Project Gutenberg's Verfall und Triumph, Zweiter Teil, by Johannes R. Becher

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Title: Verfall und Triumph, Zweiter Teil
       Versuche in Prosa

Author: Johannes R. Becher

Release Date: September 15, 2011 [EBook #37436]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK VERFALL UND TRIUMPH, ZWEITER TEIL ***




Produced by Jens Sadowski





 

Verlagslogo

 

 

 

 

Johannes R. Becher

Verfall und Triumph

 

 

Zweiter Teil

 

Versuche in Prosa

 

 

 

 

 

Berlin
Hyperionverlag
1914

 

 

 

 

 

Druckereilogo

Gedruckt bei
Poeschel & Trepte in Leipzig.
Copyright 1914 by Hyperionverlag, Berlin
Fünfundzwanzig Exemplare wurden auf
Old Stratford abgezogen und in
der Presse numeriert

 

 

Inhalt

De Profundis

Das kleine Leben

Der Dragoner

Kindheit

Der Idiot

Um Dagny heulen wir Gespenster

 

 

De Profundis

Hymne / Fragmentarisch

Möge es mir gelingen, — zum Abschied, denn ich eile anderen, lichteren Zielen zu! — möge es mir gelingen, den lauen, mittelmäßigen und begnügsamen Geist eueres armen, irdischen Alltags noch einmal aufzustacheln, euch zu erheben! Euch festtäglicher, erstaunter, heiterer zu stimmen durch das erhabene und fromme, das ernste und wahrhaft furchtbare Schauspiel dieses seltsamst entarteten und am maßlosest entfesseltsten Leidens. Tretet näher! Kommt heran! Brüder, Schwestern! Mit hellen Frühjahrsfarben habe ich mich geschmückt, mit reichlich bunten und verzierten, mit flatternden Wolkenbändern. Hört! . . . Ach!

Was gafft ihr, ihr albernen Gänse, zieht die geschminkten Fressen wie zum Lachen breit! Sperrt die großen Mäuler auf, wie vor der Jahrmarktsbude eines fremdländischen Wunders, — bin ich denn gar so ein Scheusal, ein zerfressenes Gerippe! — die dreckigen Hände in den nassen Hosentaschen, Laufburschen, Louis, lausige Hanswursten! Ach, schon bin ich wieder gelangweilt und ermüdet durch euere, ach so wenig unterhaltsame Gesellschaft, ach, schon wieder gelangweilt und ermüdet, bevor ich noch den Mund zum ersten Worte aufgetan. Es wird ja unnütz sein. Euch nicht mehr als eine mehr oder minder mißverstandene spaßige oder gruselige Abendunterhaltung, während welcher ihr einander bestehlt oder den Weibern unter die Röcke greift. Wahrlich! und dazu muß ich noch — so: ein eigentümlicher Kuppler und närrischer Schmerzensausschreier — gewärtigen, daß einer von euch plötzlich veitstanzt oder ein anderer aus euerer sauberen Genossenschaft mir in einem manischen Anfall mit einem Schiefer rücklings den Schädel einschlägt. So lockt mich einzig nur die Gefahr, ihr Guten. Die Laune, euere erstaunten Mienen zu beobachten, wie ihr empört und im Innersten beleidigt oder aufgebracht allerhand tolle Fratzen schneidet, bald zu plärren anfangt, bald davonlauft, wiederkommt, murmelt, schreit oder aufhorcht. Euer Gesicht aus Scham und Wut verzerrt. Erzürnt die Fäuste hebt! . . . So hört! Ich singe euch vor meinem endgültigen Abschied noch das religiöse Lied meiner fanatischsten Ekstasen, das arge Ende meiner entzückten Liebesräusche. Die große Jeremiade, eine pathetische und mystisch verklärte Agonie. Das zynische Klagelied. Vernehmt bewundernd oder im Tiefsten angewidert das Ende einer bitteren Passion. Seltsame Träume. Meine Taten, die guten und die bösen. Sie ziehen an euch vorüber in einem bunt abwechselnden, aufreizenden, karnevalesken Reigen. Flammen leuchten auf. Trommeln. Trompeten schmettern. Der laute Schlachtruf der Kämpfenden, der himmlische Päan, dem ich, hörte ich ihn nur von weit, schon als Knabe wild wie ein Tier nachstürzte, wobei ich alles im Stiche ließ und um keinen Preis zu halten war, vielleicht in der sicheren Vorahnung, daß er einst meiner letzten Kämpfe, meiner ärgsten Schlacht Begleiter sei, in der Hoffnung, daß er einst mich zur Heimat geleite, einst mich erlöse.

Was? Ihr lacht? Macht Beifall, Lärm? Nein. Nichts, nichts von alledem. Der silberne Mond schwebt hoch über dem verlassenen Platz. In seiner Mitte, unter der Säule, gegenüber dem Löwentor des zerfallenen Palastes stehe ich. Laut und eindringlich habe ich, meiner Gewohnheit nach, in einer visionären Erregung zu einer unsichtbaren Versammlung gesprochen. Doch wer vernähme meine Rede auch in dieser raschen Zeit! Doch! Von neuem! Ich versuche es. Ich gebrauche die hohle Hand! Dann beginne ich! Stammle entzückt und voll Wonnen! Also, zum Anfang!

Ich beginne! Und lauschten mir auch nur die flüsternden Nachtwinde, die rauschenden Bäume und das vom Mondlicht beglänzte Rieseln der Brunnen, und hörten mich auch nur die weißen Wege, und horchten auch nur die harten Steine auf mein trauriges Lied!

Aus der Tiefe, Herr, rufe ich. Die tägliche Welt scheint in tiefe, graue Schattenabgründe hinabversunken. Ich fühle mich leicht wie Äther, frei und wahrhaft glücklich erhoben. Der goldene Himmel blüht. Visionäre Träume von sonst nie geahnter Ungeduld erfüllen mich, bedrängen mich. Goldene Feuer lohen empor und umlichten furchtbar meine eisige Grabesnacht. Scheiterhaufen warten aufgerichtet. Hellebarden, Dolche blitzen. Trommelwirbel. Rote Lichter vor schmutzigen Bordellen flammen in blaue Liebesnacht. Breite, langgezogene, geschminkte Lippen. Geheul der zerschundenen Tiere. Rotgelbe Sonnen leuchten magisch empor aus dunklen Moortümpeln. Gefallene Engel. Aufgerissene Menschenleiber. Beben, Zittern, Schluchzen, Seufzen, Stöhnen, Stallgeruch. Helle Rufe zu Kreuzzügen in fernste Wunderländer erwecken mich. Flagellantenheere kreischen. Feuersbrünste wüten. Stierkämpfe. Hetzjagden auf Wilde. Wüsteneien. Die Pest erhebt ihr durchlöchertes Haupt. Ein Dogma, eine Tyrannis, grausam über alle Maßen, beherrscht mich. Eine göttliche Phantasie belebt mich. Engel mit himmlisch verzückten Händen schweben hernieder. Weiße blutbefleckte Knaben- und Mädchenleiber in unsagbar süßen Verschlingungen und eine große, rasende Orgie des Inzests. Und dies sehe ich oft in meinen Grabnächten und es ist, als walle eine lange, endlose Schleppe über die schlafende Erde, daß die Wipfel der Wälder sich darunter erregen und erbrausen, und die Gewässer der Erde wie Tautropfen am Saume jenes himmlischen Gewandes haften. Und ein Duft geht davon aus, wie von altem Blut und rotem Wein. Doch die Gestalt, die solches trägt, bleibt mir unsichtbar. Es ist weißlich, gläsern. Ich befinde mich einsam auf der stillen Warte des Grenzgebirges der Welt. Aufgelöst in Tränen kniee ich zu Gottes Füßen, spüre den Hauch seines Atems, den Druck seiner väterlichen Hand, fasse sein Herz. Das irdische Reich hört auf. Neue Gestade, gräulich und mattglänzend, grüne Eismeere, blaue unermeßliche Gletscherflächen tauchen langsam und leis, unter einem süßlich klingenden, leicht und allmählich anschwillenden Gesang, hinter den Gräueln und Verruchtheiten der roten Mitternacht empor. Tausender Leben finde ich in mir. In mir, dem äußersten, leidenden Glied eines reichen, verderbten Geschlechts. Und doch im Blut die wehe Ahnung einer maßlos berauschten, rasenden Demokratie. Bin jung. Bin alt. Bin Kind, bin Berg, bin Stadt, bin Land. Jungfrau, Dirne, Soldat, Matrose. Lebendig. Tot. Fühle mich von großen, langewundenen Würmern weh zerfressen: Herz, Magen, Nieren, Achselhöhlen, Gehirn; die Lippen schwammig, aufgedunsen, naß und grün. Schimmelig. Welk oder trocken ausgezehrt von Fäulnis. Die schleimigen Augen voll Eiter; Nester kleinen stinkenden Gewürms. Der Mund voll Erde. Die Zähne brüchig, grün. Ein berückendes Arom umgibt mich: Weihrauchdämpfe, Verwesungsduft und der helle Geruch weißen Äthers oder gelben Karbols aus dem Operationssaal. Ecce homo! Ecce homo! . . .

Einst, o einst, da ich wuchs empor, blühend heran, inmitten kläglichen, schmutzigen Kindergewimmels. Auf engen, dunklen Höfen, steilen, brüchigen Holztreppen, verdreckten Straßenplätzen. Graue Mauern starren auf. Rote Fenster in weißen Kalkgemäuern, ewig verschlossen. Die Mietskasernen. Ausflüchte der Seele, hart vergittert. Aber das Lied des umherziehenden Orgelmanns tat zum ersten Male mein Herz auf und aller Knaben und Mädchen schüchterner, aufjauchzender Ringeltanz. Veilchenblauer Himmel. Blühende Sonne. Sterne und der Mond am feurigen Nachtfirmament. Das Kindlein in der Krippen . . . Einst, o einst: zwischen gleichmäßigem Löffelgeklirr das unaufhörliche Getropfe der mütterlichen Tränen auf den irdenen Teller. Die Schläge, das harte Schweigen oder die Schelte des erzürnten Vaters. Streit der Geschwister. Unzufriedenheit, Intrigen, Haß, Neid und Zank, Gegrein und Geschluchze aus kalten, rohen, roten, zerrissenen und zerschlissenen Betten. Ungeziefer schwirrt. Zerfetzte Kleider, Hunger, Kälte. Finstere, verrußte Ecken. Erbrochene Kassenschränke und Wanderungen. O, da meine Sehnsucht übergroß ward und nach wunderlichen Sonnen und fremdartigen Ländern, großen, rauschenden Städten, mächtig mein Verlangen ging. Mich mein Sehnen zog. Das Herz schlug.

Mit Trine und Louis eingepfercht in den Viehwagen. Es pfeift. Stimmen. Vorwärts. Man fährt ab. Zerrüttelt. Lechzend. Mit offenen, trockenen Mäulern. Einer hat Schnaps. Die Augen harren. Alles ist unbestimmt. Keiner weiß. Man fährt in die Nacht. O, daß man einer Heimat entgegenführe! . . . Schon der Morgen bringt neue Seltsamkeiten und mancherlei eigenartige Überraschungen. Er hat milchige, kühle Wangen, gleich einem Mädchen. Doch der glühende Mittag naht. Die schwere Nacht. Die kristallene Klarheit frischer Morgenlüfte bleibt ein Traum . . .

Armut! Armut! Man übernachtet in Menge in Heustadeln oder auf freiem Feld, oder lagert gleich einer räudigen und übelriechenden Herde Viehs in wüsten Gassenschenken.

Armut! Armut! Du schändliches Königreich! Der enge Schlafraum ist voll von dem Geruch der nassen Windeln, dem grünlichen Salzgestank verpißter Betten, erfüllt von dem Geschrei gebärender Weiber, eierköpfiger Kretins, kleiner Kinder. Mensch, zieh deine Hand ein! Schlaf! Strecke dich nicht! Nichts! Denn bei einer Berührung greifst du an Schöße, stinkende, nasse, verschleimte, verkrebste Schöße, zerfressen, angefault, von großen gelben Geschwüren, Würmern angeknabbert, oder an Bäuche, kleine Bäuche, steinhart und mit dem Fraß roher Kartoffeln furchtbar angefüllt. Dein Trank ist ein Napf voll Urin und Blut! Dein Fraß sind Steine, Grind und Kot! Armut! Armut! Wurzel schlugst du im Gehirn, Geschlecht. Stunde, du kommst, die mich zerbricht. Die mich zermartert. Du zertrümmerst mich. O, so viel Blut drückt schwer. So viel Blut beglückt nicht mehr. So viel Blut bringt die Welt in Aufregung.

Erinnerung, du umschimmerst mich. Erinnerung du aus frühen Kampftagen. Zerbrochen bin ich, doch nicht geschlagen. Geträumte Länder, warme Länder, Sonnenländer! O ihr, meine Länder, herrlich und prächtig, durchzogen von den trunkenen Scharen jauchzender Vögel und den flatternden Kolonnen der singenden Fische! Apokalyptische Himmel! Blutige Sternengewölbe, violett umhaucht von der Glut silberner Sonnen, dem Geknister elektrischer Monde, jäh emporgetaucht aus dunkelgrünen Eisnächten. Riesenschlangen, träg und schwer auf den Ästen der Laubbäume. Raubtiere lauernd in Dickichten. Blumen, eine helle, fröhliche Sprache sprechend und umherblickend mit blauen, unschuldigen Menschenaugen. Geträumte Länder, warme Länder, Sonnenländer! O, so hört mein Freiheitlied! Denn aus den großen, kalten, nordischen Städten komme ich, aus Strohhütten, Spelunken, trübsten Höhlen der Hungernden, Verworfenen, Verbrecher und Verbannten. So hört mein Freiheitlied:

„Ihr Lumpenhunde, Saufkumpane! Gaukler, Gecken! Onanisten! Päderasten! Fetischisten! Kaufleute, Bürger, Aviatiker, Soldaten! Louis, Dirnen! Ihr großen Metzen! Syphilitiker! Brüder, Menschenkinder alle! Erwacht! Erwacht! Ich rufe euch zum hitzigsten Aufruhr, zur brennendsten Anarchie. Zum bösesten Widerstreit begeistere, reize ich euch. Revolution! Revolutionäre! Anarchisten! Gegen den Tod! Gegen den Tod! Brüder! Höllen und Dämone! Mein sprühendes Manifest. Kanonendonner, Lichtgarben! Ich führe euch. Vorwärts. Marsch! Marsch! Den gelben Klang der Trompete, den grauen, gleichmäßigen Wirbelschlag der Trommel, das weiße Aufschrillen der Pfeife, das flatternde Blut der roten Fahne, die violette Farbe unregelmäßiger, gefährlicher, schwärmender oder konzentrierter, tödlicher Bewegungen —: fühle ich in meinem Blut. Ich wittere Morgenluft. Sonnenluft. Auf! Granaten zerplatzt! Kartätschen, Fanfarenhymnen steigt! Infernalisches Geschmetter! Vorwärts, wir kommen. Dieser stählerne Vogel, der laut jubelnd der Morgensonne entgegenschießt, ist unser Bote, diese Granate, die hell durch die Luft pfeift, unser Gruß. Wir rücken an. Aus unseren Schildern, auf unseren Helmspitzen leuchtet auf, steil und flammend, der Triumph der neuen Zeit. Das silberne, zart aufjauchzende Lied glitzernder Bajonette umschmiegt sie. Glänzende Riesenstädte schlagen erstaunt Märchenaugen auf aus grauen, nebelverschleierten Ebenen. Blühende Himmel. Voll Türmen und Zinnen. Und Gold! Und Gold! . . .“

 

Alles Körperhafte habe ich von mir gestreift. Alles Irdische habe ich von mir getan. Nackt bin ich in diese einsamsten Hallen getreten. Die kühl sind und vom Glanze mattesten Goldes. Die wie vergessen schwebende Räume inmitten kreisender Welten sind . . . Suchte ich dich Ewigen nicht im zaghaften Geflüster aller erwachenden Liebe oder auch in den drohenden Brandstürmen aufgepeitschten, dampfenden Blutes? Dich, der du der Richter bist der ewigen Kriege. Aber auch im Morgenraunen der Bäume, wie im verlöschenden Gold der Sonne über der abendlichen Flur, oder im heimatlichen Gesang der Vögel, sowie die schwere Nacht angeht. Aber in allen Räuschen des Blutes fand ich mich dir am nächsten. Oder im verschrillenden Sausen, im helldröhnenden Fanfarengeschmetter oder dumpfem Marschschritt, heulendem Anmarsch nahenden Todes. Die verpestete Luft erfüllt vom dumpfen Gedröhn ziehender Belagerungsgeschütze, vom glorreichen Aufstrom schallender Vogelchöre, vom Gestöhn der schmerzvoll Hinsterbenden, vom weißen Schweigen der Gefallenen in den verfeuchteten Laufgräben, vom Siegesgeschrei, dem rauhen Gebrüll der Lebendigen . . .

Mein Gehirn ist nur mehr ein Fühlbares, ein nur mehr Begreifbares. Etwas nur mehr sich durch einen kleinen, gleichmäßigen Schlag Bemerkbarmachendes. Als ob wer die knöcherne Umhüllung sprengen möchte. Vergangenheit, Vergangenheit wohnt darin. Wir, die wir Vergangenheit sind. Gegenwartsfremd. Zukunftfeind. Wir, die wir die bedrückten Träger einer trüben Tradition sind. Wir, die wir die Nachtgeborenen sind. Der helle Tag findet unsern Körper müd, unsere Seelen verschlossen. Doch die dunkle Mutter öffnet ihren Kindern die schweren Augen. Auf den samtenen Fittichen einer trunkenen Traurigkeit werden die Ahndungsvollen mit sanfter Gewalt dem Bann der dunklen Erde entrückt und zu den Gefilden der Seligen, den himmlischen Gärten hin entführt, wo die leuchtenden Sternkugeln überherrlich entzündet sind.

Ich treib auf Trümmern, ziellos, unentwegt. Lang ist die Irrfahrt. Das Haupt drückt schwer. Müd ist die Hand. O, alles zerbarst, alles zerkrachte. Wie wütend die Wellen schlugen. Alles über Bord — O, splittert Planken! Noch einmal, o, noch einmal und — letzter Kampf! O: alles dann aus und Raub der Wogen . . . Und ich warte. Alles geht über mich. Alles verweht mich. Was hilft mir zur Ewigkeit? Komm Untergang!

O, und Blut! Blut! Blut! O, über ein Meer von geschändeten Nonnenleichnamen die Morgensonne aufgehn sehen, mit krampfhaft verstreckten Händen über den Weltenraum hin, aus Opiumdüften unerhörte Visionen des Kreuzes, daß es purpurn flattert. O, wir tragen unsere reinsten Wünsche nach dem Untergang. Wir erarbeiten ihn. Alles wird Geschlecht. Uns betrübt kein kleinlicher Unterschied. Wir endigen in einem Hexensabbath der Hysterie. In einem Teufelstanz der unerhörtesten Perversitäten. Nur große Schauspiele befreien euch den Geist. Daß ihr erlöst werdet vom Fleisch, peitscht euch das Blut auf! Rhythmitisiert euch! Steht auf! Steht auf! Schlagt nieder! Stoßt zu! Brecht auf! O, du ätherische Wollust des Nur-Gedenkens! O: und aus den überwehten Grüften der Entschlafenen in die ewige, zeitlose Helle steigend! . . .

Seht, oben bin ich seltsam gut und träumerisch. Unten aber schlecht, verseucht und angefault. Das bin ich. Doch meine Tiefen sollen wieder Höhen werden. Aller Schmerzen Abgründe jubelnde Bläuen. Und meine Verirrungen — denn noch jage ich trunken dahin, unbewußt, dumpf benommen und wie von dem schwülen Duft aufblühender Rosenhecken und dem betäubenden Geruch süßer Mädchenleiber umhüllt — und meine Verirrungen sind mir Gewähr eines einst sich besseren Zurechtfindens. Doch das wird lange dauern. Das braucht Zeit. Ich habe Zeit . . .

 

Wenn ihr klug seid, vertut die schöne irdische Zeit mit Spiel und Tanz, mit Weib und Wein! Schlaft trunken ein unter Rosenhecken, unter goldenem Sternenglanz, umspielt vom weichen Strome milder Frühlingsdüfte. Erwacht dann wieder, süß umschlungen, erweckt von holdem Engelsgesang, der himmlischen Musik . . . Die Nacht vergeht. Der Tag bricht an. Die Sonne sinkt. Dazwischen schallender Gesang der Vögel. Wasserrauschen. Durch die Wipfel der Bäume Brausen des Windes.

Unsere Heimat ist die Erde. Von Erde sind wir. Zu Erde werden wir. Dornenkränze um die geneigten Stirnen, Wunden an Händen und Füßen, Narben in den schmerzlich entstellten Angesichtern, mit bleichen verbluteten Lippen: allen Leiden der Menschheit, dem Tode vertraut, der raschen Zeit, dem lauten Leben fremd und leidlos abgewandt: so wandern wir einst, Millionen Gekreuzigte, im blauen Abendschein unserer Heimat, unserer Erde zu. Einsam waren wir. Einsam ziehen wir von hinnen. Unser Schicksal hieß Kampf und Begehr. Ein Unbestimmtes trieb uns. Ein Geheimnis zwang uns Ohnmächtigen gebieterisch seinen unbarmherzigen Willen auf. Es bannte uns. Es jagte uns. Über grüne Frühlingsfluren, besprengt mit Blut dahin. Von Ängsten zerfetzt, von Wahnsinn zermartert, standen wir plötzlich hilflos, gleich den von ersten Blütendüften trunkenen Kindern, unschlüssig und staunend vor feurigen Abgründen. Ein Flammenstrom verschlang uns.

Wir führten die Waffen im jugendlichen Heldenkampfe um ein geträumtes Reich, dessen strahlende Herrlichkeit und lichte Himmelswonnen wir aber nicht im Irdischen erschauen durften. Denn es blüht bei Gott. Hier zermalmen uns Not und Gefahr, verruchte Willkür, Blut und Sehnsucht, heller Tag. Doch uns Ermüdete tröstet die blaue Nacht. Ein himmlischer Gesang, der fernher näher dringt. Über die Gräber weht er. Über die Gräber braust er. Die Toten erweckt er. Das Innere der Erde durchdringt ein warmer, göttlicher Hauch. Die irdische Decke birst. Ineinander stürzen Strom und Berg, Acker, Wald und Tal. Das dunkle Grab bricht auf. Dampfendes, stöhnendes Gewühl von Millionen heiß ineinander verschlungener, blanker Menschenleiber. Aus dunklen, verfeuchteten Grabkammern und Gewölben Rasseln, Schall und Gedröhn der schweren, zerklirrenden Ketten. Goldene Spangen, glänzende Rüstungen, silberne Schwerter. Das hell aufblitzende, bleich schimmernde, das erwachende Totenmeer. Ewigkeiten, Firmamente jubeln auf darin.

 

Wie ich so daliege, die beiden Hände gefaltet, das Angesicht nach oben, die Augen den Sternen zugekehrt, vergeht wieder diese törichte, schwärmerische Schwäche. Ich sehe wieder klar. Ein klein wenig Auswurf Blut kommt aus meinem Herzen. Aus meinem Munde strömt es nun. Aus Nase, Ohren. Ich sehe die kleine Welt durch einen blutig nassen Schleier. Bemale mich. Das Messer streckt sich steil aus meiner Brust. Wippt bei jedem Atemzug. Ein vergessenes Holzscheit, das tief in der Erde steckt. Ein Anblick, der gleich zum frivolsten Gelächter als zum gläubigsten Erschauen zwingt. Doch ich will nicht daran rühren . . . Was ist Leben: Rausch, Taumel, Versinken in Blut. Nur am Ende: aus rötlichen Dämmerungen empor und befreit goldene Flügel spannen.

 

Die Flammen, die auf mich eindringen, mich glühend und heiß bedrängen, wandeln sich in rauschende, wildflatternde Ströme purpurnen Weines und wallenden Blutes, die ich gierig in mich hineintrinke.

Kommt, gebt den Abschiedskuß, o Brüder, Schwestern den Entschlafenden! . . . Unsere Körper sind zertreten, unsere Seelen sind zerschlagen. Himmlische Räume! Himmlische Räume! Dort werden Blumen blühen, herrlich wie auf diesen Erdenauen. Ewige Sonne wird uns leuchten. Ihr Licht wird uns auf singenden Pfaden durch blumige Gelände leiten. Eine milde Hand wird uns führen. Kein irdisches Leid betrübt uns. Keine Müdigkeit wird unsere Körper befallen. Wir sollen gesättigt werden. Leicht und frei werden uns über unermessene Länder englische Schwingen tragen. Unter großen rauschenden Schattenbäumen werden wir ruhen, unverdrossen und munter. Wo kräftige Quellen sprudeln. Wo herrliche Blumen aus tiefen duftigen Talgründen auferblühen. Wir harren der himmlischen Welt.

Das kleine Leben

Si j’ai du goût, ce n’est guères
Que pour la terre et les pierres.
Je déjeune toujours d’air,
De ver, de charbons, de fer.

Rimbaud.

Wir wohnen Quellenstraße 16, III. Stock, bei Frau Cäcilie Naßl, Geflügelhändlerswitwe. Das Haus, sehr alt und morsch, gleicht einem Wrack. Die Höfe qualmen und schallen. Es ist sehr ölig, verworren und dumpf. Wir haben zwei Zimmer. Die Miete, vorauszuzahlen, ist dreißig Mark. Die Einrichtung, bestehend aus zwei Betten, Kleiderschrank, einem Tisch, vier Stühlen, haben wir auf Abzahlung. Das Sofa, Kommode sind von meiner Frau, Gasleuchter, Waschtisch, Bücherregal gehören mir. Unsere Vormieter haben einen bunten Papierofenschirm hinterlassen: alt, durchlöchert, verstaubt. Der große schwarze Vögel mit ungeheueren Schnäbeln einem hellen Wald zueilend aufzeigt. In der Ferne starr, unbewegt ein See, der wie Blei aussieht. Das ist das einzige Helle der Zimmer. Die sehr böse sind, heimtückisch, gefahrvoll, geduckt.

„Ich möchte mit dir in einer Kaschemme wohnen, unter der Brücke übernachten, deine Apache, deine kleine Dirne sein — wenn wir nur immer beisammen sein könnten!“

„Unsere Liebe wird uns alles überwinden helfen!“

Wir legen uns, uns umarmend, nieder. Wir schlafen selig ein, eng aneinandergeschmiegt. Stehen umschlungen auf. Essen zusammen. Wir sind immer beieinander. Es wäre erreicht!

Wir sind sehr glücklich.

Heute nacht — wir leben eine Woche so — überfällt mich zum erstenmal und brennend der Gedanke, daß man allmählich bedacht sein müsse, sich Geld zu verschaffen. Es gibt wohl sehr viele Erwerbsmöglichkeiten, aber die liegen, so scheint es mir, für uns alle (und plötzlich!) auf ein- und derselben Linie. Meine Frau wälzt sich unruhig neben mir. Sie spricht Unverständliches im Traum. Ich suche irgendwo Rat und Halt. Da ich ihren warmen Körper fühle, bin ich beruhigt. Ich kann nicht länger mehr darüber nachdenken.

Bin ich nicht sehr glücklich?

Das Haus zittert. Ich glaube auf untergehendem Schiff zu sein, auf hoher See. Es ist sehr ölig, verworren und dumpf. Stöße. Rennen. Stimmengewirr. Fackeln flackern. Das Fahrzeug schaukelt wie eine Wiege. Doch die Musik des Sturmes ist sehr süß.

Umschlungen versinken wir.

Am kommenden Morgen will ich meine Besorgnis meiner Frau mitteilen. Doch weshalb sie in Unruh setzen? Ich unterlaß es. Zwei Tage können wir noch auskommen. Sie wird es ja selbst wissen. Aber ich fürchte mich bei dem Gedanken, daß sie das weiß. Weiß sie es denn auch wirklich? Zwei Tage . . . das übrige ist mir wurscht. Wird meine Frau auch so denken? Ich bin sehr in Sorge, sie könne es nicht tun. Es überläuft mich heiß und kalt, wenn ich länger solchen Erwägungen nachhänge.

Nachmittags gehen wir aus, Arm in Arm. Sie bittet immer, sehr dünn: „Faß unter!“ Unsere Kleidung ist sehr dürftig, aber es ist Gott sei Dank sehr warm geworden, über Nacht. Wir betrachten uns oft in den Spiegelscheiben der Schauläden. Sie lacht überglücklich dabei auf, mich heftig pressend . . .

Da sie aber, plötzlich erschauernd, sich an mich schmiegt, weiß ich, auch sie muß also heute nacht darüber nachgedacht haben, daß unsere Mittel bald zu Ende sind, daß wir erschöpft sind. Ich erstaune heftig darüber, daß sie das weiß. Aber es ist eigentlich doch nicht mehr als natürlich. Auch sie hat es mir also verschwiegen. Sie wollte mich nicht verletzen; ja, wahrscheinlich. Sie hat sich für mich geschämt; ja. Ich sollte doch für den Lebensunterhalt meiner Frau aufkommen. Das ist klar. Sie wird mir das ja nie ins Gesicht sagen, dies Selbstverständliche. Aber sie sagt es mir dafür in jedem Blick, sie bedeutet es mir vorwurfsvoll mit jeder Bewegung.

„Nein, Dorka, ich werde dich nie verlassen. Zwei Tage werden wir noch aushalten. Dann . . . man verzichtet ja auf das Leben leicht. Nicht? Zwei Tage, Dorka, sind sehr lang. Unser Glück kann noch sehr groß werden . . .“

Und mir fällt ein: auf der Neuhauserstraße lernte ich sie eines Sonntags, nachts, kennen. Sie ließ die Handtasche lang herunterhängen. Sie schlenkerte. Sie blieb oft herausfordernd vor den hellerleuchteten Schaufenstern stehn, richtete ihr Haar zurecht oder knüpfte ihren Schleier fest. Manchmal drehte sie sich um. Wir haben uns eigentlich nie darüber näher ausgesprochen, ich habe immer so Angst davor gehabt.

„Nun bist du acht Tage lang nicht im Geschäft gewesen. Du, Dorka, vielleicht geht es doch noch. Versuch es einmal.“

Abends besuchen wir das Kino. Alles sitzt da in diesem Raum, umschlungen. Wir legen friedlich die Hände ineinander, unsere Kniee berühren sich mit zärtlichem Druck, ihr Kopf neigt sich langsam auf meine Brust herab. Wie schön das ist! Es ist ruhig und andächtig wie in einer Kirche. Dorka schluchzt oft und auch ich muß mich bezwingen, meine Tränen zurückzuhalten. Eine Liebestragödie wird gespielt. Die Leinwand ist aufs äußerste bewegt. Sie erinnert mich an unseren Papierofenschirm, den unsere Vormieter hinterlassen haben. Es zuckt und rinnt. Die Musik: zittrige Geige, schwaches Klavier, ist sehr süß. Wir sind tief erschüttert. Es ist, als gehe ein Sturm durchs Haus, es braust, und wir befinden uns auf untergehendem Schiff, auf hoher See. Umschlungen versinken wir.

Wir gehen Arm in Arm nach Haus. Wir tauchen aus blendender Lichterfülle, bunt belebt, voll schöner, sanfter Damen, tänzelnder Equipagen, flimmernder Kavaliere in unser Dunkel wieder, verworren, ölig und dumpf. Die Nacht beschert seltsame Träume, gute und böse. Oft ist es hell, wie es nur am lieben Tag sein mag, oft schwarz, wie es nur unter der Erde sein kann.

Meine Frau geht wieder ins Geschäft. Sie besäuft sich jede Nacht, sie muß sich besaufen jede Nacht. Die Herren geben ihr ziemlich viel Geld, dafür muß sie ihnen schön tun, zärtlich sein, die Arme um den Hals legen, sich streicheln lassen, den Mund geben, ihnen Hoffnungen machen und oft bis spät in den Tag hinein mit ihnen bummeln. Sie tanzt einen Apachentanz, tanzt Twostep, kann Cancan. Sie stellt sich auf einen Stuhl, führt unter allgemeinem Beifall unanständige Gespräche, hält große Reden. Lacht unnatürlich, sehr gezwungen, hell. Hebt die Röcke hoch, dreht sich, nach allen Seiten hin sich bewundernd, vor dem Spiegel. Sie ist ein Karussell. Ich sitze dabei. Das Blut schließt mir die Faust.

Einige Ausländer, neun Schweden, gehören zu ihrem nächsten Verehrerkreis. Sie sind sehr für sie interessiert. Der eine, Andreas Söraas mit Namen, liebt sie. Er ist ein kleiner blonder Junge, zwanzig Jahre alt, mit blauen Augen. Er hat viel Geld, das er achtlos, sehr elegant für sie verschwendet, indem er sie häufig zu Automobilfahrten, fast täglich zum Abendbrod einlädt. Sie hat immer Blumen von ihm. Er tut ihr bereitwilligst alles, was sie nur will. Begleitet sie oft, oft stundenlang durch die Stadt, wo sie vor allen Schaufenstern stehn bleiben, sich unterhalten, unermüdlich, herzlich interessiert über alle Strümpfe, Unterwäsche, Blusen, Schmuck, Hüte, Röcke. Ich kann das nicht.

 

Ich warte nachts zwei Uhr, nach Geschäftsschluß, auf meine Frau. Versteckt, im Schatten, an einer Ecke. Ein Haufen Studenten kommt angeheitert, den Dessauer pfeifend, ausspeiend und johlend, sehr langsam daher.

„Bei der ist heute nichts zu wollen,“ flüstert einer, etwas beklommen, im Vorübergehn, „ihr Zuhälter wartet auf sie.“

Ich bin unendlich stolz darauf; kindisch, wie ich es so oft bin, freut mich das.

Oder ich liege unruhig im Bett und warte, bis sie knarrend über die Treppe heraufkommt. Höre sie schon, schwer das Haustor aufschließend, sich verabschiedend von ihrer Begleitung, das leichtere Geräusch der Türschlüssel, das Öffnen der Außentür . . . Gleiten über den Gang . . . und sie tritt zu mir, läßt mich an ihren Blumen riechen, entkleidet sich rasch, umschlingt mich heiß. Wir wälzen uns wie Tiere. Sie rülpst. Sie stinkt immer nach Wein, Tabak, sehr aufdringlichem Parfüm und Sekt. Sie klebt.

Den Tag verbringe ich untätig, meist schlafend im Bett. Oder sehr verträumt. Was soll man auch tun? Und nichts geschieht. Nur die Zeit vergeht, sehr langsam. Wir langweilen uns.

„Man kann ja schließlich, auf die Dauer, nicht von Umarmungen leben, das wird einem am Ende auch fad. Laß mich in Ruh!“

Es muß etwas geschehen. Was Aufregendes, Aufpeitschendes, Aufreizendes. Man benötigt Sensationen.“

Wir mimen der Öffentlichkeit gegenüber Ausländer, Russen. Wir sprechen fließend, obwohl wir nur,[**] vielleicht fünf Worte können. Wir halten die deutschen Bürger zu Narren. Das belustigt uns ungemein, eine Zeitlang. Meine Frau gibt sich als Schauspielerin aus. Sie trägt sehr sentimentale Lieder vor, tanzt russische Tänze. Aber auch das wird fad. Auch fehlt es immer an Geld.

Meine Frau ist in den letzten Tagen stark gealtert. Immer müder und gebrochener kommt sie nach Haus. Sie ist stark angewidert. Sie flieht das Leben. Sie ist ganz pathogen konvertiert. Nichts macht ihr mehr Freude. Sie ist satt. Ich bemühe mich. Alles ist umsonst. Ich ringe die Hände. Ich verzweifle.

 

Moritz Düsterweg, Magistratsbeamter, hat fünftausend Mark aus der städtischen Krankenversicherung unterschlagen. Mit zweitausend Mark war er für die Schulden der allgemeiner Beliebtheit sich erfreuenden internationalen Transformationstänzerin Lila Lieblich aufgekommen, fünfhundert Mark hat er in einer gemeinschaftlichen, aufs Schönste verlaufenen Automobiltour ins bayrische Alpenvorland angelegt, eintausendundfünfhundert Mark für Straßendirnen verausgabt, den Rest bringt er, auf mein Anraten — ich treffe ihn, wie es gerade der Zufall will, völlig betrunken gegen Morgen auf dem Bahnhofplatz — eintausend Mark bringt er in das Weinlokal S. Früh sieben Uhr beginnt man. Der Klavierspieler Bruno Maria Wagner wird gerufen, meine Frau aus dem Bett gerissen, ich bin zur Stelle . . . Der Phonograph schnarrt. Und vor einem Glas Bier und einem Paar Weißwürsten, träumerisch zurückgelehnt, genießt der Moritz Düsterweg jenen Anblick: wie sie seinen Sekt versaufen: Dorka, rasch, klirrend, Madame, schläfrig, leicht nippend; die „Kapelle“ vornehmlich, mit langen Fingern, den Kopf taktmäßig, hervorgequollenen Augs, überfallender Locke, herabgeneigt, ich gleichgültig, schlecht amüsiert. Und während man draußen durch den erwachten Morgen eilt: schnatternde Scharen farbiger Schulkinder, runde Haufen buntdurcheinander gewürfelter Fabrikarbeiterinnen, schwarze rechteckige Männer mit kleinen roten Kugelköpfen, wehklagende Hunde, traurige Pferde, freche Automobile, verträumte Lastfuhrwerke, böse Radler . . . (und Busenmädchen flattern freundlich, heilige Studenten kreisen singend) . . . während man hereindringt, einen Imbiß zu sich zu nehmen: dicke, listige Chauffeure, grimmige Dienstmänner, während am Fenster Frau Marie Wöbers Kinder die Suppe klirrend auslöffeln, stricken —: tanzt man: der Moritz Düsterweg und die Dorka, deren Haare sich auflösen, deren Locken wild fliegen, die sich plötzlich in die Knie läßt, die Hüften beugt, wild vorwärts drängt, stampft, aufbraust, hingebend sich zurückbeugt, schiebt: die böse Dorka! Doch der sich so ganz vergißt in diesem rollenden Taumel: Moritz Düsterweg: er weint plötzlich. Man bäumt. Der Tanz stockt. Man dreht noch einmal, eine halbe Wendung . . . einige Schritte . . . vorwärts, zurück . . . noch einmal . . . eine viertel Wendung . . . mit Mühe . . . gerade noch —: und Düsterweg -: er sinkt um.

Man müht sich: Dorka erweicht, voll zärtlicher Fürsorge, als gelte es einem verschüchterten, einem verstockten Kind, ich, ganz uninteressiert, peinlich berührt, verlegen, Madame, von Doppelkinn und Busen arg beengt, heftig prustend und: indem sie die Vorhänge dichter vor die Fenster zieht: „der Wirtin Angelika Hundebald ist erst neulich das Lokal geschlossen worden . . .“; die „Kapelle“, zurückgebeugt, traurig, verhalten über das Klavier hinplätschernd . . .

Düsterweg ist unter Schluchzen eingeschlafen, den Kopf in Dorkas Schoß gelegt, die unermüdlich ihn mit Worten streichelt. Ein Lächeln gleitet über sein Gesicht . . .

Er erwacht, springt empor, schlägt wild, heftig die „Kapelle“ vom Stuhl drängend, die einleitenden Takte eines furiosen Walzers an, gibt das Zeichen zum Beginn des Tanzes. Alle reißt er mit sich empor. Und man tanzt. Bricht wieder zusammen. Tanzt von neuem wieder: und alles, immer dasselbe wiederholt sich . . .

Um zwölf Uhr ißt man zu Mittag. Die Speisen werden über die Straße gebracht. Die Zahl der zwar ungeladenen, aber doch herzlich bewillkommten Gäste ist inzwischen auf ein Dutzend angewachsen. Immer neue kommen hinzu. Ein jeder bestellt sich, was er nur will. Heut ist ein Festtag. Was einem jeden zusagt, wird ihm gebracht, eines jeden Wunsch geht heute restlos in Erfüllung. Was braucht man sparen?

Würste dampfen. In Schüsseln werden sie herbeigebracht, aufgerollt gleich dicken weißen Ketten, in lustigem Streit auseinandergerissen. Braunes Bier fließt. Man ist verschwenderisch. Sektflaschen knallen. Dunkler Wein rollt. Tabakgeruch schwängert die Luft. Rauch wie von einem ausgehenden Brand lagert unwirklich und schwer. Musik tönt ununterbrochen. Der Phonograph abwechselnd und die „Kapelle“.

Man betäubt sich. Man schläft wach. Träumt vor sich hin, summend. Sitzt dumpf mit halbgeschlossenen Augen. Es brütet. Fip, die schwarze Katze, auf dem roten Tischtuch dick ausgebreitet, schnurrt. Ein Schnapsglas daneben steigt wie eine silberne Blume blühend aus rotem Klee.

Gegen drei Uhr nachmittags trinkt man schwarzen Kaffee. Um sechs Uhr gibt es Tee. Bei einbrechender Dämmerung ißt man zu Abend. Der Geruch aller Getränke, aller Speisen haftet, da weder Fenster, noch die Tür geöffnet wird. Fünfzig Personen nehmen schon an den Gelagen teil. Sie glucksen glücklich. Dröhnend verdauen sie. Kreischen. Man gebärdet sich wie toll. Man ist ausgelassen, voll sprühender Lust.

Düsterweg hat, ganz durchhitzt, den Rock abgelegt. Die Hemdärmel aufgestülpt, hochgeröteten Kopfs hastet er wie wahnsinnig umher, den Appetit seiner Gästeschar anfeuernd, eifrig besorgt, daß alle genug bekämen. Eigenhändig gießt er Wein ein, zerschmettert unter hellem Geschrei, lang grinsend, Gläser und Sektflaschen, kindisch sich daran erfreuend; stopft Fleisch, Brot, Gemüse den Fressern ins Maul, die aufbrüllen, ihm ins Gesicht speien.

Gegen zehn Uhr kommen Alois Wurm, der Pferdehändler: groß, aufgedrehten Schnurrbarts, gelb, schnapsdurchtränkt, verschnupft, von Sonne durchsotten, ein wenig später Moses Mies, sein Freund, der Salzagent: klein, dick, rothändig. Beide Stammgäste. Sie reichen Moritz Düsterweg die Hand, sehr gnädig und herablassend von ihm begrüßt.

Düsterweg —: herrscht er nicht über alle? Ist er nicht maßgebend? Herrscht er nicht unumschränkt, königlich, maßlos? Er ist in bester Stimmung. Weiß nicht wohin vor Glück. Fängt, vor Kraft überquillend, mit allen spaßhalber Händel an. Man pufft und boxt sich. Ein Wettrennen über Stühle wird inszeniert. Ein Ringkampf aufgeführt: man stürzt, wälzt sich, steht wieder auf, taumelt, wankt, sinkt um. (Und Moses Mies reibt sich an Alois Wurm.) Man lacht, belustigt sich dabei allgemein.

Gegen Mitternacht zieht der Düsterweg meine Frau näher zu sich, die, schwer benommen, inständig nach frischer Luft ringt. Kindlich bittend wiederholt er breiigen Munds, mit grünen funkelnden Schusseraugen, käsigen Plattfingern seine Anträge; er erklärt wiederholt und flehentlich seine Absichten, nötigt ihr auf den Knieen das Treuwort ab, gibt strahlend Dorka das seine hin, spricht lang und erregt von naher Verlobung, baldiger Hochzeit, und ist tief beglückt und süß durchronnen, als Dorka endlich, nicht ohne zu zögern, ja sagt. Einen Hundertmarkschein händigt er ihr sofort ein.

Inzwischen rechnet die Wöber ab. Die Schuld beträgt fünfhundertundzehn Mark, von Düsterweg sofort bereinigt. Das Fest setzt sich fort. Und Dorka, Düsterweg zärtlich umschlingend: er sehe aus wie Fip, die schwarze Katze, die auf der roten Tischdecke, dick ausgebreitet, behaglich schnurre. Sie nennt ihn Onkel. Und plötzlich, mitleidig, mit großen Augen:

„Onkel, wo hast du das viele Geld her?“

Die Frage, unangenehm, beengt. Man überhört sie.

Ich werde gerufen. Düsterweg drückt mir einen Kuß auf die Stirn, dankbar, daß ich ihn geführt habe. Und selig lächelnd auf meine Frau weisend: zum Glück geführt habe! Ich müsse sie bewachen, bei ihr bleiben, Tag wie Nacht; müsse ihm versprechen, Dorka immer zu behüten, während seiner Abwesenheit: Dorka, die sein sei. Und heiter angeregt gedenkt der Düsterweg der allgemeinen Beliebtheit sich erfreuenden Transformationstänzerin Lila Lieblich, für deren Schulden in der Höhe von zweitausend Mark er aufgekommen war. Und renommierend: „Sie ist faul. Nach fünf Nummern schlapp. Total verbraucht. Unbrauchbar. Ungenügend!“ Schallendes Gelächter folgt.

Doch plötzlich ernüchtert entsinnt er sich: vor drei Tagen habe ich meinen Gehalt empfangen: einhundertundfünfzig Mark. Und lächelnd versucht er: „ein . . . hundert . . . und . . . fünf . . . zig . . . Mark“.

Es wird ihm kühl. Es ist, als umwehte ihn Morgenluft. Und sein Messer ziehend, springt er auf: „Meint ihr, ich bin euere Wurzen? Windige Bagage. Ich laß mich nicht neppen von euch, nein! Hurenvolk! Luder, dreckige!“

Und der Wandspiegel wirft ihm sein Bild entgegen: verändert, fremd, vor Wut entstellt, lächerlich . . . Man versucht ihn zu halten. Er schreit, flüchtet . . . Doch seine goldene Uhr zerschlägt er, indem er sie mitten in das Glas schleudert, das zerklirrt . . . Sein Gesicht platzt entzwei. Ein großes schwarzes Loch wird sichtbar. Und da alles vor Schreck verstummt, gespannt aufhorcht: „Sich erschießen? Sich in den Mund schießen? Oder etwa, etwas rückwärts, die Pistole angesetzt, fünf Kugeln durch die Schläfe? Einen Tag, eine Nacht . . . nein, zwei Tage, zwei Nächte geherrscht zu haben, maßgebend gewesen zu sein, wiegt das nicht alles auf, ist das nicht alles wert? Man muß sich doch einmal Luft machen!“ . . . Und „es ist schön“, weiß er: Und „Dorka, Dorka mein!“

Man macht Schluß, pfeift einem Auto. Verabschiedet sich. Frau Marie Wöber drückt dem Düsterweg die Hand, lang, Madame, deren Brust sich um diese späte Zeit immer schwer aus der Bluse zwängt . . . und mir vertraulich zublinzelnd: „das haben sie brav arrangiert. Sie haben ein artiges Fest gemacht. Auf Wiedersehen.“ Von Bruno Maria Wagner, der „Kapelle“, nimmt man Abschied, der, betrunken, mit Händen und Füßen durch die Luft fährt. Von Alois Wurm, der abenteuerlustig unter der Tür sein Geld zählt. Von Moses Mies, dem Salzagent, der pfauchend in die Nacht entweicht. Und nimmt Abschied mit einem letzten Blick von den unzähligen Sumpfkumpanen, die fluchend unter Stühlen, Tischen, vom Schlaf aufgestört, hinter Bänken, unter Vorhängen und Decken, hervorkriechen, wie aus einer Höhle zum Lokal hinaus, gebeugt, mit schlotternden Knieen in die Finsternis sinkend.

Man fährt zum Bahnhof, Dorka den Kopf müde an meine Schulter gelehnt, der Moritz Düsterweg uns beiden gegenüber sitzend, etwas sehr dumpf. Die Luft ist anders. Man spricht wenig. Nur der Düsterweg einmal überselig: „Ich besitze . . .“ Er sieht alt und häßlich dabei aus. Sein Gesicht verzerrt sich idiotisch. Die kleinen, grünen Schusseraugen funkeln, die platten Käsfinger spreizen sich . . . Man macht eine Biegung. Man fliegt förmlich. Der Düsterweg zählt die Stunden bis zum kommenden Morgen, sorgfältig, immer wieder. Daß er sich nicht verrechne: drei Stunden! . . . Durchsucht seine Taschen: dreißig Mark! Bis zum folgenden Abend: zwölf Stunden! . . . Ich werde geruht haben; man wird meine Abwesenheit inzwischen bemerkt haben. Man wird die Unterschlagung entdeckt haben, ich werde nichts dagegen, nichts dazu tun, ich lasse den Dingen ruhig ihren Lauf, man wird mich verhaften . . .

Vom Bahnhof geht es in den Donisl! Es ist dreiviertel Fünf. Ich gehe mit Düsterweg zu Fuß voran. Lasse das Auto halten, etwas vom Lokal entfernt. Dorka will es. Man müsse nachsehen, ob X. drin sei. Sie könne X. nicht leiden. Dann fahre man besser gleich heim. X. ist nicht da . . . Es beginnt zu regnen. Man kehrt um —: Dorka holen. Dorka —: wartete sie nicht hier? Sie ist nicht mehr da. Doch Düsterweg bleibt hier, erstarrt. Er bleibt. Ich etwas unschlüssig, höflich grüßend, entferne mich . . .

Und aus der Ferne, durch den Morgen, Dorka, meiner Dorka nachstürmend, rufe ich, schallend: „Dorka, die Dorka suche ich . . .“

 

Heute treff ich Josef, meinen alten Freund. Er ist sehr erstaunt, mich wiederzusehen: „Ja, Hans, wo treibst denn du dich herum?“ Aber ich merke gleich, daß er alles schon weiß. „Hans, du siehst sehr angegriffen aus.“ Und er erkundigt sich sehr eingehend, merkwürdig interessiert, nach meinen Verhältnissen und fragt, lauernd und sehr beteiligt, nach meiner Frau. Mir ist das sehr unangenehm, wie immer, wenn darauf die Rede kommt. Ich habe immer irgendwie Angst davor. Ich nehme Ausreden . . .

Es ist sehr schön und wir machen einen großen Spaziergang durch den englischen Garten. Ich trinke tief die warme Luft ein, ich fühle mich glücklich wieder, sorglos und heiter, und vollkommen gekräftigt. Die Menschen gehen sehr entfernt. Sie scheinen durch blühende Luftgärten zu wandeln, über der grünen Landschaft gleichwie auf samtenen Teppichen friedlich, engelhaft dahinzuschweben. Der Kleinhesselohersee glänzt, unbewegt und starr, er sieht wie Blei aus . . .

Ich weiß, Josef hat es immer gut mit mir gemeint. „Vorgestern nacht, Hans, hat deine Frau bei Andreas Söraas geschlafen. Und sie hat es aus Liebe getan“ . . .

Ich zucke zusammen. Aber ich fasse mich gleich. Ich muß zugeben, vorgestern nacht war meine Frau nicht bei mir. Hat sie also wirklich bei Andre geschlafen? Aber, so tröste ich mich, so hat sie es sicher nicht aus Liebe getan, denn sie brachte mir am Mittag zwanzig Mark. Und die Tränen mühsam unterdrückend, mit brechender Stimme: „Josef, bitte, sei ruhig, ich weiß es . . .“

„Du brauchst dich nicht darüber aufzuregen, Hans, aber du wirst ja selbst wissen, sie ging schon längst, bevor du sie kanntest, — — — . . .“

Und ich, die Fäuste geballt, verhaltenen Zorns: „Josef, bitte sei ruhig, ich weiß alles, ich weiß es.“ Ich zittere am ganzen Körper. Ich hatte immer so Angst davor gehabt. Aber es hat mich doch irgendwie befreit. Es ist heraus . . .

 

Doch nachdem wir uns verabschiedet haben, mache ich mich langsam auf zu Andre. Andreas Söraas, stud. ing., Schellingstraße 62, III. Ich treffe ihn bei der Arbeit. Mitten in Zirkeln, Linealen, Karten, Rechtecken, Winkeln. Ja, er ist ein kleiner, blonder Junge, zwanzig Jahre alt, sehr kräftig, mit sehr blauen Augen.

„Sie entschuldigen, B. ist mein Name, aber Sie scheinen näher für diese Dame interessiert . . .“ auf das Bild hindeutend, das unmittelbar vor ihm auf seinem Schreibtisch steht . . .

Und er sofort: „Ja, sie hat vorgestern nacht bei mir geschlafen.“

„Verstehen Sie: sie ist meine Frau.“

Und gesteigert: „Sie werden wissen, was das heißt: meine Frau, Herr Söraas . . . haben Sie ihr Geld gegeben? . . .“

„Was denken Sie, nein“ . . . Einfach. Ohne mit den Augen zu zwinkern.

Und mein Blick fällt auf das Bett, das links in der Ecke steht. Es ist sehr breit. Das beunruhigt mich . . . Er scheint sehr zufrieden zu sein. Es ist sehr sauber bei ihm. Er ist sehr gut eingerichtet. Ich denke an unsere Wohnung in der Quellenstraße 16. Und wie wir jeden Abend aus jener blendenden Lichterfülle, bunt belebt, voll schöner, sanfter Damen, tänzelnder Equipagen, flimmernder Kavaliere immer wieder ganz ergeben in unser Dunkel tauchen, verworren, ölig und dumpf . . .

Er ist auch gar nicht aufgeregt. Er lächelt.

Warf sie mir nicht als vor: „Sieh, Hans, Andre tut mir alles, was ich nur will.“ Und: „Er begleitet mich oft, oft stundenlang durch die Stadt, wo wir vor allen Schaufenstern stehen bleiben, uns unermüdlich unterhalten über Strümpfe, Wäsche, Blusen, Schmuck, Hüte, Röcke . . . du kannst das nicht.“ Und: „Er hat gesagt, er würde mich, wenn ich nur wollte, gleich von dir nehmen, auf immer zu sich, mich heiraten . . .

Ich siede. Und obwohl ich deutlich fühle: ich habe kein Recht dazu, es ist eine Gemeinheit, ja, sogar ein Verbrechen, zucke ich nach meiner Tasche, meiner Pistole, hebe sie, ziele, drücke, knalle ihn nieder. Ich bin eiskalt . . .

Und ich frage mich, nachdem ich das getan habe: habe ich es denn auch wirklich getan? Und mir scheint die Welt auf einmal verändert. Ja, ich habe es getan, denn ich hörte den dumpfen Knall und dann den Schlag, als sein Körper den Stuhl langsam herunterglitt. Ich habe die Pistole noch in der Hand, in dieser, in dieser rechten Hand. Und ich stecke sie wieder ein . . . Aber wie, wie bin ich dazu gekommen? Aber ich kann mir mit bestem Willen jetzt, im Augenblick, keine Rechenschaft darüber geben. Es wird später geschehen. Und ich muß mich immer wieder davon überzeugen, daß ich Andreas Söraas wirklich niedergeschossen habe. Ja. Es ist eine Tatsache. Es ist eine Tat. Wie wohl das tut, wie reinigend das wirkt: eine Tat. Sei froh! Nein! Es ist keine Einbildung. Man kann nicht daran zweifeln. Man wird daran glauben müssen. Und die Blutlache über dem hellgelben Parkettboden sieht aus wie eine große braunrote, aufgeschwollene Sonne, die spritzt kleine zitterige Strahlen aus nach allen Seiten. Und ich bemerke: Andre hat blauseidene Strümpfe an! Die heiße Scheibe glüht wild auf hinter Andres blondem Jungenkopf, der unaufhörlich rinnt. Sie brennt, sie schreit. Und Glocken gellen, Kanonen knallen, Trompeten, Trommeln, das Anmarschieren von Infanterieregimentern, glänzende Kavallerieattacken, Barrikaden, Kommandos, Stille, Schnellfeuer, Sturmlauf aufgepflanzten Bajonetts gegen Bastillen, Explosionen, Pulverwolken: und ich erlebe die ratternde Symphonie des Aufruhrs.

Nun erst bin ich meiner Tat gewiß.

Und ich gehe sehr beruhigt, erleichtert die Treppe herunter. Wie ich das Haustor öffne, erblicke ich einen älteren Mann, einen Blumenverkäufer, und ich habe das Empfinden, ich müsse ihm was recht Gutes tun. Die Sonne scheint. Und plötzlich fällt mir heiß ein: „Ich habe einen Mord begangen! Ich habe einen Mord begangen!“ Und ich sage es mir immer vor, in einem fort, immerfort, sausend. Und ich will es dem Alten eingestehn, er wird ja schweigen, und nichts verlauten lassen. Mich aber erleichterte das. Doch ich fürchte, vielleicht könne er mich doch verraten. Und ich sage mir, das kann auch später noch geschehen . . . Aber ich kaufe ihm alle seine Blumen ab. Und ich sage mir: das ist ein „rotes“ Haus. Und ich starre unausgesetzt, die Blumen in den Händen, nach oben.

Und ich brauche lange Zeit, bis ich endlich von diesem Haus fortkomme.

 

Meine Frau trägt zwei goldene Vorderzähne. Man sagt mir: „Deine Frau ist eine Dirne, die sich bei der Prostitution beide Vorderzähne eingeschlagen hat.“ Ich springe dem Schuft an die Kehle.

Man sagt mir: „Deine Frau ist eine Abortgrube.“ Ich speie dem Schwein ins Gesicht.

Man spöttelt weiter: „Deine Frau: ’n prächtiges Weib, ne schöne Hur’ . . . wer hat diese olle Spinatwachtel nicht schon alles . . .?“ Ich kann mich nicht mehr rühren. Ich bin kraftlos. Ich höre alles mit an, aber ich heule im Innern auf. Ich verblute. Ich sinke in mich zusammen.

Man kennt uns. Wir verkehren im Café F. Wenn meine Frau kommt, meint der ernste Ober: „Herr B., jetzt kommt das Betriebskapital.“ Oder: „Gegen Mitternacht steigen die Aktien.“ Man macht ringsherum Witze. Ich bin wehrlos. Nur Josef hält mit mir aus. Er hat mich nicht im Stich gelassen. Nur Josef und ich warten oft jetzt nachts auf sie. Wenn sie unter die Tür kommt, ganz rot, meint Josef: Sie ist eine Flamme . . . es knallt.“ Man deutet mit den Fingern auf uns. Man zischelt. Wir kauern zusammen, geduckt, frierend, zwei arme Tiere vor unserer Tasse Kaffee, in einer Ecke. Und die deutschen Bürger lagern sich immer ringsumher: sie paffen Ringe durch die Luft, spielen Billard, trinken aus hohen Gläsern Weißbier, tragen Namen wie Ziegler, Zacherl, Beermann, Rind, Küchler, haben breite Stiefel, Platt- und Schweißfüße, einen massiven Gang, und lieben es, durch wiederholte Händedrücke sich zärtlich ihren Weibern gegenüber zu erweisen, die, vollgefressenen Spatzen auf Telegraphenstangen gleich, eng an ihre Männer geschmiegt, dahindösen: Schlagrahm weiß in den aufgedunsenen Gesichtern, große Torten verzehrend (—: fett, doppelkinnig, hängebusenhaft . . .). Ihrem Beruf nach Pferdehändler, Salzagenten, Buchhändler, Dichter, Maler: kropfig, dickbäuchig, oft aber auch sehr schön, sonnenhaft, langgebartet, goldblond . . .

Die Instrumente zittern, stöhnen, singen, rülpsen. Es splittert, fließt, knaxt . . . Die Musik: sie ist „dorkan“ . . . und die runden Marmortische drehen sich, die Kronleuchter knistern, zertrümmern . . .

Und ganz entfernt sitzt Annie, klein, schwarz und bleich, meine frühere Freundin. Sie lächelt sanft. Sie wünscht nicht meine Frau kennen zu lernen.

 

Ich denke immer an Andre, den toten Andre. Ich wiederhole mir immer: „ich habe einen Mord begangen! ich habe einen Mord begangen!“ Und ich sage es mir immer vor, in einem fort, immerfort, sausend. Ich werde noch wahnsinnig darüber. Ich verliere den Verstand. Ich denke, Andre habe ich um ihretwillen niedergeknallt. Was habe ich nicht schon alles um ihretwillen getan. Und doch ich weiß, ich lüge, ich belüge mich, ich habe Andre sehr meinetwegen niedergeknallt. Und denke immer an Andre. Ich liebe ihn fast . . . Der kleine blonde Junge, zwanzig Jahre alt; zwischen Zirkeln, Linealen, Karten, Rechtecken, Winkeln . . . Mit blauen Augen. Wie ähnlich er mir ist! Er hat den Mund sehr weit geöffnet. Er hat blendend weiße Zähne. Die Lippen sind sehr schmal, blutleer, verkümmert fast, nach oben gekrümmt. Und ich bemerke seine blauseidenen Strümpfe. Und ich denke an das „rote“ Haus. Und ich starre unausgesetzt, Blumen in den Händen, nach oben.

Wahnsinnig irre ich umher, voller Angst. Ich kann nicht ertragen, daß meine Frau einem anderen gehört hat. Nur einem, nur einem anderen! Es ist furchtbar, daß mir das der Josef ins Gesicht sagen mußte. Er wird immer über mich lachen. Und trostlos: „Wie verkommen, wie haltlos ich bin!“ . . . Aber Josef hat auch gesagt: „Hans, aber du wirst ja selbst wissen, sie ging schon längst, bevor du sie kanntest, — — — . . .“

 

Ich begegne der sanften Annie, meiner früheren Freundin, klein, schwarz und bleich. Ich verbringe die Nacht bei ihr. Sie sättigt mich. Ich bade.

Ich trete frisch, singend wieder in den blauen Morgen hinein. Ich kehre fröhlich heim. Meine Frau liebe ich unsäglich wieder. Ich habe alles vergessen.

Doch meine Frau ist krank. Sie zerbricht, sie wird älter Tag für Tag. Heute ist Madame bei ihr. Sie bringt Kuchen mit, heftig prustend, von Doppelkinn und Busen arg beengt. Aber meine Frau muß ihre Stellung aufgeben. Sie kann es nicht mehr leisten. Das freut mich irgendwie. Aber zugleich dämmert es allmählich in mir auf: die Türen werden langsam zugemacht. Und kurz vor ihrem Weggehn bemerkt noch wichtig die Wöber: „Moritz Düsterweg hat sich im Gefängnis aufgehängt. An seinen Hosenträgern. Denkt euch nur: er, der Lump hat fünftausend Mark aus der städtischen Krankenversicherung unterschlagen . . .“ Und ich sehe Düsterwegs kleine grüne Schusseraugen traurig und sehr aus der Ferne funkeln. Und eine Spinne klebt hoch, unbewegt, an einer grauen Wand.

Ich richte das Bett zurecht. Ich putze auf. Ich koche.

Heut haben wir nichts zu essen. Gestern haben wir das letzte Geld im Automat verbraucht. Jemand ließ das elektrische Klavier spielen.

Ich bin zu jeder Arbeit unfähig. Ich brauche stundenlang, um aufzustehn. Ich bin schwer belastet.

„Daß sich Andre nicht mehr sehen läßt?“

Mir schnürt sich die Kehle zusammen. Ich sinke um. Gibt es keine Rettung? Und sie, fern aus dem Bett, ganz darin vergraben, sehr dünn: „Arbeite!“

Ich hatte immer so Angst davor. Und ich sehe ungeheuere Schneemassen, furchtbar, drohend übereinandergetürmt und ein grüner Bach rieselt vergraben, ganz unten, sehr dünn.

Es geht uns stündlich schlechter. Es ist nichts zum Essen da. Trotzdem hat sich meine Frau etwas erholt. Bei einbrechender Dämmerung entfernt sie sich. Sie hat sich sehr auffallend gekleidet, sorgfältig herausgeputzt. Sie ist stark geschminkt. Sie hat Ordnung im vorderen Zimmer gemacht, das Bett zugedeckt, das Sofa in die Mitte gerückt. Den Waschkrug hat sie mit frischem Wasser aufgefüllt, bei Frau Naßl ein neues, sauberes Handtuch geborgt. Sie ist sehr entschlossen. Alle Krankheit scheint von ihr gewichen. Sie steckt die Schlüssel zu sich, betrachtet sich noch einmal im Spiegel: das rote Jackett blinkt, der blau- und weißgewürfelte Rock, ein kleiner brauner Hut, mit roten und weißen Blumen bunt besteckt, gelbe Bluse . . . und sie zieht sich straff und geht mit einem Seufzer, etwas schmerzlich lächelnd und „Adio“. Aber es scheint ihr nicht gar so arg hart anzukommen. Und ich sage mir: meine Frau hat ne feine Fresse.

Mir fällt wieder ein, was Josef gesagt hat: „Du brauchst dich nicht darüber aufzuregen, Hans, aber du wirst ja selbst wissen, deine Frau ging schon längst, bevor du sie kanntest, — — —.“ Ich entsinne mich, eines Sonntags, nachts, lernte ich sie auf der Neuhauserstraße kennen. Sie ließ die Handtasche lang herunterhängen. Sie schlenkerte. Sie blieb oft herausfordernd vor den hellerleuchteten Schaufenstern stehn. Richtete ihr Haar zurecht oder knüpfte ihren Schleier fest, manchmal drehte sie sich um. Ich denke mir: jetzt will auch ich recht schlecht werden, und bin froh, daß ich Andre erschossen habe. Wie bin ich froh! Und wir wollen beide recht herrlich untergehn! Ich höre die ferne Musik des anziehenden Sturmes. Sie ist sehr süß. Umschlungen versinken wir. Aber ich sehe auch wieder ein: ich bin ein großes Kind, träumerisch, voll törichter Rachegedanken, dem Leben abgewandt.

Ich gehe dumpf in mein Zimmer, bleibe im Dunkeln, mache kein Licht, sperre ab. Ich horche gespannt. Jedes Geräusch schreckt mich. Nach zwanzig Minuten kommt sie mit dem ersten. Sie zündet die Stehlampe an. Es ist ganz rot. Und ich denke an Andres Zimmer. Und ich sage mir: auch das ist ein „rotes“ Haus.

Sie wechseln einige Worte. Geld klirrt. Er versucht sie zu küssen. Man sinkt auf das Sofa. Ihre Arbeit beginnt. Ich sehe neugierig durch eine Hitze. Es ist ein großer wütender Kerl, aufgedrehten Schnurrbarts, verschnupft, schnapsdurchdrängt, von Sonne versotten, ein Bierbrauer. Wild, unbarmherzig reißt er sie auf und nieder. Sie ist ganz gleichgültig.

Bis Mitternacht hat sie vier heraufgebracht. Sie belegen sie mit allen möglichen Namen: Marie, Lina, Püppchen, Schlingel, Lümmelchen, Toppsau, Mensch. So verkehrt man mit meiner Frau.

Sie kommt zu mir. Sie klopft an meine Tür. Es ist, als ob sie um Einlaß bitte. Als bettelte sie. „Ich bin sehr müde, Hans, gute Nacht!“ Sie händigt mir ein großes Goldstück aus. „Also für fünf Mark . . .“ Und auf dem Tisch stehen viele Blumen . . . Ich aber weine leise in mich hinein. Dorka wimmert laut.

Sie schläft bis gegen Abend. Dann geht sie wieder weg. Auch ich gehe weg. Mir ist das, wenn ich mich prüfe, nie so fern gelegen. Ich „geißle“ mich. „Arbeiten!“ Am Stachus treffe ich einen älteren Herrn, mit goldener Brille, kleinen grünen, funkelnden Schusseraugen, der jenem Blumenverkäufer sehr ähnlich sieht, den ich vom toten Andre herabkommend, auf der Straße erblickte. Er schließt sich mir an. Ich bin guter Dinge. Doch an Dorka denkend, unterziehe ich mich allem gern. Ich demütige, ich erniedrige mich.

Wie ich nach Hause komme, wartet schon meine Frau auf mich. Wir zählen beide unseren Verdienst. Wir müssen lachen. Wir umarmen uns nach langem wieder, küssen uns herzlich. Wir schlafen beieinander. Doch bald wird ein jedes von uns sehr traurig. Wir ermüden. Wir vermeiden es ängstlich wieder, uns gegenseitig zu berühren.

Es ist verworren, ölig und dumpf. Wie lang wir die Sonne nicht gesehen haben! Denn erst, wenn es ganz dunkel geworden ist, kriechen wir aus. Wir sind beide sehr gereizt. Wegen einer ganz geringfügigen Ursache entsteht eine Schlägerei. Ich habe vordem nie ein Weib geschlagen. Ich werfe ihr den Stuhl an den Kopf, daß ihr die Stirn weit auseinanderklafft. Sie gibt mir einen Tritt in den Bauch, daß ich rückwärts taumle. Waschkrug, Spiegel, Teller gehen in Scherben. Die Tür zerkracht. Wir prügeln uns auf offener Straße. Eigentlich ganz ohne Haß. Sehr roh und kühl. Sehr mechanisch. Wie Fuhrknechte auf Pferde einhauen. Nur um uns gegenseitig etwas zu erleichtern. Auf einer frisch angestrichenen Bank bearbeiten wir uns beide mit den Fäusten. Die Dorka kratzt und beißt. Sie ist ein böses Raubtier. Die kleinen Augen, meergrün, funkeln. Sie beißt sich in meiner Oberlippe fest, die blutig herunterhängt. Menschen sammeln sich an, halb sich belustigend, halb sich entsetzend. Einer, ein uraltes spinniges Kerlchen, zerbröckelt, grauhaarig, trippelnd, kurzhosig, mit goldener Brille, langbehaart, kleinen grünen, funkelnden Schusseraugen zählt immer sehr, sehr dünn: „Eins, zwei! Eins, zwei! Eins, zwei!!“

Ein Schutzmann streicht in einiger Entfernung sehr langsam über die Straße.

  . . . „Verlasse sie! Es ist noch Zeit. Verlasse sie, eh es zu spät ist“ Und: „Warum liebe ich sie . . .“ aber ich kann mir darüber nicht klar werden. Alles ist verworren, ölig und dumpf. Ihr Gesicht ist eine schwammige Masse, gelb, trüb, immer bewegt. Die Dorka ist immer betrunken. Sie torkelt. Wir irdisch sie ist! Sie zieht mich herab. Sie fällt mich. Ich bin ganz widerstandslos, hemmungslos. Ich muß ihr die Bluse zumachen, die Stiefel zuknöpfen. Ich will mich dagegen auflehnen, die Schamröte steigt mir ins Gesicht. Ich siede. Ich will mich empören; meine Hand zuckt oft nach der Tasche . . . Sie sagt nur „Pferd“ und streichelt mich und ich bin wehrlos. Wieder ist sie lustig und singt. Sucht Gesellschaft auf, um zu wirken. Das Zimmer ist oft ganz voll von Russen, Polen, Franzosen, Italienern. Es wimmelt. Ein Bein streckt sich steil hervor. Sie ist vergraben . . . „Oh, ich möchte eine große Rolle spielen, ich werde glänzende Kleider tragen, im englischen Garten jeden Tag früh ausreiten, spazieren fahren, du kannst immer im Café sitzen . . . Du kannst essen, trinken, schlafen, schlafen . . . Du . . . dann: mein ganz feingemachter Lucki!“ . . . Und sie hätschelt kleine Hunde, bewehklagt Bettler, kost ihre Puppe, immer sie streichelnd und in einem fort: „Buberl! Buberl!“

„Verlasse sie! Es ist noch Zeit. Verlasse sie, eh es zu spät ist!“ Doch diese Worte, immer und immer wieder mich quälend, bedrängend, und ausgesprochen von einem von oben herab, sehr blond und in einem langen schwarzen Mantel, sie scheinen mir unermeßlich. Es ist ein Rat unausführbar. Es brennt.

Mein Körper ist voll böser Flecken. Geschwüren, Flechten, Narben, Nadelrissen. Bevor wir ins Bett steigen, kratzen wir uns gegenseitig wund. Unsere Körper sind Blutäcker. Wir waschen uns die Rücken. Wasser klatscht. Man scheuert Bänke so. Meine Frau hantiert ununterbrochen mit Jod, Irrigator, Schwefelteerseife, grauer Salbe. Es schwelt. Ich renne, während meine Frau sich stöhnend im Bett hin- und herwälzt mit erhobenen Händen gegen die Wände an. Dann kauere ich dumpf in der Ecke nieder. „Gib mir etwas Wasser, Hans“ . . . bittet sie, sehr dünn . . . „Halt dein Maul, Luder. Du, du hast mich zu Grund gerichtet.“ Und aufbrausend: „Verreck, du!“ . . . Ihre Augen weiten sich. Sie wird sehr ruhig. Es tut mir furchtbar leid, so gesprochen zu haben. Ja, es tat mir schon leid in dem Augenblick, als ich so sprach. Ich falle vor ihr auf die Kniee nieder, schluchzend, um Verzeihung bittend. So haltlos bin ich. „Hans, mir ist, als sei eben etwas zwischen uns getreten!“ Und mit erhobenen Händen, grell: „Jemand hat uns auseinandergerissen. Wie weh, oh, wie weh das tut!“ . . .

„So soll alles umsonst gewesen sein?“

Und stürze, ein Tier, aufheulend am Bett nieder. Die Dorka wimmert.

Ein Gewitter zieht herauf. Dunkle Vogelschwärme nisten. Ein feuriger Hund läuft über den Himmel. Es bellt.

Die Freier bleiben aus. Es ist eine sehr schlechte Zeit. Sie kann keine Besuche mehr empfangen. Auch müssen wir Obacht auf die Polizei geben, die uns seit einigen Tagen schon gründlich auf der Spur ist. „Wenn man mich erwischt,“ meint meine Frau, „werde ich eingeliefert.“ Und: „ich habe schon einmal zwei Monate gesessen.“ Und: „ich habe auch keine Lust mehr ins Krankenhaus.“ Und ich denke an mein Elternhaus. Mein Vater war Arzt. Das Vorzimmer, in dem die Kranken warten mußten, war dicht gefüllt. Sie kamen aus allen Gegenden: die Gesichter zerschlagen, Arme, Beine eingebunden, die Augen fiebrig glänzend oder schon starr, ermattet. Ein Kind wimmerte. Ein Gestochener schrie, und in purpurenen Traufen troff ihnen das Blut von der Stirn. Ich aber stürzte in den blühenden Garten hinaus, die Hände geballt, der prächtig untergehenden Sonne nach.

In demselben Zimmer hing auch das Bild der verstorbenen Mutter, ein Mädchen noch, voll blühender Anmut, das Haar gold, und wie Feuer leuchtend, die kaumgeöffneten Lippen rot, einer halbverschlossenen Frucht vergleichbar, die Augen in Klarheit aufgetan. Und sie, die Wartenden, sie saßen, alle den brechenden Blick flehend emporgewandt.

Die Naßl hat uns heute die Wohnung gekündigt, so leid es ihr tue, aber gestern seien drei Kriminaler da gewesen, die sich auffallend eingehend nach uns erkundigt hätten, auch sei die Wohnung unsauber, Spinnengewebe überall, wir fielen zu sehr auf, die Miete des vergangenen Monats sei noch nicht bezahlt, es kämen zu viele Besuche . . .

Ich begegne in den Isaranlagen einem Mädchen, rothändig, mit großen Füßen, dürftig angezogen, kurzhaarig, im Nacken ausrasiert. Wir sitzen beieinander auf einer Bank und sie erzählt mir, sie heiße Elly und sei eben erst aus Stadelheim entlassen, wegen Gewerbsunzucht zum erstenmal bestraft. Sie ist ganz und gar ausgehungert, seit drei Wochen hat sie nur auf Stroh geschlafen. Ich hole ihr von zu Haus das letzte Stück Brot und gebe ihr den letzten Schnaps. Meine Frau merkt nichts. Ich gehe mit ihr zu Josef. Er wundert sich, mich mit einem anderen Mädchen zu sehen, doch scheint ihn das irgendwie zu freuen. Er stellt Elly sein Bett zur Verfügung, er selbst übernachtet, in seinen schwarzen Mantel gehüllt, auf einer Bank. Ich schlafe bei Elly. Ihr Körper ist hart, sie gräbt sich tief, überglücklich aufschauernd, in die weißen Kissen, schlägt die weiche Decke ganz über uns. Sie ruht, das Gesicht käsig, doch umrahmt von rotem Haar, dessen Schimmer weit in die Stirn fällt, die Nase platt, eingedrückt, großen Munds, mit kleinen grünen Schusseraugen, ein häßlicher Engel. Da sie friert, lege ich mich auf sie und wir schlafen, Brust an Brust, Mund an Mund. Oft ist es, als ertöne unirdische Musik, die Erde sinkt, die Wände weiten sich, wir schweben.

Ich erwache. Es ist Tag. Der Himmel ist ein blutiges Tuch. Elly schläft noch. Sie lächelt. Ich drücke ihr einen flüchtigen Kuß auf die Lippen, ich bemerke, wie ihr Körper entstellt ist, strotzend, aufgerissen, mißbraucht. Ich gehe weg . . .

Ich irre durch die Stadt, die von roten Meeren ganz verschwemmt ist . . . „Wo habe ich heut geschlafen . . .?“ Und ich jage durch Wüsten: Straßen, Straßen, Straßen. Neubauten, wo Kalk dampft, unergründliche Grüfte, Vorstadtwiesen, mit Kindern, Hunden und Fußball, ein Friedhof mit plumpem Geläut und schwarzem Zug, ein Fluß, Brücken; und ich gelange endlich in einen Wald und über Exerzierplätze voll räudiger Winselhunde, Krankenhäuser mit Karbolgeruch, Fabriken, Bahnhöfe wieder zurück. „Wo habe ich heut geschlafen . . .“ Ich bin zerschmettert. Und ich weiß mich, sehe ich mich nur einem Weib gegenüber, unendlich schuldig. Und ich entsinne mich, ich habe meiner kleinen dreizehnjährigen Kusine einmal eine Bitte abgeschlagen, sie weinte, am anderen Tag war sie tot. Und meine Mutter sagte immer zu mir, war ich unfolgsam „Du bringst mich noch ins Grab.“ Und mein Vater sagte das und alle anderen, alle Menschen sagten das. Und sie alle sind tot. Und ich habe sie, alle habe ich die ins Grab gebracht. Und ich komme eben am „roten“ Haus vorüber. Ja, auch Andre habe ich ins Grab gebracht, und ich sehe hoch eine große Spinne kleben, unbewegt, an einer grauen Wand, und Düsterwegs kleine grüne Schusseraugen funkeln, traurig und sehr entfernt. Schlief ich nicht bei Düsterweg heut nacht? Und ich sage mir: die Türen werden langsam zugemacht.

Meine Frau und ich gehen wieder los. Ich treffe sie jede Nacht. Sie schleicht auf der linken Seite langsam dahin, ich gehe auf der rechten. Ich beobachte sie. Ich traue ihr nicht mehr. Sie läßt die Handtasche lang herunterhängen. Sie schlenkert. Sie bleibt oft herausfordernd vor den hellerleuchteten Schaufenstern stehn. Richtet ihr Haar zurecht oder knüpft ihren Schleier fest. Manchmal dreht sie sich um.

Wenn sie sich einen anderen anschaffte.

Ich wüte. Ich erwürgte sie.

Ich bin vollständig kaput. Ich versuche loszukommen, ich habe es ja immer schon gewollt, ich war nur zu schwach dazu. Ich habe nur nicht den Mut zu mir gehabt. Ich habe es mir nur nicht eingestanden. Ich fürchtete mich immer so davor. Aber habe ich nicht Pflichten? Geht sie nicht für mich, für mich auf den „Talon“? Und auf den Knieen rutsche ich durch das Zimmer, taste mich langsam hinaus, schleppe mich zur Treppe. Ich höre Schritte. Eine Tür klappt. Die Dorka! Und ich ziehe mich, schweißbedeckt, am ganzen Körper zitternd, mit Mühe noch am Geländer empor. Es wird Licht. Eine Gestalt beugt sich nieder. Nimmt mich in ihren Arm. Oh, wie ich sie hasse! Sie hebt mich auf, trägt mich zurück, ich jammernd an ihrer Brust, streichelt meine Wangen: „Buberl! Buberl!“ Dann: „Pferd!“ Sie ist zärtlich, als sei ich eben erst zu ihr zurückgekehrt, jahrelang von ihr entfernt.

Am folgenden Tag wiederhole ich meinen Fluchtversuch. Bald sehe ich ein, es ist unmöglich. Und: „Ich muß ja, ach, viel, viel Gutes noch tun; denn habe ich nicht meine Frau geschlagen?! Ich will erdulden und alles willig auf mich nehmen, ich habe viel Schlimmes schon getan“ . . . Und ich komme so nicht los von ihr. Es ist unmöglich. Was soll ich auch fliehen? Es erscheint mir kindisch.

Ich finde die Haustür verschlossen. Meine Schlüssel sind fort. In den Zimmern ist Licht. Ich suche nach Schatten. Es sind viele Schatten. Will sie mich nicht mehr? Hat sie sich einen andern angeschafft? Und ich höre wüste Schreie, Stimmengewirr. Und ich sehe eine schwebende hellerleuchtete, klirrende Schaukel, in der mir meine Welt ins Dunkel entfliegt. Ich werfe die Fenster ein. Alles bleibt ruhig. Das Licht geht aus, doch nichts rührt sich, niemand kommt herab. Und ich erinnere mich, sie sagte oft, stritten wir, sei nur ruhig, ich werde mich schon zu revanchieren wissen. Also, sie hat sich einen anderen angeschafft. Ich warte Stunde um Stunde, in eine Ecke gelehnt. Wenn ich den wenigstens sehen könnte! Die Bogenlampen löschen aus. Der Himmel wird tiefblau. Über den Dächern rötet er sich. Das Gezwitscher der Vögel beginnt. Ich gehe in die Kirche gegenüber. Ich höre die Messe. Ich trete wieder, beruhigt und gestärkt, in den erwachten Tag hinaus. Die Fensterscheiben sind zertrümmert. Ich fahre mit den Händen durch die Luft. Ich drossele sie und ich habe . . . ich habe die Dorka, die Dorka erwürgt! Ich fühle die Last ihres Körpers in meinen Armen; ich lege sie irgendwo in einem Hausgang nieder. Ich mache mich schnell fort. Ich eile zu Josef. Ich falle ihm um den Hals, ich habe ihm Äpfel und Zigaretten, die ich irgendwo stahl, in Menge mitgebracht. Er schaut mich groß an. „Josef, ich habe meine Frau erwürgt, ich habe meine Frau umgebracht! Josef, leb wohl . . . und ich habe auch Andre umgebracht . . . leb wohl . . . und ich habe auch Düsterweg umgebracht . . . leb wohl . . . und meine Mutter habe ich umgebracht . . . und meinen Vater habe ich umgebracht . . .“ und brüllend: „alle Menschen habe ich umgebracht . . . leb wohl, Josef, sieh, ich bin ein Mörder . . . leb wohl . . . der auch dich noch . . .“

Er ringt nach Worten, seine blauen Augen hängen lang herab, ich küsse ihn, ich bin so glücklich: „ich habe meine Frau erwürgt.“ Und ich fühle mich seit langem wieder das erstemal frei. Und Josef: „Ob Dorka das wert war, mußt ja du selbst am besten wissen, ich weiß das nicht . . . Ich werde überlegen, was zu tun ist, aber bedauern kann ich Dorka nicht . . .“ Auf seinem Tische aber liegt eine Zeitung, ganz zergriffen: „Andreas Söraas, stud. ing., wurde heute erschossen in seiner Wohnung, Schellingstraße 62, III. Stock, aufgefunden. Der Mörder ist bis jetzt unbekannt . . .“

Am Abend kehre ich, halb fröhlich, halb niedergedrückt, nach Haus zurück. Es wird dunkel. Es war alles ein Traum. Und ich sage mir, eine Tür nach der anderen wird langsam zugemacht. Das Haustor steht weit offen. Meine Frau singt, sie ist sehr munter, sie empfängt mich mit guten Worten, sie streichelt mich mit ihren Blicken, sie ist sehr sanft: „Du solltest klug genug sein, um das verstehen zu können. Es waren Schlager . . .“ Und ich: „Ja! Ja!!“ Und ich seh zu, ob ich ihr nicht weh getan habe. Ich will alles wieder gut machen. Ich habe sie gestern so gewürgt! Sie hat ein warmes Abendessen hergerichtet und hat sehr viel Geld. Wir sprechen uns über den gestrigen Vorfall nicht weiter aus, aber ich muß an mich halten, nichts verlauten zu lassen. Sie sagt, sie wollte gestern nachmittag Andre besuchen. Aber es sei alles verschlossen gewesen. Ich triumphiere heimlich. Wenn sie wüßte. Sie sagt: „Hans, liebe mich.“ Sie ist sehr erregt. „Du meinst wohl, ich solle dich . . .?“ Sie, aber sehr traurig: „Hans, du bist so roh, bei dir wenigstens möchte ich nichts dergleichen hören, du solltest zart sein gegen mich, ich will nicht mehr deine Apache, deine kleine Dirne sein, ich bin dein ‚Franzosenweibchen‘, du mußt dein kleines Frauchen schonen.“ Das ist gewiß sehr lieb von ihr gesprochen, aber mir kommt es sehr albern vor. Und ich sage nur: „Du hast ne feine Fresse!“ . . .

Wir essen zu Nacht, am offenen Fenster. Wir sind im Dunkel. Doch die Straße schwimmt im Licht. Wir sind hoch über dieser Welt. Die Glocken läuten.

 

Seit heute kann meine Frau nicht mehr aufstehn. Wir haben nun alles Geld wieder verbraucht. Wir haben alles versetzt. Man bekommt nur sehr wenig. Übermorgen sollen wir umziehn. Also wieder zwei Tage. Die alte Galgenfrist! Ich kann keine Medizin mehr kaufen. Ich schaue meiner Frau groß ins Gesicht, ihre Augen, die wie Blei aussehen, sind weit: „Weib . . .“ Ich nenn sie das erste Mal so. Es durchschauert mich. Ich lege mich zu meinem Weib ins Bett, sie ruht neben mir mit halbgeschlossenen Augen. Sie kann ihre Notdurft nicht mehr außerhalb verrichten. Alles ist voll. Ich stöhne: „Ach Dorka, du hast ja das ganze Bett . . .“ Sie dreht nur den Kopf: „Ach, Hans, du lügst . . .“ Noch einmal schlägt sie zu mir die Augen auf: „Ach Hans, mein Hans, mach mich tot!“ Und ich denke bei mir: soll das heißen . . . will sie etwa damit sagen . . . ich solle sie jetzt . . . in diesem Zustande . . .?! Ich lache wild auf. Ich schäme mich. Wie sie mir leid tut! Sie ist ein elendes Geschöpf, das sich nicht rühren kann. Ihr Gesicht ist ganz schmal, spitz, zermürbt und zermalmt, die Lippen weiß. Sie bedeutet durch eine schwache Handbewegung, daß ich den Papierofenschirm ans Bett heranrücken soll, sie betastet ihn unausgesetzt. Auf ihren Lippen bildet sich ein Lächeln. Ich küsse sie heiß und zart, beides, und am ganzen Körper. Es kostet mich gar keine Überwindung. Ich bin gar nicht angeekelt. Sie phantasiert. Sie spricht Unverständliches im Traum, doch manchmal klar und eindringlich: „Noch ne Flasche oder vielleicht Sekt, Herr Mies, ach Herr Wurm . . . geh, Schatz sei nicht so fad. Ach, seid ihr schlechte Gäste . . . Also, wie du willst, Onkel . . . Ne Flasche Feist, Frau Wöber! . . .“ Und sie nennt einen Namen: „Isaak“. Ich weiß, das ist der erste Mann. Sie spricht nunmehr mit ihm: „Lieber Gott, so nennt sie ihn, wo hast du mein Buberl“ . . . Dann schreiend: „Andre! Andre!“ Und mit ihren Händen wild in meine Haare: „Isaak! Isaak!“ Und mich inbrünstig küssend: „Liebster!“ Und weiter: „Das andere waren ja — ach! — nur schlechte Gäste . . . Du bist der beste Gast . . . Doch nein, ach nein: du bist ja was viel anderes als ein Gast . . . Du bist der Wirt aller Wirte . . . Ich habe tüchtig geklaut für dich . . . alle geneppt . . . ich habe viel aufgespart für dich . . . ach, schon vorhin bist du ja herausgetreten . . . auf dich war ich immer am meisten scharf . . . wie heiß ich bin! . . . auf dich . . . Ich bin krank geworden für dich . . . Das ich so verkommen bin . . . Das Leben ist beschissen . . . Aber, ach, du weißt ja, alle Wege gehen über das Bett! Doch sie sind alle schlecht bei mir weggekommen . . .“

Sie biegt sich ganz weg von mir. Als ich sie berühren und zart umfassen will, furchtbar, entsetzlich, drohend: „Laß mich! Du laß mich! Du fremder Mann . . .“ Die Welt liegt ihr zu Füßen; sie dient ihr. Sie spendet allen. Um ihre Gunst bemühen sich alle . . .

Sie lächelt wieder und ihre Lippen formen immer den einen, sehr sorgfältig, den geliebten Namen: „Isaak! Isaak! . . .“

Ein jedes liegt bei sich ganz zerkrümmt. Ich sinke in einen Halbschlummer, ich wandle auf einer Wiese und Annie klein, schwarz und bleich, kommt mir entgegen, sanft: „mein großer Junge!“ Wie ähnlich sie Dorka wird! Warum Annie nicht eigentlich neben mir liegt? Ich glaube die Dorka nicht wieder zu erkennen. So fremd, so zufällig erscheint sie mir. Ich schließe die Augen, versuche mir ihr Bild vorzustellen. Ich kann es nicht. Sie ist nicht mehr gegenwärtig. Und schmerzlich: „O Dorka, daß ich dich bald vergessen werde! So werde ich immer, Dorka, dein Bild ruhelos suchen müssen. In allem, was mir begegnet: im Café, auf der einsamen Landstraße des Nachts, unter den Gestirnen am Himmel, im Geklimper der Schreibmaschinen, auf der Promenade, beim Tanz, in den Zeitungen, in allen Büchern, im Geklingel der Telephone, in der Tram! Immer werde ich dir quälend nachbeten müssen, Seele, wenn du entschwunden bist! O Dorka! . . .“

Wie ich ihre Hand berühre, merke ich, daß sie sehr kalt ist. „Friert dich nicht, Dorka.“ Sie aber antwortet nicht mehr. Ich hülle sie in die Decke ein, daß sie ja nicht friert. „Kann ich sie nicht erwärmen?“ Und ich denke an Elly. Und ich lege mich auf sie. Brust an Brust, Mund an Mund. Doch sie bleibt kalt und stumm. Ich sage mir, nun sind alle Türen zu.

Es scheint tief in der Nacht. Ein Zitronenfalter flattert im Zimmer. Aber wie ich näher hinschaue, ist es ein Streif der Morgensonne, der über dem Papierofenschirm liegt. Der Himmel ist sehr blau und die Vögel alle machen eine herzerquickende Musik. Soll ich nicht aufstehn, mich waschen und den Josef aufsuchen? Oder soll ich nicht zu der Frau Wöber ins Geschäft gehn und ihr mitteilen, daß Dorka, meine Dorka tot ist? Ich kann das ganz ruhig überdenken. Ich rege mich gar nicht auf. Mir ist wie damals, als ich Andre niedergeschossen hatte und später, als ich fest daran glaubte, meine Frau erwürgt zu haben. Ich bin sehr frei. Aber ich komme nicht los. Etwas zieht mich immer wieder an ihrer Seite nieder. Ich bin sehr schmutzig. Und es erfaßt mich ein süßer Taumel und ich fühle mich an Dorkas Seite entschweben, hoch ins Licht gehoben, die grauen Wände weiten sich, die Nebel heben sich, die Erde sinkt, ein Rosenregen fällt, Wolken wehen, Halleluja, Sterne wirbeln, und wir treten hoch aus den Wolken hervor, von allen Engeln des Himmels umschirmt, einer blendenden Gloriole umgeben . . . „Madonna Madonna!“ und mit dem Wesen, das furchtbar und gütig über allem waltet, dem Ewigen, von Angesicht zu Angesicht . . .

Ich breite die Arme aus und meine Hände greifen im Halbschlummer, den jene himmlischen Wonnen selig durchblitzen, den Papierofenschirm, den unsere Vormieter hinterlassen haben. Er war immer das einzige Helle der Zimmer. Ich träume weiter.

Ein Zaubergarten lockt, umgittert. Ein berauschender Duft strömt daraus; himmlische Musik erklingt. Das Tor, das eherne Portal springen auf, öffnen sich. Den Dahinschreitenden umfängt mit sanft bezaubernder Gewalt der schwüle Geruch blühender Hecken. Der betäubende Duft glühender Rosenbeete erfüllt ihn. Schmale Pfade senken sich tief hernieder, breite Wege, rosenbestreut, leiten empor, stürzen wieder jäh ab in die dunkle, zittrige Glut schwüler Gärten oder münden in die glänzige Goldluft, als führten sie in den Himmel. Ein langer dunkler Laubgang, überdacht von rauschenden Zweigen, reich behangen und überschwellend von vielgearteten Früchten, kugelrunden, spitzgestalteten und eierförmigen, zieht sich herab auf eine weite, saftige Wiese, auf der sich allerhand Getier, buntvermischt, friedlich tummelt: violette Zebras, weiß gestreift, die glühenden Köpfe stolz erhoben, liegen im Gras, schwarze Hasen rotäugig, grüne Pferde, weiße Elefanten, die Rüssel, wie Äste hoch in die Luft gestreckt, die gewaltigen Fangzähne tief im Boden vergraben, lagern ihnen zur Seite, silberne Schlangen gleiten klirrend dahin, rote Bären, langgeschweifte Goldfüchse und graue Hunde, gelbe, buschige Katzen lachen und tanzen. Hai und Ala, die beiden steinernen Löwen vor dem Schloßtor, meine ersten und meine besten Freunde, kommen herbei mit heftig wedelnden Schwänzen, ein Zeichen freudiger Erregung, sie schmiegen zutraulich ihre ungeheuren Tierköpfe an mein blaues, lose herabwallendes Gewand und so wandeln wir dahin, ich in der Mitte, glücklich heiter und schön. Flatternde Kolonnen singender Fische ziehen hoch über uns durch die weiße Luft, ein Riesenvogel, blaugefiedert, durchschneidet mit scharfem Flügelschlag den blassen Äther, einen spitzen Schrei ausstoßend, als erscheine ihm das Glück — wie auch mir, der ich ununterbrochen jauchze oder überselig schweige — unfaßlich und märchenhaft, so hell, so inbrünstig jubelt er. Die wachsgelbe Scheibe der Sonne deckt fast den ganzen Himmel, ihr flüssiges Goldlicht tropft nieder, honigschwer. Ein Regenbogen wölbt sich, er strahlt in allen Farben. Kristallene Schlösser, rubinrote Paläste, blau aufflammende Burgen, verwitterte Ruinen, paradiesische Gebirge, hängende Wundergärten steigen zur Rechten und zur Linken enorm, unendlich empor. Ich bin körperlos, in alles restlos aufgelöst, ein vielfaches Echo von allem, ganz voll, gesättigt, vollkommen. Es ist wunderschön. Und mir ist, als verstünde ich nun auch die Sprache der Wesen, die ja sonst dem Menschen unverständlich und verschlossen, das Geheimnis der Seele, die ihnen unzugänglich ist. „Wie glücklich bin ich,“ brüllt Hai, „wie wohl ich mich fühle,“ entgegnet, freundlich brummend, der Kamerad. „Meinen Gruß! Meinen Gruß!“ zwitschert hoch in den sich wiegenden und leise von einem goldenen Windstrom bewegten Zweigen ein kleiner roter Paradiesvogel! „Wo habt ihr das große Kind hergebracht?“ Und: „Es geht wohl zum Silbersee?“ erkundigte sich eiligen Laufs die flüchtige Gazelle, die soeben in den Wunderwald einbiegt mit den Riesenbäumen, deren Stämme schwarz wie dunkler Marmor glänzen, doch deren Wipfel lauter wie Gold leuchten, blendende Dolche ins Blaue gezückt. Auf einer Anhöhe angelangt, bietet sich ein herrlicher Anblick, tief unten schillert der See, eine sanft bewegte Silberfläche, am Ufer, auf einem smaragdenen, hellblitzenden Edelstein sitzt ein schönes Mädchen und flicht mit spitzen Händen die goldenen Zöpfe, die von flüssigem Purpurgold überquillen, das leuchtend, alles bedeckend, niedertropft. Trunken und selig dehnt sie die wohlgebauten Glieder, breitet voll rührender Sehnsucht die weißen dünnen Arme aus, sie schmerzhaft und voll Seufzer an die volle Brust pressend, streckt sich einer weißen, leicht im Windhauch sich neigenden Blume vergleichbar auf den Boden hin, dem Wasser entlang, dessen klare Wellen heranspülen, den Körper benetzend. —

 

„Der Kaffee, Herr B. Der Kaffee! . . .“ Ich erwache. Alles ist spinnig. Man ruft. Man klopft an die Tür. Und ich, laut und fest: „Gleich, Frau Naßl . . .“ Ich erhebe mich. Ich drücke Dorka sanft zur Seite, schließe ihr die Augen zu, lege ihr ein Tuch über das Gesicht, gelange die Treppen hinunter, unbemerkt, so wie bei Andre. Ich befinde mich schon auf der Straße. Es ist sehr kühl. Es regnet . . . „Dort oben ist die Höhle, in der wir gehaust haben . . .“ Und es ist ölig, verworren und dumpf. Und die Quellenstraße ist eine „Aschen“—Straße . . . Ich denke, die Zimmer waren bös wie Raubtiere, sie lauerten, sie waren heimtückisch, geduckt . . . Mir kommt es vor, als qualmte es. Ich bin ganz durchnäßt. Ein Auto, vorübersausend, halte ich mit geschwungenen Armen auf. Alle Menschen, die mir begegnen, frage ich nach Dorka. Die Dorka —: „eine Dame hellen gewürfelten Rocks, roten Jacketts, schwarz, mit zwei goldenen Vorderzähnen?!“ Man schüttelt die Köpfe. „Was stehe ich im Regen hier, laß mich die Gosse hinunterspülen: in den Fluß, durch den See — (und bei See denke ich immer an Dorkas starres, geweitetes Auge, das wie Blei aussieht . . . also ist es doch eingetroffen!) — durch den See, wieder durch den großen Fluß zum stillen Meer.“ Und wie ich so oft als Kind gedacht habe, das Wasser der Gosse führt in den Fluß, der wohl in das Meer mündet, dort steigt das Wasser als Dunst auf, verdichtet sich, bildet die Wolken und fällt wieder, dem Gesetz ewigen Kreislaufes folgend, als Regen nieder. Und ich starre immer nach oben. „Soll ich hinweggespült werden, verwaschen werden, glatt wie Stein werden, daß die Nase hinschwindet, das Kinn.“ Ich trete von einem Bein auf das andere. Ich pfeife. Das tue ich immer aus Verlegenheit. Ein altes Kinderlied fällt mir ein. Der Regen singt es. Nun müssen mich doch schon Leute bemerkt haben!

Ein Schutzmann streicht in einiger Entfernung sehr langsam über die Straße, in seinen großen schwarzen Regenmantel gehüllt; die Helmspitze blinkt. Und plötzlich gewahre ich, daß es der rothaarige Lehrer Goll ist. „Herr Lehrer, ich habe wirklich die Schule geschwänzt . . . Ja, ja, auch das hab ich . . . Ich träume immer von weißen Windeln, Wolkenfetzen und schwermütigen Molken . . . das alles auf blauem Grund . . .“ Und er: „Gut, daß du wenigstens den Mut hattest, das einzugestehen . . . du weißt: das ist sehr gesundheitsschädlich . . . Tritt näher! . . . Müller, halt ihn . . .“ Und haut mir eine mit dem Stock über . . .

Ein Schutzmann streicht in einiger Entfernung sehr langsam über die Straße . . . Es ist aber mein Vater: „Vater, du Arger, mir graut vor dir. Habe ich dich wirklich ins Grab gebracht? . . . Laß mich heut. Sei nicht so streng . . . Bitte . . .“ Und ich denke wieder an das Wartezimmer, an die Kranken, denen in purpurnen Traufen Blut von der Stirn tropft . . . und es verbreitet sich in ungezählten Rinnsalen wie rote Fäden auf dem Fußboden, es bleibt an Decken, Tischen und allem Hausgerät haften, es färbt die Wände rot, es erfüllt das Innere des Hauses mit einem unaustilgbaren süßlichen Blutgeruch.

Ein Schutzmann streicht in einiger Entfernung sehr langsam . . . Es ist aber der liebe Gott! Er aber wandelt sehr langsam durch eine von rotem Duft erfüllte Landschaft einem märchenhaften hellerleuchteten Wald zu, in den ununterbrochen große schwarze Vögel mit ungeheueren Schnäbeln lautschreiend ziehen. Und ich breche in die Kniee, stammelnd, versuchend mich zu rechtfertigen: „Meine Eltern habe ich ins Grab gebracht, das weißt du . . . Wievielen Menschen ich sonst noch Schlimmes getan habe . . . Düsterweg . . . du weißt es . . . Meine dreizehnjährige Kusine . . . du weißt es . . . Habe ich nicht auch Annie Unrecht getan . . . Und die Dorka habe ich geschlagen . . . Und bei Elly geschlafen . . . Andre habe ich erschossen . . . Ich habe meine Frau erwürgt . . .“ Das aber brülle ich Schaum um den Mund . . . Und ausatmend: „Nimm alle Schuld von mir . . .“

Ich trete wieder von einem Bein auf das andere . . . Nein, bei Gott, wahrhaftig, ich komme nicht los. Ich muß mich unbedingt versichern, daß ich noch auf festen Füßen stehe, und trete wieder von einem Bein auf das andere. So stampfe ich mich förmlich in den Boden ein. Ich ringe, beengt nach Luft. Ich versinke. Ich stöhne: „Luft Luft!“ Mir schwindelt. Ich werfe die Arme empor, ich zerre, ich reiße, aber ich bin wie an Armen und Beinen gefesselt. Doch ich stehe wirklich noch auf meinen Beinen, bemerke ich plötzlich, und konstatierend: ich bin noch nicht versunken. Und daß ich den rothaarigen Lehrer Goll, meinen Vater und: den lieben Gott gesehen habe, muß wohl auch ein Irrtum gewesen sein. Der Regen klatscht. Der Wind reißt an den Dächern. „Oder soll es vielleicht doch wahr gewesen sein? Man weiß das ja nie so genau.“ Mein Kopf schlägt knallend auf das Pflaster. Ich zucke zusammen, auseinander schnelle ich, die Hände gekreuzt, die Arme gerungen, die Beine empor, doch ich erhebe mich. Ich bemerke niemanden. Ich fühle mich sehr frei. Nur auf meinem Kopf lastet ein dumpfer Druck. Als sei ein Meer über mich hinweggeschritten. Alle Einzelheiten habe ich vergessen. Josef kommt auf mich zu, in einen großen schwarzen Regenmantel gehüllt, sein Haar ist sehr blond. Ich erkenne ihn nicht. „Guten Morgen, Hans, ich suche dich schon lang, du stehst scheinbar schon lang hier. Du bist ganz durchnäßt!“ Das alles aber kommt sehr unwirklich und von oben herab. Und ich: „Mein Herr, Sie entschuldigen, aber Sie scheinen ein Engel zu sein, also führen Sie mich zu Gott.“ Er nimmt mich unter den Arm. Ich folge ihm willenlos. Wir gelangen zum Bahnhof. Er ist ein Engel: er führt mich zu Gott. Und er kurz: „In zehn Minuten geht unser Zug nach Berlin.“

Wir sitzen im Zug. Ich rege mich nicht. Ich habe so Angst. Ich bin ganz eingeschüchtert. „Ich fahre zu Gott.“ Josef schaut mich fest an. Ich presse mich dicht an ihn. Es pfeift. Der Zug setzt sich in Bewegung. Da wird mir plötzlich wieder alles bewußt. „Das ist kein Engel.“ Und aufkreischend: „Josef! Josef!“. So muß doch alles ein Irrtum gewesen sein und nur das Böse bleibt wahr. Und ausbrechend: „Ich kann, nein, ich kann diese Stadt nicht verlassen. Sie ist mein Schicksal. Du wimmerst. Du bist die Stadt von roten Meeren ganz verschwemmt, krank und schwül. Du verschlingst alles. Wie rot du bist.“ Und aufgelöst, in Tränen: „Überall ist dein Name im Flattern grüner Bäume, im Gedröhn der Automobilhupen, im Tanz der Alleen, in allen meinen Bewegungen: Dorka! An allen Haltestellen stehst du, an allen Straßenecken wartest du, du bist Schauflug, das Wettschwimmen, meine Heimkehr in der Nacht, das Lied der Soldaten beim Nachhauseweg, das einsame Gartenhaus des Freundes, Wachtparade bist du und Eislaufbahn, Militärmusik, glitzernde Abendpromenade und Geplätscher der Springbrunnen, du wächst empor, du erstreckst dich, du breitest dich aus, unendlich. Alles bedeckst du. Du tauchst des Nachts empor hinter den grauen einförmigen Mauern der Kasernen, über den blitzenden Kuppen der Paläste stehst du, hinter den fernsten Gebirgen erwachst du, des Abends, auf Säulen, Statuen, Kirchturmspitzen thronst du. Aus allen Fenstern lugst du. Du hockst, du schreitest aus, vermessen, riesenhaft, mit der Sonne, mit den Sternen fliegst du. Dein Mantel sind die Wolken, der Aether dein Leib.

Ich höre, ganz fern, unwirklich und von oben herab: „Sie hat Andre geliebt, sie hat Düsterweg geliebt, sie hat Moses Mies geliebt, sie hat Alois Wurm geliebt, Bruno Maria Wagner hat sie geliebt, dich hat sie geliebt, alle hat sie geliebt, sie hat alle geliebt.“

Ich frage mich wieder, hat sie Schuld? Und immer: sie ist schuldlos, sie ist rein, ich bin die Hur, sie ist das Kind! Und ich sehe mich mit zwei Gesichtern, das eine halb verwest, das andere voll Müdigkeit. Ich sage mir, „ich fahre doch zu Gott“. Und: „Ich war ein Büßer“. Ich fühle mich ganz voll. Ich könnte zerplatzen. Etwas saugt mich auf. Oh, geschähe es! Etwas reißt in mir, und es ist so schmerzlich, daß es nicht zerreißt. Das tut furchtbar weh. Wir entfernen uns rasch. Ich jammere wie ein kleines Kind: „Ich kann, nein, ich kann diese Stadt nicht verlassen.“ Und sie schlägt immer um sich, sie tobt, sie ist eine rauschende Revolution. Sie kreist in meinem Blut.

Ich liege in den Armen Josefs. Ich behalte die Augen zu, obwohl ich wache, denn die Sonne, einer Glorie vergleichbar, versendet einen magischen Glanz, der stark blendet. Ich suche nach Worten, ich finde keine. Endlich aufgelöst stammle ich: „Leb wohl, Andre! Leb wohl, Dorka!“ und ich erinnere mich an alles wieder, kühl und sehr entfernt.

Und ausbrechend: „Alles ist Rückzug, Verfall, Flucht. Kanonen am Weg. Brust, Bauch, Hirn durchschossen. Brennende Horizonte. Äcker von Geschossen zerwühlt. Geheul der Irren. Abulie. Sterile Dissoziationen. Überlebte Staatsverfassungen. Zerbröckelte Leiber, Verrat, Mißbrauch der Persönlichkeit. Enttäuschung ist alles, Ekel bleibt. Was will man mehr?! Aber ich werde wiederkommen, die Augen klar, die Muskeln Stahl, die Brust ein Panzer, der Körper gebräunt, allen Anstrengungen, Gefahren, Strapazen gewachsen, die Beine gestrafft, elastisch, fibrierend: ein fabelhaftes, ekstatisch-heroisches Nerveninstrumentalorchester. Ich werde sechsfacher Träger euerer Nobelpreise sein. Sätze werde ich bauen, unendlich kompliziert, rasend gefügt, stahlseitenhaft, dogmatisch, unverrückbar, im brausenden Rhythmus wimmelnder Cafés, toller Kapellen. (O Scigo: Primas: Tönemäher!) —: euch alle berauschend. Ich werde glänzende politische Reden halten. Meine Plakate, grell, exzentrisch, superb, werden euch zur größten aller Revolutionen begeistern. Erfinden werde ich den rapidesten Aeroplan, das phänomenalste Auto werde ich ausdenken. Diplomatisieren. Splendide Verträge abschließen, Frieden zwischen den Völkern stiften, Pole werde ich entdecken, den fermatschen Satz lösen, die Unzulänglichkeit alter Einrichtungen restlos erweisen. Meine Tragödien, gekinntopt, werden zu Millionen sprechen, werden Millionen bewegen. Negerstämme, Fieber, tuberkulöse-venerische Epidemien, intellektuelle-psychische Defekte werde ich bekämpfen, bezwingen. Die große physische Abstinenz werde ich euch lehren. Verkünder des intellektuellen Koitus, des enorm sublimierten Geschlechts.“

Ich falle in einen letzten Schlaf. Als ich erwache, ist voller Sonnenschein. Wir sausen durch Wiesen, an Hügeln vorbei, auf denen Windmühlen stehn, deren Flügel sich rasch drehen. Ein kühler Luftzug geht davon aus. Das erfrischt. Die Landschaft ist von einem weißen Duft erfüllt. Ein alter weißhaariger Bauer steht hinter seinem Pflug. Ein blonder Knabe holt Wasser aus einem Brunnen. Ein Mädchen plätschert in einem Weiher, der leicht vom Wind bewegt ist. Ich möchte Gras fressen. Die Erde ruft. Ein Weib sitzt irgendwo am Weg, ein Kind an der Brust. Rauch zieht, dunkel wie ein Vogelschwarm, über den Wald. Und eine Frauenstimme, sehr dünn, erhebt sich, schwillt an zu einem klaren Gesang.

Der Dragoner

Vor ihr her lief immer, wie ein Licht, ein weißer Spitz.

Der hieß Kony.

Sie hieß Beate.

Und Beate bewegte sich prustend, unermüdlich den Mauern der Infanteriekaserne entlang. (. . . vom „General Finkenkeller“ bis „Zu unserem lieben Kronprinz“ . . .) Hier standen sie, Wally und Mizzl, und um sie herum ein Haufen Lärm-Infanteristen, betrunken. Bis endlich zwei aus der Masse losbröckelten. Die übrigen trollten sich schreiend weiter.

Die Werthergasse war entleert. Sie war staubig, ein ausgetrocknetes Flußbett. Trotzdem es Samstag war. —

Und Wally und Mizzl standen, das zweitemal, beim „Zu unserem lieben Kronprinz“, und um sie herum ein Haufen Lärm-Infanteristen, betrunken. Bis zwei aus der Masse losbröckelten.

Die Laternen wurden gelöscht. Die einzige Helligkeit verbreiteten Leucht-Wolken am Himmel, und Kony, der wie ein Licht vor Beate herlief. Und das Dunkel stürzte sich wie ein böses Raubtier, plötzlich, laut gähnend, offenen Rachens über den „General Finkenkeller“ und „Zu unserem lieben Kronprinz“ und fraß die. Das polterte, tobte, schrie, flackerte rot und feucht, hier einige Male, dort einige Male, dann war auf einmal Schluß.

Da mußte Beate heiß an ihren Kony denken. Der war Athlet. Drei Preise hatte er errungen, zwei zweite, einen ersten, Eichenkränze, ganz grün, mit schwarz-weißen Seidenschleifen und Goldschrift. Und alles schrie „Hoch!“ und laut „Hurra!“, und die Musik blies furchtbar, als der Vorstand der „Stämmigen Brüder“, der Gerichtssekretär Huber (der graue, der mit dem Bismarck auf dem Bauch! ) sie ihm aufs Haupt setzte. Und Kony war ganz rot vor Freude, sein großer aufgedrehter Schnurrbart glänzte. Und er betrank sich diesen Abend, den Siegeskranz um das Haupt.

Und sie entsann sich, wie ihm jene glänzende Medaille angesteckt ward (— und das war auf der Siegesfeier des „Freideutschen Stemmklubs von 1893“ —) und sie ihm der Schiller, der Oberbaurat Schiller, höchst eigenhändig auf die Brust heftete. Und alles schrie „Hoch!“ und laut „Hurra!“

Und die Musik blies furchtbar. Und Kony, vor Freude ganz rot, aufgedrehten, glänzenden Schnurrbarts, kam an ihren Tisch, setzte sich zu ihr und er tätschelte ihr (— die Medaille auf der Brust! —) auf den Hintern.

Und sie lächelte. Ihr Spitz hieß Kony.

Der schnupperte.

Beim „General Finkenkeller“ aber stand stramm, hochaufgerichtet ein Soldat, ein Riesenkerl. Der stieß den langen Schleppsäbel immer eigensinnig klirrend auf das Pflaster. Er sang dazu und kommandierte laut. Plötzlich war er an Beatens Seite, hatte den Arm um sie gelegt, der kalt war und eisern, wie eine Klammer. Und Kony, der Spitz, lief ganz unbeirrt den beiden wie ein Licht voran, doch immer, wenn der Säbel klirrend ins Pflaster fuhr, ruckte er aufgeschreckt, mechanisch vor.

Es war ein Dragoner.

Und beim „Zu unserem lieben Kronprinz“ standen sie, Wally und Mizzl, zum drittenmal, und um sie herum ein Haufen Lärm-Infanteristen, betrunken. Und sie stiegen daher, Arm in Arm, die Beate heiß, unermüdlich, prustend, gereckt, der Dragoner enorm, ganz gelb, eine ungeheuere Zigarre mitten ins Gesicht gesteckt, glänzenden, aufgedrehten Schnurrbarts, von Rauchwolken umhüllt. Und Wally: „Nacht, Beate . . .“

Doch die Mizzl: „Nacht, Frau Major . . .“

Und die Beate ganz glücklich bei sich: „So ghört sichs.“

Doch da bemerkte sie plötzlich, daß sich Kony, der Spitz, und der Dragoner verwundert anschauten. Die beiden blinzelten einander vertraulichst zu und der Dragoner sagte dem Kony etwas ins Ohr. Die beiden hatten scheinbar etwas miteinander. Und der Kony lachte wie ein Mensch, antwortete und nickte.

Da brach die Masse der Lärm-Infanteristen in schallendes Gelächter aus: „Nacht, Frau Major! . . . Nacht, Frau Major! . . . Nacht, Frau Major! . . .“ Aber standen dabei gar nicht stramm und das empörte sie. —

Sie zündete das Licht an.

Sie betrachtete ihren Dragoner lange. Der aber sah sich sehr genau in ihrem Zimmer um. Er war wirklich ungeheuer und ganz gelb. Und die Beate fragte sich, an wen erinnert mich der nur. Und sie mußte sofort an das Café Krenkel in der Madenstraße denken. Das war auch ganz gelb. Gelbe Vorhänge, gelbes Licht, und die Musik war gelb. Und sie entsann sich, daß sie dort den letzten Samstag auf einen kleinen runden Marmortisch gestiegen war, (— auch die Wally und die Mizzl waren dabei! —) den Fuß in den Aschenbecher setzte . . . schrie, das seien Steigbügel . . . und gleich davonreiten wollte, — wohin, das wußte sie selber nicht, durch die Luft! Ach, sie war ja so oft schon dort betrunken. Und sann weiter nach: Man hatte sie ja dort auch schon so oft hinausgeschmissen. Doch plötzlich auffahrend, ganz unvermittelt: „Mein Eisschrank . . . und Wachs . . .“

Nur der glänzende aufgedrehte Schnurrbart, das rote Gesicht, die ungeheuere, immer noch glimmende Zigarre mitten drin, die waren ja ganz lebendig. Und sie bemerkte auch, daß er große und sehr feuchte Hände hatte. Und sie dachte sehr versonnen, mechanisch weiter: „Wasser ist genug da, die zu waschen, auch Sandseife . . . auch ein großes frisches Handtuch ist da . . . er kann sie darnach daran abtrocknen . . .“

Er schnallte den Säbel ab, der sehr groß war. Viel größer als die Seitengewehre der windigen Infanteristen, stellte sie zufrieden fest. „Die Schmierer, die schiachen . . .“

Aber er sprach auch so gar nichts.

Was tat er denn? Hatte er sich nicht bei ihr einfach eingeschmuggelt? Kümmerte er sich denn überhaupt um sie?

Und unermeßlich erdehnte er sich plötzlich, ragte durch die Decke, die blitzende Helmspitze hartnäckig in den tiefblauen Nachthimmel bohrend. Das flimmerte. Es tropfte. Ein dichter Goldregen stieb prasselnd nieder. Und der Säbel, plötzlich ein endloses Seil, an dem die Erde schwebte, das Himmel und Erde verband . . . und plötzlich ein eiskalter Wasserstrahl, der jäh niederfuhr, mitten durch, ein Blitz.

Sie bat: „Geh, Schatz, leg deinen Helm ab!“ Und sie dachte plötzlich wieder heiß an Kony, ihren Athleten. Der wollte sie einmal erstechen. Im Rausch . . . Und sie flüsterte selig, emporschauend: „Kony!“ . . . Und da hing er an der Wand, ein photographisches Brustbild mit Medaille und Eichenkranz, die Arme nach hinten verschränkt, aufgedrehten Schnurrbarts, von Postkarten, Fächern, Tanzschleifen umgeben: Kony.

Da knurrte der Spitz.

Und da erinnerte sich die Beate: auch der ist also noch da.

Und stand hilflos zwischen dem gelben Dragoner, dem Spitz und dem photographischen Brustbild.

Und sie steckte dem gelben Dragoner eine Blume ins Knopfloch, wie es damals Schiller, der Oberbaurat Schiller, getan, und band ihm eine grüne Samtschleife um den Kopf und drückte sie ihm sorgfältig zurecht, wie seinerzeit der Huber, der Gerichtssekretär Huber auf dem Fest der „Stämmigen Brüder“. Da der Dragoner wehrte, bat sie. Und endlich, unsinnig lachend: „Nun kannst du dich wieder besaufen, Kony . . .“ Ja! Hatte er nicht eine glänzende Medaille im Knopfloch, schmückte sein Haupt nicht ein Eichenkranz, ganz grün?! . . . Und er kam an den Tisch, setzte sich zu ihr und tätschelte ihr auf den Hintern. Und irgendwer schrie: „Hoch!“ und laut „Hurra!“ Und eine Musik blies irgendwo furchtbar.

Und die Beate (das war ja zu närrisch!) —: sie lachte unsinnig.

Sie brachte Bier in Flaschen. Das trank er.

Aber sein Aussehen änderte sich, denn als er aus dem Schatten nach vorn plötzlich unter das Licht trat, sah sie, er war blau, blau sein Gesicht, ganz blau. Doch als er wieder sich schwankend nach rückwärts verzog, sah sie: er war grün, grün sein Gesicht, ganz grün. Doch als er bald darauf wieder rülpsend hervorkam, sah sie, er war wieder gelb geworden, ja wieder ganz gelb. Sein Gesicht, die Hände rot, und der aufgedrehte Schnurrbart glänzte.

Auch sang er wieder und kommandierte laut. „Ich hab es mir ja gleich gedacht, daß du schon wieder besoffen bist . . .“

Kony knurrte.

Der Dragoner blickte ihn nur an. Da schwieg er. Die beiden verstanden sich scheinbar gut.

Da aber Kony plötzlich laut aufbellte, fuhr der gelbe Dragoner mit seinem langen Säbel nach ihm. Da wand er sich sogleich verröchelnd.

Da die Beate laut aufheulte, warf er sie nieder. Sie kreischte auf. Er aber setzte den Fuß auf ihre Brust. Da schwieg sie.

Sie lag auf dem Rücken. Versuchte wieder hochzukommen. Wälzte sich, krümmte sich. Sie konnte nicht.

Er nahm die Schlüssel an sich. Die Handtasche öffnete er. Zählte: drei Mark und fünfzig . . .

Sie versuchte sich am Bett hochzuziehen. Los riß er sie, hob sie empor, unendlich hoch empor und mit beiden Armen niederschleuderte er sie. Er schmetterte sie alle Stockwerke durch. Daß sie tief vergraben in der Erde stak. Den Körper voll Splitter. Sie wimmerte.

Da kommandierte er laut: „Achtung!“ und zog den Säbel.

Sie dachte wieder an Kony.

Ja —: da stand er, die Medaille auf der Brust, den Eichenkranz ums Haupt, ein wenig in die Stirn gerutscht, ganz grün. Der aufgedrehte Schnurrbart glänzte . . . und jemand schrie „Hoch!“ und laut „Hurra!“ . . . und eine Musik blies furchtbar. Sie lachte unsinnig.

Und wieder: „Achtung!“ . . . und er war ganz gelb . . .

Sie lachte unsinnig. „Wie närrisch!“

Doch plötzlich flehentlich: „Herr Schmetterling! Herr Schmetterling!“

Der aber lachte wild auf.

Sie erstarrte. Ward zur Puppe. Haftete. Zerbrochen. In die Knie geknickt. Schon vorher durchbohrt. Und weit zum Stoß ausholend: „Achtung! Liebste! Achtung!“

Und er stieß zu, aber nur ein ganz klein wenig, zog wieder zurück, zielte, prüfte. Er spielte mit ihr.

Beate prustete, arbeitete mit Händen und Füßen, unermüdlich. Umschlang zärtlich den Stahl. Zerrte. Als wollte sie: „O, gellten alle Himmel der Welt jetzt! . . .“ Und laut: „Zu Hilfe, Frau Wadenklee! Zu Hilfe!“ Ihre Hände bluteten.

Doch —: sie stand!

Und jubelnd ihm entgegen: „O, dich kenn ich . . .“

Und er: „Kröte! . . . Verfluchtes!“

Und stieß durch.

Kindheit

Heinrich Franz Bachmair dankbar

Kurt war von Frau Schaa eingeladen worden, er schüttelte Äpfel von den Bäumen, las sie auf und sammelte sie in Körbe, die er ins kleine Haus trug, das darnach roch.

Durchs Fenster sah Kurt Frau Schaa wieder. Sie hatte ein langes, dünnes Kleid an, das die untergehende Sonne blutig durchfuhr.

Der Photograph Schaa arbeitete gebückt, zog Rettiche aus und hüstelte.

Frau Schaa trat ins kleine Haus, nahm einen bunten Schal auf und führte Kurt an der Hand heraus, schnitt ihm eine Rose ab und steckte sie ihm langsam ins Knopfloch.

Frau Schaa und Kurt setzten sich auf den Rand des Zierbrunnens und wuschen die Rettiche.

Zu Hause fragte Kurts Vater, der Gerichtsvollzieher Vogt, wie es bei Schaas gewesen sei. Kurt fuhr auf, er hatte gerade an Frau Schaa gedacht . . . und er bemerkte die Mutter, die, über den Suppenteller gebückt, hineinschluchzte. Er hat sie wieder geschlagen, sagte sich Kurt, und schwieg, trotzdem ihn der Vater zum zweitenmal fragte. Ein weißer, fast plastischer Streifen, zog sich über die Wange der Mutter —: ein Striemen. Dahin hat er sie also getroffen, und mit dem Stock wieder, erklärte Kurt sich selbst . . . und das ganze Gesicht ist angeschwollen und blutunterlaufen, auch der Hals ist blutig, voll von Nägelspuren, roten Flecken und Bißwunden. Er hat sie wieder gewürgt. Er widersprach dem Vater trotzig:

„Laß mich!“

Herrn Vogts Gabel pfiff über den Teller.

Herr Vogt sprang hoch, griff den Sohn bei den Haaren, würgte ihn, riß ihn zu Boden und trat ihn mit dem Fuß. Kurt kauerte und zuckte. Er bäumte sich auf, schreiend —: er wurde niedergeschlagen. Das nahm kein Ende für ihn.

Die Mutter heulte auf, stürzte auf den Balkon und schrie auf die Straße hinunter.

Herr Vogt richtete sich sogleich auf, und die Großmutter kam aus ihrem Verschlag hervorgekrochen, blieb in der Mitte des Zimmers stehen und setzte sich zitternd unter sie.

Kurt schlich in seine Kammer, wo er losheulte. Er wollte sich rächen.

Herr Schaa kam, wedelte und holte den Gerichtsvollzieher zum Tarock ab.

Frau Vogt blätterte in ihrem Postkartenalbum, spielte Klavier, bis es zweimal läutete und Frau Schaa kam.

Frau Schaa spreizte die Finger, zog die Schultern hoch und bat weich:

„Geh, Marie (so hieß Frau Vogt beim Vornamen), spiel was! Bei der Musik fang ich immer zu phantasieren an . . .“

Frau Vogt aber konnte nicht. Die Schaa brüllte auf . . .

Der Gerichtsvollzieher stolperte fluchend die Treppe herauf. Er war besoffen. Er schimpfte auf die Vorgesetzten, er drohte ihnen, er verurteilte sie zum Tode.

Widerspruch gebe es keinen. Er sei Autorität. Trage er nicht die Mütze der Gewalt? Von Gott ihm verliehen? Widerspreche man ihm, widerspreche man dem Gesetz, der Verfassung, dem König, Gott. Die Familie, sie gleiche dem Staat. Er sei ihr Oberhaupt. Oder wolle wer daran zweifeln? . . . Unantastbare Macht . . .

Kurt hörte alles, er konnte nicht einschlafen, er fürchtete sich und fand den Vater ungeheuerlich.

Dumpfe Schläge.

Die Mutter wimmerte . . .

Es riß verzweifelt an der Glocke, der Photograph Schaa winselte: ob seine Frau nicht dagewesen sei, da sei . . . man nicht wisse . . .?

Es blieb still, bis lange in den Morgen hinein. —

Der Gerichtsvollzieher verreiste auf längere Zeit dienstlich. Kurt schlief im Bett des Vaters neben der Mutter. Er ging vor ihr ins Bett, konnte aber nie einschlafen. Sie kam, und er sah erschauernd auf zu ihr. Er beugte sich einmal nachts über die Schlafende, die Haare ringelten wie schwarze Wellen um das weiße Milchgesicht, die aufgesprungenen Lippen waren halb geöffnet.

Er flüsterte.

Marie schlug die Augen auf, strich die Decke glatt und sagte:

„Laß mich, Liebling! . . . Schlaf!“

Frau Vogt weinte wieder jeden Tag, trotzdem der Mann fort war. Sie lag im Fenster und sah die Straße hinab. Sie stopfte fleißig Socken, flickte die zerrissenen Hemden des Gerichtsvollziehers und besserte seine alten Anzüge aus.

Kurt fing die Briefe ab, die von ihm an sie, regelmäßig jeden zweiten Tag, kamen.

Doch eines Tages war der Vater wieder da. Kurt glotzte ihn groß an. Herr Vogt aber schmiß seinen Sohn zum Bett hinaus, fluchend. Er war wieder betrunken und sah aus wie ein Strolch.

Die Mutter wollte ein gutes Wort einlegen, da schlug er auch sie.

Sie heulte.

Die Großmutter aber kam wieder aus ihrem Verschlag hervorgekrochen.

Da umarmte der Gerichtsvollzieher seine Frau und küßte sie. Die bärtigen Wangen rollten dicke Tränen herab, die, wie Perlen gereiht, an seinem strohigen Schnurrbart hängen blieben.

Die kommende Nacht schlich Kurt vor das Zimmer der Eltern mit dem Küchenbeil. Kein Licht brannte mehr. Er wollte sie beide töten.

Die Großmutter stöhnte aus ihrem Verschlag heraus . . .

Er ward wieder von Frau Schaa aufs Land eingeladen.

Frau Schaa erzählte, sie fahre noch diese Woche auf zwei Monate nach Rußland, in ihre Heimat. Ob er mitwolle?

Der Photograph knurrte.

Frau Schaa aber lachte ihn aus, sang und tanzte. Sie nahm Kurts Kopf in ihre große, rauhe Hand, zog ihn an die Brust und liebkoste ihn.

Herr Schaa holte sein Tesching und schoß nach Spatzen.

Frau Schaa herzte ihre Katze.

Herr Schaa zischelte.

Frau Schaa schnitt eine Grimasse, ballte die Hände gegen den Photographen, der bleich an der Gartentür hing.

Herr Schaa zerbröckelte.

Der Tesching lag geladen vor ihm.

Herr Schaa grub Rettiche aus.

Bussi, die Katze, huschte über den Zaun. Kurt zuckte nach der Büchse.

Aber der Photograph kam herbeigesprungen, nahm die Büchse auf und schoß. Er fehlte. Kurt atmete erleichtert auf. Bussi erschien auf der anderen Seite des Gartens. Kurt griff und drückte ab.

Bussi sprang ein wenig vor, überpurzelte sich und schlug den nassen Boden lang . . . wälzte sich, die grünen Augen trieben lang, gewaltsam heraus, die fleckige Zunge stach spitz vor . . . der weiße Bauch öffnete sich . . . Kurt aber schaute nach Ange um (so hieß Frau Schaa beim Vornamen).

Frau Schaa kam, doch als sie Bussi verendet sah, wandte sie sich ab.

Der Photograph hüstelte und drehte das Tier mit dem Fuße um.

Kurt schämte sich. . . . Und lange Zahlenreihen erschienen an einem grauen Horizont.

Kurt hatte seine Hausaufgabe noch nicht.

Streng und gemessen schritt draußen Herr Nebukadnezar vorüber, der Oberlehrer.

Kurt nahm von Frau Schaa Abschied.

Nach Ablauf dreier Tage erkundigte sich Kurt beim Photographen, der betrübt im kleinen Haus saß. Frau Schaa war fort.

Die Mutter litt die Rose am Matrosenanzug Kurts nicht. Kurt überlegte ernstlicher, wie das Reisegeld aufbringen. Er bemerkte den Striemen über der rechten Wange seiner Mutter und glaubte, er müsse noch verweilen. Sie versetzte ihm eine Ohrfeige, er schlug wieder. Er erinnerte sich der Nacht, da er neben ihr schlief . . .

Er schlief nicht mehr zu Hause. Auf einer Bank im Park lag er. Er dachte an die Schaa, und daß es süß sein müsse, von ihr geschlagen zu werden. Er sehnte sich nach ihr. Menschen hingen über den Bänken: schlapp, den Hut im Gesicht, die Beine vorgestreckt; es waren Tote.

Er träumte einen Vogel, der sich aus einem Moortümpel aufhob. Der flog vor ihm her. Er wanderte zu. Er kreuzte unbekannte Morgen- und Abendländer. Der Vogel aber schwebte über ihm, des Nachts als Feuerschein oder Stern, des Tags als Wolke, bei nahendem Abend in Sonne ertrinkend.

Kurt hatte nichts zu essen. Aber er hungerte weder, noch litt er Durst. Auf glühenden Wiesen lagen Früchte bereit, in den Wäldern rauschten Milchquellen.

Er verträumte den Tag. Die Kameraden spielten Soldaten, er war nicht dabei.

Plötzlich aber stürzte er sich, von ferne aufgeschreckt, mitten unter sie.

Er hetzte durch die Nacht, bis er ermüdet zusammenbrach.

Er wußte, daß die Großmutter Geld besaß, ein wenig nur, doch schlecht aufbewahrt, aus ihrer Rente.

Die Großmutter saß in ihrem Verschlag.

Er gedachte der Schaa.

„. . . Ihr an die Kehle springen, sie niederwerfen, den Kopf einschlagen, oder nicht an den Hals springen . . . denn wie dünn der Hals ist . . . splitternd . . . wie Holz . . . nicht niederwerfen . . . gleich mit einem Hieb den Schädel entzwei . . . den Schrank auf . . . und dann —: o dies Glänzen! . . .“

(. . . Und sie nickte ihm zu . . .)

Das Küchenbeil zwischen den Zähnen, kroch er vorwärts. Nur noch einen Sprung von ihr —: die verschrumpften Lippen zuckten.

Man hörte aber nichts.

Die Hakennase bog sich lang herab.

Die Großmutter war weiß. Sie schlug mit den beiden Armen wie zu einem Flug.

Die Wangen, eingefallen, grünlich und gelb, begannen rosen zu werden.

Das Beil entglitt ihm.

Er quälte Tiere oder lungerte bei den Droschkenkutschern umher. Auch Räuberromane las er.

Plötzlich erinnerte er sich in irgendeiner Gestalt auf der Straße an seine Schaa. Daß er sie beinahe vergessen hatte, schmerzte ihn. Er machte sich Vorwürfe darüber und strafte sich selbst, indem er sich „Hund! Hund!“ schalt.

Er wollte ihr schreiben.

Eine kleine weißglühende Kugel sprang auf. Sie begann zu erklingen in einem molkigen Luftgemisch. Sie sauste. Augen, Arme, Beine wirbelten mit, die Nasenflügel blähten sich. Schleim und Tränen rannen. Ein tiefer Schlaf folgte.

Er erbrach mit dem Küchenbeil den väterlichen Schreibtisch, der stöhnte und sich wand. Er demolierte ihn gänzlich.

Mit dem wenigen, was er vorfand, ging er los.

Er fuhr mit einem Zug.

Er durcheilte die nächste Stadt. Was er suche, wußte er nicht, nur, daß es unbeschreiblich schön sei. Er lebte in Märchen. Er dachte die Schaa. Es peitschte ihn, es jagte ihn dahin. Durch die brüllenden Lüfte sauste es. Es gewitterte. Der Rücken, das Gesicht schälten sich, Hagelstacheln trieben ein. Haut hing in Fetzen . . .

Ein grüner Himmel rollte sich.

Das schmutzige Gesicht erglänzte:

Ihr nach!

Verdorrte Gelände durchzitterte er, sonneversengt.

Doch unbeschadet wandelte er und traumhaft über die gewölbte Fläche eines Silbersees, unberührt durchzog er einen gelben Strom, die Wellen, sie wichen vor ihm zurück.

Ein Schatten rang sich vor die Sonne.

Der Vater.

Kurt entsetzte sich.

Glühender Staub regnete. Landschaften stiegen, bunte Blasen, auf, Städte zerfielen, Schiffe sanken, Berge spieen, Prozessionen schwankten durch die Luft. Ebenen überschlugen sich.

Der Himmel töste.

Er trieb durch einen Krieg. Berge schmetterten. Lazarette dampften. Violett explodierte ein Wald. Die Luft zerhackt.

Der große Vogel zeigte sich. Er bog sich zertrümmerte Hügel hinab, surrend.

Jahreszeiten wechselten.

Eine Stadt schob sich mit grauen Häuserquadraten vor, massiv und gewaltig, von Straßen bösen Gesichts und dünner Herbstleute, wie Gespenster, zerschachtet. Ein Milchwagen rasselte. Cafés schäumten. Er schwamm an zerrissenen Ufern, besteckt mit roten Papierlaternen, hin. Der Atem von Schläfern sang.

Klaviere jammerten.

Er übernachtete in Schlafstellen. Fäulnis. Wanzenbruten. Mütter gebärten kreischend. Kinder flatterten. Gestelle von Leibern wippten. Betrunkene torkelten. Idioten blökten. Selbstmörder wankten.

Es fiel von ihm ab.

Eine Alte saß unter ihnen, schlug Karten und prophezeite aus den Handlinien.

Das Krankenhaus roch wie nach verfaulten Äpfeln. Kurt erschrak darüber. Schwester Anna mit weißer Spitzhaube und kleinem Wachsgesicht brachte die grüne Breisuppe im braunen Hundnapf. Ein Mensch, die Arme nach hinten geschleudert, wurde zerstückt. Wärter Johann erzählte Schnurren. Gewaltig und dickbäuchig schritt der Herr Geheimrat.

Halbwüchsige Burschen schleppten ihn in ein Varieté. Musik platschte. Eine Glatze schnalzte mit der Zunge. Ein Mädchen tanzte, zog sich zurück, und die Wände vertieften sich, die Decke barst, es wurde nachtblau.

Ein Pockennarbiger stieß ihn an. Kurt verstand nicht gleich, er gab sein letztes Geld.

Es ergriff ihn: noch heute werde ich sie wiedersehen, und er verabschiedete sich höflichst von allen.

Ein Dorf streckte sich in die Nacht mit Zitterstimmen, Schleichtritten, Wirrstimmen, dem dumpfen Gerassel der Kühe in den Ställen und dem Anschlag der Wachthunde.

Gärten.

Eine Böschung hinab: der Schlangenstrom und magischer Kugelmond hinter Krüppelweiden im Nebel hoch.

Der Landstreicher hatte ihn eingeholt. Er trug ein gelbes Wollhemd und hatte Haare auf der Brust. Er dünstet stark aus. Er legt eine welke Holzhand Kurt auf.

Kurt schrie.

Er wollte sich wehren . . .

Er bellte wie ein Hund und zog die Beine an.

Der Idiot

(. . . Er aber kroch immer mehr in sie . . .)

Als er sie zum erstenmal erblickte — das war mitten am hitzigen Tag auf der Friedrichstraße . . . doch er erhaschte flüchtigen Blicks nur ein helles Rauschkleid —, da schlugen weiße Blütenwälder auf, bedeckten ihn.

Die ihm begegneten, rempelte er an. Die aber schrieen: „Oha!“

Er aber sann: „. . . und so wirken sie aufs Ganze auch im geringsten. In jedem Wort, durch jede Geste. Ihre Handflächen bedecken Kontinente, und glühen ihre Augenmulden, jubeln getröstet alle Armen auf. Doch heulet trunken ihr Mund, endloser Trichter, zerreißen Schallwellen Damm, Gebäude. Deren Tränen rühren schmerzlich unerkannte Himmel, deren Lächeln aber streichet, Kühlwind, lindernd über erstarrte Falten auf verhärmten Kindgesichtern, in allerfernsten Träumen. Doch nur Fäuste erhoben —: und ihr seid Zeuger geworden tumultuöser Gewitter . . .“

Das zweitemal traf er sie — acht Tage hernach — am Abend des Kaiserjubiläums. Fahnen brausten hoch über dem Platzgewimmel. Plötzlich explodierte alles. Militärmusik, Menschenmasse, Feuerwerk, und einer, der immer schrie „Hoch! Hoch!“ . . . und der K. Akademieprofessor Crispin Adolf Ritter von Beermann, erhöht, auf birkenlaubumwundenem Podium, der reckte beschwörend — goldblond — Hand und Zylinder, doch Maximilian Stössinger, Dirigent der vereinigten Militärkapellen, dick auf dickem Tanzschimmel den Taktstock . . . und hinter dem mittleren Fenster ersten Stocks (samtroter Teppich fiel über, streckte sich, eine ungeheure Rotzunge, heraus . . .) ward sehr deutlich der Vorhang bewegt, allen sichtbar, knickste und sank.

Und da stand sie, im Gebraus der Fahnen über dem Platzgewimmel, im Flackerschein entsteigender Pechflammen, im Gedröhn der musikalischen Explosionen, den Kopf nachdenklich gesenkt, halb zur Seite geneigt. Sie war sehr groß, überragte viele. Und Hans Marterer bemerkte, sie trug auch einen Hut mit einer großen, sehr grünen Pleureuse, die wippte unausgesetzt und zuckte immer sehr nervös, wenn der eine „Hoch! Hoch!“ schrie. Das brachte die Lüfte in Aufruhr. Es flammte. Wolken trommelten.

Er dachte an die Wäsche, die Windeln, Hemden, Unterhosen, die weiße, bogenförmig ausgeschnittene Wand, die einst auf grüner Wiese steckte. Der Wind bauschte sie. Es knallte. Und weiter: „Wie schön, sich in der Hängematte wiegen, schwingen! . . . Die Schaukel . . .“

Da krümmte sich jener Jagdgehilfe, den man vorgestern im Garten einer Wirtschaft unter einem Handkarren aufgefunden, der sich im Rausch mit dem Hirschfänger den Bauch aufgeschlitzt hatte. Den brachte Marterer nicht aus dem Sinn. Dann aber überkamen ihn wieder geräuschvolle Riesenbrände und Revolutionen. Es rauschte kühl, wehte grün. Doch als die Menschenmasse polternd und heulend die Straßenschächte hinabrann, versank auch sie, gefolgt von einem glitzernden Sternlein, das klirrend — ihr nach! — unterging.

Hans Marterer ward in die Vorstädte verschwemmt. Trieb bald allein dahin. Doch stieß immer rechts irgendwie an gräulichen Ufern an. Sträucher streiften ihn weich. Winter war. Ein höckriger Mond humpelte über schräge Silberflächen. Weißer Nebel stieg. Roch schwer. Der Himmel aber, der Stadt zu, rot entzündet. Doch die Nacht vollkommen weiß. Ganz von kühlen Residenzen durchbaut. Menschen, Wagen, anmarschierende Paradetruppen, Trommeln, Pfeifen, Zylinder, Tanzschimmel, Taktstock wirbelten, und immer noch der eine, der schoß, Rakete, zwischendurch, geröteten Kopfs, heiser, Quollaugen, Zunge lang aus dem Maul: „Hoch! Hoch“ . . . und die Pappeln zu beiden Seiten, trotz Nacht sehr grün leuchtend, zuckten heftig.

Hans Marterer wiederholte sich: „Sie werden sich ja doch alle einmal in die Arme fallen, auf eine kurze, selige Zeit: ‚Seht! Seht!‘ werden sie einander zurufen . . . ‚Seht! Seht!‘ . . . und: ‚daß wir es nicht gesehen haben, daß unsere Augen so mit Blindheit geschlagen waren . . . seht! seht! . . .‘ und werden Tore einrammen, Paläste verbrennen und — die Majestät im Hemd ertappen.“

Er trieb einer Kreuzungsstelle von Trams zu. Teeröfen qualmten. Schienenhobel scharrten. Feuerschein. Pechflammen entstiegen. Nackte Rußmänner mit behaarter Brust sprangen fluchend und heulend umher, Eisenhauen geschultert. Unterhalb zerfallenem Haustor italienisches Mädchen, bunten Kopftuchs, zerschlissenen Schals: „Maroni, Herr, Maroni . . .“

Sie kicherte immerfort, wie irrsinnig.

Marterer blieb stehn. Senkte nachdenklich den Kopf, halb zur Seite geneigt, und ihn überkamen wieder geräuschvolle Riesenbrände und Revolutionen. Tiefer neigte er. Wollte Boden mit Wange berühren. Aufgelöst, dankbar. Der auch ihr Boden war! Die Knie zitterten. Noch ließ er sie nicht los . . .

(. . . Der Jagdgehilfe krümmte sich . . .)

Marterer zuckte hoch. —

Er sah sie wieder in der „Großen Oper“. In der „Götterdämmerung“. Wieder acht Tage hernach. Er schwitzte. Er dachte: „Gott! Welche Musik!“

Sie aber saß dicht vor ihm, Goldkette um den Hals, Haar in einem Knäuel, daneben ein kleiner Bauchherr, roter Glatze und Faltennackens. Marterer seufzte: „Gott, welche Gesellschaft!“

Da drehte sich der Kleine um. Weiße Weste mit Goldkette, rinnend über Kugelbauch. Man sah —: der trug einen Ordensstern auf der linken Brustseite. „Vielleicht ist das der berühmte Komponist Richard Wagner selber“, überfuhr es Marterer plötzlich. Da streichelte sie dem Kleinen die Wursthand, flüsternd: „Wie schön, Dickerl!“

Und er: „Wahrhaft erhebend, Erna!“

Da wandte auch sie sich um. Ihr Blick brach in ihn. Ein Vorhang rauschte. Schlug ihm Kopf ab. Prasselten: Regen, Schwerter, Hufe, Peitschenhiebe. Er war aufgestanden, aber wieder setzte er sich, gebückt, nein, halb nur . . . tastete vor sich hin . . . suchte . . . (heller, als ob er schon fände) . . . an sich hinunter . . . etwas . . . beschaute sich: „Weiße Weste? Goldkette? Kugelbauch? Ordensstern? . . .“

Hans Marterer vergaß weißes Rauschkleid, Kaiserjubiläum, Große Oper. Er schrie: „Ich will das Leben haben!

Er zerrte, er stieß alles von sich. Er irrte. Traf wo eine. Die nahm ihn mit. Geknister über ihm, nahm zwei Stufen auf einmal. Oben.

Fragte den Namen. Weshalb? Kenne ihn. Erna. Weißes Rauschkleid, Kaiserjubiläum, Große Oper. Ihm schwindelte. Ob man ihn für Narren halte? Sie beteuerte. Er packte sie: „Weg! Weg!“

Und aufschreiend: „Ich will das Leben haben!“

Sie hakte sich in ihn.

Er schlug ihr ins Gesicht.

Sie wehrte ihm nicht. Sank nur hin, ermattet aufs Bett. Er schlug sie wieder. Diesmal mit dem Handrücken. Sie wehrte ihm nicht. Dann wieder mit der Handfläche. Aber ein jedesmal schob sich die Schlagfläche rasch vor, durchschnitt ihn . . . Sie wimmerte. Er schlug sie von oben herab, mechanisch, zählte leis, zuerst die Nase, bis Blut sprang, hart über die Stirn.

Sie wehrte ihm nicht.

Brach herab ins Knie.

Er trat: „Weg! Weg!“

Sie erfüllte ihn ganz. Umkrallte ihn. Er rang mit ihr.

Er tastete sich, gebrochen, hinunter. Lichtstümpfchen verlosch. Da sah er sich im Dunkel, wie in einem tieferen Spiegel, sehr weiß von Gesicht, die Augen kohlschwarz umrändert, die Lippen dunkelrot geschminkt, mit in die Stirn fallenden Franshaaren, die Hände schmal und vorgestreckt, mit blauem Ring im Harlekinanzug, als Knabe (. . . und eine Gouvernante zwitscherte: „Hans Tolpatsch, du wirst nie dem Riesen das Haupt abschlagen . . .“).

Er wehrte, beschwor: „Nichts! Nichts! Alles in Ordnung.“

Der Schatten wich.

Als er aber das Haustor öffnete, ertappte er sich bei einer Bewegung, die er bei seinem Vater kannte.

Er schlug sich verzweifelt vor die Stirn: „Gott! O Gott!“

Es roch nach Bäckereien, Brauereien. Arbeiter schritten rüstig. Er deckte mit beiden Händen das Gesicht. Schluchzte:

„Abtöten, abtöten . . . Abreißen, ausreißen: Arme, Beine, den Kopf. Alle Glieder . . . Abtöten, abtöten . . . Bauch aufschlitzen, Brust aufreißen! Wühlen, wühlen . . . Fleisch! Das Fleisch! Das Tier . . . Einsam werden, rein. Ganz Geist. Selig sein! Heilig . . .“

Haine rauschten. Lerchen sangen.

So ward es Morgen.

Marterer setzte sich einen Augenblick. Wusch sich an einem Brunnen. Strich sich die Haare glatt. Richtete sich auf. Bog in die Krausenstraße. Der Gastwirtschaft und Metzgerei „Zum grünen Hof, ausgeübt von Alois Lüttich“ gegenüber. Alois Lüttich aber stand in der Tür, gelben Schnurrbarts, aufgeblasen, in einem weiß-blau gestreiften Trikot, die weiße blutbespritzte Schürze über, mit Hängebauch, schwarzer Soldatenhose.

Vor ihm ein Feld roten Trottoirs.

Auf anderer Seite Dienstmädchen, Marktweiber, Küchenfrauen, Henkelkörbe unter Hakenarmen, schnarrend, dürre Hennenhälse ausgerenkt nach oben.

Herr Lüttich begann schon sein Gespräch: „Schöner Tag“ usw.

Doch plötzlich Hans Marterer: „Wen haben Sie denn da abgeschlachtet?“, auf das Feld roten Trottoirs vor sich deutend, und bemerkte, daß Blut in der Straßenrinne handhoch stand. Ablaufkanal verstopft —

Und der Lüttich: „Tjaja, drei Tag verheiratet.“

Und schon fiel die Lüttich ein, lebhaft gestikulierend, die Hände immer über den Bauch zusammenschlagend, wobei der Schlüsselbund ein jedesmal hell aufklirrte:

„Schad, schad . . . So a hübsch Weiberl, erst ihre achtzehne alt, drei Tag erst verheirat, a Kreuz is, wenn is sag, und springt die eim zum Fenster nunter, heut früh, um halb siebene . . .“

Es verfinsterte sich.

Doch gleich wieder sprang Licht auf.

Dienstmädchen, Marktweiber, Küchenfrauen in breiter Front über den Fahrdamm . . . der Schlüsselbund der Frau Lüttich klirrte. Eine tiefe Stimme (und ein Polizeimann warf die Hand): „Sie, Herr, gebens acht, daß net neintretn.“

Es qualmte, klingelte, rauschte weiß. Eine Masse teilte sich, wich zurück, in die Knie —: Kreuz, Weihrauchkessel, Priester, Trauerwagen, gefranstes Wieherpferd . . .

Schwenkte und schwand. —

Als Hans Marterer aus der Betäubung erwachte, las er: Grubenstraße. Eine Glocke schlug, mittel und bestimmt. Die Schule war aus. Kinder wälzten sich, farbige Würfelströme. Das überschlug sich kreischend, zerflutete. Zuletzt kam der Schulinspektor, blickte nach allen Seiten um, grüßte wen in der Ferne, stieg in die Tram.

Hans Marterer fuhr weiter:

„Ist der ihr nachgelaufen? In der ersten Nacht, in der zweiten Nacht und wieder in der dritten? Keuchend? Nackt? Fürchtete sie sich vor ihm? Glaubte sie wohl, von ihm ermordet zu werden? Sie wußte ja wahrscheinlich gar nichts von alledem . . . Hat er sie geschlagen? Zu Boden geworfen? Brutal? Doch untergekriegt? . . . Aber auf jeden Fall: sie ist um halb sieben heute früh — jetzt ist es dreiviertel fünf! (schaute auf die Uhr) — zum Fenster hinuntergesprungen, war achtzehn Jahre alt — hört ihr! — und drei Tage verheiratet.“ Und das in einem anklägerischen Ton, als drängten viele um ihn.

An einem Instrumentenladen, einer Tischlerwerkstatt, einer Vogelhandlung kam er vorüber. Grüne, rote, silbern schillernde Vögel saßen auf weißgestrichenen Stäben in goldenen Käfigen. Ein Papagei sprach. Weiße Mäuse rannten durcheinander. Wie irrsinnig. Die hatten blutunterlaufene Äuglein.

Er erinnerte sich wieder des Jagdgehilfen. Jene Wirtschaft aber hieß: „Die frohe Welt“.

„Das ist der Unterschied“, bei sich.

Doch aufschreckend:

„Die gehen nun vielleicht Arm in Arm miteinander. An einem Tag, der schön ist. Einem Sonntag vielleicht. Die treffen sich irgendwo in der Stadt, vor einem Café, unter einem Torbogen, am Bahnhof oder er holt sie ab oder auch umgekehrt. Sicher trägt sie einen großen weißen, runden Strohhut mit Flatterbändern. Doch die Bluse, die ist noch nicht ganz zu — sie hat ja so Eile gehabt! —, und so richtet sie an sich, zieht an sich herum, die erste Strecke des Wegs . . . und dann erst ist alles in Ordnung. Er hat aber immer noch etwas an ihr auszusetzen, Hut zu tief im Gesicht, Rock zu weit, Gürtel zu locker, nicht in der Mitte . . . und so frozzelt er sie, bis die sich endlich losreißt:

„Du Frechling!“ und schmollt.

Er aber greift sie wieder, sagt irgendein böses Wort, da aber hält sie ihm lachend den Mund zu —: und dann küssen sich die beiden herzlich, wenn niemand herschaut. Man trinkt sich satt aneinander, bleibt ganz für sich, unter Bürgermenschen, Tanzmusik, Karussellorgeln, Dampfergewimmel, vaterländischen Vereinen.

So war wohl jeder schon einmal fröhlich, jubelte, hatte er seine Liebste heimgebracht: „O du, du meine liebe Kleine!“

Wie koste ich meine eigene Jugend aus! Die ist ein schwingendes Plateau hoch auf schlanken Zedernsäulen unter einem freundlichen Blinkstern. Das alles, das eines Tages verschwunden war. Und die neue Landschaft war da, die endlose Öde unter Brennsonne und verwunschenem Mond . . .

Wie sich die beiden haben! Wie sie miteinander tanzen!

Von jeder Art Körperlichkeit ist abgesehen. Lichter sind sie, den Bergen entlang. Flammen in feuchtem Grund.

Es ist ja bei derartigen Dingen gewöhnlich weit anders, als man gemeinhin anzunehmen geneigt ist . . .“

Diesen Tag verbrachte er im Bett. Nahm Morphium. Er flog buntgewirkte Teppiche hoch.

Der Abend aber machte sein Zimmer leuchtend hell.

Hans Marterer ging hinab.

Grüne Kränze die gelben Bogenlampen umschwebten.

Café „Dom“.

Er duckte sich in seine Ecke. Rauchte stumpf. Entschwebende Ringe. Dann stieg es wieder klarer auf, — etwas jubelte! — mühte sich hoch in ihm, in Windungen.

Er dachte an einen Sommeraufenthalt, sehr fern in der Schweiz, in der Kindheit, irgendwo, an eine Bergbesteigung.

Musik stieg in Spiralen.

Er sann: „Es gibt zwei Welten. Die eine heißt: K. Akademieprofessor Crispin Adolf Ritter von Beermann, Kapellmeister Maximilian Stössinger, grüne Sportmütze und „Hochhoch!“, entfalteter Kavalleriemantel, Richard Wagner, Bauchherr, Familie Lüttich. Die andere aber: Jagdgehilfe, Maronimädchen, Feuerschein bei Nacht, die späte Nachhausekehr im Morgen, die Zerstürzte . . . Nie werden die beiden zueinander kommen. Der mittelnde Geist aber sei verdammt! Er werde gesteinigt! Man kreuzige ihn! . . . Zwei Welten. Aber es ist schon viel getan, wenn ein jeder zu der seinen kommt . . .“

Breit prallte das Orchester gegen die vier Wände; die Spiegel zitterten, die Aufsätze klirrten, die Tassen auf den Tischen . . . prallte zurück, prallte wider, wider.

Die Instrumente stiegen herab, Flöte, Violine, Cello, Zymbal.

„Sie sind eine aufgelegte Lügnerin, Sie Violine. Sie sind eine ganz gemeine Flöte.“

„Wie meinen Sie?“ machte die Flöte, sah von unten auf, blähte die Pausbacken.

Er war mißtrauisch geworden. Man hatte ihn täuschen wollen. Offenbar. Er aber hatte die Schwindlerin entlarvt.

Da rauschte es grün auf. Kühl wie aus unermeßlichen Waldgründen kam es. Und sentimental:

„Länder, wohin unser Fuß nie tritt.“

Und sie saß nur zwei Tische von ihm: ragend, strahlend (die grüne Pleureuse wippte), und neben ihr — den kannte er — ein Stadtreisender, kahlgeschoren, im Gehrock, schlank, elegant, dünnen Strohbart aufgedreht, Arme in die Hüften gestemmt. Er gab sich gern als Korpsstudenten aus, trug Bierzipfel, dreifarbenes Band.

Sie sog aus einem Halm.

Und um ihn.

„Weizenbier, Herr Köpke, ich sage Ihnen: glänzend!“ —

„Wenn Sie mit mir sprechen, dann tuen Sie gefälligst den Hut ab!“ —

„Der Platz ist frei. Allerdings . . .“ —

„Der Stoff, der mich alleine seine fünfzig kostet . . .“ —

„Sie scheinen eine große anzügliche Intimität zu besitzen, mein Herr . . .“ —

„Ach ja, der Chiemsee! Der Chiemsee . . .“

Ein älterer Herr mißbilligte die Wehrvorlage, soziale Fürsorge, Ausbau der Eisenbahnlinien, Heilstätten für Tuberkulöse, Mesothorium. Ein Einjähriger widersprach ihm. Notwendigkeit der Grenzbefestigungen, neuer Regimenter, Nutzen militärischer Organisation, Volkserziehung usw. Die Hinrichtung des Raubmörders Sternickel, das verunglückte Festspiel Hauptmanns, eine drohende Bierpreiserhöhung im selben Ton, in einem Zug.

Kellner schoben. Weißbier schäumte.

Da lachte sie ihm glatt ins Gesicht. Auch der Stadtreisende lächelte.

Marterer errötete. Besah seinen Anzug.

Jenes Gesicht aber zerschlagen. Bisse, Ausschläge, Striemen; überpudert; unter Schleier.

Man sang sich an, trank sich zu. In nächster Nähe aber: „Der guckt wie aus einer anderen Welt.“

Marterer zuckte hoch.

Mußte sich festhalten. Doch gleich wieder versank er:

„Nun, wann werde ich über dies alles getröstet sein: euere einsamen Sonntage, euere suchenden Promenaden im Stadtpark, die Schwermut euerer Singspielhallen . . . Die Gitter euerer Gefängnisse aber werden zu Strahlen der Sonne werden. Ihr werdet durch sie hindurchschreiten, erleuchtet und gewärmt.

Er flehte.

Dessen Blicke durchirrten Gänge, Gewölbe. Fanden keinen Ausweg. . . . Eine weiße Gestalt . . .

Nahte gebeugt ihr. Tastet sich an sie.

Bemerkte noch: der Stadtreisende maß ihn streng . . . schon in nächster Nähe . . . wollte aufbrechen . . . sie aber nahm dessen Hand: es belustigte sie so . . . bat ihn . . . Marterer kroch . . . der Stadtreisende mahnte, erhob sich halb . . . sie aber wollte noch die Musik abwarten, die aber fing immer wieder von neuem an . . . auf allen Vieren schon (die platzten vor Lachen! ): „Den Saum nur deines Gewandes!“ Jemand reichte einen großen gelben Überzieher, der verhüllte sie auf einen Augenblick. Sie tauchte wieder empor. In Schönheit.

Zerspringender Triller.

Da —: er berührte sie.

Sie hob die Hand nur ein ganz klein wenig, die kleine flache Hand. Lächelte, streckte, verzog das Gesicht, das kleine Gesicht (wie maß ihn der Stadtreisende streng!) . . . aufbrauste sie . . . Stöcke, Gläser, Tassen, Schirme, Kannen, Stühle und über allem, hoch über allem:

I—d—i—o—t!

Das kotzte sie.

Man trat ihn durch den Saal. Puffte, bespie ihn. Tür schon offen . . . — er kollerte im Bogen. Einige ergriffen die Partei des Idioten. Eine allgemeine Schlägerei entstand. Massen wälzten sich. Gekreisch. Hüte flogen. Zuletzt erschien, groß und gehäbig, der Türsteher, ein Neger in blauer, goldbetreßter Uniform; blendend. Brüllte. Der Idiot aber übersann noch:

„Werde ich aus der Schule gejagt?“

Schutzleute drückten sich. Tumult schwoll. Bis wer schoß.

Nebel ballte sich.

Der Idiot aber flüchtete aufwärts, immer aufwärts, hochgespült, wie in einem Schacht, — oben glänzte etwas blau — um- und umgewirbelt, wie in einem Strudel. Stieß immer an Wände. Riß es in sich, würgte ihn mühsam hinunter, diesen Brocken, hartkantig, kristallen:

„I—d—i—o—t!“

Das aber schallte auch hell und weit.

Nebel ballte sich.

Er schob diese graue Wand immer vor sich her, mit beiden Händen. Endlich teilte er sie auseinander, zu beiden Seiten: Häuserreihen, Fenster-Bleiaugen, Balkone sprangen, Gebisse, vor. Stadt, Vorstadt, das Ende. Ein rotes Wolkenfeld am Himmel:

„Steh ich auf dem Kopf?“

Hügel.

„Eine Palme?“

Aber ein großer grüner Vogel flog auf.

„Es gibt also Vögel, die Blumen, Vögel, die Bäumen gleichen . . .“

Er sank erschöpft auf einen Stein nieder.

Verfall ist. Aber schon spielet Abglanz neuer Welten auf zerwirkten Gesichtern. Sie fallen unter aufsprühenden Lichtbündeln und unter Siegesposaunen, die der Zukunft Geweihten . . .

Aus Grauen tauchte die Stadt. Feuerschein und Waffenlärm. —

Der Idiot aber saß auf seinem Stein. Seine Augen ruckten in den Boden. Er ließ sich los, versank im blühenden Chaos der Zeiten. (. . . rote Zipfelmützen, bunte Lager, fratzenhafte Schiffsschnäbel . . . bis endlich jener Knabe dem Riesen das Haupt abschlägt . . .) Und dann —: eine Sonne! Fernste Dinge erkannten sich. Er fühlte sich schwächer werden, schwächer. Der Fels aber flammte. Gekrönte Stirn. Die Welt wuchs.

Er breitete die Arme an ein imaginäres Kreuz. Verrann . . .

Das Meer aber bäumte sich, erstarrte schimmernd im Gebirg. Die Ebene streckte sich. Ihre Wasser gähnten, ihre Wiesen schäumten, ihre Wälder atmeten. Die Stadt erklang. Tausend silberne Glocken, Trompeten schmetterten, Gesänge strömten. Ein Glanz lag auf wehenden Fahnen und Menschenzügen.

Um Dagny heulen wir Gespenster . . .

Studie zu einem Roman

Wie ein sterbendes Tier
Lieg’ ich in deinen Armen . . .

Dagny.

Mais de toi je n’implore, ange, que tes prières . . .

Baudelaire.

I
Die grüne Nacht

Er saß, mitternächtlich, an einem der kleinen Marmortische des „Urania-Cafés“ — (. . . da die ungarische Magnaten-Kapelle phantastische Lawinenflügel hochspannte, von zagem Anflug, ekstatisch-blendender Kulmination, sentimentalisch-jämmerlichem Hinfall . . . wiederum mit tödlichem Attacken-Elan gegen dunsenes Himmelsgemäuer aufprallend, . . .) — der junge deutsche Mann, normal gebaut, bürgerlich aussehend, die dunklen Haare geordnet — weit in die Stirn gekämmt —: Jean Bousset.

Ein schmächtiger Herr, ein Vierziger, trat zu ihm, fragte höflichst, ob wohl ein Stuhl noch frei sei, setzte sich umständlich ihm gegenüber und bestellte einen heißen Tee (mit Zitrone).

Jean Bousset achtete seiner kaum, fuhr fort in der Betrachtung der niederschmetternden Wucht einer ferngelegenen Großstadt, jenes B . . ., in dem Dagny weilen mußte, Dagny, seit deren geheimnisvollen Flucht von M . . . . . . Jean Bousset, feminin-schändlich, wie er war, einen Untergang forcierte. Hatte er sich doch geradezu, im Verlauf zweier Wochen schon, ein System des Verfalls zurechtgebildet, indem er häufig Hemmungen in den allgemeinen Abrutsch einschob, — so markierte er den raffinierten Dekadent, den zersetzungseitlen Genußmenschen! — umfangreiche Verzweiflungskomplexe plötzlich willkürlich abbrach, gewisse „Kunst“-Pausen zwischenschaltete, darin er sich allen Symptomen der Verwesung restlos zu entziehen vermochte, bürgerlich-gesittet und beamtenhaft früh am blauen Morgen dahinflog, sich aber bald wieder, ein Rowdy, ausgehungert und fieberig in den Zertrümmerungstrichter giftiger Nächte stürzte, heulend an einer niedrigen Nebelatmosphäre zerschellend, (ein elendes Wrack), von elektrischen Monden beaudelaire-trüb zerschwiert.

Da riß ihn, Jean Bousset, den Entsunkenen, ein dünner Luftzug wach. Es waren die funkelnden Augen seines Gegenüber (eines seltsamen Ungetüms, wie Jean Bousset auf einmal wahrnahm), die ihn getroffen hatten. Ein scharfer Verwesungsgeruch — wie wunderbar! — strich. Die grauen struppigen Haare des Fremden (wenn man von schimmeligen Moosflechten also sprechen darf) knisterten jäh auf in einem grünlichen Schein, der intensiv durch die wehenden Vorhänge von außen, wo ein wimmernder Tumult erscholl, eindrang. Transparent gloste im schmalen hageren Gesicht die Backenhaut, die zerfressene Nase schimmerte, der Mund, ausgefretzt, stellte sich geheimnisvoll schief, die knöchernen Finger hoben und senkten, spreizten und querten sich unter magischem Zeichen.

Dies Gespenst (diese tagscheue Schauerfratze, dieser wohlverleichte Bureaukrat oder verruchte Totenkommis!) rief mit pfeifender Stimme den Kellner, zahlte klirrend, stand unbeholfen auf (so, daß der Stuhl umklappte), ließ sich in einen dünnen schäbigen Überrock helfen, nahm den großen, schwarzen Hut zur Hand, der einem Wagenrad glich, verbeugte sich tief vor Jean Bousset und zischelte, schon halb in der Tür, noch rasch in einem gebrochenen Deutsch:

„Gestatten Sie mir, mein junger Herr, daß ich mich Ihnen vorstelle: ich bin Philippe (wenn Sie wollen, kommen Sie ungestört mit!), zurückgekehrt, zu spazieren durch die grüne Nacht!“ —

— — Die Nacht war grün, verworren-grün, katholisch-grün, eine betäubende Mischung von Chloroform, Blüten und heißem Fleisch. Die Häuserkais, triefend und alt, wölbten hoch imaginäre Spitzbogen, schwelende Kerzen starrten rings qualmende Fabrikschlöte (die auch finsteren hintergründlichen Cellisten im Orchester eventuell vergleichbar wären). Sturmzerschlagene Masten, abgehackte Baumarme streckten sich: Kreuzstämme, an verhüllten Horizonten hochwachsend, verbogen und zerdehnt. Die Orgel der Straßenwagen, Menschentritte und Hundelaute ratterte.

O du endlos ragender, mystisch-hochheiliger Nachtdom! . . .

Philippe und Jean Bousset schritten eng nebeneinander, schweigsam, Arm in Arm. Wortlos hatten sich die beiden angefreundet, war der Fremde doch ein Jean Boussets längst Bekannter. Ja, er liebte diesen geradezu, abgöttisch umschwärmte er ihn, er verehrte ihn kniefällig: Charles-Luis Philippe, den Franzosen, diesen geharnischten Apostel öliger und dumpfer Nächte, diesen unentwegten Durchforscher menschlicher Gehirnlabyrinthe, diesen gewissenhaftesten Aufzeichner subcutaner Schlachten, immer korrekt und kühn, inmitten der ihn umschwirrenden Seuchen und berstenden Vorhöllen.

Eine Gasse schob sich finster an, die fast senkrecht, abstürzte . . .

Aus schwarzen Wasserlachen blinzten schwankende Gaslaternen. Eine Kasernenmauer stand schräg zu einem Kehrichtstrom mit Flössen, Tonnen und Petroleumflecken, die bunt schillernd obenauf schwammen.

Vorgebeugt, spitzen Kindergesichts, schmal und goldblond war sie, die Kleine, die den beiden, als sie eben im Begriff waren in eine Unterfahrt herabzubrechen, begegnete. Ein scheuer Hund, schlich sie, in kurzem schwarzen Kleid mit weißem Spitzenkragen.

Was für ein Mädchen!

Ein Schrei!

Jean Bousset griff sich an die Stirn, die heftig blutete . . .

Da schwebte unter vieler Glocken Gezymbel, dem Siegesgeschrill zahlloser Vogelchöre, dem Triumphgeschmetter erregter Straßenläufe des Lebens Nährmutter und Fürsprecherin, unser aller Sonne, in heiliger Frühe . . .

II
Jean Bousset

Nicht zu leugnen —: seit jener geheimnisvollen Flucht Dagnys von M . . . (bei der, wie sich immer mehr und mehr herausstellte, Georg Forstner die Hauptrolle spielte, Georg Forstner, der einzige unter den jungen Leuten, diesen Romains und Adolphes, der den Mut hatte, sich als Deutschen zu bekennen . . . denn auch Jean Bousset hieß ursprünglich Hans Witting) seit jener geheimnisvollen Flucht Dagnys von M . . . war Jean Bousset vollständig zusammengebrochen.

Ja, Dagny war der geeignete Angriffspunkt, eine uneinnehmbare Stellung, wie sich bald herausstellte, ein sturmsicheres Objekt, auf das Jean Bousset unermüdlich und verachtungsvollst seine von vornherein nutzlosen Attacken konzentrierte, an Dagny zerhetzte er seine Kräfte. Wie herrlich war es, sich zu vernichten, wie reizvoll dieser Rückzug, diese Auflösung einer glänzenden Armee!

Nun tauten aus Schwäche und Ohnmacht, Gefühlsruinen und Zusammenstürzen klingende Himmelfahrten und jubelnde Aufbrüche!

Die Abreise Dagnys von M . . . lag vier Wochen zurück.

Dagny, das kleine blonde Tier, hatte ein Todesurteil gesprochen.

Jean Boussets Blut, gepeischt und berauscht, revolutionierte.

„Fetzen“, zischelte er, erfüllt von maßloser Empörung, aber er ergab sich, blaß, demütig und fromm (. . . beseligend: sich so wegwerfen zu müssen . . . tiefer, immer tiefer, wenn ich bitten darf . . . haben Sie vielleicht nicht noch eine etwas unfreundlichere Kammer, Madame, ein Kellerloch, das genügte, sehr feucht, rechteckig und hölzern? . . .)

Jean Bousset zog sich auf sein Zimmer zurück, früh am Abend, legte sich zu Bett und begann, die Hände wie zum Gebet gefaltet (. . . derweil seine Augen Distanzen durchstachen, tief einmündend in jenes morbide Hyazinthenwunder . . .):

„Erhöre mich, ich flehe zu dir, großer, allmächtiger, ewiger Gott! Ich bin niedrig und voller Qual, widerlich und unausstehlich, ein elendes, vor dir winselndes Vieh, das — o wolltest du! — bald Frieden finde, zusammengekauert, zu deinen heiligen Füßen liegend, in einem kleinen einsamen und stillen Winkel.“

„Meine Herrlichkeiten, die die Menschen nennen, heißen im Grunde Betrug und Verrat und sind ohne Bestand, und ich danke Dir, Dir Linderer meiner Schmerzen, daß Du mir Deinen Trost schicktest, Dein süßes Gift, das ich, so er sich wild aufstürzt und empört, dem armen Leib eingebe.“

„Ich danke Dir für den Tag, ich sage Dir Dank für die Nacht. Ich preise Dich ob der Wunder und der durchströmenden Wärme des Sonnenlichtes, für die Wohltat des Schlafes benedeie ich Dich dreifach.“

„Ich lobe Dich, der Du mich schlägst mit Marter, der mich wirft in Gefängnis und Krankenhaus, mich züchtigt mit Jammer und Trübsal, ich lobe Dich, Dich Peiniger, der Du die Tritte der Menschen ob meinem Haupte sammelst.“

„Siehe, ich bin Dein ekles Tier, eine vernutzte Sache, ein verbrauchter und abgegriffener Gegenstand, ein abgelegter Rock, den man zum Trödler schenkt, ein Spülicht, ein Kehricht, ein Abfall . . .“

III
Die Große Stunde

Von Dagny kamen noch zwei Briefe.

Der eine lautete:

„Lieber Jean! Bis heute habe ich es ausgehalten, Dir nicht zu schreiben. Ich dachte auch, Du würdest kommen. Ich bin von einer Unruhe, die mich fast tötet. Meine Schwester ist im Irrenhaus. Ich habe gespielt in einem Film und mach nur noch nächste Woche eine Aufnahme im Freien mit, dann komme ich nach M . . . . ., obwohl ich hier meine eigene kleine Wohnung habe. Ich bin sehr verzweifelt und denke an Dich, habe immer an Dich gedacht. Ach, ich bin verrückt! Mein Herz ist voll und ich kann nicht sprechen. Leb wohl, ich wollte so viel schreiben. Wenn ich in mein Bett gehe, treibt mich etwas zu Dir, und ich habe mich gewehrt, aber es geht nicht. Vielleicht komme ich an und falle tot zu Deinen Füßen. Deine Dagny.“

Der andere:

„Lieber Jean! Es ist eine falsche Ansicht von Dir, mir Geld zu senden. Ich bin es gar nicht wert, weil ich huren und stehlen will. Alles Gute. Dagny.“ . . . Jean Bousset kam gegen Morgen heim.

Vogelchöre heulten, daß sich Jean Bousset die Ohren zuhielt. Ein scharfer Eiswind warf sich ihm entgegen, eine ganze Welt brannte dahinter. Alles hatte sich gegen ihn verschworen.

Als er in sein Zimmer trat, war es von einem hellen blendenden Glanz erfüllt. Jean Bousset dachte zuerst, er befinde sich bei seinen Eltern zu Haus, in seinem Kinderzimmer, und wäre wieder ganz jung. Daß es nicht so war, erkannte er sofort.

Er fiel über einen Stuhl, er blieb über der Lehne hängen, das Gesicht nach unten.

Später gelang es ihm, sich aufs Bett zu schleppen.

Er deckte mit den Händen die Augen zu.

Die Große Stunde war gekommen.

Der Mond stieg aus einer grünen Nacht, schaukelnd, unter sprühendem Feuerwerk.

Eine andere Nacht nahm ihn, warm und lind, duftig um ihn wehend . . .

(. . . wie süß du bist, Liebling, wie schön es ist, bei dir zu liegen . . . es wird uns leicht, wir schweben . . .) . . . eine dritte Nacht, feurig und voll fliegender Brände . . .

(. . . Bestie! . . . Saukerl . . . He?! . . .) . . . eine weitere Nacht, heiß und tiefblau . . . (und er war Staunens voll, daß es soviel Nächte gäbe! . . .) . . . eine weitere Nacht, kühl und erschauernd . . .

(. . . laß mich . . . he?! . . . etwa dein Schnellschreiber, bei dem du . . . Äh . . . keen Geld . . . eene in die Fresse . . . he?!) . . . und endlich eine letzte, (. . . da bildeten seine Lippen wohl den Namen Dagny . . .) eine letzte Nacht (eng wie ein Bett) hölzern, rechteckig und feucht . . .

(. . . fahr hinab, Liebling . . . äh . . . du?! . . . so schlottrig, schmutzig, zerbrechlich und dünn . . . kleene blonde Klapperschlange mit großen, abgesprungenen Raubtierzähnen . . . äh . . . Schscheiße . . .)






End of the Project Gutenberg EBook of Verfall und Triumph, Zweiter Teil, by 
Johannes R. Becher

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business@pglaf.org.  Email contact links and up to date contact
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