faden war an allen Tänzern trocken,
Und, in der athemlosen Brust
Geschwellt, begann das dicke Blut zu stocken.
Zur Marter ward die unfreywill'ge Lust.
Durchnäßt, als stieg' er gleich aus einer Badewanne,
Schwankt der Kalif auf seine Ottomanne.

53
Mit jedem Augenblick fällt, starr und ohne Sinn,
Da, wo rings um die Wand sich Polster schwellend heben,
Ein Tänzer nach dem andern hin.
Emirn und Sklaven stürzen zappelnd neben
Göttinnen des Serai's, so wie's dem Zufall däucht,
Als ob ein Wirbelwind sie hingeschüttelt hätte,
So daß zugleich auf Einem Ruhebette
Der Stallknecht und die Favoritin keicht.

54
Herr Hüon macht die Stille sich zu Nutze,
Die auf dem ganzen Sahle ruht;
Läßt seine Königin, nah bey der Thür, im Schutze
Des treuen Scherasmin, dem er auf seiner Hut
Zu seyn gebeut; giebt ihm auf alle Fälle
Das Horn von Elfenbein, und naht sodann der Stelle,
Wo der Kalif, vom Ball noch schwach und matt,
Auf einen Polsterthron sich hingeworfen hat.

55
In dumpfer Stille liegt mit ausgespannten Flügeln
Leis' athmend die Erwartung rings umher.
Die Tänzer all', von Schlaf und Taumel schwer,
Bestreben sich die Augen aufzuriegeln,
Den Fremden anzusehn, der sich, nach solcher That,
Mit unbewehrter Hand und bittenden Geberden
Dem stutzenden Kalifen langsam naht.
Was, denkt man, wird aus diesem allen werden?

56
Er läßt sich auf ein Knie vor dem Monarchen hin,
Und mit dem sanften Ton und kalten Blick des Helden
Beginnt er. "Kaiser Karl, von dem ich Dienstmann bin,
Läßt seinen Gruß dem Herrn der Morgenländer melden,
Und bittet dich—verzeih! mir fällt's zu sagen hart!
Doch, meinem Herrn den Mund, so wie den Arm, zu lehnen,
Ist meine Pflicht—um vier von deinen Backenzähnen
Und eine Hand voll Haar aus deinem Silberbart."

57
Er spricht's und schweigt, und steht gelassen
Des Sultans Antwort abzupassen.
Allein, wo nehm' ich Athem her, den Grimm
Des alten Herrn mit Worten euch zu schildern?
Wie seine Züge sich verwildern,
Wie seine Nase schnaubt? mit welchem Ungestüm
Er auf vom Throne springt? wie seine Augen klotzen,
Und wie vor Ungeduld ihm alle Adern strotzen?

58
Er starrt umher, will fluchen, und die Wuth
Bricht schäumend jedes Wort an seinen blauen Lippen.
"Auf, Sklaven! reißt das Herz ihm aus den Rippen!
Zerhackt ihn Glied für Glied! zapft sein verruchtes Blut
Mit Pfriemen ab! weg mit ihm in die Flammen!
Die Asche streut in alle Winde aus,
Und seinen Kaiser Karl, den möge Gott verdammen!
Was? Solchen Antrag? Mir? In meinem eignen Haus?

59
"Wer ist der Karl der gegen Mich sich brüstet?
Und warum kommt er nicht, wenn's ihn
So sehr nach meinem Bart und meinen Zähnen lüstet,
Und wagt's, sie selber auszuziehn?"
Der Mensch muß unter seiner Mütze
Nicht richtig seyn, versetzt ein alter Kan:
So etwas allenfalls begehrt man an der Spitze
Von dreymahl hundert tausend Mann.

60
Kalif von Bagdad, spricht der Ritter
Mit edlem Stolz, laß alles schweigen hier,
Und höre mich! Es liegt schon lange schwer auf mir,
Karls Auftrag und mein Wort. Des Schicksals Zwang ist bitter:
Doch seiner Oberherrlichkeit
Sich zu entziehn, wo ist die Macht auf Erden?
Was es zu thun, zu leiden uns gebeut,
Das muß gethan, das muß gelitten werden.

61
Hier steh' ich, Herr, ein Sterblicher wie du,
Und steh' allein, mein Wort, trotz allen deinen Wachen,
Mit meinem Leben gut zu machen:
Doch läßt die Ehre mir noch einen Antrag zu.
Entschließe dich von Mahomed zu weichen,
Erhöh' das heil'ge Kreuz, das edle Christenzeichen,
In Babylon, und nimm den wahren Glauben an,
So hast du mehr, als Karl von dir begehrt, gethan.

62
Dann nehm' ich's auf mich selbst, dich völlig los zu sprechen
Von jeder andern Forderung,
Und der soll mir zuvor den Nacken brechen,
Der mehr verlangt! So einzeln und so jung
Du hier mich siehst, was du bereits erfahren,
Verkündigt laut genug, daß einer mit mir ist
Der mehr vermag als alle deine Schaaren.
Wähl' itzt das beste Theil, wofern du weise bist!

63
Indeß, an Kraft und Schönheit einem Boten
Des Himmels gleich, der jugendliche Held,
Uneingedenk der Lanzen, die ihm drohten,
So mannhaft spricht, so muthig dar sich stellt:
Beugt Rezia von fern, mit glühend rothen
Entzückten Wangen, liebevoll
Den schönen Hals nach ihm, doch schaudernd, wie der Knoten
Von all' den Wundern sich zuletzt entwickeln soll.

64
Herr Hüon hatte kaum das letzte Wort gesprochen,
So fängt der alte Schach wie ein Beseßner an
Zu schrey'n, zu stampfen und zu pochen,
Und sein Verstand tritt gänzlich aus der Bahn.
Die Helden all' in tollem Eifer springen
Von ihren Sitzen auf mit Schnauben und mit Dräun,
Und Lanzen, Säbel, Dolche dringen
Auf Mahoms Feind von allen Seiten ein.

65
Doch Hüon, eh' sie ihn erreichen, reißt in Eile
Der Männer einem rasch die Stange aus der Hand,
Schlägt um sich her damit als wie mit einer Keule,
Und zieht, stets fechtend, sich allmählich an die Wand.
Ein großer goldner Napf, vom Schenktisch weggenommen,
Dient ihm zugleich als Schild und als Gewehr;
Schon zappeln viel am Boden um ihn her,
Die seinem Grimm zu nah gekommen.

66
Der gute Scherasmin, der an der Thüre fern
Zum Schutz der Schönen steht, glaubt seinen ersten Herrn
Im Schlachtgedräng zu sehn, und überläßt voll Freude
Sich einen Augenblick der süßen Augenweide:
Doch bald zerstreut den angenehmen Wahn
Des Fräuleins Angstgeschrey; er sieht der Helden Rasen,
Sieht seines Herrn Gefahr, setzt flugs das Hifthorn an
Und bläst, als läg' ihm ob die Todten aufzublasen.

67
Die ganze Burg erschallt davon und kracht;
Und stracks verschlingt den Tag die fürchterlichste Nacht,
Gespenster lassen sich wie schnelle Blitze sehen,
Und unter stetem Donner schwankt
Des Schlosses Felsengrund. Der Heiden Herz erkrankt;
Sie taumeln Trunknen gleich, Gehör, Gesicht vergehen,
Der schlaffen Hand entglitschen Schwert und Speer,
Und gruppenweis' liegt alles starr umher.

68
Der Sultan, übertäubt von so viel Wunderdingen,
Scheint mit dem Tod den letzten Kampf zu ringen;
Sein Arm ist nervenlos, sein Athem schwer,
Sein Puls schlägt matt, und endlich gar nicht mehr.
Auf einmahl schweigt der Sturm; ein lieblich säuselnd Wehen
Erfüllt den Sahl mit frischem Lilienduft,
Und, wie ein Engelsbild ob einer Todtengruft,
Läßt Oberon sich itzt auf einem Wölkchen sehen.

69
Ein lauter Schrey des Schreckens und der Lust
Entfährt der Perserin; ein unfreywillig Grauen
Bekämpft in ihr das schüchterne Vertrauen.
Die Arme über ihre Brust
Gefaltet, steht sie glühend neben
Dem Jüngling da, dem sie ihr Herz gegeben,
Und wagt, der süßen Schuld jungfräulich sich bewußt,
Zu ihrem Retter kaum die Augen aufzuheben.

70
Gut, Hüon, spricht der Geist, du hast dein Ehrenwort
Gelöst, ich bin mit dir zufrieden.
Zum Ritterdank ist dir dieß schöne Weib beschieden!
Doch, eh' ihr euch entfernt von diesem Ort,
Bedenke Rezia, wozu sie sich entschließet,
Eh' sie vielleicht mit unfruchtbarer Reu
Die rasche Wahl verführter Augen büßet!
Zu bleiben oder gehn läßt ihr das Schicksal frey.

71
So vieler Herrlichkeit entsagen,
Verlassen Hof und Thron, dem sie geboren ward,
Um sich, auf ungewisse Fahrt,
Ins weite Meer der Welt mit einem Mann zu wagen;
Zu leben ihm allein, mit ihm den Unbestand
Des Erdenglücks, mit ihm des Schicksals Schläge tragen,
(Und ach! oft kommt der Schlag von einer lieben Hand!)
Da lohnt sich's wohl, vorher sein Herz genau zu fragen.

72
Noch, Rezia, wenn dich die Wage schreckt,
Noch steht's bey dir den Wunsch der Liebe zu betrügen.
Sie schlummern nur, die hier als wie im Grabe liegen;
Sie leben wieder auf, so bald mein Stab sie weckt.
Der Sultan wird dir gerne, was geschehen,
Verzeihn, trotz dem was er dabey verlor,
Und Rezia wird wieder wie zuvor
Von aller Welt sich angebetet sehen.

73
Hier schwieg der schöne Zwerg. Und, bleicher als der Tod,
Steht Hüon da, das Urtheil zu empfangen,
Womit ihn Oberon, der Grausame! bedroht.
In Asche sinkt das Feuer seiner Wangen.
Zu edel oder stolz, vielleicht ein zweifelnd Herz
Mit Liebesworten zu bestechen,
Starrt er zur Erde hin mit tief verhaltnem Schmerz,
Und läßt nicht einen Blick zu seinem Vortheil sprechen.

74
Doch Rezia, durchglüht von seinem ersten Kuß,
Braucht keines Zunders mehr die Flamme zu erhitzen.
Wie wenig däucht ihr noch was sie verlassen muß,
Um alles was sie liebt in Hüon zu besitzen!
Von Scham und Liebe roth bis an die Fingerspitzen,
Verbirgt sie ihr Gesicht und einen Thränenguß
In seinem Arm, indem, hoch schlagend von Entzücken,
Ihr Herz empor sich drängt, an seines sich zu drücken.

75
Und Oberon bewegt den Lilienstab
Sanft gegen sie, als wollt' er seinen Segen
Auf ihrer Herzen Bündniß legen,
Und eine Thräne fällt aus seinem Aug' herab
Auf beider Stirn. So eil' auf Liebesschwingen,
Spricht er, du holdes Paar! Mein Wagen steht bereit,
Bevor das nächste Licht der Schatten Heer zerstreut,
Euch sicher an den Strand von Askalon zu bringen.

76
Er sprach's, und eh' des letzten Wortes Laut
Verklungen war, entschwand er ihren Augen.
Wie einem Traum entwacht, steht Hüons schöne Braut,
Den süßen Duft begierig aufzusaugen,
Der noch die Luft erfüllt. Drauf sinkt ein scheuer Blick
Auf ihren Vater hin, der wie in Todesschlummer
Zu starren scheint. Sie seufzt, und wehmuthsvoller Kummer
Mischt Bitterkeit in ihres Herzens Glück.

77
Sie hüllt sich ein. Herr Hüon, dem die Liebe
Die Sinne schärft, sieht nicht so bald
Ihr Herz beklemmt, ihr schönes Auge trübe,
So drückt er sie mit zärtlicher Gewalt,
Den rechten Arm um ihren Leib gewunden,
Zum Sahl hinaus.—Komm, spricht er, eh' die Nacht
Uns überrascht, und jeder Arm erwacht,
Den, uns zu Lieb', der Geist mit Zauberschlaf gebunden.

78
Komm, laß uns fliehn, eh' uns den Weg zur Flucht
Ein neuer Feind vielleicht zu sperren sucht,
Und sey gewiß, sind wir nur erst geborgen,
Wird unser Schützer auch für diese Schläfer sorgen.
Dieß sprechend trägt er sie mit jugendlicher Kraft
Die Marmortrepp' hinunter bis zum Wagen,
Den Oberon zu ihrer Flucht verschafft,
Und eine süßre Last hat nie ein Mann getragen.

79
Die ganze Burg ist furchtbar still und leer
Wie eine Gruft, und Leichen ähnlich liegen
In tiefem Schlaf die Hüter hin und her;
Nichts hemmt der Liebe Flucht; der Wagen wird bestiegen:
Doch traut das Fräulein sich dem Ritter nicht allein;
Mit Scherasmin steigt auch die Amme hastig ein.
Sie, die zum ersten Mahl so viele Wunder siehet,
Die arme Frau weiß nicht wie ihr geschiehet.

80
Wie wird ihr da sie rückwärts schaut
Und sieht, an Pferde Statt, vier Schwanen vor dem Wagen,
Regiert von einem Kind!—Wie schaudert ihr die Haut,
Da sie empor gelupft und durch die Luft getragen
Sich fühlt, und kaum zu athmen sich getraut,
Und nicht begreifen kann, wie, ohne umzuschlagen,
So schwer bepackt, der Wagen sich erhebt,
Und, steter als ein Kahn, auf leichten Wolken schwebt!

81
Als endlich gar die Nacht sie überfiel,
Was Wunder, daß die Furcht zuletzt die Scham besiegte,
Und Fatme so gedrang an Scherasmin sich schmiegte,
Als wie zum Schlaf an ihren lieben Pfühl!
Vermuthlich daß der Mann dazu sich willig fügte;
In solchen Fällen mischt das Herz sich gern ins Spiel:
Jedoch gereicht zum Ruhm des wackern Alten,
Daß er wie reines Gold dieß Feuer ausgehalten.

82
Ganz anders war das junge Paar gestimmt,
Das Amor itzt mit seiner Mutter Schwanen
Davon zu führen schien. Ob auf gewohnten Bahnen
Den Lauf ihr Zauberfuhrwerk nimmt,
Ob durch die Luft, ob's rollet oder schwimmt,
Ob langsam oder schnell, mit Pferden oder Schwanen,
Sanft oder hart, mit oder ohne Fahr,
Sie werden nichts von allem dem gewahr.

83
Ein neuer Wonnetraum, ein seliges Entzücken
Ins Paradies, dünkt sie ihr gegenwärt'ger Stand;
Sie können nichts, als stumm, mit nimmer satten Blicken,
Sich anschaun, eins des andern warme Hand
Ans volle Herz in süßer Inbrunst drücken,
Und, während Himmel und Erd' aus ihren Augen schwand,
Und sie allein noch übrig waren, fragen:
Ist's, oder träumt uns noch? Sind wir in Einem Wagen?

84
"So war's kein Traum als ich im Traum dich sah?
(Rief jedes aus) So war es Rezia?
War's Hüon? und ein Gott hat dich mich finden lassen?
Du mein?—ich dein?—Wer durft' es hoffen, wer?
So wundervoll vereint, uns nimmer nimmermehr
Zu trennen? Kann das Herz so viele Wonne fassen?"
Und dann von neuem stets einander angeblickt,
Von neuem Hand um Hand an Mund und Herz gedrückt!

85
Vergebens hüllt die Nacht mit dunstbeladnen Flügeln
Den Luftkreis ein; dieß hemmt der Liebe Sehkraft nicht:
Aus ihren Augen strahlt ein überirdisch Licht,
Worin die Seelen selbst sich in einander spiegeln.
Nacht ist nicht Nacht für sie; Elysium
Und Himmelreich ist alles um und um;
Ihr Sonnenschein ergießet sich von innen,
Und jeder Augenblick entfaltet neue Sinnen.

86
Allmählich wiegt die Wonnetrunkenheit
Das volle Herz in zauberischen Schlummer;
Die Augen sinken zu, die Sinne werden stummer,
Die Seele dünkt vom Leibe sich befreyt,
In Ein Gefühl beschränkt, so fest von ihm umschlungen!
So inniglich von ihm durchathmet und durchdrungen!
Beschränkt in Eins, in diesem Einen bloß
Sich fühlend—Aber, o dieß Eins, wie grenzenlos!

Sechster Gesang.

1
Kaum fing Aurora an die Schatten zu verjagen,
Und schloß dem Tag mit ihrer Rosenhand
Die Pforten auf, so hielt der Schwanenwagen,
Nicht weit vom seebespülten Strand
Von Askalon, im Schirm von hohen Palmenbäumen,
Auf einmahl still. Ein sanfter Stoß
Weckt unser doppelt Paar, dieß aus des Schlummers Schooß,
Und jenes aus der Liebe wachen Träumen.

2
In süßem Schrecken bebt die Sultanstochter auf,
Indem zum ersten Mahl, vom Morgen angestrahlet,
Das Weltmeer grenzenlos sich in ihr Auge mahlet.
Voll Wunders schweift in ungehemmtem Lauf
Der ausgedehnte Blick auf diesen Wasserhöhen;
Die Unermeßlichkeit scheint vor ihr aufgethan:
Doch, mitten in der Lust kommt sie ein Schaudern an,
Im Unermeßlichen sich selbst so klein zu sehen.

3
Ein grauer Flor umnebelt ihren Blick.
Wo bin ich? ruft sie. Doch, Herr Hüon, der am Wagen
Mit offnen Armen steht ins Grüne sie zu tragen,
Bringt den verschwebten Geist schnell zu sich selbst zurück.
Sey, spricht er, ohne Furcht, mein Leben,
(Indem er seinen Mund von Lieb' und Sehnsucht warm
Auf ihren Busen drückt, den stille Seufzer heben)
Sey ohne Furcht, du bist in meinem Arm.

4
Mit Wonne fühlt sie sich itzt wieder ganz umgeben
Von ihrer Liebe, ganz in seinen Arm versenkt,
Und junger Efeu kann am Stamm nicht brünst'ger kleben
Als sie um seinen Leib die runden Arme schränkt.
So eilt er mit der süßen Beute
Den Palmen zu; setzt dann auf weiches Moos
Sie in den Schatten hin, sich selbst an ihre Seite,
Und tauschte seinen Platz um keines Sultans Loos.

5
Bald findet auch mit Fatme sich bey ihnen
Sein Alter ein, entschlossen, er und sie,
Bis auf den letzten Hauch dem lieben Paar zu dienen.
Kaum hatte Scherasmin im Grünen
Bey seinem Herrn, und Fatme nah am Knie
Der jungen Dame Platz genommen,
Schnell, wie ein Blitz der Fantasie,
Kam durch die Luft der schöne Zwerg geschwommen.

6
Aus seinen Augen brach durch sanft bewölkten Gram
Der Freundschaft mildes Licht, und als er näher kam,
Sahn sie ein Kästchen, dicht besetzt mit Edelsteinen,
In seinem linken Arm wie eine Sonne scheinen.
Freund Hüon, sprach der Geist, nimm dieß aus meiner Hand,
Wiewohl dich Karl dazu ausdrücklich nicht verpflichtet:
Wenn du ihn wiedersiehst, so dien' es ihm zum Pfand,
Daß du, was er begehrt, buchstäblich ausgerichtet!

7
Ihr merkt, (wiewohl in Rezia's Gegenwart
Nicht schicklich war es laut zu offenbaren)
Daß des Kalifen Zähn' und Bart,
In Baumwoll' eingepackt, in diesem Kästchen waren.
Es hatte, während daß der Sultan noch erstarrt
In seinem Lehnstuhl lag, von Oberons unsichtbaren
Trabanten einer sich behend ans Werk gemacht,
Und alles, ohne Scher' und Pelikan, vollbracht.

8
Eilt nun, so fuhr er fort, bevor euch nachzujagen
Der Sultan Zeit gewinnt! Dort auf der Rhede liegt
Ein Schiff, das ohne Harm in sechs bis sieben Tagen
Mit euch bis nach Lepanto fliegt;
Dort findet ihr, so bald ihr angekommen,
Ein andres schon bereit, das nach Salern euch bringt;
Und dann, so schnell als Lieb' und Sehnsucht euch beschwingt,
Geraden Wegs den Lauf nach Rom genommen!

9
Und tief, o Hüon, sey's in deinen Sinn geprägt:
So lange bis der fromme Papst Sylvester
Auf eurer Herzen Bund des Himmels Weihung legt,
Betrachtet euch als Bruder und als Schwester.
Daß der verbotnen süßen Frucht
Euch ja nicht vor der Zeit gelüste!
Denn wisset, daß im Nu, da ihr davon versucht,
Sich Oberon von euch auf ewig trennen müßte.

10
Er sagt's, und seufzt, und stiller Kummer schwillt
In seinem Aug'; er heißet sie ihm nahen,
Und küßt sie auf die Stirn; und als sie aufwärts sahen,
Zerfloß er wie ein Wolkenbild
Aus ihrem Blick. Der goldne Tag verhüllt
Sein Antlitz; traurig rauscht's, wie Seufzer, durch die Palmen,
Und Land und Meer scheint, dumpf und tief erstillt,
In trübem Duft gestaltlos zu verqualmen.

11
Ein seltsam Weh, ein stilles Bangen drückt
Das holde Paar; sie sehn mit blassen Wangen
Einander an; im offnen Mund erstickt
Was jedes sprechen will; sie wollen sich umfangene
Und ein geheimes Grau'n hält ihren Arm. Allein
In einem Pulsschlag stürzt der dumpfe Nebel nieder,
Lacht alles wie zuvor in goldnem Sonnenschein,
Und Muth und Freude kehrt in ihre Herzen wieder.

12
Sie eilen nach dem Schiff, und finden's, hoch erfreut,
Zur Reise schon versehn und zierlich eingerichtet
Durch ihres Schützers Gütigkeit.
Ein frischer Landwind weht, der Anker wird gelichtet,
Das Seevolk jauchzt. Die Barke, vogelschnell,
Durchschneidet schon mit ausgespannten Flügeln
Die blaue Flut; die Luft ist rein und hell,
Und glatt das Meer um sich darin zu spiegeln.

13
Sanft wiegend schwimmt, gleich einem stolzen Schwan,
Das Schiff dahin, zum Wunder aller Söhne
Des Oceans, auf kaum gefurchter Bahn.
So eine Fahrt hat noch kein Mensch gethan,
Rief jeder aus. Der Ritter und die Schöne
Stehn, Arm in Arm geschlungen, Stunden lang
Auf dem Verdeck, und schau'n; und jede neue Scene
Ist Opium für ihren Liebesdrang.

14
Und wenn sie in die unabsehbarn Flächen
Hinaus sehn, wo in Luft der Wellen Blau zerrinnt,
Fängt Hüon an von seinem Land zu sprechen,
Wie schön es ist, wie froh darin die Leute sind,
Und wie von Ost zum West die Sonne
Doch auf nichts holders scheinen kann
Als auf die Ufer der Garonne;
Und alles dieß beschwört sein alter Lehensmann.

15
Dem hüpft das Herz, so oft er seinem lieben
Gaskogne Hymnen singen kann!
Die schöne Rezia, wiewohl ihr dann und wann
Viel Worte unverständlich blieben,
Horcht unverwandt; denn das, wovon ihr nichts entgeht,
Was mit unsäglichem Behagen,
So neu ihr's ist, ihr Herz unendlich leicht versteht,
Ist—was ihr Hüons Augen sagen.

16
Ein sanfter Druck der warmen Hand,
Ein Seufzer, der das volle Herz entladet,
Ein leiser Kuß, der Rosenwang' entwandt,
Und, o ein Blick, in Amors Thau gebadet,
Was überzeugt, gewinnt und rührt wie dieß?
Was geht so schnell, trotz dem behendsten Pfeile,
Von Herz zu Herz, trifft so gewiß
Den Zweck, und macht so wenig lange Weile?

17
In Seelgesprächen dieser Art
Verlor das Wortgespräch sich stets bey unsern beiden.
Oft schlichen sie, um Zeugen zu vermeiden,
In ihr Gemach, und standen da gepaart
Am offnen Fenster, oder saßen
Auf ihrem Sofa. Doch, auch dann nicht ganz allein;
Die Amme wenigstens muß stets zugegen seyn;
Denn Hüon selber bat ihn nie allein zu lassen.

18
Noch immer wiederhallt der schreckenvolle Ton
Des strengen "laßt euch nicht gelüsten"
In seinem Ohr; denn wißt, sprach Oberon,
Daß wir uns sonst auf ewig trennen müßten.
Wie meinte das der Geist? Es war ein tiefer Sinn
In seinem Blick, der immer ernster, immer
Bewölkter ward; ach! Thränen schwammen drin,
Und sein Gesicht verlor den sonst gewohnten Schimmer.

19
Dieß schwellt mit Ahnungen des guten Ritters Herz.
Er traut sich selbst nicht mehr; der Liebe leichtster Scherz
Erweckt die Furcht, ob Oberon ihn verdamme.
Indessen frißt die eingeschloßne Flamme
Sich immer tiefer ein. Die Luft, worin er lebt,
Ist Zauberluft, weil Rezia sie theilet;
Ihr Athem weht darin, ihr holder Schatten schwebt
Um jeden Gegenstand, auf dem sein Auge weilet.

20
Und, o Sie selbst glänzt ihn im Morgenlicht,
Im Abendroth, im sanften Schattentage
Des Mondes an. In welcher schönen Lage,
In welcher Stellung reitzt ihr Nymfenwuchs ihn nicht?
Der Schleier, der vor allen fremden Augen
Sie dicht umhüllt, fällt im Gemach zurück,
Erlaubt sogar dem furchtsam kühnen Blick
Sich, Bienen gleich, in Hals und Busen einzusaugen.

21
Er fühlt die süße Gefahr. O, soll es möglich seyn,
Du Schönste, ruft er oft, bis Rom es auszuhalten,
So wickle dich in sieben Schleier ein!
Verstecke jeden Reitz in tausend kleine Falten;
Laß über dieses Arms lebend'ges Elfenbein
Die weiten Ärmel bis zur Fingerspitze fallen,
Und ach! Freund Oberon, vor allen
Verwandle bis dahin mein Herz in kalten Stein!

22
Es war, wiewohl ihm oft die Kräfte schier versagen,
Des Ritters ganzer Ernst, den Sieg davon zu tragen
In diesem Kampf. Es däucht' ihn groß und schön
Das schwerste Abenteu'r der Tugend anzugehn,
Schon groß und schön, es nur zu wagen,
Und zehnfach schön und groß, es rühmlich zu bestehn.
Allein, die Möglichkeit so einen Feind zu dämpfen,
Der immer stärker wird, je mehr wir mit ihm kämpfen?

23
Nichts ist, was diesem Feind so bald gewonnen giebt,
Als bey der Schönen, die man liebt,
Sich dem Gefühl stillschweigend überlassen.
Zum Glück erinnert sich Herr Hüon seiner Pflicht,
Nach ritterlichem Brauch, sich mit dem Unterricht
Der Sultanstochter zu befassen.
Denn ach! das arme Kind lag noch im Heidenthum,
Und glaubt' an Mahomed, unwissend zwar warum.

24
Der Ritter, sie von dieser Pest zu heilen,
Eilt was er kann, (die Liebe hieß ihn eilen)
Sein Bißchen Christenthum der Holden mitzutheilen.
An Eifer gab er keinem Märt'rer nach;
Er war an Glauben stark, wiewohl an Kenntniß schwach,
Und die Theologie war keineswegs sein Fach;
Sein Pater und sein Credo, ohne Glossen,
In diesen Kreis war all sein Wissen eingeschlossen.

25
Doch was vielleicht an Licht und Gründlichkeit
Der Lehre fehlt, ersetzt des Lehrers Feuer:
Herr Hüon, standsgemäß ein Feind von Wörterstreit,
Handhabt das Werk gleich einem Abenteuer,
Und was er glaubt, beschwört er hoch und theuer,
Erbötig, dessen Richtigkeit
Dem ganzen Heidenthum mit seinem blanken Eisen
Zu Wasser und zu Land handgreiflich zu erweisen.

26
Groß ist in des Geliebten Mund
Der Wahrheit Kraft; das Herz, voraus mit ihm in Bund,
Horcht ihm mit Lust und lehrbegier'gem Schweigen.
Was ist so leicht zu überzeugen
Als Liebe? Ein Blick, ein Kuß ist ihr ein Glaubensgrund.
Die Schöne, ohne sich in Fragen zu versteigen,
Glaubt ihrem Hüon nach, und macht in kurzer Zeit
Ihr Kreuz an Stirn und Brust mit vieler Fertigkeit.

27
Das heil'ge Bad der Christen zu empfangen
Stand nun (wie unser Held in seiner Einfalt meint)
Ihr weiter nichts im Weg. Ihr ist's, um vor Verlangen
Zu brennen, schon genug, daß er darnach zu bangen
Und jedes Augenblicks Verzug zu hassen scheint.
Ein Jünger Sankt Basils, ein großer Heidenfeind,
der sich im Schiffe fand, wird leicht gewonnen, ihnen
Für die Gebühr hierin mit seinem Amt zu dienen.

28
Die schöne Rezia, die nun Amanda hieß
Seitdem sie in den Christenorden
Getreten war, gewann nicht nur das Paradies,
Sie schien dadurch sogar noch eins so schön geworden.
Allein von Hüon wich zur Stunde sichtbarlich
Sein guter Geist. Es war, im Taumel des Entzückens,
Des Herzens und des Händedrückens
Kein End'. Umsonst zerwinkt der treue Alte sich;

29
Vergebens stellt sich Fatme gegenüber:
Der gute Paladin in seinem Seelenfieber
Vergißt des Zwergs, der Warnung, der Gefahr.
Der Alte hätte sich zu Tode winken können,
Die Wonn', in die er ganz versunken war,
Sie, deren Kuß nun Engel selbst ihm gönnen,
Zu drücken an sein Herz, Amanda sie zu nennen,
Umnebelt seinen Blick, berauscht ihn ganz und gar.

30
Auch Rezia, seitdem sie von Amanden
Den Nahmen eingetauscht, glaubt freyer von den Banden
Des Zwangs zu seyn, ist nicht mehr Rezia, vergißt
Nun desto leichter Königswürde,
Hof, Vaterland, und kurz, was nicht Amanda ist.
Die Rückerinnerung, die sonst wie eine Bürde
Zuweilen noch an ihrem Nacken hing,
Fiel mit dem Nahmen ab, den sie im Tausch empfing.

31
Sie ist nun ganz für Hüon neu geboren,
Gab alles, was sie war, für ihn,
Gab einen Thron um Liebe hin,
Und fühlt' in seinem Arm, sie habe nichts verloren.
Sie gab sich weg, und ist Amande, nun
Für Liebe nur, durch Liebe nur zu leben,
Hat in der Welt nichts andres mehr zu thun
Nichts andres zu empfangen noch zu geben.

32
Der wackre Scherasmin, der das verliebte Paar
In solcher Stimmung sieht, erschrickt vor ihren Blicken.
Er wird darin ich weiß nicht was gewahr,
Das lüstern ist verbotne Frucht zu pflücken.
Ein Zeuge drückte sie, das sah er offenbar.
Sie küßten sich, so bald er nur den Rücken
Ein wenig kehrt, so rasch, so durstiglich,
Und wurden roth, so bald sein Auge sie bestrich.

33
Im Spiegel seiner eignen Jugend
Sieht er nur allzu gut was beide nicht mehr sahn;
Sieht, einer Motte gleich, die unerfahrne Tugend
Sich ahnungslos der schönen Flamme nahn.
Wie lieblich zieht der Glanz, die sanfte Wärme an!
Durch ihre Unschuld selbst betrogen
Umtaumelt sie das Licht in immer kleinern Bogen,
Und plötzlich ach! verbrennt sie ihre Flügel dran.

34
In dieser Noth läßt der getreue Alte
(Mit Fatmen ingeheim zu diesem Zweck vereint)
Nichts unversucht, was ihm ein Mittel scheint,
Daß wenigstens bis Rom des Ritters Weisheit halte;
Ihm fällt bald dieß bald jenes ein,
Sie zu beschäftigen, zu stören, zu zerstreun;
Zuletzt schlägt er, da alle Mittel fehlen,
Zur Abendkürzung vor, ein Mährchen zu erzählen.

35
Ein Mährchen nennt' er es, wiewohl es freylich mehr
Als Mährchen war. Ihm hatt' es ein Kalender
Zu Basra einst erzählt, als er die Morgenländer
Nach seines Herren Tod durchirrte, lang' vorher,
Eh' in die Kluft des Libans aus den Wogen
Der stürmevollen Welt er sich zurückgezogen:
Und da es itzt in ihm gar lebhaft sich erneut,
Glaubt er, es sey vielleicht ein Wort zu rechter Zeit.

36
Und so beginnt er denn: Vor etwa hundert Jahren
Lebt' an den Ufern des Tessin
Ein Edelmann, an Weisheit ziemlich grün,
Wiewohl sehr grau an Bart und Haaren;
Von Podagra und Gicht, der späten bittern Frucht
Zu viel genoßner Lust, fast täglich heimgesucht;
Ein Hofmann übrigens, galant und wohl erfahren,
Und in der Kriegeskunst der Minne wohl versucht.

37
Dem war, nachdem er lang' sein sündliches Vergnügen
Daran gehabt, im Hagestolzenstand
Auf Amors freyer Bürsch' Berg auf Berg ab im Land
Herum zu ziehn, und, wo er Eingang fand,
Bey seines Nächsten Weib zu liegen;
Ihm, sag' ich, war zuletzt der Einfall aufgestiegen,
Den steifen Hals, noch an des Lebens Rand,
Ins sanfte Joch der heil'gen Eh' zu schmiegen.

38
Mit viel Geschmack und wohl verkühltem Blut
Sucht er ein Kind sich aus, wie er's zu Tisch und Bette,
Zu Scherz und Ernst, gerade nöthig hätte,
Zumahl zur Sicherheit; ein Mädchen, fromm und gut,
Unschuldig, sittsam, unerfahren,
Keusch wie der Mond und frey von aller eiteln Lust,
Jung überdieß, pechschwarz von Aug' und Haaren,
Von Farbe rosenhaft, und rund von Arm und Brust.

39
Von allen drey und dreyßig Stücken,
Womit ein schönes Weib, sagt man, versehen ist,
Hätt' er kein einzigs gern an seiner Braut vermißt,
Am wenigsten das Aug', in dessen Feuerblicken
Ein feuchtes Wölkchen schwimmt, die kleine weiche Hand,
Die Lippen, die dem Kuß entgegen schwellen,
Das runde Knie, der Hüften schöne Wellen,
Und unter sanftem Druck den süßen Widerstand.

40
Der gute alte Herr, beym Kauf so schöner Waare,
Vergaß nur Eins—die fünf und sechzig Jahre,
Die seinen Kopf bereits mit Schnee bestreun.
Zwar macht' er, aus geheimer Vorempfindung,
Ausdrücklich zum Beding der ehlichen Verbindung,
Sie sollte reitzvoll, warm, und alles das, allein
Für ihn, und kalt wie Eis für jeden andern bleiben:
Allein, wer wird für Sie die Klausel unterschreiben?

41
Rosette that's. Rosette war ein Kind,
War auf dem Land, dem Veilchen gleich, im Schatten
Verborgen aufgeblüht, war froh und leicht gesinnt,
Und sah in ihrem künftigen Herrn und Gatten
Nichts als den Mann der sie zur großen Dame macht,
Ihr reiche Kleider gab und tausend schöne Sachen,
Die Kindern, wie sie war, bey Tage Kurzweil machen;
An andres hatte noch ihr Herzchen nie gedacht.

42
Die Hochzeit ward demnach mit großer Pracht vollzogen.
Der edle Bräut'gam, zwar ein wenig steif und schwer,
Stapft an Rosettens Hand gar ehrenfest einher,
Und wähnt sein Taufschein hab' um zwanzig ihn belogen.
Was Augen hat läuft schaarenweis' herbey
Den prächt'gen Kirchgang anzustaunen;
Ein stattlich Paar! hört man zu beiden Seiten raunen;
Sie gleichen sich—wie Januar und May.

43
Rosettens Unschuld war (wie in dergleichen Fällen
Gewöhnlich ist) des alten Gangolfs Stolz:
Er schien am zweyten Tag vor hohem Muth zu schwellen,
Und schritt einher gerader als ein Bolz.
Es war der letzte Trieb von einem dürren Holz!
Die Übel, die sich gern zu grauer Liebe gesellen,
Begannen bald bey ihm sich reichlich einzustellen;
Je wärmer Röschen ward, je mehr ihr Alter schmolz.

44
Indeß verdoppelt er auf andre Art die Proben
Von seiner Zärtlichkeit, beschenkt sie täglich schier
Mit neuem Modekram, mit Spitzen, schönen Roben,
Juwelen, kurz, mit allem was er ihr
An Augen ansehn kann. Es koste was es wolle,
Was ihr Vergnügen macht, das ist für ihn Genuß;
Er fordert nichts dafür als höchstens einen Kuß;
Mit Einem Wort, er spielt die—Alten-Mannes-Rolle.

45
Rosette, jugendlich vergnügt mit ihrem Loos,
Spart auch dagegen nichts den Alten zu vergnügen
Nach seiner Art; setzt sich auf seinen Schooß
So viel er will, und läßt auf seinem Knie sich wiegen,
Läßt aus Gefälligkeit ihn tändeln wie er kann,
Pflegt seiner, liebevoll, in seinem Unvermögen;
Und, wandelt ihn (wie oft) die Schlafsucht an,
Darf er sein schweres Haupt auf ihren Busen legen.

46
So lebten sie in Eintracht manches Jahr
Zusammen, keusch und treu wie fromme Turteltauben,
So treu ergeben Sie, und Er so voller Glauben,
Daß jedermann dadurch erbauet war.
Der gute Mann vergaß bey ihren Scherzen
Sein Podagra und seine Rückenschmerzen,
Und seinetwegen bloß beklagt' in ihrem Herzen
Die junge Frau sein zehntes Stufenjahr.

47
Allein, es kam; und ach! zu ihrem großen Leide,
Ein Übel kam mit ihm auf Gangolfs graues Haupt,
Das seiner liebsten Augenweide
Den armen Greis auf lebenslang beraubt.
Nie wird er wieder sich an ihren Blicken sonnen,
Nie wieder sehn dieß reitzende Oval,
Wovon zu Engeln und Madonnen
So mancher Mahler gern die sanften Züge stahl!

48
Wer sollt' ihm nun die lange Zeit vertreiben,
Dem armen blinden Mann, hätt' er Rosetten nicht?
Was würd' aus ihm, wär's ihr nicht süße Pflicht,
Untrennbar Tag und Nacht an ihn geklebt zu bleiben,
Ihm immer Arm und Augenlicht
Zu leihn, für ihn zu lesen und zu schreiben,
Zu fragen was ihm fehlt, und, quälet ihn die Gicht,
Mit leichter warmer Hand ihm Knie und Fuß zu reiben?

49
Rosette, immer sanft, gefällig, mitleidsvoll,
Entrichtet ohne Zwang und Murren
Der Ehstandspflicht auch diesen schweren Zoll;
Aufmerksam stets, (wiewohl bey seinem Knurren
Ihr heimlich oft die Gall' ein wenig schwoll)
Daß ja ihr Alter nichts zu klagen haben soll.
Zum Unglück fing er itzt, trotz ihrem guten Willen,
In seinem Sorgestuhl die schlimmste aller Grillen.

50
Der ärgste Feind, der je sich aus der Hölle schlich
Die Sterblichen zu necken und zu quälen,
Fuhr in den armen Mann, und plagt' ihn jämmerlich.
Alt, schwach und blind, wie konnt' er sich verhehlen,
Rosette sey, so sehr sie einem Engel glich,
Doch nur ein Weib? Konnt's an Versuchern fehlen?
Die Welt ist rings umher von offnen Augen voll,
Und ach! das Auge blind, das sie beleuchten soll!

51
So jung, so schön, so ganz aus lauter Liebeszunder
Gewebt, wer kann sie sehn und nicht vor Sehnsucht glühn?
Wo sah man je so frische Wangen blühn?
Je Augen funkelnder und Lilienarme runder?
Zwar ist sie tugendhaft; sie wird ja freylich fliehn:
Doch, wenn sie auf der Flucht nun glitschte? wär' es Wunder?
Der Grund, worauf sie flieht, ist hell geschliffner Stahl,
Und ach! die Einmahl fällt, die fällt für allemahl.

52
Selbst ihre Tugenden, ihr sanftgefällig Wesen,
Ihr leichter Sinn, stets froh und guter Ding',
Was sonst an ihr das liebste ihm gewesen,
Die holde Scham sogar, womit sie ihn umfing,
Und was ihm sonst von ihren tausend Reitzen,
Entschleiert und verschont, sein Seelenspiegel weist,
Das alles hilft itzt nur dem Argwohn, der ihn beißt,
Sich in sein wundes Herz noch tiefer einzubeitzen.

53
Der Sklaverey, worin das gute junge Weib
Seit dieser Zeit verlechzt, ist keine zu vergleichen.
Stets angeschnallt an seinen siechen Leib,
Darf sie ihm Tag und Nacht nicht von der Seite weichen.
Mißtrauisch aufgeschreckt von jedem leisen Wort,
Trägt er die Augen nun an seinen Finger-Enden,
Und Nachts liegt eine stets von seinen knot'gen Händen
Bald da, bald dort auf ihr, aus Furcht sie schleich' ihm fort.

54
So sanft Rosette war, so fiel doch solch Betragen
Ihr schwer aufs Herz. Er nennt es Liebe zwar:
Allein sie sah zu wohl nur, was es war,
Und fing, anstatt sich fruchtlos zu beklagen,
Zu überlegen an. So neben einem Mann
Von siebenzig, mit Gicht und Stein beladen,
Durchs Leben, wie durch einen Sumpf, zu waden,
Und noch gequält dazu, däucht ihr ein harter Bann.

55
Gar vieles, was sie sonst geduldig übersehen,
Scheint in dem Licht, worin sie jetzt es sehen muß,
Höchst widerlich und gar nicht auszustehen.
Sein Zärtlichthun ist jetzt ihr herzlichster Verdruß,
Sein Scherz unleidlich plump, und ekelhaft sein Kuß;
Wagt er noch mehr, so möchte man vergehen!
Und sie, o grausam! sie ist jung und schön für ihn,
Und was ihm unnütz ist, muß sie sich selbst entziehn!

56
Und was entschädigt sie? Der Stadt gesellige Freuden,
Tanz, Schauspiel, alles das ist ihr verbotne Frucht!
Von niemand wird ihr altes Schloß besucht;
Als gingen Geister drin, scheint jeder es zu meiden.
Ein großer Garten hoch mit einer Mau'r umfaßt,
Ist alles was sie hat—im Kreis sich zu bewegen;
Zum Träumen kann sie da an einen Baum sich legen,
Und dann sogar ist ihr der blinde Mann zur Last.

57
Ein junger Edelknecht, in Gangolfs Schloß erzogen
Und über seinen Stall gesetzt,
Wird itzt zum ersten Mahl betrachtenswerth geschätzt.
Er hatte zwar schon lange sich verwogen,
Mit schmachtender Begier die Dame anzusehn,
Und oft gesucht ihr's mündlich zu gestehn,
Doch, da sie stets dem Anlaß ausgebogen,
Auch wieder ehrfurchtsvoll zurücke sich gezogen.

58
Jetzt aber, da Verdruß und Gram
Und lange Weil' bey Tag, und noch langweil'gers Wachen
Bey Nacht, Zerstreuungen ihr zum Bedürfniß machen,
Kein Wunder, daß sie jetzt die Sache anders nahm.
Es däucht ihr hart, in ihren schönsten Tagen
So gänzlich allem Trost des Lebens zu entsagen;
Und Walter, dessen Blick nun wieder Muth bekam,
War unermüdet, sich zum Tröster anzutragen.

59
Sein Eifer wächst je mehr er Raum gewinnt.
Er fleht; sie weigert sich: doch unvermerkt entspinnt
Sich ein Verständniß zwischen ihnen,
Wovon die Augen bloß die Unterhändler sind;
Denn Gangolf war nicht an den Ohren blind,
Und öfters kann ein Ohr für hundert Augen dienen.
Der Alte spitzt die seinen gleich und lauscht
Wenn von Rosettens Kleid nur eine Falte rauscht.

60
Ein solcher Zwang verkürzt die Komplimente
Des Widerstands, und in sehr kurzer Zeit
Sind Walter und die Dame schon so weit
Daß nur die Frage ist, wie man sich nähern könnte?
Von ihrem Drachen, den sein Husten Tag und Nacht
Nicht ruhen läßt, gebannet und bewacht,
Was wird die junge Frau ersinnen,
Um etwas Raum und Zeit für Walter zu gewinnen?

61
Noth schärft den Witz. Indem sie hin und her
Auf Wege denkt, erwählt, verwirft, im besten
Viel Schwierigkeiten sieht, fällt ihr von ungefähr
Ein Birnbaum ein mit stufengleichen Ästen,
Der, an der Rasenbank im Garten, wo sich rund
Um einen Marmorbrunnen Hecken
Von Myrten ziehn, hoch überhangend stund,
Den Schattensitz vor Sonnengluth zu decken.

62
Zu diesem anmuthsvollen Ort,
Den laue Lüftchen stets umfliegen,
Pflegt oft, zur Sommerszeit, wenn alles lechzt und dorrt,
Mit seinem Weibchen sich der Alte zu verfügen,
Um an des Brunnens kühlem Bord
Ein Stündchen oder zwey auf ihrem Schooß zu liegen—
Zum Garten hat jedoch den Schlüssel er allein,
Und außer ihm und ihr kam keine Seel' hinein.

63
Was nun zu thun, den Schlüssel zu bekommen,
Den stets im Unterkleid der Alte bey sich führt?
Der wird beym Schlafengehn ganz sachte weggenommen,
Und, während daß der Mann sein Ave psalmodiert,
In Wachs gedrückt, sodann am nächsten Morgen
Der Abdruck unvermerkt in Walters Hand gespielt,
Und ein Postskript dazu, das ihm den Baum empfiehlt;
Das übrige wird Walter schon besorgen.

64
Nun, was geschah? Es war ein schöner warmer Tag
Zu End' Augusts, als unsern blinden Alten
Die Sonne lockt, wie er zuweilen pflag,
Die Mittagsruh im Myrtenrund zu halten.
Komm, meine Taube, spricht zu seinem andern Ich
Der graue Tauber, komm, mein Röschen, führe mich
Zu jenem stillen Grund, wo, seit er uns verbunden,
Der Gott der Eh' so oft uns Arm in Arm gefunden.

65
Rosette winkt, und Walter schleicht voran;
Die Gartenthür wird leise aufgethan
Und wieder zugemacht; dann geht es an ein Fliegen
Dem Brunnen zu; der Birnbaum wird erstiegen,
Und, wo der breit'ste Ast sich sanft gebogen krümmt,
Des Weibchens Thron im dichtsten Laub bestimmt.
Der Alte kommt indeß, mit ungewissen Tritten,
An seines Röschens Arm allmählich angeschritten.

66
Weil nun der Mund beynah das einz'ge blieb,
Das noch, in viel und mancherley Gebrechen,
Ihm Dienste that, so war, von seiner Lieb'
Und von dem Paradies des Ehstands ihr zu sprechen,
Gewöhnlich das, womit er ihr die Zeit vertrieb.
Er mischte dann, vielleicht sie zu bestechen,
Von ihren Reitzungen viel Poesie hinein,
Und meistens kam ein Stück von Predigt hinter drein.

67
Aus diesem Ton war's unterwegs gegangen,
Und, da sie glücklich nun beym Brunnen angelangt,
(Wo, wie ihr wißt, der schöne Birnbaum prangt)
Da hatte Gangolf auch, nachdem er ihr die Wangen
Gestreichelt, und (wiewohl vom Husten stark geplagt)
Viel zärtliches und süßes vorgesagt,
Die Predigt eben angefangen,
Die ihr im Angesicht des Birnbaums schlecht behagt.

68
Ist, sprach er—da er so, die Stirn an ihrer Brust,
Im Schatten bey ihr saß, und an dem runden, weichen,
Atlaßnen Arm sanft auf und ab zu streichen
Nicht müde ward—ist wohl der Unschuld unsrer Lust,
Der Ruh, dem süßen Trost, dem alle Freuden weichen,
Dem Glück geliebt zu seyn, geliebt und sich bewußt
Man sey es würdig—kurz, dem was du fühlen mußt
Wenn du mich liebst, ein Glück auf Erden zu vergleichen?

69
O sprich, mein Röschen,—hier begann
Der alte Herr noch zärtlicher zu streicheln—
Doch rede frey und ohne alles Heucheln,
(Denn einer höret uns, den niemand täuschen kann)
Darf sich auch wohl dein armer blinder Mann,
Der dich so zärtlich liebt, darf sich dein Gangolf schmeicheln,
Daß du ihn wieder liebst? daß er dein Alles ist,
Dein ganzes Herz erfüllt, wie du sein Alles bist?

70
Zwar freylich, wollten wir die alten Sagen schätzen,
Wär' einem Mann nichts minder zu verzeihn,
Als an ein Weib sein ganzes Herz zu setzen,
Zu bau'n auf ihre Treu', zu trauen ihrem Schein.
Längst lehrten uns, aus Tonnen und von Thronen,
Der Narr Diogenes, die weisen Salomonen,
Es sey des Weibes Herz kein zuverlässig Gut,
Und ihrer List nichts gleich als ihre Wankelmuth.

71
Nichts von den weltlichen Geschichten
Zu sagen, sehn wir nicht sogar das heil'ge Buch
Den Ruhm der Weibertreu' von Anbeginn vernichten?
Kam auf die Menschheit nicht durchs erste Weib der Fluch?
Von seinen Töchtern ward der fromme Loth betrogen;
Die Kinder Gottes selbst, schon vor der großen Flut,
Verbrannten sich, von Weibern angezogen,
Die Fittiche an ihrer strafbarn Gluth.

72
Die Delila'n, die Jaeln, Jesabellen
Und Bathseba'n, und wie ihr Nahme heißt,
Ist unvonnöthen dir im Reihen aufzustellen,
Wiewohl die Schrift sie nicht der Treue halben preist:
Doch diese Judith, die den tapfern, frommen, alten
Feldmarschall Holofern erst in die Arme schlingt,
Erst liebetrunken macht, und dann ums Leben bringt,
Wer kann dabey der Thränen sich enthalten?

73
Wär' aber auch der Weiber größte Zahl
An Lastern noch so reich, an Tugend noch so kahl,
Dir, meine Einz'ge, Auserwählte,
Dir, meines Alters Trost und meiner Augen Licht,
Dir trau' ich's zu, du bliebst getreu an deiner Pflicht,
Und fehltest nicht, wenn auch die beste fehlte.
Dein Gangolf, der so rein, so treu dich liebt,
Wird, o gewiß! von dir so grausam nie betrübt?

74
Wozu, versetzt mit schuldbewußten Wangen
Die junge Frau, und zieht den Schwanenarm,
Womit sie um den Gürtel ihn umfangen,
Mißmüthig weg—wozu, versetzt sie rasch und warm,
All' diese Litaney? Womit in meinem Leben
Hab' ich dazu Gelegenheit gegeben?
Wie? soll ich glauben, daß dein Herz an meiner Treu'
Nur einen Augenblick zu zweifeln fähig sey?

75
Unglückliche! ist dieß für alle meine Liebe
Zuletzt der Lohn? Wem gab ich ganz mich hin?
Der Unschuld ersten Kuß, der Jugend erste Triebe,
Wer hatte sie?—Und ach! daß ich zu zärtlich bin,
Ist mein Verbrechen nun! Ein Herz ist ihm verdächtig
Das keinen andern kennt, für ihn nur stärker schlug!
Hoffärt'ger, hast du nicht an diesem Sieg genug?
Auch quälen mußt du mich? O grausam! niederträchtig!

76
Hier hielt sie ein, als ob der übermäßige Schmerz
Die Stimm' in ihrer Brust erstickte;
Und schluchzend fiel der Greis ihr um den Hals und drückte
Das treue Weib reumüthig an sein Herz.
O weine nicht, mein Liebchen, o verzeihe
Was Liebe nur gefehlt! Ich wollte nicht Verdruß
Dir machen; o verzeih, und gieb mir einen Kuß!
Bey Gott! ich zweifle nicht an meines Röschens Treue!

77
So seyd ihr! sprach Rosett', indem sie seinem Kuß
Sanft sträubend sich entzog, so seyd ihr Männer alle!
Erst lockt ihr uns so schmeichelnd in die Falle,
Und habt ihr uns, macht ruhiger Genuß
Statt frischem Blut bey euch nur böse Galle.
Weh dann der armen Frau, die euch befried'gen muß!
Das Flämmchen selbst, das ihr so eifrig angeblasen,
Giebt euch zum Argwohn Stoff, und macht euch heimlich Rasen.

78
Der gute Mann, den sehr zur ungelegnen Zeit
Sein Hüftweh überfällt, weiß seinem armen Leibe
Sonst keinen Rath, als dem getreuen Weibe
Betheurungen zu thun von seiner Zärtlichkeit,
Und daß der Schatten nur von Argwohn himmelweit
Von seinem Herzen sey und bleibe.
Somit bestätigt denn der neue Friedensschluß
Von beiden Theilen sich mit einem süßen Kuß.

79
Das wackre Ehpaar sank, aus Leerheit oder Fülle
Des Herzens, wie ihr wollt, in eine tiefe Stille.
Rosette seufzt. Der Alte fragt, warum?
Nichts, sagt sie wieder seufzend, und bleibt stumm.
Er dringt in sie. "Sey unbesorgt, mein Lieber,
Es ist ein Lüstern nur, und geht vielleicht vorüber."—
Ein Lüstern?—Ich versteh'!—Wie glücklich machtest du
Mein Alter noch!—Sie schweigt und seufzt noch eins dazu.

80
Da hätten wir die Frucht von deinem kalten Baden,
Fuhr Gangolf fröhlich fort. Sag' an! es könnte dir,
Wenn du's verhielt'st, und dem Verborgnen schaden!
O! spricht sie, sähest du den schönen Birnbaum hier,
So frisch von Laub, so strotzend voll beladen
Mit reifer goldner Frucht! die Äste brechen schier!
Ich sagte nichts, aus Furcht du möchtest zürnen,
Allein—ich gäb' ein Aug' um eine dieser Birnen!

81
Ich kenn' ihn wohl, den Baum; er trägt im ganzen Land
Die beste Frucht, versetzt der gute Blinde:
Doch, sprich, wie machen wir's? Kein Mensch ist bey der Hand,
Es ist ein Erntetag, das ganze Hofgesinde
Im Feld zerstreut—der Baum ist hoch, und ich
Bin schwach und blind—O wäre nur der Bengel
Der Walter hier!—"Mir fällt was ein, mein Engel,
Wir brauchen niemand sonst, spricht sie, als dich und mich.

82
"Wär'st du so gut, und wolltest mit dem Rücken
Nur einen Augenblick fest an den Stamm dich drücken,
So wär's ein leichtes mir, hier von des Rasens Saum
Dir auf die Schulter mich zu schwingen;
Von da ist's vollends auf den Baum
Zum ersten Ast zwey kleine Spangen kaum;
Ich bin im Klettern und im Springen
Von Kindheit an geübt—gewiß, es wird gelingen."

83
Von Herzen gern, versetzt der blinde Mann;
Und doch, mein Kind, wenn du zu Schaden kämest?
Es bräch' ein Ast? was könnt' ich Armer dann
Zu deinem Beystand thun?—Wie, wenn du dich bequemest
Zu warten?—"Sagt' ich nicht, daß ich nicht warten kann?
Ich sehe wohl, daß du des kleinen Diensts dich schämest;
Um alles wollt' ich dir nicht gern beschwerlich seyn!
Und doch, wer sieht uns hier? Wir sind ja ganz allein!"

84
Was war zu thun? Es konnte leicht das Leben
Von einem Erben gar bey dieser Lüsternheit
Gefährdet seyn; kurz, halb mit Zärtlichkeit
Halb mit Gewalt, muß Gangolf sich ergeben.
Er stämmt sich an, hilft selbst dem Weibchen auf,
Und vom geduld'gen Kopf des guten alten Narren
Schwingt sich Rosette frisch zum lüft'gen Sitz hinauf,
Wo ihrer, unterm Laub, verstohlne Freuden harren.

85
Nun saß von ohngefähr, da alles dieß geschah,
Auf einer Blumenbank, dem guten blinden Alten
Vorüber, Oberon, um mit Titania,
Der Feenkönigin, hier Mittagsruh zu halten:
Indeß die zefyrgleiche Schaar
Der Elfen, ihr Gefolg, zerstreut im ganzen Garten
Und meist versteckt in Blumenbüschen war,
Um Schlummernd dort den Mondschein zu erwarten.

86
Unsichtbar saßen sie, und hörten alles an,
Was zwischen Mann und Frau sich eben zugetragen.
Zum Unglück, daß sie auch die Birnbaumsscene sahn!
Dem Elfenkönig gab dieß großes Mißbehagen.
Da, sprach er zu Titanien, sieht man nun
Wie wahr es ist, was alle Kenner sagen!
Was ist so arg, das nicht, um sich genug zu thun,
Ein Weib die Stirne hat zu wagen?

87
Ja wohl, Freund Salomon, bekennt dein weiser Mund:
"Ein einzler Biedermann wird immer noch gesehen;
Doch wandre einer mir ums weite Erdenrund
Nach einem frommen Weib, er wird vergebens gehen!"
Siehst du, Titania, im Birnbaum dort versteckt
Das ungetreue Weib des blinden Mannes spotten?
Sie glaubt sich in der Nacht, die seine Augen deckt,
So sicher als in Plutons tiefsten Grotten.

88
Allein, bey meinem Thron, bey diesem Lilienstab,
Und bey der furchtbarn Macht, die mir das Reich der Elfen
Mit diesem Zepter übergab,
Nichts soll ihr ihre List, nichts seine Blindheit helfen!
Nein, ungestraft in Oberons Angesicht
Sich ihres Hochverraths erfreuen soll sie nicht!
Ich will den Staar von Gangolfs Augen schleifen,
Und auf der frischen That soll sie sein Blick ergreifen!

89
So? willst du das? versetzt mit raschem Sinn
Und Wangen voller Gluth die Feenkönigin;
So soll mein Schwur dem deinen sich vermählen!
So schwör' auch ich, so wahr ich Königin
Des Elfenreichs und deine Gattin bin,
Es soll ihr nicht an einer Ausflucht fehlen!
Ist Gangolf etwa ohne Schuld?
Ist Freyheit euer Loos, und unsers nur Geduld?

90
Doch, ohne sich an ihren Zorn zu kehren,
Macht Oberon, was er geschworen, wahr.
Berührt von seinem Lilienstabe, klären
Sich Gangolfs Augen auf, verschwunden ist der Staar.
Erstaunt, entzückt beginnt er auszuschauen,
Sieht hin, und schüttelt sich als führ' ein Wespenschwarm
Ihm in die Augen, sieht, o Himmel! soll er trauen?
Sein treues Röschen, ach! in eines Mannes Arm!

91
Es kann nicht seyn! er hat nicht recht gesehen;
Ihn blendete das lang' entwöhnte Licht;
Unmöglich kann sich so das beste Weib vergehen!
Er schaut noch einmahl hin—Das nehmliche Gesicht
Durchbohrt sein Herz. Ha, schreyt er, wie besessen,
Verrätherin, Sirene, Höllngezücht,
Du scheuest dich vor meinen Augen nicht
Der Ehr' und Treu' so schändlich zu vergessen?

92
Rosette, wie vom Donner aufgeschreckt,
Fährt ängstlich auf, indem mit einem Zauberschleier
Ein unsichtbarer Arm den blassen Buhler deckt.
Was für ein seltsam Abenteuer
Stellt, denkt sie, just in diesem Nu, so sehr
Zur Unzeit, das Gesicht des alten Unholds her?
Doch, nach dem Wort der Königin der Elfen,
Fehlt ihr's an Witze nicht, sich aus der Noth zu helfen.

93
Was hast du, lieber Mann? ruft sie herab vom Baum,
Was tobst du so?—"Du fragst noch, Unverschämte?"
Ich Arme! wie? du giebst dem Argwohn Raum?
So lohnst du mir, daß mich dein Nothstand grämte,
Daß ich, da nichts mehr half, durch schwarzer Kunst Gewalt
Mit einem Geist in Mannsgestalt
Um dein Gesicht zu ringen mich bequemte,
Und, dir zu Lieb', im Kampf den rechten Arm mir lähmte?

94
Was Dank verdient, machst du sogar zu Schuld,
Und schämst dich nicht mir solch ein Lied zu singen?
Ha, schrie er, hier verlör' Sankt Hiob die Geduld!
Was ich gesehen nennst du ringen?
So möge mir dieß neu geschenkte Licht
Des Himmels Wunderhand bewahren,
Und du, treuloses Weib, mögst du zur Hölle fahren,
Wie mir ein ehrlich Wort zu deiner That gebricht!

95
Wie? ruft sie aus, so kann mein Gangolf sprechen?
Weh mir! ach! zu gewiß muß etwas, was es sey,
An meinem Zauberwerk gebrechen;
Dein Aug' ist offenbar noch nicht von Wolken frey!
Wie könnt'st du sonst mit solchen harten Reden
Dein treues Weib zu morden dich entblöden?
Dein Sehen kann kein wahres Sehen seyn;
Es ist das Flimmern nur von ungewissem Schein.

96
O daß es möglich wär' mich selbst zu hintergehen!
Spricht Gangolf; wohl dem Mann den nur ein Argwohn plagt!
Ich Unglücksel'ger hab's gesehen!
Gesehen was ich sah!—Dem Himmel sey's geklagt!
Ward je ein Weib unglücklicher geboren?
(Schreyt die Verrätherin mit einem Thränenguß)
O daß ich diesen Schmerz noch überleben muß!
Mein armer Mann hat den Verstand verloren!

97
Und welcher Mann von zärtlichem Gemüth
Verlör' ihn nicht, trotz allen seinen Sinnen,
Der Thränengüsse aus so schönen Augen rinnen
Und eine solche Brust von Seufzern schwellen sieht?
Der Alte kann nicht länger widerstehen:
"Gieb dich zufrieden, Kind, ich war zu rasch, zu warm;
Verzeih, und komm herab in deines Gangolfs Arm,
Es ist nun sonnenklar, ich hatte falsch gesehen!"

98
Da hörst du's nun! spricht zu Titania
Der Elfenfürst: was er mit Augen sah
Schwemmt eine Thräne weg! Dein Werk ist's; triumfiere!
Doch hör' auch nun den heiligsten der Schwüre!
Ich glaubte mich geliebt, und fand mein Glück darin.
Es war ein Traum—Dank dir, daß ich entzaubert bin!
Hoff' nicht ein Thränchen werd' auch mich umnebeln können,
Von nun an müssen wir uns trennen!

99
Nie werden wir, in Wasser noch in Luft,
Noch wo im Blüthenhain die Zweige Balsam regnen,
Noch wo der hagre Greif in ewig finstrer Gruft
Bey Zauberschätzen wacht, einander mehr begegnen.
Mich drückt die Luft in der du athmest! Fleuch;
Und wehe dem verräthrischen Geschlechte
Von dem du bist, und weh dem feigen Liebesknechte
Der eure Ketten schleppt! ich haß' euch alle gleich!

100
Und wo ein Mann in eines Weibes Stricken,
Als wie ein taumelnder lusttrunkner Auerhahn,
Sich fangen läßt, und liegt und girrt sie an,
Und saugt das falsche Gift aus ihren üpp'gen Blicken,
Wähnt, Liebe sey's was ihr im Schlangenbusen flammt,
Und horcht bethört der lächelnden Sirene,
Traut ihren Schwüren, glaubt der hinterlistigen Thräne,
Der sey zu jeder Noth, zu jeder Qual verdammt!

101
Und bey dem furchtbarn Nahmen sey's geschworen
Der Geistern selbst unnennbar bleiben muß,
Nichts wende diesen Fluch und meinen festen Schluß:
Bis ein getreues Paar, vom Schicksal selbst erkohren,
Durch keusche Lieb' in Eins zusammen fließt,
Und, probefest in Leiden wie in Freuden,
Die Herzen ungetrennt, auch wenn die Leiber scheiden,
Der Ungetreuen Schuld durch seine Unschuld büßt.

102
Und wenn dieß edle Paar schuldloser reiner Seelen
Um Liebe alles gab, und unter jedem Hieb
Des strengesten Geschicks, auch wenn bis an die Kehlen
Das Wasser steigt, getreu der ersten Liebe blieb,
Entschlossen, eh' den Tod in Flammen zu erwählen,
Als ungetreu zu seyn selbst einem Thron zu Lieb':
Titania, ist dieß, ist alles dieß geschehen,
Dann werden wir uns wiedersehen!

103
So sprach der Geist und schwand aus ihrem Blick.
Vergebens lockte sie mit liebevoller Stimme,
Nachfliehend, ihn in ihren Arm zurück!
Nichts kann des raschen Worts, das er in seinem Grimme
Gesprochen, hätt' er gleich es selber nun beweint,
Nichts kann ihn seines Schwurs entbinden,
Bevor, nach dem Beding, der ganz unmöglich scheint,
Zwey Liebende, wie er's verlangt, sich finden.

104
Seit dieser Zeit hat bis zu unsern Tagen
Sich Oberon in eigener Gestalt
Nie mehr gezeigt, und (wie die Leute sagen)
Bald einen Berg, bald einen dicken Wald,
Bald ein verlaßnes Thal zu seinem Aufenthalt
Gewählt, wo Liebende zu stören und zu plagen
All sein Vergnügen ist: und daß er nur für euch
Das Gegentheil gethan, ist einem Wunder gleich.

105
Hier endigte der Alte mit Erzählen;
Und Hüon nimmt Amanden bey der Hand:
Wenn, spricht er, nur ein Paar getreu verliebter Seelen
Zu Oberons und Titaniens Ruhe fehlen,
So schwebt des Schicksals Werk an der Vollendung Rand.
War er's nicht selbst, der uns so wunderbar verband?
Er, sonst der Liebe Feind, hat uns in Schutz genommen:
Die Proben—o die laßt je eh'r je lieber kommen!

106
Amande legt an Antworts-Statt
Des Jünglings Hand ans Herz mit seelenvollen Blicken.
Ihr, die so viel für ihn gethan, gegeben hat,
Was blieb ihr noch mit Worten auszudrücken?
Und eine Scene von Entzücken
Erfolgt daraus, wobey der gute Scherasmin
Des schönen Mährchens Frucht, trotz allem seinem Nicken,
Auf einmahl zu verlieren schien.

107
Zwar noch verbarg der Unschuld keuscher Schleier
Den Liebenden die wachsende Gefahr,
Und ihre Zärtlichkeit ergoß sich desto freyer,
Je reiner ihre Quelle war.
Nie war ein junges Paar in Liebessachen neuer;
Doch eben darum hing ihr Loos an einem Haar.
Ihr ganzes Glück auf ewig zu zerstören,
Braucht's einen Augenblick, worin sie sich verlören!

Siebenter Gesang.

1
Inzwischen ward, nach sieben heitern Tagen,
Das liebenswürd'ge Heldenpaar,
Dem jedes Element durch Oberon günstig war,
Ans Ufer von Lepanto hingetragen.
Hier lagen, wie Herr Hüon gleich vernimmt,
Zwey leicht geflügelte Pinassen segelfertig,
Die eine nach Marsiliens Port bestimmt,
Die andre Reisender nach Napoli gewärtig.

2
Der junge Herr, des Alten Wachsamkeit
Und Mentorblicks ein wenig überdrüssig,
Ist über diesen Dienst des Zufalls sehr erfreut
Und ungesäumt ihn zu benutzen schlüssig.
Freund, spricht er, Jahr und Tag geht noch vielleicht dahin,
Eh' mir's gelegen ist mich in Paris zu zeigen:
Du weißt daß ich vorerst nach Rom versprochen bin,
Und dieser Pflicht muß jede andre schweigen.

3
Indessen liegt mir ob, den Kaiser sehn zu lassen,
Daß ich mein Wort erfüllt. Du bist mein Lehensmann,
Vollbringe du für mich, was ich nicht selber kann;
Besteige flugs die eine der Pinassen,
Die nach Marseille steu'rt; dann eile sonder Rast
Nach Hof, und übergieb, den Kaiser zu versöhnen,
Dieß Kästchen mit des Sultans Bart und Zähnen,
Und sag' ihm an, was du gesehen hast:

4
Und daß, so bald ich erst des heil'gen Vaters Segen
Zu Rom gehohlt, mich nichts verhindern soll,
Die Sultanstochter auch zu Füßen ihm zu legen.
Fahr wohl, mein alter Freund! der Wind bläst stark und voll,
Die Anker werden schon gelichtet,
Glück auf die Reis', und, hast du mein Geschäft verrichtet,
So komm und suche mich zu Rom im Lateran;
Wer weiß, wir langen dort vielleicht zusammen an.

5
Der treue Alte sieht dem Prinzen in die Augen,
Wiegt seinen grauen Kopf, und nähme gar zu gern
Die Freyheit, seinen jungen Herrn
Mit etwas scharfem Salz für diese List zu laugen.
Doch hält er sich. Das Kästchen, meint er zwar,
Hätt' ohne Übelstand noch immer warten mögen,
Bis Hüon selbst im Stande war
Dem Kaiser in Person die Rechnung abzulegen.

6
Indessen da sein Fürst und Freund darauf beharrt,
Was kann er thun als sich zum Abschied anzuschicken?
Er küßt Amandens Hand, umarmt mit nassen Blicken
Den werthen Fürstensohn, den seine Gegenwart
Noch kaum erfreute, nun begann zu drücken,
Und Thränen tröpfeln ihm in seinen grauen Bart.
Herr, ruft er, bester Herr, Gott laß' euch's wohl ergehen,
Und mögen wir uns bald und fröhlich wiedersehen!

7
Dem Ritter schlug sein Herz, da zwischen seinem Freund
Und ihm die offne See stets weiter sich verbreitet.
Was that ich! ach! wozu hat Raschheit mich verleitet!
Wo hat mit seinem Herrn ein Mann es je gemeint
Wie dieser Mann? Wie hielt er in Gefahren
So treulich bey mir aus! O daß ich es zu spät
Bedacht! Wer hilft mir nun wenn mir der Rath entgeht?
Und wer in Zukunft wird mich vor mir selbst bewahren?

8
So ruft er heimlich aus, und schwört sich selber nun
Und schwört es Oberon, (von dem er, ungesehen,
Um seine Stirn das leise geist'ge Wehen
Zu fühlen glaubt) sein äußerstes zu thun
Im Kampf der Lieb' und Pflicht mit Ehre zu bestehen.
Sorgfältig hält er nun sich von Amanden fern,
Und bringt die Nächte zu, starr nach dem Angelstern,
Die Tage, schwermuthsvoll ins Meer hinaus zu sehen.

9
Die Schöne, die den Mann, dem sie ihr Herz geschenkt,
So ganz verwandelt sieht, ist desto mehr verlegen,
Da sie davon sich keine Ursach' denkt.
Doch mehr, aus Zärtlichkeit, von ihrem Unvermögen
Ihn aufzuheitern als an ihrem Stolz gekränkt,
Setzt sie ihm Sanftmuth bloß und viel Geduld entgegen.
Das Übel nimmt indeß mit jeder Stunde zu,
Und raubet ihm und ihr bey Tag und Nacht die Ruh.

10
Einst um die Zeit, da schon am sternevollen Himmel
In Thetis Schooß der funkelnde Arktur
Sich senkt'—es schwieg am Bord das lärmende Getümmel,
Und kaum bewegte sich, wie eine Weitzenflur
Auf der sich Zefyr wiegt, der Ocean; die Leute
Im Schiffe, allzumahl des tiefsten Schlummers Beute,
Verdünsteten den Wein, der in den Adern rann,
Und selbst am Ruder nickt der sichre Steuermann;

11
Auch Fatme war zu ihres Fräuleins Füßen
Entschlummert: nur von Deinem Augenlied,
O Hüon, nur von Deinem Busen flieht,
O Rezia, der Schlaf!—Die armen Seelen büßen
Der Liebe süßes Gift. Wie wühlt sein heißer Brand
In ihrem Blut! und ach! nur eine dünne Wand
Trennt sie; sie glauben fast einander zu berühren,
Und nicht ein Seufzer kann sich ungehört verlieren.

12
Der Ritter, dem der lang' verhaltne Drang
Zur Marter wird, dem jede bittre Zähre,
Die seine Grausamkeit Amandens Aug' entzwang,
Auf seinem Herzen brennt, er seufzt so laut, so bang,
Als ob's sein letzter Athem wäre.
Sie, die mit Lieb' und Scham schon eine Stunde rang,
Kann endlich länger nicht die Lind'rung sich versagen,
Zu forschen was ihn quält, und Trost ihm anzutragen.

13
Im weißen Schlafgewand, dem schönsten Engel gleich,
Tritt sie in sein Gemach, mit zärtlichem Erbarmen
Im keuschen Blick, mit furchtsam offnen Armen.
Ihm ist, als öffne sich vor ihm das Himmelreich.
Sein Antlitz, kurz zuvor so welk, so todtenbleich,
Wird feuerroth; sein Puls, der kaum so träge
Und muthlos schlich, verdoppelt seine Schläge,
Und hüpfet wie ein Fisch im spiegelhellen Teich.

14
Allein gleich wieder wirft ihn Oberons Wort danieder;
Und da er schon, durch ihre Güte dreist,
An seine Brust sie ziehen will, entreißt
Er schnell sich ihrem Kuß, sich ihrem Busen wieder;
Will fliehn, bleibt wieder stehn, kommt rasch auf sie zurück
In ihre Arme sich zu stürzen,
Und plötzlich starrt er weg, mit wildem rollendem Blick,
Als wünscht' er seine Qual auf einmahl abzukürzen.

15
Sie sinkt aufs Lager hin, hoch schlägt ihr volles Herz
Durchs weichende Gewand, und stromweis' stürzt der Schmerz
Aus ihren schmachtenden vor Liebe schweren Augen.
Er sieht's, und länger hält die Menschheit es nicht aus:
Halb sinnlos nimmt er sie (werd' auch das ärgste draus!)
In seinen Arm, die glüh'nden Lippen saugen
Mit heißem Durst den Thau der Liebe auf,
Und ganz entfesselt strömt das Herz in vollem Lauf.

16
Auch Rezia, von Lieb' und Wonne hingerissen,
Vergißt zu widerstehn, und überläßt, entzückt,
Und wechselweis' ans Herz ihn drückend und gedrückt,
Sich ahnungslos den lang' entbehrten Küssen.
Mit vollen Zügen schlürft sein nimmer satter Mund
Ein herzberauschendes wollüstiges Vergessen
Aus ihren Lippen ein; die Sehnsucht wird vermessen,
Und ach! an Hymens Statt krönt Amor ihren Bund.

17
Stracks schwärzt der Himmel sich, es löschen alle Sterne;
Die Glücklichen! sie werden's nicht gewahr.
Mit sturmbeladnem Flügel braust von ferne
Der fessellosen Winde rohe Schaar;
Sie hören's nicht. Umhüllt von finsterm Grimme
Rauscht Oberon vorbey an ihrem Angesicht;
Sie hören's nicht. Schon rollt des Donners drohnde Stimme
Zum dritten Mahl, und ach! sie hören's nicht!

18
Inzwischen bricht mit fürchterlichem Sausen
Ein unerhörter Sturm von allen Seiten los;
Des Erdballs Axe kracht, der Wolken schwarzer Schooß
Gießt Feuerströme aus, das Meer beginnt zu brausen,
Die Wogen thürmen sich wie Berge schäumend auf,
Die Pinke schwankt und treibt in ungewissem Lauf,
Der Bootsmann schreyt umsonst in sturmbetäubte Ohren,
Laut heult's durchs ganze Schiff, weh uns! wir sind verloren!

19
Der ungezähmten Winde Wuth,
Der ganze Horizont in einen Höllenrachen
Verwandelt, lauter Gluth, des Schiffes stetes Krachen,
Das wechselsweis' bald von der tiefsten Flut
Verschlungen scheint, bald, himmelan getrieben,
Auf Wogenspitzen schwebt, die unter ihm zerstieben:
Dieß alles, stark genug die Todten aufzuschrecken,
Mußt' endlich unser Paar aus seinem Taumel wecken.

20
Amanda fährt entseelt aus des Geliebten Armen;
Gott! ruft sie aus, was haben wir gethan!
Der Schuldbewußte fleht den Schutzgeist um Erbarmen,
Um Hülfe, wenigstens nur für Amanden, an:
Vergebens! Oberon ist nun der Unschuld Rächer,
Ist unerbittlich nun in seinem Strafgericht;
Verschwunden sind das Hifthorn und der Becher,
Die Pfänder seiner Huld; er hört, und rettet nicht.

21
Der Hauptmann ruft indeß das ganze Volk zusammen,
Und spricht: Ihr seht die allgemeine Noth;
Mit jedem Pulsschlag wird von Wasser, Wind und Flammen
Dem guten Schiff der Untergang gedroht.
Nie sah ich solchen Sturm! Der Himmel scheint zum Tod,
Vielleicht um Eines Schuld, uns alle zu verdammen;
Um Eines Frevlers Schuld, zum Untergang verflucht,
Den unter uns der Blitz des Rächers sucht.

22
So laßt uns denn durchs Loos den Himmel fragen
Was für ein Opfer er verlangt!
Ist einer unter euch dem vor der Wage bangt?
Wo jeder sterben muß hat keiner was zu wagen,
Er sprach's, und jedermann stimmt in den Vorschlag ein.
Der Priester bringt den Kelch; man wirft die Loose drein;
Rings um ihn her liegt alles auf den Knieen;
Er murmelt ein Gebet, und heißt nun jeden ziehen.

23
Geheimer Ahnung voll, doch mit entschloßnem Muth,
Naht Hüon sich, den zärtlichsten der Blicke
Auf Rezia gesenkt, die bang und ohne Blut,
Gleich einem Gypsbild steht. Er zieht, und—o Geschicke!
O Oberon! er zieht mit frost'ger bebender Hand
Das Todesloos. Verstummend schaut die Menge
Auf ihn; er liest, erblaßt, und ohne Widerstand
Ergiebt er sich in seines Schicksals Strenge.

24
Dein Werk ist dieß, ruft er zu Oberon empor;
Ich fühl', obwohl ich dich nicht sehe,
Erzürnter Geist, ich fühle deine Nähe!
Weh mir! du warntest mich, du sagtest mir's zuvor,
Gerecht ist dein Gericht! Ich bitte nicht um Gnade,
Als für Amanden nur! Ach! Sie ist ohne Schuld!
Vergieb ihr! Mich allein belade
Mit deinem ganzen Zorn, ich trag' ihn mit Geduld!

25
Ihr, die mein Tod erhält, schenkt eine fromme Zähre
Dem Jüngling, den der Sterne Mißgunst trifft!
Nicht schuldlos sterb' ich zwar, doch lebt' ich stets mit Ehre;
Ein Augenblick, wo ich, berauscht von süßem Gift,
Des Worts vergaß, das ich zu rasch geschworen,
Der Warnung, die zu spät in meinen bangen Ohren
Itzt wiederhallt—das allgemeine Loos
Der Menschheit, schwach zu seyn—ist mein Verbrechen bloß!

26
Schwer büß' ich's nun, doch klaglos! denn, gereuen
Des liebenswürdigen Verbrechens soll mich's nicht!
Ist Lieben Schuld, so mag der Himmel mir verzeihen!
Mein sterbend Herz erkennt nun keine andre Pflicht.
Was kann ich sonst als Liebe dir erstatten,
O du, die mir aus Liebe alles gab?
Nein! diese heil'ge Gluth erstickt kein Wellengrab!
Unsterblich lebt sie fort in deines Hüons Schatten.

27
Hier wird das Herz ihm groß; er hält die blasse Hand
Vors Aug', und schweigt. Und wer im Kreise stand,
Verstummt; kein Herz so roh, das nicht bey seinem Falle
Auf einen Augenblick von Mitleid überwalle.
Es war ein Blitz, der im Entstehn verschwand.
Sein Tod ist Sicherheit, ist Leben für sie alle;
Und da der Himmel selbst zum Opfer ihn ersehn,
Wer dürfte, sagen sie, dem Himmel widerstehn?

28
Der Sturm, der, seit dem ersten Augenblicke
Da Hüon sich das Todesurtheil sprach,
Besänftigt schien, kam itzt mit neuem Grimm zurücke.
Zersplittert ward der Mast, das Steuer brach.
Laßt, schreyt das ganze Schiff, laßt den Verbrecher sterben!
Der Hauptmann nähert sich dem Ritter: junger Mann,
Spricht er, du siehst daß dich Verzug nicht retten kann,
Stirb, weil es seyn muß, frey, und rett' uns vom Verderben!

29
Und mit entschloßnem Schritt naht sich der Paladin
Dem Bord des Schiffs. Auf einmahl stürzt die Schöne,
Die eine Weile her lebloser Marmor schien,
Gleich einer Rasenden durch alles Volk auf ihn:
Es weht im Sturm ihr Haar wie eines Löwen Mähne;
Mit hoch geschwellter Brust und Augen ohne Thräne
Schlingt sie den starken Arm in liebevoller Wuth
Um Hüon her, und reißt ihn mit sich in die Flut.

30
Verzweifelnd will, ihr nach, die treue Fatme springen.
Man hält sie mit Gewalt. Sie sieht die holden Zwey,
So fest umarmt, wie Reben sich umschlingen,
Schnell fortgewälzt nur schwach noch mit den Wogen ringen;
Und da sie nichts mehr sieht, erfüllt ihr Angstgeschrey
Das ganze Schiff. Wer kann ihr wiederbringen
Was sie verliert? Mit ihrer Königin
Ist alles was sie liebt und hofft auf ewig hin.

31
Indessen hatte kaum die aufgebrachten Wogen
Des Ritters Haupt berührt, so legt, o Wunder! Sich
Des Ungewitters Grimm; der Donner schweigt; entflogen
Ist der Orkane Schaar; das Meer, so fürchterlich
Kaum aufgebirgt, sinkt wieder bis zur Glätte
Des hellsten Teichs, wallt wie ein Lilienbette:
Das Schiff setzt seinen Weg mit Rudern munter fort,
Und, nur zwey Tage noch, so ruht's im sichern Port.

32
Wie aber wird es dir, du holdes Paar, ergehen,
Das, ohne Hoffnung, nun im offnen Meere treibt?
Erschöpft ist ihre Kraft; Besinnen, Hören, Sehen
Verschwunden—das Gefühl von ihrer Liebe bleibt.
So fest umarmt, als wären sie zusammen
Gewachsen, keines mehr sich seiner selbst bewußt,
Doch immer noch im andere athmend, schwammen
Sie, Mund auf Mund, dahin, und Brust an Brust.

33
Und kannst du, Oberon, sie unbeklagt erbleichen,
Du, einst ihr Freund, ihr Schutz, kannst sie verderben sehn?
Du siehst sie, weinst um sie,—und läßt dich nicht erweichen?
Er wendet sich und flieht—es ist um sie geschehn!
Doch, sorget nicht! Der Ring läßt sie nicht untergehn,
Sie werden unverletzt den nahen Strand erreichen;
Sie schützt der magische geheimnisvolle Ring,
Den Rezia aus Hüons Hand empfing.

34
Wer diesen Ring besitzt, das allgewaltige Siegel
Des großen Salomon, dem löscht kein Element
Das Lebenslicht; er geht durch Flammen ungebrennt;
Schließt ihn ein Kerker ein, so springen Schloß und Riegel
So bald er sie berührt; und will er von Trident
Im Nu zu Memfis seyn, so leiht der Ring ihm Flügel:
Nichts ist was der, der diesen Talisman
Am Finger hat, durch ihn nicht wirken kann.

35
Er kann den Mond von seiner Stelle rücken;
Auf offnem Markt, im hellsten Sonnenschein,
Hüllt ihn, so bald er will, auch selbst vor Geisterblicken,
Ein unsichtbarer Nebel ein.
Soll jemand vor ihm stehn, er darf den Ring nur drücken,
Es sey, den er erscheinen heißt,
Ein Mensch, ein Thier, ein Schatten oder Geist,
So steht er da, und muß sich seinem Winke bücken.

36
In Erd' und Luft, in Wasser und in Feuer,
Sind ihm die Geister unterthan;
Sein Anblick schreckt und zähmt die wildsten Ungeheuer,
Und selbst der Antichrist muß zitternd ihm sich nahn.
Auch kann durch keine Macht im Himmel noch auf Erden
Dem, der ihn nicht geraubt, der Ring entrissen werden:
Die Allgewalt, die in ihm ist, beschützt
Sich selbst und jede Hand, die ihn mit Recht besitzt.

37
Dieß ist der Ring der dich, Amanda, rettet,
Dich, und den Mann, der, durch der Liebe Band
Und deiner Arme Kraft an deine Brust gekettet,
Unwissend wie, an eines Eilands Strand
Dich und sich selbst, o Wunder! wiederfand.
Zwar hat euch hier der Zufall hart gebettet;
Die ganze Insel scheint vulkanischer Ruin,
Und nirgends ruht das Aug' auf Laub und frischem Grün.

38
Doch, dieß ist's nicht, was in den taumelnden Minuten
Der ersten Trunkenheit die Wonnevollen rührt.
So unverhofft, so wunderbar den Fluten
Entronnen, unversehrt an trocknes Land geführt,
Gerettet, frey, allein, sich Arm in Arm zu finden,
Dieß übermäßig große Glück
Macht alles um sie her aus ihren Augen schwinden:
Doch ruft ihr Zustand bald sie zum Gefühl zurück.

39
Durchnäßt bis auf die Haut, wie konnten sie vermeiden
Sich ungesäumt am Strande zu entkleiden?
Hoch stand die Sonn' und einsam war der Strand.
Allein, indeß ihr triefendes Gewand
An Felsen hängt, wohin dem Sonnenstrahl entfliehen,
Der deine Lilienhaut, Amanda, dörrt und sticht?
Der Sand brennt ihren Fuß, die schroffen Steine glühen,
Und ach! kein Baum, kein Busch, der ihr ein Obdach flicht!

40
Zuletzt entdeckt des Jünglings bangen Augen
Sich eine Felsenkluft. Er faßt Amanden auf
Und fliegt mit ihr dahin, trägt eilends Schilf zu Hauf
Und altes Moos (der Noth muß alles taugen)
Zur Lagerstatt, und wirft dann neben ihr sich hin.
Sie sehn sich seufzend an, und saugen
Eins aus des andern Augen Trost, für jede Noth
Die gegenwärtig drückt und in der Zukunft droht.

41
O Liebe, süßes Labsal aller Leiden
Der Sterblichen, du wonnevoller Rausch
Vermählter Seelen! welche Freuden
Sind deinen gleich?—Wie schrecklich war der Tausch,
Wie rasch der Übergang im Schicksal dieser beiden!
Einst Günstlinge des Glücks, von einem Fürstenthron
Geschleudert, bringen sie das Leben kaum davon,
Das nackte Leben kaum, und sind noch zu beneiden!

42
Der schimmerreichste Sahl, mit Königspracht geschmückt,
Hat nicht den Reitz von dieser wilden Grotte
Für Rezia—und Er, an ihre Brust gedrückt,
Fühlt sich unsterblich, wird zum Gotte
In ihrem Arm. Das halb verfaulte Moos,
Worauf sie ruhn, däucht sie das reichste Bette,
Und duftet lieblicher, als wenn Schasmin und Ros'
Und Lilienduft es eingebalsamt hätte.

43
O daß er enden muß, so gern das Herz ihn nährt,
Der süße Wahn! Zwar unbemerkt sind ihnen
Zwey Stunden schon entschlüpft: doch, die Natur begehrt
Nun andre Kost. Wer wird sie hier bedienen?
Unwirthbar, unbewohnt ist dieser dürre Strand,
Nichts das den Hunger täuscht wird um und um gefunden;
Und ach! ergrimmt zog Oberon die Hand
Von ihnen ab—der Becher ist verschwunden!

44
Mit unermüdetem Fuß besteigt der junge Mann
Die Klippen rings umher, und schaut so weit er kann:
Ein schreckliches Gemisch von Felsen und von Klüften
Begegnet seinem Blick, wohin er thränend blinkt.
Da lockt kein saftig Grün aus blumenvollen Triften,
Da ist kein Baum, der ihm mit goldnen Früchten winkt!
Kaum daß noch Heidekraut und dünne Brombeerhecken
Und Disteln hier und da den kahlen Grund verstecken.

45
So soll ich, ruft er aus, und beißt vor wilder Pein
Sich in die Lippen, ach! so soll ich denn mit leeren
Trostlosen Händen wiederkehren,
Zu ihr, für die mein Leben noch allein
Erhaltenswürdig war? Ich, ihre einzige Stütze,
Ich, der mit jedem Herzensschlag
Ihr angehört, bin nur um einen einzigen Tag
Ihr Leben noch zu fristen ihr nicht nütze!

46
Verschmachten soll ich dich vor meinen Augen sehn,
Du Wunder der Natur, so liebevoll, so schön!
Verschmachten! Dich, die bloß um meinetwillen
So elend ist! für mich so viel verließ!
Dir, der dein Stern das schönste Loos verhieß,
Eh' dich des Himmels Zorn in meine Arme stieß,
Dir bleibt (hier fing er an vor Wuth und Angst zu brüllen)
Bleibt nicht so viel—den Hunger nur zu stillen!

47
Laut schrie er auf in unnennbarem Schmerz;
Dann sank er hin, und lag in fürchterlicher Stille.
Doch endlich fällt ein Strahl von Glauben in sein Herz:
Er rafft sich aus des Trübsinns schwarzer Hülle,
Spricht Muth sich ein, und fängt mit neuem Eifer an
Zu suchen. Lang' umsonst! Schon schmilzt im Ocean
Der Sonnenrand zu Gold—auf einmahl, o Entzücken!
Entdeckt die schönste Frucht sich seinen gier'gen Blicken.

48
Halb unter Laub versteckt, halb glühend angestrahlt,
Sah er an breit beraubten Ranken,
Melonen gleich, sie auf die Erde wanken,
Einladend von Geruch, und wunderschön bemahlt.
Wie hält er reichlich sich für alle Müh bezahlt!
Er eilt hinzu, und bricht sie; glänzend danken
Zum Himmel seine Augen auf,
Und Freudetrunkenheit beflügelt seinen Lauf.

49
Amanden, die drey tödtlich lange Stunden
An diesem öden Strand, wo alles Furcht erweckt,
Wo jeder Laut bedroht und selbst die Stille schreckt,
Sich ohne den, der nun ihr Alles ist, befunden,
Ihr war ein Theil der langen Zeit verschwunden,
Zum Lager, wie es hier die Noth der Liebe deckt,
Mit ungewohntem Arm vom Ufer ganze Lagen
Von Meergras, Schilf und Moos der Höhle zuzutragen.

50
Matt wie sie war, erschöpfte diese Müh
Noch ihre letzte Kraft; es brachen ihr die Knie;
Sie sinkt am Ufer hin, und lechzt mit dürrem Gaumen.
Vom Hunger angenagt, von heißem Durst gequält,
An diesem wilden Ort, wo ihr's an allem fehlt,
Wie angstvoll ist ihr Loos! Wo mag ihr Hüon säumen?
Wenn ihn ein Unfall traf? vielleicht ein reißend Thier?
Es nur zu denken, raubt den Rest von Leben ihr!

51
Die schrecklichsten der Möglichkeiten
Mahlt ihr die Fantasie mit warmen Farben vor.
Umsonst bemüht sie sich mit ihrer Furcht zu streiten,
Ein Wellenschlag erschreckt ihr unglückahnend Ohr.
Zuletzt, so schwach sie ist, keicht sie mit Müh empor
Auf eines Felsen Stirn, und schaut nach allen Seiten,
Und mit dem letzten Sonnenblick
Entdeckt sie ihn—Er ist's! er kommt zurück!

52
Auch Er sieht sie die Arme nach ihm breiten,
Und zeigt ihr schon von fern die schöne goldne Frucht.
Von keiner schönern ward, in jenen Kindheitszeiten
Der Welt, das erste Weib im Paradies versucht.
Er hält, wie im Triumf, sie in den letzten Strahlen
Der Sonn' empor, die ihre glatte Haut
Mit flammengleichem Roth bemahlen,
Indeß Amanda kaum den frohen Augen traut.

53
So läßt sich unsrer Noth der Himmel doch erbarmen!
Ruft sie, und eine große Thräne blinkt
In ihrem Aug'; und eh' die Thräne sinkt
Ist Hüon schon in ihren offnen Armen.
Ihr schwacher Ton, und daß sie halb entseelt
An seinen Busen schwankt, heißt ihren Retter eilen.
Sie lagern sich; und, weil ein ander Werkzeug fehlt,
Braucht er sein Schwert die schöne Frucht zu theilen.

54
Hier zittert mir der Griffel aus der Hand!
Kannst du, zu strenger Geist, in solchem Jammerstand
Noch spotten ihrer Noth, noch ihre Hoffnung trügen?
Faul, durch und durch, und gallenbitter war
Die schöne Frucht!—Und bleich, wie in den letzten Zügen
Ein Sterbender erbleicht, sieht das getäuschte Paar
Sich trostlos an, die starren Augen offen,
Als hätt' aus heitrer Luft ein Donner sie getroffen.

55
Ein Strom von bittern Thränen stürzt mit Wuth
Aus Hüons Aug': von jenen furchtbarn Thränen,
Die aus dem halb gestockten Blut
Verzweiflung preßt, mit Augen voller Gluth,
Und gichtrisch zuckendem Mund und grimmvoll klappernden Zähnen.
Amanda, sanft und still, doch mit gebrochnem Muth,
Die Augen ausgelöscht, die Wangen welk, zu Scherben
Die Lippen ausgedörrt—Laß, spricht sie, laß mich sterben!

56
Auch Sterben ist an deinem Herzen süß;
Und Dank dem Rächer, der in seinem Grimme,
So streng er ist, doch diesen Trost mir ließ!
Sie sagt's mit schwacher halb erstickter Stimme,
Und sinkt an seine Brust. So sinkt im Sturm zerknickt
Der Lilie welkend Haupt. Von Lieb' und Angst verrückt
Springt Hüon auf, und schließt die theure Seele
In seinen Arm, und trägt sie nach der Höhle.

57
Ach! Einen Tropfen Wassers nur,
Gerechter Gott! schreyt er, halb ungeduldig,
Halb flehend, auf—Ich, ich allein, bin schuldig!
Mich treff' allein dein Zorn! mir werde die Natur
Ringsum zum Grab, zum offnen Höllenrachen!
Nur schone Sie! O leit' auf einer Quelle Spur
Den dunkeln Fuß! Ein wenig Wassers nur,
Ihr Leben wieder anzufachen!

58
Er geht aufs neu zu suchen aus, und schwört,
Sich eher selbst, von Durst und Hunger aufgezehrt,
In diesen Felsen zu begraben,
Eh' er mit leerer Hand zur Höhle wiederkehrt.
Er, ruft er weinend, der die jungen Raben
Die zu ihm schrey'n erbarmend hört,
Er kann sein schönstes Werk nicht hassen,
Er wird gewiß, gewiß, dich nicht verschmachten lassen!

59
Kaum sprach er's aus, so kommt's ihm vor
Als hör' er wie das Rieseln einer Quelle
Nicht fern von ihm. Er lauscht mit scharfem Ohr;
Es rieselt fort—Entzückt dankt er empor,
Und sucht umher; und, bey der schwachen Helle
Der Dämmerung, entdeckt er bald die Stelle.
In eine Muschel faßt er auf den süßen Thau,
Und eilt zurück, und labt die fast verlechzte Frau.

60
Gemächlicher des Labsals zu genießen,
Trägt er sie selbst zur nahen Quelle hin.
Es war nur Wasser—doch, dem halb erstorbnen Sinn
Scheint Lebensgeist den Gaum hinab zu fließen,
Däucht jeder Zug herzstärkender als Wein
Und süß wie Milch und sanft wie Öhl zu seyn;
Es hat die Kraft zu speisen und zu tränken,
Und alles Leiden in Vergessenheit zu senken.

61
Erquickt, gestärkt, und neuen Glaubens voll
Erstatten sie dem, der zum zweyten Mahle
Sie nun dem Tod entriß, des Dankes frohen Zoll;
Umarmen sich, und, nach der letzten Schale,
Strickt unvermerkt, am Quell auf kühlem Moos,
Der süße Tröster alles Kummers
Das Band der müden Glieder los,
Und lieblich ruhn sie aus im weichen Arm des Schlummers.

62
Kaum spielt die Morgendämmerung
Um Hüons Stirn, so steht er auf, und eilet
Auf neues Forschen aus; wagt manchen kühnen Sprung
Wo den zerrißnen Fels ein jäher Absturz theilet;
Spürt jeden Winkel durch, stets sorgsam daß er ja
Den Rückweg zu Amanden nicht verliere,
Und kummervoll, da er für Menschen und für Thiere
Das Eiland überall ganz unbewohnbar sah.

63
Ihn führt zuletzt südostwärts von der Höhle
Ein krummer Pfad in eine kleine Bucht;
Und im Gebüsch, das eine Felsenkehle
Umkränzt, entdeckt sich ihm, beschwert mit reifer Frucht,
Ein Dattelbaum. So leicht, wie, auf der Flucht
Zum Himmel, eine arme Seele
Die aus des Fegfeu'rs Pein und strenger Gluth entrann,
Klimmt er den Baum hinauf als stieg' er himmelan;

64
Und bricht der süßen Frucht so viel in seine Taschen
Sich fassen ließ, springt dann herab und fliegt,
Als gält's ein Reh in vollem Lauf zu haschen,
Das holde Weib, das stets in seinem Sinne liegt,
So wie sie munter wird, damit zu überraschen.
Noch lag sie, als er kam, schön in sich selbst geschmiegt,
In sanftem Schlaf; ihr glühn wie Rosen ihre Wangen,
Und kaum hält ihr Gewand den Busen halb gefangen.

65
Entzückt in süßes Schau'n, den reinsten Liebsgenuß,
Steht Hüon da, als wie der Genius
Der schönen Schläferin; betrachtet,
Auf sie herab gebückt, mit liebevollem Geitz
Das engelgleiche Bild, den immer neuen Reitz;
Dieß ist, die, ihm zu Lieb', ein Glück für nichts geachtet,
Dem, wer's erreichen mag, sonst alles, unbedingt,
Was theu'r und heilig ist zum frohen Opfer bringt!

66
"Um einen Thron hat Liebe dich betrogen!
Und, ach! wofür?—Du, auf dem weichen Schooß
Der Asiat'schen Pracht wollüstig auferzogen,
Liegst nun auf hartem Fels, der weite Himmelsbogen
Dein Baldachin, dein Bett ein wenig Moos;
Vor Wittrung unbeschützt und jedem Zufall bloß,
Noch glücklich, hier, wo Disteln kaum bekleiben,
Mit etwas wilder Frucht den Hunger zu betäuben!

67
"Und Ich—der, in des Schicksals strenger Acht,
Mit meinem Unglück, was mir nähert, anzustecken
Verurtheilt bin—anstatt vor Unfall dich zu decken,
Ich habe dich in diese Noth gebracht!
So lohn' ich dir was du für mich gegeben,
Für mich gewagt? Ich Unglücksel'ger, nun
Dein Alles in der Welt, was kann ich für dich thun,
Dem selbst nichts übrig blieb als dieses nackte Leben?"

68
Dieß quälende Gefühl wird unfreiwillig laut,
Und weckt aus ihrem Schlaf die anmuthsvolle Braut.
Das erste was sie sieht, ist Hüon, der, mit Blicken
In denen Freud' und Liebestrunkenheit
Den tiefern Gram nur halb erdrücken,
In ihren Schooß des Palmbaums Früchte streut.
Die magre Kost und eine Muschelschale
Voll Wassers macht die Noth zu einem Göttermahle.

69
Zum Göttermahl! Denn ruhet nicht ihr Haupt
An Hüons Brust? Hat Er sie nicht gebrochen,
Die süße Frucht? nicht Er des Schlummers sich beraubt,
Und ihr zu Lieb' so manche Kluft durchkrochen?
So rechnet ihm die Liebe alles an,
Und schätzt nur das gering, was sie für ihn gethan.
Die Wolken zu zerstreun, die seine Stirn umdunkeln,
Läßt sie ihr schönes Aug' ihm lauter Freude funkeln.

70
Er fühlt den Überschwang von Lieb' und Edelmuth
In ihrem zärtlichen Betragen;
Und mit bethräntem Aug' und Wangen ganz in Gluth
Sinkt er an ihren Arm. O sollt' ich nicht verzagen,
Ruft er, mich selbst nicht hassen, nicht
Verwünschen jeden Stern, der auf die Nacht geschimmert
Die mir das Leben gab, verwünschen jenes Licht
Als ich im Mutterarm zum ersten Mahl gewimmert?

71
Dich, bestes Weib, durch mich, durch mein Vergehn,
Von jedem Glück herab gestürzt zu sehn,
Von jedem Glück, das dir zu Bagdad lachte,
Von jedem Glück, das ich dich hoffen machte
In meinem väterlichen Land!
Erniedrigt—dich!—zu diesem dürftigen Stand!
Und noch zu sehn, wie du dieß alles ohne Klagen
Erträgst—Es ist zu viel! Ich kann es nicht ertragen!

72
Ihn sieht mit einem Blick, worin der Himmel sich
Ihm öffnet, voll von dem, was kaum ihr Busen fasset,
Amanda an: Laß, spricht sie, Hüon, mich
Aus dem geliebten Mund was meine Seele hasset
Nie wieder hören! Klage dich
Nicht selber an, nicht den, der was uns drücket
Uns nur zur Prüfung, nicht zur Strafe zugeschicket;
Er prüft nur die er liebt, und liebet väterlich.

73
Was uns seit jenem Traum, der Wiege unsrer Liebe,
Begegnet ist, ist's nicht Beweis hiervon?
Nenn, wie du willst, den Stifter unsrer Triebe,
Vorsehung, Schicksal, Oberon,
Genug, ein Wunder hat dich mir, mich dir gegeben!
Ein Wunder unser Bund, ein Wunder unser Leben!
Wer führt' aus Bagdad unversehrt
Uns aus? Wer hat der Flut, die uns verschlang, gewehrt?

74
Und als wir, sterbend schon, so unverhofft den Wogen
Entrannen, sprich, wer anders als die Macht
Die uns beschützt, hat uns bisher bedacht?
Aus ihrer Brust hab' ich's gesogen,
Das Wasser, das in dieser bangen Nacht
Mein kaum noch glimmend Licht von neuem angefacht!
Gewiß auch dieses Mahl, das unser Leben fristet,
Hat eine heimliche wohlthät'ge Hand gerüstet!

75
Wofür, wenn unser Untergehn
Beschlossen ist, wofür wär' alles dieß geschehn?
Mir sagt's mein Herz, ich glaub's, und fühle was ich glaube,
Die Hand, die uns durch dieses Dunkel führt,
Läßt uns dem Elend nicht zum Raube.
Und wenn die Hoffnung auch den Ankergrund verliert,
So laß uns fest an diesem Glauben halten;
Ein einz'ger Augenblick kann alles umgestalten!

76
Doch, laß das ärgste seyn! Sie ziehe ganz sich ab,
Die Wunderhand, die uns bisher umgab;
Laß seyn, daß Jahr um Jahr sich ohne Hülf' erneue,
Und deine liebende getreue
Amande finde hier auf diesem Strand ihr Grab;
Fern sey es, daß mich je, was ich gethan, gereue!
Und läge noch die freye Wahl vor mir,
Mit frohem Muth ins Elend folgt' ich dir!

77
Mir kostet's nichts von allem mich zu scheiden
Was ich besaß; mein Herz und deine Lieb' ersetzt
Mir alles; und, so tief das Glück herab mich setzt,
Bleibst Du mir nur, so werd' ich keine neiden
Die sich durch Gold und Purpur glücklich schätzt.
Nur, daß Du leidest, ist Amandens wahres Leiden!
Ein trüber Blick, ein Ach, das dir entfährt,
Ist was mir tausendfach die eigne Noth erschwert.

78
Sprich nicht von dem was ich für dich gegeben,
Für dich gethan! Ich that was mir mein Herz gebot,
That's für mich selbst, der zehenfacher Tod
Nicht bittrer ist als ohne dich zu leben.
Was unser Schicksal ist, hilft deine Liebe mir,
Hilft meine Liebe dir ertragen;
So schwer es sey, so unerträglich—hier
Ist meine Hand!—ich will's mit Freuden tragen.

79
Mit jedem Auf—und Niedergehn
Der Sonne soll mein Fleiß sich mit dem deinen gatten;
Mein Arm ist stark; er soll, dir beyzustehn
In jeder Arbeit, nie ermatten!
Die Liebe, die ihn regt, wird seine Kraft erhöhn,
Wird den geringsten Dienst mit Munterkeit erstatten.
So lang' ich dir zum Trost, zum Glück genugsam bin,
Tauscht' ich mein schönes Loos mit keiner Königin.

80
So sprach das beste Weib, und drückt mit keuschen Lippen
Das Siegel ihres Worts auf den geliebten Mund;
Und mit dem Kuß verwandeln sich die Klippen
Um Hüon her; der rauhe Felsengrund
Steht wieder zum Elysium umgebildet,
Verweht ist jede Spur der nackten Dürftigkeit;
Das Ufer scheint mit Perlen überstreut,
Ein Marmorsahl die Gruft, der Felsen übergüldet.

81
Von neuem Muth fühlt er sein Herz geschwellt.
Ein Weib wie dieß ist mehr als eine Welt.
Mit hoher himmelathmender Wonne
Drückt er dieß volle Herz an ihre offne Brust,
Ruft Erd' und Meer, und dich, allsehende Sonne,
Zu Zeugen seines Schwurs: "Ich schwör's auf diese Brust,
Den heiligen Altar der Unschuld und der Treue,
Vertilgt mich, ruft er aus, wenn ich mein Herz entweihe!

82
"Wenn je dieß Herz, worin dein Nahme brennt,
Der Tugend untreu wird, und deinen Werth verkennt,
Dich je, so lang' dieß Prüfungsfeuer währet,
Durch Kleinmuth quält, durch Zagheit sich entehret,
Je lässig wird, geliebtes Weib, für dich
Das äußerste zu leiden und zu wagen:
Dann, Sonne, waffne dich mit Blitzen gegen mich,
Und möge Meer und Land die Zuflucht mir versagen!"

83
Er sprach's, und ihn belohnt mit einem neuen Kuß
Das engelgleiche Weib. Sie freu'n sich ihrer Liebe,
Und stärken wechselsweis' einander im Entschluß,
So hart des Schicksals Herr auch ihre Tugend übe,
Mit festem Muth und eiserner Geduld
Auf beßre Tage sich zu sparen,
Und blindlings zu vertraun der allgewaltigen Huld,
Von der sie schon so oft den stillen Schutz erfahren.

84
Von beiden wurde noch desselben Tags die Bucht,
Die ihren Palmbaum trug, mit großem Fleiß durchsucht,
Und fünf bis sechs von gleicher Art gefunden,
Die hier und da voll goldner Trauben stunden.
Das frohe Paar, hierin den Kindern gleich,
Dünkt mit dem kleinen Schatz sich unermeßlich reich;
Bey süßem Scherz und fröhlichem Durchwandern
Des Palmenthals verfliegt ein Abend nach dem andern.

85
Allein der Vorrath schwand; ein Jahr, ein Jahr mit Bley
An Füßen, braucht's ihn wieder zu ersetzen,
Und, ach! mit jedem Tag wird ihr Bedürfniß neu.
Arm kann die Liebe sich bey Wenig glücklich schätzen,
Bedarf nichts außer sich, als was Natur bedarf
Den Lebensfaden fortzuspinnen;
Doch, fehlt auch dieß, dann nagt der Mangel doppelt scharf,
Und die allmächtigste Bezaubrung muß zerrinnen.

86
Mit Wurzeln, die allein der Hunger eßbar macht,
Sind sie oft manchen Tag genöthigt sich zu nähren.
Oft, wenn, vom Suchen matt, der junge Mann bey Nacht
Zur Höhle wiederkehrt, ist eine Hand voll Beeren,
Ein Mewen-Ey, geraubt im steilen Nest,
Ein halb verzehrter Fisch, vom gier'gen Wasserraben
Erbeutet, alles, was das Glück ihn finden läßt,
Sie, die sein Elend theilt, im Drang der Noth zu laben.

87
Doch dieser Mangel ist's nicht einzig der sie kränkt.
Es fehlt bey Tag und Nacht an tausend kleinen Dingen,
An deren Werth man im Besitz nicht denkt,
Wiewohl wir, ohne sie, mit tausend Nöthen ringen.
Und dann, so leicht bekleidet wie sie sind,
Wo sollen sie vor Regen, Sturm und Wind,
Vor jedem Ungemach des Wetters sicher bleiben,
Und wie des Winters Frost fünf Monden von sich treiben?

88
Schon ist der Bäume Schmuck der spätern Jahrszeit Raub,
Schon klappert zwischen dürrem Laub
Der rauhe Wind, und graue Nebel hüllen
Der Sonne kraftberaubtes Licht,
Vermischen Luft und Meer, und ungestümer brüllen
Die Wellen am Gestad, das kaum ihr Wüthen bricht;
Oft, wenn sie grimmbeschäumt den harten Fesseln zürnen,
Spritzt der zerstäubte Strom bis an der Felsen Stirnen.

89
Die Noth treibt unser Paar aus ihrer stillen Bucht
Nun höher ins Gebirg. Doch, wo sie hin sich wenden,
Umringet sie von allen Enden
Des dürren Hungers Bild, und sperret ihre Flucht.
Ein Umstand kommt dazu, der sie mit süßen Schmerzen
Und banger Lust in diesem Jammerstand
Bald ängstigt, bald entzückt—Amanda trägt das Pfand
Von Hüons Liebe schon drey Monden unterm Herzen.

90
Oft, wenn sie vor ihm steht, drückt sie des Gatten Hand
Stillschweigend an die Brust, und lächelnd hält sie Thränen
Zurück im ernsten Aug'. Ein neues zartres Band
Webt zwischen ihnen sich. Sie fühlt ein stilles Sehnen
Voll neuer Ahnungen den Mutterbusen dehnen;
Was innigers als was sie je empfand,
Ein dunkles Vorgefühl der mütterlichen Triebe,
Durchglüht, durchschaudert sie, und heiligt ihre Liebe.

91
Dieß süße Liebespfand ist ihr ein Pfand zugleich,
Sie werde nicht von Dem verlassen werden,
Der was er schafft in seinem großen Reich
Als Vater liebt. Gern trägt sie die Beschwerden
Des ungewohnten Stands, verbirgt behutsam sie
Vor Hüons Blick, und zeigt ihm ihren Kummer nie,
Läßt lauter Hoffnung ihn im heitern Auge schauen,
Und nährt in seiner Brust das schmachtende Vertrauen.

92
Zwar er vergaß des hohen Schwures nicht,
Den er dem Himmel und Amanden zugeschworen:
Doch desto tiefer liegt das drückende Gewicht;
Denn Sorgen ist nun doppelt seine Pflicht.
Bedarf es mehr sein Herz mit Dolchen zu durchbohren,
Als dieses rührende Gesicht?
Zeigt die gehoffte Hülf' in kurzer Zeit sich nicht,
So ist sein Weib, sein Kind, zugleich mit ihm verloren.

93
Schon viele Wochen lang verstrich
Kein Tag, an dem er nicht wohl zwanzigmahl den Rücken
Der Felsengruft bestieg, ins Meer hinaus zu blicken,
Sein letzter Trost! Allein, vergebens stumpft' er sich
Die Augen ab, im Schooß der grenzenlosen Höhen
Mit angestrengtem Blick ein Fahrzeug zu erspähen;
Die Sonne kam, die Sonne wich,
Leer war das Meer, kein Fahrzeug ließ sich sehen.

94
Itzt blieb ein einzigs noch. Es schien unmöglich zwar,
Doch, was ist dem der um sein Alles kämpfet
Unmöglich? Würde Jedes Haar
Auf seinem Kopf ein Tod, sein Muth blieb' ungedämpfet.
Von diesem Fels, worauf ihn Oberon verbannt,
War eine Seite noch ihm gänzlich unbekannt;
Ein fürchterlich Gemisch von Klippen und Ruinen
Beschützte sie, die unersteiglich schienen.

95
Itzt, da die Noth ihm an die Seele dringt,
Itzt scheinen sie ihm leicht erstiegne Hügel;
Und wären's Alpen auch, so hat die Liebe Flügel.
Vielleicht, daß ihm das Wagestück gelingt,
Daß sein hartnäck'ger Muth durch alle diese wilde
Verschanzung der Natur sich einen Weg erzwingt,
Der ihn in fruchtbare Gefilde,
Vielleicht zu freundlichen mitleid'gen Wesen bringt.

96
Amanden eine Last von Sorgen zu ersparen,
Verbirgt er ihr das ärgste der Gefahren,
In die er sich, zu ihrer beider Heil,
Begeben will. Sie selbst trägt ihren Theil
Von Leiden still. Sie sprachen nichts beym Scheiden,
Als, lebe wohl! so voll gepreßt war beiden
Das Herz; doch zeigt sein Aug' ihr eine Zuversicht,
Die wie ein Sonnenstrahl durch ihren Kummer bricht.

97
Da steht er nun am Fuß der aufgebirgten Zacken!
Sie liegen vor ihm da wie Trümmern einer Welt.
Ein Chaos ausgebrannter Schlacken,
In die ein Feuerberg zuletzt zusammen fällt,
Mit Felsen untermischt, die, tausendfach gebrochen,
In wilder ungeheurer Pracht,
Bald tief bis ins Gebiet der alten finstern Nacht
Herunter dräun, bald in die Wolken pochen.

98
Hier bahnet nur Verzweiflung einen Weg!
Oft muß er Felsen an sich mit den Händen winden,
Oft, zwischen schwindlig tiefen Schlünden,
Macht er, den Gemsen gleich, die Klippen sich zum Steg;
Bald auf dem schmalsten Pfad verrammeln Felsenstücke
Ihm Weg und Licht, er muß, so müd' er ist, zurücke,
Bald wehrt allein ein Strauch, den mit zerrißner Hand
Er fallend noch ergreift, den Sturz von einer Wand.

99
Wenn seine Kraft ihn schier verlassen will,
Ruft die entflohnen Lebensgeister
Amandens Bild zurück. Schwer athmend steht er still,
Und denkt an Sie, und fühlt sich neuer Kräfte Meister.
Es bleibt nicht unbelohnt, dieß echte Heldenherz!
Allmählich ebnet sich der Pfad vor seinen Tritten,
Und gegen das, was er bereits erstritten,
Ist, was zu kämpfen ihm noch übrig ist, nur Scherz.

Achter Gesang

1
Erstiegen war nunmehr der erste von den Gipfeln,
Und vor ihm liegt, gleich einem Felsensahl,
Hoch überwölbt von alten Tannenwipfeln,
In stiller Dämmerung ein kleines schmales Thal.
Ein Schauder überfällt den matten
Erschöpften Wanderer, indem sein wankender Schritt
Dieß düstre Heiligthum der Einsamkeit betritt;
Ihm ist, er tret' ins stille Reich der Schatten.

2
Bald leitet ihn ein sanft gekrümmter Pfad,
Der sich allmählich senkt, zu einer schmalen Brücke.
Tief unter ihr rollt über Felsenstücke
Ein weiß beschäumter Strom, gleich einem Wasserrad.
Herr Hüon schreitet unverdrossen
Den Berg hinan, auf den die Brücke führt,
Und sieht sich unvermerkt in Höhen eingeschlossen,
Wo bald die Möglichkeit des Auswegs sich verliert.

3
Der Pfad auf dem er hergekommen
Wird, wie durch Zauberey, aus seinem Aug' entrückt!
Lang' irrt er suchend um, von stummer Angst beklommen,
Bis durchs Gesträuch, das aus den Spalten nickt,
Sich eine Öffnung zeigt, die (wie er bald befindet)—
Der Anfang ist von einem schmalen Gang
Der durch den Felsen sich um eine Spindel windet,
Fast senkrecht, mehr als hundert Stufen lang.

4
Kaum hat er athemlos den letzten Tritt erstiegen,
So stellt ein Paradies sich seinen Augen dar;
Und vor ihm steht ein Mann von edeln ernsten Zügen,
Mit langem weißem Bart und silberweißem Haar.
Ein breiter Gürtel schließt des braunen Rockes Falten,
Und an dem Gürtel hängt ein langer Rosenkranz.
Bey diesem Ansehn war's, an solchem Orte, ganz
Natürlich, ihn sogleich für was er war zu halten.

5
Doch Hüon—schwach vor Hunger, und erstarrt
Vor Müdigkeit, und nun, in diesen wilden Höhen,
Wo er so lang' umsonst auf Menschenanblick harrt,
Und von der Felsen Stirn, die ringsum vor ihm stehen,
Uralte Tannen nur auf ihn herunter wehen,
Auf einmahl überrascht von einem weißen Bart—
Glaubt wirklich ein Gesicht zu sehen,
Und sinkt zur Erde hin vor seiner Gegenwart.

6
Der Eremit, kaum weniger betroffen
Als Hüon selbst, bebt einen Schritt zurück;
Doch spricht er, schnell gefaßt: Hast du, wie mich dein Blick
Und Ansehn glauben heißt, Erlösung noch zu hoffen
Aus deiner Pein, so sprich, was kann ich für dich thun,
Gequälter Geist? wie kann ich für dich büßen,
Um jenen Port dir aufzuschließen
Wo, unberührt von Qual, die Frommen ewig ruhn?

7
So bleich und abgezehrt, mit Noth und Gram umfangen
Als Hüon schien, war der Verstoß, in den
Der alte Vater fiel, nur allzu leicht begangen.
Allein, wie beide sich recht in die Augen sehn,
Und als der Greis aus Hüons Mund vernommen
Was ihn hierher gebracht, wiewohl sein Anblick schon
Ihm alles sagt, umarmt er ihn wie einen Sohn,
Und heißt recht herzlich ihn in seiner Klaus' willkommen;

8
Und führt ihn ungesäumt zu einem frischen Quell,
Der, rein wie Luft und wie Krystallen hell,
Ganz nah an seinem Dach aus einem Felsen quillet;
Und während Hüon ruht und seinen Durst hier stillet,
Eilt er und pflückt in seinem kleinen Garten
In einen reinlichen Korb die schönsten Früchte ab,
Die, für den Fleiß sie selbst zu bauen und zu warten,
Nicht kärglich ihm ein milder Himmel gab;

9
Und hört nicht auf ihm sein Erstaunen zu bezeigen,
Wie einem, der sich nicht zwey Flügel angeschraubt,
Es möglich war die Felsen zu ersteigen,
Wo, dreyßig Jahre schon, er sich so einsam glaubt
Als wie in seinem Grab. "Es ist ein wahres Zeichen
Daß euch ein guter Engel schützt;
Allein, setzt er hinzu, das nöthigste ist itzt
Dem jungen Weibe die Hand des Trosts zu reichen.

10
"Ein sichrer Pfad, wiewohl so gut versteckt,
Daß ohne mich ihn niemand leicht entdeckt,
Soll in der Hälfte Zeit, die du herauf zu dringen
Gebrauchtest, dich zu ihr, zurück euch beide bringen.
Was meine Hütte, was mein kleines Paradies
Zu eurer Nothdurft hat, ist herzlich euch erboten.
Glaubt, auch auf Heidekraut schmeckt Ruh der Unschuld süß,
Und reiner fließt das Blut bey Kohl und magern Schoten."

11
Herr Hüon dankt dem gütigen alten Mann,
Der seinen Stab ergreift ihm selbst den Weg zu zeigen;
Und, daß der Rückweg ihn nicht irre machen kann,
Bezeichnet er den Pfad mit frischen Tannenzweigen.
Noch eh' ins Abendmeer die goldne Sonne sinkt,
Hat den erseufzten Berg Amanda schon erstiegen,
Wo sie mit durstigen weit ausgehohlten Zügen
Den milden Strom des reinsten Himmels trinkt.

12
In eine andre Welt, ins Zauberland der Feen,
Glaubt sie versetzt zu seyn; ihr ist als habe sie
Den Himmel nie so blau, so grün die Erde nie,
Die Bäume nie so frisch belaubt gesehen:
Denn hier, in hoher Felsen Schutz
Die sich im Kreis um diesen Lustort ziehen,
Beut noch der Herbst dem Wind von Norden Trutz,
Und Feigen reifen noch, und Pomeranzen blühen.

13
Mit ehrfurchtbebender Brust, wie vor dem Genius
Des heil'gen Orts, fällt vor dem eisgrau'n Alten
Amanda hin, und ehrt die dürre Hand voll Falten,
Die er ihr freundlich reicht, mit einem frommen Kuß.
In unfreiwilligem Erguß
Muß ihn ihr Herz für einen Vater halten:
Die Furcht ist schon beym zweyten Blick verbannt;
Ihr ist, sie hätten sich ihr Leben lang gekannt.

14
In seinem Ansehn war die angeborne Würde,
Die, unverhüllbar, auch durch eine Kutte scheint;
Sein offner Blick war aller Wesen Freund,
Und schien gewohnt, wiewohl der Jahre Bürde
Den Nacken sanft gekrümmt, stets himmelwärts zu schau'n;
Der innre Friede ruht auf seinen Augenbrau'n,
Und wie ein Fels, zu dem sich Wolken nie erheben,
Scheint überm Erdentand die reine Stirn zu schweben.

15
Den Rost der Welt, der Leidenschaften Spur,
Hat längst der Fluß der Zeit von ihr hinweg gewaschen.
Fiel' eine Kron' ihm zu, und es bedürfte nur
Sie mit der Hand im Fallen aufzuhaschen,
Er streckte nicht die Hand. Verschlossen der Begier,
Von keiner Furcht, von keinem Schmerz betroffen,
Ist nur dem Wahren noch die heitre Seele offen,
Nur offen der Natur, und rein gestimmt zu ihr.

16
Alfonso nannt' er sich, bevor er aus den Wogen
Der Welt geborgen ward, und Leon war das Land
Das ihn gebar. Zum Fürstendienst erzogen,
Lief er mit Tausenden, vom Schein wie sie betrogen,
Dem Blendwerk nach, das immer vor der Hand
Ihm schwebte, immer im Ergreifen ihm entschwand,
Dem schimmernden Gespenst, das ewig Opfer heischet,
Und, gleich dem Stein der Narr'n, die Hoffnung ewig täuschet.

17
Und als er dergestalt des Lebens beste Zeit
Im Rausch des Selbstbetrugs an Könige verpfändet,
Und Gut und Blut, mit feur'ger Willigkeit
Und unerkannter Treu', in ihrem Dienst verschwendet,
Sah er ganz unverhofft, im schönsten Morgenroth
Der Gunst, durch schnellen Fall sich frey von seinen Ketten;
Noch glücklich, aus der Schiffbruchsnoth
Das Leben wenigstens auf einem Bret zu retten.

18
In diesem Sturm, der alles ihm geraubt,
Blieb ihm ein Schatz, wodurch (ganz gegen Hofes Sitte)
Alfonso sich vollkommen schadlos glaubt,
Ein liebend Weib, ein Freund, und eine Hütte.
Laß, Himmel, diese mir! war nun die einz'ge Bitte,
Die sein befriedigt Herz zu wagen sich erlaubt.
Zehn Jahre lang ward ihm, was er sich bat, gegeben;
Allein, sein Schicksal war, auch dieß zu überleben.

19
Drey Söhn', im vollen Trieb der ersten Jugendkraft,
Der eignen Jugend Bild, die Hoffnung grauer Jahre,
Sie wurden durch die Pest ihm plötzlich weggerafft.
Bald legt auch Schmerz und Gram die Mutter auf die Bahre.
Er lebt, und niemand ist der mit dem Armen weint,
Denn ach! verlassen hat ihn auch sein letzter Freund!
Er steht allein. Die Welt die ihn umgiebet
Ist Grab—von allem Grab, was er, was ihn geliebet.

20
Er steht, ein einsamer vom Sturm entlaubter Baum,
Die Quellen sind versiegt, wo seine Freuden quollen.
Wie hätt' ihm itzt die Hütte, wo er kaum
Noch glücklich war, nicht schrecklich werden sollen?
Was ist ihm nun die Welt? Ein weiter leerer Raum,
Fortunens Spielraum, frey ihr Rad herum zu rollen!
Was soll er länger da? Ihm brach sein letzter Stab,
Er hat nichts mehr zu suchen—als ein Grab.

21
Alfonso floh in dieses unwirthbare
Verlaßne Eiland, floh mit fast zerstörtem Sinn
In dieß Gebirg, und fand mehr als er suchte drin,
Erst Ruh, und, mit dem stillen Fluß der Jahre,
Zuletzt Zufriedenheit. Ein alter Diener, der
Ihn nicht verlassen wollt', die einz'ge treue Seele
Die ihm sein Unglück ließ, begleitet' ihn hierher,
Und ihre Wohnung war nun eine Felsenhöhle.

22
Allmählich hob sein Herz sich aus der trüben Flut
Des Grams empor; die Nüchternheit, die Stille,
Die reine freye Luft, durchläuterten sein Blut,
Entwölkten seinen Sinn, belebten seinen Muth.
Er spürte nun, daß, aus der ew'gen Fülle
Des Lebens, Balsam, auch für seine Wunden, quille.
Oft brachte die Magie von einem Sonnenblick
Auf einmahl aus der Gruft der Schwermuth ihn zurück.

23
Und als er endlich dieß Elysium gefunden,
Das, rings umher mit Wald und Felsen eingeschanzt,
Ein milder Genius, recht wie für ihn, gepflanzt,
Fühlt' er auf einmahl sich von allem Gram entbunden,
Aus einer ängstlichen traumvollen Fiebernacht
Als wie zur Dämmerung des ew'gen Tags erwacht.
Hier, rief er seinem Freund, vom unverhofften Schauen
Des schönen Orts entzückt, hier laß uns Hütten bauen!

24
Die Hütte ward erbaut, und, mit Verlauf der Zeit,
Zur Nothdurft erst versehn, dann zur Gemächlichkeit,
Wie sie dem Alter eines Weisen
Geziemt, der minder stets begehret als bedarf.
Denn, daß Alfons, als er den ersten Plan entwarf
Von seiner Flucht, sich mit Geräth und Eisen,
Und allem was zur Hülle nöthig war,
Versehen habe, stellt von selbst sich jedem dar.

25
Und so verlebt' er nun in Arbeit und Genuß
Des Lebens späten Herbst, beschäftigt seinen Garten,
Den Quell von seinem Überfluß,
Mit einer Müh, die ihm zu Wollust wird, zu warten.
Vergessen von der Welt,—und nur, als an ein Spiel
Der Kindheit, sich erinnernd aller Plage
Die ihm ihr Dienst gebracht,—beseligt seine Tage
Gesundheit, Unschuld, Ruh, und reines Selbstgefühl.

26
Nach achtzehn Jahren starb sein redlicher Gefährte.
Er blieb allein. Doch desto fester kehrte
Sein stiller Geist nun ganz nach jener Welt sich hin,
Der, was er einst geliebt, itzt alles angehörte,
Der auch er selbst schon mehr als dieser angehörte.
Oft in der stillen Nacht, wenn vor dem äußern Sinn
Wie in ihr erstes Nichts die Körper sich verlieren,
Fühlt' er an seiner Wang' ein geistiges Berühren.

27
Dann hört' auch wohl sein halb entschlummert Ohr,
Mit schauerlicher Lust, tief aus dem Hain hervor,
Wie Engelsstimmen sanft zu ihm herüber hallen.
Ihm wird als fühl' er dann die dünne Scheidwand fallen,
Die ihn noch kaum von seinen Lieben trennt;
Sein Innres schließt sich auf, die heil'ge Flamme brennt
Aus seiner Brust empor; sein Geist, im reinen Lichte
Der unsichtbaren Welt, sieht himmlische Gesichte.

28
Sie dauern fort, auch wenn die Augen sanft betäubt
Entschlummert sind. Wenn dann die Morgensonne
Den Schauplatz der Natur ihm wieder aufschließt, bleibt
Die vorige Stimmung noch. Ein Glanz von Himmelswonne
Verkläret Fels und Hain, durchschimmert und erfüllt
Sie durch und durch; und überall, in allen
Geschöpfen, sieht er dann des Unerschaffnen Bild,
Als wie in Tropfen Thau's das Bild der Sonne, wallen.

29
So fließt zuletzt unmerklich Erd' und Himmel
In seinem Geist in Eins. Sein Innerstes erwacht.
In dieser tiefen Ferne vom Getümmel
Der Leidenschaft, in dieser heil'gen Nacht
Die ihn umschließt, erwacht der reinste aller Sinne
Doch—wer versiegelt mir mit unsichtbarer Hand
Den kühnen Mund, daß nichts unnennbars ihm entrinne?
Verstummend bleib' ich stehn an dieses Abgrunds Rand.

30
So war der fromme Greis, vor dem mit Kindestrieben
Amanda niederfiel. Auch Er, so lang' entwöhnt
Zu sehn, wornach das Herz sich doch im stillen sehnt,
Ein menschlich Angesicht—erlabt nun an dem lieben,
Herzrührenden, nicht mehr gehofften Anblick sich,
Und drückt die sanfte Hand der Tochter väterlich,
Umarmt den neuen Sohn zum zweyten Mahl, und blicket
Sprachlosen Dank zu dem, der sie ihm zugeschicket;

31
Und führt sie ungesäumt nach seiner Ruhestatt,
Zu seinem Quell, in seine Gartenlauben,
Bedeckt mit goldnem Obst und großen Purpurtrauben,
Und setzt sie in Besitz von allem was er hat.
Natur, spricht er, bedarf weit minder als wir glauben;
Wem nicht an wenig g'nügt, den macht kein Reichthum satt:
Ihr werdet hier, so lang' die Prüfungstage währen,
Nichts wünschenswürdiges entbehren.

32
Er sagte dieß, weil ihm der erste Blick gezeigt
Was er nicht fragen will und Hüon ihm verschweigt.
Denn beide, hatte gleich das Elend ihre Blüthe
Halb abgestreift, verriethen durch Gestalt
Und Sinnesart, wo nicht ein königlich Geblüte,
Doch sichrer einen Werth, dem selbst die Allgewalt
Des Glücks nichts rauben kann vom reinen Vollgehalt
Der innern angebornen Güte.

33
Schon dreymahl wechselte der Tag sein herbstlich Licht,
Seit diese Freystatt sie in ihrem Schooße heget,
Und beide können noch sich des Gedankens nicht
Entschlagen, daß der Greis, der sie so freundlich pfleget,
Kein wahrer Greis, daß er ein Schutzgeist ist,
Vielleicht ihr Oberon selbst, der ihres Fehls vergißt,
Und, da sie schwer genug (däucht sie) dafür gebüßet,
Bald wieder glücklich sie zu machen sich entschließet.

34
Nun schwindet zwar allmählich dieser Wahn,
Und ach! mit ihm stirbt auch, nicht ohne Schmerzen,
Die Hoffnung die er nährt; doch schmiegen ihre Herzen
Sich an ein Menschenherz nur desto stärker an.
Es war so sanft das Herz des guten Alten,
So zart sein Mitgefühl, sein innrer Sinn so rein,
Unmöglich konnten sie sechs Tage um ihn seyn
Und länger sich vor ihm verborgen halten.

35
Der junge Mann, im Drang der Dankbarkeit
Und des Vertrau'ns, (zumahl da ihn zu fragen
Sein Wirth noch immer säumt) eröffnet ungescheut
Ihm seinen Nahmen, Stand, und was, seit jener Zeit,
Da er zu Montlery des Kaisers Sohn erschlagen,
Bis diesen Tag mit ihm sich zugetragen;
Durch welchen Auftrag Karl den Tod ihm zugedacht,
Und wie er glücklich ihn mit Oberons Schutz vollbracht;

36
Und wie in einem Traum die Liebe sich entsponnen,
Die ihn beym ersten Blick mit Rezia vereint;
Wie er mit ihr aus Babylon entronnen,
Und das Verbot, das sein erhabner Freund
Ihm auferlegt, und wie, so bald er dessen
In einem Augenblick von Liebesdrang vergessen,
Die ganze Natur sich gegen sie empört
Und ihres Schützers Huld in Rache sich verkehrt.

37
Wohl, spricht der edle Greis, wohl dem, den sein Geschick
So liebreich, und zugleich so streng, als dich, erziehet,
Den kleinsten Fehltritt ihm nicht straflos übersiehet,
Wohl ihm! denn ganz gewiß, das reinste Erdenglück
Erwartet ihn. Auf Herzen wie die euern
Zürnt Oberon nicht ewig. Glaube mir,
Mein Sohn, sein Auge schwebt unsichtbar über dir;
Verdiene seine Huld, so wird sie sich erneuern!

38
Und wie verdien' ich sie? mit welchem Opfer still'
Ich seinen Zorn? fragt Hüon rasch den Alten;
Ich bin bereit, es sey so schwer es will!
Was kann ich thun?—Freywillig dich enthalten,
Antwortet ihm Alfons; was du gesündigt hast
Wird dadurch nur gebüßt.—Der junge Mann erblaßt.
Ich fühl' es, spricht der Greis mit sanft erröthender Wange;
Allein, ich weiß von wem ich es verlange!

39
Ein edles Selbstgefühl ergreift den jungen Mann:
"Hier hast du meine Hand!" Mehr ward kein Wort gesprochen.
Und wohl ihm, der, nach mehr als hundert Wochen,
Sich selbst das Zeugniß geben kann,
Er habe sein Gelübde nicht gebrochen!
Es war der schönste Sieg den Hüon je gewann.
Doch hat er oft die Furcht vorm Alten zu erröthen,
Oft Rezia's standhaftem Ernst vonnöthen.

40
Nichts unterhält so gut (versichert ihn der Greis)
Die Sinne mit der Pflicht im Frieden,
Als fleißig sie durch Arbeit zu ermüden;
Nichts bringt sie leichter aus dem Gleis
Als müß'ge Träumerey. Um der zuvor zu kommen,
Wird ungesäumt, so bald der Tag erwacht,
Die scharfe Axt zur Hand genommen,
Und Holz im Hain gefällt bis in die dunkle Nacht.

41
Noch eine Hütte für Amanden aufzurichten,
Und Dach und Wände wohl mit Leim und Moos zu dichten,
Dann zum Kamin, der immer lodern muß,
Und für den Herd, den nöthigen Überfluß
Von fettem Kien und klein gespaltnen Fichten
Hoch an den Wänden aufzuschichten,
Dieß und viel andres giebt dem Prinzen viel zu thun:
Allein es hilft ihm Nachts auch desto besser ruhn.

42
Zwar Anfangs will es ihm nicht gleich nach Wunsch gelingen,
Die Holzaxt statt des Ritterschwerts zu schwingen;
Die ungewohnte Hand greift alles schwerer an,
Und in der halben Zeit hätt' es ein Knecht gethan.
Doch täglich nimmt er zu, denn Übung macht den Meister;
Und fühlt er dann und wann sich dem Erliegen nah,
So wehet der Gedank', es ist für Rezia,
Sein Feuer wieder an, und stärkt die matten Geister.

43
Indessen Hüon sich im Wald ermüdet, pflegt
Der edle Greis, der mit noch festem Tritte
Die schwere Last von achtzig Jahren trägt,
Der Ruhe nicht; nur daß er von der Hütte
Sich selten weit entfernt. Kein heitrer Tag entflieht,
Der nicht in seinem lieben Garten
Ihn dieß und das zu thun beschäftigt sieht.
Amandens Sorge ist des kleinen Herds zu warten.

44
Da sähe man (wiewohl, wenn Engel nicht
Mit stillem Blick ihr Ebenbild umweben,
Wer sieht sie hier?) mit heiterm Angesicht,
Auf dem die Sorgen nur wie leichte Wölkchen schweben,
Die Königstochter gern sich jeder niedern Pflicht
Der kleinen Wirthschaft untergeben:
Auch was sie nie gekannt, viel minder je gethan,
Wie schnell ergreift sie es, wie steht ihr alles an!

45
Oft schürzt sie, ohne mindsten Harm
Daß ihre zarte Haut den schönen Schmelz verliere,
Beym Wassertrog, vor ihrer Hüttenthüre,
Den schlanken schwanenweißen Arm.
Die Freud' (ihr süßer Lohn) den väterlichen Alten
Und den geliebten Mann in einem Stand zu halten,
Der von dem Drückendsten der Armuth sie befreyt,
Veredelt, würdigt ihr des Tagwerks Niedrigkeit.

46
Und sieht sie dann (auch Er ist jener Engel einer)
Der heil'ge Greis, der von der Arbeit kehrt,
Und segnet sie: o dann ist ihre Freude reiner
Und inniger, als würd' ihr dreymahl mehr verehrt
Als sie zu Bagdad ließ. Wenn dann bey Sternenlichte
Die Nacht sie alle drey am Feuerherd vereint,
Und auf Amandens lieblichem Gesichte,
Das halb im Schatten steht, die Flamme wiederscheint:

47
Dann ruht, mit stillem liebevollen
Entzückten Blick, der junge Mann auf ihr,
Und seine Seele schwillt, und süße Thränen rollen
Die dunkle Wang' herab. Tief schweiget die Begier!
Sie ist ein überirdisch Wesen
Das ihm zum Trost erscheint—er ist beglückt genug
Daß er sie lieben darf, und o! in jedem Zug,
In jedem keuschen Blick, daß er geliebt ist, lesen!

48
Oft sitzen sie, der fromme freundliche Greis
In ihrer Mitt', Amanda seine rechte
In ihrer linken Hand, und hören halbe Nächte
Ihm zu, von seiner langen Lebensreis'
Ein Stück, das ihm lebendig wird, erzählen.
Vom Antheil, den die warmen jungen Seelen
An allem nehmen, wird's ihm selber warm dabey,
Dann werden unvermerkt aus zwey Geschichten drey.

49
Zuweilen, um den Geist des Trübsinns zu beschwören,
Der, wenn die Flur in dumpfer Stille trau'rt,
Im Schneegewölk mit Eulenflügeln lau'rt,
Läßt Hüon seine Kunst auf einer Harfe hören,
Die er von ungefähr in einem Winkel fand,
Lang' ungebraucht, verstimmt, und kaum noch halb bespannt:
Doch scheint das schnarrende Holz von Orfeus Geist beseelet,
So bald sich Rezia's Gesang mit ihm vermählet.

50
Oft lockte sie ein heller Wintertag,
Wenn fern die See von strenger Kälte rauchte,
Der blendend weiße Schnee dicht auf den Bergen lag,
Und itzt die Abendsonn' ihn wie in Purpur tauchte,
Dann lockte sie der wunderschöne Glanz
Im reinen Strom der kalten Luft zu baden.
Wie mächtig fühlten sie sich dann gestärkt! wie ganz
Durchheitert, neu belebt, und alles Grams entladen!

51
Unmerklich schlüpfte so die Winterzeit vorbey.
Und nun erwacht aus ihrem langen Schlummer
Die Erde, kleidet sich aufs neu
In helles Grün; der Wald, nicht mehr ein stummer
Verödeter Ruin, wo nur die Pfeiler stehn
Der prächt'gen Laubgewölb' und hohen Schattengänge
Des Tempels der Natur, steht wieder voll und schön,
Und Laub drückt sich an Laub in lieblichem Gedränge.

52
Mit Blumen decket sich der Busen der Natur,
Aufblühend lacht der Garten und die Flur;
Man hört die Luft von Vogelsang erschallen;
Die Felsen stehn bekränzt; die fließenden Krystallen
Der Quellen rieseln wieder rein
Am frischen Moos herab; den immer dichtern Hain
Durchschmettert schon, im lauen Mondenschein,
Die stille Nacht hindurch, das Lied der Nachtigallen.

53
Amanda, deren Ziel nun immer näher rückt,
Sucht gern die Einsamkeit, sucht stille dunkle Steige
Im Hain sich aus, und dicht gewölbte Zweige.
Da lehnt sie oft, von Ahnungen gedrückt,
An einem blüh'nden Baum, und freuet sich des Webens
Und Sumsens und Gedrängs und allgemeinen Lebens
In seinem Schooß—und drückt mit vorempfundner Lust
Ein lieblich Kind im Geist an ihre Brust;

54
Ein lieblich Kind, das ihre Mutterliebe
Mit jedem süßen Reitz verschwenderisch begabt,
Sich schon voraus an jedem zarten Triebe,
Der ihm entkeimt, sich schon am ersten Lächeln labt,
Womit es ihr die Leiden alle danket
Die sie so gern um seinetwillen trug,
Sich labt an jedem schönen Zug
Worin des Vaters Bild sanft zwischen ihrem schwanket.

55
Allmählich wird der wonnigliche Traum
Von schüchternen Beängstigungen
Und stillem Gram, den sie vor Hüon kaum
Verbergen kann und doch verbirgt, verdrungen.
Ach Fatme, denkt sie oft, und Thränen stehen ihr
Im Auge, wärest du in dieser Noth bey mir!
Getrost, o Rezia! Das Schicksal, das dich leitet,
Hat dir zu helfen längst die Wege vorbereitet!

56
Titania, die Elfenkönigin,
Sie hatte seit dem Tag, da Trotz und Widersinn
So unvermuthet sie um Oberons Herz betrogen,
Sich in dieß nehmliche Gebirg zurückgezogen.
Mit dem Gemahl, der ihr durch einen Schwur entsagt,
Den unterm unbegrenzten Bogen
Des himmlischen Azurs kein Geist zu brechen wagt,
Mit seiner Lieb' und ihm war all' ihr Glück entflogen.

57
Zu spät beweint sie nun die eitle, rasche That
Des Augenblicks; fühlt mit beschämten Wangen
Die Größe ihrer Schuld, den schweren Hochverrath
Den sie an ihm und an sich selbst begangen.
Vergebens kämpft ihr Stolz der stärkern Zärtlichkeit
Entgegen!—Ach! sie flöge himmelweit,
Und würfe gern, um ihr Vergehn zu büßen,
In Thränen sich zu des Erzürnten Füßen.

58
Was hälf' es ihr? Er schwor, in Wasser noch in Luft,
Noch wo im Blüthenhain die Zweige Balsam regnen,
Noch wo der hagre Greif in ewig finstrer Gruft
Bey Zauberschätzen wacht, ihr jemahls zu begegnen!
Vergebens käm' ihn selbst die späte Reue an;
Auf ewig fesselt ihn der Schwur den er gethan.
Ihn auszusöhnen bleibt ihr keine Pforte offen!
Denn von der einz'gen, ach! was ist von der zu hoffen?

59
Sie ist auf ewig zu. Denn nur ein liebend Paar,
Wie keines ist, wie niemahls eines war
Noch seyn wird, schließt sie auf. Von schwachen Adamskindern
Zu hoffen eine Treu', die keines Sturmwinds Stoß
Erschüttert, eine Treu', die keine Probe mindern,
Kein Reitz betäuben kann? Unmöglich! Hoffnungslos
Sinkt in der fernsten Zukunft dunkeln Schooß
Ihr thränenschwerer Blick; nichts kann ihr Elend mindern!

60
Verhaßt ist ihr nunmehr der Elfen Scherz, der Tanz
Im Mondenlicht, verhaßt in seinem Rosenkleide
Der schöne May. Ihr schmückt kein Myrtenkranz
Die Stirne mehr. Der Anblick jeder Freude
Reißt ihre Wunden auf. Sie flattert durch das Leer
Der weiten Luft im Sturmwind hin und her,
Find't nirgends Ruh, und sucht mit trübem Blicke
Nach einem Ort, der sich zu ihrer Schwermuth schicke.

61
Zuletzt entdeckt sich ihr im großen Ocean
Dieß Eiland. Aufgethürmt aus schwarzen ungeheuern
Ruinen, lockt es sie durch seine Schwärze an
Den irren Flug dahin zu steuern.
Es stimmt zu ihrem Sinn. Sie taumelt aus der Luft
Herab, und stürzet sich in eine finstre Gruft,
Um ungestört ihr Daseyn wegzuweinen,
Und, unter Felsen, selbst, wo möglich, zu versteinern.

62
Schon siebenmahl, seitdem Titania
Dieß traurige Leben führt, verjüngte sich die Erde
Ihr unbemerkt. Als wie auf einem Opferherde
Liegt sie auf einem Stein, den Tod erwartend, da;
Der Tag geht auf und sinkt, die holde Schattensonne
Beleuchtet zauberisch die Felsen um sie her;
Vergebens! strömten auch die Quellen aller Wonne
Auf einmahl über sie, ihr Herz blieb wonneleer.

63
Das einz'ge, was ihr noch, mit einem Traum des Schattens
Von Trost, ihr ewig Leid versüßt,
Ist, daß vielleicht der Zustand ihres Gattens
Dem ihren gleicht, und Er vielleicht noch härter büßt.
Gewiß, noch liebt er sie! und o! wofern er liebet,
Er, durch sich selbst verdammt zum Schöpfer ihrer Pein
Und seiner eignen Qual, wie elend muß er seyn!
So elend, daß sie gern ihm ihren Theil vergiebet!

64
Doch, da für jede Seelenwunde,
Wie tief sie brennt, die Zeit, die große Trösterin,
Den wahren Balsam hat: so kam zuletzt die Stunde
Auch bey Titania, da ihr verdumpfter Sinn
Sich allgemach entwölkt, ihr Herz geduld'ger leidet,
Und ihre Fantasie in Grün sich wieder kleidet;
Sie giebt den Schmeicheley'n der Hoffnung wieder Raum,
Und was unmöglich schien wird itzt ihr Morgentraum.

65
Auf einmahl grauet ihr vor diesen düstern Schlünden,
Worin sie einst sich gern gefangen sah;
Schnell muß aus ihrem Aug' ein Theil der Klippen schwinden,
Und ein Elysium steht blühend vor ihr da.
Auf ihren leisen Ruf erschienen
Drey liebliche Sylfiden, die ihr dienen;
Ein schwesterliches Drey, das ihren Gram zerstreut,
Und der Verlaßnen, mehr aus Lieb' als Pflicht, sich weiht.

66
Das Paradies, das sich die Elfenkönigin
In diese Felsen schuf, war eben das, worin
Alfonso schon seit dreyßig Jahren wohnte;
Und, ihm unwissend, war's die Grotte, wo sie thronte,
Woraus ihm, durchs Gebüsch vom Nachtwind zugeführt,
Der liebliche Gesang, gleich Engelsstimmen, hallte;
Sie war's, die ungesehn bey ihm vorüber wallte,
Wenn er an seiner Wang' ein geistig Weh'n verspürt.

67
Auch unsre Liebenden, vom Tag an, da die Wogen
An dieses Eiland sie getragen, hatte sie
Bemerkt, und täglich spät und früh
Erkundigung von ihnen eingezogen.
Oft stand sie selbst, wenn jene sich allein
Vermeinten, ungesehn, sich näher zu belehren;
Und was sie hört' und sah gab ihr den Zweifel ein,
Ob sie vielleicht das Paar, das sie erwartet, wären.

68
Je länger sie auf ihr Betragen merkt,
Je mehr sie sich in ihrer Hoffnung stärkt.
Sind Hüon und Amanda die getreuen
Probfesten Seelen nicht, die Oberon begehrt,
So mag sie ihrer nur auf ewig sich verzeihen!
Von nun an sind sie ihr wie ihre Augen werth,
Und sie beschließt, mit ihren kleinen Feen
Dem edlen jungen Weib unsichtbar beyzustehen.

69
Die Stunde kam. Von dumpfer Bangigkeit
Umher getrieben, irrt Amanda im Gebüsche,
Das um die Hütten her ein liebliches Gemische
Von Wohlgeruch zum Morgenopfer streut.
Sie irret fort, so wie der schmale Pfad sich windet,
Bis sie sich unvermerkt vor einer Grotte findet,
Die ein Geweb von Efeu leicht umkränzt,
Auf dessen dunkelm Schmelz die Morgensonne glänzt.

70
Alfonso hatte oft vordem hinein zu gehen
Versucht, und allemahl vergebens; eben dieß
War seinem alten Freund, war Hüon selbst geschehen,
So oft er, um des Wunders sich gewiß
Zu machen, es versucht. Sie hatten nichts gesehen:
Sie fühlten nur ein seltsam Widerstehen,
Als schöbe sich ein unsichtbares Thor,
Indem sie mit Gewalt eindringen wollten, vor.

71
Schnell überfiel sie dann ein wunderbares Grauen;
Sie schlichen leise sich davon,
Und keiner wollte sich der Probe mehr getrauen.
Man weiß nicht, ob Amanda selbst es schon
Zuvor versucht; genug, sie konnte dem Gedanken,
Die erste, der's geglückt, zu seyn,
Nicht widerstehn; sie schob die Efeuranken
Mit leichter Hand hinweg, und—ging hinein.

72
Kaum sah sie sich darin, so kam ein heimlich Zittern
Sie an; sie sank auf einen weichen Sitz
Von Rosen und von Moos. Itzt fühlt sie, Blitz auf Blitz,
Ein schneidend Weh Gebein und Mark erschüttern.
Es ging vorbey. Ein angenehm Ermatten
Erfolgte drauf. Es ward wie Mondesschein
Vor ihrem Blick, der stets in tiefre Schatten
Sich taucht', und, sanft sich selbst verlierend, schlief sie ein.

73
Itzt dämmern liebliche verworrene Gestalten
In ihrem Innern auf, die bald vorüber fliehn,
Bald wunderbar sich in einander falten.
Ihr däucht, sie seh' drey Engel vor ihr knien,
Und ihr verborgene Mysterien verwalten,
Und eine Frau, gehüllt in rosenfarbnem Licht,
Steh' neben ihr, so oft der Athem ihr gebricht
Ein Büschel Rosen ihr zum Munde hin zu halten.

74
Zum letzten Mahl beklemmt ihr höher schlagend Herz
Ein kurzer sanft gedämpfter Schmerz;
Die Bilder schwinden weg, und sie verliert sich wieder.
Doch bald, erweckt vom Nachklang süßer Lieder
Der halb verweht aus ihrem Ohr entflieht,
Schlägt sie in ihrem Traum die Augen auf, und sieht
Die Drey nicht mehr, sieht nur die Königin der Feen
In Rosenglanz sanft lächelnd vor ihr stehen.

75
Auf ihren Armen liegt ein neu geboren Kind.
Sie reicht's Amanden und verschwebet
Vor ihren Augen, wie im Morgenwind
Ein Wölkchen schmilzt aus Blumenduft gewebet.
Im gleichen Nu entwacht Amanda ihrem Traum,
Und streckt die Arme aus, als wollte sie den Saum
Des rosigen Gewandes noch erfassen;
Umsonst! sie greift nach Luft, sie ist allein gelassen.

76
Doch, einen Pulsschlag noch, und wie unnennbar groß
Ist ihr Erstaunen, ihr Entzücken!
Kaum glaubt sie dem Gefühl, kaum traut sie ihren Blicken!
Sie fühlt sich ihrer Bürde los,
Und zappelnd liegt auf ihrem sanften Schooß
Der schönste Knabe, frisch wie eine Morgenros'
Und wie die Liebe schön! Mit wonnevollem Beben
Fühlt sie ihr Herz sich ihm entgegen heben.

77
Sie fühlt's, es ist ihr Sohn!—Mit Thränen inniger Lust
Gebadet, drückt sie ihn an Wange, Mund, und Brust,
Und kann nicht satt sich an dem Knaben sehen.
Auch scheint der Knabe schon die Mutter zu verstehen.
Laßt ihr zum mindsten den Genuß
Des süßen Wahns! Er schaut aus seinen hellen Augen
Sie ja so sprechend an—und scheint nicht jeden Kuß
Sein kleiner Mund dem ihren zu entsaugen?

78
Sie hört den stillen Ruf—wie leise hört
Ein Mutterherz!—und folgt ihm unbelehrt.
Mit einer Lust, die, wenn sie neiden könnten,
Die Engel, die auf sie herunter sahn,
Die Engel selbst beneidenswürdig nennten,
Legt sie an ihre Brust den holden Säugling an.
Sie leitet den Instinkt, und läßt nun an den Freuden
Des zartsten Mitgefühls ihr Herz vollauf sich weiden.

79
Indessen hat im ganzen Hain umher
Ihr Hüon sie gesucht, zwey ängstlich lange Stunden,
Und, da er nirgends sie gefunden,
Führt ihn zuletzt sein irrer Fuß hierher.
Er nähert sich der unzugangbar'n Grotte;
Nichts hält ihn auf, er kommt—o welch ein Augenblick!
Und sieht das holde Weib, mit einem Liebesgotte
An ihrer Brust, vertieft, verschlungen in ihr Glück.

80
Ihr, denen die Natur, beym Eingang in dieß Leben,
Den überschwenglichen Ersatz
Für alles andre Glück, den unverlierbar'n Schatz,
Den alles Gold der Aureng-Zeben
Nicht kaufen kann, das beste in der Welt
Was sie zu geben hat, und was ins beßre Leben
Euch folgt, ein fühlend Herz und reinen Sinn gegeben,
Blickt hin und schaut—Der heil'ge Vorhang fällt!

Neunter Gesang.

1
Es ist nun Zeit, uns auch nach Fatmen umzuschauen,
Die wir, seit Rezia mit Hüon sich ins Meer
Gestürzt, im Schiff, allein und alles Trostes leer
Gelassen, Tag und Nacht das Schicksal ihrer Frauen
Beweinend, und ihr eignes freylich auch.
Denn ach! sie weint, sie schreyt, sie rauft ihr Haar vergebens;
Er ist verweht, mit einem einzigen Hauch
Verweht, der ganze Bau der Ruhe ihres Lebens.

2
Was soll nun aus ihr werden, so allein
In einem Schiff, von zügellosen Söhnen
Des rauhen Meers umringt, die ihren Jammer höhnen,
Mit frechen Augen schon, berauscht in feurigem Wein,
Verschlingen ihren Raub—was wird ihr Schicksal seyn?
Zum Glück erbarmet sich der schutzberaubten Schönen
Ein unverhoffter Sturm, der in der zweyten Nacht
Die See zum Tummelplatz empörter Wogen macht.

3
Die Pinke treibt, indeß ein allgemeines Zagen
Das Volk entnervt, auf ungewissem Meer
Herum gejagt, bald west—bald südwärts hin und her;
Bis, da der Winde Wuth in sieben schrecklichen Tagen
Erschöpft ist, an den Strand von Tunis sich verschlagen
Der Hauptmann sieht. Den Zufall, der ihn sehr
Zur Unzeit überrascht, in Vortheil zu verwandeln,
Beschließt er Fatmen hier als Sklavin zu verhandeln.

4
Denn Fatme, die kaum vier und dreyßigmahl
Den May sein Blumenkleid entfalten
Gesehn, war eine aus der Zahl
Der lange blühenden Gestalten,
Die nicht so leicht verwittern noch veralten,
Und die mit Reitzen von Gewicht,
Viel Feu'r im Blick, viel Grübchen im Gesicht,
Euch für den Rosenglanz der Jugend schadlos halten.

5
Des Königs Gärtner kam durch Zufall auf den Platz,
Wo alles das um hundert Sultaninen
Zu kaufen war. Es schien Bemerkung zu verdienen.
Er trat hinzu, besah's und fand es sey ein Schatz.
Sein grauer Kopf ward nicht zu Rath gezogen.
Es fehlte, dünkt ihn, nichts in seinem Gulistan
Als eben dieß. Das Gold wird hurtig vorgewogen,
Und Fatme duldet still was sie nicht ändern kann.

6
Indeß verfolgt mit stets gewognem Winde
Der treue Scherasmin den anbefohlnen Lauf.
Kaum nahm Massiliens Port ihn wohlbehalten auf,
So setzt er sich zu Pferd, und eilt so schnell, als stünde
Sein Leben drauf, zum Kaiser nach Paris.
Er hatte schon den Märt'rerberg erstiegen
Und sah im Morgenroth die Stadt noch schlummernd liegen,
Als plötzlich sich sein Kopf an einen Zweifel stieß.

7
"Halt, sprach sein Geist zu ihm, und eh' wir weiter traben,
Bedenke wohl was du beginnst, mein Sohn!
Zwar sollte das dein weiser Schädel schon
Zu Askalon erwogen haben,
Obgleich der Wind, der dort in Hüons Segel blies,
Dir wenig Zeit zum Überlegen ließ.
Doch, wenn wir ehrlich mit einander sprechen wollen,
Du hättest damahls dich ganz anders sträuben sollen.

8
"Denn, unter uns gesagt, es ist doch offenbar
Kein Menschensinn in dieser Ambassade.
Den Kaiser, der vorhin uns nie gewogen war,
Erbittert sie gewiß im höchsten Grade.
Am Ende wär' es nur ums reiche Kästchen Schade!
Denn, wahrlich, mit der Hand voll Ziegenhaar,
Und mit den Zähnen da, Gott weiß aus welchem Rachen,
Wird deine Excellenz sehr wenig Eindruck machen.

9
"Ja, wenn Herr Hüon selbst, mit stattlichem Geleite
Von Reisigen, Trabanten und so fort,
Und mit der Tochter des Kalifen an der Seite
Herein geschritten wär', und hätte selbst das Wort
Geführt, und mit gehörigen Grimassen,
Wie einem Ritter, Duc und Pair
Geziemt, auf rothem Sammt, von goldnen Quasten schwer,
Die Sachen überreicht—da wollt' ich's gelten lassen!

10
"Da kommt des Aufzugs Pracht, die Fei'rlichkeit, der Glanz
Der Sultanstochter, an der Hand des stolzen Gatten,
Kurz, jeder Umstand kommt dem andern da zu Statten,
Und trägt das Seine bey, die Sache rund und ganz
Zu machen. Karlen bleibt nichts weiter einzuwenden,
Er hat den Glauben in den Augen und in Händen;
Der Ritter hat sein Wort gehalten als ein Mann,
Und fordert frey was ihm kein Recht versagen kann.

11
"Das alles geht auf einmahl in die Brüche,
Freund Scherasmin, wenn du nicht klüger bist
Als der dich abgeschickt. Wohlan, was Raths? was ist
Zu thun?—Das beste wär', auf allen Fall, er schliche
Mit seinem Kästchen sich ganz sachte wieder ab
Eh' jemand ihn bemerkt, und ritt' im großen Trab
Geraden Wegs nach Rom, dem Freyport aller Frommen,
Wo hoffentlich sein Herr inzwischen angekommen."

12
So sprach zu Scherasmin sein beßrer Genius:
Und da er ihm nach langem Überlegen
Nichts klügers, wie ihn dünkt, entgegen
Zu setzen hatte, war sein endlicher Entschluß,
Der guten Stadt Paris das Schulterblatt zu weisen,
Und sporenstreichs nach Rom zu seinem Herrn zu reisen.
Er übersteigt die Alpen, langet an,
Und gleich sein erster Gang ist—nach dem Lateran.

13
Allein, umsonst ermüdet er mit Fragen
Nach seinem Herrn den Schweizer, der die Wach'
Am Thore hat, umsonst das ganze Vorgemach,
Kein Mensch kann ihm ein Wort von Ritter Hüon sagen.
Vergebens rennet er die Stadt von Haus zu Haus
Und alle Kirchen und Spitäler fragend aus,
Und schildert ihn vom Fersen bis zur Scheitel
Den Leuten vor,—all' seine Müh ist eitel.

14
Vier ewige Wochen lang, und dann noch zwey dazu,
Verweilt er sich in stets betrognem Hoffen,
Läßt keinen Tag sich selbst noch andern Ruh
Mit Forschen, ob sein Prinz denn noch nicht eingetroffen;
Und, da kein Warten hilft, beginnt er überlaut
Den großen Schwur des Baskenvolks zu fluchen,
Und schwört, so weit der Himmel blaut,
In einem Pilgerkleid den Ritter aufzusuchen.

15
Was konnt' er anders thun? Sein Geld war aufgezehrt,
Und eine Perle nur vom Kästchen anzugreifen,
(Das billig hundertfachen Werth
In Hüons Augen hat, weil's Oberon ihm verehrt)
Eh ließ er sich den Balg vom Leibe streifen!
Von einem Pilgersmann wird weder Gold begehrt
Noch Silbergeld; er kann mit Muschelschalen
Und Litaney'n die halbe Welt bezahlen.

16
So bettelt nun zwey Jahre lang und mehr
Der treue unverdroßne Alte
Sich durch die Welt, die Länge und die Quer',
Und macht an jedem Port, auf jeder Insel Halte,
Fragt überall vergebens seinem Herrn
Und seiner Dame nach—bis ihn zuletzt sein Stern,
Und ein geheimer Trieb, der seine Hoffnung schüret,
Nach Tunis vor die Thür des alten Gärtners führet.

17
Er setzt sich dort auf eine Bank von Stein,
Um, müd' und schwach von langem Fasten,
Im Schatten da ein wenig auszurasten,
Und eine Sklavin bringt ihm etwas Brot und Wein.
Sie sieht dem Mann im braunen Pilgerkleide
Erstaunt ins Aug', und er der Sklavin ebenfalls,
Und, sich mit einem Schrey des Schreckens und der Freude
Erkennend, fallen sie einander um den Hals.

18
Bist du es, Fatme? ruft an ihrer nassen Wange
Der Pilger freudig aus; ist's möglich?—Ach! schon lange
Ließ Scherasmin die Hoffnung sich vergehn!
Ist's möglich daß wir uns zu Tunis wieder sehn?
Was für ein Wind hat euch in diese Heidenlande
Verweht? Und wo ist Hüon und Amande?
Ach, Scherasmin, schreyt Fatme laut, und bricht
In Thränen aus—Sie sind—Ich Arme!—Frage nicht!

19
Was sagst du? ruft der Alte—Gott verhüte!
Was sind sie? Sprich!—"Ach, Scherasmin, sie sind -!"
Mehr bringt sie nicht heraus! Das stockende Geblüte
Erstickt die Red' in ihrer Brust—Sie sind?—
O Gott! schluchzt Scherasmin, und weinet wie ein Kind
An Fatmens Hals—In ihrer vollen Blüthe!
Das ist zu hart! Allein mir schwante lang' vorher
Nichts gutes! Fatme—ach, die Probe war zu schwer!

20
So bald die gute Frau zum kläglichen Berichte
Nur wieder Athem hat, erzählt sie Stück für Stück,
Von seiner Abreis' an bis auf den Augenblick
Der Schreckensnacht—da, beym auffackelnden Lichte
Der Blitze, Rezia durch alles Volk, das dichte
Auf Hüon drängt, sich stürzt, den Arm in Liebeswuth
Um den Geliebten schlingt und in die wilde Flut
Ihn mit sich reißt,—die traurige Geschichte.

21
Drauf sitzen sie wohl eine Stunde lang
Beysammen, sich recht satt zu klagen und zu weinen,
Und beide sich, aus treuem Liebesdrang,
Zum Preis des schönsten Paares zu vereinen,
Das je die Welt geziert. Nein, ruft sie vielmahls, nie,
Nie werd' ich eine Frau, wie diese, wieder sehen!
Noch ich, ruft Scherasmin in gleicher Melodie,
Je einem Fürstensohn wie Er zur Seite stehen!

22
Zuletzt, nachdem er sich wohl dreymahl sagen lassen
Wie alles sich begab, geht ihm ein schwacher Schein
Von Glauben auf, und läßt ihn Hoffnung fassen,
Sie könnten beide doch vielleicht gerettet seyn.
Je mehr er es bedenkt, je minder geht ihm ein,
Daß Oberon auf ewig sie verlassen.
In allem dem, was er für sie gethan,
War Absicht, wie ihn däucht, und ein geheimer Plan.

23
Bey diesem schwachen Hoffnungsschimmer,
Der wie ein fernes Licht in tiefer Nacht ihm scheint,
Entschließt er sich, von Fatmen nun sich nimmer
Zu trennen, und, mit ihr durch gleichen Schmerz vereint,
Des Schicksals Aufschluß hier in Tunis abzuwarten.
Durch ihren Vorschub tauscht er Pilgerstab und Kleid
Mit einem Sklavenwamms und einem Grabescheid,
Und dient um Tagelohn im königlichen Garten.

24
Indessen Fatme und der wackre Scherasmin
Die Blumenfelder, die sie bauen,
Wie ihrer Lieben Grab, mit Thränen oft bethauen;
Sieht Hüon, seit sein prüfend Schicksal ihn
In jene Einsied'ley voll Anmuth und voll Grauen
Verbannt, nicht ohne Gram den dritten Frühling blühn.
Unmöglich kann er noch sein Heldenherz entwöhnen,
Ins Weltgetümmel sich mit Macht zurück zu sehnen.

25
Der kleine Hüonnet, das schönste Mittelding
Von mütterlichem Reitz und väterlicher Stärke,
Das je am Hals von einer Göttin hing,
Und wahrlich doch zu anderm Tagewerke
Bestimmt, als mit der Axt auf seiner Schulter einst
Ins Holz zu gehn, vermehrt nur seinen Kummer.
Auch dich, o Rezia, in Nächten ohne Schlummer,
Belauscht dein Engel oft, wenn du im Stillen weinst.

26
Tief fühlt ihr beid' in dieser Jugendblüthe,
Daß Abgeschiedenheit euch unnatürlich ist,
Fühlt Kraft zu edlerm Thun in eurer Brust, vermißt
Des Heldensinns, der unbegrenzten Güte
Gleich unbegrenzten Kreis!—Umsonst bemühn sie sich
Die Thräne, die dem abgewandten Aug' entschlich,
Dem alten Vater zu verhehlen;
Ihr Lächeln täuscht ihn nicht, er liest in ihren Seelen.

27
Und ob ihm diese Welt gleich nichts mehr ist, doch stellt
Er sich an Ihren Platz, in das was sie verloren,
Was ihnen zugehört, wozu sie sich geboren
Empfinden—fühlt aus Ihrer Brust, und hält
Die Thräne für gerecht, die sie vor ihm aus Liebe
Verbergen, tadelt nicht die unfreiwilligen Triebe,
Und frischt sie nur, so lang' als ihren Lauf
Das Schicksal hemmt, zu stillem Hoffen auf.

28
An einem Abend einst—das Tagwerk war vollbracht,
Und alle drey, (Amande mit dem Knaben
Auf ihrem Schooß) um an der herrlichen Pracht
Des hellgestirnten Himmels sich zu laben,
Sie saßen vor der Hütt' auf einer Rasenbank,
Versenkten sich mit ahnungsvollem Grauen
In dieses Wundermeer, und blickten stillen Dank
Zu ihm, der sie erschuf—gen Himmel aufzuschauen:

29
Da fing der fromme Greis, mit mehr gerührtem Ton
Als sonst, zu reden an von diesem Erdenleben
Als einem Traum, und vom Hinüberschweben
Ins wahre Seyn.—Es war, als wehe schon
Ein Hauch von Himmelsluft zu ihm herüber,
Und trag' ihn sanft empor indem er sprach.
Amanda fühlt's; die Augen gehn ihr über,
Ihr ist's, als sähe sie dem Halbverschwundnen nach.

30
Mir, fuhr er fort, mir reichen sie die Hände
Vom Ufer jenseits schon—Mein Lauf ist bald zu Ende;
Der eurige beginnet kaum, und viel,
Viel Trübsal noch, auch viel der besten Freuden,
(Oft sind's nur Stärkungen auf neue größre Leiden)
Erwarten euch, indeß ihr unvermerkt dem Ziel
Euch nähert. Beides geht vorüber,
Und wird zum Traum, und nichts begleitet uns hinüber;

31
Nichts als der gute Schatz, den ihr in euer Herz
Gesammelt, Wahrheit, Lieb' und innerlicher Frieden,
Und die Erinnerung, daß weder Lust noch Schmerz
Euch je vom treuen Hang an eure Pflicht geschieden.
So sprach er vieles noch; und als sie endlich sich
Zur Ruh begaben, drückt' er, wie sie dünkte,
Sie wärmer an sein Herz, und eine Thräne blinkte
In seinem Aug', indem er schnell von ihnen wich.

32
In eben dieser Nacht, von dunkeln Vorgefühlen
Der Zukunft aufgeschreckt, erhob Titania
Die Augen himmelwärts—und alle Rosen fielen
Von ihren Wangen ab, indem sie stand, und sah
Und las. Sie rief den lieblichen Gespielen,
Mit ihr zu sehen, was in diesem Nu geschah,
Und wie zu unglückschwangern Zügen
Amandens Sterne schon sich an einander fügen.

33
Und, dicht in Schatten eingeschleiert, fliegt
Sie schnell dem Lager zu, wo zwischen Mandelbäumen
(Der Knabe neben ihr) die Königstochter liegt,
Aus ihrem Schlaf von ahnungsvollen Träumen
Oft aufgestört. Titania berührt
Die Brust der Schläferin (damit die Unruh schweige
Die in ihr klopft) mit ihrem Rosenzweige,
Und raubt den Knaben weg, der nichts davon verspürt.

34
Sie kommt zurück mit ihrem schönen Raube,
Und spricht zu ihren Grazien: Ihr seht
Das grausame Gestirn, das ob Amanden steht!
Eilt, rettet dieses Kind in meine schönste Laube,
Und pfleget sein, als wär's mein eigner Sohn.
Drauf zog sie aus dem Kranz um ihre Stirne
Drey Rosenknospen aus, gab jeder holden Dirne
Ein Knöspchen hin, und sprach: Hinweg, es dämmert schon!

35
Thut wie ich euch gesagt, und alle Tag' und Stunden
Schaut eure Rosen an; und wenn ihr alle drey
Zu Lilien werden seht, so merket dran, ich sey
Mit Oberon versöhnt und wieder neu verbunden.
Dann eilet mit Amandens Sohn herbey,
Denn mit der meinen ist auch ihre Noth verschwunden.
Die Nymfen neigten sich und flohn
In einem Wölkchen schnell hinweg mit Hüons Sohn.

36
Kaum war der Morgen aufgegangen,
So sucht mit bebendem unruhigem Verlangen
Amanda ihren Freund, der seine Lagerstatt,
Fern von Alfons und ihr, in einem Felsen hat.
So hastig eilt sie fort, daß sie (was nie geschehen
Seitdem sie Mutter war) vor lauter Eil' vergißt,
Nach ihrem Sohn, der noch ihr Schlafgeselle ist,
Und ruhig (glaubt sie) schläft, vorher sich umzusehen.

37
Sie findet ihren Mann, im Garten irrend, auf,
Und beide nehmen auf der Stelle,
Was sie besorgen sich verbergend, nach der Zelle
Des alten Vaters ihren Lauf.
Wie klopft ihr Herz, indem sie seinem Lager
Sich langsam nahn! Er liegt, die Hände auf sein Herz
Gefaltet, athemlos, sein Antlitz bleich und hager,
Doch edel jeder Zug, und rein, und ohne Schmerz.

38
Er schlummert nur, spricht Rezia, und legt
Die Hand, so leicht daß sie ihn kaum berühret,
Auf seine Hand—und, da sie kalt sie spüret
Und keine Ader mehr sich regt,
Sinkt sie in stiller Wehmuth auf den blassen
Erstarrten Leichnam hin; ein Strom von Thränen bricht
Aus ihrem Aug' und badet sein Gesicht:
O Vater, ruft sie aus, so hast du uns verlassen!

39
Sie rafft sich auf, und sinkt an Hüons Brust,
Und beide werfen nun sich bey der kalten Hülle
Der reinsten Seele hin, in ehrfurchtsvoller Stille,
Und sättigen die schmerzlich süße Lust
Zu weinen,—drücken oft, um endlich wegzugehen,
Auf seine Hand der Liebe letzten Zoll,
Und bleiben immer, nie gefehlter Regung voll,
Bey dem geliebten Bild, als wie bezaubert, stehen.

40
Es war als sähen sie auf seinem Angesicht
Die Dämmerung von einem neuen Leben,
Und wie von reinem Himmelslicht
Den Widerschein um seine Stirne weben,
Der schon zum geist'gen Leib den Erdenstoff verfeint,
Und um den stillen Mund, der eben
Vom letzten Segen noch sich sanft zu schließen scheint,
Ein unvergängliches kaum sichtbar's Lächeln schweben.

41
Ist dir's nicht auch (ruft Hüon, wie entzückt,
Amanden zu, indem er aufwärts blickt)
Als fall' aus jener Welt ein Strahl in deine Seele?
So fühlt' ich nie der menschlichen Natur
Erhabenheit! noch nie dieß Erdenleben nur
Als einen Weg durch eine dunkle Höhle
Ins Reich des Lichts! nie eine solche Stärke
In meiner Brust zu jedem guten Werke!

42
Zu jedem Opfer, jedem Streit
Nie diese Kraft, nie diese Munterkeit
Durch alle Prüfungen mich männlich durchzukämpfen!
Laß seyn, Geliebte, daß der Trübsal viel
Noch auf uns harrt—sie nähert uns dem Ziel!
Nichts soll uns muthlos sehn, nichts diesen Glauben dämpfen!
So spricht er, sich mit ihr von diesem heiligen Ort
Entfernend—und ihn nimmt das Schicksal gleich beym Wort.

43
Denn, wie sie Hand in Hand nun wieder
Hervor gehn aus der Zell', und ihre Augenlieder
Erheben—Gott! was für ein Anblick stellt
Sich ihren Augen dar! In welche fremde Welt
Sind sie versetzt! Verschwunden, ganz verschwunden
Ist ihr Elysium, der Hain, die Blumenflur.
Versteinert stehn sie da. Ist's möglich? Keine Spur,
Sogar die Stätte wird nicht mehr davon gefunden!

44
Sie stehn an eines Abgrunds Rand,
Umringt, wohin sie schaudernd sehen,
Von überhangenden gebrochnen Felsenhöhen;
Kein Gräschen mehr, wo einst ihr Garten stand!
Vernichtet sind die lieblichen Gebüsche,
Der dunkle Nachtigallenwald
Zerstört! Nichts übrig, als ein gräßliches Gemische
Von schroffen Klippen, schwarz, und öd', und ungestalt!

45
Zu welchen neuen Jammerscenen
Bereitet sie dieß grause Schauspiel vor?
Ach, rufen sie, und heben, schwer von Thränen,
Den kummervollen Blick zum heil'gen Greis empor:
"Ihm wurde dieß Gebirg in Frühlingsschmuck gekleidet,
Dieß Eden Ihm gepflanzt; um Seinetwillen nur
Genossen wir's; und Schicksal und Natur
Verfolgen uns aufs neu', so bald er von uns scheidet!"

46
Ich bin gefaßt, ruft Rezia, und schlingt
Ein Ach zurück das ihrer Brust entsteiget.
Unglückliche! der Tag, der all dieß Unglück bringt,
Hat dir noch nicht das schrecklichste gezeiget!
Sie eilt dem Knaben zu, den sie vor kurzem, süß
Noch schlummernd, (wie sie glaubt) verließ!
Er ist ihr letzter Trost; des Schicksals härtsten Schlägen
Geht sie getrost, mit ihm auf ihrem Arm, entgegen.

47
Sie fliegt dem Lager zu, wo er
An ihrer Seite lag, und, wie vom Blitz getroffen,
Schwankt sie zurück—der Knab' ist weg, das Lager leer.
"Hat er sich aufgerafft? Fand er die Thüre offen
Und suchte sie? O Gott! wenn er verunglückt wär'?
Entsetzlich!—Doch vielleicht hat um die Hütte her,
(So denkt sie zwischen Angst und Hoffen)
Vielleicht im Garten nur der Kleine sich verloffen?"

48
Im Garten? ach! der ist nun felsiger Ruin!
Sie stürzt hinaus, und ruft mit bebenden Lippen
Den Knaben laut beym Nahmen, suchet ihn
Ringsum, mit Todesangst, in Höhlen und in Klippen.
Der Vater, den ihr Schreyn herbey gerufen, spricht
Umsonst den Trost ihr zu, woran's ihm selbst gebracht:
"Er werde sich gewiß in diesen Felsgewinden
Gesund und frisch auf einmahl wieder finden."

49
Zwey Stunden schon war alle ihre Müh
Vergeblich. Ach! umsonst, laut rufend, irren sie
Tief im Gebirg umher, besteigen alle Spitzen,
Durchkriechen alle Felsenritzen,
Und lassen sich, um wenigstens sein Grab
Zu finden, kummervoll in jede Kluft hinab:
Ach! keine Spur von ihm entdeckt sich ihrem Blicke,
Und von den Felsen hallt ihr eigner Ton zurücke.

50
Das Unbegreifliche des Zufalls, daß ein Kind
Von seinem Alter sich verliere,
An einem Ort, wo weder wilde Thiere
Noch Menschen (wilder oft als jene) furchtbar sind,
Mehrt ihre Angst; doch nährt es auch ihr Hoffen:
"Es kann nicht anders seyn, er hat sich nur verloffen,
Und schlief vielleicht auf irgend einem Stein
Vom Wandern müd', in seiner Unschuld ein."

51
Aufs neue wird der ganze Felsenrücken,
Wird jeder Winkel, jeder Strauch
Der ihn vielleicht versteckt, durchsucht mit Falkenblicken.
Die Unruh treibt sogar, wie unwahrscheinlich auch
Die Hoffnung ist ihn dort lebendig aufzuspüren,
Sie bis zum Strand herab, wo, unter dem Gemisch
Von aufgethürmtem Sand und sumpfigem Gebüsch,
Sie endlich unvermerkt einander selbst verlieren.

52
Auf einmahl schreckt Amandens Ohr
Ein ungewohnter Ton. Ihr däucht, es glich dem Schalle
Von Stimmen. Doch, weil's wieder sich verlor,
Und sie bey einem Wasserfalle,
Der mit betäubendem Getöse übern Rand
Von einem hohen Felsenbogen
Herunter stürzt, sich ziemlich nah befand,
Glaubt sie, sie habe sich betrogen.

53
Ihr schwanet nichts von größerer Gefahr,
Ihr einziger Gedank' ist ihres Sohnes Leben:
Und plötzlich, da sie kaum um einen Hügel, neben
Dem Wasserfall, herum gekommen war,
Sieht sie, bestürzt, von einer rohen Schaar
Schwarzgelber Männer sich umgeben,
Und hinter einem hohen Riff
Erblickt sie in der Bucht ein ankernd Ruderschiff.

54
Sie hatten kurz zuvor, um Wasser einzunehmen,
Vor Anker hier gelegt, und waren noch damit
Beschäftigt: als, mit schnell gehemmtem Schritt,
Auf einmahl eine Frau vor ihre Augen tritt,
Gemacht beym ersten Blick die schönsten zu beschämen.
Erstaunen schien sie alle schier zu lähmen,
An diesem öden Ort, den sonst der Schiffer fleucht,
Ein junges Weib zu sehn, die einer Göttin gleicht.

55
Der Schönheit Anblick macht sonst rohe Seelen milder,
Und Tieger schmiegen sich zu ihren Füßen hin:
Doch diese fühlen nichts. Ihr stumpfer Räubersinn
Berechnet sich den Werth der schönsten Frauenbilder
(Von Marmor oder Fleisch, gleich viel!) mit kaltem Blut
Bloß nach dem Marktpreis, just wie andres Kaufmannsgut.
Hier, ruft der Hauptmann, sind zehn tausend Sultaninen
Mit Einem Griff, so gut wie hundert, zu verdienen.

56
Auf, Kinder, greifet zu! So ein Gesicht wie dieß
Gilt uns zu Tunis mehr als zwanzig reiche Ballen:
Der König, wie ihr wißt, liebt solche Nachtigallen;
Und dieser wilden hier gleicht von den Schönen allen
In seinem Harem nichts. Ihr reicht Almansaris,
Die Königin, so schön sie ist, gewiß
Das Wasser kaum. Wie wird der Sultan brennen!
Der Zufall hätt' uns traun! nicht besser führen können.

57
Indeß der Hauptmann dieß zu seinem Volke sprach,
Steht Rezia, und denkt zwey Augenblicke nach
Was hier zu wählen ist. "Sind diese Leute Feinde,
So hilft die Flucht mir nichts, da sie so nahe sind:
Vielleicht daß Edelmuth und Bitten sie gewinnt.
Ich geh' und rede sie als Freunde,
Als Retter an, die uns der Himmel zugesendet.
Vielleicht ist's unser Glück, daß sie hier angeländet."

58
Dieß denkend, geht, mit unschuldsvoller Ruh
Im offnen Blick, und mit getrosten Schritten,
Das edle schöne Weib auf die Korsaren zu:
Allein sie bleiben taub bey ihren sanften Bitten.
Die Sprache, die zu allen Herzen spricht,
Rührt ihre eisernen entmenschten Seelen nicht.
Der Hauptmann winkt; sie wird umringt, ergriffen,
Und alles läuft und rennt, die Beute einzuschiffen.

59
Auf ihr erbärmliches Geschrey,
Das durch die Felsen hallt, fliegt Hüon voller Schrecken
Den Wald herab, zu ihrer Hülf' herbey.
Ganz außer sich, so bald ihm was es sey
Die Bäume länger nicht verstecken,
Ergreift er in der Noth den ersten knot'gen Stecken
Der vor ihm liegt, und stürzt, wie aus der Wolken Schooß
Ein Donnerkeil, auf die Barbaren los.

60
Sein holdes Weib zu sehn, die mit blutrünst'gen Armen
Sich zwischen Räubertatzen sträubt,
Der Anblick, der zu Tiegerwuth ihn treibt,
Macht bald den Eichenstock in seiner Faust erwarmen.
Die Streiche fallen hageldicht
Auf Köpf' und Schultern ein mit stürzendem Gewicht.
Er scheint kein Sterblicher; sein Auge spritzet Funken,
Und sieben Mohren sind schon vor ihm hingesunken.

61
Bestürzung, Scham und Grimm, von einem einz'gen Mann
Den schönen Raub entrissen sich zu sehen,
Spornt alle andern an, auf Hüon los zu gehen,
Der sich, so lang' er noch die Arme regen kann,
Unbändig wehrt; bis, da ihm im Gedränge
Sein Stock entfällt, die überlegne Menge
(Wiewohl er rasend schlägt und stößt und um sich beißt)
Ihn endlich übermannt und ganz zu Boden reißt.

62
Mit einem Schrey gen Himmel sinkt Amande
In Ohnmacht, da sie ihn erwürgt zu sehen glaubt.
Man schleppt sie nach dem Schiff, indeß das Volk am Strande
Auf den Gefallnen stürmt, und tobt und Rache schnaubt.
Ihm einen schnellen Tod zu geben,
Wär's auch der blutigste, däucht sie Gelindigkeit:
Nein, ruft der Hauptmann aus, um desto längre Zeit
Der Tode grausamsten zu sterben, soll er leben!

63
Sie schleppen ihn tief in den Wald hinein,
So weit vom Strand, daß auch sein lautstes Schreyn
Kein Ohr erreichen kann, und binden ihn mit Stricken
Um Arm und Bein, um Hals und Rücken,
An einen Baum. Der Unglücksel'ge blickt
Zum Himmel auf, verstummend und erdrückt
Von seines Elends Last; und laut frohlockend fahren
Mit ihrem schönen Raub nach Tunis die Barbaren.

Zehnter Gesang.

1
Schon sinkt der Tag, und trauernd wirft die Nacht
(Ach! nicht vertraulich mehr in süßer Herzensfülle
Von Liebenden und Freunden zugebracht)
Mitleidig ihre trübste Hülle
Ums öde Eiland her, wo aus der tiefen Stille
Nun keinen Morgen mehr der Freude Lied erwacht;
Nur ein Verlassener von allem was er liebet
Der Pflichten schrecklichste durch stilles Dulden übet.

2
Ihn hört Titania, in ein Gewölk verhüllt,
Tief aus dem Wald herauf in langen Pausen ächzen,
Sieht den Unglücklichen in stummer Angst verlechzen,
Und wendet sich von ihm. Denn, ach! vergebens schwillt
Ihr zartes Herz von innigem Erbarmen.
Ein stärk'rer Zauber stößt mit unaufhaltbar'n Armen
Sie weg von ihm; und wie sie überm Strand
Dahin schwebt, blinkt vor ihr ein Goldreif aus dem Sand.

3
Amanda hatte ihn, im Ringen mit den Söhnen
Des Raubes, unvermerkt vom Finger abgestreift.
Die Elfenkönigin, indem sie ihn ergreift,
Erkennt den Talisman, dem alle Geister fröhnen.
Bald, ruft sie freudig, ist das Maß des Schicksals voll!
Bald werden wieder dich die Sterne mir versöhnen,
Geliebter! Dieser Ring verband uns einst; er soll
Zum zweyten Mahl zu meinem Herrn dich krönen!

4
Inzwischen hatte man im Schiff, mit großer Müh,
Amanden, die in Ohnmacht lag, ins Leben
Zurück gerufen. Kaum begonnte sie
Die schweren Augen trostlos zu erheben;
So fiel vor ihr der Hauptmann auf die Knie,
Und bat sie, sich dem Gram nicht länger zu ergeben:
Dein Glück ist's, sprach er, bloß, wovon ich Werkzeug bin;
In wenig Tagen bist du unsre Königin.

5
Besorge nichts von uns, wir sind nur dich zu schützen
Und dir zu dienen da: dich, Schönste, zu besitzen
Ist nur Almansor werth, der dir an Reitzen gleicht.
Er wird beym ersten Blick in deinen Fesseln liegen;
Und, glaube meinem Wort, du wirst ihn mit Vergnügen
Zu deinen Füßen sehn. Der Hauptmann spricht's, und reicht
(Um allen Argwohn, den sie hegen mag, zu stillen)
Ein reiches Tuch ihr dar, sich ganz darein zu hüllen.

6
Der ist des Todes, (fährt er fort,
Mit einem Blick und Ton, der alles Volk am Bord
Erzittern macht) der je des Frevels sich verwäget
Und seine Hand an diesen Schleier leget!
Betrachtet sie von diesem Augenblick
Als ein Juwel, das schon Almansorn angehöret.
Er sagt's, und zieht, damit sie ungestöret
Der Ruhe pflegen kann, kniebeugend sich zurück.

7
Amanda, ohne auf des Räubers Wort zu hören,
Bewegungslos, betäubt von ihrem Unglück, sitzt,
Die Hände vor der Stirn, die Arme aufgestützt
Auf ihre Knie', mit starren, thränenleeren,
Erloschnen Augen da. Ihr Jammer ist zu groß
Ihn auszusprechen, ihn zu tragen
Ihr starkes Herz zu zart. Ach! diesen letzten Stoß
Erträgt sie nicht! Sie sinkt, doch sinkt sie ohne Klagen.

8
Sie schaut nach Trost sich um, und findet keinen; leer
Und hoffnungslos, und Nacht, wie ihre Seele,
Ist alles, alles um sie her;
Die ganze Welt verkehrt in eine Mörderhöhle!
Sie starrt zum Himmel auf—auch Der
Hat keinen Trost, hat keinen Engel mehr!
Am Abgrund der Verzweiflung, wo sie schwebet,
Steht noch der Tod allein, der sie im Sinken hebet.

9
Mitleidig reicht er ihr die abgezehrte Hand,
Der letzte, treuste Freund der Leidenden! Sie steiget
Hinab mit ihm ins stille Schattenland,
Wo aller Schmerz, wo aller Jammer schweiget;
Wo keine Kette mehr die freye Seele reibt,
Die Scenen dieser Welt wie Kinderträume schwinden,
Und nichts aus ihr als unser Herz uns bleibt:
Da wird sie alles, was sie liebte, wiederfinden!

10
Wie ein verblutend Lamm, still duldend, liegt sie da,
Und seufzt dem letzten Augenblick entgegen:
Als, in der stillen Nacht, sich ihr Titania
Trost bringend naht. Ein unsichtbarer Regen
Von Schlummerdüften stärkt der schönen Dulderin
Matt schlagend Herz, und schläft den äußern Sinn
Unmerklich ein. Da zeigt sich ihr im Traumgesichte
Die Elfenkönigin in ihrem Rosenlichte.

11
Auf! spricht sie, fasse Muth! Dein Sohn und dein Gemahl
Sie athmen noch, sind nicht für dich verloren.
Erkenne mich! Wenn du zum dritten Mahl
Mich wieder siehst, dann ist, was Oberon geschworen,
Erfüllt durch eure Treu'. Ihr endet unsre Pein,
Und wie Wir glücklich sind, so werdet Ihr es seyn.
Mit diesem Wort zerfließt die Göttin in die Lüfte,
Doch wehen, wo sie stand, noch ihre Rosendüfte.

12
Amand' erwacht, erkennt an ihrem Duft
Und Rosenglanz, die nur allmählich schwanden,
Die göttergleiche Frau, die in der Felsengruft,
Gleich unverhofft, ihr ehmahls beigestanden.
Gerührt, beschämt von diesem neuen Schutz,
Ergreift ihr Herz mit dankbarlichem Beben
Dieß Pfand von ihres Sohns und ihres Hüons Leben,
Und beut mit ihm nun jedem Schicksal Trutz.

13
Ach! wüßte sie, was ihr (zu ihrem Glücke)
Verborgen bleibt, wie trostlos diese Nacht
Ihr unglücksel'ger Freund, mit siebenfachem Stricke
An einen Eichenstamm gebunden, zugebracht,
Wie bräch' ihr Herz!—Und Er, vor dessen Augenblitze
Nichts dunkel ist, der gute Schutzgeist, weilt?
Er steht, am Quell des Nils, auf einer Felsenspitze,
Die, ewig unbewölkt, die reinsten Lüfte theilt.

14
Den ernsten Blick dem Eiland zugekehrt,
Wo Hüon schmachtet, steht der Geisterfürst, und hört
Sein Ächzen, das aus tiefer Ferne
Zu ihm herüber bebt,—schaut nach dem Morgensterne,
Und hüllt sich seufzend ein. Da nähert, aus der Schaar
Der Geister, die theils einzeln, theils in Ringen,
ihn überall begleiten und umschwingen,
Sich einer ihm, der sein Vertrauter war.

15
Erblassend, ohne Glanz, naht sich der Sylfe, blickt
Ihn schweigend an, und seine Augen fragen
Dem Kummer nach, der seinen König drückt;
Denn Ehrfurcht hält ihn ab die Frage laut zu wagen.
Schau auf, spricht Oberon. Und mit dem Worte weist
In einer Wolke, die mit ausgespanntem Flügel
Vorüber fährt, sich dem bestürzten Geist
Des armen Hüons Bild als wie in einem Spiegel.

16
Versunken in der tiefsten Noth,
An seines Herzens offnen Wunden
Verblutend, steht er da, verlassen und gebunden
Im öden Wald, und stirbt den langen Martertod.
In diesem hoffnungslosen Stande
Schwellt seine Seele noch das zürnende Gefühl:
"Verdient' ich das? verdiente das Amande?
Ist unser Elend nur den höhern Wesen Spiel?

17
"Wie untheilnehmend bleibt bey meinem furchtbarn Leiden,
Wie ruhig alles um mich her!
Kein Wesen fühlt mit mir; kein Sandkorn rückt am Meer
Aus seinem Platz, kein Blatt in diesen Laubgebäuden
Fällt meinetwegen ab. Ein scharfer Kiesel wär'
Um meine Bande durchzuschneiden
Genugsam—ach! im ganzen Raum der Zeit
Ist keine Hand, die ihm dazu Bewegung leiht!

18
"Und doch, wenn meine Noth zu wenden
Dein Wille wär', o Du, der mich dem Tod so oft
Entrissen, wenn ich es am wenigsten gehofft,
Es würden alle Zweig' in diesem Wald zu Händen
Auf deinen Wink!"—Ein heil'ger Schauder blitzt
Durch sein Gebein mit diesem Himmelsfunken;
Die Stricke fallen ab; er schwankt, wie nebeltrunken,
In einen Arm, der ihn unsichtbar unterstützt.

19
Es war der Geist, dem Oberon die Geschichte
Des treuen Paars im Bilde sehen ließ,
Der diesen Dienst ihm ungesehn erwies.
Der Sohn des Lichts erlag dem kläglichen Gesichte.
Ach! rief er, inniglich betrübt,
Und sank zu seines Meisters Füßen,
So strafbar als er sey, kannst du, der ihn geliebt,
Vor seiner Noth dein großes Herz verschließen?

20
Der Erdensohn ist für die Zukunft blind,
Erwiedert Oberon: wir selbst, du weißt es, sind
Des Schicksals Diener nur. In heil'gen Finsternissen,
Hoch über uns, geht sein verborgner Gang;
Und, willig oder nicht, zieht ein geheimer Zwang
Uns alle, daß wir ihm im Dunkeln folgen müssen.
In dieser Kluft, die mich von Hüon trennt,
Ist mir ein einzigs noch für ihn zu thun vergönnt.

21
Fleug hin, und mach' ihn los, und trag' ihn auf der Stelle,
So wie er ist, nach Tunis, vor die Schwelle
Des alten Ibrahim, der, nahe bey der Stadt,
Die Gärten des Serai's in seiner Aufsicht hat.
Dort leg' ihn auf die Bank von Steinen,
Hart an die Hüttenthür, und eile wieder fort:
Doch hüte dich ihm sichtbar zu erscheinen,
Und mach' es schnell, und sprich mit ihm kein Wort.

22
Der Sylfe kommt, so rasch ein Pfeil vom Bogen
Das Ziel erreicht, bey Hüon angeflogen,
Löst seine Bande auf, beladet sich mit ihm,
Und trägt ihn, über Meer und Länder, durch die Lüfte
Bis vor die Thür des alten Ibrahim;
Da schüttelt er von seiner starken Hüfte
Ihn auf die Bank, so sanft als wie auf Pflaum.
Dem guten Ritter däucht was ihm geschieht ein Traum.

23
Er schaut erstaunt umher, und sucht sich's wahr zu machen:
Doch alles was er sieht bestätigt seinen Wahn.
Wo bin ich? fragt er sich, und fürchtet zu erwachen.
Indem beginnt, nicht fern von ihm, ein Hahn
Zu krähn, und bald der zweyte und der dritte;
Die Stille flieht, des Himmels goldnes Thor
Eröffnet sich, der Gott des Tages geht hervor,
Und alles lebt und regt sich um die Hütte.

24
Auf einmahl knarrt die Thür, und kommt ein langer Mann
Mit grauem Bart, doch frisch und roth von Wangen,
Ein Grabscheit in der Hand, zum Haus heraus gegangen;
Und beide sehn zugleich, was keiner glauben kann,
Herr Hüon seinen treuen Alten
In einem Sklavenwamms—der gute Scherasmin
Den werthen Herrn, den er für todt gehalten,
In einem Aufzug, der nicht glückweissagend schien.

25
Ist's möglich? rufen alle beide
Zu gleicher Zeit—"Mein bester Herr!"—"Mein Freund!"
"Wie finden wir uns hier?"—Und, außer sich vor Freude,
Umfaßt der alte Mann des Prinzen Knie, und weint
Auf seine Hand. Ihn herzlich zu umfangen
Bückt Hüon sich zu ihm herunter, hebt
Ihn zu sich auf, und küßt ihn auf die Wangen.
Gott Lob, ruft Scherasmin, nun weiß ich daß ihr lebt!

26
Was für ein guter Wind trug euch vor diese Schwelle?
Doch zum Erzählen ist der Ort hier nicht geschickt;
Kommt, lieber Herr, mit mir in meine Zelle,
Eh' jemand hier beisammen uns erblickt.
Auf allen Fall seyd ihr mein Neffe Hassan, (flüstert
Er ihm ins Ohr) ein junger Handelsmann
Von Halep, der die Welt zu sehn gelüstert,
Und Schiffbruch litt, und mit dem Leben nur entrann.

27
Ja, leider! blieb mir nichts, seufzt Hüon, als ein Leben
Das keine Wohlthat ist!—Das wird sich alles geben,
Erwiedert Scherasmin, und schiebt sein Kämmerlein
Ihm hurtig auf, und schließt sich mit ihm ein.
Da, spricht er, nehmet Platz; bringt dann auf einem Teller
Das beste, was sein kleiner Vorrathskeller
Vermag, herbey, Oliven, Brot und Wein,
Und setzt sich neben ihn, und heißt ihn fröhlich seyn.

28
Mein bester Herr, daß wir, nach allen Streichen
Die uns das Glück gespielt, so unvermuthet hier
Zu Tunis, vor der Hüttenthür
Des Gärtners Ibrahim uns finden, ist ein Zeichen,
Daß Oberon ganz unvermerkt und still
Uns alle wiederum zusammen bringen will.
Noch fehlt das Beste; doch, zum Pfande für Amanden,
Ist wenigstens die Amme schon vorhanden.

29
Was sagst du? ruft Herr Hüon voller Freuden.
Demselben Ibrahim, dem ich bedienstet bin,
Dient sie als Sklavin hier, erwiedert Scherasmin.
Wie wird das gute Weib die Augen an euch weiden!
Drauf fängt er ihm Bericht zu geben an,
Was er in all' der Zeit gelitten und gethan,
Und was ihn, unverrichter Sachen,
Bewogen, von Paris sich wieder wegzumachen.

30
Und wie er ihn zu Rom im Lateran gesucht,
Und, seiner dort viel Wochen ohne Frucht
Erwartend, unvermerkt sein Bißchen Geld verzettelt,
Darauf, mit Muscheln ausstaffiert,
Sich durch die halbe Welt als Pilger durchgebettelt,
Bis ihn sein guter Geist zuletzt hierher geführt,
Wo Fatme, die er unverhofft gefunden,
Auf beßre Zeit mit ihm zu harren sich verbunden.

31
Zum Glück ist immer unversehrt
(Setzt er hinzu) das Kästchen mitgezogen,
Das euch der schöne Zwerg zu Askalon verehrt;
Denn, wie ich sehe, Horn und Becher sind entflogen.
Verzeiht mir, lieber Herr! ich traf den wunden Ort;
Es war nicht hübsch an mir so frey heraus zu platzen:
Die Freude, daß ich euch gefunden, macht mich schwatzen;
Allein, ihr kennt mein Herz, und weiter nun kein Wort!

32
Der edle Fürstensohn drückt seinem guten Alten
Die Hand, und spricht: Ich kenne deine Treu',
Sollst alles wissen, Freund! ich will dir nichts verhalten;
Allein, vor allem, steh in Einem Ding mir bey.
Das Kästchen, das du mir erhalten,
Ist an Juwelen reich. Denkst du nicht auch, es sey
Am besten angewandt, mir eilends Pferd und Waffen
Und ritterlichen Schmuck in Tunis anzuschaffen?

33
Es sind zwölf Stunden kaum, seit eine Räuberschaar
Amanden mir entriß, mir, der am ödsten Strande
Allein mit ihr und unbewaffnet war.
Sie führen sie vielleicht in diese Mohrenlande,
Nach Marok oder Fez, gewiß nach einem Platz,
Wo Hoffnung ist, sie theuer zu verkaufen:
Allein kein Harem soll mir meinen höchsten Schatz
Entziehen, sollt' ich auch die ganze Welt durchlaufen.

34
Der Alte sinnt der Sache schweigend nach.
"Die Gegend, wo ihr euch mit Rezia befunden,
Ist also wohl nur wenig Stunden
Von hier entfernt?"—Nicht daß ich wüßte, sprach
Der junge Fürst; vielleicht sind's tausend Stunden:
Mich trug, unendlich schnell, ich weiß nicht wer,
(Doch wohl ein Geist) aus einem Wald hierher,
Wo mich das Räubervolk an einen Baum gebunden.

35
Das hat, ruft jener aus, kein andrer Arm gethan
Als Oberons. Ich selber, spricht der Ritter,
Ich trau' ihm's zu, und nehm's als ein Versprechen an,
Er werde mehr noch thun. So bitter
Die Trennung ist, so schreckenvoll das Bild
Des holden Weibs in wilden Räuberklauen;
Dieß neue Wunder, Freund, erfüllt
Mein neu belebtes Herz mit Hoffnung und Vertrauen.

36
Der müßte ja ganz herzlos, ganz von Stein,
Und ohne Sinn, und gänzlich unwerth seyn
Daß sich der Himmel seinetwegen
Bemühe, (hätt' er auch von dem die Hälfte nur
Erfahren, was mir widerfuhr)
Wer Kleinmuth und Verdacht zu hegen
Noch fähig wär'. Es geh' durch Feuer oder Flut
Mein dunkler Weg, ich halte Treu' und Muth.

37
Nur, lieber Scherasmin, wenn's möglich ist, noch heute
Verschaffe mir ein Schwert und einen Gaul.
Zu lang' entbehr' ich beides!—an der Seite
Der Liebe zwar—doch itzt, in dieser Weite
Von Rezia, däucht mir mein Herzblut stehe faul
Als wie ein Sumpf, bis ich die schöne Beute
Den Helden abgejagt. Ihr Leben und mein Glück,
Bedenk' es, hängt vielleicht an einem Augenblick.

38
Der Alte schwört ihm zu, es soll' an ihm nicht liegen
Des Prinzen Ungeduld noch heute zu vergnügen.
Doch unverhofft hält seines Eifers Lauf
Am ersten Abend schon ein leidiger Zufall auf.
Denn Hüon fühlte von so viel Erschütterungen,
Die Schlag auf Schlag gefolgt, auf einmahl sich bezwungen,
Und brachte, matt und glühend, ohne Ruh,
Die ganze Nacht in Fieberträumen zu.

39
Die Bilder, die ihm stets im Sinne lagen,
Beleben sich; er glaubt mit einem Schwarm
Von Feinden sich ergrimmt herum zu schlagen;
Dann sinkt er kraftlos hin, und drückt im kalten Arm
Die Leiche seines Sohns; bald kämpft er mit den Fluten,
Hält die versinkende Geliebte nur am Saum
Des Kleides noch; bald, selbst an einen Baum
Gebunden, sieht er sie in Räuberarmen bluten.

40
Erschöpft von Grimm und Angst stürzt er aufs Lager hin
Mit starrem Blick. Dem treuen Scherasmin
Kommt seine Wissenschaft in dieser Noth zu Statten.
Denn dazumahl war's eines Knappen Amt
Die Heilkunst mit der Kunst der Ritterschaft zu gatten.
Ihm war sie schon vom Vater angestammt,
Und viel geheimes ward auf seinen langen Reisen
Ihm mitgetheilt von Rittern und von Weisen.

41
Er eilt, so bald der schöne Morgenstern
Am Himmel bleicht, (indeß bey dem geliebten Herrn
Als Wärterin sich Fatme emsig zeiget)
Den Gärten zu, worin noch alles ruht und schweiget;
Sucht Kräuter auf, von deren Wunderkraft
Ein Eremit auf Horeb ihn belehret,
Und drückt sie aus, und mischet einen Saft,
Der binnen kurzer Frist dem stärksten Fieber wehret.

42
Ein sanfter Schlaf beginnt schon in der zweyten Nacht
Auf Hüons Stirne sich zu senken.
Mit liebevoller Treu' gepfleget und bewacht,
Und reichlich angefrischt mit kühlenden Getränken,
Fühlt er am vierten Tag so gut sich hergestellt,
Um sich, so bald der Mond die laue Nacht erhellt,
In einem Gärtnerwamms, womit man ihn versehen,
Mit Scherasmin im Garten zu ergehen.

43
Sie hatten in den Rosenbüschen,
Nah an der Hütte, noch nicht manchen Gang gethan,
So kommt die Amme (die, was neues aufzufischen,
Sich oft dem Harem naht) mit einer Zeitung an,
Die kräft'ger ist als irgend ein Laudan
Des Kranken Blut und Nerven zu erfrischen:
Es sey, versichert sie, beynahe zweifelsfrey
Daß Rezia nicht fern von ihnen sey.

44
Wo ist sie? wo? ruft Hüon mit Entzücken
Und Ungeduld, auffahrend—Hurtig! sprich!
Wo sahst du sie?—Gesehn? erwiedert Fatme, ich?
Das sagt' ich nicht; allein, ich lasse mich zerstücken
Wenn's nicht Amanda ist, die diesen Abend hier
Gelandet. Höret nur, was die Minute mir
Die Jüdin Salome, die eben
Vom innern Harem kam, für ganz gewiß gegeben.

45
Kurz, sprach sie, vor der Abendzeit
Ließ auf dem hohen Meer sich eine Barke sehen;
Sie flog daher mit Vogelsschnelligkeit,
Die Segel schien ein frischer Wind zu blähen.
Auf einmahl stürzt aus wolkenlosen Höhen
Zickzack ein feur'ger Strahl herab,
Und mit dem ersten Stoß, den ihm ein Sturmwind gab,
Sieht man das ganze Schiff in voller Flamme stehen.

46
An Löschen denkt kein Mensch in solcher Noth.
Das Feuer tobt. Vom fürchterlichsten Tod
Umschlungen, springt aus seinem Flammenrachen
Wer springen kann, und wirft sich in den Nachen.
Der Wind macht bald sie von dem Schiffe los,
Treibt sie dem Ufer zu; doch, eine Viertelstunde
Vom Strand, ergreift den Kahn ein neuer Wirbelstoß,
Und stürzt ihn um, und alles geht zu Grunde.

47
Die Leute schrey'n umsonst zu ihrem Mahom auf,
Arbeiten, mit der angestrengten Stärke
Der Todesangst, umsonst sich aus der Flut herauf:
Nur eine einz'ge Frau, die sich zum Augenmerke
Der Himmel nahm, entrinnet der Gefahr,
Wird auf den Wellen, wie auf einem Wagen,
Ganz unversehrt, und unbenetzt sogar,
Dem nahen Ufer zugetragen.

48
Von ungefähr stand mit Almansaris
Der Sultan just auf einer der Terrassen
Des Schlosses, die hinaus ins Meer sie sehen ließ,
Erwartungsvoll den Ausgang abzupassen.
Ein sanfter Zefyr schien die Frau herbey zu wehn.
Doch, um sich nicht zu viel auf Wunder zu verlassen,
Winkt itzt Almansaris, und hundert Sklaven gehn
Bis an den Hals ins Meer, der Schönen beyzustehn.

49
Man sagt, der Sultan selbst sey an den Strand gekommen,
Und habe sie, von einem Idschoglan,
Der aus dem strudelnden Schaum bis zur Terraß' hinan
Sie auf dem Rücken trug, selbst in Empfang genommen.
Man konnte zwar nicht hören was er sprach,
Doch schien er ihr viel höfliches zu sagen,
Und, weil's an Zeit und Freyheit ihm gebrach,
Sein Herz ihr, wenigstens durch Blicke, anzutragen.

50
Wie dem auch sey, dieß ist gewiß,
(Fährt Fatme fort) daß sich Almansaris
Der schönen Schwimmerin gar freundlich und gewogen
Bewiesen hat, und ihr viel schönes vorgelogen,
Wiewohl der Fremden seltner Reitz
Ihr gleich beym ersten Blick Almansors Herz entzogen;
Und daß sie ein Gemach bereits
Im Sommerhaus der Königin bezogen.

51
Angst, Freude, Lieb' und Schmerz, mahlt, während Fatme spricht,
Sich wechselsweis' in Hüons Angesicht.
Daß es Amanda sey, scheint ihm, je mehr er denket,
Je minder zweifelhaft. Es zeigt sich sonnenklar,
Daß Oberon, wiewohl noch unsichtbar,
Die Zügel seines Schicksals wieder lenket.
Wohlan denn, Freunde, rathet nun,
Was meinet ihr? was ist nunmehr zu thun?

52
Dem Sultan mit Gewalt Amanden zu entreißen,
Das würde Roland selbst nicht wagen gut zu heißen,
Erwiedert Scherasmin; wiewohl es rathsam ist,
Uns insgeheim, auf alles was geschehen
Und nicht geschehen kann, mit Waffen zu versehen.
Doch vor der Hand versuchen wir's mit List!
Wie, wenn ihr, da ihr euch doch nicht des Grabens schämet,
Bey Ibrahim als Gärtner Dienste nähmet?

53
Gesetzt, er macht auch Anfangs Schwierigkeit,
Er sieht euch schärfer an, und schüttelt
Sein weises Haupt; mir ist dafür nicht leid:
Ein schöner Diamant hat manches schon vermittelt.
Laßt diese Sorge mir, Herr Ritter! Zwischen heut
Und morgen sehn wir euch, trotz aller Schwierigkeit,
Zu einem Gärtnerschurz betitelt;
Das weit're überlaßt dem Himmel und der Zeit.

54
Der Vorschlag däucht dem Ritter wohl ersonnen,
Und wird nun ungesäumt und klüglich ausgeführt.
Der alte Ibrahim ist bald so gut gewonnen,
Daß er den Paladin zum Neffen adoptiert,
Zu seinem Schwestersohn, der von Damask gekommen,
Und in der Blumenzucht besonders viel gethan;
Kurz, Hüon wird zum Gärtner angenommen,
Und tritt sein neues Amt mit vielem Anstand an.

Eilfter Gesang.

1
Die Hoffnung, die ihr schimmerndes Gefieder
Um Hüon wieder schwingt, Sie, die er einzig liebt,
Bald wieder sein zu sehn, die goldne Hoffnung giebt
Ihm bald den ganzen Glanz der schönsten Jugend wieder.
Schon der Gedanke bloß, daß sie so nah ihm ist,
Daß dieses Lüftchen, das ihn kühlet,
Vielleicht Amandens Wange kaum geküßt,
Vielleicht um ihre Lippen kaum gespielet;

2
Daß diese Blumen, die er bricht
Und mahlerisch in Kränz' und Sträuße flicht,
Um in den Harem sie, wie üblich ist, zu schicken,
Vielleicht Amandens Locken schmücken,
Ihr schönes Leben vielleicht an ihrer lieblichen Brust
Verduften,—der Gedank' erfüllt ihn mit Entzücken;
Das schöne Roth der Sehnsucht und der Lust
Färbt wieder seine Wang' und strahlt aus seinen Blicken.

3
Die heiße Tageszeit vertritt das Amt der Nacht
In diesem Land, und wird verschlummert und verträumet.
Allein, so bald der Abendwind erwacht,
Fragt Hüon, den die Liebe munter macht,
Schon alle Schatten an, wo seine Holde säumet?
Er weiß, die Nacht wird hier mit Wachen zugebracht;
Doch darf sich in den Gärten und Terrassen
Nach Sonnenuntergang nichts männlichs sehen lassen.

4
Die Damen pflegen dann, beym sanften Mondesglanz
Bald paarweis', bald in kleinen Rotten,
Die blühenden Alleen zu durchtrotten;
Und ziert die Fürstin selbst den schönen Nymfenkranz,
Dann kürzt Gesang und Saitenspiel und Tanz
Die träge Nacht; drauf folgt in stillen Grotten
Ein Bad, zu dem Almansor selbst (so scharf
Gilt hier des Wohlstands Pflicht) sich niemahls nähern darf.

5
Amanden (die, wie unser Ritter glaubte,
Im Harem war) zu sehn, blieb keine Möglichkeit,
Wofern er nicht sich um die Dämm'rungszeit
Im Garten länger säumt als das Gesetz erlaubte.
Er hatte dreymahl schon die unruhvollste Nacht
In einem Busch an dem vorbey zu gehen
Wer aus dem Harem kam genöthigt war, durchwacht,
Gelauscht, geguckt, und ach! Amanden nicht gesehen!

6
Fußfällig angefleht von Fatme, Ibrahim
Und Scherasmin, ihr und sein eignes Leben
So offenbar nicht in Gefahr zu geben,
Wollt' er, wiewohl der Sonnenwagen ihm
Zu schnell hinab gerollt, am vierten Abend (eben
Zur höchsten Zeit) sich noch hinweg begeben,
Als plötzlich, wie er sich um eine Hecke dreht,
Almansaris ganz nahe vor ihm steht.

7
Sie kam, gelehnt an ihrer Nymfen eine,
Um, lechzend von des Tages strengem Brand,
Im frischen Duft der Pomeranzenhaine
Sich zu ergehn. Ein leichtes Nachtgewand,
So zart als hätten Spinnen es gewebet,
Umschattet ihren Leib, und nur ein goldnes Band
Schließt's um den Busen zu, der durch die dünne Wand
Mit schöner Ungeduld sich durchzubrechen strebet.

8
Nie wird die Bildnerin Natur
Ein göttlicher Modell zu einer Venus bauen
Als diesen Leib. Sein reitzender Kontur
Floß wellenhaft, dem feinsten Auge nur
Bemerklich, zwischen dem Genauen
Und Überflüssigen, so weich, so lieblich hin,
Schwer war's dem kältsten Josefssinn,
Sie ohne Lüsternheit und Sehnsucht anzuschauen!

9
Es war in jedem Theil, was je die Fantasie
Der Alkamenen und Lysippen
Sich als das Schönste dacht' und ihren Bildern lieh;
Es war Helenens Brust, und Atalantens Knie,
Und Leda's Arm, und Erigonens Lippen.
Doch bis zu jenem Reitz erhob die Kunst sich nie,
Der stets, so bald dazu die Lust in ihr erwachte,
Sie zur Besiegerin von allen Herzen machte.

10
Der Geist der Wollust schien alsdann
Mit ihrem Athem sich den Lüften mitzutheilen,
Die um sie säuselten. Von Amors schärfsten Pfeilen
Sind ihre Augen voll, und wehe dann dem Mann,
Der mit ihr kämpfen will! Denn, könnt' er auch entgehen
Dem feurig schmachtenden Blick, der ihn so lieblich kirrt,
Wie wird er diesem Mund voll Lockungen, wie wird
Er seinem Lächeln widerstehen?

11
Wie dem Sirenenton der zauberischen Stimme,
Der des Gefühls geheimste Saiten regt?
Der in der Seele Schooß die süße Täuschung trägt,
Als ob sie schon in Wollustseufzern schwimme?
Und wenn nun, eh' vielleicht die Weisheit sich's versah,
Verräth'risch jeder Sinn, zu ihrem Sieg vereinigt,
Den letzten Augenblick der Trunkenheit beschleunigt:
O sagt, wer wäre dann nicht seinem Falle nah?

12
Doch, ruhig! Fern ist noch und ungewiß vielleicht
Der Schiffbruch, der uns itzt fast unvermeidlich däucht.
Zu fliehen—sonst auf alle Fälle
Das klügste—ging in diesem Augenblick
Nicht an—sie war zu nah—wiewohl an Hüons Stelle
Ein wahrer Gärtner doch geflohen wär'. Zum Glück,
Hilft, falls sie fragt, ein Korb mit Blumen und mit Früchten,
Den er im Arme trägt, ihm eine Antwort dichten.

13
Natürlich stutzt die schöne Königin,
In ihrem Wege hier auf einen Mann zu treffen.
Was machst du hier? fragt sie den Paladin
Mit einem Blick, der jedem andern Neffen
Des alten Gärtners tödtlich war.
Doch Hüon, unterm Schirm gesenkter Augenlieder,
Läßt auf die Kniee sich mit edler Ehrfurcht nieder,
Und stellt den Blumenkorb ihr als ein Opfer dar.

14
Er hatte, (spricht er) bloß es ihr zu überreichen,
Die Zeit versäumt, die allen seines gleichen
Die Gärten schließt. Hat er zu viel gethan,
So mag sein Kopf den raschen Eifer büßen.
Allein die Göttin scheint in einen mildern Plan
Vertieft, indeß zu ihren Füßen
Der schöne Frevler liegt. Sie sieht ihn gütig an,
Und scheint mit Mühe sich zum Fortgehn zu entschließen.

15
Den schönsten Jüngling, den sie jemahls sah—und schön
Wie Helden sind, mit Kraft und Würde—fremde
Der Farbe nach—in einem Gärtnerhemde—
Dieß schien ihr nicht natürlich zuzugehn.
Gern hätte sie mit ihm sich näher eingelassen,
Hielt' nicht der strenge Zwang des Wohlstands sie zurück.
Sie winkt ihm endlich weg; doch scheint ein Seitenblick,
Der ihn begleitet, viel, sehr viel in sich zu fassen.

16
Sie schreitet langsam fort, stillschweigend, dreht sogar
Den schönen Hals, ihm hinten nachzusehen,
Und zürnt, daß er dem Wink so schnell gehorsam war.
War er, den Blick, der ihn erklärte, zu verstehen,
Zu blöde? Fehlt's vielleicht der reitzenden Gestalt
An Seele? Trügt das ungeduld'ge Feuer
In seinem Auge? Macht Gefahr ihn kalt?
Wie, oder sucht' er hier ein andres Abenteuer?

17
Ein andres?—Dieser Zweifel hüllt
Ihr plötzlich auf, was sie sich selber zu gestehen
Erröthet. Unruhvoll, verfolgt von Hüons Bild,
Irrt sie die ganze Nacht durch Lauben und Alleen,
Horcht. Jedem Lüftchen das sich regt
Entgegen, jedem Blatt, das an ein andres schlägt:
Still! spricht sie zur Vertrauten, laß uns lauschen!
Mir däucht, ich hörte was durch jene Hecke rauschen.

18
Es ist vielleicht der schöne Gärtner, spricht
Die schlaue Zof': er ist, wofern mich alles nicht
An ihm betrügt, der Mann sein Leben dran zu setzen,
Um hier, im Hinterhalt, an einen Busch gedrückt,
Mit einem Anblick sich noch einmahl zu ergetzen,
Der ihn ins Paradies verzückt.
Wie wenn wir ihn ganz leise überraschten,
Und auf der frischen That den schönen Frevler haschten?

19
Schweig, Närrin, spricht die Haremskönigin;
Du faselst, glaub' ich, gar im Traume?
Und gleichwohl richtet sie geraden Wegs zum Baume,
Woher das Rauschen kam, die leichten Schritte hin.
Es war ein Eidechs nur gewesen,
Der durchs Gesträuch geschlüpft.—Ein Seufzer, halb erstickt,
Halb in den Strauß, den sie zum Munde hielt, gedrückt,
Bekräftigt was Nadin' in ihrem Blick gelesen.

20
Unmuthig kehrt sie um, und mit sich selbst in Zwist,
Beißt sich die Lippen, seufzt, spricht etwas, und vergißt
Beym dritten Wort schon was sie sagen wollte,
Zürnt, daß Nadine nicht die rechte Antwort giebt,
Und nicht erräth, was sie errathen sollte;
Die schöne Dame ist, mit Einem Wort—verliebt!
Sogar ihr Blumenstrauß erfährt's—wird, ohn' ihr Wissen,
Zerknickt, und, Blatt für Blatt, verzettelt und zerrissen.

21
Drey Tage hatte nun das Übel schon gewährt,
Und war, durch Zwang und Widerstand genährt,
Mit jeder Nacht, mit jedem Morgen schlimmer
Geworden. Denn, so bald der Abendschimmer
Die bunten Fenster mahlt, verläßt sie ihre Zimmer,
Und streicht, nach Nymfen-Art, mit halb entbundnem Haar,
Durch alle Gartengäng' und Felder, wo nur immer
Den Neffen Ibrahims zu finden möglich war.

22
Allein, vergebens lauscht' ihr Blick, vergebens pochte
Ihr Busen Ungeduld: der schöne Gärtner ließ
Sich nicht mehr sehn, was auch die Ursach' heißen mochte.
Unglückliche Almansaris!
Dein Stolz erliegt. Wozu dich selbst noch länger quälen,
(Denkt sie) und was dich nagt Nadinen, die gewiß
Es lange merkt, aus Eigensinn verhehlen?
Verheimlichung heilt keinen Schlangenbiß.

23
Sie wähnt, sie suche Trost an einer Freundin Busen;
Doch was sie nöthig hat ist eine Schmeichlerin.
In dieser Hofkunst war Nadine Meisterin.
Der Saft von allen Pompelmusen
In Afrika erfrischte nicht so gut
Der wollustathmenden Sultanin gährend Blut,
Als dieser Freundin Rath und zärtliches Bemühen,
Den Mann, den sie begehrt, bald in ihr Netz zu ziehen.

24
Um Mitternacht und bey verschloßnen Thüren
Ihn in den Theil des Harems einzuführen
Worin Almansaris ganz unumschränkt befahl,
Schien nicht so schwierig, seit der Sultan, ihr Gemahl,
Der Leidenschaft zur schönen Zoradinen
(Wie sich die junge Fremde hieß
Die durch ein Wunder jüngst an diesem Strand erschienen)
Ganz öffentlich und frey sich überließ.

25
Die Amme hatte sich im Schließen nicht betrogen;
Es war Amanda selbst, die aus der Räuber Macht
Titania durch einen Blitz gezogen
Und unverletzt an diesen Strand gebracht.
Ihr wißt, was sich begab als sie ans Land gekommen;
Wie ihr Almansor stracks sein flüchtig Herz geweiht,
Und wie mit neidischer verstellter Zärtlichkeit
Almansaris sie aufgenommen.

26
Der Sultan war vielleicht der allerschönste Mann
Auf den die Sonne je geschienen,
Und wußte dessen sich so siegreich zu bedienen,
Daß ihm noch nie ein weiblich Herz entrann.
Zum ersten Mahl bey dieser Zoradinen
Verlor er seinen Ruhm. Für Sie ist nur Ein Mann
Auf Erden; Sie hat keine Augen, keinen
Gedanken, keinen Sinn, als nur für diesen Einen.

27
Die Würde ohne Stolz, die edle Sicherheit,
Die anstandvolle, unterstellte
Gleichgültigkeit und ungezwungne Kälte,
Womit sie ihn, der hier befehlen kann, so weit
Von sich zu halten weiß, daß er, wie sehr er brennet,
Ihr kaum durch einen stummen Blick
Zu klagen wagt,—dieß alles sieht und nennet
Almansaris der Buhlkunst Meisterstück.

28
Gewohnt, des Sultans Herz nach ihrer Lust zu drehen,
Zu herrschen über ihn, im Harem unbeschränkt
Zu herrschen, könnte sie den Zepter ungekränkt
Von dieser Fremden aus der Hand sich spielen sehen?
Zwar leiht sie ihrem Haß ein lächelndes Gesicht,
Und thut als zweifle sie an Zoradinen nicht;
Doch überall ist's in des Harems Mauern
Verborgner Augen voll, die all ihr Thun belauern.

29
Allein, seitdem des schönen Gärtners Reitz
Mit Amors schärfstem Pfeil ihr stolzes Herz durchdrungen,
Hat Lustbegier die Eifersucht verschlungen.
Ihr Ehrgeitz weicht nun einem süßern Geitz,
Dem Geitz nach seinem Kuß. Ihn wieder zu besiegen
Ist nun ihr einz'ger Stolz. Mag doch die ganze Welt
Zu Zoradinens Füßen liegen,
Wenn Sie nur den sie liebt in ihren Armen hält!

30
Sie selbst befördert nun den Anschlag—Zoradinen,
Entfernt von ihr, in einem andern Theil
Des Harems, den Almansor schon in Eil'
Für sie bereiten ließ, anständ'ger zu bedienen:
Der Fremden wahrer Stand, wiewohl sie ihn noch nicht
Gestanden, mache dieß zu einer Art von Pflicht;
Beym ersten Anblick könn' es keinem Aug' entgehen,
Sie sey gewohnt nichts über sich zu sehen.

31
Indem Almansaris, mit lust'ger Höflichkeit,
Auf diese Weise sich in ihren eignen Zimmern
Von einer Zeugin, die ihr lästig ist, befreyt,
Läßt, ohne sich um sie, und wie sie sich die Zeit
Vertreiben kann und will, im mindesten zu kümmern,
Almansor, der nun ganz sich seiner Liebe weiht,
Ihr freyen Raum, Entwürfe auszubrüten,
Wozu im Harem ihr sich hundert Hände bieten.

32
Unmäßig grämt indeß der schöne Gärtner sich,
Daß ihm—der schon seit mehr als sieben Tagen
Die Mauern, wo Amanda trau'rt, umschlich,
(Denn daß sie trau'rt, das kann sein eignes Herz ihm sagen)
Das holde Weib auch durch ein Gitter nur
Zu sehn, nur ihres leichten Fußes Spur,
(Er würd' ihn, o gewiß! aus tausenden erkennen!)
Die unmitleidigen Gestirne noch mißgönnen.

33
Er wirft sich unmuthsvoll bey seinen Freunden hin:
"Könnt ihr, wenn ihr mich liebt, denn keinen Weg ersinnen,
Nur einen einz'gen Mund im Harem zu gewinnen,
Der meinen Nahmen nur und daß ich nah ihr bin
Ins Ohr ihr flüstre?"—Still! da kommt mir was zu Sinn,
Ruft Fatme aus: Ihr sollt ihr einen Mahneh schicken!
Geht nur, die Blumen, die uns nöthig sind, zu pflücken;
In dieser Sprache bin ich eine Meisterin.

34
Und Hassan eilt, wie Fatme ihm befohlen,
Ein Myrtenreis, und Lilien, und Schasmin,
Und Rosen und Schonkilien herzuhohlen.
Drauf heißt sie ihn ein Haar aus seinen Locken ziehn,
Nimmt dünnen goldnen Draht, und windet
Und dreht das Haar mit ihm zusammen, bindet
Den Strauß damit, und drein ein Lorberblatt,
Worauf er A und H, verschränkt, gekritzelt hat.

35
Nun, spricht sie, wenn ich's noch mit Zimmetwasser netze,
So ist's der schönste Brief, den je ein Herzensdieb
Von eurer Art an seine Liebste schrieb.
Wollt ihr, daß ich's geschwind euch übersetze?
Verliere keine Zeit, ruft Hüon, tausend Dank!
Du kannst nicht bald genug mir eine Antwort bringen;
Die Liebe schütze dich und laß' es dir gelingen!
Geh, wir erwarten dich auf dieser Rasenbank.

36
Die gute Fatme ging. Allein, weil ihr kein Zimmer
Im innern Theil des Harems offen stand,
So lief der Strauß durch manche Sklavenhand,
Und ward zuletzt (wie sich der Zufall immer
In alles ungebeten mischt)
Durch einen Irrthum von Nadinen aufgefischt,
Und ihrer Königin, nachdem sie erst durch Fragen
Das Wie und Wann erforscht, frohlockend zugetragen.

37
Weil Fatme diesen Brief gebracht,
Die Sklavin Ibrahims, so konnte der Verdacht
Auf keinen andern als den schönen Hassan fallen;
Und daß er aus des Harems Schönen allen
Der Schönsten gelten muß, scheint eben so gewiß,
Zumahl nach dem was jüngst sich zugetragen.
Was könnte denn das A und H sonst sagen,
Als—Hassan und Almansaris?

38
Und hätte sie, wiewohl es nicht zu glauben,
Auch eine Nebenbuhlerin;
Nur desto mehr Triumf für ihren stolzen Sinn,
Der Feindin mit Gewalt die Beute wegzurauben!
Die Eifersucht, die dieß auf einmahl rege macht,
Vereinigt sich mit andern sanftern Trieben,
Nicht länger als bis auf die nächste Nacht
Den schönen Sieg, nach dem sie dürstet, zu verschieben.

39
Indessen kommt, entzückt von ihres Auftrags Glück,
Und ohne Argwohn, hintergangen
Zu seyn, fast athemlos, mit glühend rothen Wangen
Vor Freud' und Hastigkeit, die Amme nun zurück.
Ihr Blick ist schon von fern als wie ein Sonnenblick
Aus Wolken, die sich just zu theilen angefangen.
Herr Ritter (raunt sie ihm ins Ohr) was gebt ihr mir,
So öffnet heute noch sich euch die Himmelsthür?

40
Mit Einem Wort, ihr sollt Amanden sehen!
Noch heut, um Mitternacht, wird euch die kleine Thür
Ins Myrtenwäldchen offen stehen:
Der Sklavin, die euch dort erwartet, folget ihr
Getrost wohin sie geht, und fürchtet keine Schlingen;
Sie wird euch unversehrt an Ort und Stelle bringen.
Das gute Weib, dem nichts von Arglist schwant,
Verläßt sich auf den Weg, den sie ihm selbst gebahnt.

41
"Wie hoch, o Fatme! bin ich dir verbunden!
Ruft Hüon aus—Ich soll sie wiedersehn!
Noch diese Nacht! Und wär's, durch tausend Wunden
Unmittelbar von Ihr in meinen Tod zu gehn,
Kaum würde weniger die Nachricht mich erfreuen!"
Mein bester Herr, ich habe guten Muth;
Die Sterne sind uns hold, ihr werdet sie befreyen,
(Spricht Scherasmin) und alles wird noch gut!

42
Gebt mir drey Tage nur, um heimlich eine Pinke
Zu miethen, die nicht fern in einer sichern Bucht
Vor Anker liegen soll, bereit, beym ersten Winke,
So bald der Augenblick zur Flucht
Uns günstig wird, frisch in die See zu stechen.
Noch läßt's das Kästchen uns an Mitteln nicht gebrechen;
Nur Gold genug, so ist die Welt zu Kauf;
Ein goldner Schlüssel, Herr, schließt alle Schlösser auf!

43
Indeß daß unser Held die Zeit von seinem Glücke
Mit Ungeduld an seinem Pulse zählt,
Und, weil sein Puls mit jedem Augenblicke
Behender schlägt, sich immer überzählt,
Seufzt, nicht geduldiger, die reitzende Sultane,
Gerüstet schon zum Sieg, die Mitternacht herbey.
Gefällig bot der Zufall ihrem Plane
Die Hand, und machte sie von allen Seiten frey.

44
Ein großes Fest, der schönen Zoradinen
Zu Ehren im Palast vom Sultan angestellt,
Wobey die Odalisken all' erschienen,
Gab ihr in ihrem Theil des Harems offnes Feld.
Daß sich Almansaris für überflüssig hält
Bey dieser Lustbarkeit, schien keinem ungebührlich:
Im Gegentheil, man fand das Kopfweh sehr natürlich,
Das, wie gebeten, sie auf einmahl überfällt.

45
Die Stunde ruft. Der schöne Gärtner nahet
Sich leise durchs Gebüsch der kleinen Gartenthür.
Wie klopft sein Herz! Ihm fehlt der Athem schier,
Da eine weiche Hand im Dunkeln ihn empfahet,
Und sanft ihn nach sich zieht. Stillschweigend folgt er ihr,
Mit leisem Tritt, bald auf bald ab, durch enge
Sich oft durchkreuzende lichtarme Bogengänge,
Und nun entschlüpft sie ihm vor einer neuen Thür.

46
Wo sind wir? flüstert er und tappt mit beiden Händen.
Auf einmahl öffnet sich die Thür. Ein matter Schein
(Wie wenn sich, zwischen Myrtenwänden
Mit Efeu überwölbt, in einem Frühlingshain
Der Tag verliert) entdeckt ihm eine Reihe Zimmer
Die ohne Ende scheint; und, wie er vorwärts geht,
Wird unvermerkt das matte Licht zu Schimmer,
Der Schimmer schnell zum höchsten Glanz erhöht.

47
Er steht betroffen und geblendet
Von einer Pracht, die alles, was er ie
Gesehn, beschämt; so sehr ist Gold und Lapis Lazuli,
Und was Golkond und Siam reiches sendet,
Mit stolzer Üppigkeit hier überall verschwendet.
Doch unbefriedigt sucht sein liebend Auge—Sie.
Wo ist Sie? seufzt er laut. Kaum ist sein Ach! entflogen,
So wird, in einem Blitz, ein Vorhang weggezogen.

48
Zu beiden Seiten rauscht der reiche Goldstoff auf,
Und welch ein Schauspiel zeigt sich seinen starren Blicken!
Ein goldner Thron, und eine Dame drauf,
So wie ein Bildner sich, verloren in Entzücken,
Die Liebesgöttin denkt. Zwölf Nymfen, jede jung
Und voller Reitz, wie Amors Schwestern, schweben
In Gruppen rings umher,—um, gleich der Dämmerung,
Den steigenden Triumf der Sonne zu erheben.

49
Von rosenfarbner Seide kaum
Beschattet, schienen sie, zu ihrer Dame Füßen,
Wie Wölkchen, die in einem Dichtertraum
Um Cythereens Wagen fließen.
Sie selbst, im reichsten Putz und mit Juwelen ganz
Belastet, zeigt ihm bloß, daß all dieß bunte Funkeln
Nicht fähig ist, den angebornen Glanz
Von ihrer Schönheit zu verdunkeln.

50
Herr Hüon, (der sich nun der Gärtner Hassan nennt)
So wie sein Auge sich zu ihr erhebt—erkennt
Almansaris, erschrickt, verwirrt sich, wankt zurücke.
Dieß allverblendende wollüst'ge Traumgesicht,
Was soll es ihm?—Er sieht Amanden nicht!
Sie suchte hier sein Herz, Sie suchten seine Blicke.
Almansaris, die sehr verzeihlich irrt,
Glaubt, daß ihr Glanz allein ihn blendet und verwirrt.

51
Sie steigt vom Thron herab, kommt lächelnd ihm entgegen
Und nimmt ihn bey der Hand, und scheint bereit, für ihn
Die Majestät, vor der ihm schwindelt, abzulegen,
Und allen Vortheil bloß von ihrem Reitz zu ziehn.
Unmerklich wird ihr Anstand immer freyer;
In ihren Augen brennt ein lieblich lodernd Feuer
Und spielt elektrisch sich in seinen Busen ein;
Sie drückt ihm sanft die Hand, und heißt ihn fröhlich seyn.

52
Halb unentschlossen scheint sein Blick ihr was zu sagen:
Sie winkt die Nymfen weg, und weg ist auch sein Muth;
Er scheint zu furchtsam nur die Augen aufzuschlagen.
Die Scene ändert sich. Ein zweyter Vorhang thut
Sich auf. Almansaris führt ihren blöden Hirten
In einen andern Sahl, wo rings umher die Wand
Bekleidet war mit Rosen und mit Myrten,
Und mit Erfrischungen ein Tisch beladen stand.

53
Beym Eintritt werden sie mit Sang und Klang empfangen,
Aus Saiten und Gesang ertönt der Freude Geist;
Und Hassan setzt, wie ihm's die Dame heißt,
Ihr gegenüber sich. Erröthendes Verlangen
Und schöne Ungeduld bekennet, furchtsam dreist,
In ihrem schwimmenden Blick, auf ihren glühenden Wangen,
Ihm seinen Sieg: allein, aus seinen Augen bricht
Wie aus Gewölk ein traurig düstres Licht.

54
Zwar irrt, nicht blöde mehr, sein Blick von freyen Stücken
Auf ihren Reitzungen umher;
Doch nicht aus Liebe, nicht mit schmachtendem Entzücken,
Nicht, wie sie wünscht, vom Thau wollüst'ger Thränen schwer.
Er ist zerstreut, er scheint sie zu vergleichen,
Und jeder Reitz, der ihm nachstehend sich enthüllt,
Mahlt nur lebendiger Amandens edles Bild,
Und muß, beschämt, dem keuschen Reitze weichen.

55
Vergebens reicht sie ihm den blinkenden Bokal
Mit einem Blick, der Amors ganzen Köcher
In seinen Busen schießt. Beym frohsten Göttermahl
Reicht ihrem Herkules den vollen Nektarbecher
Mit süßerm Lächeln selbst die junge Hebe nicht.
Umsonst! Mit frostigem Gesicht
Nimmt er den Becher an, den kaum ihr Mund berührte,
Und trinkt, als ob er Gift auf seiner Zunge spürte.

56
Die Dame winkt; und schnell schlingt sich die Schwesterschaar
Der Nymfen, die vorhin den goldnen Thron umgaben,
In einen Tanz, der Todte auf der Bahr'
Mit neuen Seelen zu begaben,
Und Geister zu verkörpern fähig war.
In Gruppen bald verweht, bald wieder Paar und Paar,
Sieht Hüon hier die lieblichsten Gestalten
In tausendfachem Licht freigebig sich entfalten.

57
Vielleicht zu deutlich nur, scheint alles abgezielt
Begierden ihm und Ahnungen zu geben:
Er fühl' es immerhin, denkt sie, wenn er nur fühlt,
Wie reich das Schauspiel ist das hier die Schönheit spielt!
Wie reitzend ist der Arme leichtes Schweben,
Der Hüften üppiger Schwung, der Knöchel wirbelnd Beben!
Wie schmachtend fallen sie, mit halb geschloßnem Blick,
Als wie in süßen Tod itzt stufenweise zurück!

58
Unwillig fühlt die überraschten Sinnen
Der edle Mann in dieser Gluth zerrinnen.
Er schließt zuletzt die Augen mit Gewalt,
Und ruft Amandens Bild zum mächt'gen Gegenhalt;
Amandens Bild, aus jener ernsten Stunde,
Als er, den Druck noch warm auf seinem Munde
Von ihrem Kuß, zu Dem, der die Natur
Erfüllt und trägt, den Eid der Lieb' und Treue schwur.

59
Er schwöret ihn, aufs neue, in Gedanken
Auf seinen Knie'n vor diesem heil'gen Bild:
Und plötzlich ist's als hielt' ein Engel seinen Schild
Vor seine Brust, so matt und kraftlos sanken
Der Wollust Pfeile von ihr ab.
Almansaris, die Acht auf alles gab
Was ihr sein Blick verrieth, klopft schnell in ihre Hände,
Und macht in einem Wink dem üpp'gen Tanz ein Ende.

60
Und ob sie gleich mit Müh kaum über sich gewann,
Dem marmorharten jungen Mann
In ihren Armen nicht Empfindung abzuzwingen,
Versucht sie doch noch eins, das schwerlich fehlen kann:
Sie läßt sich ihre Laute bringen.
Auf ihrem Polstersitz mit Reitz zurück gelehnt,
Und, zum Bezaubern fast, durch ihre Gluth verschönt,
Was wird ihr durch die Gunst der Musen nicht gelingen?

61
Wie rasch durchläuft in lieblichem Gewühl
Der Rosenfinger Flug die seelenvollen Saiten!
Wie reitzend ist dabey aus ihrem offnen weiten
Rückfallenden Gewand der schönen Arme Spiel!
Und, da aus einer Brust, die Weise zu bethören
Vermögend war, das mächtige Gefühl
Sich in Gesang ergießt, wie kann er sich erwehren
Auf seinen Knie'n die Göttin zu verehren?

62
Süß war die Melodie, bedeutungsvoll der Sinn.
Es war das Lied von einer Schäferin,
Die lange schon ein Feu'r, das keine Rast ihr gönnet,
Verbarg—doch nun dem allgewalt'gen Drang
Nicht länger widersteht, und dem, der sie bezwang,
Erröthend ihre Pein und seinen Sieg bekennet.
Das Lied stand zwar im Buch; allein, so wie sie sang,
Singt keine, die nicht selbst in gleichen Flammen brennet.

63
Hier weicht die stolze Kunst der siegenden Natur;
So lieblich girrt der Venus Taube nur!
Die Sprache des Gefühls, so mächtig ausgesprochen,
Der schönen Töne klarer Fluß
Durch kleine Seufzerchen so häufig unterbrochen,
Der Wangen höhers Roth, des Busens schnellers Pochen,
Kurz, alles ist vollströmender Erguß
Der Leidenschaften, die in ihrem Innern kochen.

64
Im Übermaß von dem was sie empfand
Fällt ihr zuletzt die Laute aus der Hand.
Die Arme öffnen sich—Doch, Hüon, dem es graute,
Greift eilends noch im Fallen nach der Laute
Wie ein Begeisterter, und stimmt mit mächt'gem Ton
Die Antwort an, gesteht, daß eine andre schon
Sein Herz besitzt, und daß im Himmel und auf Erden
Ihn nichts bewegen kann ihr ungetreu zu werden.

65
Fest war sein Ton, und unbestechlich streng
Sein edler Blick. Die Zaubrerin, wider Willen,
Fühlt seine Obermacht. Sie blaßt, und Thränen füllen
Ihr zürnend Aug'; die Lust kommt ins Gedräng
Mit ihrem Stolz. Sie eilt sich zu verhüllen;
Verhaßt ist ihr das Licht, der weite Sahl zu eng:
Mit einem kalten Blick auf ihren
Rebellen, winket sie, ihn schleunig abzuführen

66
Die Gipfel glänzten schon im ersten Purpurlichte,
Als unser Held, die Stirn in finstern Gram
Gehüllt, zurück zu seinen Freunden kam.
Erschrocken lasen sie in seinem Angesichte
Beym ersten Blick die Hälfte der Geschichte.
Unglückliche, spricht er zu Fatmen, die vor Scham
Zur Erde sinkt, wohin war dir dein Sinn entflogen?
Doch—dir verzeih' ich gern—du wurdest selbst betrogen.

67
Und als er drauf, was ihm in dieser Nacht
Begegnet war, erzählt, faßt er den guten Alten
Vorn an der Brust, und schwört: ihn soll die ganze Macht
Von Afrika nicht länger halten,
Mit Schwert und Schild, wie einem Rittersmann
Geziemt, in den Palast zu dringen,
Und seine Rezia dem Sultan abzuzwingen.
Du siehst nun, spricht er, selbst, was ich mit List gewann!

68
Zu seinen Füßen fleht ihm Scherasmin, und lange
Vergebens, nur drey Tage noch dem Zwange
Der nöthigen Verborgenheit
Sich in Geduld zu untergeben,
Und nicht durch einen Schritt, den selbst die Tapferkeit
Verzweifelt nennt, sein und Amandens Leben
Zu wagen; bittet nur um diese kurze Zeit,
Um jedes Hinderniß von seiner Flucht zu heben.

69
Auch Fatme fleht auf ihren Knieen, streckt
Ihr Haupt der Rache dar, wofern sie zu Amanden
Ihm binnen dieser Frist den Zugang nicht entdeckt.
Sie schwört, zum zweyten Mahl soll kein Betrug zu Schanden
Sie machen—Kurz, der Ritter selber fühlt,
Daß ihm sein Unmuth nicht den besten Weg empfiehlt:
Er giebt sein Wort, und kehret in den Garten
Zurück, um seines Diensts und des Erfolgs zu warten.

Zwölfter Gesang.

1
Indessen sucht auf Polstern von Damast
Almansaris, mit Amors wildstem Feuer
In ihrer Brust, umsonst nur eine Stunde Rast.
Ist's möglich, oder hat das schnöde Abenteuer
Der letzten Nacht ihr nur geträumt? Ein Mann
Verachtet dich, Almansaris? Er kann
Dich sehen und für eine andre brennen,
Kann dich verschmähn, und darf es dir bekennen?

2
Zur Wuth treibt der Gedanke sie;
Sie schwört sich grenzenlose Rache.
Wie häßlich wird er ihr! Ein Ungeheu'r, ein Drache
Ist lieblicher, als ihre Fantasie
Den Undankbaren mahlt—Wie lang'?—In zwo Minuten
Ist sie des vorigen sich schon nicht mehr bewußt:
Bald soll er tropfenweis' im Staub vor ihr verbluten,
Bald drückt sie ihn entzückt an ihre Brust.

3
Nun steht er wieder da in seiner ganzen Schöne,
Der erste aller Erdensöhne,
Ein Held, ein Gott!—Unmöglich ist er nur
Der Neffe Ibrahims; in seinem ganzen Wesen,
In seinem Ton und Anstand ist die Spur
Von dem, was er umsonst verbergen will, zu lesen;
Wo ist der Stempel der Natur,
Der einen König macht, sichtbarer je gewesen?

4
Er, er allein, ist ihrer werth,
Ist werth in ihrem Arm sich zu vergöttern.
Und, o! ihr fehlt ein Blitz, die Feindin zu zerschmettern
Die ihn bezaubert hält und ihr den Sieg erschwert!
Doch, wie, Almansaris? Fühlst du dich selbst nicht besser?
Gönn' ihm den kleinen Stolz, sich pfauengleich zu blähn
In seinem Heldenthum! Selbst Dir zu widerstehn!
Das alles macht doch nur die Lust des Sieges größer!

5
Bestürm' ihn erst, eh' du den Muth verlierst,
Mit jedem Reitz, auf den sich wahre Schönheit brüstet;
Begieb, damit du ihn um so viel sichrer rührst,
Der fremden Waffen dich, womit die Kunst uns rüstet;
Er fühl' und seh' was Götter selbst gelüstet!
Und wenn du dann sein Herz noch nicht verführst,
Er dann dich noch verschmäht—dann, Königin, erwache
Dein Stolz, und schaffe dir die süße Lust der Rache!

6
So flüstert ihr aus einer Zofe Mund
Der kleine Dämon zu, den ihr, mit vollem Köcher,
Gebietrisch sitzen seht auf diesem Erdenrund!
Der alle Welt aus seinem Zauberbecher
Berauscht, und den, wer ihn nicht besser kennt,
Zur Ungebühr den Gott der Liebe nennt!
Denn—jeder jungen unerfahrnen Dame
Zur Nachricht sey es kund!—Asmodi ist sein Nahme.

7
Almansaris, in deren warmem Blut
Schon ein Verführer schleicht, ist gegen den Betrüger
Von außen, weniger als jemahls auf der Hut;
Sein Anhauch nährt und fächelt ihre Gluth,
Und kaum daß sie, zur Zier, dergleichen thut
Als widerstände sie, so ist Asmodi Sieger.
Die Zofe Schmeichlerin, sein würdiges Organ,
Legt den Entwurf sogleich mit vieler Klugheit an.

8
O! raubet nun dem Blitz die Feuerschwingen,
Ihr Stunden, ihn herbey zu bringen,
Den süßen Augenblick! Zu langsam schleichet ihr
(Wie schnell ihr eilt!) der lechzenden Begier!
Doch—Sie ist's nicht allein, die jetzt Sekunden zählet:
Auch Hüon überlebt, von Ungeduld gequälet,
Den trägen Gang der drey verhaßten Tage kaum,
Und wachend und im Schlaf ist Rezia sein Traum.

9
Der zweyte Morgen war dem sehnlichen Verlangen
Der Haremskönigin nun endlich aufgegangen;
Goldlockig, schön und rosenathmend stieg
Er, wie der Herold, auf, der ihr den schönsten Sieg
Verkündigte; schon säuselt durch die Myrten,
Die, dicht verweht, der Grotten schönste gürten,
Ein leichter Morgenwind, und tausendstimmig schallt
Der Vögel frühes Kor im nah gelegnen Wald.

10
Doch um die Grotte her ist unterm Myrtenlaube
In ew'ger Dämmerung das Heiligthum der Ruh.
Hier girret nur die sanfte Turteltaube
Dem Tauber ihre Sehnsucht zu.
In diesen lieblichen Gebüschen,
Dem dunkeln Sitz verborgner Einsamkeit,
Pflegt öfters sich zur stillen Morgenzeit
Almansaris mit Baden zu erfrischen.

11
Der anmuthsvolle Morgen rief
Den schönen Hassan auf, indeß noch alles schlief,
Die Blumenkörbe voll zu pflücken,
Die er an jedem Tag dem Harem zuzuschicken
Verbunden war: als ihm ein Sklav' entgegen lief,
Und keuchend ihm befahl die Grotte aufzuschmücken.
Der Neger fügt, zur Eil' ihn anzuspornen, bey,
Daß eine Dame dort zu baden Willens sey.

12
Verdrossen geht Herr Hüon auszurichten
Was ihm befohlen war. Er füllt mit bunten Schichten
Von Blumen, Florens ganzem Schatz,
Den größten Korb, und eilt zum angewiesnen Platz.
Fern ist's von ihm, der Sache mißzutrauen.
Allein, beym Eintritt in die Grotte fällt auf ihn
Ein dumpfes wunderbares Grauen,
Und ein verborgner Arm scheint ihn zurück zu ziehn.

13
Betroffen setzt er seine Blumen nieder;
Doch faßt er Augenblicks sich wieder
Und lächelt seiner Furcht. Das zweifelhafte Licht,
Das unter tausendfachem Flittern
In diesem Labyrinth mit sichtbar'm Dunkel ficht,
Ist ohne Zweifel Schuld an diesem kind'schen Zittern,
Denkt er, und geht getrost, bey immer hellerm Schein,
Mit seinem Blumenkorb ins Innerste hinein.

14
Hier herrscht ein Tag wie zu verstohlnen Freuden
Die schlaue Lust ein Zauberlicht sich wählt,
Nicht Tag nicht Dämmerung; er schwebte zwischen beiden,
Nur lieblicher durch das, was ihm zu beiden fehlt;
Er glich dem Mondschein, wenn durch Rosenlauben
Sein Silberlicht zerschmilzt in blasses Roth.
Der Held, wiewohl ihm hier noch nichts gefährlichs droht,
Erwehrt sich kaum, bezaubert sich zu glauben.

15
Was er am wenigsten sich überreden kann,
Ist, daß man hier, wo alles um und an
Von Blumen strotzt, noch Blumen nöthig hätte.
Doch, wie sein Auge nun auf allen Seiten irrt,
O wer beschreibt, wie ihm zu Muthe wird,
Da ihm auf einem Ruhebette
Sich eine Nymf' aus Mahoms Paradies
Im vollen Glanz der reinsten Schönheit wies!

16
In einem Licht, das zauberisch von oben
Wie eine Glorie auf sie herunter strömt,
Und, durch die Dunkelheit des übrigen erhoben,
Mit ihres Busens Schnee die Lilien beschämt;
In einer Lage, die ihm Reitzungen entfaltet
Wie seine Augen nie so schön entschleiert sahn;
Mehr werth als alles was zum Farren und zum Schwan
Den Jupiter der Griechen umgestaltet.

17
Die Gase, die nur, wie ein leichter Schatten
Auf einem Alabasterbild
Sie hier und da umwallet, nicht verhüllt,
Scheint mit der Nacktheit selbst den Reitz der Scham zu gatten.
Weg, Feder, wo Apell und Tizian
Bestürzt den Pinsel fallen ließen!
Der Ritter steht, und bebt, und schaut bezaubert an,
Wiewohl ihm besser war die Augen zuzuschließen.

18
In süßem Irrthum steht er da
Und glaubt, doch nur zwey Augenblicke,
(So schön ist was er sieht) er sehe Rezia.
Allein, mit Recht mißtrauisch einem Glücke
Das ihm unglaublich däucht, tritt er ihr näher, sieht,
Erkennt Almansaris, und wendet sich und flieht;
Er flieht, und fühlt im Fliehn von zwey elastisch runden
Milchweißen Armen sich gefangen und umwunden.

19
Er kämpft den schwersten Kampf, den je seit Josefs Zeit
Ein Mann gekämpft, den edlen Kampf der Tugend
Und Liebestreu' und feuervollen Jugend
Mit Schönheit, Reitz und heißer Üppigkeit.
Sein Will' ist rein von sträflichem Entzücken;
Allein, wie lange wird er ihrem süßen Flehn,
Den Küssen voller Gluth, dem zärtlich wilden Drücken
An ihren Busen, widerstehn?

20
O Oberon, wo ist dein Lilienstängel,
Wo ist dein Horn in dieser Fährlichkeit?
Er ruft Amanden, Oberon, alle Engel
Und Heilige zu Hülf'—Und noch zu rechter Zeit
Kommt Hülf' ihm zu. Denn just, da jede Sehne
Ermatten will zu längerm Widerstehn,
Und mit wollüst'ger Wuth ihn die erhitzte Schöne
Fast überwältigt hat, läßt sich Almansor sehn.

21
Gleich einem angeschoßnen Wild,
Und wüthend, eine Frau, die ihn verschmäht, zu lieben,
Hat er, verfolgt von Zoradinens Bild,
Schon eine Stunde sich im Garten umgetrieben:
Der Zufall leitet ihn in dieses Myrtenrund;
Er glaubt die Stimme von Almansaris zu hören,
Und, weil die Grottenthür nur angelehnet stund,
Geht er hinein, sich näher zu belehren.

22
Der Dämon, der durch seiner Priesterinnen
Gefährlichste des Ritters Treu' bestritt,
Wird schon von fern an seinem Sultansschritt
Almansors nahe Ankunft innen.
O Hülfe, Hülfe! schreyt das schnell gewarnte Weib,
Und wechselt stracks mit Hüons Ihre Rolle,
Stellt sich, als kämpfte sie um ihren eignen Leib
Mit einem Wüthenden, der sie entehren wolle.

23
Ihr wilder Blick, ihr halb zerrissenes Gewand,
Ihr fliegend Haar, des jungen Gärtners Schrecken,
Der von der unversehenen kecken
Beschuldigung wie blitzgetroffen stand,
Der Ort, wo ihn der Sultan fand;
Kurz, alles schien in ihm den Frevler zu entdecken.
O! Alla! sey gelobt, rief die Betrügerin,
Daß ich Almansorn selbst die Rettung schuldig bin!

24
Drauf, als sie schamhaft sich in alle ihre Schleier
Gewickelt, lügt sie, mit dem Ton
Der Unschuld selbst, ein falsches Abenteuer:
Wie dieser schändliche verkappte Christensohn,
Da ihr die Lust im Kühlen sich zu waschen
Gekommen, sich erfrecht sie hier zu überraschen,
Und wie sie mit Gewalt sich seiner kaum erwehrt,
Als ihn, zu größtem Glück, der Sultan noch gestört.

25
Um von dem häßlichen Verbrechen,
Deß er beschuldigt wird, den Ritter los zu sprechen,
Bedurft's nur Einen unbefangnen Blick;
Doch seinem Richter fehlt auch dieser einz'ge Blick.
Der Held verachtet es, mit einer Frauen Schande
Sich selbst vom Tode zu befreyn;
Er schmiegt den edeln Arm in unverdiente Bande,
Und hüllet schweigend sich in sein Bewußtseyn ein.

26
Der Sultan, den sein Unmuth zum Verdammen
Noch rascher macht, bleibt dumpf und ungerührt.
Der Frevler werd' in Ketten weggeführt,
(Herrscht er den Sklaven zu, die sein Befehl zusammen
Gerufen) werfet ihn in eine finstre Gruft;
Und morgen früh, so bald vom Thurm der Imam ruft,
Werd' er, im äußern Hof, ein Raub ergrimmter Flammen,
Und seine Asche streut mit Flüchen in die Luft!

27
Der Edle hört sein Urtheil schweigend,—blitzet
Auf das verhaßte Weib noch Einen Blick herab,
Und wendet Sich, und geht in Fesseln ab,
Auf einen Muth, den nur die Unschuld giebt, gestützet.
Kein Sonnenblick erfreut das fürchterliche Grab,
Worin er nun tief eingekerkert sitzet;
Der Nacht des Todes gleicht die Nacht, die auf ihn drückt
Und jeden Hoffnungsstrahl in seinem Geist erstickt.

28
Ermüdet von des Schicksals strengen Schlägen,
Verdrossen, stets ein Ball des Wechselglücks zu seyn,
Seufzt er dem Augenblick, der ihn befreyt, entgegen.
Schreckt ihn das Vorgefühl der scharfen Feuerpein:
Die Liebe hilft ihm's übertäuben;
Sie stärkt mit Engelskraft die sinkende Natur.
Bis in den Tod (ruft er) getreu zu bleiben,
Schwor ich, Amanda, dir, und halte meinen Schwur!

29
O daß, geliebtes Weib, was morgen
Begegnen wird, auf ewig dir verborgen,
Auf ewig auch, Dir, treuer alter Freund,
Verborgen blieb'!—Wie gern erlitt' ich unbeweint
Mein traurig Loos! Doch, wenn ihr es erfahret,
Erfahret wessen ich beschuldigt ward, und mit
Dem Schmerz um meinen Tod sich noch die Schande paaret
Zu hören, daß ich nur was ich verdiente litt—

30
O Gott! es ist zu viel auch dieß noch zu erdulden!
Es büße immerhin für meine Sündenschulden
Der strengste Tod! Ich klage niemand an!
Dieß einz'ge nur, o Oberon, gewähre
Dem, den du liebtest, noch: beschütze meine Ehre,
Beschütze Rezia!—Du weißt, was ich gethan!
Sag' ihr, daß ich, den heil'gen Schwur der Treue
Zu halten, den ich schwor, den Feuertod nicht scheue.

31
So ruft er aus, und, vom Vertraun gestärkt
Daß Oberon ihn hört, berührt ihn unvermerkt
Der mohnbekränzte Gott des Schlummers
Mit seinem Stab, dem Stiller alles Kummers,
Und wieget ihn, wiewohl nur harter Stein
Sein Küssen ist, in leichte Träume ein.
Hat ihm vielleicht, zum Pfand, daß bald sein Leiden endet,
Der gute Schutzgeist selbst dieß Labsal zugesendet?

32
Noch lag die halbe Welt mit Finsterniß bedeckt,
Als ihn aus seiner Ruh ein dumpfes Klirren weckt.
Ihn däucht er hör' im Schloß die schweren Schlüssel drehen;
Die Eisenthür geht auf, des Kerkers schwarze Wand
Erhellt ein blasser Schein, er höret jemand gehen,
Und stämmt sich auf und sieht—in schimmerndem Gewand,
Die Krone auf dem Haupt, die Lampe in der Hand,
Almansaris zu seiner Seite stehen.

33
Sie reicht die Lilienhand ihm, reitzvoll lächelnd, dar,
Und—Wirst du, spricht sie, mir vergeben,
Was nur die Schuld der Noth, nicht meines Herzens, war?
O du Geliebter, hängt an Deinem schönen Leben
Mein eignes nicht? Ich komme, der Gefahr
Dich zu entziehn, (trotz deinem Widerstreben!)
Vom Holzstoß dich, wozu dich der Barbar
Verdammt', auf einen Thron, den du verdienst, zu heben!

34
Die Liebe öffnet dir der Hoheit Sonnenbahn:
Auf, mache sie von deinem Ruhm erschallen!
Nimm diese Hand, die dir sich schenket, an:
In einem Wink soll dein Verfolger fallen,
Und all sein Volk, wie Staub, um deine Füße wallen.
Im ganzen Harem ist mir alles unterthan;
Vertraue dich der Liebe sichern Händen,
Und, was sie wagte, wird dein eigner Muth vollenden!

35
"Hör' auf! o Königin! Dein Antrag häufet bloß
Mein Leiden durch die Qual dir alles abzuschlagen.
O! warum zwingst du mich's zu sagen?
Ich kaufe mich durch kein Verbrechen los!"
Ist's möglich, ruft sie, kann so weit der Unsinn gehen?
Unglücklicher, im Angesicht
Der Flamme, die bereits aus deinem Holzstoß bricht,
Kannst du Almansaris und einen Thron verschmähen?

36
Sag' mir, versetzt er, Königin,
Ich könne dir mit meinem Blute nützen,
So soll die Lust, womit ich eil' es zu verspritzen,
Dir zeigen, ob ich unerkenntlich bin!
Ich kann, zum Danke, dir mein Herzensblut, mein Leben,
Nur meine Ehre nicht, nicht meine Treue geben.
Wer Ich bin weißt du nicht, vergiß nicht wer Du bist,
Und muthe mir nichts zu, was mir unmöglich ist.

37
Almansaris, aufs äußerste getrieben
Durch seinen Widerstand, sie wendet alles an,
Was seine Treu' durch alle Stufen üben
Und seinen Muth ermüden kann.
Sie reitzt, sie droht, sie fleht, sie fällt, verloren
In Lieb' und Schmerz, vor ihm auf ihre Kniee hin:
Doch unbeweglich bleibt des Helden fester Sinn,
Und rein die Treu', die er Amanden zugeschworen.

38
So stirb denn, weil du willst!—ruft sie, des Athems schier
Vor Wuth beraubt: ich selbst, ich will an deinem Leiden
Mein gierig Aug' mit heißer Wollust weiden!
Stirb als ein Thor! des Starrsinns Opferthier!
Schreyt sie mit funkelndem Aug', und flucht der ersten Stunde
Da sie ihn sah, verwünscht mit bebendem Munde
Sich selbst, und stürmt hinweg, und hinter ihr
Schließt wieder klirrend sich des Kerkers Eisenthür.

39
Inzwischen hatte das Gerüchte,
Das Unglücksmähren gern verbreitet und verziert,
Von ihrem Herrn die traurige Geschichte
Auch Scherasmin und Fatmen zugeführt.
Der schöne Hassan, hieß es, sey im Bade
Vom Sultan mit Almansaris allein
Gefunden worden, und morgen ohne Gnade
Werd' er, im großen Hof, ein Raub der Flammen seyn.

40
Ob Hüon schuldlos sey, war ihnen keine Frage;
Sie kannten ja der Sachen wahre Lage.
Doch, hätt' er auch gefehlt, so war er mitleidswerth.
In Fällen dieser Art wird echte Treu' bewährt.
Anstatt die Zeit mit Jammern zu verderben,
Beschlossen sie, das äußerste für ihn
Zu wagen, um ihn noch aus dieser Noth zu ziehn,
Und, schlüg' es fehl, mit ihrem Herrn zu sterben.

41
Kurz eh' der Tag begann, gelingt es Fatmens Muth
Und Wachsamkeit, die Hüter zu betrügen,
Und unerkannt sich bis ins Schlafgemach zu schmiegen,
Wo Rezia, von Hüon träumend, ruht.
Des unverhofften Wiedersehens Freude
Macht einen Augenblick sie sprachlos alle beide.
Das erste Wort, das Fatme sprechen kann,
Ist Hüon, ist Bericht von dem geliebten Mann.

42
Was sagst du, goldne Amme? ruft Amande,
Und fällt ihr um den Hals—Mein Hüon, mir so nah?
Wo ist er?—Ach! Prinzessin, was geschah!
(Schluchzt jene weinend) Hilf! zerreiße seine Bande!
Spreng seinen Kerker auf! Dem Unglücksel'gen droht,
Aus Liebe bloß zu dir, ein jämmerlicher Tod.
Und drauf erzählt sie ihr genau die ganze Sache,
Und ihres Ritters Treu' und der Sultanin Rache.

43
Schon, ruft sie, steht der Holzstoß aufgethürmt,
Nichts rettet ihn, wenn ihn nicht Zoradine schirmt!
Mit einem Schrey der Angst, halb sinnlos, fährt Amande
In wilder Hast von ihrem Lager auf,
Wirft, wie sie steht, im leichten Nachtgewande,
Den Kurdé um, und eilt in vollem Lauf
Des Sultans Zimmer zu, durch alle Sklavenwachen,
Die sie mit Wunder sehn, und schweigend Platz ihr machen.

44
Sie dringt hinein, nichts achtend daß es früh
Am Tage war, und wirft mit lilienblassen Wangen,
Und Haaren, die zerstreut um ihre Schultern hangen,
Sich vor dem Sultan auf die Knie':
"Almansor, laß mich nicht vergebens
Dir knieen! Schwöre, wenn mein Leben dir
Erhaltenswürdig scheint, daß du die Bitte mir
Gewähren willst! Es gilt die Ruhe meines Lebens!"

45
Begehr', o Schönste, spricht erstaunt und froh zugleich
Der Sultan, laß mich nicht in Ungewißheit schweben!
Dir zu gefallen ist mein feurigstes Bestreben;
Begehre frey! Mein Schatz, mein Thron, mein Reich,
Nichts ist zu viel, was ich zu geben
Vermag. Ein einzigs nur behält sich Mansor vor,
Dich selbst!—"Du schwörst es mir?"—Der liebestrunkne Mohr
Beschwört's.—"So schenke mir des Gärtners Hassan Leben!"

46
Wie? ruft er mit bestürzter Miene,
Welch eine Bitte, Zoradine?
Was geht das Leben dich von diesem Sklaven an?
"O, viel, Almansor, viel! Mein eignes hängt daran!"
Sprichst du im Fieber? Schwärmest du? Verzeihe,
Doch, du mißbrauchst des unbegrenzten Rechts
Das dir die Schönheit giebt.—Am Leben eines Knechts
Der sein Verbrechen büßt?—"Er büßt für seine Treue!

47
"Mir ist sein Herz bekannt, er hält an seiner Pflicht,
Ist schuldlos, ist ein Mann von unverletzter Ehre;
Und doch—o Mansor!—wenn er schuldig wäre,
So räche sein Vergehn an Zoradinen nicht!"
Mit Augen die von kaum verhaltnem Grimme funkeln
Ruft Mansor: Grausame, was quält dein Zögern mich?
Welch ein Geheimniß dämmert aus dem dunkeln
Verhaßten Räthsel auf! Was ist dir Hassan? Sprich!

48
"So wiß es denn, weil mich die Noth zum Reden zwinget,
Ich bin sein Weib! Ein Band, das nichts zerreißen kann,
Ein Band, gewebt im Himmel selber, schlinget
Mein Glück, mein Alles fest an den geliebten Mann.
Uns drückt mit seiner ganzen furchtbarn Schwere
Des Schicksals Arm—Wer weiß, wie bald an dich
Die Reihe kommt!—Du siehst mich elend—Ehre
Mein Leiden, Glücklicher!—Du kannst es, rette mich!"

49
Wie? du bist Hassans Weib, und liebst ihn?—"Über alles!"
Unglückliche, er ist dir ungetreu!—
"Er ungetreu? Die Ursach' seines Falles,
Ich bin's gewiß, ist einzig seine Treu'."—
Ich glaube was ich sah!—"So ward er erst betrogen,
Und du mit ihm!"—Mit zürnendem Gesicht
Spricht Mansor: Spanne nicht den Bogen,
Zu stolz auf deinen Reitz, so lange bis er bricht!

50
Dein Hassan stirbt—und ich kann nichts, als dich beklagen.
Er stirbt? schreyt Rezia—Tyrann,
Er, dem ein Wort von dir das Leben schenken kann,
Er stirbt? Du hast ein Herz mir das zu sagen?
Er hat des Harems Zucht verletzt,
Erwiedert Mansor kalt; ihm ist der Tod gesetzt!
Doch, weil du willst, so sey des Sklaven Leben,
Sein Leben oder Tod, in deine Hand gegeben!

51
Gieb, Schönste, mir ein Beyspiel edler Huld,
Gieb mir die Ruh, die du mir raubtest, wieder!
Ich lege Kron' und Reich zu deinen Füßen nieder;
Ergieb dich mir, so sey dem Frevler seine Schuld
Geschenkt! Er zieh', mit königlichen Gaben
Noch überhäuft, zu seinem Volk zurück!
O zögre nicht, die Güte selbst zu haben
Die du begehrst!—Ein Wort macht mein und sein Geschick.

52
Unedler! ruft mit eines Engels Zürnen
Das schöne Weib, so theuer kauft der Mann,
Den Zoradine liebt, sein Leben nicht!—Tyrann,
Kennst du mich so?—Die schlechteste der Dirnen,
Die mich bedienten einst, verschmähte deinen Thron
Und dich um solchen Preis! Zwar steht, uns zu verderben,
In deiner Macht: doch, hoffe nicht davon
Gewinn zu ziehn—Barbar, auch Ich kann sterben.

53
Der Sultan stutzt. Ihn schreckt des edeln Weibes Muth.
Sein feiges Herz wird mehr von ihrem Dräun gerühret
Als da sie bat; doch, ihre Schönheit schüret
Das Feuer der Begier zugleich in seinem Blut.
Was sagt' er nicht ihr Herz mit Liebe zu bestechen!
Wie bat er sie! wie schlangenartig wand
Er sich um ihren Fuß!—Umsonst! Ihr Widerstand
War nicht durch Drohungen, war nicht durch Flehn zu brechen.

54
Sie blieb darauf, ihr soll der Tod willkommner seyn.
Der Sultan schwört mit fürchterlicher Stimme
Bey Mahoms Grab, nichts soll vor seinem Grimme
Sie retten, geht sie nicht sogleich den Antrag ein.
"Ist's nicht mein letztes Wort, soll Alla mich verdammen!
Hört man den Wüthenden bis in den Vorsahl schreyn:
Entschließe dich, sey auf der Stelle mein,
Wo nicht, so stirb mit dem Verworfnen in den Flammen!"

55
Sie sieht ihn zürnend an, und schweigt.—Entschließe dich,
Ruft er zum zweyten Mahl.—O so befreye mich
Von deinem Anblick, spricht die Königin der Frauen;
Des Todes Grinsen selbst erweckt mir minder Grauen.
Almansor ruft, und giebt, von Wuth erstickt,
Den grausamen Befehl, und Höllenfunken sprühen
Aus seinem Aug'. Der Schwarzen Erster bückt
Sich bis zur Erde hin, und schwört, ihn zu vollziehen.

56
Schon steht der gräßliche Altar
Zum Opfer aufgethürmt; schon drängt sich, Schaar an Schaar,
Das Volk herzu, das, gern in Angst gesetzet,
An Trauerspielen dieser Art
Die Augen weinend labt, und schaudernd sich ergetzet.
Schon stehn, zum Leiden und zum Tode noch gepaart,
An einen Marterpfahl gebunden,
Die einz'gen Liebenden, die Oberon rein erfunden.

57
Ein edles Paar in Eins verschmolzner Seelen,
Das treu der ersten Liebe blieb,
Entschlossen, eh' den Tod in Flammen zu erwählen,
Als ungetreu zu seyn selbst einem Thron zu Lieb'!
Mit nassem Blick, die Herzen in der Klemme,
Schaut alles Volk gerührt zu ihnen auf,
Und doch besorgt, daß nicht den freyen Lauf
Des Trauerspiels vielleicht ein Zufall hemme.

58
Den Liebenden, wie sie gebunden stehn,
Ist zwar der Trost versagt einander anzusehn;
Doch, über alles, was sie leiden
Und noch erwarten, triumfiert
Die reinste, seligste der Freuden,
Daß ihre Lieb' es ist, was sie hierher geführt.
Der Tod, der ihre Treu' mit ew'gem Lorber ziert,
Ist ihres Herzens Wahl; sie konnten ihn vermeiden.

59
Inzwischen siehet man mit Fackeln in den Händen
Zwölf Schwarze sich dem Opfer paarweis' nahn.
Sie stellen sich herum, bereit es zu vollenden,
So bald der Aga winkt. Er winkt. Sie zünden an.
Und stracks erdonnert's laut, die Erde scheint zu beben,
Die Flamm' erlischt, der Strick, womit das treue Paar
Gebunden stand, fällt wie vermengtes Haar,
Und Hüon sieht das Horn an seinem Halse schweben.

60
Im gleichen Augenblick, da dieß
Geschah, zeigt sich von fern in zwey verschiednen Reihen,
Von ängstlicher Bekümmerniß
Gespornt, Almansor hier, und dort Almansaris,
Er Zoradinen, Sie den Hassan zu befreyen.
Halt! hört man sie aus allen Kräften schreyen.
Auch stürzt mit blitzendem Schwert durch die erschrockne Menge
Ein schwarzer Rittersmann sich mitten ins Gedränge.

61
Doch Hüon hat das Pfand, daß nun sein Oberon
Versöhnt ist, kaum mit wonnevollem Schaudern
An seinem Hals erblickt, so setzt er ohne Zaudern
Es an den Mund, und lockt den schönsten Ton
Daraus hervor, der je geblasen worden.
Sein edles Herz verschmäht ein feiges Volk zu morden:
Tanzt, ruft er, tanzt, bis euch's den Athem raubt;
Dieß sey die einzige Rache, die Hüon sich erlaubt.

62
Und wie das Horn ertönt, ergreift der Zauberschwindel
Zuerst das Volk, das um den Holzstoß steht,
Schwarzgelbes, lumpiges, halb nackendes Gesindel,
Das plötzlich sich, wie toll, im schnellsten Wirbel dreht;
Bald mischet sich mit allen seinen Negern
Der Aga drein; ihm folgt—was Füße hat
Bey Hof, im Harem, in der Stadt,
Vom Sultan an bis zu den Wasserträgern.

63
Unlustig faßt der Schach—Almansaris beym Arm;
Sie sträubt sich; doch was hilft sein Unmuth und ihr Sträuben?
Der Taumel reißt sie fort, sich mitten in den Schwarm
Der Walzenden mit ihm hinein zu treiben.
In kurzem ist ganz Tunis in Allarm,
Und niemand kann auf seiner Stelle bleiben:
Selbst Podagra, und Zipperlein, und Gicht
Und Todeskampf befreyt von dieser Tanzwuth nicht.

64
Indessen, ohne auf das Possenspiel zu blicken,
Hält das getreue Paar, in seligem Entzücken,
Sich sprachlos lang' umarmt. Kaum hat ihr Busen Raum
Für diesen Überschwang von Freuden.
Er ist nun ausgeträumt der Prüfung schwerer Traum!
Nichts bleibt davon als was ihr Glück verschönt:
Gebüßt ist ihre Schuld, das Schicksal ausgesöhnt,
Aufs neu von ihm vereint, kann nun sie nichts mehr scheiden!

65
Theilnehmend inniglich, sieht, noch auf seinem Roß,
Der biedre Scherasmin (Er war der schwarze Ritter)
Der Wonne zu, worin ihr Herz zerfloß.
Er ist's, der wie ein Ungewitter
Vorhin daher gestürmt, um das geliebte Paar
Zu retten aus der feigen Mohren Händen,
Und, schlüg's ihm fehl, ein Leben hier zu enden,
Das, ohne sie, ihm unerträglich war.

66
Er springt herab, drängt durch den tollen Reigen
Mit Fatme, die ihm folgte, sich hinan,
Den Liebenden von ihrem Throne steigen
Zu helfen, und sie im Triumfe zu empfahn.
Groß war die Freude, doch sie schwoll noch höher an,
Da sie den wohl bekannten Wagen,
Von Schwanen durch die Luft, stets niedriger, getragen,
Zu ihren Füßen nun auf einmahl halten sahn.

67
Sie stiegen eilends ein—Die Mohren mögen tanzen
So lang' es Oberon gefällt!
(Wiewohl der Alte raspeln oder schanzen
Für eine beßre Kurzweil hält.)
Der lüft'ge Faeton fliegt, leicht und ohne Schwanken,
Sanft wie der Schlaf, behender als Gedanken,
Mit ihnen über Land und Meer,
Und Silberwölkchen wehn, wie Fächer, um sie her.

68
Schon tauchte sich auf Bergen und auf Hügeln
Die Dämmerung in ungewissen Duft;
Schon sahen sie den Mond in manchem See sich spiegeln,
Und immer stiller ward's im weiten Reich der Luft;
Die Schwanen ließen itzt mit sinkendem Gefieder
Allmählich sich bis auf die Erde nieder:
Als plötzlich, wie aus Abendroth gewebt,
Ein schimmernder Palast vor ihren Augen schwebt.

69
In einem Lustwald, mitten zwischen
Hoch aufgeschoßnen vollen Rosenbüschen,
Stand der Palast, von dessen Wunderglanz
Der stille Hain und das Gebüsche ganz
Durchschimmert schien—War's nicht an diesem Orte,
Spricht Hüon leis' und schaudernd—Doch, bevor
Er's ausspricht, öffnet schnell sich eine goldne Pforte,
Und zwanzig Jungfrau'n gehn aus dem Palast hervor.

70
Sie kamen, schön wie der May, mit ewig blühenden Wangen,
Gekleidet in glänzendes Lilienweiß,
Die Erdenkinder zu empfangen
Die Oberon liebt. Sie kamen tanzend, und sangen
Der reinen Treue unsterblichen Preis.
Komm, sangen sie (und goldne Zymbeln klangen
In ihren süßen Gesang, zu ihrem lieblichen Tanz)
Komm, trautes Paar, empfang den schönen Siegeskranz!

71
Die Liebenden—sich kaum besinnend—in die Wonne
Der andern Welt verzückt—sie wallen, Hand in Hand,
Den Doppelreihen durch: als, gleich der Morgensonne
In ihrem Bräut'gamsschmuck, der Geist vor ihnen stand.
Nicht mehr ein Knabe, wie er ihnen
In lieblicher Verkleidung sonst erschienen—
Ein Jüngling, ewig schön und ewig blühend, stand
Der Elfenkönig da, den Ring an seiner Hand.

72
Und ihm zur Seite glänzt, mit ihrer Rosenkrone
Geschmückt, Titania, in milderm Mondesglanz.
In beider Rechten schwebt ein schöner Myrtenkranz.
Empfange, sprechen sie mit liebevollem Tone,
Du treues Paar, zum edlen Siegeslohne,
Aus deiner Freunde Hand den wohl verdienten Kranz!
Nie wird von euch, so lang' ihr dieses Zeichen
Von unsrer Huld bewahrt, das Glück des Herzens weichen.

73
Kaum daß das letzte Wort von Oberons Lippen fiel,
So sah man aus der Luft sich eine Wolke neigen,
Und aus der Wolke Schooß, bey goldner Harfen Spiel,
Mit Lilien vor der Brust drey Elfentöchter steigen.
Im Arm der dritten lag ein wunderschöner Knab',
Den sie, auf ihren Knie'n, Titanien übergab.
Süß lächelnd bückt zu ihm die Königin sich nieder,
Und giebt, mit einem Kuß, ihn seiner Mutter wieder.

74
Und, unterm Jubelgesang der Jungfrau'n, die in Reihn
Vor ihnen her den Weg mit Rosen überstreun,
Ziehn durch die weite goldne Pforte
Die Glücklichen hinein in Oberons Freudenhaus.
Was sie gesehn, gehört, an diesem schönen Orte,
Sprach ihre Zunge nie beym Rückerinnern aus.
Sie sahn nur himmelwärts, und eine Wonnethräne
Im glänzenden Auge verrieth wohin ihr Herz sich sehne.

75
In einen sanften Schlaf verlor sich wonniglich
Der sel'ge Traum. Und mit dem Tage fanden
Sie beide, Arm in Arm, wie neu geboren, sich
Auf einer Bank von Moos. Zu ihrer Seite standen
Im leicht umschattenden Gebüsch,
Reich aufgeschmückt, vier wunderschöne Pferde,
Und ringsum lag ein schimmerndes Gemisch
Von Waffen, Schmuck und Kleidern auf der Erde.

76
Herr Hüon, dem das Herz von Freude überfloß,
Weckt seinen Alten auf; Amande
Sucht ihren Sohn, der noch auf Fatmens Schooß
Sanft schlummernd lag. Sie sehn sich um. Wie groß
Ist ihr Erstaunen!—Herr, in welchem Lande
Glaubt ihr zu seyn? ruft Scherasmin entzückt
Dem Ritter zu—Kommt, seht von diesem Stande
Nach Westen hin, und sagt, was ihr erblickt!

77
Der Ritter schaut hinaus, und traut
Dem Anblick kaum.—Er, der so viel erfahren,
Und dessen Augen so gewöhnt an Wunder waren,
Glaubt kaum was er mit offnen Augen schaut.
Es ist die Sein', an deren Bord sie stehen!
Es ist Paris, was sie verbreitet vor sich sehen!
Er reibt sich Aug' und Stirn, schaut immer wieder hin,
Und ruft: Ist's möglich, daß ich schon am Ziele bin?

78
Nicht lange schaut er hin, vor Freude ganz betroffen,
So stellt sich ihm ein neues Schauspiel dar.
Ihm däucht, daß alles um die Burg in Aufruhr war.
Man hört Trommetenschall, und eine Ritterschaar
Trabt dem Turnierplatz zu, die Schranken stehen offen.
Mein Glück, ruft Hüon, läßt mein Hoffen
Stets hinter sich. Geh, Freund! wofern nicht alles mich
Betrügt, giebt's ein Turnier; geh, und erkund'ge dich.

79
Der Alte geht. Inzwischen wird Amande
Von Fatmen angekleid't. Denn, was sie haben muß,
Sich, mit dem Glanz, der ihrem hohen Stande
Und ihrer Schönheit ziemt, in diesem fremden Lande
Zu zeigen, fanden sie im reichsten Überfluß
Gehäuft zu ihren Füßen liegen.
Herr Hüon läßt indeß, mit manchem Vaterkuß,
Den kleinen Hüonnet auf seinem Knie sich wiegen,

80
Und sieht, mit inniglicher Lust,
Das schöne Weib, durch alles fremde Zieren
Und Schimmern nichts gewinnen noch verlieren.
Ob eine Rose ihre Brust
Umschattet, ob ein Strauß von blitzenden Juwelen
In Glanz sie hüllt—stets durch sich selber schön
Und liebeathmend, scheint durch Den
Ihr nichts geliehn, bey Jener nichts zu fehlen.

81
Der Alte kommt itzt mit der Nachricht an,
Drey Tage sey bereits der Schranken aufgethan.
Karl, (spricht er) immer noch durch seinen Groll getrieben,
Hat ein Turnier im Reiche ausgeschrieben:
Und rathet, welchen Dank der Sieger heut erhält!
Nichts kleiners, Herr, als—Hüons Land und Lehen!
Denn, euch aus Babylon mit Ruhm gekrönt zu sehen,
Ist was dem Kaiser nicht im Schlaf zu Sinne fällt.

82
Auf, waffne mich, ruft Hüon voller Freuden;
Willkommner konnte mir kein' andre Botschaft seyn.
Was die Geburt mir gab, sey nun durch Tugend mein!
Verdien' ich's nicht, so mag's der Kaiser dem bescheiden
Der's würdig ist!—Er sagt's, und siehet Rezia
Ihm lächelnd stillen Beyfall nicken.
Ihr Busen klopft ihm Sieg!—In wenig Augenblicken
Steht glänzend schon ihr Held in voller Rüstung da.

83
Sie schwingen sich zu Pferd, die Ritter und die Frauen,
Und ziehen nach der Stadt! und allenthalben schauen,
Von ihrer Pracht entzückt, die Leute nach, und wer
Die Gassen müßig tritt, läuft hinter ihnen her.
Bald langt mit Rezia Herr Hüon vor den Planken
Der Stechbahn an. Er läßt, nachdem er sich bey ihr
Beurlaubt, Scherasmin zu ihrem Schützer hier,
Zieht sein Visier herab, und reitet in die Schranken.

84
Ein lautes Lob verfolgt von beiden Seiten ihn,
Ihn, der an Anstand und an Stärke
Den besten, die der ritterlichen Werke
Bisher gepflegt, weit überlegen schien.
Schel sehend stand am Ziel, auf seinem stolzen Roß,
Der Ritter, der in diesen dreyen Tagen
Des Rennens Preis davon getragen,
Und mit den Fürsten sah der Kaiser aus dem Schloß.

85
Herr Hüon neigt, nach ritterlicher Weise,
Sich vor dem Kaiser tief, dann vor den Damen und
Den Richtern—tummelt drauf im Kreise
Den muth'gen Hengst herum, und macht dem Sieger kund,
Daß er gekommen sey, den Dank ihm abzusagen.
Er sollte zwar erst Stand und Nahmen sagen;
Allein sein Schwur, daß er ein Franke sey,
Und seines Aufzugs Pracht, macht vom Gesetz ihn frey.

86
Er wiegt und wählt aus einem Haufen Speere
Sich den, der ihm die meiste Schwere
Zu haben scheint, schwingt ihn mit leichter Hand,
Und stellt, voll Zuversicht, sich nun an seinen Stand.
Wie klopft Amandens Herz! wie feurige Gebete
Schickt sie zu Oberon und allen Engeln ab,
Als itzt die schmetternde Trompete
Den Ungeduldigen zum Rennen Urlaub gab!

87
Dem Ritter, der bisher die Nebenbuhler alle
Die Erde küssen hieß, schwillt mächtiglich die Galle,
Daß er gezwungen wird, auf diese neue Schanz
Sein Glück und seinen Ruhm zu setzen.
Er war ein Sohn des Doolin von Maganz,
Und ihm war Lanzenspiel kaum mehr wie Hasenhetzen.
Er stürmet, wie ein Strahl aus schwarzer Wolken Schooß,
In voller Wuth auf seinen Gegner los.

88
Doch, ohne nur in seinem Sitz zu schwanken,
Trifft Hüon ihn so kräftig vor die Brust,
Und wirft mit solcher Macht ihn seitwärts an die Planken
Daß alle Rippen ihm von seinem Fall erkranken.
Zum Kampf vergeht ihm alle weit're Lust;
Vier Knappen tragen ihn ohnmächtig aus den Schranken.
Ein jubelnd Siegsgeschrey prallt an die Wolken an,
Und Hüon steht allein als Sieger auf dem Plan.

89
Er bleibt am Ziel noch eine Weile stehen,
ob jemand um den Dank noch kämpfen will, zu sehen;
Und da sich niemand zeigt, eilt er mit schnellem Trab
Amanden zu, die, hoch auf ihrem schönen Rosse,
Wie eine Göttin glänzt, und führt sie nach dem Schlosse.
Sie langen an. Er hebt gar höflich sie herab,
Und führt sie, unterm Vivatrufen
Des Volks, hinauf die hohen Marmorstufen.

90
Wie eine Silberwolk' umwebt
Amandens Angesicht ein undurchsicht'ger Schleier,
Durch den sich jedes Aug' umsonst zu bohren strebt.
Voll Ungeduld, wie sich dieß Abenteuer
Entwickeln werde, strömt die Menge ohne Zahl
Dem edeln Paare nach. Itzt öffnet sich ein Sahl;
Hoch sitzt auf seinem Thron, von seinem Fürstenrathe
Umringt, der alte Karl in kaiserlichem Staate.

91
Herr Hüon nimmt den Helm von seinem Haupt,
Und tritt hinein, in seinen schönen Locken
Dem Gott des Tages gleich. Und alle sehn erschrocken
Den Schnell-erkannten an. Der alte Kaiser glaubt
Des Ritters Geist zu sehn. Und Hüon, mit Amanden
An seiner Hand, naht ehrerbietig sich
Dem Thron, und spricht: Mein Lehnsherr! siehe mich,
Gehorsam meiner Pflicht, zurück in deinen Landen!

92
Denn, was du zum Beding gemacht
Von meiner Wiederkehr, mit Gott hab' ich's vollbracht!
In diesem Kästchen sieh des Sultans Bart und Zähne,
An die, o Herr, nach deinem Wort, ich Leib
Und Leben aufgesetzt—und sieh in dieser Schöne
Die Erbin seines Throns, und mein geliebtes Weib!
Mit diesem Worte fällt von Reziens Angesichte
Der Schleier ab, und füllt den Sahl mit neuem Lichte.

93
Ein Engel scheint, in seinem Himmelsglanz,
(Gemildert nur, damit sie nicht vergehen)
Vor den Erstaunten da zu stehen:
So groß, und doch zugleich so lieblich anzusehen,
Glänzt Rezia in ihrem Myrtenkranz
Und silbernen Gewand. Die Königin der Feen
Schmiegt, ungesehen, sich an ihre Freundin an,
Und alle Herzen sind ihr plötzlich unterthan.

94
Der Kaiser steigt vom Thron, heißt freundlich sie willkommen
An seinem Hof. Die Fürsten drängen sich
Um Hüon her, umarmen brüderlich
Den edeln jungen Mann, der glorreich heim gekommen
Von einem solchen Zug. Es stirbt der alte Groll
In Karls des Großen Brust. Er schüttelt liebevoll
Des Helden Hand, und spricht: Nie fehl' es unserm Reiche
An einem Fürstensohn, der Dir an Tugend gleiche!

Glossarium

über die im Oberon vorkommenden veralteten oder fremden, auch neu gewagten Wörter, Wortformen und Redensarten

Acqs, II. 13. Acqus, (Aquae Augustae) eine kleine, vor Alters beträchtliche, bischöfliche Stadt in den Landes von Gascogne, die ihren Nahmen von einer mitten in der Stadt befindlichen heißen Quelle hat. Aus den Worten Scherasmins sollte man schließen, daß Acqus damahls im Besitz eines so genannten Gnadenbildes der heiligen Jungfrau gewesen sey. Poetisch zu reden, mußte er das, als in diesen Gegenden einheimisch, am besten wissen, und in so fern kann uns auch, ohne andere historische Beweise, an seinem Zeugniß genügen.

Allzuhauf, V. 38. Nach der Analogie von allzugleich, allzumahl, u. a. aus All und zu Hauf (welches letztere in den Redensarten zu Haufe bringen, treiben, kommen, noch nicht völlig aus der Übung gekommen ist) in Form eines Nebenwortes zusammen gesetzt. Da der Dichter sich keiner Stelle im "Heldenbuch", "Theuerdank", und dergleichen erinnert, auf die er sich zu Rechtfertigung dieses ungewöhnlichen Wortes berufen könnte, so muß er es darauf ankommen lassen, ob es als ein neu gewagtes geduldet oder verworfen werden wird.

Alquif, I. 22. Ein weiser Meister und großer Zauberer im Amadis de Gaule.

Angehen, VI. 22. So viel als unternehmen, beginnen; eine sehr alte
Bedeutung dieses Wortes, deren Gebrauch durch Hagedorns Beyspiel (in der
Fabel vom Löwen, der mit seinem Bilde im Brunnen fechten will) hinlänglich
gerechtfertigt ist:

Und fordert ihn heraus den Zweykampf anzugehen.

Poetische Werke, II. 8. 239. nach der Hamb. Ausgabe von 1769.

Babylon, wird in diesem Gedichte mehrmahls (wiewohl unrichtig) als gleichbedeutend mit Bagdad gebraucht, welches letztere unter den Abassischen Kalifen der Sitz dieser mächtigen Fürsten war. Die alten Romanciers übten eine so willkührliche Gewalt über die Geografie als über Kronologie und Geschichte aus; und unser Dichter hielt es für schicklich, sich ihnen auch in diesem Stücke gleich zu stellen. Übrigens ist nicht zu läugnen, daß das Babylon im Roman von Huon de Bordeaux, dessen so genannte Admirale (Miramolins) in den Romanen von Charlemagne und seinen Pairs eine große Rolle spielen, nicht in Mesopotamien, sondern angeblich in Ägypten gelegen haben soll.

Bangen, nach etwas bangen, VI. 27. Statt, mit bänglicher Ungeduld nach etwas verlangen, ein neu gewagtes Wort, welches sich selbst durch die Welt helfen mag, wenn es kann. Ob es nicht in alten Zeiten schon üblich gewesen, davon finden wir zwar keine Spur; aber wie wenig sind auch die noch vorhandenen Überbleibsel aus den Zeiten der Minnesänger theils gekannt, theils benutzt!

Bar, "schön wie ein barer Engel", IV. 47. Ein veraltetes Wort, welches ehemahls unter andern die Bedeutung von offenbar, augenscheinlich (manifestus, luculentus) hatte, und, in so fern dieser Begriff damit verbunden wird, in die Sprache der Dichter, (in welcher die Beywörter größten Theils als Farben zu betrachten sind) wenigstens in die Sprache des komischen, scherzhaften und launigen Styls, aufgenommen zu werden verdient. Man hat es deßwegen einer Person in den Mund gelegt, der es anständig ist, sich in einer, wo nicht niedrigen, doch weniger edeln Sprechart auszudrücken, als der Held des Stücks, oder der Dichter, wenn er selbst erzählt.

Betefahrt, II. 32. In der katholischen Kirche eine Procession mit Kreuz und Fahnen, wobey gebetet wird. Besonders wurde vor Alters der in der so genannten Kreuzwoche (Hebdomas Rogationum) übliche feierliche Umgang, wobey die Felder und Früchte eingesegnet werden, so genannt. Auch kommt dieses Wort in der allgemeinen Bedeutung von Wallfahrt vor. Es scheint Niedersächsischen Ursprungs zu seyn.

Betitelt, mit einem rechtsgültigen Grunde (titulo juris) zum Anspruch an etwas versehen, X. 53; "zu einem Gärtnerschurz betitelt," statt berechtigt, ist in dieser Bedeutung neu gestempelt.

Dank, kommt mehrmahls in der Bedeutung vor, die dieß Wort in der alten Turniersprache hatte, worin es den Preis bezeichnete, welchen der Ritter gewann, der alle anderen aus dem Sattel gehoben hatte.

Dienstmann, V. 56 in der weitesten Bedeutung, ein Lehensmann oder Vasall.

Domina, II. 34 wird die Vorsteherin der Frauenklöster in einigen religiösen
Orden genannt.

Durstiglich, VI. 32, nach einer veralteten Oberdeutschen Form von Nebenwörtern, welche in inniglich, ewiglich, wonniglich u. a. wenigstens in der Dichtersprache sich noch erhalten hat. Luther gebraucht das Wort dürstiglich in seiner Übersetzung der Bibel mehrmahls, um den höchsten Grad einer leidenschaftlichen Begierde auszudrücken; als 1 Mos. 34,25. "die Brüder der Dina gingen in die Stadt Sichems dürstiglich und erwürgten alles was männlich war," und—Sprichw. Salom. 14,5. "ein falscher Zeuge redet dürstiglich Lügen". In diesem Sinne wird es hier gebraucht.

Eitel, I. 30 in der veralteten Bedeutung: "in eitel Lust und Pracht," statt, in lauter Lust—

Elfen, II. 22 und a.o. Alfen, Elfen oder Elven sind eine Art von Genien, in der Mythologie der Nordischen Völker, in welcher sie (wie Adelung unter dem Wort Alp schon bemerkt) ungefähr die Stelle der Nymfen und Waldgötter der Griechen vertreten. Auch die Fairies, an welche das Brittische Landvolk noch itzt hier und da glaubt, gehören in diese Rubrik. In Chaucers "Merchants-Tale" ist Oberon König der Fairies. Unser Dichter hat diese Elfen zu einer Art von edeln, mächtigen und den Menschen gewogenen Sylfen erhoben, und Oberon, ihr König, spielt in diesem Gedicht eine so wichtige Rolle, daß es daher den Nahmen von ihm erhalten hat.

Fahr, II. 16. Das veraltete Wort, an dessen Stelle Gefahr gewöhnlich ist. Daher Fährde, fährlich, Fährlichkeit, wovon ebenfalls in der Dichtersprache (nur pudenter, wie Horaz sagt) Gebrauch zu machen wäre.

Fahren, für reisen, ausziehen, wallfahrten, I. 26. "Als wir zum heil'gen Grab zu fahren uns verbanden." In noch weiterer Bedeutung hieß fahren herum irren, im Lande herum ziehen; daher fahrende Ritter, (Chevaliers errans) fahrende Schüler, Landfahrer u. d. Fahrt, III. 55 ist also so viel als Zug, Ritt, oder das Französische Wort Traite.

Fant, IV. 47 "Ein fremder junger Fant."—Dieses Wort wird hier für Jüngling gebraucht, und ist in so fern mit dem alten Worte Knapp (wovon Schildknapp, Bergknapp) gleichbedeutend. In Niedersachsen, wo es so viel als Knecht ist, wird es Fent ausgesprochen; im Isländischen lautet es Fant. Das Italiänische Fante ist damit vielleicht einerley Ursprungs. Auch die Bauern (Pions) im Schachspiele werden in einigen Gegenden Fant oder Fänt genannt.

Gaden, IV. 15. Ein uraltes Wort, dessen Gebrauch in Ober—und Niederdeutschland, und vornehmlich in der Schweiz, hier und da noch in verschiedenen aus einem gemeinsamen Begriff entspringenden Bedeutungen sich erhalten hat. In den Nahmen der gefürsteten Propstey Berchtoldsgaden und des Oberbayerischen Prämonstratenser-Stifts Steingaden ist Gaden eben das, was hausen, heim, zell in den Nahmen einer Menge von Klöstern in Österreich, Bayern und Schwaben. In der Bedeutung von Laden, Kammer, Scheune, Stall sagte man ehemahls Würzgaden, Gadendiener, Speisegaden, und sagt noch itzt in der Schweiz Milchgaden (Milchkeller), Käsegaden, Viehgaden, Heugaden. Für Stockwerk eines Hauses kommt es im "Schwaben-" und "Sachsenspiegel" u.b.a. und für Zimmer oder Gemach im "Heldenbuche" vor.

     Da schloß die Küniginne
     Drey Riegel vor das Gaden.

Eva war ein Gaden (Wohnsitz) aller weiblichen Tugend, sagte der zu seiner Zeit berühmte Prediger Joh. Matthesius noch im sechzehnten Jahrhundert. Man sollte dieses Wort (welches schon beym Ottfried und Willeram in der Form Gadum und Gegadame vorkommt) um so mehr zu erhalten suchen, da es ohne Zweifel eines von denen ist, die uns aus der ältesten Sprache, der gemeinschaftlichen Stamm-Mutter der Hebräischen, Fönizischen, Persischen und Celtischen, übrig geblieben sind. Denn es ist im Hebräischen gadar, einzäunen, im Punischen Gadir, Einzäunung, in Gades, dem alten Nahmen der Stadt Cadiz, und in dem Nahmen der Persischen Stadt Menosgada und der Burg Pasergada oder Persagadum, in der Gegend wo Cyrus den berühmten Sieg über den Astyages erhielt, unverkennbar. In unserm Gedichte scheint es hier, zumahl im Munde Scherasmins, an seinem rechten Orte zu stehen, und eine kleine Ladenstube oder Kammer eines schlechten Häuschens in einer Winkelgasse zu bezeichnen.

Glorie, XII. 16. "Wie eine Glorie. "—Wenigstens in dieser zu unsrer Mahlerkunstsprache gehörigen Bedeutung, in welcher es das Bild des sich öffnenden Empyreums und der Erscheinung himmlischer Wesen, Engel, und Heiligen, in der Fantasie erregt, sollte, dünkt uns, dieses zwar fremde, aber schon in Kaisersbergers Postille und einigen unsrer ältesten Kirchenlieder vorkommende, und also längst verbürgerte Wort beybehalten werden. Aber auch bloß als poetische Farbe ist es der Dichtersprache, um den höchsten Grad von Ruhm, Herrlichkeit und Majestät auszudrücken, (wie so manche andre Wörter, deren man uns ohne Noth oder Nutzen berauben will) unentbehrlich.

Großheit, III. 40. Großheit verhält sich zu Größe, wie Hoheit zu Höhe, nur daß es in dieser Bedeutung im Hochdeutschen noch nicht üblich ist. Der Dichter versteht unter Großheit das, was beym ersten Anblick eine große, über gewöhnliche Menschen weit empor ragende Person ankündigt. Größe, ohne irgend eine hinzu gesetzte nähere Bestimmung, erweckt nur den Begriff körperlicher Quantität: Großheit erregt ein mit Ehrfurcht verbundenes dunkles Gefühl der Würde und Vortrefflichkeit einer Person. Majestät ist nur ein höherer Grad von Großheit, und beide können auch ohne eine über das gemeine Maß hinaus gehende körperliche Größe (Procerität) Statt finden, wiewohl diese unstreitig ein beträchtliches dazu beyträgt, das Gefühl und Vorurtheil von Großheit und Majestät zu erregen.

Gulistan, IX, 5. Ein Persisches Wort, welches Blumen—oder Rosengarten bedeutet, bekannt aus einem unter diesem Nahmen in die vornehmsten Europäischen Sprachen übersetzten Gedichte des berühmten Persischen Dichters Sahdi, oder Scheik Mosleheddin Saadi von Schiras, der um das Jahr Christi 1193 geboren wurde, und bis 1313 unsrer Zeitrechnung gelebt haben soll.—Der Gebrauch dieses Wortes an dieser Stelle bedarf wohl keiner Rechtfertigung.

Hämmling, V. 47. Ungefähr eben diese Art von Sklaven Kombabischen Geschlechts, V. 33, welche in der 48ten Stanze höflicher Kämmerlinge heißen. Das Wort Hämmling ist nach Wachtern sehr alt, und scheint nicht von Hammel, sondern von dem alten Wort hämeln, stümmeln, verschneiden, abgeleitet zu seyn. In dem Sinne, worin es hier gebraucht wird, kommt es in einer von Adelung unter dem Worte Hammel angeführten alten Übersetzung des Terenzischen "Eunuchus" vor, die im Jahre 1486 zu Augsburg gedruckt wurde. In einer hundert Jahre spätern Übersetzung eben dieser Komödie, durch M. Josua Loner, Pfarrherrn und Superintendenten zu Arnstadt, wird Eunuchus durch Frauenhut gegeben. "Wenn man (sagt der Übersetzer) das deutsch wollt geben gut, Möcht mans nennen den Frauenhut." (Hut wird hier, wie man sieht, in einer veralteten Bedeutung für Hüter genommen.) Der Erfinder dieses komischen Wortes ist aber nicht besagter Loner, sondern D. Luther, wie aus folgender von Wachtern angezognen Stelle aus seiner berüchtigten Schrift "Wider Hans-Worst", Wittenberg 1541, zu ersehen ist: "Er were besser ein Frauenhut, der nichts thun sollte, denn wie ein Eunuchus, d. i. ein Frauenhut, stehen in einer Narrenkappe mit einem Fliegenwedel,* und der Frauen hüten, und des davon sie Frauen heißen, (wie es die groben Deutschen nennen.)"

Han, IV. 36. Eben das, was Karavan—oder Kirwan-Serai; große öffentliche
Gebäude in den Muhamedanischen Ländern, wo Reisende, jedoch ohne
Verpflegung, beherbergt werden.

Heiden, II. 5, wird hier, nach der Weise der alten Ritterbücher, von allen
Nicht-Christen, also auch von Sarazenen oder Muhamedanern, gebraucht.

Hesperien, I. 3. Italien, welches die ältesten Griechen, weil es ihnen gegen Abend lag, Hesperia, das Abendland, nannten.

Idschoglan, X. 49. Nahme einer Art von Pagen des Türkischen Hofes, die im dritten Hofe des Serai neben dem Divan wohnen, und in vier Oda's oder Klassen abgetheilt sind, von welchen die vierte unmittelbar zur Bedienung der Person des Sultans bestimmt ist. Vermöge einer den Dichtern immer zugestandenen Freyheit wird hier vorausgesetzt, daß ungefähr dieselbe Einrichtung auch am Hofe des Königs von Tunis Statt gefunden habe.

Je und ie, III. 57. Die alte und noch immer übliche Oberdeutsche Form der Partikel je ist ie, welches beynahe wie i ausgesprochen wird. So kommt sie bey den Minnesängern immer vor, und die Richtigkeit dieser Form und Aussprache wird auch durch das offenbar aus den alten Verneinungswörtchen ni und ie zusammen gesetzte nie bestätigst. Weil man einem Deutschen Dichter das Reimen nicht ohne Noth erschweren sollte, indem unsre Sprache ohnehin arm genug an Reimen ist, so halten wir für billig, daß man reimenden Dichtern erlaube, sich der Wörter je, jeder, und jetzt sowohl in dieser neuern, als in der Altdeutschen Form, ie, ieder, und itzt, nach Gefallen zu bedienen. Ohne diese Freyheit hätte hier eine der besten Stanzen des ganzen Oberons entweder gänzlich kassiert, oder ins schlechtere verändert werden müssen.

Jungfernzwinger, II. 32. Ein (vermuthlich) von unserm Dichter gestempeltes
Wort für Jungfernkloster. Daß sich dazu keine andre Analogie fand als das
Jägerwort Hundezwinger, wird ihm hoffentlich zu keinem Vorwurf gereichen.

Klosterbühl, II. 33. Bühel, Bühl, (in den härtesten Mundarten Büchel) ist ein gutes altes Wort für Hügel. Die Reichsstadt Dinkelsbühl hat ihren Nahmen von Dinkel (einer Getreideart, die vermuthlich in ihrer Gegend vorzüglich geräth) und von einem dreyfachen Bühl, d. i. Hügel, worauf sie erbaut ist.

Knappen, III. 2, so viel als Schildknappen, Waffenträger, Knapo im mittlern Latein. Es war vor Alters mit Knecht oder Edelknecht (Englisch Knight) einerley, und wurde auch von einem jungen Edelmann gebraucht, welcher einem ältern Ritter, entweder als Lehrjunge, um die Ritterschaft zu erlernen, oder als Geselle, um sie unter Anleitung und Aufsicht eines Meisters auszuüben, Dienste that. Nach und nach verlor es, wie Knecht und Schalk, seine vormahlige Bedeutung und Würde, und ist dermahlen nur noch in den Benennungen Tuchknappe, Mühlknappe, Bergknappe, üblich.

Kobold, II. 11. Eine Art von Mittelgeistern, Gobelinus im Latein des Mittelalters, von welchen man glaubte, daß sie den Menschen eher hold als zu schaden geneigt seyen, wiewohl dieß so ziemlich von ihrer Laune und andern Umständen abhing. Der Kobold der Bergleute, oder das Bergmännchen, scheint mit Gabalis Gnomen, oder Elementargeistern von der vierten Klasse, einerley zu seyn.

Kurdé, XII. 43. Ein weites Oberkleid der türkischen Damen. S. "Letters of
Lady M. Worthley Montague" L. XXIX.

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* Eine Anspielung auf den Pseudo-Frauenhut Chärea im Terenz, dem eine Magd, in der Meinung, daß er der Verschnittene sey, welchen ihre Dame zum Geschenk erhalten hatte, die junge Pamfila zu hüten gab, mit dem Auftrag, ihr, während sie nach dem Bade der Ruhe pflegte, Luft zuzufächeln. (Zurück)

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Langon, II. 46. Eine kleine Stadt an der Garonne, berühmt durch ihren Wein, der für den besten unter den weißen Bourdeaux-Weinen, Vins de Grave genannt, gehalten wird. "Melanges tirés d'une grande Bibliotheque". Vol. 36 p. 94.

Laudan, X. 43. Laudanum, eine aus Opium zubereitete Arzney von der
Erfindung des berühmten Paracelsus, steht hier für jedes andere Kordial.

Magd, III. 18. Magd, Maget, Magad, Maid, Meyd, sind verschiedene Formen eines Wortes, welches in seiner ältesten Bedeutung eine ungeschwächte junge Frauensperson, eine Jungfrau im eigentlichen Verstande, bedeutete. "Es heißt im Deutschen Magd (sagt D. Luther) ein solch Weibsbild, das noch jung ist, und mit Ehren den Kranz trägt und in Haaren geht." In diesem Sinne wird Maria in einem alten Kirchenliede die reine Magd genannt. Im "Heldenbuch", "Theuerdank", u. a. heißen junge Damen vom ersten Rang edle Meyd oder Magd, ohne daß eben auf die fysische Bedingung der Jungfräulichkeit Rücksicht genommen wird. Magdthum bezeichnet daher im alten Deutschen sowohl den jungfräulichen oder ledigen Stand, als was man jetzt in engerer Bedeutung Jungferschaft nennt.

Mahneh, XI. 33, auch Salam genannt, ist eine unter den Türken und Maurischen Sarazenen gewöhnliche Art von geheimen Liebesbriefen, wobey Blumen, Spezereyen und tausend andere Dinge, als symbolische Zeichen, die eine gewisse abgeredete Bedeutung haben, statt der Worte gebraucht werden. In Plants Türkischem Staatslexikon ist ein Beyspiel davon gegeben, wo eine Weinbeere, ein Strohhalm, eine Jonquille, ein seidener Faden, Papierschnitzel, ein Schwefelhölzchen, eine Pistazie, eine verwelkte Tulpe und ein Stückchen Goldfaden, in einem Beutel der Geliebten überschickt, ihr ungefähr so viel sagen, als: "Holdes Mädchen, erlaube daß ich dein Sklave sey und laß dir meine Liebe gefallen. Ich brenne vor Sehnsucht nach dir, und diese Flamme verzehrt mein Herz.—Meine Sinne verwirren sich. Ach möchten wir doch zusammen auf Einem Bette ruhen! Ich sterbe, wenn du mir nicht bald zu Hülfe kommst."—Eine ähnliche Probe theilt Lady Worthley Montague im vierzigsten der oben angezogenen Briefe ihrer Korrespondentin mit. Ihrem Berichte nach ist mit jedem symbolischen Zeichen dieser geheimen Sprache ein gewisser Vers aus einem Dichter kombiniert; und sie sagt, sie glaube, es sey eine Million Verse zu diesem Gebrauch bestimmt;—was, wenn wir auch neun Zehntheile von der Million fahren lassen, diese Sprache zu einer der schwersten in der Welt machen würde.

Mahom, II. 5 und öfters. Eine in den alten Französischen Rittergedichten, Fabliaux, u. d. ziemlich allgemeine komische Abkürzung des Nahmens Mahomed, wenn von dem großen Profeten der Sarazenen die Rede ist.

Manichäer, II. 23, war in Hüons Zeiten ein eben so gemeiner als verhaßter Ketzernahme, wobey man sich das abscheulichste dachte, ohne sich darum zu bekümmern, was die wirklichen Anhänger des Manes ehemahls gelehrt hatten oder nicht. Der Kaplan konnte also dem tief studierten Manne, der sich so positiv gegen die Geister erklärte, keinen schlimmern Streich spielen, als ihm einen Nahmen anzuhängen, den jener nicht auf sich sitzen lassen durfte, wenn er den anwesenden Laien nicht ein Gräuel werden wollte. Daher vermuthlich der Fechterkniff, im Fortgang des Streits sich hinter so viel Latein zurück zu ziehen, daß die Zuhörer, und vielleicht auch der orthodoxe Kaplan selbst, ihm nichts weiter anhaben konnten.

Märtrerberg, IX. 6. Montmartre bey Paris, so genannt, weil nach ehemahligem gemeinem Glauben der heilige Dionysius Areopagita mit seinen Gefährten S. Rustikus und S. Eleutherus den Martertod auf diesem Berg erlitten haben soll.

Herzog Nayms, I. 52. Die alten Ritterbücher von Charlemagne und den Helden seiner Zeit sprechen viel von einem Herzog Naymes von Bayern, als dem weisesten Mann an Karls Hofe, für dessen Rath dieser Kaiser immer besondere Achtung getragen habe. Bekannter Maßen kennt die Geschichte dieser Zeit keinen andern Herzog in Bayern als den unruhigen Tassilo. Ich habe dem seltsamen Nahmen Naymes überall nachgespürt, und nichts gefunden, als daß in dem Zedlerischen Universal-Lexikon ein Nainus oder Nämus als ein General der Bayern unter Karl dem Großen aufgeführt wird, ohne die Quelle, woraus diese Angabe geschöpft ist, anzuzeigen.

Obsiegen, III. 20, (einem) auch ansiegen, eine Altdeutsche Form, für einen besiegen, bezwingen.

Ok, die Sprache von Ok, I. 12. Die so genannte Romanische (romana rustica) Sprache, die nach der Zerstörung der Römischen Herrschaft in Gallien vom Volke gesprochen wurde, theilte sich in zwey sehr ungleichartige Mundarten, in deren einer das dermahlige Französische Bejahungswörtchen oui, oil, in der andern hingegen ok ausgesprochen wurde. Diese letztere, die in dem mittäglichen Frankreich herrschte, hieß daher la langue d'oc, und wurde späterhin die provenzalische genannt. S. die Einleitung vor le Grands "Fabliaux ou Contes du XII. et XIII. Siecle".

Pan, der große Pan, II. 18. Eine im Munde Scherasmins fast zu gelehrte Anspielung auf das bekannte Mährchen von dem Ägyptischen Schiffer Thamos, dem, als er einst, unter der Regierung des Kaisers Tiberius, an den Echinadischen Inseln vorbey fuhr, nach einer plötzlich erfolgten Windstille eine Stimme von den Paxischen Inseln her zu dreyen Mahlen befahl: so bald er den Hafen Pelodes (an der Küste von Epirus) erreicht haben würde, sollte er mit lauter Stimme ausrufen: Der große Pan sey gestorben. Thamos hatte diesen seltsamen Auftrag wieder vergessen, als er durch eine abermahlige Windstille, die ihn im Angesicht des Hafens Pelodes befiel, daran erinnert wurde: und kaum hatte er den Tod des großen Pans ausgerufen, so ließ sich ein großes Wehklagen und Gewinsel in der Luft hören, wie von unsichtbaren Personen, die an dieser Nachricht ganz besondern Antheil nähmen, und ihr Erstaunen und Leidwesen darüber bezeigten. Das merkwürdigste an dieser schönen Geschichte ist, daß Plutarch in seiner Abhandlung von den Ursachen, warum die Orakel aufgehört hätten, sie einem gewissen Ämilianus in den Mund legt, der sie von seinem Vater, als einem unmittelbaren Augen—und Ohrenzeugen, gehört zu haben versicherte.—Übrigens ist es, in Rücksicht des bekannten Gebrauchs, welcher in der Folge von dieser Erzählung gemacht wurde, eben nicht unmöglich, daß Scherasmin gelegentlich von seinem Pfarrer etwas von ihr gehört haben könnte, wiewohl ihm nichts davon im Gedächtniß geblieben, als die isolierte Vorstellung, wie still und todt es auf einmahl in der Natur werden müßte, wenn der große Pan wirklich zu sterben kommen sollte.

Pär (Pair) des Reichs, I. 48. Es bedarf wohl kaum erinnert zu werden, daß unser Dichter auch hier, da sein Held sich (als Herzog von Guyenne oder Aquitanien) einen Pär des Reichs nennt, in der 49sten Stanze von Fürsten des Kaiserreichs spricht, und in dieser Qualität das Recht seinen Ankläger zum Zweykampf heraus zu fordern geltend macht, nicht der Geschichte, sondern den Ritterromanen von Charlemagne folgt, welche wahrscheinlich erst im XII. und XIII. Jahrhundert ausgeheckt wurden. Der unbekannte Mönch, der seinen aus den abenteuerlichsten Erdichtungen zusammen gestoppelten Roman "de Gestis Caroli M. et Rolandi", um ihm das Ansehen einer wahren Geschichte zu geben, dem Erzbischof Tilpin von Rheims (den er Turpin nennt) unterschob, hatte so wenig Kenntniß und Begriff von Karl dem Großen und seiner Regierung, daß er nicht nur die Gebräuche, Sitten und Lebensweise der so genannten Ritterzeiten, sondern sogar die ganze Verfassung von Frankreich, wie er sie unter Ludwig VII. und Filipp August (unter deren Regierung er lebte) fand, in die Zeit jenes großen Königs der Franken hinüber trägt. Daher denn auch die vorgeblichen zwölf Pärs desselben, die in diesen Romanen als die zwölf großen erblichen Kronvasallen erscheinen, da man doch damahls eben so wenig von Erb-Kronvasallen als von bestimmten Vorzügen und Vorrechten einiger derselben vor allen übrigen wußte, indem alle vom König unmittelbar belehnte Baronen eben darum, weil sie alle einander gleich waren, Pares Franciae hießen, und, in so fern ein jeder nur von seines gleichen gerichtet werden konnte, den Hof der Pärs, la Cour des Pairs, ausmachten. Von wem und zu welcher Zeit die ehemahls ungeheure Menge der Baronen oder Pärs von Frankreich auf zwölf (sechs geistliche und sechs weltliche*) eingeschränkt worden, ist eine eben so problematische oder vielmehr unauflösbare Frage in der Französischen Geschichte, als der Ursprung der Kurfürsten in der Deutschen: aber so viel ist gewiß, daß von diesen zwölf Pärs erst unter Ludewig VII. Erwähnung geschieht. S. "Les Moeurs et Coutumes dans les differens tems de la Monarchie Franç. au Tome VI. de l'Hist. de France de le Gendre".

Recke, III. 47. Ein veraltetes Wort für Riese. Es wurde ehemahls auch von andern tapfern und streitbaren Männern gebraucht, und die alten Sueven werden in dieser Bedeutung in dem Lobgesang auf den Heiligen Anno St. 19. gute Reckin genannt. In den alten Isländischen Mythen heißen ihre Heerführer oder Landeshauptleute (Könige) Landrecken.

Rennen, I. 35. "Bey einem offnen Rennen," d. i. in einem Turnier; ein in dem alten "Amadis aus Gallien" und ähnlichen Werken häufig vorkommendes Wort. Noch gewöhnlicher hieß es ein Stechen, Stechspiel, Ritterstechen; daher Stechhelm, ein Turnierhelm, der das ganze Gesicht bedeckte und nur zum Sehen und Athmen Öffnungen hatte,—Stechpferd, ein starkes zum Turnieren abgerichtetes Pferd, Stechbahn, Stechzeug, u.s.w. ein scharfer Stecher, III. 12. Reiten wurde ebenfalls als ein Synonym von turnieren, oder eine Lanze mit einander brechen, gebraucht; daher ein Ritt, III. 10. Für Turnier wurde damahls auch Turney gesagt: II. 19, im Feld und im Turney.

Schimpf, I. 26. "In Schimpf und Ernst," d. i. in Ritterspielen und in gefährlichen Abenteuern, wo Leib und Leben gewagt wurde.—Schimpf wird hier in der veralteten Bedeutung von Spiel und Scherz gebraucht. Noch im 15ten Jahrhundert waren scherzen und schimpfen gleichbedeutend. So heißt es zum Beyspiel (nach Adelungs Zeugniß) in einer zu Straßburg 1466 gedruckten Deutschen Bibel: "Abimelech sah in (ihn, den Isaak) schimpfen mit Rebekka seiner Hausfrauen."—Es wird aus Schimpf noch Ernst werden, ist eine Redensart, die noch itzt in Oberdeutschland zuweilen gehört wird.

Stange, für Speer oder Lanze, V. 65, kommt in dieser Bedeutung noch in
Luthers Bibelübersetzung vor, Matth. 26,47.

Stapfen, einher stapfen, VI. 42, ein veraltetes aber mahlerisches Wort, für stark und fest auftreten.

Sultanin, IX. 5, (Sequin) eine Türkische Goldmünze, deren Werth hier, wo es auf eine sehr genaue Bestimmung nicht ankommt, etwa einem Goldgülden oder halben Maxd'or gleich angenommen werden kann.

Unangemuthet, III. 39, d.i. ohne eine Anmuthung zu dieser Person zu spüren, ohne daß sein Herz ihm etwas für sie sagt, ohne daß sie ihn interessiert. Muth (Mod, Mûat, Mûoth) hieß bey den alten Angelsachsen, Franken und Allemannen animus bene vel male adfectus, das Gemüth, oder was wir figürlich das Herz nennen, und Muthen war so viel als das Gemüth in Bewegung setzen, anziehen. Daher Anmuth, was unser Herz anspricht, anzieht. Das Zeitwort anmuthen scheint also vorzüglich dazu geschickt zu seyn, wenigstens in vielen Fällen die Stelle des fremden und unsern Puristen anstößigen interessieren zu ersetzen; zumahl wenn unsre Schriftsteller sich entschlössen, dieses Wort in dem Sinne, worin es ansinnen oder zumuthen (d. i. verlangen daß ein anderer über eine gewisse Sache eben so gemuthet sey wie wir) heißt, nie wieder zu gebrachten. Von etwas angemuthet oder unangemuthet seyn oder werden, wäre diesem nach so viel als davon interessiert oder nicht interessiert werden: und in diesem Sinne scheint unser Dichter das von ihm vermuthlich zuerst gebrauchte Wort unangemuthet genommen zu haben.

Ventregris, II. 20. Ein nur in Scherasmins Munde duldbarer, wiewohl ehemahls dem König Heinrich IV. von Frankreich sehr geläufiger, Gaskonnischer Schwur, statt Ventre-Saint-Gris.

Verdrieß, I. 41. Die alte Form des Wortes Verdruß, welche hier mit gutem
Bedacht der gewöhnlichen vorgezogen worden ist.

Verluppt, III. 36. "Ganz in verlupptem Stahl," d. i. in bezauberten Waffen. Luppen, verluppen hieß in der alten Allemannischen Sprache vergiften; daher verlüppte Pfeile. Weil aber, wie Wachter wohl anmerkt, im gemeinen Volksglauben giftmischen und zaubern verwandte und associierte Begriffe sind, so bekamen die Worte luppen, verluppt, auch die Bedeutung von zaubern und bezaubert. So sagt zum Beyspiel König Tyrol (beym Goldast):

Der konnte luppen, (d.i. zaubern) mit die (dem) Speer;

und der Dichter Nithart (ebenfalls in Goldasts Paraenet.) Zöverluppe für Zauber, fascinum magicum.

Versehen, IV. 63. Etwas versehen, d. i. schicken, verfügen, kommt in dieser veralteten Form und Bedeutung öfters in Luthers Bibel vor.

Versteinen, VIII. 61, zu Stein werden, statt des gewöhnlichen versteinern, wo das r in der Endsylbe überflüssig und sogar unrichtig ist. Wenn man verbessern, verschönern, verkleinern, vergrößern sagt, so geschieht es darum, weil etwas besser, schöner, kleiner, größer werden soll als es war. Bey versteinert hingegen ist die Rede nicht davon, etwas noch steinerner als es ist, sondern etwas, das kein Stein war, zum Stein zu machen.

Wage, V. 72, VII. 22. Für das, was man bey einer Entschließung wagt. Wage ist in dieser Bedeutung ein zwar veraltetes, aber wenn es am rechten Orte steht, jedem verständliches, und kaum entbehrliches Altdeutsches Wort. Auch Wagestück, welches in einigen Provinzen noch gehört wird, für eine gefahrvolle Unternehmung, verlangt mit gleichem Recht wieder in Umlauf zu kommen.

Wehre für Gewehre, I. 43. Wehrgeschmeide, III. 4, für Waffenschmuck, Waffenrüstung.—Wörter, die in der Dichtersprache erhalten zu werden verdienen.

Weib, III. 58 "da steht vor ihm ein göttergleiches Weib,"—wird hier in der Altdeutschen Bedeutung gebraucht, vermöge deren es, wie das Griechische gyne, eine jede Frauensperson, ohne Rücksicht auf Geburt, Stand und Alter bezeichnet. So kommt das Wort Wib beständig bey den Minnesängern vor, wiewohl schon Walther von der Vogelweide in einem seiner schönsten Lieder sich sehr darüber ereifert, daß man zu seiner Zeit (im 13ten Jahrhunderte) schon einen Unterschied zu machen anfing, weil die vornehmern nicht mehr Weiber sondern Frowen (Frauen) heißen wollten. Indessen sagen noch itzt in Oberdeutschland Personen von Stande, wenn von ihres gleichen die Rede ist, —"Sie ist ein schönes Weib"; und auch in unsrer neuern Dichtersprache ist das Wort Weib von mehrern wieder in seine alte Würde eingesetzt worden. Denn, wie der eben benannte edle Minnesänger sagt:

Wib muß immer sin der Wibe höhster Nahme.

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* Jene waren, der Erzbischof von Rheims, der Bischof Herzog von Laon, der
Bischof Herzog von Langres, der Bischof Graf von Beauvais, und die Bischöfe
von Chalons sur Marne und von Noyon; Diese, die drey Herzoge von Burgund,
Normandie und Guyenne, und die drey Grafen von Flandern, Champagne und
Toulouse. (Zurück)

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