The Project Gutenberg EBook of Die sechs Mündungen, by Kasimir Edschmid

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Title: Die sechs Mündungen
       Novellen

Author: Kasimir Edschmid

Release Date: February 23, 2010 [EBook #31376]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SECHS MÜNDUNGEN ***




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Transcriber's Note: The table of contents has been moved to the front of the book.

Die sechs Mündungen

Novellen
von
Kasimir Eschmid





Kurt Wolff Verlag
Leipzig





Zehntes bis zwanzigstes Tausend
Copyright 1915 by Kurt Wolff Verlag, Leipzig




Hof- Buch- und -Steindruckerei Dietsch & Brückner, Weimar

Diese Novellen, die die sechs Mündungen
heißen, weil sie von verschiedenen Seiten
einströmen in den unendlichen Dreiklang
unsrer endlichsten Sensationen: — des Verzichts
— der tiefen Trauer — und des grenzenlosen
Todes — sind geschrieben zur einen
Hälfte im Herbst Neunzehnhundertdreizehn
und im folgenden März zum anderen Teil.

 

Sie sind gewidmet dem
Doktor Heinrich Simon

Inhalt

Der Lazo 1
Der aussätzige Wald 33
Maintonis Hochzeit 69
Fifis herbstliche Passion 99
Yousouf 129
Yup Scottens 201

Der Lazo

Raoul Perten verließ das Haus.

Seine Füße stiegen die Treppe herunter, er fühlte es und die Bewußtheit des mechanischen Vorgangs erfüllte ihn ganz, beruhigte ihn fast, obwohl keine Erregung in diesen Tagen vorangegangen war, und dies erstaunte ihn ein wenig.

Es hatte ausgeregnet, die Erde strömte nach den Umwälzungen des Gewitters aus aufgerissenen Ventilen dankbaren Geruch in die Höhe. Zwischen den gelben Kieswegen lagen kleine schrägsteigende Dampfwolken, und die wassergefüllten ungeheuren Dolden der weißen Fliederbüsche betteten sich schwer, geneigt und getrunken in das Feuchte der Blätter, und als einziges Geräusch klang das Rieseln seiner ablaufenden Tropfen in der Luft.

„Das ist alles so einerlei wie ungerecht,“ sagte Raoul. „Wenn ich dies so durch die Nase ziehe, überjagt mich etwas wie etwa die Ahnung eines maßlosen Flugs. In fünf Minuten aber ist das vorüber und ich weiß nur noch, daß wir den Abend zu sechs Gängen soupieren, daß Onkel den Louis Schütz mitbringen wird, daß Blumenthal morgen (was macht es mir?) seinen zweiten Rekord feiern wird, übermorgen vielleicht Hans stirbt oder Mella mit dem Russen verschwindet. Und was geht das Wissen da all mich im Grunde an . . .? Onkel hat einen neuen Chablis entdeckt und denkt, daß man ihn den Abend drum feiert. Der Präsident wird gegen zwölf wie gewohnt seinen Witz erzählen. Rosenheim lacht durch die Nase. Mella wird im Orpheum meinen leeren Platz sehen, sich ärgern oder freuen oder auch nur erschrocken sein.

Fiele ich dort an der Straßenecke in einen gewaltigen und (oh!) varietègrünen See oder sauste ich in einen grandiosen Backofen — — — es wäre objektiv ganz gleich, ich würde mich in dem einen Falle nicht mehr erstaunen als in dem zweiten oder andere Bewegungen machen, man würde die Tatsache als eine kleine zwischenakthafte Sensation anständig, vielleicht graziös aufarbeiten — — — ohne viel Verwunderung . . . nur Onkels bedauernswerte schwarze Glacès würden einige Tage lang steigen und sinken, monoton und heftig wie Pumpenschwengel . . . — Doch dieses Möglichkeitsausdenken ist sehr langweilig. Monologe sind literarisch. Die Geste ist verwundert — alt und blasiert. Bin ich blasiert? Bestimmt? Ehrlich? Nein! Wenn ich am Sonntag reite, den Dreß spüre, das leichte Keuchen höre aus der Gurgel des Gauls und von seinem Mundschweiß beschneit dahänge zwischen Zügeln, Rücken, Gegnern und Welt — — — weiß ich, daß dies eine Sekunde Seligkeit sein wird, ist. Auch wenn wir im Auto den Rhein hinunterrasen und dann quer über Holland und die mitteldeutsche Hypothenuse zurück . . . dann sitze ich nicht, Beine ausgeklemmt, weit voraus, das Rad zwischen zwei Händen hebelnd und von Zeit zu Zeit das kratzende Geräusch des bewegten Vergasers über das Gehämmer des Motors setzend . . . sitze ich nicht, braun, die Nase wie ein Akzent über dem eingummierten Gesicht mit dicken hellbraunen Lederhandschuhen auf dem Apparat — — — vielmehr irgendwo bin ich darüber, in der Höhe, fliegend (doch keineswegs so wie im Aero: göttlich und doch gebunden!), sondern aus einer großen Ruhe heraus gewaltig herunterlugend und das Gefühl ruckweise wie Bissen genießend: Das weiße Netz der Landstraßen, hell, weiß, flimmernd vor Staub, sei eine Befriedigung, eine stolze Sache . . . die hellen Schläuche führten alle in eine Seligkeit, in einen ungeheuer kreisenden Horizont, dessen unermeßliche Offenheit anzuschauen so etwas sei wie ein Ziel.

Allein wenn ich nach außen fasse, nach rechts außen, und den Hebel zurückschmeiße und — der Wagen steht, so weiß ich: Alle Chausseen seien doch nur ineinanderfließend und auf das erste zurücklaufend nicht mehr als ein stumpf machender Kreislauf und eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Mein Rücken sofort dann krümmt sich ein wenig wie im gutsitzenden Cutaway, mein Bizeps erlahmt in dem Ärmel, der wieder korrekt darüberfällt, sich erst an der Manschette von neuem erweiternd. —“

Innere Monologe dieser Art dauern in der Regel straßenweit und haben den Vorzug, in abenteuerliche Stimmung zu versetzen und den Weg aufs angenehmste zu verkürzen, da man sich hierbei des Gehens als physischer Erscheinung nicht bewußt wird. Daher war Raoul Perten schon tief in die Stadt hineingekommen. Er bewegte sich an einem Tramwayhalteplatz vorüber. Der Wagen leerte sich beinahe völlig. Das Gesicht eines der ausgestiegenen Herren schwebte plötzlich über Raouls Gesicht und sammelte seine ganze Aufmerksamkeit langsam auf sich. Raoul sah eine Hakennase, von der viele parallele kleine Adern nach den Augensäcken liefen und sich dort in einem Chaos von disharmonierenden Linien austobten. Die Ohren waren oval, steif, fast gespitzt und ganz hell.

„Mein Junge,“ sagte dieser Mann. Es war sein Onkel. Sie reichten sich die Hand.

In diesem Augenblick, während dieses Vorgangs, der sich täglich in unzähligen Variationen, der sich seit Raouls sechstem Jahr (also fünfzehn Jahre hindurch) vollzog wie irgendeine Funktion (denn teils durch Zufall, einigerseits auch aus einer hyperbolischen Marotte des Alten waren sie in dieser Zeit kaum einen Tag getrennt gewesen), in der schamlosen Selbstverständlichkeit und Verbrauchtheit dieser Gebärde vollzog sich, die gewaltigste Umwälzung in Raouls Leben.

Er stand da, den Stock auf der Spitze seines Schuhs, ihn oben leicht drehend, die andere Hand im Paletot und sagte, obwohl er keine Sekunde daran gedacht hatte, sagte wie in einem Trance: „Ich werde ein paar Tage verreisen, Onkel“ und diese Worte erstaunten ihn selbst nicht . . . und wie er ruhig die Scheine einsteckte, nein, wie er sie ergriff mit drei gespitzten Fingern, als der Onkel sie ihm reichte und ihn bat, doch jedenfalls den Abend da zu sein und daß er sich überlegen wolle, ob er auch mitkomme ohne die Frage, wohin überhaupt . . . da spürte Raoul in einer großen Erregung schon, wie sich neue Dinge in ihm von diesem seitherigen Leben schon wieder lösten und andere nachbrachen und in der angegrabenen Rinne der neuen Erkenntnis weiterrannen — denn er begriff plötzlich, daß diese gespitzte Bewegung seines Armes keine sei, die nur irgendwie seinem Bizeps korrespondiere, und Mißverhältnis zwischen seiner Situation und seiner Anlage und Natur klafften ihm klar auseinander.

Er packte die Scheine und rollte sie wie Stanniol zusammen („Ja! wie Stanniol“ lachte er) und steckte sie in die Tasche. Er wartete, bis des Onkels Gang, der selbstbewußt und sehr nach außen war, nicht mehr sichtbar blieb.

Dann rannte er auf einem abkürzenden Wege nach Hause. Wie er die Treppen hinaufsauste, empfand er nicht mehr die Tatsache des Bewegens. Wie sollte er die Existenz seiner Beine im Bewußtsein haben, wo er lief! Er kam bis unter das Gegiebel des Dachs. Ergriff die Kugel mit den Scheinen und legte sie ganz sachte in ein großes Spinnennetz, das seit Jahren dahing, und setzte mit einem Schwung, der gewohnt aus der Hand kam, trotzdem er seit der Kommunion nie so hoch im Haus gestiegen war, die rotpunktierte Spinne darauf. Worauf er lachte, ein Stück die Treppe hinabstieg, plötzlich niederkniete auf beide Knie und vor Entzücken einige Male in die Hände klatschte. Dann durchsuchte er seine Zimmer nach Geld, die im ersten Stock lagen, packte, was er fand, und rannte wie ein Tremolo die Stufen herunter.

Im Garten blieb er stehen. Er pflückte einen Zweig von der alten Vogelbeere und behielt ihn, leicht damit spielend, in der Hand. Dann ging er. Ging ohne Erregung, Posse, Sentimentalität. Ging wie ein Passant, der eine stille Gewißheit hat oder jemand, der eine Freude in sich spürt, die noch nicht klar und reif geworden ist. Ging wie von einer Stelle, die einem so vertraut und dadurch so entfernt geworden ist, daß es selbst eine fabelhafte seelische Vergeudung bedeutet, sich auch nur die Komödie einer Traurigkeit einzureden. Es war ihm, er sehe seines Onkels Schatten über eine Gardine gleiten, doch mochte dies ein Irrtum sein. Er kam auf die Straße. Da stand eine Laterne, die einmal ein betrunkener Fahrer umgeworfen hatte. Er schritt an ihr vorbei. Ging immer weiter. Aus einer Abendschule strömten Kinder, und wie er sah, daß sie begehrlich vor einem kleinen Bäckerladen standen, kaufte er einen Arm voll klebrige Sachen und warf es über sie.

Es ward ihm heiß beim raschen Gehen. Denn er eilte übermäßig, weil ihm keineswegs klar war, wohin er gehe; nur daß er sich entferne, wußte er, und das genügte ihm. Er zog seinen Covercoat aus und nahm ihn über den Arm. Es war dunkel. Laternen flammten auf, und er sah mit einem Male einen ganz hellen Filzhut, der oben in eine Linie zusammengepreßt war, eine saloppe und originelle Haltung und ein Gesicht mit einer Zigarette, und er nahm seinen hellen Mantel, nannte den Menschen seinen Freund und schenkte ihn dem, der überrascht sich oft verbeugte und vielemals „Sehr geneigt“ sagte. (Er hieß Keybbell und war das an Willkürlichkeiten der Stunde nicht ungewohnte abonnierte Modell eines sehr jungen Bildhauers.) Darauf rannte er weiter und kam an eine Litfaßsäule, die grell erleuchtet war.

An ihr entschied sich sein Schicksal.

Er sah eine Reeling. Ein paar Buchstaben sogen seinen Blick auf. Seine Haltung ward mit einem Ruck ganz gestrafft. Er schob die Beine auseinander und warf mit einer eigentümlichen Bewegung die rechte Schulter zurück und ging von dunklen und heißen Gefühlen überflutet in den spritzenden Regen einer schmalen Wolke hinein, die den silbernen Himmel rasch und scheu noch überschwamm.

Er dachte, daß er in einem glänzenden Paradox das Negative des Mantelverlusts gewissermaßen zu einem Äquivalent mit dem Positiven einer neu übergestreiften Psyche gemacht habe. Aber er sagte es nicht, weil ihm schien, die Zeit der zynischen und geistvollen Glossierungen sei vorbei. Er dachte kurz an eine Zigarette. Aber er zündete keine an.

Zündete keine an, sondern ging mit aufgeblasener Brust auf seinen großen Horizont zu. — — —

Die Überfahrt machte er ruhig im Zwischendeck. Zehn russische Polen lagen im selben Raum mit ihm. Es ärgerte ihn, daß er sich abends ein feuchtes Tuch vor die Nase band, weil dieser Geruch zu entschieden war. Denn es war ihm klar: daß es wertlos sei, sich mit seinen Allüren und Gewohnheiten in irgendwelche Strudel hineinzuwerfen. Daß es vielmehr nötig sei, statt von einer Mittellage aus unsicher nach zwei Richtungen hin und her zu schwanken, von ganz unten her und ohne jede Voraussetzung die Welt zu durchstoßen nach oben hin. Und daß er hierzu alles Angelernte abtun und an sich töten müsse. Das nasse Tuch aber lehrte ihn, daß viel schwieriger wie die Überwindung größter Leidenschaften der Verzicht sei auf gewohnte Zivilisierung. Aber er verzagte nicht. Drei Tage darauf nahm er an einem schmierigen Fest der Polen als Solosänger teil. Sein Bariton ward so zu etwas nutz, und seine Methode erwies sich zukunftsreich. Nach fünf Tagen spielte er täglich Karten mit Hamburger Sträflingen, die noch den transparenten Teint ihres letzten Aufenthaltsortes hatten. Er fühlte schon, daß er steige. Sinken konnte er nicht, da er keine Erwartungen hatte.

Allein seine Haltung viel auf und seine Hände noch mehr. Er beobachtete den Gang der Matrosen und prägte ihn seinen Gliedern ein. Ihm fiel dann die Unsitte eines Freundes ein, der den rechten Fuß grundlos in einer kleinen Kurve bei jedem Schritt nachschleifte. Er verband diese Note mit dem Seemannsmarsch und fiel nun nicht mehr auf. Seine Hände aber schienen sofort demokratisch, als er sie einen Mittag lang zum Putzen einer verschmergelten Maschine großmütig auslieh. Längere Zeit umschlich ihn ein bärtiger Kerl aus Sachsen und erzählte ihm lange Elendgeschichten in der Art wie sie jedermann weiß. Er gab ihm zwei Mark und hörte kaum auf ihn. Aber er sah gleich ein, daß diese Handlung töricht war, denn sogleich kamen andere und dann wieder der Bärtige. Da lernte er auch dies: nahm den Hund und warf ihn die fettglänzende Treppe herunter. Und hatte nun Respekt.

Auch machte er, um den Umkreis dieser Lebenserkenntnisse zu vollenden, in diesen Tagen die erste Bekanntschaft mit einer ihm unbekannten Sorte Tiere.

Nach zwei Tagen Quarantäne stand er in New York. Es enttäuschte ihn nicht, aber es drückte auch nicht auf ihn. Vielmehr blieb er dieser Stadt gegenüber völlig indifferent. Denn warum sollte ihm das eine größere Begeisterung oder eine Erweiterung seiner Seele verschaffen, daß hier die Dimensionen mehr nach Hoch verschoben waren wie sonst.

Er stieg in eine Bahn und fuhr so lange, bis er bescheidene Straßen sah. Dort mietete er und dorthin schaffte er am Abend selbst sein Gepäck. Es gab zuerst für ihn noch die Schwierigkeit der Sprache, denn von der Schule aus wußte er wohl, wie Bescheidenheit heiße und daß Reichtum nicht glücklich mache, aber ein Zuschlagbillett zu nehmen erlaubten ihm seine Kenntnisse noch nicht. Jedoch fand er bald, daß Sicherheit im Auftreten und Bewußtsein mehr wiege wie planloses Wissen. Er schien Chance zu haben. Da sah er eines Abends im Hafen ein Kind, das weinte. Er wagte es nicht zu fragen, warum. Er schenkte ihm nur sein Abendbrot, das er in der Hand hielt, und fuhr am folgenden Morgen nach Milwaukee, denn diese Stadt war ihm zuwider geworden.

Er versuchte dort in den bekannten Formen unterzukommen: als Lehrer, Kindergärtner, Feuerversicherungsagent . . . doch ohne Erfolg. Er begriff, daß diese Positionen zu gesucht seien, eben weil sie zu bekannt seien, schlug sich an den Kopf, kaufte einen blauen Leinenanzug und von einem Nigger eine ölige Mütze und bot seinen Dienst an als perfekter Schlosser, Chauffeur und Monteur. Ein Fabrikant fragte einmal: „Kannst du Milchseparators machen?“ Er antwortete, es sei seine Spezialität. Am nächsten Tag erfuhr er, daß es Blechkonstruktionen seien mit einer einfachen Mechanik, so daß auf der einen Seite die Buttermilch, auf der anderen die Butter herausspritze. Er machte am ersten Tag so viel, als die Mindestzahl der Einlieferung betragen mußte, und bekam für das Stück fünf Cents. Soviel stellte er die ersten vier Wochen weiter fertig. Jeden Tag hatte er einen Dollar. Nach vier Wochen beschwerte er sich, die Arbeit sei zu hart. Er schaffe solidere Arbeit als die anderen und deshalb weniger. Man kontrollierte ihn und gab ihm sieben Cents fürs Stück. Von diesem Augenblick an machte er täglich so viel, daß er drei Dollars hatte.

Nach vier Monaten weckte man ihn nachts. Er stand auf und fragte. „Auf! rasch . . .“ sagten sie ihm.

Mit vier Möbelwagen rasten sie durch die Stadt.

Endlich roch er, was war. Kurz darauf sah er es auch. Ein riesiges Häuserquadrat stand in Flammen. Schnell band man ihnen Tücher mit roten Sternen um den Arm, und sie holten überall die Gegenstände des Wertes: Kassenschränke und Klaviere heraus. Nigger halfen unter der Inspiration von Rippenstößen. Man gab ihm fünfzig Dollars dafür.

Er betrachtete sie schweigend. Die Spinne saß auf einer Papierkugel, die zehnmal so viel wert war. Allerdings: für irgend jemand nur. Nicht für die Spinne. Auch nicht für ihn in dem Sinn und Umstand seines Lebens von damals. Er steckte die Summe vorsichtig und andächtig in die Tasche.

Am folgenden Morgen fuhr er nach dem Westen, fünf Tage spannte sich Land an ihm vorbei, heulte das Dunkel an die breiten Fenster.

Er ging nach seinem Gepäck in dieser Zeit, er rasierte sich, sprach mit den Menschen und las. In den Couloirs ging er spazieren wie Unter den Linden oder auf der Zeil. Sein ganzes Tun atmete eine sichere Ruhe aus; doch er fühlte, daß er, obwohl entschieden und klar, in einem fiebernden Sausen sich befinde, das überall um ihn war. Die Bekanntschaften dieser Tage erschienen ihm interessant wie kaum andere (obwohl er viele kannte, die faszinierender und berühmt oder bedeutend vor allem waren wie Blumenthal etwa, der Verse schrieb, Bucheinbände machte und eine Nacht mit einer ganzen Barbesatzung über Westdeutschland flog). Er empfand eine erstmalige Anteilnahme an den Menschen und Schicksalen, die an ihm vorübersausten, es zuckte ihm in den Fingern, von dem zu wissen, was sie ausspie, wohin sie rannten, was Farbiges und Erhelltes um sie sei. Aber er griff nicht zu. Es war nicht seine Zeit. Er schnitt alles durch. Stieg aus.

Ein Pfahl markierte die Station. Ein morscher Haufe Hütten (wie im geduckten Bewußtsein, nur ihm die Existenz zu danken) klebte um ihn herum. Einige Indianer verkauften geflochtene Gürtel mit Muscheln besetzt.

Über ihnen stieg ein gewaltiger Himmel auf. Gegen den fuhr er los, drei Tage lang, im Büffelwagen.

Gegen Abend kamen sie an eine mächtige Niederlassung, und da sie ihm gefiel, nahm er Stellung als Cow-Boy. Der Besitzer schlug ihm auf die Schulter und schüttelte seine Hand. Seine Frau nickte ihm kurz, freundlich zu. Die Tochter sah ihn nicht. Sie ging an ihm vorbei zur Tür so dicht, daß ihr Ärmel den Staub von seiner Schulter fegte. Raoul fand, daß dies seiner Lage entsprechend sei. Aber nachdem er innerlich einverstanden gelächelt hatte, biß er die Zähne zusammen und sah, daß sie zwei schwere Zöpfe hatte und ihren Nacken mit einem elastischen Trotz hochtrug.

Es gibt drei Ideale, die der Cow-Boy kennt: Revolver, Lazo, seidenes Halstuch. Im übrigen erscheinen sie als Schweine. Vom Hanf- über das Leder- zum Seidenlazo zu kommen, ist die Gentkarriere des Cow-Boy. Allein es gibt noch etwas in seiner schieren Unerreichbarkeit unermeßlich Köstlicheres. Das ist der Lazo aus geflochtenen Pferdehaaren. Der Gaucho kommt selten in seinen Besitz, obwohl er die Sehnsucht seines Daseins ist, weil er zuviel säuft und schießt. Denn ein oder zwei Jahre auf die Sehnsucht des Tages zu verzichten, um die Inbrunst eines Lebens einzutauschen dafür, ist eine Sache, die komplizierter ist als die letzte Wissenschaft oder mit Größe in den Tod gehn. Die Tochter des Besitzers aber hatte ihn, und Helen war stolz auf ihn, und siehe: breite Silberringe unterbrachen seinen Lauf.

Die anderen Cow-Boy ritten später an, pflockten und nickten ihm zu. Einige gaben ihm die Hand und einer nahm seinen Hut ab und sagte mit einem knappen Einknicken der Hüften: „Heinz Freiherr von Kladern. Werde hier allerdings selten mit vollem Titel angeredet.“ Die übrigen schauten dumm, weil er es deutsch sagte. Doch Raoul liebte ihn darum noch nicht, denn obwohl ihm das Originelle der Situation gefiel, sagte ihm die ins Humoristische stilisierte Form des äußerlich Verkrachtseins nicht zu. Dagegen schloß er sich zusammen mit Jim, einem frischen Kerl. Er sagte sich, daß er im Augenblick ungefähr im Steigen auf der Höhe angekommen sei, die dieser Bursche hatte. Nämlich Kraft, Saftigkeit und eine Helligkeit des Auges, die den Dingen und besonders dem glänzenden Himmel etwas abzuzwingen immer bereit und sicher war.

Am nächsten Morgen haßte Raoul den Freiherrn.

Raoul hatte nicht Gewohnheit, ungesattelt zu reiten. Da nahm der Freiherr die Kugel aus einer Patrone, steckte einen Seifenbolzen hinein und schoß ihn dem Gaul auf den Bauch. Wie ein angedrehter Springbrunnen flog das Tier in die Höhe und Raoul saß mit hartem Schlag auf der Erde. Wut stieg ihm in die Fäuste, aber er entkrallte die Hände wieder, faltete sein Gesicht in Ruhe. Er wußte, er würde in einigen Tagen besser reiten als der Freiherr und empfand auch dies als Drang zum Handeln, Überwinden und Durchsetzen. Aber da die anderen gelacht hatten und das bös war, bat er den Freiherrn, eine Flasche mit der Hand wagerecht zu halten auf zwanzig Schritt von ihm. Der weigerte sich. Jim zog seine Reithandschuhe an und hielt sie, und Raoul bluffte sich damit in alle Achtung und Bewunderung zurück, daß er seelenruhig zum Hals hinein und den Boden heraus schoß. Und keiner lachte mehr.

Nach einem halben Jahre fand er zwei Werst von der Farm ein Buch. Er hob es auf. Longfellow: Hiawatha . . . Helen stand vor dem Hause und knotete ihre Zöpfe auf. Und er vergaß sich und redete das erstemal zu ihr, und gegen seinen Willen, ohne daß er es spürte, gingen viele abgestorbene Formen wieder in ihm auf, und er sprach, daß er das Buch gefunden hätte und daß er wisse aus seiner frühen Jugend, wie rauschvoll es sei, und daß er es ihr bringe; denn er glaube, daß es nur ihr gehören könne und fürchte, sie hätte diesen Verlust als einen besonderen Schmerz empfunden. Und hier sei es nun.

Da entdeckte er an ihrem veränderten Wesen und ihrem schwer beherrschten Erstaunen, daß er in seinen alten Leib zurückgefallen sei oder vielmehr sich selbst in seiner neuen Entwicklung übersprungen habe. Er merkte, daß es in ihm wüte, sah, wie sie den Blick hob. Spürte ihn steigen an seinem Körper, grausam und langsam wie Quecksilber sich hebt, bis er die Richtung seiner Augen traf. Da sagte sie: „Danke.“

Er kam wochenlang nicht auf das Gehöft aus Zorn gegen sich. Er schlief nachts schlimmer als die anderen, frei im Gras, auf Steinen, fluchte und betrank sich hin und wieder.

Aber sie kam zu ihm. Sie kam als Herrin, das tat ihm wohl. Sie kam freundlich, und er wußte nicht, wie er sich hierzu stellen sollte. Aber sie nahm ihn einfach mit in ihrer Art, riß ihn vorwärts, während er von Europa sprach und sie Washington dagegen hielt, in dem sie zwei Jahre in einem Pensionat interniert war, und sie sprach französisch und er entgegnete ebenso, doch sie fragte ihn nie, wer er sei, und gab ihm zwischendurch leichte Aufträge, halb Wünsche mehr mit ausgeprägtem Akzent. Einmal sah er den Freiherrn sich wo beschäftigt machen. Er wies sie auf ihn. Sie hob kaum die Schultern. Wie konnte der sie etwas angehn. Und Raoul liebte das Grenzlose dieser Verachtung und haßte sie darum gleich. Denn sie war über ihm und der Geist seiner Kaste saß in ihm.

Zwischendurch quälte er sich über das Ungewisse des Verhältnisses, das zwischen geschenktem Vertrauen, das er durch nichts erworben hatte (und der Teufel lasse sich von oben her unverdiente Sentiments schenken!), und der Gefahr des Beiseitegeschmissenwerdens hin und her vibrierte. Da gab es einen Tag, wo sie die Sache klärte, indem sie ihm mit ihrem Stolz wie mit einer Gerte über das Gesicht schlug.

Sie hatte in seiner Herde eine helle Stute entdeckt mit ausgesprochen weichen und feinen Formen und wünschte sie, fehlte aber mit ihrer Schnur. Raoul fing sie mit seiner hanfenen. Zuerst war sie erfreut, klopfte dem zitternden Tier den samtenen Hals und schien dankbar, bis sich im Weiterreiten eine Falte in ihre Stirn bohrte und sie mit einer hochmütigen Bewegung ihren Lazo ihm hinüberschnickte und mit geschärfter Stimme sagte (und verzogenen Lippen): „Sie können ihn haben. Da! Er taugt mir doch nicht mehr.“

Seit seiner Knabenzeit spürte er, wie zum erstenmal wieder rote Wallungen sein Gesicht zudeckten, er rührte keine Hand nach der Schnur, wandte, ritt davon, grußlos. Zornig. Wußte nun, daß es ein Ziel sei, sie zu besitzen, sie zu gewinnen. Gott, wie die Wunde ihn freute, die sie ihm gerissen, wie er sich freute, daß er heruntergeschmissen war von ihrem achtungsvollen Interesse, in dem alle Handlung ihm gebunden war. Nun lag alles an der Gewalt seiner Hände.

In dieser Zeit kam ein Verwandter des Besitzers aus England auf die Farm. Er hatte in New York Geschäfte gehabt und wollte den Westen sehen. Er hatte vor, zwei, drei Wochen zu bleiben, ward aber nach ein paar Tagen schwer krank. Die gewohnten Praktiken versagten. Raoul und Jim rissen eine Stange aus dem Zaun und ritten vierundzwanzig Stunden hindurch. Dann waren sie wieder da. Auf einem dritten Pferd hatten sie den Arzt, an der Stange zwischen sich die Apotheke. Die Krankheit war jedoch nicht schlimm.

Helen traf Raoul im Gang zu ihrem Stall. Vielleicht hatte sie auf ihn gewartet. Sie war ganz weiß und schien an ihm vorbei zu wollen. Dann blieb sie doch stehen und sagte mit einer Stimme, die so beherrscht war, daß die Verzweiflung aus jedem Vokal weinte und in jedem Konsonanten pfiff und mit einer Kälte, die kaum die Wut markierte, daß ihrer Unnahbarkeit dies zugestoßen sei: der Freiherr habe sie die Nacht angegriffen . . . Sie stockte, denn sie empfand, daß sie nicht wisse, was sie eigentlich wolle. Und stotterte, daß ihr Vater zwar den Freiherrn peitschen lassen würde . . . aber . . . nein . . . das . . . sie könne es ihm nicht sagen. Raoul begriff, daß es Zorn von ihr sei gegen sich, so klein zu ihren Vater zu kommen, denn sie hielt ihren Stolz allein durch die Möglichkeit einer solchen Sache beschämt, aber er wunderte sich nicht und fragte nicht: warum sie das ihm sagen könne. Provozierte nur einen Wortwechsel, warf dem Freiherrn die Schlinge über und schleifte ihn ein Stück.

Dann erwartete er alles. Am selben Abend hörte er einen Schuß und die Kugel. Zwei Tage darauf ritt er auf ein Gebüsch zu. Es fiel ein Schuß. Die Kugel drang in den Sattel. Sie war von vorne gekommen und hatte ihm den Schenkel gestreift. Trotz aller Schmerzen suchte er das Gebüsch ab, fand aber nichts.

Aber er spürte, daß ein Ende not sei. Die Nacht, ehe er nach den Weideplätzen des Freiherrn ritt, nahm er Blei und Papier und schrieb seinem Onkel, er solle ihm nicht übelnehmen, daß er heute erst dazu komme, ihm zu schreiben, er sei jedoch sehr beschäftigt gewesen und habe die unmaßgebliche Absicht, seine Reise noch einige Zeit fortzuführen. Er sei übrigens in Amerika, momentan wenigstens, für den Fall, daß der Präriestempel unleserlich sei. Doch sei der augenblickliche Aufenthaltsort ebenfalls unmaßgeblich. Er könne auch dem Wunsche des Onkels, etwas für ihn zu tun, womit er ihn das ganze Leben stets im Übermaß bedrängt habe, gar nicht entgegenkommen, da er leider ganz ohne Bedürfnisse sei. Vielleicht nehme er aber ihm zuliebe die kleine Mühe auf sich, bis unter das Dach zu kriechen, wenn er wisse, wo das sich in seinem Haus befinde, dort am dritten Dachfenster aus dem großen Spinnnetz, aber ohne die Spinne zu töten, eine Papierkugel zu nehmen und ihren anbei präzisierten Wert an seinen Freund Jim zu schicken. Jim sei nämlich ein entzückender Mensch, Gourmand, und wünsche ein Hotel in der Prärie aufzutun. Woraufhin sich der Onkel vielleicht entschlösse, die Gegend einmal zu besehen. Leider werde er voraussichtlich (aber wer weiß das bestimmt!) nicht mehr dort antreffen seinen Neffen Raoul.

Darauf schritt er am Morgen nach den Pferden. Wieder traf er Helen. Er hatte wegen seinem Schuß am Abend die Apotheke benutzt. Möglich, daß es ihr aufgefallen war. Sie war entschieden verlegen und hatte Ringe im braunen Gesicht. „Wohin . . .?“

Raoul machte eine undefinierbare Bewegung. Ganz ziellos und groß ins Weite.

„Vielleicht — das wollte ich sagen — reiten Sie für diesmal mein Pferd. Ich kann heute nicht reiten und es soll nicht aus der Gewohnheit kommen . . . und dann (ihre Hand erschien hinter dem Rücken) . . . dann . . . nehmen Sie etwa auch meinen Lazo mit — ?“

Raoul zögerte.

Sie: „Ich — bitte.“

Raoul ritt von der Farm. Helens Stute war das beste Pferd im Umkreis. Wie leicht ihr Lazo war!

Der Freiherr erwartete ihn unruhig. Lang umkreisten sie, einander jagend, einen großen Pferdetroß. Die Tiere schoben sich schnaubend in dicken Keilen zwischen sie. Sie konnten nicht schießen. Die Lazos peitschten die Luft. Plötzlich riß zwischen den Gäulen eine Gasse. Der Freiherr brach durch. Raoul spürte, wie ihm das Blut gleich Nadeln in die Beine strömte unter dem Druck der entsetzlich pressenden Berührung des Lazos, der seine Brust einschnürte. Wie ein Paket sauste er auf die Erde. Die Arme waren angeschnürt, er konnte sie von den Ellenbogen ab erst bewegen.

Es genügte. Eh’ der Gegner anzog, ihn zu schleifen, zielte er, stemmte das Knie hoch, schrie etwas, schoß Heinz Freiherrn von Kladern eine Kugel mitten durch den Kopf.

Dann setzte er sich auf das Gras und schlug die Beine zusammen. Das da war ein Duell im Sinne des Landes. Dieses war klar. Er wußte, was das sagen wolle, daß Helen ihm Pferd und Lazo geliehen hatte. Er würde wieder sehr reich werden. Pah! Aber Helen würde auf ihn warten, wenn er nach Süden ritte. Und sie war schön, war stolz. Und dies: er glaubte, daß er sie liebe. Aber es schien ihm, daß er dann wieder da angelangt sei, wo er ausgegangen. Kein Himmel werde seine nächtliche Lockung über ihn wölben. Der Himmel würde eine Mauer sein, fest um ihn herum gebaut. Das Leben würde nichts mehr zum Steigern für ihn haben. Er begriff in einer qualvollen Sekunde, daß er für dieses Leben und seine Ansprüche verdorben sei, weil er mit einem satten Punkt eingesetzt und mit einem Ende begonnen habe, und daß nur ein Reiz ewig und wertvoll in ihm sei: sich selbst höher zu werfen und weiter zu steigern, und er begriff, daß dies in diesen Zeitläuften nur so weiter ungebunden und von unten weiterstoßend möglich sei.

Ein Schmerz stach sich in ihn hinein in dem Erfassen, daß er über Helen hinausmüsse und ihre Liebe und seine Sehnsucht überwinden müsse. Ihre Haare, der Nacken und das Bleiche, o vor allem, das ihren Trotz und ihre Erschütterung färbte . . . Er schloß schmerzlich die Augen und hielt die Lider lange darüber. Dann erhob er sich.

Er gab der Stute einen Schlag auf die Kruppe, daß sie schnaubend allein nach Hause lief.

Er hatte einen Augenblick lang das Bewußtsein, daß er nun, wo diese Schmerzlichkeit weiter über sein Leben hinaushänge, das Alte und Schwermachende nicht mehr zu fürchten habe. Doch sogleich kamen Zweifel, ob alles dies, was so qualvoll an Zeit und Geschick zu durchrennen ist, nicht doch allein aus einer Kette von aufgerollten Schlingen bestehe, die sich ineinanderfließend wiederholten im Hochhinaufgerissenwerden und in der Müdigkeit. Aber er schüttelte sie ab.

Stemmte sich auf, fing mit Helens Lazo ein wildes Pferd, bändigte es und sprang darauf. Der Lazo war aus weißen Pferdehaaren und aus dunkelen geflochten und mit Silberringen breit geschmückt. Raoul Perten ritt nach Norden zu. Und ritt und warf plötzlich die Arme hoch, daß sie hingereckt aufwärts standen, als fasse er, sich eingliedernd, in den Schwung eines maßlosen Trapezes und ließ den Lazo in mächtig sich vollendenden Ellipsen um seine Hände fahren — — . . . und ritt auf ein Stück Himmel zu, das sich wie ein blaues Dreieck zwischen zwei Hügel hineinbohrte und über dem ein Horizont aufbrach, ungeheuer, voll Ewigkeit und in flimmernden Rotunden kreisend wie ein von Rätseln durchstochener Schild.

Der aussätzige Wald

Benoit de St. More:
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Jehan Bodel, Sire d’Arras ritt durch den Wald.

Er ritt ein gelbes Maultier und trug aus Verachtung keine Waffen außer dem kleinen damaskenischen Messer im Gürtel. Seine Arme hingen laß auf beiden Seiten des Sattels herunter.

Nach zwei Stunden pfiff es scharf.

Aus einem Gebüsch sauste ein Knäuel Menschen den Abhang herunter in die grelle Sonne. Einige hielten Keulen aus Holz in den Fäusten. Der vorderste tanzte geduckt, auf demselben Platz sich stetig hochschnellend. In seiner linken Hand drehte sich ein quirlendes Instrument aus Eisen, die andere, deren Finger aus dem Fleisch herausgekrochen waren und die am Knöchel zu einem dicken roten Schorf ward, krallte sich um ein altes rostiges Schwert. Alle waren von furchtbaren Fetzen schmutzigen Tuchs umhängt. Geschwülste und Narben fraßen sich durch die Gesichter der meisten. Langsam rollte etwas die Böschung auf allen Vieren ihnen nach herunter, hob sich mit langen weißen Haaren, stand ehrfürchtig zögernd, die Hände in Bewunderung und Tasten hebend und streckte zwei rote leere Augenhöhlen mitten in das stechende Licht.

Jehan Bodel griff nach seinem Messer. Es war zu klein. Sein Blick fuhr herum. Nichts war im Bereich seiner Hände. Er trat einen Schritt zurück und spie aus vor Wut.

Die Männer krochen wie Spinnen auf ihn zu. Ihr Anführer umtanzte ihn lautlos mit gierigen Sprüngen.

Da warf Jehan sein Maultier auf die Erde, hieb drei Kerbschnitte in den Oberschenkel, drehte das Bein aus dem Gelenk und erschlug ein paar der Angreifer, ging zurück, streichelte rasch das schreiende Tier über Maul und Hals, tötete es und schritt lässig, hochmütig den freien beschienenen Waldweg weiter.

Es bewegte ihn ein Gefühl: Zorn, daß er keine Zeit hatte, das Maultier zu töten, eh’ er es verwundete. Er dachte nicht daran, daß er auf ihm hätte fliehen können. Jehan floh nicht.

Kam am Mittag nach Erigny, wo großer Markt war. Viele Auslagen färbten den Platz bunt, und ein erschütternder Tumult bewegte sich über die Straßen. Jehan stellte sich auf eine Tribüne mitten im Platz, und als Ruhe war und Kopf an Kopf gesät sich gegen ihn schoben, verhieß er, vor Ekel geschüttelt, jedem, der im Wald einen Aussätzigen erschlüge, zwanzig Denare.

Darauf kaufte er zwei Bracken, silbernes Sattelzeug, einen schneeweißen Hühnerhund und eine Stute, deren Schweif den Boden peitschte.

Er ließ alles an seinen Gasthof bringen, bestellte Spielleute und aß. Als er seinen Lieblingsfisch auseinanderlegte, schob sich ein Mönch durch die Tür und suchte zu Jehan zu kommen. Doch der Wirt spreizte die Arme und drückte ihn zurück. Jehan Bodel liebte allein zu speisen. Allein der Mönch bestand darauf und schwur lang und laut bei St. Vinzenz, bis Jehan aufmerksam ihn herbeiwinkte. Bis auf zwei Meter, denn er wünschte nicht, von seinem Atem belästigt zu werden. Der Mönch schlug ein Geschäft vor. Jehan aber machte eine so abweisende Geste, daß er zu winseln begann und schwur bei den runden Blutstropfen von St. Morant, Jehan werde nächtelang aus Reue seine Brust schlagen. Und wie er von dem gesättigten und zufriedeneren Mund des Gegenübers die herbe Strenge abfallen sah, stieß er hastig einen Schritt vor und sagte leis etwas.

Jehans Gesicht blieb kaum bewegt, des Mönchs Fratze bedeckte sich aber mit einer fetten Vertraulichkeit und sagte und schwor bei dem Leibe der heiligen Afflise, die Ware sei gut.

Jehan lachte ungläubig und edelmännisch und folgte ein wenig zurückgestoßen, mehr aber neugierig. Sie überquerten den Hof, schoben einen Strohhaufen zur Seite, gingen durch einen Stall . . . dann riß der Mönch eine verborgene Tür auf.

Ein kahles Zimmer tat sich auf, das nur ein schräg in die Mauer gerammtes Bett enthielt, auf dem ein Mädchen kauerte in südlicher Haltung, von vielleicht siebzehn Jahren, die sich nun zu einer adligen und beschämten Haltung erhob und eine rührend große Schönheit entfaltete. Der Mönch wollte ihr die Tunika abziehen, allein Jehan wies ihn zurück, verbeugte sich und fragte, wie sie heiße.

Sie sagte: „Beautrix“ und sagte es in limusinischem Dialekt, dessen dunkle Schwingung Jehans Ohr entzückte. Sie hatte eine so schmelzend weiße Haut, daß sie unmöglich aus der Provence sein konnte. Der Mönch sagte: Aus Byzanz.

Da kaufte Jehan sie ohne Prüfung um zweitausend Denare.

Er setzte sie auf ein Maultier und sie ritten zusammen aus der Stadt. Jehan sprach nichts zu einer Sklavin. Sie ritten schweigend, sie ein wenig hinter ihm. Plötzlich kam ihnen Gebrüll entgegen, schäumende Rufe spritzten durch die leere und helle Luft, in der vorher nur das Knirschen lag vom Huf der Tiere durch den mahlenden Sand.

An dem Kreuzweg raste eine nackte Prozession an ihnen vorüber, Männer, die Fahnen trugen, schmutzig bestaubt, Frauen und Kinder, einige mit Säuglingen an den strotzenden Brüsten, Greise, die ihre müden Glieder vorwärts schnellten, und alle die Munde voll Geheul. Manche hatten den Arm um die Weiber geschlungen und sich in sie verkrampft, Mädchen liefen mit gelösten Haaren und ließen sie vom Wind hinter sich aufbäumen, in die Männer wieder ihre Gesichter tauchten . . . und alle sausten singend und schreiend mit stampfenden Sprüngen vorbei.

Beautrix errötete und wandte den Kopf, als der Zug vorbeischoß.

Da wußte Jehan, daß er einen guten Kauf getan. Er schnallte seine Bügel hoher und hob sie herüber vor sich auf die Knie, jagte ihr Maultier mit Gelächter, lachte, küßte sie und rannte mit ihr durch den Wald. Die Hunde jagten vor ihm.

Er dachte nicht an die Aussätzigen. Denn er fühlte, wie die Glieder von Beautrix heiß wurden. Noch einmal küßte er sie. Da war es schon dämmerig geworden. Der Hühnerhund sprang vor ihnen hin wie ein weißer Strich.

Der Wald lag dann hinter ihnen in einem dunklen Bogen gleich einer Augenbraue. Dumpf rauschend wie zwei Fledermausflügel zogen sich die Tore von Arras im Abend hinter ihnen zusammen.

Jehan Bodel empfand das eben in dieser Weise und sagte es so zu Beautrix. Denn Jehan Bodel war (ohne daß er die kleine und falsche Schäbigkeit beging, es in seinem Leben auszudrücken und ohne daß es aus seinem Tun bewußt nur in einem Funken erhellte) der größte Dichter der Pikardie.

Er stieg an seinem Hause ab, legte ihre Kniekehlen auf seinen linken Arm, und indem er sie mit dem andern an der Schulter stützte, trug er sie in ein großes getäfeltes Zimmer, in dem ein ungeheures Bett stand, und sagte ihr, daß dies ihr Eigentum sei.

Dann wechselte er seine Kleider und ging zu einer Dame im Westen der Stadt, der er dort ein Haus unterhielt. Die Dienerin sagte ihm, die Dame sei in der Kirche, und er kam gerade recht, als sie die Abendmesse verließ. Er nahm sie und ein paar Weiber, die mit ihr waren, mit in eine trübe Schenke in der Ecke des Platzes.

Ein dumpfes Licht schwelte in dem Zimmer, das sie allein hatten. Holzpritschen mit Teppichen belegt umliefen die Wand und schlossen einen Kreis um den Tisch, der rund in der Mitte stand. Der Boden war mit leuchtend gelben und weißen Platten belegt. Es roch nach Wein und Rosen. Jehan ließ gemischten Wein kommen und nahm seine Dame neben sich. Eine Stunde später kamen noch einige Männer. Die Weiber lagen auf den Bänken und sangen.

Zwei wiederholten larmoyant ihre Beichten. Eine Rote erzählte, die Zähne fletschend, was ihr ein Minoritenprior gestern vorgeschlagen: sie möge die Haare kürzer schneiden und als Mönch bei ihrem Orden eintreten. Und ob sie sich dann auch die Haare blond färben und den Namen „Innozenz“ annehmen würde, fragte ein junger Mann . . . worauf sie beleidigt tat und ihm ihr Glas zwischen die Busenkrause goß. Ihm aber dann sich auf die Knie warf und ihn reuig in den Ohrlappen biß.

Jehan ließ Gewürze in den Wein kochen. Sie tranken stark und lachten. Die Weiber schaukelten auf den Pritschen und lallten Gesänge und Lieder durcheinander.

Allein Jehan langweilte sich. Die Zerstreuungen, die ihm Stellung und Temperament zur sonstig mittelmäßigen Erfreuung — mehr geduldet in der vagen Notwendigkeit, als erfreut genommen — machten, ließen ihn grenzenlos öd.

War es ihm nicht, als ob durch all den Qualm des Zimmers ein fremder Duft wie von Frauenhaaren, die er kaum kannte, an seinen Händen schwebe?

Er begriff die Wandlung, faßte das Unbehagen nicht ganz in seinem bewußten Grund, aber ergriff es in brutalem Wohlgefühl wie die Lösung dieser Spannung, als er im Lauf des Abends von einer der anderen erfuhr, wie seine Dame ihn betrog. Und da (siehe) es wiederum ein Mönch war, dessen Schatten hier seinen Weg kreuzte (nur daß er nahm dieses Mal und nicht darreichte), lachte alles in ihm über den Ausgleich. Er stellte die Kanne, die seine Hand gerade umfing, nicht einmal weg, griff seiner Dame mit der Linken ins Haar und warf die vor Erstaunen kaum Schreiende durch die Tür. Erhob sich lächelnd und frisch und schenkte das Haus im Westen der Stadt jener, die zuerst fünf Glas Mischwein trank und ging aufatmend, den Kopf schräg nach dem Himmel hinaufgelegt, die Arme hochgereckt hinaus in die Nacht.

In einer Nebenstraße fiel es ihm ein: er klopfte noch an ein Tor und befahl einem Händler, dessen Kopf am Fenster erschien, daß er am nächsten Mittag mit seinen besten Sachen zu ihm komme.

Die Dämmerung schlug sich durch die Straßen, und mit einem Anheben fingen alle Glocken an zu schwingen, als Jehan sein Haus betrat. Er wusch sich die Hände und das Gesicht, stieg in den anderen Stock und öffnete in einem schmalen Ritz eine Tür. In dem gewaltigen Bett sah er Beautrix und wie ihre lichten Glieder im Morgen blitzten.

Dann schlief er bis zum Mittag und ging frei hinüber, Beautrix zum Essen zu holen. Es tat ihm leid, wie sie in dem weißen und groben und unreinen Kleid, das sie am vorigen Tage getragen, erschien. Allein ihre Bewegungen waren so, als ob sie nichts trüge oder so; als ob sie persische Stoffe über den Gliedern hätte und wie es Jehan in einer raschen Erkenntnis schien so in einem; als ob dies gar nichts bedeute für den Adel ihres Wesens.

Während sie aßen, geschah etwas Seltsames; Jehan, der spürte, wie etwas, je näher er kam, etwas wie unbewußte und ungekannte Achtung sich zwischen ihn und die Sklavin schob, sah sie plötzlich in Tränen ausbrechen. Er fragte. Da wies sie halb lächelnd wieder auf ihren Teller und sagte, daß sie dieses Gemüse nicht essen könne. Es war Kohl. Jehan lachte sehr. Dann überließ er sie dem Händler mit den Stoffen.

Am nächsten Morgen brachte er ihr ans Bett rote Blumen und Steine aus Alamanda. Den Abend sang sie ihm eine provencalische Dansa:

Amic, s’eu vos tenia
Dinz ma chambra garnia,
De ioi vos baisaria,
Qar n’audi
Ben dir l’autre di.
Qant lo gilos er fora,
Bels ami,
Vene-vos a mi.

Sie schürzte sich ein wenig und tanzte. Die Flammen zuckten auf dem Leuchter.

Den Morgen darauf brachte er ihr ein Falkenpaar, das in Brunst war, und nannte sie: Silberne Drossel — und blieb und küßte sie. Sie nahm keine Scham vor ihm und zog sich an, während die ersten Lichtstreifen den Boden kräuselten. Sie bat ihn zur Messe gehn zu dürfen, und er begleitete sie. Vor drei Altären betete sie. Die aneinandergelegten Hände hob sie vor jedem hoch auf im Dank, und dies war wie der Anfang einer Unsägliches ausstreuenden Gebärde. Als sie das Münster verließen, war der Ausgang versperrt. Eine Frau lag da in Kreuzform die Arme geweitet auf Bauch und Gesicht und betete fieberhaft. Vier Kreuze standen um sie und neben jedem Kreuz eine armlange Kerze mit zuckendem rötlichen Licht. Einige Leute standen um die Büßende, die nicht aufsah. Beautrix zögerte.

Aber Jehan ließ sich nicht verwirren. Er kannte die Frau. Er nahm Beautrix auf die Arme wie am ersten Tag, schritt über die Liegende und durch den dunkel aufgewölbten Mund der Kirche hinaus ins Licht. Und setzte sie nicht nieder; trug sie so über den Markt. Als er in die Straße einbog, setzte ihm schrilles Geschrei nach. Ein wenig wandte er den Kopf: Schwarz, schäumend stand mit wehenden Armen die Dame vor dem Portal und nannte Beautrix eine Dirne.

Jehan jedoch trug die Errötete in sein Haus.

Am nächsten Tag kam Jehan nicht. Er brachte keine Geschenke.

Aber wie die Dämmerung die Schatten vom aufgewühlten Gesicht der Beautrix abpflückte, nannte Jehan sie seinen Falken. Denn er war die ganze Nacht mit ihr.

Von diesem Morgen her hieß Jehan Beautrix in jeder Frühe seinen Falken. Manchmal auch: silberne Drossel. Doch dies geschah selten und nur bei Gewittern, die mit roten, glühenden Netzen das Fenster äderten und in eine überhitzte Glut anschwollen. Sie blieben einen kurzen Atem lang zitternd und wie ein Segel und zum Sprung gespannt in der Öffnung hängen mit gelbgrünen Drähten. Da warf sich Beautrix in seinen Arm und bebte ein wenig. Denn das bedrückte ihr Herz und war ähnlich wie das im höchsten Entsetzen zerbogene maurische Gitter in Jehans Arbeitszimmer. Das haßte Beautrix.

Zwei Wochen später ging Jehan zu einem Puy nach Rouen. Als er zurückkam, erwartete sie ihn lange blaue Stunden lang am Tor. Sie sah ihn die weite Plaine heraufkommen. Er winkte ihr zu, hetzte sein Pferd heran und schenkte ihr aus Freude seinen Preis, einen Mokoko. Der Affe schnurrte den ganzen Tag in seinem Bauer aus Holzstäben. Aber Beautrix zog die Lippe hoch. Da warf Jehan ihn aus dem Hause und ließ ihr eine weiße Blumennische bauen. Kaufte ihr einen ungeheuer bunten Papagei, mit dem sie spielte und ließ ihr einen Hengst in den Stall stellen, der weiß war wie seine Stute. Denn ihm kam es vor, alles müsse hell sein um sie, und er peitschte einen Griechen, der ihm einen Falken brachte, der nicht so weiß war, wie er ihn verlangt hatte. Beautrix’ Haut war das strahlende Licht und die ewige Lampe von Arras.

Eines Morgens tanzte Pferdegeklapper auf ihrem Schlaf und holte sie aus ihm hervor, und Jehan legte ihr selbst die gelben Strümpfe über die Füße und zog sie zwischen Daumen und gerundeter Hand bis übers Knie. Beautrix warf ein kurzes Kleid drüber und flocht ins Haar ein Band mit drei Sternen. Dann nahm sie zwei Falken und Jehan nahm zwei Falken und ritten Hasen jagen. Und als einer der Vögel mit einem maßlos trunkenen Aufstieg abbog und in den kühneren Kampf aufstieß und in rasenden Kreisen einen Reiher überstieg und Beautrix den Kopf auf das Genick gelegt mit einem Gesicht, das dies spiegelnd und das Übermäßige des Tages und dieses sich in das Heroische des Horizonts Verlierende wiedergab, aufsah, . . . da riß Jehan ihr den weißen, weiten Handschuh über Ellenbogen und Hand und biß ihr hart in den Unterarm aus unerträglich geschwellter Liebe. Sie ritten lang durch eine Ebene mit Weidengestrüpp. Der ganze Busch war voll Reiter und Reiterinnen.

Als Jehan Beautrix, die er verloren hatte, in einiger Entfernung später an den Pailletten erkannte, die ihr Kleid trug, ritt er gerade in dem Augenblick hinein, in dem ein junger Ritter Beautrix den verlorenen Handschuh überreichte, indem er ihn lang küßte, während seine Augen nach ihr langten.

Sie ritten durch den hellen Tag, bis sie voll waren von Jagd und satt und behängt mit Glanz und Abenteuer. Sie einigten sich zu einer Masse, die glänzend und schwer zurückritt, manchmal durchbrochen vom Gelächter einer der Frauen. Jehan ritt mit dem Ritter, der Girard hieß.

Den Platz der Stadt fanden sie zerrissen von Schreien. Aufbäumende, in wüste lange Schnörkel sich ausgießende Laute röhrten aus der Ecke. Ein Mann in dicke Tücher vermummt, vor dem Gesicht die Larve, war an einen Pfahl gebunden, die Arme verkreuzt. Sein Leib wand sich zwischen den Stricken hin und her in den fanatischen Konvulsionen eines Berauschten. Sein Kopf stand, am Hals in einer Klammer gefaßt unbeweglich darüber wie eine Plastik aus Stein, in der nur die Lippen sich verzerrten und die Augen, groß, rund und aufgesperrt sich verdrehten. Über ihm hing eine Röhre, die ein Mann bediente. Aus ihr fiel von Zeit zu Zeit ein Tropfen dampfendes Öl auf den Schädel des Gemarterten.

Sie riefen und man antwortete aus einem Haus: es sei Thibaut de Nesle, den ein Aussatz überfallen habe und den man so strafe dafür, daß er es verheimlichte und nicht beim ersten Zeichen die Stadt verließ. Da schwoll Jehans Gesicht vor Zorn. Er erinnerte sich des Todes seines gelben Saumtieres, das ein Preis war von Toulouse, und er verdoppelte den Einsatz für den, der einen Aussätzigen im Wald erschlüge und setzte ihn auf vierzig Denare. Dann warf er den Kopf zurück. Er ritt genau vor den Ritter Girard und befahl ihm, dem Henker zu sagen, daß er dem an den Piroli Gebundenen fünfzig Tropfen heißes Öl mehr geben solle auf seinen Befehl. Er sagte es laut vor den anderen Reitern. Er sagte es laut vor allen Köpfen, die in den Fenstern liegend, in Kreisen den Platz umschnürten.

Girard hob das Kinn. Auge stand in Auge. Jehans Blicke stachen lange in die des Ritters, bis dieser langsam zusammensank und die Schande auf sich nahm und zu dem Henker sprach. Als er zurückkam, war er bleich und Tränen liefen aus seinen Augen.

Der Aussätzige warf einen Schrei aus der Kehle der aufschwirrte und hinüberzischte wie ein Pfeil.

Auch in Beautrix’ Gesicht schwebte ein Weinen und ging nieder, als sie zu Hause waren. Sie fragte, warum er den Hohn über den jungen Mann getan hätte und zitterte, denn sie empfand, daß er grausam sei.

Doch Jehan wies ruhig auf ihren Handschuh aus weichem weißen Leder und malte mit dem Finger die Stelle, die Girard geküßt hatte und sagte: „Ich hatte ihn sonst töten müssen.“

Da empfand Beautrix in einer maßlosen Erhebung, wie sehr er sie liebte, und sie wusch sich viele Male den Leib mit Moro-Öl und byzantinischen Wassern am Abend, um ihn beflügelt und festlich zu empfangen und verzehnfachte sich in den sieben Wochen, die diesem Tage folgten, deren Tage straff und klar waren und deren Nächte überstrahlt über sie gingen, heller und furchtbarer als tausend Gewitter.

Eines Tages erschien ein provencalischer Sänger und übernachtete in Jehans Haus.

In dieser Nacht träumte Jehan Bodel, Sire d’Arras, er gehe durch einen Wald, dessen Bäume gebogen seien und tönten und sängen. Es war ein Lied, das ihn schmerzte. Er sah eine gläserne Tonne und floh in sie; sie bewegte sich, stürzte ab und über ein Riff ins Wasser und bohrte sich auf den Grund eines Meers. Einige Zeit hörte er nur die klingende Musik des Wassers, das an dem Glas rieb. Dann kamen Fische. Sie verschwanden. Dann war gar nichts als Meer, und die Endlosigkeit überfiel ihn und eine weite Leere umringte seine Gedanken, und wie er erwachte, war etwas in ihm, das wie eine Blumenspritze seine Sinne zerstäubte und ihn machte, als schwebe er.

Mittags ging der Provencale.

Er kam von der Abtei Mont St. Michel in der Normandie und wallfahrte nach San Jago de Compostella.

Sein Gesicht war dunkelbraun, seine Haare schwarz.

Er reichte Jehan dankend die Hand.

Als Jehan am Abend sein Kleid wechselte, erstaunte er. Er nahm den Spiegel . . . und in die Leere, die den Tag in ihm war und die sein Wesen zu einer Tiefe gehöhlt hatte, ergoß sich abstürzend, ihm neu und ihn zum erstenmal mit Maßlosem belastend, eine brandende Erkenntnis.

Jehan legte die Hände auf den Rücken. Ging durch das Zimmer. Stunde um Stunde. Beautrix klopfte. Er hörte nicht. Sie rief, es sei Nacht. Die ganze Nacht lag Beautrix allein in dem großen Bett. Der Mond spielte um sie. Das war ihr neu. Sie griff nach ihm. Sie schloß ihn in die Arme und weinte.

Jehan Bodel saß einen Tag reglos in einem Erker und sah durch das Fenster in die Stadt. Er saß auf einer schmalen Ottomane. Reglos standen zwei Säulen auf beiden Seiten neben ihm. Dann stand er auf, und Schaum lief von seinem Mund. Er zerriß die schwarzzurückgeschlagene Portiere, schlug mit einem Damaskener Fetzen aus seinen besten Schwertern und zerbröckelte sie dann in Stücke, daß seine Hände von Röte brannten. Darauf saß er wieder und starrte auf die Stadt. Eine alte Dienerin besorgte ihn. Er schlief auf der Erde und rieb sich den Körper mit ascalonischen Zwiebeln. Dann saß er und schrieb fiebernd.

Beautrix wartete und klopfte.

Er gab ihr kein Wort.

Sie schrieb ihm einen Brief; wenig, überströmend. Jehan biß die Lippen zusammen vor Schmerz und damit er nicht weine und sandte ihr lachend einen Kohlkopf, damit er ihre Liebe tötete.

Aber er tötete ihre Liebe damit nicht.

Nach einer Woche schwirrte das Gerücht durch die Stadt und die Umgebung, Jehan lese am Tage darauf sein neues Chanson.

Er trat an diesem Morgen selbst bei Beautrix ein. Sie lag, bleich, da sie nicht mehr aß, auf einem flachen Kissen auf den Stufen zu ihrem Bett.

Er sagte ihr kurz, sie solle ihr bestes Kleid anziehn und mit ihm kommen. Sein Mund war streng. Sie wollte sich auf ihn stürzen, doch er wies sie zurück. Da faltete sich ein Zug Trotz quer über ihr Gesicht, sie spielte mit dem Knauf des Bettes und regte sich nicht, wie er ging.

Dann aber lief sie hinüber und schaute durch das maurische Gitter. Er saß auf der Ottomane wartend und sie sah, wie der Zorn aus seinen Augen geschmolzen war und wie sie glanzlos starrten . . . Da zögerte sie nicht mehr.

Sie schlang den blauen und gelben Turban um die Haare und steckte sieben Dolche hinein und band an den ersten einen weißen Schleier, führte ihn unter das Kinn, das er schwebte, und hakte ihn wieder an dem siebenten ein. Dann schloß sie um ihre kleinen Brüste ein weißes Mieder, das dünne gerötete Zwicken hatte an den Achseln, welche in die Arme liefen mit engen Ärmeln aus reinem Goldbrokat und zwischen denen die weiße Seide des Rockes hinunterströmte zu den gekreuzten Schnüren aus Hermelin und dem Passepoil mit roten und lila Augen.

Sie gingen zusammen zum Markt. Eine große Masse bedeckte ihn und schob sich in Reihen durcheinander. Neue Ströme rauschten durch die Tore von außen. Vereine mit Talaren und ein Priester, der in rotbekleideten Händen eine Fahne hielt. Einige Partien sangen. Eine Schar Mädchen sang dann Sommerlieder, und der Rhythmus der Kommenden hakte in sie hinein wie das abgerissen Zanken von Papageien.

Jehan ging auf das Gerüst. Hinter ihm stand der figurenvolle, schlündige Eingang des Münsters, aus dem schwache Kerzen flimmerten. Jehan grüßte lachend das Volk. Ein seidiger blauer Himmel hing über dem Platz. Lachend gaben sie ihm den Gruß zurück. Dann wandelte sich sein Gesicht in eine undurchsichtige Strenge, und er las Li congie de Jehan Bodel d’Arras, das heißt, er sagte den Bürgern Lebewohl. Er las weiter. Die Gesichter unter ihm strafften sich. Sie spannten sich in eine atemlose Erregung. Einer hob die Hand. Alle hoben die Hand. Ein Sturm von Händen hob an und warf seinen Willen gegen die Brüstung, daß er bleibe. Und die Gesichter entstarrten sich und flammten auf in Ekstase und sie schrieen es. Sie tobten und stürmten vor.

Da hob Jehan beide Hände zum Hals, hakte sie ein und riß nach zwei Seiten das Kleid auseinander und stemmte ihrem Schreien seine nackte Brust entgegen. Er breitete die Arme aus. Auf seiner Haut tanzten blaue Flecken, und ein rotes Geschwulst durchbrach die Brust.

Ein Zittern lang stand das Brausen gegen das Ungeheure.

Die Arme sanken zurück Das Schreien ward Geheul. Männer rissen Weiber zurück von dem Aussatz. Sie wichen. Wie unter Peitschenhieben verknirschte der Aufruhr und duckte sich. Eins gab es nur: Flucht! —.

Einer wagte es noch, stieß die Faust in die Luft und brüllte „Pilori“.

Doch er blieb allein.

Als ginge ein Kreis von Jehan aus, der weiter wie im Wasser werde, kam etwas von ihm her und preßte die Menge vom Platz und warf sie in die Häuser und Straßen. Zwei trugen Beautrix ohnmächtig.

Dann ward es still.

Kein Ton. —

Jehan lächelte: Wie in der Tonne.

Der Markt hatte zwei Ausgänge. Jehan schritt nach dem einen. Es war ein Tor in einem Turm, der oben geteilt ist wie in zwei Henkel, zwischen denen eine große Glocke hängt. In seiner Mitte quoll ein Auswuchs heraus, formlos gewölbt, wie ein Nabel. Das war die Sonnenuhr. Jehan sah die Straße hinunter. Er sah niemand. Darauf schritt er zurück über den Platz nach der anderen Seite. Kein Auge stand an den Fenstern, die ihn anklafften. Er trug den Aussatz auf seiner Brust gerade wie ein Schild. — Hier lief eine dunkle Passage durch kleine wüste Gassen.

Jehan trug einen Turban aus Pelz. Seine Ärmel waren eng und trugen an den Gelenken Krausen aus Pelz. Eng schmiegte sich, nur vorn die Brust offen lassend, ein dunkelrotes Kostüm um seinen Oberkörper und rann dann unter dem Gürtel (aus Krokodilshaut) in einer breiten Glocke auseinander zu den Füßen, wo eine breite Pelzsäumung es aufhielt und ein Streifen aus Gold. Grün waren seine Schuhe.

So schritt er in die dumpfschrägen Gassen und hoffte, daß ihn einer erschlüge.

Doch es erschlug ihn keiner.

Sein Haus hatte eine breite Front. In den oberen Teilen lagen große Fenster mit Säulen. Unten mitten war eine hohe Tür. Sie stand auf den Tag und die Nacht. Niemand kam. Jehan wartete.

Niemand kam.

Gegen Morgen gingen viele Türen auf, und Reihen von Menschen zogen mit Kerzen durch die Stadt und zur Kirche.

Den ganzen Tag saß Jehan wieder auf seiner Ottomane. Das Zimmer war verschlossen. Beautrix klopfte den Morgen nach jedem Glockenschlag. Sie rief weinend Jehans Namen. Sie warf ihren Körper gegen die Tür. Sie fluchte auf den Provencalen, der die Pest auf ihn geworfen hatte. Er hörte sie nicht. Die Tür knirschte kaum.

Den folgenden Tag und die folgende Nacht stand das Tor offen an Jehan Bodels Haus. Niemand kam. Kaum ging jemand vorüber. Gegen Abend schaute Jehan durch das Gitter. Beautrix lag vor die Tür gestreckt wie ein feines helles Tier. Später zog ein Zug fremder bretonischer Sänger durch die Stadt. Ihre Roten und Violen klangen unten.

Nach Mitternacht sagte eine baritonale Stimme aus dem Dunkel hervorklingend unter Jehans Zimmer die Geschichte von Amis und Amile:

Sie waren Blutsbrüder, schön, ganz ähnlich und liebten sich. Da verführte Amis die Tochter des Kaisers und sollte ein Gottesgericht auskämpfen, aber Amile trat für ihn ein. Amile siegte und man erkannte ihn nicht und gab ihm die Prinzessin als Frau. Allein weil Amis Brunst heller war auf sie, ließ er sie ihm zum Ehebett und ward aussätzig zur Strafe. Aber Amis tötete seine beiden Söhne. Mit ihrem Blut gebadet ward Amile gesund. — — —

Dann verlief sich die Stimme, die Nacht sog sie auf, und am Morgen bot ein Mönch zwei Knaben an zum Verkauf.

Jehan lehnte ab.

An diesem Morgen bearbeitete Beautrix die Tür mit einem Messer und schälte Span auf Span heraus. Doch die Tür hatte eine Mittellage aus Eisen. Die Klinge brach ab.

Da legte sie sich stumpf über die Schwelle.

Gegen Abend hieb sie ihre Fäuste so lange gegen die Tür, bis sie das Gefühl ihrer Hände verloren hatte. Sie sah durch das Gitter Jehan dasitzen. Es schien, er schaue auf seine Hände. Da biß sie in das Metall der Klinke und sank blutend auf den Boden.

Auch die dritte Nacht kam. Weit stand die Tür auf in Jehans Haus. Sie spreizte sich auf, so offen stand sie. Niemand kam. Der Henker? Nein. Nacht. Die Nacht war so still, daß das Dunkel brauste.

Wie . . . ?

Stille, kein Ton kam durch die Straße.

Einmal stand er auf. Beautrix lag quer vor der Tür, eine Rinne Blut über dem Kinn. Er sah es. Allein . . . Er saß auch diese Nacht auf der Ottomane zwischen den Säulen.

Als die Dämmerung kommen mußte, erhob er sich. Er ging gerade auf die Tür und öffnete sie, Beautrix war verschwunden. Es war die Zeit der ersten Messe. Jehan rieb sich Gesicht und Hände mit ascalonischen Zwiebeln, die die erste Ansteckung verhinderten. Langsam ging er darauf in das Zimmer von Beautrix. Er roch an den weißen Blumen in der Nische . . . der Kamin . . . das Modell des großen Schiffes hatte er mitgebracht aus Dijon. Er empfand wie der Papagei sich regte, sah das geschnitzte Holz des Büfetts mit derselben Drehung und die Täfelung und die Teppiche aus Palästina darüber. Er zündete Lichter an an der Wand, und sie blitzten auf. Sie spiegelten flackernd in runden Metallplaketten und bestäubten das Zimmer mit einer dünnen Schicht Licht, in der er es mit einem Blick noch einmal aufnahm.

Aber alles war nicht mehr scharf genug, um in die neue entsagensschwere Tiefe seiner Seele einzuschneiden, und er fühlte es nur als ein Wehtun auf der Oberfläche und ließ den Raum wie in Bedauern zurück. Dann öffnete er das Zimmer, in dem er drei Monate neben dem blendenden Leib von Beautrix gelegen hatte. Er öffnete es in einem Ritz, sah das unbeschlafene Bett, sah die schmerzende Dämmerung an dem Fenster wühlen. Er sog den Geruch ein und sagte vor sich hin: Silberne Drossel . . . Scharf hoben in diesem Augenblick zwei Mädchen im Nachbarhause eine Reverie an.

Es wurde heller.

Silberne Drossel . . .

Er stieg hinunter in den Stall. Er strich seiner Stute über den Hals. Sie sah ihn an. Da erst überfiel ihn in einem kleinen Teil seines Hirns noch einmal Bewußtsein von dem, was nun alles von ihm abfalle. Er trat zurück. Ein Weinen riß sich in ihm los. Er legte seine Hand in das Maul der Stute. Die breiten Schultern zuckten. Lachen löste sich für immer von seinen Lippen. Dann wandte er sich.

An der Tür drehte er sich um, schlug die Achseln zurück und als sei die Last zu schwer und damit er auch dieses tilge, ging er zurück auf das Tier und tötete es.

Dann ging er durch das Fahlgrau des Morgens über die Straßen. Er ging vorüber, verächtlich an dem Pilori. Seine fleckige Brust stand offen. Alle Glocken fingen an zu läuten. Es war die Zeit der Prim. Es war hell, wie er über den Markt schritt. Ein Priester kam auf einer Stute zu dem Platz, sang laut und betete. Menschen kamen zur Kirche. Jehan ging durch sie hin und sie traten zurück und neigten sich vor ihm. So groß war an diesem Tage noch seine Macht.

Er kam an das Tor, überschritt die Brücke. Er ging weiter, drehte sich einmal um. Die Tore waren zugefallen. Rechts lag der See. Schwer knieten die acht Türme auf dem Nacken des Bollwerks um das Tor. Er sah es sinnend. Dann schritt er aufs Feld. Der Wald der Aussätzigen lag vor ihm. Wie eine Braue . . . schien es ihm.

Plötzlich traf ihn ein Schrei. Er sah einen Arm. Etwas Weißes trennte sich von dem Busch. Beautrix warf sich ihm entgegen:

„Wo willst du hin?“

„Nach dem Wald.“

„Du nimmst mich mit!!“

Er öffnete die Brust. Sie stampfte mit dem Fuß: „Es ist mir gleich.“

Jehan sagte ruhig: „Nein.“ Sie hielt ihn am Arm: „Ich will auch aussätzig sein. Was geht es dich an?“ Jehan wandte sich von ihr. Sie trat schäumend in den Weg:

„Du, der du mich küßtest . . . dort . . . das erstemal . . . schliefst du in meinem Bett Nacht auf Nacht . . . Weißt du, daß du mich hießest: Falke . . .“

Jehan wußte es noch. Er sagte: „Ja“ und nickte. „Silberne Drossel . . .“ sagte er.

Aber sie — (die nicht begriff) wie alles in ihm getötet sei und daß alles Weibliche in allen Beziehungen zu tief für ihn liege und kaum die äußersten Ränder seines Horizonts noch streife, da sein Geist schon ganz eingerichtet war auf den neuen Sinn seines Lebens, der ihr entrückt auf einem fremden Schwerpunkt lag) — warf sich auf seine Füße und weinte, daß er sie mitnehme. Doch er befahl ihr zurückzugehen. Sie wälzte sich und tat es nicht. Da schrie er sie an: „Sklavin!“ und als sie erstarrt sich aufreckte:

„Sklavin um zweitausend Denare.“

Sie klammerte sich an ihn.

Da stieß er sie zurück und schlug sie.

Er zog weiter. Beautrix lag hinter ihm, ein großes Stück helles Fleisch, durchrast und geschwellt von maßlosem Schmerz, auf der staubigen besonnten Straße. Wie waren die Blumen farbig auf den Wiesen! Wie legte der Morgen sich licht um die Welt!

Jehan schritt die Ebene hinunter. Er begegnete Wallfahrern, die in Jericho Zweige gepflückt hatten. Die Palmiers sangen: Oltree, Dieus, aie! Er ging auf die Seite, verbeugte sich.

Einmal noch mußte er wenden. Der weiße Hühnerhund lief ihm nach. Er trug ihn in den Graben und tötete ihn.

Und setzte den Weg fort. Jehan Bodel, Sire d’Arras, trug das dunkelrote Gewand mit der Bordüre aus Pelz. Er trug den Turban aus Pelz. Seine Füße gingen in grünen Schuhen.

So schritt er hinunter. Dann bewegten sich seine Lippen. Er sann. Sang ein Lied, das er wo gehört hatte. Es kam ihm wie durch einen Spalt: Von einem Freund . . . An einem Kamin in der Bretagne . . . Gasse Brullè? — — —

Er wußte es nicht mehr. Seine Gedanken waren davon abgeschwommen. Er verstand den Sinn der Worte nicht, die sein Mund hinauswarf, laut. Es war ein Liebeslied. Er sah auf seine Hände, die in Blut trieften:

Hé blanche, clere et vermeille,
De vos sont tuit mi desir;
Car faites en tel merveille
Droiture et raison faillir.
Quant je vos vueill a amie,
Droiz nel poroit otriier;
Se vostre grant cortoise,
De gentil dousor garnie,
Ne me deigne conseillier;
Mar vos oi tant prisier.

Seine Haltung war stark und königlich.

Mit einer ungeheuer schlichten Gebärde ging er auf den Wald zu, der ihm entgegenkam.

Maintonis Hochzeit

Plötzlich flackerte eine kleine Staubwolke auf. Ganz steil stand sie tief am Horizont auf der weißen glühenden Straße.

„Es sind noch fünf Minuten“, murmelte Antoine.

Ich konnte eine leichte Unruhe nicht verbergen; da nahm Antoine meinen Arm und zog mich unter die Platanen. Wir schritten langsam über Rasen. Das Gras war am Rand der Chaussee leicht gelb. Im Schatten stand es satt und buschig. Wasser lief zwischen zwei Grenzsteinen. Es war sehr heiß. Nun sagte Antoine: „Fahren sie mit nach Paris!“ Nach einer Pause wiederholte er mit eigentümlich gedehnter Betonung: „Paris.“ Dann wandte er sich um und sprach ganz laut und anders:

„Sie müssen nicht daran denken!“

Ich machte eine Bewegung mit der Achsel. Antoine kniff die Augen fest zusammen: „Er hat doch sein Ehrenwort gegeben . . .“

„Kurz! Ich sah ihn“, erwiderte ich ungeduldig. Es klang vielleicht schroff. Antoine beugte sich ein wenig vor, als warte er. Wir schauten hinunter. Die Staubwolke hatte sich hinter einem kleinen Hügelzug verloren. Durch die ganze stille Luft hörte man ein fernes und feines Geräusch. Ich nahm Antoine beim Arm:

„Bemühen Sie sich ein wenig zu glauben, daß ich mich nicht täusche. Ich weiß Ihnen gewiß Dank für Ihre Beruhigungsversuche, aber Sie müssen doch einsehen, daß Ihre Argumente wertlos sind. Wenn ich ihn daraufhin, daß er sein Ehrenwort brach und doch wieder in einem Spielbad auftauchte, auf Grund der damaligen Verhältnisse verhaften lassen wollte, hätte ich durchaus keine Möglichkeit dazu, weil wir auf spanischem Territorium sind. In einer Stunde erst erreichen Sie die Grenze. Aber sehen Sie ganz davon ab! Ich will Ruhe und Ausspannung. Es stört mich einfach, auf unangenehme Ideengänge zu kommen. Umsonst vergrabe ich mich doch nicht in die Pyrenäen.“

Antoine zog tief die kühlere Luft des beschatteten Baumganges ein und fachte sich mit dem Hut Luft ins Gesicht. Er nahm seinen Stock und hakte ihn in die Schulter: „Der arme Perdican . . .“, flüsterte er.

Als aber der Wagen nahe wieder sichtbar ward, legte er die Hand auf meine Schulter. Er sah mich kurze Zeit lang erstaunt und wie fragend an. Darauf flog eine rasche Spannung über seine Stirn. Er stellte heftig sein Bein auf einen Stein. Dann riß er Papier heraus und schrieb auf dem Knie hastig ein paar Worte. Ich nahm, etwas verblüfft, den Zettel. Nun diktierte er mir eine Adresse. Währenddem torkelte auf der unebenen Straße die Post herbei. Antoine rief mir rasch zu: „Sie werden dort Ruhe haben, Sie kommen mit meinen Empfehlungen. Lassen Sie die alten Miseren!“

Die Maultiere legten die Köpfe zur Seite und zogen die Ohren trotzig an. Antoine winkte. Sein Bart und sein schräges Profil traten bedeutend aus der Gesichtermenge der anderen Reisenden hervor. Die Diligence rollte um eine Ecke, und die Sonne brandete mit erstickenden Flutungen gegen die Häuser.

Um vier Uhr morgens fuhr ich schon. Unterwegs las ich die Zeilen Antoines. Es mußte ein Dialekt sein. Denn ich verstand sie nicht. Später mußte ich wieder an den Grafen Perdican denken. Er war ein lieber Freund. Sein Tod hatte ungemeine Sensation gemacht. Drei Tage nach seiner Beisetzung sah man, daß sein Partner, dessen Wechsel er nicht einlösen konnte, Karten aus einer doppelten Manschette schüttelte. Man verband damals noch andere seltsame Themen mit seinem Namen. Es war eigentlich lächerlich, daß wir uns damit begnügten, ihm das Wort abzuverlangen. Es war geradezu widersinnig. Damals hatte niemand hieran gedacht.

Ich frug mittags in Tarragona nach meiner Adresse. Es seien höchstens drei Stunden zu gehen . . . Nach viereinhalb Stunden Marsch ward es dunkel. Ich sah Lichter. Ich klopfte. Es dauerte ein paar Minuten. Dann kam ein schmutziger Hausknecht. Er trug nur ein Paar halblange Hosen. In der Hand hielt er einen Kien, den er vorsichtig neben mein Gesicht neigte. Da er nichts sagte und keine Bewegung machte, mich einzulassen, hielt ich ihm Antoines Adresse vor die Augen. Er grinste verschlafen. Nun las ich sie laut vor.

Er trat langsam einen schleichenden Schritt zurück und streckte den Span mit gespanntem Arm noch näher nach mir. Sein Blick umfuhr mich einen Augenblick scharf. Darauf verschwand er: ich hörte verhandeln. Ein Mann mit einem starken Bauch erschien. Sein Gesicht, das Zutrauen erweckte, prüfte mich, während das brennende Holz mich wieder beleuchtete. Er fragte, ob ich fremd sei. Ich sagte: nein . . . Zugleich kam mir meine Antwort dumm vor. Ich zeigte Antoines Zeilen. Er rief sofort ein paar Worte in das Haus. Dann forderte er mich ganz verändert auf einzutreten. Währenddem sagte er, es seien bis zu meinem Ziel noch gut zwei Stunden. Dann lachte er, als ich meine Auskunft über den Weg von Tarragona erzählte. Drinnen saßen noch drei Männer. Sie tranken Wein und würfelten. Da sie stark geraucht hatten, stand eine harte Luft in dem Raum. Eine Lampe hing an Eisendrähten über einem Tisch.

Es wurde still, als wir eintraten. Mein Führer nahm mich bei der Hand, verbeugte sich und sagte: „Der Sennor will zu Joaquin Pelayo . . .“

Hierauf erhoben sich die andern und sagten etwas, das ich wieder nicht verstand, worauf jeder mir die Hand gab. Ich lehnte ihre Zigarren ab, trank aber ein paar Gläser Wein mit ihnen. Dann ward ich müd. Auf einem Strohsack in einer Nische schlief ich die Nacht. Am Morgen sah ich niemand mehr. Ich durchsuchte das ganze Haus. Niemand. Ich ließ ein Silberstück liegen und ging weiter. Es konnte keine Meile Entfernung sein, als das hölzerne Geklapper eines Maultiers mich umwenden ließ. Der Knecht brachte mir das Geldstück und viele Empfehlungen für Joaquin Pelayo.

Ihn selbst glaubte ich sofort zu kennen. Er stand vor seinem Haus und wusch sich den Oberkörper mit Regenwasser aus einer Tonne. Er begnügte sich zuerst, durchaus keine Notiz von mir zu nehmen. Ich begrüßte ihn. Dann wiederholte ich meinen Gruß. Ich nannte seinen Namen. Darauf stellte ich mich aufgerichtet vor ihn hin und trat mit dem Fuße mehrmals gegen das Faß. Er ließ ruhig ohne Rührung den Strahl über seinen Arm laufen. Die Muskeln brachen wie Wülste hervor, wenn er den Ellenbogen ein wenig krümmte.

Ich zweifelte nun, ob er es doch sei. Mein Instinkt konnte mich betrogen haben. Nun nahm ich meinen Stock bei der Spitze und klopfte ihm mit der Zwinge auf den Rücken. Wie ein Schlagbaum wuchs etwas vor mir in die Höhe. Ich hielt verwirrt meinen Stock in einer lächerlich täppischen Lage wie eine Kinderfahne.

Ich erstaunte über die Würde des Mannes und seine unnatürliche Größe.

Als er meinen Zettel gelesen hatte, gab er mir die Hand. Er fragte nach seinem Freunde Antoine. Antoine war doch ältester französischer Adel. Ich ließ nicht merken, daß ich verblüfft war. Ich redete rasch und abgerissen. Er schloß sein Hemd und zog eine kurze Jacke darüber, die ihn noch größer machte. Dann rief er zweimal : „Maintoni . . .“

Maintoni kam, nahm mit einem leichten Fallenlassen der Lider meine rechte Hand und zog mich ins Haus. Wir gingen über einen langen Gang und traten in ein hohes Zimmer. Maintoni drehte sich um und rief hinaus: „Rodriguez!“ Eine alte Frau saß an einem Fenster und murmelte vor sich hin. Maintoni küßte ihr die Hand und ging hinaus.

Rodriguez goß eine Flut Freundschaftsversicherungen aus. Sein Körper war schlank und von wunderbarem Zusammenspiel der Gelenke. Das Gesicht wirkte in der Nähe kantig gegen die Harmonie des Wuchses. Die Nase war ein wenig zu lang.

Die Alte fing an lauter zu reden. Ihre Stimme hatte eine knarrende Biegungslosigkeit. Einige Bilder und Miniaturen standen auf einem Tisch vor ihr. Rodriguez wartete, bis ich sie begrüßt hatte. Sie dankte, sprach aber weiter. Dann sagte er mir, es sei die Mutter Pelayos. Sie lebte nur noch in ihren ersten dreißig Jahren. Die Umgebung kannte sie nicht mehr. Eine dichte Luftschicht, von Erinnerungen gesättigt, umgab sie wie körperlich und schloß hermetisch alle Berührungen mit der Welt ab.

Doch küßte Joaquin Pelayo ihr ebenfalls ehrfurchtsvoll die Hand, als er eintrat. Maintoni brachte mir zu trinken. Während dem Essen legte der Hausherr plötzlich die Hand auf den Arm seiner Tochter. Er trug einen Ring mit einem riesigen Solitaire. Ohne daß Sonne ihn traf, blendete er. Ich sah sofort, daß er echt war. Pelayo sagte zu Rodriguez, als Maintoni hinausgegangen war:

„Sennor, Sie werden unserem Freunde Ihr Zimmer abtreten! Sie werden unten schlafen bis zur Hochzeit.“ Ich wollte Einwendungen machen. Aber man schlug mich mit Freundlichkeit nieder. Pelayo zog sich zuerst zurück. Rodriguez erzählte mir gleich, daß er in vierzehn Tagen heiraten werde. Maintoni sei dann gerade siebzehn Jahre alt.

Er hob den Arm und bog ihn über dem Kopf zusammen, daß das Gelenk knackte, und der bronzene Hauch seiner Haut pulsierte dunkler. Er dehnte sich weit zurück, schlug rasch auf seine Schenkel, daß es wie Gewehrfeuer klang und an der Wand sich brach, und sprang, sich duckend, auf. Dann erst konnte er wieder reden, so nahm ihn die Freude mit.

Maintoni führte mich zu meinem Zimmer. Als wir die Treppe hinaufstiegen, öffnete sich neben dem Geländer eine Tür. Ihr Vater trat heraus. Eine eigentümlich süße und berauschende Luft quoll heraus. Pelayo schloß rasch wieder. Ich fühlte, daß mein Kopf benommen ward. Ich wankte ein wenig und wollte Maintoni fragen. Aber sie ging so ruhig vor mir, daß ich es ließ.

Die Nachmittagsstunden legten eine flimmernde Hitze auf die Landschaft. Die Nerven lösten sich und der Blick ward matt. Von meinem Zimmer aus hatte ich weite Schau und staunte über die Seltsamkeit der Gegend, die mit einer Welle von Grün und übertriebener Fruchtbarkeit noch gegen das Haus prallte und sich hinunter nach Valencia zu in eine trostlose Sandebene verlor, aus der, zäh und kantig, der Engpaß zum Schloß von Hospitalitet hinaufwuchs.

Am nächsten Tag verabschiedete sich Joaquin Pelayo von mir. Er ließ Maintoni allein mit uns beiden. Wir richteten uns ein, wie es ging. Morgens liefen wir zwei Stunden südlich, wo der Postdampfer anlegte, und fragten, ob etwas für mich nachgekommen sei. Der Vorgang schien ihnen fremd und eigenartig zu sein. Rodriguez tat, als sei es ein Ding von Wichtigkeit, das seine Entschlossenheit bis zum letzten Zug in Anspruch nehme. Allmählich hatte er sich so in die Rolle hineingelebt, daß er meinte, seine Anwesenheit sei nötige Bedingung dafür, daß der Matrose, der die Post ausschiffte, mir den Brief aus dem Kahn herüberwarf und mit affenhaften Verrenkungen eine Kupfermünze dafür fing. Manchmal forderte er mich mit einer kleinen Gebärde von Ungeduld auf, mitzukommen. Als ich ihn einmal allein gehen ließ, reichte er mir schweigend die Hand, als hätte ich ihm das Wertvollste anvertraut. Maintoni hatte eine stumme Verwunderung dafür. Sie strich mit ihrer ganz hellen Hand über den Brief hin, beschaute ihn von allen Seiten und blieb mit einem märchenhaften Ausdruck des Verlangens an den vielen bunten Marken hängen.

„Hätten Sie sie gerne?“ fragte ich lächelnd. Ich löste sie und reichte sie ihr hin. Da ging ein namenloses Staunen in ihren Augen auf. Sie öffnete halb den Mund. Zwischen den sanften Bogen ihrer Lippen traten die Zähne, die weiß und außerordentlich schön gesetzt waren. Dann senkte sie rasch den Blick, bewegte den Arm einige Male wie streichelnd über den Gürtel, wandte sich langsam um und lief sehr schnell davon. Ich sah zu Rodriguez hin. Er umarmte mich:

„Hombre, si: Sennor!“ Sie sind ein guter Mensch“, rief er enthusiastisch. Abends fuhren wir aufs Meer hinaus. Die leichte Brise löste die heiße Stille des Tages zu einer bewegten Kühle, die einen Schauer von Ruhe und dämmerndem Glücksgefühl entfachte. Ich lehnte mich zurück in dem Boot, dessen geschweifte Flanken in eine Spitze aufstiegen, die über meinem Kopfe stand. Maintonis Blick lag wie eine stille Sonne auf Rodriguez, dessen braune Rückenmuskeln im Takt des Ruderns fächerhaft zusammenschnellten und wieder unter der Haut verliefen.

Wenn die Sonne verschwunden war und die Berge um das Castel de Balaguer wie mit violetter Tinte auf den silbrigen Himmel gemalt schienen, sang Maintoni eine Romanze, deren Rhythmus immer steil aufwärts und tief herab ging. Einmal erzählte Rodriguez von seinem Vater, der vor fünf Jahren in Asturien auf einer Bärenjagd verunglückt war. Das Tier hatte ihm den Kopf abgerissen. Das Messer des Freundes schon im Herz, hatte es ihn mit einer der letzten Konvulsionen in eine Schlucht hinuntergeworfen. Man mußte den Leichnam ohne Kopf begraben. Rodriguez schien bang:

„Glauben Sie, Sennor, daß mein Vater trotzdem . . .“

Ich nickte ihm bestätigend zu. Er war rührend. Er hatte die Hand fest gegen sein Knie gepreßt und sah vor sich hin. Dann sagte er vorsichtig:

„Trotzdem das Amulett an seinem Hals geblieben war und mit dem Kopf verschwunden ist . . .?“

Ich sagte ihm, daß es genüge, wenn das Kreuz die Brust berührt habe . . .

Oft trug der Wind den Duft der Linden herüber und verteilte ihn dünn und zärtlich über das Wasser. Ein paar hundert Meter vom Strand lag eine breite Klippe. Dort war, wenn die Flut nicht ging, die kühlste Stelle der ganzen Gegend.

Nachts schlug das Meer gegen den Strand.

Joaquin Pelayo kam noch stolzer als früher. Es war am heißesten Mittag. Maintoni brachte eisgekühltes Pomeranzenwasser mit Zuckerbrot und später Schokolade. Mein Gepäck war nachgekommen, und ich zeigte ihm ein paar Aufnahmen Antoines aus den letzten Monaten. Ich erzählte ihm auch von dem Eindruck des Zettels auf den Besitzer der Venta, wo ich die Nacht verbracht hatte auf der Suche nach ihm. Er lächelte leicht:

„Lassen Sie aber keine Geldstücke bei mir liegen!“

Ich lachte: „Da müßte der Diamant an Ihrem Finger nicht unter Brüdern zwanzigtausend Francs wert sein . . .“

Es war, als hätte ich mit der Hand auf den Tisch gehauen. Alle wurden still. Rodriguez strich sich übers Haar, und Maintoni sah scheu zu ihrem Vater.

Ich sprach nicht weiter. Die Stimmung dieser Lähmung lief an uns ab, wir rauchten, und als es kühler wurde, sahen wir eine Frau von Balaguer heraufkommen. Vor den zwei Meilensteinen kniete sie nieder. Wir saßen auf der Galerie des ersten Stocks. Beim Näherkommen ging sie langsamer. Sie blieb lange unten bei der alten Frau, die immer mit sich sprach. Dann trat sie bescheiden heraus. Die Demut ihrer Haltung stand in sonderbarem Widerspruch mit dem heroischen Risse des Gesichts. Nur die Augen linderten die Stärke der Linien und die Bronzeglut der Haut. Sie waren weit aufgebogen und leuchteten in hellem Glauben. Sie trug die Tracht der Nonnen von Hospitalitet.

„Sor Gracia, meine Schwester“, sagte Pelayo.

Ein kräftiger Wind ließ das Meer opalisieren. Die Linie der Küste zischte wie in versteckter Wut. Draußen an der Klippe sprang manchmal eine gepeitschte Welle springbrunnenhaft und heftig in die Höhe. Der Himmel nahm eine tiefrote Glut mit blauen Rändern an.

Sor Gracia sprach in kindlichem Tonfall vom Kloster; und wie sie sich freue, am jüngsten Tage eine kleine Harfe zu spielen. Sor Blanca und Sor Uraca würden auf Violen geigen. In den halbdunklen schlaflosen Nächten der gemeinsamen Zelle sprächen sie oft davon.

Am nächsten Tage kam der betäubende Duft wieder heftig aus dem Zimmer im Erdgeschoß. Zu mancher Zeit schien es mir, als ginge ein Ton durch das Haus von splitterndem Glas.

Den Tag darauf legte sich der Wind ganz. In den Zimmern ward alle Stunden gesprengt. Die Hitze war zehrend geworden. Als ich hinunterschaute zum Strand über die kleine Bucht, wo die bewimpelten Pirogen Joaquin Pelayos lagen, hinweg, sah ich auf der Klippe ein kleines gelbes Tuch, das schlaff an einer Stange herabfiel. Wir schliefen den vollen Mittag. —

Die Fahne wehte am Abend. Sie wehte am folgenden Morgen. Sie wehte wieder am Abend. Ein schwacher Wind spielte lüstern mit ihr. Er legte sich in die Falten, drehte sich darin und ließ das Tuch herabfallen. Dann blies er es von neuem hoch.

Mit der Dunkelheit zündeten wir Laternen an. Wir gingen am Strand entlang. Dann bogen wir nach einer halben Stunde links ab: Maintonis Haare glänzten kupfern. Wir trugen kurzgestielte Netze mit feinen Maschen. In kleinen Abständen blieben wir stehen und hielten mit kurzem Ruck die Laternen dicht über das Wasser. So schritten wir den kleinen Fluß entlang ins Land hinein. Allmählich gewöhnten sich meine Augen daran, das zuckende Heranschleichen der Aale zu beobachten. Maintoni half mir, zeigte mir, wie ich das Netz halten, wie ich zustoßen müsse. Doch ich fing keine.

Rodriguez hatte drei. Aber Maintoni sieben.

Es wurde hell, als wir nach Hause kamen. Maintoni hatte die gleiche Ruhe wie stets. Sie hatte kein Brennen im Blick, keine Röte auf der Haut. Ich schlief den ganzen Tag. Als ich aufwachte, hörte ich, noch schlaftrunken, Stimmen. Eine kurze, spitzige, die herüberschoß, eine breite, starke, die ihr entgegenkam. Dann ein ärgerlicher Ausruf — — ein Wagen, der anzog — — noch ein paar Stimmen. Ich lief zur Galerie. Ich bog mich weit über die Holzstäbe . . . . . .

Ich taumelte, ich riß mich hoch. Das Holz knirschte. Ich fühlte, daß mein Atem pfiff. Ich sah es . . . es war dasselbe Gesicht des, der lächelnd Perdicans Wechsel in die Westentasche steckte . . . es waren dieselben Züge, es war derselbe, den ich zwei Tage vor dem Tod der Frau von Montbellaire mit entstelltem Gesicht, die Augen grün untergraben, mit schlappen Linien, die nach dem Mund herunterfielen, aus ihrer Loge stürzen sah.

In dem Wagen saßen noch Frauen, auch einige Männer.

Ohne Gefühl nahm ich, als ich hinausschaute, in mich auf: Die Fahne wehte nicht mehr.

Ich lief zu Joaquin Pelayo. Ich fand ihn nicht. Da drang ich in das Zimmer im Erdgeschoß. Ich hatte nicht geklopft. Ich stieß die Türe auf. Ganz weit. Aber der Duft schlug mir süßlich ins Gesicht und nahm mir den Atem. Ich sah kurz ein Blitzen von dem Tisch her. Pelayo hatte mich hinausgezogen. Er war höflich, schien aber verletzt. Er begriff meine Erregung nicht. — — Was sie gewollt hätten?

Das Haus mieten oder so etwas . . .

Es schien ihn gar nicht zu interessieren.

In diesem Augenblick rief draußen einer der Knechte. Pelayo sprang hinaus. Ich folgte. Der Knecht deutete erregt nach der See. Auf der Treppe raste etwas herunter . . . an uns vorbei. Wir stürzten nach. Maintonis Kahn schaukelte leer draußen. Die Flut kam, die die Klippe überschwemmte. Wellen mit breitem dunklen Rücken wälzten sich wie Tiere auf sie. Dann knatterte es und weiße Schaumstreifen bedeckten sie fast ganz. An einem Vorsprung hielt sich Maintoni mit gekreuzten Armen.

Rodriguez hielt vor den Booten. Seine Brust drängte sich heraus. Er bog die Hände vor die Lippen. Die Wangen spannten sich nach innen, und aus dem qualvoll aufgerissenen Kreis des Mundes flog seine Stimme wie ein Schuß:

„Ay!“ rief er.

„Ay! Maintoni — —“

Rodriguez ruderte. Wahnsinnig ruderte Rodriguez. Ich hielt das Steuer, sah sein Gesicht. Wie lächerlich die rotweiße Lackierung der Ruderstangen wirkte. Zweimal sahen wir Wellen über die Klippe gehn. Maintoni hatte den Vorsprung umklammert und sich auf den Bauch geworfen. Der Atem stand uns zweimal in der Kehle. Wir atmeten nicht. Wir wagten es nicht, zu atmen. Nein. Wir konnten nicht. Dann hob Pelayo sie in die Piroge.

Sie hatte das Boot nicht fest genug gemacht. Die Flut trieb es weg, während sie die Fahne einstrich.

Wir redeten nicht mehr viel diesen Abend. Am Morgen sehr früh weckte mich Pelayo und fragte, ob ich ihn begleiten wolle.

„Es wird zwei Tage dauern“, sagte er. Ich war dabei. Wir gingen Stunden. Wir schliefen den Mittag unter ein paar Pinonenfichten. Es wurde dämmerig. Wir kamen in ein Tal, das sich zwischen rauhe Bergwände einnistete. Ein abschüssiger Pfad führte zum Meer.

Ich hatte Joaquin Pelayo gefragt, was die Fahne auf der Klippe bedeute. Ich hatte ihn gefragt, woher er Antoine kenne. Dann hatte ich gefragt, was das Geheimnis des Zimmers sei, aus dem der Duft ströme, und auf dessen Tisch ich das Blitzen sah.

Joaquin Pelayo sagte mir, daß er Baske sei. Antoines Mutter sei aus dem alten Königsgeschlecht und in einem Zweige mit ihm verwandt.

Ich erinnerte mich an Antoines Mutter nicht mehr. Sie mußte schon lange tot sein. „Bei Antoines Geburt“, sagte Pelayo. „Dieser Familienstamm ist älter als der ganze europäische Adel. Antoine und ich entdeckten unsere Verwandtschaft, als er kam, einen Diamanten bei mir schleifen zu lassen.“ Das sei auch das Geheimnis des Zimmers: Sein Laboratorium. —

„Die Fahne ist eine alte Sitte der Kontrebandisten. Es ist gefährlich, Sennor, wenn man weiß, daß Diamanten bei mir ausgeladen werden. Ich habe den Schmuck der Herzogin von Guise und das Diadem der Fürstin Rubinowitsch geschliffen. Sie sehen, welche Werte ich manchmal im Hause habe. Die Fahne bedeutet je nach der Farbe, daß ich am soundsovielten Tage hierher komme. Das Schiff fährt an der Küste vorbei, und man läd hier aus.“ Pelayo schaute angestrengt durch das Dunkel zum Meer hinunter. Dann meinte er lächelnd: „Sie werden erstaunt sein, Sennor, . . . ein unbekannter Mann . . . hier in der Einöde . . . schleift den berühmtesten Schmuck. — — Ich habe in Sevilla von einem Mauren, der mich liebte, ein System erhalten. — — — Maintoni soll glücklich werden“, fügte er ohne Zusammenhang hinzu.

Er zeigte mir eine Holzhütte mit Stroh. Der dünne Ton einer Pfeife — — — Pelayo verschwand. Ich aber konnte nicht schlafen. Ich ging das Tal hinauf. Mohn wuchs im Gras. Wilde Lilien standen überall. Durch einen kleinen Wald mit Eichen schritt ich hindurch. Eine Trappe rauschte an mir vorbei. Leicht feucht war die Luft. Tau hing im Gras. Ich aber konnte nicht schlafen.

Ich warf mich auf den Rücken und sah, wie die Sterne über das Meer hinauswuchsen und mich traurig machten.

Pelayo schlief in der Hütte. Wir schenkten einem bettelnden Gendarmen Brot unterwegs. Maintoni weinte, als wir heimkamen. Sie hatte uns nicht erwartet.

Maintoni weinte oft, wenn sie glaubte, daß es niemand sah. Maintoni hatte goldene, glänzende Zöpfe, die wie Seide herabfielen und deren bebänderte Enden sie im Gürtel trug. Ihre Brauen waren halb blau und halb schwarz und waren lang und so fein wie der Schatten einer Feder.

Es war so heiß, daß die Fenster im ganzen Haus ausgehängt wurden, die Türen wurden geöffnet. Die Diener wehten mit Palmblättern Wind, wenn wir speisten.

Es war Mittag. Rodriguez kam zu mir. Er setzte sich auf die Binsenmatte. Dann stand er wieder auf. Dann stützte er sich gegen das silberne Kohlenbecken. Er sagte: „Sennor, Maintoni ist traurig.“ Ich tröstete ihn. Ich sagte ihm: „Es wird die Hochzeit sein, Rodriguez.“ Doch er schüttelte den Kopf.

Ich fragte Maintoni. Maintoni sagte: „Ich bin nicht traurig. Ich freue mich, Sennor.“ Aber Maintoni hatte rote Augen.

Da sagte ich: „Maintoni! Rodriguez leidet sehr.“ —

Maintoni bekam große blendende Augen! „Sennor, Rodriguez liebt mich. Ich liebe ihn auch. Rodriguez hat mir das Leben gerettet. Sennor, was habe ich, um es ihm wiederzugeben? Nichts, Sennor.“ . . .

Am Tage vor der Hochzeit kam Sor Gracia. Sie setzte sich lang zu der Alten, die immer sprach. Der Saal war weiß gestrichen. Oben lief eine Borte von gemalten Heiligen. Aus der Achsel eines jeden wuchs ein Arm aus Messing. In der Hand hielt jeder eine Kerze. Sor Gracia zündete alle Kerzen an. Es mochten hundert sein.

Sie sprach noch, daß sie am Jüngsten Tage eine kleine Harfe spielen werde. Sor Blanca und Sor Uraca würden auf Violen geigen. In den halbdunklen schlaflosen Nächten der gemeinsamen Zelle sprächen sie oft davon.

Viele Leute kamen. Frauen in grünen und gelben Miedern. Frauen in Schuhen ohne Absätze, in Schuhen aus Seide, in Schuhen aus Seide mit Gold, mit Silber, mit Muscheln, mit vielen weißen Perlen bestickt. Sie tanzten Fandango. Sie tanzten den Bolero. Maintoni tanzte. Rodriguez tanzte. Alle anderen sahen zu. Kastagnetten trommelten. Tamburine und Flöten klangen. Die Männer schnalzten mit den Fingern. Andere schlugen in die Hände. Eine Sackpfeife spielte mit hohem, eintönigem, melancholischem Klang. Maintoni trat allein vor. Sie neigte sich vor Rodriguez. Er folgte. Die Glieder spannten sich in einen heißeren Rhythmus. Sie wuchsen, umkreisten sich. Sie wölbten die Brust. Der Rücken bog sich, die Hände wurden heiß. Dann hielten sie in einer plastischen Pose, lösten sich und gingen allein in das Dunkel. Sie kehrten bald zurück.

Die Gäste gingen.

Ich stieg hinauf, um zu schlafen.

Es war spät in der Nacht.

Ich wachte auf. Ein wahnsinniger Schrei gellte, pfiff, peitschte sich durch das Haus. Ich stürzte die Treppe hinab. Unten glitt ich aus. Etwas Dunkeles fiel auf meine Augen und drückte. Als ich erwachte, lag ich schräg auf der Treppe. Langsam stand ich auf und ging hinaus.

Links lag ein Mann. Ein kastilisches Messer stak in seinem Hals. Nur Leute, denen der Tod in die Gurgel fährt, können so schreien. Blut sah ich keines. Es war Rodriguez.

Es war halbdunkel. Vor meinen Augen kreisten rote Räder. Flimmernde Punkte sprangen hin und her.

Maintoni und Joaquin Pelayo standen dicht nebeneinander. Ich ging hin. Da lag noch ein Mann. Alles drehte sich vor mir. Aber ich wunderte mich nicht mehr. — — — Es war dasselbe Gesicht des, der lächelte, als er Graf Perdicans Wechsel in die Tasche schob . . . dasselbe, das grünunterlaufen war, wie ich es vor Frau von Montbellaires Loge sah.

Die Lippen waren dunkel. Ein schmaler Streif Schaum hing aus dem Mund. Im Gesicht waren blaue Flecken. Der Hals war angeschwollen und am Gurgelknopf rot wie rohes Fleisch.

Er war eingebrochen. Die Diamanten hatten gereizt. Rodriguez war dazugekommen. Das Messer . . . der Schrei . . . Pelayos Faust hatte ihm den Kehlkopf zerdrückt. — — — Ich sah alles.

Maintoni weinte nicht.

Das Meer lag wie eine große Perle da.

Der Kopf des Fremden stand schräg über die Schulter in die Höhe. Der Hals wölbte sich heraus. Es konnte nicht mehr lange dauern.

Die Augen sahen nun aus, als hätten sie den Star. Die Pupillen wurden grau. Sie wurden breiter und brannten mit einem verschleierten Feuer. Die Nägel hatte er in die Handflächen eingeschlagen. Die Arme lagen still neben ihm. Alles Leben stand nur noch im Krampf der Pupillen.

Dann brach der Blick. Ein Zucken lief vom Hals über die Brust und spielte mit schwachen Erschütterungen über den Bauch.

Da tat Maintoni dies, das größer war und furchtbarer, wie alles, was Rodriguez gab, als er sie von der Klippe rettete . . . Maintoni tat es: sie trat dem Sterbenden mit dem Fuß breit ins Gesicht; sein Kopf rollte schwerfällig zurück.

Und Maintoni lief hinunter zum Strand. Sie warf sich vor dem Meer auf die Knie, und indem sie in den ungeheuren Glanz der kommenden Sonne viele Male hineinrief: „O Santa Maria . . . Santa Maria de la Mar . . .“, schlug sie die Hände vor das Gesicht, weinte laut und schrie.

Fifis herbstliche Passion

Brigitte: Und begreifst du nun das Leben?
Ulrich: Jetzt begreife ich den Tod.

Carl Sternheim

Und niemals wieder war die Liebe so sanft, demütig und rein,
So voller Musik wie da . . .

Ernst Stadler

Die Straßen mit den tagmüden, grauen Trottoirs wurden gesprengt, und die schweifhaften, breiten Güsse, die den säenden und starken Gesten der Männer entflogen, legten sich klatschend und eigenwillig auf den Boden. Es wurde Abend. Die Weiden und Eschen der Gärten schwebten scheu und flimmernd vor der ungeheuren Ruhe des opalenen und tiefgelben Himmels. Und wie das Wasser das Irisierende aus der Luft sog, schritten die Menschen über die Straßen wie über Bilder von Signac oder Croß: Eine Viertelstunde brannte die Stadt in einer stillen Glut von gelbem Getupf.

Brandfeuer rannen in dünnen Strähnen dann in die Stadt und mischten sich Glockengeläut und dem grausamen Drang einer fressenden Dämmerung. Wie Schlünde tagelang entfeuerter Kanonen brachen die Schloßfenster über die auslöschenden Häuserquadrate, feierlich, hart und alt, eine Zeit noch hinaus.

Dann sprangen die Laternenreihen die Straßen hinunter und erreichten, leichtes Geknatter der Zündung zurücklassend, den Platz, der mit rasender Wucht an tausend Ecken, Schnüren und Windungen von Licht geborsten und aufgerammt war und über den ein tiefdunkler, sterndurchlochter Herbsthimmel schräg und kühl heraufwuchs.

Fifi erschien auf dem Podium.

Von den Schießbuden klang schon das Hämmern der Treffer, die Spielorgel setzte ein. Aber aus dem rechten Ausgang der Baracke trat ein herkulischer Mann, winkte ungeduldig mit der Achsel, die Orgel schwieg: Fifi setzte die Spitze des rechten Fußes nach hinten auf, stellte die Arme wie Henkel auf die Hüften und wartete. Der Große fing an zu schreien. Seine Arme ruderten durch die Luft, sie umschrieben die gewagtesten Figuren, hemmten sich gegenseitig und warfen sich in gelungenem Überschwall auf das Publikum, weit geöffnet, hinaus. Ein verknickter Hut saß ihm auf dem Kopf. An den Griffstellen glänzte er. Der Rock war zerdrückt und hing um den Körper, dessen Fleisch schwammig und unangenehm schien. Es ist zu betonen, daß die Figur herkulisch war, um die Augen zu verstehen, die, wenn die Brust und die Gebärde sich herausspreizten und mit pompösen Auftakten in die Höhe stiegen, klein und feig dies alles wieder leugneten und ängstlich wie Wassertropfen von einer öligen Fläche an dem angesammelten Publikum abliefen. Sein Mund rief heisere Worte hinunter. Er schrie. Er warf geifernde Reden den Leuten ins Gesicht. „Seht,“ rief er, „auf Fifis Tanz. Kommt herein, alle,“ und er winkte, „nur Erwachsene dürfen kommen: Plastische Darstellungen . . . pikante Szenen . . . (es war, als zerdrücke er etwas Klebriges im Munde.) Der König von Griechenland haben uns beehrt in Wien. Höchste Herrschaften drückten ihre Bewunderung“ . . . und so sehr lief eine Welle von Ekel von seinen Sätzen und dem wissenden Winken seiner plumpen Hände aus, daß zwei forsche Unteroffiziere selbst sich brüsk wandten und gingen. Über der Baracke stand rot auf blau: Pariser Relief!

Der Alte hob die Hand, die Orgel schlug an, und vor dem in einem Teil aus dem Strudel wieder zusammengeschlossenen Publikum trat Fifi in ihren Tanz ein.

Zwei junge Leute waren inzwischen gegenüber eingetreten in „die Schönheiten des Orients.“ Vor der Bude standen zwei Palmen und ein dickes Weib, alt, voll Vergangenheit, mit bösen weißen Augen. Sie war die Frau des Athleten; Orient und Paris lagen gleich zwei Rachen auf den beiden Seiten der Meßstraße und bissen sich Opfer heraus. Doch ging der Orient besser, und Paris sank von Stadt zu Stadt. Fifi hatte feine Fesseln, aber Lizzy, genannt Luise, hatte Hüften wie ein Dynamo. Und an ihren Zoten gingen die beiden Männer vorbei, schauten durch runde Gläser eine Photographie von Dschiseh und traten, indem sie einen Teppich zurückstießen, bei Lydia ein, der Dame ohne Unterleib, die, in grünem Samt, in einem Sesselstuhl saß und rote entzündete Augen hatte.

Der eine der Herren zog seine Handschuhe an, und nach dieser symbolischen Handlung traten sie rasch den Rückzug an. In Jena hätten sie Ringkämpfe aufgeführt mit den Studenten, rief ihnen Lizzy nach, genannt Luise.

Gleich einer unangenehmen Luftschicht fiel dies hinter sie zurück, und sie traten hinaus in das Erregte des Platzes, in dem die breiten, musikbeladenen Karusselle schwammen und sich überrasten und Geglitzer von Spiegeln, Lichtschnüren und bunten Mädchen vorüberdrehten und auf dem ein Meer von Menschen schiebend, erregt und drückend sich schaukelte, über denen Schüsse knallten, Schreie hin und her zuckten und laute Glocken dunkel aufzitterten.

Da wandte sich Franz plötzlich herum und zog den anderen mit. Sie brachen durch den Strom, und indem sein Gesicht sich erhellte, zeigte Franz auf Fifi und sagte: „Die leichten Bogen dieser Beine sind entzückend schön . . .“ Sein Gesicht hatte eine vollendete Güte, die das Kühne und Auffallende dieses Profils in einen seltsamen Adel steigerte.

Und wie er dies sprach, die Lippen nur wenig bewegend, fielen Fifis Blicke plötzlich auf seine Augen, und die Blicke hingen sich ineinander, bis die Orgel mit einem aufflammenden Stoß plötzlich schwieg. Der Herkulische trommelte rasselnd auf einem Schild, Fifi war zurückgetreten, er winkte zum Eintritt, aber nur ein Einziger folgte, die Menge schob weiter.

Und Franz und sein Freund wurden weiter gedrückt, als sie sich der Strömung übergaben, vorbei an dem grünbemalten Gerüst, in dem Menschenfresser hausten. Drei Cowboys, mit roten Blusen, kokett, über die eine ganze Prärie unbändig eine halbe Woche lang eitel brüllendes Gelächter wäre, schossen zeitweise Revolver prahlerisch in die Luft. Ein echter Mexikaner hielt eine Harpune hoch mit rotblänkerndem Fleisch. Überall lief der Witz, daß die Menschenfresser — Krokodile seien, und weil das Volk voraus wußte, daß es geleimt würde, zog man in Scharen hinein.

Dann kam die große Bude mit den „Fliegenden Menschen“, zwei Mädchen in blauen Trikots mit Silberschnüren: die eine blond und mit dem Anfang der sich wölbenden Formen, die eine sonderbare Sinnlichkeit aussprühten, und die andere mit ziselierten, knabenhaften Gliedern, schwarz, das Gesicht Toulouse Lautrecs Durchschnittsmodell (breit, gemein, verworfen) mit einem unheimlichen Gerank von Feinheit, Seele und Keuschsein darüber. An der Galerie entlang stand die Familie, sechs Menschen, und bliesen Blechinstrumente, und die Mädchen oben wiegten in das Derbe, Kommune der Straßenwalzer das Gezitter ihres Tanzes. Ihre Bude war ganz voll. Immer!

Und als Franz dem Strom entkam und wieder zurückeilte, sah er, wie Fifi, mit einem Stoß herausgedrückt, aus der leeren Baracke taumelte, rasch sich faßte und anfing zu tanzen, mühselig, müd und fein und beschwingter, als sie Franz erblickte. Nur kleine Truppen blieben stehen, die Masse strömte zu den Fliegenden Menschen.

„. . . Augenstern . . .“ rollte es von unten herauf.

Es war spät geworden. Die Orgel schloß. Fifi verbeugte sich. Der Athlet rief den Beginn der Vorstellung aus. „Soeben Beginn . . .“ rief er und schnalzte. Aber niemand stieg auf. Er schrie. Niemand. Da ging er, von der Leere beschämt, verlegen einmal über das Podium, verschwand ins Innere, lauerte bis die Gruppe sich ganz verlaufen hatte und trat wieder vor. Fifi schlich wieder heraus. Wie eine große Spinne hing der Herkulische auf seinem Podium. Franz stand beiseite, beobachtend, den Kopf schief aufgelegt. Und wie eine Truppe nahte, fing der oben an, Schlüpfriges zu reden, ein Wink, die Orgel: Fifi . . .

Die Leute hielten, schoben ab, es wurde später, das Gesicht des Alten rötete sich, er suchte die Uhr. Immer wieder verschwand Fifi, immer begann der Spektakel, rascher, hastiger wandelte Szene auf Szene: das Greifen und Locken nach spärlichen Passanten, das Weitergehen, das Versinken Fifis und die bleierne Schwere ihres Tanzes, angezündet manchmal und heftiger im Erblicken von Franz. Dann ward es zehn Uhr. Polizei drängte mit Seilen vor, die Pfeife des Dampfwerkes heulte, die Menge lief ab.

Über den leeren Platz, durch einen schmalen Gang, den Schutzleute freihielten, und um den Gruppen Neugieriger standen, kamen nun die Artisten, zum Teil mit Mänteln, die sie über das Bunte und den Flitter gehängt hatten und die so zwischen den Angestellten, den lichtlosen Buden und mit ihren andersgewordenen Gebärden plötzlich desillusionierend und doch noch von dem erregenden Arom ihrer Gewerblichkeit umwittert, in die Straße hineinströmten. Zuerst kamen großspurig und in der starken Lüge der hohen bespornten Lederschuhe sich wiegend, die Cowboys aus Dresden und Garmisch.

Ihre Sombreros hingen im Genick. Die Hand stak in der Revolvertasche, so daß Dienstmädchen erschauerten und in Knaben dramatische Perspektiven sich loslösten.

Hinter der bewußten Brutalität der Ringkämpfertruppe mit dem haarlosen Bär schritt die Besatzung der Schießbude links ganz hinten. Sie hatten alle halblange Röcke an und Kleider, welche schöne und zierliche kleine Blumenmuster trugen, im pfingstlichen Stil mancher Bauernkattune, und wie sie, zu zweien links und rechts der ebenso gekleideten und schön aufrechten Mutter eingehängt, die Köpfe gebeugt, zierlich zu ihrem Wagen trippelten, erschienen sie wie eine Porzellangruppe aus einer kleinen, bürgerlich-graziösen, deutschen Manufaktur.

Dann: Leere . . . und Fifi . . . Schmal, doch köstlich in einen gelben Gummimantel gehüllt, fröstelnd, den Platz mit Adel ausfüllend, kam sie auf den Ausgang zu. Mit der dünnen linken Hand krampfte sie den Kragen über die Brust vor dem Hals zu wie mit einer weißen Agraffe. Die Lippen waren rot und merkwürdig wie mit feinem Lack auf das bleiche Gesicht aufgetragen. Sie stieß kurz vor der Straße mit den anderen zusammen. Die Alte trug einen Milcheimer. Der Herkulische schlappte unangenehm her, schrie ihr etwas zu, Lydia — ein dickes aufgeschwollenes Tier — ging idiotisch, faul nebenher, ohne Umhang in grünen Samthosen. Lizzy lachte mit allen Herren. Mit gierigen Augen schloß sich der Mexikaner von den Krokodilen Fifi auf der anderen Seite an, daß sie zwischen ihm und dem Athleten um so reiner erschien.

Schräg auf der Holztreppe, die in den großen gelben Wagen hineinlief, in dem sie wohnten, wandte Fifi den Kopf und sah somnambul verklärt nach der Stelle, an der Franz stand (den sie nicht — dies war auffallend und seltsam zugleich — gesehen haben konnte) mit dem Bruchteil eines Lächelns, während der Mexikaner in lüsternem Scherz sie, mit auf ihre Hüften aufgesetzten Händen, ins Innere drängte.

Worauf sie mit schmerzlichem Aufziehen der Achseln reagierte.

Später glitt der Mexikaner aus dem Wagen. Eine Zigarette drehend, mit der Eleganz des Romanen alle Glieder bewegend, schlenderte er zur Artistenschenke. Franz, der noch lange den Wagen umkreiste, sah Licht aus den schmalen Luken dringen und hörte keifende Stimmen das Innere des Raumes hin und her zerreißen. Dann nahten mit schwerem, gleichabgetöntem Schritt die Patrouillen.

Es ward spät.

Er ging.

Alle Tage tanzte Fifi. Es war kühler geworden. Ungeheuer gewölbt spannte sich der Himmel. Sinnlose Monde stiegen über die Nächte hin. Franz sah sich aus allen Beziehungen zu Welt, Gesellschaft und Dingen herausgerissen und in die Aura dieses Tanzes mit allen auffassenden Fiebern hineingerissen. Bei den „Fliegenden Menschen“ stieg täglich der Kassensturm und die Sensation. Der „Orient“ verdiente gut an reiferen Herren. „Paris“ brachte es von 8—10 abends manchmal nur auf eine Vorstellung. In den Pausen tanzte Fifi. Der Alte winkte, schrie, ward gieriger, je später die Zeit hinlief. Verkündigte Anfang der Vorstellung, er öffnete die Vorhänge, Fifi tänzelte ins Innere. Niemand kam. Manchmal vielleicht zwei Herren. Und dann packte der Alte Fifi mit seiner Tatze an der Schulter und schleuderte sie hinaus. Die Orgel hob an, Fifi erhob die Füße, hinten der blaue Horizont der Draperien gab ihren Bewegungen Haltung und Relief, und die müden Schwingungen ihrer Arme und Beine waren wie das kurze Geflatter einer Libelle, die, in der Luft anhaltend, über einem schönen Gewässer erblitzt. Langsam im Fortschreiten des Abends wurden ihre Gesten müder, von einer schmerzlichen, bleihaften Schwere überhaucht. Franz hörte das Pfeifen ihres Atems. Und wenn sie, leicht gerötet die Wangen, schloß, fiel die Kühle des Herbstes auf ihren Schweiß.

Einige Tage blieb Franz an der Peripherie des Zuschauens von Mitleid und schmerzlicher Bewunderung angefüllt. Manchmal schien es, als müsse der nächste Pas sie stürzen, in sich zusammensinken lassen. Doch sie blieb. Ihm aber widerstrebte es, auf diese leichte Weise an sie heranzukommen, die unter den Augen des klebrigen Athleten oder mit dem Beigeschmack der gewohnten leichterotischen Anknüpfung sich vollziehen mußte. Er fühlte, daß er Inhalte in sich trüge, die in ihrem Wesen auf dieses Kind abgestimmt seien, und die Schwere dieses Bewußtseins nahm ihm den Mut zur Leichtigkeit. Ihre Blicke trafen sich hin und wieder — nicht oft — aber in einem berückenden, außerweltlichen Zusammenhang.

Sie waren schon tief ineinander eingewöhnt, als sie ihre Stimmen noch nicht kannten.

Dann kam jener Abend. Donnerstags.

Es war ein schöner Abend, mit bunter Kühle, sternhart, der Park voll gärendem Geräusch. Er zog sich wie ein Strom durch die Stadt, englisch, überdunkelt und alt im Sommer, winters bereift, immer schön. Die Lichtgurte ganzer Grenzstraßen warfen sich in ihn hinein, schimmerten im kleinen Teich, aber er gab kein Dunkel wieder zurück. Nahm alles auf mit großer, tiefer Selbstverständlichkeit. Stand geborgen, bergend, unberührbar, geschlossener Komplex von Vornehmheit, asylhaft wie ein Zentrum, um das die Stadt mit Geleucht rotierte. Donnerstag abends . . .

Es war schön.

Zwischen sieben und acht, genauer: Eine Uhr im Schloß hakte ein: Fünf Minuten bis halb acht Uhr! Franz ging langsam zur Messe, die acht Uhr begann, die vorher um sieben aufgehört hatte: Zeit, in der die Artisten aßen. Seine Gedanken gingen langsam, gemächlich, nichts erwartend, ohne Tatkraft um das innerlich abgespiegelte Bild von Fifis Tanz sich bewegend, Erklärungen ersinnend, von einer leisen Sehnsucht aufgelockert und beschwingt gemacht. Da knirschte es, und noch ehe ihm durch sein Geträum das Bewußtsein heftiger Schritte und haschender Bewegungen ins Gedächtnis stieß, hieb mit einem unendlich scharfen Akzent ein Schrei in ihn hinein, warf ihn herum. Er lief über ein Grasrondell, stolperte, stieß an ein Gitter, sprang darüber. Sein Hut war verloren, der Ärmel geschlitzt, seine Brust zitterte. Er stürmte um ein eingezäuntes Denkmal, mußte umkehren, lief in einen dunklen Weg, packte einen Mann am Genick und schmiß ihn zurück, daß sein Körper krachend an die Stakete knallte und an ihnen wie eine dumpfe Masse niedersank. Hinten im Weg leuchtete der rote Kopf einer Zigarette auf, bewegte sich her. Neben ihm selbst stand Fifi, die Arme noch schräg aufgehoben, die Augen ganz groß in der Form und schalenhaft, in die nun plötzlich ein beinahe bläulich erglänzendes Licht floß. Zwei schimmernde Kreise, standen die Augen in ihrem Gesicht.

Und so die Hände haltend, ungeschickt, doch ganz sich in der Geste erfüllend, tat sie einen unnennbar müden und langsamen Schritt auf ihn zu, das Gesicht transparent, mit zwei schimmernden Hostien. In diesem Augenblick lief das Geknatter rasch folgender Schüsse neben ihnen hin, und wie sie umschauten, war es nur noch Fifi, die sah: sah, wie Franz dem Hingesunkenen den Revolver aus den Fingern riß, ihm den Kolben gegen die Schläfe hämmerte und ganz groß auf sie, die zitternd harrte, zuging.

Doch ehe er sie erreichte, war die Zigarette heraufgekommen, zwischen sie gesprungen und löste die Luftströme los, die zwischen ihnen liefen.

Es war der Mexikaner. Er fragte rasch, schrie es: „Verletzt?“ Franz zeigte den Revolver; er deutete auf den Klumpen am Gitter. Der Mexikaner riß sein Gesicht in Falten, fauchte, trat dem Klumpen in den Bauch, schnippte das Bein hoch, daß der Körper herumfiel, senkte seinen Kopf dicht neben den Liegenden und sog heftig an der Zigarette, daß ein roter Kreis auf die Erde fiel, in dem mitten ein asketisches, von vielen Narben und Stichwunden durchbohrtes Gesicht auftauchte.

„Der Fakir,“ . . . schäumte der Mexikaner. „Man sollte ihn peitschen“, . . . und fing an, ihn mit den Füßen zu bearbeiten. Wie Franz ihn hinderte, fiel sein Blick auf Fifi.

Sie war ganz verändert. Ihr Gesicht war wie ein weißer Fels, über den in zuckhaft raschen Stößen rote Wallungen strömten. Blitzhaft wechselten Hell und Rot und drohten, den Hals zu sprengen.

Und während sie wieder auf Franz zuging, als trüge sie alles gegen ihn, zitterte ein Klang, rauh, gegenströmend, in ihrer Kehle auf, und wie alle Glieder zu ihm drängten, hielt sie ein Schluchzen zurück; sie warf den Kopf zur Seite, gewaltige Erschütterungen lösten sich aus, und gleich einer Verurteilten ließ sie sich gegen den Mexikaner fallen, der sie verwirrt aufnahm, der nach Franz schaute, wieder auf sie, maßlos erregt und erstaunt schien. Dann plötzlich, aber mit unverstehender Achselbewegung seinen Mund auf ihren warf und in langem Kusse sie wegzog.

Franz stand noch eine Weile.

Dann drehte er um.

Hinter ihm stand der Fakir. Er bat um seinen Revolver. Er sagte es englisch.

Nichts schien Franz selbstverständlicher, wie diese Folge fremder Laute. Er gab ihm den Revolver.

Der Fakir verbeugte sich, ging. — —

Fifi erhielt Faustschläge, weil sie zu spät kam. Der Herkulische beulte auf sie los und sie erschien unter seinen Händen wie ein feines Tuch Spitzen in der wringenden Faust einer grobknochigen Wäscherin. Sie gab keinen Ton. Sie tanzte den Abend, daß es vier Vorstellungen gab. Sie tanzte, daß ihre Beine glühten wie die wundgespielten Saiten einer schönen Violine, während die Kühle auf ihre Brust drückte, aus der in langen, keuchenden Stößen ihr Atem rang.

Franz kam nicht.

Sie tanzte die Abende des Freitag und Samstag rasend und aufglühend herunter wie Spulen, die ihre Füße abtraten. Es wurde kälter; erbarmungsloser drang der Herbst ein. Fifis Mantel trug nun Luise, eigentlich Lizzy, unter dem ihren. Als Fifi danach fragte, schrie der Alte sie nieder. Das dicke Weib mit den weißen bösen Augen keifte, sie solle mehr verdienen und wies mit einer vergleichenden und stolzen Gebärde auf den einträglichen Busen der Dame ohne Unterleib.

Sonntag tanzte sie den ganzen Tag.

Das Landvolk strömte in die Stadt, schob sich, in Keile zusammengepreßt, über den Platz, der staubte, den eine am Tag mitleidlose Sonne zusammenbrannte, auf die die Kühle so unmittelbar folgte, wie das Dunkel plötzlich und hastig vorsprang.

Um sieben lief Fifi torkelnd nach dem Park, streichelte das Gitter, an dem sie damals gelehnt, kniete nieder dicht neben der Pfütze, wo Franz gestanden und berührte mit den Lippen den Boden. Dann lief sie weiter, kam durch ein Tor, eilte durch eine Straße und stand wieder auf einem Platz mit stillen Bäumen.

Mitten darin stand ein rundes Kuppelhaus, zu dessen Tür viele Stufen führten, über der Fahnen hingen und in gewaltigen Lettern das Wort erglühte: „Deo“, das sie wohl nicht begriff, das sie aber sänftete und hineinzog, wo sie Weihwasser nahm und in einer Nische unter einem in vielen Farben erstrahlenden Fenster sich auf das Dunkele der Steinfliese warf und so weinend ein Vaterunser schluchzte, daß von zwei vorübergehenden Damen eine erregt und voll Neid über diese inbrünstige Stärke, höhnisch auflachte, wie von der schrillen Einfachheit irritiert oder eine (schon im Klang der Stimme voraus desavouierte) Überlegenheit heuchelnd und darstellend.

Fifi aber rief aus einem immer wilderen Weinen heraus, böhmisch, das die Leute nicht verstanden, aber an dessen Lauten sie dennoch wie angeseilt hingen, rief mit lauter und klarer Stimme, die aus allen Seiten der Kirche wieder auf sie zurückströmte, ein Gebet.

Der Schweizer war herbeigelaufen. Er wollte der Störung nachgehen, die Weinende, deren heftige Andacht sich über jene der anderen Gläubigen übermäßig und sie gering machend auftürmte, beruhigen, sie hinausweisen . . . aber er blieb wie gezwungen an einen Pfeiler gelehnt stehen, Staunen und nicht begreifendes Wunderbare über sein wenig gescheites Gesicht gestreut, wie hingewiesen und in diese Position gebannt von dem seltsamen Geläute dieser Stimme.

Aus dem klaren und in langen tönenden Linien verschwebenden Glanz ihrer Sätze aber lief in verströmenden Untertönen ihre Qual. Und ihr Gebet begann mit dem dunklen Schmerz ihres Zimmers im gelben Wagen, das ganz ausgefüllt ward von dem breiten Bett, in dem sie zu dritt schlafen mußten: Sie und Lydia und Lizzy, genannt Luise. Und wo ihr Körper hinausgestoßen liege auf die äußerste Kante, wo wenig Decke sei. Aber das alles sei wenig und tief im Herzen sehr gering gegen die Reden von Lizzy und jenen Abend, an dem der Alte den Teller, voll von heißer Suppe, ihr auf die Brust warf, als sie beten wollte nach einer durchquälten Nacht. Und so in dem Gedanken daran sprangen alle Ventile der Angst und Unterdrückung weit auf, und in einem köstlichen und befreienden Erguß strahlte sich ihr verjochtes Leben heraus, wie eine lang im Tiefen der Rohre. gehaltene Fontäne sich in einen späten Sommerabend mit starker und doch resignierter Kurve erhebt. Und in ihren Worten glommen die Namen der beiden auf, zwischen denen ihr Leben in den letzten Tagen ein hin und her gerissenes Spiel war: Franz und der Mexikaner, den sie Partufa nannte. Und der Klang ihrer Stimme sank etwas zurück in der schmerzlichen Erinnerung der Abende, an denen jener bei ihnen eindrang, begrüßt vom entsetzlichen Gelächter Luises, den tierisch und röter aufblinkenden Augen Lydias und ausgezeichnet durch das indolente Nichtbeachten des Alten, in dessen schmierigen Beutel die Hälfte von dem floß, was die Krokodile einbrachten. Indem sie den Kopf im höchsten Schmerz tiefer senkte, dachte sie an das Gefletsch und den Schaum um den Mund des Partufa, wenn er sich von Lydia und Luise wegwandte zu ihr, die, den Kopf gegen die Wand gedreht, dieses nicht sehen wollte und wie sie kalt blieb und im Gebet sich beruhigend, wenn die anderen Mädchen (o über Lizzys Gelächter und schmutzige Reden!) sie bewegen wollten, auch diese Dinge nur anzusehen . . . und wie Lydia aus Wut sie eine ganze Nacht hindurch mit Nadeln stach. — Doch ihre Silben mäßigten sich wieder zu einem verklärten Rhythmus, als ihr Gebet an den anderen stieß, den mit dem gütigen Gesicht und den Sonnenaugen, und sie dankte Gott tief und herrlich errötend für die Nächte, die er im Traum diese Augen über ihren Schlaf wie hütende Gestirne verteilte und so die Nächte zu einem Berg erhob, den kein Schmerz und keine Demütigung des Tages berennen konnte. Und wieder und immer wieder dankte Fifi dafür, daß der Herr ihn, Franz, den Gütigen in ihre Not sandte, damals, wie der Fakir im Park sie überfiel, um dann wie vor einer Mauer und endlos erregt vor dem Wunder stehen zu bleiben (während ihre Stimme fast erlöschte), wie sie damals plötzlich und wie von einer Macht, die aus ihr selbst heraus allen ihren Wünschen entgegenströmte, sich in den Arm des Mexikaners warf und die kalte Übelkeit seiner Lippen auf den ihren fühlte und den anderen stehen ließ, gleich einer begnadeten Heimat, die man verläßt für immer, und deren letzte Feuer, hoffnungslos für den Ziehenden, langsam am Ufer verbrennen. Und sie sann mit flackernden Worten über den Sinn dieses Ereignisses und die Ursache dessen, was einen Menschen zwingen kann, die höchste, nie erhoffte Sehnsucht, wenn sie erscheint, liegen zu lassen . . . nein . . . nicht nur dieses: sie zu verschmähen — o vieles mehr — sie zu höhnen und zu begeifern schier, sie zu schmerzen mit einem strengsten Schmerz. Und wie sie sich forschend, weinend, in Verzweiflungen wälzend um diese Fragen wand, erschien es ihr, als ob es eine Angst vielleicht oder ganz gewiß gewesen sei, die sie vor dem plötzlichen Glück überwältigt und ein Unbesonnenes hatte tun lassen, und sie schrie auf, wie sie dieses Entsetzliche — sich selbst in den Armen des Partufa — erblickte. Aber dann kam es ihr, daß es nicht die Angst gewesen sei. Sie erkannte etwas, das einer Schuld ähnelte, in ihrer Brust und glaubte nun betend und es so versichernd, daß es Trotz gewesen sei, nicht Angst; daß es Aufbäumen gewesen sei aus der allzu großen Tiefe dieses vergangenen Lebens vor der plötzlich viel zu strahlend aufgereckten Perspektive jener höchsten Erfüllungen. Aus diesen hin und zurück schwankenden Gefühlen brach dann der Haß gegen den Mexikaner hervor, und nachdem sie in schrillen und ekstatischen Rufen ihn hervorgestoßen hatte, fiel sie wieder in ein beruhigtes Beten zurück, fühlte, wie diese gläubige Erschöpfung sie umfaßte, welche all diesen Entladungen zu folgen pflegt und lag dann eine Zeitlang ausgestreckt auf den Steinen, bis Menschen ihr zu Hilfe eilten, im Glauben, daß sie ohnmächtig sei. Da sprang sie auf und eilte durch Straßen und Park zur Messe. Sie kam zu spät. Der Alte trat ihr mit dem Fuß in den Bauch.

Aber sie spürte es nicht.

Tanzte, wie sie nie getanzt hatte, groß, vorwurfsvoll, in Tragik und Schmerz vertieft und einem brennenden Feuer zugebracht. So erblickte sie Franz, der heute wieder unter dem Publikum stand.

Sie tanzte schöner, fühlte, wie eine Süße den Leib ihr hinanstieg, alles löste und ihren Augen Glanz gab und Glauben. Sie tanzte nun, um den starren Blick des da unten frei und klar wieder zu machen, und all ihr Sinnen stand danach, die Güte dieses Auges neu zu erwecken. Ein berauschender Glaube überfiel sie, daß der noch so sehr Enttäuschte und Erstaunte nun alles begreifen müsse: daß es zuviel gewesen sei für sie damals, daß sie ängstlich, trotzig vor dem Schicksal gewesen sei. All dieses tanzte sie nun. Und sah in seine Pupillen und lauschte auf Wirkung, wie einer an Abenden hinter der Ebene den Mond über dem Strich der Wälder sucht. Sie glaubte nicht mehr, daß alles verloren sei, wieder überbrandete sie die absolute Zuversicht, jener da unten begreife allmählich, was, als alles zu ihm allein zog, sie auf die andere Seite warf. Sie fühlte, wie jene Schauer des Glücks, das Widerstreben in ihr gezeitigt hatte, weil es sie wie eine Keule überfiel, nun in langsamen Zügen wiederum in sie einzogen.

Sie tanzte sich in einen leuchtenden frommen Glauben hinein, der sie erschimmern machte, aber noch blieb das Gesicht von Franz (doch sie sah dies nicht, sah nur die Wandlung, an die sie glaubte) kalt und hart.

Eine erdrückende Luft schob über den Platz, gleich Wellen stießen die Anstürme der Menschen gegen die Wände der Buden. Alle Baracken hatten heut eigene Orchester, die sich ineinanderwirrten. Kinderballons stiegen in die Höhe. Das spitze Geknatter von den Schießbuden, das Gedudel der Karusselle und das Geschrei übertönte das Geblitz der Revolver und das Stampfen und Pfeifen der Maschinen

Fifis Augen strahlten, bettelten, wurden groß und erzählten alles, was sie wußte noch von der dumpfen Dämmerung einer Wiese, die irgendwo in ihrem Hirn aus der Kinderzeit brütete bis zu der Liebe zu ihm, dem Gütigen. Sie riefen um Verzeihung, wurden stolz in seinem Verstehen, das sie deutlich erstrahlen zu sehen glaubte, und dankten ihm.

Aber er verstand sie nicht.

Ihre Beine bewegten sich immer rascher in gewölbten Bogen, ihre Hände schienen etwas zu glätten, sie tanzte weiter. Ihre Augen wurden immer linder, ihr Gesicht ward durchsichtiger und kleiner, die Beine hatten ein Tempo der größten Ekstase erreicht, ohne daß sie etwas zu merken schien. Dann fielen sie langsam in einen dumpferen Rhythmus, die Blicke strahlten überirdischer, ein leises Lächeln zog dankend für seine Güte nach seinem immer noch unbewegten Gesicht, in das sie viele Wunder hineinschaute . . . und so tanzend, geklärt und eine merkwürdige Leisheit erregend, die kurz eine Sekunde sich über den Platz verteilte, losch sie, während die Rohre der Dampfmaschine plötzlich lautlos Säulen weißen Dampfes gegen den Himmel stießen und ein großes Haus hinter dem Platz wie grundlos von einer hellen Strahlung mächtig aus dem Dunkel herausgerissen aufflammte . . . losch sie, sich in sich selbst verströmend, tanzend, zusammensinkend, hin wie ein seltsames und gutes Licht.

Yousouf

. . . ich glaube indessen, daß, hier wie
überall, Liebe eine Kunst ist wie das
Reiten und Flöteblasen.

Der Marquis de Langle

Die Herren standen in dem Vorsaal und klirrten leis mit den Degen. Ihre Gespräche liefen verhalten und erwartungsvoll.

Dann flogen die Flügeltüren auf und Las Casas trat aus dem Kabinett. Sie sahen sofort sein Gesicht, das beherrscht in der Rampe stand und dann an ihnen vorbeischritt. Sie sahen Stolz darin und verbeugten sich. Einer ging auf ihn zu und sagte ein paar Worte. Man sah nur seinen gekrümmten Rücken. Der andere dankte mit der Höflichkeit einer wahnsinnigen Verachtung und ging weiter.

Im folgenden Saal standen größere Gruppen. Er mußte wie durch eine Gasse gehen. Alle grüßten ihn tief. Las Casas dankte herablassend, denn es war niederer Adel.

Darauf glitt er durch eine Flucht von Räumen, die in Röte brannten von Decken und Möbeln und in denen auf beiden Seiten verwischte Bilder von ihm über die Spiegel fuhren und Hellebardiere standen, die den König zum Bad begleiteten . . . und wo sonst nichts war als das einsame Hallen seines Schrittes.

Und dann löste sich aus einer Nische ein junger Mann und ging auf ihn zu mit einer sicheren und allgemeinen Haltung.

„Sie haben . . .?“ fragte er.

„Ich habe . . . Luis Quijada . . .“, sagte Las Casas und riß die Papierrolle auf, die seine linke Hand trug. Der junge Mann zuckte leis und verbeugte sich kalt und so unwillkürlich, wie wenn er auf einem Schiff stünde. Er hatte blonde auffallende Haare.

„Ich werde“, sagte er fest und beiläufig, „dann eigene Segler ausrüsten — — — auf jede Gefahr.“

Er zeigte durch das Fenster nach dem Meer. Der Abend hatte das Glas dunkel-silbern gemacht, und sein Kopf schwamm schwer wie auf Pergament gemalt in der Füllung.

Las Casas lächelte leis, und seine Stimme bebte ein wenig in Geringschätzung, indem er erhabenen Erfolg wünschte und die Treppen hinunterstieg, aus denen die Dämmerung ihm entgegenschwoll.

Er eilte nach einem Palast, der in zwei Gärten lag, und ließ sich nieder und wartete, bis man ihn gemeldet hatte. Darauf erhob er sich. Es war kühler geworden.

Ein Stern blinkte über der Mauer.

Die Zofe ging vor ihm über den bläulichen Kies. Sie kamen über ein Boskett, und dann blieb sie stehen und öffnete eine Tür.

Las Casas trat aus dem Garten in einen Pavillon und schritt durch ein Boudoir in ein helles Zimmer, in dessen Mitte das Bett stand. Ein weißer Arm streckte sich ihm entgegen, von dem ein weiter Ärmel zurückfiel. Er stürzte darauf und küßte ihn. Er fiel auf die Knie und legte seinen Kopf neben den der Frau und seine Wangen brannten nach ihren hinüber und machten sie rot, obwohl sie sich nicht berührten.

„Sie haben die Erlaubnis . . .?“

„Ich habe sie . . .“ und seine Hände fuhren nach ihren Hüften und zuckten rasch zurück. „Ich fahre heute nacht . . .“

Sie schnellte auf: „Nein — — — morgen!“

Dann schloß sie den allzu heftigen Verrat der Augen mit den Lidern und meinte, als ob sie nun erst in Besinnung und klug spräche, lächelnd und ruhig: „Wie könnten Sie das möglich machen, Marques? Sie waren gestern noch beklagt, weil Sie des Königs Gaben verschleuderten und portugiesische Kaufleute abstechen ließen. Sie erhalten heute den Auftrag, den Räuber zu jagen, nach dem jedes Herz lechzt. Und da wollen Sie dazu auch schon gerüstet sein?“

„Ich habe drei Schiffe.“

Sie verriet sich wieder und gab ihre Augen preis, indem sie nach ihm blickte. Seine Hände zitterten, und die Lippen verzerrten sich vor Stolz:

„Ich habe dem König bedeutet, daß ich die Dörfer nur verkauft habe, um Geld zu bekommen für diese Expedition. Doch sein Gesicht blieb kalt. Ich sagte ihm, daß ich es getan hätte, obwohl ich wußte, daß seine Ungnade darauf folge, weil er es nicht liebe, daß seine Geschenke sich zersplitterten und so fortfliegen und so . . . daß ich es aber getan hätte, weil mein Wunsch, ihm durch die Expedition zu nützen, heftiger gewesen als die Scheu vor seinem Zorn.

Darauf nahm der König sein Lieblingswiesel und setzte es am Fenster in die Sonne und spielte und sprach mit ihm.

Es war mir einen Augenblick, als ob ich nicht in dem Raume sei — — so sehr nahm diese Bewegung den Glauben an die eigene Wirklichkeit.

Dann aber ward ich zornig, Juana, und da mir Tränen in das Gesicht schwammen, drehte ich mich um und schrie das entsetzliche Bild seines Großvaters, das mich reizte und nicht hilflos machte wie seine Ruhe, mit heftigen Worten an, als ob er es sei.

Sire, rief ich, es ist schade um die Seelen der beiden Kaufleute aus Lissabon, um die ich beklagt bin. Denn ich ließ sie nur töten, um angeklagt zu werden und so unter Eure Augen zu kommen, was ich anders nicht konnte, da Ihr zornig auf mich wart der Dörfer wegen. Denn meine Petitionen werden nicht gelesen. Es ist schade, denn mein Wort scheint leer wie ein geschriebenes zu sein.

Der König sagte: Und wenn ich es nicht erlaube . . . — Ich sagte: Dann tue ich es auf die Möglichkeit hin, daß Sie mich als Briganten erklären. Ich fange Yousouf . . . auch dann und — gegen Sie, Sire.

Er sah mich an, zum erstenmal, und lächelte: Auch dazu hätten Sie mein Geld zum Equipieren nötig. Ihre unbedachte Ehrlichkeit nimmt Ihnen selbst das.

Ich sagte ihm, daß ich das Geld für die Dörfer hätte, aber da er wußte, wie gering es war, lächelte er wieder.

Da zwang mich das Weh meiner Lippen — und es schrie in meiner Brust wie ein Degen im Gefecht — daß ich ihm meinen Hals hinwies und ihm zurief, daß ich wisse, daß er nach seinem Gesetz verfallen sei, aber daß ich es ihm doch sage: Daß ich drei Schiffe hätte, ausgerüstet im spanischen Viertel von Brügge, gebaut in Barcelona, Santa Maria, Coruña . . . daß ich die letzten Kredite auf meinen Namen genommen, die Kerker der Dominikaner nach Sklaven geplündert, daß ich den Albaycin in Granada nächtelang durchsucht und aus den Schenken und verschrienen Gassen alles herausgerissen, was in meine Fäuste fiel und kräftig war . . . Zuhälter, arabische Matrosen, drei hünenhafte Priester . . . und daß ich fahren würde die Nacht — so oder so.

Da lächelte er wieder und sagte: Ich werde Sie verhaften.

Ich könnte Sie töten, Sire, rief ich; Juana, mein Kopf brannte, aber ich zerbrach den Degen nur und warf ihn gegen die Wand.

Ah, sagte der König und ließ das Tier und zweifelte: Haben Sie Mut . . .

Da nahm ich das Wiesel und zerdrückte es in der Hand, langsam . . . während das Furchtbare des königlichen Zornes mir entgegenquoll.

Ich ließ das Tier fallen. Aber des Königs Arme kamen über seine Wut auf mich zu und drückten die meinen, und er zerriß das Diplom, das auf den Grafen von Oropesa, Luis Quijada, gezeichnet war, und ließ die Fetzen durch das Fenster fliegen und klebte sein Siegel auf meines — — —“

„Sie machen mich stolz auf Sie, Marques!“ Juana warf sich zurück und gab ihre feuchten Blicke frei, die auf seinem trotzigen Körper weideten und in dem Erglühen seines Gesichts wie zwischen jungen und heftig aufgebrochenen Rosen spielten.

Dann fragte sie rasch: „Weiß es Luis Quijada?“

„Er fragte mich.“

„Was sagten Sie ihm, Marques?

„Ich sagte ihm wenig. Sie werden ihm morgen sagen, daß ich nicht, wie ich könnte nach meinem Diplom, ihn als Briganten erklären werde, (denn mir allein gehört nun der Stolz dieser Jagd) wenn er die Expedition, von der er sagte, rüstet. Das Meer ist ihm frei.“

Juanas Körper streckte sich. Sie riß sich an den Händen nach ihm hin: „Sie werden den Auftrag da zurücknehmen!“ Er verneinte.

Sie flehte: „Marques, erklären Sie ihn als zum Töten erlaubt, als Brigant!“ Da schwoll Las Casas’ Gesicht, der Körper wand sich, und aufzischend stampfte er den Fuß auf den Boden und bat sie hochmütig und verächtlich, nicht zu scherzen und in diesem Sinne die Demütigung von ihm zu verlangen, daß er Luis Quijada für wert hielte, seine Rivalität zu fürchten. Und er bewegte die flache Hand nach der Seite, als ob er nach einer Fliege schlage.

Juana sagte kühl mit gesenktem Kopf: „Ich werde den Auftrag nicht ausrichten. Aber nur um des nicht, weil ich den Grafen Oropesa von heute nie mehr bei mir sehe.“

Las Casas aber warf sich nieder und wälzte sich neben ihrem Bett und zwang sie so lange, bis sie zugestand, daß sie mit dem Grafen verkehre wie früher. Denn sein Stolz wäre dadurch schon erregt gewesen, wenn sie Quijada die Beachtung des Hasses geschenkt hätte.

Sie richtete sich hoch, und er berührte dabei ihre Brust. Seine Hand fing an heftig zu schwanken vor Verhaltenem.

Er stand auf.

„Ich gehe.“

Juana schnellte auf. Das Fertige des Entschlusses verwirrte sie und blätterte sie auseinander in Begehr und Hilflosigkeit: „Nein . . . morgen —!“

Ihre Glieder rauschten unter der dünnen Decke. Wie sie auffuhr, sah er nur das Innige ihrer Form, den Druck des Körpers in den Kissen — und dann roch er sie. Es beugte ihn nieder, aber er zwang sich zurück und roch sie nur, sah nichts, hatte kein Gehör und atmete mit geschwellten Nüstern.

Ich habe noch nie den Duft ihres Körpers gespürt, war es ihm.

Es spannte ihm das Hirn dunkel und süß zusammen.

„Morgen —?“ knirschte er, denn selbst die Stimmbänder waren mit Blut überschwemmt. Und er legte seinen heißen Kopf neben den ihren und riß ihn weg, taumelnd, und legte ihn wieder hin und Härte und Knabenhaftes verstießen sich gegenseitig von seinen Mienen.

Dann riß er sich hoch. Juana faßte seinen Nacken und zog ihn von neuem herunter: „Warum — du . . . heute?“ Sie stieß es brennend heraus und in Scham. Sie stand halb und war halb gekauert in der Ecke des Bettes. Sie faßte seinen Kopf, daß ihre Ellenbogen schräg nach oben standen und ihre Fingerspitzen sich unter seinem Kinn berührten, während die Handflächen kühl nach den Schläfen hinauf lagen. Nun war nur noch das Kreisen der Gesichter voreinander und das Liegen von Auge auf Auge.

Endlich stammelte sie es, was ihre Glieder lange schon schrien: „Sie sollen bleiben, Marques . . . hier — —“ und zitterte.

Er entrann gewaltig ihren Händen und wie von einer Welle aufgejagt und gesteilt warf er sich auf die Knie, wühlte den Kopf in ihren Leib und drückte die trockenen Lippen in einer Schnur von Küssen den Körper hinauf nach dem Hals auf den dünnen Batist.

„Corazon!“ . . . stammelte sie. Und wieder: „Corazon!“ . . . mit hingebenden Lippen. Seine Hände hatte Las Casas auf dem Rücken übereinander geschlagen und mit entsetzlicher Anstrengung ineinander verkrampft.

Sein Mund spannte sich in allen Qualen und mit von Küssen halbzerfressenen Worten sagte er: „Nein!“ und viele Male: „Nein.“ Und als er ruhiger war, kam es ihm in das Bewußtsein, daß er sie liebe und daß sie ihn liebe und daß er es immer schon wisse, aber heute erst sehe. Aber er haßte die Erkenntnis, und sein Blick stieß gegen die Wand und kam nicht weiter, und sein Kopf füllte sich schwer mit Blut und er sagte ihr, daß dies ihm nicht genug sei. „Ich habe Durst nach dir, aber das Fliegende und Schreiende in meinem Blut geht weit darüber.“ Und er weinte und zerbiß den dünnen Stoff ihres Hemdes. Er stammelte gehetzt von seinem Brande nach dieser Tat, die endlich soweit vorbereitet war, und indem er davon sprach, sprühte das Aufleuchtende der Meere und Flotten vor seinen Augen auf und raste in grellroten Kreisen über ihn: „Ich will den Bassa nicht nur jagen, aufhängen, schinden, weil er meinen Bruder fing, unsere Schiffe fraß und Isabella, die eine Verwandte ist, schändete und seinen Leuten ließ zwei Wochen lang. Seit ich sehen kann, sehe ich ihn. Seit mein Gehirn Gedanken packt, denke ich an ihn. Ich weiß jede Phase des Kampfes, mag er sein vor Venedig, bei Cadix, in Marokko . . . ich weiß wie eingebrannt im voraus die kleinste Schwankung des Gefechts. Es gibt keine Stelle, auf der ich ihn nicht im Traum schon niederstieß. Meine Gedanken haben ihn so umkreist, daß ich jede Narbe an ihm kenne, daß ich mehr von ihm weiß wie von mir. Der Name Bassa Yousouf macht mich blind. — — Ich fahre heute nacht.“

Er stand kalt auf. Ihre Hand spielte auf seinem Haar. Sie ließ ihn, denn sie begriff das Heiße in ihm und auch, daß sie ihn noch nicht ganz umschloß, aber sie wußte, daß er sie liebe, und ihr war stolz, als er sich aufriß und sie nicht nahm und sie brennend verließ.

Im Boudoir schlief die Zofe. Er beschenkte sie mit Gold, als käme er von einer Liebesnacht.

Die Nacht war noch dicht über den Gärten, ein wenig gepreßt schon von Jasmin, aber der Mond, der fast rund war, machte den Hafen heller, und eine flaue Dämmerung hing zwischen den Masten.

Auf seinen Zuruf kam eine Barchette aus dem Schatten einer Mauer, nahm ihn und landete im Dunkel, das um eine riesige Galeere lag. Er stieg am Hinterdeck hinauf, eine Fahne rauschte hoch, jemand schoß eine Pistole in das Schweigen. Sofort rasten Männer über den Steg und schlugen mit langen Stäben die Sklaven wach, Ketten rasselten, am Vorderdeck sammelten sich dunkle Haufen, hinten um den rotbeschlagenen Sessel auf der Poppa blitzten die Offiziere.

Auf jeder Seite hockten auf vierzig Bänken zu sechst an jedem Ruder zweihundertvierzig Sklaven. Las Casas trat ein paar Schritte vor bis zur sechsten Reihe, und alle Köpfe waren gegen ihn gerichtet. Die letzten und die Massen Soldaten auf der Proda erkannte er nur im Mond wie weiße Bogen und Flecken. Wie ein brennender Bienenschwarm funkelten die blutunterlaufenen Hunderte Augen um ihn. Er schrie sie an:

„Wir werden den Bassa jagen, ihr Schweine! Dazu habe ich euch gekauft. Das wißt ihr. Ihr werdet gutes Fressen haben und Wein Sonntags. Dafür spritzt ihr das letzte Blut aus den Nägeln. So ist dies ausgemacht. — — Ihr sollt noch mehr haben: Am Abend, an dem der Bassa gefangen ist, sei jeder frei. Jeder kriegt tausend Maravedis. Grinst nicht! Es kommt noch mehr. Ihr bekommt Kleider aus Wolle von Murcia, die innen rot ist. Ich gebe euch die Offiziere zum Schinden frei, wenn ich falle und sie hindern euch. — — —“

Er hob den Blick zum Himmel. Denn das Schweigen schwelte dumpf unter ihm. Die Augen der Sklaven waren so rot geworden, als seien hundert Lichter auf den Bänken.

„Ich will jedem noch zwei Weiber geben aus Yousouf Bassas Harem. Eine braune und eine helle. Am selben Abend noch . . . —“

Las Casas trat zurück. Die Ketten rasten auf. Grunzende Töne johlten herauf. Schreie rissen sich los. Einer bäumte sich und bellte wie ein Hund. Ganz am Ende hoben sich ganze Reihen und fielen zurück, glänzend wie Fische im Wasser. Viele knieten hin und brüllten mit den geketteten Armen zu ihm winkend oder den Kopf auf den Steg legend, daß er darauf trete.

Drei Pfiffe. Noch einige Standarten sausten hoch. Eine große Fanale senkte sich über die Poppa. Am Vorderdeck lösten sich schwer Kartaunen. Fünfhundert Rücken warfen sich mit vorgestreckten Armen zurück, zogen sie an, Ruder schäumten durchs Wasser. Wie eine schmale schwarze Zunge schnellte die Galeere aus dem Maul des Hafens in das leichte blaugelbe Band, das über dem Wasser lag und Horizont war. Links und rechts zwei Zungen stießen nach.

Von drei Vorderdecks blies man: Benedito sea Dioz.

Die Sonne ging auf.

 

Die Schiffe fuhren zuerst nach Genua. Sie kamen eines Abends an. Eine Goelette legte an bei ihnen. Ein Mann brachte Nachrichten, und sie fuhren in die Nacht zurück. Am nächsten Tage fingen sie ein paar holländische Segler, die in der Windstille lagen. Sie hatten Perlen, Seide und Pomeranzen. Sie verkauften die Schiffe in San Sebastian.

„Wir werden Yousoufs Turban auf den Mast setzen und ihn nachts im königlichen Garten aufpflanzen“, sagte Las Casas zu seinen Offizieren, und sein Gesicht zuckte, während seine Hände mit den besten Perlen spielten, die er zu einer Kette gebunden hatte und indem seine Gedanken um den Nacken Juanas flossen.

Am Abend bliesen sie Hörner und Zinken auf der Proda. Aus dem Korb rief einer und meldete etwas. Es war eine Walfischherde, die spielte.

Am folgenden Mittag stießen sie auf eine Flottille mit gekappten Masten. Die Besatzung fehlte; nur einige Verstümmelte hockten auf den Rahen und schnitten Grimassen. Sie waren vor Schreck wahnsinnig geworden. Ihre Ladung war Florentiner Brokat und lombardische Mützen. Vor drei Tagen waren sie überfallen worden. „Hui“, rief einer, auf einem nackten Widder-Gallion reitend, immer: — — „die Weiberchen“ und schälte mit einem Nagel an dem Horn. Man ließ sie weiter treiben. Man war auf der Spur. Mittags brannte es neben der Munition.

Sie fuhren die Küste von Tunis entlang. Der Abend war ruhig, und es ging kein Löffel Wind. Die Ruder liefen langsam und fast ohne Geräusch. Las Casas saß in seinem Sessel und fühlte die gewaltige Stille und das maßlos blaue Meer, auf dem die Sonne schwamm. Er wollte seine Gedanken davon lösen, aber es legte sich über ihn. Er befahl zu musizieren, die Offiziere warnten. Doch er ließ die Stücke abfeuern und mit achtzig Rudern das Meer aufwirbeln. Aber die ganze entfesselte Wut war wie das Hüpfen einer kleinen Welle gegen das Ungeheuere um ihn, dessen Stummheit ihn mit tausend Stimmen: Juana! anschrie.

Da ließ er den Gedanken fahren, ihr die Kette zu senden und löste sie von seinem Gürtel und warf sie ins Meer, daß sie seine Gedanken nicht zwänge.

Eine halbe Stunde darauf kamen sie zu den Zaffarin-Inseln. Sofort meldete es von oben: „Zwei Gallionen.“ Las Casas kletterte selbst hoch, beschirmte die Augen. Es waren Mudjaren und Araber, die furchtbar ruderten. Er sauste herunter. Seine Blicke schossen in die Sklaven. Er schrie schäumend, und die Ruder überschlugen sich. Immer rascher raste seine Stimme, die selbst den Takt sang. Sie kamen näher. Schon lösten sich vorn Geschütze. Doch trafen sie nicht. Die Galeeren waren schon so dicht herangekommen, daß die Soldaten anfingen, in die kleinen Schiffe zu feuern, andere die Haken bereit hielten. Da schwenkten die Gallionen, ein Vorsprung verschluckte sie. Die hinterste hißte eine Fahne. — — — — — — —: Schwarz, ein goldener Arm mit einem Säbel und ein Totenkopf — — — die Flagge der Hauptschiffe Yousoufs.

Las Casas blieb bleich und beherrscht. Er wählte einen großen Araber und ließ ihn hinrichten (er wollte sie zwingen, stärker zu fahren), daß sein Blut in einer dünnen Rinne den anderen Sklaven zwischen die Füße lief.

Er betrachtete sie genau während des Vorgangs. Doch es erschien kein Ausdruck auf ihren von Stumpfheit abgefeilten Gesichtern.

In der Nacht umruderten sie die Inselgruppe. Fortwährend gingen Signale hin und her. Am Strand liefen zwei Fackeln in spiralenhaften Biegungen durcheinander. Von der Mitte einer Insel schoß in Abständen ein weißliches Feuer hoch. Ein dumpfer Gong bellte eine Zeitlang über das Wasser.

Las Casas stand weiß und die Zähne zusammengeschlagen auf der Poppa. In der Dunkelheit konnte er nicht landen. Er war fünfhundert Meter von dem Bassa und konnte ihn nicht fassen. Die Sklaven ruderten die ganze Nacht in Schweißwolken gehüllt. Es roch noch nach Blut.

Am Morgen brachen zwei Gallionen, als es noch dunkel war, nach verschiedenen Seiten durch. Sie hörten auf den Galeeren nur ein fernes Brausen, als streiche ein großer Vogel mit der Brust über das Wasser.

Las Casas folgte mit zwei Schiffen nach Tres Forcas zu. Die andere Galeere schwamm eine Stunde nach Westen. Der Offizier ließ dann die Lichter löschen, Anker werfen und ruhen. Denn ihm schien das Tempo Las Casas’ wahnsinnig.

Bei Tag sahen sie am Horizont die Gallione. Sie hetzten den ganzen Tag, verloren sich, fanden sich. Inseln und Buchten der Küste versteckten sie. Am Abend trieben sie sie auf hohe See, doch fraß das Dunkel sie weg. Die Nacht kreuzten sie vor dem Land und fanden sie gegen Mittag im Kreise treibend auf dem Meere. Die Besatzung war geflohen. Sie sprangen hinüber. Am Mast stand ein großer athletischer Türke. Die Sonne brannte mit weißer Glut. Die Planken waren gesprungen. Der Türke war mit nassen Stricken an den Baum gebunden, die Seile hatten sich gestrafft in der Hitze und ihm das Fleisch eingeschnürt, bis es geplatzt war.

Er warf ihnen Worte entgegen, die sie stutzen machten. Da sprang einer vor und deutete in sein Gesicht. Die anderen schrien mit auf. Sie erkannten ihn an dem einen grünen Auge. Sie schnitten ihn los, aber seine Haltung, die ihre Wut durch Geringschätzung niederdrückte und ihre Freude ihnen selbst verächtlich erscheinen ließ, bewahrte ihn davor, daß sie an ihn rührten.

Sie suchten noch zwei Wochen nach Las Casas. Als sie ihn nicht fanden, brachten sie den Bassa nach Cartagena. Auf alle Verhöre schwieg er. Das Volk schrie nach Las Casas, als man ihn zur Exekution führte.

Juana weinte vor Zorn, daß Las Casas’ größter Ehrgeiz, dem er sie opferte, von einem Subalternen blind und dumpf ausgeführt worden sei. Sie empfand es, als hätte man ihren Körper beschmutzt, und schien sich gering geworden.

Auf dem Gang zur Exekution drehte sich der Gefangene um und sagte kalt: „Ist es zum Tod?“

„Ja!“ . . . brüllten ihm zehn ins Gesicht.

Da spie er ruhig den Henker an.

Vierzehn Tage hing sein Kopf auf dem Plaza-Mayor.

Von Las Casas keine Spur. —

Eines Mittags peitschte sich mit steigender Eile eine Fregatte in den Hafen. Ein Kapitän stand vorgebeugt ganz vorn und rief es hinüber ans Land, eh er nachsprang: daß Yousouf Bassa eine Flotte, die Silber aus Mexiko und Gold aus Peru brachte, ausgeraubt habe, und daß er Las Casas, der ihn verfolgte, geschlagen habe. — — — — — — — — — — — — — Der Hingerichtete war nicht der Bassa gewesen . . .

 

Am Abend saß Juana im Parterre des Spielhauses, über dessen Bühne ein Stück von Moreto ging. Luis Quijada stand neben ihr und sprach von Zeit zu Zeit auf sie ein. Sie folgte angestrengt den schwerbeladenen Szenen und bat in der Zwischenpause, als ein burleskes Entremes wie eine klebrige Kette von Küssen sich vorne erhob und sie zu sehr belästigte, den Grafen, sich neben sie zu setzen.

Er betrachtete sie einige Minuten und fragte sie dann, an was sie denke. Sie antwortete nicht, sondern beschäftigte sich ganz mit ihrem Fächer.

„Ich bedaure es, daß Ihre Hoffnungen Sie so enttäuschen“, sagte er dann und legte die Hand auf ihren Fächer.

Sie sprach sehr nachlässig: „Bei Gott, was habe ich gehofft?“ . . . und wagte nicht aufzusehen.

„Das scherzen Sie, weil Ihre Wünsche in eine niederschlagende — — Komik ausgelaufen sind . . . wie auf der Bühne: der Schwur des Königs in die Knutscherei des Zwischenaktes.“

Sie sah ihn überlegen lächelnd an, allein das Spöttische seiner Mundwinkel besiegte sie. Sie brauste auf: „Was wollen Sie mit Las Casas?“

Er hob die Achseln: „Casas . . . toll . . . Aufschwung . . . ziellos ehrgeizig . . . jung, jung! — —“ Quijadas Stimme klang kühl, klang gerecht. Er fuhr fort, in dieser Weise zu reden. Sie fühlte wie Verwundungen, daß er grausam sprach. Sie unterbrach ihn einmal höhnisch: „Neid.“ Er schüttelte nur den Kopf. Wirklich nicht. Sie empfand den Widersinn seiner Worte in der Auslösung in ihr selbst, denn es waren Schmerzen, die ihr nicht wehe taten. Und sie erstaunte, was das sei. Und haßte ihn nicht darum. Seine Form war unendlich häßlich in der Wirkung, aber scharf und zergliedernd und langsam überlegt. Wie er Schlechtes über Las Casas sagte, war es ihr, als ob sich kalte Stellen auf das unerträgliche Heiß ihrer Haut legten und irgendwas Luft ihr einblase, die wohltuend in sie ströme, wo sie am Ersticken war.

Sie fuhr noch einmal auf und herrschte ihn an, daß er schweige, weil sie plötzlich begriff, daß seine Stimme Macht über sie bekam. Doch er fühlte in der Schärfe die Verzweiflung und sprach weiter. Der klare und starre Intellekt seiner Worte überschwemmte sie. Sie fühlte in einer wohligen Apathie, wie er das Heiße, das Begeisterte und das ungenau, aber groß Aufstrebende in ihr wie zwischen zwei Fingern langsam zerquetschte und Las Casas’ Wollen so lange auseinanderlegte, zeigte und verschieden beleuchtete, bis seine Silhouette klein vor seinen Worten stand und er phantastisch und dumm erschien. Und weil sie sich niedrig vorkam und beschämt in der Schwankung der Ereignisse und sich das Bewußtsein dahinein verstrickte, daß sie die höchste Sensation ihrer Liebe dem Effekt einer Komik ausgeliefert hatte in den Ergebnissen und Wandlungen dieser Dinge, zürnte sie Quijada nicht. Zorn und Scham bereiteten ihr eine Wollust der Schmerzen, die sich auf ihr Gesicht ausbreitete. Sie hörte ihm gern zu.

Als sie ihn plötzlich von der Seite ansah, merkte sie, wie sehr blond er war, und sie zwang sich, daß es ihr gefiel. — — — — — — — — — — — — —

Am Morgen, der folgte, stand sie an ihrem Fenster. Meer lag unter ihr. Zwei gelbe Segel kamen aus der Tiefe des Horizontes heraus aufeinander zu und schnitten sich wie zwei Säbel. Dann kam eine Barchette mit singenden Sklaven vorüber. Ein Vogel schoß hell vor dem Blau herunter auf das Wasser . . .

Da wandte sich Juana zurück, und eine Scham ergriff sie leicht über die Worte und Gedanken des Tags vorher wie über eine geheime und später sich mit Trauer mischende Lust, und sie legte die Hände vor das Gesicht . . . und tat sie rasch hinweg, daß ihre Blicke groß gegen den ungeheueren Horizont schlugen . . . und da empfand sie deutlich wieder, in dieser Minute, daß dieser, daß er trotz allem „O Las Casas!“ dessen Ehrgeiz an fremden Küsten wie eine heiße Linie hinsause, tiefer in ihr Blut brenne als alles, was an sie herankam. Sie dachte an Quijada, und es schien ihr jetzt, als sei er nur wie ein Spiegel, der den Glanz eines allzu heftigen Gedankens an Las Casas aufnehme und bewahre.

Später kam Quijada. Er sprach wieder über Las Casas. Er sprach nie über sich oder über sie. Aber da die Verwechslung aller Gefühlsstationen in der Beziehung auf das eigene Ich ganz und allein Wesen und Eigenes der Frau ist und weil sie immer dies vertauschen: Daß, was heute, wie das Verschmähen ihres Besitzes um einer Tat willen, sie bis zu den äußersten Grenzen der Idee entflammt, ihnen beim ersten Hemmnis oder bitteren Wort eine Nichtachtung des Bluts erscheint — und wie sie nur aus gekränktem Eros heraus denken können und tun . . . so empfinden sie, unbewußt vielleicht, vielleicht oft, immer — es ist möglich und einerlei — den Haß des Mannes auf den Mann als Liebe zur Frau. O wie die Frauen über alles umronnen stehn von ihrem Blut!

Juana liebte Las Casas. Aber Luis Quijadas Grausamkeit gegen diesen lockte ihr Blut. Seine Worte imponierten ihr. Das Zynische, der Trotz, der (es schien ihr) aus Unverstandenem kam, zog sie an.

Einige Tage darauf gingen sie in den königlichen Gärten.

Von unten herauf kam ein Offizier in Gala, grüßte und ging nach dem Palast.

„Las Casas . . .?“

„Beruhigen Sie sich!“

Sie sah ihn an.

Bleich.

Da sagte er heiser: „Las Casas!“

 

Las Casas ging durch den Vorsaal. Zwei Hellebardiere vor ihm . . . öffneten den Vorhang. Er stand vor dem König.

„Sie?“ sagte der.

Las Casas verbeugte sich.

„Warum kommen Sie?“

„Der Prinz ließ mich rufen.“

„Duell . . .?“

„Der Marques Siete-Iglesias (Sire, Sie kennen den Prinzen) nannte ihn irgendwas. Ich schlage mich für den Prinzen.“

Der König winkte ab.

Langsam drehte er sich um und schaute durch das Fenster.

„Sie hatten schlechten Erfolg, Marques.“

Las Casas verbeugte sich. Da wandte der König ihm das Gesicht zu, nahm einen verzierten Dolch, schenkte ihn Las Casas, gab ihm die Hand und sagte gütig und klar:

„Das Wiesel soll nicht umsonst getötet sein.“

Las Casas lächelte verzerrt und ging.

Er schritt durch Säle und Verbeugungen, bis er in den Eckraum kam, den ihm der Prinz überlassen hatte. Er ließ zuerst den Offizier kommen, der die Galeere kommandiert hatte, die den falschen Bassa fing.

Als er eintrat, ein wenig dick und mit plumpem Lächeln, verlegen und geschmeichelt auf ihn zukam, griff Las Casas zwei schwere Beutel, die auf einem Tisch neben ihm lagen, und warf sie mit erhobenen Armen ihm zu vor ihn. Er rief ihm gleichzeitig, daß er sie aufhebe und als Belohnung nehme für seinen Dienst. Und als der Offizier, rot geworden, nicht wußte, was das war, befahl er ihm, den einen Beutel zu öffnen. Die Hand des Offiziers fuhr hinein und auf seinem Gesicht erschien ein Reflex von fassungsloser Enttäuschung.

„Holländische Münzen . . . ge . . . fäl . . . schte . . . Molinillos —?“

„Wollen Sie, daß ich Sie für diese Tat mit anderem als mit einer — Imitation belohne?“

Der Offizier begriff, daß dies ihm ins Gesicht geschlagen war. Er stemmte sich auf, als wolle er den Beutel wegwerfen.

Da begann Las Casas’ Gesicht zu zittern: „He,“ tief er, „Herr!“ — und es klang wie der Ton eines der krummen Hörner an einer königlichen Barchette: im Befehl unabwendbar . . . und es knickte den Zornigen. Er ging mit hängenden Armen.

Las Casas promenierte noch über eine Stunde in der Kühle des Korridors, bis die Herren kamen, ihn zu holen und der Prinz, der ihn liebte, ihn umarmte. Das Rendezvous war in einem gesperrten Teil des Gartens zwischen einer Fontäne und einem Käfig mit zwei Löwen. Las Casas stieß nach wenigen Minuten seinen Gegner durch den Nabel mitten durch, daß der Herzog von Medina-Sidonia mit liebenswürdigem Lächeln die Bemerkung nicht unterlassen konnte, daß an der Stelle, da ihm das Leben geworden sei, es wieder verströme.

Ein Strahl Blut war hochgezuckt und traf die Löwen. Ihre Augen wurden grün vor Gier. Es pfiff durch ihre Nüstern, die sich nach außen bogen. Dann brach die ungeheuere Wut des Verschlossenseins in ein erschütterndes Gebrüll aus — durch die Stäbe, und sie warfen die Breite der Körper rasend dagegen, als der Herzog sie mit seinem Degen kitzelte.

Mit Blut bespritzt, auf dem Rückweg zum Palast, traf Las Casas auf Juana und Luis Quijada, der sich um sie bemühte. Sie war auf eine Bank zurückgelehnt. Wie sie Las Casas sah, stand sie auf.

Reckte sich. Hoch. Stand schlank, gleich Stahl.

Ihre Blicke trafen sich. Ihre Herzen hämmerten einen gleichen in hetzenden Takten selig geschwellten Rhythmus. Sie spürten, wie ihre Körper aufeinanderdrangen und sich umschlossen, obwohl sie sich nicht bewegten . . . und wie wenn ihr Blut aus den Adern presse, heraustrete und ineinanderströme.

Sie machte einen Schritt zu ihm hin, da sagte von irgendwo her, von der Seite her? — — — neben ihnen wohllautend und dunkel eine Stimme, die Stimme Quijadas:

„Ich, Marques, beglückwünsche Sie sehr zu Ihrem Erfolg heute — — wie ich ihr Unglück bedaure — sonst.“

Las Casas’ Blick fuhr an ihm vorüber wie an einer Wand. Drehte die Schultern, entblößte seine Rechte von dem blutigen Handschuh, ging dicht an Juana her und küßte ihr ernst und ehrerbietig die Hand. Sie sahen sich in das Weiße. Dann ging er.

Nach drei Schritten wieder bog er um: „Graf Oropesa, . . . Sie sagten . . . vielleicht, daß Sie mehr Glück gehabt, hätten Sie nicht versäumt, Ihre Segler zu rüsten.“

Der Graf spürte, daß er eine schlechte Rolle spielte, sagte scharf, den Schnurrbart kauend: „Sie haben mir nicht den Gefallen getan, mich für diesen Fall Ihrem Diplom nach zum Briganten zu erklären. Auch im Großzügigen wie in der Verachtung weiche ich Ihnen nicht.“

„Sie sollen es haben, Luis Quijada, die Erklärung haben, jetzt . . . gleich . . . sofort — Auf Wiedersehen.“

Er machte eine schwache Geste nach dem Meere und ging.

Nach dem Refrescos, das er bei dem Prinzen nahm, brachte ein Diener ihm einen Brief von ihr. Er trug ihn in sein Zimmer, las ihn. Las ihn wieder. Nur dieses: „Komm —!“

Es durchzuckte ihn, blind, aufstammelnd: „Komm!“ Es fielen ihm ein die Abende im Schweigen des Meeres, als er tiefer ward vor Sehnsucht wie der Horizont und darüber erschrak, zürnte und zitterte. Und das betäubte ihn so, daß er lange den Kopf gegen die Scheibe lehnte, bis er sich selbst empfindend, langsam zurückkehrte in die Umgebung und sich gewaltig zufammenraffte und toll gegen sein Blut, das stieg, schrieb:

„Wie kann ich nun, beschämt, zu Dir kommen, wo ich Dich aufschob bis nach dem Erfolg. Ich müßte Scham haben über mich wie über einen Fuchs. Du aber wärst feig, wenn Du nachher mich nicht verachtetest.“

Aber in der Dämmerung fand er sie in dem Garten. Sie spannte die Arme nach ihm. Da fiel er vor sie hin und warf die Schmach, das Unbefriedigte und die verbotene, selbstversperrte Sehnsucht in einem knabenhaften Weinen in ihren Schoß. Sein Kopf bohrte sich zwischen ihre Schenkel, und sie sagten kein Wort. Doch er warf ihre Robe zur Seite und küßte sie, eh er sie verließ, lechzend auf beide Knie, so, als sei jedes Knie ein Mund.

Als er am nächsten Morgen sich einschiffen wollte, erhielt er ein Billet. Er erbrach es am Ufer noch, einen Fuß in der Barchette.

Juana hatte die Nacht nicht geschlafen, weil das Dunkel ihr Blut quälte, und raste nun nach ihm, daß er komme. Er schrieb: Nein! und: Lebewohl! auf den Rücken des Papiers. Dann schiffte er ein.

Eh die Galeeren den Hafen verließen, stürmte ein ganz kleiner Hucker mit unmäßig geschwellten Segeln, schräg liegend, nach. Nur ein Mann stand darin. Warf einen Brief herauf.

Sie schrieb: „Ich liebe . . . Deinen Stolz . . . die Härte . . . warte — trotz alledem. —“

Er stand auf der Poppa, den Kopf rot, die Augen rot — eine überreife Frucht. Die Lippen hatte er nach innen in den Mund gesogen. Wie eine weiße Falte lag der Mund in dem Gesicht.

Seine Galeerensklaven durften sich in zwei Teilen an den beiden Abenden, die folgten, ins sinnloseste betrinken. Er schenkte es ihnen.

Zehn Tage später liefen die drei Segler des Luis Quijada aus.

Juana sah beide nacheinander im Meer verschwinden.

Juana hielt die flachen Hände an die Brust und fing den Herzschlag auf darin und warf ihn den Galeeren nach.

Doch als Luis Quijada lange weg war, bedrückte sie auch sein Fehlen doch, da sie ganz allein war. Luis Quijada hatte ein Auge, wenn er von Frauen sprach, das sie nicht liebte. Doch sie vermißte sehr das Kühlende seines Hasses. So glaubte sie. Manchmal erschrak sie.

Es schien ihr, als ob ganz ferne ein großer Donner sich sammle, wie wenn ein Bergwerk einstürze in allen Stollen und eine helle Lawine aus dem glatten Himmel sause irgendwo. Und sie bedauerte, daß sie nicht tiefer hören könne, und streckte sich im Kampf mit dem Unbewußten, auf, höher . . . und ward straff gegen jeden Anprall und scharf wie eine Lanze.

 

Bandieren und Standarten spannten sich auf Las Casas’ Galeeren. Morgens und abends bliesen sie Hörner auf dem Vorderdeck. Das Meer wechselte blau und grün. Gegen Mallorka zu ward es wie Bernstein, als lägen glühende Monde auf dem Grund. Die Sklaven ließen die Ruder und beugten sich über die Geländer und starrten in die Tiefe. Doch Las Casas befahl sie zu prügeln, und sie krochen wie die Hunde zurück.

Über die Poppa hing eine Fanale aus weißer Seide mit Las Casas’ Wappen in Granaten bestickt. Menorkas Leuchtturm glühte in der Nacht vorüber.

Bei der Insel Galita war eine Falle für den Bassa gelegt. Zwei kleine Segler mit Lamawolle und Wein aus Malacca. Doch sie verschwanden nachts, lautlos.

Las Casas kreuzte ganz Tunis ab.

In einem Felsversteck schloß er ein paar türkische Caramuzzals ein, die völlig braun waren und fabelhaft in den schmalen Buchten lavierten. Sie schossen verzweifelt mit Hagel und Ketten aus kleinen Kanonen. Beim Entern sprang ein Mann zu ihnen herüber, Psalmen singend und Gott lobend. Las Casas ließ ihn trotz dem Geplärr in Ketten legen. Die anderen schlug sein Henker mit der Keule tot und vierteilte sie. Die stärksten wurden auf die Ruderbänke geschmiedet. Die Türken hatten eine Anzahl weggeschossen. Andere stach die Sonne zusammen.

Da der Renegat den ganzen Tag Hymnen sang (sein Blick hatte den gewöhnlichen Wahnsinn der Überläufer), weigerten die Aufseher sich, ihn langsam totzuschlagen. Las Casas besah das Wunder. Das fiel vor ihm hin und nannte sich einen Franziskaner aus Jerusalem, der gezwungen übergetreten war. Er küßte die Füße Las Casas’, und als der ihn nach dem Versteck des Bassa fragte, heulte er auf, drohte und fluchte dem Türken und schrie, daß er den Platz wisse. In den Kadenzen eines Pilgermarsches gab er singend die Weisungen für das Schiff.

Las Casas ließ ihn an das Steuer schmieden und versprach ihm straflose Freiheit, wenn sie den Bassa fingen. Legte aber eine Pistole in die Nähe seines Blicks und sagte ihm, daß sie allein für ihn sei — — — für den anderen Fall. Der Renegat allein lobte nur Gott.

Wie sie an die Stelle kamen, an der sie den Bassa überraschen sollten, sahen sie eine gelbe Caramuzzal in einem schönen Bogen eine Mauer von Klippen nach dem Lande zu durchschneiden. Von beiden Seiten wurden sie mit Brandpfeilen und glühenden Eisen überschüttet.

Da befahl der Marques zu landen, schiffte zweihundert Soldaten aus, fing und erschlug eine Anzahl Araber, die sich verzogen, und nahm die gelbe Caramuzzal, die äußerst kostbar war. Zwei verschnittene Nubier saßen vor des Bassas Kajüte. Er ließ sie foltern und sie gestanden, daß er wenige Tage entfernt im Innern seinen Hauptpalast, ein stehendes Lager und den Harem hätte.

Las Casas beschloß die Expedition zum nächsten Morgen. Sein Herz ging hoch, als ob er ganz dicht am Ziel sei. Er behielt nur fünfzig Soldaten. Die Galeeren sollten so lange kreuzen.

Die Nacht war still. Feuer brannten am Ufer.

Von einem der Schiffe brüllte der Franziskaner seine Hymnen, bis ihm ein Offizier mit einem Koran als Knebel das Maul verstopfte.

Am ersten Negerdorf, auf das sie trafen, erfuhren sie, daß am Abend der Bassa in aller Flucht vorbei gekommen war. Sie nahmen ein Dutzend Männer und Weiber als Geiseln mit und um den Weg zu weisen, obwohl sie schrien und sich wehrten aus Furcht.

Sie brachen in die Wüste ein. Ein glühender fiebervoller Ring wälzte der Himmel sich um den Horizont. Feiner metallischer Glanz schwebte in der Luft wie Sand. Sie mußten die Augen senken, und das Blut zog sich ihnen wie gefroren im Kopf zusammen. Manche fühlten, wie ihre Füße empfindungslos wurden, schrien plötzlich etwas, rannten ein Stück in die leichten Dünen und verbeugten sich . . . Sie hörten nirgends ein Geräusch, keinen Laut. Nur das war: wie wenn der grünliche Schlauch am Himmel sich langsam um sie zusammenziehe.

Den Abend nahmen sie die Neger in die Mitte, zündeten Feuer an und stellten Wachen aus. Die Neger pfiffen auf Muscheln und tanzten, auf der einen Seite die Männer, auf der anderen Seite die Frauen, und wenn die Schlußtöne scharf in die Höhe zischten, warfen sie sich wie zwei Brandungen in die Arme. Dann spielte die Muschel allein. Auch sie schwieg.

Las Casas spürte eine große Ruhe und er glaubte, daß es Zuversicht sei. Er wußte (ganz unstreitbar), daß er am folgenden Tage den Bassa griffe. Wie war zu zweifeln? . . . Juana? Er würde sie dann in fiebernden Händen besitzen.

Auch das ohne Zweifel, wenn auch der Körper zitterte unter dem Gedanken.

Er hob den Kopf. — Ja . . . Bisamrosen hatten um die Bank gestanden und geduftet. Und Nelken.

Sehr scharfe Nelken. — — —

Als er eingeschlafen war, wuchs ein Wald von Beduinen um das Lager und senkte seine Lanzen in die Körper, die herumlagen. Las Casas banden sie und einige andere, trennten ihn von ihnen und ritten mit ihm die Nacht durch und den ersten Morgen. Dann rasteten sie. Las Casas ritt ein Kamel. Sie gaben ihm Stutenmilch dieser Tiere. Er trank es nicht. Mittags ritten sie weiter. Rötlicher Nebel schoß vor die Sonne und glühte die Kehlen aus.

Die Wüste war flach, ein wenig gewellt. Dann ritten sie eine hohe Düne herunter. Ein Park von Zelten in grellem Karmesin, Gold und Grün stand um ein paar Bäume und einen Brunnen. Las Casas trank Wasser. Abends fragte er, ob sie ihn zu Yousouf brächten. Sie grinsten: Nein —! Da wuchs alle Kraft in ihm und durchbebte ihn wieder.

Er liebkoste mit den Schenkeln sein Reittier: „Gute Stute . . .“ Denn seine Hände waren gebunden. Nachts ritten sie in eine Stadt ein, er schritt durch Gewölbe und Gänge und stand in einem Zimmer, plötzlich, mit hellgelben Steinen, zwischen denen dunkle Ziegel in Figuren saßen. Eine Laterne stand auf dem Tisch, Wein, Brot, Früchte.

Kurz darauf erhielt er den Besuch eines schönen bärtigen Türken. Sie verhandelten über sein Lösegeld. Während sie sprachen, senkten des Türken Augen sich auf den Tisch. Blitzhaft zuckte Las Casas’ Hand hoch, ein wenig. Sein Dolch lag auf dem Tisch, den man ihm gelassen hatte. „Gib dir keine Mühe!“ lächelte der Türke. Der Marques hatte die Waffe schon gepackt. Er sauste mit einem heftigen Sprung durch die Tür. Er sauste gegen einen dreifachen Ring Eunuchen, ohrfeigte einen aus Zorn und kehrte ruhig zurück. „Ich sagte es dir“, achselzuckte der Türke, ein bißchen beleidigt.

Allein er ließ ihm den Dolch.

„Sag mir das eine!“ fragte der Marques scharf. „Bin ich bei Yousouf Bassa?“

Der andere lächelte: „Nein.“

Sie einigten sich über das Lösegeld und Las Casas blieb allein. Es ging schon gegen Morgen. Er untersuchte sein Zimmer und schlief dann.

Drei Tage darauf entfloh er nachts. Die Tür war nicht verschlossen und er sah keine Wache. Er stieß sich mit vorgestreckten Armen in das Dunkel eines Ganges hinein, der sich in Windungen hinzog. Es roch modrig. Von Zeit zu Zeit merkte er, daß Querstollen den Hauptgang kreuzten, aber er mied sie. Plötzlich fühlte er Schwindel, und die Furcht, daß er sich im Kreise bewege, zog ihm das Blut aus dem Gesicht. Er fühlte im Dunkel, wie er bleich ward und schlug hastig den Gang in einen Kreuzstollen ein, der das Gewölbe durchbrach. Als er ein paar Minuten sich die Wände entlang getastet hatte, bog der Stollen rechtwinklig ab, eine Dämmerung schwoll auf, leichte Helle lockte, und er folgte der Anziehung eines blauen Lichtes, das größer wurde und ihm entgegenströmte im Nahen und Mond ward . . . und ihn hinauszog auf einen Hof, der ganz durchflutet war von dem Licht.

Zwei große Steinlöwen lagen einander zugekehrt in der Mitte, als schwämmen sie auf dem Glanz. Aus Mäulern und Nüstern stiegen ihnen blitzende Strahlen Quecksilber.

Las Casas schlich über den taghellen Hof, an die Mauer geduckt und von dem schmalen Gurt ihres Schattens bedeckt. Vor einem Fenster standen zwei Palmen. Er zwängte sich hindurch und sah hinein.

Ein weißbärtiger Türke saß auf dem Boden und schaute müd und regungslos dem Spiel eines jungen Hasen mit einer Schildkröte zu. Sie blieben eine Zeit so. Innen der Türke in das Betrachten versunken, der Marques fand nicht den Augenblick, sich von dem Posten geräuschlos zu lösen.

Da schoß etwas ins Zimmer. Der Alte hob die Augen. Die Augen mußten über das Fenster . . . er hob die Hand, warf sie mit dem Arm in die Luft, Glas splitterte, ein Dolch schlug neben Las Casas’ Kopf vorbei durch die Scheibe und verlor sich zischend und blinkend nach den Brunnen.

Las Casas flog herum, kreiste um den Hof, seine Blicke faßten plötzlich eine dunkle Öffnung in dem hellen Viereck. Er sprang hinein und fand keinen Ausgang. Er tastete und die Wände waren feucht und glatt. Während er suchte, fing ein runder Lichtfleck an, über die Mauer zu hüpfen. Wo er auftrat und hielt, funkelte es auf. Andere Lichtbälle tauchten auf und spielten mit dem ersten. Sie glitten übereinander und vermehrten sich, bis die eine Seite eine strahlende Scheibe schien. Da erkannte Las Casas, die Wände seien Spiegel. Er suchte noch einmal nach einer Öffnung, aber er fand keine mehr. Die Lichter stachen ihm nun in die Augen. Da hieb er mit einem Aufschrei bebend vor Wut die Faust in eine der Scheiben, ein helles Gelächter lief über die Wände, irgendwo gab es einen Ruck, eine Öffnung, durch die er schritt fünf Schritte bis in sein Zimmer.

Am Morgen flog die Türe auf, Mekkije wehte herein. Sie betrachtete ihn lang und eingehend. Dann setzte sie sich vor seine Füße und fuhr fort, ihn anzusehen.

Darauf schüttelte sie wenig den Kopf und sagte: „Ich kann mit dir machen, was ich will.“

Las Casas zuckte die Achseln.

„Wenn du mich liebtest“, meinte sie nach einiger Zeit ernst und überlegen, „kostete es dich den Kopf. Zwei, drei Schnitte . . .“ . . . sie fuhr sachlich mit dem Zeigefinger über den Handrücken. Sie sah ihn an, als ob sie immer mehr über ihn erstaune.

Mit einem wegwerfenden Hochmut zog der Marques die Linien ihres Körpers nach und wandte sich langsam nach der Wand.

Doch seine Blicke hatten sie aufgenommen und brannten ihr Bild in die Mauer. Sie war sehr schön.

„Mein Vater hat sieben Monde“, fuhr ihre Stimme fort, „ich habe den Alten schlagen lassen, dann habe ich mir zwei Ringe schenken lassen und dich.“

Las Casas drehte sich wieder langsam nach ihr. Da fuhr ein Lachen mit tausend süßen Spitzen in ihr Gesicht: „Alle Querstollen führen in den Hof“, lachte sie. Sie krallte die Hände auf und hielt sie ihm vor das Gesicht. Dann lenkte sie ab: „Deine Haut ist schön. Sie ist nicht weiß und nicht sehr braun . . .“ Sie strich mit der Handfläche neugierig und schauernd über seinen Hals.

Der Marques packte ihre Hand und warf sie mit spitzen Fingern zurück. Sie zog sie erstaunt an, legte sie in die Achselhöhle des anderen Arms und senkte den Kopf schräg. Sie war enttäuscht und drohte ihrem hellbraunen Spielzeug überrascht:

„Wenn ich will, kann ich dich an das Bein einer Kamelstute binden lassen, die nach Tripolis geht. Du bekommst Schläge unterwegs und faules Wasser zum Trinken. Oder du mußt Sand scharren im Hof, und wenn es mir paßt, auf dem Kopf stehen und durch die Nase lachen.“

Ihr Mund verzog sich in ein glitzerndes Lachen. Rasch flog ihr Fuß aus dem Pantoffel, das Bein schoß schlank aus dem weißen Hemd, hob sich und zupfte ihn mit den Zehen am Schnurrbart. Las Casas schlug mit der Hand hart auf den Fuß, der sich zurückzog.

Er stöhnte auf vor Schmach und schien sich gering gemacht und wie ein Schwein oder gleich einem Hunde, mit dem man spielt. Sie sprang auf ihn zu und drückte sich an ihn und strich ihm über den Arm und den Hals. Sie begriff ihn nicht. Aber sie wollte ihn besänftigen. Doch er warf sie, während seine Finger die ganze Schönheit ihres Körpers begriffen und im Gefühl bewahrten, ins Zimmer zurück. Sie taumelte gegen die Wand, stieß einen kleinen spitzen Ruf aus, zog ihr Tuch bis unter die Augen und ging.

Einmal noch floh Las Casas.

Allein er kam in einen Garten, wo Mekkije mit vielen Begleiterinnen dunkelblaue Bohnen und Winden begoß.

Er wußte nun, daß er ganz — wie ein Tuch und ein Stein — in ihren Händen sei. Aber die Erniedrigung war nicht tief genug, daß er sich tötete. Er spielte oft mit dem Dolch, und sie sah ihm aufmerksam zu. Einmal setzte sie sich auf seine Knie und flüsterte etwas in sein Ohr, das er nicht begriff und das sie nie wiederholte. Er sank, sank mehr. Um so stärker aber stieg das Bewußtsein der Berufung in ihm.

Mekkije streichelte ihn oft und lächelte, wenn er sie abschüttelte, obwohl sie sah, wie seine Lippen brannten.

Doch langsam sahen Las Casas’ Augen sie nicht mehr. Sie sahen trüb aus wie Zisternenwasser. Es schien, als glotzten sie nach innen. Sie versuchte es drei Tage nacheinander und hielt ihm ihren Finger vor die Pupille und stieß danach. Sie brachte keinen Reflex heraus. Dumpf schwamm der Stern auf dem Weiß.

Da brachte sie ein Goldblech, auf dem viel Linien eingeritzt standen, und flüsterte an sein Ohr: „Palast-Plan . . . Palast-Plan“, bis er begriff und ihn vor ihre Füße warf. Denn er hielt das für eine List.

Allein sie verschloß sein bitteres Lachen mit den Lippen. Sie küßte ihn auf den Mund und sah ihn traurig an: „Was willst du?“ Der ganze Körper bat.

Da floh er.

Er kämpfte sich durch Gewölbe und Tunnels, glitt über Terrassen und Galerien und tauchte in einen Schlund, der schmal und lang vor ihm zog. Seine Hände führten ihn tastend die Wand entlang. Er schritt minutenlang. In Abständen waren in der Mauer Einlasse, die kleine Säulchen hatten. Einige waren aus einem porösen Stein, andere völlig glatt. Er streichelte seine Hände kurz und stolz: „Kluge Hände“. Ein Übermaß von Freude stand ihm bis zum Kopf, bereit, durch Mund und Augen übermäßig aufzuspringen. Plötzlich packte er einen Auswuchs und empfand im gleichen Moment, daß seine Hand in einer Zahnreihe lag. Er half mit der anderen und erschrak, wie die Finger der beiden in zwei hohlen Augenhöhlen verschwanden, die feucht waren und sich anklebten. Da faßte er fest zu, brachte die Augen nahe und merkte, daß es ein Ornament aus Gips sei. Wie er aufatmend vorwärts trat und sein Blut, das gehalten hatte, aufsauste, griff er etwas Warmes. Mit dem Rücken stieß er dabei gegen die Tür, die hinausführen mußte.

Seine Hände aber erkannten die Schönheit wieder, die sie einmal gefühlt hatten, und packten sie. Es war heiß. Ein Mund saugte an seinem. Da gab er nach. — — —

Die Sonne draußen hatte schwarze Ringe, die um sie kreisten. Er senkte die Augen. Zwei Beduinen empfingen ihn an der Tür, hoben ihn auf ein Tier und ritten neben ihm. Er hatte den einen Tag ein Kamel. Am zweiten gaben sie ihm einen Wechabitenhengst, Datteln und Wasserschläuche. Als sie ihn verließen, sagten sie ihm, daß es knapp ein Tageslauf sei.

Er hielt sie an.

Er hielt sie an und fragte: „Wer war es, der mich losließ?“

„Die Tochter Yousouf Bassas . . .“ sagten sie. — — — — — — — — Er wartete, bis sie verschwunden waren. Dann hielt er die Hand so, daß sie den ganzen Horizont, aus dem er kam, bedeckte.

Hiermit und so war er fertig mit ihm.

Durch die Hand sah er sein Blut. „Juana . . . ja . . . mein Blut — — unser Blut —“ schrie er und stachelte den Hengst mit dem Dolch.

Moos spann sich grau über die Wüste. Kranichzüge rauschten über ihm. Endlos blendeten die weißen Kaktusfelder in der Ferne.

Ein Tuareg begegnete ihm.

Sie ritten scharf aneinander vorbei. Ihre Augen hielten sich so fest, daß ihre Hände sich nicht rührten.

Endlich: Bäume . . . Bäume! Eine Allee. Orangenallee . . . Er fiel vom Pferde, umarmte es, tanzte und küßte die dampfenden Flanken des Tiers. Am nächsten Tag fand er die Galeeren. Am gleichen Mittag rannte eine Patrouille von ihm zu Yousouf und bat ihn um eine offene Schlacht. Der Bassa schlug ein und bezeichnete den Platz.

Sie stachen sofort los. Las Casas kam in Streit mit den Offizieren. Er trieb die größte Eile an, weil er vor dem Bassa an der Kampfstelle sein wollte. Denn er mußte auf jeden Fall die Stellung an der Küste haben, damit er den Feind gegen das offene Meer hatte und so Flucht eine Unmöglichkeit sei und auf diese oder jene Form dieser Kampf ein Ende sei. Die Offiziere wollten erst Wasser aufnehmen in einem Hafen, der nahe lag. Doch Las Casas sagte, daß sie nach der Schlacht Wasser genug haben würden hier oder da, und er wies auf das Meer und in die Richtung des Hafens; da schwiegen sie, denn er lächelte dabei.

Die Sklaven hatten ausgehöhlte Gesichter und knirschten, als die raschen Takte des Vorsängers ihre Muskeln zu angespannten Zügen zwangen.

Las Casas ließ sie schlagen und stand auf dem Vorderdeck, unbeweglich, den Blick auf das Meer ausgestreckt. Die Ruder hieben in kurzen Intervallen in das ruhige Wasser.

Er spreizte die Arme aus, und sie schienen ihm wie zwei Segel, die ihn nach der endlichen Tat hin aufbauschten und trieben. An Juana dachte er wenig und kaum. Nur dies eine erfüllte ihn. Ein Lächeln, fast spöttisch, kräuselte seinen Mund. Er schüttelte den Gedanken an sie unwillig ab. Stolz durchfuhr ihn stürmisch und sengte seine Augen.

Er drehte sich und es war ihm, daß einige Bänke die Ruder weniger tief streckten und so den Lauf hemmten, und er ließ auf einer erhöhten Bühne mitten auf dem Steg zwischen den Bänken mit Sklaven zwei Neger hinrichten. Die nächsten schauten bleich zu. In den zerrissenen Gesichtern stand Wut.

„Wasser . . . !“ brüllte ein langer Portugiese und drohte. Las Casas lächelte ruhig und sehr gefaßt und ließ ihm das Halsblut der Neger reichen.

Er fühlte einen starken Sturm in sich, der ihn hob, schwellte und maßlos mit sich selbst erfüllte, daß sein Wollen ins Ungeheuerste gesteigert und seine endlos beschwingten Gefühle über alle Schicksale hinausstiegen und der Tod ihm nur ein geringschätziges Spiel (wie mit Masken) erschien.

Am Abend stellten sie sich auf für den folgenden Tag.

Früh riß die Sonne den Himmel tiefrot auf und färbte das Wasser so. Und als bedrücke das Ungeheuere der Front vor ihm etwas in seiner Seele, horchte er in sich hinein und fand wie ein Pizzicato in der Ruhe seines höchsten Geschwelltseins den Gedanken an Juana und riß ihn heraus und maß ihn mit den letzten Erlebnissen und der Idee seiner Tat. Die Kartaunen des Vorderdecks lösten sich schon. Die türkischen Caramuzzals umsprühten die Galeeren mit glühenden Kugeln. Eine zischte zwischen die Ruderer und verbrannte sie. Es roch nach versengtem Fleisch. Die nächsten heulten auf und ließen die Ruder.

Da ließ Las Casas die Hörner blasen.

Auf den anderen Schiffen antworteten sie. Eine Schlinge fiel vom Hauptmast. Sie legte sich um den Kopf des Portugiesen und zog ihn hoch und schwang ihn, der sich verrenkte und mit den Armen, die Hände zu Fäusten gekrallt und die Zeigefinger nur erhoben, die Luft schlug, in weitem Bogen über das Schiff.

Pfiffe rasten über die Decke. Alle Ruder hoben sich und schäumten auf die Caramuzzals ein.

Las Casas zwang nun den Gedanken an Juana ganz aus sich. Nur die Tat sollte sein. Er stand auf der Poppa und suchte die größte Caramuzzal. Eine Flagge deckte sie: Rot mit sieben schwarzen Monden.

Endlich: Yousouf! —

Das Wasser spritzte karminenen Schaum, so war es von der Sonne durchtränkt.

Las Casas suchte hier in der ungeheuersten Erhebung, in der durchbebtesten Ekstase seines Lebens den Gedanken an Juana zu töten. Eine wahnsinnige Freude durchschwang ihn. Er hatte den Dolch durch den Mund gezogen. Seine Hände hielten kalt und verkrampft das Steuer. Alle Kanonen entluden sich und schrien gegeneinander.

Ein junger Offizier vor ihm drehte sich um und brüllte etwas mit leuchtenden Augen zurück, was das Getöse verschluckte. Las Casas sah ihn an. Und als hätten die nicht gehörten Worte etwas gelockert, als hätten sie ihn das gefragt, um was er rang, brüllte er dem Jungen zu (der ihn nicht verstehen konnte) die Arme um das Rad, mit Lippen, die sich zerrissen an dem Dolch im Mund:

„O alles . . . hätte ich auf den Bauch geschmissen Dreck gefressen, drei Monate oder vier . . . wären meine Gedärme zerfetzt daran . . . hätte ich den Bart säubern müssen des Bassa jeden Tag von Eiern und Speisen und schlechten Küssen, wäre ich stinkend geworden und nach Übelem riechend und hätte ich keine Zähne mehr im Mund und wäre ich gewesen wochenlang beschämt bei alten Weibern, die hängende Brüste hatten und Riemen von Adern aus den Gliedern quellend . . . o, alles nichts, klein, sehr klein, — — — kein Lachen . . . keinen Wink wert ist es, ist die Schmach gegen diesen Moment, gegen dieses Steigen — — — und was Juana ist — — — was ihr Andenken ist . . . es wiegt nicht so viel, daß ich es nur so sage, nicht einmal mein Brüllen ist es wert . . .“ — — —

Nun hatte Las Casas Ruhe für seine Tat.

Seine Lippen zuckten zerrissen.

Ehrgeiz füllte seine Augen, daß sie grün blitzten.

Die Offiziere standen um ihn.

Blut rann über sein Gesicht.

Mit einem scharfen Ruck warf er das Steuer nach rechts. Geknarr und Erschütterung knirschte auf. Die Galeere lag nun neben der Caramuzzal Yousoufs, deren Geländer sie weggerissen hatte. Dunkle Massen strömten hinüber.

Mit einem Lächeln (dies war sein Tag), ganz ruhig stand Las Casas auf der Poppa. Sein Gesicht war hell und stet wie eine Fahne.

Aber dann: — — als er hinübersprang und sah, wie Bassa Yousouf mit vielen Kugeln durch den Bauch geschossen erledigt war und sie ihn aufhoben und vorbeitrugen dicht an ihm . . . kniete er, wo er stand, nieder, warf sich auf den ersten Toten, der aus der Brust blutete, küßte die Brust — — — und stammelte: „Juana“. Stammelte: „Juana“. Nichts weiter. Nur dies.

Sie legten den Toten auf die Poppa. Las Casas betrachtete ihn genau. Er sah seiner Tochter ähnlich . . . die Wolke über der Stirn . . . die Braue und der Nasenflügel . . . Las Casas erstaunte über die Leiche. Er wußte nichts damit anzufangen. Er roch die Nelken im Garten von Cartagena. Jonquillen, fiel ihm ein, waren auch dabei. Er fuhr mit den Fingern in die Wunden des Bassa und untersuchte sie.

Dann zuckte er die Achseln und trat zurück.

Der junge Offizier kam und küßte ihm die Hand.

Die Kommandeure der beiden anderen Galeeren traten auf ihn zu: Sie seien stolz . . . unter ihm . . . dieser Sieg — — —

Nun begriff er wieder: So, ja, Yousouf Bassa . . . Er strich die Stirn: Ja. Er lag da. Auf der Poppa . . . tot? . . . Tot!

Stolz hob seine Schultern. Freude überflammte ihn. Es war die erste Tat im Reich. Gewiß. Er hob die Hand. Sie bliesen: Benedito sea Dios.

Die Sonne ward schon gelb und stieg.

Dann sprang er zurück auf dem Hinterdeck und gab das Signal zur Abfahrt.

Ein Schrei der Wut peitschte über das Verdeck.

Offiziere hoben die Hände, bestürmten ihn: „Teilung der Beute . . . Ruhe . . . Soldaten . . . die Sklaven seien ausgelaugt.“

Las Casas stemmte sich hoch: „Wir fahren!“

Sie fuhren in einem dumpfen Schweigen.

Niemand sprach.

Sieben türkische Caramuzzals waren erobert worden, auf die Soldaten verteilt wurden. Die Gefangenen mußten rudern. Ein Schiff trug den Harem.

Als sie den ganzen Morgen gerudert hatten, sprangen den Leuten Arme und Lippen auf. Die Sonne brannte einige tot. Doch sie wimmerten kaum.

Weißglühende Wut schwelte in den Augen der Soldaten.

Las Casas saß auf dem Vorderdeck, wo der Wind ihn zuerst kühlte. Die Leiche Yousouf Bassas lag neben ihm. Seine Augen weilten manchmal auf ihr, dann sogen sie sich wieder glühend, brennend in den Horizont fest. Er freute sich über die Tat. Aber er begriff nicht mehr, daß er über Juana weggesprungen sei wegen ihr. Er fühlte sie so um sich, als könne er ihre Umrisse mit den Händen fassen. Es war unmöglich — wie konnte es sein, lachhaft und kindisch? — daß er sie dreimal verschmäht hatte. Er blickte auf den Toten. Es war doch so. Doch er verstand die Wichtigkeit dieser Tötung nicht mehr.

Offiziere baten ihn, das Tempo des Ruderns zu mäßigen. „Die Leute verrecken vor Durst. Die Zungen kriechen ihnen wie böse Tiere aus den Mäulern,“ sagte heftig der junge Offizier.

Las Casas ließ ihnen die letzten Rationen austeilen. Das Tempo blieb das gleiche. Es ward Nachmittag.

Las Casas brannte in einer Flamme: Juana. —

Seine Blicke hoben aus dem Ende der Wasserfläche einen Garten voll Lauben und Gerüchen und eine Nacht darüber, mit Sternen dicht verschnürt, in der er sie besitzen wollte. Es nahm ihm den Atem. Es preßte alles beiseite. Er mußte ohne einen Ruderschlag Pause nach Cartagena. Er schob den Toten mit dem Fuß zur Seite, da er ihn plötzlich haßte, weil er in ihn die Ursache verlegte (die in seiner eigenen Brust saß), daß er Juana verschmäht hatte.

Da brüllte es hinter ihm plötzlich wie aus einem Ventil: „Wasser!“ Es war ein gellender, trockener Ruf. Er fuhr herum. Murmeln erstickte in seiner Nähe. Aber dort brach es aus: „Wasser!“ . . . und schlug hinüber und zündete und an hundert Seiten zuckte es hoch und heulte aus den Mündern. Die Augen waren ihnen stier geworden, und die weißschweißigen Gesichter brannten.

Las Casas’ Hirn schob blitzschnell den Gedanken vor: Gefahr! Sein Bewußtsein packte zu und begriff dumpf, daß ihm ein Hindernis entgegentrete. Rote Wut schüttelte ihn. Er sprang vor:

„Schmeiß,“ schrie er, „Geschmeiß,“ und wieder: „Vieh . . . Ihr wollt weniger tun, Hunde, wo ich mehr Eile habe. — Sklavenführer, aufs Vorderdeck! . . . Die Riemen in die Peitschen gezogen . . . Zehn Takte rascher gefahren im Viertel der Stunde. — Den Bankersten die Bastonade!“ . . . Seine Stimme war wieder beherrscht geworden. Die Riemen klatschten über die Rücken.

Die ganze Nacht ließ er sie mit Wasser begießen, das sie kühlte und ihren Schweiß wegschwemmte. Allein das Meerwasser biß scharf in ihre Wunden, daß sie schrien über das Geschenk.

Am Morgen stand einer auf als Deputat: „Wir können nicht mehr.“ Niemand hörte auf ihn.

„Gib uns einen halben Tag. Wir legen uns auf den Bauch diese Zeit. Dann streifen wir das Schiff wie einen flachen Stein übers Wasser.“

„Einen halben Tag . . .“ johlten die anderen.

Der Deputat drohte: „Wir brechen die Ruder . . .“ Da gab Las Casas Befehl, ihm, dem die Ohren von Toledo her fehlten, die Zunge aus dem Munde zu nehmen und ging hinunter, die Zähne in den Lippen und bleich. Denn es schmerzte ihn, solches zu befehlen, aber seine Lippen hatten nur ein Wollen, das wie ein ungeheueres Zittern daran hing und auf alles niederfiel, was es sperrte: „Juana!“

Er ließ den Sklaven Wein geben. Das Geringe berauschte sie. Die Galeeren zogen rascher.

Sie zogen rascher. Die Sklaven lechzten, Mäuler aufgesperrt, aber noch entfeuert.

Sie bekamen neue Mengen und ruderten rasender, bis einer schrie:

„Weiber — — — — — — — — — — — —“

Langgedehnt zog der Laut über das Schiff. Eine Stille schob sich nach, die alles preßte.

Dann rasten alle in die Höhe und hämmerten ihre Ketten gegen die Bänke:

„Dein Ver—spr—e—e—e—chen . . . am selben Abend . . . zwei . . .

Schuft! — — — Du . . .“

Las Casas stand ihnen mit blassem Lächeln entgegen. Die Aufseher peitschten sie mühsam wieder an die Ruder zurück. Eine Bank hatte sich ineinander verbissen. Sie bissen sich Stücke aus dem Fleisch.

„Ihr werdet sie haben, eh’ der Tag ’runter ist. Wenn ihr euch eilt, Bande! Dann sind wir in Cartagena.“ Las Casas’ Stimme klang knapp, unendlich beherrscht.

„Es ist gelogen, ist erlogen . . . Hund!“

Las Casas ließ sie.

Als aber ihre Bewegungen langsamer wurden, erschrak er. Es blitzte ihm durch den Kopf — er müsse den Abend in Cartagena sein — — um alles.

Er ging auf dem Deck herum und zerbog die Hände ineinander, bis er den letzten Entschluß sich abgepreßt hatte.

Er befahl ein halbes Dutzend Weiber aus dem Harem herüberzuschaffen. Er wußte (in brennendster Qual), daß die Sklaven die Frauen des Harems beim Umladen nach der Schlacht gesehen hatten: Sie waren nackt. Ihre Brüste waren kobaltblau. Der Bauch glänzte nach ihrer Sitte rund mit Gold gemalt. Sie sollten vor ihnen tanzen, daß sie rascher führen.

Alle mußten hinuntersteigen.

Nur die Sklaven blieben, einige Offiziere und Las Casas.

Die ungeheuerste Erwartung machte den Sklaven die Gesichter weiß wie die Planken, die Augen rissen sich auf in erschreckender Weite. Auf Las Casas’ Gesicht saß ein Lächeln wie eine Dolchspitze.

Dann fingen die Boote an hinüberzufahren zur Caramuzzal, die den Harem trug. Die Wächter hieben auf die Sklaven ein. Las Casas sah knirschend vor Scham und Schmerz, wie irgendwo einem Geifer aus dem Maul rann, während er blöd auflachte. Anderen brach der Schweiß in Strömen aus dem Gesicht. Sie sahen aus wie Pilze, auf die plötzlich Tau fällt.

Keiner schrie. Eine furchtbare Lautlosigkeit fiel auf die Schiffe. Die Gesichter waren ins Unkenntlichste verzerrt. Wo manches Nase oder Mund sonst war, saß nun eine Falte der grausamsten Qual.

Las Casas hatte sich umgewandt, denn was er tat, empörte seine Seele. Er schlug die Arme übereinander, daß sie ihm die Brust einbogen, biß die Lippen zusammen und starrte ins Meer und weinte vor Zorn über sich. Er flüsterte: „Juana“ und empfand Rechtfertigung für alles. Denn er mußte den Abend in Cartagena sein (er kam den Abend nach Cartagena) oder wahnsinnig werden oder zerplatzen vielleicht, und jedes Ding war blaß gegen diesen Willen.

Er hörte keinen Laut wie das Keuchen der Männer. Dabei empfand er, wie die Galeere mit erstaunlicher Geschwindigkeit flog.

In der drückenden Stille hinter seinem Rücken bohrten die achthundert Augen sich auf die Caramuzzal, an der die Boote gerade anlegten. Ein silbernes Horn (wie rein es scholl zwischen den Masten und gelben Segeln!) hob sich mit zartem Laut auf dem Verdeck drüben. Eine Stimme rief einmal (wie klang sie jung und nach Andalusien!): „Seht! Sie tragen Sonnen auf den Leibern.“

Las Casas wandte sich nicht um.

Aber plötzlich trat er zur Seite, wie zerrissen von einem Gedanken und hob den Arm mit einem raschen Mal streng und senkrecht . . . niemand wußte, wollte er Einhalt rufen oder winken.

Doch die Geste wirkte unsächlich.

Es brach ein einziger, das Entsetzlichste aus allen Brüsten lösender Schrei über die Galeere hin. Es war zu viel.

Einer der Sklaven hatte Las Casas’ Bein gepackt. Las Casas verschwand unter der gebeugten Wut von sechs Leibern, tauchte auf, formlos, und flog wie ein Ball auf die andere Seite. Sie warfen ihn sich zu. Vierzig Bänke links. Vierzig auf der anderen Seite. Einer senkte seinen Mund auf seinen Hals. Ein anderer schlug seinen Trinknapf aus Blei auf seinem Kopf fest. Dann blieb er irgendwo liegen. Soldaten kamen herauf, Gefangene, erschlugen die Offiziere, befreiten sich und vergaßen ihn über ihrem Gelage.

Nach einer Stunde brannten drei rote Punkte im Horizont auf.

Sie schwollen und wuchsen, flogen unterm Wind herauf. Drei Schiffe mit roten aufgebauschten Segeln fuhren an die Galeeren heran. Die Sklaven wurden überwältigt. Luis Quijada kam herüber von seinem Segler. Denn er war es.

Luis Quijada ließ sie im Kranz zu Vierhundert um die Reeling hängen. Die Leiche Las Casas’ ließ er hinüberbringen und bedeckte sie mit seiner Fanale.

Dann ließ er die anderen Schiffe herankommen und bestieg die Caramuzzal, die des Bassas Harem trug. Er teilte die Beute ein, sonderte die fünfzig Besten aus und schiffte sie in seinen Segler ein. Die anderen schenkte er seinen Soldaten. Darauf stieg er in die Kabine, in der die Favoritinnen Yousoufs lagen. Es war eine kleine Kajüte mit lackiertem Mahagoni und Zitronenholz. Sie hatten sich mit Alhenna gefärbt und rauchten. Er saß mit ihnen und sie tranken gemächlich mit ihm, der lächelnd und zärtlich scherzend mit ihnen sprach, zutraulich Kakao und Orangenwasser.

Er hatte einen Segler vorgeschickt. Es ward Abend, als sie in Cartagena einliefen. Große Mengen standen am Kai. Man sah eine Flotte kommen. Das Banner Las Casas’, Quijadas, das von Kastilien und die rote Fahne mit sieben Monden wehten von einem einzigen Mast. Juana stand am Steg.

Eine Bahre ward aus dem Schiff herübergebracht und ans Land gestellt. Quijada folgte. Las Casas’ Kopf erschien, wie einer das Tuch hob, unter der weißen Fanale, auf der sein Wappen stand. Um seine Stirn saß festgebissen mit einem dunklen Strich das Bleigefäß des Sklaven wie ein schlechter Heiligenschein.

Juana taumelte.

Dann aber fing sie sich mit einer maßlosen Bewegung wieder in sich selber ein. Und da sie nicht allein das Stolze liebte und die Stärke, sondern das Endgültige vor allem und den Sieg, ging sie um den Liegenden herum und raffte ihr Gesicht auf, daß es glänzend ward wie das Metall einer über einem Heer geblasenen Trompete, schritt kurz auf Luis Quijada zu und legte ihren Kopf an seine Brust.

Luis Quijada fröstelte erstaunend über das Entsetzliche ihrer Entschlossenheit, aber er tat doch den Arm um sie, denn er hielt sie nicht für schlechter als die drei Besten aus seinem Harem.

Yup Scottens

Yup Scottens wette niemals. Sie wüßten es alle.

Das Blut steige ihm noch röter unter das breit und tot herabfallende Haar. Er schlage auf den Tisch. Jedesmal würde er auf den Tisch schlagen, wenn wieder einer vom Wetten spreche.

Also schweige man davon.

Ob Yup verheiratet sei?

Nein.

Und es würde besser sein, auch danach nicht zu fragen.

Leise höchstens, ganz leise könne man davon erzählen.

Tim Porker müßte dann die Beine vom Tische nehmen. Denn ihr Ledergeruch würde stören. Und dann hätte er heute morgen den einzigen Kartoffelacker hinter der Farm gedüngt. Kinder, man sei ja nicht so, aber Tim müsse diese Lederranzen von den Füßen nehmen und sie vor die Tür stellen. Noch weiter, zwanzig Meter vom Haus weg . . . so . . . und auch dann stänken sie noch. Aber weniger, Gott sei Dank, und auch weil Ralf den algerischen Tabak rauche, wegen dem man allein fünf Jahre in der Fremdenlegion sein könnte. Selbst wenn man kommandiert würde . . . Oder doch nicht, nein . . . nicht . . . Aber komisch, wo er den Tabak herbekomme, Ralf brauche nicht wegzusehen, warum denn auch. Yup Scottens wüßte manches davon, und wenn er wieder da sei, in drei Tagen wohl ungefähr — denn schließlich sei er doch der beste Reiter —, er würde möglicherweise davon erzählen. Ralf sollte doch schweigen. Es sei ein Irrtum. Yup hätte an manchen Abenden beim einsamen Feuer am Rande der Kordilleren mehr erzählt, als sie wüßten und dächten. Alle miteinander.

Tim Porker müsse auch die Strümpfe ausziehen. Es ginge nicht anders. Frischgedüngte Äcker brächten auf so verfluchte Gedanken, röchen einem an mit Erinnerungen. Boys! wer hörte die gern! Nach den Sternen speien nachts durch die blanke Kühle, hundertmal denselben Büffel anschießen, eh man ihm die Kugel ins Ohr brennt, Mestizen an den Beinen aufhängen, daß die Köpfe wie Früchte platzten, Kinder, ja, alles, gern — aber nicht an frischgedüngte Äcker denken!

Tizzy solle nach den Koppelungen sehen. Ob die Pferde fräßen. Büffelmist solle hereingekehrt werden und sparsam auf das schwelende Feuer gelegt werden. Morgen werde es schneien, es werde tagelang schneien.

Ralf solle seinen Schnurrbart kauen und ihm die Pfeife geben. Wie? Yup werde länger brauchen? Yup wisse, daß nur für vier Tage zu essen da sei. In vier Tagen werde Yup den Transport herbringen. Heiho! Yup.

Ganz andere Fahrten hätte Yup gemacht.

Tim Porker solle das Maul halten, bei Gott. Und wenn sie morgen früh einen Tunnel nach seinen Stiefeln machen müßten durch den Schnee, die Stiefel blieben draus.

Ein glühender Tag sei es gewesen, hinten am Gebirg, der plötzlich wie ein Signal an der Eisenbahnstrecke, die Yup drei Tage von hier kreuzen müsse — also der wie ein Signal umgeklappt sei in eine stechend kühle Nacht. Sie hatten auf dem heißen Felsen gelegen. Die Knochen hätten gebrannt, das Hirn geglüht, aber sie hätten gefroren. Der Schein des Feuers wäre die Felswand hinaufgeklettert, aus der sternüberhängten Nacht hätte ein Fuchs gebellt, spitz und lang auslaufend. Manchmal. Da habe Yup sich aufgesetzt und ihm erzählt, warum er nichts hören könne vom Wetten. Manches habe er schon früher geahnt, denn Yup habe dies schon angedeutet und jenes. Yup habe ihm aber auch erzählt, warum er nicht verheiratet sei trotz dem Ring an seinem Finger. Yup habe ihm alles erzählt. So:

„Er war fünfundzwanzig Jahre, Yup Scottens, und hatte ein schönes Geschäft. Es war seine Erfindung, auf Emailleschilder eine grüne Schrift anzubringen, die abends leuchtete. Die Fabrik lief famos. Yup bastelte an neuen Erfindungen, ritt, spielte und hatte einen Klub. In dem Klub waren Leute, ähnlich wie er. Seht ihr, sie hatten lackierte Schuhe an den Füßen — ich sehe dich nicht an, Tim Porker —, aber sonst waren sie wie wir, hatten knackende Muskeln, legten im Box einen Professionell säuberlich in eine Ecke hin, fuhren sechs Tage, immer verfolgt im Auto, mit einer fremden Frau durch die ganzen Staaten. Sie trafen sich allabendlich, und keiner wußte anders, als daß sie zusammengehörten, einer zum nächsten, jeder zum andern, sich herausbeißen würden und ginge der letzte Zahn zum Teufel, immerfort, daß sie beisammen bleiben müßten. Stets.

Nun lernte Yup eine Miß kennen, die Laura hieß. Ein komischer Name — aber er verliebte sich in sie. Niemand hatte daran gedacht, denn sonst ging er Frauenzimmern aus dem Wege, selbst bei Abenteuern; trotzdem er den Weibern gefiel — er sagte es nicht —, aber er besaß früher eine volle Brust, ich sah es, und schöne Beine. Jetzt allerdings, ja, jetzt sind sie nach innen gebogen und haben die Linien der Pferdeweichen. Verflucht, Kinder, Yup hatte gerade Beine, jetzt aber sind sie krumm, weil Yup ein Cowboy ist.

Yup sagte mir nicht, wie er sie kennen lernte, ist auch egal. Hat ein wenig gestottert und mit einem glimmenden Holz herumgestochert. Ich habe weggeschaut, denn er hat sich, glaub ich, geschämt. Ihr begreift das nicht, kann euch auch einerlei sein. Ich habe einen Stein nach einem Fuchs geschmissen, der Bogen um uns lief, und dann ein paarmal geknallt.

Yup Scottens verlobte sich nun mit Miß Laura und ging alle freie Zeit zu ihr. Die anderen begriffen das nicht. Sie hatten das Gefühl, als sei etwas aus ihnen herausgebrochen. Das war Yup Scottens. Sie versuchten ihn wieder zu bekommen. Aber er erschien nur noch selten. Dann erzählte er von den Haaren der Miß Laura. Das war ihnen langweilig, begreiflicherweise.

Da sprach eines Abends, wie Yup da war, einer von dem neuen Postzug, der über tausend Meilen laufe von Morgen bis Sonnenuntergang. Man hatte die eigenartigsten Sicherungen angebracht, um Anschläge und Überfälle zu vermeiden. Patentschlösser wie Signalschellen nach den verschiedenen Waggons und gleichzeitig zu den Stationen rückwärts und voraus schnitten Diebstähle ab. Das Personal kontrollierte sich selbst mit Stechuhren . . . Jeder kannte andere Schwierigkeiten. Einige widersprachen und sagten, Eingriffe seien doch möglich. Nun stand einer auf und erklärte, daß es unmöglich sei, überhaupt an den Zug heranzukommen, da er die ganze Strecke laufe ohne Anhalt. Von früh morgens bis abends ohne Station. Blinde Passagiere seien bei dieser Kontrolle ausgeschlossen. Nun standen sofort zwei Parteien gegenüber. Yup schrie natürlich mit denen, die behaupteten, man könne blind fahren. Man drängte zum Austrag, einige schlugen Wetten vor. Plötzlich ward es stiller. Nur Yup schrie noch. Innerlich dachte er nicht daran, es zu tun, was er in der Möglichkeit der Ausführung verteidigte. Einige versuchten, ihn auf seine Behauptungen festzunageln. Yup lacht noch scherzend. Da fiel wo das Wort „verlobt“. Und mit einem Male stand wie eine Fahnenstange aufgerichtet die Tatsache da, daß Yup fahren würde. Daß er die tausend Meilen fahren werde als blinder Passagier gegen den simplen Einsatz von hundert Dollars. Mehr als dreihundert war die Strafe, wenn man ihn erwischte, und einige Tage Gefängnis dazu.

Yup Scottens ging den Abend zu Miß Laura, küßte sie auf das Haar und dann auf die Augen und sagte ihr, daß er am Morgen mit dem Zug verreisen müsse für ein paar Tage. Dann schlief er auf seinem Sofa ein wenig, bis die anderen kamen. Sie machten aus, daß einer in dem Expreß, der dem Postzug in kurzem Abstand folgte, nachfahren solle. Hatte Yup die Endstation erreicht, ohne gesehen zu sein, und den Zug ebenso verlassen, hatte er gewonnen.

In der Dämmerung gingen sie an sechzig Meter von der Station am Gleise entlang und legten sich hin. Yup kauerte sich etwas weiter an den Damm und legte das Ohr auf die Erde. Ganz langsam wickelte der Zug, der sehr groß war und den drei Lokomotiven zogen, sich aus der Halle und setzte gerade bei Yup die erste Geschwindigkeit ein. Yup hatte seinen Rock ausgezogen, um freie Arme zu haben. Yup trug damals noch einen Rock, aus dem ein Stück blitzendes Hemd herausschaute mit Knöpfen drin, wie ihr es bei den Herren seht, wenn wir im September zur Kommission hinunterreiten. Er warf ihn dem Partner zu, der ihn im Expreß verfolgte, und griff fest nach dem Ende eines Wagentrittbretts. Dann machte er eine Drehung und saß darauf. Der Zug raste bald, Yup hing am Brett, dann legte er sich längs auf den Bauch, aber trotzdem blies ihn der Wind fast herunter. Er sah, daß er so nicht bleiben könnte. Später würde der Zug noch rascher fahren, in einer halben Stunde würde es hell sein und von jeder Station würde er signalisiert werden. Stöhnend und ohne Atem vor Wind schob er sich vor. Er preßte sich fest auf das Holz. Keine Muskel durfte nachlassen. Das Gesicht strich, während er vorwärts kroch, den Schmutz von dem Trittbrett, ein Splitter stach ihn in die Wange. Plötzlich wurde der Zug in eine Kurve hineingerissen, und Yup flog nach vorn, die Beine fielen seitlings herunter, blieben aber auf einem Reifrahmen stehen. Den Augenblick benutzte er, einen der Bügel am Ende des Waggons zu fassen und sich anzuklammern. Die Beine ließ er los und schwebte sekundenlang an den Armen zwischen zwei Wagen, den Körper mühsam angezogen. Er schnellte einige Male mit den Füßen nach den Puffern, bis er sie erreichte, griff mit den Händen nach und stand nun auf der Kuppelung zwischen zwei der langgestreckten Waggons. Der Wind belästigte ihn nicht mehr.

Rechts und links waren an den Wagenseiten ovale Haken, die dazu dienten, die Züge heranzuziehen. Er steckte die Arme hindurch, daß die Ringe, ihn haltend, in den Achseln saßen, mit den Füßen stand er auf den Puffern. Der Zug lief hundertzwanzig Kilometer die Stunde. Yup dachte, es die zwölf Stunden schon auszuhalten.

Yup hatte sehr viel Kautabak mitgenommen und kaute stundenlang. Mählich fühlte er aber, wie das Blut ihm in den Armen stockte und ein Schmerz ihn in den Rücken stach. Doch er kaute weiter. In der Nähe der Stationen zog er den einen Arm aus dem Ring und bückte sich ein wenig, als schaue er nach der Federung des Wagens. Dann sah er jedesmal, wie längs dem Wagen hinter ihm eine große Gabel vorschoß und die Postsäcke, die wie an Galgen hingen, packte und einzog. Nie hielt der Zug.

Gegen Mittag merkte Yup, wie ihm die Augen zuklappten. Er trat von einem Fuß auf den anderen, er stampfte auf, bog sich in den Kniekehlen — langsam fielen die Augen zu. Nun stieg Wut in ihm auf. Aber der Schlaf war stärker als er, Yup fühlte es genau. Wenn er einschlief, fiel er herunter, das wußte er. Ganz zuletzt, schon halb bewußtlos, fiel ihm ein Ausweg ein. Er löste seinen Gürtel und knotete damit mühselig eine Fessel um die Hände, nachdem er die Arme durch die Ringe gesteckt hatte, Jetzt konnte er unmöglich mehr abstürzen und schlief ein.

Manchmal wurde er wach, dann schlief er wieder. Es wurde kühler. Ein Druck, als hätte er blutige Ränder um die Schultern, zwang ihn endgültig aufzusehen. Auch im Genick fühlte er nun Schmerzen. Sofort fing er an, mit den Beinen aufzutreten. Er atmete auf, als es ging, wenn auch schwer. Doch die Bewegungsmöglichkeit der Arme schien ganz gehemmt. Eine Stunde, noch länger, wippte er mit den Achseln auf und ab, hob sich auf die Zehenspitzen aus der Spannung der Ringe heraus und wieder zurück. Endlich merkte er, daß Blut wieder sickernd und schwach den Oberarm hinunterfloß. Es war höchste Zeit. Mühselig löste er den Riemen von den Handgelenken, als er die Finger einigermaßen wieder bewegen konnte.

Es war wirklich höchste Zeit, Boys! Denn es war Abend. Denkt an den Indianer, der den Büffel, auf dessen Rücken geschnürt er hinausgetrieben war, qualvoll geblendet und, die Finger in seine Nüstern vergraben, tagelang erdrosselt hatte — und den wir schier verhungert an den Hügeln fanden . . . so ähnlich ging es Yup. Der Zug raste. Die Lokomotiven wurden im Fahren gewechselt.

Endlich, endlich pfiff die vorderste Lokomotive. Die beiden anderen folgten. Der Zug lief langsam. Er stand. Endlich stand er.

Yup ließ sich herunterfallen. Voll Öl und Schmutz, schwarz, blutend im Gesicht, schien er ein Heizer. Er sah schon lange nichts mehr, die Augen brannten scharf, er fühlte nur ein heftiges Zucken im Kopf. Trotzdem ging er mechanisch in das Restaurant, setzte sich auf eine Bank und spie seinen Kautabak aus. Dann erst fiel er um.

Drei Tage schlief er im Lazarett. Am vierten ließ er nach dem Partner aus dem Expreß fragen. Er hatte ihn noch nicht besucht. Ärgerlich, daß er nicht zu finden war, telegraphierte Yup nach Geld und fuhr am fünften zurück — mit einem Elektrisierapparat, den er jede halbe Stunde an seine Schultern setzte.

Er schellte am Hause seiner Braut, der er telegraphiert hatte. Die Verwandten prallten zurück. Das Mädchen lief fort und schrie. Man war verlegen. Plötzlich brach die Mutter der Braut in wildes Weinen aus. Nun sprach sie leis, aber es schlug grausam auf Yup herunter.

Der Expreß war entgleist. Eine Weiche war herumgeworfen worden, aber sie hatte zu spät funktioniert. Der Postzug, dem natürlich der Anschlag galt, war schon vorbei, der folgende Expreß sauste die Böschung hinunter. Unter den halbverbrannten Leichen ward eine als die von Yup Scottens nach einer aufgefundenen Brieftasche legitimiert. Es war Yups Partner, der Yups Rock trug. Der Telegraph brauste, die Namen der Toten standen an allen Mauern. Währenddem schlief Yup, mit gefesselten Händen zwischen den Wagen, hängend wie ein Sack. Miß Laura war nicht ohnmächtig geworden, als sie hörte, Yup sei tot. Aber sie sprach nichts mehr. Sie erkannte niemand mehr. Auch Yup nicht, als er zu ihr sprach.

Yup streichelte sie und sagte zu ihr, daß er Yup sei. Vielemal erzählte er ihr alles. Er erklärte ihr den Irrtum. Dann ging er tagelang weg, als sie sich nicht rührte, und brütete und wollte sich töten. Denn Yup spürte, daß er schuld sei. Hätte er ihr erzählt, wie es wahr war, von der Wette (Laura hätte ihn lächelnd gewähren lassen, so bitter sie nach seiner Abfahrt geweint hätte, aber er wollte ihr keinen Kummer machen), hätte Laura gewußt, daß die Nachricht von seinem Tod irgendwie ein Irrtum sein müsse. So hatte durch seine Unaufrichtigkeit sie das überganglose Begreifen des Verlustes wie eine Faust mitten in ihr Gesicht getroffen. Yup dachte aber auch, daß er nicht hätte zu wetten brauchen, daß er es wegen Laura vielleicht nicht hätte tun dürfen (darüber war er sich allerdings nicht ganz klar, denn Laura hatte ihn immer angehalten, den Instinkten seiner Kraft nachzugehen, wohl weil sie fühlte, daß ein Versagen ihn dumpf auf die Dauer und ungleichmäßig ihr gegenüber machen würde), und er fühlte, indem er überlegte, daß er nur gewettet hatte, weil einer wegen seiner Verlobung seinen Mut bezweifelt hatte. „Verlobt“, hatte einer gerufen, und Yup sann so lange über den Klang der Stimme, bis er wußte, daß es Gerd Robinson war, der so gerufen hatte, aber als er mit dem Revolver zu ihm ging, erfuhr er, daß Gerd verschollen sei seit dem Unglück. Später fand man ihn.

Yup ging nun wieder zu seiner Braut, legte ihre Hände zusammen und sagte ihr wieder alles. Boys! ich hoffe, daß keiner lacht, denn es wird dunkler und ich kann eure Gesichter nur undeutlich noch sehen, Boys, — Yup Scottens setzte sich in die Knie und beugte sich nach dem Ohr seiner Braut und flüsterte weinend, sie solle ihm verzeihen. Laura! stammelte er, ich bin Yup, ich lebe.

Aber sie sah starr gerade aus.

Tagelang saß Yup bei ihr. Manchmal sprach er lange kein Wort. Dann rief er ihren Namen. Stundenlang rief er: Laura! Wie ein grüner Papagei schreit, rief ers. Da nahm man sie weg von ihm; eines Nachts, ohne daß, er es merkte. Nach ein paar Tagen verschwand auch Yup. Er schlug sich in unsere Gegenden.

Einmal vor zwei Jahren war er einige Wochen verschwunden. Mitten in der Biberzeit geschah es, und Yup verlor die Hälfte seiner Jahreslöhnung. Damals war Yup noch einmal bei ihr. Niemand wußte es. Es war damals, als er nachts oft lachte und den Mestizen durch das Fenster erschoß.“ — — —

Man solle nicht zu viel an dem Feuer schüren. Es brenne von selbst. Ralf solle mehr algerischen Tabak geben. Die Pfeife sei aus. Er brauche das Bowie-Knife da drüben. Danke.

Es sei ganz dunkel geworden und doch noch so früh. Morgen werde man wund und schweißig vor Arbeit in der Kälte. Gut, daß die Pferde nicht so eng gepflockt seien. Tim Porker solle, verdammt und zum letztenmal, das Maul halten. So wahr er ihn kenne, er setze ihn zu seinen Stiefeln hinaus, bei Gott, in den Schnee.

Ob einer wette, daß Yup nicht in vier Tagen da sei — — —

Keiner?

Man solle die Tür aufmachen!

Weiter!

Man solle die Tür ganz weit aufmachen!

Maßlos flockte der Himmel auf das bleierne Land.

Ende






End of the Project Gutenberg EBook of Die sechs Mündungen, by Kasimir Edschmid

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SECHS MÜNDUNGEN ***

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